Utopia Nr. 4
Alf Tjörnsen
Auf dem künstlichen Mond JIM PARKERS ABENTEUER IM WELTRAUM
Stationen im Weltraum In dem n...
44 downloads
659 Views
503KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Utopia Nr. 4
Alf Tjörnsen
Auf dem künstlichen Mond JIM PARKERS ABENTEUER IM WELTRAUM
Stationen im Weltraum In dem neuesten UTOPIA-Band erfahren wir von den Abenteuern, die Jim Parker, der Raumschiffkommodore, auf einem künstlichen Mond erlebt. Ein ›künstlicher Mond‹? Gibt es so etwas überhaupt? Wie könnte man ihn erbauen? Und wozu sollte er dienen? Wir kennen bereits das Haupthindernis, das sich einem Vorstoß in den Weltraum entgegenstellt. Es ist die Anziehungskraft der Erde, die alles festhält, was sich in ihrem Bannkreis befindet. Ein Weltraumschiff, das die Erdanziehung überwinden soll, müßte mit einer Geschwindigkeit von rund 11,3 km/sec starten. Bei einem Raketenflug zum Mond wäre es wohl noch denkbar, diese gewaltige Leistung zu vollbringen. Anders bei Expeditionen zu fernen Planeten, bei denen das Raumschiff Monate und Jahre unterwegs wäre. Kein Treibstoff wäre ohne weiteres imstande, solchen Riesenschiffen genügend Antrieb zu vermitteln, um sie gegen die Anziehungskraft der Erde in die Planetenräume zu befördern. Man plant daher allen Ernstes, im leeren Weltraum ›Außenstationen‹ zu errichten, d.h. kleine, künstliche Monde, die die Erde umkreisen und als ›Umsteigebahnhöfe‹ für Planetenreisen dienen sollen. Ein Weltraumschiff, das von der Außenstation abfliegt, ist gegenüber dem von der Erdoberfläche startenden erheblich im Vorteil. Der künstliche Mond besitzt nämlich bereits eine sehr hohe Eigengeschwindigkeit – rund 8 km/sec –, damit er nicht der Erdanziehung erliegt und
abstürzt. Das Raumschiff, das von ihm startet, braucht also nur noch auf den geringen Differenzbetrag gegenüber 11,3 km/sec beschleunigt zu werden, um der Erdanziehung zu entrinnen. Und außerdem braucht es keinen Luftwiderstand zu überwinden; denn in jenen Höhen, in denen die Außenstation um die Erde kreist, gibt es keine Luft mehr. Das Schiff braucht also weder Geschoßform noch Überschallprofil. Es kann jede beliebige Gestalt bekommen, die gerade zweckmäßig ist. Wie aber soll der künstliche Mond im leeren Weltraum gebaut werden? Es gibt verschiedene Pläne dafür. Zum Beispiel könnte man von der Erde aus eine Rakete hinaufschicken – in eine Kreisbahn um die Erde – und um diese Rakete herum die Station nach und nach zusammenbauen lassen. Die Einzelteile würden auf der Erde angefertigt und mittels Lastraketen hinaufbefördert werden. Der Zusammenbau im leeren Raum würde nicht allzu schwierig sein, da ja alle Bauteile schwerelos wären. Allerdings müßten die Arbeiter in ›Raumtaucheranzügen‹ stecken, die ihnen Wärme, Atemluft, den gewohnten Luftdruck und Schutz vor schädlichen Strahlen bieten würden.
*** Als die viermotorige Verkehrsmaschine über der Mojave-Wüste in ein Luftloch geriet, fuhr Jim Parker aus tiefem Schlummer auf. Er brauchte einen Augenblick, um in die Gegenwart zurückzufinden. Das tiefe Brummen der Motoren – das Vibrieren des Raumes – die Deckenbeleuchtung, die gedämpftes Licht spendete… – Ach ja, er war an Bord des Flugzeuges, das ihn nach sonnigen Urlaubstagen in der Südsee nach Orion-City zurückbringen sollte. Und jener sonnenverbrannte junge Mann, der ihm gegenüber in den Polstern seines Sitzes schnarchte – die Rechte liebevoll um den Hals einer halbgeleerten Flasche ›Old Forester‹ geschlossen? Kein Zweifel, das war Fritz Wernicke, des Weltraumfahrers Jim Parker Steuermann und unzertrennlicher Begleiter! Jim Parker lächelte. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich behaglich zurück. Durch seine Erinnerung zogen Bilder herrlicher Ferientage: Hawaii! Tropische Sonne über dem weißen Strand – kühle Abende unter den Palmen, die leicht im Winde rauschten – unvergeßliche Nächte unter dem Kreuz des Südens, wenn Gitarren ihre zärtlichen Weisen erklingen ließen, blumengeschmückte Töchter der glücklichen Insel ihre alten Tänze zeigten. Was tat es, daß es längst nicht mehr das echte, urwüchsige Leben der Insel war, das er gesehen hatte? Daß längst eine vorbildlich organisierte Fremdenindustrie Blumen und Tänze, Gitarren und Gesänge in ihr Programm aufgenommen hatte und den Besuchern der Insel die Südseestimmung vergangener Zeiten vorzauberte? Dienst am Kunden – aber meisterhaft arrangiert, und auch Jim Parker hatte sich gern der traumhaften Stimmung dieser Wochen hingegeben. Er hatte sich prächtig
erholt. Sein Blick fiel wieder auf Fritz Wernicke, der den Schlaf des Gerechten schlief. Der wackere, kleine Kerl war nicht weniger auf seine Kosten gekommen als sein ›großer Bruder‹. Wenn der Kommodore sich am sonnigen Strand in die Wogen stürzte, oder als Wellenreiter im Schlepp eines Motorbootes über das Wasser fegte, saß Fritz Wernicke, der ›Whiskytöter‹, auf der Terrasse eines Strandhotels und ließ sich das edle Feuerwasser durch die ewig durstige Kehle rinnen. Viel zu schnell waren diese Tage für die beiden Weltraumpiloten zu Ende gegangen. Dann kam der Morgen, an dem das Clipper-Flugzeug sie nach San Francisco zurückbrachte. Und in wenigen Stunden würden sie in Orion-City sein… Eine kleine, hawaiische Melodie summend, blickte Jim Parker sich in der Kabine des Flugzeugs um. Nur wenige Passagiere waren es, die das Nachtflugzeug nach Orion-City benutzten. Weiter vorn, nach dem Führerstand zu, saßen zwei einzelne Herren und schliefen. Neben ihm, auf der anderen Seite des schmalen Mittelganges, saßen zwei andere in lebhaftem Gespräch: ein jovialer Dicker, mit dem überlegenen Gehabe eines gutverdienenden Geschäftsmannes, ihm gegenüber ein hagerer Mann unbestimmbaren Alters, das Gesicht halb verdeckt von dem hochgeschlagenen Kragen seines Ledermantels, so daß nur eine scharfe Geiernase daraus hervorsah. Auf dem Platz daneben sah Jim eine blonde, junge Dame sitzen, die scheinbar unbeteiligt aus dem Fenster in die Dunkelheit hinausblickte. Ganz am Ende der Kabine saß ein untersetzter Mann, das Gesicht in der Zeitung vergraben. Unwillkürlich horchte Jim Parker auf die Unterhaltung seiner Nachbarn. Und plötzlich war er ganz Auge und Ohr. »Ach Unsinn, Verehrtester! Sie wollen mir wohl einen Bären
aufbinden?« rief der Besitzer der Geiernase mit knarrender Stimme. »So was gibt es doch nur in Zukunftsromanen!« Der Dicke war sichtlich entrüstet. »Ob Sie’s nun glauben wollen oder nicht: Die Regierung baut einen künstlichen Mond, und das S.A.T. soll die Sache sofort in Angriff nehmen.« Sein Gegenüber ließ ein ungläubiges Lachen hören; es klang wie das Meckern eines Ziegenbocks. »Künstlicher Mond? Mein Lieber, das erinnert mich irgendwie an die Mär von der Seeschlange im Loch Ness oder an die sagenhaften Fliegenden Untertassen.« Der Dicke tat jetzt sehr geheimnisvoll: »Und wenn ich Ihnen nun sage, daß ich aus sicherster Quelle…« »Aha, dann haben Sie wohl einen Vetter im Ministerium…« »Unsinn!« ereiferte sich der Dicke. Er zog seine prallgefüllte Brieftasche und blätterte ungeduldig unter Banknoten und Papieren herum. Jim Parker stieß Wernicke vorsichtig mit der Fußspitze an. Der fuhr mit einem mächtigen Schnarcher aus Morpheus’ Armen auf und wollte etwas fragen. Unauffällig legte Jim den Finger auf die Lippen und deutete mit den Augen seitwärts. Wernicke war sofort im Bilde und schwieg. Der Dicke hatte offenbar gefunden, was er suchte. Triumphierend hielt er der Geiernase ein Schriftstück vors Gesicht. Unwillkürlich beugten Jim Parker und Wernicke sich vor. Ihre beiden Nachbarn waren so mit sich beschäftigt, daß sie es gar nicht bemerkten. Ein lautes Räuspern aus dem Hintergrund bewies ihnen, daß ihr auffälliges Interesse einem anderen nicht entgangen war. Eine Zeitung raschelte. Die Geiernase fuhr herum und warf ihnen einen prüfenden Blick zu. Die beiden Freunde saßen sich mit höchst gelangweilten Gesichtern gegenüber. Aber sie haften genug gesehen:
Das Schriftstück war ein Schreiben des Staatlichen Atom-Territoriums. Es trug die typische, markante Unterschrift des Generaldirektors Cunningham. In der rechten, oberen Ecke aber prangte ein roter Stempel: ›Streng geheim!‹ * >Atomboß< Ted S. Cunningham tat sehr geheimnisvoll, als Jim Parker und Fritz Wernicke ihm zwei Tage später in seinem Arbeitszimmer in Orion-City gegenübersaßen. »Nun, Boys – diesmal habe ich eine besonders sensationelle Sache für euch.« »Ich rechnete damit, Boß. Sie machten damals, bevor wir auf Urlaub gingen, so gewisse Andeutungen.« »Stimmt! Inzwischen ist das große Projekt bis zur Ausführung gediehen.« Es mußte sich wohl um etwas ganz Besonderes handeln, denn Ted S. Cunningham erhob sich hinter dem Schreibtisch zu seiner vollen, massigen Größe. »Das S. A. T. hat von der Regierung den Auftrag erhalten.« »… einen künstlichen Mond zu bauen«, fiel Jim Parker seinem Chef freundlich in die Rede. Wernicke grinste über den Rand des frisch gefüllten Whiskyglases. Dem ›Atomboß‹ blieb das Wort im Munde stecken. »Äh – wieso… sind Sie Hellseher?« »Dazu bedarf es keiner übernatürlichen Fähigkeiten. Die Spatzen pfeifen es ja bereits von den Dächern. Aber – wollen Sie nicht wieder Platz nehmen, Sir?« Schwerfällig ließ Cunningham sich in den Sessel zurückfallen, daß das arme Möbelstück ächzte und krachte. »Die Spatzen pfeifen es von den Dächern? Kommodore, was soll das heißen? Die Angelegenheit ist streng geheim…«
»So geheim, daß man sich bereits in öffentlichen Verkehrsmitteln darüber unterhält Hören Sie zu, Sir!« Und Jim Parker erzählte, was sie an Bord des Clipper-Flugzeugs erlebt hatten. Fritz Wernicke sprach indessen wacker den vorzüglichen Getränken zu, mit denen der Generaldirektor des S. A. T. aufzuwarten hatte. Cunningham ließ den Kommodore kaum ausreden. Zornrot im Gesicht, hieb er mit der gewaltigen Faust auf die Schreibtischplatte, daß die Tischlampe klirrend zu Boden stürzte. »Prost, Sir! Scherben bringen Glück«, rief Fritz Wernicke vorlaut und hob das Glas. Cunningham achtete nicht darauf. Wütend donnerte er los: »Dieser Himmelhund! Dieser Quatschkopf! Das kann nur Mister Stebbins gewesen sein – von Stebbins & Wood, Inc. Die Firma soll die Inneneinrichtung für die Wohnräume der Station liefern. Aber ich werde dafür sorgen, daß der Auftrag annulliert wird – so wahr ich Cunningham heiße – jawohl!« Jim Parker zuckte die Achseln. »Das dürfte Ihnen nachträglich nicht mehr viel nützen. Die Geschichte ist nun mal herum. Wer weiß, was für ein seltsamer Vogel dieser ›Geierschnabel‹ war?« »Sicher ein Reporter«, vermutete Fritz Wernicke. Cunningham rang nach Luft. »Und außerdem«, fuhr der Kommodore fort, »wird dieser redselige Mister Stebbins wahrscheinlich auch anderen davon erzählt haben – natürlich unter dem Siegel ›strengster Verschwiegenheit‹. Zum Beispiel seinem Friseur, seinen Klubkameraden, seiner verehrten Frau Gemahlin…« »Was in diesem Fall das Schlimmste wäre«, nickte Fritz Wernicke dumpf. Der Privatsekretär des Chefs erschien in der Tür. »Verzeihung, Sir, in 15 Minuten geht Ihr Flugzeug.«
»Ach ja, die Besprechung in Washington.« Cunningham zwängte seine Massen hinter dem Schreibtisch hervor. »Gut, Shilling, ich komme.« Und – zu den beiden Freunden gewandt, die ihm eifrig in den Mantel halfen: »Alles Nähere über das Projekt erfahren Sie am besten durch Wilhelm Markus. Er hat den Plan ausgearbeitet. Lassen Sie sich von Shilling die Anschrift geben. Und – das Wichtigste: Hätten Sie Lust, Gentlemen, den Bau des künstlichen Mondes zu leiten?« Jim Parker grinste: »Komische Frage! Würde am liebsten gleich aufbrechen – ehe Sie mich wieder am Südpol auf Eis legen können.« »Ist denn dort oben auch was los?« wollte Wernicke wissen. »Wahrscheinlich mehr, als Ihnen lieb ist«, nickte Cunningham wie in düsterer Vorahnung. »Good-by, Gentlemen!« »Hallo, Sir!« Fritz Wernicke war dem Boß mit einem Sprung nach. »Was gibt’s denn da oben zu trinken?« Aber Cunningham sauste bereits im Lift zum Erdgeschoß hinunter… * Feierabend in der Atomstadt. – Die Büros und Werkstätten, die Montagehallen und Prüfstände spien Menschenmassen aus, die eilig und frohgestimmt heimwärts strebten. In seinem schmucken Bungalow, auf einem Gartengrundstück der Arcturus Road gelegen, saß Wilhelm Markus am Fenster seines Wohn- und Arbeitszimmers und blickte auf die Rasenfläche hinaus. Der Garten lag noch winterlich tot im Schein der Abendsonne, aber irgendwie strahlte er schon eine Ahnung kommender Frühlingstage aus. Wilhelm Markus’ Gedanken schweiften zurück – zu seinen
Studienjahren in Wien. Dort war es gewesen, daß er zum ersten Mal mit der Idee in Berührung kam, die ihn nicht mehr loslassen sollte. In einem wissenschaftlichen Vortrag hatte er von dem Projekt eines künstlichen Mondes gehört. Der kühne Plan hatte den jungen Ingenieur gepackt. Hier war eine Aufgabe, die den vollen Einsatz lohnte: Ein Trabant, von Menschenhand geschaffen, die Erde in ewiger Bahn umkreisend, sollte gebaut werden – eine Tankstation, ein Umsteigebahnhof im Weltraum, der den Menschen befähigen würde, mit Raumschiffen bis zu den fernsten Planeten zu fahren, zum Herrscher zu werden über das Sonnensystem! In der Theorie sah das alles klar und einfach aus. Wie aber sollte man den Plan verwirklichen? Unverzüglich war Wilhelm Markus an die Arbeit gegangen, hatte unermüdlich Tag für Tag – und oft auch die Nächte hindurch – um die Lösung gerungen. Endlich, nach fast zwei Jahren, hatte er die Schwierigkeiten bewältigt. Wilhelm Markus seufzte tief. Sein Blick kehrte aus dem verdämmernden Garten zurück und fiel auf eine große Zeichnung, die den Tisch vor ihm bedeckte. Ein merkwürdiges Bauwerk war da abgebildet; wie ein Rad sah es aus, das durch zwei Speichen mit einer dicken Achse verbunden war. Die kosmische Außenstation. Der künstliche Mond. Sein Werk! Ein Lächeln glitt über das stille Gesicht des jungen Menschen. Er mußte daran denken, wie froh er gewesen, als seine Arbeit vollendet war –, und wie maßlos enttäuscht, als er erkennen mußte, daß niemand etwas damit anfangen konnte. Man lobte seine Arbeit. Andere belächelten ihn als Sonderling. Und es bestand keine Hoffnung, daß das Projekt je Wirklichkeit werden könnte. Bis eines Tages Wilhelm Markus’ Lehrer an der Technischen Hochschule, Professor Kellermann, den rettenden Einfall hatte:
Das Staatliche Atom-Territorium der USA. das bereits seit Jahren mit Weltraumraketen operierte und seine Raumschiffe auf regelmäßigen Mondrouten verkehren ließ. Einige Wochen später reiste Wilhelm Markus auf Einladung des S. A. T. nach Orion-City. Und wieder acht Tage danach erlebte er den großen Triumph: Die Bundesregierung hatte seine Pläne erworben; das S. A. T. war mit ihrer Ausführung beauftragt worden. – Es dunkelte. Markus erhob sich und machte Licht. Da ertönte ein Klingelzeichen von der Wohnungstür her. Gewissenhaft verschloß Markus die Pläne in einem kleinen Wandtresor, bevor er zur Tür ging und öffnete. Im Dunkel vor dem Eingang sah er sich zwei Gestalten gegenüber – mittelgroß und hager die eine, massiv wie ein Panzerschrank die zweite. Sie trugen die Mantelkragen hochgeschlagen, die Mützen in die Stirn gezogen. »Mister Markus?« fragte der Kleinere mit knarrender Stimme. »Ja, bitte«, erwiderte Markus. »Sie wünschen?« »Inspektor Dulles von der Bundeskriminalpolizei.« Eine silberne Marke blinkte in der Hand des Sprechers. »Wir kommen mit einem Haussuchungsbefehl. Bitte, leisten Sie keinen Widerstand!« Die beiden ungebetenen Besucher drängten sich geschickt ins Innere des Eingangs. Ehe Markus noch wußte, wie ihm geschah, fühlte er sich von hinten mit eisernem Griff umklammert. Handschellen schlossen sich um seine Gelenke… * »Arcturus Road – 12 – 14. Hier muß es sein!« Fritz Wernicke blieb vor dem Bungalow stehen, der dunkel im abendlichen
Garten lag. »Mal sehen, ob der ›Mann im Mond‹ zu sprechen ist«, sagte Jim Parker gemütlich und wandte sich dem Eingang zu. »Hoffentlich hat er was Anständiges zu trinken«, gab Wernicke zu bedenken und drückte herzhaft auf den Klingelknopf. Drinnen schrillte die Klingel. Irgend etwas fiel polternd zu Boden. Dann wieder Stille. Nichts rührte sich. Wieder schrillte die Klingel, laut und anhaltend. Wieder Stille. »Will scheinbar nicht gestört werden«, meinte der Kommodore achselzuckend. Ein leises Geräusch aus dem Innern – mehr zu ahnen, als zu hören – ließ ihn aufmerken. Klang das nicht wie ein gedämpfter Hilferuf? »Fritz – bleib du hier, gib acht auf den Eingang!« Mit einem federnden Sprung war Jim Parker davon, raste um die Hausecken, der Rückfront des Bungalows zu. Aus einem der hinteren Fenster kam Licht. Jim Parker hob sich auf die Zehenspitzen und blickte hinein. Ein seltsames Bild bot sich seinen Augen dar: Vor einer kleinen Stahltür in der Wand machte sich ein Mann zu schaffen, der ganz in einem dicken Wintermantel verschwand. Offenbar kam er mit dem Nummernschloß nicht zurecht, denn er fuchtelte wild mit den Händen und drohte zu einem jungen Menschen hinüber, der hilflos, mit gefesselten Händen, nahe der Tür in einem Stuhl hing. Vor ihm, ebenfalls mit dem Rücken nach dem Fenster, stand ein dritter Mann. In kurzen Abständen schien er dem Wehrlosen Fragen zu stellen, und jedesmal, wenn dieser keine Antwort gab, landete er einen harten Schlag in dem gequälten Gesicht des Gefesselten. Jim Parkers Züge strafften sich, »Ei, ei – da kommen wir wohl zur rechten Zeit!« Blitzschnell riß er den Schal vom Hals, umwickelte damit sei-
ne rechte Faust. Ein rascher Stoß ließ die Fensterscheibe zersplittern. Jim Parkers Hand tastete zum Fensterriegel. Der Mann am Wandtresor fuhr herum. Ein Stuhl wirbelte durch die Luft, traf krachend das Fensterkreuz und streifte den Kommodore, der sich gerade hereinschwang, an der Stirn, daß er für einen Augenblick Sterne sah. »Damned!« fluchte er. »Hoffentlich ist Wernicke auf dem Posten!« Fritz Wernicke war auf dem Posten. Aber es spielte sich alles so überraschend ab, daß er der Situation nur Unvollkommen gerecht werden konnte. Im Hause ertönte wüstes Gepolter. Die Tür flog auf. Eine Gestalt im Wintermantel stolperte heraus. Fritz Wernickes Faust stieß vor und schmetterte in ein Gesicht hinein. Doch schon stand da eine zweite Gestalt, wuchtig wie ein Schrank. Wernicke fühlte sich umfaßt und hochgehoben. Er machte eine unfreiwillige Luftreise und landete in einem nahen Gebüsch. Zerkratzt und zerschunden – so fand ihn Jim Parker, als er einen Augenblick später auf dem Schlachtfeld erschien. Der große Kommodore fluchte nicht schlecht. Aber das half ihnen auch nichts. Eine Sportmütze und eine schwarze Gesichtsmaske, von Wernickes Faust abgerissen – das war alles, was die geheimnisvollen Einbrecher zurückgelassen hatten. Irgendwo draußen auf der Straße sprang ein Motor an. Ein Wagen suchte das Weite… Während Fritz Wernicke den armen, mißhandelten Markus aus seiner hilflosen Lage befreite und ihn mit viel Rum stärkte – wobei er auch sich selbst nicht vergaß –, stand der Kommodore bereits am Fernsprecher. Er wählte die Nummer des Abwehrdienstes. »Hier Parker. Den Chef, bitte!«
* Der lange Oberstleutnant Mortimer nahm den Hörer von der Gabel. »Ja – hier Mortimer! Was gibt’s?« Am anderen Ende meldete sich die Stimme Jim Parkers: »Hier Parker. Sagen Sie, Herr Oberstleutnant, haben Sie eine Ahnung, wer ein Interesse an den Plänen der künstlichen Raumstation haben könnte?« »Künstliche Raumstation? Habe davon gehört. Wie kommen Sie zu der Frage?« In kurzen Worten berichtete Jim Parker von dem Vorgefallenen. Der lange Mortimer wurde sehr aufmerksam. »Danke! Ich komme sofort.« – Minuten später hielt der Pontiac des Chefs des Abwehrdienstes vor dem Bungalow in der Arcturus Road. Hinter ihm der Bereitschaftswagen des Überfallkommandos. Mit gewohnter Exaktheit arbeiteten die Beamten. Aber das Ergebnis war mehr als dürftig. Eine zerrissene Gesichtsmaske, mit Blutspuren daran. Eine Sportmütze, offenbar erst wenig gebraucht, im Schweißleder das Siegel eines San Franciscoer Warenhauses. Dazu die Aussage des Überfallenen. Wilhelm Markus hatte nicht viel zu berichten. Die beiden falschen Kriminalbeamten hatten von ihm die Herausgabe der Kopien verlangt, die er von den Bauplänen der künstlichen Raumstation besaß. Er hatte sich geweigert. Da hatte sich der eine der Banditen, offenbar der Anführer, selbst über das Geheimschloß des Safes hergemacht, während sein Kumpan versuchte, mit brutaler Gewalt die Geheimnummer zu erpressen… Der lange Mortimer drehte sich gedankenvoll eine seiner berüchtigten, stinkenden Zigaretten. »Schätze, es wird das beste
sein, ich nehme Ihre Kopien in Verwahrung.« »Ich begleite Sie, Sir«, erklärte der Kommodore. »Hatte ohnehin die Absicht, mich mit Herrn Markus’ Projekt vertraut zu machen…« Ein Hustenanfall Wilhelm Markus’ unterbrach ihn. Mortimers stinkender ›Eigenbau‹ tat seine Wirkung. Der Oberstleutnant bemerkte es und hielt es für angebracht, sich zu empfehlen. »Ahem – ja richtig, Mister Markus. Ich glaube zwar nicht, daß die beiden Strolche ihren Besuch wiederholen werden, aber ›sicher ist sicher‹. Werde Ihnen zwei Mann hierlassen, damit Sie heute nacht ruhiger schlafen können. Good night!« * Generaldirektor Cunningham war wenig erbaut, als ihm sein Sicherheitschef am nächsten Nachmittag Bericht erstattete. Zwar hat sich kein neuer Zwischenfall ereignet, aber alle Nachforschungen nach den entkommenen Einbrechern waren ergebnislos verlaufen. Die Sache blieb rätselhaft. Der ›Atomboß‹ ging mit wuchtigen Schritten in seinem Arbeitsraum auf und ab. An einem runden Tisch in der Nähe des Fensters saßen seine drei Besucher: Mortimer, Parker und Wernicke. Der Boß warf den beiden Freunden ungnädige Blicke zu. Offensichtlich verzieh er ihnen nicht, daß ihnen die Verbrecher entwischt waren. Doch Wernicke, der ewig Durstige, war ganz in den Anblick seines Glases vertieft. Jim Parker grinste höflich: »Sie sehen, Sir, daß ich mit meiner Befürchtung recht hatte. Es wissen mehr Leute von unserem Projekt, als wir ahnen…« »Aber das Motiv?« warf Mortimer lebhaft ein und umnebelte sich mit Wolken stinkenden Zigarettenrauchs. »Ich verstehe
nicht, wer ein Interesse an diesen Plänen haben könnte. Das Projekt einer künstlichen Raumstation ist so gewaltig, daß nur eine Organisation, die – wie das S. A. T. – über schier unbegrenzte technische Mittel verfügt, es verwirklichen könnte. Seit unsere mächtigen Gegner, die Gangster von der Gelben Union, geplatzt sind, wüßte ich keinen…« »Und außerdem«, unterbrach ihn Jim Parker, »ist die Raumstation doch als Ausgangsbasis für Weltraumreisen gedacht. Außer dem S.A.T. beschäftigt sich meines Wissens niemand mit Raumschiffahrt. Wer könnte also ein Interesse an der Station haben?« Cunningham blieb stehen. Es sah aus, als wollte er einen Einwand vorbringen. Aber er knurrte nur ärgerlich und trat an seinen Schreibtisch. »Meine Herren, ich habe – offen gesagt – ein etwas unbehagliches Gefühl bei dieser Sache. Ich glaube, es kann nicht schaden, wenn wir uns mit dem Bau der Station ein bißchen beeilen.« * Knapp eine Stunde später klingelten in allen Dienstgebäuden des S.A.T. die Telefone, klapperten Fernschreiber, rasten Kuriere mit geheimen Anweisungen durch die Abteilungen. Das Projekt ›Dädalus‹ lief an!! Ein Plan von gewaltigen Ausmaßen begann Wirklichkeit zu werden. Zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit sollte ein Himmelskörper von Menschenhand gebaut werden. Bald würde ein neuer Mond die alte Erde umkreisen – dazu bestimmt, den Menschen als Sprungbrett zu den fernsten Planeten zu dienen… … sofern das technische Wunderwerk gelang.
