Heinrich Sobeck
Bike Man Tagsüber ist Johannes Radmann ein normaler Fahrradmechaniker im Norden der Kölner Innenstadt. ...
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Heinrich Sobeck
Bike Man Tagsüber ist Johannes Radmann ein normaler Fahrradmechaniker im Norden der Kölner Innenstadt. Nachts rächt er die unschuldigen Verkehrsopfer. Und wird im Nu der Liebling der Medien. Eine Satire aus dem Jahr 1991. Erste nachpubertäre Gangversuche des Schreibens.
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Rush Hour. Durch das Viertel im Norden der Kölner Innenstadt quält sich der Verkehr. Die Ozonwerte liegen irgendwo jenseits des Grenzwertes, den eh keiner kapiert. Und die Sonne brennt auf die Menschen herunter, gutes Wetter um schwimmen zu gehen. Jedenfalls für die, die heute nicht mehr arbeiten müssen.Wir stehen in einer engen Wohnstraße, irgendwo zwischen der Neusser und dem Bahndamm. Eine Straßenschlucht, kaum 10 Meter Raum zwischen den Fassaden, begrenzt von dreistöckigen Häusern der Jahrhundertwende, nach dem Krieg wieder aufgebaut. Autos quälen sich hier durch, Fußgänger drängen sich über die engen Fußwege. Und nicht nur das. Vor einem Fahrradhändler tummeln sich Menschen, die an ihren Rädern herumbasteln. Hier wird es noch enger, und gelegentlich ertönt das helle Klingeln eines Schraubenschlüssels, der zur Erde fällt.Der Laden selbst ist zwar schon voll, aber noch immer kommen weitere Kunden herein. Die Schlange der Wartenden reicht inzwischen von der Theke bis zur Eingangstür. Müssen die denn alle heute kommen? Und immer kurz vor Schluß? Das Ladenlokal befindet sich im Erdgeschoß eines Hauses der Jahrhundertwende, viel Platz ist hier nicht. Wenn wir durch die Eingangstür gehen und unseren Blick nach rechts wenden, betreten wir durch eine Türöffnung das Erdgeschoß des Nachbarhauses, in dem sich auf gleicher Fläche der Ausstellungsraum befindet; ausgestellt sind hier nicht nur Räder aller Gattungen, auch Helme und Kleidung finden hier ihren Platz. Aber gehen wir einen Schritt zurück. Zwei Kollegen drängeln sich hinter der Theke links der Eingangstür, der drahtigere von beiden reicht gerade einem Kunden die Quittung und verabschiedet ihn."Wer ist denn der nächste?"Gleich drei Leute melden sich, Johannes Radmann blickt in die Runde, eine junge Frau hat ihr Rad bereits in den Laden geschoben. Und sie wartet schon etwas länger als die beiden Herren, die sich vordrängeln wollen. Sieht übel aus, das Rad, wie nach einem Crash nun mal so üblich. Die Frau hat zum Glück weniger Blessuren abbekommen.Joe geht sich mit der Hand durch die kurzen blonden Haare, verdammt, das ist 'ne ganze Stange Arbeit. Er schiebt Frau und Bike nach hinten in den Verkaufsraum, lehnt das Rad an den Tisch, der unter den Prospekten und Produktbeschreibungen diverser Hersteller zusammenzubrechen droht. Und dann kann er sie nach der Story des besten Unfalls heute ausfragen."Was hast du denn angestellt?“ „Ich? Ich hab gar nix gemacht.“ „Und wieso ist das Rad dann so demoliert? Spaß beiseite, was war los?“ „Also, ich bin auf der Inneren Kanalstraße zur Arbeit gefahren, und wollte über die Subbelrather. Und da hat mich ein Autofahrer direkt vor der Nase geschnitten. Ich muß gegen den Wagen geprallt sein, der hat mich einfach zur Seite weggerissen.“ „Sch... Scheußlich. Hast du die Nummer von dem Typen? Hast du die Bullen gerufen? Der Typ ist schuld, du hast an der Kreuzung Vorfahrt.“ „Das weiß ich auch. Aber ich war zu benommen. Ich hab mich erst auf die Nase gelegt, und der Typ ist einfach weitergefahren. 2
Die Bullen haben mir gesagt, daß es keinen Sinn hat.“ „Ja, das haben wir in Köln 20 Mal am Tag. Hast du Zeugen?“ „Nein.“ „Halleluja... Also, bist du versichert?“ „Ja."Joes Miene hellt sich auf. Sonst könnte sie die Reparatur womöglich nicht bezahlen..."Gut. Ich versuche dein Rad in den nächsten Tagen in Ordnung zu bringen, aber das wird wahrscheinlich bis Anfang der nächsten Woche dauern.“ „So lange?“ „Bei Reparaturen haben wir eigentlich eine Wartezeit von 6 Wochen. Du bist ein Notfall, den kann man schon mal zwischendurch machen.“ „Verdammt, ich brauch' das Rad!“ „Dann kann ich dir einen Tip geben. Es gibt im Bürgerzentrum einen Fahrradverleih, der 7 Mark 50 pro Tag kostet. Das ist genau der Satz, den die Versicherung pro Tag als Nutzungsausfall zahlt.“ „Das ist mir neu.“ „Das ist die Rechtslage.“ „Sehr gut, dann gehe ich da gleich mal hin.“ „Okay. Und schreib' bitte deinen Namen, Adresse und Telefonnummer auf den Zettel. Den Rest mache ich dann gleich."Für Joe ist das heute nicht der erste Unfall, dessen Schäden er reparieren darf, und alle verlaufen nach dem gleichen Muster, daß ein Radfahrer bei der Beachtung der Verkehrsregeln abgeschossen wird. Es ärgert ihn, aber es ist Routine. Hat ja doch keinen Sinn, sich darüber zu ärgern.Auf der Kommode hinten links im Verkaufsraum füllt er den Reparaturschein aus, reißt einen Abschnitt ab und gibt ihn der Frau. Man verabschiedet sich. Joe klemmt den Zettel auf dem Gepäckträger fest und schiebt das Bike in den Hinterhof. Er sieht sich um, im Hof stehen noch etwa 20 weitere Räder, die bearbeitet werden müssen, und wie sollen sie das zu viert bis Ende der Woche schaffen? Früher, da hat er sich über den Sommer gefreut, aber seitdem er den Job als Fahrradmechaniker macht, hat Joe gelernt, diese Zeit des Jahres zu hassen, denn sie bedeutet Streß. Jetzt ist Mitte Juni, er hat selbst kaum Zeit, sich auf sein eigenes Bike zu setzen, aber durch die Sommerzeit kann er wenigstens die langen Abende dazu nutzen.Zurück hinter die Theke, einen Sattel verkauft, ein Rad verkauft, zwei Schaltungen richtig eingestellt, der Tag geht zu Ende. Endlich ist Ladenschluß, und Joe und seine Kollegen freuen sich schon darauf, übermorgen frei zu haben. Wenn auch nicht viel mit Freizeit sein wird, so können sie wenigstens den ganzen Bürokram erledigen, der sich seit einer Woche aufgestaut hat und für den sie tagsüber keine Zeit haben. Joe wird sich an die Montage eines Carbonrenners machen, den ein Kunde morgen abholen will - ein Renner, der soviel kostet, wie Joe in zwei Monaten verdient. Aber es bleibt keine Zeit für Neid, denn er wird auch dieses Rad einfahren und einstellen müssen. Und das tut er immer wieder gerne, dafür muß man sich Zeit nehmen...Die Kasse ist gemacht, zusammen mit Mike räumt Joe die Theke auf, während die Werkstatt bereits sauber gemacht ist. Zeit für den Feierabend. Wirklich? Joe sieht sich die Reparaturaufträge für morgen noch einmal an. Hm, da sollte man doch besser heute Abend schon 'mal was erledigen, sonst dauert das morgen zu lange... Er spricht sich mit Mike ab. Ja, wenn du willst, kannst du noch den Steuersatz bei dem Alurenner wechseln, der kommt morgen 3
wahrscheinlich früh in den Laden, um sein Rad abzuholen. Joe sucht sich das Rad heraus, ein schönes Teil, etwas dreckig, und der Rahmen weist ein paar abgenutzte Stellen auf, aber es ist ein schönes Rad. Vorsichtig geht er aus der Haustür, die Ladentüre ist längst von den Rolladen versperrt. Mach' keine Dellen in den Rahmen! In der Werkstatt, 70 Meter weiter Richtung Dom, klemmt er das Oberrohr in die Halterung, beginnt mit dem Ausbau der Gabel. Es dauert eine halbe Stunde, dann hat Joe den neuen Steuersatz eingebaut. Ja, das war nötig: Der alte zeigt die Spuren eingefressener Kugeln, der rastete bei Geradeausstellung ein. Zeit für eine Probefahrt.Joe schiebt das Rad neben sich aus der Tür der Werkstatt, sieht, daß vor dem Schaufenster einige Leute stehen, die sich die Mountain Bikes ansehen, die sie gestern im Ausstellungsraum dekoriert haben. Er grüßt einen Mann Mitte 20, ein Nachbar und Stammkunde."Schon wieder 'n neues Rad?“ „Hab' kein Geld. Aber nötig wär's.“ „Ja? Hast du dein Altes wieder platt gemacht?“ „Öh, fast. Bin am Wochenende mit einem Macker kollidiert, so 'nem Sonntagsfahrer, der beim Abbiegen nicht die Augen aufgemacht hat.“ „Viel kaputt?“ „Nein, nur das Vorderrad. Ist ein kleiner Schlag drin, hab ich wieder 'rausgemacht. Aber trotzdem, das Teil hat jetzt 20000 km runter, und das merkst du.“ „Ich will mein Bike im Herbst verkaufen. Willst du's haben?“ „Ach, dein Spielzeug? Wieviel willst du haben?“ „So etwa 2 große Scheine. Und du weißt, was da alles an Teilen drinsteckt.“ „Ich hab's mal kurz gesehen. Das ist doch noch gar nicht so alt, warum willst du das denn loswerden?“ „Weil ich ein neues haben will, darum. Ich lass' mir gerade einen Alurahmen zusammenschweissen und will den selbst aufbauen. Mit einigen Edelteilen, versteht sich - Stinkos-Kurbeln, Null-Naben, Greif Ton Cantilever, AKKU Carbon-Lenker und Sattelstütze, und so weiter. Wird 'ne tolle Sache.“ „Mensch, da läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wann fängst du damit an?“ „Wird 'was dauern. Erst wenn der Sommer vorbei ist.“ „Hm. Wenn mein Altes so lange überlebt, hätte ich schon Interesse an deinem Alten.“ „Wir können dann ja nochmal darüber reden. Du wirst ja sicher noch des öfteren im Laden sein.“ „Bestimmt.“ „Gut, also bis dann.“ „Ciao."Joe schiebt das Rad auf die Straße. Die Sattelhöhe stimmt, also rauf auf den Sattel. Es kracht am Hinterrad, verdammt, ich bin gerade an den Schalthebel gekommen. Dann herrscht wieder Ruhe, Joe geht in den Wiegetritt und zieht bis über 30 Sachen. Im Slalom kommt er neben den Aufpflasterungen vorbei. Er reißt am Lenker, okay, kein Spiel. Eine Vollbremsung, die Gabel gibt nach, aber das liegt nicht am Steuersatz. Also links rein, die kurze Seitenstraße lang, dann wieder links und in die Pedale gebolzt. Geräuschlos schaltet Joe auf das große Kettenblatt, überholt einen parkplatzsuchenden Pkw und legt sich nach links in die Kurve, auf dem Rückweg zur Werkstatt. Doch dann sieht er vor sich die Straße dicht. Scheiße. Er steigt voll in die Eisen, nur keinen Unfall mit dem Rad eines Kunden! Glück gehabt, das Vorderrad touchiert leicht die Stoßstange der Limousine, die mitten auf der Straße steht.Was ist 4
passiert? Ein Mercedes hatte die zulässigen 30 km/h weit überschritten und einen Jungen, der gerade über die Straße ging, angefahren, durch die Luft gewirbelt und zerquetscht, weil der Fahrer viel zu spät vom Gas gegangen war und gebremst hatte. Joe steigt vom Rad, schiebt es auf den Bürgersteig, kratzt an einem Falschparker vorbei, und dann dreht sich ihm der Magen um. Direkt vor dem Benz liegt ein Fleischbrocken, der vor wenigen Minuten noch ein Kind gewesen ist. Ein Bein ist abgerissen, der Kopf grotesk zur Seite verdreht, der Bauch blutüberströmt. Kein Zeichen mehr von Leben in dem kleinen Körper.Die Mutter kommt gelaufen, tränenüberströmt, wird von einem jungen Mann gestützt, bricht bei ihrem Sohn zusammen. Was ist mit dem Fahrer des Wagens? Joe sieht, wie sich der um all dies nicht zu kümmern scheint, er beugt sich langsam, mit fahrigen Bewegungen, über die Motorhaube seines Wagens, besieht sich die Kühlerhaube und murmelt zu sich, das ja zum Glück nichts passiert ist. Nichts an seinem Wagen. Ein älterer Mann stellt ihn zur Rede, doch der Fahrer redet nur von dem Scheißblag, das ihm ins Auto gelaufen ist, und das hoffentlich bald die Straße wieder frei wird, er hat es eilig. Hinter ihm hat sich bereits eine Schlange von Autos gebildet, die hier nicht weiterkommen und jegliche Möglichkeit menschlicher Kommunikation in einem Hupkonzert ersticken lassen.Die Polizei kommt nach langen Minuten des Wartens, die Beamten müssen gegen die Einbahnstraße fahren, weil sie nicht durch den Stau kommen. Ein älterer Mann erhebt sich ächzend aus seinem Wagen und bedeutet den Polizisten mit herrischer Geste, daß sie die Straße freizumachen hätten. Wir sind freie Bürger. Und freie Fahrt für freie Bürger. Ein Anwohner fragt ihn, ob das tote Kind auch ein freier Bürger gewesen sei? Auf der Straße hätten Kinder nichts zu suchen. Ob er keine Kinder habe? Die haben alle eigene Autos, die treiben sich nicht auf der Straße herum. Inzwischen reicht der Stau bis auf die Innere Kanalstraße zurück, aber keiner der Fahrer kann den Unfall sehen, der Verkehr in diesem Stadtteil kommt zum Erliegen. Ein Bus der KVB steckt im Stau fest, rien ne va plus.Ein zweiter und dritter Polizeiwagen rücken an; die Beamten protokollieren den Unfall, leiten den Verkehr durch eine Seitenstraße ab. Als der Bus an der Reihe ist, steht wieder alles, weil ein Falschparker mitten auf der Ecke steht. Nichts geht mehr, wie schon vorhin. Der Fahrer steigt aus und raucht sich eine Zigarette, ein Autofahrer hinter ihm steigt aus und beschimpft ihn mit deftigen Wörtern, er habe die Straße freizuhalten, der Individualverkehr habe Vorrang vor dem ganzen Pack von Asozialen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Ein gut gekleideter Mann entsteigt dem Bus und stellt den Autofahrer zur Rede. Er lasse sich nicht als Asozialer beschimpfen, bekundet der Mann in ruhigem und sicherem Tonfall, er sei Geschäftsmann und benutze das Auto nur, wenn er auch etwas dringendes zu transportieren habe. Der Autofahrer sieht sich den Argumenten beraubt und zieht sich, unsicher geworden, grollend in seine Festung zurück.Joe schiebt an der 5
zusammengebrochenen Mutter vorbei, bekommt mit, wie gelangweilt der Verursacher des Unfalls die Fragen der Polizei beantwortet. Es ist ihm egal, was hier passiert, er wird Klage gegen die Eltern des getöteten Kindes erheben, denn die haben ja schließlich ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt. Sind doch selber schuld, diese Ausländer, wenn sie ihre Kinder frei herumlaufen lassen. Gehören alle an das Halsband, diese Kinder, damit sie nicht alle auf der Straße herumlaufen. Wozu zahlt er denn Steuern?Das darf doch einfach nicht wahr sein, denkt Joe. Er sieht kurz den Namen des Fahrers, und er merkt sich die Nummer seines Wagens. Dann geht er wieder, angeekelt von diesem Schauspiel, das sich da vor seiner Haustür abspielt. Nein, er will nicht mehr fahren, es sind zuviele Menschen auf der Straße. So schiebt er das Rad in die Werkstatt, klemmt den Reparaturzettel daran und schließt hinter sich ab. Mit einem Gefühl der Übelkeit geht er die 100 Meter zu seiner Haustür. Kein Auto auf der Straße, die ist immer noch dicht.
II."Das darf doch nicht wahr sein.“ „Diese Wahnsinnigen. Und das nennt sich Rechtsstaat. Wenn ich noch einen Glauben daran hätte, würd' ich ihn glatt verlieren.“ „Der Typ läuft wieder frei 'rum. Und die Eltern kriegen noch 'ne Klage an den Hals, weil sie ihr Kind nicht unter Aufsicht hatten. Das ist ja nicht auszuhalten!"Worüber erregen sich Joe, Mike und Andy gerade so stark? Es ist der Artikel in der Tageszeitung, der sich um den Unfall dreht, der sich gestern in der Straße abgespielt hatte und den Joe mitangesehen hatte. Der 7jährige Junge war ums Leben gekommen, das war klar. Und der Fahrer, Angestellter einer Werbeagentur, hatte Spuren von Valium im Blut und war deswegen nach der Intervention eines mit ihm befreundeten Arztes und durch den Einsatz seines Anwaltes noch am selben Abend wieder auf freien Fuß gesetzt worden, nachdem ihn die Polizei zum Unfallhergang befragt hatte."Der läuft also wieder auf der Straße herum. Und der darf wieder hier jedes Kind und jeden Radfahrer plattwalzen, wenn es ihm gefällt. Ist das die neue Gerechtigkeit?“ „Das ist nun mal das Leben. Wer das Geld macht, wer die Wirtschaft am Laufen hält, der braucht seine Vorrechte. Und das Recht auf freie Fahrt gehört dazu.“ „Bist du dafür? Du redest wie diese Wirtschaftspolitiker.“ „Nä, um Gottes Willen. Aber das ist doch genau das, was sich hier in diesem Staat in den letzten Jahren abgespielt hat. Du siehst doch auch unsere Kunden, wieviele Yuppies haben wir hier, die seit 10, 20 Jahren kein Rad mehr unter'm Hintern gehabt haben und sich dann für 2000, 3000 Mark oder noch mehr ein MTB oder einen Renner anschaffen.“ „Das machen auch Studenten, die viel weniger Knete haben.“ „Aber die benutzen ihr Bike nicht, um damit über die Rheinpromenade zu rollen. Die haben das Teil dann als Transportmittel. Ne, diese Yuppies machen ja inzwischen fast 20% unseres Umsatzes aus, wenn ich das so nachhalte. Und die haben dann keine Ahnung von Verkehrsregeln, keine Kondition und können mit den teuren Teilen nicht richtig umgehen.“ „Ja, wie 6
oft haben wir die Bikes dann eine Woche später als Totalschaden hier. Kommt mindestens jeden Monat einmal vor.“ „Und DIE sind meist selbst Schuld, wenn sie sich auf die Schnauze legen. Ziehen so an der Bremse, wie sie's von ihrem Hollandrad gewohnt sind, das sie vor 10 Jahren das letzte Mal gefahren haben, und gehen über den Lenker. Gucken einfach durch die Gegend, überfahren ein Stopschild oder eine rote Ampel und wundern sich dann, wenn sie abkratzen.“ „So ist das Leben. Sonst haben die's im Auto immer so eilig, daß die andere Radler und Fußgänger über den Haufen fahren, Hauptsache, der Terminplan stimmt.“ „Und wir dürfen die gecrashten Räder dann wieder zusammenflicken.“ „Das ist unser Leben."In der Eingangstür dreht sich ein Schlüssel, als letzter der Menschen, die in diesem Laden arbeiten, betritt Tom die Bühne. Er schiebt sein Triathlonbike in den Hinterhof und kommt sichtlich erregt zurück. Gestern Abend war er mit Andy einige Kölsch heben gegangen, in der alternativ angehauchten Kneipe um die Ecke. Beide gehen sie auf die 40 zu, haben Familie, aber sie führen sich nicht so auf wie andere Familienväter. Manchmal denkt Joe sich, daß er mit beiden Kollegen die Reste der alternativen Szene vom Beginn der 80er Jahre vor sich hat. He, weißt du noch, damals in Brokdorf... Nur daß sie beide einen deutlichen Bauchansatz haben, daß gleicht sie an die Familienväter an, die sich in den gutbürgerlichen Kneipen um die Ecke regelmäßig die Birne zukippen und an Stammtischen ihre Weisheiten verbreiten."Habt ihr schon gesehen, was hinten vor der Werkstatt los ist?“ „Was denn?“ „Ich weiß nicht, da sind 'ne Menge Leute, vor allem 'ne Menge Kinder. Sieht so aus, als ob die die Straße besetzen wollen."Joe schluckt. Eine Reaktion auf den Unfall und das, was an juristischen Auseinandersetzungen jetzt folgen wird?"Wo ist das? Vor der Werkstatt?“ „Ja, mitten auf der Straße. Was war denn da los?“ „Hast du noch nicht von dem Unfall gehört?“ „Was für'n Unfall?“ „Gestern Abend ist wieder ein Kind totgefahren worden.“ „Was? Schon wieder?“ „Ja, schon wieder. Ich hab' die Leiche gesehen, ich hab' die Nacht kaum geschlafen."Und dabei bin ich den Anblick zerfetzter Menschen doch gewohnt, denkt Joe. Er geht auf die Straße, sieht den Menschenauflauf und geht hin. Vor der Werkstatt blickt er sich um, es sind eine Menge kleiner Kinder hier, die aus dem Kindergarten auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes stammen, an dem die Straße beginnt, und einige von ihnen halten Bettlaken und Tischtücher in der Hand, auf denen sie an die drei in diesem Jahr bereits in Köln getöteten Kinder erinnern und fragen, wie viele noch sterben müssen, bis etwas geschieht, um dem Töten Einhalt zu gebieten. Joe kommt mit einer der Mütter ins Gespräch, die darauf aufpassen, daß den Kindern nicht ähnliches zustößt wie gestern dem Jungen."Morgen, ist das wegen dem Unfall gestern?“ „Ja, genau, die Kinder haben heute morgen spontan 'was dazu machen wollen. Und wir sind mitgekommen, um ein bißchen aufzupassen.“ „Gut. Aber was sagen die Leute dazu, die hier vorbeikommen?“ „Die Fußgänger 7
und Radfahrer finden's richtig, was wir hier machen.“ „Und die Autofahrer?“ „Na, wir sind von 2 oder 3 Rasern schon fast umgefahren worden. Aber die anderen zeigen sich meist einsichtig, daß hier nicht noch mehr Kinder sterben dürfen.“ „Das wundert mich.“ „Die fangen sofort an zu hupen, wenn hier 'mal einer stehen bleibt, die haben's alle wahnsinnig eilig. Dabei haben wir hier seit 2 Jahren Tempo 30. Hält sich aber kaum einer dran.“ „Die Bullen kontrollieren zu selten. Die stehen ja auch nicht hier, wenn's mal wieder Tote gegeben hat. Ach, war die Polizei schon hier?“ „Nein. Aber die kommen bestimmt noch. Wenn die Straße zu ist, kommen die schnell, aber wenn einer auf einem Rad- oder Fußweg parkt, dann stört die das nicht.“ „Die müssen sich um den fließenden Verkehr kümmern. Und Fußgänger fließen nicht, die gehen. Außer den Autos hat keiner 'was auf der Straße zu suchen, Falschparker interessieren die Polizei nicht."In diesem Moment biegt eine Polizeistreife um die Ecke, der Wagen hält auf der Einfahrt zu einem Garagenhof. Die beiden Polizisten steigen aus, rücken ihre Mützen zurecht und gehen auf die Gruppe von Kindern und deren Eltern zu, die mitten auf der Straße stehen. Es ist den beiden Beamten sichtlich unangenehm, daß sie den Auftrag haben, die Straße zu räumen. Joe stellt sich zur Gruppe der Eltern, um zu hören, was dort gesprochen wird."Es tut mir leid, aber wir müssen Sie auffordern, die Straße zu räumen.“ „Wir möchten nicht, daß hier unsere Kinder eins nach dem anderen getötet werden. Das werden Sie doch verstehen, oder?“ „Sicher, ich habe selber ein Kind in dem Alter des Jungen, der gestern Abend hier getötet wurde, aber wir müssen dafür sorgen, daß die Straßen passierbar bleiben. Und Sie haben keine Genehmigung dafür, hier eine Demonstration zu veranstalten.“ „Warum können wir denn nicht hier stehenbleiben? Sollen wir zusehen, wie diese Raser unsere Kinder ermorden?“ „Wenn Sie etwas erreichen wollen, dann wenden sie sich besser an die Stadt und an den Regierungspräsidenten. Wenn Sie sich vor die Ämter hinstellen, wird man eher auf sie aufmerksam.“ „Das haben wir alles schon versucht. Aber hier wird immer noch gerast, die Polizei kontrolliert zu selten.“ „Wir können uns nicht nur um den Straßenverkehr kümmern, wir haben noch andere Aufgaben. Und außerdem ist es jedesmal deprimierend, wenn wir wieder einen Unfall aufnehmen müssen, bei dem Kinder verletzt oder getötet worden sind. Es könnte mein Eigenes sein."Für einen Augenblick herrscht Ruhe in der Runde, keiner der Beteiligten hatte erwartet, den Beamten persönlich davon betroffen zu sehen. Man einigt sich darauf, daß die Kinder auf den Bürgersteig zurückweichen und dort ihre Transparente zur Schau stellen.Gerade in dem Moment, als die Polizisten in ihren Wagen einsteigen wollen, kommt ein Sportwagen, der seit Jahren nicht mehr produziert wird und über den des öfteren Witze gerissen werden, um die Ecke geschossen und fährt hupenderweise auf die Gruppe von Kindern zu. Er ist deutlich schneller als die vorgeschriebenen 30 km/h, und sofort stellt sich der Polizist, der gerade mit den Eltern diskutiert hatte, auf die Straße und bedeutet dem Fahrer anzuhalten. Dieser 8
kommt mit quietschenden Reifen einen knappen Meter vor dem Beamten zu stehen. Der Fahrer zeigt sich uneinsichtig, auch als er von dem Beamten zu Rede gestellt wird und auf die getöteten Kinder dieses Jahres angesprochen wird. Am Ende bekommt er eine Anzeige wegen zu schnellen Fahrens, aber er stört sich nicht daran, die Rechtsschutzversicherung wird's schon richten. Die Eltern, die alles mitangesehen haben, schütteln die Köpfe, Joe geht in den Laden zurück. Es geht auf 10 Uhr zu, Zeit, die Tür zu öffnen, die ersten Kunden warten schon.
III.War wieder ein harter Tag heute. Es ist 7, als Joe müde aus der Tür geht, froh darüber, daß morgen Mittwoch ist und der Laden geschlossen bleibt. Es gibt genug an Reparaturen zu erledigen, der Bestand muß gemacht werden, und überhaupt ist wieder viel zu viel Bürokram liegengeblieben. Aber - morgen sind keine Kunden da, die einen bei diesen Arbeiten stören können, da geht das alles ohne Hektik vor sich.Er geht 'rüber zu dem Haus, in dem er seit zwei Jahren wohnt, schließt auf und wirft einen Blick in den Briefkasten. Verdammt, schon wieder eine Rechnung, bald ist Anfang Juli, Quartalsbeginn, hört das denn nie auf? Das Konto ist eh wieder überzogen, hat doch gar keinen Zweck, Leute! Er steigt in den zweiten Stock hoch, schließt auf, hängt die Jacke, die er am Morgen angezogen hatte, an der Garderobe des kleinen Flurs auf und geht in die Kochecke. Kaffee habe ich heute genug getrunken, jetzt ist Zeit für einen Tee.Den ganzen Tag ist ihm der Unfall nicht aus dem Kopf gegangen, hat er dauernd das Bild des toten Kindes vor Augen gehabt. Es hatte eine Menge Leute gegeben, die sich mit den Männern im Laden über den Unfall gestern unterhalten hatten. Ja, der Typ ist nicht im Knast, der wird bestimmt freigesprochen werden, das ist den alteingesessenen und stockkonservativen Straßenbauern der Stadt gleichgültig, wie viele Leute auf den Straßen unschuldig verletzt werden oder gar ums Leben kommen. Ganz im Gegenteil, das ist für diese Leute eher ein Argument, noch mehr Flächen zu asphaltieren. Joe macht den Fernseher an, in den Abendnachrichten hört er von Bürgerkriegen, alle Arten von Katastrophen. Er hat keine Lust auf die ewig gleichen schlechten Nachrichten uns schaltet die Mattscheibe ab. Draußen scheint die Sonne, es ist Sommerzeit, vor 10 Uhr abends wird es nicht dunkel, also noch zwei Stunden auf's Bike. Er füllt seine Trinkflasche, zieht sich seine kurze Radhose an, ein T-Shirt über, packt die notwendigen Werkzeuge und zwei Müsliriegel in die Satteltasche und will gehen. Halt, da sind Quellwolken am Himmel, es kann regnen, besser die Jacke mitnehmen, also auch die in die Tasche. Murphy's Law: Es wird immer dann auf einer Tour zu regnen anfangen, wenn du keine Regenkleidung dabei hast. Sonntag war er bis auf die Knochen naß geworden, das reicht für diese Woche.Sein Renner steht im Flur, er klemmt die Satteltasche an und macht einen kurzen Sichtcheck. Die Lichtanlage wird er heute nicht brauchen, die Schutzbleche auch nicht; damit hat er knappe 10 kg Rad unter dem Hintern. So geht 9
es leicht die steile Treppe hinunter, dann auf die Straße hinaus. Joe sieht sich nach der Werkstatt um, von den Kindern, die heute morgen die Straße blockiert haben, ist keines mehr da. Der Verkehr in der Straße ist etwas ruhiger geworden, alle fünf Minuten kommt ein Wagen angerast, die Anlage laut aufgedreht, aber Musik ist nicht zu hören, nur Techno. Joe steigt in die Pedale ein, es knackt vernehmlich, dann ist er auf der Straße.An deren Ende sieht er die Ampel grün werden. Der alte Maßstab für seine Kondition: Wenn er diese Grünphase noch schafft, dann ist er gut im Training. Es ist kein Auto vor oder hinter ihm, kein Mensch auf der Straße. Also in den Wiegetritt und volles Rohr. Klack, er drückt am linken Griff und schaltet auf das 53er Kettenblatt. 30, 35, 40 Sachen. Die Oberschenkel melden sich, die Lunge macht sich schmerzhaft bemerkbar. Und die Ampel wird gelb... 45 Sachen zeigt der Tacho, als Joe über die Linie fährt, 2 Sekunden bevor es rot wird.Geschafft!Er läßt sich nach vorne fallen, die Reifen rotieren wild drehend; legt sich in die Linkskurve, fährt eine Zeitlang an der Schlange parkender Autos vorbei und springt in einer Lücke auf den Radweg. Es sind nicht so viele Leute auf Achse wie am Sonntag, fällt ihm auf, er braucht sich nicht vollkommen auf den Verkehr zu konzentrieren, er kann sich etwas dabei entspannen.Eine gute halbe Stunde später hat Joe hinter Esch den Wald erreicht, der die nördliche Stadtgrenze nach Dormagen bildet. Er biegt auf den Radwanderweg ein, der mitten durch diesen Wald führt, und brettert über den geschotterten Weg. Jetzt hat er ihn für sich alleine, er hat Lust zum Schnellfahren. Dann hat er den Wald hinter sich, eine Hundertschaft Mücken im Gesicht, auf dem T-Shirt und den Oberschenkeln. Was nun? Im Stand sieht er sich kurz um, entscheidet sich dann für den Weg am Kloster Knechtsteden entlang. Heute ist der gut zu fahren, heute sind keine Sonntagsfahrer unterwegs.Es geht auf halb 9 zu, als Joe an einer Bank anhält, sein Rad dagegenlehnt und sich hinsetzt, um einen Riegel zu essen und Wasser zu trinken. Kaum sitzt er zwei Minuten, als ein älterer Mann auf einem Straßenrenner angefahren kommt und neben Joe anhält."Guten Abend, haben Sie Werkzeug dabei?“ „Etwas, wo fehlt's denn?“ „Meine vordere Bremse ist lose.“ „Ja? Mal sehen."Joe steht auf, greift an die Bremse und wackelt am Bremskörper. Tatsächlich, die hat Spiel am Befestigungsbolzen. Welche Mutter? 10er Gabelschlüssel müßte es tun. Der gelernte Fahrradmechaniker greift in die Satteltasche, zaubert den schwarzen Beutel mit dem Werkzeug hervor und holt den Gabelschlüssel und die Inbusschlüssel heraus. Ein paar Handgriffe, und die Bremse ist korrekt eingestellt, das Spiel stimmt, und außerdem ist sie richtig zentriert. Er hebt das Vorderrad an, setzt das Rad in Bewegung und prüft die Funktion der Bremse. Alles wieder in bester Ordnung. Der Mann bedankt sich, und nach 5 Minuten ist Joe wieder alleine und tritt in die Pedale.Die Uhr rückt auf 10 zu, es beginnt zu dämmern, als Joe sich seiner Wohnung nähert. Noch ein knapper Kilometer, dann habe ich es hinter mir, denkt er. An 10
einer Kreuzung hält er vor einer roten Ampel und hört von hinten ein BMW Coupé heranrollen, dessen Fahrer sich die Dröhnung aus dem gerade aktuellen Drumcomputer holt. Dabei hatte der Abend so gut angefangen. Die Ampel wird gelb, wird grün, der Wagen bleibt stehen, Joe fährt an. Der Wagen überholt ihn, zieht direkt vor ihm nach rechts, um im absoluten Halteverbot schräg vor einem Bistro zu parken. Jetzt ist es aus, denkt Joe. Er steigt voll in die Eisen, kann einen Unfall nur dadurch verhindern, daß er auf den Bürgersteig springt.Was macht der Typ da? Er steigt ab, der Fahrer, kaum älter als er, will aussteigen. Joe ist schneller, tritt gegen die Tür, sie fällt ins Schloß. Der Mann hinter dem Steuer, offensichtlich Bodybuilder, starrt ihn bösartig an."He, Du Arschloch, was willst Du? Laß deine dreckigen Pfoten von meinem Auto.“ „Du hast versucht, mich umzubringen. Das laß' ich mir nicht gefallen.“ „Ach, halt's Maul und hau ab.“ „Nein.“ „Soll ich Dir die Fresse polieren?“ „Kleiner, Du hast eine sehr vulgäre Aussprache.“ „Warte, Du. Ich schlag' Dir die Fresse ein."Joe tritt einen Schritt zurück, ohne eine Miene zu verziehen, als der Bodybuilder aussteigt. Er ist etwas größer als Joe, der mit seiner schlanken Figur verloren gegenüber dem Muskelpaket wirkt. Aber er denkt nicht daran, zu fliehen. Die Leute, die vor dem Bistro auf der Straße sitzen, sehen gebannt zu.Der Fahrer des BMW geht auf Joe zu, der langsam zurückweicht. Dann schlägt er, nur einen knappen Meter entfernt, zu, Joe voll auf die Nase. Dachte er jedenfalls. Denn der durchtrainierte Rad- und Kampfsportler taucht blitzschnell ab, weicht dem Schlag erfolgreich aus. Der Schlagende sieht verdutzt aus. Aber nur kurze Zeit, denn plötzlich dreht Joe sich auf dem linken Fuß, winkelt das rechte Bein an und vergräbt den Fuß im Brustkorb des Bodybuilders. Eine große Zielscheibe, denkt Joe mitten in der Bewegung, da kann man gar nicht danebentreten.Als sei nichts passiert, kommt Joe wieder zu Stehen. Nur sein Gegenüber, der taumelt langsam gegen seinen Wagen und bleibt benommen in der Tür hängen. Das sollte reichen, denkt Joe. Er geht auf den halb Ohnmächtigen zu, tastet den Oberkörper ab und nestelt die Brieftasche aus dem Jackett. Ein kurzer Blick hinein, er findet den Personalausweis und steckt ihn ein, eine Vorsichtsmaßnahme. Ohne hineinzusehen, läßt ihn in eine der Taschen am T-Shirt, gleiten, und wirft die Brieftasche in das offene Coupé.In der Zwischenzeit ist der Angeschlagene wieder zu Bewußtsein gekommen. Joe tritt einen Schritt zurück, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen. Doch der Bodybuilder hat genug. Er sucht nach Worten, während die Zuschauer im und vor dem Bistro augenscheinlich Witze über ihn reißen, nachdem ihnen Joes Aktion zuerst die Sprache verschlagen hatte. Warum...“ „Du hast versucht mich umzubringen. Mach' das nicht noch einmal. Ich bring' Dich sonst um, Großmaul."Damit dreht sich Joe um, besteigt seinen Renner und fährt weiter, als sei nichts gewesen. Bevor er nach Hause kommt, fährt ihm ein Lächeln über das Gesicht.
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IV."Warst Du das?“ „Was?“ „Das hier!"Mike drückt Joe einen Zeitungsausschnitt in die Hand. Der liest sich den durch, gibt dabei ein Lächeln von sich, verschluckt es dann wieder - er will sich nicht zu erkennen geben. Als er mit dem Lesen fertig ist, reicht er Mike das Stück Zeitung zurück."Damit hab' ich nix zu tun.“ „Glaub' ich Dir nicht. Die Personenbeschreibung paßt genau auf Dich, und daß der Typ als Bodybuilder keinen Schlag bei dem Biker landen konnte, auch. Komm, das kannst nur Du gewesen sein!“ „Nö.“ „Warum gibst Du's nicht zu? Die Polizei ist doch nicht hinter Dir her.“ „Aber wenn irgendwo hier in der Nähe ein Typ zusammengeschlagen wird, dann werden sie mich als Ersten aufgreifen. Ne, den Ärger will ich nicht.“ „Was ist mit dem Ausweis?“ „Den haben die Bullen seit letzter Nacht im Briefkasten.“ „Und warum das Ganze? Was soll das denn?“ „Weißt Du, wie schön das ist, von den Bullen kontrolliert zu werden und keinen Ausweis dabei zu haben?“ „Manchmal hab' ich den Eindruck, Du hast sie nicht mehr alle.“ „Stimmt. Aber jeder braucht seinen Spleen."Ding. Die Tür geht. Der Laden ist zwar noch nicht auf, aber gerade kommt Andy mit einem Liegerad durch die Tür, das nicht durch den Hauseingang paßt. Die beiden Kollegen gehen beiseite, während Andy das Rad in den Hinterhof schiebt.Noch zwei Tage bis zum Wochenende. An diesem ist ein Ereignis angesagt, das seine Schatten seit Wochen vorauswirft: Eine Radtouristikfahrt, die von mehreren Radsportvereinen der Stadt und vom Fahrradclub, dem AFC, zusammen veranstaltet wird. Wenn diese Veranstaltung eine reine Sportveranstaltung wäre, so hätte sie nicht das Medienecho und die Nachfrage, die sie in den letzten Wochen der Vorbereitung gehabt hat. Aber dem ist nicht so, das Zusammenwirken der Vereine hat bewirkt, daß die Themen Umweltschutz und Stadtplanung am Wochenende in der Öffentlichkeit sein werden. Dazu wird es ein buntes Rahmenprogramm geben - Diskussionen, Kabarett, Musik, Essen und Trinken. Alles, um die Leute anzulocken und ihnen zu zeigen, daß es auch anders geht als nur immer mit dem Auto. Anders gehen muß.Kein Wunder: Ausgerechnet am Sonntag ist Umwelttag, und die sich ständig verschlechternde Luft in der Stadt hat in den letzten Jahren für stetig öfter erscheinende Schlagzeilen gesorgt. Der Dom droht in sich zusammenzufallen, weil die Autoabgase an seiner Bausubstanz nagen, Kinder kommen mit Asthma zur Welt, alte Menschen und Allergiker sterben im Sommer wegen hoher Ozonwerte in Massen. Man hatte versucht, andere Ursachen dafür zu finden, aber immer wieder kristallisierte sich der Autoverkehr als Übeltäter heraus. Auch die Einführung des Katalysators konnte daran nichts ändern, denn bevor dieser seine Betriebstemperatur erreichen kann, sind die meisten Fahrten auch schon zu Ende, gerade in der Stadt. War also ein Flop gewesen.In den Ämtern stieß man auf taube Ohren, wenn man sich um eine Besserung der Situation kümmern wollte. Das ist doch Jahrzehnte gut gegangen, warum sollte man daran etwas ändern? So hatte in den letzten Jahren die Verkehrsdichte erheblich zugenommen, damit auch die Zahl 12
der Verkehrsunfälle. Die Polizei hatte gar nicht genug Leute, um zu jedem Unfall gerufen werden zu können; um Geschwindigkeitsbeschränkungen und Parkverbote kümmert sich kein Mensch mehr. Ständig werden Menschen über den Haufen gefahren, weil sie nicht mehr über die zugeparkten Fußwege gehen können. Viele Menschen trauern der Zeit nach, als man sich in der Stadt noch bewegen konnte.Doch es regt sich Widerstand. Ein Verkehrsclub war aktiv geworden, hatte mit Straßenbesetzungen auf sich aufmerksam gemacht. Endlich gab es eine Alternative: Viele Menschen waren auf das Rad umgestiegen, dank der Modewelle gab es zum ersten Mal in der Geschichte Räder, deren Bremsen funktionierten - und das sogar bei Regen! Aber auch hier hatte es Tote gegeben, denn die Straßen sind nicht für Biker ausgelegt, und kein Mensch kümmert sich darum, ob er auf der Straße oder auf einem Radweg parkte. Die Polizei versteht es nicht, warum Radfahrer auf der Straße fahren, wenn die Radwege zugeparkt sind. Der oberste Dienstherr brüstet sich damit, daß er jedes Jahr etliche Tausend Kilometer auf dem Sattel macht. Als ein Mitglied des Verkehrsclubs ihm einmal nachfuhr und die überfahrenen roten Ampeln, falsch befahrenen Einbahnstraßen und sich nur knapp rettenden Mütter mit Kindern protokollierte, da wußte man, warum er es nicht verstand.Und alle diese Gedanken sollten bei der Veranstaltung am Sonntag auf's Tapet gebracht werden. Je näher der Termin kommt, desto mehr Leute setzen ihr Rad in Stand, desto mehr Kunden finden sich im Fahrradladen ein. Joe hatte die Radtouristik in den letzten Tagen hassen gelernt, denn sie sorgte dafür, daß sie bis über beide Ohren mit Arbeit eingedeckt sind.Mittagspause. Wie es alle Kollegen erwartet hatten, war der Vormittag stressig gewesen. Kein Grund, sich zur Ruhe zu begeben, denn erfahrungsgemäß kommen am Nachmittag die meisten Kunden, dann, wenn die arbeitende Bevölkerung Feierabend hat. Joe zieht sich eine Tasse Kaffee 'rein, nachdem er sich im Sozialraum hinter der Werkstatt ein paar Spaghetti aufgewärmt hat. An diesem Tag sind noch zwei Reparaturen bis um 16 Uhr zu erledigen, ein Tretlager und eine Hinterradnabe muß er sich gleich noch ansehen. Das kann eine Menge Dreck geben, aber er hat sich die Arbeiten heute nicht aussuchen können.Mike blättert in einer Fahrradzeitschrift, liest interessiert einen Artikel über eine Tour durch Lappland, zündet sich eine Zigarette an. Dieser ruhige Arbeitsbeginn am Morgen, oder sollten wir besser sagen, am Vormittag, der hatte ihm immer gut gefallen. Zusammen mit Tom und Andy hatte er vor 10 Jahren den selbstverwalteten Betrieb aus der Taufe gehoben. Ihn hatte es, nachdem der sein Architekturstudium geschmissen und sein Diplom in Maschinenbau an der FH in Köln gemacht hatte, gedrängt, einen Job außerhalb der Industrie zu suchen. Noch vor dem Diplom hatte er in diesem Laden begonnen, und jetzt denkt er, den richtigen Job gefunden zu haben. Mit den Leuten, die er in den Praktika in seinem Studium kennengelernt hatte, konnte er nicht viel anfangen. Das waren Spießbürger. Da hat er es jetzt 13
besser getroffen. Mitte 30 ist er jetzt, im Alter zwischen Joe und seinen beiden älteren Kollegen, und ähnlich wie Joe sieht er noch recht jugendlich und knackig aus. Nach fünf Minuten hat er die Zeitschrift durch, die Zigarette zu Ende. Er legt das Heft beiseite."Tolle Sache. Würd' am liebsten auch 'mal wieder hochfahren.“ „Ja, ist 'ne tolle Landschaft. Vor allem Norwegen.“ „Wann warst Du das letzte Mal oben?“ „Öh, vor zwei Jahren, ja, stimmt. 6000 km in 6 Wochen, war 'ne ziemliche Hetzerei. Aber es hat Spaß gemacht.“ „Hast Du überhaupt 'was von der Landschaft gesehen?“ „Eine Menge.“ „Und was machst Du jetzt im Urlaub?“ „Weiß ich noch nicht. Vielleicht packt's mich ja, und ich fahr auch nach Norden.“ „Du hast nur 4 Wochen. Wir brauchen Dich im September wieder hier.“ „Na, dann werd' ich halt die 6000 km in 4 Wochen machen. Ich bin sehr gut im Training.“ „Das ist Wahnsinn.“ „Hast recht. Aber ich könnte auch zurückfliegen...“ „Das ist nicht umweltverträglich.“ „Ach, einfach 'mal sehen. Ich hab' das Bike, ich hab' die Ausrüstung, und ich kenne einige Gegenden in Europa vom Bike aus. Da kann ich mich einfach so draufsetzen und losfahren, wohin ich will. Das ist kein Problem."Die Tür geht, Tom kommt herein. Wie es nach jeder Reparatur sein sollte, hatte es eine Probefahrt mit einem Rad gemacht. Da dieses Rad einen Wert von über 4000 Mark hatte, war die Proberunde etwas größer ausgefallen, hatte ihn bis an den Stadtrand geführt. Nach 15 km kommt Tom etwas verschwitzt in den Aufenthaltsraum, geht ans Waschbecken und wäscht sich den Schweiß aus dem Gesicht. Der nächste Griff gilt dem Kühlschrank, aus dem er eine Tüte Apfelsaft herausholt und halb austrinkt.Als Joe seinen Kaffee leer hat, gießt er sich den Becher mit Apfelsaft voll und unterhält sich mit den Kollegen über die Radveranstaltung am Wochenende, derentwegen sie alle Hände voll zu tun haben. Schließlich erhebt er sich, spült den Becher um und geht zu dem ersten Rad, das seiner Reparatur harrt.Fünf Uhr. Die Werkstattarbeit ist erledigt, Joe steht jetzt mit im Laden und kümmert sich darum, die Schlange der wartenden Kunden kleiner werden zu lassen. Ausgerechnet er darf sich um den Kunden mit dem Renner kümmern, den Tom in der Mittagszeit probegefahren hatte."Das ist er. Wir haben die Ergopower so angebaut, wie Du's haben wolltest.“ „Sieht gut aus. Wie schalten die sich?“ „Absolute Spitze. Hab's gestern selbst 'mal ausprobiert, mit den neuen Ritzeln hinten absolut traumhaft. Du solltest allerdings aufpassen, daß Du beim Schalten mit dem Griff nicht an der Bremse ziehst, da haben wir ständig Leute im Laden, die sich dabei auf die Schnauze gelegt haben.“ „Na gut. Ich werd's ausprobieren, am Sonntag darf das Rad sich bewähren.“ „Ach, fährst Du die Touristik mit?“ „Ja, die lange Runde.“ „Ich auch. 154 km, das kann nett werden. Und ich denke, daß ich die unter fünf Stunden schaffe.“ „Wirklich?“ „Ja, ich bin bis vor fünf Jahren noch Rennen gefahren, wir haben jetzt Mitte Juni, ich hab' in diesem Jahr auch schon wieder knapp 10000 km hinter mir. Am Sonntag soll's über die 10000er-Marke gehen.“ „Soviel hab' ich noch nicht geschafft. Ich hab' grad 'mal eben 14
6000 hinter mir.“ „Na, das ist doch schon 'was. Weißt Du, wir müssen auch selbst ausprobieren, was wir unseren Kunden da andrehen. Die Record-Gruppe, die Du da fährst, hab' ich selber an einem Renner ausprobiert, 2000 km im Januar und Februar. Die hat sich auch bei miesem Wetter bewährt, und die kann ich guten Gewissens empfehlen. Sie ist nur viel zu teuer.“ „Deshalb hab' ich auch 'ne Menge Überstunden machen müssen. Und deshalb komme ich mit solchen Sachen lieber zu Euch, weil ihr wißt, was ihr euren Kunden verkauft.“ „Danke für das Kompliment. Und jetzt will ich Geld sehen."Joe bahnt einen Weg durch die Menge der Kunden, schiebt das Rennrad neben sich her. Er kassiert ab, verabschiedet sich von dem Kunden, den er am Wochenende wiedersehen wird. Sein fragender Blick geht durch die Menge, wer ist als nächster dran, ein Mann um die vierzig meldet sich, will ein Rad kaufen. Endlich wieder eine größere Sache, denkt Joe, diesmal keine 15 Minuten einen Kunden wegen eines popeligen Ventils bequatschen, dann geht er mit dem Kunden in den viel zu engen Ausstellungsraum, rechts neben dem Eingang. Eine Frau probiert gerade Hosen an, ein Jugendlicher prüft den Sitz eines Helmes vor dem Spiegel."Was willst Du mit dem Rad machen?“ „Ich will damit im Juli in die Alpen fahren.“ „Mit Gepäck, oder wie?“ „Ohne Auto, von hier aus, und mit Gepäck.“ „Dann nehm' ich an, daß Du das Rad mit Gepäckträger und Lowrider ausrüsten willst?“ „So hatte ich mir das gedacht.“ „Das engt das Angebot schon 'mal ganz erheblich ein. Wieviel soll's denn kosten?“ „Ab 3000 aufwärts.“ „Das hört sich gut an. Da könnten wir Dir auch 'was zusammenbauen. Aber was soll's denn sein - klassisches Reiserad, Mountainbike oder Trekkingrad?“ „Ich dachte an ein MTB. Und zwar möglichst sportlich, steil gebaut, ich will Schlaglöchern ausweichen können, wenn ich Gepäck draufhabe.“ „26 Zoll?“ „26 Zoll.“ „Warum nicht 28?“ „Ganz dumm gefragt, wo lägen die Vorteile?“ „Gute Frage. Die Dämpfung ist in unbeladenen Zustand etwas besser, aber sonst... Wenn du Gepäck aufgeladen hast und Slicks fährst, ist 26 Zoll besser. Das ist meine eigene Erfahrung, es rollt auch sehr leicht, kein Unterschied zu 28 Zoll.“ „Und das Lenkverhalten? Ich frage deshalb, weil mein altes Rad von der Geometrie so gebaut ist wie ein altes Hollandrad.“ „Tja, das ist so 'ne Sache. Wie haben hier ein paar sportliche Modelle, die ich Dir andrehen könnte, aber ich nehme an, daß Du einige Sonderwünsche hast, was Kettenblätter, Schaltung und so weiter angeht?“ „Ja.“ „Und? Was willst Du haben?“ „Nun, ich dachte an die Bullshitschalter, MTB-Lenkstange, Hörnchen, Triathlonlenker, und die gesamte Straßenausstattung.“ „Wir haben kein Bike mit der Ausstattung da. Wir können die Teile aber ziemlich schnell besorgen, wir haben einen neuen Großhändler."Joe reicht an die Decke und holt einen Rahmen herunter."Das könnte 'was für Dich sein. Steile Sitzrohr- und Lenkkopfwinkel, Radstand so um die 105 cm, Rahmenhöhe... Könnte Dir passen. Und alle Anlötteile für Straßenausstattung."Der Mann nimmt den Rahmen in die Hand, sieht sich das Teil gut an und wiegt ihn in den Händen."Schön 15
leicht.“ „Ja, doppelt konifiziertes Rohr, muffenlos gelötet, ist 'ne echte Schönheit. Du kannst ihn billiger haben, wir wollen den loswerden, weil unser Lager überfüllt ist. Und ich kann Dir ein anderes Bike zeigen, das auf einem anderen Rahmen vom gleichen Hersteller aufgebaut ist."Damit gehen sie weiter nach hinten in den Ausstellungsraum, links um die Ecke. Joe zeigt dem Kunden das angesprochene Bike. Der ist von dem Rahmen überzeugt, also nehmen sie ihn mit und stellen in der nächsten Stunde trotz des vollen Ladens die Ausstattung des Rads zusammen. Joe rechnet kurz zusammen, kommt auf gut dreieinhalb Riesen. Sein Gegenüber schluckt, aber Qualität hat seinen Preis.Endlich Feierabend. Joe hat genug für heute, wenn ihm auch das Zusammenstellen des Bikes großen Spaß gemacht hat. 7 Uhr, er wirft sich ein paar Butterbrote ein, packt seine Satteltasche, nimmt das Batterielicht und steigt in die kurze Hose. Die Tasche klickt er unter den Sattel seines Straßenrenners, klemmt das Licht an und ist dann auf der Straße.Nach einer halben Stunde hat er die Stadt hinter sich gelassen und legt sich an einer wenig befahrenen Landstraße entlang auf die Armpolster seines Rads. Heute willst du einen 30er Schnitt machen, sagt er sich. Und so läßt er sich den Wind um die Nase wehen, kontrolliert regelmäßig seinen Puls und fährt zwei Stunden, ohne nachzulassen.70 km später. Joe hat einen Schnitt von fast 35 km/h gehalten, und ist damit zufrieden, als er wieder in die Stadt einrollt. Bevor es dämmert, schaltet er das Licht ein und rollt in der Entspannungsphase zu seiner Wohnung zurück. Es erstaunt ihn dabei, daß kein Mensch ihn über den Haufen fährt. Um 11 Uhr ist er geduscht und macht eine Flasche Bier auf, ist mit den 100 km innerhalb von gut 3 Stunden zufrieden und sieht sich im Fernsehen einen Film ab, bevor er zu Bett geht. Kein Unfall heute? Die Ruhe erscheint ihm merkwürdig. Na, wer weiß, was am Wochenende los ist, das ist bestimmt die Ruhe vor dem Sturm.
