Aktien richtig bewerten
Peter Thilo Hasler
Aktien richtig bewerten Theoretische Grundlagen praktisch erklärt
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Peter Thilo Hasler Blättchen & Partner AG Paul-Heyse-Straße 28 80336 München Deutschland
[email protected] Sphene Capital GmbH Großhesseloher Straße 15c 81479 München Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-21169-0â•…â•…â•…â•… e-ISBN 978-3-642-21170-6 DOI 10.1007/978-3-642-21170-6 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
„Was ist das Unternehmen wirklich wert?“ – Diese Frage haben Anlageberater und Finanzanalysten während der jüngsten Finanzmarktkrise, als selbst breit gestreute Large Caps im Tages- oder Wochenvergleich zweistellige Kursverluste hinnehmen mussten, immer häufiger von ihren Kunden zu hören bekommen. Akademisch geprägte Marktteilnehmer verweisen in diesem Moment gerne auf ihre Lehrbücher, wonach der Wert eines Vermögensgegenstandes dem Barwert der von ihm in Zukunft generierten Liquiditätsströme entsprechen sollte. Zur Bewertung eines Unternehmens wäre damit lediglich die Kenntnis aller zukünftigen Cashflow-Ströme und der für ihre Diskontierung angemessenen Zinssätze erforderlich. Doch so einfach ist es nicht, schließlich meinte schon der US-amerikanische Baseballspieler Lawrence Peter „Yogi“ Berra vor einigen Jahren, dass „In theory there is no difference between theory and practice. In practice there is“1. Gerade in den tumultartigen Zeiten der Krisenjahre lag dem den Praktiker eine ganz andere Antwort auf die eingangs gestellte Frage auf der Zunge, nämlich: „Das, was der höchste Bieter zu zahlen bereit ist“. Derartige Zynismen sind das Ergebnis von Problemen, mit denen Fondsmanager und Analysten täglich konfrontiert werden, die von Theoretikern jedoch häufig nicht wahrgenommen werden. Da findet man in der Literatur zur Unternehmensbewertung nur sehr vereinzelt Ratschläge, wie die künftigen Cashflows über einen längeren Zeitraum konkret prognostiziert werden können, wie lange der Zeithorizont gewählt werden soll, über den sie vorhergesagt werden sollen – fünf, zehn oder doch lieber 20 Jahre? –, oder welche Bewertungsverfahren für welchen spezifischen Anlass angemessen sind. Auch die Frage, wie die zur Diskontierung zukünftiger Erlösströme nicht ganz unwichtige Risikoprämie eigentlich ermittelt werden soll, oder welches Bewertungsverfahren für welches Unternehmen bei welcher Gelegenheit angemessen ist, wird nicht nur in der deutschsprachigen Praxisliteratur in erschreckendem Maße vernachlässigt. Lieber kümmert sich die Fachwelt um praktisch unfruchtbare Nebensächlichkeiten wie die Auswirkungen des persönlichen Einkommensteuersatzes auf den
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Zitiert nach Yarger H R (2006) S. 31. v
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Vorwort
Unternehmenswert2 – ein Thema, das in der angelsächsischen Literatur aufgrund der ausufernden Komplexität der Steuersysteme aus Praktikabilitätsüberlegungen komplett vernachlässigt wird3 – oder verfasst detaillreiche Abhandlungen über die Herleitung eines risikokompensierenden Kreditzinssatzes im Halbeinkünfteverfahren4. Einen praxisorientierten Ratgeber, mit dessen Hilfe Aktien anhand von finanzmathematischen Modellen schematisch professionell und trotzdem anschaulich von Privatanlegern wie von institutionellen Investoren eingeschätzt werden können, sucht man in deutschsprachigen Bibliotheken vergebens. Kein Wunder also, dass manche nicht nur die Wirtschaft in der Krise sahen, sondern auch die Unternehmensbewertung5. Und dabei sollte die Bewertung börsennotierter Unternehmen der zentrale Bestandteil jeder einzelnen Kauf- und Verkaufsüberlegung an der Börse sein, denn schließlich werden an den Kapitalmärkten Vermögen gemacht – und verloren. Insofern sollte man annehmen, die Kenntnis und das Verständnis, wie ein Unternehmen zu bewerten sei, wäre nicht nur unter den professionellen Kapitalmarktteilnehmern verbreitet, sondern auch unter den vielen Privataktionären, die immer engagierter, zum Beispiel in den verschiedenen Internet Boards, über erwartete Kursziele und Anlageurteile diskutieren. Als Außenstehender gewinnt man jedoch den Eindruck, dass hierbei vielfach Anlageempfehlungen von Bekannten, Journalisten oder bestenfalls Finanzanalysten die Grundlage der Kaufentscheidungen bilden. Für eigenständige Gedanken oder Wertermittlungen fehlt meist die Ausbildung – und auch häufig die Zeit. Operable Handlungsanweisungen zu vermitteln ist Anspruch dieses Buches. Es wendet sich daher an professionelle Investmentbanker und Mergers & AcquisitionsBerater, an Steuerberater, Vermögensverwalter und Portfoliomanager, Kapitalanleger und Finanzanalysten, an Unternehmensberater, Journalisten und alle, die regelmäßig mit dem Kauf und Verkauf von Aktien beschäftigt sind. Das Buch richtet sich aber auch an das Management börsennotierter Gesellschaften, an Finanzvorstände und Investor Relations-Mitarbeiter, sowie an jene, die ihre Entscheidungen zu beurteilen haben, also Aufsichtsräte und Miteigentümer. Es gibt eine Fülle von Anlässen, bei denen gerade sie den Wert ihres Unternehmens oder einzelner Geschäftsbereiche kennen müssen, angefangen von Beteiligungskäufen oder –verkäufen über die Implementierung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen und die Umsetzung des Shareholder Value-Konzeptes bis hin zu konstruktiven Gesprächen mit ihren jeweiligen Anteilseignern auf One-one-Ones oder in Roundtable-Diskussionen. Insbesondere wendet sich dieses Buch an den so genannten Privat- oder Kleinaktionär, denn für ihn haben die führenden Kreditinstitute dieses Landes immer noch kein Konzept entwickelt, wie sie ihn sinnvoll in seinen Anlagebestrebungen unterstützen können. Sie finden in diesem Buch das in der Praxis benötigte theoretische Grundlagenverständnis für eine pragmatische und zeiteffiziente Unternehmensbewertung sowie ausreichend Hinweise auf dessen weitere Vertiefung. Vgl. stellvertretend Wagner F W, Rümmele P (1995). Einer Sichtweise, der wir uns in diesem Buch anschließen. 4╇ Vgl. stellvertretend Schultze W, Zimmermann R-C (2002). 5╇ Vgl. Jonas M (2009). 2╇ 3╇
Vorwort
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Im Laufe des Buches wird der interessierte Leser in alle gängigen Bewertungsverfahren eingeführt, die ihm die notwendige Unterstützung bei der Erstellung einer integrierten Unternehmensplanung und der darauf aufbauenden Unternehmensbewertung geben sollen. Grob gesprochen gibt es hiervon zwei: Diskontierungsmodelle, in denen der Wert eines Unternehmens anhand der erwarteten Cashflow- oder Dividendenströme ermittelt wird, und Multiplikator- oder Peergroup-Modelle, in denen der Wert eines Unternehmens relativ zu den Werten vergleichbarer Unternehmen hergeleitet wird. Darüber hinaus werden alle vorgestellten Bewertungsverfahren in praktischen Beispielen systematisch erläutert, so dass die theoretischen Grundlagen vom Leser unmittelbar nachvollzogen werden können. Es ist der didaktische Anspruch des Buches, jede Formel oder Gleichung, die für die Ermittlung von Unternehmenswerten unumgänglich sind, anhand eines unmittelbar folgenden praktischen Beispiels zu erläutern. Nicht alles aus dem Buch ist leicht verständliches Material, daher werden bestimmte Grundlagen, unter anderem der Investitions- und Finanzierungstheorie sowie der Finanzmathematik, vorausgesetzt. Dennoch habe ich einen behutsamen Einstieg in die jeweilige Problematik gewählt. Gerade die themennah platzierten Übungsbeispiele sollen eine intuitive Erklärung für alle Modelle und Vorgehensweisen geben, den Respekt vor der Unternehmensbewertung nehmen und den Leser zur selbständigen Anwendung an den Kapitalmärkten einladen. Demjenigen erschließt sich der Inhalt des Buches am intensivsten, der die Übungsbeispiele mit Papier und Bleistift oder einem Tabellenkalkulationsprogramm nachrechnet. Dagegen sollten Sie dieses Buch vermutlich ins Regal zurücklegen, wenn Sie Aktien erwerben, ohne sich zuvor überhaupt mit dem Unternehmen beschäftigt haben, wenn Sie sich grundsätzlich keine Gedanken über die zukünftige Ertragsentwicklung der Unternehmen machen, wenn Sie Zukunftsplanungen mit HockeyÂ� stick-Effekt abnicken, ohne sie kritisch zu hinterfragen, wenn Sie Aktien vorwiegend aufgrund von Tipps befreundeter Investoren, Journalisten, halbseriösen Börsenmagazinen oder aufgrund von Eingebungen erwerben, wenn Sie vor dem Erwerb einer Aktie keine Entscheidung darüber treffen, wann und zu welchen Bedingungen Sie diese wieder verkaufen wollen, wenn Sie der Meinung sind, Kursgewinne haben viel mit Glück und wenig mit Bewertung zu tun, und – vor allem! – wenn Sie schnell reich werden wollen, ohne glauben, sich hierfür anzustrengen zu müssen. Dies gilt auch, wenn Sie uneingeschränkt an Börsenweisheiten wie „Buy on bad news, Sell on good news!“, „Aktien weisen langfristig die beste Rendite aufâ•›“, „Kaufe Nachzügler!“ oder „Investiere momentumgetrieben!“ glauben, an Regeln also, die einen wahren Kern haben mögen, der sich jedoch keinesfalls für eine strategische, langfristig ausgerichtete Anlagephilosophie eignet. Und schließlich, wenn Sie zu den Investoren zählen, deren Investment-Style am besten mit Hope zu beschreiben ist6, wenn Sie sich also an Unternehmen beteiligen, die weder günstig in Bezug auf ihre Vermögenswerte noch ihrer zukünftigen Ertragsaussichten sind und die sie, da über den richtigen Wert der Aktie keinerlei Informationen vorliegen, ebenso schnell wieder abstoßen. 6╇
Vgl. auch Zavanelli M (2010) S. 370.
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Vorwort
Insofern soll dieses Buch nicht nur die Kenntnisse über die Bewertung von Unternehmen vermitteln, sondern auch das (Selbst-) Bewusstsein, sich über eine eigene fundamentale Unternehmensbewertung abzunabeln von Einflüssen Dritter. Mit dem entsprechenden Know-how über Aktienbewertungen kann problemlos ein System aus fundamentalen Faktoren wie Discounted Cashflow-Modell, Kurs/ Gewinn-Verhältnis, Dividendenrenditen oder Wertschöpfungsmodellen aufgebaut werden, dem man sich diszipliniert unterordnen sollte – unabhängig davon, welche Aktien gerade in Zeitschriften oder Internetforen gefeiert wird, was der Bankberater empfiehlt oder einem der beste Freund einflüstert. Nur mit einem emotionslosen Bewertungssystem mit im Vorfeld streng definierten Vorgaben ist es möglich, die beiden Haupttreiber der Börse, Gier und Angst, auszuklammern. Die in diesem Buch vorgestellten Modelle und Bewertungsverfahren bilden die hierfür erforderliche objektive Gesamtheit an Werkzeugen, die nicht von bestimmten Weltanschauungen oder von ethischen bzw. kulturellen Grundeinstellungen abhängig ist. Denn die Grundlagen der Unternehmensbewertung sind für alle gleich, unabhängig davon, ob der Bewerter aus Berlin oder New York stammt, ob er konservativ oder sozialistisch wählt. So steht die Performance an der Börse in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erkennen von Werten – angelsächsisch Value – und mit der Bereitschaft, eine entgegen der herrschenden Meinung stehende Position zu vertreten, weil es, wie Sir John Templeton sagte, unmöglich ist, „to produce superior performance unless you do something different from the majority“. Insofern soll gezeigt werden, dass die Analyse und die Einschätzung von Aktien weder ein enzyklopädisches Wissen über die betrachtete Industrie noch einen wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudiengang erfordert. Gesunder Menschenverstand und die Fähigkeit, einfache Schlussfolgerungen zu ziehen, sind am Ende des Tages, um eine geläufige Investmentbankerphrase zu zitieren, ungleich wichtigere Charaktereigenschaften für einen Erfolg an den Kapitalmärkten. München im August 2011
Peter Thilo Hasler
Danksagung
Bücher kommen nie ohne die Unterstützung Dritter zustande. Zu diesen zählen zunächst Autoren, die durch ihre Arbeiten das Fundament für das eigene Werk geschaffen haben. In erster Linie sind für mich die Arbeiten von Aswath Damodaran, James Montier und Pierre Vernimmen eine ergiebige Quelle der Inspiration gewesen. Ferner zählen dazu die Personen, die durch ihre konstruktiven Diskussionsbeiträge zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Hierbei möchte ich vor allem Christian Obst, Rene Assion, Dr. Konrad Bösl, Gerald Feslmeier, Christoph Karl, Anna Di Geronimo, Ernst G. Wittmann und Dr. Ron Davidson erwähnen. Entweder haben sie das Buch Korrektur gelesen oder standen als Sparringspartner zur Verfügung, in jedem Fall haben sie viele kluge und bewertungsrelevante Ratschläge erteilt und Hilfestellung in allen Fachfragen gewährt. Besonders dankbar bin ich ihnen für das ständige Hinterfragen meiner Ergebnisse, für die inhaltlichen Rückmeldungen, die ermutigenden Worte und spontanen Verbesserungsvorschläge. Schließlich möchte ich meiner Familie danken, die unter meiner Abwesenheit am stärksten zu leiden hatten. Insbesondere meiner Frau, die mich mit viel Liebe und Interesse unterstützte und darüber hinaus umfangreiche Korrekturarbeiten übernahm. Und natürlich meinen Kindern Vincent und Christopher, deren dauerhafte Vernachlässigung mich zu noch größeren Anstrengungen anregte. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.
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Inhalt
1 G rundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen ����������������� ╇ 1 1.1â•…Price is what you pay, value is what you get ����������������������������������尓���������� 1 1.2â•…Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung ������������������������������� ╅╇ 6 1.3â•…Effiziente Märkte und rationales Verhalten ����������������������������������尓������ â•… 17 1.4â•…Ursachen für Bewertungsauf- oder -abschläge ����������������������������������尓 â•… 24 2 D ie integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung ���������� â•… 2.1â•…Zitate, Mythen und Erwartungen ����������������������������������尓��������������������� â•… 2.2â•…Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung ����������������������� â•… 2.3â•…Einige Daumenregeln der Bilanzprognose ����������������������������������尓������� â•… 2.4â•…Die Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen ������ â•…
31 31 41 53 61
3 D er Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert ���������������������������� â•… 3.1â•…Risiko? Was für ein Risiko? ����������������������������������尓����������������������������� â•… 3.2â•…Die Eigenkapitalkosten ����������������������������������尓������������������������������������尓 â•… 3.3â•…Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC) ����������������������� â•…
69 69 72 92
4 D ividendendiskontierungsmodelle ����������������������������������尓������������������������ ╇ 111 4.1â•…Grundlagen ����������������������������������尓������������������������������������尓������������������� ╇ 111 4.2â•…Das Gordon-Growth-Modell ����������������������������������尓���������������������������� ╇ 115 4.3â•…Mehrphasenmodelle ����������������������������������尓������������������������������������尓����� ╇ 122 4.4â•…Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen ������������������ ╇ 140 4.5â•…Anwendungsgebiete, Grenzen und kritische Würdigung ������������������� ╇ 155 5 D iscounted Cashflow-Modelle ����������������������������������尓������������������������������� ╇ 161 5.1â•…Happiness is a positive cashflow ����������������������������������尓���������������������� ╇ 161 5.2â•…Free Cashflow to the Firm FCFF ����������������������������������尓��������������������� ╇ 171 5.3â•…Free Cashflow to Equity FCFE ����������������������������������尓������������������������ ╇ 185 5.4â•…DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate ����������������� ╇ 190 5.5â•…Das Adjusted Present Value-Konzept ����������������������������������尓��������������� ╇ 207 5.6â•…DCF-Mehrphasenmodelle ����������������������������������尓�������������������������������� ╇ 212 5.7â•…Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen ����������������� ╇ 228 5.8â•…Möglichkeiten und Grenzen von DCF-Modellen ������������������������������� ╇ 241 xi
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Inhalt
╇ 6 W ertschöpfungsmodelle ����������������������������������尓������������������������������������尓��� ╇ 247 6.1â•…Der Grundgedanke des ökonomischen Gewinns ����������������������������� ╇ 247 6.2â•…Das NOPAT und seine Exegeten ����������������������������������尓�������������������� ╇ 250 6.3â•…Varianten des Wertschöpfungsmodells ����������������������������������尓����������� ╇ 274 6.4â•…„Eva im Paradies“ oder „Pegasus mit Klumpfuß“? ������������������������� ╇ 278 ╇ 7 D ie Bewertung mit Referenzunternehmen ����������������������������������尓��������� ╇ 283 7.1â•…Die Auswahl des geeigneten Multiplikators ����������������������������������尓��� ╇ 283 7.2â•…Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung ������������������������ ╇ 291 7.3â•…Kritische Würdigung, Vor- und Nachteile ����������������������������������尓������ ╇ 298 ╇ 8 E igenkapitalbasierte Kennzahlen ����������������������������������尓������������������������ ╇ 305 8.1â•…Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts ������������������ ╇ 305 8.2â•…Price-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio) ������������������� ╇ 331 8.3â•…Das relative KGV ����������������������������������尓������������������������������������尓������� ╇ 338 8.4â•…Das historische KGV ����������������������������������尓������������������������������������尓�� ╇ 339 8.5â•…Cash Earnings- und Cashflow-Relationen ����������������������������������尓����� ╇ 343 8.6â•…Die Dividendenrendite ����������������������������������尓����������������������������������� ╇ 346 ╇ 9 E V-basierte Multiplikatoren ����������������������������������尓�������������������������������� ╇ 349 9.1â•…Die Erweiterung der Basis ����������������������������������尓������������������������������ ╇ 349 9.2â•…EV/Umsatz-Verhältnis ����������������������������������尓������������������������������������尓 ╇ 350 9.3â•…EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT ����������������������������������尓�������� ╇ 358 10 S ubstanzwertbasierte Kennzahlen ����������������������������������尓���������������������� ╇ 367 10.1â•…Will the Real Value Please Stand Up? ����������������������������������尓���������� ╇ 367 10.2â•…Kurs/Buchwert-Verhältnis ����������������������������������尓���������������������������� ╇ 370 10.3â•…Marktwert/Firmenwert-Verhältnis ����������������������������������尓���������������� ╇ 382 10.4â•…Liquidationswert ����������������������������������尓������������������������������������尓������� ╇ 384 11 S pezialprobleme der Unternehmensbewertung ����������������������������������尓� ╇ 387 11.1â•…Über Ausnahmen und Regeln ����������������������������������尓����������������������� ╇ 387 11.2â•…Die Bewertung von Wachstumsaktien ����������������������������������尓���������� ╇ 388 11.3â•…Die Bewertung zyklischer Unternehmen ����������������������������������尓������ ╇ 402 11.4â•…Die Bewertung von Immobilienunternehmen �������������������������������� ╇ 408 11.5â•…Der Sum of the Parts-Ansatz bei der Bewertung von Konglomeraten ����������������������������������尓������������������������������������尓��������� ╇ 414 11.6â•…Auswirkung der Globalisierung auf die Unternehmensbewertung ����������������������������������尓������������������������ ╇ 421 11.7â•…Die Bewertung von Markenunternehmen ����������������������������������尓���� ╇ 427 11.8â•…Industriespezifische Multiplikatoren ����������������������������������尓������������ ╇ 430 ie Unternehmensbewertung zum IPO ����������������������������������尓�������������� ╇ 435 12 D 12.1â•…Über Interessenskonflikte und Bauchgefühle �������������������������������� ╇ 435 12.2â•…Der Prozess der Preisfindung ����������������������������������尓����������������������� ╇ 438
Inhalt
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13 T ypische Fehler in der Unternehmensbewertung �������������������������������� ╇ 445 13.1â•…Fehler bei der Analyse von GuV, Bilanz und Cashflow-Statement ����������������������������������尓������������������������������ ╇ 445 13.2â•…Fehler bei der Berechnung der Diskontierungssätze ���������������������� ╇ 446 13.3â•…Fehler in der Anwendung der Bewertungsmodelle ������������������������ ╇ 448 Glossar����������������������������������尓������������������������������������尓������������������������������������尓���� ╇ 453 Literaturverzeichnis����������������������������������尓������������������������������������尓������������������ ╇ 463 Sachverzeichnis����������������������������������尓������������������������������������尓�������������������������� ╇ 479
Verzeichnis häufig verwendeter Symbole
adj Adjustiert Amo Amortisationen, Amortization ß Beta ßL Levered Beta ßO Operatives Beta ßU Unlevered Beta BG Bilanzgewinn Cash Kassenbestand des Unternehmens CFPS Cashflow je Aktie, Cashflow per Share CFOPS Betrieblicher Cashflow je Aktie, Operating Cashflow per Share COC Kapitalkosten, Cost of Capital cov Covarianz δ Ausschüttungsquote Δ Veränderungsrate Debt Buchwert des verzinslichen Fremdkapitals Debt0 Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals Dep Abschreibungen, Depreciation Divt Dividende zum Zeitpunkt t DivSum Dividendensumme ε Investitions- oder Thesaurierungsquote EBIA Earnings Before Interest and Amortization EBIT Ergebnis vor Zinsen und Steuern, Earnings Before Interests and Taxes EBITDA Ergebnis vor Abschreibungen, Amortisationen, Zinsen und Steuern, Earnings Before Depreciation, Amortization, Interests and Taxes EPSb Unverwässertes Ergebnis je Aktie, Earnings per share basic EPSd Verwässertes Ergebnis je Aktie, Earnings per share diluted EPSt Ergebnis je Aktie zum Zeitpunkt t, Earnings per share ESOP Mitarbeiterbeteiligungsprogramm, Employee Stock Option Plan EK Buchwert des Eigenkapitals EP Ökonomischer Gewinn, Economic Profit EK0 Marktwert des Eigenkapitals EV0 Enterprise Value xv
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Verzeichnis häufig verwendeter Symbole
FCF Freier Cashflow, Free Cashflow FCFE Free Cashflow to Equity FCFF Free Cashflow to the Firm FCFPS Freier Cashflow je Aktie, Free Cashflow per Share FK Buchwert des Fremdkapitals FordLL Forderungen aus Lieferungen und Leistungen g Wachstumsrate gW Wachstumsrate während der Übergangsphase GCE Gross Capital Employed GCF Gross Cashflow GesK Gesamtkapital GK Grundkapital H Halbwertszeit der Phase mit erwartetem überdurchschnittlichem Wachstum (in Jahren) In Nettoinvestitionen Int Zinsaufwand, Interests Kum Kumuliert K Kosten Kf Fixe Kosten KfrA Kurzfristige Vermögenswerte KfrVerb Kurzfristige Verbindlichkeiten KCF Kurs/Cashflow-Verhältnis KCFO Kurs/Operating Cashflow-Verhältnis KFCFE Kurs/Free Cashflow to Equity-Verhältnis KIns Kosten der Insolvenz KR Kapitalrücklage Kv Variable Kosten λ Spezifischer Sensitivitätsfaktor LfrA Langfristige Vermögenswerte LfrVerb Langfristige Verbindlichkeiten Mktg Marketing MI Ansprüche der Minderheitsgesellschafter, Minorities n Periode NetDebt Nettoverschuldung, Net Debt NetInc Ergebnis nach Steuern, Net Income NOA Nicht betrieblich eingesetztes Vermögen, Non Operating Assets NoSh Anzahl ausstehender Aktien, Number of Shares OA Betrieblich eingesetztes Vermögen, Operating Assets Pt Preis der Aktie zum Zeitpunkt t PR Pensionsrückstellungen PS Je Aktie, per share ρ Marktanteil eines Unternehmens rf Risikoloser Anlagezinssatz rDebt Zinssatz des verzinslichen Fremdkapitals
Verzeichnis häufig verwendeter Symbole
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rEK Geforderte Rendite der Aktionäre bei ausschließlicher Eigenka-Â�Â� pitalfinanzierung rEK,U Eigenkapitalverzinsung ohne Fremdkapital rGesK Rendite auf das Gesamtkapital ri Rendite eines Wertpapiers i rM Rendite des Marktportefeuilles rp Risikoprämie rep berichtet, reported RLZ Restlaufzeit in Jahren ROE Eigenkapitalrendite, Return on Equity σ Anteil der Nettoinvestitionen, der durch die Nettoaufnahme von Verbindlichkeiten finanziert werden soll SBB Aktienrückkauf, Share Buy Back SonstKfrA Sonstige kurzfristige Vermögenswerte St Stammaktien τ Grenzsteuersatz auf Unternehmensebene t Periode TS Treasury Shares V0 Fundamentaler Wert des Eigenkapitals var Varianz VerbLL Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen Vorr Vorräte Vz Vorzugsaktien ωIns Insolvenzwahrscheinlichkeit ωÜ Wahrscheinlichkeit, nicht in Insolvenz zu gehen
Abkürzungsverzeichnis
AFFO Adjusted Funds from Operations B2C Business to Consumer BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BilMoG Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz CAD Cash Available for Distributrion CAP Competitive Advantage Period CAPM Capital Asset Pricing Model CCC Cash Conversion Cycle CEO Chief Executive Officer CFO Chief Financial Officer CFROCE Cashflow Return on Capital Employed CROCI Cash Return on Capital Invested CFROI Cashflow Return on Investment DIO Days of Inventory Outstanding DPO Days Payable Outstanding DRP Debt Risk Premium DSO Days of Sales Outstanding ECM Equity Capital Markets EVBV Enterprise Value/Buchwert-Verhältnis, EV/Book Value-Ratio EV Enterprise Value EVA™ Economic Value Added™ EZB Europäische Zentralbank F&E Forschung und Entwicklung FAD Funds Available for Distribution FFO Funds from Operations FTE Full-Time-Equivalent, Vollzeitmitarbeiter FTE Flow-to-Equity FV Firm Value FY Fiscal Year, Geschäftsjahr GAP Growth Appreciation Period
xix
xx
Abkürzungsverzeichnis
i. e. S. im engeren Sinne IFRS International Financial Reporting Standards IPO Initial Public Offering IRO Investor Relations Officer IRR Internal Rate of Return, interner Zinsfuß Jg. Jahrgang KBV Kurs/Buchwert-Verhältnis KCE Kurs/Cash Earnings-Verhältnis KCF Kurs/Cashflow-Verhältnis KFCFE Kurs-Freier Cashflow to Equity-Verhältnis KCFO Kurs/Operativer Cashflow-Verhältnis KGV Kurs/Gewinn-Verhältnis LTM Last Twelve Months MVA Market Value Added MVFV Martkwert/Firmenwert-Verhältnis, Market Value/Firm Value-Ratio n/a Nicht verfügbar, not available n/m Ohne Bedeutung, not meaningful NAREIT National Association of Real Estate Trusts NCC Nicht zahlungswirksame Buchungsvorgänge, Non Cash Charges ND Net Debt NOPAT Net Operating Profit After Tax NOPLAT Net Operating Profit Less Adjusted Tax NTM Next Twelve Months o. O. Ohne Ortsangabe PD Propability of Default PEG-Ratio Price-Earnings to Earnings-Growth-Ratio PEGY-Ratio PEG-Yield-Ratio PIIGS Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien REIT Real Estate Investment Trust REOC Real Estate Operating Company ROCE Return on Capital Employed ROIC Return on Invested Capital RONA Return on Net Asset SdK SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. TSR Total Shareholder Return u. u. und umgekehrt US-GAAP United States Generally Accepted Accounting Principles WACC Weighted Average Costs of Capital WSJ The Wall Street Journal YoY Year-on-Year
Kapitel 1
Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
1.1 Price is what you pay, value is what you get Dieses der Börsenlegende Warren Buffett zugeschriebene Zitat1 bildet das Fundament jeder Unternehmensbewertung. Nur ein Zyniker, so sagt man, sei ein Mensch, der den Preis von allem kenne, aber den Wert von nichts. Wer sich an einem Unternehmen beteiligt sollte tunlichst von beidem eine Vorstellung haben. Denn dass der Wert eines Gutes nur höchst selten dem Preis entspricht, ist nicht erst seit Shakespeare bekannt, dessen Satz „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“2 dies trefflich widerspiegelt. Insofern hat die Buffett-Methode, mit deren Hilfe inzwischen tausende von Berkshire Hathaway-Aktionäre vermögend geworden sind, immer auch etwas mit Integrität und Konsequenz zu tun. Moderne Finanzmarkttheorien versuchen, Kursbewegungen von Aktien zu erklären, wertorientierte Anlagestrategen dagegen erwerben Aktien, als ob sie das Unternehmen selbst leiten wollten. Der Kauf einer Aktie wird damit gleichbedeutend zum Erwerb eines Autos oder eines Hauses. In beiden Fällen müssen die Fundamentaldaten des Objektes berücksichtigt werden: Man würde die Größe und den Zustand des Hauses studieren, den Modernisierungsrückstau, die Vergleichsmieten und die externen Daten der Immobilie wie Nachbarschaft, Freizeitangebot oder Verkehrsanbindung erkunden. Kein Mensch jedoch würde eine Wohnung ausschließlich auf der Grundlage des Tipps eines Freundes – oder gar eines Fremden – kaufen. Kein Mensch würde vergangenheitsbezogene Auf- und Abwärtsbewegungen des Hauspreises in die Risikoüberlegungen des Kaufs mit einbeziehen – schon allein deshalb nicht, weil tagesaktuelle Immobilienpreise, im Gegensatz zu Aktienkursen, nicht vorliegen. Genau nach dieser Methode sollte beim Erwerb einer Aktie gehandelt werden. Eine Aktie zu kaufen, nur weil sie „günstig aussieht“, ist vermutlich der sicherste Weg, um an der Börse Geld zu verlieren. Zyniker könnten sogar behaupten, der Wert einer Aktie sei irrelevant, solange sie nur einen Käufer für ihre Aktie finden. Durch diese als „Bigger Fool“ bekannte Theorie mögen in Einzelfällen Gewinne erzielt werden – insbesondere in Zeiten, in denen das Sentiment gegenüber der Anlageklasse Aktie 1╇ 2╇
Vgl. beispielsweise Buffett und Clark (2002, S.€228). Shakespeare (1593) 5. Akt, 4. Szene.
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_1, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
gut und die Bewertungsrelationen attraktiv sind – als dauerhafte Anlagestrategie kann sie indes nicht geeignet sein. Trotz ihrer Bedeutung werden die Teilnehmer an den Kapitalmärkten von den Akademikern allein gelassen. Kaum eine Universität des Landes, ganz gleich ob Bachelor- oder Master-Studiengang, ist in der Lage, die beiden Begriffe Preis und Wert zu erklären, obwohl die Aktien- und Rohstoffmärkte der Welt in den letzten drei Jahrzehnten mindestens acht größere Bewertungsblasen und Aktien-Crashs überlebt haben, angefangen von der Huntschen Silberblase der frühen 80er Jahre über den Crash des Japanischen Nikkei bis hin zum Platzen der dot.com-Bubble 2001 und der Immobilienblase 2008. Und dabei gibt es Anlässe zur Unternehmensbewertung zur Genüge. Insbesondere sollte die Bewertung eines Unternehmens • aufgrund gesetzlicher Regelungen wie den angemessenen Ausgleich (§Â€ 304 AktG), die Abfindung in Aktien (§§Â€305, 320b AktG), die Barabfindung (§§Â€305, 320b AktG, §§Â€ 176–180, 184, 188, 207 UmwG), Verschmelzungen (UmwG) oder den Zugewinnausgleich (§Â€1376 BGB), • aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen wie den Kauf und den Verkauf von Unternehmen bzw. von Beteiligungen, die Einbringung von Unternehmen bei Sachgründungen, den Ein- bzw. Austritt von Gesellschaftern in bzw. aus Personengesellschaften, Erbstreitigkeiten, Schiedsgerichtsverfahren und Abfindungsfälle, und schließlich • aufgrund sonstiger Anlässe wie den Börsengang, Fairness Opinions, Bewertungen zur Steuerung des Shareholder Value, Ermittlung des Fair Value im Zuge des externen Value Reporting, freiwillige Entflechtungen oder infolge der bilanziellen Bewertung von Beteiligungen (Impairment Test) erfolgen. Wenn Investoren, Analysten oder Unternehmer jedoch nicht wissen, welchen Wert eine Aktie hat, sind sie früher oder später nur noch ihren Emotionen ausgesetzt, und das heißt letztlich ihrer Gier und ihrer Angst. Kein Wunder also, dass Emotionen und Irrationalitäten auch heute noch unverrückbarer Bestandteil im Anlageverhalten selbst professioneller Kapitalmarktteilnehmer sind. Vorurteile und Voreingenommenheiten führen dazu, dass bestimmte rationale Prozesse nicht länger funktionieren. Zu diesen zählt auch das Vertrauen in die Funktionsweise der Unternehmensbewertung. Hauptziel der Unternehmensbewertung ist es, dem Unternehmen einen Wert zuzuordnen, im Falle börsennotierter Gesellschaften also ein Kursziel für die Aktie auszusprechen und damit verbunden ein Anlageurteil, das dieses Kursziel ins Verhältnis zum aktuellen Aktienkurs setzt. Im einfachsten Fall werden absolute Anlageurteile verkündet, also Kaufen, Halten und Verkaufen. Da sich die Performance von Fondsmanagern oder Finanzanalysten üblicherweise in Relation zu einem bestimmten Maßstab, angelsächsisch Benchmark, bemisst, also beispielsweise dem DAX, dem EURO STOXX oder einem hybriden Konstrukt, verwenden viele Investmentbanken heutzutage relative Anlageurteile, die für ein Wertpapier in Abhängigkeit zu einer solchen Benchmark ausgesprochen werden. Populäre Beispiele hierfür sind Überdurchschnittlich, Neutral oder Unterdurchschnittlich bzw. ihre angelsächsischen Pendants Outperform, Marketperform oder Underperform. Hierdurch kann
1.1â•… Price is what you pay, value is what you get
3
es für Außenstehende zu der durchaus verwirrenden Situation kommen, dass mit dem Anlageurteil Underperform eine positive absolute Kursentwicklung verbunden ist, solange sich die Aktie prozentual nur weniger positiv entwickelt als die Benchmark. Spiegelbildlich wird sich ein Finanzanalyst mit seinem Outperform-Rating bestätigt fühlen, wenn die beobachtete Aktie zwar fällt, aber in geringerem Ausmaß als der Referenzindex. Grundsätzlich leitet sich der Wert eines Unternehmens aus dem zukünftigen Nutzen ab, den ein vollständig rational handelnder Investor aus seiner Kapitalanlage zu erwarten hat. Zu diesem Zweck sind sämtliche zukünftigen Einnahme- und Ausgabenströme zu prognostizieren, ihre Barwerte zu ermitteln und aufzuaddieren. Angenommen, es gäbe einen allwissenden Analysten, der Zugang zu allen verfügbaren Informationen hätte und in der Lage wäre, diesen fundamentalen3 Unternehmenswert anhand eines perfekten Bewertungsverfahrens fehlerfrei zu bestimmen, wären von diesem völlig losgelöst • der Buchwert des Unternehmens, also das handelsrechtliche Eigenkapital des Unternehmens, einer reinen buchhalterischen Residualgröße, die sich als Differenz zwischen den gesamten Vermögenswerten und dem gesamten Fremdkapital ergibt; • der Liquidationswert des Unternehmens, also der Betrag, der aus einer Zerschlagung des Unternehmens und der Einzelveräußerung aller Vermögensgegenstände erzielt werden könnte, sei es in Form eines Notverkaufs nach einer Insolvenz oder in Form eines strukturierten Verkaufsprozesses, nachdem ein Aufkäufer das Unternehmen in seine operativen Bestandteile zerlegt hat (daher auch Break UpValue genannt); • der Wert, der als Kursziel von technischen Chartanalysten aus der Interpretation von Verlaufsmustern historischer Aktienkurse ermittelt worden ist, basierend auf der Annahme, dass sämtliche entscheidungsrelevanten Informationen über Vergangenheit und Zukunft bereits in der sichtbaren Kursentwicklung enthalten sind; • der strategische Kaufpreis, den ein Wettbewerber zu zahlen bereit ist und der unter anderem abhängig ist von den durch die Übernahme erzielbaren Synergieeffekten; • der Marktpreis des Unternehmens, etwa in Form des Aktienkurses. Als Gleichgewichtspreis kommt dieser immer dann zustande, wenn sich zwei Parteien – Käufer und Verkäufer – auf bestimmte Konditionen über einen Eigentümerwechsel einigen können. Diese Einigung basiert auf Angebot und Nachfrage, ist abhängig von der jeweiligen Verhandlungsposition und der Vertragsgestaltung der Marktteilnehmer oder, wie André Kostolany es salopp formulierte, davon, „ob es mehr Aktien gibt als Idioten oder mehr Idioten als Aktien“4. Aktienkurse Anm.: Das Adjektiv „fundamental“ bezieht sich auf die Parameter, die den Aktienkurs beeinflussen, insbesondere das absolute Niveau der Zahlungsströme, die Wachstumserwartungen und das Risiko der Aktie. 4╇ Zitiert nach Fink (2007, S.€11). 3╇
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
präzisieren nichts mehr als die Geldmenge, die ein Investor für eine Aktie zahlen musste, Werte dagegen bezeichnet die Geldmenge, die er zu zahlen bereit gewesen wäre. Oder, etwas formaler beschrieben: Aktienkurse repräsentieren den ex ante Konsensus des Kapitalmarktes als den wahrscheinlich ex post erzielten Wert, sofern sämtliche verfügbaren kursrelevanten Informationen in einem effizienten Markt von rational handelnden Individuen berücksichtigt wurden5; • der „faire Wert“ eines Unternehmens oder einer Aktie. Bereits der Begriff deutet an, dass der sprachliche Umgang mit dem fairen Wert stets darunter leidet, dass er eine eigene Rechtfertigung in sich trägt. Wer wollte sich allen Ernstes einer fairen Wertfindung widersetzen, die den tatsächlichen Verhältnissen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens zu entsprechen scheint6? Allerdings scheint der faire Wert einer Aktie in einem Gleichgewichtszustand und ohne Arbitragemöglichkeiten für den Kapitalmarkt das zu sein, was für Astronomen das Schwarze Loch darstellt: Etwas, das nicht beobachtet werden kann und von dem sich Aktienkurse aufgrund irrationaler Verhaltensweisen der Investoren entfernen können, etwa nachdem sie zum Beispiel in einer allgemeinen Markteuphorie oder Marktbaisse mit der Entwicklung des Gesamtmarktes gleichsam mitgerissen werden. Nicht nur auf Unternehmensebene, sondern auch auf Sektorebene können die Abweichungen dieser Werte von dem aus fundamentalen Faktoren abgeleiteten, inneren Wert erheblich sein. Von signifikantem Einfluss auf den Aktienkurs sind externe Einflussfaktoren wie Konjunktur, Währungen und Zinsen, die Geldmenge und Gesetze, zum anderen interne Einflussfaktoren wie die Qualität des Managements, die Produktqualität, das Gewinn-Momentum, Investor Relations-Aktivitäten und Übernahmespekulationen. Und nicht zuletzt ist der Börsenkurs auch Ausfluss persönlicher, möglicherweise irrationaler Vorlieben7. So sind die Marktteilnehmer keinesfalls die homogene Masse, wie uns Sozialwissenschaftler oftmals glauben lassen. Neben den auf Fundamentaldaten fixierten Investoren gibt es unter anderem technische Investoren, die auf bestimmte Kurssignale reagieren, Momentum getriebene Investoren, die Trends folgen, ohne Fundamentalfaktoren allzu große Beachtung zu schenken, oder so genannte Vulture-Investoren, die finanzielle Notlagen von Unternehmen ausnutzen. Insofern ist der Wert eines Unternehmens immer auch vom Betrachter abhängig. Unterschiedliche Investoren werden ein und demselben Unternehmen unterschiedliche Werte zugestehen. Ein international tätiger Technologiekonzern wird einen kleinen nationalen Wettbewerber vor dem Hintergrund erwerben wollen, seinen Markennamen zu nutzen und Zugang zu seinen Kunden zu erlangen. Der bestehende Maschinenpark und die Gebäude werden nicht in die Wertfindung eingehen, da der ausländische Marktführer unter Umständen über viel modernere und technisch 5╇ Über den Begriff des Fair Value gibt es in der Literatur höchst unterschiedliche Ansichten. Vgl. auch Pinto et€al. (2010, S.€4). 6╇ Vgl. Pfaff und Kukule (2006, S.€542). 7╇ Vgl. Mandl und Rabel (1997, S.€6).
1.1â•… Price is what you pay, value is what you get
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ausgefeiltere Anlagen verfügt. Der Wert, der dem nationalen Unternehmen zugestanden wird, ist zudem abhängig vom Ausmaß der Skaleneffekte, den Synergieeffekten oder den Erwartungen über die zukünftigen Werttreiber in der Industrie. Insbesondere während extremer Marktphasen mag daher der naive Marktbeobachter den Eindruck haben, Aktien würden sich vollkommen irrational verhalten und keinerlei ökonomischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen. Kritiker werfen der Fundamentalbewertung denn auch vor, dass sie nicht besonders hilfreich sei, wenn sich Marktwerte auch über einen längeren Zeitraum von ihren inneren Werten fortbewegen können. Der alleinige Fokus auf die Valuation ignoriere nämlich eine wesentliche Aussage von John Maynard Keynes, nämlich dass „markets can remain irrational for longer than you can remain solvent“8. Insofern hat Unternehmensbewertung immer etwas mit Meinungen zu tun – „Do not forget that value is normally a number in an Excel worksheet, while price is very often cash“9 – wobei es darum geht aufzuzeigen, wie sich die Zukunft entwickeln könnte, wenn nachprüfbare Annahmen eintreten. An der Börse hängt der Aktienkurs im Wesentlichen von Erwartungen ab, und zwar von den Erwartungen, welcher Wert zukünftig einem Unternehmen zugestanden wird, nicht von der Zukunft selbst. Diese Erwartungen wiederum sind, zumindest kurzfristig, von emotionalen Schwankungen abhängig, von Herdenverhalten, spieltheoretischen Konzepten und letztlich auch von Manipulationsversuchen einzelner Marktteilnehmer. Damit spielen Erwartungen bei Aktien eine wesentlich größere Rolle als bei anderen Gütern. Während der Käufer eines bestimmten Rohstoffes ziemlich genaue Vorstellungen hat, welchen Nutzen er aus diesem Rohstoff ziehen wird, ist der sich aus einer Aktie ergebende Nutzen a priori unbekannt. Würden alle Investoren auf dasselbe Bewertungsmodell zurückgreifen und hätten alle denselben Anlagehorizont, könnte theoretisch kein Börsenhandel stattfinden. Vor diesem Hintergrund können selbst zwei sehr vergleichbare Aktien aus derselben Industrie, mit demselben Risiko, gleichen Wachstumserwartungen und demselben absoluten Ertragsniveau nicht auf demselben Kursniveau notieren. Und zwei Investoren oder Analysten werden niemals dieselben Prognosen über zukünftige Cashflows, Dividenden oder Kapitalkosten haben. Darüber hinaus veralten Unternehmensbewertungen schneller als man glaubt. Jede neue Information, vor allem aus dem Unternehmensumfeld selbst in Form von Quartalsberichten oder ad hocpflichtigen Pressemeldungen, aber auch aus Veränderungen der Konjunkturerwartungen, von Zinsen, Wechselkursen oder Rohstoffpreisen, bringt eine Veränderung des Unternehmenswertes mit sich. Schon Keynes sagte: „When the facts change, I change my mind. And what do you do, Sir?“10 Sollte man deswegen von fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden Abschied nehmen? Besser nicht, denn je weiter sich der Aktienkurs als Durchschnittswert unterschiedlich informierter Marktteilnehmer von seinem inneren Wert entfernt, desto Keynes (1936, S.€121). Fernández (2003, S.€21). 10╇ Zitiert nach Malabre (2003, S.€220). 8╇ 9╇
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
stärker setzt sich unter den Kapitalmarktteilnehmern die Erkenntnis durch, dass die Kursentwicklung übertrieben war und die Aktie nicht mehr angemessen bewertet sein kann. Dies löst Anpassungsreaktionen aus, die den Aktienkurs wieder in Richtung seines fundamental gerechtfertigten Wertes zurückführen. Eine Gleichheit von Preis und Wert wäre sogar eher zufällig, bestenfalls sind Wert und Aktienkurs für wenige Minuten identisch. Zwar kann ein gut informierter, rational handelnder Kapitalmarktteilnehmer den inneren Wert einer Aktie in der Realität ex ante nicht beobachten, womit er sich jedoch durchaus zufriedenstellt, ist eine Näherungsgröße dieses Fundamentalwertes zu berechnen, wohl wissend, dass die Vorstellung, anhand einer Unternehmensbewertung einen exakten Wert für ein Unternehmen ermitteln zu können, eine Illusion darstellt. Ex post zu überprüfen bleibt ihm dann, ob seine Bewertungsmethode geeignet war, diesen richtig zu prognostizieren. Diese Erkenntnisse im Hinterkopf kann es nicht ausreichend sein, den Wert eines Unternehmens zu bestimmen und darauf aufbauend das eigene Vermögen in die am stärksten unterbewerteten Aktien zu stecken. Eine unterbewertete Aktie, die unterbewertet bleibt, ist keine attraktive Anlage. Die Unterbewertung einer Aktie ist lediglich die notwendige Bedingung, in diese zu investieren. Die hinreichende Bedingung, dass sich die Investition auch lohnt, ist ein Katalysator, der diese Unterbewertung auflöst, denn, wie Benjamin Graham, einer der Urväter der Unternehmensbewertung, meinte: „in the long run, the market is a weighing machine, in the short run an voting machine“11. Als Katalysatoren mögen etwa ein Produkt fungieren, das neu auf den Markt gebracht wurde, wichtige Verträge, die gewonnen oder verlängert werden konnten, ein Restrukturierungsprogramm, dass initiiert wurde, um die Kostenbasis zu senken, oder auch – mehr technisch – ein Aktienrückkaufprogramm, das von der Hauptversammlung genehmigt wurde. Selbst ein renommierter Investor oder Analyst, der behauptet, eine Aktie wäre unterbewertet und dies beispielsweise durch die Beimischung der Aktie in sein Depot oder durch die Aufnahme der Research Coverage dokumentiert, kann eine Katalysatorwirkung entfachen. Damit soll dieses Einführungskapitel mit einem weiteren Zitat von Warren Buffett geschlossen werden: „If you’re an investor, you’re looking on what the asset is going to do, if you’re a speculator, you’re commonly focusing on what the price of the object is going to do, and that’s not our game“12.
1.2 Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung Die Ursprünge der modernen Unternehmensbewertung stammen von den beiden US-Amerikanern Benjamin Graham und David Dodd, die 1934 mit ihrem, noch heute überaus lesenswerten Standardwerk Security Analysis13 erstmals einen loGraham (1949, S.€207). Buffett (1997). 13╇ Vgl. Graham und Dodd (1940). 11╇
12╇
1.2â•… Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung
7
gisch untermauerten und systematischen Weg aufgezeigt haben, warum eine Aktie bis zu welchem Kursniveau ge- oder verkauft werden sollte. Zuvor beruhte die Wertpapierselektion und -empfehlung auf purer Spekulation, Unternehmen waren „gute“ Unternehmen, die Frage, ob sie auch eine gute Kapitalanlage waren, blieb unbeantwortet. Im Grunde genommen wäre alles so einfach: Das Gesamtkapital GesK eines Unternehmens A wird finanziert durch bilanzielles Eigenkapital EK und Fremdkapital FK, also: (1.1) GesKA = EK A + FK A . Demzufolge entspricht der Wert des Eigenkapitals der Differenz aus den Vermögenswerten einer Gesellschaft und dem Fremdkapital:
EK A = GesKA − FK A .
(1.2)
Dividiert durch die Anzahl ausstehender Aktien NoSh erhält man den Wert je Aktie, der dann mit dem aktuellen Börsenkurs P0 zu vergleichen ist. Liegt der Börsenkurs über dem ermittelten Wert je Aktie, also P0â•›>â•›EKA, ist diese mehr oder weniger überbewertet, liegt der Börsenkurs unter dem errechneten Wert der Aktie, also P0â•›<â•›EKA, ist diese unterbewertet. Liegt der Börsenkurs auf dem ermittelten Wert je Aktie, also P0â•› = â•›EKA, würde der Preis, den ein Investor für eine Aktie bezahlt, exakt seinem Wert entsprechen und der Investor könnte aus dem Aktienerwerb keine weitere Kursperformance generieren. Wenn die professionelle Unternehmensbewertung so einfach wäre, warum beschäftigt sich eine ganze Industrie mit der Einschätzung von Unternehmen und mit der Anlage beträchtlicher Vermögen? Warum werden überhaupt Bücher wie dieses geschrieben? Und weshalb gibt es in der Praxis so viele unterschiedliche Bewertungsverfahren14 • die von einfachen, marktnahen Bewertungsverfahren mit nur wenigen Inputparametern bis hin zu hochkomplexen langfristig angelegten Fundamentalmodellen reichen, welche eine integrierte Gesamtplanung des Unternehmens erfordern; • die eine kurzfristige Einschätzung über die zu erwartende Performance erlauben oder eine langfristige; • die von längst etablierten Methoden wie dem Substanz- oder dem Ertragswertverfahren, der mittlerweile auch in Deutschland akzeptierten Discounted Cashflow- (DCF-) Methode über den Economic Profit-Wertschöpfungsansatz und dem in der Praxis kaum verbreiteten Adjusted Present Value- (APV-) Ansatz bis hin zur Bewertung über Realoptionen oder Spezialfällen wie der First ChicagoMethode reichen. Dass dies so ist, hängt vor allem damit zusammen, dass der Jahresabschluss als Teil eines aufwendigen Berichterstattungsprozesses bestimmten gesetzlichen Vor14╇
Vgl. stellvertretend Heidorn und Weier (2001).
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
schriften und Regularien folgen muss (sei es HGB, IFRS oder US-GAAP), den die Hauptadressaten des Produkts, die Aktionäre, zwar zur Kenntnis nehmen, aber nur unzureichend würdigen. Dies gilt insbesondere auch für aktuelle und potenzielle Eigenkapitalgeber, die gerade von Seiten international vorherrschender Rechnungslegungssysteme wie IFRS und US-GAAP als primäre Adressaten genannt werden, aber auch für Finanz- und Aktienanalysten, die als Informationsprozessoren und -intermediäre zwischen den Eigentümern und dem Management der Gesellschaft fungieren und die asymmetrische Informationsverteilung zwischen diesen beiden Gruppen verringern sollen. Werden jedoch Bilanzen nicht aufgestellt, um Investoren zufrieden zu stellen, sondern für die Informationsbedürfnisse der Kreditgeber der Gesellschaft mit völlig anderen Prioritäten, kann das bilanzielle Eigenkapital nicht den inneren Wert eines Unternehmens widerspiegeln. Da stimmen die berichteten Buchwerte nicht mit ihren Marktwerten überein; da mussten Maschinen auf ihren Erinnerungswert abgeschrieben werden, obwohl sie nahe ihrer Kapazitätsgrenze ausgelastet sind – wenn sie denn überhaupt je in der Bilanz auftauchten und nicht über Finanzleasing erworben wurden; da fallen immaterielle Wirtschaftsgüter wie selbst geschaffener Goodwill, Kundenstamm oder auch der Markenname völlig unter den Tisch, wohingegen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, fraglos eine Investition in das zukünftige Wohlergehen der Gesellschaft, zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Kosten verbucht werden müssen. Wenn also Bilanzen nur den Wert der existierenden Vermögenswerte wiedergeben, nicht jedoch den Wert der zukünftig zu schaffenden, haben Investoren und Analysten jede Menge objektiver Gründe, Aktien nicht anhand von Buchwerten eines Jahresabschlusses zu kaufen oder zu verkaufen. Auch wenn Minderheiten immer noch die Meinung vertreten, dass „we still don’t know how to value companies“15, gibt es zumindest konkrete Vorstellungen über den Bewertungsprozess eines börsennotierten Unternehmens. Dieser umfasst grundsätzlich fünf Schritte: • • • • •
Das Verständnis des Geschäftsmodells, die Analyse und Prognose der wichtigsten Unternehmenskennzahlen, die Auswahl des geeigneten Bewertungsverfahrens, die Berechnung des Unternehmenswertes und die Bestimmung des Anlageurteils.
Das erste Teilelement im Bewertungsprozess, das Verständnis des Geschäftsmodells, ist sicherlich das arbeitsaufwändigste. In ausgewählten Branchen wie der Molekularbiologie oder der Spezialchemie sind sogar Kenntnisse erforderlich, die man sich kaum ohne ein eigenes Hochschulstudium aneignen kann. Aber selbst, wer sich intensiv mit vermeintlich einfachen Geschäftsmodellen wie dem Schuheinzelhandel oder der Entwicklung von Wohnimmobilien auseinander gesetzt hat wird schnell einsehen, dass schon für ein oberflächliches Verständnis der Industrie eine fundierte Einarbeitung erforderlich sein kann. Dies bringt in den meisten Industrien eine ausgeprägte Spezialisierung der Kapitalmarktteilnehmer mit sich, und 15╇
Bishop (2002).
1.2â•… Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung
9
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung
Einschätzung der Kapitalmärkte
Branchenprognose
Unternehmensspezifische Entwicklung
Wirtschaftswachstum
Performance des Gesamtmarktes
Status im Produktlebenszyklus
Höhe und Entwicklung des Marktanteils
Timing im Zyklus
Performance der Teilmärkte
Preisentwicklung
Umsatzwachstum, Tiefe der Wertschöpfung
Zinsniveau und Zinsentwicklung
Performance ausländischer Kapitalmärkte
Höhe und Entwicklung der Nachfrage
Entwicklung des Produktmix
Entwicklung des USDollars und anderer Leitwährungen
Marktpsychologische Faktoren
Newcomer und Markteintrittsbarrieren
Höhe und Entwicklung des Ergebnisses und der Marge
Entwicklung der wichtigsten Rohstoffpreise
Technischer Fortschritt und Produktinnovationen
Cashflow und Bilanzqualität
Höhe und Entwicklung des Ölpreises
Gesetzesänderungen
Financial und operating Leverage
Entwicklung der Emerging Markets
M&A-Aktivitäten
Höhe und Entwicklung der Staatsausgaben
Management, Investor Relations-Aktivitäten
Demografische Trends
Dividendenpolitik
Modeerscheinungen
Abb. 1.1↜渀 Der Top-Down-Ansatz in der Unternehmensbewertung
zwar sowohl auf der Sell-Side (d.€h. der Seite der Finanzanalysten) als auch auf der Buy-Side (d.€h. der Seite der Institutionellen Investoren)16. Auch wenn akademisch untermauerte Spezialkenntnisse in den meisten Fällen nicht erforderlich sein sollten, sind, um die zukünftige Entwicklung einer Aktie korrekt einschätzen zu können, in der Regel tiefer gehende Kenntnisse über bestehende Marktstrukturen erforderlich, über Markttreiber, ökonomische und finanzielle Marktcharakteristika, die Höhe der Marktanteile und ihre zeitliche Entwicklung, Wettbewerbsstrukturen und -Intensitäten (Abb.€1.1). Die Analyse und Prognose der Unternehmenskennzahlen stellt den zweiten Schritt der Unternehmensbewertung dar. Basierend auf den Vergangenheitsdaten und ausgehend von den Erkenntnissen der mikro- und makroökonomischen Analyse der Gesamtwirtschaft (die konjunkturelle Gesamtsituation, die Analyse von Währungen, Zinsen und Rohstoffpreisen) und der relevanten Branche können qualitative und quantitative Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung des analysierten Unternehmens gezogen werden (Top-Down-Analyse). Zu den relevanten unternehmensbezogenen Daten zählen unter anderem Ertrags- und Rentabilitätskennziffern wie Rohertrags- oder operative Marge, Kapital- oder Umsatzrenditen, Kennziffern der Vermögens- und Kapitalstruktur wie Gearing oder Eigenkapitalquote, Days of Sales Outstanding oder Anlagenintensität, und sonstige operative Angaben wie die 16╇
Vgl. im Detail das überaus lesenswerte Buch von Anderson (2009).
10
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
aktuelle Kapazitätsauslastung oder die durchschnittlichen Beschäftigtenzahlen. Auch eine Einschätzung der Managementqualitäten ist erforderlich, Beleg dafür, dass nicht ausschließlich quantitative Daten analysiert werden sollten. Das Endergebnis dieser Bottom-Up-Analyse ist eine integrierte Analyse der Gewinn- und Verlustrechnung, der Bilanz und der Kapitalflussrechnung17. Die Wahl des geeigneten Bewertungsverfahrens und die Ermittlung des Unternehmenswertes stellen das dritte und vierte Element der Unternehmensbewertung dar. Welches ist die richtige Bewertungsmethode? Können die Begriffe richtig und falsch oder gut und schlecht für die Unternehmensbewertung überhaupt angewendet werden? Die Antwort klingt, zumindest in Teilen, zynisch: Ob eine Unternehmensbewertung gut oder schlecht ist, richtet sich nach dem analytischen Sachverstand des Bewerters, ob sie dagegen richtig oder falsch ist, ausschließlich nach der Performance, die mit der Unternehmensbewertung erzielt werden kann. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Angenommen, ein Chemieanalyst leitet mit großer Akribie den Wert eines betreuten Unternehmens über eine Szenarioanalyse mit drei verschiedenen Umweltzuständen ab: Szenario 1 wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 60€% gewichtet und ergibt ein Kursziel von 80,00€€ je Aktie, Szenario 2 ergibt mit einer Wahrscheinlichkeit von 30€% ein Kursziel von 60,00€€ und Szenario 3, das auf einem gravierenden Anstieg der Rohstoffkosten beruht, ergibt mit einer Wahrscheinlichkeit von 10€% ein Kursziel von 40,00€€. Der Erwartungswert dieser drei Szenarien liegt also bei 70,00€€ je Aktie. Ein zweiter, besonders fauler Analyst, macht sich diese Arbeit nicht und ermittelt, weil ihm auch noch diverse sachliche Fehler unterlaufen, für das Chemieunternehmen ein Kursziel von 40,00€€ je Aktie. Kommt es tatsächlich zu der unerwarteten Entwicklung an den Rohstoffmärkten, hat sich, im Nachhinein betrachtet, die Bewertung des faulen Analysten als die richtige herausgestellt. Der sich aus der Unternehmensbewertung ergebende Wert einer Aktie kann über dem aktuellen Börsenkurs, auf oder darunter sein. Basierend auf den vorhandenen Informationen gibt uns die Unternehmensbewertung Aufschluss darüber, ob eine Aktie überbewertet, fair bewertet oder unterbewertet ist. Dennoch ist das fünfte und abschließende Element des Bewertungsprozesses, die Ableitung des Anlageurteils, nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ist eine Aktie, für die ein 10€%iges Kurspotenzial errechnet wird, wert gekauft zu werden, wenn für Alternativanlagen gleichzeitig ein 20€%iges Kurspotenzial abgeleitet wird? Womöglich sind beide Aktien unterbewertet, unter Umständen sind beide signifikant überbewertet. Zudem informiert uns die Unternehmensbewertung nicht darüber, wie lange diese Fehlpreisung anhalten wird, wie lange es also dauert, bis der Kapitalmarkt diese erkennt und entsprechend korrigiert. Die Performance der Benchmark ist bei relativen Anlageurteilen wie Überdurchschnittlich, Durchschnittlich oder Unterdurchschnittlich bedeutend, bei absoluten Anlageurteilen wie Kaufen, Halten oder Verkaufen nicht. Was die Wahl des Bewertungsverfahrens anbelangt können sechs grundlegende Bewertungspaare zusammengestellt werden: 17╇
Vgl. zum Beispiel Benninga und Sarig (1997) Kap.€5.
1.2â•… Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung
11
• • • • •
direkte und indirekte Methoden, absolute und relative Verfahren, Ertragswert- und substanzwertbasierte Modelle, statische und dynamische Verfahren, die Annahmen der Fortführung einer Gesellschaft, dem so genannten Going Concern, und der Liquidation des Unternehmens sowie • objektive und subjektive Methoden der Unternehmenswertermittlung. Bei der direkten, Equity- oder Einzelbewertungsmethode wird das im Unternehmen vorhandene Eigenkapital selbst bewertet. Die Bewertung erfolgt also anhand des allein den Eigenkapitalgebern zur Verfügung stehenden Jahresergebnisses und der Vermögenswerte, durch die es erwirtschaftet wurde. Bei der indirekten, Entityoder Gesamtbewertungsmethode wird dagegen zunächst der gesamte Bruttounternehmenswert oder Enterprise Value hergeleitet, das heißt die Verzinsungsansprüche aller so genannten Stakeholder, im Wesentlichen der Eigenkapital- und Kreditgeber, aber unter Umständen auch der Arbeitnehmer (über die Pensionsrückstellungen) und der Minderheitsgesellschafter (über die Ergebnisanteile Dritter) sowie sämtlicher, zur Erwirtschaftung dieser Ansprüche eingesetzter Vermögenswerte. Erst nachdem die Ansprüche der Fremdkapitalgeber, der Arbeitnehmer und der Minderheitsgesellschafter vom Enterprise Value subtrahiert wurden, ergibt sich als Residualgröße der Marktwert der Ansprüche der Eigenkapitalgeber an die Gesellschaft. Innerhalb dieser beiden Bewertungsmethoden gibt es wiederum jeweils zwei grundlegende Ansätze: Die intrinsisch-absolute Methode18 und den relativen marktwertebasierten Ansatz, bei dem der Unternehmenswert über eine Vergleichsgruppe abgeleitet wird. Während der intrinsische Ansatz den „inneren“ Marktwert des Unternehmens oder des Eigenkapitals über die aus der Gesellschaft selbst stammenden Ertrags- oder Cashflow-Ströme ermittelt, greift der relative oder Vergleichswerteansatz auf eine vergleichende Bewertung der Werttreiber eines Unternehmens mit denen anderer Unternehmen zurück. Effiziente Kapitalmärkte vorausgesetzt leitet der Vergleichswerteansatz also weniger eine absolute Höhe des Unternehmenswertes her, als eine relative, also ob eine Aktie angemessen bewertet ist im Verhältnis zu ihren Referenzwerten. Abgleitet wird der Unternehmenswert im Multiplikatorverfahren auf zwei Wegen: Entweder anhand von aktuellen Börsenkursen, den Marktmultiplikatoren, wo Multiplikatoren anhand von nach Branche und Risikostruktur vergleichbaren Unternehmen abgeleitet werden, oder anhand von (M&A-) Transaktionen, wo sich der Unternehmenswert aus einer strategischen Bewertung inklusive Übernahmeprämie ergibt. Ob eine Bewertung über intrinsische Verfahren erfolgt oder über die Zuhilfenahme von Referenzunternehmen, die Wahl der Methodik hat Konsequenzen, die bis in den philosophischen Bereich reichen: Beruht doch die vergleichende Bewertung einer Aktie auf der impliziten Annahme, dass die am Kapitalmarkt für andere Unternehmen zu beobachtenden Bewertungskennzahlen im Durchschnitt richtig seien, Ein Konzept, das bereits auf Benjamin Graham und David Dodd zurückgeht; vgl. Graham und Dodd (1940, S.€17).
18╇
12
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
obwohl der Kapitalmarkt jedes einzelne der beteiligten Unternehmen fehl bewertet haben mag. Der Vergleichswerteansatz unterstellt damit, dass der Kapitalmarkt einzelne Unternehmen zeitweilig zwar durchaus fehlerhaft bewerten kann, in the long run Aktien jedoch zu ihrem angemessenen Wert gehandelt werden. In Phasen, in denen die Gesamtmärkte stark über- oder unterbewertet sind, also zum Beispiel während Bewertungsblasen, wird der Vergleichswerteansatz dazu führen, dass stark überbewertete Unternehmen mit weniger stark überbewerteten Unternehmen verglichen werden und damit die Blasenbildung verlängert oder im Extremfall sogar verstärkt wird. Der intrinsische Ansatz dagegen nimmt die Position eines allwissenden Investors ein, der nicht nur die zukünftige Ertragslage des Unternehmens korrekt vorhersagen kann, sondern die Zahlungsströme auch mit dem richtigen Zinssatz diskontiert. Durch dieses Vorgehen wird ein aktuell gültiger Unternehmenswert ermittelt, der unabhängig ist von den Geschehnissen an den Kapitalmärkten, insbesondere unabhängig von den Geschehnissen in anderen Unternehmen. Schließlich kommt eine weitere Unterscheidung zum Tragen: Die zwischen Ertragswert- und Substanzwertverfahren, also zwischen einer Bewertung, die aus der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet wird oder aus der Bilanz. Bei ersterer entspricht der Unternehmenswert der Summe der abgezinsten zukünftigen betrieblichen Wertschöpfung eines Unternehmens. Der Wert eines Unternehmens ist damit ausschließlich von der zukünftigen Entwicklung abhängig, die Vergangenheit spielt für die Bewertung eines Unternehmens keine oder allenfalls eine geringe Rolle. Der Begriff Substanz bezieht sich dagegen bei einer Unternehmensbewertung auf die materiellen und immateriellen sowie auf die betriebsnotwendigen und die nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände. Im Gegensatz zum Ertragswertverfahren wird beim Substanzwertverfahren das Unternehmen nicht länger als eine operative Einheit betrachtet, sondern als Summe der einzelnen Vermögensgegenstände. Ebenfalls im Gegensatz zum Ertragswert ist der Substanzwert eine tendenziell vergangenheitsorientierte Größe, die wenig über die zukünftige Wertschöpfung eines Unternehmens aussagen kann. Zu unterscheiden ist überdies zwischen Brutto- und Nettosubstanzwert. Der Bruttosubstanzwert entspricht der Summe der in der Bilanz ausgewiesenen Aktiva zu Wiederbeschaffungs- oder Reproduktionskosten. Subtrahiert man hiervon das zu seiner Finanzierung erforderliche Fremdkapital, erhält man den Nettosubstanzwert. Bewertungsverfahren lassen sich ferner in statische und dynamische Verfahren unterteilen19. In statischen Bewertungsverfahren wie dem KGV bleiben sowohl die relevanten Ertragskennzahlen als auch die zugrunde liegenden Diskontierungssätze nach einmaliger Festlegung unverändert. Demgegenüber werden im DCF-Modell, einem klassisch dynamischen Verfahren, die Cashflow-Größen über mehrere Perioden hinweg prognostiziert, unter Umständen sogar bis in die Unendlichkeit.
Spieltheoretische Konzepte, in denen zukünftige Cashflows nicht nur vom Verhalten der Vorstände, sondern auch von Kunden, Wettbewerbern u.€ ä. abhängen, weisen aufgrund der hohen Komplexität einen geringen Operationalisierungsgrad auf und sind daher in der Praxis ohne Relevanz.
19╇
1.2â•… Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung
13
Modelle, bei denen der Fortbestand der Gesellschaft unterstellt wird, bilden die überwiegende Mehrheit aller Bewertungsverfahren; bei ihnen wird angenommen, dass ein Unternehmen seine laufende Geschäftstätigkeit über das derzeitige Management hinaus auch in Zukunft unbegrenzt fortsetzen wird. Damit sind grundsätzlich alle zukünftigen Ertragsströme vorherzusagen, eine in der realen Welt wenig praktikable Vorgehensweise. Wird eine Gesellschaft nicht unter dem Grundsatz des Going Concern bewertet, sondern anhand der potenziellen Verkaufserlöse der einzelnen Vermögensgegenstände, spricht man nicht vom Substanzwert, sondern vom Liquidationswert oder vom Break Up-Value eines Unternehmens. Dieser ergibt sich aus den erwarteten Liquidationserlösen der Vermögensgegenstände abzüglich der Kosten der Liquidation. Abschließend ist auf die Unterscheidung zwischen einer objektivierten und einer subjektiven Unternehmensbewertung hinzuweisen. Dominierte bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts die objektive Unternehmensbewertung, nach der der Wert eines Unternehmens unabhängig vom Zweck der Bewertung und den Präferenzen des Investors ermittelt werden soll, hat sich spätestens in den 1970er Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass es keinen vom Bewertungszweck unabhängigen, wahren, oder objektiven20 Unternehmenswert – der gewissermaßen eine Punktlandung darstellt – geben könne, da • Käufer und Verkäufer einer Aktie zu einem bestimmten Zeitpunkt dasselbe Datenmaterial unterschiedlich interpretieren, so dass sich auch ihre Einschätzungen über die zukünftige Unternehmensentwicklung unterscheiden; • individuelle unterschiedliche Risikoneigungen notwendigerweise eine unterschiedliche Unternehmensbewertung zur Folge haben; • für strategische Käufer eines Unternehmens unter Umständen Parameter eine Rolle spielen, die im Stand-alone-Fall gar nicht bewertungsrelevant sein können, also beispielsweise Synergieeffekte, die Erweiterung der Produktpalette oder der Erwerb von Kundenbeziehungen; darüber hinaus kommen häufig auch nichtmonetäre Aspekte wie Ansehen und Macht oder Erlangung der Marktführerschaft durch Eliminierung eines Wettbewerbers ins Spiel; • sich die Anlagehorizonte der einzelnen Marktteilnehmer unterscheiden, so dass dieselbe Bewertungsmethode zu mehreren, voneinander abweichenden Kurszielen führen kann. Die Unternehmensbewertung ermittelt daher immer nur objektivierte21 Unternehmenswerte, die unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und größtmöglicher Ausschaltung von individuellen Ermessensspielräumen des Bewerters zustande kommen. Während bei einer objektivierten Unternehmensbewertung ein typisierter Grenzsteuersatz angesetzt wird, der auf Unternehmensebene anfallen würde, referiert die subjektivierte Unternehmensbewertung auf die tatsächliche Steuerbelastung auf Seiten des Investors. Danach hat das Unternehmen nicht nur für jeden Bewertungsinteressenten einen eigenen Wert, sondern kann 20╇ 21╇
Vgl. Mellerowicz (1952, S.€12). Vgl. Künnemann (1985).
14
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen Bewertungsverfahren
Einzelbewertungsverfahren
Going Concern
Substanzwert
Zerschlagung
Liquidationswert
Gesamtbewertungsverfahren
Marktwertverfahren
Kapitalwertverfahren
Realoptionsverfahren
IPOMultiplikatoren TransaktionsMultiplikatoren
Dividend Discount-Modell
PeergroupMultiplikatoren
Discounted Cashflow-Modell
Ertragsbasierte Verfahren Substanzbasierte Verfahren Non-Financials
Hohe praktische Relevanz
Brutto-Verfahren
Netto-Verfahren
Adjusted Present Value-Modell Total CashflowModell WACC-Modell
Abb. 1.2↜渀 Bewertungsmethoden im Überblick
auch „für ein und dasselbe Subjekt je nach Aufgabenstellung einen durchaus unterschiedlichen Wert haben“22. Diese Sichtweise hat letztlich völlig neue Bewertungsverfahren hervorgebracht und verfeinert, ein Prozess, der auch heute noch nicht abgeschlossen ist und in der Praxis der Unternehmensbewertung dazu geführt hat, dass man sich nur in Ausnahmefällen auf eine einzige Methode beschränkt: In der Mehrheit der Fälle wird man neben einem Hauptbewertungsverfahren auch ein oder mehrere zweitrangige Verfahren einsetzen, schon um die gefundenen Ergebnisse zu plausibilisieren. Zusammengefasst können die Bewertungsverfahren wie in vorstehender Abbildung dargestellt werden (Abb.€1.2). Geht man weiter ins Detail und das wird der Leser im weiteren Verlauf dieses Buches, denn es ist besser „to be approximately right than precisely wrong23“, dann hat er die Wahl zwischen leicht verständlichen Verfahren, die als Anlagerichtlinien eingesetzt werden können, aber meist methodische Defizite aufweisen, und aufwendigen komplexen Methoden mit hoher methodischer Beständigkeit, die dauerhaft zu pflegen durchaus mühsam sein kann. Zu den ersten zählen sicherlich KGVMultiplikatoren, die aufgrund ihres statischen Charakters und der möglichen Verzerrung durch buchhalterische Vorgänge in den letzten Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wurden. Bei den zuletzt genannten sind in erster Linie 22╇ 23╇
Matschke und Brösel (2005, S.€15). Buffett (2011, S.€21).
1.2â•… Ursprung, Ablauf und Methoden der Bewertung
15
DCF- und Wertschöpfungsmodelle zu nennen, aber auch bankenspezifische Bewertungsmethoden wie der Cashflow Return on Investment (CFROI) der HOLT Value Associates oder der Cash Return on Capital Invested (CROCI) des Deutsche Bank Research. Doch die Schlussfolgerung, dass ein Modell nur komplexer werden müsse, um auch die Treffergenauigkeit zu steigen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Denn derartig ausgefeilte Bewertungsmodelle können zwar das Ausmaß der Unsicherheit verringern, ganz ausschließen lässt sie sich jedoch nicht, zumal auch der über komplexe Bewertungsverfahren abgeleitete Unternehmenswert keine wissenschaftlich fundierte Größe ist, die wie in physikalischen oder chemischen Experimenten beliebig häufig mit demselben Ausgang reproduzierbar ist: „There is no gold standard when it comes to valuation“24. Das soll jedoch nicht heißen, dass Unternehmensbewertung keine Wissenschaft ist, dann auch in der Ökonomie zieht jede Aktion eine entsprechende Reaktion nach sich. Gerade weil Unternehmensbewertung immer auch so viel Kunst wie Wissenschaft ist25, ist die Unternehmensbewertung modischen Trends unterworfen: Verfahren, die einmal en vogue sind, können ihren Charme wieder verlieren und fallen zurück in die Bedeutungslosigkeit, andere wie das Kursâ•›/â•›Gewinn-Verhältnis (KGV) oder das Kursâ•›/â•›Buchwert-Verhältnis (KBV) werden immer wieder eingesetzt. Zu den ältesten, auch heute noch in bestimmten Sektoren akzeptierten Verfahren der Unternehmensbewertung gehören die Substanzwertverfahren. Sie verloren erst während der späten 1970er und frühen 1980er Jahre an Bedeutung, als sie sukzessive von Ertragswertverfahren abgelöst wurden, die den Unternehmenswert durch Diskontierung der in Zukunft erwarteten Finanzerträge ermitteln. Absolute Ertragskennzahlen, die noch bis in die 1990er Jahre hinein dominierten, wurden von relativen Profitabilitätskennzahlen wie die Eigenkapitalrendite ROE oder die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE abgelöst. Doch erst gegen Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts kamen Wertschöpfungsmodelle auf, bei denen die Generierung ökonomischer Mehrwerte im Vordergrund stand. Prominentes Beispiel hierfür sind ROCE-WACC-Modelle im Sinne des Economic Value Added-Ansatzes des New Yorker Beratungsunternehmens Stern Steward & Co. oder das Economic Profit-Modell von McKinsey & Company. Dann, mit dem Aufkommen des Internets, waren plötzlich Unternehmen zu bewerten, die erstmals keine Erträge, ja noch nicht einmal Umsätze erwirtschafteten und bei denen auch nicht absehbar war, wann dies der Fall sein würde. Neue und zunehmend progressivere Verfahren wurden entwickelt, die sich an operativen „Non-Financials“ wie der Anzahl von Unique User oder von Clicks orientierten. Erst nachdem 2001 die Blase an den Aktienmärkten geplatzt war, hat sich die Unternehmensbewertung diesen Non-Financials wieder ab- und konservativen Verfahren zugewandt, in denen die erzielten Gewinne oder Cashflows zentraler Bestandteil der Bewertung sind.
24╇ 25╇
Frei und Leleux (2004, S.€1049). Vgl. Lee (1999, S.€414).
16
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
Ertragswertbasierte Bewertungsverfahren Multifaktormodelle
HOLT-Planning Komplexität
Realoptionsmodelle Wertschöpfungsmodelle
CFROI
DCF-Modelle Enterprise Value Gordon-Growth-Modell Gordon-
PEG-Ratio
Kurs/NAV
Kurs/Cashflow
Kurs/Buchwert
NonFinancials Operative Multiplikatoren
KGV
Substanzwertbasierte Bewertungsverfahren 1970
1980
1990
2000
2010
Abb. 1.3↜渀 Bewertungsverfahren im historischen Überblick
Heutzutage erfreut sich die Multiplikatorbewertung unverminderter Beliebtheit: Multiplikatoren gelten als nachvollziehbar und marktnah, sind problemlos untereinander vergleichbar und bei den Bewertungsadressaten akzeptiert. Jüngeren Umfragen zufolge kommen Discounted Cashflow-Modelle (93€ %) und Multiplikatormodelle (93€ %) in der praktischen Verwendung von Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Investmentbanken gleich häufig zur Anwendung26. Aufgrund der Internationalisierung und Harmonisierung der Rechnungslegungsvorschriften und Steuersätze ist ein weiterer Bedeutungsanstieg der Multiplikatoren nicht auszuschließen, auch wenn diese häufig als nicht wissenschaftlich fundierte Praktikerverfahren disqualifiziert werden27 (Abb.€1.3). In jedem Fall gibt es heutzutage ausreichend Verfahren, um Unternehmen zu bewerten. Allen Methoden jedoch ist gemeinsam, dass die Prognose der relevanten Input-Faktoren, allen voran die Schätzung des Wachstums, des Risikos und der Cashflows, mit Unsicherheit verbunden ist. Für welches Bewertungsverfahren auch immer man sich entscheidet, man muss sich stets bewusst sein, dass Modelle nichts anderes sind als Abbildungen der Wirklichkeit. Insofern basieren Modelle auf Annahmen, die entweder stark vereinfachend gestaltet werden und eine eher langfristige Perspektive modellieren oder die die nähere Situation erfassen und detailliert gestaltet sind. Im ersten Fall werden langfristige Fundamentaldaten verwendet, die aktuelle Situation ist nicht von Bedeutung. Die realitätsnahe Betrachtung ist dagegen von den derzeit vorherrschenden Ertragsmargen und Zinssätzen geprägt. Beide Vorgehensweisen haben ihre Existenzberechtigung. Nobelpreisträger Milton Friedman schrieb: „The relevant question to ask about the ‚assumptions‘ of a theory is not whether they are descriptively ‚realistic‘, for they never are, but whether they are sufficiently food approximations for the purpose in hand“28. So ist die Qualität Vgl. Peemöller et€al. (2004). Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer (2008, S.€68€ff.). 28╇ Friedman (1953, S.€15). 26╇ 27╇
1.3â•… Effiziente Märkte und rationales Verhalten
17
einer Bewertungsmethode immer auch abhängig von der Intention ihrer Anwendung: In juristischen Bewertungsfragen etwa der Vermögensbesteuerung oder bei Erbfällen mag die Qualität eines Bewertungsmodells daran festgemacht werden, wie nahe der Modellwert an den beobachtbaren Marktpreis herankommt. Je kleiner die Abweichung ist, desto besser ist das Modell in der Lage, den Wert des Objekts zu bestimmen. Für Anlageentscheidungen wäre diese Vorgehensweise die denkbar Ungeeignetste. Für den Kauf oder Nicht-Kauf einer Aktie ist allein entscheidend, ob das Bewertungsverfahren in der Lage ist, im Zeitablauf die Kursbewegung richtig vorherzusagen. Falls ja, ist das Modell für den Bewerter ökonomisch wertvoll, und zwar umso mehr, je präziser das Modell die zukünftige Aktienkursentwicklung vorhersagen kann. Allein die Performance des Investors bestimmt also die Werthaltigkeit des Bewertungsmodells, nicht seine akademische Untermauerung. Durch diese ausschließlich nutzenorientierte Betrachtung von Bewertungsmodellen ist es nicht ungewöhnlich, dass zwei Investoren, die mit demselben Bewertungsverfahren arbeiten, zu Ergebnissen kommen, die deutlich voneinander abweichen. So wird beispielsweise berichtet, dass zwei renommierte und international tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für ein und dasselbe Unternehmen Werte ermittelt haben, die sich um den Faktor€10 unterschieden haben29.
1.3 Effiziente Märkte und rationales Verhalten Neben den genannten Fundamentaldaten, also insbesondere das Niveau der Zahlungsströme, die Wachstumserwartungen oder das mit einem Engagement in die Aktie verbundene Risiko, gibt es eine Reihe weiterer Einflussfaktoren auf die Börsenkurse, Keynes sprach von tierischen Kräften („animal spirits“30), die für die Entwicklung von Aktienkursen verantwortlich sind und in finanzmathematischen Modellen nicht abgebildet werden. Psychologische und soziologische Verhaltensmuster wie zum Beispiel Euphorie und Gier, Niedergeschlagenheit und Pessimismus haben nicht selten einen größeren Einfluss auf die Kurse von Aktien als rationale, mathematisch geprägte Bewertungsverfahren, und zwar nicht nur, wie man ad hoc vermuten würde, im privaten Anlagebereich, sondern auch im institutionellen Investitionsprozess, in dem professionelle Fondsmanager einem besonderen Performancedruck ausgesetzt sind. Zwar wird ein Fondsmanager im Idealfall sämtliche verfügbaren Informationen einsammeln, auswerten sowie interpretieren und dann eine sorgfältige Unternehmensbewertung durchführen, deren Ergebnis eine Kaufoder Verkaufsempfehlung sein wird. Aber selbst wenn Unternehmensbewertung auf vermeintlich objektiven Modellen basiert, ist sie doch immer auch abhängig von den Neigungen des Investors, auch des professionellen. Dies beginnt bereits mit den persönlichen Vorlieben eines Kapitalmarktteilnehmers: Ein älterer Fondsmanager, der früh geheiratet und Kinder bekommen hat und 29╇ 30╇
Vgl. Seicht (1999, S.€W6€ff.). Keynes (1936, S.€161€f.).
18
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
womöglich sein Leben lang auf sparsam gelebt hat, wird einen Luxusgüterhersteller mit anderen Augen ansehen als ein unverheirateter Yuppie. Was für den einen ein akzeptabler Multiplikator ist, mag für den anderen bereits übertrieben hoch sein. Die persönliche Befangenheit hat weit größeren Einfluss auf die Unternehmensbewertung als dies von den meisten wahrgenommen wird. Dass ein Aktionär Unternehmensnachrichten anders interpretieren dürfte als ein Nicht-Aktionär, ist nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass Finanzanalysten oder Mitarbeiter im institutionellen Aktien-Sales in den meisten Investmentbanken keine privaten Aktiengeschäfte in den von ihnen analysierten bzw. vertriebenen Aktien tätigen dürfen. Letztlich wird das subjektive Element der Unternehmensbewertung nämlich immer dann gefährlich, wenn eine vorher festgelegte Meinung durch eine vermeintlich neutrale Analyse untermauert wird. In diesen Fällen wird der Prozess der Unternehmensbewertung dazu missbraucht, einen a priori festgelegten Standpunkt zu unterstützen. Eine dieser nur allzu menschlichen Eigenschaften, die Gier, dürfte letztlich die Hauptursache für die Entstehung von Bewertungsblasen sein, eine Erkenntnis, zu der Sir Isaac Newton bereits im Jahre 1720 gelang, als er nach horrenden Verlusten an der Börse meinte „I can calculate the motions of the heavenly bodies, but not the madness of the people“31. Ein Investor bezahlt so lange für eine Aktie, wie er davon überzeugt ist, sie morgen zu einem höheren Preis verkaufen zu können, das heißt, solange er glaubt, dass die Bewertungsblase weiter anwächst. So lange viele Investoren an eine Vergrößerung der Blase glauben, wird diese auch in einer Art selbsterfüllender Prophezeiung weiter wachsen. Gemäß der Bigger Fool-Theorie treten Bewertungsblasen meist während einer Phase der Euphorie auf, wenn Investoren gar nicht anders können als an weiter steigende Kurse zu glauben. Gordon Gekkos Credo „Gier ist gut!“32 gilt solange, bis der Tag kommt, an dem die Blase platzt und die Aktien wieder auf ihr fundamental gerechtfertigtes Kursniveau zurückfallen. Diese nur allzu menschlichen Eigenschaften sind es, die wiederum den Chartisten Auftrieb verschaffen, denn wenn sich Aktienkurse nach psychologischen Mustern verhalten, besteht immerhin eine Chance, dass sich diese Muster wiederholen und man daraus Nutzen ziehen kann. Fundamentale Bewertungsfaktoren können daher immer nur für einen bestimmten Zeitraum außer Gefecht gesetzt werden. Das temporäre Auftreten von Bewertungsblasen steht damit nicht im Widerspruch mit den Methoden der fundamentalen Unternehmensbewertung, zumal Studien belegen, dass insbesondere unter den Werten der zweiten und dritten Reihe Fehlbewertungen häufiger sind als unter den Large Caps aus DAX und EuroStoxx. Small, Micro und Nano Caps ohne regelmäßige professionelle Research-Betreuung tauchen nicht auf den Radarschirmen der institutionellen Fondsmanager auf, so dass sie – bei gleichem Risiko – höhere Durchschnittsrenditen erwirtschaften als größere Unternehmen33. Anomalien im Verhalten von Investoren können durchaus mit der fundamentalen Aktienanalyse synchronisiert werden. Nachdem ein Kurseinbruch regelmäßig Zitiert nach Biggs (2006, S.€181). Aus dem Hollywood-Blockbuster Wall Street (1987) von Oliver Stone. 33╇ Vgl. Schwert (1983) oder Keim (1983). 31╇ 32╇
1.3â•… Effiziente Märkte und rationales Verhalten
19
schneller abläuft als ein Kursanstieg – getreu dem Wall Street-Motto „Market sells first and asks questions later“34 –, dürfte an den Kapitalmärkten die Angst der klar bedeutendere Faktor sein. Aus Angst, Geld zu verlieren, legen Anleger häufig eine Herdenmentalität an den Tag, so dass Aktien binnen Tagesfrist selbst aufgrund von relativ bedeutungslosen Meldungen 20€% oder schon mal 30€% an Wert verlieren. Medientechnisch sollen meist „automatisierte Verkaufsprogramme“ Schuld an der Baisse gehabt haben, doch in Wirklichkeit war es die kollektive Angst. Dass bei Kapitalmarktteilnehmern ein klassisches Lemming- oder Herdenverhalten konstatiert werden kann35, ist statistisch signifikant. Eine Ausprägung davon sind die von Analysten verfassten Berichte, die zu überraschend einheitlichen Ergebnissen kommen und mehr oder weniger weit um den Consensus gestreut sind. Dementsprechend stehen Finanzanalysten in der Kritik: Sie gelten als überbezahlt und arrogant, sind fachlich bestenfalls Trendfolger, die kurzfristige Orientierungen sowohl der Investoren als auch der bewerteten Unternehmen unterstützen, welche sie womöglich auch noch dafür entlohnen. Als Bewertungsblasen verstärkender Faktor sind sie entweder naiv, opportunistisch oder beides und in jedem Fall interessenverwoben. Kritikern zufolge versuchen sie morgen zu erklären, warum Ereignisse, die sie gestern prognostiziert haben, heute nicht eingetreten sind. Mitte der 90er Jahre traten Sell-side- oder Broker-Analysten unvermittelt ins Rampenlicht des Kapitalmarktes, weniger als unabhängige Bewerter von Unternehmen, sondern als deren Vermarkter. Wenngleich die Fälle, in denen Analysten begründetes Versagen vorzuwerfen ist, auf wenige Personen wie Henry Blodget36 beschränkt blieben, ist doch festzuhalten, dass sie als Angestellte von Banken tätig waren, deren ureigenstes Interesse es sein muss, die Geschäftsbeziehungen zu ihren börsennotierten Kunden nicht durch Verkaufsempfehlungen zu gefährden. Auch heute ist die Zahl der ausgesprochenen Sell-Ratings deutlich niedriger als die von Kaufempfehlungen, ja bereits die Herabstufung einer Aktie von Strong Buy auf Buy wird mancherorts als verstecktes Sell-Rating interpretiert. Wer Dritt-Research übernimmt, sollte diese Restriktionen stets im Hinterkopf behalten. Der Analyst ist ein engagierter Vertreter seines Standpunkts, nicht unbedingt ein neutraler Beobachter. Die Aufgabe des Investors ist es, aus verschiedenen Analystenmeinungen die ihm wahrscheinlichste auszuwählen. Man könnte die Arbeit der Analysten als reine Extrapolation von Vergangenheitsdaten bezeichnen. Doch das wäre ungerecht. In der Regel basieren Analystenschätzungen auf der bisherigen Performance des Unternehmens und – vor allem – der Guidance des Managements. Insofern kann die Schätzung des Analysten immer nur so gut sein wie die Erwartungen des Managements im wettbewerblichen Umfeld. Dass eine von der IR-Abteilung veröffentlichte Ertragsplanung optimistisch ist, ist nachvollziehbar; vermutlich wurde in der gesamten Geschichte des KapiEdmans (2007, S.€3). Vgl. Scharfstein und Stein (1990). 36╇ Der Leiter des globalen Internet Research Teams von Merrill Lynch wurde 2002 von der SEC wegen Wertpapierbetrugs verklagt. Ohne je zu den Vorwürfen Stellung genommen zu haben, akzeptierte er eine Strafe und Schadensersatzzahlungen in Höhe von insgesamt 4€Mio.€$. 34╇ 35╇
20
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
Abb. 1.4↜渀 Die Teilnehmer der Börse
Eigentümer Investoren
Unternehmen Börsen Research Reports
Investor Relations
Finanzanalysten
talmarktes noch kein pessimistischer Finanzplan geschrieben: Umsätze werden im Zeitablauf immer ansteigen und operative Margen werden sich immer auf direktem Weg und ohne Unterbrechung ihren angestrebten Zielwerten annähern. Dennoch wird der Analyst von der Management-Guidance nur abweichen, wenn außergewöhnliche Gründe dafür sprechen. Als solche gelten Erfahrungswerte, die ein Analyst in der Vergangenheit mit der Management-Guidance machen durfte: Ist ein Vorstand grundsätzlich zu optimistisch („Overpromising“ bzw. „Underachieving“), so wird der Analyst Abstriche von dessen Prognosen machen. Lässt der Vorstand tendenziell eher Luft nach oben, liegt auch der Analyst unter Umständen mit seinen Schätzungen leicht über der Guidance. Bestes Beispiel aus den letzten Jahren war sicherlich die Kultmarke Apple, das im Zeitraum 2008 bis 2010 die eigene Guidance Quartal für Quartal um durchschnittlich 41€% übertraf. Im Regelfall verhalten sich Analysten jedoch eher unkritisch gegenüber den Prognosen des Vorstands, obwohl sich Studien37 zufolge die Management-Guidance in der überwiegenden Mehrheit als zu optimistisch erweist. Liegen die berichteten Ergebnisse der Unternehmen dann deutlich über oder unter den Consensus-Schätzungen, ist es naheliegend, dass auch die Analysten auf breiter Front ihre Ergebnisschätzungen, Kursziele und Anlageurteile den neuen Gegebenheiten anpassen. Kein Wunder also, dass die überwiegende Mehrheit von Kurszieländerungen im Anschluss an die Berichtstage stattfindet, denn „Wisdom teaches that it is better for reputation to fail conventionally than to succeed unconventionally“38. Unterjährig kommt es von Seiten der Analysten eher selten zu einer Anpassung der Anlageurteile (Abb.€1.4). 37╇ 38╇
Vgl. zum Beispiel: Everts (2007). Keynes (1936, S.€158).
1.3â•… Effiziente Märkte und rationales Verhalten
21
So ist es wenig verwunderlich, dass manche Investoren (und viele Journalisten) der Meinung sind, Aktienkurse würden stärker von der aktuellen Ertragslage beeinflusst werden als von der langfristigen Ertragsentwicklung. Betrachtet man die Kursentwicklung nach einer überraschend ausgesprochenen Gewinnwarnung, könnte man in der Tat zu dieser Schlussfolgerung gelangen. Bereits vor mehr als 70€ Jahren machte Keynes die Beobachtung, dass Kapitalmärkte wie Schönheitswettbewerbe funktionierten. In Schönheitswettbewerben sei es nicht das Ziel, diejenige Dame auszuwählen, die man selbst für die Schönste halte, sondern diejenige, von der man glaubt, dass sie von anderen als die Schönste befunden wird39. Übertragen auf die Kapitalmärkte bedeutet dies, dass es weniger wichtig ist, die tatsächlichen Ertragsströme zu prognostizieren als die zukünftigen Consensus-Schätzungen. Doch nicht die neue Information über die aktuelle Ertragslage ist ursächlich für den Preisverfall, sondern die Schlussfolgerungen, die Analysten und Investoren daraus über die langfristige Ertragsentwicklung ziehen. Nur wenn der Kapitalmarkt die neue Information als Zeichen einer langfristigen Ertragsverschlechterung betrachtet, wird es auch zu einem unmittelbaren Kursverfall der Aktie kommen. Ohnehin wird von verschiedener Seite gegen die fundamentale Aktienanalyse vorgebracht, dass in Aktienkursen zu jedem beliebigen Zeitpunkt sämtliche existierenden Informationen – öffentlich verfügbare Informationen, aber auch Insiderinformationen – vollständig verarbeitet wurden. In dieser Welt seien verschiedene Mechanismen und treibende Kräfte stark genug, dass sich Aktienkurse nicht zu weit von ihrem inneren Wert entfernten und innerhalb dieses engen Korridors um diesen schwankten. Börsenkurse spiegeln damit stets den inneren Wert einer Aktie wider, keine Aktie wäre mehr über- oder unterbewertet, so dass zusätzliche Erkenntnisse durch weitere Informationsbeschaffung und –aufbereitung zwecklos wären. Diese vollständige Informationseffizienz ist nur schwer verdaulich, denn vermutlich dürften selbst die Kinder von Vorstandsvorsitzenden vom Frühstückstisch mehr Informationen über das Unternehmen mitbekommen als selbst die am besten informierten Finanzanalysten sich je beschaffen könnten. Hätte kein Marktteilnehmer, selbst mit präzisen Insiderinformationen versorgt, mehr die Möglichkeit, aus seinen Kenntnissen ein Alpha, also eine Überrendite, zu erzielen, würde eine auf Fundamentaldaten basierende Wertpapieranalyse keinen Sinn machen, sie wäre ein kostspieliges Hobby der Investoren und ihre Performance eine reine Glückssache. Ein Dartpfeile werfender Affe würde dieselbe Performance erzielen wie der erfahrenste Fondsmanager und der bestbezahlte Finanzanalyst40, eine Theorie, die seit Jahrzehnten immer wieder veröffentlicht wird. Trotz der inne wohnenden Polemik dieses Vergleichs haben sich, diesen Lehren41 folgend, in den 1970er Jahren tatsächlich nicht wenige institutionelle Investoren von Unternehmensbewertungen völlig Vgl. Keynes (1936, S.€140). Der Grundgedanke geht wohl auf Paul Samuelson zurück, wird jedoch immer wieder gerne von Finanzjournalisten aufgegriffen, vgl. zum Beispiel Pauly und Reuter (2000). 41╇ Diese so genannten Markteffizienzthese ist allerdings kein theoretisches Gebäude, sondern nur eine Definition, die Eugene F. Fama in den 70er Jahren (vgl. Fama 1970, S.€383) aufgestellt hat: „A market in which prices always ‚fully reflect‘ available information is called ‚efficient‘â•›“. 39╇ 40╇
22
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
verabschiedet. Wofür wiederum Warren Buffett äußerst dankbar war, der 1985 in seinem Aktionärsbrief meinte, dass „we are enormously indebted to those academics: what could be more advantageous in an intellectual contest…than to have opponents who have been taught thinking is a waste of energy?“42. Spätestens seit Akerlofs Limonenproblem43 steht die Informationsineffizienz außer Frage. Wären Märkte effizient, könnte ein Investor für ein Wertpapier jeden beliebigen Preis bezahlen, es wäre stets der richtige. Nach dieser „Der-Markt-hatimmer-Recht“-Mentalität wären Abweichungen vom wahren Unternehmenswert allein das Ergebnis zufälliger Kursbewegungen. Sind Kapitalmärkte dagegen nicht effizient, wird sich der Aktienkurs in regelmäßigen Abständen auch weiter vom „wahren“ Wert entfernen und zwar auch längerfristig, und diese Abweichung würde die Existenz einer professionellen Unternehmensanalyse rechtfertigen: Diejenigen, die den inneren Unternehmenswert besser berechnen als andere, werden eine bessere Performance erzielen. Gleichzeitig tun sie dies im Glauben an die langfristige Effizienz der Kapitalmärkte, denn wie sonst sollten sich die Fehlbewertungen korrigieren, die Investoren im Glauben, Kapitalmärkte wären ineffizient, in unter- oder überbewerteten Aktien zu entdecken hoffen? Damit ist man wieder am Anfang, denn wären die Kapitalmärkte tatsächlich effizient, würden Investoren aufhören, nach unterbewerteten Aktien zu suchen, weil jede Informationsbeschaffung sinnlos wäre. Diese Inaktivität würde aus effizienten Kapitalmärkten rasch ineffiziente machen. Man muss sich effiziente Kapitalmärkte also als Korrekturmechanismus vorstellen, der durch informierte Marktteilnehmer angestoßen wird und dafür sorgt, dass die in regelmäßigen Intervallen auftauchende Ineffizienz beseitigt wird. Und zwar umso schneller, je einfacher die Erkenntnis eines Investors, eine Aktie wäre fehl bewertet, von anderen geteilt werden kann. Zum Glück wurde selbst von Eugene Fama die extreme Version der Markteffizienzhypothese am Ende abgelehnt.44 Allein dass nur ein sehr geringer Prozentsatz der Investoren jemals einen Wertpapierprospekt – neben dem Geschäftsbericht das wichtigste einzelne Dokument eines Unternehmens – von vorne bis hinten und sorgfältig durchgelesen haben dürfte, zeigt, dass eine strikte Auslegung der Effizienzhypothese nicht der Realität entsprechen kann. Aber auch dass nur professionelle Kapitalmarktteilnehmer Zugang haben zu unabhängigen Finanzdienstleistern wie Bloomberg oder Reuters, dass sich aber auch frei verfügbare Informationen nur wenige beschaffen wollen, obwohl dies im Zeitalter des Internets problemlos möglich wäre, ist ein schlagkräftiges Argument. Und selbst wenn Informationen wichtig wären, zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass der Zwang vereinzelter Marktteilnehmer, alles über ein Unternehmen wissen zu wollen, nicht in jedem Fall einen performancerelevanten Informationsvorsprung mit sich bringt45.
Buffett und Cunningham (1999, S.€91). Vgl. Akerlof (1970). 44╇ „The extreme version of the market efficiency theory is surely false“, siehe Fama (1991, S.€1575). 45╇ Vgl. Montier (2007, S.€135). 42╇ 43╇
1.3â•… Effiziente Märkte und rationales Verhalten
23
Neben der Markteffizienzhypothese ist der vermutlich gravierendste Einwand gegen die Möglichkeit, durch fundamentale Analysemethoden eine systematische Outperformance an der Börse zu erzielen, die messbare Underperformance professioneller Fondsmanager. Sie lässt sich auf die zynische Frage „If you’re so smart, why aren’t you rich?“ reduzieren. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass der Zeithorizont eines Fondsmanagers eher kurzfristig angelegt ist, während Aktien ihre Fehlbewertung erst mittelfristig abbauen. Unterbewertete Aktie sind vielfach nicht gerade en vogue, was die Lage des Fondsmanagers in der Anlageausschusssitzung nicht gerade verbessert. Und schließlich geht es dem Fondsmanager mehr um eine relative Outperformance, gemessen an einer bestimmten Benchmark, und weniger um eine absolute. Daneben hat nicht nur der professionelle Fondsmanager eine Reihe weiterer psychologischer Hürden zu nehmen. Da gibt es ein Phänomen, das in der Theorie des Behavioral Finance als „Confirmation Bias“ bekannt ist. Darunter ist eine unangenehme Eigenschaft des Menschen zu verstehen, dass aus dem zur Verfügung stehenden Informationspool solche Informationen herausgefiltert und eingeschätzt werden sollen, die mit einer voreingenommenen Meinung übereinstimmen. Eine noch gravierendere Eigenschaft ist der „Assimilation Bias“, demzufolge Menschen unter bestimmten Umständen dazu tendieren, alle verfügbaren Informationen als mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmend anzusehen46. Wieder andere Studien unterstellen einen „Conservatism Bias“, wonach Investoren schlichtweg zu konservativ im eigentlichen Sinne des Wortes, mithin zu langsam sind, sich auf Veränderungen der Informationslage einzustellen47. Eine weitere Todsünde ist die als Stockholm-Syndrom bezeichnete „Verbrüderung“ des Investors oder Analysten mit dem Management: Indem sie sich mit dem Vorstand identifizieren verlieren Analysten ihre kritische Distanz zum Unternehmen. Als Folge werden negative Unternehmensmeldungen positiver interpretiert als sie für den weiteren Kursverlauf der Aktie sein werden, und die Guidance des Managements wird unbesehen und insbesondere ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Leistungsbilanz des Managements übernommen. Diese theoretischen Gedanken lassen sich auch in empirischen Studien belegen. Eine Umfrage des US-Ökonomen Robert Shiller unter 1.000 institutionellen, also professionell am Kapitalmarkt aktiven Investoren hat ergeben, dass mehr als 90€% derjenigen, die vor dem Schwarzen Montag am 19.10.1987 ihre Aktien nicht verkauft haben, zwar der Meinung waren, die Aktienmärkte seien überbewertet, aber gehofft hatten, sie könnten ihre Aktienbestände noch rechtzeitig vor dem unweigerlich bevorstehenden Abschwung verkaufen48. Das verdeutlicht, dass den institutionellen Anlegern tatsächlich bewusst ist, dass sie sich in einer Bewertungsblase befinden, dass sie Aktien zu einem Wert erworben haben, der deutlich über ihrem fundamental gerechtfertigten Wert liegt, dies aber dennoch getan haben, weil sie glaubten, diese zu einem noch weniger gerechtfertigen Preis verkaufen zu können.
Vgl. Lord et€al. (1979) oder Westen et€al. (2004). Vgl. Bodie et€al. (2008). 48╇ Vgl. Shiller (1987). 46╇ 47╇
24
1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
Wie meinte schon Dürrenmatt: Das Rationale am Menschen sind seine Einsichten, das Irrationale, dass er nicht danach handelt.
1.4 Ursachen für Bewertungsauf- oder -abschläge Dass es so etwas wie Bewertungsauf- oder -abschläge an der Börse gibt, mag in einer rationalen Welt der Zahlen überraschend sein. Doch sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass Wachstum und Profitabilität von qualitativen, auch subjektiven Faktoren abhängig sind. Wie hoch die Bewertungsauf- oder -abschläge im Einzelfall ausfallen, ist von den Marktbedingungen abhängig: Tendieren die Aktienmärkte in ihrer Gesamtheit nach oben, verringern sich die Auf- oder Abschläge, in Bärenmärkten dehnen sie sich dagegen aus, zum Teil auf bis zu 30€% des über ein Bewertungsverfahren hergeleiteten Wertes. Im Folgenden sollen nicht jene Faktoren durchleuchtet werden, die bereits in der eigentlichen Unternehmensbewertung ihren Niederschlag gefunden haben. Dies würde eine Doppelzählung implizieren. Dass ein Unternehmen mit einer höheren Profitabilität, einem geringeren systematischen Risiko oder mit einer höheren Gewinnwachstumsrate eine höhere Bewertung genießen wird als ein riskanterer, weniger profitabler und langsamer wachsender Wettbewerber, ist unmittelbar einleuchtend und soll daher nicht Gegenstand dieses Kapitels sein. Überwiegend geht es nun um qualitative Faktoren, die in der Unternehmensbewertung meist nicht erfasst werden können. Die wenigsten Fondsmanager würden eine Anlageentscheidung treffen, bevor sie sich nicht selbst einen persönlichen Eindruck von den Managementqualitäten gemacht haben oder, falls zu diesem keine Zugriffsmöglichkeit besteht, zumindest von der Professionalität der IR-Abteilung49. Möglichkeiten hierfür gibt es viele – auch für nicht-professionelle Anleger: Auf Hauptversammlungen, über Videokonferenzen im Internet, bei Telefonkonferenzen im Anschluss an die Veröffentlichung von Quartalszahlen, telefonisch oder im persönlichen Gespräch mit dem CEO, dem CFO oder dem IRO. Als Faustregel hat sich bewährt, dass ein schwaches Management selbst mit einem guten Produkt keine den Kapitalmarkt überzeugenden Renditen erwirtschaften wird, während ein gutes Management auch mit einem schlechten Produkt durchaus reüssieren kann. Die Reputation des Managementteams kann sogar ursächlich für eine signifikante Bewertungsprämie sein: Man denke nur an Steve Jobs und seine Bedeutung für Apple oder an den Einfluss von Wendelin Wiedeking auf den Verlauf der Porsche-Aktie während der letzten beiden Jahrzehnte. In dieselbe Richtung deuten auch die Fähigkeiten des Managements, das Geschäft planen und diese Plandaten dem Kapitalmarkt kommunizieren zu können, also das, was gemeinhin unter „Track-Record“ subsumiert wird. Obgleich qualitativen Charakters kann dieser durchaus vermessen werden, zum Beispiel über die prozentuale Abweichung der Ist-Zahlen von den Plan-Daten, wie sie in der jährlichen Diversen Studien zufolge weisen von Eigentümern geführte Unternehmen eine bessere Performance auf als von Managern geführte Unternehmen; vgl. zum Beispiel Hasler (2004).
49╇
1.4â•… Ursachen für Bewertungsauf- oder -abschläge
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Guidance veröffentlicht werden. Üblicherweise erfolgt die Bekanntgabe dieser Management-Guidance in Quartalsberichten unter dem Stichwort „Prognose“ oder „Ausblick“. In den meisten Fällen erfolgt eine Vorausschau von Konzernumsatzund -ergebniszahlen, in seltenen Fällen auch von Segmentergebnissen, Beschäftigtenzahlen oder Zahl der geplanten Übernahmen. „Overpromising“ oder „Underachieving“ des Managements wird am Kapitalmarkt als gravierendes Fehlverhalten eingeordnet und insbesondere bei Wachstumswerten mit drastischen Kurskorrekturen bestraft. Unternehmen, die regelmäßig ihre Umsatz- und Ertragsprognose verfehlen, werden daher mit einem deutlichen Bewertungsabschlag gehandelt. Das diametrale Gegenteil, also „Underpromising“ bzw. „Overachieving“, ist notwendig, um nicht das Vertrauen in das Management zu verspielen und entsprechende Fragen über die grundsätzliche Planbarkeit des Geschäftsmodells aufzuwerfen. Während der Vorstand für den Kursverlauf der Aktie wichtig ist, ist der Aufsichtsrat in der Regel von deutlich geringerer Bedeutung. Nur sehr selten ist von unterschiedlichen Einschätzungen der Unternehmensstrategie zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu hören. Bewertungsrelevant wird der Aufsichtsrat im Grunde nur bei Problem- oder Sanierungsfällen: Ein starker, vernetzter Aufsichtsrat verleiht einer Sanierungsstrategie zusätzliche Glaubwürdigkeit, zumal von diesem auch Managementwechsel initiiert werden können. Beispielsweise konnte 2010 erst durch den Wechsel im Aufsichtsrat und die anschließende Umbesetzung des Vorstands der Weg für eine Neugestaltung der Arques Industries AG geschaffen werden. Weitere, aus der Personalseite des Unternehmens stammende Faktoren, die bei einer Bewertung berücksichtigt werden können, sind – insbesondere bei Small Caps – Geschäfte mit nahestehenden Personen, zum Beispiel mit Aufsichtsräten oder Ehepartnern von Vorständen. Auch Directors’ Dealings, also Aktienkäufe oder –verkäufe durch so genannten Insider wie Vorstandsmitglieder oder Aufsichtsräte, zählen in diese Kategorie. Eher selten ist dagegen die Auswahl des Wirtschaftsprüfers für die Unternehmensbewertung von Bedeutung: Insbesondere der unangekündigte Wechsel des Wirtschaftsprüfers oder die Ablösung des Wirtschaftsprüfers durch einen wenig renommierten, kann jedoch für einen Abschlag ursächlich sein. Apropos Small Caps: Grundsätzlich sind Small und Micro Caps, also die an der Marktkapitalisierung gemessenen kleineren Unternehmen des deutschen Kurszettels größeren Risiken ausgesetzt als Large Caps. Ihre Kundenbasis ist ungleich schmaler, ebenso ihre Produktpalette. Ihre Unternehmensgeschichte ist meist relativ kurz, oft ist auch das Geschäftsmodell selbst noch relativ neuartig, so dass die Geschäftsbeziehungen weniger dauerhaft ausgerichtet sind als bei etablierten Unternehmen. Nicht selten ist die Vergangenheit von Wachstumsinvestitionen geprägt, so dass das Unternehmen noch keine Gewinne erzielt. Einzelne Kunden oder Geschäftspartner haben wesentlich größeren Einfluss auf den Periodenerfolg als bei Large Caps, und die Anfälligkeit gegenüber Newcomern ist ungleich größer. Externe Faktoren wie technologischer Fortschritt können den Business Plan wesentlich stärker gefährden als bei Konzernen. Überhaupt existiert eine hohe Abhängigkeit des Unternehmenserfolges von wenigen markanten Faktoren. Auch aktientechnisch weisen Small Caps ein Defizit auf: Die Anlagerichtlinien vieler Publikumsfonds oder Family Offices gestatten nicht den Erwerb von Unternehmen mit einer Markt-
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
kapitalisierung unterhalb bestimmter Schwellen. Hierbei spielt neben der Marktkapitalisierung die Liquidität einer Aktie eine Rolle: Grundsätzlich sind Anteile an börsennotierten Unternehmen zwar jederzeit verkäuflich, die Zeitspanne, innerhalb der eine bestimmte Position verkauft werden kann, ist aber tendenziell umso länger, je geringer die frei handelbare Marktkapitalisierung ist. Denn der Börsenumsatz ist eine Funktion der Marktkapitalisierung: Als Daumenregel kann festgehalten werden, dass die Marktkapitalisierung des Free Float einmal pro Jahr an den Börsenplätzen umgesetzt wird. Bei einem Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 500€Mio.€€ und einem Free Float von 50€% werden bei unterstellten 240 Handelstagen durchschnittlich Aktien in Höhe von rund 1€Mio.€€ pro Tag an den deutschen Börsen umgesetzt. Unter Umständen kann ein Investor seine Position also nur durch einen langwierigen und kostenintensiven strukturierten Verkaufsprozess glatt stellen50. Wie bedeutsam Transaktionskosten für die Kursentwicklung einer Aktie sein können, zeigt ein Blick auf den wichtigsten deutschen Börsenplatz, die Frankfurter Wertpapierbörse: In deren reguliertem Markt – also dem Prime Standard (363) bzw. dem General Standard (317) – und ihrem Freiverkehr – also dem Entry Standard (119) und dem Open Market (10.220) – sind insgesamt mehr als 11.000 Unternehmen gelistet. Nach Angaben der Deutschen Börse entfallen auf den DAX30 ca. 95€% der Handelsumsätze eines durchschnittlichen Börsentags, das heißt, dass sich überschlägig 11.000 Unternehmen die verbleibenden 5€% untereinander aufteilen. Für sie bedeutet dies einen durchschnittlichen Handelsumsatz von weniger als 400.000€€ je Titel und Handelstag. Darüber hinaus existiert bei Unternehmen mit unregelmäßig stattfindendem Börsenumsatz im Zweifel auch keine vollständige Kurstransparenz. Investoren mit einem kürzeren Zeithorizont und mit einem stärkeren Bedürfnis nach jederzeitiger Liquidität werden daher einer Aktie mit niedrigem Börsenumsatz einen größeren Bewertungsabschlag zuordnen als Investoren mit einem langfristig ausgerichteten Anlagehorizont und geringeren Bedürfnissen nach Liquidität. Ein objektives Maß für die Höhe dieses Liquiditätsabschlags gibt es nicht, Studien zufolge reichen die Abschläge von 20€%51 bis 35€%52. Um das Ausmaß der Subjektivität einzuschränken kann es sinnvoll sein, die illiquide Aktie mit einer liquiden zu vergleichen und daraus den Liquiditätsabschlag zu berechnen. Angenommen, ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 50€Mio.€€ plant, Cashflows von 5,0€Mio.€€ zu erwirtschaften. Sein in punkto Risiko vergleichbares liquides Pendant wird mit einer Marktkapitalisierung von 5,0€Mrd.€€ voraussichtlich Cashflows von 600,0€Mio.€€ erwirtschaften. Die implizite Rendite auf das eingesetzte Kapital der illiquiden Aktie liegt bei 10,0€%, die des liquiden Titels bei 12,0€%. Die Differenz von 2,0€% entspricht dann dem Liquiditätsabschlag. Auch der so genannte IPO-Abschlag, ein geforderter Zeichnungsanreiz zum Börsengang, ist als Liquiditätsabschlag einzustufen. Dieser Abschlag begründet Vgl. Loeb (1983), der die Gesamtkosten für den Kauf und Verkauf von Aktien eines Small Cap im Wert von 5.000€$ mit 17,3€% des Investitionsvolumens angibt. 51╇ Vgl. Johnson (1999). 52╇ Vgl. Silber (1991). 50╇
1.4â•… Ursachen für Bewertungsauf- oder -abschläge
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sich zum einen aus der klassischen Informationsasymmetrie, wonach der Verkäufer eines nicht börsennotierten Unternehmens über einen Informationsvorsprung gegenüber den zukünftigen Investoren verfügt. Die Tatsache, dass der Verkäufer überhaupt seine Aktien zu verkaufen bereit ist, wird als Indiz dafür angesehen, dass das Unternehmen die „beste Zeit hinter sich hat“. Der Verkäufer muss also auf einen Teil des inneren Unternehmenswertes verzichten, um den Börsengang überhaupt zu ermöglichen. Dieser Abschlag ist gleichzeitig der Preis dafür, dass er seine ansonsten illiquiden Anteile in jederzeit fungible Aktien umwandeln kann. Von Bedeutung für die Bewertung ist auch das jeweilige Marktsegment, bzw. präziser, das dem Marktsegment zugrundeliegende Transparenzniveau (Prime Standard vs. General Standard, regulierter Markt vs. Entry Standard bzw. Open Market). Verglichen mit den Transparenzstandards in angelsächsischen Ländern waren die von der Deutschen Börse nach Abschaffung des Neuen Marktes geschaffenen Marktsegmente, was die Informationsverpflichtungen der Unternehmen anbelangt, kein Schritt in die richtige Richtung: Waren Unternehmen des Neuen Marktes wenigstens noch verpflichtet, vollständige Quartalszahlen in deutscher und englischer Sprache inklusive Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Kapitalflussrechnung zu veröffentlichen, sind die Veröffentlichungspflichten bei Unternehmen des Entry Standard deutlich milder: So ist es am Entry Standard nicht verpflichtend, zu den Quartalszahlen ein umfangreiches Finanz-Reporting zu veröffentlichen, ebenso wenig ist ein Bericht für das erste oder dritte Quartal verpflichtend, und auch eine Übersetzung der Finanzberichte in die englische Sprache können sich Unternehmen ersparen. Dass dadurch mehr als 90€% der internationalen Finanzmarktgemeinde von einer Anlage in die Aktie ausgeschlossen werden, nimmt man schulterzuckend hin. Und auch zu regelmäßigen Analystenveranstaltungen oder Telefonkonferenzen, etwa nach Veröffentlichung der Jahresabschlusszahlen, besteht für Entry Standard-Unternehmen keine Verpflichtung. Kurzum: Durch die Schaffung des Entry Standards wurde in Deutschland ein Marktsegment geschaffen, das von den Transparenzanforderungen nicht mit international gängigen Standards mithalten kann. Zwar wird das geringere Transparenzniveau in den meisten Fällen keine Auswirkungen auf den Kurswert haben, in einigen aber schon: Beinahe unbemerkt von der Außenwelt kann ein Unternehmen in die Insolvenz gehen, weil sich das Geschäftsumfeld so schnell geändert hat, dass dies aufgrund der nur halbjährlichen Berichterstattungspflicht für einen Außenstehenden kaum nachvollzogen werden kann. Insofern mag der deutsche Aktienmarkt insbesondere gegenüber angelsächsischen Ländern vereinzelt als unterentwickelt betrachtet werden, kein Wunder also, dass Vertreter der Deutsche Börse AG nachgerade verstört reagieren, wenn sie auf Abschläge aufgrund der für das Entry Standard-Segment relevanten Veröffentlichungspflichten hingewiesen werden. Sind Finanzberichte nicht transparent oder ist der zeitliche Abstand zwischen zwei Veröffentlichungsterminen zu groß, erschwert dies die Unternehmensanalyse beträchtlich. Wie später gezeigt wird, ist der Wert eines Unternehmens abhängig davon, in welchem Umfang es investiert und wie profitabel diese Investitionen sind. Wenn ein Unternehmen diese Angaben durch eine unregelmäßige oder intransparente Berichterstattung verschleiert, kann keiner der beiden Inputfaktoren adäquat
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
300
Daimler
250
200
DaimlerChrysler
Daimler-Benz
150 100
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
0
1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
50
Abb. 1.5↜渀 Umfang des Geschäftsberichts, 1979–2010. (Quelle: Unternehmensangaben)
prognostiziert oder kommentiert werden. Ähnliches gilt für die Diskontierung der Cashflows: Um die Kapitalkosten eines Unternehmens zu bestimmen, ist die Kenntnis der gesamten Verschuldung erforderlich. Werden Teile der Verschuldung unterjährig in außerbilanzielle Positionen verlagert, können Insolvenzrisiko und Kapitalkosten unterschätzt werden. Auf der anderen Seite schießen manche Unternehmen in ihren Bemühungen, die Ansprüche des Kapitalmarktes in allen Belangen zu befriedigen, übers Ziel hinaus. Immer häufiger sind Geschäftsberichte mehr zur zu Verwirrung der Aktionäre geeignet als zu ihrer Information. Der Umfang, den sie mittlerweile eingenommen haben, ist für einen interessierten Investor kaum noch mit einem verhältnismäßigen Zeitaufwand zu bewältigen. Zum Beispiel hat sich die Seitenzahl des Geschäftsberichts von Daimler bzw. seinen Vorgängergesellschaften Daimler-Benz und DaimlerChrysler seit 1979 fast verdreifacht (Abb.€1.5). Daimler ist beileibe keine Ausnahme. Ausgehend von den USA hat sich dieser Trend mittlerweile in allen industrialisierten Ländern durchgesetzt. Im Geschäftsjahr 2009 hatte der durchschnittliche Geschäftsbericht eines DAX-Unternehmens einen Umfang von nicht weniger als 250 Seiten (Tab.€1.1). Auch bei der Analyse ausländischer Unternehmen können für einen deutschen Investor Informationsdefizite auftauchen. Diese können sprachliche Ursachen haben, etwa weil die englische Übersetzung des Geschäftsberichtes der muttersprachlichen Version (zum Teil Wochen) hinterherhinkt, oder aus unterschiedlichen Rechnungslegungsvorschriften herrühren (was sich durch die in vielen Ländern mittlerweile übliche Akzeptanz des IFRS-Reporting deutlich abgeschwächt hat). Während große, multinationale Unternehmen, die so genannten Large Caps, mit einem großen Anteil an institutionellen Aktionären, einem ungeschriebenen Codex folgend Quartalsberichte sowohl in ihrer Heimatsprache als auch in Englisch zeitgleich veröffentlichen, meiden kleinere Unternehmen häufig diesen Aufwand, was sich natürlich auch in der Aktionärsstruktur niederschlägt. Auch die Informations-
1.4â•… Ursachen für Bewertungsauf- oder -abschläge Tab. 1.1↜渀 Umfang von Geschäftsberichten, DAX Geschäftsjahr 2009. (Quelle: Unternehmensangaben)
Name
Anzahl Seiten Deutsche Bank 432 Allianz 374 Volkswagen 370 Münchener Rück 358 Siemens 350 Commerzbank 330 ThyssenKrupp 276 Bayer 274 E.ON 272 SAP 265 Daimler 260 BMW 254 248 Kâ•›+â•›S Deutsche Börse 240 Deutsche Telekom 238
29 Name
Anzahl Seiten Linde 236 Adidas 229 Deutsche Lufthansa 227 Deutsche Post 226 RWE 221 Metro 218 BASF 216 Infineon 214 Fresenius 205 Fresenius Medical Care 205 Merck 174 MAN 172 HeidelbergCement 168 Henkel 144 Beiersdorf 133
lage zu gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen, zu behördlichen Maßnahmen oder gesetzlichen Vorschriften wird sich in anderen Ländern nicht mit Deutschland vergleichen lassen, sowohl was die Verfügbarkeit als auch was die Zuverlässigkeit der Daten anbelangt. Für einen Investor bedeutet dies, dass er Fakten durch Prognosen ersetzen muss, was das Risiko der Aktienanlage naturgemäß vergrößert. Neben den Abschlägen für eine unterdurchschnittliche Transparenz können an den Kapitalmärkten regelmäßig Konglomeratsabschläge beobachtet werden53. Ein Konglomerat ist ein Unternehmen, das in unterschiedlichen Geschäftsbereichen tätig ist. Prominente Beispiele hierfür sind ThyssenKrupp oder Siemens. Investoren bevorzugen grundsätzlich Pure Plays gegenüber Mischkonzernen, da sie, so ihre Argumentation, selbst für die Branchenallokation verantwortlich sein wollen. Darüber hinaus zeigt die Empirie, dass Fokussierung und nicht Diversifizierung die höchsten Renditen auf das eingesetzte Kapital gebracht hat; dies liegt vor allem an der hohen Komplexität von Konglomeraten oder stark diversifizierten Unternehmen, die nur schwer beherrschbar erscheint. Nur falls ein Unternehmen vor der Eingliederung in das Konglomerat schlecht geführt worden ist, so dass sich eine Turnaround-Gelegenheit ergibt, oder wenn echte Synergieeffekte gehoben werden, kann ein Unternehmensverbund sinnvoll sein. In der Regel ist der Wert, den der Kapitalmarkt einem Konglomerat zugesteht, daher niedriger als die Summe seiner Einzelteile. Ursächlich für diesen Discount ist nicht die Tatsache, dass das Unternehmen diversifiziert ist; dies würde kontraproduktiv zur Markowitzschen Lehre stehen; ursächlich für den Abschlag sind insbesondere Steuerverpflichtungen, die entstehen, wenn man das Konglomerat aufspalten würde. Vergleichbar den Konglomeratsabschlägen sind Holdingdiscounts einzuordnen. Auch diese resultieren vorwiegend aus der Abneigung der Investoren, in ein vorgegebenes Portefeuille von Beteiligungen zu in53╇
Vgl. Villalonga (2000).
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1â•… Grundlagen der Bewertung börsennotierter Unternehmen
vestieren und sich dieses nicht selbst zusammenstellen zu dürfen. Darüber hinaus sind in Holdinggesellschaften häufig hohe Verwaltungsaufwendungen festzustellen, die, über die Zeit diskontiert, zu einer Reduzierung des Unternehmenswertes führen. Auch die Aktionärsstruktur kann für ein Unternehmen bewertungsrelevant sein. Unmittelbar einleuchtend ist, dass die ein Unternehmen kontrollierenden Mehrheitsaktionäre über größere Rechte verfügen als die Masse der Minderheitsaktionäre. Diese Kontrollprämie bestimmt sich nicht nur über die juristische Komponente, sondern auch und vordringlich über das wirtschaftliche Potenzial der Kontrollprämie. Insbesondere bei profitablen Unternehmen darf der zusätzliche Wert einer kontrollierenden Mehrheit nicht vernachlässigt werden54. Von besonderer Bedeutung für die Unternehmensbewertung ist der Markenname. Zu seiner Bestimmung könnte man den Wert eines vergleichbaren Unternehmens – falls vorhanden – ohne entsprechendes Markenimage bestimmen und vom Wert des Markenunternehmens abziehen. Die Differenz wäre dann der Wert des Markennamens. Die Einbeziehung von Markennamen in die Unternehmensbewertung ist allerdings diffizil, da die durch den Markennamen überhaupt erst ermöglichten Erträge in der Bewertung bereits enthalten sind. Mit derselben Argumentation könnte man auch besonders gut ausgebildete Mitarbeiter in die Bewertung aufnehmen, ein Argument, das insbesondere von nicht börsennotierten Unternehmen zum IPO immer wieder gefordert wird. Welcher Anteil der Bewertungsprämie dem Markennamen und welcher den hoch motivierten Mitarbeitern zuzuschreiben ist, lässt sich ex post nicht mehr ermitteln. Zeitlich befristete Patente oder Lizenzen ebenso wie Franchisekonzepte oder Copyrights können dagegen nicht ursächlich für eine Bewertungsprämie sein. Zum einen scheitert eine Wertermittlung, zum anderen sind sie bereits unmittelbar im Cashflow des Unternehmens enthalten. Eine separate Aufnahme in die Bewertung würde einer Doppelzählung gleichkommen. Unternehmen, die regelmäßig Kapitalerhöhungen durchführen, werden an der Börse mit einem Abschlag gehandelt. Der langfristige Durchschnittswert von Kapitalerhöhungen liegt in den USA bei 2€% pro Jahr. Durchschnittlich alle 50€Jahre erhöht damit ein Unternehmen sein Grundkapital. Aufgrund bestehender Informationsasymmetrien zwischen dem Management und der Öffentlichkeit wird das Angebot einer Kapitalerhöhung in der Realität auf Misstrauen stoßen. Potenzielle Investoren werden eine Kapitalerhöhung in der Regel eher als den Versuch des Großaktionärs oder des Managements ansehen, sie an einer zukünftigen Ertragsenttäuschung zu beteiligen als an einer zukünftigen Ertragsüberraschung. Zu den zahlenmäßig eher wenigen operativen Punkten, die einen Bewertungsabschlag bedingen können, ist die Zahl der Kunden zu nennen. Gerade junge Wachstumsunternehmen erzielen häufig einen Großteil der Erlöse mit einem oder mit nur wenigen Kunden. Der Anteil, den die fünf bzw. zehn größten Kunden am Umsatz erzielen, ist für die Bewertung von erheblicher Bedeutung und typischerweise eine der Standardfragen im One-on-One zwischen Vorstand und Fondsmanager. Entfällt einer der Top-Kunden, etwa weil er sich für einen anderen Lieferanten entscheidet oder er in Insolvenz geht, sind erhebliche Umsatz- und Ertragseinbußen die Folge, die kurzfristig kaum kompensiert werden können und damit in die Bewertung aufzunehmen sind. 54╇
Vgl. Pratt (2009, S.€16).
Kapitel 2
Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
2.1 Zitate, Mythen und Erwartungen „Wer Wissen besitzt, trifft keine Vorhersagen. Wer Vorhersagen trifft, der besitzt kein Wissen.“ So schrieb einst Lao-Tse, der legendäre chinesische Philosoph aus dem 6. Jahrhundert v.€Chr. 2500 Jahre später meinte Karl Valentin, dass Prognosen schwierig seien, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen1. In den letzten Jahrtausenden scheint sich also nicht besonders viel getan zu haben, was die Prognose anbelangt, und zwar sowohl im Großen wie auch im Kleinen: Wer hätte vor 30 Jahren den Erfolg des PCs vorhersagen können, wer vor 20 Jahren den Zerfall des Ostblocks, wer vor zehn Jahren die Entwicklung des Internets? Genauso wenig wie Erfindungen lassen sich gesellschaftliche Strömungen, technischer Fortschritt, Veränderungen in persönlichen Verhaltensweisen, Modeerscheinungen oder auch gesetzliche oder regulatorische Eingriffe des Staates oder demografische Entwicklungen vorhersagen, die einen viel größeren Anteil am Wert eines Unternehmens haben können als die detailgenaue und kurzfristige Prognose der Umsätze, Aufwandsquoten oder Beschäftigtenzahlen. Empirischen Untersuchungen zufolge liegen die Fehlerquoten professioneller Finanzanalysten über einen Zeitraum von 24 Monaten denn auch zwischen 93 und 95€ %, auf Sicht von 12 Monaten liegt der Prognosefehler zwischen 43 und 47€%2. Dessen ungeachtet basiert eine ganze Industrie auf dem Versuch, die Zukunft vorherzusagen. Zentraler Bestandteil jedes Broker-Reports ist die Prognose der zukünftigen Umsatz-, Ertrags- und Liquiditätsströme. Sie machen den Löwenanteil der Arbeit eines Finanzanalysten aus und scheinen aus Sicht des Investors entscheidend für seine Performance zu sein. Wie ist dieser Widerspruch möglich? Bei einer Unternehmensbewertung ist es nicht wichtig, jedes einzelne Element der Gewinnund Verlustrechnung und der Bilanz korrekt bis auf die zweite Nachkommastelle vorherzusagen; wichtig ist vielmehr, einen integrierten Business Plan zu erstellen, der einer Überprüfung standhält: Wer eine Verdoppelung der Umsätze prognostiziert, ohne eine Anpassung der Mitarbeiterzahlen einzuplanen oder dies ohne subs1╇ 2╇
Ein Zitat, das vereinzelt auch Winston Churchill und Mark Twain zugeschrieben wird. Vgl. Montier (2008, S.€2).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_2, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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32
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
tantielle Investitionen erreichen will, wird einen Belastungstest sicherlich nicht überstehen. Ein guter Teil des obligatorischen One-on-One zwischen Vorstand und Institutionellem Investor wird daher mit der möglichen Entwicklung des Unternehmens zugebracht, mit der Entwicklung von Umsätzen und den damit verbundenen Investitionen, mit Aufwendungen und Trends bei den Marktanteilen. Weniger geht es dabei um den konkreten Finanzplan, sondern um die diesem zugrunde liegenden Annahmen. Denn eine Finanzplanung zu erstellen basiert nicht auf Wahrsagung, sondern ist die Operationalisierung einer bestimmten Meinung. Diese Meinung muss mit der historischen Performance des Unternehmens und den Finanzplanungen der Wettbewerber3 in Einklang stehen und mit bestimmten Grundregeln des Wirtschaftens, die allerdings dermaßen grundlegend zu sein scheinen, dass sie in der Realität leider häufig gebrochen werden. Eine implizite DCF-Bewertung von Google, Apple und Research in Motion, unzweifelhaft drei Wachstumswerten par excellence, hätte Anfang Januar 2008 ergeben, dass in ihren damaligen Aktienkursen ein durchschnittliches jährliches Wachstum von über 40€% eingepreist worden war, welches diese Unternehmen über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren erzielt hätten müssen. Gewiss, derartige Wachstumsraten scheinen im Bereich des Möglichen, allerdings hätte eine vergleichende Analyse ergeben, dass die drei Unternehmen nicht nur schneller hätten wachsen müssen als alle anderen Unternehmen, die jemals existiert haben, sondern auch, dass sie den Durchschnittswert (von 22€% p.€a.) über den genannten Zeitraum beinahe hätten verdoppeln müssen4. Das Problem ist nun, dass sich über die Techniken, mit denen die Prognosearbeit verrichtet werden soll, in der Literatur nur vereinzelt hilfreiche Hinweise finden. Bestenfalls ist die Finanzplanung eine untergegangene Wissenschaft, denn an Universitäten wird sie nicht gelehrt und selbst MBA-Studenten absolvieren ihren Studiengang ohne tiefer gehendes Wissen buchhalterischer Zusammenhänge. Immerhin wird vermerkt, dass zu einer ordnungsgemäßen Bewertung „aufeinander abgestimmte Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Finanzplanungen“5 aufgestellt werden sollen. Eine wichtige Hilfe bei der Detailarbeit ist eine Regel, die an den Kapitalmärkten ausgesprochen selten verletzt wird. Sie lautet: Der Gewinner von gestern ist der Gewinner von morgen und der Verlierer von gestern ist der Verlierer von morgen6. Diese „Goldene Regel der Ertragsprognose“ besagt, dass sich, sofern keine triftigen Gründe dies verlangen, keine einzelne Aufwandsquote im Zeitablauf dramatisch verändern sollte. Anders als etwa im Sport sind die Trends im realen Wirtschaftsleben sehr viel langfristiger ausgeprägt. Überraschungssieger gibt es kaum, und wenn, dann sind sie noch seltener vorherzusagen als Pokalpleiten von Bundesligisten gegen Amateurvereine. Unternehmen, die eine gute Marktstellung innehaben, 3╇ Lee (1999, S.€414) erklärt diesbezüglich, dass „the essential task in valuation is forecasting“, und dass es Planung wäre, „that breathes life into a valuation model“. 4╇ Vgl. Montier (2010, S.€68). 5╇ Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (2002) Tz.€106. 6╇ Das technische Pendant dieser Regel sind langfristige Trendlinien, so dass die technische und die fundamentale Aktienanalyse doch gemeinsame Wurzeln haben.
2.1â•… Zitate, Mythen und Erwartungen
33
die einen Bestseller im Produktportefeuille haben, die ein visionäres Top-Management beschäftigen und von hohen Markteintrittsbarrieren profitieren, tun dies in der Regel nicht nur eine Periode, sondern viele. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die „ewigen Restrukturierer“ und Dauer-Sanierer, Unternehmen, die gefühlt jedes zweite Quartal eine unvorhergesehene Sonderposition in ihrer Ertragsrechnung verbuchen, die dafür verantwortlich ist, dass letztlich doch das angestrebte Jahresziel verfehlt wurde. Hier tummeln sich Unternehmen mit niedrigem Markenbekanntheitsgrad, schlechtem Image und mangelhafter Kapitalmarktansprache. Sie erwirtschaften Margen, die deutlich unter dem Branchendurchschnitt liegen. Für beide Gruppen gilt, dass ihre Profitabilitätskennziffern, sofern keine exogenen Schocks wie Rezessionen drohen, meist nur in relativ engen Grenzen schwanken. Gemäß dieser Philosophie investiert Warren Buffett, der bereits angesprochene und vermutlich erfolgreichste Investor des letzten Jahrhunderts. Er sucht nach Unternehmen, die einen andauernden Wettbewerbsvorteil aufweisen, die er „economic moats“7 nennt, ökonomische Burggräben also. Je tiefer die Burggräben sind, desto länger gelingt es einem Unternehmen, die Wettbewerber in Schach zu halten und desto länger kann es Renditen erzielen, die höher sind als die Kapitalkosten zu ihrer Erzielung. Moats sind also ökonomische Charakteristika, die es einem Unternehmen ermöglichen, strukturelle Überrenditen zu erzielen. Strukturell bedeutet dabei, dass diese Burggräben geeignet sind, diese Überrenditen über einen längeren Zeitraum zu erzielen. Der Five-Forces-Ansatz von Porter mag helfen, die ökonomischen Burggräben – falls vorhanden – zu identifizieren. Darüber hinaus ergeben sich ökonomische Burggräben • bei immateriellen Vermögensgegenständen wie Markenmacht, Patenten und regulatorischen Gesetzmäßigkeiten: Doch nicht jede Marke ist gleich von einem Burggraben umgeben. Nur wenn sie die maximale Zahlungsbereitschaft des Kunden abschöpfen, wie zum Beispiel bei bestimmten Luxusgüterherstellern, oder helfen, die Suchkosten der Konsumenten zu minimieren und gleichzeitig ein befriedigendes Ergebnis versprechen, wie zum Beispiel bei Google oder Starbucks, haben Marken die Eigenschaft eines economic moats. Kein Burggraben umgibt daher einen Textilhersteller wie Puma, der zwar viel Geld für F&E und Werbung ausgibt, sich aber nicht grundsätzlich von Adidas oder Nike abheben kann. Auch Patente können Burggräben sichern, aber nur über einen begrenzten Zeitraum. Regulatorische Gesetzmäßigkeiten können zwar zeitlich unbefristet sein, sind jedoch nicht markteffizient und können von den politischen Entscheidungsträgern jederzeit in Frage gestellt werden, was den Burggraben zuschüttet – man denke nur an die jährlichen Kürzungen der Solarförderung in Deutschland. • aus dem First-Mover-Advantage, dem Vorteil des ersten, der ein Geschäftsfeld besetzt: Diese können in der Regel in jungen Industrien besetzt werden, wenn die Marktanteile noch nicht fest vergeben und Industriestandards noch nicht etabliert sind. Typische Beispiele für derartige Pioniergewinne, die auch in späteren 7╇
Buffett (1995).
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Phasen des Industriezyklus aufrechterhalten werden konnten, sind Microsoft im Markt für Betriebssysteme, Amazon im Markt für Internetversand oder Google bei Internetsuchmaschinen. • aus kompetitiven Kostenvorteilen, für Warren Buffett der entscheidende Faktor zum Aufbau eines Burggrabens: „But the ultimate key to the company’s success is its rock-bottom operating costs, which virtually no competitor can match“8. Weitere Ursachen für ökonomische Burggräben sind Wechselkosten der Kunden, Netzwerkeffekte und auch die Fokussierung auf eine Nische kann einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Grundsätzlich basiert die Prognose der Geschäftsplanung auf dem Status Quo. Externes Wachstum durch Übernahmen oder der Verkauf von Unternehmensteilen wird nicht in die Planung aufgenommen. Nur wenn sich ein Unternehmen im dauerhaften Akquisitionsmodus befindet und in regelmäßigen Abständen kleinere Konkurrenten übernimmt, kann aus den M&A-Aktivitäten der Vergangenheit ein durchschnittliches Übernahmeziel errechnet werden, das dann in die zukünftige Prognose modelliert wird. Prominentes Beispiel sind Beteiligungsgesellschaften oder Immobilienunternehmen: Bei letzteren könnte aus der durchschnittlichen Zahl der erworbenen Wohnungen der vergangenen Jahre auf die in Zukunft vermutlich zu erwerbenden Wohnungen geschlossen werden. Verhält sich das Unternehmen dagegen erratisch in seinen M&A-Aktivitäten, sollten Übernahmen nicht prognostiziert, sondern mit dem Status Quo verfahren werden. Damit wird bereits angedeutet, dass für eine Unternehmensplanung zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden Vergangenheitsdaten systematisch zu analysieren und um wesentliche betriebsfremde, einmalige oder periodenfremde Posten zu bereinigen sind. Ohne eine detaillierte Kenntnis der in den Jahren vor dem Bewertungsstichtag erwirtschafteten Ergebnisse kann eine Zukunftsprognose zukünftiger Ergebnisse kaum plausibilisiert werden. Kritiker mögen einwenden, dass der deutsche Kaufmann für das Gewesene nichts gibt; diesem sei mit einem Spruch Mark Twains entgegnet, der meinte, dass „History doesn’t repeat itself, but it rhymes“9. Die zur Verfügung stehenden Informationen, also unter anderem Geschäftsberichte, Quartalsabschlüsse, Unternehmenspräsentationen und ad hoc-Meldungen, und zwar sowohl die vom Unternehmen als auch die von seinen wesentlichen Wettbewerbern, sind anschließend in den Datensatz zu integrieren. Der Jahresabschluss stellt dabei die wichtigste einzelne Informationsquelle für einen Aktionär dar. Daher ist es kein Wunder, dass das Management versucht, das Unternehmen im Geschäftsbericht im besten Licht erscheinen zu lassen, sofern dies mit den Buchhaltungsrichtlinien noch irgendwie in Einklang ist. Investoren sollten daher Jahresabschlüsse stets mit einem gehörigen Maß an Skepsis lesen und insbesondere versuchen, das zwischen den Zeilen Befindliche zu erkennen. Von der Bedeutung vergleichbar mit dem Jahresabschluss ist der Wertpapierprospekt, der vor jedem öffentlichen Angebot von Wertpapieren und vor jeder Börsenzulassung an einem geregelten Markt veröffentlicht 8╇ 9╇
Buffett (1995). Zitiert nach Knoop (2010, S.€161).
