Lyon Sprague De Camp & Lin Carter Conan
Conan von den Inseln
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Lyon Sprague De Camp & Lin Carter Conan
Conan von den Inseln
scanned by dawn corrected by Yfffi Nach glanzvollem Sieg über die letzten Feinde bricht das Schicksal erbarmungslos herein: Conans Gemahlin Zenobia findet den Tod, und finstere Mächte verüben Anschläge auf das Königreich. Da wallt die Kampfkraft wieder auf, und mit unverminderter Kraft und der Weisheit des Alters erwehrt sich Conan seiner fürchterlichen Feinde. amerikanischer Originaltitel CONAN OF THE ISLES Deutsche Übersetzung von Fritz Moeglich Copyright © 1968 by L Sprague de Camp and Lin Carter WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Printed in Germany 1972 Umschlagbild: Johnny Brück, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
In der Conan-Serie sind außerdem als Heyne-Taschenbücher erschienen: Conan • Band 3202 Conan von Cimmeria • Band 3206 Conan der Freibeuter • Band 3210 Conan der Wanderer • Band 3236 Conan der Abenteurer • Band 3245 Conan der Krieger • Band 3258 Conan der Usurpator • Band 3263 Conan der Eroberer • Band 3275 Conan der Rächer • Band 3283
ROBERT ERVIN HOWARD, der Autor von Conan, wurde nur dreißig Jahre alt. Mit zwanzig Jahren fing Howard zu schreiben an. Die Magazine rissen sich um seine Geschichten. Denn sie waren spannend und gefielen den Lesern. Howard ließ sich nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen. Er war sehr vielfältig, seine Geschichten spielten im Wilden Westen, in Detektivbüros oder in alten Geisterhäusern. Howard war der geborene Geschichtenerzähler. Er konnte packend und mitreißend schreiben. Millionen Leser begeisterten sich für seine Romane. Howards berühmteste Romanfigur ist Conan. Die fantastischen Abenteuer, in denen er die Hauptrolle spielt, machten den Autor in der ganzen Welt bekannt. Die Conan-Romane spielen in dem von Howard erfundenen »hyborischen Zeitalter«, etwa vor 12000 Jahren, zwischen dem Versinken von Atlantis und dem Beginn unserer offiziellen Zeitrechnung. Howard hatte sich lange und eingehend mit dieser Zeit beschäftigt, um den pseudogeschichtlichen Hintergrund für diese prähistorische Epoche zu schaffen. Der Barbar Conan ist der größte Held des hyborischen Zeitalters. Über ihn gibt es viele Legenden. Auf einem Schlachtfeld geboren und für den Kampf erzogen, verläßt er seine Heimat im eisigen Norden und zieht durch die Welt.
König Conan saß auf dem Richterstuhl im Gerichtssaal seines Palastes in Tarantia, der Hauptstadt Aquiloniens. Jenseits der Gärten wogte der Verkehr durch die gesäuberten Straßen Männer und Frauen zu Fuß, auf den Rücken von Pferden, Maultieren und Eseln, in Gespannen und Ochsenkarren. Längs des Hafens krochen Boote aller Art wie Käfer über die glänzende Wasserfläche. Conan der Große hatte Aquilonien in den zwei Jahrzehnten seiner Herrschaft nicht nur zum mächtigsten, sondern auch zum wohlhabendsten Reich gemacht, das die Erde je gesehen hatte. Da einige Fälle von großer Wichtigkeit anstanden, hatte sich fast der ganze Adel Aquiloniens eingefunden. Man sah den jungen Gonzalvio, Vicomte von Poitain, und seinen Vater, den alten Trocero, schlank und ele gant wie immer in scharlachrotem Samt, auf der Brust den silberdurchwirkten goldenen Leoparden seiner Provinz. In ihrer Nähe bewegten sich der Graf Monargo von Couthen, Baron Gui’aime von Imirus und ein schlanker weißbärtiger Alter - der gelehrte Dexitheus, Erzpriester Mitras. Alle Blicke waren auf die in der Mitte des Saales gelegene Estrade gerichtet, auf der zwei Throne standen, sowie auf den dicken, juwelengeschmückten Kaufmann, der nervös die Hände rang, während sein Anwalt in dunkler Amtstracht die Sache seines Mandanten mit geschmeidiger Zunge vortrug. Conan blickte mit gerunzelter Stirn auf die beiden Männer herab. Er verachtete aus tiefster Seele Fälle, wie sie hier vor ihm verhandelt wurden und in denen es meistens um das Eintreiben von Steuerschulden ging. Am liebsten hätte er seine Krone in das dicke Gesicht dort unten geschleudert, den Saal verlassen, sich auf seinen Hengst geschwungen und wäre auf die Jagd in den Wäldern des Nordens geritten. Er ließ seinen Blick zu dem zweiten Thron wandern, auf dem sein ältester Sohn, Prinz Conn, der Erbe Aquiloniens Platz, genommen hatte. Der Junge, dessen Geburt Conans geliebter -4-
Gattin Zenobia das Leben gekostet hatte, war zwanzig Jahre alt gewiß genug, um die Herrschaft über eines der mächtigsten Reiche des Westens zu übernehmen. Conn sah aus wie das Spiegelbild seines Erzeugers in jüngeren Jahren. Die gleichen dicken schwarzen Brauen zogen sich über tiefliegende Augen aus vulkanischem Blau, das Kinn war hart und kantig, das Haar glatt und schwarz. Der Körper - er glich dem eines kraftstrotzenden Schmiedes - ließ die Muskeln und Sehnen unter dem seidenen Gewand spielen. Knapp den Knabenjahren entwachsen, überragte der Sohn Conans die meisten Männer in diesem Saal um ein volles Haupt, ausgenommen seinen Vater, den größten Kämpfer, den die Welt je gekannt hatte. Was König Conan selbst betraf, so war die Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen, aber mehr als sechzig Jahre hatten die Kraft seines gewaltigen Körpers nicht gebrochen, sondern nur Silber in der dic hten schwarzen Mähne und dem kurz geschnittenen Bart hinterlassen. Er war jetzt um einige Pfunde leichter als in seiner besten Zeit, aber darum nicht weniger gefährlich - ein hagerer wilder Wolf der nördlichen Steppen. Lange Jahre waren vergangen, seit eine Laune des Schicksals, vielleicht auch sein eigener unbezwingbarer Wille, diesen Mann aus den Reihen der namenlosen Abenteurer gerissen hatte, um ihn an die Spitze eines der mächtigsten Reiche der Welt zu stellen. Seit jener Nacht vor fast einem halben Jahrhundert hatte er sich als zerlumpter, glutäugiger Junge den Weg aus einer hyborischen Sklavenbehausung freigekämpft und sich auf jenen Weg begeben, der nur wenige Auserwählte auf die Höhen von Macht und Ruhm führte. Conan von Cimmeria hatte die halbe Welt durchwandert und durchkämpft; ein blutiger Pfad durch ein Dutzend Königreiche von den brausenden Ufern des westlichen Ozeans bis zu den nebligen Tälern des berühmten Khitai war hinter ihm zurückgeblieben. Als Dieb, Pirat, Söldner, Abenteurer, als Häuptling -5-
barbarischer Stämme und als General in den Armeen von Königen hatte er alles gesehen, was die Welt an Wandern und Abenteuern bot. Aber das Abenteuer, das hier, im Königlichen Gerichtssaal von Tarantia, achttausend Jahre nach dem Untergang von Atlantis und siebentausend Jahre vor dem Aufstieg Ägyptens und Sumeriens, begann, sollte das seltsamste und fantastischste all der vielen Abenteuer werden, die sich im Laufe seiner zur Legende gewordenen Laufbahn ergeben hatten. Es begann plötzlich und völlig unerwartet. Eben noch sah Conan stirnrunzelnd auf den dicken Kaufmann und seinen gestikulierenden Anwalt herab. Im nächsten Augenblick hob er den Kopf und blickte verblüfft über die Halle, wo sich die Gestalt seines vertrauten alten Freundes, des Grafen Trocero von Poitain, schwankend über den spiegelglatten Boden bewegte. »Nein, nein! Bei allen blutroten Feinden der Hölle!« Die heisere Stimme des Edelmanns übertönte die Worte des Anwalts. Schreck und Verzweiflung sprachen aus ihr. Viele aus der Menge wandten sic h um und registrierten verwundert seinen eigenartig steifbeinigen Gang. Brauen hoben sich. Konnte es sein, daß der Graf von Poitain betrunken im Gerichstsaal erschien? Ein Blick in das blutleere, von Entsetzen verzerrte Gesicht des alten Mannes ließ diese Vorstellung vergessen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, das hagere Gesicht war weiß, die blutleeren Lippen bewegten sich wie in unerträglichem Schmerz. »Trocero!« rief Conan heiser. »Ist dir nicht wohl? Was gibt es, alter Freund?« Der König erhob sich halb, als sein treuester Anhänger über die glänzenden Marmorfliesen taumelte, wobei er die Arme schützend vor sich hielt, als wollte er unsichtbare Angreifer -6-
abwehren. Stille senkte sich über den Saal. Troceros Sohn löste sich aus der Menge, eine Hand ausgestreckt, um seinen Vater vor einem Fall zu bewahren. In der Mitte des Saales blieb Trocero mit zitternden Gliedern stehen und rief: »Nein, sage ich! Ich kann nicht - daß Ihr es nicht wagt! Oh, Ishtar und Mitra! Mit...« Die Stimme schwoll zu gellendem Kreischen der Furcht und des Entsetzens. Und dann schlug die Schreckensmacht zu. Aus den Ecken und Winkeln der gewölbten Decke des Saales lösten sich Schatten, bleich und leicht gerötet - Schatten des Schreckens. Im Bruchteil einer Sekunde umwirbelten sie die schwankende Gestalt des alten Poitainiers. Die anderen im Saal Anwesenden konnten die taumelnde Gestalt erkennen, obwohl sie wie von dünnen Schleiern verhüllt schien. Weiße, erstarrte Lippen standen in pergamentenem Gesicht, das sich zu einer Grimasse der Qual verzogen hatte. Es war nicht anders, als hätte sich eine Schar geisterhafter Vampire herabgeschwungen, um sich an den alten Mann zu klammern. Lange Sekunden verbargen die roten Schatten ihr Opfer hinter ihren Schleiern. Dann waren sie zugleich mit ihm verschwunden. Niemand im Saal bewegte sich. Alle schienen vor Schreck erstarrt. Unglaube sprach aus allen Gesichtern. Der alte Graf von Poitain, der ein Vierteljahrhundert lang schützend und kämpfend neben Conans Thron gestanden hatte, war verschwunden und hatte sich in Nichts aufgelöst! »Vater! Vater...!« stammelte der junge Gonzalvio in die beklemmende Stille. »Bei Croms eisernem Herzen!« erklang Conans dröhnende Stimme. »Dunkle Zauberei an meinem eigenen Hof? Sie wird den, der sie erdachte, den Kopf kosten! He, Posten! Habt ihr geschlafen? Gebt Alarm, statt offenen Mundes dazustehen!« Conans wütende Stimme brachte Bewegung in den Saal. -7-
Frauen kreischten und fielen in Ohnmacht. Männer fluchten, rieben sich die Augen und starrten verdutzt auf die Stelle, an der Graf Trocero gestanden hatte. Der blecherne Schrei der Kriegshörner übertönte den Lärm. Trommeln dröhnten, und Conans Schwarze Dragoner drängten sich mit grimmigen Gesichtern, die Schwerter hiebbereit in der Hand, durch die bestürzte Menge, um das Löwenbanner von Aquilonien, das wie eine Markise über der Estrade hing, um die darunter befindlichen Herrscher zu verteidigen. Aber es gab keinen Feind, den man zerschmettern konnte - weder Mörder noch maskierte Attentäter waren zu erblicken... Während der nächsten Monate schlug das Verhängnis immer wieder zu, bis siebenhundert Bürger Aquiloniens Grundbesitzer und Lastenträger, Gräfin und Kurtisane, Baron und Bettler, Priester und Bauer - in der unheimlichen Umarmung der roten Schatten verschwunden waren. Allein und ständig bewacht, ruhte Conan in dem großen Raum mit der goldenen Decke. Es war ein gestörtes, unruhiges Schlummern, denn er hatte in den letzten drei Tagen und Nächten, während er sich mit der seltsamen Plage, die über sein Königreich hereingebrochen war, auseinanderzusetzen versuchte, nicht eine einzige Stunde tiefen Schlafes gefunden. Jetzt hatte die Erschöpfung selbst seinen eisernen Körper überwältigt. Der graue, hagere Wolf lag schlaff in seinem Panzerhemd auf den seidenen Überzügen, das große Breitschwert griffbereit, in betäubtem, aber dennoch unruhigem Schlaf. Und in diesem Schlaf träumte er. Es schien Conan, daß er eine ferne Stimme hörte. Der Ruf, dessen Echo nachhallte, war laut genug, um ihn zu wecken, zugleich aber so undeutlich, daß er die wiederholten Worte, die flüsternd durch sein Zimmer klangen, nicht verstehen konnte. Nur langsam wurde die sich immer wiederholende Stimme klarer: »Conan von Cimmeria! Conan von Aquilonien! Conan von den Inseln! -8-
Ja, jetzt verstand er es genau. Aber er war verwirrt: Was bedeutete der Name »Conan von den Inseln«? Niemals im Laufe seines abenteuerlichen Lebens war diese Bezeichnung mit seinem Namen verknüpft worden. Jetzt stand er in seinem Traum in einem Saal von gigantischen Ausmaßen, mit Wänden aus Ebenholz und einer hohen, spitz zulaufenden Decke, die so dunkel wie die Nacht selbst war. Eine schwache Leuchtkraft schien von den Wänden auszugehen, auf denen er undeutlich gewaltige Wandmalereien entdeckte, die sich vom Boden bis weit an die Decke erstreckten. Das Ganze wirkte wie ein gigantischer Wandbehang aus Stein und schien die Menschheitsgeschichte selbst darzustellen. Über dieser Darstellung der Kämpfe alter Könige und Helden lauerten auch noch andere Gestalten - unförmig und entsetzlich. In seiner tiefsten Seele ahnte Conan, daß sie die Namenlosen Alten darstellten, die das Universum vor Milliarden Jahren beherrscht hatten. Jetzt wußte Conan, daß er seinen Weg durch einen zeitlosen Traum nahm, in den sein Geist durch eine uralte Macht geführt worden war, die über die menschliche Rasse wachte. Mit Unbehagen empfand er, daß der Fuß eines Sterblichen den Staub noch nicht berührt hatte, der den ebenholzfarbigen Boden seit unzähligen Jahrtausenden bedeckte. Ja, er wußte all dies und noch mehr, denn einmal in vergangenen Jahren hatte er bereits an der gleichen Stelle gestanden und war in einem seltsamen Traum durch diesen gewaltigen Saal geschritten. Conan kam an eine breite geschwungene Treppe, die sich in steilen Stufen zu unvorstellbaren Höhen emporschwang. Als er die mächtige Treppe erklomm, sah er, daß in jede Stufe die sich schlängelnden Leiber jener abscheulichen Alptraumgestalt Sets, der Schlange und des Dämons der Dunkelheit, gemeißelt waren. Stufe für Stufe stieg Conan die geschwungene Treppe hinauf. Zuletzt sah er das Grab selbst, gehauen aus einem massiven, -9-
glitzernden Kristall, den er nicht benennen konnte. Falls es sich um Diamant handelte, so mußte der Wert des Steines, aus dem das Grab gehauen war, unermeßlich gewesen sein. Der kalte Kristall glitzerte mit tausend flimmernden Lichtern wie ein sternenübersäter Himmel. Zu beiden Seiten erhoben sich im Glühen des Grabes die schrecklichen Gestalten zweier Phönixe mit Klauen und Schnäbeln, die Schwingen ausgebreitet, als gelte es, jenen zu schütze n, der in dem Grab aus Diamant schlief. Aus dem düsteren Glühen löste sich eine mächtige Gestalt, die in reinstes Licht getaucht schien. Schweigend starrte Conan in das majestätische bärtige Gesicht. »Sprich, Sterblicher!« befahl das Gesicht mit tiefer Stimme, die wie eine Trompete klang. »Weißt du, wer ich bin?« »Ja«, erwiderte Conan heiser. »Bei Crom und Mitra und allen Göttern des Lichtes, du bist der Prophet Epemitreus, dessen Gebeine bereits seit fünfzehnhundert Jahren modern!« »Wahr gesprochen, Conan. Viele Jahre sind vergangen, seit ich zum letztenmal deinen schlafenden Geist erweckte, damit er mir hier im schwarzen Herzen von Golamira gegenüberträte. In den Jahren, die seit jenem Tag vergangen sind, ist mein Blick dir auf allen deinen Zügen und Kriegen über die Erde gefolgt, und er war zufrieden. Alles ist geschehen, wie es die Ewigen, die mich hier zum Wächter der Menschheit bestellten, gewünscht hatten. Nun aber bedroht eine Finsternis alle Länder des Westens - ein Schatten, den du allein von allen Sterblichen bannen kannst.« Conan war von diesen unerwarteten Worten verblüfft und wollte sprechen, aber die knöcherne Hand des alten Weisen hob sich und gebot Schweigen. »Höre mich gut an, Conan! In alten Zeiten statteten die Herrscher des Lebens mich mit Kräften und Weisheiten aus, die denen anderer Menschen überlegen waren, damit ich die -10-
höllische und bösartige Schlange, die alte Set, bekämpfte. Ich maß meine Kräfte mit ihr und erschlug sie, verlor aber dabei das eigene Leben. Diese Geschehnisse sind dir bekannt.« »Die alten Bücher und Legenden sprechen davon«, erwiderte Conan. Die leuchtende Gestalt nickte. »Du weißt, Menschenkind, daß dich von Anfang an die Götter der Ewigkeit für große Taten und unsterblichen Ruhm bestimmt haben. Zahlreich und gefährlich waren die Abenteuer auf deinen Wegen, viele dunkle und bösartige Menschen, wie auch übernatürliche Kräfte fielen deinem Schwert zum Opfer. Auch darüber sind die Götter erfreut.« Mit grimmigem, zugleich aber auch ungeduldigem Gesicht nahm Conan dieses Lob schweigend hin. Nach einer Pause sprach die tiefe, hallende Stimme des Epemitreus weiter: »Eine letzte Aufgabe erwartet dich, Cimmerier, bevor du dich deiner wohlverdienten Ruhe hingeben darfst. Seit Beginn der Zeit war dein Geist für diese Aufgabe bestimmt. Ein letzter und mächtiger Sieg erwartet dich, aber der Preis, der dafür bezahlt werden muß, ist bitter.« »Wie heißt die Aufgabe, und welches ist der Preis?« fragte Conan ohne Umschweife. »Die Aufgabe besteht darin, den Westen der Welt vor dem Verhängnis zu retten, das sich jetzt durch dein grünes Land schleicht. Ein schreckliches Schicksal hängt über den von Menschen bewohnten Gebieten, ein Schicksal, das dunkler ist, als du es dir vorstellen kannst - ein Verhängnis, das die Seelen deines Volkes niederschmettert und versklavt, während ihre bedauernswerten Körper höllischen Foltern durch Hände ausgesetzt sind, die vor achttausend Jahren zu Staub hätten zerfallen müssen!« Der Prophet musterte Conans düsteres Gesicht. »Um diese Tat zu vollführen, mußt du deinen Thron -11-
aufgeben, die Krone deinem Sohn aufs Haupt setzen und dich allein auf den Weg zu den fernen Horizonten des westlichen Ozeans machen, wo nie Sterbliche deiner Rasse sich aufhielten, seit Atlantis in den glitzernden Fluten versank. Noch in dieser Nacht mußt du unbemerkt deinem Königreich den Rücken kehren und deine Krone mit einer Abdankungsurkunde zurücklassen. Der Weg zum unbekannten Meer ist lang und hart, und viele Gefahren stehen zwischen dir und deinem endgültigen Ziel Gefahren, vor denen nicht einmal die Götter dich beschützen können. Aber von allen Männern bist du der einzige, der Aussicht hat, diesen Weg zu gehen und den Sieg zu erringen. Auf dich allein warten die Gefahren und der Ruhm, denn nur wenigen Sterblichen wird die Aufgabe gestellt, zum Retter ihrer Welt zu werden!« Aus dem gedämpften Licht lächelte der Weise auf den König herab. »Nur ein Geschenk kann ich dir machen. Trage es bei jeder Bedrohung, denn wenn du es am nötigsten brauchen wirst, kann es dir zur Rettung werden. Nein, mehr kann ich dir nicht erzählen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wird dein Herz dir eingeben, wie du diesen Talismann zu benutzen hast.« Ein Nebel glitzernden Lichtes löste sich wie Sternenstaub von der ausgestreckten Handfläche des Propheten. Etwas klirrte gläsern zu Conans Füßen. Ohne hinzusehen, beugte der Cimmerier sich herab, um es aufzunehmen. »Noch ein letztes Wort«, sagte Epemitreus. »Die Zaubererkönige des alten Atlantis benutzten das Kennzeichen des Schwarzen Kranken. Dieses Zeichen wird auch heute noch gebraucht. Nimm dich vor ihm in acht! Lebe wohl!« Vor Schreck keuchend, erwachte Conan. Er sah sich ausgestreckt auf dem seidenen Bett liegen, in sein Panzerhemd gekleidet und in Schweiß gebadet. Es war also ein Traum gewesen! Der mit einem Schla fmittel versehene Wein und seine -12-
eigenen wirren Gedanken hatten sich vereinigt, um zu einer furchteinflößenden Vision zu werden... Dann aber blickte er auf den Gegenstand, den er in seiner Hand hielt - den wie einen Phönix geformten Talisman, der aus dem Herzen eines riesigen Diamanten geschnitten worden war. Sogleich wußte er, daß das Ganze mehr als nur ein Traum gewesen war. Drei Stunden später, während ein prasselndes Sommergewitter Blitze über den Himmel und um die Türme des Palastes zucken ließ, stahl sich eine riesige Gestalt, deren Panzerhemd unter einem weiten schwarzen Umhang verborgen war und deren obere Gesichtshälfte ein breitkrempiger schwarzer Schlapphut bedeckte, aus einer schmalen Geheimtür in der Außenmauer Tarantias. Nach ihr kam eine zweite große und stämmige Erscheinung, die einen herrlichen Hengst führte. Die beiden Männer blieben stehen, und der zweite prüfte den Sattelgurt und die Länge der Steigbügel. »Zum Henker damit«, murrte Prinz Conn. »Das ist nicht anständig! Wenn ein Mann das Recht hat, dich zu begleiten, so bin ich es!« Conan schüttelte düster den Kopf, wobei die Regentropfen von seiner Hutkrempe flogen. »Crom weiß, mein Sohn, daß nur du in Frage kämst, wenn ich einen Begleiter mitnehmen dürfte. Aber wir sind nicht mehr zwei Abenteurer, die tun und lassen können, was ihnen beliebt. Macht und Ruhm kann man nicht besitzen, ohne gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen. Ich brauchte Jahre, um diese Lektion zu lernen, und zuweilen fand ich sie hart. Ich gehe fort - vielleicht meinem Tode entgegen; du wirst zurückbleiben, um dieses Land so gerecht zu regieren, wie es dir möglich ist. Dies ist der Wille der Götter! Lebe wohl!« Conan packte seines Sohnes Hand mit festem Griff, und die beiden umarmten sich kurz. Dann schwang sich Conan in den Sattel. Ein Dutzend Herzschläge lang blickte die in den weiten -13-
Umhang gekleidete Gestalt zurück auf die ragenden Türme der goldenen Stadt Tarantia, die als Juwel des Westens galt. Dann gab Conan, ein letztes Mal die Hand hebend, seinem Pferd die Sporen und ritt durch den prasselnden Regen und die von Blitzen durchzuckte Nacht nach Süden davon, der langen gewundenen Straße entgegen, die nach Argos und ans Meer führte. Im »Becher und Dreizack«, einer Fischerherberge nahe dem Hafen von Messantia in Argos, herrschten Wärme, Licht und Fröhlichkeit. Ein mächtiges Feuer prasselte auf dem steinernen Herd, und der würzige Duft von gebratenem Fleisch zog durch den Raum. Der böige Wind packte die eichene Tür und riß sie krachend auf. Überrascht wandten sich die Gäste um und erkannten eine riesige Gestalt im Türrahmen. Vom Hals bis zu den Füßen war diese Gestalt in einen schwarzen Umhang gehüllt. Ströme von Wasser rannen an ihr herab und bildeten Lachen auf dem Boden. Unter dem schwarzen breitkrempigen Schlapphut funkelten blaue Augen in einem bronzefarbenen, vom Wetter gezeichneten Gesicht, und das Silber in dem kurz gestutzten Bart leuchtete auf, als der Fremde hereinstapfte, die Tür hinter sich zuschlug, seinen Umhang von den Schultern riß und ihn in seinen mächt igen Händen knetete. Der dicke Gastwirt mit rundem rotem Gesicht, das von fettigen schwarzen Locken umrahmt war, ging dem Fremden dienernd entgegen, um ihn nach seinen Wünschen zu befragen. »Glühwein«, knurrte der Mann mit dem wilden Blick, als er sich auf der Bank niederließ, die dem Feuer am nächsten stand. »Und eine Keule von diesem Kalb, dessen Bratenduft mir in die Nase steigt. Schnell, Mann. Ich bin naß bis auf die Knochen, durchgefroren bis aufs Mark und hungrig wie ein Wolf, der seit Tagen keine Beute geschlagen hat!« -14-
Der Fremde war gerade im Begriff, die erste Kanne des dampfenden Getränkes an die Lippen zu führen, als ein dröhnendes Lachen neben ihm aufklang und eine schwere Hand sich auf seine Schulter legte. Langsam hob er den Kopf und blickte in ein dickes, schwitzendes Gesicht. »Sigurd von Variaheim, du fettes altes Walroß! Bei den blutigroten Eingeweiden der Hölle - Sigurd Rotbart!« rief er und erhob sich, um den stämmigen Seemann mit den Armen zu umfangen. »Arnra vom Roten Löwen!« erwiderte Sigurd. »Vorsichtig, nicht so laut, du alte Walfischöltonne!« sagte Conan heiser. »Ich habe Gründe, im Augenblick namenlos zu bleiben.« Sigurd blinzelte ihm verständnisinnig zu, und sie bearbeiteten einander wie spielende Bären mit tapsigen Prankenschlägen, unter denen ein normaler Sterblicher zusammengebrochen wäre. »Sigurd, bei Crom!« dröhnte Conan. »Setz dich zu mir und trink mit mir, du muschelbespickter alter Walfänger!« Der andere ließ sich auf die Bank gegenüber dem Cimmerier fallen, riß sich den Federhut vom Kopf und streckte die dicken Beine mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung unter den Tisch. »Wirt!« rief Conan. »Noch eine Kanne, und wo bleibt der verdammte Braten?« »Bei Mitras goldenem Schwert und Woduns meilenlangem Speer, du hast dich in dreißig Jahren kein bißchen verändert!« stellte der rotbärtige Riese fest, nachdem sie einander zugetrunken hatten. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und ließ einen mächtigen Rülpser entweichen. »Wirklich nicht, du verlogener alter Halunke?« Conan lachte und seufzte dann. »Aber die Jahre kriegen uns schließlich doch alle klein. Auch du hast dich verändert, Sigurd. Dein fetter Wanst war so schlank wie eine Marssegelrahnock, als wir uns das letztemal begegneten. Erinnerst du dich noch daran, wie wir -15-
vor der Namenlosen Insel in die Windstille gerieten und nichts zu essen hatten als die Ratten im Laderaum und die lausigen stinkenden Fische, die wir dem Meer abringen konnten?« »Ja, ja«, kicherte der andere und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Oh, zum Teufel mit mir, natürlich hast du dich auch verändert, alter Löwe! Damals war kein Silber in deiner Mähne, und wir waren beide jung und voller Saft. Aber sprechen wir von etwas anderem! Hörte ich recht von einem Mann der Bruderschaft, daß du irgendwo auf dem Festland den König spieltest? Corinthia oder Brythunien? Ich kann mich nicht erinnern, welches von beiden gemeint war!« Bei saftigem Braten und weiteren Kannen voller Glühwein tauschten die beiden Kameraden den noch fehlenden Teil ihrer Lebensgeschichten aus. Jahre zuvor, als Conan ein Mitglied der Roten Bruderschaft von den Barachamseln, der Inselgruppe südwestlich der zingaranischen Küste, gewesen war, hatte ihn und den rotbärtigen Vanir echte Freundschaft verbunden. Ihre Wege hatten sich seitdem getrennt, aber die Begegnung mit einem alten Kameraden und der Austausch von Erinnerungen bei gutem Essen und Trinken hatte Conan wieder in die Stimmung jener Jahre zurückversetzt. »Als ich erwachte und sah, daß es sich nicht um einen Traum gehandelt hatte, schrieb ich die Abdankung zugunsten meines Sohnes aus, der als Conan der Zweite herrschen wird«, beendete er seinen Bericht. »Es gab nichts mehr, was mich in Tarantia halten konnte. Seit dem Sturz der Schwarzen Priesterschaft hatte es keinen richtigen Kampf mehr gegeben, und ein Mann wie ich kann vorn Frieden krank werden, wenn ein Leben blutigen Krieges hinter ihm liegt.« Sekundenlang starrte Conan mit glühenden Augen düster vor sich hin, als ließe er die Vergangenheit noch einmal vorüberziehen. »Ja, es ist wahr«, seufzte er. »Aquilonien ist ein schönes Land, und ich habe versucht, ihm ein guter König zu sein. Aber meine alten Freunde leben nicht mehr - der gute -16-
Publius, mein Kanzler, der es verstand, ein Goldstück zu säen und deren drei zu ernten; Trocero, der mir zu meinem Thron verhalf; Pallantides, der General, der immer wußte, was der Feind dachte, bevor der Feind selbst sich darüber klar wurde. Alle sind tot und dahingegangen. Und seit meine Frau Zenobia bei der Geburt unseres Kindes starb, kann ich selbst der Luft von Tararitia keinen Geschmack mehr abgewinnen.« Er schnaufte und ließ eine halbe Kanne Glühwein durch seine durstige Kehle rinnen. »Es war nicht nötig, daß Epemitreus kam und mir meinen letzten Auftrag gab. Auch ohne ihn wäre ich aufgebrochen, um noch einmal das Abenteuer zu suchen. Crom, habe ich nicht immer gefürchtet, im Bett zu sterben, umgeben von flüsternden Ärzten und dahinschleichenden Höflingen? Ein letztes Schlachtfeld, auf dem ich kämpfen und fallen kann - das ist alles, was ich mir von den Göttern erflehe.« »Ja, ja«, stimmte der stämmige Rotbart seufzend zu und wiegte seufzend den Kopf, so daß die Flammen des Herdfeuers seine goldenen Ohrringe blitzen ließen. »Mir ging es nicht viel anders, Löwe, obwohl das Schicksal mir weder Krone noch Königreich bescherte. Ich kehrte unserem Handwerk vor Jahren den Rücken, um meinen Lebensunterhalt mit einem Kauffahrer zwischen Messantia und Kordava zu bestreiten. Kannst du dir den alten Sigurd Rotbart, den Schrecken von Baracha, als Kauffahrer vorstellen?« Sein Wanst bebte vor Lachen, aber er wurde gleich wieder ernst. »Ich nahm mir eine Frau, und wir bekamen ein halbes Dutzend Kinder, und jetzt sind die Jungen so groß wie ich. Frigga ist längst dahingegangen, und die Jungen stehen auf eigenen Füßen. Was bleibt also einem alten Mann übrig, der nicht sterben will? Ich verkaufte alles, als das letzte Kind heiratete. Jetzt bin ich wieder auf dem Weg zum blutroten Tortage, um einen letzten Geschmack des alten Lebens mit hinüberzunehmen, bevor die lange Nacht beginnt. Wie steht’s mit dir, Löwe! Komm mit mir, Mann! Zurück aufs Piratendeck und zum Teufel mit diesen gespenstischen -17-
Prophezeiungen der alten Set! Überfallen und plündern wir Khemi, die stygische Stadt mit den schwarzen Mauern. Nenne mich ruhig ein fettes Walroß, aber entweder bekommen wir einen Speer in die Rippen und enden wie Helden in den Sagen, oder unsere goldene Beute wird größer sein als die von Dranicos, Zarono und Strombanni zusammen! Nun, was sagst du, Mann?« Ein schwarzer Schatten fiel zwischen die beiden Männer. Conan blickte auf und griff mit einer Hand zum Schwert, als der in einen schwarzen Umhang gekleidete Fremde, der sie seit längerer Zeit beobachtet hatte, sich zu ihnen an den Tisch setzte. »Sucht ihr ein Schiff?« fragte er mit sanfter Stimme. Der Mann aus dem Norden brummte mißtrauisch, aber der katzengleich geschmeidige Fremde, der das Gesicht unter der Kapuze verborgen hatte, legte die beiden behandschuhten Hände auf den Tisch, um zu zeigen, daß er keine Waffen trug. »Es ließ sich nicht vermeiden, daß ich Zuhörer eines Teiles eures Gespräches wurde«, bemerkte er gedämpft. »Verzeiht, wenn ich mich einmische, aber wenn ihr mir ein paar Augenblicke eurer Zeit widmet, so glaube ich, daß wir ein beide Seiten interessierendes Geschäft besprechen können.« Sigurd musterte den Fremden mißtrauisch, konnte aber seine Neugier nicht verbergen. Conan richtete einen fast gleichgültigen Blick auf den Fremden. »Sagt, was ihr zu reden habt«, forderte er den anderen heiser auf. Der Fremde nickte und deutete eine höfliche Verbeugung an. »Wenn ich das wenige, das ich hörte, richtig verstand, so nehme ich an, daß ihr beide erfahrene Seeleute seid, die wieder ein Schiff suchen, um auf den Pirateninseln eine neue Laufbahn zu beginnen. Nein, fürchtet nichts!« Er beschwichtigte die beiden mit einer Handbewegung. »Ich bin weder ein Spion, der Informationen sucht, noch ein Angehöriger der Polizei, aber es könnte sein, daß ich euch den Kauf eines Schiffes ermögliche.« -18-
Schnell wie eine züngelnde Schlange verschwand die schlanke Rechte des Fremden unter seinem Gewand, und als sie wieder erschien, häuften sich blitzende Steine auf ihr und klirrten auf das weindurchtränkte Holz herab. Im zuckenden Licht der Herdflammen lag vor den beiden Männern ein königliches Lösegeld in Form von Saphiren, die so blau wie die Südsee waren, Smaragden, die wie Katzenaugen in der Dunkelheit glühten, Topasen und Zirkonen von der Farbe khitanischer Haut, und Rubinen, die so scharlachrot wie frisch vergossenes Blut funkelten. Conan blieb unbeeindruckt und musterte den Fremden mit einem mißtrauischen Blick. »Zuerst möchte ich wissen, wer in Croms Namen du bist«, sagte er. »Verdammt, ich lasse mir von einem Mann, der sein Gesicht versteckt, nicht einmal in einer argosseanischen Fischerkneipe ein Geschenk machen!« Lächelnd und mit sanfter Stimme erwiderte der Fremde: »Ich verstecke mein Gesicht hier aus gutem Grund, da ich den Leuten von Argos nur allzu gut bekannt bin.« »Dann also wenigstens den Namen!« knurrte Conan heiser. »Und ich rate dir, keine Zeit zu verlieren, denn ich weiß meine Stunden mit besseren Dingen als dem Raten von Rätseln zu verbringen.« Der andere lachte. »Wenn ich euch damit einen Gefallen tue...« Er erhob sich ein wenig und fügte gedämpft hinzu: »Hiermit sollt Ihr wissen, Seeleute, daß ich Ariosrro, der König von Argos, bin!« Conan brummte erstaunt. Der Fremde streifte einen seiner Handschuhe ab und streckte ihm die unbedeckte Hand entgegen. Der königliche Siegelring der argosseanischen Monarchie funkelte im tanzenden Licht der Flammen, und der große Diamant mit dem königlichen Siegel blitzte wie ein sternenübersäter nächtlicher Himmel.