* Würde es gelingen? In allen Abteilungen des Staatlichen Atom-Territoriums herrschte seit Wochen Hochbetrieb. Die Laboratorien, die Konstruktionsbüros und die Fertigung arbeiteten in drei Schichten. Zahlreiche auswärtige Fabriken stellten im Auftrag des S.A.T. Einzelteile her. Güterzüge, Fernlaster und Transportflugzeuge pumpten ununterbrochen ihre kostbaren Frachten nach OrionCity hinein. Auf dem Zentralflugfeld der City hatten Einheiten des Sicherheitsdienstes ein weites Areal abgegrenzt. Es war mit mehrfachem Stacheldraht gesichert, und Oberstleutnant Mortimer hatte einen Postendienst aufgezogen, der jeden Unbefugten entmutigen mußte. Hier hatte Jim Parker sein Hauptquartier aufgeschlagen. Im Zentrum des Lagers saß er in einer geräumigen Baracke und gab seine Befehle. Fernsprecher klingelten, Schreib- und Rechenmaschinen rasselten. Auf langen Tischen lagen Baupläne und Tabellen in endloser Zahl. Boten eilten ein und aus. Seine Mitarbeiter wechselten von Schicht zu Schicht. Doch der Kommodore war scheinbar immer zur Stelle. Es war, als brauchte er keinen Schlaf. Fritz Wernicke, sein treuer Kumpan, teilte sich mit Wilhelm Markus in den Außendienst. Die beiden hatten sich rasch miteinander angefreundet. Gerade kam Wernicke dazu, wie vor einem Zelt, das sich weitgespannt in den letzten Strahlen der Frühlingssonne dehnte, unter Markus’ Aufsicht ein Lastwagen entladen wurde. Transportarbeiter trugen eine Kiste vorsichtig ins Zelt. »Hallo, Willy, alter Kunstmond!« Wernicke schlug dem Ka-
meraden herzhaft auf die Schulter. »Was ist denn in der Kiste drin? Die Leute tun ja so, als schleppten sie Nitroglyzerin!« Der andere lachte: »Hallo, Fritz! Nun, so schlimm ist’s nicht. Die Kiste enthält Einrichtungsgegenstände für das Laboratorium für Luftuntersuchungen.« »Aber, lieber Mann«, staunte Fritz, »dort oben im Weltraum gibt es doch gar keine Luft.« »Stimmt auffallend. Im Weltraum gibt es natürlich keine Luft. Aber in der Außenstation…« »Und dafür dieser Aufwand?« warf Wernicke zweifelnd ein. »Gewiß. Wir wollen der Besatzung jede erdenkliche Sicherheit bieten. Deshalb wird auch die Atemluft in der Station ständig geprüft und erneuert.« »Hör mal, Willy« – Fritz Wernicke faßte den Freund vertraulich unter – »ich habe mir schon oft überlegt, wie ihr diese riesige Station wohl in den Weltraum hinaufschaffen wollt. Wir sind schon jedesmal froh, wenn wir mit unseren Mondraketen glücklich von der Erde fortkommen, und dabei sind unsere Raumschiffe im Vergleich zu dieser Station doch nur wie Mücken gegenüber einem Elefanten.« Wilhelm Markus begriff nicht sofort. Dann aber lachte er auf: »Ja, Fritz, Menschenskind, glaubst du vielleicht, wir wollten die Station ‚in einem Stück’ in den Raum hinaufschießen?« »Na – wie denn sonst?« »Nun, natürlich fein säuberlich in ihre Bestandteile zerlegt. Draußen, im Raum, wird sie dann von Monteuren in Schutzanzügen Stück für Stück zusammengesetzt.« Dem guten Fritz Wernicke ging ein Licht auf. Ja, allerdings: so müßte es gehen. Der Lastwagen war inzwischen abgefahren. Eine Sirene heulte auf. Zwanzig Uhr: Schichtwechsel. Langsam schlenderten die Freunde dem Lagerausgang zu.
»Begleitest du mich, Fritz?« fragte Markus, als sie an die Sperre kamen. »Leider keine Zeit, muß dem Kommodore noch Bericht erstatten. Good night, Willy! Bis morgen.« »Good night, Fritz! Sei nicht mehr zu fleißig!« * Netter Kerl – dachte Fritz Wernicke, während er auf Jim Parker zuging, der gerade in Begleitung einer Gruppe von Ingenieuren sein Hauptquartier verließ. Riesig gescheites Haus, und dabei doch so menschlich und natürlich. Er drehte sich noch einmal um. Eben hatte Markus die Absperrung passiert. Aus der Reihe der wartenden Mietwagen kurvte eine Limousine heraus und hielt vor ihm. Der Fahrer stieg aus, grüßte und riß den Schlag auf. Gleich darauf fuhr der Wagen an. Schon wollte Wernicke seinen Weg fortsetzen, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Der Wagen, in dem Markus saß, wendete so scharf, daß einige Fußgänger um ein Haar unter seine Räder geraten wären. Ein dröhnendes Hornsignal – und schon raste das Auto in entgegengesetzter Richtung davon – fort von der Stadt, nach Norden, in die Ebene hinaus. Fritz Wernicke reagierte, wie von einem sechsten Sinn getrieben. »Alarm!!« schrie er, und sein ausgestreckter Arm deutete dem davonbrausenden Wagen nach. Gerade passierte das flüchtende Fahrzeug den Parkplatz einer Motorstaffel des Sicherheitsdienstes. Ihr Führer, ein junger Polizeileutnant, war sofort im Bilde. »Aufsitzen!«
Aber es kam nicht mehr dazu. Wie von unsichtbarer Hand flogen aus dem Fenster des Wagens zwei Behälter, detonierten mit dumpfem Knall am Boden. In dichten Schwaden von Tränengas stolperten die Sicherheitsmänner hilflos umher. Jim Parker hatte seine Begleiter einfach stehen gelassen. Mit federnden Sprüngen hastete er auf die Stelle zu, wo Wernicke noch immer mit ausgestrecktem Arm stand. »Was ist los, Fritz?« Der konnte vor lauter Aufregung nur stammeln: »Markus – entführt…« Der Kommodore hatte bereits verstanden. Wie ein Pfeil schoß er durch die Wachen hindurch, die sich gerade anschickten, das ganze Lager hermetisch abzuriegeln. Und wie ein Pfeil war Fritz Wernicke ihm nach, sprang mit einem einzigen Satz hinein in den flinken Sportwagen des Kommodore, der dem nächstbesten Polizeisergeanten noch einen Befehl zugeschrien hatte, ließ den Motor anspringen und gab Gas. Jim Parker konnte gerade noch das Trittbrett erreichen. An den Rand der Wagentür geklammert, duckte er sich gegen den schneidenden Fahrtwind. Weit voraus, nur noch wie ein Schemen in der sinkenden Dämmerung, fegte der andere Wagen über die schnurgerade Autobahn. Jim überlegte fieberhaft: Bei diesem Tempo würde es keine fünf Minuten dauern, bis sie den ersten Kontrollposten erreichten. Würde sein Befehl, den verfolgten Wagen zu stoppen, schon in so kurzer Zeit durchgegeben sein? Die Lichter des Wachthäuschens tauchten vor ihnen auf. Die Straße war frei. Ein Polizist stand in der Tür, schüttelte drohend die Hand – angesichts ihrer halsbrecherischen Geschwindigkeit. »Pech!« rief Wernicke durch das Dröhnen des Motors.
»Dreh weiter auf!« schrie Jim Parker ihm ins Ohr. »Erst mal können«, war die Antwort. »Wir haben längst Höchstgeschwindigkeit.« Kein Zweifel: der andere mußte einen für ›Mietwagen‹ außergewöhnlich starken Motor haben. Nach zehn Minuten kam der zweite Kontrollpunkt in Sicht. Es war nun fast Nacht. Nur undeutlich konnten die Freunde im Vorüberrasen erkennen, wie einige Polizisten in fieberhafter Hast ihre Motorräder bestiegen. Zu spät! Aber immerhin schien der Alarm bereits durchgekommen zu sein. Weiter ging die rasende Fahrt. Kurz vor dem dritten Posten sahen sie zwei Polizisten, die ihr ramponiertes Beiwagenkrad mühsam aus dem Straßengraben zerrten. Weiter – immer weiter! Wieder überlegte Jim: Etwa 20 Kilometer hinter dem zuletzt passierten Posten begann der Dark Forest, eine waldreiche und – besonders des Nachts – unübersichtliche Gegend. Wenn die Menschenräuber ihn erreichten, konnten sie mit ihrer Beute ungesehen verschwinden. Die Gegend begann ihren Charakter zu wechseln. Langsam stieg die Straße an. Links und rechts ragten einzelne Hügel aus der monotonen Steppenlandschaft auf. Niedriges Buschwerk wurde im Licht der Scheinwerfer sichtbar. Einen Augenblick lagen sie Seite an Seite mit zwei Motorrädern, die mit blendenden Scheinwerferkegeln und heulenden Sirenen dem gleichen Ziel nachjagten. Dann blieben auch sie zurück. Jim Parker wurde unruhig. Sein Blick wanderte immer wieder zum Leuchtzifferblatt der Uhr auf dem Armaturenbrett. Die verkrampfte Körperhaltung ließ seine Glieder erstarren. Die bislang fast schnurgerade Linie der Autobahn holte zu einer weiten Kurve aus. Wernicke drosselte die Geschwindigkeit. Links und, rechts flogen schwarze Baumgruppen vorbei:
Der Dark Forest! Als der Wagen die Kurve passiert hatte, tauchten plötzlich wie ein Phantom die Konturen der Limousine im Scheinwerferlicht auf. Fritz Wernicke gab Gas. Jetzt wurde es spannend! Doch plötzlich fing der Motor an zu spucken. Augenblicklich verloren sie an Fahrt. Jim Parker sah es mit Besorgnis. Hier war keine Zeit zu verlieren! Schon fingerte Parkers Rechte an der Ledertasche der Wagentür. Eine großkalibrige Pistole schimmerte in seiner Hand. Eine gewagte Sache, bei dieser rasenden Fahrt, nur im ungewissen Licht der Scheinwerfer, zu zielen! Aber es blieb keine andere Wahl, wenn der Verfolgte nicht im letzten Augenblick noch entkommen sollte. So ruhig, wie es nur eben möglich war, visierte der Kommodore den Benzintank des flüchtenden Wagens an und schoß das Magazin leer. Er schien das Ziel verfehlt zu haben. Hatte er sich in der Entfernung verschätzt? Weiter und weiter blieb der Sportwagen mit den Verfolgern zurück. Doch da – eine breite Spur von Benzin verlief auf der Fahrbahn. Der Abstand wurde merklich geringer. Wenige Augenblicke noch – dann stand der verfolgte Wagen. Im gleichen Moment rollte der brave Sportflitzer des Kommodore aus. Er hatte es geschafft – buchstäblich mit dem letzten Tropfen Benzin! Die Türen der Limousine schwangen auf. Zwei Gestalten huschten schattengleich davon. Jim Parker wollte ihnen nach. Aber die verkrampften Glieder versagten den Dienst. Er ging in die Knie, riß sich gewaltsam zusammen und war mit einem Hechtsprung hinter den Fliehenden her. Schwer schlug er aufs Pflaster. Seine ausgestreckten Fäuste klammerten sich mit eisernem Griff in etwas, das sich wie
Tuch anfühlte. Dann verlor er das Bewußtsein… * Noch recht benommen von den Erlebnissen der nächtlichen Verfolgung saß Jim Parker am nächsten Morgen seinem Chef gegenüber. Aber die Zigarette schmeckte schon wieder. Er hatte seinen Bericht beendet – bis zu dem Augenblick, da der schwere Sturz ihn ins Traumland befördert hatte. Den Rest erzählte Fritz Wernicke, nachdem er sich noch einmal an Cunninghams vorzüglichem Whisky gestärkt hatte. »Ich kam leider nicht schnell genug hinter dem Steuerknüppel hervor. Als ich dann den Scheinwerfer auf die glorreiche Szene richtete, sah ich unseren Kommodore, wie er die Straße liebevoll umarmte. In seinen Klauen jammerte ein zappelndes Etwas…« »… das sich bei näherer Betrachtung als der rasende Taxichauffeur entpuppte«, ergänzte Oberstleutnant Mortimer, der der Unterhaltung ebenfalls beiwohnte. »Leider ist der ›Dritte Mann‹ entkommen.« »Und Mister Markus?« wollte Cunningham wissen. »Wir fanden ihn im Inneren des Wagens in tiefstem Schlummer«, fuhr Fritz in seinem Bericht fort. »Scheinbar hat er von seiner unfreiwilligen Rekordfahrt nicht viel mitgekriegt. Im Wagenpolster lag ein Fläschchen mit Chloroform…« »Und der Taxifahrer?« »Ist geständig«, sagte Mortimer gleichmütig und drehte sich eine seiner übelduftenden Zigaretten, was ihm einen strafenden Blick des Bosses eintrug. »Ein kleiner Angestellter aus der Fahrbereitschaft des S.A.T. Ohne Vorstrafen. Ist der Versuchung erlegen, als ihm der ›große Unbekannte‹ einen eigenen Wagen schenkte und ihm ›many Dollars‹ versprach, wenn er
auf einen kleinen Scherz eingehen wollte: einen gewissen Mister Markus – anstatt nach Hause – ein bißchen durch die Geographie der Landschaft zu kutschieren. Als er begriff, in welch gefährliches Abenteuer er sich eingelassen hatte, war es zu spät. Sorry – ein paar Jährchen dürften ihm sicher sein.« Der Generaldirektor hustete, als der Rauch von Mortimers Zigarette ihm die Kehle beizte. »Verdammtes Kraut, das Sie da rauchen, Mortimer. Ja, was ich noch gern gewußt hätte: Wer war denn nun eigentlich dieser geheimnisvolle Auftraggeber?« »Das hätte ich auch gern gewußt, aber der Taxichauffeur wußte es selber nicht.« Der Oberstleutnant sog genießerisch an seinem scheußlichen Glimmstengel. »Meine Leute suchen jetzt krampfhaft nach einem Gentleman mit einer komisch geformten Nase. Wenig aussichtsreich Von dieser Sorte dürfte es wohl viele geben…« Ted S. Cunningham fuhr erschrocken mit der Rechten an das mächtige Riechorgan, das sein fleischiges Gesicht zierte. Mortimer sah es und grinste boshaft. »Übrigens wären wir wohl klüger, wenn wir den Kerl erwischt hätten, der als dritter im Wagen saß und die Stinkbomben zwischen meine Motorstaffel schmiß. Leider hat er dem Fahrer seine Anschrift nicht hinterlassen, und Mister Markus erinnert sich – begreiflicherweise – an nichts. Was wir von ihm wissen, ist nicht viel. Besondere Kennzeichen: Massige Gestalt, fleischiges Gesicht…« Cunningham warf seinem Sicherheitschef einen wütenden Blick zu. Von jeher herrschte zwischen ihnen so etwas wie ein verborgener Kriegszustand. Der Boß wurde den Verdacht nicht los, daß der ›Lange‹ sich auf seine Kosten amüsieren wollte. Die Stimme des Kommodore riß ihn aus seinen unfrohen Betrachtungen.
»Wir scheinen es hier mit Gegnern zu tun zu haben, die wir nicht unterschätzen sollten. Der erste Anschlag galt den Plänen der künstlichen Raumstation. Er konnte durch einen glücklichen Zufall vereitelt werden. Als die Pläne sichergestellt wurden, versuchte man, sich der Person ihres Urhebers zu bemächtigen…« »… was künftig ebenso aussichtslos sein dürfte«, warf Mortimer ein und drückte seinen Zigarettenstummel aus. »Ich habe diesem heißbegehrten Mister Markus eine Leibwache aus meinen besten Detektiven gegeben.« »Wir wollen es hoffen«, sagte Jim Parker ernst. »Aber, meine Herren, was haben wir wohl als nächstes zu erwarten? Wohin wird der nächste Schlag unserer seltsamen Gegner zielen? Wir kennen ihre Absichten nicht – doch ganz gleich, aus welchen Motiven heraus sie handeln: Ich bin überzeugt, daß sie sich mit diesen fehlgeschlagenen Versuchen nicht zufrieden geben werden.« Cunningham war blaß geworden. Ächzend erhob er sich und trat zu Jim Parker, legte ihm mit einer väterlichen Geste die Hand auf die Schulter. »Kommodore, ich weiß den großen Plan bei Ihnen in den besten Händen. Wählen Sie die Mannschaft für die Station sorgfältig aus und – halten Sie auch weiterhin die Augen offen!« * Auf dem abgeteilten Gebiet des Zentralflugfeldes von OrionCity türmten sich die Bauteile der Weltraumstation, füllten Zelte und Lagerräume bis zum Rand. Die letzten Einzelteile der Zelle, die von Flugzeugfirmen in Kalifornien gefertigt wurden, sollten noch vor Ende dieses Tages eintreffen.