2.1â•… Zitate, Mythen und Erwartungen
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werden muss. Im Gegensatz zum Jahresabschluss wird der Wertpapierprospekt von den Fachabteilungen des emittierenden Unternehmens (zum Beispiel Rechts- und Steuerabteilung, Rechnungswesen, Investor Relations) und in Zusammenarbeit mit einer oder mehreren Investmentbanken, mit spezialisierten Kanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erstellt, ist jedoch umfangreicher als ein Abschluss und gleichzeitig informativer. Bevor diejenigen Informationen herausgefiltert werden können, die für die Bewertung von Bedeutung sind, müssen zunächst sämtliche am Markt verfügbaren Informationen beschafft werden. Erst nachdem der Investor – ähnlich einem Informationsprozessor – alle verfügbaren Informationen aufgesaugt und komplexe Sachverhalte auf einfache reduziert hat, werden die wesentlichen Treiber der Unternehmensentwicklung offengelegt. Die Treiber, denn in einer komplexen Wirtschaftsordnung wäre es naiv anzunehmen, dass sich Aktienkurse einem einzigen Faktor unterordnen würden. Insofern kann die Unternehmensbewertung mit einem Puzzle verglichen werden: Solange nur einzelne Puzzlestücke auf dem Tisch liegen, ist noch kein Motiv zu erkennen. Je mehr Puzzleteile zusammengefügt werden, desto deutlicher wird das Gesamtmotiv. Aber erst mit dem letzten Puzzlestück erschließt sich dem Investor das Sujet – Kursziel und Anlageurteil. Der Schlüssel für eine aussagekräftige Unternehmensbewertung liegt also in den zur Verfügung stehenden Informationen, besser gesagt, in der Fähigkeit, aus den gesammelten Informationen die richtigen auszuwählen und hieraus auch die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die verwendeten Informationsquellen reichen • von allgemein verfügbaren Daten aus Geschäfts- und Zwischenberichten, ad hoc-Statements, Fact Books und Unternehmensbroschüren, Mitarbeiter- und Aktionärszeitschriften sowie Finanzanzeigen über • allgemein verfügbare, personalisierte Angaben, die ein Investor während der Hauptversammlung, auf Pressekonferenzen, Investorenveranstaltungen oder aus Fernseh- und Radiointerviews erhält, und • allgemein verfügbare, inoffizielle Unternehmensdaten wie Angaben von RatingOrganisationen, Marktforschungsinstituten, Zeitungen und Zeitschriften, Industriekontakte und den Aussagen von Wettbewerbern, bis hin zu • personenspezifischen Daten aus Einzel- oder Gruppengesprächen mit dem Management oder den Investor Relations-Mitarbeitern. Je nach Bedarf sind in einer Unternehmensanalyse mindestens drei10, im Idealfall jedoch bis zu zehn Jahresabschlüsse zu analysieren, da erst dann die Auswirkungen eines kompletten Konjunkturzyklus untersucht worden sein dürften. Nur auf diesem Weg erhält man einen Einblick in die konjunkturelle Abhängigkeit des Geschäftsmodells, in die im Zeitablauf getätigten Investitionen, die Ertragsentwicklung und das unternehmerische Risiko. Darüber hinaus ist (insbesondere bei Wachstumsunternehmen) über die Analyse der Jahresabschlüsse hinaus, auch auf unterjährige Quartalsberichte zurückzugreifen, selbst wenn diese nicht in derselben Granularität 10╇
Vgl. Born (1995, S.€77).
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
publiziert werden wie Jahresberichte11. Anschließend sind die aus der Vergangenheit destillierten Erkenntnisse aufzubereiten, da die aus Jahres- und Quartalsabschlüssen gewonnenen Kennzahlen nicht sofort in geeigneter Form vorliegen. Um eine Vergleichbarkeit der Datenlage gewährleisten zu können, sind insbesondere außerordentliche, nicht wiederkehrende Aufwendungen oder Erträge, sofern sie wesentlich sind, zu bereinigen (siehe im Detail Kap.€ 2.5). Darunter zählen unter anderem Erträge aus dem Erwerb von Unternehmen, so genannte Erträge aus Bargain Purchase, oder Buchgewinne aus dem Verkauf von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, Restrukturierungsaufwendungen beispielsweise aus dem Abbau von Mitarbeitern oder der Schließung von Betriebsstandorten. Ziel muss es sein, die Ertragslage eines Unternehmens möglichst unverfälscht darzustellen. Doch ein Unternehmen ausschließlich anhand von Vergangenheitsdaten zu analysieren ist ähnlich einem Autofahrer, der nur in den Rückspiegel schaut. Basierend auf den Erkenntnissen der Vergangenheit und der Vergleichsunternehmen sind die Ertragskraft am Bewertungsstichtag einzuschätzen und die zukünftigen Erfolgsdeterminanten unter Berücksichtigung der erwarteten Umwelt- und Marktbedingungen zu prognostizieren. Über die Granularität der Finanzplanung gibt es unterschiedliche Meinungen. Wie später gezeigt wird, kann der Prognosezeitraum häufig in mehrere Phasen unterschiedlicher Granularität eingeteilt werden: Die erste Phase umfasst einen Zeitraum von einem bis drei Jahren, in dem detaillierte, vollständig integrierte Planungen der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Kapitalflussrechnung erstellt werden. Nach dieser Detailplanung beginnt die Grobplanung. In dieser mittel- bis langfristigen Prognose wird von den einzelnen Ertrags- oder Bilanzpositionen abstrahiert und Plandaten der ersten Phase werden mehr oder weniger pauschal in die Zukunft extrapoliert. Dabei wird in der Regel mit rückläufigen Wachstumsraten gerechnet. Die dritte Phase des Terminal Value kann über verschiedene Werte berechnet werden; häufig verwenden Analysten einen so genannten „Terminal Value-Multiplikator“, der auf den Barwert des Cashflows im letzten Jahr der Planungsphase angelegt wird. Für die Erstellung der kurz- wie mittelfristigen Unternehmensentwicklung steht folgende Alternative offen: • Zum einen kann das durchschnittliche Wachstum während des vergangenen Konjunkturzyklus ermittelt und für die Prognose der Zukunft herangezogen werden. Vor allem wenn das Unternehmen in einer zyklischen Branche tätig ist, sollte der Prognosehorizont mindestens einen vollständigen Konjunkturzyklus abdecken. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur für stabile Unternehmen in der Reifephase geeignet. Für Unternehmen, die sich noch in ihrer Wachstumsphase befinden, wird sie zu einer tendenziellen Überschätzung des Unternehmenswachstums führen, für unprofitable Unternehmen kann sie gar nicht angewendet werden. • Fehlen kritische Informationen über die Kerndaten eines Unternehmens, könnten die gesuchten Wachstumsraten alternativ aus einer geeigneten Peergroup ab11╇ Insbesondere die detaillierte Aufschlüsselung der Bilanzpositionen kann bei Quartalsberichten entfallen.
2.1â•… Zitate, Mythen und Erwartungen
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geleitet werden. Die Präzision der Ergebnisse ist allerdings von der Ähnlichkeit der Vergleichsunternehmen abhängig (vgl. zu Durchführung und Problemen der Peergroup-Bewertung ausführlich Kap.€7.2). In jedem Fall hat die Prognose des Unternehmenswachstums über eine integrierte Gesamtplanung zu erfolgen, die Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Kapitalflussrechnung umfasst. Warum das so ist, soll ein Beispiel veranschaulichen: Um das vorgesehene Umsatzwachstum zu erreichen müssen mehr Rohstoffe gekauft werden, was Auswirkungen auf die Umsatzkosten, die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie den Bestand an Vorräten hat. Unter Umständen ist der Umsatzanstieg nur durch einen Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten möglich, da bereits an der Kapazitätsgrenze gearbeitet wird oder die bestehenden Anlagen für die Produktion der neuen Produkte nicht geeignet sind. Die dadurch ausgelösten Investitionen in Sachanlagen haben einen Anstieg des langfristig gebundenen Vermögens zur Folge, der in der Regel durch einen Aufbau von Verbindlichkeiten finanziert werden muss. Der Verkauf der Produkte wiederum erfordert die Einstellung zusätzlicher Vertriebsmitarbeiter, bedingt höhere Werbeausgaben, höhere Reisekosten, eventuell auch den Aufbau zusätzlicher Niederlassungen, womöglich auch im Ausland, was mit zusätzlichen Overhead-Kosten verbunden ist, kurzum: auch die sonstigen betrieblichen Aufwendungen steigen an. All diese Positionen stehen in einem bestimmten Gleichgewicht zueinander, dessen Eintritt sich von Unternehmen zu Unternehmen, von Branche zu Branche unterscheidet. Werden einzelne Komponenten nicht richtig geschätzt käme es in der realen Welt rasch zu einer Vollauslastung der Produktionskapazitäten, und die Maschinen würden überlastet ebenso wie die Vertriebs- und Verwaltungsangestellten. Nur durch eine konsistente und integrierte Gesamtplanung des Unternehmens kann ein Kollaps des Systems vermieden werden. Dennoch werden bereits die Grundregeln der Planungskonsistenz in der Bewertungspraxis häufig verletzt, manchmal unbewusst, nicht auszuschließen ist aber, dass dies auch zur Manipulation des Investors geschieht. Um derartigen Tricks auf die Schliche zu kommen, kann man sich der DuPont-Formel behelfen, ein auf dem ROE basierender, weithin verbreiteter Ansatz. Dieser zerlegt die Eigenkapitalrendite in drei finanzielle und operative Bestandteile, die aus dem Vermögen und dem Eigenkapital eines Unternehmens abgeleitet werden können. Typischerweise wird das DuPont-Modell wie folgt dargestellt (Angabe ohne Zeitindex):
ROE =
NetInc Umsatz Vermögen . Umsatz Vermögen EK
(2.1)
Damit entspricht die Eigenkapitalrendite dem Produkt aus Nachsteuermarge, Vermögensumschlag und finanziellem Leverage. Die Nettorendite ist eine Funktion der betrieblichen Effizienz und der Steuerquote des Unternehmens, der Vermögensumschlag ist abhängig von den Investitionsentscheidungen des Managements, sowohl kurzfristig, bezogen auf das Working Capital, als auch langfristig, bezogen auf das Sachanlagevermögen. Das Working Capital-Management wiederum umfasst ins-
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
besondere das Lagerbestandsmanagement und die Optimierung der Forderungen. Der dritte Term, der die Bilanzrelationen beschreibt, ist eine Funktion der Finanzierungsentscheidungen des Managements. Zwar sind diese nicht unmittelbar mit den betrieblichen Entscheidungen des Vorstands verbunden, sie sind dennoch ursächlich für deren erfolgreiche Durchsetzung. Eine noch weitergehende Zersplitterung des ursprünglichen Modells gelingt uns durch Substitution der Nettoumsatzrendite:
ROE =
NetInc EBT EBIT Umsatz Vermögen . EBT EBIT Umsatz Vermögen EK
(2.2)
Aus dem ersten Term, der dem Wert (1â•› − â•›τ) entspricht, folgt, dass die Eigenkapitalrendite umso größer ist, je niedriger der Grenzsteuersatz τ ist. Der zweite Term entspricht (1â•› − â•›i) und besagt, dass die Eigenkapitalrentabilität umso höher ist, je niedriger die Zinszahlungen i sind. Der dritte Term entspricht der betrieblichen Profitabilität, die natürlich ebenfalls positiv mit der Eigenkapitalrendite korreliert ist. Der vierte Term entspricht dem Vermögensumschlag, einem Maßstab für betriebliche Effizienz: Ein Vermögensumschlag von 0,90 bedeutet, dass ein Unternehmen 90€€ an Umsatz generieren wird, nachdem 100€€ investiert wurden. Der fünfte Term entspricht dem finanziellen Leverage, das heißt, dass die Rendite auf das Eigenkapital umso höher ist, je höher das Fremdkapital im Verhältnis zum Eigenkapital ist. Beispiel 2.1: Das Du Pont-Modell in der Praxis╇ Zu bewerten sind zwei Logistikunternehmen A-Log und B-Log. Für die Periode t weisen sie folgende Schlüsselgrößen bei Umsatz und Ertrag auf: Mio.€€ Umsatz EBIT in% der Umsätze EBT in% der Umsätze Nettoergebnis in% der Umsätze
A-Log 1.188,0 711,0 59,8€% 145,1 12,2€% 95,0 8,0€%
B-Log 249,8 152,6 61,1€% 33,9 13,6€% 22,4 9,0€%
Auf allen Ertragsebenen weist B-Log deutlich höhere absolute und relative Profitabilitätskennzahlen als A-Log auf. Die Passivseite der Bilanz der beiden Unternehmen gestaltet sich wie folgt: Mio.€€
A-Log
B-Log
Eigenkapital Fremdkapital Bilanzsumme
476,0 756,0 1.232,0
╇ 98,1 156,9 254,9
2.1â•… Zitate, Mythen und Erwartungen
39
Damit ergeben sich aus dem DuPont-Schema folgende Kennzahlen: A-Log (%) 65,5 20,4 59,8 96,4 334,8 25,8
NetInc/EBT EBT/EBIT EBIT/Umsatz Umsatz/Vermögen Vermögen/EK ROE
B-Log (%) 66,1 22,2 61,1 98,0 260,0 22,8
Mit einer Eigenkapitalrentabilität von 25,8€ % ist A-Log augenscheinlich profitabler als B-Log, das nur einen Wert von 22,8€ % erreicht. Für B-Log sprechen dagegen höhere operative Margen und eine bessere Kapitaleffizienz (98,0€% vs. 96,4€%). Dass die Eigenkapitalrendite von A-Log dennoch höher ist als die von B-Log, liegt an dem hohen finanziellen Leverage von A-Log, das eine Eigenkapitalquote von lediglich 38,6€% aufweist, während B-Log mit 46,3€% deutlich stabilere Bilanzrelationen aufweist. Damit ist absehbar, dass A-Log eine im Konjunkturzyklus volatilere Ertragsentwicklung aufweisen wird: In Boomphasen wird die Eigenkapitalrendite deutlich über der von B-Log liegen, in Zeiten der wirtschaftlichen Abkühlung tendenziell darunter. Wie nachstehendes Beispiel zeigt, ist die DuPont-Formel auch als Frühindikator hervorragend geeignet. Beispiel 2.2: Früherkennung einer Verschlechterung der Ertragslage╇ Bei Umsätzen von 1.188,0€Mio.€€ erwirtschaftet der Logistikdienstleister A-Log aus Beispiel€2.1 ein Nachsteuerergebnis von 95,0€Mio.€€, was einer Nettorendite von 8,0€% entspricht. Diese hohe Profitabilität stammt aus Pioniergewinnen, ermöglicht durch eine neuartige Dienstleistung. Das kurz- und langfristige Vermögen beläuft sich auf 432,0 bzw. 800,0€ Mio.€ €, das Eigenkapital liegt bei 476,0€Mio.€€, das kurz- und langfristige Fremdkapital bei 756,0€Mio.€€. Zur Vereinfachung liegen die Neuinvestitionen auf Höhe der Abschreibungen und der erwirtschaftete Cashflow wird zum Jahreswechsel vollständig an die Aktionäre ausgeschüttet. Das Unternehmen wächst mit 8,0€%, und zwar auf der Ebene der Umsätze, des Nettoergebnisses und des Working Capitals. Auf den ersten Blick erscheint diese Planung vernünftig und konsistent. Wir betrachten zunächst die Gewinn- und Verlustrechnung für die drei Perioden t╛╛− 1 bis tâ•›+â•›1: Mio.€€ Umsatz Nettoergebnis ROS (%)
t╛╛− 1 1.100,0 88,0 8,0
t 1.188,0 95,0 8,0
tâ•›+â•›1 1.283,0 102,6 8,0
40
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Das Ergebnis nach Steuern entwickelt sich parallel zu den Umsätzen, die Nettoumsatzrendite bleibt dementsprechend konstant bei 8,0€%. Anschließend werfen wir einen Blick auf die Bilanz des LogistikÂ�unternehmens: Mio.€€
t
t╛╛− 1 400,0 800,0 1.200,0 500,0 400,0 300,0 1.200,0
Kurzfristiges Vermögen Sachanlagevermögen Bilanzsumme Eigenkapital Kurzfristige Verbindlichkeiten Langfristige Verbindlichkeiten Bilanzsumme
432,0 800,0 1.232,0 476,0 432,0 324,0 1.232,0
tâ•›+â•›1 466,6 800,0 1.266,6 450,1 466,6 349,9 1.266,6
Kurzfristiges Vermögen und kurzfristige Verbindlichkeiten, beides Bestandteile des Working Capitals, wachsen gleichmäßig mit 8,0€% an, das Sachanlagevermögen bleibt konstant bei 800,0€Mio.€€ (da die Abschreibungen gleich den Neuinvestitionen sind) und das Eigenkapital als Residualgröße verändert sich in dem Maße, dass die Bilanzsumme der Passivseite der der Aktivseite entspricht. Eine Thesaurierung der Cashflows findet nicht statt. Dieser friedliche Gesamteindruck wird schnell gestört, wenn wir einen Blick auf die Eigenkapitalrendite werfen. Gemäß Formel€ (2.1) ergibt sich die Eigenkapitalrendite durch Division des Nettoergebnisses durch das zur Finanzierung des Ertrags zur Verfügung stehende Eigenkapital. Da in der Bilanz nur Stichtagswerte aufgenommen werden, sind zur Berechnung der Eigenkapitalrendite Vorjahreswerte zu verwenden. Damit ergeben sich folgende Renditekennzahlen: Mio.€€ Nettoergebnis Eigenkapital ROE (%)
tâ•› − â•›1 88,0 500,0
t 95,0 476,0 19,0
tâ•›+â•›1 102,6 450,1 21,6
Eine höchst erstaunliche Entwicklung. Wir verwenden gleichmäßige Wachstumsannahmen auf allen Ebenen und dennoch kommt es zu einem Anstieg der Eigenkapitalrendite. Haben wir wirklich alles richtig gemacht? Vermutlich nicht. Denn es dürfte höchst unrealistisch sein, ein Umsatzwachstum im hohen einstelligen Prozentbereich zu erzielen, ohne dass gleichzeitig in Maschinen und langfristige Produktionsmittel investiert werden muss. In der Realität sind Preissteigerungen in dieser Größenordnung nur selten durchzusetzen, so dass der Umsatzzuwachs nur durch einen Absatzanstieg ermöglicht werden kann. Dieser ist aber im Modell nicht wiedergegeben, was
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
41
eine Reihe von Fragen aufwirft. Zum Beispiel: Womit kann ein steigender Kapitalumschlag gerechtfertigt werden? Oder: Wenn Umsatzwachstum quasi ohne Nebenbedingungen möglich ist, wie lange kann dieser Zustand aufrechterhalten werden? Wie weit man in die Zukunft blicken muss hängt von der Vorhersagbarkeit (im Jargon der Investmentbanker auch Visibilität genannt) des Geschäftsmodells ab, also von der Anzahl der Perioden, die vernünftigerweise prognostiziert werden können. Bei innovativen Unternehmen, die sich am Beginn ihrer Wachstumsphase befinden, ist naturgemäß ein längerer Zeithorizont in Betracht zu ziehen als bei einem etablierten Unternehmen, das sich bereits der Reifephase annähert und für das Dutzende von Geschäftsberichten vorliegen. Die Ursache hierfür ist, dass bei jungen Unternehmen die Ertragsvolatilität wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei reifen Unternehmen. Junge Unternehmen, die sich inmitten ihrer Wachstumsphase befinden, müssen sich erst noch finden, müssen neue Nischen besetzen – was auch schief gehen kann –, so dass die Volatilität der Ertragsentwicklung ungleich größer ist. Je weiter man in die Zukunft blicken muss, desto ungenauer wird naturgemäß die Prognose. Erwartungen jenseits des folgenden Geschäftsjahres sind auch weniger Ergebnis eines ausgefeilten, vollständig integrierten Top-Down-Ansatzes, sondern mehr Ausfluss persönlicher Überzeugungen. Infolge der bestehenden Unsicherheiten ist jede Prognose oder Planungsrechnung immer auch subjektiv. Durch die Verknüpfung der Prognosen mit den Vergangenheitsdaten und den definierten Annahmen wird jedoch zumindest eine objektive Nachprüfbarkeit der Planungsrechnung sichergestellt. In der Praxis können die angestrebten Daten auf vier Wegen prognostiziert werden: • Über Absolutzahlen bzw. über absolute Veränderungen gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode, • über prozentuale Veränderungen gegenüber der Vorjahresperiode, • über die Veränderungen von auf den Umsatz oder die Gesamtleistung bezogene Quoten, beispielsweise der Materialeinsatzquote, und • über spezielle Finanzkennzahlen.
2.2 Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung Ausgangspunkt jeder Detailplanung sind die Umsatzerlöse12. Ihre korrekte Prognose ist unbestritten das wichtigste singuläre Element der Finanzprognose. Umsatzwachstum bringt in der Regel steigende Kosten mit sich, ein erhöhtes Working Vgl. für eine analytische Herangehensweise an die Unternehmensplanung: McKenzie (2003, S.€189€ff.).
12╇
42
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Capital muss finanziert werden ebenso wie Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen, was wiederum Auswirkungen auf die Abschreibungen in der Folgeperiode hat. Ob steigende Umsätze auch zu höheren operativen Erträgen und letztlich auch zu höheren Cashflows führen, ist damit ex ante unklar und hängt größtenteils von der Skalierbarkeit des Geschäftsmodells ab. Zwar führt auch die Senkung der Kosten zu einem Ansteigen des Ergebnisses, aber die Alternative über steigende Umsätze ist die stilvollere und zugleich nachhaltigere, da mögliche Kosteneinsparungen bereits nach kurzer Zeit ausgeschöpft sind und weitere Ergebnissteigerungen dann nicht mehr möglich sind. Allerdings sind Umsätze häufig nur in begrenztem Maße von der Unternehmensführung steuerbar, da sie stark von Außeneinflüssen wie Wettbewerbsintensität, Währungsrelationen oder dem technologischen Fortschritt geprägt werden. Wenngleich Umsätze weniger volatil sind als Erträge, ist dennoch die Prognose der Umsatzwachstumsrate eine der schwierigsten Aufgaben der Planung. Abgesehen davon, dass vorab zu klären ist, wie hoch die aktuelle Kapazitätsauslastung ist, mit welchen Erweiterungsinvestitionen zu rechnen ist und ob die zur Umsatzplanung erforderlichen Vorprodukte in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen, können Umsätze grundsätzlich über die folgenden sechs Wege prognostiziert werden: • • • • • •
Die Übernahme der Management-Guidance, die Auswertung der Daten von Wettbewerbern, die Extrapolation der Vergangenheit, die Schätzung des Preis/Mengengerüsts, die Schätzung der Marktanteile (Top-Down-Ansatz) und die Schätzung des durchschnittlichen Umsatzbeitrages eines Kunden (BottomUp-Ansatz).
Die analytisch trivialste Vorgehensweise ist die mehr oder weniger unkritische Übernahme der vom Management ausgesprochenen Guidance. Dies hat Vor- und Nachteile. Zu den unbestrittenen Vorteilen zählt, dass der Analyst sich für seine Fehlprognose nicht rechtfertigen muss, ganz nach dem Motto: „Wenn das Management schon nicht in der Lage ist, den Umsatz richtig vorherzusagen, wie könnte ich es dann sein?“ Darüber hinaus weiß der Analyst immer genau, wie er die später veröffentlichten Daten einzuschätzen hat: Wurde die Guidance von allen Analysten übernommen und vom Unternehmen übertroffen, wird die Aktie voraussichtlich steigen, wurde der Consensus verfehlt – und es gibt genügend Beispiele dafür, dass selbst die Verfehlung um wenige Cent mit einem gravierenden Kursverfall abgestraft wurde – dann wird die Aktie voraussichtlich fallen. Weniger wichtig für die Kurskorrektur ist dabei das Ausmaß des Verfehlens, sondern vielmehr die Tatsache, dass das Vertrauen der Investoren in die Fähigkeiten des Managements enttäuscht wurde oder, ebenso unangenehm, dass Zweifel an der grundsätzlichen Planbarkeit des Geschäftsmodells aufkommen. Naturgemäß steht diese Vorgehensweise dem Analysten oder Investor nur dann offen, wenn das Management überhaupt eine entsprechende Umsatz-Guidance veröffentlicht. Eine derartige wird – wenn überhaupt – meist nur für das laufende Geschäftsjahr veröffentlicht, länger in die Zukunft reichende Projektionen des Managements sind ausgesprochen selten.
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
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Vergleichbar, aber doch mit höherem Anspruch, ist es, die Umsatzprognose auf die Angaben und Abschlusszahlen von Wettbewerbern zu reflektieren, sofern diese in vergleichbaren Geschäftsbereichen tätig sind. Finanzanalysten und Fondsmanager haben sich tendenziell auf bestimmte Sektoren oder Asset-Klassen spezialisiert. Das preis- oder absatzpolitische Instrumentarium eines Referenzunternehmens hat in jedem Fall Auswirkungen auf den Umsatz des betrachteten Unternehmens, und zwar umso mehr, je abgeschotteter die Nische und je größer die Wettbewerbsintensität ist. So wird eine negative Ergebnisentwicklung eines Halbleiterherstellers in der Regel Umsatz- und Ertragsanpassungen bei allen Halbleiterherstellern nach sich ziehen. Zu klären sind dabei Fragen über die Höhe der Wettbewerbsintensität in den wesentlichen Produktgruppen, die Höhe der Markteintrittsbarrieren, die Marktanteile der wichtigsten Wettbewerber und ihre zeitliche Entwicklung, das Ausmaß (sofern vorhanden) des Wettbewerbsvorsprungs gegenüber anderen oder die Bedeutung von Substitutionsgütern Analytisch ebenso wenig tiefgründig ist die Extrapolation des Vergangenheitsdaten und -trends. Bei einer Trägheitsprojektion wird unterstellt, dass die Zukunft sich ähnlich der Vergangenheit entwickeln wird. Hatte ein Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 8€%, ist es sinnvoll anzunehmen, dass es auch in den kommenden fünf Jahren eine Wachstumsrate aufweisen wird, die mehr oder weniger in dieser Größenordnung liegen wird. Die Extrapolation von Vergangenheitsdaten macht demnach vor allem in reifen, unzyklischen Industrien Sinn, in denen zum Beispiel Güter des täglichen Bedarfs verkauft werden. Stromversorger oder Nahrungsmittelhersteller wären ein Beispiel hierfür, Industrien also, in denen der technische Fortschritt gering ist und sich bestehende Marktanteile kurzfristig nicht signifikant verschieben. Durch die Anwendung dieser Methode entzieht sich der Analyst jedoch einer eigenständigen Einschätzung der zukünftigen Ereignisse. Das ist zugleich einer der entscheidenden Nachteile dieser Vorgehensweise. Neueinführungen können scheitern und die Wettbewerbsintensität kann sich unerwartet verstärken – durch Extrapolation wird die Fundamentalanalyse zu wenig mehr als einem Abbild der Consensus-Schätzungen degradiert. Für diese Methode spricht, dass Umkehrpunkte ohnehin schwer zu prognostizieren sind – wenn überhaupt. Wer kann allen Ernstes von sich behaupten, das Scheitern eines neuen Automodells vorhersagen zu können, den Misserfolg des jüngsten Hollywoodblockbusters? Wer konnte den Turnaround von Apple vorhersagen, nachdem der Computerhersteller Mitte der 1990er Jahre beinahe insolvent war? Unter Umständen macht die Extrapolation von Vergangenheitsdaten auch für echte Wachstumsunternehmen Sinn, selbst wenn für diese nur eine kurze Unternehmenshistorie existiert und unter Umständen sehr pauschale Wachstumsannahmen zu treffen sind. Da sich historisch hohe Umsatzwachstumsraten im Zeitablauf aufgrund des Basiseffekts abschwächen, liegt die Umsatzwachstumsrate des Jahres t tendenziell über der des Jahres tâ•›+â•›1, die des Jahres tâ•›+â•›1 tendenziell über der des Jahres tâ•›+â•›2. Ein Unternehmen, dessen Erlöse in t mit 18€% und in tâ•›+â•›1 mit 12€% angestiegen sind, wird daher in Periode tâ•›+â•›2 vermutlich ein einstelliges Wachstum aufweisen. Schwieriger wird das Vorgehen bei einem Unternehmen, das in t mit
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
250€% und in tâ•›+â•›1 mit 180€% gewachsen ist. Für dieses dürfte für tâ•›+â•›2 keine fundierte Unternehmensplanung möglich sein: Alles zwischen 50 und 150€% erscheint im Bereich des Möglichen. Wesentlich anspruchsvoller als die drei bisher genannten Verfahren ist die Schätzung der Umsätze über ein detailliertes Preis/Mengengerüst. Grundsätzlich kann ein Anstieg der Umsätze durch • • • • •
eine Erhöhung der Preise, eine Erhöhung der Absatzmengen, eine Verbesserung im Produktmix, eine günstige Entwicklung der Wechselkurse und eine Kombination dieser Faktoren
hervorgerufen werden. Bei mehreren Produkten n kann diese Vorgehensweise natürlich analog für jedes einzelne Produkt vorgenommen werden.
Umsatz =
N
pn xn ,
(2.3)
n=1
wobei pn und xn Symbole für den Preis und die Absatzmenge des Produkts n sind. Für eine Umsatzplanung sind detaillierte Annahmen über das historische Preis/ Mengengerüst erforderlich, und zwar auf Segment- und zum Teil sogar auf Produktebene („Bottom Up-Planung“), die in die Zukunft übertragen werden müssen. Zu beantworten sind also Fragen, die die Breite der Kundenbasis betreffen, Abhängigkeiten von einzelnen Kunden und die Intensität der Kundenbindungen. Ein Automobilanalyst könnte über die gegebenen Listenpreise, die Rabattsätze oder andere Erlösschmälerungen sowie die erwarteten Absatzzahlen je Modelltyp den Umsatz eines Autoherstellers in die Kalkulation einbeziehen. Zusätzlich verfeinert werden kann die Produktplanung durch eine Regionalplanung, insbesondere wenn vom Management eine explizite Internationalisierungsstrategie ausgegeben wurde. Erleichtert wird die Prognose über ein Preis/Mengengerüst, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen den Umsätzen und einer makroökonomischen Größe besteht. Beispielsweise sind Einzelhändler wesentlich stärker vom privaten Konsum und damit von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängig als von den Aktionen ihrer Wettbewerber. Ihre Umsatzprognose wird damit zum überwiegenden Teil von einer marktstrategischen Einschätzung der Binnenkonjunktur geleitet sein. Auch demographische Faktoren können ursächlich für eine Umsatzprognose sein, etwa für einen Pflegeheimanbieter, der von der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft profitiert. Neben den gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren gibt es zahlreiche industriespezifische Größen, die für eine Umsatzprognose nicht missachtet werden dürfen. So kann für auftragsbezogene Branchen zur Planung der Umsätze der Auftragseingang herangezogen werden. Auch der Auftragsbestand und die erhaltenen Anzahlungen gelten als Frühindikatoren für die weitere Geschäftsentwicklung. Eine in diesem Zusammenhang häufig verwendete Kennzahl ist die so genannte Book to Bill-Ratio, die
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
45
zum Beispiel in der Informationstechnologie für einige Teilbranchen veröffentlicht wird und als
BtB − Ratio =
Auftragseingangt Umsatzt
(2.4)
definiert wird. Eine Book to Bill-Ratio von größer als Eins kennzeichnet einen Markt, in dem die Nachfrage das aktuelle Angebot übertrifft. Für diesen Markt wird mittelfristig ein Wachstum erwartet. Sollte die angesetzte Umsatzplanung nicht zur Entwicklung der Book to Bill-Ratio oder anderer Vorlaufindikatoren passen, sollte die Plausibilität der Umsatzplanung nochmals überprüft werden. Doch Vorsicht ist geboten: Nicht selten verlieren Investoren und Finanzanalysten den Sinn für das Wesentliche, wenn eine Prognose sich zu sehr in Details verliert. Auch sollte man sich zur Bewahrung der Konsistenz davor hüten, relativ grobe Annahmen über die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts, die Wechselkurse oder den Ölpreis mit sehr detaillierten Erwartungen über die Preisentwicklung einzelner Produkte oder Produktkategorien zu vermischen. Problematisch gestaltet sich die Umsatzprognose über Preis/Mengengerüste immer dann, wenn große Teile des Absatzvolumens auf eine neue Grundlage gestellt werden, beispielsweise weil ein Softwarehersteller ein neues Release oder ein Autohersteller ein neues Modell auf den Markt bringt. In diesen Fällen können die Abweichungen der Modellannahmen von der tatsächlichen Entwicklung verhältnismäßig groß sein. Darüber hinaus sind bei einer Umsatzprognose anhand vergangenheitsbasierter Preis/Mengengerüste ungewöhnliche Preisentwicklungen zu bereinigen. Beispielsweise können bei verschiedenen Stahl- oder Rohstoffunternehmen exorbitante Preisentwicklungen der relevanten In- oder Output-Bestandteile kaum in die Zukunft fortgeschrieben werden. In diesen Fällen ist es von Interesse, welcher Anteil der Umsatzentwicklung auf den Anstieg der Rohstoffpreise zurückzuführen ist und welcher auf eine Mengenausweitung. Angebracht ist diese Vorgehensweise insbesondere bei zyklischen Unternehmen oder bei Rohstoffunternehmen, bei denen selbst die am besten positionierten Unternehmen oft als Preisnehmer ihre Produkte zum Marktpreis absetzen müssen. Eine Unternehmensbewertung hat dies zu berücksichtigen. Alternativ zu den vier bislang besprochenen Vorgehensweisen bietet es sich an, die Umsätze des Unternehmens anhand der erzielbaren Marktanteile zu schätzen. Ausgehend vom gesamten Marktpotenzial MP der Industrien, in denen das Unternehmen präsent ist, ergibt sich der Umsatz des Unternehmens über
Umsatz =
N
ρn MPn ,
(2.5)
n=1
wobei ρn den Marktanteil des Unternehmens am Gesamtmarkt repräsentiert. In Managementpräsentationen kommt dieser Top Down-Ansatz üblicherweise bei
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Startup-Unternehmen zum Tragen, da in Ermangelung von Erfahrungswerten die Marktgröße der beste Indikator für das Umsatzpotenzial ist. Für eine Ermittlung des Gesamtmarktvolumens sind Fragen zu beantworten, die das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens betreffen, die Positionierung des Unternehmens in der Wertschöpfungskette, die Höhe der prognostizierten Wachstumsraten der adressierten Zielmärkte, mögliche strukturelle oder regulatorische Änderungen, von denen die Absatzmärkte betroffen sein könnten, oder Währungsrisiken, die das Absatzpotenzial beeinflussen könnten. Analysten greifen zur Bestimmung des gesamten Marktpotenzials üblicherweise auf die Daten von Marktforschungsinstituten zurück; zum Beispiel bietet das US-Marktforschungsunternehmen Gartner verlässliche Kennzahlen für verschiedene IT-Teilmärkte an. Probleme ergeben sich aus der fehlerhaften Definition des adressierten Marktes: Was ist der relevante Markt für einen Fernsehsender wie ProSieben oder RTL? Ist es nur der deutsche Markt des Werbefernsehens? Oder zählt der europäische dazu? Sind nicht auch Substitutionsgüter Teil des für einen werbefinanzierten Fernsehsender relevanten Marktes, also Blue-ray und DVD oder etwa das Kino? Was ist mit dem Bezahlfernsehen, das nur in sehr geringem Maße vom Werbemarkt abhängig ist? Und wie sind Internet oder Gaming zu behandeln, die noch nicht einmal Bestandteil der Wertschöpfungskette Video – im Gegensatz zu anderen Entertainmentformaten wie Audio oder Print – sind? Grundsätzlich sollten „Märkte“ daher möglichst eng definiert werden. Hierfür sind die wichtigsten Treiber zu identifizieren, die das für den Konsum der Produkte ursächliche Verhalten bestimmen. Im Fall eines Fernsehsenders zählen ausschließlich deutsche werbefinanzierte Free TV-Sender zum relevanten Markt. Anders dagegen bei Autoherstellern. Hier macht eine nationale Sichtweise keinen Sinn, da die Märkte global sind. Unter Umständen kann jedoch eine soziologische Aufteilung der Märkte in Luxus-, Premium- und Massenhersteller geboten sein. Ist der Markt erst definiert, zählt es zu den nur schwer beherrschbaren Reflexen des Menschen, sich über die Marktwachstumsraten Gedanken zu machen. Die Bandbreite reicht von Wachstumsmärkten mit zweistelligen Wachstumsraten über reife Märkte, die sich mit dem Gesamtmarkt entwickeln, bis hin zu schrumpfenden Märkten. Zyklische Märkte wiederum sind mal das eine, mal das andere. Das Marktwachstum zu prognostizieren ist nicht einfach. Schon Insider haben geirrt, man denke nur an Thomas Watson, einem Vorstand von IBM, der einen Weltmarkt von „vielleicht fünf Computern“ gesehen haben will. Um eine Planung über die Top-Down-Methode zu plausibilisieren, kann beispielsweise auf die Annahmen und Prognosen von Konjunktur- und Marktforschungsinstituten zurückgegriffen werden. In Deutschland geben die Gesellschaft für Konsumforschung und das ifo Institut für Wirtschaftsforschung monatlich die Ergebnisse ihrer Umfragen bekannt, die als Frühindikator für die Konsumenten- und Produzentenerwartungen gelten. Gleichfalls sind Aussagen von Wettbewerbern und ihre Implikationen auf die Absatzplanung des zu bewertenden Unternehmens zu überprüfen. Auch die erwartete Inflationsentwicklung ist bei der Nominalplanung zu berücksichtigen.
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
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Beispiel 2.3: Umsatzplanung╇ Ein deutschlandweit tätiger Textileinzelhändler plant im kommenden Geschäftsjahr sein vor mehreren Jahren eingeleitetes Expansionsprogramm abzuschließen. Zusätzlich zu den bestehenden 350 Filialen ist die Eröffnung von weiteren 24 Filialen vorgesehen. Erst danach soll über eine Ausweitung der Geschäftsaktivitäten ins Ausland nachgedacht werden. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine neu eröffnete Filiale erst im zweiten Jahr die konzerndurchschnittlichen Umsatzwerte erfüllt, im Jahr ihrer Eröffnung liegt die Auslastung im Durchschnitt bei nur 50,0€%. Konzernweit werden im laufenden Geschäftsjahr Erlöse in Höhe von 875,0€Mio.€€ erwartet. Aufgrund des weltweiten konjunkturellen Abschwungs rechnen die führenden Wirtschaftsexperten nicht mit einem nennenswerten Anziehen des privaten Konsums. Wie ist die Erlösentwicklung zu planen? Infolge der aktuellen Wirtschaftskrise und des intensiven Wettbewerbs im textilen Einzelhandel dürfte das organische Wachstum des Filialeinzelhändlers in den kommenden beiden Jahren vernachlässigbar sein. Im Fokus der Umsatzplanung sollte daher das externe Wachstum über Filialeröffnungen stehen. Ohne weitere Angaben kann von einer gleichmäßigen Verteilung der Filialeröffnungen ausgegangen werden. Im Durchschnitt werden also zwei Filialen pro Monat eröffnet. Das durchschnittliche Umsatzvolumen einer Filiale liegt bei 2,5€Mio.€€. Damit ergibt sich im ersten Jahr ein zusätzliches Erlösvolumen aus den neu eröffneten Filialen von 24 · 0,5 · 2,5 · 50 % = 15,0,
also von 15,0€Mio., und im zweiten Jahr von 24 · 2,5 · 100 % = 60,0,
also von 60,0€ Mio.€ €. Konzernweit ergeben sich damit nach Erlösen von 875€Mio.€€ im laufenden Jahr Umsätze in Höhe von 890€Mio.€€ im nächsten und 935€Mio.€€ im übernächsten Jahr. Ohne Berücksichtigung von Preisveränderungen kann ein Umsatzwachstum von 1,7€% im nächsten bzw. 5,1€% im darauf folgenden Jahr modelliert werden. Das diametrale Gegenteil der Top-Down-Methode ist der Bottom-Up-Ansatz, die sechste und letzte Methode zur Umsatzprognose. Hier werden die Erlöse eines Unternehmens aus der Aggregation einzelner Kunden prognostiziert. Geschätzt wird also die durchschnittliche Zahl der Kunden n und ihr durchschnittlicher Umsatzbeitrag ARPU, ein Akronym für Average Revenue Per User. Diese Vorgehensweise ist unter anderem in abonnentenbasierten Geschäftsmodellen wie dem PayTV, im Internet oder im Mobilfunk üblich. Der Umsatz des Geschäftsbereichs i ergibt sich damit aus
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Umsatzi = ni · ARPUi .
(2.6)
Die Planung erfolgt grundsätzlich auf Jahresbasis und – falls vorhanden – auch auf Quartalsebene. Wird eine quartalsweise Prognose erstellt, sind Saisonalitäten in der Erlösentwicklung zu berücksichtigen: Einzelhandels- und Softwareunternehmen zum Beispiel erzielen bis zu 40€% ihrer Jahresumsätze im Weihnachtsquartal. Basierend auf den Erlösen folgt die Prognose der operativen Aufwendungen (Opex). Unter der Voraussetzung, dass ein Unternehmen in einem Zustand der maximalen Effizienz arbeitet, würde ein 10%iger Anstieg der Umsätze auch mit einem 10%igen Anstieg der Kosten einhergehen. Da sich die fixen Kosten, wie der Name schon sagt, nicht in Abhängigkeit von den Umsätzen entwickeln, kommt es bei einem Umsatzanstieg in der Regel zu einer unterproportionalen Entwicklung der Kostenquoten. Auf die Gefahr hin der Übersimplifizierung angeklagt zu werden, stehen Unternehmen drei grundlegende Strategien zur Differenzierung im Wettbewerb offen13: • Entweder sind die Unternehmen Kostenführer, das heißt sie streben eine Niedrigpreisstrategie an, um von homogenen Produkten möglichst große Stückzahlen abzusetzen; niedrige Margen können dadurch überkompensiert werden. • Oder sie sind fokussierter Produktführer und bieten eine gezielte Auswahl von Produkten an, die von den Kunden besonders wertgeschätzt wird, aber von anderen Unternehmen nicht angeboten werden (kann); in diesem Fall ist das Unternehmen zwar hochmargig, das Absatzvolumen aber relativ gering. • Alternativ dazu kann sich ein Unternehmen auch auf eine regionale Nische fokussieren, die von anderen Wettbewerbern nicht adressiert wird, zum Beispiel im ländlichen Raum. Welche Strategie letztlich eingeschlagen wird, hat Auswirkungen auf die Margen des Unternehmens, die Umschlagshäufigkeit des Kapitals und andere betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Der Leser wäre überrascht, wenn er erführe, wie oft professionelle Investoren Aktien erworben haben, ohne dass sie sich im Klaren darüber gewesen waren, worin die strategischen Wettbewerbsvorteile des Unternehmens gelegen haben. Denn damit Kostenführerschaft funktioniert, muss diese Philosophie ein Unternehmen von oben bis unten durchdrungen haben. Jeder Cent muss aus dem Produkt und dem Unternehmen gleichsam herausgepresst werden, jede betriebliche Ineffizienz eliminiert, jede Kostenposition optimiert werden. Das Investitionsniveau ist auf gleichbleibend hohem Niveau, die Produktionskapazitäten sind stets auf dem neuesten Stand. In der Regel gibt es Skaleneffekte in der Produktion und im Einkauf, so dass Kostenführer meist auch die größten Spieler in ihrer Branche sind. Kostenführerschaft funktioniert natürlich nur, wenn die Kunden preissensitiv sind; in der Luxusgüterindustrie taucht sie also eher selten auf. Wer regelmäßig Unternehmen besucht, bekommt schnell ein geschultes Auge für das Kostenbewusstsein des Managements: Wenn zum Beispiel ein mittelgroßer Hamburger IT-Dienstleister in hochglänzenden Mitarbeiterbroschüren über den letzten 13╇
Vgl. Porter (1980).
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
49
Betriebsausflug (inklusive Ehepartner) nach Mallorca berichtet, kann es diesbezüglich nicht sonderlich weit her sein. Der Produktführer unterscheidet sich von seinem Wettbewerber durch seine Produktpalette. Ist der Kunde bereit, für diese eine Prämie zu bezahlen, die die Differenzierungskosten übersteigt, kann diese Strategie erfolgreich sein. Der gute Ruf des Anbieters, der Markenname, ist in der Regel von größerer Bedeutung als beim Kostenführer, daher spielen in dieser Gruppe Werbe- und Marketingmaßnahmen eine bedeutende Rolle. Die Materialaufwandsquote kann über den erwarteten Produktmix abgeleitet werden. Ihre enorme Bedeutung erlangt die Materialaufwandsquote dadurch, dass sie in Einzelfällen, z.€B. bei Einzelhandelsunternehmen oder Fernsehsendern, über 90€% des Umsatzes ausmachen kann. Mit anderen Worten: Bei diesen Unternehmen werden 90€% der erwirtschafteten Erlöse über eine einzige Zahl „erklärt“ – nicht selten ohne dass im Anhang des Geschäftsberichts auch nur eine weiterführende Information bereitgestellt wird14. Sind Teile der Materialaufwendungen zudem dispositiven Charakters, wie dies beispielsweise bei den Programmkosten eines Fernsehsenders der Fall ist, kann bereits durch eine geringfügige Änderung der Materialaufwandsquote jedes beliebige operative Ergebnis herbeigeführt werden. Zum Glück steht die Materialaufwandsquote jedoch durch produktionstechnische Gegebenheiten in einem mehr oder weniger festen Zusammenhang zum Umsatzmix. Insofern bleibt, ausgehend von der aktuellen Rohertragsmarge bzw. einem vergangenheitsbasierten Durchschnittswert, nur zu analysieren, ob aufgrund des Produktmixes und der erwarteten Preisentwicklung auf den wichtigsten Beschaffungsmärkten mittelfristig eine Verbesserung oder eine Verschlechterung der Rohertragsmarge zu erwarten ist. Auch sollten die Prognosen durch eine dezidierte Preiserwartung der wichtigsten Inputfaktoren untermauert werden; so sind für die Chemieindustrie beispielsweise Prognosen über den Ölpreis unerlässlich, für Planungen in der Stahlindustrie sollten explizite Annahmen über die mittelfristig erwarteten Eisenerzpreise vorgenommen werden. Auf Unternehmensebene sind ferner Kosteneffekte aufgrund bestehender Produktionskapazitäten, Economies of Scale oder Neuproduktanläufe zu berücksichtigen. Insofern kann eine im Zeitablauf steigende Materialaufwandsquote hervorgerufen werden durch • steigende Preise für das eingekaufte Material, • eine ungünstige Entwicklung des Produktmixes hin zu niedrig margigen Produkten, • einen erhöhten Materialverbrauch, etwa weil der Produktionsablauf Ineffizienzen aufweist, • eine ungünstige Entwicklung der Wechselkurse, • eine geringere Kapazitätsauslastung infolge rückläufiger Umsätze oder • durch eine Kombination dieser Faktoren. Für eine Prognose der Materialaufwandsquote sind auch die Zulieferer selbst zu betrachten. Wichtige Fragen betreffen unter anderem die Anzahl der Zulieferer, wo14╇
Vgl. zum Beispiel die Geschäftsberichte von Douglas oder ProSiebenSat.1 Media.
50
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
durch Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern festgestellt werden sollen, und die Langfristigkeit der Lieferverträge. Zahlreiche Zulieferbeziehungen sind besser als wenige, ist ein Unternehmen gar von einem einzigen Zulieferer abhängig, sollten einige Warnleuchten angehen, insbesondere wenn der Preis des bezogenen Produkts volatil ist bzw. vom Zulieferer allein fixiert werden kann. Von ihren Mitarbeitern sprechen Vorstände gerne als ihre „wertvollste Ressource“ – selbst bei überdurchschnittlich hohen Fluktuationsquoten. Für eine Unternehmensbewertung spielt die Qualität des Personals dagegen nur in sehr seltenen Fällen eine Rolle. Im Gegenteil: Einen umfangreichen Personalabbau heißt der Kapitalmarkt häufig willkommen und bedankt sich mit Kursgewinnen. Die Planung der Personalaufwendungen erfolgt grundsätzlich anhand des aktuellen Mitarbeiterstandes und der erwarteten Mitarbeiterentwicklung. Der Mitarbeiterstand ist als Jahresdurchschnittswert und -endwert aus dem Anhang des Geschäftsberichts ersichtlich, in vielen Fällen erfolgt auch eine Angabe der Vollzeitstellen (auch FTE, Full-Time-Equivalents) sowie der Auszubildenden. Durchschnittliche Gehaltsanpassungen können auf Basis der bestehenden Tarifverträge vorgenommen werden. Zu beachten ist, dass in Deutschland ein Unternehmen auf Nachfragesteigerungen relativ leicht mit einem Personalaufbau reagieren kann, umgekehrt jedoch ein Personalabbau bei einem Nachfragerückgang normalerweise mit Restrukturierungskosten und arbeitsrechtlichen Problemen verbunden ist. Daher ist insbesondere der Fixkostenanteil der Personalaufwendungen zu klären. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der betriebliche Overhead bei kleinen Unternehmen nicht selten überproportionalen Steigerungen unterworfen ist, zum Beispiel bei einer angestrebten Auslandsexpansion. Insgesamt kann ein Anstieg der Personalaufwandsquote durch • einen Anstieg des allgemeinen Lohnniveaus, • eine Erhöhung der Mitarbeiterzahl, • eine Entwicklung des Personalbestands hin zu höher qualifizierten Beschäftigten, • eine Verlagerung der Mitarbeiter in Hochlohnstandorte und • eine Kombination der genannten Faktoren ausgelöst werden. Bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen und Erträgen ist zwischen den aus dem betrieblichen Geschäft erwirtschafteten Positionen und den einmaligen, außerordentlichen bzw. periodenfremden Positionen zu unterscheiden. Wiederkehrende sonstige betriebliche Aufwendungen oder Erträge wie Miet-, Marketing-, Transport- oder Reiseaufwendungen oder betriebsfremde Einnahmen aufgrund fester Verträge können bei dieser Sammelposition verlässlich geplant werden, sofern sie in einer festen Relation zum Umsatz stehen und nicht zu erwarten ist, dass sich diese Relation kurzfristig verändern wird. Bei Aufwendungen, die nicht in einer fixen Relation zum Umsatz stehen und bei unregelmäßig wiederkehrenden Positionen ist dies in der Regel nicht möglich. Fixkosten wie allgemeine Verwaltungsaufwendungen oder IT-Kosten sind gesondert zu planen, evtl. in Abstimmung mit dem Management, das hierfür unter Umständen eine gesonderte Unternehmensplanung veröffentlicht.
2.2â•… Die Detailplanung der Gewinn- und Verlustrechnung
51
Ausgehend von den Umsätzen und den prognostizierten Aufwandspositionen errechnet sich das EBITDA des Unternehmens (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization), also das Ergebnis vor Zinsaufwand (oder -ertrag), Abschreibungen und Amortisationen sowie Steuern auf Einkommen und Ertrag. Beliebt wurde das EBITDA in den 1980er Jahren insbesondere bei Leveraged-Buyout-Investoren, die auf der Suche nach Kennzahlen für Unternehmen waren, die kurz vor der Insolvenz standen. Der zugrunde liegende Gedanke war, dass bei Unternehmen, für die keine signifikanten Investitionen anstanden, die nicht liquiditätswirksamen Abschreibungen und Amortisationen für eine Schuldentilgung zur Verfügung stehen würden. Daneben ist das EBITDA eine relativ einfach verständliche Kennzahl, die nicht durch unterschiedliche Abschreibungsmethoden und Steuersätze beeinflusst ist; dies macht sie für einen internationalen Bewertungsvergleich ideal. Erst während der Bewertungsblase des Neuen Marktes gegen Ende der 1990er Jahre wurde das Konzept des EBITDA auch auf weniger kapitalintensive Branchen ausgeweitet, einfach weil viele Unternehmen aufgrund ihrer kurzen Historie auf tiefer liegenden Ertragsebenen keine positiven Werte erwirtschaften konnten. Da nun das EBITDA dazu verwendet wurde, einen Unternehmenswert abzuleiten, war nur ein kleiner Schritt zu gehen, diese Kennzahl zu manipulieren. Zu den beliebtesten Manipulationsmöglichkeiten zählt die Kapitalisierung bestimmter, eigentlich betrieblicher Aufwendungen, deren Abschreibungen nicht im EBITDA wiedergegeben werden, oder die Finanzierung von Vermögensgegenständen über Leasing. Darüber hinaus wird die Verwendung des EBITDA eine systematische Fehleinschätzung der tatsächlichen Ertragslage nach sich ziehen, wenn das Geschäftsmodell auf kapitalintensiven Investitionen oder auf externem Wachstum basiert. In beiden Fällen fallen die wesentlichen, die wahre Ertragslage determinierenden Aufwandspositionen erst unterhalb des EBITDA an. Nach Abzug von Abschreibungen und Amortisationen ergibt sich das operative Ergebnis des Unternehmens, das EBIT (Earnings Before Interest and Taxes). Höhere Umsätze führen in der Regel nicht nur zu einem höheren Betriebsergebnis, auch relativ zu den Umsätzen kann sich das EBIT verbessern. Für diesen Margenanstieg sind so genannte Skaleneffekte (economies of scale) verantwortlich. Diese entstehen durch Fixkostendegression, also dadurch, dass sich Overhead-Kosten unterproportional zum Umsatz entwickeln und dass das eingesetzte Kapital effizienter genutzt wird. Allerdings steigen mit den Umsätzen in der Regel auch die Investitionen in das Working Capital an, da zusätzliche Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Vorräte vorfinanziert werden müssen. Eine Working Capital-Quote von 20€% bedeutet zum Beispiel, dass 20€% der annualisierten Erlöse eines Unternehmens in Vorräten und Forderungen gebunden sind, die nicht von Lieferantenverbindlichkeiten gedeckt sind. Mit anderen Worten: Ein Fünftel der Jahreserlöse sind zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Jahres als Kapital bereit zu stellen, um Zulieferer von Vorräten, Bestandsveränderungen und andere aktivierte Eigenleistungen zu bezahlen. Eine deutliche Umsatzausweitung ist damit häufig aus der Aufnahme von Fremdkapital zu refinanzieren. Vergleichbare belastende Auswirkungen auf die Liquiditätsposition des Unternehmens hat es, wenn ein Unternehmen an seine Kapazitätsgrenzen stößt, da dann Erweiterungsinvestitionen des Anlagevermögens durchzuführen sind.
52
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Die Planung des Finanzergebnisses ist abhängig von der absoluten Höhe der Bruttoverschuldung und des Kassenbestands, den unterstellen Soll- und Habenzinssätzen und der Höhe der Erträge aus Beteiligungen. Das Zinsergebnis selbst ist eine Position, die von der operativen Entwicklung des Unternehmens zunächst unabhängig ist und von Cashflows und der Finanzpolitik eines Unternehmens beeinflusst wird. Insbesondere die Zinsaufwendungen sind mit der absoluten Höhe der Finanzverbindlichkeiten in Einklang zu bringen, wobei Jahresdurchschnittswerte anzusetzen sind. Da die Prognose der Beteiligungserträge eine vollständige Planung der einzelnen Beteiligungsunternehmen und deren erwarteter Ausschüttung zur Folge hätte, kommen aus Vereinfachungsgründen in der Regel Pauschalbeträge zur Anwendung. Die Prognose der tatsächlichen Steuerquote ist für den Außenstehenden mit besonders hoher Unsicherheit verbunden. Bereits ein ausschließlich in Deutschland tätiges Unternehmen ist mehr als 50 verschiedenen Steuern ausgesetzt, die nicht allein anhand wissenschaftlicher Kriterien konzipiert worden sind. Für die Ermittlung der Steuerquote sind überdies Annahmen über die regionale Verteilung der Aktivitäten auf die verschiedenen Steuerjurisdiktionen zu treffen, über die jeweiligen nationalen Steuersätze und ihre Entwicklung, und über Steuerfreibeträge sowie Ausnahmeregelungen. Darüber hinaus kann die tatsächliche Steuerquote durch latente Steuern oder durch unterschiedliche Abschreibungsmethoden in Handels- und Steuerbilanz vom unternehmenstypischen Grenzsteuersatz abweichen. Zuletzt sind auch steuerliche Verlustvorträge zu berücksichtigen, die ebenfalls einen Wert erhöhenden Einfluss haben. Dass die Mehrheit der Steuern bereits in den anderen Aufwandspositionen berücksichtigt wurde – wie Beispiel die Kraftfahrzeugsteuer – oder einen durchlaufenden Posten darstellt – wie Beispiel die Umsatzsteuer – erleichtert die Arbeit, da man sich im weiteren Verlauf auf Ertragsteuern konzentrieren darf. All das sollte ein Indiz dafür sein, dass die Schätzung der Steuerquote nicht hinreichend möglich ist. Da ein Blick auf historische Steuerquoten hilfreich sein kann, aber nicht muss, ist es nicht überraschend, dass die Frage nach der erwarteten Steuerquote die am häufigsten gestellte Frage während der quartalsweise stattfindenden Conference Calls mit dem Finanzvorstand sein dürfte. Abgesehen von der Detailplanungsphase, in der die tatsächliche Steuerquote angesetzt werden kann, ist für die Bewertung zukünftiger Perioden allein die Grenzsteuerquote entscheidend. Diese liegt in Deutschland für die Körperschaftsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag seit 2008 bei 15,825€%. Der durchschnittliche Hebesatz der Gewerbesteuer liegt aktuell bei etwa 430€%, was einem durchschnittlichen Gewerbesteuersatz von etwa 15,1€% gleichkommt. Die Gesamtbelastung von ausschließlich im Inland tätigen Unternehmen liegt damit bei rund 30,9€% des Vorsteuerergebnisses. Für international tätige Unternehmen, die in vielen Ländern steuerliche Organschaften unterhalten, kann entweder eine durchschnittliche gewichtete (gewichtet anhand der in den jeweiligen Ländern erzielten operativen Vorsteuerergebnisse) Steuerquote ermittelt werden – was für den Bewerter einen beträchtlichen Zusatzaufwand darstellt –, oder vereinfachend davon ausgegangen werden, dass jeder im Ausland erwirtschaftete Euro früher oder später seinen Weg in das deutsche Steuersystem findet und spätestens dann mit dem inländischen Grenzsteuersatz von rund 31,0€% besteuert wird.
2.3â•… Einige Daumenregeln der Bilanzprognose Vollständige Bilanz
Aktiva
Liquidität Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
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Passiva Aktiva
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
Ökonomische Bilanz
Kurzfristige Finanzverbindlichkeiten Working Capital
Kurzfristige Finanzverbindlichkeiten
Vorräte
Langfristige Finanzverbindlichkeiten
NettoSachanlagevermögen
Eigenkapital
Passiva
NettoSachanlagevermögen
Langfristige Finanzverbindlichkeiten
Eigenkapital
Abb. 2.1↜渀 Traditionelle Bilanzstruktur vs. Ökonomische Bilanzstruktur
2.3 Einige Daumenregeln der Bilanzprognose Vor einigen Jahrzehnten war die Prognose der Bilanz wesentlich wichtiger für die Unternehmensbewertung als die Prognose der Gewinn- und Verlustrechnung. Investoren mieden Aktien, die über ihren Buchwerten notierten, sie analysierten das finanzielle Leverage der Gesellschaft und achteten auf den Vermögensumschlag sowie diverse kurzfristige Solvenzkennzahlen. Der Schwerpunkt lag auf materiellen Vermögenswerten, insbesondere auf dem Sachanlagevermögen, also Gebäude und Maschinen, und der Entwicklung des Working Capital. Mit zunehmender Inflation, dem technischen Fortschritt, dem Aufkommen von Mergers & Aquisitions und immateriellen Vermögenswerten verlor die Bilanzanalyse immer stärker an Bedeutung. IP, also Intellectual Property, unterminiert die traditionelle Bilanzanalyse ebenso wie Goodwill nach Übernahmen (Abb.€2.1). Erleichtert wird die Bilanzprognose dadurch, dass die Planungsannahmen der Gewinn- und Verlustrechnung deckungsgleich mit denen der Bilanz sein müssen. So weisen die meisten Unternehmen einen im Zeitablauf relativ stabilen Kapitalumschlag auf, so dass das Verhältnis aus Umsatz und Gesamtvermögen im Zeitablauf relativ konstant bleibt. Damit wird die Prognose des Anlage- und Umlaufvermögens sowie der Abschreibungen indirekt über die prognostizierten Umsätze vorgegeben. Mit anderen Worten: Die Höhe der zur Realisierung des geplanten Umsatzwachstums erforderlichen Investitionen in das Anlage- und Umlaufvermögen unterscheidet sich letztendlich nur vom Reifegrad der Industrie: Reife Unternehmen müssen tendenziell weniger investieren als junge Unternehmen, die die Marktdurchdringung noch vor sich haben. Während sich das Working Capital – zumindest tendenziell! – im Einklang mit den Umsatzerlösen bewegt, verhält sich das Sachanlagevermögen ähnlich den fixen Kosten: Erst wenn eine bestimmte Kapazitätsauslastung nachhaltig überschritten ist, muss das Unternehmen neu in Sachanlagen investieren. In manchen Jahren haben Unternehmen daher hohe Investitionsbedürfnisse, etwa weil sie ein neues Produkt auf den Markt bringen, in anderen niedrige, etwa weil die Kapazitätsauslastung niedrig ist. Weiterhelfen kann ein Blick in die Vergangenheit, etwa um einen Eindruck über die durchschnittliche Investitionshöhe für den Zeitraum eines kompletten Zyklus zu bekommen.
54
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Das buchhalterische Anlagevermögen ergibt sich aus den historischen Anschaffungskosten, die um die Minderungen aus dem Gebrauch der Anlagen korrigiert werden. Während diese Minderungen in der Theorie den anteiligen Verbrauch der Anlage widerspiegeln sollten, sind sie in der Praxis das Ergebnis einer Konvention: Den Abschreibungen. Den Unternehmen stehen unterschiedliche Abschreibungsmethoden offen, die in Steuer- und Handelsbilanz noch nicht einmal übereinstimmen müssen. Zur Prognose der Sachanlageinvestitionen (Capex) ist eine Einschätzung über den Zustand des Anlagevermögens hilfreich. Zu diesem Zweck verwendet man zunächst folgende Beziehung:
Buchwert des Anlagevermögens . Anschaffungskosten
(2.7)
Sämtliche hierfür erforderlichen Angaben sind im Anhang der Bilanz ersichtlich. Bei der Quote hat sich folgende Daumenregel bewährt: Eine niedrige Quote von unter 25€% ist ein Indiz dafür, dass das Anlagevermögen der Gesellschaft relativ veraltet sein könnte. Aufgrund niedriger Abschreibungen stellen sich die operativen Margen höher dar als sie dies bei gleichmäßiger Investitionspolitik wären. Dieser Zustand ist jedoch nicht von Dauer. Früher oder später liegen die Produktionskosten über denen der Wettbewerber mit einem modernen Maschinenpark, was hohe Ersatzinvestitionen nach sich zieht. Liegt die Quote dagegen über 75€ %, hat das Unternehmen moderne Produktionskapazitäten und die Capex dürften im Zeitablauf zurückgehen. Zur endgültigen Schätzung der Capex werden diese mit den Abschreibungen verglichen. Liegen die Capex über den Abschreibungen, werden Erweiterungsinvestitionen getätigt, die zu einer Ausweitung der Produktionskapazitäten führen. Der umgekehrte Fall führt zu einer sukzessiven Überalterung des Anlagevermögens, was die langfristige Existenz des Unternehmens aufs Spiel setzt. Gemessen wird dieses Verhältnis anhand des Substanzerhaltungsgrades, also
Substanzerhaltungsgrad =
Nettoanlageinvestitionen . Abschreibungen
(2.8)
Liegt der Substanzerhaltungsgrad dauerhaft über Eins – was angesichts tendenziell steigender Wiederbeschaffungskosten die Regel sein sollte –, steigen die Sachanlagekapazitäten im Zeitablauf an, was auf eine Wachstumsstrategie des Managements schließen lässt. Ist der Substanzerhaltungsgrad dagegen kleiner als Eins, insbesondere über einen längeren Zeitraum, so deutet dies auf einen Substanzverzehr hin. Allerdings könnte ein im Zeitablauf sinkender Substanzerhaltungsgrad auch auf Sale and Lease Back-Verfahren hindeuten oder auf eine Verschiebung der Produktpalette hin zu einem geringeren Anteil an kapitalintensiven Produkten. Genauere Angaben sind aus dem Geschäftsbericht zu entnehmen. Eine weitere Methode, um die Investitionsbedürfnisse zu prognostizieren, besteht in der Höhe der Umsätze, die jeder investierte Euro planmäßig erwirtschaftet.
2.3â•… Einige Daumenregeln der Bilanzprognose
55
Durch Division der erwarteten Erlöse durch das bestehende Gesamtvermögen ergibt sich der Vermögensumschlag des Unternehmens (Asset Turnover ATO), also
ATO =
Umsatzt 100. Assetst−1
(2.9)
Bei einem erwarteten Umsatzwachstum von 100€Mio.€€ und einem durchschnittlichen Vermögensumschlag von 2,0 sind demzufolge Investitionen von 50€Mio.€€ erforderlich. Je niedriger der Vermögensumschlag ist, desto ineffizienter ist die Ausnutzung des investierten Kapitals. Ursachen für Ineffizienzen können Überkapazitäten in der Industrie oder Unterbrechungen in der Versorgung mit Rohstoffen sein. Je höher die Quote ist, desto niedriger sind die erforderlichen Investitionen, um eine zusätzliche Einheit an Erlösen zu generieren und desto höher ist die Profitabilität des Unternehmens. Soll die Umsatzerwartung mit dem Kapitalbestand synchronisiert werden, muss man sich auch über die Zeitdauer im Klaren sein, die erforderlich ist, dass aus Investitionen Umsätze werden. In Formel (2.9) wird von einem mehr oder weniger simultanen Übergang der Investitionen in Umsätze ausgegangen, wie dies beispielsweise in der Softwareindustrie vorstellbar ist. In der Investitionsgüterindustrie besteht demgegenüber ein verzögerter Zusammenhang zwischen Investition und Umsatz. Beispielsweise kann es bei Stahlherstellern mehrere Jahre dauern, bis ein neu errichtetes Stahlwerk seine optimale Kapazitätsauslastung erreicht hat. In diesem Fall wäre (2.9) wie folgt umzuformen (mit der Anzahl n der Perioden bis zur vollständigen Kapazitätsauslastung):
ATO =
Umsatzt 100. Assetst−n
(2.10)
Bezüglich der angemessenen Investitionshöhe ist es sinnvoll zu prüfen, ob in der Vergangenheit erforderliche Investitionen unterlassen worden sind und ein so genannter Investitionsstau vorliegt. In diesem Fall ist die Investitionsquote in den Folgejahren tendenziell höher anzusetzen. Zudem mag es sinnvoll sein zu unterstellen, dass mit steigenden Erlösen das Sachanlagevermögen unterproportional steigen sollte, während die Umschlagshäufigkeit des kurzfristigen Vermögens verhältnismäßig konstant bleibt. Nach dem Anlagevermögen steht das Umlaufvermögen im Vordergrund des analytischen Interesses. Der Anteil des Umlaufvermögens am Gesamtvermögen vermittelt einen Eindruck über die betriebliche Flexibilität des Unternehmens. Mit sinkender Fristigkeit des Vermögens steigen das Liquiditätspotenzial des Unternehmens und die Reaktionsfähigkeit des Managements auf Änderungen der Kapazitätsauslastung an, während sich umgekehrt der Fixkostenanteil und das leistungswirtschaftliche Risiko verringern. Die gängige Kennzahl zur Einschätzung des Umlaufvermögens ist das Working Capital. Dieses entspricht der Differenz der kurzfristig, also binnen eines Jahres liquidierbaren Aktiva eines Unternehmens und der kurzfristigen, nicht zinstragenden Passiva. Es handelt sich mithin um jene Bi-
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
lanzpositionen, die direkt mit dem operativen Geschäft verknüpft sind. Da es sich um stichtagsbezogene Größen handelt, sind sie nicht notwendigerweise repräsentativ für die dauerhaften Liquiditätsanforderungen an ein Unternehmen; in vielen Fällen ist eine quartalsweise Berechnung hilfreich. Üblicherweise wird das Working Capital anhand von drei Positionen berechnet, den Vorräten, den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, also
WCt = Vorrt + FordLLt − VerbLLt .
(2.11)
In der Regel nimmt das Working Capital positive Werte an, langfristig ist seine Veränderung meist an die Entwicklung der Umsätze gekoppelt. Im Falle eines Umsatzwachstums ist dementsprechend Eigenkapital erforderlich, um den gestiegenen Bedarf an Working Capital zu finanzieren. In seltenen Fällen ist das Working Capital negativ und die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen übersteigen die Summe aus Vorräten und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen: Je stärker dann die Umsätze steigen, desto mehr Kapital steht dem Management zu alternativen Zwecken zur Verfügung; das Umsatzwachstum würde sich quasi von selbst refinanzieren. Working Capital setzt sich also zusammen aus Verkäufen, deren Bezahlung noch aussteht, aus unverkauften Produkten und aus noch nicht bezahlten Einkäufen. Veränderungen im Working Capital unterstreichen den Unterschied zwischen Ertrag und Cashflow: Steigen die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Jahresvergleich stärker an als die Umsätze, konnte das Unternehmen einen geringeren Liquiditätsbetrag vereinnahmen als dies durch die Umsatzentwicklung suggeriert wurde. Das Working Capital ist also derjenige Teil des Umlaufvermögens, der nicht durch kurzfristige Verbindlichkeiten finanziert wurde, sondern durch Eigenkapital. Steigt das Working Capital im Zeitablauf an, ist zusätzliches Kapital zu seiner Finanzierung erforderlich. Nicht allzu lange, denn bereits nach kurzer Zeit werden die Vorräte verbraucht, die Außenstände eingefordert, Zulieferer bezahlt. Die zur Finanzierung des Working Capital notwendigen liquiden Mittel werden also nach kurzer Zeit wieder freigesetzt. Dennoch ist das Working Capital nicht liquide, sondern stellt einen dauerhaft zu finanzierenden und damit illiquiden Vermögenswert dar. Denn selbst wenn die einzelnen Komponenten des Working Capital kurzfristiger Natur sind, müssen sie nach ihrem Verbrauch durch neue betriebliche Vermögenswerte ersetzt werden. Sogar in Geschäftsmodellen, die durch starke Saisonalitäten geprägt sind – also beispielsweise dem Einzelhandel – geht das Working Capital niemals auf null zurück; vielmehr kann in der Praxis beobachtet werden, dass die Maximalwerte des Working Capitals selbst bei sehr saisonalen Unternehmen nur etwa doppelt so hoch sind wie ihre Mindestwerte. Ein Unternehmen, das seine Aktiva nicht rechtzeitig in Cash umwandeln kann, kann also in Liquiditätsprobleme geraten, obwohl es sich in einem profitablen Wachstumsmodus befindet. Auch wenn man aufgrund von Mindestlagerbeständen vermuten könnte, dass sich das Working Capital unterproportional zum Umsatz entwickeln sollte, zeigt die Realität allzu häufig das Gegenteil, ja nicht selten sogar ein unkontrolliertes Wachstum des Working Capitals im Zeitablauf. Ursächlich für derartige Ineffizienzen ist
2.3â•… Einige Daumenregeln der Bilanzprognose
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häufig ein schwaches Unternehmenscontrolling. Auch die populäre Strategie einer vertikalen Vorwärts- und Rückwärtsintegration von Geschäftsbereichen erhöht zwar die Wertschöpfungstiefe eines Unternehmens, trägt aber auch zu einem überproportionalen Anstieg des Working Capitals bei. Schließlich dürfte auch die Aussage des Managements, neue Kundengruppen akquirieren zu wollen, einen überproportionalen Anstieg des Working Capitals zur Folge haben, da es naheliegend ist, dass Neukunden auch durch die Gewährung längerer Zahlungsziele angeworben werden. Interessanterweise wächst das Working Capital in der Anfangsphase einer Rezession weiter an, da kostensenkenden Maßnahmen in der Regel erst mit einer Verzögerung auf die Komponenten des Working Capitals einwirken können. Schnell wachsende Unternehmen, die sich zudem in Industrien bewegen, die von hohen Working Capital-Quoten charakterisiert sind – also zum Beispiel der Einzelhandel – haben dagegen in der Regel hohe absolute Working Capital-Zuwächse. Für die Prognose des Working Capitals stehen mehrere Optionen offen. Zunächst könnte die absolute Veränderung des Working Capitals des Vorjahres fortgeschrieben werden. Für wachsende Unternehmen mag dies eine wenig adäquate Vorgehensweise sein, da sie rückläufige Working Capital-Quoten unterstellt. Alternativ könnte aus dem Working Capital eine Quote zum Umsatz berechnet werden, entweder indem ein aus mehreren Jahren abgeleiteter durchschnittlicher Prozentsatz zum Umsatz berechnet wird oder indem die Working Capital-Quote des Vorjahres in das Folgejahr fortgeschrieben wird. Setzt man das Working Capital ins Verhältnis zum Umsatzwachstum, ergibt sich daraus die inkrementelle Working Capital-Investitionsquote15:
Inkrementelle WC-Quote =
WCt 100. Umsat zt − Umsat zt - 1
(2.12)
Stabile Beziehungen der beteiligten Parameter vorausgesetzt folgt bei einer inkrementellen Working Capital-Quote von 20€%, dass für die Finanzierung eines Umsatzanstiegs von 100€Mio.€€ auf 150€Mio.€€ ein zusätzliches Working Capital von 10€Mio.€€ finanziert werden muss. Sind all diese Methoden nicht zielführend, etwa weil das Working Capital keinen erkennbaren Gesetzmäßigkeiten gehorcht und keine nachvollziehbaren Quoten gebildet werden können, kann auch eine durchschnittliche Working Capital-Quote aus vergleichbaren Unternehmen abgeleitet werden. In diesem Fall werden allerdings die unternehmensspezifischen Besonderheiten ausgeblendet. Betrachtet man die Einzelteile des Working Capitals, so gelingt die Analyse der Umlaufintensität eines Unternehmens und die Prognose der Vorräte an Roh-, Hilfsund Betriebsstoffen sowie der unfertigen Erzeugnisse am besten über die Kennzahl Days in Inventory (DII). Diese Kennzahl misst die Anzahl der Tage, in denen die Vorräte im Unternehmen gelagert werden, bevor sie im Produktionsprozess verkauft werden, also16 15╇ 16╇
Vgl. Rappaport und Mauboussin (2001, S.€25 und 198€f.). Vgl. zum Beispiel Berman et€al. (2008, S.€149).
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
DII =
Vorrätet + Vorrätet−1 2 Herstellungskosten Tag
(2.13)
.
Im Zähler steht der durchschnittliche Vorratsbestand des Unternehmens, im Nenner die durchschnittlichen Herstellungskosten je Tag. Je geringer die Kennzahl ist, desto schneller „dreht“ ein Unternehmen seine Vorräte, je höher sie ist, desto länger dauert es, bis ein Unternehmen seinen Vorratsbestand auflösen kann. Ein steigender Umschlag der Vorräte, das heißt eine sinkende Umschlagsdauer, kann auf eine Verbesserung der Lagerhaltung zurückzuführen sein oder auf einen unerwarteten Engpass infolge von Lieferproblemen beim Hauptlieferanten. Entscheidend für die Auswertung der Kennzahl ist in jedem Fall der Trend: So kann ein dauerhafter Anstieg der DII Finanzierungsprobleme nach sich ziehen. Die zweite Komponente des Working Capitals sind die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. In der Regel führt ein Anstieg der Umsätze zunächst zu einem Anstieg der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und erst danach zu einem entsprechenden Liquiditätszufluss. In Abhängigkeit von der Verhandlungsmacht der beiden Vertragsparteien, der Fälligkeitsstruktur der Forderungen, der Zahlungsmoral der Kunden und der Qualität des innerbetrieblichen Mahnwesens ergeben sich unterschiedlich hohe Forderungsbestände. Zur Prognose der Forderungen ist eine Kennzahl hilfreich, die Debitorentage, hierzulande besser bekannt unter dem Anglizismus Days of Sales Outstanding DSO. Diese ergeben sich aus folgender Formel:
DSO =
FordLLt + FordLLt−1 2 Bruttoumsätzet Tag
.
(2.14)
Die DSO errechnen sich also aus dem durchschnittlichen Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen einer Periode, dividiert durch die während dieser Periode erwirtschafteten Tagesumsätze. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind normalerweise unkritisch, zum Problem werden sie erst, nachdem ein Schuldner zahlungsunfähig geworden ist. Als Effizienzkennzahl im klassischen Sinne bedeuten steigende DSO entweder, dass längere Zahlungsziele vereinbart wurden, etwa zu Zwecken der Kundenwerbung, dass Kunden Zahlungsschwierigkeiten haben oder dass sich ihre allgemeine Zahlungsmoral verschlechtert hat. Auch im konjunkturellen Abschwung können sich die Zahlungsmodalitäten der Abnehmer tendenziell verlängern. Dies hat einen Anstieg der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zur Folge und damit einen Anstieg des Working Capitals. Hilfreich sind die DSO insbesondere, um das so genannte Channel Stuffing zu identifizieren, also ein Verkauf von Waren und Dienstleistungen an Kunden, ohne dass diese sie unmittelbar bezahlen müssen. Im Anschluss an die Mittelverwendung betrachtet man die Passivseite der Bilanz. Zwei Komponenten des Eigenkapitals bleiben während des Prognosehorizonts konstant: Das Grundkapital und die Kapitalrücklagen. Werden Kapitalerhöhungen
2.3â•… Einige Daumenregeln der Bilanzprognose
59
nicht explizit kurzfristig angekündigt, ist das Unternehmenswachstum ausschließlich über eine Erhöhung des Verschuldungsgrades oder den thesaurierten Periodenerfolg zu finanzieren. Eine Veränderung des Bilanzgewinns ergibt sich unmittelbar aus dem thesaurierten Nettoergebnis der Periode:
BGt = BGt−1 + NetInct − DivSumt .
(2.15)
Langfristige Rückstellungen bestehen im Wesentlichen aus Pensionsrückstellungen. Ihre Prognose ist von der erwarteten Zahl an Mitarbeitern abhängig und ist demzufolge mit den Personalaufwendungen korreliert. Kurzfristige Rückstellungen, also überwiegend Steuer- und Gewährleistungsrückstellungen, im geringeren Maße auch Urlaubs- und Prozesskostenrückstellungen, bilden die kurzfristig auf das Unternehmen zukommenden finanziellen Risiken ab, deren Höhe und Eintrittszeitpunkt ungewiss sind. Zwei Solvenzkennzahlen sollten bei der Bestimmung der Bilanz grundsätzlich im Auge behalten werden. Zum einen das (dynamische) Leverage, gemessen durch die Debt-to-EBITDA-Quote
Leverage =
Debt , EBITDA
(2.16)
oder, häufiger noch, durch die Net Debt-to-EBITDA-Quote
Leverage =
NetDebt , EBITDA
(2.17)
Gearing =
NetDebt , EK
(2.18)
und zum anderen das Gearing
das vereinzelt auch als Quotient aus Gesamtverschuldung zu Eigenkapital angegeben wird. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Finanzkennzahlen, die vornehmlich in der Kreditanalyse verwendet werden. Die wohl bekannteste davon ist die Current Ratio:
Current Ratio =
Kurzfristiges Vermögen . Kurzfristige Verbindlichkeiten
(2.19)
„Kurzfristig“ entspricht hierbei einer Fälligkeit von weniger als einem Jahr. Die Current Ratio gibt an, ob die Vermögenswerte, die innerhalb eines Jahres in Liquidität umgewandelt werden, ausreichen, um die Verbindlichkeiten zurückzuführen, die innerhalb eines Jahres fällig werden. Ein Wert von größer als Eins bedeutet, dass es für die Gläubiger des Unternehmens eine Sicherheitsmarge bei der Liquidierung
60
2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
der Vermögenswerte gibt. Bezogen auf die langfristigen Aktiv- und Passivwerte bedeutet eine Current Ratio von mehr als Eins, dass für Vermögenswerte, die in mehr als einem Jahr refinanziert werden müssen, in ausreichendem Maße Mittel zur Verfügung stehen. Ist die Current Ratio dagegen kleiner als Eins, wurden langfristige Vermögenswerte zumindest zum Teil auch durch kurzfristige Verbindlichkeiten oder durch ein negatives Working Capital refinanziert. Eine Abwandlung der Current Ratio ist die Quick Ratio bzw. der Liquiditätsgrad 2. Grades, aus der geldfernere Vermögensbestandteile ausgeklammert werden, zum Beispiel Vorräte. Der zugrundeliegende Gedanke ist, dass ein bestimmter Teil der Vorräte für den Betrieb des Unternehmens notwendig ist und dementsprechend nicht verkauft werden kann. Vorräte werden demnach als Teil des langfristigen Vermögens angesehen, nicht des kurzfristigen:
Quick Ratio =
Kurzfristiges Vermögen − Vorräte Kurzfristige Verbindlichkeiten
(2.20)
bzw. Liquide Mittel + Wertpapiere + Kurzfristige Forderungen . Quick Ratio = (2.21) Kurzfristige Verbindlichkeiten
Die Cash Ratio, auch Liquiditätsgrad 1. Grades, die die Barliquidität eines Unternehmens misst, komplettiert das Dreigestirn:
Cash Ratio =
Cash + Cash Equivalents . Kurzfristige Verbindlichkeiten
(2.22)
Liquiditätsgrade sind ein Maß dafür, in welchem Umfang ein Unternehmen in der Lage ist, seinen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht nachzukommen. Zur Deckung der imminenten Zahlungsverpflichtungen wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur vorgegeben, welche Größen sie einzunehmen haben. So wird zum Beispiel angegeben, dass die Current Ratio größer als Eins sein sollte, damit nicht Teile des Anlagevermögens zur Deckung der kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen verkauft werden müssen. Kritische Grenzwerte sind jedoch von der beobachteten Industrie abhängig. Ob die Vermögenswerte zu jedem Zeitpunkt, insbesondere zum Zeitpunkt der Insolvenz, ausreichen, die Zahlungsverpflichtungen eines Unternehmens zu befriedigen, ist für einen Aktionär jedoch von untergeordnetem Interesse. Nicht, dass Liquidität und Zahlungsfähigkeit unwichtig wären, aber ist der Going Concern eines Unternehmens in Frage gestellt, ist der Wert einer Aktie ohnehin kaum noch über Fundamentaldaten zu ermitteln. Wurden Aktiv- und Passivseite entsprechend geplant, ergibt sich als Residualgröße der Kassenbestand des Unternehmens. Das gleiche Ergebnis erhält man, wenn aus der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz die Kapitalflussrechnung, auch Cashflow-Statement genannt, abgeleitet wird.
2.4â•… Die Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen
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2.4 D ie Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen Wie profitabel ist eine Gesellschaft? Welche Werte konnten in der Vergangenheit geschaffen werden? Welcher Kapitaleinsatz war hierfür erforderlich? Und mit welchem Risiko wurden diese erzielt? Dies sind fundamentale Ausgangsfragen einer Bewertung, für die die Unternehmensplanung die Grundlage bildet. Schließlich herrscht an den Kapitalmärkten weitgehend Konsens darüber, dass der Wert eines Unternehmens von den zukünftig erzielten Cashflows abhängig ist. Betrachtet man die Erträge als eine Näherungsgröße für Cashflows, folgt daraus, dass der Preis, den ein Investor heute für eine Aktie zu zahlen bereit ist, eine Funktion von zukünftig erzielbaren, wiederkehrenden Erträgen ist. Für nicht-wiederkehrende Erträge gilt dies nicht. Sie werden nicht als Teil des zukünftigen Unternehmenswertes angesehen, von ihnen sind demzufolge die wiederkehrenden Erträge zu bereinigen. Studenten und Berufsanfänger im Feld der Unternehmensanalyse und -bewertung betrachten den Jahresabschluss eines Unternehmens häufig als einen absoluten Wert. Schließlich wurde er von einem (unter Umständen weltweit tätigen und) staatlich vereidigten Wirtschaftsprüfer erstellt, von einer Reihe hochqualifizierter Finanzbuchhalter geprüft und bei den Steuerbehörden oder der BaFin eingereicht und akzeptiert. Dass sich Jahresabschlüsse verschiedener Unternehmen bis aufs Haar gleichen, trägt den Anspruch wissenschaftlicher Exaktheit noch eine Ebene weiter: In Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz tauchen unternehmensübergreifend dieselben Begriffe auf und als Fundament des Cashflow-Statements formen sie ein integriertes Gesamtbild. Diese numerische Exaktheit erhält erste Risse, wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele buchhalterische Angaben nicht auf tatsächlichen Transaktionen basieren, sondern auf einer subjektiven Schätzung des Managements oder des Wirtschaftsprüfers. Im Idealfall repräsentieren diese Schätzungen eine solide mathematische Interpretation der aktuellen finanziellen Situation des Unternehmens. Ein typisches Beispiel für die Auswirkungen der subjektiven Einschätzung stellen die Buchwerte des Sachanlagevermögens dar, zum Beispiel einer Maschine. Der Kaufpreis der Maschine hat umso weniger mit dem aktuellen Wert gemeinsam, je älter die Maschine ist. Der Wiederbeschaffungswert ist von geringem Nutzen, wenn das Unternehmen nicht beabsichtigt, diese Maschine auf absehbare Zeit erneut zu erwerben, ebenso der erzielbare Verkaufserlös, sofern von einem Going Concern ausgegangen und ein Verkauf nicht in Betracht gezogen wird. Die tatsächliche Ertragskraft des Unternehmens bleibt auf der Strecke, und weil geschickte Finanzvorstände meist gleich mehrere dispositive Positionen zusammenpacken bleibt dem Außenstehenden auch die Bedeutung jeder einzelnen Position unklar. Wäre es in den Geschäftsberichten der Unternehmen unmittelbar ersichtlich, ob und in welcher Höhe Einmaleffekte aufgetreten sind, indem sie zum Beispiel als außerordentlich, ungewöhnlich oder nicht periodengerecht gekennzeichnet wurden, wäre die Anpassung trivial und rasch beendet. Man würde sie einfach aus dem Spreadsheet tilgen und mit den bereinigten Größen weiterarbeiten. Leider sind in
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
Unternehmen höchst kreative Menschen beschäftigt, die ihrerseits versuchen, die Einmaleffekte zu verschleiern, so dass deren Identifikation für den Außenstehenden nicht immer einfach ist. Schnell sollte sich der Leser daher von dem Gedanken verabschieden, der Jahresabschluss einer Gesellschaft wäre mehr als ein Marketinginstrument. Dies allein schon deshalb, weil die heute gängigen Buchhaltungsvorschriften für Unternehmen des Industriezeitalters entwickelt worden sind, nicht für Unternehmen des Informationszeitalters. Immaterielle Wirtschaftsgüter haben bei Industrieunternehmen vor 40, 50 Jahren keine Rolle gespielt, bei Software- oder Internetwerten ist dies heute anders. Selbiges gilt für operatives Leasing. Darüber hinaus interessieren auch Elemente, die der Jahresabschluss gar nicht beantworten kann. Wer sind die Gläubiger der Gesellschaft? Wer sind die Eigentümer der Minderheiten? Gibt es inoffizielle Verbindungen zu außenstehenden Dritten? Sind die Konditionen marktgerecht? Und wie ist zum Beispiel mit Unternehmen zu verfahren, die in regelmäßigen Abständen die Restrukturierung ihres Unternehmens bekannt geben? Wenn ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum regelmäßig nennenswerte Beträge für Personalabbau oder Umorganisationen zurückstellen muss, kann dies kaum als außerordentlich oder einmalig betrachtet werden. Andere Unternehmen, bevorzugt Large Caps, erwirtschaften jahrein, jahraus signifikante Erträge aus dem Verkauf von Immobilien, obwohl sie sich selbst nicht als Immobilienbestandshalter deklarieren würden. Sind derartige Tatbestände überhaupt bereinigungsfähig? Unglücklicherweise gibt es unter HGB, IFRS oder US-GAAP darüber hinaus eine Reihe von Gestaltungsspielräumen und Einmaleffekten, die die Berechnung des Bilanzgewinns oder anderer aus dem Jahresabschluss entnommener Daten nicht frei von einer gewissen Bewertungswillkür erscheinen lassen. Angesichts der vielfältigen Bewertungsspielräume ist es kein Wunder, dass Finanzvorstände zuweilen der Versuchung erliegen, irreführende Kennzahlen zu veröffentlichen, die das Unternehmen in einem besseren Licht erscheinen lassen als dies sonst der Fall wäre. In anderen Fällen, etwa zur Vermeidung von Steuerzahlungen oder um sich einen Ertragspuffer für die Folgejahre zu verschaffen, wird die Ertragslage eines börsennotierten Unternehmens schlechter dargestellt. Derartige Effekte, gleich ob die Ertragslage begünstigend oder belastend, müssen in einer seriösen Unternehmensbewertung ausgeblendet werden, da sie langfristig ohne Bedeutung sind. Es ist üblich, Bereinigungstatbestände in zwei Gruppen zu klassifizieren, nämlich in • Sondereinflüsse aus ungewöhnlichen oder einmaligen Begebenheiten, die nicht aus der nachhaltigen Geschäftstätigkeit des Unternehmens stammen, also insbesondere neutrale Aufwendungen und Erträge wie zum Beispiel Kauf oder Verkauf von Unternehmensbestandteilen (Discontinued Operations) oder Aufwendungen im Zusammenhang mit der Börseneinführung, und in • Sondereinflüsse aus der dispositiven Ausnutzung von bilanzpolitischen Bewertungsspielräumen, im angelsächsischen Sprachraum euphemistisch als „Creative Accounting“ bezeichnet, und Ansatzwahlrechten wie zum Beispiel steuerlich nicht anerkannte Rückstellungen oder spezielle Sonderabschreibungen.
2.4â•… Die Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen
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Grundsätzlich gilt folgende Regel: Einmaleffekte, die ihrem eigentlichen Wortsinn entsprechend einmalig sind, werden vollumfänglich bereinigt. Einmaleffekte, die regelmäßig wiederkehren, bleiben mit ihrem annualisierten Wert erhalten. Ungewöhnliche Effekte, deren Höhe nicht vorhersehbar ist, bleiben unberücksichtigt, es erfolgt keine Anpassung. Unberücksichtigt sollten insbesondere Währungsgewinne oder -verluste bleiben, obwohl gerade sie regelmäßig von Unternehmen als bereinigungswürdiger Tatbestand klassifiziert werden. Währungen gelten als klassische Vertreter einer Random Walk, die nicht zu prognostizieren sind. Währungsgewinne des einen Jahres werden schnell im darauffolgenden zu Währungsverlusten – und umgekehrt. Am besten also, sie werden bei der Unternehmensbewertung ignoriert. Die Gewinn- und Verlustrechnung beginnt mit den Umsatzerlösen und schon diese können Quelle der Manipulation sein. Zu den schwieriger zu identifizierenden Beeinflussungen der Umsatzentwicklung zählt die Vorwegnahme zukünftiger Erlösströme, das so genannte Frontend-Loading17. Das Frontend-Loading führt zu einer überzogenen Darstellung der laufenden Erträge und Profitabilitätskennzahlen und zum Ausweis eines überhöhten Buchwertes. Ein Extremfall für Frontend-Loading war sicherlich Xerox, die im Jahre 2002 Falschbuchungen in Höhe von 6,4€Mrd.€$ einräumen musste, die auf vorgezogene Umsätze bei Leasinggeschäften zurückzuführen waren. Kein Wunder, dass Frontend-Loading ein Liquiditätsrisiko zur Folge haben kann, etwa weil der Kunde seine Rechnungen infolge Insolvenz o.€ä. nicht begleicht und Forderungen uneinbringbar werden. Insbesondere in Zeiten der Rezession können derartige Lieferforderungen, die zudem häufig ohne Rückgriffsmöglichkeiten ausgestattet sind, liquiditätsbedrohliche Ausmaße annehmen. Einer Analyse des Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) zufolge spielt18 die vorzeitige oder erfundene Verbuchung von Umsätzen in mehr als der Hälfte aller Insolvenzen die entscheidende Rolle. Allerdings muss mit Bedauern festgestellt werden, dass derartige Umsatzmanipulationen für einen Außenstehenden nur in den seltensten Fällen auszumachen sind. Bei Umsatzmanipulationen, die auf eine Verlängerung von Zahlungszielen zurückzuführen sind, besteht die Gefahr, dass sie aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit der Kunden im Zeitablauf an Werthaltigkeit verlieren. Der Verkauf an Kunden mit schlechter Bonität ist eine überaus kurzsichtige Strategie: Langfristig ist die Ertragslage durch Abschreibungen auf Forderungen gefährdet. Auch das so genannte Channel Stuffing zählt zu den kurzfristigen Methoden der Umsatzmanipulation. Hierbei „zwingt“ ein Unternehmen seinem Distributor mehr Produkte auf, als dieser im folgenden Quartal verkaufen kann. Eine potenzielle Gefahrenquelle für Umsatzmanipulation ergibt sich aus der Percentage of completion-Methode. Anlagenbauer oder Immobilienentwickler sind unter Umständen Jahre mit einem einzigen Auftrag beschäftigt. Um zu vermeiden, dass dieser in voller Höhe mit der Übergabe umsatzwirksam wird, werden die Umsätze nach dem jeweiligen Fertigstellungsgrad verbucht. Da das Management den tatsächlichen Fertigstellungsgrad besser kennt als der Wirtschaftsprüfer, besteht die Gefahr, dass ein Auftrag zu 70€% verbucht 17╇ 18╇
Vgl. ausführlich das höchst lesenswerte Buch von Schilit (2010). Vgl. The Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (1999, S.€6).
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
wird, obwohl er tatsächlich erst zu 60€% abgearbeitet worden ist. Die Umsätze sind damit größer als bei einem Vergleichsunternehmen, das die Erlöse periodisch verteilt. Ein Maß, um die Höhe der Vorwegnahme zu berechnen, sind die so genannten Cash-Umsätze. Sie berechnen sich wie folgt:
Cash Sales =
Umsatz t − FordLL − Kundenanzahlungen . Umsatzt
(2.23)
Eine Daumenregel besagt, dass es ein gutes Indiz für Frontend-Loading ist, wenn die Cash-Umsätze stetig unter dem Wert von 0,7 liegen19. Für eine Prognose der zukünftigen Erlöse mag es in diesen Fällen ratsam sein, die Ist-Daten entsprechend anzupassen. Bestandserhöhungen betreffen grundsätzlich fertige und unfertige Erzeugnisse. Sie erhöhen zwar die Gesamtleistung und verbessern damit die Ertragslage eines Unternehmens, sind aber unter Umständen auf nicht absetzbare Produkte zurückzuführen. Womöglich war der Anstieg des Umlaufvermögens nur auf eine Änderung der bilanziellen Bewertungsmethoden zurückzuführen. Unternehmen, die an einer besseren Darstellung der Ertragslage interessiert sind, werden die Bestände zu Vollkosten, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Fremdkapitalzinsen, bilanzieren. Hierüber sind Aktionäre theoretisch im Anhang des Geschäftsberichts zu informieren, in der Praxis wird dieser Verpflichtung allerdings oft nur unzureichend nachgekommen20. Während die Bestandsveränderungen aus dem Umlaufvermögen stammen, betreffen andere aktivierte Eigenleistungen das Anlagevermögen, insbesondere selbst hergestellte Fertigerzeugnisse, die im Unternehmen genutzt werden können. Auch sie verbessern die Ertragslage des Unternehmens, können aber auf nicht abgesetzte Produkte zurückzuführen sein. Damit wird eine Verbesserung der Ertragslage vorgetäuscht, die operativ nicht gegeben ist. Zu den potentiell problembehafteten Bilanzpositionen zählen die sonstigen betrieblichen Erträge. Bei ihnen handelt es sich um eine Sammelposition unterschiedlichster Herkunft. Darin werden auf der einen Seite dauerhafte Einnahmen erfasst, die nicht aus dem eigentlichen Geschäftszweck des Unternehmens stammen; Beispiele sind Mieteinnahmen, Kantinenerträge oder Währungsgewinne. Ihr Ausmaß ist häufig vernachlässigbar und für die Unternehmensbewertung unproblematisch. Auf der anderen Seite sind in ihnen auch Einmaleffekte enthalten, die unter Umständen beträchtliche Ausmaße annehmen können. Hierzu zählen u.€ a. Buchgewinne aus dem Verkauf von Anlagevermögen, Erträge aus der Neubewertung von Immobilien oder Erträge aus der Auflösung negativer Unterschiedsbeträge aus der Kapitalkonsolidierung, die so genannten Erträge aus Bargain Purchase. Sie als „sonstig“ zu bezeichnen, ist nicht selten verharmlosend, in jedem Fall irreführend, zumal ihr Betrag beträchtlich sein kann: Bei Arques Industries, einer auf den Erwerb von notleidenden Gesellschaften spezialisierten Beteiligungsgesellschaft, lagen die Erträge aus Bargain Purchase im Geschäftsjahr 2007 bei knapp 80€% des EBITDA. Oftmals 19╇ 20╇
Vgl. Ferris und Petitt (2002, S.€146). Vgl. für eine empirische Analyse Ballwieser und Häger (1991); vgl. auch Ballwieser (2007).
2.4â•… Die Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen
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handelt es sich also beim sonstigen betrieblichen Ergebnis um überaus heterogene Einmaleffekte, die aus der Ertragsanalyse herauszurechnen sind. In besonderem Maße „betrieblich“ sind diese Erträge damit nicht, schon gar nicht operativ. Einen mit Frontend-Loading vergleichbaren Effekt auf die Ertragslage hat die Kapitalisierung von Kosten. In völligem Einklang mit international akzeptierten Rechnungslegungsvorschriften ist es den Unternehmen gestattet, bestimmte Aufwandspositionen zu aktivieren und über die Folgeperioden abzuschreiben. Ein populäres Beispiel hierfür sind F&E-Aufwendungen, die insbesondere in der Pharma- und Biotechnologieindustrie aktiviert werden. Kann ihre Aktivierung noch halbwegs nachvollzogen werden, sind es die Gepflogenheiten anderer Unternehmen nicht. Zu nennen sind zum Beispiel Werbe- und Promotionsaufwendungen oder Vertriebsgebühren in der Medienindustrie. Eine derartige Vorgehensweise impliziert eine aggressive Interpretation der Rechnungslegungsspielräume, zumal nachgerade die genannten Aufwandspositionen mit Erlösströmen korreliert sein sollen, die in höchstem Maße riskant und demzufolge kaum zu prognostizieren sind. Mit anderen Worten: Es gibt keine Gewähr, dass die zukünftig zu erzielenden Erlöse in der vermuteten Höhe anfallen werden, unter Umständen fallen überhaupt keine Erlöse an. Darüber hinaus betreffen Werbeaufwendungen in aller Regel nur die Erlöse der laufenden Periode, so dass eine Aktivierung ausschließlich eine Verringerung der Kosten in den anschließenden Perioden zur Folge hat. Impairments dürften bei einer derartigen Aufwandsaktivierung also kaum zu vermeiden sein. Abschreibungen sind häufig Thema diskretionärer Managemententscheidungen. In den letzten Jahren haben Vorstände in zunehmendem Maße regelmäßige Aufwandspositionen zu Gunsten einmaliger Abschreibungen zurückgestellt. Der Abschreibungszeitraum wird unter- und die Höhe des Goodwills überschätzt, Investitionen in Forschung und Entwicklung werden von manchen Unternehmen kapitalisiert und nicht aufgewendet, in anderen nicht. Der Gipfel an Chuzpe ist erreicht, wenn die Buchwerte von Beteiligungen soweit abgeschrieben werden, dass bei einem späteren Verkauf Buchgewinne erwirtschaftet werden können, die dann vom Management als Wertsteigerung und Beweis ihrer erfolgreichen Investitionspolitik vermarktet werden. Neben diesen zu bereinigenden Faktoren gibt es eine Reihe von Fragen, die sich ein Investor bei der Analyse der Geschäftszahlen stellen sollte. • Sind einmalige Bereinigungsfaktoren tatsächlich immer einmalig? Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die jahrein jahraus ihre Gewinnverfehlungen mit Einmaleffekten rechtfertigen. Mal sind es unerwartete Währungsverluste, mal ein insolventer Großkunde, mal ist ein verlustträchtiger Unternehmensbereich zu restrukturieren, die Gründe sind vielfältig. Es kann sich in der Tat um eine Pechsträhne handeln, es kann aber auch der Versuch des Managements sein, im Grunde betriebliche Ereignisse in die Sphäre des Außerordentlichen zu verorten. In unregelmäßigen Abständen gesteht das Management operative Fehler ein und weil man die letzten Jahresberichte schlecht korrigieren kann, wird mit Zustimmung des Wirtschaftsprüfers einfach der laufende Abschluss um die Sünden aller Vorjahre bereinigt.
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2â•… Die integrierte Unternehmensplanung als Basis der Bewertung
• Ist das Unternehmen besonders kreativ im Erfinden neuer Ertragskennzahlen? Populäres Beispiel während der Internetblase war zum Beispiel die Kennzahl EBITDAR, ein Akronym für Earnings Before Interests, Taxes, Depreciation, Amortization and Restructuring, wobei R je nach Intention auch für „Rent“, also Miete, stehen könnte. Noch weniger aussagekräftig ist EBITDARM, der Abkürzung von Earnings Before Interests, Taxes, Depreciation, Amortization, Restructuring and Management Fees, EBITDAX, das für Öl- oder Mienengesellschaften die Explorationskosten außer Acht lässt, oder EBTIDASO, bei dem die Aufwendungen für Stock Options berücksichtigt werden. Angelsächsische Analysten haben inzwischen den Begriff EBBS geprägt, Earnings Before Bad Stuff, und man fragt sich bei diesen Wortschöpfungen allen Ernstes, wann wohl ein Unternehmen erstmals das Konzept des EBAC vorstellen wird, die Earnings Before All Costs. • Sind bestimmte betriebliche Aufwendungen im Zeitablauf besonders volatil? Üblicherweise schwanken die Aufwandsquoten im Zeitablauf in relativ engen Grenzen, zudem bewegen sie häufig sich in Trends. Kommt es hierbei zu häufigen Trendumkehrungen, ist das ein Indiz dafür, dass in den Aufwendungen nicht-betriebliche Faktoren enthalten sind. Diese sollten in einer tiefergehenden Untersuchung analysiert werden. • Gelingt es dem Unternehmen – im Gegensatz zu allen Wettbewerbern – über einen ungewöhnlich langen Zeitraum, die Margen kontinuierlich zu steigern? Auf den ersten Blick liefern steigende Margen nur wenig Grund zur Sorge, da sie Zeichen einer guten Marktstellung und einer höheren Produktqualität sind, eines ambitionierten Managements, hoher Markteintrittsbarrieren oder einer geringen Wettbewerbsintensität. Vielfach sind sie Ausdruck von Skaleneffekten, denn je größer ein Unternehmen wird, desto niedriger wird tendenziell sein operatives Leverage. Nichtsdestotrotz ist auch das beste Unternehmen der Welt natürlichen Profitabilitätsgrenzen ausgesetzt. Zu hinterfragen sind daher die Quellen des Wachstums. Vor allem für die Erreichung der kurzfristigen Management-Guidance steht dem Vorstand eine Vielzahl von Quellen offen, die möglicherweise langfristig das Unternehmenswachstum gefährden. So kann bei forschungsintensiven Unternehmen die F&E-Quote zurückgefahren werden, oder bei werbeintensiven Unternehmen die Werbeaufwandsquote, ohne dass dies für einen Außenstehenden unmittelbar ersichtlich wird. • Befindet sich das Unternehmen auf einem externen Wachstumspfad und wenn ja, kommt es nach Übernahmen regelmäßig zu Gewinnwarnungen? Das kann ein Indiz dafür sein, dass das Unternehmen zu hohe Kaufpreise bezahlt. Mindestens genauso ungewöhnlich ist es, wenn ein Unternehmen unmittelbar nach einer Übernahme seine Management-Guidance nach oben nimmt. Denn in aller Regel zahlen sich Übernahmen erst langfristig aus. • Weitere Warnlampen sollten aufleuchten, wenn sich die Qualität der Buchhaltung im Zeitablauf verschlechtert: Regelmäßige Veränderungen in der Segmentberichterstattung, häufige Umstrukturierungen von Unternehmensteilen, die Ausnutzung buchhalterischer Spielräume und eine mangelnde Diskussion der Risikofaktoren sind ein Indiz dafür, dass sich ein Unternehmen noch nicht gefun-
2.4â•… Die Bereinigung von Einmaleffekten: Manipulationen erkennen
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den hat21. Auch die wiederholte Umbenennung des Unternehmens oder einzelner Geschäftsbereiche fällt in diese Kategorie, einfach weil Unternehmen, die sich nur mit sich selbst auseinandersetzen, wenig Zeit bleibt zur Evaluierung strategischer Entscheidungsalternativen. • Erstaunlich ist, dass selbst die Verbindlichkeiten eines Unternehmens Bestandteil der Manipulationen sein können. So wurde unlängst bewiesen, dass die größten Banken der USA jeweils kurz vor Quartalsende ihre Verbindlichkeiten um durchschnittlich 42€% gesenkt haben. Gegen Mitte des darauffolgenden Quartals wurden die Verbindlichkeiten dann wieder aufgefüllt22.
21╇ 22╇
Vgl. auch Frederickson und Miller (2004). Vgl. Kelly et€al. (2010).
Kapitel 3
Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
3.1 Risiko? Was für ein Risiko? In den meisten wissenschaftlichen Disziplinen wird Risiko als die Beschreibung eines Ereignisses mit der Möglichkeit negativer Auswirkungen beschrieben. Auch umgangssprachlich wird mit Risiko der mögliche Eintritt eines nachteiligen Ereignisses bezeichnet. Auf die Börse bezogen entsteht Risiko explizit dadurch, dass ein Aktionär nicht mit Bestimmtheit den zukünftigen Verkaufspreis seiner Aktie oder die während seiner Halteperiode vereinnahmten Cashflows vorhersagen kann, er also mit der Gefahr konfrontiert wird, einen Teil seines eigenen, eingesetzten Vermögens nicht wiederzubekommen. Von diesen, allein auf Negativabweichungen ausgerichteten Definitionen unterscheiden sich die Wirtschaftswissenschaften: Hier entspricht Risiko ganz allgemein der Abweichung von einem erwarteten Ereignis, und zwar nach unten ebenso wie nach oben – was hierzulande üblicherweise Chance genannt wird. Angelsachsen sind diesbezüglich präziser und unterscheiden zwischen „Downside-Risk“ und, etwas euphemistisch und für den Normalbürger eher schwer verdaulich, „Upside-Risk“. Dies ist eine Überraschung, denn nun kann Risiko nicht nur bedeuten, dass die aus einer Wertpapieranlage entstehenden Cashflows unter den Erwartungen des Investors liegen, sondern auch darüber. Versteht also der Kapitalmarkt unter Risiko die Streuung eines Wertes, zum Beispiel eines Aktienkurses, um ein erwartetes Ergebnis, so ist ein Wertpapier nur dann risikolos, wenn seine tatsächliche Rendite der a priori erwarteten entspricht, unabhängig davon, wie hoch diese ist. Gemäß dieser Sichtweise ist ein Wertpapier also immer dann risikolos, wenn es keinen Insolvenzrisiken ausgesetzt ist und kein Wiederanlagerisiko besteht. Jeder Investor, der ein Wertpapier erwirbt, erwartet von diesem eine bestimmte Performance. Diese setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Der Rendite und dem Risiko. Die tatsächlich während der Halteperiode vereinnahmte Rendite wird ex post von diesen Erwartungen abweichen. Die Differenz zwischen der erwarteten und der tatsächlich erzielten Rendite entspricht dem mit diesem Wertpapier verbundenen Risiko. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Erwirbt ein Investor eine Bundesanleihe mit einer einjährigen Restlaufzeit, deren effektive Verzinsung bei 3,7€% liegt, dann wird die tatsächlich vereinnahmte Rendite am Ende des Jahres mit hoher Wahrscheinlichkeit bei 3,7€% liegen. Erwirbt er statt dessen die Aktie eines Stahlherstellers, für P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_3, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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70
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
die er zuvor eine sorgfältige Unternehmensbewertung durchgeführt hat und die ihn auf Jahresfrist eine 15€%ige Kursentwicklung erwarten lässt, dann wird die tatsächliche Kursentwicklung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht 15€ % betragen, sondern darüber oder darunter liegen. Zum Beispiel wird ein nicht vorhergesehener Anstieg der Eisenerzpreise eine Verteuerung der Stahlpreise zur Folge haben, die wiederum einen Rückgang der Nachfrage nach Spezialstählen zur Folge hat, was die Ertragsentwicklung des Stahlherstellers belastet – und damit auch die Kursperformance der Aktie. Zu den Faktoren, die die Volatilität der Ergebnisse beeinflussen können, zählen auf Unternehmensebene unter anderem: • Operative Risiken, zum Beispiel das Aufkommen neuer Wettbewerber, Veralten der Technologien, Ineffizienzen in der betrieblichen Organisation, Streiks oder allgemein: Eine dauerhafte Verschlechterung der Ertragsqualität und der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Diese operativen Risiken bedeuten niedrigere Cashflows und haben daher einen unmittelbaren Einfluss auf den Wert des Eigenkapitals. • Regulatorische Risiken: Unternehmen sind regulatorischen Eingriffen der Gesetzgeber ausgesetzt. Prominentestes Beispiel der jüngeren Zeit sind die Auswirkungen der veränderten Einspeisevergütungen auf die Ertragslage der Photovoltaikindustrie. • Politische Risiken: Hierunter zählen Risiken aus der Verstaatlichung ohne entsprechende Kompensationsleistungen, Regierungswechsel oder Revolutionen, Zölle, protektionistische oder sonstige diskriminierende Maßnahmen. • Veränderungen im Management durch Unfall oder Rücktritt, nicht nur im TopLevel, sondern auch bezogenen auf Schlüsselpersonen in nachgelagerten Ebenen („Key Man Risk“). • Zinsänderungsrisiken: Jedes Unternehmen ist Zinsänderungsrisiken ausgesetzt, entweder durch Veränderung der Marktwerte von Verbindlichkeiten oder durch Opportunitätsverluste. • Währungsrisiken: Für das Unternehmen kann eine ungünstige Entwicklung der Wechselkurse den Wert von Fremdwährungsverbindlichkeiten erhöhen, was dann entsprechende Währungsverluste zur Folge hat. Ebenso können Translationseffekte auftreten, etwa wenn Töchter in Fremdwährungsgebieten ihren Abschluss in Euro umrechnen. • Katastrophenrisiken: Zu diesen zählen Erdbeben, Brände, Explosionen, Tsunamis oder Vulkanausbrüche, die bedeutende Vermögenswerte eines Unternehmens zerstören können. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von grundsätzlichen Risiken, die mit einer Aktienanlage im Speziellen verbunden sind: • Betrugsrisiken: Sie entstehen durch adverse Selektion, also eine asymmetrische Verteilung von Informationen, zum Beispiel durch Insiderhandel. • Liquiditätsrisiken: Grundsätzlich besteht für einen Aktionär das Risiko, dass er nicht alle Aktien zum aktuellen Marktpreis verkaufen kann, etwa weil der Börsenumsatz der Aktie für die Ausführung einer Order zu gering ist. • Währungsrisiken: Der Erwerb von Aktien außerhalb der Eurozone ist für den Aktionär mit Wechselkursrisiken verbunden.
3.1â•… Risiko? Was für ein Risiko?
71
Kapitalkosten
Kosten des Eigenkapitals
Basiszinssatz
Kosten des Fremdkapitals
Risikozuschlag
Marktrisikoprämie
Basiszinssatz
Credit Spread
Beta-Faktor
Abb. 3.1↜渀 Die Einflussfaktoren auf die Kapitalkosten
Risikozuschläge zu erheben ist in hohem Maße subjektiv, selbst wenn sie, wie nicht selten zu beobachten, in pauschalisierter Form erhoben werden. Da dies kein befriedigender Zustand sein kann, stellt sich die Frage, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Kapitalkosten und den mit dem Unternehmen verbundenen zukünftigen Zahlungsströmen gibt und wenn ja, über welche kapitalmarkttheoretischen Modelle diese Risikozuschläge fundiert abgeleitet werden können. Der finanzmathematische Begriff für Risiko ist der Diskontierungssatz. Mit zunehmendem Risiko einer Aktie steigt auch der Diskontierungssatz an. Der Diskontierungssatz entspricht damit der Kompensationsleistung für einen Investor, heute einen bestimmten Geldbetrag nicht zu konsumieren, sondern lieber in ein bestimmtes Wertpapier zu investieren. Die Wahl des Diskontierungssatzes hat dementsprechend Auswirkungen auf den Unternehmenswert: Je höher der Renditeanspruch der Kapitalgeber, desto geringer ist der Barwert der in Zukunft erwirtschafteten Erträge und desto geringer ist auch der ermittelte Unternehmenswert. Die Schätzung der für seine Herleitung erforderlichen Parameter ist eine anspruchsvolle Aufgabe, selbst für ausgebildete Kapitalmarktteilnehmer. Dies liegt zum Beispiel daran, dass unterschiedliche Diskontierungssätze zu verwenden sind, je nachdem, welches Bewertungsverfahren gewählt wird. Werden beispielsweise Zahlungsströme diskontiert, die ausschließlich den Eigenkapitalgebern zustehen (Equity-Ansatz), darf auch nur die Renditeforderung des Eigenkapitalgebers berücksichtigt werden, unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß das Unternehmen verschuldet ist. Sollen dagegen Zahlungsströme diskontiert werden, die zur Befriedigung aller Kapitalgeber eingesetzt werden (Entity-Ansatz), dann ist zur Diskontierung ein Mischzinssatz zu verwenden, in den sowohl Eigenkapitalkosten als auch Fremdkapitalkosten mit ihren jeweiligen Anteilen eingehen. Dieser Mischzinssatz bezeichnet man daher auch als durchschnittliche gewichtete Kapitalkosten WACC (Weighted Average Costs of Capital). Beide Konzepte werden in den folgenden beiden Kapiteln vorgestellt (Abb.€3.1).
72
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
3.2 Die Eigenkapitalkosten Sämtliche Risikokonzepte drehen sich um die beiden Fragen, welche Rendite ein Investor mit einem risikolosen Wertpapier erzielen kann und wie hoch die Risikoprämie sein sollte, die er für einen Erwerb eines risikobehafteten Wertpapiers veranschlagen wird. Wenn ein Investor sein Kapital in die Aktie eines Unternehmens investiert, müssen die Erträge dieser Investitionen mit Anlagealternativen verglichen werden, die mit vergleichbarem Risiko behaftetet sind. Diese nach dem Opportunitätskostenprinzip geforderte Rendite soll die beste vergleichbare Anlagealternative des Kapitalmarktes widerspiegeln. Ihre Höhe ist dabei nicht von den subjektiven Befindlichkeiten des Investors abhängig, sondern nur von den Charakteristika des Anlageobjekts. Die vom Investor geforderte Eigenkapitalverzinsung entspricht allein den Opportunitätskosten einer Anlage in diese Aktie, also der größtmöglichen Renditeerwartung einer Anlage in eine Aktie derselben Risikoklasse. Theoretisch sollten sie gerade so hoch bemessen sein, dass sie den Aktionär veranlassen, weitere Anteile des Unternehmens zu erwerben. In einem theoretischen Marktgleichgewicht wird zur Bestimmung der risikoadjustierten Wertpapierrendite meist das kapitalmarktorientierte Capital Asset Pricing Model (CAPM) verwendet1. Das Anfang der 1960er Jahre von dem Wirtschaftsnobelpreisträger William Sharpe und den beiden Wirtschaftswissenschaftlern John Lintner und Jan Mossin unabhängig voneinander entwickelte Modell liefert einen heute weithin akzeptierten2 Rahmen für Entscheidungen über risikobehaftete Anlageobjekte, der von großer theoretischer Geschlossenheit geprägt ist3 und trotz einer nicht gerade berauschenden empirischen Überprüfbarkeit4 immer noch den Kapitalmarkt dominiert5. Als neoklassisches, auf den Grundideen der individualistisch ausgerichteten Entscheidungsmodelle der Portfoliotheorie von Harry M. Markowitz aufbauendes Gleichgewichtsmodell ist es Ziel des CAPM, Gleichgewichtspreise für einzelne riskante Anlagemöglichkeiten im Portfoliozusammenhang unter Unsicherheit abzuleiten. Es liefert also eine objektive Erklärung dafür, zu welchen Preisen risikobehaftete Anlagemöglichkeiten am Kapitalmarkt gehandelt werden. Unter Zugrundelegung einer Reihe restriktiver Annahmen wie einem einperiodischen Planungshorizont (was in der Unternehmensbewertung undenkbar ist), der Gültigkeit des µ-σ-Prinzips (nach dem bei risikoaversen bzw. risikoscheuen Entscheidern die Attraktivität einer Wertpapieranlage mit zunehmender Standardabweichung sinkt bzw. steigt) oder der uneingeschränkte Zulässigkeit von Leerverkäufen6 postuliert Vgl. Sharpe (1964), Lintner (1965), Mossin (1966), Siegel (1999). Kritik schlägt dem CAPM u.€a. von den Behavioristen entgegen, die das CAPM auch schon in Completely Redundant Asset Pricing, CRAP, umbenannt haben; vgl. Montier (2009). 3╇ Erste empirische Überprüfungen des CAPM zeigten, dass das CAPM die Realität gut abbildet. Vgl. Black et€al. (1972) oder Fama und MacBeth (1973). Spätere Forschungsergebnisse haben dies jedoch relativiert; vgl. z.€B. Fama und French (1992). 4╇ Vgl. Fama und French (2004). 5╇ Vgl. Perold (2004). 6╇ Vgl. dazu ausführlich Ballwieser (2007, S.€93€ff.). 1╇ 2╇
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
73
das CAPM einen linearen Zusammenhang zwischen der erwarteten Rendite einer risikobehafteten Anlagemöglichkeit und der erwarteten Rendite eines aus allen möglichen Anlageformen zusammengesetzten Marktportefeuilles. Zentraler Bestandteil dieser Erkenntnis ist, dass nur das Eingehen von nicht diversifizierbaren, so genannten systematische Risiken, von den Kapitalmärkten mit einer Prämie entschädigt wird, nicht dagegen für die unsystematische, also diversifizierbare Komponente des Risikos. Durch das Gesetz der großen Zahl, das heißt durch eine breite Streuung des Vermögens auf viele Anlageobjekte, können unsystematische Risiken mehr oder weniger vollständig eliminiert werden. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sind sie somit nicht länger relevant. Ganz anders dagegen ist die Situation bei den systematischen Risiken: Sie entstehen dadurch, dass Kurs- oder Wertschwankungen von Vermögensanlagen teilweise gleichgerichtet verlaufen. Man denke nur an die Korrelation der Kurse von Aktien und Anleihen: Steigt das allgemeine Zinsniveau an, fallen die Preise festverzinslicher Wertpapiere und in der Regel auch die Aktienkurse. Aber selbst innerhalb der Anlageklasse „Aktie“ verlaufen die Kursbewegungen innerhalb von Teilindustrien oder Ländern häufig sehr synchron, was der starken wirtschaftlichen Verflochtenheit der einzelnen Branchen oder Länder zuzuschreiben ist: Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Aktie des führenden Stahlherstellers ArcelorMittal im Gefolge einer Gewinnwarnung von Rio Tinto, einem führenden Lieferanten von Eisenerz, Kursverluste erleiden wird. Neben diesen operativen Kausalitäten gibt es auch Kursbewegungen an den Kapitalmärkten, die weniger eindeutig, womöglich sogar irrational sind: Insbesondere die Kurse von Technologieaktien weisen enge Korrelationen auf, obwohl die Technologiemärkte sehr heterogen sind und eine Beziehung zwischen den Unternehmen nicht immer offensichtlich ist. Dessen ungeachtet basiert das dem CAPM zugrunde liegende Konzept auf der grundsätzlichen Überlegung, dass bei einem Risiko diversifizierenden Verhalten der Investoren nur noch der Risikobeitrag eines einzelnen Wertpapiers zur Gesamtrisikosituation des Investors von Bedeutung ist. Wer dieses Risiko übernimmt, muss mit einer Prämie für das Eingehen systematischer Risiken entschädigt werden. Ursprünglich als reines ex-ante Konzept wird das CAPM inzwischen überwiegend als Näherungsgröße für die zukünftig erwartete Mindestverzinsung eines Eigenkapitalgebers am Kapitalmarkt eingesetzt7. Die wohl populärste Formel der Finanzierungsgeschichte lautet:
(3.1)
E(R i ) = rf + ßi rP
bzw.
E(R i ) = rf + ßi E(r M ) − rf ,
mit
ßi =
cov (rM ; ri ) . var (rM )
(3.2)
7╇ Zur Problematik der Verwendung eines im Zeitablauf stabilen Betafaktors vgl. Hachmeister (1999, S.€193€ff.).
74
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Die erwartete Rendite E(Ri) eines risikobehafteten Wertpapiers i setzt sich im Marktgleichgewicht aus dem risikolosen Zinssatz rf und einer unternehmensspezifischen Risikoprämie ßirP zusammen. Die Risikoprämie wiederum ist das Produkt aus dem Marktpreis des Risikos E(rM)╛╛−╛╛╛rfâ•›, das bei einer Anlage in das riskante Marktportefeuille anstelle des risikolosen Wertpapiers anfällt, und allen denkbaren systematischen Risiken des betrachteten Wertpapiers, repräsentiert durch den Betafaktor ßi. Gemäß den beiden Gl.€(3.1) und (3.2) besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen erwarteter Rendite eines Wertpapiers und seinem Risiko: Das Verhältnis zwischen Risiko und Rendite steigt damit linear mit der Steigung ßi an. Das CAPM postuliert also, dass Investoren nur dann bereit sind, ein risikobehaftetes Wertpapier zu erwerben, wenn dieses neben der risikofreien Verzinsung eine Prämie für das systematische Risiko enthält. Je höher das systematische, nicht diversifizierbare Risiko ist, desto höher ist auch die geforderte Renditeerwartung. Nur dieses systematische Risiko der Schwankung der Renditen einer einzelnen Aktie mit seinem Index soll danach in der Aktienrendite entgolten werden, nicht dagegen des unsystematische Risiko des einzelnen Unternehmens. Beläuft sich zum Beispiel die risikolose Verzinsung auf 4,5€ %, die Risikoprämie auf 5,5€ % und liegt das Beta einer Aktie bei 1,2, dann ergibt sich eine erwartete Rendite des Wertpapiers von 0,045╛╛+╛╛1,2â•›⋅â•›0,055╛╛=╛╛11,1€ %. Soweit die Theorie, doch wie sieht es in der Praxis der Unternehmensbewertung aus? Können die Erkenntnisse des CAPM problemlos umgesetzt werden? Können sie überhaupt umgesetzt werden? Um dies herauszufinden sollen im Folgenden die Glieder aus Formel (3.2) einzeln betrachtet werden. Als risikolose Referenzanlagen werden typischerweise Anleihen bezeichnet, die keinen Renditeschwankungen unterliegen, die keinem Ausfall-, Inflations- oder Währungsrisiko (innere und äußere Kaufkraftäquivalenz) unterliegen und für die ein liquider Markt existiert. Darüber hinaus muss das Wertpapier zum Bewertungszeitpunkt realisierbar sein (Stichtagsprinzip), dieselbe zeitliche Struktur der Zahlungen wie das Bewertungsobjekt aufweisen (Laufzeitäquivalenz) und die Zinsstruktur am Kapitalmarkt adäquat berücksichtigen. Theoretisch sollte die risikolose Anlage darüber hinaus keine Korrelation zum restlichen Kapitalmarkt aufweisen. Für die Bewertung deutscher Unternehmen stellt sich spätestens seit der Einführung des Euros die Frage, ob der risikolose Zinssatz auf der Grundlage von Bundesanleihen und damit auf der Zinsstrukturschätzung der Bundesbank oder auf der Basis von europäischen Staatsanleihen und damit der Zinsstrukturschätzung der europäischen Zentralbank abgeleitet werden soll. Im Gefolge der Finanzmarktkrise hat diese Frage unvorhergesehene Bedeutung erlangt, weil sich die Renditeaufschläge einiger europäischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen auf mehrere Prozentpunkte ausgeweitet haben. Inzwischen dürfte sich am Kapitalmarkt die Einsicht durchgesetzt haben, dass bestenfalls Staatsanleihen von Ländern höchster Bonität, also USA, Deutschland oder Frankreich, die geforderten Anforderungen an eine risikolose Anlage erfüllen, Unternehmensanleihen oder Anleihen von Ländern niedrigerer Bonität, insbesondere aus Lateinamerika oder seit kurzem auch den PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) sicherlich nicht. Bei diesen Emittenten kann nicht bedingungslos davon ausgegangen werden, dass
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
75
sie ihre Zins- und Tilgungsverpflichtungen termingenau und vollständig erfüllen. Der Renditeaufschlag spiegelt nichts anderes wider als das Risiko, dass das jeweilige Land aus der europäischen Währungsunion ausscheiden könnte. Da dies in der Bewertung eines deutschen Unternehmens nichts zu suchen hat, bietet sich eine Anleihe des Bundes als Proxy des ausfallrisikolosen Zinssatzes an. Hat man die Frage des Emittenten geklärt, stellt sich die Anschlussfrage, für welche Laufzeit die risikolose Verzinsung ermittelt werden soll. Zwar liegen bei Investitionsentscheidungen wie dem Anteilserwerb an einem Unternehmen unter Zugrundelegung fundamentalanalytischer Analysemethoden tendenziell lange Laufzeiten vor; da grundsätzlich Fristenkongruenz anzustreben ist, sollten auch langfristige Staatsanleihen gewählt werden. In der Bewertungspraxis ist die Länge des Zeitraums, über welchen die risikolosen Zinssätze hergeleitet werden sollen, indes völlig willkürlich8: Sie reicht von einem über drei Jahre bis hin zu 20 Jahren, aber auch neun, zehn, zwölf oder 15 Jahre kommen in der Praxis zum Einsatz9; in USamerikanischen Research Reports konnten selbst 90-Tages Treasury Bills gesichtet werden. Diese Vorgaben würden dem Investor einen unakzeptabel großen Spielraum bei der Berechnung des Basiszinssatzes lassen. Basiert die Unternehmensbewertung – wie üblich – auf der Diskontierung sehr langfristiger, womöglich unendlicher Cashflows, sollte auch die Rendite einer möglichst langfristigen öffentlichen Anleihe angesetzt werden. Finanzinstrumente mit unendlicher Laufzeit werden in Deutschland bislang nicht angeboten. Da selbst Bundeswertpapiere mit 30-jähriger Laufzeit erst seit 1986 begeben werden, haben sie den entscheidenden Makel nur geringer Handelsvolumina und Liquidität. Daher können nicht zu jedem Zeitpunkt repräsentative Renditen ermittelt werden. In der Praxis behilft man sich meist mit Renditen zehnjähriger Bundesanleihen, zumal jenseits davon ohnehin meist relativ flache Zinsstrukturkurven vorliegen und eine revolvierende Anlagestrategie problemlos möglich ist. Um auch das Wiederanlagerisiko der zwischenzeitlich vereinnahmten Kuponzinsen auszuschließen, sollten im Idealfall liquide Zero-Bonds gewählt werden. Soll dagegen in Ausnahmefällen eine eher kurzfristige Analyse vorgenommen werden, etwa für die Diskontierung von Cashflows während der Detailplanungsphase, sollte auch der verwendete risikolose Zins dem einer kurzfristigen Anleihe entsprechen. Im Regelfall aufwärts geneigter Zinsstrukturkurven ist damit die Risikoprämie für eine langfristig angelegte Unternehmensbewertung höher als für eine kurzfristige. Zu verwenden ist die risikolose Rendite zum Bewertungsstichtag, nicht in künftigen Perioden erwartete Spot Rates oder gar historische Durchschnittsraten10. Denn schließlich ist der Erwerb einer Aktie immer eine stichtagsbezogene Entscheidung und sollte daher alle Umweltfaktoren an diesem bestimmten Stichtag widerspiegeln. Praktiker runden die Messwerte vereinzelt auch schon mal großzügig an einen normalisierten Wert auf. Was „normal“ ist, dürfte jedoch von Investor zu Investor 8╇ Im Übrigen wurde das Thema auch in der akademischen Welt jahrelang vernachlässigt. Vgl. dazu Obermaier (2005, S.€2€f.). 9╇ Vgl. für eine Übersicht: Metz (2007, S.€49). 10╇ Anders dagegen Ross et€al. (1998, S.€259), die beide Varianten befürworten.
76
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
verschieden sein: Für einen, der in den 1980er Jahren zu arbeiten begonnen hat, dürften höhere risikolose Zinsen „normal“ sein als für einen, dessen Karriere erst in diesem Jahrtausend begonnen hat. Die Verwendung von vergangenheitsbezogenen Durchschnittswerten oder von „normalisierten“ Werten hat daher einen willkürlichen Beigeschmack: Erwartungen und Prognosen haben nur wenig mit Erfahrungen zu tun und können daher auch nicht aus solchen abgeleitet werden. Nur vereinzelt wird daher in der Literatur explizit die Verwendung eines Stichtagszinssatzes als ungeeignet erachtet, da dieser in Zeiten ungewöhnlich niedriger oder hoher Zinsen die dauerhaft erzielbare Rendite nicht adäquat widerspiegeln würde11. Noch mehr Verwirrung als der risikolose Referenzzins stiftet die zweite Komponente von Gl.€(3.1), die Marktrisikoprämie. Sie ist die Differenz aus der erwarteten Rendite des Marktportefeuilles E(rM) und der risikolosen Verzinsung rf. Die erwartete Rendite des risikobehafteten Marktportefeuilles E(rM) bezeichnet die Renditeerwartung der Marktteilnehmer in Bezug auf ein perfekt diversifiziertes Portefeuille. In diesem gewissermaßen aggregierten Fonds sind alle denkbaren risikobehafteten Finanzanlagen, Vermögensgegenstände und Investitionsalternativen einer Volkswirtschaft enthalten – unter anderem also börsennotierte und nicht börsennotierte Unternehmen, festverzinsliche Wertpapiere aller Risikokategorien, Immobilien in A-, B- und C-Standorten und Mikrolagen, Kunstobjekte, Antiquitäten und Oldtimer – und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Korrelation der Einzeltitel im Gesamtportefeuille. Darüber hinaus sollte das Marktportefeuille über einen langen Beobachtungszeitraum existiert haben, damit möglichst viele verschiedene Ereignisse und Marktphasen in der Vergangenheit bereits eingetreten sind. Das Marktportefeuille erfüllt, um in der Terminologie des modernen Portfoliomanagements zu bleiben, die Funktion einer bestmöglich diversifizierten Benchmark. Dass das Marktportefeuille praktisch nicht abgebildet werden kann, liegt auf der Hand. Als Ausweg behilft man sich in der Praxis mit der Approximation durch einen möglichst breit gestreuten Aktienindex. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass der in Deutschland häufig zur Ermittlung der Eigenkapitalrendite herangezogene DAX30 für den deutschen oder der Dow Jones Industrial Average für den USamerikanischen Aktienmarkt eine auch nur halbwegs sinnvolle Näherungsgröße ist. DAX30 wie DJIA enthalten ausschließlich die 30 nach Handelsumsatz und Marktkapitalisierung größten börsennotierten Aktiengesellschaften ihres Landes; kleinere Personengesellschaften und nicht börsennotierte Kapitalgesellschaften sind damit ebenso ausgeschlossen wie Vermögenswerte, die nicht aus der Unternehmensebene stammen, zum Beispiel Briefmarken oder Edelmetalle. Der marktkapitalisierungsgewichtete CDAX als Index aller an der Frankfurter Wertpapierbörse im General Standard und Prime Standard gehandelten deutschen Aktien ist demgegenüber die deutlich bessere Alternative, wenn auch nicht die ideale. Obwohl die Risikoprämien fundamentaler Bestandteil nahezu jeder einzelnen Anlage- und Investitionsentscheidung an den Kapitalmärkten ist, mag es irritierend erscheinen, wie unterschiedlich die Berechnungsmethoden der Risikoprämien sind und wie weit die jeweils ermittelten Werte auseinander liegen. Manche Kapital11╇
Vgl. stellvertretend Meilicke (1980, S.€2121).
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
77
marktteilnehmer verwenden extrem langfristige berechnete Risikoprämien, andere bevorzugen eine volatilere – und damit marktnähere – Variante. Die Auswirkungen sind umso dramatischer, als die jüngste Finanzkrise einher ging mit Risikoprämien in bislang ungekannter Höhe: Marktrisikoprämien von 300 bis 800 Basispunkten für Industrieanleihen mit Investmentgrade oder sogar von 1.000 Basispunkten für Anleihen von EU-Mitgliedsstaaten liegen um ein Vielfaches über dem früher als akzeptabel angesehenen Niveau. In einer extrem langfristig angelegten Analyse von 1900 bis 2005 haben die Ökonomen Dimson, Marsh und Staunton die wichtigsten Aktienmärkte der Welt untersucht12: Die von ihnen ermittelten Risikoprämien reichen von 2,1€% für Dänemark bis 6,2€% für Australien, die Risikoprämie des Weltportefeuilles wird auf 4,0€% eingeschätzt. In einer Analyse von Fernández13 liegen die von 2.400 befragten Professoren verwendeten Marktrisikoprämien in Kontinentaleuropa und den USA zwischen 2,0€% und 12,0€%. Damodaran dagegen leitete für den Zeitraum von 1928 bis 2000 für US-amerikanische Aktien unter Verwendung des geometrischen Mittelwertes eine Marktrisikoprämie für den US-Aktienmarkt in Höhe von 5,5€% ab. Fama und French haben einen noch längeren Zeitraum analysiert und leiten für die Jahre 1872 bis 2000 eine Risikoprämie zwischen 2,55€% und 4,32€% (1951–2000) bzw. zwischen 4,17€ % und 4,40€ % (1872–1950) ab14. Für die deutschen Aktienmärkte liegen ebenfalls verschiedene Untersuchungsergebnisse vor: Die empirischen Daten für die Risikoprämie bewegen sich in einer Bandbreite zwischen 2,7€% und 5,3€% (jeweils unter Verwendung geometrischer Mittel), bei Fernández15 lagen die verwendeten Marktrisikoprämien zwischen 2,0€% und 11,0€%. Bei der Bestimmung der Höhe der Risikoprämie scheint es keine Grenzen zu geben: So wurden bereits Risikoprämien von 3€ % ausgemacht, um ein Kursziel von 36.000 Punkten für den Dow Jones Industrial Average zu bestimmen16, noch niedrigere Risikoprämien sogar für ein Kursziel von 100.000 Punkten17. Vereinzelt wurde daher sogar gefordert, das Konzept der Risikoprämie endgültig zu beerdigen – „Risk Premium-R.I.P.“ – war der Titel einer Studie von Morgan Stanley Mitte der 1990er Jahre18 und Aktien eine Risikoprämie von Null zuzugestehen. In diesen empirischen Analysen kristallisieren sich zwei Trends heraus: Zum einen scheint der berechnete Durchschnittswert von der Länge der betrachteten Zeitperiode abzuhängen. Zum anderen scheinen jüngere Untersuchungen tendenziell geringere Marktrisikoprämien zu ermitteln als ältere19. Natürlich ist die stürmische Aufwärtsbewegung der deutschen Aktienmärkte während der ersten beiden Vgl. Dimson et€al. (2002). Vgl. Fernández und del Campo (2010, S.€2). 14╇ Vgl. Fama und French (2002, S.€637). 15╇ Vgl. Fernández und del Campo (2010, S.€2). 16╇ Vgl. Glassman und Hassett (1999). 17╇ Vgl. Kadlec (1999). 18╇ Vgl. Browning (1998). 19╇ Vgl. zum Beispiel Stehle und Hartmond (1991); Bimberg (1993); Uhlir und Steiner (2001); Morawietz (1994); Stehle (1999, 2004). 12╇ 13╇
78
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Jahrzehnte nach Ende des zweiten Weltkriegs kaum repräsentativ für die heute bevorstehende Zukunft. Ursächlich für eine Verringerung der Marktrisikoprämie während der letzten Jahrzehnte könnten aber auch verbesserte Diversifikationsmöglichkeiten, der technologische Fortschritt, tendenziell niedrigere Volatilitäten, höheres Unternehmenswachstum oder bessere Managementqualitäten sein.20 Und auch sinkende Inflationserwartungen bzw. rückläufige Marktzinsen könnten letztlich für tendenziell rückläufige Marktrisikoprämien verantwortlich sein. Vor einer abschließenden Bestimmung der Marktrisikoprämie sind also zwei grundsätzliche Fragestellungen zu klären, über die sich die akademische Fachwelt uneins zu sein scheint: • Sollen arithmetische oder geometrische Mittelwerte verwendet werden? • Sind längere Untersuchungszeiträume besser als kürzere? Bereits die Frage, ob arithmetische oder geometrische Mittelwerte heranzuziehen sind, spaltet die kapitalmarktaffine Fachwelt. Arithmetische Mittelwerte berechnen den ungewichteten Durchschnittswert einer Zeitreihe, geometrische Mittelwerte verringern die Wirkung von Extremwerten. Während das geometrische Mittel unabhängig ist von der Länge des Zeitintervalls, das der Durchschnittswertbestimmung zugrunde liegt, sinkt das arithmetische Mittel mit der Länge des Zeitintervalls21. Beispiel 3.1: Vergleich arithmetischer und geometrischer Mittelwert╇ Kauft ein Investor eine Aktie zum Zeitpunkt t für 100,00€€ und fällt die Aktie in tâ•›+â•›1 auf 50,00€€, um in t╛╛+╛╛2 auf 100,00€€ zu steigen, dann hat der Aktionär eine arithmetische Durchschnittsrendite von Pt+1 − Pt Pt+2 − Pt+1 50 − 100 100 − 50 + + Pt Pt+1 100 50 = ra = 2 2 −50 % + 100 % = = 25,0 % 2
pro Jahr erzielt. Dies mag zwar formalmathematisch korrekt sein, sinnvoll ist das Ergebnis indes nicht. Zu einem akzeptablen Ergebnis kommt allein das geometrische Mittel. Dieses errechnet sich in unserem Beispiel aus rg =
Pt+2 Pt
0,5
−1=
100 100
0,5
− 1 = 0 %.
