K L E I N E B I B L I O T H E K DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K ULTU R K U N DLICH E HEFTE
RUDOLF...
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K L E I N E B I B L I O T H E K DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K ULTU R K U N DLICH E HEFTE
RUDOLF EGER
DAS DAMPFROSS DAS L E B E N R I C H A R D T R E V I T H I C K S . D E S „VATERS D E R L O K O M O T I V E "
Signature Not Verified
Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.03.13 12:09:00 +01'00'
VERLAG SEBASTIAN LUX MÜBNAU. MÜNCHEN.INNSBRUCK-BASEL
Abschied Am 18. März 1960 standen vor der Eisenbahnvoerkstätte von Swindon zwölftausend Getreue der Technik um den „Evening Star", den ,Abendstern" — die letzte Dampflok der britischen Insel, die auf große Fahrt geschickt wurde. Auf dem Messingschild, neben der steilen Sprossentreppe zum Führerhaus, blinkte in der ersten Friihjahrssonne die Schrift:
„NR. 92220. HERGESTELLT IN SWINDON, MÄRZ 1960. DIE LETZTE FÜR DIE BRITISCHEN BAHNEN GEBAUTE DAMPFLOKOMOTIVE"
Unsere Zeit nimmt Abschied von einer der aufregendsten und zugleich romantischsten Schöpfungen des menschlichen Erfindergeistes, die einige Generationen lang die Einbildungskraft beflügelt, Sehnsüchte geweckt und Wünsche erfüllt hat. „Keine andere Maschine", heißt es in den Abschiedsworten an die Lok Nr. 92220, „kein anderes Produkt der Technik hat sich als ein so zuverlässiger Freund der Menschheit erwiesen, keine andere Maschine gab sich so gesittet und so vornehm, so mächtig, wenn sie losgelassen, und so anmutig und phantasieumrankt, wenn sie in Tätigkeit war."
Nicht nur m England ist das Schlußkapitel i» der Geschichte des Dampflokomotivbaus geschrieben. Fast zur gleichen Zeit hat auch die Deutsche Bundesbahn die letzte neugebaute Dampflokomotive — sie trägt die Nummer 23 105 — in Dienst gestellt. Die Eisenbahnverwaltungen anderer Länder werden folgen. In aller Welt hasten die Dampflokomotiven, diese „herrlichen schwarzen Untiere", die „Riesenkatzen der Bahnhöfe", den Schrotthalden zu. Wo sie unterwegs den Lokomotiven der Zukunft begegnen — den fast lautlos dahinstürmenden Diesel- und E-Loks — ist es wie die Begegnung der alten und der neuen Zrit. Die Anfänge der Lokomotive liegen mehr als hundertfünfzig Jahre zurück — sie liegen in England ...
Im äußersten Winkel Englands \m ausklingenden achtzehnten Jahrhundert betraditete man die Grafschaft Cornwall als jenen Teil des Königreiches, der sozusagen unerreichbar war. Leute, die in diesen äußersten Südwestzipfel der britischen Insel reisen mußten, hatten nur zwei Möglichkeiten; entweder sich der rauhen See auszuliefern und nach Falmouth zu segeln oder einen Gaul zu besteigen und Meile für Meile im Sattel zurückzulegen. Beide Arten der Beförderung waren wenig beliebt. Sich dem Meer anzuvertrauen, hielt man für ein ziemliches Wagnis in dieser stürmischen Ecke zwischen Kanal und Atlantik. Hoch zu Roß über einsame Landstraßen dahinzureiten, bedeutete erst recht Gefahr, denn jeden Augenblick konnte man von einem Buschklepper angehalten und ausgeraubt werden. Deshalb war die Ankunft von Fremden bei den Cornwallern immer ein Ereignis. Und auch die beiden Herren, die im Herbst 1777. im Dolcouther Grubenbezirk eintrafen, wurden nicht wenig bestaunt. Sie kamen aus der Industriestadt Soho in Mittelengland. Der eine war der berühmte James Watt, der andere sein Geschäftspartner und Geldgeber M. Boulton. Watts umwälzende Erfindung, die Niederdruck-Dampfmaschine, war vor einigen Jahren patentiert worden, und nun kamen die beiden Teilhaber, die eine Fabrik gegründet hatten, nach Cornwall in der Erwartung, für ihre Maschinen reichen Absatz zu finden. Das war für Watt um so wichtiger, als jahrelange Versuche, die Leistung der Dampfmaschine zu verbes-
sern, seine ganzen Mittel verschlungen hatten. Boulton, ein Metallwarenfabrikant, verfügte zwar über Kapital, aber es steckte zum größeren Teil in seinem eigentlichen Unternehmen. So war auch er sehr daran interessiert, die in Watts Dampfmaschinenfabrik investierten Gelder bald wieder herauszuwirtschaften. Das war der Grund, für diese anstrengende, ja gefahrvolle Reise, deren letztes Stück in einer der wenigen Kutschen zurückgelegt wurde, die damals in dieser Gegend existierten. Es handelte sich um eine leichte Chaise, die übrigens in der Entwicklung des Motorwagens noch eine bedeutende Rolle spielen sollte. Boulton blieb nur kurze Zeit im Grubendistrikt von Cornwall und kehrte nach Soho zurück, während James Watt gezwungen war, lange Zeit auszuharren; denn er stieß bei den Leuten, auf die es ankam, auf Ablehnung, ja auf Widersland. Sein Hauptgegner war ein gewisser Trevithick, der Leiter des Dolcouther Bergwerks. Es gab erbitterte Debatten über Wert und Leistung der Dampfmaschine, und selbstverständlich auch über das, was sie kosten sollte. Erst nach vielen Unterhandlungen konnte James Watt die Cornvaller von der Nützlichkeit seiner Erfindung überzeugen und Trevithick und seinen Anhang soweit bringen, daß sie die Großartigkeit der Maschine anerkannten; zum Erwerb entschlossen sie sich dennoch nicht, es wurmte sie, daß sie die Dampfmaschine nicht kaufen, sondern nur pachten konnten und für die Benützung des Patentes Abgäben entrichten sollten, eine finanzielle Belastung, der sie sich brennend gern entzogen hätten.
Mister Trevithicks einziger Sohn Um diese Zeit lief im Grubengelände ein BürsAchen von zehn, elf Jahren herum, das in alles, was Maschinen betraf, die Nase steckte. Der Kleine hieß Richard und war Mister Trevithicks einziger Sohn. Der Vater hatte den Jungen in die Schule geschickt, was in diesen Zeitläuften als etwas Ungewöhnliches betrachtet wurde; denn Lesen und Schreiben schien vielen Eltern als eine entbehrliche Kunst. Dagegen galten ein Paar Hände, und waren es auch bloß die Hän'de , eines Buben, als wertvolle Kraft, da, sie ydazu beitrugen, den Wo..Aenlehn ein w.emg.zy, erhöhen. . .
Den kleinen Richard nannten die Lehrer einen „ungehorsamen, trägen, -widerspenstigen, verwöhnten" Buben, der meist mit seinen Gedanken weit weg sei. Für die gelehrten Dinge habe er überhaupt kein Verständnis, dagegen einige Begabung für Mathematik, aber auch hier sei er ein Eigenbrötler, der die im Lehrplan vorgeschriebenen Methoden des Rechnens nicht zur Kenntnis nehme und trotzdem zu richtigen Resultaten gelange — auf Wegen, die nur ihm bekannt seien. Lange drückte Richard Trevithick die Schulbank nicht, was sich in seinem späteren Leben ungünstig auswirkte; viele Leute, auf deren Meinung er als Erwachsener angewiesen war, mögen Anstoß daran genommen haben, daß er nicht einmal seine Muttersprache richtig zu schreiben vermochte. Anscheinend gelang es seinem Vater ebensowenig wie seinem Lehrer, den kleinen Rebellen zum Verbleib in der Schule zu bewegen. So mußte man es wohl oder übel dulden, daß Richard in allen Werkstätten auftauchte und zupackte, wobei er sich ein gründliches technisches Wissen aneignete. Als er neunzehn Jahre alt war, übernahm er einen Posten, den sonst nur Ingenieure nach jahrelangem Studium auszufüllen verstanden. Als sein Vater davon hörte, riet er davon ab. Er war überzeugt, daß sein Sohn für einen so verantwortungsvollen Wirkungskreis noch nicht reif sei, doch der Sohn bewies in kurzer Zeit, daß man sich auf ihn verlassen konnte. Der junge Richard Trevithick wird uns in diesem Alter als Kraftmensch geschildert. Einmal soll er im Verlaufe einer Rauferei den Angreifer, einen Mann seiner Größe, um die Mitte genommen und kopfabwärts in die Höhe gestemmt haben, bis die Schuhsohlen seines Gegners die Decke des Raumes berührten, in dem sich das Ringen abspielte. Für die Dampfmaschine der Firma James Watt & Boulton in Soho hatte Richard Trevithick zunächst ebensowenig übrig wie sein Vater. Um so erstaunlicher ist es, daß er sich eines Tages entschloß, in den Dienst gerade dieser Leute zu treten, mit denen er bisher auf keineswegs gutem Fuße gestanden hatte. Darüber liegt ein Schreiben vom Jahre 1796 vor, das ein gewisser Thomas Gundry, ein angesehener Mann, in Richard Trevithicks Auftrag an das Unternehmen Watt & Boulton in Soho richtete. Es heißt darin: »Der junge Trevi-
Die „Dampfkutsche" Trevithicks fiel den Flammen zum Opfer. thick will nicht länger in Gegensatz zu Ihnen stehen und ist bereit, alles in dieser Grafschaft aufzugeben und sich Ihrer Leitung zu unterstellen." Der Schreiber fährt dann fort: „Er wäre froh, Ihnen — sei es in Cornwall, sei es in Soho — dienen zu können, in Sonderheit an letzterem Ort. Sollte es dazu kommen, würde nach meiner Ansicht die Gegnerschaft gegen Ihre Dampfmaschine in Cornwall weitgehend an Boden verlieren." Die Antwort an Gundry kam von James Watt, dem Sohn des alten Watt, der kurz zuvor in die Firma Watt & Boulton eingetreten war, und er schrieb darin: „Wir glauben, daß der junge Trevithick uns in Cornwall von Nutzen wäre, um die Vorurteile gegen unser Haus zu zerstreuen, die er selbst bestrebt war, in Umlauf zu setzen ... Wenn er es vorzieht, hier in Soho beschäftigt zu sein, wären die höchsten Bezüge, die wir anbieten könnten, eine Guinee oder 21 Shilling per Woche." Am Rande vermerkte Watt jun.: „Es wäre vielleicht besser, ihm die ersten zwei Jahre weniger zu bezahlen, etwa 19 bis 20 Shilling."
