KURT HERWARTH BALL/LOTHAR WEISE
BRAND IM MONDOBSERVATORIUM
VERLAG N E U E S LEBEN B E R L I N 1959
Edward Esterfiel...
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KURT HERWARTH BALL/LOTHAR WEISE
BRAND IM MONDOBSERVATORIUM
VERLAG N E U E S LEBEN B E R L I N 1959
Edward Esterfield verschwand langsam mit beschwörenden Handbewegungen in den Hintergrund des sich verdunkelnden Raumes. Seine Stimme blieb und zwang die in verzückte Andacht versunkenen Hörer, ihn auch jetzt noch körperlich zu sehen. Niemand von ihnen achtete sonderlich auf das leise Surren, das nun ertönte. Plötzlich brach aus der schwarzen Wand das rotgelbe Leuchten einer sonnenartigen Kugel, und da war auch Esterfield wieder, der nun wie ein schimmernder Schatten danebenstand. Leise und eindringlich klang seine Stimme zu den Gläubigen: „Das All hat Anfang und Ende. Von seinem Anfang erzählen uns die alten Schriften; sein Ende zu bestimmen liegt in der Macht der Menschen. Wehe dem aber, den es unvorbereitet trifft! Seine Seele wird in den höllischen Feuern des brennenden Weltalls gemartert werden. Wehe ihnen! — Die aber fragen: ,Wann wird es geschehen?', um sich vorbereiten zu können auf den Tag der Tage, denen antworten die Sterne in ihrer erhabenen Flammensprache: ,Bald — bald wird es geschehen, bald, wenn ihr nicht denen folgt, in deren Hand die Ewigkeit ihre Allmacht gelegt hat.'" Allmählich hatte sich während dieser Worte der glühende Feuerball auf der schwarzen Leinwand vergrößert, und es schien nun, als wolle er in den dunklen Raum und auf die Knienden zurollen. Mit dumpfem Flüstern begann Esterfield seine Prophezeiung: „Höret: Das achte Haus, das Todeshaus, ist einer seltsamen Be-
strahlung durch Jupiter und Saturn ausgesetzt. Schon färbt sich die Spitze des Hauses blutrot. Venus und Mars wollen einen abwegigen Zyklus von der Erde einschlagen. Große .Ereignisse stehen bevor. Noch wissen wir nicht, welchen Weg die Sterne nehmen werden, noch wissen wir nicht, ob die Sonne sich tausendfach vergrößern und als eine alles versengende Feuersglut über die Menschen hinbrausen wird. Aber es kann geschehen." Esterfield hob seine Stimme, die nun durch überall im Raum versteckte Lautsprecher zu einem hallenden Dröhnen verstärkt wurde. „Und es wird geschehen, wenn die Menschen undankbar die Gaben des allmächtigen Schöpfers mißachten und seinen Propheten nicht folgen. Beten wir — beten wir, daß die Macht und die Hei-rlichkeit bei uns bleiben, öffnen wir die Hände zu den Sternenschöpfern, auf daß uns die Ewigkeit zuteil wird!" Jäh verlosch die glühende Kugel, grell brach das Licht in den Raum und schlug in die Nacken der Knienden. Sie öffneten nun die Hände und streckten sie mit der Innenfläche nach oben. Als sie aufschauten, war die Bühne vor ihnen leer. Edward Esterfield, Sterndeuter und Prophet der Astrologischen Gesellschaft zu Manchester, existierte nur noch durch seine Stimme, die sanft und gütig aus den Lautsprechern tönte: „Gehet nach Hause und betet. Euer Heimweg sei gesegnet." Gehorsam erhoben sich die Gläubigen und verließen den Saal. 'i
mern hinaus. Mit einem Ruck wandte er sich nach dem schmalen Kasten neben der Tür zurück und schüttelte ihn. Viel enthielt er nicht; die Gläubigen wurden recht sparsam mit ihren Spenden. Er verzog das Gesicht. Wenn er davon leben sollte, ginge es ihm schlecht, doch glücklicherweise gab es noch zahlungskräftigere Leute — Mr. Charles Grain zum Beispiel. In sein Zimmer zurückgehend, nahm Esterfield die Überlegungen wieder auf, die ihn schon den ganzen Tag beschäftigten. Dieser Charles Grain zählte zwar nicht zu seinen Gläubigen — nein, aber man konnte mit ihm einträgliche Geschäfte machen. Grain hatte vor reichlich einem Jahr von der Regierung den Auflrag erhalten, einen größeren Satelliten für astronomische Beobachtungen projektieren zu lassen und später zu bauen. Es handelte sich um die erste Weltraumstation des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Grain war es nach schwierigen Verhandlungen gelungen, alle für derartige Bauten in Frage kommenden Firmen zu einer Gesellschaft zusammenzuschließen, . die sich British Society of Rocket nannte und die er als Generaldirektor leitete. Mitten in die Vorbereitungen zu diesem großen GeUnterdessen hatte sich Mr. Ester- schäft war die Nachricht geplatzt, field in einen Nebenraum begeben daß von den sowjetischen Ingeund wischte sich den Schweiß ab. nieuren und Technikern, die in den Das lange schwarze Gewand, mit letzten Jahren mehrfach den Mond fluoreszierenden Perlen bestickt, angeflogen hatten, ein Mondobserlag achtlos hingeworfen auf einem vatorium gebaut worden war. Von automatisch arbeitenden Stuhl. In seinen schwarzen Augen dieser Station aus konnten nunmehr unflackerte noch eine Art fanatischen ter nahezu idealen Verhältnissen Feuers, und die Wangenmuskeln zuckten hin und wieder, als habe alle erforderlichen Himmelsbeober sich noch nicht ganz von der achtungen durchgeführt werden. Ekstase befreit, in der ihn seine Diese Tatsache hatte zu einem vorGläubigen predigen sahen. Dann läufigen Stopp des englischen Sastand er auf, lang und hager, und tellitenprojekts geführt. Kurze Zeit ; iifnete die Tür. Der Saal war" später war es dem Leiter des leer. Schnell ging er zur Ausgangs- Astrophysikalischen Instituts der tür und blickte in das diesige Däm- Sternwarte von Manchester, Pro4
fcssor Robert Sternes, gelungen, mit den sowjetischen Wissenschaftlern ein Abkommen zu schließen, alle Forschungen und Forschungsergebnisse auszutauschen. Ja, man war in Moskau bereit, mit dem vollautomatisch arbeitenden Mondobservatorium von Fall zu Fall auch Forschungen für die Engländer durchzuführen. Die englische Regierung hatte diese Gelegenheit benutzt, den Auftrag für das wissenschaftlichen Zwecken dienende Millionenprojekt zurückzuziehen. Grain hatte dagegen protestiert und alle seine Beziehungen und Verbindungen spielen lassen. Es war zu erregten Auseinandersetzungen in der Presse gekommen und sogar zu einer Parlamentsdebatte. Doch selbst der mehrfach wiederholte Hinweis auf den alten Ruhm Englands, der auf dem Spiele stehe, hatte nicht geholfen; der Satellitenbau war nicht zu retten. Grain mußte die ersten Arbeiter entlassen. Das war die Situation, die Esterfield bedachte. Er nidcte vor sich hin. Es war anzunehmen, daß Grain, der seine Fabrik in die Society eingebracht hatte, nach jedem Strohhalm greifen würde, um aus seinen finanziellen Schwierigkeiten herauszukommen und das Projekt doch noch durchzusetzen. Mehrmals hatte Esterfield schon bestimmte Dinge für Grain geregelt, mit denen der Industrielle sich nicht selbst befassen konnte und wollte. Es waren Geschäfte auf Gegenseitigkeit gewesen. Esterfield hatte auch diesmal einen Plan. Eine Stunde später ließ er sich bei Charles Grain melden. Grain, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit dichtem braunem Haar und dicken Brauen über den grauen Augen, die ihn als einen kalten Rechner erkennen ließen, empfing seinen Besucher in der Bibliothek. Er deu-
tete auf einen der altväterlicher, hochlehnigen Stühle und nahm die Whiskyflasche aus dem Schrank. Esterfield wehrte ab. „Man soll seine Sorgen nicht in Alkohol konservieren, Mr. Grain." Es klansgemacht salbungsvoll. „Wie Sie wollen." Grain goß sein Glas dreiviertelvoll und Spritzt; etwas Sodawasser hinzu. „Wenr Sie meine Sorgen hätten, vergingIhnen das Predigen, Esterfield." Esterfield bedauerte. „Sie geber den Kampf also auf." Er staunte „Charles Grain hat früher nie aufgegeben." Grain schaute ihn überlegend und zweifelnd an. „Ich muß zugeben. Sie haben gelegentlich ganz gute Gedanken gehabt, Esterfield, aber in dieser Situation . . ." Seine Stimme klang hoi'fn igslos. ,Diesmal schaffen selbst Sie es nicht', schien es zu heißen. Esterfield schloß die Augen zu einem kleinen Spalt und sagte nur: „Robert Sternes." Der Name genügte, um Grain in Erregung zu bringen. „Was soll das? Ich kann den Namen nicht hören. Von Sternes stammt doch diese blödsinnige Vereinbarung mit den Russen, die mir das Geschäft verdorben hat. Das Geschäft meines Lebens." Gelassen sagte der Astrolog: „Die Vereinbarung muß rückgängig gemacht werden." Über Grains Stirn zog sich eine Falte. „Ihn am Geschäft beteiligen?" Esterfield lachte auf. „Sternes beteiligen! Schenken Sie ihm einen Fixstern, dann vielleicht. Wenn Sie schon jemand beteiligen wollen, Mr. Grain, wäre es sinnvoller, mich zu nehmen. Vielleicht steige ich ein — es kommt darauf an, was Sie bieten." Er schob ihm sein Glas hin. „Bieten? Wofür? Für ein Horoskop?" Grain füllte beide Gläser. „Soda?" Esterfield schüttelte den Kopf 5
und fragte noch einmal: „Was bieten Sie?" Er griff schnell nach dem Glas, um seine Spannung zu verbergen. „Was kostet ein Horoskop? Ein Pfund, zwei Pfund?" Die grauen Augen blickten ironisch auf Esterfield, der sein Glas langsam hob und fast heiser sagte: „Das Horoskop über den Kommunisten Sternes kostet tausend Pfund." Grain hatte zuerst nur einen Gedanken: Esterfield ist verrückt! Dann überlegte er: Ein Horoskop über den Kommunisten Sternes? Esterfield spielte den Gelassenen und trank sein Glas leer. Seine schwarzen Blicke gingen an Grain auf und nieder. Er sagte: „Das Horoskop muß in der Öffentlichkeit eine Stimmung erzeugen, die Sternes unmöglich macht; er muß sein Amt verlassen, die maßgebenden Leute müssen ihn abberufen. Man kann keinen Kommunisten auf einem solchen Posten dulden, man kann nicht die Abmachungen, die dieser Mensch getroffen hat, anerkennen und sich gewissermaßen hinter ihn stellen. Wenn Sternes fällt, fällt die Vereinbarung mit Moskau, ein anderer wird es nicht wagen, sie aufrechtzuerhalten. Die Weltraumstation der British Society of Rocket muß dann doch gebaut werden." Grain wandte sich dem Fenster zu, um seinem Besucher nicht zu zeigen, wie sehr ihn dieser Gedanke beeindruckte. An die Möglichkeit, Sternes persönlich zu verleumden, hatte er nicht gedacht. Das Horoskop war ein Ausweg. „Fünfhundert Pfund — als Buße für mich, daß ich nicht selbst darauf gekommen bin." Esterfield schob sich langsam hoch. „Und fünfhundert bei Baubeginn." Grain verspürte wieder das Zögern in sich, das immer aufkam, wenn er mit Esterfield verhandelte. Das fanatische Funkeln in 6
