John Grey
Blitzender Tod Ronco Band Nr. 135/08
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stie...
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John Grey
Blitzender Tod Ronco Band Nr. 135/08
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Knapp dreizehnjährig, zieht mit den Apachen in den Krieg gegen die Weißen und erlebt ein Massaker. Little Friend – Unterhäuptling bei den Chiricahuas. rächt den Tod seiner Squaw. Sandblume – Squaw Little Friends. stirbt eines gewaltsamen Todes. Skinyea – Apachenkrieger, den die Weißen für einen Raubwolf halten und der ein doppeltes Spiel treibt. Mangas Coloradas – Führt die Apachenstämme gegen die Weißen.
Blitzender Tod (Kein Datum.) November 1878 Ich befinde mich in Mexiko. Auch hier ist es um diese Jahreszeit nachts empfindlich kalt. Bei Tage brennt einem die Sonne die Haut von den Knochen. Einen richtigen Winter gibt es nicht. Ich weiß nicht einmal, welcher Tag heute ist. Ein trostloses Gefühl. Es könnte mein letzter Tag sein, und ich wüßte nicht einmal das Datum. Auch wenn man mich für verrückt hält: Solche Gedanken gehen einem Mann wie mir durch den Kopf. Jeder Tag kann mein letzter sein. Da nimmt man es mit jeder Stunde genau. Ob ich Mexiko lebend wieder verlasse, ist ungewiß. Wie das meiste in meinem Leben. So war es schon immer. Von Anbeginn an konnte ich nie sicher sein, das Ende eines Tages zu erleben. Immer habe ich kämpfen müssen. Mehr als andere. Das hat mich wohl geprägt. Als ich noch bei den Indianern lebte, waren meine Aussichten, alt zu werden, genauso schlecht wie heute. Dabei war ich damals noch ein Kind, auch wenn ein Dreizehn- oder Vierzehnjähriger bei den Apachen als vollwertiger Krieger gilt, vor allem, wenn er bereits seinen Medizinbeutel besitzt wie ich damals, im Sommer 1858. Damals zog ich an der Seite der Apachen in einen wahnsinnigen Krieg, der für die Indianer nicht zu gewinnen war. Ich zog gegen die Weißen, zu denen ich einmal gehört hatte. Doch daran wollte ich mich in jenen Tagen nicht mehr erinnern …
1. Sonntagmorgen vor Sonnenaufgang. Aus den Niederungen stiegen Nebel. Es war lausig kalt. Und das mitten im Sommer. Dumpf klang das Geläut von Kirchenglocken durch den Frühdunst. Wir lagen oberhalb der Stadt, deren Namen ich nicht einmal kannte. Es war eine kleine Stadt mit Häusern aus Holz und
Adobelehm. Keine Gehsteige. Hinter den Häusern am Stadtrand hatten einige Frauen Wäsche 'rausgehängt – bunte Kleidungsstücke, rot, grün, gelb und blau, einige waren gepunktet oder mit Blümchenmustern versehen. Am südlichen Stadtrand stand ein Haus abseits der staubigen Wagenstraße, die mitten durch den Ort führte. Es war das einzige Steingebäude. Seitlich vom Hof war ein großer Korral angelegt. In ihm befanden sich Pferde. Ich wagte nicht, mich zu rühren, obwohl ich gern an dem Patronengurt gezerrt hätte, den ich quer über meinen Oberkörper geschnallt hatte. Er drückte wie immer auf meiner Schulter und scheuerte meine Haut wund. Doch rechts und links von mir lagen noch andere Krieger im Gras. Apachen wie ich. Sie lagen da wie versteinert, als sei kein Leben in ihnen. Ich wollte es ihnen gleich tun. Schwer lag der Spencer-Karabiner mit dem abgewetzten Schaft in meinen Fäusten. Die Feuchtigkeit der Luft hatte sich auf den Metallteilen niedergeschlagen. Lauf und Schloß der Waffe glänzten daher matt. Ich fröstelte etwas. Meine Glieder wurden nach und nach steif. Hinter uns am Fuße des Hügels, auf dem wir uns befanden, standen unsere Pferde. Ab und zu schnaubte eines dumpf oder scharrte nervös mit einem Vorderhuf. Unten in der Stadt bellte ein Hund. Ein Mann ging über die leere Straße zur Kapelle hinüber. Er trug ein knöchellanges, erdbraunes Gewand. Für Sekunden fühlte ich mich an die Mission am Pease-River erinnert, in der ich aufgewachsen war. Das lag lange zurück. Der Padre verschwand in der Kapelle. Die grauen Dunstschwaden lösten sich nach und nach auf. Überall in der Stadt öffneten sich jetzt die Türen. Menschen gingen die staubige Straße hinunter zur Kapelle. Wieder bellte der Hund. Ein Hahn krähte durchdringend. Noch immer läutete die Glocke vom Turm. Im Osten glühte ein trübes Licht durch den Nebel. Spätestens in einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen. Wir hatten nicht mehr viel Zeit.
Ich schaute zu Little Friend hinüber, meinem Blutsbruder. Er führte uns an. Er richtete sich jetzt auf. Das war das Zeichen. Wortlos erhoben wir anderen uns. Wir waren zwanzig. Unsere Oberkörper waren nackt. Wir trugen nur Lendenschurze oder verwaschene Kalikohosen und hochschäftige Mokassins, in denen Messer steckten. Wir hatten uns mit den Kriegsfarben angemalt. Die Squaws hatten sie aus Wurzeln und Pflanzen gekocht und gemischt. Ockergelb und Karmesinrot. Ich hatte auf meine Brust den Donnervogel und auf die Wangen und die Stirn das Zeichen des Blitzes gemalt. Ich rückte an meinem breiten Patronengurt und warf noch einen Blick hinunter auf die Stadt. Die Straße war jetzt leer. Das Glockengeläut verstummte. Unsere Stunde war gekommen. Es war ein Indianermorgen, wie die weißen Siedler im Grenzland sagten. Denn die kurze Spanne zwischen dem Verblassen der Nacht und dem Sonnenaufgang war die Stunde der Apachen. Graue Dunstfetzen umstrichen uns, griffen wie feuchte Leichenfinger nach uns, als wir zur Stadt hinunterritten. Ich saß auf dem Rücken meines hageren, braunen Armeehengstes, der sich längst daran gewöhnt hatte, keinen schweren Kavalleriesattel mehr tragen zu müssen, sondern nur leichte Kissensättel, wie sie bei den Apachen üblich waren. Den Spencer-Karabiner hatte ich quer vor mir liegen. Ich fror nicht mehr. Der weiche Boden schluckte fast völlig den Hufschlag unserer Pferde. Wir hörten Stimmen aus der Kapelle. Die Menschen sangen. Die Melodie kam mir bekannt vor. Ich dachte nicht lange darüber nach. Die Zeit, an die das Lied mich erinnerte, war endgültig vorbei. Wir ritten durch den Nebel wie Gestalten aus einer anderen Welt. Irgendwann erreichten wir das wuchtige Steingebäude am Rande der Stadt. Hühner befanden sich auf dem Hof. Sie scharrten und pickten im Staub. Laut gackernd wichen sie uns aus. Ein Mann stand plötzlich in der Tür. Groß, breitschultrig, ein Gesicht wie eine Yuccawurzel, unförmig und faltenzerfressen. Er trug ein blütenweißes Hemd und eine Schnürsenkelkrawatte. Seine Stiefel waren blankgewienert, und die Hosen hatten keinen Fleck. Sein Haar hatte die Farbe des Nebels, und so schien es im ersten
Moment, als habe sich ein Dunstfetzen auf seinem Kopf niedergelassen. Er erschrak, als er uns sah. Er drehte sich um und schien schreien zu wollen. Eine Bogensehne zirpte leise. Der Pfeil grub sich tief in den Rücken des Mannes. Sein weißes Hemd färbte sich dunkel. Langsam stürzte er nach vorn aufs Gesicht und blieb auf der Schwelle liegen. Der Oberkörper ragte ins Haus, die Beine auf den Hof. Wir schwärmten aus. Little Friend sagte kein Wort zuviel. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Ein paar Krieger sprangen aus den Sätteln und drangen ins Haus ein. Ich kümmerte mich nicht weiter darum. Mit einigen anderen ritt ich zu dem großen Korral hinüber, in dem sich etwa vierzig Pferde drängten. Wir öffneten das Torgatter und drangen in die Koppel ein. Jetzt hörte ich deutlich, was sie in der Kapelle sangen. »Lobet den Herren …« Unwillkürlich summte ich die Melodie mit, während ich half, die Pferde aus dem Korral zu treiben. Ich hatte sie nicht verlernt. Aus einem Lagerhaus des Anwesens, dessen Tür gut verschlossen gewesen war – die Fenster waren vergittert – schleppten ein paar Krieger Gewehrkisten. Sie luden sie auf einen Wagen, der neben einem Stallgebäude stand. Ich ritt zur südlichen Ecke des Korrals, jagte die Pferde, die sich hier ängstlich geschart hatten, zur Mitte hin, zur übrigen Herde, und warf einen Blick zum Haus hinüber. Da sah ich an einem der Fenster ein bleiches, verzerrtes Gesicht. Im selben Moment wirbelte Staub unter den stampfenden Hufen der nervösen Tiere auf. Für Sekunden sah ich das Gesicht nicht mehr. Ich drängte meinen Braunen um die kleine Herde herum und spähte angestrengt nach vorn. Als der Staub sich senkte, stand das Fenster offen. Der Mann war auf das Fensterbrett geklettert und sprang hinaus. Er fiel fast zwei Yards tief, prallte hart auf und stürzte nach vorn. Mit beiden Händen fing er den Fall ab. Er richtete sich auf und stürmte davon. Ich schlug dem Braunen die Absätze in die Weichen. Fast instinktiv hob ich den Spencer-Karabiner an die Schulter und
repetierte mit dem Unterhebel durch. Der Mann lief auf die Straße hinaus und in Richtung der Kapelle. Dort hörten sie gerade auf zu singen. Der Mann hatte die Schultern hochgezogen und den Kopf nach vorn gebeugt. Er war fett und schnaufte so laut, daß ich ihn hören konnte. Ich feuerte, ohne zu zögern. Hart spürte ich den Rückschlag des Karabiners an meinem rechten Schultergelenk. Schwarzpulverpartikel brannten auf meinem Gesicht. Die Detonation verhallte zwischen den kahlen Fassaden. Der Mann vor mir brüllte laut auf und stolperte. Die Kugel hatte ihn im rechten Oberschenkel erwischt. Er schlug hin und tunkte mit dem Gesicht in den Dreck, dabei schrie er wie am Spieß und versuchte, auf allen vieren in den Schutz eines Hofeingangs zu kriechen. Ich zog den Braunen herum und ritt zurück zu dem großen Gebäude. Little Friend erschien am Hauseingang. Er schwenkte einen Gürtel aus Skalps, wie er großen Kriegern mit ins Grab gegeben wurde. Ich wußte, was das bedeutete. Der Mann, dem dieses Haus gehörte, und den ich gerade angeschossen hatte, war ein Händler, der häufig Waren an die Apachen lieferte und sie mehrfach nach Strich und Faden betrogen hatte. Doch er war auch ein Grabräuber, wie dieser Skalpgürtel bewies, ein Leichenschänder, der sich vermutlich auch an dem wertvollen Schmuck bereichert hatte, der toten Indianern auf ihrem Weg in die Ewigen Jagdgründe mitgegeben wurde. Ich bereute in diesem Moment, nicht auf seinen Kopf gezielt zu haben. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß ein paar Männer aus der Kirche stürzten. Sie liefen zu ihren Häusern. Ich rief Little Friend im Apachendialekt zu, daß wir entdeckt seien, hängte meinen Spencer-Karabiner an den Sattel und nahm mein Lasso auf, um die Pferde anzutreiben, die wir aus dem Korral des Händlers geholt hatten. Wir jagten die kleine Herde nach Süden aus der Stadt. Der Wagen mit den Gewehrkisten überholte uns. Natanah saß auf dem Bock und trieb das Gespann einen Hügel hinauf. Ich zog meinen Braunen herum und ritt zurück. Little Friend bestieg gerade sein Tier. Sein ebenmäßiges, kühn geschnittenes Gesicht, das so untypisch war für einen Apachen, glich einer
Holzmaske. Er hielt noch immer den Skalpgürtel in den Händen. Als ich in seine Augen sah, erkannte ich den Zorn, der in ihm fraß. Er erteilte einen Befehl. Wir ritten zu den Stallgebäuden und zündeten alles an. * Schüsse krachten. Die Männer, die die Kirche verlassen hatten, hatten ihre Gewehre geholt und standen jetzt in ihren Haustüren. Sie feuerten auf uns, doch sie zielten schlecht. Sie waren ungeübt mit ihren Waffen. Ich riß die Spencer an die Schulter und jagte ein paar Schüsse aus dem Lauf. Die Kugeln zerfetzten die hölzernen Tür- und Fensterrahmen einiger Häuser. Inzwischen brannten die Ställe des betrügerischen Händlers. Die Flammen schlugen aus den kleinen Fensterluken, fraßen sich gierig in das trockene Holz, leckten bis zum Dach hinauf und loderten schließlich hoch in den Himmel. Die graue Nebeldecke riß auf. Im Osten glühte der Horizont orangerot. Die Sonne stand wie ein Feuerball am Himmel. Sie berührte noch die Spitzen der Sierra, stieg aber rasch höher. Wir sprengten aus der Stadt. Hinter uns bestiegen ein paar Männer ihre Pferde, um uns zu verfolgen. Jemand schlug wie verrückt einen riesigen, eisernen Triangel vor der Schmiede, mit dem sonst offenbar Feueralarm gegeben wurde. Wir erreichten den Hügel, auf dem wir vor einer Viertelstunde noch gelegen hatten. Wir jagten darüber hinweg. Vor uns tauchte die Herde auf. Vierzig gute Pferde, die wir brauchen würden, und eine Wagenladung Gewehre. Wir hatten erreicht, was wir wollten. Das Land vor uns war flach. Steppe, trockenes, bräunliches Gras, das nicht flächig, sondern in dichten Büscheln wuchs. In zwei oder drei Meilen Entfernung konnten wir den Rio Bravo und die Furt sehen, die wir überquert hatten. Es wurde rasch heißer. Die Kühle der Nacht wich. Ich schmeckte Schweiß auf meinen Lippen. Er rann mir in schmalen Bächen über das Gesicht. Staub hüllte uns ein, dicht und beißend.
Hinter uns krachten wieder Schüsse. Ich schaute zurück. Auf den Hügeln, die die Stadt umgaben, waren Reiter zu sehen. Sie gestikulierten mit den Armen, und einige feuerten unablässig. Einmal spürte ich den Luftzug einer Kugel an meinem Gesicht. Ich duckte mich unwillkürlich und trieb den Braunen zu schnellerer Gangart an. Da sackte plötzlich Natanah auf dem Bock des Wagens nach vorn. Er fiel mit dem Oberkörper auf die Brüstung des Bocks. In seinem muskulösen Rücken war ein kleines, dunkles Loch zu sehen, aus dem Blut in dickem Strahl pulste. Die Pferde im Geschirr scheuten, brachen zur Seite aus und blieben stehen. Die Pferdeherde flutete an dem Wagen vorbei. Noch immer krachten Schüsse. Ein weiterer Krieger wurde verletzt. Eins der gestohlenen Pferde brach getroffen zusammen und blieb zurück. Ich blickte auf Natanah, der sich nicht mehr rührte. Mein Herz schlug heftig. Ich hatte ihn gemocht, diesen kraftstrotzenden, gutmütigen Riesen. Jetzt war er tot, und der Wagen mit den Gewehren, die wir für unseren Kampf gegen die Weißen brauchten, stand still. Ich überlegte nicht lange. Ich lenkte den Braunen zu dem Wagen und schwang mich hinüber auf den Bock. Die Zügel des Braunen schlang ich um den Peitschenhalter. Ich drückte den schweren Körper Natanahs, der mittlerweile blutüberströmt war, zur Seite. Natanah kippte um und stürzte vor die Bockbank. Ich ließ ihn liegen, nahm die Zügel des Gespanns auf und versuchte, es anzutreiben. Es war nicht das erstemal, daß ich auf einem solchen Wagen saß, der von zwei Pferden gezogen wurde. Früher, als ich noch im Farmland am Pease River, in der Mission der guten Padres, gelebt hatte, hatte ich oft genug Wagen gesteuert. Die Gespannpferde scheuten. Die Schüsse hatten sie nervös gemacht. Ich schrie wie verrückt und zerrte an den Zügeln. Es gab keine Peitsche. Natanah mußte sie verloren haben. Langsam setzten sich die Pferde in Bewegung – zu langsam. Ich wandte den Kopf und sah, daß sich die Verfolger näherten. Die
anderen Krieger mit der Herde, auch Little Friend, waren weit vor mir. Ich brüllte mir die Kehle heiser, und die verdammten Gäule schienen zu kapieren, daß sie rennen mußten. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach so langer Zeit mal wieder auf dem Bock eines Wagens zu sitzen. Doch ich hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Rechts und links von mir fraßen sich Geschosse in die Rücklehne des Bocks. Ich kniete vor der Sitzbank, neben Natanahs Leiche, und hielt die breiten, schweren Lederriemen der Zügel umklammert. Meine Muskeln schmerzten. Ich hatte vergessen, wie anstrengend es war, ein Zweiergespann zu lenken. Der Wagen gewann an Fahrt. Ich holte die Herde ein und fuhr an den anderen Kriegern vorbei. Little Friend rief mir etwas zu. Ich konnte es nicht verstehen und achtete auch nicht darauf. Der Wagen nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er war schlecht gefedert. Ich hatte manchmal Mühe, mich auf dem Bock zu halten. Er schleuderte und raste rumpelnd durch Bodenvertiefungen. Ich wurde hin und her geschüttelt und hatte bald das Gefühl, keinen heilen Knochen mehr im Körper zu haben. Der Rio Bravo rückte immer näher. Mir kamen leise Zweifel. Die Furt, die ich ansteuerte, war nicht sehr flach. Der Flußgrund war nachgiebig und glitschig. Der Wagen aber war schwer beladen. Wenn er steckenblieb. waren die Gewehre verloren. Dann war alles umsonst gewesen. Ich versuchte, die Pferde zu zügeln. Sie jagten in vollem Galopp auf den Fluß zu und gehorchten mir nicht, obwohl ich mit aller Kraft an den Zügeln zerrte. Der Wagen rutschte zur Seite, fuhr krachend über einen Stein, daß ich dachte, das Rad würde brechen. Aber es hielt, auch wenn eine Kiste von der Ladefläche nach vorn rutschte und mich ins Kreuz traf. Ich verlor den Halt auf dem Bock und wurde von dem Stoß nach vorn gegen die Bockbrüstung geworfen. Der Schmerz durchfuhr mich glühend. Sekundenlang lag ich wie gelähmt über der blutigen Leiche Natanahs und preßte die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Als ich mich aufrichtete, klebte das Blut des Toten an meinem Oberkörper. Die Zügel hatte ich verloren. Sie hingen tief
unter mir zwischen der Deichsel. Ich versuchte, sie zu erreichen, doch in diesem Moment rollte das Gefährt bereits die Böschung des Flußufers hinunter. Ich stürzte fast unter die rasenden Räder und klammerte mich krampfhaft auf dem Bock fest. Der Wagen schien umzukippen. Für Sekundenbruchteile tanzte er auf zwei Rädern. Dann stürmten die beiden Gespannpferde schon ins Wasser. Hoch spritzte die Gischt unter ihren Hufen auf. Der aufgewühlte Lehm des flachen Uferbettes färbte den Fluß gelblich. Ich warf einen Blick auf meinen Braunen. Er hing fest am Wagen und wurde mit in den Strom gezerrt. Seine Augen waren vor Furcht verdreht. Sonst fehlte ihm nichts. Ich konnte mich jetzt nicht um ihn kümmern. Der Wagen rollte in die Furt und tauchte in die Fluten. Nach wenigen Yards reichte das Wasser bis zu den Achsen, wenig später schwappten die Wellen über den Boden des Bocks und netzten meine Mokassins. Die Pferde stemmten sich ins Geschirr. Sie zogen das Gefährt schnell, zu schnell für meinen Geschmack, zumal ich es nicht lenken konnte. Ich mußte die Zügel erwischen. Ich richtete mich auf, beugte mich vor und entdeckte im selben Moment im vom aufgewühlten Schlamm trüben Flußwasser einen kopfgroßen Stein. Fast im selben Augenblick rammte das linke Vorderrad des Wagens dagegen. Da war die Fahrt zu Ende. Der Wagen stand wie angewachsen und sackte nach rechts ins Flußbett. Ich wurde von dem plötzlichen Ruck hochgeworfen und stürzte kopfüber in den Fluß. Das Wasser war warm und die Strömung stark. Ich tauchte bis auf den Grund, strampelte mit Beinen und Armen und stieß wieder nach oben. Keuchend tauchte ich auf. Mein langes, blondes Haar fiel mir strähnig ins Gesicht. Ich rang nach Atem. Die Strömung riß mich ein Stück vom Wagen weg. Ich hatte schwer zu kämpfen, bis ich das Gefährt wieder erreicht hatte und mich am Bock hochziehen konnte. Die Pferde im Geschirr tobten. Sie bäumten sich immer wieder auf, zerrten an den Halteriemen und an der Deichsel und wieherten grell.
Die Apachen hatten mit der Herde jetzt ebenfalls das Ufer erreicht und trieben die Pferde in den Fluß. Ich sah Little Friend, der mehrere Krieger zu sich rief und am Ufer zurückblieb, um, wie es schien, auf die Verfolger zu warten, die über die Ebene herangaloppierten. Die Schar war mittlerweile auf etwa vierzig Reiter angewachsen. Alle schwer bewaffnet. Die Hälfte davon waren vermutlich Gehilfen des Händlers, von dem die Pferde stammten. Sie schienen über genügend Munition zu verfügen, denn sie schossen ständig, obwohl sie noch außer Schußweite waren. Die Pferdeherde zog an mir vorbei. Die Tiere hatten sich an das Treiben gewöhnt und ließen sich willig leiten. Ich kauerte mich hinter die Bocklehne und wartete, bis sie vorüber waren. Little Friend und einige andere ritten nun auch ins Wasser. »Laß den Wagen stehen!« rief er mir zu, als er auf gleicher Höhe mit mir war. »Nein«, sagte ich. »Wir brauchen die Gewehre.« »Komm mit.« Er zügelte sein Pferd neben dem Wagen und blickte mich hart an. »Der Wagen ist verloren.« »Es liegt nur ein Stein im Weg«, sagte ich. »Kein großer Stein. Ich kriege ihn schon weg. Der Wagen ist nicht verloren.« Einen Moment maßen wir uns. Wir waren Blutsbrüder, und ich hatte viel von Little Friend gelernt. Genaugenommen verdankte ich ihm, daß ich endgültig zu den Apachen gehörte und als einer der ihren von ihnen rückhaltlos akzeptiert wurde. »Sie werden dich umbringen«, sagte er. Seine Stimme klang jetzt etwas sanfter. »Dann bringen sie mich um«, sagte ich und reckte trotzig mein Kinn vor. »Die Gewehre sind wichtig.« »Du auch«, sagte er. Dann ritt er weiter. Ich sprang ins Wasser und tauchte neben dem Linken Vorderrad. Der Stein lag fest im Bett des Stromes. Als der Wagen gegen ihn gerammt war, hatte er ihn noch tiefer in den Schlamm gestoßen. Ich wühlte ihn mit den Händen frei und rollte ihn zur Seite. Es beanspruchte meine ganze Kraft. Ich glaubte, zu ersticken, als ich fertig war. Mir wurde es schwarz vor Augen. Benommen tauchte ich auf. Da hatten unsere Verfolger den Strom fast erreicht.
2. Ich zog mich am Bock hoch und riß meinen Spencer-Karabiner vom Sattel des Braunen zu mir herüber, obwohl meine Muskeln und Sehnen vor Anstrengung zitterten. Neben Natanahs Leiche kniend repetierte ich das Gewehr durch und schob den Lauf über die Bocklehne. Innerlich war ich jetzt ganz ruhig. Ich war lange genug bei den Apachen und längst selbst zum Indianer geworden, nicht nur äußerlich, auch innerlich. Das bewies nicht nur der Medizinbeutel, der auf meiner Brust hing. Ich hatte mich auch daran gewöhnt, den Tod als etwas Natürliches zu betrachten, und das Leben als ein befristetes Geschenk, als einen Übergang in eine bessere Welt. Apachen leben, um zu kämpfen, hatte Cochise gesagt. Ich war bereit dazu. Auch zum Sterben. Ich zielte sorgfältig. Als ich den Abzug des Karabiners durchzog, stürzte einer der Männer, die das Flußufer erreicht hatten, aus dem Sattel. Die anderen scharten sich um ihn. Die Verfolgung geriet ins Stocken. Ein Kugelhagel ging auf den Wagen nieder. Ich duckte mich tiefer und spürte den Luftzug der Geschosse an meinem Kopf. Dann sah ich einen weiteren Mann fallen, und ein Pferd brach zusammen. Ich schaute mich um. Little Friend und ein paar andere Krieger waren neben dem Wagen. Sie hielten Lassos aus geflochtenem Leder in den Fäusten und trieben die Gespannpferde an. Der Wagen war mit den Rädern tief in das Bett des Stromes gesunken. Der Schlamm hatte sich zäh um die Felgen und Speichen gelegt. Die Tiere hatten schwer zu kämpfen, bis sie ihn wieder frei bekamen. Langsam und schwankend rollte er durch das tiefe Wasser. Während der ganzen Zeit verstummte das Gewehrfeuer nicht. Wir schossen zurück und konnten verhindern, daß uns die Reiter ins Wasser folgten, bis wir das andere Ufer erreicht hatten. Der Wagen rollte die Böschung hinauf und blieb stehen. Jetzt erst trieben die Verfolger auf der amerikanischen Seite des Rio Bravo ihre Tiere an.
