Nr. 291
Armee der Seelenlosen Atlan in der Gruft der lebenden Leichen - ein unheimliches Heer wartet auf die Stunde X ...
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Nr. 291
Armee der Seelenlosen Atlan in der Gruft der lebenden Leichen - ein unheimliches Heer wartet auf die Stunde X von Peter Terrid
Das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden wird gegenwärtig durch innere Konflikte bestimmt – in höherem Maße jedenfalls als durch die Kämpfe gegen die Methans. Es gärt auf vielen Welten des Imperiums. Und schuld daran ist einzig und allein Or banaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korrupt heit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefähr ten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich aller dings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen. Kraumon, ihre geheime Stützpunktwelt, wurde von den Methans zerstört, und Atlan selbst weiß nichts Genaues über das weitere Schicksal seiner rund 15.000 Kampfgefährten. Der Kristallprinz versucht gemeinsam mit Fartuloon, seinem Lehrmeister, nach Ar kon zu gelangen. Als angebliche Deserteure der Flotte vertrauen sie sich dabei einer Geheimorganisation an, die vorgibt, Fluchthilfe zu leisten. Doch die bittere Wahrheit sieht anders aus: Atlan und Fartuloon sollen eingereiht werden in die ARMEE DER SEELENLOSEN …
Armee der Seelenlosen
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister in der Gruft der lebenden Toten.
Zergan und Kastyr - Allans Begleiter und Mitstreiter.
Klldar Monther - Ein verbrecherischer Mediziner.
Fregur Walm - Kommandant eines Geheimdepots.
Hurther Kolfarn - Ein Wiedererweckter.
1. Ich versuchte zu stöhnen, aber nicht ein mal das gelang mir. Der Transitionsschmerz wütete in meinen Gliedern, und ich konnte nicht einmal die kleinste Bewegung ausführen, um mir etwas Erleichterung zu verschaffen. Noch immer litt ich an den Folgen des Paralysatorschus ses, mit dem man mich außer Gefecht ge setzt hatte. Wahrscheinlich würde die Läh mung noch einige Stunden andauern, bis sie – unter nicht geringen Schmerzen, wie ich wußte -weichen würde. Seit Stunden lagen wir in dem Kasten: Fartuloon, der Bauchauf schneider, die beiden Männer Zergan und Kastyr und der abstruse Robot Pysther, den man ebenfalls außer Gefecht gesetzt hatte. Wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte, wer sich hinter diesem man verbarg! Es stand fest, daß es auf Mire, unserer letzten Station, eine geheime Organisation gegeben hatte und vermutlich auch noch gab, die einen ausgedehnten Menschen schmuggel betrieb. Desertionswillige Solda ten wurden von diesen Geschäftemachern gegen schwere Chronners auf eine Welt ge schafft, auf der sie vor den Werbern der Ar konflotte sicher waren. Der Anführer dieser Bande von Menschenschmugglern auf Mire war ein gewisser Kester Hehl gewesen, der sich stolz den König der Deserteure genannt hatte. Kester Hehl gab es nicht mehr, er war gestorben – wenn man die Verwandlung ei nes raffiniert getarnten Robots in ein Häuf chen wertlosen Schrott Tod nennen wollte. Seine Freunde und Geschäftspartner hatten uns gefunden und verschleppt. Zur Zeit steckten wir in einem Kasten und konnten uns nicht rühren. Ich lag obenauf,
und nur deshalb hatte ich den Schriftzug le sen können, mit dem alle Gebrauchsgegen stände, an Bord gekennzeichnet waren: TU UMAG! Ich kannte diesen Namen bereits. Er ge hörte einem Konzern, und dieser Konzern wiederum unterstand einem gewissen Hel caar Zunth. Dieser wiederum war, um die Konfusion auf die Spitze zu treiben, mit ei ner Frau namens Getray von Helank verhei ratet, die ich seit kurzem zu meinen Verbün deten rechnen durfte. Wie sich diese einan der widersprechenden Informationen zu ei nem einigermaßen logischen Bild verknüp fen ließen, war mir ein Rätsel. »Gib acht, wenn sie wach werden«, hörte ich einen Mann sagen, dann hörte ich das Geräusch leiser werdender Schritte. Ein Kopf beugte sich über den Kasten und sah auf mich herab. Der Mann war noch einiger maßen jung, nur wenig älter als ich selbst. Er grinste. Er wußte genau, daß wir hören, fühlen und sehen konnten – nur bewegen konnten wir uns nicht, das verhinderte die Paralyse. »Schlaft gut und träumt schön!« höhnte der Mann. Gern hätte ich den frechen Burschen selbst ins Reich der Träume geschickt. Ich nahm mir vor, dieses Versäumnis bei näch ster Gelegenheit nachzuholen. »Keine unsinnige Privatrache!« warnte der Logiksektor. Das Zusatzorgan hatte wie immer recht. Ich hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als mich mit einem Burschen mit losem Mund werk zu raufen. Es sah gar nicht gut für mich aus. Seit Jahren kämpfte ich gegen den Bru dermörder Orbanaschol. Schritt für Schritt hatten wir an Boden gewonnen. Freunde wa
4 ren zu uns gestoßen, wir hatten Schiffe und einen Stützpunkt gefunden und systematisch ausgebaut. Als ich aufgebrochen war, um bei den Amnestie-KAYMUURTES anzutre ten, war ich fast sicher gewesen, dem Ziel nahe zu sein. Hätte ich den letzten, alles ent scheidenden Kampf gewonnen, hätte der Brudermörder Orbanaschol mich begnadi gen müssen, ob er wollte oder nicht. Selbst der regierende Imperator hätte es nicht wa gen dürfen, die geheiligten Traditionen der KAYMUURTES zu brechen. Es war alles anders gekommen, und so schlimm, wie es nur kommen konnte. Die Kämpfe hatte ich verloren. Kraumon war vernichtet, die Freunde in alle Spiralarme verstreut. Ich mußte ganz von vorne anfan gen. Und mit jedem Tag wuchs die Gefahr, nicht nur für mich, vor allem auch für das Imperium, das unter Orbanaschols Leitung von einem machtvollen Sternenreich zu ei nem langsam zerbröselnden Gebilde gewor den war, in dem Korruption und Schleich handel, Intrigenspiel und Meuchelmord an der Tagesordnung waren und das Imperium von innen heraus zerfraßen – und dies alles zu einem Zeitpunkt, da die Maahks dem Im perium heftigere Schläge versetzten als je mals zuvor in der langen Geschichte Ar kons. Unwillkürlich versuchte ich mit den Zäh nen zu knirschen. Es gelang, schmerzte aber sehr. Offenbar fiel die Paralyse langsam von mir ab. Ich wußte, was mir bevorstand. Schon einige Male hatte ich einen Paralysa tortreffer und seine Folgen bis zur Neige auskosten dürfen. Es tat höllisch weh, und die meisten Getroffenen schafften es nicht, die unwillkürlichen Bewegungen des Schmerzes zu unterdrücken. Mehr als ein Mann war zusammengebrochen, nachdem seine nicht zu kontrollierenden Gliedmaßen aus ihm einen zuckenden Narren gemacht hatten. Ein Paralysatortreffer war eine Folter im Kleinformat. Ich versuchte mich zu entspannen. Das Extrahirn half mir dabei.
Peter Terrid In Wellen raste der Schmerz durch mei nen Körper, aber ich bewegte mich nicht. Unter mir hörte ich ab und pi ein leises, kaum hörbares Seufzen. Also fanden auch meine Partner ihre Bewegungsfreiheit wie der. Es war bezeichnend für die Kondition und die Erfahrung der Männer, daß sich ihre Schmerzäußerungen auf dieses leise Seufzen beschränkten. Wieder erschien der Kopf in meinem Ge sichtsfeld. Die weißen Haare des jungen Ar koniden waren sorgfältig gekämmt und ge schnitten. Das Gesicht wirkte, wenn es nicht gerade zu einem höhnischen Grinsen verzo gen war, offen und freundlich. »Kein Wunder«, kommentierte der Logik sektor. »Sähen alle Verbrecher so verbre cherisch aus, und man sie sich vorstellt, hät te die Polizei wenig zutun!« Im gleichen Augenblick wurde mir auch bewußt, daß der Begriff Verbrecher in mei nem besonderen Fall sehr zweideutig war. In der Sicht der Schergen Orbanaschols war ich der Verbrecher, nicht sie. Letztlich würde der Erfolg darüber entscheiden, wer der Hochverräter war und wer nicht. Dieser Gedanke war wenig dazu geeignet, meine Stimmung zu verbessern, aber er half mir über die ersten, besonders schlimmen Schmerzwellen hinweg. Die nachfolgenden Wellen ließen sich einigermaßen ertragen. Langsam richtete ich mich auf. Sofort wurde mir die Mündung eines Paralysators unter die Nase gehalten. »Langsam, langsam!« sagte der Posten und zog sich einen Schritt zurück. »Bei der ersten falschen Bewegung drücke ich ab.« »Eine Betäubung reicht mir«, erklärte ich. Den wehleidigen Tonfall brauchte ich nicht zu mimen, er war echt. »Wo zum Teufel sind wir eigentlich!« hörte ich Fartuloon schimpfen. »He du, nimm deinen Fuß von meinem Gesicht!« »Gern, wenn dafür das Knie aus meiner Magengrube verschwindet! Pysther, ich wußte gar nicht, daß du so harte Füße hast!« Nacheinander krochen wir aus dem Ka sten. Der Posten hatte keinen Grund, sich
Armee der Seelenlosen vor uns zu fürchten. Zu einem Angriff waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, wir waren froh, überhaupt auf unseren Bei nen stehen zu können. Behutsam massierte ich meinen Nacken. Zwei weitere Posten tauchten auf. Sie wa ren mit tödlichen Strahlern bewaffnet, die sie sofort auf uns richteten. »Keine Dummheiten!« wurden wir ge warnt. »Wir spaßen nicht!« »Das sehe ich!« kommentierte der bullige Zergan trocken. »Dürfen wir unseren Robot wieder aktivieren?« Der Anführer der drei kniff die Augen zu sammen. »Meinetwegen«, beschied er uns. »Aber wehe, der Blechkerl wird aufsässig, dann wandert er sofort in den Konverter!« »Du hast es gehört, Pysther. Nimm dich zusammen!« Der metallene Schädel des Robots schob sich über den Rand des Kastens. »Huch!« machte er und zog sich wieder zurück. »Da sind ja Männer! Ich verlange et was, um meine Blößen zu bedecken, eher verlasse ich diesen Kasten nicht. Oh, Ke ster!« Ich begann zu ahnen, daß der völlig ver rückte Robot künftig jede Bemerkung mit diesem Stoßseufzer beenden würde. In spä testens zehn Tagen würde er mich so zum Wahnsinn getrieben haben. Die Aufführung des Robots ging ersicht lich über das Begriffsvermögen der Wachen. Verständnislos starrten sie uns an. »Pysther ist ein wenig durcheinander«, versuchte Kastyr zaghaft zu erklären. »Sie hat den Tod ihres Geliebten noch nicht über wunden.« »Sie hat was.'.?« Der Mann, der diesen Satzfetzen hervor stieß, war erschüttert. Die heftig zitternde Mündung seiner Waffe bewies dies über deutlich. »Es wäre wirklich besser, Sie würden Pysther Kleidungstücke überlassen«, be merkte Zergan. Er versuchte in den Kasten zu schielen, wurde aber von Pysther mit ei
5 nem empörten Quieken zurückgestoßen. Hilflos zuckte er mit den Schultern. »Sie hat ihre Launen«, versuchte er zu be schwichtigen. Der Anführer des Wachkommandos stampfte aufgeregt mit dem Fuß auf den Bo den. Offenbar wußte er nicht recht, was er von diesem Sachverhalt zu halten hatte. Ich konnte ihn gut verstehen, Pysthers Abson derlichkeiten zerrten auch an meinen Ner ven. »Holt einen Ballen Tuch«, befahl der An führer schließlich. Einer seiner Untergebe nen kehrte nach kurzer Zeit mit einem Bal len zurück. Geschickt warf er seine Last in den Kasten. Pysther schrie zunächst wütend auf .beruhigte sich dann aber. Für kurze Zeit war es merkwürdig still in dem großen Laderaum. Hinter uns, in dem Kasten, waren leise, jubelnde Ausrufe zu hö ren, metallene Gliedmaßen krachten, gegen die Seitenwände des Kastens, Tuch wurde hörbar zerrissen. Ich nutzte die Zeit, um mir den Laderaum anzusehen. Die Ausmaße ließen auf ein 200-Meter-Schiff schließen, für ein Privat unternehmen ein beachtlich großer Trans porter. Der größte Teil des Raumes war mit Kisten und Tanks belegt. Ich sah Spezial tanks für Kosmetika, große Ballen, in denen Hunderte von edlen Fellen verschnürt wa ren. Das erklärte auch den penetranten Ge ruch, der in dem Raum hing, eine Mischung aus Gerbstoffen und Parfümrohmaterialien, die allesamt übel rochen und erst in einer ge schickten Mischung zum Wohlgeruch wer den konnten. Es schepperte hinter uns, unwillkürlich drehten wir uns herum. Zergan schlug die Hände vors Gesicht, Kastyr wurde bleich, und Fartuloon schüttel te geistesabwesend den Kopf. Die Stoffbahn, die man dem verrückten Kampfrobot überlassen hatte, war minde stens dreißig Meter lang, und Pysther hatte sich nicht dazu verleiten lassen, auch nur auf einen Quadratzentimeter des Materials zu verzichten. Sein Unterleib steckte in einer
6 dicken Verpackung, die ihm das Aussehen einer Tonne gab. Oberkörper und Kopf wa ren ebenfalls größtenteils von dem Stoff be deckt, auf dem Schädel saß ein bedrohlich wackelndes Etwas aus Stoff, von dem lange Schleifen herabhingen. Arme und Beine wa ren wie bei einem Schwerverletzten einge wickelt. »Bei allen Geistern der Galaxis!« staunte einer der Posten. »So etwas habe ich noch nie gesehen!« Dem konnte ich nur zustimmen. »Gefalle ich euch?« flüsterte Pysther und machte einen Schritt auf uns zu. Synchron wie ein geschultes Ballettteam wichen wir zurück. Fartuloon hob abweh rend die Hände. »Recht gut«, stammelte er. »Nur …!« »Vorwärts!« kommandierte der Anführer der Wachen. Offenbar hatte er die Geduld mit uns verloren. »Der Kommandant will euch sehen!« Ich war gespannt, wer dieser Komman dant war. Etwa Helcaar Zunth? Ich war be reit, fast alles zu glauben, was nur denkbar war. Es hätte mich nicht gewundert, in der Zentrale des Schiffes einen Mann zu treffen, der angeblich von Orbanaschols Geheimpo lizei verhaftet worden war. Unser Marsch durch die Gänge des Schif fes wurde zu einem Ereignis. Die Besatzung ließ es an spöttischen Kommentaren zu Pysthers Erscheinung nicht fehlen, und ein großer Teil der Sticheleien galt den Män nern, die uns zu führen hatten] Sie schluck ten die Bemerkungen mit sichtlichem Wi derwillen. Als wir die Zentrale erreichten, folgte uns eine Schar von etwa fünfzig Neugierigen. Man schien gespannt darauf, wie sich der Kommandant des Schiffes aus der Affäre ziehen würde. Ein närrisch kostümierter Ro boter würde auch ihn vor Probleme stellen. Der Kommandant erwies sich als ein vier schrötiger Arkonide mit einem grimmigen Gesicht, das sofort auf einen ausgemachten Leuteschinder schließen ließ. Seine Lippen würden zu einem Strich, als er die Meute
Peter Terrid sah, die uns gefolgt war. Mit einer herri schen Handbewegung scheuchte er die Män ner aus der Zentrale. Die Männer gehorchten sofort. »Wie heißt ihr?« fragte er uns barsch. »Lothor«, stellte ich mich vor. »Das hier ist Premcest, dies Zergan und dieser Mann heißt Kastyr. Und das …« »Pysther«, fuhr mir der Robot dazwi schen. Seine Stimme hatte einen säuselnden Klang bekommen. »Ich freue mich, Sie zu sehen …« »Karthor Hext«, stellte sich der Komman dant vor. Dann erst begriff er, daß er dem Robot geantwortet hatte. Sein Gesicht ver färbte sich. »Was hat dieser Aufzug zu bedeuten?« herrschte er uns an. »Was soll der Robot?« »Pysther ist unser Freund«, erklärte Kas tyr freundlich. Hinter dem frischen, fast ein wenig pausbäckigen Gesicht des jungen Mannes hätte niemand einen abgebrühten Kämpfer vermutet. Nur wenige wußten, was für Qualitäten der junge Mann wirklich hat te. »Er gehörte zur Bauserie M-131.313, müssen Sie wissen!« Die Augen des Kommandanten verengten sich. »Was hat das mit seinem Aufzug zu tun? Wieso wagt es eine Kampfmaschine, ohne vorherigen Befehl einen Offizier anzure den?« »Er wurde bei einigen Raumschlachten verletzt, und wir haben ihn repariert«, eröff nete Kastyr freundlich. »Dabei müssen wir wohl einige Fehler gemacht haben!« »Es scheint so«, murmelte Hext betroffen. Seine Augen blieben wie -festgebannt auf Pysthers Kostümierung hängen. »Schafft ihn fort, der Konverter wird sich über ihn freu en!« »Bitte nicht«, sagte Kastyr und Zergan gleichzeitig. Ich erschrak ebenfalls. »Narr!« schimpfte das Extrahirn. Das berührte mich nicht. Zergan und Kas tyr waren unsere Freunde, und ihre Freunde auch die unseren -folglich auch Pysther. Über das Gesicht des Kommandanten flog
Armee der Seelenlosen ein Grinsenr. »Ach nein«, spottete er. »Zum Kämpfen in der Raumflotte habt ihr keine Lust, da wollt ihr desertieren. Aber euch wegen eines übergeschnappten Robots mit der Besatzung der FRYRL anlegen, dazu fehlt den Herren nicht der Mut.« »Pysther gehörte zu uns«, beharrte Kas tyr. Der Robot bedankte sich mit einer Be wegung seiner Arme, die einige Leute er bleichen ließ. Ein mannstoller Robot war das letzte, was man an Bord eines Schiffes gebrauchen konnte. Wenigstens wußten wir jetzt wie das Schiff hieß – FRYRL. »Welche weitreichenden Schlußfolgerun gen willst du aus diesem Namen ziehen?« erkundigte sich das Extrahirn spöttisch. »Vielleicht …«, begann ich zaghaft. Der Blick des Kommandanten heftete sich auf mich. Ich wußte sofort, daß wir es mit einem erfahrenen Mann zu tun hatten. Ihm zu ent wischen, würde keine leichte Aufgabe sein. »Was willst du sagen?« »Wir haben, bedauerlicherweise und ohne böse Absicht, muß ich betonen, Kester Hehl zerstört …« »Oh, Kester!« seufzte Pysther auf. »Das wissen wir«, versetzte Hext nach ei nem raschen Seitenblick auf Pysther. »Weiter …!« »Vielleicht ist Ihre Organisation mit Pysther als Ersatz zufrieden. Er hat natürlich nicht die Fähigkeiten wie Hehl, aber auf sei ne Art ist er auch sehr wertvoll.« Hext schloß die Augen, um diesen Vor schlag verdauen zu können. Ein Offizier be gann zu kichern. »Wir könnten ihn in den Kristallpalast schmuggeln«, prustete er hervor. »Wenn sich der Robot dann in Orbanaschol verliebt …!« Das über uns herbeinbrechende Gelächter stimmte mich zufrieden. Solange man über uns lachte, war die Gefahr nicht allzugroß. Sogar Karthor Hext konnte sich ein breites. Grinsen nich verkneifen. Immerhin, die Vor stellung, daß der kostümierte Pysther liebes entbrannt hinter Orbanaschol herrannte …
7 es war besser für die geistige Gesundheit, sich derlei nicht allzu plastisch auszumalen. Langsam verebbte das Gelächter. Hext fi xierte Fartuloon, den er wohl für unseren Anführer hielt. »Sie werden eingeschlossen werden«, verkündete er. »Beim geringsten Fluchtver such werden die Wachen ohne Warnung schießen. Wenn Sie sich ruhig verhalten, wird Ihnen nichts zustoßen, aber … muß ich deutlicher werden?« Wir schüttelten synchron die Köpfe. Kar thor Hext war nicht der Mann, mit dem man Späße treiben konnte. Er meinte seine Dro hung ernst, und nur das zählte. Solange wir seinen Befehlen folgten, würde es uns eini germaßen wohl ergehen. Widersetzen wir uns aber, würde er diesen Widerstand mit al len Mitteln brechen. »Führt sie fort!«
2. Offenbar betrieb die TUUMAC neben ei nem ausgedehnten Frachtgeschäft auch einen Passagierbetrieb. Die Kabinen, die wir zugeteilt bekommen hatten, sahen sauber und ordentlich aus und waren für ein Han delsschiff erstaunlich bequem. Seit drei Tagen hatten wir unsere Kabinen nicht verlassen dürfen. In dieser Zeit war die FRYRL achtmal transitiert, und zwar jedes mal über beachtliche Strecken. Wir hatten es aus der Intensität der Rematerialisierungs schmerzen gefolgert. In welchem Raumbe zirk wir uns aufhielten, war uns allerdings unbekannt. Wir konnten nur schätzen, wie weit ein Sprung jeweils gewesen war – nicht aber, in welche Richtung er gemacht worden war. »Wenigstens ist die Verpflegung zu ertra gen«, murmelte Fartuloon zufrieden. Genie ßerisch schmatzend warf er den abgenagten Knochen auf den Teller zurück. Zergan hatte seine Mahlzeit nach sichtlichem Zögern be gonnen, er schüttelte den Kopf, als er Fartu loons Begeisterung sah. »Ist etwas falsch an dem Essen?« erkun
8 digte sich der Bauchaufschneider. »Das Ge flügel schmeckt doch hervorragend?« »Das war kein Geflügel!« eröffnete Zer gan. »Was du mit sichtlichem Wohlbehagen in dich hineingeschlungen hast, war afztgoti scher Sumpfbiber!« Fartuloon zuckte mit dem Schultern. »Ob Biber oder Maus, wenn sie gut ge braten sind und schmecken, stört. es mich nicht, wo sie sich zu Lebzeiten herumgetrie ben haben. Ich habe schon ganz andere Din ge gegessen und bin nicht daran gestorben.« »Was, beispielsweise?« wollte Kastyr wissen. Er wechselte einen raschen Blick mit Zergan, der mich stutzig machte. Mir kam die Frage nicht ungelegen, ob wohl ich mir ausrechnen konnte, daß Fartu loon nicht ausgerechnet jetzt das Geheimnis lüften würde, mit dem er seine Person um gab. Was genau er war, zu welchem Volk er gehörte, wo er hergekommen war – ein Rät sel nach dem anderen. »Vorsicht!« warnte der Logiksektor. »Zergan und Kastyr haben Verdacht ge schöpft!« »Alles, was kreucht und fleucht«, gab Fartuloon vielsagend zur Antwort. »Und was bezweckst du mit deiner Frage?« Zergan grinste verhalten. »Punkt eins«, zählte er auf. »Ihr wollt nach Arkon, habt ihr gesagt. Das ist so ziem lich das widersinnigste Ziel, das es für einen Deserteur überhaupt geben kann. Punkt zwei: eure Verkleidung wird allmählich lö cherig. Wer länger mit euch zusammen ist, muß einfach merken, daß sich euer Äußeres langsam ändert. Ihr habt also Maske ge macht. Schlußfolgerung: ihr habt nicht nur falsche Gesichter und falsche Papiere, ihr tragt wahrscheinlich auch falsche Namen.« »Logisch, einwandfrei!«, kommentierte der Logiksektor gelassen. »Wie heißt ihr beide wirklich, und was habt ihr eigentlich vor?« Kastyrs Frage klang freundlich, aber be stimmt. Mit neuen Lügengeschichten würde er sich sicherlich nicht abspeisen lassen. Der Robot war wirklich eine bemerkens-
Peter Terrid werte Konstruktion. Dank seiner Fähigkei ten hatten wir uns davon überzeugen kön nen, daß wir nicht mit kleinen Mikrophonen belauscht wurden. Ich konnte also offen sprechen, wenn ich es wollte. »Ich heiße in Wirklichkeit Atlan, und dies hier ist Fartuloon!« Der Bauchaufschneider machte ein grim miges Gesicht. Offenkundig war er mit mei ner Ehrlichkeit nicht einverstanden. Zergan wurde blaß, Kastyr spitzte die Lippen und pfiff leise. »Das erklärt einiges«, murmelte der Jün gere. Zergan nickte betrübt. »Das heißt vor allen Dingen eines«, stellte er grimmig fest. »Jetzt ist auch unser Leben in höchster Gefahr, Kastyr. Orbanaschol wird keinen am Leben lassen, der dem Kri stallprinzen geholfen hat. Wenn man seine Identität herausbekommt, sind auch wir ver loren. Ob wir wollen oder nicht, wir stehen auf deiner Seite, Atlan!« Es sprach für Zergan, daß er von vornher ein auf die formelle Anrede verzichtete, die einem Kristallprinzen gegenüber vorge schrieben war. Mit bloßen Förmlichkeiten waren diese beiden Männer nicht zu beein drucken. »Und was wollt ihr wirklich? Orbana schol ermorden? Verdient hatt er er es, der feiste Widerling!« Ich zuckte mit den Schultern. Was wollte ich wirklich auf Arkon? Im Herz des Imperiums, in der Reichwei te von Orbanaschols Häschern, von allen Hilfsmitteln entblößt – das reinste Irrsinns unternehmen, aber ich sah keine andere Wahl. Ich mußte um jeden Preis versuchen, die Initiative zu ergreifen. Sobald Orbana schol meine Fährte fand und seine menschli chen Bluthunde auf mich hetzte, gab es kei ne Aussichten mehr. In einem solchen Zu stand offenkundiger Schwäche und Hilflo sigkeit würde mir niemand helfen wollen. Einer Untergrundarmee von 500.000 Mann schloß man sich gerne an, einem einzelnen gewiß nicht. Irgendwo zwischen diesen bei