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Chaos. Vor dem Laden häufen sich die Räder. Wie viele Leute es doch gibt, die an der Radtouristik oder an einer der in ihrem Umfeld angebotenen Veranstaltungen teilnehmen und erst in der buchstäblich letzten Minute merken, daß etwas mit ihrem Fahrzeug nicht stimmt... In Absprache mit den Veranstaltern hatten die Kollegen des Fahrradladens beschlossen, ihn auch am Sonntag zu öffnen und damit als Ersatzteillager und Anlaufstelle für die Teilnehmer der Veranstaltung zu fungieren. Und deshalb ist auch an einem Sonntag der Laden gerammelt voll von Kunden.Joe ist bereits in seiner Bikerkluft, kurze Lycrahose mit Vließeinsatz, knallbuntes T-Shirt, bedient aber trotzdem die Kunden, von denen der größte Teil genauso angezogen ist. Einige Speichen sind gebrochen, andere Kunden brauchen Ersatzreifen und Schläuche. Peng, da draußen hat einer seinen Reifen zu stark aufgepumpt. Wie lange soll das noch so gehen? Joe sieht auf die Uhr. In einer halben Stunde will er starten, und bis dahin muß er warmgefahren sein. Und den Tag will ich nicht mit einer dicken Muskelzerrung beenden... So langsam muß er sich aus dem Laden entfernen, bei der Schlange von Kunden ist das allerdings schwer.10 Minuten später ist die Schlange kürzer geworden, es sind nur Kleinteile, die da verlangt werden, heute gibt's keine langen nervenden Verkaufsgespräche, und außerdem nähert sich der Beginn der Fahrt, so daß auch den Kunden die Zeit wegläuft. Endlich kann Joe sich freimachen, geht in den Hinterhof, füllt seine beiden Trinkflaschen, klemmt sie an sein Rad und schiebt es aus dem Hinterhof auf die Straße. Bis zum Startpunkt ist es nicht weit, dafür ist die Kempener Straße seit dem frühen morgen gesperrt. Es hatte Stunden gedauert, bis die ganzen Falschparker abgeschleppt worden waren, die die seit zwei Wochen an den Alleebäumen hängenden Schilder, auf denen für die Dauer der Sperrung ein absolutes Halteverbot angekündigt war, ignoriert haben. Und noch immer hat die Polizei alle Hände voll zu tun, die aufgebrachten Autobesitzer, die ihre Wagen besteigen wollen, darauf aufmerksam zu machen, daß diese längst auf dem Polizeiparkplatz stehen. Aber kaum einer hat die Dutzenden von Schildern gesehen, die auf die Veranstaltung hinweisen. Und schon kommen die ersten Anwälte angefahren. In diesem Land macht keiner die Augen auf, aber alle sind rechtsschutzversichert.Plötzlich ein Schuß. Alle Köpfe drehen sich nach Norden, in Richtung der dort errichteten Straßensperre. Noch ein Schuß, zwei, drei, ein ganzes Magazin wird abgefeuert. Panik im Publikum, alles sucht Schutz. Joe duckt sich hinter einen Baum, wirft einen Blick zu dem Polizeiwagen hin, hinter dem die Schüsse gefallen sind. Was ist da los? Er kann einen Mann erkennen, der gerade versucht, seine Pistole nachzuladen, und damit Schwierigkeiten zu haben scheint. Vor ihm liegt ein Polizist, offensichtlich angeschossen, bewußtlos. Über den Polizeiwagen gebeugt ein zweiter, dem es nicht mehr gelungen war, seine eigene Waffe zu ziehen, auch angeschossen. Das darf doch nicht wahr sein. Joe sieht sich um, Panik allenthalben. Wenn du jetzt nicht reagierst, legt der Typ hier 17
Alle und Jeden um!Er sprintet hinter einen Erfrischungsstand, drängt an den Leuten vorbei, die hier Deckung suchen. Eine Frau versucht ihn zurückzuhalten - lassen Sie das, der ist wahnsinnig, spielen Sie hier nicht den Helden, der bringt Sie um! - aber er schüttelt ihre Hand ab, konzentriert sich auf den Mann - keine Angst, ich weiß, was ich mache. Der Mann hat offensichtlich die Pistole inzwischen nachgeladen und sieht sich seinerseits um, was nun passiert."Ihr Drecksäue, ihr habt mir mein Auto geklaut! Ich bring' Euch alle um! Alle!"Ziemlich laut, denkt Joe. Dabei legt er sich einen Weg zurecht, auf dem er den Mann ungesehen erreichen kann. Kurzes Umsehen, ob da kein anderer Bulle schießen will, dann läuft Joe geduckt los, zum nächsten Auto, das Deckung bietet. Wieder kommt er näher an den Mann heran."Wo seit ihr denn, ihr Scheißer? Ihr traut Euch wohl nicht, was? Ich mach' Euch fertig!"Joe pirscht sich einige Meter näher an den Amokläufer heran, bezieht hinter einem Baum Stellung. Jetzt sind es nur noch gut 5 Meter, die ihn von dem Mann trennen. Du hast so etwas die letzten fünf Jahre nicht mehr gemacht, denkt er, also sei vorsichtig! Da sieht er, daß sich der Mann von ihm wegdreht. Das ist die Chance!Ohne großen Lärm zu machen, drückt sich Joe von dem Baum ab, steht mit drei großen Schritten neben ihm. In diesem Augenblick sieht ihn der Mann, will seine Waffe auf Joe anlegen. Der tritt auf den Mann zu, packt den Arm, der die Waffe hält, reißt ihn hoch und läßt gleichzeitig seine rechte Hand in den Brustkorb des Attentäters schnellen. Letzterer gibt ein Geräusch des Ausatmens von sich und fällt wie ein nasser Sack in sich zusammen. Joe hält den Arm mit der Waffe hoch, windet sie dem Mann aus der Hand und läßt los. Der Schütze liegt bewußtlos vor ihm; Joe sichert die Waffe, blind, ohne seinen Blick von dem Attentäter zu nehmen.Allmählich regen sich die Menschen hinter ihm. Ein Polizist kommt angelaufen, hält seine eigene Waffe in der Hand, steckt sie ein, als er den Mann ohnmächtig auf dem Boden liegen sieht. Ein Rettungswagen hält vor der Sperre, der Notarzt springt heraus und beginnt damit, die beiden Polizisten zu untersuchen. Für einen von ihnen kommt jede Hilfe zu spät, die rechte Herzkammer ist durchschossen, wie später die Obduktion ergeben wird. Der zweite, der zusammengekrümmt über den Streifenwagen gebeugt liegt, hat mehr Glück; die Schulter hat einen Streifschuß abbekommen, der Arm weist einen glatten Durchschuß auf, er wird es überleben. Schließlich wendet sich der Notarzt dem Attentäter zu, dem hat Joe drei Rippen geprellt, aber sonst ist er unverletzt.Der Mann bewegt sich, Joe nimmt seinen Blick nicht von ihm, kniet sich nieder und fixiert ihn. Mit dem Rücken zu dem Mann steht der Einsatzleiter der Polizei, und das merkt der Attentäter, greift vorsichtig in eine Tasche am Hosenbein und zieht einen Gegenstand hervor, der Joe an ein Klappmesser erinnert. Hat der denn noch immer nicht genug? Jetzt reicht's, denkt Joe, und während der Mann am Boden das Messer ausfahren und dem Einsatzleiter in den Rücken stoßen will, beugt er sich über ihn schlägt ihm mit einem Handkantenschlag das Messer aus der Hand. Der Mann schreit 18
vor Schmerz auf, Joe drückt ihn zu Boden und kniet sich auf den Arm. Erstaunt dreht sich der Einsatzleiter um."Was ist hier los?“ „Der wollte Sie abstechen. Das ist los."Joe faßt das Messer an der Klinge an, um die Fingerabdrücke nicht zu verwischen."Das hätten Sie jetzt im Rücken gehabt, wenn ich nicht gewesen wäre."Am Boden regt sich etwas, der Mann will aufstehen, Joe drückt ihm den Schuh mit der Platte für das Sicherheitspedal ins Gesicht und preßt den Kopf fest auf die Erde."Sie haben ihn nicht nach Waffen durchsucht. Das war ein schwerer Fehler.“ „Wer sind Sie? Sie haben uns das Leben gerettet, ich muß mich bei Ihnen bedanken. Aber wer sind Sie denn, so etwas lernt man nicht auf der Straße, wie man einen Menschen überwältigt.“ „Ich bin nur ein vielbeschäftigter Fahrradmechaniker.“ „Aber wieso sind Sie dann so ein guter Nahkämpfer? Ich hab' gesehen, wie Sie den Mann überwältigt haben, das war allererste Klasse. Wo haben Sie das gelernt?“ „Darüber darf und will ich nicht reden. Das liegt Jahre zurück, und das hat etwas mit unserem Staat zu tun. Verstehen Sie?“ „Nein, aber...“ „Keine Fragen, keine falschen Antworten. Okay?“ „Hm. Erscheint mir sehr mysteriös, was Sie da sagen.“ „Es gibt Dinge, über die man nicht zu offen reden sollte. Und jetzt, brauchen Sie mich noch? Gleich soll die Touristik starten, und ich bin in der ersten Startergruppe. Wenn ich wieder hier bin, stehe ich Ihnen die ganze Zeit zur Verfügung, aber jetzt wird die Zeit knapp. In Ordnung?“ „Na gut, von mir aus. Aber wir brauchen noch ihre Personalien.“ „Die kann ich Ihnen geben, das ist kein Problem."Joe geht zum Polizeiwagen, nimmt den Schuh von den Augen des Attentäters, der jetzt von zwei Polizisten auf Waffen hin abgetastet wird, ein Polizist schreibt Adresse und Namen von seinem Personalausweis ab. Als es nur noch fünf Minuten bis zum Starttermin sind, geht er zu seinem Renner. Und der steht sogar noch da, wo er ihn vor der Schießerei abgestellt hatte.Wie lange hab' ich noch Zeit? Joe blickt zur Uhr, die über dem Tisch neben dem Starterfeld die Zeit anzeigt. Verdammt, nur noch 5 Minuten, das wird knapp! Er steigt auf, fährt in Richtung Innenstadt, auf eine Straße, auf der sich andere Radfahrer warmfahren. Fünf Minuten, das reicht für ein ordentliches Warmfahren vorne und hinten nicht.Zeit, zum Start zu rollen. Joe fährt den Tisch der Starter an, läßt in der Liste seinen Namen nachschlagen und bekommt eine Nummer, die er an seinem Rahmen anklemmt. Die Zeit wird gestoppt, dann kann er sich auf den Weg machen.Weniger als 5 Stunden, das hast du dir zum Ziel gesetzt, jetzt gibt's 'ne Menge zu leisten, denkt er. Nur nicht zu schnell die Strecke angehen, sonst hast du in 5 Minuten Wadenkrämpfe. Trotzdem holt er auf, fährt auf einen früher Gestarteten auf und überholt ihn. Die Strecke ist abgesperrt, so kann er sich aerodynamisch günstig auf die Armpolster legen und gewinnt schon am Beginn der Strecke wertvolle Sekunden. Eine halbe Stunde später hat er die Stadt hinter sich gelassen.Zwei Stunden sind nun vorüber, Joe hat einen Pulk von Fahrern aus seinem alten Club eingeholt und fährt seit 30 km mit den Kameraden im Windschatten. Der Schnitt ist gut, über 30 km/h, 19
und wenn das so weitergeht, wird er die Strecke in 4 1/2 Stunden hinter sich bringen. Aber bis dahin haben sie noch einige Berge vor sich, das Bergische baut sich vor den Fahrern auf. Joe weiß, daß die Steigungen, die sie jetzt anfahren, ganz schön gemein sind, er wird sich die Kraft einteilen müssen, und er wird sich nicht wie zu Beginn der Saison von einem anderen Fahrer ziehen lassen, die Steigung zu schnell angehen und zusammen mit seinem Zieher zusammenbrechen. Du warst ein halbes Jahr keine Berge mehr gefahren, sagt er sich, jetzt findest du deinen Tritt schneller als bei der Tour im März. Da nähert sich die zweite Streckenkontrolle.Die Biker steigen von ihren Rennern, trinken aus den bereitgestellten Bechern und ziehen sich Bananen 'rein. Unterhalten sich miteinander, vergleichen ihre Zeiten, tragen ihre Kontrollnummern ein und vertreten sich die Beine. Ein kurzer Check, dann startet der Pulk geschlossen zur Bergetappe.Kaum 3 km sind sie gefahren, da taucht die erste Steigung vor den Fahrern auf. Joe schluckt, er weiß, daß diese Steigung eine von der ganz gemeinen Sorte ist, am Anfang relativ flach, dann unmerklich steiler werdend. Wer die zu schnell angeht, wer nicht zeitig zurückschaltet und den richtigen Tritt findet, der bricht zusammen - so war es im März passiert. Und auch dieses Mal bricht wieder einer der Fahrer aus. Noch strengst du dich nicht an, denkt Joe, aber er läßt sich von dem Kribbeln in den Beinen nicht verleiten und behält seinen Platz im Feld. Verdammt, das ist kein Rennen hier, du machst das zum Vergnügen! Klick, auf's 19er Ritzel.10 Minuten später haben sie den Scheitelpunkt der Straße erreicht, ab hier geht es erst einmal eben weiter. Der Ausreißer hatte seine Kondition überschätzt, sie hatten ihn überholt, er konnte schon nach 300 Metern nicht mehr. Ätsch! Jetzt fahren sie eine Höhenstraße entlang, irgendwann auf den nächsten 10 km wird sie dann eine weitere Steigung erwarten.Mehr als die Hälfte der Strecke liegt hinter den Fahrern, die letzte große Steigung, von jetzt ab kann es nur noch bergab gehen. Der Pulk hat sich aufgelöst, Joe hat sich mit zwei Jugendlichen abgesetzt und die anderen hinter sich gelassen, die Steigungen haben die älteren Herren offensichtlich etwas mitgenommen. Ältere Herren? Die Jungs, mit denen er da gerade zusammen fährt, sind rund 10 Jahre jünger als er, von der Form her aber nicht besser in Schuß - nachdem sie versucht haben, ihn auf einem ebenen Stück abzuhängen und es nicht geschafft haben, haben sie seine Leistung respektieren gelernt.Da, die Gefällestrecke kommt in Sicht! Der Tacho steht schon auf 40, Joe schaltet auf's 53er Kettenblatt und legt die Kette hinten auf's 14er Ritzel. Das sollte für's Erste reichen. Und dann? Er tritt an, greift unten an den Rennbügel und schert, als mittlerer der drei Biker fahrend, aus und überholt den vorderen. Der tritt ebenfalls an, und nebeneinander stürzen sie mit 70 km/h den Berg hinunter.Es ist früher Nachmittag, als die drei Biker durch das Ziel rollen. Eigentlich Zeit für eine Dusche, aber Joe will sich die Veranstaltungen ansehen, die heute zum Thema Umweltschutz und Stadtplanung laufen. Erst stellt er sein Rad in seiner 20
Wohnung ab, wäscht sich das Gesicht und geht vor die Tür, um sich die Podiumsdiskussion anzusehen, die auf der Bühne auf dem Marktplatz läuft. Ein Mitarbeiter eines Büros für Verkehrsplanung, daß eng mit dem AFC zusammenarbeitet, bekommt Beifall, als er sich gegen den Bau von Radwegen ausspricht, weil diese für Radfahrer zum Teil lebensgefährlich sind. Haarsträubend, was der Vertreter der Stadt für einen Mist verzapft, das hat mit der Realität nichts zu tun, und deshalb bekommen die Vertreter der Autofraktion Buhrufe zu hören. Die haben aus den Fehlern der letzten Jahrzehnte nichts gelernt. Kein Wunder, die benutzen ja auch nie die Radwege, die sie bauen. Und die alle anderen benutzen müssen, wie es das unsinnige Gesetz vorschreibt. Der Fahrradbeauftragte der Stadt Köln wird angesagt; schöne Worte, die der Mann da findet, er macht Mut, aber was ist mit der Realität? Joe freut sich, heute sind sie nicht alleine, heute wehren sie sich.Da tippt jemand ihm auf die Schulter. Es ist ein Polizist."Entschuldigung, Sie haben doch heute morgen den Attentäter überwältigt, wenn ich mich nicht irre?“ „Ja, habe ich.“ „Wir bräuchten eine Zeugenaussage von Ihnen. Haben Sie jetzt Zeit?“ „Ja, eigentlich schon. Soll ich mitkommen?“ „Das wäre sehr zuvorkommend von Ihnen."Die beiden Männer entfernen sich aus der Menge, der Polizist wendet sich Joe zu."Es hat vor zwei Stunden einen schweren Zwischenfall gegeben. Der Bruder des Amokläufers ist mit seinem Wagen in eine Gruppe von Zuschauern gefahren.“ „Verdammt! Ist 'was passiert?“ „Ja, ein Kind war sofort tot, ein weiteres ist schwer verletzt, und einen Erwachsenen hat's auch schlimm erwischt. Wieviele Verletzte wir genau haben, weiß ich nicht.“ „Oh nein. Und warum hat er das gemacht?“ „Er hat irgendwas von Rache für seinen Bruder gesagt. Und daß diese Schweine von Radfahrern und Umweltschützern alle abkratzen sollen.“ „Herbe Ansicht. Aber so denken die Leute in diesem Land nun einmal.“ „Und wir dürfen hinterher die Fleischbrocken zusammenkehren.“ „Sie wehren sich zuwenig. Die Politiker sind schuld, nicht die Bevölkerung.“ „Das kratzt die da oben nicht, die machen, was sie wollen."Ein Mann greift Joe an den Arm, er ist einer der Zeitnehmer."He Joe, Du hast 'ne tolle Zeit hingelegt.“ „Wieviel denn?“ „4 Stunden 25. Das ist bis jetzt drittbeste Zeit.“ „Wow, Spitze, hatte ich gar nicht erwartet! Wir sehen uns später noch."Joe kommt am Fahrzeug der Einsatzleitung an, wird in den Wagen gebeten und setzt sich dem Einsatzleiter gegenüber."Ich glaube, ich muß mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir vorhin das Leben gerettet.“ „Nichts für ungut. Aber Sie sollten bei solchen Straftätern nicht so nachlässig sein, die sind verdammt gewalttätig.“ „Das war ein vollkommen unauffälliger Mann, nicht vorbestraft, gar nichts.“ „Sehen Sie, das sind die gefährlichsten. Gerade die Unauffälligen, diese Spießer, das sind die Schlimmsten. Die nehmen sich die Knarre aus dem Schrank und knallen einfach alles nieder, was ihnen vor den Lauf kommt. Aber was sag' ich eigentlich, damit haben Sie ihn Ihrem Job zu tun, nicht ich.“ „Das kommt nicht jeden Tag vor.“ „Aber dafür um so 21
schlimmer. Sie haben das ja erlebt, wie wild der Mann war. Ein ganz normaler Typ.“ „Nun gut, wir brauchen gleich ihre Zeugenaussage, und wahrscheinlich wird man sich um eine Belohnung für Sie verwenden.“ „Ach, lassen wir doch den ganzen Aufwand. Geld, von mir aus. Aber jeden Presserummel lehne ich ab.“ „Ist Ihnen das unangenehm?“ „Das nicht, aber ich habe meine Gründe.“ „Jetzt spannen Sie mich nicht auf die Folter, was haben Sie früher gemacht?“ „Wenn Sie das unbedingt wissen wollen: Ich war Bulle, genauso wie Sie. Allerdings bei einer Sondertruppe. Was, wo, und wer, das fragen Sie mich besser nicht, darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Ich bin Geheimnisträger.“ „Hm. Na ja. Also, ich glaube, da steche ich in ein Wespennest, wenn ich da weiter frage. Also, ich schicke jetzt einen Kollegen herein, der wird ein Protokoll über das aufnehmen, was gerade vorgefallen ist. Das ist dann alles für heute.“ „Gut.“ „Ich danke Ihnen nochmal für ihren Einsatz.“ „Nichts zu danken."Damit verläßt der Einsatzleiter den Wagen; kurze Zeit später setzt sich ein anderer Polizist Joe gegenüber, stellt eine Schreibmaschine auf den Tisch und nimmt Joes Protokoll auf. Als er damit fertig ist, unterhalten sich beide über die Amokfahrt des Bruders des Mannes, den Joe überwältigt hatte. Zwei Tote bei der Veranstaltung, das wird morgen ganz vorne auf den Titelseiten der Zeitungen stehen, dafür um so weniger, worum es eigentlich ging. Ein Fernsehteam ist gerade dabei, Zeugen der Vorfälle zu interviewen. Auch Joe wird vor der Kamera um eine Stellungnahme gebeten, ist der Held des Tages. Ihm ist das nicht unangenehm, aber er muß aufpassen, was er sagt.Endlich kommt Joe auf den Wilhelmsplatz, dort steht die Bekanntgabe der schnellsten Fahrer der Touristik an. Einer war doch noch schneller als er, Joe belegt den dritten Platz. Um eine Äußerung gebeten, läßt er sich über den eigentlichen Anlaß der Veranstaltung aus und bekommt von einem der Vertreter des AFC Schützenhilfe, der sich zufällig gerade in der Nähe der Bühne aufhält.Die sportliche Seite ist beendet, die Veranstalter reden über die Unfälle während der Veranstaltung, und beklagen die mangelnde Einsicht der Politiker, die an der Situation nichts ändern wollen - es bestehe kein Handlungsbedarf. Als es 5 Uhr ist, wird die Veranstaltung beendet. Die Toten werden allen Beteiligten in Erinnerung bleiben, auch wenn sich die Politiker auf der Bühne davon unbeeindruckt zeigen - es sind nicht ihre eigenen Kinder. So ist Joe keineswegs glücklich über den Verlauf der Veranstaltung, auch wenn er sportlich einen Erfolg errungen hat.In der Nacht schläft Joe schlecht, er wird in alte Zeiten zurückversetzt, hat Erinnerungen an Einsätze, die er als Mitglied eines Sondereinsatzkommandos mitgemacht hatte und die nicht nach dem Bilderbuch verlaufen waren. Das Training war in Ordnung, wenn es auch knüppelhart war, vier Jahre lang. Aber einige der Einsätze, Kollegen mit zerschossenen Körpern, der Einblick in eine kriminelle Welt, die ihm absurd erschien, all das hatte ihn an seiner Wahl zweifeln lassen, hatte sein Weltbild zerrüttet, und er war froh, als die Dienstzeit vorbei war. Es liegt 22
jetzt fünf Jahre zurück, und er hat versucht, die häßlichen Bilder zu verdrängen, aber an Tagen wie diesen kommt ihm die Erinnerung grausam wieder hoch.Und er wird nie vergessen, wie er zwei Wochen vor seiner Entlassung bei der Leitung eines Einsatzes gegen eine Bande des organisierten Verbrechens einen Fehler gemacht hatte, der zwei Kollegen das Leben gekostet hatte. Danach hatte er sich geschworen, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Nur über eine Sache hat er in den letzten Jahren, und gerade heute wieder, Grund gehabt, sich zu freuen: Die exzellente Nahkampfausbildung, von der er seit Jahren profitiert.
II.Montag morgen. Die Nacht war für Joe von heftigen Alpträumen belastet, die Vergangenheit läßt ihn nicht los. Verdammt, warum mußte ich Bulle in dieser Einheit werden? Wenn nur nicht dauernd die Erinnerung an die zerfetzten Kollegen wiederkäme, wie damals, als sie auf einen Pkw schossen, von dem sie nicht wußten, daß er Sprengstoff enthielt... Er denkt an die abgerissenen Gliedmaßen, an den Kopf des Kollegen, der ihm vor die Füße rollte, die Gedärme des anderen, in dessen Bauchhöhle ein Stück der Tür eingedrungen war... Vergiß es, Mann!!!Joe schneidet ein Brötchen auf. Nach den Kilometern der letzten Woche hat er fast immer Hunger, hat nachgerechnet, daß sein Kalorienverbrauch auf 4000 bis 5000 Kalorien am Tag gestiegen sein muß. Wenn es Winter wird, wirst du wieder eine Woche hungern müssen, bis sich der Stoffwechsel auf das Ruheniveau eingepegelt hat. Aber solange er jede Woche 400 bis 500 km fährt, darf er essen, ohne sich ums Zunehmen kümmern zu müssen. Muß es sogar, um genug Reserven zu haben.Schlagzeile:Zwei Tote bei Radsportveranstaltung!"Wann reagieren die Politiker?", heißt es im Untertitel. Er kann sein eigenes Gesicht auf der Titelseite sehen, als der Held des Tages, der den ersten Amokläufer überwältigt hat und damit wahrscheinlich vielen Menschen das Leben gerettet hat.Held?Andere würden sagen, sie hätten nur ihre Pflicht getan, Joe sagt, daß er der Gerechtigkeit Genüge verschaffen mußte. Der Mann ist kaum verletzt, drei Rippen geprellt und der rechte Unterarm angebrochen, das war Joe, aber er weiß genau, daß jeder Straßenbulle nur die Möglichkeit gesehen hätte, ihn niederzuschießen. Und das wahrscheinlich auch noch tödlich, wo ein Schulterschuß gereicht hätte. Er konnte mit solchen Leistungen nie brillieren, es gab bessere Schützen als ihn. Und schließlich hatte er in den letzten zwei Wochen seines Dienstes keine Waffe mehr angefaßt.Das war vorbei, das war verdrängt, aber jetzt ist diese Zeit wieder da. Joe ißt zu Ende, räumt den Tisch ab und legt die Zeitung beiseite. Geht ins Bad, und ist um halb 10 im Laden. Dort fängt ihn Tom ab, hält ihm die Zeitung unter die Nase."Held des Tages. Was sagst Du dazu, Held?“ „Alles Mist.“ „Hä?“ „Ich hasse diese Beweihräucherung.“ „Wieso?“ „Weil ich jetzt der große Obermacker bin, und weil ich nicht an meine Vergangenheit erinnert werden will.“ „Du erzählst wenig 23
darüber.“ „Das hat auch seinen Grund. Ich will nicht mehr daran erinnert werden, daß ich vier Jahre lang Bulle war.“ „Andere sind stolz darauf.“ „Ich nicht.“ „Aber wenn Du gestern nichts getan hättest, hätte der Typ wahrscheinlich noch 'ne Menge Leute umgelegt.“ „Ja. Eben. Mir passiert auch immer so 'was: Ich gerate immer in solche Situationen, in denen ich gar nicht mehr die Wahl habe.“ „So kommt man also auf die Titelseite der Zeitungen.“ „Ich kann 'drauf verzichten."Noch etwas anderes steht in der Zeitung. Der Autofahrer, der vor wenigen Tagen den 7jährigen Jungen in der Straße über den Haufen gefahren und getötet hatte, hat gegen die Eltern des Kindes Anzeige wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht erstattet. Gestern wurde der Vater des Jungen vernommen, muß mit einer Anzeige wegen fahrlässiger Tötung rechnen. Doch damit nicht genug: Da hatte man ihm sein Kind getötet und auch noch versucht, ihn dafür haftbar zu machen. Der Anwalt des Werbemanagers war während des Vernehmung anwesend und hat den Vater auf's Übelste beschimpft. Wie er denn dazu käme, sein Kind überhaupt in der Stadt ohne Aufsicht herumlaufen zu lassen. Was er sich dabei denke, freien Bürgern das Recht auf Mobilität zu nehmen, indem er sein Kind einfach aus dem Hause lasse. Nein, das sollte Konsequenzen für ihn haben... Die totale Verdrehung der Frage, wer hier eigentlich wen getötet hat.Es hatte Konsequenzen. Auf dem Flur riß sich der Mann, nach den Beschimpfungen durch den Anwalt vollkommen mit den Nerven fertig, von dem ihn begleitenden Polizisten los, rannte zum Ende des Flurs und sprang aus einem Fenster, stürzte zwei Etagen hinunter und liegt nun schwerverletzt mit einigen Knochenbrüchen und derzeit wegen Schocks nicht ansprechbar im Krankenhaus.Dieser Vorfall steht ebenfalls auf Seite 1 des Lokalteils der Zeitung. Die Kollegen schütteln die Köpfe. Der Mörder des Jungen ist auf freiem Fuß, der Vater schwerverletzt, und 100 Meter weiter bricht gerade die Frau zusammen, deren Familie aufgehört hat zu existieren. Das also ist der Rechtsstaat? Wer soll hier noch daran glauben?10 Uhr, Tom schließt die Tür auf und zieht die Rolladen hoch, die ersten Kunden warten schon. Im Verlauf des Vormittags ergeben sich einige Gespräche im Laden über den Unfall und seine kaum glaubhaften Folgen, viele Kunden zeigen sich von den Ereignissen betroffen und schütteln den Kopf über die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Ein Anlieferer kommt, hält am Rand der Straße und wird vom einem Wagen, der es eilig hat, um ein Haar über den Haufen gefahren. Der Wagen fährt weiter, die Pakete, die er im Arm hatte, sind beschädigt, aber zum Glück sind die Teile darin so gut verpackt, daß sie keinen Schaden genommen haben. Wieder schütteln alle die Köpfe. Soll das ewig so weitergehen?Mittagspause. Tom und Joe gehen zur Werkstatt hinunter, als ihnen auf halber Strecke ein Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn entgegenkommt und mitten auf der Straße anhält. Kaum sind die Sanitäter ausgestiegen, geht auch schon ein Hupkonzert hinter dem Wagen los. Ein ungeduldiger Autofahrer steigt aus und will den Rettungswagen wegsetzen, 24
wird aber von der eintreffenden Polizeistreife daran gehindert. Die Polizisten haben Schwierigkeiten, den Mann zu überwältigen, er stellt sich als äußerst gewalttätig heraus; der Notarzt verabreicht ihm ein starkes Sedativ. Aber was ist eigentlich passiert? Die beiden Fahrradmechaniker beschleicht ein unangenehmes Gefühl, denn Sanitäter und Ärzte verschwinden in dem Haus, in dem die 3köpfige Familie wohnte, von der jetzt nur noch die junge Mutter lebt. Sollte sie etwa...Zehn Minuten später ist es Gewißheit. Die Frau wird auf einer Bahre aus dem Haus getragen, ein Sanitäter hält den Tropf mit an ihrer Seite. Sie hatte eine Überdosis Schlaftabletten und blutdrucksenkende Mittel genommen, der Notarzt konnte sie aber noch retten.Morgen wird in der Zeitung stehen, daß das Verfahren gegen den Autofahrer, der den Jungen getötet hatte, wegen Schuldunfähigkeit eingestellt werden mußte, denn er hatte ja Valium genommen. Die Justiz ist vollkommen überlastet, kann sich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Der Anwalt wird zu den Vorfällen befragt, und er zeigt nicht das geringste Verständnis dafür, daß die Eltern versucht haben, sich durch Selbstmord feige der Verantwortung für ihre Schuld an dem Unfall zu entziehen. Nein, er habe selbst keine Kinder, sein Leben ist der Beruf. Jeder müsse für seine Handlungen selbst verantwortlich sein, und den Leistungsträgern der Gesellschaft müssen Vorrechte gewährt werden, damit sie die Ordnung aufrechterhalten können. Also - alle Rechte für die, die das dicke Geld machen. Spät am Abend geht sich Joe mit den Kollegen im Veedel ein Bier trinken, spült seinen Ärger über die Sache mit dem Kind herunter.Als es Nacht ist, sehen einige späte Fußgänger noch Licht in der Werkstatt. Joe steht an der Drehbank und feilt sich 2,34mm Speichen zu, sägt das Gewinde ab und spitzt dieses Ende messerscharf zu. Es geht auf 2 Uhr morgens zu, als er seine Lederjacke nimmt und mit Isolierband die Speichen auf dem linken Oberarm festklemmt.
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Du hast viel zuwenig geschlafen, denkt Joe, als um halb 9 der Wecker geht. Oh Mann, hoffentlich hab' ich heute nicht soviel zu tun, sonst kack' ich diese Woche noch ab... Er stellt den Wecker ab, steht auf, geht ins Bad.In der Zeitung liest er über die Folgen des Unfalls. Er liest den Kommentar über die Verkehrssituation und ein Interview mit dem Dezenten für Verkehrsplanung, dem häßliche Fragen gestellt werden, warum in Wohnstraßen keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Raser zu bremsen. Die Antworten sind nichtssagend, da redet ein Politiker, dem jegliches Interesse am wahren Leben abgeht. Konträr dazu liest Joe in der Zeitung einen Artikel über die Folgen des Unfalls Anfang der Woche vor seiner Haustüre, bei dem ein Kind starb. Es ist die Rede von Kindern, die sich ja bekanntlich nicht verkehrsgerecht verhalten. Drei Tote waren es jetzt schon in diesem Jahr, alle deshalb, weil zu schnell gefahren wurde. Trotzdem, es muß etwas an den Kindern getan werden, heißt es von Seiten der Politik, für die Raser sehe man keinen Handlungsbedarf.Joe ist heute nicht im Verkauf tätig, hat nichts mit Kunden zu tun, die einem auf den Wecker fallen, und ist Viertel vor 10 in der Werkstatt. Zu tun gibt es genug, und dabei lacht die Sonne vom Himmel herunter. Ob es der Job wirklich bringt? Gerade jetzt hast du am meisten zu tun, und dabei könntest du dich jetzt stundenlang auf dein Bike setzen und kurbeln. Aber nein, ausgerechnet jetzt mußt du ran, jetzt mußt du arbeiten! So ein Mist aber auch...Ein Anruf holt Joe weg von der Demontage eines Rennlenkers aus Alu, der bei einem Unfall mit einem besoffenen Autofahrer gebrochen ist. Es ist der Hersteller seines neuen Alurahmens, der ist gestern fertig geworden und soll mit einem Spediteur heute ankommen. Wie teuer? WIE BITTE??? Joe schluckt, als er den Preis hört, die Extras, die er unbedingt haben wollte, haben den Preis in die Höhe getrieben. Aber alles solide Handarbeit, er weiß, wofür er soviel Geld abdrücken wird. In Gedanken checkt er seinen Kontostand durch, das müßte ausreichen.Er legt auf, eigentlich wollte er den Rahmen erst im August aufbauen, aber warum sollte er nicht stolzer Besitzer dreier Räder sein? Unter den Kollegen hat keiner ein Auto, dafür wird der Transporter des Ladens öfter für private Transporte genutzt. Und da die Kollegen wissen wollen, was für Teile sie da verkaufen, schaffen sie sich selbst an, was sie später den Kunden anbieten. Wir stehen dahinter, wir wollen selbst unsere Erfahrungen mit den Rädern und den Komponenten machen, hatten sie sich vor knapp 10 Jahren gesagt, als der Laden aus der Taufe gehoben wurde. Joe war später dazugekommen, aber er hatte die gleiche Einstellung. Und so können sie beurteilen, welche Komponenten an welchen Rädern die alltäglichen Belastungen im Stadtverkehr aushalten - und welche nach wenigen Kilometern ihren Geist aufgeben.Es gibt immer wieder Ärger mit Kunden, die nicht einsehen wollen, daß unter einem Tausender für ein komplettes Rad so starke Abstriche in Sachen Qualität zu machen sind, daß in diesem Geschäft keiner der Kollegen ein billiges Rad mit gutem Gewissen verkaufen kann. 26
Wenn die Leute einen Monat später oder noch früher nach dem ersten Unfall, weil die Bremsen nicht mehr richtig funktionierten, oder nach den ersten Defekten in den Laden zurückkamen, dann hatten sie die bittere Erfahrung gemacht, daß sich Sparen an der falschen Stelle nicht auszahlt. Dann legten sie weit mehr Geld für Ersatzteile drauf, als sie es hätten tun müssen, wenn sie gleich ein teures Rad gekauft hätten.Und dann kam der Boom. Jeder wollte ein Mountain Bike haben, aber nur ein Teil der Käufer konnte damit richtig umgehen. Die Alltagsfahrer hatten sich gefreut, daß es jetzt endlich Bremsen und gedichtete Lager gab, daß sie im Regen auf dem Weg zur Arbeit vor Falschfahrern zum Stehen kommen konnten, bevor sie über die Autos flogen, und daß auch nach einem Jahr mit viel Regen und Streusalz Tretlager und Naben nicht ihren Geist aufgegeben hatten.Joe hatte es selbst miterlebt, daß die Bereitschaft der Kunden, mehr Geld für hochwertige Räder auszugeben, stark gewachsen war, weil die Leute erfahren hatten, daß man diese Räder auch nach 2, 3 Jahren harten Gebrauchs noch benutzen konnte. Und er selbst hatte in den ersten Monaten, als er in dem Laden angefangen hatte, kaum Geld auf das Konto überwiesen bekommen, denn zuviel gab er dafür aus, sich selbst das eine oder andere Rad anzuschaffen, neue Komponenten auszuprobieren und seine Fahrzeuge stets auf dem aktuellen Stand der Technik zu halten.Also, der Rahmen ist fertig, das Geld reicht, er braucht weder sein Mounti noch das Rennrad zu verkaufen. Oder? Was soll er jetzt mit seinen Bikes anfangen? Das neue Bike ist schwarz, es wird sehr leicht werden, hat eine sehr kurze und steile Geometrie, damit könnte er ohne große Probleme Free Stile fahren. Ja, warum nicht wieder die Tricks trainieren, die er in seiner Jugend beherrscht hat?Die Mittagspause ist vorüber, Joe schiebt ein Bike von der Werkstatt zum Laden, bekommt von einem Stammkunden die Tür aufgehalten, und schiebt es durch in den Hinterhof. Die Arbeit in der Werkstatt ist heute für ihn beendet. Mike nimmt ihn beiseite, gerade ist eine Lieferung angekommen.Und da steht er. Mike hat ihn bereits ausgepackt, denn er ist eine Schönheit in Schwarz. Glänzend lackiert, auch unter dem Tretlager ohne Macken. Geschweißt, die Nähte nachbearbeitet und mit Lot aufgefüllt, alles schön rund. Wow! Der sieht ja besser aus, als er sich das je vorgestellt hatte, der Rahmen ist sein Geld wert! Joe nimmt ihn in die Hand und wiegt ihn auf dem kleinen Finger, nur 2 Kilo inklusive Gabel. Verdammt leicht, denkt er, aber er wird stabiler sein als der Alte. Doch dann reißt er sich von der Schönheit los und geht in den Laden. Mike bemerkt die Verzückung in seinem Gesicht."Zufrieden?“ „Ja. Sieht wunderschön aus, der Rahmen.“ „Und wann willst Du den fertigmachen?“ „Weiß nicht, mal sehen. Vielleicht noch diese Woche.“ „Was ist mit deinem alten Bike - willst du das verkaufen?“ „Wieso?“ „Gerade hat der Thom danach gefragt, du hattest mit ihm letzte Woche darüber gesprochen, hat er gesagt.“ „Ach ja, stimmt. Ne, eigentlich nicht, ich wollte den alten Rahmen noch behalten, das ganze Rad, ich glaub', ich brauch' das noch.“ 27
„Wenn Du meinst. Aber Du weißt, wie teuer das wird.“ „Ich glaub', das wird schon gehen."Beide gehen in den Laden. Als es auf halb 7 zugeht, ist der immer noch voll, warum wollen sich jetzt eigentlich alle möglichen Leute neue Räder kaufen? Joe und Mike wundern sich, so viele Beratungsgespräche wie heute haben sie noch nie geführt. Es scheint, als ob die Veranstaltung am Wochenende und die Präsenz in den Medien zum Umdenken bei vielen Menschen geführt haben. Heute waren eine Menge Kunden dabei, die ganz klar den Wunsch hatten, ein Rad für den Alltagsgebrauch zu erwerben, um nicht mehr auf das Auto und öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Es ist nett, mit der U-Bahn zu fahren, aber was macht man, wenn man wegen der täglichen Betriebsstörungen nur selten pünktlich zur Arbeit kommt? Den Vorstand des Verkehrsverbunds interessiert das nicht, die können nicht verstehen, daß die Leute pünktlich und ohne Verletzungen am Ziel ankommen wollen. Die fahren ja auch nie mit der Bahn... Unfreundliches und Überstunden schiebendes Personal, Verspätungen, verschlissenes Material, das konnte den Vorstand noch nie beeindrucken. Kein Wunder, wann fahren die Führungskräfte auch einmal mit ihren eigenen Fahrzeugen? Es stellt sich wie in der Politik das Problem, daß die Personen, die Entscheidungen treffen sollten, keinen Kontakt zur Realität haben.Und jetzt wollen sie alle auf das Rad umsteigen? Ein angenehmer Gedanke, aber wenn der Boom so weitergeht, dann haben wir hier in wenigen Wochen landunter, denkt Joe. Endlich, es ist 7 Uhr, und nur noch ein Kunde im Laden. Joe und Mike kennen ihn seit langem, und stolz zeigt Joe seinen neuen Rahmen. Glänzende Augen bei allen Beteiligten, zärtlich streicht Joes Finger über die sanften Rundungen des Rahmens, pure Erotik, die der schimmernde Lack ausstrahlt. Er packt ihn über die Schulter, greift sich die Kartons mit den Komponenten, die er sich heute zwischendurch zurückgelegt hat, und geht zur Werkstatt.Tom ist gerade dabei, an einem Rad die Kurbeln anzuschrauben, als Joe einen Lappen in die Klemmen schiebt und seinen Rahmen in der Halterung festmacht. Die Handgriffe sind geübt, er nimmt die Gabel aus dem Lenkkopf und legt sie auf den Tisch. Nur keinen Kratzer in das Alu machen! Er nimmt die Gewindeschneider aus der Halterung an der Wand und schneidet das Tretlager nach. Dann ist die Gabel dran, Joe sieht, daß die gestern noch bearbeitet worden ist, im Schraubstock, wie sich das gehört. Also erst einmal die ganzen anderen Gewinde nachschneiden.rgendwo in diesem Karton muß der Steuersatz sein... Joe sucht, findet den kleinen Karton mit dem gedichteten Walzenlager und nimmt ihn auseinander. Preßt die Schalen ein und hämmert den Konus auf die Gabel. Die Einstellung ist Routinesache, endgültig Kontern kann er erst, wenn das Vorderrad eingebaut ist.Fast ist es Mitternacht, als Joe das Werkzeug beiseite räumt - das reicht für heute. Er gähnt, sieht sich den Torso seines entstehenden Bikes an. Steuersatz, Gabel, Tretlager, Kurbeln, Lenker, Pedale, Schaltung und Bremsen sind montiert, die Laufräder, Kette, Sattel und Sattelstütze fehlen noch. 28
Die Teile muß er im Laden erst zusammensuchen, aber bereits jetzt macht das Teil einen scharfen Eindruck. Der lange und flache Vorbau gibt dem ganzen Bike eine sportliche Note, Joe mag diese weit nach vorn geneigte Sitzposition. Die steil stehenden neonfarbenen Bremsarme der viel zu teuren Cantilever kommen auf dem schwarz lackierten Rahmen noch besser zur Geltung, als Joe das je bei einem anderen Bike erlebt hat. Und die schwarzen Kurbeln, die sehen richtig handgemacht aus, so teuer, wie sie später auf der Preisliste erscheinen werden... Joe wird es vermeiden, mit diesem Bike nachts in die Kneipe zu fahren.