Da sah ich das Faß im Wasser schwimmen. Es war ein kleines, wasserdicht verschlossenes Faß, das vom Wagen gefallen war, ein Pulverfaß. Ich zögerte nicht, hob mein Gewehr und zielte kurz. Meine Kugel traf das Faß in der Mitte. Einen Atemzug später explodierte das Pulver. Eine turmhohe Wasserfontäne stieg aus dem Fluß. Mit ohrenbetäubendem Knall fuhr den Reitern eine bläuliche Stichflamme entgegen, so grell wie tausend Sonnen. Die Pferde der Männer bäumten sich auf, warfen sich herum, stürzten seitlich ins Wasser oder flüchteten in rasender Furcht aus dem Fluß. Die Druckwelle der Explosion schleuderte mehrere Reiter aus den Sätteln. Die anderen konnten ihre durchgehenden Pferde nicht halten. Sie hatten alle Hände voll zu tun und keine Zeit mehr, uns zu verfolgen. Ich legte die Spencer neben mich auf den Bock und warf einen Blick zu Little Friend hinüber. Er grinste plötzlich. »Wir müssen uns beeilen.« Er trieb sein geschecktes Pony an. »Danke«, sagte ich. »Enju«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Es ist schon gut. Die Gewehre sind wichtig.« Er blickte mich ernst an. »Wir sind Blutsbrüder.« »Ja«, sagte ich. Er hätte es nicht sagen müssen. Ich wußte, warum er mit den Kriegern zurückgekehrt war, obwohl er damit eine Menge riskiert hatte. Es gab keine Deckung auf dem Fluß, und es hätte viele Tote und Verletzte geben können, die Pferdeherde hätte in der Zwischenzeit verlorengehen können. Er war nicht wegen der Gewehre zurückgekehrt, sondern wegen mir. Ich beugte mich vor und hob die Zügel des Gespanns hoch, die noch immer zwischen der Deichsel hingen. Die Flanken der Pferde zitterten noch vor Anstrengung und Erschöpfung. Doch ich trieb die Tiere an und lenkte den Wagen hinter der Herde her. Wir ließen den Rio Bravo hinter uns. Als ich mich nach einiger Zeit noch einmal umschaute, konnte ich die Verfolger nicht mehr entdecken. Kärglich bewachsene Hügelrücken verwehrten den Blick auf den Fluß.
Vor uns lag die ausgedörrte Savanne, aus der riesige Säulenkakteen wie stumme Wegweiser aufragten. * Wir erreichten das Kriegslager gegen Mittag. Chiricahuas, Mimbrenos, Jicarillas, Pimas und andere Stämme scharten sich hier um Mangas Coloradas, den großen Mimbreno-Häuptling, dem es gelungen war, die Stämme der Apachen für einen Krieg gegen die weißen Eindringlinge und Landräuber zu vereinigen. Zahlreiche Feuer brannten. Der Wind trug uns den Duft von gebrantenem Fleisch entgegen. Es gab nur wenige Wickiups oder Zelte. Sie waren den Häuptlingen und Medizinmännern vorbehalten. Mangas Coloradas, Cochise, Nochalo, Black Hawk. Die anderen Krieger schliefen unter freiem Himmel. Das Lager war nur für wenige Tage vorgesehen. Es hätte sich nicht gelohnt, Laubhütten zu bauen. Squaws gab es nur wenige hier. Lediglich die Kräftigsten hatten uns auf dem Weg nach Norden begleitet. Es standen nur zwei Wachen am Lagerrand. Sie winkten uns mit ihren Lanzen entgegen. Wir brauchten noch keine Vorsicht walten zu lassen. Das Lager befand sich am Rande der Wüste, die sich wie ein Meer am Staub südlich von uns zu den Horizonten dehnte und den Rest der Welt auszufüllen schien. Das war das Land der Apachen, das war auch mein Land, denn ich gehörte zu ihnen. Mein Haar war blond, meine Haut braungebrannt, aber lange nicht so dunkel wie die eines geborenen Indianers, meine Augen waren blau. Doch darauf achtete niemand hier, und ich selbst hatte es fast schon vergessen. Ich war knapp dreizehn Jahre alt und ritt mit den Kriegern. Es war nicht einfach für mich gewesen, mich bei den Apachen einzugewöhnen, nachdem ein verräterischer Armeescout mich an sie verkauft hatte. Doch ich hatte mich nach und nach den Gebräuchen und Sitten der Apachen angepaßt und mich durchgesetzt. Ich hatte ihnen gezeigt, daß ich hart und zäh war, daß ich kämpfen konnte. In meiner Entwicklung, geistig und körperlich, war ich meinem Alter voraus. Ich war groß. An meinen Armen und Schultern hatten
sich kräftige Muskeln gebildet. Wer mich sah und reden hörte, hielt mich mindestens für fünfzehn. Bevor ich mit den Kriegern nach Norden aufgebrochen war, um mit in den Krieg zu ziehen, hatte ich meinen Medizinbeutel erworben. Damit war ich endgültig in der Gemeinschaft der Krieger akzeptiert worden. Damit hatte ich auch bewiesen, daß ich in den Mythen und der Religion der Apachen lebte. Wir ritten in das Lager und zügelten hier unsere Pferde. Ich hielt den Wagen an, schlang die Zügel des Gespanns um den leeren Peitschenhalter und kletterte vom Bock. Wir wurden mit Jubel empfangen. Unser Unternehmen war geglückt. Wir hatten nur zwei Mann verloren. Ein Krieger war verletzt worden. Ich hockte mich auf das rechte Vorderrad des Wagens und lehnte mich mit dem Rücken an die Seitenbracke. Um mich und die anderen Krieger herum scharten sich die, die im Lager geblieben waren, allen voran die Frauen und die jungen Krieger. Eine Menge davon waren in meinem Alter. Doch ich wußte, daß ich der Jüngste von allen war. Ich schloß die Augen und rief noch einmal die Bilder der Geschehnisse der letzten Stunden in mein Gedächtnis. Ob einer von den Männern, die versucht hatten, uns über den Rio Bravo zu folgen, von der Explosion des Pulverfasses getötet worden war? Ich versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Unter unseren Verfolgern war nicht einer, der sich über den Tod von einem meiner Stammesbrüder den Kopf zerbrochen hätte. Da war ich ganz sicher. Doch ich konnte nicht genauso gleichgültig denken, wenn es um Menschenleben ging. Vieles von der Erziehung, die ich bei den Padres in der Mission genossen hatte, hatte ich fest in mir aufgenommen. Ich hatte es auch nicht bei meiner Wandlung zum Apachen abstreifen können. Ob das gut oder schlecht für mich war, konnte ich damals noch nicht beurteilen. Ich wußte damals schon, daß mich jeder Weiße ohne Zögern erschießen würde, mir selbst jedoch widerstrebte es innerlich, zu töten. Wenn ich dazu gezwungen war, mußte ich es tun. Das war mir klar. Ich hatte es bereits getan. Aber auch noch heute töte ich nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Es ist eine üble Sache, und noch
immer fühle ich mich hinterher schlecht, obwohl ich weiß, daß ich töten muß, um mein eigenes Leben zu retten. Ich schlug die Augen wieder auf und blinzelte in die grelle Sonne. Meine Glieder waren schwer. Meine Muskeln schmerzten von der Anstrengung. Ich war längst wieder trocken. Feuchtigkeit verdunstete schnell im heißen Wind, der von Süden über das Land strich. Ich richtete mich auf. Natanah war mir eingefallen. Ich griff nach seinen Armen und zerrte daran. Es gelang mir kaum, den mächtigen Körper zu bewegen. Auch im Tode hatte Natanah nichts von seiner kraftstrotzenden Gewaltigkeit verloren. Es gelang mir, seinen Oberkörper halb vom Bock zu ziehen, dann konnte ich ihn nicht mehr halten. Er rutschte ab, schlug mit den Oberschenkeln auf dem Vorderrad auf und stürzte neben dem Wagen zu Boden. In verrenkter Haltung blieb er liegen. In seinen weitaufgerissenen, glasig schimmernden Augen spiegelte sich der heiße Himmel. Ich drehte mich um. »Warum helft ihr mir nicht?« Ich blickte zu den neugierig gaffenden jungen Kriegern hinüber. »Natanah war ein großer Krieger. Soll er hier im Dreck liegenbleiben?« Drei oder vier setzten sich in Bewegung und gingen auf mich zu. Sie bückten sich über den Toten, hoben ihn auf und trugen ihn schweigend zum Wickiup des Medizinmannes. Ich wollte ihnen folgen. Da entdeckte ich unter den Squaws ein Gesicht, das ich kannte. Rasch schaute ich mich nach Little Friend um. Doch der war nirgends zu sehen. Da ging ich zu den Frauen hinüber. »Hallo, Sandblume«, sagte ich. Eine junge Squaw wandte den Kopf. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. Sie war schlank und dennoch kräftig. Unter den anderen Squaws fiel sie wegen ihrer Schönheit auf. »Ronco.« Ihre Stimme klang sanft. Sie trat auf mich zu und reichte mir die Hand. »Hast du Little Friend schon gesehen?« fragte ich. »Er ist zu Mangas Coloradas gegangen.« »Er wird sich freuen, daß du wieder da bist.«
Ich lächelte nun auch. Meine Gedanken an Tod und Kampf waren verflogen. Sandblume war seit einigen Wochen Little Friends Squaw. Sie war für kurze Zeit bei ihren Eltern gewesen, die einer kleinen Mimbreno-Gruppe angehörten, die nahe der Gila-Wüste lebte und sich nicht Mangas Coloradas angeschlossen hatte. »Ich bin erst gestern hier angekommen«, sagte sie. »Du hättest im Hauptlager bei den anderen Squaws bleiben sollen«, sagte ich. »Das wäre sicherer gewesen.« »Little Friend braucht mich«, sagte sie. »Ich bin sein Weib. Ich bin jung und stark und gehöre hierher. Jemand muß für ihn und dich kochen. Wenn er verletzt wird, muß jemand seine Wunden verbinden.« Ich nickte. Sie hatte recht. Mir behagte nur der Gedanke nicht, daß sie ihr Leben riskierte. Denn je weiter wir nach Norden vorstießen, desto gefährlicher wurde es für die mitziehenden Squaws. Auf sie wurde keine Rücksicht genommen. Sandblume erschien mir zu gut, um sich einer solchen Gefahr auszusetzen. Ich mochte sie und wollte nicht, daß Little Friend sie verlor. Er liebte sie sehr, und ich wollte, daß er glücklich war. Da stand er plötzlich neben mir. Sein Schatten fiel auf mich. Ich wandte den Kopf. Er schaute an mir vorbei. In seinen dunklen Augen sah ich, wie sehr er sich freute, Sandblume zu sehen. Sein ernstes, verschlossenes Gesicht blieb reglos wie meistens. »Hätte ich gewußt, daß du hier bist, hätte ich meinem Pferd Flügel wachsen lassen«, sagte er. »Jetzt bist du ja da.« Sie errötete sanft unter ihrer bronzeschimmernden Haut. »Ich denke, ich lasse euch jetzt besser allein«, sagte ich. Ich grinste etwas. Little Friend blickte mich an. »Das wäre gar nicht so schlecht.« Er lächelte jetzt auch. Ich wandte mich ab. Nach einigen Schritten schaute ich mich noch einmal um. Da ging er, groß, schlank, breitschultrig, mit ihr davon, zum südlichen Rand des Lagers, wo die Wüste begann. Sie hatte seine rechte Hand gefaßt. Sie wirkte zierlich neben ihm. Niemand kümmerte sich um die beiden. Es gab genug zu tun im Lager.
Ich wollte zum Wagen zurückgehen, doch da waren inzwischen zwei Wachtposten aufgezogen. So ging ich weiter zur Laubhütte des Medizinmannes. Nochalo war zu Hause. Rötlicher Rauch stieg aus dem Abzug im Dach des Wickiups, leise war ritueller Gesang zu vernehmen. Vor der Hütte waren die beiden Toten aufgebahrt. Natanah und Manntöter, den ich nicht besonders gut gekannt hatte. Er gehörte zu den Pimas, nicht zu den Chiricahuas wie ich. Aber er war ein tapferer Krieger gewesen. Seine Squaw und seine beiden Töchter hockten vor seiner Leiche. Sie trugen keine Stirnbänder, so daß das Haar offen fallen konnte, hatten einfache, schmucklose Gewänder angelegt und sich die Gesichter geschwärzt. Sie sangen leise die Klagelieder. Für Natanah sang niemand. Er hatte keine Squaw gehabt. Ich blieb einen Moment stehen. Erst, als die Klagegesänge der Frauen lauter wurden, schriller, heftiger, drehte ich mich rasch um und ging davon, um mich um meinen Braunen zu kümmern. * Der Reiter erreichte das Lager gegen Abend. Er näherte sich von Nordwesten. Sein dichtes, langes, blauschwarzes Haar flatterte wie ein dunkles Tuch im Reitwind. Es wurde von keinem Stirnband gehalten und von keiner Feder geziert. Sein Gesicht war länglich und schmal, seine Nase leicht gekrümmt. Scharf stachen die Wangenknochen unter seiner Haut hervor, die so dunkel war wie gut gegerbtes Leder. Seine Lippen waren dünn wie eine Messerklinge und sein Kinn in der Mitte gespalten. Um den Hals trug er eine Kette aus fingerlang zurechtgeschnittenen Menschenknöcheln. Daran baumelte sein Medizinbeutel. Er hatte sich eine verwaschene, ärmellose Weste übergezogen, die er irgendwann einmal einem weißen Siedler abgenommen haben mußte. An seinen Armen wölbten sich die Muskelstränge wie Taue unter der Haut. An seinem Gürtel baumelte ein prächtiger Schädelbrecher. Der Schaft war mit Rohhaut und buntem Stoff umwickelt und mit einer dünnen Kette verziert, an der Vogelfedern und Zinnglöckchen hingen. Das Schlagteil bestand aus Wapitihirschhorn. Links hatte der
Krieger ein Messer in perlenbestickter Scheide hängen, und auf seinem Rücken hing ein Bogen mit einem pfeilgefüllten Köcher. Ich hatte den Mann noch nie gesehen. Doch er schien nicht unbekannt zu sein. Die Wachen grüßten ihn, und einige Krieger blieben stehen und riefen ihn an, als er vorüberritt. Er beachtete sie kaum. Ein flüchtiges Nicken war alles, was er erwiderte. Vor dem Wickiup von Mangas Coloradas sprang er aus dem Kissensattel. Er war mittelgroß. Ich stand unweit von ihm an einem Feuer und schätzte ihn ab. Im ersten Moment erschien er mir riesig. Eine starke Ausstrahlung ging von ihm aus, die uns alle, die wir uns in seiner Nähe befanden, irgendwie befangen machte. Er sprach einige wenige Worte mit der Wache vor Mangas Coloradas' Wickiup. Dann bückte er sich und betrat die Hütte. Ich wandte mich um. Schnelltöter stand hinter mir. Er hielt eine Kürbisflasche in den Händen. Im Abendschimmer der untergehenden Sonne wirkte die gezackte Narbe, die sich über seine linke Wange zog, fast schwarz. Er schien zu ahnen, was ich fragen wollte. »Das ist Skinyea«, sagte er. »Die Weißaugen nennen ihn Raubwolf.« »Zu welchem Stamm gehört er?« »Er ist ein Lipan. Aber er lebt nicht bei seinem Stamm. Er jagt allein wie ein Wolf.« »Ich habe ihn noch nie gesehen und auch noch nie von ihm gehört.« »Er taucht nur auf, wenn es Krieg gibt«, sagte Schnelltöter. »Er haust irgendwo in den Bergen im Westen und verläßt sie, wenn er gebraucht wird. Er weiß immer, wann er gebraucht wird, ohne daß ihn jemand rufen muß.« »Wird er gebraucht?« Schnelltöter schwieg einen Moment. Nachdenklich blickte er an mir vorbei ins Feuer, über dem sich an einem Spieß eine Springbockantilope drehte. Die Flammen umzüngelten das saftige Fleisch, das sich mehr und mehr bräunte. »Wir werden aufbrechen, wenn die Sonne aufgeht«, sagte er, statt meine Frage zu beantworten. »Weil Skinyea gekommen ist?«
»Ja.« »Was hat er damit zu tun, wann wir aufbrechen?« »Wir werden sehen«, erwiderte Schnelltöter. »Das ist keine Antwort.« »Frag Little Friend«, sagte Schnelltöter. »Vielleicht kann er dir mehr sagen. Wir wissen nicht viel über Skinyea. Er hat Verbindungen zu den Weißaugen. Manche mißtrauen ihm deswegen und meinen, daß er ein Mann mit zwei Farben sei, ein Apfel, außen rot, innen weiß, daß er mit gespaltener Zunge spricht. Aber er bringt stets Nachrichten, die wichtig für uns sind, auch wenn niemand weiß, wo er sie her hat. Er weiß immer Bescheid darüber, was die Weißaugen tun und vorhaben. Er wird Mangas Coloradas eine solche Nachricht bringen. Deshalb werden wir morgen aufbrechen.« Ich verstand noch immer nicht genau, was Schnelltöter sagen wollte. Nach und nach nur konnte ich mir einen Reim darauf bilden und begriff, daß Skinyea anscheinend das war, was bei den Weißen als Spion bezeichnet wurde. Ich schaute zu seinem schwarzgeschickten Pony hinüber. Es hatte einen weiten Weg hinter sich. Das Fell war zottig, verfilzt und staubig. Das Tier war hager und narbig. Es ließ niemanden in seine Nähe. Als eine der Wachen vor Mangas Coloradas' Wickiup sich ihm näherte, um es zu tränken, schnappte es nach ihm. Ich hörte deutlich das Knacken des zusammenschlagenden Gebisses. Es drehte sich blitzschnell um und keilte aus. Von da an schlugen alle einen großen Bogen um das Tier. Ich hockte mich neben Schnelltöter ans Feuer und verzehrte ein großes Stück Fleisch mit einem fad schmeckenden Maisfladen. Ab und zu warf ich einen Blick zu dem Pony hinüber. Ich hoffte, daß der seltsame Krieger auftauchen würde. Aber er erschien nicht. Die Sonne verglühte im Westen wie eine niederbrennende Fackel. Ich war mit dem Essen fertig, erhob mich und trollte mich zögernd. Noch immer war Skinyea nicht erschienen. Ich ging zu den Lagerplätzen der Chiricahuas hinüber, zu denen ich gehörte. Ein junger Krieger kam mir entgegen. Er war untersetzt, nicht viel größer als ich, mit einer breiten Brust und sehnigen, muskulösen Armen und Schultern. Sein Gesicht war breitflächig,
seine Augen schmal. Um die Stirn hatte er sich ein dunkelblaues, handbreites Tuch gewunden. Es war Stirbtjung. Ich konnte ihn gut leiden, obwohl er häufig streitsüchtig und unbeherrscht war. Er war ein tollkühner Krieger, der im Kampf viel riskierte und alle Aussichten hatte, die düstere Prophezeiung in seinem Namen zu verwirklichen. »Hast du Little Friend gesehen?« fragte ich. Er blieb stehen. Um seine etwas zu breiten Lippen spielte ein Grinsen. »Er ist nicht im Lager.« »Sondern?« »Er war nicht allein, als er wegging.« Ich verstand. »Sandblume war drei Wochen lang nicht bei ihm«, sagte ich. »Immerhin ist sie seine Squaw. Warum soll er nicht mit ihr allein sein wollen?« »Ich sag ja gar nichts.« Stirbtjung grinste nicht mehr. »Du hast gefragt, ich habe geantwortet.« Er blickte an mir vorbei, hinüber zum Wickiup von Mangas Coloradas. »Skinyea hat anscheinend viel zu erzählen«, sagte er. »Ja.« Ich schaute ihn an. »Du kennst ihn?« »Ich habe ihn zweimal gesehen.« Stirbtjung erwiderte meinen Blick. »Bring deine Waffen in Ordnung. Reib dir die Kriegsfarben auf die Haut. Immer, wenn Skinyea erschien, gab es einige Tage später einen Kampf.« »Meine Waffen sind immer in Ordnung«, sagte ich. »Ich verstehe nicht, warum es einen Kampf geben soll, nur weil ein fremder Krieger ins Lager geritten ist.« »Abwarten«, sagte Stirbtjung. »Du wirst es auch noch lernen.« Er ging weiter. Ich schüttelte den Kopf und setzte ebenfalls meinen Weg fort. Mein Brauner stand abseits der Feuer. Hier hatte ich meine Decke am Boden ausgebreitet und mir eine flache Mulde in den Sand gescharrt, mein Nachtlager. Unweit von mir hatte Little Friend sein Lager aufgeschlagen. Er war tatsächlich noch nicht da. Ich überprüfte meinen SpencerKarabiner und streckte mich dann in der Bodenmulde aus. Die Decke zog ich mir bis zum Hals hoch.
Erst jetzt merkte ich, wie dringend ich den Schlaf brauchte. Fast augenblicklich wurden meine Glieder bleischwer. Ich war schon ein wenig eingenickt, als ich Schritte neben mir hörte und mich zwang, die Augen noch einmal zu öffnen. Little Friend war zurückgekehrt. Sandblume war bei ihm. Ich richtete den Oberkörper auf. »Du schläfst noch nicht?« Seine Stimme klang überrascht. »Ein Krieger ist gekommen«, sagte ich, »Schnelltöter nannte ihn Skinyea.« Es war sehr dunkel. Doch ich glaubte zu erkennen, daß sich die Züge in Little Friends Gesicht verhärteten. »Wann?« fragte er. »Als die Sonne unterging«, erwiderte ich. »Und?« »Er ging ins Zelt zu Mangas Coloradas.« Er schien mit den Schultern zu zucken. Genau konnte ich es nicht erkennen. »Wir haben Krieg«, sagte er. Seine Stimme klang leise. »Skinyea wittert den Krieg wie der Wolf die Beute. Dann taucht er auf.« »Du magst ihn nicht?« »Er ist eine Schlange. Er kriecht hierhin und dorthin, und manchmal beißt er aus dem Hinterhalt zu. Er reitet in die Forts der Weißaugen und in die Lager der Apachen. Seine Informationen sind gut. Wir verdanken ihm manche gute Beute und manchen Sieg. Aber niemand weiß, ob er nicht auch bei den Weißaugen redet.« »Schnelltöter sagt, daß wir morgen wahrscheinlich aufbrechen werden.« »Wahrscheinlich. Skinyea wird Mangas Coloradas wichtige Nachrichten gebracht haben über das, was bei den Weißaugen auf der anderen Seite des großen Flusses vorgeht. Wenn die Nachrichten gut sind, werden wir morgen nach Norden ziehen. Dann beginnt der große Krieg.« Ich ließ mich zurücksinken und zog die Decke wieder über mich. Plötzlich fror ich etwas. Ich dachte an die stechenden, schwarzen Augen des seltsamen Kriegers und an das, was Little Friend gesagt hatte. Ich wußte, daß er nicht leichtfertig daherredete. Wenn er
Skinyea nicht traute, hatte er sicher recht damit. Die bleierne Müdigkeit von vorhin war verflogen. Plötzlich fürchtete ich mich ein wenig vor dem, was in den nächsten Tagen geschehen würde. Ich hatte so ein Gefühl schon lange nicht mehr gehabt, und es verschwand auch rasch wieder. Aber eine seltsame Unruhe in mir blieb. Irgendwann hörte ich Hufschlag. Ich wandte den Kopf und spähte durch die Finsternis. Da sah ich einen Reiter das Lager verlassen und nach Norden davongaloppieren. Skinyea. Sein langes, lose hängendes Haar flatterte wieder wie eine Fahne im Reitwind. Er verließ den Lichtkreis der Feuer und tauchte rasch in der Dunkelheit unter wie ein Schatten der Nacht. Die Unruhe in mir verstärkte sich etwas. Wenn wir auf Informationen eines Mannes angewiesen waren, dem man nicht trauen konnte, was würde dann noch auf uns zukommen? Ich schloß die Augen, doch ich gelangte lange nicht zur Ruhe. Ich wälzte mich hin und her. Schließlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf und hatte schlechte Träume.