dessen Augen ließ ihn erkennen, daß es nicht gut sein würde, diesen Mann zum Feind zu haben. Er konnte einem gefährlich werden. „Gut", sagte er rasch, „das ist mir die Sache wert." Sie wird dir noch mehr wert sein, dachte Esterfield und streckte Grain die Hand hin. Hai Burham, der Assistent von Professor Robert Sternes, ein sommersprossiger, rothaariger, noch etwas schlaksiger junger Mann mit pfiffigem Gesicht, redete sich auf die Fußspitzen und blickte durch das Sichtfens.ter der schalldämpfenden Trennwand zum Leiter des Astrophysikalischen Instituts hinüber. Sternes saß vor d'em Steuerpult des riesigen Radioteleskops und regulierte die Empfangsfrequenzen. Er vernahm bald ein dünnes, kaum noch hörbares Zirpen, dann wieder einen anschwellenden, langgezogenen Ton, einen nie gehörten Klang, der selbst nach dem Umschalten auf eine andere Frequenz noch sekundenlang im Raum zu stehen schien. Ebenso veränderte sich das Bild auf dem schwach erhellten Milchglas, das bald eine volle, jedoch winzig kleine hellstrahlende Scheibe« zeigte, bald einen leuchtenden Ring, der auseinanderzufließen schien, bald wiederum nur einen kleinen Lichtklecks. Sternes verglich dabei Filme, auf denen helle Streifen rhythmisch wechselten, mit Tabellen und Kurven. Zuweilen schüttelte er wie ungläubig den Kopf. Da stieß Hai geräuschvoll die Tür auf. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Professor Sternes?" rief er schnell. Er war auf einen Anranzer gefaßt, doch nichts dergleichen geschah, Sternes zog ihn vertraulich am Ärmel heran. „Da, schauen Sie sich das an, Hai, hören Sie! Das ist Musik vom Stern 364 209, im Sternbild des
Kepheus, der vor einer Woche noch gewissermaßen stumm war. Heute sendet er Zentimeter-, Dezimeter-, Meterwellen aus!" Sie standen beide vor der Empfangsanlage des Radioteleskops. Hai verbarg seine Überraschung und setzte sein dümmstes Gesicht auf. Er deutete mit dem Zeigefinger nach oben. „Die Bewohner jenes Himmelskörpers haben wahrscheinlich stärkere Radiosender in Betrieb genommen." Sternes sah den' Rotkopf erst verdutzt an, dann brach er in Lachen aus. „Ihre Phantasie wird Ihnen noch einmal zu einer gutbezahlten Dauerstellung im Zirkus Brothers and Brothers verhelfen, Hai, mit Anspruch auf Pension, versteht sich." Sternes wies auf die Mattscheibe. „Die Strahlung kommt nicht von einem Planeten, auf dem unter bestimmten Umständen menschenähnliche Wesen leben kön-
nen. Nein, das ist der Stern selbst; er hat einige tausend Grad Hitze im Leib. -Ein Fixstern vom Typ der Weißen Zwerge, und was sich da ankündigt, Hai, ist ein in unserem Milchstraßensystem höchst seltenes Ereignis: Es ist eine in der Entwicklung begriffene Sternexplosion, eine Supernova." Robert Sternes und Hai Burham analysierten die bisherigen Ergebnisse sorgfältig. Sternes glaubte, mit den Ergebnissen seiner Beobachtungen zufrieden sein und den nächsten Schritt tun zu können. Er begab sich mit dem Material zu Professor Raiting, dem Direktor der Sternwarte von Manchester, der an der Forschung seines Schülers und wahrscheinlichen Nachfolgers sehr interessiert war. Sternes sagte nach der ersten Unterhaltung: „Ich komme jetzt nicht weiter, Professor. Die Möglichkeiten, die wir in Manchester haben, 7
sind wahrhaftig nicht klein, doch sie reichen in diesem Falle nicht aus." Raiting, ein sehr lebendiger, weißhaariger kleiner Herr, sah aus dem mächtigen Sessel zu Sternes hoch. „Moskau?" Er sagte es nicht sehr laut. Mit der flachen Hand zu Sternes deutend, meinte er: „Sie haben die Verbindungen angebahnt, mein lieber Sternes, warum wollen Sie sie nicht ausnützen?" „Herr Professor, ich bin der Meinung, wenn ich schon gewisse freundschaftliche Beziehungen nach Moskau benutzen konnte, diese Abmachungen zu schaffen, so ist das jetzt aber doch wohl Sache der Sternwarte, ich meine, nicht mehr meine persönliche Angelegenheit." Raiting überlegte. „Stimmt. Ich habe mir die Sache nochmals überlegt •— wäre es nicht richtiger, wenn Sie selbst zum Mond fliegen würden und die Beobachtung Ihrer Supernova an Ort und Stelle vornähmen?" Sternes schaute seinen Direktor überrascht an. Das automatisch arbeitende Mondobservatorium gehörte schließlich der Sowjetunion. Es war schon viel, daß dort manche Beobachtungen für die Engländer durchgeführt wurden, aber nun gar hinauffliegen? Würden nicht vorerst die Ergebnisse der automatischen Beobachtungen genügen, die nach seinen Unterlagen vorgenommen werden konnten? Sie würden vielleicht noch nicht bis ins letzte ausreichen, um den außerordentlichen Wert einer Supernova für die weitere Erforschung des Weltalls und vor allem für die Forschungsarbeiten der Atomphysiker zu bestätigen, doch man mußte sich eben begnügen. Auf jeden Fall konnte man der Sowjetunion nicht zumuten, daß sie ihn, den Wissenschaftler eines kapitalistischen Landes, auf ihr Mondobservatorium ließ. Direktor Raiting seinerseits über3
legte laut: „Man müßte bei unseren Regierungsstellen durchsetzen, daß Sie ein entsprechendes Visum erhalten. Die Raketen starten ja wohl von Kenia aus. Auf dem Mond haben Sie doch außerordentlich vielseitigere Möglichkeiten, Sternes. Wenn wir jetzt mit Moskau Beobachtungen austauschen können, müssen wir Ihnen dafür dankbar sein, das haben Sie erreicht, und die Regierung sollte Ihnen einen Orden geben. Sie war doch froh, einen Grund zu haben, das Millionenprojekt des Satellitenbaus aus dem Budget streichen zu können. Ein Visum wäre der geringste Dank dafür." „Nun, Professor Raiting, ich denke, die Regierung würde schon zustimmen, aber erst müßte man wohl in der Sowjetunion anfragen ..." Er brach ab. In den kleinen Augen des alten Herrn entdeckte er ein Funkeln, und dessen Zunge glitt schnell zwischen den dünnen Lippen hin und her, es machte den Eindruck, als könne er etwas Geheimes und sehr Schönes nun nicht mehr lange verbergen. Sternes fragte zweifelnd: „Oder soll ich Ihre Andeutungen dahin verstehen, daß ..." Raiting nickte. Seine schmalen, dickadrigen Hände suchten mit einem Male ganz eifrig auf dem Schreibtisch, oder er tat wenigstens so, denn schließlich nahm er ein obenauf liegendes Schreiben, drehte es herum und reichte den Brief Sternes. „Rat für Astrofragen", las Sternes halblaut und fragte Raiting erstaunt: „Sie haben nach Moskau geschrieben?" „Das bin ich ja wohl der Wissenschaft schuldig, Sternes — aber nun lesen Sie doch", drängte er ungeduldig. Sternes' Finger zitterten, als er las: „Wir stellen Ihnen für dies bedeutende Beobachtungsobjekt selbstverständlich die Instrumente des Mondobservatoriums zur Verfü-
gung. Der -Empfang der Meßergebnisse ist leider auf dem englischen Territorium nicht möglich. Da die Steuerung der Automaten über die Vermittlungszentrale eines sozialistischen Landes gehen müßte, würde die wissenschaftliche Auswertung sehr erschwert werden. Dazu kommen noch die Schwierigkeiten bei der Funkübertragung spektrographischer Messungen. — Um einwandfreie Forschungsergebnisse zu sichern, schlagen wir vor, daß Professor Sternes persönlich auf dem Mondobservatorium arbeitet. Wir haben gestern auf der Sitzung des Rates für Astrofragen dies Unternehmen eingehend besprochen und laden in seinem Auftrag heute Prof. Robert Sternes ein, seine vor allem für die Erforschung der Kernreaktionen auf den Himmelskörpern wichtigen Nova-Beobachtungen in dem Mondobservatorium fortzusetzen und zu beenden. — Die weiteren Einzelheiten wollen Sie bitte mit dem Astrophysiker Pjotr Jefimowitsch Kruglow, Moskau, Zentralinstitut für Astronautik, klären, der an einer Mitarbeit sehr interessiert ist. Kruglow war am Aufbau des Mondobservatoriums direkt beteiligt, kennt die Einrichtung dort und die Arbeitsweise der Instrumente auf das genaueste." Robert Sternes ließ die Hand mit dem Brief sinken. Die Augen Raitings glitzerten. „Die Überraschung ist Ihnen gelungen, Professor. Ich fahre, fliege — fliege mit einer Rakete zum Mond." Und nun erst schien sich der sonst so ernste Sternes bewußt zu werden, was geschehen war. Er sprang auf, den Brief wie eine Fahne schwenkend, lief bis an den Schreibtisch Raitings, der sich vor dem plötzlichen Überfall in den mächtigen Sessel zurücklehnte. Sternes streckte die Hände über den Tisch. „Verehrter — lieber Professor! Sie sind der beste Mensch, den ich kenne." Er machte Anstalten, um den Tisch
herumzulaufen und Raiting um de 1 Hals zu fallen-. Der wehrte ab. „Etwas Besonderes möchte ich schon noch getan haben, ehe ich in Pension gehe und Ihnen die Nachfolge übergebe, Sternes. Setzen Sie sich doch wieder." Er nickte einige Male vor sich hin, überlegend, wie alte Menschen gern tun. „Als ich in Ihren Jahren war, Sternes, da gab es das noch nicht. Lassen Sie mich nachrechnen — tja, da brauchte ich noch fünfzehn Jahre, um den ersten Satelliten kreisen zu sehen, dann kam der sowjetische Sonnenplanet. Es war vorauszusehen, wohin die Entwicklung gehen würde." Robert Sternes beobachtete seinen alten Lehrer, dessen Geist so lebendig geblieben war. Immer wieder bewunderte er Raitings ungeheure Energie, stundenlang am Refraktor zu sitzen und innerhalb weniger Sekunden von einem Problem auf das andere umzuschalten. Schließlich war er über die Achtzig hinaus. „Man wird alt, lieber Sternes, die Vergangenheit lastet auf einem. Sie fliegen nun zum Mond. Sie möchten fliegen, Sie könnten fliegen—", er wies auf den Brief aus Moskau, „es fragt sich nur, ob Sie fliegen dürfen." „In Anbetracht der Wichtigkeit..." Raiting unterbrach ihn mit leicht erhobener Hand. „In Anbetracht der lediglich wissenschaftlichen Wichtigkeit der Reise zum Mond wird man Schwierigkeiten machen. Ich kenne unsere Herren Beamten. Wo wollen Sie denn hin, Sternes? Nach Kenia? Kenia hat sich seit Beginn seiner Selbständigkeit zum Sozialismus bekannt, so daß jeder Engländer, der nach Kenia reisen will, verdächtig ist. Und ich glaube, die Regierung dort sieht auch Leute von den britischen Inseln nicht gern. Man geht sich gern aus dem Wege. Aber Sie wollen ja gar nicht nach Kenia, da brauchen Sie nur das Durchreise-Visum, Sie wol9
!«n ja auf den Mond. Sie wollen Ihre Vereinbarungen mit Moskau bestätiget», Sternes, genau die Vereinbarungen, die der Regierung willkommener Anlaß waren, das Projekt einer Weltraumstation aufzugeben." „Man hat meinen Namen mehrmals in diesen Diskussionen genannt, ich weiß — wenn Sie darauf anspielen, Professor Raiting?" .Siemes hob die Schultern. „Es geht doch um die Wissenschaft." ..Ich weiß, Sternes. Aber die Wissenschaft ist kein Ding an sich; es gibt auch andere Überlegungen." Raiting erhob sich. „Nun schön. Ich werde morgen nach London leisen und persönlich Ihre Reiseerlaubnis durchsetzen." Über sein kleines Gesicht glitt ein frohes Lächeln. Sonst platzt Ihre Nova, ehe Sie den Mond erreichen." ..Sie ist ja längst geplatzt", sagte Sternes lächelnd. „Vor 243 Jahren." Er blätterte in seinem Notizbuch und schlug eine eng mit Formeln beschriebene Seite auf. „Die Intenität der Zentimeterwellenstrahung hat sich in den letzten 2 Stunden nahezu verdoppelt. Die lessungen ergaben eine leicht progressive Kurve; eine entsprechende Fortsetzung läßt darauf schließen, ttaß nach etwa 36(> Stunden das /weite, aktive Stadium beginnen wird. Bis jetzt sind es Erscheinungen, die früher mit weniger emp.'indlichen Instrumenten überhaupt nicht registriert werden konnten." Raiting fragte nach den spektralanalytischen Messungen. Sternes erläuterte: „Am auffallendsten dringen die Wasserstoffund Heliumlinien durch, während die charakteristische rote Linie, Wellenlänge 6703, und die orangelarbcne Linie des Lithiums, Wellenlänge 6108, weiter im Rückeehen begriffen sind." ..Daraus lassen sich sehr günstige Schlußfolgerungen über die Kernumwandlungsprozesse ziehen."