II.Vor der Werkstatt steht seit heute morgen ein großer Blumentopf an der Bordsteinkante, mit einer schwarzen Schleife, für das Kind, daß letzte Woche hier gestorben ist. In der Zeitung heute herbe Kommentare über die Ereignisse, die Toten der letzten Tage. Soll das denn ewig so weitergehen?Die Kollegen des selbstverwalteten Fahrradladens sitzen bei einer Kanne Kaffee im Büro, bevor sie mit der Arbeit anfangen. Andy hat sich hinter dem Schreibtisch an der linken Seitenwand breit gemacht, eine gemütliche morgendliche Zigarette in der Hand. Joe und Mike sitzen auf der durchgesessenen Couch dem Schreibtisch gegenüber unter dem Fenster, in die Zeitung vertieft."Mann, es regt sich Widerstand. Hätt' ich ja nie gedacht.“ „Ja, ich hab den Eindruck, langsam lernen sie's.“ „Glaub' ich nicht. Hast Du das von der autofreien Innenstadt gelesen?“ „Ja.“ „Und was sagt der Fachmann dazu? Du hast doch 'mal Städtebau studiert.“ „Alles Müll. Die wollen auf der einen Seite nur noch Anwohnern erlauben, in die Stadt 'reinzufahren, vergessen aber, die öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern.“ „Wieso?“ „Die Bahn fährt jetzt in größeren Taktabständen, nicht mehr so oft, und außerdem haben die letztes Jahr jede Menge Wagen verkauft, die könnten gar nicht so viele Leute transportieren, selbst wenn sie wollten.“ „Und außerdem hat es der Rat der Stadt abgelehnt, neue Straßenbahnlinien anzulegen, die sie nächstes Jahr schon billig fertigstellen könnten. Dafür wollen sie dann U-Bahnen bauen, irgendwann im nächsten Jahrtausend.“ „Ich bin zwar Nahkämpfer, aber nach Einbruch der Dunkelheit in die U-Bahn? Ich bin doch kein Selbstmörder! Ist mir viel zu gefährlich!“ „Also, was schließen wir daraus? Wir werden in den nächsten Monaten jede Menge Räder verkaufen.“ „Und nachts wiedersehen. Wenn Du hier mit der Bahn in die Stadt fährst, um dir einen trinken zu gehen, dann fährt die letzte schon, bevor du 2 Bier getrunken hast. Ne, das ist alles nix. Mir ist in den letzten Monaten aufgefallen, wie viele Leute Nachts auf unseren Rädern unterwegs sind.“ „Wissen die, daß sie selbst zahlen müssen, wenn sie bei einem Unfall auf dem Rad besoffen sind?“ „Nur die wenigsten. Ich hab ein paar Leute drauf angesprochen, aber ich denke, wenn die besoffen Auto fahren, werden die das auch auf dem Rad tun."Mike schlägt die Fernsehseite auf."Hört 'mal, ich hab 'was Interessantes.“ „Ja?“ „Da ist heute Abend 'ne Diskussion 29
mit dem Vorsitzenden vom AAC im Fernsehen.“ „Was? Wo?“ „Auf unserem Lokalsender, um 11 Uhr.“ „Mist. Den krieg' ich nicht 'rein, ich hab' keinen Kabelanschluß.“ „Ich aber. Wie wär's, sollen wir uns das heute Abend bei mir ansehen?“ „Hast Du noch einen Kasten Bier?“ „Bring' einen mit.“ „Okay, dann um halb 11 bei dir. Joe, bist Du dabei?“ „Wollte eigentlich heute Abend an meinem Bike weitermachen, aber das interessiert mich.“ „Gut, dann sehen wir uns heute Abend."Mike und Joe stehen auf, Mike greift über den Schreibtisch und holt sich das Buch mit den Kundenbestellungen heran. Ist 'ne Menge liegengeblieben, denkt er, da werde ich wieder den ganzen Vormittag dran sitzen. Also greift er zum Hörer und wählt die Nummer des Großhandels, mit dem sie seit Gründung des Ladens zusammenarbeiten. Ich möchte die Telefonrechnung in diesem Monat nicht sehen...In Lager hinter der Werkstatt sieht es chaotisch aus. Gut, daß wir heute keine Kunden haben... Tom und Andy machen sich daran, die teilweise vormontierten Räder von der Wand zu nehmen, in die Werkstatt zu stellen und neu zu ordnen. In der Zwischenzeit vergleicht Joe die Modelle, die er da vor die Füße gestellt bekommt, mit denen, die er in der Lagerkartei stehen hat. Ah, sieh einer an, die Rahmenhöhe stimmt nicht, dafür ist da eine andere Farbe angegeben, ab und zu tauchen ein paar kleinere Fehler auf. Tom nimmt sich ein paar Trekking Bikes und hängt sie zusammen in einer Ecke des überdachten Hinterhofs auf, schafft eine neue Ordnung. Dank seines ausgeprägten Gleichgewichtssinnes schafft Joe es ohne Probleme, zwischen den Bikes herumzuturnen, ohne nur ein einziges Mal den Boden zu berühren, ohne auch nur eine kleine Schraube von den Tischen zu werfen, ohne ein Werkzeug an der Wand zu berühren. Bei einem Blick in das Lager stellt er fest, daß sich darin wirklich so etwas wie Ordnung einzustellen beginnt.Sie hatten sich letzte Woche dagegen gewehrt, ausgerechnet jetzt im Sommer das Lager aufzuräumen, aber nach den Verkäufen der letzten Wochen hatte sich das Plenum der Beschäftigten gedacht, daß es jetzt dringend nötig sei, diese Arbeit zu tun, denn sie hatten so pervers viele Räder bestellen müssen, daß sie spätestens Ende der nächsten Woche im eigenen Lagerbestand erstickt wären.Verdammt, wo ist mein eigener Rahmen? Joe läßt seinen Blick durch den Raum schweifen, er sieht ihn nicht. Hm, hat mir da einer einen Streich gespielt? Nein, da, in der Toilette, direkt über'm Klo, da hängt er... Übler Scherz, denkt er sich, doch Andy meint, das wäre der letzte Platz gewesen, den sie dafür gefunden hätten. Wenigstens hat er keinen Kratzer bekommen.Zu Mittag ziehen sie sich Gyros mit viel, viel Tzaitziki 'rein, denn heute haben sie keinen Verkauf, und die Kunden werden nicht Hals über dem Kopf aus dem Laden laufen, wenn sie den Knoblauch riechen. Wie hatten sich die Mechaniker darüber geärgert, daß sie nicht mehr das Essen konnten, was sie wollten, weil sich die Kunden beschwert hatten.Der Nachmittag ist mit Reparaturen angefüllt. Udo, der Student, der die Laufräder zentriert, gerade aus dem Urlaub zurück, bekommt einen Schlag, als er sieht, was 30
er zu tun hat. Er rechnet sich aus, daß er bei seiner Arbeitsleistung bis 2, 3 Uhr morgens wird arbeiten müssen, bis er die für morgen datierten Aufträge erledigt haben wird. Erst mal eine Tasse Kaffee holen...Als es dämmert, beendet Joe seine Arbeit. Er ist nicht dazu gekommen, an seinem eigenen Bike weiterzuarbeiten, hat dafür eine ganze Menge an Aufträgen erledigt. Wenn die Kunden morgen ihre Räder abholen, brauchen sie nicht darauf zu warten. Und die Mechaniker haben Zeit, sich um die Aufträge für Freitag zu kümmern, und um die schwierigen Fälle.Nein, die Laufräder sind noch nicht fertig. Joe kommt mit Udo überein, daß er erst die dringenden Aufträge der Kunden abarbeiten soll, bevor er sich an die Edelteile 'ranmacht, die Joe in seinem Rad haben will. Außerdem hat er ja noch ein Studium zu erledigen. Dafür sieht Joe sich die Naben an, die er in sein Bike einbauen will. Und die sehen glänzend aus, laufen leicht, gedichtete Industrielager, und er weiß, daß sie auch nach 50000 km noch gut aussehen und laufen werden.Mike stöhnt, als er den Kasten Bier zu Toms Wohnung hinaufschleppt. Warum kann der nicht im Erdgeschoß wohnen? Joe hat es sich leicht gemacht, hat sich die Chips unter den Arm gepackt. Ächzend schiebt Mike den Kasten durch die Tür in den Flur. Über den Bildschirm flimmert eine völlig wirklichkeitsfremde Autowerbung, die eine stinknormale Familienlimousine allein auf einer Landstraße zeigt, in atemberaubender Kurvenlage. Dabei weiß doch jeder im Land, daß es leere Straßen hier nicht mehr gibt. Selbst die Feldwege sind überfüllt. Aber wen kümmert das denn?Endlich die erwartete Sendung, eine Viertelstunde zu spät, weil die Werbeeinblendungen zu lang waren. Nach dem Titel stellt der Moderator den Vorsitzenden des AAC vor, Dr. Peter Wimmer. Und kommt gleich zur Sache."Herr Wimmer, in unserer Stadt hat es in den vergangenen Tagen eigenartig viele Tote im Straßenverkehr gegeben, eine Familientragödie, die durch die Presse gegangen ist, und einige Amokläufer. Kinder müssen auf der Straße spielen, Fußgänger auf die Straße ausweichen, weil die Fußwege zugeparkt sind. Sie als Vorsitzender des größten Automobilclubs des Landes fordern auch weiterhin einen forcierten Ausbau des Straßennetzes. Sind Sie der Meinung, daß diese Forderung überhaupt noch zeitgemäß ist?“ „Natürlich ist das zeitgemäß. Wir haben mehr Verkehr, also brauchen wir auch mehr Straßen. Unsere Bevölkerung muß mobil bleiben.“ „Muß mobil bleiben, sagen Sie. Es hat sich aber in den letzten Jahren gezeigt, daß der Bau von neuen Straßen nur dazu geführt hat, daß wir mehr Staus haben.“ „Weil wir zuwenig Straßen haben. Weil die Regierung es versäumt hat, das Autobahnnetz auszubauen, haben wir mehr Staus, und dadurch auch höhere Umweltbelastungen.“ „Noch einmal: Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß es falsch war, einseitig mehr Straßen zu bauen und dafür andere Verkehrsträger zu vernachlässigen. Sie wissen, Herr Wimmer, daß der Lkw-Verkehr in den letzten Jahren zugenommen hat, ja durch den Binnenmarkt und den Wegfall des eisernen Vorhangs noch weiter zunehmen wird, und daß es trotz 31
aller Ausbaumaßnahmen nicht gelingen wird, die Folgen dieser Steigerung aufzufangen.“ „Doch. Wenn wir mehr Straßen bauen, verringert sich die Zahl der Staus. Das liegt doch auf der Hand. Dafür zahlen wir die Mineralölsteuer.“ „Von der Mineralölsteuer bezahlen wir nicht die Straßen, Herr Wimmer, die reicht nicht einmal aus, die Umweltschäden zu bezahlen, die durch den Autoverkehr entstehen. Für den Bau von Autobahnen zahlen wir alle Steuern, egal ob wir sie benutzen oder nicht. Wenn ich mir eine Fahrkarte für die Bahn kaufe, dann bezahle ich damit auch den Bau und die Erhaltung der Verkehrswege der Bahn mit.“ „Wer fährt denn noch mit der Bahn? Sie müssen doch ganz klar sehen, daß unsere Bevölkerung mobil bleiben muß.“ „Welche Bevölkerung? Nennen sie es mobil, auf einer Autobahn im Stau zu stehen, in der Stadt stundenlang nach einem Parkplatz zu suchen? Und was machen die Leute, die kein Fahrzeug haben, Kinder, Rentner, Behinderte, Kranke, also ein Großteil der Bevölkerung? Haben die kein Recht, sich in unserem Land zu bewegen?“ „Natürlich haben sie ein Recht dazu, das hat doch jeder freie Bürgerin unserem Land. Aber der Verkehr wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen, und es gibt nur eine Lösung für dieses Problem: Wir brauchen mehr Straßen.“ „Aber Herr Wimmer, wollen Sie es denn nicht sehen: Überall dort, wo in den letzten Jahren Straßen zur Entlastung gebaut worden sind, hat der Verkehr so zugenommen, daß auch diese Straßen wieder vollkommen überfüllt sind.“ „Das sehe ich anders.“ „Es gibt, wie Sie mit Sicherheit wissen, eine Studie des Verkehrsministeriums, die besagt, daß es keine Lösung ist, mehr Straßen zu bauen, sondern daß es nur eine Lösung sein kann, den Verkehr auf andere Träger zu verlagern.“ „Ich kenne diese Studie nicht.“ „Doch, Sie kennen sie. Sie haben selbst vor 2 Jahren geholfen, daß sie vom Ministerium unter Verschluß gehalten wird.“ „Davon weiß ich nichts.“ „Dafür wissen Sie von einem Bericht des Umweltministers, nach dem die Einführung des Katalysators für Pkw ein Flop war. Die meisten Kats sind nach 20000 Kilometern bereits wirkungslos, weil die Fahrer falsch getankt haben oder die Elektronik nicht richtig funktioniert. Hinzu kommt, daß 90% aller Fahrten nach 10 km schon zu Ende sind, der Kat also gar nicht warm werden kann. Die Umweltbelastung hat sich deswegen weiter verstärkt, obwohl alle anderen Emissionen geringer geworden sind. Was sagen Sie dazu?“ „Was soll ich dazu sagen? Wir haben zusammen mit dem Verband der Automobilindustrie ein Gutachten in Auftrag gegeben, daß das Gegenteil beweisen wird."Joe trommelt mit den Fingern auf seiner Bierflasche herum. Das ist doch alles Blödsinn, was sich dieser Mann da zusammenlabert. Eine Telefonnummer wird eingeblendet, die Zuschauer können sich an der Diskussion beteiligen. Er ruft an, führt ein Vorgespräch mit einer Redakteurin und wird nach einer Werbeeinblendung auf Sendung geschaltet."Wir haben jetzt einen Herrn am Telefon, der sich selbst vorstellen wird?“Guten Abend, Johannes Radmann ist mein Name, ich bin Mitarbeiter in einem Fahrradgeschäft. Wir beschäftigen uns nicht nur mit dem Verkauf 32
von Rädern, sondern auch mit Verkehrsplanung.“ „Sehen Sie das Rad als Lösung der Verkehrsprobleme?“ „Nein, die alleinige Lösung kann es gar nicht darstellen. Wir können aber gerade in der Stadt den Verkehr zu einem großen Teil vom Auto auf andere Verkehrsträger verlagern.“ „Das ist doch Blödsinn. Das Auto war immer der einzige Verkehrsträger, und er wird es auch in Zukunft bleiben müssen.“ „Das stimmt so nicht, Herr Wimmer, und das wissen Sie auch. Wenn unsere Stadt nicht weiter im Verkehr ersticken soll, dann müssen wir den motorisierten Individualverkehr einschränken. Außerdem zahlen wir alle für die Schäden, die der Autoverkehr anrichtet, nicht die, die ihn verursachen. Sie wissen, wie der Dom auseinanderfällt, und das nur wegen der Belastungen, die durch den Autoverkehr entstehen.“ „Das stimmt doch gar nicht! Es gibt gar keinen Beweis, daß der Autoverkehr...“ „Doch, Herr Wimmer, im letzten Monat hat der Umweltminister des Landes einen Bericht veröffentlicht, der genau dieses besagt, und der deckt sich mit allen Untersuchungen, die in den letzten Jahren zu diesem Thema gemacht worden sind.“ „Davon weiß ich nichts.“ „Das ist Ihre Sache. Wir müssen jedenfalls feststellen, daß die Politik, mehr Straßen zu bauen, falsch ist. Wir müssen außerdem gerade in den Städten feststellen, daß die Aggressivität im Straßenverkehr enorm zugenommen und nur noch das Recht des Stärkeren gilt, das der Autofahrer. Die Folgen haben wir jeden Tag hier im Laden, nämlich die Leute, die einfach von Autofahrern über den Haufen gefahren werden, obwohl sie sich regelgerecht verhalten.“ „Ach, diese Radfahrer sind doch alle Raser! Fahren bei Rot über die Ampel, gegen die Einbahnstraßen, die sind doch selbst Schuld, wenn die angefahren werden! Die sollen auf ihren Radwegen bleiben!“ „Die Radwege in dieser Stadt sind in der Regel zugeparkt, Herr Wimmer, wenn sie nicht gerade durch Schlaglöcher und Baustellen unpassierbar oder viel zu schmal sind. An den Kreuzungen werden sie dann plötzlich mit dem Autoverkehr konfrontiert und, obwohl sie Vorfahrt haben, über den Haufen gefahren. Wir haben gar nicht die Chance, auf ihnen zu fahren. Und wissen Sie was: Die meisten von diesen rücksichtslosen Falschparkern sind Mitglieder im AAC. Was sagen Sie als Vorsitzender des Allgemeinen Automobil Clubs dazu, Herr Wimmer?“ „Das ist eine Unterstellung, daß unsere Mitglieder...“ „Sie fordern freie Fahrt für freie Bürger. Aber was ist mit den Bürgern, wenn sie aus dem Auto aussteigen und zu Fußgängern werden, Herr Wimmer? Haben sie dann kein Recht mehr, sich in unserem Land zu bewegen?"Joe bekommt keine befriedigende Antwort auf diese Frage, wird von Moderator verabschiedet und legt auf. Mike klopft ihm anerkennend auf die Schulter, er hat sich gut geschlagen. Der Betonkopf auf dem Bildschirm vertritt auch weiterhin die Meinung, daß man das ganze Land zubetonieren müsse, ohne Rücksicht auf Verluste. Andere Anrufer verlangen von ihm eine Stellungnahme zu den Umweltproblemen, die der stetig steigende Autoverkehr verursacht hat, aber es ist bis zum Ende der Sendung keine 33
vernünftige Äußerungen aus ihm herauszubekommen.Den Rest der jungen Nacht verbringen die 3 Männer damit, über die verfehlte Verkehrspolitik zu diskutieren und den Kasten Bier zu leeren. Es hat sich Wut in ihnen aufgestaut, und die macht sich jetzt Luft. Gegen 1 Uhr ist der Bierkasten geleert, und die Fahrradmechaniker heben die Runde auf
III."He, Joe, warst Du das gestern Abend?"Ja, ich geb's ja zu. Ich war's."Er ist müde, die Nacht war zu kurz. Viel zu kurz. Jetzt steht ihm Thom gegenüber, der Stammkunde, der im selben Haus wohnt. Und den sie regelmäßig beobachten können, wie er abends, wenn alles auf der Straße ruhig ist, mit heraushängender Zunge und geilem Gesichtsausdruck vor dem Schaufenster steht und sich Räder und Komponenten ansieht."Du hast dich gut geschlagen. Ich hab' auch versucht, da anzurufen, bin aber nicht durchgekommen.“ „Ich hatte Glück.“ „Der Typ hat sich ganz schön in die Ecke manövriert. In die Ecke, in der alle diese Betonköpfe stehen.“ „Und da, wo die Mitglieder des AAC stehen. Über 8 Millionen, und die denken alle wie er.“ „Nicht alle, denke ich, aber die zahlen die Mitgliedsbeiträge, und damit unterstützen die ihn. Es gibt genug andere Verkehrsclubs, die sollten mehr Werbung machen.“ „Das versuchen wir schon seit Monaten, aber das dauert verdammt lange. Also, was brauchst Du?“ „Schaltzüge und Zughüllen für vorne und hinten, ich will die Drehgriffschalter abbauen.“ „Wieso das denn?“ „Wenn Du 'ne Steigung hochfährst und das Teil hinten dauernd schaltet, dann stimmt da irgendwas nicht. Und wenn Du dann über 'ne Bordsteinkante fährst und auf's 24er Kettenblatt schaltest, da kommt Freude auf.“ „Ja, ich hab' dich gewarnt. Du wolltest sie haben.“ „Es gab nix anderes. Die haben nichts anderes angeboten, diese Schlampis.“ „Also gut, ich hol' Dir die Sachen."Gesagt, getan. Joe tippt die Nummer für die Züge in den Computer, Thom geht aus dem Laden. Später wird Joe ihn aus den Augenwinkeln mit knapp 40 Stundenkilometer vor der Werkstatt vorbeifliegen sehen, wenn er mit kurzen Sätzen über die Aufpflasterungen der Verkehrsberuhigung springt. So eine kurze Probefahrt mit einem MTB, das nur wenig mehr als 10 Kilo wiegt, das macht Spaß, Joe weiß das nur zu gut. Und er weiß, daß es nur wenige Kunden gibt, bei denen sie länger gebraucht hatten, um alle Teile für das Rad zusammenzubekommen. Aber so ist das Geschäft - was du auf einer Messe und in der Presse vorgestellt bekommst, was Dir der Hersteller als Sensation anpreist, das kannst du frühestens ein halbes Jahr später bekommen. Und wie oft haben sie den Ärger der Kunden über die langen Lieferfristen an die Importeure und Hersteller weitergeben müssen...Die Arbeit ruft, am Morgen ist Joe im Verkauf tätig, bis er am Nachmittag in der Werkstatt auftauchen und sich die Finger dreckig machen wird. Aber jetzt, da darf er wieder stundenlange Beratungsgespräche mit Leuten führen, die ein Ventil für 50 Pfennig kaufen. Einige kommen wieder mit Rädern an, die nach Unfällen grotesk zugerichtet aussehen, die Fahrer ebenso.Der Arbeitstag neigt sich dem Ende 34
zu, nach dem Mittagessen war Joe bei der Arbeit an einem Reiserad fast im Stehen eingeschlafen, aber nach zwei Litern Kaffee geht es ihm schon besser. Er schiebt gerade das Rad in den Hinterhof des Geschäfts, als ein Autofahrer laut hupend eine Mutter mit Kinderwagen von der Straße scheucht, die sie auf einem Zebrastreifen überquert. Das darf doch nicht wahr sein, das ist genau der Typ, der letzte Woche das Kind umgebracht hat! Und der ist nicht nur wieder auf freiem Fuß, der benimmt sich auch wieder genauso wie letzte Woche, der versucht schon wieder, einen Mord zu begehen. Joe sieht dem Wagen nach, so kann das nicht weitergehen!Er merkt sich die Nummer des Wagens, der Typ muß aus dem Verkehr gezogen werden. Wenn der so weitermacht, und da ist er nicht der Einzige, dann hat sich in diesem Land das Problem des Nachwuchses in wenigen Jahren von selbst erledigt, dann sind alle Kinder tot.Feierabend, sie haben ihren Rückstand bei den Reparaturen aufgeholt und die Werkstatt saubergemacht. Mike und Andy haben genug, sie wollen sich ein paar Bier kippen gehen, bevor die Ehefrauen rufen, Joe ist aber unruhig, hat keinen Bock auf Kneipe. Das Wetter lädt nicht zum Trainieren ein, dunkle Wolken kündigen ein Gewitter an. Um 7 steht er am Montageständer und bastelt weiter an seinem Rad. Fast ist er mit der Arbeit fertig, Udo hatte die Laufräder heute fertiggestellt, als sein Blick auf die Blumen für das tote Kind draußen auf der Straße fällt. Du wolltest doch... Er wählt die Nummer des Polizeipräsidiums, erfindet einen Vorwand, mit dessen Hilfe er die Adresse des Halters des Wagens herausbekommt, gibt falsche Personalien an und legt auf, bevor Fragen kommen. Ein Glück, daß er von seiner früheren Tätigkeit bei der Polizei einige Leute kennt.Die Sonne geht unter, als er das Bike aus der Werkstatt schiebt, die Jungfernfahrt darauf macht. Wow, fährt sich nervöser als das Alte, aber nicht unangenehm! Es hat sich gelohnt, den Rahmen auf Maß bauen zu lassen, mit einer Geometrie, die eher der eines Straßenrenners entspricht als der eines Mountain Bikes. Er sieht sich um, zieht die vordere Bremse an, macht einen Nose Wheelie, hebt das Hinterrad und dreht auf dem Vorderrad einen Halbkreis. Sein Gleichgewichtssinn ist sehr gut ausgebildet, das hatte er schon als Kind erfahren. Er hatte früher immer bei dem Spiel gewonnen, wer am längsten mit dem Rad auf der Stelle stehen bleiben konnte, ohne ein Bein auf die Erde zu setzen. Hatte mit zehn Jahren Tricks als Free Stiler drauf, mit denen er die Herzen der Mädchen auf dem Schulhof im Sturm eroberte...Ein Riß am Lenker, und er legt einen perfekten Wheelie hin, bleibt auf dem Hinterrad stehen. Alter, das Rad ist nagelneu, aber du fährst drauf, als hättest du nie ein Anderes unter dem Hintern gehabt! Jetzt hält ihn nichts mehr, er tritt an und schießt in den Grüngürtel, zwängt sich auf den schmalen Pfad an der Außenseite des Brückengeländers entlang der Neusser Straße, balanciert an der Außenseite der Brücke entlang und hebt das Vorderrad über die Betonstufe, um den steilen Hang, aus dem Sattel gegangen, langsam herunterzufahren. Die Investition in die 35
teuren Bremsen hat sich gelohnt, die ziehen nicht nur bissig, sondern lassen sich dabei auch genau dosieren. Meist hat man entweder das Eine oder das Andere. Und später eine gebrochenen Nase, wenn es brenzlig wurde.Aber damit nicht genug, er dreht um und fährt auf dem gleichen Weg wieder hoch. Fährt sich sehr gut, das Teil, der Lenker kommt nicht hoch, der Hinterreifen hat ordentlich Traktion. Ein Geräusch läßt ihn aufhorchen. Unten steht eine Gruppe von Jugendlichen, die er aus der Nachbarschaft kennt, so um die 16 Jahre, und die pfeifen ihm, selber zum Teil auf Rädern sitzend, hinterher, haben ihn beobachtet. Ein Lächeln fährt über sein Gesicht, tut gut, bewundert zu werden.Draußen wird es dunkel, als Joe die Werkstatt aufräumt und die Arbeit an seinem Rad beendet. Eine echte Schönheit auf zwei Rädern. Aber er hat ja noch etwas vor.Sein Kopf fährt herum, jemand klopft gegen die Scheibe, das ist Andy, der gerade nach Hause gehen will. Joe öffnet die Tür, zeigt ihm stolz sein Fahrzeug, und sie sind der gleichen Meinung, was die Optik des Bikes angeht. Eine geile Kiste, meint Andy, bevor er die wenigen Schritte zu seiner Haustür geht. Aus seinem Rucksack nimmt Joe sich die Batterielichtanlage, die er heute morgen eingesteckt hatte, klemmt sie an und prüft die Funktion. Es wird Licht, in Ordnung. Er schiebt das Rad vor die Tür, löscht das Licht in der Werkstatt, schließt ab und drischt im Wiegetritt die 100 Meter bis zu seiner Haustür hinunter, hängt dabei zwei Autofahrer ab, springt vor dem Haus auf den Fußweg. Blockiert genau vor der Tür das Vorderrad, dreht das Rad einen Viertelkreis herum und kommt mit einer Armlänge Entfernung zur Tür zu stehen, so daß er den Schlüssel einstecken kann, ohne sich über den Lenker nach vorne beugen zu müssen.Während er das Rad im Flur stehen läßt, springt er die Treppen zu seiner Wohnung hinauf, greift sich die schwarze Lederjacke, an der bereits die zugespitzten Speichen griffbereit kleben. Er setzt sich den Helm auf, den er heute Mittag mit einem neuen schwarzen Lycraüberzug versehen hat, und zieht sich die schwarze Lycrahose über, die er aus Sicherheitsgründen zum Fahren in den letzten beiden Jahren nicht mehr angezogen hat. Wer schlecht zu sehen ist, stirbt früher. Aber heute Nacht, da will er nicht unbedingt gesehen werden.Schnell stürzt er die Treppen zu seinem Bike hinunter, setzt die Lichtanlage in Gang und ist aus der Tür. Er weiß, wie er am besten zu der Adresse kommt, die ihm der ehemalige Kollege vor wenigen Stunden gegeben hat, und steht nach zehn Minuten in Niehl vor der Tür. Es ist nach 10 Uhr Abends, dunkel geworden, als er im Schrittempo vor dem Mehrfamilienhaus vorbeifährt. Ob der Typ schon zu Hause ist? Joe stellt sich in eine Lücke zwischen zwei Autos, neben einen Baum. Das Licht der Straßenlaterne erreicht ihn nicht, er ist aus dem Haus nicht zu sehen.Der Wagen steht nicht hier. Ob der Typ noch in einer Kneipe ist? Und überhaupt, der hat doch keine Familie, was macht der in einem Wohnviertel, in dem überwiegend Familien leben, auch noch mit kleinen Kindern? Ob der hier genauso rast? Joe sieht unbeobachtet auf die 36
Klingelschilder, versteckt sich dann in der Dunkelheit.Etwa zehn Minuten wartet er, will wieder fahren, da sieht er den schwarz lackierten Benz, Typ mittleres Management. Er fährt bis vor die Haustür, fährt auf den Gehweg und bleibt dort stehen, wo es verboten ist. Das ist das Startsignal für Joe.Sich nach den Seiten umsehend, sprintet er geräuschlos aus der Lücke heraus, bis er vor dem Wagen ist. Bremst scharf, hebt das Hinterrad und dreht auf dem Vorderrad, bis er genau vor dem Wagen zu stehen kommt. Der Mann sieht ihn, hält in der Bewegung, den Gurt zu lösen, inne, und starrt entgeistert auf Joe, dessen Gesicht er durch seine schwarze Maske nicht erkennen kann. Nur die Augen, die ihn ruhig fixieren, die hat er irgendwo schon einmal gesehen. Joe ist nicht aus den Pedalen ausgestiegen, hat einfach so das Gleichgewicht gehalten, tritt jetzt an, reißt den Lenker hoch, setzt das Vorderrad auf die Motorhaube, zieht das hintere nach und erklettert das Dach des Wagens. Unwillkürlich duckt sich der Fahrer unter ihm, obwohl ihm eigentlich gar nichts passieren kann. Als sei das ganz normal, setzt Joe seine Fahrt fort, rollt auf den Kofferraum und springt vom Heck herunter. Neben der Fahrertüre bleibt er stehen, scheinbar ganz gelassen. Der Mann sieht Joe entgeistert an, öffnet nach kurzem Zögern die Tür."He, was soll das? Was machen Sie auf meinem Wagen?"Auf dem Bike stehend, sagt Joe nichts, fixiert sein Gegenüber mit den Augen."Was... Was wollen Sie?“ „Deinen Schädel. Du bist für den Tod einer Familie verantwortlich.“ „Was... Warum... Was soll das Ganze?“ „Du hast heute schon wieder versucht, eine Mutter mit Kind umzubringen. Und das wirst Du nicht noch einmal machen.“ „Ach so. So einer bist Du. Na warte, Du Schwein, jetzt werd' ich Dir 'mal zeigen, wie ich dich fertig mache!"Ganz plötzlich gewinnt der Fahrer Haltung zurück, greift in das Handschuhfach und zieht einen metallisch glänzenden Gegenstand hervor - eine Pistole. Joe bewegt sich keinen Millimeter. Der Mann steigt aus, sieht eigentlich recht sportlich aus, denkt sich Joe, und geht auf ihn zu."Na warte, Du Großmaul, jetzt blas' ich dir den Arsch weg!"Netter Umgangston... Joe sagt nichts, macht eine kurze Handbewegung. Er greift sich mit der rechten Hand an den linken Oberarm, hat sofort eine Speiche in der Hand und schleudert sie aus dem Handgelenk fort. Direkt in den Unterarm des Mannes, der kaum 2 Meter entfernt steht, vor Schmerz aufschreit, die Speiche dringt tief ins Fleisch ein, und der daraufhin die Knarre fallen läßt.Volltreffer!Joe stellt sein Rad neben den Wagen, während der Mann versucht, die Speiche aus seinem Arm zu ziehen. Bevor er wieder zur Waffe greifen kann, nimmt Joe sie auf, faßt sie am Lauf, und schlägt sie so stark auf den Wagen, daß sie sich verbiegt. Die ist nicht mehr zu gebrauchen.Weiter. Inzwischen hat sich der Verletzte die Speiche aus dem Arm gezogen und Joe seinen Schlüssel in der Hand. Er holt aus und wirft ihn, ohne Fingerabdrücke auf ihm zu hinterlassen, in ein Gebüsch. Da wird in der Dunkelheit keiner mehr suchen. Noch etwas? Joe nimmt sein Bike, der Mann sieht ihm nach, während er sich den Unterarm hält, aus der Wunde fließt stoßweise Blut. 37
Selbst Schuld, denkt Joe, wenn er die Speiche dringelassen hätte, würde die Wunde weniger stark bluten... Der Blutverlust scheint ihm zu schaffen zu machen, er kniet sich neben seinen Wagen."Aber warum...“ „Du bringst keinen mehr um. Das ist eine Warnung. Beim nächsten Mal kratzt Du ab."Ein Auto kommt, viel zu schnell für diese Straße, und fast wird der Mörder des Kindes selbst zum Opfer, selbst über den Haufen gefahren. Ohne sich um den Verletzten zu kümmern, fährt der Autofahrer laut hupend an dem zusammenbrechenden Mann vorbei, streift ihn an der Schulter und wirbelt ihn um die eigene Achse; er knallt mit dem Rücken hart gegen den hinteren Kotflügel. Ja, so schnell geht das, denkt sich Joe, der die Lichtanlage nicht wieder eingeschaltet hat und sich ungesehen entfernt.Das Hupen weckt die Aufmerksamkeit der Anwohner. Eine Frau lugt aus der Tür, sieht eine Gestalt regungslos auf dem Boden liegen und erkennt den Mann, der eine Etage über ihr seit zwei Jahren in einem teuren Apartment wohnt. Sie schreit vor Schreck auf, geht zu ihm hin, er lebt noch, ist bei Bewußtsein, wenn auch durch den Zusammenstoß mit dem Autofahrer schwerer verletzt als nur durch Joes Attacke. Also läuft sie ins Haus zurück, ruft Notarzt und Polizei. Zehn Minuten später ist die Straße voller Leben, als der Mann in den Rettungswagen verladen wird und die Polizei eine Fahndung nach dem Autofahrer einleitet, der ihn gerammt hat. Nur Joe, den hat keiner gesehen. Die Speiche ist bei dem Zusammenstoß unter einen parkenden Wagen geschleudert worden, bei der nächsten Straßenreinigung wird sie auf dem Müll landen.Als Joe eine Viertelstunde später im Bett liegt, ist er sicher, das Richtige getan zu haben. Ein Gefühl tiefer innerer Befriedigung überkommt ihn.
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Ein Vertreter ist im Laden. Andy schnallt sich gerade einen Soft Shell Helm auf, frisch aus den USA importiert, und die Kollegen ahnen, was jetzt kommen wird. Sagen aber nichts. Joe zeigt einer Kundin im Ausstellungsraum ein neues Rad und erklärt ihr den Unterschied zwischen Reiserädern und Trekking Bikes. Er wirft einen Blick zu Andy rüber, der sich mit dem Vertreter unterhält."Also, der macht das, was alle Soft Shell Helme machen? Er zerbröselt, wenn er auf einen Gegenstand trifft, und fängt dadurch die Aufprallenergie auf?“ „Genau. Und im Gegensatz zu dem Vorgängermodell haben wir jetzt 50 Gramm eingespart, ohne die Stabilität zu verringern.“ „Ja, das kann hinhauen, der fühlt sich leicht an."Andy paßt den Kinngurt an, zieht die Schnalle zu."Na, dann wollen wir doch 'mal sehen!"Der Vertreter sieht ungläubig auf Andy. Er geht zu der Wand mit den Fahrradtaschen, rechts hinter der Eingangstüre, während Joe den Weg zur Kasse freimacht, denn dahinter ist das einzige freie Stück Wand im Ladenlokal. Und als wolle er einen neuen Rekord im Sprint aufstellen, läuft Andy los, den Kopf nach vorne gebeugt wie ein Stier auf dem Weg zum Torero, und knallt mit seinem Schädel voll gegen die Wand. Die Frau, die Joe gerade berät, sieht ungläubig zu, der Vertreter taumelt vor Schreck gegen die Wand mit den Fahrradtaschen, als Andys Kopf gegen die Mauer knallt. Aber was da knallt, ist nicht der Schädel, sondern der Helm - er zerfällt tatsächlich in mehrere Einzelteile.Das darf doch nicht wahr sein... Als sei er gerade selber gegen die Wand gelaufen, hält sich der Vertreter an einer Lowridertasche fest, um nur ja nicht die Besinnung zu verlieren. Andy und Joe sehen sich an, wie der Helm aussieht, der ist nicht mehr zu gebrauchen, hat aber seinen Zweck voll und ganz erfüllt, vom Aufprall hat Andy kaum etwas gespürt. Sie sind zufrieden. Die Frau will später noch einmal wiederkommen, verläßt eilig den Laden. Ungläubig kommt der Vertreter auf sie zu."Machen Sie das immer so?“ „Ja, das ist eine gute Art, Helme zu testen.“ „Ist das nicht gefährlich?“ „Nicht bei guten Helmen. Aber vor zwei Wochen, da hatten wir einen miesen Helm, den haben wir dem Vertreter gleich wieder mitgegeben. Und Andy hatte den Rest der Woche eine Gehirnerschütterung.“ „Also doch... Ich sollte die Methode nicht weiterempfehlen.“ „Nein, besser nicht, dazu muß man ein ausgesprochener Dickkopf sein. Ach ja, wir ordern erst einmal 10 Exemplare, 5 in jeder Farbe."Die Bestellung wird aufgenommen, und um eine Erfahrung reicher verläßt der Vertreter den Fahrradladen. Den beim Test zerstörten Helm hat er mitgenommen, den wird er in seiner Firma vorzeigen. Und dort wird man Respekt vor der praxisnahen Testmethode zeigen.Ein Blick in die Zeitung. Dort ist von einem merkwürdigen Unfall die Rede, bei dem ein Autofahrer auf offener Straße von einem anderen verletzt wurde. Eigentlich nichts Aufregendes, aber er gab hinterher etwas zu Protokoll, was man kaum glauben konnte - daß er nämlich von einem geheimnisvollen Biker gestellt worden sei, versucht habe, sich mit einer Waffe zu wehren, und von dem Mann verletzt worden sei. Man glaubte ihm zuerst nicht, fand aber 39
am frühen morgen bei einer Suchaktion die Pistole und die Autoschlüssel. Außerdem stellte der Arzt eine eigenartige Verletzung am rechten Unterarm des Mannes fest, die von einem langen spitzen Gegenstand stammen müßte - es fand sich aber nichts derartiges in der Nähe des Tatortes. Natürlich weiß Joe, daß er es war, von dem die Verletzung stammt. Aber die Kollegen brauchen von seinem Einsatz nichts zu wissen.Als er in der Mittagspause den Lokalsender hört, bringt man dort einen Bericht über den Unfall. Der Manager, als Art Director bei einer Werbeagentur beschäftigt, hat gerade seine Stellung verloren, da er durch die Verletzung nicht mehr arbeiten und ein dringender Auftrag deswegen nicht termingerecht fertiggestellt werden kann, der Agentur somit eine hohe Konventionalstrafe droht. Und genau der Anwalt, der ihn letzte Woche nach dem für den kleinen Jungen tödlichen Unfall aus den Fängen der Justiz löste, schlägt nun seinerseits zurück und versucht mit allen Mitteln, ihm die Schuld an der Verschleppung des Termins aufzudrücken, denn er habe den Unfall absichtlich herbeigeführt, sei sich des Risikos voll und ganz bewußt gewesen. Joe fährt ein Lächeln über das Gesicht, so kann es also kommen... Deine Freunde von gestern nehmen dich morgen auseinander.Endlich ist Feierabend, und nach dem mittelprächtigen Wetter gestern sagt sich Joe, daß er heute dringend wieder trainieren muß. Überstunden hat er in den letzten Wochen genug gemacht, also ist er Punkt halb 7 aus der Tür. Ißt eine Kleinigkeit zu Abend, montiert sich den Triathlonaufsatz auf den Lenker seines neuen MTB, füllt seine Trinkflasche auf und ist kurz nach 7 aus der Tür.Du kannst 3 Stunden fahren, bevor es dunkel wird, rechnet er nach, das dürfte reichen. Seine Strecke führt ihn zuerst zum Rheinufer, er fährt den Radweg an der Straße entlang, weil die Promenade zu voll ist. Zum Kampf mit freilaufenden Kampfhunden hat er jetzt keine Lust. Dafür drischt er bis zum Niehler Hafen, klettert auf dem mittleren Kettenblatt die Brücke hoch und schlägt den Weg Richtung Ford ein. Biegt auf den Radweg nach Neuss ein, und fährt ihn bis zum Chorbusch entlang.Nach 2 Stunden passiert er Pulheim, hat jetzt gut 60 km hinter sich und trotz Stadtverkehr einen Schnitt von über 30 km/h zustande gebracht, andere trainierende Radfahrer abgehängt und mit einem Triathloneten Windschattenfahren geübt. Die Sonne nähert sich dem Horizont, es wird Zeit, sich nach Hause zu bewegen. Er düst die Venloer entlang, biegt an der Kaserne nach links ab und ist kurz vor 10 in seiner Wohnung. Gar nicht so übel, denkt er, das waren 80 km in weniger als 3 Stunden, und da sag' noch einer, ein MTB eigne sich nicht für Langstrecken...Es ist Freitag, Wochenende. Morgen muß er zwar um 10 wieder im Laden stehen, aber bis dahin ist noch lange Zeit, denkt er, als er aus der Dusche kommt.Was soll ich unternehmen?Er hat keine Lust, jemanden aus seinem Freundeskreis anzurufen, blättert kurz eine Stadtzeitschrift durch und findet ein Konzert einer der Independentbands, die er schon immer sehen wollte, in der Ruine. In diesem chaotischen Laden in einem total abgewrackten Haus zwischen Bahndamm und 40
Schlachthof. Wird wahrscheinlich schon aus sein, wenn er kommt, aber das macht nichts - das ein oder andere bekannte Gesicht wird er dort antreffen.Fast zu spät. Als Joe in Lederjacke und schwarzer Jeans durch die Stahltüre eintritt, bekommt er gerade die letzte Zugabe mit. Das was dann doch wohl nix... Wie haben die Kids eigentlich den Lärm die ganze Zeit hier ausgehalten? Tierisch laut, ihm klingen nach einer Minute schon die Ohren.Erst mal ein Kölsch. Nach dem Training hat Joe Durst, und obwohl er während der Fahrt und an diesem Abend schon Liter um Liter Wasser getrunken hat, verspürt er immer noch Durst. Es dauert nicht lange, und er hat das Glas leer, holt sich das Nächste. Und endlich findet er Zeit, durch den gut gefüllten Laden zu gehen, ob da nicht jemand ist, den er kennt.Joe drückt sich durch die Leder- und Jeansjacken, vorbei an den geklinkerten Wänden, passiert eine Stahlplatte, mit der ein Loch notdürftig geflickt wurde, und geht die Wendeltreppe mit dem wackligen Geländer hinunter. Draußen im Biergarten ist die Hölle los, dabei gibt's dort gar kein Bier mehr, zu spät in dieser Stadt, in der es keine Nachtkonzessionen mehr gibt. Einige Kids stehen auf der Treppe, sehen brutal aus, machen ihm aber Platz, als er sich an ihnen vorbeidrängt. Überhaupt, ihm fällt auf, daß er hier kaum herumgeschubst wird, obwohl der Laden gerammelt voll ist. Als er in einen Spiegel neben der Tanzfläche sieht, merkt er, wie brutal sein Äußeres wirkt. Auch die Tatsache, daß er trainiert hat, sorgt dafür - sein Gesicht wirkt angestrengt, schmal, sportlich.Endlich ein bekanntes Gesicht. Mickey, ein alter Kumpel aus der Zeit, bevor er im Fahrradladen angefangen hatte, als er seinen Frust über die vier Jahre als Bulle verarbeiten mußte. Sie hatten die Nächte durchgesoffen, aber sie hatten sich auch auf ihre Räder geschwungen und Touren gemacht, die nicht unter 100 km abgingen. Waren Sonntags morgens bei Sonnenaufgang losgefahren, irgendwo Richtung Eifel, und hatten am späten Abend über 200 km auf dem Tacho stehen. Es war genau das Richtige, sich so zu verausgaben, das half ihm über den Ärger hinweg, den er mit Vorgesetzten und Kollegen nach dem Fehlschlag und den Toten des letzten Einsatzes gehabt hatte.Er ist nicht allein da, er hat sich im Gegensatz zu Joe in den letzten Jahren eine Freundin zugelegt, ist mit ihr da, und sie hat eine ihrer Freundinnen mitgebracht. Kim ist Journalistin bei einer der Kölner Stadtzeitschriften, in der Probezeit. Sieht interessant aus, denkt Joe, hübsches Mädel, groß gewachsen, lange blonde Haare, hohe Wangenknochen, große grüne Augen, enge Jeans wie er auch... Man versteht sich auf Anhieb gut, die beiden Frauen haben die Diskussion im Fernsehen miterlebt, an der Joe sich beteiligt hatte. Themen genug, um die ganze Nacht zu quatschen.Es geht auf 3 zu, als Mickey und Minni müde werden. Kim? Sie bleibt noch, wohnt ganz in der Nähe in Ehrenfeld, und unterhält sich weiter mit Joe. Inzwischen ist die Tanzfläche leerer geworden, Stücke aus dem Bereich Independent laufen, und Joe und Kim bewegen sich dazu. Es ist der Kick, es sind die 2 Liter Bier, die Joe im Kopf rumgehen, und es ist diese Frau, mit ihrer 41
langen blonden Mähne, die sich ausgelassen zur Musik bewegt. Sie sind beide in Stimmung, heute ist Fete. Joe muß sich verdammt beherrschen, nicht davon zu erzählen, daß er gestern Abend einen Mann fast umgebracht hat. Sie tanzen weiter.Plötzlich knallen Gläser am Rand der Tanzfläche auf den Boden. Joe ist zwar angetrunken, aber nicht besoffen genug, um zu erkennen, daß 2 Typen sich gerade eine Schlägerei liefern wollen. Ziemlich breite Schultern, das könnte ordentlich donnern. Er sieht ein abgebrochenes Bierglas in der Hand einer der Männer, und er geht von der Tanzfläche. Ein anderer Mann versucht den Streit zu schlichten, versucht sich zwischen die beiden Streithähne zu stellen, wird aber von dem Muskelpaket mit dem Glas in der Hand beiseite geschoben. Der andere weicht zurück, greift unwillkürlich zur Seite und findet eine leere Flasche Weizenbier, schlägt sie gegen die Wand und hat den Flaschenhals in der Hand, mit messerscharfen Rändern. Verdammt, jetzt spritzt gleich Blut, denkt Joe. Er ist augenblicklich klar im Kopf, ist mit wenigen Schritten zwischen beiden Männern und quatscht sie an.Leute, macht keinen Ärger, bringt euch nicht um. Die beiden Muskelpakete starren sich an, fixieren sich glasigen Blickes. Kommt, tut die Gläser weg, Jungs. Um die Gruppe aus drei Männern entsteht Raum, alle anderen gehen beiseite, Joe steht mit ihnen alleine. Der Typ mit der Bierflasche in der Hand sieht Joe kurz an, und das ist für den mit dem Glas das Zeichen für den Angriff - er geht auf sein Gegenüber los. Versucht es zumindest. Kim denkt, daß es jetzt mit Joe aus ist. Sie reißt den Mund auf, will ihn zurückziehen, kommt aber nicht an ihn heran.Es ist auch gar nicht nötig. Joe sieht, wie der Typ rechts von ihm versucht, mit dem Glas auf den anderen einzustechen. Und wie er es jahrelang geübt hat, greift er blitzartig um das Handgelenk des Mannes, der knapp doppelt soviel wiegen dürfte wie Joe, reißt es nach oben und hämmert mit der linken Faust gegen den Unterarm, so daß er das Glas fallen läßt. Damit nicht genug, Joe titscht ihn sanft gegen die verklinkerte Wand, aber doch so hart, daß er sich die Nase anschlägt und aus einer kleinen Wunde blutet. Der Muskelbepackte hält sich die Nase, weicht vor Joe zurück.Der andere Mann sieht das, hat unwillkürlich den abgebrochenen Hals der Bierflasche hochgehoben, um damit zustechen zu können, als Joe sich ihm zuwendet."Gib mir die Flasche. Bitte. Gib sie mir."Respekt in seinen Augen. Der Mann sieht Joe mit aufgerissenen Augen an, scheint schlagartig nüchtern geworden zu sein, senkt den Arm und hält Joe den Hals der Flasche hin, worauf er ihn nimmt und zu Boden fallen läßt. Er sieht sich zu dem anderen um, der steht immer noch an der Wand, hält sich aber nicht mehr die Nase. Joe merkt, daß es mit dem Streit vorbei ist, rät den beiden, zusammen ein Bier auf den Streit zu trinken, und geht in Richtung Tanzfläche. Man macht ihm Platz, die Musik ist leiser geworden, er war die Attraktion. Ohne Kim besonders zu beachten, geht er an ihr vorbei.Beim DJ bestellt er sich etwas schnelles, zockt vier Minuten wild ab, dann geht es ihm besser. 42
Kim hat in der Zwischenzeit zwei Kölsch besorgt, steht damit neben der Tanzfläche, als Joe total verschwitzt auf die Empore steigt. Endlich ist er wieder normal."He, wo hast Du das denn gelernt?“ „Ich will nicht darüber reden. Ich war vier Jahre lang Bulle, SEK, Nahkampfausbilder und selbst im Einsatz. Aber stell' mir bitte deswegen keine weiteren Fragen."Warum? Was war den los?“ „Bitte, jetzt nicht. Ich hab' ein paar Sachen erlebt, die ich vergessen will."Aber nicht kann, will er noch ergänzen. Tut das aber nicht, sondern kippt sich das halbe Glas in den Rachen. Kim merkt, daß er nicht mehr so redselig ist, wie er das vor zehn Minuten war. Sie sieht ihn an, da hat sich etwas verändert. Hatte sie vorhin noch den Eindruck, daß sie beide bei ihr im Bett hätten landen könnten, so scheint Joe im Moment eher ein Fall für ein Therapiegespräch zu sein.Er trinkt das Glas leer, scheint wieder normal zu werden. Ein Blick auf die Uhr, es ist 4 durch, oh verdammt, du mußt heute arbeiten! Also fingert er in seiner Lederjacke herum, sucht in der Brieftasche nach einem Zettel und tauscht mit Kim die Telefonnumern aus. Ein kurzer Kuß auf die Wange zum Abschied, dann geht er.Warum eigentlich kannst du nicht ganz cool und locker über deine Vergangenheit hinweggehen, warum müssen sie dich immer wieder an die Toten erinnern, für die du mit verantwortlich warst? Für die Freunde, die diese verdammte Bombe auseinander gerissen hat? Warum?Diese Gedanken gehen ihm durch den Kopf, als er zu seinem Bike geht. Aufschließen, in fünf Minuten bist du zu Hause, routinierte Bewegungen. Köln ist leer an diesem Samstag morgen, als er die Autobahn überquert, unten an der Brücke wendet und die Straße am Schlachthof entlang sprintet, um ein Taxi abzuhängen.Alles ruhig, denkt er, als er sich gewaschen hat und auf die Matratze kriecht. Ob er versuchen soll, Kim anzurufen? Vielleicht ist sie auch jetzt nach Hause gegangen? Besser nicht, denkt er, als er einschläft. Du hast fünf Stunden, dich auszuruhen. Das ist zuwenig. Das gibt Spaß morgen im Laden.
II.Verdammt, schon 9? Joe drückt die Schlummertaste, dreht sich noch einmal um. Weitere neun Minuten später ist es endgültig vorbei, er muß aufstehen. Ein kurzer Gang unter die Dusche, ein Joghurt, das muß reichen. Fünf vor 10 Uhr ist er unten im Laden, die ersten Kunden stehen schon vor der Tür. Haben die denn nichts anderes zu tun, als ausgerechnet hier und heute Geld ausgeben zu wollen? Und wer weiß, wieviele Stinkstiefel heute wieder irgendwelche Reklamationen haben. Wollen nichts kaufen, nehmen dir aber jede Menge Zeit weg, und die Schlange vor der Kasse wird länger und länger und länger...Thom kommt aus dem Supermarkt, grüßt Joe, als er die Tür öffnet und in den Laden geht. Andy sieht genauso müde aus wie er, dabei war der mit Sicherheit schon früher im Bett."Joe, wo warst Du gestern?“ „In der Ruine.“ „Kommst Du jetzt gerade daher? Oder hast Du noch gepennt?“ „Öh, ja, knappe 5 Stunden. Bin etwas daneben.“ „Komm, nimm Dir erstmal ein Kaugummi, damit Du nicht so nach 43
Bier riechst."Nach Bier? Joe hält sich die Hand vor den Mund, riecht an seinem eigenen Atem, verdammt, er hat recht. Du hättest mehr essen sollen heute morgen, oder besser noch, gestern Abend weniger trinken... Diese durchsoffenen Nächte nehmen einen ganz schön mit.Andy hält ihm einen Kaugummi hin, den er gerne nimmt. Als er die Rolladen hochzieht, verschwindet Joe kurz im Büro, kommt zurück in den Verkauf und sieht die lange Schlange von Kunden, die einem jegliche Motivation nimmt. Ein Jugendlicher will sich ein Bike zulegen, Joe geht mit ihm in den Ausstellungsraum, erklärt ihm die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen, Ausstattungen, Komponenten. Dabei gähnt er einige Male beiseite, versucht seine Müdigkeit zu verbergen.Es geht auf 1 Uhr zu, Mike ist jetzt auch im Laden, zu dritt geht es besser. Joe hält sich gerade in Komponentenlager auf, sucht einen Satz Ritzel, als Andy ihm auf die Schulter tippt."Du, da ist 'ne Frau, die Dich sprechen will.“ „Eine Frau?“ „Eine Frau. Ja. Eine verdammt hübsche Frau. Soll ich das erledigen?“ „Untersteh' Dich, Du bist verheiratet. Wer ist es denn?“ „Keine Ahnung. Sie hat gesagt, sie hätte dich gestern Abend kennengelernt.“ „Oh verdammt."Kim? Joe schluckt, bekommt kalte Hände. Schiebt Andy vor sich her, geht in den Laden, tatsächlich, sie ist es! Außer ihr stehen im Moment wenig Leute im Laden, und er kann es riskieren, kurz mit ihr im Büro zu verschwinden, ohne daß sich Kollegen oder Kunden beschweren."Mensch, ich hätte Dich jetzt nicht hier erwartet. Wie hast Du 'rausgefunden, wo ich arbeite?“ „Ich hab' Mickey angerufen. Der war übrigens ganz interessiert daran, wie für uns beide der Abend zu Ende gegangen ist.“ „Ach ja? Ist ja nix passiert. Tut mir leid, daß ich Dich so kurz hab' sitzen lassen, aber ich mußte nach draußen, ich hab's da drin nicht mehr ausgehalten. Wann warst Du denn zu Hause?“ „Ach, ich bin gleich nach Dir gegangen, die Typen, die sich da schlagen wollten, haben sich ein bißchen komisch benommen, da wollte ich dann auch nicht mehr.“ „Haben sie Dich angemacht?“ „Nein, ganz im Gegenteil. Sie wollten Dich als Bodyguard haben."Sie grinst."Ne, so 'was mach' ich nicht.“ „Hast Du das früher gemacht? Du hast so 'was erzählt.“ „Nein, Leibwächter war ich nie. Aber hör mal, ich muß wieder an die Arbeit. Ich hab' heute Abend noch nichts vor, sollen wir irgendwo essen gehen? Dann haben wir mehr Zeit.“ „Von mir aus auch jetzt gleich, wenn Ihr Feierabend macht.“ „Ich kann nicht. Ich bin um 2 mit einem Kollegen verabredet, wir wollen trainieren.“ „Gut. Was schlägst Du vor?“ „Sag 'was. Die Lokale hier in der Gegend kenne ich alle, was ist bei Dir in der Ecke?“ „Ja, dann schlag' ich vor, komm doch einfach bei mir vorbei, dann sehen wir weiter.“ „Gute Idee. Aber wo wohnst Du denn?"Sie tauschen ihre Adressen aus, verabreden sich für 8 Uhr Abends bei ihr, dann ist Kim aus der Tür. Andy und Joe sehen ihr nach, gar nicht so übel, und ein faszinierendes Parfum. Aber bevor Andy einen Blick auf den Zettel mit ihrer Adresse werfen kann, steckt Joe ihn in die Tasche.Um 2 sind immer noch Kunden im Laden; Udo hat seinen 44
Renner in den Verkauf geschoben, als Andy die Rolladen vor der Eingangstür herunterläßt. Joe hat auch etwas heruntergelassen, er zieht sich in der Toilette gerade seine kurze neonfarbene Rennhose an, denn gleich ist Training angesagt. Kurz vor Feierabend hat er seinen Renner und die Hose aus der Wohnung geholt, hat zwischendurch den Triathlonaufsatz montiert und bekommt starke Zweifel daran, ob er nach der kurzen Nacht überhaupt fähig ist, eine längere Strecke zu fahren, ohne bei der ersten Abfahrt einzuschlafen. Auch die zwei Liter Kaffee, die er im Verlauf des Vormittags getrunken hat, sorgen nicht gerade für gesteigertes Wohlbefinden - sein Ruhepuls liegt knapp unter 100 Schlägen in der Minute, fast doppelt so schnell, als er sein sollte.Viertel nach 2 dreschen die beiden Kollegen zum Rheinufer herunter. Eine Menge Verkehr flutet durch Köln, die Innere Kanalstraße ist gerammelt voll, da läuft nichts mehr, das Gefühl von Freiheit und Individualität im Stau hinter dem Steuer des eigenen Wagens... Vorbei am Eisstadion, die Elsa-BrandströmStraße runter, und vor der Rheinuferstraße auf Grün warten. Als sie zur Promenade herunterfahren, die Räder auf dem Kopfsteinpflaster wild zur Seite versetzen, lassen sie für wenige Kilometer den täglichen Stau hinter sich.Eine halbe Stunde später jagen sie an den Fordwerken vorbei, versuchen die Geschwindigkeit nicht unter 40 km/h fallen zu lassen, 130er Trettakt, und haben die vierspurige Straße für sich, hier arbeitet heute keiner. Joe fährt vorne, den Oberkörper parallel zum Erdboden, die Arme am Aufsatz, Udo ist einen halben Meter hinter ihm in seinem Windschatten, duckt sich auf seinen Hornlenker. Nach 2 Kilometern werden sie langsamer, das Tempo ist mörderisch... Joe sieht sich um, wo ist Udo? Er hat es nicht mehr geschafft, an ihm kleben zu bleiben, da liegen 50 Meter Raum zwischen beiden. Joe grinst, kannst du nicht mehr?Bei Leverkusen queren sie den Rhein, der bis Neuss ihr Begleiter ist, dort wechseln sie wieder die Seite und kurbeln in die Börde, zweigen vor den Braunkohlegruben nach Süden ab, und sind um 5 Uhr wieder an der Stadtgrenze. Eine halbe Stunde später verabschieden sie sich, Joe genießt die Dusche und überlegt, daß er sich nach der kurzen Nacht noch eine Stunde auf die Matratze legen kann, bevor er zu Kim fährt.Schönes Haus, in dem sie wohnt, denkt er, als er davor ein Schild sucht, an dem er sein altes MTB anschließen kann. Hoffentlich steht es gleich noch da... Das Haus hat ja sogar eine Gegensprechanlage, und er kann das Bike in den Hinterhof stellen. Also wieder aufschließen, durch den Flur schieben und zwischen den anderen Rädern anschließen. Anschließen, nicht nur abschließen, denn sonst wird es dir einfach weggetragen. In irgendeiner Werkstatt fällt es nicht auf, wenn jemand mit der Flex ein Bügelschloß durchsägt.Um die Ecke ist ein Chinese, nach den 100 Kilometern des heutigen Tages hat er Hunger, und der will gestillt sein. Der Reiswein knallt schon nach dem ersten Schluck voll in den Kopf, ein Effekt, den Joe kennt - das passiert ihm immer nach dem Training, hat keine weiteren Folgen. Aber es ist angenehm. Während beide auf ihr 45
Essen warten, kommt ein Gespräch in Gang."Du warst früher Bulle? Siehst gar nicht danach aus.“ „Sehen die wenigsten. Das ist ja das Schlimme an uns: Man sieht uns den Job nicht an. Das einzige, was dem Betrachter auffällt, ist die Figur. Ich sehe aus wie ein Kampfsportler. Und ich bin auch einer.“ „Seit wann machst Du das?“ „Seit meiner Schulzeit. Ich hab' mit 8 mit Judo angefangen, dann mit 12 Karate, und mit 13 Radsport. Hab' Sportabi gemacht, bin vorher des öfteren Rennen gefahren und hab' den schwarzen Gürtel in Karate. Da gibt's dann noch mehrere Grade, ich hab' mich da hochgearbeitet.“ „Und deshalb wolltest Du unbedingt Bulle werden?“ „Nein. Ich wollte nach dem Abi keinen Zivildienst machen, ein Freund von mir hat seinen Job als Krankenpfleger nicht ausgehalten, der hat sich umgebracht. Und Bundeswehr, auf die Typen hatte ich keine Lust. Ich bin zum Bundesgrenzschutz gegangen.“ „Das geht so einfach? Zum BGS, und dann nicht zur Armee?“ „Ich hab' mich verpflichtet, für vier Jahre. Das kannst Du machen, dann kriegst Du auch noch 'ne Menge Geld, die zahlen ganz gut. Und weil ich eben so'n guter Nahkämpfer war, haben die mich zum Ausbilder befördert. Ich hab' die ganzen Leute von den Sonderkommandos hier in NRW geschult, und mich hat keiner schlagen können, ich war immer der Beste. Hat Spaß gemacht.“ „Wenn das Spaß gemacht hat, warum... warum redest Du dann nicht gerne darüber? Oder willst Du jetzt nicht?"Der Kellner bringt beiden je ein Glas Kölsch, Joe trinkt einen Schluck"Weißt Du, wir haben uns auch an allen möglichen Waffen ausbilden lassen, und ich hab' nie 'was dabei finden können, wie so'n Cowboy mit der Knarre 'rumzufuchteln. Das hat mir weniger gefallen. Ja, und nach 2 Jahren bin ich dann zur Polizei gekommen, im Rahmen eines Austausches von Ausbildern, die hatten zuwenig Leute für ihre Sondereinsatzkommandos. Und auch da hab' ich dann erstmal ein Jahr lang die Leute ausgebildet."Er leert sein Glas, dreht sich um und bestellt ein neues."Und im letzten Jahr, da war ich bei vielen Einsätzen dabei. Wir waren bei einigen Geiselnahmen und Festnahmen von Gewalttätern. War auch ganz gut, wir haben nie jemand erschossen, das waren andere Kommandos."Das nächste Kölsch kommt, er trinkt es halbleer."Bis zwei Wochen vor Schluß. Ich hatte die Leitung für einen Einsatz, wir sollten drei Leute festnehmen, die irgendwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatten. Ich hab' beim Briefing vorher noch 'nen Tip bekommen, daß die Typen Sprengstoff haben könnten, aus einem Überfall auf einen Munitionstransporter ein paar Wochen vorher. Hab' das aber nicht mehr beachtet. Wir sind dann in das Haus 'reingegangen, haben zwei Typen überwältigt, aber der Dritte ist zu einem Pkw gelaufen, der im Hinterhof stand, zwei Leute mit mir hinterher. Und in dem Wagen war der Sprengstoff. Wir haben auf ihn geschossen, weil der Typ uns unter Feuer nahm, und dabei ist der Stoff hochgegangen. Zwei Leute von mir sind zerfetzt worden, ich hab' mich nur umgedreht und gekotzt, hab' ihre Därme fliegen sehen."Auch dieses Glas wird leer."Danach hab' ich Ärger bekommen, die wollten mir ein 46
Verfahren anhängen, weil ich die Warnung mit dem Sprengstoff nicht an meine Untergebenen weitergegeben hatte. Das ist dann niedergeschlagen worden, aber die letzten zwei Wochen war ich fertig, hab' mich krankgemeldet und gesoffen, ich konnte nicht mehr, ich war für den Tod von zwei Leuten verantwortlich. Und ich hab' seitdem keine Waffe mehr angefaßt."Kim legt ihre Hand auf seine, sie zittert. Jetzt ist es draußen, hat er ihr die Story erzählt, und damit soll jetzt Schluß mit dem Thema sein.Das Essen kommt, lenkt sie beide ab von der Stille, die zwischen ihnen herrscht. Während sie ihre Frühlingsrollen essen, normalisiert sich Joes Zustand wieder. Die Erinnerung ist zwar wieder da, aber mit der Zeit und der Frau gegenüber wird es leichter erträglich."Und was hast Du danach gemacht? Ich hab' noch nie jemand erlebt, der so einen Job gemacht hat und dann plötzlich 'was vollkommen anderes anfängt. Du bist doch Fahrradmechaniker, oder?“ „Ja, ich darf mich so nennen. Weißt Du, nachdem ich beim BGS ausgestiegen bin, nach diesem Unfall, hab' ich erstmal fast ein Jahr gar nichts gemacht, hab' da übrigens den Mickey kennengelernt und mit ihm sehr viel unternommen, und dann in einem Laden in der Innenstadt meine Lehre gemacht. Und das mit 25 Jahren, in der Berufsschule war ich der Älteste. Danach hab' ich in dem Laden angefangen, in dem ich jetzt bin.“ „Kennst Du noch Leute von früher, von der Polizei?“ „Warum fragst Du?“ „Es ist manchmal ganz gut, solche Connections zu haben. Wenn Du abends besoffen nach Hause fährst und den Bullen kennst, der dich kontrolliert, kann das ganz gut sein.“ „Du sollst nicht besoffen Auto fahren, Kim. Ne, also, von den Bullen auf der Straße kenne ich keinen, im Büro schon eher, und zwei, drei Leute aus der Zeit im SEK, zu denen hab' ich noch Kontakt. Aber von denen ist auch keiner mehr im Einsatz, die sind Ausbilder oder haben Jobs am Schreibtisch.“ „Aha. Schade. Ich hab' da gerade noch ein Verfahren wegen Falschparkens laufen, ich wußte ja nicht... Du fährst selten Auto, oder?“ „So um die 15000 Kilometer im Jahr, wir müssen ja auch 'mal zu Großhändlern fahren, und da kommt 'ne ganze Menge zusammen. Aber auf meinen Rädern, da lege ich im Jahr so um die 20000 Kilometer zurück.“ „So viel?" "Wieso viel? Profis fahren locker ihre 30000 bis 40000 im Jahr. Ich hab' bei dem Rennen vor zwei Wochen gerade mal die 10000 gemacht, aber das Wetter war im Frühjahr so mies, da hatte ich keine Lust auf Training.“ „Oh Gott. Ich werd' dich nie zu 'ner Radtour einladen.“ „Wenn wir Tandem fahren, ginge das. Ich strample, und du lenkst."Das Hauptgericht kommt, Joe ißt alle Reste auf, und nach dem vierten Kölsch fühlt er sich pudelwohl. Es dämmert draußen, als sie im Biergarten einer Kneipe landen und bis in die Nacht hinein miteinander reden.Die Kneipen machen zu, als sich beide auf den Weg zu Kims Wohnung machen, angetrunken, aber nicht besoffen. Radfahren auf Langstrecken bringt nicht nur schlanke Beine, sondern auch ein knackiges Gesäß. Und in dieser Nacht hat Kim genug Gelegenheit, das an Joe festzustellen.
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III."Hast Du schon wieder Hunger?“ „Ja. Ich fahre jede Woche so 400 bis 500 Kilometer, und da hab ich dauernd Hunger."Gerade schiebt sich Joe das vierte Brötchen des Morgens 'rein, es wäre zwar Zeit für das Mittagessen, aber weder Kim noch er haben Lust dazu, dafür sitzen sie seit zwei Stunden am Frühstückstisch und hören sich durch ihre Plattensammlung. Joe gefällt die Auswahl, und sie genießen es. Aber er hat heute noch anderes vor."Mußt Du denn gleich noch weg?“ „Leider ja, ich bin um 3 mit einem Freund verabredet, wir wollen trainieren, am nächsten Sonntag ist ein Rennen, an dem wir teilnehmen wollen.“ „Schade, daß Du dauernd unterwegs bist.“ „Der Sommer ist schlimm. Im Winter hab' ich weniger zu tun.“ „Und was machen wir beide jetzt? Was hattest Du Dir denn vorgestellt?">"Ach, ich weiß es nicht, Kim. Ich hoffe nur, daß diese Nacht nicht unsere einzige war. Es war wunderschön.“ „Ja, das war es. Und von mir aus können wir heute Abend zusammen essen.“ „Oh, gerne. Aber die nächste Woche werd' ich abends kaum Zeit haben, ich muß trainieren, und wir haben verdammt viel zu tun.“ „Ach, Du, da geht's mir nicht anders. Ich hab' meinen Job erst seit 3 Monaten, und ich muß mich noch bewähren.“ „Was machst Du denn gerade? Hast du irgendeine konkrete Sache, an der Du arbeitest?"Ja, über das Nachtleben in Köln.“ „Oh Gott, das heißt also, daß Du über etwas schreibst, was es gar nicht gibt, sehe ich das so richtig?“ „Ja."Sie hören weiter Musik, tauschen Zärtlichkeiten aus, bis Joe seine Sachen packt, ein langer Kuß zum Abschied. Streicher im Hintergrund, aber das ist Zufall, das ist Kate Bush.Als er sein Rad aufschließt, fährt Joe ein Lächeln über's Gesicht - so eine Nacht hast du schon länger nicht mehr verbracht. Der Beginn einer Beziehung? Er hofft es.Zeit, nach Hause zu fahren, Zeit, sich auf die Tour vorzubereiten. Als er in seine Wohnung kommt, geht das Telefon, Udo ist dran. Ja, ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Nein, das erzähl' ich dir später, wenn überhaupt. Ja, komm vorbei, wir können fahren. Joe zieht Rennhose und T-Shirt an, stinken beide noch nicht, aber vor dem Wochenende wirst du sie noch einmal waschen müssen. Eine Viertelstunde später geht die Klingel, Udo kommt nach oben, füllt beide Trinkflaschen, dann gehen sie hinunter, besteigen ihre Renner und legen los.Sie haben mehr vor als gestern, haben auch mehr Zeit, also legen sie nicht so ein mörderisches Tempo vor, als sie den gleichen Weg aus der Stadt heraus nehmen. An Pulheim vorbei driften sie Richtung Zülpich ab, ersteigen die ersten Berge der Eifel, stürzen sich in einige rasante Abfahrten und sind um 8 wieder in Köln. Joe hat während der Fahrt, vorzugsweise bei Geschwindigkeiten über 40 Sachen, von der Nacht mit Kim erzählt, und als er seine Bude betritt, ist sein erster Gedanke, sie anzurufen.Nur - sie ist nicht zuhause, checkt gerade, wie die Ansage auf dem Anrufbeantworter ergibt, das Nachtleben im Belgischen Viertel durch, und er hinterläßt ihr eine kurze Nachricht. Wo kann sie stecken? Als er unter der Dusche steht, sinnt er die Kneipen durch, die er kennt, das sind eine ganze Menge, und wenn er versucht, sie dort irgendwo zu finden, 48
wird das eine lange Nacht.Aber - warum nicht?Um 9 sitzt er auf seinem Stadtrad, der Himmel bewölkt sich, hoffentlich wirst du nicht naß. Die Oberschenkel machen sich bemerkbar, gut, daß du morgen nicht trainieren wolltest. Er stellt sein Bike einigermaßen sicher an einem Schild ab, spaziert durch drei Kneipen, sie ist nicht da. Geht zu seinem Bike zurück, fährt um die Ecke, wirft Blicke in einige Szenekneipen, sieht Kim nirgends. Ein Typ pisst knapp an seinem Bike vorbei, als er es kurz in einer Einfahrt stehen hat. Glück gehabt. Etwas weiter sperrt ein Falschparker den Radweg zu, macht eine junge Frau an, die er fast über den Haufen gefahren hat. Joe geht hin, stellt den Mann zur Rede. Der wird ausfallend, will ihm eine scheuern, aber Joe packt ihn, läßt seinen Schädel einmal kurz auf die Motorhaube donnern, daß es kracht, durchsucht seine Taschen, nimmt den Ausweis des Mannes an sich und läßt ihn mitten auf der Straße liegen. Setzt den Wagen einen Meter nach hinten, so daß der nicht mehr stört, und macht sich aus dem Staub. Während der Mann verstört aufsteht, hält eine Streife neben ihm, läßt ihn blasen und nimmt ihn zur Feststellung der Personalien und zur Blutprobe mit auf die Wache - Ausweis und Führerschein hat Joe. Der Wagen wird abgeschleppt, und wenn der Mann am nächsten Morgen zur Arbeit kommt, wird er einen dicken Ärger bekommen, denn das war ein Dienstwagen, und den Führerschein ist er auch los, das war nicht sein erstes Delikt unter Alkoholeinfluß. Pech gehabt.Kim, wo bist Du? Joe streift weiter durch die Kneipen, plötzlich bleibt er stehen. Das ist sie. Aber das ist sie nicht alleine. Hast du nicht gesagt, daß du keinen Macker hast? Er geht hinein, seine Fähigkeiten als Nahkämpfer will er nicht unter Beweis stellen... Sie sieht auf, als Joe an ihren Tisch tritt, hat ihn nicht hereinkommen sehen, und ihr Lächeln raubt ihm den Atem. Dafür zieht sie einen Stuhl vom Tisch ab, legt den Arm zur Begrüßung um Joe, gibt ihm einen langen Kuß und stellt die beiden Männer einander vor. Ein Kollege, ach so. Das Gesicht kennst du doch? Sportredaktion, war bei der Touristik, na klar. Die Kellnerin kommt, Joe bestellt sich ein Baguette und ein Weizen, Kim macht eine Bemerkung über seinen Appetit und fährt bewundernd mit der Hand über seinen Bauch, da sitzt kein Gramm Fett. Nicht mehr lange, wenn ich so weiter esse, wenn ich nicht mehr regelmäßig trainiere, entgegnet er. Dann ist Hungern angesagt, um den Stoffwechsel auf kleinerer Flamme laufen zu lassen.Kurz vor der Sperrstunde. Einige Bier sind geflossen, Kims Kollege ist schon gegangen, und die Kellnerin will sie abhalten, sie hat gleich Schluß. Um 1 torkeln beide aus der Kneipe, Kim hat sich Notizen für den Stadtführer gemacht, an dem sie arbeitet, und Joe bringt sie zum Taxistand, an dem sie sich mit einem langen Zungenkuß verabschieden. Morgen Abend werden sie beide unterwegs sein, wir werden telefonieren. Sie lohnt sich, denkt Joe, als sie davonfährt.Zurück zu seinem Bike. Es steht nicht mehr allein, ein Kleintransporter hält auf der Straße, und ein Mann, ziemlich breite Schultern, steigt aus. Joe beschleunigt seinen Schritt. Tatsächlich, der Typ sieht sich um, hat eine große Plastiktüte in 49
der Hand, ist bestimmt ein Bolzenschneider drin. Bevor er den ansetzen kann, ist Joe bei ihm."Was willst Du, Junge?“ „Ach, ich hab' den Schlüssel verloren, jetzt muß ich mein Rad knacken.“ „Wozu der Aufwand, das hier ist der Schlüssel für das Bike."Dezent lächelnd hält Joe dem Mann den Schlüssel direkt vor das Gesicht. Der sieht ins Fahrerhaus des Transporters, will mit dem Bolzenschneider auf Joe einschlagen. Doch bevor er ausholen kann, katapultiert Joe den Arm mit dem schweren Werkzeug zur Seite, die Scheibe auf der Beifahrerseite splittert, ein Schrei, als der Fahrer getroffen wird. Joe donnert seinen Ellbogen in den Solarplexus des Mannes, der deutlich mehr wiegt als er, und läßt ihn fallen. Der Fahrer greift sich an die Schläfe, blutet aus einer offenen Wunde, als Joe die Beifahrertür aufreißt. Vor Schreck fährt der Mann an, verreißt das Steuer und fährt in einen parkenden Pkw. Nur nicht auffallen, denkt er, setzt zurück, rammt auch noch den Wagen hinter ihn, und haut ab, bevor die Polizei auf ihn aufmerksam wird. Der Mann, den Joe gerade niedergeschlagen hat, rappelt sich wieder hoch, sieht ihn verschreckt an und rennt weg, der hat genug.Kommt mir vor wie ein Alptraum, denkt Joe, jetzt ist alles ruhig, als sei gar nichts passiert. Nur die Splitter der Scheibe auf der Straße und der demolierte Golf neben ihm deuten an, daß hier gerade ein Diebstahl verhindert wurde. Er hätte die beiden Typen in die Mangel nehmen sollen, aber er ist müde, der Tag war hart. Müde schließt er sein Bike los und macht sich auf den Weg nach Hause.Im Grüngürtel herrscht eine unwirkliche Ruhe, als Joe am Colonius vorbeifährt. Ein Penner schläft auf einer Bank am Rande des Weges, er fährt leise an ihm vorbei. Am Gleisdreieck schießt er im Wiegetritt die kurze Steigung hoch, mit 40 Sachen zur Inneren Kanal runter, hoffentlich steht da jetzt keiner, und erwischt die Ampel genau in dem Moment, als die Grünphase für Radfahrer beginnt, Autos aber noch rot haben. Perfektes Timing, denkt er, während er auf Grün für die Querung der sechsspurigen Straße wartet, stehend, ohne die Füße auf den Boden zu setzen. Er fühlt sich nüchtern, als er das Licht ausmacht.