3. Als die Sonne aufging, überschritten wir den Rio Bravo. Es war so gewesen, wie Schnelltöter und Little Friend gesagt hatten. Noch vor Sonnenaufgang hatten die Gehilfen Nochalos, des Medizinmannes, die Trommeln geschlagen. Der dumpfe Klang hatte uns aus dem Schlaf gerissen. In der Mitte des Lagers hatten wir uns zusammengeschart und gehört, was Mangas Coloradas uns zu sagen hatte. Ich erinnere mich nicht mehr an jedes Wort, das er sprach. Er redete davon, daß im Augenblick noch niemand jenseits des Rio Bravo mit unseren Aktionen rechne, daß die nächsten Grenzforts unterbesetzt seien und die Armee auch nicht in der Lage sei, ihre Truppen so rasch zu ergänzen, wie es nötig gewesen wäre. Die Voraussetzungen für ein sofortiges Losschlagen seien damit gegeben, zumal uns gute Beute erwarte. Ein Treck mit Neusiedlern sei ins Grenzgebiet unterwegs, gut ausgerüstet mit vielen Dingen, die
wir brauchen könnten. Die Siedler aber seien unerfahren. Mangas Coloradas hatte nicht gesagt, woher er die Informationen hatte. Wir wußten es auch so alle. Nochalo hatte die halbe Nacht getanzt und die Götter beschworen. Sie waren uns wohlgesonnen, Nochalo verhieß uns großes Kriegsglück, reiche Beute und Ruhm und Ehre. Er hatte eine Vision gehabt, in der er die Weißaugen hatte sterben sehen wie die Fliegen, während wir uns, die Krieger der Apachenstämme, in Donnervögel verwandelt hatten, die das Land der Ahnen zurückerobern würden. Uns konnte also gar nichts passieren. Dennoch fühlte ich mich nicht sehr wohl. Schon damals hatte ich einen besonders ausgeprägten Instinkt, und ich war überzeugt, daß unsere Zukunft keinesfalls so rosig aussah. Aber das behielt ich für mich. Wir waren an die dreihundert Krieger. Uns folgten vielleicht fünfzig Squaws. Wir brachen das Lager in Mexiko endgültig ab, nachdem wir uns mit den Kriegsfarben bemalt hatten. Mangas Coloradas führte uns an. Er und Cochise, Black Hawk und einige andere Häuptlinge ritten uns voraus. Die Sonne stand schräg über uns und stieg rasch höher. Die letzten Fetzen des Frühnebels lösten sich auf. Einige kleine Wolken kreuzten wie weiße Schiffchen den Horizont. In den Tautropfen an Gräsern und Zweigen spiegelte sich das Frühlicht. Es wurde heißer. Alle Feuchtigkeit verdunstete. Staub erhob sich unter den Hufen unserer Pferde. Immer mehr, immer dichter. Gegen Mittag erreichten wir eine Gruppe von Felssäulen, die sich wie die Finger einer riesigen Hand aus der Steppe erhoben. Es waren die Devils-Hand-Felsen. Bei uns hießen sie die »Finger Mayochinas«, des Sommergeistes. Hier hielten wir an und teilten uns. Kleine Trupps von zwanzig bis dreißig Kriegern bildeten sich und ritten in alle Himmelsrichtungen davon. Schließlich blieb nur noch ein Haupttrupp von etwa hundert Kriegern übrig. Ich gehörte dazu und noch eine ganze Menge anderer meines Stammes. Auch Little Friend, Schnelltöter und Black Hawk, der Häuptling der Stammesgruppe, der ich angehörte, waren dabei. Wir hielten uns nicht auf, sondern wandten uns gen Osten. Die
Squaws blieben zurück und schlugen ein Lager auf. Wir aber ritten über die Steppe. Senkrecht über uns stand die Sonne. Die Hitze lastete wie ein Tonnengewicht auf uns und den Pferden. Glühender Wind umstrich uns und trug feinen Staub mit sich, der sich mit dem Schweiß auf unserer Haut mischte und die Poren verklebte. Unser Krieg gegen den weißen Mann hatte begonnen. Ich nahm an ihm teil, denn ich war ein Apache. Ich hatte nicht vergessen, daß ich unter Weißen aufgewachsen war und ihre Hautfarbe hatte. Doch ich betrachtete sie heute als meine Feinde. Es war zuviel, was ich gesehen und erlebt hatte, wie die Weißen den Apachen das Land raubten und sie in die Wüste trieben, wie sie sie bestahlen, betrogen und heimtückisch umbrachten, auf ihre Kopfhäute Prämien aussetzten wie auf Wolfsohren. Deshalb wollte ich nicht mehr zu ihnen gehören. Ich war damals noch zu jung, um differenzieren zu können. Heute weiß ich, daß die weißen Farmer bei der Besiedelung des weiten Landes zwar so ziemlich alles falsch anpackten, was es falsch anzupacken gab, daß sie bei der Behandlung der Indianer schwere Schuld auf sich luden, aber daß sie nicht durchweg schlecht waren. Sie waren selbst Opfer, Opfer skrupelloser Politiker, Landspekulanten und Geschäftemacher, die über Leichen gingen. Sie waren genausowenig wie die Apachen in der Lage, zu erfassen, daß sie im Grunde nur Figuren auf einem Schachbrett waren und es ja eigentlich noch immer sind, die von einigen wenigen bewegt werden, die mehr im Sinn haben, als die Verteidigung einer kleinen Farm oder die Not des indianischen Volkes. Wie hätte ich es da als Dreizehnjähriger begreifen sollen? Ich zerbrach mir damals nicht den Kopf darüber, sondern ritt mit den Apachen ostwärts. Meile um Meile, Stunde um Stunde. Als hinter uns im Westen der Abend aufzog und der glühende Wind sich abkühlte, sahen wir in der Weite des Landes Rauchsäulen aufsteigen. Dicke schwarze Schwaden erhoben sich zum Himmel, wurden vom Wind zerrissen und fortgetrieben. Da wußten wir, daß unsere Brüder, von denen wir uns bei den »Fingern Mayochinas« getrennt hatten, bereits dabei waren, zu tun,
was sie tun mußten. Spätestens am nächsten Tag würde das ganze Land wissen, daß wir Apachen uns auf dem Kriegspfad befanden. Viele würden sterben. Das Land würde das Blut in sich aufsaugen, und schwarze Asche würde die Felder bedecken, Asche von niedergebrannten Hütten und Scheunen. Es würde neue Grabhügel geben, mit und ohne Kreuz, namenlos oder versehen mit Namen und Daten, eingebrannt mit glühend gemachten Messerklingen, falls denen, die überlebten, Zeit dazu blieb. Die gefallenen Apachen würden von Krähen und Kojoten gefressen werden. Die Sonne würde ihre Knochen bleichen, bis sie zu Staub zerfielen. Und danach würde kein Frieden sein, sondern der Haß nur noch wachsen, bis die Saat der Gewalt wieder aufging und erneut das Land mit Tod und Verderben überzog. Jeder Krieg trug den Keim des nächsten schon in sich. Eine nicht abreißende Kette von Gewalt hatte bis zu jenem Sommer 1858 geführt und würde weiterreichen. Doch darüber dachte kaum jemand nach, weder bei den Weißen noch bei den Apachen. Auch ich nicht, und selbst wenn, es hätte doch nichts geändert. * Wir wußten vom Treck, daß er von Norden heranzog und zum westlichen Seitenarm des Rio Nueces unterwegs war. Wir wußten, daß er aus zehn bis fünfzehn Wagen bestand und keinen erfahrenen Führer hatte. Wir wußten also eine ganze Menge und waren uns unserer Sache sehr sicher. Der Überfall auf den Treck sollte ein Test sein, genauso wie die Überfälle auf die Farmen im ganzen Land. Wenn alles gutging, standen wir in einigen Tagen vor den Palisaden von Fort Clark, dem nächstgelegenen Vorposten der Armee im Grenzland. Als es Nacht wurde, rasteten wir in einer tellerartigen Senke. Wir entfachten keine Feuer und stellten viele Wachen auf. Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle. Noch vor dem Morgengrauen waren wir wieder unterwegs. Gegen Mittag erreichten wir den Westarm des Rio Nueces und tränkten unsere Pferde. Die Sonne stand im Zenit und brannte gnadenlos auf das Land. Vor uns
buckelten sich die Hügel, auf denen das Büffelgras steigbügelhoch stand und sanft vom Wind gewiegt wurde. Im Südosten ragten die Gipfel der Kinney-Berge in den Himmel. Bevor wir weiterritten, teilte uns Mangas Coloradas in kleinere Gruppen unter der Führung der verschiedenen Stammeshäuptlinge ein. Dann schickte er zehn Krieger als Kundschafter voraus. Little Friend und ich gehörten dazu. Wir lösten uns von den anderen und trieben unsere Pferde zu rascherer Gangart an. Nach wenigen Minuten hatten wir den großen Kriegertrupp hinter uns gelassen. Wir ritten durch weites, menschenleeres Land. Einmal sahen wir ein paar weidende Rinder, und als wir auf einer Erhebung, von der aus man über das Land schauen konnte, anhielten, sahen wir in etwa einer Meile Entfernung eine Farm. Doch das kümmerte uns nicht. Wir ritten weiter. Gesprochen wurde kaum. Nach knapp einer Stunde erreichten wir eine Wasserstelle. Unweit davon war das Gras niedergewalzt, hatten sich breite Wagenspuren in den Boden gefressen und fast allen Pflanzenwuchs zerstört. Regen hatte den Boden immer und immer wieder aufgeweicht und in grundlosen Schlamm verwandelt. Die mörderische Hitze hatte ihn ausgelaugt und ausgetrocknet, zu Staub verbrannt, in dem kein Samen haften, keine Wurzel sich festhalten konnte. Das war die Wagenstraße. Wir tränkten unsere Pferde und füllten die Kürbisflaschen, die wir an den Sätteln hängen hatten, bevor wir die Straße nach Norden folgten. Die Sonne rückte Fingerbreit um Fingerbreit über den Zenit hinaus und senkte sich auf ihrer Bahn langsam nach Westen. Doch es blieb drückend heiß, der quälende Wind kühlte sich nicht ab. Ich atmete Staub wie auch die anderen und fühlte manchmal ein leichtes Brennen unter den Achselhöhlen und an den Innenseiten der Schenkel, wo der Staub sich festsetzte und die Haut wundscheuerte. Aber es war zu ertragen. Gut eine halbe Stunde nach unserem Aufbruch von dem Wasserloch entdeckten wir vor uns eine Staubwolke, die sich langsam von Norden auf uns zubewegte. Wir lenkten unsere Pferde
auf einen Hügel und hielten an. Hoch im Sattel aufgerichtet spähten wir nach Norden und sahen den Treck. Die Wagen fuhren hintereinander. Sie folgten dem grauen Band der Wagenstraße und krochen langsam voran. Die weißen Planen schimmerten hell in der Sonne. Wir waren zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können. Wir sahen ein paar Reiter, die sich neben den Wagen bewegten. Keine stärkere Bedeckung. Das war alles. Es war auch genug. Wir wußten nun, daß Skinyea Mangas Coloradas richtig informiert hatte. Little Friend zog sein Pferd herum und gab uns ein Zeichen, umzukehren. Wir ritten zurück nach Süden. Ich verließ als letzter den Hügel und warf noch einen Blick auf den kleinen Wagenzug, der noch so weit entfernt war. Der Anblick versetzte mir einen leichten Stich. Ich fühlte wieder Erinnerungen in mir auftauchen, die ich schon überwunden geglaubt hatte, die ich aus meinem Gedächtnis hatte streichen wollen. Ich mußte an die Geschichte denken, die mir die Padres in der Mission am Pease River erzählt hatten, den Beginn meiner eigenen Geschichte. Auch ich hatte einmal zu einem Treck gehört, auch dieser Treck war von Indianern überfallen und fast völlig vernichtet worden. Ich hatte als einziger überlebt, kaum zwei Jahre alt, eingewickelt in Deckenbündel und Windeln. Ich wäre damals gestorben, hätten mich die mexikanischen Padres nicht gefunden. Und jetzt zog wieder ein Treck durch Texas, einer von Hunderten. Spätestens morgen abend würde es ihn nicht mehr geben. Ich würde diesmal unter den Angreifern sein. Unwillkürlich spürte ich einen leichten Druck auf der Brust und griff fast instinktiv nach dem silbernen Medaillon, das ich unter meinem Medizinbeutel an einem Kettchen um den Hals hängen hatte. Das Medaillon mit dem zierlichen, abgegriffenen Frauenbildchen war das einzige, das ich bei mir gehabt hatte, als die Padres mich gefunden hatten. Es erinnerte mich wieder an die Jahre, die hinter mir lagen, an das, was ich vergessen wollte. Einen Moment zögerte ich und spielte mit dem Gedanken, das
Medaillon abzureißen und fortzuwerfen. Dann ließ ich es los und senkte meine Rechte wieder auf den Zügel meines Braunen. Das Medaillon war das einzige Stück, das ich von meinen Eltern besaß, die ich nicht kannte und wohl auch nicht mehr kennenlernen würde. Und dann sagte ich mir, daß ich mit einem alten Stück Silber nicht ein paar Jahre meines Lebens wegwerfen konnte. Es war sinnlos, die Vergangenheit zu leugnen. Sie existierte nun einmal und holte einen immer wieder ein. Als ich den Kopf hob, bemerkte ich, daß Little Friend sein geschecktes Pony neben mich gelenkt hatte. Er blickte mir mitten ins Gesicht. »Was bedrückt dich?« Seine Frage war zu direkt, als daß ich hätte ausweichen können, seine Blicke so bohrend, daß ich es nicht fertigbrachte, die Unwahrheit zu sagen. Er schwieg eine Weile, nachdem ich gesprochen hatte. Er kannte meine Geschichte. Ich hatte sie ihm erzählt, noch bevor wir Blutsbrüder geworden waren. »Du brauchst nicht mitzureiten, wenn wir den Treck angreifen«, sagte er. »Ich werde mit Mangas Coloradas reden.« Ich überlegte, was er gesagt hatte, was es für mich bedeutete, wenn ich sein Angebot annahm, überlegte, ob meine Zweifel wirklich so groß waren. »Ich will mit«, sagte ich dann, heftiger, als ich es gewollt hatte. »Doch, ich will mit.« Die anderen Krieger, die vor uns ritten, wandten die Köpfe und blickten mich verwundert an. »Ich gehöre zu euch«, sagte ich, jetzt etwas leiser, so daß nur Little Friend mich verstehen konnte. »Wenn ich nicht stark genug bin, über Vergangenes hinwegzukommen, kann ich meine Waffen verschenken und in den Zelten bei den Squaws bleiben, wenn gekämpft wird.« Ich schaute Little Friend fest in die Augen. Er schwieg und wandte nach einiger Zeit den Kopf wieder nach vorn. »Enju«, sagte er. »Es ist gut. Ich wußte, daß du verständiger bist als andere in deinem Alter. Du reitest mit uns.«
Ich fühlte mich leichter. Es hatte mir gut getan, über den Widerstreit meiner Gefühle zu sprechen. Ich war froh, meine Zweifel dadurch überwunden zu haben.
4. Bei Einbruch der Dunkelheit stießen wir wieder auf den Haupttrupp unter Mangas Coloradas. Little Friend sagte, was es zu sagen gab. Dann reihten wir uns wieder ein. Wir ritten durch den Abend. Hundert Apachen, bis an die Zähne bewaffnet, bemalt mit den Kriegsfarben. Und vor uns, irgendwo in der Dunkelheit, rastete jetzt ein Treck, der das Ende seines Trails bereits erreicht hatte, auch wenn außer uns noch niemand etwas davon wußte. Wir ritten auch nach Einbruch der Nacht weiter. Ein paar Sterne standen am Himmel, der sonst tintenschwarz war. Nachdem wir einige Stunden unterwegs waren, tauchte eine schmale Mondsichel hinter einer Wolke auf. Milchigbleiches Licht legte sich über das Land. Erst als wir gegen Mitternacht vor uns in der Finsternis rote Punkte glühen sahen, zügelten wir unsere Tiere. Steifbeinig glitten wir aus den Sätteln, nahmen die Pferde an den Zügeln und zogen sie hinter uns her, als wir zu Fuß weitergingen. Das hohe Gras strich um unsere Beine. Häufig war es verfilzt, und wir blieben hängen und stolperten. Dann endlich standen wir oberhalb einer langgestreckten Senke und blickten hinunter auf den Treck. Meine Augen brannten. Ich konnte sie kaum noch offenhalten. Doch ich zwang mich, alles anzuschauen, soweit das Lager des Trecks in der Dunkelheit zu erkennen war. Ich prägte mir alles ein. Zwei große Feuer loderten. Zwei Männer standen Wache. Sie waren wirklich unerfahren, die Menschen dort unten in der Senke. Fast taten sie mir leid. Sie waren keine ebenbürtigen Gegner. Dann aber dachte ich an die Massaker, die weiße Männer unter Indianern angerichtet hatten, die ich miterlebt hatte. Wir bildeten einen Ring um die Senke, geräuschlos und schnell. Dann legten wir uns zum Schlafen nieder, bis auf einige wenige, die
Wache stehen mußten. In dieser Nacht würde nichts mehr passieren. Ich sattelte meinen Braunen ab und sank neben ihm ins Gras. Noch bevor ich mich richtig in die Decke gerollt hatte, war ich eingeschlafen. Die Kälte weckte mich. Ich hatte das Gefühl, keine zehn Minuten geschlafen zu haben. Nebelschwaden krochen aus den Niederungen. Die Luft war feucht und klamm. Ich fröstelte. Mit steifen Gliedern richtete ich mich auf. Um mich herum erhoben sich auch die anderen Krieger. Der Himmel verbarg sich unter dichten Dunstschleiern. Die Luft schmeckte herb auf den Lippen. Man konnte keine zwanzig Yards weit sehen. Aber der Frühnebel hatte auch sein Gutes. Er schluckte fast alle Geräusche und verhinderte, daß sie weit schallten. Ich aß von dem getrockneten Fleisch, das wir alle mit uns führten, und trank aus meiner Kürbisflasche. Noch immer fror ich etwas. Ich stand auf und machte einige Freiübungen, um den letzten Rest Schlaf aus meinen Gliedern zu vertreiben. Danach war mir nicht mehr so kalt. Ich nahm meinen Spencer-Karabiner auf und leerte das Magazin. Nachdem ich alle Patronen gründlich überprüft hatte, lud ich die Waffe wieder und schnallte den Patronengurt schräg um den Oberkörper. Mit dem Gewehr in der Linken ging ich zum Rand der Senke und schaute hinunter. Die Wagen konnte ich nur schemenhaft wahrnehmen. Die beiden Feuer jedoch brannten noch, und sie waren gut zu sehen. Ich hatte nichts anderes erwartet. Es würde für die Leute dort unten ein böses Erwachen geben. Als ich zu meinem Braunen zurückging, stand Little Friend plötzlich vor mir. »Wie geht's?« fragte er. Er schaute mich besorgt an. »Gut«, sagte ich. »Verdammter Nebel und verdammte Kälte.« »Halb so schlimm«, sagte er. »Das geht vorbei. Am Tag ist es heiß genug.« »Zu heiß«, sagte ich. »Und jetzt ist es zu kalt. Warum ist das Wetter nie so, wie man es gern haben möchte? Es ist ein verdammtes Land.«
»Es ist unser Land«, sagte Little Friend. »Es ist nicht schlecht.« »Ja«, sagte ich. »Es ist gut genug, um darin begraben zu werden.« »Als es noch keine weißen Siedler gab, die alles für sich allein haben wollten, war es ein gutes Land zum Leben. Wir hätten noch immer alle Platz darin.« Ich ging weiter, erreichte meinen Braunen und sattelte ihn. Dann führte ich ihn zum Rand der Senke und wartete. Nach und nach folgten auch die anderen Krieger. Sie blieben neben ihren Pferden stehen. Gemeinsam warteten wir auf das Aufreißen der Nebelschwaden. Ich wußte, es konnte nur noch Minuten dauern. Vielleicht eine Viertelstunde, länger kaum. Ich war innerlich völlig ruhig. Ich dachte an nichts und versuchte meinen Kopf freizuhalten, um nicht abgelenkt zu sein, wenn der Kampf begann. Mangas Coloradas schritt durch den Nebel. Riesengroß, breitschultrig, das aschgraue Haar offen fallend. Hier und da blieb er stehen und sprach ein paar Worte. Ich beobachtete ihn beeindruckt. Er war nicht mehr jung, doch er war in den letzten Tagen genausoviel geritten wie wir anderen, hatte ebensowenig geschlafen wie wir, und er hatte stets geschmeidig und aufrecht im Sattel gesessen. Auch jetzt bewegte er sich mit federnden, kräftigen Schritten. Überall, wo seine mächtige Gestalt vorüberging, schauten ihm die Krieger ehrfürchtig nach. Die ersten Nebelfetzen lösten sich auf. Die graue Schwadendecke zeigte Risse und wurde fleckig wie das Gesicht eines uralten, todkranken Mannes. Dazwischen zeigte sich der blaßblaue Himmel, zaghaft schimmerte das Frühlicht durch. Die Häuptlinge rissen ihre Lanzen hoch und schlugen damit auf ihre Schilde. Das war das Zeichen. Wir sprangen in die Sättel. Ich trieb meinen Braunen an. Rings um die Senke setzten sich die Krieger in Bewegung. Wir ritten durch das hohe Gras in die Senke hinunter. Mein Herz klopfte etwas schneller, heftiger als sonst. Es war das erstemal, daß ich in einem richtigen Angriff der Apachen mitritt. Ich hielt meinen Spencer-Karabiner fest in den Fäusten und lenkte meinen Braunen mittels Schenkeldruck. Die Zügel brauchte ich nicht. Der braune
Hengst bereitete mir keine Schwierigkeiten. Er war ein hageres, von Narben gezeichnetes Tier, ein Schlachtroß, das vermutlich schon viele Kavallerieattacken hinter sich hatte. Es war nicht aus der Ruhe zu bringen. Von der anderen Seite der Senke sah ich jetzt auch die anderen Krieger. Als wir kaum noch hundert Yards von den Wagen entfernt waren, trieben wir unsere Tiere zu rascherer Gangart an. Dumpf klang der Hufschlag durch den Morgen. Fast vierhundert Hufe hämmerten in einem monotonen Rhythmus einen wilden Todesmarsch. Ich beugte mich weit nach vorn auf den Pferdehals und stieß schrille, kollernde Laute aus, wie die Krieger rechts und links neben mir. Unser lautes Geheul hallte schrill durch die Nebelfetzen. Ein paar Schüsse krachten uns entgegen, abgefeuert von den beiden Wachtposten neben den Wagen, die völlig überrascht wurden. Die Kugeln gingen fehl, und dann waren wir heran. Gewehrläufe schoben sich aus den Wagenöffnungen. Ich sah verschlafene, verstörte und angsterfüllte Gesichter. Wir erreichten die Wagen, die nicht einmal zu einer Burg zusammengestellt waren, sondern einen offenen Halbkreis bildeten. Ich feuerte mit meinem Spencer-Karabiner, wußte nicht, ob ich traf, schoß, bis das Magazin leer war und der Hammer klickend aufschlug. Schüsse krachten uns entgegen. Stinkend erhob sich Pulverdampf. Ein Geschoßhagel umschwirrte uns. Rechts und links von mir stürzten Krieger aus den Sätteln. Wie durch ein Wunder wurde ich nicht getroffen. Ich schwang meinen Karabiner wie eine Keule, hielt ihn am Lauf gepackt und brüllte mir die Kehle heiser. Vor mir tauchte einer der Männer auf, die Wache gestanden hatten. Er rannte verzweifelt durch das Halbrund der Wagen und versuchte, sich unter ein Gefährt zu werfen. Er lief mir direkt vor das Pferd. Die breite Brust meines Braunen traf ihn und stieß ihn hoch. Er hielt einen schweren DragoonRevolver in der Rechten. Ein Schuß löste sich. Die Kugel flog dicht an meinem Kopf vorbei. Unwillkürlich schlug ich zu. Der
Gewehrkolben traf den Mann auf der rechten Schulter. Er ließ den Revolver fallen und stürzte schreiend mit verrenktem rechten Arm zu Boden. Dann sah ich ihn nicht mehr. Mein Brauner fegte über ihn hinweg. Dicht vor mir sah ich Little Friend, der gerade von dem zweiten Wachtposten aus dem Sattel gerissen wurde. Der Mann hatte sich an das linke Bein von Little Friend gehängt. Jetzt stürzte er, und Little Friend fiel auch. Der Huf eines Apachenponys streifte ihn am Kopf. Betäubt sackte er ins Gras, das überall bereits mit dunklen Flecken benetzt war. Der Mann gebärdete sich wie rasend vor Todesangst. Er hielt ein Messer in der Rechten und holte zum Stoß aus, als ich ihm von hinten den Kolben der Spencer in den Nacken schlug. Er sackte nach vorn und blieb neben Little Friend liegen, dem ich helfen wollte. Doch als ich mich aus dem Sattel beugte, wurde ich abgedrängt. Drei, vier andere Krieger trieben ihre Pferde auf einen Wagen zu. Zwei wurden von Geschossen getroffen und vom Pferderücken gestoßen. Ich hörte die Schreie von Frauen und Kindern aus den Wagen, hörte das Brüllen der Verletzten und Sterbenden. Süßlicher Blutgestank mischte sich mit dem Pulverdampf. Ich riß die Zügel meines Braunen herum. Unweit von mir sah ich Black Hawk. Sein graues Haar hing strähnig um seinen kantigen Schädel. Er rief in kehligem Apache, wir sollten uns um die Pferde kümmern. Ich leistete seiner Aufforderung sofort Folge und lenkte meinen Braunen zu den Pferden des Trecks, die abseits in einem Rope-Korral untergebracht waren. Sie hatten sich furchterfüllt zusammengedrängt, wieherten schrill und keilten wild nach allen Seiten, als wir die Seile des Korrals zerschnitten und sie wegtreiben wollten. Sie wollten nach allen Himmelsrichtungen auseinanderstieben. Aber wir konnten sie unter Kontrolle bringen und zum Westrand der Senke treiben. Hinter uns ebbte das Kampfgetümmel etwas ab. Die anderen Krieger zogen sich ebenfalls zurück. Ich dachte an Little Friend, während ich, Anfeuerungsrufe schreiend, mit meinem Lasso auf die Pferde einschlug. Ich riß die Zügel meines Braunen zurück und wandte mich um.
Da sah ich ihn laufen. Er rannte geduckt durch das hohe Gras. Ich trieb mein Pferd an und jagte auf ihn zu. Sofort peitschten von den Wagen Karabinerschüsse auf. Kugeln umschwirrten mich. Ich aber hockte wie festgewachsen im Sattel und achtete kaum auf den heißen Luftzug der vorbeischwirrenden Geschosse. Noch immer hielt ich mein Lasso in den Händen. Es war aus Rohleder geflochten, nicht sehr dick, aber ungeheuer stabil. Das Ende wand ich um den Sattelgurt meines Braunen. Dann hatte ich Little Friend bereits erreicht. Er hockte leicht angeschlagen im Gras, mit einer klaffenden Wunde an der Stirn. Das Blut rann ihm über das Gesicht, hatte sein linkes Auge verklebt und verwischte die gelben Blitze; die Little Friend sich auf die Wangen gemalt hatte. »Reit weg!« schrie er mir entgegen. »Bring dich in Sicherheit.« Ich hörte nicht auf ihn und antwortete auch nicht. Statt dessen hob ich das Lasso und schleuderte es ihm zu. Im selben Moment drehte ich ab. Der Braune stolperte und stürzte fast, als ich die Zügel so jäh herumriß. Er wieherte grell, und ich spürte den harten Ruck am Sattel, als das Lasso sich spannte. Little Friend hatte meine Absicht erkannt und nach der Lassoschlinge gegriffen. Er hielt sich mit beiden Fäusten daran fest, während ich dem westlichen Talrand zusprengte. So schleifte ich ihn hinter mir her, und er bot den Schüssen aus den Planwagen kein Ziel. Er lag flach im hohen Gras, hatte sich auf den Rücken gedreht, den Kopf eingezogen und ließ sich mitzerren. Ich erreichte den Talrand, galoppierte über die Hügelkuppe und zügelte mein Pferd. Der Braune blieb mit zitternden Flanken stehen. Als ich aus dem Sattel sprang, ging ich in die Knie. Meine Muskeln und Sehnen vibrierten, meine Gelenke waren kraftlos. Einen Moment lang lehnte ich mich an den Braunen und rang nach Atem. Erst jetzt fiel mir auf, daß ich blutete. Es war nur ein Streifschuß am linken Oberarm. Seltsamerweise spürte ich keinen Schmerz. Im hohen Gras erhob sich Little Friend. Er näherte sich mit taumelnden, unsicheren Schritten. Sein muskulöser Oberkörper war mit Schrammen, Kratzern und blauen Flecken bedeckt. Doch er lebte. Das war die Hauptsache. Er sagte kein Wort, als er vor mir anhielt. Er legte seine Rechte nur schwer auf meine Schulter und
blickte mich stumm an. Ich wußte auch so, was er sagen wollte, und als er neben mir ins Gras sackte, reinigte ich seine Wunde an der Stirn und wand ihm einen breiten Stoffstreifen um den Kopf. Rings um die Senke sah es ähnlich aus. Überall hockten Krieger am Boden und verbanden sich gegenseitig. Einige lagen flach ausgestreckt im Gras und starben. Sie starben schweigend, ohne einen Laut des Schmerzes von sich zu geben, ohne zu stöhnen, ohne zu klagen. Dabei litten sie unsäglich, wie ihren eingefallenen, verkniffenen, schweißglänzenden Gesichtern anzusehen war. Der Angriff hatte keine zehn Minuten gedauert. Gerade ging im Osten die Sonne hinter den Kinney-Bergen auf. Die Kuppen der Felsen glühten wie pures Gold.