An der Spitze einer Armee von Fachleuten schritt Professor Gabriel, der Leiter der Abteilung Materialprüfung des S. A. T. von einem Bauteil zum anderen. Jedes Werkstück wurde mit den empfindlichsten Meßinstrumenten auf Herz und Nieren geprüft. Selbst die kleinste Ungenauigkeit konnte – angesichts der Luft- und Temperaturlosigkeit des leeren Weltraums – ungeahnte Erschwerungen verursachen. Aber was die Meßingenieure hier vorfanden, war Qualitätsarbeit im besten Sinne. Nur wenig gab es zu beanstanden, und stets waren sofort Mechaniker und Laboranten zur Stelle, um die kleinen Schäden zu beheben. – Vor dem Hauptquartier saß der Kommodore an einem Tischchen in der warmen Sonne und schaute vergnügt vor sich hin. Nur noch wenige Tage, dann würde seine Aufgabe hier ›auf Erden‹ wieder einmal erfüllt sein. Dann würde er wieder in den Weltraum fliegen – zu neuen Taten und Abenteuern! Auf dem freien Platz vor ihm stand eine kleine Schar von Männern, acht an der Zahl, mit sonnengebräunten Gesichtern und unerschrocken leuchtenden Augen: Die Besatzung des Weltraumschiffes, das zuerst aufsteigen und die ›Keimzelle‹ für die Weltraumstation darstellen sollte. Der Kommodore kannte sie alle. Die Mehrzahl von ihnen stammte aus seiner alten Crew, mit der er so manches gefährliche Abenteuer in den Tiefen des Raumes bestanden hatte. »Mensch, Pat«, schmunzelte ein kleiner, kugelrunder Monteur und stieß seinen langen, dürren Nebenmann vertraulich in die Seite. »Ich fresse ’nen Besen, wenn der Kommodore nicht ’nen ganz besonderen Leckerbissen für uns auf Lager hat.« »Klar, Dick«, erwiderte der Lange trocken. »Du merkst auch wirklich fast alles. Würde der Kommodore sonst seine bewährtesten Mitarbeiter hier versammeln?«
Alles lachte. Jim Parker ließ seine Blicke von einem zum anderen schweifen. Da war Doktor Feller, ein junger Arzt, der sonst das Mondwerk ›Luna IV‹ betreute. Neben ihm stand James O’Higgins, der sonst ein Zubringerraumschiff auf der Mondroute des S. A. T. befehligte und von Jim Parker für den Posten des Ersten Offiziers bei dem bevorstehenden Unternehmen vorgesehen war. Enrico Martini, ein junger, befähigter Italiener, sollte die Expedition als Funksachverständiger begleiten. Etwas abseits standen Fred Matlock und Alvin Baker, die beiden Maschinisten, mit ihrem Chef, dem Triebwerksingenieur George Shoemaker. Der Kommodore lächelte zufrieden. Das war eine Schar erfahrener Männer! Lauter prächtige Burschen, auf die er sich verlassen konnte, wie auf sich selbst. Jim Parker stand auf. Augenblicklich verstummten die Gespräche. »Kameraden! Unser Freund Dick hat richtig geraten: Ich habe euch hierher kommen lassen, um gemeinsam mit euch eine neuartige und schwierige Aufgabe zu lösen. All die Klamotten, die ihr hier ringsum aufgestapelt seht, sind sozusagen Bausteine, Einzelteile, aus denen ein künstlicher Mond zusammengesetzt werden soll. Ein ungemein kluger Kopf, Herr Markus, hat die Geschichte auf dem Papier ausgetüftelt. Eine schwierige Geschichte! Unser Anteil dabei wird nicht weniger schwierig sein; denn wir müssen den ganzen Zauber zusammenbauen, Stück für Stück, und zwar draußen im leeren Weltraum – der bekanntlich keine Balken hat, dafür aber seine ganz speziellen Tücken…« »Hurra!« schrie Dick, der kleine Monteur, und boxte seinen dürren Freund wieder in die Seite, daß der schmerzlich das Gesicht verzog.
»Macht euch nun klar für die Reise und richtet euch lieber gleich auf eine längere Abwesenheit ein. Und vor allem: haltet dicht und erzählt nicht zuviel – auch nicht mit dem besten Freund der Schwiegermutter eures einzigen Zwillingsbruders! Morgen abend, 21.30 Uhr, starten wir mit der alten ›Terra Uran‹!« * Es war kurz vor 21 Uhr. Auf dem großen Raketenflugfeld von Orion-City herrschte der übliche Betrieb, der dem Start eines Raumschiffes vorherzugehen pflegte. Nichts war anders als sonst. Lediglich die Anwesenheit Generaldirektor Cunninghams, der mit zwei S. A. T.-Direktoren und einem Sonderbeauftragten des Verkehrsministeriums vor wenigen Minuten im Wagen eingetroffen war, zeigte, daß diesem Start eine besondere Bedeutung zukam. Das Weltraumschiff ›Terra Uran‹ ruhte, im gleißenden Licht der Scheinwerfer, am Fuß der Gleitbahn. Die Besatzung war bereits an Bord. Nur eine Strickleiter, die von der geöffneten Luftschleuse herabhing, stellte noch die Verbindung zur Außenwelt her. Unten standen die Direktoren und Mister Chambers vom Ministerium im Gespräch mit Jim Parker, der schon die Kombination der Weltraumpiloten trug. Fritz Wernicke pirschte sich an seinen Freund heran. Sein Gesicht war ein einziger Vorwurf. »Jim, alte Mondrakete, ich finde es verdammt wenig nett von dir, daß du ohne mich auf die Reise gehen willst.« »Aber, Fritz, alter Whiskytöter!« Der Kommodore mußte lächeln. »Tröste dich nur! Wir sehen uns ja in ein paar Tagen wieder. Wer sollte denn die ersten Lastraketen heranführen,
wenn nicht du? Denke doch an die verantwortungsvolle Aufgabe…« »Ein schwacher Trost«, erwiderte Fritz Wernicke kläglich. »Mag sein, doch – halt: Ich weiß einen besseren für dich!« Jim Parker nahm einem Mahn vom Bodenpersonal das Megaphon aus der Hand und rief einen Befehl zum Schiff hinauf. Im Türrahmen der Luftschleuse tauchte der Kopf Dick Molls, des kleinen Monteurs, auf. Dick nickte heftig und verschwand. Gleich danach sauste an einer Schnur ein Gegenstand herab. Geschickt fing der Kommodore ihn auf und knüpfte ihn los. »Hier, Fritz, du Untröstlicher! Tröste dich einstweilen hiermit!« Und er drückte dem Überraschten eine dickbauchige Flasche »Old Thompson« in die Hand. Über die Strickleiter kam O’Higgins gewandt herabgeturnt. Mit zwei Sprüngen stand er vor dem Kommodore und nahm Haltung an: »Raumschiff ›Terra Uran‹ klar zum Start!« »Danke!« Jim Parker hob die Hand und wandte sich den anderen Herren zu, die schnell auf ihn zutraten. »Gute Fahrt, Kommodore! Und ein gutes Gelingen!« Sekunden später waren Parker und O’Higgins über die Strickleiter im Inneren des Schiffes verschwunden. Die Leiter wurde eingezogen. Die Schiebetür der Luftschleuse schob sich zu. Am Fenster des Führerraumes blitzte eine Signallampe auf: einmal – zweimal! Hastig räumte das Bodenpersonal das Feld. Der Ingenieur vom Dienst blickte auf das Zifferblatt der riesigen Uhr, das am Kommandoturm strahlend hell leuchtete. 21.19 Uhr – noch 45 Sekunden… »Noch zehn Sekunden – noch fünf Sekunden – vier – drei – zwei – eins – ab!« Ein Feuerstoß aus dem Heck! Ein Zittern durchlief den riesi-
gen Körper des Raumschiffs. Ein neuer Flammenstrahl. Langsam schob sich das Schiff über die Gleitbahn aufwärts, gewann an Fahrt, schwang sich mit brausenden Düsen in den Nachthimmel hinein… Es war das gewohnte Bild eines nächtlichen Raketenstarts. Für Orion-City und seine Bewohner schon seit Jahren nichts Besonderes mehr. Und doch riß es unfehlbar immer wieder jeden in seinen Bann, der es als Augenzeuge miterleben durfte. * Auch für Jim Parker und die Männer seiner Besatzung war es nichts Ungewöhnliches. Sie erlebten die Minuten nach dem Start in ihren Hängematten liegend, um so dem starken Andruck besser Widerstand zu leisten. Das Schiff brauchte nicht einmal seine Höchstgeschwindigkeit zu entfalten. Galt es doch diesmal nicht, die Erdanziehung völlig zu überwinden, um in die Bereiche ferner Himmelskörper zu gelangen. Nur so viel Geschwindigkeit sollte das Schiff bekommen, daß es in einer Kreisbahn die Erde umschweben konnte, ohne daß es von der Anziehungskraft der Erde wieder heruntergeholt würde. Als der Geschwindigkeitsmesser 8000 Meter pro Sekunde anzeigte, drosselte der Kommodore den Raketenmotor so weit, daß das Schiff von nun an mit gleichbleibender Geschwindigkeit aufwärts flog. Gespannt hafteten Parkers und O’Higgins’ Augen an den Zeigern und Skalen der Instrumente. Sie führten ein Manöver durch, das selbst für diese erfahrenen Piloten neuartig war. Der Höhenmesser kletterte auf 1300 – 1350 – 1400 Kilometer. Jetzt galt es aufzupassen! Im gleichen Augenblick, als die 1500-Kilometer-Marke er-
reicht war, betätigte der Kommodore die Steuerung. Die Flossen aus schwer schmelzbarem Werkstoff, die im Feuerstrahl der Düse angebracht waren, drückten gegen den Strom der Verbrennungsgase. Langsam, aber unwiderstehlich, zwangen sie das Schiff in eine neue Bahn – parallel zur Oberfläche der Erde. Jim Parker riß den Zündhebel zurück. Das Brausen des Raketenmotors verstummte. Augenblicklich trat der Zustand völliger Schwerelosigkeit ein, an den sich auch die routiniertesten Weltraumfahrer stets wieder von neuem gewöhnen mußten. In 1730 Kilometer Höhe über dem Erdboden flog das Raumschiff ›Terra Uran‹ – wie ein winziger, neuer Mond – in ewiger Kreisbahn um die Erde. * Die ersten Tage an Bord brachten für die Besatzung eine Zeit süßen Nichtstuns. Die Stunden vergingen mit Essen und Trinken, Schachspiel und sehr viel Schlaf. Jim Parker war darauf bedacht, seine Männer weitgehendst zu schonen – stand ihnen allen doch eine Periode unablässiger Arbeit bevor. Nur Dick Moll, dem das leibliche Wohl der Besatzung anvertraut war, schuftete in seiner Küche und klagte seinem Busenfreund, dem langen Pat, sein Leid über die Ungerechtigkeit des Lebens, das den einen arbeiten ließ, damit die anderen faulenzen konnten. Für Jim Parker und seinen ›Ersten‹ konnte freilich von Faulenzen keine Rede sein. Gemeinsam beobachteten sie von Stunde zu Stunde die Bahn des Schiffes, verglichen sie ihre Messungen mit den Ergebnissen, die von den Observatorien der Erde laufend heraufgemeldet wurden. Immer wieder mußte die Kreisbahn durch Richtungsschüsse korrigiert wer-
den, bis sie endlich allen Ansprüchen gerecht wurde. Die letzte Kontrolle war befriedigend ausgefallen. Aufatmend schüttelte der Kommodore dem Ersten Offizier die Hand und verließ den Führerstand zu einem Inspektionsgang durch das Schiff. – In den Funkraum und die Steueranlage warf er nur einen kurzen Blick. In der Tür des Mannschaftsraumes empfingen ihn die fröhlichen Zurufe seiner Leute. Jim Parker hangelte sich in den breiten Mittelgang hinein, der jetzt freilich sehr beengt wirkte. Eine kleine, schlanke Rakete, eine Art ›kosmisches Rettungsboot‹, hing darin fest vertäut. Der geräumige Laderaum A war mit Tischen, Spinden und Hängematten vollgestopft. Er sollte die Bauarbeiter aufnehmen – für die ersten Wochen, so lange die Weltraumstation, die bald entstehen sollte, noch keine Unterbringungsmöglichkeit bot. Laderaum B war in eine Werkstatt und ein Magazin verwandelt. Man mußte bei den Bauarbeiten im Weltraum auf alle möglichen Zwischenfalls gefaßt sein und versuchen, sie an Ort und Stelle zu beheben. Langsam ging der Kommodore von Maschine zu Maschine, öffnete Schränke und Werkzeugkisten. Nein – nach menschlichem Ermessen hatte man nichts vergessen, hatte man allen Zufällen vorgebeugt… Ein Klingelsignal zerriß schrill die Stille. Aus dem Lautsprecher klang die Stimme des ›Ersten‹: »Alle Mann auf Station! Schiff klar zum Manöver!« Jim Parker schnellte sich auf den Gang hinaus. Aus dem Mannschaftsraum polterte die Besatzung und eilte auf ihre Posten. Rasch zog sich der Kommodore an den überall angebrachten Handgriffen in die Führerkabine hinein. James O’Higgins stand am Fenster und deutete auf einen
Punkt in der Schwärze des Raumes. »Vier Raumraketen im Anflug, Sir!« Jim Parker blickte hinaus. »Das ist Wernicke mit den ersten Transportschiffen. Achtung, sie geben Blinksignale!« Der Erste Offizier entzifferte die Meldung: »Raumschiff ›Polaris‹ mit Transportraketen 115, 118 und 125. Steuern ›Terra Uran‹ an und gehen längsseit.« »Um Himmels willen!« rief der Kommodore entsetzt. »Die sollen uns nur nicht zu nahe kommen, sonst wird unsere prächtige Kreisbahn gestört, und alle Mühe ist für die Katz. Befehl an ›Polaris‹: In 100 Meter Abstand ›ankern‹!« O’Higgins grinste und führte den Befehl aus. Von drüben kam das Zeichen »Verstanden!« Jim Parker hatte einen Einfall. »Wir wollen dem guten Wernicke einen würdigen Empfang bereiten. Hallo, Dick!« Dick Moll griff sich diensteifrig an den Halteseilen zum Führerstand vor. Der Kommodore flüsterte ihm eine Anordnung ins Ohr. Schmunzelnd verschwand der ›Küchenchef‹ in der Kombüse. Es war gar nicht leicht, die kleine Raumschiff-Flottille in der befohlenen Entfernung von der ›Terra Uran‹ zum Halten zu bringen. Aber nach einigen geschickt ausgeführten Richtungsund Bremsmanövern hatte Fritz Wernicke es doch geschafft. Mit gleicher Geschwindigkeit schwebten seine Schiffe unweit der ›Terra Uran‹ in weiter Kreisbahn um die Erde. Aus der Luftschleuse des Führerschiffs lösten sich zwei Gestalten in Raumtaucheranzügen und schwebten, sich überpurzelnd, vorwärtsgetrieben von ihren Rückstoßpistolen, zur ›Terra Uran‹ heran. Die Schleusenkammer des Riesenschiffes nahm sie auf. Wenige Augenblicke später traten sie dem Kommodore entgegen. Fritz Wernicke löste als erster den luftdichten Taucherhelm.
»Willkommen an Bord, Whiskytöter!« klang ihm die fröhliche Stimme Jim Parkers entgegen. »Der Willkommenstrunk steht schon bereit.« Hinter dem Kommodore kam der kleine Dick Moll zum Vorschein und servierte grinsend eine mächtige Whiskyflasche. »Jim, alte Mondrakete, du bist der Retter meiner verdurstenden Seele!« Gerührt fiel Wernicke seinem großen Freund um den Hals. Dann aber labte er sich ausgiebig, indem er kurzerhand die Flasche an den Mund setzte. Inzwischen hatte sich auch sein Begleiter von dem ungefügen Taucherhelm befreit. Der Kopf Wilhelm Markus’ kam zum Vorschein, mit verrutschter Frisur und einem etwas verlegenen Lächeln um den Mund. Der Kommodore schüttelte ihm die Hand. »Nett, daß Sie gleich mitgekommen sind! Sicher wollen Sie von Anfang an dabei sein, wenn Ihr Mond gebaut wird.« »Ach, Mister Parker, wenn es nur schon so weit wäre…« Jim Parker mußte herzhaft lachen. »Oh diese Ungeduld! Aber Sie sollen Ihren Willen haben. Sobald wir den Bautrupp übernommen haben, kann’s losgehen.« Fritz Wernicke schien es gar nicht so eilig zu haben. »Du solltest dich lieber vorher noch stärken, Willy«, sagte er besorgt und hielt seinem neuen Freund kameradschaftlich die gewaltige Whiskyflasche hin. »Vielen Dank!« Markus lächelte ein wenig hilflos. »Ja – wenn ich vielleicht um ein Glas bitten dürfte…« »Ein Trinkglas – und das hier im schwerelosen Raum!« Wernicke wieherte vor Vergnügen. »Willy, Menschenskind, wie willst du denn hier einen Tropfen in ein Glas gießen?« Verblüfft drehte Markus die Flasche mit der Öffnung nach unten. Nichts geschah. Kein Tropfen floß heraus. Markus fing an, die widerspenstige Flasche zu schütteln. Jetzt kam eine
große Flüssigkeitskugel aus dem Flaschenhals und schwebte davon. »Halt!« schrie Wernicke. »Das edle Gesöff!« Und er versuchte, die Whiskykugel mit dem Taucherhelm einzufangen. Doch es gelang ihm nicht; sie prallte an den Wänden ab und verteilte sich immer mehr – in eine Unzahl winziger Kügelchen. »Ja, Mister Markus«, sagte der Kommodore, »hier im schwerefreien Raum herrschen seltsame Verhältnisse. Sie werden sich erst daran gewöhnen müssen. Doch nun genug des feucht-fröhlichen Spiels! Beginnen wir mit der Arbeit! O’Higgins: Alles klar zur Übernahme der Bauarbeiter! Fritz, laß mit dem Ausbooten beginnen!« * Noch keine zehn Stunden waren vergangen – da lief die Arbeit am Bau des künstlichen Mondes bereits auf vollen Touren. In drei Gruppen hatte der Kommodore die Arbeiter eingesetzt: zwei sollten – vom Maschinenraum ausgehend – den eigentlichen Ring der Station nach beiden Richtungen hin aufbauen. Die dritte Gruppe begann indessen mit dem Bau des zentralen Teiles der Station, der in der Achse des riesigen Rades liegen sollte. Zu allererst galt es, die Wandungen der Station zusammenzufügen. Die drei Lastraketen Werniekes hatten die ersten Bauteile mitgebracht. Weitere sollten nun in ununterbrochener Folge von der Erde heraufbefördert werden. Mühelos gingen die Arbeiter mit den gewaltigen Werkstücken um. Zentnerschwere Wandteile, die in den Montagehallen irdischer Fabriken von Kränen befördert werden mußten, waren hier im Weltraum federleicht und gehorchten dem
leisesten Druck der Hand. So weit war ja alles höchst einfach und die Arbeit buchstäblich kinderleicht. Aber es wollte erst gelernt sein, in der Schwerelosigkeit des Raumes zu hantieren. Jede unberechnete Bewegung rief eine Gegenreaktion hervor, auf die man nicht gefaßt war. Manch einen unverhofften Purzelbaum mußten die Arbeiter auf diesem abenteuerlichsten Bau der Welt in Kauf nehmen. Auch im schwerelosen Raum war eben »jeder Anfang schwer«… Es war ein Bild, wie aus einem gespenstischen Traum: In der Schwärze der Weltraumnacht schwebten zusammenhanglos metallene Wände und Maschinenteile – grell gleißend im ungeschwächten Licht der Sonne. Gestalten, plump wirkend in ihren Taucheranzügen, die im Sonnenlicht blitzten, schwebten und torkelten, wie groteske Ameisen, scheinbar ziel- und zwecklos darum herum. Am Rande dieser unwirklichen Szene lagen – anscheinend bewegungslos – die mächtigen Rümpfe der fünf Raumschiffe. Unter ihnen aber – den Himmel weithin verdeckend – dehnte sich das gewaltige Rund der heimatlichen Erde… Die Niethämmer der Arbeiter tobten. Aber sie taten es lautlos. Hier in der Luftleere des Raumes war kein Geräusch zu vernehmen. * »Melde mich mit Transportschiffen 140, 142, 144 und 313 gehorsamst zur Stelle, Kommodore!« Jim Parker, der im Kommandoraum der ›Terra Uran‹ über dem Logbuch hockte, sah in zwei fröhliche blaue Augen, die in einem gutmütig runden Gesicht strahlten.