Der Gedanke, daß Trevithick nur darauf ausging, im gegnerischen Lager Fuß zu fassen, um Einblick in die Betriebsgeheimnisse der Wattschen Fabrik zu erlangen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht war es seine Absicht, wieder auszutreten, wenn er genügend von dem gesehen haben würde, was für ihn und die Partei, die er vertrat, von Wert war. Da aber Watt & Boulton eine dreijährige Bindung zur Bedingung machten, zerschlug sich die Sache. Im Jahre 1797 heiratete Richard Trevithick das Mädchen, das er liebte, Jane Harvey. Einige Monate später ließen sich die beiden in dem schöngelegenen Industriestädtchen Camborne in Cornwall nieder. Es ist bezeichnend für die Sorglosigkeit, die der junge Ehemann in den Fragen des täglichen Lebens an den Tag legte, daß er völlig vergaß, den Schlüssel des Hauses, das er bisher bewohnt hatte, zurückzugeben, was dazu führte, daß er die Miete noch für das laufende Jahr zu zahlen hatte. Er konnte sich das leisten, da er ein sehr gefragter Ingenieur geworden war, den ein Minenbesitzer nach dem anderen zu gewinnen suchte. Er hatte sich nicht, wie die meisten seiner Kollegen, auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert, sondern verstand im Bereich des Maschinenwesens einfach alles, und an Ideen für Neukonstruktionen sprudelte er gleichsam über.
Trevithick baut die erste Dampfkutsche Schon längere Zeit trug Richard Trevithick sich mit dem Gedanken, einen Kraftwagen zu konstruieren, der mit der Wattschen Dampfmaschine angetrieben wurde. Daß dies bereits andere vor ihm versucht hatten, wird er gewußt haben. Der bekannteste von ihnen war ein Franzose namens Cugnot. Er hatte sich als Mechaniker ausbilden lassen, war als Militär-Ingenieur in Deutschland tätig gewesen und hatte nach seiner Rückkehr mit dem Bau eines Dampfwagens begonnen, eines dreirädrigen Gefährts, das eine Schnelligkeit von vier Kilometern in der Stunde entwickelte, aber nur dann, wenn ihm jede Viertelstunde neuer Brennstoff — Holz oder Kohle — zugeführt wurde (s. die Abb. auf Seite 2, oben links). Im Jahre 1770 folgte dem ersten ein zweiter, stärkerer Dampfwagen, eine Art Traktor, mit dem Geschütze gezogen werden sollten. Der „Artilleriezugwagen" bewährte sich nicht. Trotzdem setzte König Ludwig XV. von Frankreich dem unermüdlichen Er-
finder eine Pension aus, die Jedoch bei Ausbruch der Revolution nicht mehr weitergezahlt wurde. Cugnot verließ Frankreich und wandte sich nach Belgien, wo er Hungers gestorben wäre, hätte nicht eine wohltätige Dame ihn vor dem Äußersten bewahrt. Im Jahre 1800 kehrte er nach Paris zurück, wo Napoleon dem Fünfundsiebzigjährigen eine Rente von tausend Livres bewilligte. Vier Jahre später starb Cugnot. Der erste Wagen, den Trevithick mit Dampfantrieb versah, war jene Kutsche, in der James Watt und Boulton vor Jahr und Tag die Fahrt in den Minendistrikt von Cornwall unternommen hauen. Der Umbau wurde im November 1800 in Angriff genommen. Trevithick arbeitete dreizehn Monate daran. Am Weihnachtsabend des Jahres 1801 konnte er die erste Probefahrt wagen. Er wählte für die Fahrt nicht — wie man annehmen sollte — die ebene Landstraße. Trevithick hatte vielmehr vor, die mit mehreren Freunden besetzte „Dampfkutsche" (Abb. Seite 6), die nach Trevkhicks Spitznamen »Captain Dicks Puffer" getauft wurde, einen Hügel bei Camborne bezwingen zu lassen. Er wollte nicht ihre Geschwindigkeit, sondern ihre Zuverlässigkeit demonstrieren. Ein Stück weit ging die Fahrt ganz flott vor sich, aber dann blieb der Wagen stecken. Immerhin war ein Teilerfolg erzielt worden — genug, um den denkwürdigen Tag zu feiern, an dem zum erstenmal eine Kutsche auf andere Weise als durch Zugtiere in Bewegung gesetzt worden war. Die Teilnehmer an der Fahrt schleppten die Dampfkutsche in eine Scheune, während sie selbst im Anbau, einem Wirtshaus, ein Festmahl zu sich nahmen. Trevithick hatte jedoch völlig vergessen, das Feuer zu löschen, welches das Wasser im Kessel des Wagens verdampfen ließ. Das Eisen wurde schließlich rotglühend, die Scheune geriet in Brand, und auch der Wagen und das Wirtshaus fielen dem Feuer zum Opfer. Die Großtat, die Trevithick trotz des wenig erfreulichen Ausgangs gelungen war, entging der Aufmerksamkeit der Presse nicht. Die „Gornwall Gazette" vom 20. Februar 1802 meldete ihren Lesern: „Zu den vielen Versuchen, die . bereits unternommen wurden, Fahrzeuge zu konstruieren, die ohne Pferde laufen, ist kürzlich in unserer Gegend, bei Camborne, ein neuer gemacht worden, der Erfolg zu versprechen scheint. Es handelt sich um einen Kutschwagen, der eine kleine Dampfmaschine enthält. Ihre Kraft wurde als aus-
reichend befunden, die Kutsche anzutreiben, die mit mehreren Personen besetzt war, und ihr Gewicht muß allermindestens eineinhalb Tonnen entsprochen haben. Die Steigung, die mit einer Geschwindigkeit von sechseinhalb Kilometern pro Stunde bczwungen wurde, war nicht unerheblich. Auf ebener Landstraße wurden in derselben Zeit dreizehn bis fünfzehn Kilometer zurückgelegt. Wir verdanken diese Information einem intelligenten und angesehenen Manne, der an der Probefahrt teilnahm. Er ist davon überzeugt, daß der Neuheit Erfolg beschieden sein wird. Die an dem Werk Beteiligten halten sich gegenwärtig in London auf, um die Ausstellung eines Patents zu betreiben, das ihre Rechte sichern soll." Richard Trevithick und sein Vetter und Partner And-rew Vman waren nach der Probefahrt nach London gereist, um hier in einer größeren und besser ausgestatteten Werkstatt einen Ersatzwagen zu bauen. Nur der Dampfmotor wurde in Cornwall hergestellt. Gleichzeitig ließ sich Trevithick seine Erfindung patentieren, sie erhielt die Patentnummer 2599. Auch von der Fahrt dieser zweiten Dampfkutsche ist der Bericht eines Augenzeugen erhalten geblieben. Er gibt an, daß der ein-
Die erste Hoehdruckdampfmaschlne, 1803 von Trevithick erbaut.
