Am Galgen sollst du enden, Sheriff! Ein neuer rasanter Roman von JIM CARTER
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Am Galgen sollst du enden, Sheriff! Ein neuer rasanter Roman von JIM CARTER
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Zwei Reiter begegnen sich in der Prärie. Der eine sieht mächtig verärgert drein. Er reitet schnell, als wäre jemand hinter ihm her. Der andere taucht plötzlich hinter hohem Buschwerk auf, so daß der Eilige seinen Weg kreuzen muß, ob er will oder nicht. Der Rappe, den dieser Mann reitet, stößt fast mit dem Braunen zusammen. Jetzt lacht sein Reiter. „He! Sie machen Ihrem Gaul aber Dampf, ay! Aber -1-
für 'ne kurze Auskunft haben Sie doch wohl noch Zeit, wie?“ Der andere stutzt. Er starrt den Fremden an. Seine Augen werden immer größer. „Kenn-Kennen wir uns nicht?“ fragt er. „Kann sein“, brummelt der Mann im Sattel des Rappen. „Ich hab' was gefragt!“ „Yes, natürlich habe ich soviel Zeit.“ „Dann will ich jetzt den Namen der Stadt hören, die hinter den grauen Hills dort am Horizont liegen soll!“ „Hambrook. Eine lausige Stadt, eine einzige Weiber versammlung“, zischt der andere. „Das heißt, wenn man wie ich dauernd mit dem Sheriff zu tun hatte. Ich habe ihm meinen Deputystern hingeworfen.“ „Warum?“ „Eben wegen der Girls. Der Sheriff hatte immer ein halbes Dutzend davon um sich. Das Office stank regelrecht nach billigem Parfüm.“ „Ein Mann sollte sich tatsächlich jeweils nur mit einer Langhaarigen abgeben. Mehrere davon zu gleicher Zeit, das geht irgendwann schief, ay, ay. Wie heißt denn dieser Girlverzehrer mit Stern?“ „Jim Calahan.“ Der Fremde lacht. Er hört gar nicht mehr damit auf. Sein Gegenüber zuckt jäh zusammen. „Jetzt weiß ich's. Du bist Rock Jason!“ stöhnt er und will noch etwas hinzufügen. Jason hat urplötzlich den Colt in der Rechten, und die Mündung zeigt auf die Nasenwurzel zwischen den schreckgeweiteten Augen. „Ed Morton, du reitest nicht weiter!“ knirscht Jason. „Denn von dieser Stelle aus saust du direkt in die Hölle! Halt die Arme unten! Du weißt doch noch, daß ich immer der Schnellste von uns allen war!“ -2-
„Klar, ja, ja! Aber Rock, laß dir was sagen! Wir waren doch immer gute Kumpels damals. Wir haben doch so manches gefährliche krumme Ding gedreht.“ „Eben darum!“ sagt Rock Jason und drückt ab. Ed Morton kommt nicht mal mehr dazu, sich durch einen Schrei oder wenigstens ein Stöhnen von dieser Welt zu verabschieden. Rock Jason warteten seelenruhig, bis Ed Morton aus seinem Sattel gestürzt ist. Er kommt auf den Bauch zu liegen. Mit eiskalten Augen blickt Jason auf den Entseelten hinab. „Du erzählst keinem Menschen mehr etwas aus meiner Vergangenheit“, sagt Jason heiser. Dann denkt er: Ed hat mich an meinem „ay, ay“ wiedererkannt. Zuvor zweifelte er daran, ob ich es wirklich wäre. Nun ja, damals schleppte ich noch nicht die beiden Messernarben im Gesicht mit mir herum. Rock Jason sieht sich in der Prärie um. Als er weiterreitet, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach dem Toten umzusehen, wirkt sein hageres Gesicht so ruhig und entspannt, als sei überhaupt nichts geschehen. Und dann fängt Jason sogar zu pfeifen an. Während er diesen verstaubten Song aus der Zeit der ersten Siedler pfeift, reiten seine Gedanken voraus. Jim Calahan Sheriff in Hambrook! Hahahaha! Jason vergißt, wie der Song weitergeht, und bricht in schallendes Gelächter aus. „Du bist der letzte, der mich aus dieser Zeit kennt, Calahan! Haha, der letzte! Und du wirst genauso weit reisen, wie Ed Morton soeben gereist ist! Hahaha!“
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***
Rabenschwarze Nacht. Ein Gewitter tobt von Westen herüber. Nur wenn ein Blitz aufzuckt, ist die Stadt auf gespenstische Weise illuminiert. Für Sekunden höchstens. In der Luft ist ein Geheul, als wären alle Lärmgeister der Hölle unterwegs und im Angriff gegen Hambrook, seine Menschen, seine Häuser. Tausendfältig rüttelt der Sturm an Dachschindeln und Läden, reißt hier eine Tür auf, wirft zwei Häuser weiter schmetternd eine andere zu. Hier und da blinzeln Lichter hinter verhangenen Gardinen. Die Straße ist leergefegt, und was an leicht gewichtigen Dingen noch darauf liegt, wird mitgerissen. Nur ein Mann ist unterwegs, ein Reiter, dessen Pferd so schwarz ist wie diese Nacht. Es ist Rock Jason. Als er bei einer Laterne vorüberreitet, deren Flamme der Sturm ausgeblasen hat, löst sich scheppernd der ble cherne Deckel und saust auf die Straße, keine zwei Meter hinter Jasons Wallach. Doch der scheut nicht mal. Denn seit einer Stunde folgt ja ein Donner fast dem anderen, ein Bersten, Krachen und Heulen dem anderen, Rock Jason lacht heiser auf, als diesmal eine ganze Leuchtsalve von Zickzackblitzen am dunklen Firmament loht. Im aufzuckenden Lichtschein sieht Rock Jason das Schild, auf dem „Sheriff's Office“ steht. „Danke!“ lacht Rock Jason, und es ist schon wieder Nacht um alles. Aber da ist ein dünnes Lichtstreifengitter. Es muß das Fenster rechts neben der Haustür sein. Jason hält seinen Rappen an und steigt ab. Er wartet -4-
auf die nächsten Blitze. Als ihm der Äther den Gefallen tut und einen schickt, konzentriert sich Jason im wahrsten Sinne dieses Wortes blitzschnell. Er erkennt, daß es rechts neben dem Officebau eine Scheune gibt. Jason gleitet aus dem Sattel, hält aber dann den Zügel fest und straff in der Hand, damit ihm der Schwarze nicht davongeht. Er tastet sich nach rechts vor. Als ein neuer Blitz grellt, stellt Jason zufrieden fest, daß er sich richtig durch das Dunkel vorgetastet hat. Er steht mit dem Rappen dicht vor dem Scheunentor. Es ist unverschlossen. Also hinein mit dem Rappen! So. Das wäre schon mal geschafft. Ein schmetternder Donnerschlag übertönt alle Geräusche, als Jason den quietschenden Torflügel wieder zudrückt. Er schleicht zurück zum Office. Das Gewitter scheint nachzulassen. Im Westen hellt es sich etwas auf. Jason rückt bis zu dem Fenster vor, wo es diese dünnen Lichtgitter gibt. Er preßt die Nase von außen an das Glas. Für Sekunden sieht er einen nackten Arm, der einem weiblichen Wesen gehören muß, und jetzt legt sich eine behaarte, wettergegerbte Hand auf den Arm, die Schulter. Das ganze Teilstück der Szene drinnen verrückt nach links und entwischt dem heimlichen Beobachter. Ed Morton hat recht gehabt. Jim Calahan war immer schon heiß und heftig hinter Langhaarigen her. Es interessiert Rock Jason nicht, was Calahan da treibt. Was denn schon? Es interessiert ihn nur, wie lange er es treiben wird. Hoffentlich nicht bis zum Morgenrot. Plötzlich wird der Sturm wieder heftiger. Ganze Wolkengebirge schleudert er von Westen herüber, jagt sie über die Stadt und gen Osten davon. Einzelne halbhelle Löcher bilden sich am Firmament, -5-
aber gleich darauf drängen neue Dunstgebirge nach. Es entsteht ein Flackerzwielicht aus Schwarz und Grau. Und jetzt peitschen die ersten harten Regenschwaden herab. Die Dusche währt nur eine knappe Minute, aber Jasons Dress und er selber sind bereits von dem kurzen Schwall völlig durchnäßt. Und nun ist der Spuk vorbei, jäh, wie er gekommen. Überall hellt sich der Himmel auf. Aus der Apokalypse des Gewittersturms löst sich wie durch Zauberhand herrlichster Sternenhimmel. Die plötzliche Stille hat etwas Unheimliches an sich. Rock Jason kann gerade noch früh genug beiseite gleiten und sich dicht an die Hauswand drücken, als von drinnen ein Fensterflügel aufgemacht wird. Die Gardine ratscht zur Seite. „Zieh besser wieder zu, Jimmy“, hört Jason eine helle Mädchenstimme sagen. „Als ob um die Zeit dein Alter oder sonst wer noch oder schon wieder auf der Straße rumlungert!“ sagt die knarrende Stimme, die der heimliche Lauscher unter tausend Stimmen heraushören würde. Girrendes Lachen klingt auf. „Dad glaubt mich natürlich im Bett. Aber zum Schlafen war die Nacht ja heute nicht gemacht.“ Nun lachen beide. Zeit, daß ich mich für kurze Zeit verdrücke, sagt sich Rock Jason und zieht sich in Richtung Scheune zurück. Er braucht nicht lange zu warten, bis die Haustür aufgeht und ein schlankes Persönchen heraushuscht. Dann steht der lange Mr. Jim Calahan auf der Schwelle. Er versetzt der Kleinen einen Klaps auf die hintere Region. -6-
„Nun mach, daß du in deine Falle kommst, Jenny!“ ruft er hinter der Davontrippelnden her. „Gute Nacht, Jimmy!“ „Nacht!“ Jason muß noch warten, bis diese Jenny in eine Seitenstraße wegtaucht. So lange bleibt auch Calahan bei der Haustür stehen. Rock Jason wartet sogar, bis Calahan abdreht und die Tür hinter sich schließt. Jason plant, den Genossen einstiger Raubzüge gehörig zu erschrecken. Er will ein wenig Gespenst spielen. Ver schlossene Normaltüren wieder aufzukriegen, ist für ihn kein Problem. Eine Minute, nachdem Calahan abgeschlossen hat, ist die Haustür schon wieder auf. .Jason huscht hinein in den dunklen Flur. Ein Lichtstreifen links, dicht über dem Boden, markiert genau die Tür zu dem Raum, in dem Calahan zuvor seine Turnübungen mit Jenny angestellt hat. Rock Jason erscheint tatsächlich wie ein richtiges Gespenst, nachdem er diese zweite Tür lautlos nach innen aufgedrückt hat. Jim Calahan ist gerade dabei, sich einen Whisky einzuverleiben, als er den jähen Windzug spürt, der ihm den Nacken kitzelt. Er läßt die Flasche los und greift instinktiv nach dem Colt, der mitsamt Halfter und Gurt auf dem Schreibtisch liegt. Als er herumfährt, sagt Jason trocken und wie gelangweilt: „Gib dir keine Mühe, Jim Calahan! Du weißt, daß ich dich zehnmal durchlöchert habe, ehe du deinen Bleispritzer richtig aus dem Leder heraus hast! Also, laß das Ding schon los!“ -7-
Calahan zittert, obgleich er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. „Du, Rock Jason? Ich ...“, stammelt Calahan und läßt den Coltkolben los. „Tritt an die Wand da zurück!“ knirscht Jason. Er sieht sich kurz um und lacht höhnisch. „Ein Sofa im Sheriffs Office, hoho! Wohl für deine langhaarigen Kunden wie Jenny, wie?“ Calahan sagt nichts. Steif wie eine Salzsäule, der zufällig zwei armlange Zapfen anhängen, steht er an der Wand und starrt. „Ich habe Ed Morton draußen in der Prärie getroffen“, sagt Rock Jason fast sanft. „Ja, ja, er gehörte ja auch damals zu unserem Verein“, murmelt Calahan verlegen. Aus Jasons Kehle kommt wie aufsteigendes Grollen plötzlich ein ganz anderer Ton. Er setzt jedes seiner Worte mit Pausen dahin, hart, drohend: „Jim Calahan! Yes, damals! Da verkauftet ihr mich! Da ließet ihr mich im Stich, als ihr vor Longways Bank die Aufpasser spieltet und ich den Zaster aus dem Safe holte. Da saht ihr von draußen aus zu, wie ein Sheriff und noch drei Kerle wie wilde Pumas über mich herfielen! Da wart ihr zu feige, sie abzuknallen! Da hattet ihr die Hosen voller Dreck und Angst!“ „Weil — weil wir dachten, die halbe Stadt wäre auf den Beinen“, versucht Calahan sich zu entschuldigen. „Denn da — da war wirklich... Da waren entsprechende Geräusche hinter uns.“ „Das waren wohl die Geräusche, die entstehen, wenn Pferde ganz pralle Beutel voller Münzgeld in den Satteltaschen tragen und sich schütteln, weil sie von Bremsen gestochen werden! He, Jim, stier nicht so blöd wie drei Hornochsen zusammen! Yes, ich weiß Bescheid. -8-
Ich weiß, daß ihr mich los sein wolltet. Aus Angst, ich würde euch dahinter kommen, daß ihr in Hattfield ohne mich den ganz großen Coup gelandet hattet, während ich dreißig Meilen westlich vom Doc verarztet wurde. Ich weiß es von Harry McLaine. Ich erwischte ihn in Drummond Hill. Er beichtete es mir, ehe er diese hübsche Welt für immer verließ. Und du kommst jetzt mit, Jim!“ „Mit? Wohin?“ fragt Calahan tonlos. Sein Atem geht heftig, als hätte er eine arge körperliche Anstrengung hinter sich, „Wohin? Zu Ed! Zu Ed Morton! Er wartet auf dich!“ knirscht Rock Jason. „Das ist doch...“ „Ja, ja, das ist ein Befehl! Wenn du Alarm schlägst, kriegt der Sargmacher Arbeit! Vergiß den Stern und die Girls! Vergiß alles, nur nicht, daß ihr Halunken mich damals betrogen und begaunert habt! Wegen euch hockte ich ein Jahr hinter schwedischen Gardinen und war danach noch ein ganzes Jahr in den Steinbrüchen von River Side Border. Du siehst, es hat mich noch, härter gemacht! Und nun komm schon!“ Calahan steht wie versteinert. Stumm sieht er zu, wie Rock Jason die Whiskyflasche nimmt und sich an deren Inhalt labt. Dreimal und gründ lich. „Wir gehen! Du voran!“ zischt Jason und winkt mit dem Colt, den er urplötzlich in der Rechten hat. Calahan kennt das noch von früher her. Es ist, als springe die Waffe von selber und auf geheimnisvollen Befehl aus der Halfter und genau richtig in Jasons Hand. Keiner im Haufen ist je ganz hinter diesen Trick gekommen. -9-
Calahan schlurft über die Dielen in den Flur, als wären ihm auf einmal sämtliche Gliedmaßen bleischwer. Jason und sein Colt sind dicht hinter ihm. „He, links rum!“ kommandiert Rock Jason, als Calahan der Haustür zustrebt. „Wir spazieren hinten hinaus! Zum Stall! Da ist er doch? Ich habe 'nen schwarzen Giebel zwischen der Scheune und dem Bau hier gesehen. Also, los!“ Calahan zögert. „Man kann doch auch ...“ „Vorne raus und über die Straße, yes“, fällt ihm Jason ins Wort. „Und dann schreist du plötzlich los und keifst die Leute herbei, die wegen des Gewitters vorhin noch wach sind. Willst du mitten auf der Straße sterben? Los, komm! Links rum! Ja, so ist es brav.“ Es ist draußen nun hell wie in jeder sauberen Sternennacht. Jason bleibt Calahan dicht im Rücken, auch als dieser seinen Braunen sattelt. „Was hast du mit mir vor, Rock?“ fragt Calahan, während er den Bauchgurt unter dem Pferdeleib anzieht. Calahan zieht die einzelnen Worte, daß sie sich dehnen wie Gummi. Jason kennt diese Angewohnheit noch von früher her. „Ay, ay!“ zischt er nur, als sich Calahan jäh vom dunklen Pferdeleib löst und mit gebeugtem Kopf gegen ihn anrasen will. Geschickt gleitet Rock Jason beiseite, packt den weit vorgebeugten Körper, der da an ihm vorüberschießt, und verlängert Calahans Reise, so daß dieser mit dem vorgereckten Kopf hart gegen die Stallwand knallt. Jason wartet keine Sekunde mehr. Er hebt den Ohnmächtigen auf den Sattel, hängt ihn quer darüber und führt den Braunen nach draußen. Ohne Hast geht er noch - 10 -
einmal in den Stall zurück und holt dort die Zeltplane, die er über einem Holzgestell gesehen hat. Er deckt sie über Calahan. Wenig später reitet ein Mann, den ein Rappe trägt, mit einem Braunen, der unter der gebauschten Zeltplane wie ein Packpferd aussieht, unbehelligt aus der nun schlafenden Stadt hinaus. In dem Augenblick, wo Jason sieht, daß sich nebenan unter der Plane etwas regt, hält er die Pferde an und zerrt die Plane weg. Jason springt ab. Er fängt Calahan auf, ehe dieser quer vom Sattel rutscht. Denn der Weg aus einer Ohnmacht ist ja nicht so geartet, daß einer gleich, wenn er die Augen wieder aufschlägt, seine Lage erkennt. Er muß erst sondieren. „Nun mach schon, daß du richtig in deinen Sattel kommst!“ knurrt Jason. „Hättest den verrückten Ausfall im Stall nicht versuchen dürfen! Bei mir zieht doch überhaupt kein Trick, hoho! Weil ich jeden kenne, jeden!“ Calahan stöhnt. „Weiter! Ed Morton wartet!“ knurrt Rock Jason. „Ich kapiere nicht ganz“, stöhnt Calahan. „Wo sollen wir denn Ed treffen? Und warum hast du ihn nicht nach Hambrook mitgebracht, wo du ihn doch hier draußen getroffen hast?“ „Stimmt, ich habe ihn getroffen. Mitten in die Stirn!“ höhnt Jason. „Du bist grausam, Rock. Du warst es schon immer“, ächzt Calahan. „Was hast du davon, wenn du mich nun auch abknallst wie ein wehrloses Stück Wild?“ Jason sieht, wie sein Nebenreiter immer kleiner wird. Rock Jason lacht laut los, gewiß.. - 11 -
Aber er bleibt wachsam. Calahan ist auch keiner, der gern aufgibt, und wenn es fünf Minuten vor zwölf ist. Man kennt sich zu gut. Rock Jason beginnt wieder mal jenen uralten Siedlersong vor sich hin zu pfeifen. Dabei rutscht ihm der Stetson links ziemlich tief in die Stirn — nicht zufällig. Links reitet Calahan. Und als Calahan plötzlich im Sattel langsam, aber merkbar wegrutscht, um Raum für einen rasanten Treter in die entgegengesetzte Richtung zu gewinnen, da pfeift Jason nur noch inniger und amüsierter, und wie's scheint, sorgloser. Er vermag sich den Moment auszurechnen, wo Calahan ihn liebevoll in die Rippen treten will, indem er den linken Zügelrest kurz packt, um Halt zu haben, zugleich dieselbe Linke um das Sattelhorn krampft und nach rechts mit aller Wucht das Bein hochreißt. Doch da der Pfeifer gewitzt ist und auf ähnliches gewartet hat, steppt sein Rappe genauso jäh drei Schritte vor, und das war auch nicht zufällig. Denn es gibt ja Sporen. So wirbelt Calahans Angriffsbein himmelhoch und verdirbt ihm das eigene Gleichgewicht. Er purzelt nach links aus dem Sattel und wuchtet ausgerechnet mit der schon durch die Stallwand ramponierten Kopfdecke knallhart und schädelheister auf den Boden der Prärie, auf deren grüner Grasdecke es dadurch eine beachtliche Delle gibt. Die Delle auf der schon vorhandenen am Kopf Calahans ist noch ärger. Ein Schrei gellt in die friedliche Sternennacht. Er stirbt so jäh ab, wie vor eineinhalb Stunden das Gewitter. Und danach herrscht Klarheit. - 12 -
Denn als sich Jason über seinen einstigen Busenfreund beugt, sieht er sofort, daß der mausetot ist. Zum zweitenmal in dieser Nacht lädt Jason ein und denselben reglosen Körper quer über den Sattel des Braunen. Es ist nur mehr ein helles Graublau, die Sterne sind sehr blaß und teils schon weggestorben, als Rock Jason da anlangt, wo der tote Ed Morton liegt. Jason lädt ab. Nun liegen sie mit Abstand von nur drei Metern nebeneinander oder auch einander gegenüber, wie man's nimmt. Rock Jason ist dafür, daß man's in ganz bestimmter Weise aufnimmt. Er holt dem entseelten Ed Morton den Colt aus der Halfter und legt ihn neben seine erstarrte rechte Hand. Dann zieht Jason seinen eigenen Colt aus der Halfter und postiert ihn dicht neben Calahans rechten Arm. Sekundenlang überlegt er. Dann kramt er aus seiner linken Satteltasche seinen Ersatz-45er hervor und jagt dem seit vier Stunden ebenfalls schon toten Jim Calahan eine Kugel in die Herzgegend. „So“, orgelt es zufrieden aus tiefster Brust. „Jetzt stimmt der Apparat. Jetzt denken diejenigen, die euch finden, daß ihr euch gegenseitig in dieselbe Höllenecke gejagt habt, ay, ay. Die Pferde sind richtig gelaufen.“ Rock Jason wendet seinen Rappen nach Norden, nachdem er ihn ein halbes Dutzend Mal rund um die Stelle gelenkt hat, wo Morton und Calahan liegen, friedlich wie zwei wirkliche Freunde. Und dann pfeift er wieder diesen langweiligen, monotonen Song aus der Zeit der ersten Siedler. Mord und Totschlag und Indianergemetzel kommen darin vor, - 13 -
wenn man den Text auch singen würde. Als der neue Tag weit genug aufgestanden ist, daß man das Land meilenweit überblicken kann, ist Jason schon über zehn Meilen vom letzten Tatort entfernt. Er lacht zufrieden in sich hinein und vor sich hin. „Ay, ay, jetzt gibt's aus der Zeit von Nevada und Texas nicht einen Mitwisser mehr, haha!“ *** Schon vierundzwanzig Stunden später findet Andrew Mattson, der von Green Settlement heimreitet, die beiden Toten. Mattson verharrt eine Zeitlang. Er sieht die beiden Hufspuren, deren eine Richtung nach Hambrook, die andere stracks nach Norden führt, mißt jedoch diesen zwei Fährten keine besondere Bedeutung bei. Für ihn ist es ziemlich klar, daß sich der Sheriff und sein Deputy hier draußen ein Duell geliefert haben, bei dem sie beide draufgegangen sind. Es war ja auch in der ganzen Stadt bekannt, daß sich die beiden in letzter Zeit gar nicht mehr gut vertrugen, obgleich sie gemeinsam und als dicke Freunde vor drei Jahren den damals gefährlichen Job als Gesetzeshüter übernommen hatten. So wie Andrew Mattson denkt jeder in Hambrook, als durch ihn die Sache ruchbar wird. Ein Wagen rollt gen Westen. Er hat ein paar Männer geladen, welche Spaten und Schaufeln bei sich haben. Die zwei, die sich gegenseitig abgemurkst haben sollen, kriegen ihr gemeinsames Grab, da, wo sie aus den Stiefeln gefallen sind. An dem Kreuz, das man dem Hügel einpflanzt, hängt ein Querbrett mit der Aufschrift:
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Hier liegen Sheriff Jim Calahan und sein Deputy Ed Morton, die sich gegenseitig mit Blei füllten. Aber bis dahin waren beide sehr zuverlässige Sternträger und sorgten drei Jahre lang für Ruhe und Ordnung in Hambrook. Der Vollkommenheit halber hätte noch darunter geschrieben werden müssen: Vorher waren sie in sechs Staaten gesuchte Bankräuber und Raubmörder. Doch diesen einstigen Tatbestand kannte niemand in Arizona. Denn die Bande, der seinerzeit auch Rock Jason angehörte, hatte ihr Raubrevier in Nevada, Wyoming, Nebraska, Dakota, Montana und Idaho gehabt. Die Totengräber kehrten heim. Die zwei, die einander kein Haar gekrümmt hatten, ruhten Schulter an Schulter nebeneinander unterm Hügel. Sie konnten nicht mehr die Legende vernehmen, die mit ihrem gemeinsamen Tod ins Leben trat, eine makabre Story vom gegenseitigen Mord einstiger Busenfreunde. Der Mann, der es besser wußte, tauchte bereits drei Tage später in Hambrook auf. *** Rock Jason mietete sich im Liberty Hotel ein, trotz seines klingenden Namens das bescheidenste und billigste in der Stadt. Jason hatte sich vorher dem entsprechend erkundigt. Auf dem Weg dorthin war er am verwaisten Sheriff's Office vorbeigeritten. Es hatte ihn einige innere Mühe gekostet, sich seinen Spaß nicht anmerken zu lassen, als er den großen Aus hang sah, auf dem in Riesenlettern zu lesen stand, daß die - 15 -
Stadt Hambrook einen neuen Marshal suche, der zugleich Sheriff für den kleinen Three-Greek-Bezirk sein sollte. Im Augenblick sitzt Jason über einem Teller mit Ham and Eggs und schmunzelt kaum merklich vor sich hin, weniger, weil ihm Schinken und Eier munden. Der Grund ist ein anderer. Rock Jason findet, daß die Pferde in der nächsten Zeit wahrscheinlich so laufen werden, wie er sie traben sehen will. Ein Marshal, der zugleich District Sheriff spielen kann, hat, wenn er ein kluger Kopf ist, eine ganze Menge einträglicher Möglichkeiten, wenn auch dieser Distrikt klein ist. Jason hat sich auch in dieser Richtung genauestens informiert. Das Gebiet zwischen den drei Creeks, von de nen es den Namen hat, umfaßt im Norden eine Ranch, im Osten der Stadt zwei Kleinranches und am Western Creek, dreißig Meilen von Hambrook entfernt,. Ant Hopelongs Amboß-Ranch. Zwischen ihr und der Stadt liegt Niemandsland, Weide, die noch keinen Besitzer hat. Im Moment verfügt Rock Jason nicht über viel Geld. Ganze hundertundzwanzig Dollar hat er noch in der Ta sche. Aber das will er grundlegend ändern, und zwar schon in allernächster Zeit. Nach dem Essen geht Jason kurz einmal auf sein Zimmer, das er auf unbestimmte Zeit bestellt hat. Vom Fenster aus kann man das Gebäude der Overland Stagecoach auf der anderen Straßenseite gut im Auge be halten. In den drei Minuten, die sich Rock Jason auf seinem Zimmer aufhält, sieht er nicht weniger als viermal auf die Uhr. Als er dann die Postkutsche anrollen hört, geht er nach - 16 -