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Mußt du immer so gewalttätig sein? Kannst du nicht einmal damit aufhören?Es ist zu früh, um aufzustehen, die Sonne scheint durch das Rollo und kitzelt Joes Gesicht. Er hatte gestern Abend etwas getrunken, und er weiß, daß er ein guter Nahkämpfer ist, auch, daß er Ungerechtigkeiten nicht ertragen kann. Aber verdammt noch mal, mußt du immer gleich ganz nach vorne gehen, die Typen zur Rede stellen, kannst du nicht einmal, ein einziges Mal das Maul halten und vorbeigehen, wenn jemand zum Opfer wird? Bist du denn Robin Hood?Nein.Bevor er losbrüllt, stellt Joe den Wecker aus, geht in die Kochnische und setzt einen Kaffee auf. Wirft einen Blick auf die Straße, eine Polizeistreife fährt vorbei, Kinder gehen zur Schule, alles friedfertig, alles wie gewohnt. Ein Autofahrer schießt erregt aus der Fahrertür seines Wagens, schreit die Frau im Wagen hinter sich an, bricht plötzlich zusammen. Was hast du damals gelernt? Sieht aus wie ein beginnender Herzinfarkt. Er geht zum Hörer, wählt die Nummer des Notrufs, meldet sich und ruft einen Rettungswagen.Kaum zehn Sekunden später hört er eine Polizeisirene, und bevor er sie geortet hat, fährt der Streifenwagen von vorhin in eine Seitenstraße und hält vor dem Auto des Mannes, der sich gerade vor Schmerz auf der Straße krümmt. Kurz danach kommt der Rettungswagen, ein junger Polizist setzt den Wagen in eine gerade frei gewordene Parklücke und macht die Straße frei. Fünf Minuten später sieht alles so aus, als sei nichts passiert.Das Telefon geht, Kim ist dran, wünscht ihm einen guten Morgen. War schön, dich gestern Abend zu sehen. Und heute? Joe muß absagen, sie werden heute bis spät in die Nacht ein Teamgespräch haben. Sehen wir uns morgen? Sie werden miteinander telefonieren.Um 9 geht Joe aus der Tür, kauft ein, weil er dazu den Rest des Tages keine Zeit mehr haben wird, und räumt seinen Kühlschrank ein. Eine gutes Flasche trockenen italienischen Weißweins, dazu hat er heute Abend Lust. Aber bis dahin ist noch eine Menge zu tun.10 vor 10 ist er im Laden, sieht die Reparaturen des heutigen Tages durch und spricht mit Andy ab, daß er heute in der Werkstatt stehen wird, nur dann in den Verkauf kommen wird, wenn Not am Mann sein sollte. Aus dem Hinterhof greift er sich ein Rad und schiebt es aus der Ladentür, nachdem Andy die Rolladen hochgezogen hat. Er trifft Thom, der nur zwischendurch vom Computer aufgestanden ist, um Kaffee zu kaufen, und an seiner Diplomarbeit weiterschreiben will. Kommt in die Werkstatt, Tom hat hier gestern Abend noch an seinem eigenen Rad montiert, und einige kaum gebrauchte Altteile liegen in einer Kiste im Regal, die sie der Bastelgruppe eines Bürgerzentrums geben werden.Die Zeit der Mittagspause nutzen Andy und er, um die Bestellungen der letzten Tagen durchzugehen. Joe bekommt zu hören, daß sich einige Kunden darüber beklagt haben, daß ihre Teile nicht kommen, aber den Händlern sind die Hände gebunden, die Hersteller und Importeure der Komponenten können ganz einfach nicht liefern. Der Boom hat sie alle überrascht, die Fertigungskapazitäten sind in der Kürze der Zeit nicht bereitzustellen, und als erste werden 51
naturgemäß die Fahrradhersteller beliefert, erst danach die Händler, und die dann auch nach Größe und anderen Präferenzen gestaffelt. Sie haben es aufgegeben, sich darüber zu ärgern, erklären den Kunden die Sachlage, und die meisten kapieren es. Die Anderen sollen doch 'rumbrüllen; wenn sie zu anderen Geschäften gehen, stellen sie fest, daß sich die Leute dort weniger Mühe geben, und die Teile auch nicht haben. Gut' Ding will Weile haben, gutes Rad braucht Zeit.Am Nachmittag passiert nichts Besonderes. Als es Abend wird, setzen sich die vier hauptberuflichen Mitarbeiter zusammen und diskutieren die geschäftlichen Angelegenheiten. Die Urlaubsplanung steht an, Joe ist in vier Wochen dran, Udo wird im September fehlen, und Tom wird ab nächster Woche in Andalusien mit seinem Bike die Pisten unsicher machen. Soweit ist also die Personaldecke nicht zu dünn, um die heiße Zeit der Saison überstehen zu können.Das Rennen am Sonntag kündigt sich an, der Veranstalter hat alle Fahrradgeschäfte um eine Spende gebeten, Fahrräder oder Teile für die Sieger oder eine Tombola. Kurze Diskussion, sie kommen überein, Udo einen Laufradsatz bauen zu lassen, dafür die Altbestände zu nehmen. Joe gießt sich die erste Flasche Bier des Abends ein, als sie als letzten Punkt auf die Produktlinien zu sprechen kommen, die sie in der neuen Saison und am Ende des Jahres verkaufen wollen. Lange diskutieren sie, kalkulieren die Preise durch, reden über die Bereitschaft der Käufer, mehr Geld als früher für ein Rad auszugeben, aber den Hauptteil des Angebotes sollten wir im mittleren Preissegment lassen, meint Mike. Die Preisklasse zwischen 1000 und 1500 DM, da gehen die meisten Räder weg. Viel billiger dürfe es heute kaum noch sein, solche Räder kann man nicht guten Gewissens verkaufen, und hinterher ärgert man sich doch nur über das billige Material.Seit genau 12 Stunden ist er jetzt im Laden, denkt Joe, als er die leere Flasche in den Kasten stellt und sie das Gespräch beenden. Licht aus, ab in die Szenekneipe um die Ecke, denken sie sich, und schließen den Laden ab. Mit einem Seitenblick registriert Joe das Pärchen, das sich an dem Schaufenster die Nase plattdrückt, wahrscheinlich haben sie Interesse an dem Fahrradanhänger für Kinder, denn der Bauch der jungen Frau deutet auf eine fortgeschrittene Schwangerschaft. Joe denkt einen Moment an Kim, was sie jetzt wohl macht?Auf dem Weg zur Kneipe kommen die Männer an dem Fitnesscenter vorbei, in dem Joe im Winter regelmäßig trainiert. Er wirft einen Blick hinein, noch Licht drin, und sieht den Trainer für Kampfsport. Warum sollte ich nicht... Seinen Kollegen sagt er, daß er gleich nachkommt, und geht hinein, wird sofort erkannt."He, Joe, was machst Du denn hier? Du bist doch im Sommer nie bei uns.“ „Klar, da sitze ich nur auf dem Rad. Aber 'was anderes, ich will wieder mit dem Nahkampftraining anfangen, hast Du da irgendwas laufen?“ „Du willst trainieren? Ich würde Dich eher als Trainer einstellen, so gut wie Du bist, ich kann noch von Dir lernen.“ „Danke für die Blumen. Aber ich hab' in den letzten Tagen gemerkt, daß ich irgendwas als Ausgleichsport zum Radfahren machen muß. Also, wie sieht's 52
aus?“ „Wenn Du mich so direkt fragst, ich hab' die übliche Gruppe von Leuten, die machen Karate, aber das wäre für Dich zu einseitig. Wie oft willst Du kommen?"Zwei oder drei Mal die Woche.“ „So oft hab' ich im Moment nichts. Aber Montags und Freitags Karate, wir sind gerade fertig, und Du dürftest eigentlich sofort einsteigen können. Mittwochs Kickboxen, das hast Du doch auch gemacht, oder?“ „Ja. Geht das diesen Mittwoch schon?“ „Sicher, Du kannst jederzeit kommen. Wir fangen um 7 an, wenn Du direkt nach der Arbeit Zeit hast, kannst Du gerne kommen.“ „Gut, dann bis Übermorgen. Tschüß.“ „Tschüß, Joe."Sehr schön, dann fangen wir also wieder damit an. Das Training hat es ihm im Winter immer erlaubt, seinen Ärger über Autofahrer, die im Winter noch weniger auf Radfahrer achten als im Sommer, abzubauen. Und er weiß, daß er vorsichtig sein mußte, wenn er die Männer, die mit ihm trainierten, nicht schwer verletzen wollte, aber es hatte ihm das gute Gefühl gegeben, sich auf seine eigenen Reaktionen verlassen zu können. Und vielleicht wird er den Ärger herunterschlucken können, wenn er wieder blöd angemacht wird.Andy und Tom liefern sich ein heißes Spiel am Billardtisch, während Mike sich in eine Stadtzeitschrift vertieft. Ja, das ist genau die, bei der Kim arbeitet! Joe ließt sich einen Artikel von ihr über türkische Restaurants durch, gar nicht so übel. Wie schafft es die Frau eigentlich, schlank zu bleiben?Als er um Mitternacht in seinem Apartment ist, macht er die Flasche Wein auf, trinkt sie halbleer und sinnt, während er Musik hört, darüber nach, ob er es in den nächsten Wochen schaffen wird, sich beherrschen zu können. Oder willst du zum Rächer aller unschuldigen Opfer des Straßenverkehrs werden?Kein übler Gedanke, denkt er, als er einschläft.
II.Mittwoch, der Laden hat geschlossen. Joe und Andy sitzen im Bus und rollen auf der A4 von Aachen nach Köln, haben bei einem Großhändler eingekauft. Der Bus ist voll, mit den kleinen Kartons für Schaltungen und Ritzelpakete haben sie die letzten Lücken gefüllt, die zwischen den anderen Kartons noch frei waren. Früher war es ihnen passiert, daß die Felgen in Köln schief und krumm waren, aber inzwischen haben sie die Technik 'raus, so zu packen, daß sie alles verwenden können, was sie aus dem Wagen herausholen.Joe ist recht ausgeschlafen, obwohl er gestern Abend mit Kim unterwegs war und sie die Nacht bei ihm verbracht hat. Eigentlich hindert sie mich ja am Training, fällt ihm ein, aber er läßt es gerne geschehen. Morgens früh waren sie erschöpft nebeneinander eingeschlafen, hatten zusammen gefrühstückt und waren anschließend ihrer Wege gegangen.Jetzt sitzt er auf dem Fahrersitz des Kleintransporters, und schert mit 130 nach links aus, um einen Lkw zu überholen. Ein Benz kommt mit rund 200 Sachen von hinten angefahren, blendet auf, bremst und bleibt 2, vielleicht 3 Meter hinter Joe. Der schüttelt den Kopf, hat es längst aufgegeben, sich über die Raser zu ärgern, überholt den Lkw und will sich rechts einordnen, als ein BMW von hinten kommt, direkt hinter dem Benz nach rechts in die gerade 53
entstandene Lücke drängt und diesen überholen will. Dabei streift er den Lkw, dessen Fahrer warnend hupt und gleichzeitig auf die Bremse steigt, wird gegen den Benz gedrückt, und wie in Zeitlupe sieht Joe beide Wagen miteinander kollidieren. Er drückt das Gaspedal ins Bodenblech, nur schnell weg hier, bevor du Ärger mit der Polizei bekommst, als sich die beiden Fahrzeuge ineinander verkeilen, ins Schleudern geraten und sich überschlagen. Mike sieht sich um, hat nicht gemerkt, was da los war, bis er durch das Horn des Lkw aufgeschreckt wurde."Hast Du gesehen, was da los war?“ „Ja. Zwei Drängler, die nicht schnell genug abkratzen konnten.“ „Müssen wir denen nicht helfen?“ „Damit ich hinterher als Verursacher des Unfalls dastehe und den Rest meines Lebens im Knast sitze? Nein, nicht mit mir!“ „Aber wir müssen doch Erste Hilfe leisten!“ „Das werden andere tun, die im Stau dahinter stehen, die können ja sowieso nicht mehr vorbeifahren. Aber ich hab' dann den Ärger mit den Bullen am Hals. Nein Danke, die können sich selber helfen, da hat's endlich mal die Richtigen erwischt.“ „Und wenn die unser Kennzeichen haben und uns morgen wegen unterlassener Hilfeleistung einbuchten? Hast Du 'mal daran gedacht?“ „Die haben keine Zeit gehabt, sich unser Kennzeichen zu merken. Und wir haben nichts gesehen, ich kann nicht dauernd in den Rückspiegel sehen.“ „Bist Du dir sicher?"Ich war lang genug Bulle, ich bin mir sicher."Mike lehnt sich zurück. Verdammt, wenn die jetzt da hinter uns abkratzen? Das sind genau die Typen, die uns immer auf dem Rad über den Haufen fahren, aber jetzt stirbt vielleicht gerade einer von denen hinter dir? Er ist hin und her gerissen zwischen Mitleid und Freude darüber, das es endlich einmal die Richtigen erwischt hat, die Täter selbst zu Opfern geworden sind.Eine Stunde später haben sie sich durch das alltägliche Chaos bis vor den Laden gekämpft, haben das seltene Glück, eine Parklücke direkt vor der Tür zu finden. Sie haben während der Fahrt über den Unfall geredet, und Mike hatte den Eindruck, daß Joe der Crash und die folgende Flucht näher gingen, als es ihm zuerst schien. Während sie den Bus ausladen, verfliegt die getrübte Stimmung, und als sie fertig sind, gräbt sich Mike im Wareneingangslager ein, um den Bestand zu machen.Der Nachmittag vergeht damit, ein neues Reiserad aufzubauen. Macht Spaß, diese Arbeit, denkt Joe, und er sollte daran denken, sein neues MTB schon mal pro forma mit allen Teilen auszurüsten, die er brauchen wird, wenn er damit in Urlaub fahren will. Gestern hatte er es kurz auf die Waage gehoben, und war angenehm über das Gewicht erstaunt - nur 10,5 kg! Sein Renner ist kaum leichter, der Triathlonaufsatz und die Drehgriffschalter treiben das Gewicht nach oben, aber die Anzeige der Waage ist nicht das einzig seligmachende, da gibt es Wichtigeres.Als es auf 6 zugeht, schließt Joe die Werkstatt ab, schiebt das Rad in den Hinterhof des Ladens und läßt sich vom sichtlich gestreßten Mike die neue Ordnung im Komponentenlager erklären. Vielleicht wird er da später den Durchblick haben, aber irgendwie erscheint ihm das jetzt 54
chaotisch. Mal drüber nachdenken.Pünktlich um 7 ist er beim Training, wird von einigen Männern freudig begrüßt, die hier Kickboxen machen. Zwei von ihnen kennt er nicht, aber bis der Abend vorüber ist, wissen sie, daß sie Joe nicht das Wasser reichen können. Als sie um 9 mit dem Training fertig sind, reden sie noch einige Zeit miteinander, doch Joe seilt sich schnell ab, denn mit diesen Typen kann er zwar gut Nahkampf üben, aber eine vernünftige Unterhaltung kommt erst nach dem sechsten Kölsch zustande, wenn überhaupt.Nach dem Duschen verspürt er dieses Ziehen in den Oberschenkeln, daß ihn daran erinnert, heute noch keinen Meter auf dem Rad zurückgelegt zu haben. Durch das Nahkampftraining vorhin hat er andere Muskelpartien belastet als beim Radfahren, verspürt aber relativ wenig Muskelkater, seine allgemeine sportliche Kondition ist sehr gut. Und trotzdem, jetzt will er biken.Draußen ist es nicht mehr ganz so heiß wie am Mittag, die Sonne hat sich seit 11 Uhr nicht mehr sehen lassen, und die Luft wird kühl, als er auf die Straße tritt, Lederjacke und Lycrahose an. Er klemmt die Lichtanlage an sein Bike, steckt den Werkzeugsatz in die Innentasche seiner Lederjacke und packt sich den Helm auf.Es geht zwar auf 10 zu, aber in der Innenstadt ist noch eine ganze Menge los, Horden von Touristen sind in Köln eingefallen. Am Rheinufer sitzen Pärchen und genießen den Sonnenuntergang, Joe stellt sich abseits des Fernradweges an das Geländer und beobachtet das Panorama über den Rhein hinweg. Auf dem Messeturm sieht er die Leuchtreklame für die Messe, im Hyatt spiegelt sich der rote Ball der untergehenden Sonne. Welch ein Gegensatz zwischen der 600 Jahre alten Kirche auf der einen Seite des Rheins und der in den letzten 30 Jahren entstandenen Skyline auf der Schäl Sick.Nach Minuten der Betrachtung fährt er weiter und kommt nach einem Umweg über den Alter Markt auf die Schildergasse. Ein Gitarrist legt spanische Flamencorythmen hin, etwa 50 Leute stehen um ihm herum und hören ihm zu, als ein Mann vorbeikommt, seinen Ausweis zückt und sich herrisch vor dem Gitarristen aufbaut. Er sei Mitarbeiter des Ordnungsamtes, und wenn er nicht sofort aufhöre, werde er die Polizei holen. Aber hier stehen doch Leute, die ihn hören wollen, entgegnet der Gitarrist. Ein junger Mann im Hintergrund ruft, der Typ solle verschwinden. Die Leute interessieren uns nicht, sagt der Beamte der Stadt.Joe kotzt es an. Er fährt an, wendet auf die rechte Seite des Beamten und rammt ihn frontal, kommt dann auf seinem Bike zum Stehen. Der Beamte taumelt zurück, macht Joe an."Was soll das? Wollen Sie Ärger?“ „Verpiß dich, Junge, wir wollen den Musiker hören, hau ab.“ „Ich werd' die Polizei rufen, und dann..."Jetzt reicht's. Joe greift, über dem Bike stehend, den Schädel des Mannes und dreht ihn zur Seite, so daß er sich nicht mehr bewegen kann, ohne das Genick zu brechen. Jahrelang eingepaukter Griff."Hör zu, Junge, ich bin selber Bulle. Du gibst mir jetzt Deinen Ausweis, und morgen wirst Du um 9 Uhr im Ordnungsamt sein und Dir den Anschiß von Deinem Vorgesetzten abholen. Den kenn' ich sehr gut. Und jetzt her mit dem Ausweis!"Joe spricht vollkommen 55
ruhig, duldet keinen Widerspruch. Er bekommt den Ausweis hingehalten, steckt ihn ein und stößt den Mann von sich. Der stolpert, einem Punk vor die Füße, der ihm ins Gesicht spuckt. Er steht auf, einige andere Leute rufen ihm nach, er solle sich nicht noch einmal blicken lassen, dann blinzelt Joe dem Mann an der Gitarre zu, bekommt von ihm einen nach oben ausgestreckten Daumen zu sehen, und hört ein Stück von Fernando Sor.Er selber macht sich aus dem Staub, es wäre gefährlich, jetzt noch hierzubleiben. Es stimmt, er kennt den Leiter des Ordnungsamtes zwar persönlich, aber so gut nun auch wieder nicht, wie er vorgegeben hatte. Bevor er einer Streife über den Weg läuft, ist er verschwunden.Ich kann es nicht. Verdammt, ich kann es nicht! Andere hätten den Ärger einfach heruntergeschluckt, und ich muß den Typ anmachen und die dreckige Arbeit tun! Warum ich? Hoffentlich haben sie mich nicht erkannt... Aber unter dem Helm ist er kaum zu identifizieren, das Bike kennt kein Mensch, und so wie er sehen tausende Andere in diesem Land ausAls Joe in der Nacht träumt, hat er eine Vision. In seinem Alptraum ist er der einsame Rächer, der Sieger, der Starke, der den Schwachen Gerechtigkeit verschafft. Und der plötzlich vom Täter zum Opfer wird, gefangen wird. Sein Rad landet in der Schredderanlage, sie lassen ihn ohnmächtig zusehen, wie es langsam zerquetscht wird. Die oversized Alurohre kreischen vor Schmerz, als sie ihr Leben aushauchen. Er schreit selber, und sie stopfen ihn ebenfalls in die Presse...Schweißgebadet wacht er auf. Oh Mann, ein Glück, es war nur ein Traum. Aber was für einer. Bin ich eigentlich noch normal?
III.Nach dem Alptraum gelang es Joe nicht so schnell wieder einzuschlafen, dazu trug auch die schwüle Hitze bei, die sich den Abend über entwickelt hatte. Er döst wieder ein; als er aufwacht, donnert ein Gewitter hernieder - etwas Erleichterung. Die Straße ist naß, genau wie er selber.Das Telefon geht, Kim wünscht ihm einen guten Morgen, wo er letzte Nacht gewesen sei, sie habe ihn vergeblich zu erreichen versucht. Vielleicht heute Abend... Sie braucht heute keine Kneipe zu besuchen, hat einen Abend frei, und den will sie mit ihm verbringen. Er legt auf, ein Mensch, der sich Sorgen um ihn macht, das hebt seine Stimmung außerordentlich.Schnell unter die Dusche, du stinkst ja schon wieder wie nach einer Bergetappe der Tour De France, Brötchen holen, die Zeit reicht nicht mehr, im Kühlschrank im Büro sollten noch Butter, Käse und Marmelade sein. Während der Kaffee läuft und Mike seine Schuhe tauscht, schiebt Joe sich zwei Brötchen 'rein und spült mit frischer Milch hinterher. Mike bekommt wieder Appetit, hat immerhin morgens seine 8 Kilometer Anfahrt hinter sich, und nimmt am Frühstück teil. Frisch gestärkt eröffnen die Männer den Laden, fünf Minuten zu spät, und das bekommen sie gleich zu hören.Thom hatte so ein schönes MTB, und wie sieht das jetzt aus? Joe treten Tränen in die Augen, als er das sieht. Verdammt, was hast du gemacht? Ein Unfall, natürlich, und er ist mit dem Schrecken davon gekommen, hat Glück gehabt. An 56
einem rechtsverschwenkten Radweg entlang der Inneren Kanal hat ihm ein Rechtsabbieger die Vorfahrt genommen, hat Vollgas gegeben, und er ist ihm in den hinteren Kotflügel gefahren."Sonst ist Dir nichts passiert? Wirklich nichts?“ „Nein, ich hab' mich gestern Abend noch 'mal genau abgetastet, nichts zu fühlen.“ „Hast Du die Polizei gerufen?“ „Ja, natürlich, aber die haben mir keine Hoffnungen gemacht, dafür knallt's zu oft in der Stadt.“ „Bist Du versichert?“ „Ja, das müßte gehen. Die Versicherung hat schon 'mal bei 'nem anderen Unfall gezahlt. Und ich war nicht selbst Schuld, die stellen sich nicht so blöd an. Die haben gestern am Telefon gesagt, daß das ein Schadensfall wäre.“ „Hast Du die Nummer von dem Typen, der dich gerammt hat?“ „Ja, wieso?“ „Weil ich Freunde bei der Polizei habe. Und ich kann dir vielleicht helfen.“ „Du hast Freunde bei den Bullen? Wie kommt das denn?“ „Ich war früher selbst Bulle.“ „Was?"Erschrocken weicht Thom einen Schritt zurück, das ist neu. Joe grinst ihn ob dieser Reaktion an, reicht ihm einen Zettel und steckt die Autonummer ein. Kommt ihm irgendwie bekannt vor. Er nimmt das Bike in die Reparaturliste auf, Thom zeigt, was er selbst an Schäden festgestellt hat, und Joe notiert sich die Angaben. Dann stellt er das Rad in den Hof, wird es sich in der Pause einmal genauer ansehen.Das ist, als ob er selber den Unfall gehabt hätte. Es hatte ein halbes Jahr gedauert, bis sie Rahmen und Komponenten endlich zusammen hatten, und es war soviel danebengegangen bei der ganzen Sache, daß ihm dieses Rad selbst an's Herz gewachsen war. Und jetzt das... In einem Moment, in dem wenig los ist, geht er ins Büro und ruft seinen Bekannten bei der Polizei an, dem es unter der Hand gelingt, Joe Name und Adresse des Fahrers zu besorgen, der Thom die Vorfahrt genommen hat. Damit ruft er einen weiteren Kollegen bei der Staatsanwaltschaft an. Dieser notiert sich die Angaben, die Joe ihm macht, und verspricht ihm, sich selber um die Sache zu kümmern. Wie gut, daß er Bekannte bei der Polizei hat...Es hatte sich an diesem Tag noch eine andere bedeutende Neuerung ergeben. Ein Mitarbeiter des Bürgerzentrums in der Alten Feuerwache war im Laden gewesen und hatte die Gründung einer Kölner Gruppe der AB bekanntgegeben und darum gebeten, diese publik zu machen. Was sind die AB's? Die Frage hatte sich mehreren Leuten gestellt, Andy wußte jedoch, worum es sich dabei handelt. Es sind die Anonymen Biker.Die heutige Leistungsgesellschaft ist ohne Drogen kaum noch zu ertragen. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der bekommt sehr schnell das große Kotzen. Mögen die Einen von Armut und Arbeitslosigkeit gezeichnet sein, mögen die Anderen derartig viel Streß am Hals haben, daß sie nicht mehr entspannen können beide Seiten bedienen sich irgendwelcher Drogen, um der Realität zu entfliehen. Nicht nur, daß Leute Alkohol und Tabletten schlucken, Koksen oder sich dreimal am Tag einen Schuß setzen. Nein, da gibt es auch noch andere Süchte.Alles fing damit an, daß sich ein großer Teil der Deutschen in sein Auto verliebte. Nun, die Sache ist nicht neu, das haben wir schon seit 57
Jahrzehnte. Neu war in den letzten Jahren jedoch, daß mehr und mehr Leute von ihrem Bike abhängig wurden. Es waren nicht mehr nur die Touren mit 200 km am Sonntag, einige der süchtigen Biker stellten sich ihr Bike auf die Bude und beteten es an, fuhren vielleicht keinen einzigen Kilometer damit. Ansätze davon zeigten mehrere velophile Persönlichkeiten, das wußte Joe aus eigener Erfahrung, aber er selbst war, auch durch seinen Beruf bedingt, darüber hinweg. Ganz anders die armen Schweine, die jeden Abend ihr Bike wienerten und jede qualvoll verdiente Mark in neue, bessere, teurere, schönere Teile für ihr geliebtes Bike steckten.Mit gerunzelter Stirn liest Joe sich das Informationsblatt durch, das ihm der Mitarbeiter der Feuerwache gegeben hat."Und was sollen wir damit jetzt machen? Was habt Ihr Euch dabei gedacht?“ „Es ist vielleicht besser, die Flugblätter nicht offen im Laden herumliegen zu haben. Ihr könnt die ja irgendwo unter der Theke deponieren.“ „Und dann?“ „Es hat sich in anderen Städten herausgestellt, daß es am besten ist, wenn die Fahrradhändler die Leute ansprechen, die so scheinen, als ob sie süchtig sind. Denn die kommen ja meist ständig in den Laden und kaufen dauernd neue Teile für dasselbe Bike.“ „Da hast Du recht. In Ordnung, ich kenne da selbst ein paar solcher Fälle, hier im Haus wohnt auch so einer... Ich werde 'mal sehen, was sich da so machen läßt.“ „Nett von Euch. Alle Angaben zur Gruppe stehen ja auf dem Zettel.“ „Das wär's dann?“ „Fast. Wenn ich schon einmal hier bin, kann ich auch gleich die Teile für unsere Bastelgruppe mitnehmen.“ „Die sind drüben in der Werkstatt.“ „Ich weiß. Ist da jetzt einer?“ „Tom ist noch da. Den kennst Du ja.“ „Gut. Also, macht Euch keinen Streß bei der Arbeit, und Tschüß.“ „Tschüß."Ein kurzer Gruß mit der Hand an der Schläfe, und der Streetworker ist vor der Tür. Anonyme Biker? Es mußte ja so kommen. In der Zeit, die ihm bis zum Eintritt der nächsten Meute von Kunden verbleibt, sinnt Joe darüber nach, daß es solche hartnäckige Fälle eigentlich früher auch schon gab. Wenn er in alte Kataloge von Versandhäusern aus der Fahrradbranche hereinsieht, dann gibt es dort massig Sammlerstücke und schmückendes Zubehör, bei dem die Funktion auch nicht besser ist als bei preiswerteren Teilen, die aber dem Auge des Betrachters etwas geben. Nun ja, welche velophile Persönlichkeit kann sich davon schon freisprechen... Also, das Problem ist nicht neu, aber die Zahl der AB's ist in den letzten Jahren angestiegen. Auch eine Folge des Booms.Die Flugblätter landen unter der Theke, und später am Abend wird Joe die Kollegen über die Sache informieren. Es geht auf 5 Uhr zu, und damit nimmt die Zahl der Kunden sprunghaft zu. Nun, die Routine fängt Joe wieder ein. Und bis zum Feierabend wird er schon zwei Flugblätter an vermutlich Bedürftige los.
IV.War ein harter Tag gestern. Joe hatte zwar gut geschlafen, aber der Arbeitstag gestern war hart gewesen, und nach dem Karate-Training war er müde, die kurzen Tage und das harte Training auf seinen Bikes hatten zuviel Kraft gekostet. Kim rief an, 58
wollte etwas mit ihm unternehmen, aber er mußte abwinken.Um Mitternacht saß er dann doch wieder auf dem Rad, wollte einfach die sommerliche Stimmung genießen, wurde an einer Ampel von einem besoffenen Autofahrer gerammt, als der vom Radweg herunterfahren wollte, auf dem er verkehrswidrig geparkt hatte. Nur durch einen Sprung zur Seite konnte sich Joe retten, knallte dabei gegen den Wagen, und der Mann, deutliche Fahne, Mitte 30, breite Schultern, stieg wütend aus, wollte Joe zusammenschlagen. Pech gehabt, der hatte genau so etwas drei Stunden vorher noch trainiert, und deshalb entsprechend warme Muskeln. Später durchsuchte er sein Opfer nach Waffen, war nichts zu finden. Der Mann blieb benommen in der Tür hängen, Joe machte sich schnell aus dem Staub, denn eine Polizeistreife näherte sich.Als er zu Hause war, fühlte er sich so aufgedreht, daß er erst nach drei Flaschen Bier einschlafen konnte. Warum um alles in der Welt können die Leute sich in diesem Land nicht ein einziges Mal rücksichtsvoll benehmen? Warum können sie dich nicht einfach in Ruhe lassen?Der Samstag morgen dämmert herauf, Joe stellt den Wecker ab und steigt aus dem Bett. Prächtiges Wetter draußen, morgen dürfte es noch eine Spur kühler sein, wenn das Rennen ist, und wenn er heute Nachmittag mit Udo trainieren fährt, werden sie eine ganze Menge Wasser mitnehmen müssen. Und heute Abend ist jeder Alkohol untersagt!Im Büro liest er die Zeitung, per Zufall hat heute jemand ein Boulevardblatt mitgebracht, denn in diesem ist ein Artikel über eine merkwürdige Serie von Attentaten auf Autofahrer. Joe wird hellhörig. Dicke Schlagzeile auf der ersten Seite, Bericht auf der letzten.Und was er da liest, läßt ihn kräftig schlucken. Genau die Vorfälle werden beschrieben, bei denen Joe als Nahkämpfer aufgetreten war. Der Bodybuilder, mit dem er sich vor drei Wochen angelegt hatte, der Fahrer, der das Kind vor der Werkstatt geplättet hatte, und der Betrunkene gestern Abend. Bei dem letzteren hatte man neben dem Alkohol im Blut auch noch Spuren von Tabletten im Urin gefunden, aber trotz aller Unwägbarkeiten stimmten die Aussagen der Männer überein, was die Person des Radfahrers anging, der ihnen Verletzungen zugefügt hatte. Das kann doch kein Zufall sein, heißt es in der Zeitung, und sie haben auch schon einen Namen für den mysteriösen Radfahrer bereit, der die Verkehrsopfer rächt:Sie nennen ihn denBIKE MANSoso, ich bin also jetzt der Rächer der unschuldigen Verkehrsopfer? Kein übler Gedanke, denkt Joe, aber das war nicht Sinn der Sache. Wenn mich jemand blöd anmacht, in Ordnung, aber dabei sollte es bleiben. Ich bin doch nicht der Robin Hood von Köln!Oder doch? Andy kommt ins Büro, noch sind keine Kunden im Laden, und stellt ihn zur Rede."Sag 'mal ehrlich, Joe, warst Du das?“ „Ich geb' ja zu, das vor drei Wochen mit dem Bodybuilder, das war ich. Aber mit den anderen Sachen hab' ich nichts zu tun.“ „Sicher? Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber die beiden Typen, die dieser BIKE MAN, wie die ihn nennen, da zusammengeknüppelt hat, stehen irgendwie in Zusammenhang mit uns. Der eine hat das Kind plattgemacht, der 59
andere hat Dich vor drei Wochen gerammt. Und das ist doch etwas auffällig, oder?“ „Jetzt wo Du's sagst... Ich weiß es auch nicht. Ich hab' wieder angefangen, Nahkampf zu trainieren, weil ich 'nen Ausgleich zum Biken brauche, und ich hab ein paar Leuten davon erzählt. Vielleicht war das einer von denen.“ „Ganz plötzlich? Hat das vielleicht 'was mit dem Job bei der Polizei zu tun, den Du früher gemacht hast?“ „Nein. Die haben damit gar nichts zu tun. Aus der Zeit kenne ich nur noch drei Leute, und die machen alle 'was anderes als damals."Na gut. Aber was sagen wir, wenn Kunden kommen und uns nach dem BIKE MAN fragen? Und was sagen wir, wenn die Pressefritzen kommen, oder wenn die Polizei kommt?“ „Wir wissen von nichts, von gar nichts. Wir haben gute Kontakte zur Bikerszene, wir können uns umhören. Aber wir wissen jetzt und heute von nichts."Im Verlaufe des Tages müssen die vier Mitarbeiter des Fahrradladens oft ein Pokerface machen, denn einige Kunden fragen tatsächlich nach dem BIKE MAN, ob sie wüßten, wer der unheimliche Rächer ist, der nachts in Köln die Straßen unsicher macht. Joe freut sich innerlich über seinen Ruhm, aber er verschweigt nach außen, was er weiß. Es wundert ihn allerdings, wie die Leute darauf reagieren, daß plötzlich jemand Selbstjustiz verübt, denn alle hegen eine starke Sympathie für den Rächer. Innerlich fühlt sich Joe geschmeichelt, aber er hält dicht.Um 1 Uhr ist Udo in seiner Werkstatt, zentriert einige Laufräder nach, wrackt ein Vorderrad ab, das bei einer Kollision mit einem Rechtsabbieger zu Bruch ging, und läßt Punkt 2 alle Werkzeuge fallen. Bevor Joe den letzten Kunden abgefertigt hat, verzieht Udo sich auf die Toilette und zieht sich die Rennkleidung an, damit Joe sofort nach ihm das Gleiche machen kann. Viertel nach 2 sind sie auf Achse, bringen dieselbe Tour hinter sich wie letzten Samstag, brauchen dafür aber 10 Minuten weniger Zeit. Gut, sehr gut, dann hat das Training der letzten Tage also Fortschritte gebracht! Zufrieden steigt er unter die Dusche. Hinterher montiert er alle unnötigen Teile seines Renners ab, putzt und schmiert ihn und stellt Schaltung und Bremse optimal ein. Eine letzte Probefahrt, und alles ist bereit für das Rennen.Mit Kim will er heute Abend nicht weggehen, telefoniert dafür eine Stunde mit ihr. Sie wird morgen am Schluß des Rennens auftauchen, in der Hoffnung, Joe irgendwo auf den vorderen Plätzen begrüßen zu dürfen.Um 9 geht das Telefon, Andy ist dran. Auf einem Regionalkanal, den Joe über Antenne empfangen kann, findet gerade ein Interview mit Dr. Peter Wimmer statt, dem Vorsitzenden des AAC, mit dem Joe letzte Woche ein Streitgespräch per Telefon hatte, live über den Sender. Er schaltet ein."Herr Wimmer, was sagen Sie dazu, daß in den letzten Wochen Autofahrer, die unschuldige Menschen getötet und gerammt haben, das Opfer eines mysteriösen Mountain Bikers geworden sind?“ „Es handelt sich hierbei um einen Fall von Selbstjustiz, den man in einem Rechtsstaat nicht dulden kann. So etwas darf es nicht geben.“ „Es darf aber sein, daß Autofahrer willkürlich Gesetze brechen und dafür von der Justiz nicht belangt werden, verstehe ich Sie da so richtig? 60
Immerhin hatte einer dieser Männer nicht nur eine Waffe bei sich, sondern ist auch für den Tod einer 3köpfigen Familie verantwortlich.“ „Das mag ja alles sehr bedauerlich sein, aber ich wiederhole, so etwas muß seinen geregelten Gang gehen. Wir sind ein Rechtsstaat, wo kämen wir denn da hin, wenn alle tun und lassen könnten, wie sie wollen?“ „Da sind wir genau da, wo wir uns jetzt befinden, Herr Wimmer. Die Justiz kann die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegene Zahl der schweren Verkehrsdelikte nicht mehr bearbeiten, Verfahren gegen Autofahrer, die Tote auf dem Gewissen haben, müssen eingestellt werden, wo bleibt da das Gefühl der Gerechtigkeit bei der Bevölkerung unseres Landes?“ „Der AAC repräsentiert mit der starken Zahl seiner Mitglieder einen Großteil der Bevölkerung des Landes, deren Vertreter wir sind. Wir fordern Mobilität, die erhalten werden muß. Sie wissen, daß wir mehr Straßen brauchen, und dann werden auch diese bedauerlichen Folgen des Verkehrs verschwinden.“ „Und unsere Städte, die bestehen dann nur noch aus Parkflächen und Straßen, und alle unsere Reste von Natur, die fallen dem Autobahnbau zum Opfer. Nein, Herr Wimmer, so wird das nicht gehen. Aber wir kommen von Thema ab, wir haben heute eine Reihe von Anrufen gehabt, die eindeutig Sympathie für den Menschen ausdrücken, der dafür sorgt, daß Straftäter hinter dem Steuer zur Rechenschaft gezogen werden. Wie steht Ihr Verein dazu?“ „Wir müssen auf dem Boden bleiben. Wir sind hier nicht im Wilden Westen, und alles muß mit rechtsstaatlichen Mitteln zugehen. Dazu ist nichts weiter zu sagen.“ „Der mysteriöse Mountain Biker ist von einer großen Boulevardzeitung heute BIKE MAN genannt worden. Sie als Vertreter des AAC, des größten Vereins der Autofahrer, werden Sie Maßnahmen gegen den BIKE MAN ergreifen? Oder werden Sie an ihre Mitglieder appellieren, sich rücksichtsvoll und partnerschaftlich zu verhalten, so wie das früher einmal ging?“ „Ich sehe keinen Grund dazu, irgend etwas an dem Verhalten unserer Mitglieder zu ändern. Was diesen komischen Radfahrer angeht, so behalten wir uns Maßnahmen vor.“ „Was für Maßnahmen? Wollen Sie ein Kopfgeld auf ihn aussetzen?“ „Das wäre eine Möglichkeit, denn...“ „Moment, Herr Wimmer, haben Sie nicht vor einer Minute noch gesagt, daß der Rechtsstaat bewahrt werden muß? Es ist doch kein Mittel eines Rechtsstaates, ein Kopfgeld auf eine Person auszusetzen?“ „Ja, aber, Sie wissen doch, daß..."Klick.Verärgert schaltet Joe den Fernseher aus. Sie wollen seinen Kopf! Den Kopf des BIKE MAN, und diesen Titel trägt er seit heute! Hab' ich da etwas angefangen, was ich nicht mehr abschätzen kann? Gerät mir mein Leben außer Kontrolle? Er macht doch eine Bierflasche auf.Später, als er endlich eingeschlafen ist, träumt er davon, ein moderner Robin Hood zu sein. Rächer der unschuldigen Verkehrsopfer. Und dann steht er Wimmer gegenüber, und es kommt zum endgültigen Showdown...
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Muß ich wirklich schon so früh aus den Federn?8 Uhr, Joe drückt auf die Schlummertaste, um 9 Minuten nach 8 geht der Wecker erneut, erbarmungslos. Es hilft nichts, Zeit zum Aufstehen. Udo kommt gleich, das heißt, wenn er es schafft, sich rechtzeitig von der Matratze zu wälzen...Joe zieht sich die Rennkleidung an, wir wollen doch keine Zeit mit Umziehen vertrödeln, und geht in die Küche. Das Wetter ist super, nicht zu warm, ideale Bedingungen für das Rennen. Er greift in den Kühlschrank, holt Milch und Bananen heraus, schneidet letztere in eine Schüssel, nimmt das Müsli aus dem Schrank und gießt alles mit Milch an. Die Schelle geht, Udo kommt hoch, und das Wasser für den Tee kocht. Nur keinen Kaffee, sonst muß er gleich während des Rennens Wasser lassen. Das hatten sie zwar früher geübt, während des Fahrens zu pinkeln, aber es muß nicht unbedingt sein. Um viertel vor 9 sitzen sie am Tisch und genießen das Müsli, das ihnen Energie für den ganzen Tag geben muß. Für 150 km, die sie hinter sich bringen wollen.Nach einer Stunde sind sie mit dem gemütlichen Essen fertig, putzen sich die Zähne und ziehen die Schuhe an, tragen die Räder herunter und machen sich auf den Weg zum Industriegebiet in Longerich, in dem das Rennen starten soll. So fahren sie sich warm, werden während des Rennens keine Probleme mit Zerrungen haben. Verpflegung haben sie genug gebunkert, beide Trinkflaschen sind voll, und gut gelaunt ordnen sie sich in das Starterfeld ein. Sie sehen einige bekannte Gesichter, und die Zeit bis zum Start verbringen sie mit Quatschen und Lockerungsübungen, um die Muskulatur warmzuhalten.Wenige Minuten nach 11 Uhr, fast auf die Minute pünktlich fängt das Rennen an. In der Zwischenzeit haben sich Tausende von Zuschauern entlang der ersten Kilometer der abgesperrten Rennstrecke versammelt, feuern die Fahrer an, die sich gleich auf den ersten Metern harte Kämpfe um die Spitze liefern. Sind die verrückt? Jetzt schon so ein wahnwitziges Tempo, das hält doch keiner durch!Nach 10 Kilometern, sie haben gerade die Stadtgrenze von Köln hinter sich gelassen, setzt sich eine Gruppe von fünf Fahrern vom Verfolgerfeld ab, sprintet und erreicht 30 Sekunden Vorsprung, bevor sie im Tempo zurückfallen. Joe und Udo fahren einen belgischen Kreisel und geben sich gegenseitig Windschatten, wenn sie nicht den anderer Fahrer ausnutzen, und behalten ihren Platz im vorderen Drittel des Feldes.Von einer breiten Bundesstraße geht es nach links in eine schmale Landstraße hinein, und wenige Meter vor Joe kämpfen zwei Fahrer Ellbogen an Ellbogen um den besten Platz in der Kurve. Verdammt, denkt er, das geht schief! Und richtig, der Innere verliert eine Sekunde die Kontrolle über sein Rad, schlingert und touchiert den Äußeren. Joe schreit eine Warnung hinter sich, steigt kurz in die Bremsen - sollte man eigentlich nicht tun - und zieht auf Haaresbreite an den beiden jungen Männern vorbei, die gerade einen tangentialen Abgang aus der Kurve machen. Udo touchiert direkt hinter ihm eine Bodenwelle, fliegt einige Meter, kommt aber richtig auf, fängt das Rad wenige Zentimeter vor dem Straßenrand ab und sprintet hinter Joe her. 62
Puh, das war knapp!Vor den beiden Freunden ist eine Lücke entstanden, weil die beiden Fahrer unfreiwillig ausgestiegen sind, und ausgerechnet jetzt kommt Wind auf. Joe vermißt seinen Triathlonaufsatz, hätte ich den doch nur drangelassen, und legt sich in den Wind. Schaltet auf das 53er Kettenblatt und holt zur nächst vorausfahrenden Gruppe von Fahrern auf, die ihm Windschatten bieten könnte. Endlich kommen sie an. Udo scheint jetzt aber erst richtig warm geworden zu sein, wo will der denn noch hin, denkt Joe, dann setzt er sich hinter seinen Kumpel und überholt die anderen Fahrer. Einer von ihnen schwenkt aus, setzt sich hinter Joe und reißt mit aus zur nächsten Gruppe.Sie gewinnen wieder Anschluß, die Strecke führt jetzt auf eine Bundesstraße, und der Wind bläst mehr von der Seite als von vorne. Sind die Fahrer bisher streng hintereinander gefahren, so brechen sie jetzt aus. Joe und Udo fahren eine Zeitlang nebeneinander, ohne sich zu unterhalten, und nach dem Spurt die letzten Minuten beginnt sich die Atmung zu normalisieren. Zeit für einen Schluck Wasser, und einen Check der Daten auf dem Computer - sie sind jetzt eine knappe Stunde unterwegs, knapper 35er Schnitt, das kann zu schnell sein, da können sie in einer oder zwei Stunden einen Hänger bekommen. Also werden sie erst einmal in dieser Gruppe bleiben, um die Kräfte zu schonen.Die ersten Berge der Eifel kommen näher, das Relief wellt sich. Obwohl Joe in den letzten Wochen keine Berge mehr gefahren ist, kommt er schnell in den Bergtritt und kurbelt die ersten Steigungen hoch. Du hast doch gut trainiert, denkt er, als er sich umsieht, denn Udo ist noch hinter ihm, aber dann klafft eine Lücke. Na großartig, vor uns ist nur das Ausreißerfeld, vielleicht kriegen wir die ja gleich noch zu sehen!Ein kleiner Ort in der Eifel, der Umkehrpunkt. Ausgabe von Orangensaft und Bananen, trinken während der Fahrt ist ja okay, aber Udo hat Schwierigkeiten, die Banane während der Fahrt aus der Schale zu bekommen. Joe bleibt hinter ihm, fährt freihändig zwischen den Schlaglöchern hindurch, während er beide Bananen schält. Nach dem kleinen Snack ein Foto für die Radsportzeitschrift, runter auf den Lenker und eine Steigung hochgekurbelt, zum höchsten Punkt des heutigen Tages.Und da sehen sie die anderen. Einen halben Kilometer vor den beiden Kollegen fährt die Ausreißergruppe, inzwischen auf acht bis zehn Fahrer angewachsen. Wir können es schaffen, die einzuholen, denkt Joe, denn die Straße ist die nächsten 3, 4 Kilometer weitgehend eben, er kennt die Strecke. Er sieht sich um, Udo nickt, sie ducken sich in den Wind, fahren im Abstand einer Handbreit hintereinander und ziehen das Tempo auf gut 40 Sachen.Regelmäßig wechseln sie die Führung, wenn der vorne Fahrende schlapp zu machen beginnt, und nach 10 Minuten kommen die Ausreißer in Sicht. Noch 2 Minuten Kurbeln, und sie haben den Anschluß geschafft.Yeah!Jetzt gibt's 5 Minuten Erholung, und dann die erste längere Abfahrt. Im Pulk stürzen sich die Fahrer die Landstraße herab. Bei 70 km/h Kampf um jeden Zentimeter mit den Ellbogen, das bringt Laune! Joe weigert 63
sich, in die Bremsen zu steigen, er bleibt am hinteren Ende des Feldes kleben, in der Hoffnung, daß sich vor ihm keiner auf die Schnauze legt.Kurzer Blick auf den Computer. 130 Kilometer haben sie jetzt hinter sich gebracht, 34er Schnitt, ziemlich gut, ziemlich stressig. Das Ausreisserfeld hat sich auf neun Fahrer verringert, einer konnte nicht mehr mithalten, und einer hatte einen technischen Defekt, der ihn zurückfallen ließ. Und wer einmal den Anschluß verliert, hat kaum noch Chancen, wieder heranzukommen. Jetzt haben sie noch runde 20 Kilometer vor sich, also sollten sie vor halb vier zurück sein.Sie passieren die Stadtgrenze, noch 10 Kilometer, und für drei Fahrer ist das Signal genug, den Schlußspurt zu beginnen. Sie gehen in den Wiegetritt, ducken sich in der unteren Griffposition auf den Lenker und reißen aus. Joe sieht sich nach Udo um, der schräg hinter ihm fährt, er schüttelt den Kopf. Wir sind zwar gut trainiert, aber... Also bleiben sie in der Gruppe.Noch 2 Kilometer. Die Ausreißer haben ihren Spurt verlangsamt, sind uneinholbar vorne, halten ihren Abstand. Wir kriegen sie nicht mehr ein, das schaffen wir nicht mehr. Aber Udo und er ziehen das Tempo trotzdem an.Noch 1 Kilometer. Das Tempo verschärft sich, Joe hat den Eindruck, daß die anderen Fahrer ihrer Gruppe schlapp machen. Jetzt oder nie! Er nickt zu Udo herüber, das Ziel kommt in Sicht, und zusammen spurten sie los. Überholen den Fahrer vor ihnen, gehen in den Wiegetritt und ziehen an. Jetzt sind sie alleine auf der Strecke, neben ihnen jubeln die Leute, bekommen etwas geboten, und das freut alle. Der Jubel mobilisiert die letzten Kräfte, die Freunde fahren direkt nebeneinander, tief auf den Lenker geduckt. Joe sieht nach hinten, keine Konkurrenz mehr.Noch 100 Meter. Jetzt nur nicht stürzen! Trotzdem geht Joe aus der geduckten Haltung hoch, greift nach rechts in Udos Richtung. Bekommt seine Hand zu fassen, und mit gemeinsam nach oben gestreckten Händen schießen sie nebeneinander über die Ziellinie. Vierter Platz!Wir haben's geschafft! Sie lassen voneinander, bremsen herunter und kommen am Ende des Auslaufbereichs hinter der Ziellinie zu Stehen. Sieg! Vor ihnen waren drei hochdotierte Amateure gefahren, die beiden Fahrradmechaniker waren außer Konkurrenz dabei, und das hebt das Selbstwertgefühl ganz erheblich! Aber während sich die ganzen Medien um die Sieger kümmern, läßt man Udo und Joe in Ruhe, jedenfalls im Moment. Und das ist Joe auch lieber. Er stand ja gestern schon einmal in der Zeitung...Später kommen die Journalisten. Unter anderem auch der Sportredakteur der Stadtzeitschrift, und neben ihm Kim. Joe stellt Udo vor, ein seltenes Ereignis, daß zwei Fahrer den gleichen Platz belegen. Kurzer Bericht über das Rennen, nenn' bitte den Namen unseres Ladens nicht zu oft, und dann kommt das Thema BIKE MAN auf den Plan."Joe, hast Du gestern Zeitung gelesen?“ „Ja.“ „Was hältst Du von der Sache mit dem BIKE MAN?“ „Was soll ich davon halten? Eine schöne Sache, das da irgend so'n Typ die Macker fertig macht, die sonst ungestraft morden können.“ „Also ungeteilte Sympathie?“ „Nein. Selbstjustiz ist nie richtig.“ „Du hast guten Kontakt zur Szene. Hast Du eine 64
Ahnung, wer das sein könnte?“ „Nein, nicht die Geringste.“ „Kim hat mir erzählt, daß Du früher Nahkämpfer gewesen bist. Versteckst Du dich hinter dem BIKE MAN?“ „Das wär' ja noch schöner! Ich hab' mit Job und Training schon genug zu tun, da hab' ich keine Zeit, auch noch nachts als Racheengel durch die Gegend zu fahren."Hoffentlich war das überzeugend. Kurzer Blick auf Kim, er ist nicht sicher, ob sie ihm das abnimmt. Der Sportredakteur verabschiedet sich, Udo trinkt seine Flasche leer und will sofort nach Hause, duschen, man sieht sich Montag. Endlich ist er mit Kim allein."Du siehst so weiß aus.“ „Ich hab' sehr viel geschwitzt. Das ist Salz.“ „Hab' ich noch nie gesehen.“ „Dann weißt Du jetzt, wie das aussieht. Willst Du auch wissen, wie das schmeckt?"Er neigt sich zu ihr hin, sie gibt ihm einen Kuß auf die Wange."Salzig.“ „Sag' ich ja.“ „Was machst Du jetzt, bist Du nicht vollkommen fertig?“ „Nein, da gewöhnt man sich dran. Etwas daneben, aber der Kreislauf ist stabil.“ „Ich wäre tot, wenn ich soviel fahren würde wie du.“ „Alles eine Sache der Gewöhnung, Kim.“ „Du kannst also heute Abend wieder?“ „Alles, was Du willst. Oder sagen wir 'mal, fast alles.“ „Na endlich, die letzten Abende hab' ich Dich vermißt.“ „He, schön, sowas zu hören.“ „Mußt Du nicht noch Siegerehrung? Du bist doch ziemlich weit vorne gelandet.“ „Ach, ich bin Vierter, da steht man nicht mehr auf dem Treppchen. Ich bin immer Vierter, ein Fluch lastet auf mir. Ne, ich kann gleich nach Hause. Ich werde noch eine offizielle Bestätigung bekommen, für Udo und mich, und dann will ich sofort unter die Dusche.“ „Sollen wir heute Abend 'was unternehmen?“ „Ja, sicher, gerne, Kim. Hast Du dir schon 'was ausgedacht?“ „Ich hab heute kaum 'was gegessen, ich würde ganz gerne mit Dir Essen gehen. Und Du hast doch bestimmt wieder Hunger, wie ich Dich kenne, oder?“ „Du hast mich entlarvt... Soll ich um 8 bei Dir sein?"In Ordnung. Joe fährt gemütlich nach Hause, ist heute genug gerast, jetzt kann er sich Zeit lassen. Und er steht lange unter der Dusche, Kim soll heute Abend etwas von ihm haben. Also extra viel Parfum, rasieren, und so weiter... Um 8 Uhr stellt er sein Rad im Hinterhof ihres Hauses ab, sie weiß eine gute Pizzeria in der Nähe. Nach einem Salat und einer großen Pizza - eigentlich für 2 Personen gedacht - geht es Joe besser, und Kim freut sich in dieser Nacht, daß sie endlich wieder etwas von ihm hat.