Armee der Seelenlosen den Zahlen lag der Wert, an dem eine Unter grundorganisation von sich aus zerbröckeln mußte. Ich, war mir ziemlich sicher, diesen Grenzwert bereits unterschritten zu haben aber noch war nur wenigen bekannt, daß wir praktisch vom Nullpunkt an neu beginnen mußten. »An ein Attentat denke ich nicht. Ich hof fe, daß mir etwas einfallen wir, sobald wir Arkon erreicht haben!« Zergan nickte nachdenklich. »Also leben wir praktisch nur von der Hoffnung, einem ziemlich fragwürdigen Grundnahrungsmittel, will mir scheinen. Nun ja, was bleibt uns anderes übrig.« »Zunächst müssen wir erst einmal diesen Kerlen entwischen. Ich habe ein sehr mulmi ges Gefühl, wenn ich an die Männer denke. Etwas Gutes wird es bestimmt nicht sein, was sie mit uns vorhaben!« »Könnten wir nicht versuchen, mit den Deserteuren zusammenzuarbeiten?« mur melte Kastyr nach dieser Bemerkung von Fartuloon. »Ich kämpfe gegen Orbanaschol, nicht ge gen das Imperium«, gab ich scharf zurück. Kastyr sah mich eine Zeitlang nachdenklich an, dann nickte er. »Ich verstehe deinen Standpunkt«, sagte er halblaut. »Aber ich befürchte, daß er uns teuer zu stehen kommen wir!«
* Die FRYRL machte eine Transition nach der anderen. Der Grund dafür lag auf der Hand. Der Kommandant wollte vermeiden, daß sich arkonidische Flottenschiffe für den seltsamen Frachter zu interessieren began nen. In dem allgemeinen Durcheinander an den Fronten und den damit verbundenen zahllosen Transitionen mußte der Zickzack kurs der FRYRL untergehen^ und genau das war die Absicht des Kommandanten. Wir folgerten daraus, daß wir auf uns selbst angewiesen waren. Auch unseren Freunden wäre es nicht gelungen, die Fährte der FRYRL zu verfolgen – wenn unsere
9 Freunde überhaupt noch lebten. Es war nicht auszuschließen, daß sie längst gefangenge nommen worden waren. Der Gedanke daran machte die Wartezeit für mich noch uner träglicher als für die anderen. Zergan vor al lem bewahrte bewundernswürdig seine Fas sung. In unserer Freizeit, die sehr reichlich be messen war, hatten wir einige Pläne durch gesprochen. Vor allem hatte ich Kastyr und Zergan eine galaktische Position genannt, zu der sie im Zweifelsfall flüchten sollten. Ich wußte, daß es dort einige Anhänger unserer Sache gab, allerdings keine, die man für of fensive Unternehmungen brauchen konnte. Dort würden die beiden wenigstens sicher sein. »Warum zieht ihr euch nicht zu diesem Treffpunkt zurück?« hatte Kastyr gefragt, als ich ihm die Koordinaten genannt hatte. Ich hatte abgewehrt. »Von dort läßt sich keine Aktion starten, und ich habe keine Lust, mich zu verkrie chen, bis der größenwahnsinnige Orbana schol das Imperium völlig zugrunde gerich tet hat.« Die Geräusche, die vom Stahl der Schiffs zelle bis in unseren Aufenthaltsraum getra gen wurde, zeigten an, daß die FRYRL sich anschickte, auf einem Planeten zu landen. Offenbar waren wir am Ziel der Reise ange langt. Ich war gespannt auf das, was uns er wartete. Von dem, was außen vorging, konnten wir nichts sehen, die Verbindungen waren getrennt. Wir konnten nur spüren, wie das Schiff mit einem leisen Ruck aufsetzte. Se kunden später betrat ein Wachkommando unsere Kabinen, zehn Mann, angeführt vom Kommandanten der FRYRL persönlich. »Verbindet ihnen die Augen!« befahl Karthor Hext seinen Männern. Wenig später waren wir blind. Ich versuchte gar nicht erst, die Männer überlisten zu wollen. So lange wir nicht wußten, was man mit uns vorhatte, war es ausgesprochen sinnlos, Widerstand zu leisten. »Mitkommen!« befahl Hext. »Eine War
10 nung noch: beim geringsten Anzeichen einer Flucht …« »Wird sofort geschossen«, ergänzte ich den Satz. »Sorgen Sie lieber dafür, daß wir nicht stolpern und uns das Genick brechen.« »Wir passen schon auf«, versicherte eine der Wachen. »Auf euer Genick haben wir es nicht abgesehen!« Gelächter kam auf. Was gab es darüber zu lachen? Vor allem der feine Unterton, kaum hörbar, irritierte mich. So etwas wie Bedauern, fast Mitge fühl schwang darin mit. Ihr armen Hunde, ihr wißt gar nicht, was euch noch bevorsteht – so ungefähr ließ sich dieser Unterton deuten. »Erklärung richtig!« kommentierte der Logiksektor. »Sieh dich vor!« Diese Erklärung mochte richtig sein, sie half mir aber keinen Schritt weiter. Zu einer eingehenden Analyse blieb mir ohnehin kei ne Zeit, ich mußte höllisch aufpassen, um auf den Beinen bleiben zu können. Die Wa chen trieben uns ziemlich unsanft vorwärts und nahmen keine Rücksicht darauf, daß wir nichts sehen konnten. Jedesmal wenn ich versuchte den Boden abzutasten, um heraus zufinden, worauf ich lief, bekam ich einen heftigen Stoß in den Rücken. »Nicht so langsam!« wurde ich ange schnauzt. Ein erneuter Stoß warf mich von den Bei nen. Instinktiv zogen sich die Muskeln zu sammen, um den zu erwartenden Aufprall abzufangen. Gelächter kam auf, und Sekun denbruchteile später kannte ich den Grund dafür. Man hatte mich in einen Antigrav schacht gestoßen. Zum Glück konnte ich nichts sehen. Das Gefühl, hilflos umhergewirbelt zu werden, war schlimm genug – hätte ich die sich über schlagende Welt vor meinen Augen sehen können, wäre mir wahrscheinlich übel ge worden. »Ich muß doch sehr bitten!« hörte ich eine empörte Stimme, unverkennbar Pysther. Es war in gewisser Weise tröstlich, den Robot in der Nähe zu wissen. Nicht, daß
Peter Terrid Pysther uns hätte helfen können. Seine Ge lenke waren nicht mehr die besten, und die gefährlichen Waffen an den Spitzen der Waffenarme hatte man ihm selbstverständ lich abgenommen. Tröstlich war, daß sich die Wachen über Pysther ebenso amüsierten und verwunderten, wie wir es taten – es war gut zu wissen, daß sie noch zu menschlichen Regungen fähig waren. Eine harte Hand riß mich in die Höhe und stellte mich unsanft auf die Beine, als wir am Boden des Antigravschachts angekom men waren. Sofort begann ich nachzurech nen. Das Extrahirn lieferte mir rasch ein Er gebnis. »Du bist mindestens zweihundert Meter tief in den Boden des Planeten eingedrun gen!« lautete die knappe Angabe. Mehr als zweihundert Meter! Das konnte bedeuten: wir waren auf ei nem gutbesiedelten Planeten gelandet, bei dem die Versorgungs- und Werfteinrichtun gen so tief in den Boden hinabreichten. All zuviele Planeten dieser Art gab es in Than tur-Lok nicht. Oder aber: ein unterirdischer Stützpunkt war von Privatleuten angelegt worden. Bei einer Tiefe von mehr als zweihundert Me tern ließ das auf beträchtliche Mittel schlie ßen – und damit auch auf eine Beschäfti gung, die erstens so geheim und gefährlich war, daß man sie so aufwendig verstecken mußte, und zweitens soviel Geld abwarf, daß man sich diesen Luxus auch leisten konnte. Der Gedanke an diese Möglichkeit hatte etwas Beängstigendes. Der Hinweis auf ein Versteck wurde ver stärkt von den Geräuschen, die ich hören konnte. Der Klang sehr großer und sehr schwerer Tore, die hinter uns geschlossen wurden, war alles andere als beruhigend. Of fenbar bewegten wir uns in einer Anlage, die extrem aufwendig abgesichert worden war. Vermutlich waren Geschütze notwendig, um diese Panzerstahltüren aufbrechen zu kön nen. Ich zählte insgesamt vier solcher Türen, eine größer und wuchtiger als die andere.
Armee der Seelenlosen Künstlich gekühlte Luft wehte uns entge gen. In dieser Luft schwang ein seltsamer Geruch mit, ein Aroma, das ich nicht identi fizieren konnte, das mir aber eine Gänsehaut bescherte. Es war unheimlich in diesem La byrinth von Gängen und Kammern, das ge sichert war wie die Schatztruhen des Impe rators. Der Geruch hatte etwas Medizini sches an sich, ohne daß ich genau sagen konnte, um was es sich handelte. Auffallend war die Kühle der Luft, die von den Klima anlagen in die Räume geführt wurde. »Ein Lagerhaus vielleicht«, gab der Lo giksektor durch. Die Tatsache, daß sich das Extrahirn mit einer Mutmaßung zufriedengab, zeigte deut lich, daß ich noch etliche Informationen sammeln mußte, bis ich ein klares Bild ge winnen konnte. Ich hoffte, daß ich diese In formationen bald erhalten würde. »Hier hinein mit ihnen!« kommandierte Karthor Hext. Ich wurde vorwärtsgestoßen und prallte mit einem Körper zusammen. Dem unwilli gen Knurren nach zu schließen, handelte es sich um den Bauchaufschneider. Dann fiel hinter uns eine Tür ins Schloß. Ich verharrte und hörte genau. Insgesamt vier Menschen waren in dem Raum und atmeten, sonst war nichts zu hö ren. Ich folgerte daraus, daß man uns allein gelassen hatte. »Premcest!« rief ich leise. »Ich bin da!« »Und wir auch«, hörte ich Zergan sagen. Ich griff an den Kopf und entfernte betont langsam die Augenbinde. In dem Raum herrschte ein angenehmes Dämmerlicht. So fort erkannte ich Fartuloon und unsere bei den neuen Freunde, pardon – unsere drei neuen Freunde. Pysther stand reglos in einer Ecke, auch er mit verdeckten Sehorganen. »Du kannst die Binde abnehmen, Pysther!« bemerkte Zergan. Der Robot ge horchte sofort. »Und nun zu uns. Erste Fra ge: wo sind wir überhaupt?« Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Auf diese Frage gab es keine Antwort.
11 »Frage zwei: was soll das alles?« Auch darauf fiel mir keine Antwort ein, und aus dem Tonfall in Zergans Stimme ließ sich ablesen, daß auch er vollkommen ratlos war. »Wir werden warten müssen«, erklärte Kastyr mit erstaunlicher Ruhe und Zuver sicht. »Ich wette, daß wir bald erfahren wer den, was man mit uns vorhat.« Diese Wette hatte Kastyr bereits Sekun den später gewonnen. Eine Tür wurde geöff net, und ein untersetzter Arkonide mit grim migen Gesichtszügen schob sich in den Raum, gefolgt von einigen bewaffneten Be gleitern. Mißtrauisch musterte mich der Mann. »Ich heiße Fregur Walm«, stellte er sich knapp vor. Auch wir nannten unsere Namen, Fartuloon und ich natürlich jene, die zu un seren gefälschten Papieren gehörten. »Geben Sie her!« knurrte Walm und riß mir meine Unterlagen aus der Hand. Er prüfte die Dokumente sorgfältig, und ganz offenkundig kannte er sich aus. »Das Material ist echt«, stellte er fest. »Daran gibt es keinen Zweifel. Aber die Eintragungen …« Sein Blick traf mich. Zentimeter für Zen timeter: schienen seine Augen mich abzuta sten. »Sie sind jung, gesund und kräftig. Ihr Verhalten beim Abtransport hat gezeigt, daß Sie sich im Raum sehr gut auskennen. Nur ein erfahrener Raumfahrer bewegt sich in ei nem fremden Antigravschacht so sicher, be sonders, wenn man ihm die Augen verbun den hat. Wer sind Sie wirklich?« »Das steht in den Dokumenten«, erklärte ich freundlich. Ich war ein wenig er schrocken. Dieser Fregur Walm war als Gegner nicht zu unterschätzen. Er war intel ligent und besonnen, sein Scharf sinn konnte uns gefährlich werden. Walm versuchte gar nicht erst, uns mit Drohungen zu beeinflussen. Er schien der Logik seiner Argumente zu vertrauen. »Sie haben unsere Organisation auf Mire an den Rand des Zusammenbruchs gebracht
12 und Rester Hehl zerstört …« »Oh Kester!« seufzte Pysther auf. Walm ließ sich von diesem Einwurf nicht aus der Fassung bringen. »Hehl war unser bester Mann auf Mire. Daß vier einfache Raumsoldaten ihn ausge schaltet haben sollen, erscheint mir wenig glaubhaft. Die Angelegenheit wird aber ent schieden logischer und vernünftiger, wenn man von der Prämisse ausgeht, daß Sie kei ne einfachen Raumsoldaten sind.« »Sondern?« erkundigte sich Fartuloon beiläufig. »Agenten der POGIM«, sagte Walm sanft. »Das würde auch die Echtheit der Pa piere erklären. Erscheint Ihnen dieser Ge dankengang logisch?« »Logisch ist er«, gab ich zu und lächelte, »nur leider falsch. Wir haben mit der PO GIM nichts zu tun, und wir wollen mit ihr auch nichts zu tun haben. Es sei denn, Sie gehören zur POGIM!« Es war ein Schuß ins Blaue, und er ging daneben. Walm grinste verächtlich. »Versuchen Sie keine Psychospielchen mit mir«, warnte er mich. »Ich werde Ihnen verraten, was ich weiß und aus diesen Tatsa chen folgere – vielleicht sehen Sie dann ein, daß es in Ihrer Lage das Klügste wäre, uns alles zu erzählen. Ich bin der Stellvertreter von Helcaar Zunth, der vor kurzer Zeit verhaftet wurde. Es liegt nahe, daß man ihn verhört hat, und vermutlich wird dieses Verhör auch erfolg reich gewesen sein – jedenfalls aus der Sicht der POGIM. Kurze Zeit nach Zunths Fest nahme tauchen nun vier überaus harmlose Raumsoldaten mit unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten auf Mire auf und zer schlagen, gleichsam im Vorübergehen, unse re Organisation auf Mire. Es liegt auf der Hand, daß Sie Agenten der POGIM sind, mit dem Auftrag, Helcaar Zunths Angaben zu überprüfen. Das ist Ihnen gelungen -Sie haben das Herz seiner Organisation er reicht.« Ich traute meinen Ohren nicht. Jetzt hatte ich die Bestätigung für die Vermutung, daß
Peter Terrid niemand anders als Helcaar Zunth, der Ehe mann von Getray von Helonk, hinter der Or ganisation der Deserteure steckte. Eine un glaubliche Konstellation, wenn man bedach te, daß Getray von Helonk mir helfen wollte, das Imperium zu retten, während ihr Mann die Macht des Großen Imperiums systema tisch xu zerrütten trachtete. »Und was für Maßnahmen wollen Sie aus diesen abenteuerlichen Spekulationen ablei ten?« erkundigte sich Fartuloon höflich. Walm grinste spöttisch. »Wir haben unsere eigenen Methoden, solche Probleme zu lösen. Sie werden bald erfahren, was ich damit meine!« Er deutete einen Gruß an und zog sich wieder zurück. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal zu uns herum. »Schafft sie fort!« befahl er. Sofort hoben seine Begleiter die Waffen. Auf jeden von uns war ein entsicherter Bla ster gerichtet. An Davonlaufen war nicht zu denken. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns in das Unvermeidliche zu fügen.
3. Gefügig wie Schlachtvieh trotteten wir vor unseren Bewachern her, und ich hatte das Gefühl, daß auch unser Ende ähnlich aussehen würde. »Nicht aufgeben!« empfahl der Logiksek tor. Noch hatte ich nicht aufgegeben, schließ lich hatte ich noch einen Trumpf zurückbe halten. Mit dem Raumsoldaten Lothor und Premcest würde man sicherlich kurzen Pro zeß machen – dem überall gesuchten Kri stallprinzen Atlan aber würde man anders begegnen. Im äußersten Fall mußte ich mei ne wahre Identität enthüllen – selbst auf die Gefahr hin, daß Walm dann auf den Gedan ken verfiel, mich bei Orbanaschol abzulie fern, um die Belohnung zu kassieren. Sie würde ihn zum reichen Mann machen – wenn er es dank der Schiebergeschäfte nicht schon längst war. Zwar hätte ich so nur ein wenig Zeit gewonnen, aber ich hatte schon
Armee der Seelenlosen oft genug die Erfahrung machen können, daß ein paar Stunden Gnadenfrist ausreich ten, um mich entkommen zu lassen. Warum nicht auch hier? Fartuloon schien ähnlichen Gedanken nachzugehen, das verriet seine Miene. Zer gan und Kastyr hatten sich von unserer Ruhe anstecken lassen und zeigten gleichgültige Gesichter. Vielleicht hatten sie aber auch während ihrer Dienstzeit in der Arkonflotte so viel miterlebt, daß sie der Gedanke an den eigenen Tod nicht mehr erschrecken konnte. »Hierhinein!« Folgsam marschierten wir durch das Schott, das sich vor uns automatisch öffnete. Eine große, langgestreckte Halle nahm uns auf. Der Raum war mindestens einhundert Meter lang, knapp vierzig Meter breit und ungefähr fünfzehn Meter hoch. Deutlich war zu sehen, daß die Erbauer eine bereits vor handene Höhlung ausgenutzt und erweitert hatten. Deutlich war zu sehen, wo Bearbei tungsmaschinen ihre Spuren hinterlassen hatten, und wo man sich damit begnügt hat te, vorhandene Felsspitzen nur zu kappen. Vom Innern der Halle konnten wir trotz der guten Beleuchtung nicht viel erkennen. Der Raum war durch verschiebbare Wände in einzelne Sektionen unterteilt worden. Auch hier war der typische Geruch nach Medizin nicht zu verkennen. »Was habt ihr mit uns vor?« fragte Zer gan. Er sprach ruhig, nur an einer kaum er kennbaren Verfärbung seiner Haut ließ sich ablesen, daß er sehr besorgt war. Eine der Wachen grinste. »Das werdet ihr früh genug merken! Los, vorwärts!« Er stieß mich in eine der, abgetrennten Sektionen, während Fartuloon und die ande ren fortgetrieben wurden. Ich sah zwei große, metallene Tische. Auf einem der Tische lag ein Mann, ein Arkoni de. Auf den ersten Blick nahm ich an, er sei tot, dann erst bemerkte ich, daß sich sein Brustkorb bewegte – aber mit erschrecken-
13 der Langsamkeit. »Hinsetzen!« befahl mir der Posten. Ich versuchte ein Lächeln. »Ich bin kerngesund«, beteuerte ich. »Mir fehlt nicht das geringste!« Auf den Posten machte das keinerlei Ein druck. Eine kleine Bewegung seiner Waffe gab mir zu verstehen, daß er beim nächsten Widerspruch den Abzug betätigen würde. Gehorsam setzte ich mich auf den freien Tisch. Das Metall war eisig kalt, die Kälte drang durch meine Kleidung, und schon nach kurzer Zeit begann ich zu frieren. Ich sah mich nach einer Decke um, in die ich mich hätte hüllen können, aber ich fand nichts. An den Wänden waren Glasschränke aufgestellt worden, hinter dem Glas erkannte ich etliche medizinische Geräte, deren Zweckbestimmung mir unklar war. Skalpel le, Scheren und Klammern, Behälter mit In fusionsmaterial, Blutkonserven – das gesam te Instrumentarium, das einen unvorbereite ten Patienten erschrecken lassen mußte. Wer sich nicht auskannte, mußte glauben, in eine Folterkammer geraten zu sein. »Worauf warten wir hier eigentlich?« Vielleicht half es etwas, wenn ich mich mit dem Posten unterhielt. Schaden konnte es in keinem Fall. Aber der Posten ging nicht auf meine Äußerung ein. »Mach den Arm frei!« herrschte er mich an. Ich zuckte die Achseln und gehorchte. Die Injektionspistole in der linken Hand des Postens sah noch erschreckender aus als die Waffe in seine Rechten. Gegen beides konnte ich mich nicht zur Wehr setzen. Folgsam hielt ich dem Mann meinen Arm entgegen. Ein leises Zischen war zu hören, als die Injektionspistole das Medikament in meine Blutbahnen preßte … Rasch, verging das Gefühl der Kälte, eine wohlige Wärme begann sich in mir auszu breiten. Meine Stimmung hob sich dadurch beträchtlich. »Besten Dank«, sagte ich freundlich. Er war eigentlich ein ganz netter Kerl, dieser Posten. Die Waffe in seiner Hand störte mich nicht mehr. Ich war sicher, daß
14 wir bald dicke Freunde sein würden. Über haupt war dieser Planet, dessen Namen ich noch nicht kannte, ein ganz angenehmer Aufenthaltsort. Wenn ich länger bleiben konnte, würde er mir sicher gut gefallen … »Vorsicht, das Medikament hat euphori sierende Wirkung!« Ich fand diesen Kommentar des Extra hirns ausgesprochen erheiternd. Geradezu spaßig, wie sich das Zusatzorgan um mich kümmerte – wie ein eingebauter Babysitter. Ich begann leise zu kichern, als ich diesen Gedanken durchspielte. Vielleicht würde das Extrahirn mir sogar das Fläschchen geben und mich auf den Knien wiegen … Mein Ki chern wurde lauter. »Narr!« tobte der Logiksektor. Ich fand diese Aufregung hochgradig amüsant. Vielleicht sollte ich mich auf den Kopf stellen, damit das besorgte Extrahirn wenigstens eine Bestätigung seines Vor wurfs erhielt. Die Heiterkeit verflog schlagartig. Über gangslos griff das Grauen nach mir. Schwarze Nebel schienen vor meinen Au gen aufzuziehen, ich spürte, wie ich langsam die Kontrolle über meinen Verstand verlor. »Bewege dich!« schrie der Logiksektor. »Unternimm etwas, oder du bist verloren!« Ich konnte diesem Impuls nicht mehr fol gen. Zeitlupenhaft langsam waren meine Be wegungen geworden, vor meinen Augen zerfiel die Welt in ein Sammelsurium farbi ger Splitter, in denen sich Gebilde bewegten und zuckten. Mühevoll brachte ich einen Arm in die Höhe, und ich sah die züngelnden Schlangenköpfe, die aus meiner Hand zu wachsen begannen. Ein widerlicher Ge ruch stieg mir in die Nase, ein Gestank von Moder und Verwesung. Ich stöhnte auf. Nur für wenige Sekunden konnten meine Augen ein klares Bild lie fern. Ich sah das diabolische Grinsen des Po stens, der mit sadistischem Entzücken meine Qualen verfolgte, und ich sah hinter ihm – in unglaublich gedehntem Abstand – den Kör per auf dem Tisch liegen. Was hatte man mit diesem Mann ge-
Peter Terrid macht? Warum war seine Haut so wächsern weiß, die Augen so merkwürdig hervorge quollen? Was hatte man mit mir vor? In meinen Beinen erstarb jedes Gefühl, nur die Kälte blieb. Sie kroch an den Beinen in die Höhe, eine schwarze, saugende Kälte, die mein Leben zu verschlingen schien. Nichts schien sie aufhalten zu können. Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, aber ich brachte nur ein Stammeln zuwege, das sich in meinen Ohren wie Hohngelächter anhör te. Der Posten begann wieder zu grinsen. Er schien zu genießen, was mit mir geschah. Langsam sank ich zurück. Mein Kopf be rührte die kalte Platte des Tisches, es fühlte sich an, als würde mir das Gehirn aus dem Schädel gesogen. Die schwärzlichen Schlei er vor meinen Augen verdichteten sich, dann konnte ich überhaupt nichts mehr sehen. Ich spürte nur die entsetzliche Kälte, die lang sam von meinem ganzen Körper Besitz er griff. Und dann die Angst, die grauenvolle Ge wißheit, daß es für mich keine Hoffnung mehr gab, daß mein Leben, meine Person überhaupt keinen Wert mehr besaß. Plötz lich wußte ich, daß mein Leben unerträglich war, ich wußte aber auch, daß es jenseits je ner unsichtbaren Grenze, die man Tod nann te und die das Leben vom Nicht-Leben trennte, auch nicht anders sein würde. Ob ich lebte oder starb, beides war gleicherma ßen sinnlos. Ich wußte, daß es nichts mehr gab. Keine Sterne und keinen Raum, weder Zeit noch das. Universum, nichts mehr außer mir und der Angst, der ich hilflos ausgesetzt war. Ich wußte auch, daß dieser Zustand für alle Zei ten andauern würde …
* Kildar Monther war Arzt. Was ihn dazu getrieben hatte, sich der ge heimen Organisation Helcaar Zunths anzu schließen, war ein Bündel von Beweggrün den gewesen, in dem sich kein einziges posi tives Motiv fand.