unten und verläßt das Hotel. Das Geräusch, welches sechs Kutschpferde und vier Räder verursachen, ist unverkennbar für gewohnte Ohren. Schon rotten sich vorwitzige Gören, sammeln sich Erwachsene vor der Overland Station. Rock Jason bleibt auf der anderen Seite. Er steht nun dem Stationsbau genau gegenüber. Ah! Da kommt die Kutsche ja schon. Es ist der an sich lächerliche Stolz von Kutschern, ihr Sechsergespann sowohl beim Aufbruch, als auch bei der Einfahrt in rassigem Trab zu präsentieren, So hält es auch der dicke Mack Cheery. Mit schaumumflockten Mäulern halten die Pferde an. Scheinbar gleichgültig mustert Rock Jason die Leute, die nun der Kutsche entsteigen. Zuerst kommt ein älteres Ehepaar aus dem Wagen. Ihm folgt ein kantiger Vierziger, der in seinem hellgrauen Bratenrock und dem überdimensionalen Hut, mit der glitzernden Berlocke, die ihm auf grünsamtener Weste prangt, sehr wohlhabend aussieht. Der Beifahrer reicht ihm einen dicken Reisekoffer vom Kutschdach herab. Als letzte entsteigt eine schlanke, recht attraktive junge Dame dem Gefährt. Wenigstens wirkt sie auf den ersten Blick wie eine Lady aus gutem Haus. Aber als sie nun der Postkutsche den Rücken dreht und mit ihrer klei nen Tasche dem Gehsteig zutrippelt, verrät die vielbietende Frontale des Persönchens, daß man es eher mit einem Amüsiergirl oder einer Berufstänzerin zu tun haben könnte. Ein blumengeziertes Hütchen der neuesten Mode thront keck auf ihrem nachtschwarzen Haar. Auf dem Sidewalk angelangt, keine vier Meter von - 17 -
Rock Jason entfernt, lüftet die Fremde ihr sowieso schon üppiges Dekollete noch etwas mehr, indem sie mit der Linken in ihren Ausschnitt greift und einen Briefumschlag herauspflückt, den sie als Fächer benutzt. Sie befächelt sich gut eine halbe Minute lang. Dann fragt sie einen zufällig vorbeiflanierenden älteren Mann nach dem White Horse Saloon. Rock Jason kann jedes Wort verstehen. Aber er scheint gar nicht hinzuhören. Doch als die Kleine davon trippelt, huscht ein zufriedenes Lächeln über Jasons sonst so hartes Pokergesicht. *** Hambrook hat eine Schule. Hinter dieser dehnt sich eine Spielwiese, von Büschen und Bäumen umrandet. Es gibt dort eine Bank, sehr niedrig. Sie ist für Kinder gedacht. Auf dieser Bank sitzt, die Beine weit von sich gestreckt, ab Punkt zehn Uhr ein Mann. Der Mann ist Rock Jason. Als etwa sieben Minuten später die Büsche hinter dieser Bank rascheln, sagt Jason, ohne sich umzudrehen: „Du kannst kommen, Grace. Die Luft ist rein.“ Dann erst steht er langsam auf. Aus dem Gebüsch löst sich die schlanke Gestalt des Girls, das als letzte Passagierin am Nachmittag die Overland-Postkutsche verließ. „Hallo, Rocky.“ „Hallo, Grace.“ Sie umarmen sich kurz. „Hat alles geklappt?“ fragt Jason. „Du meinst die Sache mit Allison, Rock?“ - 18 -
„Yes.“ „Well. Ich drohte ihm, seiner Frau zu sagen, daß er mit mir geschlafen hätte.“ „Und hast du?“ fragt Jason fast drohend. „Natürlich nicht. Mehr als meine Knie hat er nicht zu sehen bekommen bei diesem Picknick. Ich stiebitzte ihm seine Tabaksdose.“ Grace lacht hell auf. „Haha. Er mußte mir hundert Dollar dafür zahlen, daß ich sie ihm zu rückgab.“ „Hundert? Dann waren's mindestens hundertund fünfzig“, brummt Jason. „Irrtum. Ganze zwanzig mehr waren es. Daß du immer so mißtrauisch bist, Rock!“ „Hundertundzwanzig“, dehnt Rock Jason. „Genau soviel besitze ich. Behalte das Geld! Wir machen hier ja bald neues.“ „Wie, Rock?“ „Das weiß ich noch nicht genau, Grace. Was anderes! Hat die Anstellung auch geklappt?“ „Yes, habe mich als Sängerin und so weiter verkauft.“ „Und so weiter“, murmelt Jason. „Nur bis zum Knie. Wie bei dem alten Narren Allison!“ versichert Grace. „Ich will ja nicht mit wildfremden Kerlen im Bett liegen, sondern soll sie nur animieren, daß sie lange genug im Saloon bleiben, um ihr Geld loszuwerden. Wie in St. Johns damals, wo wir uns kennen gelernt haben.“ „Wann fängst du im White Horse an, Grace?“ „Morgen mittag.“ „Gut. Ich habe da schon mal einen Plan, sozusagen einen ersten Zug im Spiel, Grace. Ich will hier Marshal und Sheriff werden.“ „Beides zugleich?“ staunt Grace. - 19 -
„Yeah. Der Distrikt ist nicht groß, den's noch mit zu überwachen gibt. Man wird mir wohl einen Deputy bei geben.“ „Wissen hier in Hambrook schon ein paar wichtige Leute, daß du den Fünfzack haben willst, Rock?“ „No. Bis jetzt wissen's nur wir zwei, Grace. Aber gib acht!“ „Acht geben? Auf was und wen?“ „Ich meine das anders. Du mußt morgen ein wenig mitmischen, Grace. Ich denke mir das Spielchen so ...“ Von da ab redet Rock Jason plötzlich so leise, als befürchte er, die umher schwirrenden Mücken könnten zuviel mitbekommen. „Und vergiß eins nicht, Grace. Vorläufig kennen wir uns noch nicht“, sagt er, als sie sich wieder trennen. *** Von den fünf Girls, die zur Bedienung und anderem Amüsement im White Horse Saloon tätig sind, ist die Neue mit Abstand die hübscheste, und diese Grace scheint das zu genießen. Zudem setzt sie sich dadurch von ihren Kolleginnen etwas ab, daß sie eine sehr gute Stimme hat. An diesem Spätnachmittag herrscht schon reger Betrieb. An einem großen Tisch in einer Nische sitzen sogar einige Honoratioren der Stadt, nicht zufällig. Der Friedensrichter, zugleich Besitzer mehrerer Stores, hockt eifrig redend mit noch vier Herren der Stadtverordnung da. Man berät und berät, wie es mit dem Hüten des Gesetzes in Hambrook weitergehen soll. Ein Mann aus der Gegend von Greenwater hat die wenig hübsche Nachricht mitgebracht, daß die berüchtigte Jenkins - 20 -
Bande im Nachbardistrikt ihr Unwesen treibe. Er hat's von einem Gentleman, der ihm in der Prärie begegnet ist. Gestern. Der Fremde ist gerade aus Greenwater gekommen. Daher hat er's gewußt. Daß dieser Fremde kein anderer als Rock Jason war, weiß niemand. „Wir brauchen einen neuen Sheriff, unbedingt, sagt gerade einer der fünf Stadtväter. Zum siebtenmal ist dieser Satz nun schon gefallen. „Seit man weiß, daß die Jenkins-Bande unterwegs ist, will keiner den Stern nehmen“, sagt besorgt der Frie densrichter. In diesem Augenblick vergessen die Herren ein wenig ihre Sorge um die Stadt. Grace, die Neue, singt. Sie lehnt mit dem Rücken gegen die lange Theke und scheint niemanden im Raum überhaupt noch zu sehen. „Sie ist, by Gosh, hübsch! Und sie ist ganz weg, ganz woanders“, meint einer der fünf Honoratioren. „Im fernen Italien! Im Geist natürlich“, bemerkt Raoul Ruthermere, der ein gutgehendes Kurzwaren- und Mo degeschäft betreibt und durch seine Tochter, die Lehrerin, in Sachen Bildung nicht ganz unbedarft ist. „Wieso in Italien?“ will sein Nebenmann wissen, der mehr von Hühnerzucht als von Musik versteht. „Nun ja doch. Sie singt aus Rossinis ,Traviata'“ belehrt ihn Ruthermere. „Die ,Traviata' ist von Verdi, mein Lieber“, berichtigt der Friedensrichter. Grace singt wirklich schön und schön hoch, und ihr ansehnlicher, wohlgeformter Busen kommt bei den andächtigen Zuhörern noch besser zur Geltung als Giuseppe Verdi. Little Danny O'Trive, der das Klavier drangsaliert, - 21 -
geht, kaum daß die Arie zu Ende ist, zu einem Tanzlied über. Und da kommt die ganze männermordende Erscheinung erst ins richtige Licht. Wie sie den schlanken Körper biegt! Wie sie sich in den Hüften wiegt, die Röcke wirft, daß die wohlgebauten Schenkel für Sekunden zu sehen sind! Die Augen der Spieler, Cowboys und anderen Sattelquetscher werden immer glänzender. Als Grace endet, steigt eine Woge von frenetischem Beifall auf. Von zwanzig Gästen wollen mindestens zwölf in Grace Nähe. Man reißt sich um einen Platz an der Theke, wo sich die Nachtigall wieder hinstellt. Die anderen Girls können nicht rasch genug alle Bestellungen auf Bier, Whisky und Champagner realisieren. Champagner für Grace! Oder zumindest der Rest auf ihr Wohl und ihre hübschen Beine, die Stimme! Grace spendiert ihr schönstes Lachen. „Ich mag euch alle, Boys! Und ich dank' euch für euren Beifall!“ ruft sie spontan, aber schon beim letzten Wort hängt sie sich bei einem jungen Cowboy ein und läßt sich von ihm auf einen Tisch zuführen, den kleinsten, an dem höchstens drei Menschen Platz haben können. Er steht in einer Raumecke, fast unter dem Aufgang der Freitreppe zum ersten Stock und zur dortigen Galerie, wo auch einige Gäste sitzen. „Eh, Charles, bist du verrückt? Was bildest du dir ein? Grace gehört dir nicht allein!“ schreit schon einer der übriggebliebenen Boys. „Nämlich mir!“ grölt ein anderer. „Macht Platz, Amigos, daß ich dem Grünschnabel Charly zeige, wo es langgeht!“ Im Nu ist die schönste Schlägerei im Gange. - 22 -
Seit einer Viertelstunde steht ein hochgewachsener, sehniger Mann auf der Schwelle der Pendeltür. Es ist Rock Jason. Langsam kommt er bis zur Mitte des Raumes vor. Er betrachtet sich das Gewimmel von Fäusten, Stuhlbeinen und Biergläsern, schreienden, fluchenden Gesichtern., Der kleine Danny O'Trive haut so wuchtige Akkorde aus dem Klavier, daß es in allen Fugen ächzt. Dazwi schen schreit er: „Ruuuhe! Ruuuhe!“ Irgendwie lockert sich das Gemetzel auf. Nur noch vier Boys vertrimmen einander. No. Jetzt gehen sie zu dritt auf den von Grace' Gunst beglückten Charly los. Das ist eine entscheidende Sekunde im Leben Rock Jasons. Mit dem Zornesschrei: „Ihr Feiglinge! Zu dritt gegen einen!“ stürzt er sich zwischen die Raufer. Sekunden danach taumeln zwei von ihnen auf die Planken, von Jasons blitzschnellen Fäusten umgeweht. Der dritte holt von unten aus und will Rock Jason im Magen erwischen. Der aber weicht mit aalglatter Bewe gung aus und kontert von der Seite. Der Gegner gerät ins Taumeln. Er schüttelt sich. Dann sackt auch er zu Boden. „Bravo, Fremder! Bravo!“ ruft Grace und klatscht in die Hände. Aus der Ecke, wo die fünf Honoratioren sitzen, gellt eine Stimme: „Fremder! Sie sind unser Mann!“ Jason, sich umwendend, fragt zum Tisch der fünf hinüber: „Haben Sie etwa mich gemeint, Gentlemen?“ Es ist richtiges Staunen in seinem Gesicht zu lesen, nein, wirklich. Nur Grace weiß, daß dieses Staunen ge spielt ist. - 23 -
In diesem Augenblick kommt der erste der drei Hauptraufer wieder aus seiner Ohnmacht hoch. Er schreit sofort los: „Eh! Von wegen drei gegen einen! Ich nehm's allein mit dir auf, Stranger! Come on!“ Rock Jason lächelt höhnisch. Seine Lippen sind ganz dünn. „Zieh!“ dröhnt der andere. „Nicht doch! Nicht doch, Cowboy!“ erwidert Jason mit einer ätzenden Gelassenheit, die den anderen erst recht auf die Palme bringt. „Bei drei ziehe ich wahrhaftig!“ schreit der Boy und winkelt beide Arme ein. „Ich lasse mich nicht einen Coyoten nennen! Eins ...! Zwei...!“ In dem Moment, wo der Junge drei schreien will, knallt es schon. Da, wo Jason steht und sozusagen bloß mal die Rechte nach unten wetzt. Rock Jasons Colt springt so schnell aus der Halfter in wenig über Hüfthöhe, wie eine Heuschrecke hüpfen kann, auch genauso unerwartet. Der Cowboy starrt auf die leere Hand und dann auf seinen am Boden liegenden Revolver. „Hell's fire! Ich bin unverletzt“, ächzt er und schüttelt sich und hält sich die gespreizte Rechte dicht vor die Nase, als könnte er das Ding noch nicht glauben. Dann sieht er zu Jason hinüber und meint: „Alle Achtung! Nun! Die Sache wäre damit wohl erledigt. Sie haben sich mir gestellt. Und jetzt kann ich 'nen Doppelstöckigen brauchen.“ Der Friedensrichter und auch die übrigen Honoratioren sind aufgestanden. Earl Hastings eilt den anderen voraus, steht vor Rock Jason und sagt, vernehmlich für alle im Raum: „Ich bin der Friedensrichter. Mein Name ist Earl Hastings. Wir - 24 -
haben Sie fighten gesehen! Hambrook braucht einen She riff! Bitte, Mister, hätten Sie nicht Lust, es zu werden? Wir würden jede Ihrer diesbezüglichen Bedingungen an nehmen.“ Ruthermere, der Storebesitzer, schaltet sich ein. „Sie bekämen natürlich einen Deputy, weil Sie als Marshal dieser Stadt auch zugleich Sheriff für den Three Creek District wären.“ „Yes! Dieser Gent wäre der einzig richtige Sheriff!“ schreit begeistert ein schon etwas angetrunkener junger Mann. „Oder sind Sie nur auf der Durchreise?“ fragt Friedensrichter Hastings. „Ein Mensch ist immer auf der Durchreise zu seinem letzten Hafen“, sagt Jason feierlich. „Fromm ist er auch noch“, tönt es gedehnt aus einer Ecke. „Stellen Sie Ihre Bedingungen, Mister ...!“ drängt Ruthermere. „Jason, Rock Jason ist mein Name. Da ich für die nächste Zeit nichts Besonderes vorhabe, meine Herren, will ich mir die Sache mal durch den Kopf gehen lassen“, sagt Jason., „Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Gentlemen!“ „Sie haben ja noch nicht einen Tropfen getrunken, Mr. Jason“, macht sich Ruthermere wieder zum Sprecher. „Bleiben Sie wenigstens auf einen einzigen Drink!“ „Na schön. Danke.“ Inzwischen kommen auch die beiden Boys wieder hoch, die Jasons Fäuste eine Zeitlang ins Traumland geschickt hatten. Man redet auf sie ein, zeigt auf Jason, der gerade am Honoratiorentisch Platz nimmt. Alles kommt wieder ins richtige Lot. - 25 -
Der kurzbeinige Danny O'Trive haut wieder in die Tasten. Die Girls haben alle Hände voll zu tun. Und dann wird getanzt. Die Herren Stadtväter können ,in ihrer Nische ungestört mit Mr. Rock Jason verhandeln. Sie bieten ihm zwei Dollar pro Tag. Jason verlangt drei. Man sagt sie ihm zu, obgleich noch niemals ein Marshal einen so hohen Sold bekommen hat. Doch man denkt dabei an die Jenkins-Bande und die Sicherheit der Stadt. Rock Jason kommt selbst darauf zu sprechen. „Ich bin zwar erst einen halben Tag und eine Nacht hier in Hambrook, aber ich habe gehört, daß die JenkinsBanditen sich in dieser Gegend herumtreiben. Nun kriegen Sie kein Schütteln, Gentlemen! Gerade das reizt mich ja zu diesem Sheriffjob.“ Die Stadtväter atmen sichtbar auf. „Doch noch eins!“ fährt Jason fort. „Sobald ich Ruhe in dieser Gegend geschaffen habe, ich meine, sobald im Distrikt alles wieder sicher ist, kann ich den Stern wieder abgeben, falls ich Lust dazu habe. Gemacht?“ „Gemacht“, sagen die tapferen Männer von Ham brook. Nach Vereinnahmung eines Whisky verläßt Rock Jason den White Horse Saloon. Auf seiner Brust schimmert der Fünfzack. Ruthermere aber spricht unaufgefordert zum Volk, weil gerade eine Musik- und Tanzpause eingetreten ist. Er fragt lauthals, während er hinter Jason herzeigt, der soeben die Pendeltür erreicht hat: „Seht, Leute! Wir haben wieder einen Marshal und Sheriff! Wie wäre es nun mit einem Deputy? Hat keiner von euch Lust dazu? He, an der Seite eines solchen Fighters?“ - 26 -
Zwei Tische vom Sprecher entfernt sitzt seit geraumer Zeit ein Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, auffal lend blond, blauäugig. Er sieht gut aus, energisch. Er hat den Trubel aus Tanz, und Lärm offenbar völlig uninteres siert an sich vorüberziehen lassen. Er wirkt irgendwie zuverlässig. Ruthermere peilt diesen Mann jetzt an. „Sie, Fremder, hätten Sie nicht Lust und Mumm?“ Ruthermere legt eine Atempause ein. „Ein Fremder hat unsere Stadt aus der momentanen Verlegenheit geholt. Warum sollen nicht fremde Männer den Stern tragen, wenn sie richtige Männer sind, wie zum Beispiel Mr. Rock Jason, unser neuer Sheriff, den die hier anwesende Abordnung der Stadträte soeben eingesetzt hat? Warum nicht? Wie wäre es zum Beispiel mit Ihnen?“ Der Blonde gibt keine Antwort. „Nun?“ schaltet sich jetzt auch Friedensrichter Hastings ein. „Seltsame Stadt, in der nur Fremde richtige Männer zu sein scheinen“, sagt der Blondschopf in die Stille, die nur von einem kurzen, girrenden Mädchenlachen durch kullert wird. Dann sagt der Mann noch etwas, und zwar in Richtung Theke, wo eben eins der Girls mit einem Dutzend Whiskygläser hantiert: „Bitte zahlen!“ Als dies geschehen ist, steht der Blonde auf. Er kommt am Tisch der fünf Gewichtigen vorbei, bleibt einen Moment stehen und sagt: „Mein Name ist Ray Dexter. Ich habe zwar Interessen in dieser Gegend, aber ganz andere, als Sie es wünschen möchten. Ich würde gerne das Weideland kaufen, das sich westlich dieser Stadt bis zu Ant Hopelongs Amboß-Ranch erstreckt.“ „Darüber ließe sich auch reden, warum nicht“, meint - 27 -
Hastings. „Besuchen Sie mich morgen! Im Sheriff's Office! Ich werde gegen elf Uhr am Vormittag dort sein.“ Jason steht noch bei der Pendeltür. Man hat den Eindruck, daß er immer nur diesen blonden Ray Dexter mustert. Man irrt sich wohl. Rock Jason winkt zum Friedensrichter hinüber. „Ich habe noch mitgehört!“ ruft er. „Ich erwarte Sie beide, also Punkt elf morgen früh.“ „Gratuliere zur ersten Amtshandlung!“ echot Hastings, und Rock Jason verläßt den Saloon endgültig. Kurz nach ihm geht auch Dexter. *** Es gibt Bürger, welche es sehr genau nehmen, wenn es um amtliche Dinge geht, und das ist im Prinzip auch gut so. Von den einheimischen Gästen sind es an diesem Abend über die Hälfte, die nun auf den Tisch der Stadt väter zurücken, zunächst mit Zurufen. „Seit wann wird ein neuer Sheriff am Biertisch gemacht?“ „Warum wird nicht erst eine Versammlung anberaumt, damit eine regelrechte Wahl stattfinden kann?“ Die Antworten der Männer um Friedensrichter Hastings lassen nicht auf sich warten. „Hier und heute haben wir einen Notstand, Freunde!“ „Die Jenkins-Bande steht sozusagen vor unseren Toren! Warum will denn niemand von euch den Stern nehmen, he?“ Und die Anrührer der Debatte, nicht faul mit der - 28 -
Antwort, argumentieren: „Sind wir paar Boys hier im Saloon die Stadt? Nicht mal ein Viertel, ein Achtel der Stadt sind hier!“ „Wir wollen wissen, wer der Fremde überhaupt ist! Soll vielleicht ein x-beliebiger Strolch...?“ „Keine Beleidigung gegen jemanden, den ihr kaum kennt!“ wehrt Ruthermere ab. „Kaum kennen? Überhaupt nichts außer seiner Fassade! Vielleicht gehört dieser Jason zur JenkinsBande und will uns ausspielen?“ „Jetzt reicht es aber! Also, gut! Morgen früh um halb neun sind alle Männer dieser Stadt in der Stadthalle! Um den neuen Sheriff zu bestätigen oder einen anderen für ihn zu wählen! Eh, Girls! Mady! Jenny! Wir zahlen!“ Es ist das letzte Wort, das Friedensrichter Earl Hastings an diesem Abend im White Horse Saloon spricht. Die Herren zahlen und gehen. Der kleine, meist lustige Klavierakrobat Danny O'Trive mag keine gestörte Stimmung, und darum pfeffert er wieder eine bessere an. „Hallo, everybody! Es geht wieder los!“ schreit das Kerlchen und haut einen Akkord in die Tasten, daß sie wackeln. „Grace soll singen!“ johlt ein Cowboy, und aus allen Kehlen braust der Beifall. Grace singt diesmal keine Opernarie, sondern das Lied von der sanften Susan Holliday, die keinen Mann bekommen konnte, weil sie niemand anfassen durfte, dieweil sie furchtbar kitzelig war, und die noch im hohen Jungfernalter aua schrie, wenn man sie nur im Vorüber gehen streifte. Deshalb mied Susan Holliday stets achtsamst jedes Menschengedränge. Sie starb am - 29 -
Herzschlag. Mitten auf der Main Street. Vor purem Schreck. Ein kleiner Junge hatte sie mit einem Strohhalm gekitzelt. Von hinten! — Auf ihr Grab pflanzte man Mimosen, nur Mimosen. *** Tatsächlich ist fast die gesamte ausgewachsene Männerwelt pünktlich um halb neun in der Stadthalle versammelt. Auf dem Podest, wo der Tisch mit den daran sitzenden Stadtvätern steht, hat man den Kandidaten postiert, der bereits den Fünfzack trägt. Der beredsame Ruthermere schildert noch einmal die Vorgänge des gestrigen Abends im White Horse Saloon, obgleich diese Story von der Schlagkraft Jasons längst seit dem Morgengrauen die Runde durch Hambrook gemacht hat. Ruthermere erwähnt auch den tollen Blitzschuß, der jenem übermütigen Cowboy die Waffe aus der Hand wetzte, ohne diese Hand zu verletzen, und natürlich erinnert er auch noch einmal an die JenkinsBande. Danach fordert der Friedensrichter die Anwesenden auf, den rechten Arm zu recken, wenn man für Rock Jason ist. Es fliegen alle rechten Arme hoch. Manche Leute recken sogar alle zwei. So ist dem Verlangen derer, die eine ordnungsgemäße Sheriffswahl forderten, gründlich genug getan. Roy Jason ist als Sheriff und Marshal bestätigt. Hastings und seine Freunde sind einigermaßen erstaunt, daß die Nörgler des gestrigen Abends keine Rechenschaft über Jasons Vergangenheit und Herkunft verlangen. - 30 -
Aber als nun nach einem Freiwilligen gerufen wird, der als Deputy an die Seite Jasons treten will, meldet sich niemand. Unter den vielen Versammelten steht auch jener andere Fremde, der blondschopfige, energisch aussehende Ray Dexter, der, von den Stadtpapas gestri gen Abends im Saloon angesprochen, kundtat, daß er das freie Weideland westlich der Stadt zu erstehen gedenke. Dieser Mann läßt den neuen Sheriff nicht aus den Augen. Manchmal weht dabei ein sehr spottischer Zug für Sekundenschnelle über das sympathische Gesicht Dexters. Die Stadthalle leert sich. Als letzter geht Dexter nach draußen. Er murmelt vor sich hin: „Na, warte, warte!“ Und dann murmelt er noch dazu: „Dein Pech, mein Gluck, daß du mich nicht kennen kannst! Am Galgen sollst du hängen, Sheriff!“ *** Im Office des neuen Sheriffs stellt sich außer dem blonden Mr. Dexter und verabredungsgemäß dem Friedensrichter auch noch der Knirps Danny O'Trive ein, exakt eine Minute, nachdem die drei anderen Männer zusammen sind, um über den Kaufantrag Ray Dexters zu sprechen. „Was wollen denn Sie jetzt hier?“ tönt Hastings. Der kleine Mann stemmt die Fäuste recht selbst bewußt in die Hüften. „Mr. Friedensrichter, meine Herren! Sie waren doch heiß erpicht auf einen Deputy für den neuen Sheriff! Hier ist er!“ Hastings grinst, kichert, lacht. — Dexter hält sich seelisch abseits und gleichgültig. Rock Jason kitzelt - 31 -
seinen Stern, als habe er gerade Putzstunde und nicht richtig hingehört. Danny O'Trive aber holt gemächlich unter seinem fast knielangen Halbhemd, oder soll's eine Imitation von le gerem Bratenrock sein...? Jedenfalls holt er unter diesem ganz persönlichen Kleidungsstück einen 45er hervor, weist mit ausgestrecktem Arm auf eine dicke Fliege, die sich gerade einen halben Zoll neben Jasons Schulter auf dessen Stuhllehne niederläßt. „Hochwerte Gents, sehen Sie die Schmeißlerche? Eh, Sheriff, bleiben Sie ruhig! Sonst fliegt sie weg. Ah, ver dammt noch mal, sie ist schon gestartet! Na, nehmen wir was anderes, zum Beispiel die ausgetrocknete Pflaume, die da drüben auf dem alten Kanonenofen herumfault, well... Eh, Amigos und Gentlemen! Nicht die Pflaume selber will ich treffen, sondern den Kopf des Streichholzes, das der letzte Sheriff wahrscheinlich aus Langeweile und Spielerei draufgepickt hat. Moment! Jetzt!“ Furchtbar hart hallt die Detonation im Zimmer. Friedensrichter Hastings sackt vor Schreck auf das Sofa, auf dem Jim Calahan, der Vorgänger des neuesten Sternträgers, mit seinen Girls sein Zeitliches ver schönerte. Aber den Streichholzkopf, der so schön schwefelrosa wie eine sanft errötende Sonntagsschülerin im fast fortge schrittenen Entwicklungsstadium erglühte, wenn das Licht drauffiel, den Schwefelholzminikopf gibt es nicht Hol's der Leibhaftige!“ staunt Hastings. „Der kleine Mann kann mehr als Klavier spielen. Alle Achtung! Wo haben Sie das denn gelernt, O'Trive?“ „Hihi, hoho, Mr. Hastings! Ich bin über vier Jahre beim Showunternehmen des einstigen Army-Scouts - 32 -
Buffalo Bill gewesen. Als Kunstschütze und Pianist! Wenn ich schoß, intonierte die Kapelle statt mit meinem Piano mit Ziehharmonika, Flöte und zwei Fagotts, einer heiseren Trompete und Trommel-bumbum. Well, und so biete ich mich, wie bereits gesagt...“ „Moment mal!“ unterbricht ihn Friedensrichter Hastings. „Was wird aus dem White Horse Saloon, wenn Sie nicht mehr dort Klavier spielen und Stimmung machen?“ Little Danny O'Trive grinst, und dann fällt sein Pausbackengesicht in schier befremdliche Länge, allerdings ohne blaß zu werden. „Meine verehrten Anwesenden, zuvorderst Mr. Friedensrichter!“ „Männchen, lassen Sie diese verrückte Art, mich — uns anzureden!“ knurrt Hastings. Unberührt von dieser Einlage, fährt der Knirps fort: „Das Klavier im White Horse Saloon hat ausgepianiert! Seit letzter Nacht!“ „Wie das?“ will Hastings wissen. Little Danny grinst wieder bis nahezu an die Ohren. Seine Mundlippenlinien erreichen wirklich und wahr haftig fast die Außenenden der Jochbeine überhaut, was bis zu den Ohren nicht mehr sonderlich weit ist. Danny erzählt: „Meine sehr verehrten Gentlemen! Nachdem Sie die Arena verlassen hatten, ging ein richtiger übermütiger Superzirkus los. Es fehlten nur die Löwen! Aber das Gebrüll, das die ganze Gästemeute anstellte, als die Neue, diese busen- und hüftfrohe Gra ce, auf dem Klavier, meinem Klavier, ihren Supertanz loslegte und dabei das Lied von der noch viel über mütigeren und versoffenen Calamity Jane anfing, da blieb kein Auge trocken. Da warfen sich die anderen vier - 33 -