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Tortage schien die Sterne herausfordern zu wollen. Der zwischen steilen Klippen gelegene Piratenhaufen funkelte von Licht und brauste von Lärm, denn die Rote Bruderschaft war eingetroffen. Große Karaken und schlanke Karavellen tanzten auf ihren Ankerplätzen längs der steinernen Ufer und der hölzernen Landungsstege. In allen Gasthäusern, Weinstuben und Bordellen blühte das Geschäft, und die Straßen waren voller betrunkener Freibeuter, deren Taschen vor Gold zu platzen schienen. Seit mehr als zweihundert Jahren galt die kleine Stadt zwischen den steilen Klippen als Hauptstadt eines Serräuberreiches, dessen Bewohner die Geißel über den Meeren zwischen dem Piktenland und Kush schwangen. Hier zählte nur das Recht der Bruderschaft, das sich zumeist auf die Faust, das Messer oder Schwert und die Geschicklichkeit der Kämpfer gründete. Es war eine Nacht, die so bald nicht in Vergessenheit geraten würde. Die Schiffe waren zurück, goldene Schätze - die Beute aus Kauffahrern der südlichen Meere - drohten ihre Laderäume zu sprengen. Hinzu kam, daß Amra der Löwe zurückgekehrt war! Es war schon eine kleine Ewigkeit her, daß seine Schiffe die Galeere »Tigerin«, die Karavelle »Roter Löwe«, und die Karake »Taugenichts« - die Meere durchkreuzt hatten, um schwer mit Beute beladen in den heimatlichen Hafen zurückzukehren. Lange Jahre hatte Amra, wie einige ihn nannten, während andere den Namen Conan bevorzugten, eine bedeutende Rolle unter den Kapitänen der Roten Bruderschaft gespielt. Dann aber war er in den weniger bekannten Ländern des Innern verschwunden. Gerüchte und Legenden verbreiteten sich, die von einem wilden, unbesiegbaren König namens Conan berichteten, aber selbst seine alten Kameraden erkannten in diesem Festlandmonarchen nicht den cimmerischen Seeräuber aus früheren Zeiten wieder. So wurde Amra ein Mythos jener -20-
ohnehin immer mehr in Vergessenheit geratenden Vergangenheit. Jetzt aber stand er unter ihnen, und der Seewind zupfte an seiner grauen Mähne und dem eisenfarbenen Bart. Fackelschein funkelte auf dem Panzerhemd, das seine muskulösen Arme und seinen Rumpf schützte. Der weite schwarze Umhang umflatterte ihn und erinnerte an die Schwingen eines gewaltigen Raubvogels. Conan stand auf einer Steinbank in der Mitte des Hauptplatzes der Hafenstadt, und seine Stimme erhob sich wie Trompetendröhnen über das Gemurmel der Menge. Die Männer lauschten ihm, und ihre Herzen klopften schneller, als er an die großen Taten und Kämpfe früherer Jahre erinnerte und ihnen noch gewaltigere Unternehmen versprach. Denn Amra der Löwe war aus den Nebeln der Legende aufgetaucht, um eine Mannschaft für ein unbekanntes Abenteuer im Westlichen Ozean anzuwerben. Solange die Männer zurückdenken konnten, hatte sich nie ein Schiff in jene sturmgepeitschte Wasserwüste begeben. Wer anders als Amra konnte es wagen, von einem so fantastischen Abenteuer zu träumen? Sie standen mit offenen Mündern, während seine Stimme ihnen Gold und Juwelen, Reichtum und Ruhm und den Anreiz des großen Abenteuers versprach. Eine Steinwurfweite vom Kai entfernt schaukelte Amras Schiff auf den Wogen - eine fest gebaute Karake mit dickem Rumpf, die den Namen »Roter Löwe« trug, wie Amras Karavelle aus früheren Zeiten. Conan enthüllte nicht alles, was seinen Plan betraf. Er erwähnte mit keinem Wort König Ariostro von Argos, mit dessen Juwelen sie das prachtvolle Schiff gekauft hatten. Warum sollte er riskieren, die Männer durch Berichte von den Roten Schatten und der geheimnisvollen Erscheinung von Epemitreus, dem seit langem toten Propheten, vor den Kopf zu -21-
stoßen und abzuschrecken? Denn genauso wie das Verhängnis Hunderte von Conans Untertanen vernichtet hatte, hatte das Verhängnis auch die Bürger von Argos beirroffen. Ariostros Hofzauberer und Seher hatten in den Sternen gelesen. Sie hatten gewisse, seit langem nicht berührte Bücher über Zauberei geöffnet und ihrem König gemeldet, daß die Roten Schatten aus einem unbekannten Reich jenseits des geheimnisvollen Westlichen Ozeans zuschlugen. Schiff auf Schiff hatte der König von Argos dorthin geschickt, aber keines von ihnen war je zurückgekehrt, um ihnen den Schlüssel zu dem Geheimnis zu bringen. Und immer noch schlugen die Roten Schatten zu und brachten Unruhe und Panik in das Königreich. Die Kapitäne seiner eigenen Flotte waren nahe daran, den Befehl zu verweigern, wenn es galt, erneut die Fahrt nach Westen anzutreten. So hatte König Ariostro verkleidet die Straßen von Messantia durchstreift, um furchtlose und fähige Seeleute anzuwerben, die er für dieses Unternehmen überreden konnte. Die Männer, die er suchte, hatte er in Conan dem Cimmerier - dessen Identität er schnell erkannt hatte, ohne sein Wissen zu verraten - und Sigurd Rotbart, dem gutmütigen und fetten alten Seeräuber aus dem fernen Vanaheim, gefunden. Mit Hilfe seiner Juwelen hatten sie die seetüchtige Karake gekauft und waren nun zum Hafen gekommen, um aus den Barachapiraten ihre Mannschaft zusammenzustellen. Einige der Gesichter in der Menge waren Conan aus seinen alten Seeräubertagen bekannt, und mit ihnen sprach er in gewohnter Offenheit. »Du kennst mich, Yasunga!« rief er dröhnend und reckte die Rechte einem stämmigen Kushiten mit grauen Strähnen im schwarzen Haar entgegen, dessen nackte Arme im Fackellicht wie geöltes Ebenholz glänzten. »Du warst noch ein kleiner Junge, als ich Jahr für Jahr die Schwarze Küste unsicher machte an der Seite deiner kühnen Herrin Belit. Was hältst du davon? Bist du bereit, ein neues Abenteuer mit mir zu bestehen?« -22-
Yasunga reckte die langen Arme mit einem Freudenschrei gen Himmel: »Ja, Amra, Amra!« rief er. »Zurück, schwarzer Hundesohn!« zischte eine Stimme in kaltem Ton, als eine schlanke Gestalt sich vor den Schwarzen schob und ihn in die Menge zurückdrängte. Der Mann wandte sich Conan zu und musterte ihn mit giftigem Blick. Conan sah ein hageres, bleiches Gesicht mit pechschwarzen Brauen und dünnen Lippen, einen schlanken sehnigen Körper und den von langem Gebrauch zeugenden Griff eines scharf geschliffenen Rapiers. Mit gedämpfter Stimme, deren Akzent ihn als Zingaraner auswies, wandte sich der bleiche Mann an die Menge: »Zurück in eure Hütten, ihr Hunde! Wollt ihr den wilden Träumen dieses alten Narren lauschen, der aus dem Nichts gekommen ist, um euch mit Versprechungen in ein haarsträubendes Abenteuer zu locken? Vielleicht ist jener der gleiche Amra, von dessen Taten wir gehört haben - vielleicht auch nicht. Es kommt nicht darauf an. Tatsache ist, daß dieser streunende alte Wolf sich eingeschlichen hat, um die Ba nde der Bruderschaft zu sprengen. Seit wann geht es uns um Abenteuer und Ruhm? Wir sind praktisch denkende Männer, denen die Meere den Lebensunterhalt bieten. Zur Hölle also mit allen jenen, die von Helden und ihren Taten sprechen!« Er funkelte Conan verächtlich an. »Und versuche nicht, meinen Steuermann Yasunga abzuwerben und in deine verrückten Pläne einzubauen, grauer Hund! Ich lehrte ihn, wie man von der Sonne und den Sternen Gebrauch macht, und bei Mitra, er bleibt bei mir - beim Schwarzen Alvaro, dem Eigner des ›Falken von Zingara‹! Lichte also deinen Anker und bringe deine verrottete Karake in den Hafen zurück, aus dem du gekommen bist. Wir haben hier keinen Platz für deinesgleichen.« Conan spie dem Sprecher vor die Füße. Mit einer Verwünschung riß Alvaro sein Rapier aus der Scheide. Conan -23-
schob den weiten schwarzen Umhang beiseite und zog sein schweres aquilonisches Breitschwert. Alvaro stürmte mit tänzerischer Grazie auf ihn ein. Der schlanke Stahl zielte auf Conans ungeschütztes Gesicht, aber der Cimmerier stieß die blitzende Klinge mit dem Fuß beiseite und sprang von der Bank herab. Die Umstehenden hielten den Atem an, denn Alvaro galt als einer der besten Fechter der Inselgruppe. Amra, der ergraute Mann, war ein unbekannter Gegner. Sie verglichen seine ragende Gestalt mit der schlanken Geschmeidigkeit des Zingaraners und zögerten nicht, ihre Wetten abzuschließen. Alvaro mußte bald feststellen, daß es seiner sirrenden Klinge nie gelang, Conans Deckung zu durchbrechen. Das mächtige Breitschwert, geschmiedet, um Rüstungen zu durchbohren, schien schlecht gewählt für einen Waffengang mit der leichteren Klinge, denn es mußte langsam und unhandlich sein. Aber in Conans sehniger Hand tanzte es wie ein Zauberstaub, und der Arm des Cimmeriers schien nicht ermüden zu wollen. Schweiß glitzerte auf Alvaros Braue, Schweiß rann ihm über die dünnen Lippen und die hageren Wangen. Das eine wußte er. Wenn die beiden Klingen einander mit voller Wucht trafen, würde sein Rapier zerbersten. Aber Conan versuchte nicht einmal, das volle Gewicht seines Schwertes auszunutzen. Statt dessen errichtete er mit unglaublicher Leichtigkeit einen schützenden Vorhang vor sich, den die zuckende Spitze der leichten Klinge des Zingaraners nicht durchbohren konnte. Atemlos beobachtete die Menge das klirrende Spiel schimmernden Stahls. Langsam begriff sie, was sich vor ihren Augen abspielte. Yasunga, der riesige Kushite, begann einen rhythmischen Gesang, der bald aus vielen hundert Kehlen emporstieg, bis es dem keuchenden, schwitzenden Alvaro schien, daß der ganze Platz unter dröhnendem Donner wankte. »Amra! Amra! Amra!« -24-
Mit einer Hand tastete Alvaro auf dem Rücken unter seinem kurzen Mantel aus schwarzem Samt. Dort trug er im Gurt einen schlanken gewellten shemitischen Dolch, wie er sich für solche Gelegenheiten anbot. Seine Finger zogen die Klinge aus der schlanken Scheide und umschlossen den Griff, so daß der gewellte Stahl gegen seinen Unterarm lag. Dann löste er sich von Conan und sprang mehrere Schritte zurück. Keuchend und verwirrt wartete er, bis Conans sirrende Klinge langsam zum Stillstand kam. »Hast du endlich genug, schwarzes Schwein von Zingara?« knurrte der alte Wolf. Der Dolch blitzte im Fackellicht, als er auf Conans ungeschützten Hals zusirrte. Scheinbar ohne sonderliche Hast hob Conan die linke Hand und riß die Waffe am Griff aus der Luft herab. Die Menge brach in dröhnenden Beifall aus. Keiner der Männer wußte von den langen Jahren, die Conan auf den kahlen Steppen Hyrkaniens und als Nomadenhäuptling in den ragenden himelianischen Bergen verbracht hatte. In diesen Jahren hatte er sich mit dem Gebrauch fast aller tödlichen Waffen vertraut gemacht. Conan las in Alvaros Augen das Entsetzen, das den Zingaraner gepackt hatte, als er sah, wie sein Dolch in der Luft abgefangen wurde. Er schien nicht mehr atmen zu können. Er riß sich den Spitzenkragen von seinem Brustpanzer und stand unsicher da, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Die Spannung wuchs, bis sie einer gespannten Bogensehne glich. Dann - gab Conan dem anderen seinen Dolch zurück, wenn auch auf seine Weise. Er zischte durch die Luft und bohrte sich bis zum Griff in Alvaros ungeschützten Hals. Sekundenlang stand der Zingaraner mit wankenden Knien. Sein Gesicht war kreidebleich, und ein dunkler Blutstrom rann über seinen glänzenden Brustpanzer. Dann brach er krachend auf dem Kopfsteinpflaster zusammen. -25-
Conan wirbelte sein großes Schwert in die Luft, fing es wieder auf und schob es in die Scheide. Die Umstehenden vereinigten sich zu einem donnernden Ruf: »Amra! Amra! Amra!« Der ›Rote Löwe‹ hatte die Barachainseln seit drei Tagen verlassen, als seine Besatzung die grüne Galeere sichtete. Es war in der Morgendämmerung des dritten Tages. Nackt bis zu den Hüften, das schwere Breitschwert an der Seite hängend, stand Conan auf dem Achterdeck und atmete tief den klaren salzigen Fahrtwind ein. Gischt hatte seine Mähne und seinen Bart mit einer dünnen Salzschicht überzogen und ließ das Haar knistern. Im Osten verwandelte sich der Himmel in Goldfarbe, und es sah aus, als stünden die Wolken in Flammen. Conan blickte in den Rumpf des Schiffes hinab, wo die Besatzung die Planken scheuerte und sich ihren sonstigen seemännischen Aufgaben widmete. Die Legenden, die sich um den Namen Amras des Löwen woben, hatten es dem Cimmerier leicht gemacht, Männer anzuwerben, die es nicht erwarten konnten, den Ruhm und die Beute von Amras künftigem Abenteuer zu teilen. Sie waren eine sehr gemischte Gesellschaft, diese Männer, die mit halbnackten braunen Körpern mit Besessenheit im Rumpf des Schiffes schufteten. Sie rochen nach Teer und abgestandenem Wein, aber es bestand kein Zweifel daran, daß sie die tüchtigsten Piraten waren, die je auf den Barachainseln gelebt hatten. Sigurd richtete den Blick seiner scharfen blauen Augen auf Conan. »Nun, nach welchem Plan gehen wir vor, Käpt’n? Schöne Worte und Versprechungen von glitzernder Beute haben die Männer zur Genüge vernommen, aber wonach halten wir wirklich im Westlichen Ozean Ausschau, und wo liegt unser Ziel? Bis jetzt haben wir höchstens ein paar Walfische gesichtet.« -26-
Conan zuckte die Achseln. »Crom weiß es, ich nicht! Aber ich habe Männer von verschwundenen Erdteilen und sagenhaften Inseln jenseits des Sonnenunterganges sprechen hören. Und aus den Andeutungen, die der Schatten des Epemitreus fallen ließ, nehme ich an, daß wir nichts weiter zu tun haben, als auf Westkurs zu bleiben und nach allem Ausschau zu halten, was unwahrscheinlich und sonderbar aussieht. Bei allen Teufeln, Mann aus dem Norden, ich hoffe, wir entdecken die Quelle des verhängnisvollen Schreckens bald! Diese Kostprobe vom Leben auf See hat mir Appetit auf ein wenig Betätigung gemacht. Friede ist herrlich, aber...« Conan riß das Breitschwert aus der Scheide und ließ es durch die Luft zischen, so daß es das Brausen des Windes übertönte. Der Rotbart lachte, und sein Fettwanst tanzte dabei. Er hob die Brauen und musterte den kriegerischen Cimmerier. »Von dort weht also der Wind, alter Halunke?« schnaufte er. »Du bist noch immer der gerissene Kerl mit der schwarzen Seele, den ich von früher kenne. Was dann, wenn wir diesen schattenhaften Feind zur Strecke gebracht haben, wie wir es versprachen? Bleibt dann Zeit für ein bißchen ehrliche Gaunerei? Im Hafen von Messantia lagen dickbäuchige Kauffahrer vor Anker, und es wäre ein netter Scherz, Schiffe aus Argos mit Hilfe eines Schiffes zu plündern, zu dem uns sein König selbst verhalf.« Auf Conans Gesicht erschien ein grimmiges Lächeln, und er schmetterte Sigurd die Hand auf die Schulter. »Immer noch das gleiche diebische alte Walroß, wie ich sehe! Nein, was du da vorschlägst, gefällt mir nicht.« »Versuche nicht mir einzureden, daß du nach all diesen Jahren ehrlich geworden bist!« Conans Lachen dröhnte über das Deck. »Ich, niemals! Aber wenn man eine gewisse Zeitlang königliche Pflichten erfüllt hat, verliert man den Geschmack an den kleinen und schäbigen -27-
Gaunereien. Außerdem hat Ariostro mir nie Schwierigkeiten gemacht. Warum sollte ich ihm also welche bereiten? Conn wird Mühe genug haben, seine Grenzen vor den benachbarten Königreichen zu schützen. Es ist nicht nötig, daß ich die Argosseaner noch gegen ihn aufbringe.« »Was dann? Wie wäre es, wenn wir den Stygiern eins auswischten, wie ich es im Sinn hatte, als wir uns in Messantia begegneten? Sie sind eine tüchtige und hartgesottene Bande, aber mit dieser Besatzung könnte es uns gelingen...« Conan schüttelte den Kopf. »Auch das nicht, mein Alter. Schließlich bin ich, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, lange genug ein erfolgreicher Piratenkapitän gewesen. Warum sollte ich auf der gleichen Leiter noch einmal emporklettern?« »Also gut«, brummte Sigurd ungeduldig. »Aber was bei allen Höllen hast du nun wirklich im Sinn? Heraus damit, Mann!« Conan reckte einen langen Arm und deutete mit knorrigem Zeigefinger zum Bug. »Dort im Westen, Alter, gibt es Dinge, über die wir nichts wissen. Die Roten Schatten gehören dazu. Vielleicht deuten auch Hinweise in den alten Schriften darauf hin!« Ein tiefes Lachen dröhnte in Conans Brust. »Du staunst, was? Kannst dir mich nicht als Gelehrten vorstellen, wie? Nun, ich kann einige Schriften entziffern und in der königlichen Bibliothek von Tarantia entdeckte ich Berichte über die Sintflut, als der Ozean vor achttausend Jahren Atlantis verschlang. Diese Berichte erwähnen, daß Tausende von Bewohnern von Atlantis aufs Festland flohen, nach Thurien, wie sie es damals nannten. Und in dem in Eisen gebundenen Buch von Skelos heißt es: ›Andere flohen vom versinkenden Atlantis nach Westen, und man sagt, daß sie dort auf einen anderen Erdteil trafen, der den Westlichen Ozean auf der anderen Seite begrenzte. Aber wir wissen nicht, welches Schicksal diesen Flüchtlingen beschieden war, denn mit der Zerstörung von Atlantis wurde der Ozean für -28-
die Schiffe jener Tage zu weit, um einen regulären Verkehr mit Handelsschiffen zwischen den Ländern, die wir kennen, und dem unbekannten westlichen Land zu errichten. ‹ Das ist alles, was ich sagen kann, aber es kann wohl in einer Beziehung zu unserem gegenwärtigen Auftrag stehen.« »Auch ich habe von solchen Berichten gehört«, nickte Sigurd. »Was haben sie mit meinen Vorschlägen zu tun?« »Nun, wenn vor uns ein Land liegt, in dem mächtige Zauberkräfte am Werk sind, so wird es auch ein Land von Wohlhabenheit und Macht sein, das nur darauf wartet, sich von unternehmungslustigen Halunken wie uns beiden ausnehmen zu lassen. Warum sollen wir uns mit der Beute von ein paar Schiffen zufrieden geben, wenn wir mit etwas Glück und einer Portion Mut die Schätze eines ganzen Reiches einkassieren können?« Sigurd seufzte und fuhr sich mit den behaarten Handrücken über die Augen. »Amra, ich hätte wissen müssen, daß du einen Plan in deinem dicken Schädel mit dir trägst, einen Plan, der verrückter und wilder ist als alles, was sich gewöhnliche Menschen ausdenken können. Du bleibst ein gerissener alter Wolf, mein Wort darauf! Obwohl sie uns den Drachen vorwerfen werden, wenn wir tatsächlich dorthin gelangen, bin ich bei allen Göttern bereit, selbst bis zum Tode an deiner Seite zu bleiben!« Er brach ab und hob den mißtrauischen Blick zur Sonne empor. Mit ärgerlichem Schnauben watschelte er zum nächsten der beiden Achtersteuer, neben dem ein einäugiger shemitischer Raufbold Posten bezogen hatte. »Weg mit dir, du hakennasiger Hundessohn! Bist du blind oder noch immer stockbetrunken?« schrie er und schob den verblüfften Seeman beiseite, um die Ruderpinne selbst in die Hand zu nehmen. »Wir sind einen halben Strich von dem Kurs abgekommen, den du gestern abend befahlst, Amra! Zum Teufel -29-
mit all diesen Faulpelzen aus dem Abschaum der Barachainseln.« Er spähte aus zusammengekniffenen Augen zur Sonne empor und legte mit erfahrenem Griff die Ruderpinne auf den richtigen Kurs. Der ›Rote Löwe‹ krängte leicht und folgte dem Befehl wie ein gut trainierter Hengst. Dann dröhnte ein Schrei vom Ausguck herab. »Segel voraus!« Conan sprang an die Reling und ließ den Blick über das graue neblige Meer wandern, aber er entdeckte nichts. »Wo, zum Teufel?« rief er durch die wie einen Trichter vorgehaltenen Hände. Die Antwort hallte vom Ausguck am Fockmast herab: »Ein und einen halben Strich backbord!« »Ich sehe sie!« Der alte Mann aus dem Norden war wieder an Conans Seite. Er schnaufte wie ein asthmatisches Walroß, nachdem er den einäugigen Seemann mit einem Stoß wieder an die Ruderpinne zurückbefördert hatte. »Dort schaukelt sie - und bei allen Göttern, sie sieht ganz wie eine Galeere aus!« Conan beschattete seine Augen mit einer Hand und folgte Sigurds ausgestrecktem Finger. Dort, aus den wirbelnden Morgennebeln ragend, erkannte er zwei schlanke kahle Masten. Als der ›Rote Löwe‹ sich auf der langen Dünung hob, konnten alle, die auf dem Achterdeck standen, den langen niedrigen Rumpf einer Galeere unterhalb der Takelung erkennen. »Was, bei allen blutroten Höllen stygischer Set-Anbeter, sucht eine Galeere hier draußen?« fragte Conan heiser. »Wir müssen dem Land ziemlich nahe sein. Kein Steuermann, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde mit einem solchen Schiff weit in den Westlichen Ozean hinaussegeln. Wenn die lange Dünung die Galeere nicht ersäuft, würde die Besatzung früher oder später zusammenbrechen, weil sie weder genug Verpflegung noch Wasser hätte, noch überhaupt genügend Platz fände, um sich für ein paar Stunden niederzulegen.« Die Galeere war nun näher gekommen, so daß sie die -30-
schlanken Linien ihres niedrigen seegrünen Rumpfes erkennen konnten. Weißer Schaum spritzte an ihren Rumpfseiten empor, und Conan sah sprühendes Wasser, das von der doppelten Reihe von Ruderbänken troff. Ein hoher geschwungener Bug aus Metall, der wie ein Drachenkopf geformt war, ragte in die Luft. Unter dieser Gallionsfigur, fast auf gleicher Höhe mit der Wasseroberfläche, ragte eine lange, zugespitzte Bronzeramme hervor, die grün von Seetang und mit Muscheln übersät war. »Das sieht verdammt komisch aus, Amra!« knurrte Sigurd. »Sie hat keine Flagge gesetzt. Sagtest du nicht, daß wir nach Absonderlichkeiten Ausschau halten sollten?« Conan zuckte die Achseln. »Was ist da auf ihren Bug gemalt?« Sigurd blickte scharf zur Galeere hinüber. »Es sieht wie eine schwarze Wolke mit einem roten Mittelpunkt aus«, erwiderte er. »Oder sollte es sich um einen schwarzen Seestern handeln?« Auch Conan musterte die seltsame grüne Galeere aus halb zusammengekniffenen Augen. »Fest steht, daß es sich nicht um einen Kauffahrer, sondern um eine Kriegsgaleere handelt. Daran lassen die Ramme an ihrem Vordersteven und die doppelte Reihe von Ruderbänken keinen Zweifel. Ich glaube, wir lassen sie in Ruhe. Wir würden uns nur harte Knüffe und keine Beute einhandeln...« Aber zugleich überlegte er, wie seltsam es doch war, einem solchen Schiff in diesen kaum befahrenen Gewässern zu begegnen. Konnte es sein, daß dieses Zusammentreffen in einer Beziehung zu seinem Auftrag stand? Er warf seine graue Mähne zurück und rief zu dem Ausguck auf dem Fockmast empor: »Ahoi, da oben! Kannst du die Zeichnung auf ihrem Bug erkennen?« »Aye, Käpt’n. Es ist ein schwarzes Ding, wie ein Teufelsfisch, mit vielen Fangarmen um ein funkelndes Auge...« Conans Stimme dröhnte auf: »Steuermann! Zwei Striche nach -31-
backbord! Geraden Kurs auf die Galeere dort. Alle Mann mit Waffen an Deck versammeln! Bogenschützen mit Ausrüstung zum Vorderdeck! Yasunga, stell eine Entergruppe zusammen. Und beeilt euch, ihr Schnecken! Hier kommt der Kampf, nach dem ihr euch gesehnt habt!« Sigurd starrte ihn verblüfft an. »Was im Namen Mitras soll das heißen?« »Das Zeichen des Schwarzen Kraken, du roter Hundesohn aus Vanaheim! Sagt dir das nichts? Dann nimm deinen Verstand zusammen und denke nach!« Sigurd folgte Conan über das Achterdeck und blieb ebenfalls stehen, als der Cimmerier sich von dem Schiffsjungen in Panzerhemd und gehörnten Helm helfen ließ. Der Mann aus dem Norden hatte die Brauen nachdenklich gehoben. Dann entspannte er sich, aber sein Gesicht blieb bleich. »Meinst du«, sagte er langsam, »jene alte Erzählung über das Sinnbild der Hexenkönige von Atlantis?« »Genau die. Und nun sieh zu, daß du in deinen Brustpanzer schlüpfst, damit deine fetten Eingeweide nicht über das ganze Deck verstreut werden.« »Götter der Meere!« brummte Sigurd und wandte sich langsam ab. »Die Kraken der Atlantisbewohner, die von Rechts wegen vor achttausend Jahren den Tod im Meer hätten finden müssen...! Crom, Badb und Ishtar! Sollte es wirklich möglich sein?« Obwohl es sich bei der grünen Galeere offensichtlich nicht um einen mit wertvoller Fracht beladenen Kauffahrer handelte, drehte diese ab und floh in der Morgenbrise vor dem ›Roten Löwen‹. An jedem ihrer beiden Masten blähten sich spitz zulaufende dreieckige Segel. Der ›Rote Löwe‹ folgte der Galeere dichtauf im schäumenden Heckwasser. Conan war in die Takelung geklettert und hielt sich mit einer bronzefarbenen Hand fest, während die andere seine Augen -32-
beschattete. »Sonderbar, verdammt sonderbar«, murmelte er. »Alle Ruder in Bewegung, aber ich will ein Stygier sein, wenn ich auch nur einen einzigen Ruderer auf den Bänken sehe. Der Kahn scheint auch keine Kampfbesatzung zu haben. Jedenfalls ist niemand auf dem Vorder- oder Achterdeck zu erkennen, und auch in der Takelage hält sich niemand auf!« Er sprang auf das Deck zurück, wo Sigurd und der schwarze Riese Yasunga standen. »Verdammt sonderbar in der Tat, Amra«, sagte der alte Man aus dem Norden. »Und sieh dir die Form ihres Rumpfes an! In meinem ganzen Leben habe ich noch kein solches Schiff gesehen.« »Grünes Höllenschiff«, murmelte Yasunga mit seinem tiefen musikalischen Baß. »Ein Geisterschiff, Amra!« »Blödsinn!« bellte Conan. »Höllenschiff oder Schiff von der Erde, es ergreift vor uns die Flucht, als befände sich die Kaiserin von Khitai mit all ihren Schätzen an Bord! Sieh dir an, wie dieser Vordersteven das Wasser durchschneidet! Ein schnelles Schiff, sowohl was die Ruder als auch was die Segel betrifft, aber mit unserer größeren Leinwand kann es uns noch gelingen, es einzuholen. Wo immer es herstammt, sie haben es verdammt eilig, uns abzuschütteln!« »Obendrein noch ohne Eskorte«, brummte Sigurd, »verdammt verdächtig! Wer hätte je davon gehört, daß eine Königsgaleere oder ein mit Schätzen beladenes Schiff sich in diesen Gewässern ohne zusätzlichen Schutz bewegte?« »Bei Crom!« dröhnte Conan. »Wir werden bald herausfinden, was sich so Kostbares in seinen Laderäumen stapelt, daß es bei unserem bloßen Anblick wie eine erschreckte Jungfer die Flucht ergreift!« Die Besatzung, durch die Verfolgungsjagd in Erregung versetzt, stieß gellende Kriegsrufe aus. Sigurd, der jetzt vom -33-
Hals bis zu den Hüften in einem Hemd aus bronzenen Schuppen steckte, die auf Leder genäht waren, keuchte die Leiter zum Achterdeck empor. Conan schmetterte ihm die Hand auf die Schulter. »Crom und Mitra, altes Seepferd, allein die Ahnung eines Kampfes läßt me in Herz anschwellen wie das eines alten Schlachtrosses, das frisches Blut wittert!« Der Mann aus dem Norden grinste breit, und sein freudiges Bellen hätte selbst in der Paarungszeit das nächste Flußpferd herbeigerufen, hätte sich ein solches in der Reichweite seiner Stimme befunden. »Ha! Nun, Löwe, der alte Sigurd sagte doch, daß sich bald etwas tun würde, und schon geschieht es! Ich habe tief in meinen Knochen ein Gefühl, daß es sich um einen Schatz handeln wird, wie wir ihn in unserem ganzen Leben bisher nicht sahen.« »Meinst du?« lachte Conan. »Dann wollen wir uns an die Arbeit machen!« Alle Segel prall gebläht, jagte die Karake ihrer Beute nach. Die Dünung trug sie hinauf und hinab, und ihr stumpfer Bug wirbelte doppelte Sprudel von grünem Schaum auf, während weißer Schaum ihr Heckwasser bildete. Und vor ihr, auf der Dünung tanzend, ruderte und segelte die geheimnisvolle grüne Galeere, deren beide dreieckige Segel an die ledernen Schwingen eines fliegenden Reptils aus uralter Zeit erinnerten. Die Sonne stand hoch am klaren blauen Himmelsgewölbe, als der ›Rote Löwe‹ schließlich zu der geheimnisvollen grünen Galeere aufschloß, die das Symbol des Schwarzen Kranken von Atlantis auf ihrem Bug trug. Den ganzen Vormittag war die Galeere vor ihnen geflohen, die schwarzen Segel prall mit Wind gefüllt, während die Ruder sich hoben und senkten, als wäre den Ruderern menschliche Erschöpfung unbekannt. Trotzdem gelang es der großen Karake, den Abstand Fuß um Fuß zu -34-
verringern. Conan schritt in seinem langen Panzerhemd und dem stählernen Helm mit den beiden Hörnern über das Deck und inspizierte die Waffen und die Ausrüstung des Enterkommandos. Dann stieg er wieder auf das Achterdeck, wo Sigurd mit weit gespreizten Beinen stand, jede Bewegung der Galeere beobachtete und den beiden Steuermännern, deren Arme die beiden Ruderpinnen führten, seine Befehle zurief. »Sie gibt die Jagd endlich auf«, brummte er und deutete auf das verfolgte Schiff. Als hätte sie die Sinnlosigkeit der Flucht eingesehen, drehte die Galeere langsam bei, während der ›Rote Löwe‹ näher kam. Bald befanden sich die beiden Schiffe innerhalb Bogenschußweite. Conans Blick ging zum Vorderdeck, wo Yakovs Bogenschützen in der Deckung der Brustwehren längs der Reling standen und auf den Befehl zur Eröffnung des Feuers warteten. »Seltsam, Amra«, knurrte der Mann aus dem Norden. »Noch immer ist niemand an Deck zu sehen!« »Wirklich verdammt sonderbar«, stimmte Conan bei. »Man sollte zumindest erwarten, daß sie eine Gruppe bereitgestellt haben, um das Enterkommando zurückzuschlagen. Verstecken sie sich alle unten wie Mäuse, oder ist außer den Ruderern und Steuerleuten niemand an Bord?« »Wir kommen näher«, stellte Sigurd fest. Conan wandte sich zum Bug, wo die Bogenschützen standen, und hob die Stimme: »Einen Schuß!« »Aye, aye, Käpt’n«, erwiderte Yakov den Befehl. Der Herr über die Bogenschützen tippte einem seiner Männer auf die Schulter. Der Mann spannte den Bogen bis ans Ohr, und als er die Sehne vorschnellen ließ, löste sich der Pfeil mit dumpfem Laut. Er sirrte über die trennende Wasserfläche und verfehlte sein Ziel um zehn Schritte. Sekundenlang stand die Besatzung in -35-
verbissenem Schweigen, während der Wind heulte, die Wogen plätscherten und die Schiffe auf der Dünung schaukelten. »Noch einen Schuß!« Dieses Mal bohrte sich der Pfeil in die dick mit Farbe bestrichenen Balken. »Im Ziel!« strahlte Sigurd. »Dann eine volle Salve! Gib den Befehl!« rief Conan Yakov zu. »Aye, Aye!« Yakov stellte seine Schützen in breiter Reihe auf, und sie spannten die Bogen. Auf seinen Befehl ließen sie die Sehnen zugleich vorschnellen. Begleitet von einem Geräusch, das sich wie das Rauschen mächtiger Schwingen anhörte, zischte ein ganzer Hagel von Pfeilen über die schmaler werdende trennende Wasserfläche, Der Einschlag der Pfeilspitzen war deutlich zu hören. Die meisten Pfeile verschwanden hinter den Schutzwehren, mit denen die Reling der Galeere ausgestattet war. Conan beobachtete aus schmalen Augen die sich bewegenden Ruder der Galeere. Normalerweise hätte eine solche Salve von Pfeilen zumindest einige der Ruderer treffen und in ihrer Tätigkeit solange aus dem Takt bringen müssen, bis sie durch einen Nachfolger ersetzt werden konnten oder die Riemen neu eingelegt wurden. Aber die Doppelreihe der Ruder der Galeere hob und senkte sich im gleichen, unveränderlichen mechanischen Schlag. »Sie muß eine vollzählige Ersatzmannschaft an Bord haben«, knurrte Conan. »Ich glaube, sie wendet, um uns zu rammen«, sagte Sigurd. »Richtig. Halte genau auf sie zu. Wenn wir ihren Bug voll treffen, werden wir sie unter Wasser drücken und ihre Ramme außer Gefecht setzen.« Der Vanir bellte den Steuermännern und den Seeleuten an den -36-
Leinen seine Befehle zu. Der »Rote Löwe« schwenkte nach backbord ein und folgte der Galeere wie ein Schatten. Die Galeere fuhr mit ihrer Schwenkung fort, und Sekunden später rauschten die beiden Schiffe genau aufeinander zu. Vom Achterdeck konnte Conan auf das Deck der Galeere herabblicken. Kein Mensch war zu sehen. Dann wendete sich die Galeere, als hätte ihr der Anblick des hohen, massigen Bugs des »Roten Löwen« den Mut geraubt, wieder nach backbord, wobei sie sich infolge des scharfen Kurswechsels weit überlegte. Knapp fünfzig Schritte entfernt konnte Conan das seltsame schwarze Zeichen, das auf den Bug gemalt war, klar erkennen. Es hatte mehr Ähnlichkeit mit einer runden Wolke dichten schwarzen Dampfes, die von fangarmartigen Nebeln umgeben war, als das, was man sich sonst unter einem Teufelsfisch vorzustellen pflegte. Aber das aus der Mitte der schwarzen Masse leuchtende rote Auge funkelte unzweifelhaft vor Gier und Wut. Noch immer war niemand an Deck zu sehen. Die grüne Galeere hätte ein Geisterschiff sein können, auf dem es keinen Funken Leben gab. »Kein Ausdruck im Mastkorb! Niemand an Deck! Nicht einmal ein Steuermann an der Ruderpinne!« brummte Sigurd unbehaglich. »Bei Badb und Mitra, die Sache gefällt mir nicht, alter Freund, sie gefällt mir nicht im geringsten!« »Yakov!« rief Conan. »Laß deine Männer durch die Ruderöffnungen schießen!« »Brandpfeile, Yakov!« rief Conan dröhnend. »Bei Crom, ich werde noch dafür sorgen, daß sich Leben auf diesem schwarzbesegelten Bastard zeigt!« Bogensehnen schnappten, Pfeile sirrten. Viele bohrten sich in das Holz neben den Ruderöffnungen, aber mindestens ebenso viele verschwanden auf diese kurze Ent fernung hinter den Ruderschlitzen. Doch die erwarteten Schmerzensschreie und das -37-