Nur wenn die jährlichen Aktienrenditen miteinander nicht korreliert sind und wenn es unser Ziel ist, die Risikoprämie des folgenden Jahres zu messen, ist der arith20╇ 21╇
Vgl. Asness (2000, S.€96–101); Dimson et€al. (2002, S.€35€ff.). Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€271).
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
79
metische Mittelwert (als mathematischer Durchschnittswert der einzelnen Jahresrenditen) die korrekte Methode, in allen anderen Fällen liefert nur der geometrische Durchschnittswert ein sinnvolles Ergebnis. Während in der angelsächsischen Literatur mehrheitlich das arithmetische Mittel zur Berechnung der Marktrisikoprämie verwendet wird, haben empirische Untersuchungen ergeben, dass die jährlichen Renditen von Aktien im Zeitablauf negativ miteinander korreliert sind, das heißt, dass auf gute Jahre schlechte folgen und umgekehrt22. Das arithmetische Mittel dürfte dementsprechend die tatsächliche Höhe der Risikoprämie überschätzen, was für die Verwendung geometrischer Mittelwerte sprechen würde.23 Nichtsdestotrotz propagieren Copeland et€al. das arithmetische Mittel, weil „das CAPM auf Renditen beruht, die für die Zukunft erwartet werden“24. An anderer Stelle wird argumentiert, dass das arithmetische Mittel richtig sei, wenn man das einperiodische CAPM der Renditebetrachtung zugrunde legen, es für mehrere Perioden anwenden und unabhängige bzw. identische verteilte Rendite erwarten würde25. Es bleibt als Fazit festzuhalten, dass es weder in der akademischen Lehre noch in der Bewertungspraxis eine einheitliche Festlegung auf arithmetische oder geometrische Mittelwerte gibt. Für beide Seiten gibt es triftige Gründe. Auch die Frage nach der „richtigen“ Länge des Untersuchungszeitraums ist nicht einfach zu beantworten. Einig scheint sich die Fachwelt nur darin zu sein, dass die Länge ein entscheidender Faktor ist: Je weiter die Marktforscher in die Vergangenheit zurückgehen, desto besser sollten die Untersuchungsergebnisse die Zukunft vorhersagen können. Dennoch verwenden viele Analysten wesentlich kürzere Zeiträume als die allgemein verfügbaren. Anstatt von 50 Jahren werden häufig nur Daten der letzten 20, zehn oder gar nur fünf Jahre verwendet. Die dahinter liegende Argumentation ist, dass sich die Risikoneigung des durchschnittlichen Anlegers im Zeitablauf verändert und dass die jüngere Vergangenheit eher zeitgemäße Schätzungen ermöglicht. Dieses Argument ist fraglos richtig. Dass aber durch dieses Vorgehen ein deutlicher Abschlag auf die statistische Relevanz hingenommen werden muss, wird geflissentlich übersehen. De facto ist die Standardabweichung bei einem 10- oder 20-jährigen Untersuchungszeitraum zum Teil größer als die sich aus diesen Untersuchungen ergebenden Risikoprämien selbst, was die Fragwürdigkeit kurzer Analysezeiträume unterstreicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Risikoprämie im Zeitablauf schwankt und von den herrschenden Marktgegebenheiten abhängig ist, und zwar im Allgemeinen vom Ausmaß der Unsicherheit der zu erwartenden Auszahlungen an die Aktionäre und vom Ausmaß der zugrunde liegenden Risikoaversion. Im Speziellen ist sie von der aktuellen Inflationsrate abhängig – je höher diese ist, desto höher ist auch die Risikoprämie –, und sie ist, wie in Kap.€4.4 gezeigt werden wird, auch abhängig von der Dividendenrendite, vom laufenden Zinsniveau der risikofreien Staatsanleihen sowie vom absoluten Niveau der Aktienmärkte. Kurz: Anstelle von einer einheitlichen Risikoprämie auf einem einheitlichen Niveau ausVgl. Fama und French (1988). Vgl. Damodaran (2002, S.€154–180). 24╇ Copeland et€al. (2002, S.€267) (Hervorhebung im Original). 25╇ Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€271). 22╇ 23╇
80
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
zugehen, scheint es sinnvoller zu sein, den Ansatz einer flexiblen Risikoprämie zu verfolgen.26 Hierfür bietet sich eine implizite Berechnung der Risikoprämie an27. Der Nachteil, die Marktrisikoprämie aus historischen Daten abzuleiten, wird dabei durch den Vorteil einer breiten und vielfach untersuchten Datenbasis ausgeglichen. Schon ist man beim letzten verbleibenden Glied von Gl.€(3.1) angelangt, dem Beta. Bekanntlich wird im CAPM zwischen systematischem und unsystematischem Risiko unterschieden. Aus Anlegersicht kann das unsystematische Risiko durch Diversifikation des Portefeuilles eliminiert werden. Für das Eingehen des unsystematischen Risikos kann demnach keine Risikoprämie vergütet werden. Diese ist allein dem systematischen Risiko vorbehalten, also dem nicht durch Aufteilung der Anlagesumme auf verschiedene Investitionsobjekte zu beseitigenden Risiko. Gemessen wird das systematische Risiko mit dem Betafaktor. Formaltheoretisch ist dieser das Maß des Risikobeitrags einer einzelnen Wertpapieranlage zum Risiko des Marktportefeuilles. Je höher das Beta eines Wertpapiers ist, desto höher fällt seine erwartete Rendite aus und umgekehrt: • Hat ein Wertpapier ein Beta von Eins, so entspricht die Rendite dieses Wertpapiers exakt der Renditeentwicklung des Marktportefeuilles. Mit anderen Worten: Die Rendite des Wertpapiers bewegt sich im Gleichlauf zur Rendite des Marktes. • Ist das Beta größer als Eins, dann verhält sich die Einzelrendite überproportional zur Marktrendite, d.€h. ein Renditeanstieg des Marktportefeuilles von 10€% zieht einen Renditeanstieg des betrachteten Wertpapiers von mehr als 10€% nach sich. Die Anleger fordern also eine höhere Rendite als für den Gesamtmarkt, da dem Wertpapier auch ein höheres Risiko attestiert wird. Je höher das Beta des betrachteten Wertpapiers, desto höher wird die Schwankungsbreite der Wertpapierrendite im Verhältnis zum Marktportefeuille sein und desto höher ist das damit verbundene Risiko. • Bei einem Beta von kleiner Eins ist das systematische Risiko des Unternehmens geringer als das des Gesamtmarktes, die Rendite des Wertpapiers schwankt schwächer als die Marktrendite. Je niedriger das Beta also ist, desto geringer ist das systematische, also nicht-diversifizierbare Risiko der Anlage. Ein Wert zwischen Null und Eins bedeutet beispielsweise, dass sich die Rendite des Wertpapiers unterproportional zum Marktportefeuille entwickelt. • Betafaktoren von Null weisen nur Wertpapiere auf, die kein systematisches Risiko haben, die also risikolos sind. Beispiele hierfür sind Bundesanleihen oder Staatsanleihen höchster Bonität (AAA). • Der Betafaktor, das wird regelmäßig übersehen, kann auch negative Werte annehmen: So bedeutet ein negatives Beta eine inverse Korrelation zwischen Wertpapier und Gesamtmarkt, d.€h. dass die Rendite des betroffenen Wertpapiers zurückgeht, wenn die Rendite des Gesamtmarktes steigt, und umgekehrt (Abb.€3.2).
26╇ 27╇
Zur tagesaktuellen Bestimmung der Bandbreite vgl. auch Kap.€4.4. Siehe hierfür auch Kap.€4.4.
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
81
Infineon Deutsche Bank Commerzbank Daimler ThyssenKrupp Allianz VW MAN BASF Siemens BMW METRO Deutsche Börse HeidelbergCement Deutsche Post K+S Deutsche Lufthansa E.ON adidas SAP RWE Bayer Linde Henkel Münchener Rück Deutsche Telekom MERCK Fresenius Beiersdorf Fresenius Medical Care
-0.5
5 Jahre Beta 3 Jahre Beta
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
Abb. 3.2↜渀 Betafaktoren im DAX (Quelle: Thomson Financial Datastream)
Modellimmanent sieht das CAPM die Verwendung zukunftsorientierter Betas vor – schließlich sind ja auch zukünftige Cashflows zu diskontieren –, in der Praxis wird dagegen aufgrund fehlender Messdaten ein aus historischen Kursdaten abgeleitetes Beta verwendet28. Ist das zu bewertende Unternehmen börsennotiert, kann sein Beta verschiedenen Quellen entnommen werden, darunter Zeitungen wie der Börsenzeitung oder dem Handelsblatt, Zeitschriften wie Börse Online, Internetquellen wie der Homepage der Deutsche Börse sowie kostenpflichtigen Finanzinformationsdienstleistern wie Reuters oder Bloomberg. Für ausländische Aktien empfiehlt sich die Verwendung von BARRA oder die von der London Business School vierteljährlich veröffentlichte Risk Measurement Services. Ist das zu bewertende Unternehmen nicht börsennotiert, werden zur Ermittlung des Betafaktors die Daten vergleichbarer Unternehmen als Referenzmaßstab herangezogen. Praktisch stellt sich dabei die Frage, über welchen Zeitraum das Beta zu ermitteln ist, denn Betafaktoren sind außerordentlich instabil und können sich von einem Tag auf den anderen zum Teil dramatisch verändern.29 So sind während der Die Deutsche Börse ermittelt und veröffentlicht täglich auf ihrer Homepage Volatilitäten, Korrelationen und Betafaktoren der in den Indizes DAX, MDAX, SDAX und TecDAX enthaltenen Werte. Alternativ sind Betas auch von Bloomberg und ähnlichen Informationsdienstleistern erhältlich. 29╇ Vgl. die Analyse von Fernández (2008, S.€3), der für einen Zeitraum von gerade mal zwei Monaten nachweist, dass die Beta-Maximalwerte von 77€% von insgesamt 3.813 US-amerikanischen Aktien mehr als doppelt so hoch waren wie ihre Minimumwerte. 28╇
82
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
70 60 50 40 30 20 10
ß>2,00
1,75<ß<2,00
1,50<ß<1,75
1,25<ß<1,50
1,00<ß<1,25
0,75<ß<1,00
0,50<ß<0,75
0,25<ß<0,50
0,00<ß<0,25
-0,25<ß<0,00
-0,50<ß<-0,25
ß<-0,50
0
Abb. 3.3↜渀 Betafaktoren im Prime Standard der Deutsche Börse AG. (Quelle: Thomson Financial Datastream)
Finanzkrise die Kurse von Banken deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen worden als die Gesamtmarktindizes, während die Kurse von Energieversorgungs- oder Telekommunikationsunternehmen relativ stabil geblieben sind. Als Konsequenz sind in den letzten Jahren die Betafaktoren von Banken gestiegen, während die von Telekommunikationsunternehmen rückläufig waren. Aber selbst für einen 40-Tage-Zeitraum können sich völlig unterschiedliche Betas als für einen 250-Tage-Zeitraum ergeben, täglich errechnete Betas differieren deutlich von Betas, die auf Basis wöchentlicher Kursbewegungen abgeleitet werden. Je weiter man in die Vergangenheit zurückblickt, desto mehr Messdaten stehen zwar zur Verfügung. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell oder Verschuldungsgrad verändern oder Unternehmensteile ge- oder verkauft haben, in eine neue Risikoklasse eindringen, die bei langen Messzeiträumen nicht widergespiegelt werden. In Deutschland liegen etwa 80€ % der (statistisch relevanten) Betafaktoren in einer Bandbreite zwischen 0,75 und 1,25, schwanken also um den Wert Eins. Werte von unter 0,5 oder über 2,0 scheinen auf Zufallswerten zu basieren, die statistisch nicht von Belang sind. Sie sollten daher nicht für eine Bewertung verwendet werden. Warum Eins? Unternehmen, die sich am Markt etablieren, werden mit der Zeit immer größer, sei es durch organisches Wachstum, sei es durch Akquisitionen, diversifizieren in verschiedene Geschäftsbereiche und nähern sich so den Charakteristika des Marktportefeuilles an, welches wiederum ein Beta von Eins aufweist (Abb.€3.3). Diese statistische Annäherung des Betas an den Wert Eins ist auch der Grund, weshalb Datenanbieter wie Bloomberg die aus der Regression ermittelten Beta-
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
83
faktoren adjustieren. Bei Bloomberg erfolgt diese Adjustierung zum Beispiel nach folgender Formel: (3.3) ß adj = 0,67 · ß Regression + 1,00 · 0,33.
Diese Formel erfüllt keinen anderen Zweck, als den gemessenen Regressions-Betafaktor, von Bloomberg in „Raw Beta“ umbenannt, näher an den Wert Eins heranzubringen. Regressions-Betas von 1,3 und 0,7 resultieren jeweils in adjustierte Betafaktoren von 1,2 und 0,8. Die Gewichtungen wurden mehr oder weniger willkürlich gewählt, bleiben allerdings für alle Unternehmen gleich – was sicherlich einer der Hauptkritikpunkte an dem Vorgehen ist. Neben dem gewählten Zeitraum ist zu beachten, dass die aus historischen Daten abgeleiteten Betas infolge einer niedrigen statistischen Relevanz zum Teil extreme Werte einnehmen können. Typischerweise ist das historische Beta bei klassischen Wachstumswerten fehlerhaft, aber auch bei (illiquiden) Small oder Micro Caps können Verzerrungen entstehen, und zwar primär durch Tage, an denen kein Aktienhandel stattfindet. Gehen diese Rohdaten in die Regressionsanalyse ein, sinkt die Korrelation zwischen Aktienrenditen und Marktrenditen und damit das Beta der Aktie. Dadurch weisen illiquide Aktien zum Teil absurd niedrige Beta-Werte auf30. Aber auch nach einer substantiellen Veränderung des Geschäftsmodells ist die Verwendung von historischen Betas nicht länger angemessen. So können die Fusion mit einem Unternehmen, der Verkauf einer verlustreichen Tochter oder umfassende Restrukturierungsmaßnahmen zu einer systematischen Veränderung des Betafaktors führen. Betafaktoren aus historischen Kursen zu berechnen, mag zwar der ökonomischen Realität entsprechen, wonach eine Bankaktie in den Jahren der Finanzmarktkrise riskanter war als in den Jahren zuvor oder eine Telekommunikationsaktie zuletzt weniger riskant war als während der Neuer Markt-Krise 2001. Für eine stichtagsbezogene Unternehmensbewertung kann jedoch nicht relevant sein, wie riskant ein Unternehmen in der Vergangenheit war, sondern wie risikobehaftet es in der Zukunft sein wird. Andernfalls müsste man akzeptieren, dass die Krisenjahre für Bankaktien auch zukünftig Einfluss auf das Bewertungsniveau haben, obwohl die unmittelbaren Auswirkungen der Immobilienkrise aktuell nicht mehr vorliegen. Ein derartiges Vorgehen stünde im diametralen Widerspruch zur intuitiven Logik, wonach eine Geschäftsbank, die sich aufgrund der Finanzmarktkrise dazu entschließt, eine überdurchschnittlich risikobehaftete Sparte wie etwa das Investmentbanking aufzugeben, mit einem niedrigeren Betafaktor zu bewerten wäre als zuvor. Daher kann es durchaus angebracht sein, bei der historischen Analyse von Betafaktoren den Zeitraum auszublenden, in dem die Kurskorrektur erfolgte, oder bei der Auswahl der Vergleichsunternehmen das künftige Geschäftsmodell in Betracht zu ziehen. In all diesen Fällen sind die verwendeten Daten grundsätzlich zu plausibilisieren, zum Beispiel anhand branchenbezogener Betafaktoren. Andernfalls wird die 30╇
Vgl. bereits Scholes und Williams (1977).
84
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
unkritische Übernahme von Beta-Werten durch unerfahrene Analysten zu einer systematischen Fehlerquelle im Prozess der Unternehmensbewertung. Um den Betafaktor aus den Fundamentaldaten abzuleiten, sollte man sich Gedanken machen, aus welchen Komponenten sich das Beta eigentlich zusammensetzt, nämlich • aus dem spezifischen Geschäftsmodell des Unternehmens, • aus dem operativen Leverage und • aus dem finanziellen Leverage. Betrachtet man zunächst das spezifische Geschäftsmodell des Unternehmens. Tendenziell ist die Ertragsentwicklung umso volatiler, das Geschäftsmodell umso riskanter und das Beta umso höher, • je jünger das Unternehmen ist: Unternehmen, die sich womöglich noch in der Seed- oder Start Up-Phase befinden und die noch keine Erfahrungen mit operativen Aufwendungen oder Prozessen machen konnten, deren Produkte noch nicht existieren oder erst kurz vor der Marktreife stehen, die ständig neue Nischen besetzen müssen und daran auch scheitern, weisen eine volatilere Ertragsentwicklung auf als reife Unternehmen mit etablierten Produkten, Kundenbeziehungen, Marktanteilen und operativen Prozessen. • je höher die Profitabilität im Vergleich zu den Unternehmen aus der Referenzgruppe ist: Neben der reinen Markowitzschen Lehre, wonach hohe Renditen mit hohem Risiko einhergehen müssen, gilt, dass es für ein hochprofitables Unternehmen wahrscheinlicher ist, dass sich die Margen halbieren als für ein durchschnittlich profitables. • je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät oder – im Extremfall – in die Insolvenz gehen muss. Diesen Beobachtungen folgend haben zyklische Unternehmen tendenziell höhere Betas als nicht-Zykliker, Automobilhersteller, Biotechnologiewerte und InternetStart-Ups höhere als Energieversorger, Einzelhändler oder Immobilienunternehmen und Entwickler von Gewerbeimmobilien wiederum höhere als Bestandshalter von Wohnimmobilien. Detaillierte qualitative Aussagen sind auch auf Produktebene möglich: Unternehmen, die Produkte des täglichen Bedarfs anbieten, sind vollkommen unzyklisch und weisen niedrige Betafaktoren auf, Unternehmen mit Produkten, auf deren Anschaffung zur Not verzichtet werden kann, ein höheres Beta. Wie nachfolgende Abbildung zeigt, können die geforderten Diskontierungssätze bei Unternehmen in der frühen Phase ihres Lebenszyklus, zum Beispiel bei Biotechnologiewerten, auch dreistellige Prozentsätze annehmen (Abb.€3.4). Auch das operative Leverage hat einen Einfluss auf die Höhe des Betafaktors: Je höher der Fixkostenanteil an den Gesamtkosten ist, desto höher auch das operative Leverage, das heißt, desto volatiler entwickelt sich der betriebliche Gewinn im Verhältnis zu den Umsätzen. Ein Unternehmen, dessen Gewinne sich um 20€% verbessern, nachdem die Umsätze um 10€% angestiegen sind, weist ein vergleichsweise hohes operatives Leverage auf, während einem Unternehmen, dessen Gewinne ebenfalls um 10€% steigen, ein derartiges Leverage fehlt.
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten 100%
Diskontierungssatz
Abb. 3.4↜渀 Diskontierungssätze in Abhängigkeit vom Lebenszyklus: Beispiel Biotechnologie. (Quelle: Frei und Leleux 2004)
85
75%
50%
25% Seed
Start-Up
Phase 1
Phase 2
Phase 3
Reifegrad
Ebenfalls eine Rolle spielt die Größe des Unternehmens: Große Unternehmen haben tendenziell ein geringeres operatives Leverage als kleine Unternehmen. Bei letzteren sind die Fixkostenanteile, bestehend aus Abschreibungen, Erhaltungsinvestitionen und Kapitalkosten, in Relation zu den Gesamtkosten höher und die betrieblichen Aufwendungen von der Höhe der Erlöse weitgehend unabhängig. Sind die Kosten für die Schließung von Geschäftssparten im konjunkturellen Abschwung prohibitiv – beispielsweise weil ein Mitarbeiterabbau im Abschwung nur zum Teil möglich ist, weil eine Neueinstellung im anschließenden Aufschwung mit hohen Einarbeitungskosten verknüpft ist – sind Unternehmen ebenfalls von hohem operativem Leverage gekennzeichnet. Um das Ausmaß des operativen Leverage zu messen, wird die Veränderung des Betriebsergebnisses ins Verhältnis zur Veränderung des Umsatzes gesetzt. Unternehmen, deren Betriebsergebnis sich stärker verändert als die zugrundeliegende Veränderung des Umsatzes haben ein hohes operatives Leverage und damit – unter sonst gleichbleibenden Bedingungen – auch ein höheres Beta. Auch wenn es für ein Unternehmen zunächst schwierig erscheint, das operative Leverage zu senken, unmöglich ist es nicht. Ein niedrigeres operatives Leverage kann zum Beispiel durch eine höhere Arbeitszeitflexibilität erreicht werden, durch einen höheren Anteil erfolgsabhängiger Gehaltskomponenten an der gesamten Lohnsumme, durch Joint Ventures, bei denen die Fixkosten geteilt werden, oder durch Ausgründungen, Outsourcing oder Sub-Contracting, durch die sowohl der Bestand des fixen Anlagevermögens als auch das Ausmaß der jährlichen Abschreibungen verringert werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Ausgründung von Infineon aus dem Siemens-Konzern, welche wiederum später die Speichersparte Qimonda ausgründete. Drittens ist das Beta vom finanziellen Leverage des Unternehmens abhängig31. Dieses ist definiert als die prozentuale Veränderung des Nachsteuerergebnisses aufgrund einer prozentualen Veränderung des operativen Ergebnisses. Warum erhöht ein steigendes finanzielles Leverage das Risiko eines Unternehmens? Je höher die Fremdkapitalquote am Gesamtkapital, desto höher ist tendenziell die absolute Höhe Dies haben im Übrigen bereits Modigliani und Miller in einer frühen Korrektur ihres ursprünglichen Artikels bemerkt; vgl. Modigliani und Miller (1963).
31╇
86
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
des Schuldendienstes. Bei sinkendem EBIT steigt somit der Anteil des Schuldendienstes am EBIT an, das Vorsteuerergebnis geht damit überproportional zurück, und umgekehrt. Die Ertragsentwicklung ist also zyklischer als bei Unternehmen mit geringerem finanziellem Leverage, das Beta ist höher. Diese intuitive Schlussfolgerung kann auch mathematisch abgeleitet werden, indem zum Beispiel der Betafaktor aus einer Gruppe vergleichbarer Unternehmen abgeleitet wird. Grundsätzlich setzt sich das Beta eines Unternehmens aus dem gewichteten Beta der operativen Vermögensgegenstände ßOA und dem Beta der Liquidität ßCash zusammen:
ß = ß OA
Assets − Cash Cash + ß Cash . Assets Assets
(3.4)
Nachdem das Halten von Liquidität üblicherweise als vollkommen risikolos eingestuft wird, ist sein Beta also Null. Je größer der Anteil der Liquidität am Gesamtkapital, desto niedriger ist auch das Beta des Gesamtunternehmens, und es folgt:
ß = ß OA
Assets − Cash . Assets
(3.5)
Aus diesen drei genannten Komponenten folgt für das Beta eines verschuldeten Unternehmens ßL, dass32 Debt0 (3.6) ßL = ßU 1 + (1 − τ ) EK0 bzw. für das Beta eines unverschuldeten Unternehmens ßU
ßL
ßU =
1 + (1 − τ )
Debt0 EK0
.
(3.7)
Hierbei repräsentieren ßL das levered Beta, ßU das unlevered oder ungeared Beta eines Unternehmens ohne jegliches Fremdkapital, und Debt0 bzw. EK0 die Marktwerte der Finanzverbindlichkeiten bzw. des Eigenkapitals, τ repräsentiert die durchschnittliche Steuerquote des Unternehmens. Beim unlevered Beta (auch Asset Beta genannt) handelt es sich um ein Eigenkapital-Beta bei einer fiktiven kompletten Eigenmittelfinanzierung des Unternehmens; seine Höhe wird u.€a. durch das Geschäftsmodell des Unternehmens und sein operatives Leverage bestimmt. Im levered Beta ist zusätzlich das Verschuldungsrisiko enthalten. Aus beiden Formeln lassen sich in Verbindung mit historischen Betas die Auswirkungen einer Veränderung des wertmäßigen Verschuldungsgrades bestimmen. Ermittelt sich das Beta bei voller Eigenfinanzierung ßU aus Formel (3.7), so steigt dieses bei einem Verschuldungsgrad Debt0/EK0 um den Faktor 1â•›+â•›(1╛╛−╛╛τ)Debt0/EK0 32╇
Anderer Auffassung ist dagegen Fernández (2003, S.€10).
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
87
an. Aus dieser Formel wird das intuitiv Vermutete unmittelbar ersichtlich, nämlich dass ein steigendes Gearing, repräsentiert durch ein höheres Debt0/EK0-Verhältnis, einen Anstieg des (levered) Betafaktors, der Eigenkapitalkosten und damit auch der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten zur Folge hat, was wiederum unter ansonsten gleichbleibenden Bedingungen einen Rückgang des Unternehmenswertes bedingt. Im Gefolge des durch die Finanzmarktkrise ausgelösten weltweiten Kursverfalls sind die Verschuldungsgrade signifikant angestiegen: Unternehmen, deren Kurse sich während der Baisse halbierten, würden innerhalb dieses Zeitraums eine Verdopplung ihres wertmäßigen Verschuldungsgrades ausweisen. Beispiel 3.2: Bestimmung des levered Betas╇ Ein Maschinenbauunternehmen hat ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm durchgeführt. Während in den vergangenen 15 Jahren der Verschuldungsgrad 58,0€ % betrug, reduzierte er sich nach der Beendigung der Sanierungsmaßnahmen auf 25,0€%. Das aus Bloomberg abgeleitete historische Beta liegt bei 1,16. Die durchschnittliche Steuerquote des Unternehmens liegt bei 32,0€%. Für die weitere Berechnung des Unternehmenswertes spiegelt das historische Beta das finanzielle Leverage des Maschinenbauers nicht länger adäquat wider. Eine Adjustierung des Betafaktors ist für die Berechnung der Eigenkapitalkosten angebracht. Zunächst berechnen wir das historische unlevered Beta anhand der Formel (3.7): ßU =
ßL 1 + (1 − τ )
Debt0 EK0
=
1,16 = 0,83. 1 + (1 − 0,32)0,58
Das unlevered Beta belief sich damit während der vergangenen 15 Jahre auf durchschnittlich 0,83. Anhand dieses Wertes kann nun unter Zugrundelegung des aktuellen Verschuldungsgrades von 25,0€% aus Formel (3.8) das levered Beta berechnet werden: ßL = ßU
Debt0 1 + (1 − τ ) = 0,83 1 + (1 − 0,32)0,25 = 0,97. EK0
Damit liegt das aktuelle Beta deutlich unter seinem aus Bloomberg abgeleiteten historischen Wert von 1,16. Wie soll man aber das Beta bestimmen, wenn es keine historischen Kurse gibt, etwa weil das Unternehmen noch nicht an der Börse notiert ist und für einen unmittelbar bevorstehenden Börsengang eine Unternehmensbewertung zu erstellen ist? Oder wie ist vorzugehen, wenn für ein Unternehmen zwar ein Beta vorliegt, dieses aber aufgrund einer nur geringen Anzahl an historischen Datenpunkten statistisch nicht relevant ist? Oder wenn das vorliegende Beta aufgrund der geringen Handelstätigkeit in diesem Wert extreme Werte annimmt? In all diesen Fällen kann das Beta aus börsennotierten Referenzunternehmen bestimmt werden, die in einem vergleich-
88
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
baren Geschäftsbereich wie der zu analysierende Wert tätig sind33. Hierbei kommt dem Bewerter eine interessante Eigenschaft des Beta zu Hilfe: Das kombinierte Beta zweier Einzelwerte entspricht deren ungewichteten Durchschnittswerten34. Diese Erkenntnis im Hinterkopf berechnet man zunächst das durchschnittliche unlevered Beta der Vergleichsgruppe über Formel (3.7). Den aus der Referenzgruppe abgeleiteten Betafaktor eines fiktiv unverschuldeten Vergleichsunternehmens übernimmt man anschließend für das zu bewertende Unternehmen, wobei dessen spezifischer Verschuldungsgrad eingesetzt wird. Als letzten Schritt sollte das unterschiedliche operative Leverage der Vergleichsunternehmen und des zu bewertenden Unternehmens berücksichtigt werden. Hierfür ist folgende Formel hilfreich: ßO =
ßU , Kf 1+ Kv
(3.8)
mit den fixen und den variablen Kosten Kf und Kv. Vergleichbar der Anpassung an das finanzielle Leverage wird hier das operative Beta ßO aus dem unlevered Beta und dem operativen Leverage der Unternehmen berechnet. Beispiel 3.3: Bestimmung des operativen Betas╇ Ein mit dem Börsengang der Zombie Internet AG, einem Internet Service Provider, betrauter Konsortialbankenanalyst erwägt, das operative Beta der Gesellschaft zu bestimmen. Die Vergleichsgruppe besteht aus ausgewählten deutschen Internetwerten mit folgenden Kennzahlen:
Dragon Internet AG German Portal AG Internetcafe AG Itravel AG Leet AG Mail4You AG Webclick AG Zoooom AG Durchschnitt Zombie Internet
Beta
Debt0/EK0 (%)
Kf/Kv (%)
τ (%)
1,18 1,09 1,20 1,25 1,14 1,32 1,27 1,16 1,20
43,8 58,1 50,2 32,3 58,3 49,7 64,5 44,1 50,1 28,5
71,4 68,0 40,0 56,4 36,8 33,2 16,5 30,6 44,1 72,5
33,3 36,5 25,6 24,4 33,5 35,8 36,0 38,5 33,0 35,5
Die Peergroup der Internetwerte weist ein durchschnittliches Beta von 1,20 auf, ihr durchschnittliches finanzielles Leverage liegt bei 50,1€ %, das operative Leverage bei 44,1€%. Daraus ergibt sich für die Vergleichsgruppe ein unlevered Beta von Zur Auswahl von Referenzunternehmen siehe ausführlich auch Kap.€7.2. Von mit der Marktkapitalisierung gewichteten Durchschnittswerten ist abzusehen, da diese durch einzelne Large Caps verzerrt werden können.
33╇ 34╇
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
ßU =
89
ßL Deb t0 1 + (1 − τ ) EK0
=
1,20 = 0,90. 1 + (1 − 0,33)0,501
Daraus kann das levered Beta von Zombie Internet abgeleitet werden. Es errechnet sich durch Multiplikation mit den für Zombie Internet relevanten Daten: Debt0 = 0,90 1 + (1 − 0,355)0,285 = 1,06. ßL = ßU 1 + (1 − τ ) EK0
Damit wäre Zombie Internet mit einem Beta zu bewerten, welches unter dem Durchschnittswert der Vergleichsgruppe ist. Dieses levered Beta von 1,06 basiert allerdings auf der Annahme, dass alle Unternehmen der Peergroup einschließlich Zombie Internet dasselbe operative Leverage aufweisen. Aus der Tabelle ist hingegen ersichtlich, dass dies nicht der Fall ist. Mit 72,5€% weist Zombie Internet ein operatives Leverage auf, das höher ist als jeder einzelne Wert der Peergroup. Dieses ist daher in der Berechnung des Beta von Zombie Internet zu berücksichtigen. Demzufolge adjustieren wir zunächst das unlevered Beta der Vergleichsgruppe um das durchschnittliche operative Leverage der Vergleichsgruppe: ßO =
ßU 0,90 = + 0,441 = 0,62. Kf 1 1+ Kv
Aus dem unlevered Beta der Vergleichsgruppe errechnet sich anschließend das unlevered Beta von Zombie Internet über Formel (3.8) ßU = ßo
Kf 1+ = 0,62(1 + 0,725) = 1,08 Kv
und damit das levered Beta für Zombie Internet in Höhe von ßL = ßU
Debt0 1 + (1 − τ ) = 1,08 1 + (1 − 0,355)0,285 = 1,27. EK0
Damit zeigt sich, dass die Einbeziehung des operativen Leverage signifikante Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung haben kann: Das operativ bereinigte Beta liegt mit 1,27 nicht nur deutlich über dem nicht bereinigten Wert von 1,06, sondern auch über dem durchschnittlichen Wert der Referenzgruppe. In Verbindung mit der Markteffizienzhypothese bietet das CAPM eine empirisch überprüfbare Hypothese des Querschnittszusammenhangs zwischen Risiko und Rendite von Wertpapieranlagen. Aber nicht nur für das moderne Portfoliomanage-
90
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
ment hat das CAPM erhebliche Konsequenzen, sondern auch für unternehmensinterne Finanzierungsentscheidungen: Eine naheliegende, jedoch nicht immer akzeptierte Erkenntnis des CAPM ist, dass die vom Aktionär geforderte Mindestverzinsung gleichzeitig den relevanten Eigenkapitalkosten für ein Unternehmen entsprechen sollte. War es viele Jahre gang und gäbe, bei der Ermittlung der Eigenmittelkosten die Dividendenrendite heranzuziehen, zeigte das CAPM, dass die vom Aktionär geforderte Rendite ein Vielfaches davon betrug. Dennoch war das CAPM von Anfang an massiver Kritik ausgesetzt. Ja, es ist vermutlich eines der am häufigsten kritisierten finanzmathematischen Modelle überhaupt. Sowohl theoretisch als auch empirisch motivierte Einwände wurden gegen das CAPM vorgebracht. Die hitzigste Diskussion entzündet sich, aus nahe liegenden Gründen, am Marktportefeuille: Dass dieses ein Universum aller risikobehafteten Anlagen sein soll, hat schon fast esoterischen Charakter. Wie umfänglich soll Vermögen definiert werden? Werden nicht auch Kunstgegenstände, Oldtimer und immaterielle Güter wie Humankapital in das Marktportefeuille einbezogen? Wie sollen diese Werte gemessen werden? Und was ist mit ausländischen Aktien, Rentenpapieren und sonstigen Vermögenswerten? Diese nicht oder nicht in effizientem Verhältnis einzubeziehen, würde zur Folge haben, dass der lineare Zusammenhang und damit die Verwendung des CAPM als Bewertungsmaßstab zusammenbrechen35. In der Praxis werden regelmäßig bereits die grundlegendsten Anforderungen an das Marktportefeuille verletzt, wenn beispielsweise als Basis des Betafaktors ein nationaler Aktienindex verwendet wird, der noch nicht einmal sonderlich breit gestreut ist. Wenn beispielsweise die Aktie der Deutsche Lufthansa AG relativ zum DAX (und nicht zum wesentlich breiter gestreuten CDAX) gemessen wird, kann das nur dann ein halbwegs sinnvolles Ergebnis zur Folge haben, wenn den Lufthansa-Aktionären sämtliche Diversifikationsmöglichkeiten, die über die 30 Titel des deutschen Leitindex oder die deutschen Landesgrenzen hinausgehen, verwehrt wären. Auch die dem CAPM zugrunde liegenden Annahmen sind problematisch: Was passiert in all jenen Fällen, in denen sich Investoren nicht Risiko streuend verhalten? Beispielsweise, wenn junge Unternehmen mit relativ geringem Free Float bewertet werden sollen, die für den Firmengründer die überwiegende oder sogar alleinige Vermögensposition darstellen. Und natürlich hagelt es auch von empirischer Seite mannigfaltige Kritik. Da gibt es den Small Caps-Effekt, wonach die kleinen Werte des Kurszettels positive risikoadjustierte Renditen aufweisen36, den Value Stock-Effekt, wonach Unternehmen mit niedrigem Kurs/Gewinn-Verhältnis bzw. niedrigem Kurs/Buchwert-Verhältnis von positiven risikoadjustierten Renditen begleitet werden37, oder diverse temporäre Anomalien wie den Januar-Effekt38 u.€a. Sollten kleinere Unternehmen in der Tat höhere durchschnittliche Jahresrenditen erwirtschaften als Large Caps, und zwar regelmäßig und über einen langen Zeitraum, so lässt dies den Schluss zu, dass das CAPM für Small Caps eine zu geringe Vgl. Roll (1977). Vgl. Banz (1981). 37╇ Vgl. Reinganum (1981). 38╇ Vgl. Fama (1991). 35╇ 36╇
3.2â•… Die Eigenkapitalkosten
91
Risikoadjustierung vornimmt. So zeigen denn auch Fama und French in verschiedenen Analysen auf, dass die Kapitalkosten notorisch ungenau berechnet werden39. Anomalien dokumentieren sich auch an der geringen Korrelation des Betafaktors: Gemessene Korrelationskoeffizienten bewegen sich in der Regel zwischen 5€% und 40€%. Falls diese Messungen richtig wären, hätte es zur Folge, dass der positive Zusammenhang zwischen Beta und Rendite durch andere Variablen hervorgerufen wird, zum Beispiel durch die Marktkapitalisierung, durch Bewertungskennzahlen oder – noch skurriler – durch das Wetter. Verfechter des CAPM halten es in diesen Fällen meist mit Eugéne Fama und behaupten, dass die empirischen Ergebnisse, wenn sie die Empirie nicht bestätigen können, eben falsch sein müssen. Zumal sich Alternativen kaum aufdrängen. Wenn, dann vielleicht Modelle, in denen nicht nur ein Faktor für das Risiko bestimmend ist, sondern viele. Die Grundgleichung aller Multi-Faktor-Modelle ist
E(R) = rf + λ1 rp,1 + λ2 rp,2 + · · · + λn rp,n .
(3.9)
Danach entspricht die geforderte Rendite an ein Wertpapier der Summe aus risikofreier Anlage rf und verschiedenen Risikoprämien40. Diese wiederum ergeben sich aus den faktorspezifischen Sensitivitäten λi und den faktorspezifischen Risikoprämien rp,i. Bewertungsrelevant ist ein Risikofaktor immer dann, wenn er Querschnittsunterschiede in durchschnittlichen bzw. erwarteten Renditen erklären kann. Terminologisch bezeichnen die λi-Faktoren die unternehmensspezifischen Ausprägungen der betreffenden Anlage hinsichtlich des einzelnen Risikofaktors (wie zum Beispiel Beta oder Unternehmensgröße), während rp,i die erwarteten Risikoprämien des Faktors i darstellen, die für alle Wertpapiere und Asset-Klassen identisch sein müssen. Trotz der den Multi-Faktor-Modellen inne wohnenden größeren Komplexität ist empirisch gesehen ihre Verwendung nicht gleichbedeutend mit einer größeren Stabilität der Untersuchungsergebnisse. Wurde bislang eher abstrakt von einem Risikozuschlag auf den risikolosen Zins gesprochen, könnten darüber hinaus auch zusätzliche spezifische Zuschläge erhoben werden, etwa aufgrund der fehlenden Fungibilität oder infolge eines hohen finanziellen Leverage eines Unternehmens. Es verweist etwa das Wirtschaftsprüfer-Handbuch auf das Kapitalstrukturrisiko, das neben dem operativen Risiko zu berücksichtigen sei41. Wird eine lineare Beziehung zwischen Verschuldungsgrad und Eigenkapitalkosten unterstellt, dann kann dieser Zuschlag über nachstehende Formel vorgenommen werden42:
r EK = r GesK + (r GesK − r Debt )
Debt0 . GK0
(3.10)
Vgl. stellvertretend Fama und French (2004). Das wohl populärste Multi-Faktor-Modell stammt von Fama und French; vgl. Fama und French (1993). 41╇ Vgl. IDW (2002, S.€72€f.). 42╇ Vgl. IDW (2002, S.€72). 39╇ 40╇
92
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Die geforderte Eigenkapitalverzinsung rEK ist damit von der Gesamtkapitalverzinsung rGesK, dem Fremdkapitalzins rDebt und dem Gearing abhängig.
3.3 Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC) Eigenkapital ist ohne Frage eine wichtige Ressource zur Finanzierung eines Unternehmens. Allerdings ist sie nicht die einzige. Alle Unternehmen gelangen früher oder später an einen Punkt, an dem sie ihr Wachstum nicht mehr ausschließlich durch Eigenkapital finanzieren können, sondern die Aufnahme von Fremdkapital in Erwägung ziehen müssen. Sollen also Zahlungsströme diskontiert werden, die zur Befriedigung der zukünftigen Ansprüche aller Kapitalgeber mindestens gefordert werden, dann ist als Diskontierungssatz ein Zinssatz zu verwenden, in dem die Ansprüche aller Kapitalgeber entsprechend berücksichtigt werden. Theoretisch sind in diesem Diskontierungssatz die Ansprüche nicht nur der Eigen- und Fremdkapitalgeber, sondern auch der Arbeitnehmer, der Leasingeber sowie der Minderheitsgesellschafter abzubilden. Um ihren Ansprüchen gerecht zu werden, sind grundsätzlich zwei Faktoren zu ermitteln: Die jeweiligen Marktwerte ihrer Ansprüche und die individuellen Diskontierungssätze. Marktwerte deshalb, da Buchwerte nicht die tatsächlichen ökonomischen Werte der Kapitalgeber widerspiegeln. Auch wenn es immer wieder Stimmen gibt, die für die Verwendung von Buchwerten plädieren, etwa weil sie stabiler oder zuverlässiger sind, reflektieren Buchwerte nur historische Anschaffungskosten, die aufgrund buchhalterischer Maßnahmen keinerlei Bezug zu aktuellen Marktwerten haben müssen. Für heutige Investitionsentscheidungen können sie also keine Bedeutung mehr haben, selbst wenn sie sich – wie von vielen Analysten als Begründung angegeben – im Vergleich zu den Marktwerten wesentlich stabiler entwickeln. Neben diesen theoretischen Argumenten gibt es aber auch einen pragmatischen Grund, der gegen die Verwendung von Buchwerten spricht: Bei langfristig unprofitablen Unternehmen kann der Buchwert des Eigenkapitals negativ werden, was die Absurdität der Verwendung von Buchwerten unterstreicht: Der Investor müsste dann eine Verschuldungsquote von über 100€% ansetzen und würde auf diese Weise Kapitalkosten errechnen, die völlig nichtssagend sind43. Alle Ansprüche werden entsprechend ihrem jeweiligen Anteil am Gesamtkapital gewichtet. Zur Demonstration des Prinzips solle bei der Berechnung der WACC anfangs vereinfachend nur zwischen zwei Finanzierungsquellen unterschieden werden: Dem Eigenkapital und dem Fremdkapital. Spätestens seit dem Zusammenbruch von Enron sollte jedoch klar sein, dass sich Unternehmen nicht länger nur aus diesen beiden Quellen finanzieren. Die Berechnung der Kapitalien muss daher situationsbezogen erweitert werden, etwa um die Ansprüche der Arbeitnehmer in Form von Pensionsrückstellungen oder um die Ansprüche der Minderheitsgesellschafter in Form von Anteilen Dritter. Auch können theoretisch die Ansprüche der Fremdkapitalgeber aufgespalten werden, etwa in Mezzaninekapital, in die Gläubi43╇
Vgl. Damodaran (2009, S.€19).
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
93
ger einer Wandelanleihe oder in Leasinggeber. Für jede dieser Finanzierungsquellen wären dann ein eigener Diskontierungssatz und ein Gewichtungsfaktor auf Basis des jeweiligen Marktwerteanteils zu bestimmen. Unverzinsliche Verbindlichkeiten, etwa aus Lieferung und Leistung, gehen demgegenüber in keinem Fall in die Berechnung der WACC ein. Sie stammen aus dem leistungswirtschaftlichen Umfeld des Unternehmens und wurden daher bereits – z.€B. über den Materialaufwand – im operativen Cashflow berücksichtigt. Da sie zudem nicht zinstragend sind, würde der Ansatz eines Steuerschildes zu einer Fehlbewertung führen. Beschränkt man sich zunächst auf die Marktwerte des Eigenkapitals EK0 und der zinstragenden Verbindlichkeiten Debt0, das aus kurz- und langfristigen zinstragenden Verbindlichkeiten besteht, nicht jedoch aus Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen oder sonstigen Verbindlichkeiten, dann werden die durchschnittlichen gewogenen Kapitalkosten aus drei Komponenten bestimmt: den erwarteten Kosten des Eigenkapitals rEK, den erwarteten Kosten der Verschuldung rDebt und der aktuellen Kapitalstruktur, also der Gewichtung des Eigen- und Fremdkapitals. Damit können die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten anhand nachstehender Formel berechnet werden:44 WACCt = rEK
EK0,t−1 Debt0,t−1 + rDebt (1 − τ ). EK0,t−1 + Debt0,t−1 EK0,t−1 + Debt0,t−1
(3.11)
Die Gewichte, mit denen die erwarteten Eigenkapital- und Fremdkapitalkosten in die Berechnung eingehen, sind die relativen Anteile der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital am gesamten Unternehmenswert, also EK0/(EK0╛╛+â•›Debt0) bzw. Debt0/ (EK0â•›+â•›Debt0) aus der jeweiligen Vorperiode. Da sich die Marktwerte von EK0 und Debt0 im Zeitablauf ändern können, haben diese Gewichte lediglich zeitpunktspezifische Relevanz. Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten sind also umso höher, je höher der risikolose Zins, je höher der unternehmensindividuelle Aufschlag auf die risikolosen Zinsen und je höher die Eigenkapitalquote ist. Beispiel 3.4: Berechnung der WACC╇ Die Bilanz eines Autozulieferers enthält eine Anleihe, deren Marktwert mit 100,0€ Mio.€ € festgestellt wird. Die Marktkapitalisierung der Gesellschaft liegt bei 200,0€Mio.€€. Das Beta liegt aktuell bei 1,2, zehnjährige Bundesanleihen rentieren mit 3,9€ % und die Marktrisikoprämie liegt bei 5,2€%. Die Gewinne des Unternehmens werden mit einer durchschnittlichen Quote von 36,0€% versteuert. Daraus ergeben sich Eigenkapitalkosten rEK von r EK = 0,039 + 1,2 · 0,052 = 10,1 %.
Anhand dieser Vorgaben ergeben sich gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten WACC von
44╇
Vgl. u.€a. Damodaran (2002, S.€14).
94
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
EK Debt 0,t−1 0,t−10,t−1 EK Debt 0,t−1 WACCtt = = rrEK ++ rDebt (1 −(1τ− ). τ ) WACC r Debt EK EK + Debt EK + 0,t−1 0,t−1 0,t−1 0,t−10,t−1 EK 0,t−1 + Debt 0,t−1 EK 0,t−1Debt + Debt 200,0 100,0 = 0,101 + 0,039 (1 − 0,36) = 8,0 %. 200,0 + 100,0 200,0 + 100,0
Technologie- oder Biotechnologieunternehmen sind in der Realität ungleich stärker auf Eigenkapital als Finanzierungsquelle angewiesen als traditionelle Industrien der Old Economy. Als verhältnismäßig junge Unternehmen sind sie größtenteils von ihren Gründern geführt und zum wesentlichen Teil in deren Besitz. Wenn überhaupt Fremdkapital aufgenommen werden konnte, hat dieses häufig Hybridcharakter und weist wie im Fall von Wandelanleihen sowohl Eigen- wie Fremdkapitalbestandteile auf. Dementsprechend liegen die WACC von Technologieunternehmen meist nahe an den Eigenkapitalkosten.45 Während es nur eine Version der Eigenkapitalkosten gibt, die für die WACC zu berechnen sind, setzt sich das verzinsliche Fremdkapital aus unterschiedlichen Positionen mit höchst unterschiedlichen Finanzierungskosten zusammen. So zählen zum verzinslichen Fremdkapital insbesondere Anleihen, Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten und Gesellschafterdarlehen, aber auch Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen, Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Wechselverbindlichkeiten und – häufig vergessen – Verbindlichkeiten aus operativem Leasing. Bezüglich der Laufzeiten werden Verbindlichkeiten dagegen nicht diskriminiert: Sowohl kurzfristiges als auch langfristiges verzinsliches Fremdkapital werden in die Bewertung aufgenommen. Nicht zum verzinslichen Fremdkapital zählen dagegen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Steuerverbindlichkeiten, Rückstellungen, explizit nicht als zinstragend ausgewiesene Verbindlichkeiten und Pensionsrückstellungen46. Ob dieser Vielfalt ist vorab zu klären, welcher Fremdkapitalkostensatz für die Berechnung der WACC anzusetzen ist. Zwei Wege bieten sich an: Auf der einen Seite kann für das Fremdkapital pauschal ein durchschnittlicher Kapitalkostensatz berechnet werden, in den alle Fremdkapitaltypen ohne weitere Unterscheidung eingehen. Auf der anderen Seite kann die Berechnung der WACC auch durch die verschiedenen Fremdkapitaltypen erweitert werden, die dann in die WACC-Formel mit ihrer jeweiligen Gewichtung und Zinssatz eingehen. Die Formel zur Berechnung der WACC wird damit unter Umständen ungleich komplexer als in der Textbook-Formel (3.11). Bei der Berechnung der durchschnittlichen Fremdkapitalkosten greifen manche Bewerter der Einfachheit halber häufig auf die Buchzinsen zurück, also auf den Quotienten aus Zinsaufwand einer Periode und dem durchschnittlichen Buchwert des verzinslichen Fremdkapitals während dieser Periode: Hinsichtlich des geringen Anteils von Fremdkapitals bei Unternehmen der New Economy vgl. Häcker und Riffner (2001). 46╇ Vgl. Goehr und Wende (2004). 45╇
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
Buch r Debt =
Zinsaufwandt . Debtt−1 + Debtt 2
95
(3.12)
Die Buchzinsen sind allerdings stark von der Verteilung in kurz- und langfristiges Fremdkapital abhängig und daher für eine zukunftsorientierte Unternehmensbewertung noch nicht einmal als Näherungsgröße zu gebrauchen. Eine tiefergehende Analyse ist geboten. Hat ein Unternehmen eine Anleihe emittiert, für die ein regelmäßiger Handel stattfindet, dann ist die Berechnung der marginalen Fremdkapitalkosten rDebt rasch beendet: Sie ergeben sich aus der Effektivverzinsung der börsennotierten Anleihe, die näherungsweise anhand folgender Formel bestimmt werden kann:
r Debt =
PT − Pt RLZ , Pt
r nom +
(3.13)
mit der Restlaufzeit RLZ (in Jahren) und Pt bzw. PT als dem aktuellen Anleihenkurs bzw. dem Rückzahlkurs der Anleihe zum Zeitpunkt T. Beispiel 3.5: Die Verzinsung einer Anleihe╇ Der Autozulieferer aus Beispiel (3.4) begibt eine weitere Anleihe mit einer Nominalverzinsung rnom von 9,0€%. Die Anleihe, deren Kurs Pt aktuell bei 93,00 notiert, wird in sieben Jahren zum Kurs PT von 100,00 zurückbezahlt. Damit ergeben sich Fremdkapitalkosten von
r Debt =
rnom +
PT − Pt 100,00 − 93,00 9,0 + 10,00 RLZ = 7 = = 10,8 %. Pt 93,00 93,00
Liegt die Verzinsung langlaufender Bundesanleihen bei 4,0€ %, dann ergibt sich für das Unternehmen ein Renditezuschlag oder Credit Spread in Höhe von 680 Basispunkten. Besteht das Kreditportefeuille des Emittenten aus mehreren Anleihen unterschiedlicher Laufzeit oder findet kein regelmäßiger Handel in den Anleihen statt, dann kann die durchschnittliche Verzinsung anhand des der Unternehmensanleihe zugrunde liegenden synthetischen Ratings geschätzt werden. Man behilft sich also mit den Renditen börsennotierter Industrieanleihen, deren Risikoklassen mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar sind. Hierfür ist die Kenntnis zweier Komponenten erforderlich: des risikolosen Zinssatzes, wie er meist durch langfristige öffentliche Anleihen approximiert wird, und des Credit Spreads (Debt Risk Premium DRP), also des Renditezuschlags, den ein Investor bei einer Anlage in ausfallrisikobehaftete Unternehmensanleihen über den risikolosen Referenzzinssatz hinaus
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
96 Tab. 3.1↜渀 Interest coverage ratio, rating und CDR. (Quelle: INSEAD)
Interest coverage ratio >â•›8,50 6,50–8,50 5,50–6,50 4,25–5,50 3,00–4,25 2,50–3,00 2,00–2,50 1,75–2,00 1,50–1,75 1,25–1,50 0,80–1,25 0,65–0,80 0,20–0,65 <â•›0,20
Rating AAA AA A+ A Aâ•›−â•› BBB BB B+ B Bâ•›−â•› CCC CC C D
Credit default swap (%) 0,75 1,00 1,50 1,80 2,00 2,25 3,50 4,75 6,50 8,00 10,00 11,50 12,70 14,00
fordert47. Für den Fremdkapitalkostensatz nach Unternehmenssteuern (und ohne Berücksichtigung der persönlichen Einkommensteuern des Investors) gilt folglich:
(3.14)
rDebt = (rf + rDRP )(1 − τ ).
Zur Berechnung der Höhe des Credit Spreads sind Rating-Tabellen von Ratingagenturen wie Standard & Poor’s, Moody’s, DBRS oder Fitch hilfreich. Die vier höchsten Kategorien von Standard & Poor’s bzw. Fitch heißen AAA, AA, A und BBB (die so genannten Investmentgrades), als spekulative Ratingklassen, Non-Investmentgrades oder Junk Bonds werden die Ratings BB, B, CCC, CC, und C eingestuft, während mit dem Rating D Anleihen in Default bezeichnet werden, also Anleihen, deren Schuldner sich in Zahlungsverzug befinden. Zur Festlegung der Kreditwürdigkeit eines Emittenten und zur Einstufung einer Anleihe bedienen sich Ratingagenturen ausgewählter Liquiditätskennzahlen. Eine verbreitete Liquiditätskennzahl ist die Zinsdeckungsquote, auch Zinsdienstdeckungsgrad oder Interest Coverage Ratio (ICR) genannt, für die verschiedene Definitionen in Umlauf sind, unter anderem oder
EBIT ICR = Zinsaufwand
EBITDA ICR = Zinsaufwand − Zinsertrag
(3.15)
.
(3.16)
Auch Mischformen aus den beiden Formeln sind durchaus gängig. Allen Definitionen ist gemeinsam, dass es dem Unternehmen umso eher gelingen sollte, seine zukünftigen Zinszahlungen zu leisten, je höher die Kennzahl ist. Diese Fähigkeit spiegelt sich auch in den jeweiligen synthetischen Ratings eines Emittenten wider, wie vorstehende Tab.€3.1 veranschaulicht. 47╇
Vgl. Pape und Schlecker (2008).
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
97
Eine Interest Coverage Ratio von unter Eins bedeutet, dass es dem Unternehmen nicht möglich ist, seine laufenden Zinszahlungen aus dem operativen Ergebnis zu leisten. Zur Begleichung des Zinsdienstes ist also externes Kapital oder der Verkauf von Unternehmensteilen erforderlich. Natürlich sind derartige Tabellen nicht in Stein gemeißelt, denn auch bei konstanter Kreditqualität eines Emittenten kann der Credit Spread im Zeitablauf schwanken: Steigen zum Beispiel die Credit Spreads wegen einer zunehmenden Risikoaversion der Kapitalmarktteilnehmer, etwa als Folge eines konjunkturellen Abschwungs, gehen die Kurse von Unternehmensanleihen zurück. Dieses Spread-Risiko ist insbesondere während Finanzkrisen zu beobachten, zuletzt zum Beispiel während der LTCM-Krise 1998 oder der SubprimeKrise 2008. In jedem Fall aber weisen niedrigere Ratingklassen auf eine niedrigere Bonität und damit auf eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit hin, was sich in höheren Credit Spreads niederschlägt. Beispiel 3.6: Der Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals╇ Der Autozulieferer aus Beispiel (3.4) lässt für eine zu begebende Anleihe ein Rating erstellen, dessen Ergebnis BB ist. Liegen die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen bei 3,67€% und der Credit Spread für eine BB-Anleihe bei 3,5€%, dann ergeben sich Fremdkapitalkosten des Unternehmens nach Steuern in Höhe von r Debt = (rf + r DRP )(1 − τ ) = (3,67 + 3,50)(1 − 0,30) = 0,0502 = 5,02 %.
Gesucht werden die Fremdkapitalkosten, mit denen sich das Unternehmen aktuell verschulden könnte, nicht die, mit denen sich das Unternehmen in den Vorjahren verschuldet hat. Dass diese Differenzierung gravierende Auswirkungen haben kann, soll im Folgenden kurz erläutert werden. Üblicherweise werden die erwarteten Fremdkapitalkosten anhand der Effektivverzinsung einer kürzlich begebenen Unternehmensanleihe geschätzt48. Allerdings ist diese Vorgehensweise nicht ganz korrekt. Die Effektivverzinsung einer Unternehmensanleihe entspricht der maximalen Rendite, die ein Investor erzielen kann, wenn er diese Anleihe bis zum Rückzahlungstag hält. Im Falle einer Insolvenz des Unternehmen und des Zahlungsausfalls des Schuldners wird die Verzinsung u.€U. deutlich niedriger ausfallen. Diese Komponente der Fremdkapitalkosten darf allerdings nicht in den WACC enthalten sein, da diese eine erwartete Verzinsung definiert: „Because of default risk, expected returns … are undoubtedly lower than promised returns“49. Wird eine vergangenheitsbasierte Effektivverzinsung für die Berechnung der erwarteten Fremdkapitalkosten verwendet, führt dies also tendenziell zu einer Überschätzung der gewichteten Kapitalkosten. Insofern stellt die Effektivverzinsung die Obergrenze der erwarteten Fremdkapital48╇ 49╇
Vgl. Ehrhardt (1994). Kaplan und Stein (1990, S.€221).
98
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
kosten dar. Die Untergrenze der erwarten Fremdkapitalkosten stellt naturgemäß das risikolose Zinsniveau dar. Demnach liegen die tatsächlich erwarteten Fremdkapitalkosten zwischen den risikolosen Zinsen und der Effektivverzinsung des Unternehmens. Die Fehler in der Bewertung eines Unternehmens durch vergangenheitsorientierte Fremdkapitalkosten sind umso gravierender, je riskanter das Geschäftsmodell des Unternehmens und damit je höher die Insolvenzwahrscheinlichkeit ist. Beispiel 3.7: Einbeziehung der Default-Wahrscheinlichkeit in die Berechnung der verzinslichen Fremdkapitalkosten╇ Die Einbeziehung der Default-Wahrscheinlichkeit in die verzinslichen Fremdkapitalkosten kann gravierende Auswirkungen auf die Berechnung der WACC haben. Angenommen, die Eigenkapitalquote (Marktwert) des Autozulieferers aus Beispiel (3.4) liegt bei 30,0€ %, das Beta bei 1,1, der risikolose Zins bei 3,5€ %, die Risikoprämie bei 5,0€%, die durchschnittliche Steuerquote bei 30€% und die Effektivverzinsung einer kürzlich begebenen Non-Investmentgrade-Anleihe (BB) bei 6,5€%. Aus diesen Angaben ergeben sich WACC von WACC = (0,035 + 1,1 · 0,05)0,3 + 0,065 · 0,7(1 − 0,3) = 0,059 = 5,9 %.
Unterstellen wir nun, dass die Hälfte des den risikolosen Zinssatz übersteigenden Betrags auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit des Unternehmens zurückzuführen ist, dann ergäben sich WACC von WACC = (0035 + 1,1 · 0,05)0,3 + 0,05 · 0,7(1 − 0,3) = 0,052 = 5,2 %.
Die tendenziell überhöhte Darstellung der erwarteten Fremdkapitalkosten hat demnach gravierende Auswirkungen auf die durchschnittlichen Diskontierungssätze und die darauf basierende Unternehmensbewertung. Als vertraglich vereinbarte Größe wird bei Schuldzinsen unterstellt, dass ein Unternehmen während der Laufzeit des Fremdkapitals in der Lage ist, seine Zins- und Tilgungsverpflichtungen zu begleichen. Da der Fremdkapitalkostensatz eine zukunftsbezogene Größe ist, ist daher auch die Insolvenzwahrscheinlichkeit des Unternehmens ωIns in die Analyse mit einzubeziehen, die beispielsweise aus den Insolvenzen vergleichbarer Unternehmen geschätzt werden kann. Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, können die erwarteten Fremdkapitalkosten zum Beispiel über folgende Gleichung berechnet werden50:
Ins r Debt = (1 + r Debt )(1 − ω Ins ) − 1.
(3.17)
Der geforderte Fremdkapitalzins rDebt eines Unternehmens, das in Insolvenz gehen kann, liegt damit immer unterhalb der in der Vergangenheit vereinbarten Fremd50╇
Vgl. Baecker et€al. (2007, S.€275).
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
99
kapitalverzinsung51. Je größer die Ausfallwahrscheinlichkeit und je größer die Differenz zwischen Marktwert des Fremdkapitals und Buchwert des Fremdkapitals ist, desto stärker wird sich der Einfluss der Insolvenzwahrscheinlichkeit auswirken. Nach der Bestimmung der Fremdkapitalkosten sollen im Folgenden die Gewichte betrachtet werden, mit denen die Fremdkapitalkosten in die Berechnung der WACC eingehen. Bei der Ermittlung der Fremdkapitalgewichtung kann, sofern die vereinbarten Finanzierungssätze den derzeit marktgängigen Konditionen entsprechen und sich das Unternehmen nicht in Zahlungsschwierigkeiten befindet, der Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals mit seinem Buchwert gleichgesetzt werden. Dieses Vorgehen ist zum Beispiel angebracht, wenn das Fremdkapital zum überwiegenden Teil aus kurzfristigen, variabel verzinsten Verbindlichkeiten besteht, wenn das langfristige Fremdkapital erst vor kurzer Zeit abgeschlossen wurde und wenn sich die Risikosituation des Unternehmens seither nicht verändert hat. Insbesondere werden Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, ob kurz- oder langfristig, mit ihren jeweiligen Buchwerten veranschlagt. Und auch bei kurzfristigen Verbindlichkeiten von weniger als einem Jahr sollten beide Größen noch annähernd identisch sein, es sei denn, das Insolvenzrisiko des Unternehmens hat sich nach Eingehen der Verschuldung dramatisch erhöht. Zu diesen kurzfristigen Verbindlichkeiten zählen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, kurzfristige Finanzverbindlichkeiten, der kurzfristige Bestandteil an langfristigen Verbindlichkeiten und sonstige kurzfristige Verbindlichkeiten. Im Normalfall entsprechen hier die Buchwerte ihren Marktwerten. Besteht zwischen den beiden Größen jedoch ein signifikanter, also bewertungsrelevanter Unterschied, etwa weil eine Unternehmensanleihe deutlich unter ihrem Buchwert notiert, dann führt diese Vorgehensweise zu einer tendenziellen Fehleinschätzung der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten. In diesem Fall ist eine separate Berechnung des Diskontierungssatzes erforderlich, etwa indem die Verzinsung einer vergleichbaren Anleihe eines Emittenten mit ähnlichem Risiko angesetzt wird.52 Beispiel 3.8: Der Marktwert des Fremdkapitals╇ Der Autozulieferer aus Beispiel (3.4) hat am Frankfurter Entry Standard eine festverzinsliche Anleihe begeben, die in zwei Jahren endfällig wird. Die Nominalverzinsung der Anleihe liegt bei 6,0€%. Ihr Volumen liegt bei 145,0€Mio.€€. Seit Begebung der Anleihe haben sich die Refinanzierungsbedingungen für den Autozulieferer drastisch verschlechtert; gegenwärtig müsste sich die Gesellschaft mit einem Kreditzins von 8,0€% verschulden. Die günstigere Verzinsung ist also vorteilhaft für das Unternehmen und hat einen niedrigeren Marktwert des bestehenden Fremdkapitals zur Folge. Diesen wollen wir im Folgenden ermitteln.
Vgl. Cooper und Davydenko (2001). In der Regel findet man die Angaben über die Marktwerte der zinstragenden Verbindlichkeiten im Anhang des Geschäftsberichts.
51╇ 52╇
100
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Mio.€€ Zinszahlung Tilgung Summe Diskontierungssatz Barwert Marktwert
t
tâ•›+â•›1 8,7
8,7 8,7 8,0€% 8,1 137,5
8,7 8,0€% 7,5
t╛+╛2 ╇╇ 8,7 145,0 153,7 ╇╇ 8,0€% 122,0
Der aktuelle Marktwert der Anleihe liegt damit bei 137,5€Mio.€€ und damit um 5,2€% unter dem Buchwert. Abweichungen in dieser Größenordnung sind bewertungsrelevant und dürfen nicht vernachlässigt werden. Alternativ kann der Marktwert einer Unternehmensanleihe auch vereinfacht über folgende Formel berechnet werden:
1 1 − Debt (1 + rDebt )T + Debt0 = rDebt Debt . rDebt (1 + rDebt )T
(3.18)
Danach bestimmt sich der Marktwert einer Anleihe Debt0 aus den Komponenten Buchwert der Anleihe Debt, den aktuellen Kosten des Fremdkapitals rDebt und der Laufzeit der Anleihe T (in Jahren). Beispiel 3.9: Alternative Berechnung des Marktwertes des Fremdkapitals╇ Die alternative Berechnung des Marktwerts der Anleihe des Autozulieferers aus Beispiel (3.8) ergibt: 1 1 − 1,083 145,0 Debt0 = 0,08 · 145,0 0,08 + 1,083 = 137,5. Bleibt abschließend die Frage zu klären, ob die Brutto- oder Nettoverschuldung zur Berechnung der Marktwerte des Fremdkapitals herangezogen werden soll. In vielen Analystenberichten wird der Einfachheit halber für die Verwendung der Nettozahlen plädiert, indem der Kassenbestand mit den zinstragenden Verbindlichkeiten saldiert wird. Dieses Verfahren kann allerdings Inkonsistenzen in der Unternehmensbewertung nach sich ziehen, wenn beispielsweise nicht auch das Beta über die saldierte Verschuldung berechnet wurde. Darüber hinaus liegt diesem Vorgehen die implizite Annahme zugrunde, dass der Kassenbestand und das verzinsliche Fremdkapital dasselbe Risiko aufweisen; während diese Annahme für Unternehmen guter
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
101
Bonität akzeptabel sein mag, dürfte sie für Unternehmen mit schlechtem Rating kaum adäquat sein. Insbesondere bei problembehafteten Unternehmen führt der Ansatz der Nettoverschuldung zu einer tendenziellen Überschätzung des Unternehmenswertes. Empfohlen wird daher der Ansatz der Bruttoverschuldung, und zwar über folgende Formel:
rDebt =
rDebt Debt0 − rf Cash0 . Debt0 − Cash0
(3.19)
Dieses Verfahren offenbart seine Vorteile insbesondere bei netto unverschuldeten Unternehmen. Beispiel 3.10: Brutto- oder Nettoverschuldung?╇ Ein Betreiber von Windkraftanlagen, der erst kürzlich an die Börse gegangen ist, weist eine Bilanzsumme von 1.000,0€ Mio.€ € auf. Diese setzt sich aus einem betrieblichen Vermögen von 600,0€Mio.€€ und einer Liquiditätsposition von 400,0€Mio.€€ zusammen. Auf Seiten der Mittelherkunft ist ein Eigenkapital von 350,0€Mio.€€ und ein verzinsliches Fremdkapital von 650,0€Mio.€€ festzuhalten. Die Fremdkapitalkosten liegen bei 6,5€%, was einem Zinsaufschlag von 200 Basispunkten auf die zehnjährigen Bundesanleihen entspricht. Ohne den substantiellen Kassenbestand würden die Kreditinstitute einen branchenüblichen Default Spread von 350 Basispunkten in Rechnung stellen. Damit zeigt sich bereits, dass sich unter Verwendung der Nettoverschuldung zu niedrige Fremdkapitalkosten ergeben würden. Unter Verwendung von Formel (3.19) ergeben sich Fremdkapitalkosten in Höhe von: rDebt =
rDebtDebt0 − rf Cash0 0,065 · 650 − 0,045 · 400 = 9,7 %. = Debt0 − Cash0 650 − 400
Je höher der Anteil des Fremdkapitals am gesamten Unternehmenswert ist, desto niedriger scheinen also unter sonst gleichbleibenden Bedingungen die durchschnittlichen Kapitalkosten zu sein. Die Schlussfolgerung, die man nun ziehen könnte, ist, dass das Ersetzen teuren Eigenkapitals durch billiges Fremdkapital ein Absinken der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten der Gesellschaft zur Folge hätte. Über diesen so genannten Leverage-Effekt könnten dann Manager durch die geschickte Wahl des Verschuldungsgrades die Kapitalkosten ihres Unternehmens reduzieren und damit den Wert ihres Unternehmens steigern. Unternehmen mit hohem Leverage wiesen dann niedrigere Kapitalkosten auf als Unternehmen mit niedrigem Verschuldungsgrad. Im Extremfall würden Unternehmen, die kurz vor der Insolvenz stehen, durch sehr niedrige Kapitalkosten charakterisiert werden. Eine derartige Argumentation würde das Risikokonzept fraglos ad absurdum führen: Riskante Gesellschaften müssen durch höhere Eigenkapitalkosten, höhere Fremdkapitalkosten und dementsprechend höhere gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten charakterisiert sein. Stark verschuldete und unprofitable Unternehmen
102
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
mit hoher Insolvenzwahrscheinlichkeit müssen höhere WACC aufweisen als stabile ertragreiche Unternehmen mit geringem Leverage. Nachdem die Fremdkapitalkostenkomponente von den Sollzinsen abhängig ist, sollten die Fremdkapitalzinsen bei unprofitablen Unternehmen allein deshalb ansteigen, weil das Steuerschild durch die Verlustsituation eliminiert wird. Aber selbst wenn diese Erkenntnis Grundlage des Modigliani-Miller-Theorems ist und bereits vor mehr als 50 Jahren bewiesen wurde, wird sie immer noch in einer ganzen Reihe von Finanzanalysen missachtet. Beispiel 3.11: Veränderung der WACC durch Erhöhung des Leverage╇ Auf Druck von Finanzanalysten, die den geringen Verschuldungsgrad des Windparkbetreibers aus Beispiel (3.10) als „suboptimal“ kritisieren, akquiriert das Management einen Wettbewerber und verdoppelt so die Verschuldung seines Unternehmens auf 1.300,0€Mio.€€. Die Marktkapitalisierung beläuft sich auf 1.350,0€Mio.€€, das Beta der Aktie liegt bei 1,2, zehnjährige Staatsanleihen rentieren mit 3,9€% und die Marktrisikoprämie liegt bei 5,2€%. Damit ergeben sich Kapitalkosten rEK von r EK = 0,039 + 1,2 · 0,052 = 0,101 = 10,1 %.
Ohne Berücksichtigung von Unternehmenssteuern errechnen sich die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten bei WACC = 0,101
1.350,0 650,0 + 0,039 = 0,081 = 8,1 %. 1.350,0 + 650,0 1.350,0 + 650,0
Nun ist die Situation der Gesellschaft nach der Begebung der Anleihe zu betrachten. Das Beta des Unternehmens entspricht grundsätzlich dem gewichteten Durchschnitt des Betas des Eigenkapitals und des Betas des verzinslichen Fremdkapitals also ßU = ßEK
EK0 Debt0 + ßDebt . EK0 + Debt0 EK0 + Debt0
Da das Beta der Verschuldung per Definition gleich Null ist, ergibt sich für den Windparkbetreiber ein unlevered Asset-Beta von ßU = ßEK
EK0 1.350,0 = 1,2 = 0,81. EK 0 + Debt0 1.350,0 + 650,0
Nach der Verschuldungsaufnahme ergibt sich für das Beta des Unternehmens (τ╛╛=╛╛0) aus Formel (3.6) Debt0 1.300,0 ßL = ßU 1 + (1 − τ ) = 1,59. = 0,81 1 + EK0 1.350,0
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
103
Die Eigenkapitalkosten erhöhen sich damit auf rEK,L = 0,039 + 1,59 · 0,052 = 12,2 %.
Die gewichteten Kapitalkosten WACC belaufen sich damit auf 1.300,0 1.350,0 + 0,039 1.350,0 + 1.300,0 1.350,0 + 1.300,0 = 0,081 = 8,1 %.
WACC = 0,122
Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC sind damit in beiden Fällen identisch. Durch eine Erhöhung des Verschuldungsgrades kann theoretisch und in Abwesenheit von Unternehmenssteuern der Unternehmenswert also nicht gesteigert werden. Auf den ersten Blick scheint Fremdkapital „billiger“ für ein Unternehmen zu sein als Eigenkapital, da es – nicht nur im Insolvenzfall – einen übergeordneten Anspruch an die Vermögenswerte darstellt. Fremdkapitalgeber haben Anspruch auf eine vom erwirtschafteten Ergebnis des Unternehmens unabhängige fixe Verzinsung. Aufgrund der Unsicherheit der ihnen zustehenden Ergebnisanteile fordern Eigenkapitalgeber demgegenüber einen Risikoaufschlag auf die Fremdkapitalgebern zugestandene Verzinsung. Darüber hinaus sind Zinsaufwendungen steuerlich abzugsfähig; dadurch verringert sich für profitable Gesellschaften die Höhe der Fremdkapitalzinsen nach Steuern (der so genannte „Interest Tax Shield“ oder Steuerschild aus Zinsaufwand). Formell wird die Auswirkung des Steuerschildes durch die Verwendung des Nachsteuer-Fremdkapitalkostensatzes rDebt(1╛╛− τ) ausgedrückt. Zu beachten ist, dass hierbei der Grenzsteuersatz der zuletzt besteuerten Einheit des Vorsteuerergebnisses als Steuersatz anzusetzen ist, nicht dagegen der effektive Durchschnittsteuersatz, wie er meist aus dem Quotienten von Ist-Steuerzahlung und Vorsteuerergebnis abgeleitet wird. Dieser Ansatz unterstellt jedoch, dass Kapitalkosten linear auf Veränderungen des Verschuldungsgrades reagieren. In der Realität sind indes insbesondere die geforderten Renditen der Eigenkapitalgeber rEK an die veränderten Kapitalstrukturen anzupassen. Auch sind die steuerlichen Vorteile nicht mehr risikolos, wenn das Unternehmen keine Gewinne erwirtschaftet und Illiquiditätsrisiken oder unzureichende steuerliche Bemessungsgrundlagen nicht länger ausgeschlossen werden können.53 Übrigens: Für Unternehmen mit negativer Nettoverschuldung, also Unternehmen mit einer Nettofinanzposition, errechnen sich die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten, indem man negative Zinssätze für die Nettofinanzposition ansetzt.
53╇
Vgl. insbesondere Miles und Ezzell (1980).
104
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Beispiel 3.12: WACC bei Nettofinanzposition╇ Erhält ein Unternehmen für seine Nettofinanzposition von 50,0€Mio.€€ Habenzinsen von 2,5€% pro Jahr, und liegt der Marktwert des Eigenkapitals bei 250,0€Mio.€€ mit Eigenkapitalkosten von 9,5€%, dann ergeben sich gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten von WACC = 0,095
−50,0 250,0 + 0,025 = 11,3 %. 250,0 − 50,0 250,0 − 50,0
Der Steuer sparende Effekt entfällt natürlich bei einer Nettofinanzposition. Um den Aktionären eine 9,5€%ige Verzinsung des Eigenkapitals anbieten zu können, muss das Unternehmen in Projekte investieren, die eine Rendite von mindestens 11,3€% erbringen. Da die Kapitalkosten von der Risikostruktur des Unternehmens abhängig sind, stehen dem Management eines Unternehmens lediglich begrenzte Maßnahmen zur Verfügung, die WACC zu senken. Zu diesen zählen • eine Einstellung der riskanten Geschäftstätigkeiten (in riskanten Ländern) und Ausbau der Geschäftsbereiche mit niedrigem Risiko, • eine Verringerung des Break-even-Punktes, indem der Anteil der variablen Kosten an den Gesamtkosten ausgedehnt wird, etwa durch Outsourcing oder Subcontracting, oder • eine zeitliche Verlängerung der Vertragsbeziehungen zu den bedeutendsten Kunden. Unglücklicherweise werden bei den meisten der genannten Maßnahmen unmittelbar auch die operativen Margen in Mitleidenschaft gezogen. Das Unternehmen nachhaltig in eine niedrigere Risikoklasse einzuordnen scheint also durch Maßnahmen des Managements nur sehr langfristig zu bewerkstelligen zu sein. Wie immer sollten auch für die Berechnung der WACC zeitnahe Daten verwendet werden. Das hat zur Folge, dass die WACC im Zeitablauf unterschiedliche Werte annehmen können, je nachdem, wie sich die Gewichtungen des Eigen- und Fremdkapitals verteilen, wie sich die Höhe der Eigen- und Fremdkapitalkosten und wie sich die Höhe des Grenzsteuersatzes verändern. Vor allem bei jungen Unternehmen, die sich noch zu Beginn ihrer Wachstumsphase befinden, werden sich die Kapitalkosten im Jahresvergleich zum Teil drastisch verändern: Aufgrund ihres überdurchschnittlich riskanten Geschäftsmodells weisen sie anfangs hohe Eigenkapitalkosten auf; da sie zudem kaum Zugang zu Fremdkapital haben, ist ihre Eigenkapitalquote verhältnismäßig hoch, was hohe WACC mit sich bringt. Mit zunehmendem Reifegrad des Unternehmens sinken zum einen die Kosten für das Eigenkapital, zum anderen verschieben sich auch die Finanzierungsquoten, so dass letztlich auch die durchschnittlichen Kapitalkosten sukzessive rückläufig sind. Zur Berechnung der Gewichte der Eigenkapitalkosten kann bei börsennotierten Gesellschaften auf öffentlich verfügbare Marktdaten wie die Marktkapitalisierung
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
105
zurückgegriffen werden. Existieren darüber hinausgehende Ansprüche von Eigenkapitalgebern wie Wandelanleihen oder Mitarbeiteroptionen, sind diese entsprechend gewichtet ebenfalls in die Berechnung der Eigenkapitalquote einzubeziehen. Unberücksichtigt bleiben dagegen Treasury Shares, die eingezogen werden. Zur Berechnung des Eigenkapitalanteils am Gesamtkapital verwendet man die voll verwässerte (fully diluted number of shares) Aktienzahl, nicht die Basiszahl (basic number of shares). Ferner ist die Marktkapitalisierung am Bewertungsstichtag relevant, nicht ein Durchschnittswert oder ein vergangenheitsorientierter Stichtagswert.54 Sind mehrere Aktiengattungen (wie Stamm- und Vorzugsaktien) börsennotiert, sind die jeweiligen Schlusskurse mit der jeweiligen Aktienzahl zu multiplizieren und die gesamte Marktkapitalisierung des Unternehmens zu ermitteln. Komplizierter wird die Berechnung, wenn es mehrere Aktiengattungen gibt, und eine davon nicht an einer Börse gehandelt wird. Beispiele hierfür sind die ProSiebenSat.1 Media AG und die Porsche AG, von denen jeweils nur die Vorzüge börsennotiert sind. In beiden Fällen muss aus den Vorzugsaktien ein Marktwert für die Stammaktien abgeleitet werden. Behelfsweise ist davon auszugehen, dass sämtliche Aktiengattungen auf demselben Kursniveau notieren. Beispiel 3.13: Die Kapitalanteile innerhalb der WACC-Basisformel╇ Die Marktkapitalisierung des Windparkbetreibers aus Beispiel (3.10) beläuft sich auf 1.350,0€ Mio.€ €. 135,0€ Mio. Stammaktien werden mit einem Kurs von 10,00€€ gehandelt. Das Unternehmen begibt Vorzugsaktien im Verhältnis 3:1. Die Vorzugsaktien werden mit einem 10€%igen Abschlag an die Börse gebracht. Die durchschnittliche Steuerquote des Unternehmens liegt bei 36,0€%. Aus dem CAPM ergeben sich Eigenkapitalkosten von 9,5€%. Nach der Platzierung der Vorzugsaktien liegt die Marktkapitalisierung des Windparkbetreibers bei EK0 = 1.350,0 + 45,0 · 9,00 = 1.755,0.
Damit errechnen sich die gewogenen Kapitalkosten aus folgender Formel: 1.755,0 1.300,0 + 0,065 (1 − 0,36) 1.755,0 + 1.300,0 1.755,0 + 1.300,0 = 7,2 %.
WACC = 0,095
Der Gesamtwert des Unternehmens beläuft sich auf 3.055,0€Mio.€€, der Anteil des Marktwertes des Eigenkapitals liegt bei 57,4€%, der Anteil des Fremdkapitals liegt bei 42,5€%. Zu den im WACC-Ansatz zu verwendenden Kapitalanteilen sind sämtliche Finanzierungsquellen des Unternehmens einzubeziehen. Neben dem behandelten Eigen54╇
Anders dagegen Drukarczyk und Schüler (2007, S.€274).
106
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert Operatives Leasing
Finanzierungsleasing
EBIT
Sinkt durch Leasingaufwendungen
Sinkt durch Abschreibungen
Gesamtkapital
Unverändert
Steigt durch Barwert des Finanzierungsleasing
>
ROCE ROE
Anfangs niedriger als bei operativem Leasing, später höher
Anfangs höher als bei Finanzierungsleasing, später niedriger
Zinsaufwand
Unverändert
Steigt durch Finanzierungsleasing
Nettoergebnis
Anfangs höher als bei Finanzierungsleasing, später niedriger
Anfangs niedriger als bei operativem Leasing, später höher
Fremdkapital
Unverändert
Steigt durch Kapitalisierung des Leasing
Fremdkapitalquote
<
Abb. 3.5↜渀 Operatives versus finanzielles Leasing im Vergleich
kapital und dem verzinslichen Fremdkapital stehen dem Unternehmen allerdings weitere Finanzierungsquellen zur Verfügung, die in einer Berechnung der durchschnittlichen Kapitalkosten berücksichtigt werden müssen. Zu diesen zählen die Verpflichtungen aus operativem Leasing, die in der Bewertungspraxis bei der Ermittlung der Kapitalbasis oftmals unterschlagen werden. Beim Leasing beschafft, erwirbt und finanziert eine Leasinggesellschaft ein vom Leasingnehmer gewünschtes Objekt und überlässt dieses anschließend für einen bestimmten Zeitraum dem Leasingnehmer gegen eine vereinbarte Leasingrate. Bei diesen „atypischen“ Mietverträgen sind zwei grundlegende Leasingmodelle zu unterscheiden: Das operative Leasing und das Finanzierungsleasing. Beim operativen Leasing, das der Miete weitgehend ähnlich ist, trägt der Leasinggeber, bei dem auch die bilanzielle Zurechnung und Aktivierung erfolgt, das volle Investitionsrisiko. Der Leasingnehmer verbucht die gezahlten Leasingraten als Aufwand. Zusätzliche Dienstleistungen wie Wartung und Reparatur trägt der Leasinggeber. In Abhängigkeit vom Kündigungsrecht ist die Grundmietzeit entweder nicht fixiert oder relativ kurz, in jedem Fall kürzer als die erwartete Nutzungsdauer des Leasinggegenstandes. Beim Finanzierungsleasing wälzt der Leasinggeber das Investitionsrisiko vollständig auf den Leasingnehmer über. Dieser trägt auch sonstige Maßnahmen zur Werterhaltung wie Wartung oder Versicherung. Beim Leasinggeber verbleiben somit nur das Kreditrisiko und eventuell vereinbarte Dienstleistungen. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit steht dem Leasingnehmer üblicherweise eine vertraglich eingeräumte Kaufoption des Leasingobjektes zum Restwert zu. Beim Finanzierungsleasing besteht über einen maßgeblichen Zeitraum der Nutzungsdauer eine feste Grundleasingzeit ohne Kündigungsrecht (Abb.€3.5). Operatives Leasing – im Gegensatz zum Finanzierungsleasing – findet außerhalb der Bilanz statt, reduziert jedoch (als sonstiger betrieblicher Aufwand) das zu versteuernde Einkommen, das finanzielle Leverage und den Buchwert des Unternehmens. Daher sollte operatives Leasing als eindeutige Finanzierungsverpflich-
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
107
tung in der WACC-Berechnung berücksichtigt werden. Man stelle sich ein Maschinenbauunternehmen vor, das seine Fabrikhalle von einem Leasinginstitut über einen fest vereinbarten Zeitraum von zehn Jahren least anstelle sich zu verschulden und diese selbst zu errichten: Unter der Annahme, dass beide Zahlungsströme identisch sind, sollten dann diese beiden Vorgänge wirklich zu Unterschieden in der Unternehmensbewertung führen? Zum Ausgleich der Leasingzahlungen wird der Barwert der Mindestzahlungen ermittelt, die ein Unternehmen zukünftig aus operativem Leasing zu begleichen hat. Diese Mindestzahlen müssen vom Unternehmen für einen Zeitraum von fünf Jahren veröffentlich werden, man findet sie üblicherweise im Anhang des Jahresabschlusses. Aus Konsistenzgründen erfolgt die Kapitalisierung der operativen Leasingverpflichtungen mit den aktuellen Fremdkapitalkosten vor Steuern rDebt. Dadurch steigt der Bestand des Fremdkapitals an
FKadj = FK0 + Lease0 ,
(3.20)
was eine Erhöhung der Fremdkapitalquote und eine tendenzielle Verringerung der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten zur Folge hat. Beispiel 3.14: Die WACC bei operativem Leasing╇ Der Windparkbetreiber aus Beispiel (3.10–3.14) weist im Anhang des Jahresabschlusses folgende Leasingverpflichtungen auf: Mio.€€ In 1 Jahr In 2 Jahren In 3 Jahren In 4 Jahren In 5 Jahren Danach Summe
180,0 160,0 150,0 140,0 130,0 750,0 1.510,0
Die Kosten des verzinslichen Fremdkapitals (vor Steuern) belaufen sich auf 6,5€%. Problematisch wird die Berechnung des Endwertes, da im Regelfall nicht angegeben wird, in welchem Zeitraum die Leasingraten jenseits tâ•›=5 anfallen. In der Literatur wird vorgeschlagen55, die durchschnittliche Leasingzahlung während der Detailplanungsperiode in die Zukunft fortzuschreiben. In unserem Beispiel ergeben sich durchschnittliche jährliche Leasingaufwendungen im Zeitraum tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›5 von 152,0€Mio.€€. Diskontiert mit 6,5€% können die Barwerte des operativen Leasings anhand dieser Angaben über den gesamten Zeitraum angegeben werden: 55╇
Damodaran (2008, S.€11).
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
108
Mio.€€ In 1 Jahr In 2 Jahren In 3 Jahren In 4 Jahren In 5 Jahren In 6 Jahren In 7 Jahren In 8 Jahren In 9 Jahren In 10 Jahren Summe
169,0 141,1 124,2 108,8 94,9 102,8 96,5 90,6 85,1 79,9 1.092,9
Damit ergibt sich ein Marktwert des operativen Leasing von 1.092,9€Mio.€€. Der Marktwert des Gesamtkapitals erhöht sich auf 4.147,9€ Mio.€ €, die Gewichtungsfaktoren des Eigen- und Fremdkapitals belaufen sich nun auf 42,3€% bzw. 31,3€%, der des Leasing liegt bei 26,3€%. Unter Einbeziehung der Leasingverpflichtungen errechnen sich damit WACC in Höhe von WACC = 42,3 % · 9,5 % + 31,3 % · 6,5 % · (1 − 36,0 %) + 26,3 % · 6,5 %(1 − 36,0 %) = 6,4 %.
Die Aufnahme der Leasingverpflichtungen in die Berechnung des Diskontierungssatzes verringert in unserem Beispiel die WACC gegenüber Beispiel (3.13) um 80 Basispunkte. Theoretisch ist es gerechtfertigt, für die Berechnung der Leasingaufwendungen höhere Kosten als für das Fremdkapital anzusetzen, da die Ansprüche der Leasinggeber auf das Leasingobjekt beschränkt sind, während sich die Ansprüche traditioneller Gläubiger auf alle Vermögenswerte des Unternehmens beziehen. Neben den Leasingverpflichtungen bleiben häufig auch die Pensionsrückstellungen bei der Ermittlung der WACC unberücksichtigt. Bei Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung handelt es sich (zumindest in den meisten kontinentaleuropäischen Staaten) um ungewisse Verbindlichkeiten, bei denen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung unklar ist, ob, wann und in welcher Höhe Versorgungszahlungen zu leisten sind. Die Höhe des für die Pensionsrückstellungen anzusetzenden Kapitalkostensatzes ist daher umstritten56. In der Regel erfolgt eine Bewertung der Pensionsverpflichtungen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen. Hierbei wird wie bei jeder Barwertberechnung eine Abzinsung vorgenommen, zusätzlich wird für jede zukünftige Zahlung die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens berücksichtigt. Während steuerlich ein Rechnungszins von 6,0€ % vorgeschrieben ist, 56╇
Vgl. Mandl und Rabel (1997, S.€355€f.).
3.3â•… Gewichtete durchschnittliche Kapitalkosten (WACC)
109
orientiert sich der handelsrechtliche Diskontierungsfaktor entsprechend am Marktzins auf der Basis von Null-Kupon-Festzinsswaps. Die Laufzeit der untersuchten Wertpapiere soll sich an der Laufzeit der Verpflichtung orientieren. Bei der betrieblichen Altersversorgung und vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen kann vereinfachend von einer 15-jährigen Laufzeit ausgegangen werden. Der Rechnungszins entspricht dem 7-Jahres-Durchschnitt des beobachteten Zinses. Der zu verwendende Zinssatz wird regelmäßig von der Deutschen Bundesbank verbindlich festgesetzt und veröffentlicht. Aufgrund ihres eindeutigen Schuldcharakters sind Pensionsrückstellungen dem verzinslichen Fremdkapital gleichzustellen. Damit sind sie bzw. ihre Kapitalkosten, gewichtet mit ihrem Marktwert, auch in die Ermittlung der durchschnittlichen Kapitalkosten einzubeziehen. Für den Fall, dass ein Unternehmen Pensionsverpflichtungen ausweist, ist Formel (3.11) zu EK 0,t−1 Debt 0,t−1 PR 0,t−1 WACC t = r EK + r Debt (1 − τ ) + r PR (1 − τ ), V0,t−1 V0,t−1 V0,t−1 (3.21)
mit
V0,t−1 = EK0,t−1 + Debt0,t−1 + PR0,t−1
(3.22)
zu erweitern. Bei der Bestimmung der Marktwerte der Anteile Dritter kann dagegen auf den Buchwert zurückgegriffen werden, solange sie – und das dürfte in den meisten Fällen zutreffen – wertmäßig relativ gering sind. Das mit dem Ansatz der Buchwerte verbundene Fehlerpotenzial sollte in diesen Fällen wertmäßig relativ gering ausfallen. Ist dagegen zu erwarten, dass der Marktwert der Anteile Dritter seinen Buchwert deutlich über- oder untersteigt, dann ist für die Berechnung der Marktwerte der Anteile Dritter eine eigenständige Unternehmensbewertung zu erstellen, z.€B. über ein DCF-Modell. Nachdem die jeweiligen Kapitalkosten und Gewichte der durchschnittlichen Kapitalkosten errechnet wurden, ergibt sich bei der Bestimmung der Eigenkapitalkosten ein Problem. Denn die Berechnung der Eigenkapitalkosten und -gewichtung setzt die Kenntnis der Kapitalstruktur voraus, also der relativen Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital. Damit liegt ein klassisches Zirkularitätsproblem vor, da genau diese Marktwerte ursprünglich mit Hilfe der WACC bestimmt werden sollten57. Dieses Zirkularitätsproblem wird verschärft, wenn sich, was sehr wahrscheinlich ist, die Kapitalstrukturen eines Unternehmens im Zeitablauf ändern, beispielsweise nach einem umfänglichen Restrukturierungsprogramm oder weil sich die Finanzierungsstrategie am Unternehmenswert orientiert. In diesem sehr wahrscheinlichen Fall würde sich auch der Diskontierungssatz über die Lebensdauer eines Unternehmens permanent ändern.
57╇
Vgl. Schwetzler und Darijtschuk (1999).
110
3â•… Der Einfluss des Risikos auf den Unternehmenswert
Um diesen Schönheitsfehler zu beseitigen, werden in der Literatur üblicherweise zwei Vorgehensweisen vorgeschlagen: Entweder über einen iterativen Bewertungsalgorithmus oder durch rekursive Berechnung, bei der die gegenseitige Abhängigkeit zwischen abhängiger (Unternehmenswert) und bestimmender (WACC) Variable schlichtweg verneint wird und der zukünftige Verschuldungsgrad durch eine Vorabentscheidung direkt als Planungsprämisse fixiert wird. Besonders praktikabel ist dabei die Verwendung von Zielkapitalstrukturen58, zumindest dann, wenn sich die gewichteten Kapitalkosten im Zeitablauf nicht substantiell verändern werden. Sind dagegen die erwarteten Veränderungen der Kapitalstrukturen beträchtlich, sollten die gewogenen Kapitalkosten in jeder Periode separat berechnet und zur Diskontierung angesetzt werden. Zielkapitalstrukturen werden in der Praxis auf zwei Wegen abgeleitet: Basierend auf den Aussagen des Unternehmensmanagement und der Analyse der Kapitalstrukturen von Referenzunternehmen derselben Branche können die langfristigen Erwartungen von Investoren und Management gleichermaßen berücksichtigt werden59. Bei einer FK-zu-EK-Zielkapitalstruktur von 25€% würde demzufolge jeder Euro, der an zusätzlichem Fremdkapital aufgenommen wird, eine Zuführung von vier Euro zusätzlichen Eigenkapitals zur Folge haben. Die Eigenkapitalquote, berechnet als Verhältnis des Marktwertes des Eigenkapitals zu Marktwert des Gesamtkapitals, bleibt in diesem Beispiel konstant bei 75,0€%. Die dem Einsatz von Zielkapitalstrukturen zugrunde liegende Annahme ist, dass börsennotierte Unternehmen, die noch nicht den optimalen Verschuldungsgrad erreicht haben, so viel Druck von ihren Investoren ausgesetzt sind, dass sich das Management letztlich beugt und eine optimale Verschuldung anstrebt. Bei einem nur schwach ausgeprägten Corporate Governance oder bei einem eigentümergeführten Unternehmen kann diese Annahme allerdings zu einem suboptimalen Verschuldungsgrad führen. In diesem Fall wäre es naheliegend, die Kapitalstruktur, die ein Unternehmen zum Bewertungsstichtag aufweist, als dauerhaft festzuschreiben. Sinnvoll ist die Verwendung einer Zielkapitalstruktur jedoch nur dann, wenn diese nicht nennenswert von ihren aktuellen Werten abweicht und wenn keine substantiellen Änderungen der Kapitalstruktur zu erwarten sind. Liegt die aktuelle Fremdkapitalquote nur bei 10,0€%, dann dürfte es wenig zielführend sein, mit einer Zielkapitalstruktur von 50:50 zu rechnen; infolge der niedrigeren durchschnittlichen Kapitalkosten dürfte dieses Vorgehen tendenziell eine Überschätzung des Unternehmenswertes zur Folge haben. Auch sollte es im Zeithorizont nur zu geringfügigen Änderungen der Kapitalstruktur kommen. In aller Regel rechnen Unternehmen im Planungszeitraum jedoch mit einer deutlichen Steigerung ihrer Ertragskraft, deren thesaurierter Anteil anschließend zur Rückführung der Verschuldung genutzt werden kann. Die auf Basis der aktuellen Kapitalstruktur durchgeführte Unternehmensbewertung führt aufgrund der zu niedrigen Kapitalkosten zu einem systematisch zu hohen Unternehmenswert.
Vgl. unter vielen Brealey et€al. (2006, S.€469€ff.) für eine Analyse von Kapitalstrukturen. Die Verwendung von Durchschnittswerten, wie von anderer Seite – vgl. Ernst et€ al. (2006, S.€49) – vertreten, ist weder praktikabel noch methodologisch sauber.
58╇ 59╇
Kapitel 4
Dividendendiskontierungsmodelle
4.1 Grundlagen Eine Aktie ist ein Wertpapier, das im Gegensatz zu einer Anleihe nicht zurückbezahlt wird. Die Liquidität, die durch den Erwerb einer Aktie abgeflossen ist, kann der Investor nur durch den Verkauf der Aktie zurückgewinnen. Der Verkaufserlös indes ist angesichts der volatilen Kursbewegungen einer Aktie höchst unsicher. Für diese Unsicherheit erhält der Aktionär zwei Kompensationsleistungen: Ein Mitspracherecht auf der Hauptversammlung und die Dividende. Abgesehen vom Verkaufserlös der Aktie stellt die Dividende also den einzigen Zahlungsstrom dar, der einem Anteilseigner aus dem Erwerb einer Aktie zufließt. Diese strikte, jedoch grundlegende Erkenntnis stammt bereits aus dem Jahr 1938, als der Amerikaner John Burr Williams, seines Zeichens Harvard-Professor, konstatierte: „Earnings are only a means to an end… In short, a stock is worth only what you can get out of it“1. Nur das, was den Kapitalgebern letztlich zufließt, kann als bewertungsrelevanter Überschuss eingeordnet werden. Wenn also Anleihen über die Diskontierung zukünftiger Zinszahlungen bewertet werden, warum dann nicht Aktien über die Diskontierung zukünftiger Dividendenströme? Nichtsdestotrotz galten Dividendendiskontierungsmodelle lange Zeit als veraltet, ja geradezu verpönt. Vor allem während der Technologieblase gegen Ende der 1990er Jahre wurden Gewinnausschüttungen nicht selten sogar als Synonym der Schwäche angesehen, als Zeichen eines resignierenden Managements, das keine besseren Anlagealternativen kennt als die Liquiditätsüberschüsse an die Aktionäre zurückzugeben. Zu Unrecht, denn vieles, was aus Dividendendiskontierungsmodellen zu lernen ist, bildet die Basis für weitergehende Bewertungsverfahren wie DCFoder Wertschöpfungsmodelle. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, für die Dividendendiskontierungsmodelle die prädestinierten Bewertungsverfahren sind. Zu diesen zählen insbesondere Unternehmen aus reifen Industrien, für die von der Verwaltung eine unternehmensspezifische Ausschüttungspolitik formuliert wurde, und eine bestimmte Form der Immobilienbestandshaltung, den Real Estate Investment Trust REIT, für das der Gesetzgeber sogar explizite Vorschriften über die einzuhaltende Ausschüttungspolitik formuliert hat. 1╇
Williams (1938, S.€57–58). Hervorhebung im Original.
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_4, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
111
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
112
Beispiel 4.1: Anwendbarkeit des Dividendendiskontierungsmodells╇ Ein in den 50er Jahren gegründeter Autohersteller weist für die vergangenen zehn Jahre folgende Ertrags- und Dividendenentwicklung auf: €
tâ•› − â•›10 EPS 3,45 Dividende 2,00
tâ•› − â•›9 3,80 2,00
tâ•› − â•›8 4,70 2,00
tâ•› − â•›7 5,22 2,00
tâ•› − â•›6 4,80 2,00
tâ•› − â•›5 5,45 2,00
tâ•› − â•›4 5,88 2,00
tâ•› − â•›3 6,14 1,90
tâ•›−â•›2 6,55 1,90
tâ•›−â•›1 7,05 2,00
Kann für den Autohersteller ein Dividendendiskontierungsmodell das geeignete Bewertungsverfahren sein? Offensichtlich nicht, denn zwischen Ergebnis je Aktie EPS und Dividendenhöhe besteht über die gezeigten zehn Jahre kein Zusammenhang. Während sich das EPS im Zeitablauf mehr als verdoppelt hat, haben sich die Dividenden per Saldo nicht verändert, zwischenzeitlich war sogar ein Rückgang der Ausschüttung zu konstatieren. Dagegen ist für einen börsennotierten Bestandshalter von Wohnimmobilienunternehmen mit folgender Zeitreihe €
tâ•› − â•›10 tâ•› − â•›9 tâ•› − â•›8 tâ•› − â•›7 tâ•› − â•›6 EPS 4,50 4,68 4,88 5,05 4,90 Dividende 2,30 2,30 2,40 2,50 2,50 51,1 49,1 49,2 49,5 51,0 δ (%)
tâ•› − â•›5 tâ•› − â•›4 5,25 5,35 2,60 2,70 49,5 50,5
tâ•› − â•›3 tâ•› − â•›2 tâ•› − â•›1 5,68 5,96 7,10 2,80 3,00 3,60 49,3 50,3 50,7
ein Dividendendiskontierungsmodell ein überaus geeignetes Bewertungsverfahren. Die Ausschüttungsquote δ schwankt in einer engen Bandbreite zwischen 49,1 und 51,1€ %. Damit ist eine enge Korrelation zwischen der Dividende und der Wertschöpfung, repräsentiert durch das Ergebnis je Aktie, gewährleistet: Die jährlichen Zuwachsraten sind bei beiden Parametern nahezu identisch. Darüber hinaus bewegt sich das EPS auf einem stabilen Aufwärtstrend, zyklische Schwankungen sind eher die Ausnahme. In einem perfekten Kapitalmarkt mit rational handelnden Individuen sollte der Wert einer Aktie dem Barwert aller zukünftigen Dividendenzahlungen an den Aktionär entsprechen. Kauft er die Aktie, um sie nach einer Periode zu verkaufen, so ergibt sich als Kapitalbarwert des Wertpapiers
V0 =
Div1 P1 + . 1 (1 + rEK,1 ) (1 + rEK,1 )1
(4.1)
Nach dieser für die Unternehmensbewertung fundamentalen Gleichung entspricht der innere Wert V0, den ein Investor für eine Aktie zahlt, dem Barwert der in der Periode 1 vereinnahmten Dividende Div1 zuzüglich des Barwertes des Aktienkurses gegen Ende der Periode P1. Die Diskontierung erfolgt anhand der Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber rEK,1 an ein fiktiv unverschuldetes Unternehmen, und
4.1â•… Grundlagen
113
zwar, wie sie sich voraussichtlich in der folgenden Periode einstellen wird. Aus dem Blickwinkel des Investors basiert seine Bestimmung auf der Überlegung, welche Rendite mit einer risikoadäquaten Alternativanlage zu erzielen wäre2. Diese nach dem Opportunitätskostenprinzip geforderte Rendite soll die beste vergleichbare Anlagealternative des Kapitalmarktes widerspiegeln3. Erreicht die Anlage nicht diese Mindestverzinsung, wird sich der Investor einem anderen Wertpapier zuwenden. Hält der Investor die Aktie über zwei Perioden, dann verändert sich Gl.€(4.1) wie folgt:
V0 =
Div1 Div2 P2 + + . (1 + rEK,1 )1 (1 + rEK,2 )2 (1 + rEK,2 )2
(4.2)
In diesem Modell wird der Mittelzufluss jedes einzelnen Jahres mit einem eigenen, laufzeitabhängigen Zinssatz diskontiert. In der Praxis werden zukünftige Cashflows innerhalb eines gewissen Zeitraums, zum Beispiel einer Detailplanungsphase, mit einem einheitlichen Diskontierungssatz abgezinst. Ein Fondsmanager, der dem ersten Investor die Aktien nach zwei Perioden abkauft, stellt eine ähnliche Rechnung auf. Angenommen, er strebt an, die Aktien ebenfalls zwei Perioden zu halten, dann ergibt sich für ihn folgende Performancerechnung:
V2 =
Div3 Div4 P4 + + . (1 + rEK,3 )1 (1 + rEK,4 )2 (1 + rEK,4 )2
(4.3)
Für denjenigen, der von ihm wiederum die Aktien in tâ•› = â•›4 erwirbt, gilt dieselbe Rechnung. Allgemein kann daher für n Perioden folgende Gleichung aufgestellt werden:
V0 =
n t=1
Pn Divt . t + (1 + rEK,n )n (1 + rEK,t )
(4.4)
Der Wert einer Aktie bestimmt sich demnach aus einer Summe bestehend aus dem Barwert aller zukünftig zu vereinnahmenden Dividenden sowie dem Barwert des Aktienkurses zum Verkaufszeitpunkt n. Beispiel 4.2: Unternehmensbewertung anhand des allgemeinen Dividendendiskontierungsmodells╇ Ein Investor erwartet für das Immobilienunternehmen aus Beispiel€4.1 einen Dividendenstrom von 7,30, 7,50 und 7,70€€ je Aktie. Aus einem Peergroup-Modell wird ein Wert der Aktie in tâ•› = â•›3 von 95,00€ € errechnet. Die erwartete Eigenkapitalverzinsung liegt konstant bei 11,0€%. Damit ergibt sich folgender Unternehmenswert:
2╇ Neben dem Begriff der Mindestverzinsung werden auch die Ausdrücke geeigneter Abzinsungssatz und Kapitalkosten verwendet. Vgl. Ross et€al. (1998, S.€403). 3╇ Weitere Funktionen des Kapitalisierungszinses beschreibt Bieg (1997, S.€228€f.).
114
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
V0 =
7,30 7,70 95,00 7,50 + + = 87,76. + 2 3 1 + 0,11 (1 + 0,11) (1 + 0,11) (1 + 0,11)3
Der sich aus einem Dividendendiskontierungsmodell mit dreijähriger Haltezeit der Aktie ergebende Unternehmenswert für das Immobilienunternehmen liegt damit bei 87,76€€ je Aktie. Problematisch an diesem Verfahren ist, dass mit Pn ein Aktienkurs der Zukunft bestimmt werden muss, über den wiederum der Unternehmenswert der Gegenwart V0 festgelegt werden soll. Das Ziel, den Wert einer Aktie zu ermitteln, ist damit lediglich in die Zukunft verlagert worden. In der Praxis behilft man sich dadurch, diesen Kurs über alternative Bewertungsmethoden zu bestimmen, beispielsweise durch Vergleichsgruppenmultiplikatoren (s.€Kap.€7 bis 10). Die grundsätzliche Henne-Ei-Problematik dieser Vorgehensweise wird dadurch jedoch nicht wesentlich entschärft und man mag sich zu Recht fragen, wofür ein Dividendendiskontierungsmodell überhaupt benötigt wird, wenn der erwartete Verkaufserlös anhand eines alternativen Bewertungsverfahrens ermittelt wird und dieser den Barwert der Dividendenströme um ein Vielfaches übersteigt. Die Vermeidung des Henne-Ein-Problems gelingt erst, wenn die Halteperiode der Aktie gegen Unendlich geht. In diesem Fall entspricht der Wert eines Unternehmens der risikoadjustierten Diskontierung aller Dividenden Divt, die einem Aktionär in Zukunft ausgeschüttet werden sollen, also
Div1 Div2 Div3 Divn + + + ··· + 2 3 1 + rEK,1 (1 + rEK,n )n (1 + rEK,2 ) (1 + rEK,3 ) n Divt = . (1 + rEK,t )t t=1
V0 =
(4.5)
Plötzlich arbeitet das Modell nur noch mit zwei Inputfaktoren: Den erwarteten Dividenden Divt, die wiederum von der erwarteten Gewinnentwicklung und der Thesaurierungspolitik abhängig sind, und dem risikoadjustierten Diskontierungsfaktor rEK,t, der sich aus dem risikolosen Zinssatz rf,t und einer unternehmensspezifischen Risikoprämie rp,t ergibt. Die Prognose des Aktienkurses zum Zeitpunkt Pn ist damit nicht länger Bestandteil der Unternehmensbewertung. Diese erstmals 1938 von John Burr Williams formulierte Basisformel gilt nicht nur für Investoren mit einem unendlichen Anlagehorizont, sondern auch für Investoren mit einem endlichen. Der zu berechnende Unternehmenswert für einen endlichen Anlagehorizont ergibt sich direkt über die diskontierten Dividendenströme während der Halteperiode und indirekt aus den Dividenden, die ausgeschüttet werden, nachdem der Anleger die Aktie verkauft hat – da diese wiederum die Höhe des erwarteten Verkaufspreises bestimmen. Da die Lebensdauer eines Unternehmens nicht bekannt ist, muss eine unbegrenzte Lebensdauer des Unternehmens unterstellt werden (Going Concern-Prinzip). Da-
4.2â•… Das Gordon-Growth-Modell
115
mit sind auch die Dividenden über einen unendlichen oder zumindest sehr langen Zeitraum zu prognostizieren. Dies ist für den Investor eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Natürlich hängt die Planbarkeit der Dividenden davon ab, wie stabil die Industrie ist, in dem das Unternehmen operativ tätig ist und wie gut das Unternehmen in dieser Industrie etabliert ist. Wichtig ist aber auch eine Vielzahl von makroökonomischen Faktoren wie die Inflationsrate, das allgemeine Zinsniveau, Steuerquoten etc., und schließlich auch der Erfahrungsschatz des Investors. Zuverlässig Dividenden über einen langen, ja unendlichen Zeitraum fundiert zu prognostizieren ist ihm auch für die stabilsten Branchen nicht möglich. Von einem pragmatischen Standpunkt aus betrachtet könnte man sich damit behelfen, die Dividenden für die nächsten 20 oder 30 Jahre zu prognostizieren und die Zeit danach zu vernachlässigen, da der diskontierte Barwert späterer Dividenden verschwindend gering ist: So entspricht der Barwert einer Dividende in Höhe von 1,00€€ je Aktie, die in 30 Jahren ausgeschüttet werden wird, bei einem Diskontierungssatz von 10€% einem Wertbeitrag von gerade mal 0,06€€ je Aktie. Die Auswirkungen dieser Dividende auf den heutigen Unternehmenswert sind also vernachlässigbar. Für einen exakt arbeitenden Bewerter ist diese Vorgehensweise jedoch nicht akzeptabel.
4.2 Das Gordon-Growth-Modell Dividenden und Diskontierungssätze buchstäblich bis in alle Ewigkeit oder auch nur über einen Zeitraum von 20 Jahren zu prognostizieren stellt eine nicht zu bewältigende Herausforderung für jeden Anleger dar, zumal, wie Mark Twain sagte, alle Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Erforderlich sind also vereinfachende Annahmen, mithin die Entwicklung eines Modells, das die Wirklichkeit abbildet. Wenig problematisch ist auf den ersten Blick die vereinfachende Annahme, dass der Kalkulationszinsfuß eines Investors in allen zukünftigen Perioden identisch sein soll, das heißt, dass die Laufzeitstruktur der Diskontierungsraten flach ist: rEK,1 = rEK,2 = · · · = rEK,n = rEK . (4.6) Wesentlich anspruchsvoller ist dagegen die Prognose der Dividendenströme. Dass diese ebenfalls bis in alle Ewigkeit konstant sein sollen, ist eher unwahrscheinlich. Viel eher könnte man die Dividenden über eine Annahme langfristig konstanter Dividendenwachstumsraten modellieren:
Div1 = Div0 (1 + g).
(4.7)
Die Dividenden sollen also Jahr für Jahr gleichmäßig und mit der konstanten Rate g wachsen. Ist eine solche Annahme realistisch? Anders formuliert, wie könnte ein Finanzvorstand seine Ertragslage stabilisieren, um Formel (4.7) zu genügen? Er könnte zum Beispiel seine Geschäftsaktivitäten in verschiedene, unkorrelierte Bereiche diversifizieren: Ein operativer Einbruch in einem Geschäftsfeld oder Markt würde
116
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
dann durch eine bessere Ertragslage in einem anderen Geschäftsfeld ausgeglichen werden. Dieses Vorgehen ist gar nicht so unrealistisch: Um die Abhängigkeit vom Bau abzumildern hat etwa Bilfinger Berger seit Anfang des Jahrtausends eine Reihe von Industrial Services- und Facility Management-Unternehmen erworben, die dem Kerngeschäft Bau vor- und nachgelagert sind. Vor verbleibenden Restrisiken, etwa aus Zins-, Währungs- oder Rohstoffpreisschwankungen, würde sich ein Unternehmen durch den Einsatz finanzpolitischer Derivate wie Swaps oder Futures bewahren müssen. Langfristig könnten konstante Wachstumsraten also durchaus erreichbar sein. Unter diesen beiden vereinfachenden Annahmen errechnet sich der Wert eines Unternehmens aus folgender Formel:
V0 =
Div0 (1 + g) Div0 (1 + g)2 Div0 (1 + g)3 + + + ··· 1 + rEK (1 + rEK )2 (1 + rEK )3 Div0 (1 + g)n . + (1 + rEK )n
(4.8)
Mit anderen Worten: Der Betrag V0, der heute zum Zinssatz rEK angelegt werden kann, ist nach n Perioden gleichbedeutend mit der während dieses Zeitraums ausgeschütteten Dividendensumme, deren Höhe in jeder Periode mit der Wachstumsrate gâ•› = â•›Divt/Divt╛╛− 1 steigt. Obige Formel entspricht einer geometrischen Reihe, in dem jeder einzelne Term dem vorherigen entspricht, nachdem er mit dem Faktor (1â•›+â•›g)/ (1â•›+â•›rEK) multipliziert wurde. Gemäß dem Going-Concern-Prinzip der Unternehmensfortführung haben Unternehmen keine begrenzte Lebenserwartung. Unterstellt man also, dass der Beobachtungszeitraum n gegen unendlich geht, so kann durch iteratives Ersetzen der Unternehmenswert in Abhängigkeit von den zukünftigen Dividendenströmen errechnet werden:
V0 =
Div1 Div0 (1 + g) = , rEK − g rEK − g
wenn rEK > g.
(4.9)
Danach ergibt sich der Wert einer Aktie V0 aus dem Quotienten der für das folgende Geschäftsjahr erwarteten (und im übernächsten Jahr ausgeschütteten) Dividende und der vom Investor für diese Aktie geforderten Eigenkapitalverzinsung rEK, bereinigt um die langfristig erwartete Dividendenwachstumsrate g. Der Wert je Aktie ist demnach umso höher, je höher die zuletzt ausgeschüttete Dividende bzw. die zukünftig erwartete Dividendenwachstumsrate und je niedriger die geforderte Eigenkapitalverzinsung ist. Ein Ansteigen der langfristigen Kapitalmarktzinsen – etwa als indirekte Folge einer Erhöhung der Zentralbanksätze – oder des unternehmensspezifischen Risikos – beispielsweise nach einer Veränderung des Geschäftsmodells – hätte einen Rückgang des Unternehmenswertes zur Folge. Unterstellt man ferner, dass der Nenner für alle Unternehmen gleich wäre, dann würde sich der Unternehmenswert als konstanter Multiplikator der in der Folgeperiode erwarteten Dividenden errechnen.
4.2â•… Das Gordon-Growth-Modell
117
Da dieser formvollendete Zusammenhang, der unter dem Namen GordonGrowth-Modell oder einfach Gordon-Modell in allen Lehrbüchern zur Unternehmensbewertung Eingang gefunden hat4, auf einer unendlichen Dividendenfolge aufbaut, ist es unabdingbar, dass auch die unterstellten Wachstumsraten und die veranschlagte Eigenkapitalverzinsung langfristigen Annahmen genügen. Zum einen sollte das Gordon-Modell aufgrund der hohen Sensitivität des Unternehmenswertes bezüglich der Wachstumsrate g sehr restriktiv angewendet werden, beispielsweise für reife Unternehmen, deren zukünftiges Wachstum nur in sehr engen Grenzen schwankt und im Idealfall dem der gesamten Volkswirtschaft entspricht bzw. dieses allenfalls geringfügig überschreitet. Zu denken wäre hier an Energieversorgungsunternehmen, an Bestandshalter von Immobilien oder an den Lebensmitteleinzelhandel. Darüber hinaus sollten bei den zu bewertenden Unternehmen Dividendenwachstum und Ergebniswachstum möglichst identisch sein: Denn läge das Wachstum der Dividende langfristig über dem des ausschüttungsfähigen Gewinns, würden jene zu einem bestimmten Zeitpunkt die Gewinne übersteigen, was eine Ausschüttung aus der Substanz zur Folge hätte. Läge das Wachstum der Gewinne langfristig über jenem der Dividenden, würde sich die Ausschüttungsquote asymptotisch der Nulllinie annähern, was ebenfalls kein langfristiger Gleichgewichtszustand sein kann. Finanzanalysten und Investoren verwenden das Gordon-Modell daher häufig, um sich einen ersten Eindruck über den langfristigen intrinsischen Wert einer Aktie zu verschaffen, der von kurzfristigen Schwankungen möglichst unbeeinflusst sein soll. Effizienzgewinne sind im Gordon-Modell, wie übrigens in allen Modellen, die auf dem Unendlichkeitskonzept aufbauen, nicht mehr möglich. Wachstum findet allein aus Erweiterungsinvestitionen statt, nicht mehr durch eine verbesserte Kapazitätsauslastung u.€ä. Beispiel 4.3: Unternehmensbewertung anhand des Gordon-Modells╇ Ein Bestandshalter von Gewerbeimmobilienunternehmen, der in Deutschland als G-REIT (German Real Estate Investment Trust) an der Börse gelistet wird, ist gesetzlich verpflichtet, mindestens 90€ % seines nach HGB ausschüttungsfähigen Gewinns an die Aktionäre auszuschütten. Gewerbliche Mieteinnahmen sind in der Regel an den Lebenshaltungskostenindex gekoppelt. Der Vorstand geht davon aus, dass die Wachstumsrate durch geschickte Neuvermietungsaktivitäten um einen Prozentpunkt über der Inflationsrate liegt; diese Guidance lässt sich auch aus den letzten zehn Jahresabschlüssen bestätigen. Die durchschnittliche Inflationsrate der letzten zehn Jahre lag in Deutschland bei 1,5€% p.€a. Im vergangenen Geschäftsjahr wurde ein Ergebnis je Aktie von 2,50€€ erwirtschaftet. Gegenwärtig wird die Aktie mit einem Kurs von 27,30€€ gehandelt. Mit einem Beta von 1,18, einer Risikoprämie von 5,0€% und einem risikolosen Zinssatz von 3,5€% errechnet sich nach dem CAPM eine geforderte Eigenkapitalverzinsung von
4╇ Im Übrigen hat auch David Durand einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entstehung des Modells geleistet, der allerdings nahezu unbeachtet geblieben ist; vgl. Durand (1957).
118
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
r EK = rf + ßrp = 0,035 + 1,18 · 0,05 = 0,094 = 9,4 %.
Das Gordon-Modell, welches stabiles Wachstum und gleichbleibende Ausschüttungsquoten unterstellt, ist für die Aktie eines Gewerbeimmobilienunternehmens, das seine Erträge vollständig aus der Bestandshaltung erzielt, ein angemessenes Bewertungsverfahren. Abgesehen von Insolvenzen bei Mietern ist die zukünftige Umsatz- und Ertragsentwicklung aufgrund von lang laufenden und indexierten Mietverträgen verhältnismäßig gut prognostizierbar. Darüber hinaus kann die Ausschüttungsquote aufgrund gesetzlicher Vorgaben vom Management oder der Hauptversammlung nicht wesentlich verändert werden. Und schließlich besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wertschöpfung des Unternehmens und der ausgeschütteten Dividende. Der sich aus dem Gordon-Modell ergebende fundamentale Wert je Aktie V0 für dieses Immobilienunternehmen liegt damit bei V0 =
2,50 · 0,9 · 1,025 = 33,42. 0,094 − 0,025
Der aus dem Gordon-Modell ermittelte Unternehmenswert von 33,42€€ liegt um 22,4€% über dem aktuellen Börsenkurs. Gemessen an den Erwartungen des Managements ist die Aktie folglich unterbewertet. Das Gordon-Modell steht und fällt mit der Genauigkeit, mit der die Wachstumsrate g vorhergesagt werden kann. Da es sich beim Gordon-Modell um ein Modell handelt, in das Ewigkeitswerte eingehen, können selbst geringfügige Veränderungen der Dividendenwachstumsrate gravierende Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Beispiel 4.4: Variation der Dividendenwachstumsrate╇ Das Immobilienunternehmen aus Beispiel€4.3 plant, den Schwerpunkt seiner Aktivitäten in besonders attraktive Wachstumsregionen Deutschlands zu verlagern. Die dort realisierbaren Wachstumsraten liegen um 50 Basispunkte über dem deutschen Durchschnittswert. Der sich aus dem Gordon-Modell ergebende Wert je Aktie V0 für dieses Wachstumsszenario liegt damit bei V0 =
2,50 · 0,9 · 1,03 = 36,21 0,094 − 0,03
und damit um 8,3€% über dem Ausgangswert. Dies verdeutlicht, dass schon kleine Schwankungen der Wachstumsrate große Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben können.
4.2â•… Das Gordon-Growth-Modell
119
Von welchen Inputfaktoren ist das langfristige Wachstum g eines Unternehmens überhaupt abhängig? Kurzfristig kann die Wachstumsrate sicherlich von einer Veränderung der Umsatzproduktivität beeinflusst werden. Für ein Einzelhandelsunternehmen wären also Faktoren wie Marktanteil, die Geschwindigkeit, mit der neue Filialen eröffnet werden, die Erlöse auf vergleichbarer Fläche oder auch die Fähigkeit, höhere Preise zu setzen als die Wettbewerber, relevant für die Ertrags- oder Dividendenwachstumsrate. Langfristig sollten sich die unterstellten Wachstumsraten aufgrund der Unendlichkeit des Gordon-Modells daher an den langfristig erwarteten Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts der Länder orientieren, in denen das Unternehmen den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit hat. Deutlich höhere Wachstumsraten als diese können langfristig unmöglich aufrechterhalten werden. So haben Marktforscher belegt, dass in den USA das durchschnittliche Gewinnwachstum von Unternehmen des S&P 500 um etwa 3,0€% über dem Wachstum der Gesamtwirtschaft gelegen ist5. Das reale Wachstum des BIP lag in den USA während der vergangenen 70 Jahre im Durchschnitt bei etwa 3,5€ %. Angesichts einer aktuellen Inflationserwartung von 2,0–3,0€% ist dieses konsistent mit einem nominalen Wachstum auf Unternehmensebene in Höhe von etwa 6,0€ %. Höhere Wachstumsraten zu unterstellen würde für eine rein in den USA tätige Gesellschaft eine beabsichtigte Übertreibung des Unternehmenswertes zur Folge haben. Ergeben sich Abweichungen zwischen dem aktuellen Börsenkurs und dem errechneten Unternehmenswert, sind grundsätzlich zwei Schlussfolgerungen möglich: Entweder der Investor behält recht und die Aktie ist unter- oder überbewertet, oder der Kapitalmarkt hat recht und dem Investor ist ein Fehler in der Unternehmensbewertung unterlaufen. Ergeben sich signifikante Abweichungen zwischen Kurs und errechnetem Unternehmenswert, die die geforderte Margin of Safety deutlich übersteigen, empfiehlt es sich, die Modellergebnisse zu hinterfragen und die dem Börsenkurs unterlegten, impliziten langfristigen Wachstumsraten zu bestimmen. Je stärker diese von den empirischen Vergangenheitsdaten abweichen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Unternehmenswert tatsächlich eher dem Bewertungsergebnis entsprechen sollte. Beispiel 4.5: Berechnung der impliziten Wachstumsrate╇ Zur Unterstützung unserer Kaufempfehlung für den G-REIT aus Beispiel€ 4.3 berechnen wir die dem aktuellen Börsenkurs zugrundeliegenden Wachstumserwartungen. Dadurch ist Formel (4.9) 27,30 =
2,50 · 0,9(1 + g) 0,094 − g
nach der Wachstumsrate g aufzulösen. Nach Umformung und Auflösung erhalten wir als Ergebnis: gâ•› = â•›1,1€ %. Dieser Wert liegt nicht nur unterhalb der Inflationsrate, sondern auch unterhalb der durchschnittlichen Dividenden5╇
Vgl. Goedhart et€al. (2001, S.€13).
120
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
wachstumsrate aus den vergangenen zehn Jahren. Damit ist das Modellergebnis hinreichend gut fundiert und sollte auf eine tatsächliche Unterbewertung der Aktie hinweisen. Neben der impliziten Wachstumsrate lässt sich aus der Gordon-Formel auch die implizite Eigenkapitalverzinsung ableiten. Diese ergibt sich aus dem Gordon-Modell durch folgende einfache Umformung:
rEK =
Div0 (1 + g) Div1 +g = + g. P0 P0
(4.10)
Aus diesem Zusammenhang, der im Übrigen ebenfalls nur für den Fall rEKâ•›>â•›g gültig ist, entspricht die geforderte Eigenkapitalverzinsung rEK der Summe aus erwarteter Dividendenrendite Div1/P0 und Dividendenwachstumsrate g. Beispiel 4.6: Berechnung der impliziten Eigenkapitalverzinsung╇ Aus dem REIT von Beispiel€4.3 berechnen wir die implizite Eigenkapitalverzinsung, die dem aktuellen Börsenkurs zugrunde liegt. Diese ergibt sich aus Formel (4.10) mit rEK =
Div0 (1 + g) 2,50 · 0,9(1 + 0,025) +g = + 0,025 = 10,9 %. P0 27,30
In der Praxis wird dieser Zusammenhang vor allem zur Schätzung der für den Gesamtmarkt geforderten Eigenkapitalkosten eingesetzt. Zu diesem Zweck werden die erwarteten Dividenden des DAX mit ihrer jeweiligen Gewichtung aggregiert, durch die Marktkapitalisierung des DAX geteilt und zur erwarteten Wachstumsrate der Dividenden addiert. Nicht angewendet werden kann das Gordon-Modell, wenn rEKâ•› = â•›g oder wenn rEKâ•›<â•›g. Im ersten Fall wachsen die Dividenden mit derselben Rate, mit der sie auch diskontiert werden, im zweiten wäre ihr Wachstum sogar höher; in beiden Fällen wäre der Wert des Unternehmens unendlich, ein ökonomisch nicht gerade sinnvoller Wert. Durchaus möglich ist indes die Berechnung eines Unternehmenswertes für den Fall, dass das Unternehmen im Zeitablauf schrumpft, also negative Wachstumsraten aufweist – selbst wenn dies bedeuten würde, dass das Unternehmen irgendwann vom Markt gänzlich verschwunden wäre. Zwischen dem aktuellen Liquidationswert und dem Wert des Going Concern (in diesem Fall durchaus eine Contradictio in adiecto) entsteht also eine Diskrepanz, die von Jahr zu Jahr größer wird – ein Perpetuum Mobile wäre wohl leichter zu erfinden. Grundsätzlich mag diese Vorgehensweise also für ein Unternehmen angemessen sein, dessen Produkte oder
4.2â•… Das Gordon-Growth-Modell
121
Dienstleistungen durch technologischen Fortschritt oder gesellschaftliche Umwälzungen immer seltener nachgefragt werden. Als Beispiele mögen einem Hersteller von LPs oder Videokassetten nach der Erfindung der CD oder DVD einfallen. Beispiel 4.7: Gordon-Modell bei negativem Dividendenwachstum╇ Der Hersteller von Förderanlagen für den Kohleabbau hat im vergangenen Jahr eine Dividende von 8,50€€ je Aktie ausgeschüttet. Da zu erwarten ist, dass die Kohlevorräte hierzulande zur Neige gehen und das Unternehmen international nicht ausreichend vertreten ist, ist mit einer rückläufigen Umsatzund Ertragsentwicklung zu rechnen. Die Schätzungen des durchschnittlichen jährlichen Ergebnisrückgangs liegen in einer Bandbreite von 5 bis 10€%. Die Ausschüttungsquote soll beibehalten werden. Die Renditeerwartungen der Investoren an dieses Unternehmen liegen bei 11,5€%. Aktuell notiert die Aktie bei einem Kurs von 65,00€€. Der sich aus dem Gordon-Modell ergebende Wert je Aktie V0 liegen damit zwischen V0 =
8,50(1 − 0,1) = 35,58 0,115 − ( − 0,1)
und V0 =
8,50(1 − 0,05) = 48,94. 0,115 − ( − 0,05)
Beide Kursziele liegen deutlich unter dem aktuellen Börsenkurs. Trotz einer kurzfristig attraktiven Dividendenrendite ist die Aktie damit deutlich überbewertet. Insbesondere in stark wettbewerbsintensiven Branchen kann davon ausgegangen werden, dass langfristig ein Unternehmen seinen Ertrag nicht weiter steigern kann, etwa weil die Rendite von Erweiterungsinvestitionen auf die Höhe der Kapitalkosten zurückgegangen ist. Unterstellt man eine konstante Ausschüttungsquote, verkürzt die Annahme des Nullwachstums (gâ•› = â•›0) die Gordon-Formel (4.9) auf eine reine Annuitätenbarwertformel:
V0 =
Div0 . rEK
(4.11)
Durch diese Umformung verwandelt sich eine Aktie in eine Anleihe. Nach dieser ewigen Rentenformel ergibt sich der Unternehmenswert aus dem Quotienten der zuletzt gezahlten Dividende Div0 und der risikoadjustierten Eigenkapitalverzinsung. Somit ergibt sich beispielsweise für ein Unternehmen, das eine stabile Dividende
122
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
von 10,00€€ je Aktie ausschüttet, unter der Annahme einer Eigenkapitalverzinsung von 10€% ein Wert von 100,00€€ je Aktie. Stagnierende Dividenden sind in der Realität allerdings eher selten anzutreffen, denn Vorstände streben grundsätzlich nach Wachstum. Sogar voll investierte REITs, die 90€% ihres Jahresüberschusses ausschütten müssen, streben durch Teilverkäufe ihres Portefeuilles die Hebung stiller Reserven an, damit durch die anschließende Wiederanlage der Gelder höhere Mieteinnahmen vereinnahmt werden. Und selbst theoretisch ist der Nullwachstumsfall wenig plausibel, da es sich im Modell um nominale Größen handelt, so dass die Dividende aufgrund der Inflation immer größere Teile ihrer Kaufkraft verlieren und real gegen Null tendieren würde. Beliebt sind auch Annahmen über eine Vollausschüttung der Erträge. Im REIT kommt man diesem Szenario mit einer geforderten Mindestausschüttung von mehr als 90€ % bereits recht nahe. Sie hat allerdings unrealistische Konsequenzen: In einem Szenario der Vollausschüttung der Dividenden muss das zukünftige Wachstum zwingend über die Aufnahme von Krediten finanziert werden. Dies führt zu einer stetigen Verschlechterung des finanziellen Leverage des Unternehmens, was letztlich die weitere Aufnahme von Fremdkapital unmöglich macht.
4.3 Mehrphasenmodelle Die Basisannahme des Gordon-Modells, Dividenden und ausschüttungsfähige Gewinne würden immer mit derselben Rate steigen, ist weit von empirischen Abläufen entfernt. Jungen Unternehmen, die sich noch im Wachstumsmodus befinden, stehen vielfältige und überaus attraktive Investitionsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass eine Gewinnausschüttung, wenn sie denn überhaupt möglich wäre, vom Kapitalmarkt wenig goutiert werden würde. Auch überdurchschnittlich profitable Unternehmen schütten bisweilen keine Dividenden aus, einfach weil sie sämtliche Erträge sofort wieder in die Gesellschaft reinvestieren und Opportunitäten nutzen, welche wiederum die Basis für zukünftige Dividendenzahlungen bilden. Das Gordon-Modell mag in diesen Fällen zu einer systematischen Überschätzung des Unternehmenswertes führen, da ausschüttungsfähige Gewinne, die erst in einer späteren Phase des Produktlebenszyklus erwirtschaftet werden, auch auf die Frühphase der Unternehmenshistorie projiziert werden. Aber auch der umgekehrte Fall ist anzutreffen, nämlich etablierte Unternehmen, die über einen bestimmten Zeitraum keine Dividenden ausschütten, etwa weil sie ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm finanzieren müssen und erst danach wieder auf ihren angestammten Wachstumspfad zurückkehren. Auch der kapitalintensive Einstieg in neue Geschäftsfelder, der keine ausschüttungsfähigen Erträge übrig lässt, wird in der Realität regelmäßig als Begründung für einen Ausfall der Dividende genannt. Der in der Praxis6 übliche Lösungsansatz für derartige Fälle beruht auf der Aufteilung der Wachstumsraten in zwei oder mehrere Perioden. Mit ihrer Hilfe versucht 6╇ So hat sich die akademische Lehre lange Zeit weniger für Mehrphasenmodelle interessiert als Investmentbanken, die in ihnen ein Mittel zur Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern sehen.
4.3â•… Mehrphasenmodelle
123
man, die bei einer Unternehmensbewertung unvermeidliche Unsicherheit besser in den Griff zu bekommen. Mehrphasenmodelle beruhen auf der Annahme, dass • das Unternehmen über einen begrenzten Zeitraum eine vom langfristigen Durchschnitt abweichende Ertragsentwicklung aufweisen wird, dass das Unternehmen danach jedoch wieder auf seinen langfristigen Wachstumspfad zurückkehren wird, oder • es dem Investor möglich ist, Dividenden im Speziellen oder Erträge im Allgemeinen über einen begrenzten Zeitraum von bis zu fünf Jahren präzise vorherzusagen, dass aber die langfristigen Perspektiven des Unternehmens ungewiss sind. Beispielsweise könnte für einen begrenzten Zeitraum eine präzise ManagementGuidance der kurzfristigen Dividendenzahlungen vorliegen, diese aber von der langfristig erwarteten Ausschüttungspolitik des Unternehmens abweichen. In derartigen Fällen werden die Annahmen des Gordon-Modells zu vereinfachend sein. Auch Veränderungen der kurzfristigen Dividendenhöhe etwa in Folge eines konjunkturellen Abschwungs können vom Gordon-Modell nicht ausreichend berücksichtigt werden und werden eine systematische Fehleinschätzung des Unternehmenswertes nach sich ziehen. In mehrstufigen Dividendenmodellen können diese einzelnen Phasen unterschiedlichen Wachstums modelliert werden. Vergleichbar einem Produktlebenszyklus kann auch bei einem Unternehmen nach • • • • •
Start Up-, Wachstums-, Übergangs-, Reife- und Niedergangsphase
unterschieden werden. Die Start Up- oder Pionier-Phase beschreibt das früheste Gründungsstadium eines Unternehmens. Es werden meist noch keine Umsätze erwirtschaftet, die Verluste sind hoch, die betrieblichen Cashflows negativ. Das Unternehmen ist vollständig von Außenfinanzierung abhängig, was große Teile der Managementkapazitäten bindet. Das Management ist daher auch der erste Anknüpfungspunkt für eine Unternehmensbewertung, denn Business Pläne sind geduldig und häufig nur so viel wert wie das Papier, auf dem die Powerpoint-Präsentationen ausgedruckt werden. Der Unternehmenswert leitet sich ausschließlich aus den noch zu tätigenden Investitionen und den damit verbundenen Ertragspotenzialen ab. Ohne einen Beweis, dass das Geschäftsmodell überhaupt funktioniert, ohne den „Proof of concept“, enthält die Unternehmensbewertung während dieser Phase eine gehörige Portion Spekulation. Die Bewertung basiert auf Projektionen, Extrapolationen, Hoffnungen, ja selbst Träumen7. Bleiben diese – wie so häufig – unerfüllt, hat das Unternehmen keinen Wert und geht in Insolvenz. 7╇
Vgl. Cottle et€al. (1988, S.€545).