Girls wie auf Geheimkommando auf die diversen Cow boyschöße und -schenkel! Well, und dann trampelten doch alle fünf Langhaarigen auf meinem Klavierdeckel herum, daß die Röcke und die anderen Sachen nur so mittanzten. Und hast du nicht gesehen, krachte der ganze Apparat zusammen. Der Klavierdeckel ist hin. Ah, wenn es das nur wäre! Hoho! Von acht Oktaven weißer Tasten sind zweieinhalb futsch, und die schwarzen Tasten sind noch schlimmer gezehntelt, alle hin, so als wären nicht fünf mal zwei Häschenpfoten mit Hackenabsätzen darauf herumgetrampelt und gehupft, sondern zehnmal so viele. Mache ich's kurz, euer sämtliche Ehren! Das Piano ist hin! Unreparabel! Ehe das nächste halbe Jahr vergeht, kriegt der gute White Horse Saloon bestimmt kein neues Klavier mehr aus was weiß ich welcher östlichen Klamaukmetropole! Und da bin ich nun und sage: Wir — der neue Sheriff und ich —, wir werden die ganze Jenkins-Bande in die Hölle jagen! Oder ich will nicht sein, der ich bin, nämlich der zweitbeste Animier- und Spezialitäten-Pianokünstler zwischen Frisco und Washington! Hat jemand noch was dagegen zu predigen?“ Friedensrichter Hastings deutet von oben herab mit dem Zeigefinger auf den kleinen Mann hinab und fragt: „Danny O'Trive! Woher nehmen Sie soviel Selbst bewußtsein?“ „Zunächst mal bin ich Mr. Dan O'Trive, Mr. Hastings. Und dann habe ich Ihnen und den anderen hier an dachtsvollen Mithörern bewiesen, daß ich mit 'nem Revolver genauso gut umgehen kann wie mit Beethovens Neunter.“ „Wer ist Beethoven, und was hat er zum neuntenmal angestellt?“ fragt Mr. Hastings. - 34 -
„Er war ein berühmter Boxer in Old England und hat neunmal hintereinander gewonnen, durch Knockout“, be lehrt den Unwissenden der nagelneue Sheriff. „Irrtum!“ trompetet Little Danny O'Trive. „Er war berüchtigter Musikus und am Klavier fast so gut wie ich. Nebenbei soll er schwerhörig gewesen sein.“ „Geworden, weil er wahrscheinlich viel zuviel auf dem Piano herumgewuchtet hat!“ bemerkt der Friedens richter, schier wütend. Denn der Knirps ist ihm zuselbstsicher. „Aber wir nehmen Sie an — als Deputy, meine ich“, fügt er schleunigst hinzu. „Stop!“ sagt Rock Jason plötzlich. „Ich habe mir den ganzen Ulk bis jetzt ruhig angehört. Aber ich lehne den kleinen Mann da ab.“ „Mich ablehnen? Warum und wieso?“ protestiert Danny O'Trive. „Als Pianist im White Horse Saloon sind Sie auf Ihre Art Klasse, Mann. Aber wie wollen Sie den Leuten in dieser Stadt Respekt abverlangen?“ Danny klopft auf die Stelle, wo unter seinem seltsam langen Kittel der Colt hängt. „Hiermit, Sheriff Jason!“ Der Friedensrichter zuckt die Schultern. Jason klopft dem Knirps auf die seine und meint: „Gehen Sie, Mann! Flicken Sie sich Ihr Piano wieder zurecht! Die Menschheit wartet darauf!“ „Danke! Mann, Sheriff, Sie haben einen Freund verloren! Und Sie werden's vielleicht noch zu spüren bekommen, was ich in Wirklichkeit wert bin!“ kontert der Kleine beleidigt und zieht davon. „War doch wohl richtiger so“, druckst Hastings. „Können wir endlich zu meiner Sache kommen?“ fragt Ray Dexter gelassen. „Irgendwann wird sich doch - 35 -
wohl ein Deputy finden lassen.“ Hastings hilft dem neuen Sheriff, eine Geländeskizze des Three-Creek-Bezirks zu finden, die zwischen ein paar verstaubten Akten liegt. Friedensrichter Hastings macht die beiden Männer auf ein seit Generationen ungeschriebenes Gesetz aufmerk sam. Danach muß rund um Hambrook ein Bezirk von zehn Meilen freigehalten werden. Für den Fall, daß sich Sägewerke und andere Betriebe in diesem Gebiet niederlassen wollen. „Bleiben bis zu Ihrer künftigen Nachbarranch im Westen ganze zwölf Meilen in dieser Richtung für Ihre Ranchweide übrig“, meint Hastings. „Von Süden nach Norden sind es ein paar Meilen mehr.“ Ray Dexter zeigt auf den entsprechenden Streifen auf der Geländeskizze und sagt: „Ich kaufe dieses Land.“ Sheriff Jason will höher treiben, als Hastings den Preis nennt. Aber Hastings sagt ihm, daß dieser Preis seit langem für Hambrook feststeht. „Sie haben doch sowieso nichts davon, Sheriff“, meint Hastings noch dazu. „Ihr Gehalt steht ja auch bereits fest.“ Doch Jason ist irgendwie verärgert. „Sind Sie denn Rinderfachmann, Mr. Dexter, und haben Sie genug Geld, um sich eine anständige Herde auf Ihre neue Weide zu stellen?“ „Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein, Sheriff!“ kontert Dexter energisch. „Meine zukünftige Ranch liegt ja nun, by Gosh, recht nahe bei Ihrer Stadt hier. Da haben Sie es ja nicht weit, gelegentlich nachzusehen, wie klein oder groß ich als Rancher sein werde. Kommen Sie, bitte, zur Sache und setzen den Kaufvertrag auf! Ich habe keine Zeit zu vergeuden!“ - 36 -
Dexter holt eine Brieftasche hervor, entnimmt ihr einen Bankauszug und zeigt ihn dem Friedensrichter. Dabei steht Dexter so, daß Jason das Papier nicht einsehen kann. Rasch steckt Ray Dexter Auszug und Brieftasche wieder weg. Zum neuen Ärger Jasons, der diesmal versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Als Ray Dexter geht, hat er ein Duplikat des Kaufvertrags in der Tasche, unterzeichnet vom Friedensrichter, der zugleich als Notar fungiert, und von Sheriff Jason. „Ein Dickschädel, dieser blonde Hombre“, meint Jason, als Dexter gegangen ist. „Was hat er Ihnen denn vorhin gezeigt, Sir?“ „Einen Bankauszug der National Bank in Tucson. ,Sie zweifelten offenbar an, ob Dexter über solide Mittel verfügt.“ „Muß man das nicht, wenn ein Wildfremder kommt und 'ne Ranch aufziehen will, Sir?“ „Jason, Sie scheinen auch in dieser Beziehung der richtige Mann, das Gesetz zu hüten. Aber was diesen Dexter angeht, seien Sie beruhigt!“ *** Um dieselbe Zeit steht der Knirps Danny O'Trive auf dem Sidewalk, auf dem er Ray Dexter kommen sieht. „Das verdammte Piano ist wirklich radikal futsch“, erzählt er dem bei ihm stehen bleibenden Ray Dexter. „Jetzt kann der White-Horse-Boß wieder sein altes mechanisches Klavier aufstellen. Aber mein Job ist hin.“ „Wollen Sie für mich arbeiten, Mr. O'Trive?“ fragt Dexter. „Da ich allerhand Arbeit bekomme, erst mal mit - 37 -
dem Bau meines Ranchhauses und was noch an Bauten dazu gehört, kann ich einen hellen Boy wie Sie gut brau chen. Ich kann nicht überall sein und hätte darum gern einen Mann, dem ich vertrauen kann und der da überwacht, wo ich gerade nicht zur Stelle bin.“ Danny O'Trive strahlt. „Sie vertrauen mir also? Sie kennen mich doch noch viel zuwenig, Mr. Dexter.“ „Lieber Freund, ich habe da eine einfache Methode. Sie sehen Ihren Mitmenschen offen in die Augen, was längst nicht jeder hier in Hambrook tut.“ „Zum Beispiel dieser hergelaufene neue Sheriff, oder?“ Ray Dexter antwortet nicht. Er stellt vielmehr die Frage: „Nun, wie ist es? Packen Sie zu?“ Da greift der kleine Mann spontan nach Dexters Rechte und schüttelt sie. „Ich sage Boß! Und nennen Sie mich Danny, Boß!“ „In Ordnung, Danny! Haben Sie ein Pferd?“ „No, nicht mehr. Früher mal, Boß.“ „Well, dann kaufen wir eins! Wir reiten nach Bronkfield Settlement! Ich habe dort das neue Sägewerk gesehen. Je eher das Ranchhaus steht, um so eher kann meine Crew mit den Rindern kommen.“ „Haben Sie denn schon eine Mannschaft, Boß?“ „So gut wie.“ Und während sie die Main Street hinabgehen, erzählt Dexter von einer Ranchweide, wo er zuletzt als Vormann ritt. Bis ein neuer Boß kam, der mehr vom Kommandieren als von Rindern verstand. Sieben Boys und Vormann Dexter kündigten. „Und nun“, so fährt Dexter fort, „warten die sieben Boys darauf, daß ich sie hole.“ - 38 -
Danny O'Trive ist ein gründlicher Mensch. Er will es genau wissen. Darum fragt er: „Aber wieso hatten Sie's denn nötig, auf fremder Weide den Vormann zu machen, wenn Sie nun selber ranchen wollen, Boß?“ „War für mich eine Art Vorübung“, sagt“ Dexter lachend. „Meinen Cowboys habe ich erst zuletzt, als wir kündigten, bekannt, daß ich seinerzeit in den Gray Mounts genug Geld gemacht habe, um mir ein stattliches Bankkonto aufzutun. Das war's.“ „Und da drüben ist Herby's Livery Stable. Er handelt auch mit Pferden, und ich weiß, daß er erst vor drei Ta gen frische Tiere gekauft hat.“ „Dann liegen wir ja richtig.“ „Yes, Boß!“ *** Ant Hopelong, der Großrancher, dessen Weide dreißig Meilen westlich von Hambrook liegt, ist erstaunt über das, was er durch den Postboten hört. „Da ist ein junger Fremder in die Stadt gekommen. Er hat das Land aufgekauft, daß zehn Meilen, nur zehn Meilen diesseits der Stadt liegt und bis zu den Hügeln reicht, die Ihre Ranch hier nach Osten abgrenzen. Ray Dexter heißt er.“ „So“, dehnt der Rancher nur. Aber sein Sohn Brian, fünfundzwanzigjährig, knurrt etwas in sich hinein. Sein Vater hat es nicht verstanden, weil Brian auf dem Haupthausvorbau, der Rancher aber beim Postreiter steht. Jetzt dreht sich Ant Hopelong um und fragt seinen Sohn: „Was hast du gemeint, Brian?“ „Och, nichts von Bedeutung“, entgegnet der. - 39 -
Es waren nur zwei Worte, die der Sohn des Hauses dahergemurrt hatte: „Zum Teufel!“ Der Postreiter fährt fort: „Nun was Verrücktes, Mr. Hopelong. Dieser Ray Dexter hat sich als ersten Mann für seine neue Crew den Zwerg Danny O'Trive, den Klavierspieler aus dem White Horse Saloon, gechartert.“ Der Rancher grinst. Sein Sohn Brian bricht in schallendes Gelächter aus. Als der Postreiter wieder weitergezogen ist, fragt Ant Hopelong seinen Sproß: „Nun mal offen und ehrlich, Brian! Was gefällt dir nicht daran, daß jemand die freien Weiden auf der anderen Seite der Hügel erstanden hat und ranchen will?“ „Von den Hügeln kommt das Wasser für unsere Weide, Dad. Well. Und auf der anderen Seite fließt genauso ein hübscher Creek auf die freien Weiden, die jetzt diesem Fremden namens Ray Dexter gehören sollen.“ „Was ist dabei? Gönnst du ihm den Creek nicht, Brian? Wir haben doch genug Wasser für unsere Weiden.“ „Na ja“, dehnt der Sohn. „Gut, ich gönn's ihm. Aber was wird, wenn wir Fleischrinder nach Red Spring Station treiben wollen? Der Weg südlich der Hügel ist ein Umweg von gut sieben Meilen.“ „An denen uns die Tiere nicht eingehen oder wegmagern werden“, kontert der Rancher. „Sage besser ganz und gar ehrlich, was dein Traum ist! Du möchtest auch noch das Land zwischen den Hügeln und Hambrook haben, um näher an der Stadt zu sein. Stimmt's?“ „Was keineswegs von Schaden gewesen wäre, Dad.“ „Pipe down! Erstens ist unsere Weide groß genug. Zweitens brauche ich keine Städter als nächste Nachbarn. - 40 -
Es sind immer zu viele Schnüffler darunter. Mir gefällt's sogar, daß wir im Osten einen Rancher als Nachbarn bekommen.“ „Der sich einen abgebrochenen Riesen, einen Piano trommler, als ersten in seine Mannschaft holt“, höhnt Brian Hopelong. „Vielleicht schafft ihm dieser Ray Dexter auch noch ein Klavier an. Für die Weide. Damit der Knirps Danny O'Trive den Longhorns tagsüber Musik macht und sie vor lauter guter Laune schneller wachsen und Fleisch ansetzen.“ „Du bist ein komischer Witzbold, Brian. Eh, was anderes! Reite doch mal zur Nordweide und sieh nach, wie weit die Boys mit dem Bränden der Kälber sind!“ Brian nickt beiläufig und geht zum Korral, um sich seinen Braunen zu satteln. Am Fenster rechts neben der Haustür meldet sich eine melodische Stimme. Sie gehört Myra Hopelong, Brians einziger Schwester. „Mir gefällt es, daß wir einen neuen Nachbarn bekommen“, meint sie, als sich ihr Vater gerade wieder dem Haus zuwendet. „Ich denke, Ray Dexter hat den kleinen Danny O'Trive nicht als Cowboy angestellt.“ „Als Koch vielleicht?“ fragt Hopelong. „No, Dad, ganz einfach: zum Klavier spielen. Vielleicht ist Dexter verheiratet, und seine Frau liebt Musik im Haus.“ „Kann auch sein“, nickt der Rancher. „Wir werden ja sehen, Kind.“ Das Kind ist hübsche zwanzig Lenze alt und von Mutter Natur mit all denjenigen Reizen bedacht, welche es Männern antun können. Sie ist schwarzhaarig wie Vater und Bruder, und wie auch die Mutter war. Der Rancher hängt besonders an Myra. Sie sieht ihrer Mutter so ähnlich, die viel zu früh starb. Ant Hopelong - 41 -
kann verstehen, daß sich Myra über neue Nachbarn freut. Ihr Leben unter den rauhbeinigen Cowpunchern ist nicht gerade abwechslungsreich. Ant Hopelong denkt ungern an den Tag, da ein junger Mann kommen und Myra ihm wegholen wird. *** Auf der Suche nach einem Deputy grast Rock Jason einige Saloons der Stadt ab. Er findet ihn in Bernetts Saloon, und das Ding tut sich so: In Bernetts Saloon wird viel und oft recht hoch gepokert. Auch als Jason eintritt, ist des Teufels Gebetbuch ganz groß in Betrieb. Beim Eintritt des neuen Sheriffs äugen ein paar der Spieler ein wenig geduckt zum Sternträger hinüber. „Nicht stören lassen, Leute!“ sagt Rock Jason im Vorbeischlendern. „Mir ist es schnurz und piepe, wie viel einer verliert oder gewinnt. Seine Sache!“ Die Boys am großen runden Spielertisch grinsen befreit. „Unser Neuer ist all right“, meint einer. Jason bleibt bei der Theke stehen, bestellt sich einen Doppelten und sieht den Spielern zu. Dabei lehnt er mit dem Rücken zur Theke. Es sind außer den Kartenhaien wenig Gäste im Drinkroom um diese Zeit. Rock Jason beobachtet gut. Er hat Augen für das, was die Spieler tun, vor allem für das, was die Partner nicht sehen sollen. Nach knapp fünf Minuten weiß Jason, daß einer der fünf Boys dort am Rundtisch ganz erheblich mogelt. Der Mann ist darin sehr geschickt. Für einen - 42 -
Rock Jason allerdings nicht clever genug. Denn der hat sich selber auf diesem Feld schon oft und mit Erfolg betätigt. Der Boy, den der neue Sheriff insgeheim entlarvt, ist ein athletischer Dreißiger, der, wenigstens was sein Äu ßeres angeht, bei einem Boxmatch keine üble Figur abgeben würde. Und gerade als Jason das denkt, bietet ihm eben dieser Falschspieler den Beweis dafür, daß sein heimlicher Be obachter Menschenkenntnis besitzt. Denn einer der Kartenmixer hat die Mogelei bemerkt und knallt Faust und Blätter auf die Tischplatte, schreit: „Kevin Chase! Du hast das Kreuzas aus deinem linken Ärmel herausgeschlenzt! He! Das Spiel ist ungültig!“ „Narr! Du spinnst!“ kontert der athletische Kevin Chase. Sein Gegenüber reißt den Colt aus der Halfter, hat ihn aber noch nicht richtig über Tischrandhöhe, als ihm der jäh auf ihn zu kippende schwere Tisch gegen die Oberschenkel wuchtet. Gläser, Karten und Geld rutschen ab. Glas zerspringt am Boden. Seine beiden Neben männer, die Kevin Chase hindern wollen, weiter loszutoben, schleudert der Berserker wie Bälle von sich ab. Die beiden Boys landen am Boden. In diesem Augenblick schaltet sich Sheriff Rock Jason ein. Genau im richtigen! Denn der eine der beiden Bodenspekulanten schickt sich an, die vielen auf den Planken liegenden Banknoten und Münzen an sich zu raffen. Jason tritt ihm auf die Hand. „Stop! Amigo!“ Jenseits des umgekippten Tisches kraxelt der Mann wieder hoch, dem das Möbel gegen die Oberschenkel - 43 -
knallte. Er stöhnt. Er flucht. Derjenige, den Jason daran hinderte, seine Ernte am Boden zu halten, taumelt hoch. Hinter ihm kommt auch der andere Boy wieder auf die Füße. „Jetzt hört ihr mal alle her, Boys!“ dröhnt Rock Jason. „Ich habe euch erzählt, daß es mich einen räudigen Pfer deschwanz interessiert, wie hoch ihr gewinnt oder verliert! Aber sobald ihr herumrauft, schalte ich mich als Sheriff ein, klar?“ Er legt eine wirksame Pause ein, ehe er fortfährt: „Ich habe euer Spiel genau verfolgt.“ Jason zeigt auf den Mann, der sich einen seiner angeknacksten Schenkel hält. „Und Sie, Mann, haben sich geirrt! Es sah wohl so aus, als habe Mr. Kevin Chase das Kreuzas aus dem Ärmel geholt. Aber ich habe zufällig gesehen, daß es umgekehrt war. Das As ist ihm unversehens aus seiner Hand geglitten und halb in seinen Ärmel hinein gerutscht.“ Alle starren ihn groß an, am erstauntesten ist Kevin Chase selber. Aber er kapiert. „Da habt ihr's!“ triumphiert er. „Und der Zaster ist mein! Nächstens riskiert ihr eben weniger, wenn ihr weniger verlieren wollt!“ „So ist es wohl“, sagt der neue Sheriff salbungsvoll. „Nun bringen wir den Tisch wieder auf die Beine und sind friedlich! Aber erst geben Sie Mr. Chase Gelegenheit, sich sein Geld zusammenzuholen!“ „Seltsam, seltsam, wie man sich doch irren kann“, murmelt der Boy, der Kevin Chase' Falschspiel Schranken setzen wollte. „Ich spendiere eine Runde Whisky“, tönt Jason, als der fuchsige Kevin Chase seine unberechtigte Ernte am Boden gehalten hat und der Tisch wieder auf seinen vier Beinen steht. - 44 -
Rock Jason setzt sich zu den Boys. Er wendet sich an den nun links neben ihm sitzenden Chase und sagt: „Was treiben Sie so beruflich?“ „Ich fahre über Land und verkaufe Schnürsenkel, Seife, Sicherheitsnadeln, Nähgarn, Tabak, Halstücher, Schmuck für Ladys und solche, die es gerne wären, und das Geschäft spielt sich zwischen hier, Green Settlement und Bronkfield ab. Mein Laden ist mein Wagen, und zwei flotte Fuchsstuten ziehen ihn kreuz und quer durch den Three-Creek-Bezirk.“ Barry Laine, der Mann, dem die Tischkante guten Tag sagte, kann es sich nicht verkneifen, eine spitze Be merkung zu machen. „Aber Sheriff, sein Hauptgeschäft macht er mit den Karten. Hat ja genug Orte, in denen er die Gelegenheit dazu findet.“ Der Muskelmann Kevin Chase rutscht erregt auf seinem Stuhl herum. „Barry! Du bist und bleibst ein Giftpilz!“ zischt er und hat bereits wieder eine seiner mächtigen Fäuste geballt. „Mr. Kevin Chase, Sie sind mein Mann!“ sagt der neue Sheriff unvermittelt. Gerade kommen die bestellten Whisky. Man ist verstummt, weil man eine weitere Erklärung Jasons erwartet, und diese kommt natürlich auch prompt. „Ich habe gesehen, daß Sie Kraft haben und rasch zupacken können, Chase. Hängen Sie Ihren Pedlarjob mit den Unsicherheitsnadeln und dem anderen Kram an den Nagel, und werden Sie mein Deputy! Sie fahren nicht schlecht dabei. Ich brauche einen Mann, der sich Luft schaffen kann, Luft und Respekt, wenn's nötig ist! Und ein Deputy braucht das ja. Schlagen Sie ein, Kevin!“ Kevin Chase zählt erst einmal gemächlich den Ertrag - 45 -
seiner letzten Mogelei, schiebt sich den ganzen Segen in die linke Brusttasche seiner ärmellosen Lederweste und murmelt: „Right, Sheriff! Wann fange ich an?“ „Seien Sie in einer Stunde bei mir im Office, Freund!“ sagt Rock Jason. Er zahlt die Zeche und geht. *** Zwischen ihnen glitzert die Whiskyflasche. Sie steht auf dem kleinen Schreibtisch. Gegen die Chaiselongue, auf welcher Jasons Vorgänger und einstiger Mitbandit Jim Calahan mit seinen verschiedensten Miezen das uralte Adam-und-Eva-Spielchen in Schwung hielt, wirkt das wurmstichige Sekretärmöbel geradezu schmächtig. Kevin Chase grinst, seit er den Raum betreten hat. Rock Jason läßt ihn schmoren, aber jetzt bekennt er: „Natürlich habe ich gesehen, wie Sie das Kreuzas aus dem Ärmel praktizierten, mein Lieber. Aber ich mag Boys, die sowohl geschickt sind, als auch ihre Fäuste zu gebrauchen wissen. Nun mal ganz ehrlich! Wir zwei haben doch wie so manche nach außen hin wohl achtbare Bürger gelegentlich auch mal schiefe Jobs gelandet, oder?“ Kevin Chase schmunzelt. „Doch klar, Sheriff, ganz klar.“ Rock Jason schenkt noch einmal die Gläser voll, ehe er fortfährt: „Ich habe nicht die Absicht, hier in Hambrook bis an mein Lebensende den Sheriff zu spielen. Aber in diesem Amt lassen sich Geschäfte machen, wenn man's richtig anfängt, Geschäfte für Sie wie für mich, Kevin Chase.“ „Ich verstehe, Boß, packen wir's an! Als ich herkam, - 46 -
da habe ich unterwegs den Plan gefaßt, den Deputystern doch abzuweisen, aber jetzt, nachdem wir beide sozusagen klar gekommen sind, no, jetzt mache ich mit.“ „Bravo, vernünftig, mein Freund. Laß uns auf gute Zusammenarbeit trinken!“ „Cheerio, Boß!“ strahlt Chase. Mit lässiger Bewegung reicht Jason seinem Gegenüber einen Fünfzack. „Hefte ihn dir an, Amigo! Ich halte nichts von Vereidigung. Lets go! — Und jetzt zum Geschäft!“ sagt Jason, während sich Chase den Stern an seine breite Brust heftet. „Well, ich höre.“ „Ich habe gehört, daß die Hopelong-Ranch die weitaus größte in unserem Distrikt ist.“ „Das ist sie wirklich. Ant Hopelong hat über viertausend Rinder;“ Rock Jason lehnt sich weit über den Schreibtisch vor und peilt sein Gegenüber ziemlich lange stumm an. „Wenn aber zum Beispiel — ay, ay — eine Rinderpest auf Hopelongs Weide krassierte?“ „Dann — well —, dann könnte sogar so ein Weidekönig... in Geldverlegenheit kommen. Verstehe“, nickt Chase, aber ein wenig geschockt sieht er dabei drein. „Sie gehen aber ran, Boß“, fügt er hinzu und grinst. „Hopelong hat 'nen Erben und eine Tochter“, fängt Rock Jason wieder an. „Myra, o dear, sie ist bildhübsch, Boß“, sagt Kevin Chase. „Mal sehen, was sich da sonst noch machen läßt“, dehnt Jason. Er schnippt mit Daumen und Zeigefinger. „Naturlich würde für Sie, mein Freund, mehr als nur eine - 47 -
Kleinigkeit abfallen. Ich würde Ihnen ein Drittel der Ranch abtreten, sobald sie in meinem Besitz ist.“ „Good Lord! Das wäre ein Job“, strahlt Kevin Chase. Plötzlich aber zuckt er zusammen, schreckhaft, als habe ihn eine Tarantel in der Schulter erwischt. Vor dem unerwartet eiskalten Blick Jasons und dann auch vor dem jäh ganz fremdartigen hohlen Ton in dessen Stimme. „Vorausgesetzt, Sie mischen nicht mit, sondern lassen sich wegen Ihres Falschspiels doch noch zwei Dutzend Knochen zusammenschlagen. Wir Menschen haben noch mehr als nur zwei Dutzend!“ Kevin Chase versteht sehr gut. Er ist in Jasons Hand. „Es waren gute fünfhundertundvierzig Dollar, die Sie heute in Bernetts Saloon den Partnern abgefuchst haben“, fährt Rock Jason, nicht mehr ganz so drohend in der Stimme, fort. „Und anfangs wollte ich nur einen Mord verhindern, was man ja auch noch hinterher begründen kann.“ „Ich verstehe ganz genau“, zittert der Muskelmann Kevin Chase. Er spürt es förmlich auf der Haut, daß er diesem neuen Sternträger in keiner Weise ebenbürtig, geschweige denn gewachsen wäre. „Sie verkaufen am besten eins Ihrer beiden, Pferde und den Wagen, Kevin“, beginnt Rock Jason ein neues Kapitel. „Aber vorher würde ich noch eine letzte Tour machen und Green Settlement und Bronkfield anzapfen. Dort wird doch auch gespielt, oder?“ „Yes, dort auch, Boß.“ Jason füllt die beiden Whiskygläser noch einmal. „Ich selber werde, sozusagen zufällig, in dem Settlement wie auch in Bronkfield sein, wie gesagt, rein zufällig. Ich könnte dann wieder eingreifen, falls ir - 48 -
gendein Narr behauptet, Sie hätten die Asse doppelt und sogar im Ärmel.“ „Jetzt kapiere ich hundertprozentig“, freut sich Chase, der auf einmal so was wie Partnerschaft zwischen sich und dem langen Sheriff verspürt. „Es würde nicht auffallen — prosit, denn ich befinde mich als neuer Sternträger auch für den Three Creek District auf Informationsritt, nicht wahr, mein Freund?“ „Prosit!“ sagt Chase und stürzt sich den Inhalt des Glases in die Kehle. Nur noch ein einziges Mal kommt dieser eiskalte, hohle Ton in Rock Jasons Stimme, nämlich als er jetzt sagt: „Aber es wird hoch gespielt, so hoch, wie die anderen sich treiben lassen! Denn was dabei heraus kommen muß, ist unser Anfangskapital!“ Kevin Chase fühlt es zwar deutlich, daß Rock Jason in moralischer Beziehung noch viel schräger ist als er sel ber, aber ein Drittel vom Wert der Hopelong-Großranch ist auch etwas, und er traut diesem Mann zu, daß er auch erreicht, was er sich als Ziel setzt. Wenn er allerdings den neuen Sheriff von Hambrook und dessen Vergangenheit kennen würde, dann wüßte Kevin Chase bereits in diesem Augenblick, daß er schon so gut und schlecht wie ein toter Mann ist, so mausetot wie der vorherige Sheriff Jim Calahan und dessen Deputy Ed Morton, die draußen in der Prärie dicht beieinander unter den Gänseblümchen schlafen seit dem Tag, da Rock Jason in diese Gegend kam und auf seine Weise die Vergangenheit abräumte.