Poltern gegeneinander fallender Ruder blieben aus. Eine zweite Salve erbrachte kein anderes Ergebnis. Jetzt wandte die Galeere sich wieder zur Flucht, und ihre dreieckigen Segel blähten sich im Wind. Der »Rote Löwe« folgte. Minutenlang herrschte rege Tätigkeit auf dem Vorderdeck. Fackeln wurden aus der Kombüse geholt, Lumpen in Öl getaucht und um die Schäfte der Pfeile gewickelt. Sekunden später ergoß sich ein Hagel brennender Pfeile, die schwarze Rauchfahnen nach sich zogen, in die Schutzwehren und bohrte sich in den nackten grünen Rumpf. Sofort stiegen schmutzigschwarze Rauchfahnen an einem Dutzend Stellen des Schiffes empor und wurden von der böigen Brise verweht. »Ha!« donnerte Conan. »Damit hätten wir es geschafft! Blick hinüber, Sigurd!« Auf dem geschmückten Achterdeck der grünen Galeere stand plötzlich ein großer hagerer Mann. Nach seiner ganzen Erscheinung handelte es sich sicher nicht um einen gewöhnlichen Seemann. Die knochige Gestalt steckte in faltigen Baumwollgewändern, und von den schmalen Schultern hing ein fantastischer Umhang aus herrlichen grünen Federn herab. Der schmale dunkelhäutige Schädel war kahl geschoren. Die hageren Gesichtszüge waren so unbeweglich, daß sie wie aus Messing gegossen wirkten. Mehr einem Priester oder einem Zauberer als einem Seemann ähnelnd, stand der Mann reglos auf dem grell geschmückten Achterdeck und beobachtete den »Roten Löwen« mit funkelnden schwarzen Augen. Conan und seine Besatzung sahen, wie der Mann plötzlich einen hageren Arm mit einer seltsamen Geste ausstreckte. Sogleich erloschen alle schwelenden Feuer auf dem Deck. Die Rauchspiralen wurden dünner und verschwanden. »Zauberei!« knirschte Sigurd zornig und packte Conans Schulter mit stählernem Griff. -38-
»Yakov!« schrie Conan. »Spicke diesen Hundesohn mit deinen Pfeilen!« Aber bevor der Befehl ausgeführt werden konnte, zog der Mann im Federumhang eine kleine Flasche unter seinem Gewand hervor und warf sie über Bord. Das Wasser zwischen den beiden Schiffen spritzte auf. Als die Flasche auf die Wogen traf, explodierte die Wasseroberfläche mit greller Flamme. Eine Wand siedenden roten Feuers reckte sich zwischen den beiden Schiffen. Conans Männer schrien überrascht auf und gestikulierten wild. Verblüffung und abergläubische Furcht sprachen aus ihren Gesichtern. Sie waren tapfer genug, scharfem Stahl und sirrenden Pfeilen gegenüberzutreten, wenn es galt, reiche Beute zu machen, aber wer von ihnen allen vermochte gegen Zauberei anzukämpfen? »Zauberei?« wiederholte Sigurd. »Beim Herzen von Ahriman und den Lenden von Tammuz, hast du es gesehen, Amra? Dieser schlitzäugige Zauberer dort drüben kann eine Wand aus Feuer in kürzerer Zeit errichten, als ein gewöhnlich Sterblicher braucht, um nur auszuspucken.« Aus schmalen Augenschlitzen beobachtend, bemerkte Conan, daß sich das unnatürliche Feuer nicht ausbreitete, wie es der Fall gewesen wäre, wenn es durch entflammbares Öl verursacht worden wäre. Die Flammen verblieben in der gleichen Stellung und bildeten eine feurige Wand, die die fremde Galeere fast verbarg und so hoch aufragte, daß sie das Hauptsegel des »Roten Löwen« in Gefahr brachte. »Acht Strich nach backbord!« bellte Conan. »Wir wollen versuchen, das Hindernis zu umfahren«, fügte er, an Sigurd gewandt, hinzu. »Bei den Eingeweiden Shaitans und Ymirs Bart, das Feuer folgt uns!« stellte Sigurd fest. Die Knöchel seiner Hände, mit denen er die Reling umspannte, wurden weiß. -39-
Es war, wie er sagte. Als der »Rote Löwe« sich mit dem Wind nach backbord wandte, bewegte sich der feurige Vorhang mit, als gälte es, die Karake von der fliehenden Galeere fernzuhalten. Conan beschattete seine Augen, um die über ihm hängende Leinwand, die in Gefahr geraten war, zu mustern. Bis jetzt hatte sie noch nicht Feuer gefangen - sie sah nicht einmal angesengt aus. Selbst der dicke ölige Rauch hatte den Segeln nichts von ihrer frischen Weiße genommen. Conan überlegte und brach in lautes Lachen aus. »Steuerleute ho!« donnerte er. »Schenkt dem Feuer keine Beachtung! Setzt alles, was wir an Segeln haben, zur Verfolgung!« »Amra?« fragte Sigurd, dem die Augen fast aus dem Kopf traten, heiser. »Was im Namen aller Teufel...« Conan grinste. »Gib acht, altes Walroß, und lerne wieder etwas dazu.« Der »Rote Löwe« schob sich durch die flammende Wand, als existierte sie nicht. Die Besatzung des Schiffes spürte keine Hitze. Sobald sie auf der anderen Seite angelangt waren, gab es keine Zauberwand mehr. Vor Verblüffung fielen den Männern die Unterkiefer herab. »Nur eine Luftspiegelung, eine Illusion!« rief Conan dröhnend. »Und nun macht euch fertig zum Entern, ihr Hundesöhne, damit wir erproben können, wie diesem federgeschmückten Zauberer dort drüben kalter Stahl schmeckt!« Als sich der Bug des »Roten Löwen« dem Heck der Galeere immer mehr näherte, konnten die Männer auf der Karake erkennen, wie es in den maskenartigen Gesichtszügen unter dem kahlgeschorenen Schädel des Zauberers vor Wut arbeitete. Schließlich reckte er beide Arme empor, so daß sich sein prächtiger Umhang wie die schwellenden Schwingen eines legendären Phönix ausbreitete. -40-
»Hai, Xotli! Chahuatepak ya xingoth!« schrie er gellend. Und die Roten Schatten schlugen zu! Aus allen vier Himmelsrichtungen sammelten sie sich, wie sie es an jenem todbringenden Tag getan hatten, als sie zum erstenmal in Conans königlichem Palast erschienen. Sie umwirbelten einen schreienden argosseanischen Steuermann, und er existierte nicht mehr. Der »Rote Löwe« legte über, als der Mann an der anderen Ruderpinne sich keuchend anstrengte, die Karake allein auf ihrem bisherigen Kurs zu halten. Das hier war keine Luftspiegelung mehr. Conan beobachtete, wie der federgeschmückte Zauberer in ein häßliches Lachen ausbrach und das Verhängnis mit ausgebreiteten Armen noch einmal herbeirief. Diesmal ruhte sein stechender Blick voll auf Conans Gesicht. Der alte Sigurd begriff die Lage nach einem einzigen schnellen Blick und rief dem auf dem Vordeck stehenden Yakov den Befehl zu: »Spicke diesen Teufel im Federgewand mit Pfeilen!« Bogensehnen wurden gespannt und schnellten wieder vor, schnelle Pfeile zischten über das grüne Wasser auf das hohe mit goldenen Verzierungen geschmückte Achterdeck zu, auf dem der Zauberer mit erhobenen Armen stand, um das Verhängnis erneut herabzurufen. Als die Pfeile auf ihn zusirrten, unterbrach er seine Beschwörung der Schatten und reckte den Geschossen die Innenfläche einer Hand entgegen. Der erste Pfeil wurde irgendwie von seinem Ziel abgelenkt und bohrte sich harmlos in das Deck. Der zweite und der dritte Pfeil verfehlten ebenfalls ihr Ziel, aber dann sirrte ein ganzer Hagel auf ihn zu, zuviel, um von seinen Zauberkräften abgewehrt zu werden. Und einer der Pfeile bohrte sich bis zu den am hinteren Ende angebrachten Federn in seine rechte Hand. Entsetzen ließ den dunkelhäutigen Zauberer erbleichen, er taumelte zurück und preßte die verwundete Hand gegen seine hagere Brust. Sein brennender -41-
Blick wanderte über die Barachaner, dann verschwand die hagere Gestalt. Die Piraten wichen zurück. Sigurd knurrte und rieb sich verwirrt seine kurze dicke Nase. »Was können wir gegen diese verdammten Teufeleien tun, Amra? Wäre es nicht besser, Fersengeld zu geben, bevor die Schatten uns alle verschlingen?« Conan funkelte ihn wütend an. »Hast du den Verstand verloren, altes Walroß? Dieses Höllenschiff dort vor uns ist das, was wir suchen! In ihm werden die Roten Schatten ausgebrütet!« »Aber kalter Stahl bietet keine Verteidigung gegen diese Art von Zauberei...« »Hast du nicht gesehen, wie einer von Yakovs Männern dem Oberteufel einen Pfeil durch die Hand jagte?« grollte Conan und schmetterte Sigurd eine Faust auf die Schulter. »Mit dieser verkrüppelten Hand wird er keine weiteren Teufel mehr herbeirufen können, also ist jetzt für uns der Augenblick zum Zuschlagen gekommen!« Er trat an das vordere Ende des Achterdecks. »Steuerleute, einen Strich nach backbord! Die Enterhaken bereithalten! Fertigmachen zum Entern!« Der Bug des »Roten Löwen« legte sich parallel zum Heck der Galeere, und dann bohrte sich der massive Vordersteven der Karake knirschend in die smaragdgrüne Rumpfwand der Galeere. Zerbrochene Ruder wirbelten durch die Luft. Enterhaken wurden geschleudert und fanden Halt an den hölzernen Aufbauten des fremden Schiffes. Unter sehnigen Armen spannten sich die an den Enterhaken befestigten Seile. Andere Piraten schlugen ihre Bootshaken in die Reling der Galeere. »Entergruppe an Bord!« schrie Conan und sprang die Leiter hinab, um sich den bewaffneten Männern anzuschließen, die sich über die Geländer der beiden ineinander verkeilten Schiffe auf das Deck der Galeere ergossen. Messer und Schwerter -42-
blitzten, Piken und Äxte wurden von drohenden Fäusten geschwenkt. Die meisten der Seeräuber trugen eine Art von Brustpanzer hier war es ein rostiges Panzerhemd, dort eine Lederjacke - mit Messing- oder Bronzeplättchen benäht. Einige der wildesten Piraten waren bis an die Hüften nackt. Wirres ungepflegtes Haar sah unter den verschiedenartigsten Helmen hervor. Conans Stiefel brachen durch eine der dünnen Schutzwehren aus Weidengeflecht, und er stürzte schwer in einen der für die Ruderer bestimmten Räume zwischen dem Deck und der Reling. Die Ruderbänke, jede so breit, daß zwei Männer ein einziges Ruder betätigen konnten, waren auf halbe Manneshöhe unter das schmale Deck versenkt. Wären die Bänke besetzt gewesen, so hätten die Köpfe der Ruderer knapp über das Deck hinausgeragt. Aber die Bänke waren leer. Welche Hände auch immer die Ruder betätigt hatten, sie waren verschwunden. Die Ruder pendelten in den Dollen. Conans Haar begann sich in abergläubischer Furcht zu sträuben. Jahre der Zivilisation hatten hieran nichts geändert. Conan raffte sich auf, verließ den Ruderraum und kehrte aufs Hauptdeck zurück. Während er sich mit funkelnden Augen nach einem Gegner umblickte, den er bekämpfen konnte, griff der schwarze Riese Yasunga nach seinem Arm und deutete auf das geschmückte Achterdeck. »Amra, sieh dorthin! Der federgeschmückte Teufel!« Der Zauberer mit dem Totenschädel war wieder aufgetaucht. Jetzt trug er statt seines prächtigen Federumhanges ein langes Kettenpanzerhemd, das aus unbekannten rosigem Metall hergestellt war und in der Sonne funkelte. Auf den Kopf hatte er sich einen fantastischen Helm gestülpt, der Ähnlichkeit mit dem Kopf eines Vogels hatte, die linke Hand umschloß den Griff eines langen geraden Schwertes mit Sägezähnen aus glitzerndem Kristall, wie Conan sie nie auf all seinen Streifzügen gesehen -43-
hatte. An den rechten Unterarm des Zauberers war ein Schutzschild aus grün lackiertem Metall gebunden. Der Schild hatte einen scharf gezackten Rand und trug das gleiche Krakensymbol wie der Bug der Galeere. Conan fuhr herum, um dem Zauberer entgegenzutreten. Zugleich sprach dieser einen Satz in der gleichen unbekannten Sprache, deren er sich bedient hatte, als er die Roten Schatten herbeirief. Keuchend entfuhr den Piraten der Atem, Verblüffung ließ sie mitten in den Bewegungen erstarren. Dort, wo eben ein bewaffneter Zauberer gestanden hatte, standen nun Dutzende von ihnen, und stimmten im Aussehen bis auf die letzte Kleinigkeit des Gewandes und der Gesichtszüge überein. »Greift sie an!« bellte Conan und sprang die Leiter zum goldverzierten Achterdeck empor, wobei er sein mächtiges Breitschwert wirbeln ließ. Seine Klinge traf die Schwerter und Schilde der Zauberer mit metallischem Klirren. Sonderbarerweise war Conan erleic htert, als er entdeckte, daß seine Gegner Menschen aus Fleisch und Blut waren. Groß, hager und mit schwellenden Muskeln ausgestattet, kämpften sie gut. Aber Conan wütete wie ein wilder Wolf unter ihnen, schmetterte ihre Waffen beiseite und durchbohrte ihre Rüstungen. Hinter ihm schwärmte die schreiende Horde von Piraten aus und griff in den Kampf ein, so daß Stahl gegen Stahl klang, als würde in einer höllischen Schmiede der Amboß geschlagen. Wilde Verwünschungen ausstoßend, hieb und stieß Conan sein Schwert in die Gesichter mit den kalten Augen und den Adlernasen, die vor ihm aufwuchsen und dann mit klaffenden Wunden und blutüberströmt zu Boden sanken. Einer der Krieger taumelte nach einem Rückhandhieb zurück, der ihm das halbe Gesicht fortgerissen hatte. Ein anderer lag zuckend am Boden und drückte sich die herausquellenden Eingeweide wieder in -44-
den Leib. Ein dritter schlug hintenüber und prallte dumpf auf den blutigen Stumpf seines rechten Armes. Ein vierter sank zusammen, nachdem ihm Conans Hieb Vogelhelm und Schädel bis zum Mund gespalten hatte. Aber sie griffen weiter an, wie auch Conan mit dem draufgängerischen Ungestüm des Wilden, der er im Herzen geblieben war, weiterkämpfte. Acht oder neun Gegner mußte er außer Gefecht gesetzt haben, und nun fand er sich von einem Halbkreis habichtsgesichtiger Krieger mit Vogelhelmen umringt. Seine Klinge wies Zacken wie eine Säge auf und war bis zum Griff von Blut überströmt. Sein Panzerhemd klaffte an einem Dutzend Stellen, und seine hageren, aber muskulösen Schultern bluteten aus mehreren oberflächlichen Wunden. Sein Schwert mit beiden Händen schwingend, hieb er auf den stählernen Ring ein und knurrte wie ein in die Falle geratener Wolf. Ein zehnter Krieger hauchte mit durchbohrtem Oberkörper sein Leben aus. Mit blitzschnellen Bewegungen der Handgelenke schlug Conan mehrere drohende Klingen beiseite und spürte dabei, wie er nach Atem rang, während sein Herz wie eine piktische Trommel dröhnte. Blut hämmerte ihm in den Schläfen, und er schwankte auf unsicheren Beinen, aber immer wieder zuckte sein tödlicher Stahl wie ein Blitz hervor und mähte die Männer vor ihm dahin. Irgendwie durchbrach er den Ring von Feinden und fand sich einem einzelnen Krieger gegenüber, der sich vom rückwärtigen Deck gegen das Meer und den Himmel abhob. Sofort stürmte Conan auf ihn ein. Die lange Klinge bohrte sich durch die Panzerglieder aus rosigem Metall in das Herz des Feindes, und alles war vorüber. Keuchend und nach Atem ringend, wirbelte der Cimmerier herum, um sich dem Rest der Gegner zu stellen. Aber er sah nur ein leeres Deck, von dem aus seine eigenen Männer ihn -45-
anstarrten. Die Phantomarmee war verschwunden. Alle hakennasigen Krieger hatten sich in Nichts aufgelöst, selbst die Körper der Gefallenen waren verschwunden. Conan lehnte sich gegen die Reling. Eine Leiche war zurückgeblieben - die des Mannes, den er zuletzt getötet hatte. Der alte Cimmerier hinkte zu ihm hinüber und riß in plötzlichem Mißtrauen den Schild des Mannes herab. Die rechte Hand des Toten war von Binden umwickelt. Conan holte mehrere Male tief Luft. Dann ließ sein donnerndes Lachen die immer noch verblüfft durcheinanderredenden Piraten verstummen. »Alle anderen waren Nachbildungen dieses Hundesohnes hier«, sagte er, und schlug mit der flachen Seite seiner Klinge gegen die Brust des zurückgelassenen Toten. »Sie waren wirklich, zugegeben - aber nur solange, wie er hier war, um sie mit Leben zu erfüllen. Als er starb, war es auch um sie geschehen! Bringt die Verwundeten auf unser eigenes Deck zurück! Goram Singh, stell eine Gruppe zusammen, die das Vorderdeck durchsucht! Beeilt euch, denn die Galeere ist leckgeschlagen und wird bald in den Fluten versinken. Wenn es irgendeinen Schatz an Bord gibt, müssen wir ihn uns schnell sichern! Sigurd, Yasunga, kommt mit mir!« Conan schwankte die Leiter herab und stieß die Tür der Kabine hinter dem Achterdeck auf. Dort würde, wie er annahm, der Zauberer-Kapitän sein Quartier aufgeschlagen haben. Er fühlte sich völlig erschöpft vom Wüten des Gefechtes, erschöpfter, als er von seinen Männe rn gesehen zu werden wünschte. In seinen Gliedern schienen sich seine mehr als sechzig Jahre wie ein Panzer aus Blei auszuwirken; er hatte allerdings das Gefühl, daß ein Schluck kräftigen Weines ihm schnell zu neuen Kräften verhelfen würde. In der Kabine herrschte geheimnisvolles Zwielicht. An den Wänden hingen seltsame purpurfarbene Stoffbahnen, auf denen -46-
dämonische Gesichter grinsten und Grimassen schnitten. Auf einem kleinen Tablett von ausgefallener Form stand eine Kristallkaraffe, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Conan schwankte quer durch den Raum, um sich den Inhalt der Karaffe einzuverleiben. Er schmeckte wie Wein, aber es war ein stärkerer Wein, als er dem Cimmerier bisher begegnet war. Conan spürte, wie sich Wärme durch Glieder und Muskeln ausbreitete und ihm neues Leben einhauchte. Und dann erstarrte sein Blut zu Eis, denn dort, nahe den Vorhängen mit den Dämonen kauernd, hockte der Mann, den er gerade getötet hatte! Es war der gleiche Mann, denn der rosigfarbene Kettenpanzer war über dem Herzen durchbohrt und er blutete stark. Ohne den erstarrten Cimmerier eines Blickes zu würdigen, schob die gespenstische Gestalt die Vorhänge beiseite und enthüllte so eine verborgene Nische, in der ein silbernes Kästchen abgestellt war. Conan beobachtete, wie die schimmernde Gestalt des Zauberers das Kästchen aufnahm und an das Buntglasfenster an der anderen Seite der Kabine trat. Das Fenster öffnete sich und gab den Blick auf das schäumende blaue Meer und einen Teil des Rumpfes des »Roten Löwen« frei. Das Phantom war gerade im Begriff, sich in die rauschenden Wellen hinauszuschwingen, als Conan durch die Kabine stürzte und nach der nebelhaften Gestalt griff, die das geheimnisvolle Kästchen mit sich ins Meer zu nehmen versuchte. »Was tust du, Amra?« erklang Sigurds vor Verblüffung heisere Stimme. Der Vanir und der Kushite waren eben hinter Conan in die Kabine getreten. Conans blutverschmierter Arm legte sich um die Hüfte des Zauberers, traf aber kaum auf Widerstand, als bestünde der schlanke Körper nur aus Nebel. Aber die zupackende Hand des Cimmeriers berührte eine Ecke des silbernen Kästchens. Dieses -47-
wenigstens war fest und greifbar, und Conan entzog es der schwachen Umklammerung des Zauberers. Die gespenstische Gestalt stürzte rückwärts aus dem Fenster und bedachte Conan während des Falles noch mit einem unheimlichen Blick teuflischer Wut. Dann verschwand das Phantom in den Wellen. Conan stand schwankend am offenen Fenster. Er umklammerte das Kästchen und bemühte sich, seine Gedanken zusammenzunehmen, um die Fragen zu beantworten, mit denen Sigurd und Yasunga ihn überschütteten. Sie hatten den Zorn des Zauberers nicht sehen können. Sie hatten nur beobachtet, wie das Kästchen sich, scheinbar ohne jede Unterstützung, aus der Nische löste und auf das Fenster zuflog. Dann hatten sie gesehen, wie Conan ihm nachjagte und es packte. Bevor er ihre Fragen beantworten konnte, erklangen eilige Schritte vor der Kabine, und Goram Singhs Stimme gellte: »Käpt’n! Das Vorderdeck und die Laderäume sind leer!« »Nicht eine Spur von irgendwelchen Schätzen, und das Schiff sinkt! Das Deck steht bereits unter Wasser! Wir müssen zum »Roten Löwen« zurück!« Conan blickte auf das kleine silberne Kästchen herab. Dies war also der einzige Schatz, den die grüne Galeere getragen hatte. Um diesen Schatz zu behalten, hatte sich das Zaubererschiff vor den Piraten zur Flucht gewandt. Um dieses Kästchen hatte der unheimliche Zauberer gekämpft und hatte dafür sein Leben hingegeben... Das Silberkästchen fest unter einen Arm geklemmt, schwang sich Conan über die Relings der nebeneinander liegenden Schiffe. Mit ihm kamen Sigurd und der muskulöse Vendhyaner, Goram Singh. Seine Männer rissen ihre Enterhaken aus den Decksaufbauten der Galeere und rollten die an ihnen hängenden Seile zusammen. Holz knirschte und barst laut, als die beiden Schiffe sich voneinander lösten. Bald trennte sie eine volle Speerwurfweite -48-
grünen wogenden Wassers. Die Galeere, in die nach dem Rammstoß Wasser gedrungen war, lag bis zum Deck unter Wasser, und die Wogen brachen sich schäumend über ihr. Nur ihre Masten und die höher liegenden Vorder- und Achterdecks ragten noch aus dem Wasser heraus. Da die Galeere keine schwere Ladung an Bord hatte, mochte sie in diesem Zustand monatelang schwimmen - eine Bedrohung für andere Schiffe, wenn es solche in diesen Gewässern gab - bis sie an die Küste geworfen wurde oder an heimtückischen Klippen zerschellte. Böiger Wind blähte das Großsegel und das Focksegel des »Roten Löwen«, so daß die Karake auf jede Veränderung der Ruderpinnen sofort ansprach. Sie jagte über die weglose Wasserwüste dahin und ließ das Wrack der Galeere zurück. Dicht neben Conans Schulter beobachtete Sigurd, wie das Wrack kleiner und kleiner wurde, bis es außer Sicht geriet. Der alte Mann aus dem Norden war bleich und nachdenklich. Es schien, als hätte der Untergang des schlanken grünen Galeerenrumpfes ihn wie ein eisiger Windhauch aus offenem Grabe angerührt. Yasunga schauderte und murmelte Gebete in seinem kushitischen Dialekt. Sigurd ritzte sich verstohlen mit dem Daumennagel das Zeichen von Thors Hammer in die Haut über dem Herzen ein. Bald waren selbst die ragenden Mäste der Galeere nicht mehr sichtbar. Der Himmel war klar - blau direkt über ihnen, rosenrot im Westen, wo eine blutrote Sonne langsam in eine tintenartige Masse aus schwarzen Dämpfen zu versinken schien. Conan schauderte, dann riß er Sigurd durch einen Schlag auf die Schulter aus seinem Trancezustand. »Komm mit in die Kabine, Rotbart, wo wir auf den Kampf anstoßen können. Außerdem müssen wir unsere Beute noch genauer besichtigen. Yasunga, du übernimmst die Aufsicht an Deck!« In der Kabine prasselte ein Feuer auf dem Herd, und heißes -49-
Wasser dampfte. Conan wusch sich den nackten Oberkörper, schrubbte getrocknetes Blut und den Schweiß des Kampfes von der Haut und stieß jedesmal einen unterdrückten Seufzer aus, wenn er den Schmerz seiner zahlreichen, mehr oder weniger tiefen Wunden spürte. Dann trocknete er sich an einem warmen Handtuch ab, schlüpfte in einen wollenen Umhang, streifte mit einem Seufzer der Erleichterung die Stiefel ab und ließ sich, die Füße in einem Eimer heißen Wassers, am Tisch neben Sigurd nieder. Der Mann aus dem Norden schob ihm eine Karaffe Wein zu, und Conan trank in langen Zügen. Die Hitze des Feuers und die vom Wein gespendete innere Wärme versetzten ihn bald wieder in gute Stimmung. »Schenk mir noch einmal ein«, sagte er. »Dieser Kampf hat wenigstens dazu gedient, das Blut der Mannschaft wieder schneller fließen zu lassen. Aber es gab keine wirkliche Beute, abgesehen von diesem verdammten silbernen Kästchen!« Er legte es auf den Tisch und tastete gedankenvoll mit einem Finger seinen Umriß ab. Das Kästchen hatte die Form eines Ziegels und war nicht größer als ein solcher. War das Material, aus dem es hergestellt war, Silber? Im flackernden Glühen des Herdfeuers glitzerte das Metall rötlich, und bei der Berührung mit den Fingerspitzen vermißte Conan jene kühle, ölige Glätte, wie sie für Silber typisch war. Sigurd schien sich ebenfalls den Kopf darüber zu zerbrechen, während seine behaarte Hand über die erhabenen Linien der geheimnisvollen Darstellungen wanderte, mit denen das Kästchen verziert war. Dann öffnete er den Mund, um ein Wort zu sagen, und im selben Augenblick sprach Conan das gleiche Wort aus: »Qrichalcum!« Es hieß von dem legendären magischen Metall des versunkenen Atlantis, daß es Silber in bezug auf Härte und Gewicht entsprach, aber einen kupfernen Schimmer aufwies. -50-
Konnte dieses Kästchen ein Überbleibsel des versunkenen Kontinents sein? Conan strich über das seltsame Kästchen, und seine Augen begannen zu glühen, als führte ihn die Berührung in einen Traum längst vergangenen Ruhmes. Sigurd, dessen Söldnerseele weniger der Romantik zugeneigt war, schüttelte das Kästchen. »Was nimmst du an, das sich darin befindet?« »Natürlich etwas Kostbares, bei Crom!« lachte Conan. »Dieses Kästchen war alles, was die Galeere an Schätzen trug, und um sie nicht zu verlieren, floh sie vor uns. Brechen wir das Ding auf!« Die Vorderfläche des Kästchens wies klar erkennbar ein Schlüsselloch auf, aber der Schlüssel war zweifellos in den smaragdenen Tiefen des unbekannten Meeres versunken. Aber ein Deckel hatte Scharniere, und Scharnieren kann man mit Gewalt beikommen. Conan suchte in dem zu seiner seemännischen Ausrüstung gehörenden Werkzeugkasten. Dann stellte er das silberne Kästchen hochkant vor sich hin und richtete die Spitze einer dicken Bronzenadel gegen das Ende des Vorsteckers des oberen Scharniers. Sanft hämmerte er mit der Bleikugel, die den Knauf eines festen Dolches bildete, gegen die Nadel. Breit grinste er Sigurd zu. »Ein kleiner Trick, den ich als Dieb in Zamora lernte. Laß mich nachdenken! Bei Mitra, es ist tatsächlich schon vierzig Jahre her! Aber ich hatte in dieser ganzen Zeit keine Gelegenheit, von meinen Fähigkeiten Gebrauch zu machen. Bald waren beide Vorstecker aus den Scharnieren gestoßen, so daß Conan den Deckel abheben konnte. In dem Kästchen lag eine kleine Schriftrolle, die von zwei scharlachroten Bändern zusammengehalten wurde. »Das nennst du Schatz?« fragte Sigurd. »Bei den Hörnern Shaitans und dem Bauch Molochs! Wurden zwei ehrliche Halunken je so an der Nase herumgeführt? Wir müssen eine -51-
schäbige Galeere entern und uns in einer blutigen Schlacht mit allen Höllenteufeln herumschlagen, und was kommt dabei heraus? Ein verdammtes Stück Papier!« Er spie demonstrativ aus. Conan untersuchte die Rolle und knurrte: »Gib das Rennen nicht so schnell auf, Rotbart! Dies ist mehr als ein lausiger Fetzen Papier. Crom soll mich zerschmettern, wenn ich mich irre, aber es kann wirklich so kostbar sein, wie dieser Zauberer mit der Teufelsfratze dachte! Sieh her!« Sigurd beugte sich tiefer, um die Schriftrolle zu mustern, die Conan entfaltet und auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Er sah sogleich, daß sie nicht aus Papyrus war, sondern aus steifem knisterndem Pergament bestand, das aus der gegerbten Haut eines fliegenden Drachen stammen mochte; eines Drachen, wie ihn der Sage nach die alten Bewohner von Atlantis zu ihren Dienern gemacht hatten. Weiterhin erkannte Sigurd, daß es sich offensichtlich um eine Karte handelte, die Gewässer umspannte, die sich halbwegs über eine unbekannte Welt nach Westen erstrecken. »Diese gebogene Linie hier im Osten ähnelt sehr dem Küstenstrich unseres eigenen Kontinents«, sagte Conan gedankenvoll. »Siehst du es? Hier liegt der Hafen von Messantia, und der Buckel, der sich ostwärts von Zingara nach Shem erstreckt...« »Richtig, Mann, und diese unregelmäßigen Punkte müssen die Barachainseln sein, bei Lir und Mannanan!« murmelte Sigurd mit gefurchten Brauen. »Aber die Götter bewahren mich! Sieh dir die Weite des Meeres nach Westen hin an!« Sein dicker Zeigefinger fuhr von den Linien der ihm vertrauten Küsten westwärts über die Karte. »Sieh dorthin!« sagte Conan und deutete auf die Küste eines unbekannten Kontinents längs des Westrandes der Karte und die Kette von sieben großen Inseln, die im Südosten dieses Landes -52-
lagen. Obwohl die Darstellung Conan nicht vollauf verständlich war, mußte er doch zugeben, daß sie gerade in dem Teil, den er zuletzt erwähnt hatte, mit beachtlicher Sorgfalt ausgeführt worden war. Sie ließ Küsten, Häfen, Riffe und Untiefen erkennen und bewies, daß der Kartograph mit den Ländern und Meeren dieses Gebietes wohl vertraut gewesen sein mußte. Conan schmetterte die Faust auf den Tisch. »Crom! Jetzt begreife ich! Hast du das Geheimnis ebenfalls entdeckt, Rotbart?« Sigurd begnügte sich mit einem Achselzucken. Conan tippte mit einem langen knorrigen Finger auf das Pergament. »Das grüne Schiff hat die weite Fahrt von den Inseln bis an unsere Küste gemacht. Crom allein weiß, warum, es sei denn, die Fahrt diente dem Zweck, die Roten Schatten auf unsere Städte loszulassen. Was aber wäre so wertvoll für dieses Schiff, daß es vor unserer Karake fliehen würde, als trüge sie die Pest an Bord? Eine Karte, die ihr den Weg nach Hause zeigt!« Sigurd blinzelte. »Ich glaube, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Amra. Was aber stellen diese verdammten Inseln dar?« »Die Antillen.« Sigurd knurrte und rieb sich mit den haarigen Handrücken über das Kinn. »Ich will in der Hölle schmoren, aber ich habe Ähnliches schon gehört, wenn auch nie ganz geglaubt. Meinst du die Geschichte, nach der, als Atlantis versunken war, eine Gruppe von Zaubererpriestern in unbekannte Länder im Westen floh, um dort die Weiterherrschaft des Goldenen Reiches zu sichern? Ich habe von den Mauern der sieben Städte der Antillen gehört, die aus Goldziegeln bestehen sollen. Die Straßen sollen mit Silber gepflastert sein, Tempelpyramiden mit Orichalcum und mit Juwelen besetzt, groß genug, um einen Wal ersticken zu lassen, der den Weg ans Ufer gefunden hat. Götter und Teufel, glaubst du wirklich, es könne ein Körnchen Wahrheit in diesen -53-
Legenden stecken?« Conan zuckte die Achseln. »Crom allein weiß es. Ich habe ähnliche Meldungen über Vendhya und Khitai vernommen, aber als ich an Ort und Stelle war, entdeckte ich, daß die Geschichten mit jedem Wiedererzählen gewachsen sein mußten. Der einzige Weg, die Wahrheit herauszufinden, liegt darin, daß wir uns mit eigenen Augen überzeugen, und diese Karte zeigt uns den Weg, den wir nehmen müssen!« Und so kam es, daß der »Rote Löwe« sich den Weg durch die sturmumtosten, von düsteren Ungeheuern bewohnten Weiten des Westlichen Ozeans suchte. Die einzigen Anhaltspunkte, um der Besatzung den Kurs zu setzen, waren die Sonne am Tage und die Sterne bei Nacht, denn der Kompaß war den Seeleuten des hyborischen Zeitalters, das zwischen dem Versinken von Atlantis und dem Aufstieg Sumeriens und Ägyptens liegt, unbekannt. Doch die Karte aus dem Kästchen aus Orichalcum diente ihnen als Führer, und so segelten sie tiefer und tiefer hinein in unbekannte Weiten. Einigen Seeleuten paßte dieses fantastische Abenteuer nicht so recht, aber Conan brachte zwei gute Gründe vor, um auch sie einsehen zu lassen, daß sie die Fahrt fortsetzen mußten. Einmal waren sie unterwegs, um neue Abenteuer zu erleben, Ruhm und Beute zu gewinnen. Zweifellos würden sie auf den sieben Inseln der Antillen, zwischen den uralten Ruinen der letzten Städte von Atlantis, zur Genüge von diesen drei Voraussetzungen entdecken. Zum anderen versprach Conan, daß er den ersten Meuterer persönlich über Bord werfen würde, um zuzusehen, wie er von den Kraken verspeist wurde. Überredungen dieser Art erwiesen sich als bemerkenswert eindrucksvoll. Trotz allem wuchs die abergläubische Furcht der Mannschaft, je weiter sie sich von den Küsten, die ihnen bekannt waren, entfernten. Die Männer erinnerten sich alter Sagen, nach denen die Welt gleich jenseits des Horizontes enden sollte. Dort fiel die Erde als steile Klippe ab, über welche die Ozeane sich in -54-
einer endlosen Flut wälzten; hinab und weiter hinab, bis sie endlich gegen die Schranken der Ewigkeit donnerten. Nach den Sagen drohte jedem Schiff, das den sichtbaren Horizont überquerte, das Schicksal, von einer unwiderstehlichen Flut mitgerissen zu werden, die das Schiff mit seiner Besatzung über den Rand der Welt hinaustrug. Solche Erzählungen pflegte Conan dadurch zu beenden, daß er ein paar Schädel gegeneinander krachen ließ, oder er bediente sich der unwiderlegbaren Logik, daß sich der Ho rizont mit jeder Meile, die sie nach Westen segelten, um die gleiche Entfernung zurückzog. So segelten sie weiter, und die Takelage war stets prall gebläht von den nordöstlichen Passatwinden. Vor ihnen lag eine unbekannte Welt. Ihre Umgebung bildete eine geheimnisvolle Weite windzerrissener Wogen, unter denen sich furchterregende Bewohner der Tiefen verbergen mochten. Conan kannte keine Furcht vor Seeungeheuern. Er war mit der Waffe in der Hand Kriegern, Zauberern, Ungeheuern, Dämonen und selbst Göttern gegenübergetreten. Alle hatten sich in der endgültigen Auseinandersetzung als verwundbar für scharfen Stahl erwiesen. Um aber auf alle Fälle sicherzugehen, hatte Conan dem Schiffszimmermann befohlen, eine Wurfmaschine zu bauen und einige Dutzend Gummikugeln aus schwarzem Teer zu schmelzen, deren Inneres mit Lampenöl und pechgetränkten Lunten aus alten Stoffresten gefüllt war. Als Tag auf Tag sich ereignislos in der Endlosigkeit der Wasserwüste aneinanderreihten, betete Conan fast um eine Unterbrechung der Mono tonie, mochte diese Unterbrechung auch noch so gefährlich sein. Aber wenn es wirklich noch Seeungeheuer gab, so mußten sie einen weiten Bogen um den »Roten Löwen« machen. Um seine Schiffsladung blutrünstiger Piraten vor Unbesonnenheiten zu bewahren, beschä ftigte er sie fleißig mit dem Schrubben von Decksplanken, dem Bemalen der Rumpfwände und mit jenen vielen anderen Aufgaben, wie es sie -55-