124
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Das klassische Wachstumsunternehmen stellt Produkte her, von denen der Konsument nicht wusste, dass er sie braucht; das prominenteste Beispiel der jüngeren Zeit ist Apple und der iPod. Zu Beginn der Wachstumsphase ist das absolute Umsatzniveau noch niedrig, die operative Ertragslage negativ. Das Umsatzwachstum ist weit überdurchschnittlich und unabhängig vom Konjunkturzyklus und übersteigt deutlich die Inflationsrate. Im Idealfall sind diese Wachstumsraten nicht nur bei einem einzelnen Unternehmen zu beobachten, sondern für eine ganze Industrie. Während der Wachstumsphase profitieren Unternehmen von einem überaus attraktiven Marktumfeld. Gerade bei jungen Unternehmen in innovativen Branchen ist die Umsatzprognose oft wenig mehr als eine begründete Schätzung. Die Prognose basiert häufig auf Expertenmeinungen, auf den Ergebnissen von Marktforschern, womöglich auf historischen Analogien, die von der konkreten Situation abstrahiert sein kann. Im Verlauf der Zeit verbessert sich die operative Ertragslage großflächig, und einige Unternehmen erzielen Pioniergewinne. Alle Unternehmen befinden sich im Investitionsmodus, sowohl intern wie extern, und die Investitionen übersteigen bei weitem die Abschreibungen. Deshalb sind Ausschüttungen, sofern überhaupt vorhanden, gering. Dabei stellt die Bewältigung des Wachstums insbesondere für Small Caps eine Art Lackmustest dar. Der Aufbau einer effizienten Organisation, die Internationalisierung der Geschäftsaktivitäten, die Verbreiterung der Produktpalette – um nur einige Hindernisse zu nennen – haben sich schon für mehr als ein Unternehmen als unüberwindliche Hürde herausgestellt. In Gesprächen mit dem Management ist häufig zu hören, dass es der festen Überzeugung sei, sein Unternehmen wäre das einzige am Markt und das mit Abstand am besten positionierte. Tatsächlich ist es – bestenfalls – das erste, das ein Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung anbietet. Bald schon werden sich Nachfolger dem Erfolgsmodell anschließen, ein Prozess, der während der Übergangsphase abläuft. In dieser verlangsamt sich das Umsatzwachstum, einerseits, weil die Märkte zunehmend gesättigt werden, andererseits, weil neue Marktteilnehmer – von hohen Wachstumsraten und möglichen Pioniergewinnen angelockt – mit Imitaten und Billigprodukten in den Markt drängen. Die Freien Cashflows steigen, basierend auf den Investitionen der Vergangenheit, weiter an, zumal den Unternehmen immer weniger aussichtsreiche Investitionen zur Verfügung stehen. Die Unternehmen mutieren mehr und mehr zu Cash Cows. Im weiteren Verlauf nähern sich daher die Renditen auf das eingesetzte Kapital sukzessive den durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten an. Um den Nimbus eines Wachstumswertes aufrechtzuerhalten verwenden viele Vorstände Teile ihrer Liquidität für Übernahmen von Wettbewerbern (die sich anschließend nicht immer als wertschöpfend herausstellen). Generell vollzieht sich der Anpassungsprozess nicht gemächlich, sondern in Sprüngen, und zwar insbesondere zu Beginn der Übergangsphase. Während dieser Phase tragen die bestehenden Vermögenswerte bereits fast so viel zum gesamten Unternehmenswert bei wie die zukünftig zu generierenden. Die mikroökonomische Theorie freilich lehrt, dass bei funktionierendem Wettbewerb an den Produkt-, Faktor- und Kapitalmärkten die erzielbare Eigenkapitalrendite über kurz oder lang auf das Niveau der Eigenkapitalkosten bzw. der durchschnittlichen Marktrendite gedrückt wird. In einem Umfeld der kreativen Zerstö-
4.3â•… Mehrphasenmodelle
125
rung von Wettbewerbsvorteilen8 ist die Erzielung von Überrenditen eine anspruchsvolle Aufgabe, die nur wenigen Unternehmen gelingt. Unternehmen, die sich in der Reifephase befinden, erzielen nur noch einen kleinen Teil ihres Wertes aus Wachstumsinvestitionen, der größte Teil stammt aus den bestehenden Vermögenswerten. Umsatz-, Ertrags- und Dividendenwachstum stabilisieren sich auf ihrem langfristig erzielbaren Niveau. Während dieser Phase des Unternehmenszyklus versuchen sich Unternehmen, von erodierenden Margen frustriert, neu zu erfinden: Weniger profitable Geschäftsbereiche werden geschlossen oder verkauft, und neue Produkte und Dienstleistungen angeboten. Vermutlich das beste Zeichen, dass sich ein Unternehmen im Niedergang befindet ist, wenn es über eine längere Periode keine steigenden Umsätze vermelden kann, und zwar selbst dann nicht, wenn das konjunkturelle Umfeld eigentlich eine positive Entwicklung rechtfertigen würde. Der stetige Verlust an Preis- und Verhandlungsmacht zieht rückläufige Margen nach sich. Unternehmen im Niedergang erzielen ihren Wert ausschließlich aus den existierenden Vermögenswerten. Wachstumsinvestitionen finden nicht oder nur in sehr geringem Maße statt. Ja es ist sogar nicht ganz ungewöhnlich, dass Unternehmen in der Phase des Niedergangs Werte aus Investitionen vernichten, vor allem wenn diese Unternehmen in Vermögenswerte investieren, deren Rendite unter den durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten liegt. Das Management versucht in der Regel vergebens, das Unternehmen zurück auf den Wachstumspfad zu bringen: Aussagen wie „Wir werden diversifizieren, um…“ oder „Wir werden unser Produkt auf ausländischen Märkten etablieren, weil…“ sind bei diesen Unternehmen die Regel, da in den Kernkompetenzen und bisherigen Stammmärkten kein Wachstum mehr stattfindet. Der Einstieg vieler Printmedienunternehmen in den Onlinemarkt fällt zum Beispiel in diese Kategorie. Auf der Passivseite der Bilanz ist bei schrumpfenden Unternehmen das Ausmaß des Leverage entscheidend für die Überlebenswahrscheinlichkeit: Da Unternehmen im Niedergang kein Ertragswachstum erzielen können, ist der Schuldendienst im Extremfall aus der Substanz zu begleichen, was über kurz oder lang zur Insolvenz führt (Abb.€4.1). Nur in Ausnahmefällen kann diese Folge unterbrochen werden, wenn nämlich bei steigenden Gewinnmargen der Wettbewerb von Newcomern durch niedrige und zugleich sinkende Produktstückkosten in Schach gehalten werden kann. Ein Beispiel für dieses „The Winner takes it all“ ist Microsofts Office-Paket: Mit steigendem Erfolg von Office haben sich immer mehr Kunden für Microsofts Lösung entschieden, weil sie so Dokumente mit anderen teilen konnten und keine zusätzlichen Anwenderprogramme erwerben mussten. Die Geschichte der Innovationen hat belegt, dass der Wettbewerb ohne nachhaltige Wettbewerbsvorteile immer über den Preis ausgetragen und sich monopolistische Situationen früher oder später auflösen. Für eine konsistente Unternehmensbewertung sind dementsprechend mehrere Fragen zu beantworten: • Wie hoch war die aus den bestehenden Vermögenswerten erwirtschaftete und zuletzt ausgeschüttete Dividende? 8╇
Vgl. Christensen (1997, S.€IX€ff.).
126
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Stars Steigender Bekanntheitsgrad Wiederholungskäufe Erste Wettbewerber Weitere Produktverbesserungen Nutzung von Economies of Scale Stark steigende Gewinne und Cashflows Cash Cows Konservative Hersteller und Konsumenten treten in den Markt ein Question Marks Erste Sättigungstendenzen Pionierunternehmen Kampf um Marktanteile durch Häufig Monopolist Produktdifferenzierung Niedriger Bekanntheitsgrad Fokus auf Qualitätsverbesserungen und Kleine Stückzahlen Sonderangebote Umsatz volatil Moderater Umsatzanstieg Dogs Anlaufverluste durch Kunden werden von innovativen Vorlaufkosten und Substituten abgezogen hohe Werbeintensität Kaum Relaunches Aggressive Erhaltungswerbung Kampfpreispolitik Rückläufige Umsatzentwicklung Sukzessives Aussterben des Produkts
€$ ¥
Gründungsphase
Wachstumsphase
Reifephase
Dogs
Niedergang
t
Abb. 4.1↜渀 Verbindung Portfolio-Modell und Unternehmenszyklus
• Wie hoch ist die erwartete Dividendenentwicklung während der Wachstums-, der Übergangs- und der Reifephase? • Wie hoch sind die geforderten Eigenkapitalkosten? • Wann betritt das Unternehmen die Reifephase? Der Wert der Dividendenströme nach der Detailplanungsperiode wird im Endwert9, Restwert10, Fortführungswert11 oder angelsächsisch Terminal Value zusammengefasst, verschiedene Begriffe für dasselbe theoretische Konstrukt, das als Äquivalent zum Rückzahlungsbetrag einer Anleihe angesehen werden kann. Natürlich erhalten Aktionäre zu keinem Zeitpunkt einen derartigen Rückzahlungsbetrag, da die Unternehmen nicht aufhören zu existieren. Dass es so etwas wie den Endwert überhaupt gibt, hat wenig mit grenzenlosem Optimismus des Bewerters und viel aber mit pragmatischer Bequemlichkeit zu tun. Vermieden wird die Antwort auf die Frage, wann die Existenz des Unternehmens beendet wird und welche Zahlungen zu diesem Zeitpunkt gegebenenfalls anfallen. Gerechtfertigt wird die Vorstellung eines ewigen Unternehmens dadurch, dass die Barwerte von Cashflows umso näher bei null sind, je weiter der Zeitpunkt ihrer Realisierung in der Zukunft liegt und der wertmäßige Beitrag der zukünftigen Ergebnisse mit zunehmender zeitlicher Entfernung vom Bewertungsstichtag immer geringer wird. Der Endwert sollte so gewählt werden, dass das Unternehmen einen stabilen Zustand erreicht hat, in dem es einem vorhersehbaren Wachstumspfad folgt: Alle heute bekannten Investitionsprogramme, Markterschließungen und Produktneueinführungen sollten in der Detailplanungsphase vollständig abgebildet werden. Aus methodischer Sicht ist der Anteil des Restwerts am gesamten Unternehmenswert in ╇ Vgl. Damodaran (2002, S.€303€ff.), der vom „Terminal Value“ spricht. Vgl. Rappaport (1999) und sein Konzept vom „Residual Value“ S.€40€ff. 11╇ Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€267), die vom „Continuing Value“ sprechen. ╇ 9
10╇
4.3â•… Mehrphasenmodelle
127
erster Linie von der Länge der Detailplanungsperiode abhängig, aber auch von den langfristigen Wachstumserwartungen und den Kapitalkosten der Restwertperiode. Der Prognosehorizont der Detailplanungsphase sollte so gewählt werden, dass die gegenwärtige Kapitalbasis gerade abgearbeitet worden ist. Wird die Prognoseperiode zu kurz gewählt, wird der Einfluss des Terminal Value auf den Unternehmenswert zu groß und die gegenwärtigen Bewertungsprobleme werden mit einem Trick lediglich in die Zukunft verschoben; bei ausgewählten Wachstumsunternehmen können sogar mehr als 100€% des Unternehmenswertes durch den Endwert bestimmt werden12. Auch zu lange Detailplanungsphasen sind wenig hilfreich, da mit zunehmendem zeitlichem Abstand die Prognosesicherheit immer mehr abnimmt. Angesichts des Spannungsfeldes zwischen der hohen Bedeutung, die der Restwert rein rechnerisch am gesamten Unternehmenswert einnehmen kann, und den Vereinfachungsbestrebungen des Bewerters, ist der gewählte Zeitraum in jedem Fall zu begründen. Beispiel 4.8: Unternehmensbewertung über ein Dreiphasen-Dividendendiskontierungsmodell╇ Ein europaweit tätiger Anbieter von Haushaltsartikeln plant, ein innovatives Küchentuch auf den Markt zu bringen. Die Strategie sieht vor, zunächst den Heimatmarkt zu durchdringen, anschließend das europäische Ausland. Hierfür erwartet das Management folgendes Szenario: Während der ersten Phase der Marktdurchdringung, die auf vier Jahre veranschlagt wird, sollen die Dividenden mit durchschnittlich 16€% pro Jahr wachsen. In den folgenden drei Jahren wird eine durchschnittliche Wachstumsrate von 8€% erwartet, danach sollen die Dividenden planmäßig mit der bereits in der Vergangenheit beobachten Rate von 5€% pro Jahr ansteigen. Im vergangenen Jahr hat der Markenartikler erstmals eine Dividende von 2,00€€ ausgeschüttet. Die geforderte Eigenkapitalverzinsung liegt über den gesamten Zeitraum bei einheitlichen 11,0€%. Ein mehrstufiges Bewertungsmodell ist das geeignete Verfahren, da sonst die drei Phasen überdurchschnittlichen Wachstums nicht adäquat im Unternehmenswert widergespiegelt werden können. Basierend auf diesen Angaben ergibt sich der Unternehmenswert durch das folgende dreistufige Dividendendiskontierungsmodell: V0 =
12╇
2,00 · 1,16 2,00 · 1,162 2,00 · 1,163 2,00 · 1,164 + + + 2 3 1,11 1,11 1,11 1,114 2,00 · 1,164 · 1,08 2,00 · 1,164 · 1,082 2,00 · 1,164 · 1,083 + + + 1,116 1,117 1,115 4 3 2,00 · 1,16 · 1,08 · 1,05 . + 1,117 (0,11 − 0,05)
Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€325).
128
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Aus der ersten Phase ergibt sich ein Unternehmenswert von 8,94€€ je Aktie, aus der zweiten von 6,78€ € und aus der dritten von 36,62€ €. Der gesamte Unternehmenswert beläuft sich also auf 52,34€ € je Aktie. Damit stammen 17,1€% des Unternehmenswertes aus der ersten Phase, 12,9€% aus der zweiten und 70,0€% aus der dritten. Derartige Abhängigkeiten des Gesamtwertes vom so genannten Fortführungs- oder Endwert (englisch Terminal Value) verschaffen Ballwieser zwar „Unbehagen“13, sind jedoch charakteristisch für Mehrphasenmodelle und machen deutlich, wie wichtig Sensitivitätsanalysen bezüglich der langfristig angelegten Wachstumsraten sind. Zur modellhaften Abbildung der Realität gibt es für die Übergangsphase drei verschiedene Ansätze: • Im ersten Ansatz behält das Unternehmen seine hohen Wachstumsraten bis zum Ende der Wachstumsphase bei und fällt dann abrupt auf den langfristigen Wachstumspfad zurück. Dies ist der klassische Patentfall, in dem ein Unternehmen über einen bestimmten Zeitraum für ein profitables Produkt über Exklusivitätsrechte verfügt, die nach Ablauf dieses Zeitraums verfallen. Als Alternative zu den Patenten sind Branchen vorstellbar, in denen wenige Unternehmen, geschützt von hohen Markteintrittsbarrieren, überdurchschnittliche Ertragskennzahlen erwirtschaften können, es jedoch absehbar ist, dass diese Markteintrittsbarrieren früher oder später fallen werden. Derartige Marktstrukturen treten häufig in den von gesetzlichen Rahmenbedingungen regulierten Monopolmärkten auf. • Im zweiten Modell nähern sich die Wachstumsraten während der ersten Phase sukzessive den Wachstumsraten der zweiten Phase an; die Wachstumsraten eines jeden Jahres liegen also jeweils leicht unter denen des Vorjahres. Dieses Modell beschreibt die klassische First-Mover-Entwicklung eines Unternehmens, das mit einem innovativen Produkt auf den Markt tritt, für einen begrenzten Zeitraum Monopolrenditen erwirtschaftet, die dann durch den Markteintritt neuer Wettbewerber abschmelzen. • Ebenfalls die Entwicklung eines First-Movers beschreibt das dritte Modell, das als Erweiterung des zweiten Ansatzes zu verstehen ist. Hier wird ein Unternehmen beschrieben, das anfangs von hohen stabilen Wachstumsraten, im weiteren Verlauf von sukzessive rückläufigen Wachstumsraten gekennzeichnet ist, die sich sukzessive den Wachstumsraten der dritten Phase, der Reifephase, annähern. Im Gegensatz zu den ersten beiden zweiphasigen Ansätzen handelt es sich hier um ein Dreiphasenmodell. Betrachtet man zu Anfang ein einfaches Zweiphasenmodell, in dem auf die Übergangsphase verzichtet wird. Nach einer Spanne des überdurchschnittlichen Wachstums geht das Unternehmen direkt in seine Reifephase über. Während dieser so genannten „Competitive Advantage Period“ (CAP) ist das Unternehmen in der Lage, 13╇
Ballwieser (2007, S.€64).
4.3╅ Mehrphasenmodelle Abb. 4.2↜渀 Zweiphasenmodell mit konstanten Dividendenwachstumsraten
129 gW
gR
Übergangsphase
n
Reifephase
t
Mehrwerte zu generieren, indem es Renditen erzielt, die die geforderten Mindestrenditen der Eigenkapitalgeber übersteigen. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen ein Patent erworben haben, das es in einen Zustand überdurchschnittlichen Ertragswachstums gW versetzt. Nach Ablauf der Patentnutzungszeit von n Perioden fällt das Unternehmen wieder auf seinen ursprünglichen langfristigen Wachstumspfad gR zurück, in dem die erwartete Investitionsrendite der geforderten Bruttorendite der Eigenkapitalgeber entspricht. In einem alternativen Fall, für das ein Zweiphasenmodell zum Einsatz kommen könnte, würde ein Unternehmen aufgrund regulatorischer Vorgaben eine höhere als die marktübliche Vergütung für seine Produkte erhalten. Als Beispiel hierfür könnten die in Deutschland nach dem ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) geltenden Einspeisevergütungen genannt werden. Schließlich könnte das Unternehmen auch ein Restrukturierungsprogramm durchführen, durch das betriebliche Ineffizienzen beseitigt werden. Durch die Durchführung eines Effizienzsteigerungsprogramms stehen den erwirtschafteten Erträgen zunächst keine Opportunitäts- oder Finanzierungskosten gegenüber. Effizienzgewinne können nur über einen bestimmten Zeitraum und nur in einem begrenzten Umfang gehoben werden, zum Beispiel von Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Gesamtkapitalrendite ROCE, von kleinen Unternehmen oder von Unternehmen mit niedriger absoluter Kapitalrendite. Nähert sich das Unternehmen den für seine Industrie geltenden Durchschnittswerten an, sind keine weiteren Effizienzgewinne möglich und das Unternehmen fällt vom Wachstumsmodus zurück auf den für reife Unternehmen geltenden Wachstumspfad. In allen genannten Beispielen können Überrenditen nach Abschluss des „wahren Wachstumshorizonts“14 nicht mehr erwirtschaftet werden. In beiden Phasen werden der Einfachheit halber jeweils pauschal gleichbleibende Wachstumsraten unterstellt (Abb.€4.2). Das Ausmaß, mit dem das Unternehmen während der Übergangsphase Werte generieren kann, hat drei Dimensionen: In welchem Ausmaß übersteigen die Übererträge die Kapitalkosten, für welche Zeitraum können die ökonomischen Überge14╇
Vgl. den Begriff „true growth horizon“ von Haugen (2009, S.€99€ff.).
130
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
winne erzielt werden und in welcher Höhe kann das Unternehmen zu dieser Überrendite investieren. Unmittelbar einsichtig ist, dass die Beantwortung dieser Fragen für die Ermittlung des Unternehmenswertes von entscheidender Bedeutung ist15: Nur während der CAP können Wert schaffende Investitionen durchgeführt werden – sofern das Unternehmen Überrenditen auf diese Investitionen erzielen kann. In einem wettbewerblichen Wirtschaftssystem kann dieser Zustand jedoch nicht unbegrenzt andauern. Aus der Annahme, dass Wachstum gleichzusetzen ist mit der Schaffung von Werten, folgt, dass ein Unternehmen permanent Investitionen tätigt, deren Grenzrendite über den unternehmensspezifischen Kapitalkosten liegt. In einer wettbewerbsintensiven globalisierten Ökonomie muss dies zur Gründung und dem Markteintritt von Newcomern führen, die mit günstigeren Konkurrenzprodukten in den Markt eintreten, was einen sukzessiven Rückgang der Gewinnmargen nach sich zieht, und zwar so lange, bis die Kapitalkosten übersteigende Renditen nicht länger realisiert werden können. Nur wenn es anhaltende Marktinkonsistenzen gibt, beispielsweise Markteintrittsbarrieren infolge von Patenten, aus der Regulierung von Märkten (Beispiel hierfür sind die Solar- und die Finanzdienstleistungsbranche) oder aus natürlichen Monopolen (Beispiele hierfür sind die Rohstoffindustrie und ausgewählte Infrastrukturindustrien wie die Wasserversorgung) können sich dauerhaft Märkte etablieren, in denen die Gesamtkapitalrenditen dauerhaft über den Kapitalkosten liegen. Nur wenn es dem Unternehmen gelingt, Markteintrittsbarrieren zu errichten, kann die CAP ausgedehnt werden. Möglichkeit hierfür gibt es, zum Beispiel im Aufbau und der Pflege des Markennamens. Markenwerte sind ihren Wettbewerber entweder preislich überlegen, oder sie weisen substantiell höhere Umsätze auf. In beiden Fällen sind höhere Kapitalrenditen die Folge. Die zweite Möglichkeit zur Verlängerung der Wachstumsphase ist nicht marktwirtschaftlicher Natur: Patente, Lizenzen und andere regulatorische Eingriffe gewähren einem Unternehmen Exklusivität in der Vermarktung und schützen es vor Nachahmern. In diesem Fall wird über einen begrenzten Zeitraum ein Produkt zu Preisen angeboten, die über denen des Wettbewerbsumfeldes liegen würden. Doch selbst in diesen Fällen steht einem dauerhaften Wachstum ein statistischer Effekt im Weg: Unternehmen werden größer und größer, und die schiere Größe wird irgendwann zu einem Hindernis für weiteres überdurchschnittliches Wachstum. Empirische Beobachtungen haben belegt, dass sich Überrenditen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen tendenziell schneller abbauen als bei großen, etablierten Unternehmen. Unternehmen mit langen Produktlebenszyklen haben tendenziell stabilere Margen als Unternehmen mit hohem technischem Fortschritt. Und auch bei Unternehmen mit einem hohen Bedarf an Erweiterungsinvestitionen bauen sich Überrenditen schneller ab als bei Unternehmen mit geringen Investitionsanforderungen.
15╇
Vgl. hierzu Schwetzler (2005, S.€611€f.).
4.3â•… Mehrphasenmodelle
131
Wie dem auch sei, in der Regel ist die Wahl des Prognosezeitraums im Rahmen der strategischen Unternehmensplanung wie auch bei der Bewertung von Aktien willkürbehaftet. Unterstellt man, dass die Phase des überdurchschnittlichen Wachstums nach n Perioden beendet wäre, dann ergäbe sich der Unternehmenswert eines zweistufigen Dividendendiskontierungsmodells aus folgender Formel:
V0 =
n t=1
Divt Vn + . (1 + rEK )n (1 + rEK )t
(4.12)
Der Wert eines Unternehmens errechnet sich aus dem Barwert der ersten n Dividenden und dem Barwert des Unternehmenswertes zum Zeitpunkt n. Während die Dividenden während der Wachstumsphase individuell geschätzt werden müssen, kommen für die Ermittlung des Terminal Value Vn zwei Ansätze zur Anwendung: Zum einen der Barwert des Liquidationswertes des Unternehmens, zum anderen – im Falle des Going Concern – die Annahme konstant wachsender Dividendenströme nach Ablauf der Detailplanungsperiode – und damit ein Gordon-GrowthModell. Beim Liquidationswertverfahren wird angenommen, dass das Unternehmen nach dem Erreichen der Reifephase zerschlagen wird und seine Vermögenswerte zum Restbuchwert RBW verkauft werden. Zu seiner Ermittlung müssen die Restbuchwerte RBWn der zum Ende des Planungshorizonts vorhandenen Vermögensgegenstände geschätzt und in Richtung der Tages- bzw. Marktwerte korrigiert werden. Darüber hinaus sind das durchschnittliche Alter der Vermögenswerte zu diesem Zeitpunkt und die erwartete Inflationsrate IR zu schätzen. Anhand dieser Angaben kann der Liquidationswert zum Zeitpunkt T über nachstehende Formel berechnet werden16:
Vn = RBWn (1 + IR)Durchschnittsalter
(4.13)
und nach Einsetzen in (4.12) der Wert des Unternehmens dementsprechend über
V0 =
n t=1
Divt RBWn (1 + IR)Durchschnittsalter . t + (1 + rEK )n (1 + rEK )
(4.14)
Der originäre Firmenwert, der gerade durch die Kombination der einzelnen Vermögensgegenstände und sonstiger Ressourcen gerechtfertigt wird, bleibt beim Liquidationsansatz außen vor, da er zu den nichtbilanzierungsfähigen Vermögenswerten zählt. Dass dieses Vorgehen für einen außenstehenden Analysten nicht ganz trivial ist, liegt auf der Hand. Verschiedentlich wird der Endwert daher selbst von renommierten Investmentbanken anhand des Einsatzes von Multiplikatoren berechnet. Anstelle einer Teilveräußerung der einzelnen Vermögenswerte wird ein Gesamtverkauf des Unternehmens unter branchenüblichen Konditionen unterstellt. Dieser An16╇
Vgl. Damodaran (2001, S.€185).
132
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
satz basiert auf der Überlegung, dass vergleichbare Gegenstände – und damit auch Unternehmen – mit einem vergleichbaren Preis gehandelt werden sollten. Insofern gleicht der Bewertungsvorgang einem Analogieschluss17. Abgesehen davon, dass die Methode durch ihre Einfachheit glänzt, erschließt sich die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens nicht: Warum in weiter entfernt liegenden Perioden aussagekräftige Multiplikatoren gleichsam wie Manna vom Himmel fallen sollten, bleibt ungeklärt. Anders formuliert: Wenn ein Bewertungsmultiplikator bereits für den laufenden oder den kommenden Bewertungsstichtag nur ein relativ wertloses Ergebnis abliefert, wie kann dann die Qualität dieses Ergebnisses steigen, wenn der Bewertungsstichtag fünf oder zehn Jahre in der Zukunft liegt? Darüber hinaus werden durch den Einsatz von Multiplikatoren relative und absolute Bewertungsverfahren vermischt, was vom methodischen Standpunkt aus betrachtet unsauber ist. Was aber, wenn ein Unternehmen gar keinen Terminal Value besitzt? Etwa weil das Unternehmen keine langfristigen Vermögenswerte aufweist, sondern nur kurzfristige wie beispielsweise Filmlizenzen, die nach einer Auswertungsperiode an den Filmproduzenten zurückfallen und es absehbar ist, dass die Schlüsselmitarbeiter danach das Unternehmen verlassen. In diesem (zugegeben eher theoretischen) Fall ergibt sich der Wert des Eigenkapitals allein aus der Diskontierung der identifizierbaren Dividendenströme. Im ersten und zweiten Term der Formel (4.12) werden die Zähler mit denselben Eigenkapitalkosten diskontiert. Das würde bedeuten, dass das Unternehmen während seiner Wachstumsphase dasselbe Beta aufweisen würde wie während der Reifephase. Derartig Modellannahmen sind mit der Realität nicht vereinbar: Junge, stark wachsende Unternehmen wie Internet-, Telekommunikations- oder Biotechnologieunternehmen weisen aufgrund ihres inhärenten operativen und finanzwirtschaftlichen Risikos18 zunächst hohe Betafaktoren auf. Zum Beispiel wird das finanzwirtschaftliche Risiko durch das vergleichsweise hohe Liquiditätsrisiko von Wachstumswerten beeinflusst. Erst wenn sie sich ihrer Reifephase annähern, gleicht sich auch ihr Risiko dem des Gesamtmarktes an und das Beta der Aktie geht auf das Niveau des Marktportefeuilles, also Eins, zurück bzw. unterschreitet dieses unter Umständen sogar. Diese Entwicklung sollte sich auch im Bewertungsmodell widerspiegeln, in dem zwischen dem hohen Beta bzw. Diskontierungssatz während der Wachstumsphase und dem niedrigeren Beta bzw. Diskontierungssatz während der Reifephase unterschieden wird:
V0 =
n t=1
Divt Vn + , (1 + rEK,R )n (1 + rEK,W )t
(4.15)
Vgl. Bausch und Pape (2005, S.€478). Dem operativen und dem finanzwirtschaftlichen Risiko können auch zwei separate Teil-Betas zugewiesen werden, die addiert wiederum dem Beta des Gesamtunternehmens entsprechen. Vgl. Mandl und Rabel (1997, S.€299€ff.).
17╇ 18╇
4.3â•… Mehrphasenmodelle
133
mit rEK,W bzw. rEK,R als den Eigenkapitalkosten während der Wachstums- bzw. Reifephase. Allgemein gilt, dass rEK,Wâ•›>â•›rEK,R, da junge Wachstumsunternehmen ein höheres Risiko aufweisen als diversifizierte reife Unternehmen, bei denen sich das Beta dem Wert Eins annähert. Angenommen, das Unternehmen würde während der Phase überdurchschnittlichen Wachstums gleichmäßig mit der Rate gW und während der Reifephase gleichmäßig mit der Rate gR wachsen:
Divt = Divt−1 (1 + gW )t .
(4.16)
Nach n Perioden betritt das Unternehmen seine Reifephase, in dem die Dividenden sich nur noch entlang des langfristigen Wachstumspfades gR entwickeln. Aus der Gordon-Formel (4.9) errechnet sich Vn über die in Periode n vereinnahmte Dividende, den Eigenkapitalkosten rEK,R und den langfristigen Wachstumserwartungen gR:
Vn =
Div0 (1 + gW )n (1 + gR ) . rEK,R − gR
(4.17)
Substituiert man Formel (4.15) in (4.14), so ergibt sich nach Umformung und Vereinfachung folgender Wert des Eigenkapitals:
V0 =
n Div0 (1 + gW )t t=1
(1 + rEK )t
+
Div0 (1 + gW )n (1 + gR ) . (1 + rEK,R )n (rEK,R − gR )
(4.18)
Nach Eliminierung des Summenzeichens ergibt sich nachstehende, nicht unbedingt übersichtliche Beziehung:
V0 =
(1 + gW )n Div0 (1 + gW )n (1 + gR ) Div0 (1 + gW ) 1− . n + rEK − gW (1 + rEK ) (1 + rEK,R )n (rEK,R − gR )
(4.19)
Aus dieser kann abgeleitet werden, dass der Unternehmenswert neben der absoluten Dividendenhöhe Div0 nur von den beiden Parametern Wachstumsrate g und Eigenkapitalkosten rEK abhängig ist, die allerdings jeweils auf die beiden Lebenszyklusphasen Wachstum und Reife zu beziehen sind. Beispiel 4.9: Unternehmensbewertung über ein Zweiphasen-Dividendendiskontierungsmodell╇ Der Haushaltswarenanbieter aus Beispiel€ 4.8 plant, mit dem innovativen Küchentuch sofort die europaweite Marktdurchdringung anzugehen. Damit tritt das Unternehmen nach vier Jahren sofort in die Reifephase ein. Ein Zweiphasenmodell ist daher das geeignete Bewertungs-
134
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
verfahren. Die geforderte Eigenkapitalverzinsung rEK,R geht in der Reifephase auf 10,0€% zurück. Aus diesem ergibt sich ein Unternehmenswert von V0 =
2,00 · 1,16 2,00 · 1,162 2,00 · 1,163 2,00 · 1,164 + + + 1,11 1,112 1,113 1,114 2,00 · 1,16 · 1,05 . + 1,15 (0,1 − 0,05)
Der Unternehmenswert der ersten Phase ist unverändert 8,94€€ je Aktie, aus dem Terminal Value ergibt sich ein Wert von 30,25€€ je Aktie, zusammen also 39,19€€. Auch hier ist mit 77,2€% des Unternehmenswertes eine hohe Abhängigkeit vom Terminal Value gegeben. Allerdings sollte nicht unterschlagen werden, dass die hohe Bedeutung des Endwerts für den Investor bereits zum Zeitpunkt des Kaufs der Aktie bestanden hat. Da Formel (4.19) recht unübersichtlich ist, schlägt Fernández eine Näherungsformel für ein zweiphasiges Dividendendiskontierungsmodell mit unterschiedlich hohen Wachstumsraten vor19:
V0 =
Div0 [(1 + gR ) + n(gW − gR )]. rEK − gR
(4.20)
Dabei ist die Abweichung gegenüber dem korrekten Wert aus Formel (4.19) umso geringer, je höher die Wachstumsrate während der Wachstumsphase gW ist. Der Zusammenhang (4.20) kann also insbesondere für klassische Wachstumswerte angewendet werden. Problemlos ableiten lässt sich im Übrigen die implizite Wachstumsrate für die Detailplanungsphase aus Gl.€ (4.20). Es wurde bereits gezeigt, wie aus dem Gordon-Modell die impliziten Wachstumsraten abgeleitet werden können (vgl. Beispiel€4.5). Von besonderem Interesse sind hierbei die Wachstumsraten während der Wachstumsphase, da sich die Wachstumsraten während der Reifephase ohnehin am langfristigen Wachstumstrend der jeweiligen Volkswirtschaft orientieren. Für ein Wachstumsunternehmen kann die implizite Wachstumsrate der Wachstumsphase gW näherungsweise aus Formel (4.20) wie folgt ermittelt werden:
gW =
V0 (rEK − gR ) − Div0 . Div0 n
(4.21)
Üblicherweise liegen die in der Detailplanungsphase unterstellten Wachstumsraten über jenen der zur Berechnung des Endwertes verwendeten Wachstumsraten. 19╇
Vgl. Fernández (2002, S.€122).
4.3â•… Mehrphasenmodelle
135
Selbst für den Fall, dass die der Berechnung des Terminal Value zugrunde liegende Wachstumsrate nicht höher ist als die während der kürzeren Detailplanungsphase unterstellte, setzt doch der Cashflow auf einem höheren Basiswert an. Dadurch ergibt sich letztlich ein höherer Terminal Value und damit auch ein höherer Unternehmenswert. Während das Gordon-Modell in der Realität nur für Unternehmen akzeptiert wird, die im Zeitpunkt t0 oder t1 Dividenden ausschütten, gilt dies für mehrstufige Diskontierungsmodelle nicht. Auch wenn in t0 oder t1 oder auch in tt keine Dividenden bezahlt werden, kann ein Unternehmen mit Dividendendiskontierungsmodellen bewertet werden, indem eine in späteren Jahren beginnende Dividendenzahlung abdiskontiert wird. Derartige Szenarien können zum Beispiel über Zweiphasenmodelle abgebildet werden, indem der Unternehmenswert der ersten Phase gleich Null gesetzt wird. Durch Umformung der Formel (4.20) ergibt sich für ein Unternehmen, das erst im Zeitpunkt n mit der Dividendenzahlung beginnt:
V0 =
Divn . (1 + rEK,n )n−1 (rEK,n − gn )
(4.22)
Der heutige Unternehmenswert errechnet sich also aus der im Zeitpunkt n ausgeschütteten Dividende, die über das Gordon-Modell auf die Gegenwart abdiskontiert wurde. Beispiel 4.10: Bewertung eines derzeit dividendenlosen Unternehmens╇ Der Business Plan eines Biotechnologieunternehmens sieht vor, in vier Jahren erstmals die Gewinnzone zu erreichen. Gleichzeitig soll mit der Gewinnausschüttung begonnen werden. Geplant ist eine Ausschüttung von anfangs 0,40€€ je Aktie. Die langfristig erwartete Dividendenwachstumsrate liegt bei 5,0€ %, die geforderte Eigenkapitalverzinsung bei 13,0€ %. Damit errechnet sich der Unternehmenswert zum Zeitpunkt tâ•› = â•›3 als V3 =
0,40 = 5,00. 0,13 − 0,05
Durch Abdiskontierung auf die Gegenwart ergibt sich der Wert des Eigenkapitals V0 V0 =
5,00 = 3,47. 1,133
Der Wert der Biotech-Aktie beläuft sich damit auf 3,47€€. Diese Vorgehensweise mag zwar theoretisch korrekt sein, in der Bewertungspraxis wird ein institutioneller Investor allerdings bei derzeit dividendenlosen Unterneh-
136 Abb. 4.3↜渀 Zweiphasenmodell mit rückläufigen Wachstumsraten
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle gW
gR
Übergangsphase
n
Reifephase
t
men auf andere Bewertungsverfahren zurückgreifen als Dividendendiskontierungsmodelle. Schließlich ist nicht nur die richtige Höhe der erstmalig zu zahlenden Dividende zu schätzen, sondern auch der richtige Zeitpunkt der ersten Ausschüttung. Dieser zweite Grad der Unsicherheit ist in der Praxis zu groß, da über die Variationen der beiden Parameter vermutlich jedes beliebige Endergebnis errechnet werden kann. Im bisher betrachteten Zweiphasenmodell wird davon ausgegangen, dass die Wachstumsraten in den beiden Phasen konstant bleiben. Zu Beginn der zweiten Phase kommt es daher zu einem sprunghaften Rückgang der Wachstumsraten auf das Niveau der Reifephase. Derartige Sprünge in der Profitabilität sind in der Realität höchst selten zu beobachten. Daher sollten einfache Zweiphasenmodelle vornehmlich für Unternehmen angewendet werden, deren Wachstumsraten während der ersten Phase nicht signifikant über den Wachstumsraten der Reifephase liegen: Ein sprunghafter Rückgang der Dividendenwachstumsraten von 8 auf 5€% ist in der Realität häufiger anzutreffen als von 30 auf 5€%. Für den beschriebenen Fall eines zeitlich befristeten Lizenz- oder Patenterwerbs mag ein derartiger Wachstumssprung noch realistisch sein, meistens dürften sich die Dividendenwachstumsraten jedoch während der Übergangsphase sukzessive an die Wachstumsraten der Spätphase annähern, beispielsweise weil der Pioniervorteil (First Mover Advantage) allmählich erodiert. Derartige Entwicklungen können in komplexeren Zweiphasenmodellen abgebildet werden. Holt Associates, die Verfechter des CFROI-Ansatzes, hat sich um den so genannten Fade-Factor verdient gemacht, der beschreibt, wie schnell die Pioniergewinne durch Newcomer abgeschmolzen werden (Abb.€4.3). Wird also eine Phase rückläufiger Wachstumsraten modelliert, entspricht der Wert eines Unternehmens der Summe des Unternehmenswertes in der Phase rückläufiger Wachstumsraten und einem Gordon-Modell für den Zeitraum, in dem sich das Unternehmen auf einem konstanten Reifepfad befindet. Ein solches Zweiphasenmodell ist das so genannte H-Modell20, wonach der Unternehmenswert aus folgender Formel errechnet werden kann:
20╇
Vgl. Fuller und Hsia (1984).
4.3â•… Mehrphasenmodelle
V0 =
137
Div0 H(gW − gR ) Div0 (1 + gR ) + . rEK − gR rEK − gR
(4.23)
In diesem Modell repräsentiert H die Halbwertszeit der Phase mit erwartetem überdurchschnittlichem Wachstum (in Abb.€4.3 gilt: Hâ•› = â•›n/2) und gW bzw. gR die Dividendenwachstumsrate zu Beginn der Wachstums- bzw. während der Reifephase. Aus Vereinfachungsgründen wurde hier nicht zwischen kurz- und langfristigen Betafaktoren unterschieden, unterschiedliche Eigenkapitalverzinsungen könnten jedoch nach Umformung von (4.23) problemlos modelliert werden. Je länger die Phase des überdurchschnittlichen Wachstums und damit je größer der Wert H und je größer die Rate des überdurchschnittlichen Wachstums, desto höher ist unter sonst gleichbleibenden Bedingungen der Unternehmenswert V0. Das H-Modell sollte demnach für Unternehmen zum Einsatz kommen, die sich derzeit in einer starken Wachstumsphase befinden, bei denen allerdings absehbar ist, dass sich das Wachstum langsam abschwächen wird, etwa weil das Unternehmen immer größer wird oder weil der aktuelle Wettbewerbsvorteil durch neu in den Markt drängende Wettbewerber immer weiter abschmelzen wird. Beispiel 4.11: Bewertung bei abnehmenden Dividendenwachstumsraten╇ Ein Versicherungsunternehmen, das zuletzt eine Dividende in Höhe von 1,25€€ je Aktie ausgeschüttet hat, erwartet ein langfristiges Dividendenwachstum in Höhe des historischen Durchschnittswertes für den S&P 500 von 7,0€%. Die durchschnittliche Wachstumsrate der letzten fünf Jahre belief sich auf 18€%. Ein Investor ermittelt eine erwartete Eigenkapitalverzinsung an dieses Unternehmen in Höhe von 11,0€%. Aufgrund sinkender Markteintrittsbarrieren und geringen technischen Fortschritts nimmt er an, dass es zehn Jahre dauern dürfte, bis sich diese Phase des überdurchschnittlichen Wachstums allmählich an den langfristigen Marktdurchschnitt angenähert hat. Ein H-Modell mit linear rückläufigen Wachstumsraten ist daher das geeignete Bewertungsverfahren. Daraus folgt, dass der Investor einen Wert von höchstens V0 =
1,25 10 (0,18 − 0,07) 1,25(1 + 0,07) 2 + = 50,63 0,11 − 0,07 0,11 − 0,07
für die Aktie bezahlen würde. Dieser Wert setzt sich zu 17,19€€ aus den Dividenden der überdurchschnittlichen Wachstumsphase und zu 33,44€€ aus den Dividenden während der Spätphase des Unternehmenszyklus zusammen. Mit anderen Worten, trotz des überdurchschnittlichen Dividendenwachstums während der ersten zehn Jahre wird nur etwa ein Drittel des Gesamtwertes während der Wachstumsphase generiert, zwei Drittel des Gesamtwertes entstammen dem Reifestadium. Würde es auf der anderen Seite keine Phase des überdurchschnittlichen Wachstums geben und das Unternehmen sofort in die Reifephase eintreten,
138
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
dann läge der aus dem Gordon-Modell errechnete Unternehmenswert für die Versicherung bei 31,25€€ je Aktie. Die Phase des überdurchschnittlichen Dividendenwachstums trägt dementsprechend 19,38€ € je Aktie zum Unternehmenswert bei. Das H-Modell vermeidet den Bruch der Wachstumsraten zwischen der ersten und der zweiten Phase. Die Vorteile des H-Modells sind allerdings gleichzeitig seine größten Nachteile: Der Rückgang der Wachstumsraten folgt ausnahmslos einer linearen Struktur und ist zudem auf eine bestimmte, vorher festgelegte Zeitspanne fixiert. Abweichungen von dieser linearen Struktur können Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben. Darüber hinaus ist die Annahme, die Thesaurierungspolitik würde über sämtliche Phasen des Unternehmenslebenszyklus unverändert bleiben, nicht vollständig konsistent mit unseren intuitiven Erwartungen: In der Realität steigt die Ausschüttungsquote mit rückläufigen Gewinnwachstumsraten an, da attraktive Investitionsmöglichkeiten in den angestammten Geschäftsfeldern seltener werden und das Management nach alternativen Verwendungsmöglichkeiten des Freien Cashflows sucht. Im Grunde genommen spiegelt das H-Modell das genaue Gegenteil der in der Realität beobachtbaren Entwicklung wider, nämlich dass Unternehmen in ihrer Wachstumsphase keine oder allenfalls geringe Dividenden ausschütten, und mit zunehmender Reife zum Dividendentitel mutieren (Abb.€4.4). Mehrphasenmodelle mit unterschiedlichen Ausschüttungsquoten versuchen diese Defizite zu beseitigen. Während der ersten nahen Zukunftsphase ist der Bewerter noch in der Lage, die Zahlungsüberschüsse der einzelnen Jahre verhältnismäßig präzise vorherzusagen. In der Regel wird bei Detailplanungsphasen eine Dauer von drei bis fünf Jahren unterstellt. Hinsichtlich der zweiten Übergangsphase steigt die Unsicherheit so stark an, dass man auf die detaillierte Prognose der jährlichen Cashflows verzichtet und sich auf die Angabe globaler Wachstumsraten zurückzieht. Während Detailplanungs- und Übergangsphasen naturgemäß endlich sind, wird üblicherweise mit einer unendlichen Reifephase gearbeitet. Diese Annahme entspringt weniger der Überzeugung, dass das zu bewertende Unternehmen tatsächlich bis in alle Ewigkeit existieren wird; vielmehr bietet das Modell der ewig mit konstanter Rate wachsenden Cashflows einen einfach zu handhabenden Formalismus, mit dessen Hilfe der Fortführungswert eines Unternehmens im Anschluss an die ersten beiden Phasen bequem geschätzt werden kann. In dem hier vorgestellten Modell werden unterschiedliche Ausschüttungsquoten δW, δH und δR in das H-Modell integriert, zum Beispiel indem zu Beginn eine Detailplanungsphase des überdurchschnittlichen Wachstums modelliert wird, der eine Phase linear rückläufiger Wachstumsraten folgt, in deren Anschluss das Unternehmen in eine unendliche Phase stabilen Dividendenwachstums eintritt: V0 =
n EPS0 δW (1 + gW ) t=1
(1 + rW )t
+
EPS0 δH H(gW − gR ) EPS0 δR (1 + gR ) + . rEK − gH rEK − gR
(4.24)
4.3â•… Mehrphasenmodelle
139
gW
δ gR
Wachstumsphase
w
Übergangsphase
n
Reifephase
t
Abb. 4.4↜渀 Dreiphasenmodell mit unterschiedlichen Ausschüttungsquoten
Hier entspricht δ der Ausschüttungsquote des Ergebnisses je Aktie EPS in den drei Unternehmensphasen Wachstum δW, Übergang δH und Reife δR. Dieses Modell umgeht verschiedene Schwächen anderer Dividendendiskontierungsmodelle, allerdings für den Preis einer ungleich größeren Komplexität der Variablen. Für Unternehmen, bei denen die Prognose dieser Parameter mit einer hohen Fehlerquote verbunden ist, ist dieses Modell daher eher nicht geeignet. Dreiphasenmodelle kommen bevorzugt für Unternehmen zum Einsatz, bei denen sich nicht nur die erwarteten Wachstumsraten der steigenden Marktdurchdringung und rückläufigen Investitionsalternativen anpassen, sondern bei denen sich gleichzeitig weitere Parameter ändern, zum Beispiel der Betafaktor oder die jeweilige Ausschüttungsquote. Oft wird die Ausschüttungsquote so wie in Formel (4.20) anhand von Ertragskomponenten wie dem Jahresüberschuss berechnet. Diese Vorgehensweise dürfte jedoch unangemessen sein, da der bilanzielle Gewinn zumindest kurzfristig von buchhalterischen Effekten geprägt sein kann, die keine Ausschüttungsqualität aufweisen. Beispiele hierfür sind Erträge aus der Kapitalkonsolidierung, so genannte Erträge aus Bargain Purchase, wie sie beim Beteiligungserwerb anfallen. Gemäß dem Grundsatz, „Cash is fact, profit is opinion“, sollte die Ausschüttungsquote δ als der Anteil der Dividendensumme am Free Cashflow to Equity (vgl. hierzu Kap.€5) eines Unternehmens definiert sein:
δ=
DivSum Div · NoSh = . FCFE FCFE
(4.25)
Der Freie Cashflow to Equity entspricht dem Nachsteuerergebnis, gekürzt um die Nettoinvestitionen in das Sachanlagevermögen sowie das Working Capital und vermehrt um die Nettoaufnahme von Finanzverbindlichkeiten. Im Gegensatz zum Nachsteuerergebnis entspricht der Freie Cashflow to Equity tatsächlich dem Betrag, der für eine Ausschüttung an die Aktionäre nach Abschluss eines Geschäftsjahres letzten Endes zur Verfügung steht.
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
140 Tab. 4.1↜渀 Langfristige Wachstumsraten ausgewählter DAX-Unternehmen. (Quelle: Unternehmensangaben)
Unternehmen Allianz Deutsche Börse Henkel Linde Metro Siemens ThyssenKrupp Volkswagen
Veröffentlichte langfristige Wachstumsraten 1,0–3,0€% 4,0€% 1,0–2,0€% Auf Niveau der Inflationsraten 1,0€% Bis zu 3,0€% 0€% Bis zu 2,0€%
4.4 D ie Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen Anhand der Analyse der Werttreiber erhält der Investor einen Einblick über die wesentlichen Stellschrauben von Bewertungsmodellen. Stellvertretend für spätere Bewertungsverfahren sollen die jeweiligen Werttreiber vorgestellt, isoliert und ihre Wirkungen auf den Unternehmenswert analysiert werden. Betrachtet man die Dividendenzahlungen eines Unternehmens über einen längeren Zeitraum, dann zeigt sich, dass die diskretionären Effekte der Ausschüttungspolitik immer unbedeutender werden und sich die Dividende immer mehr zu einer Funktion des Ertrags entwickelt. Daraus folgt, dass die Prognose der Dividendenentwicklung am besten über die Prognose der Ertragsentwicklung gelingt. Oder, noch präziser, über eine Prognose des Freien Cashflows, denn im Grunde stehen nur diese für eine Ausschüttung zur Verfügung. Langfristig müssen Dividenden und ausschüttungsfähige Gewinne mit derselben Rate wachsen. Liegt das Wachstum der Cashflows kontinuierlich über dem der Dividende, dann verringert sich die Dividendenrendite im Zeitablauf immer mehr und tendiert letztlich gegen Null, eine Entwicklung, die von den Aktionären früher oder später nicht akzeptiert wird und die im langfristigen Gleichgewicht auch keine rationale Annahme darstellt. Andererseits kann ein Dividendenwachstum, das über dem der Cashflows liegt, nicht nachhaltig durchgehalten werden. Ein schnell wachsender Filialeinzelhändler, der, obschon profitabel, über die Gründung vieler neuer Filialen expandiert, wird auf absehbare Zeit einen negativen Free Cashflow aufweisen und erst in ferner Zukunft in die Situation kommen, positive Cashflows zu erwirtschaften. Die mit diesem Zeitpunkt verbundene Unsicherheit wird in der Regel derart beträchtlich sein, dass für diese Unternehmen von einer Bewertung mittels Dividendendiskontierungsmodelle abgeraten wird und alternative Bewertungsverfahren angewendet werden. In vorstehender Tabelle sind die unterstellten langfristigen Cashflow-Wachstumsraten ausgewählter deutscher DAX-Unternehmen aufgeführt, wie sie sich in den jeweiligen 2009er Jahresabschlüssen ergeben. In den angegebenen Fällen liegen die langfristigen Wachstumsraten zwischen 1,0 und 3,0€% pro Jahr (Tab.€4.1).
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
141
Für den US-amerikanischen Binnenmarkt belief sich das reale Wirtschaftswachstum während der letzten acht Jahrzehnte auf durchschnittlich 3–4€% pro Jahr, was einem nominalen Wirtschaftswachstum von 5–7€% entspricht21. Beispiel 4.12: Schätzung der Dividendenwachstumsrate╇ Ein ausschließlich in Deutschland tätiger Stromversorger weist für die letzten zehn Jahre ein durchschnittliches jährliches Gewinnwachstum von 6,5€% auf. Die von der Weltbank für Deutschland prognostizierte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts liegt bei 1,3€%, die von der Bundesbank geschätzte Inflationsrate bei 2,5€ %. Damit ergibt sich ein reales Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,3€% + 2,5€%â•› = â•›3,8€%. In Abhängigkeit von dem Kundenmix und den durchsetzbaren Preissteigerungen sollten signifikant darüber liegende Wachstumsraten für einen ausschließlich im Inland tätigen Energieversorger langfristig nicht angesetzt werden. Mittlerweile ist es an den Kapitalmärkten Usus geworden, dass der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens für das laufende Jahr eine Guidance ausspricht, die den Umsatz und ausgewählte Ertragskennzahlen umfasst. Basierend auf dieser Guidance ist eine Dividendenprognose für das laufende Geschäftsjahr möglich, indem zum Beispiel die Ausschüttungsquote des Vorjahres oder die durchschnittliche Ausschüttungsquote während des letzten Konjunkturzyklus angesetzt wird. Da die Dividende des Vorjahres bekannt und sich die geforderte Eigenkapitalverzinsung in verhältnismäßig engen Bandbreiten bewegt, ist die Schätzung der Dividendenwachstumsrate g von zentraler Bedeutung für den Unternehmenswert. Unterstellt man eine Dividende von 1,00€€ und einen Diskontierungssatz von 10,0€%, dann schwankt der Unternehmenswert zwischen 11,22€€ und 17,33€€, je nachdem, ob eine Dividendenwachstumsrate von 1,0 oder 4,0€% angenommen wird. Der sich bei einer Dividendenwachstumsrate von 2,5€% ergebende Unternehmenswert liegt bei 13,67€€ je Aktie. Ein Schritt um 0,5 Prozentpunkte nach oben bzw. unten erhöht bzw. verringert den Unternehmenswert um 7,6 bzw. 6,7€%, eine für praktische Zwecke selbst unter Verwendung von Szenarien nicht zu rechtfertigende Bandbreite. In Abb.€4.5 wird veranschaulicht, wie Veränderungen der Wachstumsrate in Schritten von 0,5 Prozentpunkten enorme Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben können. Wird dagegen keine explizite Dividenden-Guidance ausgesprochen, was in der Tat die Regel sein dürfte, sind selbständige Prognosen zu erstellen. Bei der autonomen Bestimmung der Wachstumsrate ist zu beachten, dass die Dividendenwachstumsrate im Gordon-Modell ein unendlicher Modellparameter ist, was von verschiedener Seite als grundlegender Einwand gegen den Gordon-Ansatz und die darauf aufbauenden Bewertungsverfahren eingebracht wird. Sind Wachstumsraten sehr hoch oder weichen sie von den durchschnittlich in der Vergangenheit erziel21╇
Vgl. Giedhart et€al. (2010, S.€17).
142
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
1.0%
1.5%
2.0%
2.5%
3.0%
3.5%
4.0%
Abb. 4.5↜渀 Abhängigkeit des Unternehmenswertes von der Dividendenwachstumsrate
ten Wachstumsraten deutlich ab, ist dies berechtigter Anlass für Kritik. Zwar vermag der Unternehmenssektor als Ganzes und der börsennotierte als Teilsegment in Einzelfällen durchaus mit einer höheren Rate zu wachsen als die gesamte Volkswirtschaft. Allerdings muss dies in einem zu rechtfertigenden Rahmen bleiben, da ansonsten die Gesamtwirtschaft früher oder später in dem Unternehmen aufgehen würde. Global tätige Mischkonzerne zum Beispiel werden im langfristigen Durchschnitt (zumindest temporär) höhere Wachstumsraten aufweisen als ein ausschließlich in Deutschland tätiger Lebensmitteleinzelhändler. Für Unternehmen aus traditionellen Wachstumsbranchen (IT, Telekommunikation, Healthcare) können höhere Wachstumsraten veranschlagt werden als für Unternehmen aus reifen Industrien. Abgesehen von diesen Ausnahmen dürften die realen Wachstumsraten eines Unternehmens unter der deutschen Volkswirtschaft oder der Weltwirtschaft liegen. Für allein im Inland tätige Unternehmen wie zum Beispiel einem Fernsehsender sollten sich die unterstellten Wachstumsraten ausschließlich am langfristigen realen Bruttoinlandsprodukt des Landes orientieren. Dies hat mehrere Ursachen. Zum einen eine statistische: In einer Volkswirtschaft, die zur einen Hälfte aus jungen und zur anderen Hälfte aus reifen Unternehmen besteht, muss, wenn die junge Hälfte die wachstumsstarke ist, die reife Hälfte langsamer wachsen als der Durchschnittswert der Volkswirtschaft. Die offensichtlichste Ursache jedoch liegt in der stetigen Veränderung der Wirtschaft. Die meisten der heute bedeutenden Unternehmen und Branchen – IT, Telekommunikation, Internet, Luftfahrtgesellschaften – haben vor 50 Jahren nicht existiert. Vor 50 Jahren war die Situation im Übrigen ganz ähnlich. Es ist also nicht ganz unrealistisch davon auszugehen, dass die heute dominierenden Konzerne in 50 oder 100 Jahren gänzlich vom Markt verdrängt worden sein werden. Heute dennoch deutlich höhere Wachstumsraten als für die Gesamtwirtschaft
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
143
anzunehmen wäre also falsch. Selbst wenn man unterstellte, dass sich Unternehmen im Lauf ihres Daseins vereinzelt neu „erfinden“ können – berühmtestes Beispiel ist sicherlich der finnische Nokia-Konzern, der vom lokalen Gummistiefelhersteller zum globalen Handyproduzenten mutierte – werden doch immer die neu auf den Markt drängenden Unternehmen den Löwenanteil des zu verteilenden Kuchens für sich einnehmen – und auch Nokia hat den Einstieg in den Markt für Smart Phones verpasst und ist mittlerweile bedroht, die weltweite Führungsposition an Apple abzugeben. Damit sollten langfristige Gewinnwachstumsraten, die dem realen Bruttoinlandsprodukt entsprechen bzw. – aus Vorsichtsgründen – sogar leicht darunter liegen, theoretisch gut fundiert sein22. Dass ein Unternehmen bis in alle Ewigkeit wachsen soll, ist nicht so bizarr, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Vielfach werden Unternehmen von anderen übernommen, was dem Investor die Gelegenheit gibt, eine Übernahmeprämie zu vereinnahmen – oder wenigstens einen Teil der ursprünglichen Anschaffungskosten. Hat das Unternehmen in der Vergangenheit bereits regelmäßig Dividenden ausgeschüttet, kann die Wachstumsrate, nach Eliminierung von verzerrenden Einmaleffekten, aus dem geometrischen Durchschnitt der Dividendenwachstumsraten der Vorjahre bestimmt werden. Ist dies nicht der Fall, kann die Wachstumsrate der Dividenden – sofern sich das Leverage des Unternehmens im Zeitablauf nicht verändert – näherungsweise über die Ausschüttungsquote und die Gewinnmarge ermittelt werden. Zu diesem Zweck sollte man nochmals zum Ausgangspunkt der Überlegungen zurückkehren, nämlich zu der Annahme, dass die Dividenden eine Näherungsgröße für den Nettogewinn eines Unternehmens NetIinc wäre. Gewinne können thesauriert oder ausgeschüttet werden. Die Dividende einer bestimmten Periode Divt entspricht folglich dem Jahresgewinn nach Steuern (NetInct) multipliziert mit der Ausschüttungsquote δt dieses Jahres, also
Divt = δt NetInct .
(4.26)
Das Nettoergebnis auf der anderen Seite ist abhängig vom Buchwert des Eigenkapitals der Vorperiode EKt, auf den das Unternehmen in der laufenden Periode eine Rendite erwirtschaften konnte, die Eigenkapitalrendite ROEt, also
NetInct = EKt−1 ROEt .
(4.27)
Der Buchwert des Eigenkapitals der letzten Periode ergibt sich aus dem Buchwert des Eigenkapitals der vorletzten Periode und den in der letzten Periode nicht ausgeschütteten Gewinnen. Damit ist der Jahresüberschuss NetInct auch vom Buchwert des Eigenkapitals der vorletzten Periode EKt╛╛− 1 und von den einbehaltenen Gewinnen der letzten Periode abhängig, also:
22╇
NetInct = [EKt−2 + (1 − δt )NetInct−1 )]ROEt .
In der Praxis werden Wachstumsraten zwischen 1 und 3 % favorisiert.
(4.28)
144
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Unterstellt man nun, dass sich die Eigenkapitalrentabilität ROE im Zeitablauf nicht wesentlich ändert, also dass ROEtâ•› = â•›ROEt╛╛− 1â•› = â•›ROEt╛╛− 2â•› = â•›…â•› = â•›ROE, dann folgt, dass sich jener Teil des Gewinns, der nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert wird, annahmegemäß mit einer bestimmten Gewinnmarge ROE verzinst, die der Eigenkapitalverzinsung des bislang eingesetzten Kapitals entsprechen kann, aber nicht muss. Insgesamt folgt daraus, dass die erwartete Dividendenwachstumsrate dem Produkt aus Thesaurierungsquote (1╛╛− δ) und Eigenkapitalrentabilität ROE entsprechen muss, also allgemein
gDiv = (1 − δ)ROE,
für ROE > 0.
(4.29)
Aus Formel (4.29) berechnet sich die erwartete Dividendenwachstumsrate gDiv aus dem Produkt aus thesauriertem Gewinnanteil (1╛╛− δ) und der langfristigen Eigenkapitalrendite ROE, bzw. – genauer noch – der für zukünftig vorzunehmende Investitionen erwarteten Eigenkapitalrendite. Damit Wachstumsunternehmen also ihr Wachstum finanzieren können, müssen sie größere Anteile ihres operativen Ergebnisses für Investitionen zurückstellen als reife Unternehmen mit nur wenigen Investitionsalternativen. Nach diesem Zusammenhang ist das Wachstum eines Unternehmens umso höher, je höher die Eigenkapitalrentabilität und je geringer die Ausschüttungsquote bzw. je höher die Thesaurierungsquote sind. Unternehmenswachstum und Dividendenausschüttung sind somit negativ miteinander korreliert – sofern alle übrigen Annahmen konstant bleiben. Was sie allerdings in der Realität nicht sind, wie verschiedene empirische Analysen belegt haben: Weder bleibt die erwartete Eigenkapitalrendite konstant, nachdem Investitionen getätigt wurden, noch bleibt die Ausschüttungspolitik unverändert, nachdem sich die Wachstumsaussichten eines Unternehmens verändert haben23. Bei gleichbleibenden Investitionen wird dann ein Anstieg des Unternehmenswertes infolge einer höheren Dividendenwachstumsrate durch den negativen Effekt einer gleichzeitig sinkenden Eigenkapitalrendite konterkariert. Beispiel 4.13: Schätzung der Dividendenwachstumsraten╇ Ein Spezialchemieunternehmen weist über einen kompletten Zyklus eine Eigenkapitalrendite von durchschnittlich 10,0€% auf. Die langfristig angestrebte Ausschüttungsquote liegt bei 40,0€%. Damit ergibt sich eine langfristige Wachstumsrate von 0,1(1╛╛− 0,4)â•› = â•›6,0€%. Unterstellen wir nun, das Unternehmen verfüge über eine Eigenkapitalposition von 50,0€Mio.€€. Das Nachsteuerergebnis liegt damit bei 5,0€Mio.€€, das heißt, die Dividendensumme beläuft sich auf 2,0€Mio.€€. Unter Zuhilfenahme eines Gordon-Modells ergibt sich ein Unternehmenswert von V0 =
Div0 (1 + g) 2,0(1 + 0,06) = = 53,0, rEK − g 0,10 − 0,06
also von 53,0€Mio.€€. 23╇
Vgl. hierzu Arnott und Asness (2003).
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
145
Unter Berücksichtigung der einbehaltenen Gewinne erhöht sich das Eigenkapital zu Beginn des nächsten Jahres auf 53,0€ Mio.€ €. Auf dieses Eigenkapital erwirtschaftet das Unternehmen im zweiten Jahr ebenfalls eine Rendite von 10€%, was einem Nettoergebnis von 5,3€Mio.€€ entspricht. Eine gleichbleibende Ausschüttungsquote unterstellt, errechnet sich daraus eine Dividendensumme von 2,12€ Mio.€ €. Die Wachstumsrate des Nachsteuerergebnisses wie der Dividende beläuft sich damit auf 6,0€ %. Würde das Unternehmen auch in Zukunft ihre Eigenkapitalrendite von 10,0€% aufrechterhalten können, würden die Dividenden unverändert um 6,0€ % pro Jahr ansteigen. Mit anderen Worten: Eine Ausschüttungsquote von 40,0€% ermöglicht dem Spezialchemieunternehmen, die Wachstumsrate von 6,0€% aufrechtzuerhalten. Gleichung€(4.29) ist nicht weniger als die Grundgleichung einer modellendogenen Prognose der Unternehmenswachstumsrate. Mit ihrer Hilfe ist der Investor nicht länger auf subjektive Prognosen des Unternehmenswachstums angewiesen – mögen sie vom Management stammen, mögen sie aus historischen Durchschnittswerten oder auf andere Arten abgeleitet worden sein –, sondern kann dieses aus den ihm zur Verfügung stehenden Parametern berechnen. Ein Unternehmen mit einer langfristigen Wachstumsrate von 5€% und einer erwarteten Eigenkapitalrendite von 15€ % könnte dementsprechend zwei Drittel seines Nettoergebnisses ausschütten, um mit dem verbleibenden Drittel seine Investitionsbedürfnisse in das Sachanlagevermögen und das Working Capital zu befriedigen. Damit ist die Fundamentalgleichung (4.29) gewissermaßen ein Korrektiv aller Wachstumsprognosen. Würde man in der Unternehmensbewertung die Wachstumserwartungen nur weit genug nach oben schrauben, ohne die übrigen Parameter zu verändern, könnte problemlos jeder x-beliebige Unternehmenswert errechnet werden. Erst Zusammenhang (4.29) macht deutlich, dass Wachstum nicht umsonst zu haben ist, sondern einen Preis hat: Da die geforderte Eigenkapitalrendite gegeben ist, muss höheres Wachstum immer auch mit einer geringeren Ausschüttungs- bzw. einer höheren Investitionsquote verbunden sein. Darüber hinaus wird durch die Gl.€ (4.30) gezeigt, dass eine Erhöhung des Wachstums nur dann einen höheren Unternehmenswert mit sich bringt, wenn die getätigten Investitionen Wert schaffend sind, also wenn ihre Eigenkapitalrentabilität die Eigenkapitalkosten übersteigt. Entspricht die Eigenkapitalrendite lediglich den geforderten Kapitalkosten, ist eine Erhöhung des Wachstums wertneutral, liegt sie sogar unter den Kapitalkosten, würde weiteres Wachstum sogar Werte vernichten. Setzt man (4.29) in die Gordon-Formel (4.9) ein, ergibt sich nach kurzer Umformung folgender Zusammenhang:
V0 =
δEPS0 [1 + (1 − δ)]ROE , rEK − (1 − δ)ROE
wenn rEK > (1 − δ)ROE.
(4.30)
146
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Damit hat der Wert des Eigenkapitals keine unmittelbare Beziehung mehr zur Dividenden- oder Ertragswachstumsrate des Unternehmens. Mit der Ausschüttungsquote und der Eigenkapitalrendite gehen dagegen zwei Komponenten in die Wertfindung ein, für die durchaus langfristig belastbare Annahmen getroffen werden können. Formel (4.29) lässt sich DuPont-schematisch erweitern, etwa zu
g = (1 − δ)
NetInc Umsatz Vermögen . Umsatz Vermögen EK
(4.31)
Damit wird ersichtlich, welche Werttreiber die Wachstumsrate eines Unternehmens und damit den Wert einer Aktie bestimmen. Da ist zum einen die Profitabilität des Unternehmens, die zum Beispiel durch die Produktstückkosten bestimmt werden, zu erkennen ist der Kapitalumschlag, der beschreibt, wie gut ein Unternehmen sein Working Capital und seine Anlagen und Maschinen nutzt, und auch die Anlagenintensität des Unternehmens geht in die Analyse mit ein. Hinter diesen kurzfristigen Werttreibern verstecken sich die mittelfristigen Werttreiber wie beispielsweise die Produktpipeline, also das Talent der Mitarbeiter und die Fähigkeit, neue Produkte auf den Markt zu bringen, die Stärke des Markennamens, regulatorische Risiken und die Zufriedenheit der Kunden. Der Einfluss der mittelfristigen Werttreiber kann von Branche zu Branche variieren: Während für ein Pharmaunternehmen die Produktpipeline und die Beziehung zur jeweiligen Regierung entscheidend ist, sind für einen Online-Einzelhändler Markenname und Kundenzufriedenheit von höchster Priorität. Aus Gl.€(4.31) lässt sich aber noch eine zweite Schlussfolgerung ableiten: Wird unterstellt, dass die Ausschüttungsquote im Zeitablauf konstant bleibt, dann entspricht die Wachstumsrate der Dividenden der Wachstumsrate des Nettoergebnisses. Somit lässt sich aus Gl.€(4.29) auch die zugrunde liegende Wachstumsrate des Jahresüberschusses ableiten. Bislang wurde von einer konstanten Eigenkapitalrendite ausgegangen. Unterstellt man dagegen, dass sich die Eigenkapitalrentabilität im Zeitablauf erhöht, also ROEtâ•›>â•›ROEt╛╛− 1â•›, dann kommt eine zusätzliche Wachstumskomponente ins Spiel. Diese Wachstumskomponente verändert Formel (4.29) zu
gt = (1 − δt )ROEt +
ROEt − ROEt−1 . ROEt−1
(4.32)
Beispiel 4.14: Schätzung der Wachstumsraten bei steigenden ROE╇ Angenommen, dem Spezialchemieunternehmen aus Beispiel€4.13 gelingt es, seine Eigenkapitalrendite durch ein innovatives Produkt von 10,0 auf 11,0€% dauerhaft zu steigern. Die übrigen Annahmen sollen unverändert übernommen werden. Wie sind die Auswirkungen auf die erwartete Gewinnwachstumsrate? Wird sie a) steigen, b) konstant bleiben oder c) sinken?
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
147
Durch den Anstieg der Eigenkapitalrendite folgt für die GewinnwachsÂ�tumsrate: gt = (1 − 0,4)0,11 +
0,11 − 0,10 = 0,166 = 16,6 % 0,10
Richtig ist also Antwort a): Durch die Erhöhung der Eigenkapitalrendite um 100 Basispunkte wird sich das Gewinnwachstum auf 16,6€ % mehr als verdoppeln. Grundsätzlich gilt, dass die Auswirkungen auf die Gewinnwachstumsrate umso gravierender sind, je größer das zur Verfügung stehende Eigenkapital ist. Daraus folgt aber auch, dass es keinem Unternehmen gelingen kann, durch einen Anstieg der Eigenkapitalrendite ein bestimmtes Ergebniswachstum aufrechtzuerhalten. Anders gesagt: Je größer die Wettbewerbsintensität der Industrie und höher die Eigenkapitalrendite des Unternehmens im Vergleich zu der in der Industrie erzielten Rendite, desto geringer ist der Spielraum für eine Gewinnsteigerung durch eine Verbesserung der Eigenkapitalrendite. Die Dividendenwachstumsrate g hat noch eine weitere Bedeutung: Nach Multiplikation der Gordon-Formel (4.9) mit (1â•›+â•›g), erhält man über
V0 (1 + g) =
Div1 (1 + g) rEK − g
(4.33)
schließlich
V1 =
Div2 . rEK − g
(4.34)
Damit entspricht die Dividendenwachstumsrate g auch dem Zuwachs des Unternehmenswertes in Form von Dividendenausschüttungen und Kursgewinnen. Mit anderen Worten: Bei einer gegebenen Ausschüttungsquote wachsen Dividenden und Unternehmenswert mit derselben Rate g. Demzufolge bleibt auch die Dividendenrendite des Unternehmens Div1/P0 im Zeitablauf konstant. Da die Wachstumsrate vergleichsweise große Auswirkungen auf den Wert einer Aktie hat, können Unterschiede in den von verschiedenen Analysten ermittelten Kurszielen mit unterschiedlichen Wachstumserwartungen erklärt werden. Wie hoch diese sind lässt sich aus den Analystenberichten implizit ableiten. Anschließend kann sich der Investor selbst eine Meinung darüber bilden, ob die den Kurszielen zugrundeliegenden Wachstumserwartungen zu hoch, gerade angemessen oder zu niedrig sind. Dazu wird unterstellt, dass die Märkte vollkommen informationseffizient im Sinne Famas wären, dass sie also alle bewertungsrelevanten Informationen in den beobachtbaren Marktpreisen widerspiegeln würden. Bei vollkommener
148
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Markteffizienz entspricht der aktuellen Kurs P0 dem Wert des Eigenkapitals V0, so dass sich aus dem Gordon-Modell (4.9) die implizite Wachstumsrate
g=
P0 rEK − Div0 P0 + Div0
(4.35)
ableiten lässt. Die implizite Wachstumsrate der Dividenden entspricht der Differenz aus Eigenkapitalverzinsung und Dividendenrendite. Beispiel 4.15: Ermittlung der einem Kursziel zugrundeliegenden Wachstumserwartungen╇ Ein führender Softwareentwickler hat zuletzt eine Dividende in Höhe von 1,50€€ je Aktie ausgeschüttet. In seinem letzten Research Report rechnet ein Analyst mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 5,0€% pro Jahr. Das Beta der Aktie liegt bei 1,2, der risikolose Zins bei 4,0€% und die Risikoprämie bei 5,0€%. Gemäß dem Gordon-Modell liegt der Wert der Aktie bei V0 =
1,50 × 1,05 = 31,50. 0,10 − 0,05
Notiert die Aktie bei 38,00€€, dann folgt daraus, dass der Kapitalmarkt diesem Unternehmen höhere Wachstumsraten zugesteht als der Analyst. Welche, das lässt sich durch Umformung der Gordon-Formel wie folgt ermitteln: 38,00 =
1,50 × (1 + g) . 0,10 − g
Aufgelöst nach g ergibt sich g=
2,3 = 0,058 = 5,8 %. 39,5
Um das aktuelle Kursniveau von 38,00€€ je Aktie zu rechtfertigen, müsste die Dividende zukünftig um 5,8€% statt um 5,0€% wachsen. Die Einschätzung alternativer Wachstumserwartungen seitens der Finanzanalysten geht Hand in Hand mit der Simulation alternativer Umweltszenarien. Über Sensitivitätsanalysen kann der Einfluss von gesellschaftlichen, politischen, steuerlichen Entwicklungen oder ein möglicher Marktein- oder -austritt eines Wettbewerbers simuliert werden. Beispielsweise wird man für die Chemieindustrie in jedem Fall eine Szenarioanalyse des Ölpreises vornehmen, während diese für die Telekommunikationsindustrie völlig irrelevant ist. Notwendig ist dieses Vorgehen, da eine einfache Fortschreibung der aus der Vergangenheit gewonnenen Daten, eine überaus menschliche Eigenschaft, ohne Berücksichtigung alternativer Szenarien ein
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
149
falsches Gefühl der Sicherheit erzeugen kann. So wie Bäume nicht in den Himmel wachsen, können sich auch ökonomische Daten nicht unendlich verbessern, können Wechselkurse nicht ewig fallen, lassen sich Gewinnmargen nicht stetig steigern. Der Satz „Dieses Mal ist alles anders“ ist an der Börse gefährlich und in regelmäßigem Abstand ursächlich für die Entstehung spekulativer Blasen. Durch die Analyse von Szenarien kann ein Investor den Herdentrieb ausschalten. Szenarien helfen, eine andere Sicht der Dinge einzunehmen und auch die herrschende Meinung zu hinterfragen. Zudem bekommt man eine Vorstellung, welche Inputfaktoren größeren Einfluss auf den Unternehmenswert haben als andere. Obwohl derartige Case Studies zeitaufwendig sind, sollte man in der Praxis vier Szenarien entwickeln (nicht drei, da dies die Gefahr birgt, sich letzten Endes doch für das mittlere zu entscheiden und zwei zu wenige sind): Durch Variation der wesentlichen Parameter des Basis- oder Base Case-Szenarios ergeben sich optimistische Best-Case- und pessimistische Worst-Case-Analysen, die tiefer gehendes Wissen über die Abhängigkeit von ausgewählten Variabeln vermitteln als das Basismodell allein. Die sich aus den möglichen Szenarien ergebenden Werte werden mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet und anschließend ein gewichteter Unternehmenswert berechnet. Beispiel 4.16: Szenarioanalyse╇ Der sich für einen Bestandshalter von Gewerbeimmobilienunternehmen ergebende fundamentale Wert je Aktie V0 beläuft sich auf 39,47€€. Die der Berechnung zugrunde liegenden Parameter sind eine Eigenkapitalverzinsung rEK von 9,4€%, eine Wachstumsrate g von 3,5€% und eine Ausschüttungsquote von 90€%. Im Vorjahr konnte ein Ergebnis je Aktie von 2,50€€ erwirtschaftet werden. V0 =
2,50 · 0,9 · 1,035 = 39,47. 0,094 − 0,035
Wir betrachten nun die Sensitivitäten des Modells, wenn die Parameter Eigenkapitalverzinsung und Wachstumsrate um jeweils 50 Basispunkte nach oben bzw. unten variiert werden. Beispielsweise könnte das Unternehmen eine aggressive Wachstumsstrategie einschlagen, was zu höheren durchschnittlichen jährlichen Ergebniswachstumsraten als in der Vergangenheit führen könnte. Eine solche Expansionsstrategie kann unmittelbar die Risikosituation des Geschäftsmodells beeinflussen, was wiederum Auswirkungen auf die Eigenkapitalverzinsung haben würde. In nachstehender Tabelle sind die Auswirkungen der Parameteranpassungen ersichtlich:
8,9€% 9,4€% 9,9€%
2,5€% 36,04 33,42 31,17
3,0€% 39,28 36,21 33,59
3,5€% 43,13 39,47 36,39
4,0€% 47,76 43,33 39,66
150
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Der Wert je Aktie liegt damit in der Bandbreite von 31,17 bis 47,76€€. Der Maximalwert liegt damit um 53,2€% über dem Mindestwert. Der obere Rand der Bandbreite wird erreicht, wenn die Differenz zwischen rEK und g am geringsten ist, der untere Rand, wenn die Differenz zwischen rEK und g am größten ist. Die Abweichung von unserem Basis-Szenario liegt bei 21,0€ % nach oben bzw. nach unten. Neben den impliziten Wachstumsraten kann über das Gordon-Modell im Übrigen auch die implizite Eigenkapitalverzinsung ermittelt werden. So kann man sich die Gordon-Formel zur Schätzung der Marktrisikoprämie zunutze machen, indem sie nach den vom Kapitalmarkt geforderten Eigenkapitalkosten aufgelöst wird. Dabei ergibt sich folgender Zusammenhang
rEK =
Div1 + gP0 Div1 = + g. P0 P0
(4.36)
Damit entspricht die Eigenkapitalverzinsung der Summe aus Dividendenrendite und Dividendenwachstumsrate. Beispiel 4.17: Ermittlung der impliziten Eigenkapitalverzinsung╇ Die Aktie des Gewerbeimmobilienunternehmens aus Beispiel€ 4.3 notiert bei 41,20€€ in der Nähe ihres inneren Wertes. Ein Investor hält das Gordon-Modell als das relevante Bewertungsverfahren. Während der vergangenen zehn Jahre hat das Unternehmen stets Dividenden ausgeschüttet, wie wir gesehen haben von zuletzt 2,25€ € je Aktie. Bedingt durch ein erfolgreiches Internationalisierungsprogramm wird die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Dividenden auf 5,5€% eingeschätzt. Damit ergibt sich eine implizite Eigenkapitalverzinsung in Höhe von rEK =
2,25(1 + 0,055) + 0,055 = 0,113 = 11,3 %. 41,20
Diese implizite Verzinsung besteht aus zwei Komponenten: Der erwarteten Kurssteigerungsrate von 5,5€ % und der erwarteten Dividendenrendite von 11,3€%╛╛−╛╛5,5€%â•› = â•›5,8€%. Das Gordon-Modell als Spezialfall ist immer dann die geeignete Bewertungsmethode, wenn darüber hinaus die Voraussetzung eines stabilen Ertrags- und Dividendenstroms erfüllt ist. Diese Bedingung wird in der Realität nicht nur von Einzelwerten erfüllt, sondern auch von Aktienindizes, für die das Gordon-Modell ebenfalls
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
151
angewendet werden kann. Dabei wird der Kurs einer Aktie durch die kumulierte Marktkapitalisierung aller im Index vertretenen Unternehmen und die Wachstumsrate eines Einzeltitels durch die gewichtete Dividendenwachstumsrate aller Unternehmen ersetzt. Die erwartete Eigenkapitalverzinsung ist nur noch vom risikolosen Zinssatz und der unterstellten Risikoprämie abhängig, da das Beta des Gesamtmarktes gleich Eins ist. In Analogie zur Berechnung der geforderten Eigenkapitalverzinsung kann dann die Gordon-Formel als Alternative zur historischen Ableitung der Marktrisikoprämie betrachtet werden. In Kap.€3.2 wurde gezeigt, dass es verschiedene Ansätze zur Bestimmung der Marktrisikoprämie gibt. Den meisten vorgestellten Methoden war gemeinsam, dass sie auf historisches Datenmaterial zurückgreifen und dass dieses anschließend in die Zukunft extrapoliert wird. Über Formel (4.36) steht nun ein Weg zur Ermittlung der Risikoprämie offen, der ohne historische Daten auskommt und die Risikoprämie auf implizite Weise ermittelt. Die der Risikoprämie zugrunde liegende Gleichung lautet dann
rP = rEK − rf =
Div1 + g − rf . P0
(4.37)
Hier ergibt sich die Risikoprämie aus der aktuellen Dividendenrendite des Gesamtmarktes Div1/P0, beispielsweise repräsentiert durch einen marktbreiten Aktienindex wie den DAX, der Dividendenwachstumsrate g der im DAX vertretenen Aktien und dem risikolosen Zins rf, repräsentiert durch die zehnjährigen Bundesanleihen. Beispiel 4.18: Ermittlung der impliziten Marktrisikoprämie╇ Zum Jahresende 2010 notierte der Deutsche Aktienindex DAX bei 6.914 Punkten. Die erwartete Dividendenrendite liegt bei 2,9€ %. Betrachten wir die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen als Summe der Inflationserwartungen und der erwarteten Realzinsen, und nehmen überdies an, dass das reale Wachstum dem Realzins entspricht, dann folgt daraus, dass die langfristig erzielbare Wachstumsrate der Rendite langfristiger Staatsanleihen entspricht. Zum Jahreswechsel lag diese Rendite bei etwa 2,5€% Eine durchschnittliche Dividendenwachstumsrate von 5,0€% unterstellt, ergibt für den DAX eine Risikoprämie von rP =
Div1 0,029 · 6.914 + g − rf = + 0,05 − 0,035 = 0,029 = 2,9 % P0 6.914
Zum Jahresende 2010 ergab sich damit eine implizite Risikoprämie des deutschen Aktienmarktes von 2,9€%. Risikolose Zinssätze und Risikoprämien, wichtige Fundamentalfaktoren für jede Bewertungsmethode, verändern sich im Zeitablauf: Im konjunkturellen Auf-
152
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
7% 6%
Maximum 6,6%
5%
4%
3%
2%
1%
Minimum 1,4%
0% 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Abb. 4.6↜渀 Die implizite Risikoprämie in Deutschland, 1997–2011. (Quellen: Bloomberg, Capital IQ)
schwung steigen Anleiherenditen tendenziell an, während Risikoprämien fallen, in der Rezession ist der Verlauf genau umgekehrt. Da sich gleichzeitig der Appetit der Investoren auf Eigen- und Fremdkapital während eines Konjunkturzyklus verändert, bedarf es wenig, um aus den Vorgaben den Schluss zu ziehen, dass die Finanzierungskosten für Eigen- und Fremdkapital während eines Zyklus starken Schwankungen unterworfen sind. Dasselbe gilt auch für die Risikoprämie. Der Vorteil der impliziten Berechnung der Risikoprämie ist, dass sie auf aktuellen Angaben beruht, nicht auf historischen. Investoren, die glauben, die unsichtbare Hand des Kapitalmarktes findet automatisch immer das richtige Bewertungsniveau, sollten dementsprechend die implizite Risikoprämie verwenden. Investoren, die an eine periodische Fehlbewertung der Kapitalmärkte und deren anschließende Auflösung glauben (Theorie der Mean Reversion), sollten den in Kap.€ 3.2 vorgeschlagenen Weg der historischen Risikoprämie einschlagen. Nach der impliziten Berechnungsmethode lag die Risikoprämie in den vergangenen 14 Jahren zwischen 1,4€% im Jahr 2006 und 6,6€% während des Höhepunkts der Finanzmarktkrise Anfang 2009. Der Durchschnittswert der vergangenen 15 Jahre lag bei 2,4€% (Abb.€4.6). Beispiel 4.19: Bewertung mit einem Dreiphasenmodell╇ Unternehmensberater haben dem Vorstand des Anbieters von Haushaltsartikeln aus Beispiel€4.8 ein neues Konzept vorgeschlagen, wonach dieser nicht nur den Markteintritt in Europa, sondern auch in Südamerika wagen solle. Dort sehen die Berater für einen First Mover signifikante Marktchancen. Ein Controller wird angewiesen, die Auswirkungen auf den Unternehmenswert zu berechnen. Er ver-
4.4â•… Die Werttreiber von Dividendendiskontierungsmodellen
153
wendet ein Dividendendiskontierungsmodell, da die Gesellschaft zum einen eine langjährige Historie als Dividendentitel hat und der Controller zum anderen mit einem dreistufigen Modell am besten die jeweiligen Phasen der erwarteten Marktdurchdringung abbilden kann. Der Controller unterstellt, dass die Phase des Wachstums ebenso wie die Übergangsphase fünf Jahre dauern solle. Da der Markteintritt in Südamerika mit hohen Risiken verbunden ist, veranschlagt der Controller während der Wachstumsphase ein Beta von 1,6. Zusammen mit aktuell risikolosen Zinsen von 4,5€% und einer Risikoprämie von 5,0€ % ergeben sich für die Wachstumsphase Kosten des Eigenkapitals von rEK,W = rf + ßW rp = 0,045 + 1,6 · 0,05 = 0,125 = 12,5 %.
Die erwartete Wachstumsrate während der ersten Phase des hohen Wachstums berechnet sich über Formel (4.29), wenn wir eine Eigenkapitalrendite von 20,5€% und eine anfängliche Ausschüttungsquote von 20,0€% unterstellen: gDiv = (1 − δ)ROE = (1 − 0,2)0,205 = 0,164 = 16,4 %.
Mit diesem Wert sollen die Ergebnisse je Aktie während der Wachstumsphase jährlich zulegen. Anhand dieser Vorgaben berechnen wir den Wert des Eigenkapitals während der Wachstumsphase: Wachstumsphase EPS (€) gW (%) δ (%) Div (€) rEK (%) PV Div (€)
tâ•›+â•›1 10,00 16,4 20,0 2,00 12,5 1,78
tâ•›+â•›2 11,64 16,4 20,0 2,33 12,5 1,84
tâ•›+â•›3 13,55 16,4 20,0 2,71 12,5 1,90
tâ•›+â•›4 15,77 16,4 20,0 3,15 12,5 1,97
tâ•›+â•›5 18,36 16,4 20,0 3,67 12,5 2,04
Die Summe der Barwerte der während der Wachstumsphase ausgeschütteten Dividenden beläuft sich auf 9,53€€. Während der Übergangsphase sollen sich die Werte der Wachstumsphase linear den langfristigen Werten des Steady State annähern. Beginnen wir mit der Berechnung der Eigenkapitalkosten während der Reifephase. Unterstellen wir für das Unternehmen während der Reifephase ein Beta von 1,1, dann berechnen sich die langfristigen Eigenkapitalkosten mit rEK,R = rf + ßR rp = 0,045 + 1,1 · 0,05 = 0,100 = 10,0 %
Der Controller geht davon aus, dass sich das Beta während der Übergangsphase dem langfristigen Wert linear annähert. Die lineare Annäherung des Betas kann anhand folgender Formel modelliert werden:
154
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
ßt+1 = ßt −
ßR − ßW . Anzahl Jahre
Die langfristige Gewinnwachstumsrate wird vom Controller vorsichtig auf 3,5€ % pro Jahr eingeschätzt. Auch die Gewinnwachstumsrate nähert sich während der Übergangsphase linear dem langfristig erwarteten Trend an. Um dies zu modellieren, verwenden wir folgende Formel: gt+1 = gt −
gW − g R . Anzahl Jahre
Vergleichbar modellieren wir die lineare Annäherung der Ausschüttungsquote, für die wir unter der Annahme einer langfristigen Eigenkapitalrendite von 25,0€% einen langfristigen Wert von δ =1−
gR 0,035 =1− = 0,86 = 86,0 % ROE 0,25
ansetzen. Insgesamt ergibt sich für die Übergangsphase folgende Entwicklung: Übergangsphase EPS (€) gW (%) δ (%) Div (€) ß rf (%) rp (%) rEK (%)
tâ•›+â•›6 20,89 13,8 33,2 6,94 1,50 4,5 5,0 12,0
tâ•›+â•›7 23,24 11,2 46,4 10,78 1,40 4,5 5,0 11,5
tâ•›+â•›8 25,26 8,7 59,6 15,05 1,30 4,5 5,0 11,0
tâ•›+â•›9 26,79 6,1 72,8 19,50 1,20 4,5 5,0 10,5
tâ•›+â•›10 27,73 3,5 86,0 23,85 1,10 4,5 5,0 10,0
Nachdem sich die Eigenkapitalkosten von Jahr zu Jahr verändern, sind kumulierte Eigenkapitalkosten zu berechnen. Am Beispiel des Jahres tâ•›+â•›3 können diese anhand folgender Formel ermittelt werden: rEK,t=n =
n t=1
(1 + rEK,t ) − 1.
Damit ergibt sich beispielsweise für die Eigenkapitalkosten im Jahr tâ•› = â•›7, dass r EK,t=7 =
7 t=1
(1 + rEK,t ) − 1 = (1 + 0,125)5 (1 + 0,120)(1 + 0,115) − 1 = 125,0 %.
4.5â•… Anwendungsgebiete, Grenzen und kritische Würdigung
155
Diese kumulierten Eigenkapitalkosten sind als Divisor zu verwenden, durch die die jeweilige Dividende dividiert werden muss. Damit ergibt sich aus folgender Datenreihe: rEK kum (%) PV Div (€)
tâ•›+â•›6 101,8 3,44
tâ•›+â•›7 125,0 4,79
tâ•›+â•›8 149,8 6,03
tâ•›+â•›9 176,0 7,07
tâ•›+â•›10 203,6 7,85
Die Summe der Barwerte der Dividenden während der Übergangsphase liegt damit bei 29,18€€. Abschließend ist der Terminal Value zu berechnen. Dieser ergibt sich aus dem EPStâ•›+â•›10 von 27,73€€, der ewigen Wachstumsrate von 3,5€%, einer Ausschüttungsquote von 86,0€% und dem langfristigen Diskontierungssatz von 10,0€% aus TVt+10 =
27,73(1 + 0,035) · 0,86 = 379,72. 0,10 − 0,035
Der Barwert liegt folglich bei TV0 =
379,72 = 125,06. (1 + 2,036)
In Summe errechnet sich für den Haushaltsartikelanbieter ein Wert des Eigenkapitals von V0 = 9,53 + 29,18 + 125,06 = 163,77,
also von 163,77€€ je Aktie.
4.5 A nwendungsgebiete, Grenzen und kritische Würdigung Unter den traditionellen Bewertungsmodellen nimmt das Dividendendiskontierungsmodell allein deshalb einen besonderen Stellenwert ein, da sich die meisten theoretisch fundierten Modelle auf diesen zahlungsstromorientierten Ansatz zurückführen lassen. Darüber hinaus zeichnen sich Dividendendiskontierungsmodelle durch ihre Eleganz und intuitive Nachvollziehbarkeit aus. Für eine Wertermittlung sind nur wenige Annahmen erforderlich. So bilden sie das theoretische Fundament aller komplexeren Diskontierungsmodelle. In der Praxis kommt die Unternehmensbewertung über zukünftige Dividendenströme bevorzugt in reifen Industrien mit
156
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
etablierten Dividendengepflogenheiten zur Anwendung. In ihnen ist die Prognostizierbarkeit elementarer Ertragskennzahlen besonders stark ausgeprägt. Darüber hinaus besteht in reifen Märkten eine hohe Korrelation zwischen der Ausschüttung und der Wertschöpfung des Unternehmens. Meist vertritt das Management sogar eine dezidierte Thesaurierungspolitik, so dass über die zukünftige Ertrags- oder Liquiditätsentwicklung auch die Dividendenströme gut prognostiziert werden können. Beispiele sind wenig diversifizierte, national tätige Versorgungsunternehmen oder Immobilienbestandshalter, bei denen im REIT-Fall die Ausschüttungsquote sogar gesetzlich vorgeschrieben ist. Ihre Geschäftsmodelle sind nicht-zyklischer Natur, die Kundenstruktur trägt atomistische Züge und sowohl auf Beschaffungswie auf der Absatzseite können Abhängigkeiten vermieden werden. Mit Hilfe von Dividendendiskontierungsmodellen können für diese Unternehmen konservative Untergrenzen des Unternehmenswertes berechnet werden. Wider jede intuitive Vermutung ist die herrschende Lehrmeinung, wonach Dividendendiskontierungsmodelle nur für Unternehmen eingesetzt werden können, die auch Dividenden ausschütten, falsch. Wie gezeigt wurde können Unternehmen, die sich aktuell in einer Wachstumsphase mit negativem Free Cashflow befinden, sehr wohl über mehrstufige Dividendendiskontierungsmodelle bewertet werden, sofern nur eine Chance besteht, dass die Wachstumsphase irgendwann von einem Übergangs- oder Reifezustand abgelöst wird und das Unternehmen mit der Dividendenzahlung beginnen kann. Allerdings sind langfristig angelegte Dividendendiskontierungsmodelle mit so großer Unsicherheit über Ausschüttungsbeginn und –höhe belegt, dass ihre Anwendung bei derzeit dividendenlosen Unternehmen oder ohne eine formulierte Ausschüttungspolitik wenig ratsam ist. Angenommen, die Manager des zu bewertenden Unternehmens seien derart kreativ, dass sie permanent Investitionen tätigen, deren Kapitalwert positiv ist, deren Rendite also oberhalb des eigenen Diskontierungssatzes liegt. Unterstellt man ferner, dass sie diese Objekte in einem solchem Umfang finden, dass die möglichen Erweiterungsinvestitionen zu jedem Zeitpunkt die aktuellen Cashflows sowie die zukünftig durch diese Erweiterungsinvestitionen erwirtschafteten Cashflows übersteigen, dann wären die Freien Cashflows stets negativ. In diesem Fall wäre es für das Unternehmen nicht rational, Dividenden auszuschütten, da diese das zukünftige Wachstum beeinträchtigen würden. Gleichzeitig entstünde in der finanzmathematischen Modellwelt des Going Concern die paradoxe Situation, dass wenn diese Vorstände so erfolgreich sind, dauerhaft Investitionsgelegenheiten zu entdecken, deren Rendite die durch den Marktzins beschriebene Alternativrendite übersteigt, und wenn sich diese Vorstände an die Entscheidungsregel halten, ausschließlich Freie Cashflows an die Eigentümer auszuschütten, das Unternehmen aus logischen Gründen mehr oder weniger wertlos24 wäre. Warum sollte man auch einen Preis zahlen für ein Unternehmen, ohne jemals in den Genuss irgendwelcher Einkünfte In einer realen Welt würden sich natürlich risikobewusste Investoren „ins Unglück …stürzen“, um das wertlose Unternehmen zum Preis von 1€€ aufzukaufen, nach erfolgter Übernahme die Manager zu entlassen und anschließend eine veränderte Dividendenpolitik zu betreiben. Vgl. Kruschwitz und Löffler (1998, S.€1042).
24╇
4.5â•… Anwendungsgebiete, Grenzen und kritische Würdigung
157
zu kommen? Dieser extreme Fall ist in der Praxis nicht so selten, vor allem im Bereich der Technologie oder Biotechnologie sind notorisch eine Ausschüttung verweigernde Unternehmen sogar eher die Regel als die Ausnahme: Abgesehen davon dass ein Unternehmen, das buchstäblich niemals eine Dividende an seine Eigentümer ausschütten würde, keinen Cent wert sein kann, würde die Bewertung etwa eines Biotechnologieunternehmens, das seit seiner Gründung noch keinen einzigen Euro ausgeschüttet hat, über ein Dividendendiskontierungsmodell bei einem Investor vermutlich heftiges Stirnrunzeln verursachen. Unabdingbar für die Verwendung von Dividendendiskontierungsmodellen ist es zudem, dass Dividenden eine Näherungsgröße für die vom Unternehmen geschaffenen Werte sind. Da Dividendendiskontierungsmodelle allein von der Dividende als wertrelevantem Erfolgsmaß ausgehen, werden die thesaurierten Gewinnbestandteile in der Bewertung außer Acht gelassen. Die Werte von Unternehmen, die Gewinnbestandteile thesaurieren, obwohl eine Ausschüttung möglich wäre, werden daher systematisch zu niedrig eingeschätzt. Zudem hängen die Dividendenzahlungen sehr stark von der Ausschüttungs- und Finanzierungspolitik des Unternehmens ab. Darin liegt einer der entscheidenden Schwachpunkte des Modells. Weitaus gravierender als gar keine Dividende zu zahlen ist es also, wenn die Ausschüttungsquote der erwirtschafteten Gewinne im Zeitablauf erratisch schwankt. Schreibt man zum Beispiel die Gordon-Formel (4.9) um, indem die Ausschüttungsquote δ berücksichtigt wird, also
V0 =
δEPS0 (1 + gEPS ) , rEK − gEPS
wenn rEK > gEPS ,
(4.38)
dann wird unmittelbar einsichtig, dass eine verbesserte Ertragslage durch steigendes Gewinnwachstum nicht mit einem höheren Wert des Eigenkapitals einhergeht, wenn die Ausschüttungsquote δ im Zeitablauf zurückgeht. Übersteigt der Rückgang der Ausschüttungsquote δ das Ansteigen des Nachsteuerergebnisses, wäre dieser sogar mit einem rückläufigen Unternehmenswert verbunden. Die Verbindung zwischen Ertragslage und Unternehmenswert wäre damit endgültig gekappt. Thesaurierte Cashflows führen dazu, dass Unternehmen hohe Liquiditätsbestände aufbauen, die dann wiederum bewertungsrelevant sind, von Dividendendiskontierungsmodellen aber nicht erfasst werden. Mit anderen Worten: Die Verwendung von Dividendendiskontierungsmodellen bei Unternehmen, die dauerhaft weniger ausschütten als es ihnen ihr Freier Cashflow erlauben würde, führt zu einer tendenziellen Unterschätzung des Unternehmenswertes oder zu der impliziten Unterstellung, dass das Management die thesaurierten Cashflows permanent in Werte vernichtende Investitionen steckt. Spiegelbildlich wird für Unternehmen, die mehr als 100€% ihres Free Cashflow to Equity ausschütten, etwa aus der Aufnahme von Verbindlichkeiten, ein zu hoher Unternehmenswert errechnet. Die Gründe, weshalb Unternehmen weniger ausschütten als ihnen dies möglich wäre, sind vielfältig. Manche Unternehmen bauen eine Kriegskasse auf, um in einem Markt, der von Übernahmen und Fusionen gekennzeichnet ist, selbst eigene Übernahmeopportunitäten wahrnehmen zu können. Hier sollen mit dem Barbestand also zukünftige Investitionsbedürfnisse gedeckt werden. Andere versuchen durch den Aufbau einer nicht operativen
158
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Liquiditätsreserve die Stabilität des Geschäftsverlaufs zu erhöhen. Eine verbesserte Stabilität des Geschäftsmodells ist gleichzeitig im Interesse des Managements, das dann in schwierigen Zeiten die eigene Position weniger angreifbar macht. Wieder andere versuchen Dividendenkürzungen einfach dadurch zu vermeiden, dass sie die Dividenden nicht unmittelbar an die verbesserte Ertragslage anpassen, sondern erst, nachdem absehbar ist, dass das erhöhte Dividendenniveau auch bei einer periodisch verschlechterten Ertragslage aufrechterhalten werden kann. Dies führt zu einer verzögerten Anpassung der Dividenden an die verbesserte Ertragslage. Die Angst vor einer Dividendenkürzung führt auch dazu, dass Unternehmen im Fall einer rückläufigen Ertragslage die Ausschüttungshöhe konstant lassen, obwohl dies operativ zumindest in diesem Geschäftsjahr nicht angebracht wäre. Hier wird die Dividende als Signal für den Kapitalmarkt angesehen, als Zeichen für operative Stärke25. Vielfach wird gegen die Verwendung von Dividendendiskontierungsmodellen argumentiert, dass bestimmte Aktiva wie Markennamen nicht in die Bewertung der Aktie einfließen und Dividendendiskontierungsmodelle daher zu einer systematischen Unterschätzung des Unternehmenswertes führen26. Bestehen bewertungsrelevante, nicht-operative Aktiva, sind diese in der Tat über alternative Bewertungsverfahren zu bewerten und dem Wert aus dem Dividendendiskontierungsmodell hinzuzurechnen. Vereinzelt werden die Ergebnisse von Dividendendiskontierungsmodellen sogar als Kontraindikator betrachtet. Argumentiert wird, dass mit steigenden Börsenkursen unter Verwendung von Dividendendiskontierungsmodellen immer weniger Aktien unterbewertet erscheinen. Gehen Kurssteigerungen allerdings nicht mit einer Verbesserung des ökonomischen Umfelds einher, sondern sind zum Beispiel psychologischer Natur, dann sind die aus Dividendendiskontierungsmodellen abgeleiteten (niedrigeren) Kursziele eher ein Zeichen für die Stärke des Modells. Ein weiterer Kritikpunkt am Modell basiert auf dem Trend zu Aktienrückkaufprogrammen, auf die in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen zurückgegriffen haben. Welche Auswirkungen hat ein Aktienrückkaufprogramm, wenn das Unternehmen über ein Dividendendiskontierungsmodell bewertet werden soll? In der Praxis haben Aktienrückkäufe meist einen positiven Effekt auf den Aktienkurs. Ursächlich hierfür sind weniger bewertungstheoretische Gründe, denn das Unternehmen erwirbt ja einen Vermögenswert zum „richtigen“ Preis, sondern marktpsychologische, da der Aktienrückkauf oftmals als Signal verstanden wird, dass das Management die Aktie als unterbewertet ansieht und dass die bestehende Liquidität für die Deckung zukünftiger Verpflichtungen nicht erforderlich ist. Ob Vorstände geeignet sind, den Wert „ihrer Aktie“ richtig einzuschätzen, mag dahingestellt bleiben, und auch, ob das Unternehmen angesichts eines offensichtlichen Mangels an attraktiven Investitionsmöglichkeiten tatsächlich unterbewertet sein kann. Fakt ist, dass der Aktienrückkauf Auswirkungen auf die Wachstumsraten im Dividendendiskontierungsmodell hat: Wurde bislang davon ausgegangen, dass der einzige KapiVgl. Vieira und Raposo (2007). Vgl. Itami und Roehl (1987, S.€1), die schreiben, dass „analysts have tended to define assets too narrowly, identifying only those that can be measured“ wohingegen „invisible assets are the only real source of competitive edge that can be sustained over time“. 25╇ 26╇
4.5â•… Anwendungsgebiete, Grenzen und kritische Würdigung
159
talfluss vom Unternehmen zum Aktionär durch Dividendenzahlungen läuft, so ist diese Annahme nun über Aktienrückkäufe zu adjustieren. Dabei könnte zum Beispiel die Payout-Ratio δ wie folgt modifiziert werden:
δ adj =
Div + SBB . FCFE
(4.39)
Die adjustierte Ausschüttungsquote δadj ergibt sich damit als Quotient aus der Dividende einer Periode Div und der Summe der Aktienrückkäufe SBB während dieser Periode, dividiert durch den Freien Cashflow to Equity FCFE. Sie gibt an, welcher Teil des den Aktionären zustehenden Freien Cashflows tatsächlich an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Eine Ausschüttungsquote von Eins bedeutet, dass ein Unternehmen den gesamten Freien Cashflow an seine Aktionäre ausschüttet. Liegt die Quote dauerhaft unter Eins, baut das Unternehmen also seinen Liquiditätsbestand auf, etwa um eine „Kriegskasse“ für Übernahmen vorzuhalten, hat dies Auswirkungen auf den durch ein Dividendendiskontierungsmodell errechneten Unternehmenswert: Schüttet ein Unternehmen dauerhaft weniger aus als möglich, führt dies zu einer systematischen Unterschätzung des Unternehmenswertes, da der Aufbau einer Kriegskasse im Dividendendiskontierungsmodell nicht vorgesehen ist. Ausschüttungsquoten von größer als Eins können dauerhaft nicht aus dem operativen Geschäft finanziert werden. In diesem Fall wären Kapitalerhöhungen oder die Aufnahme von Fremdkapital notwendig, um die Ausschüttung zu finanzieren. Problematisch an dieser Berechnungsmethode ist jedoch, dass die Ausschüttungsquote durch ein nur in einem Fiskaljahr stattfindendes Aktienrückkaufprogramm verzerrt werden kann. Um diese Verzerrungen abzumildern sollte ein mehrjähriger Durchschnittswert der um Aktienrückkäufe adjustierten Payout-Ratio verwendet werden, also beispielsweise durch die Bildung eines arithmetischen Mittelwertes: adj
δø =
n Divt + SBBt t=1
(4.40)
FCFEt n
.
Beispiel 4.20: Anpassungen um Share Buybacks╇ Das Spezialchemieunternehmen aus Beispiel€4.13 und 4.14 hat im ersten Jahr Aktien im Wert von 1,0€Mio.€€ und im zweiten Jahr von 0,7€Mio.€€ zurückgekauft. Für die beiden Jahre ergibt sich eine durchschnittliche Ausschüttungsquote δø von 2,0 + 1,0 2,12 + 0,7 + 5,0 5,3 δø = = 0,591 = 59,1 %. 2
Diese adjustierte Ausschüttungsquote hat Auswirkungen auf die erwartete Wachstumsrate des Unternehmens. Unter Berücksichtigung der Vorgaben aus
160
4â•… Dividendendiskontierungsmodelle
Beispiel€4.5 ergibt sich für das Spezialchemieunternehmen eine Wachstumsrate g von gt = (1 − 0,591)0,11 +
0,11 − 0,10 = 0,145 = 14,5 % 0,10
Die Entscheidung des Managements, ein Aktienrückkaufprogramm durchzuführen hat damit die erwartet nachteiligen Auswirkungen auf das Gewinnwachstum in den Folgeperioden. War die Unternehmensbewertung mit Hilfe von Dividendendiskontierungsmodellen noch bis Mitte der 1990 er Jahre weit verbreitet, ist sie in den letzten Jahren dennoch immer mehr in den Hintergrund getreten. Zwischenzeitlich galten sie sogar als veraltet. Ein Grund hierfür ist, dass mit der erwarteten Wachstumsrate der Dividende eine Variable von entscheidender Bedeutung für den Unternehmenswert ist, die nicht von den üblichen, den Unternehmenserfolg bestimmenden Faktoren abhängig ist, sondern von der Hauptversammlung festgelegt wird. Durch die Entkoppelung der Ertragsentwicklung von der Dividende kann die Ausschüttungsquote im Zeitablauf erratisch schwanken, was eine präzise Bestimmung des Unternehmenswertes unmöglich macht. Aber auch ein verändertes Verhältnis des Kapitalmarktes gegenüber Ausschüttungen hat dazu beigetragen, dass Dividendendiskontierungsmodelle aus der Mode gekommen sind. Diese theoretisch fundierte Kritik lässt sich auch durch empirische Ergebnisse untermauern: Untersuchungen zufolge ist die Volatilität von Aktienkursen viel zu hoch, als dass sie von Dividenden erklärt werden könnte27. Dividendendiskontierungsmodelle als realitätsfern einzustufen, wäre dennoch verfehlt. Denn auch Risikoprämien verändern sich im Zeitablauf28 und Dividendenrenditen sind viel volatiler sind als die absolute Höhe der Dividenden29. Zwar mag die Annahme eines stabilen Dividendenwachstums für ein zyklisches Unternehmen und seiner volatilen Ergebnisentwicklung ungewöhnlich sein. Wird dagegen eine langfristige Wachstumsrate unterstellt, die in der Nähe der durchschnittlichen Wachstumsrate liegt, kann selbst das Gordon-Modell für konjunktursensitive Branchen ohne Einschränkungen verwendet werden. Ohnehin haben viele, auch zyklische Unternehmen, die keine kontinuierlichen Dividendenströme generieren, eine stetige Dividendenentwicklung im Auge und weniger eine stetige Ausschüttungsquote. Über einen kompletten Zyklus betrachtet, mag die Ausschüttungsquote beispielsweise 50€% betragen; allerdings kann sie im konjunkturellen Boom bei 20€% liegen und während der anschließenden Rezession bei 80€%. Im Extremfall kann ein zyklisches Unternehmen selbst dann Dividenden ausschütten, wenn diese vom Free Cashflow dieses Jahres nicht gedeckt werden, zumindest für einen begrenzten Zeitraum.
Vgl. Shiller (1981). Vgl. Poterba und Summers (1988). 29╇ Vgl. Fama und French (1988). 27╇ 28╇
Kapitel 5
Discounted Cashflow-Modelle
5.1 Happiness is a positive cashflow1 Dividendendiskontierungsmodelle basieren auf der Annahme, dass allein die vom Investor vereinnahmten Liquiditätsströme bewertungsrelevant sind, die im Unternehmen thesaurierten Gewinne jedoch nicht. Dividenden reflektieren also nicht in jedem Fall die Wertschöpfung des Unternehmens und seine zeitliche Entwicklung. Zusätzlich verschärft wird diese Problematik dadurch, dass die endgültige Entscheidung über die tatsächliche Höhe der Dividende die Hauptversammlung auf Vorschlag der Verwaltung trifft, also des Vorstands und des Aufsichtsrats, und auch Aktienrückkäufe bleiben in der Wertfindung zunächst unberücksichtigt. Discounted Cashflow- oder DCF-Modelle umgehen diese Defizite. Bei ihnen wird der Unternehmenswert durch Diskontierung zukünftiger, nachhaltig erziehlbarer Einzahlungsüberschüsse unter Erhaltung der Substanz und Fortführung der Geschäftstätigkeit ermittelt. Cashflows stellen diejenigen Zahlungsströme dar, die für eine Ausschüttung an die Aktionäre theoretisch zur Verfügung stehen, jedoch nicht notwendigerweise ausgeschüttet werden müssen. Da Vollausschüttungen der betrieblichen Cashflows nur in den seltensten Fällen vorkommen, führen Dividendendiskontierungs- und DCF-Modelle in den meisten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nichtsdestotrotz sind die ökonomischen Mechanismen zwischen Dividende und Cashflow einander ähnlich: Ein Wachstumsunternehmen, das ein umfängliches Investitionsprogramm zu finanzieren hat, wird einen hohen Anteil des Jahresüberschusses thesaurieren wollen und dementsprechend bestenfalls niedrige Dividenden ausschütten. Da dieses Unternehmen hohe Investitionen in das Sachanlagevermögen und das Working Capital zu finanzieren hat, wird auch der Freie Cashflow eher gering ausfallen. Demgegenüber stehen reifen Unternehmen nur noch wenige Investitionsalternativen offen, so dass sie hohe Cashflows erwirtschaften, aus denen sie gleichzeitig hohe Dividenden ausschütten können.
1╇
Adler F R, zitiert nach Monks und Lajoux (2011, S.€155).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_5, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
161
162
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Gewinn
Non-Cash Ertrag Lieferung auf Ziel Non-Cash Aufwand Abschreibungen, Erhöhung der Rückstellungen
Cashflow
Cash Ertrag Ertrag=Einzahlung in derselben Periode
Ertrag
Cash Aufwand Aufwand=Auszahlung in derselben Periode
Aufwand
Abb. 5.1↜渀 Cashflow versus Gewinn
Dementsprechend sind Discounted Cashflow-Modelle das angemessene Bewertungsverfahren, • für Unternehmen, die derzeit keine Dividenden ausschütten und bei denen zudem unklar ist, wann sie mit einer Ausschüttung beginnen und in welcher Höhe diese dann ausfallen wird, oder • für Unternehmen, die zwar Dividenden ausschütten, die allerdings deutlich unter dem möglichen Ausschüttungsniveau liegen, und • für Unternehmen, bei denen die Cashflows als Näherungsgröße für die erbrachte Wertschöpfung betrachtet werden können. Bevor man sich für längere Zeit den komplizierten Definitionen des Cashflows zuwendet, sollte man sich kurz Gedanken über die wesentlichen Konzepte des Cashflows und ihre Bedeutung machen. Es ist nämlich wesentlich einfacher, die folgenden Formeln nachzuvollziehen, wenn die Konzepte vollständig verstanden wurden. Zu diesem Zweck betrachtet man ein Unternehmen als einen Prozessor, der liquide Mittel verarbeitet. Diese fließen in Form von Umsätzen und Erträgen ins Unternehmen hinein, aber gleichzeitig auch aus dem Unternehmen heraus, da es Rechnungen für die betrieblichen Aufwendungen zu begleichen hat. Der im Unternehmen verbleibende Liquiditätsüberschuss kann für kurzfristige Investitionen in das Working Capital, für langfristige Investitionen in das Sachanlagevermögen verwendet werden, aber auch zur Entlohnung sämtlicher Anteilseigner des Unternehmens, also der Aktionäre über die Dividenden und der Gläubiger über die Schuldzinsen (Abb.€5.1).
5.1â•… Happiness is a positive cashflow Liquiditätsrelevante Umsätze
163
FCFF
Liquiditätsrelevante Opex
FCFE
Zinszahlungen an FK-Geber
Nettokreditaufnahme
Steuern
Investitionen in Sachanlagevermögen Investitionen in Working Capital
Abb. 5.2↜渀 FCFF und FCFE im Überblick
DCF-Modelle kommen in zwei Ausprägungen zur Anwendung: Im Nettoverfahren, auch Free Cashflow to Equity-Ansatz genannt, und im Bruttoverfahren, der Entity-Methode: • Beim Nettoverfahren erfolgt die Ermittlung des Unternehmenswertes über die Cashflows, die allein den Eigenkapitalgebern zur Verfügung stehen. Die Cashflows to Equity repräsentieren den Maximalbetrag, der theoretisch für eine Ausschüttung an die Aktionäre zur Verfügung steht. Ob er tatsächlich ausgeschüttet wird oder nur zum Teil oder ob er vollständig thesauriert wird, ist allein die Entscheidung der Hauptversammlung und ändert nichts an der Höhe des Cashflows und damit an dem über das Nettoverfahren ermittelten Unternehmenswert. • Beim Bruttoverfahren erfolgt die Ermittlung des Unternehmenswertes in zwei separaten Schritten: Zunächst wird der gesamte Unternehmenswert errechnet, in dem die Ansprüche aller Kapitalgeber wiedergespiegelt sind. Die hierzu verwendeten Brutto-Cashflows stehen als gesamtkapitalbezogene Größen theoretisch sowohl den Eigen- als auch den Fremdkapitalgebern zur Verfügung, und zwar entweder als Dividende bzw. liquide Mittel für Aktienrückkäufe oder für die Bedienung der zinstragenden Verbindlichkeiten. Hiervon zu subtrahieren ist die Steuerersparnis, die aus der Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen entsteht. Anschließend werden die Brutto-Cashflows mit einem Mischzinssatz (WACC) diskontiert, der sich aus den gewichteten Anteilen der jeweiligen Kapitalgeber zusammensetzt. Der FCFF entspricht damit dem Betrag, der erwirtschaftet wurde, nachdem das Unternehmen Mittel für Wachstumsinvestition zurückgestellt hat, aber bevor Verbindlichkeiten aufgenommen oder zurückbezahlt wurden. Demgegenüber entspricht der FCFE dem Betrag, der erwirtschaftet wurden, nachdem das Unternehmen Mittel für Wachstumsinvestition zurückgestellt und Verbindlichkeiten aufgenommen bzw. zurückbezahlt hat (Abb.€5.2).
164
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Beim Bruttoverfahren wiederum gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Cashflow to the Firm- oder WACC-Konzepten liegt die Annahme zugrunde, dass der gesamte, während einer bestimmten Periode erwirtschaftete operative Free Cashflow Grundlage der Bewertung sein soll. Demgegenüber werden beim Adjusted Present Value- (APV-) Verfahren die positiven und negativen Folgen der betrieblichen Verschuldung separat vom Wert des betrieblichen Vermögens ermittelt. Das in der Praxis eher selten eingesetzte APV-Verfahren folgt damit dem Motto: „Zerlege und bewerte!“2. Welches Konzept ist in welchem Fall zu verwenden? Ist die Kapitalstruktur des Unternehmens stabil und keinen starken Veränderungen unterworfen, dann ist das Nettoverfahren das geeignete Verfahren, zumal es einfacher anzuwenden ist. Das Bruttoverfahren ist hingegen zu bevorzugen, wenn der FCFE negativ ist, wenn es sich um ein stark verschuldetes Unternehmen handelt oder wenn sich der Verschuldungsgrad des Unternehmens auf absehbare Zeit ändern wird. So wird ein Unternehmen, das gegen Ende des Jahres t eine achtjährige Anleihe begibt, im Jahr tâ•›+â•›1 voraussichtlich einen Cashflow to Equity berichten, der über dem ursprünglichen Planwert gelegen wäre, während die Cashflows to Equity in den darauffolgenden sieben Jahren aufgrund der höheren Zinsaufwendungen unter den ursprünglichen Prognosezahlen liegen werden. Der Freie Cashflow to the Firm hingegen, der die Liquiditätsströme repräsentiert, die an alle Investoren ausgeschüttet werden können, wird von diesen Finanzierungsentscheidungen zu keinem Zeitpunkt beeinflusst werden. Zur Berechnung des Cashflows sind zwei aufeinander folgende Jahresabschlüsse heranzuziehen: Die Gewinn- und Verlustrechnung des laufenden Jahres t und die Bilanz laufenden Jahres t sowie des Vorjahres t╛╛− 1. Für denjenigen, der Zugang zur unternehmensinternen Erfolgsrechnung hat, ist die Erstellung des Cashflow-Statements eine einfache Übung. Er müsste lediglich die einzelnen Zu- und Abflüsse zum Liquiditätskonto des Unternehmens auflisten, und würde als Summe den Kassenendbestand erhalten. Da dem außenstehenden Aktionär derartige Einblicke verwehrt sind, muss die Veränderung des Liquiditätskontos über einen Umweg berechnet werden. Hierzu betrachtet man zunächst die wichtigsten Komponenten einer Bilanz. Aus der Identität von Aktiva und Passiva folgt, dass
LfrAt + KfrAt = LfrVerbt + KfrVerbt + GKt + KRt + BGt
(5.1)
gelten muss. Hierbei repräsentieren LfrAt bzw. KfrAt die lang- bzw. kurzfristigen Vermögenswerte, LfrVerbt bzw. KfrVerbt die lang- bzw. kurzfristigen Verbindlichkeiten, GKt das Grundkapital, KRt die Kapitalrücklagen und BGt den Bilanzgewinn, jeweils für die Periode t. Aus
2╇
KfrAt = Casht + SonstKfrAt
Drukarczyk und Schüler (2007, S.€166).
(5.2)
5.1â•… Happiness is a positive cashflow
165
folgt nach Umformung von Gl.€(5.7) und Einfügen in Gl.€(5.1), dass die Beziehung Casht = LfrVerbt + KfrVerbt + GKt + KRt + BGt − SonstKfrAt − LfrAt
(5.3)
gelten muss. Da im Cashflow-Statement die Veränderung des Kassenbestands eines Unternehmens im Zeitablauf gemessen wird, also
Cash = Casht −Casht−1 ,
(5.4)
ergibt sich nach Einsetzen in Gl.€(5.9) und Umformung, dass
Cash = LfrVerbt − LfrVerbt−1 + KfrVerbt − KfrVerbt−1 + GK t − GK t−1 + KRt − KRt−1 +BGt − BGt−1
− (SonstKfrAt − SonstKfrAt−1 ) − (LfrAt − LfrAt−1 )
(5.5)
bzw. einfacher
Cash = LfrVerb + KfrVerb + GK + KR + BG − SonstKfrA − LfrA
(5.6)
gilt. Nun ist man problemlos in der Lage, ein Cashflow-Statement allein anhand der Daten aus den Bilanzen zweier Jahre zu erstellen. Jeder Anstieg (Rückgang) einer Vermögensposition im Zeitablauf spiegelt einen Liquiditätsabfluss (Liquiditätszufluss) wider, jeder Anstieg (Rückgang) einer Position der Passivseite einen Liquiditätszufluss (Liquiditätsabfluss). Der Versuch, die jeweiligen Bilanzpositionen in Untergruppen zu kategorisieren, ergibt, dass sich • Veränderungen in den Bilanzgewinnen, den sonstigen kurzfristigen Vermögenswerten und den kurzfristigen Verbindlichkeiten im operativen Cashflow CFO niederschlagen, • Veränderungen der langfristigen Vermögenswerte im Investiven Cashflow CFI und dass • Veränderungen der langfristigen Verbindlichkeiten und des Grundkapitals den Cashflow aus Finanzierung CFF berühren3. Diese buchhalterische Kategorisierung führt dazu, • dass betriebliche Aufwendungen nur solchen Erlösen zuzuordnen sind, die in der laufenden Periode entstanden sind, • dass Aufwendungen aus dem Kapitalbestand Erlösen zuzuordnen sind, die mehreren Perioden zugerechnet werden können (zum Beispiel Maschinen oder Gebäude), und
3╇
Vgl. Ferris und Petitt (2002, S.€55).
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
166
• dass Finanzaufwendungen aus der Nutzung von Verbindlichkeiten stammen (im Wesentlichen also Zinsaufwendungen). Ausnahmen der Zuordnung in diese Leistungsbereiche können zum Beispiel die kurzfristigen Bestandteile der langfristigen Verbindlichkeiten betreffen, die sich in der Regel auf den Cashflow aus Finanzierung beziehen, nicht jedoch auf den operativen Cashflow. Dagegen ist die Veränderung der Bilanzposition „Wertpapiere“ für manche Unternehmen operativen Charakters, für andere investiven. Ohne detaillierte Kenntnis der einzelnen Transaktion ist eine exakte Klassifizierung der Wertpapiere schwierig, was zu Abweichungen der einzelnen Cashflow-Positionen führen kann. Beispiel 5.1: Erstellung der Kapitalflussrechnung╇ Ein mittelständischer Spezialmaschinenbauer weist für die beiden Perioden t╛╛− 1 und t folgende Bilanz auf: Mio.€€ Immaterielle Vermögenswerte Sachanlagen Goodwill Sonstige Vermögensgegenstände Summe Langfristige Vermögenswerte
t
∆
255,5 1.214,0 22,2 519,8 2.011,5
5,5 113,9 1,7 17,8
Kategorie CFI CFI CFI CFI
678,3 255,7 20,8 954,8
695,3 310,8 133,9 1.140,0
17,0 55,1 113,1
CFO CFO –
Summa Aktiva
2.827,4
3.151,5
Gezeichnetes Kapital Kapitalrücklage Gewinnrücklagen Anteile anderer Gesellschafter Eigenkapital
400,0 620,0 95,1 0,0 1.115,1
400,0 620,0 232,6 0,0 1.252,6
0,0 0,0 137,5 0,0
CFF CFF CFO CFF
Langfristige Bankverbindlichkeiten Latente Steuerverbindlichkeiten Sonstige Schulden Summe Langfristige Schulden
1.100,0 134,0 25,0 1.259,0
1.231,1 213,3 28,1 1.472,5
131,1 79,3 3,1
CFF CFO CFF
402,2 51,1
362,0 64,4
453,3
426,4
2.827,4
3.151,5
Vorräte Forderungen aus Lieferungen & Leistungen Bankguthaben und kurzfristige Wertpapiere Summe Kurzfristige Vermögenswerte
Kurzfristige Bankverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus Lieferungen & Leistungen Summe kurzfristige Schulden Summe Passiva
tâ•› − â•›1 250,0 1.100,1 20,5 502,0 1.872,6
− â•›40,2 CFF 13,3 CFO
In der vierten Spalte wurde die jeweilige Differenz zwischen den Jahren t╛╛− 1 und t errechnet, in der fünften die Kategorisierung der jeweiligen Cash-
5.1â•… Happiness is a positive cashflow
167
flow-Position vorgenommen. Tragen wir nun die einzelnen Positionen entsprechend ihrer jeweiligen Kategorisierung in einer eigenen Tabelle ab, dann ergibt sich folgendes Cashflow-Statement: Mio.€€ ∆ Vorräte ∆ Forderungen aus Lieferungen & Leistungen ∆ Gewinnrücklagen ∆ Latente Steuerverbindlichkeiten ∆ Verbindlichkeiten aus Lieferungen & Leistungen CFO
t − â•›17,0 − â•›55,1 137,5 79,3 13,3 158,0
∆ Immaterielle Vermögenswerte ∆ Sachanlagen ∆ Goodwill ∆ Sonstige Vermögensgegenstände CFI
− â•›5,5 − â•›113,9 − â•›1,7 − â•›17,8 − â•›138,9
CFI CFI CFI CFI
∆ Gezeichnetes Kapital ∆ Kapitalrücklage ∆ Langfristige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten ∆ Sonstige Schulden ∆â•› Kurzfristige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten CFF
0,0 0,0 131,1 3,1 − â•›40,2 94,0
CFF CFF CFF CFF CFF
∆ Cash
CFO CFO CFO CFO CFO
113,1
Unter dem Strich ergibt sich ein Anstieg der Liquiditätsposition von 113,1€Mio.€€. Dieser setzt sich zusammen aus einem operativen Liquiditätszufluss von 158,0€Mio.€€, einem investiven Mittelabfluss von − 138,9€Mio.€€ und einem Cashflow aus Finanzierung von 94,0€Mio.€€. Mit Hilfe des operativen Mittelzuflusses konnten vorwiegend Investitionen in Sachanlagen getätigt werden. Trotz des Freien Cashflows von 19,1€Mio.€€ wurden zusätzliche kurz- und langfristige zinstragende Verbindlichkeiten aufgenommen. Insgesamt wurde der Kassenbestand um 113,1€Mio.€€ aufgefüllt. Bislang wurde das Cashflow-Statement ausschließlich anhand der Bilanz erstellt. Durch die Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung kann die Kapitalflussrechnung verfeinert werden, zudem können aus dem integrierten Gesamtmodell neue Erkenntnisse gewonnen werden. Beispiel 5.2: Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung╇ Der Spezialmaschinenbauer aus Beispiel€5.1 weist für die beiden Perioden t╛╛− 1 und t folgende Gewinn- und Verlustrechnung auf:
168
Mio.€€ Umsatz Materialaufwand Personalaufwand Sonstiges betriebliches Ergebnis EBITDA in % der Erlöse Abschreibungen Amortisationen EBIT in % der Erlöse Zinsergebnis EBT in % der Erlöse Steuern Steuerquote Nachsteuerergebnis in % der Erlöse Dividendenzahlung Bilanzgewinn
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
tâ•› − â•›1 1.990,3 − â•›1.396,1 − â•›211,0 − â•›139,0 244,2 12,3€% − â•›25,0 0,0 219,2 11,0€% − â•›65,0 154,2 7,7€% − â•›46,3 30,0€% 107,9 5,4€% − â•›40,0 67,9
t 2.117,4 − â•›1.394,6 − â•›220,6 − â•›150,4 351,8 16,6€% − â•›27,7 0,0 324,1 15,3€% − â•›70,5 253,6 12,0€% − â•›76,1 30,0€% 177,5 8,4€% − â•›40,0 137,5
Damit kann das Cashflow-Statement aus Beispiel€ 5.1 wie folgt präzisiert werden: Mio.€€ CFO ∆ Gewinnrücklagen Nachsteuerergebnis Adjustierter CFO
t
CFI
− â•›138,9
CFF Dividendenzahlung Adjustierter CFF ∆ Cash
158,0 − â•›137,5 177,5 198,0
94,0 − â•›40,0 54,0 113,1
Die uns vorgenommenen Adjustierungen führen zu einem Mittelzufluss aus operativer Geschäftstätigkeit von 198,0€ Mio.€ €, der damit um 40,0€ Mio.€ € höher ist als im Ausgangsmodell. Spiegelbildlich führt die Einbeziehung der Dividendenzahlung in den Cashflow aus Finanzierung, dass dieser um 40,0€Mio.€€ niedriger ausfällt. Da der investive Cashflow von diesen Anpassungen unberührt bleibt, ist der Liquiditätszufluss per Saldo unverändert bei 113,1€Mio.€€.
5.1â•… Happiness is a positive cashflow
169
Weitergehende Anpassungen sind aus den Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen notwendig. Abschreibungen, der Wertverlust von Unternehmensvermögen durch Verschleiß oder Alterung, mindern als Betriebsausgabe den zu versteuernden Gewinn. Die Abschreibungen repräsentieren demnach die Kosten für die Nutzung der Vermögensgegenstände im betrieblichen Prozess während einer bestimmten Periode, und zwar für die Nutzung von Vermögensgegenständen, die bereits in früheren Perioden angeschafft worden sind. Um eine Untertreibung des operativen Cashflows in der laufenden Periode zu vermeiden, ist zur Berechnung des operativen Cashflows eine Bereinigung um die Abschreibungen erforderlich. Die korrespondierende Gegenbuchung findet im investiven Cashflow statt, da die von uns abgeleiteten Investitionen als Veränderung der Nettobuchwerte nicht die Abschreibungen berücksichtigen. Beispiel 5.3: Einbeziehung der Abschreibungen╇ Durch die Einbeziehung der Abschreibungen kann das Cashflow-Statement des Spezialmaschinenbauers aus Beispiel€5.2 erneut verfeinert werden. Insgesamt ergeben sich folgende Anpassungen: Mio.€€ CFO Abschreibungen Adjustierter CFO
t
CFI Zusätzliche Abflüsse aus Investitionen Adjustierter CFI
− â•›138,9 − â•›27,7 − â•›166,6
Adjustierter CFF ∆ Cash
198,0 27,7 225,7
54,0 113,1
Durch die Einbeziehung der Abschreibungen erhöht sich der operative Cashflow um 27,7€ Mio.€ €, während sich der investive Cashflow um denselben Betrag verringert. Der finanzielle Cashflow und die Veränderung der Liquiditätsposition bleiben dagegen unverändert. Auch wenn die Ableitung der jeweiligen Cashflows eine unproblematische Übung zu sein scheint, kommt es in der Praxis immer wieder zu Schwierigkeiten. Ursächlich hierfür sind Abweichungen der Werte in der Kapitalflussrechnung von den sich aus der Bilanz ergebenden Werten. Die Veränderungen der Bilanzpositionen im Jahresvergleich entsprechen dann nicht mehr den im Cashflow-Statement ausgewiesenen Werten. Und auch die Abschreibungen im Cashflow-Statement können von den Beträgen in der Gewinn- und Verlustrechnung abweichen. Verantwortlich für derartige Abweichungen sind zum Beispiel Übernahmen und Verkäufe von Unternehmensteilen sowie Währungseffekte. Erwirbt zum Beispiel ein Unternehmen ein anderes, werden in der Regel auch Vorratsbestände übernommen. An die Stelle einer betrieb-
170
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
lichen Aktivität (Erwerb von Vorratsbeständen) treten nun investive Aktivitäten (Erwerb eines Unternehmens), die entsprechende Verzerrungen in der Kapitalflussrechnung zur Folge haben. Vergleichbare Verzerrungen entstehen, wenn ein Unternehmen Vorräte in Fremdwährungen aktiviert und sich die Wechselkurse verändert haben. Neben dieser einfach abzuleitenden, direkten Methode zu Aufstellung des Cashflow-Statements ist auch eine indirekte Methode gebräuchlich. Sie wird sogar von den meisten Unternehmen und Analysten bevorzugt, da sie zusätzliche Einblicke in die Liquiditätsströme einer Gesellschaft gewährt. Ausgehend von den Ertragsströmen der Gewinn- und Verlustrechnung werden hierbei Veränderungen der Bilanz zurückgerechnet, die ohne Einfluss auf die Kapitalflussrechnung sind. Prominente, nicht cash-relevante Aufwandspositionen sind Abschreibungen, Veränderungen der Rückstellungen und der latenten Steuern. Beispiel 5.4: Indirekte Berechnung des Cashflow-Statements╇ Ein erneuter Blick auf den Spezialmaschinenbauer aus Beispiel€5.1 zeigt, wie sich die indirekte Aufstellung der Kapitalflussrechnung durch die Verwendung der Gewinn- und Verlustrechnung über nachstehendes Schema ergibt: Mio.€€ Umsatz ∆ Forderungen aus Lieferungen & Leistungen Cashflow aus betrieblichen Erlösen
t
Materialaufwand Personalaufwand Sonstiges betriebliches Ergebnis Zinsergebnis Steuern ∆ Vorräte ∆ Verbindlichkeiten aus Lieferungen & Leistungen ∆ Latente Steuerverbindlichkeiten Cashflow aus betrieblichen Aufwendungen
− â•›1.394,6 − â•›220,6 − â•›150,4 − â•›70,5 − â•›76,1 − â•›17,0 13,3 79,3 − â•›1.836,6
CFO Adjustierter CFI
2.117,4 − â•›55,1 2.062,3
225,7 − â•›166,6
FCFF
59,1
Adjustierter CFF
54,0
∆ Cash
113,1
Damit ergeben sich gegenüber der direkten Ableitungsmethode keine Veränderungen in der Höhe des betrieblichen Cashflows, er beträgt in beiden Fällen 225,7€Mio.€€. Ebenfalls unverändert bleiben CFI und CFF, so dass sich auch der Liquiditätszuwachs erneut auf 113,1€Mio.€€ summiert. Durch die indirekte Methode können allerdings neue Erkenntnisse gewonnen werden, da sich der CFO nun aus zwei Komponenten zusammensetzt:
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
171
Dem Cashflow aus betrieblichen Erlösen und dem Cashflow aus betrieblichen Aufwendungen. Setzt man diese beiden Größen zueinander ins Verhältnis, erhalten wir einen Einblick in die Fähigkeit des Unternehmens, Liquiditätsüberschüsse zu generieren. Dem Spezialmaschinenbauer gelingt es, für jeden erlösten Euro die Liquidität um 1.836,6/2.062,3 oder 0,89€€ zu steigern: Je höher die Kennzahl ist, desto besser ist die Qualität der Umsatzabgrenzung eines Unternehmens und desto sicherer können Erlöse in der Zukunft prognostiziert werden; je niedriger die Kennzahl ist, desto weniger Liquidität generiert ein Unternehmen aus seinen Umsätzen und desto schlechter können zukünftige Erlöse prognostiziert werden. Der alleinige Blick auf die Veränderung des Kassenbestands an sich ist allerdings nicht besonders aufschlussreich für die Einschätzung der operativen Performance und schon gar kein Werkzeug für die Bewertung eines Unternehmens. Die beiden entscheidenden Kennzahlen für die Einschätzung des Unternehmenserfolgs sind vielmehr • der Freie Cashflow to Equity und • der Freie Cashflow to the Firm. Wenngleich es verschiedenste Definitionen des Freien Cashflows to the Firm (FCFF) gibt, dürfte doch weitgehender Konsens darin bestehen, dass darunter der operative Cashflow zu verstehen ist, der an die Kapitalgeber (Eigen- und Fremdkapital) in Form von Zinszahlungen, Dividenden und Aktienrückkäufen ausgeschüttet werden kann, ohne dass Erhaltungsinvestitionen oder die Finanzierung weitergehender, Umsatz generierender Aktivitäten gefährdet werden. Es ist mithin ein Maß für das Ausmaß der Cashflows, die von den bestehenden Vermögenswerten des Unternehmens erwirtschaftet werden, bevor die für ihre Finanzierung zu leistenden Zinskosten berücksichtigt wurden.
5.2 Free Cashflow to the Firm FCFF Grundlage der Free Cashflow to the Firm-Berechnung ist das operative Ergebnis nach Steuern, das um nicht zahlungswirksame Buchungsvorgänge (Non Cash Charges NCC) zu bereinigen ist. Als solche zählen Abschreibungen und Amortisationen sowie Bildung bzw. Auflösung von Rückstellungen. Dieses Brutto Cashflow genannte Zwischenergebnis wird anschließend um zahlungswirksame Investitionen in das Working Capital ∆WC und in das Sachanlagevermögen gekürzt, um zum Freien Cashflow zu gelangen. Grundlage der Berechnung des FCFF ist also allgemein
FCFF = CFO − CFI.
(5.7)
Wie gezeigt wurde errechnet sich der betriebliche Cashflow CFO aus folgendem Zusammenhang:
172
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
CFO = EBIT(1 − τ ) + Dep + Amo.
(5.8)
Da der Wert ermitteln werden soll, der allein den Kapitalgebern zur freien Verwendung zusteht, sind – ausgehend vom Nachsteuerergebnis – die Ansprüche des Staates in der Wertfindung zu berücksichtigen: Daher kommt das betriebliche Ergebnis nach Abzug von Steuern aus Einkommen und Ertrag zum Einsatz. Die Abschreibungen Dep sind die bedeutendste Einzelposition unter den nicht liquiditätsrelevanten Aufwandspositionen. Erwirbt ein Unternehmen langfristiges Anlagevermögen wie zum Beispiel Maschinen, dann stellt dies zum Zeitpunkt des Erwerbs einen Liquiditätsabfluss dar. In den darauffolgenden Perioden sind die Maschinen entsprechend ihrem Gebrauch abzuschreiben. Diese Abschreibungen verringern das zu versteuernde Ergebnis, stellen jedoch keinen Liquiditätsabfluss dar. Ihr Betrag kann aus der Gewinn- und Verlustrechnung oder aus der Kapitalflussrechnung abgelesen werden. Da ihr Abzug die Steuerlast verringert, belasten Abschreibungen das Nachsteuerergebnis nicht um den Faktor Dep, sondern nur im Ausmaß Dep(1╛╛− τ). Neben Amortisationen, also Abschreibungen auf Firmen- oder Geschäftswerte und auf immaterielle Vermögensgegenstände, zählen auch Buchgewinne oder –verluste aus dem Verkauf von Vermögensgegenständen, die Bildung oder die Auflösung von Rückstellungen, zum Beispiel zu Restrukturierungszwecken, Ergebnisse aus der Neubewertung von Vermögenswerten, zum Beispiel von Immobilien, die Bildung oder Auflösung von latenten Steuern, sofern diese dauerhaft sind und Erträge bzw. Aufwendungen aus Währungs- oder Zinshedging zu den Aufwands- bzw. Ertragspositionen, die nicht die Liquidität des Unternehmens belasten. Der Free Cashflow to the Firm enthält keine finanzierungsbezogenen Zahlungsströme wie Zinsaufwendungen oder -erträge. Zinsaufwendungen und -erträge, die bei der Berechnung des Nachsteuerergebnisses abgezogen bzw. hinzugezählt wurden, stellen Zahlungen an einen Kapitalgeber des Unternehmens dar. Da mit dem FCFF ein Cashflow berechnet werden soll, aus dem alle Kapitalgeber „entlohnt“ werden sollen, sind die Auswirkungen des Zinsergebnisses rückgängig zu machen. Allerdings darf nicht der Abzug der gesamten Zinsaufwendungen rückgängig gemacht werden, da Zinsaufwendungen das Vorsteuerergebnis belasten und eine verringerte Steuerzahlung zur Folge haben (Tax Shield). Nur der steuerlich nicht abzugsfähige Teil der Zinsaufwendungen ist für die Berechnung der Free Cashflows zu berücksichtigen. Beträgt der Grenzsteuersatz zum Beispiel 32€%, dann sind von jeder, in Form von Zinszahlungen abgeflossenen Geldeinheit 68€% zum FCFF hinzuzuzählen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Steuerquote, die für die Unternehmensbewertung angesetzt werden soll. Ist die tatsächliche Steuerquote als Quotient zwischen den tatsächlich gezahlten Unternehmenssteuern und dem zu versteuernden Einkommen anzusetzen oder sollte stattdessen der theoretisch geltende Grenzsteuersatz verwendet werden? Unterschiede zwischen diesen beiden Steuersätzen können entstehen, wenn das Unternehmen seine Steuerlast durch latente Steuern oder durch unterschiedliche Abschreibungsmethoden in Handels- und Steuerbilanz optimiert, oder wenn das Unternehmen Erträge im Ausland erzielt, wo andere nationale Steuersätze oder Steuerfreibeträge herrschen. Da derartige Abwei-
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
173
chungen vom Grenzsteuersatz nicht dauerhaft sind und sich langfristig die tatsächliche Steuerquote dem Grenzsteuersatz annähert, sollte für die Grobplanungsphase bzw. für die Berechnung des Terminal Value eine normalisierte, liquiditätswirksame Grenzsteuerquote angesetzt werden. Da davon auszugehen ist, dass alle Erträge früher oder später in das Land zurückgeführt werden, in dem das Unternehmen seinen Firmensitz hat, sollte dieser Grenzsteuersatz dann auch dem des Inlandes entsprechen. Ob auch Steuern auf der Ebene des Anteilseigners, also im Wesentlichen die Einkommensteuer, der Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls die Kirchensteuer, in der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet: Während es in der angelsächsischen Bewertungspraxis üblich ist, Steuern allein auf Unternehmensebene zu betrachten, wird im deutschen Sprachraum die gegenteilige Auffassung vertreten. Da diese Vorgehensweise beträchtliche praktische Probleme nach sich zieht, sollen in diesem Buch persönliche Steuern unberücksichtigt bleiben. Für ausschließlich in Deutschland tätige Unternehmen setzt sich der Steuersatz aus zwei Steuerarten zusammen, der Körperschaftsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) und der Gewerbesteuer. Die Körperschaftsteuer liegt seit der Unternehmensteuerreform 2008 bei 15€% und fällt unabhängig davon an, ob der Gewinn ausgeschüttet oder thesauriert wird. Einschließlich Solidaritätszuschlag liegt der Körperschaftsteuersatz seit 2008 bei 15,825€ %. Bei einem durchschnittlichen Hebesatz der Gewerbesteuer von 430€% ergibt sich eine Gesamtbelastung von ausschließlich im Inland tätigen Unternehmen von rund 30,9€% des Vorsteuerergebnisses. Vor der letzten Unternehmenssteuerreform lag der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz bei 38,65€%. Damit wurde der erste Teil der Gl.€(5.7) erklärt. Der zweite Teil ergibt sich aus folgendem Zusammenhang:
CFI = Capex + WC + M & A.