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Brian Hopelong ist als Sohn eines Großranchers zu stolz, um den Vorwitz zu zeigen, der ihn kitzelt, seit er weiß, daß ein Fremder namens Ray Dexter jenseits der Wasserscheide eine Ranch aufziehen will. So reitet er erst eine Woche nach Bekannt werden der Nachricht über den südlichen Teil von Dexters neuer Weide. Im Norden, da, wo wohl Dexters Haupthaus stehen soll, sieht er Pferdewägen stehen. Brian Hopelong peilt die Sache mit dem Fernglas an, das er sich extra mitgeaommen hat. Er wundert sich, wie viele Helfer dieser Dexter hat, und er fragt sich, woher er, der Fremde, sie so schnell bekam. Denn Brian zählt mindestens ein halbes Dutzend Männer, die da droben in gut siebenhundert Metern Ent fernung Bauholz tragen und an drei verschiedenen Stellen herumwerken, Was sie treiben, kann er sich denken. Erkennen läßt es sich bei der Entfernung nicht richtig. „Der Mann muß Geld haben, oder Freunde“, brummt Brian Hopelong verärgert vor sich hin. Denn sein Väter hat recht: Zu gerne würde er dieses Gebiet auf der Ostseite der Hills noch erworben und zur Ranch ausgebaut haben — und wenn es für seine Schwester Myra gewesen wäre. Damit das ganze Gebiet westlich Hambrooks in der Familie bliebe, wenn zum Teil auch unterm Namen eines eingeheirateten Schwagers. Brian Hopelong weiß jetzt schon, daß er Ray Dexter nicht mögen wird, wenn gleich er ihn bis jetzt noch nie gesehen hat. Da Brian Hopelong nun noch mal sein Fernglas an die Augen nimmt, gewahrt er den Reiter nicht, der von Südosten näher kommt. Er bemerkt ihn erst, als dieser ihn anruft. - 50 -
„Hallo, Mr. Hopelong junior! Wie geht's? Reiten Sie doch ruhig näher ran, wenn Sie genauer sehen wollen, was sich da oben bei meinem Boß tut, hihi!“ Brian Hopelongs Laune wird nicht besser. Der Reiter ist Danny O'Trive, der zwergenhafte Klavierspieler aus dem White Horse Saloon. Jeder im Distrikt kennt ihn, denn jeder ist schon mal im White Horse gewesen, wo es immer schon die hübschesten Animierkätzchen gab. Brian Hopelong dämpft seine Verachtung für den kleinen Mann, der allerdings im Sattel etwas besser aus sieht, als wenn er auf seinen kurzen Beinen trippelt. Und so fragt Hopelong: „Dein neuer Boß hat wohl viel Geld und auch Freunde, die er sich damit kaufte, wie?“ „Er hat beides, Mr. Hopelong, Geld und Freunde, yes. Aber die Freunde, die hatte er schon vorher.“ „Ist er verheiratet?“ will Brian Hopelong noch wissen. Little Danny O'Trive mag vorwitzige Leute nicht, und so drängt ihn der Schalk, der immer irgendwo in seinem Innern hockt. „Well, er ist gut verheiratet und hat drei Söhnchen. Das vierte ist unterwegs, Mr. Hopelong. Noch was?“ „No!“ zischt Brian Hopelong und wendet sein Pferd. Kaum ein Mensch im Three Creek District vermag so breit und faunisch zu grinsen wie der Knirps Danny O'Trive, und das tut er auch jetzt noch, als er hinter dem Davonreitenden hersieht. *** Die Neugierde wuchert rings um Ray Dexters Zukunftsranch. Beim neuen Sheriff Rock Jason ist sie auch mit einbezogen, wenngleich sein Hauptvorwitz der - 51 -
Hopelong-Großranch gilt. Rock Jason, der mehr als ein Jahrzehnt Banditen- und Raubmörderdasein hinter sich hat, überhastet nichts. Er sagt sich: Warte, bis du loslegst! Die Spießbürger; von Hambrook müssen erst einmal so was wie Vertrauen zu dir bekommen. Also halte dich vorläufig ziemlich zurück! Ziemlich zurück hält sich auch Jason, wenn er mal als Gast den White Horse Saloon betritt. Keine Menschen seele käme darauf, daß er und die hübsche Grace sich schon seit zwei Jahren sehr nahe kennen. Aber wenn der Saloon Fenster und Türen hinter den letzten späten Gästen schließt, huscht Grace öfter aus dem Bau, nachdem sie sich pro forma zuvor auf ihr Zimmerchen unterm Dach begeben hat wie ihre Kolleginnen. Dann geistert sie über die leere Main Street Richtung Sheriff's Office und bleibt die Nacht über bei Rock Jason, so auch heute nacht. Jim Calahan hat auch in dieser Beziehung seinen Nachfolger gefunden. Mit dem Unterschied, daß der neue Sheriff sich nicht alle Tage eine andere Schöne oder halb so schöne einlädt. Im Augenblick löst sich Rock Jason ein wenig von Grace, die bis da eng an ihn geschmiegt war. Sie strömt ungeheure Hitze aus. Nun ja. „Grace“, beginnt Rock Jason unvermittelt, nachdem er Sekunden davor noch ihre weiche Haut gepriesen hat. „Du kennst doch Hai McFilly, den superroten Iren aus Penderville?“ „Bist du schon wieder mal eifersüchtig, Rocky?“ fragt sie nun dagegen. Jason lacht. - 52 -
„Es geht um ganz was anderes, Darling. McFilly ist doch so etwas wie ein Tierarzt. Das heißt, er spielt ihn geschickt und hat in dieser Hinsicht auch was auf dem Kasten.“ „Wohin geht deine Reise, Rocky? Du solltest mich besser wieder fest in die Arme nehmen, denn mich friert leicht, wenn du zu weit von mir weg fliegst.“ „Komme später auf das zurück, Darling. Hör zu! Es geht auch um dich. Du kannst vielleicht Rancherin werden.“ „Was hat das mit Hai McFilly zu tun, Rocky?“ „Viel, Grace. McFilly hat seinerzeit für viel, viel Geld einem großen Ranchbaron die Rinderpest in die Herde getragen. Ohne daß er pestkranke Rinder zwischen die gesunden schleuste. Er hat da seine eigenen Mittel. Möglich, daß er Fleisch von Rindern nimmt, die an der Pest eingegangen sind, und damit das Weidegras be streicht. Ich weiß es nicht, will's auch nicht wissen. Mir ist sein Rezept egal, verstehst du? Aber ich brauche diesen raffinierten Satan, und soviel ich weiß, haust er noch in Penderville.“ „Ich ahne schon was. Ich ahne Rinderpest auf einer Weide, die du in Schulden treiben und dann billigst auf kaufen willst, stimmt's, Rocky?“ „Kaufen?“ dehnt Jason und fährt mit den Finger spitzen über die nackte Schulter von Grace, die unter dieser Anmeldung wie eine Espe zu erzittern beginnt. Sie küßt ihn innig und lang. „Kommen wir auf den superroten Irren und Tierarztmimer Hai McFilly zurück, Grace!“ sagt Rock Jason. „Du schickst ihm ein Telegramm nach Pan derville und teilst ihm mit, daß er dich und mich hier in Hambrook, das heißt, im White Horse Saloon, antreffen - 53 -
kann. Er war doch hinter dir her wie ein Schmetterlingssammler hinter einem seltenen Pfauen auge, oder?“ „Nur bis zum Knie, Rocky“, sagt Grace, und sie hebt die Rechte wie zum Schwur. „Laß das!“ wird er barsch. „Wir wissen beide, daß wir uns heimlich gegenseitig mehr als einmal betrogen haben. Aber was soll's? Wir zwei finden doch immer wieder zusammen, weil wir aus demselben Stoff sind.“ Grace antwortet nicht. Das heißt, sie antwortet nicht mit Worten. Sie hat, was in dieser späten Situation durchaus verständlich ist, andere, genauso ausdrucksvolle Mittel der Verständigung. Sie deckt ihn mit ihren Küssen zu. *** Drei Wochen sind vergangen. Wieder einmal durch den Postreiter, erfährt der Großrancher Ant Hopelong das Neueste über den noch unbekannten Nachbarn. „Dieser Ray Dexter hat sein Haupthaus stehen. Mit festem Steinsockel. Aber das Haus und auch die Nebengebäude sind aus festem Vierkant-Eichenholz, so stabil, wie sie droben am Sascatchewan und noch weiter draußen im kalten Kanada ihre Häuser bauen. Und gestern sind tausend kerngesunde texanische Longhorns angetrieben worden. Nicht von irgendwelchen zusam mengetrommelten Treibcowboys. No, Mr. Hopelong. Dexter hat schon eine richtige Mannschaft stehen, sieben handfeste Boys, und durch den kleinen Danny O'Trive habe ich erfahren, daß diese Jungs alte Freunde von Ray Dexter sind, die eine Zeitlang zusammen mit ihm für ein - 54 -
und denselben Brand geritten sind.“ Ant Hopelong staunt nicht schlecht. „Tausend Rinder, eine gute Crew und eine stabile Ranch, und das alles innerhalb von drei Wochen! Hell's fire! Den Mann muß ich kennenlernen.“ Als wenig später der Postreiter seinen Braunen antreibt, um weiterzuziehen, taucht ein anderer Reiter auf. Er kommt von Westen, von den Hügeln herüber. Der junge Mann, dem das blonde Haar unterm Stetson hervorquillt, reitet einen bildschönen Fuchshengst, des sen vier Gamaschen weiß wie frischer Schnee leuchten. Als das Hufgetrommel in den Ranchhof klappert, kommt auch der Sohn des Hauses auf den Vorbau. Der Fremde lüftet leicht seinen Hut und sagt: „Ich bin Ihr neuer Nachbar Ray Dexter. Hallo! Gentlemen!“ „Hallo, Nachbar!“ echot Ant Hopelong. Brian tippt nur lässig an seinen Hutrand. Als Dexter aus dem Sattel kommt, sehen die beiden Hopelongs erst, wie groß der Besucher ist und wie schlank in den Hüften. „Wie geht es Ihrer Frau und Ihren drei Söhnchen?“ fragt Ant Hopelong freundlich. Dexter lacht lauthals. Dabei blitzen seine makellosen Zähne. Ray Dexter lacht wie ein großer Junge, und irgendwie, hat er auch viel von einem großen Jungen. „Hahaha! Eine Frau? Nun ja, könnte ich wohl schon haben, hab' aber noch keine. Aber drei Söhne? Dann müßte ich mit zwanzig geheiratet haben. Wer hat denn diesen dicken Bären über die Prärie gejagt?“ „Wenn ich Ihren Klavierklimperer Danny O'Trive erwische, lege, ich ihn übers Knie! Das können Sie ihm ruhig voranmelden!“ knurrt Brian Hopelong. „Aber, aber!“ lacht Ray Dexter. „Sie werden diesen - 55 -
kleinen Kauz doch nicht ernst nehmen, Hopelong. Irgendwelche Musik muß Danny ja wohl machen, wo er jetzt kein Piano mehr hat. Er hat mir übrigens erzählt, daß Sie ihn neulich ausgefragt haben.“ Brian Hopelong ärgert sich erneut über Dexters Lachen, nicht nur, weil er selber viel schlechtere Zähne hat. Überhaupt: Er mag den neuen Nachbarn nicht. Er findet sein Auftreten arrogant. Brian Hopelong mag niemals Leute, die ihm zu selbstsicher vorkommen. Als sein Vater den Gast freundlich ins Haus bittet, schützt Brian einen notwendigen Ritt zur Westweide vor und verdrückt sich. Myra Hopelong findet Dexter im krassen Gegensatz zu ihrem Bruder sehr sympathisch. Sie versucht, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen, als sie den Hauswein bringt und dazu in Mais eingewickelten Schinken, den der Gast ganz vorzüglich findet. Die beiden Männer verstehen einander auf Anhieb. Natürlich reden sie über all das, was eines Ranchers Last und Sorge ist. „Wir haben einen prima Nachbarn bekommen“, meint Ant Hopelong, als Ray Dexter eine Stunde später wieder weggeritten ist. „Und er hat Ahnung vom Ranchen, vor allem habe ich allerhand Neues über Mischrassenzucht von ihm gehört.“ Myra widerspricht nicht. Warum sollte sie auch? *** Der eine interessiert sich für Rindermischrassenzucht, der andere für Rinderpest, das teuflisch krasse Gegenteil. Der Mann aus Penderville, der superrote Ire Hai McFilly, ist auf den Ruf der kessen Grace gekommen, - 56 -
und nun sitzt er im White Horse Saloon, wo ihn Grace betreut. McFilly freut sich sichtlich, eine gute Bekannte wiederzutreffen, die ihn sogar gerufen hat, und Grace macht ihm schöne Augen. Sie trifft sich sogar heimlich nach Dienstschluß in Hai McFillys Hotelzimmer, huscht aber bedeutend früher, das heißt, lange vor dem Morgengrauen, wieder heimwärts zum Saloon. Denn sie fürchtet den streifenden Panther Rock Jason und seine Eifersucht, die er zwar nie zugibt, aber die wie Hölle in seinem Herzen brennt. Und Grace tut gut daran, früher, als bei Jason gewohnt, wieder abzutrudeln! Denn der Panther streunt und streift tatsächlich durch die nächtlichen Straßengefilde der Stadt. Doch Grace hat den richtigen Riecher gehabt, und so ist sie gerade in ihrer Dachkammer angekommen, als sie draußen Schritte vernimmt. Vom Fenster aus sieht sie, daß es Rock Jason ist. Glück und Riecher muß der Mensch haben! Am nächsten Tag spricht Grace, als McFilly wieder Gast im White Horse ist, das Hauptthema an. „Du kennst doch noch von damals her diesen langen Rock Jason?“ „Ach ja, war er nicht Landvermesser bei der Railway? Ihr wart dicke Freunde“, nickt Hai McFilly, dessen irisches Haar von einem so flammenden Rot ist, daß sein Träger gut daran tut, nicht ohne Kopfbedeckung an einem Stier vorbeizugehen. „Yes, er vermaß Land für die Eisenbahngesellschaft“, stimmt Grace bei. „Übrigens ist er seit kurzem Marshal und Sheriff hier in Hambrook.“ McFilly sackt in seinem Stuhl zurück. „Waas?“ „Reiner Zufall, daß ich ihn hier vorfand, als ich in den Saloon hier kam“, schwört Grace. „Übrigens sind unsere - 57 -
heutigen Beziehungen mehr geschäftlich.“ „Stimmt genau, nicht mal bis zum Knie“, meldet sich eine Stimme neben McFilly. „Ah, Jason, da sind Sie ja. Haben gerade von Ihnen gesprochen“, tut der Ire nun besonders freundlich. Grace besorgt rasch einen Doppelten für den hinzu gekommenen Gast. Bis zu einem gewissen Grad kennen sich Rock Jason und Hai McFilly, und zwar weiß einer vom anderen, daß er, wenn nötig, zu jeder Gaunerei bereit ist. Allerdings weiß der Ire nicht, daß Rock Jason in einigen Weststaaten als Raubmörder und Bandenführer gesucht wird. Vor zwei Jahren machten sie ein mieses Geschäft miteinander. Die Eisenbahngesellschaft, für die Rock Jason damals angeblich arbeitete, benötigte zum Weiterbau ebenso angeblich ein Stück Land, auf dem ein widerspenstiger Rancher mit seinen Rindern saß. Um die Zeit verfügte Jason über größere Geldsummen als im Moment, und Hai McFilly sorgte ihm für eine ent sprechende Summe dafür, daß jener widerborstige Rancher die Rinderpest auf seine Weide bekam. Danach verschwand er Richtung Penderville, und Jason kaufte wenig später die verschuldete Ranch ohne Rinder billigst auf, sorgte durch ein paar gutbekannte Viehdiebe dafür, daß wieder ein paar hundert gesunde Rinder aufmarschierten, spielte für einige Zeit den Rancher. Im Augenblick erinnert Jason seinen Tischgenossen an diesen einstigen Job. „Ich komme ja als Tierarzt viel herum“, raunt McFilly. „Aber ich mache solche Sachen nicht gern. Es war damals das erste- und letzten Mal, daß ich so was...“ - 58 -
Jason unterbricht ihn. „Und wenn die dreifache Summe für Sie dabei herausspringt diesmal?“ Eben bringt Grace den Doppelten für Rock Jason. Dieser sagt zu ihr: „Laß uns für ein paar Minuten allein, Grace!“ „Gern, mich interessieren eure Geschäfte nicht, wieso auch?“ „Ein prachtvolles Girl“, meint McFilly, während er angeregt den Bau der enteilenden Grace studiert, als kenne er ihn noch nicht richtig. „Yes, Grace ist all right, und sie ist sehr beliebt hier im White Horse“, bejaht Rock Jason. Dann reden sie wieder über ihr Geschäft. „An sich konnte es nicht günstiger kommen“, erzählt plötzlich der Ire zu Jasons mächtigem Erstaunen. „Ich bin auf dem Weg hierher in den Bover Mounts auf eine Talweide mitten zwischen den Rocks gestoßen, wo ein halbes Hundert Rinder stand. Erst suchte ich die Boys, die dazu gehörten, fand aber keine. Well, und dann ritt ich näher ran und sah, daß über ein Dutzend toter Tiere im Tal lagen, und die anderen sahen aus, als wurden sie jeden nächsten Moment umfallen. Rinderpest. Ich kenne mich da ja aus. Entweder hat ihr Besitzer sie von seiner gesunden Herde weggetrieben, oder aber es handelt sich um Ausreißer, die sich, wer weiß wie, angesteckt haben.“ „Wann war das? Ich meine, wann stießen Sie auf dieses verborgene Tal?“ will Jason wissen. „Gestern. Gegen zehn am Vormittag.“ „Hm. Falls alle Tiere angesteckt waren, was ja wohl wahrscheinlich ist, wie lange wird es wohl dauern, bis das letzte Rind umgefallen ist?“ Hai McFilly kennt sich wirklich in dieser Sache sehr - 59 -
gut aus. „Die Ansteckungszeit liegt zwischen einer und drei Wochen. Hat sich ein Tier mal infiziert, dann geht es rasch. In höchstens sieben Tagen verendet das Rind.“ „Ay, ay“, murmelt Rock Jason. „Von den Bover Mounts bis dahin, wo ich die Tiere haben will, kann's gut einen Tag kosten. Da sie krank sind, rechne ich noch einen halben Tag für das Treiben dazu. Aber ...“ „Ich weiß, was Sie sagen wollen, Jason. Wir müßten, das heißt, Sie müßten noch heute aufbrechen, wenn Sie's schaffen wollen, ehe die ganze Herde krepiert ist.“ „No, no, Sie reiten mit, mein Freund! Erst dann kriegen Sie Ihr Geld“, beharrt Rock Jason. Der Ire zögert. „Denken Sie, Mann! Sechstausend Dollar auf die Hand!“ „Gut, ich reite mit“, sagt Hai McFilly. „Ich habe noch einen zuverlässigen Boy, der mitmacht“, eröffnet ihm Jason. „Ich schlage vor, wir treffen uns eine halbe Meile nördlich der Stadt, right?“ „All right“, stimmt der Ire zu. *** „Zieh deinen Stern aus, Kevin Chase!“ sagt Jason zu seinem muskulösen Deputy. „Der Kerl, mit dem wir reiten, braucht nicht zu wissen, daß auch du so einen verdammten Stern trägst. Unser Job läuft an.“ „Prima“, meint Kevin Chase. Nur darf hinterher kein Pferdeschwanz darauf kommen, daß wir zwei bei diesem Spielchen die Karten gemischt haben.“ „Kein, Gedanke dran, keine Sorge!“ versichert Jason. „In fünf Minuten hast du gesattelt!“ - 60 -
„Yes, Boß.“ *** Ray Dexter reitet aus. Der kleine Danny O'Trive fühlt sich sozusagen als eine Art Vormann, wenngleich er in Wirklichkeit Boy für alles ist. Ist Verpflegung in der Stadt zu holen, Danny ist dabei. Cowboy-Sattelzeug ist immer mal marode. Danny O'Trive ist ein geschickter Sattelflicker, so, als hätte er Sattlerei gelernt. Danny kann alles, sogar prima kochen. Als sich sein Boß nun in den Sattel zieht, fragt der kleine Mann: „Obgleich es gut wäre, Boß, wenn irgendwann mal 'ne Ranchköchin käme, und obgleich ich immer mal gern den Kochlöffel schwinge und die Steaks auf der Pfanne tanzen lasse, möchte ich doch lieber mehr im Sattel hocken können, um an Ihrer Seite zu sein, wenn Gefahr droht. Und in diesem Zusammenhang darf ich fragen, wohin der Ritt geht und wie lange er dauert. Auch wegen des Essens, versteht sich.“ Ray Dexter mag den winzigen Kauz. Er hält sich ernst, als er dem Kleinen antwortet: „Danke dir für deine Anhänglichkeit, Danny! Aber es ist wirklich kein Grund zur Sorge. Ich will mich nur mal an der Nordgrenze umsehen. Ich reite ja dabei nicht ins Indianerland oder sonst welche Gefahr, und Feinde habe ich nicht, soviel ich weiß.“ „Wissen Sie das wirklich, Boß?“ fragt Danny O'Trive, aber dann versetzt er dem Fuchshengst einen kurzen Klaps und ruft: „Guten Ritt, Boß!“ Ray hat seinen Cowboys eingeschärft, den Knirps Danny ernst zu nehmen und ihn wegen seiner oft kau zigen Einfalle nicht zu hänseln. Diese Mahnung war - 61 -
kaum nötig, denn alle schließen den kleinen Mann schon bald in ihr Cowboyherz, nicht nur als Spaßmacher. Weidereiter sind kritischer, als andere Bürger denken. Die sieben Boys in Dexters Crew erkennen rasch, was für ein goldenes Herz der Knirps hat. Bei seinem Ritt zur Nordweide kommt Dexter an einem Teil seiner Herde vorüber die in zwei verschiede nen Pulks auf der Weide steht. Die Weidereiter winken ihrem Boß freundlich zu. Es besteht ein ausgesprochen kameradschaftliches Verhältnis zwischen Ray und seinen alten Freunden, für die er eine Zeitlang Vormann für einen fremden Brand war. Manchmal denkt Ray an die schöne Tochter des großen Nachbarn Hopelong. Myra hat ihm auf Anhieb gefallen, mehr als ihm je ein Girl gefallen hat. Da, wo seine Ranchweide im Norden endet, dunkelt ein dreihundert Meter tiefer Mischwaldstreifen in einer Länge längs seiner Weide von drei Meilen. Der Wald gehört noch zur Dexter-Ranch. Ray will ihn sich einmal genauer ansehen und von dort aus nach Westen reiten bis zu den Hills, auf deren anderer Seite die Hopelong-Ranch liegt. Ray Dexter fällt ein Satz ein, den er in seine Antwort an den kleinen Danny einflocht: „Und Feinde habe ich nicht.“ Rock Jason, der neue Sheriff von Hambrook, steht da plötzlich fast leibhaftig vor seinem inneren Auge, und er denkt an die Zeit zurück, da er bei den Apachen lebte, blutjung damals und fest entschlossen, die schöne Tanata Kamee einmal zur Squaw zu nehmen und für immer bei den Redmen zu bleiben. Little Danny O'Trive hat keine Ahnung, daß es einen - 62 -
Feind gibt für Ray Dexter. Kein Mensch außer ihm selber weiß, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Mädchen mörder Rock Jason kommen wird und muß. Selbst Jason weiß es nicht. Ray ist ganz sicher, daß Jason ihn nicht erkannt hat. Wie denn auch? Es ist einige Jahre her, daß Jason mit seiner Bande in die Mustangweiden der Apachen einfiel, während diese auf Großjagd ausgezogen waren. Ray Dexter entsinnt sich noch ganz genau des Tages. Er blieb von der Jagd fern, weil er sich beim Kampf mit zwei verbissenen Jungpumas ein Bein verletzt hatte. Tanata Kamee war in den Wald gegangen, der die Mustangweiden gegen Osten abgrenzte, Pilze zu holen. War es meine Ahnung, so fragt sich Ray Dexter in diesem Augenblick, da er seinem eigenen Ranchgrenz wald zureitet, war's Ahnung des Furchtbaren, das kommen sollte, weil ich einfach keine Ruhe mehr hatte und das Pueblo verließ, um Tanata Kamee zu folgen? Menschen, die einander besonders zugetan sind, haben geheimnisvoll verborgene Fäden in sich, welche Seele zu Seele verbinden. Es braucht niemand zu glauben. Die es an sich erfahren, wissen es! Und dann kam das Schreckliche! Ray Dexter sieht es noch vor sich, als geschähe es ihm jetzt: Er erreicht die am weitesten zum Pueblo vorragende Waldinsel, humpelnd, da ihm wegen des verletzten Beins jedes stärkere Auftreten links weh tut. Er verharrt, weil er Hufgetrommel hört. Er denkt mit einigem Erstaunen: Kommen meine roten Freunde jetzt schon von der Jagd zurück? Das kann doch nicht sein! Und dann sieht er die Meute der sechs Banditen, - 63 -
welche jäh aus dem Wald hervorpreschen und wie geplant im Halbkreis die dreißig oder einunddreißig weidenden Mustangstuten und Hengste umreiten, um sie kurz darauf waldwärts zu hetzen. Er selber ist durch einen Busch verdeckt. Er kann den Anführer der Pferdediebe, einen langbeinigen Kerl, gut beobachten, weil dieser ihm am nächsten ist. Der Mann reckt sich im Sattel herum. Er dirigiert das Einfangmanö ver, schreit und gestikuliert: „Barry, scher aus! Nimm die zwei Ausreißer zum Pulk zurück!“ Ray hat nur einen Gedanken. Tanata Kamee könnte in dem Waldstück sein, in das die Horsepilfers gerade die Mustangs hinein jagen. Und er vergißt und verschmerzt die Pein, die ihm jeder schnelle Schritt im linken Bein verursacht. Er hat Pfeil und Bogen mitgenommen und den Bogen jetzt im Lauf anschußbereit, rafft hinter sich in den Wildlederköcher und zerrt einen Pfeil heraus. Durch Büsche und Farne gehetzt! Stolpernd, sich wieder aufraffend. Einmal verliert er den Pfeil, der nach der Sehne lechzt. Tanata Kamee ist genau, in der Waldlichtung, durch welche die Diebe die Mustangs jagen. Er gewahrt es um Sekunden zu spät. Er sieht noch ihre liebliche Gestalt, sieht, wie sie mit schreckverzerrtem Gesicht auf die her anpreschenden Mustangs und Reiter starrt, ihren Weidenbinsenkorb fallen läßt und seinen Namen ruft: „Ray! Mein Ray! Hilf mir!“ Drei Meter, vielleicht noch näher, rast der Sturm an ihr vorüber. Der letzte Reiter ist der Boß der ruchlosen Bande: Rock Jason, dessen Name Ray erst weiß, seit er diesen Mustersheriff in Hambrook kennengelernt hat. Und dieser Schweinehund jagt im Vorübergaloppieren - 64 -
der lieblichen kleinen Indianerin eine Coltkugel mitten ins Herz. Der Teufel lacht noch dabei, grölt: „Du wirst keinen von uns je wiedererkennen, rote Katze!“ Tanata Kamee sinkt in das Waldgras. Wie eine Blüte, die ein erbarmungsloser Sturm knickt. Ray weiß jetzt noch, daß er in diesem Augenblick vor heiligem, ohnmächtigem Zorn gellend aufgeschrien und dem Mörder den Pfeil nachgesandt hatte. Doch dessen Pinto war zu schnell. Als dann die Schönste aller Apachinnen in seinen Armen starb, war es bereits der Abschied von den roten Freunden. Denn ohne Tanata Kamee war ihm das Leben unter ihren und seinen Brüdern nicht mehr lebenswert, weil nur noch Erinnerung an das jähe Verblühen der Einzigen. Aber das Gesicht ihres Mörders hat er nicht vergessen. Und nun hat er den Satan in Gestalt des neuen Sheriffs von Hambrook gefunden, endlich. Dem good Lord sei Dank für diesen Zufall! Aber der Mörder hat ihn selber nicht wieder erkannt. Was heißt hier wiedererkannt? Rock Jason weiß ja nicht, wie der junge Mann aussah, der ihm damals vergebens den Pfeil nachsandte. Viel leicht weiß er nicht einmal, daß dieser Pfeil hinter ihm her zischte. Ray Dexter weiß, daß es zwecklos wäre, Jason öffentlich dieses Mordes an der Indianerin zu bezichtigen. Rock Jason würde ihn auslachen: „Bring Zeugen, du Narr!“ Es gibt nur eine Lösung: Er muß Jason öffentlich dazu zwingen, sich zu stellen. Es wird nicht leicht sein. Jason ist Sternträger. - 65 -