Armee der Seelenlosen Vor langer Zeit hatte der damals noch junge Kildar Monther plötzlich eine Ent deckung gemacht. Ihm war aufgefallen, daß er im Leben wie im Beruf immer wieder an eine Grenze geriet – den Tod. Entweder star ben seine Patienten, oder er starb selbst. In jedem Fall wurde das Verhältnis zwischen Arzt und Patient früher oder später vom Tod beendet. Diese Erkenntnis hatte Monther tief getroffen. Es schmerzte ihn zu wissen, daß seine Fähigkeiten eine Grenze hatten, daß er das Leben zwar verlängern, niemals aber er halten konnte. Was er tat, erschien ihm als Flickwerk. Zu jener Zeit hatte Kildar Monther in Kollegenkreisen einen ausgezeichneten Ruf genossen. Er galt als ungemein fähig, aber auch als ziemlich von sich selbst eingenom men. Er hatte damit geprahlt, jede nur denk bare Krankheit heilen zu können, wenn man ihm nur genügend Zeit ließ. Die Einsicht, daß der Tod ihm in jedem Fall überlegen war, hatte sein übersteigertes Selbstbewußt sein erschüttert und zum Zusammenbruch gebracht. Eine Zeitlang hatte er sich selbst verach tet, dann aber hatte er begonnen, seine Mit menschen zu verachten – und den Tod. Sein eigenes Leben war ihm bedeutungslos ge worden, das Leben anderer zählte für ihn fast nicht mehr. Ohne Rücksicht auf die un vermeidlichen Folgen hatte Kildar Monther begonnen, mit dem Leben zu experimentie ren. Er hatte den Tod bezwingen, ihn überli sten wollen -r und es schien, als sei ihm dies sogar gelungen.
* »Wieviele Neuzugänge?« erkundigte sich Monther. Fregur Walm fühlte sich stets unbehag lich, wenn er mit Monther zusammen war. Er verachtete den Arzt, der ihn und alle an deren verachtete. Gleichzeitig aber erfüllten Walm die Besessenheit und die Rücksichts losigkeit, mit der Monther seine Forschun gen betrieben hatte, mit nicht geringem
15 Grauen. »Vier!« sagte Walm. »Brauchbar?« Monthers Frage war knapp und klang völ lig unbeteiligt. Monther war klein von Ge stalt, dazu mager und sehnig. Überraschend war, daß dieser Mann, der niemals auf ande re Rücksicht nahm, wenn ihm dies nicht für sich selbst nützlich erschien, ein Gesicht be saß, das man einem Philosophen und Men schenfreund zugeschrieben hätte. Monthers Augen blickten sanft und freundlich, stets spielte ein schwaches Lächeln um seine Lip pen, und dieses Lächeln war warm und freundlich. Von dem Zynismus, mit dem Monther seinem Beruf nachging, war nichts zu erkennen. Auch die Stimme klang freundlich – nur die Formulierungen verrie ten etwas von dem, was hinter der Maske steckte. »Es scheint so«, antwortete Walm zö gernd. »Diese Männer haben uns auf Mire großen Schaden zugefügt.« Monther hob fragend die Brauen. »Sie haben Kester Hehl ausgeschaltet!« Monther zuckte die Schultern. »Unwichtig. Ein Robot!« Walm wußte sehr genau, daß sein Gegen über die gleiche Formulierung gewählt hätte, hätte es sich um einen Menschen gehandelt. Ihn fröstelte. »Wir müssen die vier noch befragen, be vor wir …« Irgend etwas hinderte Walm daran, den Satz zu beenden. Kildar Monther sah auf. Seine Augen wurden ausdruckslos. »Gut. Ich werde es so einrichten. Ich ma che mich sofort an die Arbeit!« Nachdenklich sah Monther zu, wie Fregur Walm den Raum verließ. »Sentimentaler Spinner«, murmelte Mon ther und stand auf. Er kannte sich in der Un terwelt des Planeten bestens aus, er brauchte keinen Führer. Auf dem Weg suchte er die ärztliche Bereitschaft auf und gab drei Assi stenzärzten den Befehl, ihm zu folgen. Die Patienten waren vorbereitet. Mit einer Handbewegung forderte Monther die Wa
16 chen auf, sich zu entfernen. Jetzt wurden die Bewaffneten nicht mehr gebraucht, den Rest erledigten die Mediziner. »Ausgezeichnetes Krankengut!« lobte Kildar Monther, als er die Patienten sah. Oh ne Rücksicht auf das, was er mit ihnen vor hatte, behielt er den Ausdruck Patienten bei, und sei es nur, um sich über sie lustig zu machen. Drei der vier Patienten waren Arkoniden, zwei jüngere und einer in mittlerem Alter. Der vierte Patient sah. nicht aus wie ein Ar konide, der kahle Schädel mit den gelbli chen Augen, die fast hinter Fettwülsten ver schwanden, waren für Arkoniden alles ande re als typisch. Monther beschloß, sich diesen Mann aufzuheben. Ihn wollte er als letzten behandeln. Kildar Monther sprach wenig bei der Ar beit. Seine Helfer wußten, was sie zu tun hatten, und sie kannten auch die Allüren ih res Chefs. Sie hüteten sich Fehler zu ma chen. Monther war als grausam bekannt, und dies nicht zu Unrecht. Dem Robot, der abgeschaltet in einer Ecke stand, gönnte Monther keinen Blick. Konzentriert und ruhig vollzog er den Ein griff, dessen Technik er selbst entwickelt hatte. Nacheinander setzte er bei den drei Arko niden die Blutpumpe an. Das Blut mußte langsam abgezogen werden, um Komplika tionen vermeiden zu können. Erst wenn der Körper nahezu blutleer war, wurde es Zeit, das Spezialserum hinzuzufügen. Monther war damit beschäftigt, einem der Patienten den Puls zu fühlen, als er hinter sich ein Geräusch hörte, ein merkwürdiges Röcheln. Monther fuhr herum. Seine Augen weiteten sich. Der dicke Fremdling hatte sich erhoben. Er stand im Eingang der Kabine und hatte zwei von Monthers Begleitern gepackt. Noch während sich Monther herumdrehte, ließ der Fremde die beiden Assistenzärzte fallen. Besinnungslos prallten sie auf den Boden. »Was … wie …?«
Peter Terrid Mehr brachte Monther nicht über die Lip pen. Erschrocken wich er zwei Schritte zu rück. Es war undenkbar, daß ein normales Lebewesen nicht der Wirkung der Droge erlag, die den Patienten eingespritzt worden war. Der Fremde grinste breit. Monthers Begleiter machte einen Satz, der ihn neben den Instrumentenschrank brachte. Sekundenbruchteile später blitzte ein Skalpell in seiner Hand. Der Fremde leckte sich über die Lippen. »Das wird dir auch nicht helfen, Bruder!« sagte er amüsiert. Auf Monther schien er überhaupt nicht zu achten. Langsam ging der Assistenzarzt auf den Fremden zu. Er bewegte das Skalpell in der Rechten. Die Klinge war klein, aber mörde risch scharf. Ein geschickt geführter Hieb konnte dem Fremden die Gurgel bis zum Rückenmark durchtrennen. Er würde nicht mehr bewußt erleben, daß er starb, so schnell würde es gehen. Der Fremde hatte beide Arme ausge streckt, als wolle er Monthers Begleiter um armen. Immer noch grinste er. Dann bewegte er sich. Sein linker Fuß schnellte mit einer Geschwindigkeit in die Höhe, die man bei einem derart fettsüchti gen Mann niemals vermutet hätte. Auch der Assistent wurde von dieser Bewegung über rascht. Der Spann des Fremden traf sein Handgelenk, ein Schrei erklang, dann war das Scheppern zu hören, mit dem das Skal pell auf dem Boden landete. Mit einer ra schen Bewegung zog der Fremde den Assi stenten an sich heran, er faßte ihm an den Hals, und Sekunden später lag auch dieser Mann besinnungslos am Boden. Hilfesu chend sah sich Kildar Monther um. Zu schreien wagte er nicht. Bis ihm jemand zu Hilfe hätte kommen können, verblieb dem Fremden genug Zeit, um Monther ein dut zendmal die Kehle durchzuschneiden. »So«, erklärte der Fremde. »Nun zu dir, Bruder? Was wird hier gespielt?« Monther hob abwehrend die Hände. Die ser Situation war er nicht gewachsen. Dem
Armee der Seelenlosen Tod zuzusehen, war eine Sache, ihm ins Au ge zu blicken, eine ganz andere. Monther wußte, daß er Angst hatte, und dieses Be wußtsein peinigte ihn. Je mehr die Angst vor dem unheimlichen Fremden in ihm wuchs, um so mehr schwoll auch der Haß an. »Ich weiß von nichts«, stammelte Mon ther. »Bitte …« Die rechte Hand des Fremden schnellte nach vorne, dann wußte Kildar Monther von nichts mehr.
* Ich zitterte am ganzen Körper, aber das Zittern freute mich. Die Schleier vor meinen Augen waren noch nicht ganz verschwunden, aber sie wa ren hell, und dahinter erkannte ich, wenn auch nur sehr verschwommen, meinen alten Freund, den Bauchaufschneider. »Fartuloon!« ächzte ich. Mein Kehlkopf versagte den Dienst. »Nur ruhig bleiben, Sohn«, hörte ich Far tuloon sagen. Es klang, als sei er mehrere Meter von mir entfernt. »Es kommt alles wieder ins Lot!« Ich nickte schwach. Eine unerklärliche Benommenheit hielt mich noch immer umfangen. Meine Glieder waren schwer und ließen sich kaum bewe gen, meine Sinneswahrnehmungen waren getrübt. Der Zustand war scheußlich, aber verglichen mit der Hölle, durch die ich ge gangen war, wirkte er geradezu wohltuend. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit spürte ich, wie eine Hochdruckspritze an meinem Arm angesetzt wurde. Fartuloon injizierte mir ein Mittel, hoffentlich war es das richtige. »Fartuloon war der Leibarzt deines Va ters«, erinnerte mich der Logiksektor. »Er weiß, was er tut!« Das klang beruhigend, und wirklich spür te ich, wie meine Betäubung allmählich schwächer wurde. Langsam gewann ich die Kontrolle über meinen Körper zurück. »Was hat man mit uns gemacht?« lallte
17 ich mit noch immer schwerer Zunge. »Was hat das alles für einen Sinn?« »Man hat uns betäubt, jedenfalls euch. Mir konnte das Medikament nichts anha ben.« Ich lachte leise in mich hinein. Diese Ant wort paßte zu Fartuloon. Er teilte mir ein fach mit, daß eine Droge, die jede Sekunde für mich zur Qual gemacht hatte, bei ihm nicht gewirkt hatte. Warum sie ohne Wir kung geblieben war, das zu verraten, fiel dem Bauchaufschneider nicht ein. Wahr scheinlich würde ich nie herausbekommen, wer oder was Fartuloon wirklich war. In meinem Zustand waren Betrachtungen die ser Art allerdings müßig, ich hatte genug da mit zu tun, in die Wirklichkeit zurückzufin den. Es gelang, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten. Ich seufzte erleichtert auf, als ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen und mich fortbewegen konnte. Leicht schwankend tappte ich hinter Fartuloon zu unseren Freunden hinüber. Ich sah einiges, aber ich brauchte gerau me Zeit, bis ich in der Lage war, die Zusam menhänge zu begreifen. Offenbar hatte man versucht, Zergan und Kastyr Blut abzuzap fen, während gleichzeitig eine gelblich schimmernde Flüssigkeit in die Adern ein geführt wurde. Natürlich wußte ich, daß es künstliches Blut gab, und die gelbliche Flüssigkeit sah ganz so aus, wie Kunstblut nach meiner Er innerung auszusehen hatte. Das künstliche Blut wurde bei besonders riskanten chirurgi schen Eingriffen benutzt, bei der die Gefahr großer Blutverluste bestand. Kunstblut wur de von Herz-Lungen-Maschinen nicht ange griffen, weil es nicht aus empfindlichen Zel len bestand. Darum wurde bei solchen Ope rationen Kunstblut in den Kreislauf PatientMaschine eingeführt. Erst nach Abschluß des Eingriffs wurde das Kunstblut dann wie der durch das Originalblut des Patienten er setzt. Ohne echtes Blut kam man niemals aus, denn das Kunstblut besaß keinerlei An tikörper gegen die verschiedenartigen Infek tionen, die einen menschlichen Körper be
18 fallen konnten. Sollten wir operiert werden? Ich wurde blaß. Seit Jahrtausenden wurde im Arkon-Sy stem eine Art der Medizin betrieben, für die der Volksmund das treffende Wort, von der Ersatzteil-Chirurgie geprägt hatte. Diese Sparte der Medizin hatte im Großen Imperi um einen beachtlichen Stand erreicht. Fast jeder Körperteil, fast jedes Organ war trans plantierbar -vorausgesetzt, es fanden sich Spender, deren immunbiologische Beschaf fenheit sich mit dem Abwehrsystem des Empfängers weitgehend deckte. Diese Im munschranke war das größte Hindernis, da sich immer nur selten passende Spender fan den, wenn ein Organ dringend gebraucht wurde. Seit langem gab es Gerüchte, daß von be stimmten Organisationen regelrechte Men schenjagden veranstaltet wurden. Wer über die richtigen Beziehungen (und damit auch über das nötige Geld) verfügte, konnte sich bei einer solchen Organisation jedes ge wünschte »Ersatzteil« in kurzer Zeit besor gen. Man munkelte sogar davon, daß be stimmte Menschen, deren Organe zufällig zu einem bestimmten Prominenten paßten, sorgfältig arrangierten Unfällen zum Opfer fielen, wenn der prominente Empfänger ge rade eine Niere oder eine Koronararterie brauchte. Hatte man uns das Blut abgezapft, um un sere immunologischen Daten bis auf die letzte Stelle hinter dem Komma bestimmen zu können? Waren wir als lebendes Ersatz teillager vorgesehen gewesen? Nachträglich hoch machte mich der Ge danke schaudern. Natürlich, so mußte es sein. Ich brauchte mir nur vorzustellen, daß ich ein Fremdor gan brauchte, um ein eigenes zu ersetzen, ei ne Niere vielleicht. Wenn alle potentiellen Spender, deren Daten sich mit den meinen deckten, sich bester Gesundheit erfreuten, standen meine Chancen ziemlich schlecht. Anders lag der Fall, wenn der betreffende Spender einem genau rechtzeitig stattfinden-
Peter Terrid den Unfall zum Opfer fiel und in meinem Interesse ausgeschlachtet wurde. Wenn man zur Lösung solcher Probleme eine bestimm te Mindestsumme als Hilfsmittel einsetzte, war eine Lösung nahezu sicher. Was aber, wenn ich einige Zeit später er neut ein Organ gebraucht hätte, diesmal vielleicht eine halbe Lunge? Meinen ersten Spender konnte ich dann nicht mehr verwenden. Seine Reste waren längst vergangen, außerdem ließen sich Spenderorgane nur für gewisse Zeit aufbe wahren. Ein zweiter, geeigneter Spender, der genau dann einem Unfall zum Opfer fiel, wenn ich eines seiner Organe brauchte, wäre selbst dem dümmsten Polizisten aufgefallen – und die Arkon-Polizei war alles andere als dumm. Diese Chance war verbaut. Die Lage sah anders aus, wenn mein er ster Spender gar nicht erst gestorben war, wenn er irgendwo in einem sicheren Ver steck im Tiefschlaf lag und nur darauf war tete, aufgeweckt und eines weiteren Organs beraubt zu werden, sozusagen als mein per sönliches, sorgfältig abgestimmtes Ersatz teillager. Je früher ich mir ein solches Pri vatlager zulegte, desto größer waren die Aussichten, ideale Spender zu finden. Für wen war mein Körper wohl be stimmt? Ein ungeheuerlicher Gedanke drängte sich mir auf. Wer nur ein wenig von Humangenetik verstand, der wußte, daß die immunologi sche Barriere, bei unmittelbaren Blutsver wandten am geringsten war. Eineiige Zwil linge konnten ihre Organe nahezu problem los austauschen. Je schwächer die Blutsver wandtschaft war, desto größer wurden auch die Probleme bei der Immunabwehr. Wer war mit mir blutsverwandt? Wer brauchte vielleicht ein neues Organ? Wer war reich und einflußreich genug, sich dafür ein lebendes Ersatzteillager anzulegen? Wer besaß den Einfluß ein solches Ersatzteillager wirkungsvoll vor der Öffentlichkeit abzu schirmen? Wer war skrupellos und grausam genug, um auf eine solche Idee zu verfallen?
Armee der Seelenlosen Es gab nur einen Namen, der auf alle die se Fragen eine schlüssige Antwort bot: ORBANASCHOL!
4. Ich mußte mich setzen. Der Gedanke, daß mein heimtückischer Onkel nicht nur davor zurückgeschreckt war, seinen Bruder heimtückisch ermorden zu lassen, sondern nun auch noch auf den perfiden Gedanken verfallen war, den Sohn seines Opfers auszuschlachten, hatte etwas Erschreckendes an sich. »Kein voreiliges Urteil«, warnte der Lo giksektor. »Woher soll Orbanaschol wissen, wer du bist?« Dieser Einwand erschien mir zu schwach. Wer garantierte mir dafür, daß meine Tar nung nicht längst schon durchschaut war, daß die ganze Affäre Kester Hehl nichts weiter als ein Trick gewesen war, mit dem ich in die Falle gelockt werden sollte? Ein mühsam unterdrücktes Stöhnen riß mich aus meinen Gedanken. Zergan kam langsam wieder zu sich, auch Kastyr zeigte erste Lebenszeichen. Ich war zu aufgeregt, um mich um die beiden Männer kümmern zu können. Ich ging zurück in die Sektion, in der man mich betäubt hatte. Noch immer lag ein Mann auf dem zweiten Operationstisch. Langsam trat ich näher. Ich hielt für einen Augenblick inne, dann erst überwand ich mich und streckte die Hand aus, um den Körper zu berühren. Der Körper war kalt, ei sig kalt, aber er lebte noch. Unmerklich langsam bewegte sich der Brustkorb. Der Mann lag in einer Art Winterschlaf. Es gab Anlagen, mit denen man einen Menschen einfrieren und nach gewisser Zeit wieder aufwecken konnte, ohne daß das Le ben oder die Gesundheit des Mannes gefähr det gewesen wären. Aber Anlagen dieser Art waren unerhört teuer und aufwendig, außer dem beanspruchten sie eine beachtliche Menge Raum, vor allem dann, wenn eine solche Anlage autark sein sollte. Die Mitarbeiter Helcaar Zunths hatten of
19 fenbar ein Verfahren entwickelt, bei dem ei ne aufwendige technische Anlage entfiel. Schließlich war es auch nicht nötig, ein sol ches lebendes Ersatzteillager jahrtausende lang am Leben zu erhalten. Es genügte, wenn sämtliche biologischen Abläufe so stark verlangsamt wurden, daß der Schläfer den Empfänger, für den er vorbestimmt war, bei weitem überleben konnte. Ich beugte mich über den Schläfer. Die Farbe der Haut war ein wächsernes Gelb, auch die Augen waren gelblich verfärbt. Ich zuckte zurück. Gelbe Augen! Hatte nicht auch Fartuloon, der Rätselhaf te, gelbe Augen? »Voreilige Schlußfolgerung«, gab der Lo giksektor knapp durch. »Eine durch nichts zu beweisende Spekulation!« Ich gab mich damit zufrieden. Nachdenk lich betrachtete ich das Gesicht des Schlä fers. Immer noch spiegelte sich Angst darin wider, die gleich Angst, die auch ich emp funden hatte, als man mich betäubt hatte. Hinter mir erklangen Schritte. »Alles überstanden, Sohn?« Es tat gut, Fartuloons Stimme zu hören. Rasch erklärte ich dem Bauchaufschneider, was ich mir überlegt hatte. Fartuloon wiegte nachdenklich den Kopf, als ich geendet hat te. »Möglich wäre es«, murmelte er. »Aber ich biri mir nicht ganz sicher, ob du recht hast.« Zergan und Kastyr kamen langsam näher. Es war nicht zu übersehen, daß sie noch un ter der Einwirkung eines Schocks litten. Klirrend und quietschend näherte sich auch Pysther. Zergan hatte ihn reaktiviert. »Eines steht fest«, erklärte Fartuloon. »Wir müssen diesen ungastlichen Ort verlas sen, und das möglichst schnell. Wir sind hoffnungslos in der Minderzahl!« »Ruhe«, flüsterte Zergan. »Ich habe etwas gehört!« Wir hielten den Atem an. Zergan hatte sich nicht geirrt. Männer näherten sich, wir konnten den Schall ihrer Schritte deutlich
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Peter Terrid
hören. Fartuloon gab ein Zeichen mit dem Kopf. Es gab nur eine Möglichkeit, wir mußten auf der anderen Seite der Halle nach einem Ausgang suchen. Wir rannten los, vorbei an zahlreichen Kammern, in denen Männer lagen, die alle die gleiche wachsgelbe Hautfärbung zeigten und den Ausdruck panischer Angst im Ge sicht. Wir hatten keine Zeit, ihnen zu helfen, wahrscheinlich auch nicht die Möglichkeit dazu. Wer immer dieses Verfahren erfunden hatte, er mußte viel Zeit darauf verwandt ha ben, Zeit, die uns fehlte. An der Schmalseite der Halle gab es ein Tor, ähnlich dem Tor, durch das wir die Hal le betreten hatten. Fartuloon zögerte einen Augenblick lang, dann nickte er entschlos sen. »Wir nehmen diesen Weg!« entschied er.
* Langsam kam Kildar Monther wieder zu sich. Die stampfenden Schritte des Wach kommandos hatten ihn geweckt. Zudem war der Fremde einigermaßen zartfühlend mit dem Mediziner umgegangen. Kildar Monther dachte nicht daran, dieses Zartgefühl zu erwidern. Im Gegenteil. Während er sich mühsam aufrappelte, schwor er sich, den Fremden grausam dafür zu bestrafet, daß er Kildar Monther hatte klein und feige aussehen las sen. Monther wußte, daß er im Grunde sei nes Herzens ein Feigling war, aber er hatte dieses Wissen verdrängt. Die gewaltsame Art, in der der Fremde Monther seine eigene Schwäche erneut bewußt gemacht hatte, sta chelte Monthers Haß ins Grenzenlose. »Was ist passiert?« fragte Fregur Walm erregt. »Wo sind die Gefangenen?« »Weg«, antwortete Monther knapp. Er brauchte nur wenige Sekunden, um wieder seine, alte Selbstsicherheit zu gewin nen. Fast ohne Übergang schlüpfte er in sei ne Rolle zurück. Um seine Lippen spielte ein verächtliches
Lächeln. »Einer der Fremden hat auf die Einstiegs droge nicht reagiert. Wahrscheinlich eine menschliche Panne.« Er brauchte niemanden unmittelbar anzu sehen. Der Posten, der dem dicken Fremden die Droge injiziert hatte, verriet sich von selbst – er wurde fahl. Monther lächelte ver halten. Ein Wink genügte. Der Posten schrie auf, aber es half ihm nichts. Seine Begleiter ließen ihm keine Chance. Innerhalb weniger Augenblicke war er entwaffnet, der Ärmel wurde hochgerollt und eine Hochdruckinjektionspistole an sei nen Arm gepreßt. Die Wachen brauchten ih ren ehemaligen Kollegen nur noch kurze Zeit festzuhalten, dann tat das Mittel seine Wirkung. Fregur Walm hatte den Vorgang schwei gend verfolgt. Er war der Stellvertreter von Helcaar Zunth, eigentlich wäre es seine Auf gabe gewesen, den Posten zu bestrafen – wenn den Mann überhaupt irgendein Ver schulden traf. Aber Kildar Monther hatte es schon früh verstanden, seinen Willen durch zusetzen, und Walm war klug genug, dem Mediziner seinen Willen zu lassen. Genau genommen hatte auch Walm Angst vor dem unheimlichen Arzt, der Leben retten und vernichten konnte. Niemand wagte es, sich mit einem Mann anzulegen, dessen Umgang mit Drogen und Giften praktisch nicht zu kontrollieren war. Wer konnte wissen, ob das, Schlaf mittel nicht in Wirklichkeit ein heimtückisches Gift, das Analgetikum nicht eine Wahnsinnsdroge war? »Wohin sind sie verschwunden?« Monther deutete über die Schulter. »Weit werden sie nicht kommen!« pro phezeite Fregur Walm. Monther lächelte dünn. »Hoffentlich! Schon jetzt sind sie viel zu weit gekommen!« Walm nickte betroffen. »Vorwärts, Männer! Wir müssen die Bur schen fangen. Ihr wißt, was auf dem Spiel steht!« Die Männer rannten los. Im Laufen entsi
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cherten sie ihre Waffen. Sie wußten, was auf dem Spiel stand. Vor allem aber wußten sie, was ihnen bevorstand, wenn sie versagten. Gerade erst hatten sie gesehen, wie Kildar Monther zu reagieren pflegte, wenn ihn et was ärgerte. Die meisten fürchteten dieses Schicksal mehr als den Tod.