»Hallo, Wallace! How do you do! Was bringen Sie diesmal Schönes? Rauchen Sie?« Clive Wallace bediente sich und nahm Platz. »Yes, Sir! Bringe drei Schiffsladungen mit Maschinenteilen und Batterien. Dazu etwas ganz Besonderes: Rakete 313 ist eine Spezialkonstruktion…« »Ja, ich weiß: das Schiff soll den Riesenspiegel bauen. Bin gespannt, ob es sich bewährt. Und was macht Orion-City?« »Alles o.k. Kommodore! Das heißt – ja, eigentlich doch nicht alles. Haben da neuerdings allerlei Kummer mit den ferngesteuerten Uran-Transportschiffen…« »Sie meinen die unbemannten Transportraketen, die auf der Mond-Route fahren?« »Ganz recht, Sir.« »Das verstehe ich nicht. Das Verfahren hatte sich doch glänzend bewährt. Während des ersten halben Jahres nicht ein einziger Versager…« »Aber neuerdings klappt es nicht mehr. Von sechs Raketen, die in der letzten Woche aufstiegen, verunglückten zwei unmittelbar nach dem Start.« Jim Parker blickte aus dem Fenster. Draußen lag im blendenden Sonnenglanz die Raumstation, die zusehends größer wurde. Schon deutete sich unverkennbar die Gestalt ihres Ringes an… Merkwürdig, was der gute Käpt’n Wallace da zu berichten wußte. Doch – was ging es ihn an? Wichtigere Aufgaben warteten auf ihn. Das lebenswichtigste Element der Raumstation sollte in Angriff genommen werden: ein riesiger Hohlspiegel, der Sonnenstrahlung sammeln sollte – Sonnenwärme, die das Kraftwerk des künstlichen Mondes speisen und die Station mit Energie versorgen würde.
* An der äußeren Wand jenes Teils der Raumstation, die bereits im Rohbau fertig war, hielt Jim Parker sich frei schwebend an einem Haltegriff. Bei ihm waren Wernicke und Markus. Ihre Raumtaucheranzüge waren durch Telefonkabel miteinander verbunden. »Paß auf, Jim«, rief Fritz Wernicke atemlos durch den Draht, »gleich passiert der große Augenblick, wo der Frosch ins Wasser springt…« Alle drei starrten wie gebannt nach dem Raketenschiff 313 hinüber, das regungslos und scheinbar ebenso unbeteiligt wie die anderen Schiffe der kleinen Flotte in einigem Abstand im Raum schwebte. Leise, unmerklich fast, begann das Schiff, sich durch den Rückstoß seitlich angebrachter Düsen nach rechts zu bewegen. Wie glitzernde Spinnenfäden trat aus feinen Öffnungen zur Linken weiches Metall aus seinem Rumpf aus, erstarrte sofort in der Temperaturlosigkeit des Weltraums. Unglaublich geschickt manövrierte das Schiff. Es spann ein blitzendes Netz metallener Streben, die das Gerüst für den gewaltigen Hohlspiegel bilden sollten. Das Manöver war geglückt. Käpt’n Wallace hatte ein wahres Meisterstück vollbracht. Langsam entfernte sich das Weltraumschiff 313 aus dem Bereich des silbrigen Gespinstes – offenbar bemüht, das soeben Geschaffene nicht durch eine unvorsichtige Bewegung zu zerstören. Wilhelm Markus schrie begeistert »Hurra!« Sein Ruf dröhnte in den Telefonhörern seiner Gefährten, daß sie vor Schreck fast den Halt verloren. Mit Hilfe ihrer großkalibrigen Rückstoßpistolen arbeiteten sich die drei an die Rakete 313 heran. Aus der Luftschleuse
quoll ihnen schon ein Trupp von Spezialisten entgegen, um dem Gerippe des Spiegels den letzten, erforderlichen Schliff zu geben. An Bord des Schiffes schüttelte der Kommodore dem strahlenden Käpt’n Wallace herzhaft die Hand. »Gut gemacht! Das war der wundeste Punkt am ganzen Projekt. Ich hatte ziemlich sicher damit gerechnet, daß die ersten zehn bis zwanzig Versuche danebengelingen würden…« »Ich auch, Kommodore«, bekannte Kapitän Wallace freimütig und deutete auf die Metallreserven, die er vorsichtshalber mitgebracht hatte. »Darauf müssen wir unbedingt anstoßen«, rief Fritz Wernicke in voller Fahrt. Aber es zeigte sich, daß Käpt’n Wallace nichts Alkoholisches an Bord hatte. »Man braucht dazu eine sichere Hand«, sagte er entschuldigend und wies auf das Gerippe des Spiegels draußen im Raum, das bereits von Spezialarbeitern umschwärmt wurde. »Na, und?« hob der ewig durstige Wernicke erstaunt an. Aber Wilhelm Markus fiel ihm in die Rede: »Und wann – wann geht es nun weiter?« »Oh, diese Ungeduld!« lachte der Kommodore. Kapitän Wallace führte seine Gäste in einen Laderaum. Vorsorglich gegen jede Erschütterung gesichert, lagerten blitzende Spiegelflächen aus Leichtmetall in schier unübersehbarer Menge. »Sobald das Gerüst vollendet und überprüft ist, werden diese Facetten an den Verstrebungen befestigt. Das ist dann eigentlich gar kein Problem mehr…« * In den fertigen Abteilungen der Raumstation wurde es von
Stunde zu Stunde wohnlicher. Die ersten Stücke der Inneneinrichtung waren eingetroffen. Die Räume füllten sich mit Apparaten für die verschiedensten Zwecke. Schon arbeiteten die Maschinen, die für Atemluft und für die Aufrechterhaltung des normalen Luftdrucks zu sorgen hatten. So lange das Kraftwerk der Station noch nicht in Betrieb war, bezog sie die elektrische Energie über ein Kabel von einem jener Transportschiffe, die – mit Batterien befrachtet – von der Erde eingetroffen waren. Der Kommodore hatte sein Hauptquartier von Bord der ›Terra Uran‹ in die Station verlegt. Hier hauste er einstweilen im zweigeschossigen Beobachtungsraum, der später die Instrumente zur Himmelsbeobachtung aufnehmen sollte. Gerade war Parker von einer der äußeren Beobachtungsstellen zurückgekehrt. Er beugte sich über die Berichte, die mit dem nächsten Ablösungstransport nach Orion-City gehen sollten. Dr. Feller, der Stationsarzt, meldete zwei Krankheitsfälle. Verdacht auf Schädigungen durch kosmische Strahlen. Höchste Zeit, die Anlieferung der Schutzplatten zu beschleunigen… Jim Parker starrte hinaus in die Schwärze des sternenbesäten Firmaments. Von irgendwo da draußen kam diese unheimliche Strahlung. Niemand konnte sie sehen – und doch schien sie allgegenwärtig zu sein. Sie drang in den menschlichen Körper ein und griff die Gewebe an. Früher hatte man sich durch dicke Bleipanzerung dagegen zu schützen versucht, heute verwendete man handlichere Kunststoffplatten, durch die auch ein Teil der Raumstation bereits geschützt war. Es klopfte. Ein Funker trat ein. »Chiffre-Telegramm aus Orion-City, Sir!« »Danke. Warten Sie, bitte.« Der Kommodore überflog den Text, der bereits entschlüsselt
war: »Kommodore Parker – an Bord Terra Uran – weitere rätselhafte Unglücksfälle mit ferngelenkten Transportraketen – erfordern dringend Aufklärung – erwarte Sie umgehend – Cunningham.« Jim Parker fluchte zum Steinerweichen. Mußten diese Heinis ausgerechnet jetzt mit ihrem Raketenfeuerwerk nicht klarkommen – ausgerechnet jetzt, wo er auf der Station überall gebraucht wurde? Allerdings – das würde der Boß sich auch denken können. Er mußte schon triftige Gründe haben, wenn er ihn trotzdem von seinem Posten abberief. Seufzend griff der Kommodore zu einem Notizblock, warf ein paar Worte auf einen Zettel und reichte ihn dem Funker. »Eintreffe morgen mit Ablösungstransport. Übergebe Kommando auf Station an Wernicke. – Parker.« * »Und deshalb mußten Sie mich aus meiner Arbeit auf der Station herausreißen?« Jim Parker fragte es mit sanftem Vorwurf in der Stimme, als er seinem Boß anderntags in dessen Arbeitszimmer in Orion-City gegenübersaß. Cunningham grunzte und bewegte unbehaglich die Schultern. »Aber ich sagte Ihnen doch: Die Sache ist völlig unerklärlich. Jahrelang hat es mit der Fernsteuerung bestens geklappt – nie hatten wir einen Versager – und plötzlich machen die Apparate, was sie wollen, und wir verlieren ein kostbares Schiff nach dem anderen…« »Wahrscheinlich irgendwelche Konstruktionsfehler. Man sollte den Lieferfirmen schärfer auf die Finger sehen.« Cunningham wehrte ungeduldig ab. »Ist alles geschehen. Die
Steuergeräte sind völlig einwandfrei…« »Also irgendein unbekannter Effekt. Aber das ist doch eine Sache für die Elektriker und Steuerleute. Was habe ich denn damit zu tun?« »Unsinn«, sagte der Boß unwirsch. »Irgendeine Teufelei steckt dahinter. Sehen Sie zu, daß Sie ihr möglichst bald auf die Spur kommen. Und setzen Sie sich mit Mortimer in Verbindung.« Jim Parker erhob sich. »Gut, Sir. Ich fahre sofort zum Werk ›Red Desert‹ hinaus. Hoffe, den Fall in spätestens einer Woche geklärt zu haben. Good-by, Sir!« »Good-by, Kommodore. Viel Glück!« * Jim Parker hatte sich getäuscht, als er glaubte, das Rätsel der geheimnisvollen Unfälle innerhalb von acht Tagen klären zu können. Bereits seit zwei Wochen erfreute sich Wernicke seines Amtes als stellvertretender Kommandant der Raumstation, und noch lagen keine Anzeichen dafür vor, daß sein großer Freund so bald aus Orion-City zurückkehren würde. Fritz Wernicke fühlte sich ganz groß in Form. Begleitet von Wilhelm Markus, der sich jedoch stets bescheiden im Hintergrund hielt, stolzierte der kleine, drahtige Kerl gravitätisch in der Radar-Station herum, wobei er seine Schritte geschickt von einer Lederschlaufe zur anderen lenkte, die überall den Boden bedeckten. Eine Gruppe von Elektrikern war mit der Montage der Geräte beschäftigt. Wernicke steuerte auf sie zu. »Hallo, boys!« rief er jovial. »Tempo, Tempo! Haltet euch ran! Ich kann schließlich nicht alles allein machen.« Lachend gehorchten die Männer und verdoppelten ihre Anstrengungen. Alle mochten den kleinen Weltraumpiloten gern,
der immer lustig und immer – durstig war! »Wenn wir weiter so gut vorankommen, wird Mister Parker die Station nicht wiedererkennen«, meinte Markus. »Er wird denken: ›Nanu – was hängt denn dort für ein komischer Rettungsring im Weltraum‹?« rief Wernicke übermütig. »Und den prächtigen Riesenspiegel wird er für ein Rasiergerät für Weltraumgespenster halten.« »Wenn’s nur schon so weit wäre«, seufzte der ewig ungeduldige Markus. Die Montage des kosmischen Parabolspiegels, die er selbst gewissenhaft überwachte, ging ihm viel zu langsam von der Stelle. Ein Bote zog sich am Halteseil in die Radar-Zentrale herein. Er kam vom Ausguck im Mittelpunkt der Station. »Meldung vom Ausguck, Sir: Raumschiff ›Explorer‹ und vier Transportraketen im Anflug auf die Station.« Fritz Wernicke blickte auf die Armbanduhr. »Na endlich! Dürfte die routinemäßige Ablösung sein. Haben sich diesmal verdammt viel Zeit genommen, die Burschen. Geben Sie Blinksignal: Sofort mit Ausbooten der Mannschaft beginnen!« * Der Kommandant des Raketenschiffs ›Explorer‹ entpuppte sich als ein alter Kamerad Fritz Wernickes. »Hallo, Fritz! Melde mich gehorsamst zur Stelle«, sagte er, als er Fritz Wernicke im Beobachtungsraum der Station gegenübertrat. Und – mit einer leichten Verbeugung gegen Markus: »Heinemann.« »Markus.« Die beiden schüttelten sich kameradschaftlich die Hand. »Dachte schon, ihr wolltet uns versetzen«, sagte Wernicke mit vorwurfsvollem Gesicht. »Sag, Rudi – hast du Getränke
mitgebracht?« »Zehn Flaschen Rum und ein Kistchen Genever.« »Das dürfte fürs erste genügen.« Fritz Wernicke sagte es beinahe ehrfurchtsvoll. »Wir hatten da kurz vor dem Start einen kleinen Zwischenfall«, fuhr Kapitän Heinemann fort. »Ein Monteur aus der Ablösungsmannschaft bekam plötzlich Schwindelanfälle und baute ab. Mußten statt dessen einen Ersatzmann mitnehmen. – Hallo, Mister Butcher!« Aus dem Menschenhaufen, der sich hinter Kapitän Heinemann hereingedrängt hatte, löste sich eine vierschrötige Gestalt. Fritz Wernicke wandle sich an ihn: »Mister Butcher? Ich kenne Sie nicht. Sind Sie schon lange beim S. A. T. beschäftigt?« »Dreiviertel Jahre, Sir. Ich war bisher auf Außenstelle Nevada III.« Nevada III – dort befand sich das Laboratorium für Versuche unter extremem Andruck und im Vakuum. Der Mann dürfte die nötigen Erfahrungen mitbringen. »Es ist gut.« Und – zu Markus gewandt: »Du kannst ihn deinem Spiegelbautrupp zuteilen, Willy.« Der Mann trat ab. Rudi. Heinemann ergriff wieder das Wort. »Ich bringe hier noch zwei Experten für Strahlungsmessung mit – von der Firma Anti-Radiation Company in Seattle…« »Die Fabrik, die uns die Strahlenschutzplatten liefert?« »Ganz recht. Darf ich bekannt machen: Mister Sharp, Miß Mabel Jefferson, seine Assistentin – Mister Wernicke, der stellvertretende Kommandant der Raumstation.« Mister Sharp trat vor und lächelte verbindlich. Er war ein hagerer Mann unbestimmbaren Alters und schien mit der schweren Plage eines ungeheuren Schnupfens geschlagen zu sein. »How do you do, Sir!« krähte er nasal. »Gestatten – hier, un-
sere Beglaubigungsschreiben! Unser Chef, Direktor Vinson, legt größten Wert darauf, daß die Erzeugnisse der Anti-Radiation Company tatsächlich jeden erdenklichen Schutz gegen kosmische Strahlen bieten. Nun, auf der Erde läßt sich das nur unvollkommen kontrollieren. Mister Vinson hat daher Miß Jefferson und meine Wenigkeit entsandt, damit wir an Ort und Stelle prüfen können, ob unser Material allen Ansprüchen gerecht wird. Generaldirektor Cunningham hat uns freundlicherweise die Genehmigung erteilt, in allen Räumen der Station Strahlungsmessungen durchzuführen. Miß Jefferson, bitte zeigen Sie den Herren unsere Instrumente.« Fritz Wernicke ließ den Redeschwall des eifrigen Mister Sharp über sich ergehen und prüfte indessen sorgfältig die Beglaubigungsschreiben, die mit den markanten Schriftzügen Cunninghams unterzeichnet waren. Miß Jefferson öffnete einen Koffer, in dessen Innerem geheimnisvolle Meßinstrumente und fotografischer Zubehör sichtbar wurden. Wernicke warf nur einen kurzen, uninteressierten Blick hinein. »Schon gut. Sie können sich in den Kabinen 3 und 8 häuslich einrichten und dann gleich mit der Arbeit beginnen. Halten Sie sich an Mister Markus. Er wird Ihnen alle Räume der Station zeigen.« Wilhelm Markus nickte mit abwesendem Gesicht. Er hatte sich über den Instrumentenkoffer gebeugt, aber er sah kaum, was er enthielt. Sein Blick war gefangen von dem stillen Gesicht der blonden Mabel Jefferson, aus dem ihn zwei große, dunkle Augen anschauten – mit dem Ausdruck einer undeutbaren Traurigkeit… *
Es gab kaum eine trostlosere Gegend als Red Desert. So weit das Auge reichte, dehnte sich Wüste aus rötlichem Sand. Einförmig reihte sich Hügelwelle an Hügelwelle. Vereinzelt standen dürre Grasbüschel und raschelten, wenn der Wind über sie hinstrich. Glühend heiß brannte vom Himmel die Sonne. Keine bessere Ecke der Welt hätte sich das Staatliche AtomTerritorium als Raketenflugplatz aussuchen können. Hierher verirrte sich so leicht kein Unbefugter – und weit und breit lag keine menschliche Siedlung, die gefährdet werden konnte, wenn eine der unbemannten Raumraketen einmal der Fernsteuerung nicht gehorchen sollte. Leider war das in letzter Zeit öfter vorgekommen. An mehr als einer Stelle der roten Wüste hatten abstürzende Raketen tiefe Krater in den Boden geschlagen, lagen ihre Trümmer in weitem Umkreis verstreut. Es war rätselhaft: Seitdem Jim Parker im Camp Red Desert weilte, um den seltsamen Unfällen auf die Spur zu kommen, hatte sich nichts dergleichen mehr ereignet. Mißmutig fuhr der Kommodore auch an diesem Morgen vom Barackenlager am Rande der Wüste zum Startplatz hinaus. Eintönig mahlten die Räder seines Jeep den roten Sand. Jim Parker dachte an die kostbare Zeit, die er hier scheinbar nutzlos vergeuden mußte, und fluchte leise vor sich hin. – In der Ferne wurden jetzt die Anlagen des Startplatzes sichtbar: die mächtigen Hangars, der Befehlsturm, die Bunker für die Bedienungsmannschaft. An der Einfahrt zur Arena trat der leitende Ingenieur an den Wagenschlag. »Transport-Raketen 44 und 46 klar zum Start, Kommodore«, meldete er und führte die Hand grüßend zur Mütze. Jim Parker schüttelte ihm die Hand. »Ausgezeichnet, Mister Hunter. Dann kann das Feuerwerk ja gleich losgehen.« Er brachte seinen Wagen hinter dem Wall der Arena in De-
ckung und verschwand mit dem Ingenieur im Befehlsbunker. Drinnen saß die Besatzung einsatzbereit an den Apparaten und wartete auf den Startbefehl. Eine Sirene auf dem Kommandoturm heulte auf und scheuchte die letzten Arbeiter aus der Arena. »Zuerst Nummer 44«, sagte Mister Hunter und gab das Startkommando. Durch die engen Sehschlitze in der Betonwand des Bunkers, auf dem Bildschirm des Fernsehers, verfolgten aufmerksame Augen das alltägliche Bild einer Transportrakete, die unbemannt und vom Boden aus ferngesteuert zum Mond startete. Nummer 44 stieg senkrecht empor, wurde in südöstliche Richtung umgelenkt, vergrößerte schnell ihre Geschwindigkeit. Von Sekunde zu Sekunde meldete sich der automatische Sender der Rakete im Lautsprecher des Befehlsbunkers. Kein Zweifel – der Start war programmgemäß verlaufen. »Na also«, sagte Jim Parker gelangweilt. »Es läuft doch alles wie am Schnürchen. Ich weiß wirklich nicht, warum man mich hierher geholt hat.« Mister Hunter zuckte nur die Achseln. »Nummer 46«, sagte er ruhig und gab das Startkommando. Vorschriftsmäßig stieg auch das zweite Raumschiff auf und lenkte aus der Senkrechten in die Südost-Richtung um. Jim Parker blickte kaum noch hin… Da riß ihn ein Ruf des Mannes, der das Leitstrahlgerät bediente, herum: »Kommodore! Schnell! Das Schiff spricht nicht mehr auf die Steuerung an!« Jim Parker stand schon am Fernseher. Was er da sah, benahm ihm den Atem. Wie von unsichtbaren Fäusten hin- und hergezerrt, taumelte die Rakete 48 im hohen Luftraum dahin. Plötzlich flog sie eine
scharfe Kurve, als wollte sie umkehren. Und schon brauste sie westwärts über den Startplatz dahin. »Brennschluß!« brüllte Mister Hunter. Ein Funkkommando brachte das Triebwerk des zügellosen Projektils zum Stillstand. Ein paar Sekunden noch – dann kündete eine ferne Detonation vom Absturz des Raumschiffes Nr. 46… Mister Hunter ließ Kaskaden von Flüchen vom Stapel. Alles schrie durcheinander. Nur Jim Parker blieb ruhig. Sein Gesicht war sehr nachdenklich geworden. Der tobende Ingenieur beruhigte sich allmählich. »Nun, Kommodore? Glauben Sie’s jetzt? Unser großer Boß, Generaldirektor Cunningham, wird schön fluchen – und die Lieferanten der Steuergeräte nicht weniger.« »Sie werden nicht mehr lange fluchen müssen«, lächelte Jim Parker geheimnisvoll. »Ich habe so eine Ahnung…« Mister Hunter starrte ihn verständnislos an. Er schien von Ahnungen nicht viel zu halten. Laut sagte er: »Wir werden wohl einstweilen keine Transportraketen mehr zum Mond starten lassen. Wie denken Sie darüber, Kommodore?« »Machen Sie ruhig weiter, Mister Hunter«, lächelte Parker. »Auf meine Verantwortung. Ich glaube, es werden keine weiteren Unglücksfälle eintreten. Was mich anbetrifft, so entschuldigen Sie mich bitte für ein paar Tage.« Mit freundlichem Kopfnicken eilte der Kommodore aus dem Bunker. Die Zurückbleibenden schauten ihm nicht sehr geistreich nach. * Der Bau der Weltraumstation schritt rüstig voran. Der stellvertretende Kommandant, der kleine Fritz Wernicke, hatte alle Hände voll zu tun. So unausgesetzt war er bean-
sprucht, daß er oft tagelang nicht dazu kam, sich an den Vorräten an Rum und Whisky zu stärken, mit denen das S. A. T. den ewig Durstigen in großzügigster Weise eingedeckt hatte. Arbeit und Verantwortung drohten dem guten Fritz wirklich über den Kopf zu wachsen. Hätte nicht Jim Parkers Organisationsgenie so mustergültige Vorarbeit geleistet, dann wäre er gewiß schon in arge Bedrängnis geraten. Ach ja – Jim! Wo mochte er wohl jetzt stecken? Hoffentlich würde er dem Unfug dort unten, auf der alten Erde, recht bald auf die Spur kommen, damit er hier auf der Station das Ruder wieder in die Hand nehmen könnte… Der vielgeplagte Wernicke kam aus dem zentralen Teil, der ›Achse‹ der Station, zurück. Vor ein paar Tagen war eine Sendung besonders wichtiger Maschinenteile von der Erde eingetroffen. Aus ihnen setzten die Monteure jetzt die starken Elektromotoren zusammen, die die radförmige Station später in rasche Drehung um ihre Achse versetzen sollten. Auf diese Art sollten Fliehkräfte erzeugt werden, die einen Ersatz für die fehlende Schwerkraft bieten und Verhältnisse schaffen würden, die denen auf der Erde ähnlich wären. Als Fritz Wernicke den langen Gang passiert hatte und die Region der mächtigen Treibstofftanks erreichte, prallte er fast mit Mister Sharp zusammen. Der Ingenieur hatte ein empfindliches Zählrohr neben sich liegen und machte eifrig Notizen in sein Taschenbuch. »Hallo, Herr Kommandant – äh, Sie haben mich schön erschreckt!« stotterte Sharp und klappte sein Notizbuch zu. »Sorry«, erwiderte Wernicke. »Nun, was haben Sie hier gemessen?« »Äh, ja – seltsamerweise verstärkte Strahlungen.« »Das ist gar nicht so seltsam«, belehrte Fritz Wernicke ihn. »Bekanntlich sind nur diejenigen Teile der Station mit Strah-