(5.9)
Unter den Sachanlageinvestitionen werden zunächst nur die für die Aufrechterhaltung der bestehenden Geschäftstätigkeit erforderlichen Ersatzinvestitionen verstanden. Durch sie wird das Unternehmen am Ende der Periode in denselben ökonomischen Zustand versetzt wie zu Beginn der Periode. Unterließe man die Bereinigung des operativen Cashflows um den Verschleiß der Maschinen und Anlagen, würde der Freie Cashflow zu hoch ausgewiesen. Die Ersatzinvestitionen sind Buchwerte und stellen in jedem Fall eine Nettogröße dar, d.€h. Verkäufe von Anlagevermögen müssen bereinigt werden. Neben den Ersatzinvestitionen sind Erweiterungsinvestitionen anzusetzen, die erforderlich sind, um das in der Unternehmensplanung angesetzte Umsatzwachstum zu ermöglichen. Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen sind Liquiditätsabflüsse, die nicht mehr für die Verteilung an die Eigenkapitalgeber zur Verfügung stehen. Im Geschäftsbericht findet man die Sachanlageninvestitionen der Periode im Anlagespiegel. Um die Sachanlageinvestitionen der Periode zu ermitteln, werden die Bruttogrößen des Anlagevermögens zweier Perioden verglichen. Ihre Differenz stellt die während der Periode getätigten Sachanlageinvestitionen dar.
174
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Capex = BruttoSAVt − BruttoSAVt−1 .
(5.10)
Zur Prognose der Gesamtinvestitionen stehen dem Investor mehrere Bezugsgrößen zur Auswahl: • Die geschätzten Nettoinvestitionen, d.€h. die Differenz aus Auszahlungen in Anlageinvestitionen und Einzahlungen aus Anlageabgängen, wie sie aus der Kapitalflussrechnung ersichtlich ist, • die geschätzten Investitionen in Sachanlagen, wie sie aus dem Prognosebericht oder dem Anhang des Geschäftsberichts abgeleitet werden können, • der langjährige historische Durchschnitt der Sachanlageinvestitionen, und • die periodischen Abschreibungen, abzulesen in der Gewinn- und Verlustrechnung, deren Ansetzung jedoch aufgrund des inflatorisch bedingten Anstiegs der Ersatzinvestitionen tendenziell eine Unterschätzung der tatsächlichen Investitionshöhe zur Folge haben dürfte. Aus (5.10) wird deutlich, dass ein hoher FCFF gemäß Formel€ (5.7) nicht per se ein attraktives Geschäftsmodell symbolisiert. Zum Beispiel kann ein hoher FCFF auch ein Indiz mangelnder Investitionsalternativen und trüber Zukunftsaussichten sein. Ebenso kann bei einem Wachstumsunternehmen ein negativer FCFF ein Indiz für eine derartige Fülle an Investitionsmöglichkeiten sein, dass diese nicht länger vom operativen Cashflow verdient werden können. Viel wichtiger als das absolute Niveau der Freien Cashflows ist also der Trend, mit dem sich dieser entwickelt. Vorsicht ist geboten, wenn die Entwicklung der Investitionen nicht mit den Abschreibungen übereinstimmt. Häufig besteht zwischen Capex und Abschreibungen eine zeitliche Verzögerung: Sachanlageinvestitionen steigen bereits an, während Abschreibungen noch auf dem ursprünglichen Niveau verharren. Da diese Verzögerung früher oder später beendet sein wird, wird auch das Nachsteuerergebnis von steigenden Abschreibungen belastet werden, und zwar um den Faktor Dep(1╛╛− τ). Diesem nachteiligen Effekt steht jedoch ein positiver Effekt gegenüber: Abschreibungen werden in der Kapitalflussrechnung in voller Höhe zum Nettoergebnis hinzugerechnet. Daraus folgt, dass Abschreibungen um den Betrag Steuerquote mal Abschreibungen einen positiven Effekt auf den CFO haben. Auch Investitionen in das Working Capital sind bei der Ermittlung der Gesamtinvestitionen zu berücksichtigen. Warum? Der Aufbau des Working Capital wird als eine Investition in einen schwindenden Vermögensgegenstand betrachtet, aus der keine angemessene Rendite erwirtschaftet werden kann. Das Kapital, das in Working Capital fließt, wird dieser Logik entsprechend als unproduktiv angesehen. Beim Working Capital handelt es sich um den Saldo aus kurzfristigen Vermögen wie Vorräte und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen einerseits und kurzfristigen Verbindlichkeiten, zum Beispiel Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen oder Lieferantenkredite andererseits:
WC = FordLL + Vorr − VerbLL.
(5.11)
Zinstragende Verbindlichkeiten, egal ob kurz- oder langfristig, gehen indes in keinem Fall in die Berechnung des Working Capital ein, zumal sie bereits in die
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
175
Berechnung der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten eingegangen sind. Investitionen in das Working Capital sind dementsprechend die Veränderung des Working Capital während einer Periode, also
WC = FordLLt + Vorrt − VerbLLt .
(5.12)
In der betriebswirtschaftlichen Praxis kommt dem Working Capital-Management eine besondere Bedeutung zu. Gelingt es einem Unternehmen, seine betriebsnotwendigen Bestände an Vorräten zu verringern und seine Außenstände schneller einzufordern, so ist weniger Liquidität zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs notwendig, was wiederum positive Effekte auf den freien Cashflow hat. Auf den ersten Blick scheint dies eine simple Form der Unternehmenswertsteigerung zu sein: Man muss nur das Verhältnis aus Working Capital und Umsatz verringern – das Ergebnis sind steigende Cashflows und ein höherer Unternehmenswert. Diese Formel unterstellt indes, dass der Abbau von Working Capital keine negativen Konsequenzen auf den Geschäftsbetrieb hat. Doch der Unterhalt von Vorräten erfüllt auch einen operativen Sinn, nämlich den Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Fällt das Working Capital unter ein ökonomisch sinnvolles Niveau, bedeutet dies nicht kontrahierte Umsätze und damit eine Vernichtung von Werten. Liquiditätsfreisetzungen aus dem Abbau von Working Capital können also nicht unendlich fortgesetzt werden, noch nicht einmal theoretisch, da Vorräte und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen nur bis maximal auf null heruntergefahren werden können. In Ausnahmefällen ist das Working Capital um spekulative Vorratsbestände zu bereinigen, sofern diese liquiditätsähnlichen Charakter haben. Bestehen Vorräte aus jederzeit fungiblen Gütern, für die ein funktionsfähiger Markt existiert, also beispielsweise bestimmte Metalle, dann kann der die operativen Zwecke übersteigende Teil als spekulativ angesehen werden. Genau genommen zählt zum Working Capital auch jener Teil der liquiden Mittel, der zur Aufrechterhaltung des operativen Betriebs mindestens notwendig ist und damit nicht dem Kassenbestand entnommen werden kann. Nur die nicht betriebsnotwendigen Kassenbestände, die über diesen Minimalbestand an Liquidität gehalten werden (das so genannte Excess Cash) sind im Working Capital explizit nicht enthalten. Das Halten von Excess Cash ist im Übrigen nicht so irrational, wie es den Anschein hat. Zum Beispiel macht es ökonomisch Sinn, Liquiditätsreserven als eiserne Reserve für den konjunkturellen Abschwung zu halten. Auch in der Konzernrechnungslegung kommt es zu einem Aufbau von Excess Cash, wenn Konzerne kein Cash Pooling betreiben. Und schließlich wird das Excess Cash heute in (nahezu) risikolose Wertpapiere angelegt, die zwar nur eine niedrige Rendite erwirtschaften, jedoch spiegeln diese genau die für eine risikolose Anlage adäquate Rendite wider. Die verschiedentlich zu lesende Äußerung4, dass sich ein Unternehmen irrational und vor allem wertvernichtend verhält, wenn es in hohem Umfang Excess Cash in der Bilanz hält, anstatt dieses an die Aktionäre auszuschütten, leidet unter einem Vgl. zum Beispiel unlängst den US-Fondsmanager Chris Bonavico im WSJ, der, frustriert über Apples Liquiditätsbestand die Ausschüttung einer Sonderdividende mit eben dieser Begründung 4╇
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5â•… Discounted Cashflow-Modelle
logischen Defekt: Natürlich übersteigen die Kapitalkosten eines Unternehmens die Verzinsung des Kassenbestands bei weitem, vor allem in der Niedrigzinsphase seit Ausbruch der Finanzmarktkrise. Excess Cash, das in (nahezu) risikolose Titel angelegt wird, erwirtschaftet jedoch genau die Verzinsung, die man von einer (nahezu) risikolosen Anlage erwarten würde, nicht mehr und nicht weniger. Werden diese Erwartungen erfüllt, ist das Halten von Excess Cash keinesfalls wertvernichtend oder wertschöpfend. Es handelt sich vielmehr um eine wertneutrale Anlage. Schwieriger wird es, wenn das Excess Cash, zum Beispiel aufgrund des Drucks von Seiten der Aktionäre oder Analysten, in risikobehaftete Anlagen investiert wird, die nicht eine risikoadäquate Verzinsung versprechen. In diesen Fällen werden in der Tat Werte vernichtet und die Aktionäre wären besser dran, wenn das Unternehmen Teile ihrer Kassenbestände als Sonderdividende ausschütten würden. Schwieriger ist allerdings die quantitative Bestimmung des Excess Cash. Gängige Konvention ist es, dass bei Unternehmen, deren Börsengang erst kurze Zeit zurückliegt, die gesamte Liquiditätsposition als operativ betrachtet wird. Ansonsten ist die Höhe des Excess Cash von Industrie zu Industrie unterschiedlich: Der filiale Einzelhandel muss sicherlich größere Bestände an Liquidität vorhalten als ein Internetversandhändler, der die meisten Transaktionen über Kreditkarten oder Bankeinzug tätigt. Unternehmen, die den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit in Industrieländern haben und auf ein funktionierendes Bankensystem zurückgreifen können, brauchen geringere Liquiditätsbestände als Unternehmen in Entwicklungsländern. Für einen rein in der Eurozone tätigen Maschinenbauer dürfte überhaupt kein Grund bestehen, Excess Cash zu halten. Eine Daumenregel, wie hoch das Excess Cash in der Realität sein könnte, haben Copeland et al.5 aufgestellt, die bei allen unternehmensspezifischen Besonderheiten davon ausgehen, dass ein Kassenbestand von mehr als 2,0€ % der Umsatzerlöse nicht mehr zur betriebsnotwendigen Liquidität zählt. Obwohl die Herkunft dieser Daumenregel nicht abschließend geklärt ist, wurde sie von Generationen von Finanzanalysten anstandslos übernommen. In keinem Fall zum Working Capital zählen kurzfristige Finanzverbindlichkeiten sowie der kurzfristige Teil der langfristigen Finanzverbindlichkeiten. Das Working Capital ist Ausgangspunkt der Geldumschlagsdauer oder Cash Conversion Cycle. Der Cash Conversion Cycle beschreibt den Zeitraum, in dem ein Unternehmen auf liquide Mittel verzichten muss, nachdem es in Ressourcen investiert hat, um die Umsätze zu steigern. Insofern ist der Cash Conversion Cycle ein Maßstab für das Liquiditätsrisiko, das sich aus dem organischen Wachstum ergibt. Der Cash Conversion Cycle ist definiert als Vorrt + Vorrt−1 FordLLt + FordLLt−1 VerbLLt + VerbLLt−1 2 2 2 = CCC + − . (5.13) COGSt Umsatzt COGSt 365 365 365
fordert; vgl. Berman (2011): „… they are leaving money on the table by having such a large cash balance well below their cost of capital. The cash is earning near zero.“ 5╇ Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€187).
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
177
Damit entspricht der Cash Conversion Cycle der Summe aus Lagerumschlagszeitraum (Days of Inventory Outstanding DIO) und Forderungsumschlagszeitraum (Days of Sales Outstanding DSO), von dem der Zeitraum des Verbindlichkeitenumschlags (Days Payable Outstanding DPO) subtrahiert werden muss. Im Grunde genommen für Unternehmen jeglicher Industrie anwendbar, kommt der Cash Conversion Cycle vor allem bei Einzelhandelsunternehmen zum Einsatz. Da die Geschäftstätigkeit prinzipiell aus dem Kauf und dem Verkauf von Vorratsbeständen besteht, beschreibt Gl.€(5.13) den Zeitpunkt, an dem der Einzelhändler liquide Mittel einsetzt, um die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zu begleichen, die aus dem Verkauf einer Vorratseinheit entstanden sind, und den Zeitpunkt, an dem der Einzelhändler die liquiden Mittel einsammelt, um die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu begleichen, die aus eben diesem Umsatz entstanden sind. Empirischen Analysen zufolge gibt es einen logischen Zusammenhang zwischen dem Cash Conversion Cycle und dem Unternehmenswert: Durch die Verringerung der Mittelbindung aufgrund eines Abbaus des Working Capitals und des daraus resultierenden Vorfinanzierungsbedarfs erhöht sich der Free Cashflow und damit letztlich der Unternehmenswert. Die Veränderungen des Working Capital können aus der Bilanz oder der Kapitalflussrechnung abgeleitet werden. Für eine Prognose des Working Capital wird man versuchen, einen Zusammenhang zwischen dem Working Capital und den Umsatzerlösen aufzustellen. Die zugrunde liegende Argumentation ist, dass mit steigenden Umsätzen auch die zur Umsatzerzielung notwendigen Vorratsbestände und Forderungen bzw. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen ansteigen. (5.8) und (5.9) in (5.7) eingesetzt ergibt schließlich FCFF = EBIT(1 − τ ) + Dep + Amo − Capex − WC − M & A.
(5.14)
Der Vorteil am EBIT als Grundlage für die Berechnung des FCFF ist, dass verschiedene nicht cash-relevante Aufwandspositionen erst unterhalb des EBIT anfallen. Verwendet man daher das EBIT, dann müssen diese bei der Berechnung des FCFF nicht extra zurückaddiert werden. Wie gezeigt sind auch Übernahmen Bestandteil der Investitionen; diese werden jedoch in der Praxis nur in jenen Fällen modelliert, in denen das spezifische Übernahmeziel mitsamt allen Details hinlänglich bekannt ist. In allen anderen Fällen sollte allein der Status Quo modelliert werden. Daraus ergeben sich zwei wesentliche Treiber der Free Cashflows to the Firm und letztlich auch des Unternehmenswertes: Das Ausmaß, mit dem das Unternehmen seine Gewinne steigern kann und die Rendite auf das eingesetzte Kapital. Unternehmen, die schneller wachsen als andere, und Unternehmen, die mit ihren Investitionen höhere Erträge erzielen als andere, werden einen höheren Unternehmenswert als ihre langsamer wachsenden und weniger profitablen Vergleichswerte haben. Nicht in die Berechnung der Free Cashflows to the Firm geht die Finanzierungsseite ein, das heißt Veränderungen der kurz- und langfristigen zinstragenden Verbindlichkeiten ebenso wie Liquiditätszuflüsse aus Kapitalerhöhungen auf der
178
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Passivseite und Veränderungen in den Liquiditätspositionen auf der Aktivseite der Bilanz. Diese Positionen können nicht als operative Bestandteile angesehen werden. Beispiel 5.5: Berechnung des Free Cashflow to the Firm FCFF╇ Für den Spezialmaschinenbauer aus Beispiel€5.1 errechnet sich der Free Cashflow to the Firm wie folgt: Mio.€€ EBIT 1â•› − â•›τ EBIT (1â•› − â•›τ) Dep Amo M&A Investitionen in Sachanlagen Delta Working Capital FCFF
t 324,1 70,0€% 226,9 27,7 0,0 0,0 − â•›166,6 − â•›58,8 29,2
Dabei errechnen sich die Investitionen in langfristige Anlagen (Capex) aus der Veränderung des Bruttosachanlagevermögens inklusive den kumulierten Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen. Abschreibungen und Amortisationen ergeben sich direkt aus der Gewinn- und Verlustrechnung, der steueradjustierte Zinsaufwand erst nach Multiplikation des Zinsergebnisses mit (1╛╛− τ). Die Investitionen in das Working Capital belaufen sich auf 58,8€Mio.€€. Es wurde also Working Capital aufgebaut und damit liquide Mittel gebunden, eine typische Eigenschaft wachsender Unternehmen. Der Anstieg des Working Capitals hat seine Ursachen in einem Mittelabfluss aus dem Vorratsanstieg (17,0€Mio.€€) und dem Anstieg der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (55,1€Mio.€€); der Anstieg der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (13,3€Mio.€€) hatte demgegenüber eine liquiditätsschaffende Wirkung. Gleichung€ (5.14) lässt sich nochmals verkürzen und vor allem einprägsamer gestalten, indem die Nettoinvestitionen in Anlage- und Umlaufvermögen In ins Spiel gebracht werden. Die Nettoinvestitionen umfassen den Betrag, den ein Unternehmen für die Generierung des zukünftigen Wachstums zurückstellt und nicht an die Aktionäre ausschüttet. Aufgrund der starken Schwankungen von Sachanlageinvestitionen im Zeitablauf ist es sinnvoll, die Nettoinvestitionen zu normalisieren und über einen längerfristigen Durchschnitt zu berechnen. Auch unternehmensspezifische Besonderheiten sind zu beachten: Bei Unternehmen, die sich schon längere Zeit im Wachstumsmodus befinden, dürfte im Vergleich
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
179
zu den historischen Durchschnittswerten zukünftig eher mit rückläufigen Nettoinvestitionen zu rechnen sein. Gleiches gilt für Unternehmen, die sich der Reifephase annähern oder sich bereits in dieser befinden. Hier dürfte die Verwendung historischer Durchschnittswerte zu einer tendenziellen Überschätzung der Nettoinvestitionen führen; für ihre Schätzung sollte man sich besser Industriedurchschnitten bedienen. Definiert sind die Nettoinvestitionen In als derjenige Betrag, den ein Unternehmen in Investitionen und Working Capital netto, also nach Abzug von Abschreibungen (und Amortisationen) investiert, also
In = Capex + WC + M&A − Dep − Amo.
(5.15)
Die hier abgebildeten Nettoinvestitionen In, also die Differenz aus den Investitionen in Sachanlagen, Working Capital, Forschung und Entwicklung, Humankapital und in externes Wachstum (M&A) einerseits sowie den Abschreibungen andererseits, stellen Liquiditätsabflüsse dar, die den Cashflow to the Firm verringern. Ein Teil der Nettoinvestitionen gewährleistet zukünftiges Wachstum, ein Teil ersetzt bestehendes Sachanlagevermögen. Die hier betrachteten Nettoinvestitionen umfassen sämtliche während einer Periode getätigten Investitionen, also Erhaltungs- wie Nettoinvestitionen. Nach einfacher Umstellung der einzelnen Glieder aus Gl.€(5.14) zu FCFF = EBIT(1 − τ ) − (Capex + WC − Dep − Amo − M&A),
(5.16)
ergibt sich eine radikal verkürzte Variante des FCFF:
FCFF = EBIT(1 − τ ) − In .
(5.17)
Dies ist die gängigste Definition des FCFF. In dieser sehr überschaubaren Gleichung entspricht der Free Cashflow to the Firm dem versteuerten operativen Ergebnis einer Periode abzüglich der Nettoinvestitionen. Implizit wird dabei unterstellt, dass nur solche betrieblichen Aufwendungen berücksichtigt werden, die zur Erzielung der Periodenumsätze erforderlich sind. Finanzaufwendungen gleich welcher Art sind in den operativen Aufwendungen nicht enthalten, sie tauchen im GuVSchema erst unterhalb des betrieblichen Ergebnisses auf. Für die Schätzung der Nettoinvestitionen im Steady State-Gleichgewichtszustand stehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten offen: Entweder durch die Verwendung von Branchendurchschnitten, eine relativ triviale Angelegenheit, die aber den Nachteil hat, dass die Durchschnitte im Zeitablauf variieren können, oder durch die Verwendung unternehmensspezifischer Kennzahlen, und zwar über folgenden Zusammenhang:
In =
NetInct − NetInct−1 NetInct = . rEK,R rEK,R
(5.18)
180
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Beispiel 5.6: Berechnung der Nettoinvestitionen╇ Der Spezialmaschinenbauer aus Beispiel€ 5.1, dessen Nachsteuerergebnis sich im Jahr tâ•›+â•›1 um 20,0€ Mio.€ € verbessern soll, wird bei Eigenkapitalkosten von 10,5€ % zur Erreichung der langfristigen Steady-State-Wachstumsziele liquide Mittel in Höhe von In =
NetInct+1 − NetInct 20,0 = = 190,5 rEK,R 0,105
also von 190,5€ Mio.€ € für Nettoinvestitionen bereithalten müssen. Dieser Zusammenhang wird an den Kapitalmärkten häufig unterschlagen, wenn Wachstum quasi kostenlos erreicht werden soll. Gleichung€ (5.17) lässt sich nochmals vereinfachen. Hierzu muss man sich vergegenwärtigen, auf welche Arten Unternehmen wachsen können: Zum einen können sie die bestehenden Vermögenswerte effizienter nutzen, also die Produktivität des Unternehmens steigern. Insbesondere nach einem konjunkturellen Abschwung ist dies eine praktikable, wenngleich meist nur kurzfristig wirksame Maßnahme. Um langfristiges Wachstum zu gewährleisten, sind Investitionen in neue Vermögenswerte erforderlich. Die Höhe des Wachstums ist zum einen abhängig von dem Anteil des operativen Ergebnisses, der netto für Investitionen aller Art ausgegeben werden soll, also von der Investitionsquote ε
ε=
Capex − Dep + WC In = , EBIT(1 − τ ) EBIT(1 − τ )
für EBIT > 0,
(5.19)
zum anderen von der Produktivität dieser Investitionen, gemessen über die Kapitalrendite ROCE. Der Return on Capital Employed zählt zu den substanzbasierten Profitabilitätskennzahlen und ist wie folgt definiert:
ROCEt =
EBITt (1 − τ ) . SAVt−1 +WCt−1 −ExcessCasht−1
(5.20)
Während anhand der Eigenkapitalrendite ROE nur die Performance der den Aktionären zustehenden Kapitalanteile gemessen wird, ermittelt das ROCE-Konzept die Renditen auf das gesamte, im Unternehmen investierte Kapital. Damit ergibt sich ein ähnlicher Zusammenhang, wie er für die Prognose der Dividende bereits in der Formel€(4.29) vorgestellt wurde:
gEBIT = εROCE = ε
EBITt (1 − τ ) . SAVt−1 +WCt−1 −ExcessCasht−1
(5.21)
Das Ertragswachstum eines Unternehmens kann demzufolge über eine erhöhte Investitionsquote, über eine verbesserte betriebliche Produktivität oder über eine Kombination von beiden Maßnahmen gesteigert werden.
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
181
Beispiel 5.7: Berechnung des EBIT-Wachstums╇ Der Spezialmaschinenbauer aus Beispiel€5.1 hat im laufenden Geschäftsjahr t ein operatives Ergebnis von 324,1€Mio.€€ erzielt. Angenommen, der Anteil der für die operative Geschäftstätigkeit notwendigen Liquidität ist vernachlässigbar, dann belief sich das hierfür eingesetzte Kapital auf CEt−1 = SAVt−1 + WCt−1 − ExcessCasht−1 = 1.100,1 + 882,9 − 20,8 = 1.962,2
also 1.962,2€ Mio.€€. Zu verwenden sind Vorjahreswerte, da nur sie für die Erwirtschaftung des operativen Ergebnisses zur Verfügung gestanden haben. Die normalisierte Steuerquote des laufenden Jahres t liegt bei 30,0€% (vgl. Beispiel (5.1). Das Management veröffentlicht eine Guidance, nach der sich im kommenden Jahr tâ•›+â•›1 das EBIT auf 370,0€ Mio.€ € verbessern soll. Der Analyst bekommt von einem Fondsmanager die Aufgabe herauszufinden, ob diese Einschätzung glaubwürdig ist. Aus Formel€(5.20) ist bekannt, dass der Spezialmaschinenbauer eine Rendite auf das eingesetzte Kapital von ROCE =
EBIT(1 − τ ) 324,1(1 − 0,30) = = 11,6 % SAV + WC − ExcessCash 1.962,2
erwirtschaftet. Wird im laufenden Geschäftsjahr ein Rückgang des Working Capitals um 87,2€Mio.€€ erwartet, berechnet sich die Investitionsquote ε des Unternehmens aus (5.19) wie folgt: ε=
Capex − Dep + WC 166,6 − 27,7 + 87,2 = = 0,997 = 99,7 % EBIT(1 − τ ) 324,1(1 − 0,30)
Daraus ergibt sich ein erwartetes EBIT-Wachstum von gEBIT = εROCE = 0,116 · 0,997 = 0,115 = 11,5 %.
Das Unternehmen sollte im laufenden Jahr also ein EBIT von EBITt+1 = 324,1(1 + 0, 115) = 361,4
erwirtschaften. Die Guidance des Managements, im kommenden Jahr das EBIT auf 370,0€Mio.€€ zu verbessern, ist also ein Stück weit ambitioniert. Ohne eine deutliche Verbesserung der betrieblichen Effizienz ist das vom Management ausgegebene Ertragsziel nicht zu erreichen. Höheres Wachstum der betrieblichen Profitabilität kann also zwei Ursachen haben: Eine höhere Investitionsquote und/oder eine höhere Kapitalrendite. Doch Vorsicht: Höheres Wachstum muss nicht automatisch in einem höheren Unternehmenswert münden, da
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5â•… Discounted Cashflow-Modelle
• eine höhere Investitionsquote zwar das Wachstum steigert, aber auch den erwarteten Freien Cashflow belastet, und • höhere Kapitalrenditen zwar das Wachstum steigen, werden diese aber in riskanteren Geschäftsbereichen erwirtschaftet, kann es gleichfalls zu einem Rückgang des Unternehmenswertes kommen – wenn nämlich die Kapitalkosten überproportional ansteigen. Während es bei einer höheren Investitionsquote immer auch einen gegenläufigen Effekt auf die Wertentwicklung gibt, nämlich die Verringerung des FCFF durch die investitionsbedingten Liquiditätsabflüsse, hat ein Unternehmen, das in der Lage ist, bei gleichbleibendem Risiko seine Kapitalrenditen zu steigern, gewissermaßen den Heiligen Gral der Wertsteigerung inne: Der Wertsteigerung durch eine höhere Rentabilität steht kein Wert mindernder Effekt gegenüber. Dies gilt, solange das Unternehmen Projekte realisiert, deren Grenzrentabilität auf das eingesetzte Kapital die Kapitalkosten dieser Projekte übersteigt. Ist dies nicht mehr der Fall, wird der Unternehmenswert durch die Durchführung eines Projekts zwar grundsätzlich weiter gesteigert (weil ja die Grenzrendite gesteigert werden konnte), das Unternehmen wäre jedoch ohne die Investition in das Projekt mehr wert gewesen. Und auch die grundsätzliche Wechselbeziehung zwischen den Erhaltungsinvestitionen und der Lebensdauer der Vermögenswerte darf nicht außer Acht gelassen werden: • Ein Unternehmen, das die gesamten Abschreibungen in Erhaltungsinvestitionen tätigt, wird zwar die Lebensdauer seiner Vermögenswerte maximieren, nicht jedoch den Unternehmenswert. • Der andere Extremfall eines Unternehmens, das keinerlei Erhaltungsinvestitionen leistet, wird zwar den Unternehmenswert maximieren, aber auf Kosten der Lebenserwartung der Vermögenswerte. Diese grundlegenden Wechselbeziehungen werden in der praktischen Unternehmensbewertung häufig vernachlässigt. Eine Ausprägung ist, dass die Ankündigung, Kosteneinsparungsprogramme einzuleiten, vom Kapitalmarkt regelmäßig mit Kursanstiegen honoriert werden, obwohl ad hoc nicht bekannt ist, ob diese nicht auch die Erhaltungsinvestitionen betreffen. Beispiel 5.8: Berechnung der Investitionsquote╇ Die Investitionen in Sachanlagen des Spezialmaschinenbauers aus Beispiel€ 5.1 liegen im Jahr t bei 166,6€Mio.€€, die Abschreibungen bei 27,7€Mio.€€. Damit ergeben sich Nettoinvestitionen von In = 166,2 − 27,7 − 87,2 = 51,7.
Das EBIT des Geschäftsjahres beträgt 324,1€ Mio.€ €, der Grenzsteuersatz 30,0€%. Damit ergibt sich ein versteuertes EBIT von 226,9€Mio.€€ und eine Investitionsquote ε von
5.2â•… Free Cashflow to the Firm FCFF
ε=
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Capex − Dep − NWC 51,7 = = 0,228 = 22,8 %. EBIT(1 − τ ) 226,9
Das Unternehmen muss also knapp ein Viertel seines operativen Nettoergebnisses investieren, um das geplante Wachstum zu erreichen. Unter Einbeziehung der Investitionsquote folgt nach Auflösung der Gleichung nach In und Substitution in (5.3), dass und
FCFF = EBIT(1 − τ ) − εEBIT(1 − τ )
(5.22)
FCFF = EBIT(1 − τ )(1 − ε).
(5.23)
Worin bestehen nun die Treiber für den FCFF? Die Höhe des operativen Ergebnisses EBIT ist vom Gesamtumsatz der Periode und der erzielten Ergebnismarge abhängig, die Höhe der Investitionsquote ε dagegen von der Kapitalumschlagshäufigkeit. Gelingt es dem Unternehmen, einen dieser drei Faktoren zu verbessern, ohne dass dies einen gegenläufigen Effekt auf die übrigen Faktoren hat, wird dies von positiven Auswirkungen auf den FCFF und damit den Wert des Unternehmens begleitet werden. Wird dagegen das Wachstum gesteigert, indem in riskante Geschäftsfelder investiert wird, was wiederum die Kapitalkosten erhöhen würde, würde der Unternehmenswert trotz höherer Wachstumsrate möglicherweise belastet werden. Dieses fundamentale Prinzip darf in der Unternehmensbewertung nicht vernachlässigt werden, indem zum Beispiel in der Steady-State-Phase unterstellt wird, dass die Nettoinvestitionen den Abschreibungen entsprechen; aus welchen Quellen sich dann das weitere Wachstum speisen soll, bleibt in aller Regel unbeantwortet. Kleine Unternehmen, die erst am Beginn ihres Lebenszyklus stehen, müssen größere Anteile ihres operativen Ergebnisses investieren als große, reife Unternehmen, die nur noch geringes Investitionspotenzial aufweisen. Im Extremfall, also bei klassischen Wachstumsunternehmen mit einer Vielzahl von Investitionsmöglichkeiten (also εâ•›>â•›100€%), wird der FCFF während dieser Phase einen negativen Wert annehmen. Je etablierter dagegen das Unternehmen ist, desto weniger Investitionsalternativen bieten sich an und desto niedriger ist die Investitionsquote. Aus (5.21) folgt nach einfacher Umformung, dass die Investitionsquote ε über folgenden Zusammenhang erklärt werden kann:
ε=
gEBIT = ROCE
gEBIT . EBITt (1 − τ ) SAVt−1 + WCt−1 − Casht−1
(5.24)
Danach ist die Investitionsquote ε der Quotient aus Gewinnwachstumsrate gEBIT und Gesamtkapitalrentabilität ROCE, die ein Unternehmen in der Reifephase ge-
184
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
nerieren kann. Hier wird das Wechselspiel zwischen Investition und Wachstum unmittelbar sichtbar: Erhöht das Unternehmen seine Investitionsquote, wird es seinen Unternehmenswert nur dann steigern können, wenn die aus den Investitionen erwirtschafteten Gesamtkapitalrenditen ihre Kosten übersteigen. Die Investitionsquote kann verwendet werden um den Free Cashflow im ersten Jahr der Reifephase zu prognostizieren. Darüber hinaus wird über diesen Zusammenhang die Beziehung zwischen Gewinnwachstum und Investitionsquote erkennbar: Eine Steigerung der einen Größe ist – bei konstanter Gesamtkapitalrentabilität – unmittelbar mit einem Anstieg der anderen Kennzahl verbunden, und umgekehrt. Das ist der Preis des Wachstums. Damit zeigt sich aber auch, dass für eine Gruppe von Unternehmen die Investitionsquote ein systematisches Defizit aufweist: Für Unternehmen mit hohem F&E-Aufwand. Üblicherweise werden F&E-Aufwendungen im Jahr ihrer Entstehung durch die Gewinn- und Verlustrechnung geführt und nicht als Investitionen betrachtet. Forschungsintensive Unternehmen, zum Beispiel aus der Biotechnologie oder der Softwarebranche, würden nach dieser Definition nur ein geringes endogenes operatives Wachstum aufweisen, da wesentliche Teile der Capex nicht in die Berechnung entsprechend der Formel€(5.1.21) eingehen würden. Alternativ zu Gl.€(5.16) kann der FCFF über Gl.€(5.14) auch aus dem EBITDA berechnet werden. Über
EBIT = EBITDA − Dep − Amo
(5.25)
folgt nach einfacher Umformung, dass:
FCFF = EBITDA(1 − τ ) + τ Dep + τ Amo − Capex − WC
(5.26)
gilt. Da diese Cashflow-Größe vor der Bedienung der Zinsaufwendungen ermittelt wird, wird sie in der angelsächsische Literatur meist als unlevered oder ungeared Cashflow bezeichnet. Unmittelbar ersichtlich aus der Formel€(5.26) ist, dass die bei manchen Kapitalmarktteilnehmern verbreitete Unsitte, das EBITDA als Näherungsgröße für den Free Cashflow to the Firm anzusehen, zu fehlerhaften Ergebnissen führt. Sie führt nicht nur dazu, dass Investitionen in Sachanlagen und in Working Capital nicht berücksichtigt werden, sondern zieht auch einen methodischen Defekt nach sich: Das EBITDA als unversteuerte Ertragsgröße, in das kein Steuerschild aus der Verschuldung eingearbeitet ist, wird nämlich mit den gewogenen durchschnittlichen Kapitalkosten WACC diskontiert, einer Nachsteuergröße. Beispiel 5.9: Berechnung des Free Cashflow anhand des EBITDA╇ Die Berechnung des Free Cashflow aus dem EBITDA des Spezialmaschinenherstellers aus Beispiel€5.1 ergibt für die Periode t FCFF1 = 351,8(1 − 0,3) + 27,7 · 0,3 − 166,6 − 58,8 = 29,2
mit 29,2€Mio.€€ denselben Wert wie bei der Berechnung anhand des EBIT in Beispiel€5.5.
5.3â•… Free Cashflow to Equity FCFE
185
In Analogie zu obigem Vorgehen lässt sich die Gl.€(5.26) durch die Verwendung der Nettoinvestitionen vereinfachen. Durch Substitution erhält man über
FCFF = (EBITDA − Dep − Amo)(1 − τ ) − In
(5.27)
letztlich folgenden Zusammenhang:
FCFF = EBIT(1 − τ ) − (Dep + Amo)(1 − τ )−In .
(5.28)
Auch vor diesem Hintergrund ist der FCFF die wesentlich geeignetere Kennzahl zur Bestimmung der operativen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens als Ertragsgrößen, die wie das Nachsteuerergebnis aus der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet werden.
5.3 Free Cashflow to Equity FCFE Beim Free Cashflow to Equity- (FCFE) oder Flow to Equity- (FTE) Konzept werden Zahlungsströme betrachtet, die als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden können. Die Berechnung des FCFE geht vom Nettoergebnis aus, da von diesem alle anderen Ansprüche bereits beglichen worden sind. Als buchhalterische Größe ist dieses in eine Cashflow-Größe zu transformieren. Hierzu sind aus diesem zunächst die Sachanlageinvestitionen im weitesten Sinne zu finanzieren, inklusive externem Wachstum aus M&A-Transaktionen. Dabei ist nur die Nettogröße relevant, also bereinigt um Abschreibungen Dep und Amortisationen Amo. Vor allem bei schnell wachsenden Unternehmen ist die Differenz zwischen Brutto- und Nettoinvestitionen besonders ausgeprägt. Nicht selten ist bei ihnen der Cashflow bereits zu diesem Zeitpunkt negativ. Ferner sind Investitionen in das Working Capital zu finanzieren. Das Working Capital, also die Differenz aus kurzfristigen Aktiva eines Unternehmens und kurzfristigen, nicht zinstragenden Passiva, entspricht dem Teil des Umlaufvermögens, der nicht durch Verbindlichkeiten finanziert wurde, sondern durch das Eigenkapital. Das steigende Working Capital entzieht dem Unternehmen Liquidität, das zur Ausschüttung an die Aktionäre nicht länger zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite fließt dem Unternehmen durch den Aufbau von Fremdkapital, ∆Debt, zusätzliche Liquidität zu, die wiederum dem Aktionär zur Verfügung steht, Rückführungen von Anleihen oder Bankkrediten haben dementsprechend den gegenteiligen Effekt. Damit ergibt sich in Summe folgende Gleichung zur Berechnung des freien Cashflows to Equity:
FCFE = NetInc − (Capex − Dep − Amo) − WC + Debt.
(5.29)
Der Freie Cashflow to Equity FCFE entspricht also dem Nachsteuerergebnis, vermindert um die Nettoinvestitionen in das Sachanlagevermögen (Capex-Dep-Amo) und der Veränderung des Working Capital ∆WC zuzüglich der Nettokreditaufnah-
186
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
me. Diese Kennzahl ist der größtmögliche Betrag, der theoretisch für eine Ausschüttung an die Aktionäre zur Verfügung steht, ohne dass eine Ausschüttung aus der Substanz der Gesellschaft erfolgen muss. Manche, besonders konservativ ausgerichtete Investoren, die eine Dividendenzahlung aus der Aufnahme von Bankverbindlichkeiten ablehnen, bevorzugen eine verkürzte Darstellung von Gl.€(5.29):
FCFEkonservativ = NetInc − (Capex − Dep − Amo) − WC
(5.30)
Unter Einbeziehung von Gl.€(5.15) ergibt sich aus (5.29)
FCFE = NetInc − In + Debt
(5.31)
Anhand dieser Grundgleichung werden die beiden wesentlichen Unterschiede zwischen FCFE und FCFF deutlich: Während der FCFE auf dem Nachsteuerergebnis basiert, einer Größe, die nach Zinsen und Steuern berechnet wird, wird der FCFF mithilfe des betrieblichen Ergebnisses nach Steuern berechnet, einer Ertragsgröße vor Zinsen. Darüber hinaus ist der FCFE ein Cashflow bereinigt um die Veränderung der Nettoverschuldung, während der FCFF ein Cashflow vor der Veränderung der Nettoverschuldung ist. Damit zeigt sich, dass der FCFE-Ansatz dem FCFF-Modell vorzuziehen ist, wenn sich im Zeitablauf der Verschuldungsgrad ändert. Da Nettoinvestitionen in Sachanlagen und Working Capital üblicherweise durch die Veränderung von Verbindlichkeiten finanziert werden, kann diese Gleichung vereinfacht werden, wenn angenommen wird, dass der Verschuldungsgrad im Zeitablauf konstant bleiben würde. Ist σ der angestrebte Anteil der Nettoinvestitionen, der durch die Nettoaufnahme von Verbindlichkeiten finanziert werden soll, also
σ =
Debt Debt , = Capex − Dep − Amo − WC In
(5.32)
dann „verkürzt“ sich Formel€(5.31) zu
FCFE = NetInc − In (1 − σ )
(5.33)
Die absolute Veränderung der Verbindlichkeiten spielt nun bei der Berechnung des FCFE keine unmittelbare Rolle mehr, da die Zurückzahlung der Verbindlichkeiten mit deren Neuaufnahme refinanziert werden muss, um das Verhältnis σ konstant zu belassen6. Diese Formel erweckt den Eindruck, durch eine Erhöhung des Verschuldungsgrades könne ein Unternehmen seinen Freien Cashflow steigern und damit den Unternehmenswert erhöhen. Schließlich würden dann größere Anteile der Investitionsbedürfnisse aus dem Aufbau der Verschuldung und damit von Fremdkapitalgebern und kleinere Anteile von den Eigenkapitalgebern stammen. Abgesehen davon, dass man mit der Empfehlung, sich möglichst hoch zu verschulden, riskieren 6╇
Vgl. auch Damodaran (2002, S.€352€f.).
5.3â•… Free Cashflow to Equity FCFE
187
würde, von der Geschäftsleitung eines Unternehmens nicht ganz ernst genommen zu werden, gibt es in der Argumentation auch einen logischen Defekt: Zum einen würde man sich einseitig auf steuerliche Argumente stützen und vollkommen außer Acht lassen, dass zunehmende Verschuldung auch negative Folgen hat, die mit steigenden Insolvenzkosten zu tun haben, zum anderen wird vernachlässigt, dass das Beta in seiner levered Form (s.€ Formel€ (3.6)) auch vom Verschuldungsgrad abhängig ist: Durch einen Anstieg des Verschuldungsgrades erhöht sich auch das levered Beta und damit der Diskontierungssatz. Damit existieren zwei gegenläufige Bewegungen, steigende Cashflows to Equity vs. steigende Diskontierungssätze, aus denen schließlich ein optimaler Verschuldungsgrad des Unternehmens errechnet werden kann. Beispiel 5.10: Berechnung und Schätzung der FCFE╇ An einem Beispiel soll das Konzept der FCFE anhand der Formel€(5.33) veranschaulicht werden. Wir betrachten einen Energieversorger, ein überaus kapitalintensives Geschäftsmodell über einen vollständigen Konjunkturzyklus von zehn Jahren. Aus den Angaben der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz berechnen wir die jährlichen Freien Cashflows to Equity nach der Formel€ (5.29) anhand folgender Tabelle: Mio.€€
NetInc
Capex
Dep
∆WC
t tâ•›+â•›1 tâ•›+â•›2 tâ•›+â•›3 tâ•›+â•›4 tâ•›+â•›5 tâ•›+â•›6 tâ•›+â•›7 tâ•›+â•›8 tâ•›+â•›9 Ø
34,2 49,9 76,1 110,8 139,6 184,5 223,3 286,2 354,1 493,0 195,2
− â•›58,1 − â•›121,5 − â•›131,8 − â•›132,0 − â•›163,3 − â•›233,3 − â•›290,2 − â•›333,8 − â•›349,5 − â•›421,1 − â•›223,5
6,4 10,5 16,0 21,2 27,4 39,6 55,3 70,9 86,4 113,9 44,8
− â•›1,9 − â•›3,2 − â•›14,4 − â•›28,4 − â•›46,8 − â•›62,7 − â•›75,5 − â•›37,9 − â•›119,4 − â•›40,0 − â•›43,0
∆Debt 55,5 69,7 − â•›0,6 245,1 − â•›0,6 29,9 151,8 143,5 − â•›7,6 72,6 75,9
FCFE 36,2 5,4 − â•›54,7 216,6 − â•›43,6 − â•›42,0 64,7 129,0 − â•›36,0 218,4 49,4
Im Durchschnitt der zehn betrachteten Jahresabschlüsse ergeben sich FCFE in Höhe von 49,4€ Mio.€ €. In vier Jahren, tâ•›+â•›2, tâ•›+â•›4, tâ•›+â•›5 und tâ•›+â•›8 war der FCFE negativ, in den übrigen Jahren positiv. Betrachten wir die Jahresdurchschnitte und errechnen die durchschnittliche Finanzierungsquote der Nettoinvestitionen durch Fremdkapital σ σ =
75,9 Debt = = 0,342 = 34,2 %, Capex − Dep + WC 223,5 − 44,8 + 43,0
dann ergeben sich folgende Freie Cashflows to Equity unter Verwendung der normalisierten Werte:
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
188
Mio.€€
NetInc
In
In(1â•› − â•›σ)
FCFE
t tâ•›+â•›1 tâ•›+â•›2 tâ•›+â•›3 tâ•›+â•›4 tâ•›+â•›5 tâ•›+â•›6 tâ•›+â•›7 tâ•›+â•›8 tâ•›+â•›9 Durchschnitt
34,2 49,9 76,1 110,8 139,6 184,5 223,3 286,2 354,1 493,0 195,2
╇ − â•›53,5 − â•›114,2 −â•›130,2 −â•›139,2 −â•›182,6 −â•›256,4 −â•›310,4 −â•›300,8 −â•›382,5 −â•›347,2 −â•›221,7
− â•›35,2 −â•›75,1 −â•›85,6 −â•›91,5 −â•›120,1 −â•›168,6 −â•›204,1 −â•›197,8 −â•›251,5 −â•›228,3 −â•›145,8
− â•›1,0 −â•›25,2 −â•›9,6 19,2 19,5 15,9 19,2 88,5 102,6 264,7 49,4
Mit 49,4€Mio.€€ ist der über alle Perioden berechnete Durchschnittswert des FCFE identisch mit seinem nicht adjustierten Wert. Die individuellen Periodenwerte sind dies nicht, ihre Entwicklung weist einen geglätteteren Verlauf als der Ausgangsfall auf. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der FCFE selbst bei profitablen Unternehmen negative Werte annehmen kann, wenn die Abzugspositionen den Jahresüberschuss übersteigen. Dies kann insbesondere bei jungen Unternehmen der Fall sein, deren Wachstum durch externe Quellen finanziert wird: Sie investieren in ihre Entwicklung anfangs hohe Beträge. Erst im Lauf der Zeit, wenn die hohen Wachstumsraten der Anfangsphase mangels Investitionsalternativen nicht länger beibehalten werden können, dreht der FCFE in den positiven Bereich. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die skurrile Situation, dass der Unternehmenswert während der Wachstumsphase rechnerisch negativ ist und sich positive Aktienkurse erst durch die Spätphase des Lebenszyklus, in den meisten Fällen aus dem Terminal Value, rechtfertigen lassen. Dauert die Wachstumsphase länger als im Geschäftsplan unterstellt, kann der stetige Liquiditätsabfluss sogar die Existenz des Unternehmens bedrohen. Wie beim FCFF gezeigt wurde, ist das EBITDA keine geeignete Näherungsgröße für den Cashflow to the Firm, da Investitionen in Sachanlagen und in Working Capital unberücksichtigt bleiben. Eine vergleichbare Argumentation ist auch beim Cashflow to Equity zu finden, für das häufig der Jahresüberschuss als Näherungsgröße herhalten muss. Wie Formel€(5.30) bewiesen hat, werden bei dieser Vorgehensweise verschiedene Cashflows unterdrückt, und zwar nicht liquiditätswirksame Abschreibungen, Investitionen in Sachanlagen und Working Capital und die Veränderung des Verschuldungsgrades. Nur in einem bestimmten Spezialfall, nämlich wenn a) die Nettoinvestitionen gleich Null sind, wenn b) kein Working Capital aufgebaut oder freigesetzt wird und wenn c) das Unternehmen kein Fremdkapital aufbaut oder tilgt, entspricht der FCFE dem Jahresüberschuss.
5.3â•… Free Cashflow to Equity FCFE
189
Wie hängen nun FCFF und FCFE zusammen? Betrachtet man die Definitionsformel der Freien Cashflows to the Firm (5.17) und des Freien Cashflows to Equity (5.31), dann fällt auf, dass in beiden Formeln die Nettoinvestitionen enthalten sind. Löst man beide Formeln nach den Nettoinvestitionen auf und setzt beide zueinander ins Verhältnis, dann ergibt sich nach Auflösen folgender Zusammenhang7: bzw.
FCFE = FCFF + Debt − Int(1 − τ )
(5.34)
FCFF = FCFE − Debt + Int(1 − τ )
(5.35)
Die für eine Ausschüttung zur Verfügung stehenden Beträge setzen sich zusammen aus den Cashflows aus dem operativen Geschäft sowie den aus der Veränderung der Verschuldung resultierenden Cashflows. Sie errechnen sich aus den FCFF, bereinigt um die versteuerten Zinsaufwendungen und die Veränderung der Verbindlichkeiten ∆Debt, also die Differenz aus der Aufnahme zinstragender Verbindlichkeiten und deren Tilgung, und zwar der kurz- wie der langfristigen. Bemerkenswert an dieser Gleichung ist, dass weder Dividenden noch Aktienrückkäufe oder Kapitalerhöhungen den FCFE oder den FCFF beeinflussen. Beispiel 5.11: Berechnung des FCFE anhand des FCFF╇ Betrachten wir erneut den Energieversorger aus Beispiel€5.10. Wir unterstellen, dass das Unternehmen durchschnittliche Vorsteuerzinsen von 7,0€ % auf das verzinsliche Fremdkapital zu bezahlen hat. Gegen Ende der Periode t╛╛− 1 lag die Verschuldung der Gesellschaft bei 110,0€Mio.€€. Die Steuerquote wird auf einheitliche 31,0€% normiert. Damit ergibt sich folgende Überleitung des FCFE in den FCFF: Mio.€€
FCFE
∆Debt
Debt
Int
t tâ•›+â•›1 tâ•›+â•›2 tâ•›+â•›3 tâ•›+â•›4 tâ•›+â•›5 tâ•›+â•›6 tâ•›+â•›7 tâ•›+â•›8 tâ•›+â•›9
36,2 5,4 − â•›54,7 216,6 − â•›43,6 − â•›42,0 64,7 129,0 − â•›36,0 218,4
− â•›55,5 − â•›69,7 0,6 − â•›245,1 0,6 − â•›29,9 − â•›151,8 − â•›143,5 7,6 − â•›72,6
54,5 124,2 123,6 368,7 368,1 397,9 549,7 693,2 685,6 758,3
3,8 8,7 8,7 25,8 25,8 27,9 38,5 48,5 48,0 53,1
Int(1â•›−â•›τ) 2,6 6,0 6,0 17,8 17,8 19,2 26,6 33,5 33,1 36,6
FCFF − â•›16,7 − â•›58,3 − â•›48,2 − â•›10,6 − â•›25,2 − â•›52,7 − â•›60,6 18,9 4,7 182,4
Üblicherweise liegt der FCFE über dem FCFF. Nur in tâ•›+â•›2, tâ•›+â•›4 und tâ•›+â•›8 ist der FCFF größer als der FCFE, da in diesen Jahren die Verschuldung zurückgeführt wurde. Ferner wird durch die Kreditaufnahme deutlich, dass die zeit7╇
Vgl. Fernández (2002, S.€42 und 401).
190
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
liche Entwicklung des FCFF nicht parallel zu der des FCFE verlaufen muss: Während der FCFE in tâ•›+â•›2 rückläufig ist, ergibt sich beim FCFF durch eine Schuldentilgung eine Verbesserung der Ertragslage.
5.4 D CF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate Ähnlich den Dividenden gibt es auch für Freie Cashflows eine Vielzahl unterschiedlicher Diskontierungsverfahren zur Bestimmung des Unternehmenswertes. Viele Investmentbanken werben damit, dass ihre DCF-Modelle ausgeklügelter sind als die ihrer Wettbewerber, doch letzten Endes variieren ihre DCF-Modelle allenfalls in Details. Zumindest ist das Grundprinzip allen Modellen gemeinsam, nach dem zukünftige Zahlungsüberschüsse durch Diskontierung mit ihrem risikoadjustierten Kapitalkostensatz in ihren heutigen Wert überführt und anschließend summiert werden (Abb.€5.3). In einem FCFE-Konzept werden die Dividenden zunächst durch die jeweiligen Free Cashflows to Equity ersetzt und unterstellt, dass in Zukunft keine Liquidität im Unternehmen aufgebaut wird, dass also der FCFE, der nach Schuldentilgung und nach Begleichung der Nettoinvestitionen übrig bleibt, vollständig an die Aktionäre ausgeschüttet wird. In diesem Fall berechnet sich der Unternehmenswert aus folgender Formel:
V0 =
∞ FCFEt + NOA0 . (1+rEK )t t=0
(5.36)
Der Barwert sämtlicher zukünftiger Free Cashflows to Equity repräsentiert den fundamentalen Wert der in einem Unternehmen im Zeitablauf eingesetzten betrieblichen Vermögenswerte, um Umsätze, Erträge und letztendlich auch Cashflows zu generieren. Darüber hinaus weisen einige Unternehmen auch signifikante nicht betriebliche Vermögensgegenstände NOA auf, die nicht in der betrieblichen Wertschöpfung eingesetzt werden. Ihre Marktwerte NOA0 sind in die Wertermittlung des Unternehmens einzubeziehen. In diesen mehrperiodischen DCF-Bewertungsmodellen sind also folgende grundlegende Fragen über das Unternehmen zu beantworten: • Für den Fall, dass das Unternehmen bereits in signifikantem Ausmaß Investitionen in Maschinen und Anlagen getätigt hat, stellt sich die Frage, wie hoch die aus den bestehenden Vermögenswerten erwarteten Cashflows sein werden? Die Beantwortung dieser Frage verlangt nach einer Analyse der Ertragskraft der bestehenden Vermögenswerte in der abgelaufenen Periode, den möglichen Wachstumsraten dieser Erträge und Cashflows in der laufenden und den kommenden Perioden sowie der erwarteten Lebensdauer dieser Vermögenswerte.
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
191 WACC
Wachstumsrate Jahresüberschuss
CFO
Nicht betriebsnotwendiges Vermögen
FCFF
Zinsergebnis
Investitionen in Sachanlagevermögen
Abschreibungen und Amortisationen
Investitionen in Working Capital
Steuern Nicht zahlungswirksame Vorgänge
Enterprise Value
Equity Value
Marktwert der Nettoverschuldung Marktwert der Pensionsrückstellungen Marktwert der Anteile Dritter
Abb. 5.3↜渀 Grundkonzept von DCF-Modellen
• Welche Werte werden durch zukünftige Investitionen geschaffen? Die Wertschöpfung vieler Unternehmen, insbesondere junger Wachstumsunternehmen, wird erst durch die noch zu tätigenden Investitionen geschaffen. Um sie zu bewerten, sind also Annahmen über die Höhe und die Ertragskraft der in der Zukunft durchgeführten Investitionen zu treffen und diese in Relation zu den bereits bestehenden Vermögenswerten zu stellen. • Wie riskant sind die Cashflows der Vermögenswerte? Sicher sind weder die Liquiditätsströme der bestehenden Vermögenswerte noch die der zukünftigen Investitionen. Das Ausmaß der Unsicherheit wird durch den Diskontierungssatz widergespiegelt. In diesem idealtypischen Ausgangsmodell kann zunächst von einem über die Zeiträume gleich bleibenden und auch einheitlichen Kalkulationszinssatz ausgegangen werden. Darüber hinaus wird unterstellt, dass der gesamte Free Cashflow to Equity an die Aktionäre ausgeschüttet und nicht thesauriert wird. Modelliert man aus Vereinfachungsgründen konstante Wachstumsraten der FCFE in Höhe von g, dann stellt sich Formel€(5.36) wie folgt dar: FCFE (1 + g) FCFE (1 + g)2 FCFE0 (1 + g)n 0 0 V0 = + + · · · + + NOA0 . (5.37) 1 + rEK (1 + rEK )n (1 + rEK )2 Wird nun der Betrag V0 heute zum Zinssatz rEK angelegt, dann entspricht dieser nach n Perioden der Summe der jährlich erwirtschafteten Freien Cashflows to EquiFCFEt −1 ansteigt. Ein ty, deren Höhe in jeder Periode mit der Wachstumsrate g = FCFE t−1 ähnlicher Zusammenhang ist bereits aus dem Gordon-Modell bekannt. Die Formel€(5.37) entspricht einer geometrischen Reihe, in der jeder einzelne Term dem vorherigen entspricht, nachdem er zuvor mit dem Faktor 1+g multipliziert wurde. 1+rEK
Uneinigkeit herrscht in der Praxis über die Länge der Detailplanungsphase. Im Prinzip hat die Prognose der Cashflows „bis zu einem Zeitpunkt zu erfolgen, in
192
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
dem der Barwert des zuletzt berücksichtigten Cashflow den Unternehmenswert nicht mehr signifikant verändert“8. Allerdings ist bereits die Schätzung von Cashflows über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren mit größten Unsicherheiten behaftet9. In der Praxis der Unternehmensbewertung werden die Freien Cashflows daher nicht bis in alle Ewigkeit vorhergesagt, sondern nur über einen endlichen Zeitraum, dessen Länge jedoch von Branche zu Branche unterschiedlich ist. Zum Beispiel werden in der Detailplanungsphase die Cashflows für zwei oder drei Jahre aus der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz abgeleitet und anschließend in der Grobplanungsphase – je nach Sektor – für einen Zeitraum von weiteren fünf bis zehn Jahren durch stark vereinfachende Annahmen geschätzt. Im Anschluss an dieses Zweiphasenmodell wird der Endwert berechnet. Unterstellt man aus Vereinfachungsgründen, dass n gegen unendlich geht und dass der Marktwert der nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte NOA0 vernachlässigbar ist, dann kann durch iteratives Ersetzen der Unternehmenswert in Abhängigkeit von den zukünftig erwirtschafteten Freien Cashflows to Equity dargestellt werden und es ergibt sich der Wert des Eigenkapitals V0 in Anlehnung an das Gordon-Modell aus Formel€(4.9) aus
V0 =
FCFE1 FCFE0 (1+gR ) = , rEK −gR rEK −gR
f ür rEK > gR .
(5.38)
Der innere Wert des Eigenkapitals V0 entspricht dem Quotienten der für das folgende Geschäftsjahr erwarteten Freien Cashflow to Equity FCFE1 und der vom Investor geforderten Eigenkapitalverzinsung rEK, bereinigt um die langfristig erwartete Wachstumsrate der Cashflows gR. Teilt man den ermittelten Wert des Eigenkapitals V0 durch die durchschnittliche Anzahl ausstehender Aktien NoSh, so ergibt sich der innere Wert je Aktie. Diese Anzahl ausstehender Aktien wird üblicherweise „voll verwässert“ ermittelt, das heißt, dass in die Berechnung nicht nur die Anzahl der tatsächlich ausgegebenen Aktien eingeht, also das Grundkapital dividiert durch den Nennwert je Aktie, sondern auch diejenigen Aktien, von denen zum jetzigen Zeitpunkt angenommen werden kann, dass sie zukünftig die Anzahl der Aktien erhöhen werden. Insbesondere sind Aktienoptionen aus Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen, die sich im Geld befinden („in the money“), sowie Wandelanleihen hinzuzuzählen. Auf der anderen Seite sind Treasury Shares aus der Kalkulation auszuschließen, also jene Aktien, die die Gesellschaft am Kapitalmarkt auf der Grundlage eines Aktienrückkaufprogrammes erworben hat. Aus (5.38) folgt, dass der errechnete Wert je Aktie umso höher ist, je höher die erwirtschafteten Free Cashflows to Equity und ihre zukünftigen Wachstumsraten sind und je niedriger die erwartete Eigenkapitalverzinsung ist. Allerdings, und das Bühner (1994, S.€18). Zeiträume von mehr als zehn Jahren, wie beispielsweise von Bühner und Sulzbach (1999, S.€15) für Automobilhersteller oder den Anlagenbau vorgeschlagen, sind vor allem für zyklische Branchen völlig ungeeignet. 8╇ 9╇
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
193
ist eine der großen Errungenschaften der Cashflow-Modelle, sind diese Zusammenhänge nicht linear: So führt ein 10€%iger Anstieg der langfristigen Wachstumsrate gR nicht auch zu einem 10€%igen Anstieg des errechneten Unternehmenswertes. Unmittelbar ersichtlich ist die große Ähnlichkeit des Free Cashflow to EquityModells zu den Dividendendiskontierungsmodellen im Allgemeinen und zum Gordon-Modell im Besonderen. Beide Modelle kommen zum selben Ergebnis, wenn der freie Cashflow to Equity vollständig an die Aktionäre ausgeschüttet wird, also wenn FCFE0â•› = â•›Div0. Die gesamte, nach der Tilgung von Verbindlichkeiten und der Begleichung der Investitionsbedürfnisse verbleibende Liquidität muss in jeder einzelnen Periode an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Darüber hinaus kommen beide Modelle zum selben Ergebnis, wenn der thesaurierte Anteil des FCFE in Projekte investiert wird, deren Barwert gleich Null ist10. Als Beispiele hierfür bieten sich nicht betriebsnotwendige Finanzanlagen an, die zum fairen Marktwert erworben werden. Was aber, wenn die Dividenden nicht den FCFE entsprechen und die beiden Modelle zu unterschiedlichen Ergebnissen führen? Zum Beispiel weil das Management ein Liquiditätspolster aufbaut, aus welchem wiederholt Werte vernichtende Investitionen getätigt werden – eine Konstellation, die in der Realität gar nicht so selten zu beobachten ist. In diesem Fall übersteigen zwar die Cashflows die Dividenden, dafür sind die erwarteten Wachstumsraten sowie der Terminal Value im Dividendendiskontierungsmodell größer als im DCF-Modell. Welcher Effekt letztlich überwiegt ist prima vista unklar. Auf der anderen Seite können auch zu hohe Dividenden ausgeschüttet werden, die entweder über Kapitalerhöhungen finanziert werden müssen, was hohe Kapitalbeschaffungskosten zur Folge hat, oder über die sukzessive Aufnahme von Verbindlichkeiten, was wiederum zum Überschreiten des optimalen Verschuldungsgrades führt. Problematisch werden zu hohe Dividenden in dem Moment, in dem rentierliche Investitionen nicht getätigt werden können, weil nicht mehr ausreichend Liquidität zur Verfügung steht. Der (in der Realität schwierig zu ermittelnde) Wertverlust besteht dann in Höhe des Nettobarwerts der nicht getätigten Investitionen. Doch welches der beiden Modelle ist nun das geeignete Bewertungsverfahren? Zunächst sollte festgehalten werden, dass die Höhe der Ausschüttungsquote nicht per se ausschlaggebend für die Frage sein kann, ob das FCFE-Modell gegenüber dem Dividendendiskontierungsmodell zu bevorzugen ist oder nicht. Im Regelfall ist der aus dem DCF-Modell resultierende Unternehmenswert größer als der aus dem Dividendendiskontierungsmodell. Dieser Differenzbetrag kann als Teil der Übernahmeprämie betrachtet werden, die ein strategischer Investor für das Unternehmen zu zahlen bereit ist. Seine maximale Zahlungsbereitschaft wird nicht nur von Zahlungsströmen aus dem Übernahmeziel bestimmt, sondern u.€a. auch von eigenen operativen Gegebenheiten, von möglichen Synergieeffekten einer Fusion und vom Wert, den die nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände des Übernahmeziels haben. Ist zum Beispiel die Erlangung der Kontrollmehrheit an einem Unternehmen Bestandteil des Aktienkaufs, etwa weil das zu erwerbende Unternehmen klein oder von hohem Free float gekennzeichnet ist, dann ist das DCF-Modell zu 10╇
Vgl. Damodaran (2002, S.€374).
194
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
favorisieren. Handelt es sich dagegen um einen Large Cap mit festem Aktionärsbesitz, bei dem eine Übernahme ausgeschlossen scheint, dann ist das Dividendendiskontierungsmodell vorzuziehen. Beispiel 5.12: Unternehmensbewertung anhand des FCFE-Modells╇ Es ist ein deutscher Blue Chip-Autohersteller zu bewerten. Als eines der größten Unternehmen in einem reifen Markt mit geringem technischem Fortschritt dürften überdurchschnittliche Wachstumsraten nicht mehr erzielbar sein. Das Unternehmenswachstum wird moderat bleiben und am deutschen Bruttoinlandsprodukt ausgerichtet sein. Damit befindet sich das Unternehmen in einer Steady-State-Phase, in der ein Bewertungsverfahren mit konstanter Wachstumsrate angemessen ist. Darüber hinaus ist die Ausschüttungsquote des Unternehmens deutlich kleiner als die erwirtschafteten Cashflows. Da sich zudem das finanzielle Leverage auf absehbare Zeit nicht verändern wird, ist insgesamt ein FCFE-Modell angemessen. Zunächst analysieren wir eine verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung des Autoherstellers: Mio.€€ Umsatz EBT Steuern Nettoergebnis
t 25.500,0 1.923,0 −╛╛673,0 1.250,0
Die Bilanz des Unternehmens offenbart einen relativ geringen Verschul845,0 dungsgrad von lediglich σ = 12.500,0 = 0,068 = 6,8 %. Neben dem kürzlich erfolgten Börsengang hat dies auch strategische Ursachen, da die investierten Großaktionäre grundsätzlich eine geringe Verschuldung anstreben. Aktiva (Mio.€€) Anlagevermögen Umlaufvermögen
t 11.200,0 2.145,0
Bilanzsumme
13.345,0
Passiva (Mio.€€) Grundkapital Eigenkapital Verbindlichkeiten Bilanzsumme
t 8.500,0 12.500,0 845,0 13.345,0
Angesichts eines risikolosen Zinses von 4,5€%, einer impliziten Risikoprämie von 5,0€% und eines Betafaktors von 1,05 ergeben sich Eigenkapitalkosten rEK von rEK = 0,045 + 1,05 · 0,05 = 0,0975 = 9,75 %
Zur Ermittlung des Unternehmenswertes ist zunächst der normalisierte FCFE zu berechnen. Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre betrugen die Investitio-
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
195
nen 2.835,0€Mio.€€, die Abschreibungen 2.635,0€Mio.€€ und der Anstieg des Working Capitals 200,0€Mio.€€ p.€a. Der normalisierte FCFE ergibt sich nach der Formel€(5.33): FCFE = NetIinc − (Capex − Dep)(1 − σ ) − WC(1 − σ ) = 1.250,0 − (2.835,0 − 2.635,0)(1 − 0,068) − 200,0(1 − 0,068) = 877,0.
Das durchschnittliche jährliche Wachstum der Industrie beläuft sich auf 3,0€%. Diese soll auch für den Autohersteller angelegt werden. Damit ergibt sich ein gesamter Unternehmenswert in Höhe von V0 =
FCFE(1+gR ) 877,0(1 + 0,03) = = 13.373,7. rEK −gR 0,0975 − 0,03
Bezogen auf 8,5€Mio. Aktien entspricht dies einem Wert je Aktie von 1,07€€. Gegenüber einem Aktienkurs von 1,20€€ ist der Autohersteller an der Börse überbewertet. Bei der Schätzung der Wachstumsraten der FCFE sollte der Investor ebenso vorsichtig sein wie bei der Schätzung der Dividendenwachstumsraten. Deutlich höhere Wachstumsraten zu veranschlagen als die der gesamten Volkswirtschaft führen in den meisten Fällen zu angreifbaren Bewertungsergebnissen. Das konstante Wachstumsmodell ist daher am besten für solche Unternehmen geeignet, die mit einer Rate in Höhe der Volkswirtschaft oder leicht darunter wachsen. Zur Schätzung der Wachstumsrate können – wie im eben gezeigten Beispiel€ 5.12 – Industriedurchschnitte verwendet werden. Dazu werden die durchschnittliche Abschreibungsund Investitionsniveaus der Vergleichsgruppe ermittelt und auf das zu bewertende Unternehmen angewendet. Alternativ dazu kann die erwartete Wachstumsrate aus den unternehmensspezifischen Parametern abgeleitet werden. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man eine modellendogene Wachstumsrate erhält, die sich aus dem Modell ableitet und mit den Modellparametern konsistent ist. Aus einem exogenen Parameter wird eine endogene Variable. Hierfür sind folgende Hintergrundinformationen wichtig: Im langfristigen Gleichgewichtszustand ist dauerhaft wertschaffendes Wachstum ebenso wenig möglich wie dauerhaft wertvernichtendes. Das Unternehmen kann keine Investitionsalternativen ausmachen, die es ihm ermöglichen, Renditen zu erwirtschaften, die über den Kapitalkosten liegen. Die Abwesenheit von Überrenditen führt dazu, dass kein Newcomer mehr dazu verleitet wird, neu in den Markt einzutreten. Damit gilt bei der Berechnung des Terminal Value, dass die unterstellten Sachanlageinvestitionen nicht kleiner sein dürfen als die prognostizierten Abschreibungen. Was zwar für ein einzelnes Jahr durchaus vorstellbar ist, darf nicht für die Berechnung des Terminal Value angesetzt werden, da sonst das Nettovermögen unablässig schrumpfen würde. Auch der entgegengesetzte Fall ist nicht möglich, da
196
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
der Unternehmenswert langfristig gegen Null tendieren würde. Geht man also für die Berechnung des Endwertes von einem Nullwachstum aus – was der durchaus heroischen Annahme entsprechen würde, dass es Notenbanker und Politiker gelungen wäre, das Gespenst der Inflation vom Erdboden verschwinden zu lassen –, dann muss gelten, dass die Investitionen in das Sachanlagevermögen bzw. in immaterielles Vermögen ihren Abschreibungen Dep (und Amortisationen Amo) entsprechen. In diesem Fall finden also nur noch Ersatzinvestitionen statt. Nettoinvestitionen werden lediglich in dem Maße modelliert, so dass sie zu einer Erweiterung des Sachanlagevermögens in Relation zur Wertschöpfung führen. Grundsätzlich kann zur Bestimmung der Wachstumsrate auf dieselbe Grundgleichung zurückgegriffen werden, die bereits in Kap.€4.4 bei der Berechnung der Dividendenwachstumsrate behilflich war. Danach gilt, dass die Wachstumsrate des FCFE dem Produkt aus thesauriertem Gewinnanteil (1╛╛− δ) und der Eigenkapitalrendite ROE entspricht, also dass
gFCFE = (1 − δ)ROE,
für ROE > 0.
(5.39)
Hier offenbart sich die Wechselbeziehung zwischen Investitionshöhe und zukünftigem Unternehmenswachstum: Je höher die Bereitschaft des Managements ist, in neue Projekte zu investieren, desto höher wird ceteris paribus das zukünftige Wachstum sein; ceteris paribus heißt hier, dass eine unveränderte Kapitalrentabilität unterstellt wird. Steigt diese dagegen im Zeitablauf an, etwa weil das Unternehmen als Start-Up noch mit sehr geringen Eigenkapitalrenditen vorlieb nehmen muss, dann kann ein kleiner absoluter Anstieg (von 1 auf 2€%) bereits einer Verdoppelung entsprechen und signifikante Auswirkungen auf das Unternehmenswachstum haben. Vergleichbare Auswirkungen kann der Wiedereintritt in die Gewinnphase für ein zyklisches Unternehmen im Zuge des allgemeinen Konjunkturaufschwungs haben. Auf gut Deutsch heißt das: Je mehr an die Aktionäre ausgeschüttet wird, desto geringer fällt das zukünftige Wachstum aus, und umgekehrt. Bei Biotechnologie-Unternehmen, bei denen Investoren eher von einer geringen Ausschüttung ausgehen, wird das Unternehmenswachstum demzufolge höher ausfallen als bei reinrassigen Dividendentiteln wie Versorgern mit einer erwartet hohen Ausschüttungsquote. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein Analyst, sollte er die erzielbaren Renditen einer Investition überschätzen, dem Unternehmen einen zu hohen Wert beimisst. Nur wenn sich die Wachstumsraten aus den modellimmanenten Parametern erklären lassen, wird diese Fehlbewertung vermieden. Der wichtigste verbleibende Parameter, der für eine konsistente Bewertung geschätzt werden muss, ist dann die zugrunde gelegte Eigenkapitalrendite. Addiert man die Nettoinvestitionen (Capex abzüglich Abschreibungen und Amortisationen) zu den Veränderungen des Net Working Capitals und dividiert den Summanden durch das betriebliche Ergebnis nach Steuern, erhält man die Thesaurierungsquote eines Unternehmens ε. Da diese der Differenz (1╛╛− δ) entspricht, ergibt sich aus Formel€(5.39) nachstehender Zusammenhang:
(1 − δ) = ε =
gFCFE . ROE
(5.40)
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
197
Ein Beispiel soll den Hintergrund dieser Formel erläutern: Ein Unternehmen mit einem konstanten langfristigen Unternehmenswachstum von 5€% und einer erwarteten Eigenkapitalrendite von 15€% hätte danach ein Drittel seines Nettoergebnisses in das Sachanlagevermögen und das Working Capital zu thesaurieren und mithin zu reinvestieren, um das zukünftige Unternehmenswachstum wertneutral zu finanzieren. Schwächen weist das FCFE-Modell immer dann auf, wenn absehbar ist, dass ein Unternehmen in den kommenden Perioden seinen Verschuldungsgrad ändert. Diese Defizite versucht das Free Cashflow to the Firm-Modell zu umgehen. Anstelle des Free Cashflows to Equity-Konzepts, bei dem lediglich Cashflows bewertungsrelevant sind, die direkt an die Aktionäre fließen, werden im Free Cashflow to the FirmModell sämtliche Cashflows des Unternehmens bewertet, die an Eigenkapital- und Fremdkapitalgeber ausgeschüttet werden (können). Eine Änderung des Verschuldungsgrads ist damit nicht länger bewertungsrelevant, da der FCFF einen Cashflow vor Berücksichtigung von Zinsaufwendungen darstellt. Bei einem konstanten Wachstum der Brutto-Cashflows lässt sich der Unternehmenswert über folgende Gleichung errechnen:
EV0 =
∞ t=0
FCFFt + NOA0 . (1 + WACC)t
(5.41)
Die beim FCFF-Modell verwendeten freien Brutto-Cashflows stehen grundsätzlich sowohl Eigen- wie Fremdkapitalgebern zur Verfügung, und zwar entweder als Dividende oder zur Bedienung der zinstragenden Verbindlichkeiten. Nachdem es sich bei der Berechnung des Enterprise Values um eine Wertbestimmung des Gesamtunternehmens handelt, sind als Diskontierungssatz die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC (Weighted Average Costs of Capital) anzusetzen, die sich aus den gewichteten Anteilen der jeweiligen Kapitalgeber sowie deren jeweiligen Diskontierungssätzen zusammensetzen (vgl. auch Kap.€3.3). Auch hier ist Marktwert nicht betriebsnotwendiger Vermögensbestandteile NOA0 bei der Berechnung des Bruttounternehmenswertes einzubeziehen. In der Theorie sollten FCFE- und FCFF-Modell zu demselben Unternehmenswert führen, solange Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz vollständig integriert sind und konsistente Annahmen über die Änderungen des Verschuldungsgrades getroffen werden. In der Praxis der Unternehmensbewertung ist das FCFF-Modell dem FCFE-Modell zu bevorzugen, wenn Unternehmen durch einen hohen Verschuldungsgrad charakterisiert sind oder eine Veränderung des Verschuldungsgrades bevorsteht, zum Beispiel infolge einer Kapitalmaßnahme oder eines umfangreichen Investitionsprojektes. In diesen Fällen weist der Marktwert des Eigenkapitals einen geringen Anteil am gesamten Enterprise Value auf, so dass das FCFE-Modell relativ sensibel auf Änderungen der Ausgangsparameter reagiert. Bei Unternehmen, die ihre angestrebte Zielkapitalstruktur erreicht haben und ihre zukünftigen Investitionsprojekte (in Sachanlagen und Working Capital) unter Zugrundelegung dieses Verschuldungsgrades finanzieren wollen, wird der FCFF den FCFE übersteigen.
198
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Im Gegensatz zum FCFE- und zum Dividendendiskontierungsmodell ermittelt die Unternehmensbewertung mit Hilfe zukünftiger Brutto Cashflows (FCFF) den gesamten Unternehmenswert, also den Marktwert des gesamten, im Unternehmen eingesetzten Kapitals, den Enterprise Value EV0. Der Bruttounternehmenswert, Enterprise Value, Aggregate Value (AV) oder Firm Value (FV) repräsentiert denjenigen Wert, den ein Investor zahlen müsste, um das Unternehmen ohne Finanzschulden und ohne liquide Mittel, also frei von Nettofinanzverbindlichkeiten zu erwerben. Das Konzept basiert auf den Überlegungen von Modigliani und Miller, wonach die Kapitalstruktur eines Unternehmens für seine Bewertung irrelevant sei. Wenn es möglich wäre, den Enterprise Value mittels einer Änderung der Kapitalstruktur zu erhöhen, dann könnten Investoren Aktien von einem optimal verschuldeten Unternehmen verkaufen und damit Aktien von einem unverschuldeten Unternehmen kaufen und so einen risikofreien Arbitragegewinn erzielen. Dieser Vorgehensweise liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Fähigkeit, Einzahlungsüberschüsse zu erwirtschaften, von der gesamten Aktivseite einer Bilanz ermöglicht wird. Auf der Passivseite der Bilanz wird demgegenüber abgebildet, welche Kapitalgeber Ansprüche auf diese Cashflows haben. Erst die Einbeziehung sämtlicher Kapitalgeber kann Aufschluss über die Bewertung des operativen Risikos durch den Kapitalmarkt geben. Die meisten DCF-Modelle berücksichtigen ausschließlich Eigen- und Fremdfinanzierung. Damit setzt sich der Enterprise Value aus folgenden Komponenten zusammen:
EV0 = EK0 + FK0 .
(5.42)
Allerdings gibt es Finanzierungsformen, die sich weder der einen noch der anderen Kategorie einwandfrei zuordnen lässt. Zu diesen zählen u.€a. Finanzinstrumente und Rückstellungen. Für die Unternehmensbewertung muss vorab entschieden werden, zu welcher der beiden Basiskategorien, Eigen- oder Fremdkapital, diese jeweils zuzuordnen sind. Gemäß dieser Sichtweise ergibt sich der Wert des Eigenkapitals als die Summe aus Marktkapitalisierung EK0 und den Anteilen Dritter MI0, der Marktwert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens NOA0 ist dagegen zu subtrahieren:
EK0 = EK0St + EK0Vz − NOA.
(5.43)
Bei der Marktkapitalisierung handelt es sich um den Börsenwert sämtlicher ausstehender Aktien zum Bewertungsstichtag, sowohl Stamm- als auch Vorzugsaktien. Unter dem IFRS-Regime werden eigene Aktien (Treasury Shares) aus Aktienrückkaufprogrammen systematisch vom Grundkapital eliminiert. Sind sie von der Gesellschaft noch nicht endgültig eingezogen worden und befinden sich dementsprechend noch in der Bilanz, dann sollte diese Bereinigung vom Investor selbst vorgenommen werden. Treasury Shares sollten also weder bei der Berechnung der Marktkapitalisierung noch bei der Ermittlung von „je Aktie“-Zahlen berücksichtigt werden. Konsequenterweise sind eigene Aktien, sollten sie schließlich doch ver-
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
199
kauft werden, als Kapital erhöhende Maßnahme zu verstehen und wieder in die Berechnung der Marktkapitalisierung einzubeziehen11. Um die Ansprüche Dritter auf die Gewinne eines nicht zu 100€ % gehaltenen Tochterunternehmens zu berücksichtigen sind Minderheitsanteile MI0 aus der Berechnung des Enterprise Values herauszurechnen. Dies wird vor allem dann einleuchtend, wenn man bedenkt, dass Minderheitsanteile Fremdkapitalcharakter haben. Um die vollständigen Ansprüche an den Gewinn einer nicht zu 100€% gehaltenen Tochtergesellschaft abzuleiten, müssen diese vorab an die Minderheitsgesellschafter ausbezahlt werden. Der Marktwert des Fremdkapitals FK0 entspricht der Summe aus Marktwert der zinstragenden Bruttoverschuldung Debt0 und Marktwert der Pensionsrückstellungen PR0 abzüglich der Liquidität des Unternehmens Cash:
FK0 = Debt0 + PR0 − Cash
(5.44)
Der Anspruch der Fremdkapitalgeber wird durch die zinstragende Bruttoverschuldung dargestellt. Zu dieser Position zählen insbesondere Unternehmensanleihen, Gesellschafterdarlehen (wenn verzinslich), Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, gegenüber verbundenen Unternehmen und gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Genussrechte, Gesellschafterdarlehen, Wechselverbindlichkeiten und Verbindlichkeiten aus operativem Leasing. Nicht in das verzinsliche Fremdkapital gehen dagegen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen ein, Steuerverbindlichkeiten, Rückstellungen, Pensionsrückstellungen und sonstige Verbindlichkeiten, sofern sie explizit nicht als zinstragend ausgewiesen wurden. Ebenfalls in die Berechnung einzubeziehen sind Rückstellungen, insbesondere Pensionsrückstellungen12, die gerade bei traditionellen Industriekonzernen von erheblicher Bedeutung sein können. Pensionsrückstellungen sind Rückstellungen für Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung eines Unternehmens. Sie werden hierzulande als attraktive, weil zins- und mitsprachefreie Möglichkeit der Innenfinanzierung angesehen und daher kaum in Pensionsfonds ausgelagert („Unfunded pension plans“). Die jährlichen Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen, die in der Gewinn- und Verlustrechnung als Personalaufwand erfolgswirksam verbucht werden, lassen sich in zwei Komponenten aufspalten: Zum einen in den Zinsaufwand, der sich aus der Verzinsung des Vorjahresbestands ergibt, und zum anderen in den Barwert der neu erworbenen Ansprüche. Da zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung unsicher ist, ob, wann und in welcher Höhe Versorgungszahlungen zu leisten sind, erfolgt eine Bewertung der Pensionsrückstellungen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen. Seit Einführung des BilMoG wird dabei Vgl. auch Vernimmen et€al. (2009, S.€116). Anders dagegen die meisten Finanzinformationsdienstleister wie Bloomberg, die aus Vereinfachungsgründen Pensionsrückstellungen bei der Berechnung des Enterprise Value vernachlässigen. 11╇
12╇
200
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
der Diskontierungssatz, mit dem die Versorgungsleistungen abzuzinsen sind, über einen Marktzins festgelegt. Dieser soll aus der durchschnittlichen Restlaufzeit der Verpflichtungen abgeleitet werden und ist, zur Vermeidung zufälliger Schwankungen aus dem Durchschnitt der Zinssätze über die vergangenen sieben Jahre zu bilden. Unabhängig von der Höhe der Rückstellungsbildungen stellen Pensionsrückstellungen einen Anspruch der Mitarbeiter an ihr Unternehmen dar und haben somit eindeutig Schuldcharakter, zumal ihnen kein deckungsgleicher Aktivwert in der Bilanz gegenübersteht. Da Pensionsrückstellungen in voller Höhe für die Mittelverwendung auf der Passivseite zur Verfügung stehen, ist auch ihr voller Betrag für die Berechnung des Enterprise Value bei deutschen Unternehmen anzusetzen, und nicht, wie von verschiedener Seite gefordert13, lediglich die Unterdeckung der Pensionsverpflichtungen. Nicht nur mit Pensionsrückstellungen ist auf diese Weise zu verfahren, auch mit anderen Rückstellungen, solange sie nicht unmittelbar mit dem operativen Geschäftsbetrieb zusammenhängen, das heißt, solange ihre Bildung nicht ein für das Geschäftsvolumen übliches und wiederkehrendes Ausmaß annimmt. Insbesondere Rückstellungen für Urlaub, die Abschlussprüfung, für Abfindungen oder ausstehende Rechnungen fallen in diese Kategorie nicht bewertungsrelevanter Rückstellungen14. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der Kassenbestand des Unternehmens, also die Summe der Bankguthaben, Kassenbestände sowie nicht betriebsnotwendiger Finanzanlagen (z.€ B. Wertpapiere). Diese Positionen werden von der Bruttoverschuldung abgezogen. In die Liquiditätsposition geht allerdings nur das so genannte Excess Cash ein, also jener Teil der liquiden Mittel, der nicht zur Aufrechterhaltung des operativen Betriebs erforderlich ist und der grundsätzlich für eine Ausschüttung an Aktionäre zur Verfügung steht. Dieser nicht betriebsnotwendige Kassenbestand kann dann mit seinem Buchwert angesetzt werden, wenn seine Habenverzinsung den Sollzinsen der Verbindlichkeiten entspricht. Nur dann ist eine Verrechnung des Excess Cash mit den zinstragenden Verbindlichkeiten – wie in Formel€(5.7) gezeigt – problemlos möglich. Besteht zwischen Soll- und Habenzins ein Unterschied, und das wird in der Regel der Fall sein, dann liegt der Marktwert des Excess Cash unter seinem Buchwert und es sind Abschläge vorzunehmen15. Durch diese Maßnahmen sind die Ansprüche sämtlicher Anteilseigner am Unternehmen abgedeckt. Um aus dem Enterprise Value (5.42) nun den Wert des Eigenkapitals zu ermitteln, sind neben der Nettoverschuldung ND0 auch die Ansprüche der Mitarbeiter (Marktwert der Pensionsrückstellungen PR0) und die Ansprüche der Minderheitsgesellschafter (Marktwert der Anteile Dritter MI0) in Abzug zu bringen. Hinzuzurechnen ist dagegen der Marktwert der nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteile NOA0. Damit ergibt sich der Marktwert des Eigenkapitals EK0 aus folgender Formel:16 Zum Beispiel Ernst et€al. (2006, S.€165). Vgl. Lehman (2011, S.€31). 15╇ Vgl. Fernández (2004, S.€7). 16╇ Vgl. insbesondere Ferris und Petitt (2002, S.€86). 13╇ 14╇
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
EK0St + EK0Vz = EV0 − ND0 − PR0 + NOA0 .
201
(5.45)
Für den Spezialfall gleichbleibender Wachstumsraten lässt sich Formel€ (5.41) zu der aus dem Gordon-Modell (4.9) bekannten Grundgleichung anpassen:
EV0 =
FCFF1 + NOA0 , WACC − gR
f ür WACC > gR .
(5.46)
Subtrahiert man von diesem Wert die Nettoverschuldung ND0, die Pensionsrückstellungen PR0 und die Minderheitsanteile MI0, addiert die nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte NOA0 und teilt den so ermittelten Wert des Eigenkapitals V0 durch die Anzahl ausstehender Aktien NoSh, so ergibt sich der innere Wert je Aktie. Die Forderung, dass (5.46) nur für WACCâ•›>â•›gR Gültigkeit hat, zeigt, dass derartige einstufige DCF-Modelle nur für relativ reife Unternehmen angewendet werden können. Wie alle Modelle, die auf spezifischen Annahmen über die Unendlichkeit beruhen, wird auch das FCFF-Modell von diesen stark beeinflusst. Hier sind die Auswirkungen sogar noch pointierter als im Dividendendiskontierungsmodell nach Gordon oder im FCFE-Modell, da der Nenner eine Differenz zwischen WACC und gR darstellt, die bei positivem Nettoverschuldungsgrad kleiner ist als die Differenz zwischen rEK und gR. Fehler in der Berechnung des Nenners werden sich daher stärker auf den Unternehmenswert auswirken als im FCFE-Modell. Um diese zu vermeiden, gelten auch hier die bekannten Annahmen, das heißt, die WACC sollten ihrem unendlichen Anspruch genügen und über ein Beta berechnet werden, das sich in der Nähe des Betas des Marktportefeuilles befindet. Beispiel 5.13: Unternehmensbewertung anhand eines FCFF-Modells╇ Ein Sportartikelhersteller mit Ambitionen auf den DAX und einem FCFF von 161,5€Mio.€€ plant, ein neues Produkt verstärkt im Ausland abzusetzen. Aufgrund der aktuell schwachen Kapitalmarktlage soll die angestrebte Internationalisierungsstrategie im Wesentlichen über die Aufnahme von zusätzlichen Bankkrediten finanziert werden. Aus diesem Grund soll vorläufig auch auf eine Dividendenausschüttung verzichtet werden. Die Eigenkapitalkosten rEK liegen aktuell bei 11,0€%, die Kosten des verzinslichen Fremdkapitals rDebt bei 7,0€%. Von sonstigen Ansprüchen abgesehen soll sich die Zielkapitalstruktur mittelfristig bei 80–20€% Eigen- zu Fremdkapital einpendeln. Der Marktwert des zinstragenden Fremdkapitals beläuft sich aktuell auf 620,0€ Mio.€ €, die Marktkapitalisierung der 80,0€Mio. ausstehenden Aktien liegt bei einem Kurs von 40,00€€ je Aktie bei 3.200,0€Mio.€€. Die durchschnittliche Steuerquote des Unternehmens liegt bei 30,0€%. Das Management schätzt, langfristig ein durchschnittliches jährliches Wachstum des FCFF von 4,0€% erzielen zu können. Aufgrund des sich verändernden Verschuldungsgrades und des angestrebten Dividendenverzichts ist ein FCFF-Modell das geeignete Bewertungsverfahren. Zu berechnen sind zunächst die WACC. Diese ergeben sich aus
202
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
EK0 Debt0 + rDebt (1 − τ ) EK0 + Debt0 EK0 + Debt0 = 0,11 · 0,80 + 0,07 · 0,20(1 − 0,30) = 0,098 = 9, 8%
WACC = rEK
Der Enterprise Value ergibt sich aus der Formel€(5.46) EV0 =
FCFF0 (1 + g) 161,5(1 + 0,040) = = 2.905,9. WACC − g 0,098 − 0,040
Abzüglich des Marktwertes des Fremdkapitals ergibt sich somit ein innerer Wert des Eigenkapitals in Höhe von V0 = 2.905,9 − 620,0 = 2.285,9
bzw. von V0,PS =
2.285,9 = 28,57, 80,0
also von 28,57€€ je Aktie. Mit einem aktuellen Kurs von 40,00€€ ist der Sportartikelhersteller also deutlich überbewertet. Dass der Unternehmenswert gesteigert werden kann, wenn die WACC sinken, ist ein Automatismus, der am Kapitalmarkt inzwischen nicht mehr unkritisch übernommen wird. Denn ein in Bewertungsfragen erfahrenes Management könnte dadurch zu übertriebenen Übernahmepreisen verführt werden, da der Anstieg des Verschuldungsgrades in der Regel nicht durch rückläufige Kursziele bestraft werden würde. Auf den ersten Blick mag es für einen Investor verlockend sein, über eine Erhöhung der Wachstumsrate g – beispielsweise durch Übernahmen – den Unternehmenswert zu steigern. Diese Vorgehensweise ist allerdings nur dann erfolgversprechend, wenn keine konsistenten Modellannahmen getroffen werden. Wird nämlich die Wachstumsrate – ähnlich wie im FCFE-Modell nach der Formel€(5.46) – aus einer sich endogenen, das heißt aus dem Modell selbst abgeleiteten Variablen ermittelt, dann ergibt sich die Wachstumsrate des operativen Ergebnisses aus der folgenden Formel17:
17╇
g = εROCE =
Capex − Dep + WC ROCE. EBIT(1 − τ )
Vgl. zum Beispiel Damodaran (2007, S.€5).
(5.47)
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
203
Anstatt über die Eigenkapitalrendite wie im FCFE-Modell wird die erwartete Wachstumsrate des Free Cashflow to the Firm g (die gleich der Wachstumsrate des operativen Ergebnisses ist) im FCFF-Modell über die Gesamtkapitalrendite ermittelt. Sie entspricht dabei dem Produkt aus Investitionsquote ε eines Unternehmens und der Gesamtkapitalrendite ROCE, einem Maßstab für die Qualität der Investitionen. Eine Gesamtkapitalrendite von 6,0€% und eine Investitionsquote von 66,0€% sind gleichbedeutend mit einer erwarteten Wachstumsrate der FCFF von 4,0€%. Bei Unternehmen mit sehr hohen Investitionsquoten (von mehr als 100€%) stammt häufig ein Großteil dieses Wachstums aus Übernahmen. Da die ermittelten Wachstumsraten für die langfristige Ermittlung des Unternehmenswertes herangezogen werden, sollten M&A-Aktivitäten explizit aus der Ermittlung der Nettoinvestitionen ausgeschlossen werden. Sinnvoll ist es, die sich aus der endogenen Ermittlung der Wachstumsrate ergebenden Werte mit den Investitionsquoten anderer Unternehmen aus der Vergleichsgruppe zu vergleichen. Da es sich bei g um einen unendlichen Parameter handelt, sollten untypische Ergebnisse wie negative Veränderungsraten des Working Capitals, die zu einem im Zeitablauf immer größer werdenden Liquiditätszufluss führen würden, bereinigt werden. Auch die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC sollten vor diesem Hintergrund ermittelt werden, das heißt unter Zuhilfenahme von Betafaktoren, die nahe dem Marktportefeuille liegen. Die Gesamtkapitalrentabilität ROCE wiederum ergibt sich aus dem mit einer normalisierten Steuerquote τ belasteten operativen Ergebnis, dividiert durch die Buchwerte des Gesamtkapitals, in der Regel also des Eigen- und Fremdkapitals, gegebenenfalls auch des operativen Leasings oder der Pensionsrückstellungen; dabei sind für die Kapitalpositionen die entsprechenden Werte des Vorjahres zu wählen:
ROCEt =
EBITt (1 − τ ) EBITt (1 − τ ) = . SAVt−1 + WCt−1 − ExcessCasht−1 CEt−1
(5.48)
Durch Aufspaltung der Gesamtkapitalrendite in ihre Einzelteile kann alternativ zu (5.47) auch geschrieben werden:
gt = εt
EBITt (1 − τ ) Umsatzt . Umsatzt CEt−1
(5.49)
Aus diesem Zusammenhang wird die Beziehung zwischen operativer Umsatzrendite und Wachstumsrate g unmittelbar ersichtlich. Beispiel 5.14: Von der Investitionsquote zum FCFF╇ Der Sportartikelhersteller aus Beispiel€5.13 erwirtschaftet im laufenden Geschäftsjahr ein operatives Ergebnis von 345,0€Mio.€€. Angesichts eines Grenzsteuersatzes von 30,0€% ergibt sich operatives Nachsteuerergebnis von EBITt (1 − τ ) = 345,0(1 − 0,3) = 241,5,
also von 241,5€Mio.€€.
204
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Die Buchwerte des Sachanlagenvermögens und des Working Capitals beliefen sich zu Ende der Vorjahresperiode auf 1.020,0€Mio.€€ und 885,0€Mio.€€, der nicht betriebsnotwendige Kassenbestands lag bei 123,0€ Mio.€ €. Damit ergibt sich ein eingesetztes Kapital in Höhe von CEt−1 = 1.020,0 + 885,0 − 123,0 = 1.782,0,
also von 1.782,0€Mio.€€. Die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE entspricht damit ROCEt =
241,5 = 0,136 = 13,6 %. 1.782,0
Die Investitionen in Sachanlagen und in das Working Capital belaufen sich auf 150,0€Mio.€€ bzw. auf 45,0€Mio.€€, die Abschreibungen in der laufenden Periode liegen bei 115,0€Mio.€€. Daraus errechnet sich eine Nettoinvestitionsquote ε von ε=
Capext −Dept + WC 150, 0 − 115,0 + 45,0 = = 0,331 = 33,1 %. EBITt (1 − τ ) 345,0(1 − 0,30)
Aus diesen Angaben kann nun die langfristige Wachstumsrate des Sportartikelherstellers bestimmt werden. Sie ergibt sich aus g = εROCE = 0,331 · 0,136 = 0,045 = 4,5 %
und liegt damit leicht über den Erwartungen des Managements von 4,0€%. Per Saldo ergibt sich damit folgende Entwicklung des FCFF: Mio.€€
t
EBIT(1â•›−â•›τ) In FCFF
241,5 −╛╛80,0 161,5
tâ•›+â•›1 252,3 −╛╛83,6 168,8
tâ•›+â•›2 263,7 −╛╛87,3 176,3
tâ•›+â•›3 275,5 −╛╛91,3 184,2
tâ•›+â•›4 287,9 −╛╛95,4 192,5
tâ•›+â•›5 300,8 −╛╛99,6 201,2
Der FCFF steigt damit von 161,5€Mio.€€ in der Periode t auf 201,2€Mio.€€ in der Periode tâ•›+â•›5 an. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate innerhalb dieser Periode beläuft sich auf 4,5€%. Die bisherigen Ausführungen gelten für etablierte Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften. Ist eine dieser beiden Voraussetzungen nicht gegeben, sind Anpassungen erforderlich. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einmaligen oder dauerhaften Verlusten, zwischen unternehmensspezifischen oder branchenspezifischen
5.4â•… DCF-Bewertungsmodelle mit konstanter Wachstumsrate
205
Defiziten oder solchen, die die gesamte Volkswirtschaft betreffen. Kann der Verlust einem bestimmten Ereignis zugeordnet werden, ist dieses aus der Ertragslage zu eliminieren; anschließend sind sämtliche Ergebnisse ohne dieses Ereignis zu ermitteln. Hat ein Unternehmen zum Beispiel Restrukturierungsrückstellungen gebildet und dessen Höhe am Kapitalmarkt kommuniziert, kann problemlos ein Als-Ob-Ergebnis berechnet werden, das die Grundlage für die Unternehmensbewertung sein kann. Erfolgt diese Bereinigung nicht, würde das Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen, die mit diesen Aufwendungen nicht konfrontiert wurden, überbewertet erscheinen. Beispiel 5.15: Wirkung von Einmalereignissen╇ Aufgrund der Schließung einer ausländischen Betriebsstätte weist der Sportartikelhersteller aus Beispiel€5.13 im Geschäftsjahr tâ•›+â•›1 einen überraschenden operativen Verlust von − 200,0€ Mio.€ € auf. Ursächlich hierfür sind Schließungskosten von einmalig 400,0€ Mio.€ €. Das gesamte eingesetzte Kapital zum Ende des Vorjahres beträgt 1.862,0€Mio.€€. Die adjustierte Gesamtkapitalrendite ist damit ROCEt+1 =
adjEBITt+1 (1 − τ ) (−200,0 + 400,0)(1 − 0,3) = = 0,075 = 7,5 %. CEt−1 (1 + g) 1.862,0
Liegt das unterstellte Wachstum des Unternehmens weiterhin bei 4,5€%, dann leitet sich daraus eine erforderliche Nettoinvestitionsquote von ε=
4,5 % g = = 59,7 % ROCE 7,5 %
ab. Dies bedeutet, dass knapp zwei Drittel des versteuerten operativen Ergebnisses in Nettoinvestitionen (also Investitionen in Sachanlagen und Working Capital abzüglich Abschreibungen) eingeplant werden müssen. Daraus ergibt sich entsprechend Formel€(5.23) ein Free Cashflow to the Firm in Höhe von FCFFt = EBITt (1 − τ )(1 − ε) = (−200,0 + 400,0)(1 − 0,30)(1 − 0,597) = 56,4,
also von 56,4€Mio.€€. Aus diesem Wert ist nun nach der Formel€(5.46) der Enterprise Value des Sportartikelherstellers zu ermitteln. Angesichts der in Beispiel€5.13 errechneten WACC von 9,8€% ergibt sich ein Wert des betrieblichen Vermögens von EV0 =
FCFFt (1 + g) 56,4(1 + 0,045) = = 1.114,1. WACC − g 0,098 − 0,045
Von diesem Wert ist die Nettoverschuldung zu subtrahieren. Die liquiden Mittel belaufen sich auf 123,0€ Mio.€ €, die Bruttoverschuldung liegt bei
206
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
620,0€Mio.€€, so dass sich letztlich ein fundamentaler Wert des Eigenkapitals von EK0 = EV0 + Cash − Debt0 = 1.114,1 + 123 − 620,0 = 617,1,
also 617,1€Mio.€€ ergibt. Angesichts von 80,0€Mio. Stück Aktien ergibt sich ein innerer Wert je Aktie von 7,71€ €. Dieser Wert liegt deutlich unter der aktuellen Marktkapitalisierung von 3.200,0€Mio.€€ bzw. unter dem aktuellen Börsenkurs von 40,00€€ je Aktie. Immer wieder kann in der Praxis beobachtet werden, dass DCF-Modelle auch bei zyklischen Unternehmen zum Einsatz kommen. Jedoch ist ihre Ertragslage im konjunkturellen Abschwung nicht infolge von bereinigungsfähigen Einmalereignissen gedrückt, sondern von einem zyklisch wiederkehrenden Einbruch der Auftragseingänge. Die Ertragslage liegt also für einen Zeitraum von mehr als einer Periode unter ihrem langfristigen Durchschnitt, was eine Bereinigung unmöglich macht. Auch bei Unternehmen mit strukturellen, d.€ h. wiederkehrenden Defiziten, etwa infolge falscher Managemententscheidungen, einer veralteten Produktpalette oder neu in den Markt drängender Wettbewerber, ist die Verwendung von DCF-Modellen fehl am Platze. Wie oben erwähnt führen Cashflow to the Firm- und Cashflow to Equity-Konzepte nur dann zu denselben Unternehmenswerten, wenn Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz vollständig integriert sind und wenn konsistente Annahmen über den auf Marktwerten des Eigen- und Fremdkapitals beruhenden Verschuldungsgrad des Unternehmens getroffen werden. Beispiel 5.16: Vergleich der Unternehmensbewertung über FCFF- und FCFE-Modelle╇ Wir analysieren erneut den Sportartikelhersteller aus Beispiel€ 5.13 anhand eines FCFF- und FCFE-Modells mit jeweils konstanten Wachstumserwartungen. Wir wiederholen zunächst die für eine FCFF-Bewertung relevanten Kennzahlen: Das betriebliche Periodenergebnis beträgt 345,0€Mio.€€, die Verschuldung liegt bei 885,0€Mio.€€, die Fremdkapitalkosten rDebt betragen 7,0€%, die geforderte Eigenkapitalverzinsung rEK 11,0€%. 80,0€Mio. Aktien werden bei 40,00€€ gehandelt. Die durchschnittliche Steuerquote liegt bei 30,0€%. Die WACC liegen bei 9,7€%, das langfristige Wachstum soll 4,5€% betragen. Angesichts dieser Vorgaben ergibt sich ein Enterprise Value von EV0 =
345,0(1 − 0,3)(1 + 0,045) = 3.009,1. 0,097 − 0,045
Subtrahiert man hiervon den Marktwert der Verbindlichkeiten, der seinem Buchwerten entsprechen möge, so ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von
5.5â•… Das Adjusted Present Value-Konzept
207
V0 = 3.009,1 − 885,0 = 2.141,1.
Nach dem FCFE-Modell errechnen wir nun den Wert des Eigenkapitals. Beginnend mit dem Jahresüberschuss, den wir aus dem EBIT von 345,0€Mio.€€ ableiten, indem wir die Sollzinsen von 7,0€% auf das verzinsliche Fremdkapital von 885,0€Mio.€€ ansetzen, also 0,07â•›·â•›885,0â•› = â•›62,0€Mio.€€ abziehen und anschließend dieses Vorsteuerergebnis mit der Steuerquote von 30,0€% belasten. Daraus ergibt sich ein Nachsteuerergebnis von 198,0€Mio.€€. Der Wert des Eigenkapitals ist dann EK0 =
198,0(1 + 0,045) = 3.185,4 0,11 − 0,045
und damit deutlich höher als im Fall des FCFF-Verfahrens. Eine Synchronisierung der Ergebnisse gelingt uns beispielsweise über die langfristige Wachstumsrate g. Geht diese auf 1,5€ % zurück, so sind die aus dem FCFE- und FCFF-Modellen abgeleiteten Unternehmenswerte mit EK0 von 2.124,2€Mio. identisch. Diese Gleichheit ist allerdings das Ergebnis der Verschuldungsquote und den daraus abgeleiteten Modellparametern und ist keineswegs ein Automatismus. In der Praxis der Unternehmensbewertung sind derartige konsistente Annahmen nicht unproblematisch. Ist die Änderung des Verschuldungsgrads im Zeitablauf absehbar, ist das FCFF-Modell dem FCFE-Modell vorzuziehen.
5.5 Das Adjusted Present Value-Konzept Von den FCFE- und FCFF-Modellen lässt sich das Adjusted Present Value- (APV-) Konzept unterscheiden18. Bei diesem wird der Unternehmenswert in drei separaten Schritten berechnet: Ermittelt wird • im ersten Schritt der Wert eines unverschuldeten Unternehmens, • im zweiten der Barwert der Steuerersparnisse, der entsteht, wenn das Unternehmen einen bestimmten Kreditbetrag aufnimmt, und • im abschließenden dritten Schritt die Auswirkungen der Verschuldung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit, mit der das Unternehmen in Insolvenz gehen kann. Das APV-Konzept kommt daher in der Praxis vor allem bei der Bewertung von Unternehmen zur Anwendung, die von Illiquidität bedroht sind und deren Überleben nicht vorausgesetzt werden kann. Grundlage der Überlegungen ist es, eine aus18╇
Der Terminus APV geht zurück auf den Arbeiten von Myers (1974, S.€4).
208
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
schließliche Eigenfinanzierung des Unternehmens zu unterstellen. Hierfür wird der Unternehmenswert ohne Leverage ermittelt, indem die erwarteten FCFF mit den unverschuldeten Eigenkapitalkosten diskontiert werden. In einem konstanten Wachstumsmodell beispielsweise leitet sich damit der unverschuldete Unternehmenswert EV0,U (das Suffix u steht hierbei für unlevered) aus der folgenden Gleichung ab:
EV0,U =
FCFF0 (1 + g) + NOA0 . rEK,U −g
(5.50)
wobei rEK,U die Eigenkapitalkosten des Unternehmens ohne Fremdkapital sind. Die Komponenten der Gleichung sind mit Ausnahme der geforderten Verzinsung auf das Eigenkapital für den Fall, dass die Firma unverschuldet wäre, rEK,U, bekannt. Dieser Diskontierungssatz ist kleiner als die Eigenkapitalverzinsung eines verschuldeten Unternehmens, da die Aktionäre das finanzielle Risiko, das aus der Aufnahme von verzinslichem Fremdkapital resultiert, selbst tragen müssen. Für den Fall, dass ein Unternehmen ohne jedes Leverage finanziert wurde, gilt dementsprechend rEKâ•› = â•›rEK,Uâ•› = â•›WACC, da dann Eigenkapital die einzige Finanzierungsquelle der Gesellschaft ist. Der zweite Schritt startet mit der Überlegung, worin die positiven und negativen Effekte von Schulden auf den Unternehmenswert liegen. Die positiven Folgen auf den Unternehmenswert bestehen darin, dass durch die Zuführung von Fremdkapital steuerliche Vorteile geschaffen werden – da Zinsaufwendungen steuerlich abzugsfähig sind. Negativ wirkt sich aus, dass durch eine zunehmende Verschuldung das Insolvenzrisiko ansteigt. Per Saldo entsprechen die Auswirkungen der Fremdfinanzierung dem Produkt aus dem Zinssatz it, der zinstragenden Bruttoverschuldung Debtt und der erwarteten durchschnittlichen Steuerquote des Unternehmens τt. Anschließend ist der Barwert des Tax Shields über die Diskontierung anhand der Eigenkapitalkosten zu ermitteln:
Vτ =
∞ τt it Debtt . (1 + rEK )t t=1
(5.51)
Im dritten Schritt werden die Auswirkungen der Verschuldung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit analysiert, dass das Unternehmen seine Verbindlichkeiten nicht länger bedienen kann und daher in Insolvenz geht. Ist ω die Insolvenzwahrscheinlichkeit und V0,ω der Barwert der Insolvenzkosten, errechnet sich der Barwert der erwarteten Insolvenzkosten Ve0,ω aus folgender Formel:
e V0,ω = ωV0,ω .
(5.52)
Beläuft sich also der erwartete Wert eines Zahlungsstroms auf 20,0€Mio.€€, die möglicherweise zu erzielenden Verkaufserlöse der Vermögenswerte auf 10,0€ Mio.€ €, dann liegt der Barwert der erwarteten Insolvenzkosten bei einer Insolvenzwahrscheinlichkeit von 20,0€% bei Ve0,ω = 20,0 − 10,0 · 20,0 % = 18,0.
5.5â•… Das Adjusted Present Value-Konzept
209
Diese Kosten der möglichen Insolvenz sind in einer Unternehmensbewertung als Abzugsposition zu berücksichtigen. Dieser Vorgang hat allerdings einen akademischen Anstrich. Denn ein Rezept, wie die Insolvenzkosten geschätzt werden sollen, wird von den Verfechtern des APV-Ansatzes nicht mitgeliefert. Ein naheliegender Ansatz basiert auf Kredit-Ratings. Zum Beispiel könnten zu verschiedenen Verschuldungsgraden die jeweiligen Kredit-Ratings geschätzt und anhand verfügbarer Tabellen die empirischen Insolvenzwahrscheinlichkeiten abgeleitet werden. Die Schätzfehler dieser und anderer, in der Literatur vorgeschlagenen Ansätze19 dürften allerdings beträchtlich sein. Darüber hinaus muss hinterfragt werden, ob die mit der Ermittlung der Insolvenzkosten verbundenen Aufwendungen ökonomisch sinnvoll sind, haben Untersuchungen doch ergeben, dass die Insolvenzkosten im Vergleich zum gesamten Unternehmenswert verschwindend gering sind20. Wie auch immer, der gesamte Unternehmenswert gemäß dem APV-Ansatz entspricht dem Wert des vollständig eigenfinanzierten Unternehmens zuzüglich des Barwertes des mit den Fremdkapitalkosten diskontierten Steuervorteils abzüglich der erwarteten Insolvenzkosten. Zusammengefasst ergibt sich der Unternehmenswert über folgende Gleichung:
(5.53)
e EV0 = EV0,U + Vτ + V0,ω .
Beispiel 5.17: Unternehmensbewertung anhand des APV-Ansatzes╇ Ein Turnaround-Investor erwägt, einen Textilmaschinenhersteller, dessen Aktien mittlerweile als Penny-Stock gehandelt werden, zu übernehmen und zu sanieren. Zur Ermittlung des maximalen Übernahmepreises und vor dem Hintergrund der latenten Insolvenzgefahr des Unternehmens ist ein APV-Ansatz sinnvoll. Folgende Cashflow-Ströme werden nach erfolgter Restrukturierung des Unternehmens für den Zeitraum tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›6 erwartet: Mio.€€
tâ•›+â•›1
tâ•›+â•›2
tâ•›+â•›3
tâ•›+â•›4
tâ•›+â•›5
tâ•›+â•›6
FCFF
−╛╛150,0
−╛╛80,0
−╛╛20,0
55,0
115,0
155,0
Im ersten Schritt ermitteln wir den Wert des unverschuldeten Unternehmens. Zu diesem Zweck leiten wir ein unlevered Beta aus der Peergroup ab. Dieses liegt bei 0,95. Der risikolose Zins zehnjähriger Staatsanleihen rf liegt aktuell bei 3,8€%, die aktuelle Risikoprämie rp liegt bei 4,8€%. Damit ergeben sich Eigenkapitalkosten des unverschuldeten Unternehmens von r EK,U = rf + ßU rp = 0,038 + 0,95 · 0,048 = 0,084 = 8,4 %.
Der diskontierte Wert der obigen FCFF-Reihe liegt damit bei
19╇ 20╇
Vgl. Damodaran (2006, S.€45). Warner (1977) schätzt sie beispielhaft in der Eisenbahnindustrie auf 5€% des Firmenwertes.
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
210
Mio.€€
t╛╛+╛╛1
t╛╛+╛╛2
t╛╛+╛╛3
t╛╛+╛╛4
t╛╛+╛╛5
t╛╛+╛╛6
PV
−138,4
−68,1
−15,7
39,9
77,0
95,7
Die Summe der Barwerte der Cashflows beträgt –9,7€ Mio.€ €. Zur Berechnung des Terminal Value verwenden wir eine langfristige Wachstumsrate von 2,0€%. Damit ergibt sich ein Barwert des Terminal Value
PVTV,FCFF
155,0(1 + 0,02) 2.485,6 0,084 − 0,02 = = = 1.535,5. (1 + 0,084)6 (1 + 0,084)6
Der gesamte Wert des unverschuldeten Unternehmens V0,U liegt damit bei V0,U =
6 t=1
PVFCFF,t + PVTV,FCFF = 1.525,9,
also 1.525,9€Mio.€€. Im zweiten Schritt berechnen wir die erwarteten Steuervorteile aus der Verschuldung des Unternehmens. Diese sind eine Funktion aus der Steuerquote des Unternehmens, der absoluten Schuldenhöhe und dem Nominalzins auf die Verbindlichkeiten. Der betrachtete Textilmaschinenhersteller hat unlängst eine 500€Mio.€€-Anleihe zu einer Nominalverzinsung von 13,5€ % begeben, deren Restlaufzeit bei vier Jahren liegt. Aktuell wird die Anleihe mit einem Kurs von 70,0€% gehandelt. Anhand dieser Angaben können wir zunächst den Steuervorteil der Verschuldung für die Jahre tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›4 berechnen. Dieser ergibt sich aus Vτ =
4 4 τt it Debtt 0,30 · 0,135 · 500,0 = = 66,5 t (1 + r ) (1 + 0,084)t EK t=1 t=1
Der Steuervorteil der Verschuldung beträgt mithin 66,5€ Mio.€ €. Im dritten Schritt berechnen wir die Insolvenzkosten des Unternehmens KIns. Hiefür ist die Kenntnis der Insolvenzwahrscheinlichkeit erforderlich. Zu deren Berechnung werfen wir erneut einen Blick auf die Anleihe. Die jährliche Insolvenzwahrscheinlichkeit ωIns, die der Kapitalmarkt der Anleihe zuordnet, errechnet sich aus den nominal zu leistenden Zinszahlungen des Unternehmens zuzüglich der Tilgungssumme in tâ•›+â•›4 auf der einen Seite und dem aktuellen Marktpreis der Anleihe von 350,0€Mio.€€ (70,0€% von 500,0€Mio.€€) auf der anderen Seite. Zusammengefasst gilt folgende Beziehung zur Ermittlung der jährlichen Insolvenzwahrscheinlichkeit: N (1 − ωIns )t it Debtt t=1
(1 + rf )t
+
(1 − ωIns )N Debtt = V0,Anleihe (1 + rf )N
5.5â•… Das Adjusted Present Value-Konzept
211
bzw. bei einer unterstellten Nominalverzinsung von 3,8€ % für öffentliche Bundesanleihen vergleichbarer Laufzeit: 4 (1 − ωIns )t 0, 135 · 500,0 t
t=1
(1 + 0,038)
+
(1 − ωIns )4 500,0 = 350,0. (1 + 0,038)4
Nach iterativem Vorgehen erhalten wir für die jährliche Insolvenzwahrscheinlichkeit ωIns einen Wert von gerundet 0,18 bzw. 18,0€%. Die Tatsache, dass die jährliche Insolvenzwahrscheinlichkeit in der Realität im Zeitablauf tendenziell abnehmen dürfte, übersehen wir dabei großzügig. Aus der jährlichen Insolvenzwahrscheinlichkeit ωIns ergibt sich die kumulierte Wahrscheinlichkeit, die nächsten vier Jahre zu überleben, ωÜ,kum aus ωÜ,kum = (1 − ωIns )N = (1 − 0,18)6 = 0,304 = 30,4 %
Die kumulierte Wahrscheinlichkeit, in den nächsten sechs Jahren insolvent zu werden, ωIns,kum errechnet sich damit aus ωIns,kum = 1 − ωÜ,kum = 1 − 0,304 = 0,696 = 69,5 %.
Anhand dieser Wahrscheinlichkeit errechnen wir nun den Schaden, der dem Unternehmen entsteht, wenn es tatsächlich Insolvenz anmelden muss. Dieser Schaden quantifiziert sich aus dem Notverkauf der Vermögenswerte zu einem Preis, der nicht ihrem Barwert entspricht. Hierzu betrachten wir die Quote, die vergleichbare Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit aus einem Notverkauf ihrer Vermögenswerte erzielen konnten. Angenommen, ein Wettbewerber konnte eine Notverkaufsquote von 20,0€% erzielen. Liegt der Wert der Vermögenswerte (ohne Cash) bei 400,0€Mio.€€, dann ergibt sich ein zu erzielender Liquidationserlös von 80,0€Mio.€€. Dieser muss dem Barwert des im Zeitpunkt tâ•›+â•›6 zu erzielenden Going Concern-Unternehmenswertes von V0,t+6 =
155,0 2.485,8 + = 95,7 + 1.535,5 = 1.631,3 6 (1 + 0,084) (1 + 0,084)6
gegenübergestellt werden. Dann ergeben sich schließlich folgende Kosten der Insolvenz KIns KIns =ωIns,kum (LiquidErlös − V0,t+6 ) = 0,695(80,0 − 1.631,3) = −1.079,7.
Wir addieren nun die in den drei Schritten berechneten Werte und erhalten aus EV0 = V0,U + Vτ − KIns = 1.525,9 + 66,5 − 1.079,7 = 512,7,
also 512,7€Mio.€€. Dies ist der maximale Preis, der aus einem APV-Ansatz für die Übernahme des Textilmaschinenherstellers gezahlt werden kann.
212
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Die dem APV-Modell zugrunde liegende Annahme ist, dass es einfacher ist, die absolute Höhe des Fremdkapitals für die Unternehmensbewertung zu ermitteln als die relative. In der Realität werden Unternehmen die Bereitschaft zur Schuldenaufnahme nicht von der Höhe der Marktkapitalisierung oder – schlimmer noch – einem inneren Wert des Eigenkapitals abhängig machen, sondern würden vielmehr die absolute Höhe der Verschuldung festsetzen. Die Problematik dieser Vorgehensweise ist jedoch, dass die Verschuldung des Unternehmens im Zeitablauf konstant gehalten wird. Und ein zweiter Unterschied kristallisiert sich heraus: Während im FCFF-Ansatz die steuerlichen Vorteile der Finanzverschuldung über eine konstante Fremdkapitalquote errechnet werden, werden diese im APV-Modell auf Basis einer bestehenden absoluten Bruttoverschuldung ermittelt. Bei Unternehmen, die im Zeitablauf wachsen, wird der FCFF-Ansatz tendenziell höhere Unternehmenswerte ermitteln als das APV-Modell, da in ersteren die erwarteten Steuervorteile einer zukünftigen Bruttoverschuldung eingearbeitet werden. Die APV-Methode hat also den Vorteil, dass durch die getrennte Analyse wertbeeinflussende Faktoren separat bewertet werden können. Dieser Vorteil ist umso größer, je stärker sich die Kapitalstruktur im Zeitablauf ändert – sofern auf diese Änderungen nicht durch eine stetige Anpassung der Diskontierungssätze reagiert werden soll. Dieser Vorteil ist jedoch gleichzeitig der größte Nachteil des APV-Ansatzes, wenn nämlich durch die komponentenweise Ermittlung des Unternehmenswertes gegenseitige Abhängigkeiten der Liquiditätsströme vernachlässigt werden21. Insbesondere das Insolvenzrisiko wird von Verfechtern des APV-Ansatzes häufig unterschlagen. Allein die Vorteile eines absoluten Verschuldungsniveaus zu berücksichtigen, dabei ihre Nachteile zu unterschlagen führt zu einer tendenziellen Überschätzung des Unternehmenswertes.
5.6 DCF-Mehrphasenmodelle Ähnlich problemlos wie die Dividendendiskontierungsmodelle können auch die in Kap.€5.2 vorgestellten Bewertungsmodelle mit konstantem Wachstum zu Zweiund Mehrphasenmodellen erweitert werden, in denen das Unternehmen während der ersten Phase höhere Wachstumsraten aufweist als während der nachgelagerten. Hierdurch können wesentlich flexiblere Geschäftsplanungen modelliert werden, insbesondere Wachstums- und Reifephasen. Allgemein ergibt sich der Unternehmenswert für ein zweiphasiges Cashflow to Equity-Modell aus folgender Gleichung:
V0 =
n FCFEt TVn t + (1 + rEK )n (1 + r ) EK t=0
und für Cashflow to the Firm-Modelle (Entity-Methode): 21╇
Vgl. Suckut (1992, S.€137).
(5.54)
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
EV0 =
213
n t=0
FCFFt TVn t + (1 + WACC)n . (1 + WACC)
(5.55)
In diesen einfachen Zweiphasenmodellen entspricht der innere Wert des Eigenkapitals V0 bzw. des Unternehmens EV0 der Summe der zukünftigen Einnahmeüberschüsse FCFEt bzw. FCFFt in der Detailplanungsperiode und des Fortführungsbzw. Endwertes TVn, die mit ihren jeweiligen Kapitalkosten auf die Gegenwart diskontiert wurden. Um die Cashflows während der Detailplanungsperiode ermitteln zu können, muss eine konsistente Planung für die Gewinn- und Verlustrechnung, die Bilanz und die Kapitalflussrechnung vorgenommen werden. Für die Zeit nach Beendigung der Detailplanungsphase, die gewöhnlich drei bis zehn Jahre dauert, ist ein Endwert zu ermitteln, der für gewöhnlich einen erheblichen Anteil am Unternehmensgesamtwert ausmacht. Gleichung€ (5.54) stimmt mit dem Dividendendiskontierungsmodell aus Formel€ (4.4) überein, sofern die Einnahmeüberschüsse vollständig an die Aktionäre ausgeschüttet werden22. Dementsprechend ist das FCFE-Modell am besten geeignet für Unternehmen, die entweder deutlich weniger ausschütten, als sie könnten (z.€B. Divâ•›<â•›FCFE), oder deren Ausschüttungsquote über dem langfristig durchzuhaltenden Wert liegt (z.€B. Divâ•›>â•›FCFE). Neben den drei Ausgangsfragen23, die in DCF-Modellen grundsätzlich zu beantworten sind, nämlich den Fragen, wie hoch die aus den bestehenden Vermögenswerten erwarteten Cashflows sein werden, wie hoch die Werte sein werden, die aus zukünftigen Investitionen geschaffen werden, und wie risikobehaftet die generierten Cashflows sind, ist zur Ermittlung des Unternehmenswertes in mehrperiodischen DCF-Modellen eine vierte Frage zu klären, nämlich wie lange die Wachstumsphase ist, während der ein Unternehmen Überrenditen erwirtschaften kann. Denn nur während dieser Zeitspanne kann das Unternehmen Renditen erwirtschaften, die (deutlich) oberhalb der geforderten Kapitalkosten liegen. Die zugrunde liegende Annahme ist also, dass während einer bestimmten Detailplanungsphase die Cashflows periodenspezifisch ermittelt werden und erst nach dem Planungshorizont ein uniformer und unendlicher Cashflow unterstellt wird. Sofern die Wachstumsphase nicht durch ein Patent oder ein regulatorisches Element abgesichert ist, kommt spätestens bei der Beantwortung dieser Frage ein höchst subjektives Element des Bewerters ins Spiel. Unmittelbar ersichtlich aus den beiden Gl.€(5.54) und (5.55) ist, dass die Cashflows und der Terminal Value mit jeweils denselben Kapitalkosten rEK und WACC diskontiert werden. Diese Annahme ist nur dann korrekt, wenn das Unternehmen während seiner Wachstumsphase in derselben Risikoklasse notiert wäre wie während seiner Reifephase. Obwohl diese Annahme sicherlich nicht besonders praxisrelevant ist, taucht sie dennoch in unzähligen Analystenberichten immer wieder auf. Insbesondere im Zeitalter unlimitierter Rechnerkapazitäten muss diese Vorgehens22╇ 23╇
Vgl. hierzu Modigliani und Miller (1961, S.€416). Vgl. Kap.€5.4.
214
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
weise besonders fragwürdig erscheinen. Unter der Annahme, dass sich das Risiko eines Unternehmens während seines Lebenszyklus dem des Gesamtmarktes annähert, ist auch für die Reifephase ein Diskontierungssatz zu wählen, dessen Beta sich am Marktportefeuille orientiert. Dementsprechend sind (5.54) und (5.55) wie folgt umzuformen:
n FCFEt TVn t + (1 + rEK,R )n (1 + rEK ) t=0
V0 =
bzw.:
EV0 =
n t=0
FCFFt TVn . t + (1 + WACCR )n (1 + WACC)
(5.56)
(5.57)
Hierbei repräsentieren rEK,R und WACCR die Diskontierungssätze während der Reifephase. Im Extremfall können die beiden Gl.€(5.56) und (5.57) auch zu
V0 =
bzw.:
EV0 =
n t=0
n t=0
FCFEt TVn + (1 + rEK,R )n (1 + rEK,t )t
FCFFt TVn t + (1 + WACCR )n (1 + WACCt )
(5.58)
(5.59)
mit periodenspezifischen Diskontierungssätzen rEK,t bzw. WACCt umformuliert werden. Wie auch in den Dividendendiskontierungsmodellen muss die Berechnung des Terminal Values in jedem Fall mit den Annahmen der Detailplanungsphase übereinstimmen. Grundsätzlich gelten auch für den Terminal Value die Abhängigkeiten von den drei Faktoren 1) langfristiges Wachstum der Gesellschaft, 2) eingeschlagene Investitionsstrategie und 3) angestrebtes Wachstum des Working Capital. Darüber hinaus ist der Terminal Value aber auch eine Funktion des Geschäftsmodells. Nicht selten werden gerade Rohstoffwerte über DCF-Modelle bewertet und für den Terminal Value Unendlichkeit unterstellt. Diese ist aber bei eindimensionalen Unternehmen wie Rohstoffproduzenten nicht realistisch, da jeder (nicht nachwachsende) Rohstoff per Definition nur in begrenztem Umfang vorhanden ist. Ist er erst einmal verbraucht, kann er nicht reproduziert werden. Auch für zyklische Unternehmen können DCF-Modelle nur unter sehr angreifbaren Annahmen zum Einsatz kommen. Für die Bestimmung des Terminal Values bestehen grundsätzlich drei Möglichkeiten. Erstens kann man von einer Fortführung des Unternehmens ausgehen. In diesem Fall kann der Unternehmenswert aus einem Gordon-ähnlichen Wachstumsmodell über
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
215
TVn =
FCFEn+1 FCFEn (1 + gR ) = rEK,R − gR rEK,R − gR
(5.60)
oder über
TVn =
FCFFn+1 FCFFn (1 + gR ) = WACCR − gR WACCR − gR
(5.61)
ermittelt werden, je nachdem, ob Cashflows to Equity FCFE oder Cashflows to the Firm FCFF verwendet werden. In beiden Fällen wird unterstellt, dass die Diskontierungssätze rEK,R bzw. WACCR bis in alle Ewigkeit unverändert bleiben. Damit verändern sich die Formel€(5.54) und (5.55) zu
V0 =
bzw. zu
EV0 =
n t=0
n FCFEt FCFEn+1 t + (1 + rEK,R )n (rEK,R − gR ) (1 + rEK ) t=0
FCFFt FCFFn+1 . t+ (1 + WACC) (1 + WACCR )n (WACCR −gR )
(5.62)
(5.63)
Der jeweils erste Summand auf der rechten Seite der Gl.€(5.62) und (5.63) gibt die gesamten Freien Cashflows während der ersten n Perioden auf der Zeitachse wieder, der zweite entspricht dem Freien Cashflow der Periode nâ•›+â•›1, der mit den jeweiligen Diskontierungssätzen der Reifephase auf die Gegenwart abdiskontiert wird. Der jeweilige Wert je Aktie ergibt sich, indem der ermittelte Wert des Eigenkapitals V0 durch die Gesamtzahl der insgesamt ausstehenden Aktien dividiert werden. Beispiel 5.18: Unternehmensbewertung anhand eines FCFF-Zweiphasenmodells╇ Ein führender deutscher Telekommunikationsdienstleister befindet sich in einem neuen Investitionszyklus. Von dem geplanten Einstieg in neue Wachstumsfelder wird das Unternehmen für einen Zeitraum von voraussichtlich fünf Jahren durch überdurchschnittliche Wachstumsraten profitieren. Bereits in den vergangenen fünf Jahren hat sich das Leverage aufgrund hoher Investitionsanforderungen deutlich erhöht, so dass grundsätzlich ein FCFF-Modell das geeignete Bewertungsverfahren ist und dem FCFE-Modell zu bevorzugen ist. Für ein zweistufiges Bewertungsverfahren entscheiden wir uns deshalb, weil das Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum überdurchschnittliche Wachstumsraten aufweisen wird, um anschließend auf einen langfristig stabilen Wachstumspfad zurückzukehren. Für das vergangene Geschäftsjahr weist das Unternehmen folgende verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung auf:
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
216
Mio.€€ Umsatz EBIT EBT Nettoergebnis
t 1.150,0 138,0 99,0 69,3
Die Investitionen in das Sachanlagevermögen belaufen sich auf 93,0€Mio.€€, in das Working Capital müssen insgesamt 12,0€Mio.€€ investiert werden. Die Bilanz des Unternehmens zum Stichtag ergibt sich wie folgt: Aktiva (Mio.€€) Anlagevermögen Umlaufvermögen Davon Kassenbestand Bilanzsumme
t 560,0 249,0 43,0 809,0
Passiva (Mio.€€) Verbindlichkeiten Eigenkapital Davon Grundkapital Bilanzsumme
t 650,0 159,0 115,0 809,0
Die durchschnittlichen Fremdkapitalkosten des Unternehmens liegen bei 6,9€ %, das Beta liegt während der Wachstumsphase bei 1,25 und während der Reifephase bei 1,0. Damit ergeben sich Eigenkapitalkosten während der Wachstumsphase von 0,045 + 1,25 · 0,05 = 10,8 %
und während der Reifephase von 0,045 + 1,00 · 0,05 = 9,5 %.
Der aus deutschen Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit ermittelte risikolose Zinssatz liegt bei 4,5€ %. Die Anleihe des Unternehmens mit einem Buchwert von 650,0€ Mio.€ € wird mit 6,0€ % verzinst. Der Marktwert der Anleihe beträgt 637,0€Mio.€€. Die Aktie notiert derzeit bei 9,30€€. Berechnen wir zunächst den aktuellen Verschuldungsgrad des Unternehmens: Mit einem Marktwert des Eigenkapitals von 115,0 Mio. Aktien · 9,30 € je Aktie = 1.069, 5 Mio. €
ergibt sich ein Verschuldungsgrad σ von σ =
637,0 = 37,3 %. 637,0 + 1.069,5
Anhand des Verschuldungsgrades und der durchschnittlichen Steuerquote von 30,0€% ermitteln wir die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten für die Wachstumsphase von
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
217
WACCW = 0,108(1 − 0,373) + 0,06(1 − 0,3)0,373 = 8,3 %
und für die Reifephase von WACCR = 0,095(1 − 0,373) + 0,06(1 − 0,3)0,373 = 7,5 %.
Im FCFF-Modell ist zur Berechnung der Wachstumsrate g die Gesamtkapitalrendite ROCE erforderlich. Diese ermittelt sich aus dem versteuerten operativen Ergebnis der Periode t: EBITadj = 138,0(1 − 0,3) = 96,6,
das durch den Buchwert des Gesamtkapitals dividiert wird, also ROCE =
96,6 = 12,6 %. 560,0 + 249,0 − 43,0
Nehmen wir an, dass die Investitionsquote ε der letzten fünf Jahre bei 95,0€% gelegen hat, dann ergibt sich daraus eine erwartete Wachstumsrate des FCFF in Höhe von g =εROCE = 0,95 · 0,126 = 12,0 %.
Damit ist die Grundlage für die Berechnung der FCFF-Ströme über die kommenden fünf Jahre geschaffen: t adj. EBIT (1â•›−â•›τ) ε (%) In FCFF PV
96,6 95,0 91,8
tâ•›+â•›1 108,2 95,0 102,8 5,4 5,0
tâ•›+â•›2 121,1 95,0 115,1 6,1 5,2
tâ•›+â•›3 135,6 95,0 128,9 6,8 5,3
tâ•›+â•›4 151,9 95,0 144,3 7,6 5,5
tâ•›+â•›5 170,1 95,0 161,6 8,5 5,7
Die ermittelten FCFF-Ströme werden unter Verwendung der WACC von 8,3€% auf die Gegenwart diskontiert. Die Summe der Barwerte der FCFF der kommenden fünf Jahre beträgt 26,7€Mio.€€. Im nächsten Schritt ist der Barwert des Terminal Value zu ermitteln. Gehen wir davon aus, dass die ewige Wachstumsrate des Telekommunikationsunternehmens bei 4,0€% liege, dann ergibt sich als Investitionsquote für den Terminal Value ε ein Wert von ε=
0,04 = 31,7 %. 0,126
218
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Diese Steady State-Wert liegt im langfristigen Gleichgewicht aufgrund deutlich rückläufiger Investitionsanforderungen deutlich unter dem Vergangenheitswert von 95,0€%. Basierend auf dem mit einer normalisierten Steuerquote von 30,0€% versteuerten betrieblichen Ergebnis der Periode tâ•›+â•›5 ermitteln wir daraus den Terminal Value: TV5 =
EBITt+5 (1 − τ )(1 + gR ) 120,8 = 3.429,9 = WACCR − gR 0,075 − 0,04
bzw. den Barwert des Terminal Value von TV0 =
TV5 (1 + WACCR )5
=
3.429,9 (1 + 0,075)5
= 2.386,7,
also von 2.386,7€Mio.€€. Der Gesamtwert aller betrieblichen Vermögensbestandteile summiert sich damit zu EV0 = 2.387,7 + 26,7 = 2.413,4.
Hiervon ist der Marktwert der Nettoverschuldung des Unternehmens abzuziehen, also V0 = EV0 − Debt0 + Cash = 2.386,7 − 637,0 + 43,0 = 1.819,4
Bezogen auf 115,0€Mio. Stück Aktien entspricht dies einem Wert von 15,82€€ je Aktie. Im Vergleich mit dem aktuellen Börsenkurs von 9,30€€ ist die Aktie damit deutlich unterbewertet. Das errechnete Kurspotenzial liegt bei 58,1€%. Zur Ermittlung der Unternehmenswachstumsrate g stehen die bereits aus dem vorhergehenden Kapitel bekannten Zusammenhänge gâ•› = â•›(1╛╛− δ)ROE bzw. gâ•› = â•›(1╛╛− δ) ROCE zur Verfügung. In Zweiphasenmodellen, in denen zwischen einer dynamischen und einer reifen Unternehmensentwicklung unterschieden wird, können die Wachstumsraten der einzelnen Phasen aus phasenindividuellen Ausschüttungsquoten und Eigen- bzw. Gesamtkapitalrentabilitäten ermittelt werden. Daraus folgt, dass die Ausschüttungsquoten und Eigen- bzw. Gesamtkapitalrentabilitäten in den einzelnen Phasen nicht identisch sein müssen, sondern sich durchaus unterscheiden können, also zum Beispiel in
gW = εW ROEW
und
gR = εR ROER
für die unterschiedlichen Wachstumsraten in FCFE-Modellen und in
(5.64)
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
gW = εW ROCEW
219
und
gR = εR ROCER
(5.65)
für FCFF-Modelle. Damit zeigt sich, dass eine Manipulation des Unternehmenswertes durch eine exogene Erhöhung der erwarteten Wachstumsrate nicht erfolgreich sein kann, da das, was im Terminal Value gewonnen wird, bei den Freien Cashflows der Detailplanungsphase verloren geht. Neben dem Going Concern und den daraus abgeleiteten Formeln€ (5.60) und (5.61) kann bei der Ermittlung des Terminal Value auch davon ausgegangen werden, dass die Unternehmensbeteiligung nach Ende der Detailplanungsphase verkauft wird. In diesem Fall kann der Unternehmensrestwert TV durch Multiplikatormodelle24 oder über den erwarteten Liquidationserlös bestimmt werden. Bei letzterem Verfahren, das aufgrund seiner einfachen Berechnung häufig für „quick & dirty“-Zwecke zum Einsatz kommt, sind lediglich drei Parameter zu schätzen: 1) der Buchwert der Aktiva zum Zeitpunkt der Liquidation des Unternehmens (Assetsn), 2) das durchschnittliche Alter der Aktiva und 3) die erwartete Inflationsrate π zum Zeitpunkt der Zerschlagung des Unternehmens. Dann ergibt sich der Wert der Vermögenswerte zum Liquidationszeitpunkt über folgenden Zusammenhang:
TVn = Assetsn (1 + π)DurchschnittsalterAktiva .
(5.66)
Beispiel 5.19: Liquidationserlös eines Unternehmens╇ Der Buchwert der Aktiva des Telekommunikationsdienstleisters aus Beispiel€5.18 soll in acht Jahren 1.580,0€Mio.€€ betragen. Ihr Durchschnittsalter liegt bei fünf Jahren, die erwartete Inflationsrate bei 2,5€%. Dann ergibt sich ein Liquidationserlös für das Unternehmen von RWn = Assetsn (1 + π )Durchschnittsalter Aktiva = 1.580,0(1 + 0,025)5 = 1.787,6
also 1.787,6€Mio.€€. Wesentlich verbreiteter ist dagegen die dritte Annahme, bei der man von einer Fortführung der Unternehmensbeteiligung ausgeht und Annahmen für die Zeit nach der Detailplanungsphase trifft. Beispielsweise könnte man den Fortführungswert als ewige Rente berechnen, indem eine „normalisierte“ Wachstumsrate der Cashflows unterstellt wird. Die Annahme normalisierter Wachstumsraten unterstellt, dass Unternehmen, deren Renditen die Kapitalkosten übersteigen, so lange Wettbewerber anlocken, bis durch den initiierten Preisdruck die Renditen auf die Höhe der Kapitalkosten gedrückt worden sind. Darüber hinaus wird unterstellt, dass Unter24╇
Vgl. hierzu Kap.€7.