II.Montag Vormittag. Die Ruhe vor dem Sturm? Im Laden ist wenig los. In der Zeitung ist heute morgen ein Bericht über das Rennen von gestern, in dem auf die beiden Mitarbeiter des Ladens hingewiesen wird, die gemeinsam den vierten Platz für sich verbuchen konnten, nach einem, wie es heißt, sensationellen Schlußspurt. Das geht 'runter wie Öl, und wenn Udo kommt, wird er die Zeitung direkt unter die Nase gehalten bekommen. Aber jetzt kramt Joe in dem Behälter für Altmetall, er sucht nach Steckund Schraubritzeln, egal welcher Größe und welchen Fabrikates, Hauptsache aus Stahl und möglichst spitze Zähne. Dieses eigentlich sinnlose Unterfangen fällt Andy auf, der zusammen mit 65
Joe die Stellung hält, nachdem Tom heute den Urlaub angetreten hat."Was machst Du da?"Ich suche alte abgefahrene Ritzel.“ „Wofür? Was willst Du damit?“ „Saubermachen und in meine Wohnung hängen.“ „Hä?“ „Na, so als Mobilé, verstehst du? Und der Himmel hängt voller Ritzel.“ „Das hast Du aber schön gesagt. Na ja, wenn's Dir Spaß macht..."Hoffentlich kommt er so bald nicht nachsehen, ob ich das wirklich gemacht habe, denkt Joe, denn er hat etwas ganz anderes vor. Saubermachen wird er sie, aber nicht in die Wohnung hängen, sondern als Waffe benutzen. Wie Ninja-Ringe, das hat er sich in der letzten Nacht überlegt.Während der Mittagspause kommt Udo, stellt sein neues Rad, das er in diesen Wochen abarbeiten muß, in den Hof, als Joe aus dem Büro geschossen kommt und ihm den Artikel unter die Nase hält, in dem sie beide und der Laden namentlich erwähnt werden. Ein Grinsen fährt über sein Gesicht, es ist angenehm, so etwas zu lesen."Toll. Tut gut, in der Zeitung zu stehen. Und dabei bin ich gerade noch fast von einem Typen über den Haufen gefahren worden. Da fühlst du dich wie der letzte Arsch.“ „Was hast Du gemacht?“ „Ich hab' den Fehler gemacht, den wir nach der Straßenverkehrsordnung alle machen müssen. Ich bin über einen Radweg gefahren und an einer Rechtsabbiegerspur fast gerammt worden. Wenn ich nicht die neuen Bremsen gehabt hätte, wär' ich jetzt wahrscheinlich tot.“ „Das geht schnell.“ „Ja. Das ganz normale, wenn du nicht in einem dicken Auto sitzt, hast Du in diesem Land nichts zu suchen, hier ist kein Platz für Dich.“ „Hat der Typ angehalten?“ „Nein. Der hat sowieso nicht gemerkt, daß er mich fast umgebracht hätte.“ „25 Jahre unfallfrei, weil andere gestorben sind. Weil sie ausgewichen sind, weil die anderen gebremst haben, weil die anderen gegen den Baum gefahren sind.“ „Genau. Das merkt ja hier keiner."Und so gehen sie zur Tagesordnung über. Einige Leute haben im Verlauf des Tages das Rennen von gestern angesprochen, Joe und Udo gratuliert. Und eigentlich waren sie auf die Idee verfallen, das Ergebnis mit einer guten Flasche Sekt zu feiern, aber Joe fiel ein, das er heute Abend direkt nach der Arbeit Training hat. Morgen vielleicht, aber den Abend hatte er Kim versprochen, und Mittwoch ist wieder Training und Donnerstag... Irgendwann in der näheren Zukunft. Hast du dir zuviel vorgenommen?Ist jetzt ja auch egal, Joe packt sich die inzwischen von allem Dreck, Fett und Öl befreiten Ritzel, so 25 bis 30 Stück, ein, und legt sie sich auf den Schreibtisch. Um die kann er sich später kümmern, um 7 geht er zum Training. Und das verläuft gut, nach der Dusche verspürt er weniger Muskelkater als letzte Woche. Du gewöhnst dich schnell dran, denkt er, als er die belasteten Muskelpartien nachher einreibt.Was soll ich jetzt unternehmen? Es geht auf 10 zu, er dachte, nach den körperlichen Anstrengungen und den kurzen Nächten der letzten Tage heute sehr schnell müde zu werden, ist aber derartig aufgedreht, daß er bei weitem noch nicht ans Schlafen denken kann. Er wählt Kims Nummer, wie erwartet ist sie irgendwo im Univiertel auf Achse. Wo genau? Die Kyffhäuser 66
hat sie sich ausgesucht, na großartig, da dürfte er sie innerhalb einer halben Stunde gefunden haben. Also auf's Bike und runter zum Univiertel.Bis zur Aachener Straße nimmt er den Grüngürtel, muß dann aber auf die Innere Kanal ausweichen. Um nicht dem gleichen Schicksal wie Udo heute morgen zu erliegen, ordnet er sich vor dem rechts verschwenkten Radweg auf die Rechtsabbiegerspur ein und fährt somit geradeaus auf den Radweg auf.Ein schon etwas in die Jahre gekommenes BMWCabrio, vom Zeitwert etwa auf einer Höhe mit Joes Bike, zieht plötzlich von der Geradeausspur auf die Rechtsabbiegerspur herüber, und da ist er natürlich im Weg. Ohne sich um ihn zu kümmern, drängt der Fahrer ihn mit der Beifahrerseite ab, bringt ihn fast zum Sturz."He, Du Arschloch, da ist der Radweg!"Joe kann nur durch seine ausgefeilte Fahrtechnik einen Sturz vermeiden, fährt neben dem Wagen, zieht den linken Fuß aus dem Pedalhaken und donnert ihn gegen die Beifahrertür, daß es ordentlich scheppert. Gleichzeitig steigt er voll in die Bremse, damit ihn der Typ nicht mit einem kurzen Schlenker zur Seite zerquetschen kann. Aber der hält sofort neben ihm, Joe steigt ab und läßt sein Bike auf dem Fußweg liegen. Auch der Mann steigt aus, geht um den Wagen herum und brüllt Joe in Brachiallautstärke an."Du Arschloch, willst Du eins in die Fresse, was fällt Dir ein, einen Kratzer an meinen Wagen zu machen?“ „Was fällt Dir ein, mich zu ermorden, Baby?“ „Ach, halt's Maul, Du, Typen wie Dich sollte man sofort abknallen!“ „Versuch's doch. Du bist viel zu feige dazu. Na los, versuch' es.“ „Na warte, Dir polier' ich die Fresse. Ich war lang' genug Ausbilder. Jetzt mach' ich Dich fertig, du Scheißer."An seiner Stelle hätte ich ganz schnell den Schwanz eingezogen und mich aus dem Staub gemacht, denn in der Beifahrertür hat Joe gerade eine Delle hinterlassen, in der ein Kinderkopf Platz hätte. Und mit einem Menschen, der so etwas kann, würde ich mich nicht anlegen. Aber er hat den Hinweis nicht beachtet, selber SchuldJoe geht einen Schritt zurück, und der Mann kommt mit geballten Fäusten auf ihn zu. Bevor er den Biker erreicht, springt Joe hoch und donnert den rechten Fuß gegen die Wange des muskulösen Mannes, der vollkommen überrascht zu Boden geht."Na komm schon, Du willst mir doch die Fresse polieren, Du eingebildeter Schlappschwanz. Dir haben sie wohl den Arsch ausgeblasen, wie? Steh' auf, Du feige Sau! Wird's bald?"Joe's Umgangston ist bewußt provokativ, er sein Gegenüber kann ihm nicht das Wasser reichen, aber genau diese Situation ist der Mann nicht gewohnt. Es gibt nichts Schlimmeres für einen dieser Schläger, als selbst Opfer zu werdenDer Mann stützt sich auf dem linken Arm auf, reibt sich mit dem Handrücken der linken Hand die Wange, sieht das Blut, das aus einer Platzwunde fließt. Joe steht 2 Meter vor ihm, zu weit entfernt, um in einem Sprung umgelegt zu werden, aber nahe genug, daß er ihn jederzeit wieder treten kann."Komm schon, wird's bald? Ich hab' noch 'was zu tun. Du wolltest mich umbringen, jetzt bist Du dran."Keine Reaktion. Der Mann sieht Joe an, legt sich offenbar zurecht, wie er ihn noch fertigmachen 67
könnte, oder er hat einfach Angst. Plötzlich springt er auf, will Joe umrennen, doch der ist schneller und schleudert ihn zur Seite weg. Ziemlich schnell steht er wieder auf, doch bevor der Mann irgendetwas machen kann, versetzt Joe ihm einen weiteren Tritt gegen den Schädel. Als er benommen taumelt, packt Joe den rechten Arm, dreht ihn nach hinten und schiebt den Mann zu seinem Wagen hin. Er kann sich jetzt nicht mehr bewegen, oder er bricht sich selbst den Arm.Ohne den Griff zu lockern, durchsucht Joe seine Taschen, findet die Papiere, steckt sie aber nicht ein. Denn da kommt ein Wagen, der ebenfalls rechts abbiegen will, und Joe läßt den Mann los, der immer noch über seinem Cabrio hängt, mittlerweile ohnmächtig. Als die Frau in dem Wagen das sieht, bekommt sie es augenscheinlich mit der Angst zu tun, glaubt wahrscheinlich, daß sie jetzt dran sei, legt den Rückwärtsgang ein und fährt aus der Spur heraus. Ein Mercedes kann gerade noch ausweichen, hinter ihm verliert ein VW die Kontrolle über sein Fahrzeug, gerät ins Schleudern und stellt sich quer. Zwei, drei Fahrzeuge knallen in die Unfallstelle, weil sie zu schnell gefahren sind; die Frau, die den Unfall ausgelöst hat, gibt Gas und donnert über die inzwischen rot gewordene Ampel.Pech gehabt, denn sie wird von einem anderen Pkw an der Motorhaube erwischt, als sie die Innere Kanal schon fast überquert hat, und knallt in die Verkehrsinsel, so daß der Ampelmast schief stehen bleibt. Der ganze Crash hat nur Sekunden gedauert, und bevor die Polizei kommt, hat Joe genügend Zeit, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Wir wollen doch jetzt keinen Ärger mit den ehemaligen Kollegen...Ich sollte jetzt besser nicht mehr versuchen, Kim zu finden, denkt er, hinterher verplappere ich mich noch und bin der Schuldige an diesem Unfall, weil ich den Typ zusammengewichst habe. Nein, ist besser, wenn ich jetzt direkt nach Hause fahre. Ohne das Licht anzumachen, schleicht er sich durch den Grüngürtel, stellt Minuten später fest, daß Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene zum Unfallort hinfahren. Hoffentlich gibt das morgen keinen Ärger, denkt er, aber ihn hat ja keiner gesehen.Als er zu Hause das Radio einschaltet, berichtet man dort gerade über den Unfall an der Kreuzung Aachener Straße und Innere Kanalstraße, die Aachener ist in Fahrtrichtung stadtauswärts dicht, die Polizei leitet den Verkehr um. Es habe mehrere Verletzte vergeben, und acht Fahrzeuge seien in den Unfall verwickelt. Die Unfallursache sei noch ungeklärt, heißt es.Na klar, die Unfallursache war doch ich, denkt Joe. Hoffentlich wird sie nicht richtig aufgeklärt.Da geht das Telefon, jetzt, um diese Zeit?"Ja?“ „Joe, bist Du das? Kim hier.“ „Oh, hallo, wie geht's?“ „Mir geht's gut, ich komm' gerade aus der Kneipe, bin etwas beschwipst. Du, ein Bekannter hat mich gerade nach Hause gebracht. Auf der Aachener war ein dicker Unfall, und der soll irgendwas mit einem Biker zu tun haben.“ „Ja und?“ „Warst Du das?“ „Nein, wie kommst du darauf?“ „Der Typ hat 'nen Nahkampfausbilder von der Bundeswehr plattgemacht, und ich kenn' nur einen, der sowas kann - und der abends in der Stadt Rad fährt. Dich!“ „Ich war den ganzen Abend zu Hause.“ „Sieht so 68
aus. Na, war wohl nichts mit meiner Vermutung. Ich hab' mich schon als Freundin des BIKE MAN gesehen."Sie kichert, Joe redet ihr die Idee aus, das sei doch absurd. Wenn sie wüßte, wie recht sie mit ihrer Vermutung hat...
III. Kaum ausgeschlafen, aber frisch nach Zahnpaste riechend kommt Joe ins Büro im Hof hinter dem Laden. Als er hereinkommt, eine Packung Kaffee in der Hand, streckt Andy ihm die Zeitung des heutigen Tages entgegen."Hier, lies das. Das wird Dich interessieren."Und tatsächlich, Joe hat Mühe, sich sein brennendes Interesse nicht anmerken zu lassen, denn ein Artikel über den Unfall von gestern Abend steht auf der ersten Seite.Zuerst hatte die Polizei nur die Frau im Verdacht, die aus der Rechtsabbiegerspur nach hinten herausgesetzt hatte, allein an der Karambolage Schuld zu sein. Nach ihrer Aussage war sie auf der Flucht vor einem Mann, der vom Fahrer des BMW-Cabrio abließ und sich in ihre Richtung wendete. Sie hat den Unfall verursacht, das gab sie zu, aber sie wollte vor dem unheimlichen Mann fliehen. Nein, sagte sie aus, sie habe keinen Biker gesehen.Später gelang es der Polizei, den Fahrer des Cabrio zu vernehmen. Der stellte sich als angetrunken heraus, deshalb hatte die Polizei seine Fahrerlaubnis eingezogen, er sagte aber aus, daß er von einem Radfahrer zusammengeschlagen worden sei. Nach längerem Befragen gab er zu, diesen abgedrängt und beschimpft zu haben. Eine schöne erfundene Story, sagte der vernehmende Beamte zuerst, als zwei Beamte ihn zur Beobachtung in ein Krankenhaus brachten, aber dann hörte er von dem Kollegen, der die Frau vernommen hatte, daß sich die Aussagen in diesem Punkt decken, da muß tatsächlich ein Mann den BMW-Fahrer zusammengeschlagen haben.Ein persönlicher Feind? Der Mann ist selbst Nahkämpfer, wie die Überprüfung seiner Person ergab, und er hätte praktisch jeden Menschen in Stücke schlagen können, der ihm etwas gewollt hätte. Dann wurde das Cabrio überprüft, und die Beamten der Spurensicherung konnten sich alles erklären, nur nicht die Delle in der Beifahrertür. Der Fahrer hatte ausgesagt, der Radfahrer hätte ihm in die Seite getreten, und es hätte gescheppert, aber als die Beamten die Delle sahen, waren sie überrascht. Mit nur einem Tritt so ein Loch, der Mann muß übermenschliche Kräfte haben.Und so zogen sie die Ergebnisse zusammen und kamen zu dem Schluß, daß derBIKE MANwieder zugeschlagen hatte. So stand es heute in großen Lettern auf der ersten Seite der größten Boulevardzeitung Kölns. Das Rätselraten kann losgehen: Wer ist der mysteriöse Rächer der unschuldigen Verkehrsopfer?Joe fühlt sich geschmeichelt, aber wenn ihm jetzt irgendjemand gegenüber eine falsche Äußerung herausrutscht, dann haben sie ihn ganz schnell am Wickel. Er muß jetzt sehr vorsichtig sein, was er sagt und tut, aber er weiß auch aus seiner Dienstzeit, daß er selbst vollkommen besoffen dicht halten kann.Viele Leute, die in den Laden kommen, fragen nach dem mysteriösen BIKE MAN. Ob die Leute im Laden wüßten, wer das sein könnte? Es gibt die 69
wildesten Spekulationen über die Person des BIKE MAN, aber zum Glück hat man Joe selbst nicht im Verdacht. Es ist ja auch nur Wenigen bekannt, daß er nicht nur Radsportler ist, sondern auch regelmäßig Nahkampf betreibt. Und die ganzen Vermutungen, wer es sein könnte, lenken von ihm selber ab, auch die Kollegen ziehen Joe nicht mehr in den Verdacht, diese Person zu sein.Am Abend steigt er für 30 Kilometer auf sein Rennrad, duscht und ist um 8 Uhr bei Kim, mit der er Essen geht."Hast Du einen Verdacht, wer der BIKE MAN sein könnte?“ „Nicht den geringsten. Und ich würde mich hüten, mich mit solchen Typen wie diesem Ausbilder anzulegen, so wie der das letzte Nacht getan hat. Das ist mir viel zu gefährlich."Gut gelogen."Du kannst es ja nicht sein, Du warst ja gestern Abend zu Hause. Aber ich hab' schon drüber nachgedacht, was ich machen würde, wenn Du der BIKE MAN wärst.“ „Und? Was würde sich dann ändern?“ „Ich würde wahrscheinlich meinen Job hinschmeissen. Oder die Beziehung zu diesem Mann.“ „Warum das? Hast Du keine Sympathien für den Typ?“ „Doch, klar, die hab' ich. Aber es hat sich was in meinem Job geändert?“ „Ach ja? Was denn?“ „Ich arbeite jetzt nicht mehr an dem Stadtführer über die Kneipen und Restaurants in Köln. Ich hab' 'nen neuen Auftrag. Weißt du welchen?“ „Nein, sag's mir.“ „Ich soll den BIKE MAN finden!Oh nein! Joe verschluckt sich an seiner Pekingente, hustet los und hält sich die Serviette vor den Mund. Nur jetzt nichts anmerken lassen! Das darf doch nicht wahr sein! Eine halbe Million Frauen gibt es in dieser Stadt, und er muß ausgerechnet mit der zusammen sein, die seine zweite Identität aufspüren soll!Sie springt auf, läuft um den Tisch zu ihm herüber und klopft ihm sanft auf den Rücken, der Hustenanfall läßt nach, Joe trinkt einen Schluck Bier. Es geht wieder besser."Was hast Du gemacht, Joe?“ „Ach, ich krieg' das manchmal nicht so auf die Reihe, gleichzeitig Reden und Essen.“ „Oder hat das 'was mit meinem neuen Job zu tun?“ „Nein, wieso? Ich hab' ja nichts damit zu tun. Ich stecke zwar in der Bikerszene drin, aber mit dem BIKE MAN hab' ich nichts zu schaffen."Glaubt sie das?"Aber vielleicht kannst Du mir helfen. Du hast erzählt, das Du keinen kennst, der das sein könnte, aber Du hörst vielleicht eher etwas als ich.“ „Da hast Du recht. Und wenn Du das aufschreibst, was ich heute den ganzen Tag an Vermutungen über den BIKE MAN gehört habe, dann kannst Du eine Extranummer 'rausbringen.“ „Hast du keinen Verdacht?“ „Nein."Am liebsten würde er Kim jetzt mit einem Kuß den schönen Mund stopfen, um das Thema zu beenden, aber sie sitzt zu weit weg. Also bietet er ihr eine Gabel von seinem Gericht an, und bei dem Gespräch über das, was sie da gerade essen, vergessen sie das Thema. Joe ist das lieber so, sonst rückt er am Ende doch noch damit heraus, daß er es ist. Warum in die Ferne schweifen, die Lösung sitzt dir gerade gegenüber, mein Liebes...Morgen ist Mittwoch, da muß Joe erst spät arbeiten, Kim hat um 11 den ersten Termin mit dem ermittelnden Kommissar, und so haben sie in dieser Nacht genug Zeit, sich miteinander zu beschäftigen. Das Thema Arbeit hat jetzt 70
nichts in ihrer Unterhaltung zu suchen, Joe würgt Kim schnell ab, wenn sie auf den BIKE MAN zu sprechen kommen will, und er lenkt sie von den Gedanken an ihre Arbeit ab, als er sie am ganzen Körper mit seinem Massageöl einreibt.Ob der BIKE MAN wohl ein guter Liebhaber sei, fragt sie Joe, als sie Stunden später erschöpft von den ganzen Liebesspielen nebeneinander liegen. Ja, merkst du das denn nicht, denkt er sich. Wenn Du wüßtest, wen Du gerade neben dir liegen hast, Kim...
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Donnerstag morgen. Wie gewohnt sitzen die drei Kollegen im Büro des Radladens zusammen und gießen sich einen Kaffee ein, bevor sie den Laden eröffnen. Durch das Blätterdach scheint die Sonne in Scheiben geschnitten in den Hinterhof, taucht die zur Reparatur bereitstehenden Räder in ein warmes, romantisches Licht. Joe blättert in der Zeitung, liest die Leserbriefe, die sich zu einem großen Teil auf ihn, pardon, auf den BIKE MAN beziehen.Zwei Praktiker steuern ihre eigenen Erfahrungen zu diesem traurigen Thema bei:"Endlich wagt es ein Mensch, sich dagegen zu wehren, auf Schlaglochpisten abgedrängt zu werden, die als Radwege bezeichnet werden. Wenn sie nicht gerade zugeparkt sind, so sind die sogenannten Radwege in einem Zustand, hinter dem sich Teststrecken für Mountain Bikes nicht zu verstecken brauchen, jede Schotterpiste in den Alpen läßt sich besser befahren als ein Kölner Radweg..."Ich kann nicht umhin, die Person des BIKE MAN sympathisch zu finden. In den letzten drei Jahren bin ich selbst viermal von Autofahrern angefahren worden und beim letzten Mal auf einem Schaden von über 2000 Mark sitzen geblieben. Zum Fahrrad als Verkehrsmittel gibt es für mich keine Alternative, ein Auto kann und will ich mir nicht leisten, und der öffentliche Personennahverkehr ist mir zu teuer, außerdem komme ich nach 10 Uhr abends nicht mehr nach Hause. Also - weiter so, BIKE MAN, wir stehen hinter dir!Das geht Joe 'runter wie Öl... Aber eine Frau hat einen noch viel konsequenteren Standpunkt:"Im letzten Jahr wurde unsere 17jährige Tochter auf einer Kreuzung von einem Autofahrer gerammt, als der nach rechts abbiegen wollte. Der Mann fuhr einfach weiter, und nach zwei Tagen starb unser einziges Kind. Wir haben den Fahrer des Wagens nie vor Gericht gesehen, das Verfahren wurde eingestellt, und dieser Mann darf jetzt frei weiter morden. Das soll Gerechtigkeit sein? Wenn ich dazu fähig wäre, würde ich jederzeit genauso handeln wie der BIKE MAN, denn Gewalt ist das Einzige, womit man den Mördern in ihren Blechkisten beikommen kann."Und ein Mann schreibt dazu:"Bis zum Beginn dieser Woche war ich, wie viele Andere auch, Mitglied im AAC. Am Montag bin ich aus dem Verein ausgetreten. Die Äußerungen des Herr Dr. Wimmer haben mich betroffen gemacht, und ich will diese faschistoiden Gedanken nicht auch noch mit meinem Geld unterstützen. Ich fahre selbst kaum Rad, sitze im Gegenteil durch meinen Beruf als Außendienstmitarbeiter einer Versicherung sehr viel hinter dem Steuer eines Pkw, aber wenn ich sehe, wie in diesem Land gefahren wird, in dem nur noch das Recht des Stärkeren gilt, dann habe ich Sympathie für den BIKE MAN, der sich gegen diese Wahnsinnigen stellt. Ich hatte selbst Unfälle mit Menschen, die einfach über rote Ampeln fahren und alles plattwalzen, was ihnen vor die Stoßstange kommt, und ich kann nur hoffen, daß der Krieg auf der Straße endlich aufhört. Wir leben nicht mehr in einer zivilisierten Gesellschaft, die heutige Zeit hat den Menschen weit in die Steinzeit zurückgeworfen."Das ist ja toll... Joe hat das Gefühl, eine Lawine losgetreten, in ein 72
Wespennest gestochen zu haben. Leute machen ihrem Ärger über die mörderische Rücksichtslosigkeit in diesem Land Luft, und ihm fliegen die Sympathien der Menschen nur so zu.Viele Gespräche im Laden an diesem Tag drehen sich natürlich um den BIKE MAN, Gerüchte werden in die Welt gesetzt, er sei die Reinkarnation von Jesus Christus oder Mohammed, aber das erscheint vielen dann doch zu abgedreht. Bin ich jetzt schon der Messias, denkt sich Joe im Stillen, was habe ich da nur angerichtet! Keiner, der ihm einen Strick daraus drehen würde, Gewaltakte zu verüben, ungeteilte Sympathie für den Schwarzen Rächer.Nach diesen positiven Äußerungen gibt es nach Feierabend ein Interview im Radio mit Dr. Wimmer, wie er es ausdrücklich betont haben will. In diesem Interview verurteilt es der Mann aufs Schärfste, daß sich Leute hinter den BIKE MAN stellen. Ganz im Gegenteil, dieser Person, falls sie denn wirklich existiere oder nur eine Erfindung der sensationsgeilen Medien sei, müsse schnellstens Einhalt geboten werden. Und er, Vorsitzender des AAC, des größten und mitgliederstärksten Autovereins des Landes und so weiter und Blabla, werde geeignete Maßnahmen ergreifen, um das zu tun. Was das denn für Maßnahmen seien, fragt der Interviewer, aber er werde schon früh genug davon erfahren, wenn es soweit sei.Sie wollen dir also ans Leder, denkt Joe, na gut, soll es zum Kampf kommen, er ist bereit, denn er hat viele Leute hinter sich. Wir werden uns wiedersehen, Wimmer, das letzte Wort ist nicht gesprochen!Schließlich wird der Vorsitzende des AAC danach gefragt, wie er denn zu den rapide zunehmendes Austritten aus dem AAC stehe, die sich häuften, seitdem er so stark gegen andere Verkehrsteilnehmer opponiere, und die zügellose Betonierung der Landschaft fordere. Das habe doch überhaupt keine Bedeutung, geht es über den Sender, sollen doch alle die austreten, die in der Steinzeit bleiben wollen, die den Fortschritt nicht mitmachen wollen. Er sehe keinen Grund, irgendetwas an den Prinzipien seines Vereins zu ändern.Entzückend, denkt Joe, wenn der so weitermacht, wird der AAC sein Maximum an Mitgliedern bald überschritten haben, denn solche Äußerungen gehen nicht nur ihm gegen den Strich, sondern auch vielen Anderen. Und die ziehen immer öfter die Konsequenzen und treten anderen Vereinen bei, die gleichen Service bieten, aber nicht streng auf das Auto fixiert sind. Wenn der Mann noch lange in dieser Position bleibt, schadet er seinem Verein am meisten. Er wird schon sehen, wohin das führt.Zeit, wieder BIKE MAN zu spielen, die Dämmerung legt sich über Köln. Joe zieht seine schwarze Kleidung an, holt sein Bike aus dem Keller und verschwindet in der Nacht. Ob er auch in dieser Nacht wieder etwas erleben wird?Vor dem Fenster eines Trekkinggeschäftes am Ring bleibt er stehen, sieht sich die Auslagen an, du wolltest eigentlich in zwei Wochen in Urlaub fahren. Er will gerade losfahren, als er live mitbekommt, wie ein junger Mann auf dem Rad von einem Autofahrer auf die Motorhaube genommen wird, weil er nicht auf dem zugeparkten Radweg fährt, sondern 73
gezwungenermaßen auf der Straße. Joe hatte die Füße nicht auf die Erde gesetzt, sieht sich um, die Straße ist frei, und spurtet zu dem Wagen hin.Ein Porsche 911 ohne Heckspoiler, das ist sehr gut, über den kann man exzellent drüberfahren, denkt Joe, als er den Wagen erreicht. Der Fahrer ist wutentbrannt ausgestiegen, hat den Biker am Kragen gegriffen, zwischen den Scheinwerfern auf die flache Haube gedrückt und würgt ihn.Als Joe auf dem Dach des Wagens zu stehen kommt, hört der Fahrer mit dem Würgen auf, erschrickt über die schwarze Gestalt, deren Umrisse gegen den Himmel zu verschwimmen scheinen.Laß den Jungen los, wenn Du dich schlagen willst, kannst Du das mit mir tun, Kleiner.“ „Was tun Sie auf meinem Wagen?“ „Was tust Du auf dem Radweg?“ „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ „Das kannst Du dir selber beantworten."Der Fahrer des Porsche geht einen Schritt zurück, will um den Wagen herumgehen. Joe tritt an, macht einen Bunny Hop vom Scheinwerfer herunter und trifft ihn an der Brust, fährt 10 Meter weiter, wendet und bleibt stehen. Was macht der Typ jetzt?Joe sieht, daß er sich in die Tasche seines Jacketts greift, vermutet, daß er eine Pistole ziehen will. Also tritt er an, beschleunigt, und kurz bevor er den Mann erreicht, blockiert er das Vorderrad, macht einen Nose Wheelie, reißt das Hinterrad hoch und schwenkt es herum. Der Schaltungsschutzbügel trifft die Hand, die nach der Pistole greift, es knallt, und eine Kugel durchschlägt die Hüfte des Mannes.Wie kann man nur so blöd sein, denkt Joe, wer nicht damit umgehen kann, sollte keine Knarre bei sich tragen, das ist viel zu gefährlich. Wie gerade wieder bewiesen, er kennt das zur Genüge aus seiner Dienstzeit... Der Typ sackt zusammen, offensichtlich hat er genug Speck um die Hüften, aber jetzt nichts wie weg hier.Der gewürgte Biker ist aufgestanden, hat sich von dem Würgegriff erholt, ist aber über die anderen Ereignisse erschrocken. Joe hebt das Bike auf, ein stabiles MTB hält einen leichten Crash aus, so ist wenig passiert. Er schiebt es zu dem Biker hin."Bist Du okay?“ „Ja, ich glaube schon. Aber was...“ „Wir haben keine Zeit zum Reden. Wir müssen weg hier, gleich sind die Bullen hier.“ „Bist Du der BIKE MAN?“ „Ja. Und jetzt ab die Post."Der Biker nimmt sein Fahrzeug; bevor der verdutzte Junge etwas sagen kann, sprintet Joe los, springt am Zülpicher Platz über die Schienen, dreht sich in der Luft in Richtung Mauritiuskirche und entschwindet somit den Blicken aller möglichen Zeugen. Seine Fahrtroute führt mitten über einen Parkplatz, und nach einem wilden Zickzack landet er im Grüngürtel, durch den er langsam fährt. Schwitzen kann er morgen noch.Ob mich einer erkannt hat? Wenn er vorhin nicht dazwischengegangen wäre, hätte der Typ den Jungen glatt umgebracht, und das nur deshalb, weil er parkenden Autos ausweichen mußte. Jetzt ist Joe gespannt darauf, was morgen in der Zeitung stehen wird. Er sieht schon die Schlagzeilen vor sich:Der BIKE MAN hat wieder zugeschlagen!Oder:BIKE MAN rettet jungem Biker das Leben!Nun ja, und was wird er deswegen von Kim zu hören bekommen? Sie wird den Jungen
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ausfragen, falls die Polizei ihn stellen sollte; und vielleicht wird ihr die Personenbeschreibung bekannt vorkommen...
II.Wie gut, daß ich heute nicht im Verkauf bin, denkt Joe, da hinten muß die Hölle los sein; Zwei Leute und eine lange Schlange von Kunden, da kommt Freude auf. Ihm ist das gleichgültig, seine Liste von Reparaturen sieht lang aus, er hat auch den ganzen Tag zu tun, aber ihn unterbricht nicht dauernd jemand in der Arbeit.In der mittäglichen Magazinsendung des WDR gibt es ein Interview, bei dem Joe das Radio in der Werkstatt lauter dreht. Denn es ist ein Interview mit seinem Spezialfreund, Dr. Peter Wimmer, Vorsitzender des Allgemeinen Automobil Clubs. Wie oft hat er diese Ansage in den letzten Tagen eigentlich schon gehört?"Herr Dr. Wimmer, in der letzten Nacht hat es in der Kölner Innenstadt wieder eine Attacke des BIKE MAN gegeben. Zum ersten Mal hat sich der Mann selbst so bezeichnet, nachdem eine Kölner Zeitung ihm den Namen gegeben hat. Sie haben sich zum Fürsprecher der Gegner des BIKE MAN gemacht, was sagen Sie dazu?“ „Es ist unglaublich, daß dieses Monster einen freien Bürger des Landes umbringen wollte! Jetzt schießt dieses Monster sogar schon auf unschuldige Autofahrer, die...“ „...die unschuldige Radfahrer vom Radweg abdrängen und dann auch noch erwürgen wollen, Herr Wimmer.“ „Dr. Wimmer, bitte.“ „Meinetwegen. Aber stellen wir doch die Tatsachen klar, einige Hörer haben von dem Fall vielleicht noch nicht gehört, Folgendes hat sich ereignet: Ein Autofahrer drängt einen Radfahrer ab, der einem Auto ausweichen muß, das den Radweg am Ring zuparkt. Er wird von dem Autofahrer angefahren, stürzt, der Autofahrer packt ihn und versucht ihn zu erwürgen. In diesem Moment kommt ihm ein anderer Radfahrer, eben der BIKE MAN, zu Hilfe. Der Autofahrer will eine Waffe ziehen und verletzt sich damit selber.“ „Das sind doch alles Lügen.“ „Wollen Sie damit die Beteiligten des Unfalls der Lüge bezichtigen, Herr Wimmer? Das sind die Aussagen, die von der Polizei so wiedergegeben worden sind. Der Radfahrer hat sich eine Stunde später der Polizei gestellt, der Autofahrer war bereits in mehrere Unfälle mit Fahrerflucht verwickelt, und gegen ihn ist Anzeige wegen versuchten Totschlags erstattet worden. Er ist übrigens auch Mitglied im AAC. Halten Sie das Verhalten des Autofahrers für richtig, Herr Wimmer?“ „Ach, das sind doch alles Kinkerlitzchen. Wichtig ist doch, daß wir mobil bleiben. Wenn die Radfahrer überall da fahren, wo sie nichts zu suchen haben, dann sind sie selber Schuld, wenn sie überfahren werden.“ „Der Radfahrer mußte einem parkenden Auto ausweichen. Und der Falschparker ist auch Mitglied im AAC.“ „Ja und? Sollen diese Radfahrer auf ihren Wegen bleiben, da wo sie hingehören.“ „Der Radweg war zugeparkt, und in Köln sind in diesem Jahr schon fünf Radfahrer auf Radwegen von Autofahrern angefahren und getötet worden, weitere 45 Radfahrer wurden auf Radwegen teilweise erheblich verletzt.“ „Dann sollen sie doch im Auto fahren. Wenn alle im Auto fahren, gibt es solche Unfälle nicht. Wir 75
müssen mobil bleiben.“ „Sie wissen doch, Herr Wimmer,...“ „Dr. Wimmer!“ „...daß sich die Verkehrssituation doch nur dadurch verschlimmert hat, daß stetig mehr Straßen gebaut worden sind und der Verkehr dadurch weiter angestiegen ist. Jeden Tag erleben wir den Zusammenbruch des Verkehrs in unseren Städten, wir können nicht mobil bleiben, wenn wir weiter einseitig auf das Auto als Verkehrsträger setzen.“ „Natürlich können wir das! Wie haben mehr Verkehr, und um den bewältigen zu können, brauchen wir auch mehr Straßen.“ „Wo sollen wir denn in Köln noch mehr Straßen und Parkplätze bauen, Herr Wimmer? Wo soll denn der Platz dafür herkommen?“ „Dann müssen wir mehr Gebäude abreißen, unterirdische Straßen bauen, Parkdecks, und andere Einrichtungen. Wir müssen mobil bleiben, sonst landen wir in der Steinzeit. Dem Fortschritt muß man Opfer bringen.“ „Also nicht nur Gebäude, ganze Städte, sondern auch Menschen. Mit dem Auftauchen des BIKE MAN hat die Diskussion über den Krieg auf unseren Straßen, der gerade durch den täglichen Verkehrsinfarkt in den letzten Jahren immer stärker entbrannt ist, neue Nahrung erhalten. Was...“ „Das Monster muß weg! Bevor Sie mir hier wieder das Wort im Munde herumdrehen, gebe ich bekannt, daß in den nächsten Nächten Mitarbeiter des AAC in der Stadt Streife fahren werden, um dem Monster Einhalt zu gebieten.“ „Sie wollen den BIKE MAN also fangen?“ „Tod oder lebendig. Das Monster ist eine Gefahr für die Öffentlichkeit, es muß weg.“ „Glauben Sie nicht, daß es besser wäre, die Autofahrer aus dem Verkehr zu ziehen, die unschuldige Verkehrsteilnehmer töten? Wäre das nicht besser?“ „Ach was. Kein Autofahrer in unserem Land hat sich jemals etwas zuschulden kommen lassen. Das ist doch alles nur blödsinniges Gerede von irgendwelchen Umweltschützern. Nein, wir müssen Stärke zeigen! Wir müssen den Rechtsstaat erhalten!“ „Glauben Sie nicht, daß wir in einer Zeit leben, in der solche Wild-WestMethoden fehl am Platze sind?“ „Wir müssen uns wehren! Der BIKE MAN muß weg, ein Autofahrer muß wieder auf der Straße fahren können, ohne sich bedroht zu fühlen.“ „Verehrte Hörer, Sie haben das Interview gehört, wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema? Rufen Sie uns an, wir nehmen auf einem Anrufbeantworter Ihre Meinung entgegen und werden am Ende der Sendung Auszüge davon bringen."Die Telefonnummer geht über den Sender, es erklingt eine Musik. Soso, sie wollen dich also jetzt jagen, sie setzen Streifen auf dich an! Gut, ich habe es mir vorgestern gedacht, ich stehe dazu, ich nehme den Kampf auf, ich gehe der Auseinandersetzung nicht aus dem Wege!Eine Stunde später hört Joe die Äußerungen der Hörer. Es sind wenige Stimmen darunter, die die Meinung des Vorsitzenden des AAC teilen, die überwiegende Mehrheit der Hörer, auch diejenigen, die vom Autotelefon aus sprechen, befürworten eine andere Verkehrspolitik, die das Auto nicht derartig in den Vordergrund stellt, wie der AAC es tut. Sie sprechen dem BIKE MAN ihre Sympathie aus, manche würden gern selber so handeln. Und noch etwas anderes kommt zur Sprache: Viele 76
wollen die knallharte gegen die Menschen gerichtete Politik des AAC mit ihren Mitgliedsbeiträgen nicht länger unterstützen und erklären ihren Austritt aus dem AAC. Richtig so, denkt Joe. Das ist die Quittung für solche Äußerungen, wie sie gerade über den Sender gegangen sind. Das Radio läuft weiter, Joe kurbelt auf einen anderen Sender, bei Radio Köln läuft ein Jugendmagazin. Und wie es der Zufall will, kommt dort gerade in diesem Moment ein Interview mit dem jungen Biker, dem Joe in der letzten Nacht das Leben gerettet hatte:"Klaus, Du hast in der letzten Nacht den BIKE MAN getroffen. Kannst Du uns sagen, wie es dazu gekommen ist?“ „Ja, ich bin von einem Porsche angefahren worden, weil der Radweg am Ring 'mal wieder voll zugeparkt war. Der Typ hat mich vom Bike geschleudert, und wollte mich erwürgen.“ „Wollte er Dich wirklich umbringen?“ „Er hat gesagt, du blöde Sau, ich bring' Dich um. Und dann hat er mir den Hals zugedrückt.“ „Aber warum? Hat er nichts gesagt?“ „Ich hab' auf der Straße nix zu suchen, hat der Typ gesagt. Aber wo hätte ich denn anders fahren sollen, der Radweg ist doch da ewig zugeparkt, da kann doch keiner fahren.“ „Bist Du ihm vor's Auto gefahren?“ „Nein, er hat mich überholt, gebremst und mich voll auf die Haube genommen.“ „Und was war das für ein Mann?“ „Ach, so'n Zahnarzt oder so 'was, halt ein Typ, der sich 'nen Porsche leisten kann. Stinknormale Type, so einer wie jeder andere.“ „Also kein Zuhälter oder so 'was?“ „Nein.“ „Und dann kam da plötzlich der BIKE MAN? Wie war das?“ „Ich kann mich da nicht mehr genau dran erinnern, weil ich fast ohnmächtig war, und ich hatte Angst, verdammt viel Angst. Der Typ guckt nach oben und redet mit jemanden, ich hab's in dem Moment gar nicht geschnallt. Und da springt einer plötzlich von Dach 'runter, dem Mann mitten in die Brust.“ „Vom Dach runter?“ „Ich weiß auch nicht, wie der das gemacht hat, der muß auf den Wagen gefahren sein. Steht plötzlich neben mir auf dem Auto und legt den Typ einfach flach, ich denk', ich seh' nicht recht!“ „Hat er den Mann bedroht?“ „Nein. Aber der Typ, der mich umbringen wollte, der wollte 'ne Knarre ziehen. Ich hab's nicht gesehen, der stand mit dem Rücken zu mir, und der BIKE MAN fährt an, bremst vor dem Typ ab und - der dreht das Hinterrad, mitten in der Luft und donnert dem Typ vor die Brust. Mensch, das war ein Anblick, das könnte ich gar nicht!“ „Und dann hat er geschossen? Oder hast Du geschossen?“ „Der Typ hatte 'ne Knarre in der Jacke, und die ist losgegangen, der Autofahrer, meine ich. Die Polizei hat den überprüft, der hat Spuren vom Rauch auf der Haut, der hat sich selbst abgeknallt.“ „Wie hat er ausgesehen, der BIKE MAN? Hat er mit Dir geredet?“ „Also, ich war total durcheinander, Du wirst ja nicht jeden Tag umgebracht. Der hat mich gefragt, wie's mir geht, und mir mein Bike in die Hand gedrückt, wir sollten abhauen.“ „Hat er seinen Namen genannt?“ „Ich hab' ihn gefragt, ob er der BIKE MAN ist. Und er hat Ja gesagt. Und so, wie der den Typ plattgemacht hat, das kann nur ein tierisch guter Fahrer sein, ich hab' noch nie 'nen Biker so fahren sehen.“ „Wie hat er ausgesehen?“ „Der BIKE MAN?“ „Ja.“ „Schwarz. Schwarzes Bike, 77
schwarze Klamotten, schwarzer Helm.“ „Was hast Du dann gemacht, als er Dich angesprochen hatte?“ „Ich war noch total benommen, ich hab' mich einfach so auf's Bike gesetzt und bin losgefahren, hab' mir gedacht, bleib' 'mal hinter dem Typen, da bist Du sicher, aber der hat so ein Tempo vorgelegt, da konnt' ich nicht mehr mithalten. Dabei fahr' ich selbst Rennen.“ „Du bist also erstmal abgehauen. Aber Du hast der Polizei doch eine Aussage gemacht? Bist Du zu der Unfallstelle zurückgefahren?“ „Nein, ich war schon zu Hause, hab' das meiner Mutter erzählt, und dann ist mir aufgegangen, das es besser ist, wenn ich direkt hingehe, bevor die mich suchen, oder wenn die glauben, daß ich diesen Schwachkopf angeschossen habe.“ „Danke für das Gespräch, Klaus. Das war also die Begegnung mit dem BIKE MAN. Wer kann das sein, was glaubt ihr? Ruft uns an."Die Telefonnummer geht über den Sender."Und hier noch eine Warnung an alle Radfahrer, die in dieser Nacht und in den nächsten Nächten in Köln unterwegs sind: Der Allgemeine Automobil Club wird jetzt Streifen einsetzen, die den BIKE MAN fangen sollen. Es könnte ja sein, daß sie den Falschen erwischen, also seid vorsichtig, wenn Ihr heute in der Stadt 'rumfahrt."Die Warnung ist deutlich. Joe würde gerne weiter zuhören, aber gerade ist er mit der letzten Reparatur des heutigen Abends fertig geworden. Schade, da arbeitet man so schnell, und dann bereut man es hinterher auch noch... Mit dem fertigen Rad fährt er die Straße entlang, hält vor dem Laden und schiebt es in den Hof. Es geht auf 4 Uhr zu, die meisten Leute haben jetzt Feierabend, und die Schlange der Kunden wird länger und länger und länger. Andy und Tom freuen sich, endlich Verstärkung zu bekommen.Heute besser nicht, denkt Joe, als er an Training und die Streifen des AAC denkt. Morgen wird er arbeiten müssen, da kann er diese Nacht nicht wieder bis um 4 durchsumpfen. Am Wochenende steht kein Rennen an, und es ist besser, in den nächsten Tagen nicht mehr den Rächer zu spielen. Also geht er nach der Arbeit unter die Dusche, für 8 hatte sich Kim angesagt, sie wollten gemeinsam zu Abend essen - und die Nacht bei ihm verbringen.Es klingelt an der Tür, sie kommt schwer bepackt nach oben."Hallo, Kim, wie war der Tag?“ „Hart aber sinnlos. Ich hab' nichts 'rausgefunden.“ „Hä?“ „Ich hab' die meisten von den Typen interviewt, die der BIKE MAN in den letzten Wochen zusammengeschlagen hat. Und die konnten mir kaum 'was über den erzählen.“ „Schade."Innerlich lächelt Joe..."Aber die hatten alle ziemlich viel Respekt vor dem. Ich hatte gedacht, daß die ihn am liebsten abknallen würden. War aber nix. Die haben Angst vor ihm."Ist ja toll, den Typen hab' ich aber Respekt beigebracht, denkt Joe. Er läßt sich seine Gedanken nicht anmerken."Ich hab' die Typen zwar gefragt, wie der BIKE MAN aussieht, aber die haben mir so viele unterschiedliche Antworten gegeben, daß ich überhaupt nicht mehr weiß, was das für'n Typ sein soll. Und ob das überhaupt ein Mann ist."Na, um so besser, denkt Joe, dann wird sie mich vielleicht endlich nicht mehr in Verdacht ziehen. Er erfährt, daß die Polizei auch kein genaues Bild vom BIKE MAN 78
hat, so daß sie sich nicht auf die Suche nach ihm machen können. Warum das Ganze? Beide vermuten, daß die Männer, die zum Teil ja selbst sehr gute Nahkämpfer sind, einfach den BIKE MAN als Supermann darstellen, weil sie sich die eigene Niederlage nicht eingestehen können.Später, als das Essen verdaut ist und sie einige Liebesspielchen auf Joes Schlafcouch ausprobiert haben, als Kim in seinem Arm eingeschlafen ist, fühlt sich Joe recht sicher, man scheint ihn nicht mehr im Verdacht zu haben. Und der Gedanke macht ihm Spaß, daß er vor Kim das wahre Geheimnis seiner Existenz verbergen muß. Nein, wie kann das Leben doch spannend sein!
III.Gestern Abend haben sie gewütet. Joe setzt sich hinter den Schreibtisch im Büro, schlägt die Zeitung auf. Gleich auf der ersten Seite ist ein Artikel über die Streifen, die den BIKE MAN fangen sollten. Als ob sie die Polizei seien, hatten sie alle Radfahrer, die ihnen verdächtig erschienen, angehalten, auch Frauen, die niemand verdächtigen würde, als BIKE MAN nachts zu patrouillieren. Hatten sie von der Straße abgedrängt, das sind doch alles nur Kriminelle und Asoziale, verletzt, mit Waffen bedroht und ihnen die Papiere abgenommen, hatten harmlose Radfahrer zusammengeschlagen, die sich über ihre Verletzungen beschwert hatten. Die Streifen waren mit einer Brutalität vorgegangen, wie es kein Mensch erwartet hatte, aber Erfolg hatten sie keinen - den BIKE MAN haben sie nicht gefunden.Das darf doch nicht wahr sein, denkt Joe, die Polizei tut nichts, wenn so eine Streife eine Radfahrerin neben ihr zu Sturz bringt, die sehen einfach zu, und drücken der verletzten Frau hinterher auch noch eine Anzeige aufs Auge, weil sie auf der Straße liegt. Wo bleibt denn da der Rechtsstaat? Nein, so kann und darf das nicht weitergehen. Es hat gar keinen Sinn, heute Nacht muß er wieder raus.Der Laden wird aufgemacht, ein Bike steht schon vor der Tür, beschädigt, ebenso der Besitzer. Joe fragt ihn, was er gemacht habe."Ich bin über den Ring gefahren, wollte zu mir nach Hause. Bin über den Radweg gefahren. Und dann hat mich an einer Kreuzung ein Auto verfolgt, der Typ ist auf den Radweg gefahren und hat mich gerammt.“ „So ein Arsch.“ „Das war so'n Typ vom AAC. Bei dem bin ich auch Mitglied, aber nicht mehr lange. Der hat mich angemacht, ich soll das Maul halten, und wollte meine Papiere haben.“ „Hast Du sie ihm gegeben?“ „Er hat sie sich genommen, der Typ hat mir 'ne kräftige Ohrfeige gegeben, ich war halb ohnmächtig.“ „Was war das für'n Typ?“ „Irgend so ein Bodybuilder, und der Fahrer von dem Wagen war auch so einer. Die Typen von AAC sind alle so welche.“ „Das darf doch echt nicht war sein. Ich hab's gerade in der Zeitung gelesen, die benehmen sich hier wie im Wilden Westen.“ „Und die sollte der BIKE MAN 'mal ordentlich zusammenwichsen. Ich war schon bei der Polizei, hab' Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, aber die haben mir gesagt, daß hätte gar keinen Zweck.“ „Das ist unser Rechtsstaat?“ „Ja. Hoffentlich kriegen die Typen eins auf die Fresse.“ „Na, mal sehen. Vielleicht hören wir Montag morgen 79
vom BIKE MAN in der Zeitung.“ „Das wär' schön."Im Verlauf des Vormittags kommen noch zwei andere Biker in den Laden, die von Streifen des AAC kontrolliert worden sind. Und Kontrolle durch den AAC, das bedeutet, erst anfahren und zusammenschlagen, dann fragen. So kann das nicht weitergehen, denkt Joe, die wollen mich, und alle anderen müssen darunter leiden. Nein, die wollen den Kampf, ich hab' die Verantwortung dafür, und heute Abend werden sie kein leichtes Spiel haben.Der Tag vergeht, wegen der angefahrenen Räder steht Joe bis um 6 in der Werkstatt, fühlt sich für die Schäden verantwortlich, und packt seine Sachen zusammen. Kim hat angerufen, ist zu einem Seminar in die Eifel gefahren, hat Sehnsucht nach ihm. Hoffentlich sehen wir uns wieder, denkt er, als er auflegt. 50 km trainieren, aber ihm fällt nichts auf, die Streifen scheinen noch nicht unterwegs zu sein. Also ist er um 8 zu Hause, geht Duschen und checkt seine Ausrüstung.Heute bist du dran, sagt er sich im Inneren, heute mußt du verdammt gut aufpassen. Kein Sprit, bleib nüchtern. Er klemmt sich Speichen an den Oberarm, übt die Bewegung aus dem Handgelenk und nagelt eine Motte an der Wand fest. Du bist in Übung, du kannst es. Aber das allein reicht nicht aus. Was machst du, wenn sie im Auto sitzen? Aus seiner Ersatzteilkiste nimmt er sich die Ritzel, die er Anfang der Woche mitgenommen hatte, und macht die gleiche Übung, wirft sie aus dem Handgelenk und donnert sie in die vier Ecken eines Posters. Ja, die haben eine gute Durchschlagskraft, sagt er sich, die gehen auch durch eine Scheibe! Vielleicht wäre das eine gute Arbeit für die Wissenschaft, die Flugeigenschaften eines Steckritzels zu erforschen... Er nimmt sich Bindfäden und befestigt sechs Ritzel einzeln an der Schnalle des Gürtels, der seine Lederjacke zusammenhält. Die schwarze Maske in die Tasche, damit sie ihn nicht erkennen, und ab auf die Straße.Es ist 10, Samstag Abend, eine Menge Macker auf der Straße. Ein tiefergelegter alter Golf Diesel dröhnt vorbei, den Ring rauf und runter. Der Fahrer scheint kein Geld für einen Auspuff zu haben, dröhnt wild durch die Stadt. Joe sieht sich um, fährt langsam, immer darauf achtend, ob ihm eine Streife über den Weg fährt, aber die lassen sich wie durch ein Wunder nicht blicken. Polizeiwagen interessieren sich nicht für ihn, aber wo bleiben die selbsternannten Sheriffs? Keiner läßt sich blicken.An einer Ampel fährt Joe über die Straße, donnert kurzerhand zum Friesenplatz, warum ist er eigentlich hier? Er sieht sich um, ein Benz überholt und ordnet sich hinter ihm ein, mit 100 Meter Abstand. Als er nach vorne blickt, entdeckt er eine errötende Ampel. Sind sie das? Die Straße ist frei, kein Querverkehr, du kannst es wagen. Der Benz hält auf ihn zu, zwei breitschultrige Männer auf den Vordersitzen, jetzt forderst du sie heraus. Joe tritt an, donnert ins belgische Viertel, die Ampel zeigt immer noch Rot. Aber das macht nichts, der Fahrer des Mercedes gibt Vollgas und verfolgt Joe, fährt über das Rotlicht. Aha, das sind sie also. Auch er gibt Gas, fliegt über die Brüsseler und schießt in eine Seitenstraße. Das sehen die Männer noch, sie 80
fahren ebenfalls hinein, aber dann stehen sie vor einer leeren Straße. So schnell war er nicht, er muß hier sein!Es sind zwei Bodybuilder, denkt Joe, als er die Männer aussteigen sieht, er hat sich zwischen zwei parkende Autos gehockt. Sie sehen sich um, irgendwo muß er doch sein, suchen auf dem Bürgersteig und in den Vorgärten. Einer von beiden nähert sich Joe, beugt sich über einen geschmiedeten Zaun, da ist er aber nicht. Plötzlich tippt ihm jemand auf die Schulter, der breitschultrige Mann sieht sich um, Joe grüßt mit dem Finger an der Schläfe, betont cool, hat die schwarze Maske über den Kopf gezogen. Der Mann sieht ihn erstaunt an, hat ihn nicht kommen hören. Er will in die Jacke greifen, doch da hämmert ihm Joe auf die Hand, bricht sie ihm. Packt ihn an der Schulter und wirft ihn zwischen den parkenden Autos hindurch auf die Straße. Das merkt der Andere, der zieht seine Waffe und geht ebenfalls auf die Straße.Joes erstes Opfer ist ohnmächtig, er selber hat sich hinter ein Auto geduckt. Der zweite Mann brüllt durch die Straße, er solle sich zeigen. Ich bin doch nicht verrückt, denkt Joe. Ein Fenster geht auf, eine Frau fragt, was das Geschrei solle, und wird von dem Bodybuilder mit Fäkalwörtern eingedeckt. Die Ablenkung ist in Ordnung, der Mann steht mitten auf der Straße, ein gutes Ziel. Joe steht hinter ihm, ein Ritzel in der Hand."Hier bin ich."Blitzartig dreht sich der Mann um, richtet seine Waffe auf Joe, aber der wirft mit einer schnellen Bewegung seines Arms das Ritzel zu ihm hin und trifft den Unterarm. Die Pistole fällt zu Boden, der Mann zieht sich das Ritzel aus dem Fleisch, und bevor er sich zur Waffe bücken kann, springt Joe zu ihm hin und tritt ihm gegen die Schulter. Der Bodybuilder, deutlich massiger und schwerer als Joe, fliegt gegen den Benz, der 3 Meter hinter ihm steht, und bleibt für's Erste liegen. Schnell ist Joe bei ihm, dreht ihn auf den Bauch, durchsucht ihn nach weiteren Waffen, dabei den zweiten Mann nicht aus den Augen lassend. Er findet ein Paar Handschellen, legt sie ihm an, findet den Schlüssel und wirft ihn in den Gulli.Der erste Mann ist inzwischen aus der Ohnmacht erwacht, Joe geht auch zu ihm hin, als er sich regt und aufstehen will. Er will etwas sagen, aber Joe packt seinen rechten Arm, dreht ihn auf den Rücken und drückt ihn zu Boden."Jetzt hör 'mal zu, Mörder. Wenn ich noch einmal höre, daß Ihr Radfahrer plattmacht, dann bring ich Euch um. Hast du mich verstanden?“ „Was soll das?“ „Bist Du zu blöd, oder was ist los? Noch ein angefahrener Radfahrer, und ich bring' Euch um. Und den Wimmer auch. Sag ihm das. Und jetzt wiederhole, was ich Dir gesagt habe!“ „Wir werden Dich kriegen, Du verdammtes..."Es gibt ein dumpfes Geräusch, als Joe den Schädel des Mannes auf den Asphalt klopft."Noch einmal: Was hab' ich gesagt?“ „Du bringst uns um, wenn wir weitermachen. Und wir sollen keinen Radfahrer mehr anfahren.“ „Sehr schön, Du lernst ja doch. Und jetzt gute Nacht."Mit einem Ruck zerrt Joe den schweren Brocken hoch, schiebt ihn zum nächsten Schild und kettet ihn dort mit der Handschelle fest, nimmt ihm auch den Schlüssel ab und verbiegt ihn vor seinen Augen. Dann geht er zum Benz, der hat Funk, nimmt das Mikro 81
und drückt die Sprechtaste."Hallo, wer ist da?“ „Hier Zentrale, wer spricht da?“ „Hier ist der BIKE MAN. Halt's Maul und hör' zu, Macker. Ich habe gerade zwei Kollegen von Dir plattgemacht. Wenn Ihr morgen Abend so weitermacht, werd' ich Wimmer persönlich umbringen. Sag's ihm. Ich will seinen Kopf. Over and out."Der Mann hinter dem anderen Mikro will noch etwas sagen, aber das kann Joe nicht mehr hören, denn er reißt das Kabel aus. Geht um den Wagen herum, der Typ ist noch ohnmächtig, zieht den Schlüssel ab, blockiert das Lenkschloß und schließt den Wagen ab. Seelenruhig holt er sein Bike aus dem Vorgarten, in den er es geworfen hatte, und verläßt seelenruhig die Straße, als ein Auto einbiegt. Zieht an der nächsten Ecke die Maske aus und wirft den Schlüssel in einen Gulli.Wimmer ist wütend. Er steht hinter dem Mann, der die zentrale Funkkoordination leitet, und hat mitgehört, was Joe gesagt hat, hat mitbekommen, wie die Leitung unterbrochen wurde. Der will ihn also umbringen? Von wegen! Wir werden morgen noch mehr Streifen auf die Straße schicken! Wir werden den BIKE MAN fangen, tot oder lebendig!Unbehelligt fährt Joe weiter, kommt auf den Ring, als er sieht, wie ein Biker von einer anderen Streife gestellt wird. Wie gewohnt tritt er an, die sehen ihn von hinten nicht kommen, und ist schnell bei ihnen. Sie haben den Biker angefahren, aber nicht schwer verletzt, einer hat den armen Jungen am Kragen gepackt und will ihn gegen das Auto drücken. Das andere Bullengesicht steht dahinter und sieht sich das Geschehen an.Joe springt, das Bullengesicht sieht ihn, und Joe trifft ihn mit dem Vorderrad voll in die Brust, der Bulle geht zu Boden. Der zweite läßt erschrocken vom Biker ab, Joe bremst und steigt vom Rad ab, läßt es sanft zu Boden fallen und läuft auf den zweiten Mann zu, der sich zum Auto bewegt. Pech für ihn, er hat nicht auf die Straße gesehen, und wird von einem Sportwagen erfaßt, durch die Luft geschleudert, und landet mitten auf der Straße. Der Fahrer des Sportwagens steigt aus, geht zu dem Schläger hin, brüllt ihn an, und will ihn am Kragen packen.Der BIKE MAN interessiert nicht mehr, der Bulle hat seine Benommenheit nach Joes Attacke überwunden und sieht, was der Fahrer mit seinem Kollegen machen will, geht schwankend zu ihm hin und will ihn zur Rede stellen. Eine Schlägerei mitten auf der Straße entbrennt, eine Polizeistreife nähert sich, und Joe bedeutet dem jungen Biker, so schnell als möglich zu verschwinden. Er selbst nimmt sein Bike auf und biegt in eine Seitenstraße ein.Das war ein harter Abend, denkt Joe, als er wieder zu Hause ist, und was werden sie morgen Abend tun? Die Männer, die Streife fahren, sind äußerst gewalttätig und kriminell, aber von denen, die heute mitgefahren sind, werden mindestens zwei aufgrund ihrer Verletzungen nicht mehr dabeisein. Was ist mit den anderen? Werden sie seine Warnung beherzigen, oder werden sie morgen weitermachen?