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zylindrige Wagen drei Räder besaß. Zwei waren rückwärts angebracht, das dritte, das „Steuerrad", das kleiner als die beiden anderen war, befand sich vorne. Die Maschine lag zwischen den hinteren Rädern und stand durch ein Triebwerk und über Zahnräder mit ihnen in Verbindung. Neun Personen konnten mitfahren. Der Bericht des Augenzeugen lautet: „Eines Tages starteten wir um vier Uhr morgens. Die Fahrt ging die Tottenhamstraße, dann die Neue oder Citystraße entlang. An einer Stelle floß zu selten der Straße ein Kanal, und ich überlegte, wie tief er wohl sei, für den Fall, daß unser Wagen hineinstürzen sollte. Wir legten eine Entfernung von etwa sieben Kilometer zurück, wobei unsere Schnelligkeit dreizehn bis fünfzehn Kilometer pro Stunde betrug. Ich steuerte, während Kapitän Trevithick, dem irgendwer zur Seite stand, die Maschine bediente. Er trat auf mich zu und meinte: ,Der Waagen läuft gut.' ,Ja', erwiderte ich, ,wir sollten geradewegs nach Cornwall fahren!' Während ich dies sagte, rollten wir im Zehn-Kilometer-Tempo dahin. Plötzlich rief Captain Dick aus: »Drücke den Steuerhebel nieder, John!' Bevor ich antworten konnte, war sein Fuß schon auf dem Griff des Steuerrades. Im nächsten Augenblick hatten wir etwa sechs Meter Gartenzaun niedergerissen. Jemand steckte den Kopf aus einem Fenster und schrie: ,Was, zum Kuckuck treibt ihr da unten? Was, zum Teufel, ist das für ein Ding?' " Trevithick war darüber enttäuscht, daß die breitere Öffentlichkeit in England wenig Notiz von einer Neuheit nahm, die doch als vielversprechend angesehen werden mußte. Dabei hatte er schon eine sehr ansehnliche Summe für Versuche, Patentgebühr, Wagenbau, Dampfmaschine und vieles, was mit dem selbstfahrenden Wagen in Verbindung stand, geopfert. Obwohl Richard Trevithick als „Hansdampf" geschildert wird, scheint er in Geldsachen auf Ordnung gesehen zu haben, wie aus seinem Ausgabenbuch hervorgeht, in dem jeder Posten sorgsam eingetragen ist. Insgesamt hatte er annähernd fünfzehntausend Pfund an die Sache gewendet, und es bestand wenig Aussicht, Interessenten für den Wagen zu gewinnen, um die aufgewendeten Mittel nicht zwecklos verausgabt zu haben. Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß er die Lust an weiteren Bemühungen auf diesem Gebiet verlor und die Absicht, '
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dampfgetriebene Straßenwagen in größerer Zahl in den Verkehr zu bringen, fallen ließ. Die Dampf kutsche hatte offenbar keine Zukunft. •Wie aber stand es mit dem Dampfroß, dem stählernen Zuggaul, der „Lokomotive", die nicht über die herkömmlichen Straßen lief, sondern über eigene Spurstraßen, und die vor andere Wagen gespannt werden konnte und über Gleise Personen und Lasten beförderte?
„Invikta" — das erste Dampfroß der Welt Trevithick war von der Idee wie berauscht. Schienenanlagen gab es schon seit langer Zeit in den Bergwerken. Von Hand oder von Pferden gezogene Karren wurden darauf viel leichter bewegt als auf holprigem Pflaster. Ein Mister Outram hatte solche Schienen sogar aus Eisen gegossen. Man nannte seine Gleise Outram-way oder Tram-way, ein Wort, das später auf die Trambahn überging. Richard Trevithick hatte schon bei seiner Dampfkutsche eine technische Neuerung eingeführt, die ihn allein schon zu einem großen Erfinder machte. Die Wattsche Dampfmaschine, wie sie noch von Cugnot für seinen Dampfwagen benutzt worden war, hatte mit Niederdruck gearbeitet. Watt erzeugte in seinem Dampfkessel Dampf von geringem Druck und ließ ihn in einen ungeheuer großen Zylinder einströmen, dessen Kolben hochgehoben war. Der niedrige Druck des heißen Dampfes genügte, um die Luft aus dem Zylinder zu treiben. Dann erkaltete der Dampf, schlug sich in Tropfen nieder, wurde wieder zu Wasser, und es entstand darüber ein Vakuum: Der äußere Luftdruck preßte den Kolben nieder. Trevithick machte es anders. Er brachte das Wasser in seinem Dampfkessel auf eine so hohe Temperatur, daß der Dampf einen gewaltigen, d. h. hochgespannten Druck hatte. Diesen Dampfdruck ließ er unmittelbar auf den Kolben wirken. James Watt, der davon hörte, warnte, daß ein solcher Druck Kessel und Zylinder zum Platzen bringe, und forderte •wegen ihrer „Gefährlichkeit" ein Verbot der „Hochdruckdampfmaschine", aber Trevithick ließ sich dadurch nicht beirren. Im Gegenteil: Er hatte noch einen zweiten „gefährlichen" Trick ausfindig gemacht: Er leitete den nach getaner Arbeit verpuffenden Dampf, bevor er ins Freie gelangte, erst noch durch ein „Blasrohr" bis an den Feuerraum, so daß das Feuer noch stärker entfacht und der Dampfdruck noch größer wurde. 11
Ein Indusirick.lpii.in, Samuel Homfray, erkannte die Genialität Richard Trevilhicks und erklärte sich bereit, das erforderliche Kapital f ü r den Bau einer Lokonn-icive und f ü r die erste Fahrt y.ur Verfügung zu siellen. Homfray war ein Hasardeur, der am Kartentisch und auf dem Rennplatz große Summen riskierte, aber er war auch ein großzügiger Mann, der für k ü h n e Ideen wie diejenigen, die in Trevithicks Hirn reiften, Verständnis besaß. Auch die Fertigstellung der Lokomotive nahm er zum A n l a ß einer Rennweite. Er wettete mic Anibony Hill, dem Besitzer eines großen Eisenwerkes, daß er mit Hilfe der Lokomotive Mister Trevithicks 10000 kg Eisen und da'/.u noch siebzig Personen bis zum G l a m o g a n s h i r e K a n a l , der vierzehn Kilometer entfernt las, befördern werde. Eine Schienenstredke war /wischen Werk und K a n a l bereits vorhanden; als ,,Güterwagen" dienten die bisher schon verwendeten Schienenrollkarrcn. Am Dienstag, dem 21. Februar 1804, legte Trevithick mit seiner „Invicta", der ersten Lokomotive, die je auf Schienen gefahren ist, den vorgeschriebenen Weg zurück. Er hat selber die denkwürdige Fahrt geschildert: „Gestern u n t e r n a h m e n wir die geplante Reise mit unserer Lokomotive. Wir hatten in f ü n f Waggons zehn Tonnen Eisen geladen. Außerdem waren siebzig Personen aufgestiegen. Wir brachten die Strecke von u n g e f ä h r vierzehn Kilometern in vier Stunden und f ü n f Minuten hinter uns, weil wir gezwungen waren, einige Baume umzulegen und Felsklotze zu e n t f e r n e n , die uns die Route v e r l e g t e n . . . Der Herr, mit dem Homfray um f ü n f h u n d e r t Guineen geweitet hatte, nahm an der ganzen Fahrt teil und zeigte sich sehr befriedigt darüber, daß er die Wette verloren hatte . . . Die Öffentlichkeit, die in mir bisher einen Marktschreier sah, redet jetzt in einem anderen Ton." Was Mister Hill betraf, so scheint die Befriedigung, die er anfänglich zur Schau trug, doch nicht ganz echt gewesen zu sein: Unter fadenscheinigen Verwanden weigerte er sich, den verwetteten Betrag zu bezahlen. Auch diesmal brachten nur die örtlichen Zeitungen eingehende Berichte über das Ereignis, und es gab unier den Redakteuren der Lokalzeitungen einen, der über den Tag hinaus in die Zukunft sah: 12
„Die lang erwartete Versuchsfahrt ging in der Nähe unserer Stadt vor sich", so schrieb er. „Sie erfüllte zur allgemeinen Bewunderung weitgehend das, was die wärmsien Anhänger der neu erfundenen Maschine vorausgesagt hatten ... Die Maschine führte die Fahrt durch, ohne daß der Kessel noch einmal gefüllt oder Wasser gebraucht worden wäre, und sie wird mit Leichtigkeit acht Kilonu'ier pro Stunde bewältigen. Es besteht kein Zweifel, daß die Anzahl der Pferde im Gebiet des Königreichs beträchtlich wird verringert werden mü.ssen, denn es ist zu erwarten, daß die Maschine ... zu tausenderlei Aufgaben herangezogen werden wird, die ihr zu übertragen früher niemand in den Sinn gekommen wäre."
Pulverschiff gegen die Invasionsflottc Die Zeitungen Londons aber schwiegen, weil sie gerade zu dkser Zeit von einem Geschehen völlig beansprucht waren, das sidh jenseits des Ärmelkanals an der französischen Küste vorbereitete. Es war ja die Epoche der großen Auseinandersetzung zwischen Napoleon und der In.sel- und Weltmacht England. Im Hafen von Boulogne, nur h u n d e n f ü n f z i g Kilomeier von der Hauptstadt London entfernt, lagen zahlreiche französische Truppentransporter vor Anker, die dazu dienen sollten, die von Napoleon geplante Invasion Englands Tatsache werden zu lassen. Bisher war es der Wachsamkeit der Engländer geglückt, Bonapanc-. Pläne zu vereiteln. Das genügte der britischen A d m i r a l i t ä t aber nicht. Es war ihr Bestreben, den Feind im Hafen von Boulognc anzugreifen; und zwar schwebte den maßgebenden Leuten ein Pulverschiff vor, das von einer Dampfbarkasse zwischen die Einheiten der französischen Flone geschleppt und dort zur Explosion gebracht werden sollte. Das Marinekommando war bei der Suche nach einem Mann, der technisches Können mit persönlichem Mut verband, auf Richard Trevithick hingewiesen worden, und Trevithick erklärte sich sofort bereit, das geplante Fahrzeug zu bauen und die möglichen Folgen auf .sich zu nehmen; es war klar, daß vielleicht alle zugrunde gehen mußten, die sich in unmittelbarer Nähe der Sprengsioffmassen befanden. Einem Bekannten schrieb er: ,,Machen Sie bitte meiner Familie gegenüber keine E r w ä h n u n g von der Sache, da meine Angehörigen nicht wissen »ollen, worauf ich midi einlassen will."
