OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ENTFESSELTE GEWALTEN Unter di...
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OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ENTFESSELTE GEWALTEN Unter diesem Titel ist der Doppelband 29/30 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt das 17. Jahrhundert n. Chr. In Stücke gebrochen liegt die alte Einheit des Abendlandes, Die aufgespaltenen Nationen kämpfen um Vormacht und Handelsplätze. Sternförmig führen die Wege der neuen Wissenschaften vom Altar der Gottheit fort in die Grenzenlosigkeit desAlls, Entfesselte Gewalten erschüttern Glaube, Sitte und überkommene Ordnung. Die Beunruhigung der Völker ist tief und f ortdauernd.Der kontinentweite Dreißigjährige Krieg pflügt alle bisherigen Verhältnisse um — an seinem Ende ist das Reich als Herz Mitteleuropas zerschlagen. Ein französisches Jahrhundert hebt an.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder aasgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichenGanzleinenausgabe mitRot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen * Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Theodor Seidenfaden
Land der
Braunkohle Wärme und Kraft aus den Tiefen der Erde
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U -
M Ü N C H E N
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I N N S B R U C K
Sumpfwald des Tertiärs
Im Braunkohlenwald Die Jahrmillionen der Schöpfung gestalten im Wechsel ihrer Frühlinge, Sommer, Herbste und Winter, im Wandel ihrer klimatischen Verhältnisse die Vielgestalt der Erde. Man spricht von der Stern-, der Ur- und der Vorzeit, der Altzeit, der Mittel- und Neuzeit der Erde und behauptet, Wir stünden in dieser neueren Zeit und sie zähle bereits sechzig Millionen Jahre. Ihre erste Hälfte nennt der ordnende Menschengeist Tertiär. Man weiß, daß Europa zu ihrem Beginn subtropisch gewesen ist und deshalb die Braunkohlenlager schaffen konnte, die heute den Rohstoff Braunkohle liefern. Um diese „undenkliche" Zeit war die Mitte Europas Flachland mit niedrigen Höhen im Süden. Das Mittelgebirge fehlte ihr, und die Alpen kannte sie noch nicht. Was wir heute Oberrheinische Tiefebene nennen, das Land zwischen Basel und Mainz, war ein Meer, das bei glutheißen Sommern, bei feuchten und milden Wintern seine Ufer verschob. Es war mit dem gegenwärtigen „Mittelmeer", später 2
durch das Tal, darin die Weser fließt, auch mit dem Nordmeer verbunden; aber es gab noch nicht die Flüsse, die heute unsere Heimat zergliedern. Auch die Küste des Nordmeeres wanderte. Einmal reichte es bis an die Stadt Wesel, ein andermal bis Bonn, dann bis Düsseldorf, und zuletzt rückte es nach Holland hinüber. Die weißen Sande, die es beim Wandern „verspurte", lagern noch als sichtbare Zeichen des einstigen Meeresbodens im Rheinbett, nahe beim Leichlinger Bahnhofe und bei Grafenberg. Seemuscheln, die der Sand in Fülle birgt, erinnern an Tierschicksale jener fernliegenden Zeiten. Das Flachland erhob sich nur wenig über den Meeresspiegel, und Seen, Sümpfe und Lagunen bedeckten es, trübe Wasser, in die mitunter das Meer flutete. Doch so sehr die Brandung auch wühlte: Die Seen, Sümpfe und Lagunen blieben irgendwie gesegnet; denn die heiße Sonne und warme Niederschläge erhielten ihnen zeugende Kräfte. Wer könnte die Zahl und die Arten ihrer Fische erforschen, wer die Silberreiher, roten Flamingos, Pelikane, Störche, Kraniche, Schwäne, Enten und Gänse übersehen, die in ihnen lebten, wer die Krokodile festhalten, die an ihren Ufern auf Beute lauerten? Der Duft üppiger Blumen lockte breitflügelige Schmetterlinge und Honigbienen. Fern den Wassern aber wuchsen Palmen- und Zypressenwälder, Wälder mit Gummibäumen, mit Zedern, Eichen, Ulmen, Erlen, Weiden und Buchen. In ihre rissigen Stämme bauten die Bienen ihre Waben; Affen, Elefanten und Nashörner, die zwischen den Stämmen hausten, störten sie so wenig wie die Papageien in den Baumkronen. Hier und da dehnten sich Grassteppen durch das Land. In ihnen weideten Beutel- und Huftiere, während aus dem Gesträuch, das sich zwischen Wälder und Steppen breitete, Löwen und Tiger brachen. Aus den Seen, Sümpfen und Lagunen wuchsen Gräser und blühende Wasserpflanzen, manche von ihnen lagen wie grüne Wiesen. Seerosen herrschten vor. Jährlich sanken die Blüten auf den Grund der Gewässer. Da ihnen der Sauerstoff fehlte, verwesten sie nicht: sie wurden zu Torfmassen, den kohlenstoffreichen Überresten abgestorbener Pflanzen, die sich nicht völlig zersetzen. Der Torf erhöhte den Boden der Tiefe: die Seen wurden seichter. Bald — vielleicht nach ein-, zwei-, nach drei-, zehn- oder nach fünfzigtausend Jahren — siedelte das Schilfrohr in den Seen, und Binsen, Rohrkolben und Schachtelhalme gesellten sich dazu. Sie drängten einander, sie reckten und streckten sich, begannen, sieh tyrannisch zu behaupten, und es geschah, daß nach abermals zahl3
losen Frühlingen, Sommern, Herbsten und Wintern die Torfschichten die Wasserspiegel der Seen erreichten. Da vollzog sich wiederum ein Wandel. Sauergräser sproßten und breiteten sich schopfartig aus, die absterbenden Pflanzen lagerten sich in kniehohen Hügeln über die ehemalige Wasserfläche. Die Seen begannen zu verlanden und sich zu Torfmooren zu entwickeln. Nach zehn-, nach einhunderttausend Jahren siedelten auf den verlandeten Mooren Sträucher und Bäume: Das Waldmoor trat ins Geschehen, und Sumpfzypressen und Fächerpalmen, Magnolien strebten ins Licht. Mammutbäume, jene Waldriesen, die einhundert Meter hochwachsen und ein- bis viertausend Jahre alt werden, reckten ihre Riesenstämme empor. Doch nach dem ewigen Gesetz des Ein- und Ausatmens der Erde senkte sich das Waldmoor und entwickelte sich wieder zu dem, was es einmal war: zum See. Die Bäume stürzten, ihre Kronen starben, die Stämme aber erhielten sich im Wasser: sie waren harzreich, und da sie sich übereinander lagerten, verlandeten die Seen abermals. Oftmals im Ablauf von hunderttausend Jahren wiederholte sich der Vorgang, der Land oder Wasser sinken und steigen ließ. Pilze zersetzten Pflanzen und Stämme, und es begann jenes Wunder des Garens, das die Forschung Inkohlung nennt. Das Torfmoor verwandelte sich zum mäditigen Braunkohlenflöz. Das Nordmeer, das darüber hinweg und wieder zurückflutete, lagerte Schlamm und Geröll auf ihm ab, Ton- und Sandbänke, die hineinrissen, schwächten es. Die Jahrtausende wirkten in ihm. Wer zählt die Schicksale der Fische und Vögel, wer die der übrigen Tiere, die sich in diesen Zeiten vollendeten, auch jener Tiergestalten, die ausstarben und nie wiederkehrten? Im gärenden Prozeß der Inkohlung haben sieh nicht einmal Reste von ihnen erhalten können. Als die Eiszeit das subtropische Klima ablöste, wälzten sich vom Norden her Gletschermassen über die Flöze, drückten sie nieder und rieben sich an ihnen. Die wandernden Eisfelder entfalteten sich wie Tischtücher gewaltiger Ausmaße über die Lagerstätten. Unter ihnen bogen sich die Flöze, Sandmassen brachen ein, Gletschertöpfe und Strudellöcher bohrten sich in die Tiefe. Was wir heute Rhein nennen, Erft, Ruhr oder Maas, überflutete die toten Braunkohlenwälder. Gletscherschotter und Flußgeröll schwollen zu Kies- und Sanddedten an, deren Druck die Flöze preßte. Er förderte den Vorgang der Verkohlung. Nach unten hin, wo sich der Druck verstärkte, 4
wuchs, fast schwarz, die Knabbenkohle, die beste. Oben blieb lockeres Zeug: die Rieselkohle. Wollten wir die Schicksale der Braunkohlenwälder in allen Hauptzügen umreißen, so müßten wir auch von jenen Zeiten sprechen, in denen die Vulkane ferner Gebirge ihre Feuer- und Steinbomben über das Land schleuderten. All diese zerstörenden, zerbrechenden, zermalmenden, pressenden Gewalten schufen mit urweltlicher Kraft das Neue, den Rohstoff Braunkohle.
Die Klüttenkauler der „ V i l l e " Von Nordwesten her schiebt sich in das Rheinische Schiefergebirge, jenes Urgebirge, das lange vor den Alpen bestand, die „Niederrheinische Bucht". Sie entstand während der Braunkohlenzeit: in jener „Weltsekunde" vor Jahr-Millionen, aus der unsere Braunkohle stammt. Damals brach am Rande zwischen den Gebirgen, die heute Bergisches Land und Eifel heißen, eine keilförmige Scholle ein. Ihr westlicher Teil hob sich allmählich wieder und bildete die „Ville". Der Höhenrücken, der heute den Namen „Vorgebirge" trägt, da er sich vor die Eifel lagert, erstreckt sich westlich Köln 35 km nach Süden, an der Erft entlang. Er beginnt bei Bonn und reicht bis Grevenbroich. 170 m hoch, birgt dieser fruchtbare Landstrich eines der größten Braunkohlenlager Deutschlands.