5. Wir hatten die Siedler unterschätzt. Sie waren unerfahren. Und wir hatten sie beinahe überrumpelt. Aber sie konnten kämpfen. Sie dachten gar nicht daran, aufzugeben oder zu kneifen, obwohl ihnen klar sein mußte, daß sie keine Chance hatten. Die Wagen saßen in der Senke fest. Wir hatten die Zugpferde. Gute Tiere, die uns noch nützlich sein würden, denn wir hatten mehrere Pferde bei dem Angriff verloren. Ich ging zum Rand der Senke und schaute hinunter auf den Treck. Wind war aufgekommen und strich über das Tal. Er zerriß die Pulverdampfschwaden und trug den Gestank nach Schweiß, Blut und Schwefel zu uns herauf. Der grüne Rasen rings um den Treck war zerwühlt von den Hufen unserer Ponys. Hier und da lagen tote Krieger und tote Pferde im Gras. Die Plane des vordersten Wagen war zerrissen und flatterte im Wind. In den Seitenbracken der anderen Wagen steckten Dutzende von Pfeilen, in den Bock des einen Gefährts hatte sich ein Tomahawk gegraben. Mangas Coloradas hatte rund um die Senke Krieger aufziehen lassen. Sie standen in Abständen von vielleicht zehn Schritten an den
Rändern des Tales, hielten Lanzen in den Fäusten, an denen Skalpzöpfe hingen, und rührten sich nicht vom Fleck. Sie standen da wie Statuen, wie meisterhaft geschnitzte Totenpfähle, angestrahlt vom Frühlicht, schweigend, drohend. Einige andere schlugen kleine Felltrommeln in einem gleichförmigen Rhythmus. Das dumpfe Pochen hallte über das Tal. Ich wandte mich ab und ging zu dem Feuer, das entzündet worden war, um Kräutersud für die Verletzten zu kochen. Einen Moment versuchte ich mir vorzustellen, was in den Menschen vorging, die dort unten in den engen Wagen hockten, sich kaum zu rühren wagten und ständig in gespannter ängstlicher Erwartung zu den Talrändern hochstarrten, wo die Apachen standen. Ob sie beteten, ob sie weinten, ob sie fluchten oder sich schon selbst abgeschrieben hatten und schweigend auf das Ende warteten? Ich verdrängte diese Gedanken wieder. Am Feuer saßen die besten Bogenschützen und umwickelten ihre längsten Pfeile mit dicken Büffelgrasbüscheln. Little Friend war dabei. Er blickte nicht auf, als ich neben ihm stand und ihm zuschaute. Ich ging weiter. Zwar fühlte ich mich schlapp, und meine Nerven waren noch immer fast zum Zerreißen gespannt, doch ich konnte mich in diesem Moment einfach nicht ruhig ins Gras hocken. Ich war innerlich zu aufgewühlt. Überall saßen die Krieger zusammen. Ihre Körper waren blutbespritzt und trugen schwarze Pulverdampfflecken. Ich sah nicht besser aus. Es wurde kaum gesprochen. Die Gesichter der meisten wirkten verschlossen, ihre Blicke waren in die Ferne gerichtet. Einige beteten zu den Göttern. Ein Stück abseits lagen die Krieger, die an ihren Verletzungen gestorben waren. Um sie herum war der Boden blutgetränkt. An anderen Stellen rangen noch immer Schwerverletzte mit dem Tod. Was für sie getan werden konnte, war getan worden. Jetzt waren sie allein. Ich ging wieder zum Talrand. Einige Männer waren aus den Wagen geklettert und versuchten, die Gefährte zu bewegen, um sie
zu einer Burg zusammenzuschieben. Es gelang natürlich nicht, und so warfen sie Kisten und Fässer, und was sie sonst noch mit in den Westen geschleppt hatten, von den Wagen und bauten damit eine notdürftige Barrikade, hinter der sie Aufstellung nahmen. Soweit ich sehen konnte, waren sie nicht schlecht bewaffnet. Sie verfügten über kurzläufige Sharps-Karabiner, Hinterlader, die mit Papierpatronen geladen wurden, über Springfield-Vorderlader, über Colt-Revolver und auch einschüssige Perkussionspistolen. Gute Beute für uns. Von den Frauen und Kindern war nichts zu sehen. Sie blieben in den Wagen. Noch immer hing zäh der Gestank von Pulver und Blut über dem Tal. Als der Wind ihn auf mich zutrieb, wandte ich mich angewidert ab und ging zu meinem Braunen zurück, der mit hängendem Kopf noch dort stand, wo ich den Sattel verlassen hatte, und an den Spitzen der Gräser zupfte. Er schien keinesfalls beeindruckt oder beunruhigt zu sein. Auch ich wurde nach und nach ruhiger. Ich lud meinen SpencerKarabiner neu auf und rollte das Lasso auf, mit dem ich Little Friend aus dem Tal geschleift hatte und das noch immer offen im Gras lag. Unweit von mir hatten sich die Häuptlinge zusammengesetzt. Ich sah Mangas Coloradas, der als einziger stand und gerade sprach. Der Wind bewegte die silbergrauen Strähnen seines lose fallenden Haares. Er sprach leise, so daß ich nicht verstehen konnte, was er sagte. Neben ihm hockte Cochise am Boden, der Oberhäuptling der Chiricahuas, sein Schwiegersohn. Daneben saß Black Hawk, und da waren noch einige andere, die ich nicht so genau kannte, die Anführer der Pimas, der Jicarillas, der Lipans und der Chiricahuas. Ich blickte zum Feuer hinüber. Die Bogenschützen waren mit ihrer Arbeit fertig. Fast fünfzig Brandpfeile lagen neben ihnen. Little Friend stand auf und ging zu den Häuptlingen hinüber. Er sprach nur wenige Worte. Dann richteten sie sich auf und gingen zu ihren Pferden. Noachalo, der Schamane, machte ein Zeichen, und das monotone Hämmern der Kriegstrommeln brach abrupt ab. Sekundenlang war es fast still wie in einem Grab. Nur das Singen des Windes war zu hören. Die Krieger erhoben sich und bestiegen ihre Pferde. Ich zurrte die
Sattelgurte meines Braunen fest und schwang mich auf seinen Rücken. Die Bogenschützen gingen in Stellung. Sie wurden von Kriegern begleitet, die brennende Holzscheite aus dem Feuer rissen, an denen die Pfandpfeile entzündet werden sollten. Mangas Coloradas rief in kehligem Apache, daß wir uns bereithalten sollten. Seine dunkle, kräftige Stimme hallte über das ganze Tal. Ich trieb mein Pferd zu einer Kriegergruppe der Chiricahuas hinüber, wo ich auch Schnelltöter entdeckte. Er jedoch sah mich nicht. Er starrte angestrengt nach vorn auf den Rand der Senke. Seine Augen schimmerten fast fiebrig. Auf ein Zeichen von Mangas Coloradas wurden die ersten Brandpfeile entzündet. Sekundenbruchteile später schnellten sie von den Bogensehnen. Sie schwebten über das Tal, ließen hinter sich feine Rauchschleier zurück, senkten sich schließlich und stürzten wie feurige Vögel auf den Treck nieder. Sie flogen in rascher Folge. Die Krieger am Rand der Senke schossen einen nach dem anderen ab. Es schien für kurze Augenblicke, als explodiere über dem Tal die Sonne und stürze in tausend Glutpunkten zur Erde. Dann loderten unten in der Senke Flammen aus den Wagen. Die Planen verbrannten als erstes, dann züngelte das Feuer an den Seitenbracken der Conestogaschoner hoch. Als wir unsere Pferde antrieben und in die Senke galoppierten, verließen die Frauen und Kinder die brennenden Wagenkästen. * Unser grelles Kriegsgeheul übertönte die Schreie der Angst und das Weinen der Kinder. Die Männer lagen hinter den Kisten und Fässern, die sie zu einem Schutzwall zusammengestellt hatten, und feuerten aus allen Rohren. Ihre Geschosse rissen Lücken in unsere Reihen. Aber das fiel kaum ins Gewicht, und dann waren es auch meist die Pferde, die getroffen wurden. Wir boten den Männern kaum ein Ziel. Unsere Angriffsreihen
waren weit auseinandergezogen. Wir ritten zu schnell, als daß die ungeübten Siedler lange hätten zielen können. Wir hingen an den Flanken unserer Pferde und waren für die Schützen neben den Wagen unsichtbar. Als wir bis auf fünfzig Yards heran waren, begannen wir zu feuern. Unsere Gewehre krachten, und ein Regen von Pfeilen ging auf den Treck nieder. Ich sah Männer stürzen, verletzt, tot, sah auch hier und da eine Frau oder ein Kind getroffen fallen. Währenddessen fraß das Feuer die Wagen und fast alles, was sie geladen hatten. Schwarze Rauchwolken stiegen auf, wurden vom Wind erfaßt und fortgetragen. Die Kinder lagen flach am Boden hinter ihren Vätern. Die Frauen knieten neben ihren Männern und luden die abgeschossenen Waffen wieder auf. Doch sie konnten nicht schnell genug nachkommen, und jede Schwäche in der Abwehr ließ uns näher an die Wagen heranrücken. Wir wichen diesmal nicht zurück und hatten nicht die Absicht, uns zu einem dritten Angriff zu sammeln. Diesmal wollten wir die Entscheidung. Wir zogen einen Ring um den Treck, umkreisten ihn pausenlos, beschossen ihn ständig. Dann war es soweit. Einer der Männer hinter der Kistenbarrikade verlor die Nerven. Er sprang auf, warf sein Gewehr weg und kletterte auf ein Faß. Er winkte mit beiden Armen und schrie wie ein Verrückter, daß er sich ergeben und am Leben bleiben wolle und einige andere Dinge, die im Lärm des Kampfes untergingen. Schüsse trafen ihn sofort. Mehrere Kugeln schlugen in seinen Körper. Ein Pfeil durchbohrte seinen linken Oberschenkel. Einige andere Männer erhoben sich und versuchten, ihn wieder in Deckung zu zerren. Doch er wehrte sich, obwohl er wie ein Schwein auf der Schlachtbank blutete. Da wurde einer der Männer getroffen, die ihm helfen wollten. Ein Pfeil durchbohrte seinen Hals. Sekunden später waren wir heran. Ich gehörte zu denen, die als erste über die Barrikade setzten. Mein Brauner sprang ab, als hätte er nie etwas anderes getan. Er kam hinter dem Kistenwall sicher auf. Ich warf mich im Sattel zurück, um
nicht zu stürzen, riß die Spencer hoch, feuerte und sah noch, wie ein Mann von meiner Kugel in den rechten Arm getroffen wurde und stürzte. Dann fühlte ich einen harten Schlag an meiner rechten Seite. Ich hatte das Gefühl, von einem Huftritt getroffen worden zu sein. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich schwankte. Der Lärm des Kampfes um mich herum, das Krachen der Schüsse, die lauten Schreie, der Hufschlag versanken unter einer dicken Decke. Ich fiel und konnte nichts dagegen tun. Hart schlug ich am Boden auf. Doch ich verlor das Bewußtsein nicht. Ich nahm alles wahr, was um mich herum vorging, konnte mich selbst aber nicht rühren. Wie gelähmt lag ich im niedergetrampelten Gras. Neben mir stürzten Männer schwerverletzt oder tödlich getroffen nieder. Frauen rannten vorbei, hatten ihre Kinder an sich gepreßt. Ich versuchte nach einer, wie mir schien, endlosen Zeitspanne, mich zu erheben. Da durchzuckten heftige Schmerzen meinen Körper von den Zehen bis in die Haarspitzen. Etwas Warmes, Klebriges rann an meiner rechten Seite hinunter. Ich senkte den Kopf und sah, was es war: mein eigenes Blut. Eine Handbreit unterhalb der Achsel war ein tiefer Riß in meiner Seite. Ich konnte eine Rippe erkennen, und ich war sicher, daß sie gebrochen war. Ich biß die Zähne zusammen und zwang mich, auf die Beine zu kommen. Der Schmerz schien mich zu zerreißen. Schwankend blieb ich stehen und blickte mich nach meinem Braunen um. Er stand friedlich grasend in der Senke, unweit der Wagenruinen, die dicht neben mir niederbrannten. Die Stahlreifen, die die Planen gehalten hatten, hatten sich in der Hitze verbogen. Rauch wehte mir ins Gesicht. Ich kriegte ihn in den Hals und hustete heftig, was wiederum starke Schmerzen verursachte. Krachend brach wieder einer der brennenden Wagen zusammen. Hilflos schaute ich über die Toten, die zu meinen Füßen im Gras lagen. Allen fehlte auf der Kopfhaut ein handtellergroßes Stück – der Skalp. Glühende Funken trieben über mich hinweg. Ich drehte mich um und suchte nach der Barrikade. Aber die war weggeräumt, vor den Flammen in Sicherheit gebracht.
Taumelnd setzte ich mich in Bewegung und stolperte über die Toten am Boden. Abseits entdeckte ich die Gefangenen, nachdem ich das Halbrund der brennenden Wagen verlassen hatte. Es waren ausschließlich Frauen und Kinder, die Jungen nicht älter als sieben oder acht Jahre. Die meisten schluchzten, weinten, jammerten vor Angst. Einige wenige sagten kein Wort. Sie saßen apathisch im Gras. Mehrere Krieger bewachten sie. Sie starrten mich an wie einen Geist, als ich heranwankte, plötzlich zusammenbrach und das Bewußtsein verlor. * Als ich erwachte, erfüllte ein bohrender Schmerz meinen Körper. Ich schaukelte hin und her, wie auf einem Boot in bewegter See. Erst später wurden meine Blicke klarer, und ich erkannte, daß ich auf dem Rücken eines Pferdes saß, meines Braunen. Ich war festgebunden, um nicht aus dem Sattel zu stürzen. Um meinen Oberkörper war ein breites Stück Tuch gewunden worden. Je mehr die Betäubung aus meinem Kopf schwand, um so stärker konzentrierte sich der Schmerz auf meiner rechten Seite. Da fiel mir wieder alles ein. Der Kampf, das wilde Geschrei, die Schüsse, das Feuer, der Sturz vom Pferd. Ich versuchte, den Kopf zu wenden. Da erst sah ich, daß ich inmitten der anderen Krieger ritt. Unweit von mir wurde ein Travois mitgeschleift, auf dem ein mir unbekannter Krieger lag, den ich an den Verzierungen seines Stirnbandes und dem silbernen Reif, den er um den rechten Oberarm trug, als Jicarilla identifizieren konnte. Er hatte die Augen geschlossen und war offenbar schlimmer erwischt worden als ich. Sein Gesicht war eingefallen und unter dem bronzenen Hautton blaß. Es sah aus, als sei er tot. Weit vorn entdeckte ich die Gefangenen. Sie saßen zu zweit und teilweise zu dritt auf den Gespannpferden ihrer Wagen, die wir in Brand gesteckt hatten. Sie waren gefesselt. Eine Gruppe von Kriegern ritt links und rechts neben ihnen her. Einige Frauen weinten noch immer, ein paar sehr kleine Kinder schrien. Ich suchte Little Friend, konnte ihn jedoch nicht entdecken.
Befürchtungen, ihm könnte etwas geschehen sein, stiegen in mir auf. Ich versuchte, zu sprechen. Meine Zunge lag schwer und, wie es mir schien, geschwollen in meinem Mund. Ein Krieger, der neben mir ritt, blickte starr geradeaus. Ich kannte ihn nur flüchtig. Er war ein Chiricahua wie ich, doch er gehörte zu Cochises Bande. »Hör mal«, sagte ich. Er reagierte zuerst nicht, wandte dann aber den Kopf, offenbar überrascht, daß ich ihn angesprochen hatte. »Kennst du Little Friend?« Er überlegte kurz und nickte. »Wo ist er?« fragte ich. »Ich kann ihn nirgends sehen.« »Ich weiß nicht.« Der andere zuckte mit den breiten Schultern. »Ist er bei dem Kampf vorhin verletzt worden?« fragte ich. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Das ist schon ein paar Stunden her.« »Ein paar Stunden …« Ich hob unter Schmerzen den Kopf und blinzelte in die Sonne. Sie stand weit westlich vom Zenit. Ich war wirklich einige Stunden bewußtlos gewesen. Stunden, über die ich nichts wußte, in denen wahrscheinlich viel geschehen war. »Wohin ziehen wir?« fragte ich. Der Krieger neben mir wandte wieder den Kopf. »Zu den Fingern Mayochinas«, sagte er, anscheinend verwundert, daß ich überhaupt fragte. Ich nickte. Ein hämmernder Schmerz setzte in meinen Schläfen ein. Ich schloß die Augen, weil ich das Gefühl hatte, mein Kopf würde platzen. Heiß stieg etwas in mir auf. Fieber kroch durch meine Adern. »Haben wir viel erbeutet?« Ich erkannte meine Stimme kaum wieder. Sie klang brüchig und schwach. Der Kopfschmerz verstärkte sich. »Viele Gefangene«, sagte der Krieger. »Gute Gewehre und Revolver, Decken und anderes.« Schwindel erfüllte mich. Ich hatte ein Ekelgefühl im Hals, mein Magen hob sich, und ich wandte meine ganze Kraft auf, mich nicht übergeben zu müssen. Erst jetzt fühlte ich, wie schwach ich war. Wahrscheinlich hatte ich eine Menge Blut verloren. Vor meinen Augen verschwammen wieder die Konturen. Schemenhaft sah ich
noch, daß wir uns einem Fluß näherten, vermutlich dem Rio Nueces. Dann schwand mein Bewußtsein. * Der Schatten der »Finger Mayochinas« fiel verzerrt in den Staub und hatte die Umrisse einer riesigen Hand, die drohend geballt war. Es war heiß. Der Himmel war glatt und ohne Wolke, blaßblau, ein wenig trüb. Wie durch eine dicke Milchglasscheibe sah ich die Sonne. Sie wirkte wie ein gelbes Eidotter, zerlaufen nach allen Seiten, wie ein häßlicher Fleck auf einer makellosen Tischdecke. Ich blickte direkt hinein, als ich die Augen öffnete, wälzte mich stöhnend zur Seite und schloß wieder die Augen. Als eine kühle Hand mir über die Stirn strich und mein Gesicht mit einem feuchten Lappen abgerieben wurde, hob ich die Lider. Sandblume hockte vor mir. Ich lag unterhalb der riesigen Felsfinger auf einem Deckenlager. Sandblume lächelte mich an. Ich fühlte mich schwach, doch ich versuchte zurückzulächeln. »Wie geht's?« Es tat gut, ihre Stimme zu hören. Aus ihrem Mund klang sogar der kehlige Apachendialekt beinahe weich und melodisch. »Was war mit mir?« fragte ich zurück. Das Sprechen strengte mich an. »Du hattest den Feuergeist in dir«, sagte sie. Ich wußte, was sie meinte. Ich hatte starkes Fieber gehabt. So fühlte ich mich auch. »Nochalo hat einen Tag lang für dich getanzt und gebetet«, sagte sie. »Seitdem heilt deine Wunde zu.« »Ich fühle mich schlapp«, sagte ich. »Kein Wunder«, erklärte sie. »Du warst vier Tage lang bewußtlos.« Ich schielte an mir hinunter. Ein frischer Verband wand sich um meinen Oberkörper, festgehalten von breiten Rohhautstreifen. »Was ist mit Little Friend?« Sie lächelte wieder. »Du hast ihn gerettet«, sagte sie. »Du hast ihm geholfen, als er sein Pferd verloren hatte.«
»Ja«, sagte ich. Kopfschmerzen setzten wieder ein. Die Sonne brannte mir direkt auf die Stirn. »Aber danach, als die Wagen brannten, beim zweiten Angriff, was war da? Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.« »Es ist alles gut«, erwiderte sie. »Ihm ist nichts passiert.« »Wo ist er?« »Auf der Jagd«, sagte Sandblume. »Es wird eine große Freude für ihn sein, zu erfahren, daß du aufgewacht bist, wenn er zurückkehrt.« »Und wie sieht es mit mir aus?« »Du bist ein tapferer Krieger«, sagte Sandblume. »Du hast gut gekämpft. Die Wunde ist bald vergessen.« »Mir ist zum Kotzen übel«, sagte ich. »Das geht vorbei.« »Hoffentlich.« Ich schloß die Augen und versuchte tief durchzuatmen. Anfangs spürte ich dabei feine Stiche in der Lunge. Sie strahlten bis hin zu der Wunde unter dem Stützverband aus. Da war ich sicher, daß die Kugel, die mich getroffen hatte, an einer Rippe abgeglitten war und sie angeknackt hatte. Die Spitze der Rippe berührte nun vermutlich die Lunge. Ich hatte in der Mission, in der ich aufgewachsen war, immer aufgepaßt, wenn Padre Ambrosius Verletzungen behandelt hatte. Daher verstand ich ein wenig davon. Den Rest, den ich über Wundbehandlung wußte, hatte ich bei den Apachen gelernt. Ich hob den Kopf etwas an, um über das Lager blicken zu können. Die Squaws hatten einige Wickiups gebaut und ein paar Zelte aus Decken und Ästen. Feuer brannten. Etwas abseits standen die Pferde. Unweit davon hockten die Gefangenen auf einer kleinen Fläche, scharf bewacht von zehn oder zwölf Kriegern. Sie waren nicht gefesselt. Offenbar ging es ihnen nicht schlecht. Sie wurden versorgt mit allem, was sie brauchten. Trotzdem erschienen einige abgemagert und bleich. Besonders die jungen Frauen. Die älteren schienen Schicksalsschlägen gegenüber besser gewappnet zu sein. Sie hatten anscheinend schon viel durchgemacht und waren eine Menge gewöhnt. Ich schaute Sandblume an und ließ meinen Kopf zurücksinken.