zu jeder Zeit auf jedem Schiff gibt. »Land in Sicht!« Tief in Melancholie versunken, hatte Conan sich gegen die Aufsteige n aus dem Ozean durch die im Osten gelegene Wolkenbänke zu beobachten. Der Schrei des Ausgucks wirbelte ihn herum, und das Blut begann in seinen Adern zu hämmern. Er erklomm die Wanten zum Großmars und suchte den Horizont vor dem »Roten Löwen« mit funkelndem Blick ab. Der Westen lag noch im Dunkeln, aber rechts neben dem Bug und unter den Wolkenbänken hatte sich ein neuer Streifen massiger Dunkelheit hervorgeschoben. Land! Die Piraten hockten sich auf die Reling des tiefer gelegenen Vorderdecks. Sie deuteten in die Ferne und stießen heisere Rufe aus, als sich die schattenhafte Masse eines Gebirges aus dem Morgennebel hob. Conan kehrte zum Achterdeck zurück, und Sigurd stapfte mit schweren Schritten näher. »Was gibt es, alter Freund?« fragte der Vanir. »Endlich die Antillen? Bei der Sonnenscheibe Shamashs und dem silbernen Halbmond Demetrias! Bietet sich endlich die Gelegenheit zur Betätigung?« Conan grinste. »Allerdings, mein Freund. Zwei Monate an Bord dieses Schiffes, mit nichts als See und Himmel ringsum, scheinen einem wirklich eher wie zwei Jahrhunderte. Aber die Fahrt nähert sich dem Ende!« In diesem Augenblick gellte der wilde Schrei des Ausgucks herab: »Drache an steuerbord. Nimmt Kurs auf uns!« Drache? Conan fühlte, wie es ihm bei diesem Wort kalt über den Rücken lief. Dann erstarrte er und blickte mit weit aufgerissenen Augen nach steuerbord. Da kam es heran aus dem unbekannten Westen. Mit -56-
gespreizten Schwingen, die vom Morgenlicht wie in eine goldene Flamme getaucht wirkten, kam es näher, und die mächtige Brust glitt scheinbar mühelos durch die wogenden Wellen. Augen funkelten in weißem Feuer, und schwarzer Rauch löste sich von geblähten Nüstern, als das Ungeheuer sich aus der undeutlichen, nebelhaften Masse der Inseln löste - ein riesenhafter, mit Schwingen versehener Seedrache, gepanzert mit blitzenden Schuppen und aus Augen funkelnd, die wie feurige Kugeln wirkten. »Alle Mann mit Waffen an Deck!« brüllte Conan, und sein Ruf riß die Mannschaft aus ihrer Erstarrung. »Bogenschützen, zum Vorderdeck! Yakov, gib Zeichen, wenn der Angreifer auf Schußweite heran ist! Milo, bemanne mit deiner Gruppe das Katapult! Zielt vier Strich nach steuerbord! Steuermänner, zwei Strich nach backbord! Sirgurd, zieht das Besamsegel auf; es könnte sein, daß wir dieses Schiff dazu bringen müssen, daß es wie ein betrunkener kothianischer Bauer tanzt. Marco, bring meinen Helm und das Panzerhemd aufs Achterdeck!« Die Männer eilten in alle Richtungen, um die Befehle auszuführen. Hier und dort klirrten Schwerter oder Piken. Auf dem Vorderdeck bemühte sich der stämmige Bootsmann, mit seiner Mannschaft schimpfend, die schwere Wurfmaschine in Stellung zu bringen, während andere die aus Teer geformten Wurfgeschosse aus den Laderäumen herauf schleppten. Der »Rote Löwe« legte sich auf die Seite und schwang nach steuerbord, um das Ungetüm in eine Linie mit dem Katapult zu bringen, denn das Katapult war nicht drehbar; das Ziel mußte mit dem ganzen Schiff anvisiert werden. Die Augen des Ungeheuers, die wie Meteore glühten, kamen näher und schienen mal stärker zu leuchten. Sobald das unheimliche Wesen sich innerhalb Bogenschußweite befand, schickte Yakovs Gruppe einen Hagel -57-
von Pfeilen über die trennende Wasserfläche. Einige der Geschosse bohrten sich in die schuppige Haut, wo sie zitternd steckenblieben, andere glitten von den goldenen Schuppen ab und versanken im Meer. Aber das Ungeheuer schien durch die sirrenden Pfeile nicht im geringsten beeindruckt. Die Klauenfüße, in denen die langen, schlanken vogelgleichen Vorderbeine endeten, zuckten nicht. Ebensowenig zeigte der schwanengleiche Hals Verletzungen, noch ließ die Fratze des unheimlichen Wesens einen Ausdruck der Angst oder des Schmerzes erkennen. Dann stieg die Sonne, die hinter den Wolken im Osten verborgen gelegen hatte, empor und erhellte die Szene mit ihrem Schein. Conan stieß einen Schrei aus: »Das Ding lebt nicht, Männer! Es ist ein Schiff - eine Maschine! Katapult feuerbereit!« Die plötzliche Helligkeit hatte Conan die Wahrheit gezeigt. Der ›Drache‹ war eine Galeere, ähnlich der, die sie mitten im Ozean überholt hatten, nur war sein Bug weitaus höher aufgebaut, um Ähnlichkeit mit dem Vorderteil eines solchen Ungeheuers vorzutäuschen. Die ›Schwingen‹ waren zwei große, schmale dreieckige Segel, die wie bei den Schiffen von Khitai durch Bambusstangen verstärkt wurden. Diese Segel ragten von einem Mastenpaar im Mitteldeck, aber sie standen nebeneinander, nicht hintereinander, wie es bei den meisten Segelschiffen üblich ist. Eine zweite Salve von Pfeilen prasselte harmlos gegen den Bug des Drachenschiffes. Conan sah, daß die »Vorderbeine« in Wahrheit zwei Greifvorrichtungen waren, die vor dem Bug durch Seile über der Wasserfläche gehalten wurden. Hatte sich das Schiff weit genug genähert, so sollten diese doppelten Greifer fallen, und die »Klauen« würden in die hölzernen Aufbauten des »Roten Löwen« krachen, um ihn festzuhalten. »Milo, gibt einen Schuß ab!« rief Conan. -58-
Der Bootsmann bedeutete dem Steuermann durch eine Geste, den Bug ein wenig nach steuerbord herumzubringen, damit sein Katapult richtig ausgerichtet war. Mit lautem Dröhnen wurde die Wurfmaschine abgefeuert. Die erste der Teerkugeln, die eine schwarze Rauchfahne hinter sich herzog, stieg im Bogen über das Wasser, glitt vom Hals des Ungeheuers ab, und fiel ins Meer. Jetzt war die Galeere nur noch auf Speerwurfweite entfernt. Die hervorgewölbte Brust des Drachen öffnete sich. Zwei Türen schwangen auf, und eine Enterplanke schob sich über das Wasser. Innerhalb des Schiffes stand, dicht am Beginn der Enterplanke, eine fantastische, vor Waffen starrende Entermannschaft. Die Winde des Katapults rasselte, als die Bedienungsmannschaft verzweifelt versuchte, das Katapult neu zu laden. Wieder dröhnte es dumpf! Eine zweite Kugel mit schwarzem Rauchschweif flog über das Wasser - genau in die Öffnung, an der sich die Entermannschaft gesammelt hatte. Eine dunkle Rauchwolke stieg auf, und das Innere des Schiffes wurde von fahlem Licht erhellt. Die Entermannschaft rannte kopflos durcheinander; zwei Männer fielen oder wurden ins Meer gestoßen, wo das Gewicht ihrer Rüstungen sie schnell unter Wasser zog. An hundert Stellen des Drachenschiffes zugleich stieg Rauch aus dem Rumpf. Das Feuer schien sich mit unnatürlicher Schnelligkeit auszubreiten. Gedämpft konnte Conan die Schreie der Männer hören, denen die Flammen den Weg in die Freiheit versperrten. Durch die Brustöffnung der Galeere war zu erkennen, wie verzweifelte Versuche gemacht wurden, das Feuer zu bekämpfen. Aber bald stiegen auch Flammen aus dem Hals des Drachens, dann wurden die Flügel-Segel ergriffen und gingen in Flammen auf... »Amra!« gellte die Stimme Sigurds. »Ein zweites -59-
Drachenschiff von backbord!« Mit einem Fluch wirbelt Conan herum. Ein zweites, als Drache getarntes Schiff näherte sich ihnen von der entgegengesetzten Seite. Da dieses mit dem Wind fuhr, halfen die Schwingen-Segel den Ruderern, so daß es viel schneller vorankam als das erste Schiff. »Milo!« dröhnte Conan. »Schleppt die Wurfmaschine nach backbord hinüber!« Während die Katapultbesatzung sich im Schweiße ihres Angesichts bemühte, ihre Maschine auf die andere Seite des Vorderdecks zu bringen, verringerte sich der Abstand zu dem zweiten Drachenschiff schnell. »Yakov!« rief Conan bellend. »Halte den Schuß zurück, bis die Türen geöffnet werden!« Dieses Mal jedoch beging das Drachenschiff nicht wieder den Fehler, die Türen für seine Entermannschaft zu früh zu öffnen. Statt dessen stieg von ihm ein Zischen wie aus tausend Dampfkesseln auf. Aus dem offenen Rachen schoß eine Flammenzunge. Sie bildete einen funkelnden Bogen über den schmaler werdenden Wasserstreifen. Sie traf die Seiten und das Deck des »Roten Löwen«. In Sekundenschnelle vereinigten sich Tausende von Tropfen brennender Flüssigkeit zu kleinen Bächen, die in allen Richtungen über das Deck rannen. Von Panik ergriffen, jagten die Piraten an die Reling zurück, wobei einige von ihnen sich bemühten, die glimmenden Punkte auf ihrer Kleidung zu verlöschen. Die Flüssigkeit wurde von dichtem schwarzem Rauch mit öligem Geruch begleitet. Conan vermutete sofort, daß es sich um Naturöl handelte, wie es in den Wüsten Iranistans und des südlichen Turan gefunden wurde. Aber er hatte keine Zeit, seinen Männern dies zu erklären. Nach einem zweiten Zischen leckte ein flüssiger Flammenstrahl zum Vordersegel, das sofort wie eine Fackel Feuer fing. Die -60-
Katapultmannschaft und die Bogenschützen rannten schreiend auseinander, währen das Segel über ihren Köpfen loderte und das Deck mit Fetzen brennender Leinwand überschüttete. »Hart nach steuerbord!« schrie Conan gellend. »Versucht das Schiff mit dem Wind auf Steuerbordkurs zu halten!« Er hatte erkannt, daß der nächste flammende Strahl imstande sein würde, sein Hauptsegel zu zerstören und den »Roten Löwen« in eine hilflose Beute zu verwandeln. Aber sein Befehl kam zu spät. Wieder ertönte das Zischen, und das Hauptsegel löste sich in ein Flammenmeer von Leinwandfetzen auf. Der »Rote Löwe«, aller ihn bewegenden Kräfte mit Ausnahme des kleinen dreieckigen Besansegels beraubt, verlangsamte seine Fahrt und ließ sich von der Dünung heben und senken. Die Greifwerkzeuge der Galeere krachten herab und bohrten ihre Klauen in das Deck der Karake. Die Türen öffneten sich, die Planke wurde vorgeschoben, und das Enterkommando stürmte auf das Deck des »Roten Löwen«. Die Männer waren braunhäutig, mit geschlitzten Augen zwischen hervorstehenden Wangenknochen und Habichtsnasen. Sie trugen Vogelhelme, wie die Besatzung der grünen Galeere, dazu seltsame gläserne Rüstungen und lederne Jacken. Die Waffen, die sie trugen, waren ebenso sonderbar - Schwerter mit gezackten Schneiden aus Kristall, hakenförmige Speere und gläserne Kugeln, die von Schlingen gehalten wurden. Normalerweise hätten Yakovs Bogenschützen die Entergruppe mit einem tödlichen Hagel von Pfeilen empfangen müssen, aber die Bogenschützen waren ebenso demoralisiert wie der Rest der Piraten. Conan brüllte und drohte vom Achterdeck, aber die Männer fuhren fort, sinnlos im Rumpf durcheinanderzulaufen. Einige wenige Pfeile zischten in das Enterkommando, blieben aber ohne Wirkung. Die Schäfte wurden von der so zerbrechlich aussehenden Rüstung aus Glas abgelenkt, als wären sie -61-
Strohhalme. Einige Mitglieder der Besatzung liefen zu der Stelle, an der die Enterplanke Fuß auf der Reling des »Roten Löwen« gefaßt hatte. Mit dem großen Breitschwert in den Händen, sprang Conan die Leiter vom Achtereck herab, um seine Kampfkraft zu der der Verteidiger zu gesellen. Je näher er kam um so genauer erkannte er, wie sonderbar die Angreifer ausgerüstet waren. Innerhalb ihrer Glashelme liefen Röhren von den Nasen der Männer zu Behältern, die sie auf dem Rücken trugen. Es mußte sich, überlegte Conan, um ein Atemgerät irgendeiner Art handeln. Aber wozu brauchten sie es? Im gleichen Augenblick, als er das Hauptdeck erreichte, bekam er die Antwort. Die vordersten der Angreifer blieben stehen, um ihre Schlingen wirbeln zu lassen und seine Männer mit Glaskugeln zu überschütten, die etwa die Größe von Äpfeln hatten. Die Kugeln zerbarsten mit musikalischem Klirren. An allen Stellen, an denen Kugeln das Deck trafen, stiegen blasse Dampfwolken empor. Mehr und mehr dieser Kugeln zerschellten klirrend, und der neu aufsteigende Dampf ersetzte die vom Wind davongeblasenen Wolken. Conan sah seine Männer, die im Rumpf durcheinanderquirlten, zusammensinken und bewußtlos auf den Deckplanken liegen bleiben. Mann auf Mann stürzten sie zu Boden, bis nur noch wenige von ihnen sich aufrecht hielten. Das Deck sah wie ein Schlachtfeld aus, nur mit dem Unterschied, daß die »Gefallenen« friedlich und scheinbar unverletzt in tiefem Schlaf lagen. Dann schwärmte die Entergruppe von der Planke auf das rauchverdunkelte Deck, auf das immer noch Teile brennender Segel und Seile herabfielen. Mit wildem Brüllen drang Conan auf die Männer ein, und sein Breitschwert schuf ein schimmerndes Stahlnetz um ihn. Die kristallenen Rüstunge n zersplitterten unter der Wucht der Schläge. Conans Klinge durchtrennte Glas, Fleisch, Leder und Knochen zugleich. -62-
Heulende Schmerzensschreie erklangen erstickt aus den Glashelmen. Conan hieb sich seinen Weg durch die wankenden Reihen der ersten Angreifer, aber immer neue Männer sprangen von der Enteplanke herab und zwangen ihn, sich nach beiden Seiten zu verteidigen. Mit dem Erreichen der Reling, die seinen Rücken schützte, gewann er eine kleine Verschnaufpause. Auf der anderen Seite des Decks sah er, wie Sigurd mächtige Hiebe mit mehreren Angreifern austauschte. Zwei der Gegner lagen bereits tot zu seinen Füßen. Plötzlich aber ließ der Mann aus dem Norden, obwohl er nicht getroffen zu sein schien, sein Schwert fallen und sank wie der Rest der Besatzung bewußtlos auf dem Deck zusammen. Conan spürte einen süßlichen Geschmack auf der Zunge und die Welt verschwamm vor seinen Augen. Die Angreifer waren vor ihm zurückgewichen und hatten einen Halbkreis gebildet, der ihn an die Reling nagelte. Conan knurrte, als er seine Angreifer musterte. Dann flogen mehrere der Glaskugeln über die Köpfe der vordersten Angreifer und zersplitterten auf den Deckplanken zu Conans Füßen. Der Cimmerier wartete nicht darauf, den Dampf aufsteigen zu sehen und von ihm niedergestreckt zu werden. Mit einem heiseren Schrei stürzte er sich auf den Halbkreis. Sein Breitschwert, von sehnigen narbigen Händen geschwungen, wirbelte um seinen Kopf wie der Flügel einer Windmühle. Zwei der Antillenbewohner fielen unter diesen Hieben mit zerschmettertem Kopf oder zerrissenem Brustkorb. Er wußte, daß er allein nicht imstande war, den Kampf mit der ganzen feindlichen Streitmacht aufzunehmen. Wenn es ihm auch gelingen mochte, noch einige Gegner ins Jenseits zu befördern, so würden sie ihn doch früher oder später umringen und ihm den Garaus machen. Schon spürte er, wie die Müdigkeit bleischwer an seinen Gliedern zerrte und seine -63-
Bewegungen verlangsamte. Sein Atem ging keuchend. Der Rauch und der Dampf aus den Glaskugeln, den er eingeatmet hatte, verursachten ihm erstickende Hustenanfälle. So weit er sehen konnte, lag seine ganze Besatzung jetzt am Boden - einige wenige durch die seltsamen Waffen des Gegners getötet, die Mehrzahl aber durch den geheimnisvollen Dampf außer Gefecht gesetzt. Ein anderer Mensch an Conans Stelle wäre wahrscheinlich in dieser aussichtslosen Lage wie gelähmt gewesen. Das Schiff war offensichtlich verloren, denn das Enterkommando vorn Drachenschiff war über das ganze Deck ausgeschwärmt. Die Segel und die Takelage hatten aufgehört zu existieren. In diesem Augenblick krachte der Vordermast auf das Deck, nachdem die letzten Taue im Flammen aufgegangen waren. Mehrere Dutzend kleinerer Feuer hatten sich überall da, wo Stücke brennender Leinwand, Segel oder Spieren auf die Planken gefallen waren, gebildet. Das erste Drachenschiff, das durch die Wurfgeschosse in Brand gesetzt worden war, war bis auf größere oder kleinere Stücke von Treibholz verschwunden, die auf den Wellen trieben. Conan erkannte, daß er seinen Männern nicht dadurch helfen konnte, daß er sich töten oder gefangennehmen ließ. Gelang ihm andererseits die Flucht, so bestand vielleicht die Möglichkeit, daß sich später eine Gelegenheit ergab... Ein letztes Mal alle Kräfte zusammennehmend, sprang Conan die Leiter zum Achterdeck empor. Von den beiden Steuerleuten an den achteren Rudenpinnen war der eine verschwunden; der andere lag tot am Boden, und über seiner Leiche stand einer der Enterer, die blutige Klinge in der Hand. Conan stürzte auf ihn zu und zerschmetterte die Kristallklinge mit einem einzigen Schlag. Ein mächtiger Stoß mit beiden langen Armen ließ die Spitze des Breitschwertes knirschend durch das glasgepanzerte Hemd und den Körper des Mannes dringen. Lautlos sank der Getroffene zu Boden. -64-
Conan ließ das Breitschwert fallen, riß sich den gehörnten Helm vom Kopf und schleuderte ihn weit auf das Wasser hinaus. Er beugte sich herab und zog dem Toten den wie ein Vogel geformten Helm mit dem daran befestigten Atmungsgerät über den Kopf. Immer neue Antillenbewohner stapften die Leiter zum Achterdeck empor, während Conan sich Helm und Gerät über den Kopf und die eigenen Schultern schob. Mit wütenden Schreien stürmten die Gegner auf ihn ein. Er hatte das Schwert gerade rechtzeitig genug aufgehoben, um den Stoß einer gewellten Pike abzuwehren, und ein mächtiger Hieb zerschmetterte den Helm wie auch den darunter befindlichen Schädel des Pikenträgers. Bevor die anderen Feinde ihm zu nahe kamen, sprang der Cimmerier auf die Reling und schnellte sich über das wogende blaue Wasser hinaus. Das Gewicht seines Kettenpanzers ließ ihn wie einen Stein in die Tiefe sinken. Die Sonne, die nun hoch am Himmel stand, hatte die letzten Morgennebel beseitigt; die Wolken zerflatterten und flohen vor ihren heißen goldenen Strahlen. In Gruppen von je zwei Mann hoben die Enterer die reglosen Gestalten der bewußtlosen Besatzungsmitglieder des »Roten Löwen« auf und trugen sie über die Enterplanke in das Drachenschiff. Andere waren damit beschäftigt, die zahlreichen kleinen Feuer zu löschen. Sie erstickten die Flammen, indem sie mit Umhängen darauf einschlugen oder Seewasser über sie gossen, das sie in Eimern an Seilen heraufgezogen hatten. Schließlich kehrten die Männer des Drachenschiffes auf ihr eigenes Schiff zurück, nachdem sie ein kleines Enterkommando auf dem »Roten Löwen« zurückgelassen hatten. Rasselnd wurde die Enterplanke zurückgezogen, die Fangarme lösten sich vom Deck, die Türen in der Brust des Drachens schlossen sich. Ruder und Segel wurden so eingesetzt, daß sich das Heck des Schiffes dem Bug des »Roten Löwen« näherte. Minuten später nahm das Drachenschiff Kurs in die Richtung, aus der es gekommen war. An armdicken Tauen schleppte es den »Roten Löwen« in -65-
seinem Heckwasser mit. Mit mächtigem Plätschern schlug Conan auf die Wasseroberfläche. Grüne Wogen schlossen sich über seinem Kopf. Von dem Panzerhemd gezogen, das seinen Körper bis zur Mitte der Schenkel bedeckte, und mit dem schweren Breitschwert in der Faust, sank er wie ein Stein in die Tiefe. Das Meer war kalt; die Sonne hatte noch nicht lange genug am Himmel gestanden, um mit ihrer Wärme weit unter die Wasseroberfläche vorzudringen. Conan empfand die Ernüchterung durch das kalte Seewasser nicht als unwillkommen. Das Salz brannte in seinen Wunden und Hautabschürfungen, aber der eisige Schock sandte zugleich neue Kräfte durch seine schmerzenden Muskeln. Langsam sank er in eine fast unwirkliche jadegrüne Tiefe. Als der Rumpf des »Roten Löwen« über ihm aufragte, konnte er die Muscheln an seinem Kiel erkennen. Hinaufblickend sah der alte Krieger zwei Rümpfe über sich - zwei Planeten an einem Himmel aus blitzendem grünlichem Silber. Ein seltsamer Anblick... Conans erster Impuls war es, gleich wieder aufzutauchen und davonzuschwimmen. Dann kam ihm zu Bewußtsein, daß das Atmungsgerät in dem Kristallhelm auf ihm noch unverständliche Weise dazu geschaffen war, ihm das Atmen unter Wasser zu ermöglichen. Hinzu kam, daß er den Meeresboden nicht weit von seinen Füßen entfernt entdeckte. An dieser Stelle, nahe den Antilleninseln, stieg der Meeresgrund langsam an. Statt in einen ebenholzfarbenen Abgrund düsterer Dämmerung zu fallen, brauchte er sich nur einige Faden tiefer sinken zu lassen und konnte dann zu Fuß an die Küste gelangen. Er unterdrückte also die instinktive Eingebung zu schwimmen, ließ sich bis auf den Meeresboden sinken und trat nur genügend Wasser, um sich in aufrechter Stellung zu halten. -66-
Das Atmen war etwas komplizierter. Der Helm paßte sich sattelartig seiner Brust und dem Rücken an. Zwei gläserne Röhren verliefen gekrümmt über beide Schultern zu einem tankähnlichen Behälter auf dem Rücken. Die erste Röhre war auf gleicher Höhe mit seinen Nasenlöchern durch die Vorderseite des Helmes geleitet; die zweite auf gleicher Höhe mit seinem Mund. Nach einiger Erprobung erkannte Conan, daß der Helmträger seine Lippen um die untere Röhre legen, die Nasenlöcher hingegen in die Öffnung des oberen Rohres zwängen mußte. So konnte er durch die Nasenröhre ein- und durch die andere ausatmen. Wenn er ausatmete, stieg gurgelnd eine Reihe silbern glitzernder Wasserblasen aus dem Apparat. Diese ungewöhnliche Atmungsmethode erforderte ein wenig Übung, aber Conan hatte sich bereits an sie gewöhnt, als er in kauernder Stellung auf dem Meeresgrund landete. Der Boden war mit feinem weichen Sand bedeckt, der in kleinen Wolken aufstieg, als er sich zu aufrechter Haltung erhob. Ringsum war das Wasser mit kleinen Wirbeln durchsetzt, die sich aus vielfarbigen Teilchen gebildet hatten. Conan entdeckte, daß er durch den Kristallhelm gut sehen konnte, wenn auch das Wasser in einigen Metern Entfernung wolkig schien und seinen Blick verwirrte. Obwohl genug Helligkeit herrschte, um die nähere Umgebung klar erkennen zu lassen, verschwammen die weiter entfernten Sanddünen in einem tief smaragdenen Schattenreich. Die Orientierung war für Conan nicht schwer, denn er wußte, daß er nur dem ansteigenden Meeresgrund zu folgen brauchte, um an die Küste zu gelangen. So setzte er sich in dieser Richtung in Marsch, tappte durch den weichen Sand und schwankte unter dem Gewicht seiner Rüstung und des Atemgerätes von einer Seite auf die andere. Trotz der schweren Panzerung, der Stiefel und seines Schwertes, fühlte sich sein Körper außergewöhnlich leicht an. Ein stets gleichmäßiger Druck ruhte auf ihm und blieb unverändert auf seinen ganzen -67-
Körper verteilt. Das Atmen wurde zu einer allmählich ermüdenden Anstrengung. Conan ließ sich jedoch durch die Schwierigkeiten nicht verdrießen und bewegte sich mit grotesk langsamen Schritten weiter, die ihn jedesmal vom Boden abhoben. Der Meeresgrund wies einen überraschend vielfältigen Bewuchs auf. Der Cimmerier schob sich durch einen Zauberwald seltsamer Pflanzen, deren lange seidene Wedel glänzenden vielfarbigen Bändern ähnelten, die in der Strömung tanzten. Kleine Fische umschwirrten ihn golden und purpurfarben, wie Smaragde und Saphire, so daß er zuweilen den Eindruck hatte, sich den Weg durch einen fantastischen Vogelschwarm zu suchen. Türme von rosafarbenen und weißen Korallen erhoben sich rings um ihn und erinnerten ihn an versteinerte uralte Bäume. Conan brachte die Korallenbänke hinter sich und kam in ein Gebiet von Felsblöcken, die sich teilweise wie die Ruinen einer längst vergangenen Stadt von Riesen gegeneinander lehnten. Ganze Trauben von Meereslebewesen hingen an ihnen. Einige von ihnen ähnelten Blumen oder waren wie Sterne geformt und mit kleinen Dornen bedeckt. Andere hatten knotige Beine und Augen, die auf langen Stielen ruhten und waren von sich verzweigenden, federartigen Anhängseln umgeben. Conan schob sich zwischen den wirr liegenden Felsen von Schicht zu Schicht höher und fluchte schweigend, als etwas Scharfes ihm einen Finger zerschnitt. Als er eine ebene Stelle erreichte, blieb er einen Augenblick stehen, um Rast zu machen. Die Sonne mußte jetzt höher stehen, oder er mußte sich der Wasseroberfläche genähert haben, denn die dunkle Smaragdfarbe der Tiefe war einem helleren grünlichen Leuchten gewichen. In dieser klaren Helligkeit konnte er einen weiteren Hang erkennen, der sich fast bis an die Wasseroberfläche erstrecken mußte. In diesem Hang klaffte die dunkle Öffnung einer Meereshöhle. -68-
Conan musterte die Höhle mißtrauisch, bevor er sich entschloß, einen weiten Bogen um sie zu machen. Seine bisherigen Erfahrungen mit auf dem Festland gelegenen Höhlen hatten ihn gelehrt, daß diese oft bewohnt waren - bewohnt von Geschöpfen, denen gegenüber sich der Mensch wie ein lächerlicher Zwerg vorkam. Er war sicher, daß andere Wesen als die hellen harmlosen kleinen Fische in diesen düsteren Tiefen wohnten. Als er den dunkel gähnenden Rachen der Höhle in gemessenem Abstand umrundete, war er sicher, Bewegung in der Finsternis zu erkennen. Ein Fleck mit schwacher Leuchtkraft, so groß wie ein Teller, erschien, dann ein zweiter daneben. Und etwas glitt über den Meeresboden auf ihn zu. Es war wie ein Schiffstau, eher noch wie ein Baumstann, bedeckt mit schwarzer glatter, ölig anzusehender Borke, ein Etwas, dem irgendwie Wendigkeit und Beweglichkeit beigebracht worden war. Das Conan zugewandte Ende lief schlank wie eine Peitsche aus, während die andere Seite, die auf die Höhle gerichtet war, sich im Durchmesser zur Stärke eines alten Baumes vergrößerte. Als das seltsame Geschöpf sich windend und schlängelnd auf Conan zubewegte, konnte er erkennen, daß die flache Unterseite eine doppelte Reihe von Saugorganen aufweis, deren Größe zwischen Daumendicke und dem Umfang eines Pferdehufes schwankte. Das dünne Ende des Fangarmes hob sich vom Meeresgrund und berührte neugierig Conans Stiefel, als wollte das seltsame Wesen feststellen, ob es etwas Eßbares vor sich habe. »Crom!« entfuhr es Conan keuchend, der in dem Geschöpf einen Fangarm erkannt hatte, wie die Natur sie den Kraken mitgab. Er sprang zurück und riß das Schwert aus der Scheide. Auf festem Boden hätte ein solcher Satz ihn mehrere Meter zurückgetragen, aber unter Wasser lagen die Verhältnisse anders. Conan landete flach auf dem Sandboden und überschlug sich immer wieder. Wasser fand den Weg in seinen Glashelm -69-
und rauschte in seinen Ohren, während er sich drehte. Mit der freien Hand schlug er das Wasser, um wieder in aufrechte Haltung zu kommen. Der Fangarm zog sich zurück. Dann schnellte er wie eine züngelnde Schlange vor und wand sich um seinen Schenkel. Conan ließ sein Schwert mit mächtigem Schlag niedersausen. Aber die Widerstandskraft des Wassers lenkte den Hieb ab und nahm ihm fast alle Kraft. Das Schwert schlitzte den gummiartigen Fangarm nur leicht, und prallte von ihm ab. Die Schlinge um Conans Schenkel zog sich fester zu, bis sein Bein abzusterben begann. Seine Lungen arbeiteten keuchend gegen den Wasserdruck. Wieder fü hrte er einen Schlag gegen den Greifarm, wieder nahm das Wasser dem Hieb die Kraft. Der Druck um sein Bein wurde unerträglich; Conan wurde auf schreckliche Weise bewußt, welche riesenhafte Stärke in dieser Schlinge wohnte. Er war sicher, daß das Seeungeheuer ihn mit diesem Greifarm in die Höhle ziehen wollte, wenn es ihm nicht schnell gelang, sich des würgenden Druckes zu entledigen. Der gewaltige Polyp war noch nicht völlig erwacht. Er spielte träge mit seinem Opfer und war zwar neugierig geworden, aber der entsprechende Appetit fehlte ihm noch. Jetzt erkannte Conan einen zweiten Fangarm, hinter dem ein dritter auftauchte. Er stieß die Spitze des Breitschwertes dicht über der Schlinge, die um sein Bein lag, in die dicke Haut des Fangarms. Langsam senkte sic h die Spitze in das wie Gummi nachgebende Fleisch, bis sie das Glied durchbohrte und auf der anderen Seite heraustrat. Der träge Polyp schien dabei kaum Schmerzen zu spüren. Conan sägte mit der Klinge auf und ab. Plötzlich schien er einen Nerv berührt zu haben, denn der Fangarm löste sich und zuckte peitschend in alle Richtungen, wobei es den Cimmerier kopfüber durch das Wasser wirbelte. Als er wieder auf dem sandigen Boden Fuß gefaßt hatte, schlängelte sich ein neuer Fangarm tastend auf ihn zu. Während -70-
der Arm an ihm vorüberglitt, bohrte Conan die Spitze seiner Klinge in das Glied und versuchte es am Meeresboden festzunageln. Aber der zuckende Arm riß sich nach einer Seite los und wurde von der Schwertspitze weit aufgeschlitzt. Wie eine verwundete Schlange schnellte sich der Greif arm der Höhle zu. Plötzlich begann das Wasser um Conan zu rauschen, als der gigantische Tintenfisch, nun durch den Schmerz seiner Wunden endgültig aus dem Schlaf gerissen, seinen mächtigen Rumpf durch die Öffnung der Höhle zwängte. Conan erstarrte beim Anblick der Größe des Ungeheuers. Rechnete man die acht zuckenden Fangarme hinzu, so war es so groß wie ein Haus. Zuerst kamen die Fangarme, die die Länge eines kleinen Schiffes erreichten und an ihren Ansatzstellen durch Durchmesser von Stämmen jahrhundertealter Bäume hatten. Sie schwärmten suchend aus, packten Felsen mit ihrem saugenden Griff und zogen den Rest des Meeresungeheuers hinter sich her. Nach den Fangarmen kam der Kopf mit den beiden tellergroßen Augen, die nebeneinander am Ansatzpunkt der vorderen Greif arme lagen. Diese Augen hatten geschlitzte Pupillen, aber die Schlitze verliefen horizontal statt vertikal. Ihr kaltes lidloses Starren bereitete Conan einen der unangenehmsten Augenblicke, die er je erlebt hatte. Dem Kopf folgte der aufgeschwollene sackähnliche und gliedlose Körper, der so groß wie eines der mächtigen Weinfässer in König Ariostros Keller war. Sich ändernde Farbwellen überliefen ununterbrochen die gesprenkelte Masse weiß, rosa, braunrot, Kastanienbraun und schwarz. Conan stand reglos und überlegte, was er tun sollte. Er wagte es nicht, die Flucht über den Abhang in seinem Rücken zu ergreifen, weil dieser Weg bedeutet hätte, daß er nur langsam vorankommen würde und seine Hände benutzen mußte, -71-
während er dem ihn verfolgenden wütenden Ungeheuer den Rücken zukehrte. Conan vermutete, daß es ihn nicht klar erkennen konnte, solange er sich nicht bewegte. Mit jeder Bewegung aber würde er sofort die Aufmerksamkeit des Kraken erregen. Andererseits konnte er nicht einfach stehenbleiben, wo er war, denn die Richtung, die das Ungeheuer eingeschlagen hatte, führte ihn genau auf ihn zu. Früher oder später würde einer der tastenden Greifarme auf seinen Körper stoßen. Er wählte den einfachsten Fluchtweg und sprang hangaufwärts, um in eine Stellung oberhalb des Tintenfisches zu gelangen. Dabei vergaß Conan aber, daß er sich jetzt als schwarzes, sich bewegendes Objekt klar gegen die wogende Silberfläche über ihm abhob. Er schwamm bereits oberhalb des Ungeheuers, als zwei suchende Fangarme sich emporreckten und ihn mit ungeheurer Gewalt umschlossen - der eine um die Hüfte, der andere um seinen linken Fuß. In diesem zangenähnlichen Griff war er hilflos. Wenige Herzschläge nur, dann würden die Fangarme ihn in den Rachen herabziehen... Wieder drückte Conan die Spitze seines Schwertes gegen die dicke gummiartige Haut eines Fangarms und durchbohrte ihn. Aber das Ungeheuer war nicht empfindlich gegen Schmerzen. Conan fühlte den lähmenden Griff, der ihn hilflos machte, während der Krake ihn mit unwiderstehlicher Kraft näher an seinen rot leuchtenden Rachen zog... Dann zuckte ein schwarzer Blitz herab und zerriß einen der Fangarme, die Conan hielten. Der dunkle Schatten war wie ein mächtiges Geschoß aus der Dämmerung aufgetaucht. Mit einem einzigen Schnappen der zwei blitzenden Zahnreihen hatte er einen der Fangarme um fast einen halben Meter verkürzt. Das abgetrennte Ende löste sich von Conans Rumpf und sank zuckend und peitschend auf den Meeresboden herab. Der Neuankömmling auf dem Kampfplatz war ein mächtiger Hai mit einem dicken, spitz zulaufenden, gut zehn Meter langen Körper. -72-
Dunkel schiefergrau auf dem Rücken, sahnigweiß an der Bauchseite, vollführte der Hai eine peitschende Schwanzbewegung und kurvte am Ende seines Angriffs ein. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als hinge er reglos in den grünen Wassern. Dann peitschte er wieder mit der Schwanzflosse, wandte sich um und griff zum zweitenmal an. Der Blick aus kleinen gelben Augen begegnete dem Conans. Der Cimmerier wurde jetzt nur noch von einem einzigen Fangarm festgehalten, der sich um seinen Fuß geschlungen hatte. Die gefährliche Lage verlieh Conans Armen ungewöhnliche Stärke. Mit beiden knorrigen Händen geschwungen, durchtrennte das Breitschwert das schlanke Ende des Greifarms, und Conan war frei. Ohne sich die Zeit zu nehmen, das Schwert wieder in die Scheide zu schieben, schwamm der Cimmerier mit aller Kraft davon, um dem Angriff des Haies zu entgehen. Das Schwert in seiner Hand hinderte ihn dabei und beschwerte seine rechte Seite, so daß er sich in weitem Halbkreis bewegte. Das war gerade Ausweichbewegung genug, um aus der Bahn des auf ihn zurasenden blutdürstigen Tieres zu gelangen. Der Hai verfehlte Conan so knapp, daß er die kleinen, wie Kieselsteinchen wirkenden Schuppen erkennen konnte, als die weiße Bauchseite in Gesichtshöhe an ihm vorüberzischte. Die dreieckigen Flossen durchfurchten das grün schimmernde Wasser wie Pflugscharen. Die gewaltigen Kiefer klappten aufeinander, ohne die erwartete Beute zu finden. Das wirbelnde Wasser ließ Conan wie einen Strohhalm im Wind auf und ab tanzen. Wieder wendete der Hai und traf Anstalten zu neuem Angriff. Dieses Mal wußte Conan, daß es kein Ausweichen gab. Als der Hai schäumend auf ihn zujagte, zuckten drei schwarze Fangarme hinter dem Cimmerier auf, peitschten dem Angreifer entgegen und umschlangen das Ungeheuer. Die Arme des -73-