220
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
nehmen ihre NOPAT-Marge im Gleichgewichtszustand beibehalten können und dass Ersatzinvestitionen keine Überrendite erwirtschaften. Das heißt jedoch nicht, dass kein Wachstum mehr möglich ist, sondern nur, dass dieses Wachstum keine zusätzliche Wertschöpfung erzeugt. Für einen derartigen Gleichgewichtszustand können verschiedene vereinfachende Annahmen getroffen werden. Geht man für die Berechnung des Endwertes von einem Nullwachstum aus, dann muss gelten, dass die Investitionen in das Sachanlagevermögen bzw. in immaterielles Vermögen ihren Abschreibungen entsprechen. In diesem Fall finden also nur noch Ersatzinvestitionen in das bestehende Vermögen statt. Nettoinvestitionen werden lediglich in dem Maße modelliert, als dass sie zu einer Erweiterung des Sachanlagevermögens in Relation zum Umsatz führen. Die Quote aus Investitionen und Abschreibungen muss in diesem Umfeld konstant leiben. Mit anderen Worten: Wird ein Umsatzwachstum von g unterstellt, dann belaufen sich die Nettoinvestitionen der Periode t auf (1â•›+â•›g)SAVt╛╛− 1. Angesichts dieser Vorgaben ergibt sich unmittelbar auch die Höhe der Abschreibungen. Wird unterstellt, dass jährlich ein gleichbleibender Anteil des Sachanlagenvermögens linear abgeschrieben wird, und dass ferner die Anlageintensität im Zeitablauf konstant bleibt, so ergibt sich daraus, dass die Abschreibungen ebenfalls um den Faktor g ansteigen werden. Auch das Working Capital befindet sich im Gleichgewichtsmodus. Das bedeutet, dass die Working Capital-Quote, also das Verhältnis aus Working Capital zu Umsatz, nicht negativ sein sollte. Ein negatives Working Capital würde, da es eine Abzugsposition bei der Ermittlung des Unternehmenswertes darstellt, diesen stetig erhöhen. Ein dauerhaft negatives Working Capital führt dementsprechend im Extremfall zu einem unendlich positiven Wertbeitrag des Working Capital zum Unternehmenswert. Auch bei den langfristigen Rückstellungen, also im Wesentlichen den Pensionsrückstellungen, wird sich letztendlich ein Gleichgewichtszustand einstellen, in dem die Dotierung der Rückstellung gleich ist ihren Auflösungen. Die in den Cashflow einfließende Veränderung der Rückstellungen beträgt damit gleich Null. In einem derartigen Gleichgewichtszustand gilt zum Beispiel gR EBITn (1+gR )(1 − τ ) 1 − ROCER (5.67) TVn = . (WACCR − gR ) In dieser Formel repräsentiert gR die langfristige Wachstumsrate und ROCER die langfristig erzielbare Rendite auf das eingesetzte Kapital. Betrachtet man ROCER als die Nettoinvestitionsrendite, dann stellt gR/ROCER denjenigen Anteil am operativen Ergebnis EBIT dar, der in Nettoinvestitionen fließt. Da es im langfristigen Gleichgewichtszustand aufgrund von Newcomern keine Überrenditen im Sinne von ROCEâ•›>â•›WACC geben kann und auch Unterrenditen im Sinne von ROCEâ•›<â•›WACC systematisch aus dem Markt gedrängt werden, kann ROCER durch WACCR ersetzt werden. Dies bringt eine deutliche Vereinfachung von Formel€(5.67) mit sich:
TVn =
EBITn (1+gR )(1 − τ ) . WACCR
(5.68)
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
221
Nach Diskontierung auf die Gegenwart ergibt sich der Enterprise Value des Unternehmens aus (5.55) über nachstehende Formel:
EV0 =
n t=0
FCFt EBITn (1+gR )(1 − τ ) . t+ (1 + WACC) WACCR (1 + WACCR )n
(5.69)
Wie gezeigt wurde kann die Annahme, das systematische Risiko eines Unternehmens sei während der Wachstums- und der Reifephase identisch, nicht aufrechterhalten werden. Insbesondere kommt diese Annahme in Fällen zum Tragen in denen das Unternehmen eingangs der Wachstumsphase ein hohes finanzielles Leverage aufweist und dieses im Verlauf der Wachstumsphase sukzessive abbaut, um dann in der Reifephase einen industrietypischen Verschuldungsgrad aufzuweisen. Beispiel 5.20: Verringerung des Verschuldungsgrades während der Wachstumsphase╇ Der Telekommunikationsdienstleister aus Beispiel€ 5.18 hat seinen Verschuldungsgrad durch das angestrebte Investitionsprogramm deutlich ausgebaut, um damit ein globales Expansionsprogramm zu finanzieren. Mit einer Marktkapitalisierung von 1.069,5€Mio.€€ und einem Marktwert des Fremdkapitals von 2.000,0€Mio.€€ liegt der Verschuldungsgrad bei 65,2€%. Aufgrund des im Branchenvergleich hohen Leverage liegen die durchschnittlichen Fremdkapitalkosten bei 12,0€%, was jährliche Zinsaufwendungen von 12,0€%â•›·â•›2.000,0€Mio.€€â•› = â•›240,0€Mio.€€ zur Folge hat. Es wird unterstellt, dass die Wachstumsphase (CAGR 11,3€%) noch weitere fünf Jahre andauern kann, bis die Reifephase (CAGR 4,0€ %) erreicht wird. Dennoch soll die Wachstumsphase dazu genutzt werden, den Verschuldungsgrad gleichmäßig zu reduzieren. Mit den Hausbanken wurde eine proportionale Verringerung der Sollzinsen vereinbart. Ein zweistufiges FCFF-Modell mit variablen durchschnittlichen Kapitalkosten ist demnach das angemessene Bewertungsverfahren. Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete das Unternehmen ein EBIT von 320,0€Mio.€€ und es ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€
t
EBIT EBIT(1â•›−â•›τ) Capex Dep ∆WC FCFF
320,0 224,0 − â•›12,0 4,0 − â•›34,1 181,9
tâ•› + â•›1 358,3 250,8 − â•›13,2 4,4 − â•›34,1 207,9
tâ•› + â•›2 401,3 280,9 − â•›14,5 4,8 − â•›37,5 233,7
tâ•› + â•›3 449,3 314,5 − â•›16,0 5,3 − â•›41,3 262,6
tâ•› + â•›4 503,2 352,2 − â•›17,6 5,9 − â•›45,4 295,1
tâ•› + â•›5 563,5 394,4 − â•›19,3 6,4 − â•›49,9 331,6
tâ•› + â•›6 631,0 441,7 − â•›21,3 7,1 − â•›54,9 372,6
Wir unterstellen, dass es dem Unternehmen gelingt, die Bruttoverschuldung um 10,0€% pro Jahr abzubauen. Dies zieht eine Verringerung des Beta und der Sollzinsen nach sich, wie in folgender Tabelle gezeigt:
222
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Mio.€€ FK0 EK0 ß rf (%) rp (%)
tâ•›+â•›1 2000,0 1069,5 1,25 9,0 7,0
tâ•›+â•›2 1800,0 1069,5 1,20 9,0 7,0
tâ•›+â•›3 1620,0 1069,5 1,15 9,0 7,0
tâ•›+â•›4 1458,0 1069,5 1,10 9,0 7,0
tâ•›+â•›5 1312,2 1069,5 1,05 9,0 7,0
tâ•›+â•›6 1181,0 1069,5 1,00 9,0 7,0
rEK (%)
17,8
17,4
17,1
16,7
16,4
16,0
rDebt (%) rDebt, τ (%) Debt ratio (%) WACC (%)
12,5 8,75 65,2 11,9
12,1 8,47 62,7 11,8
11,7 8,19 60,2 11,7
11,3 7,91 57,7 11,6
10,9 7,63 55,1 11,5
10,5 7,35 52,5 11,5
Wesentlicher Treiber der Eigenkapitalkosten ist die sukzessive Verringerung des Betafaktors, der sich von 1,25 auf 1,0 reduziert. Treiber der WACC ist die sukzessive Verringerung der Verschuldungsquote. Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Barwerte der FCFF für die Jahre tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›5:
PVFCFF
tâ•›+â•›1 185,8
tâ•›+â•›2 187,0
tâ•›+â•›3 188,4
tâ•›+â•›4 190,1
tâ•›+â•›5 192,0
tâ•›+â•›6 194,3
Ihre Summe entspricht damit 1.137,6€Mio.€€. Zur Berechnung des Terminal Value ist die Kenntnis der Investitionsquote gR εR erforderlich. Sie ergibt sich aus der Formel εR = ROCE . Verwenden wir als R den während der Reifephase anzusetzenden Wert einen Betrag von ROCER von 14,0€%, dann ergibt sich εR =
gR 0,04 = = 0,286 = 28,6% ROCER 0,14
Daraus folgt für den Terminal Value des FCFF aus TV6 =
EBIT6 (1 − τ )(1+gR )(1−εR ) 441,7(1 + 0,04)(1 − 0,286) = 4.397,7, = WACCR − gR 0,115 − 0,04
oder abdiskontiert auf t: TV0 =
4.397,7 (1 + 0,115)6
= 2.283,0.
Der gesamte Enterprise Value des IT-Unternehmens beläuft sich damit auf EV0 = 1.137,6 + 2.283,0 = 3.420,6.
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
223
Nach Subtraktion der Bruttoverschuldung von 2.000€Mio.€€ und Addition des Kassenbestands von 43,0€ Mio.€ € ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals in Höhe von EK0 = 3.420,6 − 2.000,0 + 43,0 = 1.463,6.
Je Aktie ergibt sich damit ein innerer Wert von 12,73€ €. Gegenüber dem aktuellen Aktienkurs von 9,30€ € ist das Unternehmen damit tendenziell unterbewertet. In der Bewertungspraxis ist es üblich, dass der Terminal Value einen hohen Anteil am gesamten Unternehmenswert einnimmt. Anteile von 75€ % und mehr sind an der Börse keine Seltenheit. Bei jungen Wachstumswerten, die während der Detailplanungsphase negative FCFE- bzw. FCFF-Werte aufweisen, kann sogar mehr als 100€% des Unternehmenswertes aus dem Terminal Value erklärt werden. In diesen Fällen spiegelt der Terminal Value nichts anderes als die Performanceerwartungen des Investors wider: Üblicherweise erwartet der Aktionär von Wachstumswerten den Großteil seiner Performance aus Kurssteigerungen. Dividenden oder Aktienrückkäufe spielen bei ihm dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Häufig wird diese Aufteilung des Unternehmenswertes zum Anlass genommen, das DCF-Konzept an sich als fragwürdiges Bewertungsverfahren zu kritisieren. Als eine zu leicht manipulierbare Größe müsse der Terminal Value lediglich geringfügig angepasst werden, dann werde sich schon das gewünschte Ergebnis einstellen. Diese Kritik ist allerdings ungerechtfertigt. Dass ein Großteil des Unternehmenswertes aus dem Terminal Value entstammt, ist kein Nachteil, sondern die Grundlage jedes Aktienerwerbs. Schließlich hat der Terminal Value bereits zum Zeitpunkt des Aktienkaufs wesentliche Teile des Aktienkurses ausgemacht. Die Veränderung des Aktienkurses während der Halteperiode basiert auf den erzielten Überrenditen, die zu prognostizieren gerade wesentliches Element der Unternehmensbewertung ist. Ob der Terminal Value vom Finanzanalysten manipuliert worden ist, lässt sich anhand der eingesetzten Parameter relativ leicht feststellen. Weniger leicht zu entkräften sind dagegen Einwände, der Terminal Value könne durch unrealistische, weil zu optimistische Prognosen im letzten Jahr der Prognosen manipuliert werden, denn derartige Hockeystick-Effekte25 haben eine Überschätzung des Unternehmenswertes zur Folge. Das Auftreten von Hockeystick-Effekten ist bevorzugt im Endstadium von Bull-Märkten zu beobachten, in denen Investoren immer optimistischere Annahmen treffen müssen, um einen ohnehin hohen Unternehmenswert für einen Einstieg zu rechtfertigen26. Im Zweifel kann hierbei eine Szenarioanalyse behilflich sein.
25╇ 26╇
Vgl. Rappaport (1999, S.€93). Vgl. Becchetti et€al. (2007).
224
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Neben dem Hockeystick-Effekt ist auch eine längerfristige Verlustsituation von einem DCF-Modell nur schwer in den Griff zu bekommen, etwa infolge eines konjunkturellen Abschwungs oder einer längerfristigen Restrukturierung. In Beispiel€5.15 wurde ein Unternehmen bewertet, das aufgrund einmaliger Ereignisse in die roten Zahlen gerutscht war. Die Bereinigung der Ertragslage von diesen außerordentlichen Faktoren war für die Unternehmensbewertung unentbehrlich. Trübt sich dagegen die Ertragslage für einen längeren Zeitraum ein, wird das Unternehmen unter Umständen erst nach Beendigung der Detailplanungsperiode wieder profitabel. Welcher Cashflow kann dann zur Berechnung des Terminal Value angesetzte werden? In diesem Fall können Mehrphasenmodelle zum Einsatz kommen, mit deren Hilfe der Unternehmenswert von Unternehmen berechnet werden, deren Ertragslage nicht von bereinigungsfähigen Einmalereignissen ins Negative gedrückt wird, sondern von konjunkturellen. Hierzu sind zukunftsbezogene Annahmen zur Gewinn- und Verlustrechnung sowie zur Bilanz zu erstellen. Beispiel 5.21: Ermittlung des Wertes eines zyklischen Unternehmens im konjunkturellen Abschwung anhand eines zweistufigen FCFE-Modells╇ Ein deutsches Chemieunternehmen, dessen Marktkapitalisierung bei derzeit 390,0€ Mio.€ € liegt, muss im laufenden Jahr einen drastischen Einbruch seiner Ertragslage hinnehmen: Nach Abzug von Abschreibungen in Höhe von 40,0€ Mio.€ € wurde ein Vorsteuerergebnis von 30,0€ Mio.€ € und ein Nachsteuerergebnis von 25,0€Mio.€€. erwirtschaftet. Investitionen in das Sachanlagevermögen beliefen sich auf 50,0€Mio.€€, für das Working Capital waren 20,0€Mio.€€ erforderlich. Die Verschuldungsquote σ für Neuinvestitionen liegt bei 40,0€%. Berechnen wir zunächst den Wert des Unternehmens anhand eines FCFEModells. Aktuell rentieren Bundesanleihen mit 4,2€%, die Risikoprämie liegt bei 4,8€%, das beta der Aktie liegt bei 1,1. Damit ergeben sich Eigenkapitalkosten rEK von r EK = 0,042 + 1,1 · 0,048 = 0,095 = 9,5 %.
Der Freie Cashflow to Equity FCFE ergibt sich damit aus FCFE = NetInc − (Capex − Dep + WC)(1 − σ )
= 25,0 − (50,0 − 40,0 + 20,0)(1 − 0,40) = 7,0.
Der Wert des Eigenkapitals ermittelt sich damit aus einem konstanten Wachstumsmodell mit g╛ = ╛4,0€%: V0 =
7,0(1 + 0,04) FCFE0 (1 + g) = = 132,8, rEK − g 0,095 − 0,04
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
225
also 132,8€Mio.€€. Mit einem Abschlag von 65,9€% gegenüber dem aktuellen Marktwert scheint das Unternehmen am Kapitalmarkt deutlich überbewertet zu sein. Diese Überbewertung ist allerdings Resultat der Ausrichtung des FCFE-Modells auf ein einziges Jahr, in dem die Ertragslage aufgrund der Rezession auf den wichtigsten Absatzmärkten daniederliegt. Eine Detailplanung der folgenden Jahre ergibt folgende Entwicklung: Mio.€€ Jahresüberschuss YoY (%)
tâ•› + â•›1 28,0 12,0
tâ•› + â•›2 39,0 39,3
tâ•› + â•›3 46,0 17,9
Der Rückgang der Ertragslage ist allein auf die zyklische Abschwächung zurückzuführen. Die Kapazitätsauslastung ist demnach niedrig und der Ertragsaufschwung kann durch die langfristigen Nettoinvestitionen ermöglicht werden. Damit errechnen sich die FCFE des Unternehmens und deren Barwerte: Mio.€€ In(1â•›−â•›σ) FCFE V0
tâ•› + â•›1 18,7 9,3 8,5
tâ•› + â•›2 19,5 19,5 16,3
tâ•› + â•›3 20,2 25,8 19,6
Der Terminal Value ergibt sich in tâ•›+â•›4 TV4 =
46,0(1 + 0,04) − 20,2(1 + 0,04) = 488,7 0,095 − 0,04
und damit als Barwert
TV0 =
488,7 (1 + 0,095)3
= 372,4,
also von 372,4€Mio.€€. Per Saldo errechnet sich ein gesamter Unternehmenswert aus (5.31) von V0 = 8,5 + 16,3 + 19,6 + 372,4 = 416,8,
also von 416,8€Mio.€€. Die Aktie ist demnach auf dem gegenwärtigen Kursniveau leicht unterbewertet. Noch schwieriger wird eine Unternehmensbewertung im Falle einer dauerhaften Verlustsituation. Die bislang vorgestellten DCF-Modelle basieren auf einem Going Concern der Gesellschaft, entweder unmittelbar oder mittelbar – in den Zweiphasenmo-
226
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
dellen. Eine Insolvenz ist in ihnen nicht vorgesehen. Hierfür sind alternative Bewertungsverfahren anzuwenden, beispielsweise wie sie in Kap.€11.2 vorgestellt werden. Eine Normalisierung der Ertragslage durch Verwendung von langfristigen Durchschnittswerten sollte nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden. Nur wenn es sich beim Ergebnis des laufenden Jahres um einen Ausreißer handelt, etwa infolge einer Restrukturierungsmaßnahme, kann eine Normalisierung der Ertragslage sinnvoll sein, für längerfristig unprofitable Unternehmen ist sie dies nicht. Die Unternehmensbewertung ist immer stichtagsbezogen. Eine Normalisierung von Ertragsströmen über einen kompletten Konjunkturzyklus steht in diametralem Widerspruch zu diesem Grundsatz. In der Regel ändern sich Unternehmen im Zeitablauf, und wenn sie es nicht tun, dann ändert sich das unternehmerische Umfeld, das konjunkturelle Umfeld, die Zinsen, Wechselkurse, kurzum alle Faktoren, die einen Einfluss auf die Unternehmensbewertung haben können. Vor allem führt eine Normalisierung dann zu einem fehlerhaften Ergebnis, wenn das Unternehmen in Bezug auf Umsätze oder Bilanzsumme im Zeitablauf größer oder kleiner geworden ist. Vergleichbar zu den Dividendendiskontierungsmodellen können auch dreistufige DCF-Bewertungsmodelle aufgestellt werden. Während der Wachstumsphase werden die Nettoinvestitionen die Abschreibungen deutlich übertreffen, während der Übergangsphase wird diese Differenz immer kleiner bis sie sich zu Beginn der Reifephase einem Wert annähert, der dem langfristigen Wachstumspfad der Volkswirtschaft(en) entspricht. Eine vergleichbare Entwicklung nehmen auch die Betafaktoren der Aktie, da sich die Geschäftsentwicklung des Unternehmens im Zeitablauf von sehr volatil zu stabil verändern wird. Beispiel 5.22: Ermittlung des Unternehmenswertes in einem dreistufigen FCFF-Modell╇ Wir analysieren einen onlinebasierten Schmuckhändler. In der vergangenen Periode t erwirtschaftete dieser Erlöse in Höhe von 230,0€Mio.€€. Dem Geschäftsmodell entsprechend unterstellen wir ein Dreiphasenmodell, bestehend aus einer fünfjährigen Wachstumsphase, in der die Umsätze mit 20,0€% pro Jahr steigen sollen, einer fünfjährigen Übergangsphase, in der sich das Umsatzwachstum sukzessive der Reifephase annähert, in der die Erlöse schließlich mit jährlich 3,0€% wachsen sollen. Die Quote der betrieblichen Aufwendungen zum Umsatz liegt im gesamten Zeitraum bei einheitlichen 60,0€%, die des Working Capitals zu Umsatz bei 15,0€%. Die Steuerquote liegt einheitlich bei 33,0€%. Damit ergibt sich folgende Übersicht über die wichtigsten Kerndaten des Unternehmens: Mio.€€ tâ•› + â•›1 Umsatz 276,0 YoY (%) 20,0 Opex 165,6 EBIT 110,4 EBIT 74,0 (1â•›−â•›τ)
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
tâ•› + â•›7
tâ•› + â•›8
tâ•› + â•›9
tâ•› + â•›10
331,2 20,0 198,7 132,5 88,8
397,4 20,0 238,5 159,0 106,5
476,9 20,0 286,2 190,8 127,8
572,3 20,0 343,4 228,9 153,4
667,3 16,6 400,4 266,9 178,8
755,4 13,2 453,2 302,2 202,4
829,4 9,8 497,7 331,8 222,3
882,5 6,4 529,5 353,0 236,5
909,0 3,0 545,4 363,6 243,6
5.6â•… DCF-Mehrphasenmodelle
227
Zu Beginn der laufenden Periode liegen die Investitionen in Sachanlagen bei 40,0€Mio.€€ und die Abschreibungen bei 25,0€Mio.€€. Beide Größen sollen mit 20,0€% p.€a. wachsen. Die Quote des Working Capital zum Umsatz beträgt für den gesamten Zeitraum 15,0€%. Damit ergibt sich folgende Entwicklung für den FCFF: Mio.€€
tâ•› + â•›1 EBIT 74,0 (1â•›−â•›t) Dep 30,0 Capex 48,0 WC 41,4 6,9 ∆â•›WC FCFF 49,1
tâ•› + â•›2 88,8
tâ•› + â•›3 106,5
tâ•› + â•›4 tâ•› + â•›5 127,8 153,4
tâ•› + â•›6 178,8
tâ•› + â•›7 202,4
tâ•› + â•›8 222,3
tâ•› + â•›9 236,5
tâ•› + â•›10 243,6
36,0 57,6 49,7 8,3 58,9
43,2 69,1 59,6 9,9 70,7
51,8 62,2 82,9 99,5 71,5 85,8 11,9 14,3 84,8 101,7
72,5 99,4 100,1 14,3 137,7
82,1 99,2 113,3 13,2 172,1
90,2 99,1 124,4 11,1 202,2
95,9 98,9 132,4 8,0 225,5
98,8 98,8 136,3 4,0 239,6
Aus Vereinfachungsgründen unterstellen wir für den kompletten Zeitraum einheitliche WACC von 7,7€ % (ßâ•› = â•›1,2, rfâ•› = â•›4,0€ %, rpâ•› = â•›5,5€ %, τâ•› = â•›33,0€ %, Ziel-Eigenkapitalquoteâ•› = â•›50,0€%). Damit ergeben sich folgende Barwerte des FCFF für den Zeitraum tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›10, Mio.€€
tâ•› + â•›1
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
tâ•› + â•›7
tâ•› + â•›8
tâ•› + â•›9
tâ•› + â•›10
PV
45,5
50,7
56,5
63,0
70,1
88,1
102,2
111,5
115,4
113,8
deren Zwischensumme bei 817,0€Mio.€€ liegt. Nun betrachten wir die dritte Phase, den Terminal Value. Der FCFF steigt um 3,0€% auf 246,8€Mio.€€ an. Der Barwert des Terminal Value ergibt sich damit über TV10 =
FCFFTV 246,8 = = 5.221,1 WACC − gR 0,077 − 0,03
bzw. abdiskontiert TV0 =
5.221,1 = 2.480,3. (1 + 0,077)10
Damit ergibt sich ein Enterprise Value aus den drei Phasen von EV0 = 817,0 + 2.480,3 = 3.297,2,
also von 3.297,2€Mio.€€.
228
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
5.7 V om EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen Ausgangspunkt des Enterprise Values ist die Marktkapitalisierung EK0 als dem Börsenwert sämtlicher ausstehender Aktien zum Bewertungsstichtag (Stamm- und Vorzugsaktien). Da sich der Enterprise Value auf die operative Geschäftstätigkeit eines Unternehmens bezieht, ist hiervon der Marktwert des Excess Cash (Kasse und kurzfristig veräußerbare Wertpapiere des Umlaufvermögens) aus der Berechnung zu eliminieren, nicht jedoch die Marktwerte der Finanzverbindlichkeiten (Debt), der Minderheitsanteile (MI) und der Pensionsrückstellungen (PR), die als Ansprüche Dritter den Ansprüchen der Kapitalgeber gleichzustellen sind. Von dieser Summe ist abschließend der Marktwert der nicht operativen Vermögenswerte zu subtrahieren.
EV0 = EK0 + (Debt0 − ExcessCash0 ) + MI0 + PR0 − NOA0
(5.70)
EK0 = EV0 − (Debt0 − ExcessCash0 ) − MI0 − PR0 + NOA0
(5.71)
und damit
In die Berechnung des Marktwertes der Bruttoverbindlichkeiten Debt0 sind zunächst die kurz- und langfristigen Finanzverbindlichkeiten einzubeziehen. Neben existierenden Ansprüchen an das Eigenkapital der Gesellschaft sind aber auch alle zukünftigen zu berücksichtigen. Hierzu zählen Wandelanleihen, Optionsanleihen oder Stock Options. Sie garantieren ihrem Besitzer einen Anspruch auf einen Teil des Unternehmens. Haben diese Ansprüche einen Marktwert, wie beispielsweise im Fall eines börsennotierten Wandlers, dann ist dieser vom Enterprise Value abzuziehen, um den Wert des Eigenkapitals zu ermitteln. Schließlich können auch sonstige Verbindlichkeiten zu den Finanzverbindlichkeiten zählen, wenn sie beispielsweise Hedging-Instrumente beinhalten. Sind die zinstragenden Finanzverbindlichkeiten börsennotiert, entspricht ihr Buchwert auch ihrem Marktwert. Ist dies nicht der Fall – und dies ist in der weit überwiegenden Mehrheit der Fall –, sind zur Berechnung des Marktwertes der zinstragenden Verbindlichkeiten theoretisch die Zinszahlungsströme der Verbindlichkeiten mit einem Zinssatz abzudiskontieren, der den Marktzinsen vergleichbarer börsennotierter Verbindlichkeiten entspricht. Näherungsweise kann auch der Buchwert der Verbindlichkeiten verwendet werden, wenn die Anleihe noch vor nicht langer Zeit emittiert worden ist, und auch bei variabel verzinslichen Anleihen entspricht der Marktwert dem Buchwert, zumindest so lange sich das Risikoprofil des Unternehmens seit der Anleihenemission nicht strukturell verändert hat. Dies wäre der Fall, wenn sich das Rating der Anleihe verschlechtert hat. Beispielsweise notierte die Anleihe von Escada Anfang August 2009 bei 25,0€%. Der Marktwert der Anleihe war demzufolge 50,0€Mio.€€, ihr Buchwert 200,0€Mio.€€. Bei der Berechnung der Finanzverbindlichkeiten sind ferner Saisonalitäten zu beachten. Ver-
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
229
schiedene Geschäftsmodelle weisen zum Jahresende regelmäßig einen unnatürlich hohen oder niedrigen Stand an Finanzverbindlichkeiten auf. In diesen Fällen könnte es angebracht sein, eine Normalisierung vorzunehmen, oder, sofern Quartalszahlen zur Verfügung stehen, den jeweils letzten veröffentlichten Stand der Nettoverschuldung anzusetzen. Marktgängige Wertpapiere und insbesondere der Bestand der im Betrieb nicht gebundenen Liquiditätsposition, das so genannte Excess Cash, sind von den Bruttoschulden für die Ermittlung der Nettoverbindlichkeiten zu subtrahieren. Was zum Excess Cash zählt und was nicht, ist unter anderem von der Industrie und dem Reifegrad des Unternehmens abhängig: Je kleiner und jünger das Unternehmen und je ineffizienter die Märkte organisiert sind, in denen es tätig ist, desto höher wird der Liquiditätsbetrag sein, den ein Unternehmen operativ vorhalten muss. Ist dagegen absehbar, dass der Liquiditätsbestand einen marktgängigen Habenzins erwirtschaftet, dann ist es wahrscheinlich nicht Teil des betriebsnotwendigen Kassenbestands und ist dementsprechend vom Enterprise Value herauszuzurechnen. Schwierig wird es, wenn der Liquiditätsbestand eines Unternehmens mit einer Rendite verzinst wird, die nicht marktgängig ist. Während Blue Chips mit eigener Treasury-Abteilung stets in der Lage sind, die jeweils aktuellen Marktkonditionen abzurufen, ist dies bei Small Caps meist nicht der Fall. Sie weisen häufig eine Verzinsung ihres Excess Cash auf, die deutlich unter den Renditen von Bundesanleihen oder vergleichbaren risikoarmen Anlagen liegt. Durch ihren nicht betriebsnotwendigen Kassenbestand vernichten diese Unternehmen daher Werte, was einen Abschlag in der Unternehmensbewertung zur Folge haben muss. In diesen Fällen kann der Marktwert des Kassenbestands über folgende Formel ermittelt werden:
V0,Cash =
rCash Cash , rf
(5.72)
mit rCash als dem Zinssatz, den das Unternehmen auf seinen Kassenbestand tatsächlich erzielt. Je größer der Abschlag, den ein Unternehmen gegenüber der theoretisch zu erzielenden Verzinsung einer Bundesanleihe hinnehmen muss, desto größer ist der Abschlag zum Buchwert des Kassenbestands. Erzielt das Unternehmen im Extremfall eine Rendite von 0€% auf seine Überschussliquidität, dann würde ihm über Formel€(5.72) überhaupt kein Wert zugestanden werden. Beispiel 5.23: Das Excess Cash in der Unternehmensbewertung╇ Wir analysieren einen Maschinenbaukonzern mit einem betrieblichen Vermögen von 1.750,0€Mio.€€ und einer nicht betriebsnotwendigen Liquidität von 250,0€Mio.€€. Wir ermitteln zunächst den kombinierten Unternehmenswert der betrieblichen Vermögenswerte und des Kassenbestands. Liegt das Beta der Aktie bei 1,2 und das Beta der Überschussliquidität bei null, dann ergibt sich ein gewichtetes Unternehmens-Beta von
230
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
β = 1,2
1.750,0 250,0 +0 = 1,05. 1.750,0 + 250,0 1.750,0 + 250,0
Unterstellen wir ferner einen risikolosen Zins von 4,0€% und eine Risikoprämie von 6,0€%, dann ergeben sich gewichtete Eigenkapitalkosten von rEK = 0,04 + 1,05 · 0,06 = 0, 103 = 10,3 %.
Die Rendite auf das operative Vermögen des Unternehmens soll im kommenden Jahr 5,0€% betragen. Damit erwirtschaftet das Unternehmen im laufenden Jahr ein operatives Ergebnis von 0,05 · 1.750,0 = 87,5 €Mio.€€. Wir unterstellen, dass der Finanzvorstand die Überschussliquidität zum risikolosen Zins anlegen kann, dann ergibt sich hieraus ein Ergebnisbeitrag von 0,04â•›·â•›250,0â•› = â•›10,0€Mio.€€. In Summe liegt das EBIT damit bei 97,5€Mio.€€. Unterstellen wir eine EBIT-Wachstumsrate von 2,5€%, dann liegt der über ein FCFE-Modell ermittelte Wert des Unternehmens bei V0 =
FCFE1 97,5(1 + 0,025) = = 1.281,0. rEK −g 0,103 − 0,025
Alternativ dazu ermitteln wir den Unternehmenswert aus den beiden Komponenten operative Vermögenswerte und Kassenbestand. Die Eigenkapitalkosten der operativen Vermögenswerte liegen bei rEK = 0,04 + 1,2 · 0,06 = 0,112 = 11,2 %
Damit ergibt sich ein Wert der operativen Vermögenswerte V0,OA von V0,OA =
FCFE1 87,5(1 + 0,025) = = 1.031,0 rEK − g 0,112 − 0,025
Unterstellen wir, dass das Unternehmen auf seinen Kassenbestand eine marktgängige Rendite von 4,0€% erwirtschaftet, dann ist der Buchwert des Kassenbestands hinzuzurechnen, so dass sich ein gesamter Unternehmenswert von 1.281,0€Mio.€€ ergibt. Das zeigt, dass das Halten von Excess Cash keine negativen Auswirkungen auf den Unternehmenswert hat, solange die Überschussliquidität eine Rendite erwirtschaftet, die ihrer Risikoklasse entspricht. Damit ist das Halten von Excess Cash weder wertvernichtend noch wertschöpfend, sondern eine wertneutrale Anlage. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Überschussliquidität in Anlagen investiert wird, aus denen keine risikoadäquate Verzinsung erzielt werden kann. Neh-
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
231
men wir beispielsweise an, dass das Unternehmen seine Liquidität auf ein Festgeldkonto anlegt, auf dem es nur eine Verzinsung von 2,5€% erhält. Der Wert des Excess Cash liegt dann nicht bei 250,0€Mio.€€, sondern nur lediglich bei V0,Cash =
250,0 · 0,025 = 156,3, 0,04
und damit um 93,8€Mio.€€ niedriger als im ursprünglichen Fall. Der gesamte Unternehmenswert verringert sich damit auf V0 = 1.031,0 + 156,3 = 1.187,3
Würde das Unternehmen dagegen den Bestand an Excess Cash ausschütten, anstelle es zu nicht risikoadäquaten Konditionen anzulegen, würde dies den Unternehmenswert um 156,3€Mio.€€ erhöhen. Komplizierter ist der Fall, in dem ein Unternehmen marktfähige Wertpapiere erworben hat. Der Erwerb von Wertpapierbeständen an anderen Unternehmen kann vielerlei Ursachen haben. Zum Beispiel, dass sich das Unternehmen durch den Erwerb unterbewerteter Wertpapiere eine höhere Rendite verspricht als sie gegenwärtig von Bundesanleihen angeboten werden. Abgesehen von spekulationsgetriebenen Anlagen erwerben viele Unternehmen Anteile, weil es zu ihrem Geschäftszweck gehört, zum Beispiel im Fall von Banken, Versicherungen oder Beteiligungsgesellschaften. Wie sind derartige Anteile an marktfähigen Wertpapieren zu bewerten? Bei großen Unternehmen mit einer Vielzahl unterschiedlicher börsennotierter Beteiligungen, wo von einem Going Concern der Gesellschaft auszugehen ist, dürfte der einzig praktikable Weg sein, den Marktwert der Beteiligungen aus den aktuellen Börsenkursen zu ermitteln, selbst wenn diese volatilen Schwankungen unterliegen. Aufund Abschläge zu erheben, wie dies zuweilen Praxis ist, dürfte nur in begründeten Ausnahmen angemessen sein. Wird das Unternehmen allerdings auf der Basis seines Liquidationswertes bewertet, ist eine Versteuerung der erzielbaren Buchgewinne erwägenswert, so dass letztlich nur die Nettoverkaufserlöse in die Bewertung einzubeziehen wären. Eine dritte Option für die Bewertung marktgängiger Wertpapiere kommt dann in Betracht, wenn die Anzahl der Beteiligungen überschaubar und gleichzeitig von Bedeutung ist: In diesen Fällen sollte der Aufwand, den Wert der Beteiligungen über ein eigenständiges DCF-Modell zu ermitteln, nicht gescheut werden. Der Barwert der Rückstellungen PR0 ist nur dann vom Enterprise Value zu subtrahieren, wenn sie ausnahmsweise in der Cashflow-Berechnung nicht explizit enthalten sind. In der Regel sind Rückstellungen für die Schließung von Fabriken bereits in den Ist-Zahlen enthalten. Anders dagegen Pensionsrückstellen. Sie sind in Deutschland wesentlich bedeutsamer als im angelsächsischen Raum: Während
232
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
sie in Großbritannien oder den USA an externe Pensionsfonds ausgezahlt werden, sind sie hierzulande zunächst nicht zahlungswirksam, sondern stehen dem Unternehmen für Investitionen zur Verfügung. Durch eine Pensionszusage entsteht eine Kreditbeziehung zwischen dem Unternehmen und dem Mitarbeiter. Der Mitarbeiter verzichtet auf einen Teil seines Gehalts, den ihm das Unternehmen nach Eintritt des Pensionsfalls mitsamt Zinsen zurückzahlt. Die zum Bewertungsstichtag bestehenden Pensionsansprüche der Mitarbeiter werden abdiskontiert und als Rückstellung passiviert. Aufgrund ihres zinsähnlichen Charakters sind Pensionsrückstellungen als Barwert zukünftiger Ruhegeldzahlungen daher in die Berechnung des Enterprise Value einzubeziehen. In die Ermittlung der bewertungsrelevanten Cashflows gehen nur die operativen Liquiditätsüberschüsse ein, nicht jedoch die Überschüsse aus nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteilen. Erträge aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen sind damit auch nicht im Unternehmenswert enthalten. Unternehmen sind jedoch in den seltensten Fällen „Pure Plays“, also auf einen einzelnen Geschäftszweck ausgerichtet, sondern verfügen neben dem operativ eingesetzten Vermögen auch über periphere Vermögenswerte, die von der eigentlichen Leistungserstellung ausgeschlossen sind. Zu diesen zählen nicht betriebsnotwendige Immobilien. Sofern diese substantiell sind und nicht bereits in die Cashflow-Bewertung eingeflossen sind, sind die separat bewerteten Marktwerte der nicht betriebsnotwendigen Vermögen für eine korrekte Unternehmensbewertung bei der Ermittlung des Enterprise Value gemäß (5.70) zu subtrahieren27. In der Regel wird dabei der Buchwert angesetzt. Zu den bedeutendsten nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteilen zählen Tochtergesellschaften, an denen die Muttergesellschaft nicht 100€% der Anteile besitzt. Weder die Ertragsströme von Beteiligungen unter 20€%, die mit ihrem Beteiligungsbuchwert aus dem Einzelabschluss in die Konzernbilanz eingehen, noch at-equity konsolidierte Minderheitsbeteiligungen zwischen 20€% und 50€%, die mit das anteilige Eigenkapital des Beteiligungsunternehmens in der Konzernbilanz verbucht werden, gehen in den operativen Cashflow der Muttergesellschaft und damit in die Bewertung dieser Cashflows ein. Bei at-equity Beteiligungen ist der Beteiligungsbuchwert von den ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellkosten abhängig, die um den jeweiligen Jahresüberschuss sowie die ausgeschütteten Dividenden zu adjustieren sind. Dieser adjustierte Buchwert hat keine Gemeinsamkeit mit dem Marktwert der Beteiligung, der erst beim Verkauf der Beteiligung ermittelt wird. Erst zu diesem Zeitpunkt wird der Buchgewinn der Beteiligung veröffentlicht, als Differenz zwischen adjustierten Anschaffungskosten und Verkaufspreis. In beiden Fällen würde eine Nicht-Einbeziehung eine systematische Unter- oder Überbewertung der Muttergesellschaft zur Folge haben, je nachdem, ob die Tochtergesellschaft profitabel ist oder nicht. Demzufolge sind die Marktwerte der nicht voll konsolidierten Tochtergesellschaften separat zu ermitteln und zu dem aus rein operativen Vermögenswerten ermittelten Enterprise Value hinzuzuzählen. Relativ trivial ist diese Addition grundsätzlich bei börsennotierten Beteilungen. Selbst auf die Gefahr hin, Sind die Werte der assoziierten Unternehmen nicht materiell, können auch die entsprechenden Beteiligungsbuchwerte angesetzt werden.
27╇
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
233
dass ein möglicherweise falscher Marktpreis in die eigene Bewertung eingearbeitet wird, dürfte es in der Praxis infolge von Zeitrestriktionen sinnvoll sein, diesen quotal anzusetzen. Auch im Fall von zum Verkauf stehenden Beteiligungen ist der Ansatz meist unproblematisch, da diese von der Gesellschaft stets mark-to-market zu bewerten sind und nicht realisierte Gewinne oder Verluste unmittelbar den Buchwert der Beteiligung vergrößern oder verringern. Der Bilanzansatz entspricht daher stets seinem anteiligen Marktwert – abgesehen von der seltenen Situation, dass es für den Außenstehenden triftige Gründe gibt, anderer Meinung als der Wirtschaftsprüfer zu sein und eine eigenständige Bewertung der Beteiligung vorzuziehen. Schwieriger ist die Bewertung von Beteiligungen, die zu Handelszwecken gehalten werden: Sie sind zwar ebenfalls zu Marktwerten zu bewerten, eventuelle Handelsgewinne oder -verluste werden jedoch direkt über die Gewinn- und Verlustrechnung verbucht. Bei ihnen sind zunächst die operativen Cashflows der Muttergesellschaft um die jeweiligen Handelsgewinne oder -verluste zu adjustieren, da diese im Konzernabschluss der Konzerngesellschaft im Finanzergebnis (unter der Position Ergebnis aus Beteiligungen oder Ergebnis aus assoziierten Unternehmen) auftauchen, und anschließend ist der Marktwert der Beteiligung zum ermittelten Unternehmenswert hinzuzuzählen. Richtig kompliziert wird eine Bewertung bei unbefristeten Beteiligungen, die gemäß IFRS mit ihren at-cost-Werten zu aktivieren sind, also mit ihren Anschaffungs- und Herstellkosten. Hier handelt es sich um historische Buchwerte, die nichts mit der ökonomischen Gegenwart zu tun haben müssen. Für die Ermittlung der Beteiligungswerte dieser Töchter sind demnach die gleichen Überlegungen anzustellen wie für die Muttergesellschaft, was im Einzelfall den Arbeitsaufwand der Unternehmensbewertung vervielfachen kann. Neben den nicht-vollkonsolidierten Töchtern gibt es auch jene, die zwar vollkonsolidiert werden, an denen die Muttergesellschaft aber nicht 100€% der Anteile besitzt. Die Aktiva und Passiva dieser Unternehmen werden nicht länger unter den Finanzanlagen geführt, sondern gehen vollständig in den Abschluss der Muttergesellschaft auf. Damit werden Vermögenswerte in den Konzernabschluss einbezogen, die der Muttergesellschaft nur zu einem Teil gehören. Im Cashflow sind damit Ertragsbestandteile enthalten, die den Aktionären gar nicht zustehen. Hierbei handelt es sich also um Positionen, die fälschlicherweise in der Unternehmensbewertung enthalten und vor Beendigung der Bewertungsarbeiten zu eliminieren sind. Von dem auf Basis des Konzernabschlusses ermittelten Unternehmenswert sind daher die Marktwerte der Minderheitsanteile MI0 zu subtrahieren. Diese erscheinen auf der Passivseite der Bilanz im Eigenkapital. Auch bei diesem Wert handelt es sich um einen fortgeführten Buchwert, der Marktwert wird erst bei einem späteren Verkauf offengelegt. Daher ist in jedem Fall auch eine separate Bewertung der Mehrheitsbeteiligungen zu erstellen, zum Beispiel über DCF-Modelle oder einen impliziten Peergroup-Multiplikator. Oder, was meist noch komplizierter sein dürfte, indem in die Bewertung der Muttergesellschaft nur der den Aktionären zustehende Teil der Beteiligung einfließt; hierfür wären also eine separate Gewinn- und Verlustrechnung, die pro-forma Bilanz und Kapitalflussrechnung zu erstellen. Beide Berechnungsmethoden sind überaus arbeitsintensiv und erfordern zudem detaillier-
234
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
te Informationen über die konsolidierte Beteiligung, die Außenstehenden vielfach nicht zur Verfügung stehen. Beispiel 5.24: Bewertung eines Konzerns╇ Nach der Übernahme zweier Gesellschaften besteht der Maschinenbaukonzern aus Beispiel€5.23 nunmehr aus der Muttergesellschaft und zwei Töchtern. Der Konzernabschluss zeigt ein operatives Ergebnis von 500,0€Mio.€€ bei einem eingesetzten Kapital von 2.000,0€Mio.€€ und Verbindlichkeiten von 750,0€Mio.€€. Die WACC des Konzerns liegen bei 9,0€%, die langfristige Wachstumsrate bei 3,0€%. Die Steuerquote liegt konzernweit bei 30,0€%. Die erste Tochter, an der der Konzern mit 50,1€ % die Mehrheit besitzt, erwirtschaftete bei einem Kapitalbestand von 500,0€Mio.€€ und zinstragenden Verbindlichkeiten von 200,0€Mio.€€ ein EBIT von 100,0€Mio.€€. WACC und Wachstumsrate liegen bei 10,0 bzw. 3,5€%, die Steuerquote liegt bei 30,0€%. An der zweiten Tochter hält der Maschinenbauer einen Minderheitsanteil. Die Beteiligungshöhe liegt bei 19,9€ %, daher wird die Gesellschaft at equity konsolidiert. Das EBIT der Tochtergesellschaft liegt bei 50,0€Mio.€€, das eingesetzte Kapital bei 200,0€Mio.€€ und das verzinsliche Fremdkapital bei 50,0€Mio.€€. WACC, Wachstumsrate und Steuerquote liegen bei 11,0,4,0 und 32,0€%. Wir bewerten zunächst die Muttergesellschaft ohne die voll konsolidierte Tochter. Mit einem Betriebsergebnis von 500,0╛╛− 100,0â•› = â•›400,0€Mio.€€ und einem eingesetzten Kapital von 2.000,0╛╛− 500,0â•› = â•›1.500,0€Mio.€€ ergibt sich ein ROCE von ROCEAG =
EBIT(1 − τ ) 400,0(1 − 0,3) = = 0,187 = 18,7 %. CE 1.500,0
Die Investitionsquote ε liegt dementsprechend bei εAG =
0,03 = 0,161 = 16,1 %. 0,187
Daraus ergibt sich ein Enterprise Value der Muttergesellschaft von EBIT(1 − τ )(1 − ε)(1+gR ) WACC−gR 400, 0(1 − 0,3)(1 − 0,161)(1 + 0,03) = = 4.034,2 0,09 − 0,03
EVAG =
und abzüglich der Verschuldung von 550,0€Mio.€€ ein Wert des Eigenkapitals V0,AG von 3.484,2€Mio.€€.
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
235
Wir bewerten nun die voll konsolidierte Tochter. Über ein ROCE von EBIT(1 − τ ) 100,0(1 − 0,3) = = 0,140 = 14,0 %. CE 500,0
ROCETochter =
und einer Investitionsquote ε von εTochter =
0,035 = 0,250 = 25,0 %. 0,140
ergibt sich ein Enterprise Value der Tochter von EVTochter =
100,0(1 − 0,3)(1 − 0,250)(1 + 0,035) = 836,0. 0,100 − 0,035
Abzüglich der Verbindlichkeiten ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 836,0╛╛− 200,0â•› = â•›636,0€ Mio.€ € bzw. ein anteiliger Wert V0,Tochter von 0,501 · 836,0â•› = â•›318,6€Mio.€€. Ebenso verfahren wir mit der at equity konsolidierten Beteiligung. Aus dem ROCE von ROCEatEq =
EBIT(1 − τ ) 50,0(1 − 0,32) = = 0,170 = 17,0 %. CE 200,0
und einer Investitionsquote ε von εatEq =
0,040 = 0,235 = 23,5 %. 0,170
ergibt sich ein Enterprise Value der Tochter von EVatEq =
50,0(1 − 0,32)(1 − 0,235)(1 + 0,04) = 386,3. 0,110 − 0,040
Abzüglich der Verbindlichkeiten von 50,0€ Mio.€ € ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 336,3€ Mio.€ € bzw. ein anteiliger Wert V0,Tochter von 66,9€Mio.€€. Der Wert des Konzerns summiert sich damit zu V0,Konzern = 3.484,2 + 318,6 + 66,9 = 3.869,7.
Zum Vergleich betrachten wir nun die Konzernbewertung, ohne dass wir eine Aufspaltung in seine Einzelteile vornehmen. Aus dem ROCE von
236
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
ROCEKonzern =
EBIT(1 − τ ) 500,0(1 − 0,3) = = 0,175 = 17,5 %. CE 2000,0
und einer Investitionsquote ε von εKonzern =
0,030 = 0,171 = 17,1 %. 0,175
ergibt sich ein Enterprise Value auf Konzernebene von EVKonzern =
500,0(1 − 0,3)(1 − 0,171)(1 + 0,03) = 4.978,3. 0,09 − 0,03
Abzüglich der Verbindlichkeiten auf Konzernebene von 750,0€ Mio.€ € und der Minderheitsanteile der voll konsolidierten Tochter in Höhe von 0,499(500,0╛╛− 200,0)â•› = â•›149,7€Mio.€€ und zuzüglich des 19,9€%igen Anteils an der at equity konsolidierten Tochter, also 0,199(200,0╛╛− 50,0)â•› = â•›29,9€Mio.€€ ergibt sich ein Wert von 4.108,5€Mio.€€. Dieses Beispiel zeigt, dass Beteiligungen, ob mehrheitlich oder minderheitlich, eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Unternehmensbewertung spielen können und es daher angebracht ist, bei absehbar bedeutenden Größenordnungen ihren jeweiligen Marktwert separat zu ermitteln und zum Unternehmenswert hinzuzurechnen bzw. bei Mehrheitsbeteiligungen den Marktwert der Minderheitsanteile vom Unternehmenswert zu subtrahieren. Nicht selten werden Beteiligungen an anderen Unternehmen ausschließlich aus Diversifikationsgründen erworben. Ihr Geschäftszweck ist damit nicht unmittelbar mit dem der Muttergesellschaft verbunden. Eine Bewertung der Beteiligungs-Cashflows anhand eines Diskontierungssatzes, der aus dem Risikoprofil der Muttergesellschaft ermittelt wurde, hat in diesen Fällen möglicherweise Verzerrungen der Wertermittlung zur Folge und eine alternative Bewertung der Beteiligungserträge ist anzustreben. Stehen dem Investor in Ausnahmefällen die notwendigen Detailinformationen über die Ertrags- und Bilanzentwicklung der Minderheitsbeteiligung zur Verfügung, ist eine Einzelbewertung der Beteiligungen durchzuführen. Ist dies nicht der Fall, kann auch auf den Beteiligungsbuchwert als Näherungsgröße für einen Wertansatz zurückgegriffen werden. Aus Praktikabilitätsgründen kann auch dann auf eine Pauschalbewertung der Beteiligung zurückgegriffen werden, wenn diese im Vergleich zum Gesamtkonzern unbedeutend ist. Diese Vorgehensweise ist insbesondere bei Personengesellschaften zu empfehlen, auf deren Beteiligungsergebnis die börsennotierte Mutter zudem Körperschaftssteuer zu entrichten hat. Abschließend ist auch der Marktwert der nicht operativen Vermögenswerte im engeren Sinn NOA0 in die Berechnung des Unternehmenswertes einzubeziehen, da deren potenziellen Mittelzuflüsse grundsätzlich für Investitionen oder Ausschüttun-
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
237
gen zur Verfügung stehen. Unternehmen besitzen in der Realität eine ganze Reihe nicht-betriebsnotwendiger Vermögenswerte, darunter brach liegende Grundstücke oder spekulative Vorratsbestände, also Vorräte, deren erwartete Spekulationsgewinne nicht im Cashflow enthalten sind und die nicht zur Aufrechterhaltung eines nachhaltig gesicherten Geschäftsbetriebs erforderlich sind. Nicht operatives Vermögen entsteht auch bei einer niedrigen Kapazitätsauslastung des Vermögens. Dieses ist allerdings für einen Außenstehenden ohne Detailangaben aus der Buchhaltung kaum zu bewerten. Und auch Besserungsscheine können zum peripheren Betriebsvermögen zählen. Gleichfalls von Bedeutung ist der Barwert steuerlicher Verlustvorträge, der falls vorhanden separat ist in die Unternehmensbewertung aufzunehmen ist. Bei der Berechnung des Wertes der Verlustvorträge wird unterstellt, dass ein potenzieller Investor nicht die Mehrheit des börsennotierten Unternehmens übernehmen will; in diesem Fall wäre die wirtschaftliche Identität des Nutzers der Verlustvorträge mit demjenigen, der die Verluste verursacht hat, nicht länger gewahrt, was die unmittelbare Abschreibung der Verlustvorträge zur Folge hätte. Unternehmen mit steuerlichen Verlustvorträgen müssen bis zum Aufbrauchen ihrer Verlustvorträge keine bzw. nur eine reduzierte Steuerlast tragen. Je weiter der Verlustvortrag aufgebraucht ist, desto stärker nähert sich die effektive Steuerquote dem Grenzsteuersatz an. Sowohl körperschaftssteuerliche wie auch gewerbesteuerliche Verlustvorträge führen, sofern von einem Going Concern des Unternehmens ausgegangen wird und diese steuerlich genutzt werden können, zu einer Steigerung des Unternehmenswertes. Die Wertsteigerung liegt in der zukünftigen Verrechnung mit zukünftigen Gewinnen und einer entsprechend verringerten Steuerbelastung begründet. So können in Deutschland nicht ausgeglichene Verluste in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1,0€Mio.€€ unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60€% des 1,0€Mio.€€ übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abgezogen werden. Die Bemessungsgrundlage von Körperschaftsund Gewerbesteuer wird in der Bewertungspraxis vereinfachend als identisch angesetzt. Die Diskontierung erfolgt anhand der Eigenkapitalkosten des Unternehmens, da von einer Steuerersparnis ausschließlich Eigenkapitalgeber profitieren. Beispiel 5.25: Berechnung des Barwertes des Verlustvortrags╇ Ein deutscher Pay-TV-Sender verfügt über unbegrenzt steuerlich nutzbare Verlustvorträge in Höhe von 370,0€ Mio.€ €. Während sich die Ertragslage in der Vergangenheit äußerst trübe entwickelt hat, sieht der Geschäftsplan des Medienkonzerns vor, in den folgenden Jahren nachstehende Ergebnisreihe zu erzielen: Mio.€€
t
Ergebnis vor Steuern YoY (%)
40,0 n/a
tâ•› + â•›1 50,0 25,0
tâ•› + â•›2 59,0 18,0
tâ•› + â•›3 67,9 15,0
tâ•› + â•›4 76,0 12,0
tâ•› + â•›5 87,2 17,6
238
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Die Summe der Ergebnisse vor Steuern über die kommenden sechs Jahre übersteigt den Betrag von 370,0€ Mio.€ €, so dass der Verlustvortrag in tâ•›+â•›5 vollkommen aufgebraucht sein wird. Man beachte, dass in tâ•›+â•›5 nur derjenige Teil steuersparend ist, der nicht über den Gesamtbetrag von 370,0€Mio.€€ hinausgeht, also 77,2€Mio.€€. Mio.€€
t
Verbleibender Verlustvortrag
330,0
tâ•› + â•›1 280,0
tâ•› + â•›2 221,0
tâ•› + â•›3 153,2
tâ•› + â•›4 77,2
tâ•› + â•›5 0,0
Der normalisierte Steuersatz des Unternehmens liegt bei 31,0€%. Damit ergibt sich folgende Reihe von Zahlungsströmen, die durch den Verlustvortrag eingespart werden können: Mio.€€
t
Steuerersparnis
7,6
tâ•› + â•›1 9,4
tâ•› + â•›2 11,1
tâ•› + â•›3 12,7
tâ•› + â•›4 14,3
tâ•› + â•›5 14,5
Bewertungsrelevant ist allerdings nicht der Nominalwert, sondern dessen Barwert. Basierend auf dem Diskontierungssatz von 11,5€% sind in nachfolgender Tabelle die jeweiligen Barwerte der Steuerersparnis abgetragen: Mio.€€
t
Barwert der Steuerersparnis
7,6
tâ•› + â•›1 8,5
tâ•› + â•›2 8,9
tâ•› + â•›3 9,2
tâ•› + â•›4 9,2
tâ•› + â•›5 8,4
Die Summe der Barwerte der Steuerersparnisse beläuft sich auf 51,8€Mio.€€. Natürlich ist diese Berechnung mit Unsicherheit verbunden. Unternehmen, die hohe Verlustvorträge „erwirtschaftet“ haben, müssen, um diese nutzen zu können, die Gewinnzone erreichen. Verschiebt sich der Zeitpunkt des BreakEven, hat dies unmittelbar Auswirkung auf den Barwert der Steuerersparnisse. Nichtsdestotrotz ist dieser Betrag grundsätzlich in die Berechnung des Enterprise Value einzubeziehen. Apropos Steuerquote: Hingewiesen wurde bereits auf die Unterschiede zwischen tatsächlicher Steuerquote und dem marginalen Steuersatz (vgl. Kap.€2.2) und die Meinung vertreten, dass effektive Steuerquoten bestenfalls während der Detailplanungsphase verwendet werden sollten, während die langfristige Steuerquote auf dem Grenzsteuersatz in Höhe von knapp 31,0€% basieren sollte. Beispiel 5.26: Einfluss der Steuerquote auf den Unternehmenswert╇ Der Maschinenbaukonzern aus Beispiel€5.23 hat im vergangenen Geschäftsjahr ein EBIT in Höhe von 100,0€Mio.€€ erwirtschaftet. Die Ersatzinvestitionen belaufen sich auf 20,0€Mio.€€. Aufgrund von latenten Steuern lag die Steuerquote im
5.7â•… Vom EV zum Equity Value: Weiterführende Erklärungen
239
Vorjahr bei niedrigen 20,0€%. Das Management glaubt, die Steuerquote mittelfristig auf dem niedrigen Niveau belassen zu können, langfristig wird jedoch mit einem Grenzsteuersatz von 33,0€% kalkuliert. Das Wachstum wird für das laufende und die nächsten drei Jahre auf 12,0€% veranschlagt, danach soll das Unternehmen mit 6,0€% wachsen. Damit ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€ EBIT EBT Investitionen FCF TV
tâ•›−â•›1 100,0 80,0 −â•›20,0 60,0
t 112,0 89,6 −â•›22,4 67,2
tâ•› + â•›1 125,4 100,4 −â•›25,1 75,3
tâ•› + â•›2 140,5 112,4 −â•›28,1 84,3
tâ•› + â•›3 157,4 125,9 −â•›31,5 94,4
TV 166,8 111,8 −â•›33,4 78,4 2.063,0
Diskontiert man die Zahlungsströme unter Zugrundelegung von durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten von 9,8€% ab, so ergibt sich folgende Reihe: Mio.€€
t
Barwert
67,2
tâ•› + â•›1 68,5
tâ•› + â•›2 69,9
tâ•› + â•›3 71,3
TV 1.558,4
Diese summiert sich zum Enterprise Value von 1.835,4€Mio.€€. Würde man stattdessen fälschlicherweise auch für den Terminal Value den gedrückten Steuersatz von 20€ % ansetzen, so würde sich der Unternehmenswert auf 2.266,5€Mio.€€ erhöhen, was die starke Abhängigkeit des Unternehmenswertes von der verwendeten Steuerquote verdeutlicht. Streng genommen ist die Unternehmensbewertung noch nicht beendet. Die niedrige Steuerquote hat nämlich die Bildung passiver latenter Steuern zur Folge28, und zwar in Höhe von
Tlatent = (112,0 + 125,4 + 140,5 + 157,4)(0,33 − 0,20) = 69,6 also von 69,6€ Mio.€ €. Angenommen, das Unternehmen würde diese latenten Steuerverbindlichkeiten ab dem Jahr tâ•›+â•›4 sukzessive auflösen, und zwar gleichmäßig über drei Jahre, dann summiert sich über die folgenden drei Jahre Mio.€€ Auflösung über 3 Jahre Barwert
tâ•› + â•›4 23,2 16,0
tâ•› + â•›5 23,2 14,5
tâ•› + â•›6 23,2 13,2
der Barwert der latenten Steuern auf 43,7€Mio.€€. Dieser ist vom Enterprise Value zu subtrahieren, so dass sich letztlich ein EV0 von EV0 = 1.835,4 − 43,7 = 1.791,7
also von 1.791,7€Mio.€€ ergibt.
28╇
Vgl. auch Damodaran (2002, S.€251).
240
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Weitere Anpassungserfordernisse können sich aus der Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens ergeben. Allen Bewertungsmodellen gemeinsam ist die Annahme des Going Concern eines Unternehmens, d.€ h. seiner fortwährenden Existenz. Junge, innovative Unternehmen mit risikobehafteten Geschäftsmodellen gehen jedoch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in einem überschaubaren Zeitraum in Insolvenz als etablierte Unternehmen mit stabilen Cashflows. Gerade in rezessiven Zeiten, in denen der Zugang zu frischem Eigenkapital über die Börse ebenso limitiert ist wie die Aufnahme von Fremdkapital, können negative Cashflows die bestehenden Liquiditätsreserven rasch aufbrauchen. Eine verbreitete Kennzahl zur Einschätzung des Insolvenzrisikos ist die CashBurn-Rate. Sie bezeichnet den Zeitraum, in dem die liquiden Mittel eines Unternehmens aufgebraucht werden, also
Casht CashBurnRate = EBITDA
t
.
(5.73)
Im Zähler steht die zur freien Verfügung stehende Liquidität des Unternehmens, im Nenner wird das (negative) EBITDA als Absolutbetrag eingesetzt. Beispiel 5.27: Cash-Burn-Rate╇ Ein Biotechnologieunternehmen wurde von einem VC-Fonds mit Eigenmitteln in Höhe von 3,0€Mio.€€ ausgestattet. Umsätze werden augenblicklich keine erwirtschaftet, die monatlichen Fixkosten liegen bei 0,25€Mio.€€, die monatlichen Capex und Investitionen in Working Capital bei 0,05€ Mio.€ €. Von einer Verzinsung des Kontos werde abgesehen. Damit ergibt sich eine Cash-Burn-Rate von CashBurnRate =
3,0 = 10,0. 0,25 + 0,05
Nach zehn Monaten hat das Unternehmen seine aktuellen Liquiditätsbestände vollständig aufgebraucht. Bewertungsrelevant wird die Cash-Burn-Rate allerdings nur bei sehr jungen Unternehmen, die noch nicht in die Liquidität generierende Phase des Lebenszyklus eingetreten sind. In diesem Fall könnte man einen Bewertungsabschlag gegenüber dem aus dem Bewertungsverfahren ermittelten Unternehmenswert vornehmen, der die Insolvenzwahrscheinlichkeit widerspiegelt. Bei reifen, Cash-positiven Unternehmen eine Insolvenzwahrscheinlichkeit einzupreisen hätte dagegen eine Doppelzählung des Risikos zur Folge. In den meisten Fällen eher eine Randnotiz dürften latente Steuerverbindlichkeiten sein. Latente Steuern werden durch Differenzen im Ansatz oder in der Bewertung von Vermögensgegenständen bzw. Schulden zwischen der Steuerbilanz und Handelsbilanz gebildet. Passive latente Steuern stellen dabei zukünftige Steuerlas-
5.8â•… Möglichkeiten und Grenzen von DCF-Modellen
241
ten dar. Ihre Berücksichtigung ist in doppelter Hinsicht schwierig: Zum einen ist fraglich, wann sie aufgelöst werden, zum anderen, ob sie überhaupt je aufgelöst werden. In der Praxis sind latente Steuerverbindlichkeiten recht stabile Größen, die selten tatsächlich ausbezahlt werden. Unter Umständen könnte also auf den Abzug latenter Steuern verzichtet werden, zumal es sich in den meisten Fällen um lediglich geringfügige Positionen handeln dürfte. Damodaran29 schlägt vor, diese als Zahlungsverpflichtung zu behandeln, die dann wirksam wird, wenn sich das Wachstum absehbar verlangsamt. Tritt ein Unternehmen also nach Ablauf der Wachstumsphase in seine Reifephase ein, kann ein Ansatz der latenten Steuern sinnvoll sein; der Barwert ist dann vom Enterprise Value zu subtrahieren. Unter Umständen kann der Equity Value, nachdem man sämtliche Positionen vom Enterprise Value subtrahiert hat, auch negativ werden. Gesetzt den Fall man hat alle Komponenten richtig berechnet, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen eines negativen Equity Values. Natürlich kann der Equity Value nicht negativ werden; dies würde ja bedeuten, dass die Aktionäre eine Nachschusspflicht hätten. Der Equity Value kann also schlimmstenfalls Null werden. Doch selbst die Aussicht, dass das betriebliche Vermögen keinen Wert habe, ist nur schwer verdaulich. Schließlich kann man es immer noch verkaufen, und der Liquidationswert ist nur sehr selten Null.
5.8 Möglichkeiten und Grenzen von DCF-Modellen Schon seit John Burr Williams seine „Theory of Investment Value“30 veröffentlicht hat, also seit dem Jahr 1938, ist bekannt, dass DCF-Modelle die theoretisch korrekte Methode sind, Aktien zu bewerten. Ausreden, diesen Finanzklassiker nicht zu kennen, gelten nicht, denn nicht nur alle Standardwerke zur Unternehmensbewertung, die diesem folgten, auch sämtliche Vorlesungen an den Universitäten aller Kontinente bauten auf seinen grundlegenden Erkenntnissen auf. Kein Wunder also, dass die meisten Kapitalmarktteilnehmer über DCF-Modelle die ersten theoretischen Einblicke in die allgemeine Unternehmensbewertung quasi mit der Muttermilch aufgesaugt haben. Beim Durchbruch geholfen hat sicherlich auch die außerordentliche Flexibilität des Verfahrens: Über DCF-Modelle können große Unternehmen ebenso bewertet werden wie kleine, profitable ebenso wie (über einen gewissen Zeitraum) unprofitable, schnell wachsende ebenso wie reife Unternehmen. Zudem steht der Liquiditätsstrom im Vordergrund und nicht eine tendenziell vom Management manipulierbare Größe wie der buchhalterische Gewinn: Daher werden Höhe und Zeitpunkt der Cashflows weder von bilanzpolitischen Korrekturen noch von der jeweiligen Finanzierungs- oder Ausschüttungspolitik beeinflusst. Auch sind Cashflows im Gegensatz zu Dividenden ein verlässlicher Indikator für die Wertschöpfung eines Unternehmens. Der größte Vorteil eines kapitaltheoretischen Ver29╇ 30╇
Damodaran (2002, S.€439). Vgl. Williams (1938).
242
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
Intellectual Capital
Operative Managemententscheidung
Umsatzwachstum Operative Marge Steuerquote Länge der Wachstumsphase
Investive Managemententscheidung
Immaterielle Werttreiber
Operativer Cashflow
Wert des Eigenkapitals
Investitionen in Sachanlagevermögen Investitionen in Working Capital Kapitalkosten
Finanzielle Managemententscheidung
Diskontierungssatz
Nettoverschuldung
Abb. 5.4↜渀 Die Werttreiber im DCF-Modell
fahrens wie dem DCF-Modell liegt allerdings darin, dass sich der Investor intensiv mit dem zu bewertenden Unternehmen und seiner Industrie beschäftigen muss. Er muss die wesentlichen Umsatz- und Ertragstreiber des Geschäfts herausarbeiten, die Industrie kennenlernen und die wesentlichen Wettbewerber einschätzen. Derartig tiefgründige Kenntnisse sind bei einer Peergroup-Bewertung nicht unbedingt erforderlich, was Bewertungsfehler zur Folge haben kann. In einer Welt der DCF-Modelle errechnet sich dann der Wert des Eigenkapitals aus lediglich vier Komponenten: • Der Höhe der aus den bestehenden Vermögenswerten erwirtschafteten Cashflows, • der Bereitschaft des Managements, anfallende Liquiditätsüberschüsse in neue Vermögenswerte zu investieren und mit diesen Liquiditätsüberschüsse zu erzielen, • dem Wert, den das operative Betriebsvermögen zu dem Zeitpunkt einnimmt, in dem das Unternehmen in die Reifephase eintritt, und • der Fähigkeit des Managements, Liquiditätsüberschüsse zu erzielen, ohne dass dies mit einem höheren operativen Risiko verbunden ist (Abb.€5.4). Aus diesen Elementen ergeben sich vier Handlungsanweisungen an ein Management, um den Wert eines Unternehmens zu steigern: • Erwirtschafte höhere Cashflows aus den bestehenden Vermögenswerten, ohne dass dies mit höheren Kapitalkosten oder mit einer Verschlechterung der zukünftigen Wachstumschancen verbunden ist! • Steigere die wertschöpfenden Nettoinvestitionen, ohne dass dies mit einer gleichzeitigen Verschlechterung der Risikostruktur verbunden ist!
5.8â•… Möglichkeiten und Grenzen von DCF-Modellen
243
• Verlängere den Zeitraum, in dem das Unternehmen überdurchschnittliche Ertragsraten erwirtschaften kann! • Verringere die Finanzierungskosten der bestehenden Vermögenswerte, ohne dass dies die Ertragslage dieser Vermögenswerte belastet! Doch sind diese Arbeitsanweisungen schon ausreichend, um die Kursentwicklung einer Aktie präzise vorherzusagen? Nein, denn ein wesentliches Element der Performance wurde bislang unterschlagen: Die Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer. Waren diese, etwa aufgrund einer Guidance des Managements, hochgesteckt, wird selbst eine nur geringfügige Verfehlung mit einem deutlichen Kurseinbruch bestraft werden, auch wenn das Unternehmen in der Berichtsperiode den Cashflow steigern, wertschöpfende Investitionen tätigen und die durchschnittlichen Kapitalkosten senken konnte. Derartige Abstrafungen des Aktienkurses vollziehen sich in der Regel zu Unrecht, zeigen doch die meisten verfügbaren Studien, dass eine Verfehlung von Quartalszahlen zwar signifikante Auswirkungen auf die Kursentwicklung haben kann, die langfristig gültigen, fundamentalen Performancetreiber jedoch ungleich bedeutender sind. Allein, es dürfte fragwürdig bleiben, wenn ein Management nur wenige Wochen vor Veröffentlichung der Quartalszahlen eine Ergebnisgröße in den Raum stellt, deren Verfehlung kurze Zeit später verkündet werden muss. Mehr als alles andere stellen kurzfristige Abweichungen die Funktionalität interner Controlling-Systeme in Frage. Wird dagegen eine vor Monaten ausgesprochene Zielgröße verfehlt, wird dies weitaus geringere Konsequenzen haben, denn schließlich ist deren Erreichung von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, darunter Wechselkurse, Rohstoffpreise oder Zinsen, deren Entwicklung nicht selten einem Random Walk gleicht und grundsätzlich schwer zu prognostizieren ist. Am Ende des Tages muss es für das Management (wie für den Investor) völlig ausreichend sein, den Trend richtig zu prognostizieren. Die Hoffnungen des Managements, durch das quartalsweise Übertreffen der EPS-Guidance eine niedrigere Aktienvolatiliät bei höheren Bewertungsmultiplikatoren zu erreichen, wird daher am Kapitalmarkt zunehmend kritisch gesehen. Neben all der theoretischen Korrektheit treten Probleme insbesondere bei der praktischen Schätzung langfristiger Kerndaten auf (vgl. Kap.€2), zum Beispiel bei der mehr oder weniger langfristigen Prognose der einzelnen Komponenten des Cashflows. Nicht nur die Schätzung der Ertragsentwicklung, sondern auch der Investitionen und Abschreibungen unterliegen zumindest zum Teil subjektiven Einflüssen. Diese werden umso gravierender, als für die Cashflow-Auswirkungen von Sachanlageinvestitionen sehr entfernt liegende Prognosehorizonte erforderlich sind. Entsprechend der so genannten „1-5-7-10-Regel“31 könnte es bei Technologieunternehmen durchaus zehn Jahre sein, die zu prognostizieren wären. Dies ist angesichts des geringen Alters vieler Technologiewerte und der Unsicherheit, ob sich die Produktpalette nicht doch in einem weitaus kürzeren Zeitraum als obsolet erweist, ein sehr langer Zeitraum. Zum Teil kann diese Problematik umgangen werden, indem
31╇
Vgl. Gray et€al. (2004, S.€113).
244
5â•… Discounted Cashflow-Modelle
verschiedene Umweltszenarien, gewichtet mit ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit, verwendet werden. Dieses Problem setzt sich auch bei der korrekten Ermittlung des Terminal Value fort, dem Abschluss jeder DCF-Bewertung. So sind für ausgewählte Parameter langfristige Vorhersagen zu treffen, die in einen Wert münden, aus dem dann mit einer ab diesem Zeitpunkt gültigen Wachstumsrate eine ewige Rente zu berechnen ist. Anschließend ist dieser Rentenwert mit einem risikoadäquaten Zinssatz zu diskontieren. Selbst bei Vorliegen unternehmensinterner Datenquellen kommt man nicht ohne eine Vielzahl vereinfachender Annahmen über die zukünftige Entwicklung einzelner Märkte aus, die sich ex post als richtig oder falsch herausstellen werden. Obwohl beim Terminal Value eine solche Vielzahl von Details geschätzt werden muss, können bereits kleinste Fehleinschätzungen erhebliche Wertveränderungen zur Folge haben32. Vor dem Hintergrund, dass der Terminal Value regelmäßig einen überdurchschnittlichen Beitrag zum gesamten Unternehmenswert hat, können diese Kritikpunkte nicht vernachlässigt werden. Problematisch wird das Konzept des Terminal Value insbesondere, wenn von einem Going Concern des Unternehmens nicht ausgegangen werden kann. Das Konzept, dass ein Unternehmen für alle Ewigkeit weiter existieren wird, ist essentieller Bestandteil des DCF-Modells. Geht das Unternehmen unter, nehmen – vom technischen Standpunkt der Unternehmensbewertung aus gesprochen – alle Cashflows, die danach anfallen, den Wert null an. Ein Unternehmen mit innovativen Produkten und einem großen Marktpotenzial, das einen hohen Anteil seines Unternehmenswertes aus dem Terminal Value generiert, könnte also unter Umständen niemals in diese Phase seines Lebenszyklus eintreten, einfach weil es vorher insolvent wird. Während Befürworter des DCF-Ansatzes argumentieren, dass das Insolvenzrisiko im Diskontierungssatz ausreichend wiedergegeben wird, ist dieser in der Realität eher ein Instrument für die Volatilität einer Aktie, von Erträgen oder Cashflows, weniger jedoch für das Risiko, dass das Unternehmen in fünf oder zehn Jahren von den Kurszetteln verschwunden sein wird. Besteht ein de facto Insolvenzrisiko, dürfte es daher sinnvoller sein, einen mit ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit gewichteten Durchschnitt aus dem DCF-Wert einerseits und dem Liquidationswert andererseits zu bilden. Ähnlich sollte auch mit dauerhaft negativen Cashflows vorgegangen werden, da diese ebenfalls früher oder später in die Illiquidität der Gesellschaft münden. In diesem Fall kann eine Unternehmensbewertung nur anhand des Liquidationswertes erfolgen, die ein Ende des Unternehmens unterstellt. Darüber hinaus weist das DCF-Modell bei negativen Cashflows einen methodischen Defekt auf: Während höhere Diskontierungssätze bei positiven Cashflows automatisch einen geringeren Unternehmenswert zur Folge haben, ist bei negativen Cashflows das genaue Gegenteil der Fall: Je höher der Diskontierungsfaktor, desto geringer ist die negative Auswirkung der negativen Cashflows auf den Barwert der 32╇ Vgl. Mohan et€al. (1991, S.€77), die süffisant feststellen, dass „the use of incorrect assumptions have been a more significant source of bad investment decisions than the use of simple measurement techniques“, wie etwa das KGV.
5.8â•… Möglichkeiten und Grenzen von DCF-Modellen
245
Cashflows und desto höher ist damit der Unternehmenswert, ein diametraler Widerspruch zur Risikoaversion der Aktionäre. Als Ausweg bietet sich an, die negativen Cashflows mit anderen Diskontierungssätzen abzuzinsen als die positiven Cashflows. Dies kann jedoch nur eine Näherungslösung sein, eine theoretisch einwandfreie Lösung für dieses Problem kann dies jedoch nicht sein. DCF-Modelle reflektieren den Wert der betrieblichen Vermögensgegenstände. Vermögen, das sich nicht im betrieblichen Produktionsprozess befindet, wird dementsprechend nicht bewertet. Auch Vermögensgegenstände, deren Kapazität nicht vollständig genutzt wird, gehen nicht mit ihrem vollen Wert in die Unternehmensbewertung ein. In beiden Fällen führt das DCF-Verfahren zu einer Unterschätzung des Unternehmenswertes und die Ergebnisse des DCF-Verfahrens sind um nicht bzw. nicht vollständig genutzte Vermögenswerte zu adjustieren. Ähnliche Konsequenzen hat die drohende Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft, wenn diese zum Beispiel nur durch einen Notverkauf von Vermögenswerten zu Preisen unter Marktwert vermieden werden kann. Abschließend ein paar Worte aus der Praxis eines Finanzanalysten: Die Erstellung und der Unterhalt von DCF-Modellen sind höchst arbeits- und zeitaufwendig. In Zeiten der Finanzberichterstattung, etwa während Quartalszahlen, in denen unter Umständen mehrere Unternehmen im Minutenabstand berichten, kann es schnell an die Grenzen des Analysten gehen, sämtliche Spreadsheets zeitgleich zu aktualisieren und die von Sales-Kollegen und Fondsmanagern unmittelbar nach der Veröffentlichung der Quartalsberichte gestellte Frage „Waren die Zahlen besser oder schlechter als erwartet?“ zu beantworten. Ohne Zeitdruck können DCF-Modelle sicherlich die präzisesten und sinnvollsten Modelle der Unternehmensanalyse sein, für einen Finanzanalysten sind jedoch auch alternative Bewertungsverfahren hilfreich, die in der Hitze des Gefechts angewendet werden können, mit denen schnell gearbeitet werden und eine große Zahl an Unternehmen gleichzeitig bewertet werden kann, ohne allzu viel an Präzision einzubüßen.
Kapitel 6
Wertschöpfungsmodelle
6.1 Der Grundgedanke des ökonomischen Gewinns In einem DCF-Modell besteht die Wertschöpfung eines Unternehmens aus der Differenz zwischen dem diskontierten Wert der zukünftigen Cashflows und dem gesamten investierten Kapital. Um über die traditionellen Maßstäbe wie ROE (Return on Equity), ROA (Return on Assets) oder ROI (Return on Investment) die Performance der Managemententscheidungen zu messen, bestehen für einen Außenstehenden zwei Probleme: Erstens können die genannten Maßstäbe kurzfristig durch buchhalterische Faktoren beeinflusst werden, und zweitens berücksichtigen traditionelle Bewertungsmethoden wie Dividendendiskontierungs- oder Cashflow-Modelle nicht, ob ein Unternehmen seine Kapitalkosten verdient oder nicht – was wiederum die Grundlage dafür bildet, dass ein Unternehmen nachhaltig seinen Geschäftswert steigert. Dieses Defizit versuchen Wertschöpfungs- oder Contribution-Modelle zu heilen. Wertschöpfungsmodelle zählen zu den so genannten Übergewinnmethoden. Diese gehen davon aus, dass „nur die über den Kapitalkosten liegende Rentabilität zusätzlichen Wert schafft“1. Damit eine Managemententscheidung überhaupt wertschöpfend sein kann, muss sie in erster Linie ihre Kosten decken. Diese Kosten beinhalten nicht nur die mit der Erwirtschaftung der Umsätze unmittelbar verbundenen Kosten, sondern auch die Opportunitätskosten, also die entgangenen Erträge aus alternativen Investitionen mit vergleichbarem Risiko. Der Übergewinn (engl. Excess Return) beschreibt jenen Ergebnisbeitrag, der unter Berücksichtigung der vom Investor geforderten Opportunitätskosten in einer Periode erwirtschaftet wurde. Die absolute Höhe des von buchhalterischen Verpflichtungen geprägten Gewinns tritt damit in den Hintergrund. Unternehmen, die ihren Residualgewinn erhöhen und Übergewinne erwirtschaften können, steigern ihren Unternehmenswert und werden früher oder später mit höheren Aktienkursen entlohnt werden. Unternehmen, deren Wertschöpfung negativ ist, vernichten demgegenüber Werte, was sich wiederum in langfristig rückläufigen Aktienkursen niederschlägt. Bestenfalls klingt dies nach einem ökonomisch geschulten Menschenverstand, schlimmstenfalls nach einer einfachen Kopie des Net Present Value-Ansatzes, wie 1╇
Lewis (1995, S.€124).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_6, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
247
248
6â•… Wertschöpfungsmodelle
er bei der Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Investitionen zum Einsatz kommt. Das innovative Element von Wertschöpfungsmodellen ist, dass sie ein Ertragsniveau definieren, oberhalb dessen (Mehr-) Werte geschaffen werden. Diese sind in der Gewinn- und Verlustrechnung nur für die Fremdkapitalgeber enthalten, nämlich in Form des Zinsaufwands, nicht jedoch für die Eigenkapitalgeber. Ob ein Jahresüberschuss von 1,0€Mio.€€ viel ist oder wenig geht aus traditionellen, auf buchhalterischen Kennzahlen fixierten Bewertungsverfahren nicht hervor. Jedenfalls beschreiben Wertschöpfungsmodelle das, um was es beim Wirtschaften tatsächlich geht. Denn nicht die Erzielung von Gewinnen an sich zählt, sondern von Gewinnen in Relation zu Investitionen vergleichbaren Risikos. Beschreiben die Kosten des Gesamtkapitals die Opportunitätskosten einer Investition, dann sind nur die diese Kapitalkosten übersteigenden Renditen mit einer Wertschöpfung vergleichbar. In wettbewerbsintensiven Branchen wird die bloße Existenz von Überrenditen dazu führen, dass neue Wettbewerber auf den Markt drängen und diese Überrenditen sukzessive abschmelzen. Volkswirte und Finanzmarkttheoretiker behaupten diesbezüglich gerne, dass in perfekten Kapitalmärkten die Überrenditen nur für sehr kurze Zeit, im Idealfall für Nano- oder Mikrosekunden existieren würden und dass Unternehmen unter keinen Umständen mehr als die Kapitalkosten verdienen könnten. Was die Konsequenz hat, dass niemand versuchen würde, systematisch Überrenditen zu erzielen. Die Folge wäre ein System, das in Dekadenz verharrt, ein Zustand, der von Volkswirten euphemistisch als stabiles Gleichgewicht bezeichnet wird. Ein weiterer entscheidender Vorteil von Wertschöpfungsmodellen ist, dass sie auch das absolute Ausmaß der Wertschöpfung in die Bewertung mit einfließen lassen. Ein kleines Unternehmen mit einer ROCE von 30€% scheint erfolgreicher zu sein als ein DAX-Wert mit einer ROCE von 20€ %. Durch die Verwendung des ökonomischen Gewinns (angelsächsisch „economic profit“) kann diese prozentuale Größe in eine absolute umgewandelt werden, so dass das gesamte Ausmaß der Wertschöpfung ermittelt wird (Abb.€6.1). Wertschöpfungsmodelle sind keine sonderlich innovativen Bewertungsverfahren. Der erstmals 1912 von Marshall2 beschriebene Ansatz wurde in den 1960er Jahren unter dem Terminus Residualgewinn neu verpackt. In den vergangenen Jahren wurden die Modelle insbesondere durch das Economic Value Added- bzw. EVA™-Modell des New Yorker Beratungsunternehmens Stern Steward & Co. einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Exegeten dieser ersten Wertschöpfungsmodelle sind das Economic Profit-Modell von McKinsey & Company, das Added Value-Modell der London Business School und das Cash Value Added-Modell (CVA) der Boston Consulting Group. All diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie äußerst proprietär sind und für einen Externen nur begrenzt nachvollzogen werden können: So sehen Stern Steward & Co. bei der Ermittlung des EVA™ bis zu 164 Anpassungsmaßnahmen der Kapital- und Gewinngrößen vor3. Da werden außerbilanzielle Vgl. Marshall (1912). Von diesen werden jedoch nur fünf bis zehn als praktisch relevant beurteilt. Vgl. Stern und Chew (1995, S.€41). 2╇ 3╇
6.1â•… Der Grundgedanke des ökonomischen Gewinns Erwartetes Umsatzwachstum Operative Marge
NOPAT
249
WACC Nicht betriebsnotwendiges Vermögen
Capital Employed
Liquiditätssteuerquote Economic Profit
Enterprise Value
Equity Value Marktwert der Nettoverschuldung Marktwert der Pensionsrückstellungen Marktwert der Anteile Dritter
Abb. 6.1↜渀 Grundkonzept von Wertschöpfungsmodellen
Leasingverpflichtungen passiviert, Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aktiviert, latente Steuern berücksichtigt und stille Reserven aus der LIFO-Bewertung aufgedeckt4. Inhaltlich ist die Mehrheit dieser Umrechnungen fragwürdig, vielleicht sogar überflüssig, wenn, zum Beispiel für interne Zwecke, ohnehin auf Zahlen zurückgegriffen werden kann, die vor bilanzpolitischen Eingriffen bereinigt sind und derartige Umrechnungen für den Außenstehenden aufgrund von Informationslücken nicht durchgeführt werden können. Beispiel 6.1: Wertvernichtung oder Wertschaffung?╇ Die FoodCorp AG, ein europaweit tätiger Nahrungsmittelkonzern, veröffentlicht folgende ad hoc-Meldung: Die FoodCorp AG hat im vergangenen Geschäftsjahr die Rückkehr in die Gewinnzone erreicht. Bei stabilen Umsatzerlösen von 109,0€Mio.€€ wurden ein EBIT von 5,0€Mio.€€ und ein Konzernüberschuss von 2,7€Mio.€€ erzielt. Gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum bedeutet dies eine Steigerung des Ergebnisses um mehr als 10,0€Mio.€€.
Wie sind diese Zahlen zu interpretieren, wenn sich der Enterprise Value des Unternehmens zum Geschäftsjahresende auf 45,0€Mio.€€ belief und er sich aus dem Marktwert des Eigenkapitals in Höhe von 30,0€Mio.€€ (10,0€Mio. Aktien, Kurs 3,00€€) und dem Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals in Höhe von 15,0€Mio.€€ zusammensetzt. Die Fremdkapitalkosten des Unternehmens belaufen sich auf 6,5€%, die Eigenkapitalkosten auf 11,0€%. Damit stellen sich zwei Fragen: Erstens, ist das Geschäftsmodell für seine Aktionäre Wert schaffend? Und zweitens, ist die Aktie auf dem aktuellen Niveau attraktiv bewertet?
4╇
Vgl. für eine Übersicht: Stewart (1991, S.€112–117).
250
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Das für eine Ausschüttung zur Verfügung stehende Ergebnis nach Steuern liegt mit 2,7€Mio.€€ klar im positiven Bereich. Auf den ersten Blick ist die Gesellschaft also profitabel. Um zu klären, ob das Unternehmen auch im ökonomischen Sinne profitabel ist, müssen wir einen Blick auf die Opportunitätskosten werfen, die der Aktionär durch ein Engagement in die Aktie erleidet. Hierzu ist das Eigenkapital des Unternehmens mit den Eigenkapitalkosten zu multiplizieren, also Opportunitätskosten = (10,0 · 3,00)0, 11 = 3,3.
Die Opportunitätskosten liegen mit 3,3€Mio.€€ über dem von der Gesellschaft erwirtschafteten und ausschließlich den Aktionären zur Verfügung stehenden Betrag von 2,7€ Mio.€ €. Im ökonomischen Sinne war das Unternehmen für seine Aktionäre daher nicht wertschöpfend. Trotz eines optisch ansprechenden KGVs von 30,0/2,7â•› = â•›11,1x ist die Aktie damit überbewertet. Damit die Wertschöpfung in Einklang mit dem inneren Wert V0 steht, müsste folgende Beziehung gelten: (11,0 · V0 )0,11 = 2,7.
Dieser Zusammenhang ist dann erfüllt, wenn der Aktienkurs auf P0â•› = â•›2,45€€ je Aktie zurückgeht. Das mit dem Zustand der Wertschöpfung adäquate KGV liegt dann bei 9,1x. Alternativ kann das Kursziel berechnet werden, indem die Wertvernichtung der FoodCorp, Wertvernichtung = 3, 3 − 2, 7 = 0, 6
mit den Eigenkapitalkosten von 11,0€% diskontiert wird, also 0, 6 = 5, 5. 0, 11
Umgerechnet auf 10,0€ Mio. Aktien entspricht die Wertvernichtung damit 0,55€€ je Aktie. Subtrahiert man diesen Betrag vom aktuellen Kurs von 3,00€€, dann erhält man wieder den zu der Wertschöpfung der FoodCorp passenden Aktienkurs von 2,45€€.
6.2 Das NOPAT und seine Exegeten Ausgangspunkt der wertorientierten Unternehmensführung ist das betriebliche Geschäftsergebnis nach Steuern NOPAT („Net Operating Profit After Tax“), auch NOPLAT („Net Operating Profit Less Adjusted Tax“) oder EBIA („Earnings Before
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
251
Interest and Amortization“) genannt. „Net“ drückt dabei nicht wie üblich Netto im Sinne von „nach Steuern“ aus, sondern bezieht sich auf Anpassungen des operativen Ergebnisses, um bestehende buchhalterische Verzerrungen zu berichtigen und die Nachhaltigkeit der ermittelten Wertschöpfung zu gewährleisten. Die in der Praxis gängigen Anpassungen beinhalten meist betriebliche Aufwendungen mit Investitionscharakter, unter anderem also Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, für Marketing, Werbung oder Verkaufsförderungsmaßnahmen sowie für Mitarbeitertraining und -schulungen. Steuern und Rückstellungen sollen nur im tatsächlich angefallenen Umfang berücksichtigt, Abschreibungen ausschließlich linear vorgenommen werden, da nur diese die tatsächliche Veralterung wiedergeben5. Die Berechnung des NOPAT erfolgt nach folgender Formel:
NOPATt = adjEBIAt = (1 − τ )adjEBITt .
(6.1)
Während das EBIT nur wenige Probleme bereitet und direkt aus der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet werden kann, haben es die geforderten Adjustierungen in sich. Zu den bedeutendsten Bereinigungskomponenten zählen die impliziten Zinszahlungen auf den Barwert der operativen Leasingaufwendungen und die Abschreibungen auf die kapitalisierten F&E-Aufwendungen, aber auch Abschreibungen auf den Firmenwert (sofern vorhanden) oder der Anstieg der Lifo-Reserven (sofern angegeben) ist bei der Ermittlung des adjustierten operativen Ergebnisses vor Steuern zu bereinigen. Um aus dieser Gewinngröße das operative Ergebnis nach Steuern zu ermitteln, sind die Cash Operating Taxes abzuziehen. Bei diesen adjustierten Steuern handelt es sich nicht um die tatsächliche Steuerquote τ eines Geschäftsjahres, sondern um einen fiktiven ertragsabhängigen Unternehmenssteuersatz. Der Grund hierfür ist, dass die tatsächlich bezahlten Steuern zu einer Doppelzählung des Steuervorteils aus der Verschuldung führen würden, und zwar einmal im ROCE und das zweite Mal in den Kapitalkosten. Der sich aus der Verschuldung ergebende Steuervorteil fällt also nicht einfach unter den Tisch, da er bereits in den Kapitalkosten enthalten ist. Die zu verwendende Steuerquote ergibt sich, indem der unternehmensspezifische Grenzsteuersatz τ auf das betriebliche Ergebnis EBIT als Steuerbemessungsgrundlage angewendet wird, auf ein Ergebnis also, das nicht von Fremdkapitalzinsen oder von nicht betriebsnotwendigen Aufwendungen oder Erträgen beeinflusst ist. Zur Berechnung der Cash Operating Taxes ist zum Steueraufwand, wie er sich aus der Gewinn- und Verlustrechnung ergibt, die Steuerersparnis aus den Zinsaufwendungen und aus den impliziten Zinszahlungen auf den Barwert des operativen Leasing hinzuzuzählen, während die Steuern auf Finanzerträge und der Anstieg der passiven latenten Steuern zu subtrahieren sind. Für eine einzige Periode betrachtet ist der geschaffene ökonomische Mehrwert einer Periode definiert als Differenz zwischen dem operativen Gewinn nach Steuern und den anzusetzenden Kapitalkosten, bei deren Ermittlung die Verfechter des Wertschöpfungsansatzes auf das bekannte Modell des WACC-Ansatzes zurückgreifen. 5╇
Vgl. Stern et€al. (2002, S.€41€ff.).
252
6â•… Wertschöpfungsmodelle
EPt = NOPATt −WACCt CEt−1 .
(6.2)
Alternativ zu dieser so genannten Capital Charge-Formel kann die Wertschöpfung eines Unternehmens auch anhand der so genannten Value Spread-Formel dargestellt werden, mit deren Hilfe das Ziel, eine höhere Rendite als den Kapitalkostensatz anzustreben, besser veranschaulicht werden kann:
EPt = CEt−1 (ROCEt −WACCt ).
(6.3)
Das Investierte Kapital CE sind jene Finanzierungsmittel, die seit Gründung des Unternehmens in das operative Nettovermögen des Unternehmens zur Erwirtschaftung des NOPAT investiert wurden. Es umfasst zum einen jene Vermögenspositionen der Bilanz, die betriebsnotwendig sind und zum anderen jene Positionen, die zwar nicht in der Bilanz enthalten sind, aber dennoch als betrieblich genutzte Vermögensgegenstände anzusehen sind. Es spiegelt also nicht nur den Marktwert der bestehenden Vermögenswerte wider, sondern insbesondere auch der noch nicht bestehenden Vermögenswerte, etwa in Form des zukünftigen Wachstums. Buchwerte des Vermögens sind dagegen nicht nur das Ergebnis diskretionärer Managemententscheidungen der laufenden Periode, sondern auch aller bisherigen. Je älter ein Unternehmen ist, desto größer sind die Auswirkungen der Rechnungslegungs- und Abschreibungsentscheidungen des aktuellen Managements und seiner Vorgänger. Sofern keine Informationen zur Verfügung stehen, dass die Buchwerte des Vermögens durch buchhalterische Maßnahmen explizit manipuliert worden sind, repräsentieren diese den besten Wert, den ein Außenstehender als Investiertes Kapital ansetzen kann. Das Investierte Kapital lässt sich über die Passiv- wie auch über die Aktivseite (operatives Nettovermögen) ermitteln (Abb.€6.2). Da diese Vorgehensweise relativ komplex ist, hat sich in der Praxis die Berechnung über die Aktivseite durchgesetzt.
CE = SachAV + WC + Cash
(6.4)
Auch in dieser Formel sind verschiedene Anpassungen erforderlich. Grundsätzlich ist eine Aktivierung von Aufwendungen vorzunehmen, sofern diese Investitionscharakter haben und im Verhältnis zum gesamten investierten Kapital substantiellen Umfangs sind. Das klassische Beispiel hierfür ist die Aktivierung von F&E-Aufwendungen. Hierbei handelt es sich um Vermögensbestandteile, die bei der Erzeugung des NOPATs zur Verfügung standen, aber nicht im Sachanlagevermögen auftauchen. „Eigenkapital-Äquivalente ergeben sich, wenn Unternehmen nach dem Vorsichtsprinzip bilanzieren und etwa Gegenstände des Umlauf-, Sach- oder Finanzanlagevermögens zum niedrigeren Buchwert anstelle des höheren Marktpreises aktivieren. Stille Reserven werden in Wertschöpfungsmodellen nicht toleriert und sind durch Anpassung der Buchwerte an die Marktwerte zu bereinigen. Bereinigungsfähige Positionen im Anlagevermögen ergeben sich insbesondere aus den Anlagen im Bau, die zur Erzielung des NOPATs noch nicht zur Verfügung
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
253 Investiertes Kapital
Bilanziell ermitteltes Kapital
Eigenkapital-Äquivalente
Fremdkapital-Äquivalente
Eigenkapital
Kapitalisierte F&EAufwendungen
Barwert operatives Leasing
Anteile Dritter
Rückstellungen für latente Steuern
Kurz- und langfristige zinstragende Verbindlichkeiten
Kumulierte Abschreibungen auf derivativen Firmenwert
Verbindlichkeiten aus finanziellem Leasing
Mit dem Eigenkapital verrechneter Firmenwert
Rückstellungen (ohne Steuerrückstellungen)
Kumulierte außerordentliche Aufwendungen (netto) LIFO-Reserven (sofern angegeben)
Abb. 6.2↜渀 Berechnung des Investierten Kapitals über die Passivseite
standen, und aus sonstigen kurzfristigen Verbindlichkeiten, sofern diese nicht zinstragend sind. Im Umlaufvermögen wären theoretisch die aktiven latenten Steuern zu bereinigen, da diese nicht als betrieblich genutztes Vermögen angesehen werden; allerdings sind aktive latente Steuern in der additiven Berechnung des Investierten Kapitals ohnehin nicht im Working Capital enthalten, so dass sich die Kürzung dieses Postens erübrigt. Zur Berechnung des ökonomischen Mehrwerts, den ein Unternehmen während einer Periode erzeugt hat, ist also die Kenntnis von nur drei Komponenten erforderlich: Des eingesetzten Kapitals, der damit erzielten Erträge und der für ihre Diskontierung angesetzten gewichteten Gesamtkapitalkosten. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass in diesen beiden Formeln eine marktwertbezogene Kennzahl, die WACC, mit einer buchwertbezogenen Kennzahl, dem Investierten Kapital, vermengt werden. Dies ist allerdings keine contradictio in adiecto. Schließlich muss ein Unternehmen immer mehr verdienen als nur die auf Marktwerte bezogenen Kapitalkosten, um tatsächlich Mehrwerte zu schaffen. Vom pragmatischen Standpunkt aus betrachtet, würde ein auf Buchwerte bezogener Kapitalkostenansatz die gewichteten Kapitalkosten eines Unternehmens tendenziell zu niedrig ausweisen, was dann eine tendenzielle Überschätzung der ökonomischen Mehrwertes und damit des Unternehmenswertes zur Folge hätte. Eine Steigerung des Economic Profit liegt nur dann vor, wenn der operative Gewinn nach Steuern sämtliche betriebliche Kosten sowie die von den Eigenkapitalgebern geforderte Mindestrendite überschreitet, wenn also gilt: ROCEâ•›>â•›WACC. Ist die ökonomische Wertschöpfung negativ (ROCEâ•›<â•›WACC), wurde vom Unternehmen Kapital vernichtet, da die betrieblichen Erträge nicht die Kapitalkosten des
254
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Unternehmens decken. Die Kapitalkosten stellen mithin die Hurdle Rate dar, die vom Unternehmen oder einem spezifischen Investitionsprojekt mindestens erwirtschaftet werden müssen. Eine Steigerung der Wertschöpfung speist sich damit aus drei Quellen: • aus einer Erhöhung der Rentabilität, • aus Investitionen in Projekte mit ROICâ•›>â•›WACC, und • aus Desinvestitionen von Projekten mit ROICâ•›<â•›WACC.
Beispiel 6.2: Analyse der Werttreiber im Unternehmen╇ Die SchwimmPoint AG, ein auf den Vertrieb von Bademodenartikeln ausgerichtetes Handelsunternehmen weist ein investiertes Kapital von 200,0€Mio.€€ auf, das sich auf die Zentrale (120,0€ Mio.€ €) und die Filialen (80,0€ Mio.€ €) verteilt. Im Konzern wird ein NOPAT von 36,0€Mio.€ € erwirtschaftet, das sich auf die Zentrale mit 24,0€Mio.€€ und die Filialen mit 12,0€Mio.€€ verteilt. Dies entspricht einer NOPAT-Marge von 20,0€% für die Zentrale bzw. 15,0€% für die Filialen. Die Kapitalkosten betragen einheitlich 12,0€ %. Das Management stellt seinem Mehrheitsgesellschafter ein Konzept vor, mit dem die NOPATMarge maximiert werden und die Filialen geschlossen werden sollten. Der Mehrheitsgesellschafter stellt folgende Rechnung auf: Durch die Schließung der Filialen würde zwar die NOPAT-Marge konzernweit von 18,0€% auf 20,0€% steigen, der erwirtschaftete Economic Profit dagegen von 12,0€ Mio.€ € auf 9,6€ Mio.€ € zurückgehen. Auch wenn die Filialen deutlich niedrigere Wertschöpfungsbeiträge als die Zentrale liefern würden, lägen sie dennoch über der vergleichbarer Anlagealternativen. Das Konzept wurde daher vom Aufsichtsrat abgelehnt. Aus den genannten Quellen der Wertsteigerung lassen sich drei Handlungsanweisungen an das Management ableiten, um den Unternehmenswert langfristig zu erhöhen: • Nach der strategischen Ausrichtung befragt würden wahrscheinlich 100€% der Vorstände angeben, dass sie eine dezidierte Wachstumsstrategie verfolgen; Wachstum wird vornehmlich mit einer Steigerung des EPS in Verbindung gebracht. Wertschöpfungsmodelle führen aber vor Augen, dass Wachstum nur für wertschöpfende Unternehmen sinnvoll ist, also nur für Unternehmen mit positiven ROCE-WACC-Spread. Nur bei ihnen führt ein Anstieg des Investierten Kapitals – unter sonst gleichbleibenden Bedingungen – auch zu einer Erhöhung des Unternehmenswertes. • Unternehmen mit neutraler Wertschöpfung (ROCEâ•› = â•›WACC) erzeugen idealerweise mehr Gewinn aus der bestehenden Kapitalbasis. Der Focus liegt also auf der Verbesserung der NOPAT-Margen, mithin auf der betrieblichen Effizienz. Größe und Wachstum sind bei diesen Unternehmen sekundär, da sie kaum weitere Werte hinzufügen.
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
255
• Für Wert vernichtende Unternehmen ist die Sache eindeutig: Nur Schrumpfung verspricht Erfolg. Wert vernichtende Unternehmen müssen sich auf ihre Stärken besinnen, eine klassische ABC-Analyse durchführen, und die Wert vernichtenden Bereiche schließen oder verkaufen. Damit ein ökonomischer Mehrwert erwirtschaftet werden kann, ist als Grundbedingung erforderlich, dass die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC übersteigt. Eine hohe betriebliche Wertschöpfung lockt in unregulierten Märkten Wettbewerber an. Durch den Markteintritt und durch die Versuche etablierter Anbieter, selbst Marktanteile zu gewinnen, sinkt der ökonomische Gewinn, und zwar so lange, bis die Kapitalrendite ROCE den Kapitalkosten WACC entspricht und kein ökonomischer Gewinn EP mehr erzielt werden kann. Fällt der betriebliche Ertrag unter seine Opportunitätskosten (ROCEâ•›<â•›WACC), werden betriebliche Werte vernichtet und das Management wird Restrukturierungsmaßnahmen durchführen oder den defizitären Geschäftsbereich abstoßen. Beispiel 6.3: Wertvernichtung durch M&A╇ Durch die Übernahme der Target GmbH steigt die Schwimm-Point AG zur Nummer 2 in Europa auf. Der aus Excess Cash und die Begebung einer Wandelanleihe finanzierte Kaufpreis für die Target GmbH beträgt 80,0€Mio.€€, darüber hinaus wurden Verbindlichkeiten in Höhe von 50,0€Mio.€€ übernommen. In nachfolgender Tabelle sind die Auswirkungen der Übernahme auf die Gewinn- und Verlustrechnung dokumentiert: Mio.€€
t
Umsatz Schwimm-Point AG Umsatz Target GmbH Konzernumsatz Opex EBITDA Abschreibung Amortisation EBIT EBIT-Marge (%) Zinsaufwand EBT Steuern Nettoergebnis YoY (%)
200,0 0,0 200,0 −â•›162,0 38,0 −â•›9,5 0,0 28,5 14,3 −â•›4,0 24,5 −â•›8,1 16,4 n/a
tâ•›+â•›1 240,0 60,0 300,0 −â•›241,8 58,2 −â•›14,6 0,0 43,7 14,6 −â•›10,4 33,3 −â•›12,0 21,3 29,6
tâ•›+â•›2 280,0 80,0 360,0 −â•›288,7 71,3 −â•›17,8 0,0 53,5 14,9 −â•›10,4 43,1 −â•›15,5 27,6 29,7
Die Übernahme scheint sich für die Schwimm-Point AG gelohnt zu haben, die operative Marge verbessert sich von 14,3€% auf 14,9€%. Das durchschnittliche jährliche Umsatzwachstum erhöht sich durch die Übernahme von 18,3€% auf 34,2€%, und das Ergebnis nach Steuern erhöht sich im Beobachtungszeitraum
256
6â•… Wertschöpfungsmodelle
um durchschnittlich 29,7€% pro Jahr. Durch eine NOPAT-Analyse kann verdeutlicht werden, dass dieser Umsatz- und Ertragsanstieg nicht umsonst erreicht wird, ja sogar mit einem gehörigen Maß an Wertvernichtung erkauft wird. Betrachten wir hierzu in einem ersten Schritt das Investierte Kapital. Dieses entspricht jenem Vermögen, das zur Erwirtschaftung des NOPAT erforderlich ist. Pragmatisch gesehen sind also jene Vermögenspositionen zu ermitteln, die zwar bilanziert wurden, aber nicht betriebsnotwendig sind bzw. jene, die nicht in der Bilanz enthalten sind, jedoch betrieblich genutzt wurden. Bei der Schwimm-Point AG setzt sich das betriebliche Vermögen aus insgesamt vier Positionen zusammen: Mio.€€
t
Anlagevermögen Working Capital Goodwill Operatives Leasing Capital Employed
170,0 20,0 0,0 10,0 200,0
tâ•›+â•›1 292,1 33,0 35,0 10,0 370,1
tâ•›+â•›2 310,4 39,6 35,0 10,0 395,0
Dieses steigt durch die Übernahme deutlich an, ebenso wie die WACC, das durch ein höheres Beta und gestiegene Fremdkapitalkosten belastet wird. Da in Wertschöpfungsmodellen nur die tatsächlich gezahlten Steuern (Cash Taxes) berücksichtigt werden, wären im Beispiel der Schwimm-Point AG Veränderungen der latenten Steuerforderungen zu korrigieren. Um eine doppelte Korrektur zu vermeiden, sind diese entweder bei der Herleitung der Net Operating Assets oder des NOPAT vorzunehmen. Bei den Rückstellungen sind Anpassungen der Zuführungen zu langfristigen Rückstellungen vorzunehmen. Beim betrachteten Unternehmen werden Pensionsrückstellungen bereits zum Barwert angesetzt, so dass die Korrektur des Zinsaufwands entfällt. Insgesamt ergibt sich für die ökonomische Wertschöpfung folgende Entwicklung: Mio.€€
t
EBITA Steuerquote (%) NOPAT ROCE (%) WACC (%) ROCE-WACC (%) EP
28,5 −â•›33,0 19,1 9,5 9,2 0,3 0,6
tâ•›+â•›1 43,7 −â•›33,0 29,3 9,8 9,6 0,2 0,7
tâ•›+â•›2 53,5 −â•›33,0 35,8 9,0 9,6 −â•›0,6 −â•›2,6
Es zeigt sich, dass die Schwimm-Point vor der Übernahme ein positiver ROCE-WACC-Spread ausgezeichnet hat. Nach der Übernahme fällt dieser
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
257
„Value-Spread“6 in den negativen Bereich zurück, die Schwimm-Point wird also zu einem Wert vernichtenden Unternehmen. Dass der ROCE-WACCSpread nicht bereits in t╛╛−╛╛1 negativ wird, ist allen auf die Berechnungsmethode des ROCE zurückzuführen, den wir auf die Jahresdurchschnittswerte des Kapitaleinsatzes beziehen7. Ob die Aktionäre von der Übernahme profitieren werden, ist von der zukünftigen Unternehmensstrategie und der weiteren Entwicklung der Profitabilität der Target GmbH abhängig. Die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE ist vermutlich das am weitesten verbreitete Maß für Wertschöpfung. Es ist eine Kennzahl, die sowohl die vom Unternehmen erwirtschafteten Erträge in die Kalkulation aufnimmt als auch das zu seiner Generierung erforderliche Kapital. Sie besteht aus zwei Komponenten, dem NOPAT und dem investierten Kapital CE:
ROCEt =
NOPATt NOPATt = . CEt−1 SachAVt−1 + WCt−1 − ExcessCasht−1
(6.5)
Als Buchwertkonzept bezieht sich Formel (6.5) auf Bilanzwerte, nicht Marktwerte. Während die Eigenkapitalrendite ROE, definiert als Jahresüberschuss dividiert durch das Eigenkapital der Vorperiode, die betriebliche Effizienz eines Unternehmens in Bezug auf die Profitabilität des Eigenkapitals misst, ist das ROCE-Konzept insbesondere für solche Unternehmen mit einem hohen Anteil an nicht zinstragenden Verbindlichkeiten bzw. an Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen die geeignetere Kennzahl. Während sich die ROCE auf das Gesamtkapital bezieht und damit unabhängig von der Finanzierungsstruktur des Unternehmens ist, bezieht sich die Eigenkapitalrentabilität allein auf die Perspektive der Anteilseigner. Dass die liquiden Mittel aus dem investierten Kapital herausgerechnet wurden, hat ebenfalls etwas mit Konsistenz zu tun: Da der Zinsertrag aus den Bankguthaben nicht Bestandteil des operativen Ergebnisses ist, sollte dieser auch aus dem Divisor entfernt werden, da sonst die ROCE tendenziell zu niedrig ausgewiesen wird. Den Nenner besetzen in der Regel Buchwerte des Kapitals, und zwar die des Vorjahres, da nur diese für die Erwirtschaftung des operativen Gewinns des laufenden Jahres zur Verfügung gestanden haben. Um eine Konsistenz zwischen der dynamischen Erfolgsrechnung und der statischen Bestandsrechnung zu erreichen, wird das Investierte Kapital aber häufig nicht aus den Vorjahresendwerten, sondern als Mittelwert aus dem Jahresanfangs- und -endbestand der Vermögenspositionen errechnet. Damit wird Formel (6.5) zu EBITt (1 − τ ) ROCE t = SachAVt + WCt − Casht + SachAVt−1 + WCt−1 − Casht−1 2 6╇ 7╇
Vgl. Hostettler (1997, S.€54). Unterstellt wurde für t╛╛−╛╛3 ein Investiertes Kapital von 190,0€Mio.€€.
(6.6)
258
6â•… Wertschöpfungsmodelle
umgewandelt. Welche Methode letztendlich verwendet wird, ob Jahresanfangswerte oder Jahresdurchschnitte, bleibt den Neigungen des Lesers überlassen. Endwerte des Jahres t sind in keinem Fall methodisch korrekt, da sie für die betriebliche Wertschöpfung des Jahres t und damit für die Erzielung des betrieblichen Gewinns nicht zur Verfügung gestanden haben. Beispiel 6.4: ROCE als Profitabilitätskennzahl╇ ROCE ist die wesentlich geeignetere Kennzahl, die Profitabilität zweier Unternehmen miteinander zu vergleichen, als die weithin verbreitete Betriebsergebnismarge. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Wir vergleichen zwei gleich große Medizintechnikunternehmen miteinander. Mio.€€ Umsatz Materialaufwand Personalaufwand Sonstige betriebliche Aufwendungen Sonstige betriebliche Erträge EBIT Operative Marge (%) Zinsergebnis EBT Steuerquote (%) Nettoergebnis Nettomarge (%)
MedTech-A 1.000,0 −â•›450,0 −â•›250,0 −â•›120,0 20,0 200,0 20,0 −â•›50,0 150,0 −â•›30,0 105,0 10,5
MedTech-B 1.000,0 −â•›410,0 −â•›280,0 −â•›130,0 120,0 300,0 30,0 −â•›150,0 150,0 −â•›30,0 105,0 10,5
Auf den ersten Blick erwirtschaftet MedTech-A eine operative Marge von 20,0€% und ist damit weniger profitabel als MedTech-B mit einer Betriebsergebnismarge von 30,0€%. Auf der Ebene des Nachsteuerergebnisses weisen beide Unternehmen dieselbe Profitabilität auf. Zieht man jedoch das zur Generierung der Ertragskraft erforderliche Kapital in die Analyse mit ein, ist MedTech-A mit einem Kapital von 1.000,0€Mio.€€ wesentlich effizienter als MedTech-B mit einem investierten Kapital von 3.000,0€Mio.€€. Mio.€€ EBIT Steuerquote (%) NOPATâ•› = â•›EBIT(1â•›−â•›τ) CE ROCE (%)
MedTech-A 200,0 30,0 140 1.000,0 14,0
MedTech-B 300,0 30,0 210 3.000,0 7,0
Bezogen auf die ROCE ist MedTech-A doppelt so profitabel wie MedTech-B.
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
259
Ein erneuter Blick auf die Formel (6.5) zeigt, dass die rechte Seite der Gleichung durch Multiplikation mit dem Umsatz zu
ROCEt =
Umsatzt EBITt (1 − τt ) Umsatzt SachAVt−1 + WCt−1 + Casht−1
(6.7)
erweitert werden kann. Der erste Term repräsentiert die Betriebsergebnismarge nach Steuern, die ein Unternehmen während einer bestimmten Periode erwirtschaften konnte, der zweite stellt die Kapitalumschlagshäufigkeit eines Unternehmens dar, also jenen Kapitalbetrag, der zur Erzielung eines bestimmten Umsatzes erforderlich ist. Dadurch wird offensichtlich, dass ein bestimmtes Profitabilitätsniveau entweder durch hohe Margen bei niedrigem Kapitalumschlag (also hoher Kapitalintensität) erzielt werden kann, oder durch einen hohen Kapitalumschlag bei entsprechend niedrigeren Margen. Ersteres ist typisch für die Luxusgüterindustrie, letzteres für den stationären Lebensmitteleinzelhandel. Nach all diesen Vorübungen mag sich der Leser langsam die Frage stellen, wie er diese zur Berechnung eines Unternehmenswertes eigentlich einsetzen solle. Die Verbindung zwischen der betrieblichen Wertschöpfung und ihrer Bewertung erfolgt letztlich durch folgenden Zusammenhang:
EV0 = CE0 +
T t=1
EPt . (1 + WACC)t
(6.8)
Der Wert eines Unternehmens entspricht also dem Marktwert des gesamten, aktuell im Unternehmen investierten Kapitals zuzüglich des Barwerts der Überrenditen sämtlicher bestehender und zukünftiger Projekte. Geht man davon aus, dass der Buchwert des investierten Kapitals eine gute Näherungsgröße für das investierte Kapital ist, dann übersteigt der Marktwert des eingesetzten Kapitals seinen Buchwert, sofern das Unternehmen in der Lage ist, ökonomische Mehrwerte zu generieren. Beispiel 6.5: Unternehmensbewertung durch ein dreistufiges Economic Profit-Modell╇ Wir betrachten erneut den onlinebasierten Schmuckhändler aus Beispiel 5.22, dessen eingesetztes Kapital zu Beginn der laufenden Periode bei 250,0€ Mio.€ € liegt. Die Investitionen in Sachanlagen und in Working Capital belaufen sich auf 40,0€Mio.€€ bzw. bei 15,0€Mio.€€ und die Abschreibungen auf 25,0€Mio.€€. Die Abschreibungen sollen mit 20,0€% p.a. wachsen, ebenso die Capex. Die Quote des Working Capital zum Umsatz beträgt für den gesamten Zeitraum 15,0€%. Damit ergibt sich nachfolgende Entwicklung für das eingesetzte Kapital CE:
260
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Mio.€€
tâ•› + â•›1
CE Beginn Periode Abschreibungen Capex WC ∆WC CE Ende Periode
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
tâ•› + â•›7
tâ•› + â•›8
tâ•› + â•›9
tâ•› + â•›10
250,0 30,0 48,0 41,4 6,9
274,9 36,0 57,6 49,7 8,3
304,8 43,2 69,1 59,6 9,9
340,6 51,8 82,9 71,5 11,9
383,7 62,2 99,5 85,8 14,3
435,3 72,5 99,4 100,1 14,3
476,4 82,1 99,2 113,3 13,2
506,7 90,2 99,1 124,4 11,1
526,8 95,9 98,9 132,4 8,0
537,8 98,8 98,8 136,3 4,0
274,9
304,8
340,6
383,7
435,3
476,4
506,7
526,8
537,8
541,7
Für das NOPAT ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€
tâ•› + â•›1
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
tâ•› + â•›7
tâ•› + â•›8
tâ•› + â•›9
tâ•› + â•›10
Umsatz Opex EBIT EBIT (1â•›−â•›τ)
276,0 165,6 110,4 74,0
331,2 198,7 132,5 88,8
397,4 238,5 159,0 106,5
476,9 286,2 190,8 127,8
572,3 343,4 228,9 153,4
667,3 400,4 266,9 178,8
755,4 453,2 302,2 202,4
829,4 497,7 331,8 222,3
882,5 529,5 353,0 236,5
909,0 545,4 363,6 243,6
Betrachten wir nun die zur Erzielung des NOPAT erforderlichen Kapitalkosten, so ergibt sich: Mio.€€
tâ•› + â•›1 tâ•› + â•›2 tâ•› + â•›3 tâ•› + â•›4 EBIT (1â•›−â•›τ) 74,0 88,8 106,5 127,8 −WACC·CE 19,3 21,2 23,6 26,3 EP 54,6 67,5 83,0 101,5
tâ•› + â•›5 153,4 29,6 123,7
tâ•› + â•›6 tâ•› + â•›7 tâ•› + â•›8 tâ•› + â•›9 tâ•› + â•›10 178,8 202,4 222,3 236,5 243,6 33,6 36,8 39,2 40,7 41,6 145,2 165,6 183,1 195,8 202,1
Wir diskontieren nun diese Werte und erhalten die Summe der Barwerte der ökonomischen Gewinne während der Detailplanungsphase, die sich auf 824,3€Mio.€€ summieren: Mio.€€ PV EP
tâ•› + â•›1 50,7
tâ•› + â•›2 58,2
tâ•› + â•›3 66,4
tâ•› + â•›4 75,4
tâ•› + â•›5 85,3
tâ•› + â•›6 92,9
tâ•› + â•›7 98,4
tâ•› + â•›8 101,0
tâ•› + â•›9 100,2
tâ•› + â•›10 96,0
Nach Ablauf der Periode t╛╛−╛╛10 soll das Unternehmen in die Reifephase eintreten. Hierfür sind diverse Berechnungen erforderlich. Zunächst berechnen wir das NOPAT des Terminal Value über NOPATTV = NOPATTV−1 (1 + gR ) = 243, 6(1 + 0, 03) = 250, 9.
Dieser Wert ist die Basis für die Berechnung des Capital Employed, das wir anpassen, um die ROCE während der Reifephase widerzuspiegeln. Wir errechnen das CE im Terminal Value über folgende Formel:
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
261
NOPATTV 250,9 = gR 0,03 −DepTV−1 + CapexTV−1 + WCTV−1 −98,8 + 98,8 + 4,0 NOPATTV−1 243,6 =136,3
CETV =
Aus diesem Wert wiederum errechnen wir die Opportunitätskosten des Kapitals im Terminal Value: WACC · CE = 136, 3 · 0, 07 = 10, 5
und erhalten so den Economic Profit des Terminal Values EP = NOPAT − WACC · CE = 250, 9 − 10, 5 = 240, 4
Aus diesem berechnen wir die ewige Rente über EPTV =
EP 240, 4 = = 5.084, 8 WACC − gR 0, 077 − 0, 03
bzw. ihren Barwert von PVBPTV =
5.084, 8 = 2.415, 5. 1, 0710
Die Summe der ökonomischen Gewinne während aller drei Phasen liegt damit bei 824, 3 + 2.415, 5 = 3.239, 8.
Hierzu ist das eingesetzte Kapital hinzuzurechnen, das sich im Zeitpunkt t auf 250,0€Mio.€€ belief. Dagegen zu rechnen ist allerdings die Veränderung des eingesetzten Kapitals im Zeitpunkt des Terminal Value, da diese ja bereits bewertet wurde. Es handelt sich dabei um die Differenz aus 136,3€Mio.€€ und 541,7€Mio.€€, also ╛╛−╛╛405,4€Mio.€€. Von diesem Wert ist wiederum der Barwert zu berechnen, also 192,6€Mio.€€. Damit ergibt sich ein Enterprise Value von EV0 = 3.239, 8 + 250, 0 − 192, 6 = 3.297, 2,
und abzüglich der Nettoverschuldung, die wir als vernachlässigbar angesehen haben, entspricht dies auch dem Wert des Eigenkapitals. Dies entspricht exakt dem Wert, den wir im dreistufigen FCFF-Modell (5.22) ermittelt haben. Damit zeigt sich, dass DCF-Modell und EP-Modell, sofern korrekte Annahmen getroffen wurden, zum grundsätzlich identischen Ergebnis führen.
262
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Bemerkenswert ist im Übrigen, dass der Unternehmenswert von der absoluten Höhe des eingesetzten Kapitals unabhängig ist. Verändert sich das eingesetzte Kapital bei ansonsten gleichbleibendem operativem Ergebnis, dann wird das rückläufige eingesetzte Kapital durch einen steigenden Barwert der Economic Profits gerade ausgeglichen. Beispiel 6.6: Unternehmensbewertung durch ein dreistufiges Economic Profit-Modell╇ Wir betrachten erneut den onlinebasierten Schmuckhändler aus Beispiel 6.5, diesmal wird unterstellt, dass das eingesetzte Kapital 500,0€Mio.€€ anstelle von 250€Mio.€€ betragen würde. Damit ergibt sich folgende Entwicklung des eingesetzten Kapitals: Mio.€€
tâ•› + â•›1 tâ•› + â•›2 tâ•› + â•›3 tâ•› + â•›4 tâ•› + â•›5 CE Beginn 500,0 524,9 554,8 590,6 633,7 Periode Abschrei30,0 36,0 43,2 51,8 62,2 bungen Capex 48,0 57,6 69,1 82,9 99,5 WC 41,4 49,7 59,6 71,5 85,8 6,9 8,3 9,9 11,9 14,3 +â•›∆WC CE Ende 524,9 554,8 590,6 633,7 685,3 Periode
tâ•› + â•›6 tâ•› + â•›7 tâ•› + â•›8 tâ•› + â•›9 tâ•› + â•›10 685,3 726,4 756,7 776,8 787,8 72,5
82,1
90,2
95,9
98,8
99,4 99,2 99,1 98,9 98,8 100,1 113,3 124,4 132,4 136,3 14,3 13,2 11,1 8,0 4,0 726,4 756,7 776,8 787,8 791,7
Angesichts identischer Wachstumsannahmen steigt der Endwert des eingesetzten Kapitals aufgrund des geringeren Startwerts, und zwar um eben jene Differenz, mit der der Anfangswert erhöht wurde, also (250,0€Mio.€€). Für die Entwicklung des NOPAT gilt demzufolge folgendes: Mio.€€ EBIT (1â•›−â•›t) −â•›WACC·CE EP PV EP
tâ•› + â•›1 74,0 38,6 35,3 32,8
tâ•› + â•›2 tâ•› + â•›3 tâ•› + â•›4 tâ•› + â•›5 tâ•› + â•›6 tâ•› + â•›7 tâ•› + â•›8 tâ•› + â•›9 tâ•› + â•›10 88,8 106,5 127,8 153,4 178,8 202,4 222,3 236,5 243,6 40,6 42,9 45,6 49,0 53,0 56,1 58,5 60,0 60,9 48,2 63,6 82,2 104,4 125,9 146,3 163,8 176,5 182,7 41,5 50,9 61,0 72,0 80,5 86,9 90,3 90,3 86,8
Damit zeigt sich, dass der Barwert der Economic Profits unter der ursprünglichen Zeitreihe liegt, und zwar um 131,2€Mio.€€. Auf der anderen Seite ist eine Anpassung im Terminal Value vorzunehmen, da der Barwert der Änderung des Terminal Value um genau 118,7€Mio.€€ auf 311,3€Mio.€€ zurückgeht. Beide Größen zusammengenommen ergeben 250,0€ Mio.€ €, also genau denjenigen Betrag, um den das investierte Kapital erhöht wurde.
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
V0 =
t+10 t=1
263
PVEPt + PVEPTV + CEt + PVCE
= 693,1 + 2415,5 + 500,0 − 311,3 = 3.297,2.
Damit zeigt sich, dass das Wertschöpfungsmodell von der Höhe des eingesetzten Kapitals unabhängig ist. Dieser Austausch der für das Wertschöpfungskonzept relevanten Komponenten hat allerdings eine wichtige Konsequenz, wenn es um die Eignung von diesen Modellen für die Festlegung der erfolgsabhängigen Komponenten von Managergehältern geht: So kann durch eine rein bilanzbuchhalterische Maßnahmen wie die Abschreibung von Vermögenswerten infolge von Restrukturierungsmaßnahmen die Kapitalbasis des Unternehmens verringert werden, was wiederum den Anteil der zukünftigen Wertschöpfungsanteile am gesamten Unternehmenswert erhöht. Wird nun die Entlohnung des Managements über ebendiese zukünftigen Wertschöpfungsanteile gesteuert, öffnet sich ausreichend Spielraum für Manipulationen. Beispiel 6.7: Manipulation des Unternehmenswertes╇ Das Management des Schmuckhändlers aus Beispiel 6.6 plant den Einstieg in ein neues, riskantes Geschäftsfeld. Die Opex-Quote verringert sich zwar auf 60,0€%, die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten steigen im Gegenzug auf 8,3€% an. Dies hat für den Barwert der ökonomischen Gewinne folgende Konsequenz: Mio.€€
tâ•› + â•›1 tâ•› + â•›2 tâ•› + â•›3 tâ•› + â•›4 EBIT 110,4 132,5 159,0 190,8 EBIT (1â•›−â•›t) 74,0 88,8 106,5 127,8 −WACC·CE 20,7 22,8 25,2 28,2 EP 53,3 66,0 81,3 99,6 PV EP 49,2 56,3 64,0 72,5
tâ•› + â•›5 228,9 153,4 31,8 121,6 81,7
tâ•› + â•›6 266,9 178,8 36,0 142,8 88,6
tâ•› + â•›7 302,2 202,4 39,4 163,0 93,4
tâ•› + â•›8 331,8 222,3 41,9 180,3 95,5
tâ•› + â•›9 353,0 236,5 43,6 192,9 94,3
tâ•› + â•›10 363,6 243,6 44,5 199,1 89,9
Wie wir sehen, steigt der Barwert der ökonomischen Gewinne in den ersten Jahren im Vergleich zum Ausgangsmodell deutlich an, dies wird allerdings zu Lasten der ökonomischen Gewinne der nachgelagerten Jahre und insbesondere des Terminal Values erkauft, der sich von 2.415,5€Mio.€€ auf 2.049,9€Mio.€€ verringert: Mio.€€ EBIT (1â•›−â•›t) −WACC·CE EP Terminal EP PV EP
T 250,9 11,3 239,6 4.540,6 2.049,9
264
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Durch Manipulation der Rendite-Risiko-Position kann das Management zwar den kurzfristigen Gewinn steigern, dies allerdings zu Lasten des langfristigen Unternehmenswertes. Üblicherweise werden zur Berechnung des Unternehmenswertes verschiedene Anpassungen vorgenommen. Diese Anpassungen beziehen sich entweder auf das eingesetzte Kapital (so genannte „Equity Equivalents“8), das NOPAT oder beides. Hier sollen beileibe nicht alle 164 Adjustierungsfaktoren besprochen werden, von denen nicht wenige eine vernachlässigbare Größenordnung haben und eher marketingtechnischen Ursprungs sein dürften, während andere nur von Mitarbeitern des Unternehmenscontrollings berechnet werden können. Von grundlegender Bedeutung sind lediglich drei veröffentlichungspflichtige Positionen: die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, die operativen Leasingverpflichtungen und die Steuerquote. Nachdem heutige Rechnungslegungsvorschriften ihren Ursprung im Industriezeitalter haben, das durch eine hohe Kapitalintensität der Produktion charakterisiert war, sind Wachstumsunternehmen heute meist durch eine hohe Forschungs- und Entwicklungsintensität gekennzeichnet. Die vom Unternehmen selbst getätigten Investitionen in Forschung und Entwicklung werden unter IFRS und insbesondere unter HGB im Jahr ihrer Entstehung als Aufwand verbucht, obwohl unzweifelhaft langfristige Werte geschaffen werden. Mit anderen Worten: Die Werte, die mit Investitionen in F&E geschaffen werden, tauchen nicht als Vermögensgegenstände in der Bilanz auf, einfach weil es keine marktnahe Transaktion gibt, um einen Buchwert von F&E zu bestimmen. Steigen F&E-Aufwendungen im Zeitablauf an, wird gleichzeitig die Profitabilität durch die Aufwendungen belastet, obwohl das operative Ergebnis in der Theorie nicht von Capex belastet werden sollte. Durch die Behandlung als Opex und nicht als Capex werden forschungsintensive Unternehmen und Industrien gegenüber reifen Unternehmen und Industrien systematisch benachteiligt. Doch es gibt einen Ausweg. Denn ungeachtet der Tatsache, dass die zukünftigen Vorteile von F&E-Investitionen völlig ungewiss sind, können Überlegungen angestellt werden, Aufwendungen für Forschung und Entwicklung nicht im Jahr ihrer Entstehung als Aufwand zu verbuchen, sondern sie wie als einen Vermögenswert zu kapitalisieren und entsprechend der Nutzungsdauer langfristig abzuschreiben. Die Aufwendungen sind lediglich mit den durch sie erzielten Umsätzen in Einklang zu bringen, so wie dies auch bei den Abschreibungen einer Maschine üblich ist. Die Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen bringt in jedem Fall eine Erhöhung des eingesetzten Kapitals mit sich, unter Umständen auch eine Steigerung des NOPAT. Die 1000€ $-Frage ist jedoch, ob die getätigten F&E-Aufwendungen überhaupt zu Umsätzen führen werden. Viele Erfindungen gehen fehl, andere erwirtschaften lediglich minimale Erlöse. Und natürlich ist auch der Schutz des Wissens relevant für die Beantwortung der Frage: Denn in gewissem Maße ist F&E ein öffentliches Gut, deren Früchte von Dritten genutzt werden können, ohne dass dies die Erträge des For8╇
Steward (1991, S.€112€f.).
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
265
schenden beeinträchtigt. Führt das öffentlich verfügbare Wissen zu rückläufigen Preisen, etwa weil der Patentschutz ausgehebelt wird – man denke nur an die Situation in China – kann der Wert der aktivierten F&E-Aufwendungen dramatisch erodieren. Warum, könnten Kritiker dieses Vorgehens fragen, sollten F&E-Investitionen von forschungsintensiven Unternehmen kapitalisiert werden, Marketingaufwendungen von Unternehmen in werbeintensiven Branchen hingegen nicht? Schließlich würden diese ja auch dazu beitragen, den Markenwert des Unternehmens in the long run zu vergrößern. Vermutlich ließen sich, bei phantasievoller Auslegung des Konzepts, noch weitere Aufwandsarten finden, die ein Vorstand für aktivierungsfähig halten würde: Die Ausbildungsaufwendungen für humankapitalintensive Unternehmen wie Investmentbanken oder Unternehmensberater zum Beispiel. Abgesehen davon, dass allein der Gedanke den meisten Portfoliomanagern ein Schaudern über den Rücken laufen ließe – zu Recht! –, ist derartigen Forderungen in den meisten Fällen kategorisch zu widersprechen: Die Forderung, Wirtschaftsgüter entsprechend ihrer Nutzungsdauer abzuschreiben, führt im Umkehrschluss notwendigerweise dazu, dass es nur dann angebracht sein kann, die Aufwendungen zu kapitalisieren, wenn operative Aufwendungen ein Wirtschaftsgut kreieren, das über mehrere Perioden verbraucht wird, nicht nur in einer. Nun kommen empirische Untersuchungen über die Rezeption von Werbung in aller Regel zu dem Schluss, dass Werbung allenfalls kurzfristig wirkt – im Gegensatz zu F&E-Aufwendungen, die ihre Wirkung per Definition langfristig entfalten. In der Regel9 sind F&E-Aufwendungen daher anders zu behandeln als etwa Marketing- oder Vertriebsaufwendungen. Manche Marktteilnehmer scheuen den mit der Kapitalisierung verbundenen Aufwand mit der Argumentation, alle Unternehmen ihres Universums würden Forschung und Entwicklung betreiben, demzufolge wären die Erträge aller von der Verbuchung der F&E-Aufwendungen als Opex betroffen. Diese Argumentation greift zu kurz, da eben nicht alle Unternehmen von F&E-Aufwendungen gleichermaßen betroffen sind: Allgemein gesprochen sind kleinere, jüngere Unternehmen stärker betroffen als größere, etablierte. Und auch die zeitliche Verzögerung zwischen Aufwand und Ertrag spielt eine Rolle: Je kürzer die Zeitspanne, innerhalb derer aus der Forschung ein vermarktbares Produkt entsteht, desto weniger ist das Unternehmen von F&E belastet. Wieder andere verwenden stattdessen adjustierte Ergebnisgrößen. Anstatt den zeitaufwendigen Weg zu gehen, F&E-Aufwendungen zu kapitalisieren und abzuschreiben, nehmen sie eine Abkürzung und machen die „Verkostung“ der F&EAufwendungen einfach rückgängig. Als Ergebnis erhalten sie zwar ein adjustiertes Ergebnis, in dem sich widerspiegeln soll, dass sich der Bewertende Gedanken gemacht hat, die Kapitalbasis bleibt indessen unangetastet. So viel zur Theorie. Um F&E-Aufwendungen in der Praxis zu kapitalisieren und im Zeitablauf abzuschreiben, sind zunächst Annahmen über die Zeitspanne zu treffen, in der die entwickelten Produkte kommerziell verwertet werden können. Diese Zeitspanne variiert von Unternehmen zu Unternehmen und Branche zu Branche. In der Pharma- und Biotechnologiebranche dauert es aufgrund strikter Zulassungskriterien eher länger (bis zu 20 Jahre sind keine Seltenheit), im kurzlebigen Internet 9╇
Zu den Ausnahmen vgl. Kap.€11.8.
266
6â•… Wertschöpfungsmodelle
ROE Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen
Aggressive Buchführung COC Konservative Buchführung
Verbuchung der F&E-Aufwendungen
gF&E
F&E-Wachstum
Abb. 6.3↜渀 Kapitalisierung vs. Verkostung von F&E-Aufwendungen
und in der Softwareindustrie eher kürzer. Nachdem die F&E-Aufwendungen kapitalisiert worden sind, müssen sie innerhalb dieses Zeitraumes amortisiert werden, das heißt als fiktive (kumulierte) F&E-Abschreibungen vom operativen Ergebnis in Abzug zu bringen. Für den Fall einer dreijährigen Abschreibungsperiode können also nach einem Jahr noch 66,6€%, nach zwei Jahren noch 33,3€% und nach drei Jahren 0€% der ursprünglichen F&E-Aufwendungen kapitalisiert werden. Die tatsächlich buchhalterisch in Abzug gebrachten F&E-Aufwendungen, wie sie in der Gewinn- und Verlustrechnung zu finden sind, werden dagegen dem EBIT der jeweiligen Periode wieder hinzugezählt. Die Differenz zwischen den tatsächlichen F&E-Aufwendungen der Periode und den jeweiligen Abschreibungen auf die kapitalisierten F&E-Aufwendungen entspricht dann der Ergebnisadjustierung:
EBITadj = EBITrep + F&E − DepF&E .
(6.9)
Das um F&E-Aufwendungen bereinigte operative Ergebnis ist daher umso höher, je länger die Abschreibungsperiode gewählt wurde. Damit werden die Auswirkungen der Kapitalisierung von F&E-Aufwendungen auf das bereinigte Ergebnis in der Pharma- oder Biotechnologiebranche tendenziell stärker ausfallen als in der Internetbranche. Gleichzeitig fallen die Adjustierungen bei Unternehmen stärker ins Gewicht, deren F&E-Aufwendungen im Zeitablauf ansteigen: Bleiben die F&EAufwendungen im Zeitablauf konstant, entspricht das adjustierte EBIT auch dem berichteten. Im Zeitablauf rückläufige F&E-Aufwendungen könnten theoretisch sogar einen negativen Effekt auf das adjustierte EBIT haben. Per Saldo wird damit die Ertragslage durch eine F&E-Kapitalisierung nur bei jungen Unternehmen, bei denen F&E-Aufwendungen einen beträchtlichen Anteil an den Gesamtkosten aufweisen und bei denen sie im Zeitablauf signifikant angestiegen sind, positiv beeinflusst; bei reifen Unternehmen, bei denen F&E-Aufwendungen auf einem bestimmten Niveau stagnieren und auch nur einen kleinen Teil der gesamten betrieblichen Kosten ausmachen, kann die Kapitalisierung sogar einen negativen Effekt auf die Ertragsentwicklung haben10 (Abb.€6.3). 10╇
Vgl. auch Lev (2003, S.€18€f.).
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
267
Um zu ermitteln, ob die F&E-Kapitalisierung wertschöpfend war, ist ein Vergleich der ROCE erforderlich. Hierzu sind die Steuereffekte der Kapitalisierung zu beachten. Die Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen und ihre anschließende Abschreibung haben einen Ergebnis steigernden Steuereffekt zur Folge. Das adjustierte EBIT einschließlich des Steuereffektes, der Net Operating After Tax, aus der F&E-Kapitalisierung liegt mithin bei
(6.10)
NOPATadj = EBITrep (1 − τ ) + F&E − DepF&E .
Abschließend sind noch die zu kapitalisierenden F&E-Aufwendungen zu berechnen, die natürlich die Kapitalbasis CE erhöhen. Das adjustierte eingesetzte Kapital CEadj ergibt sich als Differenz zwischen den kumulierten F&E-Aufwendungen und den kumulierten F&E-Abschreibungen:
CEadj = CErep + kumF&E − kumDepF&E .
(6.11)
Beispiel 6.8: Kapitalisierung von F&E-Aufwendungen╇ Ein innovativer Softwarehersteller, der im laufenden Geschäftsjahr ein operatives Ergebnis EBIT von 220,0€Mio.€€ anstrebt, hat in den vergangenen Jahren seine Aufwendungen für F&E mehr als verdoppelt: Mio.€€ F&E-Aufwendungen
t╛╛−╛╛5 25,8
t╛╛−╛╛4 31,5
t╛╛−╛╛3 41,2
t╛╛−╛╛2 51,5
t╛╛−╛╛1 60,4
t 66,6
Das Unternehmen gibt an, dass ein Produkt innerhalb von fünf Jahren zur kommerziellen Marktreife gelangt. Die lineare Abschreibungsquote liegt also bei 20,0€% p.€a. Wir gehen davon aus, dass während der ersten Periode jeweils keine Abschreibungen stattfinden (Jahresendkonzept), sondern immer erst in der Folgeperiode mit den Abschreibungen begonnen wird. Anhand dieser Angaben lassen sich die Abschreibungen der jeweiligen Periode sowie die kumulierten Abschreibungen berechnen. Mio.€€ F&E-Aufwendungen Kum. F&E-Aufwendungen* F&E Abschreibungen F&E Abschreibungen F&E Abschreibungen F&E Abschreibungen F&E Abschreibungen F&E Abschreibungen Summe F&E Abschreibungen Kum. F&E-Abschreibungen** F&E-Kapitalisierung ( = â•›*-**)
t╛╛−╛╛5 25,8 25,8
t╛╛−╛╛4 31,5 57,3 5,2
t╛╛−╛╛3 41,2 98,5 5,2 6,3
t╛╛−╛╛2 51,5 150,0 5,2 6,3 8,2
t╛╛−╛╛1 60,4 210,4 5,2 6,3 8,2 10,3
t
0,0 0,0 25,8
5,2 5,2 52,1
11,5 16,6 81,9
19,7 36,3 113,7
30,0 66,3 144,1
42,1 108,4 168,6
66,6 277,0 5,2 6,3 8,2 10,3 12,1
268
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Ein Beispiel soll die Tabelle veranschaulichen. Die kumulierten F&E-Aufwendungen des Jahres t╛╛−╛╛2 entsprechen den F&E-Aufwendungen dieses Jahres (51,5€Mio.€€) zuzüglich den bislang aufgelaufenen F&E-Aufwendungen (98,5€Mio.€€). Die gesamten Abschreibungen des Jahres t╛╛−╛╛2 in Höhe von 19,7€Mio.€€ ergeben sich aus den Abschreibungen der F&E-Aufwendungen, die im Jahre t╛╛−╛╛ (20,0€% von 25,8€Mio.€€), t╛╛−╛╛4 (20,0€% von 31,5€Mio.€€) und t╛╛−╛╛3 (20,0€ von 41,2€Mio.€€) angefallen sind. Die kumulierten F&E-Abschreibungen des Jahres t╛╛−╛╛3 (36,3€Mio.€€) entsprechen der Summe aus den kumulierten Abschreibungen der Vorperiode (16,6€Mio.€€) und der Summe der F&E-Abschreibungen der Periode t╛╛−╛╛1, also 19,7€Mio.€€. Die zu kapitalisierenden F&E-Aufwendungen ergeben sich dementsprechend aus der Differenz der tatsächlich verbuchten kumulierten F&E-Aufwendungen und den kumulierten Abschreibungen. Unter dem Strich ergibt sich für die Periode t ein adjustiertes operatives Ergebnis von EBITadj = 220, 0 + 66, 6 − 42, 1 = 244, 5
Das adjustierte EBIT liegt um 11,1€% über dem berichteten EBIT. Das für die Berechnung der ROCE erforderliche operative Ergebnis nach Steuern NOPAT beläuft sich unter Berücksichtigung eines Grenzsteuersatzes von 32,0€% vor der Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen auf NOPAT = 220, 0(1 − 0, 32) = 149, 6
und nach deren Kapitalisierung auf NOPATadj = 220, 0(1 − 0, 32) + 66, 6 − 42, 1 = 174, 1.