lenschutz versehen, die ständig bewohnt werden. Für die Treibstoffkammern ist das natürlich nicht erforderlich.« »Ah – ja, natürlich! Ich habe mich da sozusagen verirrt.« »Kann vorkommen«, sagte Fritz Wernicke gutmütig und wollte schon weitergehen. »Sollte aber nicht vorkommen«, ereiferte sich Mister Sharp. »Hören Sie, Sir, es wäre reizend von Ihnen, wenn Sie mir die Arbeit etwas erleichtern würden.« »Gern. Was kann ich für Sie tun?« Mister Sharp hob mit ratloser Gebärde die Schultern und seufzte. »Sehen Sie, Mister Wernicke, ich bin hier auf der Weltraumstation wie in einer fremden Stadt. Aber es ist hier alles viel schwieriger; denn diese Stadt hat weder Straßenverzeichnis noch Stadtplan…« »Sie irren, Mister Sharp, wir haben sogar einen sehr genauen ›Stadtplan‹.« »Und kann ich ihn mal sehen?« »Nein«, schmunzelte Wernicke, »den habe ich unter Verschluß.« »Ja – aber wie soll ich mich dann zurechtfinden?« fragte Mister Sharp, sichtlich enttäuscht. »Fragen Sie den Verkehrsschutzmann! Good-by.« Und freundlich grinsend setzte Wernicke seinen Kontrollgang fort. Er trat gerade im rechten Augenblick in den Raum, der die Trinkwasserbehälter barg, um Augenzeuge einer handgreiflichen Auseinandersetzung zu werden. Zwei Gestalten in Monteuranzügen purzelten – ineinander verschlungen – in dem engen Raum herum. Mit ein paar raschen, kräftigen Griffen, die man dem kleinen Mann gar nicht zugetraut hätte, trennte Fritz Wernicke die beiden Kampfhähne. Jack Milton, ein Ingenieur vom Stammpersonal der Station, hielt sich – zitternd vor Erregung – an der
Wand fest. Finster stand ihm der andere gegenüber; es war der Monteur Abel Butcher. »Ich erwischte den Kerl, als er die Wasserbehälter aufschraubte«, berichtete der Ingenieur. »Als ich ihn zur Rede stellte, wurde er tätlich.« »Wollte mal nachschauen, was da drin war«, sagte Butcher bockig. »Dachte, der Schnaps würde da aufbewahrt…« Vor Fritz Wernickes scharfem Blick verstummte er verlegen. »So, so«, sagte der kleine Kommandant gedehnt, »also neugierig. Das können wir hier oben nicht brauchen. Ich werde über Sie nach Orion-City berichten müssen, mein Lieber. Und nun: Marsch, an Ihre Arbeit! Ich dachte, Sie wären dem SpiegelBautrupp zugeteilt…« Der vierschrötige Monteur machte keinerlei Anstalten, dem Befehl Folge zu leisten. Bösartig blickte er von einem zum anderen: Fritz Wernicke war bestimmt der Gemütlichste unter allen Piloten des Weltraums. Doch jetzt riß ihm die Geduld. »Raus!!« brüllte er. Blitzschnell traf sein Fuß die gewaltige Sitzfläche des plumpen Riesen, der mit einem mächtigen Purzelbaum durch die nur angelehnte Tür hinausflog. Diese Sprache war Abel Butcher verständlich. Fluchend hinkte er zu seiner Arbeitsstelle. * Mabel Jefferson hatte, seitdem ihr Fuß zum erstenmal die Raumstation betrat, ein völlig zurückgezogenes Dasein geführt. Nur selten kam ein Wort über ihre Lippen, das sich nicht unmittelbar auf dienstliche Fragen bezog. Still und unermüdlich ging sie ihrer Arbeit nach, zu der sie von Mister Sharp angewiesen wurde. Nie schien sie das Meßinstrument aus der
Hand zu legen. Um so froher war Wilhelm Markus, als sie ihn heute mittag selbst darum gebeten hatte, ihn zur Baustelle am Sonnenspiegel begleiten zu dürfen. Mit einer kleinen Rakete, einem ›Beiboot‹, dessen Passagierraum gerade zwei Menschen bequem Platz bot, hatten sie die Station verlassen. In gehörigem Abstand, um das empfindliche Bauwerk nicht zu gefährden, umkreiste Markus das technische Wunder im Weltraum. Noch immer mutete der gewaltige Spiegel in manchen Teilen wie ein gigantisches Spinnennetz an, dessen Fäden in den Sonnenstrahlen blitzten. Doch große Flächen bestanden bereits aus hauchdünnem, gleißendem Metall. »Was sind denn das für merkwürdige Verstrebungen?« wollte Mabel Jefferson wissen. Sie deutete auf eine Anzahl starrer Metallstreben, die alle auf einen bestimmten Punkt im Inneren des werdenden Hohlspiegels hinliefen. »Die Haltevorrichtung für den Kessel«, erklärte Markus bereitwillig. »Dort, im Brennpunkt des Spiegels, wird später der Kessel befestigt, der mit Sonnenwärme geheizt wird und den Dampf für das Kraftwerk der Station liefert. Eine höllische Hitze wird in diesem Punkt herrschen.« »Wird der Kessel nicht schmelzen?« »Er besteht aus einer neuartigen Metallegierung mit besonders hohem Schmelzpunkt. Außerdem sorgt ein raffiniert ausgedachtes Kühlsystem für die Ableitung der überschüssigen Wärme.« »Ach bitte, Mister Markus, können wir nicht etwas näher herangehen?« Wilhelm Markus erfüllte ihr den Wunsch gern. Er drehte sich nach ihr um. Miß Jefferson machte sich eifrig an ihrem Meßgerät zu schaffen und hielt es an die Scheibe des Bullauges.
Unwillkürlich mußte er lachen. »Ich hatte Sie eigentlich nur auf eine kleine ›kosmische Autotour‹ mitnehmen wollen, und Sie sind schon wieder so furchtbar dienstlich.« Mabel errötete und versuchte, das Instrument zu verbergen. »Nun ja, Mister Markus – sehen Sie: Wir haben jetzt fast alle Räume der Station untersucht, und nirgends haben wir mehr kosmische Strahlen gefunden, als sich verantworten ließe. Was uns jetzt noch fehlt, sind Vergleichsmessungen hier draußen im Weltraum.« »Ein merkwürdiges Instrument«, staunte Markus. »Ich habe diesen Typ noch nie gesehen.« »Eine Spezialkonstruktion unserer Firma. Ein fotografisch arbeitendes Registrier-Zählrohr…« Markus wollte noch etwas fragen – doch da blitzte zur Linken im Raum ein rotes Warnsignal auf. Erschrocken wandte sich der junge Ingenieur von seiner Begleiterin ab und griff in die Steuerung. Er hatte nicht aufgepaßt und war in bedrohliche Nähe eines Bautrupps geraten. Ein paar Gestalten, in plumpen Raumtaucheranzügen, spritzten nach allen Seiten auseinander und brachten sich mit Hilfe ihrer Rückstoßpistolen außer Reichweite des unvorsichtigen Raumbootes. Wilhelm Markus bekam einen roten Kopf. Schleunigst steuerte er das kleine Fahrzeug zur Raumstation zurück. * Rund 30 Meilen südöstlich des Lagers erstreckte sich der ödeste Teil des Red Desert. Kein Halm, kein Vogelruf unterbrach das Bild trostlosester Verlassenheit. Unbarmherzig brannte die Sonne auf die rote Einöde hinab. Und doch war die Szene an diesem Morgen nicht gänzlich
unbelebt. Hoch in den Lüften, einige tausend Meter über der Wüste, zog ein großer Düsenhubschrauber langsame Kreise. Zwei Männer durchmusterten aufmerksam mit ihren Feldstechern das tote Land. »Hier müßte es sein«, sagte Jim Parker. Und zum Piloten gewandt: »Gehen Sie langsam auf Südkurs!« Die Landschaft unter ihnen änderte ihr Bild, verlor aber nichts von ihrer Trostlosigkeit. Unübersichtliche Felsgruppen schoben sich in die Einförmigkeit der Sandwüste. Leutnant Hopkins vom Sicherheitsdienst des S. A. T. sah es zuerst. Er faßte nach Parkers Arm und deutete nach unten. »Hallo, Kommodore! Schätze, wir haben sie.« Jim Parker blickte scharf durch das Glas. »Kein Zweifel, Hopkins«, sagte er, mit leisem Triumph in der Stimme. »Beordern Sie sofort die Jagdstaffel hierher!« Der Leutnant sprach mit dem Funker. Behutsam flog der Pilot noch eine Runde, brachte den Hubschrauber über einem bestimmten Punkt in den Klippen zum Stehen und ging langsam hinunter. Durch den Feldstecher konnte der Kommodore jetzt deutlich eine kleine Gruppe von Zelten erkennen, in ihrer Farbe vorzüglich der Landschaft angepaßt. Etwas seitwärts erhob sich auf einem Felsen das schlanke Gerüst einer Antenne. Aber so vorsichtig sich der Hubschrauber auch näherte – sein Kommen wurde doch bemerkt. Aus einem der Zelte stürzten zwei Gestalten hervor, deuteten aufgeregt gestikulierend zum Himmel… Es gab keine Zeit mehr zu verlieren. »Runter!« brüllte der Kommodore. Der Pilot tat sein möglichstes. Aber nur schwerfällig torkelte der ungefüge Riesenvogel bodenwärts. Jim Parker fluchte. Er wünschte, er säße jetzt in einer Sturzkampfmaschine anstatt in dieser lahmen Mühle.
Aus dem größten Zelt kroch ein schwerer Reisewagen. Drei Männer rissen die Türen auf und schwangen sich zu dem Fahrer hinein. Mit einem Satz kam der Wagen in Fahrt und raste in südlicher Richtung davon. In diesem Augenblick schossen Rauchpilze aus dem Boden hoch. Explosionen zerstörten, was eben noch eine gutgetarnte Funkstation gewesen war. »Damned! Die Burschen haben auch an alles gedacht«, knurrte der Kommodore grimmig. Leutnant Hopkins verlor die Nerven. Mit dem Kolben seiner Maschinenpistole zertrümmerte er die Kunstglasscheibe. Wütend schob er den Lauf durch die Öffnung. Eine Geschoßgarbe ratterte hinter dem fliehenden Wagen her, doch die Entfernung war bereits zu groß. »Sparen Sie Ihre Munition, Hopkins«, sagte Jim Parker. »Die Jagdstaffel soll die Verfolgung aufnehmen. Wir wollen hier landen und nachsehen, ob noch irgend etwas zu retten ist.« Der Hubschrauber setzte behutsam unweit des brennenden Lagers auf. Parker und Hopkins sprangen heraus und eilten mit federnden Sätzen den qualmenden Trümmern zu. Über ihren Köpfen brausten fünf schnelle Jagdmaschinen südwärts über die Wüste dahin. Aus der Ferne hörte man ihre Maschinenwaffen hämmern… * Mabel Jefferson fuhr zusammen, als sich plötzlich die Schiebetür öffnete Und Wernicke in Begleitung von Wilhelm Markus eintrat. »Hallo, Miß Jefferson! Wie immer an der Arbeit?« rief Fritz Wernicke gutgelaunt. »Sie sollten sich auch mal ein bißchen Erholung gönnen.«
Mabel lächelte. »Über alles die Pflicht, Mister Wernicke. Das ist doch auch Ihr Wahlspruch…« Fritz Wernicke verbeugte sich galant. »Gewiß doch – aber solch ein strenges Wort von so holden Lippen…« »Sie übertrifft an Pflichteifer noch ihren Chef, diesen allgegenwärtigen Mister Sharp«, fiel ihm Markus lebhaft ins Wort. Wernicke nickte gönnerhaft. »So ist es. Schätze, daß so viel Pflichtbewußtsein belohnt werden müßte. Werde meinem nächsten Bericht ein paar lobende Worte über die wackeren Vertreter der Anti-Radiation Company beifügen.« »Nein – bitte nicht!« Die beiden Männer blickten verständnislos zu Mabel hinüber, die diese Worte beinahe erschreckt ausgerufen hatte. Doch etwas anderes lenkte sie ab. Pat Sanders, der lange, dürre Monteur, stand in der Tür des Beobachtungsraumes und drehte verlegen die Mütze in den Händen. »Verzeihung, Sir, aber Doktor Feller schickt mich. Sie möchten gleich mal in die Krankenstation kommen.« »Was ist passiert?« Wernicke war bereits Feuer und Flamme. Der lange Pat druckste herum, und seine Augen irrten wie hilfesuchend von einem zum anderen. »Wir – das heißt: ich – oder vielmehr, der Kollege Butcher…« Fritz Wernicke verlor die Geduld. »Also wer denn nun eigentlich? Lös, Mann, reißen Sie sich gefälligst zusammen und erzählen Sie der Reihe nach.« Pat Sanders nahm sich zusammen. »Ja – das kam nämlich so: Dielt, ich und die anderen, wir saßen gerade im Aufenthaltsraum beim Mittagessen. Da kamen die Kollegen von der Spiegel-Montage herein, die gerade abgelöst waren. Kollege Butcher war auch dabei. Er war nicht gut aufgelegt und nannte das Essen, das uns Dick Moll vorgesetzt hatte, einen Schlangenfraß.«
»Na, und?« Fritz Wernicke hatte offensichtlich wenig Lust, sich Pats langatmige Erklärungen anzuhören. »Was ist denn nun eigentlich geschehen? Hat Butcher sich an dem ›Schlangenfraß‹ vergiftet?« »Nein – das nicht gerade. Dick Moll gab ihm mächtig kontra. Aber der Kollege Butcher suchte wohl Streit. Er äußerte so komische Ansichten…« »Na, und?« warf Wernicke wieder ungeduldig ein. »… und da habe ich ihm eine runtergehauen. Er saß leider nicht fest auf seiner Bank und purzelte durch den Raum. Dabei kam er mit dem Kopf der Wand etwas zu nahe…« »… der Wand etwas zu nahe«, machte Fritz Wernicke ihn nach. »Sie drücken sich ja verdammt vornehm aus. Ist das eine Art, einen anderen gleich zu schlagen – nur, weil er ›komische Ansichten‹ hat?« »No, Sir. Aber…« »Kein ›Aber‹, Mann! Ich dulde keine Schlägereien auf der Station. Und dann?« »Ja, dann verlor der Kollege Butcher wohl das Bewußtsein. Wir waren erst ein bißchen ratlos. Aber dann kam dieser Mister Sharp und gab furchtbar an. Ich mußte mit ihm zusammen den Kollegen Butcher in die Krankenstation schleppen…« »Ich sehe gleich nach. Und Sie, alter Kampfhahn« – der kleine Wernicke reckte sich zu seiner vollen Größe und reichte dem dürren Monteur doch gerade nur bis ans Kinn –, »Sie werden eine kleine Abkühlung brauchen können. Melden Sie sich sofort beim leitenden Ingenieur des Spiegel-Bautrupps, als Ersatzmann für Ihren Kollegen Butcher. Verstanden?« Der lange Pat schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Aber er murmelte nur gepreßt: »Jawohl, Sir« – und trottete davon. Fritz Wernicke war schon draußen. Er hastete ungeduldig
durch die Gänge und Räume der Station. Vor der Krankenstation kam ihm Mister Sharp entgegen, mit zornigem Gesicht, wild mit der Rechten in der Luft herumfuchtelnd. »Das ist unglaublich, Herr Kommandant, was Ihre Leute sich erlauben…« Wernicke schob den Entrüsteten einfach zur Seite. Aber irgend etwas ließ ihn innehalten und den Worten des anderen nachhorchen. »Meine Leute? Wieso – hat man Sie denn angegriffen?« »Mich nicht, aber Mister Butcher…« »Und was geht Sie das an?« fragte Fritz Wernicke. »Eine ganze Menge«, schrie Mister Sharp erbost, »das heißt, eigentlich – ich meine nur, man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, wenn hier solche Raufbolde herumtoben.« »Sie brauchen sich um Ihr kostbares Leben nicht zu ängstigen«, sagte Wernicke kalt. Und – schon von der Tür her: »Wenn es Ihnen lieber ist, dann packen Sie ruhig Ihre Klamotten. Sie können den nächsten Ablösungstransport benutzen. Er geht in sieben Stunden.« Fritz Wernicke betrat die Krankenstation. Ein Sanitäter beugte sich über die massige Gestalt des verletzten Monteurs, der in einer Hängematte festgeschnallt lag. Doktor Feller, der Stationsarzt, blickte von einer Schreibarbeit auf und kam Wernicke entgegen. »Nichts Ernstliches, Sir. Eine Beule am Hinterkopf. Immerhin – der Patient hat das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Offenbar eine leichte Gehirnerschütterung.« Ein Stöhnen kam aus der Hängematte. Fritz Wernicke warf einen kurzen Blick hinüber und wandte sich wieder an den Arzt. »Gut, Doc. Der Mann ist ja bei Ihnen bestens aufgehoben. Behalten Sie ihn hier, bis er restlos auskuriert ist. Übrigens –
recht geschieht’s ihm schon. Ist ein verdammter Schläger und Querulant. Hat einen kleinen Dämpfer gewiß verdient.« * Mabel Jefferson war auffallend blaß geworden, als der lange Pat seinen Bericht hervorstotterte. Markus sah es voller Sorge. Er war bemüht, den Eindruck des ärgerlichen Vorfalls, der wohl zu viel für die Nerven des Mädchens gewesen war, rasch zu verwischen. »Nichts von Bedeutung, Miß Mabel. Der gute Wernicke wird schon dafür sorgen, daß so was nicht wieder vorkommt.« Mabel erkannte die gute Absicht und lächelte schwach. »Da – schauen Sie nur«, fuhr Markus fort und deutete durch das große Fenster des Beobachtungsraumes. »Der Spiegel ist schon fast fertig.« Mabels Blick folgte seiner Hand. »Was sie dort sah, war wirklich imponierend. Wie der weit aufgesperrte Rachen eines utopischen Ungeheuers gähnte ihr der gewaltige Parabolspiegel entgegen. Noch war er der Sonne abgekehrt, damit ihre Strahlen – von den metallenen Facetten zurückgeworfen – nicht den Bau stören und die Arbeiter gefährden konnten. Ein beklemmendes Gefühl, über das sie sich keine Rechenschaft geben konnte, stieg in ihr hoch. Mit einem Schaudern riß sie sich von dem Bild los. Wilhelm Markus bemerkte es nicht. In seinen Augen war ein Schimmer von Begeisterung, als er fortfuhr: »Noch zwei Tage – dann ist es so weit! Dann wird der Spiegel die erste ›Probefahrt‹ machen. Er wird sich – von der Station aus ferngesteuert – zum erstenmal voll der Sonne öffnen. Wenn dann der Kessel im Brennpunkt eingebaut ist, kann unser Sonnenkraftwerk seinen Betrieb aufnehmen.«
»Dann wird meine Aufgabe hier also bald erfüllt sein«, sagte Mabel ein wenig schwermütig. Bestürzt wandte sich Markus ihr zu. »Das heißt – Sie wollen uns verlassen, Mabel?« Mabel Jefferson schloß ihren Instrumentenkoffer. Sie blickte nicht auf. »Ich muß wohl… Sie wissen, wir hatten hier nur einen ganz speziellen Auftrag zu erledigen…« Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Von irgendwoher klang das Knattern der Niethämmer. Dort wurden wohl die letzten Platten der äußeren Wand befestigt, welche die Station gegen den leeren Raum abgrenzte. Der junge Ingenieur fühlte es heiß in seinem Inneren aufwallen. »Mabel«, begann er, ein wenig unbeholfen, »schon lange wollte ich Sie fragen – wollte ich Sie bitten…« »Nicht – Mister Markus«, erklang ihre Stimme bittend. Und als er ihr verwirrt in die Augen schaute, sah er darin einen Ausdruck solcher Traurigkeit, daß die Worte, die ihm im Heizen brannten, ungesprochen blieben. Doch ehe sich Wilhelm Markus noch von seiner Ratlosigkeit befreien konnte, hatte Mabel den Raum bereits verlassen. * »Na endlich«, sagte Generaldirektor Cunningham zutiefst befriedigt und zündete sieh umständlich eine dicke Havanna an, die unter Freunden ihren Dollar wert war. Wohlwollend nickte er seinem Kommodore zu. »Das haben Sie wirklich großartig gemacht, Parker. Sie haben meine Geduld zwar auf eine harte Probe gestellt, aber Hauptsache ist ja, daß Sie des Rätsels Lösung schließlich doch gefunden haben.« Jim Parker, der im bequemen Klubsessel im Arbeitszimmer
seines Chefs saß und die Beine weit von sich streckte, schien nicht ganz überzeugt zu sein. Nachdenklich wiegte er den Kopf. »Ich hatte von Anfang an einen bestimmten Verdacht. Als ich dann mit eigenen Augen das Malheur mit der ferngesteuerten Rakete 46 sah, wurde es für mich zur Gewißheit: Irgendwo in der Nähe des Startplatzes mußte ein starker Störsender verborgen sein, der das Raumschiff aus der Bahn brachte. Ich forderte den Hubschrauber an, und mit etwas Kombinationsvermögen und Glück kamen wir den Halunken auf die Schliche. Das Weitere, meine Herren, ist Ihnen bekannt.« »Ich verstehe nur nicht«, brummte Cunningham, »was die Burschen mit ihrem Theater eigentlich bezweckten. Man baut schließlich nicht mitten in der trostlosesten Wüste der Welt eine Funkstation auf, nur um Schabernack zu treiben. Für ›groben Unfug‹ kommt mir die Geschichte zu kostspielig vor. Aber – welches Motiv könnte dahinterstecken?« »Diese Frage könnte ich Ihnen jetzt haargenau beantworten, wenn wir die komischen Amateurfunker erwischt hätten«, ließ sich Oberstleutnant Mortimer aus einer Qualmwolke heraus vernehmen. »Leider kamen unsere Jagdmaschinen um Sekunden zu spät. Der Wagen, den ihre M.G. zersiebten, war bereits verlassen, wie sich später herausstellte.« »Und Ihre Meinung?« wollte Cunningham wissen. »Wenn es Sie interessiert« – erwiderte der lange Mortimer ein wenig spöttisch – »ich habe da so eine Idee.« Genießerisch blies er den Rauch durch die Nase und lehnte sich zurück. »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, Gentlemen, daß diese mysteriösen Versager bei unseren Raketen nur – sagen wir – sehr sporadisch auftraten?« »Gewiß – aber was sollte das zu bedeuten haben?« Mortimer fuhr nachdenklich fort: »Hätte irgendeine Interes-