Sternes nickte. „Sch»n. Leider aber werden die spektrographischen Untersuchungen noch sehr durch die Erdatmosphäre und durch das ungenügende Auflösungsvermögen stark behindert. Ich nehme an, daß sich der Stern augenblicklich weiter zusammenzieht, seine Oberfläche also erneut verkleinert. Die Lithiumkerne verdichten sich im Zentrum zusammen mit hocherhitzten Wasserstoff- und Heliumkernen so weit, daß schließlich die Atomkerne des einen Elements in das andere dringen. Diese Synthesereaktion, bei der sich hauptsächlich Lithium mit dem Atomgewicht sieben und Wasserstoff zu zwei Kernen Helium vereinen, setzt unvorstellbar große Energiemengen frei. Diese werden den Stern von innen her explodieren lassejp. Seine Helligkeit steigt dabei um das Millionenfache. Sobald die weißglühenden Heliumgase ausgestoßen sind, wobei gewaltige Energiemengen abgestrahlt werden, kehrt er in einem gewissen Zyklus in seinen Ursprungszustand zurück. Der gesamte Vorgang wird sich in einigen tausend Jahren, vielleicht auch erst nach Jahrmillionen wiederholen." Raiting hörte aufmerksam zu. Seine Augen leuchteten jugendlich begeistert. „Hoffen wir, daß es Ihnen mit Hilfe der Instrumente des Mondobservatoriums gelingt, exakte Schlüsse zu ziehen, lieber Sternes. — Aber eine andere Frage: Sie benötigen einen oder zwei Helfer, allein können Sie die Beobachtungen kaum durchführen." Sternes überlegte. „Ich würde meinen Assistenten Hai Burham mitnehmen. Da der sowjetische Astrophysiker Kruglow mitfliegt, genügt das." Raiting nickte. „So habe ich auch gedacht. — Ich werde also morgen früh nach London fahren und für Sie und Burham das Ausreise-
Visum nach dem Mond beantragen." Er lachte auf. „Das schönste Erlebnis dieser Londonreise werden die Gesichter der Beamten sein. Ein Visum nach dem Mond!" Charles Grain wartete auf Estcrfield, den er zu sich gebeten hatte. Unruhig ging er in seinem Arbeitszimmer hin und her. Der Schlag mit dem Horoskop war fehlgegangen; wie er vor einer Stunde erfahren hatte, war diesem Sternes das Ausreisevisum nach Kenia und damit die Erlaubnis, zum Mond zu fliegen, gegeben worden. Die Sowjets gestatteten ihm, seine Beobachtungen auf dem Mond durchzuführen. Diese Tatsache, sobald sie öffentlich bekannt wurde, brachte ihn, Grain, an den Rand des Konkurses. Die British Society of Rocket, in die er Monate und Jahre und viel Geld investiert hatte, konnte sich auflösen. Der Beweis, daß eine englische Weltraumstation überflüssig war, wurde erbracht. Und was wollte er von Esterfield? Sollte der ihm einen Weg zeigen? Nicht einmal das Horoskop über den Kommunisten Sternes war bis jetzt erschienen. Die andere Seite war schneller, und seine Verbindungen hatten nur dazu gereicht, diese Nachricht zu erhalten. Als Esterfield den Raum betrat, hielt er die neueste Ausgabe seiner Zeitschrift „Astrologisches Wochenblatt" in der Hand und legte sie Grain auf den Tisch; sie enthielt das Horoskop. Doch der von ihm erwartete Effekt blieb aus. Grain schob das Blatt unwirsch zur Seite. „Sternes fliegt zum Mond!" „Das Horoskop —", begann Esterfield, um seine plötzliche Ratlosigkeit zu überdecken, doQh Grain lachte nur auf. „Das können Sie Sternes zum Mond nachschicken!" In Esterfields Gesicht zuckte es: Das waren wieder jene teuflichen
Züge, ganz kurz über die knochigen Wangen huschend, die selbst einen Mann wie Grain unangenehm berührten, und er kannte gewiß wenig Skrupel. „Das Horoskop nicht gerade, Mr. Grain", quetschte Esterfield zwischen den Zähnen hervor. „Sondern?" „Man muß überlegen. Das Visum ist noch nicht die Fahrt zum Mond. Und wer auf dem Mond ist, muß mit vielerlei Möglichkeiten rechnen, die ihn an der Rückkehr hindern: Meteoriten, Strahlungen — was weiß ich." „Unsinn. Bis jetzt ist jede Rakete und jeder Mensch zurückgekommen. Wollen Sie auf einen Zufall hoffen?" „Ich warte nie auf einen Zufall, Mr. Grain. Das Geschick der Menschen ist vorausbestimmt." „Blödsinn", knurrt Grain und sprang unwillig auf. „Solche Ammenmärchen können Sie Ihren ,Gläubigen' erzählen." „Man kann es vorausbestimmen", betonte der Astrologe beharrlich. Grain horchte auf. „Man kann?" „Man wird! Sternes fährt in den Tod, wenn er England verläßt." „Reden Sie vernünftig, Esterfield." „Vernünftig reden ist teuer, Mr. Grain." „Ich kaufe keine Katze im Sack." Esterfield drehte sich wieder um und deutete auf den anderen Sessel, als sei er der Hausherr. Widerwillig folgte Grain dieser Aufforderung. Esterfield beugte sich über den Tisch und sprach leise, doch mit jenem beschwörenden Ton und jenem Funkeln in den schwarzen Augen, das seine Sektenanhänger zum Niederknien und Beten zwang. Als er geendet hatte, drehte Grain überlegend an seinem Diamantring an der linken Hand. „Hm. Sie halten den Mann für absolut sicher? Ein solcher — hm — Unfall wird Aufsehen erregen. Die Sache 11
kann viel Staub aufwirbeln, Esterneid." Die ieingliedrise Hand des Propheten hob sich beruhigend. „Wenn er sich gelegt hat, wird man die
englische Weltraumstation bauen müssen, Mr. Grain — müssen!" Nach einer Pause fuhr er fort: „Der Mann gehörte zu den Anhängern eines astrologischen Klubs in unserer ehemaligen Kolonie Kenia. Der Klub selbst wurde zwar damals aufgelöst, aber meine Verbindung ist trotzdem nicht abgebrochen. Allerdings — das kostet Geld." Er sah, wie Grain die Stirn krauste, und er lächelte, seiner Sache schon gewiß. „Der Mann, an den ich denke, ist auf dem Raketenstartplatz bei Borati beschäftigt." Grain konnte damit noch nicht viel beginnen. „Und wie bekommt er Ihren — Auftrag?" „Ein seit Jahren erprobter Weg. Wir haben doch unsere Fernsehsendungen. Die drei als Relaisstationen arbeitenden Erdtrabanten der britisch-amerikanischen Fernsehgesellschaften werfen die Wellen an jeden beliebigen Punkt der Erde." „Hm — erklärlich. Aber wie kommen Sie in den Besitz der Nachrichten?" „Das geschieht ebenfalls über die Erdtrabanten, genauer über deren
Speicherwerke. Mein Vertrauensmann hat einen kleinen UKW-Sender. Auf ein Zeichen aus Manchester strahlt der Trabant über England dann das aus, was jener ihm in Kenia zugefunkt hat." Grain schien zufrieden. Er ließ sich in einen Sessel fallen. „Nun schön — wenn Sie die Sache für sicher halten, Esterfield . . ." „Ich denke, wir sollten erst über die Finanzierung des Projektes sprechen, Mr. Grain." Als handele es sich um eine ne r bensächliche Angelegenheit, hob Grain beinahe gelangweilt die Hand. „Bitte. Nennen Sie die Kosten." „Sie sind nicht so hoch wie der Bau eines neuen Mondobservatoriums. Aber bleiben wir beim Mond. Er ist rund 380 000 Kilometer entfernt." „Na und?" Grain drehte das Gesicht langsam Esterfield zu, in Geldfragen pflegte er sehr vorsichtig zu sein. „Pro Kilometer ein Pfund. Das gibt eine gute Gewichtsverteilung." Grain konnte nicht verhindern, daß er aufschreckte. Esterfield sagte gelassen: „In zehn Jahresraten, Mr. Grain. Ich habe nicht die Absicht, Sie zu ruinieren. Die erste Rate wird mit Eintritt des Ereignisses fällig." Grain hatte blitzschnell überlegt. Er ging kein Risiko ein. Die erste Rate konnte er tragen, die nächsten kürzten die Gewinne der British Society of Rocket um minimale Beträge; das ließ sich verantworten. ,',Es darf nicht der geringste Verdacht gegen — gegen irgend jemand auftauchen, wenn die Sache schiefgehen sollte." „Es kann nichts schiefgehen, Mr. Grain", betonte Esterfield, und, seiner Stimme wieder den beschwörenden Klang des Propheten gebend, fügte er hinzu: „Das Schicksal der Menschen ist vorausbestimmt."