Meine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Jetzt wußten wir, wohin die Deserteure von Mire verschwunden wa ren. Und wir wußten auch, welches Schick sal man uns zugedacht hatte.
*
Sie lagen übereinandergestapelt wie Holz scheite. Jeder war in eine Transparentfolie eingewickelt. Die Regale reichten vom Bo den bis in eine Höhe von dreißig Metern, auf mehr als zweihundert Meter schätzte ich die Länge des Lagerraums. Vierzig Meter war die Halle breit. Achtzig Prozent dieses Raumes war voll gestapelt. Vollgestapelt mit kalten und steifen Kör pern, in denen noch immer ein schwacher Lebensfunke glomm. Tot waren sie nicht, aber als Leben konnte man ihren Zustand schwerlich bezeichnen. Es waren Tausende. Es waren Männer, junge Männer und alte, Deserteure von allen Fronten, von allen Pla neten des Arkonimperiums. Einfache Raum soldaten waren darunter, aber auch Offizie re, sogar Sonnenträger. In ihren Gesichtern stand Angst geschrieben. Ich begann zu ahnen, daß sie bei Bewußt sein waren. Hören konnten sie nichts, nichts sehen, noch fühlen oder schmecken. Aber sie konnten denken. Sie waren mit sich und ihren Gedanken allein. Schlaf kannten sie nicht, nur einen Zustand unablässigen Wachseins, in jedem Augenblick dem An sturm der eigenen Empfindungen preisgege ben. Was mußten diese lebenden Leichname empfinden? Ich erinnerte mich an die Wirkung der Droge, die man mir injiziert hatte. Wenn diese Männer die gleichen Höllenqualen ausstehen mußten, die auch ich durchlitten hatte, dann hatten sie für ihre Desertion eine Strafe auszuhalten, die an Grausamkeit alles übertraf, was sich selbst der Blinde Sofgart erdacht hatte.
»Das Schott läßt sich von innen verrie geln!« stellte Fartuloon erfreut fest. Er hatte tatsächlich Grund zur Freude. Ich hatte gesehen, wie dick die Panzertür war. Wenn es uns gelang, sie wirksam zu verrie geln, mußten unsere Gegner mittelschwere Geschütze aufbringen, um sie aufbrechen zu können. »Laß mich das machen«, bot sich Zergan an. »Mit solchen Dingern kenne ich mich aus. Man bekommt so seine Erfahrungen, wenn man längere Zeit als Raumsoldat ge dient hat!« Kastyr wußte besser als ich, worauf Zer gan anspielte. Der junge Mann lächelte ver halten. Pysther stand regungslos neben ihm. Zergan verstand wirklich etwas von Stahl türen. Nach kurzer Zeit hörten wir das leise Klacken, mit dem die Verschlüsse einraste ten, danach ertönte ein leises Fiepen. »Das wäre geschafft!« verkündete Zer gan. »Das Impulsschloß ist defekt, jetzt kann das Tor nur noch von innen von Hand ent riegelt werden. Oder man muß es mit Ge walt aufbrechen, und das wird dauern.« »Hoffentlich haben wir uns damit nicht selbst den Fluchtweg abgeschnitten«, über legte Kastyr halblaut. »Jetzt haben wir wenigstens Zeit, uns ein wenig umzusehen«, bemerkte Fartuloon zu frieden. »Ich glaube, es wird sich lohnen!« Der größte Teil der Halle, in der wir uns befanden, war dunkel. Nur der vordere Be reich, dort wo wir uns aufhielten, war er leuchtet. Neben dem Stahltor fanden wir den Schalter, der die großen Leuchtkörper auf flammen ließ. Wir blieben stehen.
*
22 Schweigend gingen wir durch dieses Ma gazin des Grauens. Ich sah, daß Kastyr zu zittern began. Er nahm sich zusammen, aber diese unwillkürlichen Bewegungen konnte er nicht unterdrücken. »Den da kenne ich«, sagte er so leise, daß wir ihn kaum verstanden. »Er ist vor vier Jahren desertiert, man hat nie wieder etwas von ihm gehört.« Er brachte es nicht fertig, auf den Mann zu deuten, den er wiedererkannt hatte. Vier Jahre! Vier Jahre unausgesetzter Qual. Wahr scheinlich war der Verstand des Mannes hoffnungslos zerrüttet. Niemand konnte nach meiner Einschätzung diese Torturen länger als einige Wochen, bestenfalls Mona te durchstehen, ohne darüber wahnsinnig zu werden. Seit vier Jahren lag dieser Mann hier. »Man müßte …« Zergan knurrte und ballte die Fäuste. Mir fiel nur eine Strafe für die Männer ein, die diese Teufelei ausgeheckt und in Szene ge setzt hatten – sie mußten ihr Verfahren am eigenen Leibe auskosten. Jedes andere Vor gehen wäre freundlich und wohlwollend ge wesen. Ich fragte mich, wie ein Hirn be schaffen sein mußte, das etwas Derartiges nicht nur abstrakt ausdachte, sondern auch planvoll in die Wirklichkeit umsetzte. Was würden diese Männer tun, wenn man sie ins Leben zurückrief? Was für Strafen mochten sie sich in der grauenvollen Verlas senheit ihres Zustands ausgedacht haben für jene, die sie zu lebenden Leichnamen ge macht hatten? Ich konnte mir nicht vorstel len, daß ihnen etwas noch Grauenvolleres eingefallen sein konnte. Ich spürte, wie der Haß in mir aufbrande te. Ich kannte keinen dieser Männer. Ich wußte nur, daß sie allesamt desertiert waren, und dies war bislang das übelste Verbrechen gewesen, das ich mir hatte vorstellen kön nen. Aber was war diese Schuld, verglichen mit der Strafe, die sie jetzt dafür zu erleiden hatten? Niemand hatte das Recht, Menschen auf diese Weise zu quälen und zu peinigen,
Peter Terrid kein Richter, am wenigsten aber diejenigen, die sich diese Infamie ausgedacht hatten. Nicht einmal Orbanaschol, der sonst vor nichts zurückschreckte, hätte sich etwas Derartiges einfallen lassen, des war ich mir sicher. Der Brudermörder Orbanaschol war ein Sadist reinsten Wassers, soviel stand fest. Aber er liebte es, die Leiden seiner Opfer se hen und hören zu können! Das Hirn, das die se Konservierungsmethode ausgedacht hatte, war schlimmer als Orbanaschol. Die Leiden dieser Opfer waren Folgeprodukt, nicht Zweck. Sie wurden gleichsam beiläufig, völ lig unbeteiligt, hingenommen und einkalku liert. Diese Deserteure hatten ihrem Peiniger nichts getan, er hatte nicht den mindesten Grund, ihnen Leid zuzufügen. Es ließ sich eben nicht vermeiden, wenn das gesteckte Ziel erreicht werden sollte, das war alles. Ich kannte bereits Menschen dieses Schla ges. Es gab Vorstufen zu dieser Form des Sadismus. Es fing damit an, daß bestimmte Vorschriften befolgt wurden, gleichgültig, welche Wirkung sie hervorriefen – Hauptsa che war, sie kamen von oben und waren ver waltungstechnisch in Ordnung. Täter waren in diesen Fällen Beamte, die sich mit dem bürokratischen Apparat identifizierten, nicht mehr mit den Menschen, denen sie zu die nen hatten. Ein Menschenschicksal interes sierte sie nicht, aber sie gerieten in Zorn, wenn ein Papier nicht ordnungsgemäß aus gefüllt war. Die Gerechtigkeit wurde in den Hintergrund gedrängt, wichtig war nur die formal-juristische Exaktheit. Es fing damit an, daß den Behörden Mißliebige aus ihren Ämtern gejagt wurden – ordnungsgemäß und paragraphengetreu – und endete bei staatlich gelenktem Massenmord, vorausge setzt, er verlief ordnungsgemäß, geregelt und paragraphengetreu. Todeskandidaten wurden nach einem Selbstmordversuch mit höchster Sachkunde monatelang gesundge pflegt – um anschließend, hingerichtet wer den zu können, ordnungsgemäß. Staatsdie ner dieses Schlages hatten mehr Staaten auf dem Gewissen als sämtliche Revolutionäre
Armee der Seelenlosen jeglicher Spielart. In dieser Halle hatte diese Form der keim freien Gewissenlosigkeit ihren Gipfel er reicht. Die lebenden Leichen waren katalogisiert. An ihren Zehen waren Drähte befestigt, dar an hingen Karten, die Auskunft gaben über die Person, die hier gemartert wurde. Alles hatte seine Ordnung. Merkwürdigerweise fanden wir keine Frauen. Es gab genug Frauen in der Arkon flotte, Hunderttausende. In Notzeiten durften Frauen von jeher ihren Mann stehen. Unter ihnen gab es Helden und Feiglinge in glei cher Prozentzahl wie bei Männern, nur hier waren sie nicht vertreten. Es mußten merk würdige Lebewesen sein, denen es nichts ausmachte, Menschen grauenvoll zu foltern – die aber zartfühlend und rücksichtsvoll ge nug waren, Frauen von dieser Folter auszu nehmen. »Genug, um eine Raumflotte damit zu be mannen«, murmelte Fartuloon. Ich wußte, daß den Bauchaufschneider so leicht nichts erschüttern konnte. Nur wer wie ich seit Jahren mit ihm zusammenlebte, konnte aus seiner Stimme hören, daß auch ihn das Entsetzen gepackt hatte. Auch er war beeindruckt von der kalten Unmenschlich keit, die hier praktiziert wurde. Fartuloon war kein Arkonide, ich hätte gern gewußt, was er überhaupt war. Die Menschen, die diese Halle des Grau ens erdacht, gebaut und mit lebenden Leich namen gefüllt hatten, waren Arkoniden wie ihre Opfer. Wenn sie schon keine Hemmung kannten, die eigenen Artgenossen derart zu behandeln, sie zu bloßen Reservoiren von Organen, Muskeln und Knochen zu reduzie ren – wie mochten sie dann vorgehen, wenn ihnen nichtarkonidische Opfer in die Hände fielen. Wir waren still. Der Anblick, der in unsere Gedanken hämmerte, war so erschütternd, daß wir kei ne Worte fanden. Nur einer vermochte den Anblick nicht mehr zu ertragen und äußerte sich.
23 Abrupt blieb Pysther stehen. Er begann seinen Kopf zu drehen, seine Sehzellen ta steten das Bild ab, das sich ihnen bot. Immer schneller drehte sich der Kopf. Rauch quoll aus den Gelenken und wirbelte in die Höhe. Aus dem Innern des ungeschlachten Körpers der Kampfmaschine erklang ein leises Heu len. Abrupt hörte die Bewegung auf, abrupt endete das Heulen. Reglos blieb Pysther ste hen. Kastyr machte einen hastigen Schritt und griff nach dem Robot. Pysther kippte und krachte auf den Boden. Zergan kniete neben ihm nieder, ich sah, daß in seinen Au genwinkeln Tränen standen. »Er ist tot!« sagte er leise. »Pysther ist tot!« »Ein Robot kann nicht sterben!« kom mentierte der Logiksektor. »Pysthers Pro grammierung war den Informationen nicht gewachsen, er konnte sie mit seinen Pro grammbefehlen nicht mehr in Einklang brin gen. Daher hat er sich desaktiviert. Der Prozeß ist irreversibel!« Eine von Arkoniden erdachte und erbaute Maschine hatte Tatsachen nicht verkraften können, die von Arkoniden erdacht und ver wirklicht worden waren. Zergan richtete sich langsam auf. Unwill kürlich sah er zu dem Stapel von Leichna men in seiner unmittelbaren Nähe. Er zeigte ein verzerrtes Lächeln. »Vielleicht ist das der größte Vorzug ei ner robotischen Existenz«, murmelte er dumpf. »Wir hängen zu sehr an unserem Le ben, wir geben uns nicht so schnell verloren, und wenn, dann handeln wir nicht so konse quent!« »Handeln«, brummte Fartuloon. »Wir müssen handeln, etwas tun, sonst …« Er brauchte nicht mehr zu sagen.
5. »Sie haben die Halle entdeckt!« stellte Kildar Monther ergrimmt fest. Er hatte es vorgezogen, sich in den zentra len Kontrollraum zurückzuziehen. Von dort
24 aus konnte er nicht nur die gesamte Anlage übersehen, er Konnte auch die verschiede nen Fallen und Hindernisse aktivieren oder ausschalten, die man aus Sicherheitsgründen eingebaut hatte. Kildar Monther war sich si cher, daß die Eindringlinge keine Aussicht hatten, das Sammelsurium von Fallen lebend zu überwinden. Daß sie das geheime Ver steck der TUUMAC nur mit den Füßen vor an würden verlassen können, stand für den Mediziner außer Frage. Dafür würde er per sönlich sorgen. »Reden Sie mit den Fremden!« forderte Monther den neben ihm stehenden Fregur Walm auf. Walm war überrascht. Er war intelligent genug, um gemerkt zu haben, daß Monther ihn praktisch ausgebootet hatte; die Person, die die letztlich entscheidenden Anordnun gen traf, war schon seit langem Kildar Mon ther. Walm war sich klar darüber, daß Mon ther auch mit diesem Angebot, wieder die Kommandogewalt zu übernehmen, etwas bezweckte. Trotzdem ging er sofort auf den Vorschlag ein. Ein Handgriff genügte, um das Bild des Großen Magazins auf den Hauptbildschirm zu werfen. Monther stieß ein hohes Kichern aus, als er die Gruppe sah – vier Männer die offenbar sichtlich erschüttert neben den Re sten eines ohnehin schrottreifen Robots stan den. »Sie sind entdeckt!« sagte Walm. Die Fremden zuckten zusammen, als sie die Stimme hörten. Sofort verteilten sie sich im Raum, ein Anblick, der Fregur Walm ahnen machte, daß dieser Fall nicht auf bequeme Weise zu lösen sein würde. Die blitzartige Reaktion der Fremden bewies eindeutig, daß es sich um abgebrühte Kämpfer handelte, die auch in kritischen Lagen nicht so schnell den Kopf verloren, sondern schnell und um sichtig zu handeln wußten. »Können Sie mich hören?« »Wir hören! Wer spricht?« Geantwortet hatte der junge Arkonide, der sich Lothor nannte. Er sah sich kurz um und ging dann gradlinig auf den Standort der
Peter Terrid kleinen Kamera zu. Walm nickte anerken nend, die Kamera war ziemlich gut versteckt worden, trotzdem hatte Lothor sie schnell gefunden. »Nun, was sagen Sie zu unserer Armee?«
* Die Stimme aus dem Lautsprecher verriet eine fast perverse Art von Stolz. Ich tippte darauf, daß Fregur Walm gesprochen hatte. Unter der Kamera wurde plötzlich ein klei ner Bildschirm sichtbar. Jetzt fand ich die Bestätigung meiner Vermutung, es war Fre gur Walm. Suchte er Verhandlungen? »Das nennen Sie eine Armee?« fragte ich zurück. Meine Verwunderung war nicht gespielt, ich begriff nicht, wie Walm diesen Aus druck gemeint hatte. Schlagartig überfiel mich die Erkenntnis. Diese Tausenden von Männern waren nicht als lebende Ersatzteillager gedacht, sie warteten darauf, aufgeweckt zu werden, um für ihre Herren kämpfen zu können. »Warten Sie ab«, erklärte mir Walm. »Irgendwann in naher Zukunft werden wir die Männer aufwecken. Sie haben dann zwar kein Blut mehr in ihren Adern, dafür aber ei ne Droge, die sie leicht lenkbar macht. Sie werden jeden Auftrag ausführen, den man ihnen gibt, und nichts wird ihnen widerste hen können. Es werden Roboter sein, her vorragende, leicht zu lenkende Kampfma schinen.« »Fürchten Sie nicht, daß sich die Wirkung der Droge allmählich verlieren könnte?« Walm beantwortete meine Frage mit ei nem geringschätzigen Lachen. »Die Dosis reicht für fast ein Jahr, und länger sind die lebenden Roboter ohnehin nicht zu verwenden. Nach knapp zwölf Mo naten zerfallen sie in ihre Bestandteile, aber so lange werden wir unsere Einsatzkomman dos schwerlich brauchen!« Allmählich begriff ich die Tragweite die ses Planes. Die Seelenlosen waren sicherlich leicht
Armee der Seelenlosen durch sämtliche Sperren zu schmuggeln, wer konnte schon alle Männer kontrollieren, die Helcaar Zunth an Bord seiner Schiffe be schäftigte. Einmal auf einem Planeten gelan det, würde man sie als Selbstmordkomman dos einsetzen. Sie würden wichtige Versor gungseinrichtungen in die Luft sprengen, selbst wenn sie selbst dabei sterben mußten. Sie konnten Transportwege blockieren, Meutereien anzetteln und Attentate begehen. Es war leicht, sich auszumalen, was eine zu allem entschlossene Untergrundarmee errei chen konnte, wenn sie ohne alle Skrupel vorging. »Geben Sie auf, Lothor, Sie haben keine Chance. Sie wissen nicht einmal, wo Sie sich befinden. Sie sind völlig in unserer Hand!« Ich hörte Schritte, Fartuloon schob sich an mich heran. Er machte einen nachdenklichen Eindruck. »Und was haben Sie mit ups vor, wenn wir uns ergeben?« »Das wird sich finden, öffnen Sie das Tor, oder wir brechen es gewaltsam auf. Wir sind viel stärker als Sie!« »Nicht ganz!« Der Einwurf kam von Fartuloon. Er lä chelte verhalten. »Ich habe im Hintergrund eine technische Anlage gefunden«, eröffnete er das Ge spräch. »Eine Selbstvernichtungsanlage, ge nau, wie ich es mir gedacht hatte. Es lag auf der Hand, daß Sie dafür Sorge tragen wür den, dieses ungeheuer belastende Material« – er deutete auf die Menschen Stapel – »im Notfall rasch vernichten zu können. Wenn Sie versuchen, diesen Raum stürmen zu las sen, werde ich die Selbstvernichtung einlei ten.« Bereits bei den ersten Worten des Bauch aufschneiders war Walm erblaßt. Dieser Schuß hatte gesessen, daran konnte es kei nen Zweifel geben. Im ersten Augenblick hoffte ich noch, daß Walm bei dieser Eröff nung klein beigeben würde, aber sehr bald mußte ich feststellen, daß Fregur Walm rasch reagierte und sich nicht sehr lange aus
25 der Fassung bringen ließ. »Das würde auch Ihren eigenen Tod zur Folge haben«, konterte Walm, jetzt wesent lich ruhiger. Fartuloon zuckte mit den Schultern. »Sterben müssen wir ohnehin«, bemerkte er kühl. »Entweder werden wir von Ihren Leuten umgebracht, oder wir fliegen mit dieser gesamten Anlage in die Luft. Das Er gebnis ist in beiden Fällen gleich. Nur: wenn wir uns Ihnen ergeben, wer garantiert uns, daß wir nicht diesen lebenden Leichnamen zugesellt werden. Dieses Schicksal erscheint mir weitaus schlimmer als der Tod.« Walm leckte sich die Lippen, dann sagte er: »Ich werde mir die Sache überlegen. Ich melde mich wieder!« Der kleine Bildschirm wurde dunkel. Far tuloon grinste zufrieden. »Bei allen Göttern Arkons«, seufzte Zer gan auf. »Ich hatte anfänglich gedacht, du hättest nur geblufft. Gibt es diese Selbstver nichtungsanlage wirklich?« »Komm mit«, entgegnete Fartuloon. »Ich werde sie euch zeigen!«
* Die Selbstvernichtungsanlage war vor handen, und sie schien auch funktionsbereit zu sein. Die TU-UMAC hatte sich dazu ent schlossen, kein Risiko einzugehen. Wenn wir eine bestimmte Schaltung betätigten, würde von dem geheimen Arsenal kein Stäubchen mehr übrigbleiben. Die hier gela gerten atomaren Sprengsätze reichten aus, um den halben Planeten zu zerstören – falls wir uns auf einem Planeten aufhielten. Wa ren wir im Innern eines Asteroiden gefan gen, würde von uns und dem Stützpunkt der TUUMAC nicht mehr als eine Gaswolke üb rigbleiben. »Ich habe mir die Schaltungen genau an gesehen«, behauptete Fartuloon. »Der Sprengsatz kann sowohl von Fregur Walm als auch von uns gezündet werden. Aber kei ne der beiden Parteien ist in der Lage, den
26 entsprechenden Befehl der gegnerischen Parteien zu blockieren oder gar rückgängig zu machen.« Zergan nickte verdrossen und richtete sich auf. Sorgfältig hatte er sich die Leitungen angesehen. »Du hast recht«, bestätigte er. »Wir sitzen also in der Falle, und das sogar doppelt. Walm hat nämlich die Chance, sich rechtzei tig abzusetzen, bevor er dies alles in die Luft fliegen läßt. Er braucht sich nur zurückzie hen, dann kann er uns mit der Sprengung der gesamten Anlage drohen, ohne daß wir eine Möglichkeit hätten, ihn unter Druck zu set zen!« Fartuloon wiegte den Kopf. »Mag sein«, gab er zu. »Aber ich vermu te, daß Walm den Wert dieser Armee der Seelenlosen sehr hoch einschätzen wird, ent schieden höher als unser Leben. Er wird erst zu-einer Menge von Tricks greifen, bevor er sich tatsächlich zu einer so radikalen und endgültigen Lösung entschließen wird!« Ein knapper Impuls des Extra -hirns gab mir zu verstehen, daß Fartuloons Überlegun gen vollkommen korrekt und logisch waren. »Wir müssen abwarten, was Fregur Walm anzufangen gedenkt«, entschied ich. »Dann erst können wir uns überlegen, was wir Walm entgegensetzen.« »Entgegensetzen ist ein guter Ausdruck«, murmelte Kastyr. »Wir haben keine Waffen, nur unsere Hände. Das ist reichlich wenig!« »Es muß in der Nähe Waffen geben!« in formierte mich der Logiksektor. »Walm muß die Armee der Seelenlosen im Ernstfall aus rüsten können!« Ich machte mich sofort an die Suche. Es gab aus der Magazinhalle drei Ausgän ge. Zwei davon bestanden aus massiven Schotten aus Arkonstahl, mit denen eventu elle Gegner allerhand zu tun haben würden. Der dritte Ausgang war leicht zu passieren, das Tor wurde von einem simplen Wärme schloß versperrt, das bei der ersten Berüh rung mit meiner Handfläche sofort auf sprang. Ich stieß einen leisen Piff aus. Hinter mir
Peter Terrid drängten sich meine Freunde. »Alle Wetter!« staunte Zergan. »das nen ne ich eine Ausrüstung!« Im Licht der sofort aufgeflammten Scheinwerfer sahen wir ein Magazin, das al les enthielt, was das Herz eines Soldaten er freuen konnte. Leichte und schwere Hand waffen, Handgranaten der unterschiedlich sten Wirkung, Kampfanzüge, stabile Mes ser, Notvorräte, Wassertabletten, Medika mente. Ein Magazin der Arkonflotte konnte nicht besser ausgestattet sein. Fartuloon stürzte sich, wie es seine Art war, sofort auf die Nahrungsmittel. Er verdrehte genieße risch die Augen. »Sorgfältig sind sie, die Herren von der TUUMAC«, meinte er zufrieden. »Sie wis sen genau, daß man hervorragende Einzel kämpfer nicht mit Konzentratnahrung ab speisen darf!« Nacheinander hielt er einige Dosen in die Höhe. »Hochwertige Eiweißkost, viel Fleisch, wenig Kohlehydrate und Zucker, dazu alle Vitamine und Mineralstoffe!« las er vor. Zergan begann zu kichern. »Was gibt es da zu lachen?« fauchte Far tuloon ihn an. »Hier steht es doch: genau die Kost, die« – seine Stimme wurde leiser, sein Gesicht verzog sich – »Ihr Haustier braucht, um gesund zu bleiben!« Offenbar hatte ein unaufmerksamer Mit arbeiter der TUUMAC den gleichen Fehler wie Fartuloon gemacht. Die Aufschrift auf den Etiketten mochten richtig sein, was den Nährwert der Doseninhalte anging – nur war dieser Inhalt leider nicht für Menschen be stimmt. »Ein Trick«, gab der Logiksektor durch. »Ein Lager mit Tierkost ist leichter anzule gen und auch geheimzuhalten, als große Re serven einer hochwertigen Einsatzverpfle gung!« Ich nahm Fartuloon eine der Dosen aus der Hand und zog an dem rotmarkierten Streifen, der rund um den oberen Teil der Dose lief. Damit wurde die Selbsterhitzung eingeleitet. Innerhalb einer Minute, verfärbte
Armee der Seelenlosen sich der Deckel der Dose, als er ebenfalls rot leuchtete, konnte ich die Dose öffnen. »Bitte«, sagte ich und gab die Dose an Fartuloon weiter. »Guten Appetit!« Der Logiksektor hatte einmal mehr richtig kombiniert. Es war kein Tierfutter, sondern erstklassige Konservenware, über die sich Fartuloon sofort hermachte, als sei er dem Hungertod nahe. Während Fartuloon eine Dose nach der anderen öffnete und deren Inhalt verzehrte, gingen wir anderen daran, uns auszurüsten. Ein flugfähiger Anzug war in unserer La ge überflüssig. Er war zu schwer und hatte zudem den Nachteil, daß die energetische Streustrahlung der zahlreichen Gürtelaggre gate sicherlich leicht anzupeilen war. Ich entschied mich für eine einfache, dunkel braune Kombination. An den Gürtel hängte ich mehrere Thermobomben, ansonsten ent schied ich mich für einen kurzläufigen Bla ster und einen langläufigen Impulsstrahler. Den freien Raum, der mir am Gürtel noch blieb, füllte ich mit Ersatzmagazinen. Ob wir mit dieser Ausrüstung eine echte Chance gegen die Männer der TUUMAC hatten, war ungewiß, ich war aber fest ent schlossen, im Notfall meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. »Wollen Sie sich von diesen hergelaufe nen Raumfahrern erpressen lassen, Walm?« Kildar Monthers Stimme drückte seine Verachtung überdeutlich aus, obwohl der Arzt sehr leise sprach. »Was soll ich anderes machen?« fragte Walm erregt zurück. »Wenn diese Burschen tatsächlich die Selbstvernichtungsanlage be tätigen, ist die Arbeit mehrerer Jahre in einer Sekunde verloren. Was, glauben Sie, wird Helcaar Zunth mit uns machen, wenn er da von erfährt?« »Helcaar Zunth ist verhaftet«, erinnerte ihn Monther. »Und wenn schon«, gab Walm erregt zu rück. »Das ist übrigens nicht mehr als ein Gerücht. Ich werde den Gefangenen ein An gebot machen.« »Wie soll dieses Angebot aussehen?« er
27 kundigte sich Monther mißtrauisch. »ich werde ihnen anbieten, sie entspre chend dem ursprünglichen Plan auf einen abgelegenen Planeten zu fliegen und dort abzusetzen – mit einer entsprechenden Aus rüstung natürlich. Bis sie wieder Anschluß an die Zivilisation gefunden haben, werden Jahre vergehen – und bis dahin sind wir mit unserer Arbeit längst fertig.« »Was wollen Sie unternehmen, wenn es den vier gelingt, sich früher nach Arkon durchzuschlagen?« Fregur Walm grinste breit. »Vergessen Sie nicht, daß die vier jetzt in jeder Fahndungsliste als Deserteure aufge führt sind. Sie können es gar nicht wagen, sich mit der Arkon-Polizei in Verbindung zu setzen.« Kildar Monther lachte spöttisch auf. »Sie sind ein Narr, Walm. Sie übersehen die einfachsten Tatsachen und Zusammen hänge! Erstens: niemand garantiert uns, daß die vier nicht – wie wir schon einmal vermu tet hatten – zur POGIM gehören. In diesem Fall wäre es blanker Selbstmord, sie davon kommen zu lassen. Zweitens ist Ihnen offen bar nicht aufgefallen, daß diese Männer ganz offensichtlich an ihrem Leben hängen. So lange sie auch nur eine winzige Hoff nung haben, daß sie lebend entkommen kön nen, werden sie die Selbstvernichtungsanla ge nicht zünden. Haben Sie das begriffen?« Wie immer hatte Kildar Monther leise ge sprochen, und gerade das machte seine Wor te um so wirkungsvoller. Walm war förm lich zusammengeschrumpft. »Was soll ich tun?« Er haßte sich selbst für diese Schwäche, daß er, der erfahrene Kämpfer, den un scheinbaren Arzt um Rat fragen mußte. Ins geheim nahm sich Walm vor, Monther bei der ersten1 sich bietenden Gelegenheit aus dem Wege räumen zu lassen, selbst auf die Gefahr hin, daß Monther den ersten An schlag überlebte und sich auf seine Weise rächen konnte. »Greifen Sie an, Walm! Wir müssen die vier aus dem Magazin drängen, und sobald
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wir das geschafft haben, schlage ich Ihnen ein kleines Experiment vor. Wir sollten un sere unfreiwilligen Mitstreiter einmal einset zen.« »Sie meinen …?« Monther nickte ungerührt. »Wir werden einige der Konserven auf wecken und gegen die vier in den Kampf schicken. Auf einen solchen wirklichkeits nahen Test habe ich schon seit langem ge wartet.« Fregur Walm bewegte nervös die Finger. Er hatte beim Aufbau der Station mitge holfen und war auch ihr militärischer Leiter. Was Kildar Monther mit den verschleppten Deserteuren wirklich anstellte, hatte Walm nie ganz begriffen. Er hatte nur gesehen, daß Männer kamen und einige Zeit später steif gefroren in den Magazinen wieder auftauch ten. Man hatte ihm auch gesagt, daß diese Männer eines Tages wieder aufgeweckt wer den würden, dann sollten sie angeblich jeden Befehl ausführen, der ihnen gegeben wurde. Walm hatte sich nie vorzustellen gewagt, wie eine solche Aktion aussehen mochte. Fregur Walm hatte Erfahrungen gesammelt, an einigen Fronten des Großen Methankrie ges. Die Vorstellung, daß Männer, denen er sich aufgrund dieser Erfahrungen verbunden fühlte, bald wie hirnlose Automaten nach seinen Befehlen kämpfen würden, hatte für ihn etwas Erschreckendes an sich. »Wie Sie meinen, Monther!« sagte Walm gepreßt. Er konnte sehen, daß auch einige seiner Untergebenen sich nervös die Lippen leckten. Jeder dieser Männer hatte mit dem Bewußtsein leben müssen, im Fall eines gro ben Fehlers während des Dienstes ebenfalls in den Magazinen zu landen. Viele mochten sich mit dem Gedanken getröstet haben, daß dieses Schicksal vielleicht doch so schreck lich nicht war. Wenn Kildar Monthers An ordnung befolgt wurde, konnten sie mit ei genen Augen sehen und erleben, was aus Menschen wurde, die in Kildar Monthers Hände gefallen waren.