Ray Dexter weiß nicht, daß Rock Jason seit Jahren in sechs Staaten wegen Raubmordes und Bandenbildung gesucht wird, genauso, wie es die Menschen in Hambrook nicht ahnen können. Da ist der nahe Wald, Kreischend flieht ein Häher tiefer in das Dickicht. Zog der Polizist des Waldes vor ihm und seinem Fuchshengst davon oder vor etwas anderem? Dexter hält an und lauscht. Tappen da nicht Hufe auf dem Waldboden heran? *** Die drei sind unterwegs zum Tal der pestkranken Rinder, Rock Jason, sein muskelbepackter Deputy Kevin Chase und Hai McFilly, der rothaarige Ire mit dem Veterinärsblick für altes Getier, besonders für Rinder. Weder Jason noch Kevin Chase tragen jetzt den Stern. McFilly fragt nicht, warum das so ist. Er denkt vor allem an die sechstausend Dollar, die ihm Jason zugesagt hat. Nach fünf Stunden Ritt haben sie die Bover Mounts vor sich, zerklüftetes Gefells zwischen buschbestandenen Hängen, ein wirres Panorama. Rock Jason zeigt nach links, da sie nordwärts reiten, also nach Westen. Er meint: „In dieser Richtung beginnt Ant Hopelongs Weide. Wir brauchen die Rinder nur nach Südwesten zu treiben, dann liegen wir richtig.“ Sie landen vor drei canyonartigen Einschnitten. Hai McFilly zeigt auf den linken. „Da hinein müssen wir.“ Jason beobachtet heimlich den rechts neben ihm reitenden Kevin Chase. McFilly zieht jetzt voraus. - 66 -
„Eh, du grübelst zuviel, Kevin Chase“, sagt er, leise genug, daß es der Ire nicht mithören kann. „Was soll schief gehen? Kein Mensch wird erfahren, wer die pestkranken Rinder auf Hopelongs Weide trieb.“ „Aber wir, ich meine, unsere Pferde hinterlassen doch auch Spuren“, gibt Kevin zu bedenken. „Pah, spätestens morgen abend wird's Gewitter und Regen geben. Ich hab' 'ne Nase für so was, well. Und dann sind alle unsere Fährten buchstäblich weg gewaschen.“ „Ja und dann? Ich meine, wenn das Rindersterben auf Hopelongs Weide anfängt?“ „Mann, Chase! Das Weitere überlasse nur mir!“ sagt Jason. McFilly meldet sich. „Hinter der nächsten Biegung sind es nur mehr ein paar hundert Meter bis zu diesem Tal.“ Kurz darauf hält der Ire sein Pferd an. Der rechte Hang der Schlucht bildet hier einen von hohem Buschwerk fast versperrten Einschnitt. McFilly winkt dort hinüber. Die Seitenschlucht schlängelt sich über zweihundert Meter dahin, und dann, haben die drei Männer das Tal vor sich, von dem McFilly erzählt hat. Der Anblick, der sich ihnen bietet, würde manchen Mann traurig stimmen. Weit über das sattgrüne Wiesental verstreut liegen aufgedunsene Rinderleiber. Andere Tiere liegen mit flat ternden Flanken da. Und etwa zwei Dutzend stehen noch auf den Beinen, Kevin Chase zählt sie genau. „Zweiundzwanzig leben noch. Fragt sich, wie lange. Boß, sollten wir die da drüben, die sowieso bald sterben werden, nicht von ihren Qualen erlösen und ihnen die - 67 -
Kugel geben?“. Rock Jason fährt ihn an: „Verrückt geworden, he? Sollen wir uns durch das Geböller irgendwelche Leute auf den Hals hetzen, die vielleicht in dieser Gegend rumstreunen? No, Kevin! Wenn man ein Geschäft machen will, darf man nicht auch noch Mitleid in den Job einbauen. Denn dann geht's schief. Wenn's nur ein Schuß wäre, würde ich nichts dagegen haben.“ Hai McFilly umreitet vorsichtig diejenigen Tiere, die noch, mehr oder weniger fest auf den Beinen, am Gras zupfen. Dann kommt er zu Jason und Chase zurück. „Mr. Jason, Sie können sich, wie Sie wissen, auf meine Kenntnisse in dieser Beziehung verlassen. Wenn Sie noch in dieser Stunde vorsichtig treiben, schaffen Sie es, daß mindestens zehn Rinder am Ziel ankommen.“ „Danke, Amigo! Das ist keine üble Kunde. Aber stimmt sie auch?“ zweifelt Jason. „Devil! Die Hälfte der Tiere, die da noch auf den Beinen steht, sind erst im Anfangsstadium der Infektion, und das dauert, wie ich Ihnen schon im Saloon erzählt habe, gut sieben Tage. Ergo schaffen Sie es. Mit zehn pestkranken Rindern verseucht man jede noch so große Herde.“ „Ay, ay“, brabbelt Rock Jason vor sich hin. „Ich schätze, daß Sie beide genug sind, den kleinen Pulk zu treiben“, sagt McFilly. „Ich muß nach Pendervil le zurück. Well. Sie können mir also meine sechs Mille jetzt auszahlen, sagten doch, daß Sie den Zaster in bar mit sich schleppen, Mr. Jason.“ Ausgemacht freundlich antwortet Rock Jason: „Gewiß, warum nicht? Moment!“ Fast lässig greift Rock Jason unter seine Jacke, links. Aber statt der Brieftasche, die der Ire und auch Kevin - 68 -
Chase erwartet haben, kommt ein zweiläufiger Derringer zutage. Jason schießt sofort. Das Ziel ist McFillys Herz. Jason lacht dabei. „Hier meine Bezahlung, du Narr!“ Kevin Chase graust, als er McFilly lautlos aus dem Sattel stürzen sieht und dann das heisere Hohnlachen Ja sons hört. „No, Sheriff, no, Boß! Mit so was habe ich bei Gott nicht gerechnet. Ich ....“ „Du sitzt mit drin, Partner!“ echot Rock Jason eiskalt. „He, mach dir keine Gedanken über eine Figur, die ich abgeräumt habe, ich, nicht du. Und jetzt los! Treiben wir die paar müden Rinder zusammen, daß wir hier wegkom men!“ Kevin Chase zögert. Er starrt auf den Mann, der dort regungslos und mit offenem Mund und gefrorenem Staunen im Gras liegt. „Denke besser daran, daß dir ein Drittel der HopelongRanch gehören wird, Kevin Chase!“ knurrt Jason. Aber Chase spurt noch nicht wieder. Chase denkt in diesen Sekunden daran, daß ihm genau dasselbe passieren könnte, was Jason soeben dem Iren da angetan hat. Zum erstenmal tut es Chase bitter leid, daß er den Deputystern angenommen hat. Kann er noch aussteigen? Er weiß es nicht. „Solltest du dir Gedanken machen, die mir gar nicht gefallen, solltest du daran denken, auszusteigen“, röhrt Rock Jason dicht neben ihm, „dann bist du bestimmt verloren, mein Junge! Dann erzähle ich den Spießbürgern in Hambrook, daß du Hai McFilly erschossen hast!“ Chase fährt zusammen, als habe ihn ein Blitz gestreift. „War doch nicht so gemeint, Freund! Wir sind doch - 69 -
Partner! Komm schon! Fangen wir mit dem Treiben an!“ lacht Jason. Kevin Chase unterdrückt ein Stöhnen, das in ihm aufkommen will. Er hat als fahrender Händler manchen kleinen Diebstahl, auch mal ein betrügerisches Geschäft mit gestohlener Ware gefingert, hat eine Anzahl Leute beim Spiel betrogen, yes, aber was ihm. Jason da soeben vorgeführt hat, kotzt ihn nicht nur an. Es bedrückt und verwirrt ihn. „Ja, well, ich mach' ja schon“, stammelt Chase und treibt sein Pferd an. Sie haben die paar Tiere schon bald zusammen getrieben. Ein Teil von ihnen scheint noch gute Kraft zu haben wie gesunde Rinder. Der traurige Trail beginnt. *** Ray Dexter hat nun fast in seiner ganzen Ost-WestBreite seinen Wald durchritten, der fast bis an die Hills reicht, deren nördlichste Ausläufer wie schmale Inseln in das Brachland hereinragen. Es ist später Nachmittag darüber geworden. Ray hat diejenigen Stämme mit Kreide gezeichnet, die ihm krank vorkommen. Er wird sie fällen lassen. Es wird dabei noch mehr als genug an stämmigen Pfählen herauskommen. Den Rest kann man als Brennholz ver wenden. Es wird Brennholz für gut vier Jahre sein. Je länger Holz lagert, um so trockener wird es ja. Wird ein spätes Abendessen werden, denkt Ray Dexter, als er seinen Fuchshengst wendet, um heim- 70 -
zureiten. Da schockt ihn ein grelles Pferdewiehern: Es ist hinter ihm. Ein schneeweißer Riesenfleck wetzt aus dem Grün der Vorhügel heran, ein Schimmelpony. Ein Mädchen sitzt im Sattel. Myra Hopelong! Sie kann sich kaum halten, denn der Schimmel rast wie von Furien gehetzt daher. Gemeinschaftssinn, Herdentrieb zur gleichen Art hin? Wer weiß es? Jedenfalls strebt der wild wiehernde Schimmelboy auf Dexter und seinen Fuchshengst zu. Irgendwo im Hügelland ist Pumageheul zu hören. Da weiß Ray, was den schneeweißen Renner so schnell gemacht hat. Noch dreißig Meter! Ray Dexter fliegt fast im Hecht aus seinem Sattel und dem anrasenden Pony entgegen. Er erwischt den Zügel drei Zoll neben dem schäumenden Pferdemaul, packt zu und bringt den Wildling zum Ste hen. Aber es ist kein geruhsamer Stand, kein Halten, sondern ein vulkanisches Erstarren im Ruck des mensch lichen Widerstandes. Der Weiße rutscht auf die Hanken, und seine Reiterin stürzt ab. Geistesgegenwart, die sich innerhalb zweier Sekunden manifestiert. Mit einem Satz, den eben erst eroberten Zü gel loslassend, ist Ray bei ihr und fängt Myra Hopelong auf, ehe sie zu Boden wuchtet. Mit beiden Armen hält er sie fest. Ray rutscht über zusammengetretenem glattem Moos aus und sinkt mit ihr in das Waldgras. Ihre dunklen Augen sind ganz groß geweitet. Es steht noch der Schreck darin. Ray Dexter lacht. „Ist ja alles noch gutgegangen, Miß Myra.“ - 71 -
„Ein Pumapaar“, haucht sie. „Ich weiß. Ich habe einen davon noch schimpfen hören. Ist alles in Ordnung?“ „Ja ...“, lispelt Myra in seinen Armen, und dann sagt sie lauter: „Nein!“ Ray läßt sie sanft los, und dabei gleitet er selbst in das Moos zurück. Sie liegen nebeneinander. Er rafft sich schnell wieder auf, in den Hocksitz. Er sieht auf sie hinab und spürt, daß er genauso tief errötet wie sie. „Wir mögen uns“, sagt Myra Hopelong. „Wir mögen uns, seit wir uns zum erstenmal gesehen haben, und das ist — das ist...“ „Was?“ fragt Ray Dexter. „Gefährlich“, sagt sie leise, aber sie lächelt dabei. „Ich habe einmal ein Girl geliebt. Tanata Kamee, eine Apachin. Ich habe eine Zeitlang bei den Apachen gelebt“, sagt Dexter, an ihr vorbei und über sie hinweg sehend. „Aber nach dem... ist es mir noch einmal geschehen, good Lord! Ich kann nichts dafür!“ Nun kommt auch sie hoch, sitzt schulternah neben ihm. „Wann ist es Ihnen noch einmal geschehen, Ray Dexter?“ fragt Myra Hopelong, und in diesen Sekunden sieht sie ihn nahezu prüfend an, als wolle sie bis in seine innersten Seelenwinkel vordringen. Ray zögert. Sein Gesicht ist plötzlich eine einzige Röte, so, als habe ihn ein jähes Fieber überfallen. . „Wann begannen Sie, noch einmal ein Menschenkind sehr gern zu haben?“ fragt Myra. „Zum Teufel! Jetzt!“ stöhnt Ray Dexter, und dann liegen sie sich in den Armen. - 72 -
Später sagt er: „Ich muß mich verbessern, Myra. Es begann, als ich dich sah bei dir daheim.“ „O Ray, mir geschah es genauso, und ... wir können wohl nichts dafür. Es wird Schicksal sein.“ „Es ist Schicksal, Myra Hopelong.“ Erst als der Reiter bis auf ein Dutzend Schritte herangekommen ist, fahren Myra und Ray aus ihrer tiefen Andacht auf, verschreckt wie zwei, die feindliche Gewalt aus einem Stück Paradiesgarten aufgescheucht hat. Der Reiter ist Brian, ihr Bruder. Dicht bei ihnen hält er seinen Braunen an, sieht wütend auf beide herab und schäumt: „Das also ist der Grund, weshalb Sie hier in den Three Creek District eindrangen und 'ne kleine Ranch diesseits der Hills aufzogen. Das ist es! Sie wollten sich an Myra heranmachen, hinter der Sie dann unsere große Ranch wußten, Mr. Ray Dexter! Daraus wird nichts! Denn die Ranch wird mir gehören, wenn es einmal keinen Ant Hopelong mehr gibt. Oder Sie müßten mich aus dem Wege räumen! Haben Sie so was vielleicht vor, wie?“ Myra und Ray sind gleichermaßen erstaunt und entsetzt. Myra springt auf. „Bist du wahnsinnig, Brian?“ schreit sie. Ray Dexter richtet sich ganz langsam auf. Klar, daß er den anderen nicht eben besonders freundlich ansieht: Der andere aber glaubt eine Drohung in den Augen des hochgewachsenen blonden Boys zu erkennen. „Da!“ zischt er und rammt Ray Dexter den Stiefelabsatz gegen die Brust. Dieser aber vermag den Ausbruch gerade noch - 73 -
abzuschwächen, indem er rasch zurückgleitet. Ray Dexter beherrscht sich. Aber nur unter großer Anstrengung. „Entweder Sie drehen Ihren Braunen sofort um, nachdem Sie diese Unverschämtheiten zurückgenommen haben, oder...“ „Oder was?“ knirscht Hopelong. „Oder ich hole Sie aus dem Sattel und verpasse Ihnen eine Tracht Prügel! Denn die hätten Sie jetzt und hier verdient, Sie Narr!“ Brian Hopelong drückt sich aus den Bügeln ab und segelt mit einem heiseren Wutschrei auf Dexter hinab. Der aber weicht diesmal ganz aus. So landet Brian bäuchlings am Boden. Es geht noch einigermaßen gut. Er kann sich sehr rasch wieder aufraffen. Er hascht nach dem Colt, der ihm bei seinem kühnen Abstieg aus der Halfter gefallen ist. Ray Dexter tritt ihm die Waffe aus der Hand. Zitternd vor Angst, Ärger und Zorn über ihren Bruder, steht Myra da. Als Brian nun wie ein gereizter Stier gegen Dexter anrennt, sich aber einen furchtbaren Kinnhaken ein handelt und auf der Stelle zusammensackt, da hat sie keinerlei Mitleid. „Richtig, Ray! Das hat er verdient“, ächzt sie. Aber Sekunden später wirft sie sich Ray Dexter an die Brust und weint. „Er war immer eifersüchtig auf jeden Mann, mit dem ich mich nur unterhielt, und wenn es mal zum Tanz auf eine andere Ranch oder nach Hambrook ging, dann wachte er wie ein dazu dressierter Hund über mich und meinen jeweiligen Verehrer. Aber das da, das war und ist zuviel. Komm Ray, wir reiten, ehe er wieder zu sich - 74 -
kommt. Er ist rachsüchtig. Er fängt bestimmt wieder Streit an. Bitte, begleite mich ein Stück!“ Ray Dexter löst sich sanft, aber bestimmt von ihr. Gerade kommt ihr Bruder Brian wieder zu sich. Ray hebt den Colt aus dem Moos auf und gibt ihn Myra mit den Worten: „Behalte ihn für die nächste Stunde, Myra!“ „Meinen Colt her!“ giftet Brian Hopelong und taumelt hoch. Myra sieht Dexter verwirrt und ängstlich an. „Dann so!“ sagt Ray nur, nimmt ihr den 45er wieder an und beginnt die Trommel zu leeren. Als ihn Brian Hopelong daran hindern will, richtet Dexter den Lauf auf ihn. Myra ist diesmal ganz ruhig. Sie weiß, daß Ray nicht auf ihren Bruder abdrücken wird. Sie fühlt es einfach. Knirschend weicht Hopelong ein paar Schritte zurück. Ray bekommt die Zeit, die Trommel zu leeren. Er läßt die einzelnen Patronen in das Moos fallen. Dann wirft er dem Besitzer die Waffe zu. „Brian Hopelong, Sie sind ein Narr“, sagt Ray, nun ohne Drohung im Tonfall. „Als ich hierher kam und in Hambrook meine neue Weide kaufte, da ahnte ich nicht einmal, daß es Myra gab. Begreifen Sie das!“ „Aber dann ging alles sehr schnell, und Sie verhexten Myra im Handumdrehen, wie?“ „Brian!“ „Warum schreist du so?“ fährt Brian die Schwester an. „Habe ich mich hier draußen mit dem Kerl da verabredet oder du?“ „Wir haben uns nicht verabredet! Es war Zufall, daß wir uns hier trafen“, wehrt sie sich. „Auch daß ihr euch in die Arme fielt und im Moos - 75 -
rumwälztet?“ sprüht Brian. Da schnellt Myras schlanke Hand hoch und klatscht dem Bruder ins Gesicht. „Du solltest dich schämen und dich bei Ray und auch bei mir entschuldigen, Brian!“ „Eh, Mann, hören Sie ganz genau zu!“ sagt Ray Dexter. „Ihre Schwester Myra und ich sind uns begegnet, hier zum zweitenmal erst, ja. Aber es soll ja auch Liebe auf den ersten Blick geben. Hell no! Ich komme mir vor wie ein Schuljunge, der ein Gedicht aufsagt. Aber es gibt das, was ich da bekannt habe. Schwer genug wird es mir, so zu reden. Denn ich mag es nicht, wenn ein Mann sein Herz und seine innersten Regungen nach außen stülpt und jedem zeigt. Aber hier war es mal nötig. Ich pfeife auf Ihre Entschuldigung. Ich hoffe, Sie haben genug damit zu tun, dieses tiefe Mißtrauen und die Unverschämtheiten vor allem, an Ihrer Schwester gut zu machen.“ „Wenn ich so was höre, Liebe auf den ersten Blick, hoho!“ höhnt Brian Hopelong. Für Sekunden ballt sich Dexters Rechte zur Faust, aber dann öffnet er die Hand wieder. „Sie tun mir leid, Brian Hopelong“, sagt er, nach außen hin ruhig. „Aber noch ein einziges weiter beleidigendes Wort, und ich hole Myra gleich hier und jetzt mit auf meine Ranch, damit sie vor Ihren Ungereimtheiten sicher ist!“ Impulsiv stellt sich Myra Hopelong dicht an Dexters Seite. Mit flammenden Augen sieht sie ihren Bruder an, dessen Augen sich in Staunen weiten. „In diesem Fall würde ich sofort mit Ray gehen!“ sagt sie laut. Stöhnend dreht Brian Hopelong ab. Es kommt kein - 76 -
freches Wort mehr über seine Lippen. In diesem Augenblick erst erkennt Ray Dexter, daß Myras Bruder ein verkrümmtes Rückgrat hat und die linke Schulter bedeutend tiefer hängt als die rechte. Myra sieht Rays Staunen. Sie sagt: „Brian ist als Siebzehnjähriger einmal ganz schlimm von einem Bronco abgeworfen worden, und seitdem ist er irgendwie verändert, mißtrauisch, und ich glaube auch, mißgünstig jedem gegenüber, der gerade gewachsen ist.“ „Er tut mir wirklich leid, Myra.“ Brian Hopelong führt seinen Braunen ein Dutzend Schritte weg, ehe er sich in den Sattel zieht. „Bitte, begleite mich nach Hause, Ray!“ bittet sie Dexter. In diesem Augenblick taucht ein Reiter aus einem vorspringenden Waldstück auf. Es ist Danny O'Trive, der Knirps. „Hallo, Miß, hallo, Boß! Äh, ich — ich hatte mir Sorgen gemacht. Es soll hier herum Grislys geben“, mogelt der kleine Mann. Drüben reitet gerade einer, ein ganz grimmiger, hat Dexter auf der Zunge, „Sage den Boys, daß ich erst morgen zurückkomme. Die Hopelongs haben mich eingeladen.“ „Werd's ausrichten, Boß, und ein paar Eier Weniger in die Pfanne schlagen“, lacht der Knirps und dreht wieder ab. Ray Dexter möchte Myra in ihren Sattel helfen, aber da ist sie schon oben. Sie trägt zwar Röcke, aber weiche Reitstiefelchen dazu. Sie sieht auch darin sehr hübsch aus. Sie reiten ziemlich nahe nebeneinanderher. Gerade taucht vor ihnen Brian Hopelong im Hügelwald unter. - 77 -
Aber später, als sie die Hills auf der westlichen Seite wieder verlassen, haben sie ihn auch wieder vor sich. Brian reitet langsam. Er hat es offensichtlich nicht eilig, heimzukommen. „Come on, Myra! Wir holen ihn ein! Ich möchte ein paar Worte mit ihm reden“, sagt Dexter. „Ob das etwas nützt?“ fragt Myra. Kurz ehe sie ihre Pferde auf gleicher Höhe mit Brians Braunen haben, sieht dieser sich um. Es sind alles andere als gute Blicke, die Myra und Ray zu sehen bekommen. „Sie haben sich geirrt, was Sie hoffentlich auch inzwischen überdacht und eingesehen haben, Brian Hopelong. Vergessen wir's! Right?“ Brian Hopelong gibt keine Antwort. Er starrt geradeaus. „Dad wird kein Sterbenswort darüber hören, daß wir drei uns getroffen haben“, sagt Myra. Brian Hopelong gibt seinem Braunen die Sporen. Er wendet den Kopf nur wenig, als er seiner Schwester zuruft: „Sage Dad, daß ich bis morgen beim Vorwerk bleibe!“ Brian Hopelong lenkt seinen Braunen nach Süden. „Er will verhindern, daß er beim Abendessen mit uns zusammen sein müßte“, meint Myra. „Er schämt sich doch.“ Hoffentlich, denkt Ray Dexter. „Am meisten ärgert mich eigentlich an Brian seine ständige Eifersucht meinetwegen“, sagt Myra, während sie dem Davonreitenden nachblickt. „Wie kann ein Bruder nur auf die eigene Schwester eifersüchtig sein? Er sollte sich doch freuen, wenn seine Schwester ... glücklich ist“, meint Ray Dexter. - 78 -
„Brian ist mein Halbbruder. Wir haben denselben Vater, aber meine Mutter war Dads zweite Frau.“ Ändert das viel?“ fragt Ray. „Was Brian betrifft, vielleicht. Manchmal habe ich das Gefühl, er würde mich ... Nun, er will oder kann mich einfach nicht nur als Schwester sehen, sondern als Frau. Einmal war es fast so weit, daß er mir das offen gezeigt hätte, wenn nicht zufällig jemand darüber gekommen wäre, der ihn, ohne es zu wissen, störte. Aber seitdem hatte ich Ruhe vor ihm.“ „So ist das“, murmelt Ray Dexter. „Da hilft wohl nur eins: Brian sollte heiraten, und das so bald wie möglich. Oder du solltest es bald tun, Myra!“ „Heiraten? Wen denn?“ fragt sie, aber sie lächelt dabei. „Wen schon, zum Teufel?“ lacht Ray Dexter. „Mich!“ Unwillkürlich treiben beide wie auf geheimen Befehl im gleichen Moment die Pferde an. Es wird eine Art Wettrennen daraus. Irgendwie befreit sie der Spaß von dem inneren Druck, den die Begegnung mit Brian brachte. Sie freuen sich wie Kinder. *** Ant Hopelong ist froh darüber, daß ihm Myra den Nachbarn als Gast mitbringt, nicht nur aus einem Grund. Als er die zwei kommen sieht, denkt er: Sie sehen aus, als gehörten sie schon zusammen. Der Eindruck, daß sich seine Tochter und Ray Dexter sehr zugetan sind, verstärkt sich noch bei Tisch. Der Herr des Hauses versteht es, scheinbar wegzusehen. So zurückhaltend sich Myra und Ray auch benehmen, was sie beide betrifft, Ant Hopelong braucht keine tolle - 79 -
Menschenkenntnis, um bald heraus zu haben, daß die zwei füreinander entbrannt sind. Als später Myra vor den beiden Männern das Zimmer verläßt und „Gute Nacht!“ wünscht, sagt Hopelong un vermittelt wie zu einem alten Vertrauten: „Ich weiß, daß es nicht immer darauf ankommt, wie lange sich zwei Menschen kennen. Junge, enttäuschen Sie mir Myra nicht! Sie ist das Liebste, was ich habe.“ Ray Dexter wird rot, aber dann sieht er den Hausherrn lange und offen an und reicht ihm stumm die Rechte über den Tisch. „Bringen Sie Myra mit, wenn Sie mich in den nächsten Tagen besuchen!“ sagt Ray nach einer Weile. „Abgemacht. Gehen wir schlafen!“ *** Ray Dexter bricht schon sehr früh am Morgen auf. Die Nebel tanzen noch unter zaghafter Sonne, die sich im Osten erst ankündigt. An einem der Fenster im ersten Stock des Haupt hauses winkt eine weiße Hand. In zügigem Trab trägt der Fuchshengst seinen Herrn den Hügeln zu, hinter denen seine Ranch liegt. Ray Dexter hält sich ziemlich nördlich und biegt bald sogar ganz nach Nordosten ab. Es ist ein Umweg nach Hause, aber er will noch einmal am Wald entlang reiten, der hinter der Nordspitze der Hills beginnt. In dem Augenblick, wo ihn dann der Buschwald der Hügelausläufer empfängt, reißt er den Hengst herum, bringt ihn aber in den Stand. Das Land diesseits der Hills ist Hopelongs Nordweide. Dexter sieht, ohne selbst gesehen zu werden: Zwei - 80 -
Reiter treiben sieben Rinder von Norden her auf Hopelongs Ranchweide. Erst denkt Ray, daß es Cowboys sind, welche ein paar Ausreißer eingefangen haben und sie zurückbringen. Aber dann stutzt er. Der winzige Pulk ist bis auf hundertfünfzig Meter herangekommen, und nun sieht er es deutlich. Die Rinder wanken wie trunken daher, und jetzt bricht eines von ihnen zusammen. Die beiden Reiter kümmern sich nicht darum und treiben weiter. Ein schlimmer Verdacht kommt ihm auf. „Da bringen irgendwelche Halunken kranke Rinder auf Hopelongs Weide, um seine Herden zu verderben!“ Ray murmelt es halblaut vor sich hin. „Na, wartet!“ zischt er und treibt seinen Hengst aus der Deckung. Er hat die Büsche noch nicht richtig verlassen, da drehen die beiden Treiber bereits ab. Ray reißt sein Sharpsgewehr aus dem Scabbard. Er will den Zweien nach. Aber er hat Pech. In dem Augenblick, wo sein Hengst zum wilden Spurt ansetzt, gerät er mit der linken Hinterhand in ein Erdloch und sackt so jäh auf die Hanken, daß Ray aus dem Sattel fliegt, dazu noch so unglücklich, daß er mit der Schläfe auf seinen Ge wehrschaft stürzt und die Besinnung verliert. Als er dann wieder zu sich kommt, ist von den beiden Reitern nichts mehr zu sehen. Nun, der Hügelwald ist nah. Dexter sieht sich die linke Hinterhand, vor allem die Fessel, des Hangeste an. Es ist alles in Ordnung. Die paar Schritte bis zu den noch sechs Rindern legt Ray zu Fuß zurück. Die Tiere stehen wie angewurzelt da, und nun bricht schon wieder eins von ihnen zusammen, lautlos, ohne - 81 -