Tschirenko, der Direktor des Raketenllugplatzes, wollte eben den Lagerraum betreten, als er in der wenig erleuchteten hinteren Ecke der Halle einen Mann knien sah, der sein Gesicht und die Handflächen gegen die Decke erhoben hatte. Unbeweglich verharrte er so. Tschirenko überkam ein Lachen, das seinen mächtigen Leib erschütterte. Er hatte auf dem Raketenstartplatz hier in Kenia schon manches erlebt, was es in Kiew, seiner Geburtsstadt, nicht gab. Was sollte das nun wieder heißen? Das war doch Martyr, der Lagervormann. Er schlug die Tür hinter sich zu; der Knall ließ den Mann zusammenschrecken, seine Arme fielen schlaff herab, er drehte sich um und sah den Eintretenden ah. Tschirenko hatte das Gefühl, Martyr blicke durch ihn hindurch. Dann sprang der Vormann auf, ein harmloses Lächeln im Gesicht. „Na, Martyr, Sie sind wohl dem Sportverein beigetreten?" Der Vormann, etwa vierzig Jahre alt, schüttelte den Kopf. „Das nicht, Mr. Tschirenko, doch ich nehme an dem Fernseh-Morgensport teil. Die letzten Übungen hatten es in sich." Er betrachtete die außergewöhnliche Rundung Tschirenkos, der trotz Obst- und Gemüsekuren und Sauerfruchtdiät nicht unter zweihundert Pfund kam. „Das wäre wichtig für Sie, Mr. Tschirenko, sollten Sie auch mal machen." Martyr sackte ein paarmal in die Kniebeuge, lachte. „Wie wär's?" Wortlos, nur mit einem nicht eben freundlichen Blick ging Tschirenko an Martyr vorbei. Soweit kam es noch, daß er sich wegen seiner Figur auslachen ließ. Wenn er einige Stunden später das kleine Haus Martyrs betreten hätte, würde der Direktor eine noch interessantere Entdeckung gemacht haben. In dem fast dunklen Raum hockte Martyr vor einem 13
Fernsehapparat und begleitete die vorbeihuschenden Gestalten und Bilder mit einem undeutlichen, monotonen Gesang. Plötzlich erschien auf der Mattscheibe ein bizarres, aus winzigen Kugeln zusammengesetztes Muster, das, wie ein Sprecher erklärte, zur Versuchssendung eines britischen Senders gehörte. Hastig griff Martyr nach einer Schablone, die er schnell in winzige Halterungen vor das Bild schob. Dann beobachtete er genau und aufmerksam den Lichtwechsel, der sich ihm in einem Ausschnitt an der linken unteren Seite zeigte. Eifrig setzte er diese schnell wechselnden Lichtzeichen in Punkte und Striche um. Nach einer kurzen Pause wurden die Zeichen wiederholt. Martyr verglich sie und nickte befriedigt. Er nahm die Schablone vom Bildschirm und schrieb bei dessen kargem Licht Buchstaben unter die Morsezeichen. Sekundenlang blickte er starr auf die Sätze, zog überlegend die Lippe zwischen die Zähne. Dann preßte er die Lider über die Augen und nickte mehrmals, bis sein Kinn in einer ergebenen Gebärde auf der Brust ruhen blieb. So verharrte er eine Weile. Dann sprang er auf, fingerte sein Feuerzeug hervor, und während er angestrengt nach Geräuschen außerhalb des Raumes horchte, ließ er das Papier mit den Zeichen und Buchstaben zu Asche verbrennen. Seine Augen blitzten dabei triumphierend auf, seine Zähne leuchteten im Schein der kleinen Flamme. „Die günstigen Stellungen von Mond und Sonne schwinden schon in wenigen Tagen. Der Aszendent ist geschwächt durch Mars und Saturn. Das achte Haus, das Todeshaus, ist einer abwegigen Stellung des Jupiter ausgesetzt. Die Gesamtzahl der Aspekte, gedeutet über die Bestrahlung der Hausspitze und der Stellung des Herrn des Hauses, 14
lassen diesen Mann als eine Gefahr für unsere Ordnung erkennen. Der Glockenschlag der astronomischen. Uhr..." Eine Tür schlug zu. Und zugleich grollte Sternes' Stimme: „Sind Sie des Teufels, Hai! Was beten Sie denn da?" Hai Burham schrak hoch und nahm eilig die Hände herab. Sternes trat an den Tisch und drehte die Zeitschrift, in der Hai gelesen hatte, herum. „.Astrologisches Wochenblatt, Herausgeber Edward Esterfield' — was soll das heißen, Hai?" Der lachte verlegen. „Ach — ich dachte, man könnte sich hier über den stärkeren Radiosender des Weißen Zwergs Auskünfte einholen. Aber bis jetzt habe ich nichts gefunden." Es klang ziemlich ernsthaft. Sternes sah seinen Assistenten zweifelnd an. Er hatte diesen jungen Menschen gewissermaßen aufgezogen, hatte ihn, der einmal ein junger talentierter und wißbegieriger Transportarbeiter war, studieren lassen. Hai hatte seine Examina mit Auszeichnung bestanden und zeigte sich bisher als ein sehr tüchtiger Assistent. Nur manchmal schien er die Wissenschaft nicht ganz ernst nehmen zu wollen. „Suchen Sie nur weiter." Sternes wandte sich um und wollte gehen. Hai war mit zwei langen Schritten bei ihm. „Sie verstehen doch sonst einen Scherz, Professor Sternes. Und wo es hier um Sie selbst geht." „Wieso?" fragte Sternes verständnislos. „Hier!" Hai las die Überschriften mit der Stimme eines Zeitungsverkäufers: ,„Das ewige Geheimnis der Sternenallmacht läßt sich nicht von Menschenhand enträtseln', — ,Wer die Hände danach ausstreckt, wird an der Wahrheit sterben', — ,Horoskop eines Astrophysikers, der die reinen Wissenschaften in den
roten Fluten falscher Sterne e r t r ä n k e n will'." Mit einer g r o ß artigen Gebärde deutete Hai über die Schlagzeilen hin. „Damit sind Sie gemeint, Professor." Robert Sternes las flüchtig darüber hin. „Das ist doch b l ü h e n d e r Unsinn. Nein, das ist widerlich. Glauben Sie, d a ß es Menschen geben kann, die das ernst n e h m e n ? " Mit einer unwilligen G e b ä r d e wischte er die Zeitschrift zur Seite. Ha) sagte betont l a n g s a m : „Ernst n e h m e n oder nicht — auf jeden Fall kann solch ein Artikel Aufsehen erregen." Sternes überlegte. .„Wir werden diesen — wie heißt er —", er sah nach der Zeitschrift, „Esterfield •— w i r werden ihn nächstes J a h r an seinen astrologischen Glockenschlag erinnern." Er tat, als wenn er e t w a s bedenke. „Übrigens, Hai, Sie müssen noch einen kurzen Artikel über die Geschichte der NovaSterne schreiben." „Aber gern, Professor Sternes." Hai Burharn stand auf, griff vorsieh in die Luft, zwirbelte einen nicht vorhandenen Schnurrbart, legte dann die H ä n d e auf den Rükken und stelzte vor Sternes auf und ab. „Beschränken wir uns auf die wichtigsten Fakten", näselte er dabei. „Die Astronomie ist eine umfangreiche Wissenschaft." „Wer ist denn das?" erkundigte sich Sternes. „Richtig — das ist doch Professor Kennedy." ..Stimmt." Hai lachte. „Ich habe bei ihm Geschichte der Astronomie gehört, u n d manchmal, w e n n er nicht pünktlich war, gab ich für ihn Unterricht. Bis er mich einmal dabei erwischte." Er w u r d e sachlich und eifrig. „Der Artikel kann sehr einfach sein, Professor Sternes. Das gelegentlich beobachtete plötzliche Auftauchen eines relativ hellen Sternes deutete m a n als einen schöpferischen Akt Gottes, der einen neuen Himmelskörper entstehen ließ; d a r a u s ergab sich
die Bezeichnung Nova. Heute w. sen wir, d a ß diese S t e r n e imimv o r h a n d e n w a r e n , allerdings so lichtschwach, d a ß sie mit den damaligen F e r n r o h r e n nicht gesehen werden konnten. Erst die Himmelsfotografie bewies ihr Vorhandensein, m a n zählte sie zu den veränderlichen. W ä h r e n d sich ein sogenannter veränderlicher Stern jedoch in bestimmten Grenzen seiner Helligkeit bewegt, ist das bei einer Nova anders. Diese vergrößert ihren Umfang außerordentlich, allerdings in einem über J a h r t a u s e n d e oder J a h r m i l l i o n e n gehenden R h y t h m u s . Die ersten Aufzeichnungen s t a m m e n aus d e m chinesischen Schrifttum, es handelte sich um die Nova Tauri, die 1054 die Helligkeit des J u p i t e r erreichte. 1572 w u r d e von dem dänischen Astronomen Tycho B r a h e die Nova Cassiopeiae beobachtet, die sogar am Tage zu sehen war." Hai hob die Hand, ließ sie sinken, als sei das übrige nicht m e h r wichtig. ..Kepler beobachtete 1604 die Nova Ophiuchj, später gab es die Nova Persei, die Nova Aquiliae. die Nova Herculis, die Nova . . . " „Und in wenigen Wochen gibt es die Nova Kepheus, beobachtet von Robert Sternes und Hai Burham", unterbrach Sternes seinen Assistenten und fügte langsam hinzu: „Beobachtet im Mondobservatorium." Hai begriff nicht gleich. ..Durch das automatische Mondobservatorium." „Nein. Auf d e m Mond im Observatorium." „Eh — das hieße — das h e i ß t . .." J ä h begriff H a i : „Wir fliegen zum Mond?" Er wollte Sternes umarmen, wagte es aber doch n i c h t Sein Blick fiel auf die astrologische Zeitschrift. „ ,Wer die H ä n d e danach a u s s t r e c k t . . . ' Ja, wir strekken die H ä n d e danach aus! W a n n fliegen wir, Professor Sternes?" Hals Augen leuchteten erregt. 15
Der Professor lächelte; die Überraschung war ihm geglückt. „In etwa acht bis zehn Tagen, Hai. Von Kenia aus. Professor Raiting hat heute früh die Papiere aus London mitgebracht." „Und wie lange bleiben wir oben? Solange wie möglich hoffentlich!" „Selbstverständlich, Hai. Allerdings werden wir uns nach unseren Moskauer Freunden richten müssen. Schließlich ist es ihre Station. Die sowjetischen Wissenschaftler sind aber selbst sehr interessiert an dem Unternehmen. Den Vorgang und die Wirkung solcher Sternexplosionen zu enträtseln ist auch für ihre Forschungen äußerst wichtig. Das Weltall ist ein gigantisches Laboratorium, in dem die Materie Temperaturen und Drükken unterworfen ist, die wir vorläufig selbst mit riesigem Kostenaufwand nicht nachahmen können. Die vielen Probleme der Kernfusion werden wir — das hoffe ich sehr stark — durch unsere Beobachtungen der Nova wesentlich klären helfen können. Deshalb auch die direkte Beobachtung auf dem Mond. Das Observatorium liegt auf der der Erde abgewandten Mondseite, in Polnähe. Die uns zur Verfügung stehenden vierzehn Tage Beobachtungszeit werden ausreichen. Innerhalb dieses Zeitraums dürfte die Nova das Höchstmaß ihrer Helligkeit überschritten haben." In Hai Burhams Gesicht wechselten Freude und Glück. „Wir fliegen zum Mond", sagte er, und es klang immer noch beinahe ungläubig. Die Raketenpilotin Galina Belstrojowa gehörte mit ihren achtundzwanzig Jahren zu den jüngsten Weltraumfliegern. Sie war vor wenigen Minuten, aus Moskau kommend, auf dem Flugplatz Borati gelandet und schritt jetzt dem Tunneleingang zu, um mit der lt:
Rolltreppe zu der unterirdischen Zentrale des Raketenstartplatzes zu gelangen. Ihre Bewegungen verrieten Energie und Tatkraft. Mit einer kurzen Bewegung strich sie das schwarze lockige Haar zurück, ehe sie in den Raum des Raketenmeisters Sergej Suskow trat. Suskow erhob sich, lachend, erfreut. „Galinka! Gut, daß du da bist. Hast du Pjotr Jefimowitsch nicht mitgebracht — wo ist er?" „Pjotr hörte, daß Professor Sternes schon hier ist, da wollte er ihn sofort begrüßen." „Und du kommst zuerst zu deinem alten Sergej Suskow — das ist fein, Mädchen. Komm, setz dich. Was macht Moskau?" Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, den auch die Klimaregelung des Zimmers nicht verhindern konnte. „Einmal wieder Winter haben und Schnee — so hoch!" Er deutete mit der Hand bis an seine Hüften. „Also du willst zum Mond fliegen, Galinka. Da wirst du mich ja bald einholen, ich bin dir nur mit vier Flügen noch voraus. Aber dem Pjotr fliegst du noch nicht weg, der hat elf, du hast zwölf." Galina Belstrojowa hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht. „Nun ja, er hat die Station auf dem Mond mit erbaut." „Wie war der Flug von Moskau?" Galina hob die Hände. „Die Fernsteuerung arbeitet so ausgezeichnet, daß man fast nicht mehr weiß, wann und wo man seine schwer erarbeiteten Kenntnisse anwenden soll." Suskow verzog den Mund. „Die Beobachtung der Instrumente ist auch bei Fernsteuerung eine reichlich anstrengende Angelegenheit. Und wenn der Flugkörper einmal den Leitstrahl verlieren sollte, wenn die empfindlichen Apparaturen versagen, die die Steuerimpulse empfangen, wie bei meinem dritten Flug..." Suskow wollte sich eben wieder einmal in die ge-