Polypen züngelten wie ein Nest peitschender Schlangen. Der Hai krümmte sich und schnappte wütend um sich. Wieder wurde ein Greifarm durchbissen, und das abgetrennte Ende sank zuckend auf den Sand herab. Aber neue Fangarme legten sich peitschend um den Körper des Haies. Conan hatte das Schwert zwischen die Zähne genommen, um die Arme zum Schwimmen frei zu haben. Er sah, während er sich anschickte, den Kamp fplatz zu verlassen, was sich dort abspielte. Der Tintenfisch hatte fünf seiner acht Arme, darunter selbst die verstümmelten, um Vorderrumpf und Kopf des Haies geworfen, wodurch er ihm den Gebrauch von Kiemen und Augen unmöglich machte. Der Hai konnte sich winden und schnappen, soviel er wollte, er bekam keine Gelegenheit, dem Gegner mit seinen schrecklichen Kiefern zu Leibe zu gehen. Inzwischen hatte der Krake sich mit Hilfe der Saugnäpfe der drei verbliebenen Fangarme an den Felsen verankert, um nicht von dem Hai davongezogen zu werden. Der Kampf hatte Wolken von Sand aufgewirbelt, so daß der Kampfplatz fast im Dunkeln lag. Zu allem Überfluß stieß der Polyp dann noch einen gewaltigen Strahl Tinte aus, der in alle Richtungen wallte und dem Wasser den letzten Rest von Durchsichtigkeit nahm. Conan war glücklich über diesen Ausgang. Weder der Krake noch der riesige Hai hatten Zeit für ihn gefunden, da sie zur Genüge mit ihrem eigenen Kampf auf Leben und Tod beschäftigt waren. Er machte von der sich bietenden Gelegenheit Gebrauch, schob sein Schwert in die Scheide und kehrte der blutigdüsteren Szene den Rücken. Bald lag die Stelle weit hinter ihm in der Dämmerung der Tiefe, eine Wolke von Schwärze vor dem düsteren Glühen der übrigen unterseeischen Welt. Als Conan sich wenige hundert Meter weiter wieder auf den Meeresboden herabsinken ließ, um seinen Marsch zu Fuß fortzusetzen, war er froh, nicht zu wissen, wie der Kampf hinter -74-
ihm ausgegangen war. Vor ihm, hangaufwärts, wurde der Meeresboden heller, je mehr er anstieg. Conan arbeitete sich unverdrossen vorwärts und achtete weder auf den Druck, der auf seiner Brust lastete, noch auf die Schmerzen in seinen Beinen, die ständig gegen die Widerstandskraft des Wassers ankämpfen mußten. Noch lag der größte Teil einer Meile vor dem Cimmerier, und er konnte es nicht erwarten, endlich wieder an die frische Luft zurückzukehren. Gebückt tastete er sich in der gedämpften Helligkeit des Wassers vor, eine seltsame, fantastische Gestalt, ein unheimlicher Gott der Tiefe, dessen Kopf von einem glitzernden Kristallhelm gekrönt wurde. Conan stemmte sich aus dem Wasser und ließ sich auf der untersten der steinernen Stufen nieder, die an das während der Nacht geschlossene Tor zum Meer führten. Er erkannte, daß die Sonne hinter den Zinne n der gegen das Meer ragenden Mauer verschwunden war. Erschöpft streifte er den Kristallhelm mit dem Atemgerät, dessen Luftvorrat gerade ausgegangen war, vom Kopf und legte das Gerät auf den Stein neben sich. Dann schlüpfte er aus den Schuhen und goß das Wasser aus, das sich darin gesammelt hatte. Lange Minuten saß er so zusammengekauert auf dem Stein und musterte seine Umgebung aufmerksam, während er darauf wartete, daß sein Atem wieder ruhiger ging. Die Aufgabe, drei Meilen durch den weichen, von Haien wimmelnden Meeresboden zurückzulegen und sich dann noch eine weitere Meile längs des Ufers bis zur Stadt zu schleppen, hatte die Kräfte des alten Kriegers fast völlig erschöpft. Als er die Stadt am späten Nachmittag erreicht hatte, war er sofort wieder ins Wasser zurückgeschlüpft. Fast völlig untergetaucht, hatte er gewartet, bis alle kleinen Schiffe für die -75-
Nacht vor Anker gegangen waren. Erst als die Fischer das Tor passiert hatten und das Tor selbst geschlossen worden war, hatte er es gewagt, sich erneut zu nähern. Längs der sich in die Ferne erstreckenden steinernen Kais, die sich dem Tor nach Norden und Süden anschlössen, waren mehrere größere Schiffe vertäut. Andere lagen im Hafen selbst vor Anker, aber auf ihren Decks war kein Lebenszeichen zu erkennen. Die Besatzungen saßen entweder unter Deck bei ihren Mahlzeiten, oder waren an Land gegangen. Diese Antillenbewohner, überlegte Conan, mußten entweder sehr sorglos oder so von der eigenen Stärke überzeugt sein, daß sie es nicht für nötig hielten, weder die Mauern noch ihre Schiffe bewachen zu lassen. Zwischen den Antillenschiffen erkannte Conan den vom Feuer geschwärzten Rumpf des »Roten Löwen«, der halb versunken im flachen Wasser lag. Conan war nach den Anstrengungen des langen Tages nicht nur müde, sondern auch halb verhungert. Während er unter dem dunkler werdenden Himmel saß, überlegte er seinen nächsten Schritt. Die besten Möglichkeiten würden sich ihm bieten, wenn ihm das unbemerkte Eindringen in die Stadt gelang. Dort würde er sich zwar in einer gefährlichen Lage befinden, denn er würde nicht nur allein und ohne Freunde sein. Auch konnte er nicht hoffen, unbeobachtet zu bleiben, weil er sich durch Größe, Hautfarbe und Gesichtsschnitt auf den ersten Blick von den kleinen brauen Antillenbewohnern unterschied. Dazu gesellten sich noch die Sprachschwierigkeiten. In der Welt, aus der er kam, konnte er sich in rund einem Dutzend Sprachen oberflächlich verständigen, wenn er auch nie den barbarischen cimmerischen Akzent verloren hatte. Aber die Sprache der Ant illenbewohner war sicher in Conans Welt längst vergessen und hatte im Laufe von achttausend Jahren alle Ähnlichkeiten mit Conan bekannten Sprachen verloren. -76-
Auf der anderen Seite konnte er nicht ewig hier am Rande des Wassers bleiben. Vielleicht war diese Abendstunde, während der die meisten Menschen beim Essen saßen, die Stunde, die ihm die besten Chancen bot. Er stand auf und ließ eine Hand tastend über die Steine der fast fünfzehn Meter hohen Mauer gleiten. Sie war aus großen, glatt zurechtgehauenen Blöcken errichtet, und der salzige Gischt von Jahrhunderten hatte seine Spuren hinterlassen. Der Mörtel zwischen den Blöcken war herausgebröckelt und hatte Lücken freigelegt, in denen ein geschickter Kletterer mit Händen und Füßen Halt finden konnte. Als Jüngling hätte Conan sich über das Ersteigen einer solchen Mauer nicht den Kopf zerbrochen. Steile Meeresklippen zu erklimmen, war keine Aufgabe, die einen cimmerischen Stammesangehörigen vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellte. Aber Conan hatte seit vielen Jahren keine solche Kletterpartie gemacht und sein Griff war längst nicht mehr so kraftvoll wie früher. Er riß sich zusammen, beförderte den Helm und das Atemgerät mit einem Fußtritt ins Wasser und hängte seine Schuhe an den breiten Gurt. Sekundenlang war er versucht, auch das Panzerhemd zurückzulassen, beschloß aber, sich nicht davon zu trennen. Angesichts bevorstehender Gefahren seine Rüstung in Stich zu lassen, nur um sich von ihrem Gewicht zu befreien, war ein Entschluß, den vielleicht ein unüberlegter und heißblütiger Jüngling, nicht aber der gerissene Conan fassen würde. Er schob Finger und Zehen in die Fugen der Steinblöcke und begann den Aufstieg. Langsam, wie eine große schwanzlose Eidechse, arbeitete er sich an der Mauer empor. Mehr als einmal fühlte er, wie ein Finger oder Zeh den Halt zu verlieren drohten, und er bereitete sich mit angehaltenem Atem auf einen Sturz vor, den er nicht ohne Knochenbruch überstehen würde. Aber sein Griff blieb fest, und kurz darauf schob er sich durch eine -77-
der Schießscharten des Umganges und faßte erleichtert aufatmend auf der breiten, ebenen Fläche der Mauer Fuß. Auf der anderen Seite der Mauer, gegen die Stadt hingelegen, war der Rand der Mauer mit einer Brustwehr ohne Schießscharten besetzt. Geschmeidig glitt Conan an den inneren Rand der Mauer und spähte über die Brustwehr hinab. Vor ihm lag die ganze Stadt ausgebreitet. Nahe der Mauer erhoben sich in den roten Glanz des Sonnenunterganges getauchte Fischerhütten und Schuppen. Rauch stieg aus primitiven Kaminen empor, hier und dort spannten Fischer ihre Netze zum Trocknen auf. Dahinter lagen kopfsteingepflasterte Straßen mit Steinbauten in verschiedenen Größen. Die Stadt schmiegte sich dem Abhang eines Berges an. Aus seiner geduckten Stellung konnte Conan Straßen und Plätze erkennen, die terrassenförmig übereinander angelegt waren. Im Mittelpunkt der Stadt reckte sich eine riesige Pyramide aus Blöcken von Basalt und rotem Sandstein von einem weiten Platz in den Himmel. Von ihrer Spitze, auf der Conan undeutlich die Umrisse eines großen flachen Altars erkannte, stieg eine dünne Rauchfahne zum Himmel empor. Steinerne Treppen, die von Ungeheuern aus dem gleichen Material bewacht wurden, waren in die Seitenwände der Pyramide eingelassen. Von dem ganzen Gebäude ging eine düstere Drohung aus, nicht anders, als strahlten die Steine die letzten Gedanken Tausender von Opfern aus. In den dunkler werdenden Straßen waren nur wenige Menschen zu sehen. Ein paar Bettler schliefen in Torwegen. Hier und dort sah man Sklaven unterwegs, die Botengänge für ihre Herren erledigten. Conan wartete, bis die letzten Fußgänger verschwunden waren. Dann schlüpfte er aus seinem Panzerhemd, verknotete es mit dem Schwert zu einem Bündel und ließ es hinabfallen. An -78-
dem Geräusch des Aufschlags erkannte er, daß die Mauer auf dieser Seite weitaus niedriger als auf der Seite zum Meer war. Dann schwang er sich über die Brustwehr und begann auf die gleiche Weise, wie er auf der anderen Seite den Aufstieg bewerkstelligt hatte, den Abstieg. Er hatte die Hälfte seines Unternehmens hinter sich gebracht, als er den Halt unter den Füßen verlor. Mechanisch stieß er sich von der Mauer ab und landete knapp sechs Meter tiefer geschmeidig wie eine Katze auf allen vieren. Ein schneller Rundblick überzeugte ihn, daß niemand ihn gesehen hatte. Schnell schlüpfte er in Schuhe und Panzerhemd und gürtete sein Schwert. Seine einzigen Waffen waren das Breitschwert und ein Dolch mit breiter Klinge. Man konnte nicht sagen, daß diese Ausstattung großartig war, wenn es galt, einer ganzen Stadt voll unversöhnlicher Feinde gegenüberzutreten. Aber mit Glück, Wagemut und der Vorsicht, die ihn ein halbes Jahrhundert gefährlicher Abenteuer gelehrt hatte, konnte es sein, daß er den ungleichen Kampf gewann. Mehr als das hatte er nie von seinen Göttern verlangt. Wie ein bronzener Schatten glitt er zwischen den Hütten und über die erste Straße in das Dunkel eines Bogenganges. Niemand konnte ihn sehen, als er sich von Säule zu Säule, von Tür zu Tür bewegte. Tagsüber drängte sich wahrscheinlich eine Menschenmenge unter diesen Arkade, die jetzt vollkommen verlassen lagen. Conan wählte dunkle Gassen und gewundene Straßen, wobei er einen weiten Bogen um die übersichtlichen breiten Straßen machte, die von Terrasse zu Terrasse emporführten. Er fragte sich, wo Sigurd und die Piraten sich wohl befänden, sofern sie noch am Leben waren. Wahrscheinlich würden sie in der Nähe eines Sklavenmarktes hinter dicken Mauern schmachten. In einer fremden Stadt, die voller Feinde war und in der niemand eine Sprache sprach, die er verstand, beurteilte er seine Chance, die Gefährten zu finden, als nicht sehr groß. Trotzdem -79-
war er entschlossen, alles in seinen Kräften Stehende zu versuchen. Selbst in den gesetzlosen Tagen zu Beginn seines abenteuerlichen Lebens war er dafür bekannt gewesen, daß er seinen Gefährten immer und unter allen Umständen die Treue hielt. Etwas anderes kam hinzu. Wenn ein einzelner Mann keine Aussicht hatte, sich gegen eine Stadt von zwanzig- oder dreißigtausend Bewohnern zu behaupten, so stiegen seine Chancen ein wenig, wenn er sechzig gute Kämpfer hinter sich wußte. Der Unterschied war nicht groß, zugegeben, aber sechzig Mann hauen sich eher aus der Klemme heraus als ein einziger, und sei dieser eine auch Conan der Cimmerier. Conans erstes Problem bestand darin, einen sicheren Unterschlupf zu finden. Wo konnte er in einer Stadt voller Feinde einen Verbündeten gewinnen? Kurz darauf hatte er das Gefühl, mit der Gunst seiner barbarischen Götter rechnen zu können. Er hörte ein scharfes Zischen, als er durch eine enge Straße schlich, die auf beiden Seiten mit kleinen, aus einem einzigen Raum bestehenden Häusern bebaut war. Als er sich, die Hand am Griff des Schwertes, nach der Quelle des Geräusches umblickte, klang ihm das Zischen aus verschiedenen anderen Richtungen zugleich entgegen. In den Türrahmen erschienen die im Dämmerlicht nur schwach erkennbaren Gestalten mehrerer Frauen, die ihm zuwinkten näherzukommen. Plötzlich kam ihm zu Bewußtsein, daß er sich in die Straße der Freudenmädchen verirrt hatte. Ohne zu überlegen, nahm er eine Tür aufs Korn und eilte auf sie zu. Es blieb keine Zeit, die Frauen näher zu mustern und sich für die Anmutigste zu entscheiden. Das Mädchen zog Conan ins Zimmer. Der winzige Raum wurde durch ein Bündel in Öl getauchter Binsen, die in Brand gesetzt worden waren, schwach erhellt. Das Mädchen sprach zu -80-
ihm, und wenn ihr Wortschwall auch sinnlos für Conan blieb, so war die ihm entgegengestreckte Hand beredter als alle Worte. Conan zog einen kleinen Geldbeutel aus seinem Gurt, nahm eine Silbermünze heraus und legte sie auf die ausgestreckte Handfläche. Die Frau hielt die Münze ans Licht. Dann schrie sie vor Freude auf und umarmte Conan stürmisch. Sie war stämmig gebaut, nicht unansehnlich und trug ein einfaches schmuckloses Baumwollkleid. »Langsam, Kleine, langsam!« brummte Conan. »Diese Münze müßte mir eigentlich für mehrere Tage Unterkunft und Verpflegung sichern, nicht wahr?« Die Frau spielte mit Conans Haar und sprach wieder, während sie an seinem Bart zupfte. Dieses Mal war Conan sicher, Enttäuschung aus ihrer Stimme zu hören. Er glaubte den Grund zu kennen. »Du hältst mich also für zu alt für solche Spiele, wie?« fragte er grinsend. »Nun, darüber können wir später sprechen. Beschaffe mir inzwischen etwas zu essen, bevor ich den Hungertod sterbe, ja?« Mit Hilfe der Zeichensprache gelang es ihm schließlich, ihr seine Wünsche verständlich zu machen. Eine Stunde später setzte er sich zu dem Mahl nieder, das die Frau mit dem Namen Catlaxoc zubereitet hatte. Sie war in die Nacht hinausge gangen und mit einem Korb voller Lebensmittel zurückgekehrt. Verführerische Gerüche stiegen bald von dem kleinen Herd auf, an dem sie hantierte, und Conan stellte fest, daß sie bei ihren Einkäufen nicht knauserig gewesen war. Wenig später hieb er heißhungrig ein und ließ sich das seltsam gewürzte Brathuhn schmecken. Sie selbst blieb im Hintergrund und war offensichtlich entschlossen, erst dann selbst zu essen, wenn er seinen Hunger gestillt hatte. Conan spülte die letzten Reste der Mahlzeit mit einem Krug Fruchtsaft herunter. Er stieß einen Rülpser aus und warf Catlaxoc, die mit gesenkten Wimpern lächelte, einen fragenden Blick zu. Sie wandte den -81-
Kopf und deutete auf den Alkoven am Ende des Raumes. Conan grinste. »Nun, es ist zwar wahr, daß ich nicht mehr so jung bin wie früher. Zudem bin ich ein wenig müde von einem Tag, der mich zwang, über den Meeresgrund zu spazieren und mich mit Menschen, Haien und Kraken herumzuschlagen. Aber wir werden sehen!« Er stand auf, reckte sich, hob Catlaxoc empor, als wäre sie eine Puppe und trug sie zum Alkoven. Mehrere Tage später war die Stunde gekommen, da Conan von dem Freudenmädchen Catlaxoc Abschied nehmen mußte. Es war Abend, sie umklammerte weinend seinen Arm, und er mußte sanfte Gewalt anwenden, um sie von sich zu lösen. Conan trug jetzt ein Baumwollgewand wie die Mehrzahl der Antillenbewohner. Catlaxoc hatte ihm nicht nur diese Tarnung beschafft, sondern ihn auch in die Grundbegriffe ihrer Sprache eingeführt. Er wußte jetzt, daß er sich in Ptahuacan, der letzten Stadt von Atlantis, befand. Seine alten Kleidungstücke und was dazu gehörte, hatte er zu einem Bündel verschnürt, das er an einem Strick über der Schulter trug. Er wagte noch immer nicht, sich bei Tage draußen zu zeigen, da seine Größe, die fremdartige Hautfarbe und die auffälligen Gesichtszüge ihm auch im tiefsten Dämmerlicht gefährlich geworden wären. Aber er besaß jetzt eine ziemlich genaue Kenntnis von der Lage der wichtigsten Straßen und Gebäude der Stadt und wußte, welche Art von Verkleidung er benötigen würde, um seinen Plan auszuführen. Schnell reihten sich die Abendstunden aneinander, und Conan zweifelte fast daran, daß er noch finden würde, was er suchte. Als er schließlich durch eine dunkle Straße auf einen offenen Platz zueilte, bog eine große Gestalt, die in einen seltsamen Federumhang gehüllt war, am anderen Ende in die Straße ein und kam direkt auf ihn zu. Conan erstarrte und wartete reglos, bis der Fremde sich ihm -82-
genähert hatte. Bevor der Überraschte einen Laut ausstoßen konnte, sandte Conan ihn mit einem Faustschlag an die Schläfe ins Reich der Träume. Er zog die schlaffe Gestalt in einen nahen Torweg, wobei ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Es war zwar gutgegangen, aber ein einziger Schrei des Riesen im Umhang hätte Conans Unterfangen an Ort und Stelle ein Ende setzen können. Er musterte sein Opfer. Von der Annahme ausgehend, daß die glasgepanzerten Krieger auf den Drachenschiffen normale Antillenbewohner waren, mußte man diesen Burschen hier als ein ungewöhnlich großes Exemplar bezeichnen. Dann erkannte Conan, daß der Mann Schuhe trug, deren Sohlen und Absätze um gut sieben Zoll erhöht waren. Wozu? Um die Leichtgläubigen zu beeindrucken? Seinem Aussehen nach mochte der Bewußtlose ein Priester oder Zauberer sein. Sein Schädel war kahl geschoren, die Hände waren mit Talismanringen bedeckt und von seinem hageren Hals hingen Ketten mit Siegeln, Amuletten und winzigen Götterbildnissen herab. Conan untersuchte die Hände des Mannes. Ja, es mußte sich um einen Priester handeln. Keine andere Beschäftigung hinterließ so wenig Spuren in den Händen eines Menschen. Der Mann war sonderbar gekleidet. Unter dem Federgewand trug er nur ein Lendentuch auf seinem hageren braunen Körper. Breite goldene Armreifen, die mit seltsamen und geheimnisvollen Zeichen besetzt waren, klirrten an seinen Hand- und Fußgelenken sowie an den Oberarmen. Zu dem Federumhang, einem Kleidungsstück, wie Conan es nie zuvor gesehen hatte, gehörte auch eine Kapuze, die mit Federn geschmückt war. Conan kam es zu Bewußtsein, daß er nur wenig größer sein würde als der Priester-Zauberer, wenn er sich nur des Umhangs bemächtigen, dem Bewußtlosen aber die Schuhe mit den überhöhten Absätzen belassen würde. Verbarg er dann seine -83-
Arme und zog die Kapuze fest um sein Gesicht, so war es leicht möglich, sich unter den Menschen zu bewegen, ohne aufzufallen. Aber selbst die Kapuze genügte nicht, seine graue Mähne und den ungestutzten Bart zu verbergen, die in so auffallendem Gegensatz zu dem glatten Gesicht und dem kahl geschorenen Schädel des Priesters standen. Conan löste dieses Problem dadurch, daß er einen Streifen des seidenen roten Futters aus dem Umhang riß und es so um sein Haar und die untere Gesichtshälfte wand, daß nur noch die Augen frei blieben. Dann schlüpfte er in seine Schuhe und das Panzerhemd und befestigte das Schwert an seiner Hüfte. Er warf sich den schweren, warmen Federumhang um und zog die Kapuze tief in sein Gesicht. Allen Mut zusammennehmend, betrat Conan den kleinen nahen Platz, den der Mond und Fackeln, die in Mauervorsprüngen befestigt waren, erhellten. Sogleich wurde seine Verkleidung auf die Probe gestellt. Ein Geschäftsmann mit dickem Bauch, der gerade damit beschäftigt war, seine ausgestellten Waren für die Nacht aus den Auslagen zu nehmen, richtete sich plötzlich vor ihm auf. Der kleine braunhäutige Mann brachte seine Schmuckstücke aus Kupfer, Jade, Silber und Gold in einer Reihe von hölzernen Kästchen unter. Als er Conan mit schwingendem Federumhang auf sich zukommen sah, wandte er sich zur Seite und richtete den Blick seiner schwarzen furchtsamen Augen verstohlen auf die ragende Gestalt, deren Gesicht nicht zu erkennen war. Dann verbeugte er sich, griff nach einem Jadeamulett, das an seiner Brust pendelte, küßte es und verharrte in dieser demütigen Stellung, bis Conan vorübergegangen war. Die Tarnung hatte ihre erste Probe bestanden! Offensichtlich lebten die kleinen Leute auf den Antillen in großer Furcht vor ihren Priester-Zauberern. Bei ein wenig Vorsicht und Glück konnte Conan damit rechnen, unerkannt zu bleiben. -84-
Während langer Stunden durchforschte Conan die breiten Straßen und die gewundenen Gassen von Ptahuacan, ohne daß er die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregt hätte. Priester in solchen Federumhängen waren offensichtlich ein alltäglicher Anblick in den kopfsteingepflasterten Straßen der vergessenen Atlantisstadt. Später, als die Straßen völlig verlassen lagen, entdeckte der Cimmerier eine leere, zum Teil eingefallene Hütte und schlief dort bis zur Morgendämmerung. Dann setzte er seinen Erkundungsgang fort. Im Morgenlicht sah Conan Dutzende von anderen großen Gestalten in Federumhängen, die Schuhe mit erhöhten Sohlen trugen. Sie bewegten sich in arroganter Haltung durch die Menge, ohne die unterwürfigen Grüße der Entgegenkommenden zu erwidern. Nach ihrem ganzen Verhalten konnte man annehmen, daß die Priester-Zauberer des alten Atlantis zugleich auch die Herrscher dieser Stadt waren. Conan hatte den Eindruck, daß die Bevölkerung sich mit ihrer Rolle abgefunden hatte. Die Menschen kamen ihm träge und apathisch vor, ihre Gesichter waren voller Furcht, und in ihren unterwürfigen Blicken war kein Funke von Widerstandswillen zu erkennen. Sie bemühten sich sichtlich, mit keinem der so überheblich dahinschreitenden Priester in Berührung zu kommen, indem sie ihnen frühzeitig den Weg freigaben. Conan verzichtete darauf, den Platz mit der Pyramide zu betreten, denn er fürchtete, anderen Priestern zu begegnen, die wahrscheinlich nicht zögern würden, ihn anzusprechen. Bisher war es ihm gelungen, allen Männern in Federumhängen, die ihm in den Straßen begegneten, auszuweichen, ohne dadurch aufzufallen. Alles in allem genommen, schienen die Priester einer Kaste anzugehören, die am liebsten unter sich blieb. Wachsam, unnahbar und nur mit ihren eigenen fragwürdigen Angelegenheiten beschäftigt, blieben sie nur selten stehen, um ein paar Worte miteinander zu wechseln. Conan verbrachte lange Stunden damit, sich -85-
Menschengruppen anzuschließen, um sich mit der Sprache vertraut zu machen. Sie war guttural, von Zischlauten durchsetzt und bevorzugte lange Wortverbindungen. Conan verstand bereits viele einzelne Worte, aber ein schnell gesprochener langer Satz stellte ihn immer wieder vor ein neues Rätsel. Obwohl die Sprache, was die Grammatik anbetraf, sich völlig von der aller anderen Sprachen unterschied, die er kannte, fand er doch, daß einige der Worte, die er von Catlaxoc gelernt hatte, eine schwache Ähnlichkeit mit den entsprechenden Worten seiner cimmerischen Heimatsprache aufwiesen. Es kam dem alten Cimmerier zu Bewußtsein, daß die Atlantisbewohner zum Teil die Ahnen seines eigenen Volkes waren. In dem Zeitabschnitt vor der Sintflut hatten die Stämme und Sippen eines früheren Cimmeriens sich mit den Atlantiskolonisten an den thurischen Küsten in Kriege verstrickt, sich aber auch durch Heiraten mit den Gegnern vermischt. Viele cimmerische Stämme, durch lange Berührung mit Atlantiskolonisten halb zivilisiert, hatten während der letzten Jahrhunderte vor dem Versinken des Inselkontinents Atlantis als Söldner gedient. Während die cimmerischen Barbaren die Grundlagen der Zivilisation übernahmen, borgten sie sich von ihren alten Feinden den Wortschatz, den sie benötigten, um sich ihrer neuen Situation anzupassen. So kam es, daß schwache Ähnlichkeiten zwischen einigen Worten bestanden, die auf beiden Seiten des weiten Westlichen Ozeans die gleiche Bedeutung hatten. Diese Ähnlichkeiten genügten jedoch nicht, um einen Fremden von jenseits des Meeres mit der Sprache der Antillen mehr als oberflächlich vertraut zu machen. Conan war sich klar darüber, daß es dazu langer Übung bedurfte. Um so mehr hielt er Augen und Ohren offen. Hier und dort verstand er ein Wort, oder flogen ihm Sätze zu, die ihm im Zusammenhang verrieten, daß sich die Gerüchte in Ptahuacan an diesem Morgen besonders um zwei Punkte -86-
drehten - einmal um den Kampf zwischen den Drachenschiffen der Küstenwache und dem seltsamen Fahrzeug, von dem man nicht wußte, woher es stammte. Noch mehr erregte die Bewohner der Stadt jedoch die Tatsache, daß einer der heiligen Priester überfallen und seines geweihten Federumhanges beraubt worden war. Conan lauschte aufmerksam, um etwas über das Schicksal seiner Besatzung zu erfahren, aber wenn den verschiedenen Sprechern die Antwort auf diese Frage bekannt war, so dachten sie offenbar nicht daran, sie preiszugeben. Während Conan sich in der Nähe dicht umlagerter Verkaufsstände in einem der größeren Basare aufhielt, ergab sich plötzlich die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Ein schlitzäugiger kleiner Mann in abgetragenem Gewand drückte sich mit geradezu auffallender Gleichgültigkeit neben dem kupfernen Kästchen herum, in dem ein Kaufmann seine Ware aufbewahrte. Es handelte sich um Ringe aus Kupfer und Silber sowie um kleine Beutel mit Goldstaub. Conan sah, wie der nackte hagere Arm des kleinen Mannes mit unheimlicher Geschwindigkeit vorschoß, sich in die Tiefe des Kästchens senkte und zwei der mit Goldstaub gefüllten Beutel herausfischte. Der Händler, der mit einem offensichtlich den besseren Ständen angehörenden Kunden über den Verkauf eines Pelzes verhandelte, bemerkte nichts. Ein Grinsen der Genugtuung stahl sich über Conans unter der Kapuze verborgenes Gesicht, als er sah, wie die beiden Beutel blitzschnell zwischen den Lumpen des Diebes verschwanden, der sich aus der Menge der Kauflustigen löste, um sich zu entfernen. Conan folgte dem kleinen Mann unauffällig in eine menschenleere Gasse. Mit zwei geschmeidigen Sätzen holte er den Antillenbewohner ein, der wie eine erschreckte Maus quietschte, als Conans schwere Hand sich auf seine knochige Schulter legte. Der Cimmerier wich vor dem gegen ihn geführten Stich mit dem kleinen durchsichtigen Messer, das -87-
plötzlich aus dem Nichts aufgezuckt war, zurück. Dann packte und quetschte er die Hand des Mannes, bis das Messer mit der gläsernen Klinge klirrend auf dem Kopfsteinpflaster landete. Der kleine Dieb hob den Blick seiner furchtsamen und zugleich neugierigen Augen zu dem Riesen in der Federkapuze empor, und Conan knurrte in gebrochenem Antillianisch: »Los, bring mich sofort zum König der Diebe, oder ich breche dir den Arm!« Endlich schienen die Würfel so zu fallen, wie er es wünschte. Wie in allen Städten mußte es auch im großen Ptahuacan eine Unterwelt der Verbrecher geben, und jemand, der Schwierigkeiten mit der herrschenden Klasse hatte, konnte immer damit rechnen, von der weltweiten Gilde der Diebe willkommen geheißen zu werden! Conan ließ sich von seinem Gefangenen durch gewundene Gassen in die düsteren Viertel der alten Stadt führen. Hier hausten obdachlose Gauner und schmutzstarrende Bettler in den halbzerfallenen Torwegen alter Gebäude. Bunt angemalte Freudenmädchen lehnten aus den Fenstern und versuchten die Aufmerksamkeit der gelegentlich vorübergehenden Männer zu erwecken. Wenn der Anblick eines in ein Federgewand gekleideten Priester-Zauberers in diesen schäbigen Straßen ungewöhnlich war, so ließ sich keiner der Bewohner etwas anmerken. In diesem Teil von Ptahuacan schien es aus Gründen der Selbsterhaltung angeraten, nicht zu sehen, was andere taten. Erst als sie sich dem Hauptquartier der Diebe näherten, wurde Conan sich darüber klar, daß ihr Weg während der ganzen Zeit unter Beobachtung gestanden hatte. Sie gingen durch eine winklige Gasse und plötzlich erschienen vor ihnen zwei stämmige, mit Knüppeln bewaffnete Gestalten, während ein gleiches Paar sich ihnen von hinten näherte. Für Antillenbewohner waren die vier Männer von beachtlicher -88-
Größe und mit dicken Muskelpaketen ausgestattet. Außer schürzenähnlichen, aus Lederflicken zusammengesetzten Lendentüchern trugen sie keine weitere Kleidung. Die Blicke drohend auf Conan gerichtet, eilten die vier Männer aus beiden Richtungen der Gasse der Stelle zu, an der Conan mit seinem Gefangenen stehengeblieben war. Der Cimmerier löste seinen Griff von dem Dieb und schloß eine Hand fest um den Schwertgriff unter seinem Umhang. Der kleine Dieb trat schnell einen Schritt zurück und überschüttete Conan mit einer Flut von Schimpfworten, die der Cimmerier als solche erkannte, obwohl er sie im einzelnen nicht verstand. »Er packte mich, nachdem ich eine Handvoll Goldstaub aus Hatupeps Verkaufsstand mitgehen ließ«, jammerte der Dieb. »Ich weiß nicht, was er in aller Höllen Namen will, aber...« »Beruhige dich, Itzra«, unterbrach ihn einer der stämmigen Männer. »Wir werden bald wissen, was er von dir wollte.« Auf schnellen Füßen kam er näher und hob den Knüppel, der durch schwere Kupferbeschläge zur gefährlichen Waffe geworden war. Conan lächelte ungerührt und schob den Federumhang mit der Kapuze zurück. Mit dem gleichen Schwung riß er das Schwert aus der Scheide. Die Gauner brachen ihren Vormarsch ab, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Conan sah sofort, daß nicht nur Furcht sie zum Halten gebracht hatte. »Herr der Hölle - Eisen, oder ich bin ein blinder Mann!« stammelte einer der vier keuchend. Ein zweiter Mann reckte sich hoch und spähte Conan ins Gesicht, wobei er die Größe des Cimmeriers, seine wilde Mähne und den Bart wie auch die funkelnden blauen Augen nicht übersehen konnte. »Ihr Götter der Toten, wer ist er?« fragte der Stämmige heiser. »In den ganzen Antillen wurde nie ein Mensch wie er gesehen!« Conan hatte sich mit dem Rücken zur Mauer in Sicherheit -89-
gebracht. Er lachte spöttisch und ließ die blitzende Klinge von einer Seite zur anderen tanzen, so daß die fünf Gauner zugleich bedroht wurden. »Ich bin der Mann, der einem eurer heiligen Priester vor wenigen Stunden diesen Umhang raubte, mein Freund«, verkündete er. »Und ich bin nicht etwa ein Spion eurer Unterdrücker, wenn es das ist, woran du denkst! Darüber hinaus bin ich jemand, der sich zum beiderseitigen geschäftlichen Nutzen mit eurem Anführer unterhalten will. Und ich werde mit ihm sprechen, ob ihr damit einverstanden seid oder nicht!« Er hielt sein Schwert waagerecht, so daß das grelle Tageslicht blitzend von der Klinge zurückgeworfen wurde. Die Männer wichen zurück, und ihre Augen weiteten sich, während sie den Cimmerier mit wachsender Beunruhigung beobachteten. Seltsamerweise schien ihr Interesse mehr seinem Schwert als ihm selbst zu gelten. Conan nahm an, daß Eisenerze auf dieser Inselkette unbekannt waren, obwohl Legenden über die Verarbeitung von Eisen und Stahl im alten Atlantis sich über Generationen hinweg gehalten hatten. »Nun, wie steht es?« fragte Conan ungeduldig. »Wollt ihr mich jetzt zu eurem Anführer bringen, oder zieht ihr es vor, mit mir zu kämpfen?« Die fünf Gauner atmeten auf. Sie waren überaus froh, dem Wunsch dieses unheimlichen Fremden entsprechen zu können. Der Herrscher über die Unterwelt der Stadt war ein ungeheuer dicker Mann namens Metemphoc. Berge quellenden Fleisches bildeten sein Gesicht, aus dem schwarze Augen funkelten. Sein breiter Mund mit den schmalen Lippen wirkte wie eine klaffende Wunde, die Nase erinnerte an eine Knolle in frisch gefurchtem Erdreich. Das Hauptquartier des Königs der Diebe war in einer Reihe von leeren Kellern unter verfallenen Häusern am Ende einer Gasse untergebracht. Die Wände aus zerplatztem Mörtel -90-