* Im frühen Sommer des Jahres 1675 erschienen vor dem Kölner Kurfürsten Max Heinrich, der zu Bonn residierte, Lütticher Bergbauern und baten ihn zu gestatten, auf der Gabjei im „Vorgebirge", nahe bei Brühl, Steinkohle zu schürfen: Das Innere dieses Hügels müsse sie bergen. Kurfürst Max Heinrich, der als leidenschaftlicher Alchimist das „Minierwesen" liebte, willigte ein, und die Hofkammer freute sich, durch Bergwerkszehnte heute oder morgen den Geldnöten abhelfen zu können. Die Lütticher dingten Arbeiter aus Brühl, begannen auf der Gabjei einen Stollen zu treiben und glaubten, dort, wo „Turff" liege, braune Holzkohle, wie sie jeder Spatenstich förderte und mancher Bauer sie im Winter nutzte, werde sich in den tieferen Schichten auch Steinkohle finden. Aber schon bald stellten die Lütticher wegen der Kriege, die der Sonnenkönig Ludwig XIV. um diese Zeit führte, ihre Versuche wieder ein. Heerzüge bedrängten das rheinische Land. Der Stollenbau ruhte. 5
Dreißig Jahre später setzte ein Abenteurer, der sich Doktor der Alchimie nannte, mit Unterstiizung der Kölner Hofkammer die Versuche fort. Eine zeitgenössische Zeichnung läßt erkennen, daß das Bergwerk des „Doktors" aus zwei 12 m tiefen Schächten bestand, die durch einen Querschacht verbunden waren. Eine Handnumpe förderte das Wasser von der untersten Sohle, ein Stollen leitete es ab. Ein Feuer, das in einem Schacht brannte, diente der „Bewetterung". Der Kölner Bürger Meißen hatte sich die Genehmigung erbeten, das „Geriß" des seltsamen Doktors —• das, was er auf der Suche nach Kohle aushob und auf eine Abraumhalde warf — verwerten zu dürfen. Er ließ aus diesem Abraum „Klütten" herstellen: Klütten aus Torf (Braunkohle), wie sie das Volk am Niederrhein seit Jahrhunderten brannte. Der Doktor buddelte indes weiter nach Steinkohle, bis der Hofkammer der Geduldfaden riß: Sie hatte binnen kurzem 3196 Reichstaler und 65 Albus in das Unternehmen gesteckt. Ein Sachverständiger aus Dortmund erklärte, die Schaufler könnten, so tief sie auch schürften, nie auf Steinkohlen stoßen. Der Betrieb wurde eingestellt und der seltsame Doktor verschwand. Die Schächte deckte man zu und verkaufte das Zechenhaus. Das war der erste größere Versuch, den Schatz des Vorgebirges zu heben. Da der „Doktor" aber blind war für den wirklichen Wert des Berglandes, für die Braunkohle, mußte das Unternehmen kläglich zu Bruch gehen.
* 1766, den 23. Oktober, wirken sechs Knechte des Rodderhofes — er liegt nicht allzuweit fort von der Gabjei — mit Hacken und Spaten auf einem abgeholzten Waldstück. Die Sonne ist eben aufgestiegen, die ausgedehnten Wälder der Ville stehen goldbraun und kupferrot. Die Augustusburg, das Sommerschloß des Kölner Kurfürsten und Erzbischofs, ragt gleich einem steinernen Märchen aus dem Park der kleinen Stadt Brühl. Die Knechte sind seit Tagen am Werk. Was kümmert sie das Schloß, was das fernere Köln, über dem die unvollendeten Domtürme als dunkle Schatten sichtbar sind! Der Boden — so behauptet ihr Herr, der Rodderhof-Pächter — berge jene braune Kohle, welche die Franken schon gekannt und Turflo genannt hätten. Ein Wünschelrutengänger habe erkundet, daß unter den Wäldern des Vorgebirges unvorstellbare Reichtümer verborgen lägen; er, der Pächter solle holzen und graben; der 6
Spaten sei gegeben, das Innere der Erde nach Unentdecktem zu durchforschen. Den Knechten ist aufgetragen, einen Schacht von 4 m Durchmesser zu graben. Picken lockern das Erdreich, Spaten blitzen und werfen Kies und Sand zur Seite. In drei Stunden wird der Pächter da sein, nachzusehen, was sie erreidit haben. Die Männer schaffen im Schweiße ihres Angesichts. „Die Erde ist tief." „Vielleicht gelingt es doch einem Manne mit Ausdauer, ihren Grund zu erreichen." „Wieviel Schaufeln müßte er auswerfen?" „Wer kann das berechnen?" Die Knechte sprechen selten. So oft es allerdings geschieht: stets klingt erregte Erwartung aus jedem Wort. „Der Herr meint, vier Meter müßten wir ausheben, dann werde sich zeigen, was er suche." „Und dann?" „ . . . ja dann, . . . beginnt für uns eine neue Zeit." „Ja, wir hören auf, Bauern zu sein. Wir werden Klütten-Kauler." „Klütten-Kauler?" „Du wirst schon sehen."
* Gegen Mittag haben die sechs — Burschen zwischen sechzehn und zwanzig Jahren — die Kies- und Sandschicht durchstoßen, viel früher, als sie erwarten konnten. Da reitet der junge Pächter an. Sie steigen aus der Grube und schwingen die Spaten. Er aber wirft sich in Trab. Als er die Gruppe erreidit hat, sitzt er ab. „Habt ihr's?" Die Knechte lachen: „Ja — der Grund wird dunkel — es beginnt!" „Ihr seid ja kaum zwei Meter tief." Der Pächter springt in den Schacht und greift eine Handvoll Erde auf. „Wahrhaftig: Braune Kohle! Wir sind auf der rediten Fährte. Jungens: Heute feiern wir!"
* Dem Pächter des Rodderhofes wird der Schacht zur Klütten-Kaule. Die Knechte graben, bis sie nur noch dunkelbraune, fast sdiwarze Kohle fördern, die holzartig, faserig, mulmig bleibt und sich leicht zerreiben läßt. Sie schlagen Feuer, und siehe da: das schwarzbraune Häuflein entzündet sich langsam. Es verbrennt mit rußender Flamme und brenzlichem Geruch- Jetzt kann der Winter kommen: der 7
Rodderhof wird einheizen — den Herd der großen Küche, den • Kachelofen der Wohnstube und den der Gesindekammer. Die schwarzbraune Kohle hält länger warm als Holz. Das Spiel ist I gewonnen. Kies und Sand werden fortgeschafft, und der Rodderhof bauer legt auf dem freien Räume einen „Betrieb" an. Es ist die erste rheinische Klütten-Kaule. Wie er es auf einer Wanderung bei den mitteldeutschen „Braunkohlern" gesehen hat, so läßt er die schwarzbraune Kohle mit Wasser anrühren und sie in Holzkübeln — „Klütten" — formen. Die geformten Stücke werden an der Luft getrocknet und dann heimgefahren und geschichtet. So gewinnt er den ersten Wintervorrat. Die Stücke werden künftig nach den Behältern I „Klütten" genannt. 1768, den 16. September, legt der Bauer nahe dem Schacht, in den die Männer nur noch mit langen Leitern steigen können, einen * zweiten Schacht an. Im ersten sind sie ans Grundwasser geraten, 1770 folgt der dritte, ein Jahr später der vierte Sehacht: so wächst I die Kaule, die Grube. Aus den Knechten des Hofes sind KlüttenArbeiter geworden. Je zwölf gehören zu einem Schacht. Der Pächter beginnt, auch an den Verkauf zu denken; denn man lobt seine „Klütten" und nennt ihn den fortschrittlichsten Mann der Ville. I Für einen Pfennig gibt er zwei Stück. Mögen sie auch stark qualmen I und der Rauch unangenehm in die Nase stechen: sie bewähren sich.,;. Der Pächter fährt wöchentlich mit zwei Karren nach Köln. Bald hat er einen Stamm von Kunden, der ihm seine Klütten abkauft: der Rodderhof wächst ins Geschäft.
Ein Gebirge ändert sein Gesicht Nach den Versuchen des Rodderhof-Pächters gibt es zwischen Liblar, Brühl und Bergheim bald manche Klütten-Kaulen. Sie | arbeiten nahezu einhundert Jahre in der gewohnten Art. Dann reißt der Sieg der Dampfmaschine, des Dynamos und der elektrischen I Maschine auch die Braunkohler in die Industrialisierung und ändert I die soziale Schichtung der Bevölkerung. Der Rhythmus des neuen Europa bricht in die fleißige Stille des Bauernjahres. In dem wälder- I reichen Bergland wachsen Schornsteine, die sich bald in Schlote von f Großbetrieben verwandeln. Die Klütten von einst werden zu I Briketten, die Einzel-Unternehmer schließen sich zu Aktiengesell8
Stampfende Brikettpressen von heute
Schäften zusammen, die Aktiengesellschaften bilden einen Verein i zum Verkauf ihrer Ware und formen so ein kaufmännisches Groß- I unternehmen ersten Ranges.