liebten Erinnerungen aus der Zeit der ersten Mondflüge vertiefen, als die Tür geöffnet wurde. Der schlanke, drahtige Pjotr Kruglow und Robert Sternes traten ein. Der blonde Pjotr ähnelte dem Engländer sehr, nur war er jünger. „Da haben wir ja die Reisegesellschaft beisammen", sagte Suskow und machte Galina mit Sternes bekannt. „Fehlt nur noch Ihr Assistent, Professor Sternes." Sternes lachte. „Hai Burham studiert den Raketenflugplatz. Ich habe ihn in Verdacht, er wird nach unserer Rückkehr auch in England einen bauen wollen." Sie besprachen nun die Einzelheiten des Fluges. Als Pjotr Kruglow erklärte, daß er und Sternes auf dem Mond sofort mit den Beobachtungen beginnen würden, sagte Galina: „Dann übernehme ich natürlich die Steuerung, Pjotr, damit du ausgeruht bist." Suskow lächelte wieder. „Langsam, Galinka, sagen \vir für die zweite Hälfte des Fluges. Du möchtest zu gern beweisen, daß du auch allein zum Mond fliegen kannst. Es gibt da glücklicherweise Vorschriften. Also — Pjotr die erste Hälfte, du die zweite Hälfte, vorher für alle die ärztliche Untersuchung. Die Unterweisung unserer englischen Freunde..." ,,... übernehme ich", sagte Kruglow schnell. „Um die Rakete kümmert sich Galina, ja — dann wäre das auch hübsch geteilt." Charles Grain ließ Esterfield in die Bibliothek vorangehen. Noch die Hand an der Türklinke, sagte er: „Ich erfahre soeben, daß vier Personen zum Mond fliegen werden, Esterfield." Der Astrolog wandte sich gelassen um. „Na und? Schließlich kann Sternes die Beobachtungen nicht allein durchführen. Sein Assistent begleitet ihn, außerdem fliegt ein
Russe mit, dieser Kruglow, ebenfalls ein Astrophysiker, und dann natürlich ein Pilot." Grain schien nicht sehr zufrieden zu sein. „Hm", er zupfte sich an der Nase, „vier Personen ..." „Daß Sternes einige Begleiter bei seinem Flug in die Ewigkeit hat — das wird sich nicht vermeiden lassen." „Und — ich meine, wie wird es —< was geschieht?" Grain wollte nicht zugeben, daß ihm nicht ganz behaglich war. Esterfield erläuterte, als handele es sich um eine alltägliche Sache: „Natürlich kann man nicht mit
Giftgas oder vergifteten Nahrungsmitteln arbeiten. Das wäre zu unsicher und gefährlich. Man wird die Räume dort oben gewissermaßen ,entlüften'. Sie nehmen nur Sauerstoffbehälter mit hinauf; denn sie atmen reinen Sauerstoff. Die menschliche Lunge kann bei einem Druck von 360 mm durchaus reinen Sauerstoff verarbeiten." Esterfield hatte sich genau unterrichtet. „In einem solchen Behälter wird sich ein Brandsatz mit Zeitzünder befinden. In reinem Sauerstoff entflammt Metall mit furchtbarer Glut. Die Wände des Mondobservatonums werden schmelzen. Da die Leute ohne Raumanzüge arbeiten, ist die Folgerung höchst einfach: Sie werden im luftleeren Raum zerrissen." „Vier Menschen ..." Esterfield sah Grain spöttisch an. „Humane Gefühle, Mr. Grain? Ich denke, daß Sie mit Humanitätsduselei bisher noch keine Geschäfte gemacht haben." Er zuckte die Sdiultern hoch. „Das Entscheidende dürfte die Tatsache sein, daß einer der bedeutendsten englischen Wissen.sdiaftler ausgerechnet in — hm, in einer sozialistischen Weltraumstation verunglückt. Man wird in London sehr ernsthaft überlegen müssen, ob es nicht richtiger ist, eine eigene Station zu bauen." Grain sah ihn an und nickte. „Sie haben recht, Esterfield. Man darf um der vaterländischen Sache willen nicht kleinlich sein." Aber man darf an einer solchen Geschichte nicht beteiligt sein, setzte er in Gedanken hinzu. Der Direktor des Raketenflugplatzes beobachtete die Arbeit bei den Vorbereitungen zum Start. Mit einem Auge schielte er zu den Elektrokränen hinüber, mit dem andern blickte er auf die große EIcktrouhr. Jetzt durfte es nicht mehr eine Minute Verzögerung geben, sonst hätte die Berechnung des Programms für den Steuerautoma18
ten der Mondrakete neu durdrgeführt werden müssen. Nun wurde das Wichtigste verladen: der Sauerstoff — diese mächtigen Kessel mit den eingebauten Kühlanlagen. Eine Tonne Sauerstoff in zwei Tonnen Stahl. Tschirenko mußte auflachen. Dieser Martyr schien sich ja bei seiner Fernseh-Morgengymnastik in Form gebracht zu haben; wie eine Gazelle sprang er um die Kessel. Und wie aufmerksam, jeden Kessel hatte er mit großen leuchtend weilten Nummern versehen — von eins bis adrt. Eine Vorsichtsmaßnahme, hatte Martyr gemeint, gut gut, es war zwar auch ohne Numerierung noch kein leerer Kessel auf den Mond geflogen, aber immerhin . . . Tschirenko betrachtete die Rakete mit Wohlgefallen, vierzig Meter hoch, ein mächtiger Silberpfeil, dessen nadelscharfe Spitze mit bloßem Auge gerade noch wahrzunehmen war. Jetzt fuhr der große Raupenschlcpperkran zurück, der mit seinem mächtigen Arm die Materialien in den riesenhaften Flugkörper gehoben hatte. Zu der gewaltigen Nutzlast gehörten auch 650 000 Liter destilliertes Wasser. der Kraftstoff für die thermischen Atomtriebwerke. Die Rakete ruhte auf drei gespreizten, federnden Beinen. Zwischen ihnen befand sich der Fahrstuhlschacht, der aus einer starken, strahlungsschützenden Melallwandung bestand. Galina Belstrojowa, Pjotr Kruglow, Robert Sternes und Hai Burham betraten den Fahrstuhl; unter ihnen verschwand der Erdboden, den sie nach dem Willen Esterfieids nie wieder betreten sollten. Während sich Sternes und Hai, in unförmigen Raumanzügen stekkend, im Passagierraum in wannenartigen Sesseln anschnallten, taten Galina und Pjotr das gleiche im Pilotenraum. Sie schalteten die sich gegenseitig kontrollierenden Präzisionsuhrwerke ein, welche die Pro • grammsteuerung betätigten.
Fünf Minuten vor dem Start heulten die Warnsirenen über das Gelände. Kilometerweit vom Startpodest entfernt, richteten Ultrakurzwellenfunk- und Radargeräte ihre seltsamen Antennengebilde gegen den Himmel. Sie hielten die Rakete unter Kontrolle und konnten selbständig die Programmsteuerung korrigieren. Galina und Pjotr, die wußten, daß ein vielköpfiger Stab von Ingenieuren ihren Flug überwachten, konnten trotzdem ein leises Kribbeln in der Magengegend nicht ganz unterdrücken. Schließlich war ein Mondflug keine Spazierfahrt. Auf dem mächtigen Instrumentenbrett flammte jetzt eine rote Kontrollampe auf, die Reaktorenbrennkammern waren bereit, den Treibstoff zu zerlegen, die dann mit unBestandteile Wasserstoff und- Sauerstoff zu zerlegen, die dann mit unerhörter Gewalt den Düsen entströmen würden. Kruglow und Galina warfen sich einen kurzen Blick zu, die Uhren zeigten „Start" an, ein leichtes Zittern ging durch den Metallkoloß, langsam, fast zentimeterweise, schob er sich hoch, schien stillzustehen und jagte dann schneller und schneller gegen den Himmel — einen blendend weißen Feuerschweif hinter sich. Die Zurückbleibenden sahen in ihren Beobachtungsgeräten das immer wieder gleiche Schauspiel: In den ersten Sekunden hob sich die Rakete nur meterweise von ihrem Platz, dann riß die Beschleunigung sie immer schneller vorwärts, in der hundertsten Sekunde durchraste sie schon vier Kilometer... Bei der kurzen Unterweisung, die Sternes und Hai in den letzten achtundvierzig Stunden erhalten hatten, um die ungewöhnlichen Bedingungen einer Weltraumfahrt kennen und beherrschen zu lernen, hatte sich Hai Burham recht unbekümmert gezeigt. Das aber war
jetzt die Praxis der Fahrt, und da lag er festgeschnallt in seinem druckfesten Anzug in der Wanne. Viel zu gespannt auf die Erlebnisse dieser Reise, reizte es ihn, die Haltegurte zu lösen und aufzustehen. Er drehte den Kopf zu dem neben ihm liegenden Professor. „Hallo, Professor Sternes, wie fühlen Sie sich?" Hai schrie in das Mikrophon, an das er überhaupt nicht gedacht hatte. Sternes verzog das Gesicht unter dem Glashelm. „Schonen Sie meine Trommelfelle, Hai." Die Sommersprossen des Jüngeren schienen zu glänzen. „Entschuldigung. Aber bequem ist es hier gerade nicht. Wenn man wenigstens zum Fenster hinaussehen könnte, um noch einmal;;." Schnarrend unterbrach ihn ein Automat: „Achtung, Achtung! Die Rakete startet. Beschleunigung setzt ein. Achtung, Achtung!" Als Hai noch einmal auf die Haltegurte schauen wollte, preßte ihn eine unsichtbare Faust in die elastische Polsterung, er wollte atmen, konnte es nicht, doch, aber welch eine Qual war es: Das Blut rann wie heißes Eisen durch die Adern, vor den Augen stiegen Nebelwände hoch. Irgendwo in Hals Gehirn schien noch eine Stelle freigeblieben von dem unsäglichen Druck. Er stellte sich vor, wie jetzt die riesigen Federbeine der Rakete mit ihren mehrere Quadratmeter großen Metallfüßen sich nach außen herumschwangen und sich dann in den äußeren Raketenkörper einfügten. Aber das war ja schon längst vorbei, in den Sekunden des Starts geschah dies, ehe die überhitzten Gase die stählernen Heuschreckengliedmaßen zerschmelzen konnten. Allmählich wich der Druck, und damit begann die Schwerelosigkeit, ein eigenartiges, kaum zu beschreibendes Gefühl. Das Denken, die Atmung, das 19
Heben und Senken der Lider, alles 6000 Kilometer von der Erde entging spielend vor sich. Wie auf aus- fernt." gelaufenen Kugellagern, behauptete Hai starrte ins Weltall. Greifbar Hai nachher. Minuten oder Viertel- nahe standen die Sterne als grelle stunden später entschloß sich Hai Lichtfünkchen vor ihm, während aufzustehen. Er holte, so kam es ein riesiger silbergrauer Fleck hinihm vor, seine Arme und Beine ter ihm den Sternenhimmel veraus der Luft herunter, löste die deckte. Neben Hai sagte Sternes: Schnallen der Haltegurte — und „Unsere Erde bei Nacht, nur von schon schwebte er oben an der der schmalen Mondsichel beleuchKabinendecke. Oben? War nicht tet." Sternes, der noch in der Polster- • Wenig später blitzte es am Rande wanne lag, auch oben? Eine un-. des matten Fleckes golden auf, ein widerstehliche Heiterkeit überkam sprühendes stob Hai, als er den Professor mit einem durch die Brillantfeuerwerk Erdatmosphäre. „Die Male neben sich schweben sah. Sie -Sonne geht auf", flüsterte Hai. Ein sahen sich an, lachten, mußten ein- goldblauer, grünweißer Lichtbogen fach lachen, bis endlich Sternes sich empor, mäßigte sich allmähzwang, ernst zu werden. „Ich meine, schoß lich in seiner strahlenden Kraft, wir sollten uns etwas vernünftiger ein schmaler schimmernbewegen, Hai. Sonst kann das der Reif legteblauweiß sich um die eine Lachen noch zur Krankheit wer- Seite des matten Silberballs Äde. den." Dieses wundersame Spiel wurde Mit leichten Handbewegungen von der blechernen Stimme des schwammen sie vorwärts durch die Automaten unterbrochen: „AchTür, hinter der sie Galina trafen, tung! Achtung! In zwei Minuten die sich eben um sie kümmern Steuermanöver der Rakete. Bewollte. Hai entdeckte ein Fenster schleunigungssitze einnehmen!" Die und wandte sich mit einer heftigen Zeitzeichen setzten ein, und Galina Bewegung dorthin, doch der Ruck sagte: „Um die Kursänderung vorwar so stark, daß er erst einmal zunehmen, werden die ausströmenwie ein Gummiball hin und her den Gase auf ein Steuerruder geflog. Schließlich klammerte er sich leitet, das wie das Steuer eines an einem Griff unterhalb des mehr- Schiffes* arbeitet. Im Prinzip jedenschichtigen Fensters fest und fragte falls, es ist schon etwas kompliziereifrig: „Arbeitet der Antrieb noch? ter ..." Da wurden sie schon von der Riesenfaust in die PolsterunWie hoch sind wir?" gen gepreßt. Lächelnd beantwortete Galina Als Hai sich wieder aufrichten seine Fragen. „Die Raketentriebkonnte und zum Fenster hinauswerke arbeiteten sechs Minuten. Da schauen wollte, war es mit einer wir in Äquatornähe starteten, erstarken Metallschicht verschlossen. hielten wir zu unserer eigenen „Die Sonne", erläuterte Galina, Beschleunigung noch die Dreh- „sie trifft uns jetzt, ein Hinein;geschwindigkeit der Erde mit, das schauen ist gefährlich. Die Außenmacht noch 460 Meter in der Se- haut der Rakete absorbiert so viel kunde aus. Der Beschleunigungs- Sonnenenergie, wie wir für eine druck auf unsere Körper ließ in normale Innentemperatur benötieiner Entfernung von 1800 Kilo- gen, das heißt also, daß der größte metern von der Erde allmählich Teil der direkten Sonnenbestrahnach. Jetzt sind wir —", sie warf lung zurückgeworfen wird." einen Blick auf die Uhr, „etwa Galina und nachher Pjotr hatten 20
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mehr mit Hai zu tun als mit der programmgesteuerten Rakete. Er wollte alles wissen. Unentwegt schwebte er von einem Raum in den anderen. Für ihn schien die Zeit nicht zu vergehen, und er erschrak, als plötzlich der Automat sie wieder aufforderte, die Beschleunigungssitze einzunehmen. „Wir sind da", sagte Pjotr und lächelte in Hals erstauntes Gesicht. „Die Raketendüsen arbeiten bereits unserer Geschwindigkeit entgegen. Vor etwa fünfundfünfzig Minuten hat sich die Rakete umgedreht. Wir fliegen seitdem gewissermaßen rückwärts vorwärts." „Die Bleikiste", stöhnte Hai unter dem furchtbaren Druck, der jedoch wenig später wieder nachzulassen begann. Eine starke Erschütterung durchlief den Flugkörper. Pjotr Kruglow sagte ohne sonderliche Betonung: „Wir sind auf dem Mond."