sengruppe den Wunsch gehabt, dem S.A.T. auf diese Art materiellen Schaden zuzufügen – ich glaube, sie hätte Schlag auf Schlag gearbeitet und sich nicht monatelang der ständigen Gefahr einer Entdeckung preisgegeben…« »Hm – leuchtet mir ein«, grunzte der Boß. »Und weiter?« »Statt dessen« – der Oberstleutnant betonte jedes Wort nachdrücklich – »statt dessen legten unsere bekannten Gegner Wert darauf, ihrer Aktion den Charakter des Rätselhaften zu geben. Wahrscheinlich kalkulierten sie sehr richtig, daß das S. A. T. seinen geeignetsten Mann einsetzen würde, um des Rätsels Lösung zu finden…« »Thunderstorm!« brüllte der Boß und hieb erregt auf die Schreibtischplätte. »Sie meinen«, fragte Jim Parker und war mit einem Satz aus dem Sessel hoch, »man habe mich von der Raumstation fortlocken wollen…« »… um dort oben in aller Ruhe im trüben fischen zu können. So ähnlich, Kommodore.« Jim Parker wandte sich aufgeregt an den Generaldirektor: »Ich muß sofort zur Station zurück, Sir! Wer weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist…« »Gar nichts ist passiert«, grollte Cunningham. »Die Berichte lauten ausnahmslos befriedigend. Mortimer, Ihre Phantasie in Ehren – aber diesmal…« »Bitte, Boß«, unterbrach ihn Parker ungeduldig, »es kann sein, daß Mister Mortimer sich täuscht. Aber ich habe plötzlich so ein verdammt komisches Gefühl…« »Na, meinetwegen, Parker. Sie starten aber nicht eher, als bis Sie den Bericht über Ihr Abenteuer mit den Wüstensöhnen vom ›Red Desert‹ zu Papier gebracht haben. Das Ministerium zeigt ein merkwürdiges Interesse für die Sache. Sagen wir also: mit dem übernächsten Ablösungstransport.«
Parker und der Oberstleutnant schickten sich an zu gehen. Im Vorzimmer saß ein wohlgenährter Herr, der mit blauen Augen fröhlich durch seine dicken Brillengläser blinzelte. Offenbar wartete er darauf, bei Cunningham vorgelassen zu werden. Hocherfreut steuerte der beleibte Herr auf den Kommodore zu. »Hallo, Mister Parker! How do you do! Freue mich riesig, Sie hier zu treffen. Gestatten – Vinson ist mein Name, Direktor der Anti-Radiation Company.« »Angenehm«, sagte Jim Parker und verbeugte sich knapp. Seine Gedanken weilten anderswo – draußen im Raum, auf dem künstlichen Mond, von dessen Bau so günstig lautende Berichte vorlagen – und auf dem dennoch eine unbekannte Gefahr zu lauern schien… Der freundliche Mister Vinson ließ sich nicht so leicht abschütteln. »Meine Firma liefert doch den Strahlungsschutz für Ihre Raumstation, Sir. Ich hätte gern von Ihnen selbst gehört, ob Sie damit zufrieden sind.« »Ahem – ja doch – außerordentlich zufrieden.« Jim Parker fand allmählich in die Gegenwart zurück. »Meines Wissens hat sich Ihr Material bislang bestens bewährt.« »Das freut mich!« Mister Vinson strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Aber ich möchte gern ganz sicher gehen, ob das Material gegen die kosmische Strahlung wirklich jeden erdenklichen Schutz bietet. Ich hatte deshalb daran gedacht, Ihnen meinen tüchtigsten Physiker, Doktor Torrings, für ein paar Tage zu schicken, damit er an Ort und Stelle ein paar Strahlungsmessungen machen kann.« »In Ordnung, Mister Vinson, ich erwarte Ihren Mann. Er soll sich vorher bei Oberstleutnant Mortimer vom Sicherheits-
dienst melden. So long!« Und schon war Jim Parker draußen und eilte mit langen Schritten zum Lift. * Sorgenvoll schritt Fritz Wernicke in der ›Achse‹, dem Mittelteil der Station, auf und ab. Die Bauarbeiten liefen nach wie vor planmäßig. Und doch hatten sich in den letzten Tagen zu wiederholten Malen Fehler und Mängel gezeigt, die einfach nicht zu erklären waren. Vor zwei Tagen hatte es angefangen. Man war mit der Montage des Kessels aus hitzebeständigem Material beschäftigt, der im Brennpunkt des Sonnenspiegels liegen sollte. Plötzlich stellte es sich heraus, daß der Anschlußstutzen einer besonders wichtigen Rohrleitung fehlte. Er blieb unauffindbar. Der Kessel mußte wieder ausgebaut werden und wanderte in die Werkstatt der Station zurück. Wertvolle Zeit ging verloren. Schon am nächsten Morgen ereignete sich ein weiterer Zwischenfall. Fritz Wernicke hatte für 8 Uhr Stationszeit die Inbetriebnahme des Kreiselsystems angeordnet, das die Station in rasche Drehung um ihre eigene Achse versetzen sollte. Auf diese Weise sollten im Ring der Station starke Fliehkräfte erzeugt werden. Sie würden den Besatzungsmitgliedern das Gefühl einer Schwerkraft vortäuschen und ähnliche Verhältnisse in den Räumen der Station schaffen, wie man sie auf der Oberfläche der Erde hatte. Doch als um 8 Uhr die Motoren zum Antrieb der Kreisel angelassen werden sollten, hatte sich nichts gerührt. Die Elektriker nahmen alles auseinander, prüften jeden Einzelteil der komplizierten Apparatur. Erst gegen Abend entdeckten sie den Schaden: An einer schwer zugänglichen Stelle war ein Ka-
bel gerissen. Es blieb unerklärlich, wie das passieren konnte. Auch der heutige Tag hatte mit einem bedrohlichen Vorfall begonnen. Als Fritz Wernicke auf seinem Kontrollgang den Aufenthaltsraum der Elektromonteure betrat, erwartete ihn ein seltsames Bild. In der verhältnismäßig engen, dichtbesetzten Kammer schwebten einige der Männer in tiefem Schlaf herum. Die übrigen hingen, mit glasigen Blicken, anscheinend schwer benommen, in ihren Matten. Eine dichte Welle verbrauchter Atemluft sprang den Eintretenden an. »Beim leibhaftigen Mondkalb!« entfuhr es Fritz. »Kann denn dieser Trottel in der Lufterneuerung nicht aufpassen?« Es sollte sich gar bald herausstellen, daß der ›Trottel‹ in der Lufterneuerungsanlage gar nicht aufpassen konnte. Fritz Wernicke fand ihn vor seinem Arbeitsraum damit beschäftigt, an der versperrten Tür zu rütteln. Er war ausgesperrt, und die Tür klemmte. Wernicke ließ ein Donnerwetter auf das Haupt des Mannes herniederprasseln. Der versuchte, sich zu rechtfertigen. Ein Befehl aus der Rufanlage habe ihn zu Mister Markus zitiert. Aber Markus wußte seltsamerweise von nichts. Als der Mann zurückkam, konnte er die Tür seines Dienstraumes nicht aufbekommen. Man mußte Brechstangen ansetzen, ehe die Tür nachgab. Drinnen schien auf den ersten Blick alles in Ordnung. Erst die genauere Kontrolle ergab, daß die Leitung zum Wohnraum der Elektriker aus unbekanntem Grund unterbrochen war. War es Sabotage? Das Wort geisterte durch die Raumstation – wurde hier und da geflüstert – legte sich lähmend auf die Stimmung der Insassen… Dick Moll wollte – auf dem Wege zu seiner Küche – in der
Nähe der Lufterneuerungsanlage eine vierschrötige Gestalt gesehen haben, die sehr wohl zu Abel Butcher passen konnte. Die Zeit hätte stimmen können – aber Butcher war über jeden Verdacht erhaben. Er lag noch immer in der Krankenstation – meist in einer Art Dämmerzustand – und empfing nur hin und wieder den Besuch des besorgten Mister Sharp. Dieser hatte Fritz Wernickes Rat, mit dem nächsten Transport abzureisen, nicht befolgt. Seine Heftigkeit schien ihm leid zu tun. Er war die Liebenswürdigkeit selbst, als er jetzt den Maschinenraum in der ›Achse‹ der Station betrat. »Hallo, Herr Kommandant!« rief er fröhlich. »Was gibt’s Neues?« »Sie werden gleich was Neues erleben«, antwortete Wernicke, der den Zusammenstoß mit Sharp längst vergessen hatte. »Wir setzen jetzt die Station in Drehung…« »… damit das Riesenrad in den Raum hinausrollt. Auf zum Mars!« »Das wohl weniger«, lächelte Wernicke, »aber wir wollen es erreichen, daß wir in unserer Station aufrecht gehen können, wie vernünftige Menschen. Die lästigen Handgriffe und Halteseile sind dann nicht mehr nötig. Geben Sie acht!« Wernicke gab dem Schaltingenieur ein Zeichen. Er nickte und begab sich an das Schaltbrett im Hintergrund des Maschinenraumes. Ein paar Hebel wurden umgelegt. Rotes Warnlicht flackerte in allen Räumen. Die Motoren sprangen an. Surrend begannen die Kreisel zu rotieren. Das gewaltige Rad der Weltraumstation geriet in Drehung – schneller und immer schneller – verharrte dann bei konstanter Tourenzahl. In allen Räumen des Riesenrades erlebten die Menschen das Wunder, nach langer Schwerelosigkeit plötzlich wieder Boden unter den Füßen zu fühlen. Sie empfanden es mit Dankbar-
keit… Lediglich in der ›Achse‹ der Station herrschte nach wie vor der bisherige Schwebezustand. Ein Funker trat ein und reichte Wernicke eine Meldung. Ein zufriedenes Lächeln glitt beim Lesen über sein Gesicht. Der stets wißbegierige Mister Sharp pirschte sieh heran. »Ein Telegramm, Sir? Hoffentlich was Erfreuliches!« »Etwas sehr Erfreuliches, mein Lieber«, sagte Wernicke geheimnisvoll und wandte sich zur Tür. Enttäuscht blieb der neugierige Frager zurück. Draußen aber überflog Wernicke noch einmal die wenigen Worte: »Rückkehre morgen 13 Uhr Stationszeit. Bitte Ankunft geheimhalten. Gruß, Jim.« * Tatsächlich gelang es dem Kommodore, fast unbemerkt wieder in die Station ›einzusickern‹. Mit einem ›Beiboot‹ war er vom Transportschiff 144 herübergekommen. Nur der getreue Fritz Wernicke hatte ihm einen begeisterten Empfang bereitet. »Jim, alte Mondrakete! Endlich bist du wieder da!« Gerührt umarmte Fritz den ›großen Bruder‹. Durch die Bullaugen der ›Achse‹ ließ der Kommodore seinen Blick über den mächtigen Ring der Station schweifen. »Ihr habt gute Arbeit geleistet«, sagte er anerkennend. »Alle Hochachtung, Fritz!« Wernicke grinste vergnügt. »Kunststück«, entgegnete er bescheiden, »wo du doch alles so großartig organisiert und vorbereitet hattest, daß wir es nur nach Schema F zusammenzusetzen brauchten.« »Na, immerhin – alle Schwierigkeiten lassen sich doch nicht
vorausberechnen…« »Ach ja«, seufzte Fritz, »an Zwischenfällen hatten wir freilich keinen Mangel. Besonders in letzter Zeit…« »Komm, Fritz, wir wollen einen kleinen Rundgang machen. Bin furchtbar gespannt, wie die Bude jetzt – in voller Lebensgröße – aussieht.« Von der ›Achse‹ aus arbeiteten sich die Freunde an Halteseilen durch eine der ›Speichen‹ in das ›Rad‹ der Raumstation vor. Hier machte sich schon die künstliche Schwerkraft bemerkbar. Sie konnten aufrecht weitergehen, ohne sich festhalten zu müssen. Überall in den Räumen blickten die Männer überrascht auf, als sie den Kommodore erkannten. Jim Parker hatte für jeden ein herzliches Wort. Sie betrachteten das Observatorium für Erd-Vermessung und -Beobachtung. Großflächige Fenster waren an den Wänden, Projektionsschirme, optische Geräte aller Art… An einem runden Tisch – nahe der Tür zum Nebenraum – saßen zwei Gestalten in weißen Arbeitsmänteln und machten sich an einem merkwürdig geformten Meßinstrument zu schaffen – ein hagerer Mann und ein junges Mädchen. Der Mann sprang auf und starrte ungläubig auf den Kommodore. »Zwei liebe Gäste«, stellte Fritz Wernicke vor: »Mister Sharp und Miß Jefferson, seine Assistentin. Beide von der Anti-Radiation Company in Seattle. – Mister Parker, unser Kommodore.« Man schüttelte sich die Hände. »Wir machen hier Messungen«, beeilte sich Mister Sharp zu erklären. Jim Parker schaute ihn nachdenklich an. Donnerwetter, dachte er, die Leute arbeiten erstaunlich schnell. Vor ein paar Tagen erst hatte Direktor Vinson von der Anti-Radiation ihm die Ent-
sendung eines Mitarbeiters angekündigt, und nun fand er diesen Mann schon in voller Tätigkeit auf der Station vor. Das war doch gar nicht möglich… Mit einer raschen Gebärde wandte er sich Fritz Wernicke zu. Doch da kam ein Mann hereingestolpert – mit allen Anzeichen der Bestürzung im Gesicht. »Kommodore, kommen Sie schnell! Der Kessel…« In der Vorahnung drohenden Unheils eilten Parker und Wernicke dem Mann nach. Er führte sie in die Werkstatt. In der Mitte des großen Raumes lag auf hölzernen Böcken der mächtige Kessel aus hitzefester Speziallegierung, der für das Sonnenkraftwerk bestimmt war. Mister Shoemaker, der leitende Ingenieur, hatte den fehlenden Rohrstutzen erneuern lassen. Vorsichtshalber hatte er den Kessel vor der Montage noch einmal unter Druck gesetzt. Und da… Stumm deutete Shoemaker auf eine Stelle in der Kesselwand. Aus einem nadelfeinen Loch spritzte ein dünner Wasserstrahl hervor. Parker und Wernicke sahen sich betroffen an. »Sabotage?« fragte der Kommodore leise. »Es ist keine andere Erklärung möglich«, grollte der Ingenieur. »Der Kessel war vollkommen in Ordnung, als er auf der Station eintraf. Ich habe mich selbst davon überzeugt.« Mit eisigem Gesicht wandte sich der Kommodore an seinen Begleiter. »Schätze, das dürfte eine Sache für unseren Freund Mortimer sein. Schick ihm am besten gleich eine Depesche, Fritz. Er soll uns postwendend ein paar von seinen findigsten Leuten senden. Wenn irgend möglich, mit einem Kurierschiff…« * Jim Parker war auf der Station! Wilhelm Markus erhielt die
Nachricht, als er im ›Beiboot‹ vom Sonnenspiegel zurückgekehrt war und aus der Luftschleuse trat. »Der Kommodore ist mit Mister Wernicke im Erd-Vermessungsraum«, teilte ihm der Mann mit, der ihm aus dem Raumtaucheranzug half. Erwartungsvoll eilte Markus durch den Gang dorthin. Aber nur Sharp und Mabel Jefferson traf er in dem Raum an. Sie schienen in eine heftige Meinungsverschiedenheit geraten zu sein. »Nein, ich mache das nicht länger nicht«, hörte er Mabel leidenschaftlich rufen. »Sie können das nicht…« Jäh erstarb ihr das Wort im Mund, als sie Markus in der Tür erblickte. Wütend sah Mister Sharp auf. »Was wollen Sie?« herrschte er Markus an. Verblüfft über diese unfreundliche Behandlung ließ Wilhelm den Blick von einem zum anderen wandern. »Ich hörte, Mister Parker wäre hier«, sagte er schließlich unsicher. Mister Sharp packte die Instrumente zusammen und ging zur Tür. »Das muß ein Irrtum sein«, erwiderte er. Und, mit einem Bück über die Schulter, zu Mabel gewandt: »Überlegen Sie sich’s gut, Miß Jefferson!« Eine verborgene Drohung schwang in seiner Stimme mit. Die Tür fiel ins Schloß. Befremdet wandte sich Markus an das junge Mädchen: »Ihr Vorgesetzter scheint schlecht gefrühstückt zu haben, Miß Mabel. Was gab es denn eigentlich?« »Ach – nichts Besonderes. Es handelte sich um etwas Dienstliches.« Sie lächelte Markus an. Doch der gab sich nicht so schnell zufrieden. »Wissen Sie, Miß Mabel, ich würde mir an Ihrer Stelle keine Grobheiten gefallen lassen. Warum beschweren Sie sich nicht bei Direktor
Vinson, Ihrem Chef?« Mabel zuckte nur müde die Achseln. »Soll ich ihm mal schreiben?« bot Markus an. »Nein – nein!« Mabel war aufgesprungen und starrte ihren Helfer erschrocken an. Wilhelm Markus schaute nicht allzu geistreich drein. Er fand sich überhaupt nicht mehr zurecht. »Sie fühlen sich doch bestimmt nicht glücklich in Ihrer Stellung«, forschte er behutsam weiter. »Einem jungen Menschen, wie Sie es sind, steht doch noch die Welt offen. Kündigen Sie doch bei der Anti-Radiation und fangen Sie anderswo wieder an. – Beispielsweise beim S. A. T.« »Ich danke Ihnen, Mister Markus«, sagte Mabel mit einem warmen Klang In der Stimme. Sie stand auf und schritt zur Tür. »Wollte Gott, ich könnte Ihren Vorschlag annehmen. Aber es geht nicht. Kein Mensch kann mir helfen.« Und sie ließ den guten Wilhelm Markus in seiner Ratlosigkeit und Bestürzung allein… * Nacht lag über der Weltraumstation, die im Schatten der Erdkugel ihre Bahn zog. Die Besatzung lag in tiefem Schlummer. Nur auf dem Ausguck im Mittelteil, in der Funkstation und in Wilhelm Markus’ kleiner Kabine brannte Licht. Mit abgeblendeten Taschenscheinwerfern gingen zwei Maschinisten ihre Runde durch die stillen Räume der Station. Jim Parker wurde durch ein kräftiges Klopfen an der Tür seiner Kammer aus dem Schlummer gerissen. Er drückte auf den Lichtknopf und richtete sich auf. »Ja – bitte!« Ein Funker trat ein, grüßte und reichte dem Kommodore eine Meldung. »Telegramm aus Orion-City, Sir! Ist bereits de-
chiffriert.« Der Mann salutierte und verschwand. Noch reichlich verschlafen entfaltete Parker den Zettel und las: »S.A.T. Sicherheitsdienst an Kommodore Parker: Morgen 7.30 Uhr treffen mit Ablösungsmannschaften Inspektor Fisher und zwei Polizeisergeanten ein. Sind mit Klärung der Sabotagefälle beauftragt. In ihrer Begleitung Doktor Torrings. Soll für Anti-Radiation Company Strahlungsmessungen auf Station durchführen. Bitte, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen. Mortimer, Oberstleutnant.« Jim Parker gähnte. Inspektor Fisher – na schön. Er kannte den Mann und wußte, daß er seine Sache verstand. Aber hätte der lange Mortimer mit seiner Botschaft nicht bis zum Morgen warten können? Schläfrig glitt sein Blick nochmals über das Blatt. Und plötzlich war er hell wach! Doktor Torrings? Ja, so hieß der Mann, den ihm Direktor Vinson angekündigt hatte. Aber was – zum Teufel! – wollte dann dieser komische Mister Sharp, der mit seiner Assistentin in der Station herumschwirrte? Wie lange war er überhaupt schon hier? Der Kommodore zögerte nicht länger. Geschwind fuhr er in seine Kombination und war einen Augenblick später auf dem Gang, der zu den Wohnkabinen führte. Aus dem großen Schlafraum der Monteure drang ihm mehrstimmig sonores Schnarchen ins Ohr. Auf den Zehenspitzen schlich er an der halb offenstehenden Tür vorüber. Jetzt stand er vor der Tür zu Mister Sharps Kabine. Er klopfte an – kurz und hart. Drinnen blieb alles ruhig. Auch auf ein zweites Klopfen rührte sich nichts. Die Tür war verschlossen. Der Kommodore griff in die Tasche und zog den Hauptschlüssel hervor, der ihm zu
allen Räumen Zutritt verschaffte. Er öffnete die Tür und griff zum Lichtschalter. Helles Licht durchflutete die nüchtern eingerichtete Kabine. Der Raum war leer. Das Bett unbenutzt. »Der gute Mann scheint zum Klub der Schlafwandler zu gehören. Fast hätte ich es erwartet«, brummte Parker. Er löschte das Licht und verschloß vorsichtig die Tür. Dann begann er, die Station systematisch nach dem Verschwundenen abzusuchen… * Wilhelm Markus blickte von seinen Berechnungen auf und reckte sich: Die elektrische Uhr über der Kabinentür zeigte 1.30 Uhr Stationszeit. Noch wenige Stunden – dann würde ein neuer, arbeitsreicher Tag beginnen. Eigentlich fühlte er noch nicht die richtige Bettschwere. Seine Gedanken waren noch voll von Zahlen und Diagrammen. Markus stand auf. Ein kleiner Spaziergang vor dem Schlafengehen würde ihm gut tun. In den Gängen brannte mattes Licht. Vor dem Eingang zum Beobachtungsraum blieb Markus stehen. Die Tür war nur angelehnt. Das war zumindest ungewöhnlich und entsprach nicht ganz der ›Hausordnung‹. Schon wollte er die Tür schließen, als ihn ein seltsames Gefühl von Neugier und Unruhe veranlaßte, in den Raum einzutreten. Auch hier spendete nur eine einzige Deckenlampe trübes Licht. Nirgends war etwas Lebendiges zu entdecken. Gerade wollte Markus wieder gehen, als ein Geräusch hinter der Tür zur Dunkelkammer ihn innehalten ließ. Wer hatte denn um diese Stunde in der Dunkelkammer zu
tun? War überhaupt jemand darin? Das rote Warnschild, das stets leuchtete, wenn die Kammer besetzt war, hing schwarz und tot über der Tür. Er mußte sich wohl getäuscht haben. Oder doch nicht…? Kurz entschlossen riß Markus die schmale Tür auf. Rotes Licht flutete ihm entgegen Eine weiße Gestalt fuhr von den Entwicklerschalen auf. Ein unterdrückter Schreckenslaut! Und Wilhelm Markus blickte in die weit aufgerissenen, entsetzten Augen von Mabel Jefferson. »Hallo, Miß Mabel! Verzeihen Sie, daß ich störte. Aber ich wußte ja nicht, daß hier gearbeitet würde. Seit wann machen Sie denn Nachtschichten?« Mabel starrte ihn noch immer wortlos an. Markus fischte neugierig einen Filmstreifen aus dem Wasserbad und hielt ihn gegen das Licht. Was er dort sah, machte ihn für Augenblicke schwindeln. Er schloß die Augen und riß sie gewaltsam wieder auf. Nein – er träumte nicht. Das Ungeheuerliche war Wirklichkeit… In einer Folge von gestochen scharfen Bildern zeigte der Film Ansichten der Raumstation – Maschinen und Instrumente – die geheimsten Anlagen… Es war Wilhelm Markus, als träfe ihn unverhofft eine Dusche eiskalten Wassers. Langsam drehte er sich um – langsam kamen seine Worte: »Sind das die Ergebnisse Ihrer ›Strahlungsmessungen‹, Miß Jefferson? Ihr fotografisches Registrier-Zählrohr scheint ein sehr vielseitiges Instrument zu sein…« Mabel war auf einen Schemel gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Heftiges Schluchzen erschütterte ihren schmalen Körper. Zwischen den Fingern rannen die Tränen hindurch und tropften ihr in den Schoß. In Wilhelm Markus’ Seele kämpften die widersprechendsten