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Am 7. Dezember 1835 bewegt sich von Nürnberg nach Fürth ein Eisenbahnzug auf Schienen, den — zum erstenmal für Deutschland — eine Lokomotive zieht. Bayern will mehr dieser Dampfzüge bauen, aber der Brennstoff für die unersättlidien Dampfkessel ist teuer. Braunkohlenlagerungen in der Oberpfalz bei Regensburg, in Unterfranken bei Asdiaffenburg bieten zwar Vorräte genug, aber man gewinnt sie zu umständlich. Der Handbetrieb kann die Mengen für die Dampfwagen nicht fördern, und die Löhne halten die Preise zu hoch. So sinnen Kaulen-Besitzer und Eisenbahner lange darüber, wie die Unkosten gesenkt und die Brennstücke in Massen hergestellt werden könnten. Nach langjährigen Versuchen gelingt es dem Münchener Postrat Karl Exter, einem Bastler, eine brauchbare Maschine zu zeichnen. Achtzehn Jahre nach der ersten Eisenbahnfahrt ist das Modell fertig; es wirkt noch wie ein Kinderspielzeug. Links steht die Kraftmaschine mit ihrem Schwungrad. Es bewegt eine Presse. Sobald die Presse selbsttätig ihren Stempel zurückzieht, fällt aus einem Triebter von oben her Rohstoff, heißes Braunkohlenpulver, in einen Hohlraum. Sobald er gefüllt ist, fällt der Stempel nach vorne und preßt das Pulver zusammen, so daß es hart wie ein Ziegelstein wird; das gewonnene Stück — der Klütten — wird von der Maschine auf eine Schüttelrutsche geschoben, sie reicht von der Presse bis zum Verladepiatz; das wiederholt sich in schneller Folge. Eine solche Maschine wird, wenn sie erst einmal im Dienst ist, Arbeitskräfte sparen und das Zehn-, Zwanzig- und Dreißigfache an handlich geformtem Brennstoff erzeugen. Das Bild der Phantasie verwirklicht sich: 1855 steht Karl Exters Maschine in voller Größe verladebereit: die Gruben der bayrischen Oberpfalz führen sie ein, und sie enttäuscht nicht. Sie tritt ihren Siegeslauf an; sehr bald übernehmen sie auch die Braunkohler um Frankfurt an der Oder, die Betriebe zwischen Kottbus und Görlitz, um Leipzig, Magdeburg und Kassel. Ins Rheinland aber kommt sie erst im Jahre 1877. Sie verdrängt eine ähnliche, von August Wilhelm Leyse erfundene und durch den Kölner Fabrikanten Milch hergestellte Maschine. Der Tag, an dem sie zum ersten Male ihre Arbeit tut — auf der Roddergrube, der 10
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Nachfolgerin der Rodder-Klütten-Kaulen — bleibt den Beteiligten für immer im Gedächtnis. Die Belegschaft zählt 250 Männer, die Hochsommersonne strahlt, Wiesen und Äcker um das Werk gehen der hohen Zeit des ländlichen Jahres entgegen. Bis zu dieser Stunde hat es geheißen, die rheinische Braunkohle sei trotz der Beyse'sdien Maschine nicht steinhart zu pressen, da sie zuviel Wasser enthalte; sie bleibe deshalb im Hintertreffen. Ein Ingenieur der Roddergrube aber hat im Lausitzer Braunkohlengebiet festgestellt, daß der Stempel, der dort das Pulver unter dem Druck von 1200—1500 Atmosphären preßt, einen kaum bemerkbaren Buckel hatte, und der hatte der Versuchspresse in der Roddergrube gefehlt. Jetzt — bei der neuen Presse — ist man im Bilde.
* Einer der Beteiligten sitzt am Abend dieses Tages, da man im Land der rheinischen Braunkohle die Exterpresse einführt, über dem Tagebuch und vertraut ihm an, was er gesehen und beobachtet hat. „Zweihundertfünfzig Augenpaare waren auf die Presse gerichtet", so beginnt er seine Eintragung. „Als ich das Zeichen gab, bewegte nach einem Hebeldrudc des Maschinisten der Dampf den Kolben im Zylinder hin und her. Der Stempel — wir hatten ihn vorher genau betrachtet und gesehen, daß seine Schlag- und die Auffangüäche vertieft waren und in Spiegelschrift den Namen ,Union' trugen — zog sidi zurück. In die Preßform, die 120 mm lang und 50 mm hoch und breit ist, fiel derweil der notwendige Braunkohlenstoff, woraufhin der Kolben den Stempel nach vorne drückte und das Stück formte, das auf beiden Seiten den Namen ,Union' zeigte und tatsächlich steinhart war. Nach einer weiteren Umdrehung des Sdiwungrades entstand ein neues Stück. Das vorhergehende aber schob sich selbsttätig um eine Stückstärke nach vorne. Jedes fertige Stüdt verläßt durdi das Pressemaul die Presse und fällt auf die Sdiüttelrutsche, die wir lange kennen. Es ist unmöglich, das Erstaunen festzuhalten, das sich bei dem Vorgang auslöste, so oft er sich wiederholte. Abends belausdite ich auf dem Heimweg zwei Arbeiter, die vor mir hergingen", so beriditet das Tagebuch weiter. „An ihr Zwiegespräch werde ich noch oft denken müssen. ,Bald wird man uns auf die Straße setzen.' ,Meinst du?' ,Die Presse ist ein Wunder: sie sdiafft, was tausend Männer nicht zuwege bringen. — Ein Klütten . . .' 11
,Brickett, mußt du sagen!' ,. . . ein Brikett gleicht dem anderen, und steinfest ist jedes von ihnen. 4 ,Der Heizwert steige durch das Pressen — so sagt man uns — von 1800 auf 4800 Kalorien.' .Und jedes Brikett trägt auf den Breitseiten den Stempel.' ,Die Grubenbesitzer werden Millionäre.' ,Und wir — sehen in den Mond.' ,Ich glaube, du irrst. Gewiß werden neue Gruben sein. Wer aber soll in ihnen arbeiten? So vollkommen auch die Maschinen sind: ohne den Menschen bleiben sie t o t . ' " Der Tagebuchschreiber plaudert dann aus der Kulturgeschichte der „Klütten", der Brikette. „Währenddem ich schreibe, leuchtet noch der Purpur des Sonnesinkens in den Juliabend. Das Vorgebirge steht vor einem neuen Abschnitt seiner Geschichte, und der Name, den unsere Ware nun tragen wird, mag ein Sinnbild dieses Abschnittes sein. Ein kluger Mann behauptet, der Name ,Klütten' hänge mit dem germanischen Wort ,klutta' zusammen, das sich auch im Lateinischen finde, und das bedeute ,Erdklumpen' oder ,Erdscholle'; im Englischen ,clot' habe sich diese Bedeutung erhalten; am Niederrhein sei das Wort ,Klut" ein beliebter Neckname für den Bauern gewesen, da er an seinen Stiefeln Erde des Ackers mittrage; im Hochdeutschen habe sich ,klutta' in ,Klotz' gewandelt! Der Mann gab mir ein Merkblatt, das ich hier anführe: ,Die Germanen werden die Torfschollen ,klutta' genannt haben, mit denen sie heizten. Als sie begannen, frisch gestochenen Torf handlich zu pressen und zu trocknen, bezeichneten sie die Torfziegel ebenso. Das Mittelalter stellte sie in ganz Nordwesteuropa her. Vielfach preßte man sie mit Ton oder Kuhmist: so hielten sie ihre Festigkeit. Der Torfgräber hieß Klutbauer oder Klutmann. Die Klutkaule war die Torfgrube. Der Klutentreter war der Klüttenmacher, der aus Torf, Lehm und Kohlengrieß Kluten (Klütten) machte. Im französischen Sprachgebiet nannte man sie ,briquet' oder ,briquette'. Das sind Verkleinerungsformen des Wortes brique = Ziegelstein, so daß ein Brikett eigentlich ein Ziegelsteinchen ist. Das Wort ,briquet' änderte allerdings im Laufe der Zeit seine Bedeutung. Heute bezeichnet es ein Feuerzeug. Als man nach dem Dreißigjährigen Kriege begann, die am Vorgebirge vorkommende braune Erde in den Öfen zu brennen, hielt man sie zunächst für Torf und verarbeitete sie, altgewohnt, zu Torfziegeln, den Klütten. Urkundlich wird das Wort 12
im Rheinland erstmals in einem Bericht über das Gabjei-Bergwerk vom 11. Januar 1709 erwähnt; die erste Rechnung über Klütten aus Braunkohle datiert vom Jahre 1748. Das aus Mitteldeutschland stammende Wort ,Braunkohle' führte 1815 die preußische Bergbehörde an Stelle der bis dahin üblichen Bezeichnung ,Torf oder ,Klüttengrund' ein. Dann haben Frankreich und Belgien Verfahren entwickelt, Kohle mit Bindemitteln zu .briquets' zu pressen. Dieses Wort übernahm Mitteldeutsciiland, als es dort gelang, vermittels der Exterschen Presse getrocknete Braunkohle ohne Bindemittel steinhart zu pressen/ So schließt das Merkblatt, das ich ins Tagebuch hefte. Mit dem neuen Verfahren — die Presse hat heute ihre Probe bestanden — übernehmen auch wir rheinischen Braunkohler das Wort ,Brikett'. Möge es dem Vorgebirge zum guten Stern werden!"