verbargen ihre Häßlichkeit unter kostbaren Vorhängen mit seltsa-Motiven, und die Dürftigkeit des Zementbodens verschwand unter kunstvoll gewebten Matten und Bergen herrlich weicher Felle. Aus kleinen silbernen Gefäßen stiegen Wolken duftenden Weihrauchs und schufen eine friedvolle Stimmung, wie man sie an diesem Ort nicht erwartet hätte. Überhaupt standen der Luxus und die geschmackvolle Ausstattung von Metemphocs Behausung in krassem Gegensatz zum Schmutz und Elend der näheren und weiteren Umgebung des trostlosen Viertels. Wie eine fette Kröte hatte Metemphoc es sich in seinem teuren Brokatgewand auf einem Lager schwellender Seidenkissen bequem gemacht, während er Conans Worten lauschte. Sein Gesicht blieb unbewegt, die schwarzen Augen glitzerten kalt, und er hielt die schmalen Lippen fest aufeinander gepreßt, bis Conan seinen Bericht beendet hatte. Eine lange spannungsgeladene Stille folgte, während Metemphoc den Cimmerier vom Kopf bis zum Fuß musterte. Dabei schenkte er dem Schwert, das auf den Knien Conans lag, zumindest die gleiche Beachtung wie seinem Träger. Seufzend rieb sich Metemphoc schließlich die dicken Wangen mit schwammigen Fingern, an denen ein kleines Vermögen von juwelenbesetzten Ringen funkelte. Dann klatschte er in die Hände, lachte heiser und rief nach Wein und Braten. Die Spannung löste sich. »Bei allen Göttern der Heimlichkeit, großer Mann!« kicherte der König der Diebe. »Der alte Metemphoc hat in seinen ganzen erbärmlichen Tagen und Jahren keine so unglaubhafte Erzählung vernommen; darum muß sie wahr sein! Ja, angesichts dieser barbarischen Mähne, des struppigen Gesichtspelzes und dieser unheimlichen himmelfarbenen Augen - und, ahem, eines Akzentes, wie ihn diese müden alten Ohren kaum verstehen können - bleibt mir dickem altem Mann nichts weiter übrig, als dir zu glauben, daß du aus einem unbekannten Land im fernen -91-
Osten kommst. Dem steht auch nicht entgegen, daß nach den Aussagen unserer geliebten Herren, der heiligen Priesterschaft, dort drüben nichts anderes liegen soll als eine endlose Weite von Wasser, in der es noch nie einen Fetzen Land gab.« Die beiden Männer hoben die Becher und tranken einander zu. Conan ließ sich den süßen starken Wein genießerisch über die Zunge rinnen. Ein Getränk mit solchem Geschmack war ihm noch nie begegnet. Zweifellos war es gegoren, aber nicht aus Trauben, sondern aus einer ihm unbekannten, nur hier auf den Antillen wachsenden Frucht. Conan fühlte sich durchaus behaglich. Sein Instinkt verriet ihm, daß er und der krötenähnliche Meisterdieb einander gut verstehen würden, weil sie charakterlich vieles gemeinsam hatten. Obwohl ihre Geburtsorte durch Tausende von Meilen getrennt waren und gegensätzliche Kulturen hatten, sprachen die beiden Männer in ihren Herzen die gleiche Sprache. Während sie tranken, wurde das Mahl auf dem niedrigen Tisch zwischen ihnen abgestellt. Conan hieb hungrig ein. Neben den Nahrungsmitteln der Antillen, die ihm bisher vertraut waren, gab es Nüsse und Beeren von einem Dutzend verschiedener Arten. Die Mahlzeit endete mit einer seltsamen großen stacheligen Frucht, von deren Kopf ein Gewirr von Blättern wuchs, die wie Schwerter geformt waren. Metemphoc zerteilte die Frucht in ringförmige gelbgrüne Scheiben. Ihr Geschmack überraschte Conan zuerst, aber nach mehreren Bissen fand er Gefallen an der saftigen Frucht. Metemphoc sagte auf Conans Frage: »Ja, ich habe von jenem seltsamen Schiff gehört, das voller fremder Barbaren war und von unserer Küstenwache vor einigen Tagen aufgebracht wurde. Das ist einer der Gründe, warum ich gewillt bin, deiner Erzählung Glauben zu schenken.« »Meine Männer leben also noch?« knurrte Conan. »Und wenn es so ist - wo?« -92-
»Sie leben oder lebten wenigstens noch gestern abend. Sie werden in einem Kerker unterhalb des Vorraumes der Götter gefangengehalten - jener grauen Zitadelle, die sich am Rand des Platzes der Großen Pyramide erhebt.« Conan hatte den Eindruck, daß der gerissene Unterweltanführer gewillt war, ihm die gesuchten Informationen zu geben, dabei aber zugleich nach Möglichkeit ein gutes Geschäft herauszuschlagen versuchte. »Welches Schicksal erwartet meine Männer?« lautete Conans nächste Frage. Der König der Diebe zuckte die Achseln. »Man wird sie als Opfer für den Tempel auf der Großen Pyramide vorsehen.« »Was sagst du da?« Conans plötzliche Bewegung riß seinen Becher fast um, Wein spritzte auf die hölzerne Tischplatte. Der König der Diebe nickte. »Es ist so, wie ich sagte. Sie sind dazu ausersehen, dem Dämo nengott Xotli in Übereinstimmung mit dem Ritual, das aus dem alten Atlantis überliefert wurde, als nächste Opfer dargebracht zu werden.« Conans Nackenhaare sträubten sich, als Metemphoc ihm einen Einblick in die Sitten und Gebräuche der Antillenpriesterschaft gab. Vor dem Untergang von Atlantis hatten die Priester von Xotli, die ihrem Dämonengott durch schreckliche Riten von Blut und Terror huldigten, eine machtvolle Partei gebildet. Als die Höheren Götter Atlantis wegen seiner Sünden zerstörten, war es den Priestern von Xotli mit ihren Sklaven gelungen, dem versinkenden Land mit einer mächtigen Flotte fliegender Schiffe zu entkommen. Diese geheimnisvollen Schiffe wurden durch eine Kraft angetrieben, die sich vril nannte. Conan hatte Gerüchte über diese Himmelsschiffe von Atlantis vernommen. Danach waren die Schiffe im Verlauf von Jahrhunderten durch übermäßige Inanspruchnahme außer Gefecht gesetzt worden. Eine andere Version wollte wissen, daß -93-
die Quelle ihrer Antriebskraft plötzlich und unerwartet erloschen sei. Das Geheimnis der Bauweise dieser Transportmittel war in den Jahrhunderten der Barbarei und des Blutvergießens, die der Sintflut folgten, verlorengegangen. Darum existierten im hyborischen Zeitalter keine solchen Schiffe mehr. Die Priester von Xotli, fuhr Metemphoc fort, hätten dem der Vernichtung geweihten Kontinent den Rücken gekehrt und seien nach Südwesten gezogen. Sie machten eine Erkundungsfahrt, die sie zu den Antillen führte. Diese Inselkette bestand aus sieben großen Inseln, die im Westlichen Ozean zwischen Atlantis und einem weitaus größeren Kontinent noch weiter westliche, der zuweilen Mayapan genannt wurde, lagen. Als die Männer von Atlantis landeten, entdeckten sie, daß sich die Inseln im Besitze einer Rasse kleiner brauner Männer mit schrägstehenden Augen, ähnlich dem Volk von Mayapan, befanden. Sie hatten keine Schwierigkeiten, diese Eingeborenen zu überwältigen und zu Sklaven zu machen. In den Jahrtausenden seit der Sintflut hatten sich die Abkömmlinge von Atlantis und die eingeborenen Antillenbewohner miteinander vermischt, so daß heute auf den Inseln nur noch eine einzige Mischrasse lebte. Seit der eigentlichen Eroberung der Antillen und der Gründung der großen Stadt Ptahuacan hatte die xotilianische Priesterschaft unter der erblichen Hierarchie der Heiligen Mysterien von Xotli mit eiserner Hand geherrscht, wenn sie auch nicht verhindern konnte, daß ihre Untertanen ihrem Unmut von Zeit zu Zeit durch kleine Rebellionen Ausdruck gaben. Die Priesterherrschaft hatte die Massen nur dadurch unter Kontrolle halten können, daß sie ihnen immer wieder einhämmerte, alle Länder, selbst Mayapan, seien zusammen mit Atlantis versunken und die Welt bestünde nur noch aus einer Wüste sturmdurchtobten Wassers, die sich von den Antillen in alle Richtungen bis an den Rand der Welt erstreckte, wo das Meer sich mit dem Himmel vereinigte und die Sterne aus der Gischt -94-
der endlosen Wasserwüsten aufstiegen. »Glaubst du das alles?« fragte Conan. Metemphoc kicherte. »Wenn ein Priester mir diese Frage stellte, würde ic h ja sagen. Die meisten Menschen glauben es, oder es fehlt ihnen zumindest der Mut, die Lehren ihrer Herren in Frage zu stellen. Unter uns gesagt, einige von uns wissen, daß Mayapan noch existiert, und nun hat dein Kommen bewiesen, daß es auch auf der anderen Seite des Wassers noch Land gibt.« »Warum verbreiten die Priester diese Lügen, wenn sie wissen, daß es sich um solche handelt?« fragte der Cimmerier grollend. »Sie tragen dazu bei, ihre Untertanen unter Kontrolle zu halten. Wenn die Menschen überzeugt sind, daß es kein anderes Land gibt, in das sie fliehen könnten, so geben sie es schneller auf, der eisernen Herrschaft der Priester von Xotli entfliehen zu wollen.« »Erzähle mir von diesem Dämonengott und seinen Riten!« Metemphoc erklärte, daß Xotli, der Herr des Schreckens, ein Dämonengott der Älteren Macht sei. Er erschien seinen Anbebetern als wogende Wolke von ebenholzfarbener Schwärze, als Strudel höchster nördlicher Kälte, wie sie die Winde mit sich tragen, die ihren Weg zwischen den Sternen nehmen. Diese Wolke saugte die lebenden Seelen jener auf, die auf den ragenden Pyramidenaltaren von Ptahuacan geopfert wurden. Gelassen erzählte der dicke König der Diebe weiter, wie Tausende von Gefangenen auf den in den Himmel ragenden Altären, die Conan in den obersten Teilen der alten Stadt gesehen hatte, geopfert wurden. Dort, auf den Altären der Ewigen Nacht, rissen die Priester-Zauberer den noch lebenden Opfern die Brustkörbe auf und schnitten ihnen mit Messern aus vulkanischem Glas die Herzen heraus, um die darin enthaltene Lebenskraft jener wirbelnden Wolke vampirischer Dunkelheit anzubieten, die sich über der Pyramide gebildet hatte. Dort hing -95-
sie stundenlang, bis sie den pulsierenden Herzen auch den letzten Blutstropfen ausgesaugt hatte. Die entseelten Körper aber wurden durch einen Schacht in die unergründliche Tiefe einer unterirdischen Höhle befördert. Conan ballte die Fäuste, und seine Augen blitzten gefährlich, während er den Worten des Meisterdiebes lauschte. Es war nicht so sehr die bloße Idee des Menschenopfers, die ihn abstieß und erschütterte. Er hatte im Verlaufe seines langen Lebens Blutvergießen im Übermaß gesehen, und Sitten, wie Metemphoc sie geschildert hatte, waren im hyborischen Zeitalter nicht einmal unter den Völkern von Conans eigener Welt ungebräuchlich gewesen. Aber die Dinge sahen anders aus, wenn es um Freunde und Gefährten ging, denen man sich verbunden fühlte. Conan durfte nicht zulassen, daß sie die Opfer solcher barbarischer Sitten wurden. Der Cimmerier ließ in langem Schluck den Wein durch seine Kehle rinnen. »Was haben die Roten Schatten zu bedeuten?« wollte er wissen. Metemphoc beantwortete seine Frage, und Conan erfuhr, daß die Bevölkerung der Antillen durch die ständigen Opfer fast dezimiert worden war. Diese Tatsache hatte die ZaubererPriester gezwungen, immer weiter in die Fremde vorzustoßen, um genügend Gefangene zu machen, mit denen sie den unheimlichen Durst Xotlis stillen konnten. Ihre ersten Überfälle galten den Küsten von Mayapan, dann, als die Eingeborenen dieses dünn besiedelten Landes sich in die undurchdringlichen Dschungel zurückzogen, begannen die Priester, ihre Beutezüge in andere Richtungen zu lenken. »Die Roten Schatten, wie du sie nennst«, fuhr Metemphoc fort, »sind die Geisterdiener des Dunklen Gottes. Ich hätte bis heute nicht geahnt, daß der Hierarch die unbekannten Länder im -96-
Osten heimsuchte. Der Schwarze Xotli muß in der Tat hungrig sein! Unsere eigenen Opfer sind in der letzten Zeit so zahlreich geworden, daß die Stadt von Menschen fast verlassen ist, wie du gesehen hast. Ganze Plätze und Straßenzüge liegen wie ausgestorben da. Ihre Bewohner sind in die Berge oder auf die benachbarten Inseln geflohen, aber die Priester werden sie wieder einfangen, da ihre Herrschaft sich auch bis dorthin erstreckt. Das is t der Grund für die Schaffung der Küstenwacht, der euer eigenes Schiff zum Opfer fiel. Die Drachenschiffe überwachen alle Häfen und hindern alle, die an den Worten der Priester zweifeln, daran, die Flucht in eines der Länder jenseits der Meere anzutreten.« Conans Hände öffneten und schlossen sich mechanisch, als hätten sie eine menschliche Kehle gepackt. »Jetzt begreife ich, was es mit den Roten Schatten auf sich hat«, murmelte er heiser. »Nach allem, was ich in meiner eigenen Welt an Zauberei gesehen habe, weiß ich, daß dunkle Mächte aus dem Jenseits, die einmal in der Welt der Menschen Fuß gefaßt haben, immer neuer Opfer bedürfen, um sich an der Macht zu halten. Die Dämonen der Älteren Finsternis sind - ich weiß nicht, wie ich es in deiner Sprache ausdrücken soll - sind negativ; sie sind nicht nichts, sondern weniger als nichts. Sie brauchen die Lebenskraft anderer, um das Vakuum ihrer falschen Existenz zu füllen. Aber ihr Vakuum kann nie gefüllt werden und braucht mehr und immer mehr Lebenskräfte anderer, um ihre Illusion vom Leben aufrechtzuerhalten. Verstehst du mich?« Metemphoc musterte Conan nachdenklich, bevor er nickte. »Ich begreife dich«, sagte er. »Fahre fort.« »Bist du dir darüber klar, daß die Diener des Schwarzen Xotli, setzte man ihrem Unwesen kein Ende, in allen Ländern der Welt hausen würden, bis der ganze Planet menschenleer ist? Mehr noch, sie würden auch vor allen anderen Formen tierischen Lebens nicht haltmachen, bis sie die Welt nur den Fischen und Würmern überlassen. Davor versuchte der Schatten von -97-
Epemitreus mich zu warnen - vor dieser teuflischen Form einer Götteranbetung, die eigentlich vor achttausend Jahren mit Atlantis versunken sein sollte.« »Nach allem, was der Geist deines gelehrten Mannes sagte, scheint es, daß die Götter dich erwählt haben, um die Schranke zwischen der Welt der Lebenden und dem Schatten des Bösen zu bilden. Nur du kannst die Waagschale beeinflussen, sich für das Leben der Welt und gegen den Tod zu entscheiden.« Tiefer Ernst sprach aus den Worten Metemphocs. »Ja, ich weiß es«, erwiderte Conan heiser. »Aber wie fange ich es an?« Vorsichtig bewegte sich Conan durch den dunklen Gang. Tropfsteingebilde hingen wie Vorhänge von der gewölbten Decke; dann und wann fiel ein Tropfen Kalkwasser von den spitz zulaufenden Enden der Gebilde herab. Der Boden der Höhle war mit Schmutz und Kalkablagerungen bedeckt. Hier und dort hatten sich Stalagmiten in gläsern erscheinenden Erhebungen und hoch aufragenden Pfeilern abgelagert. Die kalte feuchte Luft war mit fremdartigen, abstoßenden Gerüchen durchsetzt. Eine schwache muffige Brise traf Conans Gesicht. Von ihr geführt, suchte sich der alte Cimmerier den Weg durch das schwarze Labyrinth, das sich meilenweit unter der uralten Stadt Ptahuacan erstreckte. Metemphoc, der König der Diebe von Ptahuacan, hatte Conan rundweg erklärt, daß es keinen Weg gäbe, durch den ein einzelner bewaffneter Mann Zugang zu der dreifach bewachten Zitadelle gewinnen könnte. Zahllose Posten, Tore, Türen, Schlösser und Gitter lagen zwischen den offenen Straßen und dem Herzen der priesterlichen Festung. Conan aber hatte nicht daran gedacht, sich so leicht von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. In Beantwortung seiner endlosen Fragen hatte der König der Diebe sich des alten -98-
Labyrinths von Höhlen und Gängen unter der Stadt erinnert. Woher sie stammten, konnte niemand sagen. Aber die Stadt war auf einem massigen Kalksteinfelsen erbaut, und es war leicht möglich, daß Jahrhunderte der Erosion durch unterirdisch fließende Ströme den mächtigen Felsen tausendfach ausge höhlt hatten. Die Diebe kannten sich in den Gängen und auf der obersten Ebene gut aus und benutzten sie oft. Aber selbst sie scheuten die tiefer gelegenen Gänge, denn es gab haarsträubende Gerüchte von schwankenden, halb verschwommenen Gestalten und von Menschen, die es gewagt hatten, die tief gelegenen Gänge zu betreten. Ihren Aufschrei hatte man noch vernommen, dann waren sie für immer verschwunden. Auf Conans bohrende Fragen hatte Metemphoc zögernd zugegeben, daß die tief gelegenen Gänge sehr wohl eine Verbindung zu den Kerkern im Vorraum der Götter bilden könnten. Dennoch hatte er Conan gedrängt, sich einen sichereren Weg in die Zitadelle zu suchen, auf deren Betreten die Todesstrafe stand. Aber Conan hatte alle diese wohlgemeinten Warnungen zurückgewiesen. Schließlich hatte Metemphoc eingesehen, daß Conan von seiner Absicht, seine Gefährten durch die tief gelegenen Gänge zu befreien, nicht abzubringen war. Mit einem schweren Seufzer hatte der wohlbeleibte Meisterdieb daraufhin seine Berater zur Besprechung gerufen. Sie machten sich zuerst daran, in den Archiven der Diebesgilde nachzuforschen. Dabei kamen uralte Karten des Labyrinths zum Vorschein. Conan hatte stundenlang über ihnen gesessen, sich die Kreuzungen und Abzweigungen der Höhlen und ihre besonderen Kennzeichen eingeprägt, die ihn vor dem Verirren bewahren würden. Hier war er nun, sich gebückt durch das Halbdunkel der tiefen Gänge bewegend und behutsam allen Unregelmäßigkeiten des Bodens ausweichend. In einer Hand trug er eine Laterne, die ihm der König der Diebe überlassen hatte. Dieses Gerät - ein -99-
schönes Beispiel für das technische Geschick der Antillenbewohner - war eine kleine Bronzelampe mit einem runden Ölbehälter, einem Schlitz, durch den ein qualmender Docht geführt war, mit rundem Reflektor aus Silberbronze hinter der Flamme und einem Handgriff auf der Rückseite. Vom vielen Polieren war ein Teil des Silbers abgescheuert worden, und die Bronze schimmerte darunter hervor. Aber die kleine Laterne war für Conans Zwecke immer noch nützlich. Sie würde, wie Metemphoc versichert hatte, noch mehrere Stunden brennen, bevor ihr Ölvorrat zur Neige ging. Hier und dort waren an den Kreuzungen der Gänge weiße Zeichen in den feuchten Stein eingegraben. Es handelte sich um Merkzeichen, die die Diebe zu ihrer Orientierung hinterlassen hatten. Wo solche fehlten, waren Conan gewisse Besonderheiten des Felsens als Kennzeichen beschrieben worden beispielsweise ein gebuckeltes Stück Kalkstein, das wie eine riesige Spinne wirkte. Conan setzte seinen Vormarsch ohne Zögern fort, obwohl ihm die kühle feuchte Brise, die ihm aus unsichtbaren Tiefen entgegenwehte, nicht sonderlich behagte. Er konnte nicht verhindern, daß die sonderbaren Geräusche, die ringsum in der Dunkelheit flüsternd erklangen und ihr hallendes Echo hinterließen, seltsame Bilder in seiner Fantasie heraufbeschworen. Dann und wann vernahm er einen unheimlichen Schrei, der zum grellen Kreischen menschlicher Todesqual wurde, um dann wieder zu leisem Stöhnen abzusinken, als wehte der Wind durch ferne Waldungen. Zu anderen Zeiten glaubte er das Geräusch schleichender Schritte hinter sich zu hören, dann wieder ließ spöttisches Lachen atavistische Furcht in seiner barbarischen Seele erwachen - eine Furcht, die er mit eiserner Selbstbeherrschung unterdrückte. -100-
Einmal drang ein leises gleitendes Geräusch an sein Ohr, als bewegte sich ein riesiger Wurm oder eine große Schnecke über den rauhen Steinboden. Selbst ein so erfahrener, in tausend Abenteuern gestählter alter Krieger wie Conan konnte nicht verhindern, daß ihm ein Schauer über den Rücken lief, wenn er daran dachte, welche unheimlichen Geschöpfe aus der Morgendämmerung des Zeitalters in diesen dunklen Tiefen, Hunderte von Metern unter dieser vergessenen Stadt, wohnen mochten. Das Stöhnen und Jammern, so versuchte er sich einzureden, waren nur die Geräusche des Windes, der durch die Wälder aus Kalksteingebilden wehte. Das Lachen kam vom Gurgeln unterirdisch fließenden Wassers, und das schleifende Geräusch mochte das Knirschen der tieferen Erdschichten selbst sein. Trotzdem aber verließen ihn seine abergläubischen Befürchtungen nicht. Conans Kopfhaut begann zu prickeln, seine Nackenhaare sträubten sich. Er wurde sich plötzlich bewußt, daß unsichtbare Augen ihn beobachteten. Nach seiner Schätzung irrte er jetzt seit über zwei Stunden durch die unterirdischen Höhlen. Er war auf nassen Steinen ausgeglitten, über Unebenheiten des Bodens gestolpert, er hatte Gräben und gähnende Spalten übersprungen und war steile Hänge hinauf- und hinabgeklettert. Er hatte ganze Kolonien von Fledermäusen aufgescheut, die mit dem Kopf nach unten in Trauben von der Decke herabhingen. Sie kreischten wütend und schwirrten in die Dunkelheit davon. Er fragte sich, wie lange seine Laterne ihm noch Licht spenden würde. Schon schien ihm die Flamme schwächer geworden; sie flackerte, als würde der Docht nur noch unregelmäßig mit öl versorgt. Jetzt aber meldeten ihm seine scharfen Sinne, die in den Jahren städtischen Lebens kaum etwas von ihren Fähigkeiten eingebüßt hatten, daß er sich unter der Überwachung versteckter -101-
Augen befand. Er verlangsamte seinen Schritt und bewegte sich behutsam und lautlos voran. Er spähte in die dunkel gähnenden Öffnungen der ringsumliegenden Höhlen, aber er erblickte kein menschliches Wesen. Er fragte sich, ob die Priester der Antillen Kristallkugeln mit magischen Kräften besaßen, die sie von ihren Atlantisvorfahren geerbt hatten, und wie Conan sie selbst in den hyborischen Ländern gesehen hatte. Diese Kugeln versetzten erfahrene Zauberer in die Lage, Ereignisse wahrzunehmen, die sich an weit entfernten Orten abspielten. Beobachteten jetzt die kalten Augen eines Antillenbewohners jeden Schritt, den er tat? Er blieb stehen und hielt lauschend den Atem an. Weit hinter ihm erklang ein metallischer Laut, als öffnete sich ein Tor. Jetzt wurden die Laute vielfältiger. Der Schweiß brach dem Cimmerier am ganzen Leibe aus, denn was er hörte, war ein gedämpftes Pfeifen, ein Gleiten und Scharren. Es hörte sich an, als hätte der ungesehene Beobachter eine Meute kleiner, aber gefährlicher Tiere hinter ihm losgelassen, die ihn durch die Höhlenwelt jagen und mit scharfen Klauen und Zähnen vernichten sollte. Conan schwang die Laterne, um den Hauptgang hinter sich zu erhellen. Das Licht wurde von Hunderten von Paaren kleiner Augen dicht über dem Boden zurückgeworfen. Als die Flut der Verfolger im helleren Lichtkreis erschien, ließ Conan seine Laterne vor Verblüffung fast fallen. Die Verfolger waren Ratten - aber was für Ratten! Im Laufe seiner Streifzüge hatte Conan in langen Jahren mit der kleinen grauen Ratte der hyborischen Länder, der flinken schwarzen Ratte aus Vendhya und der untersetzten braunen Ratte aus Hyrkanien Bekanntschaft gemacht. Aber diese Tiere hier hatten die Größe von kleinen Hunden, und keines von ihnen wog weniger als mehrere Pfund. Sie waren nicht nur ungewöhnlich groß, sondern auch so hager, als wären sie halb verhungert. -102-
Conan wirbelte herum und jagte davon. Gegen eine solche blutdürstige Meute konnte auch sein Schwert nur wenig ausrichten: der größte Kämpfer des Zeitalters wäre in Sekunden von dem Ansturm der pfeifenden, wild schnappenden Nagetiere überrannt worden. Der Cimmerier lief so schnell, wie er nie in seinem Leben gelaufen war. Der keuchende Atem schien mit jedem Zug seine Lungen in ein Flammenmeer zu verwandeln. Sein Herz hämmerte dumpf gegen die Rippen. Seine Beine schienen mit Blei beschwert; seine Muskeln schmerzten, als wenn tausend Teufel sie mit glühenden Nadeln durchbohrten, aber er lief taumelnd und schwankend weiter. Die hinter ihm her jagenden Ratten hielten Schritt mit ihm. Von Zeit zu Zeit gab es in den ersten Reihen einen wütenden Kampf zwischen zwei Tieren, von denen das eine tot auf der Strecke blieb. Aber diese Zwischenfälle verlangsamten die Geschwindigkeit der übrigen Verfolger kaum. Dann erkannte Conan einen schwachen Schimmer vor sich, und murmelndes Wasser verriet ihm, daß er sich einem Fluß näherte. Sekunden später erkannte er, daß es sich um einen brausenden Strom schwarzen Wassers handelte. Sekundenlang hoffte er, daß er sich als schmal genug erweisen würde, so daß er ihn mit einem Sprung überwinden und so eine Schranke zwischen sich und der verfolgenden Meute errichten konnte. Aber dann mußte er feststellen, daß das Wasser an dieser Stelle mehr als acht Meter breit war, zu breit, um mit einem Sprung überwunden zu werden. In seiner Jugend wäre ein solcher Abstand kein Hindernis für ihn gewesen, aber jetzt... Conan spreizte die Beine weit und erwartete den Angriff der Nagetiere. Seine Brust hob und senkte sich, und seine keuchenden Lungen soge n die kalte, feuchte und jetzt durch den Gestank der Rattenmeute verpestete Luft ein. Während das Blut ihm noch in den Ohren dröhnte, zog er sein Breitschwert zum letzten großen Kampf. -103-
Er stand auf einer etwa dreieckigen Felsplatte, die sich wie eine Miniaturinsel in den unterirdischen Fluß reckte. Daher konnten die Verfolger ihn nicht von den Seiten oder von hinten angreifen, wohl aber in breiter Front sich von vorn auf ihn stürzen. Die Riesenratten ergossen sich wie ein Strom schwarzgrauer Felle aus der Tunnelöffnung. Ihre Augen funkelten im Lampenlicht rötlich wie Sterne aus unendlicher Entfernung. Ihr Pfeifen übertönte das Murmeln des Flusses, und das Kratzen ihrer Krallen auf dem Stein klang, als wirbelte ein Herbststurm trockenes Laub auf. Conan bückte sich, stellte die kleine Laterne hinter seinen Füßen zu Boden und packte sein Schwert mit beiden Händen. Er hob seine Stimme zum dröhnenden Kampfgesang seines barbarischen Volkes, und dann stürzten sich die Ratten auf ihn. Als das erste Tier in Reichweite kam, schlug Conan zu und wirbelte es in zwei Hälften über die Köpfe seiner Gefährten. Lange sirrte dann das schwere Breitschwert wie die Flügel einer Windmühle. Verbissen ließ Conan den scharfen Stahl eine tödliche Acht in der Luft beschreiben. Jeder Hieb säuberte ein Stück des Bodens vor ihm. Und jeder Hieb schleuderte eine oder mehrere Ratten durch die Luft - zuweilen nur von der Wucht des Hiebes betäubt, dann wieder um Köpfe oder Beine erleichtert. Blut spritzte über Conans Arme und Schenkel. Dann und wann berechnete er einen seiner Hiebe falsch, so daß die Spitze des Schwertes den Steinboden ritzte und einen hellen Funkenregen auslöste. Aber die Meute drängte, von den hinter ihnen jagenden Tieren geschoben, weiter gegen die wirbelnde Klinge an. Vorübergehend wurde der Druck schwächer, denn einige der gefräßigen Tiere vergaßen den Angriff, um sich gierig auf ihre verletzten oder toten Artgenossen zu stürzen. Conan schwang weiter das Schwert, und Dutzende der zähen Nagetiere flogen durch die Luft. Seine Klinge war nun fast bis zum Griff -104-
blutgetränkt, und Blut machte den Steinboden unter seinen Füßen glitschig. Bei jedem Hieb löste sich ein Sprühregen roter Tropfen von seinem Schwert. Erneut griffen die Ratten wütend an, und trotz des Gemetzels, das er unter ihnen anrichtete, konnte der Cimmerier nicht verhindern, daß sie zum erstenmal in Berührung mit ihm kamen. Einige der Angreifer senkten ihre meißelscharfen Zähne in das feste Leder seiner Schuhe. Wütend trat und stampfte Conan um sich und beförderte ein halbes Dutzend Quälgeister ins Jenseits, aber die Lücken füllten sich schnell. Eine Ratte krallte sich in Conans Schuh, kletterte an ihm empor und verbiß sich durch den Stoff der Hose in seinem Knie. Er spürte den scharfen Schmerz der Fleischwunde, und ein schneller, genau gezielter Hieb ließ den Angreifer in zwei Fetzen davonwirbeln. Andere Tiere erreichten seine Hüften und die Brust, aber das Panzerhemd verurteilte ihre Bisse zur Wehrlosigkeit. Eine der Bestien schnellte sich mit einem mächtigen Satz vom Boden, landete auf Conans Brust und zog sich mit gespreizten Krallen weiter auf seinen Hals zu. Conan riß sich das Tier ab, als die Barthaare des Nagers sein Fleisch berührten. Wütend packte er die anderen Tiere, die sich in seine Kleidung verbissen hatten, schmetterte sie gegen die Tunnelwände oder beförderte sie mit einem Fußtritt in den Fluß hinter sich. Aber die zahlenmäßige Übermacht ließ ihn ahnen, daß er auf verlorenem Posten stand. Verendete Ratten lagen in kleinen Bergen um ihn herum, seine Füße fanden nur unsicheren Halt auf einer Masse, die aus zerfetzten Tierleibern und dem Blut der erschlagenen Nager bestand. Obwohl ihn seine Schuhe und das Panzerhemd bisher vor bösartigen Bissen bewahrt hatten, blutete er doch aus zwei brennenden Wunden an den Knien; auch die linke Hand, mit der er die Ratten gepackt hatte, die an seinem Körper emporgeklettert waren, wies mehrere blutende Schrammen auf. -105-
Einen Augenblick ließen die Tiere in ihrer Angriffswut nach. Keuchend blickte der Cimmerier sich um und entdeckte etwas, was ihm schon früher aufgefallen wäre, hätte er nicht sein ganzes Augenmerk auf die Verteidigung richten müssen. Etwa eine Bogenschußweite stromabwärts überspannte ein von der Natur geschaffener Bogen aus Stein den rauschenden schwarzen Fluß. Der Cimmerier begriff sofort, daß jeweils nur zwei oder drei der blutdürstigen Bestien zugleich ihn angreifen konnten, wenn es ihm gelang, sich auf diesen schmalen Grat zu retten. Dort würde er gegen eine ganze Welt voller Ratten ankämpfen können. Er winkelte die Arme an und begann zu laufen. Keuchend arbeitete er sich auf dem steinernen Bogen empor und bezog in der Mitte, an der schmälsten Stelle, Posten. Er bedauerte, daß er sich in der Eile nicht die Zeit genommen hatte, die kleine Laterne mitzunehmen. Aber der Ölvorrat mußte ohnehin bald erschöpft sein. Nur ein schwacher flackernder Lichtschein fiel aus dieser Entfernung noch auf die Szene. Die Ratten brauchten nur kurze Zeit, um ihr Wild wiederzuentdecken, aber die Pause gab Conan Gelegenheit, wieder zu Atem zu kommen und klare Gedanken zu fassen. Die Ratten formierten sich zum Angriff. Als sie, wütende Pfiffe ausstoßend, den geneigten Bogen emporkletterten, stellte sich Conan ihnen, das Schwert in beiden Händen, entgegen. Sobald die Nager nahe genug heran waren, begann er methodisch, das Schwert nach rechts und links zu schwingen und fegte mit jedem Hieb einige der Angreifer von dem schmalen Pfad. Dutzenden und Hunderten brachte der scharfe Stahl den Tod, andere, die nur von der Wucht von Conans Hieben betäubt und in die Tiefe geworfen wurden, landeten im Strom, der sie schnell in die Finsternis davontrug. Doch das Ende kam schnell. Eine große schwarze Ratte mit -106-
gesträubtem Barthaar, die über zehn Pfund wiegen mochte, löste sich aus dem wütenden Rudel, um dem Cimmerier an die Kehle zu springen. Mit der Linken packte Conan das Fell des Tieres, als sich seine scharfen Krallen in seinem Panzerhemd verankerten und es die spitze Schnauze mit den scharfen meißelähnlichen Zähnen auf seine Halsschlagader richtete. Die Kraft hatte Conans Glieder verlassen. Sein ganzer Körper war wie gelähmt, die Glieder wogen bleischwer. Als die scharfen Zähne der Bestie die Haut unter Conans Bart ritzten, war er unfähig, sich von seinem Peiniger zu befreien. Als ein anderes Tier seine n Schuh angriff, trat er instinktiv nach ihm, verfehlte es und taumelte, von den bösartig pfeifenden Nagern verfolgt, zurück. Schwer stemmte er sich mit den Fersen gegen den Stein, um nicht von dem Bogen herabzustürzen. Die von der Natur geschaffene Brücke aber hielt seinem Gewicht nicht stand; mit donnerndem Bersten löste sich das ganze Mittelstück, auf dem Conan sich zum letzten Kampf gestellt hatte, und verschwand in einer Wolke von Kalkstaub tief unten in der strömenden Flut. Conan wurde von dem Gewicht seiner Rüstung unwiderstehlich hinabgezogen. Die riesige Ratte, die seine Kehle bedroht hatte, war zwar verschwunden, aber Conans Ende schien weiterhin unausbleiblich - statt von gierigen Ratten zerfetzt zu werden, drohte ihm jetzt der Tod des Ertrinkens. Er spürte Grund unter den Füßen, stieß sich ab, bis er die Oberfläche wieder erreichte und holte tief Atem, bevor das Gewicht der Rüstung ihn erneut hinabzog. Die brausende Strömung warf ihn hart gegen die Unebenheiten des Flußbettes, so daß er sich immer wieder überschlug. Noch einmal erkämpfte er sich mit letzter Kraft den Weg an die Wasseroberfläche. Er war immer ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen, jetzt wurde ihm das Panzerhemd, das ihn vor tausend Gefahren beschützt hatte, zum Verhängnis. Noch einmal stieß er sich ab und konnte den Kopf über die -107-
Wasserfläche heben. Noch einmal füllte ein mächtiger Atemzug seine Lungen mit Luft. Dann zog ihn das Gewicht von Hemd und Schwert unerbittlich unter Wasser. Bunte Kreise begannen seinen Augen zu tanzen, er spürte, wie ihn das Bewußtsein verließ, als sänke er schnell in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Sigurd von Vanaheim konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen. Als der stämmige alte Vanir wie der Rest der Besatzung des »Roten Löwen« den narkotischen Dämpfen erlag, mit denen die Männer des Drachenschiffes sie außer Gefecht setzte, hatte er kaum erwartet, das Tageslicht jemals wiederzusehen. Statt dessen war der alte Pirat mit brummendem Schädel erwacht. Er sah, daß er sich in dem großen Laderaum des Antillenschiffes befand, mitten unter seinen Gefährten, die gleich ihm das Bewußtsein wiedererlangten. Eine Gruppe kleiner, brauner Krieger in seltsam glänzenden Rüstungen umstand sie. Sobald Sigurd wieder klar denken konnte, sah er, daß das Drachenschiff nic ht völlig aus Gold oder einem anderen gelben Metall gebaut, sondern nur dünn mit einer goldfarbenen Schicht gepanzert war. Die Planken unter seinen Füßen bestanden aus Holz, das dunkler als Eiche, offensichtlich aber ebenso hart war. Das gedämpfte Dröhnen der Wellen, die sich an dem gewölbten Rumpf brachen, drang an sein Ohr, und Sigurd wußte, was geschehen sein mußte. Seine Blicke wanderten über die Gesichter seiner Besatzung. Die Männer waren mitgenommen und blutverschmiert, zwei von ihnen hatten böse Wunden davongetragen. Alle schienen bei klarem Verstand zu sein und zu wissen, daß sie Gefangene der Antillenbewohner waren. Der alte Freibeuter zuckte plötzlich zusammen, als hätte ein Pfeil sein Herz durchbohrt. Mit gerunzelten Brauen musterte er -108-