Die kleine Bewegung hatte mich angestrengt. »Was wird mit den Gefangenen? Bleiben sie hier?« »Ich weiß es nicht.« Sandblume richtete sich auf. Sie wischte die Hände an dem einfachen Kalikokleid ab, das sie trug. Es war hellblau und mit ein paar Perlen und einer schlichten Stickerei verziert. Das lange, seidigschimmernde Haar hatte sie zu zwei schweren Zöpfen geflochten, die rechts und links auf ihre Schultern fielen. »Das mußt du Little Friend fragen«, sagte sie. Sie wandte den Kopf. Hufschlag klang auf. »Da kommt er zurück.« Ihre Augen wurden schmal. Sie legte die flache rechte Hand zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen über die Augen, während sie nach Westen spähte. Ich hob wieder den Kopf und konnte die Reiter nun auch sehen, die sich in einer dichten Staubwolke näherten. Fast sah es von weitem so aus, als schwebten sie auf gelblichhellem Rauch. Dann erreichten sie das Lager und zügelten ihre gescheckten Ponys. Sie hatten drei oder vier Antilopen geschossen und etwa ein Dutzend Präriehühner. Sie führten ihre Tiere zu den anderen Pferden und nahmen ihnen die Sättel ab. Sandblume trat einige Schritte von mir weg und blickte zu Little Friend hinüber. Er sah sie und näherte sich mit großen Schritten. Grauer Staub bedeckte seinen muskulösen Oberkörper und seine Leggins. Staub hatte auf seinem Gesicht mit dem Schweiß eine feste Kruste gebildet, es sah fast aus wie eine graue Maske. Sie bröckelte jetzt ab, als er lächelte und Sandblumes Gruß erwiderte. Er stand einige Augenblicke vor ihr und sprach. Dann kam er zu mir und hockte sich neben mich hin. Über der Wunde an seiner Stirn hatte sich dicker Schorf gebildet. Er blickte mich an, und in seinen Augen las ich, daß er sich freute, mich wieder bei Bewußtsein zu sehen. »Wir haben erst gedacht, du seist tot«, sagte er. »Ich auch«, sagte ich und grinste. Er strich sich über die Wangen und wischte dabei die Staubkruste fast völlig fort. »Du warst voller Blut und hast dich nicht mehr gerührt, kaum noch geatmet. Später hat dich der Feuergeist fast zerfressen. Du bist
zäh und stark, stärker, als manche geglaubt haben.« »Ich bin ein Apache«, sagte ich. Da lächelte er. »Ja«, erwiderte er. »Daran zweifelt niemand.« »Was wird nun?« fragte ich. »Wir haben uns gestern beraten«, sagte er. »Es hat ein langes Palaver gegeben. Morgen greifen wir Fort Clark an.« »Sind wir stark genug dazu?« »Du noch nicht«, sagte er. »Du bleibst hier.« »Ich bin sicher, daß ich wieder reiten kann«, sagte ich. »Du bist verletzt und bleibst hier«, sagte Little Friend. Ich antwortete nicht mehr, denn ich wußte, daß es sinnlos war. »Noch heute wird Skinyea kommen und uns Nachrichten aus Fort Clark bringen. Die Weißaugen sind im ganzen Land von ihren Farmen geflohen und haben fast alles zurückgelassen. Sie sind nach Fort Clark und Fort Fesco gezogen, um sich in Sicherheit zu bringen. Wir haben viel Beute gemacht.« »Und die Gefangenen?« »Wir werden sie austauschen«, sagte Little Friend. »Wir brauchen Gewehre, Pulver und Blei, Mehl und Zucker, Decken und vieles mehr. Es gibt einige Händler, die uns sehr viel dafür geben, wenn sie die weißen Frauen und Kinder freikaufen können. Sie haben Schwestern und Brüder, Vater und Mutter und andere Verwandte, die ihre Angehörigen befreien wollen. Wir werden sie ihnen zurückgeben.« »Und was ist, wenn wir Fort Clark erobert haben?« Ich atmete flach und bemühte mich, meine Stimme fest klingen zu lassen. Schwindel stieg in mir auf. Das viele Sprechen strengte mich viel mehr an, als ich erwartet hatte. »Wir ziehen weiter«, sagte Little Friend. »Wir werden versuchen, die Langmesser zu zwingen, die weißen Siedler aus dem Land zu holen. Wir wollen unsere Jagdgründe zurück, wo unsere Vorfahren glücklich gelebt haben, wo es außer ihnen nur Büffel, Antilopen und anderes Wild im Überfluß gab.« »Du hast gesagt, wir können nicht gewinnen, weil wir zu wenige sind, weil die Pinda-lick-o-yi zu viele sind.« Little Friend schaute an mir vorbei. Sein Gesicht war ernst. Er
schwieg lange Zeit. »Skinyea hat gute Nachrichten gebracht«, sagte er dann. »Die Weißaugen sind im Augenblick schwächer, als wir geglaubt haben. Wenn wir ihnen nicht die Zeit lassen, sich zu verstärken, können wir siegen, jetzt jedenfalls.« »Und später?« »Später muß der Kampf schon vorbei sein, später müssen wir verhandeln, mit dem als Pfand, was wir bis dahin erobert haben.« »Du hast gesagt, daß man Skinyea nicht trauen kann.« »Ich gebe nichts auf ein Versprechen von ihm. Aber seine Informationen sind gut.« Ich schwieg, denn mir fiel in diesem Moment nichts ein, was ich noch hätte erwidern können. Außerdem hatte Little Friend die Erfahrungen, die mir fehlten, und dann fühlte ich mich zu schwach, um noch länger weiterzusprechen. Aber ich hatte ein ungutes Gefühl. Doch was war schon ein Gefühl? Wieviel war es wert? Vielleicht entsprang es nur meiner augenblicklichen Hilflosigkeit. »Viel Glück für morgen«, sagte ich. »Die Götter werden uns beistehen«, sagte Little Friend. »Nochalo hat getanzt und gebetet. Er hat es gesagt.« Er richtete sich auf. »Bald reitest du wieder mit uns.« Ich nickte. Er drehte sich um und ging. Mit halbgeschlossenen Augen blieb ich liegen. Mir ging vieles durch den Kopf. Doch meine Gedanken versanken mehr und mehr in einem zähen Schleim von Schwindel, Schmerzen und Schwäche. Ich bemerkte noch, daß Sandblume zurückkehrte und mir den Schweiß von der Stirn wischte. Es war angenehm, ihre Hand zu fühlen. Ich schlief ein.
6. Am Spätnachmittag erwachte ich und fühlte mich erfrischt und kräftiger als vor einigen Stunden. Ich war allein. Sandblume war nirgends zu sehen. Ich konnte den Oberkörper ohne Hilfe aufrichten. Nur wenige Schritte entfernt von mir entdeckte ich meinen Braunen. Er stand mit gesenktem Kopf da und zupfte an den kargen Grasbüscheln, die im Schatten der Felsfinger wucherten. Ich versuchte, einen leisen Pfiff auszustoßen. Es gelang, und der
Braune hob den Kopf. Er war ein abgrundtief häßlicher Hengst. Sein Kopf war zu knochig, sein Hals zu lang, die Mähne zu kurz und zu struppig. Das Fell war stumpf, glanzlos und fleckig. Hier und da schaute blanke Haut hervor. Der Rücken hing ein wenig durch, die Läufe waren sehnig und lang. Der ganze Körper war mit Narben übersät. Mir jedoch gefiel er. Er war zäh, ausdauernd, zuverlässig, schnell und von einer schon fast unheimlichen Bierruhe. Selbst ein Schuß, der dicht vor seinen Hufen die Erde aufwühlte, konnte ihn nicht verrückt machen. Er schaute mich aus seinen Augen an, die gelblich schimmerten, mit kleinen dunklen Flecken in den Pupillen. Dann schnaubte er erfreut, näherte sich und stieß mich freundschaftlich mit der Schnauze an. Ich tätschelte seine Nüstern und wollte mich zurücksinken lassen, als ich den Reiter bemerkte, der von Norden kam und in mein Blickfeld geriet. Er war noch ziemlich weit entfernt, doch ich erkannte ihn. Sein langes, lose fallendes, von keinem Stirnband gehaltenes Haar flatterte im Reitwind. Skinyea erschien. Es war wie beim erstenmal. Er ritt in das Lager, als gehöre er zu uns und habe Anspruch auf einen Wickiup. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er die Unterkunft von Mangas Coloradas, obwohl sie ihm niemand gezeigt hatte und sie auch äußerlich nicht besonders gekennzeichnet war. Diesmal trat der Häuptling ihm entgegen. Er überragte Skinyea um mehr als eine Haupteslänge. Der Krieger wirkte fast schmächtig neben ihm, trotz seiner seltsam-faszinierenden Erscheinung und seiner Ausstrahlungskraft. Er war Mangas Coloradas unterlegen, nicht nur körperlich. Nebeneinander gingen sie zur Mitte des Lagers. Nach und nach folgten die anderen Häuptlinge, Unterhäuptlinge und Nochalo, der Schamane. Wieder spürte ich das ungute Gefühl in mir wie schon am Mittag. Der Anblick Skinyeas stimmte mich unruhig. Daß Little Friend sich mit ihm abgefunden hatte, weil er ein wichtiger Informationsträger
war, änderte nichts daran, denn tief in seinem Innern mißtraute auch Little Friend ihm, und ich hatte einen feinen Instinkt. Skinyea stieß mich ab. In der Mitte des Lagers setzten sich die Häuptlinge zu einem Kreis zusammen. Mangas Coloradas hielt ein Calumet in den Händen, sog daran und blies den Rauch in alle Himmelsrichtungen, bevor er es Skinyea übergab, der es ihm gleichtat. Dann setzten sie sich, und die Pfeife machte die Runde, während Skinyea redete. Er sprach schnell, ohne große Umschweife, sachlich und ohne die Schnörkel und blumigen Redewendungen, die bei Indianern üblich sind. Ich konnte teilweise hören, was er sagte. Der Wind stand günstig und wehte Wortfetzen zu mir herüber. Skinyea berichtete von Fort Clark. Seinen Worten zufolge war die Eroberung ein Kinderspiel. Sein Rezept, daß er den Häuptlingen vortrug, war ein lautloser Angriff im Morgengrauen. Die Palisaden sollten überklettert, die Wachen ausgeschaltet, das Tor geöffnet werden. Er beschrieb genau den Aufbau des Forts, die Höhe der Palisaden, die Stärke der Wachmannschaft, die Anordnung der Quartiere, Magazine, Ställe und Kommandanturgebäude. Er wußte alles, als hätte er das Fort selbst entworfen, geplant und gebaut. Er gab die Stärke der Besatzung mit etwa zweihundert Mann an und sprach von dem großen, wohlgefüllten Waffenarsenal. Er redete nicht länger als eine Viertelstunde. Doch in dieser Zeit entwickelte er einen kompletten Schlachtplan, der sich gut anhörte, und trug Informationen vor, die jedem geschulten Militärspion zur Ehre gereicht hätten. Nachdem er geendet hatte, schwiegen die Häuptlinge eine Weile. Die Pfeife kreiste, der Rauch stieg in die sich abkühlende Abendluft hoch. Dann stellte der erste eine Frage. Er wollte wissen, was mit den weißen Farmern geworden sei, die von ihren Besitzungen geflüchtet waren. Skinyea sagte, daß sich etwa vierzig Farmerfamilien im Fort befänden, die in zwei leergeräumten Magazingebäuden untergebracht seien. Sie seien jedoch nur schlecht bewaffnet und keine ernsthafte Verstärkung für die Fortbesatzung, zumal viele Verwundete unter
den Siedlern seien, die den Arzt des Forts und seine Sanitäter voll in Anspruch nähmen. Little Friend fragte, wie es möglich sei, die Palisaden zu übersteigen, ohne entdeckt zu werden. Skinyea antwortete in seiner knappen, präzisen Art und zerfetzte jedes Gegenargument, jeden Zweifel, jede Kritik. So ging das eine Stunde lang. Die Sonne stand schon tief im Westen und färbte sich rot. Da erhoben sie sich. Es gab nichts mehr zu reden. Alles war gesagt worden. Die Sache war klar. Morgen früh würden die Krieger nach Fort Clark aufbrechen. Skinyea ging mit Mangas Coloradas, Cochise, Black Hawk und einigen anderen zu den gefangenen weißen Frauen und Kindern hinüber. Er musterte sie wie Schlachtvieh, nickte wohlgefällig und ging schließlich, begleitet von den Häuptlingen, zu seinem schwarzweiß gescheckten Pony zurück. Der Abschied war kurz, dann sprengte er in den Abend hinaus. »Du bist wach?« Ich zuckte beim Klang der Stimme fast zusammen. Meine Gedanken waren weit weg gewesen. Skinyea verschwand aus meinem Blickfeld. Ich wandte den Kopf und sah Sandblume. Sie trug eine Schale mit einem scharf duftenden Fleischbrei bei sich, und einen Löffel aus einem starken Yuccablatt. »Es ist Antilope«, sagte sie. »Das beste Fleisch und eine Menge Heilkräuter.« »Das riecht man.« »Es schmeckt«, sagte sie. »Und es ist gut für dich.« Ich nickte und begann zu essen. Es schmeckte wirklich, obwohl der scharfe Beigeschmack der vielen Kräuter zuerst etwas ungewohnt war. Sandblume schaute mir zu, während ich die Schale leerte und dann gesättigt zurücksank. »Morgen reiten sie«, sagte sie. »Ich hab's gehört. Es gefällt mir nicht.« »Es ist Krieg«, meinte sie, als würde das alles erklären. Dann ging sie. Ich schaute ihr nach. Da sah ich, daß Cochise einer Gruppe von Kriegern eine Anweisung gab. Die Männer gingen zu den
Gefangenen hinüber. Sie sprachen mit den Wachtposten und trieben dann die Frauen und Kinder auf die Beine. Überrascht beobachtete ich alles. Die Gefangenen wurden in langer Reihe aufgestellt. Rechts und links von ihnen bestiegen die Krieger ihre Ponys. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Zu Fuß liefen die Gefangenen zwischen den Kriegern her. Sie verließen das Lager in östlicher Richtung. Langsam zogen sie davon. Der Wind trieb noch lange Zeit das Weinen der Frauen und Kinder zu uns herüber, bis sie schließlich zu weit entfernt waren und die einbrechende Dunkelheit sie verschluckte. Ich konnte mir das nicht erklären. Aber es kam auch niemand in meine Nähe, den ich hätte fragen können. Die Krieger bereiteten sich auf den Aufbruch am nächsten Tag vor. Sie überprüften ihre Waffen und bemalten sich mit den Kriegsfarben. Nach Einbruch der Nacht tanzten sie um ein Feuer außerhalb des Lagers, während Nochalo mit lauter Stimme sang und dumpf mehrere Trommeln dröhnten. * Es war nicht so glühend heiß wie am Vortag, dafür aber drückend und schwül. Am frühen Morgen hatte es in der Nähe ein Gewitter gegeben. Fast eine Stunde lang war das dumpfe Donnern zu hören gewesen. Dann war das Wetter anscheinend nach Norden weitergezogen. Ich konnte mich wieder erheben. Anfangs hatte es mir Schmerzen bereitet. Jetzt spürte ich schon nichts mehr, nur ab und zu ein leises Ziehen, wenn ich mich bückte oder versuchte, schwer zu heben. Sandblume hatte am Morgen meinen Verband gewechselt. Die Wunde sah gut aus. Sie verschorfte bereits. Aber die Lederstützen um den Oberkörper brauchte ich noch. Die Krieger waren kurz vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Jetzt war das große Lager fast leer. Die Squaws trugen Wasser von einem nahen Wasserloch herauf. Sie konservierten Fleisch und bereiteten Pemikan und einige andere lange haltbare Gerichte. Sie besserten beschädigte Waffen und Kleidungsstücke aus und redeten viel. Trotzdem war es fast still im Lager.
Außer mir waren noch etwa zwanzig andere Verletzte dageblieben. Fast allen ging es schlechter als mir. Zehn weitere Krieger waren als Lagerwache zurückgeblieben. Gegen Mittag fühlte ich mich doch wieder etwas schwach und war nun froh, daß ich meinen Willen nicht durchgesetzt hatte und nicht mitgeritten war. Ich wäre den anderen nur zur Last geworden. Nachdem ich gegessen hatte, legte ich mich hin und schlief Minuten später ein. Im Traum sah ich eine Gruppe von weißen Offizieren vor der Palisade eines Forts stehen. Häuptlinge der Apachen gingen auf sie zu. Einer davon hatte langes, blondes Haar und eine hellere Haut. Das war ich. Beiderseits eines Tisches blieben die Soldaten und die Apachen stehen. Auf dem Tisch lagen Dokumente. Ein Vertrag. Ein Vertrag, der einen großen Teil des Landes wieder in den Besitz der Apachen gab und die Grenzen garantierte. Ich unterschrieb als erster. Es war geschafft. Der Kampf der Apachen war erfolgreich gewesen. Da zerfiel der Vertrag plötzlich unter meinen Händen zu Staub. Die Offiziere lachten höhnisch in ihren schönen, blauen Uniformen, die behängt waren mit Orden und Abzeichen und deren Knöpfe wie pures Gold blinkten. Ich schaute mich um und sah, daß wir von Soldaten umzingelt waren, die ihre Gewehre auf uns gerichtet hatten. Wir waren gefangen. Das Sternenbanner hoch am Mast im Fort färbte sich blutig rot und war plötzlich von Apachenskalps eingesäumt. Ich sah Wickiups brennen und Frauen und Kinder auf kargem Land verhungern … Als ich erwachte, war ich in Schweiß gebadet. Eine seltsame Unruhe erfüllte mich. Ich richtete mich auf. Little Friend hatte am Vortag von Verhandlungen mit den Weißen gesprochen. Hatten wir eine Chance, daß mit uns fair verhandelt wurde? Mußten wir uns nicht die Verträge von den Langmessern aufzwingen lassen? Aber was war ein Traum wert? Warum sollte es eines Tages so schlimm kommen, wie ich es geträumt hatte? Wir konnten kämpfen und waren nicht leicht zu besiegen. Ich machte mir zu viele Gedanken. Die Häuptlinge wußten, was
sie taten. Die Traumbilder verblaßten nach und nach. Aber die Unruhe blieb. Sie hatte mit meinem Traum nichts zu tun. Ich hatte das dumpfe Gefühl, daß irgend etwas passieren würde. Nachdenklich ging ich zu einem der mannshohen Gesteinsbrocken hinüber, die neben den hohen Felssäulen lagen. Ich bestieg ohne große Mühe einen der Blöcke und spähte nach Norden. Mir war, als bewegte sich dort in weiter Ferne eine Staubwolke. Doch das war nicht sicher. Die Hitze hatte zugenommen, und es konnte ein Flimmern in der Luft sein. Ich dachte daran, zu einem der Wachtposten zu gehen und mit ihm zu sprechen. Doch ich unterließ es schließlich, um nicht ausgelacht zu werden. Ich nahm den Braunen und ging mit ihm zur Wasserstelle hinunter. Er mußte getränkt werden, und ich wollte mich waschen. Eine junge Squaw befand sich am Wasser, als ich kam. Sie stand bis zu den Knien in dem schmalen Bach, der von dem Wasserloch wegführte, und wrang Wäsche aus. Als sie den Kopf wandte, erkannte ich sie. Es war Kaktusblüte. Sie war meine erste Liebe unter den Apachen gewesen. Es war noch gar nicht lange her. Dann hatte sie geheiratet und mich damit maßlos enttäuscht. Inzwischen war ich darüber hinweg. Sie lächelte, als sie mich sah. »Hallo«, sagte sie. »Hey«, sagte ich. »Geht dir's schon wieder besser?« »Es geht«, sagte ich. Ich ließ den Braunen saufen, ging dann bis zu den Knien in den Bach und schöpfte mit den hohlen Händen Wasser heraus, das ich mir ins Gesicht klatschte. Es tat mir gut, aber an dem merkwürdigen Druck im Magen änderte sich nichts. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Kaktusblüte. Es erschien mir ziemlich blödsinnig, daß ich einmal bis zum Wahnsinn in sie verknallt gewesen war. Sie war mir wie eine Göttin erschienen, von nahezu überirdischer Schönheit. Jetzt fiel mir auf, daß sie eigentlich ziemlich wulstige Lippen hatte und im Grunde doch Anlagen zeigte, einmal eine von jenen typischen stämmigen und unförmigen Apachensquaws zu werden, mit schweren Hängebrüsten, muskulösen
Armen und knotigen Händen. Als sie mit einem Wäschebündel abzog, war ich froh darüber. Allein setzte ich mich an den Rand der Wasserstelle, ließ die Füße hineinhängen und blickte versonnen aufs Wasser, in dem sich der Himmel spiegelte. Die Sonne trocknete die Nässe auf meinem Körper. Als ich mich erhob, schaute ich unwillkürlich wieder nach Norden. Da sah ich, daß ich mich vorhin nicht getäuscht hatte. Diesmal war die Staubwolke deutlich zu sehen. Sie war nähergerückt, keine zwei Meilen mehr entfernt. Ich schaute zum Lager hinüber. Die Wachtposten hatten ebenfalls bemerkt, daß sich Reiter näherten. Ich wollte hinlaufen, doch irgend etwas hinderte mich daran, bannte mich auf meinen Platz. So blieb ich stehen, schaute nach Norden und beobachtete den Staub in der Luft. Mein Herz schlug heftig, und das Atmen fiel mir schwer. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Fast eine Meile nördlich von den »Fingern Mayochinas« befand sich eine langgestreckte Bodenfalte. Darin schienen die Reiter untergetaucht zu sein, denn die Staubwolke verschwand plötzlich. Ich stieg aus der Bodenvertiefung, in der das Wasserloch lag, und blieb oberhalb des Baches stehen. Meine Mokassins hatte ich wieder übergestreift. Den Braunen ließ ich unten am Wasser stehen. Da sah ich die Reiter plötzlich. Die Wachen konnten sie noch nicht sehen. Für sie waren die Männer hinter den Fingern Mayochinas verborgen. Aber das Wasserloch lag weit seitlich vom Lager, daher konnte ich beobachten, wie die Reiter aus der Bodenfalte auftauchten. Mir schwindelte auf einmal. Eiskalt kroch es durch meine Glieder. Es waren Soldaten, eine Kompanie. Keine große Sache, wenn die Krieger hiergewesen wären. Aber sie waren nicht da. Die Squaws waren allein, bis auf die paar Wachtposten. Ich konnte mir denken, weshalb sie kamen wegen der Gefangenen. Aber auch die waren nicht mehr da. Und dann war da noch die Frage, woher sie von unserem Lager wußten. Das alles wirbelte mir in diesen Sekunden durch den Kopf. Aber niemand war da, der mir hätte antworten können. Und selbst wenn, es hätte doch nichts mehr
geändert. Die Soldaten waren im Anmarsch. Nichts hielt sie auf. Sie schienen zu wissen, daß sie nicht groß mit Widerstand zu rechnen brauchten. Sie zögerten nicht, als sie auf die Felsfinger zuritten. Sie waren sich ihrer Sache verdammt sicher. Ich ballte die Hände, wollte etwas tun, irgend etwas. Aber was? Was konnte ich schon tun? Nichts. Niemand konnte etwas tun. Auch wenn ich innerlich von meiner Hilflosigkeit zerfressen wurde. Meine Kehle war trocken und ausgelaugt. Vor meinen Augen schien sich die Luft zu einem Brei zu verdicken, kochte, dampfte, flimmerte. Und durch diesen verschwimmenden, farblosen wabernden Schleier sah ich ein Kompaniefähnchen flattern und einen Soldaten eine verbeulte Trompete heben.
7. Die Wachen am Lagerrand sahen die Soldaten. Sie warfen sich hinter Felsbrocken und in Bodenvertiefungen in Deckung und schrien den Squaws Warnungen zu. Da schrillte der blecherne Ton des Signalhorns durch die heiße Luft. Durchdringend und ohrenbetäubend wie der Todesschrei eines verendenden Tieres. Attacke. Ein Captain riß seinen langen Säbel mit der leicht gekrümmten Klinge, die im Sonnenlicht wie pures Silber blinkte, aus der Scheide. Er war blutjung und von Schweiß, Hitze und Aufregung gezeichnet, dichter Staub bedeckte seine Uniform. Der Hornist blies wie ein Verrückter in die Signaltrompete. Immer die gleiche abgehackte Tonfolge, immer schneller, immer fordernder, drängender. Das grelle, schmetternde Signal trieb die Kompanie nach vorn, jagte sie auf einen Gegner zu, der keiner war. Ich schlug mir die Fäuste auf die Ohren, um das Horn nicht mehr hören zu müssen. Da schwärmten die Soldaten bereits aus und bildeten eine breite auseinandergezogene Angriffsformation, wie sie es den Apachen in vielen Jahren Krieg im Indianerland abgeschaut hatten. Tief im Sattel hängend galoppierten sie heran. Im Lager war die Hölle los. Die Squaws rannten wie ein Schwarm
aufgescheuchter Hühner durcheinander. Sie schrien vor Verzweiflung und Angst und versuchten, sich mit Stangen und Messern zu bewaffnen. Die Verwundeten erhoben sich von ihren Lagern, soweit sie bei Bewußtsein waren. Sie griffen nach ihren Lanzen, nach ihren Bogen und Pfeilen. Sie schleppten sich zum Lagerrand, und manche brachen auf dem Weg dahin zusammen und blieben liegen, während ihre Wunden wieder zu bluten begannen. Ich dachte plötzlich an Sandblume, an Little Friend. Wenn er zurückkehrte und Sandblume nicht mehr lebte … Weiter dachte ich nicht. Schüsse krachten vorn am Lagerrand. Die Erstarrung in mir löste sich. Ich drehte mich um und wankte wie im Fieber zum Wasserloch hinunter, wo mein Brauner stand. Er trug den Kissensattel, und daran hing meine Spencer. Ich nahm das Gewehr und lief wieder hinauf. Ein heftiges Stechen in der Wunde, das meinen ganzen Körper durchflutete und mir Tränen in die Augen trieb, warf mich zu Boden. Mit zusammengekniffenen Lippen hockte ich im heißen Sand und kämpfte den Schmerz nieder, bemüht, nicht zu schreien. Das Trompetensignal brach ab. Jetzt war nur noch der donnernde Hufschlag zu hören. Die Luft über dem Lager waberte plötzlich vor Staub und Pulverdampf. Noch immer krachten Schüsse. Ich sah, wie der Reiter, der das Regimentsfähnchen trug, aus dem Sattel gerissen wurde und unter die Hufe der nachfolgenden Pferde stürzte. Dann sprengten die Soldaten in das Lager. Der Schmerz in meinem Körper ließ nach. Aber ich erhob mich nicht. Ich hob auch mein Gewehr nicht an die Schulter. Ich feuerte nicht. Warum, weiß ich heute selbst nicht mehr. Vermutlich sagte ich mir, daß es völlig sinnlos war. Genausogut hätte ich Selbstmord begehen können. * Es war ein dreckiger Kampf. Als wir die Siedler angegriffen hatten, da hatten sie eine Chance gehabt und kämpfen können. Wir hatten keine Chance. Da waren vierzig, fünfzig Squaws und ein paar
Krieger und Verletzte gegen eine Kompanie gut bewaffnete USKavallerie. Ich sah die Säbel durch die Luft blinken, sah sie treffen, sah die scharfen Klingen in menschliches Fleisch schneiden. Der junge Captain ritt zwei, drei Squaws einfach nieder. Einem verletzten Krieger, der ihm mit einer Lanze entgegenhumpelte, schlug er glatt den Kopf ab. Er ritt weiter, während der kopflose Rumpf noch endlose Sekunden mit der Lanze in den Fäusten dastand, bis er umkippte. Die Soldaten säbelten alles nieder, was ihnen in den Weg geriet. Dann, als ihre Säbelklingen nicht mehr in der Sonne blinkten, weil sie rot vom Blut waren, zogen sie ihre Revolver und schossen, bis sich nichts mehr im Lager bewegte, während einige Reiter die Squaws, denen es gelungen war, aus dem Lager zu fliehen, verfolgten und erledigten. Da sah ich auch Sandblume laufen. Sie blutete aus einer Wunde am linken Arm und rannte um ihr Leben. Ein Sergeant verfolgte sie. Er schwang seinen Säbel und lachte schrill. Sie drehte sich nicht um. So sah sie den Tod auch nicht kommen. Der Sergeant spaltete ihr mit dem Säbel den Kopf. Sandblume stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr. Mir drehte sich fast der Magen um. Ich würgte und meinte, mich übergeben zu müssen. Ich konnte mein Ekelgefühl unterdrücken und dachte an Little Friend. Der Haß, der in diesem Moment in mir aufstieg, ist nicht zu beschreiben. Er zerriß mich fast, und hätte ich Dynamit gehabt, ich hätte ohne mit der Wimper zu zucken in diesem Augenblick die ganze Kavallerie in die Luft gesprengt. Aber ich hatte kein Dynamit. Ich war nur ein hilfloser, dreizehnjähriger weißer Apache, zudem verletzt. Ich war ein Nichts, ein Wurm, den ein Soldat unter seinem Stiefel ohne große Mühe hätte zertreten können. Es krachten noch einige Schüsse im Lager. Dann war es still. Eine Pulverdampfwolke stand über dem Camp neben den »Fingern Mayochinas«, in der Hitze breitete sich süßlicher Blutgestank aus. Die Soldaten verließen ihre Pferde, gingen zwischen den zerfetzten Leichen umher und suchten nach Trophäen. Sie nahmen sämtlichen Toten die Skalps ab, und hätte nicht ein schneidiger
Lieutenant über die Ordnung gewacht, dann hätten sie sich um die Kopfhäute geprügelt. Denn jeder Skalp bedeutete bares Geld, und jeder Soldat versuchte, seinen kargen Sold mit Skalpprämien aufzubessern. Aber es ging nicht nur um die Skalps. Es wurden auch Waffen aufgesammelt, soweit es welche gab, Schilde aus Büffelhaut, Stirnbänder, Mokassins, Medizinbeutel, Amuletts und anderes. Vermutlich würden diese Dinge später mit Stolz herumgezeigt werden, begleitet von schauderhaften Heldengeschichten, in denen von blutrünstigen Rothäuten, tapferen Soldaten und einem lebensgefährlichen Kampf die Rede sein würde. Kaum jemand würde erfahren, wie es wirklich gewesen war. Ich lag jetzt flach im Sand und schaute über die Böschung des Wasserlochs. Der junge Captain stiefelte im Lager herum. Er schien etwas zu suchen und von Minute zu Minute nervöser zu werden. Sein bleiches Gesicht war jetzt grün. Anscheinend hatte er zum erstenmal eine Attacke angeführt, zum erstenmal getötet und noch nie bisher so viele Tote und soviel Blut gesehen. Er schrie nach seinem Lieutenant und redete, gestikulierend mit beiden Armen, auf ihn ein. In diesem Moment tauchte ein einzelner Reiter auf. Er näherte sich in gemächlichem Tempo. Mir blieb fast das Herz stehen. Soweit ich sehen konnte, war es ein Apache. Gleich werden sie ihn aus dem Sattel schießen, gleich werden sie ihn abschlachten wie die anderen, dachte ich. Ich dachte falsch. Aber ich war noch so jung, daß ich mir das erlauben konnte. Ich bin sicher, auch andere hätten sich in diesem Moment geirrt. Der Apache erreichte das Lager. Er schien nicht im geringsten von dem Bild beeindruckt zu sein, das sich ihm bot. Er blickte sich nicht einmal um, er wich lediglich den Leichen aus, die in seinem Weg lagen. Da erkannte ich ihn. Es war Skinyea. Mir blieb der Atem weg. Er ritt direkt auf den Captain zu und sprang vor ihm aus dem Sattel.