Auf dem Mond? Hai starrte ihn ungläubig an. Er hatte sich das anders vorgestellt, feierlicher, großartiger. Die erhitzten Triebwerke verboten ihnen, die 'Rakete mit dem Fahrstuhl zu verlassen. Galina führte Sternes und Hai in eine Luftschleuse und überprüfte noch einmal ihre Raumanzüge. Dann, als Galina mit einem Hebeldruck die Tür öffnete, schlug ihnen grelles Licht entgegen, kaum gemindert durch die weiß-trübe Staubwolke, die die Rakete bei ihrer Landung aufgewirbelt hatte. Der Silberleib stand in einem Mondkrater, der durch Sprengungen entsprechend vorbereitet worden war. Die drei betraten eine Plattform, Kruglow, noch im Innern des Flugkörpers, bediente den Raketenkran, der seinen mächtigen Arm hinausschob. die Plattform erfaßte, sie leicht anhob, ausrastete und langsam auf 2\
die Mondoberfläche niederließ. Knietiefer Staub, locker wie Pulverschnee — das war der Mondboden. Als Hai Burham stehenblieb und sich umschaute, vernahm er das leise Knistern, mit dem der immer noch schwebende Staub auf seinen Raumanzug niederregnete. Überhell, gelbweiß, durch keine Atmosphäre gemildert, schlug das Sonnenlicht auf sie nieder. Der Himmel war dabei nachtschwarz, die Sterne leuchteten stechend. Der grell erhellte Gürtel eines Ringgebirges verlor seine schimmernden Spitzen in der völligen Schwärze, die sich langsam weiter ausbreitete. Hai begriff, daß dies der Sonnenuntergang auf dem Mond war. Er wollte den anderen nacheilen und machte groteske Sprünge, bei denen er „Die Sonne verschwindet!" rief. Man blieb stehen, bis er herangehüpft war. Allmählich verschwanden die Bodensenken im schwarzen Meer der Nachtschatten; da und dort leuchteten noch Erhebungen. Hai, an sich herabschauend, bemerkte nur noch seinen Leib von den Hüften aufwärts. Die Rakete schwebte, so schien es, über der Mondoberfläche, die nadelscharfe Spitze leuchtete. Von den drei Gefährten sah Hai nur noch drei Köpfe — sah sie nicht mehr. Unwillkürlich schrie er auf und hörte in seinem Kopfhörer das helle Lachen Galinas. „Wir sind noch da", sagte sie und ließ zugleich die Lampe in ihrem Helm aufstrahlen. „Ein phantastischer Sonnenuntergang", sagte Sternes, und Hai, der sich wieder gefangen hatte, fügte trocken hinzu: „Und' selten — monatlich einmal." Jetzt flammten auch in halber Höhe der Rakete starke Scheinwerfer auf und schnitten Teile des Mondbodens aus dem undurchdringlichen Dunkel. Hai sah vor sich eine Art Tunneleingang, aus dem eine Schienenspur kam. Er 22
wollte sich umwenden, als Galina ihm ein „Achtung!" zurief; er trat zur Seite, um einen niedrigen Elektrozug an sich vorbeirollen zu lassen. Pjotr Kruglow hatte in der Rakete Direktverbindung mit der Automatik des Observatoriums aufgenommen; dieser Zug war das erste „Lebenszeichen" der Mondsternwarte. Er rollte bis neben die Rakete, der sehr bewegliche Arm des Raketenkrans griff in die mächtige Ladeluke hinein und hohe einen der großen Sauerstoffbehälter heraus. Im Scheinwerferlicht leuchtete die Eins, die Martyr ihm aufgemalt hatte, gespenstisch weiß. Galina, Sternes und Hai hatten inzwischen den Tunnel betreten; es war, trotz der Leichtigkeit, mit der sie sich bewegen konnten, dennoch in den Raumanzügen ein unbeholfenes Gehen. Sie sprachen kaum. Nur einmal sagte Galina: „Die Sternwarte wurde in den Felsen hineingebaut und bildet einen quadratischen Komplex. Sie liegt gewissermaßen jenseits der Zone, die wir von der Erde aus auf dem Mond wahrnehmen." Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, erreichte Pjotr Kruglow sie mit seinem kleinen Zug. Er hielt an und ließ sie aufsteigen. Wenig später gelangten sie in den Laderaum. Automatisch arbeitende Hebezeuge entluden den kleinen Zug, stellten die acht Sauerstoffbehälter nebeneinander hin, hoben andere Kisten herab und schoben sie durch eine Tür in den nächsten Raum. Kruglow verband die Sauerstoffbehälter mit den Rohrleitungen des Lufterneuerungssystems, und nun strömte über Reduzierventile der Sauerstoff in die Räume des Observatoriums. Als er dann das zweite Mal zur Rakete fahren wollte, bot Hai sich an mitzukommen. Galina sagte zu Sternes: „Uns bleibt inzwischen nichts weiter übrig, als
zu warten, bis sieh die Räume mit Sauerstoff gefüllt haben." Dieser Augenblick trat nach etwa zwei Stunden ein, als die automatischen Druckregler für alle Räume einen Druck von 360 Millimeter Quecksilbersäule anzeigten. Kruglow, der alle Meßgeräte immer wieder beobachtete, sagte auf eine Frage Hals: „Wir werden reinen, verdünnten Sauerstoff atmen." Die einzige Gefahr, wenn überhaupt davon gesprochen werden konnte, bestand darin, daß ein kleiner Brand sich relativ schnell ausbreiten konnte. Pjotr hatte deshalb auch das Feuermeldesystem eingeschaltet, das mit einer Signalanlage gekoppelt war, die jede Gefahr sofort meldete, auch der Erdzentrale. Nachdem sie nun die Türen hinter sich geschlossen hatten, öffnete Kruglow als erster seinen Raumanzug. Prüfend atmete er die vorgewärmte und vorgefeuchtete Sauerstoffatmosphäre ein und nickte befriedigt den anderen drei zu. Sie betraten nun nacheinander die übrigen Räume des Mondobservatoriums, den anderen Lagerraum mit den Energie- und Funkanlagen, die Aufenthaltskammer und schließlich den Bedienungsraum unterhalb einer Plattform aus starkem Glas. Zwischen allen diesen Räumen befanden sich Luftschleusen mit automatisch arbeitenden Sperrtüren, die sich nur nacheinander öffneten, so daß bei Unglücksfällen die Menschen im Observatorium weitgehend gesichert waren. Fiel ein Raum aus, blieben die anderen von ihm abgeschirmt, die Schleusen gestatteten es aber, jeden Raum zu verlassen, ohne daß die unter Druck stehende Sauerstoffalmosphäre nach außen entwich. Als sie den Bedienungsraum unter der Glasplattform betraten, blieben Sternes und Hai erstaunt stehen. Irgendwie kam ihnen das
alles bekannt vor, von ihrer eigenen Sternwarte in Manchester her, und trotzdem schien hier alles anders zu sein. Durch das starke Glas über sich sahen sie im nachtschwarzen Weltall die hellen Lichtfunken der Sterne. Der massige Metallkörper eines großen Spiegelteleskops auf der Plattform über ihnen schwenkte, während sie zu viert darunter standen, wie von Gespensterhand bewegt, in eine andere Richtung. „Er stellt sich schon auf das Sternbild Kepheus ein", bemerkte Kruglow. Der lange Hals eines Refraktors folgte. Hilfsspiegel schimmerten, die die Bilder der Beobachtungsgeräte in den Bedienungsraum vermittelten, in dem auch die Steuer- und Übertragungseinrichtungen für den vollautomatischen Betrieb waren. Eine Zeitlang standen die vier Menschen in einem fast ehrfürchtigen Schweigen, das auch Kruglow selbst immer wieder ergriff. Handräder drehten sich selbständig unentwegt oder ruckartig, vor klickenden Schaltrelais arbeiteten Fernsehkameras automatisch, Transformatoren summten kaum hörbar, Elektromotoren surrten, wie geisterhafte Hände bewegten sich unausgesetzt von der Erde aus gesteuerte Manipulatoren. „Das Zauberreich des Menschen", bemerkte Galina leise. „Und wir wollen es nicht stören", sagte Kruglow. „Ich denke, wir werden den automatischen Betrieb weitgehend beibehalten. Das hat sich immer als das einfachste erwiesen; wir erleichtern uns die Arbeit, und außerdem — das Teleskop und die anderen Geräte, die sich oben auf der Plattform, also im luftleeren Raum befinden, würden eine höchst umständliche Arbeit in Rai'Rtanzügen bedingen." Er blickte Sternes auffordernd an. „Beginnen wir mit unserer Arbeit." Nach kurzer Zeit hatten sie das Ungewohnte der neuen Umgebung vergessen, die Instrumente waren 23
auf die Nova im Sternbild des Kepheus eingesteuert, die Beobachtung und die Auswertung der Ergebnisse begann. Während die drei Männer arbeiteten, übernahm Galina die hausfrauliche Tätigkeit und bereitete auf einem elektrischen Herd die erste Mondmahlzeit vor. Der Herd und der gesamte Mechanismus des Observatoriums erhielten ihren Energiebedarf von einem Halbleiternetz, das, etwa 20 000 Quadratmeter groß, auf der Mondoberfläche ausgebreitet worden war und die auftreffenden Sonnenstrahlen mit hohem Wirkungsgrad in Elektrizität umwandelte. Während des Mondtages wurden damit auch Batterien gespeist, die groß genug waren, den Strombedarf während der Mondnacht zu sichern. Die Tage und mit ihnen die ununterbrochene Arbeit vergingen verhältnismäßig schnell. Da sie keine Pause einzulegen brauchten, wie es auf der Erde durch den Tag^ und Nachtwechsel bedingt wurde, waren die Beobachtungsergebnisse geradezu großartig. Robert Sternes gab immer wieder seiner Freude darüber Ausdruck. „Ich weiß gar nicht, wie dankbar ich Ihnen sein soll, Pjotr", sagte er einmal, „Ihnen und dem Astrorat — Ihrem ganzen Land." Hai, sonst immer zu Scherzen aufgelegt, schien von dem beinahe zeitlosen Rhythmus der Arbeit verändert. Für ihn gab es nur noch die Probleme der Nova. Am siebenten oder achten Tag — er hatte das Zeitmaß fast verloren — sagte er zu Galina: „Nun haben wir es bald geschafft." Die Pilotin, die ihm beim Auswechseln von Filmen zur Hand ging und eben die Entwicklungskassetten schloß, fragte: „Haben Sie Sehnsucht nach der Erde, Hai, nach Sonnenschein?" „Ja und nein. Ich weiß auch 24
nicht." Er besann sich. „Das ist auch nicht wichtig, Galina. Die Hauptsache ist, der Flug hat sich gelohnt, und das hat er. Unsere Supernova blüht in voller Größe —", er deutete auf den Bildschirm des Radioteleskops, „vor drei Wochen noch ein Stern dreizehnter Größe, heute ein feuerspeiendes Gestirn, dem bloßen Auge so hell sichtbar wie der Mars." Galina wollte etwas erwidern, als aus dem Lautsprecher ein leises Pfeifen ertönte. „Unsere Suppe meldet sich", sagte Galina. „In fünf Minuten können wir essen." Sie verschwand durch die Luftschleuse. Hai beendete seine Arbeit und deckte dann den kleinen Tisch in der Mitte des Bedienungsraumes. „Ich helfe Galina alles hereinbringen", sagte er zu Sternes, der nur nickte. Für den Professor war das Essen zur Nebensache geworden, seinetwegen hatte Galina vorgeschlagen, hier im Raum unter der Glasplattform auch zu essen, was sie vorher in einer der Aufenthaltskammern getan hatten. Aber da war Sternes immer erst nach drei-, viermaliger Aufforderung gekommen. Auch jetzt, während sie speisten, warf er immer wieder Blicke nach dem Bildschirm hinüber und verfolgte unruhig die anderen Geräte, die doch automatisch weiterarbeiteten. Pjotr sagte: „Ich denke, die Ergebnisse unserer Beobachtungen werden einiges Aufsehen auf der Erde erregen, Sternes. Unsere Atomphysiker können kleine Freudensprünge tun." Sternes erwiderte: „Wir wären nie zu diesen Erkenntnissen gekommen, wenn nicht Ihr Mondobservatorium u n s . . . " Ein dumpfer Schlag — sie nahmen die Köpfe lauschend hoch, Kruglow sprang empor. „Was war das?" Er wandte sich zur Tür und prallte förmlich vor der schnarrenden Automatenstimme zurück:
„Achtung — Brand — Raum IV — Gefahr..." Der dumpfe Schlag wiederholte sich, irgendwo ein Kreischen, dann verlosch das Licht — und draußen verbrannten mit grellen Stichflammen die Sauerstoffbehälter. Das Feuer zerfraß die Mefallwände, schmolz Türen — noch zwei, drei harte Explosionen. Stille. Stille und Finsternis. Nur über ihnen, durch das Glas hindurchleuchtend, die Lichtpunkte der Sterne. Galina schloß die Augen, als sei das nötig, tastete sich bis zur Wand, fühlte — hier mußte eine Stablampe liegen. Eine Sekunde zögerte sie noch, dann ließ sie das Licht aufblitzen. Sie sahen sich an. Jedes Gesicht war von einer furchtbaren Erkenntnis gezeichnet: Sie. waren eingeschlossen. Kruglow starrte wortlos durch die offene Innentür der Luftschleuse auf die nach außen führende Tür. Dahinter befand sich das Chaos. Er sah sich um, sein Bück traf Galina. Sie schüttelte den Kopf. „Wir haben . keine Raumanzüge hier." Damit strich sie die letzte Hoffnung aus. Sie konnten nicht zu der Rakete hinaus... • Kruglow hob seine Hand in das Licht und blickte auf die Uhr. „In zwanzig Minuten ist das ständige automatische Funksignal zur Erde fällig. Da es ausbleiben wird, weiß man in Moskau, daß wir Hilfe brauchen, dann wird man Kenia benachrichtigen. Setzen wir uns." Er deutete auf die Stühle am Tisch. Die Gebärde wirkte etwas grotesk unter den Umständen, und auch sein Lä-cheln schien verzerrt. „Zweimal zehn Stunden müssen wir warten, zehn brauchen sie, um ein Raumschiff startbereit zu machen, zehn Stunden dauert der Flug. Zwanzig Stunden, sie sind auszuhalten. Haben wir noch mehr Lampen?" „Wir können doch weiter beobachten", sagte Hai. V
Galina legte eine Stabbatterie auf den Tisch, „Ich glaube, sie ist schon angebraucht." „Beobachten ist schlecht, Hai", meinte Sternes. „Wir können uns den Sternenhimmel ansehen, das ist alles, denn da wir keinen Strom mehr haben, alle Motoren ausgefallen sind, steht das Teleskop still. Die Nova wird schon aus dem Blickfeld verschwunden sein." Sie mußten warten. In der Moskauer Zentrale des automatischen Mondobservatoriums flammte ein rotes Licht auf. Dann schnarrte der Automat wie im Observatorium: „Achtung — Brand — Raum I V . . . " Aus. Eine halbe Minute später glich die Zentrale einem wirr durcheinanderredenden Diskussionsklub — aber auch nur eine halbe Minute. Dann setzte die systematische Arbeit ein. Während man versuchte, mit dem Ultrakurzwellensender über eine der den Mond umkreisenden Relaisstationen das Mondobservatorium zu erreichen, während man' an alle Verbindungsstationen Nachricht gab und sie aufforderte Nachricht gab und sie Observatorium anzupeilen, erhielt der Raketenflugplatz in Kenia den Befehl: „Sofort Rettungsrakete startbereit machen. Startbereitschaft melden. Start auf Anweisung von hier." Minuten später wurde Tschirenko auf der Direktleitung von Moskau angerufen. „Überprüfen Sie sofort alle Vorbereitungen für den Start der ersten Rakete." Tschirenko wollte ablehnen. Es war ausgeschlossen, daß es hier jemand gab, der an diesem Unglücksfall auf dem Mondobservatorium schuld sein konnte. Er schüttelte den Kopf. „Selbstverständlich. Es wird alles getan." In Moskau tickten die Apparate: „Verbindungsstation Zürich... Ver25
bindungsstation P o t s d a m . . . Verbindungsstation Mexiko C i t y . . . Verbindungsstation Antarktis ..," Nichts — nichts — nichts . . . In Kenia wurde die Rettungsrakete startklar gemacht. Die Minuten reihten sich zu Stunden. Tschirenko schob seinen mächtigen Leib über das Gelände. Nichts entging seinen funkelnden Augen. Hai stellte eine kurze Berechnung an. Der Raum war fünf mal fünf mal drei Meter — das waren 75 000 Liter ' Rauminhalt. Bei 360 mm Druck ergab das 52 kg Sauerstoff — sie verbrauchten in der Stunde 120 Gramm, in zwanzig Stunden — er sah Kruglow überrascht an. „Sauerstoffmangel wird nicht eintreten!" Pjotr blickte ernst auf das Papier von Hai. „Sie haben die Gegenrechnung vergessen, Hai. Sauerstoffmangel werden wir vorerst nicht haben, das stimmt. Aber Kohlendioxyd bekommen wir zuviel, das stellen wir selbst her." Hai begann zu rechnen. „In zwanzig Stünden kommen wir auf reichlich fünf Prozent Kohlendioxyd"; sagte er halblaut. Kruglow nickte. Das bedeutete Erstickungsgefahr. Niemand sagte etwas. Jeder dachte: Vielleicht kommen sie schon früher. Unablässig während der ganzen Vorbereitungsarbeiten hatte Tschirenko sich gefragt, wer seine Hand im Spiel haben konnte. Er hatte mit dem Raketenmeister Suskow gesprochen, er hatte mit dem Sicherheitsbeauftragten den genauen Vorgang der Verladearbeiten rekonstruiert — außerdem wiederholten sie sich ja jetzt Punkt für Punkt. Der Sicherheitsbeauftragte wandte den Kopf langsam zu Tschirenko. „Diesmal haben Sie die Sauerstoffbehälter nicht numeriert, Tschirenko." 26
Die Augen des Direktors weiteten sich, schmerzhaft groß wurden sie. „Martyr . . ." Er sah ihn in der halbdunklen Hallenecke knien . . . Da oben, überlegte er, konnte nur etwas geschehen, wenn die Sauerstoffbehälter in Brand gerieten — eine Explosion — Brandsatz, Zeitzünder : . . Tschirenko umkrallte den Arm des neben ihm Stehenden mit hartem Griff. „Kommen Sie — Martyr war es." Sie näherten sich dem. eifrig um die Verladearbeiten bemühten Martyr. Sie blieben stehen, schauten zu, dann griff Tschirenko nach Martyr, als dieser vorbeieilen wollte. „In welchem Behälter war der Brandsatz?" Die Frage brach so blitzschnell auf Martyr herein, daß er die bei.den Männer nur anstarren konnte. Er riß den Mund auf, wollte schreien. Der Sicherheitsbeauftragte führte ihn ab. Zehn Minuten später war die Rakete startklar. Tschirenko drückte Suskow die . Hände. „Bring' sie wieder mit, Sergej." In Martyrs Wohnung fand man den Sender im Fernsehempfangs»gerät eingebaut, fand man die Schablone. Martyr versuchte nicht, seine Tat zu leugnen. Kruglow quälte seine Lider auseinander. Er spürte eben, wie er vom Stuhl sacken wollte, und hielt sich an der Tischkante fest. Mit offenem Mund biß er nach Atemluft^ Seine Hand tastete über den Tisch. Da war doch — da mußte doch eine Lampe sein? Er ließ sie aufbrennen. Der Tisch war leer. Wo waren die anderen? Der Scheinwerfer suchte — Hai — Galina — Sternes — sie lagen im Schlaf zusammengekrümmt auf dem Boden. Das Licht verlosch. Kruglow wollte sich niederbeugen, zu Hai. Er rutschte vom Stuhl, kniete, wandte sich um — er sah
über sich Lichtfunken tanzen. Sterne, Sterne — seine Hand tastete sich hoch — nach den Sternen — nach der Lampe, wie spät war es? Aber ehe er nach der Uhr schauen konnte, verließ ihn wieder die Kraft... Draußen aber tastete der Schein» werfer der Rettungsrakete bereits riesenfingrig über die Mondoberfläche, fand die Rakete der Wissenschaftler, glitt daran hoch. Suskow sah, sie war unversehrt und geschlossen. Die Freunde mußten sich im Observatorium befinden. Er richtete den Scheinwerfer auf den Tunneleingang, der offen und unversehrt schien. Er versuchte, in Direktverbindung den Elektrozug heranzuholen. Nichts. Natürlich. Drinnen war alles zerstört. Alles? Sie verließen die Rakete und bewegten sich auf den Tunnel zu, verschwanden darin. Als sie das letzte Drittel erreicht hatten, standen sie vor Trümmerblöcken. „Wir müssen von oben hinein", sagte einer der Rettungsmannschaft. ..Durch die Glasdecke." „Wir müssen durch eine Luftschleuse, Nikolai." Sie quäken sich, die übereinander versteiften Blöcke zur Seite zu bringen. Schrittweise kamen sie vorwärts, und glücklicherweise fanden sie hinter dieser ersten Mauer kein zweites gleichstarkes Hindernis. Sie konnten bis in die Nebenräume des Observatoriums vordringen und atmeten erleichtert auf, als sie hier niemand fanden. Das ließ darauf schließen, daß sich die vier bis in den letzten Raum unter der Glasplattform hatten retten können. Als sie die Tür vor dem Bedienungsraum erreichten, wollte Nikolai den Schweißapparat ansetzen, den er von der Rakete geholt hatte. Suskow schob ihn zurück. „Das geht doch nicht. Die Tür sperrt, 2;;
also Ist die Innentür nicht geschlossen. Würden wir jetzt aufschweißen, entweicht die Sauerstoffatmosphäre, und die drinnen werden zerrissen. Wir müssen den Eingeschlossenen melden, daß wir hier sind, sie müssen die Innentür schließen." Er hob den Hammer und schlug schwer und unbeholfen gegen die Metalltür. — Irgendwer kroch über Kruglow und wollte ihn erwürgen. Er wehrte sich. Aber der andere war stärker, schlug ihm auf den Schädel, einmal, zweimal, dreimal. Pjotrs Schädel dröhnte. Er stieß mit der Faust nach dem Gegner, es schmerzte — er begriff: das Tischbein. Aber das Tischbein konnte ihn doch nicht schlagen! Vor seinen Augen wogten Nebel, Lichter blitzten auf, die Schläge dröhnten. Wieso Schläge — wieso Dröhnen — oder — klopfte da einer — klopfen? Pjotr holte seine Gedanken heran, sie drohten ihm immer wieder zu entgleiten, wie kleine Fische aus einem Netz. Dann begriff er — das konnte nur von draußen kommen — das war die Rettung — warum kamen sie denn nicht herein? Sollte er ihnen die Tür aufmachen? Er sackte wieder zusammen. Die Schläge zwangen ihn erneut hoch. Neben ihm stöhnte jemand, flüsterte. Er beugte sich nieder. Galinas Lippen zitterten. „Die Schleuse." Kruglow begriff. Die Luftschleuse, die Tür zu ihnen war offen. Er wälzte sich dorthin, wo er sie vermutete, rutschte an der Wand entlang, auf allen vieren. Die Tür — er tastete sich hoch, drängte sie mit seinem Leib zu, hängte sich an den Hebel, zog ihn mit seinem Gewicht herunter. — „Nikolai!" schrie Suskow. ..Die Mechanik!" Der Verschlußdeckel der äußeren Sperrtür gab nach. Suskow hielt ihn fest. „Raumanzüge — holt Raumanzüge — vier Stück."