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Dr. Peter Wimmer schäumt vor Wut. Innerlich. Jetzt gerade in diesem Moment steht er vor dem Polizeipräsidenten und muß sich anhören, daß er selbst in den Knast wandern wird, wenn er weiter Streifen ausschickt, den BIKE MAN zu fangen, und diese Männer alles zusammenschlagen, was sich auf zwei Rädern fortbewegt. "So geht das nicht, Herr Wimmer! Sie reden im Fernsehen davon, daß der BIKE MAN keine Selbstjustiz üben dürfe, und Ihre Leute schlagen in Köln alle Radfahrer zusammen. So kann das nicht weitergehen.“ „Wir wenden doch gar keine Gewalt an. Diese Radfahrer machen unsere Streifen an, und...“ „Lügen Sie mich nicht an, Wimmer! Ich habe hier einen ganzen Packen von Anzeigen, die Radfahrer gegen Ihre Streifen erlassen haben, weil sie von ihren Männern geschlagen und getreten worden sind.“ „Das sind doch alles Lügen. Meine Leute...“ „Verkaufen Sie mich nicht für dumm, Wimmer. Ich mache es kurz: Sie alleine, Dr. Peter Wimmer, sind für die Gewalttätigkeiten verantwortlich. Sie alleine werden die Konsequenzen tragen. Wenn ich auch nur noch einen Fall hören sollte, daß eine ihrer Streifen gewalttätig geworden ist, stecke ich Sie in den Knast, Wimmer. Sie pfeifen unverzüglich ihre Leute zurück, oder Sie sitzen heute Abend im Knast. Und jetzt 'raus hier!"Recht unfreundlich wird der Vorsitzende des AAC aus dem Büro des Polizeipräsidenten herauskomplimentiert, steigt in den Aufzug und in seinen Benz, der im absoluten Halteverbot vor dem Gebäude wartet. Das war deutlich - er greift zum Hörer seines Autotelefons und setzt alle Hebel in Bewegung, daß es heute Abend keine Streifen mehr geben wird.Und was war gestern Abend noch passiert? Der junge Biker, dem Joe das Leben gerettet hatte, ließ nichts mehr von sich hören. Die beiden Männer, die er mit Handschellen gefesselt hatte, wurden Stunden später von der Polizei mit Bolzenschneidern aus ihrer mißlichen Lage befreit. Diese Arbeit machte den Polizisten sichtlich Spaß, sie hatten einen gesunden Haß auf die Schläger entwickelt, die den BIKE MAN fangen sollten. Auch das andere Pärchen hatte schlimme Folgen ihres Handelns zu erwarten - der Mann, der vor Joe auf die Straße gelaufen war, mußte schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden und wird für Monate aus dem Verkehr gezogen sein, der andere hatte sich mit dem Fahrer des Sportwagens, einem Zahnarzt, eine Schlägerei geliefert und sitzt wegen schwerer Körperverletzung in Untersuchungshaft. Und auf den AAC kommt eine deftige Schadenersatzforderung zu, denn der Zahnarzt wird wegen seiner Verletzungen wochenlang nicht praktizieren können.Schließlich - der AAC, allen voran Dr. Peter Wimmer, ist wegen seiner Praktiken in die Schußlinie geraten. Es sei ein Unding, Schläger nachts auf die Straße zu schicken, die unschuldige Radfahrer zusammenschlagen, heißt es an diesem Montag morgen in der Presse. Aber damit nicht genug: Ein Sender fragt Mitglieder des AAC, was sie von der Praxis halten, den BIKE MAN fangen zu wollen, und das Votum der Mitglieder ist eindeutig, die meisten wollen noch in dieser Woche aus dem Verein austreten. Nur einer der Hörer, die im Sender anrufen, 83
verurteilt die Radfahrer, und polemisiert wild gegen alle Umweltschützer, die den Autofahrern die Rechte beschneiden wollen. Er leugnet beharrlich jeden nachgewiesenen Umweltschaden, die tödlichen Unfälle des Jahres und verherrlicht das Auto als einziges Verkehrsmittel der Zukunft. Was er von Beruf sei? Lokalpolitiker in Köln, warum die Frage?Ach so, denkt Joe, das war ja klar. An diesem Montag ist der BIKE MAN natürlich Gesprächsthema Nummer 1, wer hätte es anders erwartet. Einige Biker melden sich im Laden, die gestern von Streifen des AAC angemacht worden sind, und deren Bikes beschädigt sind. Es sind gegenüber Samstag allerdings bereits deutlich weniger geworden. Am Abend schließt sich Joe mit Kollegen anderer Läden kurz, und man kommt überein, die durch den AAC verursachten Schäden zu sammeln und gegen den Verein auf Übernahme der Kosten zu klagen. Ein Jurist aus der Bundeszentrale des AFC wird eingeschaltet, man wird den AAC mit den gleichen Mitteln schlagen, die der Verein sonst anwendet, den Spieß umdrehen.Als Joe den Hörer aus der Hand legt, geht das Telefon, und ein Vertreter des AFC, ist am Telefon. Joe gibt ihm den Stand der Dinge durch, und sie werden morgen mit der Klage gegen den AAC an die Presse gehen, um das Ganze publik zu machen. Alles, was wir gemeinsam gegen den AAC und besonders gegen Wimmer tun können, ist richtig, so kommen sie überein.Gerade will Joe gehen, als Andy den Hörer abnimmt und Joe zurückruft, der schon in der Tür ist."Das ist für Dich.“ „Wer denn?“ „Kim.“ „Oh."Joe nimmt sich den Hörer."Hallo Schatz, wie geht's?“ „Ganz gut, und Dir?“ „Hab' verdammt viel Arbeit, und Du doch sicher auch, oder?“ „Das ist der Grund, warum ich Dich anrufe. Was ist mit den Streifen vom AAC, haben die viele Biker plattgemacht?“ „Ja.“ „Ich war bei der Polizei, ich hab' die gefragt, wie groß die Schäden durch die Streifen seien. Und die meinten, ich sollte mich an einen Händler wenden. Da hab' ich natürlich sofort an Dich gedacht.“ „Das ist schön, daß Du an mich denkst. Hör mal, Kleines, ich muß zum Training. Sollen wir uns nachher treffen? Ich hab' die ganzen anderen Läden und den AFC angerufen. Ich kann Dir ziemlich genau sagen, was in der letzten Nacht an Schäden entstanden ist.“ „He, Du bist gut. Wann, wo?“ „Öh, ja, willst Du um 9 bei mir sein?“ „Gerne. Also, bis gleich!"Er legt auf, bei ihm ist sie in der Tat an der richtigen Adresse. Und Joe ist zwar nach dem Erfolg gegen die Streifen des AAC gut aufgelegt und läßt beim Training nicht mehr so die Sau 'raus wie in den beiden Wochen zuvor, aber er hat sich wieder in die Bewegungsabläufe eingearbeitet und macht heute Abend aus Freude alle anderen Kampfsportler platt, die mit ihm trainieren.Nein, sie werden mich nicht schnappen!In der Pizzeria direkt in der Nähe des Fahrradladens holen sie sich zwei Pizzen und einen Salat, die sie mit zu Joe nehmen und dort genüßlich essen. Das heißt, Joe ißt Kims zweite Hälfte und leert die Salatschüssel, sie hat nicht soviel Hunger wie er."Was hast Du herausgefunden?“ „Gar nichts. Bis auf die Tatsache, daß der BIKE MAN gestern zwei Streifen vom AAC zusammengewichst 84
hat.“ „Aha. Ja, davon hab' ich heute auch gehört.“ „Und wieviel Biker haben sie angefahren?“ „Wir haben heute drei Leute in Laden gehabt, ich hab' vier andere Läden angerufen, und die haben noch einmal 10 oder 11 Fälle, bei denen die Streifen zugeschlagen haben.“ „Also 14 oder 15 Biker.“ „Die haben sich gemeldet. Es können noch weit mehr sein.“ „Wieviel schätzt Du?“ „Keine Ahnung. Weiß ich nicht. Was haben die Bullen gesagt?“ „Die haben bis heute Abend 20 Anzeigen erhalten.“ „Gut. Das heißt also, daß sich nicht alle angefahrenen Biker bei den Läden gemeldet haben.“ „Warum nicht? Wenn ein Auto beschädigt ist, dann...“ „Weißt Du, es gibt viele Biker, die sich ihre Kisten selbst zusammenbauen, und die sie auch selbst reparieren. Das ist anders als beim Auto.“ „Ach so. Und Du meinst, daß die eine Anzeige machen, dann aber die Reparatur selbst vornehmen?“ „Nehm' ich an. Denn die Leute, die Abends in der Stadt mit den teuren Teilen 'rumfahren, sind in der Regel mit mehr Interesse bei der Sache als andere. Jedenfalls die, die nicht nur an der Rheinpromenade langfahren, um ihre Bikes zu zeigen, aber damit überhaupt nicht fahren können.“ „Gut. Naja, dann werde ich morgen noch 'mal direkt bei dem AFC nachfragen. Du hast vorhin gesagt, die sammeln die Anzeigen?“ „Die sammeln die Fälle, bei denen Radfahrer vom AAC angemacht worden sind. Da bist Du im Moment am besten aufgehoben, was Infos angeht."Er kaut auf einem Stück Pizza herum, spricht mit halbvollem Mund."Warst Du beim AAC? Hast Du die direkt 'mal angesprochen?“ „Ja. Aber die lehnen jede Stellungnahme kategorisch ab.“ „Das hatte ich erwartet. Die überlegen sich wohl noch, was sie jetzt machen sollen.“ „Und was denkst Du Dir dazu?“ „Das die weitermachen werden, aber vorsichtiger als bisher. Wimmer kann sich die Provokation durch den BIKE MAN nicht gefallen lassen, der hat zum Kampf geblasen, und jetzt kann er nicht mehr zurück.“ „Warum?“ „Weil zu viele Leute schon aus dem AAC ausgetreten sind, und wenn der die ganzen überzeugten Autofahrer halten will, muß er den BIKE MAN fangen. Sonst laufen ihm die auch noch davon.“ „Bist Du dir sicher? Was bringt dich auf den Gedanken?“ „Ich hab' die letzten Interviews mit dem Mann gehört, und ich hab' vom AFC die Information, daß der AAC vorsichtiger weitermachen will.“ „Das heißt also, daß die Streifen weitergehen werden?“ „Wahrscheinlich. Aber nicht mehr so brutal, das können die sich jetzt nicht mehr leisten.“ „Und was sagt die Polizei dazu?“ „Keine Ahnung, da fragst Du sie am besten selber.“ „Da war ich heute schon. Aber die wollen keine Stellungnahme dazu abgeben.“ „Ach ja?“ „Außer der, daß sie jede Art der Selbstjustiz auf der Straße nicht dulden können.“ „Also auch den BIKE MAN nicht?“ „Auch den nicht. Obwohl ich den Eindruck habe, daß sie insgeheim mit dem sympathisieren.“ „Vielleicht ist der ein Bulle.“ „Wie kommst Du darauf?" "Wenn die Bullen für den BIKE MAN Sympathie zeigen? Könnte doch sein.“ „Hm. Ich sollte da morgen 'mal nachfragen.“ „Tu das."Ende des Essens, Ende des Gesprächs über den BIKE MAN. Es gelingt Joe, geschickt falsche Spuren zu streuen, um von seinem Alter Ego abzulenken. Sie 85
räumen den Tisch ab, spülen ab und setzen sich später vor den Fernseher, um eine Sondersendung des lokalen Fernsehsenders über die Streifen des AAC zu sehen. Joe ist amüsiert über die Stellungnahme eines Sprechers des AAC, dem es nur mit Mühe gelingt, den Einsatz der Streifen zu verteidigen. Und zwischen den Zeilen ist herauszuhören, daß die Jagd auf den BIKE MAN weitergehen wird.
II.War das langweilig... In der letzten Nacht war Joe unterwegs, wollte den BIKE MAN spielen, aber - es war nichts los! Kein Biker, der zusammengeschlagen wurde, keine Streife, die ihm über den Radweg nachjagen wollte, kein Autofahrer, der ihm Vorfahrt und Leben nehmen wollte. Einzig eine Frau wurde im Grüngürtel von vier besoffenen, stinknormalen Männern belästigt, die wollten sie vergewaltigen. Joe würde die Männer bei einer Gegenüberstellung nicht wiedererkennen, sie sahen aus wie Millionen andere auch. Allein an ihren Verletzungen wäre das möglich; zwei von ihnen wollten gerade die Frau ins Gebüsch zerren, als Joe einem von ihnen in den Rücken sprang. Die anderen gingen auf ihn los, sollten das aber bitter bereuen, denn Joe ließ seine Füße kreisen und trat sie in kürzester Zeit bewußtlos. Die junge Frau zerrte er aus dem Gebüsch, packte sie unter den Arm und ließ sie erst an der nächsten Straße an einem Taxistand los. Sie solle einen Taxifahrer ansprechen und über Funk die Polizei rufen lassen, bleute er ihr ein, dann setzte er sich auf sein Bike und verschwand in der Dunkelheit.So stand es dann am nächsten Tag in der Zeitung. Anhand der Aussagen der Frau und der Verletzungen der Männer konnte eindeutig belegt werden, daß der BIKE MAN wieder zugeschlagen hatte. Nur hatte er sich diesmal nicht in den Verkehr gestürzt, sondern war einfach bei der Fahrt nach Hause am Tatort eines Verbrechens vorbeigekommen. Die Männer, Joe wußte nicht mehr, wie viele er in der letzten Nacht eigentlich zusammengetreten hatte, wurden zwar wieder auf freien Fuß gesetzt, aber wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt. Bis auf einen konnten sie alle gehen, der erste, dem Joe in den Rücken gesprungen war, hatte so schwere Rippenbrüche, daß er mit einem längeren Krankenhausaufenthalt zu rechnen hatte. Pech für ihn, seinen Job war er damit los.Das Gespräch mit Kim, ihre Vermutung und eine innere Stimme brachten Kommissar Frings auf die Idee, nachzuforschen, ob sich der BIKE MAN nicht unter den Kollegen befinden könnte. Die Ermittlungen seiner Sonderkommission waren in den letzten Tagen recht erfolglos geblieben, was spricht denn für diese Idee? Der BIKE MAN ist ein Sportler, sowohl ein Radsportler als auch ein exzellenter Kämpfer. Die Art und Weise, wie er zwei Tage zuvor den Männern des AAC die Handschellen angelegt hatte, deutete darauf hin, daß er Übung damit hat. Also, kann es ein Kollege sein?In einem ersten Schritt wurden an diesem Mittwoch sämtliche Polizisten in Köln überprüft, die irgendwann einmal radsportliche Ambitionen gezeigt hatten. Das war aber ein Schlag ins Leere - 15 Kollegen lud man vor, und sie 86
alle hatten zu mindestens einem der Anschläge des BIKE MAN ein Alibi, waren in Urlaub oder nachgewiesenermaßen im Dienst, sie konnten es nicht sein.Frings raufte sich die lichter werdenden Haare. Seit einer Woche war er jetzt mit den Ermittlungen zum Thema BIKE MAN beauftragt, und sie wußten noch nicht einmal, ob es bei der betreffenden Person überhaupt um einen Mann oder eine Frau handelt. "Die Polizei tappt vollkommen im Dunkeln", hieß es in der Presse am Mittwoch, denn selbst nach der versuchten Vergewaltigung, mit fünf Zeugen, hatten sie nichts vorzuweisen.Was jetzt? Als zweites ließ Frings, dessen Sonderkommission auf 5 Männer und Frauen aufgestockt worden war, alle Polizisten überprüfen, die sich durch gute oder sehr gute Fähigkeiten als Nahkämpfer ausgezeichnet hatten. Aber auch hier - keiner von diesen Kollegen war der BIKE MAN, alle hatten Alibis zu verschiedenen Terminen, da der BIKE MAN aktiv gewesen war oder paßten nicht in das Schema der Personenbeschreibung. Wieder ein Fehlschlag.Ich sollte den ganzen Kram hinschmeißen, denkt Frings, abends um 5 Uhr, als er über den Berichten der Kollegen sitzt, die Mißerfolge durchliest. Ich sollte... Ein Geistesblitz durchzuckt ihn:Und wenn er gar nicht mehr im Dienst ist?Keine 5 Minuten später läßt eine seiner Kolleginnen die Namen aller ehemaligen Polizisten in Köln ausdrucken, die sich durch besondere sportliche Aktivitäten auszeichnen und die jünger sind als 40 Jahre. Mit Interesse geht er die Liste durch, sieht ganz gut aus, 15 Namen. Bei einem von ihnen stockt er:Johannes Radmann, 31 Jahre.Zuletzt ausgeübte Beschäftigung: Einsatz im SEK.Besondere Qualifikationen: Nahkampfausbilder beim BGS.Derzeit ausgeübte Beschäftigung: Fahrradmechaniker.Kommissar Frings fällt es wie Schuppen aus den Haaren. Kampfsportler, Fahrradmechaniker - das ist die perfekte Qualifikation für den BIKE MAN! Radmann... Den Namen habe ich doch letztens irgendwo gelesen... Und es fällt ihm ein bei dem Radrennen vorige Woche! Radsportler ist der Mann auch noch! Also ruft er im Archiv einer der Stadtzeitungen an, läßt sich den Artikel über das Rennen vorlesen, tatsächlich, es handelt sich um denselben Mann. Schließlich bekommt er nach einem weiteren Anruf Joes Adresse und die seines Ladens genannt, dann setzt er sich ins Auto und fährt zum Laden.Es ist gerade halb 7 durch, die Rolladen sind unten, aber heute war ohnehin zu. Also sucht er die Klingel, nimmt an, daß es sich dabei um die Klingel ohne Namensschild handelt, doch da meldet sich keiner. So ein Mist! In seiner Wohnung wenige Meter weiter ist er auch nicht. Ein Passant macht Frings darauf aufmerksam, daß die Straße weiter aufwärts in der Werkstatt noch jemand sei. Gut, versuchen wir es da.Eine Minute später klopft Frings gegen die Tür, Andy sieht und hört ihn, reibt sich mit einem Lappen die fettverschmierten Hände ab und geht zur Tür."Wir haben geschlossen. Und hier ist nur die Werkstatt.“ „Ist Herr Radmann hier?“ „Nein. Warum suchen Sie ihn?" "Ich hätte ihm gern ein paar Fragen gestellt."Andy bekommt sie Polizeimarke zu sehen, ist zuerst erstaunt, liest dann aber genauer, wen er vor sich 87
hat."Aha, Kommissar Frings. Worum handelt es sich?“ „Um den BIKE MAN. Ich ermittle in der Sache.“ „Da sind Sie bei uns an der richtigen Adresse. Wir hören dauernd von den Kunden, denen er das Leben gerettet hat.“ „Wissen Sie denn, wer das sein könnte?“ „Nein, genauso wenig wie Sie. Oder haben Sie eine neue Spur?“ „Vielleicht. Aber was ist mit Herrn Radmann, der arbeitet doch hier?“ „Der trainiert gerade. Sie können ihn irgendwo zwischen Neuss und Pulheim finden.“ „Das ist mir zu weit weg. Können Sie ihm ausrichten, daß er sich bitte morgen Vormittag in meinem Büro einfinden soll?“ „Muß das sein? Wir brauchen morgen jede Arbeitskraft, da können wir ihn nicht entbehren.“ „Wann machen Sie denn auf? Ich habe gelesen, um 10 Uhr?“ „Ja.“ „Geht es um 9 Uhr?“ „Ich werd's ihm ausrichten. Und was ist, wenn er nicht kommt?“ „Dann werde ich ihn vorladen müssen. Und das heißt, morgen zur besten Zeit kommen zwei Kollegen in Uniform in den Laden und werden ihn abholen.“ „Ich geb's weiter."Kommissar Frings schreibt die Nummer seines Büros auf einen Zettel und geht, Andy schließt die Tür hinter ihm. Joe soll der BIKE MAN sein? Warum eigentlich nicht, das hatten wir uns immer schon gedacht. Aber das hatten wir auch genauso wieder verworfen, weil er zu Hause war, wenn sich Anschläge ereignet hatten.Oder doch nicht?Gerade als der Polizist 5 Minuten gefahren ist, kommt Joe mit einer Sporttasche unter dem Arm vorbei, auf dem Weg zum Training. Er hat zwar gerade 50 km hinter sich gebracht und sich gewaschen, aber jetzt stehen noch 2 Stunden Taek Wan Do bevor, nur so zum Spaß. Andy reißt die Tür auf und ruft Joe zur Werkstatt. Mit betroffener Miene erfährt er davon, daß er morgen um 9 bei den ehemaligen Kollegen antanzen soll.Haben sie mich?Nur nicht nervös werden. Beim Training ist er heute sehr wild, er hat Ärger, großen Ärger. Seinen Partnern fällt das auf, aber er sagt nicht, worum es geht. Nach dem Training, da ist er sehr schnell verschwunden. Was machst du dir eigentlich für Sorgen? Du kennst den Apparat bei der Polizei, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und das letzte Wort in dieser Sache ist lange noch nicht gesprochen.Der erste Griff gilt dem Telefon. Kim ist erst nach dem zehnten Klingeln am Hörer, denn sie stand gerade unter der Dusche. Ob sie ihm für den Termin vor einer Woche, als der dicke Unfall an der Aachener Straße war, ein Alibi geben kann? Ja, sie kommt morgen mit. Also, ich komm' mit dem Auto, hole sich um 8 ab, ich bringe Brötchen mit. Tschüß, mein Liebes.Für den zweiten Anruf muß Joe im Telefonbuch blättern. Nach kurzer Suche hat er Leo Drösel gefunden, seinen ehemaligen Kollegen aus dem SEK. Er war bei dem fehlgeschlagenen Einsatz nicht dabei, hat nach Ablauf der Dienstzeit die Polizeischule besucht und sitzt jetzt als Kommissar im gleichen Gebäude wie Frings."Drösel?“ „Hallo Leo, hier Joe Radmann. Kommt die Erinnerung?“ „He, Du Chaot, was machst du? Wie geht's dir?“ „Nicht besonders. Kennst Du einen Kommissar Frings?“ „Ja. Ziemlich in Ordnung, der Typ. Leitet gerade die Ermittlungen zum..." Plötzlich Stille. Leo atmet tief durch und redet jetzt bedeutend lauter als er vorhin gesprochen 88
hatte:"He, bist Du der BIKE MAN?“ „Nein, natürlich nicht. Aber ich soll morgen Vormittag bei Frings sein.“ „Hat er Dich im Verdacht?“ „Keine Ahnung. Deswegen rufe ich Dich ja an.“ „Hm. Kann ich nix zu sagen. Wann bist Du da?“ „9, Viertel nach 9.“ „Komm erst bei mir vorbei. Wir gehen zusammen hin.“ „Gut, dann sind wir zu dritt.“ „Wer ist denn noch dabei?“ „Die Journalistin, die den BIKE MAN finden soll. Meine Freundin.“ „Jetzt mal ehrlich, Joe. Bist Du das? Es deutet alles darauf hin.“ „Und auch wenn alle denken, daß es so ist: Ich bin nicht der BIKE MAN.“ „Ach? Also, bis morgen früh. Und schlaf' Dich gut aus.“ „Wie ist der Frings?“ „Der ist in Ordnung. Mach' Dir darum keine Sorgen."Beide Männer verabschieden sich voneinander. Für Kommissar Frings kann es morgen eine Überraschung geben. Wenn das nur alles gut geht... Joe schläft in dieser Nacht schlecht.
III.Schwierig, bei ihr einen Parkplatz zu finden, denkt Joe, als er mit dem Bus des Radladens rund um den Block kreist, in dem Kim wohnt. Endlich, nach schier endloser Suche findet er eine Parklücke, nach Augenmaß einen halben Meter länger als der Bus. Der Golf, der bisher darin geparkt hat, hat Schwierigkeiten, herauszukommen, schafft es erst nach dem vierten Zurücksetzen. Joe zieht vor und setzt in einem Zug rückwärts hinein. Er kennt die Abmessungen des Busses, und wozu hat er das beim BGS bis zum Erbrechen üben müssen?Kim ist überrascht, Joe heute mit dem Auto anzutreffen, er ist ja sonst immer mit dem Bike unterwegs. Er muß nach dem Besuch bei der Polizei noch einen Einkauf für den Laden erledigen, deshalb hat er den Bus genommen, wenn er ohnehin schon in die Kölner City muß. Brötchen hat er mitgebracht, Kim hat Kaffee aufgeschüttet, aber der rechte Appetit will sich nicht einstellen. Sie stellen die Teller und Tassen in die Spüle, steigen in den Bus und kurven durch den Stau zur Kripo.Beide schlucken vor Nervosität, als sie das Gebäude betreten. Auch wenn das für Kim und Joe eigentlich Routine sein sollte, so stellt sich jetzt das unangenehme Gefühl ein, daß man das Gebäude anders verlassen könnte, als man hineingekommen ist - und sei es in Handschellen.Sie sollten eigentlich direkt das Büro von Kommissar Frings aufsuchen, aber Joe läßt Kommissar Drösel anrufen, damit der sich ebenfalls dort einfindet. Der wird schnell kommen, nach dem Büro von Frings brauchen sie nicht zu fragen, Kim kennt den Weg, ist ihn in den letzten Tagen oft genug gegangen. Sie stehen vor der Tür, Joe klopft an, tritt ein, ohne das "Herein" abzuwarten."Johannes Radmann. Sind Sie Kommissar Frings?“ „Der bin ich. Kommen Sie herein, setzen Sie sich bitte."Kim kommt durch die Tür, sie kennt den Kommissar, der ist sichtlich überrascht, sie hier zu sehen."Was machen Sie denn hier?" "Ich bin die Freundin von Herrn Radmann.“ „Oh... Ja also, ich habe da ein paar Fragen an Sie, die ihre Vergangenheit betreffen. Aber, Herr Radmann, sollen wir das nicht unter Ausschluß der Presse machen? Wäre Ihnen das nicht lieber?“ „Nein. Das ist eine Sache der Öffentlichkeit, da können von mir aus noch mehr Journalisten dabei sein.“ „Nun gut, 89
also... Was ist denn jetzt schon wieder?"Es klopft an der Tür, gereizt ruft Frings "Herein", die Tür geht auf, Kim und Joe drehen sich um. Durch die Tür tritt ein Mann gleichen Alters wie Joe, ähnlich sportliche Figur, allerdings solider gekleidet. Joe springt auf, schüttelt Leo Drösel die Hand."Na, altes Haus, auch wieder im Laden?“ „Hab' Dich lange nicht gesehen, Leo. Und Du bist Bulle geworden?“ „Wie Du siehst."Kommissar Frings ist sichtlich verwirrt."Äh, also, ich hatte Dich nicht hier erwartet, Leo, was machst Du denn hier?“ „Ich war mit Joe zusammen beim BGS und nachher im SEK. Ich weiß nicht, was Du ihn heute fragen willst, aber dazu werde ich mit Sicherheit einiges beisteuern können.“ „Ja also, dann fangen wir am besten am Anfang an. Sie sind Radsportler, Herr Radmann?“ „Ja. Seit knapp 20 Jahren.“ „Und auch Nahkämpfer?“ „Seit 23 Jahren. Ich hab' einige Dans in Karate.“ „Wie lange waren Sie bei der Polizei?“ „Knappe zwei Jahre. Mein Lebenslauf steht in den Akten."Leo mischt sich ein."Wir sind zusammen beim BGS gewesen, waren Nahkampfausbilder und sind für zwei Jahre zu einem SEK gekommen, um da den gleichen Job zu machen.“ „Leo, ich frage Dich schon, wenn ich 'was von Dir hören will."Frings wendet sich wieder Joe zu."Und dann sind Sie nicht bei der Polizei geblieben?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ „Es hat einen Unfall gegeben, zwei Wochen vor Ablauf meiner normalen Dienstzeit. Das steht auch in den Akten, ich möchte darüber jetzt nicht reden.“ „Wieder die Frage: Warum nicht?“ „Möchten Sie gern über einen Vorfall erzählen, der passiert ist, weil Sie einen Fehler gemacht haben und bei dem es zwei Kollegen und Freunde von Ihnen vor Ihren Augen in Stücke gerissen hat? Möchten Sie das gerne tun? Ich versuche seit sechs Jahren, das Ganze zu vergessen. Und ich will nicht darüber reden.“ „Nun gut, also, dann kann ich das ja bestimmt nachlesen. Seit wann leben Sie in Köln?“ „Ich bin hier geboren und aufgewachsen.“ „Gut. Was ist mit Ihrer Tätigkeit als Nahkampfausbilder, haben Sie in den letzten Jahren Kampfsport betrieben?“ „Nur im Winter, ab und zu, um die Muskeln nicht einrosten zu lassen. Aber ich habe es nicht mehr in dem Maße gemacht wie in meiner Dienstzeit.“ „Aber Sie können noch Leute zusammenschlagen?“ „Das nehme ich an. Ich weiß es nicht, ich habe es nicht ausprobiert."Du bist doch ein Teufelskerl... Du sitzt dem Bullen gegenüber, der dich sucht, du lügst ihn an und zuckst nicht einmal mit der Wimper, denkt Joe."Ich habe gehört, Sie trainieren inzwischen wieder Karate und Taek Wan Do?“ „Ja."Ruckartig wendet Kim den Kopf zu Joe. Sie hatte gedacht, daß er nur Kraftsport macht; daß er wieder Kampfsport trainiert, ist neu für sie. Aber sie hält den Mund."Also könnten Sie auch auf die Straße gehen und eine Gruppe von Leuten zu Boden schlagen, die gleichzeitig auf Sie losgehen?“ „Das konnte ich zumindest vor 6 Jahren. Ob ich es jetzt noch kann, weiß ich nicht.“ „Sie haben vor vier Wochen bei einer Radsportveranstaltung einen Amokläufer niedergeschlagen und damit Schlimmeres verhindert. Also, Sie sind sich Ihrer Fähigkeiten bewußt, nehme ich an?“ „Ich bin mir in erster Linie 90
meiner Verantwortung bewußt, ich kann nicht jeden zusammenschlagen, dessen Gesicht mir nicht gefällt. Mein Gott, ich war Polizist, und ich habe 20 Jahre lang Zeit gehabt, mir meiner Verantwortung in dieser Sache bewußt zu werden. Wenn Sie jetzt auf die Veranstaltung vor vier Wochen eingehen, da hat es sich so ergeben, daß ich in der Nähe des Mannes stand und ihn entwaffnen konnte, genauso wie ich... wie wir das vor 10 Jahren gelernt haben.“ „Das war eine Aktion wie aus dem Bilderbuch. Ich hätte es wahrscheinlich genauso gemacht, wenn ich an Joes Stelle gewesen wäre.“ „Ist ja gut, Leo. Wo waren Sie am Montag, Herr Radmann?“ „Wann am Montag? Ich hab' an dem Tag gearbeitet und trainiert.“ „Um 10 Uhr abends.“ „Da war er zu Hause."Kim mischt sich ein."Ich habe Joe angerufen, direkt nachdem ich an dem Unfall auf der Aachener Straße vorbeigekommen war. Darauf spielen Sie doch an, Herr Frings, oder?“ „Ja.“ „Also, ich kam an dem Unfall vorbei, die Polizei kam gerade erst an, er war also vor kaum fünf Minuten passiert. Keine zehn Minuten später habe ich Joe angerufen, er war zu Hause. Und so schnell kann er auch mit dem Rad nicht von der Aachener aus nach Hause kommen."Wenn du wüßtest, Kim..."Sie können ihm also ein Alibi geben?“ „Ja. Ohne Zweifel.“ „Nun gut, dann bliebe zu prüfen übrig, wo Sie zu den anderen Terminen waren, als Autofahrer angefallen wurden. Wo waren Sie gestern Abend?“ „Da habe ich trainiert. Da war ich im Norden von Köln.“ „Nicht im Grüngürtel? Da sind gestern vier Männer von einem Radfahrer zusammengeschlagen worden, die eine Frau vergewaltigen wollten.“ „Herr Frings, Sie glauben doch nicht etwa den erfundenen Geschichten von betrunkenen Männern, die irgendwelche Phantasiegestalten erfinden, nur um davon abzulenken, daß sie bei einer Schlägerei nichts mehr auf die Reihe gekriegt haben? Ich habe während meiner Dienstzeit Dutzende solcher Fälle gehabt. Und ich hab's vor zwei Stunden in der Zeitung gelesen, die Typen waren besoffen und haben eine Schlägerei gehabt, jetzt glauben sie, das sei der BIKE MAN gewesen. Ich würde an ihrer Stelle die Aussagen der Männer noch mal überprüfen. Und wie man das macht, brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen."Das Blatt wendet sich. Joe hat die Führung des Gesprächs an sich gezogen, hat Stärke gezeigt und Kommissar Frings in die Knie gezwungen. Gerade jetzt in diesen Minuten zahlt sich seine Erfahrung bei der Polizei aus. Recht kleinlaut erhebt Kommissar Frings das Wort."Hm... Das heißt also, Sie zweifeln sämtliche Aussagen der Leute an, die mit dem BIKE MAN zu tun hatten?“ „Nicht alle. Aber man sollte trotzdem nachforschen, was die Typen da von sich gegeben haben. Und dann erst sehen, welche davon stichhaltig sind.“ „Ich sehe schon, Sie sind ein harter Brocken.“ „Sonst hätte ich es nicht vier Jahre im Dienst der Staates ausgehalten.“ „Leo, was sagst Du dazu?“ „Das gleiche wie Joe. Knöpf' Dir die Leute vor. Und such' Dir nur die 'raus, denen Du vertrauen kannst. Sonst nimmt Dich erst die Presse und dann der Richter auseinander.“ „Und die Presse sitzt hier."Kim sieht Frings an, der sagt gar nichts mehr, blickt 91
entgeistert zurück. Er hat eine Front gegen sich."Also gut, ich sehe ein, ich komme hier so nicht weiter. Aber trotzdem, Joe, ich behalte Sie im Auge. Ich werde Sie beschatten lassen.“ „Warum mich? Warum nicht den Wimmer? Vielleicht hat der mehr mit dem BIKE MAN zu tun, als er zugeben will.“ „Das glaube ich nicht. Das kann er sich nicht leisten, das hätte die Presse längst aufgedeckt. Oder wir selber.“ „Sie sollten ihn durchleuchten.“ „Was ich jetzt weiter mache, ist meine Sache. Ich beende damit die Vernehmung, und halten Sie sich bitte alle zur Verfügung. Alle!"Auch Leo ist angesprochen. Alle 3 gehen aus der Tür, unterhalten sich kurz über die Sache und gehen dann getrennte Wege. Joe bringt Kim in ihre Redaktion, sie will die Zeitungen der letzten Tage noch einmal durchgehen und später die Opfer zu erreichen versuchen; Joe fährt zu einem Fahrradhändler am Ring und kauft dort Speichen in Sondergröße und einige Komponenten ein.Als er zurück im Laden ist, fragt man ihn, wie das Verhör verlaufen sei. Nichts besonderes, meint er, und sie seien mit ihm auf der falschen Spur. Wenn das 'mal stimmt, meint Andy, aber Joe läßt sich davon nicht beirren. Er räumt die eingekauften Teile ein und bleibt bis zum Abend im Verkauf, der Alltag nimmt ihn gefangen.Es wird Abend. Seit der Mittagszeit steht ein Wagen an der Straße, zwischen Laden und Werkstatt. Ohne Zweifel, das ist ein Bulle, der Joe beschattet. Er hat es selber einige Male machen müssen, er kennt das Geschäft, einen Tag im Auto zu verbringen und sich Nächte um die Ohren zu schlagen, ohne das etwas passiert. Auch nach 7 Uhr steht der Mann noch da. Joe sieht aus dem Fenster, hat gerade geduscht und sieht ihn aussteigen, vor dem Haus eine Zigarette rauchen. Der muß sich seine Sporen erst noch verdienen, denkt Joe, der ist Anfang 20, ein Neuer. Mit dem könnte man spielen. Aber für solche Gedanken ist keine Zeit mehr, die Klingel geht. Das ist Kim.Sie kommt hoch, Joe gibt ihr einen langen Kuß zur Begrüßung und drückt sie in die Küche, wo sie sich das Abendessen kochen. Während sie das verzehren, erklärt Kim, was sie alles nicht über den BIKE MAN in Erfahrung bringen konnte. Die Polizei tappt im Dunkeln, der Einzige, den sie im Moment verdächtigen, ist Joe selber. Manchmal erscheint es ihm, als ob Kim Zweifel daran hegt, daß er es nicht sei.Es wird 9, als sie aus der Tür gehen, Richtung Ebertplatz, ins Kino. Sie machen den Weg heute zu Fuß, auf Joes Anregung hin. Das hat seinen Grund: Als sie an dem Polizeiwagen vorbeikommen, klopft er gegen das Fenster und sagt dem jungen Polizisten, wo sie hingehen, und daß er doch bitte auf Laden und Werkstatt aufpassen solle. Der Junge ist über soviel Coolness so erschrocken, daß er Joe nichts entgegnet. Später folgt er dem Pärchen, benutzt dazu das Auto, soll diese Entscheidung später aber bitter bereuen.Joe weiß, wie man einen Schatten abhängt, aber das ist gar nicht sein Ziel. Mit Kim geht er im Zickzack durch die verkehrsberuhigten Straßen des Agnesviertel, und der Bulle im Benz hinter ihnen steckt schließlich in einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit fest. Um den Anschluß nicht zu verlieren, steigt er aus, läßt den Wagen in 92
einer Hofeinfahrt stehen und folgt Kim und Joe zu Fuß.Pech für ihn, daß eine Anwohnerin auf den Wagen aufmerksam wird, als ein Junkie ihn aufbricht und das Radio stehlen will. Er hat mit seinem Brecheisen das Armaturenbrett schon halb zur Seite gedrückt, als er feststellt, in einem Polizeiwagen zu sitzen. Aufgeregt packt er seine Sachen und haut ab.Die durch den Lärm aufmerksam gewordene Anwohnerin ruft die Polizei, die wiederum eine Viertelstunde später einen Abschleppwagen gleich mitbringt. Der 190er wird auf den Haken genommen, die Tür verschlossen. Das Kennzeichen checken die beiden Wachtmeister erst durch, als der Abschleppwagen gefahren ist, und dabei bekommen sie einen Schreck - das ist ja ein Polizeiwagen!Der Abschlepper wird über Funk umdirigiert, fährt zur Kripo, bei der ein Beamter schon mit dem Schlüssel bereitsteht und den durch den Einbruch beschädigten Wagen in den Keller fährt. Wo aber ist der Kollege, der Joe beschatten sollte? Bis zum späten Abend fehlt von dem Mann jegliche Spur; er ist mit ins Kino gegangen, Blues Brothers, und hat Joe und Kim die ganze Zeit im Auge. Er kann ihnen ein perfektes Alibi geben. Was er nicht ahnt, ist, daß man ihn bereits sucht. Seine Schicht geht bis um Mitternacht, und als er eine Viertelstunde vorher zu seinem Auto geht, fährt er vor Schreck zusammen: Der Benz ist weg!Eilig sucht er eine Telefonzelle, ruft seinen Chef an, der ihn bereits als vermißt gemeldet hat, und wird von ihm zusammengeschissen. Wo er denn geblieben sei? Im Kino. Was die Zielperson macht? Der war ja die ganze Zeit im Kino. Und warum er den Wagen so hingestellt habe, daß man ihn habe abschleppen müssen? Das wird morgen noch ein Donnerwetter geben.Aber alles hat nichts genutzt. Denn Joe ist in dieser Nacht nicht aktiv. Um so mehr verwundert es Kommissar Frings, was er von einer Streife hört. Genau zu dem Zeitpunkt, da Jake und Elwood 106 Polizeiwagen verschrotten, stellt ein Biker, ganz in Schwarz gekleidet, einen Autofahrer, der gerade eine Radfahrerin ins Auto zerren will, die er Sekunden zuvor angefahren hatte, um sie zu vergewaltigen. Holt den Mann gewaltsam aus seinem Auto, und schlägt ihn nach allen Regeln der Kunst zusammen, als er von ihm mit einem Messer bedroht wird. Aber verdammt, wenn Joe im Kino sitzt, von dem Kollegen eindeutig identifiziert werden kann, wer ist dann der Mann, der heute Nacht sein Unwesen treibt?
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Kim blättert in der Zeitung. Joe hat sich den Lokalteil der Zeitung genommen, schluckt und bekommt einen Schreck, sein Brötchen fällt ihm aus der Hand."Was hast Du?“ „Ach, gar nichts.“ „Was steht denn da?“ „Der BIKE MAN war letzte Nacht wieder auf Achse.“ „Ja und?“ „Ich dachte eigentlich, der hat damit aufgehört.“ „Warum, wie kommst Du darauf?“ „Ach, wir haben vor zwei, drei Tagen zum letzten Mal was von dem gehört. Was so in den letzten Tagen los war, hatte nicht mehr damit zu tun, daß irgendwelche Autofahrer angemacht worden sind. Und die Streifen vom AAC fahren auch nicht mehr.“ „Was hat er denn gemacht?“ „Einem Autofahrer die Fresse poliert, der eine Frau vergewaltigen wollte.“ „Und das soll nicht mehr der BIKE MAN sein?“ „Ich weiß es nicht. Die Beschreibung stimmt.“ „Kennst Du den Typ? Verheimlichst du mir etwas?“ „Nein. Ich kenne keinen Mann, der nachts durch Köln reitet und Autofahrer plattmacht.“ „Schade. Na, dann werde ich heute 'mal zum Frings gehen und mich informieren lassen."Das Frühstück endet, und während Joe auf seinem Bike zur Arbeit fährt, sinnt er über die Frage nach, wer seinen Job da weitermacht. Im Büro redet er mit seinen beiden Kollegen, bekommt zu hören, daß man ihn ja immer verdächtigt habe, aber alle wohl auf einer falschen Spur waren.Joe sieht sich die Schilderung des Falles genauer an. Der Biker hat gestern Abend keine Kunststücke auf dem Rad vollführt, keine Speichen und keine Ritzel geworfen. Dafür soll er den Mann mit einer Waffe bedroht und in Schach gehalten haben, während er ihn nach Waffen durchsucht hat. Nie hat Joe eine Waffe benutzt! Auch war die Flucht des BIKE MAN weniger spektakulär als die Abgänge, die sich Joe erlaubt hatte. Also, das ist nicht sein Stil, das war jemand anders, er hat kein gespaltenes Bewußtsein.Der Tag vergeht, ein Anruf der Polizei kommt, man fragt Joe in kurzen Sätzen über sein Vorleben als Nahkämpfer aus und ob er eine Waffe besitze. Nein, nach dem Fehlschlag zwei Wochen vor Ende seiner Dienstzeit habe er nie wieder eine Waffe angefaßt. Ob Kommissar Frings sich inzwischen in seine Akte vertieft habe? Ja, das sei geschehen, man habe sich über seine Dienstzeit beim BGS kundig gemacht.In der Mittagspause sieht Joe, wie ein Mann, etwa in seinem Alter, in einem Passat sitzt und telefoniert. Den ganzen Morgen sitzt er jetzt schon da, Joe ist das nicht entgangen, er wird beschattet. Der Mann legt auf, startet den Motor und fährt. Ja, was ist denn jetzt? Haben die mich nicht mehr im Verdacht?Ein Anruf bei der Polizei soll Gewißheit bringen. Joe läßt sich direkt mit Kommissar Frings verbinden und spricht ihn direkt darauf an, ob er noch beschattet wird. Nein, das sei nicht mehr der Fall, man brauche die Leute jetzt, um in einer anderen Richtung zu ermitteln. Man habe in der letzten Nacht wieder einen Überfall des BIKE MAN gehabt, obwohl er als der Hauptverdächtige unter ständiger Aufsicht der Polizei gewesen sei.Bin ich verrückt geworden? Wer macht meinen Job weiter? Joe rätselt den Rest des Tages darüber, wer das sein könnte. Der Abend kommt, Training ist angesagt, Kim hat eine andere Verabredung, und Joe hält es um 10 Uhr nicht mehr in der 94
Wohnung aus. Er zieht seine schwarze Kleidung an, trägt sein neues Bike nach unten und geht auf die Straße.Nichts los heute. Eine Gruppe von Jugendlichen wird an einer Ampel über den Ring am Friesenplatz von einem rechtsabbiegenden tiefergelegten Wagen über den Haufen gefahren, die Kids fliegen durch die Gegend, und wenig später wird sich der Fahrer eine Schlägerei mit der Besatzung einer Polizeistreife liefern. Joe kommt zum Unfallort, stellt sich mitten auf die Straße, hält den Verkehr vor der Unfallstelle an, damit nicht noch mehr Jugendliche überfahren werden. Geht zu einem Wagen mit auffallender Antenne, greift sich das Telefon, ohne auf den verdutzten Fahrer zu achten, und ruft einen Krankenwagen. Wer er sei? Robin Hood. Nicht der BIKE MAN.Um nur ja keinen Ärger zu bekommen, tritt er herzhaft an, schießt über die Straße und verschwindet in Richtung Dom. Macht einen Bogen und fährt die Viertel außerhalb des Rings ab, ob ihm dort etwas auffällt.Seit einigen Minuten folgt ihm ständig ein Wagen, Limousine, mittleres Management, Fabrikat aus der Entfernung nicht eindeutig zu identifizieren. Eine Streife? Joe ist nicht sicher. Er schießt über eine gelbe Ampel, der Wagen bleibt stehen, die ist er vorerst los. Aber er fährt eine Runde um den Block, und kurz nachdem der Wagen wieder angefahren ist, hängt er auch schon hinter ihm. Kurzer Blick in den Rückspiegel, der Fahrer sieht ihn, gibt Gas. Auch Joe gibt Gas. Jetzt drehen wir den Spieß einmal um, Baby!An der nächsten Kreuzung ist eine rote Ampel. Den Fahrer des BMW, wie Joe inzwischen feststellen konnte, stört das nicht, er fährt bei Rot drüber, rammt einen Radfahrer und schleudert ihn beiseite. Benommen steht der Biker auf, er hat einen Helm und Protektoren an, ihm ist nicht viel passiert. Joe sieht ihn aus den Augenwinkeln an, als er vorbeischießt, mit dem hat er sich im Frühjahr bei einem Rennen einen heißen Spurt geliefert.Der BMW schießt in eine Seitenstraße, Joe hinterher. Pech gehabt, da stehen Poller, da kann er nicht mehr weiter. Joe greift in die Eisen, kommt mit wimmerndem Hinterreifen zum Stehen. Und plötzlich ist er nicht mehr alleine: Von vorne, quer durch die Poller, nähert sich ein anderer Biker, kommt vor dem BMW zum Stehen, steigt ab und reißt die Fahrertür des BMW auf."Aussteigen, alle beide! Gurt lösen und mit Händen im Nacken aussteigen! Und mach' vorher den Motor aus!"Auf dem Bürgersteig, zwischen zwei Falschparkern im Schatten eines Baums steht Joe und sieht ungläubig zu, was da vor ihm abgeht. Weder der Biker noch die beiden Insassen des BMW haben ihn gesehen. Der Fahrer wird herausgezerrt, der Biker drückt ihm eine Waffe an den Schädel, dreht ihn um, und sichert ihn mit einem Paar Handschellen, nachdem er ihn nach Waffen durchsucht hat. An der Beifahrerseite steht der zweite Insasse des Wagens, und als der Biker dem Fahrer die Handschellen anlegt, zieht der Beifahrer plötzlich selber eine Waffe. Joe sieht das, springt auf die Straße, greift an den Bund seiner Lederjacke, reißt ein 25er Ritzel aus seiner Schlaufe und wirft es mit einer schnellen Handbewegung in Richtung des Beifahrers.Ein Schrei, 95
als das Ritzel den rechten Unterarm trifft und einige Sehnen durchtrennt, die Waffe fällt zu Boden. Der andere Biker hatte seine Waffe bereits auf den Beifahrer gerichtet, reißt sie plötzlich nach oben und sieht die Straße entlang, als eine schwarze Gestalt auf den Beifahrer zugeschossen kommt, ihm beide Arme hochreißt und ihn auf das Dach des Autos drückt."Steck' die Waffe weg. Sonst passiert noch 'was."Joe bedeutet dem anderen Biker, seiner Anweisung zu folgen, duckt sich und hebt die Waffe auf. Ohne hinsehen zu müssen, sichert er sie, nimmt das Magazin heraus und kontrolliert, ob sich eine Kugel im Lauf befindet. Auch wenn das schon sechs Jahre zurückliegt, er kann immer noch eine Waffe bedienen und blind zerlegen. Sein schwarzes Gegenüber steckt seine Waffe weg, Joe durchsucht den Beifahrer nach Waffen. Es kommt ein Messer zum Vorschein, genauso bei dem anderen. Und dann ist es Zeit, deren Identität zu klären."Wer seid Ihr?“ „Wer seid Ihr denn?“ „Du bist hier nicht in der Lage, Fragen zu stellen. Rede, oder Deine Todesanzeige steht morgen in der Zeitung."Der schwarze Biker stellt den Fahrer zur Rede. Zur Verdeutlichung seines Vorhabens drückt Joe den Schädel des Beifahrers auf das Dach des Wagens, setzt sein Genick unter Spannung, und der bewaffnete Biker nimmt es mit einem Blick zur Kenntnis."Wenn Du nicht redest, bringen wir erst deinen Kumpel um. Du kannst zusehen, wie er abkratzt, und es ist Deine Schuld. Also, wer seid ihr?“ „Wir sind nur ganz harmlose..."Der Beifahrer schreit auf, als Joe den Kopf weiter nach hinten streckt, und ihm dann Platz zum Reden gibt."Sag schon, der bringt mich sonst um.“ „Also gut, wir sind vom AAC. Wir sollen den BIKE MAN fangen.“ „Ach ja? Der Wimmer hat 'ne deutliche Warnung bekommen."Joe schaltet sich in die Diskussion mit ein."Der BIKE MAN ist nicht mehr alleine. Wie ich sehe, habe ich Verstärkung bekommen.“ „Richtig. Und wir werden nicht alleine bleiben.“ „Na schön. Dann sag' dem Wimmer, wir werden Euch allen den Arsch aufreißen, wenn Ihr versuchen solltet, uns umzulegen."Der Fahrer will dem schwarzen Biker ins Gesicht spucken, der bewegt sich aber nur kurz. Es knackt häßlich, als er dem Fahrer den rechten Arm bricht. Joe setzt mit einem kurzen Griff an den Hals den Beifahrer außer Gefecht, und dann gehen die beiden Biker aufeinander zu."Wer bist Du?“ „Nenn' mich Der Schwarze.“ „Aha. Und wer ich bin?“ „Der BIKE MAN?“ „Richtig. Warst Du das gestern Abend?“ „Ja.“ „Sehr gut. Und jetzt verschwinden wir, sonst fangen uns die Bullen."Schnell sind beide Männer bei ihren Bikes, fahren in getrennte Richtungen davon. Diese Stimme kenne ich doch irgendwoher? Die habe ich doch vor wenigen Tagen schon einmal gehört? Joe denkt nach, woher er den anderen Mann kennt. Denn ohne Zweifel, sie sind sich in den letzten Tagen begegnet, aber nicht auf ihren Bikes und nicht des nachts.Aber wer ist es?