* Der Wunsch des Schreibers erfüllte sich: zehn Jahre nach dieser Tagebuch-Aufzeichnung standen zwischen Bonn und Horrem zehn Gruben und fünfzehn Brikettfabriken. Die Exterpresse wurde weiterentwickelt, aber ihre Grundform ist in den modernsten Maschinen der Gegenwart erhalten. Im Jahre 1900 arbeiteten bereits 127 Pressen im Gebiet. Die Fortuna-Aktiengesellschaft, die 1902 durch den Zusammenschluß mehrerer Werke gegründet wurde, stellte von 1902—1903 bereits 136 505 t Brikette her. Sie beschäftigte damals 31 Angestellte und 596 Arbeiter. Im Jahre 1950 förderten die zu einer Verkaufsorganisation zusammengeschlossenen Gesellschaften des Rheinischen Braunkohlenreviers mit 20 488 Beschäftigten 30,8% mehr als 1936 mit 14 878 Beschäftigten. Die eingesetzte Kohlenmenge betrug mehr als 28,5 Millionen t. Aus ihr gewann man fast 13,4 Millionen t Brikett. Davon gingen'88% zu Verbrauchern des Inlandes, 12% ins Ausland. 6 5 % beförderte die Bahn, 2 3 % das Schiff, 12% der Straßenlaster. 1119 technische, 627 kaufmännische Angestellte, 343 Arbeiter untertage, 10 980 in Tagebauen, außerdem 257 weibliche Kräfte, insgesamt 20 488 Beschäftigte waren notwendig, die Arbeit zu leisten: gemessen am Ergebnis ist das eine geringe Zahl. Die achtzig Jahre seit der Einführung der Brikettpresse haben das Gesicht des Vorgebirges geändert; aber trotz den riesigen Schornsteinen, trotz den Hochspannungs-Leitungen, die von den Werken aus wie Eisenprozessionen rheinwärts gehen, blieben dem gesegneten Lande Äcker und Gärten. Urenkel aber werden als schaffende Männer und Frauen wieder nur Felder erleben, Gärten sehen 13
/ und durch Wälder und Wiesen und vorbei an lauschigen Seen wandern, da, wo heute noch Braunkohlenwerke graben, sieben und pressen. Denn die ausgekohlten und ausgeschöpften Reviere wenden wieder in fruchtbares Land zurückverwandelt.
In der Braunkohlengrube Ungeheuer sind die Braunkohlenschätze des deutschen Bodens, die Vorräte werden auf 57 Milliarden Tonnen geschätzt. Von ihnen lassen sich 21 Milliarden im Tagebau, in offenen Gruben, gewinnen. Der größere Teil, 36 Milliarden Tonnen, liegt in Teufen (Tiefen) zwischen 150 und 500 m. Heute entfallen nur 5°/o der geförderten Braunkohle auf den wenig ergiebigen Tiefbau, d. h. den Abbau in Bergwerksstoilen. Nach etwa 75 Jahren aber werden 5 0 % der Tagebaue stilliegen, weil sie ausgekohlt sind. Wird dann der Tiefbau das Erbe des Tagebaues antreten können? Augenblicklich wäre er zu kostspielig. Im Tagebau fördern heute rund 41 000 Arbeiter Westdeutschlands täglich 210 000 t Braunkohlen. 450 000 Arbeiter im Ruhrrevier fördern täglich im Tiefbau 350 000 t Steinkohlen. Der Braunkohlenbergbau geht in drei Betriebsstufen vor sich: Im Abraum, wird das Deckgebirge beseitigt, damit die Flöze offen zu Tage treten; eingeschlossen ist auch die Rekultivierung, die Auffüllung und Nutzbarmachung der ausgekohlten Gruben für die Landwirtschaft und die Wiederbesiedlung. Im Grubenbetrieb wird die Braunkohle gewonnen und gefördert. In der Brikettfabrik wird die Kohle zur Kessel-, Brikettier- und Versandkohle aufbereitet, dann folgen Verladung und Versand. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts löste man den Abraum noch von Hand und verlud ihn auf schmalspurige Kipploren. Dampflokomotiven oder auch Pferde fuhren sie zur Halde und verstürzten sie. So war nur für kurze Zeit freie Kohle verfügbar. Alimählich erschienen kleine Eimerbagger, die auf Schienen liefen und sich mit Dampf antreiben ließen. Was sie abräumten, schafften größere Holzkipper auf die Schutthalde. Manche Werke übertrugen das Abräumen Firmen, die sich nur mit ihm beschäftigten und die eintönige Arbeit von Italienern, Kroaten, Montenegrinern und Bosniern verrichten ließen. Winters, wenn der Boden tief durchfroren war, ruhte meist der Abraumbetrieb. Das war gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. * 14
Einige Jahrzehnte später, im Frühsommer 1925, stehen wir vor einir Grube im Vorgebirge und erkennen den Fortschritt, der sich inzwischen im Förderbetrieb vollzogen hat. Die Technik hat sich weitgehend der Grubenarbeit bemächtigt, doch geschieht das Abgraben der Flöze selbst meist noch im Handbetrieb. Von der Höhe des Vorgebirges aus möchte der Blick in die Runde schweifen. Doch lange, hohe, graue Halden sperren die Aussicht. Sie verraten die Nähe des Braunkohlenbergwerkes, eines Tagebaues. Nach hundert Schritten, die um die Halde führen, gähnt plötzlich die Weite der offenen Grube. Sie mag 5 bis 8 Hektar messen, zeigt eine Oberschicht von Kies und Sand, den 40 m hohen Abraum, und unter ihm die schwarzbraunen Wände, die aus der Tiefe aufsteigen: aus dem schicksalsdunklen Braunkohlenwalde. Eben tritt die Sonne ins Gewölk des diesigen Morgens: da offenbart sich das Leben der Tiefe, leuchten im Licht des Tages schmalspurige Geleise auf. Kleine Wagen — die Hunde — rattern hin und her. Tief unten, auf der Sohle, erscheinen knirpsig und gewandt, wie wenn sich dem Blick das Sagenreich der Zwerge öffnete, Förderjungen, Abraumarbeiter, Hauer, Pumper. Eine Freitreppe führt etagenweise nach unten: sie folgt den Stufen des Abbaus. Mit jedem Schritt tiefer wachsen drunten die arbeitenden Gestalten. Erst am Grunde der Grube, wo die Jahrmillionen und ihre Baum-, Blumen- und Tierschicksale raunen und der Wissende Urmoore, Gletscher, Steinbomben ferner Vulkane spürt, gewinnen die Menschen ihre natürliche Größe. Von allen Seiten her laufen einzeln, schnell und sicher kohlenbeladene Hunde. Schienen führen aus allen Richtungen zur Grubenmitte, zur Kettenbahnstation. Dort empfangen Förderjungen die Karren, hängen sie an, und dann eilen die „Züge", von einer Kette ohne Ende gezogen, federleicht aufwärts zur Brikettfabrik, die eine Wegstunde weit von der Grube entfernt auf dem Höhenrücken liegt. Hier kippen die Hunde in „Kreiselwippern", Schwenkvorrichtungen, selbsttätig um, kommen leer auf dem Parallel-Geleise zurück und gleiten von der Kettenbahnstation aus wieder zu den Hauern; Der Vorgang wiederholt sich immerfort, Tag und Nacht, auch um Mitternacht, wenn über der Grube die elektrischen Lampen glühen und Urweltzauber aufleuchten. Alle acht Stunden wechselt die Belegschaft — aber so, daß die Hunde nicht stillstehen. Jeder der leeren Hunde verschwindet unter den steilen Wänden. Ich höre, wie die Kohle aus der Höhe in die Wagen kollert. Zwanzig Meter über mir stehen auf einer Etage der Wand die Hauer, schla15
gen mit Hacken die Kohle ab und schaufeln sie in Trichterschächte, unter denen die Kippwagen halten. Selbsttätig schließt ein Schieber die Trichterspitze, sobald der Hund unter ihr gefüllt ist. Auf einen Hebeldruck rollt er zurück zur Kettenbahnstation und wieder hinauf zur Fabrik. Stunde um Stunde, Monat um Monat, Jahr um Jahr.
* Als Deutschland nach dem ersten Weltkrieg wichtige Kohlenreviere verlor und große Mengen Steinkohle abführte und Braunkohlen die Lücken im inländischen Heizbedarf auszufüllen hatten, reichten die Methoden der Handgewinnung mit Hacken und Schaufeln nicht mehr aus. Man war gezwungen, den Rohstoff in stärkerem Maße maschinell zu fördern, und bald setzte der Bau der Geräte ein, ohne die ein modernes Werk nicht mehr auskommt. GroßBagger, Förderbrücken, Großraum-Förderwagen wanderten in die Gruben. Als der Hochbaustahl geschaffen war, der den Normalstahl an Festigkeit übertrifft, beschleunigte sich die Entwicklung. Das Schweißen löste das Nieten ab: man sparte Gewicht und konnte die Geräte den Deckgebirgsverhältnissen entsprechend leichter und deshalb höher bauen. Um das Jahr 1900 galt ein Tagebau als wirtschaftlich tragbar, wenn sich die Höhe des Deckgebirges zur Mächtigkeit der Braunkohle wie 1 : 1 verhielt. Wo neuzeitliche Gewinnungsund Förderanlagen zusammenwirken, gilt heute bereits ein Verhältnis 6 : 1 als durchaus wirtschaftlich. Bei einer Kohlenmächtigkeit von 15 m darf die Deckgebirgsschicht also 90 m hoch sein: so tief greifen die neuen Geräte aus.