Klage. Ray hat schon einmal Tiere gesehen, die von der Rinderpest befallen waren. Diese fünf Rinder sind es auch. Unverkennbar. Ray droht mit geballter Faust gegen den Hügelwald hin. „Ihr Lumpen!“ zischt er. Ray geht näher an die Rinder heran. Er hebt das Sharpsgewehr. Fünf Schüsse fallen. Fünfmal bohrt sich eine Kugel in die weiche Stelle zwischen Ohr und Stirnansatz. „Jetzt seid ihr erlöst“, murmelt Ray. Er überlegt: Soll er den beiden Schurken nachjagen oder erst Ant Hopelong verständigen? Der Zufall entscheidet. Von Süden herauf zieht eine von Hopelongs Herden. Ray eilt in den Sattel, und jagt ihr entgegen. Schon von weitem winkt er den beiden Vorreitern zu. Dann ist er bis auf Rufnähe heran, schreit es den Cowboys zu: „Haltet sofort die Rinder an! Sofort!“ Zwei der vorderen Flankenreiter brausen herbei. Dexter zeigt hinter sich. „Ihr dürft nicht weitertreiben, Boys! Eine knappe Meile weit liegen sieben pestkranke Rinder. Die letzten fünf habe ich durch Gewehrschüsse erlöst. Zwei Schurken, die ich nicht mehr erkennen konnte, trieben sie von Norden her auf eure Weide.“ Einer der Cowboys sieht Dexter mißtrauisch an und murrt: „Aber die Beule an Ihrem Kopf, Mann! Das sieht doch aus, als hätten sie mit den beiden Halunken nähere Berührung gehabt.“ Ray erzählt von seinem Sturz. Einer der beiden Spitzenreiter, ein Junge, so blond wie - 82 -
Ray selbst, fährt den vorherigen Sprecher an: „Eh, Bar ry! Ich kenne diesen Gentleman. Es ist unser neuer Nachbar, Ray Dexter. Ich glaube ihm, und du hältst dein schnödes Maul, klar?“ „Oh, entschuldigen Sie, Mr. Dexter!“ stammelt der andere. „An eurer Stelle würde ich mich sputen, die kranken Rinder unter die Erde zu schaffen, aber mindestens ein einhalb Meter tief. Und besorgt Kalk, wenn's geht! Den schaufelt auf die Rinder, ehe ihr sie ganz zudeckt!“ sagt Dexter. „Man merkt, daß Sie viel von alldem verstehen, Mr. Dexter“, meint einer der Cowboys. „Wir hatten auf dieser Weide zum Glück bisher noch nie mit der Rinderpest zu tun.“ „Danke“, brummelt Dexter. „Ich versuche, der Fährte der beiden Halunken nachzureiten.“ „Hell no, ist der Hengst schnell!“ staunt einer der Cowboys hinter dem davon preschenden Dexter her. „Aber wer nur, wer kann ein Interesse daran haben, unserem Boß die Rinderpest in die Herden zu tragen, ver dammt noch mal, wer nur?“ *** Die Fährte der beiden Reiter führt von den Hills stracks nach Norden. Dann aber verliert sie sich in einem schier unübersehbaren Ödland, dessen Boden mehr Sand und Steine auf weist als karges Moos oder ausgedörrtes Bunchgras. Ray Dexter weiß noch nicht, daß diese trostlose Plaine im Volksmund Devil's Desert, des Teufel Wüste, heißt. Er kehrt um. Dabei entdeckt er plötzlich wieder die - 83 -
beiden Hufspuren. Sie ziehen nach Südosten. Dexter denkt: Es sieht aus, als wären die beiden Schurken aus Hambrook gekommen und wollten auch wieder dorthin... Sekunden später pfeift er durch die Zähne. Vor ihm glitzert ein Fünfzack am Boden. Sheriff- oder Deputysterne regnen nicht vom Himmel herab. Der Name, dessen Träger er haßt, kommt über Dexters Lippen: „Rock Jason!“ Was für ein Interesse kann der Mörder der schönen Apachin haben, Hopelong zu vernichten? Jason oder sein Deputy, einer von beiden muß den Stern hier draußen verloren haben. Der Verlierer wird er schrecken, wenn er es irgendwann merkt, daß ihm das Ding fehlt. Dexter steigt ab und nimmt den Stern an sich. Er steckt ihn in die linke Brusttasche. „Nach Hambrook zu reiten, um Rock Jason und seinem Deputy den Fünfzack vor die Nasen zu halten und ihnen vor den Kopf zu sagen: Ihr beide wart die Schufte, welche die pestkranken Rinder auf Hopelongs Weide getrieben habt!“ hält Dexter für falsch. Rock Jason würde ihn auslachen, ausdonnern und vorgeben, einen Kontrollritt durch den Norden des Distrikts unternommen zu haben. No! Man muß die Stunde abwarten, wo man Jason überführen kann. Überführen? Schön! Aber wie? Er muß und wird einen Weg finden, Jason unsicher zu machen. Er müßte es eigentlich schon von dem Augenblick an sein, wo er entdeckt, daß sein oder des Deputys Stern fehlt. - 84 -
Plötzlich glaubt Ray Dexter das richtige Rezept zu haben. Er fragt sich, was würde ich tun, wenn ich Sheriff wäre und zugleich der Schurke, der die Pestrinder auf Hopelongs Weide trieb? Er antwortet sich: Ich würde so bald wie möglich noch einmal denselben Weg abreiten, den ich da hinter den kranken Rindern und dann zurückgeritten bin. Denn ich muß den Stern finden, ehe ihn ein anderer entdeckt. Ray Dexter kalkuliert, daß Rock Jason und sein Deputy wohl erst nachts wieder denselben Weg hier heraus wagen werden. Vorläufig müssen die beiden ja damit rechnen, daß er, der sie gesehen und gestört hat, ihrer Spur gefolgt ist. So reitet er erst einmal zurück zu seiner Ranch. *** Ray Dexter hält seinen Hengst an und lauscht. Ihm war, als habe er kurz zuvor fernen Huf schlag vernommen. Es ist still. Dexter ist von seiner Ranch aus in Richtung auf den Grenzwald zugeritten, von da ab ein wenig nach Osten ausgeschert. Wenn Rock Jason oder sein Deputy anschwirren, um im Morgengrauen den verlorenen Fünfzack zu finden, dann müßten sie ihn in dieser Gegend passieren. Ray hat sich seelisch und auch verpflegungsmäßig darauf eingerichtet, daß er vielleicht einige Stunden auf das Erscheinen der Erwarteten harren muß. Doch es kommt anders. Im Augenblick steht Dexter mit seinem Hengst unter einer kleinen Baumgruppe, drei Douglasfichten, zwei alten Ahornriesen und einem halben Dutzend Hickorys, - 85 -
ist also wenigstens einigermaßen gegen klare Sicht von außen abgeschirmt, zumal noch einige Büsche das Waldinselidyll vervollständigen. Denn der Mond illuminiert die Landschaft ganz schön hell. Da! Ein Reiter von Süden. Ohne Eile. Dexter verläßt seinen Sattel, bindet den Hengst an und beruhigt ihn mit Worten und mit sanftem Streicheln. Der Reiter kommt fast genau auf die Stelle zu, wo Ray auf ihn wartet. Offenbar hat er plötzlich Mühe mit seinem Pferd, das zum Waldstück herüberzerrt. Wahrscheinlich bemerkt das Tier den Hengst, der zu Dexters Ärger nun auch noch zu wiehern anfängt. Der Reiter zwingt sein Pferd in den Stand und ruft herüber: „Was ist das? Sind Sie's, Boß? Sind Sie mir doch noch nachgeritten?“ Ray Dexter, der die dunklen Büsche hinter sich hat, nimmt die Hände schaufelartig vor den Mund. Das ver ändert die Stimme. „Yes!“ ruft er zurück. „Das war doch nicht nötig, Sheriff“, redet jetzt der andere wieder. „Es gehen doch noch ein paar Stunden drauf. Ich kann ja sowieso erst im Morgengrauen mit dem Suchen anfangen.“ Boß? — Sheriff? Da weiß Ray Dexter, daß er den Deputy vor sich hat. „Ist was, Boß? Warum sagen Sie nichts?“ fragt der jetzt. Ray Dexter verändert seine Stimme nicht mehr. „Steig ab, Mann!“ sagt er hart. „He, Sie sind ja gar nicht Rock Jason!“ staunt Kevin Chase. - 86 -
„Stimmt genau, du Halunke!“ zischt Dexter und springt ganz aus der Deckung. Sein Ungestüm macht den Braunen des Deputys scheu. Er geht vorn hoch. Während Chase Arbeit mit ihm hat, packt Dexter zu und reißt ihn aus dem Sattel. Kevin Chase überschlägt sich in einem Purzelbaum rücklings, kommt danach erstaunlich gut auf die Beine, zieht den Colt, den er trotz der unfreiwilligen Rolle nicht verloren hat. Aber der athletische Mann ist besser im Schlagen als im Ziehen. Ray Dexter sieht es noch früh genug und ist um eine Sekunde schneller. Mit kurzem Aufschrei läßt Chase seine Waffe fallen. Sie entlädt sich beim Aufprall, und dann liegt Kevin Chase selbst neben seinem Colt, genauso regungslos. Ray Dexter beugt sich über ihn. Von der Seite springt ihn jemand an. Ray gewahrt es um Sekundenbruchteile zu spät. Ein harter Gegenstand trifft ihn am Kopf. Dexter merkt nicht einmal, daß er taumelt und dann in das Gras sackt. *** Ray Dexter kommt wieder zu sich. In den ersten Sekunden glaubt er sich in einen engen Käfig eingesperrt. Denn er versucht vergebens, die Glieder zu strecken. Da merkt er, daß ihm Hände und Beine gefesselt sind. Neben sich sieht er den regungslosen Kevin Chase liegen. Links beugt sich ein Mann über Ray herab. Erst vermag dieser das Gesicht nicht zu erkennen, aber als sich der Mann nun wieder aufreckt und der Mondschein voll auf sein Gesicht fällt, sieht Dexter, daß es Myras - 87 -
Bruder ist. „Was soll das alles, Brian Hopelong?“ fragt Dexter. „Und was ist hier passiert? Haben Sie mich ...?“ Hopelong unterbricht ihn mit hämischem Lachen. „Yes, ich war's, der Sie niederschlug. Sollten Sie noch einen zweiten Mord begehen?“ „Das ist doch Hohn und purer Unsinn!“ protestiert Ray Dexter. „Prüfen Sie doch die Waffe des Mannes da neben mir! Ist er tot?“ „Mausetot, und das wollten Sie ja doch wohl auch“, höhnt Brian Hopelong. „Waren Sie in der Nähe, als es passierte?“ will Dexter wissen. „Klar. Sonst hätte ich ja nicht eingegriffen“, zischt Hopelong giftig. „Zum Teufel! Dann wissen Sie auch, daß es kein Mord war!“ sagt Dexter wütend. „Und jetzt machen Sie mir die Fesseln auf! Los!“ „Ich denke nicht daran. Ich bringe Sie in die Stadt und den Toten da auch, den Mörder und sein armes Opfer, haha!“ „Sie wollen mich vernichten, Brian Hopelong, warum?“ fragt Dexter. „Genau richtig, Ray Dexter! Ich will und werde Sie vernichten. Sie werden hängen! Haha!“ Es ist etwas Irres, Krankhaftes in diesem höhnischen Lachen. Brian Hopelong stößt Dexter mit dem Fuß in die Seite. „Du wirst Myra nicht bekommen, nie! Denn sie kann ja keinen Gehängten heiraten! Keiner wird Myra be kommen, keiner!“ „Sie sind krank, Hopelong! Lassen Sie den Unsinn!“ „Der Unsinn, haha, mein Unsinn hat Sinn, Mr. - 88 -
Ranchnachbar! Los, steh auf!“ drängt Hopelong. „Ich will bis zum Morgen mit dir und deinem Opfer in der Stadt sein!“ „Sagen Sie nicht immer Opfer, wenn Sie von dem Toten da reden!“ knirscht Ray. Brian Hopelong lacht krächzend, hämisch, drohend. Da stößt ihm Dexter die zusammengebundenen Füße in den Leib, rutscht vor und stößt noch einmal zu. Brian Hopelong kippt um. Er ringt nach Luft. Dexter zieht die gefesselten Hände hoch und beginnt, auf den Hanf zu beißen. Es knirscht. Einzelne Fäden des gedrehten Stricks reißen. Dexter beißt weiter zu. Im Moment dreht ihm Hopelong den Rücken zu. Ray hat ein wenig Zeit, und er schafft es, hat die Hände frei, reckt sich auf, versucht, die Fußfesseln aufzubringen, und er schafft auch das. Hat Brian Hopelong hinten Augen? Genau in der Sekunde, da Dexter die Fußfessel offen hat, wirbelt Hopelong herum und wuchtet dem völlig überraschten Dexter zweimal die Faust an die Kinnlade. Einige Sekunden lang schwimmt Dexter zwischen Ohnmacht und halber Wachheit. Diese Zeitspanne genügt Hopelong, ihn erneut zu fesseln. Diesmal bindet er ihm die Handgelenke hinterm Rücken zusammen. Die Beinfesselung unterläßt er. „Und jetzt endlich in den Sattel! Los, zu deinem Hengst, Dexter!“ knurrt Hopelong und drückt Ray Dexter dessen eigenen Colt in die Schulter. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Laß diesen Halbirren gewähren, sagt sich Dexter, der Narr, der in die eigene Halbschwester verliebt ist, bleibt - 89 -
unberechenbar. Als sich Dexter in den Sattel seines Hengstes gezogen hat, bindet ihm Hopelong die Stiefel am Steigbügelleder fest. Er koppelt den Hengst an das Kopfgeschirr seines eigenen Braunen. Eine Viertelstunde später hat Ray Dexter den unberechenbaren Bruder Myras rechts und das Pferd mit dem toten Kevin Chase links neben sich. So geht es nach Südosten, Hambrook entgegen. Ich habe den Stern, den der Tote da suchte, bei mir, sinniert Dexter. Ich muß ihn erst dann ins Spiel bringen, wenn ich mehrere Zeugen um Hopelong und Rock Jason stehen habe. Vorläufig darf ich diesen verbrecherischen Sheriff noch nicht wissen lassen, daß ich ihn kenne und weiß, daß er Tanata Kamee, die schöne Apachin, damals im Zuge des Mustangraubes erschossen hat. Ich muß für beides den richtigen Zeitpunkt auswählen, und wenn es erst so weit kommen sollte, daß man mich tatsächlich vor Gericht stellt, weil man den Lügen Brian Hopelongs glaubt. Rock Jason wird ihnen bestimmt glauben, schon um von der Sache mit den Pestrindern abzulenken. Jason wird indessen wahrscheinlich ziemlich nervös werden. Bei dem nächtlichen Ritt zur Stadt wird wenig gesprochen, und wenn, dann redet nur Brian Hopelong. „No, Myra wirst du nie kriegen, Ray Dexter, nie! Ich werde beim Sheriff nachweisen, daß Kevin Chase gar nicht geschossen haben kann. Ich werde bezeugen, daß er nicht mal gezogen hat, haha! Du bist dran, Ray Dexter, haha!“ Ray antwortet nicht. Aber er versucht, sich vorzustellen, wie Hopelong es schaffen will, seine Lügen - 90 -
auch glaubhaft zu unterminieren, wenn noch andere Leute als Rock Jason die Zuhörer sind. *** Rock Jason reagiert auf die Lügenstory Brian Hopelongs genauso, wie es sich Ray vorgestellt hat. Er grinst hämisch, breit und brutal. „Da hat dieser hereingeschneite Neurancher meinen braven Deputy also erschossen“, heuchelt er. „Ich kann mir auch denken, aus welchem Grunde, he!“ Jason stößt dem Gefangenen grob gegen das Brustbein, sieht Hopelong an. „Ich habe von dieser Schweinerei auf Ihrer Weide gehört, Mr. Hopelong. Und darum habe ich meinen Deputy losgeschickt, der Sache einmal nachzugehen.“ Bis jetzt hat Ray Dexter erst einmal still zugehört, doch nun mischt er sich ein. „Woher wissen Sie das denn schön, Sheriff?“ „Ich weiß es eben!“ schreit Jason. „Moment, Sheriff! Ich war es, der die zwei Halunken beobachtete, die die pestkranken Rinder auf die Hopelong-Weide trieben: Die zwei sahen mich und zogen ab, so rasch es ging. Leider ...“ Ray Dexter hört mit dem Sprechen auf. Ein anderer redet plötzlich dazwischen. Dieser andere stößt eins von zwei Fenstern nach innen auf und grinst herein. Es ist Danny O’Trive, der Knirps und Expianist. „Jetzt können Sie weitersprechen, Boß! Denn jetzt haben Sie zwei ehrliche Zeugen!“ „Zwei?“ staunt Dexter. In dem Moment taucht hinter dem winzigen Männlein der lange Cowboy Kid Slamper auf. - 91 -
Der kleine Danny erklärt: „Wissen Sie, Boß, ich bin zwar von Mutter Natur mit kurzen Beinen ausgestattet worden, dafür aber mit Köpfchen, Köpfchen!“ Dann tippt er sich mit der Linken gegen die Schläfe. Rock Jason zieht wütend vom Leder. „Was soll das? Was wollen Sie komischer Zwerg mit Ihrem Leibwächter hier überhaupt mitreden? Verschwin den Sie oder ...!“ Bei oder schnappt Jasons Rechte nach unten. Aber Danny O’Trives bis zu diesem Moment in Deckung gehaltene Rechte ist viel, viel schneller. Wie von einer Dynamitladung hochgestoßen, liegt sie bis zu drei Zoll Höhe über dem Fensterbord. Mit einem Colt darin. Hart peitscht die Detonation. Jasons Halfter reißt auf. Er selbst reißt die rechte Hand hoch vor Schreck und Staunen. Der Coltkolben ist nach gerutscht und lugt seitlich zwischen dem gespaltenen Halfterleder heraus. Die Naht ist geplatzt. Danny grinst. „Hihi! Sie sind vergeßlich, Mr. Sheriff. Ich habe Ihnen doch neulich schon mal gezeigt, daß ich mit einem Schießgerät genau so gut, umgehen kann wie mit Klaviertasten. Wissen Sie! Wer mit dem Colt sehr schnell sein will, der sollte Klavier spielen lernen. Das macht die Fingerchen geschmeidig. Zur Sache! „Eh, Boß, Sie möchten gern wissen, wieso ich mit Kid Slamper hier im richtigen Moment aufkreuze. Ich hänge an Ihnen. Das wissen Sie. Well. Ich sah Sie ausreiten in die Nacht. Ich wußte, es hängt mit der PestrinderSchweinerei zusammen. Eh, Sheriff! Mein Boß weiß, wer die zwei Halunken waren, und er wollte denen nachsteigen, was ich mir ausrechnen konnte. Er hat uns - 92 -
nicht erzählt, wer die Pestilenz-Akrobaten waren, aber wir merkten ihm an, daß er Bescheid wußte. Weiter! Eh, stop, Sheriff! Lassen Sie die Hand oben, sonst kracht's noch mal, aber dann auf Ihre dreckigen Finger! Und Sie, Sonnyboy, halten Ihre Greifer ebenfalls in respektvoller Entfernung von sämtlichen Schußwaffen!“ Brian Hopelong knurrt in sich hinein. „Weiter!“ sagt der kleine Mann, den Colt immer noch ins Zimmer richtend. „Meine Urgroßmutter war eine Hellseherin, und zwei Minuten vor ihrem späten Tod, da hat sie noch zu meiner Mutter gesagt: ,Halte deinen Danny bei guter Gesundheit, Mary! Er hat meine hellseherischen Gaben geerbt. Well! So ist das also, und darum machte ich mich auf den Weg, sattelte mein Roß, lud Slamper ein, mitzureiten, und reiste hinter Ihnen, Boß, in die gleiche Vollmondnacht hinaus. Wir hörten zwei Schüsse!“ „Einen!“ fährt Brian Hopelong auf. „Schnauze! Es waren zwei!“ verbessert Danny O'Trive. „Nunja, es war eine Brise von Ost, die uns die Detonation zuspielte. Wir täuschten uns über die Entfernung, aber da man aus harzigen Hickoryspelzen nette Fackeln fabrizieren kann, beleuchteten wir die Gegend beim Wäldchen, wo uns plötzlich eine Tabaksdose ganz in der Nähe in die Augen stach wie pures Silber. Wenn's den Mann im Mond gibt, dann hat er sich mit uns gefreut, indem er auf die olle Dose herabgeblinzelt und sie glitzern gemacht hat.“ „Hell and damnation! Alle miesen Geister! Der Zwerg soll aufhören mit seinen Verrücktheiten!“ schreit Rock Jason wütend. „Finger oben lassen!“ tönt Danny O'Trive. „Meine Verrücktheiten haben einen tiefen Sinn, nämlich den, daß - 93 -
wir unseren Boß hier herauseisen. Wir, ich meine Kid Slamper hier und mich, haben nämliche Ihre teuflischen Lügen schon 'ne Zeitlang mit angehört, Mr. Brian Hopelong. Wir sind also mit und ohne Fackel deiner Fährte nach, du Trottel! Und da wären wir! Wenn Sie, Hopelong, noch einmal behaupten, mein Boß, Mr. Ray Dexter, hätte diesen fetten Deputy ermordet, dann drehe ich Ihnen den Hals so weit um, daß sie für die nächsten zwanzig Monate immer nur nach einer Seite schielen. Denn ich quetsche Ihnen dabei eine ganz bestimmte Muskelgegend, die solche Sperre bewirkt. Zur Sache! Brian Hopelong lügt und...“ „Ich lüge nicht!“ keift Hopelong. Er zerrt einen Colt hoch, den er mit dem Lauf vorn im Gürtel stecken hatte, drei Zoll unter Nabelhöhe. Er behauptet: „Das ist die Waffe von Kevin Chase, bitte, es ist kein Schuß daraus gefallen.“ „Wieder infame Lüge!“ donnert Ray Dexter. „Das da ist Ihr Colt, Brian Hopelong. Ich erkenne es daran, daß der Kolben dicht über dem Bodenbeschlag ein wenig ramponiert ist. Ich habe es bemerkt, als Sie Ihre Schwester Myra und mich beim Hügelwald in unserer Unterhaltung störten.“ „Unterhaltung?“ schreit Hopelong. „Vergewaltigen wollte er sie, Sheriff!“ Danny O'Trive lacht. Kid Slamper neben ihm lacht. Am lautesten aber lacht Ray Dexter. Dann sagt er sehr ruhig: „Zu dieser irren Behauptung kann man ja auch Myra selbst mal anhören, die ich übrigens heiraten werde, und wenn Sie sich noch so verrückt dagegen stellen, Brian Hopelong! Aus welchem verdrehten Grund auch immer! Und jetzt lösen Sie mir meine Fesseln, Rock Jason!“ - 94 -
„Aber vorher werfen Sie Ihren Kracher aus der Halfterruine!“ schreit Danny O'Tive. Da Jason zögert, jagt der Knirps einen zweiten Schuß auf die schon angerissene Halfter, und wieder trifft er haargenau da, wo er will. Das Leder öffnet sich wie eine Rose, die sich auseinander faltet. Der Colt fällt von selbst haltlos zu Boden. „Das hätten wir, und nun dalli, dalli, Sheriff! Mein Boß mag nur Manschetten, die er sich sonntags selbst anzieht! Wird's bald?“ Langsam, immer noch zögernd, geht Jason auf Dexter zu. Nun bleibt er stehen. Er sieht erst Dexter an, dann zum Fenster hinüber. Er sagt, sich sichtlich zur Ruhe zwingend: „Was da von den pestkranken Rindern behauptet wird, ist natürlich barer Unsinn! Hätte ich sonst meinen Deputy losgesandt, nach den Spuren der zwei Kerle zu fahnden, die diese Halunkerei anzetteln wollten?“ Ray Dexter ist nahe daran, eine lapidare Antwort zu geben — nach welcher Rock Jason total überführt wäre — und ihm zu sagen: Greifen Sie doch mal in meine linke Brusttasche, und holen Sie den Fünfzack heraus, nach dem Ihr Deputy gesucht hat, weil er ihn beim Treiben der pestkranken Rinder oder bei eurer Flucht vor mir verlor! Aber er tut es nicht. Er verwahrt sich dieses Argument für später auf. Und auch von dem, was vor Jahren im Indianerland geschah, sagt Dexter noch nichts. Jason weiß noch nicht, daß es den hinterm Busch heranhetzenden Zeugen gab, der ihm einen Pfeilschuß nachsandte, als er, letzter der Mustangdiebe, zugleich ihr Boß, die arglose Apachin erschoß, so im Vorbeireiten, - 95 -
um keinerlei Zeugen für den Pferderaub zu haben. Hier komme ich jetzt und noch in diesen fünf Minuten heraus, sagt sich Ray. Und wenn ich das letzte Wort ge gen dich spreche, Mädchenmörder, soll die ganze Stadt dabei Publikum spielen! „Ich fange wirklich an, Ihnen zu glauben, daß Sie mit dieser Rinderpest-Schweinerei nichts zu tun haben kön nen, Sheriff“, sagt Ray. Es wird ihm schwer genug. „Aber daß Ihr Deputy gegen mich ziehen wollte, das heißt, auch zog, war sein Pech. Jeder Mann versucht schneller zu sein, wenn ein anderer den Kugelspeier aus seiner Halfter hüpfen lassen will. Wahrscheinlich hat mich Kevin Chase für einen Banditen gehalten.“ „Sehen Sie, das ist ein vernünftiges Wort“, nickt Jason. Ray sieht ihm an, daß eine große Entspannung in dem Gesicht alle bisherige Verkrampfung löst. Es ist noch einmal gutgegangen — meint Rock Jason. Nun wendet sich sein Groll gegen den vollkommen verstört dastehenden Brian Hopelong. „Mein lieber Mr. Hopelong! Sie haben es wohl gut gemeint, aber als Zeuge der Auseinandersetzung waren Sie wahrscheinlich doch nicht nahe genug am Drama. Und im Dunkel der Nacht greift man auch mal daneben und erwischt den falschen Colt, wenn mehrere davon im Gras herumliegen.“ „Ihr könnt mich alle!“ schreit Brian Hopelong in hysterisch klingendem Falsett. Seine Stimme überschlägt sich. Er eilt zur Tür, wirbelt dort noch einmal herum und zeigt auf Ray Dexter, plärrt mit rotem Hals: „Und du kriegst sie doch nicht!“ „Was meint dieser Clown?“ fragt der kleine Danny O'Trive am Fenster herein. Dexter antwortet nicht exakt. Er sagt nur: „Brian - 96 -
Hopelong ist ein kranker Mann.“ Sheriff Rock Jason schneidet Dexter die Fessel durch. Danny O'Trive lacht. Satt und zufrieden. Danny sagt: „Warum nicht gleich, Sheriff Jason? Sie hätten doch eher erkennen müssen, daß Brian Hopelong unter den Kopfhaaren nicht ganz richtig ist. Er erträgt das bißchen krumme Rückgrat nicht. Sehen Sie mich an! Ich bin bestimmt der kleinste Mann im ganzen Distrikt und trotzdem oho! Danke, Sheriff! Der Grips, der Geist, soll den Körper beherrschen und die Rechte den Colt, wenn's nötig ist, hihi!“ Ray Dexter reibt sich die von den Fesseln geröteten Handgelenke. Er geht zum Tisch, auf dem sein Colt liegt. Er nimmt ihn an sich, schiebt ihn in die Halfter und geht an Jason vorbei zur Tür. Er winkt den beiden Boys draußen am Fenster zu. „Danke, Danny O'Trive! Danke auch dir, Kid Slamper!“ Vor dem Office draußen steht noch das Pferd mit dem Toten überm Sattel. Ein Dutzend Menschen haben sich eingefunden. „Was ist passiert? Wer hat Kevin Chase erschossen?“ fragt einer der Gaffer und sieht Ray Dexter an. „Vorhin hieß es doch noch ...“ „Es hieß richtig“, fällt Dexter dem Frager ins Wort. „Brian Hopelong hielt mich für den Mörder von Kevin Chase. In der Nacht draußen“, fügt er hinzu. „Und wer hat ihn nun erschossen?“ ruft ein anderer aus der nun rasch anwachsenden Menge. l „Ich!“ antwortet Ray Dexter laut. Er zieht sich in seinen Sattel. Sein Hengst steht noch neben dem Braunen. Als Ray das linke Bein nachzieht, um auf dieser - 97 -