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Den Entwurf zu der dampfbetriebenen Barkasse hatte er bereits fertig im Kopf, und er brannte darauf, dem britischen Premierminister'William Pitt dem Jüngeren, dem erbittertsten Gegner Napoleons, seine Konstruktion zu erklären. Ob er Gelegenheit dazu bekam, steht nicht fest. Er erwähnt wohl in einem Briefe, daß er den Premierminister an diesem und jenem Tage treffen werde. Da aber ein Bericht über den Verlauf der Unterredung fehlt, dürfte der Staatsmann keine Zeit für die Aussprache mit Trevithick gefunden und ihn an den Ersten Lord der Admiralität, Henry Melville, verwiesen haben, der ihm ausrichten ließ, er möge sich noch kurze Zeit gedulden. Nach fünf oder sechs Tagen sprach Trevithick erneut bei der Admiralität vor, erfuhr aber wieder nichts. Man gewinnt den Eindruck, daß die entscheidende Stelle zögerte, das Schicksal des Landes in die Hände eines Mannes zu legen, dem zwar der Ruf voranging, tüchtig und einfallsreich zu sein, der aber sein Können weder durch Zeugnisse noch durch abgelegte Prüfungen nachwelsen konnte. Man zog den Ingenieur Rastrick zu Rate, der ein guter Bekannter Trevithicks war. Die Dampfbarkasse, die die beiden Freunde entwarfen, und auch das Pulverschiff der britischen Admiralität sind nie verwirklicht worden, denn über Nacht änderte sich die weltpolitische Lage. Die Österreicher hatten ein Bündnis mit Rußland zustande gebracht, und der mächtige russische Bär war für den Korsen in diesem Augenblick gefährlicher als die Briten jenseits des Ärmelkanals. Napoleon zog seine Truppen aus Boulogne ab, um sie an anderer Stelle Europas einzusetzen. Der Oberfall auf die französische Flotte war hinfällig geworden. Zudem konnte der britische Admiral Horatio Nelson ein Jahr später die französische Flotte bei Trafalgar so entscheidend schlagen und schwächen, daß England eine Invasion nicht mehr zu befürchten brauchte.
Der Tunnelbauer Der rastlose und an Ideen unerschöpfliche Ingenieur Richard Trevithick wandte sich anderen Aufgaben zu. Einige Jahre lang konstruierte er Baggermaschinen. Da ihn aber die Arbeit zuletzt nur noch wenig interessierte, griff er mit der gleichen Begeisterung, mit der er an jedes Projekt heranging, den Vorschlag auf, am Bau eines 14
Tunnels mitzuwirken, der in London unter der Themse her ,die beiden Ufer der City miteinander verbinden sollte. Diesseits und jenseits der Themse war im Laufe der Zeit der Verkehr so lebhaft geworden, daß die London-Bridge und die Fähren, die unterhalb der Brücke die Menschen über den Strom trugen, den Anforderungen nicht mehr gewachsen waren. Reiche Kaufleute der Innenstadt hatten sich zusammengeschlossen, um eine neue, für „Pferde, Vieh, Wagen und Fußgänger" geeignete Verbindung von Ufer zu Ufer herzustellen. Die Idee zu einem Tunnel scheint von Robert Vazie, einem angesehenen Ingenieur, ausgegangen zu sein. Sie war für die damalige Zeit außerordentlich kühn, da ein ähnlicher großer Stromtunnel noch nie in Angriff genommen worden war. Das Parlament erteilte der Gesellschaft am 12. Juli 1805 die Genehmigung zum Bau. Zwei Wochen später fand die erste Beratung statt, und Vazie wurde mit der Arbeit betraut. Er hatte bereits Probebohrungen durchgeführt und glaubte versichern zu können, daß die Kosten geringer sein würden, als ursprünglich veranschlagt war. Doch schon nach einem Jahr war das gezeichnete Kapital, das sich auf hundertvierzigtausend Pfund Sterling belief, aufgebraucht. Wohl war eine zusätzliche Summe von sechzigtausend Pfund vorgesehen, doch scheinen die Direktoren erkannt zu haben, daß auch dieses Geld nicht ausreichen werde. Man befragte Sachverständige um ihre Meinung und beschloß, den von maßgebender Seite empfohlenen Richard Trevithick zuzuziehen. Man sicherte ihm eine Zahlung von tausend Pfund zu, falls der Tunnel unter seiner Leitung zu Ende geführt würde. Sollten die Direktoren nach Bewältigung der halben Strecke die Einstellung der Arbeit fordern, so ermäßigte sich das Honorar auf 'die Hälfte. Sollte er keinen Erfolg haben, so entfiel jede Zahlung. Trevithick war voller Optimismus und überzeugt, daß es ihm ein leichtes sein werde, die tausend Pfund zu verdienen, und zwar ohne jede Gefahr eines Verlustes. Die Durchführung erschien ihm so einfach, daß er meinte, es werde genügen, wenn er sich täglich eine Stunde dem Auftrag widme. In neun Monaten hoffte er den Tunnel dem Verkehr übergeben zu können. Mit Feuereifer warf er sich in die Arbeit und verpflichtete die erfahrensten Bergleute aus seiner Heimat Cornwall in die Hauptstadt, um so rasch als möglich 15
voranzukommen. Sein Verhältnis zu Vazie scheint nicht gut gewesen zu sein; und durch die Zwistigkeiten verzögerten sich die Bauarbeiten. Man enthob Vazie seines Postens, nachdem er der Sache mehr als vier Jahre nach besten Kräften gedient hatte. Die Entlassung des bisherigen Chefingenieurs machte böses Blut. Einer der Gesellschafter ließ nichts unversucht, Trevithicks menschliche und berufliche Qualitäten in Zweifel zu ziehen, um das Vertrauen der übrigen Teilhaber in sein Können und seine Zuverlässigkeit zu erschüttern. Die Majorität hielt jedoch fest zu dem Manne, dessen Zielbewußtsein, dessen unbeirrbarer Glaube, auf dem riehtigen Wege zu sein, alle Unparteiischen mitriß. Trevithick hatte inzwischen eingesehen, daß er die Zeit für den Tunnelbau unterschätzt hatte. Die Erwartung, daß es genüge, sich täglich ein Stündchen mit der Überwachung zu befassen, hatte sich nicht erfüllt. Tag und Nacht verbrachte er an der Baustelle und konnte es sich nicht einmal erlauben, nach Camborne zu reisen, um endlich seine Familie wiederzusehen. Er drängte seine Frau, nach London zu kommen, wo er in Rotherhithe eine Wohnung ausfindig gemacht hatte. Jane zögerte, dem Ruf zu folgen. Die Briefe gingen hin und her. Zuletzt gab Frau Jane nach und trat die Reise in die dreihundert Meilen entfernte Hauptstadt an. Das Quartier, das sie hier erwartete, war für sie eine große Enttäuschung. Der Kontrast zu dem sauberen, gepflegten Heim, das sie verlassen hatte, war zu groß. Die Vorahnungen, die sie bewogen hatten, nicht ohne weiteres nach London zu kommen, waren nur allzu begründet gewesen. Was sie aber mehr als alles andere erbitterte, war eine Entdeckung, die sie eines Tages machte: In einer Tasche ihres Mannes fand sie die zwei letzten Briefe, die sie ihm geschrieben hatte. Sie waren beide ungeöffnet. Betrübt stellte sie Trevithick zur Rede. Ohne Verlegenheit gab er zur Antwort: „Du weißt, Jane, daß deine Briefe immer voll von Gründen dafür •waren, daß es richtiger für euch sei, in Camborne zu bleiben, und ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, daß ihr nicht bei mir wart." Die ungemütliche Unterkunft wurde bald gegen eine andere Wohnung vertauscht, aber auch hier fühlten sich die Trevithicks nicht sonderlich wohl: Mutter und Kinder, weil sie Heimweh nach Cornwall-hatten, der Vater, weil er spürte, daß seine Gegner immer noch
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Die erste von Trevithtck gebaute, auf Schienen lautende Lokomotive. gegen ihn wühlten; vielleicht ahnte er auch, daß sich Ereignisse vorbereiteten, die seine Arbeit zunichte machen würden. Am 26. Januar 1808 trat die Katastrophe ein: Wassermassen stürzten ins Innere der Baustelle, und zwar mit solcher Gewalt, daß Trevithick sich nur im letzten Augenblick retten konnte. Barfuß, über und über mit Lehm bedeckt, ging er durch die Straßen von London, und doch hatte ihn sein guter Mut nicht verlassen. Als acht Tage später eine Sitzung des Direktoriums stattfand, konnte Trevithick bereits neue Vorschläge machen, um die Situation zu meistern. Nach wie vor war er der Überzeugung, daß er den Auftrag binnen kurzem erfüllen könne. Zwei Ingenieure wurden aufgefordert, sich über den Wert der geleisteten Arbeit zu äußern. Sie stellten fest, daß ihr Kollege ungewöhnliches Geschick und seltenen Scharfsinn 17
bewiesen habe, und fügten hinzu, es sei ihnen niemand bekannt, der fähiger wäre, die Aufgabe zu lösen. Die Londoner Herren trauten der Sache aber nicht und veranstalteten ein Preisausschreiben. Die ausgesetzte Summe belief sich auf fünfhundert Pfund, von denen zweihundert zur Auszahlung kommen sollten, sobald ein Entwurf angenommen würde, der Rest bei Ausführung des Projektes. Vierundfünfzig Vorschläge gingen ein, die aber alle von den Preisrichtern, einem Mathematiker von großem Ruf und einem angesehenen Ingenieur, verworfen wurden. Ihr Urteil lautete, ein Tunnel unter der Themse von brauchbaren Maßen sei unausführbar. Das war das Ende. Der Tunnel unter der Themse wurde bekanntlich doch Tatsache — fünfunddreißig Jahre später —, und er entsprach in den Grundzügen den Plänen Trevithicks. Marc Isambard Brunel war der Erbauer.