* Wer vor einer Braunkohlengrube von heute steht und die Arbeitsweise der zwanziger Jahre erlebt hat, ist überwältigt von der weiter fortgeschrittenen Technisierung. Im Grubengelände ist kaum noch ein Mensch zu sehen. Das Bild beherrschen die „Eisernen Bergmänner", die Bagger und Förderbrücken, die Geleise-Rückmaschinen, die Geleise verlagern, eiserne Giganten, die geheimnisvoll und stumm ihre Arbeit tun. Wo nicht Kettenbahnen die Kipper fahren, gleiten kleine elektrische Lokomotiven mit langen Wagenzügen leichthin nach oben in die Fabrik. Nirgendwo wird das, was wir Rationalisierung nennen, so sichtbar wie hier: was einmal die große Zahl der Hauer, der Förderjungen, der Pumper geschaffen hat, erledigen nun ein paar Maschinisten, von denen keiner zu sehen ist, obwohl jeder an seinem Arbeitsplatz größte Verantwortung trägt. 16
Raupen-Schwenkbagger beim Abräumen der Deckschicht Man müßte, um die Arbeit in der neuzeitlichen Grube recht werten zu können, von den Förderwagen, der Technik des Kippens, von den Planiergeräten und den mächtigen Absetzern sprechen, die die Abraummassen so schnell wie möglich in den ausgekohlten Teil des Tagebaues stürzen, um das Gelände wieder aufzufüllen. Seitdem es diese Absetzer gibt, spart man die Kosten für den Ankauf von Land, das früher notwendig war, um den riesigen Halden Raum zu schaffen. In der menschen- und baumleeren Landschaft der Grube wirken die Maschinen wie Ungeheuer. Der Gurt-Förderer z. B. hat einen um 35° nach jeder Seite schwenkbaren Ausleger. Er kann um 70° aus der waagerechten Lage aufgehoben, sein Oberbau um 360° geschwenkt werden. Der stählerne Arm greift 54 m weit aus, der Koloß wiegt 550 t, sein Gewicht wird auf 56 Laufräder verteilt, und drei Männer, die der Blick kaum gewahrt, bedienen ihn. Noch unheimlicher wirkt die Förderbrücke. Sie spannt sich quer über die Grube, übt auf der Haldenseite einen Druck von 2450 t, auf der Baggerseite einen Druck von 1320 t aus. Sie gewinnt die Rohkohle, fördert sie in die Kipper un.d lagert gleichzeitig den Abraum um. Die Riesenkonstruktion wird elektrisch betrieben. Diese Großgeräte müssen hei ihrer Länge mit dem Winddruck 17
rechnen. Im Führerstand sind, nicht anders als in einem Ozeandampfer, feinnervige Geräte, Windmeßvorrichtungen, eingebaut, die jede Gefahr rechtzeitig anzeigen. Man kann auf solche schaffenden Ungetüme nicht mehr verzichten; ihre Wirtschaftlichkeit wamst mit der Größe. Anfangs förderte das Abraum-Gerät 500, jetzt fördert es 3000 cbm. Die ersten Brücken waren 150 m lang und wogen 580 t, die neuen sind 400 m lang und 5000 t schwer. Jeder Arbeitsvorgang dieser Riesen aber bleibt leicht kontrollierbar. Manchmal begegnet dem Groß-Raumer einer der mächtigen Baumstümpfe, die sich unter dem Schutt der Jahrmillionen erhalten haben. Vor kurzem noch stieß man in einer Grube bei Liblar im Vorgebirge auf eine Sumpfzypresse, deren Stamm 8 m hoch ragte und deren Umfang 11,5 m betrug. Wie Zwerge standen die Betrachter vor ihr. Es war ein stürmischer Herbsttag, und unvergeßlich bleibt das Schweigen, in welchem die Menschen den Alten aus dem Tertiär umringten.
Mit dem Werkmeister durch die Fabrik Die Fabrik liegt eine gute Wegestunde westlich der Grube auf der Höhe. Der Werkmeister, ein Fünfziger, der seit dem vierzehnten Lebensjahr im Werk tätig ist und Gesellen- und Meisterstück des Maschinenschlossers hinter sich gebracht hat, ist unser Begleiter. Das Werk ist zwar klein und schon älter; aber es zeigt den Hergang des Brikettierens so gut wie eine Fabrik neuester Anlage. Eine doppelgleisige Kettenbahn schafft die Rohkohle in eisernen Kippern aus der Grube heran. Sie fährt die vollen Kipper zu Berg, die leeren zu Tal und steht nur still, wenn sie gehemmt ist, was jedoch selten vorkommt; so läuft sie von Montag 6 Uhr an bis zum Sonntag um 6, Tag und Nacht; denn die Fabrik arbeitet wie die Grube in drei Schichten; sie beschäftigt 450 Arbeiter, Handwerker und Angestellte; an Sonn- und Feiertagen ruht sie. Unter einem überdachten ansteigenden Gang stehen die beladenen Kipper mit der angefahrenen Rohbraunkohle. Als dunkle Masse, in der man hie und da zerfasertes Holz, Knabben und Aststücke erkennt, liegt sie da. Eine Handvoll, die wir greifen, ist feucht; die Rohkohle schleppt als Erbe ihrer sumpfigen Herkunft 60—65°/o Wassergehalt mit sich und muß erst aufbereitet, zerkleinert, abgesiebt und ausgetrocknet werden; erst dann läßt sie sich brikettieren. 18
\ Die beladenen Kipper rollen auf Drehscheiben, der erste Kipper fährt auf die rechte, der zweite auf die linke, der dritte auf die mittlere Scheibe. Dort halten sie an. Männer setzen den Hemmschuh an. Die Hunde kippen. Die grubenfeuchte Kohle fällt hinunter auf die Roste, um gesiebt und auf Erbsengröße zerkleinert zu werden. Jedes Werk, sagt der Meister, hat andere Roste, andere Rüttelsiebe, Walzen und Mühlen; jede Art, die Kohle zu zerkleinern, habe ihre Vor- und Nachteile; am besten seien jene Maschinen, die gleichmäßig körnten und Fremdkörper entfernten. Wir sehen die Rüttelsiebe, sehen, wie die größeren Stücke bleiben und aussortiert werden; sie werden unter den Dampfkesseln nahegelegener Großkraftwerke verfeuert. Die Feinkohle strömt weiter. Fördermittel mannigfacher Art tragen sie von einem Gerät zum andern. „Was Sie bisher sahen, ist der ,Naßdienst", sagt der Meister zu dem Resucher — es ist schwer, den Sprechenden im Getriebe der Riemen, Räder und Roste zu verstehen. „Wir zerkleinern dabei die Kohle, verwandeln sie sozusagen in Staub, damit sie bei der nachfolgenden ,Trocknung 4 leichter ausdünsten kann. Zur Brikettierung sind 12—15°/o Wassergehalt erforderlich. Es gibt für die Trocknung ,Dampftelleröfen', die mit ihren schaufelartigen Rührwerken in der Art der Kaffeeröstmaschinen arbeiten. Unser Werk hat jedoch ,Röhrentrockner'. Die Trockner werden — nichts in der Fabrik geht verloren — durch den Abdampf der Brikettgase beheizt; der Dampfdruck schwankt dabei zwischen 2 und 4 Atmosphären." Wir steigen in die Halle der Trockenöfen. Die Hitze will uns den Atem verschlagen. Audi hier begegnen wir nur zwei Männern. Die Fabrik beschäftigt in jeder Schicht — so bemerkt der Werkmeister — nur 27 Mann: die Maschinen liefen und werkten von selbst; die sie bedienten, seien gleichsam nur ihre Aufseher, bestimmt, auf Zeiger und Uhren zu achten. Der Maschinist führt uns vor einen der Röhrentrockner. Wir sehen eine Drehtrommel, die leicht geneigt ist. Drinnen liegen, in Reihen angeordnet, 600 Trockenröhren. Eine Triebschnecke, die ein Elektromotor treibt, dreht die Trommel an: so schnell, daß wir die zerkleinerte Kohle, den Staub, der von oben herunter in die Röhren fällt, nur schwer wahrnehmen. Heizdampf von 80° erwärmt mit strömender Gewalt die Röhren. Der Kohlenstaub trocknet, der Wasserdampf entweicht durch Riesenschornsteine ins Freie. Bevor die überhitzte Braunkohle nun zum Brikettieren kommt, muß ihre Temperatur wieder auf etwa 45° gesenkt werden. Auf dem Wege 19