Gefühle: Empörung und Zuneigung, Abscheu und Mitleid, eine tiefe Traurigkeit und die leise Hoffnung, daß alles vielleicht doch harmloser sein könnte, als es den Anschein hatte. Sorgfältig nahm er die Filme aus dem Wasser, trocknete sie ab und schob sie in die Tasche. Wortlos wandte er sich zur Tür. »Mister Markus, bitte – hören Sie doch! Nur einen Augenblick – ich will ja alles erklären.« Markus drehte sich um und lehnte sich schweigend gegen die Wand. Mabel berichtete – stockend zuerst, und dann schneller und immer hastiger – so, als fürchtete sie, ihr Geständnis im letzten Augenblick selbst noch zu widerrufen. Alles gestand sie dem Mann, der mit gesenktem Kopf zuhörte. Wie sie sich – als junge, stellungslose Fotografin – auf ein verlockendes Inserat hin gemeldet hatte. Ein gewisser Mister Sharp in San Francisco, der sich als Patentanwalt ausgab, nahm sie in seine Dienste. Sie hatte anfangs nichts anderes zu tun gehabt, als Fotokopien von Zeichnungen und Schriftstücken herzustellen. Eine eintönige Arbeit, die sie bald nur noch rein mechanisch ausführte. Dann hatte Mister Sharp sie eines Tages selbst zu sich befohlen, damit sie ihm die letzten Fotokopien bringen sollte. Er öffnete das Bündel und deutete mit kaltem Blick auf eine Reihe von Dokumenten. Neugierig hatte Mabel die Schriftstücke genauer betrachtet – und war vor Schreck erstarrt. »Sie haben Geheimdokumente des Verteidigungsministeriums fotokopiert, Miß Jefferson. Wie kamen Sie in ihren Besitz? Wissen Sie, was Ihnen nun blüht?« Mabel war sich sofort darüber im klaren, daß sie einem Schurkenstreich zum Opfer gefallen war. Aber Mister Sharp verstand es, sie einzuschüchtern. Die Furcht, in einen Spionageprozeß verwickelt zu werden, in dem sie von vornherein belastet erscheinen mußte, machte sie wehrlos. So kam es, daß
sie zu einem willenlosen Werkzeug in der Hand ihres verbrecherischen Chefs wurde! Als kurz danach das Projekt der Weltraumstation verwirklicht werden sollte, machte sich Mister Sharp mit einem Gehilfen aus den Kreisen der Unterwelt, einem Mann, der sich Abel Butcher nannte, auf, um in den Besitz der Baupläne zu kommen. Die ersten beiden Anschläge mißlangen. Da kam Mister Sharp auf die Idee, sich mit Mabel in die Station einzuschmuggeln – maskiert als Vertreter der Anti-Radiation Company. Abel Butcher, den man vielleicht brauchen konnte, wurde als Ersatzmann für einen angeblich erkrankten Monteur eingeführt. Mit hochleistungsfähigen Fotoapparaten, die als Strahlungs-Meßgeräte getarnt waren, hatten Sharp und Mabel sich an die Arbeit gemacht, um die Station bis in ihre kleinsten Einzelheiten aufzunehmen… Mabel war mit ihrem Bericht zu Ende. Jetzt, da sie sich alles von der Seele geredet hatte, was sie monatelang zu ersticken gedroht, fühlte sie sich freier. Ein warmer Schimmer trat in ihre Augen, als sie fortfuhr: »Ich weiß, was ich getan habe, Mister Markus, und ich bereue es aufrichtig. Bitte, glauben Sie mir: Das Furchtbarste in dieser ganzen Zeit war für mich das Bewußtsein, daß ich Sie täuschen mußte, daß ich mithelfen mußte, Sie um die Früchte Ihrer Arbeit zu betrügen…« Wilhelm Markus’ Augen lagen mit einem versonnenen Ausdruck auf Mabels Gesicht. Sein Geist suchte nach einem Ausweg, aber er war noch völlig benommen von dem Erlebten. »Und was soll nun werden?« fragte er ratlos. »Es gibt nur einen Weg für mich«, sagte Mabel mit fester Stimme. Sie stand auf und ging zur Tür. »Ich gehe sofort zum Kommodore und gestehe ihm alles.«
»Nein, Mabel – um Himmels willen! Das dürfen Sie nicht tun! Der Kommodore würde Sie einsperren und an den Sicherheitsdienst ausliefern. Ich – ich könnte das nicht ertragen…« Er griff mit zitternden Händen nach den Schultern des Mädchens. Sanft löste sie seine Hände und streichelte sein Haar. Dann war sie bereits gegangen. In Wilhelm Markus’ Kopf überstürzten sich die Gedanken. Ein einziger gewann schließlich die Oberhand: Er mußte selbst mit Jim Parker sprechen. Er mußte ihr helfen – einerlei wie… Kurz entschlossen verließ Markus die Dunkelkammer und eilte Mabel nach. * »Das hatte gerade noch gefehlt!« Wütend schritt Master Sharp in seiner kleinen Kabine auf und ab. In hastigen Zügen paffte er seine Zigarette. Sein Gesicht war eine einzige Mischung von Enttäuschung und Wut. Anfangs hatte sich alles so gut angelassen. Jim Parker, diese lästige Spürnase, hatte sich arglos von der Station weglocken lassen. In aller Ruhe konnte man die Raumstation fotografieren und vermessen, während die dummen Leute vom S. A. T. glaubten, man sei der kosmischen Strahlung auf der Spur. Aber dann war der Kommodore schneller zurückgekehrt, als zu erwarten war, und nun galt es, mit äußerster Vorsicht vorzugehen. Nur nachts, wenn alles schlief, und mit keiner Überraschung zu rechnen war, durften die Messungen fortgesetzt werden… Sharp löschte das Licht und trat leise auf den Gang hinaus. Sorgfältig verschloß er die Tür. Auf leisen Sohlen schlich er an den Schlafräumen der Besatzung vorbei. Er schlug die Richtung nach dem Beobachtungsraum ein.
Schritte näherten sich aus einem Seitengang. Sharp preßte sich eng an die Wand, seine Gestalt schien sich im Schatten aufzulösen. Zwei Männer der Besatzung erschienen im Hauptgang, verharrten wie unschlüssig, gingen dann in entgegengesetzter Richtung davon. Die routinemäßige Streife… Aufatmend schlich Sharp weiter und stand gleich darauf im Beobachtungsraum. Aus der halboffenen Tür der Dunkelkammer fiel rotes Licht, doch schien sich niemand darin zu befinden. Verdammt – sicher hatte die Jefferson vergessen, die Spuren ihrer nächtlichen Arbeit zu beseitigen. Sie wurde nachlässig in letzter Zeit – und aufsässig dazu. Hol’ sie der Teufel! Mister Sharp überzeugte sich davon, daß keine verräterischen Anzeichen in der Dunkelkammer zurückgeblieben waren. Dann löschte er die rote Lampe und ging in den Nebenraum zurück. Aus seiner Tasche zog er Zirkel, Bandmaß und Notizblock. Ohne weitere Umstände begab er sich an die Arbeit… »Seit wann wird die Weltraumstrahlung mit dem Metermaß gemessen?« ertönte plötzlich eine spöttische Stimme hinter ihm. Wie von unsichtbarer Faust gepackt, fuhr Sharp herum. Der Notizblock entsank seiner Hand. Gelahmt starrte er in das eisige Gesicht des Kommodore. »Was – was – wollen Sie hier?« stotterte er mühsam. »Gerade das möchte ich von Ihnen wissen, Verehrtester.« Jim Parkers Stimme klang fast zärtlich vor Hohn. »Finden Sie nicht, daß es eine etwas ungewöhnliche Situation ist, in der ich Sie hier treffe?« Mister Sharp bewegte die Lippen, aber er brachte keinen Laut hervor. »Kommen Sie, Sir!« lud Parker freundlich ein. »Das Nacht-
wandeln im Weltraum soll nicht ganz ungefährlich sein. Schätze, ich bringe Sie jetzt am besten auf Nummer Sicher, bis Inspektor Fisher eintrifft.« Der andere rührte sich noch immer nicht. Jim Parkers Züge spannten sich. »Na – los, los, Bürschchen, sonst mache ich dir Beine!« Mister Sharps Gesicht wurde aschgrau. Zitternd folgte er der Richtung, die der Arm des Kommodore ihm wies. Doch plötzlich fuhr seine Rechte in die Tasche, zuckte blitzschnell wieder hervor. Jim Parker hob die Arme in Abwehr. Zwei Schüsse fielen mit dumpfem Knall. Ächzend sank der Kommodore zu Boden. Sharp ließ die Gaspistole in die Tasche gleiten. Seine Augen irrten durch den Raum. Da – die Tür! Unter Aufbietung aller Kräfte zog er den Körper des Kommodore in die enge Kammer, in der bei Tage ein Rechner die Elektronen-Rechenmaschine zu bedienen pflegte. Mit dem Gurt fesselte er die Hände des Bewußtlosen, seinen Schal benutzte er als Knebel. Dann sprang er hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Der Kommodore war unschädlich gemacht – die Gefahr fürs erste beseitigt. Mister Sharp war sich darüber klar, daß er nur eine kurze Galgenfrist gewonnen hatte. Er mußte sofort handeln. Jede Sekunde war kostbar! * In der Krankenstation zersägte das dröhnende Schnarchen des Patienten Butcher die nächtliche Stille. Vor einem Tischchen neben der Tür hockte der Sanitäter und las im matten Schein der abgeblendeten Lampe einen Kriminalroman. Draußen auf dem Gang hetzten Schritte heran, verhielten vor dem Eingang – die Tür flog auf! In ihrem Rahmen stand die
Gestalt Mister Sharps, atemlos, mit aufgerissenen Augen. »Schnell, Mann, im Maschinenraum III – eine Explosion… Helfen Sie – beeilen Sie sich doch!« In hohem Bogen flog der ›Krimi‹ in die Ecke. Der Sanitäter schnappte sich den stets griffbereiten Verbandskasten und stürzte hinaus. Schadenfroh sah Sharp ihm nach. Der gute Mann würde eine Weile brauchen, bis er an der angeblichen Unfallstätte eintraf; denn der Maschinenraum III lag im entgegengesetzten Teil der Station. Mit zwei schnellen Schritten war Sharp neben der Hängematte, in der Butchers massige Gestalt schlummerte. Er rüttelte ihn wach. »Äh – was ist los? Damned – kann man denn nicht in Ruhe schlafen?« »Los, Mann! Aufstehen! Wir müssen uns beeilen – sie sind uns auf den Fersen…« Butcher begriff sofort. Fluchend sprang er aus der Hängematte und zog sich mit einer Geschwindigkeit an, die man bei seiner Körperform nicht für möglich gehalten hätte. »Holen Sie den Schneidbrenner! Und dann sofort zur Befehlszentrale! Aber lassen Sie sich nicht erwischen!« In verschiedenen Richtungen eilten die beiden davon. Vor der Zentrale, deren Betreten für Unbefugte strengstens verboten war, erwartete Sharp seinen Komplizen. Ohne anzuklopfen drangen sie ein. Mister O’Higgins, der die Wache hatte, stand am Fenster und blickte auf das gewaltige, nächtliche Rund der Erde hinab. Fern über dem Osthorizont leuchtete die Atmosphäre in rötlichen Farben. Bald würde die Sonne aufgehen, und auch für die Raumstation würde ein neuer Tag beginnen. Der Lärm, den die Eintretenden verursachten, riß O’Higgins
aus seinen Betrachtungen. Aber er begriff schon nicht mehr, was geschah – ein kräftiger Schlag mit dem Gummiknüppel, von Butchers Faust geführt, beförderte ihn in das Reich der Träume. Die Eindringlinge schenkten ihm keinen weiteren Blick. Der Schneidbrenner wurde bereitgemacht. Wenige Sekunden später fraß sich seine Flamme in den Wandtresor hinein. Die Arbeit war schnell getan. Triumphierend hielt Mister Sharp die Beute in der Hand, hinter der er seit Monaten vergeblich herjagte: die geheimen Baupläne der Weltraumstation! * Vergeblich hatte Wilhelm Markus versucht, Mabel von ihrem Vorhaben abzubringen. Das junge Mädchen bestand darauf, vor dem Kommodore ein umfassendes Geständnis abzulegen. Da hatte er sich ihrem Willen gefügt und trottete nun traurig neben ihr her, um Jim Parker zu suchen. In seiner Kabine hatten sie ihn nicht gefunden. Auch in der Funkstation hatte man ihnen keinen Fingerzeig geben können. Ratlos tasteten sie sich durch die nächtlich einsamen Gänge vorwärts. Etwas Unheimliches schien durch die Station zu geistern, griff nach ihnen mit nebelhaften Händen aus dem Halbschatten heraus… Schaudernd klammerte sich Mabel an Markus’ Arm. Behutsam führte er sie weiter. Von vorn näherten sich Schritte und gedämpfte Stimmen. Das grelle Licht einer Taschenlampe blitzte auf. Ein Scheinwerferkegel tastete nach ihnen. »Oh pardon, Sir!« erklang eine Männerstimme. »Melde gehorsamst: Baker und Matlock – auf Patrouille durch die Station.«
»Danke«, sagte Markus – froh, in dieser dämmernden Verlassenheit menschlichen Wesen zu begegnen. »Sagen Sie, wissen Sie vielleicht, wo wir den Kommodore finden können?« »Den Kommodore? Wir sahen ihn vor einer Viertelstunde in den Beobachtungsraum gehen«, antwortete Baker. Die Männer grüßten und setzten ihren Kontrollgang fort. Markus und Mabel eilten in der angegebenen Richtung weiter. Suchend blickten sie sich um, als sie bald danach an derselben Stelle angelangt waren, an der sie ihren Weg begonnen hatten. Schon wollten sie den Raum wieder verlassen, als ein Geräusch sie zusammenfahren ließ. Irgendwo war da ein seltsames Scharren. Ein unartikulierter Laut, wie unterdrücktes Stöhnen schien unmittelbar aus der Wand zu kommen. Betroffen sahen sich die beiden an. Was hatte das zu bedeuten? Wieder ein Stöhnen – diesmal deutlich vernehmbar. Markus’ Blicke tasteten die metallene Wand zur Linken ab. Da – die kleine Tür in halber Höhe – der Eingang zum Rechenmaschinenraum… Hastig erkletterte Markus die kurze Leiter, dicht gefolgt von Mabel. Er riß die Tür auf. Vor ihnen auf dem Boden lag – gefesselt und geknebelt – die Gestalt Jim Parkers in tiefer Bewußtlosigkeit. * Sonnenaufgang! Strahlendes Licht überflutete die Weltraumstation, die – wie ein riesiges Rad um ihre Achse schwingend – um die Erde kreiste. Es drang durch die Fenster und vertrieb die Nacht und das Grauen aus den Gängen und Kammern des
künstlichen Mondes. Das Leben erwachte und rührte sich überall. Die Mannschaft begab sich auf ihre Arbeitsplätze. Aus der Küche klang das Klappern von Kannen und Geschirr, verbreitete sich würziger Kaffeeduft. In dem kleinen Schaltraum, der ausschließlich der Fernsteuerung des Sonnenspiegels vorbehalten war, stand Fritz Wernicke mit einer Gruppe von vier Spezialisten. Der riesige Parabolspiegel – vollendet bis auf den Einbau des Kessels – sollte an diesem Morgen seine erste ›Probefahrt‹ bestehen. Für 7 Uhr Stationszeit war der Versuch angesetzt. Merkwürdig – wo nur der Kommodore blieb? Fritz Wernicke hatte fest damit gerechnet, daß Jim Parker sich diesen bedeutsamen Augenblick nicht entgehen lassen würde. Aber vielleicht verfolgte er ihn von einem anderen Teil der Station aus. Wernicke warf einen Blick auf die Armbanduhr. 3 Minuten vor 7 Uhr! »Meine Herren, bitte auf Ihre Plätze! Klar zum Manöver!« Die Ingenieure verteilten sich an den Schalttafeln und Beobachtungsständen. Alles wartete gespannt. Im Augenblick, als der Uhrzeiger auf 7 Uhr 0 Minuten stand, gab Fritz Wernicke das Zeichen zum Beginn. Hebel wurden umgelegt, Schalter knackten, Kontrollämpchen glühten auf. Aufmerksam schaute Wernicke aus dem Fenster, dorthin, wo das Rad der Station den Ausblick in den Raum verbarg. Da tauchte der Riesenspiegel auf! Von unsichtbaren Kräften gelenkt, umschwebte er in freier Bahn die Station, mit der ihn nur dünne Kabel verbanden, die im Sonnenlicht gleißten, wie betaute Spinnwebfäden. Das Gehäuse des Kraftwerks wirkte winzig neben dem kühnen Bau des gewaltigen Paraboloids. Der Spiegel schien im Raum stillzustehen. Er schwebte jetzt
in ›Oppositionsstellung‹ und stand mit der Sonne und der Station in ungefähr gleicher Linie. Neue Schalter wurden betätigt, wieder leuchteten Kontrollampen auf. Der Spiegel begann sich zu drehen. Seine Öffnung recke sich auf, wie der Rachen eines unheimlichen Fabeltieres. Sonnenstrahlen trafen die Facetten. Und jetzt – voll geöffnet war der Spiegel der Sonne zugekehrt, schlang ihre Strahlen in sich hinein und spie sie verstärkt in den Raum zurück… Fritz Wernicke beobachtete den Vorgang durch die Scheibe aus Rauchglas, die er vor dem Fenster heruntergelassen hatte. Dort drinnen, wo ein Gerüst aus schlanken Metallstreben den Kessel aufnehmen sollte, dort lag der Brennpunkt, in dem eine unnennbare Hitze wütete. Würde ihr das Material des Kessels standhalten können, oder würde es verpuffen, wie eine Sternschnuppe? Wernicke fühlte ein Schaudern bei diesem Gedanken. Rasch wandte er sich ab. * Das unablässige Rütteln an seinen Schultern rief Jim Parker allmählich in die Gegenwart zurück. Mühsam richtete er sich auf. Ihm war schwindelig und speiübel zumute. Über sich sah er die erschrockenen Gesichter von Markus und Mabel Jefferson. Was war nur passiert? Er versuchte, sich zu erinnern. Ach ja – dieser Sharp… Er hatte ihn auf frischer Tat ertappt. Und dann:::? Jim Parker vernahm wie aus weiter Ferne Mabels Stimme: »Wie fühlen Sie sich, Herr Kommodore? – Wir waren so in Sorge…« »Danke – es geht mir vorzüglich«, sagte Parker mit belegter Stimme und brachte mühsam ein Grinsen zustande. »Nett, daß Sie für mich sorgen, Miß.«
»Mister Parker, ich habe Ihnen sehr Wichtiges mitzuteilen. Es duldet keinen Aufschub. Wollen Sie – können Sie mich anhören?« Der Kommodore stand vom Boden auf und ließ sich auf den Stuhl vor der Rechenmaschine fallen. Für einen Augenblick mußte er die Augen schließen. Alles drehte sich um ihn. Er fühlte sich entsetzlich schlecht. »Wenn es unbedingt sein muß – bitte!« Mit leiser, aber fester Stimme wiederholte Mabel alles, was sie bereits Wilhelm Merkus gestanden hatte. Jim Parker saß mit verbissenem Gesicht dabei. Er schien weit weg zu sein – aber in seinen Augen leuchtete es von gespanntester Aufmerksamkeit. Als sie geendet hatte, lehnte Parker sich zurück und verharrte für einen Augenblick mit geschlossenen Augen. Markus hielt die Zeit für gekommen, etwas für Mabels Verteidigung zu tun. »Sie ist bestimmt unschuldig, Kommodore. Schließlich ist sie selbst nur ein Opfer dieses Schurken. Sie können sie doch nicht zur Verantwortung ziehen…« Jim Parker gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen. Er erhob sieh und blickte Mabel ernst an. »Daß es mit diesem Sharp nicht stimmt, war mir bereits klar. Ihr Geständnis, Miß Jefferson, hat das Bild gerundet. Über Sie sprechen wir später. Jetzt müssen wir zunächst dieses gerissenen Halunken habhaft werden. – Los, Markus!« Mit dem Ellenbogen stieß der Kommodore die Scheibe der Alarmanlage ein, die in jedem Raum angebracht war. Er drückte auf den Klingelknopf. Alarm in der Raumstation! Sirenen heulten – rote Blinklichter leuchteten überall auf. Metallene Schotte schlossen sich langsam. Von ihren Arbeitsplätzen außerhalb der Station eilten
die Belegschaften der Außenstellen zu den Toren, um sich einschleusen zu lassen. Wachtposten zogen auf, riegelten die Gänge ab. Alles eilte auf die Alarmstationen… Noch etwas taumelig schwankte der Kommodore in den Gang hinaus. Doch gewaltsam schüttelte er die Nachwirkungen der Betäubung von sich ab und eilte nach der Befehlszentrale. * Beim Aufheulen der Sirene fuhr Sharp erschrocken zusammen. Das hatte gerade noch gefehlt! Hastig knüllte er die geraubten Dokumente zusammen. »Raus!« brüllte er, zu seinem Komplizen gewandt, der gerade den Schneidbrenner zusammenpackte. Mit zwei Sätzen war er an der Tür. Aber wohin nun? Überall heulten Sirenen, blinkten Alarmsignale, trampelten die Schritte der Besatzung. Da tauchten rechts im Gang zwei Gestalten auf. Sharp erkannte sie sofort: der Kommodore – und in seinem Kielwasser Wilhelm Markus! Auch der Kommodore hatte bereits begriffen. »Aufhalten!« schrie er mit Stentorstimme. Entsetzt wandte sich Sharp nach links, wo eben zwei Besatzungsmitglieder hinter der Kurve des Ganges zum Vorschein kamen. Wie ein Rammbock warf sich Butcher ihnen entgegen. Die beiden Männer prallten links und rechts gegen die Wände. Sharp nützte die Chance und wand sich aalglatt zwischen ihnen hindurch. Ehe die beiden noch zur Besinnung, kamen, hatte Butcher den einen durch einen wuchtigen Kinnhaken zu Boden gestreckt. Den zweiten fällte ein tückischer Tiefschlag. Er prallte mit dem Kommodore zusammen, der ebenfalls hinstürzte.