Billetts gibts an der Bar Jeder andere wäre an sich selber verzweifelt, Trevithick aber kannte seine Begabung. Er kehrte zu der Aufgabe zurück, die er vor Jahren unvollendet aufgegeben hatte: dem Bau von Lokomotiven. Er ließ das Dampfroß von damals wieder vorfahren, brachte einige Verbesserungen an und beschloß, seine Lokomotive bei den Rennen von Newmarket gegen die schnellsten Pferde des Landes antreten zu lassen. Vorher wollte er sie den Londonern vorstellen. Am 8. Juli 1808 veröffentlichte die große Londoner .Tageszeitung „Times" folgende Meldung: „Wie wir von glaubwürdiger Seite erfahren, wird eine Lokomotive es unternehmen, sich gelegentlich der nächsten Oktoberrennen in Newmarket mit allen Hengsten, Stuten und Wallachen zu messen, die dort laufen w e r d e n . . . Die Maschine ist Favorit. Die außerordentlichen Leistungen mechanischer Kräfte sind bereits in der ganzen Welt bekannt, doch die Neuheit, Besonderheit und machtvolle Anwendungsmöglichkeit zur Überwindung von Zeit und Entfernung hat die Bewunderung jedes wissenschaftlich gebildeten Mannes erregt —. Trevithick, der Eigentümer und Patentinhaber dieser Lokomotive, wurde von einigen hervorragenden Persönlichkeiten ersucht, seine Erfindung der Londoner Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ehe sie nach Newmarket gebracht wird. Die Entschließung
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des genannten Herrn kennen wir noA nitht. Die höchste erreichbare Geschwindigkeit der Maschine soll zweiunddreißig Kilometer pro Stunde betragen, niemals aber unter vierundzwanzig Kilometer." Die öffentliche Besichtigung sollte gegen fünf Shilling Eintritt („Billetts an der Bar aller Kaffeehäuser Londons") am übernächsten Tage jedermann möglich sein. Trevithick hatte auf einem der Plätze Londons aus Bretterwänden eine runde, geschlossene Arena gebaut, in deren Innenraum eine kreisförmige Schienenbahn verlegt war. Der Lokomotive war eine offene Gleis-Kutsche angehängt, in der Personen gegen Entgelt mitfahren konnten. Doch mußte die erste Vorstellung verschoben werden, da das in Aussicht genommene Gelände zu weich war und erst ein Unterbau aus Balken gelegt werden mußte (s. Abb. Seite 21). Die Maschine hatte den Spitznamen „Catch me who, can" „Fange mich wer kann", erhalten. Aber trotz wiederholter Hinweise durch die Londoner Zeitung fand sie nur geringes Interesse. Es gab nur wenige Leute, die bereit waren, fünf Shilling auszugeben, um eine Maschine in Augenschein zu nehmen, von deren Konstruktion sie nichts verstanden. Selbst das als Lockpreise gedachte Angebot, an einer Proberunde teilzunehmen, fand kaum Liebhaber, da die wenigsten den Mut aufbrachten, sitfa dem fauchenden Ungetüm anzuvertrauen. Zu diesem Pech kam noch ein anderes Mißgeschick; Während einer Fahrt brach ein Rad, die Lokomotive stürzte um, für die Reparatur fehlte das Geld. Trevithicks Beutel war leer, der Billettverkauf in den Kaffeehäusern Londons hatte nur wenig eingebracht. So sah er sich gezwungen, die Vorstellungen abzubrechen und auch Newmarket fernzubleiben. Wieder war an der Schwelle des Erfolges irgend etwas eingetreten, das im letzten Augenblick den sicher scheinenden Sieg in einen Fehlschlag verwandelte.
Die Erfinderfirma Trotzdem erregte Trevithicks Ideenreichtum die Aufmerksamkeit welter Kreise, und manche Leute, die sich gleichfalls mit Erfindungen befaßten, trugen sich mit dem Gedanken, seine ungewöhnliche Begabung zu ihrem Vorteil auszunützen. Einem von ihnen, Robert Dickinson mit Namen, glückte es, Trevithick für seine Pläne zu ge19
winnen. Er verband sich mit ihm zu einer „Erfinderfirma". Das erste Patent, das den Partnern erteilt wurde, bezog sich auf einen schwimmenden Kran, einen Schlepper, den sie „Wasserarbciter" nannten. In dem Gesuch um Erteilung des gesetzlichen Schutzes heißt es: „Die Neuheit unserer Erfindung besteht in der Anwendung eines Fahrzeugs, das mit einer Dampfmaschine als treibender Kraft und geeigneten Apparaten ausgestattet ist, die es ermöglichen, daß das besagte Schiff als Schlepper arbeitet und an Stelle der bisher üblichen Methoden auch das Laden und Löschen besorgt." Trevithick unternahm auf der Themse mehrere Probefahrten, die die Verwendbarkeit des „Wasserarbeiters" bewiesen. Aber schon trat die Vereinigung der Kohlenschiffer auf den Plan, die gegen die Förderung eines solchen Konkurrenten Front machten und nichts von der Maschine wissen wollten. Sie drohten damit, den Erfinder zu ertränken. Polizeimänner bewachten ihn. Beamte patroullierten ständig vor seinem Hause auf und ab. Wie die Dinge lagen, war es zwecklos, sich gegen die tief eingewurzelten Vorurteile zu wehren. Trevithick hatte bewiesen, daß das, was er vorhatte, wirtschaftlich va-r, aber das half nichts. Die Widerstände waren zur groß. In der folgenden Zeit befaßten sich die beiden Gesellschaftspartner mit dem Heben gesunkener Schiffe. Trevithick hatte zu diesem Zweck eine seiner Konstruktionen entsprechend abgeändert. Zu Beginn des Jahres 1810 befanden sie sich in Margate, um ein Wrack an die Oberfläche zu befördern. Das Vorhaben gelang, doch scheint der Schiffseigner im letzten Augenblick versucht zu haben, sich vor der Zahlungsverpflichtung in der vereinbarten Höhe zu drücken. Da die Arbeit zum größten Teil getan war, glaubte er, es werde den Unternehmern nichts anderes übrigbleiben, als auf die abgeänderten Bedingungen einzugehen. Der Hitzkopf Trevithick aber bestand auf einer sofortigen Zahlung. Als der Auftraggeber auswich und Trevithick auf den Augenblick vertröstete, in dem das Fahrzeug flott sein würde, ließ er es kurz entschlossen wieder in die Tiefe sinken. •Inmitten einer Sturzflut neuer Planungen überfiel den Erfinder im Mai 1810 eine schwere Krankheit. Frau Trevithick befürchtete das Schlimmste, doch die kräftige Konstitution ihres Mannes überwand die Krisis. Die Genesung ging nur schrittweise vor sich. Es dauerte vier Monate, bis der Anfall so weit überwunden war, daß 20
Trevithicks Kreisbahn „Catch me who can", London 1808. sie daran denken konnte, ihren Mann aus dem rußigen London in eine reinere Umgebung zu bringen. Die Familie entschied sich für die Heimat Cornwall. In der ersten Scptembcrhälfte war es so weit, daß Trevithick die Reise antreten konnte. Man mußte ihn an Bord eines Schiffes tragen, auf dem er die Fahrt unternehmen sollte. Da noch Kriegszustand herrschte, wurde der kleine Kauffahrer, zusammen mit einigen anderen Fahrzeugen, von einem Kanonenboot begleitet. Nach drei Tagen war Dover erreicht. Die Seeluft scheint den Kranken so gekräftigt zu haben, daß er sich an Land begeben und dort zum erstenmal seit Monaten ein kurzes Stück gehen konnte. Sechs Tage, nachdem sie London verlassen hatten, langten sie in Falmouth an, nur etwa sechzehn Meilen von dem Ort entfernt, wo sich Trevithicks Heim befand. Hier aber Wartete seiner eine schmerzliche Überraschung. Man hatte ihm während seiner Krankheit ver3t
schwiegen, daß seine Mutter gestorben war. Nun, da er sie in Cornwall wiederzusehen erwartete, konnte ihm ihr Tod nicht länger verheimlicht werden. Erst nach einem weiteren Vierteljahr durfte er als gesund bezeichnet werden. Kaum war er genesen, traf ihn ein neuer Schlag, der sein berufliches Leben auf lange Zeit ungünstig beeinflußte. Durch Fehlspekulationen seines Teilhabers war die „Erfinderfirma" zahlungsunfähig geworden. Trevithick war außer sich und nannte Dickinson einen Schwindler, dessen private Verpflichtungen seinen Ruin herbeigeführt hätten, während er selbst niemand auch nur einen einzigen Shilling schuldig geblieben sei. Die Schulden, für die er mitzuhalten hatte, beliefen sich auf viertausend Pfund Sterling. Die Gläubiger sammelten sich in London, um einen genauen Stand der Kredite vorzulegen. Während Robert Dickinson es geschickt verstand, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen, begab sich Trevithick unverzüglich in die Hauptstadt, wo er Rede und Antwort stand. Alles was ihm gehörte, wurde beschlagnahmt und er selbst gezwungen, längere Zeit in einer Art Schuldturm zu verbringen. Schließlich konnte er nach Cornwall zurückkehren, doch es zehrte ftn ihm, daß sein Ansehen und sein Ruf geschmälert waren. Er, der allzeit Tätige, scheint lange Zeit hindurch seiner Arbeit, seines ganzen Daseins überdrüssig gewesen zu sein, und nur allmählich überwand er das, was er als ein ihm angetanes Unrecht empfinden mußte. Wie zu Beginn seiner Laufbahn war Trevithick in den nächsten Jahren wieder auf einer Grube seiner Heimat tätig. Er wollte nie wieder in das lärmende Leben der Weltstadt zurückkehren, wo ihm , SO übel mitgespielt worden war, sondern den Rest des Daseins in seinem geliebten Cornwall verbringen. Aber das Leben hatte noch viele wechselvolle, abenteuerliche Schicksale für ihn aufgespart.