noch einmal seine Männer - wo war Conan geblieben? Das vertraute Gesicht unter der eisenfarbenen Mähne fehlte. Der alte graue Wolf wird lieber kämpfend den Tod gefunden haben, dachte Sigurd, als daß er sich von diesen puppenhaften kleinen braunen Männern gefangennehmen ließe. Befand sich Conan aber tatsächlich unter den Toten, dann ruhte auf Sigurds Schultern jetzt die Verantwortung. »Mut, ihr Halunken!« knurrte er. »Wir sind zwar keine freien Menschen mehr, aber wir leben noch. Und solange wir noch atmen, können sic h uns Gelegenheiten bieten, die Freiheit zu erkämpfen!« Goram Singh musterte ihn mit einem langen Blick seiner schwarzen Augen. »Wo ist unser Führer Amra, Sigurd? Warum ist er nicht bei uns?« wollte der Vendhyaner wissen. Sigurd fuhr sich langsam durch den mit grauen Fäden durchsetzen roten Bart. »Bei Shaitans Schweif und dem Stern von Ningal, ich weiß es nicht. Vielleicht liegt er gefesselt in einem anderen Teil dieses verdammten Schiffes...« Der Vendhyaner nickte schweigend, beugte aber den Kopf mit dem Turban und mied Sigurds Blick. Er wußte so gut wie der Vanir, daß Conan kaum vom Rest der Mannschaft getrennt worden wäre. Wahrscheinlicher war, daß der mächtige Cimmerier in die Gefilde der Toten eingegangen war. Die Fahrt zum Hafen von Ptahuacan nahm infolge des zusätzlichen Gewichtes von einem halben hundert stämmiger Piraten fast eine Stunde in Anspruch. Sigurd blinzelte in die Sonne, als sie in schweren Glasketten aus dem mit Gold beschlagenen Drachenschiff geführt wurden. Neugierig blickte er über die alte Stadt aus verwittertem Stein und bunt bemaltem Stuck, deren Wohngebiete dich den Hang des Berges hinaufzogen. Nie in seinem ganzen Leben hatte Sigurd von Vanaheim eine so seltsame Hauptstadt gesehen, in der alle Gebäude mit den -109-
Darstellungen von Göttern mit den Köpfen von Ungeheuern und Menschen, die Tierköpfe auf den Schultern trugen, geschmückt waren. Auf der ganzen Szene lag der geheimnisvolle Schatten der sich in den Himmel reckenden Pyramide aus schwarzem und rotem Stein. Von der Spitze des Tempels stieg ständig eine Rauchfahne wie aus einem von Menschenhand geschaffenen Vulkan auf. Die Piraten hatten keine Gelegenheit, einen längeren Blick auf die alte Atlantisstadt zu werfen. Ihre Wächter führten sie eilig durch die Straßen der Stadt, hinauf von Ebene zu Ebene und durch die Bronzetore der grauen Zitadelle, die sich neben dem Platz mit der großen Pyramide erhob. Als die mächtigen Tore sich mit dumpfem Laut hinter ihnen schlossen, ahnten die meisten Piraten wohl, daß sie für viele Tage zum letztenmal frische Luft geatmet und blauen Himmel über sich gesehen hatten. Wärter trieben sie über endlose steinerne Treppen tief in die Eingeweide des Berges hinab, auf dessen Flanke Ptahuacan errichtet worden war. Als ihre Beine ihnen kaum noch gehorchen wollten, betraten die Gefangenen endlich einen großen höhlenartigen Raum, der aus dem festen Stein herausgehauen worden war. Hier wurden ihre Ketten gelöst, aber wachsame Posten mit stoßbereiten Piken ließen sie keine Sekunde aus den Augen. Dann wurden ihre Fußknöchel an eine lange Kette aus Glas geschlossen, die durch fest eingelassene Ringe an der Mauer entlang verlief. Die Posten verließen den Raum, und die Gefangenen blieben allein zurück. Hoch über ihren Köpfen waren Platten aus glänzendem Metall in die Decke eingelassen. Diese Platten glühten mit sanftem rötlichem Schein, der schwache Helligkeit in dem großen Gewölbe verbreitete. Sigurd fragte sich, ob diese Platten aus Orichalcum, dem berühmten Atlantismetall bestünden, aber es -110-
gab zuviel andere Dinge, die dringlicher waren als die Beantwortung dieser Frage. Einmal am Tage bekamen die Gefangenen zu essen. Eimer mit säuerlich riechendem, fade schmeckenden Brei wurden in einen langen, schmutzstarrenden Steintrog geleert, der sich an der Wand hinter ihnen erstreckte. Der Brei war klumpig und hatte nur wenig Ähnlichkeit mit etwas Eßbarem, aber der Hunger war stärker als die Empfindlichkeit der Gefangenen, und bald erwartete Conans Mannschaft begierig diese Stunde der täglichen »Raubtierfütterung«. Sigurd mußte sogar seine ganze Autorität aufbieten, um die Männer daran zu hindern, daß sie sich um das unappetitliche Essen prügelten. In diesem feuchten Verlies, ohne jede Sicht auf Himmel und Gestirne, verloren die Piraten bald jeden Sinn für die Zeit. Da sie keine Waschgelegenheit hatten, starrten ihre Hände vor Schmutz, ihr Kopfhaar und die Barte verfilzten. Die Wunden, um die sich niemand kümmerte, begannen zu eitern. Zwei Männer starben unter Qualen - ein stämmiger Shemite und ein Schwarzer aus den dichten Dschungeln des südlichen Kush. In Glaspanzer gekleidete Wärter schleppten die Toten aus dem Verlies. Mit der Hilfe Yasungas, des Steuermannes, Milos, des Bootsmannes, und Yakovs, des Anführers der Bogenschützen, bemühte sich Sigurd nach besten Kräften, die Stimmung seiner Männer hochzuhalten. Es war keine leichte Aufgabe, denn es handelte sich um einen bunt zusammengewürfelten Haufen, erfüllt von Haß und Mißtrauen, zu Gewalt neigender Leidenschaft und abergläubischer Furcht. Sigurd, der zwar in der Bruderschaft großen Respekt genoß, war kein Mann von der Qualität Amras des Löwen, dem man fantastisches Glück und übernatürliche Kräfte nachsagte. Der Mann aus dem Norden entdeckte bald, daß sich die Männer am leichtesten unter Kontrolle halten ließen, wenn er sie ermunterte, mit ihren vergangenen Tagen zu prahlen. -111-
Aber auch dieser Trick half nicht ewig. Selbst Sigurds mühsam zur Schau getragener Optimismus ließ sich nur schwer aufrechterhalten. Das feuchte Verlies mit den Steinwänden und das ewige Halbdunkel drückten die Stimmung. Und die Drohung eines unbekannten Schicksals legte sich schwer auf alle und entmutigte selbst die Tapfersten. Mehrmals versuchte Sigurd, unterstützt durch die stärksten Männer der Besatzung, die Ketten zu zerreißen, die sie fesselten. Das Glas, aus dem die Glieder geschmiedet waren, wirkte äußerst zerbrechlich, aber der Mann aus Vanaheim hatte nie Glas gesehen, das sich als so hart und widerstandsfähig wie dieses durchsichtige Material erwies. Sie mochten es biegen, gegen die Steinwand schmettern, mit den Füßen darauf herumstampfen - nicht die kleinste Spur ihrer verzweifelten Anstrengung blieb auf der glatten schillernden Oberfläche zurück. Alles deutete darauf hin, daß jeder Versuch einer Flucht aussichtslos war. Sie konnten nur darauf warten, daß das Schicksal seinen Lauf nahm. Das metallische Klirren von Speeren auf Schilden ließ Sigurd aus unruhigem Schlaf emporschrecken. Er richtete sich auf seinem faulenden Strohlager auf und sah, daß Soldaten den Raum betreten hatten und seine Gefährten mit harten Stößen weckten. Dann fesselten sie ihnen die Hände auf dem Rücken. »Was bedeutet das, Käpt’n?« murmelte Goram Singh an Sigurds Seite. Sigurd schüttelte den Kopf. »Vielleicht wissen es Crom und Mitra, Kamerad«, knurrte er. Dann hob er die Stimme und wandte sich den anderen zu: »Zeigt ein bißchen Leben, Jungens! Zeigt diesen braunen Hundesöhnen, daß wir Männer sind, obwohl sie uns wie wilde Tiere in unserem eigenen Schmutz in diesem Käfig schmoren ließen. Wenn wir auf dem Henkersblock enden, wollen wir -112-
zeigen, wie Männer zu sterben wissen. Einverstanden, Brüder? Steht ihr bis zum letzten an der Seite des alten Sigurd?« Schreie heiserer Zustimmung stiegen von den Piraten auf: »Ja, Rotbart, bis zur letzten Minuten sind wir bei dir!« »Ich wußte, daß ich mich auf euch verlassen kann! Vielleicht haben wir auch Glück, und es heißt statt Henkersblock nur Sklavenmarkt. Bei dem Ruf unserer Bruderschaft nehme ich an, daß hochwohlgeborene Damen verrückt danach sein werden, stämmige Burschen wie uns für spezielle Dienste in ihren Schlafgemächern zu kaufen. Dann brauchen wir nur noch einen anderen Fraß und...« Auf sein Blinzeln antworteten die Männer mit gellenden Pfiffen und obszönen Gesten. Sigurd grinste breit, aber sein Lachen war nicht echt. Er glaubte, das düstere Ende zu kennen, das sie auf diesen verwünschten Inseln am Rande der Welt erwartete. Verwundert in das ungewohnte Sonnenlicht blinzelnd, sahen die Piraten sich beim Verlassen der Zitadelle um. Über ihnen wölbte sich der blaue Himmel wie ein Dom aus Saphiren. Die Sonne stand fast im Zenit und überschüttete sie mit einer Backofenglut, die den Männern nach der kalten Dunkelheit des stinkenden Verlieses wie ein Wunder erschien. In der Gewißheit, daß es auf dieser Welt ihre letzte Gelegenheit war, atmeten sie tief die vom Hafen kommende herbe Brise ein. Sie standen auf dem Platz mit der großen Pyramide aus schwarzem und rotem Stein. Tausende von Antillenbewohnern drängten sich erwartungsvoll auf der weiten Fläche. Sigurd, der in der vordersten Reihe stand, wandte sich um und blickte seine Gefährten an. Er sah eine bemitleidenswerte Gruppe zerlumpter, schmutzstarrender und verhungerter Männer mit langem Haar und verfilzten Barten. Zwei Reihen von Soldaten hielten eine Gasse offen, die vom Vorraum der Götter zur Pyramide verlief. Durch diese Gasse trieben die Posten jetzt -113-
ihre Gefangenen, bis sie Anschluß an eine Gruppe nackter Antillenbewohner fanden. Priester in Federumhängen und Schuhen mit überhöhten Sohlen und Absätzen eilten geschäftig hin und her, während andere mit sonderbaren Standarten und Bannern am Fuß der Pyramide Aufstellung genommen hatten. Peitschen zischten durch die Luft und klatschten auf die Schultern der Piraten nieder, als die Soldaten diesen ihre Plätze hinter den nackten Antillenbewohnern anwiesen. Die Kette der braunen Männer wand sich langsam und stumm die steile Steintreppe hinauf, die zur Spitze der Pyramide führte. Sigurd legte den Kopf in den Nacken und spähte aus halbgeschlossenen Lidern zu dem ragenden Bauwerk empor, um zu erkennen, was sich dort oben gegen das grelle Licht der Mittagsstunde abspielte. Er erkannte einen breiten schwarzen Steinaltar und dicht daneben einen mächtigen Thron, auf dem eine Gestalt im Federgewand saß. Nacheinander wurden die stummen Antillenbewohner zum Tempel geführt. Sigurd sah, daß Priester in Federumhängen, mit hinter Tiermasken verborgenen Gesichtern, sie bei den Armen packten, ihre Fesseln durchtrennten und die Männer zwangen, sich mit dem Rücken auf den Stein zu legen. Dann trat eine andere Gestalt in einem noch fantastischeren Gewand aus Federn und Juwelen vor. Sie reckte einen hageren braunen Arm, um ein geheimnisvolles Symbol auf die nackte Brust des vor ihm liegenden Antillenbewohners zu zeichnen. Dann... Vor Sigurds Augen verschwamm plötzlich alles. Er senkte den Kopf, um sich die Augen zu reiben. Als er wieder emporblickte, sah er, daß der Hohepriester den Arm erhoben hatte. In seiner Faust blitzte ein Messer aus Glas. Das Messer sauste nieder. Die Gestalt auf dem Stein zuckte zusammen. Einen Augenb lick beugte der Priester sich über sein Opfer, führte das Messer hin und her und tastete mit seiner freien Hand. -114-
Dann hoben sich die braunen, jetzt von Blut überströmten Arme erneut und hielten eine tropfende blutrote Masse gegen den Himmel - das Herz des Opfers, das ihm bei lebendigem Leibe herausgeschnitten worden war! Die Zuschauer hielten den Atem an. Die Priester begannen einen leisen, hypnotischen Gesang, der Sigurd an das rhythmische Murmeln des Meeres erinnerte. Vom Opferfeuer neben dem Altar stieg dunkler Rauch auf, als das Herz des letzten Opfers zu den anderen geworfen wurde, die sich bereits auf den glühenden Kohlen häuften. Die Leiche wurde durch einen der blutbespritzten Helfer aus Sigurds Gesichtsfeld gezogen, und das nächste stumme Opfer an den Altar geführt. Sigurd fragte sich schaudernd, seit wann das grausige Schauspiel bereits im Gange sein mochte. Die Posten trieben die Reihe wieder einen Schritt vorwärts. Die Piraten hinter Sigurd waren ebenso stumm wie der Mann aus Vanaheim. Der alte Freibeuter fühlte nur eine kalte, lähmende Leere, als wäre die Zeit stehengeblieben und das Universum auf die Dimensionen seines eigenen Körpers zusammengeschrumpft. Wenige Augenblicke noch, und alles würde vorüber sein. Sigurds Herz hämmerte. Seine ganze Männlichkeit revoltierte dagegen, sich dem Schicksal widerstandslos zu ergeben. Bei Thors Hammer, er fürchtete den Tod nicht. Er und der Tod waren alte Seekameraden. Bei Badb, was ließ ihn also Abscheu verspüren? Er wußte es - Stolz, reiner Stolz! Sigurd stieß ein bellendes Lachen aus, das Überraschung auf den Gesichtern der ihm nahe stehenden Piraten in der sich langsam vorwärts bewegenden Reihe hervorrief. Ja, bei Morrigan, dies war eine verteufelte Art für einen alten Vanir, zu sterben! Zuerst glaubte er, er sei tot - und daß das Meer des Lebens -115-
seine Leiche an die dunklen Küsten der Nachwelt gespült hatte. Kurze Zeit lag er still und blinzelte nur, um seine Augen von dem Wasser zu säubern, das seine Umgebung verschwimmen ließ. Dann begannen seine Sinne wieder zu arbeiten, und Conan wußte, daß er es irgendwie überlebt hatte. Unglaublich, aber er lebte tatsächlich! Nach allem, was er durchgemacht hatte, müßte er ein Leichnam sein, ertränkt durch das Gewicht seines Panzerhemdes und von der schnellen Strömung über das unregelmäßige Flußbett geschleift. Er stützt sich auf einen Ellbogen und sah sich um. Er lag in einer großen Höhle, die sonderbarerweise nicht völlig dunkel war. Nach und nach entdeckte er Tausende von kleinen glühenden Lichtpunkten auf den fernen Mauern und an der Decke der Höhle. Für eine Sekunde glaubte er, daß er im Freien läge und daß die grünen Lichtpunkte Sterne seien, aber dann kam ihm zu Bewußtsein, daß so viele Sterne nie die gleiche Helligkeit haben, noch so gleichmäßig verteilt sein würden. Er lag im nassen Sand am Ufer des unterirdischen Flusses, in den er gestürzt war. Der Fluß ergoß sich durch einen niedrigen, spitz zulaufenden Einschnitt, den er undeutlich hinter den brausenden Wassern erkennen konnte. Dann machte der Wasserlauf eine scharfe Biegung nach links und rauschte durch eine andere dunkle Öffnung weiter. Die plötzliche Änderung des Flußlaufes mußte Conans fast leblosen Körper in der Krümmung gegen den Uferrand geworfen haben, und ein noch verbliebener Funke von Lebenswillen hatte den Cimmerier veranlaßt, sich das kurze Stück des Uferrandes hinaufzuschieben und so aus dem Bereich des Stromes zu kommen. Dann war er bewußtlos zusammengebrochen. Er richtete sich in sitzende Stellung auf und untersuchte sich im schwachen grünen Glimmen der Höhlenwände, so gut es ging. Keine Knochen schienen nicht gebrochen, aber sein Körper war mit Schnitten, Schrammen und Beulen bedeckt, die er den Zähnen der riesigen Ratten und den scharfkantigen -116-
Steinen des Flußbettes verdankte. Seine Hosen waren zerfetzt, und die scharfen Zähne der Nagetiere hatten seine Schuhe aufgeschlitzt, so daß an mehreren Stellen seine Zehen herausschauten. Zum Glück hatte das kalte Wasser des unterirdischen Flusses seine Wunden gesäubert. Eine leichte Rostschicht hatte sich auf den Gliedern seines Panzerhemdes gebildet, so daß es leise quietschte, wenn er sich bewegte. Er besaß noch seinen Dolch, aber das Schwert war seiner Hand entfallen, als er in den Fluß stürzte. Taumelnd kam er auf die Füße und wankte. Jeder Muskel seines mächtigen Körpers schmerzte. Der Kampf mit den Ratten hatte selbst seine letzten Reserven erschöpft und ihn an die Grenze des Erträglichen gebracht. Um ein Haar wäre er ertrunken. Er hatte wahrscheinlich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, wenn nicht sogar noch länger, geschlafen. Er dehnte seine steifen Muskeln und spürte das Prickeln des wieder arbeitenden Blutkreislaufs. Wenige Schritte auf dem halbmondförmigen Uferstreifen ließen das Gefühl wieder in seine Glieder zurückkehren. Er löste die leere Scheide seines Breitschwertes vom Waffengurt und warf sie fort. Sie war zu leicht, um sich als Waffe benutzen zu lassen und würde ihn nur behindern. Dann kam ihm zu Bewußtsein, daß er hungrig und durstig war. Den Durst stillte er am Rand des Stromes, aber gegen seinen Hunger war er machtlos... Eine flüchtige Bewegung an der Oberfläche des Flusses erregte seine Aufmerksamkeit. Dann bemerkte er einen ähnlichen Wirbel an einer anderen Stelle und erkannte, daß es sich um Fische handelte. Er fand einen kleinen felsigen Vorsprung und ließ sich darauf nieder, um mit der Geduld eines alten Jägers zu beobachten. Die Zeit verging. Dann zuckten Conans lange Arme plötzlich vor, und als seine Hände sich wieder aus dem schwarzen Wasser -117-
lösten, hatten sie einen zappelnden Fisch bei den Kiemen gepackt. Er schmetterte den Kopf des Fisches gegen den Fels, schabte die Schuppen mit seinem Dolch ab und verzehrte das Fleisch roh. Als er sein Mahl beendet hatte, wusch er sich Blut und Schuppen von Gesicht und Händen und machte sich an die Erforschung seiner Umgebung. Er erreichte die Stelle, an der sich der Boden der Höhle und die Wand trafen, und musterte das grüne Glühen, das von einer leuchtenden Masse auszugehen schien, die die Form und Größe eines Kinderfingers hatte. Zu vorsichtig, ihm unbekannte Dinge mit bloßer Hand zu berühren, zog Conan seinen Dolch und berührte damit die Stelle. Das grüne Wesen schlängelte sich, löste sich von der Wand, rollte an seinen Füßen vorbei und begann über den Boden der Höhle zu kriechen. Ein näherer Blick zeigte Conan, daß die Quelle des Lichtes ein leuchtender Wurm war. Hunderttausende dieser Tiere hingen an den Wänden und an der Decke der Höhle. Conan knurrte zufrieden. Sofort verlöschten Hunderte der Glühwürmer dicht bei ihm an der Höhlenwand und ließen eine große dunkle Stelle zurück. Conan blieb stumm und bewegte sich nicht, und sogleich leuchteten die kleinen grünen Geschöpfe wieder auf; schwach zuerst, bis sie ihre normale Helligkeit wiedererlangt hatten. Plötzliche Geräusche erschreckten die Würmer offensichtlich und veranlaßten sie, ihre Lichtquelle auszuschalten. Conan war überzeugt, daß er sich weit von der ursprünglichen Richtung, in die er sich gewandt hatte, abgekommen war. Er machte sich daran, die riesige Höhle weiter zu untersuchen. Gigantische Stalagmiten wuchsen hier und dort vom felsigen Boden auf, um sich den von der Decke herabhängenden Stalaktiten zu nähern und sich zuweilen sogar mit ihnen zu vereinen. Diese Naturpfeiler erinnerten Conan an die den Göttern der Unterwelt geweihten Säulenreihen primitiver Tempel. -118-
Eine Idee kam dem Cimmerier plötzlich, und Sekunden später hatte er sie in die Tat umgesetzt. Seine Rechte schwang die neue Waffe - einen fast zwei Meter langen Stalaktiten, dessen eines Ende so dick wie sein Handgelenk war, während das andere spitz wie ein Speer zulief. Mit dieser Waffe konnte er den Körper eines Feindes durchbohren. Er konnte das Kalksteingebilde auch am dünnen Ende ergreifen und als Keule benutzen, obwohl er nicht sicher war, daß das Material dieser Beanspruchung gewachsen war. Auf kurze Entfernung mochte er die Waffe sogar als Speer benutzen können. Mit dieser Bewaffnung fühlte Conan sich sogar imstande, die namenlosen Schrecken des dunklen Reiches herauszufordern. Behutsam setzte er seine Erforschung fort. Je weiter es ging, um so schmaler wurde die Höhle und um so tiefer senkte sich die Decke. Die Glühwürmer traten weniger in Erscheinung, so daß Conan in der zunehmenden Dunkelheit noch behutsamer vorgehen mußte. Dann berührte der ausgestreckte Stab des Cimmeriers etwas, das sich bewegte. Conan erstarrte und kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was sich ihm in den Weg gestellt hatte. Ein wütendes Zischen ertönte aus der Dunkelheit vor ihm, wie das Zischen einer Schlange, nur hundertfach lauter. Der widerliche Geruch, wie er von Reptilen ausgeht, erreichte seine Nase. Schweiß bildete sich in Conans Brauen und rann ihm beißend in die Augen. Was war geschehen? War er in ein Schlangennest geraten? Wie die meisten nördlichen Barbaren verabscheute er die Schlangen, die die Dschungel der heißen südlichen Länder bevölkerten. Mehrmals in seinem Leben war er auf Schlangen gestoßen, die von übernatürlicher Größe waren - Ungeheuer von über siebzehn Meter Länge, mit Köpfen, die denen von Pferden in der Größe nic ht nachstanden. Er beschloß, sich still zurückzuziehen und machte einen Schritt rückwärts. Ein schnarrendes Geräusch erklang, als würde -119-
ein schweres Gewicht über den Steinboden vor ihm geschleift. Conan blieb stehen und hielt den Atem an, um seine Gegenwart nicht durch den leisesten Laut zu verraten. Die Glühwürmer begannen wieder zu leuchten. In ihrem schwachen Schimmer erschien eine Quelle kalten grünen Lichts auf der Höhe von Conans Augen. Es war ein großes Auge, das zur Seite schwang, und nun sah Conan, daß dieses Auge zu einem Augenpaar gehörte. Der Cimmerier war einem Drachen begegnet - einem Reptil, das in seiner äußeren Gestalt jenen Eidechsen ähnelte, die er in den Auslagen der Fleischerläden von Ptahuacan gesehen hatte. Dies hier aber war ein Ungeheuer, das fast zwanzig Meter maß. Seine Kiefer öffneten sich gähnend und gaben den Blick auf die weißen gekrümmten Fänge frei. Von der Spitze des schlank zulaufenden Kopfes züngelte eine gespaltene Zunge, wie sie sonst Schlangen eigen ist. Sie wurde wieder in den Rachen zurückgezogen, um dem Drachen Witterung zu geben, wer ihm gegenüberstand. Conan wirbelte herum und suchte nach einem Fluchtweg, um das gigantische Reptil zu umgehen. Der Drachen hob seinen schuppigen Körper von dem Felsen, auf dem er geruht hatte, und machte sich an die Verfolgung Conans. Trotz der ungeschickt wirkenden Bewegungen mit den gekrümmten Beinen entfaltete der Drache eine beachtliche Geschwindigkeit. Bei dem Versuch, einen Bogen um das Reptil zu schlagen, geriet Conan in einen seitlich abzweigenden Gang. Hier war es dunkler, so daß er seine Geschwindigkeit mäßigen mußte. Der Tunnel, durch den er lief, weitete sich zu einem Raum, der etwas heller war. Auf beiden Seiten erkannte Conan zwei weitere Drachen. Der eine schlief, der andere beendete sein Mahl - ein Paar menschlicher Beine ragte zwischen den Kiefern des Ungeheuers heraus. Als Conan zwischen den beiden Tieren hindurchlief, öffnete -120-
das schlafende Reptil seine Augen. Aus dem Rachen des anderen ertönte ein rülpsendes Geräusch, und die menschlichen Beine verschwanden. Zugleich erreichte der verfolgende Drache die Höhle und blieb Conan auf den Fersen. Die beiden anderen Tiere schlössen sich der Jagd an. Die Höhle bildete eine Art Vorraum für einen noch größeren Raum, der von einem schmalen Streifen Tageslicht, das durch eine Öffnung in der Decke fiel, erhellt wurde. Auf einer Seite der Höhle befanden sich zwei große bronzene Türen, wie Conan sie an der Pyramide gesehen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite waren lange Dorne in die steinerne Wand getrieben und bildeten eine Art Leiter, die bis in eine Höhe von etwa zehn Metern führte und auf einer kleinen Plattform endete, von der ein Gang abzweigte. Conan hatte den flüchtigen Eindruck, daß ein bewaffneter Antillenbewohner auf der Plattform lauerte, aber die Zeit, sich zu vergewissern, fehlte. Sein größtes Interesse galt sechs schiefergrauen Drachen, deren Größe von einem knapp drei Meter langen Jungtier bis zu einem alten, fast zwanzig Meter messenden langen Reptil reichte. Sie hockten mitten auf dem Boden der Höhle, die Köpfe nach der Mitte gewandt und direkt unter dem einfallenden Lichtstrahl. In dem Schmutz, der den Boden der Höhle bedeckte, entdeckte Conan die lederartigen Oberflächen halb vergrabener Reptileier, die an Größe noch die Eier der Strauße von Kush übertrafen. Weiter sah er Menschenknochen - hier einen Schädel, dort einen Kiefer, weiter hinten einen Hüftknochen. Als Conan, verfolgt von den drei Drachen, in den Raum stürzte, wandten die sechs Drachen ihre Köpfe und starrten ihn aus Augen an, die wie große grüne Juwelen funkelten. Zur rechten Hand Conans gähnte der Eingang zu einem anderen Tunnel. Er rannte auf ihn zu, aber der Anblick zweier großer grüner Augenpaare und das scharrende Geräusch von -121-
Schuppen auf Stein ließen ihn in der Bewegung erstarren. Zwei weitere Drachen waren, durch den Lärm aufgescheucht, herbeigeeilt, um zu sehen, was sich abspielte. Und dieser Tunnel war nicht breit genug für Conan, um sich an den Wächtern vorbeizuzwängen, ohne in ihre Reichweite zu gelangen. Er drehte sich um und lief auf die Bronzetüren zu. Sie wiesen weder Riegel noch Schloß auf der Innenseite auf, noch gaben sie dem Druck seiner Schultern nach. Die Drachen kamen jetzt auf ihn zu. Er stand einem weiten Halbkreis der Bestien gegenüber. Schweiß rann ihm über die Stirn und brannte in seinen Augen. Langsam, aber unaufhaltsam näherten sich die Tiere dem Cimmerier. Unter der. grellen Mittagssonne schlurfte die lange Reihe schweigender Männer langsam auf die mächtige Pyramide zu. Sigurd fühlte, wie ihm beißender Schweiß über das Gesicht und den Rücken rann. Er hatte nie damit gerechnet, daß sich ihm das Ende in einer solchen Szene barbarischer Größe präsentieren würde. Er ließ den Blick über den hitzeflimmernden Platz wandern. Auf allen vier Seiten waren lange Reihen von steinernen Bänken errichtet, auf denen Tausende der wohlhabenden Antillenbewohner, reich mit Gold, Jade und Feder geschmückt, Platz genommen hatten, um das blutige Schauspiel zu genießen. Das gewöhnliche Volk, zumeist nur mit einfachen Lendentüchern bekleidet, hatte sich am Fuße der Pyramide zusammengefunden. Ebenfalls am Fuß der Pyramide stand die Priesterschaft von Ptahuacan in Reihen, die rhythmisch hin und her wogten. Die Trommler hatten an einer Seitenwand der Pyramide Aufstellung genommen. Sigard blickte auf. Hoch über der Menge, klar gegen den azurblauen Himmel zu erkennen, saß der Hierarch, in sein Gewand aus glänzenden smaragdfarbenen Federn gekleidet. -122-
Seine hageren braunen Arme waren gegen den Himmel gereckt. Er saß auf einem erhabenen Thron an einer Seite der Plattform, die den höchsten Punkt der Pyramide bildete. Juwelen und Perlmutt ließen den Thron blitzen und funkeln. Um den Altar herum waren ein Opferpriester und mehrere Gehilfen in ihre Tätigkeit vertieft. Gerade in diesem Augenblick wurde eine Sklavin zum Opfer der alten heidnischen Riten. Die Gehilfen packten sie, hoben sie auf den Altar und hielten sie in dieser Stellung fest. Die Klinge aus Glas blitzte in der Sonne, als sie niederzuckte. Gleich darauf hob der Oberpriester ein tropfendes Herz empor. Sigurds Kinn fiel herab. Plötzlich kam das Wesen in Sicht, für das dieser Festschmaus veranstaltet wurde. Aus heiterem Himmel war es plötzlich da. Ein Schatten verfinsterte die Sonne. Eine Wolke schien sich über den Platz zu senken. Die Luft war plötzlich von der eisigen Kälte des interstellaren Raumes erfüllt, während der Dämon der Dunkelheit, Gestalt annehmend, über der Pyramide kauerte. Vor Schreck fast erstarrt, wurde Sigurd klar, daß dieses Wesen aus der Dunkelheit sich von der Lebenskraft der auf dem Altar Geopferten nährte. Irgendwie war es fähig, sich die Vitalität einzuverleiben, die ihm durch die Messer der blutbespritzten Priester zugeführt wurde. Sigurd beobachtete, wie der Hohepriester der rauchigen Wolke Herz auf Herz entgegenhob. In diesem Augenblick verstand Sigurd auch die Bedeutung des geheinnisvollen Symbols der alten Atlantisbewohner. Ihr Sinnbild des Schwarzen Kraken stellte nichts anderes als diese pulsende schwarze Wolke des Schreckens dar. Er erinnerte sich des Symbols des Schwarzen Kraken auf dem Bug der grünen Galeere, die sie auf ihrem Weg zu dieser verwünschten Insel vernichtet hatten. Der Schwarze Krake war kein anderer als Xotli, der Dämon der Dunkelheit, von dem die alten Mythen -123-
berichteten. Die Reihe der schweigsamen Männer schlurfte müde vorwärts. Die steile Steintreppe, die an der Seite der Pyramide nach oben führte, rückte immer näher. Hoch oben pulste die lauernde Gestalt der Dunkelheit. Sie wurde größer und größer, dunkler und dunkler. Seltsamerweise machte keines der Opfer auch nur den geringsten Fluchtversuch. Alle schienen sich willenlos in ihr Schicksal ergeben zu haben. Niemand versuchte dem blutigen Messer zu entkommen, das wieder und wieder unter dem Schatten der wachsamen Wolke herabzuckte. Körper auf Körper mit blutig klaffenden Lücken an der linken Brustseite wurde von dem Steinaltar fortgezerrt und von Gehilfen in einen dunklen Schacht gestoßen, der sich auf einer Seite der Pyramidenspitze befand. Danach wurde das nächste Opfer gepackt. Vier Priester hielten es an Armen und Beinen fest. Ein fünfter durchtrennte die Fesseln, während der Opferpriester sich tiefer beugte, um Xotli das Leben dieses Opfers zu weihen. Der Arm mit dem Messer hob und senkte sich, Blut strömte, das Herz wurde emporgehoben, und wieder wurde ein schlaffer Körper zu dem in die Tiefen führenden Schacht gezerrt. Als erster in der Reihe der Piraten gehend, erklomm Sigurd die Stufen. Er bedauerte nicht, daß er diesen letzten Gang als erster antreten mußte. Seit Conan verschwunden war, lag die Verantwortung auf Sigurds Schultern, und es verstand sich von selbst, daß der Anführer seinen Männern ein Beispiel grimmigen Mutes gab. Nun war es soweit. Der Schwarze Schatten war schrecklich nahe. Der Pirat spürte seine kalte Ausstrahlung, und tief in seiner Seele glaubte er den spähenden Blick des verborgenen Auges zu fühlen, das nach seinem Leben und nach seiner Manneskraft gierte. -124-
Die maskierten Priester traten ihm entgegen. Sie waren bis an die Hüften nackt. Ihre schlanken braunen Oberkörper waren mit Blut bespritzt. Klauenartige Hände senkten sich in Sigurds Fleisch, als die Priester seine mächtige Gestalt über den feucht glitzernden Stein zerrten, Auf dem Rücken liegend und auf die über ihm hängende dunkle Drohung starrend, hörte Sigurd das Klirren, als seine Fesseln und der Halsring gelöst wurden. Harte Klauen packten ihn bei Hand- und Fußgelenken. Jetzt kam der Opferpriester in Sicht, das Gesicht hinter der Maske eines geschnitzten Teufelsschädels verborgen, der von einem Gewoge glänzender smaragdener Federn umgeben war. Ein hagerer, blutbespritzter Arm senkte sich herab, um das Ziel auf Sigurds Brust zu bestimmen. Dann hob sich die andere Hand, die den Griff des gläsernen Messers umspannte. Der Arm verharrte sekundenlang in dieser Stellung, ehe er sich herabsenkte... Dann hielt er mitten in der Bewegung inne. Zischend stieß Sigurd den Atem aus, den er unbewußt angehalten hatte. Der Priester hob sich steif aufgerichtet gegen den Himmel ab, den federumwogten Kopf wie ein überraschter Habicht gewendet. Von tief unten klangen seltsame Laute an Sigurds Ohr - Laute wie das Dröhnen einer riesigen Glocke, die das Schicksal verkündet. Der Hierarch auf dem Thron brach seinen Gesang ab, legte die Hände trichterförmig um den Mund und rief eine Frage nach unten. Dann folgte ein lautes Rauschen, als hätten alle Antillenbewohner zugleich Atem geholt. Gleich darauf hallte ein Ausbruch wilder Schreie gegen den Himmel empor. Der Opferpriester schwankte und starrte auf etwas Bestimmtes auf dem Platz tief unten herab. Sigurd hörte ein heiseres, keuchendes, tiefstimmiges Bellen - einen Laut wie das Grunzen eines Krokodils in einem der Küstenflüsse von Kush, nur daß das Grunzen lauter war und länger anhielt. Die vier Priester, die Sigurd gepackt hatten, lösten ihre Griffe, -125-
deuteten nach unten und sprachen aufgeregt miteinander. In diesem Augenblick löste sich die Starre, die sich wie ein hypnotischer Zwang über die Piraten gelegt hatte. Sigurd ließ sich von dem Opferaltar rollen. Yasunga, dessen Zähne weiß im schwarzen Gesicht blitzten, schwang seine schwere Kette, die den Opferpriester an der Schläfe traf, so daß er bewußtlos zu Boden sank. Inzwischen stürzte Sigurd sich auf den Priester, der die Schlüssel zu den Fesseln trug. Die behaarten Hände des Mannes aus dem Norden schlossen sich um den dürren Hals. Während Sigurd die Gestalt im Federgewand zu Boden zwang, gruben sich seine Finger in die Kehle des Priesters, bis dieser seinen letzten Atemzug getan hatte. Conan stürmte vor und schwang seinen langen Steinknüppel mit dem Mute der Verzweiflung. Mit dumpfen Laut traf er das vorderste der riesigen Reptile auf die schuppenbedeckte Schnauze. Laut krachend brach der Stalaktit in der Mitte durch, und das dicke Ende polterte dumpf zu Boden. Mit wütendem Zischen wich der Drache zurück, zeigte die Fänge und peitschte wütend mit dem Schwanz. In all den Jahrhunderten, die das Ungeheuer unterhalb von Ptahuacan gelebt hatte, hatte sich nie eines seiner Opfer gegen es gewandt, ganz zu schweigen davon, daß jemand gewagt hätte, ihm einen schmerzhaften Schlag auf die Nase zu versetzen. Conans Waffe bestand nun nur noch aus einem knapp dreiviertel Meter langem Dorn aus Kalkstein. Und doch, dachte er, war sie scharf genug, um in eines der großen grünen Auge n gestoßen zu werden, die ihn blinzelnd aus dem Halbkreis der schuppenbedeckten Häupter musterten. Und wenn es ihm gelang, die Waffe bis zum Ende ins Ziel zu bringen, mochte sie sogar das Gehirn dahinter treffen. Er wußte allerdings, daß auch, dies ihn nicht retten würde, denn solche Geschöpfe brauchten -126-