zur Presse kühlt der Staub nur sehr wenig ab. Die Kühlung wird deshalb in freistehenden Kühlhäusern fortgesetzt, in denen (die Kohlenbröckchen durch Kühler gleiten. Der Meister betont, wie notwendig es sei, die Kohle gleichzeitig auch zu entstauben. Noch vor 20 Jahren sei es unmöglich gewesen, einen Arbeitsgefährten, der etwa fünfzehn Schritte entfernt gestanden habe, im Saub der Hallen und Werkräume zu erkennen, nicht selten sei der Kohlenstaub explodiert und habe manches Leben ausgelöscht; heute sei die Fabrik geradezu paradiesisch sauber zu nennen. Strenge Vorschriften, die für den gesamten Bergbau erlassen seien^ regelten das Entsauben. Wir wandern hinunter in die Halle der Pressen. Auf schmalen Eisentreppen steigen wir hinauf und hinab, kommen an Förderbändern und Rutschen vorbei, sehen die Kessel und darunter die Öfen und durch die Türöffnung die Glut. Nun sind wir unten. Was sich uns zeigt, ist ein Wunder aus Eisen und Stahl. Stählerne Schwungräder, Kurbelwellen und Lager, Zylinder, Ventile, Kolben und Klinken: alles ist in majestätischer Bewegung. „Zwölf Brikettpressen sind hier aufgereiht", sagt der Meister. „Zwei Zwillinge sind darunter, so daß wir 14 Stempel bedienen. Auf jedem Stempel — er ist aus legiertem Stahl — sehen Sie den Namen, der die rheinische Braunkohle kennzeichnet: ,Union'. Jedes Werk, das zur ,Union 4 gehört, hat in einem der Buchstaben zwischen den gekreuzten Hämmern sein besonderes Zeichen." Wir stehen an einer Presse. Mit 4500 Atmosphären Druck wird der Stahlstempel gegen den entwässerten, getrockneten und auf die vorgeschriebene Temperatur gebraditen Kohlenstaub gestoßen, der in abgewogenen Portionen in die Preßform, eine Hohlform, fällt. Sie hat die bekannte Form der Briketts. Ungeheure Stöße dröhnen durch die Halle. Sie fördern die in der warmen Kohlenmasse enthaltenen Erze an die Oberfläche, fassen das Brikett zusammen und geben* den Seitenflächen ihren Glanz. Kein Mensch greift zu: im Spiele der Ungeheuer kommen aus den Pressen die fertigen Brikette und wandern auf die Rutschen. „Das müßten die Klütten-Kauler sehen, die vor einhundert Jahren die Klütten in ihren Eimerchen formten und zum Trocknen auslegten", sagt der Meister und berichtet über das, was die Pressen leisten. „Die Grundgedanken der modernen Pressen entsprechen denen des Erfinders Karl Exter aus München. Jede Presse liefert in einer Minute einen Zentner, das sind 80 Brikette, 60 Zentner in der 20
Gesicht einer modernen Brikettfabrik Stunde, 1440 Zentner am Tage. Die 14 Pressen aber bringen täglich 21 800 Zentner zustande! Die Arbeit lohnt sich, und wir sind stolz, sie leisten zu können. 21 800 Zentner Brikett und dreimal 27 Arbeiter in 24 Stunden! Es gibt Fabriken, die täglich 25 000 Brikette herstellen." Wir erfahren, wie die Formen der Pressen gewechselt, abgenutzte Stempel neu geschliffen werden, wie die Brikette mit erhöhter Temperatur das Pressemaul verlassen, aufs neue in eine „Kühlung" müssen und dann zu .den Speichern und Lagerhalden, oft aber gleidi in die Eisenbahnwagen fallen, sich demnach selbst verladen. Da wo die Schienen aufleuchten — wir sind wieder draußen im Freien, und sommerlich grün drängen Bäume und Grasflächen an die Mauern der Fabrik —, fallen die Brikette nach langem Rutschweg hart und glänzend-schwarz in die Güterwagen, um weiterzureisen: durch Deutschland, nach Frankreich, in die Schweiz, nach Italien. Der Werkmeister zeigt auch die „Gute Stube" des Werkes: die Halle mit den Kraftmaschinen und ihren Turbinen. Wir glauben, 21
in einen Marmorsaal zu treten — so strahlen die Steinfliesen des Bodens und die Tafeln der Schaltwand, an der blankgeputzte Meßinstrumente anzeigen, wieviel elektrische Kraft — das Werk erzeugt sie selbst — in den einzelnen Abteilungen arbeitet. Eines Mannes müsse er in diesem Räume gedenken, sagt unser Begleiter, denn ihm verdanke die Brikettfabrikation vornehmlich ihren Aufstieg. Er nennt den Namen des Generaldirektors Dr. Paul Silverberg. Silverberg habe schon 1907 die Konstruktion eines volltätigen und wirtschaftlich lohnenden Kohlenbaggers angeregt. Diese Konstruktion war der Musterfall für unternehmerischen Willen, der mit der Wissenschaft und Technik zusammenarbeitet und dazu den erfahrenen Werkarbeiter zu Hat zieht. Paul Silverberg hat sich nur ungern zu dem entschließen können, was man Kationalisierung nennt; der Mensch in ihm wehrte sich gegen die Maschine, der Unternehmer allerdings tat das, was notwendig war, um die Werke wirtschaftlich zu halten, und das ist ihm gelungen; denn er ließ, nachdem er sich mit den Grundsätzen der .Rationalisierung abgefunden hatte, immer vollkommenere Maschinen bauen. So hat sich die Brikettfabrikation in den großen Wirtschaftsprozeß eingeführt und die Brand- und Marktquälität standig verbessern können; das Brikett gewann allmählich das schmucke Aussehen, das es so anheimelnd macht; seit dem Zusammenarbeiten mit der Ofenindustrie ist es volkstümliches Heizmittel geworden. „Paul Silverberg lebt uns allen", sagt der Werkmeister. „Er ist der Mann, den jeder Braunkohler im herzen trägt." Wir treten in die Werkstätten der Schreiner und Schlosser, auch in die Lehrwerkstätten. Auch hier ist uns der Meister freundlicher Begleiter. Fachkundig schildert er uns den Ausbildungsgang des Nachwuchses. Während einer dreimonatigen Probezeit kann der Junge, der sich nach der Volksschulzeit entschließt, Braunkohler zu werden, selbst prüfen, ob er sich den Anforderungen gewachsen fühlt; erst dann kommt es zu einem bindenden Lehrverhältnis. Jeden jungen Menschen berauscht zunächst der Gang durch den Hauptbetrieb; denn hier erlebt er die Symphonie der Arbeit, hier steht er klopfenden Heizens im Getriebe, in dem er künftig mitwirkendes Glied sein soll. „Eine Fabrik ist mehr als ein zufälliges Häufen von Maschinen, Apparaten und Menschen: sie ist Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, in der jeder an seinem Platze notwendig bleibt." Der Meister führt uns an die Werkbänke der Schlosserlehrlinge, 22
um am Beispiel ihres Werdeganges die Ausbildung der Fachkräfte erkennen zu lassen. Auch bei der geringsten Arbeit wird letztmögliche Sauberkeit gefordert. Die Ausbildung dauert lange. Technische Zeichnungen wollen gelesen, die verschiedenen Stahlarten, Leichtmetalle und Legierungen in die vom Konstrukteur gewünschte Form gebracht sein. Apparate, Maschinenteile, Werkzeuge entstehen: ein Braunkohlenwerk muß völlig unabhängig sein, alles Handwerkliche selbst herstellen. Der Junge lernt Bohrmaschine, Drehbank, Hobelmaschine, Säge, Schere, Stanze, Schmiede-Esse, Flektro-Schweißmaschinen, Geräte für die Gasschmelzschweißung, sämtliche Werkzeugmaschinen und sonstigen Werkstatteinrichtungen kennen und vorsorglich behandeln. Das zweite Lehrjahr berücksichtigt die Neigungen des einzelnen; er wird als Betriebssehlosse'r, Dreher, Schmied oder Schweißer herangebildet. Das dritte Lehrjahr verbringen die .Tungen im Hauptbetrieb. Hin und wieder kehren alle zur Lehrwerkstätte zurück; sie werden überholt und geprüft: Wie handhabe ich meine Werkzeuge am wirksamsten? Wie messe ich meine Werkstücke mit ausreichender Genauigkeit? Wie soare ich an Werkstoff? Das „Warum" wird in der wöchentlichen Werkstatt-Stunde, die außerhalb der Arbeitszeit liegt, geklärt. Die Lehrlinge nehmen auch an den Vorträgen teil, die vor der gesamten Belegschaft über Unfallverhütung, Betriebseinrichtungen und fachliche Fragen gehalten werden. Der Lehrling hat ein Werkstattbuch zu führen, in dem er die Berichte über seine Arbeit festhält und die der Lehrmeister wöchentlich prüft. Jeder Jahrgang besucht drei Jahre hindurch wöchentlich an einem Tage die Werkberufsschule. Die Berufslehre in der Werkstatt will zur Geschicklichkeit, die Arbeit in der Werkschule zu klarem Denken erziehen. Fachkunde, Fachzeichnen, Fachrechnen, Bürgerkunde und Schriftverkehr, Geschichte des Betriebes, Organisation und Leitung der Firma, Werkseinrichtungen sozialer Art und dergleichen Dinge bestimmen den Lehrplan der Schule. Wirtschaftskundliche Fahrten beleben die Schulzeit. Dazu hat jeder Lehrling täglich unter der Leitung eines Sportlehrers V2 Stunde Gymnastik zu treiben. Den Schluß der Ausbildung bildet die Facharbeiterprüfung; wer dann noch weiter will, kann sich zum Meister oder zum Steiger ausbilden lassen, auch zum technischen Angestellten. Fleiß, Stetigkeit, Streben, Verantwortungsbewußtsein öffnen stets neue Tore. Bei entsprechender Begabung besteht die Möglichkeit, an der Braunkohlenbergschule auf ICosten der Grube mehrere Semester zu studieren.