Handel mit Übersee Es begann damit, daß im Jahre 1811 ein Südamerikaner nach England segelte. Er hieß Francesco Uville, war schweizerischer Herkunft und in Peru ansässig. Den Grund zu seiner Reise bildete der verzweifelte Zustand des Silberbergwerks, das Uville und zwei andere Kaufleute, Don Pedro Abadia und Don Jose Arismendi, be22
trieben. Man suchte nach Mitteln und Wegen, um das Wasser in den Stollen, das eine ziemliche Höhe erreicht hatte, zu entfernen. Die Herren hatten gehört, daß es in England eine Fabrik gebe, die Dampfmaschinen als Antrieb für Pumpen herstelle. Sie nahmen an, daß die Erfindung geeignet sei, die Schwierigkeiten zu beheben. So kamen sie überein, daß Uville nach Europa fahren solle, um die Vorrichtung in Augenschein zu nehmen und — wenn sie geeignet sei — einen der neuen Apparate mitzubringen. Uville trat sofort, nachdem er in England eingetroffen war, mit der Maschinenfabrik Watt & Boulton in Soho in Verbindung. Er beschrieb die Gegend, in der das Bergwerk lag, und erläuterte die Umstände, die zu den Wassereinbrüchen geführt hatten. Watt & Boulton mußten jedoch erklären, daß es nicht möglich sei, Dampfmaschinen über Saumpfade, die nur für Maulesel bestimmt wären, bis in 5000 Meter Höhe zu befördern, ganz abgesehen davon, daß die Dampfmaschinen in solcher Höhenlage kaum befriedigend arbeiten würden. Ärgerlich darüber, daß er die weite Reise vergeblich gemacht hatte, verließ Uville Soho und begab sich nach London. Was er dort zu finden hoffte, wissen wir nicht. Eines Tages aber kam er zufällig durch die Clevelandstreet und sah dort im Schaufenster eines Ladens eine Maschine, die seine Aufmerksamkeit erregte. Er trat ein, fragte und erfuhr, daß es sich um eine Hochdruckdampfmaschine nach dem Patent Trevithicks handle. Der Geschäftsinhaber rühmte dem Fremden ihre ausgezeichnete Qualität, so daß Uville den Eindruck gewann, der Apparat sei das Richtige für ihn. Er kaufte ihn zu dem geforderten Preis von zwanzig Guineen. Bald danach schiffte sich Uville wieder ein. In Lima ließ er die Dampfmaschine in den etwa hundertfünfzig Meilen entfernt liegenden Cerro-de-Pasco-Distrikt transportieren, in dem das Silberbergwerk lag. Die Maschine erwies sich als so brauchbar, daß die drei Peruaner sich zusammentaten, um gegen Entgelt alle umliegenden Gruben zu entwässern. Die Minenbesitzer gingen gern darauf ein und verpflichteten sich, Innerhalb von achtzehn Monaten die notwendigen Pumpanlagen aus Europa einzuführen. Und wieder fuhr Uville nach Europa. 23
Diesmal wollte er mit Richard Trevithick selber in Verbindung treten, aber er kannte seine Adresse nicht und wußte auch nicht, •wo er mit der Suche beginnen sollte. Auf der Reise erkrankte er schwer, so daß er in Jamaika an Land geschafft werden mußte. Nach seiner Wiederherstellung setzte er die Fahrt an Bord eines Paket'bootes fort, das nach Cornwall segelte. Unterwegs erzählte er seinen Reisegefährten von dem, was ihn in die Alte Welt führte. Einer der Umsitzenden namens Teaguc horchte auf: „Richard Trevithick? Das ist mein Vetter. Er wohnt einen Katzensprung von Falmouth entfernt, wo wir landen werden." Anfang Mai 1813 war Uville am Ziel. Er hatte durch die Krankheit Monate um Monate verloren. Doch war ihm durch das, was er von Teague erfahren hatte, die zeitraubende Suche erspart geblieben. Da er die Folgen seiner Krankheit noch immer nicht ganz überwunden hatte und das Bett hüten mußte, schickte er einen Boten zu Richard Trevithick und bat ihn um eine Unterredung. Uville bestellte bei ihm sechs Dampfmaschinen. Geld schien reichlich vorhanden zu sein, und Trevithick sah weitere Geschäfte voraus. Aber wieder war er zu optimistisch. Die Mittel, die er im Überfluß vorhanden glaubte, scheint der Besteller vorerst nicht flüssig gehabt zu haben. Sobald Uville halbwegs reisefähig war, machte er sich auf den Weg nach London, um beim Bankhaus Campbell die erforderlichen Kapitalien zu leihen. Aber aus dem Kredit wurde nichts. Schließlich sickerte das Geld in Teilbeträgen nach England. Es gab Unzuträglichkeitcn, da die Zubringerfirmen für die Maschinen, Apparate und Werkzeuge auf schnellere Regelung drängten. Um der Schwierigkeiten Herr zu werden, erhöhte Uville das Geschäftskapital und nahm Trevithick als weiteren Partner in die Gesellschaft auf. Das ermöglichte es dem Erfinder, sich auf Grund seines Anteils selber Geld zu verschaffen und auf diese Art alle Verbindlichkeiten abzudecken. , . '. . . . . . Am l. September 1814, eineinviertel Jahre nach seiner Landung in Cornwall, ging Uville, von zwei englischen Arbeitern und einem Ingenieur begleitet, zur Rückfahrt nach Peru in Portsmouth an Bord des „Wildman". Die eingekauften Maschinen befanden sich an Deck. Der Wert der Ladung einschließlich Fracht und Ver»icfaerung überstieg sechzehntausend Pfund. , ., 24
Die Überfahrt dauerte fast fünf Monate. Am 29. Januar 1815 landeten die Reisenden in Südamerika. Vierzehn Tage später gingen von Lima zwölftausend Dollar nach Cornwall ab. Endlich schien Trcvithicks Zuversicht vollauf begründet zu sein. Er war sicher, daß sich die Maschinen und Geräte bewährten, und erwartete bald neue Aufträge und Gelder. Aber es erwies sich als ein Mangel, daß Trevithick nicht in Peru weilte, um die auftretenden Störungen gleich an Ort und Stelle zu beheben. Uville schrieb einen Klagebrief. So entschloß sich auch Trevithick zu der großen Reise, um nach dem Rechten zu sehen. Im Oktober 1816 fuhr er nach Südamerika.