II."Das gibt's doch gar nicht. Jetzt hat der BIKE MAN einen Kollegen bekommen!“ „Aber der fährt nicht so gut, wie hier steht. 96
Die beiden Typen vom AAC haben ausgesagt, daß der nicht solche Kunststücke wie der richtige BIKE MAN gemacht hat.“ „Und er hat eine Knarre. Die hat der BIKE MAN auch nie gehabt."Andy und Mike sitzen im Büro, kippen sich Kaffee 'rein und reden über den Artikel auf der ersten Seite des Lokalteils der Zeitung, in dem über die beiden Männer des AAC berichtet wird, die gestern von dem Schwarzen und dem originalen BIKE MAN gestellt wurden. Bei dem Unfall war der Biker, der an der Ampel gestanden hatte, nur leicht verletzt worden. Da es sich bei ihm jedoch um einen hoffnungsvollen Rennfahrer handelt und er bereits einen Sponsor in der Kunststoffbranche gefunden hatte, kam es an diesem Morgen zu weiteren Verwicklungen. Er hatte gegen die beiden Männer Anzeige erstattet und weiß dabei die juristische Abteilung des Sponsors hinter sich. Weiter noch, die Firma hatte über Nacht ihre Anzeigen, die sie in der Mitgliederzeitschrift des AAC geschaltet hatte, zurückgezogen und damit für den Verein einen erheblichen Verlust geschaffen.Joe kommt als letzter der Kollegen ins Büro, gießt sich einen Becher Kaffee ein und bekommt den Artikel unter die Nase gehalten. Er hat ihn schon gelesen, weiß, was drinsteht. Und er freut sich ebenso wie seine Kollegen, daß der BIKE MAN nun nicht mehr alleine ist, daß er nun nicht mehr alleine dasteht. Aber das braucht er den beiden ja nicht auf die Nase zu binden.Andere Leute sind wesentlich schlechterer Laune. Dr. Peter Wimmer hat für den heutigen Samstag den Vorstand des AAC zusammengerufen, um über die Situation zu beraten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Zeitschrift wird sich finanzieren können, aber der massenhafte Austritt von Mitgliedern aus dem AAC ist in den letzten Wochen ist ein ernsthaftes Problem geworden. Durch die wegfallenden Mitgliedsbeiträge ergeben sich bereits jetzt Deckungslücken in einigen Dienstleistungsbereichen, die in den nächsten Monaten dazu führen könnten, daß man Angestellte entlassen und das breite Angebot an Dienstleistungen einschränken müsse. Und alles nur wegen des BIKE MAN, entgegnet Wimmer dazu.Doch das ist nicht alles. Der AAC ist mit seiner einseitig auf die Förderung des Autoverkehrs ausgerichteten Verkehrspolitik in die Schußlinie der Öffentlichkeit geraten. Denn gerade nach den Austritten vieler Mitglieder wagen es jetzt zum ersten Mal seit Jahren Politiker, eine Meinung in Verkehrsfragen zu vertreten, die von der des AAC abweicht. In früheren Jahren hätte das den sicheren politischen Tod bedeutet, aber durch das Erscheinen des BIKE MAN hat sich die Lage geändert.Wimmer bläst nun auch aus den eigenen Reihen der Wind ins Gesicht. Gerade in der Vorstandssitzung bekommt er harsche Kritik seiner Kollegen zu hören. Ob man den einseitigen Kurs pro Auto, ohne jedes Wenn und Aber, nicht doch ändern sollte? Aber nein, was jahrzehntelang richtig war, kann nicht plötzlich falsch sein! Nein, Dr. Peter Wimmer sieht keinen Grund, irgendetwas am Kurs des AAC zu ändern. Daß diese ökologisch orientierten Macker jetzt gerade das Maul aufmachen, ist doch nur eine Modeerscheinung, die werden schon wieder still. Nur der 97
BIKE MAN, den müsse man fangen, daran darf gar kein Zweifel bestehen! Er will die Flucht nach vorne antreten.Die Sitzung endet mit einer Verstimmung zwischen Wimmer und den anderen Vereinsvorständen. Immerhin hat man es durchgebracht, das Gutachten zu stoppen, mit dem Wimmer bewiesen haben wollte, daß es keine Alternative zum weiteren Ausbau der Verkehrswege gibt, wenn der Verkehrsinfarkt beseitigt werden soll. Das aber war das einzige Zugeständnis, daß man ihm abringen konnte.Es wird merklich früher dunkel als im Juli, und wenn Joe und Udo abends trainieren wollen, so müssen sie sich beeilen, wenn sie nach Geschäftsschluß noch vor Einbruch der Dunkelheit die 100kmRunde fahren wollen.Auch heute ist das wieder der Fall, sie haben sich um 4 Uhr auf ihre Renner gesetzt und trotz der drohenden Regenwolken die Räder aus der Stadt herauskatapultiert. Als sie am Rheinufer vor Neuss langfahren, entscheiden sie sich spontan, einen scharfen Bogen nach Süden zu fahren und einer Gewitterwolke auszuweichen, die sich vor ihnen aufbaut. 20 Minuten später fahren sie im Sonnenschein über regennassen Asphalt, der sie zwar naßspritzt, ihnen aber auch angenehme Kühlung bringt.Gegen 8 Uhr sind sie zurück in Köln, halten vor dem Laden an. Während Udo seine Sachen aus dem Büro holt, sucht Joe in der Altmetallkiste nach abgefahrenen Ritzeln, denn ihm beginnt die Munition auszugehen. Udo fragt, wofür die sind, bekommt die gleiche Antwort wie alle Kollegen daß Joe sie für die Dekoration einer Wand benötige.Zurück in seinem Apartment, greift Joe als erstes zum Hörer und ruft Kim an. Die hat schon ungeduldig auf seinen Anruf gewartet. Sie erzählt Joe von den Neuigkeiten, die sie heute von der Polizei über den BIKE MAN erfahren hat, sie hat auch die beiden Männer der Streife des AAC interviewt, die Kontakt mit dem BIKE MAN und dem Schwarzen gehabt haben. Bei der Schilderung der Personen fühlt sie sich an beiden Personen erinnert, mit denen sie Donnerstag zusammen war."Du, Joe, irgendwie fühle ich mich an Donnerstag morgen erinnert.“ „Hä? Wieso Donnerstag morgen? Meinst Du die Vernehmung bei der Polizei?“ „Ja, genau die. Erinnerst du dich an Leo Drösel?“ „Na klar. Den hab' ich ja extra zum Frings bestellt.“ „Weißt Du, als die beiden Typen mir von den Männern erzählt haben, die sie gestellt haben, da hab' ich Euch beide gedacht. Das paßte von der Figur, von der Personenbeschreibung her.“ „So wie wir sehen Millionen andere auch aus."Aber trotzdem, ist doch komisch: Kaum erzählst Du der Polizei von der Sache, da taucht ein zweiter Typ auf, und der sieht genau so aus wie Leo Drösel. Ob er Der Schwarze ist?"Na klar, wie konnte ich das nur vergessen! Leo, denkt Joe, Leo ist es! Du kennst den Typen, du hast jahrelang mit ihm zusammengearbeitet, und jetzt... Nein, das ist zu gut.Kim fällt auf, wie still Joe wird."He, was ist mit Dir los?“ „Wie, was?“ „Du sagst ja gar nichts mehr?“ „Wie, ach so... Nein, ich wurde nur plötzlich etwas müde.“ „Sag mal ehrlich, Joe, wie lange kennst Du Drösel?“ „Seit knapp 10 Jahren. Wir haben zusammen beim BGS angefangen.“ „Und was habt Ihr für einen Kontakt zueinander?“ 98
„Sehr wenig. Um genau zu sein, wir haben uns fast fünf Jahre nicht gesehen. Und ich weiß nur von ihm, daß er nach dem Dienst bei der Polizei geblieben ist.“ „Was macht er da?“ „Keine Ahnung. Frag' ihn das besser selber, ich weiß nur, daß er Kommissar oder so etwas ist.“ „Wo warst Du letzte Nacht, Joe?“ „Glaubst Du, daß ich Dich betrüge?“ „Nein, das meine ich nicht. Ich meine, als die Sache mit der Streife des AAC passiert ist, wo warst Du da?“ „Beim Training. Unter der Dusche.“ „Wirklich?“ „Ja, wirklich. Glaubst Du mir etwa nicht?“ „Manchmal habe ich den Eindruck, Du verheimlichst mir etwas, Joe.“ „Das ich der BIKE MAN bin? Glaubst Du das, Kim?“ „Ja. Manchmal glaube ich es.“ „Und wenn ich es wäre, was wäre dann mit uns beiden?“ „Ich weiß es nicht. Ich hab' mir darüber keine Gedanken gemacht.“ „Gut.“ „Joe, Du hast mir etwas Falsches erzählt letzte Woche, Du hast bei der Vernehmung gesagt, daß Du wieder Kampfsport machst. Du bist der BIKE MAN!“ „Nein. Das bin ich nicht!“ „Doch. Es gibt keinen anderen Mann in dieser Stadt, der so gut mit dem Rad umgehen kann und gleichzeitig ein so guter Nahkämpfer ist wie Du. Es kann gar keinen anderen geben, Joe.“ „Es muß aber, verdammt! Nur weil ich im Beruf mit Fahrrädern zu tun habe und Kampfsportler bin, heißt das noch lange nicht, daß ich der BIKE MAN bin.“ „Und was hast Du zu deiner Verteidigung vorzuweisen?“ „Es passieren Attentate auf Autofahrer, wenn ich mit Dir telefoniere, oder wenn ich beim Training bin, oder immer dann, wenn ich zu Hause bin. Dann hab' ich kein Alibi, und dann denken gleich alle, ich sei der BIKE MAN.“ „Genau. Immer dann, wenn Du kein Alibi hast.“ „Ich bin es nicht, Kim. Wie oft soll ich noch versuchen, Dir das zu beweisen?“ „Bis wir den richtigen BIKE MAN haben. Und Du es nicht bist."Stille. Sie glaubt ihm nicht, das hat er gerade durch den Hörer deutlich gespürt."Kim, was sollen wir heute Abend machen?“ „Hast Du überhaupt Lust, heute 'was zu machen, nachdem ich Dir das alles an den Kopf geworfen habe?“ „Ich kann 'ne Menge vertragen.“ „Wie wäre es, wenn..."In diesem Moment kracht es draußen erbärmlich, Glas splittert, Sekunden später fährt ein Wagen mit kreischenden Reifen davon. Joe sieht nach draußen, lehnt sich aus dem Fenster und sieht Glassplitter auf dem Bürgersteig vor den Schaufenstern des Ladens. Er sprintet zum Hörer."Kim, komm' so schnell du kannst zum Laden, und bring' 'ne Kamera mit. Uns sind die Schaufenster eingeworfen worden, das ist 'was für Dich!“ „Aber..."Joe bekommt nicht mit, was sie sagen will, er legt auf, zieht sich die Schuhe über und sprintet die Treppe hinunter. Sekunden später ist er vor dem Schaufenster, das eingeworfen wurde. Kein Feuer zu sehen, also haben sie wenigstens keinen Brandsatz hineingeworfen. Ein Mann nimmt sich ein Schaltwerk für über 200 Mark aus der Auslage, Joe reißt ihm den Arm nach hinten, nimmt das Schaltwerk und bedeutet den erschrockenen Mann, sich zu verziehen, bevor er wütend wird. Er schließt die Ladentüre auf, läuft hinein und macht als erstes Licht. Er sieht die Glassplitter auf dem Boden und inmitten der Splitter einen Stein, auf den ein Zettel geklebt ist:"Wir kriegen Dich, BIKE MAN!"Joe 99
räumt die Auslage leer, versucht Andy zu erreichen. Der ist natürlich nicht zu Hause, seine Frau sagt, daß er im FETZ ist. Also ruft Joe dort an, redet mit der Kellnerin und hat nach einer Minute Andy am Telefon. Der wird schlagartig blaß und nüchtern, als Joe ihm berichtet, was vorgefallen ist, und rennt aus der Kneipe, ohne zu bezahlen. Die Kellnerin hält ihren neuen Kollegen zurück, der bezahlt schon, aber gerade haben sie dem Radladen das Fenster eingeworfen...Atemlos kommt er angelaufen, und keine Minute später dröhnt eine Polizeistreife die Straße hinauf. Kommt vor dem Laden zu Stehen, parkt ein. Die Bullen steigen aus, Joe weist ihnen den Weg durch den Hauseingang und nimmt sie im Laden in Empfang. Den Stein hat er nicht angefaßt, der liegt noch an der gleichen Stelle wie vorhin auf dem Boden. Joe packt ihn in eine Plastiktüte, einer der Polizisten legt ihn in den Wagen, um den kann sich die Spurensicherung kümmern. Sie sehen sich den Laden an, sonst ist nichts passiert, aber das Fenster ist hin. In diesem Moment hört Joe, wie eine Frau seinen Namen ruft. Es ist Kim, die gerade angekommen ist, als erste Journalistin. Einen Kollegen hat sie vorhin angerufen, der wird Fotos machen. Nur wenige Minuten später sind die Kollegen von der Stadtzeitung da, und Joe als Zeuge des Anschlags steht ihnen Rede und Antwort. Kim verhält sich ruhig, was die Vermutung angeht, daß er der BIKE MAN sei. Natürlich gibt es Fragen zu diesem Punkt, aber Joe und Andy haben dazu nichts zu sagen, sie können nur Vermutungen anstellen. Vermutungen, denkt Joe, um von seiner eigenen Rolle abzulenken. Schließlich halten sie den Zettel vor die Kameras, der am Stein geklebt war, den ein Polizist noch einmal aus dem Wagen geholt hat.Manche Fälle halten ganz schön lange auf. Im Präsidium sitzt ein Kommissar nach einem harten Arbeitstag über irgendwelchen Aussagen, die er am Nachmittag zu einem Fall hereinbekommen hatte. Als er gerade Feierabend machen will, hört er über den Flur, daß gerade auf zwei Fahrradgeschäfte Anschläge verübt worden seien. Nein, da kommt gerade eine weitere Meldung, jetzt sind es inzwischen drei. Er blickt auf die Karte, die Anschläge haben im Norden Kölns begonnen und pflanzen sich Richtung Innenstadt fort. Der Mann macht Feierabend.Eine Stunde später. Andy, Joe und Kim haben die Auslage geleert und von Glasresten gesäubert, den Boden gefegt und alle Glassplitter in den Glasabfall gekippt. Mike war nicht zu erreichen, der wird morgen früh eine erquickende Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hören. Ein eilig herbeigerufener Glaser setzt eine Holzverschalung ein, so daß man nicht mehr einsteigen kann. Es ist nach 11, als sich die drei in die Kneipe verziehen, aus der sie Andy gerufen haben, und erst einmal ein Bier auf den Schreck trinken.Zum gleichen Zeitpunkt steht ein schwarzgekleideter Mann in einem Hauseingang in der Nähe eines Bike Shops in der Kölner City. Seinen Wagen hat er in einer Querstraße geparkt, ein Sonderausweis der Kripo verhindert, daß man ihn von dem Behindertenparkplatz abschleppt. Seit einer Viertelstunde wartet er jetzt schon darauf, daß etwas passiert. 100
Aber er scheint mit seiner Vermutung falsch zu liegen.Oder?Langsam nähert sich eine unauffällige Limousine, hält in einer Einfahrt, keine 10 Meter von dem Schaufenster des Bike Shops entfernt. Ein breitschultriger Mann steigt auf der Beifahrerseite aus, sieht sich um, sieht den schwarzen Mann nicht, sonst ist kein Mensch auf der Straße. Er greift in seinen Mantel, holt einen Stein heraus und will ihn in das Schaufenster werfen, holt aus und zielt.Ein Fuß bohrt sich in seinen Magen, der Mann läßt den Stein fallen, an dem ein Zettel klebt: "Wir kriegen dich, BIKE MAN!", und klappt wie eine Schere zusammen. Der Schwarze wirbelt herum, öffnet die Beifahrertür und richtet eine schnell gezogene Waffe auf den Mann auf dem Fahrersitz. Der will den Rückwärtsgang einlegen."Wenn sich der Wagen einen Millimeter bewegt, drück' ich ab. Motor aus!"Der Fahrer sagt nichts, tut wie geheißen. Zieht den Schlüssel ab."Hände in den Nacken und aussteigen! Ganz langsam!"Auch das tut er, die Augen ständig auf die Waffe gerichtet. Der Schwarze durchsucht beide Männer nach Waffen, findet einige Messer und zwei Pistolen und legt ihnen Handschellen an, drückt sie auf dem Boden nieder, an den Pfahl eines Schildes gekettet, mit dem Rücken zueinander auf dem Boden sitzend."Wieso werft ihr hier die Schaufenster ein?“ „Aber wir wollten doch gar nicht..."Der Schwarze versetzt dem Fahrer einen harten Schlag mit der linken Hand gegen den Schädel, ohne die Pistole in der Rechten auch nur eine Sekunde von seinem Schädel zu nehmen. Der Beifahrer stöhnt, erholt sich nur langsam von dem Tritt, den er in die Magengrube bekommen hat. Er atmet, an seinem rechten Mundwinkel zeigt sich eine kleine Blutspur."Also, noch 'mal von vorne: Wer schickt Euch? Bei der nächsten Lüge drück' ich einfach ab, und Du wirst nie mehr 'was sagen können, Kleiner. Wer?“ „Wimmer... Wimmer... Wir sollten die Schaufenster der ganzen Fahrradläden einwerfen.“ „Warum?“ „Weil der BIKE MAN unterwegs ist. Weil der mit denen zusammenarbeitet.“ „Falsch. Das tut er nicht.“ „Sind Sie der BIKE MAN?“ „Schon wieder 'ne Niete, Kleiner. Ich bin Der Schwarze. Der BIKE MAN hat keine Knarre. Und ich hab' ein paar davon.“ „Was machen Sie mit uns? Wollen Sie uns umbringen?“ „Nicht, wenn Du das machst, was ich Dir sage. Und das hier ist ein Gruß an Wimmer. Sag ihm, daß er selber dran ist, wenn er weiter so einen Blödsinn macht."Der Schwarze steckt die Pistole ein, geht zu dem Benz und wirft etwas in dessen Innenraum. Ein kleiner, dumpfer Knall, ein Blitz, und im Innenraum lodern Flammen. In Sekundenschnelle brennt der Wagen lichterloh, die beiden Männer, die nur wenige Meter von ihm angekettet sind, reißen die Augen auf, denn wenn der Wagen hochgehen sollte, sind sie auch dran."Ich hoffe für Euch, daß ihr keinen Sprengstoff dabei hattet. Sonst kratzt Ihr gleich ganz jämmerlich ab. Und laßt Euch das eine Warnung sein. Viel Spaß noch."Damit verläßt Der Schwarze den Tatort. Als er sein Auto aufschließt, hört er eine kleine Detonation, der Tank müßte jetzt in Flammen stehen. Den beiden angeketteten Männern wird es zunehmend wärmer, die Hitze treibt ihnen die Tränen in die 101
Augen, aber es besteht für sie keine Lebensgefahr.Noch nicht. Wenige Minuten später kommt eine Polizeistreife an, die Polizisten schließen die beiden Männer los und bringen sie aus der vermeintlichen Gefahrenzone. Nach 10 Minuten kommt der erste Wagen der Feuerwehr, und nach weiteren 10 Minuten ist der Brand gelöscht. Was übrigbleibt, ist der Torso eines ausgebrannten Benz.
III.Um 7 Uhr geht das Telefon. Kim und Joe haben kaum vier Stunden geschlafen, als es bimmelt. Verdammt, welcher Arsch ruft Sonntags morgens um 7 Uhr an? Er nimmt ab, es ist nicht für ihn, sondern für Kim. Sie hatte gestern einen Text auf ihren Anrufbeantworter gesprochen, daß sie bei Joe zu erreichen sei. Und jetzt gibt es etwas für sie. Verschlafen nimmt sie den Hörer in die Hand."Ja, was ist denn los?“ „Die Polizei hat um Mitternacht zwei Männer festgenommen, denen der Wagen abgebrannt ist.“ „Ja und? Was hab' ich damit zu tun?“ „Der Wagen wurde von einem Mann angezündet, der sich "Der Schwarze" nennt. Und er hat sie dabei erwischt, wie sie die Schaufensterscheibe eines Bike Shops einwerfen wollten. Klingelt's jetzt bei Dir?“ „Was? Das Schaufenster einwerfen?"Jetzt sitzt sie aufrecht im Bett, hellwach."Erzähl weiter!“ „Da gibt's nicht viel zu erzählen. Der Schwarze hat die beiden aneinandergefesselt und ausgequetscht, wer sie beauftragt habe. Na ja, das war der Wimmer, das kam direkt vom AAC. Ich dachte, das würde Dich interessieren.“ „Und weiter? Weißt Du irgendwas über den Schwarzen?“ „Der Typ hat 'ne Knarre, mindestens eine, sollte ich besser sagen. Muß auch ein ganz guter Nahkämpfer sein, einen von beiden hat er mit einem Tritt in den Magen flachgelegt. Und der Wagen ist abgebrannt, weil er einen Brandsatz 'reingeworfen hat.“ „Ist das alles, was Du mir sagen kannst?“ „Im Moment schon. Am besten, Du klemmst Dich gleich 'mal an den Frings, der ist hier. Ich bin im Polizeipräsidium.“ „Ich komm' so schnell ich kann. Tschüß."Sie legt auf, Joe ist durch ihre wilde Art zu telefonieren wach geworden und bekommt die Neuigkeiten gleich erzählt. Schnell zieht Kim sich Jeans, T-Shirt und Blazer an, es ist warm draußen, schlüpft in die Schuhe und ist nach einem kurzen Kuß durch die Tür. Eine knappe Minute später hört Joe ihren Wagen vorbeidieseln. Seufz! Eine echte Journalistin! Wenn sie eine Neuigkeit hat, dann hält sie nichts mehr, dann spielt jeder Mann nur noch die zweite Geige.Na klar! Warum bin ich denn nicht gleich darauf gekommen! Kann gut mit der Waffe umgehen, exzellenter Nahkämpfer, und dann vor allem - ein Brandsatz, der gezielt ein Auto in Flammen setzt. Das war eine ganz besondere Spezialität von Leo gewesen, seit der Zeit seiner Jugend. Er hatte zu Beginn seiner Dienstzeit die Geschichten erzählt, wie sie in der Schule Türen gesprengt hatten, auf einem Müllplatz einen Betonbrocken in die Luft gejagt und einen Feuerlöscher über 100 Meter im Umkreis zerteilt hatten.Er also! Ganz eindeutig! Aber hat er erst nach der Begegnung am Donnerstag damit angefangen, oder war er schon früher aktiv? Joe kann sich nicht daran 102
erinnern, jemals etwas ähnliches gehört zu haben wie das, was er in den letzten Wochen getan hatte. Ein Lächeln läuft über sein Gesicht, als er wieder in den Schlaf fällt.Diesmal geht nicht das Telefon, diesmal ist es die Klingel. Erst beim zweiten Schellen wird Joe wach, nimmt die Hand vom Telefon und tastet sich zum Türöffner. Drückt auf den Taster, eine Etage unter ihm summt es, und Kim stolpert die Treppe hoch. Sie hat vom Bahnhof Brötchen mitgebracht - frische Brötchen am Sonntag! - und ebenso einige Neuigkeiten für Joe. Begrüßt ihn mit einem Kuß auf den Mund und legt die Brötchen in der Küche ab. Joe setzt Kaffee auf, und eine Viertelstunde später sitzen sie beim Frühstück zusammen."Wer ist "Der Schwarze"? Hast Du 'was über ihn in Erfahrung bringen können?“ „Nein. Die Polizei tappt im Dunkeln.“ „Schön.“ „Wieso schön? Kennst Du ihn? Ist das vielleicht - wie hieß er denn noch gleich - ach, ist das etwa Leo?“ „Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Der fuchtelt nicht so mit der Waffe 'rum, wie Du das gerade dargestellt hast.“ „Bist Du dir sicher?“ „Sicher bin ich mir sicher. Wir haben unsere Leute darauf gedrillt, sich nicht wie Cowboys zu benehmen. Wenn Du mit der Knarre vor einem Macker rumfuchtelst, kann er sie Dir sehr leicht abnehmen. Und Du provozierst ihn damit auch noch.“ „Und deswegen glaubst Du, das ist kein Bulle vom SEK?“ „Nein. Keiner von denen, die ich ausgebildet habe.“ „Und der BIKE MAN? Kann das einer sein? "Hast Du mich immer noch im Verdacht?“ „Ich glaube nicht. In der letzten Nacht hat ein Autofahrer einen Radfahrer abgedrängt und ist von dem zusammengeschlagen worden. Genau um die Uhrzeit hat Der Schwarze die beiden Männer vom AAC bearbeitet, und wir beide haben's miteinander gemacht.“ „Du siehst dabei auf die Uhr? Ist das alles, woran Du denkst, wenn wir miteinander schlafen?“ „Ach nein, Du, so war das doch nicht gemeint. Ich meine, du warst bei mir. Das hätt' ich doch gemerkt, wenn Du nicht da gewesen wärst. Bist 'n guter Lover.“ „Danke.“ „Aber wir kommen vom Thema ab. Wenn Du bei mir bist und der BIKE MAN wieder zuschlägt, wenn Leo also nicht Der Schwarze ist, was... wer kann es dann sein? Was haben wir dann alles falsch gemacht?“ „Das, mein Liebes, kann ich Dir nicht beantworten.“ „Schade. Ich dachte, Du hättest irgendjemanden im Verdacht."Nein. Hab' ich nicht."So, sie hat ihn also nicht mehr im Verdacht. Gut so, das macht das Leben erheblich einfacher. Aber Vorsicht, Joe, nur eine falsche Bemerkung, und das gesamte Lügengebäude stürzt in sich zusammen.Sie räumen den Tisch ab, die Platte, die Joe vorhin in den Player getan hatte, ist zu Ende, er stellt den Tuner an, bis er eine neue eingeschoben hat. Zufällig hat er den Lokalsender eingestellt, und auf ihm hört er einen Bericht über die Attentate auf Fahrradgeschäfte in der letzten Nacht. Zuerst hören Kim und er Tatsachen, die sie schon längst kennen, doch dann gibt es ein Interview mit einem Sprecher des AAC."Wie steht der AAC zu den Eskapaden seines Vorsitzenden Dr. Wimmer? Was sagen Sie als Sprecher dazu, daß Dr. Wimmer erst Streifen ausschickt, und jetzt Männer, die Scheiben einwerfen, mit Steinen, auf denen steht, "Wir kriegen 103
dich, BIKE MAN!"? Was sagt der AAC dazu?“ „Nun, erst einmal zu dem Streifen. Wir haben diese Männer ausgeschickt, um die Autofahrer Kölns vor den brutalen Übergriffen des BIKE MAN zu schützen. Und...“ „Und die sind dabei mit einer unglaublichen Brutalität vorgegangen, haben alles angefahren und zusammengeschlagen, was sich nicht im Auto fortbewegt. Wollen Sie damit die Schuld für die brutalen Übergriffe den Opfern anlasten?“ „Wir haben in der Tat einige Übergriffe zu beklagen, das gebe ich ja zu. Aber viele Radfahrer sind es selbst Schuld, wenn sie angefahren werden, wenn sie auf der Straße fahren, während ihnen ein Radweg zur Verfügung steht.“ „Ein Radweg, der von Mitgliedern des AAC zugeparkt ist, obwohl das eigentlich verboten ist.“ „Das mag in einzelnen Fällen so sein, daß...“ „Das war in allen, ich wiederhole, in allen Fällen so, in denen Schläger in Ihrem Auftrag Radfahrer gerammt haben, ohne jegliche Ausnahme.“ „Das mag sein.“ „Sind Sie selbst jemals in der Stadt Rad gefahren?“ „Ich habe in der Zeit, als ich...“ „Sind Sie in den letzten fünf oder 10 Jahren in Köln Rad gefahren? Ja oder nein?“ „Nein.“ „Das heißt also, Sie reden von einer Sache, bei der Ihnen jegliche Erfahrung fehlt.“ „Der Allgemeine Automobil Club ist eine Vertretung der motorisierten Verkehrsteilnehmer.“ „Die die meiste Zeit des Tages nichtmotorisiert sind. Es gibt in diesem Land 32 Millionen Pkw, aber über 60 Millionen Fahrräder. Und jeder Mensch wird automatisch zum Fußgänger, wenn er aussteigt.“ „Das ist doch gar nicht der Standpunkt, den der AAC vertritt.“ „Sondern?“ „Wir setzen uns für die Mobilität der Bevölkerung ein.“ „Durch den Bau von weiteren Straßen, die mehr Verkehr und längere Staus erzeugen.“ „Das ist gar nicht erwiesen.“ „Doch, das zeigt die Erfahrung, und auch wenn das Umdenken in der Verkehrspolitik im AAC noch nicht stattfindet, so zeigen immer mehr Politiker, daß sie nicht gewillt sind, immer größere Teile des Landes betonieren zu lassen, damit dann doch nichts mehr geht. Aber wir kommen vom Thema ab. Was sagen Sie zu den beiden Männern, die gestern in Köln die Scheiben von drei Fahrradgeschäften eingeworfen haben?“ „Es ist gar nicht erwiesen, daß diese Männer in einem Zusammenhang mit dem AAC stehen. Diese falsche Information bezieht sich auf ein Geständnis, das unter Druck zustande gekommen ist.“ „Nein, das stimmt nicht. Diese Aussage ist heute im Beisein eines Rechtsbeistands von beiden Männern unabhängig voneinander gemacht worden. Demnach sind sie direkt von Dr. Wimmer beauftragt worden, in alle Schaufenster größerer Fahrradgeschäfte Steine zu werfen. Wie steht der AAC offiziell dazu?“ „Es gibt zu diesem Thema keine offizielle Stellungnahme, aber soviel kann ich dazu sagen: Es handelt sich bei diesen Vorgängen offensichtlich um eine eigenmächtige Handlung von Dr. Wimmer.“ „Und was kann das für Dr. Wimmer an Konsequenzen bringen?“ „Zu irgendwelchen Konsequenzen kann ich im Moment nichts sagen, da es wie gesagt keine offizielle Stellungnahme gibt. Aber Dr. Wimmer wird sich für seine eigenmächtigen Entscheidungen zu verantworten haben.“ „Das 104
heißt also, sein Stuhl wackelt?“ „Dazu möchte ich nichts sagen."Damit endet das Interview.Ha! Der Stuhl von Dr. Peter Wimmer wackelt? Endlich ein Lichtblick in dieser trüben Geschichte! Innerlich freut Joe sich, daß der Vorsitzende des größten Autovereins des Landes endlich in die Schußlinie der Medien gerät. Nach einer Musik läßt sich der Moderator über die Tatsache aus, daß Dr. Wimmer jegliche Stellungnahme zu den Vorfällen ablehnt. Schließlich dürfen die Hörer sich zu den Vorfällen äußern, und stärker noch als letzte Woche sprechen sie sich für den BIKE MAN aus und kritisieren das tödliche Recht des Stärkeren auf allen Straßen des Landes.
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Montag morgen. Als Joe und Kim beim Frühstück sitzen, klingelt das Telefon. Kommissar Frings ist am anderen Ende der Leitung, und er will sie beide unverzüglich sprechen, droht damit, sie durch eine Streife holen zu lassen, falls sie sich bis 11 Uhr nicht bei ihm blicken lassen, und legt wieder auf. Na schön, aber zuerst essen wir zu Ende.Um 9 Uhr fährt Kim mit ihrem Diesel vor der Präsidium vor, fünf Minuten später klopft Joe an Frings Büro an und tritt ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Frings gießt sich gerade eine Tasse Kaffee ein, als beide zu seinem Schreibtisch gehen."Guten Morgen.“ „Morgen. Nehmen Sie sich bitte Stühle und setzen Sie sich.“ „Was gibt's denn, daß Sie uns so dringend sprechen wollen?“ „Wo waren Sie beide Freitag und Samstag Abend?“ „Zu Hause, beim Training, in einer Pizzeria. Soll ich Ihnen detailliert aufschreiben, was ich die letzten Tage gemacht habe?“ „Das wäre vielleicht das Beste. Aber ich glaube, das bringt uns jetzt nicht weiter.“ „Na schön.“ „Ich habe mich über Ihre Dienstzeit beim SEK kundig gemacht, Herr Radmann. Sie haben nach dem Unfall alle ihre Waffen abgegeben. Haben Sie seitdem jemals wieder eine Waffe benutzt?“ „Nein. Nie mehr.“ „Haben Sie einen Waffenschein?“ „Nein, auch das nicht. Ich habe seit dem Unfall keine Waffe mehr angefaßt, nachdem durch einen Fehler von mir zwei Kollegen gestorben sind, ich hab' den Schein zurückgegeben.“ „Aber Sie können mit Waffen umgehen?“ „Ich bin an den Waffen ausgebildet worden, die von einem SEK benutzt werden. Sie wissen aber selber, Herr Frings, daß Ihnen die Übung verlorengeht, wenn Sie den Umgang mit einer Waffe nicht regelmäßig trainieren. Und das habe ich seit sechs Jahren nicht mehr getan.“ „Sie besitzen auch keine Waffe mehr?“ „Nein. Aber warum wollen Sie das so genau wissen? Wegen diesem Mann, der sich "Der Schwarze" nennt?“ „Woher kennen Sie den?“ „Was der in den letzten Tagen gemacht hat, stand in der Zeitung. Außerdem sitzt die Journalistin gerade neben mir, die den BIKE MAN sucht.“ „Sie kennen sich in der Bikerszene von Köln aus, nehme ich an. Haben Sie einen Verdacht, wer "Der Schwarze" sein könnte?“ „Nein, hab' ich nicht.“ „So kommen wir nicht weiter. Ich werde gleich noch einen Kollegen befragen, den Sie auch kennen, Kommissar Drösel. Und Sie halten sich bitte weiterhin zur Verfügung.“ „Aber gerne. Oder wollen Sie uns lieber gleich in den Knast stecken?"Kim und Joe stehen auf, verabschieden sich von dem mißgestimmten Kommissar und verlassen das Präsidium. Schön, sie haben ihm immer noch im Verdacht, aber ist Leo auch in den Fall verwickelt?Diese Frage beschäftigt Joe den Rest des Tages, um kein Aufsehen zu erregen, will er Leo aber nicht anrufen. Es könnte ja sein, daß er gar nicht "Der Schwarze" ist. Während der Fahrt zum Fahrradladen versucht Kim aus Joe herauszubekommen, was er über Leo weiß, aber vergebens, er kann ihr gar nicht mehr erzählen als das, was er ihr wenige Tage zuvor mitgeteilt hat. Nur die Sache mit dem Brandsatz, die behält er lieber für sich. Es ist nach 10, als sie ihn mit einem Kuß vor dem Laden absetzt und den Diesel röhren läßt, um zu ihrer Redaktion zu fahren.Andy und 106
Mike versuchen gar nichts erst, Joe nach der Vernehmung zu befragen, sie wissen, daß er ihnen ja doch nichts erzählt. Ohne lange Worte zu wechseln, geht er an die Arbeit. Am Wochenende waren viele Leute auf ihren Rädern unterwegs, und heute bringen sie die zur Reparatur, weil Defekte aufgetreten waren. Die drei Fahrradmechaniker kennen das Spiel, so geht das jedes Jahr. Die meisten sind verwandelt, wenn sie aus dem Auto auf das Rad umsteigen, sehen bei der Fahrt nicht nach vorne und wundern sich dann, wenn sie andere Rad- oder Autofahrer frontal rammen. Wundern sich, wenn sie Tage später - wenn überhaupt - im Krankenhaus erwachen und ihre Beine nicht mehr spüren, die amputiert worden sind, und ähnliche Dinge.Wegen der Häufung von Unfällen ist der Hinterhof am Abend gut mit Rädern gefüllt, die repariert werden müssen. Zum Verzweifeln, denkt Joe, und dabei sind sie nur zu dritt. Wer soll das denn alles schaffen? Bis um 7 steht er in der Werkstatt, schafft eine Menge an Arbeit weg, geht direkt anschließend zum Training und ist froh, als er unter der Dusche steht. Zeit genug, noch etwas zu unternehmen, denkt er, streift sich die schwarze Bikerkleidung über und greift sich sein neues MTB. Um 10 Uhr ist er auf der Straße.In der Schildergasse kommt er an einem Geschäft für Unterhaltungselektronik vorbei und sieht aus den Augenwinkeln, daß gerade Dr. Peter Wimmer in einem Interview zu sehen ist. Das weckt natürlich sein Interesse, und er bleibt vor dem Schaufenster stehen.Was er dann zu hören bekommt, darüber kann ein normal denkender Mensch nur noch den Kopf schütteln. Wimmer ist heute vom Innenminister des Landes persönlich in einem Telefongespräch ermahnt worden, die Verfolgung von Radfahrer und die Beschädigung der Schaufenster von Fahrradgeschäften zu unterlassen, sonst werde man ihn zur Rechenschaft ziehen. Das wurde vom Moderator berichtet.In einem live gesendeten Interview läßt sich Wimmer nach der Darstellung dieser Ereignisse darüber aus, daß sich der AAC jetzt erst recht nicht den Mund verbieten lassen werde und man alle Maßnahmen ergreifen werde, um den Übergriffen durch die selbsternannten Rächer der unschuldigen Verkehrsopfer Einhalt zu gebieten. Weiter noch, der AAC als Vertretung der motorisierten Verkehrsteilnehmer muß sich seiner Aufgabe bewußt sein und werde auf jeden Fall den Kampf fortsetzen. Ob er denn auch weiterhin Radfahrer anfahren und zusammenschlagen lassen wolle? Das sei ja gar nicht geschehen, daß sei nur eine Verdrehung der Tatsachen durch Elemente, die die Vormachtstellung des AAC nicht anerkennen und den Verein durch bösartige Propaganda schädigen wollten. Nein, erst wenn man den BIKE MAN habe, werde man die Streifen in Köln einstellen, verspricht Wimmer, und da könne man von Seiten der Polizei noch so drängen, da lasse er sich gar nicht beeindrucken. Im Gegenteil, er werde sogar selbst an den Streifen teilnehmen, um so seinen festen Willen darzustellen, den BIKE MAN unschädlich zu machen. Und noch in dieser Nacht. Dann ist die Sendung zu Ende.Oh, das wird gefährlich, denkt Joe, aber - wenn 107
er jetzt selbst in einer Streife sitzt, dann wird er ihn ja vielleicht heute Nacht noch in voller Lebensgröße zu sehen bekommen...Eine halbe Stunde später. Joe fährt den Ring entlang, nähert sich der Südstadt. Sieht sich am Chlodwigplatz um, eigentlich nichts Verdächtiges zu sehen. Doch da, ein schwarzer Benz, mit drei Männern besetzt. Ob sie das sind? Probieren geht über Studieren, denkt er, und fährt direkt am Wagen vorbei, sieht auf der Rücksitzbank einen recht korpulenten Mann sitzen.Das ist er!Wimmer schreit seinen Fahrer an, dem Biker zu folgen, und Joe gibt Gas. Der Mercedes setzt aus der Parklücke heraus, ohne sich umzusehen, eine Frau in einem Golf reißt den Wagen nach links, um dem Mercedes auszuweichen, und fährt in einen Schaltungskasten. Plötzlich fällt die gesamte Beleuchtung am Severinstor aus, alles dunkel, aber das stört die Besatzung der Streife nicht, die die Aufmerksamkeit der weit über hundert Leute auf dem Platz auf sich zieht. Die Leute schütteln den Kopf. Doch die Leute vom AAC haben nur den BIKE MAN im Sinn. Koste es, was es wolle. Auch das Leben anderer Menschen.Der schwarze Biker schießt durch das Tor, weckt einige Obdachlose aus ihrem Schlummer und drischt über die Severinstraße Richtung Dom. Eigentlich sollte ich gegen die Einbahnstraße fahren, denkt Joe, das würde meinen Verfolgern bestimmt noch mehr Spaß machen! Aber die haben auch so schon genug Freude, schießen ebenfalls durch das Severinstor. Ein Penner wirft seine Flasche Lambrusco auf den Wagen, sie platzt, und der Wein läuft die Windschutzscheibe hinunter. Eine Polizeistreife wird auf den Lärm aufmerksam, und die Polizisten fahren dem Benz hinterher, allerdings bedeutend vorsichtigerLangsam beginnt der Mercedes aufzuholen, Joe checkt ab, wie schnell er fahren muß, damit sie ihn vor der nächsten Kreuzung knapp eingeholt haben. Er hört auf zu treten, läßt rollen und greift plötzlich in die Bremsen, als der Wagen nur noch 20 Meter hinter ihm ist; das Hinterrad blockiert, bricht nach rechts aus, Joe löst die Bremse, steuert gegen, tritt an und fährt automatisch in der neuen Fahrtrichtung, biegt nach links in eine Seitenstraße ein.Das macht der Benz nicht so leicht nach. Der Fahrer steigt voll auf die Bremse, packt die Kurve aber nicht ganz und schleudert seitwärts in einen parkenden Wagen. Es scheppert, Joe kann es aus der Entfernung hören und grinst, aber Wimmer läßt sich dadurch nicht beeindrucken und die Verfolgung wieder aufnehmen. Schnell haben sie Joe wieder im Visier.Nicht lange, dann steigt der abermals auf die Bremse und biegt mit einer Schleuderwende ab, diesmal nach rechts. Der Benz hat mehr Zeit zum Bremsen und knallt nicht in den Wagen, der die Ecke zuparkt. Er gibt Gas und holt auf, aber der Fahrer übersieht die Poller, mit denen die Straße in einem Wendehammer endet und zwischen denen Joe gerade durchschießt. Es knallt laut, als ein Poller von der Stoßstange des Benz aus ihrem Fundament gerissen wird.Zum Glück ist die Querstraße gerade leer, und der Benz nimmt auch den nächsten Poller mit, der die gegenüberliegende weiterführende Straße abschließt. Wieder 108
kracht es, aber diesmal wird der Poller nicht ganz zu Boden gedrückt und reißt dem Mercedes die Auspuffanlage ab. Funken sprühen, der Motor macht einen wahnsinnigen Lärm, aber Wimmer ist derartig vom Jagdfieber ergriffen, das er weiterfahren läßt. Joe braucht sich nun nicht mehr umzusehen, wo sein Verfolger bliebt, den hört er klar und deutlich. Ein zweites Geräusch mischt sich in die Lärmkulisse - das Martinshorn des Polizeiwagens, der Wimmer nun verfolgt. Der Polizist am Steuer fährt den Poller besser an als der Fahrer des AAC und behält seinen Auspuff, holpert aber über den abgerissenen Schalldämpfer des Benz.Die Jagd geht weiter. Wieder biegt Joe nach links ab, beschleunigt im Wiegetritt und schießt auf ein Stoppschild zu. Kommt da etwas? Nein, er hört nichts, aber er bremst trotzdem zu seiner eigenen Sicherheit auf unter 30 Sachen ab. Kein Querverkehr, er schießt über die Kreuzung, auf einen Weg zu, der in einen Park führt. Der Benz, bei dem nur noch ein Scheinwerfer funktioniert, will ihm folgen, fährt ebenfalls in die Kreuzung ein.In selben Moment kommt ein Lkw von rechts angefahren, der Fahrer sieht den Mercedes und tritt auf die Bremse, zieht gleichzeitig am Kompressorhorn. Zu spät, der Benz versucht nach links auszuweichen, wird aber vom Lkw in Höhe der Motorhaube gerammt und 20 Meter zur Seite geschoben, bevor das Blechknäuel zum Stillstand kommt. Die Insassen des Wagens werden nach rechts geschleudert, und die Jagd ist damit beendet.Bedeutend vorsichtiger fährt der Polizeiwagen über die Kreuzung, hält hinter dem Lkw und sichert durch das Blaulicht die Unfallstelle ab. Die beiden Polizisten steigen aus, nachdem sie über Funk Verstärkung herbeigerufen haben, entsichern ihre Waffen - wer weiß, was das für Typen sind, die so verrückt durch die Stadt jagen - und gehen zu dem Mercedes hin.Dessen drei Insassen haben Glück gehabt, daß sie an der Motorhaube gerammt worden sind, sonst wäre die Fahrgastzelle eingedrückt worden, und man hätte möglicherweise über das Ableben des Dr. Wimmer berichten können. So haben die Polizisten wenig Probleme, den leicht verletzten und benommenen Männern die Ausweise abzunehmen. Aha, denkt sich der Obermeister, der die Jagd vom Beifahrersitz aus miterlebt hat, der Wimmer also. Geht zum Funkgerät und gibt durch, daß der Vorsitzende des AAC bei einem selbstverschuldeten Unfall verletzt worden sei. Wie er sage, bei der Jagd auf den BIKE MAN.Kaum 10 Minuten später wimmelt es an der Unfallstelle von Journalisten. Der Benz und seine drei Insassen werden wild fotografiert, werden morgen auf allen ersten Seiten des Lokalteils der Zeitungen zu sehen sein. Ein Fernsehteam trifft ein, auch im Fernsehen wird man den verunglückten Dr. Peter Wimmer sehen können. Ob das die Öffentlichkeitsarbeit ist, die sich der AAC vorgestellt hatte?Als der Benz vom Lkw gerammt wurde, war Joe rund 100 Meter weiter in Sicherheit, hat das Scheppern gehört, drehte sich um und sah, wie der Mercedes zerknautscht wurde. Stieg in die Bremsen, schlug sich nach links in ein Waldstück und beobachtete die Vorgänge, die sich rund um den Unfall abspielten. Durch die 109
Bäume geschützt, stand er keine 10 Meter von der Unfallstelle entfernt, man redete dort über ihn, konnte ihn aber nicht sehen. Als die Journalisten kamen, machte er sich unauffällig aus dem Staub.Um Mitternacht ist Dr. Wimmer im Krankenhaus, leicht verletzt, nur ein paar Prellungen. Wären sie in Höhe der Fahrgastzelle gerammt worden, hätten die Insassen wesentlich schwerere Verletzungen davongetragen. Der Polizeipräsident hat sich neben einigen Journalisten eingefunden, er hält sich zurück, aber man merkt ihm an, daß er kurz vorm Explodieren ist. Das bringt er in seinen Äußerungen zum Verhalten des Vorsitzenden des AAC auch sehr deutlich zum Ausdruck. Die Tür der Ambulanz öffnet sich, der Beifahrer des Benz kommt heraus, hat einige Verbände angelegt bekommen und wird von den Journalisten zu der Verfolgungsjagd befragt. Er steht unter einem leichten Schock, und der behandelnde Arzt bittet die Reporter, etwas Rücksicht walten zu lassen. Wimmer kommt gleich, sagt er...Aber nicht nur der kommt. Mehr oder minder unauffällig schleichen sich ein Fahrradmechaniker und eine Journalistin in die Wartezone vor der Ambulanz. Wie gut, daß keiner mein Gesicht kennt, denkt Joe, wenn die wüßten, daß er es war, der vor gut einer Stunde gejagt wurde... Kim geht zu einem Kollegen, quetscht ihn über die Vorgänge aus, die sich in den letzten zwei Stunden ereignet haben. Gleich soll der Wimmer kommen, sagt man ihr. Den Fahrer haben die Polizisten bereits vor einer Viertelstunde mit auf die Wache genommen, wo Kommissar Frings ihn vernehmen wird, denn der Fahrer hatte die leichtesten Verletzungen.Und da kommt er endlich. Wimmer hat einige Verbände angelegt bekommen, sieht weniger schwer verletzt aus, als man es nach dem Zustand des Mercedes nach annehmen könnte. Sofort stürzen sich die Reporter auf den Mann, der aber jegliche Stellungnahme ablehnt. Nur eines kommt ihm über die Lippen: Daß er den BIKE MAN fangen werde, jetzt erst recht.Nur wenige Meter hinter der Tür drücken drei Sicherheitsbeamte die Journalisten beiseite, machen den Weg zu Wimmer frei, so daß der Polizeipräsident auf ihn zutreten kann. Ohne eine Lautäußerung des Vorsitzenden des AAC abzuwarten, redet er in scharfem Ton auf Wimmer ein, daß er diese Art der Selbstjustiz unterlassen solle, sonst werde man einen Weg finden, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, damit er nicht mehr Unheil anrichte. Leider könne er ihn wegen der Verfolgungsjagd nicht inhaftieren, weil Wimmer jede Verantwortung für die Aktionen seines Fahrers ablehnt, sonst würde er es sofort tun. Mit dieser Drohung dreht sich der Präsident um und geht, unter einem Blitzlichtgewitter der Fotografen.Wimmer ist still. Die Drohung war unverhohlen, ein Fehler, und er hat den gesamten juristischen Apparat gegen sich. Doch er fängt sich wieder, lehnt jeden Kommentar ab und geht in Richtung Ausgang.Mit Hilfe des kampferprobten Joe gelingt es Kim, sich durch die Mauer von Reportern nach vorne zu drängeln und Wimmer abzufangen, bevor er die Wartezone verlassen kann. Sie hält ihm ein Diktiergerät hin."Sie haben den BIKE MAN gesehen, Dr. Wimmer. Wie sah er aus?“ „Ich beantworte 110
keine..."Plötzlich verstummt der Mann. Er sieht in Kims Richtung, will ihr abfällig antworten, aber da ist etwas, da ist jemand, der ihn befangen macht. Sein Blick trifft den von Joe, beide Männer starren sich an.Den kenne ich doch?Wimmer ist ratlos. Irgendwie üben diese Augen Macht auf ihn aus, dieser scharfe fixierende Blick, der keinen Widerspruch duldet. Einige Sekunden stehen sich beide Männer gegenüber, es scheint um Wimmer nichts anderes mehr herum zu geben, Joe starrt ihn nieder. Es ist ein Reporter, der den Bann durch seine Frage unterbricht. Verwirrt verweigert Wimmer die Antwort und verschwindet durch den Ausgang.Joe sieht ihm nach, ruhig, beherrscht, hatte ihn unter seine Kontrolle gebracht. Ob der Mann sich daran erinnern wird, daß er ihm vor nicht ganz zwei Stunden schon einmal in die Augen gesehen hat? Die Gruppe der Journalisten löst sich auf, die Telefone sind besetzt, in der Ausgabe der morgigen Zeitungen wird man detailliert über den Unfall mit dem BIKE MAN berichten. Kim ist das eigenartige Verhalten des Dr. Wimmer Joe gegenüber aufgefallen."Sag' 'mal, kennst Du den?“ „Nö.“ „Aber er schien Dich zu kennen. Sah jedenfalls so aus.“ „Woher denn? Ich bin dem Mann noch nie über den Weg gelaufen.“ „Wirklich nicht? Wo warst Du um 10 Uhr?“ „Im Training. Und dann unter der Dusche, und dann bei Dir. Glaubst Du immer noch, daß ich der BIKE MAN bin?“ „Ich glaube Dir gar nichts mehr.“ „Danke!“ „Ach, das war doch nicht so gemeint! Aber es könnte doch sein, daß Du es bist.“ „Dann müßte ich mich schon mindestens zweiteilen können, Kim. So schnell bin ich auch nicht, daß ich zwischen Training und Fahrt zu Dir eben mal die Innenstadt nach den Streifen des AAC abfahre.“ „Ach?"Kim sagt nichts mehr, aber gerade das wird Joe unheimlich. Denn der Blick, den sie ihm jetzt zuwirft, drückt aus, daß sie an seinen Worten zweifelt. Oder aber, sie glaubt ihm wirklich kein Wort mehr. Oh nein, denkt er, hoffentlich quetscht sie mich heute Nacht nicht aus, hoffentlich rutscht mir später nicht irgendetwas 'raus, was ich hinterher bereuen würde... Er weiß, wie sie das anstellen könnte.