6.
Ich drehte mich zu Fartuloon herum. »Wir haben uns verkalkuliert«, sagte ich erregt. »In jedem Augenblick müssen wir damit rechnen, daß Walm uns seine Männer auf den Hals schickt.« Zergan sah mich verwundert an. »Wieso?« »Walm weiß sehr genau, daß wir an unse rem Leben hängen. Solange es für uns noch eine Möglichkeit gibt, der Eingliederung in diese Armee der Seelenlosen zu entgehen, werden wir diese Möglichkeit dem Selbst mord vorziehen. Das weiß Fregur Walm ganz genau. Er vertraut darauf, daß wir die Selbstvernichtungsanlage nicht zünden wer den.« »Ein gefährliches Spiel aus der Sicht von Fregur Walm!« kommentierte Zergan gelas sen. »Aber du hast recht, es ist seine einzige Chance, seine Geisterarmee zu erhalten.« Kastyr lächelte überlegen. »Und noch eines ergibt sich aus dieser Überlegung: wenn Walm wüßte, daß es für uns keine Rück zugsmöglichkeit mehr gibt, müßte er anders taktieren. Daraus folgt, daß wir durchaus noch eine Chance haben – wir müssen sie nur nützen!« Wir rannten zurück in das geisterhafte Magazin. Ich überlegte, in welche Richtung wir fliehen sollten, als mich Fartuloon auf etwas aufmerksam machte. Er deutete auf das schwere Schott, das wir verriegelt hatten. An einer Stelle begann der Stahl dunkelrot zu glühen. »Sie fressen sich durch«, kommentierte Kastyr trocken. »Aber es wird dauern, bis das Loch groß genug ist, um einen Men schen samt Waffen hindurchzulassen.« . »Sie werden das Schott sprengen«, wider sprach Zergan sofort. »Glaubst du, sie wer den nur ein Loch bohren? Wir könnten jeden Eindringling ohne jegliche Schwierigkeiten ausschalten. Solange immer nur ein Mann in das Magazin eindringen kann, ist diese Akti on von Walm absolut sinnlos und selbstmör derisch.« Ratsuchend sah ich mich um. Ich sah die Augen der Männer, die hier steifgefroren
Armee der Seelenlosen darauf warteten, eines Tages erweckt und in den sicheren Tod geschickt zu werden. Die Augen waren ausdruckslos, aber ich hatte die grauenvolle Ahnung, daß diese Augen sahen. Was mußten die Männer empfinden, wenn sie sahen, wie wir uns bewegten – während sie zur Reglosigkeit verdammt wa ren? »Fartuloon!« rief ich leise. Der Bauch aufschneider eilte an meine Seite. »Kannst du die Männer aufwecken?« Fartuloon spitzte die Lippen und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich werde es versuchen«, versprach er. Ohne Pause machte er sich an die Arbeit. Zergan, Kastyr und ich bezogen zwischen den Stapeln Stellung. Der Fleck auf dem Schott hatte inzwischen die Größe meines Handtellers erreicht und schimmerte intensiv rot. »Wenn sie eine Hohlladung verwenden, geht es uns an den Kragen«, prophezeite Zergan, und dabei zeigte er einen Gesichts ausdruck, der in krassem Gegensatz zu sei nen Worten stand. Er strahlte einen ungebro chenen Optimismus aus. Kastyr hatte sich auf den Boden- gesetzt, mit dem Rücken ge gen einen Stapel gelehnt. Die Tatsache, daß sein Halt aus den tiefgefrorenen Körpern von Arkoniden bestand, schien ihn nicht zu beeindrucken. Umständlich sah er seine Waffe nach. Ab und zu wanderte sein Bück durch die Halle, und jedesmal, wenn sein Blick auf die Trümmer von Pysther fiel, sah ich, wie ein Funke in seinen Augen auf glomm. Fregur Walms Männer hatten von diesem jungen Raumsoldaten nur Haß zu er warten. Zergan kratzte sich am Kopf und stand langsam auf. Er vermied es, in jenen Bereich zu geraten, in dem ihn ein Strahl treffen konnte, wenn das inzwischen weißglühende Schott an dieser Stelle ein Loch erhielt. Während er gelassen eine Thermobombe nach der anderen gegen die Ränder des Schottes preßte, hörte ich hinter meinem Rücken Fartuloon rumoren. Der Bauchauf schneider knurrte unverständliche Worte in seinen Bart. Offenbar bereitete ihm die Wie
29 dererweckung der Männer mehr Schwierig keiten, als er geahnt hatte und laut zugeben wollte. »Jetzt können sie kommen!« brummte Zergan zufrieden, als er seine Thermobom ben verbraucht hatte. Insgesamt acht Stück hatte er an der Fassung des Schottes befe stigt. Ruhig zog Zergan seine Waffe, er ziel te sehr sorgfältig, dann schoß er. Eine Flammenkugel erstrahlte binnen we niger Sekunden vor uns zu unerträglicher Helle. Die erste der Thermobomben hatte gezündet. »Wenn die anderen jetzt ebenfalls hoch gehen«, durchfuhr es mich. Von uns würde nicht mehr als ein Häufchen Asche übrig bleiben. Unterdrückt stöhnend wichen wir zurück. Einge Millionen Kalorien tobten sich dort, auf engstem Raum zusammengeballt, aus. Metalldampf stieg auf und schlug sich an der kälteren Decke in Form eines grauwei ßen Staubes nieder, weiße Schmelzbäche liefen auf den Boden und schufen dort eine Lache, deren Hitze förmlich auf uns zu kroch. Die Bombe brannte dreißig Sekunden lang, dann ließ ihre Wirkung nach. Deutlich war an dem Schott zu erkennen, wo sie ihre vernichtenden Gewalten ausgetobt hatte. Zergan grinste zufrieden. Je mehr sich der Stahl des Schottes abkühlte, desto deutlicher war zu sehen, daß Zergan mit seiner Maß nahme Fassung und Tor miteinander ver schweißt hatte. Auf normalem Wege war dieses Schott niemals wieder zu öffnen, auch nicht von uns, wie mir schlagartig be wußt wurde. Der Fleck, der vorher weiß geglüht, hatte, war merklich dunkler geworden. Offenbar hatten die Männer auf der anderen Seite mit bekommen, was sich hinter dem Stahl ab spielte und sich vorsichtshalber zurückgezo gen. Zergan wartete nicht, bis sie zu neuen Aktionen ansetzen konnten – er zündete die zweite Thermobombe. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Zwei Minuten später war das Schott an vier Stellen unauflöslich
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mit der Fassung verschmolzen. »Genug jetzt!« wehrte ich ab. Ich deutete auf die lebenden Leichname. Sie lagen in einem Tiefschlaf, ihre Tem peratur lag unter dem Gefrierpunkt, aller dings nicht so weit,-wie man es hätte vermu ten können. Offenbar war den Männern der TU-UMAC ein neues Verfahren eingefallen. Ich fürchtete, daß es zu Störungen kommen würde, wenn die Temperatur im Innern des Magazins zu stark anstieg. Fartuloon tauchte auf. Er grinste über das ganze Gesicht. »Es ist ganz einfach«, verkündete er mir. »Man muß den Männern nur ein bestimmtes Serum injizieren. Sie werden innerhalb we niger Minuten wach.« Seine Miene verdüsterte sich schlagartig. »Ich habe mir die Formel für das Serum angesehen«, murmelte er mit kaum unter drücktem Abscheu. »Ich verstehe die Struk tur des Medikaments nicht ganz, eines aber ist für jeden, der sich auch nur ein wenig auskennt, unübersehbar – um an dieses Prä parat zu gelangen mußte der Erfinder mit Menschenleben experimentieren, wie kein Mediziner zuvor. Sofern man ein Ungeheuer dieser Machart überhaupt als Mediziner be zeichnen will!« Fartuloon trug in jeder Hand zwei Injekti onspistolen. »Helft mir!« forderte er uns auf. »Fangt mit den Männern an, die dem Schott am nächsten liegen. Wenn Walms Männer das Schott zerschießen, sind sie als erste in Ge fahr!« Wir machten uns sofort an die Arbeit.
* »Mit Thermostrahlern ist da nichts zu ma chen«, stellte Fregur Walm fest. »Die Kerle haben das Schott derartig mit der Fassung verschweißt, das kein Durchkommen ist.« Monther grinste zufrieden. »Die vier interessieren mich«, erklärte er. »Wenn sie erst einmal in unserer Gewalt sind, werden sie prächtiges Versuchsmateri-
al abgeben.« Fregur Walm schauderte bei diesem Ge danken, aber er hütete sich, diese Regung zu zeigen. »Wir werden ein tragbares Desintegrator geschütz einsetzen müssen«, verkündete er. Monther zuckte gelangweilt mit den Schul tern. »Ihre Sache, Walm. Geben Sie mir Be scheid, sobald sie die vier in ihrer Gewalt haben. Ich wäre Ihnen dankbar, würden Sie dafür Sorge tragen, daß das Material nicht allzusehr beschädigt wird.« Kildar Monther zog sich zurück. Eine neue Versuchsreihe wartete auf ihn. Monther hatte etwas entdeckt, das er bio nische Energie nannte, Lebensenergie. Er ar beitete an einem komplizierten Gerät, das gleichzeitig ein bionischer Absorber und ein PSI-Verstärker sein sollte. Rings um den Pa last, den Kildar Monther sich schon seit lan gem als Stätte seines künftigen Wirkens zu gestanden hatte, wollte er ein ganzes System solcher Geräte installieren. Wer immer es wagen sollte, sich dem künftigen Imperator der Galaxis zu nähern -(Kildar Monther kannte keinen Zweifel, daß er dieses hoch gesteckte Ziel erreichen würde) – würde bei jedem Schritt etwas von seiner Lebensener gie verlieren und so dazu beitragen, daß Kildar Monther zum einen unsterblich wur de und zum anderen die bei jedem Lebewe sen vorhandenen paraphysikalischen und pa rapsychologischen Fähigkeiten ins Extreme steigerte. Leider arbeitete Kildar Monthers Prototyp noch zu rapide, die Versuchsperso nen starben zu rasch, und die Übertragung auf Monther rief noch immer unangenehme Nebeneffekte hervor. Die Aktivierung von Monthers PSI-Fähigkeiten durch dieses Ge rät war schlechthin unzureichend zu nennen. Aber Kildar Monther war sicher, auch dieses Problem in absehbarer Zeit gelöst zu haben – einem Mann mit seinen Fähigkeiten war, so glaubte er, nichts unmöglich. Währenddessen mußten sich Fregur Walms Männer mit einem leichten Desinte gratorgeschütz, abmühen. Ungern griff
Armee der Seelenlosen Walm auf diese Waffe zurück. Desintegrato ren waren rar im Arkon-Imperium, die. wertvollen Handwaffen waren hohen und höchsten Offizieren vorbehalten, und die schweren Desintegratorgeschütze für Schiffseinheiten waren ebenfalls recht spär lich gesät. Um so wichtiger war dieses leich te Geschütz für Walms Truppe. Es erschien Walm fast als Entweihung, diese unersetz lich wertvolle Waffe gegen vier rebellieren de Gefangene einsetzen zu müssen, aber sein klarer Verstand sagte ihm, daß anders kein Erfolg möglich war. Daß das schwere Schott, das die vier so wirkungsvoll zuge schweißt hatten, keine Kristallfeldverstärker besaß, mit denen sich die Wirkung der Des integratorschüsse abfangen ließ, wußte Walm natürlich sehr genau. Schon bei den ersten Feuerstößen konnte von dem lästigen Schott nicht mehr übrigbleiben als eine ver wehende Wolke aus grünlich gefärbtem Gas. Ächzend, schwitzend und ab und zu leise fluchend brachten die Männer das Geschütz in Stellung. Die Mündung zielte auf das Schott. »Feuer!« kommandierte Fregur Walm. »Bald haben wir euch«, dachte er trium phierend. »Nur noch wenige Augenblicke, dann wird es euch leid tun, jemals unsere Bekanntschaft gemacht zu haben.« Die Wirkung des Beschusses war nicht zu übersehen. Ventilatoren saugten das entstan dene Gas auf, das größtenteils aus Eisen be stand. Der Desintegrator löste die intermole kularen Bindungskräfte auf, daher blieb von dem beschossenen Objekt in der Regel nichts als Gas übrig, das allerdings in fein ster Verteilung die gesamte Masse des des integrierten Stoffes enthielt. Es war nicht ratsam, diesen Feinstaub einzuatmen. Die Lungen mußten erst geschaffen werden, die es, vertrugen, mit etlichen Kilogramm fein sten Staubes verstopft zu werden. Fregur Walm lächelte verhalten. Für einen winzigen Augenblick tat es ihm fast leid, die vier Ausbrecher gefangennehmen zu müs sen. Sie hatten sich wacker geschlagen. Walm spürte sehr deutlich, daß diese vier
31 Männer von anderem Schlage waren als die reichlich feigen, dafür aber um so skrupello seren Gesellen, die er seine Gefolgsleute nannte. In diesem Augenblick wurde Fregur Walm einmal mehr bewußt, wie weit er be reits abgesackt war, daß er nicht einmal mehr den mindesten Anforderungen jenes Maßstabs genügen konnte, den er selbst für gültig erachtete. Und ihn beschlich das Gefühl, daß er noch tief er sinken würde.
* Hurther Kolfarn war sechsunddreißig Jah re alt, schlank und sehnig, ein Kämpfer von Format. Sein einziger Fehler war, daß er aus diesen seinen Fähigkeiten niemals das ge macht hatte, was möglich gewesen wäre. Hurther hätte brillant sein können, aber er hatte es immer wieder vorgezogen, im Mit telmaß oder darunter unterzutauchen. Be reits nach kurzer Zeit hatte Hurther in der Arkonflotte den Ruf eines Feiglings wegge habt, und, was noch schlimmer war, sogar Hurther selbst hielt sich für einen Feigling. Der Mut, sich dies selbst einzugestehen, war so ziemlich der einzige positive Charakter zug, den Hurther Kolfarn an sich hatte ent decken können. Folgerichtig war Hurther eines Tages zu der Einsicht gelangt, daß ein Feigling wie er in den Reihen erfahrener Raumsoldaten ei gentlich nichts zu suchen hatte. Nicht nur, daß er in kritischen Situationen sein eigenes Leben verlieren konnte, er war zudem auch noch eine latente Gefahr für seine Kameraden. Dieser Einsicht gemäß hatte es Hurther vorgezogen, das Ende des Großen Methan kriegs außerhalb der Raumflotte abzuwar ten. Hurther Kolfarn war desertiert. Das hatte sich als verblüffend einfach erwiesen. Man brauchte nur ein wenig Kleingeld, das Hur ther reichlich besaß, und das Glück, die rich tige Adresse zu kennen. Als Drückeberger der Sonderklasse hatte sich Hurther schnell in den Besitz aller einschlägigen Informatio
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nen setzen können, für ihn war es nicht schwer gewesen, Kontakte zu einer Flucht hilfeorganisation anzuknüpfen. Hurther Kolfarn war desertiert, weil er ein Feigling war.
* Er erwachte nur langsam. Als erstes ließen sich wieder die Augen bewegen. Es schmerzte, als das Hirn wieder damit begann, die Sinneseindrücke zu verar beiten. Die lange Zeit, in der er nichts weiter hatte tun können, als einen ganz bestimmten Punkt an der Decke zu betrachten, hatten bei ihm eine Art hysterischer Blindheit ausge löst. Er sah zwar, aber er nahm das Bild nicht mehr wahr. Jede Muskelfaser schmerzte, als er zum ersten Mal nach langer Zeit wieder die Au gen bewegte. Er hatte sich das Bild ausge malt, dazu brauchte er keine sonderliche Phantasie. Jetzt bestätigten sich seine Ver mutungen. Alles, was er erkennen konnte, waren Gesichter. Gesichter von Männern, in denen sich ebenfalls nur die Augen bewegen könnten. Der Wiederbelebungsschmerz fraß sich durch den Körper. Er ertrug diesen Schmerz verhältnismäßigleicht. Er wußte nicht, wie lange er in dieser Stellung verharrt war, seit wievielen Tagen, Monaten oder Jahren er steif gefroren in ei nem Regal gelegen hatte. Die Männer, die ihn zu diesem Schicksal verdammt hatten, hatten niemals das Licht erlöschen lassen. So war ihm das Zeitgefühl rasch abhanden gekommen. Nach seiner Schätzung mußten Jahrtausende vergangen sein. Langsam fiel es ihm ein. Er hatte einmal einen Namen gehabt. Hurther Kolfarn! . Die Zeit, in der ein winziger Impuls ausgereicht hatte, die Lip pen zu einem Lächeln zu verziehen, waren lange vorbei. Hurther mußte sich anstren gen, diese Bewegung zustandezubringen. Sie schmerzte. Wie eine Sturmflut fielen die Informatio-
nen über ihn her. Er begann sich zu erinnern. Als ihm klargeworden war, was man mit ihm angestellt hatte, hatte er sich zunächst hemmungslos dem Haß überlassen. Haarklein hatte er sich ausgemalt, wie er sich an seinen Peinigern rächen würde. Aber dieses Gefühl hatte nicht vorgehalten. Hur ther hatte sich zu fragen begonnen, wie er überhaupt in diese verzweifelte Lage hatte kommen können. Gut, er war ein Feigling gewesen, war de sertiert und von der Fluchthilfeorganisation hereingelegt worden. An der letzten Tatsa che ließ sich nichts ändern, es hätte sich auch vorher nichts ändern lassen. Die Ver brecherbande hätte auch ohne Hurther Kol farns Existenz Bestand haben können. Hur ther Kolfarn drehte die Zeit zurück: Er lag regungslos in einem Warenlager aus menschlichen Leibern. Warum? Man hatte ihn betäubt und mit einer Dro ge behandelt. Was aber war die Ursache da für? Hurther Kolfarn war desertiert. Dabei war er diesen Verbrechern in die Hände gefallen. Warum? Er war desertiert, weil er ein Feigling war. Warum? An diesem Punkt angelangt, hatte Hurther Kolfarn gewußt, was er zu tun hatte. Zeit hatte er in unbeschränktem Ausmaß zur Ver fügung gehabt, mehr Zeit, als ihm lieb sein konnte. Hurther Kolfarn hatte, sich nach den Gründen für seine Feigheit befragt, nach den Ursachen geforscht. Es war eine lange, qualvolle Prozedur ge wesen. Die grundlegende Einsicht war ihm verhältnismäßig rasch gekommen. Ein intel ligentes Lebewesen bestand aus Körper und Geist, beide Bestandteile wiederum waren von den Erbanlagen und den Umwelteinflüs sen geprägt. Ein Mensch konnte von Geburt an verkrüppelt sein oder später einen Unfall erleiden, der ihn verstümmelte. Traf das gleiche auch für den Geist zu. Hurther brauchte geraume Zeit, bis er ein sehen konnte, daß die Theorie eines erbli
Armee der Seelenlosen chen Einflusses auf die Persönlichkeit nichts weiter war als ein weiterer Fluchtweg vor der richtigen Erkenntnis. Damit hatte Hur ther Kolfarns eigentliche Arbeit begonnen. Er spürte, daß er die Finger bewegen konnte. Seine Atemzüge wurden tiefer. Hurther Kolfarn hatte erarbeitet, daß sich seine Persönlichkeit aus drei Elementen zu sammensetzte, dem Trieb, der Vernunft und dem Gewissen. Hurther hatte ein einfaches Beispiel gefunden, die Wirkungsweise die ser Faktoren zu demonstrieren: Beim Anblick einer attraktiven Frau wür de der Trieb sagen: »Los, 'ran an sie. Du wirst jede Menge Spaß haben!« Die Ver nunft würde einwenden: »Nur nicht, du ris kierst, ins Gefängnis gesteckt zu werden!« Und das Gewissen würde schelten: »Schämst du dich eigentlich nicht, über haupt an so etwas zu denken?« Hurther Kolfarn hatte damit begonnen, seine Erinnerungen zu durchforschen, nach jenen Umwelteinflüssen, die ihn zum Feig ling gemacht hatten, vor allem aber nach den Gründen, aus denen er zugelassen hatte, daß aus ihm ein Feigling wurde. Es war ein lan ger, qualvoller Prozeß gewesen, ein hart näckiger, unerbittlicher Kampf gegen Selbsttäuschung und Selbstmitleid. Hurther hatte seine Persönlichkeit förmlich in Stücke zerlegt, um sie anschließend neu zusammen bauen zu können. Das Lächeln bereitet jetzt keinen Schmerz mehr. Hurther Kolfarn lächelte breit. Er wußte, daß er nicht mehr lange zu le ben hatte. Man hatte den lebenden Leichna men spöttisch zu verstehen gegeben, was auf sie wartete. Trotzdem lächelte Hurther Kol farn. Mochte kommen, was wollte, er war kein Feigling mehr!