Seite in den Bügel zu kommen, stößt er unversehens leicht gegen einen Stiefel des Toten. „Beruhigt euch, Leute! Es gibt keinen Mörder. Chase zog gegen mich. Ich war schneller. Und nun macht Platz!“ „He, habt ihr nicht gehört?“ meldet sich Danny O'Trive, der mit Kid Slamper beim übernächsten Haus hervorreitet, wo sie ihre Pferde stehen hatten. „Sage uns besser, wann der White Horse Saloon wieder ein richtiges Piano bekommt, Danny!“ schreit einer aus der Menge. „Spätestens bald, vielleicht auch nie!“ echot Danny. „Es gibt dort doch auch noch das mechanische!“ „Du warst besser!“ ruft ihm ein junger Mann nach. *** Ray Dexter und seine beiden Boys reiten aus der Stadt. Dexter kämpft noch immer mit sich, ob er Danny O'Trive und Kid Slamper in die ganze Wahrheit einweihen soll. Gerade fängt der Knirps wieder von der Sache an. „Eine Weile glaubte ich, der Sheriff selbst wäre an dieser Ferkelei mit den pestkranken Rindern beteiligt gewesen — sein Deputy dazu. Denn schräge Geschäfte, die macht Kevin Chase immer mal, wenn er mit seinen Sicherheitsnadeln, Knöpfen und Schuhriemen über Land fuhr.“ Was für einen Riecher der Kleine doch hat, denkt Ray Dexter. Aber er sagt nur: „Es wird nicht mehr lange dauern, Boys, bis ihr erfahrt, wer und was hinter allem steckt. Vorläufig soll mir der Haupthalunke noch ein wenig - 98 -
schmoren.“ „Wohnt er in Hambrook, oder haust er auf einer der Weiden?“ will der kleine Danny wissen. „Später, Danny, später!“ sagt Ray Dexter. Da gibt es der Knirps auf. *** Im White Horse Saloon scharen sich die fünf Honoratioren der Stadt. Raoul Ruthermere nimmt links, Friedensrichter Earl Hastings rechts von Jason Platz. Die anderen drei vom Stadtrat setzen sich ihnen gegenüber. „Wir haben von dieser traurigen Geschichte gehört“, beginnt Hastings. „Ich meine jetzt nicht den Tod von Kevin Chase, sondern vor allem diese Schurkerei, die gegen Ant Hopelong und seine Rinder gedacht war. Sie müssen die Täter finden, ehe sie dasselbe auf einer anderen Weide versuchen. Wenn die Rinderpest einmal in einen Landstrich einfällt, kann ein ganzes County da von überschwemmt werden.“ „Ich reite mal zur Hopelong-Ranch“, erwidert Rock Jason. „Ich muß herauskriegen, ob Hopelong Feinde hat und welche.“ „Ant Hopelong und Feinde? Kann mir's nur schwer vorstellen“, meint Ruthermere., „Na ja, sein Sohn Brian schon. Der könnte schon Feinde haben. Er ist ein unangenehmer Kauz, der sich wahrscheinlich selbst nicht leiden kann, geschweige denn andere Leute.“ „Wenn das so ist, dann haben die Kerle, welche die kranken Rinder auf Hopelongs Nordweide trieben, ihn nur warnen wollen“, sagt Jason. „Ich reite noch morgen früh zur Hopelong-Ranch. Wann könnte ich dann dort sein?“ - 99 -
„Wenn Sie um sechs Uhr früh hier losreiten, können Sie am Nachmittag dort sein.“ In diesem Augenblick tritt ein verstaubter Boy in den Saloon. Er steuert sofort auf Jasons Tisch zu. Er erzählt: „Ich war in Caterville und bin durch die Bover Mountains zurückgekommen. In einem Seitencanyon entdeckte ich am Eingang diese Berlocke, die irgendein Uhrträger dort verloren haben muß.“ Rock Jasons linke Hand liegt auf seinem Schenkel. Unwillkürlich gleitet sie langsam zur Weste, in deren unterer linker Tasche er seine Uhr trägt. An einer Kette. An dieser Kette fehlt das, was der Boy dort in seiner Hand hält. Jason setzt ein undurchsichtiges Gesicht auf. „Erzählen Sie weiter!“ sagt er zu dem Boy, der die Berlocke in der Hand hält und sie nun auf den Tisch legt. Der andere fährt fort: „Well, da bin ich dann diesen Canyon hinauf und lande in einem Tal. O dear, der Ge stank! Über zwei Dutzend verendeter Rinder liegen dort herum. Aber nicht genug. Es liegt auch ein toter Mann da. Sein Gesicht ist schon nicht mehr zu erkennen. Die Geier, wissen Sie. Ich habe sofort meinen Braunen gewendet und bin wieder in den Hauptcanyon zurück.“ „Pestkranke Rinder!“ sagt Rock Jason. Er haut die Faust auf den Tisch. „Meine Herren! Die Schurken, die diese kranken sieben oder acht Kühe auf Hopelongs Weide getrieben haben ...“ „Was ist mit denen?“ fragt der Friedensrichter. „Sie müssen vorgehabt haben, den ganzen Pulk zu treiben, aber die meisten Tiere sind ihnen dabei schon in diesem verborgenen Tal draufgegangen. Und dann muß sie ein Mann gestört haben, eben dieser jetzt unkennt liche Tote.“ - 100 -
„Der uns auch nicht mehr weiterhelfen kann“, meint Ruthermere. „Also Mord auch noch“, murmelt Earl Hastings. „Man müßte die Fährte der Rinder rückwärtig verfolgen können“, sagt Rock Jason. „Ist nicht mehr drin“, schnappt einer der Männer, „Es hat inzwischen gewittert und geregnet, wenn auch nur drei Stunden lang. Aber Platzregen wäscht Fährten meistens sehr gründlich weg,“ „Dann ist in dieser Richtung wohl nichts mehr zu erben“, sagt Rock Jason und hat tiefes Bedauern im Gesicht. „Man sieht Ihnen an, Sheriff, wie Sie darunter leiden, daß Ihnen sogar die Natur die Nachforschungen in dieser Sache verriegelt“, orgelt der Friedensrichter salbungsvoll. „Sie treffen ins Schwarze, Sir“, nickt Rock Jason. Er greift nach der Berlocke. „Aber das Ding da nehme ich mal an mich. Vielleicht entdecke ich den Mann, dem diese Berlocke fehlt.“ „Guten Erfolg, Sheriff“, sagt Ruthermere. „Aber jetzt könnte man wohl noch mindestens einen Doppelten gebrauchen. Wenn ich mir's vorstelle, über zwanzig stinkende Pestrinder und dabei ein toter Mann, dem die Geier — pfui! Eh, Mary Ann, Grace, ich spendiere eine Runde Whisky!“ Rock Jason beruhigt sich innerlich wieder. Er hat heimlich ertastet, daß es an seiner Uhrkette keinerlei Relikt mehr gibt, das auf die Berlocke hinweisen könnte. Sie muß mit dem Glied abgestreift worden sein, das sie an der Kette hielt. Glück muß ein Mann haben. Bisher hat er es gehabt, wenigstens was die eigene Haut anging! *** - 101 -
Ray Dexter hat nun eine Köchin. Die NurMännerwirtschaft hört auf. Sie ist eine Schwarze. Al Crosby, der Vormann, bat sie aus Hambrook mitge bracht. Bisher war Black Tina beim alten Doc Summer. Der aber ist vor ein paar Tagen gestorben, und der neue Doc hat seine junge Frau mitgebracht. So ist Black Tina überflüssig geworden. Sie erzählt es ihrem neuen Boß Ray Dexter. „Aber wenn wir mal weiter draußen hängen mit den Rindern, bin ich auch noch da“, tönt der kleine Danny O’Trive. Dexter unterdückt ein Lachen, das in ihm aufkommen will. Danny ist eifersüchtig. „Sei froh, daß du endlich abgelöst wirst, Danny!“ sagt Ray. „Um so mehr kannst du dich um die Pferde küm mern, um den Einkauf und die Schmiede. Ich denke, daß Tina dich einigermaßen ersetzt. Du warst uns ein prima Koch.“ Heimlich zwinkert Ray Dexter bei diesen Worten der Schwarzen zu, und diese kapiert sofort. Sie baut einen Knix vor ihrem neuen Brötchengeber und sagt: „Ich werde mich bemühen, so gut zu sein wie Mr. Danny. Ihr Vormann hat mir unterwegs von Mr. Dannys Kochkunst vorgeschwärmt.“ Danny O’Trive ist beruhigt und hat seine seelische Substanz wieder in Ordnung. Später, als der Vormann mit Dexter einmal allein ist, meint er: „Die schwarze Tina lügt von jetzt auf gleich, Boß. Ich habe ihr nur erzählt, daß Danny außer seinen Ham and Eggs uns mit Speckbohnen und Speckerbsen traktiert hat.“ „Manchmal ist es gut, wenn einer 'ne Notlüge parat - 102 -
hat“, erwidert Dexter. „Hauptsache ist doch, daß Dannys inneres Gleichgewicht wiederhergestellt ist.“ Gegen Mittag taucht im Westen eine Kutsche auf. Ant Hopelong und seine Tochter Myra kommen zu Besuch. Sie wirken beide irgendwie bedrückt, verlegen. Ray bemerkt es gleich bei der Begrüßung. Er erfährt auch sehr schnell den Grund. „Unser Besuch war sowieso fällig“, sagt der Rancher. „Wir kommen nicht nur wegen Brian.“ „Sie wissen also Bescheid?“ fragte Ray. „Nur so viel, daß Brian Sie gestern gefesselt in die Stadt gebracht hat und der Sheriff Sie wieder laufen lassen mußte“, erwidert Ant Hopelong. „Und dann faselte mein Cowboy, der um die Zeit in Hambrook war, etwas von Mord.“ „Kommen Sie ins Haus! Da reden wir in Ruhe darüber“, sagt Ray Dexter. Ray erzählt, was zu erzählen ist. Er läßt nichts aus. Er zitiert auch Brians verrückten Satz, den ihm dieser beim fast fluchtartigen Verlassen des Office um die Ohren schrie, Myra betreffend: „Und du kriegst sie doch nicht!“ Myra findet es in diesem Augenblick an der Zeit, auch von Brians Auseinandersetzung mit Ray Dexter draußen im Hügelwald zu erzählen. Der Rancher ist erschüttert, zumal, als Myra ihm fast aufbrausend gesteht: „Brian sieht mich nicht als seine Schwester an. Und das hat er mir sogar einmal auf ziemlich zudringliche Weise bewiesen. Zum Glück wurde er dabei gestört, mich schlimmer zu belästigen.“ „Kind, warum hast du mir so was nicht am selben Tag erzählt, wo es passiert ist?“ fragt Ant Hopelong. „Weil mir Brian leid tat, Dad. Aber nun mußte es - 103 -
einmal heraus. Brian ist irgendwie krank, nicht ganz normal. Doch sein Haß gegen Ray, seine ekelhafte Eifersucht! No, Dad, da muß etwas geschehen.“ „Aber was, Myra?“ fragt Hopelong beklommen und ratlos. Alle drei schweigen. Myra und Ray sehen einander an und werden rot dabei, weil sie beide ein und dasselbe denken. „Seit eineinhalb Tagen habe ich Brian nicht mehr gesehen“, sägt Ant Hopelong. „Wahrscheinlich schämt er sich doch und irrt durch die Gegend.“ „Er wird schon wieder heimfinden, Dad“, sagt Myra in sehr scharfem, abweisendem Ton. „Vielleicht gibt Brian diese unselige Leidenschaft auf, wenn Myra und ich bald heiraten“, sagt Ray Dexter. Er atmet auf. Es ist heraus. „Kinder, es wäre das beste“, erwidert Hopelong sachlich. Er fügt hinzu: „Ich habe so etwas kommen sehen, und ich habe es gern kommen sehen.“ „Ich habe meinen Vater nie gekannt“, sagt Ray Dexter. Es kommt ihm unvermittelt über die Zunge.“ „All right, dann sage Dad zu mir, mein Junge!“ lächelt Ant Hopelong. Für Sekunden - scheint er Ärger und Sorge um den seltsam geratenen eigenen Sohn vergessen zu haben. *** Seit einer Stunde reitet der kleine Danny O'Trive über die dunkle Weide. Die Herde liegt jetzt gut drei Meilen hinter ihm. Die Südgrenze der Dexter-Ranch ist auch bei der Nacht gut markiert. Durch eine wallartige Bodenwelle, - 104 -
die sich quer durch den grünen Raum hinzieht, wie wenn sie von Menschenhand aufgeschüttet worden wäre. Der südliche Hang dieses natürlichen Walles ist mit Weiden und Erlen bestanden. Der Wind mag vor einem Menschenalter die Samen von Süden heraufgebracht haben, die dann an diesem Querhang hängen blieben. Nun ragen die Weiden und Erlen in der Nacht wie eine dunkle Mauer über der Plaine. Danny O'Trive hält sein Pony fünfzig Meter vor dem Wall an, um dann bei Einhaltung dieser Entfernung nach Westen, zu reiten. Er hält darauf, daß der Vierbeiner in ganz gemächlicher Gangart bleibt. Einigemal hält er ihn an, um in die Nacht hinaus zu lauschen. Da! Bei den Wallbäumen ist es. Zwischen zwei Weidenpartien, die eine ziemlich breite Lücke lassen. Das, was Danny O'Trive zunächst auch für eine aller dings niedrigere Weide hielt, bewegt sich. Es ist ein Reiter. Langsam kommt er mit seinem Pferd den Wall herab und in die Weide herein. Hölle und Schwefel! Das muß er sein! denkt Danny und wartet, überlegt: Wenn es Brian Hopelong ist, dann soll er mich zunächst mal für meinen Boß Ray Dexter halten! Mal sehen, was er anzustellen gedenkt! Haha! Aber nicht mit mir, no, nicht mit Danny O'Trive. Little Danny grunzt leise vor sich hin. Er probiert etwas aus. Er setzt zum Sprechen an, tut's aber nicht, und der andere kommt langsam, aber stetig näher heran. Danny O'Trive kann nämlich noch mehr als nur schießen und Klavier spielen. Zum Amüsement der Gäste hat er im White Horse Saloon oft die Stimmen anderer Leute imitiert, zum Beispiel die des Friedensrichters oder des alten Docs, oder die von Raoul Ruthermere: „Meine - 105 -
Tochter ist gebildet. Sie ist Lehrerin! Ich bitte mir aus, sie dementsprechend zu respektieren!“ Und der noch unbekannte Reiter kommt immer näher. Danny O'Trive hat die rechte Hand unten. Sie verdeckt den Coltkolben, der aus der Halfter lugt. Er hat sein Pony etwas nach links genommen, so daß es parallel zum Wall steht. Der Reiter dort kommt dem Braunen in die rechte Flanke, und Danny hat freies Schußfeld, wenn es nötig werden sollte. Der andere ist nun bis auf etwa fünfzehn Schritte heran. Gerade hält er an. „Hallo! Wer ist da? Cowboy?“ Danny O'Trive zieht es vor, noch nicht zu antworten. „Wenn du ein Cowboy bist, dann sage deinem Boß Dexter, daß ich ihn sprechen muß! Ganz allein! Und hier draußen!“ Danny O'Trive lacht. „Oder bist du's selbst, Ray Dexter?“ fragt der andere. Danny hat ihn längst an der Stimme erkannt. Es ist Brian Hopelong. „Und wenn ich es wäre? Was hättest du mir dann zu sagen, Brian Hopelong?“ entgegnet Danny mit verstellter Stimme, die der seines Herrn genau ähnlich klingt. „Das da!“ schreit Brian Hopelong und reckt sich seitlich vor. Für Sekunden sieht es aus, als habe das Pferd zwei Köpfe. Danny O'Trive hat natürlich keine Lust, durch eine Kugel zu sterben, die einem anderen gilt als ihm. Er zielt zwischen den Pferdeschädel und den Kopf des Mannes. Kurz nachdem er abgedrückt hat und die Detonation aufbellt, hallt noch eine zweite. Aber Brian Hopelongs Kugel trifft nicht. Im Gegensatz zu derjenigen, die aus - 106 -
Dannys Colt kam. Er sieht Hopelong nach links aus dem Sattel fallen, hetzt hin. Hopelong liegt auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet. Neben ihm glitzert sein Colt im Gras. Danny O'Trive sieht, wie sich die linke Kopfseite Hopelongs in einen dunkelroten Fleck verwandelt. „Mann!“ stöhnt der Knirps. „Ich hab' doch nur deine Schulter erwischen wollen, um dir einen Denkzettel zu geben, du armer Narr!“ Brian Hopelong ist tot. Danny O'Trive ist lange Zeit geschockt, kann überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen. Auf Scheiben, sogar auf sehr bewegliche, auf hochgeworfene Münzen oder Flaschenhälse schießen, ist doch ganz etwas anderes als auf einen Menschen. Danny erfährt das nun zum erstenmal an sich selbst. „Verzeih mir, kranker Narr! Ich hab's so nicht gewollt! By Gosh! Und der weiß es, daß ich dich nur empfindlich warnen wollte“, redet der kleine Mann vor sich hin und auf den Toten hinab. Endlich hat er sich entschlossen. Er wird den Toten liegen lassen, wie er liegt. Er schnappt sich Hopelongs Pferd und zurrt den Zügel an sein Pony an, zieht sich in den Sattel und reitet zur Ranch zurück, schneller, als er hierher zur Südgrenze geritten ist. Auf der Ranch ist alles still. Nein, stimmt nicht. Da geht doch die Haupthaustür auf. Es ist Ray Dexter. Er eilt Danny entgegen, der gerade aus dem Sattel kommt. „Hallo, Danny! Ich hatte keine Ruhe, und darum habe ich gewartet. Wie ...?“ Dexter stockt. Er starrt auf den leeren Sattel des - 107 -
Pferdes, das Danny noch mitgebracht hat. „Brian Hopelong? Also doch?“ fragt er. „Ich hab's ja vorausgesehen, Boß. Und der Narr hielt mich für Sie. Er wollte Sie so tot haben, wie er selbst jetzt draußen am Südwall liegt. Ich habe ihn und seinen Colt so liegen lassen, wie beide lagen. Damit jeder noch nachträglich sehen kann, wie es gewesen ist.“ „Und wie ist es gewesen, Danny?“ fragt Ray Dexter. Als der kleine Mann kurz und straff erzählt hat, wie es geschah, legt ihm Dexter die Hand auf die Schulter und meint: „Du hast mir etwas Schweres abgenommen, was mir sonst passiert wäre, Danny. Ich weiß, daß es nicht leicht ist, zu wissen, man hat einen Menschen, ins Jenseits geschickt. Ich reite in der Frühe, no, ich fahre mit dem Wagen zum Wall und bringe den Toten zur Hopelong-Ranch und ...“ „No, stop, Boß! Ich reite oder fahre dann mit! Ich selbst will Ant Hopelong und Miß Myra sagen, wie es war. Im Grunde sind sie eine Last los, well. Aber leicht wird es beiden trotzdem nicht sein.“ *** Ant Hopelong kann es nicht verhindern, daß ihm dicke Tränen die Wangen herabtriefen, als er Ray Dexter und Danny O'Trive mit dem Ranchwagen kommen sieht, auf dem eine Plane liegt, die gewölbt ist von dem, was unter ihr lagert. Ant Hopelong ahnt, was es ist. Denn hinter dem Gefährt trabt Brians Brauner. Myra stürzt aus dem Haus, läuft zu ihrem Vater, faßt seinen Arm mit beiden Händen, starrt wie er auf den Wa gen und die Plane, denkt, was er denkt und was er jetzt auch herausschreit: „Ihr bringt meinen unseligen Sohn - 108 -
Brian!“ „Fasse dich, Dad! Hör die beiden erst an!“ fleht Myra. „Ich ahne, daß Brian die schlimmste Torheit seines Lebens vorhatte und...“ Danny O'Trive, der im Augenblick, wo der Wagen zum Stehen kommt, abspringt, hat Luchsohren. „Stimmt, Miß Myra. Ihr Bruder hatte nichts Geringeres vor, als meinen Boß für alle Ewigkeit aus dem Sattel zu blasen. Doch der ihn tötete, um nicht selbst getötet zu werden, war ich!“ In diesem Augenblick sendet Myra ein stummes Dankgebet gen Himmel, dafür, daß nicht Ray es war, der ihren Bruder erschoß. Zuletzt stützen sie alle drei den Mann, der nahe dem vollkommenen Zusammenbruch ist, um ihn einigerma ßen aufrecht in das Haus zu bringen. *** Als Dexter und der kleine Danny später die Ranch wieder verlassen, ist Ant Hopelong bedeutend gefaßter. Er selbst erklärt es, während er mit Myra die beiden zum Wagen begleitet. „Meine erste Frau, sie hieß Laureen, war seelisch krank. Ich merkte es erst einige Wochen nach unserer Heirat. Ich schrieb anfangs ihren Zustand der Schwanger schaft zu. Sie hatte Anfälle von tiefer Trübseligkeit. Als ich dann den Gründen dieser Schwermut nachforschte, kam heraus, daß Laureen als junges Mädchen den schweren Schock erlebte, zusehen zu müssen, wie ihre ältere Schwester von Banditen überfallen und vergewaltigt wurde. Das blieb bei Laureen eine seelische Dauerwunde. Sie landete im Irrenhaus, wo sie fünf - 109 -
Wochen nach der Einlieferung starb. Brian war damals ein halbes Jahr alt. Der Junge muß etwas von der seelischen Angst und Wirrnis seiner Mutter geerbt haben. Dazu kam dann vor einigen Jahren sein Unfall, der Sturz vom Pferd, die Rückgratverkrümmung. Das hat wahr scheinlich endgültig zu Brians seltsamem Wesen beigetragen. So hart es mir ist, Brians Tod ist wohl eine Erlösung für ihn selbst und auch für uns alle. Wer weiß, was er noch alles angestellt hätte. Ihnen, Danny, habe ich nichts zu verzeihen. Notwehr braucht keine Vergebung. Auf baldiges Wiedersehen, Freunde!“ *** Durch den Postreiter erfährt man auf Dexters Ranch, daß inzwischen in den Bover Mountains diese Herde ver endeter, pestkrank gewesener Rinder und ein unkenntlich gewordener Toter gefunden wurden. Und zuvor eine Berlocke! „Das Maß ist voll!“ entfährt es Ray Dexter. Der Postreiter sowie Danny und Vormann Al Crosby, die dabeistehen, starren Dexter überrascht und entgeistert „Sie — Sie wissen, wer der Mörder ist, Boß?“ fragt Danny O'Trive. Jetzt erst wird Ray bewußt, daß er sich verraten hat. Er sagt: „Es ist derselbe Schurke, der die Pestrinder auf Hopelongs Weide schaffen wollte. Und er hat noch einen Mord auf dem Gewissen, der ein paar Jahre zurückliegt.“ „Mann, o Mann!“ staunt Danny. „Sattle meinen Hengst! Ich reite!“ sagt Ray Dexter. „Darf man fragen, wohin, Boß?“ meldet sich Danny O'Trive. „Nach Hambrook. Nun mach schon, Danny!“ - 110 -
*** Danny und auch der Vormann wissen, daß es keinen Sinn hat, weiter mit Fragen in ihren Boß zu dringen. Eine Viertelstunde später reitet er los. Der Postreiter ist inzwischen auch wieder auf Tour. Die beiden Boys sehen Dexter nach, dessen Hengst weit ausgreift.. „Sollten wir nicht heimlich nachziehen, Vormann?“ meint Danny O'Trive. „Der Kerl, der mehrere Morde auf dem Kerbholz hat, ist bestimmt ein gefährlicher Bursche.“ „Schätze, wir reiten ihm nach, Danny. Komm, holen wir unsere Pferde!“ *** Die beiden sind noch mit Satteln beschäftigt, als ein Reiter dem Ranchhof zustrebt. Es ist ein Fremder, ein rüstiger Fünfziger mit leicht ergrautem Haar. „Kann ich mit Mr. Ray Dexter sprechen?“ fragt er die zwei. „Ja, ist Ihnen denn unterwegs kein Reiter begegnet?“ fragt Al Crosby. „Unser Boß ist vor knapp zehn Minuten aufgebrochen. Nach Hambrook.“ „Da komme ich gerade her“, sagt der Fremde. „Ich bin wohl zu sehr nördlich geritten. Was will Mr. Dexter in der Stadt?“ „Einen mehrfachen Mörder stellen!“ sagt Danny O'Trive. „Ich schätze, es geht um den Schurken, wegen dem ich jetzt herkam, um Ihren Boß zu warnen“, sagt der - 111 -
Fremde. „Zu warnen, Mister? Wovor?“ will Danny O'Trive wissen. „Das hat sich inzwischen überholt, Männer“, erwidert der Fremde. „Wollen Sie nicht absteigen und einen Drink nehmen?“ fragt der Vormann. Der Fremde wendet seinen Apfelschimmel. „Ich werde sehen, daß ich Ray Dexter einhole, ehe ein Unglück geschieht“, sagt er. „Dann warten Sie dreißig Sekunden, Mister! Wir reiten mit! Hatten es sowieso vor“, sagt Danny. „Ich bin Sheriff Sam Burry aus Kent, in Nevada droben, und seit Monaten hinter einem langgesuchten Raubmörder her.“ Gerade klettert Danny in den Sattel. „Und wer ist der Halunke, Mr. Burry?“ fragt er. Der Vormann, der sich gerade in den Sattel ziehen will, vergißt es und bleibt noch drei Sekunden lang stehen, als er den Namen hört. „Rock Jason, den die Leute von Hambrook zu ihrem Sheriff gemacht haben.“ „Habe ich es mir doch schon gedacht“, entfährt es Danny O'Trive. Sie reiten los. Sie treiben ihre Pferde immer wieder an, um sie noch schneller zu machen. Doch so sehr sie sich sputen, sie bekommen Ray Dexter nicht zu Gesicht. Sam Burry findet das unverständlich. „Sein Gaul kann doch nicht fliegen.“ Danny klärt ihn auf. „Mein Boß hat den schnellsten Hengst, den meine Augen je gesehen haben.“ Er bringt es mit einem Stolz hervor, als habe er Dexter - 112 -
diesen tollen Hengst geschenkt. *** Ray Dexters jäher Entschluß, den Mörder der schönen Apachin Tanata Kamee endlich zur Rechenschaft zu ziehen, entstammte keinem nur gefühlsmäßigen Antrieb. Die Erwähnung des Postreiters, daß der Mann, der die toten Rinder und den toten Unbekannten fand, auf dem Weg zum verborgenen Tal auch eine Berlocke am Boden entdeckte, gab den Ausschlag. Dexter weiß, daß Rock Jason eine Berlocke an seiner Uhrkette trug, und er ist überzeugt, daß diese jetzt nicht mehr vor Jasons Weste hängt. Endlich kann er Jason überführen, der sonst eiskalt alles abgeleugnet hatte, alles. Auf solch eine Gelegenheit hat Ray Dexter gewartet. Wie er im Sattel seines raschen und zähen Hengstes gen Osten jagt, spürt er seine innere Erregung, und sie scheint mit jeder Minute zu wachsen. Er mag und kann Myra Hopelong erst als seine Frau heimführen, wenn die Bürde der Vergangenheit abgewor fen ist. Und diese wird fallen, sobald er Jasons Mord an der jungen Apachin der Sühne zugeführt hat. Dexter will nicht unbedingt Rock Jason aus den Stiefeln schießen. Er will ihn stellen. Er weiß allerdings, daß es ohne Blei nicht ablaufen wird. Doch vielleicht kann er Jason zwingen, seine Hand vom Colt weg zulassen. Er hofft es. Er will Rock Jason vor dem Richter stehen sehen, der ihn zu Tode verurteilen wird. Am Galgen sollst du enden, Sheriff. *** - 113 -
Ray Dexter reitet bis zu Steve Martins General Store. Dort steigt er ab. Bis zum Sheriff’s Office sind es noch drei Häuser straßenaufwräts. Er will Jason überrumpeln. Darum geht er auch nicht auf der Straße weiter, sondern biegt zwischen Martins Store und dem nächsten Haus nach links ab, um von der Rückseite her an das Sheriff's Office zu gelangen. Unbemerkt kommt er an den kleinen Pferdestall, der sich links an den hinteren Bau anschließt. Er wartet, lauscht. Eins der Fenster zum Hof hier ist nicht ganz verschlossen. Im Haus bleibt alles still. Er nähert sich diesem nur angelehnten Fenster, drückt es nach innen auf, steigt ein. Das Zimmer ist nicht beson ders geräumig. Es ist mit ein paar Plüschmöbeln ausgestattet. Dexter öffnet vorsichtig die Tür zum Flur, kurz darauf die zum Office. Wie erwartet, ist Rock Jason nicht daheim. Ray Dexter beginnt, den Schreibtisch zu durchsuchen. Er findet nicht, was er sucht. Er wendet sich um und dem Aktenregal zu. Er stutzt. Dort liegt auf einer Aktenmappe die Berlocke. Ein Zettel ist daran geheftet, auf dem geschrieben steht: Der Mörder des Unbekannten im Bover-Mount-Tal ist derjenige, dem diese Berlocke fehlt, entdeckt von Jesse Wodroom, der von Carterville kam. Darunter steht der Vermerk:
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Noch unerledigt, Rock Jason, Sheriff. „So ein Hohn!“ murmelt Ray Dexter und nimmt die Berlocke und den Zettel an sich. Er verläßt das Haus wieder durch das offene Fenster der Rückseite. Auf demselben Weg, wie er gekommen, gelangt er zu seinem Hengst zurück. Ein paar Männer stehen bei Martins General Store. Dexter fragt sie: „Können Sie mir sagen, wo ich Sheriff Jason finde?“ „Well, der ist um diese Zeit immer im White Horse Saloon.“ Die drei Männer staunen über Dexters Antwort: „Dann trommeln Sie schon mal auf die Straße, was Beine hat, Friends! Ich möchte dieser Stadt einen mehrfachen Mörder vorstellen!“ „Was? Etwa — etwa Sheriff Rock Jason?“ fragt einer der Männer. Ray Dexter nickt nur stumm. Da eilen die drei nach verschiedenen Seiten los. Dexter wartet. Schon kommen die ersten Menschen, meist Männer, aus den nächsten Häusern. Rasch werden es immer mehr, auch Frauen und Kinder. Langsam tritt Ray Dexter zur Straßenmitte. Seinen Hengst läßt er vor dem Store zurück. Er bewegt sich ohne Eile. Hinter ihm nahen Dutzende von Schritten. Das Raunen wächst. Die Zahl derer, die ihm folgen, wächst ständig. Immer wieder fliegen Türen auf, eilen Menschen herbei, formieren sich hinter Dexter. Zurufe fliegen hin und her. „Was ist los?“ — „Ray Dexter stellt einen - 115 -
mehrfachen Mörder!“ — „Es ist kein anderer als unser Sheriff!“ — „Es gibt ein Drama beim White Horse Saloon!“ Eine Anzahl Jugendlicher rennt voraus, um auf der unteren Straßenmitte herumzuschreien, daß vor dem White Horse Saloon ein Spektakel zu erwarten ist. Zum Glück rennen diese Jungen erst am Saloon vorbei, ehe sie die Hiobsbotschaft heraustrompeten. Als sich Ray Dexter dem White Horse nähert, ist die Main Street hinter und vor ihm voller Menschen. Nun steht Dexter vor dem White Horse Saloon. Man hat ihm ziemlich genau in der Frontbreite des Anwesens Platz gelassen. Dexter winkt der Menge zu, daß sie schweigen soll, und im Nu herrscht fast vollkommene Stille. Dexter ruft aus vollem Hals: „Rock Jason, komm heraus! Ray Dexter hat mit dir zu reden!“ Vorerst rührt sich nur insofern etwas, als alle Fenster des Saloons weit auffliegen und neugierige Männerge sichter über den Bords auftauchen, doch das von Rock Jason nicht. *** Rock Jason ist für Sekunden kreideweiß, nur für Sekunden. Dann steigt wieder Röte in sein Gesicht. Nun schreit es draußen auf der Straße zum zweitenmal: „Rock Jason! Komm heraus, verdammter Sheriff!“ Jason steht auf. „Starrt mich nicht so an!“ schreit er den Gästen und den Girls zu. „Dieser Dexter muß übergeschnappt sein! Ich wüßte nicht, warum er so laut herumschreit. Wenn er - 116 -
mit mir reden will, dann soll er doch kommen!“ Jetzt ist es Grace, die alle natürliche Farbe im Gesicht verliert. Sie steht bei der Theke. Sie lehnt mit dem Rücken dagegen, als brauche sie diesen Halt. Einer der Männer an den Fenstern gibt es nach draußen weiter. „Sheriff Jason sagt, Sie sollen hereinkommen, Mr. Dexter!“ „Daraus wird nichts!“ dröhnt Ray Dexter zurück. „Ich will, daß die ganze Stadt hört, was ich diesem Killer-She riff zu sagen habe!“ Im Saloon drinnen starren sie alle auf Jason. Der steht da, die Hand auf den Coltkolben. Sekundenlang sagt er nichts. Er denkt nach, und er denkt, daß ihm Ray Dexter nichts nachweisen kann. Daß der ihn wegen des pestkran ken Viehs verdächtigt, hat er längst gespürt. No, Dexter kann nichts Genaues wissen. Ha, ich mache ihn lächerlich! Er weiß nichts Genaues. Er weiß es bestimmt nicht. Er hat Kevin Chase und mich damals nicht erkannt, als wir die kranken Rinder stehen ließen und da vonbrausten. „Was ist, Sheriff?“ fragt einer im Saloon. „Macht Platz, Freunde! Ich werde diesem Kläffer das Maul stopfen! Mich Killer zu nennen! Der Kerl spinnt doch!“ Rock Jason stampft hinaus. Vor der Pendeltür bleibt er dann doch sekundenlang wie angewurzelt stehen, als er die vielen Menschen auf beiden Seiten der Straße sieht. „Laß die Hand vom Colt, Jason! Warte erst ab, was ich dir zu sagen habe!“ ruft Ray Bexter. „Ein Sheriff läßt sich nichts befehlen!“ schreit Jason wütend. Langsam tritt er auf die Straße. Er sieht sich um. Er fährt höhnisch grinsend fort: „Aber ich will mir - 117 -
trotzdem anhören, was du mir anhängen willst, Dexter!“ „Dein erster Mord liegt ein paar Jahre zurück!“ sagt Dexter laut. „Vielleicht war es nicht mal dein erster.“ „Was? Mord? Mein erster Mord?“ schnaubt Jason und reißt auch schon den Colt aus der Halfter. Fast in der gleichen Sekunde peitscht ein Schuß. Die Kugel wetzt Jason den Colt aus der Hand. Die Waffe fällt zu Bodens „Er hat aus der Hüfte geschossen! Was für ein Schuß!“ schreit einer aus der Menge. „Laß das Schießeisen liegen, Rock Jason! Du wirst es erst wieder aufheben, wenn ich es dir erlaube! Und nun erinnere dich mal an die Zeit, wo du mit noch anderen Halunken vom Pferdediebstahl lebtest!“ „Mann, Sie verwechseln mich mit jemand anderem!“ behauptet Jason. Er kann nicht verhindern, daß ihm der Schweiß aus allen Poren rinnt.“ „Es war im Apachenland. Die Mescaleros hatten gute Broncos auf ihrer Weide stehen!“ fährt Dexter fort. „Was geht's mich an? Ich war nie bei den Mescaleros!“ schreit Jason. „Beeile dich, Dexter, wenn du noch weitere Histörchen über mich loslassen willst, damit der Unsinn bald aufhört!“ „Meine Freunde, die Apachen, waren auf Jagd, als ihr Banditen die Broncos stahlt!“ sagt Dexter so laut, daß jedes Wort bis an die am weitesten zurückstehenden Menschen gelangt. „Tanata Kamee, ganze achtzehn Jahre jung, war in den nahen Wald gegangen, Pilze zu sammeln. Du, Rock Jason, warst der letzte beim Wegtrieb der gestohlenen Pferde. Ahnungslos stand Tanata Kamee da und sah euch daher brausen. Sie wollte zur Seite ausweichen. Du aber erschössest sie, weil es dir Spaß machte, vielleicht auch, weil du Angst hattest, sie - 118 -
würde dir irgendwann wieder begegnen und dich wieder erkennen! Das war der Mord, den ich sah! Ich jagte noch einen Pfeil hinter dir her. Zu spät! Denn ich gelangte zu spät aus dem Dickicht zu Tanata Kamee, die ich suchte. Du wärst es, Rock Jason! Ich habe damals dein Gesicht gesehen. Aber du sahst mich nicht! Weiter!“ „Du mußt mich wirklich mit einem anderen verwechseln, Ray Dexter!“ sagt Jason, der es schwer hat, nach außen hin Ruhe zu markieren. „Weiter, habe ich gesagt, Rock Jason! Dein Deputy Kevin Chase und du, ihr zwei habt die pestkranken Rinder auf Hopelongs Weide getrieben. Zuvor aber , habt ihr den Mann, der euch verriet, wo in den Bover Mounts eine Herde pestkranker Tiere stand, ermordet. Der Schütze warst du, Rock Jason!“ „Jetzt reicht es mir aber!“ schreit Rock Jason auf und bückt sich rasch nach seinem am Boden liegenden Colt. Im Moment, wo er danach greift, spritzt einen Zoll vor seinen Fingern die zweite Kugel aus Ray Dexters Waffe in die Erde, und Jasons Hand zuckt zurück. Knirschend vor Wut richtet er sich auf. „Beweise, du Narr, Beweise!“ schreit er. „Ich habe sie, Rock Jason. Zunächst: das: Kevin Chase suchte seinen Stern, den er verloren hatte, als er und du am Rand der Hopelong-Weide vor mir Reißaus nahmt. Nachts kam er zurück, um den Fünfzack im Morgengrauen zu suchen. Er lief mir in die Finger. Er wollte mich wegputzen, aber ich war schneller.“ „Erfunden, erstunken!“ schnaubt Jason, rot vor Erregung. Ray Dexter hebt die linke Hand sehr hoch. „Ich habe Kevin Chase' Stern gefunden! Hier ist er!“ - 119 -
In der Menge wird man unruhig. Ein immer mehr anwachsendes, drohendes. Raunen umspült wie eine in zwei Hälften geteilte Woge den Platz vor dem White Horse Saloon, an dessen Fenstern sich die Gäste drängen. Rock Jason steht eine Zeitlang wie erstarrt da. Er zittert. Dann ballt er plötzlich die Faust, reckt sie drohend gegen Ray Dexter und schreit, übertönt; das Raunen der Menge: „Wenn mein Deputy damit zu tun hatte, dann suche und finde gefälligst auch den zweiten Mann, der bei dieser Schweinerei mitmischte! Ich habe nichts damit zu tun! Ich bin nicht hinausgeritten in der Nacht, um meinen Stern zu suchen!“ „Ich habe ihn schon, den zweiten Mann bei dieser Schweinerei!“ dröhnt Dexter. „Dann bringe ihn uns!“ schnaubt Rock Jason. „Nicht nötig! Er steht ja vor mir! Du, Rock Jason, warst der andere Haupttäter! Gesteh's endlich!“ „Ich? Hahahaha! Mann! Dexter! Wenn du mir das beweisen kannst, passe ich! Was sollte ich, Sheriff dieses Distrikts, für ein Interesse haben, auf die Weide von Ant Hopelong pestkranke Rinder zu treiben?“ „Um Hopelongs Herden zu vernichten und ihn zum armen Mann zu machen! Um ihm dann seine Weide billig abzukaufen!“ Die Straße herauf preschen drei Reiter: Sam Burry, Vormann Al Crosby und der kleine Danny O'Trive. Sie haben die letzten Worte Dexters noch aufgefangen. „Leute!“ schreit Danny O'Trive. „Danach, weil's schief ging, hat sich euer sauberer Killer-Sheriff die Sache anders überlegt!“ Er zeigt auf den Reiter, der rechts neben ihm hält, und fährt fort: „Dieser Gentleman ist Sheriff Sam Burry aus Kent in Nevada! Er ist seit - 120 -
Monaten hinter einem in vier Staaten steckbrieflich gesuchten Raubmörder her! Und dieser Raubmörder ist kein anderer als Rock Jason! Eh, Ruhe! Ich habe noch was auf Lager! Ich sagte vorhin, weil ihm die Sache mit den Pestrindern schief ging, wollte er es ein wenig kleinkarierter betreiben und statt der Hopelong-Weide die meines Bosses Ray Dexter verderben, und zwar, mit Feuer!“ „Wahnsinn!“ schreit Jason, der plötzlich kreideweiß im Gesicht ist. „Kein Wahnsinn!“ kontert sehr lautstark der Sheriff aus Kent. „Ich habe gestern nacht beim Office lauschen können! Du warst leichtsinnig, Rock Jason! Deine splitternackte Freundin Grace wollte, daß du das nur angelehnte Fenster schließen solltest. Aber dir war's da drinnen zu heiß. Well, und dann warst du auch noch so freundlich, deinem Liebchen zu erzählen, daß es kommende Nacht passieren sollte. Ich meine den Brand der Dexter-Weide!“ „Romane, alles Romane!“ schreit Jason. „Bitte! Der Fremde da behauptet etwas, wofür er keinen Zeugen hat!“ „He, Jason! Du sagtest vorhin, du würdest passen, wenn ich dir beweise, daß du bei der Schurkerei mit den pestkranken Rindern mitgemischt hast!“ „Ja, habe ich gesagt, zum Teufel! Und ich bleibe auch dabei!“ tönt Jason, der nicht aufgeben will, obgleich er längst weiß, daß er verloren hat. „Nun gut!“ kontert Ray Dexter. „Jason! Als ich mit dem Friedensrichter in deinem Office war, da hattest du noch eine Berlocke an deiner Uhrkette! Man fand sie unweit des Mannes, den du im Tal der pestkranken - 121 -
Rinder erschossen hast! Ich habe mir die Berlocke geholt. Ich schätze, sie paßt zu deiner Uhrkette.“ „Hahahahaha!“ Jason lacht das Lachen eines Verzweifelten, der aber wenigstens diesen Punkt der Anklagen abweisen zu kön nen glaubt, um Zeit zu gewinnen. „Hier!“ fährt Dexter mit Donnerstimme fort. „Hier ist die Berlocke! Ich fand sie im Office, wo ich dich Halun ken vor zwanzig Minuten zunächst suchte! Es ist deine Berlocke, Rock Jason! Ich habe sie sofort erkannt!“ Rock Jason tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er späht zur Menge hinüber, ob es da nicht wenigstens eine Lücke gibt. Er schielt zur nahen Pendeltür des Saloons hinüber. Er will ausbrechen, weiß nur noch nicht richtig, wie, Der Sheriff aus Nevada treibt sein Pferd vor. „Platz, Leute!“ ruft er. „Ich habe diesem vielfachen Mörder außer seinen sechs längst festgestellten Raub morden in anderen Staaten noch zwei hinzuzufügen!“ „Mann! Sie sind wohl verrückt! Wie viele Leute soll ich allein in die Hölle geschickt haben?“ „Soviel ich errechnen konnte, mindestens neun!“ antwortet Sam Burry. Er zeigt hinter sich gen Westen. „Leute aus Hambrook!“ ruft er der Menge zu. „Draußen in der Prärie gibt es ja, wie ihr wißt, ein Doppelgrab. Ich kam mit meinen beiden neuen Freunden dort vorbei. Ich las die Schrift auf dem Kreuz. Ich wiederhole sie hier und jetzt: Hier liegen Sheriff Jim Calahan und sein Deputy Ed Morton, die sich gegenseitig mit Blei füllten. Aber bis dahin waren beide sehr zuverlässige Sternträger und sorgten drei Jahre lang für Ruhe und Ordnung in Ham brook.“ Sam Burry legt eine kurze Pause ein, ehe er fortfährt. - 122 -
„Diese eure zuverlässigen beiden Sternträger waren Banditen und Raubmörder wie Jason! Sie gehörten früher einmal zu einer Bande, und sie verstanden es also, sich hinter Sternen der Gesetzeshüter zu verstecken. Kein Wunder, daß man sie in Nevada und anderswo so lange vergebens suchte! Ich bin sicher, Rock Jason kam, um seine ehemaligen Kumpane aus dem Weg zu räumen! Denn sie hatten ihn früher einmal im Stich gelassen, als er bei einem Bankeinbruch überrascht wurde und dafür hinter Gitter kam. Jason wollte sich rächen. Und weil ihm diese beiden einstigen Partner vorgespielt hatten, daß man hinter Sheriffsternen ziemlich sicher vor seinen Häschern in den Nachbarstaaten ist, machte er dasselbe und steckte ebenfalls den Fünfzack an! Daß Sie hier, Bürger von Hambrook, ihm die Sache leicht machten, liegt weniger an dem, was man menschliche Dummheit nennen sollte, sondern mehr an der Raffinesse dieses Fuchses mit den blutbefleckten Händen!“ In diesem Augenblick starrt Rock Jason noch einmal zur nahen Pendeltür des Saloons hinüber. Aber dort kom men jetzt immer mehr Männer heraus. Es gibt keinen Ausbruch! Es gibt keine Flucht mehr. Rock Jason gibt auf, aber auf seine Weise. „Ja!“ schreit er. „Ja! Ich habe die verräterischen Schurken Calahan und Morton in die Hölle geschickt, einzeln, haha! Ja, ja! Ich habe den Mann in den Bover Mounts erschossen! Ja! Ja! Aber hängen, he, hängen werdet ich mich nicht! Ah, Dexter! Wie ich dich hasse! Wenn du nicht gekommen wärst... mit deiner kleinen Apachin! Pah, was liegt an einer toten Indianerin?“ „Halt, Killer!“ fällt ihm Ray Dexter ins Wort. „Ich habe lange bei Indianern gelebt! Aber ich habe nicht einen einzigen gefunden, der moralisch auch nur ein - 123 -
Zehntel so dreckig, so innerlich angefault gewesen wäre wie du!“ „Schluß jetzt!“ dröhnt der Sheriff aus Nevada. „Leute, macht doch endlich Platz, daß unsereins aus dem Sattel kann!“ Ein halbes Dutzend Gaffer drängt zur Seite. Diesen Moment geteilter Aufmerksamkeit nutzt der Verbrecher. Blitzschnell holt er sich seinen Colt vom Bo den auf, reißt ihn hoch, setzt ihn an die eigene Schläfe, schreit mit hysterischem Gelächter: „Ich sagte euch doch, ihr hängt mich nicht! Hahaha!“ Ein Schuß peitscht. Die Kugel kommt aus Dexters Waffe. Zum zweitenmal wetzt ein Stück Blei Rock Jason den Colt aus der Hand. „Nein!“ schreit er. „Nein!“ Da legt sich ihm die Hand Sam Burrys auf die Schulter. „Rock Jason! Sie sind wegen neunfachen Mordes verhaftet! Siehst du, Halunke, du wirst nun doch hängen! Am Galgen wirst du enden, Sheriff.“ „Schade, daß man den Kerl nicht neunmal hängen kann!“ schreit eine Frau auf. *** Nachdem Jason gefesselt und unter dem Geleitschutz von Sheriff Burry, Ray Dexter, Vormann Al Crosby und Danny O'Trive zum Jail geschafft worden ist, drängen viele Männer in den White Horse Saloon. Die ganze düstere Story von der großen Blamage der Stadt, die sich drei Banditen als Sternträger und Hüter des Rechts aufschwatzen ließ, hat nun noch einen - 124 -
pikanten Beigeschmack bekommen. Grace, die neueste und hübscheste der Amüsiergirls, war die heimliche Geliebte des neunfachen Mörders Rock Jason. Man fragt nun vergebens nach ihr. Die Kolleginnen durchsuchen das Haus vom Keller bis zum Dach. Grace ist verschwunden. Und der Stall neben dem Sheriff's Office ist leer, Jasons Brauner steht nicht mehr darin, und die Bürger von Hambrook folgern daraus, was Sheriff Sam Burry aus Nevada bereits zwei Stunden vorher gefolgert hat. Grace muß sich während des makabren Dramas vor dem White Horse Saloon ungestört verdrückt haben. Mit dem Ziel Pferdestall. „Jetzt reitet sie über die Prärie und sucht sich 'nen neuen Partner!“ doziert einer beim Whisky. „Wenn sie wirklich reiten kann, kommt sie weit“, meint ein anderer. „Sie muß den Killer Jason schon von früher her gekannt haben. Banditinnen können immer reiten“, weiß ein dritter. Und wieder steigen die Wetten. Man wettet darauf, daß Grace erwischt wird, daß sie irgendwo als Amüsiergirl aufkreuzt, daß sie einen biede ren, wenn auch älteren Bürger in irgendeiner Stadt in ein Heiratsnetz verwickelt, einwickelt, daß sie bei Diebereien geschnappt wird, daß sie seelisch zugrunde geht, daß Girls von ihrer Art nie ganz zugrunde gehen, daß Grace irgendwann und -wo einen Job aufzieht, weil sie noch Geld aus Rock Jasons einstigen Räubereien besitzt, daß sie keins mehr besitzt und doch vor die Hunde geht, daß sie zur Trinkerin wird, einer zweiten Calamity Jane, daß sie Selbstmord begeht, daß sie nicht daran denkt, diesen - 125 -
Unsinn zu begehen, daß sie irgendwo und -wann einen Saloon auf die Beine stellt, daß sie es nicht tun wird, daß sie als Tänzerin und Sängerin Karriere machen wird, daß sie keine Karriere machen wird, daß sie hinter Gittern endet, daß sie nicht... Bei so zahlreichen Hinundherangeboten kommt dann zuletzt herauf, daß der White Horse Saloon am Ende aller Wetterei ein Sammelsurium sternhagelbesoffener Gäste ist und die verbliebenen Amüsiergirls samt dem Wirt nicht mehr klar denken, geschweige denn reden können. *** Von den Wettern hätte keiner eine Chance gehabt, auch nur einen Cent zu gewinnen. Denn die Möglichkeit, daß die immerhin recht attraktive Grace auch einen noch jungen und ansehnlichen Mann heiraten könnte, hat keiner im White Horse erwähnt und erwogen, obgleich das doch noch am natürlichsten gewesen wäre. Vorausgreifend sei erwähnt: Sie hat! Zunächst reitet Grace im Sattel, den sonst ihr Busenfreund Rock Jason drückte, nach Süden, immer nach Süden. Sie war so clever, trotz aller Aufgeregtheit und Hast, mit der sie den White Horse Saloon durch die Hintertür verließ, sich bei ihrem Blitzbesuch im She riffshaus schnell noch mit dem einzudecken, was sie in Jasons Küche wußte: Schinken, Maisbrot und Whisky. So kann sie es sich erlauben, zunächst einmal alle menschlichen Siedlungen zu meiden. Die Nächte sind. lau. Sie laden geradezu ein, im Freien zu schlafen. Erst am dritten Tag, nachdem sie mit Jasons Braunem sechzig Meilen zwischen sich und Hambrook gebracht - 126 -
hat, wagt sich Grace wieder unter Menschen. Das geschieht in Andrews, schon ein gutes Stück im Texanischen. Das dritte Haus an der Main Street ist das Anwesen eines Mietstallbesitzers. Grace, die sich ein paar Meilen vor der Stadt in einem klaren Creek gewaschen und in eben diesem Wasserspie gel einigermaßen frisiert hat, vermag Jasons Braunen samt Sattelzeug recht gut zu verkaufen. Sie sucht ein Hotel auf, wohnt dort einen Tag und eine Nacht und nimmt am nächsten Morgen die Stagecoach nach Big Lake, um noch eine stattliche Anzahl von Meilen zwischen sich und Hambrook zu legen. Außer ihr sind noch in der Kutsche ein älteres Ehepaar und ein stattlicher junger Mann namens Edward Scott, seines Zeichens Besitzer einer Pferdezuchtranch. Die Zuchtranch und vor allem der junge Gentleman selbst entzünden Funken im Inneren des einstigen Ban ditenliebchens. Grace sagt sich: Ob ich nun an der Seite eines Rock Jason Pferdezucht miterlebe oder aber an der Seite eines jüngeren und solideren Mannes, dem keine Sheriffs auf der Spur sind, ist zweierlei. Und mit meinem Gegenüber Edward Scott und seinen treuen blauen Augen würde ich bestimmt besser fahren, als es mit dem unsteten Rocky gewesen und geworden wäre. Grace hat in ihrem nicht gerade geruhsamen Dasein offene Augen und Ohren gehabt und viel gelernt. Ehe sie die Kutsche bestieg, hat sie sich ein ausgemacht solides Kleid erstanden und ihren Amüsiergirlflitter mit dem tiefen Dekollete vorerst mal gut verpackt. Man weiß ja nicht, ob man es nicht doch wieder mal gebrauchen wird, nicht wahr? - 127 -
Die Reisende namens Grace führt sich richtig nobel auf, zurückhaltend. Aber als der Pferderancher sie in ein Gespräch zieht, gibt sie stockend ihre traurige Lebensgeschichte zum besten. Ratenweise. Es ist die wirklich rührende Geschichte eines Girls, das früh schon die Eltern verlor und in der Fremde umhergetrieben wurde, wo sie sich als Kindermädchen, als Nurse in einem Hospital, ja sogar kurze Zeit als Sängerin in einem Saloon durchschlug. „Aber nein, das war nichts für mich. Man gerät da in schlechte Gesellschaft, ob man will oder nicht“, beschließt Grace, ihre Lebensgeschichte, an der nichts Wahres dran ist. „Aber nein, ich wollte nicht. Man ist Zudringlichkeiten ausgesetzt. Und nun ist es mal wieder so, daß ich mir eine neue Arbeit suchen muß.“ Der junge Edward Scott und auch die beiden anderen andächtigen Zuhörer sind gerührt. Nun ja, das wollte Grace denn auch erreichen. Sie erreicht, auf dieser Kutschfahrt sogar noch viel mehr, als sie erhofft hat. „Bleiben Sie bei mir in Big Lake! Sie wollten doch dorthin reisen?“ fragt der junge Mr. Scott. „Meine Pferderanch liegt nur fünfzig Meilen westlich davon.“ „Ach ja, zu gütig, Mr. Scott“, antwortet Grace schüchtern. „Ich werde versuchen, Sie nicht zu enttäuschen. Ich bin im Kochen bewandert. Oder zu welcher Arbeit Sie mich auch ansteilen würden. Ich danke, ich nehme an.“ „Ich hatte es anders gemeint“, sagt der junge Mann und wird rot bis an die Haarspitzen. Der Kutscher droben auf dem Bock bremst das Tempo seiner sechs Renner. Man nähert sich einer Relaisstation, wo die Pferde ausgewechselt werden. - 128 -
Grace und Edward Scott zögern und lassen das ältere Ehepaar erst mal aussteigen, als die Overland anhält. „Wie hatten Sie es denn gedacht, Mr. Scott?“ fragt Grace mit ziemlich frommem Augenaufschlag. Die Röte wohnt immer noch im Gesicht des jungen Mannes. „Ich bin allein, sozusagen. Das heißt, ich habe diese Ranch von einem verstorbenen Bruder meines Vaters ge erbt. Allerdings bin ich vom Fach. Wir haben daheim neben Rindern nebenbei auch immer Reitpferde gezüchtet. Eine Köchin habe ich, eine Sechsermann schaft, well. Ich... Aber ich habe, no, keine Frau, und wenn ich Ihnen so gut gefalle wie Sie mir — äh! Zum Teufel! Werden Sie meine Frau!“ Die ältere Dame muß ähnliches erahnt haben. Denn sie hat sich im Gegensatz zu ihrem Ehemann noch nicht von der Kutsche entfernt und jedes Wort mitgehört. In diesem Augenblick späht sie in die Kutsche hinein. „So was Schönes!“ ruft sie begeistert. „Liebe auf den ersten Blick. Nein, so was Reizendes. Äh, entschuldigen Sie, aber ich dachte ... Ich meinte ... Um Himmels und der Liebe willen! Nun küßt euch doch endlich!“ Drei Tage später ist Grace Mrs. Scott. Um diese Zeit wird auch auf einer anderen Ranch Hochzeit gefeiert, allerdings leiser, zurückhaltender als auf Scotts texanischer Pferderanch. Denn die Schatten der trüben Ereignisse, vor allem der Tod Brian Hopelongs, sind noch zu nah in aller Erinnerung. Doch eine trübe, triste Hochzeitsfeier wird es trotzdem nicht. Ray Dexter hat dem treuen Danny O'Trive auf Bitten Myras ein Piano besorgt. Das heißt, es gehört Myra Dex ter, geborene Hopelong. Aber Danny soll erst mal darauf spielen und später Myra diese Kunst lehren. - 129 -
Und es verschönt der muntere Knirps die Feier mit seinen Songs. Er beginnt mit dem Lied, das Grace einmal im White Horse Saloon trällerte. Es ist der Song von der sanften Susan Holliday, die keinen Mann bekommen konnte, weil sie niemand anfassen durfte, dieweil sie furchtbar kitzelig war und die noch im hohen Jungfernalter aua schrie, wenn man sie nur im Vorübergehen streifte. Deshalb mied Susan Holliday stets achtsam jedes Menschengedränge. Sie starb an Herzschlag mitten auf der Main Street. Vor purem Schreck. Ein kleiner Junge hatte sie mit einem Strohhalm gekitzelt. Von hinten! Auf ihr Grab pflanzte man Mimosen, nur Mimosen. Als das Fest zu Ende ging und die Gäste sich schlafen legten, blieb nur der kleine Danny O'Trive zurück und ohne Bett. Er schlief dicht nebem dem Klavier ein. Daran war aber nicht das Klavier schuld, sondern der Whisky, den Danny überreichlich vereinnahmt hatte. ENDE
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