II.Dienstag morgen. Kaum hat Andy die Rolladen hochgezogen, da steht Kommissar Frings auch schon im Laden. Andy kennt ihn, und ohne daß er sich vorstellen muß, ruft er Joe aus dem Büro in den Laden."Joe! Besuch für Dich!"Sekunden später kommt der durch die Hintertür ins Büro, zieht eine Augenbraue hoch, als er Kommissar Frings sieht. Begrüßt ihn, geleitet ihn ins Büro, in dem sie ungestört sind. Und in dem der Kripobeamte sofort mit der Befragung anfängt."Wo waren Sie gestern Abend?“ „Erst beim Training, dann unter der Dusche.“ „Wo waren Sie um halb 11?“ „Unter der Dusche. Wollen Sie eine Bestätigung des Wasserwerks?“ „Nein. Haben Sie gehört, was sich gestern Abend abgespielt hat?“ „Ich bin direkt nach der Dusche zu meiner Freundin gefahren. Und ich war mit ihr im Krankenhaus, beim Wimmer. Das meinen Sie doch?“ „Das meine ich. Und vorher? Was haben Sie vorher gemacht?“ „Das sage ich Ihnen nicht. Das geht nur Kim und mich an.“ „Also gut, Sie sind ein harter Brocken. 111
Ich habe bei ihrem Trainer nachgeforscht, Sie machen mehr als nur Kraftsport.“ „Na sicher. Ich habe gestern Abend alle anderen Männer auf die Matte gelegt.“ „Sie sind also der Beste in den Kampfsportarten, die Sie trainieren?“ „Ich habe nicht viel verlernt von dem, was ich in meiner Jugend gelernt habe. Und da habe ich mich schon als sehr guter Nahkämpfer profiliert.“ „Sie können also auch einen Autofahrer zusammenschlagen, der Sie vom Radweg abdrängt und Ausbilder bei der Armee ist?“ „Das weiß ich nicht. Es käme auf den Versuch an.“ „Wie ist ihr Kontakt zu anderen Leuten aus der Kampfsportszene?“ „Der Kontakt ist nicht vorhanden. Außer den Leuten, mit denen ich regelmäßig trainiere, kenne ich keinen, der noch Karate oder ähnliches macht.“ „Der BIKE MAN ist ein exzellenter Nahkämpfer.“ „Schön für ihn.“ „Und Sie sind auch einer.“ „Ja und?“ „Sie sind der Einzige, der gleichzeitig Rad- und Kampfsportler ist.“ „Wirklich? Da gibt's doch sicher andere.“ „Warum geben Sie nicht zu, daß Sie der BIKE MAN sind?“ „Warum sollte ich etwas zugeben, was ich nicht bin?“ „Sind Sie es wirklich nicht? Wie lange wollen Sie das Spiel noch weitermachen?“ „Ich bin es nicht. Also warum sollte der BIKE MAN jetzt aufhören, wenn Sie gar nicht wissen, wer das ist.“ „Na gut. Ich habe aufgehört, Sie beschatten zu lassen. Ich hatte das auch deswegen getan, weil Sie gefährdet sind. Man kann Sie sehr leicht abknallen.“ „Das kommt in den besten Familien vor.“ „Ich warne Sie, ich habe keine Handhabe, um Sie festnehmen zu können. Ihr Leumund ist in Ordnung, und offensichtlich kennen Sie einige von meinen Kollegen. Aber es könnte sein, daß Wimmer jetzt andere Mittel versucht, um Sie zu fangen. Wiedersehen."Frings geht. Andere Mittel? Was meint er denn damit?Viel Zeit bleibt Joe nicht zum Rätseln über diese Äußerung, heute ist sehr viel zu tun. Um die Mittagszeit haben sie den Hinterhof des Ladens schon mit Rädern vollstehen, Reparaturen für den Rest der Woche.In der Pause hören sich die drei Mitarbeiter des Ladens einen Bericht über den Einsatz des BIKE MAN gestern Abend in der Südstadt an. Die überfahrenen Poller werden den AAC einen Batzen Geld kosten, der Spediteur, dessen Lkw Wimmers Wagen gerammt hatte, hat Anzeige gegen ihn erstattet. Noch dazu hat er seinen Austritt aus dem AAC bekanntgegeben und alle anderen Spediteure dazu aufgefordert, desgleichen zu tun. Die Zahl der Mitglieder des AAC beginnt zu schwinden, eine Entwicklung, die nicht nur Joe freut.Auf der anderen Seite schiebt Wimmer jegliche Verantwortung für die Unfälle von sich und beschuldigt seinen Fahrer, alle Unfälle selbst verschuldet aus und aus eigenem Antrieb gehandelt zu haben. Gerade weil Wimmer die Verantwortung für die Folgen seines eigenen Handelns nicht tragen will, wird er scharf angegriffen. Aber das scheint ihm wenig auszumachen; nach der direkten Konfrontation mit dem BIKE MAN bläst er jetzt erst recht zur Jagd auf ihn. Wir werden neue Wege finden, ihn unschädlich zu machen, sagt er. Und weil er gegen seinen Fahrer ausgesagt und einen guten Anwalt hat, steht Dr. Wimmer im Gegensatz zu ersterem auf freiem Fuß.Das Wetter nach dem Feierabend ist gut, 112
Udo und Joe essen eine Portion Müsli und setzen sich für 70 schnelle Kilometer auf ihre Renner. Um halb 10 sind sie zurück in Köln, rechtzeitig vor Einbruch der Dämmerung. Verabschieden sich und fahren getrennt vom Rheinufer aus nach Hause. Joe duscht schnell, denn er will kurz nach 10 bei Kim sein.Um Viertel nach 10 kommt er bei ihr an. Ein ungutes Gefühl sagt ihm, daß da etwas nicht stimmt. In einer Einfahrt im Nebenhaus steht ein BMW schräg im Parkverbot, blockiert den Fußweg total. Aber das ist nicht das Einzige, im Haus daneben steht ein Fenster offen, und dahinter wird heftig gestritten - Joe kann die Stimmen einer Frau und zweier Männer unterscheiden. Die Frau, das ist eindeutig Kim. Und wer sind die Männer?Gespannt hört Joe zu, es kommt nicht zu Gewalttätigkeiten. Dafür schreit Kim die Männer an, daß sie gefälligst die Wohnung verlassen sollen, sonst rufe sie die Polizei. Nein, und selbst wenn sie wüßte, wer der BIKE MAN ist, so würde sie dem AAC nie etwas davon erzählen. Eher würde sie sterben. Das könne man ja für sie erledigen, meint einer der Männer, das könne schneller geschehen, als sie es wolle, bekommt Joe zu hören. Aha, eine unverhohlene Morddrohung! Wenn sie nicht mit Dr. Wimmer zusammenarbeiten wolle, dann müsse sie die Konsequenzen selber tragen. Raus, schreit sie, und Sekunden später hört man die Tür knallen.Na, das wollen wir doch einmal sehen, denkt Joe, jetzt macht er Nägel mit Köpfen. Schnell setzt er sich die schwarze Gesichtsmaske auf und hängt sich die Ritzel an die Jacke. Setzt sich auf sein Bike und wartet darauf, daß die Männer aus dem Haus kommen.Sekunden später kommen die beiden breitschultrigen Gestalten aus der Tür, während Joe in einer Lücke zwischen zwei Autos wartet, ohne von ihnen gesehen werden zu können. Der BMW setzt nach hinten aus der zugeparkten Einfahrt heraus, der Fahrer schaltet in den ersten Gang und fährt an.Ein Gegenstand schlägt 50 Meter weiter in die Heckscheibe ein, Krümel des Sekuritglas fallen auf die Rücksitzbank, die Scheibe wird augenblicklich blind. Irritiert sieht der Beifahrer nach hinten, als ein schwarzer Schatten links vorbeischießt. Ein Knall, und die Lenkung wird schwammig. Der Fahrer tritt auf die Bremse, der Wagen bricht nach rechts aus und rammt einen parkenden Lkw. 10 Meter vor dem BMW kommt Joe zum Stehen, eine kurze Bewegung mit dem Handgelenk, und ein Ritzel bleibt laut krachend in der Windschutzscheibe stecken."Aussteigen!"Erschrocken greift der Beifahrer nach der Tür, drückt sie auf und setzt ein Bein nach draußen. Er will etwas sagen, macht eine Handbewegung, und Joe wirft ein Ritzel auf ihn, daß ihm den Handrücken aufreißt. Eine Pistole fällt zu Boden, der Mann packt sich ans Handgelenk und setzt sich zu seinem eigenen Schutz in den Wagen. Joe nähert sich zu Fuß dem Wagen, als der Fahrer aussteigt."Was wollen Sie?“ „Ihr wolltet mich haben. Hier bin ich.“ „Was... was soll das?“ „Ich bin der BIKE MAN. Ihr habt gerade eben eine Frau mit Mord bedroht. Dafür werdet ihr die Konsequenzen selber tragen. Und Wimmer auch.“ „Wir haben doch gar nichts getan.“ „Ihr wolltet die 113
Journalistin umbringen, die mich sucht. Sag' Wimmer, daß ich ihn selber umbringen werde, wenn auch nur noch ein Mensch durch Euch zu Schaden kommt.“ „Wir sind doch gar nicht von Wimmer...“ „Ach? Auch noch zu feige, das zuzugeben, was Ihr vor einer Minute gesagt habt?“ „Wir haben doch nur wissen wollen, ob die Journalistin den BIKE MAN kennt.“ „Den kennt sie nicht. Genausowenig wie ich sie kenne. Aber euer Gebrüll, das kenne ich. Noch ein Versuch von Euch in der Richtung, und ihr kratzt alle ab. Verstanden?"Jetzt sagt der Mann gar nichts mehr. Joe fixiert seine Augen, dreht sich um und will gehen. Der Schläger greift ins Auto, erwischt das Schnellfeuergewehr hinter dem Fahrersitz und will es auf Joe anlegen. Der hat die hastige Bewegung aus dem Augenwinkel gesehen und dreht sich seinerseits um. Bevor der Fahrer des Wagens das Gewehr aus dem Wagen nach draußen gezogen hat, trifft Joes rechter Fuß die Tür. Mit einem lauten Scheppern schlägt sie zu, zerschmettert das Handgelenk des Fahrers, der vor Schmerz aufschreit. Ein Schuß löst sich, direkt neben dem Kopf des Beifahrers, der durch die Druckwelle ohnmächtig wird. Der Fahrer sinkt zu Boden, Joe greift ihn an den Haaren und biegt seinen Kopf weit nach hinten, setzt das Genick unter Spannung und fixiert seine Augen."Hör' zu, Baby, noch einmal so 'was, und ich schlag' Euch nicht nur ohnmächtig, ich bring' Euch um."Ruckartig läßt Joe den Schädel des Mannes gegen die Tür knallen, so daß auch er ohnmächtig wird. Schnell geht er zu seinem Bike, das mitten auf der Straße liegt, und fährt davon, weg von Kim, zu der er eigentlich wollte. Kaum fünf Minuten später ist er zu Hause, greift zum Telefon und ruft sie an. Nur keinen Verdacht auf mich lenken!Besetzt. Wahrscheinlich telefoniert sie jetzt gerade mit einem Kollegen, vielleicht hat sie aber auch schon versucht, ihn zu erreichen. Er legt auf, geht zum Kühlschrank und greift sich eine Flasche Bier. Du hast den Typ fast umgebracht, und du hättest es gerne getan. Wenn du so weitermachst, kommst du da nie mehr 'raus!Joe trinkt die Flasche halbleer. Vielleicht sollte ich es jetzt noch einmal versuchen, sie zu erreichen, denkt er, als das Telefon geht. Kim? Ja, sie ist es. Hat die ganze Zeit versucht, ihn ans Telefon zu bekommen. Wo er gewesen sei? Er habe trainiert und geduscht, sei vorher noch kurz in der Werkstatt gewesen, um einen Defekt an seinem Renner in Ordnung zu bringen. Sie berichtet ihm, was vorgefallen ist, er tut erschrocken, als er von den beiden Männern hört. Und ist befriedigt, als sie ihm mitteilt, daß die beiden festgenommen worden seien, nachdem sie einen Schuß gehört und die Polizei gerufen habe. Die Aufregung und die Angst wegen der Drohung sind ihr anzumerken, und sie will mit einem Taxi zu Joe herüberfahren, will die Nacht nicht in ihrer Wohnung verbringen.Wenn das jetzt so weitergeht, denkt Joe, dann wird Kommissar Frings morgen wieder vor der Tür stehen. Hat er denn ein Alibi? Das einzige, was die beiden Männer identifizieren könnten, wäre seine Stimme, nicht einmal das Bike, das haben sie gar nicht richtig gesehen.Um Mitternacht ruft Kim in der Redaktion ihrer Zeitschrift an, ein Kollege ist extra des Nachts da, 114
um alle einlaufenden Informationen über den BIKE MAN sammeln und direkt auswerten zu können, sie ist mit der Suche nach ihm jetzt nicht mehr alleine beschäftigt, das wird das Titelthema der nächsten Ausgabe in wenigen Tagen sein.Und es gibt eine Überraschung: Während der echte BIKE MAN die letzte Stunde neben ihr verbracht hat, ist ein anderer Biker in der Stadt aktiv gewesen. Wurde von einem Autofahrer auf einem Radweg gerammt, mit einem Messer bedroht und hat sich gewehrt. Ziemlich gut gewehrt, denkt Joe, der Fahrer eine ganze Latte von Knochenbrüchen und Prellungen. Aber der Biker sah anders aus als der originale BIKE MAN und als Der Schwarze.Noch einer mehr? Joe kratzt sich nachdenklich am Kopf, als Kim ihm von seinem dritten Kollegen erzählt. Wo soll das noch hinführen? Wenn das so weitergeht, wird es in wenigen Jahren kein Autofahrer mehr wagen, sich so rücksichtslos zu benehmen, wie das in den letzten Jahren die Regel geworden ist.
III.Endlich ist die Arbeit geschafft. Bis tief in die Nacht hinein hatte Kim an der Ausgabe der Zeitschrift gearbeitet, in der der BIKE MAN das Hauptthema ist. Noch vor dem Wochenende wird die Ausgabe erscheinen, wird vielleicht bis dahin von den aktuellen Ereignissen überholt sein.Nicht überholt sein werden die Berichte über das alltägliche Verkehrschaos und die zunehmende Militarisierung des Autoverkehrs, die Reportagen über alternative Verkehrskonzepte, die seit dem Auftauchen des BIKE MAN wieder in der Diskussion sind. Die Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag war kurz für Kim und Joe, sie hatten das vorläufige Ende der Arbeit an der Story über den BIKE MAN mit einer Flasche Champagner gefeiert.Die Zeitung bringt die Ereignisse der letzten Nacht. Während der richtige BIKE MAN mit der Journalistin beschäftigt war, die ihn finden soll, waren andere Menschen in der Stadt unterwegs. Der Schwarze tauchte wieder auf, legte sich mit einem Falschparker an, der besoffen in sein Auto steigen wollte, zerstach ihm die Reifen, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern und wurde daraufhin vom ihm mit einer Waffe bedroht. Pech für ihn, der Schwarze wand ihm die Waffe aus der Hand und zerschmetterte dem Falschparker den Arm. Wahrscheinlich tat der Alkohol seine Wirkung, er wurde ohnmächtig.Ein Biker in schwarzer Kleidung wurde von einem Autofahrer gerammt, über die Motorhaube geschleudert und anschließend durch Messerstiche so schwer verletzt, daß er auch am Morgen danach noch in Lebensgefahr schwebte. Offensichtlich hielt man ihn für den BIKE MAN, denn die Ähnlichkeit mit Joe konnte man nicht übersehen: schwarzes Bike, schwarze Kleidung, schwarzer Helm. Hätte auch Der Schwarze sein können, wie der Journalist schrieb, aber Joe ist klar, daß das Attentat ihm galt.Wollen sie mich jetzt mich jetzt umbringen? Der Unfall gestern war beabsichtigt, daran kann gar kein Zweifel bestehen, der Fahrer hatte den schwarzen Biker gezielt angefahren, auf ihn eingestochen und war gefahren, ohne Zeugen, ohne Spuren und Fingerabdrücke zu hinterlassen. Wenn 115
das Joe passiert wäre, hätte er den Wagen wahrscheinlich instinktiv wahrgenommen und wäre ihm ausgewichen, selbst in einer engen Straße hätte er das gekonnt. Aber der junge Biker, das Opfer der letzten Nacht, der war kein Nahkämpfer, der konnte sich nicht wehren. Also, denkt Joe, ich habe gar nicht die Wahl, heute Nacht muß ich auf die Straße.Kim hat eine rauchige Stimme, als sie aus dem Bad kommt, zuviel getrunken, zu lange mit Joe 'rumgemacht, zuviel gegrölt. Er hat Zeit genug gehabt, die Artikel in der Zeitung zu studieren, während sie unter die Dusche ging. Ein kurzes Frühstück, bei dem sie wenig über das Thema BIKE MAN reden, und sie glaubt weniger als die Tage zuvor, ihn gerade vor sich zu haben.Eigenartig, wie sich die Dinge entwickelt haben, denkt Joe, jetzt bin ich nicht mehr alleine, jetzt sind es mindestens drei Männer, die nachts durch Köln fahren und die Rächer der Unschuldigen spielen. Auch in Düsseldorf soll jetzt schon ein BIKE MAN gesichtet worden sein, jedenfalls hat es in der letzten Nacht einen Autofahrer gegeben, der dort nach einem Unfall mit einer Fußgängerin Fahrerflucht beging und danach von einem Biker gestellt wurde. Ein typisches Muster der Einsätze des BIKE MAN, aber Joe war es nicht. Das merkt auch Kim, sie gewinnt wieder Vertrauen zu ihm.Eigenartig auch, daß sich die Polizei stetig weniger für Joe zu interessieren scheint. Mag es damit zusammenhängen, daß Joe nicht mehr alleine ist, Kommissar Frings hat sich an diesem Tag nicht bei ihm gemeldet. Die Kunden, mit denen er heute sprechen konnte, zeigten sich überzeugt davon, daß das Auftauchen des BIKE MAN eine Veränderung im Verhalten der Autofahrer bewirkt hatte. Und das zeigte auch die Zahl der Räder, die heute nach Unfällen zur Reparatur gebracht worden waren - es waren deutlich weniger als je zuvor in den letzten Wochen.Am Abend ist Kim nach der kurzen Nacht zu müde, um etwas unternehmen zu wollen. Freie Bahn für Joe. Man wird ihn nicht verdächtigen, diese Nacht unterwegs zu sein. Oder? Es gibt andere, die seinen Job machen, er will ihnen dabei zusehen.Die Nacht bricht über die Stadt herein. Der BIKE MAN steigt in seine schwarze Radlerhose, in seine schwarze Lycrahose, in seine schwarze Lederjacke, zieht seinen schwarzen Helm auf, steckt die schwarze Gesichtsmaske ein. Jeder soll ihn nach der Beschreibung in allen Zeitungen als BIKE MAN identifizieren können. Er nimmt sein schwarzes Bike, trägt es hinunter auf die Straße und geht vor die Tür. Einige Menschen gehen spazieren, kommen grölend aus der Kneipe an der Straßenecke oder von der Arbeit nach Hause. Der BIKE MAN, der fährt jetzt erst zur Arbeit.Auf dem Ring patrouilliert Joe auf dem Bike entlang, ohne jedoch angemacht zu werden. Ein Golf Cabrio folgt ihm, fährt ihm hinterher, aber die drei Leute, die darin sitzen, machen auf ihn nicht den Eindruck, als ob sie ihn anmachen wollen. Ein großer Gegenstand im Auto zieht seine Aufmerksamkeit auf sich, er kann ihn aber nicht identifizieren. An einer Ampel fährt er weiter, während der Golf halten muß. Ist vielleicht besser, wenn du dir die Maske überziehst, denkt Joe, und tut das, freihändig fahrend. Er sieht sich um, der Golf folgt 116
ihm, holt auf, er entscheidet sich zum Abbiegen.In der Seitenstraße folgt ihm der Wagen immer noch, holt auf, hält dann aber einen Abstand von 4, 5 Metern zu ihm ein. Zum ersten Mal sind es nicht nur Männer, die ihn verfolgen, ein Mann fährt den Wagen, einer sitzt auf dem Rücksitz, eine Frau sitzt auf dem Beifahrersitz. Und die spricht ihn an."He, sind Sie der BIKE MAN?"Nanu? Joe sieht sich um, die Frau hält ein Mikro in der Hand, der Mann hinten im Wagen richtet eine Kamera auf ihn. Ach so, die wollen mich filmen? Er fährt langsamer, der Golf zieht links neben ihn, die Journalistin stellt sich als Mitarbeiterin von RTL vor."Sind Sie der BIKE MAN?“ „Man nennt mich so.“ „Sind Sie der echte? Oder einer von den Anderen?“ „Ich bin das Original.“ „Wie kommen Sie dazu, den Rächer zu spielen? Was hat Sie dazu gebracht?“ „Man hat mich auf der Straße fast umgebracht. Und ich hab' mich ganz einfach gewehrt, mehr nicht.“ „Was sind Sie von Beruf? Wo haben Sie gelernt, so Rad zu fahren und zu kämpfen?“ „Das sag' ich nicht. Damit würde ich meine Identität preisgeben.“ „Wie lange wollen Sie das noch machen?“ „So lange, wie man mir nach dem Leben trachtet und andere umbringt. Gestern Abend hat ein Killer versucht, mich umzubringen und einen jungen Biker abgestochen. Den suche ich jetzt.“ „Haben Sie eine Waffe?“ „Ich bin eine Waffe.“ „Sie haben keine Pistole?“ „Nein.“ „Man hat versucht, auf Sie zu schießen. Wird Ihnen der Job nicht zu gefährlich?“ „Es ist gefährlich, in diesem Land Rad zu fahren. Da ist der Unterschied nicht groß, ob ich BIKE MAN bin oder nicht.“ „Werden Sie uns oder der Polizei ihre wahre Identität enthüllen?“ „Ich hoffe, daß es dazu nie kommt.“ „Und was werden Sie heute Abend machen? Was haben Sie bisher getan?“ „Bis jetzt habe ich keinen Menschen zusammengewichst. Und ich weiß nicht, was heute Abend noch passieren wird."Schluß mit dem Interview, sie kommen an einer Kreuzung an, Joe biegt nach links ab, in eine Sackgasse, der Golf kann ihm nicht folgen, durch die Poller paßt er nicht hindurch. So schnell das Interview begonnen hatte, so schnell ist es auch wieder zu Ende.Zurück zum Ring. Es geht auf 11 zu, als Joe die Straße langfährt. Die Maske hat er nicht ausgezogen; wenn noch andere Sender auf ihn Jagd machen sollten, will er nicht anhand seines Gesichtes identifiziert werden. Scheint doch nur ein Einzelfall gewesen zu sein, das mit dem Messerstecher gestern, denkt Joe, als er sich vor einem Geschäft die Auslagen ansieht.Ihm folgt ein anderes Auto. Nein, das scheinen keine Journalisten zu sein, der hält weniger Abstand. Er springt von der Straße auf den Radweg, reduziert das Tempo, der Wagen bleibt neben ihm. Eine Straße Zwischen Friesenplatz und Rudolfplatz, die nach rechts führt, Einbahnstraße in Gegenrichtung. Ob er mir folgt? Joe biegt ein, da kommt jetzt gerade keiner, es geht, ohne einen Crash zu bauen.Tatsächlich, der folgt mir! Er ist nicht überrascht, eher erfreut, vielleicht ist das der Typ, der den jungen Biker gestern fast abgestochen hat. Der Wagen, ein schwarzer Mercedes, holt auf, gibt Gas, will Joe rammen. Nicht mit mir, sagt er sich, und springt kurz vor dem erwarteten Zusammenstoß 117
zwischen zwei Pollern zur Seite über die Bordsteinkante. Mit quietschenden Reifen hält der Benz, Joe stoppt und sieht sich an, was der Fahrer macht. Es ist ein einzelner Mann, der im Wagen sitzt, die Streifen des AAC waren immer zu zweit besetzt. Der Mann sieht ihn an, irgendwoher kennt Joe das Gesicht, kann sich aber im Moment nicht daran erinnern. So tritt er an, schießt hinter dem Benz vorbei, der Mann versucht, ihm den Weg abzuschneiden, doch Joe ist schneller, fährt über den breiten Bürgersteig und schießt die Straße auf dem Fußweg entlang. An der nächsten Kreuzung springt er auf die Straße, weiß den Benz hinter sich. Biegt links ab, bevor ihn der Mann erreichen kann, gewinnt einen Vorsprung und schießt in eine Straße nach rechts.Der Mercedes biegt mit quietschenden Reifen in die Straße ein, gibt Gas und bremst abrupt ab. Der BIKE MAN scheint verschwunden, aber ein Knall läßt den Fahrer stoppen - ein Ritzel hat ihm einen Vorderreifen zerfetzt. Er hält an, steigt aus, durch die Tür vor weiteren Geschossen geschützt.Sekundenlang geschieht gar nichts. Stille liegt über der Straße, bis ein Auto von hinten einbiegt. Ein Taxi, wie die beiden Männer erkennen, und der Fahrer erscheint recht ungeduldig, er hupt den Benz mitten auf der Straße an, beiseite zu fahren. Als der Taxifahrer in den Lauf eines Gewehres blickt, legt er schnell den Rückwärtsgang ein und setzt zurück, verläßt den Ort der Handlung. Der Killer, denn um den, denkt Joe, handelt es sich hier augenscheinlich, duckt sich hinter die Tür und schleicht sich auf den Fußweg, ohne aus der Hocke zu gehen.Zwischen zwei parkenden Autos sucht er Schutz, auf der linken Seite der Einbahnstraße, auf der Joe sich befinden muß, denn der Reifen ist an der gleichen Seite geplatzt. Ein Schatten bewegt sich zwei Autos weiter, der Killer geht aus seiner Deckung und feuert in die Richtung. Es donnert, eine Frontscheibe geht in Stücke, aber Joe ist schnell wieder verschwunden. Der Mann nutzt die Pause und läuft in der Hocke an einem Auto entlang, duckt sich in der Lücke zum nächsten. Wartet darauf, ob sich etwas regt, der BIKE MAN muß seiner Ansicht nach hinter diesem oder dem nächsten Auto sein.Für Sekunden geschieht nichts, gespannte Erwartung auf beiden Seiten. Der Killer reckt langsam den Kopf nach oben, und plötzlich fliegt ein Ritzel über seinen Kopf hinweg, rasiert ihm knapp über die Haare und bleibt krachend in der Motorhaube des Wagens hinter ihm stecken. Verdammt scharf, die Dinger, denkt er. Richtet sich auf, legt die Knarre an und gibt einen Schuß in die Richtung ab, aus der das Ritzel gekommen ist. Nichts geschieht, Licht geht in einem der Häuser an, Stille liegt wieder über der Straße, gestört von einem Hund, der in einem Haus losbellt.Ein zweites Mal will der Killer schießen, richtet sich auf, legt das Gewehr an. Als er abdrücken will, spürt er den Einschlag eines scharfen Gegenstandes in die rechte Hand, die den Abzug bedient. Ein Schmerz durchzuckt ihn, er duckt sich und besieht sich, was los ist. Das Ritzel hat die Hand getroffen, Blut fließt über das Gewehr. Er duckt sich in den Schutz des Wagens, verdammt, der Typ ist ein guter Schütze. Vorsichtig zieht er sich das Ritzel 118
aus der Hand und will sich die Wunde mit einem Taschentuch verbinden.Als er damit beschäftigt ist, steht plötzlich eine schwarze Gestalt vor ihm, er sieht auf, will das Gewehr nehmen, aber die Gestalt tritt vor den Lauf, das Gewehr fliegt auf die Straße. Der Killer springt auf, hechtet dem Gewehr hinterher und bekommt es zu fassen. Aber Joe ist genauso schnell, und legt beide Hände um das Gewehr. Ein Schuß löst sich und zerfetzt ein Rücklicht des Mercedes, dann hat Joe beide Hände auf der Knarre, legt sein ganzes Gewicht darauf und drückt es nach unten. Langsam nähert es sich dem Hals des Mannes, der tritt aus und wirft Joe über seinen Kopf hinweg auf den Rücken.Er will das Gewehr aufnehmen, aber Joe hat nicht losgelassen, rollt sich ab und schlägt dem Mann mit dem Kolben gegen den Schädel. Schlägt ein zweites und drittes Mal zu, erwischt eine Gelegenheit, sich aufzurichten, und schlägt dem Killer mit dem Ellbogen erneut gegen den Schädel. Für einen Moment ist er benommen, genug Zeit für Joe, sich zur Seite zu rollen. Er nimmt das Gewehr, schmettert es zweimal mit dem Lauf auf den Boden und verbiegt diesen damit so stark, daß man sich damit selbst umbringt, wenn man abdrückt. Zufrieden wirft er das Gewehr weg und steht neben dem Mann.Der kommt zur Besinnung, will nach einem Messer in seiner Brusttasche greifen. Bevor er es zieht, trifft Joes Faust den Arm. Es knackt häßlich, als ein Knochen bricht, das Messer fällt zu Boden. Genug mit der Spielerei, Joe packt ihn an der Schulter und dreht ihn auf den Bauch. Dreht die Arme nach hinten, läßt den Gebrochenen wieder los und faßt den Mann an den Haaren."Warum wolltest Du mich umbringen? Wer hat Dich engagiert?“ „Ich wollte gar nichts.“ „Muß ich Dir erst den Mund öffnen?"Es knackt vernehmlich, als Joe den Killer mit dem Schädel auf den Asphalt klopft und ihm die Nase bricht. Ihm fällt ein, woher er das Gesicht kennt: Er hat den Mann auf einem der Steckbriefe bei der Kripo gesehen. Ob der Typ allerdings nach dieser Nacht noch so ähnlich aussieht, ist fraglich."Wer hat Dir die Knete bezahlt, um mich umzulegen? Die Bullen suchen Dich, Du bist ein Killer. Ich tue ein gutes Werk, wenn ich Dich liquidiere."An seinem Zittern spürt Joe, daß der Profi Angst bekommt."Wimmer. Wimmer hat mich bezahlt, den BIKE MAN zu fangen.“ „Lüg' mich nicht an, sonst platzt Dir gleich der Schädel. Wer?“ „Ich hab's doch gesagt. Wimmer!“ „Ach ja? Wieviel hat er Dir gezahlt?“ „50000 bar auf die Hand, wenn ich Dich umlege.“ „Okay. Das wird die Bullen freuen. Und jetzt gute Nacht."Der Schädel donnert nochmals auf den Asphalt, der Körper erschlafft, der Mann ist ohnmächtig. Wimmer will also meinen Kopf und setzt einen Killer ein? Das wird die Polizei freuen. Joe steht auf, läuft zu seinem Bike und fährt davon, bevor die Polizei kommt. Menschen lugen vorsichtig aus ihren Fenstern, was da vor sich geht, einige trauen sich auf die Straße. Ein Schäferhund nähert sich knurrend dem Killer, doch der tut ihm nichts mehr. Er wird erst erwachen, als die Polizei ihm Handschellen anlegt.An einer halboffenen Telefonzelle hält Joe an, gibt dem Beamten am anderen Ende der Leitung eine Botschaft für Kommissar Frings durch, daß der Killer 119
von Wimmer auf ihn angesetzt wurde und in der Lütticher Straße liegt, fährt danach schnell weiter, bevor man die Zelle mit einer Fangschaltung ausfindig machen kann.
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Viel los an diesem Freitag. Was Joe am meisten freut, ist, daß er in der nächsten Woche frei hat, da kommt Tom wieder aus dem Urlaub zurück, und er kann sich aus der Stadt abseilen. Vielleicht mit Kim, vielleicht, so hatte er sich überlegt, wird er sich ganz einfach auf sein neues MTB setzen, Schutzbleche, Gepäckträger und Lichtanlage montieren und irgendwo nach Süden fahren. Der Sommer im Norden nähert sich dem Ende, da hat er nicht viel Auswahl bei der Wahl des Zieles.Schon um 11 ist der Laden voll, Andy schaltet den Anrufbeantworter auf die "Bude voll"-Stellung, keiner von ihnen hat Zeit, sich auch noch um Anrufe zu kümmern. Es gibt einige Reparaturen, ein Biker ist von einer Streife des AAC gestellt worden, hat persönlichen Kontakt mit Wimmer gehabt, war aber nicht der Richtige. Kein Wunder, Joe war ja nicht auf Achse. Die gleiche Streife hatte später einen anderen Biker gestellt, dessen Beschreibung auf den paßte, der drei Tage zuvor einen Autofahrer aufgemischt hatte, der ihn gerammt hatte. Auch ein guter Nahkämpfer, den Beifahrer der Streife konnte er mit einem Tritt außer Gefecht setzen. Der Fahrer versuchte ihn mit dem Auto zu rammen, kollidierte dabei mit einem anderen Pkw und wurde von dessen Fahrer angeschossen. Sowohl Autofahrer als auch Biker konnten sich durch rasche Flucht einem Kontakt mit der Polizei entziehen, so daß die Beschreibung der Vorfälle nur auf den Aussagen der beiden Männer beruhte, die man in der Krankenstation des Gefängnisses vernommen hatte.Die sind also aus dem Verkehr gezogen, denkt Joe. Damit dürften nicht mehr viele von den Streifen übrig sein, die Abschußquote der letzten Tage war recht ansehnlich. Andere Biker wehren sich inzwischen genauso wie er, und als er mittags Radio hört, werden Radfahrer zu den Attacken der Streifen des AAC befragt. Viele sagen ganz offen, daß sie abends nur noch mit einer Waffe in der Tasche durch die Gegend fahren. Und viele, nicht nur Radfahrer, sagen auch, daß sie aus dem AAC ausgetreten sind, seitdem die gewalttätigen Übergriffe auf Radfahrer stattfinden. Die Polizei sieht keine Handhabe gegen die Streifen, sie können erst einschreiten, wenn sie Verbrechen begehen.Wimmer ist nicht beizukommen, der Rest des Vorstandes versucht ihn zur Aufgabe seines Postens zu bewegen, aber der Mann bleibt stur. Er weicht keinen Millimeter von seiner harten Linie ab, fordert weiterhin den Kopf des BIKE MAN. Auch heute Abend will er wieder in einer Streife sitzen und Jagd auf ihn machen. Vielleicht sehen wir uns, denkt Joe, und vielleicht ist es für einen von uns beiden das letzte Mal...Der Tag geht zu Ende. Um 7 Uhr findet sich Joe beim Training ein. Seine Partner haben den Eindruck, daß er heute äußerst konzentriert mitmacht. Seine Reaktionen kommen sehr gut, er weicht jedem Schlag und Tritt perfekt aus, pariert jede Aktion wie aus dem Bilderbuch und trifft mit seinen Gliedmaßen stets ins Ziel. Was mit ihm los sei? Gar nichts, vielleicht die Vorfreude auf den Urlaub. Um 9 ist er zu Hause, geht unter die Dusche und trocknet sich schnell ab, er hat heute noch eine Menge zu tun. Kim ruft an, sie hat heute Abend etwas in der Redaktion zu 121
erledigen und wird ihn morgen anrufen. Sehr gut, dann brauchst du heute Abend kein Risiko einzugehen, denkt er.Dämmerung legt sich über Köln. Der BIKE MAN entsteht, ein Fahrradmechaniker zieht seine schwarze Radlerkleidung an, setzt seinen schwarzen Helm auf und besteigt sein schwarzes Bike. Vorsichtig lugt er aus der Tür, wenige Menschen auf der Straße, keiner beachtet ihn. Gut so. Er steigt auf, biegt zweimal links ab und ist auf dem Weg in die City. Dorthin, wo heute eine Entscheidung fallen soll.Der BIKE MAN patrouilliert über den Ring. Viel los heute, eine Menge Autos aus dem Umland, die rote Ampeln übersehen und keine Vorfahrtsregeln beachten. Ein älterer Manta mit Bergheimer Kennzeichen paßt beim Spurwechsel nicht auf, wird von einem Kleintransporter, der es eilig hatte, in Höhe der Fahrertür gerammt und dreht sich mehrfach. Schlagartig ist der Ring dicht, ein dicker Benz knallt noch in den Manta, dann geht nichts mehr.Schnell weg hier, denkt Joe, wenn du in das alltägliche Chaos kommst, erkennt dich gleich einer. Er tritt an, nimmt die erste Straße nach links und brettert durch zur nächsten Querstraße. Zieht sich während der Fahrt den Helm ab, die schwarze Maske über und den Helm wieder auf. An einer roten Ampel stoppt er, ohne die Füße auf den Boden zu setzen, und fährt bei Grün an. Wo sind sie denn? Wimmer hatte heute große Worte gespuckt, wo sind denn nun die Streifen des AAC?Eine Viertelstunde später ist noch immer nichts passiert. Joe fährt langsam den Ring entlang, passiert einen Taxistand am Friesenplatz. Ein Biker überholt ihn, in schwarzer Jeansjacke und dunkler Radlerhose, das könnte er aus der Entfernung selber sein. Und das denken wohl auch andere, denn ein Mercedes auf der Straße fährt langsamer. Hält das Tempo des Bikers, der sich mit rund 30 Sachen der nächsten Kreuzung nähert. Und da greifen sie zu. Plötzlich röhrt der Motor des Mercedes auf, er hält auf den Biker zu und will ihn mitten auf der Kreuzung rammen. Der ahnt die Gefahr und biegt ruckartig nach rechts ab, entgegen die Einbahnstraße, so daß der Mercedes die Kurve nicht mehr kriegt. Mit dem Heck voraus dreht sich der Benz, bleibt in Fahrtrichtung stehen. Der Fahrer will gerade wenden und den Biker verfolgen, als Joe direkt vor seiner Nase vorbeifliegt. Instinktiv tritt der Fahrer auf die Bremse, glaubt, nun den richtigen BIKE MAN vor sich zu haben.Joe verschwindet zwischen zwei Pollern auf dem Friesenplatz, bleibt einige Meter weiter stehen. Die Poller stören den Fahrer des AAC nicht, er gibt Gas, bügelt einen Poller nieder und will Joe rammen. Der fährt an, schießt an einem Blumenkübel vorbei und bleibt dahinter stehen. Der Fahrer des Benz bremst und schlägt das Steuer ein, um Joe von hinten zu rammen. Er fährt wieder an, umkreist den Kübel und trickst den Benz damit aus, der Wagen dreht sich erneut. Das machst du nicht sehr gut, denkt Joe. Fährt frontal auf den Benz zu, springt auf die Motorhaube und fährt über den Kofferraum, kommt auf die Erde zurück. Zuerst ist der Fahrer verblüfft, legt dann den Rückwärtsgang ein und will Joe auf diese Weise rammen.Pech gehabt, Joe weicht knapp vor einem 122
Betonklotz aus, der Benz aber knallt voll auf ihn drauf. Rund um den Platz sehen Leute zu, schütteln den Kopf über den rücksichtslosen Fahrer, der jetzt wendet und Joe verfolgen will. Der biegt nach links ab, zu einer Haltestelle, schießt über die Geleise und zwischen zwei Pollern hindurch auf die andere Seite des Platzes. Auch das stört den Fahrer nicht, er fährt noch einen Poller um, und donnert eine Bordsteinkante hinauf. Es kracht, er war viel zu schnell, ein Vorderrad bricht weg, der Wagen dreht sich, diesmal bleibt er liegen. Was macht der Fahrer? Er steigt aus, ruft Joe Schimpfwörter nach, will ihm nachlaufen, der da mitten auf dem Platz steht. Aber er kommt nicht weit.Ein Mann läuft auf den ausgestiegenen Fahrer des Benz zu, hält ihn am Arm fest. Der Fahrer schlägt die Hand des Mannes mit einer schnellen Bewegung weg, ruft ihm herbe Fäkalworte nach. Wieder will ihn der Mann festhalten, und diesmal schlägt der Fahrer dem Mann auf die Nase. Aber das schafft er nur einmal, denn sein Gegenüber, ähnlich muskulös wie der Fahrer des AAC, ballt plötzlich die Faust und donnert sie in den Magen des Fahrers. Der krümmt sich, bekommt einen Tritt ins Gesicht verabreicht, richtet sich dadurch wieder auf. Schließlich schlägt ihm der Mann aufs Kinn, und der Fahrer geht zu Boden. Das machst Du nicht noch einmal, hört Joe den Mann sagen, als er geht, die rechte Hand ausschüttelnd.So kann's kommen, denkt Joe, und fährt; der Fahrer des AAC hat für's erste genug, Joe tritt an und verläßt den Platz. Der Fahrer rappelt sich benommen hoch, hält sich den Magen, als er langsam zum Wagen humpelt. Die Haut an seinem Kinn ist aufgesprungen, und er blutet aus der Nase. Das hält ihn aber nicht davon ab, zum Wagen zu gehen und über Funk seinen Standort und damit den derzeitigen Aufenthalt des BIKE MAN durchzugeben. Als er gerade damit fertig ist, das Mikrofon aus der Hand legen will, reißt ihm ein Polizist den Arm nach hinten und legt ihm Handschellen an. Der Fahrer wird nach oben gezogen, sieht sich um und sieht in das Gesicht von drei Polizisten. Einer von ihnen ist in Zivil. Es ist Kommissar Frings."Sind Sie vom AAC?“ „Ja. Ich bin vom AAC. Man hat mich überfallen.“ „Reden Sie keinen Mist. Wir haben mindestens 10 Zeugen, die aussagen werden, daß Sie den BIKE MAN verfolgt haben. Und dabei den ganzen Platz demoliert haben.“ „Das war ich doch nicht.“ „Ach? Auch noch leugnen? Na, dann werden wir Dich nächste Woche verhören, Freundchen. Und jetzt führt den Typ ab."Recht unsanft reißt einer der Streifenpolizisten den Mann hoch, treibt ihn zum Wagen und drückt ihn auf das Dach. Routinemäßig wird er nach Waffen durchsucht, und es finden sich neben einer 38er Automatik mehrere Messer. Wo ist der Waffenschein? Er hat keinen dabei? Sehr gut, das reicht, um ihn mehrere Tage festzuhalten.Frings ist wegen der Schäden, die der rücksichtslose Fahrer angerichtet hat, wütend. Mehrere Poller sind umgefahren, das Pflaster aufgebrochen und einige Blumenkübel beschädigt. Es wird den Steuerzahler etliche Tausender kosten, bis die Schäden repariert sind. Und er wird von seinen Vorgesetzten Druck bekommen, weil 123
das nicht passiert wäre, wenn er den BIKE MAN früher gefangen hätte. Der muß hier irgendwo in der Nähe sein, also bleibt er in diesem Viertel.Ebenfalls in der Nähe bekommt eine Journalistin gerade einen Anruf, daß sich der BIKE MAN gerade wieder gezeigt hat. Schnell packt Kim ihren Kollegen am Arm, schaltet den Computer aus und läuft zu dem Wagen, der dem Fotografen gehört und der unten im Hinterhof geparkt ist. Und ebenso schnell wie der BIKE MAN von der Bildfläche verschwunden ist, sind sie auf der Straße, beteiligen sich an der allgemeinen Suche nach ihm.Alle Streifen des AAC wissen jetzt Bescheid, daß sich der BIKE MAN in der Nähe des Friesenplatzes aufhält. Joe fährt die Brüsseler entlang, bemerkt ein Auto, daß ihm zu folgen scheint. Biegt nach rechts ab, der Wagen kommt hinterher. Ist das noch eine Streife des AAC? Der Wagen holt auf, donnert auf ihn zu, da besteht kein Zweifel mehr, das müssen sie sein! Der Fahrer setzt einen Funkspruch ab, Frings hat sein Funkgerät gehässigerweise auf die Frequenz des AAC eingestellt und klopft seinem Assistenten auf die Schulter, auch sie fahren ins Belgische Viertel hinein.Erneut biegt Joe ab, der BMW hinter ihm tut dasselbe. Er fährt über eine rote Ampel, biegt verbotenerweise nach links in die Brüsseler ab und danach direkt rechts in eine Nebenstraße. Der BMW fährt ebenfalls über die rote Ampel, schneidet einen entgegenkommenden Pkw, dessen Fahrer verreißt das Steuer und prallt in einen falsch geparkten Wagen. Und auch der BMW biegt nach rechts ab. Sieht plötzlich den schwarzen Biker nicht mehr, bremst ab und blendet auf. Aber der BIKE MAN ist verschwunden. Der Beifahrer greift zum Funkgerät und gibt an alle anderen Streifen durch, in welcher Straße sie sich gerade befinden.Da schlägt ein Ritzel in der Windschutzscheibe ein. Der Fahrer will einen Gang einlegen, sieht einen schwarzen Schatten rund 20 Meter vor sich. Das muß er sein! Er will Joe rammen, aber als er gerade angefahren ist, durchbohrt eine Speiche den Vorderreifen, der platzt, und der BMW prallt gegen einen parkenden Wagen. Beide Männer werden in die Gurte gedrückt, das war es dann wohl. Der Schatten verschwindet, sie sehen sich an, wir müssen ihn finden, bevor er uns findet. Sie greifen nach ihren Waffen und steigen aus, gehen geduckt um den Wagen herum und kriechen über den Bürgersteig.Rund 20 Meter weit kommen sie, sehen sich die Lücke zwischen zwei parkenden Autos an, von der sie meinten, daß Joe darin verschwunden sei. Aber die Lücke ist leer. Ratlos sehen sie sich an, der vordere schleicht zwischen die Wagen, um einen Blick auf die Straße zu werfen.Dem hinteren der beiden Männer wird plötzlich der Mund von hinten zugedrückt, eine Hand donnert auf den rechten Arm herunter, der die Waffe hält, sie fällt zu Boden. Ein Schlag mit der Handkante auf den Schädel, und der Mann ist ohnmächtig. Joe kickt die Pistole unter den Wagen, damit sie keiner mehr benutzen kann.Nichts auf der Straße zu sehen, denkt sich der zweite Mann des AAC. Gerade will er sich zu seinem Kollegen umdrehen, als er Joe ins Gesicht, oder besser, auf die schwarze Gesichtsmaske sieht. Er ist zu erstaunt, um schnell zu reagieren, 124
Joes Faust trifft ihn hart an der Schläfe, die andere Hand faßt die Waffe und nimmt sie auf. Der Mann fällt auf die Straße, leicht benommen von dem Schlag. Joe will nachsetzen, aber da hält ihn ein Instinkt zurück.Bruchteile von Sekunden später biegt ein Mercedes um die Ecke, fährt die Einbahnstraße in der falschen Richtung herein und bremst abrupt ab, als der Fahrer den beschädigten BMW sieht. Hält an, und die beiden Männer auf den Vordersitzen steigen aus. Der Mann auf der Straße bewegt sich, warnt seine Kollegen, deutet hinter sich, weil er Joe dort glaubt, aber der ist längst woanders. Der Fahrer des Benz kriecht die Straße entlang, eine Pistole nach vorne gerichtet. Sieht sich zur Seite um, erreicht den Kollegen, der auf der Straße liegt, kriecht durch die Lücke, sucht den BIKE MAN. Doch der ist nicht mehr da.Er will auf den Fußweg gehen, klettert über den ohnmächtigen Kollegen und richtet sich auf, da bohrt sich ein Ritzel in seine rechte Hand, und die Waffe fällt zu Boden. Der Fahrer will sie aufheben, und ein zweites Ritzel trifft ihn an der Schläfe, ohnmächtig und blutend geht er zu Boden. Friedlich liegen zwei der Männer kampfunfähig nebeneinander und bilden nun keine Gefahr mehr.Der Fahrer des BMW blutet zwar ebenfalls, ist aber wieder bei Besinnung, drückt seinen Kollegen zur Seite, der gerade hinter ihm zusammengebrochen ist, und greift nach seiner Pistole. Im gleichen Moment tritt Joe gegen dieselbe, er hatte sich in einem Vorgarten versteckt, unsichtbar für alle anderen. Der Fahrer richtet sich auf, will ein Messer ziehen, aber Joe ist wieder einmal schneller, wirbelt herum und tritt ihm gegen den Schädel. Endgültig ohnmächtig geht auch der dritte Mann zu Boden. Irgendwo huscht ein schwarzer Schatten um die Ecke, was Joe unterbewußt wahrnimmt.Jetzt ist noch einer übrig, denkt Joe. Er geht zu dem Beifahrer des BMW, der scheint noch ohnmächtig zu sein. Joe nähert sich ihm vorsichtig, beugt sich über ihn, wird plötzlich von einer Faust gegriffen und zu Boden geschleudert.Der war ja gar nicht ohnmächtig! Sein Helm prallt gegen eine Stoßstange, er fällt auf den Bürgersteig. Dann will der Beifahrer des BMW auf ihn draufspringen, aber Joe tritt ihm einen Fuß in den Magen. Stöhnend fällt der Mann neben ihm zu Boden, und schnell will Joe ihn auf den Bauch drehen und die Hände fesseln. Da hallt ein Schrei durch die Gegend."BIKE MAN! Jetzt hab' ich dich! Jetzt kratzt du ab!"Wimmer! Das ist Wimmer, der da noch im Mercedes saß. Zu spät, Joe kann sich nicht mehr zur Seite wegrollen. Wimmer richtet eine Waffe auf seinen Kopf."Los, BIKE MAN, Hände hoch. Aufstehen und auf die Straße. Ganz langsam."Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Mitmachen ist die einzige Chance, Zeit zu gewinnen. Er geht zwischen den Autos hindurch auf die Straße."So, jetzt hab' ich Dich endlich. Nimm die Maske ab, BIKE MAN.“ „Nein. Hol' sie Dir doch, Wimmer.“ „Zwing' mich nicht, Dich umzulegen, BIKE MAN.“ „Willst Du in den Knast? Willst Du einen unbewaffneten Mann erschießen?“ „Du bist bewaffnet.“ „Nein. Ich habe nie eine Waffe benutzt. Wenn Du mich umlegst, Wimmer, ist Dein Leben zu Ende. Dann bist Du ein Mörder, dann können die Bullen Dir endlich den Arsch aufreißen. 125
Überleg' Dir das gut.“ „Zieh' die Maske ab, BIKE MAN. Zum letzten Mal: Zieh' die Maske ab!“ „Nein, Wimmer.“ „Dann muß ich Dich jetzt erschießen."Hab' ich noch eine Chance? Joe denkt fieberhaft nach, sieht, wie Wimmer die Pistole auf seinen Kopf richtet. Jeden Moment kann es vorbei sein. Soll ich mich schnell abrollen? Was ist mit den anderen?Ein Schuß fällt. Wimmers Hände werden zur Seite gerissen, aber nicht durch den Rückstoß seiner eigenen Waffe, sondern von einer Kugel, die gerade den Lauf seiner Pistole trifft. Sie wird zur Seite geschleudert, Joe duckt sich sofort weg und rollt zur Seite ab, in die Lücke zwischen 2 Autos. Der Beifahrer des BMW will nach seiner Waffe greifen, ist wieder bei Bewußtsein. Bevor er die Pistole in der Hand hat, reißt Joe ihn mit einem Griff um den Hals zur Seite, greift den Arm mit der Waffe und schleudert sie in einen Vorgarten. Der Mann donnert gegen einen geparkten Wagen, und endlich geht auch er zu Boden.Der Fahrer des Mercedes kriecht zu seiner Waffe, ist ebenfalls bei Bewußtsein, als ein Wagen weit hinter dem BMW in die Straße einbiegt. Joe duckt sich auf dem Fußweg, läuft 10 Meter, und dann steht er neben dem Schwarzen. Er ist es tatsächlich."Danke. Du hast mir das Leben gerettet.“ „Nichts zu danken. Das war doch klar, daß wir zusammenhalten müssen.“ „Leo? Bist Du's wirklich?“ „Ja, Joe, ich bin's. Ich hab' mir das gleich gedacht, als Du mich angerufen hast.“ „Hab' ich mir doch gedacht. Aber ich glaube, wir sollten jetzt abhauen, da kommen Leute."Ja, da kommen Leute. Hinter dem BMW hält ein Golf Cabrio, ein Fotograf und eine Journalistin steigen aus, knipsen die Szene und gehen zum BMW. Sie ahnen nicht, was hier los ist. Der Schwarze läuft im Schutz der geparkten Autos zu dem Mercedes, dessen Fahrer sich hinter der Motorhaube versteckt hat und sich mit dem verletzten Wimmer unterhält. Dessen linke Hand ist durch die Wucht der Kugel, die ihm die Waffe aus der Hand gerissen hat, verletzt, die rechte aber noch in Ordnung. Sie sprechen miteinander, und so merken sie nicht, wie Leo sich nähert. Es ist zu spät, als der Fahrer ihn sieht; bevor er zu seiner Pistole greifen kann, trifft Leo ihn mit dem Fuß an der Schulter. Ein Schuß fällt, ein Reifen platzt, der Mercedes sackt an einer Seite ein. Die Waffe fällt zu Boden, Wimmer greift mit der rechten Hand danach, will auf den Schwarzen feuern, aber der ist längst in Deckung gegangen.Erschrocken gehen auch die beiden Journalisten hinter dem BMW in Deckung, Joe traut seinen Augen nicht, das ist ja Kim! Müssen denn jetzt alle hier auftauchen?Ein leichter Knall, und der Innenraum des Mercedes steht in hellen Flammen. Wimmer fällt nach hinten, kriecht um den Wagen herum und läßt seinen Fahrer liegen. Wo sind seine Leute? Er sucht die beiden schwarzen Gestalten, die ihm, so glaubt er, nach dem Leben trachten. Richtet sich auf, die Flammen im Wagen blenden ihn."Hier bin ich. Direkt hinter Dir."Wimmer dreht sich um, Joe packt seinen intakten rechten Arm und schleudert ihn auf den Kofferraum des Mercedes, die Waffe geht zu Boden, Joe kickt sie unter den Wagen, dorthin, wo es brennt."Du wolltest mich doch haben. Hier bin ich.“ „Wer bist Du?Der Vorsitzende des AAC will 126
Joe an die Maske greifen, sie herunterreißen, und ein Blitzlicht zeigt ihnen, daß andere auch noch darauf warten. Er ist nicht schnell genug, Joe wehrt seine Bewegung ab."Ich bin auch noch da."Irritiert wendet Wimmer sich um, direkt hinter ihm steht Der Schwarze. Er wendet sich von Gesicht zu Gesicht, beide Männer sind sich ähnlich."Wir sind mehrere, Wimmer. Wir sind nicht alleine."Er bleibt still. Was sollen wir jetzt mit ihm machen? Von hinten nähert sich Kim, die anderen drei Männer des AAC sind außer Gefecht. Aber gerade jetzt hält eine Streife mit Blaulicht am Ende der Straße, ein Wagen in Zivil schießt um die Ecke und hält auf den brennenden Mercedes zu. Verdammt, Bullen, Kollegen. Was machen wir jetzt? Joe greift sich den rechten Arm von Wimmer, dreht ihn nach hinten, und beide schieben ihn auf den Bürgersteig.Der Zivilwagen hält hinter dem Mercedes an, zwei Männer steigen aus, und einen davon kennen sie: Es ist Kommissar Frings. Kim läuft auf ihn zu, hat durch das Feuer nicht sehen können, wohin der BIKE MAN und Der Schwarze verschwunden sind. Leo zieht seine Waffe und drückt sie Wimmer an die Schläfe"Ein Wort, Wimmer, und ich drück' ab.“ „Machen Sie keinen Scheiß."Oh, er hat Angst? Joe wendet sich Leo zu, ohne daß Wimmer ihn verstehen kann. Er will sein Bike holen. Die einzige Möglichkeit, hier 'rauszukommen, haben sie, wenn sie Wimmer als Geisel nehmen. Frings nimmt sich ein Megaphon aus dem Wagen."BIKE MAN, wo sind Sie? Sie haben keine Chance, ergeben Sie sich!“ „Wir haben Wimmer als Geisel. Stecken Sie ihre Waffen weg.“ „Wer spricht da?“ „Der Schwarze. Ich mache keinen Spaß, Frings. Eine falsche Bewegung, und Wimmer stirbt. Waffen weg!"Irgendwie kommt dem Kommissar die Stimme bekannt vor, kein Wunder, Leo und er sind ja seit Jahren Kollegen. Er wendet sich zu seinen Kollegen, die gehen hinter den Zivilwagen zurück. Rede sowenig wie möglich, denkt Leo, der Kollege ist ja nicht dumm."In Ordnung. Tun Sie nichts Unüberlegtes. Aber es wäre besser, wenn Sie aufgeben.“ „Jetzt stellen wir die Bedingungen. Ziehen Sie ihre Leute ab.“ „Wollen Sie nicht aufgeben? Es hat doch gar keinen Zweck.“ „Zum letzten Mal: Ich will hier außer Ihnen keinen Bullen mehr sehen, Frings!“ „Okay, okay. Leute, macht die Straße frei.“ „Und die Journalisten sollen ebenfalls verschwinden. Wir wollen ihr Auto als Fluchtfahrzeug."Arme Kim, denkt Joe, so spät in der Nacht mache ich dir so einen Ärger! Sie und ihr Fotograf werden von Frings herangewinkt und mit dem zivilen Wagen an das Ende der Straße gefahren, an dem der Streifenwagen steht. Ein kurzer Blick zu Leo, und Joe holt sein Bike aus dem Vorgarten. Leo zeigt ihm, wo er sein eigenes versteckt hat, und er holt auch dieses. Packt die beiden Bikes seelenruhig auf die Rücksitzbank des Golf Cabrio und schwingt sich auf den Fahrersitz. Der Schlüssel steckt, das erspart die Übergabe. Leo geht rückwärts zum Golf, schleppt Wimmer als Kugelfänger mit. Platziert ihn neben den Bikes auf der Rücksitzbank und hält ihm die Waffe weiter an den Schädel gedrückt.Joe startet den Motor, legt den Rückwärtsgang ein und setzt in einem Zug nach hinten aus der Einbahnstraße 127
heraus. Sieht sich um, ob da unauffällige Fahrzeuge stehen, und gibt Gas. Er kennt sich in der Innenstadt aus, Leo und er reden nicht miteinander, um sich nicht zu verraten. Nach fünf Minuten Slalom durch kleine Straßen, um Verfolger abzuschütteln, sind sie auf der Inneren Kanalstraße. Am Gleisdreieck fährt er auf den Radweg, biegt scharf rechts ein und läßt den Wagen mitten im Forst stehen. Hier wird man ihn so schnell nicht finden, weder den Wagen noch Wimmer. Sie ketten ihn mit einem Paar Handschellen an einem Baum an, wischen ihre Fingerabdrücke ab, nehmen ihre Bikes und verschwinden in der Nacht.
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Kaum ist der Golf anonymer Anruf von Leo gegen Mitternacht bringt den Hinweis darauf, wo sich Wimmer befindet. Man befreit ihn von den Handschellen und bringt ihn in ein Krankenhaus, in dem zuerst die Schußverletzung behandelt wird.Auch die anderen Männer des AAC werden behandelt, Joes Ritzel und Leos Tritte haben ganze Arbeit geleistet, zwei der drei Männer müssen stationär behandelt werden. Sie erwartet, ebenso wie Wimmer, eine Gerichtsverhandlung wegen Sachbeschädigung, unerlaubten Waffenbesitzes und Körperverletzung in mehreren Fällen. Aber das ist noch nicht alles. Wimmer macht die Geiselnahme zu schaffen, und es ereignet sich etwas, womit kein Mensch je gerechnet hatte: Er tritt von seinem Posten als Vorsitzender des AAC zurück. Jubel in der Presse, damit ist auch mit den Streifen Schluß. Das wäre auch so passiert, denn alle von ihnen sind seit der letzten Nacht verletzt und kampfunfähig.Kaum ist Joe zu Hause, da versucht er Kim zu erreichen. Sie ist bis lange nach Mitternacht mit der Aufarbeitung der Geiselnahme durch den BIKE MAN und den Schwarzen beschäftigt, so daß sie sich erst gegen 1 Uhr morgens bei ihm meldet. Er war bereits eingeschlafen, und beim verschlafenen Klang seiner Stimme fällt jeglicher Verdacht von ihr ab, daß er es gewesen sein könnte, von dem sie wenige Stunden vorher Fotos gemacht hatte.Samstags ist nicht nur im Laden die Hölle los. Andy, Mike und Joe sind damit beschäftigt, die Kunden zu bedienen, werden ständig auf die Vorfälle der letzten Nacht angesprochen. Joe ist erstaunlich ausgeschlafen, kein Mensch verdächtigt ihn deshalb, in der letzten Nacht als BIKE MAN unterwegs gewesen zu sein. Gut für ihn, das hält ihm häßliche Fragen vom Leibe.Auch bei Frings ist die Hölle los. Kaum hatten sie Wimmer sichergestellt, meldete eine Polizeistreife, daß sie im Süden von Köln einen weiteren Fall hatten, bei dem ein Radfahrer einen ihn bedrängenden Autofahrer gestellt hatte, von ihm bedroht wurde und ihn anschließend kampfunfähig machte. Frings rauft sich die Haare, wie viele BIKE MEN, Schwarze oder wie sie auch immer heißen mögen, gibt es denn überhaupt? Und wie soll das noch weitergehen? Aus Düsseldorf wird ein weiterer Fall von Selbstjustiz gemeldet, und auch aus Münster kommen ähnliche Gerüchte. Alle zeitgleich mit dem BIKE MAN aus Köln, genau zu dem Zeitpunkt, da Frings ihm persönlich gegenüberstand.Samstag Abend herrscht erstaunliche Ruhe in Köln. Kim und Joe sind mit ihrem Auto unterwegs, fahren den Ring entlang, kommen gerade aus Bonn von einem Konzert zurück, als sie vor sich sehen, wie ein Radfahrer von einem Autofahrer beim Rechtsabbiegen geschnitten wird. Joe zuckt innerlich zusammen, doch was er dann sieht, raubt ihm erst recht den Atem:Der Biker fängt sein Rad ab, stürzt nicht zu Boden, sondern gibt Gas, springt von hinten auf den Wagen und bleibt auf der Windschutzscheibe stehen. Erschrocken bremst der 129
Fahrer, er hatte den Biker nicht gesehen, der nach vorne abspringt. Der bleibt vor dem Wagen stehen, setzt zurück, reißt die Türe auf und brüllt den Fahrer an, ob er ihn umbringen wolle! Offensichtlich versucht der Fahrer ihn mit einer Waffe zu bedrohen, der Biker knallt die Tür zu, reißt sie, inzwischen abgestiegen, wieder auf, zerrt den Typ nach draußen und donnert den Schädel gegen das Wagendach. Ein Schuß, eine Pistole fällt zu Boden, und am nächsten Tag wird in der Zeitung stehen, daß der Autofahrer den Biker erschießen wollte, sich aber selbst den Oberschenkel durchschoß. So kann's kommen, denkt Joe, als Kim den Blick von dem Kampf zu Joe wendet."Ist das der BIKE MAN?“ „Nein.“ „Woher willst Du das wissen?“ „Ich weiß es eben."Wenn Du wüßtest, warum...
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