* Ich war nervös. Es war ein beklemmender Vorgang, zu verfolgen, wie allmählich das Leben in die steifen Körper zurückkehrte. Die Männer
33 begannen sich zu regen, sie krochen aus den Regalen, streckten und dehnten die Glieder. Kein Wort wurde gesprochen. Uns trafen finstere Blicke, und wenn ich den Gesichtsausdruck einiger Männer stu dierte, dann wurde mir klar, daß sie nur auf einen Fehler von uns warteten, um sich auf uns zu stürzen. Offenbar hielt man uns für die Urheber aller Leiden, die diese Männer hatten durchleben müssen. Ich deutete auf das Schott. »Fregur Walm und seine Männer sind da bei, dieses Hindernis zu entfernen!« sagte ich laut. »Nebenan sind Waffen gelagert!« Ich kehrte den Männern den Rücken zu, Fartuloon, Zergan und Ka-styr schlossen sich mir an. Hinter uns erklang das Scharren von Füßen. Dann legte sich eine Hand schwer auf meine Schulter. »Ihr gehört nicht zu Walms Männern?« Ich schüttelte den Kopf. »Weit eher gehören wir zu euch, das je denfalls hatte Walm mit uns im Sinn!« Ich drehte mich um und sah den Sprecher an, einen schlanken, sinnigen Mann mittle ren Alters. Merkwürdig, der Mann lächelte, obwohl er wissen mußte, daß er nicht mehr lange zu leben haben würde. »Ihr habt^ins geweckt?« Ich nickte. »Du weißt, daß dieser Vorgang nicht mehr umkehrbar ist? Wir sind aufgewacht und werden nun leben, bis uns die Droge den Tod bringt!« Ich erschrak heftig. Mit dieser Auswir kung hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht wäre es besser gewesen abzuwarten. Viel leicht wäre es uns gelungen, Walm und sei nen Verbündeten dazu zu zwingen, die Schläfer in normale Menschen zurückzuver wandeln. Mein Gegenüber konnte aus mei nem Mienen spiel ablesen, was ich dachte. »Wir machen dir keine Vorwürfe. Vergli chen mit diesem halben Tod, in dem wir uns befanden, ist der wirkliche Tod unbedeu tend.« Er wandte sich zu den anderen um und fuhr leise fort:
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»Freunde, bewaffnen wir uns. Fregur Walm soll spüren, mit wem er es zu tun hat!«
7. »Bald haben wir es geschafft!« Fregur Walm nahm die Nachricht unge rührt zur Kenntnis. Er konnte deutlich sehen, daß sich der Strahl des Desintegratorge schützes immer tiefer in den Stähl des Schottes fraß. Es war nur noch eine Frage weniger Minuten, bis das Hindernis über wunden war. Walm hatte sich gesagt, daß es wenig Sinn hatte, lediglich ein Loch in das Schott zu schießen. Dadurch wäre nicht mehr ent standen als ein Engpaß, der auf der anderen Seite von nur einem Mann verteidigt werden konnte. Walm hatte befohlen, mit dem Ge schütz die gesamte Fläche des Schottes zu bestreichen. Jetzt war von dem tonnen schweren Stahlblock nur noch eine zentime terdicke Platte vorhanden. Fiel auch sie, war der Zugang zum Magazin weit offen. »Haltet euch bereit!« sagte Walm. »Wahrscheinlich werden sie das Feuer eröff nen, sobald das Schott überwunden ist!« Die Männer, die für den ersten Sturman griff vorgesehen waren, nickten. Sie hatten sich in flugfähige Kampfkombinationen gehüllt und warteten darauf, die Energie schirme einschalten zu können. Nur wenn alle vier Eingeschlossenen gleichzeitig auf den gleichen Mann feuerten, entstand eine Gefahr, daß das Schirmfeld zusammenbre chen konnte. Fregur Walm leckte sich nervös die Lip pen. Das Desintegratorgeschütz bestrich die Oberkante des Schottes. Durch die grünli chen Schwaden desintegrierten Stahls hin durch sah Walm die Leuchtkörper des Ma gazins hindurchschimmern. Immer tiefer fraß sich der Strahl, Quadrat dezimeter um Quadratdezimeter des Schot tes löste sich auf und wurde abgesaugt. »Aufhören!« rief Walm. Die Geschützbe-
dienung erstarrte. »Zieht euch zurück und nehmt das Schott aus größerer Entfernung unter Beschuß!« Die Männer wechselten skeptische Blicke, aber sie gehorchten. Walms Befehl hatte zur Folge, daß sich die Auflösung des Schottes verzögerte. Was Fregur Walm mit dieser Anordnung bezweckt hatte, erwies sich wenig später. Aus dem Magazin kam, durch die entstan dene Lücke, ein dunkler, kleiner Körper ge flogen und schlug dicht neben der Stelle auf, an der vor wenigen. Minuten noch das Des integratorgeschütz gestanden hatte. Der Feuerball der Thermobombe hätte die Geschützmannschaft vernichtet, hätte sie sich dort noch aufgehalten. Die Kanoniere sahen sich erschreckt an, dann fiel ihr Blick auf Fregur Walm. Der Ausdruck der Hoch achtung war nicht zu übersehen. Walm gab ein Handzeichen. Der Sturmtrupp setzte sich in Marsch. Die Männer schwebten über die Glutgewalten der Thermobombe hinweg auf das Magazin zu. Nach kurzer Zeit waren sie hinter den Rauchschwaden verschwunden, die von der brennenden Verkleidung des Ganges aufstie gen und die Sicht verdeckten. Aus diesem Chaos von Feuer und Rauch ertönten Schreie, der Klang von Schüssen. Fregur Walm wartete. Der Kampflärm wurde lauter, einige von Walms Untergebenen begannen unruhig zu werden. Der Sturmtrupp hatte aus fünfzehn Mann bestanden, dieser Gruppe mußte es doch möglich sein, die vier Ausbrecher schnellstens auszuschalten. Woher der Kampf lärm, was hatte das zu bedeuten? In der Rauchwand tauchte ein Schemen auf und schwebte auf Fregur Walm zu. Der rechte Arm des Mannes hing schlaff herun ter, sein Gesicht war mit Blut bedeckt. In seinen Augen flackerte nacktes Entsetzen. »Was ist geschehen?« schrie Walm aufge regt. Er griff nach dem unverletzten Arm des Mannes und zog ihn an sich heran. »Rede, was ist da drinnen los?«
Armee der Seelenlosen Der Mann begann zu stottern. Undeutlich kamen seine Worte: »Sie haben die Seelenlosen aufgeweckt! Sie kämpfen gegen uns. Sie sind wach, alle sind wach!« Der Mann begann zu schreien. Walm setzte ihn mit einem Paralysatorschuß außer Gefecht. Dann holte er tief Luft. Sein näch ster Befehl wurde so ruhig gegeben, als sei überhaupt nichts vorgefallen. »Löst den Großalarm aus!«
* Der erste Angriff von Walms Männern war zurückgeschlagen. Für kurze Zeit hatte ich es bedauert, die Seelenlosen ins Leben zurückgerufen zu haben. Sie hatten keine Gnade gekannt. Wenn einer von Walms Männern ihnen in die Hände fiel, war dessen Schicksal besiegelt. Ich hatte die Seelenlosen nicht daran hin dern können, sie hörten nicht auf mich und meine Befehle. Unter ihnen waren mehrere höhere Offiziere, die sehr bald das Kom mando an sich gerissen hatten und keinen Widerspruch duldeten. Die Männer brannten vor Haß. Eine Merkwürdigkeit fiel mir sehr bald auf. Ein großer Teil der Seelenlosen wirkte, tatsächlich so, als wären sie nicht ganz bei Sinnen. Ich hatte mich schon früher gefragt, wie Walm die Armee der lebenden Leichna me zu steuern gedachte; jetzt erhielt ich eine Antwort auf diese Frage. Je länger die künst liche Hibernation angedauert hatte, desto größer war der Zerfall der Persönlichkeit. Körperlich waren die Männer in Hochform, nur seelisch waren sie stark angeschlagen. Sie reagierten manchmal wie Automaten. Einmal sah ich, wie zwei selbsternannte Of fiziere fast gleichzeitig zwei sich teilweise widersprechende Befehle brüllten. Innerhalb weniger Sekunden verloren die Männer die Orientierung. Anstatt, wie sie es früher si cher getan hätten, auf eigene Faust und nach eigenem Ermessen zu handeln, liefen sie kopflos durcheinander und waren erst dann
35 wieder verwendungsfähig, als sich die bei den Offiziere geeinigt hatten, wer von bei den den Oberbefehl haben sollte. Fregur Walm dachte nicht daran, uns das Magazin zu überlassen. Immer neue Trup pen schickte er in den Kampf. Zwischen den wiedererweckten Deserteuren und den Män nern unter Fregur Walms Führung entbrann te eine förmliche Schlacht. Der erste Teil dieses Gefechts war bald zugunsten der Deserteure entschieden, sie drängten Walms Männer zurück. und er oberten immer größere Bereiche des unterir dischen Systems von Gängen und Kammern. Aber Walm dachte nicht daran zu kapitu lieren, er schickte ausgeruhte Kräfte in den Kampf, die den Deserteuren hart zusetzten. Zergan und Kastyr beteiligten sich an die sem Kampf, sie wollten den Tod ihres Freundes Pysther rächen. Uns hatten sie völ lig vergessen. Das war mir nur recht, denn es erschien mir riskant, die beiden Männer auf meinem Weg weiterzuschleppen. Sie hatten wenig mit mir gemein, waren keine Vertreter unserer Sache. Je früher es ihnen gelang, sich selbständig zu machen, um so besser für sie. Zergan und Kastyr waren si cherlich hervorragende Soldaten, aber zum Untergrundkampf waren sie nicht geboren. »Verziehen wir uns!« murmelte Fartuloon in mein Ohr. »Bei diesem Durcheinander wird unser Fehlen kaum auffallen. Walm wird genug mit den Deserteuren zu tun ha ben!« Ich nickte. Vorsichtig zogen wir uns aus der Kampflinie zurück. Wir interessierten uns für den Lagerraum, in dem die Waffen für die Armee der Seelenlosen untergebracht waren. Vielleicht gab es dort einen Ausgang, den wir übersehen hatten. Hinter uns tobte eine mit aller Erbitterung geführte Schlacht. Strahlschüsse spannen ein wirres Netz feuriger Bahnen durch die Räu me, Thermobomben explodierten und setz ten weite Bereiche in Flammen. Mir fiel ein geradezu erschreckendes Phänomen auf. Die Deserteure starben schweigend. Ob sie von Strahlschüssen getroffen wur
36 den, von herabfallendem Gestein erschlagen wurden oder in den Feuerbällen der Thermo bomben vergingen – sie schrien nicht. Sie starben schweigend, als wäre ihr Tod keiner besonderen Gemütsäußerung wert. »Diese Verbrecher«, knirschte Fartuloon. »Was sie aus den Männern gemacht haben, ist grauenvoll!« Wir verließen den Kampfplatz. Eine zweite Gruppe von Angreifern hatte sich des anderen Schottes angenommen und versuchte so, in den Rücken der Deserteure zu gelangen. Währenddessen hatten die De serteure unser Wiedererweckungsprogramm fortgesetzt, ihre Zahl vergrößerte sich. Nach kurzer Zeit waren sie in der Lage, an dem anderen Schott eine zweite Kampflinie auf zubauen, die nicht minder hart umkämpft war als die erste. Wir hörten davon nur den Lärm, der bis in die Waffenkammer herüberklang. Das Arse nal war inzwischen weitgehend leer. Dabei war auch eine kleine Tür freigelegt worden, die uns förmlich in die Augen sprang. Fartu loon drehte sich zu mir um und kicherte zu frieden. »Was habe ich gesagt«, meinte er. »Es hätte mich gewundert, wenn unser Freund Walm nicht dafür gesorgt hätte, daß es über all Schlupflöcher gibt, durch die er im Not fall entfliehen kann.« Das Schloß der Tür zu knacken, erwies sich als geringfügiges Problem. Eine Salve aus unseren Waffen genügte, um die Tür zu öffnen. Dahinter erschien, vom Rot des glühheißen Stahls der Tür erhellt, ein langer Gang, gerade groß genug für einen aufrecht gehenden Mann. Wir warteten einige Au genblicke, bis sich das Metall etwas abge kühlt hatte, dann schlüpften wir durch die Öffnung. »Sohn, was meinst du?« Fartuloon hielt mir drei Sprengranaten un ter die Nase. Ich zögerte. »Was hast du damit vor?« wollte ich wis sen. Fartuloon deutete auf das Ende des Gan ges.
Peter Terrid »Diese Tür ist nicht zu übersehen. Ich will das Ende sprengen, damit der Gang an die ser Stelle zusammenbricht. Das Risiko ist, daß dieser Gang vielleicht eine Sackgasse ist und wir dann keinen Ausgang mehr finden!« Ich wog die Möglichkeit hastig ab, dann nickte ich. Es hätte jeder Vernunft wider sprochen, hätte dieser Gang keinen Ausgang gehabt – warum hätte man ihn sonst anlegen sollen. Ich fügte zur Fartuloon Sammlung noch eine Thermobombe dazu. Fartuloon aktivier te den Zündmechanismus. Uns blieben nur zehn Sekunden, dann mußten wir in Sicherheit sein. Andernfalls würde der zusammenstürzende Gang uns be graben. Wir rannten, was unsere Lungen herga ben. Wie weit wir dabei gekommen waren, wußte ich nicht. Ich spürte nur, wie mich die Druckwelle erfaßte und nach vorne warf. Ich schrie auf, als ich mit dem Bauchaufschnei der zusammenprallte. Fartuloon erwiderte meinen Schrei und ging ebenfalls zu Boden. Der Untergrund zitterte und bebte, aus ei niger Entfernung war das unheilverkündende Grollen der zusammenstürzenden Felsen zu hören, in die man den Gang hineingetrie ben hatte. Der Lärm dröhnte in unseren Oh ren und machte uns fast taub. Eine Staub wolke fegte durch den Gang und legte sich auf unsere Lungen, wir mußten krampfhaft husten, um einigermaßen atmen zu können. Dann kam die Hitze. Die von mir gezündete Thermobombe verschmolz das herabgestürzte Gestein zu einem massiven Block, der eventuellen Ver folgern allerhand Schwierigkeiten machen würde. In dem engen Gang hatte die Hitze naturgemäß wenig Möglichkeiten, sich aus zubreiten. Über uns strich ein Feueratem hinweg, der sich in die Haut fraß und das Atmen zur Qual machte. Fast glaubte ich spüren zu können, daß meine Haare zu glim men begannen. Die Temperatur war kaum zu ertragen, schon nach wenigen Sekunden war ich in Schweiß gebadet. In dicken Trop fen lief mir die Flüssigkeit über die Stirn,
Armee der Seelenlosen versickerte in den Achselhöhlen und ließ meine Kleidung am Körper festkleben. Als Abkühlung half das wenig, es verstärkte nur das Unbehagen, das wir empfanden. Außer dem wurde so der feine Staub in unsere Kleidung förmlich hineingekocht. »Wir müssen weiter!« ächzte Fartuloon. Ich schlug ihm einmal7 bestätigend auf die Schulter, zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich versuchte gar nicht erst, mich mündlich zu äußern, ich wußte, daß ich nur ein inhaltsloses Krächzen und Würgen zu stande gebracht hätte. Ich spürte, wie sich Fartuloon bewegte. Er kroch auf allen vie ren, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Die Druckwelle der Explosion hatte in zwischen das Ende des Stollens erreicht, war dort zurückgeworfen worden und erreichte uns ein zweites Mal. Der Druck der zusam mengepreßten Luft tobte sich auf unseren Trommelfellen aus, die heftig zu schmerzen begannen. Vor meinen Augen erschienen farbige Schleier, ich spürte, daß ich nahe daran war, das Bewußtsein zu verlieren. Schlimmer noch als diese Gewalten war etwas anderes, ein Geräusch, das nur ab und zu zu hören war. Ein feines Knistern, dann ein heftiges Rumpeln. »Wir haben den halben Untergrund er schüttert«, dachte ich. »Hoffentlich stürzt nicht der gesamte Stollen ein!« Nur allmählich legten sich die Auswir kungen der Explosion. Im Nachhinein tat es mir fast schon leid, mein Einverständnis zu Fartuloons Wahnsinnsplan gegeben zu ha ben. Es hatte nicht viel gefehlt, und wir wä ren in dem Stollen umgekommen. Jetzt erst konnten wir uns wieder aufrichten und nor mal weitergehen. Sehen konnten wir nichts, der Gang war nicht erleuchtet, und wir hatten vergessen, einen Handscheinwerfer zu besorgen, ob wohl in dem Depot etliche dieser Geräte ge stapelt gewesen waren. »Was glaubst du, wo wir herauskommen werden?« flüsterte ich Fartuloon zu. Ich mußte husten, um den lästigen Staub aus meinem Rachen entfernen 2u können.
37 »Entweder auf der Oberfläche eines Pla neten«, sagte der Bauchaufschneider gelas sen, »oder im freien Raum, wenn es sich nur um einen Asteroiden handelt. Im letzten Fall …« Er brauchte kein Wort darüber zu verlie ren. Falls es sich um einen Planetoiden han delte, waren wir übel in der Klemme. Zu rück konnten wir nicht mehr, der Weg nach vorn fand in diesem Fall früher oder später ein natürliches Ende. Zu allem Überfluß er tönte wieder das Knistern und Knirschen des Gesteins. Meine Befürchtung, daß wir uns im Innern eines Asteroiden herumtrieben, wurde dadurch nur bestärkt. »Auf was tippst du?« erkundigte ich mich. Ich hatte eine Hand auf Fartuloons Schul tern gelegt, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Jetzt konnte ich fühlen, wie der Bauchaufschneider mit den Schultern zuckte – das war mir Antwort genug. »Stop!« Unvermittelt hielt Fartuloon an. Ich prall te gegen ihn, weil ich mehr meinen Besorg nissen nachgehangen hatte, als an den Weg zu denken. »Was gibt es?« »Ein Schacht!« erklärte mir der Bauch aufschneider. An der Veränderung seiner Rückenmuskulatur konnte ich fühlen, daß er die Umgebung abtastete. Ab und zu hustete Fartuloon, offenbar versuchte er auch, sich am Schall ein Bild seiner Umgebung zu er arbeiten. »Ein Schacht«, wiederholte Fartuloon. »Er führt senkrecht nach oben, wie hoch, weiß ich allerdings nicht!« »Ein Antigrav?« Wieder zuckte der Bauchaufschneider mit den Schultern. Zu zweit tasteten wir uns an den Wänden entlang. Ich fand kleine Felsvorsprünge, die mir die Haut aufrissen, Spalten, in denen ich mir fast die Finger brach, Fartuloons Bart (der Bauchaufschneider beantwortete mei nen Zugriff mit einem wütenden Knurren), aber keinen Schalter, der einen etwa vorhan
38 denen Antigravschacht aktiviert hätte. »Sei ganz ruhig«, forderte ich Fartuloon auf. »Ich will kein Geräusch von dir hören!« Fartuloon erstarrte. Ich nahm meine Waf fe und hielt sie in die Höhe. Dann ließ ich sie fallen. Das Experiment war ziemlich einfach, al lerdings nur mit Hilfe des Extrahirns zu lö sen. Der Schall vom Aufprall der Waffe auf dem Boden mußte sich, dem Naturgesetz entsprechend, nach allen Seiten, ausbreiten. Ich brauchte nur zu warten, bis das Echo dieses Geräuschs von der Spitze des Schach tes zu mir zurückkehrte. Mein fotografisches Gedächtnis konnte dann ohne Schwierigkei ten ausrechnen, wie hoch der Schacht war. »Aauu!« lautete das Geräusch. »Bist du wahnsinnig geworden, du nichtsnutziger Bengel, auua, ausgerechnet auf den kleinen Zeh, ahh!« Etwas traf mich am Knie, und ich verlor den Halt. Offenbar hüpfte Fartuloon auf ei nem Bein auf dem Boden des Schachtes hie rum. Sollte ich die Waffe zufällig auf seine Füße fallen gelassen haben? »Und das mir«, jammerte Fartuloon. »Hast du gar keinen Respekt vor der Würde des Alters?« Langsam beruhigte er sich wieder. Ich versuchte alles, mich bei ihm für diesen Vorfall zu entschuldigen. Grummelnd und schimpfend nahm der Bauchaufschneider meine Entschuldigung an. Mein zweiter Versuch, etwas sorgfältiger angelegt, zeigte den gewünschten Erfolg. Der Schacht war nach der Berechnung des Extrahirns knapp dreißig Meter lang. »Wir haben keine andere Wahl«, erklärte Fartuloon. Seine Stimme hatte noch immer einen wehleidigen Unterton. »Wir müssen hinaufklettern!« Mich schauderte. Der Schacht durchmaß knapp einen Me ter, eher etwas mehr. Es war durchaus mög lich, in diesem Kamin ein Stück in die Höhe zu klettern. Aber dreißig Meter, und das oh ne jedes Hilfsmittel? Ich traute mir für ge wöhnlich einiges zu, aber vor einer solchen
Peter Terrid Bergsteigerleistung graute mir doch. Aber Fartuloon hatte recht, wir hatten tatsächlich keine andere Wahl. Fartuloon schob sich als erster in die Hö he. »Ich gehe voran«, erklärte er mir. »Sollte ich den Halt verlieren, weil du meine Geh werkzeuge ramponiert hast, sollst du wenig stens die Quittung für dein ungebührliches Betragen bekommen. Ich hätte dich viel öf ter verprügeln sollen. Die Sanftmut meines Alters hat dich davor bewahrt, öfter mit dem Stock Bekanntschaft zu machen!« Mir war es gleichgültig, welche Erzie hungsfehler der Bauchaufschneider beklag te, während er sich Meter um Meter in die Höhe schob. Ich hatte vollauf damit zu tun, ihm zu folgen. Die Wände des Schachtes waren glatt, sehr glatt sogar. Immer wieder rutschte ich mit einem Fuß ab. Dieser Aufstieg kostete Kraft, das merkte ich schon nach wenigen Metern. Und mit jedem Meter wuchs meine Befürchtung, daß mich die Kräfte verlassen würden -vermutlich einen Meter vor dem Ziel. Mein Atem ging stoßweise, mein Puls hämmerte. Aus meinen Augenwinkeln liefen Tränen, bei einem Arkon-Bürger ein siche res Zeichen großer seelischer Erregung. Ich spürte, wie die Schmerzen in meinen Beinen sich verstärkten. Ich war gut trainiert, aber derartigen, vor allem so einseitigen Bean spruchungen war ich nur selten ausgesetzt gewesen. Immer langsamer kam ich voran, ich hatte jedes Gefühl dafür verloren, wel che Strecke ich bereits zurückgelegt hatte. Ab und zu rutschte ich sogar ein Stück. Ich begann immer nervöser zu werden, meine Muskeln schienen sich zu verkramp fen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft. »Fartuloon!« stieß ich mühsam hervor. Die Stimme des Bauchaufschneiders ver riet eine ähnliche Erschöpfung, wie sie auch mich befallen hatte. »Was gibt es?« »Ich glaube, ich stürze ab!« Dann verlor ich das Bewußtsein.