Gleichzeitig vergrößert sich das eingesetzte betriebliche Kapital CE der Periode t, das ohne die Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen bei 2.000,0€Mio.€€ gelegen hat, um 168,6€Mio.€€ auf dann 2.168,6€Mio.€€. Per Saldo verbessert sich die ROCE-Marge von 7,5€% exklusive Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen auf einen adjustierten Wert von 8,0€ % inklusive Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen. Basierend auf den Investitionen der letzten fünf Jahre hatten Forschung und Entwicklung also höhere Renditen als die sonstigen Investitionen des Softwareherstellers und F&E hatte einen wertsteigernden Effekt für die Gesellschaft. Werden F&E-Aufwendungen als Opex und nicht als Capex spezifiziert, verliert einer der wichtigsten Zusammenhänge für eine integrierte Unternehmensplanung seine Gültigkeit: die endogene Berechnung der Wachstumsrate g über die Formel
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
269
(5.47) gEBITâ•› = â•›εROCE. Ohne die Berücksichtigung der F&E-Aufwendungen wird dieser Zusammenhang inhaltsleer, oder, anders formuliert, wird die Investitionsquote ε tendenziell zu geringe Werte annehmen, wodurch die Renditen auf das eingesetzte Kapital und auf das Eigenkapital überschätzt werden. Dementsprechend sind auch die F&E-Aufwendungen in die Berechnung der Investitionsquote mit aufzunehmen. Anstelle von (5.21) verwendet man also folgende Berechnung:
ε=
Capex − Dep + WC + F&E − DepF&E , EBIT(1 − τ )
f ür EBIT > 0,
(6.12)
Die Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen hat damit auch Auswirkungen auf die endogen aus dem Geschäftsabschluss berechnete Wachstumsrate g, die sich bekanntlich aus dem Zusammenhang gâ•› = â•›εROCE errechnet. Während sich eine höhere Investitionsquote positiv auf das Unternehmenswachstum auswirkt, kann dieser Anstieg durch eine rückläufige Kapitalrendite überkompensiert werden. Welcher Effekt am Ende überwiegt, ist prima vista unklar. Unmittelbar einsichtig ist indes, dass sich die Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen bei jungen Firmen stärker auswirkt als bei etablierten, da bei ihnen F&E-Aufwendungen einen größeren Teil des gesamten Kostenblocks ausmachen. Beispiel 6.9: Auswirkung der F&E-Kapitalisierung auf das Wachstum╇ Betrachten wir erneut den Softwarehersteller aus Beispiel 6.8. Seine Capex beliefen sich im Jahr t auf 100,0€Mio.€€, die Abschreibungen lagen bei 20,0€Mio.€€, Investitionen in das Working Capital bei 10,0€Mio.€€. Daraus ergibt sich ohne Kapitalisierung der F&E-Aufwendungen eine Investitionsquote von ε=
100,0 − 20,0 + 10,0 Capex − Dep + WC = = 0,602 = 60,2 %, EBIT(1 − τ ) 220,0(1 − 0,32)
während diese durch die Kapitalisierung auf εF&E = =
Capex − Dep + WC + F&E − DepF&E EBIT(1 − τ ) + F&E − DepF&E
100,0 − 20,0 + 10,0 + 66,6 − 42,1 = 0,658 = 65,8 % 220,0(1 − 0,32) + 66,6 − 42,1
ansteigt. Damit ergibt sich ohne Kapitalisierung eine modellendogene Wachstumsrate von g = εROCE = 0,602 · 0,075 = 0,045 = 4,5 %
270
6â•… Wertschöpfungsmodelle
und nach der Kapitalisierung von gF&E = εF&E ROCEF&E = 0,658 · 0,080 = 0,053 = 5,3 %.
Zur Berechnung der Profitabilität von F&E-Investitionen ist im Übrigen die F&ERendite behilflich. Diese errechnet sich aus
F&E-Rendite =
F&E − DepF&E . F&E0,t−1
(6.13)
Wie üblich wird die Renditekennzahl anhand der Kapitalbasis des Vorjahres t╛╛−╛╛1 berechnet. Liegt die F&E-Rendite über den Kapitalkosten, sind die Investitionen in F&E wertschöpfend, liegt sie unter den Kapitalkosten, werden Werte vernichtet. Beispiel 6.10: Berechnung der F&E-Rendite╇ Die F&E-Rendite des Softwareherstellers aus Beispiel 6.8 beläuft sich damit auf F&E-Rendite =
F&E − DepF&E 66,6 − 42,1 = = 0,170 = 17,0 %. F&E0,t−1 144,1
Da die F&E-Rendite über den Kapitalkosten liegen, sind die Investitionen in Forschung und Entwicklung für den Softwarehersteller wertschöpfend. Damit wird das Ergebnis aus Beispiel 6.8 bestätigt. Neben den F&E-Aufwendungen sind auch die Verbindlichkeiten aus operativem Leasing bei der Ermittlung des Capital Employed einzubeziehen. Im Gegensatz zum Finanzierungsleasing findet operatives Leasing außerhalb der Bilanz statt. Damit würde ein Unternehmen, das eine Maschine über operatives Leasing erwirbt, gegenüber einem Unternehmen, das dieselbe Maschine kauft, eine niedrigere Kapitalbasis aufweisen. Da es sich also um eine diskretionäre Managemententscheidung handelt, ist der Barwert der Mindestzahlungen zu ermitteln, die ein Unternehmen zukünftig aus operativem Leasing zu begleichen hat. Sie sind üblicherweise im Anhang des Jahresabschlusses anzugeben. Das Prinzip der Aktivierung und Abschreibung operativer Leasingaufwendungen ist identisch zur Aktivierung von F&E-Aufwendungen: Zum berichteten EBITrep werden zunächst die tatsächlichen Leasingaufwendungen der Periode hinzugezählt, da sie als Finanzaufwendungen behandelt werden. Von diesem Wert werden anschließend die fiktiven Abschreibungen auf den kapitalisierten Leasingbestand abgezogen, wobei der Einfachheit halber eine lineare Abschreibung der kapitalisierten Leasingbeträge unterstellt wird:
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
271
EBITadj = EBITrep + OpLease − DepLease .
(6.14)
Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass die durchschnittliche Lebensdauer der geleasten Vermögensgegenstände bekannt sein muss. Für einen externen Investor oder Analysten ist diese Information nur schwer zu beschaffen. Näherungsweise könnte die durchschnittliche Lebensdauer aus den Angaben des Geschäftsberichts ermittelt werden. Dabei verwendet man den kumulierten Betrag jenseits der Detailplanungsphase, dividiert diesen durch den durchschnittlichen Leasingaufwand während der Detailplanungsperiode und erhält dann die erwartete Lebensdauer der Leasinggegenstände. Beispiel 6.11: Behandlung von operativem Leasing╇ Der Softwarehersteller aus Beispiel 6.8 weist im Anhang des Jahresabschlusses t folgende Leasingverpflichtungen auf: Mio.€€
t
Leasingverpflichtung
45,0
tâ•› + â•›1 48,0
tâ•› + â•›2 51,0
tâ•› + â•›3 55,0
tâ•› + â•›4 58,0
tâ•› + â•›5 70,0
â•›>â•›tâ•› + â•›5 175,0
Der Durchschnitt der Jahre tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›5 beläuft sich auf 56,4€Mio.€€. Dividieren wir die Verpflichtungen jenseits der Detailplanungsphase durch diesen Betrag und zählen diesen zu den fünf Jahren der Detailplanungsphase hinzu, dann erhalten wir einen Näherungswert für die erwartete Lebensdauer der durch Leasing finanzierten Vermögenswerte. Insgesamt erhalten wir damit eine durchschnittliche Lebensdauer von acht Jahren. Bei durchschnittlichen Fremdkapitalkosten von brutto 7,0€% erhalten wir folgende Reihe der Barwerte der Leasingverpflichtungen: Mio.€€
tâ•› + â•›1
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
tâ•› + â•›7
tâ•› + â•›8
Lease0
44,9
44,5
44,9
44,2
49,9
37,6
35,1
32,8
Ihre Summe beträgt 334,0€Mio.€€. Wir nehmen an, dass dieser Betrag linear über die erwartete Lebensdauer von acht Jahren abgeschrieben wird. Unter Berücksichtigung des für das Jahr t ausgewiesene EBIT von 220,0€ Mio.€ € ergibt sich folgendes adjustiertes EBIT: EBITadj = 220,0 + 45,0 −
334,0 = 223,8. 8
Der durch die Kapitalisierung und Abschreibung operativer Leasingaufwendungen ermittelte Betrag liegt um 10,6€% über dem ursprünglich ausgewiesenen Wert.
272
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Geht man davon aus, dass der Tilgungsanteil an der zurückzuzahlenden Schuld der zu leistenden Leasingrate entspricht, kann Formel (6.13) auch umgeformt werden zu
EBITadj = EBITrep + Lease0 rFK,br .
(6.15)
Die Differenz aus Leasingzahlung und Amortisation der kapitalisierten Leasingverpflichtungen entspricht dabei den Vorsteuerfremdkapitalzins rFK,br, angesetzt auf den Wert der Leasingverpflichtungen Lease0.
Beispiel 6.12: Näherungslösung für Leasing╇ Der Näherungswert der adjustierten EBITs für den Softwarehersteller aus Beispiel 6.8 liegt mit EBITadj = 220,0 + 334,0 · 0,07 = 243,4
deutlich über die ursprünglich errechnete Größe. Wie bereits in den Beispielen€6.5€ff. gezeigt wurde, kann auch in Wertschöpfungsmodellen ein Terminal Value berechnet werden, vergleichbar zu anderen Bewertungsmethoden. Dieser ist nach Ablauf der so genannten Growth Appreciation Period (GAP) oder Competitive Advantage Period (CAP) zu berechnen. Darunter ist der Zeitraum zu verstehen, innerhalb dem das Unternehmen Überrenditen im Sinne von ROCEâ•›>â•›WACC generieren kann. Nach Ablauf der Growth Appreciation Period wird angenommen, dass der ROCE den WACC entspricht. Warren Buffett bezeichnet die Growth Appreciation Period als den Burggraben, der das Unternehmensschloss umgibt11. Als Formel hierfür bietet sich an:
TVt =
(NOPATt − CEt−1 WACC)(1 + g) . WACC − g
(6.16)
Der daraus resultierende Wert ist anschließend auf die Gegenwart zu diskontieren. Aus Formel (6.16) kann ein interessantes Detail abgeleitet werden. Für den Fall, dass der Terminal Value größer als der Buchwert des eingesetzten Kapitals ist, wird implizit unterstellt, dass das Unternehmen in der Lage ist, einen ROCE zu erwirtschaften, der dauerhaft über den durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten liegt. Liegt der Terminal Value dagegen unter dem Buchwert der Gesellschaft, folgt daraus, dass das Unternehmen unmittelbar nach Beendigung der Wachstumsphase in einen Schrumpfungsmodus eintritt, in dem das Unternehmen nicht mehr seine Kapitalkosten verdienen wird. Entspricht der Terminal Value dem Buchwert der Firma, geht der jährlich erwirtschaftete Economic Profit auf null zurück. 11╇
Zitiert nach Thomas und Gup (2010, S.€214).
6.2â•… Das NOPAT und seine Exegeten
273
Beispiel 6.13: Berechnung des Unternehmenswertes anhand eines Wertschöpfungsmodells╇ Das Softwareunternehmen aus Beispiel 6.8 weist folgende Gewinn- und Verlustrechnung auf: Mio.€€
t
Umsatz Opex EBITDA Abschreibung Zinsergebnis EBT Steuern Nachsteuerergebnis
1.000,0 −╛╛740,0 260,0 −╛╛100,0 −╛╛30,0 130,0 −╛╛32,5 97,5
tâ•› + â•›1 1.100,0 −╛╛805,9 294,1 −╛╛115,0 −╛╛32,4 146,7 −╛╛36,7 110,1
tâ•› + â•›2 1.210,0 −╛╛877,6 332,4 −╛╛132,3 −╛╛35,0 165,2 −╛╛41,3 123,9
tâ•› + â•›3 1.331,0 −╛╛955,7 375,3 −╛╛152,1 −╛╛37,8 185,4 −╛╛46,4 139,1
tâ•› + â•›4 1.464,1 −╛╛1.040,7 423,4 −╛╛174,9 −╛╛40,8 207,6 −╛╛51,9 155,7
Im ersten Schritt leiten wir das NOPAT durch Subtraktion der Abschreibungen vom EBITDA und anschließender Versteuerung des Restbetrages ab: Mio.€€
t
EBITDA Abschreibung Steuern NOPAT
260,0 −╛╛100,0 −╛╛32,5 127,5
tâ•› + â•›1 294,1 −╛╛115,0 −╛╛36,7 142,5
tâ•› + â•›2 332,4 −╛╛132,3 −╛╛41,3 158,9
tâ•› + â•›3 375,3 −╛╛152,1 −╛╛46,4 176,9
tâ•› + â•›4 423,4 −╛╛174,9 −╛╛51,9 196,5
Im zweiten Schritt berechnen wir das im Unternehmen eingesetzte Kapital CE aus der Bilanz durch Addition von Sachanlagevermögen und Working Capital: Mio.€€
t
Sachanlagevermögen Forderungen aus L&L Vorräte Verbindlichkeiten aus L&L CE
500,0 60,0 35,0 −╛╛80,0 515,0
tâ•› + â•›1 575,0 66,0 38,5 −╛╛88,8 590,7
tâ•› + â•›2 661,3 72,6 42,4 −╛╛98,6 677,6
tâ•› + â•›3 760,4 79,9 46,6 −╛╛109,4 777,5
tâ•› + â•›4 874,5 87,8 51,2 −╛╛121,4 892,1
Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten sollen über den Bewertungszeitraum aus Vereinfachungsgründen bei konstanten 10,5€ % liegen. Damit können wir den ROCE und den ROCE-WACC-Spread berechnen: %
t
ROCE (%) WACC (%) ROCE-WACC (%)
24,8 10,5 14,3
tâ•› + â•›1 24,1 10,5 13,6
tâ•› + â•›2 23,4 10,5 12,9
tâ•› + â•›3 22,7 10,5 12,2
tâ•› + â•›4 22,0 10,5 11,5
Multipliziert man den ROCE-WACC-Spread mit dem jeweils eingesetzten Kapital, so ergibt sich folgende ökonomische Gewinnreihe:
274
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Mio.€€
t
CE ROCE-WACC (%) EP
515,0 14,3 73,4
tâ•› + â•›1 590,7 13,6 80,4
tâ•› + â•›2 677,6 12,9 87,7
tâ•› + â•›3 777,5 12,2 95,2
tâ•› + â•›4 892,1 11,5 102,9
Die Summe der ökonomischen Gewinne beläuft sich auf 439,7€Mio.€€. Nach Beendigung von tâ•›+â•›4 soll das Unternehmen in seinen Gleichgewichtspfad eintreten. Wachstum, das die Kapitalkosten übersteigt, ist dann nicht mehr möglich, da es unmittelbar neue Wettbewerber anlocken würde, die durch den dadurch ausgelösten Preiswettbewerb so lange Druck auf die erzielten Renditen ausüben, bis diese auf die Höhe der Kapitalkosten gedrückt würden. Über die bekannte Formel des Terminal Value (6.16) ergibt sich damit unter der Annahme einer langfristigen durchschnittlichen Wachstumsrate gR von 4,0€% und von gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten WACCRvon 9,0€% folgender Endwert: TV5 =
[(196,5 − 892,1 · 0,09)](1 + 0,04) = 2.418,1. 0,09 − 0,04
Nun sind nur noch sämtliche Beträge auf die Gegenwart zu diskontieren. Für die ökonomischen Gewinne ergibt sich nach Diskontierung mit WACCW von 10,5€% folgende Reihe: Mio.€€
t
PV EP
73,4
tâ•› + â•›1 73,8
tâ•› + â•›2 73,8
tâ•› + â•›3 73,5
tâ•› + â•›4 72,9
Für den Terminal Value ergibt sich nach Diskontierung mit WACCR ein Barwert in Höhe von 1.713,0€Mio.€€. In Summe entspricht dies einem Enterprise Value von 2.080,5€Mio.€€.
6.3 Varianten des Wertschöpfungsmodells Ursprünglich von der Boston Consulting Group BCG als Verbesserung des traditionellen buchhalterischen Return on Investment-Konzepts entwickelt, repräsentierte der Cashflow Return on Investment CFROI zunächst lediglich einen inflationsadjustierten internen Zinsfuß eines Investitionsprojektes. Erst später wurde das Basiskonzept zu einem integrierten und eigenständigen Bewertungsansatz weiterentwickelt, einem „total system approach to valuing the firm“12. Die entscheidende Weiterentwicklung gegenüber dem klassischen IRR-Konzept ist dabei der Dis12╇
Madden (1999).
6.3â•… Varianten des Wertschöpfungsmodells
275
kontierungssatz, der im CFROI-Modell eine reale, inflationsangepasste Größe ist und zudem aus Markterwartungen abgeleitet wird. In seiner ursprünglichen Version basiert das CFROI-Modell auf dem Durchschnitt der erzielbaren Internal Rate of Returns (IRR) der Investitionen einer Gesellschaft. Ausgangspunkt der Überlegungen von BCG ist der Brutto-Cashflow GCF, der in der laufenden Periode t aus den bereits bestehenden Vermögenswerten erwirtschaftet wurde. Dieser ist definiert als das um Leasing und sonstige nicht-liquiditätswirksame Aufwands- und Ertragpositionen bereinigte operative Ergebnis EBIT dieser Periode: GCFt = adjEBITt (1 − τ ) + Dept . (6.17) Für Befürworter des CFROI-Ansatzes ist die Kapitalbasis, wie sie im Economic Profit-Modell verwendet wird, grundsätzlich zu klein, da der aktuelle, also abgeschriebene Buchwert nur wenig mit der ökonomischen Wertschöpfung zu tun hat. Diese Kennzahl wird daher bevorzugt in Industrien angewendet, in den Abschreibungen nicht notwendigerweise die tatsächliche Entwertung des Sachanlagevermögens widerspiegeln. Wenigstens für kapitalintensive Industrien fallen dementsprechend buchwertbasierte Kennzahlen wie die Eigenkapitalrendite zu hoch aus. Für sie ist das Vermögen, das der Erwirtschaftung dieser Cashflows zur Verfügung stand, das inflationsbereinigte Gross Capital Employed GCE. Dieses errechnet sich aus dem aktuellen Net Asset Value NAV des Unternehmens, zu dem die kumulierten Abschreibungen der Vergangenheit Depkum hinzuzurechnen sind. Nachdem auch immaterielle Vermögenswerte wie der Goodwill eliminiert wurden, erhält man eine Schätzung der ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellkosten aller im Unternehmen gebundenen Vermögenswerte. Dieser sollte anschließend um die durchschnittliche Inflationsrate π seit dem Erwerb der Vermögenswerte preisbereinigt werden. Zusammengefasst ergibt sich also:
GCEt = (NAVt + Depkum )(1 + π)t + WCt + Leaset .
(6.18)
Der dritte und vierte Inputfaktor des CFROI-Modells ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Vermögenswerte und der Restwert der Vermögenswerte am Ende dieser Zeitspanne. Zu Vereinfachungszwecken kann dieser Restwert als prozentualer Anteil des inflationsbereinigten Gross Capital Employed GCE angesetzt werden. Beispiel 6.14: Ermittlung der Wertschöpfung mit Hilfe des CFROI╇ In seiner aktuellen Bilanz weist ein Maschinenbauunternehmen ein Sachanlagevermögen von 650,0€Mio.€€ auf. Das Working Capital liegt bei 120,0€Mio.€€, der Barwert der operativen Leasingverbindlichkeiten liegt bei 50,0€ Mio.€€. Die kumulierten Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen beliefen sich in den vergangenen vier Jahren, die das Durchschnittsalter der Sachanlagen wiedergibt, auf 280,0€Mio.€€. Die Inflationsrate liegt bei 2,5€% p.€a. Damit ergibt sich ein Bruttowert des inflationsadjustierten Investierten Kapitals von
276
6â•… Wertschöpfungsmodelle
GCEt = (NAVt + Depkum )(1 + π)t + WCt + Leaset
= (650,0 + 280,0)(1 + 0,025)4 + 120,0 + 50,0 = 1.196,5
Das adjustierte operative Ergebnis liegt im laufenden Jahr bei 185,0€Mio.€€, die Abschreibungen belaufen sich auf 35,0€Mio.€€ und der marginale Steuersatz liegt bei 35,0€%. Damit ergibt sich ein Brutto-Cashflow GCF in Höhe von GCFt = adjEBITt (1 − τ ) + Dept = 185,0(1 − 0,35) + 35,0 = 155,3.
Es wird also unterstellt, dass dieser Betrag konstant für die verbleibende Restlaufzeit von den bestehenden betrieblichen Vermögensgegenständen erwirtschaftet werden wird. Aufgrund des hohen Immobilienanteils unter den Sachanlagen kann unterstellt werden, dass der Anteil der nicht abgeschriebenen Vermögenswerte zum Zeitpunkt T bei 20,0€% liegt. Damit ergibt sich ein Restwert des Vermögens RWT von RWT = 0,2 · 1.196,5 = 239,3.
Unterstellen wir eine Restlebensdauer des Vermögens von fünf weiteren Jahren, dann ergibt sich insgesamt folgende Entwicklung: Mio.€€ tâ•› tâ•› + â•›1 tâ•› + â•›2 tâ•› + â•›3 tâ•› + â•›4 tâ•› + â•›5 tâ•› + â•›6 tâ•› + â•›7 tâ•› + â•›8 tâ•› + â•›9 Cashflows −â•›1.196,5 155,3 155,3 155,3 155,3 155,3 155,3 155,3 155,3 394,6
Der Betrag von 394,6€ Mio.€ € in tâ•›+â•›9 ergibt sich aus dem GCFtâ•›+â•›1 von 155,3€Mio.€€ zuzüglich des Restwertes RWT von 239,3€Mio.€€. Nun ist derjenige Diskontierungssatz zu finden, mit dem die Summe dieser CashflowReihe gleich null wird. Diesen Diskontierungssatz kann man entweder durch ein iteratives Verfahren ermitteln, oder im Excel-Spreadsheet durch die Funktion IKV. Für unser Beispiel beläuft sich der CFROI auf rund 6,0€%. Unterstellen wir durchschnittliche gewichtete Kapitalkosten WACC von 8,2€%, dann entsprechen diese realen WACC von WACCreal =
1 + WACCnominal 1 + 0,082 −1= − 1 = 5,6 %. 1+π 1 + 0,025
Da der CFROI von 6,0€% die realen WACC von 5,6€% übersteigt, sind die vom Unternehmen getätigten Investitionen insgesamt wertschöpfend. Der CFROI ist also derjenige Diskontierungssatz, bei dessen Verwendung der Barwert aller zukünftigen Zahlungen den Anfangsinvestitionen entspricht. Ist der CFROI größer als die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten, das heißt über-
6.3â•… Varianten des Wertschöpfungsmodells
277
trifft die Wertschöpfung des Unternehmens die Kapitalzinsen zuzüglich eines unternehmensspezifischen Risikoaufschlags, ist die Investition über die Gesamtlaufzeit berechnet wirtschaftlich. Konzeptuell ist CFROI für die Bewertung von Unternehmen gedacht, bei denen unregelmäßige oder schwankende Erträge anfallen. Der CFROI stellt dann für das Unternehmen eine theoretische mittlere jährliche Rendite dar. Die Kenntnis, ob ein Unternehmen wertschöpfend ist oder nicht, mag für die Unternehmensanalyse überaus hilfreich sein, die Frage, auf welchem Kursniveau eine Aktie angemessen bewertet ist, wird jedoch nicht wirklich beantwortet. Wie kann aus dem CFROI-Konzept ein Unternehmenswert berechnet werden? Hierfür wird auf das FCFF-Konzept – vgl. Formel (5.46) – zurückgegriffen, das wie folgt angepasst wird13: EV 0 =
CFROI(GCE − Dep − Amo)(1 − τ ) − (Capex − Dep − Amo) − WC . WACC − gR (6.19)
bzw.
EV0 =
CFROI(GCE − Dep − Amo)(1 − τ ) − In . WACC − gR
(6.20)
Damit zeigt sich, dass auch der über das CFROI-Konzept ermittelte Unternehmenswert von den „üblichen Verdächtigen“ der Unternehmensbewertung abhängig ist, also von der langfristigen Wachstumsrate gR, von der Höhe der Nettoinvestitionen (Capexâ•›+â•›∆WC-Dep-Amo), der Steuerquote τ oder der Gesamthöhe des Investierten Kapitals GCE. Beispiel 6.15: Bewertung mit Hilfe des CFROI╇ Wir kehren zum Maschinenbauunternehmen aus Beispiel 6.14 zurück. Wir unterstellen, die Capex würden bei 45,0€ Mio.€ € liegen und die langfristige Wachstumsrate gR des Unternehmens bei 3,0€%. Ein Aufbau von Working Capital wäre nicht erforderlich. Damit ergibt sich ein Unternehmenswert EV0 EV0 =
0,06(1.196, 5 − 35,0)(1 − 0,35) − (45,0 − 35,0) = 681,5 0,082 − 0,030
von 681,5€Mio.€€. Durch die ausschließliche Ausrichtung auf Zahlungsströme handelt es sich beim CFROI um eine Cash-on-Cash-Rendite14. Durch den Vergleich des CFROI mit den 13╇ 14╇
Vgl. Damodaran (2002, S.€881). Vgl. Madden (1996, S.€13).
278
6â•… Wertschöpfungsmodelle
Kapitalkosten, die gleichfalls eine Cash-on-Cash-Renditeerwartung des Investors darstellen, gelingt es dem Bewerter, die Werthaltigkeit der in der Vergangenheit getätigten Investitionsentscheidungen des Managements zu überprüfen. Konnte der Vorstand in der Vergangenheit Investitionen tätigen, deren CFROI über den Kapitalkosten lagen, wird eine Wertschöpfung suggeriert, konnte er dies nicht, wurden Werte vernichtet. Durch diese „simulierte Dynamik“15 des CFROI-Modells hebt sich diese wohltuend von den nominalen, einperiodischen-statischen Rentabilitätsmodellen ab. Auch der CFROI ist grundsätzlich nicht vor der Manipulation von Seiten des Unternehmensvorstands geschützt. Wege, den Unternehmenswert zu steigern, ergeben sich aus einer Verringerung der Bruttoinvestitionen, einer kurzfristig stärkeren Ausbeutung zu Lasten einer langfristig ökonomisch sinnvollen Nutzung des bestehenden investierten Kapitals und aus einer Verschlechterung der Risiko-Rendite-Wechselbeziehung. Auch kann die Ermittlung des CFROI auf Basis von Buchwerten ein wirtschaftlich irrationales, weil defensives Investitionsverhalten nach sich ziehen, wenn neue Investitionen den CFROI zunächst fallen ließen und erst mittel- oder langfristig rentabel wären. Würde dagegen der CFROI auf Basis von historischen Anschaffungs- und Herstellkosten berechnet, kann dies zu wirtschaftlich nicht vernünftigen frühen Ersatzinvestitionen führen, da sich die Kapitalbasis nur um die Differenz zwischen den Anschaffungskosten der alten und der neuen Maschine ändert. Der CFROI benachteiligt damit wachsende Unternehmen, indem die Liquidation am Ende der geplanten Nutzungszeit unterstellt wird. Auch Unternehmen mit neuen Anlagen werden aufgrund der überhöhten Wertansätze gegenüber Unternehmen mit veralteten Anlagen benachteiligt.
6.4 „Eva im Paradies“16 oder „Pegasus mit Klumpfuß“17? Ausgehend von den USA haben sich in den vergangenen Jahren Wertschöpfungsmodelle auch in den europäischen Researchhäusern durchgesetzt. G. Bennett Stewart, einer der Erfinder des EVA™-Ansatzes, hat die These aufgestellt, dass der Aktienkurs maßgeblich durch die „Lead Stears“, den sachkundigen Investoren, beeinflusst wird. Ihre Investitionsentscheidungen basieren auf dem Cashflows, die ein Unternehmen über seinen gesamten Lebenszyklus generiert, und dem Risiko, das zu ihrer Erzeugung akzeptiert werden muss. Befürworter von Wertschöpfungsmodellen argumentieren in der Regel, dass Wertschöpfungsmodelle gleichzeitig zur Ermittlung des Unternehmenswertes und als Managementwerkzeug zur Förderung der Werttreiber verwendet werden können. Sie behaupten ferner, Wertschöpfungsmodelle brächten neue Komponenten in
Vgl. Heidorn und Weier (2001, S.€29). Förster und Ruß (2002). 17╇ Schneider (1998). 15╇ 16╇
6.4â•… „Eva im Paradies“ oder „Pegasus mit Klumpfuß“?
279
die Unternehmensbewertung und dass sie unabhängig wären von buchhalterischen Manipulationsversuchen des Managements. Weitere Stärken des Wertschöpfungsansatzes sind seine einfache Anwendbarkeit, die leichte Verständlichkeit und eine praxisbezogene Implementierungsfähigkeit18. Auf der Beraterseite lassen sich die Wertschöpfungskennzahlen gut präsentieren, so dass sich mittlerweile eine ganze Industrie herausbilden konnte. Die Generierung von „Werten“ findet inzwischen in einer solchen Vielfalt von Akronymen statt – Economic Value Added EVA™, Market Value Added MVA, Cashflow Return on Investment CFROI, Cash Return on Capital Invested CROCI – dass man leicht den Überblick verlieren – und manipuliert werden kann: Denn in der Praxis werden Vorstände das Fehlen von eindeutigen Kennzahlendefinitionen dazu nutzen, diese dahingehend zu „interpretieren“, dass sie ihren eigenen Zwecken dienlich sind. Kritiker werfen Wertschöpfungsmodellen denn auch vor, dass die erforderlichen Anpassungen zum Teil sehr subjektiv sind und den ermittelten Unternehmenswert wesentlich beeinflussen können. Die Adjustierungsfaktoren an die Steuerungsgrößen seien wenig durchschaubar, subjektiv und vom Management hochgradig manipulierbar19. Sowohl der betriebliche Gewinn nach Steuern NOPAT als auch das Investierte Kapital CE sind in hohem Maße von buchhalterischen Gepflogenheiten determiniert. Bei jungen Unternehmen sind diese unter Umständen noch zu tolerieren, je älter das Unternehmen ist, desto größer werden die Auswirkungen sein. Infolgedessen ist es sinnvoll, sich über Adjustierungsmaßnahmen Gedanken zu machen, um das Ergebnis unabhängig von derartigen Einflüssen zu machen. Als Minimalanforderung gilt, dass der Barwert der operativen Leasingverpflichtungen, die kumulierten Abschreibungen auf den Goodwill und Rückstellungen für Forderungsausfälle zum investierten Kapital hinzugezählt werden. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, F&E-Aufwendungen zu kapitalisieren und über einen Zeitraum von mehreren Jahren (meist fünf) abzuschreiben. Bereits aufgrund dieser Anpassungen kann die von verschiedener Seite vertretene Auffassung, Wertschöpfungsmodelle wären einfacher und würden weniger Inputdaten erfordern, nicht aufrechterhalten werden. Während ein FCFF-Modell aus den Cashflows und dem Diskontierungssatz erstellt werden kann, sind für ein Wertschöpfungsmodell zusätzlich auch Angaben über das investierte Kapital erforderlich. Dadurch wird der Unternehmenswert in zwei Komponenten aufgespaltet: In den Barwert aller zukünftig erwirtschafteten Economic Profits und in das dafür erforderliche eingesetzte Kapital. Die absolute Höhe des eingesetzten Kapitals spielt demgegenüber keine Rolle. Das Killer-Argument am Mehrwertkonzept schlechthin ist jedoch, dass es zwar außerordentlich anschaulich sein mag, aber kein grundlegend neues Bewertungsverfahren ist. Als Neufassung einer gewöhnlichen Net Present Value-Investitionsrechnung wird mit der Übergewinn-Kaufmethode nichts anderes als „alter Wein in
18╇ 19╇
Vgl. Langguth und Marks (2003, S.€624). Vgl. Ferris und Petitt (2002, S.€122€f.).
280
6â•… Wertschöpfungsmodelle
neuen Schläuchen … [verkauft]. …mit einigen Gewürzen jüngeren Geschmäckern angepasst“20. Beispiel 6.16: Vergleich CFROI mit Net Present Value-Bewertung╇ Angenommen, ein Investor könnte sich an einem Investitionsobjekt beteiligen, das für eine Auszahlung in t von 100.000,0€ € eine Einzahlung in tâ•›+â•›1 von 135.000,0€ € verspricht. Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten belaufen sich auf 10,5€ %. Weitere Zahlungsströme sind nicht vorgesehen. Angesichts dieser Angaben folgt aus Formel (6.3) für den geschaffenen Mehrwert: 135.000,0 EPt+1 = 100.000,0 − 1 − 0,105 = 24.500,0 100.000,0 Abdiskontiert auf die laufende Periode t ergibt sich ein ökonomischer Mehrwert EPt von EPt =
EPt+1 24.500,0 = = 22.172,0 1 + WACC 1,105
Derselbe Wert ergibt sich aus einer klassischen Investitionsrechnung, in dem die Ein- und Auszahlungsströme bewertet werden: Vt = −I0 +
135.000 CFt+1 = −100.000 + = 22.172. 1 + WACC 1, 105
Auch wenn Wertschöpfungsmodelle nichts grundlegend Neues sind, sind sie doch außerordentlich hilfreich in der Bewertung von Unternehmen, insbesondere der Einschätzung der Managementleistungen. Wertschöpfungsmodelle übernehmen in der Realität die Rolle eines Steuerungsinstruments, um das Management auf jene Faktoren zu incentivieren, die den Unternehmenswert nachhaltig steigern können: Profitabilität und effizienter Kapitaleinsatz. In vielen Unternehmen sind sie sogar das wichtigste einzelne Kriterium für die Vergabe der leistungsabhängigen Gehaltsbestandteile von Führungskräften. Diese Entwicklung kann allerdings zu einer Verzerrung der Investitionsentscheidungen führen: Investitionen in riskantere, aber langfristig womöglich überdurchschnittlich lukrative Objekte dürften in einer Welt, in der das Management kurzfristig von Wertschöpfungsmodellen kompensiert wird, eher nicht durchgeführt werden. Darüber hinaus neigen diese Vorstände dazu, generell das investierte Kapital zu reduzieren und damit langfristige Wachstumschancen zu umgehen. Bestehende Vermögenswerte werden höher eingeschätzt als zukünftige. 20╇
Schneider (2001, S.€2509).
6.4â•… „Eva im Paradies“ oder „Pegasus mit Klumpfuß“?
281
Gegen die Incentivierung des Managements durch Wertschöpfungsmodelle spricht hingegen ein verhaltenstheoretisches Argument: So dürfte es naheliegend sein, dass im Zentrum von Managemententscheidungen das Ziel steht, den Economic Profit im Jahresvergleich zu steigern oder eine bestimmte exogene Vorgabe, eine Hurdle Rate, zu übertreffen. Dies wissend könnte ein Vorstand das eingesetzte Kapital durch Restrukturierungsmaßnahmen zu Gunsten des Anteils der zukünftigen Wertschöpfungskomponente verringern. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung des Unternehmenswertes führen, wenn nämlich ein Unternehmen den kurzfristigen Wertschöpfungsbeitrag zu Lasten des zukünftigen Wertschöpfungsbeitrags steigert. Ein Beispiel soll dies erläutern. Beispiel 6.17: Kurzfristige Erhöhung der Wertschöpfung╇ Betrachten wir erneut den Softwarehersteller aus Beispiel 6.12. Diesem stehen im Zeitpunkt t zwei Strategievarianten offen. Die Geschäftsphilosophie der ersten Strategie ist langfristig ausgelegt, die der zweiten sieht eine kurzfristige Ertragsmaximierung vor. Beide Strategien weisen dasselbe operative Risiko auf, die WACC liegen einheitlich bei 11,0€%. Aus dem langfristig ausgelegten Geschäftsplan ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€
t
NOPAT Capital Employed WACC (%) Cost of Capital Wertschöpfung
127,5 127,5 11,0 14,0 113,5
Barwert Unternehmenswert
102,2 333,8
tâ•› + â•›1 159,4 191,3 11,0 21,0 138,3
tâ•› + â•›2 191,3 255,0 11,0 28,1 163,2
112,3
119,3
Aus der kurzfristig ertragsmaximierenden Strategie ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€
t
NOPAT Capital Employed WACC (%) Cost of Capital Wertschöpfung
127,5 127,5 11,0 14,0 113,5
Barwert Unternehmenswert
102,2 329,7
tâ•› + â•›1 165,8 191,3 11,0 21,0 144,7
tâ•› + â•›2 178,5 255,0 11,0 28,1 150,5
117,5
110,0
Es zeigt sich, dass – über zwei Perioden betrachtet – unter Vernachlässigung eines eventuellen Restbuchwerts der Unternehmenswert der kurzfristig aus-
282
6â•… Wertschöpfungsmodelle
gelegten Strategie niedriger ist als der der langfristigen Strategie, obwohl sich nach einer Periode noch das genaue Gegenteil angedeutet hat. Die Erhöhung der Wertschöpfung während der zweiten Periode ging zu Lasten der Wertschöpfung in der dritten und damit auch zu Lasten des gesamten Unternehmenswertes. Darüber hinaus kann eine Erhöhung der Wertschöpfung auch zu einer Steigerung der durchschnittlichen Kapitalkosten führen, etwa weil sich das Finanzierungsrisiko erhöht hat. Auch dies kann eine Verringerung des Unternehmenswertes zur Folge haben, obwohl der NOPAT in beiden Fällen identisch ist. Im Grunde genommen kann auch die Aussage, eine Investition mit einer positiven Wertschöpfung wäre eine Wert steigernde Anlage, nicht aufrechterhalten werden. Dies liegt an dem ausschließlich auf den Buchwert fixierten Charakter des Modells. Würde der Marktwert eines Objektes im Zeitablauf deutlich ansteigen, also zum Beispiel der Marktwert einer Immobilien in zentraler Innenstadtlage, dann würde das Halten dieser Immobilie unter Marktwertgesichtspunkten klar Wert vernichtend sein. Das Wertschöpfungsmodell, das allein auf die Anschaffungskosten der Immobilie ausgerichtet ist, würde diese Entwicklung nicht widerspiegeln und demzufolge zu einem falschen Ergebnis führen.
Kapitel 7
Die Bewertung mit Referenzunternehmen
7.1 Die Auswahl des geeigneten Multiplikators Der gemeinsame Vorzug von kapitalmarkttheoretischen Konzepten wie dem Dividendendiskontierungs-, Discounted Cashflow- und Wertschöpfungsmodellen liegt in der risikoadjustierten Diskontierung der in naher und ferner Zukunft erwarteten Zahlungsströme. Durch eine kapitalmarktbasierte Bestimmung der erwarteten Eigen- und Gesamtkapitalrenditen werden die Opportunitätskosten der Aktienanlage unabhängig von der subjektiven Risikopräferenz des Investors ermittelt. Als Ergebnis erhält man den inneren oder intrinsischen Wert des Eigenkapitals. Die Methodik dieser Verfahren, nämlich die Diskontierung zukünftiger Cashflow-Größen, ist transparent, die Interpretation der Bewertungsergebnisse grundsätzlich problemlos. Wenn selbst Wirtschaftsnobelpreisträger wie Modigliani und Miller behaupten, „The value of any asset equals the discounted present value of its cashflows“, warum sollten Investoren dann überhaupt nach alternativen Wegen suchen, um Aktien zu bewerten? Dennoch gibt es einige gute Gründe: • Trotz aller theoretischen Vorzüge ist eine Cashflow-basierte Unternehmensbewertung nur wenig intuitiv: Wirtschaftliche Vorgänge, die sich über mehrere Perioden erstrecken, müssen in komplexen mehrperiodischen Cashflow-Modellen abgebildet werden. Menschen identifizieren sich aber üblicherweise mit einem Preis, der zu einem bestimmten Zeitpunkt definiert wird, nicht mit Cashflows und Dividenden, und schon gar nicht, wenn diese über einen bestimmten Zeitraum erwirtschaftet wurden1. • Darüber hinaus ist die Prognose und Diskontierung langfristiger Cashflows eine anspruchsvolle und zeitaufwändige Aufgabe, die durch Sensitivitätsanalysen noch vervielfacht werden kann. • Ebenso aufwändig ist die Eliminierung buchhalterischer Verzerrungen, die darüber hinaus ein bestimmtes Maß an Grundkenntnissen über Buchhaltung und wirtschaftlichen Zusammenhängen bedarf.
1╇
Vgl. White et€al. (1998, S.€1076).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_7, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
283
284
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
Unterschiede bei den Annahmen zur zukünftigen Entwicklung der Cashflows, deren Wachstums sowie dem Kapitalisierungszinssatz führen zu einer großen Bandbreite für den inneren Wert des Vermögens eines Unternehmens. Diese Bandbreite wird durch die unterschiedliche Bewertung von Unternehmensaktivitäten, die nicht Kerngeschäftsfelder sind, noch erhöht. Die an der Ermittlung des inneren Wertes Beteiligten beginnen ihre Arbeit also bereits mit unterschiedlichen Ausgangsmarktwerten. Von diesen werden recht unstrittige Marktwerte für die zinstragenden Verbindlichkeiten subtrahiert. Bei den gleichfalls in Abzug zu bringenden Pensionsrückstellungen kann es dagegen wieder zu unterschiedlichen Ansätzen kommen. Geht man davon aus, dass Kapitalmärkte effizient sind und Aktien grundsätzlich zwar richtig bewertet werden, es aber in Einzelfällen zu Fehlbewertungen kommen kann, ist es nur logisch, den wenig greifbaren, aus einem DCF-Modell ermittelten inneren – und damit abstrakten – Unternehmenswert durch einen beobachtbaren Wert zu ersetzen. Denn gemäß der Philosophie des „Bewerten heißt Vergleichen“2 ist ein Unternehmen immer nur so viel wert, wie ein Marktteilnehmer bereit ist, dafür zu bezahlen. Was also liegt näher, als die an den Kapitalmärkten täglich millionenfach festgestellten Aktienkurse selbst für die Unternehmensbewertung einzusetzen? Unbewusst wird dieser Grundsatz übrigens auch im täglichen Leben angewendet: Beim Einkauf von Lebensmitteln werden Preis und Qualität vom Supermarkt mit dem Bio-Fachmarkt verglichen, beim Erwerb eines Hauses die Angebote der lokalen Immobilienanzeigen. Bei diesem Vorgehen wird die Frage nach dem theoretisch „wahren“ Wert eines Wirtschaftsgutes umgangen, indem man sich vergleichender Bewertungsmaßstäbe bedient, die dann wiederum auf das betrachtete Wirtschaftsgut angelegt werden. Während es bei einem homogenen Gut wie einem Waschmittel relativ unproblematisch ist, die Marktpreise auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren, – man rechnet den Preis einfach auf eine bestimmte Mengeneinheit des Produkts um –, wird es schnell aufwendig, wenn sich die Anzahl der Einheiten oder deren Qualität unterscheiden: Eine 150 qm Neubauwohnung in bester Lage ist unbestritten teurer als ein halb so großes Appartement aus den 1950er Jahren, das neben einer Schnellstraße liegt; Obst vom Discounter auf der grünen Wiese hat eine andere Qualität und einen anderen Preis als biologisch kontrolliertes Obst aus dem Tante-Emma-Laden um die Ecke. Auch an den Kapitalmärkten, wo mit wenig greifbaren oder sichtbaren Werten gehandelt wird, kann das in den Kursen vergleichbarer Unternehmen „gespeicherte“ Marktwissen auf ein bestimmtes Unternehmen übertragen werden. Ein Multiplikator ist eine Kennzahl, die aus einer Strom- (z.€B. Umsatz, Ertrag oder Cashflow) oder Bestandsgröße (z.€B. Net Asset Value) und einer Wertgröße (insbesondere Börsenkurs und Transaktionspreis) besteht. Er repräsentiert das Vielfache, das für die betreffende Bezugsgröße derzeit bezahlt wird bzw. in der Vergangenheit bezahlt wurde. Den inneren Wert einer Aktie erhält man durch Übertragung eines durchschnittlichen Multiplikators einer Vergleichsgruppe auf eine korrespondierende Ertrags-, Cashflow- oder Buchwerteinheit eines ausgewählten Zielunternehmens. 2╇
Moxter (1983, S.€123).
7.1â•… Die Auswahl des geeigneten Multiplikators
285 Nicht betriebsnotwendiges Vermögen
Szenario-Analyse Auswahl der geeigneten Kennzahl VergleichsgruppenMultiplikator
Gewichtung der Peer Groups
Bildung verschiedener Peer Groups
x
Auswahl von Vergleichsunternehmen
Kennzahl des zu bewertenden Unternehmens
Equity Value = Enterprise Value
Marktwert der Nettoverschuldung Marktwert der Pensionsrückstellungen Marktwert der Anteile Dritter
Abb. 7.1↜渀 Grundkonzept der Vergleichsgruppenbewertung
V0 =
MarktpreisPeer BezugsgrößeUnternehmen . BezugsgrößePeer
(7.1)
Die Unternehmensbewertung über Vergleichsunternehmen und Multiplikatoren ist also nichts anderes als die Anwendung des ökonomischen Grundsatzes des „Law of one price“, wonach gleiche Vermögensbestandteile auch gleiche Marktpreise haben (sollten)3. Wäre es anders, würden also die Aktien zweier Unternehmen, die nach Höhe, Zeitpunkt und Risiko identische Cashflows versprechen, am Kapitalmarkt nicht zu demselben Kurs gehandelt werden, würde eine risikolose Arbitragemöglichkeit existieren; dies würde wiederum gegen das zentrale Paradigma der Finanzierungstheorie verstoßen, wonach Marktteilnehmer nicht die dauerhafte Möglichkeit besitzen dürfen, ihren Wohlstand durch eine bloße Vermögensumschichtung nachhaltig zu vermehren (Abb.€7.1). Eine Peergroup-Bewertung, auch Market Relative Analysis genannt, basiert auf zwei grundlegenden Entscheidungen des Bewerters: • Der Auswahl des Multiplikators und • der Auswahl von Referenzunternehmen. Der Multiplikator gibt den Preis an, den ein Investor zu bezahlen hat, um eine Bewertungseinheit des Unternehmens zu erwerben. Die Kreativität der Analysten hat die zur Unternehmensbewertung herangezogenen Multiplikatoren inzwischen auf eine stattliche Zahl steigen lassen: Waren zu Beginn der professionellen Unternehmensbewertung das Kurs/Buchwert- und das Kurs/Gewinn-Verhältnis die allein akzeptierten substanz- bzw. ertragsorientierten Bewertungsverfahren, sind heute auch das KCFVerhältnis, die PEG-Ratio oder Enterprise Value-basierte Kennzahlen wie EV/Umsatz 3╇
Vgl. Cornell (1993, S.€56): „Similar assets should sell at similar prices“.
9
PEG-Ratio EV/Umsatz
9
EV/EBITDA
9
KBV
9 9
9
9
9
Sonstige
9
9
9
9
9
9
9
9
9
9
Immobilien
9
9
9
9 9
KNAV KCF
9
9
9 9
9
9
Versorger
9
Versicherungen
Healthcare
9
Transport/Logistik
Food
9
Telekommunikation
Engineering
9
Technologie
Einzelhandel
9
Medien
Defense
9
Bau
KGV
Banken
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
Auto
286
9
9 9
9
9
9
9
9
9
9
9 9
9
9
9 9
9 9
Abb. 7.2↜渀 Branchen und gängige Multiplikatoren
oder EV/EBIT(DA) gängige Methoden. Auch nicht-finanzielle Größen kommen zum Einsatz, sofern unterstellt werden kann, dass der Unternehmenswert sich proportional zu dieser Größe verhält. So wird in abonnentenbasierten Geschäftsmodellen wie dem Bezahlfernsehen oder der mobilen Telekommunikation die Zahl der Abonnenten als erfolgsrelevante Kenngröße gewählt, und selbst exotische Bemessungsgrundlagen wie die Anzahl der Betten bei der Bewertung von Hotels oder Krankenhäusern, die Zahl der Page Impressions oder Ad Clicks bei werbebasierten oder die Zahl der Abonnenten bei abonnementbasierten Geschäftsmodellen, die Anzahl der Minuten, die jeder User auf einem Webangebot verbracht hat, oder die Zahl der erwarteten Besucher (Unique User) bei der Bewertung von Internetunternehmen werden von den meisten Fondsmanagern mittlerweile ohne größeres Murren akzeptiert4 (Abb.€7.2). Angesichts des unüberschaubaren Methodenpluralismus behaupten Zyniker denn auch vereinzelt, Analysten würden tendenziell diejenigen Vervielfacher auswählen, die ihre vorgefertigte Meinung am besten untermauern. Soll also ein Kaufurteil unterstützt werden, wird kurzerhand derjenige Multiplikator ausgewählt, der für die Aktie die stärkste Unterbewertung suggeriert und das höchste Kursziel verspricht, soll das Ergebnis ein Verkaufsurteil sein, wird kurzerhand der Multiplikator mit dem niedrigsten Kursziel zum angemessenen erklärt. Wer jetzt schon entrüstet den Kopf schüttelt, bekäme vermutlich ein Schleudertrauma, wenn er erführe, wie häufig derartige Manipulationen an den Kapitalmärkten tatsächlich anzutreffen sind. Nur wie kann ein Missbrauch ausgeschlossen werden, wenn einige der Multiplikatoren für das zu bewertende Unternehmen einen höheren Wert ergeben, andere 4╇
Vgl. Hasler (2010, S.€83€ff.).
7.1â•… Die Auswahl des geeigneten Multiplikators
287
einen deutlich niedrigeren und letztlich nur ein endgültiger Unternehmenswert existieren kann? Welcher Multiplikator soll gewählt werden, wenn bislang erstaunlich wenig bekannt ist über die Eignung einzelner Multiplikatoren zur Vorhersage der Kursentwicklung von Aktien5? Sollte man vielleicht aus Mangel an Entschlussfreude einfach sämtliche bekannten und für den spezifischen Fall sinnvollen Multiplikatoren berechnen, in einen Topf werfen und als Kursziel wahlweise den niedrigsten ermittelten Wert auswählen, einen Durchschnittswert oder eine Bandbreite, die vom niedrigsten bis zum höchsten Wert reicht? Selbst wenn man eine Priorisierung vornehmen und „bessere“ Multiplikatoren stärker gewichten würde als weniger gute, die nur eine geringe Korrelation zur betrieblichen Wertschöpfung aufwiesen, die nicht frei von bilanzpolitischen oder zyklischen Verzerrungen wären, die abhängig von den Verschuldungsgraden der Gesellschaften wären, die die Opportunitätskosten der Anleger unberücksichtigt ließen und die nicht besonders praktikabel zu ermitteln und zu prognostizieren wären, wäre diese Vorgehensweise abzulehnen: Denn letzten Endes werden „gute“ Multiplikatoren, welche eine hohe Korrelation zwischen Wertschöpfung und Börsenwert aufweisen, wahllos mit „schlechten“ Multiplikatoren vermengt. Zudem wird das niedrigste Ergebnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Unternehmenswert zu niedrig ausweisen, beim Durchschnittswert werden heterogene Multiplikatoren wahllos miteinander vermengt und die unteren und oberen Enden der Bandbreite können so weit voneinander entfernt sein, dass die Aussagekraft der Unternehmensanalyse vollends verwässert wird. In der Praxis wird man daher eine oder höchstens zwei Kennzahlen auswählen und sich idealerweise auf jene Kennzahlen – unter den sinnvollen – fokussieren, die den höchsten Korrelationskoeffizienten innerhalb des Referenzsektors aufweisen. Bereits das Zentralmaß, anhand dessen die Aggregation zu erfolgen hat, kann Bestandteil einer Manipulation sein. Arithmetische Mittelwerte können gerade bei kleineren Referenzgruppen durch Extremwerte verfälscht werden, und zwar – da Multiplikatoren per Definition nicht negativ werden können – tendenziell zum oberen Ende der Werteskala. Schreitet ein Unternehmen gerade durch den Turnaround und sind die Ergebniskennzahlen noch entsprechend gering, beispielsweise im niedrigen Cent-Bereich, kann eine Aktie sogar mit dem 10.000fachen Ergebnis des laufenden Jahres bewertet werden, ein natürlich absurdes Ergebnis, was jedoch bei der Verwendung nicht adjustierter Durchschnittswerte eine ungerechtfertigte Verschiebung des arithmetischen Durchschnittswertes nach oben zur Folge hätte. Um derartige Verzerrungen zu vermeiden, • kann bei großen Vergleichsgruppen der Mittelwert ohne Einbeziehung der Extrema berechnet werden, • können Multiplikatorwerte auf eine bestimmte Bandbreite begrenzt werden, etwa um Ausprägungen jenseits eines festgelegten Maximalwertes zu verhindern, oder • kann der Median als das bestimmende Zentralmaß gewählt werden. 5╇
Vgl. dazu Meitner (2006, S.€2).
288
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
Beispiel 7.1: Unternehmensbewertung anhand EV/Umsatz-Multiplikatoren╇ Wie wichtig die Wahl des Zentralmaßes für den Unternehmenswert sein kann, zeigt nachstehendes Beispiel. Gesucht wird der Unternehmenswert der Zombie Internet AG, einem Internet Service Provider. Die Gruppe der Vergleichsunternehmen besteht aus ausgewählten deutschen Internetwerten. Der Investmentanalyst hält eine Bewertung anhand des EV/EBIT-Multiplikators für angemessen. In nachstehender Tabelle sind die für eine Bewertung relevanten Daten der Referenzgruppe für das folgende Geschäftsjahr wiedergegeben: tâ•›+â•›1 Dragon Internet AG German Portal AG Internetcafe AG Itravel AG Leet AG Mail4You AG Webclick AG Zoooom AG
EV (€Â€Mio.)
EBIT (€Â€Mio.)
EV/EBIT (x)
667,9 1.885,3 555,4 689,3 755,8 543,7 600,2 788,7
52,0 65,5 55,6 54,3 42,2 39,4 37,5 43,3
12,8 28,8 10,0 12,7 17,9 13,8 16,0 18,2
Durchschnitt Adjustierter Durchschnitt Median
16,3 15,2 14,9
Erwirtschaftet Zombie Internet einen operativen Gewinn von 14,7€ Mio.€ € und wird mit einem Enterprise Value von 223,1€Mio.€€ bewertet, so ergibt sich unter Zugrundelegung des Durchschnittswertes der Vergleichsgruppe ein Zielwert des Enterprise Value von 239,3€ Mio.€ €. Bei Verwendung des adjustierten Durchschnitts (ohne Extremwerte) bzw. des Medians liegt der aus der Vergleichsgruppe abgeleitete Enterprise Value bei 224,1€ Mio.€ € bzw. 219,1€ Mio.€ €. Unter Zugrundelegung des Durchschnittswertes bzw. des Medians wäre die Aktie von Zombie Internet damit unterbewertet bzw. überbewertet, bei Ansatz des adjustierten Durchschnitts wäre die Aktie im Peergroup-Vergleich angemessen bewertet. Dies verdeutlicht den enormen Einfluss, den sogar die Wahl des Zentralmaßes auf die Unternehmensbewertung haben kann. Man sieht, dass Multiplikatormodelle zwar einfach zu gebrauchen sind, aber ebenso einfach zu missbrauchen6. Schon bei der Auswahl der Multiplikatoren ist sicherzustellen, dass sie mit der Wertschöpfung des Unternehmens bestmöglich korreliert sind. Damit sind ertragsbasierte Multiplikatoren grundsätzlich den umsatzbasierten vorzuziehen, da die Ertragskraft eines Unternehmens der weitaus maßgeblichere 6╇
Vgl. Damodaran (2002, S.€453).
7.1â•… Die Auswahl des geeigneten Multiplikators
289
Werttreiber einer Aktie ist. Doch so einfach ist es nicht. Substanzorientierte Immobilienbestandshalter nicht über den Net Asset Value oder die Dividendenrendite zu bewerten dürfte ebenso wenig zielführend sein wie der Versuch, zukunftsorientierte und schnell wachsende Technologieunternehmen mit hohen Investitionsbedürfnissen nicht anhand des KGVs oder der PEG-Ratio zu beurteilen. Darüber hinaus ist wie bei allen bislang vorgestellten Bewertungsmethoden auch bei der Multiplikatorbewertung zu entscheiden, ob ein Unternehmen auf der Ebene des Gesamtkapitals oder des Eigenkapitals zu bewerten ist. Dabei gibt grundsätzlich der Nenner vor, welche Größe im Zähler zu stehen hat: Ist der Zähler eine Kennzahl, die die gesamte operative Ertragskraft eines Unternehmens ohne Rücksicht auf Finanzierungsentscheidungen widerspiegelt, muss auch die Bezugsgröße im Nenner ein Zahlungsstrom sein, der sich aus Eigen- und aus Fremdkapital speist. Ist der Zähler eine Kennzahl, die nur das Eigenkapital bewertet, ist auch im Nenner eine Bezugsgröße zu wählen, die nur den Eigenkapitalgebern zur Verfügung steht. Damit sind zwei grundsätzliche Typen von Multiplikatoren denkbar: • Equity-Multiplikatoren, bei deren Berechnung im Zähler und im Nenner der Marktwert des Eigenkapitals der Peergroup und des zu bewertenden Unternehmens steht: Die darauf basierenden Erfolgsgrößen wurden allein vom Eigenkapital erwirtschaftet. Darunter fallen im Wesentlichen alle Ergebnisse unterhalb des EBIT, also zum Beispiel die Ergebnisse vor oder nach Unternehmenssteuern. • Enterprise Value-Multiplikatoren bauen im Zähler und im Nenner auf den gesamten Unternehmenswert auf. EV-Multiplikatoren beziehen sich dementsprechend auf Erfolgsgrößen vor Abzug von Fremdkapitalzinsen, also beispielsweise auf den Umsatz, das EBITDA, EBITA oder EBIT oder auch auf Non-Financials wie Anzahl der Abonnenten bei abonnentenbasierten Geschäftsmodellen oder Anzahl der Unique User bei Internetwerten. Es wäre inkonsistent eine Kennzahl zu bilden, die sich aus dem Gesamtkapital und einer auf dem Eigenkapital basierenden Größe zusammensetzt. Dennoch sind derartige, in sich nicht geschlossene Kennzahlen in der Realität weitaus häufiger anzutreffen als man dies als Laie für möglich halten würde: Ein klassisches Beispiel für Inkongruenzen zwischen Zähler und Nenner ist das Kurs/Umsatz-Verhältnis, eine unter Praktikern – und auch Akademikern7 – populäre Kennzahl. Hier steht im Nenner eine unternehmensbezogene Kennzahl, der Umsatz, während der Zähler von einer eigenkapitalspezifischen Größe gebildet wird. Selbst wenn die ganze Industrie gleichermaßen von dieser Inkongruenz betroffen wäre, kann daraus keine Legitimität dieser Kennzahl abgeleitet werden. Zwei unterschiedlich verschuldete Unternehmen mögen zwar gleich bewertet sein, jedoch ist die Aktie des höher verschuldeten Unternehmens relativ überbewertet, die des weniger verschuldeten Unternehmens relativ unterbewertet. Im Übrigen können Bewertungskennzahlen nicht nur im Vergleich mit Referenzunternehmen verwendet werden, sondern auch, um Multiplikatoren aus vergangenen Jahren einschätzen zu können. Zwar sollte der Durchschnittswert grundsätzlich 7╇
Vgl. zum Beispiel Damodaran (2002, S.€544).
290
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
durch die Aggregation von Multiplikatoren derselben Periode gebildet werden, doch kann es auch sinnvoll sein zu erfahren, wie der Kapitalmarkt die zukünftigen Ertragskennzahlen eines Unternehmens in der Vergangenheit bewertet hat. Entsprechende Ansätze finden sich vor allem bei etablierten Unternehmen mit langjähriger Finanzberichterstattung. Doch Vorsicht: Ein Energieversorger, der aktuell mit einem KGV von 12x bewertet ist, kann als unterbewertet angesehen werden, wenn sein durchschnittliches KGV der letzten 20 Jahre bei 15x lag, muss aber nicht. Denn dass eine Aktie im Zeitablauf mit völlig unterschiedlichen Multiplikatoren bewertet wird, kann nicht nur an einer temporären Fehlbewertung der Aktie liegen, sondern auch an Veränderungen in den Fundamentaldaten, also des unternehmensspezifischen Risikos, des Unternehmenswachstums oder der Ausschüttungsquoten, und zwar des einzelnen Unternehmens wie auch der Referenzgruppe und des Kapitalmarktes. Nichtsdestotrotz finden sich in den Research-Reports von Investmentbanken nicht selten Multiplikatoren, die sich auf verschiedene Perioden beziehen. Ein Beispiel hierfür sind Transaktionsmultiplikatoren aus der Übernahme von Unternehmen gleicher Industrien, die zum Teil über einen langen Zeitraum gesammelt und ausgewertet werden (müssen), eine Vorgehensweise, die als „Recent Transactions Analysis“ bekannt ist. Transaktionsmultiplikatoren haben den Vorteil, dass sie bereits eine Übernahmeprämie, zum Beispiel für die Erlangung der unternehmerischen Kontrolle oder der aus dem Zusammenschluss resultierenden Synergien beinhalten, wohingegen Börsenkurse nur den Stand alone-Wert einer rein finanziell motivierten Eigentumsposition repräsentieren. Da die Übernahmeprämie einen Zuschlag für die Erlangung der Verfügungsgewalt über ein Unternehmen darstellt, würde ein Investor mit rein finanzwirtschaftlichen Motiven und einer Anlagestrategie, die typischerweise den Erwerb von Beteiligungen ohne nennenswerten Einfluss auf die Unternehmensführung vorsieht, durch die Verwendung von Transaktionsmultiplikatoren einen zu hohen Wert bezahlen – empirischen Studien zufolge von durchschnittlich ca. 40€%8. Transaktionsmultiplikatoren dienen also nicht der relativen Bewertung einer Aktie für Anlage- oder Arbitragezwecke, sondern allein der Gewinnung von Vergleichs- bzw. Erfahrungswerten aus ähnlichen Transaktionen in der Vergangenheit. Transaktionsmultiplikatoren liefern damit bestenfalls eine Bandbreite und einen ersten Anhaltspunkt, können jedoch eine Grenzpreisermittlung nicht ersetzen. Häufig vernachlässigt wird, dass mit der Wahl der Bemessungsgrundlage implizit auch Aussagen über Faktoren getroffen werden, die in die Bezugsgröße nicht einfließen. Vergleicht man beispielsweise Unternehmen auf der EBIT-Ebene, wird unterstellt, dass hinsichtlich der Faktoren Verschuldungsgrad und Steuerquote bei allen Beteiligten vergleichbare Verhältnisse herrschen9. Nur wenn die herangezogenen Vergleichsunternehmen mit dem zu bewertenden Unternehmen so weit wie möglich vergleichbar sind, wird die Entscheidung, welcher Bewertungsmultiplikator gewählt werden soll, keine verzerrende Rolle mehr spielen. Da dies in der Realität nur äußerst selten gegeben sein dürfte, stellt auch die Wahl des der Bewertungssituation angemessenen Multiplikators eine wesentliche Aufgabe des In8╇ 9╇
Vgl. Böcking und Nowak (1999, S.€173€f.). Vgl. Ernst et€al. (2006, S.€186).
7.2â•… Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung
291
vestors dar. Dies sollte durchaus als Indiz dafür verstanden werden, dass selbst die verbreitetsten Multiplikatoren völlig unterschiedlich interpretiert werden können. So herrscht beim KGV, der mit Abstand populärsten Kennzahl des Kapitalmarkts, noch nicht einmal Konsensus, was als Zähler und was als Nenner verwendet werden soll. Während die meisten Kapitalmarktteilnehmer den aktuellen Aktienkurs als Zähler verwenden, nutzen andere einen durchschnittlichen Kurs des vergangenen Jahres. Beim Nenner verwenden manche den Gewinn des abgelaufenen Geschäftsjahres, manche den Gewinn der letzten zwölf Monate und bezeichnen das KGV dann als „LTM“ (Last Twelve Months) oder „trailing“, wieder andere verwenden Gewinnprognosen für das laufende oder das folgende Geschäftsjahr oder aber für die folgenden zwölf Monate (NTM, Next Twelve Months). In der Realität werden die Preise von Aktien nicht von Vergangenheitsdaten bestimmt, sondern von Erwartungen. Für die Vergangenheit gibt der Kaufmann nichts, derartige Weisheiten gelten durchaus auch für den Kapitalmarkt. Ausschlagegebend ist also nicht die historische Basis, beispielsweise der Gewinn des Vorjahres, sondern die erwartete, also das Ergebnis nach Steuern der Periode tâ•›+â•›1 oder tâ•›+â•›2. Erfahrungsgemäß kann die Bereitschaft der Investoren, ihre Einschätzung über die zukünftige Entwicklung in den aktuellen Kursen einzupreisen, schwanken. Das Bezugsjahr kann daher nicht grundsätzlich festgelegt werden, doch in den meisten Fällen werden von den Investoren das laufende und das nachfolgende Geschäftsjahr bewertet.
7.2 Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung Üblicherweise basiert die Multiplikatormethode auf einem Vergleich ähnlicher Unternehmen (Similar Public Company Approach, auch Comparable Quoted Company Analysis genannt) durch eine einfache Regressionsanalyse. Der Unternehmenswert wird durch Multiplikation eines unternehmensspezifischen Performanceindikators – beispielsweise des Umsatzes der laufenden oder des Nachsteuerergebnisses der folgenden Periode – mit einem aus verschiedenen vergleichbaren Vergleichsunternehmen abgeleiteten Marktmultiplikator – zum Beispiel des EV/ Umsatz-Multiplikators oder des Kurs/Gewinn-Verhältnisses – gewonnen. Doch was bedeutet „ähnlich“, wenn im Regelfall nicht nur ein Unternehmen zu Referenzzwecken herangezogen wird, sondern mehrere, in unterschiedlichem Maße vergleichbare Unternehmen, die dann zu einer oder mehreren Referenzgruppen zusammengefasst werden? Müssen Abstriche bei den Übereinstimmungsmerkmalen des zu bewertenden Unternehmens mit der Referenzgruppe gemacht werden, kommt mit der Zusammenstellung der für die Bewertung relevanten Vergleichsgruppe ein gestalterisches Element des Bewerters ins Spiel, von dem eingangs unterstellt wurde, dass es durch die Marktorientierung eigentlich aus der Bewertung getilgt worden wäre. Denn dass ein Unternehmen in der Vergleichsgruppe auftaucht und ein anderes nicht, hat möglicherweise etwas mit Nachlässigkeit des Bewerters zu tun, unter Umständen aber auch damit, dass durch Weglassen ein für die Bewertung günstigerer Multiplikator ermittelt werden soll – womöglich, um ein Buy-Rating
292
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
oder eine Verkaufsempfehlung überhaupt erst herbeizuführen. Wenn das Ausmaß der Gleichheit auch im subjektiven Ermessen des Bewerters liegt, kann die Fähigkeit, die „richtigen“ Vergleichsunternehmen herauszufiltern, einen langjährigen Industrieveteranen von einem Bewertungsanfänger unterscheiden: Während für viele Autohersteller einfach nur Autohersteller sind, unterscheiden andere zwischen Premium-Anbietern und Massenherstellern. Für den einen mag dies eine übertriebene Haarspalterei sein, für den anderen eine unabdingbare Feinabstimmung, da er erkannt hat, dass selbst wenn Porsche und Fiat Autohersteller sind, sie sich bezüglich ihrer Wertetreiber substantiell unterscheiden. Dabei wäre es für die Bildung einer Referenzgruppe theoretisch völlig ausreichend, börsennotierte Unternehmen miteinander zu vergleichen, die bezüglich ihrer Cashflow-Charakteristika, ihrer Wachstumsraten und ihrer Investitionsrisiken identisch oder ähnlich sind. Angesichts dieser Vorgaben könnten auch Unternehmen miteinander verglichen werden, die nicht aus derselben Industrie stammen, sofern sie nur eine Ähnlichkeit der angesprochenen Charakteristika aufweisen. In der Praxis wird ein interdisziplinärer Vergleich mit branchenfremden Unternehmen allenfalls bei Spezialwerten toleriert werden, etwa weil diese so einzigartig in ihrem Geschäftsbereich sind, dass keine börsennotierten Vergleichsunternehmen vorhanden sind, oder weil sie als First-Mover noch ohne Nachfolger sind. Eine derartige Situation trifft man vor allem bei extremen Nischenplayern an, etwa bei Rational, dem Weltmarktführer von Dampfkochgeräten oder bei Surteco, einem führenden Anbieter von Oberflächen und Kanten, die in der Möbelindustrie zum Einsatz kommen. Ein typisches Beispiel für den First Mover war in den 1990er Jahren Amazon.com, das zum Zeitpunkt des Börsengangs der weltweit einzige börsennotierte B2C-Buchund Musikversandhändler im Internet war. In Ermangelung von nationalen wie internationalen Vergleichswerten wird in diesen Fällen eine Peergroup-Bewertung auf geschäftsmodellferne Charakteristika wie der Marktstellung ausweichen müssen. In der Regel wird eine auf Vergleichsgruppen basierte Unternehmensbewertung immer auf Unternehmen desselben Geschäftsbereichs (enge Auslegung) oder derselben Branche bzw. Industrie (weite Auslegung) zurückgreifen: Kein institutioneller Investor würde es akzeptieren, wenn in einem Peergroup-Vergleich ein Einzelhandelsunternehmen mit einem Autozulieferer verglichen wird, nur weil beide gewisse Ähnlichkeiten bei den Cashflows oder den erwarteten Wachstumsraten aufweisen. Nur die Abstammung aus demselben Geschäftsbereich oder derselben Industrie stellt sicher, dass Unternehmen in vergleichbaren Märkten und in derselben Phase ihrer Lebenszyklus miteinander verglichen werden. Aber auch wenn zwei Unternehmen aus demselben Geschäftsbereich stammen, ist unmittelbar einleuchtend, dass es eine vollkommene Identität zweier oder mehrerer Unternehmen nicht geben kann und sie sich zum Teil signifikant bezüglich Größe, Marktstellung oder den zukünftigen Perspektiven unterscheiden. Als Minimalforderung sollte sichergestellt sein, dass die für die Umsatzrealisierung relevanten Treiber innerhalb der Referenzgruppe identisch sind. Was nützt es, wenn zwei Unternehmen aus derselben Branche stammen, sie sich jedoch hinsichtlich ihrer Treiber unterscheiden. Aus diesem Grund können zum Beispiel abonnentenbasierte Umsatzmodelle nicht mit werbefinanzierten verglichen werden, transaktionsbasierte nicht mit distribu-
7.2â•… Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung
293
Sektor
Industriegruppe
Energie
Energie
Energiezubehör unddienste
Industriezweig
Roh-, Hilfs- & Betriebsstoffe
Roh-, Hilfs- & Betriebsstoffe
Chemikalien
Baustoffe
Behälter & Verpackung
Metalle & Bergbau
Papier- & Forstprodukte
Luftfahrt & Verteidigung
Baumaterialien
Bau- & Ingenieurswesen
Industriekonglomerate
Maschinen
Elektrische Geräte
Handels- & Vertriebsunternehmen
Gewerbliche Dienste & Betriebsstoffe
Gewerbliche Dienste & Betriebsstoffe
Professionelle Dienste
Transportwesen
Luftfracht & Kuriere
Fluggesellschaften
Schifffahrt
Straßen- & Schienenverkehr
Transportinfrastruktur
Automobile & Komponenten
Automobilteile
Automobilbranche
Verbraucherdienste
Hotels, Restaurants & Freizeit
Verschiedene Verbraucherdienste
Groß- und Einzelhandel
Vertriebsunternehmen
Internet Shopping & Katalogversand
Einzelhandel: Gemischt
Einzelhandel: Spezial
Lebensmittel- und Basisartikeleinzelhandel
Lebensmittel- und Basisartikeleinzelhandel Tabak
Investitionsgüter Industrie
NichtBasiskonsumgüter
Basiskonsumgüter
Gesundheitswesen
Erdöl, Erdgas und nicht erneuerbare Brennstoffe
Medien
Lebensmittel, Getränke & Tabak
Getränke
Nahrungsmittel
Haushaltsartikel & Körperpflegeprodukte
Haushaltsartikel
Pflegeprodukte
Ausstattung & Dienste
Ausstattung & Produkte
Einrichtungen & Dienste
Technologie
Pharmazeutika, Biotechnologie & Biowissenschaften
Biotechnologie
Pharmazeutika
Biowissenschaften Hilfsmittel & Dienste
Banken
Handelsbanken
Sparkassen, Darlehensund Hypothekenbanken
Diversifizierte Finanzdienste
Diversifizierte Finanzdienste
Private Finanzdienste
Versicherungen
Versicherungen
Finanzwesen
Immobilien
Immobilieninvestmentfir men (REITs
Software & Dienste
Internet-Software &dienste
IT-Dienste
Software
Hardware & Ausrüstung
Kommunikationsausrüstung
Computer & Peripherie
Büroelektronik
Elektronische Geräte, Instrumente, Komponenten
Halbleiter & Geräte zur Halbleiterproduktion
Halbleiter & Geräte zur Halbleiterproduktion
Telekommunikation
Telekommunikationsdienste
Diverse Telekommunikationsdienste
Drahtlose Telekommunikationsdienste
Versorgungsbetriebe
Versorgungsbetriebe
Stromversorgungsbetriebe
Gasversorgungsbetriebe
Multi-Versorger
Wasserversorgungsbetriebe
IT
Immobilienverwaltung und -bau
Unabhängige Energiehersteller und-verteiler
Abb. 7.3↜渀 Global Industry Classification Standard. (Quelle: MSCI)
tionsbasierten: Ein Bezahlsender wie Sky Deutschland kann damit nicht mit einem Free-TV-Sender wie ProSiebenSat.1 Media verglichen werden, obwohl beide Medienunternehmen im weiteren Sinne und Fernsehsender im engeren Sinne sind. Die Wertentwicklung des einen ist von der Zahl der Abonnenten und ihrem durchschnittlichen Ertragsbeitrag abhängig, die des anderen ist von der Bereitschaft der Unternehmen, in Werbung zu investieren und damit vom allgemeinen konjunkturellen Umfeld abhängig. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Analysten, Investoren, Akademiker und Unternehmensvorstände, die sich seit Jahrzehnten die Köpfe darüber zerbrechen, wie Vergleichsgruppen idealerweise gebildet werden,10 zur Bildung von Referenzgruppen auch auf eine Industrie-Taxonomie wie der Global Industry Classification Standard (GICS™) zurückgreifen. Standard & Poor’s in Zusammenarbeit mit Morgan Stanley unterscheidet im GICS™ zehn Sektoren, 24 Industriegruppen, 59 Industrien und 122 Subindustrien. Über 25.000 Unternehmen aus hochindustrialisierten und weniger entwickelten Ländern werden dabei einer einzigen Subindustrie zugeschlüsselt. In nachfolgender Abbildung werden die Sektoren, Industriegruppen und Industriezweige dargestellt (Abb.€7.3): 10╇
Vgl. Bhojraj und Lee (2002).
294
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
Der mit Abstand bedeutendste Einzelfaktor für die Auswahl eines Vergleichsunternehmens in eine Peergroup ist die zugehörige Branche. Nur Unternehmen aus demselben Sektor oder Sub-Sektor in derselben Reifephase im Unternehmenszyklus sollten überhaupt miteinander verglichen werden. Eine erste Möglichkeit besteht darin, sämtliche in einem Sub-Index vertretenen Werte für einen Vergleich heranzuziehen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass für die Auswahl der Referenzwerte keine subjektive Wertung erforderlich ist, der Nachteil, dass dabei auch Unternehmen in die Bewertung mit aufgenommen werden, die hinsichtlich der festgelegten Vergleichskriterien gegenüber dem zu bewertenden Unternehmen stark divergieren. Je nach Anzahl der Vergleichsunternehmen kann der Subsektor daher auch eng gesteckt werden: Wurde noch Mitte der 1990er Jahre an den deutschen Börsen allenfalls zwischen Software- und Hardwareherstellern differenziert, werden heute Softwareunternehmen nach Distributoren und Herstellern unterschieden, Hersteller wiederum nach den Subsektoren Systemsoftware, ERP- und Anwendersoftware, und letztere wiederum nach den Teilbereichen Industrieautomation, Computerspiele, Business Software, Datenbanken, Bildverarbeitung, Medizinsoftware u.€v.€m. In jedem dieser Teilbereiche bestimmen eigene Zulieferer- und Kundenabhängigkeiten, Wettbewerbsintensitäten und Markteintrittsbarrieren die Ertragslage und -aussichten der darin vertretenen Unternehmen, so dass ein Vergleich von Werten aus den unterschiedlichen Teilbereichen (zumindest einem qualifizierten Insider) völlig unangemessen erscheinen mag. Neben der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche wird in der Praxis eine Reihe weiterer Kriterien als bewertungsrelevante Charakteristika angeführt. Folgende, mit abnehmender Wichtigkeit aufgeführte Kriterien sollten mit dem zu bewertenden Unternehmen übereinstimmen: • • • • • • •
die Unternehmensgröße, die Umsatzstruktur, die geographische Verbreitung, die Kostenstruktur, das Produktsortiment die Aktionärsstruktur und die Liquidität der Aktie.
Nun gilt es einen Kompromiss zu finden, welche der genannten Kriterien in jedem Fall erfüllt sein müssen und auf welche man gegebenenfalls verzichten kann. In jedem Fall unvermeidbar ist, dass nur Unternehmen vergleichbarer Größe in die Peergroup aufgenommen werden sollten. Ausschlaggebender Faktor für „Größe“ ist dabei in der Regel die Marktkapitalisierung. Large Caps sollten mit Large Caps, Small Caps mit Small Caps verglichen werden. Problematisch kann insbesondere der Vergleich eines Unternehmens mit dem Marktführer der Branche sein, womöglich dem Weltmarktführer. Denn diese werden an den Börsen mit einem Bewertungsaufschlag gehandelt, der u.€a. aus deren überlegener Organisation, deren intensiven Kundenbeziehungen und höheren Profitabilitätskennzahlen gespeist wird und der in der Regel signifikante Größenordnungen einnimmt. Gerade Newcomer, die am Beginn ihrer Entwicklung stehen und sich erst am Markt etablieren müssen, können
7.2â•… Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung
295
daher nicht mit solchen, im Lebenszyklus bereits weit fortgeschrittenen Unternehmen verglichen werden. Zudem weisen Unternehmen in einem unterschiedlichen Stadium ihres Lebenszyklus auch ein unterschiedliches operatives und finanzielles Leverage auf, was ebenfalls einen Vergleich erschwert. Schließlich sind Small Caps meist verhältnismäßig illiquide Aktien mit fester Aktionärsstruktur, was sich auch in ihren Kursen widerspiegelt. Würden diese Aktien mit breit gestreuten Large Caps verglichen werden, würde dies eine Fehlbewertung zur Folge haben. Abstand nehmen sollte man von der verbreiteten Unsitte, marktkapitalisierungsgewichtete Multiplikatoren zu verwenden. Bei dieser Vorgehensweise wird davon ausgegangen, dass Large Caps eine höhere Bedeutung auf den Durchschnittsmultiplikator haben als Small Caps. Je nach Verteilung der Marktkapitalisierungen nimmt der schwerste Wert unter Umständen eine derart dominierende Stellung in der Peergroup ein, dass man sich die anderen Vergleichsunternehmen auch hätte sparen können. Darüber hinaus hat der Bewerter die Wahl zwischen der einfachen Marktkapitalisierung und der Free Float-Marktkapitalisierung, wodurch ein zusätzliches Element der Willkür in den Bewertungsprozess eindringt. Da das Spektrum an vergleichbaren Unternehmen im Inland relativ klein ist und unter Umständen an den Heimatbörsen kein vergleichbares Unternehmen notiert ist, können in Referenzgruppen auch ausländische Unternehmen aufgenommen werden. So wird der Elektromischkonzern Siemens üblicherweise mit der holländischen Philips, der französisch-amerikanischen Alcatel-Lucent, der Schweizer ABB und der US-amerikanischen General Electric verglichen. Infolge unterschiedlicher Rechnungslegungsvorschriften (IFRS, US-GAAP und andere nationale GAAP) und Steuergesetze verringert sich damit auch der Grad an Verlässlichkeit, mit dem über die Vergleichsgruppe ein Multiplikator für das zu bewertende Unternehmen gefunden werden kann11. Selbst kulturelle Unterschiede können sich in den Bewertungsmultiplikatoren niederschlagen:12 Gerade japanische Unternehmen weisen oft atypische Bewertungskennzahlen auf, aus denen für die Bewertung europäischer oder US-amerikanischer Aktien keine statistisch relevanten Aussagen abgeleitet werden können. Wenn möglich, sollten daher nur Unternehmen aus dem gleichen Wirtschaftsraum in die Vergleichsgruppe aufgenommen werden, damit die Identität der politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Einheit der Rechnungslegungsvorschriften sichergestellt sind. Vor diesem Arbeitsaufwand mag man sich die Frage stellen, ob die Multiplikatorbewertung wirklich dazu geeignet ist, einen ersten Anhaltspunkt für den Wert eines Unternehmens zu liefern, gewissermaßen einen „quick and dirty-“13 Ansatz, der dann mittels weiterführender Verfahren plausibilisiert werden kann14. Zumal die eigentliche Kleinarbeit erst beginnt, nachdem die Industrieklassifizierung vor11╇ Vgl. zum Beispiel für den japanischen Aktienmarkt Krall (1993, S.€ 201€ ff.) und French und Poterba (1991, S.€361€f.). 12╇ Vgl. Copeland et€al. (2002, S.€375€ff.). 13╇ Benninga und Sarig (1997, S.€330). 14╇ Vgl. Coenenberg und Schulze (2002, S.€700), wo Multiplikatormodelle als „vereinfachte Bewertungsverfahren“ bezeichnet werden.
296
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
genommen und eine Reihe von Referenzwerten ermittelt wurde: Haben einzelne Unternehmen in der Liste der Vergleichsunternehmen bessere Produkte oder Dienstleistungen, besseren Zugang zu Kunden oder eine attraktivere Produktpipeline? Verfügen sie über einen höheren Anteil an wiederkehrenden Erlösen, was sie zu einem risikoärmeren Unternehmen macht? Sind sie wesentlich größer, so dass sie Skaleneffekte nutzen können? Können diese strategischen Wettbewerbsvorteile in höhere Profitabilitätskennziffern umgewandelt werden? Wachsen sie ungleich schneller als andere? Weitere Kriterien können die Absatzwege, die Lieferantenund Kundenstruktur, die Rechtsform, der Bekanntheitsgrad der Produkte, ja sogar die eingesetzten IT-Systeme betreffen15. Durch diese mühevolle Detailarbeit wird die ursprüngliche Long List zu einer Short List umgearbeitet, in der nur noch nach Ertrags-Risiko-Gesichtspunkten ähnliche Unternehmen enthalten sind. Weisen die Unternehmen in der Peergroup voneinander abweichende Geschäftsjahre auf, kann der unbereinigte Vergleich der einzelnen Multiplikatoren bei Wachstumsunternehmen zu Inkonsistenzen führen. Um diese zu vermeiden, sind die Unternehmensdaten zu annualisieren. Eine Betriebskennzahl setzt sich in diesem Fall linear aus den Kennzahlen zweier Geschäftsjahre zusammen. Von einem Unternehmen, dessen Geschäftsjahr zum 31.3. endet, werden daher drei Monate des Geschäftsjahres t╛╛− 1 und neun Monate des Geschäftsjahres t verwendet, um die betriebliche Kennzahl des Jahres t zu berechnen. Beispiel 7.2: Zeitanteilige Annualisierung der betrieblichen Kennzahlen╇ Der Internetdienstleister Dragon Internet aus der Peergroup von Beispiel (7.1) weist ein gebrochenes Geschäftsjahr zum 30.09. auf. Im Geschäftsjahr t╛╛− 1 wurde ein operatives Ergebnis von 44,6€Mio.€€ erwirtschaftet, für das Geschäftsjahr t wird ein Anstieg auf dann 74,9€Mio.€€ prognostiziert. Das annualisierte Betriebsergebnis des Jahres tâ•›+â•›1 liegt damit bei 9 · 44, 6 + 3 · 74, 2 = 52, 0, 12
also bei 52,0€Mio.€€ Gegen eine derartig zeitanteilige Aufteilung der betrieblichen Kennzahlen auf das Kalenderjahr können dezidierte Saisonalitäten im Umsatz- und Ertragsablauf sprechen. So erwirtschaften Software- oder Spielzeugwarenhersteller einen Großteil ihrer Umsatzerlöse im zweiten Halbjahr bzw. sogar erst im vierten Quartal (Weihnachtsgeschäft). In diesen Fällen kann eine lineare Verteilung der betrieblichen Daten Ungenauigkeiten nach sich ziehen, beispielsweise wenn signifikante Umsatzeinbußen eingetreten sind. Da derartige Saisonalitäten jedoch meist wiederkehrender Natur sind, sind diese verzerrenden Effekte in den überwiegenden Fällen vernachlässigbar. 15╇
Vgl. Kelleners (2004, S.€3).
7.2â•… Zur Vorgehensweise der Vergleichsgruppenbildung
297
In jedem Fall sind, um die Unternehmensdaten der einzelnen Unternehmen miteinander vergleichen zu können, außerordentliche, nicht wiederkehrende und periodenfremde Aufwendungen oder Erträge zu eliminieren. Ertragsseitig sind insbesondere folgende Positionen zu bereinigen: • Erträge aus dem Erwerb von Unternehmen, so genannte Erträge aus Bargain Purchase (ehemals Badwill oder Lucky Buy-Erträge) • Buchgewinne aus der Veräußerung von Teilkonzernen oder Unternehmensbeteiligungen, und • Buchgewinne aus dem Verkauf von nicht-betriebsnotwendigem Vermögen, beispielsweise von Immobilien. Problematisch wird es, wenn derartige Erträge zum definierten Geschäftsmodell eines Unternehmens zählen. So sind Verkaufserlöse von Unternehmensbeteiligungen einer Holding oder Beteiligungsgesellschaft Bestandteil des gewöhnlichen Geschäfts und daher nicht zu bereinigen. Und auch Immobilienverkäufe von Immobilienbestandshaltern werden kaum als außerordentlich zu betrachten sein, sofern sie im Rahmen einer branchenüblichen Bestandspflege liegen, die Veräußerungserlöse also regelmäßig reinvestiert werden. Auf der Aufwandsseite zählen unter anderem • Restrukturierungsaufwendungen beispielsweise aus dem Abbau von Mitarbeitern, • Restrukturierungsaufwendungen aus der Schließung von Betriebsstandorten oder • Aufwendungen aus Katastrophenfällen oder ungewöhnlichen Schadensfällen wie Explosionen oder Bränden zu den zu bereinigenden Faktoren. Was die Größe einer Referenzgruppe anbelangt, gibt es kein richtig oder falsch. Auf keinen Fall darf sie zu klein sein, da ansonsten Bewertungsextrema einzelner, in die Gruppe aufgenommener Unternehmen nicht ausgeglichen werden können. Zwei Unternehmen sind in jedem Fall zu klein, fünf sollten es mindestens sein, und dass mehr besser ist als weniger gilt in den meisten Fällen. Hier kommt auch der gesunde Menschenverstand zum Tragen: Gibt es hunderte von Vergleichsunternehmen, etwa im Bereich des globalen Maschinenbaus oder der Softwareentwicklung, kann die Auswahl selektiver stattfinden als wenn es nur wenige Hersteller gibt, beispielsweise in der Automobilproduktion: Ein Autoanalyst wird typischerweise alle Autohersteller in seine Referenzgruppe aufnehmen, bzw. diese allenfalls in die beiden Kategorien Premium- und Massenhersteller untergliedern. Vom anderen Extrem allzu breiter Referenzgruppen, in denen wesensfremde Unternehmen nur zum Zwecke der Glättung der Multiplikatoren enthalten sind, ist in jedem Fall Abstand zu nehmen. Denn müssen die Aufnahmeanforderungen gelockert werden, nur um die angestrebte Mindestgröße der Peergroup zu erreichen, wird die Aussagekraft der Unternehmensbewertung sukzessive eingeschränkt. In jedem Fall ist abzuwägen, ob die durch eine Auflockerung der Identitätsanforderung hinzunehmenden Nachteile die aus der größeren Peergroup entstehenden Vorteile überwiegen.
298
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
Unter Umständen kann die Bildung mehrerer Vergleichsgruppen zielführend sein, die entsprechend gewichtet werden können. Eine Gruppe der „Closest Comparables“ ist dem zu bewertenden Unternehmen am ähnlichsten. Eine zweite Gruppe mag dann zwar vom Geschäftsmodell vergleichbar sein, in puncto Herkunft oder Unternehmensgröße aber vom Zielunternehmen abweichen. Schrittweise kann so die Vergleichbarkeit mit dem zu bewertenden Unternehmen verringert und der daraus resultierende Einfluss auf den Unternehmenswert deutlich gemacht werden.
7.3 Kritische Würdigung, Vor- und Nachteile Funktionsfähige und insbesondere informationseffiziente Kapitalmärkte vorausgesetzt, soll durch eine Multiplikatorbewertung die Frage beantwortet werden, ob eine Aktie im Vergleich zu einer anderen über- oder unterbewertet ist. Mit ihrer Hilfe werden Vergleichswerte für einen relativen Preisvergleich miteinander verglichen, um Fehlbewertungen zueinander aufzudecken und Arbitragegewinne zu ermöglichen. Insofern ähneln Vergleichsgruppenmodelle mehr einem Bepreisungsals einem intrinsischen Bewertungsverfahren, zumal Multiplikatoren zwischen verschiedenen Märkten, Industrien, Subsektoren und Unternehmen sowie im Zeitablauf variieren können: Was in einem Markt, einer Industrie oder einem Subsektor zu einem gegebenen Zeitpunkt als günstig erscheinen mag, zählt in einer anderen als teuer, was in einem Jahr in einer Industrie zum Kauf empfohlen wird, gilt in einem anderen Jahr als Begründung für eine klare Verkaufsempfehlung. Dass Multiplikatoren im Gegensatz zu Zukunftserfolgswerten in der Lage sind, Marktstimmungen abzubilden, wird gerade als ihr Vorteil angesehen.16 Denn vor allem in unsicheren Zeiten, in denen Aktienmärkte starken Schwankungen ausgesetzt sind, sollen Multiplikatorverfahren dem Investor einen sicheren Halt versprechen. Doch welche Erkenntnis kann ein Ertrags-Multiplikator von vier – abgesehen von einem bestimmten Stimmungsbild – überhaupt vermitteln, wenn dasselbe Unternehmen ein Jahr zuvor mit dem zehnfachen Gewinn bewertet wurde? Dies gilt umso mehr, als dass Sell-Side-Analysten und institutionelle Investoren in der Regel auf bestimmte Sektoren spezialisiert sind, zum Beispiel auf Autohersteller oder Technologieaktien, und sie innerhalb dieser Branche zwar überbewertete Aktien von unterbewerteten unterscheiden können, ob die Aktie eines Softwareherstellers gegenüber einem Erstversicherer oder einem Immobilienbestandshalter günstig ist oder teuer, allerdings nicht. Insbesondere kann aus der Einschätzung, welche Vermögenswerte, welche erwarteten Gewinne oder welche Dividenden zu einer bestimmten Aktie alternativ erworben werden können – aus den Opportunitätskosten einer Aktie also – keine Aussage darüber getroffen werden, wie hoch der absolute innere Wert dieser Aktie ist. In regelmäßigen Abständen wird die daraus resultierende „Betriebsblindheit“ der Analysten die Bildung von Bewertungsblasen zur Folge haben, insbesondere dann, wenn, wie Alan Greenspan dies 1996 in der 16╇
Vgl. Damodaran (2001, S.€252).
7.3â•… Kritische Würdigung, Vor- und Nachteile
299
wohl berühmtesten Rede seiner Amtszeit formulierte, „irrational exuberance“17 das Ruder übernimmt. Dann nämlich werden stark überbewertete Unternehmen oder sogar Sektoren mit weniger stark überbewerteten Unternehmen oder Sektoren verglichen, was zwar eine Unterbewertung dieser Aktien signalisieren würde, tatsächlich aber eine Überbewertung des ganzen Sektors oder Kapitalmarktes bedeutet. Mit anderen Worten: Nur weil Multiplikatorverfahren an den Kapitalmärkten von vielen „Professionals“ verwendet werden, kann dies kein Argument für ihre Qualifizierung sein, Unternehmenswerte korrekt vorherzusagen. Dass das Sein gleichzeitig ein Sollen sein muss, gilt in der Wissenschaftstheorie als naturalistischer Fehlschluss18. Im Unterbewusstsein mag sich in manchen Marktphasen sogar der Verdacht einnisten, dass Multiplikatoren für die Erklärung von fundamentalen Unternehmenswerten gänzlich ungeeignet sind, sondern lediglich tatsächlichen Kursverläufen hinterherlaufen: Während eines Kursaufschwungs liefern hohe Multiplikatoren dem Investor die Rechtfertigung für noch höhere Kursziele, während des Kursabschwungs liefern niedrige Multiplikatoren eine Rechtfertigung, Buchverluste dem ausgetauschten Vorgänger anzulasten und mit abgeschriebenen Buchwerten von Neuem zu beginnen. Aus der erklärenden Variablen wird dann die Erklärte. Aus diesem Grund liegen in euphorischen Marktphasen, den „Bull Markets“ die Multiplikatorwerte meist über den aus DCF-Modellen abgeleiteten Zukunftserfolgswerten. während bei gedrückter Börsenstimmung („Bear Markets“) das Gegenteil der Fall ist. Doch um nicht falsch verstanden zu werden: Multiplikatoren sind keine Bewertungsverfahren, die speziell dazu einladen, falsch gehandhabt zu werden. Empirische Studien belegen durchaus, dass sich die während der Bewertungsblase 1999 und 2000 abgeleiteten Börsenkurse durchaus auch durch die Verwendung von DCF-Modellen „hinrechnen“19 ließen. Dass die Multiplikatorbewertung überhaupt zu einem aussagekräftigen Ergebnis führen kann, ist auf die Effizienz der Kapitalmärkte20 zurückzuführen: Nicht nur, dass durch die Bildung eines Durchschnittswertes angenommen wird, dass es sich bei dem zu bewertenden Unternehmen um ein durchschnittliches Unternehmen handelt, wird auch unterstellt, dass zwar die zu bewertende Aktie falsch bepreist wird, nicht aber die in der Vergleichsgruppe befindlichen Werte, an denen sich die Bewertung orientiert. Die Effizienz der Kapitalmärkte gilt also nur für die Peergroup, während sich die Kapitalmärkte bezüglich des zu bewertenden Unternehmens ineffizient verhalten. Darüber hinaus muss sich diese Ineffizienz, nachdem sie mit Hilfe der Multiplikatorbewertung aufgedeckt wurde, sukzessive auflösen, da mit dauerhaft unterbewerteten Aktien kein Alpha zu generieren ist. Gerade dieser Prozess muss kein Automatismus sein. So vertreten verhaltenstheoretisch orientiervgl. Greenspan (1996), der mit dem Ausspruch „But how do we know when irrational exuberance has unduly escalated asset values …?“ binnen 24€Stunden weltweit mehr als 300€Mrd.€$ Börsenwert vernichtete. 18╇ Vgl. auch Ballwieser (1997, S.€188). 19╇ Beckmann et€al. (2003, S.€105). 20╇ Die Efficient Market Hypothesis (EMH) wird vielfach als eines der wichtigsten Paradigmen der Wirtschaftstheorie angesehen. Vgl. Palan (2004, S.€1). 17╇
300
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
te Finanzmarktteilnehmer der Behavioral Finance-Schule die Auffassung, Kapitalmärkte könnten gar nicht immer richtig liegen, allein weil rationale Investoren nicht sofort die durch irrationale Investoren ausgelösten Fehlbepreisungen ausgleichen können. Die Unternehmensbewertung mit Hilfe von Multiplikatoren ist bei den Bewertungsadressaten nicht zuletzt deshalb weit verbreitet, weil ihre Anwendung relativ einfach erscheint21. Liegen sämtliche bewertungsrelevanten Informationen für das zu bewertende Unternehmen und die gesamte Peergroup vor und sind die Multiplikatoren und die Vergleichswerte definiert, bedarf es vermeintlich keiner weiteren Kenntnisse: Ein Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15,5x bedeutet, dass 15,5 Geldeinheiten erforderlich sind, um eine Gewinneinheit zu erwerben. Wird eine zweite Aktie mit einem KGV von 18,5 gehandelt und sind die beiden Unternehmen hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle, Wachstumsaussichten und Gewinnmargen sowie ihres Risiko vergleichbar, dann ist diese Aktie im Vergleich zu ersten teurer, zumindest wenn unterstellt wird, dass zwischen dem Unternehmenswert und der verwendeten Bezugsgröße ein stabil korreliertes, nicht notwendigerweise lineares Verhältnis besteht. Findet sich also die in Analystenberichten typischerweise zu lesende Aussage: „Mit einem KGV von 15,5x auf Basis unserer Gewinnschätzungen für das laufende Geschäftsjahr ist die Aktie gegenüber der Peergroup (18,5x) unterbewertet“, pflegen versierte Fondsmanager reflexartig die Frage zu stellen: „Warum ist das so und worin könnte der Katalysator bestehen, dass sich der Aktienkurs in die gewünschte Richtung entwickelt?“ Der Erwerb einer im Wettbewerbsvergleich unterbewerteten Aktie muss daher immer auch mit dem Vorhandensein eines Treibers oder Katalysators verbunden sein, der diese Lücke dauerhaft schließt. Seit der Einführung von Consensus-Schätzungen ist die Vergleichsgruppenbewertung bei Finanzanalysten überaus beliebt, da sie von der Prognose langfristiger Umsatz- und Ertragszahlen, der Bilanz und der Kapitalflussrechnung der Referenzgruppe entlastet werden und sich die Bewertung unmittelbar auf die Prognosearbeit anderer, ihnen allerdings womöglich unbekannter Analysten stützt. Gerade wenn sich Analysten und Investoren mit einem bestimmten Unternehmen zum ersten Male auseinander setzen, wollen sie möglichst unkompliziert herausfinden, wie ein Unternehmen im Vergleich zu seinen Mitwettbewerbern bewertet wird. Multiplikatoren fungieren dann als eine erste Wertorientierung, die anschließend verfeinert werden kann, zum Beispiel über ein DCF-Modell22. Abgesehen davon, dass die Geschwindigkeit, mit der eine Bewertung abgeschlossen werden kann, kein Selbstzweck sein kann – vor allem, wenn sie mit Fehlern verbunden wäre –, ist die angeblich geringe Bewertungskomplexität der Vergleichsgruppenanalyse konstruiert: Denn „the multiple approach permits the analyst to make discounted cashflow assumptions implicitly, rather than explicitly“23. Wie später gezeigt werden wird, Eine Umfrage aus dem Jahr 2004 weist aus, dass DCF- und Multiplikatorverfahren mit jeweils 93€ % von Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Investmentbanken gleichermaßen eingesetzt werden; vgl. Peemöller et€al. (2004). 22╇ Vgl. Peemöller et€al. (2001). 23╇ Soffer und Soffer (2003, S.€389). 21╇
PEG-Ratio
EV/Umsatz
EV/EBIT
EV/CF
KBV
Gesamtkapitalrendite
EBIT-Marge
Investitionsquote
Gesamtkapitalkosten
Steuerquote
Eigenkapitalkosten
KGV
Eigenkapitalrendite
Ausschüttungsquote
301
Erwartetes Wachstum
7.3â•… Kritische Würdigung, Vor- und Nachteile
Abb. 7.4↜渀 Multiplikatoren und ihre Einflussfaktoren
haben viele grundsätzliche Werttreiber von zukunftserfolgsorientierten Methoden wie das Dividendendiskontierungs- und DCF-Modell implizit auch für eine Multiplikatorbewertung Bestand. Auch die verschiedentlich vorgebrachte „leichte Kommunizierbarkeit“24 oder die geringen Kosten25 des Multiplikatoransatzes vermögen nicht zu überzeugen (Abb.€7.4). Einer der entscheidenden Vorteile von Multiplikatormodellen ist, dass sich der Bewerter ausgiebig mit der Peergroup beschäftigen muss. Ob ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil für sich beanspruchen kann, ist von zwei Faktoren abhängig: Im ersten Schritt ist zu klären, ob die erzielbaren Renditen über den risikoäquivalenten Kapitalkosten liegen. Dies ist die notwendige Bedingung, um eine positive Überrendite zu erzielen. Im zweiten Schritt ist zu klären, ob diese Überrendite die der relevanten Wettbewerber übersteigt. Dies ist die hinreichende Bedingung für die Erlangung eines Wettbewerbsvorteils auf den Produkt- bzw. Dienstleistungsmärkten und auch auf den Kapitalmärkten. Erst wenn beide Bedingungen erfüllt sind, wird ein Unternehmen im Wettbewerbsvergleich ein höheres Ertrags- und damit Wertewachstum erzielen – und seine Aktie damit größere Kurssteigerungen. Wäh24╇ 25╇
Vgl. Liu et€al. (2002, S.€136). Vgl. Ballwieser (2007, S.€205).
302
7â•… Die Bewertung mit Referenzunternehmen
rend sich Wertsteigerungskonzepte wie das Dividendendiskontierungsmodell oder das Economic Profit-Verfahren mit der Erzielung von Überrenditen begnügen, gehen Multiplikatorverfahren einen Schritt weiter und vergleichen diese Überrendite mit der anderer Unternehmen. Die Defizite einer relativen Unternehmensbewertung stammen im Wesentlichen aus folgenden Quellen: • In der Realität gibt es kaum vergleichbare Unternehmen. Manchmal ist die Ähnlichkeit richtiggehend konstruiert, was der Kritik Vorschub leistet, die Multiplikatorbewertung wäre subjektiv. Dieses subjektive Element ist es auch, das viele Unternehmensvorstände geradezu erregt reagieren lässt, wenn sie von ihrem Gesprächspartner mit einem, in ihren Augen wenig repräsentativen Wettbewerber in einen Topf geworfen werden. • Bei negativen Referenzgrößen, zum Beispiel bei einem Jahresfehlbetrag oder bei negativen Cashflows, können Bewertungskennzahlen oder ein Unternehmenswert nicht berechnet werden. • Grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem Sinn eines relativen Preisvergleichs, in dem ein Investor nicht darüber informiert wird, ob eine Aktie absolut überbewertet ist, sondern nur relativ. Denn eine relative Bewertung ermittelt den Unternehmenswert immer nur im Verhältnis zum Wert eines anderen Unternehmens. Die eigentliche Aufgabe eines Investors sollte es sein, eine möglichst hohe absolute Performance zu erzielen und nicht solche Aktien auszuwählen, deren erwartete Performance die anderer Aktien übertrifft. Zum einen trägt die relative Bewertung eine Teilschuld für die Entstehung von Bewertungsblasen, zum anderen sehen Privatinvestoren, die ausschließlich eine absolute Kursentwicklung anstreben, in einer relativen Aktienbewertung keinen Sinn. Investoren, die danach streben, eine absolute Kursperformance zu erzielen – und dazu zählen vor allem Privataktionäre – können mit einer Multiplikatorbewertung daher nur wenig anfangen. Sind eine gesamte Branche oder ein gesamter Markt überbewertet, so wie dies während Bewertungsblasen der Fall ist, mag das aus einer Vergleichsgruppenbewertung ermittelte „günstigste“ Unternehmen zwar nur 10€% an Wert verlieren, während alle anderen Aktien 20€% einbüßen, dennoch verliert der Investor Geld, und ob dieses das erstrebenswerte Ergebnis einer Anlageempfehlung sein sollte, ist zu bezweifeln. In der Bewertungspraxis ist häufig der „Extrapolation Bias“ zu beobachten. Dieser tritt auf, wenn Marktteilnehmer Entwicklungen der Vergangenheit ungefiltert und mehr oder weniger linear in die Zukunft fortschreiben. Dass sich Wachstumsraten früher oder später ihren langfristigen Durchschnittswerten annähern (die Tendenz der genannten „Reversion to the Mean“) wird häufig mit dem Argument „This time it’s different“ untergraben. In der Realität weist die Mean Reversion tatsächlich eine starke Gravitationskraft auf, denn „if profit margins do not mean-revert, then something has gone badly wrong with capitalism“26. Dennoch sollte man mit der Aussage, ein Multiplikator müsse sich nur aufgrund der Mean Reversion seinen 26╇
Grantham J, zitiert nach: Katsenelson(2007, S.€44).
7.3â•… Kritische Würdigung, Vor- und Nachteile
303
langjährigen Durchschnittswerten annähern, vorsichtig sein. Beispielsweise können sich die üblichen Fundamentalfaktoren Wachstumsrate, Höhe der Cashflows, Ausschüttungsquote und systematisches Risiko einzeln oder auch in Kombination verändert haben, was signifikante Auswirkungen auf die absolute Höhe jedes Multiplikators hat. Ebenfalls unberücksichtigt bei einem Unternehmensvergleich mit Hilfe von Kennzahlen ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens. Ist der Fortbestand eines Unternehmens nicht gesichert, können Multiplikatorverfahren nicht für Bewertungszwecke herangezogen werden. Wird zum Beispiel eine Aktie mit einem EV/Umsatz-Multiplikator von 0,8x bewertet, während der Sektor aus unmittelbaren Vergleichsunternehmen mit einem durchschnittlichen Multiplikator von 1,5x bewertet ist, würde dies auf den ersten Blick eine deutliche Unterbewertung der Aktie suggerieren. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn das betroffene Unternehmen einer signifikanten Insolvenzgefahr ausgesetzt ist, während dies bei den anderen Unternehmen nicht der Fall ist. Der Vergleich eines insolvenzgefährdeten Unternehmens mit anderen Titeln würde nur dann Sinn machen, wenn diese ebenfalls gefährdet wären. Dass dies in der Realität äußerst selten gleich für eine Reihe von Unternehmen zutrifft, ist naheliegend. Analysten behelfen sich in diesem Fall gerne mit Bewertungsabschlägen, deren Maßeinheiten in jedem Fall subjektiv und damit schwer greifbar sind. Anstelle von Aktienkursen werden für eine Vergleichsgruppenbewertung häufig Transaktionsmultiplikatoren aus vergleichbaren, tatsächlich stattgefundenen Unternehmensübernahmen herangezogen. Sie basieren auf den bei Fusionen und Übernahmen bezahlten Kaufpreisen. Ziel des auch Comparable Transaction-Ansatz genannten Verfahrens ist die Ermittlung von dezidierten Übernahmeprämien oder Kontrollzuschlägen, die zum aktuellen Marktwert hinzugerechnet werden müssen. Sie spiegeln das Synergiepotenzial wider, das ein potenzieller Käufer von der Eingliederung in sein Unternehmen erwartet. Transaktionsmultiplikatoren sind damit meist größer als Trading-Multiples und für einen nicht-strategischen Investor ungeeignet. Zudem sind für eine Börsenbewertung immer nur die während eines bestimmten Augenblicks messbaren Multiplikatoren relevant, nicht jedoch solche, die zum Teil mehrere Jahre alt sind. In Ermangelung an regelmäßig stattfindenden M&A-Deals ist es bei Transaktionsmultiplikatoren unumgänglich, dass auch ältere Übernahmen in die Betrachtung einfließen. Im Übrigen ist das einer Transaktion zugrunde liegende Datenmaterial häufig nur Eingeweihten bekannt, was die Verwendung für außenstehenden Analysten und Investoren schwierig macht. Werden die Schlüsseldaten in Ausnahmefällen publiziert, sind sie stets zeitpunktbezogen und von situationsbedingten Rahmenbedingungen, der jeweiligen konjunkturellen Situation und der allgemeinen Verfassung der Kapitalmärkte abhängig. Kurzum: Die bekannten Multiplikatoren sind in der Regel veraltet.
Kapitel 8
Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
8.1 D as KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts Das Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV), auch hierzulande unter seinem angelsächsischen Terminus Price-Earnings-Ratio bzw. P/ER oder P/E bekannt, ist eine der elementarsten Methoden der Unternehmensbewertung und mit Sicherheit die am weitesten verbreitete1, deutlich populärer als zum Beispiel das DCF-Modell2 oder die meist aussagekräftigeren Multiplikatoren EV/EBITDA oder EV/EBIT. Kaum ein Analystenbericht kommt ohne das KGV aus, im Wall Street Journal, der täglichen Bibel des professionellen Aktionärs, und in vergleichbaren Börsenzeitungen und Anlagezeitschriften ebenso wie auf den meisten Internetplattformen werden auf Quartals- oder Jahresbasis Schätzungen des Ergebnisses je Aktie (Earnings per Share EPS), Wachstumsraten des Ergebnisses je Aktie und des Kurs/Gewinn-Verhältnisses abgedruckt3. Das KGV hat an den Kapitalmärkten inzwischen eine derartige Eigendynamik entfacht, dass seine Bedeutung kaum mehr in Frage gestellt werden kann. Das KGV gilt als das „klassische Bewertungsmodell der fundamentalen Aktienanalyse“4, regelmäßig verwendet von nahezu 80€%5 bis 100€%6 der Analysten. So häufig kommt das KGV zur Anwendung, dass selbst die Frage, ob das Ergebnis je Aktie seine Investoren überhaupt glücklich machen kann, Gegenstand der Diskussion wurde7. Die Verbreitung des KGVs liegt hauptsächlich daran, dass die ErmittVgl. auch Pacter und Petrone (1994, S.€45): „Earnings per share (EPS) is the single most widely used statistic in financial analysis today“. 2╇ Vgl. die Untersuchung von Asquith et€al. (2001). 3╇ Erst in jüngerer Zeit wird auch unter Kapitalmarktteilnehmern die Kritik am KGV deutlicher. Vgl. Dobbs et€al. (2005), die belegen, dass die Streuung historischer KGVs nahezu doppelt so groß war wie die prospektiver KGVs. 4╇ Eidel (1999, S.€2). 5╇ Vgl. Dukes und Zhuoming (2006). 6╇ Vgl. Fülbier et€al. (2008, S.€812€f.). 7╇ Vgl. Frank (2007). 1╇
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_8, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
305
306
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
lung des jahresabschlussrechtlichen Gewinns vergleichsweise objektiv und einfach erfolgen kann, dass mit dem Aktienkurs lediglich ein weiterer Parameter zur Bestimmung der Kennzahl erforderlich ist, der zudem dem Kapitalmarkt in Echtzeit von Finanzdienstleistern wie Reuters oder Bloomberg bereit gestellt wird, und daran, dass Anlagestrategien, die ausschließlich in Aktien mit niedrigem KGV investieren, nach verschiedenen Untersuchungen für die Erzielung eines systematischen Alpha geeignet sein können8. Zahlreiche Studien, die belegen, dass EPS-Revisionen und EPS-Prognoserevisionen zu wesentlichen Kursreaktionen führen können9, sind beileibe keine Ausnahme, auch die tägliche Praxis unterstützt die empirischen Ergebnisse. Das KGV setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum Ergebnis je Aktie oder, alternativ, die Marktkapitalisierung ins Verhältnis zum Jahresüberschuss, jeweils gerechnet nach Minderheitsanteilen:
KGV =
Aktienkurs Marktkapitalisierung = . Jahresüberschuss EPS
(8.1)
Als klassischer Marktkonfidenzindikator beantwortet das KGV die Frage, mit dem Wievielfachen des Gewinns ein Unternehmen an der Börse gehandelt wird. Das heißt: Wie viele Jahre muss das Unternehmen einen bestimmten Jahresgewinn erwirtschaften – und vollständig ausschütten –, damit der Investor aus der Summe dieser Gewinne den vorab bezahlten Aktienkurs refinanzieren kann10. Anders ausgedrückt: Welchen Betrag bin ich bereit, für jeden Euro, der während der nächsten zwölf Monate vom Unternehmen erwirtschaftet wird, heute zu bezahlen? Je niedriger das KGV, so die Investitionsphilosophie der Value-Praktiker, desto attraktiver ist eine Aktie bewertet, da die Anfangsauszahlung an den Investor schneller zurückgeflossen sein wird als bei einem weniger profitablen Unternehmen, das mit derselben Marktkapitalisierung bewertet ist. Da in einzelnen Sektoren unterschiedliche Normalniveaus für das KGV beobachtet werden können, wird das KGV im praktischen Einsatz als Bewertungsmultiplikator für Aktien innerhalb einer Industrie verwendet: Eine Softwareaktie mit einem KGV von 18x kann also günstig sein, wenn die Softwarebranche als Ganze mit dem 22fachen Nettoergebnis bewertet ist, gleichzeitig kann ein Energieversorger mit einem KGV von 15x überbewertet sein, wenn seine Vergleichsgruppe mit dem durchschnittlich 12fachen Ergebnis bewertet ist. Über die Earnings-Yield, das ist die Inverse des KGVs, kann die Bewertung einer Aktie auch mit der Verzinsung einer Anleihe verglichen werden: Eine Aktie mit einem KGV von 9,1x weist eine Earnings-Yield von 100/9,1â•› = â•›11,0€% auf, was 8╇ Dies wird von einer Vielzahl empirischer Studien belegt, darunter Jaffe et€al. (1989, S.€135€ff.). oder Fama und French (1992, S.€427). 9╇ Vgl. für eine Übersicht zu den wesentlichen empirischen Untersuchungen Stanzel (2007, S.€51– 54). 10╇ Vgl. zum Beispiel Gräfer (1997, S.€161): „Je höher die Price-Earnings-Ratio ist, desto ‚teuerer‘ ist das jeweilige Papier, desto kleiner ist die kurzfristig realisierte Rendite, bzw. umso länger dauert es, bis der Kaufpreis durch Gewinn amortisiert wird“.
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
307
im Vergleich zur Verzinsung einer Unternehmensanleihe eine attraktive Alternative sein kann. Festzuhalten ist, dass das KGV keine negativen Werte annehmen kann. Im Fall negativer Nachsteuerergebnisse wird üblicherweise ein „n/a“ oder „n/m“ für „not available“ bzw. „not meaningful“ ausgewiesen und der Wert geht nicht in die Berechnung von Durchschnittswerten oder des Median ein. Beispiel 8.1: Die Berechnung des KGV und mögliche Interpretationen╇ Analysten rechnen damit, dass der Internetdienstleister Dragon Internet aus dem Beispiel€ 7.1 im kommenden Jahr einen Nachsteuergewinn von 18,1€Mio.€€ erwirtschaften wird. Die Anzahl ausstehender Aktien beläuft sich auf 40,0€Mio. Der aktuelle Börsenkurs liegt bei 7,50€€. Damit ergibt sich ein Ergebnis je Aktie in Höhe von EPS =
NetInc 18,1 = = 0,45. NoSh 40,0
Auf Basis der Gewinnschätzungen des Folgejahres ist Dragon Internet folglich mit dem 16,6 fachen Ergebnis je Aktie bewertet. Mit anderen Worten: Würde der Internetdienstleister Jahr für Jahr einen Gewinn von 18,1€Mio.€€ erwirtschaften und diesen vollständig an die Aktionäre ausschütten, hätten diese nach knapp 17 Jahren ihre Anfangsinvestition wieder vereinnahmt. So eindeutig die theoretische Berechnung des Kurs/Gewinn-Verhältnisses auf den ersten Blick erscheint, so kompliziert ist seine tatsächliche Anwendung. Denn für die Ermittlung des Unternehmenswertes sind einige grundsätzliche Vorentscheidungen zu treffen: • Erstens, sollen historische oder prognostizierte Gewinne und damit ein vergangenheitsorientierter Ansatz gewählt werden oder soll das erwartete Ergebnis des laufenden t bzw. des folgenden tâ•›+â•›1 Geschäftsjahres („forward P/E“) zur Berechnung des KGV und damit ein zukunftsorientierter Ansatz gewählt werden? Im Fall historischer Gewinne wiederum können entweder die Gewinne der vergangenen vier Quartale („trailing P/E“) oder des abgelaufenen Geschäftsjahres („historisches KGV“, „current P/E“) verwendet werden. • Zweitens, soll das absolute KGV eines Unternehmens verwendet werden oder das relative KGV, d.€h. das KGV eines Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtmarkt (also zum Beispiel dem DAX oder einem anderen Benchmark-Index), einer Branche oder zu anderen, vergleichbaren Unternehmen? • Drittens, soll die aktuelle Zahl an Aktien verwendet werden oder die um Wandelanleihen und Aktienoptionen verwässerte? Im ersten Fall wird das so genannte „basic P/E“ berechnet, im zweiten, im praktischen Einsatz gängigeren Fall das verwässerte oder „diluted P/E“.
308
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
• Viertens, soll das berichtete Ergebnis je Aktie als Grundlage für die Berechnung des KGV („reported P/E“) dienen oder eine um Einmalfaktoren bereinigte Größe („adjusted P/E“)? Dass unterschiedliche Quellen zeitgleich unterschiedliche Werte für ein und dieselbe Aktie veröffentlichen, sollte daher nicht allzu verwunderlich sein. Professionelle Datenbankanbieter wie First Call/Thomson Financial berechnen das forward P/E einer Aktie auf zwei Arten: Zum einen als Durchschnittswert der Ergebnisschätzungen des laufenden Geschäftsjahres, für das den Analysten unter Umständen bereits einige Ist-Quartalszahlen zur Verfügung stehen (FY1, also Fiscal Year 1), und als Durchschnittswert der Ergebnisschätzungen des folgenden Geschäftsjahres, das vollständig auf Analystenschätzungen basiert (FY2). Gemäß dieser Diktion steht das forward P/E nach First Call im Gegensatz zum current P/E, das ausschließlich auf dem zuletzt veröffentlichten Jahresergebnis basiert. Werden also Konsensus-Zahlen mit eigenen Prognosen verglichen, ist in jedem Fall Konsistenz anzumahnen. Empirischen Studien zufolge ist das prospektive KGV ein ungleich besserer Indikator für die Wertentwicklung einer Aktie als ein vergangenheitsbasiertes KGV11. Bei prospektiven Kennzahlen, ganz gleich, ob das KGV oder ein anderer Multiplikator gewählt wird, beschränkt sich der Kapitalmarkt in der Regel auf die Prognose der Ergebnisse je Aktie des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres. Mit fortschreitendem Verlauf des laufenden Jahres steigt die Prognosegenauigkeit in der Regel überproportional an – mit Ausnahme etwa des Einzelhandels, der Spielwaren- oder Softwareindustrie, für die das vierte Quartal von überragender Bedeutung ist. Unter Umständen bleiben damit nur noch ein Quartal des laufenden Jahres und das Folgejahr zu schätzen. Gegen Ende des laufenden Jahres, spätestens im Dezember, wird ein Analyst daher auch die Prognose des übernächsten Geschäftsjahres in sein Kalkül einbeziehen. Allerdings gilt das Gesagte nur unter einer Einschränkung: Consensus-Schätzungen sind nicht besonders präzise. Betrachtet man beispielsweise den US-amerikanischen Aktienmarkt während der vergangenen 25 Jahre, dann lagen die Consensus-Schätzungen für die folgenden zwölf Monate zu Beginn eines Jahres nur in sieben Fällen mit einer Abweichung von ±â•›5€% um das tatsächliche Ergebnis. In den verbleibenden 18 Jahren lagen die Consensus-Schätzungen 16 mal über den tatsächlichen Ertragszahlen, in nur zwei Fällen darunter. Im Allgemeinen sind die Erwartungen des Kapitalmarktes also zu optimistisch, oder, anders formuliert: In 18 von 25 Jahren hätte man als Investor eine genauere Ertragsprognose abgegeben, wenn man zu Beginn des Jahres davon ausgegangen wäre, die Ergebnisse des laufenden Jahres würden auf dem Niveau des vorangegangenen Jahres liegen.12 Da in der Regel ein Wachstum der Ertragskennzahlen prognostiziert wird, sind zukunftsgerichtete KGVs niedriger als laufende KGVs und diese wiederum niedriger als prospektive KGVs. Sind zum Beispiel die Auswirkungen einer Investition oder des Erwerbs eines bedeutenden Wettbewerbers auf die Bewertungsmultiplika11╇ 12╇
Vgl. Liu et€al. (2002). Vgl. Koller et€al. (2011, S.€106).
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
309
toren zu bestimmen, kann ein vergangenheitsorientiertes trailing KGV nicht die adäquate Bewertungsmethode sein. In diesen Fällen ist ein zukunftsorientierter Ansatz wie das forward KGV zu wählen. Können dagegen die Erträge des laufenden oder des folgenden Jahres nicht mit hinreichender Genauigkeit bestimmt werden, etwa weil dies aufgrund exogener Schocks wie einer Wirtschaftskrise nicht möglich ist, ist das historische KGV die passendere Bewertungsmethodik13. Beispielsweise haben Anfang 2009 viele Analysten vom prospektiven KGV auf das historische KGV umgestellt, weil noch nicht einmal von Seiten der Unternehmensvertreter ein Jahresergebnis 2009 auch nur ansatzweise prognostiziert werden konnte. Forward P/ Es kommen auch dann zum Ansatz, wenn ein Wachstumsunternehmen zu bewerten ist, dessen letzter veröffentlichter Jahresabschluss bereits mehrere Quartale alt ist, denn auch in diesem Fall kann eine Bewertung auf Basis eines de facto veralteten Geschäftsberichts nicht zu einem relevanten Ergebnis führen. Damodaran14 schlägt vor, bei unprofitablen Unternehmen so weit in die Zukunft zu blicken, bis das Ergebnis je Aktie irgendwann positiv wird und ein KGV berechnet werden kann. Durch diesen Trick wäre man uneingeschränkt in der Lage, das KGV auch bei (gegenwärtig) unprofitablen Wachstumsunternehmen anzuwenden. Wenngleich diese Vorgehensweise durchaus Charme haben mag, ist sie bestenfalls von theoretischer Relevanz: Je weiter man in die Zukunft blicken muss, um zu einem positiven Ergebnis zu gelangen, das dann mit den (hoffentlich positiven) Ergebnissen der Vergleichsunternehmen verglichen werden kann, desto unsicherer werden die Ergebnisse und desto ungenauer ist auch die darauf basierende Unternehmensbewertung. Letztlich ist das EPS immer nur eine Kennzahl, die auf einer Vielzahl von Annahmen basiert, auf unternehmensbezogenen Annahmen über die Entwicklung der Skaleneffekte oder der Preismacht, auf sektorbezogenen Annahmen über die Entwicklung der Markteintrittsbarrieren oder der Wettbewerbsintensität, und auf gesamtwirtschaftlichen Annahmen über die Entwicklung der Wechselkurse, der Rohstoffpreise oder der Wachstumsraten von Volkswirtschaften. Halbwegs können diese gerade noch für das laufende oder das folgende Jahr geschätzt werden, weiter in die Zukunft zu blicken bedarf einer Glaskugel. Unabhängig davon, für welche Vorgehensweise man sich auch entscheidet, es ist in jedem Fall sicherzustellen, dass diese für sämtliche Unternehmen der Peergroup sowie für das zu bewertende Unternehmen gleichermaßen angewendet wird. Darüber hinaus ist die Vorgehensweise im Ergebnis zu kommunizieren, da bei Unternehmen mit steigenden Ergebnissen das prospektive KGV niedriger ist als das historische KGV. In der Praxis des Börsenalltags wird als Aktienkurs in der Regel der aktuelle Börsenkurs oder, für die Berechnung historischer Kennzahlen, der jeweilige Jahresdurchschnitts- oder -schlusskurs verwendet. Das unverwässerte Ergebnis je Aktie (basic Earnings Per Share oder basic EPS) ist definiert als der Jahresüberschuss oder -fehlbetrag nach Minderheitsanteilen, dividiert durch den gewichteten DurchKim und Ritter (1999) zeigen allerdings auf, dass in der Regel forward P/Es präzisere Bewertungsergebnisse erbringen als trailing P/Es. 14╇ Vgl. Damodaran (2001, S.€313€f.). 13╇
310
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
schnitt der während der Rechnungsperiode im Umlauf befindlichen Stammaktien. Unter Umständen sind zu dieser bestehenden Aktienzahl auch potenzielle Aktien aus Wandelanleihen, Mitarbeiteroptionen oder Aktienoptionsscheinen hinzuzurechnen; in diesem Fall spricht man vom verwässerten Ergebnis je Aktie (diluted EPS). Beispiel 8.2: Berechnung der verwässerten EPS╇ Die Consensus-Schätzungen des Jahresüberschusses der Dragon Internet AG aus Beispiel€7.1 liegen für das übernächste Geschäftsjahr bei 21,7€Mio.€€. Anteile Dritter fallen nicht an. Die durchschnittliche Zahl ausstehender Aktien beläuft sich derzeit auf 40,0€Mio. Stück. Damit ergibt sich ein Ergebnis je Aktie in Höhe EPSbasic von EPSbasic =
21,7 = 0,53. 40,0
Das Unternehmen hat zu Jahresanfang eine Wandelschuldverschreibung begeben. Insgesamt konnten 20,0€Mio. Stück platziert werden, die im Wandlungsverhältnis 2:1 in Aktien eingetauscht werden können. Aufgrund der überraschend guten Kursentwicklung der Aktie der Dragon Internet sind diese bereits nach kurzer Zeit wandelbar Damit ergibt sich ein voll verwässertes Ergebnis je Aktie EPSdiluted von EPSdiluted =
21,7 = 0,43, 40,0 + 10,0
also von 0,43€€ je Aktie. Das voll verwässerte Ergebnis je Aktie liegt damit um 20,0€% unter seinem nicht verwässerten Wert. Wurde anhand der Referenzgruppe ein Durchschnittsmultiplikator ermittelt ergibt sich der Unternehmenswert V0 des zu bewertenden Unternehmens, indem der prognostizierte Gewinn des Unternehmens mit diesem Faktor multipliziert wird:
V0 = P
P0,Peer EPS1 = KGVPeer EPS1 . EPS1,Peer
(8.2)
dem durchschnittlichen KGV der Peergroup, das errechHierbei entspricht EPS0,Peer 1,Peer net wird, indem die laufenden Börsenkurse der Vergleichsunternehmen durch die für das folgende Geschäftsjahr erwarteten Ergebnisse je Aktie dividiert werden und aus diesen individuellen Multiplikatoren ein Gruppendurchschnittswert gebildet wird. Unternehmen werden an den Börsen nicht mit einem einheitlichen KGV bewertet. Im Gegenteil, die Unterschiede zwischen den Unternehmen innerhalb eines Sektors, zwischen den Sektoren eines Landes und zwischen den Ländern sind erheblich. Auch im Zeitalter der europäischen Einheitswährung unterscheiden sich
8.1 â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
311
Tab. 8.1↜渀 Das KGV nach Sektoren, Deutschland. (Quelle: Lehrstuhl für Finanzmanagement und Banken an der HHL (Stand: 06/2010)) Trailing KGV KGV NTM Arithm. Mittel Median Arithm. Mittel Median Prime All Share 19,7 18,0 18,1 16,5 Automotive 18,9 18,4 16,1 14,5 Banks 21,6 16,0 15,0 14,6 Basic Resources 15,1 12,4 13,8 12,9 Chemicals 20,9 18,1 17,4 15,2 Construction 21,3 22,8 20,4 118,7 Consumer 17,1 16,4 15,9 15,8 Financial Services 27,2 22,0 21,6 18,0 Food & Beverages 16,6 16,6 17,3 17,3 Industrial 17,6 17,4 16,1 15,2 Insurance 9,1 8,2 9,4 8,8 Media 19,9 21,5 19,6 15,6 Pharma & Healthcare 22,5 20,3 20,2 18,1 Retail 17,4 16,1 16,6 15,9 Software 21,3 18,9 21,3 20,2 Technology 19,7 17,7 21,1 20,7 Telecommunications 12,6 11,0 14,4 11,8 Transport. & Logistics 22,3 21,7 18,6 14,9 Utilities 9,7 8,4 11,3 9,0 DAX30 TEcDAX30 MDAX50
17,8 20,3 20,9
17,6 18,7 20,5
14,3 19,5 19,1
13,7 17,3 17,7
die einzelnen Länder Europas, Asiens oder aus dem amerikanischen Raum signifikant bezüglich ihrer Fundamentaldaten: Unternehmen in Ländern mit höheren Realzinsen sollten niedrigere Kurs/Gewinn-Verhältnisse aufweisen als ihre Vergleichswerte in Ländern mit niedrigeren Realzinsen. Gleiches gilt für Unternehmen in Ländern mit niedrigerem erwartetem Unternehmenswachstum, mit höherem Länderrisiko bzw. länderspezifischen Risikoprämien und in Ländern mit weniger effizienten Kapitalmärkten (Tab. 8.1). Vielen Analysten und Investoren, die Multiplikatoren verwenden, ist nicht bewusst, dass sie mit den Multiplikatoren auch implizite Annahmen aus dem DCFModell übernehmen15. Neben der Ableitung über die Durchschnittsmultiplikatoren einer bestimmten Industrie oder eines bestimmten Marktes kann das Ziel-KGV des zu bewertenden Unternehmens auch aus dem Gordon-Modell (4.9) abgeleitet werden, also aus dem einfachsten bekannten Diskontierungsverfahren. Nach Umformung von (4.9) zu 15╇
P0 =
Vgl. Soffer und Soffer (2003, S.€389).
δ1 EPS1 , rEK,R − gR
(8.3)
312
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
mit δ1 als Ausschüttungsquote des Nettoergebnisses EPS1 sowie anschließender Division beider Seiten der Gleichung durch das Ergebnis je Aktie der Folgeperiode EPS1 ergibt sich
P0 δ1 δ0 (1 + gR ) = KGV = = , EPS1 rEK,R − gR rEK,R − gR
für rEK,R > gR .
(8.4)
Die linke Seite der Gleichung entspricht einem „inneren“ forward KGV auf Basis der erwarteten Gewinne des folgenden Geschäftsjahres. Dieses ist abhängig von der Ausschüttungsquote des folgenden Geschäftsjahres δ1, dem Kalkulationszinssatz rEK,R und der stabilen Unternehmenswachstumsrate gR während der Reifephase. Aus (8.4) folgt, dass das KGV auf Basis der Gewinnschätzungen des nächsten Geschäftsjahres umso höher ist, je höher die Ausschüttungsquote δ1 sowie die erwartete Wachstumsrate gR und je niedriger die mit der Erzielung der Erträge verbundenen Eigenkapitalkosten rEK,R sind, und vice versa. Überdies ist das KGV umso höher, je geringer die Differenz zwischen dem Diskontierungssatz rEK und der Gewinnwachstumsrate gR ist. Nicht definiert ist (8.4), wenn die Gewinnwachstumsrate den Diskontierungssatz übersteigt; in diesem Fall ergibt sich ein negatives KGV und damit kein ökonomisch sinnvolles Ergebnis. Durch diesen Zusammenhang zeigt sich, dass alle grundsätzlichen Werttreiber von DCF-Modellen – die Höhe der Cashflows, ihre erwartete Wachstumsrate und die mit ihrer Erzielung verknüpften Eigenkapitalkosten – gleichermaßen für eine Multiplikatorbewertung mit Hilfe des KGV gültig sind16. Natürlich gilt dieses Argument auch anders herum: Das DCF-Modell basiert auf denselben Annahmen wie das KGV, ein intrinsisches Verfahren auf denselben Annahmen wie ein relatives Bewertungsmodell. Die ungefilterte Aussage, ein Unternehmen mit einem höheren KGV wäre im Vergleich zu einem Unternehmen mit einem niedrigeren KGV überbewertet, kann damit nicht aufrechterhalten bleiben: Sie gilt nur für Unternehmen mit derselben Ausschüttungsquote, demselben Diskontierungssatz und – vor allem – demselben Unternehmenswachstum. Tatsächlich kann eine Aktie mit einem KGV von 12x günstiger bewertet sein als eine Aktie mit einem KGV von 10x, sofern dies durch die fundamentalen Bestimmungsfaktoren des KGV erklärt wird. Zu einer vollständigen Analyse des Kurs/Gewinn-Verhältnisses sind daher in jedem Fall eine weitergehende Betrachtungen der fundamentalen Werttreiber δ, rEK,R und gR erforderlich. Der Einfluss der Wachstumsrate gR auf den Unternehmenswert ist in nachstehender Abbildung abgebildet. Das Unternehmen weist eine Ausschüttungsquote von 30,0€% und Eigenkapitalkosten von 10,0€% auf. Die erwartete Wachstumsrate variiert in 0,5 Prozentschritten von 0,5€% bis 9,5€%. Unmittelbar ersichtlich wird ein exponentieller Verlauf der aus dem Modell abgeleiteten KGVs: Der Einfluss der Wachstumserwartungen des Jahresüberschusses und der Dividenden auf das KGV wird aus Abb.€ 8.1 unmittelbar ersichtlich: Je höher die Wachstumsrate ist, desto höher ist das innere KGV. Probleme im praktischen Ein16╇
Anders dagegen stellvertretend Vernimmen et€al. (2009, S.€348).
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts Abb. 8.1↜渀 KGV in Abhängigkeit von der Wachstumsrate g
313
120 100
KGV
80 60 40 20 0
0%
1%
2%
3%
4%
5%
g
6%
7%
8%
9%
satz treten häufig bei Wachstumsunternehmen auf, bei denen aktuelle oder selbst prognostizierte Wachstumsraten häufig die aktuellen Kapitalkosten übersteigen. Man sollte sich jedoch im Klaren sein, dass gR, einmal festgelegt, unendlich lange Gültigkeit besitzt. Für gRâ•› = â•›0, also für ein Unternehmen, das nominell nicht mehr wachsen wird, ergibt sich der Wert des Eigenkapitals aus Formel (8.4):
g =0
V0 R
=
δEPS . rEK,R
(8.5)
Im Nullwachstumsfall ist der Wert eines Unternehmens abhängig vom Ergebnis je Aktie, der Ausschüttungsquote und den Eigenkapitalkosten. Für ein Unternehmen, das nicht wächst, macht eine Thesaurierung keinen Sinn. Damit nähert sich die Ausschüttungsquote δ dem Wert 100€% an, so dass letztlich der Unternehmenswert nur noch vom Ergebnis je Aktie und dem damit verbundenen Risiko abhängig ist:
g =0
V0R
=
EPS , rEK,R
für δ = 100 %.
(8.6)
Dieser Wert kann als Untergrenze einer Unternehmensbewertung interpretiert werden. Gleichzeitig lässt sich daraus der Wert einer Aktie in eine Nullwachstumskomponente und eine Wachstumskomponente aufteilen. Beispiel 8.3: Wachstums- und Nullwachstumskomponente einer Aktie╇ Aktuell notiert der Kurs der Dragon Internet-Aktie bei 7,50€ €. Das Ergebnis je Aktie des laufenden Jahres beläuft sich auf 0,43€€ (voll verwässert), die Kosten des Eigenkapitals liegen bei 10,5€%. Damit ergibt sich ein aus dem Nullwachstum abgeleiteter Unternehmenswert von g =0
V0R
=
EPS 0,43 = = 4,14. rEK,R 0,10
314
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
Der sich aus dem Nullwachstum ergebende Unternehmenswert beläuft sich damit auf 4,14€ € je Aktie. Mit anderen Worten: 55,2€ % des aktuellen Aktienkurses lassen sich also den bestehenden operativen Vermögenswerten rechtfertigen. Der sich aus dem erwarteten Wachstum ergebende Unternehmenswert liegt damit bei g >0
V 0R
= 7,50 − 4,14 = 3,36.
In diesem Beispiel stammt also über die Hälfte der aktuellen Marktkapitalisierung des Unternehmens aus dem Nullwachstum und knapp die Hälfte aus dem zukünftig erwarteten Wachstum. Eine ähnliche Aufspaltung in eine Wachstums- und eine Nichtwachstumskomponente ist auch für das KGV möglich. Betrachtet man erneut Formel (8.6), so ergibt sich das KGV im Nullwachstumsfall und angenommener Vollausschüttung über
KGVgR =0 =
1 , rEK,R
für rEK,R > gR und gR = 0.
(8.7)
Damit entspricht das KGV bei Unternehmen, deren Gewinne vollständig ausgeschüttet werden (δâ•› = â•›1) und deren Dividenden in Zukunft nicht mehr wachsen (gâ•› = â•›0), dem Kehrwert des Kalkulationszinssatzes rEK17. Da bekanntlich der risikolose Zinssatz rf Bestandteil der Eigenkapitalkosten ist, besteht indirekt auch ein inverser Zusammenhang zwischen der Höhe des KGV und der Rendite von Staatsanleihen: Je niedriger lang laufende Bundesanleihen notieren, desto höher wird das innere KGV der Aktie sein. Diesen Zusammenhang macht sich der U.S. Federal Reserve Board of Directors zunutze, der für den US-amerikanischen Aktienmarkt ein Bewertungsmodell verwendet, das die Inverse des S&P 500 12-Monats-forward KGV, die so genannte Gewinnrendite, mit der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen vergleicht. Nach diesem Modell wird der Aktienmarkt immer dann als überbewertet ausgewiesen, wenn die Gewinnrendite des S&P 500 niedriger ist als die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen. Beispiel 8.4: Wachstums- und Nullwachstums-KGV╇ Betrachten wir erneut Dragon Internet aus Beispiel€8.3. Das aus dem Nullwachstum abgeleitete KGV beläuft sich auf KGVgR =0 =
17╇
1 rEK,R
=
1 = 9,5x. 0,105
Vgl. Brealey et€al. (1995, S.€127); Sharpe et€al. (1999, S.€536€f.).