In den Silberbergwerken Perus In einem Brief aus Peru erzählt Trevithick, in welch trauriger Verfa-ssung er bei seiner Ankunft die Silbergruben vorgefunden habe. Alle Welt sei der Meinung gewesen, daß man die aufgewendeten Beträge als verloren betrachten müsse. Er berichtet, der spanische Gouverneur und der Vizekönig hätten Botschaften geschickt, in denen zum Ausdruck kam, daß sie alles in ihrer Macht liegende zu Trevithicks Unterstützung tun wollten. Sobald die Nachricht von seiner Ankunft in Pasco, in dessen Nähe die Minen lagen, bekannt geworden sei, hätten Glocken geläutet und alles sei auf den Beinen gewesen. Die angesehensten Bcrgwerksbesitzer hätten einen Ritt von über hundertfünfzig Meilen nicht gescheut, um den Retter der Minen auf heimatlichem Boden zu begrüßen. Von einer Seite sei sogar angeregt -worden, zu Ehren Trevithicks eine Statue in Silber zu errichten. Auch Uville, der sich im Distrikt von Pasco befand, sandte RiAard Trcvithick einen Brief, in dem er seiner Freude über die Ankunft des Erfinders Ausdruck gab. In einem zweiten Schreiben, das an Abadia gerichtet war, hieß es, Trevithick sei ihnen zur Rettung der Gruben „vom Himmel gesandt worden". Doch waren Uvilles Gefühle durchaus nicht so freundschaftlich, wie er vorgab. Das erwies sich nach Trevithicks Ankunft in Pasco, wo er mehrere Pumpvorrichtungen und Maschinen in Ordnung brachte. Auf einmal machte sich Opposition gegen ihn bemerkbar. Es scheint, daß Uville verärgert war, weil niemand mehr von den Strapazen sprach, die er selber im Interesse der Sache auf sich ge25
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nommen hatte, während der Habenichts aus Cornwall, ein Bankrotteur, als Held des Tages gefeiert wurde. Er tat, was er konnte, um ihm Hindernisse in den Weg zu legen, und wurde von anderen dabei unterstützt. Schließlich hatten sich zwei Lager gebildet, die für und wider Trevithick Partei ergriffen. Die Gegner schreckten auch vor Verleumdungen nicht zurück. Eine Weile sah Trevithick dem Treiben grollend zu; als aber die Angriffe und die Schwierigkeiten kein Ende nehmen wollten, erklärte er, nicht länger mitmachen zu wollen. Er blieb bei seinem Entschluß, obwohl ihm Abadia 'ein Jahresgelialt von achttausend Dollar anbot.
Der Grubenbesitzer Trevithick wandte sich anderen Aufgaben zu, wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht: „Die Regierung von Peru war in jener Zeit von Spanien abhängig und unterstand einem Vizekönig. Als der Maschinenpark aufgestellt und seine Brauchbarkeit beim Entwässern der Minen von allen Beteiligten anerkannt worden war, hatte mir der Vizekönig einen Spezialpaß bewilligt. Er sollte es mir ermöglichen, durch das ganze Land zu reisen, die wichtigsten Minenanlagen zu besichtigen und die eingeborenen Arbeiter mit den in England üblichen Methoden vertraut zu machen. Als Entschädigung hierfür hatte mir die Regierung das Vorrecht eingeräumt, zu meinem eigenen Vorteil und für eigene Rechnung Grubcnplätze, die von niemand mehr ausgebeutet wurden, in Besitz zu nehmen. So reiste ich durch viele Minendistrikte. Obwohl ich auf mehrere verlassene Plätze stieß, die Grabungen verlohnt hätten, ließ ich — mit Rücksicht auf die beträchtliche Entfernung und die Tatsache, daß die Erzgewinnung mehr Kapital erfordert hätte, als ich flüssig machen konnte — für den Moment alle Gedanken an eine Inbesitznahme fallen. Ich machte allerdings eine Ausnahme; es handelte sich um einen in der Provinz von Caxatambo gelegenen Fundplatz von Silber und Kupfer, welche Metalle dort gemeinsam vorkommen. Als die Patrioten in Peru zur Macht kamen, war die Mine von allen Arbeitskräften verlassen, aus Furcht, andernfalls zum Militärdienst gepreßt zu werden. In diesem Zustand blieb die Grube längere Zeit. Sobald sich die Spanier ins Innere des Landes zurück26
gezogen hatten, begann ich mit der Arbeit. Um mein Recht auf die Mine zu sichern, richtete ich eine Denkschrift an die neue Regierung, der ich ein Gesuch nebst Plan und Beschreibung der Mine beifügte. Das Ergebnis war eine formelle Bewilligung." Statt des Ausdrucks „Patrioten", den Trevithick anwendet, könnte man besser „Aufständische" sagen, da es sich um Freischärler handelte, deren Ziel es war, Peru vom Mutterland Spanien loszureißen. Seit Jahren gärte es in den südamerikanischen Besitzungen Spaniens, dessen Oberhoheit nur noch wenige Teile der Kolonie anerkannten. In und um Lima hatte bisher noch Ruhe geherrscht; doch immer lauter wurde die Forderung nach Unabhängigkeit, immer häufiger gab es Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den Soldaten der spanischen Majestät. Trevithicks Annahme, er könne auf Grund der ihm erteilten Erlaubnis an die Ausbeutung der Grube gehen, war wohl für den Augenblick richtig, doch hatte er nicht damit gerechnet, daß im Verlaufe von Bürgerkriegen bald die eine, bald die andere Partei die Oberhand gewinnt. Schon nach kurzer Zeit waren die Spanier wieder im Vormarsch, und die Rebellen mußten die von ihnen besetzten Gebiete -wieder aufgeben. In Trevithicks Bericht heißt es: „Wieder mußte jedermann fliehen. Wie allgemein bekannt ist, blieb die Gegend lange Zeit in zerstörtem Zustand. So sah ich mich also genötigt, diesen Teil Perus zu verlassen. Ich war meines ganzen Geldes beraubt und gezwungen, alles im Stich zu lassen: Gerätschaften und gefördertes Erz, das zum Transport an den Hafen bereitlag und einen Wert von fünftausend Pfund darstellte. So viel Pech ich in Peru auch schon gehabt hatte, so groß meine Enttäuschungen auch gewesen waren, keine traf mich so schwer wie dieser Schlag, weil es sich um ein Unternehmen handelte, das ich ganz allein ins Leben gerufen hatte und dessen ungeheurer Gewinn sich mit Sicherheit errechnen ließ, da die Kupferader im äußersten Umkreis deutlich in Erscheinung trat und ohne Risiko, ohne Kapitalinvestitionen ausgebeutet werden konnte. Leider folgte ein Umsturz dem anderen. Ein Ende des Krieges war nicht abzusehen." Das Bergwerk, um das es sich handelte, soll Kupfer im Wert von zwölf Millionen Pfund geborgen haben. Da ihm die Möglichkeit, sich hier ein Vermögen zu machen, genommen war, scheint Trevithick 27
auf einen Vorschlag, die Grabungen von Cerro de Pasco zu leiten, zurückgekommen zu sein. Uville war inzwischen gestorben, von Abadia brauchte er keine Quertreibereien, keinen Widerstand gegen seine Anordnungen zu fürchten. Abadia hatte stets Vertrauen bewiesen und sich von den Intriganten und Hetzern ferngehalten. Wiederum sah es so aus, als habe der Errinder nun endlich einen Wirkungskreis gefunden, der Aussicht zu dauernder ersprießlicher Arbeit bot. Jäh wurde aber alles zunichte. Am 11. Dezember 1820 kam es zur Schlacht von Pasco. Die aufständischen Streitkräfte, die siegreich blieben, nahmen die Minen in Besitz. Sie schlugen dort alles kurz und klein, um die Spanier zu verhindern, hier nach Edelmetallen zu schürfen und aus ihnen neues Geld zu prägen, das sie in die Lage versetzte, den Krieg unbegrenzt fortzuführen. Für Abadia und seinen Teilhaber Arismendi war die Vernichtung der Bergwerksanlagen ein katastrophaler Verlust. Der Betrag, den sie einbüßten, belief sich auf sechshunderttausend Dollar. Trevithicks ganzes Hab und Gut wurde beschlagnahmt.