Jetzt war mir alles klar. Little Friend hatte ja gesagt, daß niemand genau wisse, ob Skinyea nicht seine Informationen auch an die Weißen verkaufe. Jetzt gab es einen, der es genau wußte – ich. Die Soldaten hatten die Gefangenen befreien wollen. Und Skinyea mußte ihnen gesagt haben, daß sich die weißen Frauen und Kinder hier befänden und die Krieger heute nicht anwesend seien. Er hatte ja nicht wissen können, daß die Gefangenen schon nach seinem Wegritt am Vorabend fortgebracht werden würden. Skinyea war 'reingefallen – und mit ihm die Soldaten. Das Massaker, das sie angerichtet hatten, war völlig sinnlos gewesen. Ich sah jetzt, wie Skinyea heftig gestikulierte. Anscheinend wurde er nervös. Er drehte sich um und lief quer durch das Lager. In diesem Moment war nichts Beeindruckendes mehr an ihm. Da, wo die Gefangenen am Vorabend noch gelagert hatten, blieb er stehen. Der Captain war ihm gefolgt, auch der Lieutenant. Sie blieben neben Skinyea stehen. Sie waren jetzt nicht mehr weit von mir entfernt. Da sie ziemlich laut sprachen, konnte ich fast jedes Wort verstehen. »Ich sage Ihnen, Capitano, gestern abend, als ich wegritt, waren sie noch da.« Skinyeas Stimme klang hell, erregt. Er sprach hervorragend englisch, mit einem kaum merkbaren Akzent. »Was nutzt es, daß sie gestern abend noch da waren«, sagte der Captain. »Jetzt sind sie weg, und ich frage mich, wohin und wieso? Warum hat Mangas Coloradas die Gefangenen in der Nacht wegbringen lassen?« »Er hat kein Wort davon gesagt«, erwiderte Skinyea. »Er hat gesagt, daß er sie an Comancheros verkaufen wird, aber nichts davon, daß er sie sofort wegbringen lassen will.« »Vielleicht sollten wir Skinyea mal fragen, was er eigentlich gestern abend hier getrieben hat«, warf der Lieutenant ein. Er musterte den Krieger feindselig. »Er kann ja nicht nur hergekommen sein, sich die Gefangenen angeschaut haben und wieder fortgeritten sein. Er wäre sicher gefragt worden, was das soll. Also, Skinyea, was hast du gestern abend hier getan?«
»Ich bin ein Apache.« Skinyeas Stimme hob sich herausfordernd. »Ich kann jederzeit in jedes Apachenlager gehen, und niemand wird Fragen stellen.« »Das kannst du mir nicht erzählen.« Der Lieutenant beugte sich vor. Sein Gesicht war dicht vor dem von Skinyea. Ich glaubte, den Haß in Skinyeas Augen sehen zu können. Aber das war nur meine Einbildung. »Warum sind denn die Krieger heute nicht da, he?« fragte der Lieutenant. »Ich wette, du weißt das ganz genau. Du weißt bestimmt auch, wo sie sind. Vielleicht hast du sie sogar fortgeschickt, irgendwohin, wo es heute oder morgen dann Tote gibt, wo deine roten Kumpane wieder Weiße abschlachten. Vielleicht waren die Gefangenen auch nie hier. Vielleicht wolltest du uns nur aus dem Fort herauslocken, um die Besatzung zu schwächen und uns in die Irre führen, wie?« Skinyea wandte sich, zitternd vor Zorn, ab. »Ich lasse mich nicht beleidigen«, sagte er zu dem Captain. »Skinyea war immer ein guter Freund des weißen Mannes. Skinyea lügt nicht, hat nie gelogen.« »Ach ja? Ihr Red-Skins lügt doch alle«, höhnte der Lieutenant. »Seien Sie still, Roberts«, sagte der Captain. »Skinyea war immer zuverlässig.« »Wer sagt, daß er es sich nicht inzwischen anders überlegt hat? Warum sagt er nicht, was er gestern abend hier gewollt hat, wo die Krieger aus dem Lager heute hingeritten sind?« »Antworte auf das, was der Lieutenant gefragt hat«, erklärte der Captain. »Skinyea weiß nicht, was er antworten soll. Ich habe meine Freunde hier besucht und weiß nicht, wohin die Krieger heute geritten sind.« »Wer's glaubt wird selig«, sagte der Lieutenant. »Vielleicht reiten wir sogar in eine Falle, wenn wir das Lager hier verlassen.« »Es sieht wirklich nicht so aus, als seien die Gefangenen jemals hiergewesen«, meinte der Captain. »Sie waren hier«, sagte Skinyea. »Im Fort sitzen die Angehörigen und schlagen mir den Kopf ab, wenn wir ohne die Frauen und Kinder zurückkehren«, sagte der
Captain zu dem Lieutenant gewandt. »Dann können wir ja ihn den Leuten zum Fraß vorwerfen«, sagte der und zeigte auf Skinyea. »Falls das Fort noch steht, wenn wir zurückkommen. Vielleicht sind seine roten Brüder losgeritten, um das Fort anzugreifen.« »Hören Sie jetzt auf, Roberts«, sagte der Captain. Seine Stimme klang scharf. »Ich weiß, daß Sie die Apachen nicht mögen …« »Wundert Sie das, Sir?« »… aber Skinyea ist seit Jahren unser Informant«, fuhr der Captain fort, ohne sich irritieren zu lassen. »Wir haben uns immer auf ihn verlassen können. Schluß mit dem Streit jetzt. Wir brechen sofort auf und reiten zurück. Die Aktion ist fehlgeschlagen. Damit müssen wir uns eben abfinden. Lassen Sie zum Sammeln blasen, Roberts. Die Leute sollen aufsitzen.« »Jawohl, Sir.« Der Lieutenant salutierte knapp und ging davon. Ich wagte kaum zu atmen. Was ich mitangehört hatte, war fast nicht zu glauben. Seit Jahren leistete Skinyea Spitzeldienste für die Armee, die er gleichzeitig an seine indianischen Brüder verriet. Und nie war er ertappt worden. Andererseits war das im Grunde kein Wunder. Wer betrat schon mal die Forts der Armee? Wer hätte Gelegenheit haben können, ihn dort zu sehen und zu hören? Und auch die Armee hatte sicher darauf geachtet, daß er sich keine Blöße gab und so als wertvoller Informant erhalten blieb. Jetzt aber war es aus mit ihm. Diesmal gab es einen Zeugen. Und ich würde nicht den Mund halten, nicht nach allem, was ich gesehen hatte. Ich wollte mein Gewicht etwas auf die linke Seite verlagern, da meine rechte Hand bereits taub wurde und einzuschlafen drohte. In diesem Moment setzten sich Skinyea und der Captain plötzlich in Bewegung und schlenderten auf das Wasserloch zu. Mir stockte der Atem. * Meine Fäuste krampften sich unwillkürlich fester um den abgegriffenen Schaft des Spencer-Karabiners. Was sollte ich jetzt tun, was nur, um Himmels willen?
Wenn Skinyea mich entdeckte, würde er alles daransetzen, mich zu töten. Denn ich war ein Zeuge. Ich hatte gesehen, daß er mit den Soldaten konspirierte und Schuld daran war, daß ein Haufen wehrloser Apachensquaws niedergemetzelt worden war. Er konnte es sich gar nicht leisten, mich am Leben zu lassen. Skinyea und der Captain kamen immer näher. Sie unterhielten sich, und es war eine Frage von vielleicht einer halben Minute, bis sie mich entdeckten. Ich wandte den Kopf und schaute hinunter zu dem Braunen. Kurzentschlossen rutschte ich rückwärts die Böschung hinunter bis zum Rand des Wasserloches. Hier richtete ich mich auf und packte den Braunen am Zügel. »Paß auf«, flüsterte ich. »Gleich mußt du zeigen, was in dir steckt. Wenn du nicht rennst, als sei der Teufel hinter dir her, waren wir beiden die längste Zeit Partner. Dann bin ich nämlich tot.« Ich tastete nach meinem Verband. Doch der saß fest. Ich hängte die Spencer an den Sattel und zog mich hinauf. Jetzt mußten sie mich sehen. Aber das kümmerte mich nicht mehr. Ich hämmerte dem Braunen die Absätze in die Weichen und warf mich weit nach vorn auf seinen Hals. Der Schmerz, der durch meine Wunde zuckte, ließ mich aufstöhnen. Aber der Braune hatte sich schon in Bewegung gesetzt, und ich hatte nichts weiter zu tun, als mich festzuhalten. Der Braune jagte durch den seichten Bach neben dem Wasserloch. Hoch spritzte die Gischt auf. Hinter mir hörte ich Schreie. Skinyea rief etwas, und er fluchte. Der Captain schrie: »Nicht schießen, der Junge hat doch blondes Haar, das ist ein Weißer …« Mehr konnte ich nicht verstehen. Ein Schuß krachte. Im selben Moment sprengte der Braune die gegenüberliegende Böschung hoch und donnerte auf die grasbewachsene Ebene hinaus nach Westen. Ich spürte den heißen Luftzug einer Kugel an meinem Nacken. Dann peitschte mir schon der Reitwind ins Gesicht. Vor mir hing die Sonne tief am Himmel, rot wie das Blut, das in den Boden vor den »Fingern Mayochinas« gesickert war. Die Schatten waren lang, und das Tageslicht nahm mehr und mehr ab!
In meinem Schädel dröhnte es, und ich schrie, während ich floh. Jede Bewegung des Braunen bereitete mir wahnsinnige Schmerzen. Jede Erschütterung löste ein wildes Brennen in meiner Wunde aus. Im Augenblick war nicht der Moment, sich besonders hart zu zeigen und die Schmerzen zu verbeißen. Ich brüllte laut, und später wimmerte ich nur noch. Anhalten konnte und durfte ich nicht. Einmal schaute ich zurück. Da sah ich, daß mehrere Soldaten mich verfolgten. Und Skinyea. Er ritt den Blauröcken ein ganzes Stück voraus. Sein Pony war schneller als deren Pferde. Er war die wirkliche Gefahr für mich, das war mir klar. Den Soldaten war es letztlich egal, ob ich entwischte. Ein Apache mehr oder weniger, darauf kam es nicht an. Wenn sie mich kriegten, würden sie mich töten. Wenn sie mich nicht schnappen, würden sie nicht in Tränen ausbrechen. Ein Bein würden sie sich wegen mir nicht ausreißen. Skinyea aber würde mich bis in die Hölle jagen. Ich war gefährlich für ihn. Wenn ich entkam, war er schon so gut wie tot. In diesem Moment hatte ich Angst. Das will ich gar nicht verschweigen. Ich war allein und verletzt, und nirgends konnte ich Hilfe erwarten. Mangas Coloradas und seine Krieger waren nach Fort Clark geritten. Wann sie zurückkehren würden, wußte ich nicht. Ich war in einer wirklich beschissenen Lage. Mein Brauner aber enttäuschte mich nicht. Ihm schienen Flügel zu wachsen. Er galoppierte dahin wie ein Sturmwind. Seine Hufe schienen den Boden gar nicht zu berühren. Sein narbiger, hagerer Körper streckte sich. Jetzt zeigte er, was in ihm steckte. Ich hätte in diesem Moment kein besseres Tier haben können. Der Hufschlag meiner Verfolger verhallte hinter mir. Als ich wieder einmal zurückschaute, hätte ich singen können vor Freude, wären die Schmerzen nicht gewesen. Skinyea und die Soldaten blieben zurück. Der Braune hängte sie ab. Ich glaubte wieder an meine Chance. Eisern klammerte ich mich in der Mähne des Braunen fest, während ich mit ihm dem flammendroten Feuerschein der verglühenden Abendsonne entgegenritt.
8.
Irgendwann in der Nacht fiel ich aus dem Sattel. Die Flanken des Braunen zitterten und waren schweißbedeckt. Er hatte alles gegeben, was in ihm steckte. Jetzt schaffte er es keinen Yard weiter. Ich lag flach im Gras und atmete schwer. Ein paar Sterne standen am Himmel. Die Nacht war schwül, kein Windhauch regte sich. Ich lauschte in die Finsternis. Doch es war still wie in einem Grab. Von meinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. Ich hatte sie abgehängt, hoffte ich. Sicher war ich nicht. Bei einem Mann wie Skinyea konnte man nie sicher sein. Mir war klar, daß meine Ruhe nur vorübergehend sein würde. Wenn es mir nicht gelang, möglichst bald wieder in die Gemeinschaft der anderen Krieger zurückzufinden, war ich böse dran. Ich hatte von niemandem Hilfe zu erwarten. Entweder würde mich Skinyea erwischen und töten, oder irgendein weißer Farmer würde es tun, ein Soldat, ein Skalpjäger, ein Cowboy. Ich hatte wieder Schmerzen. Es waren dumpfe, ziehende Schmerzen, die weder abklangen noch stärker wurden. Trotzdem konnte ich mich nicht an sie gewöhnen. Sie waren quälend und fraßen meine letzten Energien. Schon vor einer guten Stunde hatte ich gefühlt, daß es unter meinem Verband an der rechten Seite seltsam warm wurde. Das Gefühl war geblieben, und ich löste jetzt mit steifen Fingern den Verband. Er klebte an der Haut. Ich mußte ihn losreißen und konnte nur schwer ein Stöhnen unterdrücken. Im schwachen Sternenlicht sah ich, daß die Wunde während des wilden Ritts aufgebrochen war. Blut war in den Verband gesickert und wieder verkrustet. Nachdem ich den Verbandsstoff abgerissen hatte, rann wieder ein dünner Blutfaden an meiner Haut hinunter. Es sah nicht gut aus. Ich brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, daß ich es nicht lange schaffen würde, wenn ich weiter Blut verlor. Einen neuen Verband hatte ich nicht. Auswaschen konnte ich die durchblutete Binde auch nicht. Ich hatte ja nicht einmal für mich selbst Wasser, um meinen Durst zu stillen, der immer brennender wurde. So wand ich den Verband wieder um meinen Oberkörper und
legte auch die stützenden Rohhautriemen wieder an. Mehr konnte ich nicht für mich tun. Ich konnte nur noch hoffen, und selbst das fiel mir schwer. Wann ich einschlief, wußte ich nicht mehr. * Hufgeräusche schreckten mich auf. Ich war sofort hellwach. Mein Brauner schnaubte leise. Ich richtete den Oberkörper auf und lauschte. Dumpf hörte ich das Stampfen von Pferdehufen. Der Morgennebel schluckte die Geräusche fast völlig. Ich erhob mich. Ich fror. Noch immer war mein Oberkörper nackt, die Luft war kalt und klamm. Hunger wühlte in meinen Eingeweiden, und der Durst brannte in mir. Meine Zunge war angeschwollen, genau wie mein Gaumen, und meine Mundhöhle war entzündet. Doch darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Ich stieg in den Sattel. Sofort begann meine Wunde wieder zu schmerzen. Dessen ungeachtet trieb ich den Braunen an, der wieder ausgeruht und frisch wirkte. Ich ritt durch den Nebel. Die Hufgeräusche schienen aus allen Richtungen zu ertönen. Ich befürchtete, jeden Moment meinen Verfolgern in die Arme zu laufen. Aber stehenbleiben durfte ich auch nicht. Stimmen waren jetzt zu hören. Rauhe Männerstimmen, müde und schlecht gelaunt. Ich nahm meinen Spencer-Karabiner in beide Fäuste und hoffte inständigst, ihn nicht gebrauchen zu müssen. Ich fühlte mich hundsmiserabel und schwach. Der Durst war daran schuld. Ich riß mich zusammen, versuchte es zumindest. Es ging um mein Leben. Wenn ich jetzt nicht aufpaßte, war ich dran. Schatten tauchten vor mir auf. Erschrocken riß ich die Zügel des Braunen zurück. Er stand sofort wie eine Statue und gab auch keinen Laut von sich, als wisse er, in welcher Gefahr ich schwebte. Ich hatte den Daumen meiner Rechten auf dem Hammer des Spencer liegen und starrte nach vorn. Schemenhaft erkannte ich
Reiter, die sich jedoch nicht auf mich zubewegten. Sie verschwanden vor meinen Augen wieder wie unwirkliche Erscheinungen, wie Trugbilder aus einer anderen Welt. Als der Braune wieder antrabte, atmete ich auf. Ich hatte es jetzt eilig und glaubte, daß vor mir niemand mehr sei. Ein Hügel tauchte in meinem Blickfeld auf. Im dichten Nebel wirkte er wie der Rücken eines riesigen, schlafenden Tieres. Ich ritt darüber hinweg. Auf der anderen Seite standen Palo-Verde-Bäume. Ein tiefhängender Ast streifte mein Gesicht. Ich riß den Kopf zur Seite, um nicht aus dem Sattel geworfen zu werden. Die Blätter waren mit Tautropfen übersät, die sich wie ein Sturzbach über mich ergossen. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Vor mir öffnete sich nach und nach die Nebelwand. Das Frühlicht flutete mir entgegen. Geblendet schloß ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, glaubte ich zu träumen. In knapp zweihundert Yards Entfernung entdeckte ich einen Bach. Auch der Braune witterte das Wasser und strebte schneller westwärts. Der Durst wurde beim Anblick des Wassers nahezu unerträglich für mich. Ich sprengte durch das taufeuchte, hohe Gras und warf mich neben dem Bach aus dem Sattel. Um mich herum riß jetzt der Morgennebel auf. Ein schwacher Windhauch trieb die grauen Schwaden wie die Fetzen eines verwaschenen Bahrtuches nach Norden davon. Ich lag am Ufer des Bachs auf dem Bauch und hatte den Kopf ins Wasser gesteckt. Ich trank, bis ich sicher war, keinen Schluck mehr herunterzukriegen. Dann wälzte ich mich herum, blieb einen Moment erschöpft auf dem Rücken liegen und blinzelte in die Morgensonne, die im Osten hinter den Bergen aufging. Von meinen Verfolgern war nichts zu sehen und zu hören. Vorsichtig löste ich den Verband. Er war völlig steif vom Blut. Wieder mußte ich ihn losreißen, und die Schmerzen trieben mir das Wasser in die Augen. Sorgfältig wusch ich den Stofflappen aus, so gut es mit klarem Wasser ging. Bald brauchte ich einen neuen Verband, das war klar. Im Moment mußte es so gehen. Ich legte die Binde wieder an. Reglos blieb ich dann liegen, während die Luft sich langsam
erwärmte und die Sonnenstrahlen behutsam tastend über meinen geschwächten Körper krochen. Der Blutverlust der letzten Tage setzte mir härter zu, als ich erwartet hatte. Meine Muskeln und Sehnen schmerzten schon nach der geringsten Anstrengung, und manchmal glaubte ich, meine Arme und Beine nicht mehr hoch zu kriegen. Gern wäre ich noch stundenlang liegengeblieben, hätte mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und an nichts gedacht. Aber das ging nicht. Ich hatte keine Zeit zu Träumen. Ich dachte an das Massaker, das die Soldaten unter den wehrlosen Apachensquaws angerichtet hatten, und an Skinyea, der mich jetzt sicher fieberhaft suchte, um mich, den einzigen Zeugen für seinen Verrat, auszuschalten. Schwerfällig richtete ich mich auf. Ich brauchte Ruhe und Pflege. Gedanken an eine Blutvergiftung stiegen in mir auf. Der Braune schien zu ahnen, in welcher Verfassung ich war. Er trabte heran und blieb reglos stehen wie eine Statue, so daß ich seinen Rücken ohne Hast besteigen konnte. Auch er hatte sich sattgetrunken. Jetzt setzte mir nur noch der Hunger zu. Ich trieb den Braunen an und überquerte den Bach. * Als ich die Böschung hochritt, waren sie plötzlich da: sechs Soldaten, angeführt von einem schnauzbärtigen Sergeant, der aussah, wie ich mir immer des Teufels Großmutter vorgestellt hatte. Sie schienen den ganzen Morgen im Nebel herumgesucht zu haben und ritten jetzt von Süden den Bach herauf. Sie trugen ihre langen Militärmäntel, die sie vorn geöffnet hatten, so daß sie im Reitwind flatterten wie die Flügel großer Vögel. Einer stieß einen überraschten Ruf aus, als ich vor ihnen auftauchte. Da feuerte ich bereits mit meinem Spencer-Karabiner und trieb meinen Braunen an. Meine Kugel traf das Pferd des Sergeants in den Kopf. Es stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden und schleuderte den Reiter in den Staub. Da galoppierte ich schon davon. Ich war schon über hundert Yards entfernt, als die ersten Schüsse
hinter mir krachten. Die Kugeln zogen viel zu weit an mir vorbei. Ich hatte das Überraschungsmoment voll ausgenutzt, schnell reagiert und war wieder entwischt, obwohl es verdammt knapp gewesen war. Mein Vorteil war, daß der Braune sich in der Nacht hatte ausruhen können, während die Soldaten so aussahen, als seien sie die ganze Nacht unterwegs gewesen und todmüde. Staub wirbelte auf. Ich floh, ohne mich umzusehen. Die Soldaten konnten mich nicht einholen, zumal der Anführer, der Sergeant, nun kein Pferd mehr hatte und schlecht zu Fuß hinter mir herlaufen konnte. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, daß von Osten ein einzelner Reiter heranjagte. Lange brauchte ich nicht zu rätseln, um wen es sich handelte. Der lange, schwarze Haarschopf war unverkennbar. Skinyea kam. Er fegte wie ein Sturmwind über die Steppe. Ich warf im vollen Galopp mein Gewehr an die Schulter und feuerte, repetierte, feuerte, repetierte, feuerte … Kein Schuß traf. Aber die Kugeln schienen nicht schlecht zu liegen. Skinyea drehte ab und zügelte sein Pferd, bis er sich außer Schußweite befand. Ich riß den Braunen wieder herum und jagte nordwärts. Jetzt wurde es knapp. Ich lenkte den Braunen auf eine Anhöhe zu, die sich vor mir aus der Steppe erhob. Oben auf dem Hang zügelte ich den Hengst und schaute zurück. In breiter Front galoppierten sie heran, Skinyea und die Soldaten. Der Sergeant ritt mit einem anderen Soldaten auf einem Pferd. Ich hob meinen Spencer-Karabiner und zielte lange. Dann drückte ich ab. Eins der Armeepferde wurde getroffen und überschlug sich im vollen Lauf. Der Reiter kriegte die Stiefel nicht mehr rasch genug aus den Steigbügeln und konnte nicht abspringen. Er wurde von dem Pferdeleib begraben. Das nachfolgende Tier stürmte auf das gestürzte Pferd und fiel ebenfalls. Schrill wiehernd richtete es sich wieder auf. Aber sein Reiter war aus dem Sattel geflogen und lag betäubt im Gras. Ich repetierte durch und drückte erneut ab. Der Hammer sauste nach vorn und schlug klickend auf.