Minuten vergingen, ehe die Helfer von der Rakete mit den Raumanzügen zurückkamen . . . Als die Rettungsrakete in Kenia startete, wurde von Moskau aus bekanntgegeben, daß die im Mondobservatorium befindlichen Astrophysiker offenbar einen Unfall erlitten hätten. Über den Verlauf der Rettungsaktion würde- ständig berichtet werden. Edward Esterfield fuhr sofort zu Charles Grain, den er vor seinem Fernsehapparat fand. Grain hob die Hand, ohne sich umzuwenden. „Kommen Sie schnell, Esterfield, eben wird eine neue Sendung aus Kenia angekündigt." Esterfield nahm Platz; ein flüchtiger Blick Grains in das Gesicht des Astrologen zeigte ihm dessen unverhohlenen Triumph. Er aber war sich nicht ganz sicher. Auf dem Bildschirm beruhigten sich die schwingenden Lichtstreifen, helle Lichter irrten vorbei, dann erschien das Innere eines Zimmers und plötzlich ein Gesicht, verzerrt und auch wieder verzückt. „Martyr!" stieß Esterfield hervor. Seine Hände griffen nach dem Bild. Grain schloß die Augen. Martyr? Esterfields Gewährsmann? Durch sein Hirn jagten die Gedanken. Sie waren verloren, wenn der Mensch sprach. Und er sprach, tonlos, gleichmäßig, wie eine Maschine. „Es ist, wie Sie sagen. Im Sauerstoffbehälter sechs befand sich ein Brandsatz mit Zeitzünder." Eine Stimme fragte: „Sie wußten, daß Sie durch diese Tat Menschen gefährdeten?" In dem starren Gesicht Martyrs bewegten sich die Lippen: „Ich hatte den Auftrag. Ihre Zeit war abgelaufen." „Wie erhielten Sie den Auftrag?" „Durch die Fernsehsendung der Astrologischen Gesellschaft."
Esterfields Hände begannen zu zittern. „Wer gab Ihnen den Auftrag?" Esterfield kniff die Augen zu. Martyr sagte: „Die Astrologische Gesellschaft. Es stand in den Sternen, ihr Schicksal war vorausbestimmt." „Mit wem standen Sie in Verbindung? Nennen Sie Namen!" „Die Astrologische Gesellschaft..." Esterfield wandte sich zu Grain. „Wir haben gewonnen. Er wird keinen Namen nennen — weil er keinen nennen kann." Grain stand auf. Durch sein Hirn zuckten unaufhörlich Überlegungen. Er wußte nicht, ob es in England mehr als eine Astrologische Gesellschaft gab; er wußte nur, daß zwei Engländer tot waren, und wenn sie nicht tot waren, so war ein Mordanschlag auf sie verübt worden. Der Anstifter war die Astrologische Gesellschaft — war Esterfield. Und Esterfield würde ihn bestimmt belasten. „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Esterfield", sagte er mit plötzlichem Entschluß und stand auf. Der Prophet sah ihm nach, erhob sich und wollte ihm folgen, blieb dann stehen und goß sich einen Whisky ein. Man würde dort oben nur einen Trümmerhaufen finden — Grain konnte zahlen. Daß Martyr die Astrologische Gesellschaft genannt hatte — nun schön. Wenn man ihn fragte, ein Irrer, ein Verrückter. Außerdem besaß Grain Verbindungen, die einen ausreichenden Schutz gewährten. Grain bemühte diese Verbindungen bereits mit einem Telefongespräch. „Geben Sie mir bitte den Polizeipräsidenten persönlich. — Hallo, Mr. Kelling, hier spricht Grain — haben Sie. die Sendung aus Kenia — ja! Werden Sie einschreiten müssen, Kelling? — Natürlich, diese Astrologische Gesell29
schaff ist verantwortlich für den Tod zweier Engländer. — Richtig, Esterfield. Ich kann Ihnen da einen Tip geben, der Mann befindet sich bei mir — Sie wissen ja, mich suchen allerhand Leute auf. Sie sollten schnell zugreifen. Kann nur von Vorteil für Sie sein, Kelling. — O bitte, bitte. Übrigens — der Mann könnte versuchen, mich zu belasten. — Sie verstehen, Kelling. Am besten, Sie kommen selbst mit, Kelling ..." Grain legte den Hörer auf. Als er in die Bibliothek zurückkam, goß Esterfield sich den zweiten Whisky ein. Er hob das Glas. „Auf unser Geschäft, Mr. Grain!" Grain machte ein verständnisloses Gesicht. „Auf unser Geschäft?" Esterfield setzte das Glas nieder. „Nun, Sie haben den Auftrag doch sozusagen in der Tasche?" In diesem Augenblick wurde vom Sprecher des Fernsehfunks eine neue Nachricht über das Unglück auf dem Mondobservatorium verlesen: „Nach soeben von der Retturigsrakete eingetroffenen Meldungen konnten die Wissenschaftler und die Pilotin lebend geborgen werden; Die Zerstörungen am Observatorium sind verhältnismäßig gering, die Reparaturen werden in wenigen Wochen durchgeführt sein." Esterfield starrte Grain an. Der verzog keine Miene. Das Satellitenprojekt mußte er wohl endgültig abschreiben, gut. Aber jetzt galt es vor allem, sich von Esterfield zu distanzieren. „Man wird in England nach dem Anstifter zu diesem Verbrechen suchen," sagte er unbeteiligt. „Ich möchte nicht in dessen Haut stekken." Esterfields Gesicht verzerrte sich, er beugte sich vor. „Was soll das heißen? Wenn hier die Sache aufgerollt wird, hängen Sie doch mit drin." Grain runzelte die Stirn: „Ich kann Ihnen nicht folgen, Esterfield. 30
Was habe ich mit der Angelegenheit zu tun! Oder glauben Sie, jemandem weismachen zu können, daß ich etwas davon gewußt hätte?" „Aber es liegt doch klar aflf der Hand, daß allein Sie aus der Vernichtung des Mondobservatoriums durch Ihren Satellitenbau Profit gezogen hätten." Um Grains Mund zuckte ein ironisches Lächeln. „Womöglich hätte ich aus einem Unglücksfall, bei dem das Mondobservatorium zerstört worden wäre, als Unternehmer, hm, Vorteile gezogen. Aber kein Gericht in England kann daraus den Verdacht ableiten, daß ich zu einem Verbrechen meine Hand geliehen hätte." „Und ich behaupte, der Plan, diesen Sternes zu ermorden, stammt von Ihnen!" schrie Esterfield. „Ich zeige Sie an, ich, ich! Sie haben mich gezwungen, mißbraucht, Sie haben Gewalt angewendet..." Es läutete draußen. Dann kamen Schritte die Treppe heraufgeeilt. Kelling, der Polizeipräsident von Manchester, betrat mit drei Beamten die Bibliothek. Esterfield saß wie erstarrt. Robert Sternes öffnete die Augen. Das beklemmende Erstickungsgefühl der letzten Stunden lastete nicht mehr auf ihm. Er befand sich in einem gläsernen Behälter und lag angeschnallt auf einer weichen Matratze. Es war angenehm warm. Seine Lunge sog sich mit gefilterter Atemluft voll. Unendlich beruhigt schloß er die Augen. Dann beugte sich ein Gesicht über ihn. Sternes erinnerte sich, das war Sergej Suskow, der Raketenmeister. Suskow hob die Hand. Seine Stimme drang leise in die gläserne Hülle: „Nicht sprechen, still liegen." Dann, als errate er alle Fragen, die in Sternes aufbrannten, sagte er: „Galina Belstrojowa, Pjotr und Ihr Assistent befinden sich gleichfalls in Beatmungsgeräten. Sie sind
alle außer Lebensgefahr. In sieben Stunden sind wir wieder auf der Erde. — Ihre Filme und die Arbeitsprotokolle liegen drüben." Suskow wies zur Seite. Sternes nickte nur. Er mußte lächeln, als der alte erfahrene Raketenpilot mit sicheren Bewegungen hinausschwamm. Dann schloß Sternes die Augen, ein befriedigtes Seufzen glitt über seine Lippen. Er wollte überlegen — was war eigentlich geschehen? Dann wieder dachte er an das Künftige, die Untersuchungsergebnisse mußten schriftlich ausgearbeitet werden, die Atomphysiker warteten, die Vorgänge auf der Nova sollten ihnen
ihre Vermutungen bestätigen, die weitere Arbeit erleichtern. Hai würde ihm helfen, K*uglow auch, natürlich — vielleicht blieben sie erst noch in Moskau . . . Er drehte den Kopf herum, schlief. Mit einer Geschwindigkeit von 40 000 Kilometern in der Stunde raste die Rakete dem heimatlichen Planeten entgegen. Dann kam der Augenblick, in dem sich der Flugkörper drehte; die Triebwerke arbeiteten mit voller Gewalt gegen die Anziehungskraft der Erde, die Radargeräte erfaßten die Rakete in ihrem Leitstrahl, und langsam senkte sie sich in die Erdatmosphäre hinab...
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„Der ,Alte6 hatte so seine Eigenarten. An Bord trug er ständig einen sehr weiten, abgewetzten blauen Mantel, der nur am obersten Knopf geschlossen wurde und ihm wie ein Sack von den breiten, knochigen Schultern hing. Wenn es stiemte, umflatterte er ihn wie der Mantel des fliegenden Holländers. Als einziger Kapitän der Fischereiflotte setzte er nie eine Mütze auf - und den Südwester auch nicht bei jedem Sturm. Neben diesen augenfälligen Besonderheiten besaß er aber noch eine andere: Er konnte stundenlang erzählen. Dann saß er gern auf der Back zwischen den Jungen, die Hände in den Taschen des blauen Mantels vergraben, groß, hager und steif, wie eine Krähe inmitten halbflügger Spatzen. Bisher war es noch nicht vorgekommen, daß er eine Geschichte wiederholte; denn er hatte bereits zwanzig Jahre seines Lebens auf Schiffsplanken zugebracht, auf festen und morschen, dreckigen und tranbeschmierten und auf solchen, die täglich zweimal geschrubbt wurden. Wenn er erzählte, vergaß Hanjo, der jüngste Matrose an Bord, daß sie mit ihrem Trawler zu den Fangplätzen am Fladestgrund oder zur Barentssee dampften. Dann träumte er von Abenteuern in der weiten Welt." Als sie eines Tages in dem schottischen Hafen Aberdeen Aufenthalt haben, springt Hanjo über Bord, um auf ein australisches Handelsschiff zu gelangen. Doch der „Alte" holt ihn zurück und erzählt ihm ein eigenes Erlebnis: die abenteuerliche Geschichte von seiner Suche nach dem Goldschatz der „Santissima Trinidad".
U L R I C H WALDNER
HEFT
Das Gold der Santissima Trinidad I. T E I L
DAS
ABENTEUERLICHE
LEBEN
EINES
DONKOSAKEN
Er ist außergewöhnlich aufgeweckt und begabt, der Junge aus der Steppe östlich des Dons. Die Nachbarn „leihen" sich ihn aus, wenn schwierige Rechenaufgaben zu lösen sind. Aber sein Vater, ein starrköpfiger Kosak, will ihn nicht auf die Stadtschule lassen - ja, er prügelt ihn sogar, weil er lernen will. Wowka, so heißt der Junge, reißt aus. Ein Jahr lang stromert er auf den Straßen des Landes Von Igor Newerly
herum - gerade war der Bürgerkrieg zu Ende, alles ging noch
drunter und drüber. Eines Tages greift man den Jungen auf. In einem Heim für Obdachlose wird er erzogen. Er lernt, macht sein Abitur, studiert, wird Arzt. Im zweiten Weltkrieg finden wir Wowka (Wladimir Dergatschow) als Major und Leiter eines Divisionslazaretts der Roten Armee wieder. Seine Truppeneinheit wird später in einem Kessel Ton den Faschisten zerschlagen, er kämpft als Partisan und gerät schließlich in Gefangenschaft. Von diesem Zeitpunkt an beginnt der große Leidensweg, der den sowjetischen Arzt bis in die Hölle der faschistischen Konzentrationslager führt. Von aeinen Kameraden „Rußki Doktor" genannt, bewährt er sich als aufopferungsvoller Helfer im Dienste seiner Kameraden. In der Typhusbaracke des KZ Auschwitz erzählte Wladimir Dergatschow dem polnischen Autor, der ebenfalls Häftling war, sein bewegtes Leben. I G O R N E W E R L Y schrieb es nieder — das Buch wurde die Erzählung von einem wahren Menschen, einem Helden.
2. Auflage • Illustriert •
240 Seiten • Halbleinen 4,50 DM