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„Vor einem Monat41 so hören wir, „legten 41 Prüflinge die Abschlußprüfung ab: junge Männer, die vom 14. Lebensjahre die Arbeiten kennen lernten, sich bewährten, ihre dreijährige Lehrzeit und ein Gesellenstück hinter sich brachten und dann für fünf Semester fortgingen. Der Lehrgang zählte ursprünglich 63 Teilnehmer. 22 sprangen im Laufe der Zeit ab, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen blieben. In der Prüfung sind schriftliche Arbeiten anzufertigen, aus der Bergbaukunde, über Bergwerksmaschinen, über elektrotechnische Fragen und über die Brikettierung. Es folgt die mündliche Prüfung in Braunkohlenchemie, Berggesetzen und Bergpolizeivorschriften, Werkstoffkunde, Markscheidekunde, Grubenrechnungswesen und Braunkohlentiefbau. Innerhalb der fünf Semester — so lange dauert die Ausbildung — liegt die Tiefbau-Praxis, die der Teilnehmer im Kasseler Braunkohlenrevier oder in der Steinkohle zu erfüllen hat. Wer die Prüfung besteht, kann Gruben-, Fabrikmaschinen-oder VermessungsSteiger werden und so in die höhere Laufbahn gelangen."
Wandernde Straßen und Dörfer Im Braunkohlenland des Rheins wandern fortgesetzt die Bohrtürme, um neue Lagerstätten zu „muten". Dann kann es sein, daß Landstraßen, Eisenbahnstrecken und Dörfer verlagert werden müssen, weil sich darunter ergiebige Flöze hinziehen. Im Jahre 1925 wurde es notwendig, die alte Eifelstraße, die über Zülpich nach Trier und Luxemburg führt, auf dem Abschnitt zwischen rlermülheim und Liblar an eine andere Stelle zu rücken. Die Strecke, die stark ansteigt und einen Kohlenpfeiler von 20 Millionen Tonnen überquert, war bei dem ständigen Abbau zu beiden Seiten und dem starken Verkehr bereits ins Rutschen gekommen und zunehmend gefährdet. Vieles war zwischen den Interessenten und den Anwohnern der Straße mit ihren Einzel- und Gruppenwohnungen, ihren Werkstätten abzustimmen. So zog sich die Planung lange hin. Der zweite Weltkrieg störte die Verhandlungen, und es vergingen 26 Jahre, bevor die neue Straße erstmals befahren werden konnte. Es war am 30. April 1951. Ich sah sie zuerst gelegentlich einer abendliehen Fahrt. Der halbe Mond stieg in die farbigen Wolken. Sie leuchteten noch eine Weile im Nachschein der Sonne, bevor sie verblaßten. Die qualmenden Schlote ragten, Öfen flammten, schwarz senkten sich die Wände 24
der Grube in die Tiefe. Die elektrischen Lampen entzündeten sich. Ihre Hangvorrichtung war nicht zu erkennen: sie schwebten wie nahe Sterne über dem Abgrund. Längs den Lichtpünktchen der Kettenbahn bewegten sich die Hunde auf und ab. Das Grundwasser hatte sich zu einem ausgedehnten Teich gesammelt, und der Mond schwamm auf ihm. Erfreulich war es, zu sehen, wie die neue Straße rechts und links besamt und bepflanzt worden war. 70 000 qm Neuland waren gewonnen worden: denn es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Grubenverwaltung eines raumarmen Landes, ausgekohlte Felder für künftige Forst- und Landwirtschaft vorzubereiten. Die Urbarmachung ist gesetzliche Pflicht. Wer den Sturz der Wälder bedauert, den mag der Gedanke trösten, daß die neue Straße schon nach einem Menschenalter wieder durch Wälder führen wird. Im Jahre 2000 werden, wenn im Norden des Reviere« neue Gruben geöffnet sind, im Süden über zugeschüttetem Grubenland Birken-, Kiefern- und Akazienwälder stehen. Auch an anderen Stellen des Reviers verlegte man Straßen und Dörfer, überall dort, wo unter den alten Häusern, Kirchen und Schulen Braunkohlen lagern. Die neuen Dörfer, die an ihre Stelle getreten sind, tragen freundliche Züge und sind den Umgesiedelten zur neuen Heimat geworden. Schwierig war es, den Bauern — alle Braunkohlendörfer treiben Landwirtschaft — neue Äcker zu beschaffen. Auch diese Aufgabe wurde glücklich gelöst. Im Jahre 1955 wird auch die 6,5 km lange Bundesbahnstrecke zwischen Kierberg und Liblar, ein Stück der zweigleisigen D-ZugStrecke Köln-Trier verlegt sein. Der neue Bahndamm erfordert etwa zwei Millionen cbm Abraum. Sobald die Erdarbeiten abgeschlossen sind, wird die alte Bahnstrecke abgebrochen, und dann wird man die unter ihr liegende Braunkohle fördern. Da nach ihrer Auskohlung Abraummasse nicht mehr in genügender Menge verfügbar ist, wird an dieser Stelle ein künstlicher See entstehen. An seinen umgrünten Ufern werden die Raupen-Sdiwenkbagger der einstigen Grube, die Schlote und das Sirenengeheul der Fabriken nur noch Sage sein.
„Reederei Braunkohle" Wer von Köln auf das Vorgebirge zuwandert, sieht fortgesetzt das Sinnbild dieser Industrie-Landschaft: Die Gruppe von zwölf 25
Riesenschloten, die der rheinische Volksmund die „Zwölf Apostel" nennt. Ob sie in strahlender Sonne oder bei grauen und stürmischen Himmeln qualmen, sie zwingen den Blick zu sich hin. Der wölkende Rauch der Kamine mischt sich mit dem Dampf der Lokomotiven der nahen Braunkohlenbahnhöfe am Westfuß der Ville, von denen stündlich die beladenen Züge abgehen. An der Ostseite, am Ufer des Rheins, warten an ausgedehnten Kaianlagen die Schleppzüge zur Fahrt stromauf und stromab auf der großen Wasserstraße. Die Reederei „Braunkohle" unterhält zwischen Bonn und Köln in Wesseling einen Rheinhafen, einen der größten am Strom. Der „Rheinische Braunkohlenbrikettverkauf" hat hier die Abteilung „Verladestelle" eingerichtet. Sie besorgt den Schiffsraum und überwacht die Umschlagarbeiten. Die Hafenanlagen gehören den Köln-Bonner-Eisenbahnen. Sie fahren auf besonders augelegten Strecken die Brikette in SpezialkUbelwagen von den Werken zum Hafen, wo die Eisenbahner den „Umschlag" durchführen. Krane heben die Kübel und senken sie in die Laderäume der Rheinkähne. Unter Deck klappen sie auf, und die Brikette rollen hinab — langsam, damit sie nicht zerbröckeln. Sobald ein Kahn gefüllt ist, zieht ihn das Hafenboot zum Liegeplatz für die zur Fahrt bestimmten Schiffe. Drüben fährt der „Abdeck-Trupp" mit dem Motorboot von Kahn zu Kahn. Er breitet über die aus den Laderäumen aufragenden Brikettkegel Segeltuchplane: Die Ware darf den Witterungeinflüssen nicht allzusehr ausgesetzt sein. Dann sind die Kähne schleppklar, und der Reederei obliegt der weitere Transport. Ihre wohlausgerüsteten Schleppboote hängen die Kähne als Lastzüge an und fahren sie über Rhein, Main und Neckar zu den süddeutschen Umschlagsplätzen, von denen aus die Braunkohle, nun in Güterwaggons der Bundesbahn, nach frachtgünstigen Absatzgebieten weitergeleitet werden. Die Reederei führt auch die Verschiffung rheinabwärts durch; denn die westdeutschen Kanal- und die Inselstationen der Nord- und Ostsee können nicht mehr ohne Brikette arbeiten. Drei starke Schlepper von etwa 1800 PS befahren nur die Strecke Wesseling-Bingen, den Mittelrhein. Fünf bis neun Kähne sind angehängt —• ein kilometerlanger Schleppzug; durch ein schweres Drahtseil ist jeder Lastkahn mit dem Schlepper verbunden. Über die Zahl der Anhängeschiffe entscheidet der jeweilige Wasserstand, denn befrachtet sinken die Kähne fast bis zum Gangbord ins Wasser. 6000 und mehr Tonnen umfaßt die Ladung. Die Bergfahrt geht nur bis Bad Salzig, eine Stunde oberhalb der Moselmündung. Hier 26
beginnt die Gebirgsstrecke des Mittelrheins, ein schwieriges und kurvenreiches Fahrwasser, in dem die Loreley-Enge und das „Binger Loch" gefährlich und heimtückisch sind. Die lange Schiffskette muß geteilt werden. Die Schleppboote nehmen von Bad Salzig nur noch drei Kähne mit nach Bingen und kehren später mit Leerkähnen wieder nach Wesseling zurück. Inzwischen nehmen sich kleinere Schlepper der auf der Salziger Reede zurückgelassenen Restkähne an, hängen sie sich ins Schlepptau und bringen auch sie nach Bingen. Neue Schleppzüge werden zusammengestellt und fahren weiter stromauf. Die nach Mainstationen bestimmten Kähne werden in Mainz losgemacht, die nach Heilbronn gehenden Kähne in Mannheim abgeworfen. Der restliche Schleppzug schwimmt weiter nach Karlsruhe. Bei Mannheim wird die Strömung wieder stärker, auf der Oberrheinstrecke müssen deshalb die Schlepper abermals wiederholt wechseln. Die Reederei verfügt bei dem starken Umsatz der rheinischen Braunkohle allein nicht über den notwendigen Laderaum. Sie schließt daher mit einer Reihe von Schiffseignern langfristige Verträge. Außerdem schaltet sie Partikuliere — Schiffahrttreibende, die Alleinbesitzer oder Teilhaber von Kähnen und Schleppern sind — und andere Schiffahrtunternehmer in bedeutendem Maße ein. Die Zentrale in Wesseling ist fernmündlich mit den in Bad Salzig, Bingen, Mainz, Mannheim, Karlsruhe unterhaltenen „SchiffahrtBetriebsstellen" verbunden, denn es gilt, die Schleppkraft voll auszunützen, den Wechsel der Schleppboote zu organisieren und schnell Entscheidungen zu treffen, wenn Hoch- oder Niedrigwasser, Nebel, Eis oder Havarien Änderungen im Fahrplan erfordern. Jede Betriebsstelle hat der Hauptverwaltung Berg- und Talfahrtenberichte zu senden, in denen Passierdaten und -Zeiten aller im Briketttransport eingesetzten Fahrzeuge festzuhalten sind. Zu ihnen kommen die Lade- und Löschberichte. An den wichtigen Hafenplätzen Mannheim-Rheinau, Ludwigshafen, Karlsruhe, Heilbronn, Würzburg und Frankfurt verfügt die Reederei über eigene Umschlagsanlagen: Kranbrücken und Siebwerke, wie die Brikettverladung sie fordert, und Hallen, in denen Brikettvorräte gelagert werden können. Die Entladung wird durch Förderband-Entladevorrichtungen beschleunigt. Manche Spezialschiffe haben auch eigene Bandanlagen. Sie entladen in einem Drittel der Zeit, die Normalkähne brauchen, und gewährleisten schnellsten Umschlag bei sachgemäßer und schonender Behandlung des Gutes.