Der Karabiner war leer. Ich hatte das Gefühl, von einem Fausthieb in die Magengrube getroffen zu werden. Sofort ließ ich das Gewehr sinken. Es war jetzt wertlos für mich. Außer dem Karabiner besaß ich nur noch mein Messer. Ein bißchen wenig in dieser Situation. Patronen hatte ich nicht mehr. Der Gurt mit der Munition befand sich im Lager bei den Felsfingern. Jetzt blieb mir abermals nur noch die Flucht. Ich trieb den Braunen an. Schwindel stiegen in mir auf, als ich davonritt. Ich lag flach auf dem Hals des Hengstes und hatte ihn mit beiden Händen umklammert. »Bleib nicht stehen«, flüsterte ich. »Bleib bloß nicht stehen.« Grüne und rote Punkte tanzten vor meinen Augen. Düstere Schleier vernebelten meine Blicke. Ich kämpfte mit der Bewußtlosigkeit, während der Braune über die Ebene preschte. Stundenlang ritt ich nach Norden. Mir wurde immer miserabler zumute. Mehr als einmal glaubte ich, aus dem Sattel zu stürzen. Einmal war ich bereits auf die linke Flanke des Braunen gerutscht. Wie ich es in diesem Moment schaffte, mich noch einmal zu fangen und wieder auf den Rücken des Hengstes zu gelangen, wußte ich selbst nicht. Jedenfalls verdankte ich es nur der Tatsache, daß der Braune ausgeruht war und sich auf meinen jämmerlichen Zustand einstellte, daß es gelang, Skinyea und die Soldaten, deren Pferde offenbar völlig erschöpft waren, abermals abzuhängen. Gegen Mittag ging es mir erstaunlicherweise wieder etwas besser. Ich konnte die Zügel übernehmen und lenkte den Braunen, der bis dahin weitgehend selbständig gelaufen war, nach Osten. Zwar hatte ich mittlerweile fast völlig die Orientierung verloren. Aber irgendwie mußte ich versuchen, die Apachen wiederzufinden. Da ich in der Nacht ständig westwärts geritten war, mußte ich nun zurückreiten. Jedenfalls hoffte ich, daß es so richtig war. Sicher konnte ich nicht sein. Das Land, in dem ich mich befand, kannte ich nicht. Nach fast einer Stunde tauchte ein kleiner Fluß vor mir auf. Jetzt begann ich zu glauben, daß ich auf dem richtigen Weg war. Das konnte nur der Fluß sein, an dem ich am Morgen meine Binde ausgewaschen hatte.
Ich dachte nun auch daran, daß ich meine Spuren verwischen mußte, denn ich rechnete ohnehin damit, daß früher oder später meine Verfolger wieder auftauchen würden. Das flache Flußbett brachte mich auf eine Idee. Ich trieb den Braunen ins Wasser und lenkte ihn dann flußaufwärts durch das Bett. Zwar ging es nur im Schrittempo voran, und die Hufe des Hengstes sanken tief in den Schlamm. Aber die Strömung vernichtete sofort wieder jede Spur, spülte den Flußgrund glatt und das aufgewühlte Wasser wurde wieder klar. Vielleicht konnte ich Skinyea und die Soldaten damit nicht auf die Dauer abhängen, auf jeden Fall gab ich ihnen eine harte Nuß zu knacken. Bis sie herausgefunden hatten, wo ich geblieben und in welche Richtung ich im Flußbett geritten war, hatte ich einen Vorsprung, der nicht mehr einzuholen war. Glaubte ich. Zwei Stunden etwa ritt ich im Fluß nordostwärts. Dann wurde das Bett tiefer, die Strömung reißender. Ich lenkte den Braunen an Land und jagte nach Osten davon. Der Hunger wühlte nun wie ein Raubtier in meinen Eingeweiden, und ich war kaum noch in der Lage, ihn zu unterdrücken. Gegen Abend waren meine Verfolger noch immer nicht zu sehen. Ich war überzeugt, sie endgültig losgeworden zu sein und wurde allmählich ruhiger. Als ein Waldgebiet vor mir auftauchte, ließ ich den Hengst langsamer traben und zügelte ihn auf einer Lichtung. Steifbeinig glitt ich aus dem Sattel. Meine Arme und Beine zitterten vor Schwäche. Ich konnte mich gerade noch zu einem umgestürzten Baumstamm schleppen. Dann sank ich nieder, fiel mit dem Rücken gegen den Stamm und verlor für kurze Zeit das Bewußtsein. * Mitternacht. Der Mond hing voll und rund wie ein Lampion am Himmel. Er stand über der Lichtung, auf der ich mich befand. Milchigbleiches Licht lag auf den Spitzen der Bäume. Ich fühlte mich unausgeruht und zerschlagen. Schmerzen hatte ich nicht. Erst als ich mich herumwälzte, durchzuckte wieder ein heftiges Stechen meinen Körper. Trotzdem versuchte ich, mich aufzurichten.
Ich war so schwach, daß ich minutenlang auf den Knien hockte, bis ich endlich auf die Beine kam. Krämpfe zogen meine Därme zusammen. Ich konnte nicht aufrecht stehen und hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Schweiß brach mir aus allen Poren und rann in dichten Bächen über mein Gesicht. Der Hunger ließ mich fast wahnsinnig werden. Ich torkelte über die Lichtung. Neben einem Redwoodbaum blieb ich stehen und lehnte mich stöhnend dagegen. Ich preßte die Stirn gegen die rissige Rinde, bis die Haut über meinen Augenbrauen aufplatzte. Doch das spürte ich nicht. Gekrümmt taumelte ich weiter, bis ich den Braunen erreichte. Irgend etwas zwang mich, in den Sattel zu steigen und weiterzureiten, obwohl ich besser hätte liegenbleiben und warten sollen, bis es mir besser ging. Doch ich spürte Gefahr in der Nähe, eine Gefahr, die ich nicht erklären konnte und für die es eigentlich auch keinen Grund gab. Ich hatte meine Verfolger abgehängt und meine Spuren verwischt. Ich trieb den Braunen an und ritt quer über die Lichtung nach Osten. Der Braune brach durch das Unterholz. Tiefhängende Zweige klatschten mir ins Gesicht. Stundenlang ritt ich durch den Wald. Bald wußte ich nicht mehr, wo ich mich befand. Die Darmkrämpfe hatten nachgelassen, die Schmerzen nicht. Es wurde kälter, die Luft wurde trüb. Morgennebel kroch durch das Dickicht. Ich konnte mich nicht mehr im Sattel halten. Meine Muskeln waren kraftlos, mein Gleichgewichtssinn schien ausgesetzt zu haben. Vor meinen Augen kreiste alles, drehte sich rasend schnell. Hilflos tastete ich mit beiden Händen hin und her und versuchte, mich in der Mähne des Braunen festzukrallen. Es gelang mir nicht. Ich fiel. Ein dichter Strauch dämpfte meinen Sturz. Ich riß ganze Zweigbüschel mit und prallte so nicht besonders hart am Boden auf. Wie lange ich dann reglos dalag, weiß ich nicht. Doch die Ruhelage schien mir gut zu tun. Nach einiger Zeit ging es mir besser. Schwerfällig konnte ich mich herumwälzen und entdeckte, daß ich in einen Wacholderbusch gefallen war. Gierig langte ich nach den Beeren, die direkt vor meiner Nase hingen. Zuerst fehlte mir fast die
Kraft, sie zu pflücken. Dann zerrte ich einfach mit beiden Händen einen Zweig vor meinen Mund und nahm die Beeren direkt zwischen die Zähne. Wie ein Besessener fraß ich den Strauch leer. Ich schluckte sogar einige Blätter, ohne mich daran zu stören. Nach und nach fühlte ich, wie meine Kräfte wiederkehrten, wenn auch langsam. Ich konnte mich immerhin erheben und zum nächsten Busch humpeln, wo ich wieder auf die Knie fiel, und mit zitternden Händen die Beeren von den Zweigen streifte. In diesem Moment hörte ich ein lautes Knacken im Unterholz. Ich erstarrte in der Bewegung, duckte mich und lauschte. Leise rauschend strich ein Windhauch durch das Geäst. Die Nebelschwaden lösten sich auf. Hier und da lugte bereits die Sonne durch das dichte Laubdach. Mein Herz hämmerte. Für einen Moment fühlte ich nichts von meiner Schwäche, meinen Schmerzen. Konzentriert horchte ich in die Dunkelheit des Waldes. Wieder knackte es. Während meiner Zeit bei den Apachen hatte ich gelernt, zu unterscheiden, ob ein Mensch oder ein Tier durch das Unterholz brach. Ich war sicher, daß ich ein Tier hörte, aber kein Wildtier. Ein Pferd? Ich wußte es nicht. Da tauchte ein Schatten auf. Keine fünfzehn Yards entfernt. Ein Reiter. Er lenkte sein Pferd an mir vorbei. Selbst wenn er herübergeschaut hätte, hätte er mich zwischen den dichten Sträuchern vermutlich nicht gesehen. Es war Skinyea. Ich hätte in diesem Moment heulen können. All meine Mühe hatte nichts genutzt. Skinyea hatte meine Spur gefunden und weiterverfolgt. Er war mir verdammt nahe auf den Pelz gerückt. In diesem Moment hätte er mich ohne Schwierigkeiten töten können, hätte er mich entdeckt. Ich hatte ihm in meinem Zustand nichts entgegenzusetzen. Sekundenlang wagte ich nicht zu atmen. Dann verschwand Skinyea aus meinem Blickfeld. Die Gefahr war vorbei. Im Augenblick wenigstens. Ich erhob mich. Noch immer war ein
brennendes Hungergefühl in mir, aber längst nicht mehr so stark wie in der Nacht. Dafür meldete sich der Durst wieder. Schwerfällig schleppte ich mich zu meinem Braunen zurück und zog mich in den Sattel. Ich war völlig verdreckt und von Schrammen, Blutergüssen und tiefen Kratzern gezeichnet. Hätte ich in diesem Moment in einen Spiegel schauen können, wäre ich vor mir selbst erschrocken. Ich trieb den Braunen an und ritt in die Richtung, aus der Skinyea gekommen war. Das schien mir die beste Lösung zu sein. Mir blieben nicht mehr viele Wege, und vielleicht gab es bald gar keinen mehr. Vielleicht hatte ich schon verloren, und es war besser, gleich aufzugeben, statt noch mehr Schmerzen und Strapazen in Kauf zu nehmen. Aber ich hatte gelernt zu kämpfen. Kampflos aufgeben, das war nichts für mich. Mir fielen wieder die hilflosen Squaws ein, die von den Soldaten abgeschlachtet worden waren, weil Skinyea sie verraten hatte. Nein, er sollte nicht ungeschoren davonkommen. Dafür wollte ich sorgen, solange noch ein Funken Leben in mir war.
9. Die Sonne ging auf. Vor mir lag die verbrannte Steppe. Ich hatte den Wald vor wenigen Minuten verlassen. Seitdem wußte ich, daß ich in der Nacht im Kreis geritten war. Ich befand mich wieder da, wo ich am Abend den Wald erreicht hatte. Ich wußte nun aber auch, daß Skinyea der einzige war, der mich noch verfolgte. Seine Spur war nicht zu übersehen. Ich folgte ihr zurück, fand aber außer meiner eigenen Fährte vom Vortag keine weiteren Hufabdrücke. Da war ich sicher, daß die Soldaten aufgegeben hatten, wie ich es vorausgesehen hatte. Wäre ich nicht in einem so jämmerlichen Zustand gewesen, wären die Chancen nun gleich verteilt gewesen. So aber war Skinyea mir gegenüber noch immer im Vorteil, wenn meine Lage sich auch dadurch gebessert hatte, daß ich nur noch von einer Seite mit Gefahr zu rechnen hatte. Je wärmer es wurde, um so schlimmer wurde mein Durst. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Weg zurückzureiten, auf dem ich gestern abend gekommen war. Ich kannte das Land nicht und wußte
nicht, wo ich sonst nach Wasser hätte suchen sollen. Der Hunger wurde auch wieder stärker. Die wenigen Beeren hatten nicht lange vorgehalten. Gegen Mittag lag der Fluß vor mir. Der Braune hielt erst an, als er mit den Vorderläufen im seichten Wasser stand und den Kopf senken konnte, um zu saufen. Ich glitt schwerfällig aus dem Sattel und plumpste kraftlos ins Wasser. Nachdem ich getrunken hatte, suchte ich nach etwas Eßbarem. Selbst eine Schlange hätte ich in diesem Moment roh verschlungen, wenn ich eine gefunden hätte. Aber ich fand keine. Statt dessen entdeckte ich einige Sumach-Sträucher, deren Früchte ich verspeiste. Von einem Pinyon-Baum pflückte ich die Zapfen und schälte die Kerne heraus. Sie sollten nur geröstet gegessen werden, aber ich schlang sie so herunter, obwohl sie verdammt hart waren und auch ziemlich bitter schmeckten. Satt wurde ich nicht. Ich hockte mich schließlich hin und grub mit meinem Messer Wurzeln aus, die ich im Wasser reinigte und roh aß, obwohl sich mein Magen hob und ich mehr als einmal nahe daran war, mich zu übergeben. Den Verband wusch ich abermals aus. Er war bereits fadenscheinig geworden. Lange würde er nicht mehr halten. Was ich dann tun sollte, war mir schleierhaft. Meine Wunde hatte sich nicht gebessert. Dabei konnte ich schon froh sein, daß sie nicht schlimmer geworden war. Eine Stunde ruhte ich mich am Ufer des Flüßchens aus. Ich fühlte mich nicht wohl dabei. Wenn man gejagt wird, fühlt man sich nie wohl und kann sich nie richtig entspannen. Dann brach ich auf und ritt südostwärts. Ich wollte versuchen, den Lagerplatz neben den »Fingern Mayochinas« wieder zu erreichen, auch wenn es dort kein Leben mehr gab und die Krähen und Kojoten inzwischen vermutlich aufgeräumt hatten. Aber ich sagte mir, daß die Krieger ja nichts davon wissen konnten und daher dorthin zurückkehren würden. Mit einigem Glück mußte ich auf sie stoßen. Vor mir dehnte sich das Land in nahezu unendlicher Weite. Im Osten begrenzt von den Kinney-Bergen, im Süden von einer Hügelkette. Der Braune griff weit aus. Nachdem ich gegessen hatte und auch
nicht mehr unter Durst litt, waren die Schmerzen leichter zu ertragen, die ich beim Reiten hatte. Während die Sonne stetig nach Westen zog, seit sie den Zenit überschritten hatte, kam ich gut voran. Die Stille eines Friedhofs lag über dem Land. Der Wind schwieg fast völlig, und so hörte ich nur den dumpfen Hufschlag meines eigenen Pferdes. Am Spätnachmittag sah ich einen Adler am wolkenlosen Himmel. Er zog ruhig seine Kreise, die mächtigen Schwingen kaum bewegend. Ich beobachtete ihn eine Weile und wünschte mir, genau so fliegen zu können. Er stieß plötzlich auf irgend etwas nieder. Ich verlor ihn aus den Augen und sah ihn viel später in weiter Ferne nach Norden fliegen. Hinter mir färbte sich bereits der Horizont rötlich. Ein feiner Schleier legte sich über den goldenen Glanz der Sonne. Die Schatten wurden lang. Nach und nach kühlte sich die Luft ab. Müdigkeit war in mir, und die Schmerzen in der Wunde verstärkten sich wieder. Es wurde Zeit, daß ich eine Pause einlegte. Dann sah ich die Farm plötzlich vor mir, vielmehr, ich sah das, was von ihr übriggeblieben war. * Sie lag in einem Tal, am Rande eines kleinen Waldstücks. Links davon erstreckten sich Maisfelder. Jetzt bestand die Farm nur noch aus Trümmern. Schwarzverkohlte Ruinen standen wie ein Mahnmal des Schreckens in dem weiten, friedlich wirkenden Land. Die Maisfelder daneben waren abgebrannt und von Asche bedeckt. Ich ritt auf den Hof des Anwesens. Auf einer Wäscheleine neben der Scheune, die nur zur Hälfte niedergebrannt war, hingen einige Kleidungsstücke. Eine derbe, braune Männerhose, zwei einfache Schürzen, ein großes Baumwollhemd mit geflickten Ellenbogen. Hier lebte kein Mensch mehr. Die erste Leiche fand ich hinter den Trümmern des Wohnhauses. Es war ein großer Mann, dessen Alter ich nicht mehr schätzen
konnte. Das Feuer hatte ihn teilweise verzehrt, Aasvögel und Schmeißfliegen hatten sein Gesicht zerstört, und was noch von ihm übrig war, war mit mindestens einem Dutzend Pfeilen gespickt. Ich zog rasch den Braunen herum und ritt zurück zur Vorderseite der Ruine. Mir war ganz schlecht von dem Anblick. Steifbeinig stieg ich aus dem Sattel und ging zum Brunnen. Die Fassung war unbeschädigt, die Winde, über die die Kette lief, auch. Ich kurbelte den Eimer hoch, der im Brunnen hing. Das Wasser darin war klar und eiskalt. Es war offenbar in Ordnung. Ich tränkte den Braunen und schaute mich weiter auf der Farm um. Die Korrals waren zerstört, der Boden daneben von Hufen zerwühlt. Überall fand ich Apachenpfeile. Als ich das niedergebrannte Wohnhaus in näheren Augenschein nahm, entdeckte ich unter den Trümmern weitere Leichen. Ich war allein hier und hatte nichts zu befürchten. Es war ein guter Platz zum Rasten. Während sich im Westen die Sonne in ein rotglühendes Feuerrad verwandelte, ging ich zum Stall hinüber. Als ich den unbeschädigt gebliebenen Teil des Gebäudes betrat, erlebte ich eine Überraschung. Drei oder vier Hühner pickten hier am Boden herum. Als ich eintrat, gackerten sie erschrocken und flatterten auf eine Öffnung in der verkohlten Rückwand zu. Ich reagierte schnell, obwohl ich meinte, Blei in den Knochen zu haben und bei jeder Bewegung schlimme Schmerzen hatte. Mit einigen raschen Sätzen, die mir das Wasser in die Augen trieben, sauste ich hinter den Hühnern her und bekam auch mit knapper Not noch eins zu packen. Es tobte wie wild und hackte um sich. Es war mir egal, daß mich der scharfe Schnabel an der linken Hand verletzte, so daß es blutete. Ich konnte das Huhn festhalten und schnitt ihm mit meinem Messer den Kopf ab. Das ging sehr schnell. Dann ließ ich es fallen und mußte mich zum Kraftschöpfen auf den Boden hocken. So sehr hatte die kleine Anstrengung mich mitgenommen. In der Zwischenzeit blutete das Huhn aus. Später saß ich im letzten Tagesschimmer neben dem Brunnen auf dem Hof und rupfte das Huhn. Es war fett und schwer, und mir lief allein bei dem Gedanken an den herrlichen Braten das Wasser im
Mund zusammen. Der Braune hatte sich kritisch angeschaut, was ich tat. Er hatte das tote Huhn beäugt und beschnüffelt und sich dann verächtlich abgewandt, um unweit der Korrals zu grasen. Ich suchte nach Holzscheiten und entfachte hinter der Scheune, an einer windgeschützten Stelle, ein kleines Feuer, über dem ich das Huhn briet. In der Zwischenzeit holte ich mir das Männerhemd von der Wäscheleine. Es war sauber und längst getrocknet. Ich schnitt den Stoff in Streifen und legte mir endlich einen neuen Verband an. In diesem Augenblick hätte es mir nicht besser gehen können. Nur eine gute Salbe aus Kräutern fehlte noch. Aber ich sagte mir, daß ich noch am Morgen dieses Tages damit gerechnet hatte, am Abend tot zu sein und es durchaus hätte schlechter treffen können. Jetzt gab es durchaus wieder eine Chance, Skinyea zu entkommen und rechtzeitig die anderen Krieger zu finden. Da konnte ich schon auf die Salbe verzichten. Mit Heißhunger fiel ich über das Huhn her. Ich verspeiste es bis auf die Knochen und spülte mit klarem Brunnenwasser nach. Als ich mich erhob und das Feuer auseinandertrat, war es Nacht. Die Sonne war untergegangen, am Himmel stand ein fast voller Mond, der bereits abnahm. Auf dem Hof stand der Braune. Ich führte ihn hinter die Scheune und schlug hier mein Lager auf. Satt bis zum Stehkragen sank ich auf den blanken Erdboden. Ich war rundum zufrieden. Es ist schon merkwürdig, was ein voller Bauch aus einem Menschen machen kann. Er hebt die Moral und schläfert auch gewisse Instinkte ein. Mit einem vollen Bauch sieht die Welt gleich anders aus. Ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, unbelastet von jeglichen Sorgen. * Es war kalt, als ich erwachte. Nur wenige Stunden waren es noch bis zum Sonnenaufgang. Ich fröstelte. Der Braune stand neben mir und hatte mich mit seiner weichen Schnauze angestoßen. Er hatte mich geweckt.
Ich richtete mich auf. Schmerzen hatte ich nicht mehr, und auch sonst fühlte ich mich gut. Meine Sinne arbeiteten wieder präzise und hellwach. Ich legte dem Braunen die Rechte flüchtig auf die Nüstern und erhob mich. Meine rechte Faust senkte sich auf den Messergriff. Angespannt lauschte ich in die Nacht. Es war alles still. Am Himmel waren ein paar Wolken aufgezogen, die die Sterne fast völlig verdeckten. Ich huschte zur Stallwand hinüber und ging von hier aus weiter zur Westecke des Baus. Als ich aus dem Schatten der Stallwand trat, sah ich auf dem Hof ein Pferd stehen. Ich konnte es nicht genau erkennen. Es stand im Schatten des Mondlichts. Aber es war ein Indianerpony, daran bestand kein Zweifel. Es war klein, stämmig, mit kurzem Hals und langer Mähne. Schweratmend lehnte ich mich an die Hauswand. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Im ersten Moment wollte ich zu meinem Pferd laufen, aufspringen und davonreiten. Aber das war die schlechteste Lösung. Ich drehte mich um und wollte das Gebäude umrunden. Da bemerkte ich vor mir eine Bewegung. Ich erstarrte. Wenige Yards entfernt von mir schälten sich die Konturen eines Mannes aus der Dunkelheit. Die Menschenknöchel an der Kette auf seiner Brust schlugen leise klirrend zusammen. Dann grinste er dünn. Hell schimmerten die kräftigen Zähne im Mondlicht. Skinyea blickte mich an. In seinen Augen glühten das Feuer des Hasses und der Triumph des Siegers. Er hatte mich gestellt. Ich rührte mich nicht vom Fleck und war überzeugt, daß nun alles vorbei war. Meine Kehle war plötzlich eng. Mein Magen krampfte sich zusammen. In meiner Wunde pulste heftig das Blut gegen die dünne Schorfschicht, die sich über dem tiefen Riß gebildet hatte. »Hallo, kleines Gelbhaar«, sagte Skinyea. Er sprach im Apachendialekt. Ich schwieg. »Du bist noch jung, aber schon ein großer Krieger, Gelbhaar«, sagte Skinyea. »Ich habe nicht geglaubt, daß es so schwer sein
würde, dich zu kriegen.« »Ich heiße Ronco«; sagte ich. »Ich bin ein Chiricahua.« Er lachte, leise, verhalten, etwas abgehackt. »Du bist ein Chiricahua«, sagte er. »Ein kleiner, blonder Chiricahua, der gleich tot ist.« Er hielt seinen Bogen in der Linken. »Das hilft dir nicht, wenn du mich umbringst«, sagte ich. »Glaubst du?« Spott klang in seiner Stimme mit. »Du glaubst doch nicht, daß Mangas Coloradas und die anderen nicht zwei und zwei zusammenzählen können«, sagte ich. »Es ist klar, daß jemand unser Lager bei den ›Fingern Mayochinas‹ verraten hat. Jemand verraten hat, daß gerade vor zwei Tagen die Krieger nicht im Lager sein würden.« »Deshalb weiß noch niemand, wer das alles verraten hat«, sagte Skinyea. »Es kommt nur einer in Frage«, sagte ich. »Außer dir gibt es niemanden, der Bescheid wußte und gleichzeitig mit Soldaten verkehrt.« Skinyea lächelte nicht mehr. »Du bist schlau, kleines Gelbhaar«, sagte er. »Du bist verdammt schlau, aber das habe ich mir schon gedacht, als ich auf deiner Spur geritten bin. Trotzdem hast du nicht recht. Es wäre für die Blauröcke nicht schwer gewesen, das Lager zu finden. Überall im Land sind Farmen niedergebrannt worden, und die Spuren sind leicht zu verfolgen.« »Vielleicht«, sagte ich. »Aber die Langmesser hätten nicht gewußt, daß keine Krieger im Lager sind, wenn du nicht gewesen wärst.« »Mag sein«, sagte er. »Aber das wird niemand erfahren, wenn du tot bist, und gleich bist du tot.« Ich fühlte, wie ich langsam ruhiger wurde. Skinyea war sich nicht mehr ganz so sicher, das spürte ich. Das, was ich gesagt hatte, hatte sich in ihm festgesetzt und stimmte ihn nachdenklich. »Was ist mit den gefangenen Weißen geschehen?« fragte er. »Kurz nachdem du weggeritten warst, sind sie fortgebracht worden«, erwiderte ich. Ich konnte mir ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen, obwohl ich eigentlich nicht den geringsten Grund
hatte, fröhlich zu sein. »Warum?« »Ich weiß nicht. Es war niemand da, den ich fragen konnte. Ich lag verwundet auf meinem Lager, und am nächsten Morgen sind die Krieger früh aufgebrochen. Vielleicht war schon eine Verabredung mit einem weißen Händler getroffen worden.« Skinyea nagte auf seiner Unterlippe. »Du bist ein Dreckstück«, sagte ich. Es drängte aus mir heraus, ich konnte nicht anders, ich mußte es aussprechen. »Du bist ein Stinktier, eine feige Ratte. Lange treibst du dein Spiel nicht mehr. Diesmal hast du Pech gehabt, und es wird nicht lange dauern, dann ist es vorbei mit dir.« »Aus dir schreit die Angst«, sagte Skinyea. »Du hast eine weiße Haut, aber du bist genauso verrückt wie Mangas Coloradas, Cochise und die anderen. Keiner von ihnen wird lange leben, weil sie immer noch träumen, den weißen Mann besiegen zu können. Das Land ist nicht mehr unser Land. Die Weißaugen haben es erobert, und wenn wir uns nicht mit ihnen einigen, werden sie uns alle ausrotten. Ich will nicht sterben, sondern leben. Ich kann mit den Weißaugen leben. Wer zu dumm dazu ist, muß sterben.« »Du bist ein Verräter«, sagte ich. »Alles, was du sagst, ändert nichts daran. Du bist ein Mörder deiner eigenen Brüder und Schwestern.« Skinyea lachte gekünstelt. Er zog mit einer raschen Bewegung einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne. In diesem Moment drängte sich eine dunkle Wolke vor den Mond. Mit einem Schlag war es stockfinster. Das war meine Chance. Ich warf mich herum und stürmte los, obwohl wieder heftige Stiche in meiner Wunde tobten. Jetzt ging es um mein Leben. Skinyea fluchte laut. Als ich die Ecke des Stalles erreichte, zischte ein Pfeil an mir vorbei. Er fuhr durch mein dichtes Haar und streifte mein linkes Ohrläppchen. Warm tropfte Blut auf meine Schulter. Da bog ich bereits um die Ecke. Mir war schleierhaft, was ich tun sollte. Ich konnte nicht immer weglaufen. Das hielt ich noch nicht durch. Dazu war meine Verwundung zu schwer. Mit weiten Sätzen jagte ich über den Hof. Skinyeas Pferd stand
mir im Weg. Am Sattel baumelte der prächtige Schädelbrecher. Das war eine Waffe, besser als mein Messer, auch wenn sie nicht das richtige Instrument war, um Pfeile abzuwehren. Ich stürmte auf das Pferd zu und griff nach dem Schädelbrecher. Im selben Moment, als ich den rohhautumwickelten Griff packte, wirbelte das Pony herum. Mir fiel ein, wie gefährlich das Biest war, daß es niemanden an sich heranließ. Aber daran hätte ich früher denken müssen. Dem zuschnappenden Gebiß entging ich um Haaresbreite. Einer der wuchtig hochzuckenden Hinterhufe jedoch streifte mich und warf mich mit aller Gewalt zu Boden. Ich brüllte vor Schmerzen. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, und ich meinte, mich nie mehr erheben zu können. Sekundenlang war mein linkes Bein wie gelähmt, und ich wälzte mich zusammengekrümmt durch den Staub. Aber ich hielt den Schädelbrecher fest, und als die Schmerzen abflauten, bog gerade Skinyea um die Ecke der Scheune. Im selben Augenblick tauchte der Mond wieder hinter der dunklen Wolke auf. Im Nu lag der Hof der abgebrannten Farm im bleichen Licht der Nacht. Skinyea lachte höhnisch und hob den Bogen. Mit der Kraft der Verzweiflung bäumte ich mich auf und schleuderte den Schädelbrecher. Skinyea konnte nicht ausweichen. Er konzentrierte sich auf seinen Schuß. Er reagierte zu spät, als er bemerkte, was auf ihn zuraste und er den Kopf zur Seite reißen wollte. Der Pfeil, der mich unweigerlich getötet hätte, flog an mir vorbei und bohrte sich in das Holz der Winde des Brunnens. Da krachte der Schädelbrecher bereits Skinyea an den Kopf. Mit einem Aufschrei ging er zu Boden. Der Treffer konnte ihn nicht töten, aber vorübergehend betäuben. Das genügte mir. Ich kam auf die Beine und überlegte einen Moment, ob ich hinlaufen und Skinyea mit seinem Schädelbrecher den Rest geben sollte. Aber er regte sich schon wieder etwas, und ich war nicht sicher, daß ich im Moment die Kaltblütigkeit besaß, ihm den Schädel
einzuschlagen. Es gehörte schon etwas dazu, einen Menschen totzuschlagen. Im Kampf war das vielleicht einfacher, aber so … Ich lief um die Scheune herum zu meinem Braunen. Ich stieg in den Sattel und trieb den Hengst an. Ohne zurückzuschauen sprengte ich in die Nacht hinaus. Ich setzte darauf, daß der Braune ausgeruht war, während Skinyea offenbar den ganzen vergangenen Tag und auch in der Nacht nach meiner Fährte gesucht hatte, ohne Ruhe zu bekommen. Schon einmal hatte ich ihn abgehängt, weil mein Pferd mehr Reserven gehabt hatte als sein Tier. Vielleicht würde es diesmal wieder klappen. Vielleicht. Aber es würde knapp werden, und ich wußte, daß ich jetzt wirklich bald auf Hilfe stoßen mußte, sonst war ich erledigt. Immer würde ich nicht solches Glück haben. Am Ende war Skinyea der Stärkere, das war mir klar. Die Zeit arbeitete für ihn. Je länger er mich hetzte, desto schwächer wurde ich, und es würde der Punkt kommen, da ich nicht mehr weiterkonnte. Unvermeidlich. Dann hatte Skinyea gesiegt.