Immer auf der Jagd nach dem Glück Über die anschließende Zeit wissen wir nichts Genaues, doch steht fest, daß Trevithick zwei Jahre nach der Zerstörung des Silber- und Kupferbergwerkes zu einer Tätigkeit zurückkehrte, der er sich schon zwölf Jahre vorher gewidmet hatte: dem Heben gesunkener Schiffe. In der Chorillos Bai, zehn Meilen südlich von Callao, lag eine alte Fregatte, auf deren Kanonen die Regierung in Lima, die knapp an Geschützen war, großen Wert legte. An Bord sollten sich außerdem große Mengen an Zinn und Kupfer befinden, die dem Engländer als Entschädigung zugesichert wurden. Trevithick führte den Auftrag in wenigen Wochen aus und kam auf diese Weise in den Besitz eines Kapitals von zweitausendfünfhundert Pfund. Statt sie als Notgroschen zu bewahren, steckte er den Gewinn in ein Unternehmen, das weitab von seinem Beruf lag, die Perlenfischerei. Wieder büßte er den letzten Heller ein, und wieder mußt« er von vorne beginnen. Im Jahre darauf drang Bolivar, „der Befreier", an der Spitze einer kolumbianischen Armee in Peru ein. Da seiner Kavallerie die Feuerwaffen fehlten, drängte er Trevithick, einen Karabiner 7B
zu konstruieren und die Truppe mit dem neuen Gewehrtyp vertraut zu machen. Erst nach langer Zeit erlaubte ihm der Diktator, wieder frei über sich zu verfügen. Trevithick kehrte aber nicht nach Europa zurück, das er vor sieben Jahren mit dem Vorsatz verlassen hatte, in einem, höchstens in zwei Jahren wieder bei Frau und Kindern zu sein; er reiste nach Ekuador, immer auf der Jagd nach dem Glück, nach Erfolg, nach Reichtum. Von Guayaquil aus, dem bedeutendsten Hafen des Landes, gedachte er, mit einem Auftrag Bolivars nach Bolivien zu segeln. Aber ehe er sich einschiffte, hörte er von Goldminen in Costa Rica und änderte von einer Stunde zur anderen seine Pläne. Der Mann, dem er die Nachricht verdankte, war ein Schotte namens Gerard, Sohn aus angesehenem Haus. Trevithick beschloß, sich mit ihm zusammenzutun. Vier Jahre lebten sie im Bergplateau von Costa Rica, wo sie Schürfrechte erwarben. Die Gelder hofften sie bei einem Abstecher nach England auftreiben zu können. In dem Bestreben, Europa so rasch als möglich zu erreichen, brachten sie nicht die Geduld auf, die monatelange Fahrt rund um Kap Hoorn zu unternehmen, und verabredeten, sich zu Lande bis an das Karibische Meer durchzuschlagen, was vor ihnen noch keinem Europäer gelungen war. In Begleitung von zwei Kindern, die eine englische Schule besuchen sollten, einem Mischling, der als Gerards Diener mitkam, und sechs Knechten machten sie sich auf den Marsch nach der Ostküste Zentralamerikas. Unwegsame Pässe, Schluchten und tropische Wälder waren zu bezwingen. Da die Mühsal zu groß wurde, kehrten drei von ihnen um. Die übrigen acht beschlossen, .ein Floß zu bauen und einen Fluß entlangzufahren. Schon nach kurzer Zeit geriet das Floß in eine Stromschnelle, wurde überflutet, und das Wasser riß den größten Teil der geladenen Lebensmittel und sonstige Dinge, die ihnen unentbehrlich waren, mit sich. Bald danach prallte das Floß gegen einen Baum, der im Fluß lag. Trevithick und zwei Eingeborene wurden ins Wasser geschleudert und konnten nur mit Mühe das Land erreidien. Das Fahrzeug trieb mit der Strömung dem jenseitigen Ufer zu, wo Gerard und seine Begleiter wohlbehalten landeten. Um wieder zusammenzukommen, versuchten die Zurückgebliebenen den Fluß durchzuschwimmen. Dem einen der Knechte gelang 29
es, während der andere bei dem Versuch hinüberzugelangen, ertrank. Trevithick, der nicht schwimmen konnte, konstruierte sich in aller Eile aus Ästen, die er unter den Achseln restklemmte, einen „Schwimmgürtel", der ihn an der Oberfläche halten sollte. Es bildete sich ein Wirbel, der ihn pausenlos im Kreise herumtrieb. Zuletzt glückte es ihm, sich dem Ufer so v/eit zu nähern, daß Gerard ihm eine lange Wasserpflanze zuwerfen konnte. Im allerletzten Augenblick vermochte der Ertrinkende das Ende zu fassen. Aber die Abenteuer hatten noch nicht ihr Ende gefunden. Auf dem Weg nach Cartagena in Kolumbien, wo er sich einzuschiffen gedachte, hätte Trevithick erneut um ein Haar sein Leben eingebüßt. Unweit der Mündung des Magdalenenstroms brachte ein Schwarzer das Boot, in dem der Europäer saß, zum Kentern. Zum Glück befand sich ein Offizier, Bruce Napier Hall, der hier Wildschweine jagte, in nächster Nähe der Unfallstelle. Er vernahm die Hilferufe, eilte ans Ufer und sah, wie sich dem mit dem Tode Ringenden ein Alligator näherte. Er riß sein Gewehr an die Wange, zielte und gab einen Meisterschuß ab. Ins Auge getroffen, versank das Tier. Trevithick war so erschöpft, daß er sich kaum noch über Wasser halten konnte. Hall warf ihm ein Lasso zu, Trevithick faßte es und ließ sich an Land ziehen, wo e r — mehr tot als lebendig — allmählich zu Kräften kam. Kurz darauf traf er in einem Wirtshaus in Cartagena mit einem jungen Manne zusammen, den er zwanzig Jahre zuvor als Bübchen auf den Knien geschaukelt hatte. Es war Robert Stephenson, der Sohn des Mannes, der in dieser Zeit bereits als Erfinder der Lokomotive gefeiert wurde, obwohl er immer wieder darauf hinwies, daß er nur „auf den Schultern anderer" stehe. Beim Anblick des Zustands, in dem sich der alte Bekannte seines Vaters befand, teilte der junge Stephenson seine Barschaft und gab dem völlig Mittellosen fünfzig Pfund zur Bestreitung der Überfahrt nach Europa. Das Geld reichte gerade aus. Trevithick betrat englischen Boden ohne einen Penny in der Tasche. Sein ganzes Hab und Gut bestand aus den Kleidern, die er am Leibe trug, und einer Uhr, die er in der Tasche hatte. Außerdem besaß er zwei Kompasse und ein Paar Silbersporen. Das war der einzige Ertrag aus der harten Arbeit so vieler Jahre. 30
Heimgekehrt Mehr als zehn Jahre lang hatte der Heimkehrer nicht in Verbindung mit den Seinen gestanden. Nun war der Sechsundfünfzigjährige, an den seine Kinder nur noch eine schattenhafte Erinnerung hatten, plötzlich zurückgekommen — und wieder nicht in der Absicht, bei seiner Familie zu bleiben, sondern sobald als möglich nochmals nach Amerika zu reisen, um die märchenhaften Schätze in Besitz zu nehmen, die dort auf ihre Hebung warteten. Aber Zuerst mußte er Geldgeber finden. Das war indes schwerer, als er gedacht hatte. Plötzlich kam ihm ein Einfall, der nach seiner Meinung allen seinen Sorgen ein Ende bereiten mußte. Er dachte an eine Bittschrift an das Unterhaus. Das Parlament hatte seinerzeit Samuel Compton, dem Erfinder der Spinnmaschine, fünftausend, und Eduard Cartwright, der den ersten mechanischen Webstuhl konstruiert hatte, zehntausend Pfund bewilligt. Ebensoviel war dem Schotten MacAdam für die Erfindung der MacAdam-Straßendecke zugesprochen worden, und John Palmer, der sich auf andere Weise verdient gemacht hatte, hatte man sogar mit fünfzigtausend Pfund belohnt. Unter diesen Umständen glaubte Trevithick mit Sicherheit auf eine Prämie rechnen zu dürfen, und er freute sich schon darauf, daß er die Ausbeutung der überseeischen Gruben mit eigenen Mitteln durchführen könne. Um so größer war seine Enttäuschung, als er erfuhr, daß sein Gesuch abgelehnt worden war. Ungebrochen widmete sich Richard Trevithick während der folgenden Jahre neuen Konstruktionsaufgaben. Er erfand eine Warmwasserheizung für Wohnhäuser, plante eine Riesensäule aus Gußeisen zur Erinnerung an die Annahme der britischen Reformgesetze und arbeitete an einem Entwurf für eine Dampfturbine. Während eines Aufenthaltes in Dartford, einem Ort in Kent, wohin er gereist war, um die Pläne für die Turbine vorzulegen, befiel ihn eine Lungenentzündung, der er nach siebentägiger Krankheit am 22. April 1833 erlag. Richard Trevithick starb in völliger Verarmung. Die Ingenieure der Grafschaft sammelten das Geld für seine Beerdigung. Im Armenteil des Kirchhofs von Dartford wurde er — sozusagen als Namenloser — der Erde übergeben, ganz im Gegensatz zu James Watt, den man für würdig befunden 31
hatte, unter den großen Söhnen Englands in der WestminsterAbtei die letzte Ruhestätte zu finden. Trevithicks Vicrzehn-Kilometer-Bahn im Minendistrikt von Cornwall ist nur fünf Monate in Betrieb gewesen. Die noch zu schwachen Schienen waren der Belastung seiner Lokomotive nicht gewachsen. Er war auch nicht geduldig, geschäftstüchtig und menschlich robust genug, um seine Erfindung in die Zukunft zu führen. Das war einundzwanzig Jahre später George Stephenson beschieden, als er am 27. September 1825 mit seiner Lokomotive „Locomotion" und mit 450 Passagieren und 90 Tonnen Gütern den Eisenbahnverkehr der Welt eröffnete. Erst ein Jahrhundert nach Trevithicks Tod wurden dem Erbauer der ersten Lokomotive öffentliche Ehren zuteil. Im Jahre 1932 enthüllte man in Anwesenheit eines Mitglieds des britischen Königshauses in Camborne ein Standbild für den „Vater der Lokomotive". Es ist überlebensgroß, aus Bronze und nicht aus Silber verfertigt, •wie man es in Peru geplant hatte. Der Erfinder hält ein Modell : seiner Dampf kutsche in der Hand. Das Auge Trevithicks ist auf Beacon Hill gerichtet, die Anhöhe, die seine Maschine Anno 1801 im ersten Anlauf zu bewältigen schien, um dann vor dem letzten Triumph zu versagen — wie im Leben dieses großen Mannes das Glück sich im entscheidenden Augenblick so oft versagt hatte.
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IM FALLE EINES FALLES...