Armee der Seelenlosen
8. Fregur Walm biß die Zähne zusammen. Die Armee der Seelenlosen machte ihm mehr zu schaffen, als er befürchtet hatte. Walm war intelligent genug, sich auszurech nen, was die Deserteure anspornte. Sie wuß ten, daß sie nicht mehr lange zu leben hat ten, und offenbar waren sie fest entschlos sen, auf ihrem Weg ins Jenseits so viele von Walms Männern voranzuschicken, wie sich nur erreichen ließ. Walm wußte, daß die nächsten Stunden die Entscheidung bringen mußten. Walm hatte alles aufgeboten, was ihm unterstand. Sogar die Mediziner der Station hatten zu den Waffen greifen müssen, um gegen die Armee der Seelenlosen anzutreten. Lediglich Kildar Monther hatte nicht in den Kampf eingegriffen. Er hatte sich damit entschuldigt, daß er zu viel zu tun habe. Walm hatte nur gelächelt, als er Monthers Erklärung gehört hatte. Der Mann war ein Feigling, daran gab es für Walm keinen Zweifel. Die Deserteure hatten beachtliche Teile der unterirdischen Anlage unter ihre Kon trolle bringen können, zum Glück für Fregur Walm hatten sie das Herz der Anlage noch nicht erreichen können. Gelang es den See lenlosen, den großen Reaktorraum zu errei chen, war der Kampf vermutlich entschie den. Wahrscheinlich würden die Deserteure den gesamten Komplex einfach in die Luft sprengen. »Ihr müßt besser zielen!« schrie Walm in das Mikrophon. Daß er sich nicht bei den Kämpfern auf hielt, hatte gute Gründe. Wenigstens ein Kommandogeber mußte eine hinreichende Übersicht über das Kampfgeschehen haben, um vernünftige Befehle erteilen zu können. Was sich im Innern der Station abspielte, wurde von zahlreichen Kameras erfaßt und in die Kommandozentrale weitergeleitet. Je derzeit konnte Fregur Walm die Lage über blicken. Er sah auch, daß sich ein Trupp De
39 serteure in eine Falle begeben hatte. Wenige Befehle genügten, um den versprengten Trupp einkreisen und ohne eigene Verluste vernichten zu lassen. Innerlich tobte Fregur Walm. Es war ein dummer Zufall, daß die vier Ausbrecher ausgerechnet in jenem Magazin herausgekommen waren, das die vergleichs weise frische Ware enthielt. Keiner der See lenlosen hatte dort länger als einige Monate gelegen. Die anderen Magazine, in denen Tausende von Kämpfern, in Transparentfoli en eingehüllt, seit teilweise mehreren Jahren auf ihre Erweckung warteten, waren noch unbehelligt. Dort hätte die Initiative der vier Ausbrecher zu einem ganz anderen Ergebnis geführt. An einer Stelle war Walms Leuten ein Durchbruch gelungen. Walm scheuchte eine Handvoll leicht Verletzter auf, diesen Vor stoß zu verstärken. Die Männer protestierten zwar, aber letztlich gehorchten sie doch. Walm ärgerte sich. Wenn er nur eine Möglichkeit gefunden hätte, einen Durch bruch zu den anderen Magazinen zu errei chen. Aber die Wege, die dorthin führten, waren von den Deserteuren besonders gesi chert. Ein Zufall nur, da war sich Walm si cher, aber ein höchst lästiger und unange nehmer Zufall. Dennoch zeichnete sich langsam ab, daß die Kämpfer der TUUMAC die Oberhand gewinnen mußten. Allmählich nur, aber un verkennbar wurden die Deserteure zurück gedrängt. Es würde Stunden dauern, sie alle zu vernichten, aber in Fregur Walm wuchs die Zuversicht, daß er es schaffen würde.
* Hurther Kolfarn schlich, flach gegen die Wand gepreßt, vorsichtig vorwärts. Er hatte eine winzige Kampfpause dazu benutzt, sich abzusetzen. Hinter ihm bewegten sich zwei Männer, die Hurther niemals zuvor gesehen hatte. Sie nannten sich Zergan und Kastyr und benahmen sich ein wenig anders als die übrigen Seelenlosen. Hurther vermutete, daß
40 die beiden zu den vier gehörten, die ihn und seine Leidensgenossen befreit hatten. Dieser Bereich der unterirdischen Station war menschenleer. Was immer Beine hatte, um zu laufen, und Hände, um eine Waffe zu führen, war an der Schlacht beteiligt, die mit unerbittlicher Härte geführt wurde. »Mir nach!« flüsterte Hurther. Er hatte eine Tür gefunden. Die Auf schrift besagte, daß dahinter die medizini sche Forschungsabteilung lag. Zwar wun derte sich Hurther, daß dieser Bereich, der für die gesamte Station lebenswichtig war, nicht gesondert abgesichert war, aber ihm kam der Leichtsinn nur gelegen. Geräusch los schwang die Tür auf, und Hurther sprang mit einem gewaltigen Satz über die Schwel le. Der Raum war leer. Nichts rührte sich. Zergan und Kastyr folgten rasch. Vorsichtig durchsuchten sie die Räume. Sie fahndeten nach Hinweisen, nach einem Plan der Station. Hurther Kolfarn interessierte sich für den Grundriß, weil er das Herz der Anlage such te. Dort mußte sich nach seiner Meinung die Person aufhalten, die für das grauenvolle Schicksal der Seelenlosen verantwortlich war. Zergan und Kastyr interessierten sich für den Plan, weil sie hofften, irgendwo ein kleines, raumtüchtiges Schiff erbeuten zu können, daß sie von dieser Schreckenswelt brachte. Fartuloon hatte den beiden Männern Koordinaten verraten, an denen sie Hilfe fin den würden. Kildar Monther interessierte sich für die Bewegungen der drei Eindringlinge, weil er mit ihnen ein neues Experiment beginnen wollte. Der Bio-Absorber war eingeschaltet. Vom Para-Verstärker, der mit dem Absorber ge koppelt war, liefen feine Drähte zu einer Haube auf Monthers Kopf. Vor dem Medizi ner stand die Bildwand mit ihren zahlrei chen Schirmen, auf denen sich die drei Ein dringlinge deutlich abzeichneten. Mit den vor ihm ausgebreiteten Instrumenten konnte
Peter Terrid Monther die Kameras steuern, das BioAbsorberfeld aufbauen und lenken und das Ausmaß der PSI-Verstärkung bestimmen. Kildar Monther lächelte. Das Experiment konnte beginnen.
* »Merkwürdig!« murmelte Zergan. »Diese Ruhe stört mich. Irgend etwas ist immer in der Luft, wenn es so ruhig ist. Ich wittere ei ne Teufelei!« Hurther zuckte mit den Schultern. Er durchstöberte die Diensträume eines führenden Mannes der Organisation der TU UMAC. Hurther stieß einen unterdrückten Freudenschrei aus, als er den Plan fand. Zergan und Kastyr traten näher. »Laß sehen!« Während Hurther Kolfarn sich vorwie gend mit dem Kernstück der Anlage be schäftigte, studierten Zergan und Kastyr die äußeren Bereiche. Die Station lag, das ging aus der Karte hervor, im Untergrund eines Planeten, der Serrogat hieß. Viel mehr ließ sich nicht ent nehmen. Hurther Kolfarn stellte fest, daß er sich bereits in der Nähe der Räume aufhielt, die sein Ziel waren. Seine Faust umklammerte mit verstärkter Kraft den Kolben seiner Waffe. Zergan leckte sich nervös die Lippen. Er hatte festgestellt, daß es in erreichbarer Nä he der MedoSek-tion einen kleinen Hangar gab. Ob dort Schiffe zu finden waren, blieb ungewiß. »Wir versuchen es«, bestimmte Zergan. Kastyr nickte knapp. »Dann trennen sich unsere Wege?« Hurther Kolfarns Äußerung war mehr ei ne Feststellung als eine Frage. Zergan und Kastyr sahen sich einen Augenblick lang an. »Pysther!« sagte Kastyr leise. Zergan nickte. »Wir helfen dir, dann verziehen wir uns. Einverstanden?« Hurther Kolfarn nickte.
Armee der Seelenlosen
41
*
*
»Endlich, sie kommen!« Die drei Männer mußten nur noch eine Tür durchschreiten, dann waren sie im Wir kungsbereich des Bio-Absorbers angelangt. Dann genügte eine kleine Fingerbewegung, um den Absorber einzuschalten. Kildar Monther zitterte vor Nervosität und perverser Vorfreude. Mit leuchtenden Augen verfolgte er, wie die drei Männer je ne Schritte machten, die sie immer näher brachten, sie, einem Experiment zuführten, von dessen Ausgang Kildar Monther fest überzeugt war. Ein Finger wurde bewegt, etwas klickte leise. Mit der linken Hand schob Monther einen stufenlosen Schalter langsam in die Höhe.
Kildar Monther war fassungslos. Die beiden Männer, die sich auf dem Bo den wanden, erstaunten ihn nicht. Solche Auswirkungen des Bio-Absorbers hatte er erwartet. Was aber war mit dem dritten Mann? Er hatte sich an den Kopf gefaßt, und sein Gesicht zeigte deutlich, daß er ebenfalls dem Einfluß des Absorberfelds unterlag. Warum lag er nicht ebenfalls am Boden und krümm te sich vor Schmerzen? Welche geheimnis vollen Kräfte besaß dieser Mann? Monther änderte die Einstellung des PSIVerstärkers. Wenn der dritte Mann paranor male Kräfte besaß, dann mußten sie über den Bio-Absorber Kildar Monther zufließen, aber nichts dergleichen geschah. Als Monther endlich begriff, was sich ab zuspielen begann, war es bereits zu spät. Er schrie entsetzt auf und warf die Arme in die Höhe. Seine Augen quollen hervor und schienen aus den Höhlen fallen zu wol len. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Gri masse des Entsetzens.
* Die drei Männer griffen sich an den Kopf. Urplötzlich waren die rasenden Schmer zen über sie hereingebrochen. Sie saßen im Nacken und fraßen sich von dort aus in den Schädel hinein. Es fühlte sich an, als würden ihnen mit glühenden Zangen Stück für Stück das Gehirn aus dem Körper hervorgezerrt. Kastyr stöhnte auf und brach in die Knie. Zergan wimmerte dumpf. Hurther Kolfarn schritt weiter, auf das Zentrum des Schmerzes zu. Schon im ersten Augenblick hatte er gewußt, daß dieser to bende, wütende Schmerz nicht natürlichen Ursprungs war. Mit jedem Schritt wurde dieser Schmerz stärker und stärker, aber Hurther Kolfarn hatte in der Einsamkeit sei ner Erstarrung ärgere Schmerzen auszuhal ten gehabt. Es gelang ihm fast ohne Schwie rigkeiten, den Schmerz beiseite zu schieben. Er kümmerte sich nicht um Zergan und Kastyr, die auf dem Boden lagen, sich krümmten und ohne Unterlaß schrien. Schritt für Schritt bewegte sich Hurther Kol farn vorwärts. Er wußte, daß er sich dem Ziel näherte.
* Der Kopfschmerz ließ nach. Hurther Kol farn konnte es deutlich spüren. Mehr noch, ihm schien, als gewänne er mit jedem Meter an Kraft und Entschlossenheit. Sein Schritt wurde weiter, seine Atmung verlangsamte sich etwas. Ein ihm völlig unbekanntes Glücksgefühl begann ihn zu durchströmen, gleichzeitig empfing er Impulse von Angst. Empfangen? Impulse? Hurther Kolfarn stoppte. Er dachte fieber haft nach. War er in der Zeit seiner Hiberna tion zum Telepathen geworden? Nach allem, was Hurther Kolfarn über paraphysikalische Phänomene wußte, war derlei ausgeschlos sen. Was aber war mit ihm vorgegangen? Hurther Kolfarn ging weiter. Er durch querte einen Raum nach dem anderen. Jetzt
42
Peter Terrid
orientierte er sich nicht mehr nach den Kopfschmerzen, die völlig aufgehört hatten, er folgte jenem unerklärlichen Einfluß, der ihn leicht und beschwingt zu machen schien. Von irgendwoher kam das sichere Be wußtsein, nicht mehr sterben zu müssen, je denfalls nicht mehr in der kurzen Frist, die ihm die Hibernation gelassen hatte. Woher kam dieses Bewußtsein? Endlich war Hurther Kolfarn am Ziel. Er stand dem Mann gegenüber, der aus ihm einen biologischen Roboter gemacht hatte.
* »Zu spät!« murmelte Hurther. Bereits der erst Augenschein bewies, daß hier keine Rache mehr möglich war. Hurther Kolfarn war um ein weniges zu spät gekom men. Sein Gegner lebte nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so, wie er es ge wohnt gewesen wä*. Hurther Kolfarn brauchte nur einen Blick, um zu ahnen, was geschehen war. Sein Gegenüber lag auf dem Boden, so steif und gerade ausgestreckt, wie seine Op fer dagelegen hatten, als man sie in das Ar senal der Leblosen transportiert hatte. Kein Muskel rührte sich, die Augen waren schreckensweit und offen. »Kildar Monther«, las Hurther das schma le Namensschild an der Jacke des Seelenlo sen. Der Kopf Monthers war von einer Haube bedeckt. Von dort aus führten feine Drähte zu zwei merkwürdig aussehenden Maschi nen, die leise summten. Huther zögerte nicht lange, er schaltete beide Anlagen ab. Auf einem der zahlreichen Kontrollbild schirme konnte Hurther Kolfarn sehen, wie sich langsam zwei Gestalten erhoben und ih re Gliedmaßen abtasteten. Er erkannte Zer gan und Kastyr. Sie lebten also noch. Nachdenklich betrachtete Hurther den starren Körper des Mediziners. Langsam dämmerte ihm, was geschehen war. Offenbar hatte Kildar Monther mit seinen
Apparaturen versucht, ihm und den beiden anderen jede Lebensenergie zu entziehen. Er hatte aber völlig vergessen, daß Hurtherv diese Energie vollständig verloren hatte, als er in den künstlichen Tiefschlaf versetzt worden war. Das bionische Vakuum in Hurther Kol farn war wesentlich stärker gewesen als die Absorptionsfähigkeit von Monthers Maschi ne. Ein winziger Augenblick hatte genügt, um den Prozeß einfach umzukehren. Jetzt durfte Kildar Monther das Schicksal auskosten, daß er so vielen bereitet hatte. Er würde am eigenen Leibe erfahren, was es hieß, ein biologischer Roboter zu sein. »Wahrlich, diese Strafe ist ge-, recht!« murmelte Hurther. Zergan und Kastyr scho ben sich in den Raum. Sie wirkten ungeheu er erschöpft, offenbar war das, was Mon thers Maschine ihnen entzogen hatte, eben falls auf Hurther übertragen worden. Zergan und Kastyr hörten sich schwei gend an, was Hurther Kolfarn ihnen zu be richten hatte. »Ist dieser Prozeß umkehrbar?« wollte Kastyr wissen. »Mit diesen Maschinen? Ja! Aber …« Kastyr wußte, was Hurther sagen wollte. Natürlich war es möglich, auch Kildar Monther wieder ins Leben zurückzurufen, so wie es mit Hurther geschehen war. Aber dies hätte in jedem Fall bedeutet, daß ein anderer an seiner Stelle zum Seelenlosen geworden wäre. Zergan und Kastyr wechselten einen Blick, dann zog Zergan seine Waffe und tö tete Kildar Monther. Hurther machte keine Anstalten, ihm in den Arm zu fallen. Er wußte, daß dieser Schuß für Küdar Monther eher eine Erlösung war, aber sein Rache durst war befriedigt. Genauer gesagt: seit er wußte, daß er leben würde, so intensiv und so lange wie jeder andere normale Mensch, war der Gedanke an Rache nebensächlich geworden. »Machen wir uns auf den Weg, wir haben nicht mehr viel Zeit!« Hurther nickte, dann zog er seine Waffe.
Armee der Seelenlosen Mit einer Salve von Schüssen zerstörte er die beiden Maschinen. »Damit ist genug Unheil angerichtet wor den«, stellte er fest, als von den Apparaten nicht mehr übriggeblieben war als ein stin kender Haufen zusammengeschmolzenen Metalls. Ohne weiteren Aufenthalt verließen die drei Männer die Forschungsstation. Sie sa hen nicht mehr, wie sich der Körper von Kildar Monther aufzulösen begann. In weni ger als zwei Minuten alterte der Körper und zerfiel dann. Nach zehn Minuten war nicht mehr verblieben als ein weißes Skelett, das auf dem Boden lag und ein alles überlagernder Verwesungsgeruch, der das ganze Labor füllte. Wenig später zerfielen auch die Knochen.
* »Habt ihr ein bestimmtes Ziel?« Hurther Kolfarns Frage war beiläufig. Er selbst wuß te nicht, wohin er sich wenden sollte. Im Ar kon-Imperium wurde er als Deserteur ge sucht, der beim ersten Zusammentreffen mit den Behörden des Imperators um seinen Kopf zu fürchten hatte. Auf – oder besser unter- Ser-rograt zu bleiben, war glatter Selbstmord. »Wir haben Koordinaten bekommen«, be richtete Zergan. Er war zu erfahren und be sonnen, um sofort zu verraten, von wem er die Koordinaten bekommen hatte. »Uns wurde gesagt, dort könnten wir das Ende des Krieges in Ruhe abwarten – oder das Ende des jetzigen Imperators.« »Das dürfte auf das gleiche hinauslau fen«, bemerkte Hurther Kolfarn. Er ging, als habe er nicht mehr das ge ringste zu befürchten, mit weitausgreifenden Schritten und Bewegungen, die seine Zuver sicht deutlich machten. Zergan begriff, wie sehr es Hurther genoß, wieder unter die Le benden zurückgekehrt zu sein. Diese Tatsa che gab ihm neue Kraft und ein schier uner schöpfliches Selbstvertrauen. Sie stießen auf keinerlei Widerstand, als
43 sie zum Hangar vorstießen. Zergan verzog zufrieden das Gesicht, als er feststellte, daß der Hangar alles enthielt, was sein Herz be gehrte. Am meisten freute er sich über eine schnittige Privatjacht, eine elegante Kon struktion. Die Tatsache, daß das Schiff am Bug den Namen des Besitzers trug – Hel caar Zunth -störte ihn nicht. Er bot ihm viel mehr Gewähr, daß die Jacht auf dem best möglichen technischen Stand war. »Leicht zu bedienen, dabei wendig und von großer Reichweite«, freute sich Kastyr. »Nur …!« Betroffen sahen sich die beiden Raumsol daten an. Sie konnten zusätzlichen Urlaub herausschinden, erstklassige Lebensmittel besorgen, sich an den unmöglichsten Kampfabschnitten den streng verbotenen Schnaps beschaffen, sie kannten kaum ein Problem, das sie durch Findigkeit und eine gehörige Portion Dreistigkeit nicht hätten lö sen können. Nur ein Raumschiff fliegen konnten sie nicht. »Kannst du …«, – Kastyr sah die Rangab zeichen auf den Schultern von Hurther Kol farn – »können Sie …« »Ich kann«, versicherte Hurther grinsend. »Auf die Plätze, Freunde. Wir verlassen die se Welt. Ich fliege, und ihr sagt mir die Ko ordinaten!« Zergan rasselte die Daten herunter. Hur ther machte ein nachdenkliches Gesicht. »Irgendwo habe ich diese Zahlen schon einmal gehört.« »In welchem Zusammenhang?« Hurther zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht mehr, nur – ein sonderlich erfreulicher Zu sammenhang war es nicht!«
9. Als ich zu mir kam, war es hell rings um mich. Ich sah das bärtige Gesicht des Bauch aufschneiders über mir. »Was ist passiert?« fragte ich und ver suchte den Schmerz zu unterdrücken, der in
44 meinem Schädel raste. »Du bist den Schacht hinabgefallen, Sohn«, eröffnete er mir. »Wenn ich nicht zum gleichen Zeitpunkt das Ende erreicht und den Antigrav aktiviert hätte, wärest du jetzt tot.« Eingedenk der Kopfschmerzen fand ich diese Aussicht fast schon tröstlich. »Es ist also ein Antigravschacht?« »Du kannst dich selbst davon überzeugen. Steh endlich auf! Habe ich dich dazu erzo gen, den Wehleidigen zu mimen?« Hastig sprang ich auf die Füße und verbiß mir das Jammern, obwohl ich mich elend fühlte. Entweder war dies eine Spätwirkung der Droge, die man mir injiziert hatte, oder ich war trotz des Antigravf elds auf den Kopf gefallen. Ich stand wieder auf dem Boden des Schachtes. Das einzige, was sich geändert hatte – wenn man von meinen Kopfschmer zen absah -war, daß sich an einer Stelle ein Stück der Wand zur Seite geschoben hatte. Die Fläche war kaum handtellergroß, dahin ter sah ich die Bedienungshebel des Schach tes. Kein Wunder, daß wir sie nicht gefun den hatten. Sie waren so hervorragend ge tarnt, daß wir sie selbst bei Licht nicht ent deckt hätten. Langsam schwebten wir in die Höhe. Ich war mir nicht ganz sicher, ob diese rasche Veränderung des Luftdrucks nicht Auswir kungen auf meine Kopfschmerzen haben würde, aber Fartuloon trieb mich in die Hö he. Oben angekommen, stellten wir fest, daß wir in einer kleinen Schleusenkammer ge landet waren. Nachdenklich betrachtete ich die Apparaturen. »Was mag auf der anderen Seite der Schleuse sein?« rätselte ich. »Die Angele genheit bereitet mir Kopfschmerzen!« Fartuloon sah mich ergrimmt an und rollte drohend mit den Augen. »Siehst du hier Druckanzüge herumlie gen?« fragte er mich. »Nein, folglich sind die atmosphärischen Verhältnisse auf der anderen Seite die gleichen. Du brauchst dir
Peter Terrid keine Sorgen zu machen!« »Mag sein«, gab ich zu. »Aber vielleicht ist dieser Schacht von Wesen angelegt wor den, die gar keine Anzüge brauchen. Viel leicht atmen sie nicht einmal, weil sie – bei spielsweise – keine Köpfe dazu haben. Be neidenswert, solche Wesen, sie brauchen nie Angst vor …« Als Fartuloon die Fäuste ballte, ver stummte ich. Er wäre imstande gewesen, mich zu schlagen – womöglich gar auf den Kopf. Mit wenigen sicheren Handgriffen öffnete Fartuloon die Schleuse. Frische, klare Atem luft wehte uns entgegen. Ich atmete tief ein, vielleicht half das … Vorsichtig traten wir aus der Schleuse. Draußen war heller Tag, die Sonne strahlte auf die Landschaft herab. Unwillkürlich sah ich mich nach etwas um, mit dem ich mich vor den sengenden Strahlen schützen konn te. Fartuloon spähte nach oben. Er versuchte, am klaren Himmel Sterne zu erkennen. Im Zentrum von Tahntur-Lok waren oft auch am hellen Tage Sternkonstellationen zu er kennen, aber hier schien die Sonne so grell, daß nichts zu erkennen war. Ich sah mich derweilen in der Landschaft um. Von der Naturlandschaft war nicht viel zu erkennen. Der größte Teil der Fläche war bebautes Land, vollgepflastert mit Stahlbe ton und Glas. Wir sahen ein besonders großes Gebäude, an der Seite den nicht zu übersehenden, flimmernden Schriftzug: TUUMAC. »Auch das noch!« seufzte Fartuloon auf. Allem Anschein nach betrieb die TUU MAC auf dieser Welt gleich zwei Stationen, eine öffentliche auf dem Boden des Planeten und eine geheime unter dem Boden. Das Problem war, wieviel die beiden Stationen voneinander wußten? Konnten wir uns an die Leitung der oberirdischen Station wen den – in der Hoffnung, daß deren Leitung nichts . von den Umtrieben unter ihren Fü ßen wußte?