lange Zeit, bis ihnen klar wurde, daß sie tot waren. Dann gab es eine Unterbrechung. Etwas stürzte durch den Schacht in der Decke, durch den das Licht einfiel, und landete polternd auf der erhellten Stelle. Es handelte sich um eine nackte Leiche, in deren Brust eine große Wunde klaffte. Grunzend drehte sich der Drache, dem Conans Angriff gegolten hatte, um und lief zu dem Leichnam. Er nahm die obere Hälfte des leblosen Körpers zwischen die mächtigen Kiefer, wozu er den Kopf drehen mußte. Aber als er den Kopf wieder hob, schnappte ein zweiter Drachen nach den pendelnden Beinen der Leiche. In Sekundenschnelle war ein verbissener Kampf im Gange, und die anderen Drachen drängten näher, um sich ebenfalls ein Stück der Beute zu sichern. In diesem Augenblick wurde der Körper des Toten auseinandergerissen. Die beiden Drachen, die den Toten zuerst gepackt hatten, zogen sich zurück, um ihren Anteil ungestört zu verschlingen, während die anderen Tiere sich gierig auf die Eingeweide stürzten, die den Boden bedeckten. In plötzlicher Einsicht wurde Conan klar, was mit ihm geschehen war. Sein Weg durch das unterirdische Reich hatte ihn im Kreis herumgeführt. Durch den Kampf mit den Ratten war er von seiner ursprünglichen Richtung abgekommen, und sein Sturz in den unterirdischen Fluß hatte dazu beigetragen, ihn noch weiter von dem Weg, den er sich eingeprägt hatte, abweichen zu lassen. Der durch den Schacht gefallene Tote, dessen war Conan sich sicher, stammte von dem Berg der Opfer, denen das Herz bei lebendigem Leibe herausgerissen worden war. Dieser Schacht erstreckte sich wahrscheinlich durch die ganze Pyramide bis zu einer Öffnung nahe der Spitze. Daraus schloß der Cimmerier, daß er sich direkt unter der Pyramide befand - zumindest aber unterhalb des sie umgebenden Platzes. Für alle diese Überlegungen benötigte Conan nicht länger als -127-
den Zeitraum dreier Herzschläge. Als die Ungeheuer sich von ihm abwandten, stürmte er durch die Höhle zu der senkrecht emporführenden Leiter, die aus in die Wand getriebenen Dornen bestand und bis an die Plattform reichte, auf der der antillianische Posten stand. Dieser Posten verhielt sich nicht länger unbeteiligt; er deutete verwundert auf Conan und überschüttete ihn mit unverständlichen Fragen. Mit der Geschwindigkeit eines Affen, der vor einem Löwen flieht, jagte Conan die Leiter hinauf. Als das erste der ihn verfolgenden Reptile die unterste Stufe der Leiter erreicht hatte, befand sich Conan in sieben Meter Höhe und außerhalb der Reichweite der Bestie. Jetzt kam die Auseinandersetzung mit dem Posten. Conan zog den Dolch aus der Scheide und nahm die Klinge wischen die Zähne. Dann setzte er den Aufstieg fort. Wenig später starrte er in das verblüffte braune Gesicht des Postens, der am Rand seiner Plattform kauerte. Der Mann sprach aufgeregt auf Conan ein und schwenkte drohend sein Schwert mit der gläsernen Klinge. Conans Hand schloß sich um den Griff des Dolches. Er schloß ein Auge, um die Gestalt des Postens besser anzuvisieren, führte den rechten Arm langsam zurück und ließ ihn dann vorschnellen. Der Dolch sirrte blitzend durch die Luft, traf den Hals des Postens über dem Schlüsselbein und senkte sich fast bis zum Griff in das Fleisch. Mit ersticktem Gurgeln kam der Posten taumelnd auf die Füße. Klirrend entfiel ihm das Schwert, während er an dem in seiner Kehle steckendem Messer zerrte. Dann taumelte er vorwärts und stürzte von der Plattform herab. Ein dumpfer Laut ertönte, als er auf dem Boden der Höhle aufschlug. Sein erstickter Schrei verklang unter dem malmenden Geräusch geschäftiger Drachenkiefer. Conan schob sich auf die Plattform und verschnaufte. -128-
Zweifellos hatte die letzte Stunde ihm einige der gefährlichsten Augenblicke seines abenteuerlichen Lebens beschert. Nachdem er sich von den hinter ihm liegenden Anstrengungen erholt hatte, stand der Cimmerier auf und setzte seine Erkundung fort. Hinter der Plattform lag ein Tunnel, den ein Bronzegitter verschloß. Jenseits des Gitters führte eine Treppe in die Dunkelheit. Das Gitter öffnete sich unter dem Druck von Conans Hand. Gleich hinter dem Tor war eine große Höhlung in die Wand gelassen, und diese Höhlung diente zur Aufnahme eines riesigen Bronzerades. Die Speichen reichten über den Rand der Felge hinaus und bildeten so, wenn auch in größerem Maßstab, Handgriffe wie auf einem der Steuerräder, die Conan auf großen zingaranischen Galeeren gesehen hatte. Eine dicke Schicht Grünspan deutete darauf hin, daß das Rad seit Jahrhunderten nicht betätigt worden war. Conan legte die Stirn in nachdenkliche Falten. Sein Blick wanderte zu den hohen Bronzetüren hinter dem Kreis gespensterhaft wartender Drachen auf der anderen Seite des Raumes. Die Männer von Ptahuacan mußten viel Schweiß vergossen haben, um den Einbau der schweren Türen zu bewerkstelligen. Wahrscheinlich führte ein Gang auf der anderen Seite der Türen in die darüber liegende Welt. Die Türen schienen nur dazu zu dienen, eine Gruppe blutgieriger Drachen nach Belieben auf die Einwohner der Stadt loslassen zu können. Warum sollte der Hierarch auf diese Möglichkeit Wert legen? Es gab nur eine Antwort auf diese Frage. Abgesehen davon, daß die Drachen die Überreste der Pyramidenopfer beseitigten, waren sie auch als Geheimwaffe gedacht, auf die die Priester zurückgreifen konnten, falls sich die unterdrückte Bevölkerung gegen sie erheben sollte. Doch wie ließen sich die Tore öffnen? Conan war nicht sicher, aber sein Blick wanderte automatisch zum alten Bronzerad. Draußen auf dem Platz mußte die Opferung für Xotli im -129-
Gange sein, vielleicht schon seit Stunden- Es war anzunehmen, daß dichte Zuschauermengen den Platz bevölkerten, wobei die den Drachentoren am nächsten gelegenen Ehrenplätze zweifellos für die Priesterhierarchie reserviert waren. Ein tollkühner Plan nahm in Sekundenschnelle hinter Conans Stirn Gestalt an... Der Cimmerier trat durch das Gitter und blieb vor dem Rad stehen. Er holte tief Atem, packte die Handgriffe und legte alle Kraft seines Körpers in seine Bemühungen. Metall begann unter hohem Druck zu kreischen. Conans Schuhe kamen ins Gleiten und rutschten knirschend über den Steinboden, so daß der Cimmerier den Griff lockern mußte. Conan entspannte sich und holte mehrmals tief Atem, bevor er es erneut versuchte. Muskeln traten wie Taue auf seinem Rücken und den Schultern hervor. Irgendwo jenseits der Mauer kreischte Metall gequält auf. Staub und Schmutzbrocken rieselten herab. Das Rad bewegten sich um eine Fingerbreite, gab dann um eine weitere nach. Wieder stemmte sich Conan gegen das Rad und packte die Speichen so fest, als wollte er sie mit seinem eisenharten Griff zerbrechen. Sein Atem ging keuchend, das Blut hämmerte in seinen Schläfen und dröhnte in seinen Ohren. Irgendwo innerhalb der Mauer begannen mächtige Gegengewichte sich rumpelnd in Bewegung zu setzen. Auf der anderen Seite des Raume s bildete sich ein heller Spalt zwischen den Angeln der großen Bronzetür. Nach seiner erneuten Kraftanstrengung ließ sich das Rad plötzlich viel leichter bewegen, Von jenseits der Mauer kam das Grollen und Rumpeln des alten Mechanismus, der nach so vielen Jahrhunderten der Untätigkeit plötzlich wieder in Betrieb genommen wurde. Der helle Spalt zwischen den Türen erweiterte sich, das Rad begann sich aus eigenem Antrieb schneller und schneller zu -130-
drehen. Die Beschläge der Bronzetüren drehten sich auf kreische nden Angeln. Die Drachen, von den ungewohnten Geräuschen aufgescheucht, näherten sich neugierig dem Weg in die Freiheit, der sich vor ihnen öffnete. Blinzelnd reckten sich die häßlichen Köpfe der Helligkeit entgegen. Hinter den Türen dehnte sich eine steile Rampe nach oben, wandte sich dann scharf ab und geriet außer Sicht. Licht fiel von oben herab - starkes Tageslicht. Conan nahm an, daß sich zur gleichen Zeit eine andere Tür am Ende der Rampe geöffnet hatte. Diese mußte sich am Fuß der Pyramide oder in einem der Gebäude befinden, die den Platz umgaben. Als Conan sich nach Atem ringend auf das Rad stützte, schoben sich die ersten Drachen mit aufgeregten Grunzlauten durch die Öffnung, die sich vor ihnen aufgetan hatte. Ihre krallenbewehrten Klauen stemmten sich gegen die Rampe. Langsam bewegten sie sich auf der geneigten Fläche nach oben und verschwanden. Aus den dunklen Öffnungen der Gänge, die in den höhlenartigen Raum führten, ergossen sich weitere Drachen, die durch den Lärm des Mechanismus und die Stimmen ihrer Artgenossen aus langem Schlaf geweckt worden waren. Sie schlossen sich der Prozession an, bis Conan mehr als vierzig der unheimlichen Geschöpfe auf ihrem Weg in die Oberwelt gezählt hatte. Ein plötzlicher Chor entsetzter Schreie klang von draußen schwach in die Höhle herab. Conan stütze sich noch immer keuchend gegen die untere Felge des Bronzerads und wartete darauf, daß sein Herz aufhörte, so wild zu hämmern. Dabei verzerrte ein grimmiges Lächeln das Gesicht mit dem struppigen grauen Bart. Sobald Conan das große Bronzerad in dem Gang unter dem Platz mit der Pyramide in Bewegung gesetzt hatte, zeigte sich ein Riß in dem bemalten Stuck, der die Seitenwand der Pyramide bedeckte. Die trockene Masse zerbarst in tausend Bruchstücke, die zu Füßen der trommelnden und singenden Priester herabregneten. Die Bronzetore, die hinter dem Stuck -131-
verborgen lagen, kreischten und schwangen langsam nach außen auf während sich zur gleichen Zeit die Gegentüren im Raum mit den Drachen öffneten. Der Gesang verstummte, die Priester wichen verblüfft vor den sich öffnenden Türflügeln zurück. Sie starrten einander fragend an. Auch die tausende von Antillenbewohnern, die hinter den Priestern schaulustig Posten bezogen hatten, fühlten sich unbehaglich. Sie reckten sich auf den Ze henspitzen, spähten unruhig umher und redeten aufgeregt durcheinander. Auf der Spitze der Pyramide hielt der Opferpriester, der gerade Anstalten getroffen hatte, dem Fremden mit dem roten Bart das Herz aus dem Leibe zu schneiden, mitten in der Bewegung inne. Stirnrunzelnd beugte er sich über den Rand der Pyramide heran und versuchte den Grund der plötzlichen Unruhe zu erkunden, aber seine Stimme wurde von dem immer größer werdenden Lärm verschlungen. Dann erklang ein mächtiges Zischen aus der Dunkelheit hinter den sich öffnenden Türen. Der erste der Drachen, der die Rampe hinter sich gebracht hatte, trat schwankend ins Sonnenlicht hinaus - ein Ungeheuer von fünfzehn Metern, mit schiefergrauen Schuppen. Das schnaufende Tier wandte den mächtigen Kopf von einer Seite zur anderen und versuchte, aus großen grünen Augen, deren Pupillen der grelle Sonnenschein zu Schlitzen zusammengezogen hatte, die Szene aufzunehmen. Aus dem krokodilähnlichen Rachen züngelte blutigrot die fast einen Meter lange gespaltene Zunge. Ein Priester, der vor dem Ungeheuer zurückweichen wollte, trat auf den Rand seines Federumhanges und kam zu Fall. Bevor er sich in Sicherheit bringen konnte, hatten ihn die Kiefer des Drachen gepackt. Das Reptil hob den Kopf. Es schluckte mehrmals, und mit jeder Bewegung glitt der Priester weiter in den Rachen, bis nur noch seine Füße mit den überhöhten Sohlen und Absätzen sichtbar waren. Eine letzte Schluckbewegung, dann war der Priester völlig verschwunden. -132-
Immer neue Drachen mit gierig aufgerissenen Rachen erschienen und drängten an ihren Artgenossen vorüber ins Freie. Die Prozession schien kein Ende zu nehmen. Die Ungeheuer überquerten den gepflasterten Platz und stürzten sich in die schreiende Masse der Antillenbewohner, die sich vergeblich in Sicherheit zu bringen versuchte. Menschen wurden unter den Klauen der Ungeheuer zu Tode gedrückt, andere wurden von den mächtigen Schweifen getroffen und wie Puppen durch die Luft geschleudert. Blutlachen bildeten sich überall, und die rasend tobenden Drachen unterbrachen ihren Vormarsch, um ihre Opfer zu fressen, bevor sie die Menschenjagd fortsetzten. Jetzt öffnete sich hoch oben auf der Flanke der rot und schwarz gefleckten Pyramide eine kleine Tür. Conan trat heraus, in der Hand das Schwert, mit dem der Wächter in der unterirdischen Höhe bewaffnet gewesen war. Die salzige Meeresbrise zerzauste seine zottige graue Mähne. Seine Brust dehnte sich weit, als er nach dem Gestank der unterirdischen Welt tief die saubere frische Luft einatmete, die mit der Meeresbrise herübergetragen wurde. Lange starrte er stumm hinab und beobachtete mit grimmiger Genugtuung die Szene der Verheerung und des Wahnsinns tief unten. Einige der Drachen hatten die Steinbänke erreicht, die für den Adel und die höheren Priester reserviert worden waren. Trotz ihrer scheinbaren Plumpheit verfolgten und erreichten die Tiere die gellend schreienden Flüchtlinge mit den Federumhängen. Der Blick des Cimmeriers wanderte über die Straßen und dann zur Spitze der Pyramide hinauf. Dort oben, wo sich der Tempel Xotlis gegen den Himmel abhob, bewegte sich eine Menschengruppe in verbissenem Kampf. An ihrer Hautfarbe erkannte Conan, daß ein Teil dieser Männer, die gegen Priester und bewaffnete Posten kämpften, zu seiner eigenen Besatzung gehörte. Jetzt blieb Conans Blick auf einer Gestalt haften, die ganz in -133-
seiner Nähe auf einer der zur Spitze der Pyramide führenden Treppen stand. Es war kein anderer als der hagere alte Hierarch selbst, unverkennbar durch die Pracht seines Federumhanges und des blitzenden goldenen Schmuckes. Seinen Federkopfputz hatte er verloren, in breitem Strom rann ihm Blut über die Schläfe herab. Vornübergeneigt gestikulierte er wild mit den dünnen braunen Armen und schrie den Soldaten und Priestern tief unten seine Befehle zu. Am Fuß der Pyramide, direkt unter dem Hierarchen, hob einer der Drachen spähend den Kopf, und aus seinem Rachen schoß die rote gespaltene Zunge in die Luft. Langsam begann das Ungeheuer sich die Stufen hinaufzuarbeiten. Ein kaltes Grinsen verzerrte Conans bärtiges Gesicht. Er schob das gläserne Schwert in den Gurt, und schnellte sich geschmeidig auf die nächsthöhere Ebene. Leise umrundete er die Pyramide, bis er sich oberhalb des Priesters und hinter diesem befand. Seine Lippen wurden schmal, als er die Arme reckte und beide Hände in Höhe der Hüften gegen den Rücken des Erzpriesters legte. Dann folgte ein blitzschnell und mit unheimlicher Kraft geführter Stoß. In hohem Bogen hob sich die Gestalt des Hierarchen von der Pyramide und landete dumpf tief unten auf den Stufen. Sich immer wieder überschlagend, rollte der Priester dem Drachen entgegen. Der Rachen des Tieres öffnete sich; der Priester wollte ausweichen, aber schon schlossen sich die Kiefer und zermalmten den Herrscher der Antillen. Hoch oben auf der Pyramide schwang Yasunga seine Ketten wie Dreschflegel. Ein Pirat und ein Priester, beide Hände um die Kehle des Gegners geschlossen, kämpften verbissen auf dem steinernden Boden. Milo, der Bootsmann, hatte die Hellebarde eines Soldaten in seine Ketten verwickelt und versuchte, die Waffe am Boden zu halten, während der Soldat sich bemühte, -134-
sie loszureißen. Artanis, der Zamorier, kämpfte zugleich gegen zwei Antillenbewohner, wobei er sich einer erbeuteten Pike bediente. Sigurd bemühte sich, die Fesseln und Halseisen einiger Piraten zu öffnen. Die meisten der Antillenbewohner waren von der Höhe der Pyramide geflüchtet, aber andere kämpften Schulter an Schulter verbissen mit ihren früheren Gefangenen gegen ihre bisherigen Herren. Mit dröhnendem Kriegsruf sprang Conan die Stufen hinauf und stürzte sich in das Kampfgetümmel. In seinem Panzerhemd konnte er es leicht mit drei oder vier der kleinen braunen Männer zugleich aufnehmen. »Ein Teufel! Er ist ein Teufel!« riefen die Antillenbewohner entsetzt, nachdem der wie ein Berserker wütende Cimmerier die ersten von ihnen außer Gefecht gesetzt hatte. Bald stand kein Gegner mehr zwischen Conan und der Gruppe, die sich um Sigurd geschart hatte. Der Mann aus dem Norden blickte auf. »Amra!« schrie er dröhnend. »Bei Crom und Mitra und allen Göttern, wir hielten dich für tot!« »Noch nicht, Rotbart! Erst muß ich noch jemand ins Jenseits befördern!« Er ließ seine Hand auf die Schulter des Vanir fallen und deutete auf die Ketten. »Hast du Schwierigkeiten mit ihnen? Dann werde ich versuchen, dir zu helfen. Lege sie auf den Altar!« Sein Schwert blitzte in der Nachmittagssonne, als er es über seinem Kopf schwang. Die Klinge zischte herab, und eines der Glieder der Kette zersprang unter der Wucht des Hiebes in tausend Splitter. »Die nächste!« rief Conan. Kette auf Kette zerbrach unter der Wucht der von Conan geführten Hiebe, bis alle Piraten von ihren Fesseln befreit waren. Sie bückten sich sofort nach herrenlos auf dem Kampfplatz liegenden Waffen und stürzten sich wieder ins -135-
Kampfgetümmel. Die auf der Spitze der Pyramide gebliebenen Priester und Soldaten flohen mit Schreien des Entsetzens vor der Wut der auf sie einstürmenden Seeräuber. Conan blickte hinab. Der Platz war jetzt fast leer. Hier und dort bewegte sich ein Drache, der einen schreienden Antillenbewohner verfolgte. Andere durchstreiften die Straßen und gelangten durch die offenen Tore in die Kornfelder und Gemüsegärten der Bevölkerung. Einige der Drachen fanden den Weg zum Hafen, schlüpften ins Wasser und schwammen längs der Küste auf und ab. Conan beobachtete, wie die letzten beiden Drachen den Platz verließen. Nicht ohne Besorgnis sah er, wie die Priester die unverletzt gebliebenen Soldaten auf dem Platz sammelten und neu formierten. Auch Sigurd beobachtete diese Entwicklung mit Besorgnis. »Glaubst du, daß wir mit ihnen fertig werden, Löwe?« brummte er. Er schlug sich auf die nackte Brust und hob ein Entermesser aus Kristall. »Bei den Eingeweiden von Nergal und den Brüsten von Ishtar, ich habe noch eine Rechnung zu begleichen! Nach all den Tagen in dem stinkenden Loch, das sie einen Kerker nennen, will ich noch ein paar Schädel einschlagen, bevor ich falle!« Conan nickte, und seine Augen glühten. Er war im Begriff sein Schwert zu heben und die Seeräuber in einem letzten Angriff die Treppen der Pyramide hinabzuführen, als ein geheimnisvoller Schatten über ihn fiel. Er blickte auf und erkannte die wogende, wirbelnde Wolke der Finsternis, hinter der sich der Dämon aus dem Jenseits verbarg. Eben hatte sie ihre animalische Intelligenz in Tätigkeit gesetzt und sandte die Fühler unsichtbarer Kräfte den unter ihr versammelten Menschen entgegen. Conan hatte das Gefühl, daß eisige, unsichtbare Finger tastend die geheimsten Stellen seines Gehirns durchforschten. -136-
Keine Rüstung aus festem Stahl, kein Schild aus eisenbeschlagener Eiche, keine stählerne Klinge und kein muskelbepackter Arm halfen gegen diese gespenstischen Finger, die in seinem Gehirn wühlten. Der Cimmerier spürte die suchenden Antennen, die seinen Verstand so stark lahmten, daß sich eine eisige Taubheit über seinen ganzen Körper ausbreitete. Langsam entwichen seinen Gliedern die Kräfte, bis er sich kaum noch auf den Beinen halte konnte. Aber er kämpfte weiter und klammerte sich mit wilder Verbissenheit an das Leben und an das Bewußtsein. Doch er konnte nicht verhindern, daß unsichtbare Glocken in seinen Ohren zu tönen begannen. Ihm war, als öffnete sich unter ihm der Boden, und er glaubte, in einen tiefen Schacht kalter Finsternis zu fallen... An der Oberfläche seines Bewußtseins tauchte plötzlich eine Erinnerung auf. Er sah sich wieder im schwarzen Herzen des Golamiraberges stehen und hörte, wie der weise Epemitreus zu ihm sprach: »Nur ein Geschenk kann ich dir machen. Trage es bei jeder Bedrohung, denn wenn du es am nötigsten brauchen wirst, kann es dir zur Rettung werden...« Dunkel erinnerte sich Conan an den kalt glitzernden Gegenstand, den er beim Erwachen aus dem prophetischen Traum in seinem Schlafgemacht gefunden hatte - das Talismanjuwel, das er seit jenem Ereignis ständig an einer Silberkette um den Hals trug. Er hob die Hand, zog den Phönix aus Kristall unter dem Panzerhemd hervor und zerriß die dünne Kette. Als es sich wie eine schwarze Klammer um seine Stirn legte, ließ er den Talisman fallen. Mit dem letzten Rest von Bewußtsein hob er den Fuß, senkte den Absatz auf das Amulett und zertrat es. Dann fiel er weiter in die unergründliche Finsternis hinab. -137-
Als der Cimmerier wieder zu Bewußtsein kam, fühlte er, daß schwielige Hände ihn gepackt hatten und über den rauhen Steinboden schleppten. Verwirrt öffnete er die Augen und fand sich zwischen Sigurd Rotbart auf der einen und Goram Singh auf der anderen Seite. »Laßt mich los, in Croms Namen!« knurrte er. »Ich kann mich allein auf den Beinen halten.« Sie blieben stehen und stützten ihn. »Ich bilde es mir jedenfalls ein«, fügte er brummend hinzu, als seine Glieder ihm den Dienst verweigerten. Er wäre von der Pyramide herabgestürzt, wenn seine Gefährten ihn nicht aufgefangen und festgehalten hätten. Sie setzten ihn auf eine der Steinstufen. Conan spürte tausend glühende Nadeln, als sein Blut wieder zu kreisen begann. Noch immer verwirrt, blickte er sich um. Eine seltsame Stille hatte sich über die Szene gelegt. Am Fuß der Pyramide hatten lange Reihen Bewaffneter Aufstellung genommen. Aber die kleinen braunen Krieger in ihren blitzenden Glasrüstungen kümmerten sich nicht um die Piraten. Entsetzt blickten sie zur Spitze der Pyramide hinauf. Gemäuer brach herab. Mit ohrenbetäubendem Krachen gab ein großer Teil des Platzes nach und verschwand mit Hunderten von braunen Soldaten in der Tiefe. Eine erstickende Wolke von beißendem Staub wirbelte auf. Für Conan gab es keinen Zweifel, daß er Zeuge des Einsturzes der Drachenhöhle gewesen war. »Los, lauft!« schrie der Cimmerier den Piraten zu. Er kam auf die Füße und schwankte die restlichen Treppenstufen hinab. Hinter ihm setzten sich die Piraten in Bewegung. Die bewaffneten Seeräuber schoben sich angriffslustig in die erste Reihe. Aber am Fuß der Pyramide trat ihnen kein Feind mehr gegenüber. Die braunen Krieger hatten ihre gläsernen Waffen fallenlassen und lösten, während sie auf die Stadttoren zujagten, ihre Kristallhelme und die Panzerhemden, die sie beim Laufen behinderten. -138-
»Nehmt ihre Waffen auf!« schrie Conan. »Und dann weiter zum Hafen!« Weit oben hielten sich die Götter des Lichts und der Dunkelheit in verbissenem Kampf umschlungen. Zuckende Bündel von Blitzen lösten sich von der wirbelnden sternförmigen Lichtgestalt, die sich in den Fangarmen des dunklen Rauches wand. Tief unten bebte die Erde. Auf der anderen Seite des Platzes stürzte der große Vorraum der Götter in einem Erdrutsch zusammen, über dem eine riesige Staubwolke stehenblieb. Wie ein gigantischer Baum, den ein Waldarbeiter gefällt hat, begann ein hoher schlanker Turm zu schwanken und stürzte ein. Conan führte seine Männer im Dauerlauf durch die Straßen von Ptahuacan. Sie beachteten die wenigen Antillenbewohner nicht, die ihnen begegneten, zumal diese auch nur ihre eigene Rettung im Sinn zu haben schienen. »Hier entlang!« erklang Conans dröhnende Stimm«. »Zum Hafen, bevor die ganze verdammte Stadt uns unter sich begräbt!« Hinter ihnen wurden die Nachmittagsschatten auf dem Pyramidenplatz länger. Die Geräusche des übernatürlichen Kampfes erfüllten die Luft. Es krachte, dröhnte, grollte und donnerte, als toben alle Elemente gleichzeitig. Angesichts der Strahlen unerträglich hellen Lichtes schien die schwarze Wolke sich vor Schmerzen zu winden. Sie schrumpfte zusammen, löste sich auf - und verendete! Unter der Spannung der frei gewordenen übernatürlichen Kräfte, die die Wolke zusammengehalten hatten, bebte die Stadt wie ein Vulkan, und immer neue Gebäude stürzten ein. Der Platz der Pyramide verschwand. An seiner Stelle leuchtete für Sekunden eine Feuerkugel, die vielfach heller als die Sonne war. Sie verschwand mit einem Donnern, das vorübergehend die -139-
Ohren aller menschlichen Wesen in der Stadt taub werden ließ. Eine ungeheure Wolke dicken schwarzen Rauches stieg wie ein Pilz über der zerstörten Stadt empor. Das Sternengefunkel des Gottes des Lichtes umspielte die Wolke minutenlang wie eine Krone. Dann erlosch die Helligkeit; die Rauchsäule begann sich aufzulösen und vermischte sich mit der grauen Staubwolke, die bereits über der Stadt hing. Hier und dort stieg dunkler Rauch aus einem brennenden Gebäude. Langsam erwachte Ptahuacan wieder zum Leben. Einzeln oder in kleinen Gruppen kehrten die Bewohner vom Land zurück, wohin sie sich geflüchtet hatten. Die meisten Priester waren entweder beim Einsturz der Tempel getötet worden oder aus der Stadt geflohen. Während des Tages und der Nacht, die der Katastrophe folgte, konnte nur ein einziger Mann in Ptahuacan von sich behaupten, noch Anführer einer erwähnenswerten Gruppe zu sein. Dieser Mann war Metemphoc, der König der Diebe. Während die Stadt noch nahezu menschenleer war, besetzten seine an Disziplin gewöhnten Diebe die unversehrt gebliebenen Gebäude und Waffenlager. Die von ihnen entdeckten Priester wurden erschlagen. Aus den Kerkern wankten nicht nur gefangene Mitglieder von Metemphocs Bande ans Tageslicht, sondern auch Hunderte von Antillenbewohnern, die unter diesem oder jenem Vorwand verurteilt worden waren und im Kerker darauf gewartet hatten, Xotli als Opfer vorgeworfen zu werden. Die Priester, die aus der Stadt geflohen waren, sammelten eine kleine Gruppe von Kriegern um sich, die ihnen nach wie vor ergeben war. Sie versuchten, die Stadt wieder in ihren Besitz zu bringen. Aber Conans Männer, nunmehr bis an die Zähne bewaffnet, nahmen sie in die Zange und zwangen sie zu erneuter Flucht. So machte Ptahuacan sich unter der Führung des dicken, -140-
gerissenen Metemphoc an die Aufgabe des Wiederaufbaues. Mochte der König der Diebe sich auch nicht als idealer Herrscher erweisen, er regierte kaum härter als die Priesterschaft, die das Land lange Jahrhunderte in ihrem grausamen Griff gehabt hatte. So begann für diesen letzten einsamen Vorposten der großen Zivilisation des alten Atlantis endlich eine ersehnte Zeit der Ruhe und des Friedens, Bei Crom, wenn es nicht ein Genuß war, endlich wieder ein Deck unter den Füßen zu haben - selbst wenn es sich um ein fremdartiges Deck wie dieses handelte! In den ersten Tagen nach dem Ende der Priesterherrschaft von Ptahuacan hatte Conan sich damit begnügt, gut zu essen und noch besser zu trinken, bis die alte Stärke in seinen mächtigen Körper zurückgekehrt war. Jetzt, während die Morgendämmerung sich blutrot am östlichen Horizont ankündigte, marschierte er über die vergoldeten Planken des Drachenschiffes und atmete tief die klare, kalte, salzige Brise ein. Er sah sich um. Mit unbeirrbarer Sicherheit hatte der alte Freibeuter sich das beste Schiff im Hafen ausgesucht, als er mit seinen keuchenden, staubbedeckten Piraten die Stadt verließ. Wie eine Herde hatte er seine staunenden Männer an Bord des gefährlichsten Kampfschiffes getrieben, das ihm je begegnet war. Schritte erklangen, Höh knarrte, als Sigurd Rotbart die Leiter zum Achterdeck erklomm. »Ha, Löwe!« begrüßte er den Cimmerier. »Hast du gut geschlafen?« »Wie ein toter Mann!« Sigurd wandte den Kopf und blickte in die Richtung, in der die sieben Antilleninseln hinter den Morgennebeln verborgen lagen. »Bestimmt haben wir einen Berg Tote zurückgelassen« sagte er gähnend. »Aber beim grünen Bart Lirs und Dagons Fischschwanz, ich bewundere die Art, wie du es verstehst, einen Gefängnisausbruch zu bewerkstelligen!« »Was willst du damit sagen?« fragte Conan mißtrauisch. -141-
»Nichts, nichts! Nur daß man dir Respekt zollen muß, weil du keine Sekunde daran denkst, deine Kameraden in der Klemme sitzen zu lassen - und wenn du die halbe Stadt in Schutt und Asche legen mußt, um sie zu retten.« Conan lachte heiser. »Was glaubst du, wie gern ich auch noch die andere Hälfte zerstören würde, nur um ein altes Walroß wie dich neben mir zu haben?« Sigurd seufzte melancholisch. »Nett von dir, das zu sagen, Amra. Allein, was mich betrifft, so bin ich längst nicht mehr so wendig, wie ich es früher war.« Er blickte auf die Gipfel der Antillenberge, die sich langsam aus dem Nebel hoben. »Vielleicht wäre es doch nicht das schlechteste gewesen, Metemphocs Angebot anzunehmen und als seine Söldnerarmee für ihn zu arbeiten.« Conan schüttelte grinsend den Kopf. »Ehemalige Könige wie wir werden stolz wie die Teufel. Wir denken nicht daran, anderen Menschen zu dienen, solange wir selbst Herren sein können.« Die Sonne war aufgegangen, der Himmel im Osten strahlte in goldener Röte. Möwen kreisten kreischend, und blaue Wogen plätscherten gegen den neu geteerten und gestrichenen Rumpf des geflügelten Drachens. Conan atmete noch einmal tief ein. Neben ihm kniff Sigurd die Augen gegen die helle Morgendämmerung zusammen und musterte seine narbigen, graubärtigen Gefährten. »Wohin jetzt, Löwe?« fragte er. »Zurück zu den Barachas, oder geben wir ein kleines Gastspiel an den Küsten von Stygien und Shem?« Conan schüttelte den Kopf. »Dieses Schiff ist nicht für die Überquerung eines riesigen Ozeans gebaut. Wie sollten wir den Hunger und Durst aller Ruderer stillen? Nein, es würde uns nie gelingen!« »Jene grüne Galeere, der wir zuerst begegneten, schaffte es«, -142-
entgegnete Sigurd, vermied es aber, den Cimmerier anzublicken. »Stimmt, aber ich bin kein Zauberer, der eine Geistermannschaft beschwören kann, um die Ruder zu besetzen.« Conan zog überlegend die Brauen zusammen. Der alte Metemphoc hatte ihm viele Neuigkeiten mitgeteilt. Er hatte von einem noch weiter westlich, direkt am Rande der Welt gelegenen großen Erdteil gesprochen. Mayapan hatten die Atlantisbewohner und ihre Nachfahren von den Antillen ihn genannt. An seinen Küsten hatten sie alles erbeutet, was das Herz eines Schatzsuchers erfreuen konnte - Gold, Smaragde und Kupfererz, rothäutige Sklaven und seltsame Vögel mit kostbaren Federn, tigerähnliche Katzen, deren Felle schwarze Rosetten auf lohfarbenen leuchtenden Goldton trugen. Hier gab es noch barbarische Staaten, die von abtrünnig gewordenen Atlantisbewohnern begründet worden waren, und in denen die Kulte der Großen Schlange und des Säbelzähnigen Tigers immer noch in blutiger Rivalität lagen und vor Menschenopfern nicht zurückschreckten. Eine neue Welt, dachte der Cimmerier sehnsüchtig; eine Welt unberührten Dschungels und endloser Ebenen, ragender Berge und verborgener Seen, mit donnernden Flüssen, die sich wie Schlangen aus geschmolzenem Silber durch die Tiefen des smaragdenen Dschungels wanden, in dem unbekannte Völker seltsamen Göttern huldigten... Was würde er zu sehen bekommen und welche Abenteuer würden ihn im fernen Mayapan erwarten? Wenn er sich in diese neue Welt aufmachte, deren Menschen nie bärtige Männer mit Waffen aus Stahl und Glas gesehen hatten - war es nicht möglich, daß er noch einmal ein riesiges Reich erobern würde, daß man ihm als Gott huldigte, daß er die Zivilisationen der alten Welt in die neue Welt bringen und zum Helden von Legenden würde, die sich zehntausend Jahre und länger hielten...? -143-
»Crom allein weiß es!« entfuhr es ihm heftig. »Komm, laß uns frühstücken und darüber sprechen. Es macht Appetit, wenn man das Gefühl hat, sich als Retter der Welt betätigt zu haben!« Sie gingen unter Deck. Wenige Stunden später lichtete das große Schiff, das die Menschen von Mayapan in ihrer harten und doch melodischen Sprache einmal Quetzalcoatl »Geflügelte Schlange« - nennen sollten, den Anker. Es nahm Kurs nach Süden und wandte sich dann, nach Umrundung der Antilleninseln, weiter dem unbekannten Westen zu. Doch die alte Chronik endet hier. Sie verrät nicht, wie das letzte Ziel des Schiffes hieß und ob es von Conan und seinen Männern je erreicht wurde...
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