Die bewegende Kraft aber sitzt in dem kleinen Rheinhafen Wesseling. Wer auf dem Dache des modernen Verwaltungsgebäudes steht, spürt, bei welchem Wetter er auch hinaufgestiegen ist, im Bogen des Rheines die Weite. Er ahnt Europa und weiß, daß der Strom, der hier Braunkohlen-, wie er anderswo Wein- und nördlich Düsseldorf Steinkohlenstrom ist, als europäische Wasserstraße die Nordsee mit den südeuropäischen Absatzgebieten verbindet. Wer den Blick wendet, entdeckt, nicht weit von dem Verwaltungsgebäude, die Schifferschule. In dem Heim wird der Nachwuchs für den Mangelberuf der Binnenschiffer in Sechswochenlehrgängen vorbildlich in alle Aufgaben eingeführt, die die Arbeit am Steuerrad, in den Lasträumen und an Deck von den Schiffsleuten forderet
Weltvorrat und Verwertung Wie die Gruben und Werke im „Vorgebirge", so arbeiten auch die Betriebe in den übrigen Braunkohlengebieten Deutschlands, die zum Teil größer sind als das rheinische Revier. Im Westerwald, in Ober- und Niederhessen, in Braunschweig-Magdeburg, im Land östlich von Frankfurt an der Oder, in der Nieder- und Oberlausitz, in Oberbayern und in der Oberpfalz wird Braunkohle gefördert. Mehr als 45 000 Arbeiter und Angestellte arbeiten allein in den Braunkohlenbetrieben des Bundesgebietes. Die westdeutsche Förderung betrug im Jahre 1952 über 83 Millionen Tonnen (Steinkohle 123,5 Millionen Tonnen). Von dem Gesamtvorrat an deutscher Braunkohle birgt die niederrheinische Erde 20 Milliarden Tonnen, die Lausitz 16, SachsenThüringen 10, Ostdeutschland 8. Der Rest findet sich in kleineren Braunkohlenrevieren. Gewaltiger sind die Braunkohlenschätze anderer Länder. Die Vorräte der Vereinigten Staaten werden mit 1,2 Billionen Tonnen veranschlagt. An zweiter Stelle folgt Rußland mit 198 Milliarden, an dritter Stelle China. Der gesamte Weltvorrat an Braunkohle beträgt vermutlich weit über 3 Billionen Tonnen gegenüber 4Va Billionen Tonnen an Steinkohlen. Europa birgt 120 Milliarden Tonnen, Amerika 2811 Milliarden Tonnen, Afrika 1 Milliarde Tonnen, Asien 220 Milliarden Tonnen, Australien 33 Milliarden Tonnen, Ozeanien 40 Milliarden Tonnen. Nur ein ganz geringer Teil dieser Vorräte ist erschlossen. 28
Im „Verbundnetz" der Elektrizitätsversorgung Westdeutschlands ist die rheinische Braunkohle mit ihren Großkraftwerken eine der wichtigsten Energiequellen. Die fetten Linien bezeichnen 220 000 Volt-Leitungen, die mageren 110 000 VoltLeitungen
Aber in der gesamten Welt ist die der Erde abgerungene Braunkohle als Rohkohle oder in „veredelter" Form ein Kraft- und Stoffspender, der nicht mehr entbehrt werden kann. Die Veredlung zu Briketten ist zwar noch immer der bedeutendste Zweig der Braunkohlenindustrie. Seitdem aber geeignete Feuerungsanlagen entwickelt worden sind, hat auch die Rohbraunkohle mächtig in die Versorgung mit Energie eingegriffen. Aus der Rohbraunkohle des Vorgebirges gewinnt das „Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk" (RWE) vornehmlich den Brennstoff für die Dampfkessel seiner Großkraftwerke. Diese Braunkohlenkraftwerke auf der rheinischen Braunkohle sind der wichtigste Stützpunkt der gesamten westdeutschen Elektrizitätsversorgung. Nahe bei den Gruben der Ville, in Knapsack bei Köln, erhebt sich das größte Stromerzeugungswerk Europas, das „Goldenberg-Werk", das mit anderen benachbarten Werken durch die „Verbundwirtschaft" mit den Wärmekraftwerken des Steinkohlenreviers der Ruhr und mit den Wasserkraftwerken Süddeutschlands und der Alpenländer, auch jenseits der Grenze, zusammengeschlossen ist. Ihr Zusammenspiel sichert zu jeder Zeit die Stromversorgung der angeschlossenen Gebiete. Längst hat sich auch die chemische Industrie der Braunkohle bemächtigt. Durch ihre Verflüssigung werden Treibstoffe und als Nebenprodukte Schwefel, Heiz- und Leuchtgas gewonnen; durch das Verschwelen der Kohle Gase, Teer, Treiböl, Paraffin, Leuchtöl und als Rückstand Grudekoks. Auch Grundstoffe für Schuhfette, Bohnerwachs, Schallplatten und künstlichen Kautschuk gibt die chemisch behandelte Braunkohle her. Auf der Braunkohle beruht auch die Energieversorgung der Zucker- und Stickstoffindustrie Mitteldeutschlands, vor allem des Leuna-Werkes, in dem 25 000 Arbeiter Kunstdünger für die Landwirtschaft, Kunststoffe und synthetisches Benzin herstellen. Die Buddelei der ersten Klütten-Kauler hat sich gelohnt, über alles Erwarten groß ist die Ausbeute aus den Mooren und Wäldern der Braunkohlenzeit.
Der „Rote Hahn" Hauptfeind der Braunkohlenleute — auch von ihm muß berichtet werden — ist nicht das Wasser, sondern das Feuer. Der Verhütung von Bränden in den Gruben und Fabriken gilt die stete Sorge der Betriebe. Wo einmal der „Rote Hahn" aufspringt, sind Urgewalten entfesselt. In dem Brandbericht eines Bergwerkdirektors 30
aus dem Jahre 1926 ist das schaurige Ereignis einer entflammten Grube geschildert: „Im August dieses Jahres brach auf der Grube Türnich ein Brand aus, der vierzehn Tage währte und ein Flammen- und Funkenspiel unerhörten Maßes entfaltete. Ich war junger Bergassessor und arbeitete in der Verwaltung des Werkes: da gellten plötzlich die Feuerhörner, die Sirenen stießen Notsignale aus, die Maschinen stoppten ab. Nicht lange — und die Glut war unerträglich. Ob auch die Wehren der umliegenden Werke anfuhren: es gelang nicht, die Feuerwalze zu hemmen. Sie sprang von Etage zu Etage, von einem Felde der Grube zum andern, und das Grauen raste unwiderstehlich. Das Untergegangene, schoß es mir durch den Sinn, rächt sich am Menschen, der es nicht ruhen läßt. Die Wälder des Tertiärs erheben sich gegen die Geschöpfe einer jüngeren Welt. Gewalt der Unterirdischen steht auf gegen den Willen des Irdischen. Wer ist stärker: der Dämon der Tiefe oder der Geist der Höhe? Die Grube brannte. Sie war dabei, auf Baggerbetrieb umzustellen. Die Kohle in den alten Roilöchern war trocken, und jeder Schritt, den die Furien gewannen, gab ihrem Tanz neue Kraft. Da schwere Sommergewitter, entfachender Sturm und Blitze durch das verfinsterte All trieben, die Kohle stark holzhaltig war und das „Holz auf den Mann" stand, schien sich ein Feuer aller Gruben des Revieres entfesseln zu wollen. Ja, das Tertiär brannte, Tag um Tag und Nacht um Nacht, zwei Wochen hindurch: Dann aber erlag seine Macht dem Willen des Menschen. Das Feuer konnte begrenzt werden, und schließlich erlosch es. Der Materialschaden war groß; aber kein Mensch war verunglückt. Alles Geschehen ist Gleichnis: Über die entfesselten Elemente siegte der Geist, des jüngsten Weltgeschöpfes herrliche Gabe."
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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