Armee der Seelenlosen »Dort!« rief Fartuloon plötzlich und wies in die Höhe. Der Planet bekam Besuch. Ich zählte acht Schiffe, die sich langsam auf den Boden herabsenkten. »Schiffe der Arkonflotte«, rief Fartuloon aus. »Helcaar Zunth hat geredet!« »Er sagt die Wahrheit«, meldete sich das Extrahirn. Die plötzlich in mir aufkeimende Frage, ob auch das Extrahirn Schmerzen kannte, wurde zurückgedrängt von anderen Proble men. Es galt die Beine in die Hand zu neh men, andernfalls liefen wir Gefahr, erneut in Gefangenschaft zu geraten.
* Die Schlacht um Serrogat war so gut wie entschieden. An allen Fronten befanden sich die Seelenlosen im Rückzug. Der Über macht der TUUMAC-Leute hatten sie, vor allem, was die technische Ausrüstung an ging, nichts entgegenzusetzen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der letzte See lenlose ausgeschaltet war. Dennoch wußte Fregur Walm, daß auch die TUUMAC in diesem Kampf einen ho hen Preis zu zahlen gehabt hatte. Er schreckend hatten die Seelenlosen in den Reihen ihrer Gegner gewütet. Selbst in aus sichtslosen Lagen hatte ihr alles überwin dender Haß sie zu unvermuteten Aktionen getrieben, die manches Leben gefordert hat ten. Nur sehr langsam hatten sich die TUU MAC-Kämpfer auf einen Gegner einstellen können, der bei seinen Aktionen keinerlei Rücksicht auf die eigene Existenz kannte. Walm begann sich bereits auszudenken, was er Helcaar Zunth erklären sollte, als ein Bote hereingestürzt kam. Das Gesicht des Boten war weiß wie der Plastikstreifen, den er Walm übergab. Walm las, und mit jedem Wort stieg seine Erregung. Acht Schiffe der Arkonflotte waren über Serrogat aufgetaucht und verlangten die Übergabe der Station der TUUMAC –
45 zwecks Untersuchung eines Verbrechens des Hochverrats, wie es im gehobenen Jargon der Bürokratie hieß. Fregur Walm wußte nur zu gut, was dies bedeutete. Er kannte Raumsoldaten jedes Schlages, und er war sich sicher, daß die Männer an Bord der acht Schiffe nicht ruhen würden, bis s'e auf Serrogat das unterste nach oben gekehrt hatten. Es war unver meidlich, daß sie dabei auch die unterirdi schen Teile der Station fanden. Was die Sol daten dann mit den Männern der TUUMAC anstellen würden, wenn sie ihre steifgefrore nen Kameraden vorfanden, wagte sich Fre gur Walm gar nicht erst auszumalen. Die Lage war verzweifelt. Unter seihen Füßen bekämpf ten sich De serteure und TUUMAC-Angehörige auf Le ben und Tod, über ihm arbeiteten einige Dutzend Mitarbeiter der TUUMAC, die von dem Treiben unter dem Erdboden nicht das geringste wußten – und in der Luft hingen acht Raumschiffe mit zwei kompletten Raumlandedivisionen an Bord, nebst Kampfrobotern, Panzerfahrzeugen und al lem, was nötig war, um einen Planeten zu erobern oder zu vernichten. Über Walms Gesicht glitt der Anflug ei nes Lächelns. »Richtig!« murmelte er in einem Anflug hysterischer Heiterkeit. Mit wem kämpften seine Männer? Mit Deserteuren. Was waren die: Männer, die noch immer in den Arsenalen auf ihren Einsatz warteten? Deserteure! Walms Entschluß stand nach einer Sekun de fest. Der Weg zu den anderen Arsenalen war gerade freigekämpft worden. »Mobilisiert die Armee, die ganze Armee der Seelenlosen!« Jetzt kam es nur darauf an, daß der Kom mandant der acht Schiffe ihm genügend Zeit ließ, diese Aktion auch einzuleiten.
* Der Kommandant der kleinen Flotte hieß Kyslor Hagthar, trug zwei Sonnen und ein
46 stets gelangweilt dreinblickendes Gesicht zur Schau. Er war bereits verärgert. Vor ei ner Stunde, kurze Zeit nach dem Eintauchen der Flotte in den Raumbezirk um den Plane ten Serrogat hatten die Strukturtaster festge stellt, daß ein kleines Boot gerade das Sy stem verlassen hatte. Zum Leidwesen des Kommandanten war nicht herauszubekom men gewesen, wohin dieses Schiff geflogen war. Die ersten Vögel waren also schon ent kommen, um so wichtiger war es nun, das Netz so rechtzeitig auszubreiten, daß keiner der Gesuchten entwischen konnte. »Twellzock, setzen sie ihre Raumlande truppen ab!« Der einfache Sonnenträger, Kommandant der JERRAWON, nickte zum Zeichen daß er verstanden hatte. Nacheinander setzten die Schiffe ihre Truppen ab. In Zehnergruppen schwebten die Männer aus den Luken, sammelten sich in der Luft zu Hundertschaften und kamen, da sie auf keinen Widerstand stießen, in for mierten Tausendschaften auf dem Boden an. Wenig später landete das erste schwere Ge rät und wurde aufgebaut. Um die nicht zu übersehende Station der TUUMAC war nach kurzer Zeit ein Ring gezogen, der nicht mehr zu durchbrechen war. Kyslor Hagthar schätzte, daß sich höch stens einhundert Personen in der Station auf hielten. Er war kein Mann der hastigen Im provisationen, er zog langsamere, bewährte Verfahren vor. Wenn der Gegner ihm Zeit dazu ließ, um so besser. Der Ring um die Station wurde dichter und dichter. Geschütze wurden in Stellung gebracht, zur Hälfte für Bodenkämpfe, zur Hälfte für die Luftabwehr bestimmt. Wäh renddessen wurden die Geschütze der acht Schiffe auf die Gebäude der Station gerich tet. Kyslor Hagthar lächelte selbstgefällig, als die Vollzugsmeldungen bei ihm eintrafen … »Geben Sie der Station eine letzte Frist. Wenn nicht innerhalb einer halben Stunde die gesamte Besatzung ohne Waffen die Sta tion verlassen hat, werde ich den Angriff be-
Peter Terrid fehlen. Und machen Sie denen da unten klar, daß sie es mit mir zu tun haben, mit dem zweifachen Sonnenträger Kyslor Hagthar!«
* »Dieser zweifache Dummkopf!« kicherte Fregur Walm. Er fand seine Lage ungemein erheiternd. Daß er keine Chance mehr hatte, wußte er besser als jeder andere. Aber noch hatte er Mittel in Reserve, von denen sich der hochwohlgeborene Sonnenträger nichts träumen ließ. Die Aktion Wiedererweckung lief auf vollen Touren. Bereits jetzt zählte die Schar der Seelenlosen aus den großen Magazinen nach Tausenden, und es wurden mit jeder Minute mehr. Aber das waren nicht die letzten Mittel, die Fregur Walm einzusetzen gedachte. Sei ne rechte Hand strich vorsichtig über einen rotmarkierten Schalter. Eine Handbewegung genügte, um das Blatt zu wenden. »Wenn es nur ein Schiff wäre!« seufzte Walm auf. In diesem Fall hätte er noch eine Chance gehabt. Wenn die Vorgänge auf Serrogat ex akt mit einem Fluchtversuch koordiniert wurden, hatte er durchaus gute Aussichten, mit einem schnellen Boot zu entkommen – nicht aber, wenn über der Station acht große Einheiten der Raum-flotte hingen. Offenbar hatte Helcaar Zurith geredet, und mit der für ihn typischen Kraftmeierei hatte Orbana schol sofort wieder nach den stärksten Kali bern gegriffen. Auf den Kontrollbildschirmen sah Fregur Walm, wie die Seelenlosen ihre Stellung be zogen. Es wurde Zeit. Walm preßte den Schalter in seine Fas sung.
* Erschreckt sah Kyslor Hagthar die Rauch wolken, die plötzlich aus den Gebäuden der Station hervorquollen. Offenbar war auch
Armee der Seelenlosen die Besatzung der TUUMAC-Station davon überrascht, sie stürzte in wilder Flucht aus den Gebäuden und lief den wartenden Raumsoldaten in die Arme … »Näher!« forderte der zweifache Sonnen träger erregt. Er ahnte, daß sein Gegner eine Teufelei ausgeheckt hatte. Rings um die Station tauchten plötzlich Geschützkuppeln auf, Männer quollen wie Ameisen aus verdeckten Gängen. Sie gingen ohne Zögern zum Angriff über und fielen den Raumlandetruppen in den Rücken. In den Reihen der Flottensoldaten entstand Un ruhe. »Die Station besetzen!« forderte Hagthar erregt. Der Befehl wurde weitergegeben und mit der für Arkonsoldaten typischen Korrektheit ausgeführt. Die ersten Soldaten drangen in die Station ein. »Fernanalyse!« schrie eine Ordonnanz, die erregt in die Zentrale gestürzt kam. »Haltung!« forderte der Kommandant. In der vorgeschriebenen Haltung übergab die Ordonnanz die Auswertungsergebnisse der Fernanalyse. Kyslor Hagthar erschrak. Der Bericht besagte nicht mehr und nicht weniger, als daß der größte Teil der Station gesprengt worden war. Dabei wurden Hun derte von Tonnen Chemikalien in die Luft gelassen, Duftstoffe, Giftgase und Psycho pharmaka der unterschiedlichsten Wirkung. In der Nähe der Station verwandelte sich die Szenerie zum Chaos. Männer warfen ih re Waffen fort und liefen schreiend durch einander. Andere hockten sich auf den Bo den und brachen in Weinkrämpfe aus, wie der andere wälzten sich lachend auf 'lem Bo den und waren nicht zu bewegen, den Kampf wieder aufzunehmen. Und mitten unter den Soldaten tobten ei nige Tausend Rebellen, ebenso angeschla gen und von den Chemikalien angegriffen wie die Soldaten. Sie zeigten andere Ausfal lerscheinungen, Tobsuchtsanfälle, Tanzwut und Körperkrämpfe, die alle Gliedmaßen unkontrolliert zucken ließen.
47 Der zweifache Sonnenträger Kyslor Hagt har zögerte nicht lange, bis er seinen Befehl gab. »Macht die Station dem Erdboden gleich!«
* Fregur Walm kicherte hemmungslos in sich hinein. Handtellergroße Brocken fielen von der Decke herab. Die Gänge waren erfüllt vom Kreischen des verbogenen Stahls, vom dumpfen Grollen zusammenbrechender Gänge. Längst waren sämtliche Verbindungen zur Außenwelt abgeschnitten, nur die Kameras funktionierten noch. Fregur Walm hatte zugesehen, wie die Geschütze der acht Schiffe die Station be schossen hatten. Jetzt zeugte nur noch ein riesiger rotleuchtender Fleck von den Ge bäuden – zerflossenes Gestein, noch halb flüssig. Auf dem Gelände in der Nähe der Station spielten sich Szenen ab, die skurriler niemand hätte erfinden können. Unter der Einwirkung etlicher verschiedener Drogen gebärdeten sich Freund und Feind wie be sessen. Es gab Männer, die in ihrer plötzlich aufgepeitschten Erregung auf alles schossen, was sich bewegte. Andere brachten sich mit ihren eigenen Waffen um. Unter einem Baum saßen, friedlich vereint, vier Männer und betranken sich: ein normaler TUU MAC-Angestellter, ein Raumsoldat, ein TU UMAC-Kämpfer und ein Seelenloser. Sie wollten sich förmlich ausschütten vor La chen beim Anblick der Szenen, die sich ih nen boten. Männer im Kopfstand, andere, die un ablässig auf einem Bein tanzten und dazu wilde Schreie ausstießen. Wieder andere la gen friedlich auf dem Boden und betrachte ten angelegentlich den Himmel. Fregur Walm konnte mit dem Ergebnis seiner Sprengladungen zufrieden sein. Er lachte laut auf, als er eine Gestalt ent deckte, die sich in kostbare Felle gehüllt hat
48 te. Sie waren in der Station gelagert worden und bei der Explosion weit umhergeschleu dert worden. Der Mann glich in seiner Ver mummung eher einem wilden Tier als einem Menschen. Fregur Walm kam wieder zu sich. Nacheinander schaltete er die Bildschirme ab. Nur eine Lampe in einer halb geborste nen Fassung erhellte den Raum, nachdem die Schirme dunkel geworden waren. Fregur Walm war umgeben von den Geräuschen seiner Zerstörungen. Wieviele Stunden waren eigentlich ver gangen, seit die FRYRL mit den vier Män nern und ihrem übergeschnappten Robot auf Serrogat gelandet waren? Und was war in dieser Zeit nicht alles geschehen? Wenige Stunden nur, aber sie hatten ausgereicht, die Arbeit langer Jahre zu zerstören. Die gehei me Station auf Serrogat war keinen Skalito mehr wert, Millionenwerte auf der Oberflä che waren zerstört. Wieviele Männer wäh rend dieser Stunden den Tod gefunden hat ten, wagte Fregur Walm nicht auszurechnen. Die TUUMAC war zerschlagen, daran gab es keinen Zweifel. Für eine Routinekon trolle brauchte man keine acht Schiffe, hier handelte es sich um eine gezielte Großaktion gegen einen bekannten Gegner. Helcaar Zunth, der Chef der TUUMAC war tot – wenn nicht, war ihm der Tod zu wünschen. Selbst seinem ärgsten Feind – Kildar Monther vielleicht ausgenommen – hätte Walm nicht das Schicksal gegönnt, längere Zeit in den Klauen der POGIM zu verweilen. Kildar Monther war tot, jedenfalls hatte Walm ihn seit Stunden nicht mehr gesehen. Vielleicht war er es gewesen, der die Zweit jacht von Helcaar Zunth gestohlen hatte und damit geflüchtet war. Traf diese Vermutung zu, dann war auch Monther kein angeneh mes Schicksal beschieden. Als Pilot taugte er nichts, und wohin hätte er auch fliehen sollen? Übriggeblieben war nur einer. Er selbst, Fregur Walm. Er lebte noch, aber auch das würde nicht
Peter Terrid mehr lange währen. Fregur Walm war nicht der Mann, das Unausweichliche hinauszuzögern. Mit einer Handbewegung, die keinerlei Unruhe oder Erregung verriet, betätigte er den Schalter, der die Selbstvernichtung der gesamten Sta tion in Gang setzte. Er hörte nicht mehr, wie ihn die Bombe in Atome zerriß.
10. Über meinem Kopf hockte Fartuloon im Astwerk eines Baumes. Wir hatten keine an dere Möglichkeit gesehen, uns vor den to benden Menschen in Sicherheit zu bringen. Jeder kämpfte gegen jeden, Raumsoldaten gegen Deserteure, TUUMAC-Leute gegen die Raumsoldaten, und nicht selten gab es sogar Kämpfe der Gruppen untereinander. Langsam aber zeichnete sich ein Ende ab. Die durchtrainierten Raumsoldaten befrei ten sich als erste von der Wirkung der Dro gen. Je mehr Zeit verstrich, um so erbitterter gingen sie gegen ihre Gegner vor. Offenbar hatten sie entsprechende Anweisungen be kommen. Wer sich ihnen zu widersetzen versuchte, wurde sofort niedergemacht, gleichgültig welcher Gruppierung er ange hörte. Die zweite Gruppe, die ihre Besin nung wiederfand, war die Armee der Seelen losen. Entsprechend ihren Befehlen griff sie immer wieder an. Die lebenden Leichname kämpften mit robotischer Sturheit und selbstmörderischem Wagemut. Sie richteten Verwüstungen an, wo immer sie auftraten. Entsprechend erbittert wurden sie von den Raumsoldaten bekämpft. Zwischen den Kämpfern irrten die zivilen Angestellten der TUUMAC umher, rat- und hilflos. Sie konnten nicht mehr tun, als sich verstecken und abwarten, was man mit ih nen anstellen würde. In die Station zurückkehren konnten sie nicht mehr. Die Station der TUUMAC existierte nicht mehr. Zuerst war die Anlage auf dem Erdbo den von den Schiffsgeschützen vernichtet
Armee der Seelenlosen worden. Inzwischen war auch die unterirdi sche Station vernichtet. Eine kleine atomare Sprengladung hatte sie für alle Zeiten zer stört. Der charakteristische Rauchpilz stand dort, wo die Station einmal existiert hatte. »Grauenvoll«, murmelte Fartuloon be drückt. Ich konnte dem nur beipflichten. Ein der artiges Massaker hatte ich noch nicht erlebt. Noch niemals hatte idh gesehen, wie Arko niden untereinander mit einer solchen Erbit terung und Grausamkeit gewütet hatten. Stunden währte der Kampf, Stunden, in denen wir zur Hilflosigkeit verdammt wa ren. Längst hatten wir unsere Waffen fortge worfen, besser gesagt, wir hatten sie in eini ger Entfernung gut versteckt – für alle Fälle. Unsere Zukunft sah trostlos aus. Nicht nur, daß ich Kopfschmerzen hatte, wir hatten keine Chance, den Planeten zu verlassen, außer der, eines der acht Schiffe zu benutzen, die den Himmel von Serrogat absicherten. Es war nicht anzunehmen, daß es auf dieser Welt noch andere Siedlungen gab, in denen wir unter Umständen ein Schiff hätten besorgen können. Die acht Schiffe hingen wie eine Drohung über unse ren Köpfen. Erst als die Reihen der Kämpfer auf bei den Seiten grauenvoll gelichtet waren, zeichnete sich ein Ende des Kampfes ab. Die Raumsoldaten waren aus dem Gemetzel als Sieger hervorgegangen. Sie trieben die Angestellten der TUU MAC zusammen. Ich wurde dabei an die Methoden erinnert, mit denen man auf pri mitiven Welten Schlachtvieh zusammen trieb. Wer sich von den Deserteuren ergeben hatte, wurde ebenfalls gefangengenommen und zusammengetrieben. Mit diesen Män nern gingen die Raumsoldaten noch übler um. Das allerdings konnte ich zur Not noch verstehen. Es mußte diese Soldaten naturge mäß ergrimmen, gegen Männer zu kämpfen, die sich ansonsten vor dem Kämpfen drück ten. Ich wußte nicht, was ich machen sollte.
49 Ich wartete einfach ab, was geschehen wür de. »He, da sind noch zwei von denen!« Ich sah nach unten und entdeckte einen Raumsoldaten, der seine Waffe auf mich ge richtet hielt. Unwillkürlich hob ich die Hän de, und ehe ich es mich versah, war ich vor dem Soldaten unsanft auf dem Boden gelan det. Vorsichtshalber blieb ich regungslos lie gen. »Los, steh auf, du Lump. Und du da oben, komm herunter, oder ich hole dich!« Es gab ein lautes Geräusch, als Fartuloon neben mir auf dem Boden landete. Langsam, um den sehr nervösen Finger des Soldaten nicht zu reizen, stand ich auf. »Gesindel!« zischte der Mann. »Los, vor wärts!« Sehr behutsam setzten wir uns in Marsch. »Was hat man mit uns vor?« fragte ich leise. Die Antwort des Soldaten bestand in ei nem Fußtritt. Ich begann zu ahnen, daß un sere Zukunft alles andere als rosig sein wür de.
* Irgendwo in der Galaxis fiel die Jacht in den Normalraum zurück. Die drei Männer an Bord rieben sich seufzend die Nackenge genden. »Mußten wir die Strecke in nur drei Tran sitionen erledigen?« fragte Kastyr stöhnend. »Noch ein paar Lichtjahre mehr, und ich hätte die Rematerialisation nicht überlebt!« »Keine Klagen«, bestimmte Hurther Kol farn energisch. »Jedenfalls sind wir am Ziel!« »Merkwürdiges Ziel!« kommentierte Zer gan trotzig. »Ein Raumbezirk, so leer wie mein Bankkonto. Was sollen wir hier?« »Die Frage könnte ich an dich richten«, gab Hurther trocken zurück. »Das sind die Koordinaten, die du mir genannt hast. Wenn du die Gegend wenig anheimelnd findest, dann ist es deine Schuld, nicht meine!« »Schon gut«, wehrte Zergan ab. Er mach
50 te sich am Funkgerät zu schaffen. »Bitte melden«, funkte er über die Nor malwelle. »Bitte melden. Hier sprechen Zer gan, Kastyr und Hurther Kolfarn. Wir sind Freunde des Mannes, der uns hierher ge schickt hat. Meldet euch!« Erst beim dritten Versuch wurde Zergan klar, daß dieser Funkspruch nirgendwo an kommen konnte. Bis er den nächsten Stern erreichte, würden Jahre vergehen. Zergan schaltete auf Hyperkom um, drosselte aber vorsichtshalber die Sendeleistung so, daß man ihn nur im Umkreis von höchstens zwei Lichtjahren hören konnte. Bereits nach dem zweiten Versuch kam eine Antwort. »Wir hören euch, aber wir glauben euch nicht. Wer hat euch geschickt?« »Atlan!« sagte Zergan laut und deutlich. »Der Kristallprinz. Wo seid ihr? Von wo aus funkt ihr?« »Die Fragen stellen wir, junger Mann! At lan kann jeder sagen, wir brauchen ein Ko dewort. Wie heißt Atlans Begleiter?« »Fartuloon«, antwortete Zergan hastig. »Wo steckt ihr eigentlich. Wir können auf unseren Schirmen nichts erkennen!« »Braucht ihr auch nicht«, lautete die knappe Antwort. »Wir melden uns bald wie der. Wartet solange!« Ein leises Knacken verriet, daß die Ge genseite abgeschaltet hatte. Zergan schüttelte den Kopf, während Hur ther Kolfam ein nachdenkliches Gesicht machte. »Ich kenne diese Koordinaten«, murmelte er. »Und ich kenne auch die Stimme, die sich gerade gemeldet hat. Ich weiß nur nicht, wo ich die Stimme und die Koordinaten hin tun soll!« »Es wird dir schon noch einfallen«, sagte Kastyr, dem Hurthers Tonfall gar nicht be hagte. Plötzlich meldete sich die Gegenstation wieder. »Wir sind zufrieden«, konnte Zergan hö ren. »Wir geben euch die nötigen Daten, da mit ihr unser Versteck finden könnt.«
Peter Terrid Hurther Kolfarn griff nach dem Mikro phon. »Hier Hurther Kolfarn«, meldete er sich. »Wer spricht?« Aus dem kleinen Lautsprecher kam ein meckerndes Gelächter, das sich förmlich zu überschlagen schien. Hurther wurde bleich. »Heilige Galaxis«, stöhnte er auf. »Taher Gyat!« »Wer ist das?« fragte Zergan besorgt. »Und wo sind wir überhaupt?« Hurther schüttelte entgeistert den Kopf. »Die stählernen Schwingen von Orxh!« jammerte er. »Was immer das auch sein mag«, mur melte der fahnenflüchtige Kastyr. »Es hört sich nicht sehr gut an!«
* Mehr als hundert Männer hockten in dem Lagerraum, zusammengepfercht, mit nieder geschlagenen Mienen. Besonders düster sa hen die Deserteure aus. Fartuloon und mich hatte man dieser Gruppe zugeteilt, schließ lich trugen wir die gleichen dunkelbrauenen Monturen wie diese Männer. Kastyr urfd Zergan waren nicht unter den Gefangenen. Ich konnte nur hoffen, daß sie ihren Plan hatten verwirklichen und fliehen können. »Ruhe! Der Kommandant kommt!« Die Wachen präsentierten die Strahler! Ein großer muskulöser Mann tauchte auf. Er trug eine Sonne. »Damit ihr wißt, was euch bevorsteht«, begann er seine Rede. »Ich heiße Twellzock und kommandiere dieses Schiff, die JERRA WON. Die JERRAWON wird in wenigen Augenblicken starten. Ihr Ziel ist die Welt Celkar.« Durch die Reihen der Gefangenen ging ein unterdrücktes Stöhnen. Jeder von uns wußte, was diese Nachricht bedeutete. Celkar war als Militärgerichtsstelle allge mein bekannt, oder besser berüchtigt. »Ihr werdet dort vor Gericht gestellt wer
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den, wegen Hochverrats, gleichgültig, ob ihr mit dem Hochverräter Helcaar Zunth zusam mengearbeitet habt oder von der Flotte de sertiert seid. Mir will übrigens scheinen, als sei eine Desertation ein noch übleres Ver brechen als jene, deren sich die Mitarbeiter der TUUMAC schuldig gemacht haben. Das ist alles!« Damit wußten wir genug. Offenbar wurde ein regelrechter Schau prozeß vorbereitet, und was das hieß, war jedem klar. In solchen Verfahren hatte selbst ein vollständig Unschuldiger nur eine Chan ce von 1:100, ungeschoren davonzukom men. In allen anderen Fällen verhängte das
Gericht stets die Todesstrafe. Und das zu diesem Zeitpunkt. Orbana schols Thron wackelte. Wollte er ihn, einmal mehr, mit den Schä deln von Getöteten ausbalancieren? Mit unseren Schädeln. Ich sah Fartuloon an. Der Bauchaufschneider stöhnte leise. »Was ist?« Er sah mich empört an. »Ich habe Kopf schmerzen!« Ich begann leise zu kichern.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 292: Planet des Gerichts von Hans Kneifel Atlan und Fartuloon unter Todeskandidaten – in der Arena der Gerechtigkeit