Einen Augenblick nur bildeten die drei Männer ein durcheinanderwirbelndes Knäuel von Leibern… Aber dieser Augenblick hatte genügt, um die beiden Verbrecher außer Reichweite ihrer Verfolger zu bringen. * Die Lautsprecheranlage verkündete es in sämtlichen Räumen der Station. »Achtung, Achtung! Befehl an alle: Ingenieur Sharp und Monteur Butcher sind sofort festzunehmen. Vorsicht: Die Gesuchten sind bewaffnet! – Achtung, Achtung…« Mabel Jefferson, die ziellos durch die Gänge irrte, konnte das monotone Rufen nicht mehr ertragen. Verzweifelt preßte sie die Hände gegen die Ohren. Männer hasteten an ihr vorüber, stießen sie zur Seite. Einer schrie ihr etwas zu – sie verstand es nicht. War denn die ganze Station verrückt geworden? Gab es denn keinen Ort In diesem Tohuwabohu, wo man sich verbergen konnte? Der Zentralteil der Station fiel ihr ein, die ›Achse‹ – dort, wo die mächtigen Kreisel das Riesenrad in Drehung versetzten, wo die Schleusenkammern für die ›Beiboote‹ mündeten. Mabel fand den Weg und arbeitete sich durch eine der Radspeichen in die Achse hinein. Da sah sie sich plötzlich zwei Männern gegenüber, die sie hier am wenigsten erwartet hatte: Sharp und Butcher! Wie angewurzelt blieb sie stehen. Sharp schien nicht weniger überrascht zu sein. »Ah, Miß Jefferson! Sie kommen im rechten Moment. Verdammt ungemütlich hier auf der Station geworden. Wir wollen gerade abreisen. Hier – schnell: Steigen Sie ein!«
Er riß die Schiebetür einer Schleusenkammer auf. Drinnen lag startbereit eine kleine Rakete, deren Passagierraum zwei bis drei Fahrgäste aufnehmen konnte. Mabel rührte sich nicht. Zorn brandete in ihr hoch. »Ich denke nicht daran, Mister Sharp! Ich bleibe hier.« Sharp schien nicht zu verstehen. Dann wurde er ärgerlich. »Hören Sie jetzt auf mit Ihren Albernheiten! Hier ist nicht der Ort dafür. Einsteigen, los, los!« »Sie können mir gar nichts befehlen…« Sharp griff nach Mabels Arm, riß sie roh zur Einstiegluke hin. Butcher half kräftig nach. Da schrie Mabel verzweifelt auf. »Hilfe!!« Gellend fuhr der Ruf durch die leeren Gänge. Und noch einmal: »Hilfe!!« Der Schrei erstarb ihr auf den Lippen, als Butchers Faust sich um ihre Kehle schloß. Aus dem Maschinenraum über ihnen näherten sich hastige Schritte. Zwei Gestalten glitten herab, drangen auf die merkwürdige Gruppe ein: Wernicke und Markus. Mit Blitzesschnelle änderte sich die Szene. Butcher ließ von seinem Opfer ab und warf sich mit voller Wucht auf Fritz Wernicke. Der wich geschickt aus und ging selbst zum Angriff über. Es gelang ihm, den Gangster von der Schleusentür abzudrängen. Mabel war halb ohnmächtig zu Boden gesunken. Da war auch schon Markus bei ihr, richtete sie auf und nahm sie in seine Arme… In diesem Augenblick schloß sich die Schleusentür. Ein rotes Warnlicht zeigte an, daß die Außentür geöffnet wurde, daß die Luft aus der Kammer entwich. Kein Mensch konnte die Kammer jetzt betreten – es sei denn im luftdichten Weltraum-
Schutzanzug. Mister Sharp war entkommen – und mit ihm seine Beute: die geheimen Pläne der Weltraumstation. * »Verdammt – die Schufte können sich doch nicht in Gas aufgelöst haben!« Jim Parker, übermüdet von der vergeblichen Suche durch alle Räume, kam mit zwei Besatzungsmitgliedern im Zentrum der Station an. Über ihm lag eine kleine Luftschleuse, durch die man auf die Außenseite der Weltraumstation gelangen konnte. Kurz entschlossen nahm der Kommodore einen Raumtaucheranzug von der Wand, der dort griffbereit hing, und schlüpfte hinein. Der überraschte Ruf eines seiner Begleiter ließ ihn an das Fenster eilen. Draußen schob sich langsam das Tor einer Schleusenkammer auf. Die Spitze einer kleinen Rakete kam daraus hervor. Ein ›Beiboot‹ verließ die Station. Ausgerechnet jetzt – während des Alarms? Was hatte das zu bedeuten? Ein Schrei drang aus dem unteren Stockwerk herauf – die Stimme Markus’ in größter Aufregung: »Achtung! Sharp flieht aus der Station!« Jim Parker reagierte sofort und mit der Präzision eines Uhrwerks. »Boot 2 klar zur Verfolgung!« Sein Befehl jagte die Männer, die bei ihm waren, zur Schleusenkammer auf der anderen Seite. Im Laufen schloß er den Taucherhelm. Durch die offene Schleusentür stürzte er sich in die Einstiegluke des kleinen Raketenschiffes. Die Tür schloß sich hinter ihm. Jim Parker nahm sich nicht die Zeit, die Luke dicht zu ma-
chen. Er hielt sich nicht damit auf, das Boot vorsichtig in den Raum hinauszulevieren – wie es die Vorschrift befahl, um der Station jeden gefährlichen Stoß zu ersparen. Aus dem Stand heraus zündete er. Durch die geöffnete Außentür schoß die Rakete hinaus, wie ein Pfeil von der Sehne des Bogens… * Es war genau der Augenblick, als das Raumschiff ›Firebird‹ – mit Inspektor Fisher und seinen Männern an Bord – neben der Station erschien. Mit scharfen Marinegläsern hatte man die Vorgänge in der Nähe der Weltraumstation beobachtet, seit der erste Funkspruch Kunde von den Geschehnissen gebracht hatte. Gespannt verfolgte jeder, der nur irgendwie abkömmlich war, das kurvenreiche Verfolgungsspiel der beiden kleinen Raketenfahrzeuge. Der Ausgang des Abenteuers war völlig zweifelhaft. Immer wieder versuchte der Fliehende, in flacher, schräger Bahn zur Erde niederzugehen. Und jedes Mal tauchte der Verfolger dicht neben ihm auf und drängte ihn aus seiner Bahn heraus – fort von der rettenden Erdoberfläche. In Inspektor Fisher entbrannte der Jagdeifer. Er konnte nicht länger untätig zusehen. »Wir müssen ihm helfen«, rief er und zerrte ungeduldig an den Verschlüssen seiner Raumtaucherkombination. Kurz danach sah man ihn außen am Rumpf des ›Firebird‹ herumkrabbeln. An einer Leitersprosse band er sich fest. Geschickt brachte er eine Maschinenpistole in Anschlag. Wieder hatte der Kommodore einen Fluchtversuch seines Gegner vereitelt. In weiter Kurve wich Sharps Raketenboot aus, flog längsseits am ›Firebird‹ vorüber…
Da ratterte die Waffe des wackeren Inspektors los. Ein Feuerstoß, schräg von vorn – ein zweiter, gegen das Heck geführt… Er schien sein Ziel verfehlt zu haben. Doch – was war das? Der Feuerstrahl aus der Düse des verfolgten Bootes erlosch plötzlich – flackerte unregelmäßig wieder auf. Das Boot änderte seine Richtung – ruckartig – wieder und wieder. Der Pilot mußte die Gewalt über Triebwerk und Steuerung verloren haben. »Geben Sie auf!« befahl der Kommodore durch den Sprechfunk. »Scheren Sie sich zum Teufel!« war die wenig liebevolle Antwort. Die Düse des gegnerischen Bootes flammte erneut auf. Das Schiff ging in eine weit ausholende Kurve und – steuerte geradenwegs auf das Riesenrad der Raumstation zu. Der Kommodore starrte dem Fliehenden verständnislos nach. Wollte er sich am Ende doch ergeben? Oder hatte er die Nerven verloren? Wollte er – alles verloren gebend – die Station rammen? * »So, der wäre erledigt!« Verbissen hatte sich Fritz Wernicke mit diesem Butcher, dem falschen Monteur, durch den ganzen Zentralteil der Station geboxt. Der riesige Schläger hatte geglaubt, mit Fritz, der sich ihm gegenüber wie ein Zwerg ausnahm, leichtes Spiel zu haben. Aber er hatte sich gründlich getäuscht. Stets landeten seine brutalen Schläge in der Luft, und immer wieder fiel der kleine, sehnige Kerl über ihn her und deckte ihn mit einem wahren Hagel von wohlgezielten Hieben zu. An der Schwelle zum Proviantraum war es dann passiert.
Überraschend landete Wernicke einen harten Kinnhaken im kantigen Gesicht seines Gegners. Der stolperte, stürzte zu Boden und kam nicht wieder hoch. Schon kniete Wernicke auf seiner Brust. Während des ganzen Kampfes war es ihm nicht in den Sinn gekommen, Unterstützung herbeizurufen. Doch jetzt schaute er sich suchend um. Im Proviantraum sah er zwei Männer von Fenster zu Fenster rennen. Sie deuteten aufgeregt hinaus und schienen ganz gefesselt von dem Schauspiel, das sich ihnen draußen im Raum darbot. »He, da, Ihr Weihnachtsmänner! Ihr seid hier nicht im Kintopp. Los, faßt mal gefälligst mit an!« Verlegen kamen die beiden heran. Im Augenblick war Butcher gefesselt und in einer kleinen Gerätekammer verstaut. Wernicke zog den Schlüssel ab. Dann trat auch er an das nächste Fenster. In einigen hundert Metern Abstand- schwebte das Raumschiff ›Firebird‹, klar zum Ausbooten der Ablösungsmannschaften. Und im Raum zwischen dem Schiff und der Station kurvten zwei kleine Raketenboote herum: Sicher gelenkt das verfolgende, an dessen Bug die Ziffer 2 leuchtete – taumelnd und offensichtlich angeschlagen das andere, das vergebliche Ausweichmanöver machte. Fritz Wernicke erkannte die tödliche Gefahr, die ein Zusammenstoß für die Raumstation bedeuten mußte. Schon stand er an der Alarmklingel und drückte den Knopf… Kurz – lang – kurz – lang – kurz… Die Alarmglocken schrillten durch das Schiff. Jeder kannte das Signal, das höchste Gefahr ankündete: Raumtaucheranzüge anlegen! Alles klar zum Verlassen der Station! Auch an Bord des ›Firebird‹ hatte man die Gefahr erkannt. Die Düse des Raumschiffes spie Feuer aus. Langsam nahm das
Schiff wieder Fahrt auf und verringerte den Abstand zur Station. Aber es sollte nicht zum Schlimmsten kommen. Das heranstürzende Raketenboot gab plötzlich in kurzer Folge Bremsschüsse ab, kam fast zum Stillstand und fiel dann torkelnd um die Station herum. Auch das Boot des Kommodore hatte seinen Kurs geändert. In weiter Kurve umkreiste es den Schauplatz des Kampfes im Weltraum. Fritz Wernickes Augen suchten das Raketenboot Sharps. Er konnte es von seinem Fenster aus nicht mehr erkennen. Eilends verließ er den Raum und stürzte zu einem der runden Gangfenster. Draußen schwebte das gigantische Bauwerk des Spiegels, den weitgeöffneten Rachen noch immer der Sonne zugewandt. Und dort – das Raketenboot. Ohne Antrieb und scheinbar hilflos taumelte es auf den Spiegel zu… Ein Schrei des Entsetzens rang sich aus Wernickes Kehle. Langsam trieb das Boot in das Riesenmaul des Parabolspiegels hinein, verschwand in der Gluthölle seines Inneren… Eine Explosion ließ den Spiegel erzittern. Die Trümmer der Rakete durchschlugen die Spiegelflächen und flogen in allen Richtungen davon. * »Und so endete der raffinierte Mister Sharp, dieser mit allen Wassern gewaschene Gauner, und nahm sein Geheimnis mit ins Jenseits«, beendete Jim Parker seine Erzählung, als er anderntags in Orion-City seinem Boß Bericht erstattete. Ein Räuspern Oberstleutnant Mortimers ließ sich vernehmen. Alles blickte zu dem langen Chef des Sicherheitsdienstes
hinüber, der zu einer Erklärung anhob: »Das Motiv, aus dem Sharp handelte, ist für uns kein Rätsel mehr. Seine verschiedenen freiwilligen und unfreiwilligen Helfershelfer blieben zwar selbst im unklaren; aber für mich war es von Anfang an klar, daß er nicht im eigenen Interesse handelte.« »Und wer war sein Auftraggeber?« fragte der Kommodore gespannt. »Wir fanden einige interessante Hinweise, als wir in seiner Abwesenheit sein Anwaltsbüro in Frisco unter die Lupe nahmen. Die Spur führte zu einer auswärtigen Botschaft – ahem – Sie werden schon verstehen, meine Herren. Ein ehrgeiziger und sehr befähigter Attaché dieser Botschaft wird noch heute seine Koffer packen müssen…« »Trotzdem – ich begreife nicht, was diesem Staat an den Plänen der Raumstation liegen könnte«, warf Jim Parker ein. »Meines Wissens befaßt man sich dort nicht mit Raumschiffahrt.« Generaldirektor Cunningham ergriff das Wort. Sein Gesicht war düster. »Die Weltraumstation ist nicht nur für friedliche Zwecke geeignet. Im Besitz gewissenloser Machthaber kann sie zu einem furchtbaren Mittel der Unterdrückung, zu einer ständigen Bedrohung für die ganze Welt werden. Hier, meine Herren, haben Sie das Motiv.« Die anderen nickten bedrückt. In das Schweigen hinein fiel die Frage Jim Parkers: »Und was machen wir mit unserer tüchtigen Amateurfotografin?« Mabel, die neben Wilhelm Markus im Hintergrund des großen Arbeitszimmers saß, errötete und blickte ängstlich zu Mortimer hinüber. Der Oberstleutnant machte ein Gesicht, wie ein Menschen-
fresser. »Aufhängen!« sagte er kalt. Entsetzt sprang Markus auf und blickte verstört von Mortimer zu Cunningham. Der dicke Boß sagte mit finsterem Gesicht: »Recht hat er! Jedoch – wir wollen noch einmal mildernde Umstände gelten lassen. – Mister Markus!« Der Gerufene trat vor den Schreibtisch des ›Atomboß‹. »Jawohl, Sir!« »Miß Jefferson bleibt vorläufig unter Polizeiaufsicht. Ich beauftrage Sie hiermit, jederzeit über sie zu wachen. Sie haften mit Ihrem Kopf dafür« – ein Schmunzeln stahl sich in die massigen Züge Cunninghams –, daß sie nicht wieder verbotene ›Strahlungsmessungen‹ unternimmt.« Markus strahlte und drückte dem Boß dankbar die Hand. Alles lachte. Zwei glückliche, junge Menschen schlossen einander in die Arme. * Eine kleine Schar grotesk anmutender Männer hatte sich auf dem ›Dach‹ des Zentralteils der Raumstation versammelt. Sie standen in ihren Weltraumpanzern um einen Mann geschart, der sich äußerlich durch nichts von den anderen unterschied und nicht ahnen ließ, daß es Staatssekretär Chambers vom Verkehrsministerium war, der die Taufrede hielt. Der Staatssekretär sprach in das Mikrophon seines Taucherhelms. Die Radiozentrale der Station vermittelte seine Worte an die Teilnehmer des Festaktes, leitete sie an alle Rundfunkstationen der Erde. Zwei Milliarden Menschen hörten sie mit. »Ein technisches Wunderwerk ist geschaffen worden: Der erste Himmelskörper von Menschenhand. – Ich taufe dich auf den Namen ›Luna nova‹ – der neue Mond, der fortan unsere
alte Erde umkreisen soll…« Die Fahne des ›Weltbundes der Freien Nationen‹ stieg am Flaggenmast hoch. Eine Sektflasche zerschellte – dampfend zerstob ihr Inhalt in den Raum. »… möge er ein neues Zeitalter der Technik einleiten – möge er dem Menschengeschlecht den Weg öffnen zur friedlichen Eroberung des Planetenraumes…« ENDE
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 4) Die ideale Lösung: Die Rakete! Der ideale und – nach unserer heutigen Kenntnis – einzig mögliche Motor für Weltraumfahrzeuge ist die Rakete. Warum das so ist, und was die Rakete dazu befähigt, werden wir später noch sehen. Die Rakete ist keineswegs eine Erfindung unserer Tage. Die Chinesen kannten sie bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und verwendeten sie in der Kriegführung. In den folgenden Jahrhunderten blieb sie diesem Verwendungszweck treu, und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Kriegsrakete auch auf europäischen Schlachtfeldern bekannt und gefürchtet. Sir William Congreve, ein englischer Offizier, hatte sie in Indien kennengelernt und später in seiner Heimat weiterentwickelt. Das Ergebnis dieser Entwicklung lernten die Bürger von Kopenhagen kennen, als die englische Flotte ihre Stadt im Jahre 1807 mit Raketen in Brand schoß. Später kam man dahinter, daß man Raketen auch für verschiedene nützliche Zwecke verwenden könnte. Doch darauf kommen wir noch zurück. Zunächst wollen wir an Hand der Zeichnung betrachten, wie eine Rakete – in ihrer einfachsten Form – überhaupt gebaut ist. Sie besteht aus einem Stück Rohr aus Pappe oder Blech – in der Abbildung mit R bezeichnet. Das untere Ende ist offen und läuft in eine kegelförmige Düse aus, die jedoch hier nicht eingezeichnet ist. Am oberen Ende ist das Rohr durch die Spitze Sp geschlossen. Au-
ßen an der Hülse R sind Flossen (F) oder ein Führungsstab befestigt, damit die Rakete im Flug ihre Richtung beibehält. Der Hauptteil der Hülse ist mit Schießpulver oder einem anderen Treibstoff (T) angefüllt. Meist gibt man dem Treibsatz noch eine ›Seelen‹-Bohrung (Se). In der Spitze wird die eigentliche Nutzlast befördert, beispielsweise Leuchtkugeln (L). Die Zündung erfolgt im einfachsten Fall mit einer Zündschnur, die durch das offene Ende in den Treibstoff hineinführt. (Fortsetzung folgt)