10. Die Sonne ging auf. Ich ritt direkt in das grelle Tageslicht und schloß geblendet die Augen. Vor mir, zum Greifen nahe, wie es schien, stieg ein orangefarbener Ball hinter den Bergen auf, umgeben von lodernden, weißglühenden Flammen. Ich ließ den Braunen in eine langsamere Gangart wechseln. Auf einem Hügelrücken zügelte ich ihn und drehte mich im Sattel um. Das Land war flach, von einigen wenigen Bodenfalten und Erhebungen abgesehen. So konnte ich Skinyea entdecken. Er war im Augenblick nur ein schwarzer Punkt, etwas größer als eine Männerhand. Aber mir genügte es, zu sehen, daß er noch immer hinter mir her war. Langsam wurde er mir unheimlich. Er schien übermenschliche Kräfte zu besitzen. In den letzten Tagen konnte er kaum geschlafen haben. Ich hatte ihm in der Nacht nicht die geringste Erschöpfung angemerkt, und auch jetzt, von weitem, schien es so, als treibe er sein Pferd mit unverminderter Energie voran. Mehr als je zuvor wurde mir klar, daß ich diesem Gegner nicht gewachsen war. Dazu fehlten mir noch eine Menge Jahre und vor
allem Erfahrung. Ich trieb den Braunen wieder an und ritt weiter nach Osten. Im Laufe des Tages mußte ich die »Finger Mayochinas« erreichen. Dort würde sich alles entscheiden. Wenn die Krieger zurückgekehrt waren und noch dort lagerten, wo ihre Squaws abgeschlachtet worden waren, hatte ich es geschafft. Wenn ich nur auf abgenagte, verwesende Leichen, auf bleichende Knochen stieß, war ich am Ende. * Gegen Mittag fiel mir auf, daß der Braune lahmte. Gelinde Verzweiflung befiel mich, die sich rasch in Wut verwandelte, in Trotz. Wandte sich das Schicksal jetzt gegen mich? Der Braune humpelte nun richtig und blieb dann stehen, mit gesenktem Kopf, als ob er sich schäme. Ich glitt zu Boden, klopfte ihm den Hals und strich ihm durch die zottige, kurze Mähne. »Du bist schon in Ordnung, Alter«, sagte ich. Er schnaubte leise, als wolle er sich entschuldigen. Er hatte in den letzten Tagen mehr geleistet, als ich ihm jemals zugetraut hätte. Ohne ihn wäre ich zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon tot gewesen. Er hatte den rechten Vorderlauf leicht angehoben. Ich hob den Huf hoch und schaute ihn mir an. Der Braune trug noch Eisen, wie es sich für ein ehemaliges Armeepferd gehörte. Am rechten Huf hatte es sich gelockert, und darunter steckte ein Stein. Keine große Sache, aber der Braune würde bestimmt noch eine Stunde humpeln, bis sein Schmerz nachließ. Ich zog mein Messer und grub den Stein heraus. Mit dem Messerknauf versuchte ich, das Eisen notdürftig wieder festzuschlagen. Es gelang weitgehend, aber ich wollte dem Hengst keine Schmerzen bereiten und stieg nicht wieder auf. Ein Blick zurück zeigte mir, daß Skinyea mir im Verlauf der letzten Stunden nicht merklich nähergekommen war. Ich schaute nach vorn und sah in zwei oder drei Meilen Entfernung die mächtigen »Finger
Mayochinas« in den Himmel ragen. Da nahm ich die Zügel des Braunen und marschierte los. Schwerfällig ging ich durch das hohe Gras. Schritt um Schritt. Die Sonne brannte mir in den Nacken, auf die Schultern und den bloßen Rücken. Vorher hatte der Reitwind wenigstens noch ein wenig Kühlung gebracht. Jetzt mußte ich die pralle Hitze auch noch ertragen und fürchtete, womöglich noch einen Sonnenbrand zu kriegen. Langsam näherte ich mich den riesigen Felssäulen. Immer schwerfälliger, immer müder wurden meine Bewegungen. Durst peinigte mich jetzt wieder. Aber ich hielt nicht an. Als ich mich bis auf zweihundert Yards den Felsen genähert hatte, konnte ich bereits sehen, daß sich dort nichts regte. Ich hatte verloren. Es hatte keinen Sinn, sich noch etwas vorzugaukeln. Meine Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Eigentlich hätte ich stehenbleiben und warten können, bis Skinyea kam. Aber es widerstrebte mir, kampflos aufzugeben. Ich ging weiter. Wieder etwas langsamer, lustloser. Zunächst erreichte ich die Wasserstelle. Ich watete ins Wasser, trank, wusch mich und wartete, bis der Braune gesoffen hatte. Dann ging ich weiter. Es war alles so, wie ich es mir vorgestellt hatte, jedenfalls fast. Inzwischen war nämlich jemand hiergewesen, falls sich die Soldaten nicht die Mühe gemacht hatten, ihre Opfer zu bestatten, was ich allerdings bezweifelte. Mehrere große Steinhügel wölbten sich auf dem Platz des Massakers. Nur noch einige wenige Leichen lagen offen herum. Die Krähen hatten nicht viel von ihnen übriggelassen. Ich ging zwischen den Toten und den Gräbern umher. Anscheinend war ich zu spät eingetroffen. Die Krieger waren vor mir dagewesen. Ich fand eine Kürbisflasche, die unbeschädigt war, und füllte sie an der Wasserstelle. Ich fand auch meinen Patronengurt für den Spencer-Karabiner. Hinter einem hohen Felsblock seitlich der »Finger Mayochinas« ging ich in Deckung. Die Wasserflasche und den Patronengurt legte
ich neben mich. Ich lud das Gewehr auf und legte mir auch noch einen Bogen und einige Pfeile zurecht, die ich gefunden hatte. Mehr konnte ich nicht tun, mehr hatte ich nicht zur Verfügung. Weiterfliehen wollte ich nicht. Der Braune lahmte zwar nicht mehr. Aber ich wollte nicht, daß Skinyea mich in der offenen Prärie einholte, wo ich nicht einmal mehr die Chance zu einem Kampf hatte. Wenn das Schicksal es so wollte, daß der Verräter und Mörder an seinem eigenen Volk ungeschoren davonkommen sollte – was ich mit meinem Leben bezahlen mußte – dann sollte die Entscheidung da fallen, wo so viele Hilflose gestorben waren. Ich blickte zur Sonne hoch und spähte dann nach Nordwesten. Skinyea ritt heran. Ich wartete auf ihn. * »Komm 'raus!« rief er. Er hatte an der Wasserstelle sein Pferd gezügelt und stand jetzt oberhalb des Wasserlochs. »Es ist aus!« rief er. »Du bist am Ende. Du kannst es dir selbst erleichtern, wenn du aufsteckst. Es gibt nichts mehr, was dich rettet. Sterben wirst du, so oder so. Es liegt bei dir, ob du leicht stirbst.« »Fahr zur Hölle!« rief ich. Meine Stimme klang heiser. Ich hob den Spencer-Karabiner, zielte und drückte ab. Im selben Augenblick ließ sich Skinyea fallen. Die Kugel ging fehl. Skinyea rollte die Böschung hinunter und war für einen Moment verschwunden. Dann sah ich seinen Haarschopf ein Stück unterhalb des Wasserloches auftauchen. Ein Pfeil schwirrte durch die Luft. Ich zog den Kopf ein. Der Pfeil prallte gegen den Felsen, hinter dem ich lag. Er zerbrach. Sekundenbruchteile später sah ich Skinyea wie einen Schatten aus seiner Deckung auftauchen und geduckt quer über den großen Platz vor den Felsfingern jagen. Ich feuerte mit dem Spencer-Karabiner, aber Skinyea war zu schnell. Es gelang ihm, sich hinter einem der Steingräber in Deckung zu bringen. »Ich kriege dich!« rief er. »Warte nur, kleines Gelbhaar. Ich hole dich. Du wirst früher müde werden als ich. Du hast mir ganz schön
zugesetzt, aber ich bin stärker, und das wirst du bald merken.« Er lachte wieder, und ich wußte, daß er recht hatte und lehnte mich mit der Stirn an den heißen Fels. Schon jetzt fühlte ich mich schwach und elend. Wenn auch die Wunde nicht mehr so sehr schmerzte, so hatte ich doch in den Tagen vorher viel Blut verloren. Das kostete mich jetzt Energiereserven, nachdem ich meine Kraft während der Tage der ständigen Flucht verausgabt hatte. Ich konnte kaum noch das Gewehr halten und starrte über den Lauf hinweg zu dem Grab hinüber, hinter dem Skinyea lag. Die Luft vor meinen Augen flimmerte, und ich konnte fast nicht mehr atmen. Ich wartete. Irgendwann mußte Skinyea auftauchen. Dann würde ich schießen. Und treffen? Meine Hände zitterten ein wenig, so sehr ich mich auch bemühte, das Gewehr ruhig zu halten. Skinyea hatte Geduld. Er zeigte sich nicht. Er sagte auch kein Wort mehr. Zäh verstrich die Zeit. Die drückende Stille war fast schlimmer, als hätte ein heftiger Schußwechsel stattgefunden. Aber Skinyea hatte von Kindheit an das Handwerk des Jagens und Tötens gelernt. Das war der Apachen Art zu leben, wie ich wußte. Skinyea konnte stundenlang schweigend und reglos auf einer Stelle hocken und mich nervlich zermürben. Ich war nicht mehr in der Verfassung, einen solchen Kampf durchzustehen. Vielleicht war es doch besser, aufzugeben, vielleicht …
11. Mein Kopf sank nach vorn auf die Brust. Ich konnte meine Augen nicht mehr offenhalten. Die steife Haltung, die Erschöpfung und die Hitze, die von den grauen Felsen gespeichert und ausgestrahlt wurde wie von Herdplatten, ließen die Müdigkeit immer stärker in mir werden. Plötzlich hörte ich, halb im Unterbewußtsein, ein schleifendes Geräusch. Ich riß den Kopf hoch und die Augen auf. Skinyea hatte seine Deckung verlassen. Er schlich auf mich zu. Das Gewehr war tonnenschwer, aber irgendwie brachte ich es hoch und feuerte.
Die Kugel schleuderte direkt vor Skinyeas Füßen eine Staubfontäne in die Luft. Sofort warf sich der Krieger zurück. »Wie lange schaffst du es noch?« rief er. »Gleich habe ich dich, kleines Gelbhaar, gib dir keine Mühe.« Ich schluckte einen Fluch hinunter und repetierte den Spencer durch. In diesem Moment klang Hufschlag auf. Leise erst, dann immer stärker werdend. Ich richtete mich auf, lehnte mich an den Felsen und lauschte. Als ich eine Staubwolke sah, die sich stetig näherte, ließ ich das Gewehr fallen. Die Spannung in mir löste sich mit einemmal. Egal, wer dort heranritt, ich war am Ende. Wenn es eine Armeepatrouille war, die sich näherte, hatte jeder Kampf keinen Sinn mehr, kamen wider Erwarten Indianer, war ich gerettet und brauchte nicht mehr zu kämpfen. Langsam rutschte ich an dem Felsblock, an dem ich stand, hinunter. Ich gab mir nicht die geringste Mühe, mich aufrecht zu halten. Mir schwanden die Sinne. Ich wehrte mich nicht mehr dagegen. * Wasser netzte mein Gesicht, meinen Oberkörper. Wasser floß mit in den Mund, in den Hals. Ich hustete, bäumte mich auf, hustete immer heftiger und meinte, zu ersticken. Kräftige Arme hielten mich fest. Jemand wischte mir das Gesicht trocken. Ich schlug die Augen auf. Verschwommen sah ich die Gesichter über mir. Langsam wurde mein Blick klarer. Ich glaubte zu träumen. Little Friend stand vor mir. Ich sagte gar nichts, konnte nichts reden. Meine Zunge war wie gelähmt. Sein Gesicht war ernst, verschlossen, düster fast. Tiefe Falten hatten sich um seine Mundwinkel gekerbt. Ich glaubte, Erbitterung, leise schwelenden Haß in seinen Augen zu entdecken. Ich holte tief Atem. »Skinyea ….«, stammelte ich leise, fragend, anklagend.
Little Friend bückte sich, faßte unter meine Achseln und half mir hoch. Wortlos zeigte er nach Süden. Ich sah einen Reiter. Ein Mann floh. Mehrere andere folgten ihm und holten ihn ein. Dann kehrten sie zurück. Wenige Minuten nur vergingen. Dann stand Skinyea vor mir, eingerahmt von Apachen, deren Mienen hart wie Stein wirkten. Schwer lag die Rechte von Little Friend plötzlich auf meiner Schulter. »Sprich«, sagte er, ohne zu sagen, was er meinte. Ich wußte es auch so. »Sprich«, wiederholte er. »Sag alles.« »Laß mich los«, sagte Skinyea. Er starrte an Little Friend vorbei. »Warum haltet ihr mich fest ?« »Schweig«, sagte Little Friend. Und Skinyea schwieg. »Es kamen Soldaten«, sagte ich. »Am Abend des Tages, an dem ihr aufgebrochen seid. Sie schienen zu wissen, daß keine Krieger im Lager waren. Sie griffen uns an und metzelten alles nieder. Dann erschien er.« Ich zeigte auf Skinyea. »Er sprach mit den Offizieren der Langmesser. Es ging um die weißen Gefangenen. Ich war mit meinem Pferd am Wasserloch und habe deshalb alles heil überstanden. Er hat mich gejagt, Tag und Nacht, bis vorhin.« »Enju.« Little Friend trat an mir vorbei. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Ich konnte mir vorstellen, was in ihm vorging. Er hatte Sandblume, sein Weib, mit gespaltenem Schädel gefunden. »Er lügt«, sagte Skinyea. »Er spricht mit gespaltener Zunge.« »Er sagt die Wahrheit.« Little Friends Stimme klang dumpf. »Du hast uns alle belogen. Seit Jahren schon. Du hast geglaubt, daß niemand von uns übrigbleibt. Aber das war ein Irrtum. Als wir nach Fort Clark kamen, warteten fast vierhundert Langmesser auf uns. Mit Kanonen. Das Fort war gut bewacht. Keine schwache Wache, wie du gesagt hast. Aber der Große Geist hat uns beigestanden. Die Weißaugen haben uns geschlagen, aber nicht vernichtet. Viele Krieger sind gefallen und verletzt. Wir haben viele Pferde verloren. Und in unserer Abwesenheit hast du auch unsere Squaws töten lassen.« »Das Fort war …« Skinyea wirkte wirklich überrascht. »Die
Verstärkung kann erst gekommen sein, nachdem ich weggeritten war«, sagte er. »Genauso, wie die Gefangenen weg waren, als du mit den Soldaten auftauchtest, nicht wahr?« Little Friend lächelte, und wer sein Lächeln sah, dem lief es kalt über den Rücken. »Einmal mußte alles schiefgehen, Skinyea. Du hast Pech gehabt.« Skinyea hob den schmalen Kopf. »Vielleicht«, sagte er. »Ja, es ist, wie du sagst, wie das kleine Gelbhaar es erzählt hat. Aber ihr seid Narren. Ihr träumt davon, den weißen Mann zu besiegen. Das werdet ihr nie schaffen. Ich will nicht siegen, sondern leben. Und leben kann man nur, wenn man sich mit dem Stärkeren verbündet.« »Du bist ein gemeiner Mörder an deinen Brüdern und Schwestern, Skinyea«, sagte Little Friend. »Dafür wirst du sterben.« Skinyea lachte auf. Mit einem Satz war er den Kriegern, die rechts und links neben ihm standen, entwischt. Mit einer blitzschnellen Bewegung riß er sein Messer aus dem Gürtel und sprang auf Little Friend zu. Little Friend wich aus und stieß mich dabei zu Boden. Im selben Augenblick zog er sein Messer. Sein Gesicht, bemalt mit den Kriegsfarben, war starr wie eine Maske. Er hatte seine Gefühle meisterhaft unter Kontrolle. Geschmeidig konterte er die heftigen Angriffe Skinyeas und stieß dann selbst nach vorn. Er fintete und wehrte einen kraftvollen Stich Skinyeas ab. Sein rechter Fuß flog hoch und traf Skinyea in den Leib. Skinyea krümmte sich keuchend zusammen. Little Friend sprang auf ihn zu und stach zu, als Skinyea sein Messer hochriß. Die Klinge von Little Friend bohrte sich in das rechte Handgelenk Skinyeas. Dem entfiel das Messer. Er preßte den rechten Arm an den Leib. Ein Fausthieb warf ihn zu Boden. Dann kniete Little Friend schon über ihm. Unwillkürlich ballte ich die Hände und biß mir in die Unterlippe. Meine Mundhöhle war trocken, meine Augen brannten. Ringsum standen reglos die Krieger. Keiner mischte sich ein. Little Friend blickte einen Moment in die glühenden Augen Skinyeas, der einen Fluch murmelte. Da stieß Little Friend zu.
* »Wir haben geglaubt, du bist tot«, sagte Little Friend. Er saß neben mir im Gras, während die anderen Krieger die restlichen Toten des Massakers zusammentrugen und unter Steinen und Ästen begruben. »Wir kamen gestern morgen hier an und sahen, was die Weißaugen angerichtet hatten.« Er sprach mit einer fast unpersönlich klingenden Stimme. Doch ich wußte, daß er an Sandblume dachte und sich beherrschen mußte. »Wir sind heute zurückgekehrt, um die restlichen Toten zu bestatten.« Ich sprach nicht. Ich wußte nicht, was ich hätte sagen sollen. Es wurde Abend, bis wir aufbrachen. Die Leiche von Skinyea nahmen wir mit. Ich saß wieder im Sattel meines Braunen. Müde, aber froh. Gegen Mitternacht erreichten wir das neue Lager der Apachen. Hier sah ich, wie viele Opfer der Angriff auf Fort Clark gekostet hatte. Viele bekannte Gesichter fehlten unter den Kriegern. Auch Stirbtjung war gefallen. Schnelltöter war verletzt, Cochise ebenso. Überall roch es nach Blut und Eiter. Während Little Friend mit Cochise sprach, schlief ich todmüde ein. Am nächsten Morgen erst sah ich, wo wir uns befanden. Wir lagerten in einem Tal am Fuße der Kinney-Berge. Hier sah ich auch die weißen Gefangenen wieder. Als die Sonne aufging, näherte sich ein kleiner Wagenzug unserem Lager. Indianerhändler erschienen. An der Spitze ritt ein beleibter Mann mit einem dicken Verband um den rechten Oberschenkel. Ich erkannte ihn sofort. Er war der Indianerhändler, dessen Haus wir überfallen hatten, den ich selbst angeschossen hatte. Er gab sich ziemlich kleinlaut. Über eine Stunde dauerte das Feilschen um die Gefangenen. Dann erhielten wir für die weißen Frauen und Kinder eine Wagenladung Gewehre sowie Pulver und Blei. Als die Händler wieder abziehen wollten, sichtlich froh,
ungeschoren davonzukommen, führte Little Friend ein Pferd zu ihnen hinüber. Darauf lag die Leiche Skinyeas. »Nehmt ihn mit«, sagte Little Friend. »Wir schenken ihn euch.« »Warum? Ich kenne den Mann nicht«, sagte der Händler und blickte sich unsicher um. Er schien zu ahnen, daß es eine Menge Krieger gab, die ihn lieber bei lebendigem Leib geröstet hätten, als ihn wieder fortzulassen. »Du wirst ihn den Blauröcken übergeben«, erwiderte Little Friend. »Untersteh dich, ihn unterwegs liegenzulassen. Bring ihn zu den Langmessern in Fort Clark. Die kennen ihn.« Der Händler verstand kein Wort. Aber er gehorchte. Ich schaute den Männern nach. Die weißen Gefangenen, die nun frei waren, weinten vor Freude. Ich verstand sie nicht. Ich hätte ihnen gern die Gräber gezeigt, neben den »Fingern Mayochinas«. Aber ich war nicht einmal sicher, ob sie es begriffen hätten. Little Friend ging an mir vorbei. Er sah krank aus, und ich wunderte mich nicht darüber. »Was – was wird nun?« fragte ich. Er blieb stehen. »Was meinst du?« »Gehen wir zurück nach Mexiko?« Er schüttelte den Kopf. »Wir kämpfen weiter«, sagte er. Dann ging er. Ich schaute schweigend über das Lager. Ich hatte nichts anderes erwartet. Rauch von vielen Feuern stieg in den Morgenhimmel, und die Verletzten kochten bereits wieder Kriegsfarben aus Pflanzenwurzeln. Über den Kuppen der Kinney-Berge stand die Sonne. Ich hob den Kopf und schaute hinein, bis mir schwarz vor Augen wurde. Dort, wo ich stand, ließ ich mich zu Boden fallen und preßte die Fäuste auf die schmerzenden Augen. Vielleicht, dachte ich, sollte man blind sein, um das Schlimme nicht zu sehen, das auf der Welt geschieht. Doch das war keine Lösung. Krieg aber auch nicht …
ENDE
Vorschau Aber Ronco und Marshal Don Gallup stellten sich den drei Messerkämpfern entgegen, und der lautlose Kampf begann. Messer blitzten im Mondlicht, lauernd umkreisten sich die Gegner, fintierten, glitten seitwärts, stießen vor wie züngelnde Schlangen. Es sah wie ein Spiel aus – und war tödlicher Ernst. Wie ein Wiesel schnellte der eine Mexikaner vor, im Sprung zuckte sein Messer hoch. Ronco spürte ein scharfes Brennen im Oberarm, und jetzt ging es hart auf hart … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 136 dieser großen deutschen WesternSerie:
Hafen-Dschungel