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
315
Das sich aus dem zukünftigen Wachstum abgeleitete KGV lag demgegenüber bei KGVgR > 0 =
3,36 = 7,8x. 0,43
Das gesamte KGV ist die Summe beider Beträge, also KGV = KGV = KGVgR =0 +KGVgR > 0 = 9,5x + 7,8x = 17,4x. Derselbe Wert ergibt sich, wenn der aktuelle Börsenkurs durch das Ergebnis je Aktie dividiert wird, also KGV =
7,50 = 17,4x. 0,43
Und noch eine weitere interessante Schlussfolgerung lässt sich aus Formel (8.7) ableiten: Das KGV reagiert umso empfindlicher auf Veränderungen der Zinssätze, je niedriger das allgemeine Zinsniveau ist. Dieser Schluss lässt sich auch in der Realität beobachten: In Niedrigzinsphasen führen Gewinnwarnungen von Unternehmen üblicherweise zu wesentlich stärkeren Abstrafungen des Kurses als in Hochzinsphasen. Entsprechendes gilt auch für das Beta des betrachteten Unternehmens: Je höher das Beta der Aktie ist, desto weniger reagiert das KGV auf Veränderungen der Wachstumsraten und umgekehrt. Mit anderen Worten: Das KGV eines High-Beta-Wertes, zum Beispiel eines IT- oder Biotechnologieunternehmens, geht bei einem Absinken des systematischen Risikos stärker zurück als bei einem Ansteigen des Unternehmenswachstums18. Zur Steigerung des Shareholder Values der Aktionäre ist es daher für das Management eines High-Beta-Wertes sinnvoller, das systematische Risiko der Aktie zu verringern als die Wachstumsaussichten zu verbessern. Gerade im zuletzt Gesagten liegt die Ursache für viele Börsencrashs. Bewertungsblasen sind durch einen Zustand der Überempfindlichkeit der Aktienkurse gegenüber den Veränderungen der Differenz im Nenner von Formel (8.4) gekennzeichnet. Hierzu ein Beispiel: Bei einer Ausschüttungsquote von 50€% und einer Differenz rEK,R-g von 0,5 Prozentpunkten ergibt sich ein KGV von 100x. Steigt die Diskontierungsrate nur um 50 Basispunkte an, wird sich das aus dem inneren KGV abgeleitete Kursziel schlagartig halbieren. Aus diesem Grund kann die Angst der Anteilseigner gerade von Wachstumsaktien vor den Auswirkungen geldpolitischer Zinsänderungen durchaus mit der Gordon-Formel und Formel (8.4) begründet werden. Die Schlussfolgerung, dass Zinsänderungen für Wachstumswerte gravierendere Auswirkungen hat als für reife Unternehmen lässt sich auch aus den zugrunde liegenden Bewertungsverfahren ableiten: Wachstumsunternehmen ziehen einen größeren Anteil ihres Unternehmenswertes aus den zukünftig erwirtschafteten Cash18╇
Vgl. Damodaran (2001, S.€287).
316
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
flows als reife Unternehmen. Veränderungen des Diskontierungssatzes aufgrund von Veränderungen des risikolosen Zinses führen dementsprechend zu stärkeren Veränderungen des Unternehmenswertes, da der Barwert aus zukünftig zu tätigenden Investitionen bei Wachstumsunternehmen einen größeren Anteil am Unternehmenswert hat als bei reifen Unternehmen, für die bereits die bestehenden Vermögenswerte von Bedeutung sind. Für extreme Wachstumsunternehmen, die keine Dividenden ausschütten (δâ•› = â•›0), oder für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten, die aufgrund ihrer schwachen Liquiditätslage zu einer Ausschüttung nicht fähig sind, würde Formel (8.4) zu keinem sinnvollen Ergebnis führen: Das innere KGV läge in diesen Fällen bei null. Auch bezüglich der Eigenkapitalkosten eines Unternehmens rEK lassen sich interessante Schlussfolgerungen ableiten. Die Eigenkapitalkosten hängen bekanntlich vom Risiko der zukünftigen Zahlungen an die Eigenkapitalgeber ab. Zu berücksichtigen sind sowohl das operative Risiko als auch das Kapitalstrukturrisiko des Unternehmens. Eine unreflektierte Übernahme von Branchen-KGVs impliziert daher neben der Vergleichbarkeit des operativen Risikos, dass auch der Verschuldungsgrad des zu bewertenden Unternehmens dem durchschnittlichen Verschuldungsgrad der Vergleichsunternehmen entspricht. Daher ist es unabdingbar, dass die Unternehmen der Referenzgruppe nicht nur bezüglich der Vergleichbarkeit des Geschäftsmodells ausgewählt werden, sondern auch hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Finanzverbindlichkeiten. Wie bei der Interpretation der Dividendendiskontierungsmodelle gezeigt wurde, erwirtschaftet ein Unternehmen, dessen Bilanzkennzahlen und Gewinnkomponenten mit derselben Wachstumsrate g wachsen, eine Eigenkapitalrendite ROE, die aus folgender Beziehung abgeleitet werden kann:
g = (1 − δ)ROE.
(8.8)
Die Wachstumsrate des Unternehmens g ist also abhängig von der Ausschüttungsquote δ und der Höhe der Eigenkapitalrendite ROE. Je höher die Thesaurierungsquote (1╛╛− δ) und je höher die Eigenkapitalrendite, desto höher fällt das zukünftige Wachstum aus, und umgekehrt. Durch Eliminierung der Klammern und Umformung von Formel (8.8) zu
δ=
ROE − g ROE
(8.9)
ergibt sich in Verbindung mit Gl.€(8.4) für ein Unternehmen in der Reifephase, dass der Zusammenhang
P0 ROE − gR = , EPS1 ROE(rEK,R − gR )
für ROE > r EK,R > gR
(8.10)
gelten muss. Durch diese Umformung kommt mit der Eigenkapitalrentabilität eine alternative Komponente ins Spiel: Auch zwischen ROE und KGV ist ein positiver
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
317
Zusammenhang zu konstatieren: Je höher die Eigenkapitalrentabilität ROE und das erwartete Wachstum gR und je niedriger die Kapitalkosten rEK,R sind, desto größer wird auch das erwartete KGV sein. Damit zeigt sich, dass die o.€a. Zweiteilung des KGV (s.€Beispiel€8.3) unter Umständen zu falschen Schlussfolgerungen verleitet, wenn nämlich die Kapitalkosten und die Ertragskraft des Unternehmens nicht in die Analyse einbezogen werden. Ein Unternehmen mit niedriger Eigenkapitalrendite müsste, um dieselbe Bewertung wie ein hochprofitables Unternehmen zu rechtfertigen, wesentlich höhere Anteile seines operativen Ergebnisses investieren. Ein Unternehmen mit geringer Profitabilität kann nur kleine Teile des operativen Ergebnisses in Freie Cashflows umwandeln, während profitable Unternehmen wesentlich effizienter wachsen können. Sinnvoll ist es daher, den Unternehmenswert nicht nur in eine Nullwachstumskomponente und eine Wachstumskomponente aufzuteilen, sondern auch die operative Ertragskraft in die Analyse mit einzubeziehen. Beispiel 8.5: Bewertung der operativen Ertragskraft╇ Betrachten wir nun die Leet AG aus Beispiel€7.1. Bei 50,0€Mio. Aktien und einem aktuellen Kurs von 25,00€€ ergibt sich eine Marktkapitalisierung von 1.250,0€Mio.€€. Wir unterstellen ferner ein EPS von 0,80€€. Wie auch bei der Dragon Internet AG liegen die Eigenkapitalkosten bei 10,5€%. Der aus dem Nullwachstum abgeleitete Unternehmenswert liegt damit bei g=0
V0
=
EPS 0,80 = = 7,60, rEK,R 0,105
also bei 7,60€€ je Aktie oder 30,4€% des aktuellen Börsenkurses. Nehmen wir an, die Eigenkapitalrentabilität des Unternehmens liegt bei 13,0€%. Das Management plant, 70,0€% des Nachsteuerergebnisses nachhaltig an die Aktionäre auszuschütten. Damit ergibt sich eine implizite langfristige Wachstumsrate des Unternehmens von gR = (1 − δ)ROE = (1 − 0,70)0,13 = 3,9 %.
Anhand dieser Vorgaben können wir denjenigen Teil des Unternehmenswertes berechnen, der nicht aus dem zukünftigen Wachstum stammt, sondern der Profitabilität der Gesellschaft zu verdanken ist. Wie hoch dieser Anteil ist, ergibt sich aus folgender Gleichung: V0ROE=13,0 % =
EPS 0,80 = = 12,10. rEK,R − gR 0,105 − 0,039
Aus der Profitabilität des Unternehmens ergibt sich also ein Wert von 12,10€€ je Aktie, oder 48,4€% des gesamten Unternehmenswertes. Nur der verbleibende Rest, also
318
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
g
g=0
V0 = P0 − V0
− V0ROE=13,0 % = 25,00 − 7,60 − 12,10 = 5,30
und damit 21,2€ % der aktuellen Marktkapitalisierung resultieren aus dem zukünftigen Wachstum des Unternehmens. Für das Management eines Unternehmens und für außenstehende Analysten wie Investoren ist die Kenntnis dieses Zusammenhangs entscheidend für die Steigerung des Unternehmenswertes: Denn meist versuchen die Vorstände von Growth-Stocks, ihr Wachstum immer weiter zu steigern anstatt die operative Gewinnmarge zu erhöhen, während auf der anderen Seite die Manager von Value-Stocks unter keinen Umständen einen Rückgang der Eigenkapitalrendite akzeptieren würden, anstelle den Schwerpunkt der Unternehmensstrategie auf die Steigerung des Wachstums zu legen. Dies entspricht dem gesunden Menschenverstand: Unternehmerisches Wachstum erfordert Investitionen, und wenn diese Investitionen nicht eine angemessene Rendite über die Kapitalkosten erzielen, werden sie keinen Mehrwert für die Aktionäre erwirtschaften. Der Aktienkurs bleibt unverändert, ebenso das KGV. Vorstände, die nicht beide Komponenten des KGV steigern – also Wachstum und Eigenkapitalrendite –, laufen Gefahr, dass sie zwar ihre internen Wachstumsvorgaben erreichen, nicht aber das Ziel der Unternehmenswertsteigerung. Intuitiv einsichtig ist, dass das anzulegende KGV umso höher ist, je höher die Wachstumsrate g und je niedriger die Eigenkapitalkosten rEK sind. Gleichfalls nachvollziehbar ist, dass für eine gegebene Wachstumsrate das KGV umso höher sein kann, je höher die Ausschüttungsquote δ ist. Unternehmen mit einem niedrigen Investitionsbedarf und folglich höheren Ausschüttungsquoten rechtfertigen damit ein höheres KGV als Unternehmen mit hohen Re-Investitionsanforderungen. Beispiel 8.6: Gordon-Modell und inneres KGV╇ Greifen wir nochmals zurück auf den Gewerbeimmobilienbestandshalter aus Beispiel€ 4.3, der zu einem aktuellen Kurs P0 von 27,30€€ gehandelt wird. Dem Gordon-Modell zufolge liegt der Unternehmenswert bei 33,42€€. Bezogen auf das Ergebnis je Aktie EPS1 von 2,50*(1â•›+â•›0,025)â•› = â•›2,56€ € ergibt sich ein KGV KGV =
27,30 P0 = = 13,0, EPS 2,56
also von 13,0x. Dasselbe Ergebnis erhalten wir, wenn wir die Ausschüttungsquote δ durch die Differenz rEK-g, also KGV =
teilen.
δ 0,90 = = 13,0 rEK − g 0,094 − 0,025
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
319
Für Wachstumsunternehmen, deren Wachstumsrate gR die Eigenkapitalkosten rEK,R übersteigt, können die Formeln (8.4) und (8.10) nicht angewendet werden. Zur Bestimmung der inneren Fundamentalfaktoren bedarf es der Verwendung eines zweiphasigen Dividendendiskontierungsmodells, also beispielsweise der Formel (4.19). Diese ist in folgende, nicht unbedingt besonders übersichtliche Formel überzuführen:
P0 (1 + gW )n δ(1 + gW )n (1 + gR ) δ(1 + gW ) 1− + = . n EPS0 rEK −gW (1 + rEK ) (1 + rEK,R )n (rEK,R −gR )
(8.11)
Daraus folgt, dass es auch für Wachstumsunternehmen einen positiven Zusammenhang gibt zwischen dem laufenden KGV und der Ausschüttungsquote sowie zwischen dem laufenden KGV und der erwarteten Gewinnwachstumsrate. Dieser Zusammenhang kann sowohl für die Wachstumsphase als auch für die Reifephase festgestellt werden. Erwartungsgemäß gibt es auch einen negativen Zusammenhang zwischen dem laufenden KGV und der Risikoklassifizierung der Vermögenswerte. Basierend auf der Überlegung, dass die erwarteten Wachstumsraten der Cashflows eine der wichtigsten Größen des Unternehmenswertes sind, haben Leibowitz und Kogelman das so genannte Franchise Modell entwickelt, in dem das innere KGV in zwei Komponenten aufgeteilt wird, und zwar in ein Nullwachstums- oder Null-Thesaurierungs-KGV der bestehenden Geschäftsbereiche, und in ein Franchise-KGV zukünftiger Investitionen. Die Aufspaltung des KGV in einen Franchiseund einen Null-Wachstumsfaktor ermöglicht uns die unmittelbare Analyse der Auswirkungen der Eigenkapitalrentabilität auf das KGV. In diesem Szenario steigt das Ergebnis je Aktie, da angenommen wird, dass die einbehaltenen Gewinne in der Folgeperiode genau die geforderte Eigenkapitalrendite erwirtschaften. Bekanntlich ist die langfristige Gewinnwachstumsrate abhängig von der Höhe der Thesaurierungsquote ε und der Höhe der Eigenkapitalrendite ROE, also
g = (1 − δ)ROE = εROE.
(8.12)
Eingesetzt in Formel (8.4) ergibt sich
P0 1 − ε1 = . EPS1 rEK,R − ε1 ROE
(8.13)
Erweitert man die rechte Seite mit rEK,R, so erhält man nach kurzer Umformung
ε1 (ROE − rEK,R ) P0 1 1 + = . EPS1 rEK,R rEK,R − ε1 ROE
(8.14)
Im rechten Teil der Gleichung können nun die Auswirkungen unterschiedlicher Thesaurierungsquoten ε ebenso analysiert werden wie Veränderungen der Überrendite des Unternehmens, dargestellt durch die Differenz ROE╛╛- rEK,R. Ist beispielsweise ROE╛╛- rEK,Râ•› = â•›0, also wird in Objekte investiert, deren erwartete Eigenkapitalrendite
320
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
genau den geforderten Eigenkapitalkosten entspricht, so ergibt sich das prospektive KGV einmal mehr aus der Inversen der Eigenkapitalverzinsung, also P0 1 = . EPS1 rEK,R
(8.15)
Für diesen Fall ist das prospektive KGV vollkommen unabhängig von der Thesaurierungspolitik des Unternehmens. Dies ist dann kein überraschendes Ergebnis, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in diesem Szenario durch die Thesaurierung der Erträge keine zusätzliche Wertschöpfung geschaffen werden kann; der Franchise Value des Unternehmens ist Null. Die Inverse der Eigenkapitalverzinsung entspricht dem Null-Thesaurierungs-KGV der bestehenden Geschäftsbereiche aus dem Leibowitz/Kogelman-Modell. Dasselbe Ergebnis ergibt sich übrigens für Unternehmen, die 100€% ihres ausschüttungsfähigen Gewinns ausschütten, also εâ•› = â•›0. Auch hier entspricht das prospektive KGV dem Kehrwert der geforderten Eigenkapitalverzinsung, gleichgültig, wie hoch die Eigenkapitalrendite des Unternehmens oder die geforderte Eigenkapitalverzinsung ist. Das Eigenkapital kann nicht weiter anwachsen. Der Wert der Aktie entsteht allein aus dem EPS der kommenden Periode und kann daher aus der ewigen Rentenformel P0â•› = â•›EPS1/rEK,R errechnet werden. Nach Erweiterung der Gl.€(8.14) mit ROE und Ersetzen von εROE durch g
gR (ROE − rEK,R ) 1 P0 = + EPS1 rEK,R ROE(rEK,R −gR )
(8.16)
P0 1 ROE − r EK,R gR = + . EPS1 rEK,R r EK,R ROE r EK,R − gR
(8.17)
folgt
Im rechten Teil der Gleichung befindet sich erneut die Inverse der Eigenkapitalverzinsung, zu der das Produkt aus Franchisefaktor und Wachstumsfaktor zu addieren ist. Der Franchisefaktor ergibt sich also aus der Tatsache, dass das Unternehmen eine so gute Wettbewerbsstellung innehat, die es ihm erlaubt, eine Rendite auf das Eigenkapital zu erwirtschaften, die größer ist als die geforderte Rendite auf das Eigenkapital. Beispiel 8.7: Das Leibowitz/Kogelman-KGV╇ Ein Investor fordert von einem Unternehmen mit einer Eigenkapitalrendite ROE von 16,0€% und einer Ausschüttungsquote von 30€% eine Verzinsung seines eingesetzten Kapitals rEK,R von 10,0€%. Zur Berechnung des inneren KGVs gehen wir wie folgt vor. Zunächst berechnen wir das KGVV aus den bestehenden Vermögenswerten, also KGVV =
1 1 = 10,0x. = rEK,R 10,0 %
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
321
Anschließend berechnen wir das Franchise-KGV KGVW, welches das erwartete Wachstum widerspiegelt. Dessen erste Komponente ist der Franchisefaktor 0,16 − 0,10 ROE − rEK,R = = 3,75. rEK,R ROE 0,10 · 0,16
Die zweite Komponente ist der Wachstumsfaktor. Für diesen ist zunächst die Kenntnis der Wachstumsrate g erforderlich, das wir aus g = εROE = 0,30 · 0,16 = 0,048 = 4,8 %
ermitteln. Insgesamt folgt damit für den Wachstumsfaktor g 0,048 = = 0,9 rEK,R − g 0,10 − 0,048
und damit für das Franchise-KGV KGVW =
ROE − rEK,R g = 3,75 · 0,9 = 3,5x. rEK,R ROE rEK,R − g
Das innere KGV des Unternehmens entspricht der Summe aus KGVV und KGVW und liegt damit bei 10,0xâ•›+â•›3,5xâ•› = â•›13,5x. Die Kapitalmärkte lieben das KGV. Jedes einzelne Quartal werden die Erwartungen der Analysten bezüglich des Ergebnisses je Aktie begierig verarbeitet. Das Nachsteuerergebnis ist ein Indikator für die Wertschöpfung eines Unternehmens, und in den meisten Umfragen auch der wichtigste, noch vor Cashflows, Dividenden oder Buchwerten. Das berichtete EPS steht meist in der Titelzeile des Quartalsberichts, eine Verfehlung der Consensus-Schätzungen hat beim EPS regelmäßig gravierende Auswirkungen auf die unmittelbare Kursentwicklung. Aufgrund seiner hohen Popularität kommt das KGV in beinahe allen Branchen zum Einsatz – was sicherlich auch eine gewisse Zirkularität zur Folge hat: Da das KGV weit verbreitet ist, wird ihm auch eine gute Prognosefähigkeit für Kursentwicklungen zugestanden. Angesichts dieser normativen „Kraft des Faktischen“19 ist es letztlich kein Wunder, dass das KGV nicht nur für die Bewertung von Unternehmen zum Einsatz kommt, sondern auch für die Einschätzung von Aktienindizes. Das KGV ist derart weit verbreitet, dass seine eigentliche Bedeutung inzwischen in den Hintergrund getreten ist: Das KGV ist eine unendliche Kennzahl, bei der unterstellt wird, dass ein Unternehmen ein bestimmtes Ergebnis je Aktie erzielen wird, das – mit einem Wachstumsfaktor versehen oder nicht – zu einer ewigen Ren19╇
Ballwieser (1997, S.€188).
322
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
tenformel umgewandelt werden kann. Gleichzeitig wird unterstellt, dass sich die Risikoklasse des Unternehmens im Zeitablauf nicht mehr verändern wird, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine sehr unrealistische Annahme ist. Obgleich das KGV die verbreitetste Kennzahl des Kapitalmarktes ist, wird sie, fragt man Fondsmanager oder Finanzanalysten, immer auch mit einem unguten Gefühl verwendet. Diese kognitive Dissonanz basiert auf drei grundlegenden Fragestellungen: • Erstens: Ist das KGV überhaupt ein geeigneter Maßstab zur Unternehmensbewertung? • Zweitens: Sind Gewinne ein adäquater Unternehmensparameter zur Prognose des Unternehmenswertes? • Schließlich drittens: Kann es für ein Unternehmen rational sein, die kurzfristige Quartals-Guidance zu übertreffen, wenn dies unter Umständen zu Lasten der strategischen Langfristziele geht? Da das EPS des vergangenen Jahres bzw. die Consensus-Schätzungen des laufenden oder des kommenden Jahres bekannt sind, ist zur Bewertung eines Unternehmens nur noch das „richtige“ KGV erforderlich. Der Nenner ist bekannt, es fehlt also nur noch der Zähler des Peergroup-Multiplikators. Daraus entsteht eine Tautologie: Um den inneren Wert eines Unternehmens zu berechnen, ist die Bewertung von Vergleichsunternehmen erforderlich. Mit anderen Worten: Das KGV bestimmt nicht den Unternehmenswert, sondern der Unternehmenswert bestimmt das KGV. Bereits vor 20 oder 30 Jahren haben sich Investoren die Frage gestellt, ob sich Aktien eher an Ertragszahlen oder an Cashflows orientieren. Zur Beantwortung dieser Frage kann eine Situation hilfreich sein, in der sich Erträge und Cashflows in unterschiedliche Richtungen bewegen. In einer Welt des US-GAAP ist das vermutlich am besten dokumentierte Beispiel der Wechsel der Vorratsbewertung von FIFO zu LIFO in Zeiten steigender Rohstoffpreise. Auf den Ertrag hat dieser buchhalterische Vorgang negative Auswirkungen, auf den Cashflow positive (da weniger Steuern bezahlt werden müssen). Bis auf wenige Ausnahmen sind die Aktienkurse nach dieser Maßnahme dennoch angestiegen. Ein wesentliches Problem des KGV ist, dass unterschiedliche Verschuldungsgrade unberücksichtigt bleiben. Da ein steigender Verschuldungsgrad in der Regel mit einem höheren Risiko verbunden ist, weisen stärker verschuldete Unternehmen niedrigere KGVs aus als weniger verschuldete. Beispiel 8.8: KGV bei unterschiedlichem Leverage╇ Zu analysieren sind zwei Unternehmen, die LowDebt AG und die HighDebt AG. Wie die Namen bereits suggerieren, weist die erste Gesellschaft mit einem Marktwert des Fremdkapitals von 20,0€ Mio.€ € ein wesentlich geringeres Leverage auf als die zweite, deren Marktwert des Fremdkapitals bei 120,0€Mio.€€ liegen soll. Beide erwirtschaften ein operatives Ergebnis (EBIT) von 30,0€Mio.€€. Steuerquoten und Sollzinsen auf die Verbindlichkeiten sind bei beiden Unternehmen identisch, sie liegen bei 30,0€% und bei 10,0€%.
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
323
Für die LowDebt AG, die mit einer Marktkapitalisierung von 400,0€Mio.€€ gehandelt wird, ergibt sich folgende verkürzte Gewinn- und Verlustrechnung: Mio.€€ EBIT Zinsaufwand Steuern Nettoergebnis
LowDebt AG 30,0 −â•›2,0 −â•›8,4 19,6
Bezogen auf die aktuelle Marktkapitalisierung der LowDebt AG ergibt sich ein KGV von 20,4x. Angelegt auf die HighDebt AG errechnet sich ein aus der „Peergroup“ abgeleiteter Marktwert des Eigenkapitals in Höhe von 257,1€Mio.€€: Mio.€€ EBIT Zinsaufwand Steuern Nettoergebnis
HighDebt AG 30,0 −╛╛12,0 −╛╛5,4 12,6
Dieses Ergebnis ist jedoch durch die unterschiedlichen Verschuldungsgrade der beiden Unternehmen verzerrt. Wenn wir den Multiplikator von 20,4x auf die einzelnen Komponenten der Highdebt AG anlegen, erhalten wir als Enterprise Value 20,4[30,0(1 − 30,0 %)] = 428,6.
Den Marktwert des Fremdkapitals ermitteln wir auf analoge Weise: 20,4[120(1 − 30,0 %)] = 171,4.
Damit liegt der abgeleitete Marktwert des Fremdkapitals um insgesamt 51,4€ Mio.€ € über seinem tatsächlichen Wert. Bei Unternehmen mit unterschiedlichen Verschuldungsgraden wird der Marktwert des Fremdkapitals also zu hoch wiedergegeben. Mit anderen Worten: Ist ein Unternehmen mit Fremdkapital finanziert, ist das EPS höher und das KGV niedriger als bei einem Unternehmen, das rein über Eigenkapital finanziert wurde. In der Realität wird das KGV eines Unternehmens höher sein als das seines Wettbewerbers, wenn unter sonst gleichbleibenden Bedingungen der Verschuldungsgrad geringer ist. Ein Unternehmen mit einer Nettofinanzposition von 100,0€Mio.€€ dürfte auf diese aktuell einen Nettogewinn von etwa 2,0€Mio.€€ erwirtschaften. Dies entspricht einem KGV von 50,0x. Das mit dem Halten von Liquidität verbundene
324
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
hohe KGV wird damit das operative KGV des Unternehmens künstlich nach oben verzerren. Zur Berechnung des liquiditätsbereinigten KGVs ist also die überschüssige Liquidität aus Zähler und Nenner des KGVs zu eliminieren, also etwa
KGVadj =
Marktkapitalisierung − ExcessCash . NetInc − Int(1 − τ )
(8.18)
Beispiel 8.9: Das liquiditätsadjustierte KGV╇ Ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 2,5€Mrd.€€ erwirtschaftet einen Nachsteuergewinn in Höhe von 100,0€Mio.€€. Das KGV beläuft sich demnach auf 25,0x: KGV =
2.500,0 = 25,0x. 100,0
Aufgrund einer vor kurzem durchgeführten Kapitalerhöhung, mit der sich der Vorstand eine „Kriegskasse“ für etwaige Übernahmen einrichten wollte, weist das Unternehmen derzeit eine Nettofinanzposition von 700,0€ Mio.€ € auf. Der Anteil des Kassenbestands, der tatsächlich operativ eingesetzt wird, ist vernachlässigbar. Der Anlagezins bei der Hausbank liegt bei 2,0€%, die durchschnittliche Steuerquote beläuft sich auf Konzernebene auf 34,0€%. Das um die Liquidität adjustierte KGV liegt damit bei KGVadj =
2.500,0 − 700,0 = 19,8x 100,0 − 700,0 · 0,02(1 − 0,34)
und damit deutlich unter seinem nicht adjustierten Wert. Die Kapitalstruktur hat also signifikanten Einfluss auf das KGV. Liegt das unlevered KGV (also das KGV im Fall 100€ %iger Eigenkapitalfinanzierung) eines Unternehmens über dem Kehrwert der Fremdkapitalkosten, steigt das KGV mit zunehmendem Leverage an. Ein Unternehmen mit einem relativ hohen unlevered KGV kann in diesem Fall sein KGV erhöhen, indem es einen Debt-to-Equity-Swap durchführt20. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Beispiel 8.10: KGV bei unterschiedlichen Verschuldungsgraden╇ Auf seine Bruttoverschuldung von 150,0€Mio.€€ bezahlt ein Unternehmen einen durchschnittlichen Sollzinssatz von 9,0€% p.€a. Die jährlichen Zinsaufwendungen belaufen sich daher auf 13,5€Mio.€€. Das Vorsteuerergebnis liegt bei 10,0€Mio.€€, das Nachsteuerergebnis bei einer Steuerquote von 30,0€% bei
20╇
Vgl. Goedhart et€al. (2005).
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
325
7,0€Mio.€€. Mit 5,0€Mio. Aktien ergibt sich ein EPS von 1,40€€. Die Aktie notiert bei 20,00€€, das KGV liegt damit bei 14,3x. Der Vorstand entscheidet nun, über eine Kapitalerhöhung die vollständige Entschuldung der Gesellschaft durchzuführen. Für diese Transaktion begibt die Gesellschaft 150,0 = 7,5 Mio. 20,0
neue Aktien. Die Gesamtzahl der Aktien erhöht sich also von 5,0€Mio. auf 12,5€ Mio. Stück. Das nun unverschuldete Unternehmen „spart“ sich dementsprechend die Zinszahlungen an die Gläubiger in Höhe von jährlich 13,5€Mio.€€. Das Nachsteuerergebnis erhöht sich auf 7,0 + 13,5(1 − 0,3) = 16,5,
also auf 16,5€Mio.€€. Je Aktie entspricht dies einem Ergebnis von 16,5 = 1,32, 12,5
also von 1,32€€. Angesichts dieser Vorgaben beläuft sich das KGV der Gesellschaft nach der Kapitalerhöhung KGV auf 20,00 = 15,2x. 1,32
Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen verringert sich durch die vollständige Eigenkapitalfinanzierung des Unternehmens dessen Ergebnis je Aktie und das KGV erhöht sich. Weitere Verzerrungen des KGVs ergeben sich bei steuerlichen Verlustvorträgen. In diesem Fall ist die Steuerlast niedriger als bei einem Unternehmen ohne Verlustvorträge. Der Vergleich von zwei Unternehmen mit identischem Vorsteuerergebnis würde damit zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: Das Steuern zahlende Unternehmen würde ein niedrigeres Nachsteuerergebnis ausweisen und wäre dementsprechend mit einem höheren KGV bewertet als das steuerbefreite Unternehmen. Dies wäre an sich nicht problematisch, da der Verlustvortrag einen Wert darstellt, der sich in der Bewertung niederschlagen sollte. Allerdings wirken sich Verlustvorträge nur für einen begrenzten Zeitraum auf das Nachsteuerergebnis aus, entweder weil sie von Vorneherein nur für einen begrenzten Zeitraum genutzt werden können oder weil sie früher oder später aufgebraucht sein werden. Das KGV unterstellt allerdings ein gleichbleibendes Ergebnis bis in alle Ewigkeit und würde dementsprechend den Unternehmenswert zu hoch darstellen. Als praktikabel hat es sich
326
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
daher herausgestellt, das Vorsteuerergebnis fiktiv mit der normalisierten unternehmensspezifischen Steuerquote zu versteuern, anhand dieses Ergebnisses den inneren Wert des Eigenkapitals zu berechnen und zu diesem Zwischenergebnis anschließend den Barwert der Verlustvorträge zu addieren.21 Bei zyklischen Unternehmen kann die Verwendung eines vergangenheitsorientierten Kurs/Gewinn-Verhältnisses nachgerade kontraproduktive Anlageempfehlungen zur Folge haben. Zyklische Unternehmen weisen typischerweise an konjunkturellen Tiefpunkten ein sehr niedriges Nachsteuerergebnis und während der konjunkturellen Hochphase ein sehr hohes Nachsteuerergebnis auf. Die absolute Höhe des Ergebnisses führt zu ökonomisch sinnlosen Ergebnissen: Ist das EPS sehr klein, ergeben sich für das KGV extrem hohe Werte, wird das Ergebnis je Aktie negativ, lässt es sich nicht mehr berechnen. Würde man stringent ein niedriges KGV mit einer „günstigen“ Bewertung und ein hohes KGV mit einer „teuren“ Bewertung gleichsetzen, hätte dies zur Folge, dass man die Aktie just zu dem Zeitpunkt verkauft, an dem die Kursentwicklung wieder nach oben dreht. Um dieses prozyklische Anlageverhalten, das auch als Molodovsky-Effekt Eingang in die Literatur gefunden hat22, zu umgehen, wird das KGV üblicherweise normalisiert. Man berechnet also ein EPS, wie es unter durchschnittlichen Bedingungen während eines Konjunkturzyklus erwirtschaftet werden kann. Zur Normalisierung des EPS stehen zwei Möglichkeiten offen, • die direkte Methode: Hierbei wird das normalisierte EPS aus den historischen Werten eines vollständigen Konjunkturzyklus berechnet, oder • die indirekte Methode: Hierbei wird das normalisierte EPS aus der durchschnittlichen Eigenkapitalrendite ROE des Unternehmens während des letzten vollständigen Konjunkturzyklus ermittelt, die dann mit dem aktuellen Buchwert je Aktie multipliziert wird. Da die erste Vorgehensweise ein tendenziell steigendes Geschäftsvolumen außer Acht lässt, ist die zweite zu bevorzugen. Dabei sollte der Zeitraum für die Normalisierung keinesfalls zu kurz gewählt werden, um Verzerrungen einzelner Jahre zu vermeiden. Value-Investoren sehen einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren als repräsentativ an. Beispiel 8.11: Normalisierung des EPS bei zyklischen Unternehmen╇ Ein global tätiger Stahlhersteller weist in den vergangenen zehn Jahren folgende Entwicklung bei EPS, Buchwert je Aktie BVPS und Eigenkapitalrentabilität ROE auf:
Vgl. hierzu ausführlich Kap.€5.7. Benannt nach Nicolas Molodovksy, der über dieses Phänomen in den 1950er Jahren geschrieben hat.
21╇ 22╇
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
tâ•› − â•›9 tâ•› − â•›8 tâ•› − â•›7 tâ•› − â•›6 tâ•› − â•›5 tâ•› − â•›4 tâ•› − â•›3 tâ•› − â•›2 tâ•› − â•›1 t
Ergebnis je Aktie (€) 0,88 0,09 −╛╛1,88 −╛╛0,73 1,98 2,34 0,83 1,25 0,55 2,12
Buchwert je Aktie (€) 5,22 5,30 4,00 3,50 4,90 6,50 7,10 8,00 8,40 9,90
327
ROE (%) 16,9 1,7 n/a n/a 40,4 36,0 11,7 15,6 6,5 21,4
Aktuell notiert die Aktie bei 17,80€€. Im Durchschnitt des abgelaufenen Konjunkturzyklus konnte der Stahlhersteller ein Ergebnis von 1,26€€ je Aktie erwirtschaften. Jahre, in denen das Unternehmen Verluste erwirtschaftet hat, werden in die Berechnung nicht mit einbezogen. Das aktuelle KGV auf Basis der durchschnittlichen EPS liegt damit bei 14,2x. Zu einem anderen Ergebnis gelangen wir, wenn wir die durchschnittliche Eigenkapitalrendite berechnen. Sie lag in den zehn Jahren (ohne Verlustjahre) bei 18,8€%. Bezogen auf den aktuellen Buchwert je Aktie von 9,90€€ errechnet sich ein durchschnittliches EPS von 1,86€€ und damit ein trailing KGV von 9,6x. Betrachtet man die Entwicklung des Buchwertes, so ist festzuhalten, dass der Stahlhersteller in den vergangenen Jahren deutlich an Größe zulegen konnte. Dieser Umstand wird nur in der zweiten Methode wiedergegeben. Daher ist das aus dieser Methode berechnete KGV zu bevorzugen. Zu Beginn des dritten Kapitels wurde eine der Grundannahmen der Unternehmensbewertung skizziert, der Zeitwert des Geldes und die Opportunitätskosten von Investitionen. Der Fokus auf das Ergebnis je Aktie ignoriert diesen Zusammenhang. Mit anderen Worten: Das Ergebnis je Aktie ignoriert die Opportunitätskosten. In einem wertschöpfungsbasierten Bewertungsverfahren ist eine Steigerung des Unternehmenswertes nur möglich, wenn Renditen auf Investitionen generiert werden, die über den Kapitalkosten liegen. Das Gewinnkonzept des Ergebnisses je Aktie muss diese Forderung nicht erfüllen: Das Management kann seinen Unternehmenswert steigern, ohne dass Neuinvestitionen die Kapitalkosten übersteigen23.
23╇
Vgl. Rappaport und Mauboussin (2001, S.€15€ff.).
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
328
Beispiel 8.12: Die Schwächen des KGV╇ Angenommen, die beiden mittelständischen Unternehmen HighCapex AG und LowCapex AG sollen mit Hilfe des KGV bewertet werden. Aus der Datenbank eines Consensus-Dienstleisters kann folgende Ergebnisreihe heruntergeladen werden: Mio.€€
t
HighCapex AG Jahresüberschuss LowCapex AG Jahresüberschuss
100,0 100,0
tâ•› + â•›1 110,0 110,0
tâ•› + â•›2 121,0 121,0
tâ•› + â•›3 133,1 133,1
Basierend auf diesen Angaben und unter der Voraussetzung, beide Unternehmen hätten dasselbe Risiko, hätten beide Gesellschaften unter Verwendung ertragsbasierter Bewertungsmultiplikatoren wie dem KGV denselben Wert. Der ausschließliche Blick auf die Ertragsentwicklung kann allerdings irreführend sein, da in ihnen die Information, wie die Erträge erwirtschaftet wurden, nicht enthalten ist. Betrachten wir nun die Cashflows der beiden Unternehmen, können wir folgende Entwicklung entdecken: Mio.€€ LowCapex AG
HighCapex AG
t Jahresüberschuss Investitionen Cashflow Jahresüberschuss Investitionen Cashflow
100,0 20,0 80,0 100,0 40,0 60,0
tâ•› + â•›1 110,0 22,0 88,0 110,0 44,0 66,0
tâ•› + â•›2 121,0 24,2 96,8 121,0 48,4 72,6
tâ•› + â•›3 133,1 26,6 106,5 133,1 53,2 79,9
Nun wird aufgedeckt, dass die HighCapex AG ihren Jahresüberschuss nur deshalb erwirtschaften kann, weil sie doppelt so viel investiert wie die LowCapex AG. Der Freie Cashflow von LowCapex ist deutlich höher als der von HighCapex. Vor diesem Hintergrund sollte LowCapex mit deutlich höheren Multiplikatoren bewertet werden als HighCapex. Bewerten wir beide Unternehmen anhand eines DCF-Modells und nehmen ferner an, die erwarteten Cashflow-Wachstumsraten lägen bei jeweils 5,0€% und die WACC bei jeweils 10,5€%, ergäbe sich unter Verwendung von Formel (5.46) für HighCapex ein Unternehmenswert von Mio.€€ Barwert
tâ•› + â•›1 79,6
tâ•› + â•›2 79,3
tâ•› + â•›3 78,9
TV 1.506,6
in Summe also von 1.744,5€Mio.€€ und für LowCapex von Mio.€€ Barwert
tâ•› + â•›1 59,7
tâ•› + â•›2 59,5
tâ•› + â•›3 59,2
TV 1.130,0
in Summe also von 1.308,4€ Mio.€ €. Unter Vernachlässigung von Schulden oder sonstigen Ansprüchen an den Unternehmenswert kommt eine aus fundamentalanalytischen Faktoren abgeleitete Unternehmensbewertung zum Ergebnis, dass die Aktien der LowCapex AG mit einem KGV von 15,9x
8.1â•… Das KGV: Die populärste Kennzahl des Kapitalmarkts
329
gehandelt werden dürfen, ohne dass eine Überbewertung vorliegt, die der HighCapex dagegen bereits bei einem KGV von 11,9x als ausreichend bewertet anzusehen sind. Mit anderen Worten: Zwei Unternehmen mit demselben Ertragsniveau, mit demselben Ertragswachstum und demselben unternehmerischen Risiko können durchaus mit völlig unterschiedlichen Ertrags-Multiplikatoren gehandelt werden. Von verschiedener Seite wird gegen das KGV eingewendet, dass sich die Kennzahl auf Ertrags- und Aufwandsströme stützt und damit durch Bilanzierungs- und Bewertungsspielräume beeinflusst wird24 Wie Buchhalter ein operatives Ereignis beurteilen, hat unter Umständen wenig damit zu tun, wie es vom Kapitalmarkt goutiert wird. Stärker als andere Ertragskennzahlen wie das EBIT oder das EBITDA, die im Schema der GuV weiter oben rangieren, ist das Ergebnis je Aktie von bilanzpolitischen Spielräumen bzw. unterschiedlichen nationalen Rechnungslegungs- und Steuervorschriften bestimmt. Im Ergebnis kann es durch unterschiedliche Abschreibungsmethoden von Sachanlagen, durch eine unterschiedliche Amortisation der Geschäfts- und Firmenwerte, durch die Bildung von Rückstellungen und von latenten Steuern zu Differenzen in den Multiplikatoren der Peergroup und des zu bewertenden Unternehmens kommen. Auch durch unterschiedliche Steuerbelastungen und –gesetzgebungen, insbesondere im Falle steuerlicher Verlustvorträge, können sich Unterschiede im Ergebnisausweis von Unternehmen ergeben. Dennoch ist die auf unterschiedlichen Rechnungslegungsvorschriften basierte Kritik nur zum Teil zutreffend, da es dem Bewertenden offen steht, das berichtete Ergebnis von verzerrenden Einmaleffekten zu befreien. Darüber hinaus betreffen derartige Einmaleffekte in der Regel nur das Ergebnis des laufenden Geschäftsjahres, im folgenden Jahr, anhand dessen ein prospektives KGV berechnet wird, fallen sie nicht mehr an. Auch der Einwand, dass nur die Liquiditäts-, nicht jedoch die Gewinnentwicklung die wahre Wertschöpfung eines Unternehmens widerspiegelt, und das KGV demnach eine unzulässige Abkürzung auf dem Pfad der Unternehmensbewertung darstellt, greift zu kurz. Bei einer rein auf den Jahresüberschuss ausgerichteten Unternehmensbewertung wird die Wertschöpfung an der Erzielung von Gewinnen ausgerichtet, nicht an das Einsammeln der mit den Gewinnen verbundenen liquiden Mittel. Bestehen im Einzelfall Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens, diese liquiden Mittel zu vereinnahmen, würde der Kapitalmarkt nicht nur das KGV ablehnen, sondern nicht in die Aktien dieses Unternehmens investieren. Ein weiteres Defizit des KGV ist, dass es Wertschöpfung suggerieren kann, wo keine ist. Dieses tritt insbesondere bei Übernahmen zu Tage. Beispiel 8.13: Weitere Schwächen des KGV╇ Angenommen, ein Unternehmen mit einem Aktienkurs von 80,00€€ und einem Ergebnis je Aktie von 5,00€€ plant, einen kleineren Wettbewerber zu übernehmen, dessen Kurs bei 20,00€€ notiert und der ein Ergebnis je Aktie von 2,00€€ erwirtschaftet hat. Um 24╇
Vgl. stellvertretend Steward (1991, S.€24) oder LeClair (1990, S.€34).
330
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
an die Aktienmehrheit zu gelangen, muss den freien Aktionären eine Übernahmeprämie von 40,0€% angeboten werden. Der gesamte Kaufpreis beläuft sich damit auf 28,00 je Aktie. Die Finanzierungskosten der vollständig Kredit finanzierten Übernahme liegen bei 6,0€%. Damit errechnet sich für den neu geschaffenen Konzern ein Ergebnis je Aktie von 5,32€€: € EPS vor Übernahme Anteil am Gewinn am übernommenen Unternehmen Finanzierungskosten je Aktie EPS nach Übernahme
5,00 2,00 −╛╛1,68 5,32
Das Ergebnis je Aktie ist damit um 6,4€% gestiegen. Solange keine Synergieeffekte zwischen den beiden Gesellschaften gehoben werden können, ist dieses Ergebnis ziemlich überraschend: Es suggeriert, der Unternehmenskäufer hätte durch die Übernahme einen Wert von 0,32€€ je Aktie geschaffen, obwohl er tatsächlich eine Übernahmeprämie von 40,0€ % auf einen an der Börse gehandelten Preis bezahlt und damit voraussichtlich Werte vernichtet hat. Das Ausmaß der Wertvernichtung lässt sich sogar genau kalkulieren. Es entspricht der Differenz zwischen Kaufpreis und dem Börsenkurs, also 28,00 − 20,00 = 8,00,
das heißt 8,00€€ je Aktie. Ursächlich für dieses Paradoxon ist die Tatsache, dass die Inverse des KGVs der übernommenen Gesellschaft, also
1 = 0,1 = 10,0 % 20,00 2,00
größer ist als die Finanzierungskosten von 6,0€%. Erst wenn die Inverse des KGVs kleiner ist als die Finanzierungskosten, führt die Übernahme einer Gesellschaft zu einer Verwässerung des Ergebnisses je Aktie und damit zu einem Anstieg des KGVs. Der Anstieg des Ergebnisses je Aktie kann damit nicht als Gradmesser herhalten für die Wertschöpfung eines Unternehmens. Das Ergebnis je Aktie ist nur eine buchhalterische Größe, nicht ein Maßstab für Wertschöpfung. Wird ein Depot aus Aktien mit niedrigen KGVs eine überdurchschnittliche Performance erzielen? Rein statistisch wird das Portefeuille tatsächlich einige unterbewertete Aktien enthalten, die nach dem Erwerb eine überdurchschnittliche Kursentwicklung versprechen. Die unkritische Ausrichtung auf Aktien mit niedrigem KGV wird allerdings auch den Erwerb von Aktien zur Folge haben, die aus gutem Grund
8.2â•… Price-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio)
331
niedrig bewertet sind: Unternehmen mit schwacher Bilanzqualität, mit historisch schlechter Erfolgsbilanz, was die Erreichung der Ertragsziele betrifft, mit volatiler Ertragsentwicklung, was durch ein höheres Risiko zu kompensieren ist, oder mit geringen Wachstumsaussichten, etwa weil das Produkt oder die angebotene Dienstleistung veraltet sind. Derartige Entwicklungen werden durch einen eindimensionalen Blick auf das KGV nicht widergespiegelt.
8.2 P rice-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio) Wie in Formel (8.10) gezeigt wurde, ist das KGV nur so lange ein adäquater Bewertungsmaßstab, wie Aktien mit vergleichbarem Risiko und mit ähnlicher Wachstumsdynamik miteinander verglichen werden. Unternehmen mit hohem Gewinnmomentum weisen an den Kapitalmärkten in der Regel höhere KGVs auf als Aktien mit niedrigerem Gewinnwachstum. Die unterschiedliche Wachstumsdynamik wird also unmittelbar Auswirkungen auf die Bewertung einer Aktie haben. Wachstum als bewertungsrelevante Größe ist dementsprechend in die Analyse mit einzubeziehen. Hier setzt die Price-earnings to Earnings-Growth-Ratio, kurz PEG-Ratio, von Jim Slater an25. Dieses explizit dynamische Bewertungskonzept beruht auf der Überlegung, dass ein optisch hohes KGV nicht notgedrungen auf eine Überbewertung der Aktie hinweisen muss, selbst wenn das unternehmerische Risiko der beteiligten Unternehmen identisch ist. Wie aus den Fundamentalfaktoren des KGV abgeleitet wurde, würde ein Gewinnwachstum, das höher ist als das KGV, als Rechtfertigung für einen Aktienkauf ausreichend sein. Ohne Berücksichtigung des Gewinnwachstums (und anderer fundamentaler Faktoren) ist das Konzept des KGV also von relativ geringem Wert. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Beispiel 8.14: Unterschiedliche Wachstumsdynamik╇ Zwei Restaurantketten, die SlowFood AG und FastFood AG, sind auf ihre Vorteilhaftigkeit zu analysieren. Das KGV soll als Bewertungsmaßstab angewendet werden. Basierend auf den Gewinnschätzungen der Periode t ergibt sich, dass die SlowFood AG mit einem KGV von 10,0x attraktiver bewertet ist als die FastFood AG mit einem KGV von 11,0x. € Kurs EPSt KGV (x)
25╇
Slater (1992).
SlowFood AG 35,00 3,50 10,0
FastFood AG 57,20 5,20 11,0
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
332
Die Geschwindigkeit, mit der die FastFood AG neue Restaurants eröffnet, ist allerdings wesentlich höher als die der SlowFood AG, weshalb sich die Ergebniswachstumsraten des kommenden Jahres deutlich unterscheiden werden. Auf Basis der abgeleiteten Consensus-Gewinnschätzungen des Jahres t╛╛+╛╛1 wäre nun die Fastfood AG günstiger bewertet:
g (%) EPSt╛╛+╛╛1 (€) KGVt╛╛+╛╛1 (x)
SlowFood AG 5,0 3,68 9,5
FastFood AG 25,0 6,50 8,8
Das hohe KGV eines Unternehmens muss nicht notwendigerweise auf eine Überbewertung der Aktie hindeuten, sondern es kann auch Ausdruck optimistischer Wachstumsprognosen sein, die dieses hohe KGV gegenüber langsamer wachsenden Unternehmen relativieren. Die PEG-Ratio wird ermittelt, indem das Kurs/Gewinn-Verhältnis KGV durch die erwartete durchschnittliche Wachstumsrate des Ergebnisses je Aktie g dividiert wird, also:
PEG − Ratio =
KGV . g
(8.19)
Durch die Wachstumsadjustierung werden unterschiedlich schnell wachsende Unternehmen normalisiert. Aus einer statischen Kennzahl, dem KGV, wird ein dynamischer Momentumindikator, die PEG-Ratio. Unternehmen aus Wachstumsbranchen können daher durch die Verwendung der PEG-Ratio miteinander verglichen werden. Damit unterstellt die Anwendung der PEG-Ratio implizit, dass eine Erhöhung des Wachstums immer werterhöhend ist; eine höhere Wachstumsrate würde ein höheres KGV quasi rechtfertigen. Je kleiner die PEG-Ratio ist, desto attraktiver ist die Aktie bewertet. PEG-Ratio und erwartete Kursperformance einer Aktie sind also negativ miteinander korreliert. Als Daumenregel hat sich in der kapitalmarktorientierten Bewertungspraxis durchgesetzt, dass eine PEG-Ratio von unter Eins eine Unterbewertung der Aktie signalisiert und eine PEG-Ratio von über Eins eine Überbewertung. Sicherlich scheint ein höheres Wachstum auch ein höheres KGV zu rechtfertigen. Die häufig zu lesende Begründung, dass eine Wachstumsrate von 30€% auch ein KGV von 30x rechtfertigen würde, offenbart schnell diesen Irrtum. Im Umkehrschluss würde dies nämlich bedeuten, dass eine Aktie mit einem nachhaltigen Gewinnwachstum von 1€% lediglich ein KGV von 1,0x rechtfertigen würde, womit bei Vollausschüttung der Kaufpreis der Aktie mit der nächstjährigen Dividende gedeckt wäre. Diese Daumenregel klingt willkürlich, und angesichts einer fehlenden theoretischen Überprüfung ist sie das auch. Daher wird im praktischen Einsatz die PEG-Ratio meist nur für eine über-
8.2â•… Price-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio)
333
schlägige Ersteinschätzung eingesetzt (nur am Rande erwähnt wird an dieser Stelle, dass die PEG-Ratio für alle Unternehmen gleichermaßen berechnet werden sollte). Überhaupt ist a priori unklar, ob der durch die PEG-Ratio unterstellte lineare Zusammenhang zwischen KGV und Gewinnwachstum überhaupt existiert und wenn ja, ob dieser Zusammenhang statistisch relevant ist: Werden Aktien, deren Gewinnwachstum doppelt so hoch ist wie das eines Wettbewerbers, tatsächlich mit dem doppelten KGV gehandelt? Kann dieser Zusammenhang empirisch nicht bestätigt werden, würden Aktien mit einem hohen Wachstum den Eindruck erwecken, unterbewertet zu sein, obwohl sie das in der Realität nicht sind. Tatsächlich existiert dieser implizit unterstellte Zusammenhang zwischen Gewinnwachstum und KGV nicht, zumindest nicht für Unternehmen in der Reifephase des Lebenszyklus. Dividiert man die für Unternehmen in der Reifephase anzuwendende Gl.€(8.4) durch das erwartete Gewinnwachstum während der Reifephase gR, erhält man die aus den Fundamentaldaten abgeleitete PEG-Ratio:
P0 δ0 (1 + gR ) EPS1 , = PEG = gR gR (r EK − gR )
für rEK > gR .
(8.20)
Die verschiedenen Parameter auf der rechten Seite der Gleichung zeigen, dass das Ergebniswachstum nicht die einzig relevante Komponente der PEG-Ratio ist. Ausgeblendet werden Wachstum, Risiko, Ausschüttungsquote und Eigenkapitalrentabilität. Berücksichtigt man diese Werttreiber, dann dürften viele Unternehmen, die unter Berücksichtigung der PEG-Ratio im Peergroup-Vergleich unterbewertet erscheinen, in Wahrheit richtig bewertet oder sogar überbewertet sein. Ein Unternehmen, das in volatileren Geschäftsfeldern tätig ist und dessen Aktie ein höheres Risiko trägt, wird für jede gegebene Wachstumsrate ein niedrigeres KGV aufweisen als ein ertragsstabiles Unternehmen mit geringem Risiko. Damit ist die PEG-Ratio umso niedriger, je höher das Geschäftsrisiko ist. Der Vergleich zweier Unternehmen mit Hilfe der PEG-Ratio würde also implizieren, dass eine Aktie umso günstiger bewertet ist, je höher das systematische Risiko des Unternehmens ist, eine völlig absurde Vorstellung. Gleichzeitig ist bei der PEG-Ratio immer auch die Qualität des Wachstums zu bewerten. Denn ein Unternehmen, das ein Wachstum von 20€% mit einer Ausschüttungsquote von 30€% erwirtschaftet ist tendenziell schlechter einzuschätzen bewerten als ein Unternehmen, das dieses Wachstum mit einer Ausschüttungsquote von 50€% erreicht. Einem Unternehmen mit höherer Ausschüttungsquote kann daher eine höhere PEG-Ratio zugebilligt werden als einem Unternehmen, das große Teile seines ausschüttungsfähigen Gewinns thesauriert. Im Übrigen gilt Zusammenhang (8.20) nur für Unternehmen, deren Eigenkapitalkosten die erwartete Wachstumsrate übersteigen. Gilt dagegen rEKâ•›<â•›gR oder rEKâ•› = â•›gR, kann Formel (8.20) nicht angewendet werden. Für diese Unternehmen hätte zusätzliches Wachstum keinen oder sogar einen negativen Effekt auf den Unternehmenswert. Nur wenn die Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital die unterstellten Wachstumsraten übersteigt, kann durch eine Steigerung des Unternehmenswachstums der Wert des Eigenkapitals vergrößert werden. Dies ist eine
334
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen 12 10
PEG-Ratio
Abb. 8.2↜渀 PEG-Ratio in Abhängigkeit von der Wachstumsrate g
8 6 4
PEG (δ=80%)
2
PEG (δ=40%) PEG (δ=10%)
0 0%
1%
2%
3%
4%
5%
6%
7%
8%
9%
g
erstaunliche Feststellung, denn am Kapitalmarkt wird häufig jede, das Wachstum eines Unternehmens steigernde Maßnahme als wertsteigernd begrüßt. Zur graphischen Veranschaulichung dieses Zusammenhangs soll auf das in Abb.€8.1 eingeführte Unternehmen und dessen Daten zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zum KGV gibt es bei der PEG-Ratio keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Höhe der PEG-Ratio und der Wachstumsrate. Vielmehr ist der Zusammenhang u-förmig, wie vorstehende Abbildung in Abhängigkeit von verschiedenen Ausschüttungsquoten zeigt. Während die PEG-Ratio für Unternehmen, die sich in der Reifephase befinden, zu keinem einheitlichen Ergebnis führt, ist die Lage anders, wenn man sich schnell wachsenden Unternehmen zuwendet, also Unternehmen, für die die PEG-Ratio ohnehin prädestiniert ist. Teilt man das KGV durch die während der Wachstumsphase erwartete Wachstumsrate gW, erhält man nachstehenden, nicht unbedingt besonders übersichtlichen Zusammenhang:
P0 (1 + gW )n δ(1 + gW )n (1 + gR ) EPS0 δ(1 + gW ) 1− + = . gW rEK −gW (1 + r EK )n (1 + r EK,R )n (r EK,R − gR )
(8.21)
Damit wird deutlich, dass der Zusammenhang aus Abb.€8.2 grundsätzlich auch für Wachstumsunternehmen bestätigt wird: Unternehmen mit sehr niedrigen und sehr hohen Wachstumsraten werden tendenziell mit hohen PEG-Ratios bewertet, mittelschnell wachsende Unternehmen weisen demgegenüber niedrige PEG-Ratios auf. Für die Auswahl unterbewerteter Aktien kommt die PEG-Ratio in der Kapitalmarktpraxis über zwei Regeln zum Einsatz: • Kaufe Aktien, deren PEG-Ratio kleiner ist als Eins, Aktien also, deren KGV kleiner ist als die erwartete Wachstumsrate. Obwohl es nur wenige Indizien gibt, dass diese Anlagestrategie eine strategische Outperformance an den Kapitalmärkten zur Folge hat, ist sie dennoch weit verbreitet. Problematisch an dieser Anlagephilosophie ist, dass in Hochzinsphasen besonders viele Aktien als unterbewertet identifiziert werden.
8.2â•… Price-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio)
335
• Kaufe Aktien, deren PEG-Ratio kleiner ist als die PEG-Ratio anderer Aktien. Mit anderen Worten: Je geringer die PEG-Ratio, desto konkreter ist das im aktuellen Kurs enthaltene Wachstumspotenzial bereits heute erkennbar. Die PEG-Ratio selbst ist keine Kennzahl zur Berechnung von inneren Unternehmenswerten. Sie ist lediglich geeignet, die KGV-Bewertung eines Unternehmens durch Zuhilfenahme der Gewinnwachstumsrate in einem Peergroup-Vergleich zu relativieren. Unter Zugrundelegung des gleichen Wachstumshorizonts für alle im PeergroupVergleich beteiligten Unternehmen können die Aktien dann der Größe nach sortiert werden, mehr gibt die Methode jedoch nicht her26. Ihre Blütephase erlebte die PEG-Ratio kurz vor dem Platzen der Internet-Blase zu Beginn dieses Jahrtausends27. Das zugrunde liegende Anlagekonzept hieß GARP. Abgesehen von der Titelfigur aus John Irvings Buch „Garp und wie er die Welt sah“ ist GARP ein Akronym für „Growth At a Reasonable Price“, also etwa „Wachstum zu einem vernünftigen Preis“. Um diesen Terminus zu verstehen, sind tiefergehende Erläuterungen notwendig. Lange war es eine gängige Kapitalmarktbinsenweisheit, dass es mit Growth und Value lediglich zwei verschiedene Anlageformen gibt. Value-Investoren bevorzugen „günstig bewertete“ Aktien mit niedrigem KGV und KBV, während Growth-Investoren Wachstumswerte suchen, die überdurchschnittliches Umsatz- und Ertragswachstum aufweisen. In der Realität hat sich indessen gezeigt, dass die Klassifizierung in Growth und Value viel zu kurz greift: Unternehmen können hohe KGVs und KBVs aufweisen, weil sie hohe Wachstumsraten bei durchschnittlicher Rentabilität aufweisen, durchschnittliches Wachstum bei hoher Profitabilität und hohes Wachstum bei hoher Profitabilität. Markenartikelhersteller von Konsumprodukten sind hochprofitabel bei moderatem Wachstum, während trendige Einzelhändler von starkem Wachstum und durchschnittlichen ROCEKennzahlen gekennzeichnet sind. Auf den ersten Blick mag dies der menschlichen Intuition widersprechen, auf den zweiten Blick ist es nur konsistent mit den Werttreibern, die für eine Unternehmensbewertung relevant sind: Je ausgeprägter die Fähigkeit eines Unternehmens ist, mit einer Profitabilität zu wachsen, die die Kapitalkosten übersteigt, desto größer ist die Fähigkeit, Cashflows zu erwirtschaften, die dann wiederum eine höhere Unternehmensbewertung rechtfertigen. Nicht zuletzt, um diese Klassifizierung weiter aufzuweichen, wurden neue vertriebsorientierte Parolen erfunden28, darunter eben GARP. GARP-Investoren sehen die Welt durch die Brille eines Growth-Investors, der ein Faible für Value hat: Er ist auf der Suche nach Wachstumsaktien, die vom Markt noch nicht entdeckt waren und daher mit einem niedrigem KGV gehandelt werden, kurzum nach Aktien mit einer PEG-Ratio von unter Eins. Dass es sich dabei um einen Widerspruch in sich handelt, eine klassische Marktineffizienz, wird geflissentlich übersehen. Easton (2004). Vgl. zum Beispiel Siegel (2001) oder Manager’s journal: Not-quite-so-big-cap tech stocks are still a bad bet, The Wall Street Journal, 19. März 2001. 28╇ Vgl. Pohlücke (2006, S.€282). 26╇ 27╇
336
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
Ihre enorme Popularität während der Ära der Internetblase und des Neuen Marktes hat sicherlich auch zu dem immer noch bestehenden schlechten Ruf der PEGRatio beigetragen, die vielfach als Sündenbock für eine verfehlte Anlagepolitik herhalten musste. Zu häufig nämlich kam die PEG-Ratio immer dann zum Einsatz, wenn Finanzanalysten für die von ihnen betreuten Aktien immer höhere Kursziele rechtfertigen mussten. Kein Wunder also, dass einige phantasievolle Kritiker das Konzept letztlich in GAAP – „Growth At Any Price“ – umbenannt haben29. So trivial das Konzept der PEG-Ratio, so problematisch ist ihre praktische Umsetzung. Zunächst einmal ist völlig unklar, welcher Zeithorizont zur Berechnung der durchschnittlichen Gewinnwachstumsrate veranschlagt werden soll: Zwar scheint sich an den Kapitalmärkten ein durchschnittliches Gewinnwachstum durchgesetzt zu haben, das auf den kommenden drei bis fünf Geschäftsjahren basiert30. Aber auch alternative Ansätze sind vorstellbar, zum Beispiel die in den nächsten zwölf Monaten erwarteten Wachstumsraten. Auch ein pragmatischer Ansatz ist denkbar: Je präziser die zukünftigen Wachstumsraten vorhergesagt werden können, desto langfristiger kann auch die erwartete Wachstumsrate veranschlagt werden. Hat ein Unternehmen den Kapitalmarkt bislang kaum mit Gewinnwarnungen überrascht, kann durchaus eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate über die kommenden fünf Jahre angesetzt werden. Ist dem nicht der Fall, dürfte die Detailplanungsphase der kommenden zwei oder drei Jahre ausreichend sein. Ferner ist auch die Frage nach dem zu verwendenden KGV angesichts der Vielzahl an Berechnungsmöglichkeiten unklar. Zumindest ist naheliegend, dass nicht ein „forward“ KGV verwendet werden sollte, wenn die Basis für die Berechnung der Wachstumsrate das Ergebnis des laufenden Jahres ist, da dieses Vorgehen eine Doppelzählung des Wachstums zur Folge hätte. Methodisch einwandfrei ist daher nur die Verwendung des „current“ KGVs, also des KGVs, das auf Basis des letzten berichteten Ergebnisses je Aktie errechnetet wird. Alternativ hierzu könnte auch das „trailing“ KGV verwendet werden, zumindest wenn das „trailing“ EPS auch die Basis der veranschlagten EPS-Wachstumsraten ist. Der größte Vorteil der PEG-Ratio liegt in der Einfachheit ihrer Anwendung. Der Grundsatz „Zeit ist Geld“ mag einer der wichtigsten Gründe für ihre Anwendung sein. Insofern ist die PEG-Ratio eine klassische „quick and dirty“ Methode, um zu einem ersten Eindruck über eine Aktie zu gelangen. Doch sollte der Zeitfaktor bei einer Entscheidung, die unter Umständen Millionen von Euro betrifft, wirklich das relevante Auswahlkriterium sein?31 Abschließend noch ein Blick auf die Kritik der PEG-Ratio: Unternehmen anhand der PEG-Ratio miteinander zu vergleichen heißt immer auch Aussagen über das Risiko der beteiligten Unternehmen zu treffen, die Ausschüttungsquote und die Vgl. stellvertretend Bonham (2001, S.€306). Vgl. auch Ernst et€al. (2006, S.€180). 31╇ Vgl. Liu et€al. (2002), die belegen, dass forward PEs nicht nur trailing PEs outperformen, sondern auch Cashflow- und Umsatz-Multiplikatoren. 29╇ 30╇
8.2â•… Price-Earnings to Earnings-growth-Ratio (PEG-Ratio)
337
individuellen Wachstumsraten. Der dann erforderliche mehrdimensionale Kennzahlenvergleich dürfte wohl nicht ganz unproblematisch sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die Verwendung der PEG-Ratio dem Investor überhaupt einen Nutzen verschafft, der beispielsweise im KGV nicht auch enthalten ist. Die Ausschüttungsquote und damit die Eigenkapitalrentabilität üben ebenfalls einen beträchtlichen Einfluss auf die Höhe der PEG-Ratio aus: Es gilt, dass die PEG-Ratio umso höher ist, je höher der Anteil des Freien Cashflows to Equity ist, der an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Dieser Zusammenhang wird in einer Variante der PEG-Ratio wiedergegeben, die PEG-Yield-Ratio oder kurz PEGY-Ratio. Sie ist definiert als:
PEGY-Ratio =
KGV . gW + Dividendenrendite
(8.22)
Da langsam wachsende Unternehmen aufgrund des oben beschriebenen, nicht-linearen Zusammenhangs zwischen Unternehmenswert und Wachstumsrate systematisch benachteiligt werden, ist die PEGY-Ratio eine durchaus sinnvolle Variante der PEG-Ratio. Beispiel 8.15: Einbeziehung der Dividendenrendite in die PEGRatio╇ Betrachten wir erneut die Restaurantkette SlowFood aus Beispiel€8.14. Wie wir gesehen haben, wird sie mit einem KGV von 10,0x bewertet. Die erwartete Wachstumsrate soll bei 5,0€% liegen. Damit ergibt sich eine PEGRatio von PEG-Ratio =
KGV 10,0 = = 2,0x. g 5,0
Vor diesem Hintergrund wäre die Aktie anhand der Daumenregel signifikant überbewertet. Es wäre naheliegend, für die Aktie mittelfristig einen signifikanten Kursrückgang zu prognostizieren. Nicht-zyklische Unternehmen sind meist mit einer ansprechenden Dividendenrendite ausgestattet. Die Einbeziehung der Dividendenrendite, die bei der SlowFood AG 6,0€ % beträgt, in die PEG-Ratio relativiert die zunächst berechnete Überbewertung der Aktie: PEGY-Ratio =
10,0 = 0,91. 5,0 + 6,0
Unter Einbeziehung der Dividendenrendite wäre die Aktie über die Daumenregel auf dem aktuellen Kursniveau leicht unterbewertet.
338
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
8.3 Das relative KGV Relative Bewertungskennzahlen wie das relative KGV setzen den Multiplikator eines Unternehmens im Verhältnis zum Multiplikator eines Index, also zum Beispiel zum DAX30:
Relatives KGV =
KGVUnternehmen . KGVDAX
(8.23)
Wie gehabt kann auch das relative KGV in einer trailing, current und forward Form berechnet werden, vorausgesetzt, Zähler und Nenner werden auf dieselbe Art und Weise bestimmt. Bezogen auf alle deutschen Unternehmen entspricht das relative KGV aller Unternehmen seinen absoluten Werten, nur werden eben alle durch den Faktor KGVDAX dividiert. Wozu diese Übung? Relative Kennzahlen kommen in der Bewertungspraxis meist zum Einsatz, wenn eine grenzüberschreitende Unternehmensbewertung vorgenommen werden soll. Der zugrunde liegende Gedanke ist, durch die Division mit dem jeweiligen Landesindex eine Abstrahierung der Kennzahl von international unterschiedlichen Bewertungsniveaus zu erreichen. Kann oder soll auf das KGV als Bewertungskennzahl nicht verzichtet werden, ist diese auf den Gesamtmarkt zu relativieren, um nationale Bewertungsunterschiede zu nivellieren. Alternativ dazu kann ein relatives KGV auch eingesetzt werden, um die Veränderung des KGVs eines Unternehmens im Zeitablauf einschätzen zu können. Zu diesem Zweck wird das relative KGV eines Unternehmens in einem historischen Kontext betrachtet. Eine Aktie mit einem relativen KGV von 0,9 wird dann als tendenziell überbewertet angesehen, wenn sie in der Vergangenheit mit einem relativen KGV von 0,7 bewertet war. Durch diesen Vergleich werden allerdings langsam wachsende Unternehmen tendenziell begünstigt. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Angenommen, der Gewinn eines Unternehmens wächst halb so schnell wie der Gesamtmarkt. Daraus folgt, dass sich das KGV des Unternehmens im Zeitablauf schneller verkleinert als das KGV des Gesamtmarktes, so dass das relative KGV im Zeitablauf zurückgehen wird. Die Aktie wird damit optisch immer günstiger, obwohl das Unternehmen eine gegenüber dem Gesamtmarkt schwächere Performance aufweist. Anhand von Formel (8.4) lassen sich die Einflussfaktoren des relativen KGVs gut ableiten: KGVrel =
KGVi KGVDAX
δ1,i rEK,R,i −gR,i = , δ1,DAX rEK,R,DAX −gR,DAX ,
(8.24) für rEK,R > gR,
wobei i das spezifische Wertpapier und DAX den Deutschen Aktienindex bezeichnen – wobei jeder beliebige nationale Index verwendet werden kann. Auch hier zeigt sich, dass das relative KGV letztlich von all jenen Parametern abhängig ist, die
8.4â•… Das historische KGV
339
auch das absolute KGV determinieren: Wachstumsraten, Profitabilität und Diskontierungssätze, diesmal allerdings als relative Größen in Bezug zum Gesamtmarktindex. Das heißt, das relative KGV ist abhängig vom relativen EPS-Wachstum des Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtmarkt, vom relativen Risiko im Verhältnis zum Gesamtmarkt und von der relativen Ausschüttungsquote im Verhältnis zum Gesamtmarkt. Relative Bewertungskennzahlen wie das relative KGV werden in der Praxis eher selten verwendet, zumal sie ähnlich der PEG-Ratio eher unter die Bepreisungsmechanismen fallen als unter die Bewertungskennzahlen i.€e.€S. Selbst wenn Aktien über einen längeren Zeitraum mit einem Auf- oder Abschlag zum Gesamtmarkt gehandelt wurden, ist dies keine Begründung dafür, dass dies auch in Zukunft so sein muss. Zudem führt diese Sichtweise zu einem gefährlichen Zirkelschluss: Selbst wenn eine Aktie längere Zeit mit einem durchschnittlichen Aufschlag von 30€ % zum DAX gehandelt wurde, ist sie dann tatsächlich unterbewertet, wenn der Aufschlag nur noch 20€% beträgt? Dieser im Grunde wenig analytische Ansatz verkennt zudem die Tatsache, dass Aktien von Zeit zu Zeit neubewertet werden, weil es Neuentwicklungen und technischen Fortschritt gibt, weil sich die Wettbewerbssituation geändert hat, weil es Änderungen im regulatorischen Umfeld gibt oder einfach nur, weil eine Aktie nicht länger en vogue ist oder sich im Gegenteil durch die gleichzeitige Aufnahme der Research Coverage mehrerer Häuser ein regelrechter Hype um das Wertpapier entwickelt. In den meisten Fällen gibt es gute Gründe, warum eine Aktie mit einem anhaltend deutlichen Auf- oder Abschlag zum Gesamtmarkt gehandelt wird. Dies lässt sich jedoch nicht durch das relative KGV erklären. Last but not least, kann eine Über- oder Unterbewertung einer Aktie gegenüber dem Marktindex auch daher stammen, dass sich die Zusammensetzung des Indizes geändert hat.
8.4 Das historische KGV Anstatt einen unternehmensspezifischen Multiplikator ins Verhältnis zu einem breiten Aktienindex zu setzen, in welchem die Aktie des betroffenen Unternehmens womöglich noch nicht einmal enthalten ist, setzen historische Kennzahlen einen aktuellen Unternehmensmultiplikator ins Verhältnis zu seinen eigenen historischen Durchschnittswerten. Das historische KGV kann damit als Alternative zur Bewertung einer Aktie mit anderen Unternehmen eingesetzt werden, zum Beispiel, wenn es keine sinnvollen Vergleichsunternehmen gibt. Die der Vorgehensweise zugrunde liegende Überlegung ist das bekannte Reversion to the Mean-Argument, wonach sich Multiplikatoren tendenziell ihren langjährigen Durchschnittswerten annähern. Der Wert des Eigenkapitals errechnet sich damit aus folgender Formel:
V0 = KGVHistorischerDurchschnitt EPS1 .
(8.25)
340
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
Natürlich gewinnt ein historisches KGV an Aussagekraft, je länger das Unternehmen an der Börse notiert ist. Für einen aussagekräftigen Durchschnittswert ist also – wenn möglich – ein kompletter Konjunkturzyklus ansetzen, also etwa zehn Jahre. Beispiel 8.16: Das historische KGV╇ Die Aktie der Restaurantkette SlowFood AG aus Beispiel€8.14 weist für die vergangenen zehn Jahre folgende Entwicklung auf: €
P0
EPS1
Forward KGV (x)
tâ•›−â•›9 tâ•›−â•›8 tâ•›−â•›7 tâ•›−â•›6 tâ•›−â•›5 tâ•›−â•›4 tâ•›−â•›3 tâ•›−â•›2 tâ•›−â•›1 t
26,60 23,30 17,90 34,40 35,70 23,80 19,90 34,40 36,40 35,00
2,20 2,50 2,75 3,10 2,90 2,40 2,65 3,10 3,25 3,50
12,1 9,3 6,5 11,1 12,3 9,9 7,5 11,1 11,2 10,0
Aufgrund der langjährigen Börsenhistorie kann der historische Durchschnittswert zur Unterstützung anderer Bewertungsverfahren herangezogen werden. Wir ermitteln für den Zeitraum t╛╛− 9 bis t ein durchschnittliches KGV von 10,1x. Bezogen auf das für tâ•›+â•›1 erwartete Ergebnis je Aktie von 3,68€€ entspricht dies einem Kursziel von V0 = KGVHistorischerDurchschnitt EPS1 = 10,1 · 3,68 = 37,12,
also von 37,12€€ je Aktie. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass sich im Zeitablauf die Risikostruktur eines Unternehmens ändern kann, was Veränderungen in den zugrunde liegenden Multiplikatoren zur Folge haben kann. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen in neue Geschäftfelder expandieren, was die Risikostruktur des Gesamtkonzerns beeinflussen könnte. Auch die täglichen Schwankungen der Renditen langfristig laufender Staatsanleihen oder der vom Markt geforderten impliziten Risikoprämien zieht in periodischen Abständen eine Neubewertung des Gesamtmarktes und damit auch der Aktie nach sich, was die Aussagefähigkeit von historischen Multiplikatoren gerade „in the long run“ schmälert. Derartige Re-Ratings würden durch einen langjährigen Durchschnittswert nicht abgebildet, was eine Verzerrung der Ergebnisse zur Folge haben kann. Eine Aktie, die im langfristigen Trend als unterbewertet erscheinen mag, kann in Wirklichkeit fair bewertet oder sogar über-
8.4â•… Das historische KGV
341
bewertet sein u.€u. Auch eine Veränderung der Inflationsraten im Zeitablauf kann verzerrende Auswirkungen auf das KGV haben. So tendieren Investoren in Zeiten hoher Inflationsraten dazu, den erwirtschafteten Gewinnen einen niedrigeren Wert zuzuweisen als in Zeiten niedriger Inflationsraten. Das KGV, das sie damit in inflationären Zeiten akzeptieren, ist niedriger als in Zeiten der Preisstabilität32. Nicht zuletzt können auch Gewinnwarnungen oder Managementwechsel ursächlich für eine Veränderung der historischen Multiplikatoren sein. Neben dem KGV kommen historische Durchschnittswerte auch beim KCF, beim KBV und bei EV-basierten Multiplikatoren zum Einsatz. Wie gezeigt wurde, gibt es einigen Bedarf, was die Präzisierung der Ergebniskomponente des KGV anbelangt. Der Zähler ist demgegenüber vergleichsweise unstrittig, man verwendet in der Regel den aktuellen Börsenkurs. Nicht so Robert Shiller, der stattdessen einen monatlichen Durchschnittskurs verwendet. Sein Argument ist, dass ein Investor eine Aktie über einen längeren Zeitraum erwirbt und nicht nur am Monatsultimo. Doch auch beim Nenner setzt Shiller ein alternatives Konzept ein: Anstatt das Ergebnis eines einzigen Jahres verwendet Shiller den Ergebnis-Durchschnittswert eines längeren Zeitraums, zum Beispiel von fünf oder zehn Jahren, um einen vollständigen Konjunkturzyklus abzubilden. Beim trailing KGV 2011 würde Shiller also den Durchschnittswert des EPS der Jahre 2006 bis 2010 verwenden:
KGVShiller =
PØ 0 . T EPSt
(8.26)
t=1
T
In nachstehender Abbildung wird ersichtlich, dass durch die Verwendung des Shiller-KGVs nicht unbedingt viel gewonnen wird. Ursächlich hierfür ist, dass die Unternehmensgewinne im Zeitablauf tendenziell ansteigen. Durch die reine Vergangenheitsbetrachtung liegt damit das Shiller-KGV nahezu ausnahmslos über dem Trailing KGV, hier dargestellt anhand der DAX-Gewinne (Abb.€8.3). Aufgrund der langfristigen Orientierung des Shiller-Konzepts erscheint es gegeben, ein Ergebnis je Aktie zu verwenden, das um die Inflationsrate adjustiert wurde. Doch dies ist nicht ausreichend: Werden weniger als 100€% des ausschüttungsfähigen Nachsteuerergebnisses an die Aktionäre zurückgegeben, sollte das Ergebnis je Aktie mit einer Wachstumsrate steigen, die die Inflationsrate und die Rendite auf die thesaurierten Erträge umfasst. In einer Phase, in der größere Anteile des Ergebnisses thesauriert werden, würde das Shiller-KGV daher das KGV zu hoch ausweisen, was eine Fehlbewertung zu Folge hätte. In Deutschland lag die Ausschüttungsquote der im DAX notierten Unternehmen im Zehnjahreszeitraum 2001 bis 2010 bei 43,1€% (Abb.€8.4): Ein mit Shiller vergleichbares, jedoch ungleich weniger verbreitetes Konzept verwendet John P Hussman. Das Hussmann-KGV ist definiert als der aktuelle Ak32╇
Vgl. hierzu Bodie et€al. (2008, S.€453).
342
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen 700
50 DAX-Gewinne (RS)
Shiller KGV
600
40 500 30
400 300
20
Trailing DAX KGV
200 10 100
2011
2009
2007
2005
2003
2001
1999
1997
1995
1993
1991
1989
1987
1985
1983
1981
1979
1977
1975
0 1973
0
Abb. 8.3↜渀 DAX-Gewinne, Trailing KGV, Shiller KGV, 1973–2010. (Quelle: Thomson Financial Datastream)
120%
100%
80%
60%
Mittelwert 40%
20%
0% 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Abb. 8.4↜渀 Ausschüttungsquote des DAX, 1995–2010. (Quelle: SdK, eigene Berechnungen)
8.5â•… Cash Earnings- und Cashflow-Relationen
343
tienkurs dividiert durch den, im laufenden Zyklus erwirtschafteten Höchstwert im Nachsteuerergebnis je Aktie. Doch welche Botschaft steckt für einen Investor letztlich hinter dem Mean Reversion-Argument? Ist die Bewertung einer Aktie deutlich unter ihrem fundamental gerechtfertigten Wert gleichbedeutend mit einem Kaufsignal und der Erwartung, damit eine Outperformance erzielen zu können? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob der Multiplikator oder der Börsenkurs die Orientierungsgröße darstellt, also ob eine zwischenzeitliche Divergenz zwischen Kurs und Wert durch eine Anpassung des Kurses oder des der Wertfindung zugrundeliegenden Multiplikators geschlossen wird. Ist der fundamental ermittelte Wert der Aktie die langfristig richtige Orientierungsgröße, dann ist die Frage zu bejahen. Hat dagegen der Markt Recht und ist der Kurs die korrekte Orientierungsgröße, dann folgen die trägen Analystenschätzungen mit zeitlicher Verzögerung den Kursbewegungen und die Beantwortung der Frage fällt negativ aus. Für beide Seiten gibt es eine Reihe triftiger Argumente und empirische Belege. Die Antwort scheint also weniger auf ein „entweder-oder“ hinauszulaufen als auf ein Zusammenwirken beider Sichtweisen. Tatsächlich können periodisch auftretende Differenzen zwischen Kursen und Werten sowohl durch die Kursentwicklung als auch durch eine gegenläufige Bewegung der Multiplikatoren begründet werden. Es ist also fallweise zu analysieren, welches die Orientierungsgröße ist.
8.5 Cash Earnings- und Cashflow-Relationen Um einigen der oben genannten Defiziten des KGVs auszuweichen, insbesondere in Bezug auf die generelle Abhängigkeit, mit der Ertragskennzahlen von dispositiven Entscheidungen und bilanzpolitischen Maßnahmen des Managements abhängig sind, kann die Verwendung von auf Cash Earnings bezogenen Kennzahlen in Erwägung gezogen werden. Leider hat sich noch keine allgemein anerkannte Definition der Cash Earnings am Kapitalmarkt etablieren können. Völlig unterschiedliche Versionen dieser Kennzahl sind daher im Umlauf. Manche (darunter Coca Cola) definieren Cash Earnings als EBITDA je Aktie, andere wie First Call, einem Anbieter von Consensus-Zahlen für Analystenschätzungen, definieren die Cash Earnings als EBITA. In Broker-Reports dürfte dagegen die Praktikerformel am häufigsten zum Einsatz kommen, bei der Cash Earnings als Summe aus Nachsteuerergebnis NI, Abschreibungen Dep und Amortisationen Amo (und – soweit vorhanden – den Veränderung von Pensionsrückstellungen ∆PR) berechnet werden. Das Kurs/Cashflow- oder Kurs/Cash Earnings-Verhältnis (KCF bzw. KCE) ist wie folgt definiert:
KCE =
P0 . NetInc1 + Dep1 + Amo1 + PR NoSh
(8.27)
344
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
Unbestritten stellen Cash Earnings eine Kennzahl dar, die in geringerem Maße von buchhalterischen Entscheidungen des Managements abhängig ist als das Nachsteuerergebnis. Doch die Investitionen in das Working Capital bleiben unberücksichtigt, so dass es keine echte Cash-Kennzahl darstellt. Aufgrund unterschiedlicher Bewertungsmethoden und bilanzpolitischer Ansatzwahlrechte sind die dominierenden, nicht-liquiditätsrelevanten Aufwandspositionen, namentlich Abschreibungen auf Sachanlagen und die Zuführung zu den Pensionsrückstellungen, kaum miteinander vergleichbar. Immerhin können mit dem KCE-Verhältnis diese beiden, das KGV verzerrenden Eingriffe umgangen werden. Dadurch ist das KCE-Verhältnis für einen internationalen Bewertungsvergleich besser geeignet als das KGV. Da das KCE-Verhältnis jedoch eine ebenso statische Kennzahl wie das KGV ist, kommt es bevorzugt dann zum Einsatz, wenn die Vorhersagbarkeit der Werttreiber über einen bestimmten Zeithorizont hinaus gering ausgeprägt ist, vor allem also in zyklischen Branchen wie der Automobil- und Chemieindustrie, aber auch in Wachstumsindustrien wie der IT- und der Healthcare-Branche. Theoretisch wäre das KCE auch ein geeignetes Werkzeug, um kapitalintensive und damit in hohem Maße Liquidität generierende Unternehmen zu bewerten, also beispielsweise Bau- oder Versorgungsunternehmen. In der Praxis werden hier jedoch Kennzahlen verwendet, die auch die Kapazitätskosten berücksichtigen, also zum Beispiel das KFCF-Verhältnis. Während die Praktikerformel eine unter Investoren und Analysten weit verbreitete Art und Weise sein mag, den Cashflow zu berechnen, ist sie keine, die professionellen Ansprüchen genügen sollte. Verbesserungen verspricht hier der Freie Cashflow to Equity je Aktie FCFEPS, der unter theoretischen Gesichtspunkten mit Abstand sinnvollsten Cashflow-Größe zur Berechnung des KCF-Verhältnisses:
KFCFE =
P0 , FCFEPS1
(8.28)
bzw. unter Berücksichtigung von Formel (5.31)
KFCFE =
P0 . NetInc1 − In,1 − WC
(8.29)
In diesen Fällen ist abschließend zu klären, ob bei der Berechnung des Freien Cashflow sämtliche Capex einbezogen werden sollen, oder lediglich die zur Aufrechterhaltung des aktuellen Produktionsstands erforderlichen Bestandsinvestitionen (Maintenance-Capex). Erweiterungsinvestitionen aus der Berechnung auszuschließen erscheint angebracht, da es sich bei Formel (8.28) um ein Null-Wachstumsmodell handelt. Und auch bei der Veränderung des Working Capitals könnten sich Diskrepanzen ergeben, wenn Erweiterungsinvestitionen einbezogen würden. Verwendet wird der KFCFE-Multiplikator vorrangig in kapitalintensiven Branchen, also in der Automobil- und Stahlindustrie, bei Versorgern und im Bau. Da das KFCFE den Schwerpunkt auf die bestehende Kapitalbasis legt, kann die Formel
8.5â•… Cash Earnings- und Cashflow-Relationen
345
auch für andere Branchen angewendet werden, zum Beispiel wenn der Kapitalmarkt nicht bereit ist, den progressiven Planungen des Managements Glauben zu schenken und wenn massive Erweiterungsinvestitionen nicht gerade en vogue sind. Beispiel 8.17: Bewertungsvergleich anhand des Kurs/Cashflow-Verhältnisses╇ Zu bewerten sind erneut die beiden Restaurantketten aus Beispiel€8.14. Aus Bloomberg können folgende Consensusdaten und die entsprechenden Multiplikatoren abgelesen werden: € Kurs CFPS CFOPS FCFEPS KCF KCFO KFCFE
SlowFood AG 35,00 3,85 3,15 2,20 9,1 11,1 15,9
FastFood AG 57,20 4,42 4,16 −â•›0,20 12,9 13,8 n/a
Der Blick auf die Bewertungskennziffern KCF und KCFO zeigt, dass FastFood höher bewertet ist als SlowFood. Dies lässt vermuten, dass der Kapitalmarkt für FastFood ein höheres Wachstum erwartet als für SlowFood. Das KFCFE-Verhältnis von FastFood ist – weil negativ – nicht definiert. Die Ursachen gilt es nun zu hinterfragen. Die wahrscheinliche Ursache hierfür ist, dass FastFood einen höheren Verschuldungsgrad aufweist als SlowFood, etwa weil das Unternehmen seinen Wachstumsmodus in der Vergangenheit durch die Aufnahme von Verbindlichkeiten finanziert hat, während SlowFood sich im Wesentlichen durch interne Quellen refinanzieren konnte. Auch beim Kurs/Cashflow-Verhältnis können die fundamentalen Einflussfaktoren analysiert werden. Aus Formel (5.38) folgt, dass
V0 1 = KFCFE = , FCFE1 rEK −gR
für rEK > gR ,
(8.30)
gelten muss. Das Verhältnis aus Aktienkurs und Freien Cashflow to Equity ist also umso größer, je kleiner der Eigenkapitaldiskontierungssatz rEK und je kleiner die Differenz zwischen Eigenkapitalkosten und langfristiger Wachstumsrate gR ist. Weitere unmittelbare Einflussfaktoren auf die Kennzahl gibt es interessanterweise nicht. Trotz dieser strukturellen Reinheit sind auch Bewertungen auf Basis des KCF-Verhältnis nicht ohne Schwächen: • Die Summe aller operativen und nicht-operativen Zahlungsströme wird vom Leverage beeinflusst; eine Identifikation der nachhaltigen operativen Ertragsstärke wird dadurch erschwert.
346
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
• Der international gebräuchliche Terminus CFO (Cashflow From Operations) enthält auch Veränderungen des Net Working Capitals und der kurzfristigen Rückstellungen und entspricht nicht dem hier verwendeten Begriff. Bei der Berechnung der Cashflow-Größe kann es daher zu Verwirrungen kommen. Auch beim KCE-Verhältnis sind verschiedene Versionen im Einsatz: Berechnet werden trailing, laufende und vorausschauende, prospektive Cashflows und damit auch trailing, laufende und prospektive KCF-Multiplikatoren. Eine Präzisierung der verwendeten Version ist unumgänglich. • Zu nennen sind ferner die mangelnde Erfassung der Dynamik eines Unternehmens.
8.6 Die Dividendenrendite In bestimmten Marktphasen mehren sich die Empfehlungen zum Erwerb von Wertpapieren mit hoher Dividendenrendite. Ein Indiz für dieses wiederkehrende Anlagemuster ist die verstärkte Bewerbung themenspezifischer Anlagefonds oder –zertifikate, deren Zweck die Auswahl dividendenstarker Titel ist. Bekanntlich besteht die Gesamtrendite eines Aktienengagements aus der Kursentwicklung und der Ausschüttung. Die Höhe der Dividende ist damit eine wesentliche Komponente der Gesamtperformance eines Investors. Und das obwohl Dividenden, die heute ausgeschüttet werden, Erträge ersetzen, die bei einer Thesaurierung durch diese Dividenden hätten erwirtschaftet werden können. Die Dividendenrendite ist also ein Maß für die Rückzahlungsrendite und die Beantwortung der Frage: Welches Einkommen erhalte ich je investierten Euro, ohne die Aktie verkaufen zu müssen? Bei der Berechnung der Dividendenrendite erscheint erstmals der Aktienkurs im Nenner:
DivRendite =
Div . P0
(8.31)
Berechnet wird die Dividendenrendite üblicherweise als vergangenheitsorientiertes Konzept, das heißt über das abgelaufene Geschäftsjahr oder – in den seltenen Fällen einer quartalsweise ausgeschütteten Dividende – anhand der in den vergangenen vier Quartalen ausgeschütteten Dividenden. Dabei ist eine methodische Besonderheit zu beachten: Schüttet ein Unternehmen Quartalsdividenden aus werden nicht, wie beim trailing KGV, die Dividenden der letzten vier Quartale summiert, sondern wird die Dividende des letzten Quartals mit vier multipliziert und durch den aktuellen Aktienkurs dividiert. Alternativ dazu ist auch die Berechnung zukunftsgerichteter Dividendenrenditen üblich, etwa durch die Prognose der Dividende des laufenden Geschäftsjahres. Eine vergangenheitsorientierte Berechnung der Dividendenrendite stellt zweifellos die transparentere Methode dar, ist jedoch gleichzeitig mit Risiken verbunden:
8.6â•… Die Dividendenrendite
347
Wurden in der Vergangenheit Gewinne erwirtschaftet, die nicht nachhaltig sind und verschlechtert sich kurzfristig die Ertragslage eines Unternehmens im Vergleich zum Vorjahr, hat dies einen entsprechenden Kursrückgang zur Folge. Damit, wird für die Aktie eine hohe Dividendenrendite ausgewiesen, welche für das laufende Jahr unter Umständen keinen Bestand haben wird. Sollte die Dividende aus der Substanz bezahlt werden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine hohe Dividendenrendite durch eine Kürzung der Ausschüttung von selbst nach unten anpasst. Diese Problematik tritt bei der Verwendung prognostizierter Dividenden nicht auf, der Preis, den der Investor dafür zu zahlen hat, ist, dass die Dividendenprognosen immer mit Unsicherheit behaftet sind. Zur Hinterfragung der Dividendennachhaltigkeit und zur Berücksichtigung von Einmaleffekten wie Sonderausschüttungen empfiehlt sich eine mehrjährige Betrachtung, am besten über einen vollständigen Konjunkturzyklus33. Neben dem Zähler ist natürlich auch die Wahl des Nenners von Formel (8.31) für die Berechnung der Dividendenrendite maßgeblich. Es besteht die Auswahl zwischen dem Börsenkurs an einem festgelegten Stichtag, z.€B. dem aktuellen Handelstag oder dem letzten Handelstag vor der Ausschüttung, und einem festzulegenden Durchschnittskurs, z.€B. während des vergangenen Jahres. Abgesehen davon, Aktien anhand der Dividendenrendite in „attraktiv“ und „unattraktiv“ einzuordnen, stellt sich die Frage, wie die Dividendenrendite zu Zwecken der Unternehmensbewertung eingesetzt werden kann. Kehrt man zu diesem Zweck nochmals zum Gordon-Modell (4.7) zurück, erhält man durch einfache Umformung mit
Div0 rEK − g = P0 1+g
(8.32)
ebenfalls die Dividendenrendite wie in Formel (8.31), diesmal inklusive der sie bestimmenden Fundamentalparameter. Nach diesem Zusammenhang ist die Dividendenrendite umso höher, je höher die geforderte Eigenkapitalverzinsung rEK und je niedriger die langfristigen Dividendenwachstumsrate g ist. Beispiel 8.18: Unternehmensbewertung anhand der Dividendenrendite╇ Betrachten wir erneut den Bestandshalter von Gewerbeimmobilienunternehmen aus Beispiel€4.3. Die erwartete Dividende der laufenden Periode liegt bei einer unterstellten Ausschüttungsquote von 90,0€% bei D0 = 2,50 · 0,9 = 2,25,
also bei 2,25€€ je Aktie. Bezogen auf den aktuellen Kurs von 27,30€€ entspricht dies einer Dividendenrendite von
33╇
Vgl. auch Haugen (2004, S.€59).
348
8â•… Eigenkapitalbasierte Kennzahlen
D0 2,25 = = 0,082 = 8,2 %. P0 27,30
Aus den fundamentalanalytischen Parametern, die für die Dividendenrendite ausschlaggebend sind, wie sie in Formel (8.32) dargelegt wurden, errechnet sich dagegen eine innere Dividendenrendite von 0,094 − 0,025 D0 rEK − g = = 0,067 = 6,7 %. = V0 1+g 1 + 0,025
Gemessen an den tatsächlichen Ausschüttungen und bezogen auf die fundamentalen Parameter der Aktie ist diese unterbewertet. Eine die Fundamentalfaktoren berücksichtigende Bewertung wäre erreicht, wenn D0 2,25 = = 0,067 P0 P0
gelten würde. Dies ist erreicht, wenn die Aktie auf einem Niveau von P0 =
2,25 = 33,42 0,067
notiert. Damit wird das Ergebnis des Gordon-Modells bestätigt.
Kapitel 9
EV-basierte Multiplikatoren
9.1 Die Erweiterung der Basis Eigenkapitalbasierte Kennzahlen weisen zwei entscheidende Schwachstellen auf. Zum ersten werden sie systematisch vom Verschuldungsgrad der analysierten Unternehmen beeinflusst. Unternehmen, deren unlevered KGV – also das KGV, das sich ergeben hätte, wenn das Unternehmen vollständig mit Eigenkapital finanziert gewesen wäre – die geforderten Kapitalkosten übersteigt, gelingt es, das KGV mit steigendem Leverage zu erhöhen. KGV und Verschuldungsgrad sind also positiv miteinander korreliert, was die unangenehme Begleiterscheinung hat, dass diese Unternehmen zum Beispiel durch einen Debt-to-Equity-Swap ihr KGV künstlich erhöhen könnten. Zum zweiten basiert das Konzept des KGV auf buchhalterischen Ertragsgrößen, in denen nicht-betriebliche Aufwendungen und Erträge enthalten sein können. Werden diese nicht bereinigt, kann der aus dem KGV abgeleitete Unternehmenswert irreführend sein. Diese Schwachstellen versucht das EV-Konzept zu umgehen. Basierend auf den Arbeiten von Modigliani und Miller, wonach der Unternehmenswert nicht durch die Finanzstruktur des Unternehmens beeinflusst werden darf, haben EV-basierte Bewertungskennzahlen im abgelaufenen Jahrzehnt immer mehr an Bedeutung gewonnen. Da sie die Kapitalstruktur des Unternehmens neutralisieren, sind sie besser geeignet, den Wert eines Geschäftsmodells zu bestimmen, bevor das finanzielle Leverage seinen Einfluss ausübt. Darüber hinaus machen sich Verzerrungen durch unterschiedliche Kapitalstrukturen, unterschiedliche Abschreibungsmethoden und unterschiedliche Steuersysteme bei EV-basierten Kennzahlen nicht bemerkbar. Das macht EV-Kennzahlen insbesondere bei einem internationalen Bewertungsvergleich wertvoll. Einige Kritikpunkte, die bereits bei kursbasierten Kennzahlen wie dem KGV angeführt wurden, können allerdings eins zu eins auf EV-basierte Kennzahlen übertragen werden. So ist den ertrags- wie umsatzabhängigen Enterprise Value-Multiplikatoren gemeinsam, dass sie als eindimensionale Kennzahlen die Dynamik der Gewinnentwicklung nicht entsprechend würdigen können. Allenfalls kann die pauschale Aussage getroffen werden, wonach einem schnell wachsenden Unternehmen
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_9, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
349
350
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
ein höherer Multiplikator zugestanden werden sollte als einem langsam wachsenden. Eine präzise Kurszielbestimmung kann damit jedoch nicht abgeleitet werden. Und schließlich kommen auch bei einer EV-Bewertung immaterielle Werte nicht zum Ansatz. Diese Problematik, die bereits bei der KGV-Analyse für Unbehagen gesorgt hat, kann auch ein EV-Multiple nicht lösen.
9.2 EV/Umsatz-Verhältnis Das KGV bezieht sich auf eine ertragsabhängige Stromgröße, den Gewinn nach Steuern. Seine Ermittlung wird problematisch, wenn das Unternehmen noch keine positiven Erträge erwirtschaftet, etwa weil es jung ist oder sich im Wachstumsmodus befindet. Für diese Fälle ist das KGV nicht definiert, ein Unternehmenswert kann nicht ermittelt werden. Gerade in den Zeiten der New Economy gegen Ende der 1990er Jahre waren Unternehmen zu bewerten, deren geringe Umsätze und hohe Verluste von explosionsartigen Ertragserwartungen überdeckt wurden. Der typische Reflex eines Fondsmanagers gegenüber unprofitablen Wachstumsunternehmen heute ist, dass er mit diesen nichts zu tun haben will. Ihre finanziellen und liquiditätsbezogenen Defizite sind für die meisten Kapitalmarktteilnehmer nicht fassbar, kommen noch Managementprobleme hinzu, bedarf es meist eines aktivistischen Investors, diese zu lösen, eine Aufgabe, mit der die meisten passiv ausgerichteten Anteilseigner überfordert sein dürften. Dennoch sind allein in Deutschland Dutzende von unprofitablen Unternehmen notiert, die zum Teil mit substantieller Marktkapitalisierung gehandelt werden. Mit welchen Bewertungsverfahren können diese Werte gerechtfertigt werden, wenn DCF-Modelle angesichts des langfristigen Charakters von Investoren wenig goutiert und ertragsabhängige Multiplikatorverfahren in Ermangelung von Gewinnen nicht angewendet werden (können)? Einen Ausweg bieten umsatzbezogene Kennzahlen: Umsätze haben gegenüber Erträgen den unschätzbaren Vorteil, dass sie niemals negativ werden können, schlimmstenfalls, so wie bei einigen Biotechnologiewerten in der frühen Phase, sind sie Null. Umsatzmultiplikatoren können daher immer berechnet werden, unabhängig davon, wie klein oder unprofitabel das Unternehmen ist. Umsatzmultiplikatoren beruhen auf dem ausgewiesenen Umsatz oder – in seltenen Fällen – auf der Gesamtleistung, sofern nach dem Gesamtkostenverfahren bilanziert wird. Analog zu den Kennzahlen Kurs/EBITDA oder Kurs/EBIT ist auf Finanzportalen oder in Börsenzeitschriften auch das Kurs/Umsatz-Verhältnis aufzufinden. Selbst wenn es eine einfache und intuitiv verständliche Kennzahl sein mag (nach dem Motto: „Der faire Wert der Aktie entspricht dem x-fachen des Umsatzes“) ist diese Kennzahl methodisch nicht einwandfrei: Erlöse werden nun einmal durch das gesamte Kapital erwirtschaftet, aus den Umsätzen sind die Fremdkapitalgeber, der Staat, die Mitarbeiter etc. zu kompensieren, und damit handelt es sich bei Kurs/Umsatz-Verhältnis um eine inkonsistente Kennzahl, bei der Zähler
9.2â•… EV/Umsatz-Verhältnis
351
und Nenner nicht dieselbe Basis haben1: Während im Nenner eine unternehmensspezifische Kennzahl steht, wird der Zähler aus einer eigenkapitalspezifischen gebildet. Stark verschuldete Unternehmen werden daher tendenziell mit niedrigeren Kurs/Umsatz-Verhältnissen bewertet sein als Unternehmen mit geringem Leverage. Die einfachere Datengewinnung rechtfertigt daher nicht die Verwendung des Kurs/ Umsatz-Verhältnisses und ist vielmehr ein Indiz für eine mangelnde Mühe des Bewerters bzw. seine fehlende sachliche Kompetenz. Darüber hinaus wird beim K/ Umsatz-Verhältnis unterstellt, dass es keine nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteile, keine Minderheitsanteilen, keine Pensionsrückstellungen u. ä. gibt, und zwar nicht nur beim zu bewertenden Unternehmen, sondern auch in der gesamten Peergroup. Kehrt man nach diesen Ausschweifungen zum EV/Umsatz-Multiplikator zurück, dann ist dieser in seiner allgemeinen Version definiert als:
EV/Umsatz =
EV EK0 + Debt0 − ExcessCash + PR0 . = Umsatz Umsatz
(9.1)
Im Zähler steht der Unternehmensgesamtwert oder Enterprise Value, als Summe der Marktwerte des Eigenkapitals, der zinstragenden Verbindlichkeiten abzüglich des nicht betriebsnotwendigen Kassenbestands inklusive fungibler Wertpapiere (Ansatz der Nettoverschuldung), der Minderheitsanteile und der Pensionsrückstellungen. Als Marktwert des Eigenkapitals verwendet man die gesamte Marktkapitalisierung zum Bewertungsstichtag aller Aktiengattungen. Für börsennotierte Anleihen kann der Marktwert des Fremdkapitals berechnet werden, für nicht-börsennotierte Anleihen wie Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten steht der Verwendung von Buchwerten nichts entgegen. Der Buchwert des Kassenbestands (der in der Regel seinem Marktwert entspricht) ist von der Berechnung des Enterprise Value zu subtrahieren, da Zinsaufwendungen ebenso wie Zinserträge nicht Bestandteil der jeweiligen Bezugsgröße im Nenner sind und daher auch aus dem Zähler zu eliminieren sind. Ebenfalls in die Berechnung des Enterprise Values sollten operatives Leasing einbezogen werden ebenso wie die Veränderung von Pensionsrückstellungen, da auch diese wertvolle Quellen der Unternehmensfinanzierung darstellen. Darüber hinaus dürfte es sinnvoll sein, den Marktwert von Minderheitsbeteiligungen in der Berechnung des Enterprise Values unberücksichtigt zu lassen, da sich die Erlöse von nicht vollkonsolidierten Beteiligungen auch nicht im Nenner wiederfinden. Im Nenner sind in jedem Fall ausschließlich wiederkehrende Erlöse als Umsatz anzusetzen. Einmaleffekte etwa aus dem Verkauf eines Geschäftsbereichs sind bei der Kennzahlberechnung zu bereinigen, natürlich auch in der Referenzgruppe, was eine Peergroup-Bewertung schnell zu einer arbeitsaufwendigen Aufgabe machen kann.
1╇ Selbst ansonsten gestrenge Akademiker scheinen beim K/Umsatz-Multiplikator ein Auge zuzudrücken; vgl. Damodaran (2002, S.€455).
352
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
Während es beim KGV unbestritten ist, dass der Kurs zum Stichtag als Zähler in die Bewertung einfließt, ist es bei beim Enterprise Value nicht eindeutig. Ansätze, bei denen sowohl Kurse wie auch die Nettoverschuldung (und die Ansprüche anderer) mit ihren Stichtagswerten eingehen, halten sich in etwa die Waage mit Ansätzen, bei denen die jeweiligen Jahresendwerte der Nettoverschuldung verwendet werden. Unabhängig davon, ob Stichtagswerte oder Jahresendwerte verwendet werden, unterscheidet sich die Definition des EV/Umsatz-Multiplikators nach (9.1) in einem Punkt von den meisten gängigen Versionen dieser Kennzahl: Dem Kassenbestand. Dieser ist aus Konsistenzgründen aus dem Enterprise Value herauszurechnen, da die mit Hilfe des Kassenbestands erzielbaren Zinserträge nicht Bestandteil der Umsätze sind. Beispiel 9.1: Bestimmung des EV/Umsatz-Multiplikators╇ Ein Energieversorger weist langfristige Bankverbindlichkeiten von 2.250,0€Mio.€€ und kurzfristige Bankverbindlichkeiten von 1.220,0€Mio.€€ auf. Die frei verfügbaren liquiden Mittel (Excess Cash) belaufen sich auf 280,0€Mio.€€. Das Grundkapital der Gesellschaft beläuft sich auf 225,0€Mio.€€, ausgegeben zum Nennwert von 1,00€€ je Aktie. Der Kurs der Aktie notiert bei 10,80€€. In den vergangenen vier Quartalen wurden Umsätze in Höhe von 7.250,0€Mio.€€ erwirtschaftet. Von sonstigen Ansprüchen an das Unternehmen werde abgesehen. Angesichts dieser Angaben ergibt sich ein trailing EV/Umsatz-Multiplikator von EV/Umsatz =
225,0 · 10,80 + 2.250,0 + 1220,0 − 280,0 = 0,78. 7.250,0
Jeder Euro erwirtschaftetem Umsatz wird demnach von den Kapitalgebern mit 0,78€€ bewertet. Wie bei jeder Kennzahl errechnet sich der Wert eines Unternehmens aus dem durchschnittlichen EV/Umsatz-Multiplikator, wie er aus der Vergleichsgruppe abgeleitet wird, und dem in der Vergangenheit erzielten bzw. in Zukunft erzielbaren Umsatz des zu bewertenden Unternehmens. Die dem EV/Umsatz-Multiplikator zugrunde liegende Ratio ist, dass es für Wachstumsunternehmen bedeutender ist, schnell an Größe zuzulegen als operativ die Gewinnschwelle zu überschreiten. Umsatzwachstum wird mit Akzeptanz des Produkts gleichgesetzt – und damit mit Marktanteil. Marktanteil heißt (bis zu einem gewissen Grad) Kundentreue, heißt letztlich Verhandlungsmacht gegenüber den Zulieferern und den Kunden, heißt langfristig wiederkehrende Erlöse. Unternehmen, die sich in Wachstumsmärkten frühzeitig positionieren, können Markteintrittsbarrieren errichten, die die Marktführerschaft zementieren, so dass sie früher oder später die Gewinnzone erreichen. Der Umsatz kann in diesen Fällen als ein Indikator für Wertschöpfung verstanden werden, ungeachtet der Frage,
9.2â•… EV/Umsatz-Verhältnis Tab. 9.1↜渀 Das EV/UmsatzVerhältnis nach Sektoren, Deutschland. (Quelle: Lehrstuhl für Finanzmanagement und Banken an der HHL (Stand: 06/2010))
353
Prime All Share Automotive Banks Basic Resources Chemicals Construction Consumer Financial Services Food & Beverages Industrial Insurance Media Pharma & Healthcare Retail Software Technology Telecommunications Transport. & Logistics Utilities
Trailing EV/Sales Arithm. Mittel 1,2 1,3 n/a 0,9 1,8 0,9 1,0 n/a 1,1 1,0 n/a 1,6 1,5 0,8 1,5 1,3 0,9 1,2 1,0
Median 1,0 1,1 n/a 1,1 2,0 0,7 0,9 n/a 1,1 0,9 n/a 1,6 1,4 0,5 1,0 1,2 1,0 0,6 1,0
DAX30 TEcDAX30 MDAX50
1,4 1,6 1,3
1,3 1,1 1,1
ob es dem Unternehmen überhaupt jemals gelingen wird, die Gewinnschwelle zu überschreiten. Dementsprechend kommt der EV/Umsatz-Multiplikator üblicherweise in den frühen Phasen eines Unternehmens bzw. einer Industrie zum Einsatz, wenn die Entwicklung des Marktanteils ein guter Indikator für die zukünftige Unternehmensentwicklung ist. Vor diesem Hintergrund mag es erstaunlich sein, dass der EV/Umsatz-Multiplikator in der Praxis auch in relativ reifen Branchen zum Einsatz kommt2. Hier scheint der Kapitalmarkt den Marktanteilen ein bewertungsrelevantes Gewicht zuzuschreiben. In jedem Fall können durch ein und dieselbe Kennzahl beide Enden des Lebenszyklus eines Unternehmens abgedeckt werden. Alle ertragsabhängigen Bezugsgrößen sind von buchhalterischen Bewertungsspielräumen betroffen, ja zum Teil manipuliert, was entsprechende Konsequenzen auf ihre Aussagekraft hat. Erlöse hingegen sind in weit geringerem Maße von buchhalterischen Bewertungsspielräumen beeinflusst, so dass der EV/Umsatz-Multiplikator eine durchaus „ehrlichere“ Kennzahl als das KGV ist (Tab.€9.1). Neben diesen unbestrittenen Vorteilen der EV/Umsatz-Relation weist diese auch eine Reihe von Defiziten auf. Ein gravierender Nachteil der Kennzahl ist in jedem Fall die Tatsache, dass der Umsatz zwar im Gegensatz zu ertragsbasierten Kenn2╇
Vgl. Senchack und Martin (1987).
354
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
zahlen weniger durch bilanzpolitische Wahlrechte manipuliert werden kann, es sich bei Umsätzen jedoch nicht per se um eine Größe handelt, die mit dem Unternehmenswert positiv korreliert sein muss. Zu tief sind die Erinnerungen an die letzte Bewertungsblase 1999/2000, als Technologie- und Internet-Unternehmen durch 51€%-Zukäufe zwar die Top-Line steigern konnten, Probleme auf der Ertragsebene jedoch nur übertüncht wurden. Damit wird der Investor in eine Bewertungsfalle lockt, indem einem Unternehmen nur deswegen hohe Werte zugestanden werden, weil es hohe Umsätze erwirtschaftet und nicht weil es profitabel ist. Das Unternehmen, das Waren im Wert von 100€€ für 95€€ verkauft, macht dies deutlich: Zwar wird es rapide Umsätze erzielen, doch niemals profitabel sein. In einem Vergleich produzierender Unternehmen könnte zum Beispiel ein Unternehmen seine Umsätze durch margenschwaches Handelsgeschäft aufblähen. Dadurch wird zwar der Umsatz erhöht, das Betriebsergebnis bleibt jedoch mehr oder weniger konstant und die auf den Gesamtumsatz bezogenen Margen brechen ein. Diesem Unternehmen einen höheren Unternehmenswert zuzugestehen als einem nicht durch derartige Handelsgeschäfte aufgeblähten Wettbewerber wäre fahrlässig. Darüber hinaus mag der Umsatz bei jungen Unternehmen zwar ein guter Indikator für die weitere Entwicklung des Unternehmens sein, dennoch können unvorhergesehene operative Kosten auftauchen, die dazu führen, dass das Unternehmen keine oder allenfalls geringe Erträge berichtet. Insofern sehen manche Investoren in umsatzbezogenen Kennzahlen wie dem EV/Umsatz- oder dem methodisch nicht korrekten K/Umsatz-Verhältnis nützliche Instrumente, um überbewertete Aktien zu identifizieren3. Ob die Tatsache, dass der EV/Umsatz-Multiplikator im Zeitablauf weniger volatil ist als ertragsbasierte Kennzahlen, ein Vor- oder Nachteil ist, kann vorab nicht eindeutig geklärt werden. Zwar fallen die Auswirkungen konjunktureller Schwankungen beim EV/Umsatz-Verhältnis wesentlich geringer aus als beispielsweise beim KGV, doch dies muss nicht unbedingt ein Vorteil der Kennzahl sein, sondern kann durchaus auch als Nachteil angeführt werden. Zwar stellt der Umsatz die von bilanz- oder steuerpolitischen Wahlrechten am Wenigstem beeinflussbare Größe der Gewinn- und Verlustrechnung dar, dennoch stellen sich auch beim Umsatz zwei grundlegende Fragen: 1. Wann wird der Umsatz realisiert? 2. Welcher Umsatz wird überhaupt realisiert? Bei der Frage, wann der Umsatz realisiert wird, ist im inzwischen dominierenden IFRS-Regime zwischen der Percentage of Completion-Methode und der Completed Contract-Methode zu unterscheiden. Die Rechnungslegungsvorschrift des Percentage of Completion ist bei Fertigungsaufträgen anzuwenden. Das sind solche Aufträge, die auf speziellen Kundenwunsch erstellt werden, etwa der Bau eines Logistikzentrums. Bei dieser Gewinnrealisierung werden die entsprechend dem Fertigstellungsgrad angefallenen Auftragskosten den Auftragserlösen zu geordnet. Erträge und Aufwendungen sind entsprechend dem Leistungsfortschritt zu verbuchen, 3╇
Vgl. zum Beispiel Montier (2009, S.€250).
9.2â•… EV/Umsatz-Verhältnis
355
indem die bisher angefallenen Projektkosten mit den erwarteten Gesamtkosten des Projekts verglichen werden. Beispiel 9.2: Ermittlung der Periodenumsätze anhand der PoC-Methode╇ Ein Immobilienunternehmen entwickelt und konstruiert für einen Kunden, einen Versandhändler, ein automatisiertes Auslieferungslager. Der Herstellungszeitraum beträgt zwei Jahre. Die gesamten Herstellungskosten werden auf 52,0€ Mio.€ € veranschlagt. Der erwartete operative Gewinn des Immobilienentwicklers aus der Transaktion liegt bei 20,0€% oder 10,4€Mio.€€. Das Unternehmen erwartet eine durchschnittliche Steuerquote von 35,0€ %. Im ersten Jahr sind 60,0€ % der erwarteten Gesamtkosten angefallen. Die realisierten und zu verbuchenden Umsatzerlöse liegen damit im ersten Jahr bei 0,6â•›·â•›52,0╛╛ = ╛╛31,2€Mio.€€. Im zweiten Jahr ist der verbleibende Betrag von 52,0╛╛−╛╛31,2╛╛ = ╛╛20,8€Mio.€€ als Umsatz zu verbuchen. Unter Berücksichtigung der im ersten Jahr angefallenen Kosten von 0,6(52,0╛╛−╛╛10,4)╛╛− 25,0€Mio.€€ ergibt sich damit im ersten Geschäftsjahr ein operatives Periodenergebnis von 31,2╛╛╛−╛╛╛25,0╛╛ = ╛╛6,2€Mio.€€. Im zweiten Jahr sind die verbleibenden 4,2€Mio.€€ zu verbuchen. Zu beachten ist allerdings, dass aufgrund der Unterschiede in der IFRSund der Steuerbilanz passive latente Steuern gebildet werden müssen. Diese belaufen sich auf 6,2â•›·â•›0,35â•› = â•›2,2€ Mio.€ €. Sie sind im ersten Jahr zu bilden und im zweiten Jahr nach Übergabe des Projekts an den Kunden aufzulösen. Ihre Berücksichtigung führt dementsprechend dazu, dass die Volatilität der Ertragsentwicklung zunimmt. Die zweite Frage, was als Umsatz realisiert wird, hängt ab von den Gepflogenheiten der Branche ab. Bietet ein Internet-Einzelhändler den Erwerb und die physische Verschickung von Softwarepaketen an, wird er das komplette Handelsvolumen als Umsatz verbuchen. Bietet ein Anbieter dagegen den Download der Software als Outsourcing-Partner des Herstellers an, darf er nur den Rohertrag als Umsatz verbuchen. Konzeptionell sind die aus dem EV/Umsatz-Multiplikator ermittelten Kursziele stärker von der Qualität der Peergroup abhängig als bei ertragsbasierten Kennzahlen. Die Tatsache, dass der zu ermittelnde Unternehmenswert ausschließlich von den prognostizierten Umsätzen abhängig sein soll, führt von Seiten des Managements dazu, die Zukunftsaussichten übertrieben positiv darzustellen.4 Dies hat im Jahre 2000 auch die SEC dazu veranlasst, eine Änderung der Staff Accounting Bulleting (SAB) Nr. 101 zur Umsatzrealisation vorzunehmen. Danach sollten Umsätze nur noch dann verbucht werden können, wenn sie auch tatsächlich als realisiert angesehen werden können. Zuvor wurden beispielsweise von Internetunternehmen die Mitgliedsbeiträge aus Abonnements vollständig im Voraus vereinnahmt. 4╇ In den USA hat dies bereits 2000 dazu geführt, dass die SEC ein Accounting Bulleting herausbrachte, in dem insbesondere die Umsatzabgrenzung von Internetunternehmen neu geregelt wurde.
356
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
Von welchen fundamentalen Faktoren ist der EV/Umsatz-Multiplikator abhängig? Ausgehend von Formel (5.46) und (5.19) legt die Division beider Seiten durch den Umsatz der folgenden Periode die Parameter offen, die den EV/Umsatz-Multiplikator determinieren:
In EBIT1 (1 − τ ) − EV0 Umsatz1 Umsatz1 = . Umsatz1 WACC − gR
(9.2)
Damit ist der EV/Umsatz-Multiplikator tendenziell umso höher, je höher die operative Umsatzmarge des Unternehmens sowie die Ergebniswachstumsrate und je niedriger die Steuerquote, die Erweiterungsinvestitionen und die gewichteten Kapitalkosten ausfallen. A priori war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass eine Margenkennzahl als unmittelbarer Bewertungsfaktor des EV/Umsatz-Multiplikators auftaucht. Profitable Unternehmen können also erwarten, mit einem höheren EV/ Umsatz-Multiplikator gehandelt zu werden als weniger profitable Unternehmen5. Anders ausgedrückt: Infolge dieses Zusammenhangs ist das Verhältnis aus Enterprise Value zu Umsatz für einen Vergleich verschiedener Unternehmen nur geeignet, wenn diese homogen sind bezüglich ihrer Profitabilität, ihrer Kapitalintensität und ihrer Wachstumserwartungen. Anhand von Formel (9.3) zeigt sich ferner, dass rückläufige Umsätze bei rückläufigen Margen einen sich gegenseitig verstärkenden Effekt auf den EV/UmsatzMultiplikator haben: Zunächst verringert sich der erste Term im Zähler, von dem anschließend ein größerer Betrag subtrahiert wird. Gerade bei Wachstumsunternehmen ist es regelmäßig zu beobachten, dass Gewinnwarnungen zu drastischen Preiseinbrüchen führen. Im Wesentlichen ist dieser Zusammenhang hierfür verantwortlich zu machen. Beispiel 9.3: Auswirkung einer unvorhergesehenen Gewinnwarnung auf den EV/Umsatz-Multiplikator╇ Der Energieversorger aus Beispiel 9.1 muss aufgrund eines gescheiterten Expansionsprogramms einen Rückgang des Umsatzes auf 6.525,0€ Mio.€ € bekannt geben, ein Umsatzeinbruch um 10,0€%. Gleichzeitig verschlechtert sich das operative Ergebnis von ursprünglich 876,0€Mio.€€ auf 788,4€Mio.€€, also ebenfalls um 10,0€%. Die sonstigen Parameter – Steuerquote 30,0€%, WACC 12,0€%, langfristige Wachstumsrate gR 10,0€% und Nettoinvestitionen 500,0€Mio.€€ – bleiben konstant. Lag der fundamentale EV/Umsatz-Multiplikator im Ausgangsfall bei 0,78x, geht er aufgrund der Gewinnwarnung gemäß Formel (9.3) auf 788,4 500,0 (1 − 0,3) − EV0 6.525,0 6.525,0 = = 0,40x Umsatz1 0,12 − 0,10 5╇
Vgl. Leibowitz (1997).
9.2â•… EV/Umsatz-Verhältnis
357
zurück. Ein 10€%iger Rückgang der Umsätze und operativen Erträge zieht in diesem sicherlich nicht extremen Beispiel eine Halbierung des EV/UmsatzMultiplikators nach sich. Besondere Popularität unter den Analysten genoss die EV/Umsatz-Kennzahl während der Neuer Markt-Blase zu Beginn dieses Jahrtausends. Zur Rechtfertigung immer höherer Kursziele verlustträchtiger Internetunternehmen war der Zukauf von Marktanteilen gängige Praxis. Da trotz Börsengangs und Kapitalerhöhungen allerorten Liquidität knapp war, beschränkten sich die Unternehmen häufig auf die Übernahme von 50,1€% der Geschäftsanteile, was zwar eine Vollkonsolidierung des Übernahmezieles zur Folge hat, aber zugleich hohe Minderheitsanteile verursachte. Eine EV/Umsatz-Bewertung muss diese Übernahmen berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass empirischen Befunden zufolge Multiples auf Basis des Umsatzes – unabhängig vom Auswahlverfahren der Peer Group – von den höchsten Bewertungsfehlern begleitet werden6. Nicht selten sind Biotechnologieunternehmen börsennotiert, die im jetzigen Stadium ihres Unternehmenszyklus noch keine Umsätze erwirtschaften. Natürlich ist dann auch ihre Ertragslage ebenso negativ wie die erwirtschafteten Cashflows. Traditionelle Bewertungsverfahren wie Dividendendiskontierungs- oder DCF-Modelle scheiden daher aus. Doch wie können solche Unternehmen über ein Vergleichsgruppenverfahren bewertet werden? Eine Möglichkeit ist, die in mittelfristiger Zukunft erwarteten Umsätze mit einem normalisierten Vervielfältiger zu bewerten und auf die Gegenwart zu diskontieren. Der Wert des Unternehmens ergibt sich dann über folgende Formel:
EV0 =
Umsatzn · Multiplikator . (1 + WACC)n
(9.3)
Beispiel 9.4: Bewertung eines umsatzlosen Unternehmens╇ Ein Biotechnologieunternehmen verfügt über ausreichend Liquidität, um die aktuelle Produktpipeline zu finanzieren. Die Produkteinführung des Hauptprodukts ist für das Jahr tâ•›+â•›5 vorgesehen, die angestrebte Marktpenetration wird für tâ•›+â•›8 angestrebt. Das Konkurrenzpräparat, das zu diesem Zeitpunkt vollständig vom Markt verdrängt worden sein soll, erwirtschaftet derzeit Erlöse von 80,0€Mio.€€ und wächst mit durchschnittlich 9,0€% pro Jahr. Der Hersteller des Konkurrenzpräparats ist ebenfalls börsennotiert und wir derzeit mit dem 3,6fachen seiner Umsatzerlöse bewertet.
6╇
Vgl. Liu et€al. (2002, S.€152) oder Lie und Lie (2002).
358
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
Der Wettbewerber würde daher im Jahr tâ•›+â•›8 Umsätze in Höhe von Umsatz8 = 80(1 + 0,09)8 = 159,4 Mio. €. erwirtschaften. Würde sich der Multiplikator nicht verändern, läge der zum Zeitpunkt tâ•›+â•›8 zu erwartende Unternehmenswert damit bei EV8 = 159,4 · 3,6 = 573,9 Mio. €.
Die durchschnittlichen Kapitalkosten des zu bewertenden Biotechnologieunternehmens werden aufgrund des hohen Risikos des Geschäftsmodells bei 16,4€% veranschlagt. Damit errechnet sich ein aktueller Unternehmenswert von EV0 =
573,9 (1 + 0,164)8
= 170,3 Mio. €.
Für das derzeit nur aus einer Produktpipeline bestehende Unternehmen errechnet sich also ein Unternehmenswert von 170,3€Mio.€€. Die Trefferquote des Unternehmenswertes über diese Vorgehensweise ist unbestritten wesentlich geringer als bei den meisten, bisher vorgestellten Verfahren. Und zwar nicht nur, weil sich die gängigen Multiplikatoren im Zeitablauf nahezu zwangsläufig ändern, sondern auch, weil mit dieser Methode wesentlich weiter in die Zukunft zu blicken ist als bei den anderen Vergleichsgruppenmodellen. Dennoch ist durch das vorgestellte Verfahren eine Einschätzung des Unternehmenswertes möglich.
9.3 EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT Im Gegensatz zum KGV und den damit verwandten Konzepten vergleichen EV/ EBITDA-, EV/EBITA- bzw. EV/EBIT-Multiplikatoren den gesamten Unternehmenswert mit einer bestimmten Residualgröße. Da beim Enterprise Value der gesamte Wert des Unternehmens, wie er für Eigen- und Fremdkapitalgeber relevant ist, ermittelt wird, muss eine Residualgröße zwangsläufig vor Abzug von Fremdkapitalzinsen ausgewählt werden, damit die Konsistenz zwischen Zähler und Nenner des Multiplikators gewahrt bleibt. Dennoch sind diese, anders als beim EV/UmsatzMultiplikator, bestimmten Bilanzierungs- und Bewertungsspielräumen ausgesetzt, die sich nachteilig auf die Berechnung des Unternehmenswertes auswirken können. Nichtsdestotrotz erleichtern EV-basierte Ansätze die internationale Vergleichbarkeit und erlauben häufig auch die unterjährige Anwendung, da gerade Small, Micro und Nano Caps in ihren Zwischenberichten nur operative Ergebnisgrößen veröffentlichen.
9.3â•… EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT
359
Die einzelnen Kennzahlen berechnen sich wie folgt: Der EV/EBITDA-Multiplikator als EK0 + Debt0 − ExcessCash + PR0 + MI0 EV0 (9.4) = , EBITDAt EBITDAt der EV/EBITA-Multiplikator, der, da Firmenwerte nicht mehr periodengemäß abgeschrieben werden, sondern nur noch im Impairment-Fall, in der Praxis völlig bedeutungslos geworden ist,
EK0 + Debt0 − ExcessCash + PR0 + MI0 EV0 = EBITAt EBITAt
(9.5)
und der EV/EBIT-Multiplikator aus
EV0 EK0 + Debt0 − ExcessCash + PR0 + MI0 = . EBITt EBITt
(9.6)
Im Nenner stehen Ertragsgrößen, die jeweils durch ihre Namen definiert sind: Das EBITDA zum Beispiel bezeichnet das Ergebnis eines Unternehmens vor Abschreibungen, Amortisationen, vor dem Finanzergebnis und vor Ertragsteuern. Verzerrungen, wie sie durch unterschiedliche Kapitalintensität und unterschiedliche Steuerquoten entstehen können, werden bei dieser Größe ausgeschaltet. Es erscheint sinnvoll, die sonstigen Steuern (in der Regel also Grund-, Gewerbekapital-, Kraftfahrzeug- und Umsatzsteuer), die meist in der Steuerposition aufgegangen sind, jeweils dem operativen Ergebnis zuzuordnen, da sie abhängig sind von unternehmerischen Entscheidungen. EBITDA, EBITA und EBIT sind als operatives Ergebnis gut geeignet, die Ertragskraft des originären Geschäfts eines Unternehmens auszuweisen. Die Idee, das EBITDA und nicht das Nachsteuerergebnis als Basis der Unternehmensbewertung zu verwenden, wurde mit dem Aufkommen der M&A-Welle während der 1990er Jahre verbreitet. Zunächst von Private Equity-Firmen als Kennzahl für die Fähigkeit eingesetzt, die sich aus Leveraged-Buyouts ergebende Verschuldung zurückzufahren, wurde das EBITDA als Cashflow-Substitut später auch zur Bewertung börsennotierter Unternehmen verwendet, wenn tiefer gelagerte Ergebnisebenen negativ waren und für eine Multiplikatorbildung nicht zur Verfügung standen. Diese Vorgehensweise korrespondiert mit dem Ansatz der DVFA, die bis zur großflächigen Einführung von IFRS einmalige und, dispositionsbedingte Aufwands- und Ertragspositionen bereinigte und im so genannten DVFA-Ergebnis eine zwar für den Außenstehenden nicht immer einfach zu berechnende, in jedem Fall aber gut vergleichbare Kennzahl veröffentlichte. Von den drei genannten Bewertungsverfahren dürfte in der kapitalmarktorientierten Bewertungspraxis der EV/EBITDA-Multiplikator dominierend sein, da er der Ertragsmultiplikator mit der geringsten Sensibilität bezüglich unterschiedli-
360
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
cher Rechnungslegungsvorschriften ist. Darüber hinaus sind durch den Einsatz des EV/EBITDA-Multiplikators Vergleiche mit anderen Unternehmen auch bei unterschiedlichen Kapitalstrukturen und einem sich in den Abschreibungen niederschlagenden unterschiedlichen Investitionsverhalten möglich. Nach dem KGV dürfte es sogar die am weitesten verbreitete Kennzahl sein – zumindest in Europa, in den USA hat das EBITDA dagegen als Non-GAAP-Größe nach der Einführung des Sarbanes-Oxley Act massiv an Bedeutung verloren. Bevorzugt kommt der EV/EBITDA-Multiplikator in kapitalintensiven Branchen zur Anwendung, in denen größere Infrastrukturinvestitionen erforderlich sind. In ihnen können die Abschreibungen von so großer Bedeutung sein, dass das EBIT auf ein unrealistisch niedriges Niveau gedrückt wird. In diesen Industrien werden häufig unterschiedliche Abschreibungsmethoden verwendet, die dann zu Ergebnisverzerrungen führen können. Beispiele sind die Stahl-, Versorgungs- oder Telekommunikationsbranche. Da der EV/EBITDA-Multiplikator die Abschreibungen ausblendet, ist er besonders für Vergleiche von Unternehmen mit ähnlichen Kapitalintensitäten geeignet. Bei Mobilfunkunternehmen zum Beispiel, die substantielle Investitionen in den Aufbau der Netzinfrastruktur stemmen müssen und deren Geschäftsmodell sehr langfristig ausgerichtet ist, erscheint der EV/EBITDA-Multiplikator sehr viel angemessener zu sein als das KGV. Ein weiterer Vorteil des EBITDA, EBITA und EBIT gegenüber den in der GuV tiefer liegenden Ertragskennzahlen wie dem Nettoergebnis ist, dass es häufiger positiv ist als das Ergebnis nach Steuern, so dass auch die darauf aufbauenden Kennzahlen häufiger berechnet werden können als das KGV. Darüber hinaus ist das EV/EBITDA der geeignete Multiplikator, wenn ein Vergleich von Unternehmen mit unterschiedlichen Verschuldungsgraden zu erfolgen hat. Schließlich ist das EV/ EBITDA eine sinnvolle Kennzahl, wenn im Extremfall eines knapp vor der Insolvenz stehenden Unternehmens ermittelt werden soll, ob ein Unternehmen in der Lage ist, die nicht liquiditätswirksamen Abschreibungen und Amortisationen für eine Schuldentilgung zu erwirtschaften, wenn es sich für dieses aufgrund des fortschreitenden Verfalls nicht mehr in Sachanlagen zu investieren lohnt. Natürlich sind grundsätzlich um ungewöhnliche Ereignisse bereinigte Ergebnisgrößen zu verwenden. Dabei wird das berichtete EBITDA um außergewöhnliche und nicht wiederkehrende Ertrags- und Aufwandskomponenten bereinigt. Zukünftig zu erwartende einmalige Aufwendungen etwa aus Restrukturierungsprogrammen sind aus der Multiplikatorbewertung zunächst zu eliminieren und erst anschließend als Absolutbetrag in Abzug zu bringen. Da diese einmaligen Bereinigungen nicht normiert sind, sind sie in der Regel ermessensabhängig und zum überwiegenden Teil nicht aus dem Geschäftsabschluss direkt ableitbar. Häufig weisen die Unternehmen die vorgenommenen Bereinigungen in einer Sammelposition aus, so dass die Überleitung aus den Abschlusszahlen erschwert wird und die vorgenommenen Bereinigungen nicht nachvollziehbar sind. Die in der Praxis am häufigsten vorgenommenen Bereinigungen umfassen ergebniswirksame Folgeeffekte aus der Kaufpreisallokation (Purchase Price Allocation PPA) sowie, allgemein, Aufwendungen aus Akquisitionen, Restrukturierungsaufwendungen, außerplanmäßige Wertminde-
9.3â•… EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT
361
Tab. 9.2↜渀 Das EV/EBIT-Verhältnis nach Sektoren, Deutschland. (Quelle: Lehrstuhl für Finanzmanagement und Banken an der HHL (Stand: 01/2011)) Trailing EV/EBIT EV/EBIT NTM Arithm. Mittel Median Arithm. Mittel Median Prime All Share 18,6 15,2 12,9 12,4 Automotive 33,1 34,9 14,4 13,6 Banks n/a n/a n/a n/a Basic Resources 29,7 17,6 15,0 11,6 Chemicals 29,4 21,9 12,5 10,4 Construction 15,5 14,8 13,4 12,9 Consumer 14,9 15,6 12,2 11,3 Financial Services n/a n/a n/a n/a Food & Beverages 12,7 12,7 13,0 13,0 Industrial 16,9 14,4 12,3 11,7 Insurance n/a n/a n/a n/a Media 14,6 12,2 13,0 10,0 Pharma & Healthcare 18,2 14,2 12,7 13,6 Retail 13,8 12,8 10,5 10,2 Software 16,7 15,0 14,0 12,6 Technology 27,4 18,9 14,0 12,3 Telecommunications 14,1 9,2 14,0 10,7 Transport. & Logistics 23,6 22,1 14,3 13,6 Utilities 7,6 6,9 9,2 8,6 DAX30 TEcDAX30 MDAX50
20,7 21,6 19,4
17,9 15,1 17,8
12,1 12,9 14,0
12,1 12,2 13,3
rungen, Fremdwährungseffekte und Beratungsaufwendungen, beispielsweise im Zuge des Börsengangs (Tab.€9.2). Auf der Minusseite stehen Aufwendungen, die getragen werden müssen, um das Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten, die im EBITDA jedoch nicht enthalten sind. Beispiele hierfür sind Zins- und Abschreibungsaufwendungen, die in kapitalintensiven Geschäftsmodellen erst unterhalb des EBITDA anfallen. In einem seiner legendären Briefe an die Aktionäre stellte diesbezüglich Warren Buffett die entscheidende Frage, ob das Management eigentlich glaubt, die Zahnfee würde für die Investitionen bezahlen?7 Ebenfalls in keinem Fall zu umgehen sind Steuerzahlungen. Für unprofitable Unternehmen spielen sie naturgemäß keine Rolle, profitable würden durch die Verwendung des EBITDA die dem Aktionär zustehenden Cashflows tendenziell überschätzen. Natürlich steht die Frage im Raum, ob Abschreibungen nicht doch eine geschäftsimmanente Aufwandsposition darstellen. Nur weil es sich bei den Abschreibungen um eine nicht liquiditätsbelastende Aufwandsposition handelt, heißt das nicht, dass es nicht keine bewertungsrelevante Aufwandsposition wäre. Die cashrelevante Belastung hat zwar bereits in der Vergangenheit stattgefunden; da von 7╇
Vgl. Buffett (2000).
362
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
einem Going Concern des Unternehmens auszugehen ist, wird es in absehbarer Zeit aber erneut zu einer cash-relevanten Belastung kommen, nämlich dann, wenn der Vermögensgegenstand vollständig abgeschrieben ist und eine Ersatzinvestition notwendig ist. Während der dot.com-Bubble war das EBITDA vor allem bei Vorständen beliebt, deren Unternehmen nicht in der Lage waren, auf tiefer in der Gewinn- und Verlustrechnung liegenden Positionen Gewinne zu vermelden. Zumindest beim EBITDA sollte dies gelingen, was Zyniker veranlasste, das EBITDA in „Earnings Before I Tricked Dumb Auditors“ umzubenennen. Auch der EV/EBITDA-Multiplikator kann ohne Vergleichsunternehmen als innerer Wert bestimmt werden, indem die Parameter extrahiert werden, von denen der EV/EBITDA-Multiplikator abhängig ist. Aus Formel (5.26) folgt, dass der freie Cashflow to the Firm eine Funktion des EBITDA, der Abschreibungen, der Steuerquote und der Nettoinvestitionen In ist. Eingesetzt in Formel (5.8) ergibt sich für WACCâ•›>â•›g: EV 0 =
FCFF1 EBITDA1 (1 − τ ) − (Dep1 + Amo1 )(1 − τ ) − In = . WACC − gR WACC − gR
(9.7)
Dividiert man beide Seiten durch das EBITDA, so erhält man eine Variante von (9.1):
EV0 = EBITDA1
(1 − τ ) −
(Dep1 + Amo1 )(1 − τ ) In − EBITDA1 EBITDA1 . WACC − gR
(9.8)
Aus dieser Gleichung folgt, dass je niedriger die Steuerquote, je niedriger die Abschreibungen und Amortisationen, je niedriger die notwendigen Erweiterungsinvestitionen, je niedriger die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten und je höher die erwarteten Wachstumsraten sind, desto höher ist der EV/EBITDA-Multiplikator, zu dem eine Aktie gehandelt wird. Daraus ergibt sich die nicht unwesentliche Erkenntnis, dass Unternehmen, die einen größeren Anteil ihres EBITDA aus den beiden Parametern Abschreibungen und Amortisationen erzielen, mit einem niedrigeren EV/EBITDA-Multiplikator gehandelt werden als Unternehmen, deren Abschreibungen bzw. Amortisationen von geringerer Bedeutung sind. Bei ansonsten gleichen Annahmen werden also kapitalintensive Branchen wie der Maschinenbau mit niedrigeren EV/EBITDA-Multiplikatoren gehandelt als die weniger abschreibungsintensiven Technologiewerte. Und schließlich sollten auch Unternehmen, bei denen in den kommenden Jahren hohe Investitionen bevorstehen, mit einem niedrigeren Multiplikator bewertet werden als Unternehmen, die diesem Investitionszyklus nicht ausgesetzt sind. Wieder einmal zeigt sich, dass in einzelnen Branchen völlig unterschiedliche Niveaus des EV/EBITDA-Multiplikators festgestellt werden und damit ein Vergleich von Multiplikatoren unterschiedlicher Branchen keinen Sinn macht.
9.3â•… EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT
363
Beispiel 9.5: Unternehmensbewertung anhand des EV/EBITDA-Multiplikators╇ Ein Spezialmaschinenbauer investiert durchschnittlich 55€% seines EBITDA in Sachanlagen und Working Capital, die Abschreibungen belaufen sich auf durchschnittlich 35€% des EBITDA. Die gewichteten Kapitalkosten WACC des Unternehmens liegen bei 9,5€%, erwartet wird eine langfristige Wachstumsrate von 4,0€%. Zur Ermittlung des angemessenen EV/EBITDA-Multiplikators berechnen wir zunächst die normalisierten Nettoinvestitionen In, indem wir sie ins Verhältnis zum EBITDA setzen, also In Capex + WC − Dep = = 0,55 − 0,35 = 0,2. EBITDA EBITDA
Unterstellen wir eine normalisierte Steuerquote τ von 32€ %, so ergibt sich folgender EV/EBITDA-Multiplikator EV0 (1 − 0,32) − 0,35(1 − 0,32) − 0,2 = = 4,4. EBITDA1 0,095 − 0,040
Damit ergibt sich für den Spezialmaschinenbauer ein aus fundamentalen Parametern abgeleiteter Multiplikator von 4,4x. Wird die Aktie mit einem Vervielfältiger von 3,5x gehandelt, ist sie auf dem gegenwärtigen Niveau entweder unterbewertet oder der Kapitalmarkt erwartet für die Aktie ein geringeres Wachstum des EBITDA im Zeitablauf. Nicht mehr überraschend sollte sein, dass der EV/EBITDA-Multiplikator vom Gewinnwachstum abhängig ist. Investoren sind bereit, einen höheren Preis für eine Aktie zu bezahlen, wenn sie wissen, dass der Gewinn schneller wächst als bei einem anderen Unternehmen. Nicht selten ist jedoch das genaue Gegenteil der Fall, Wachstumsaktien werden mit einem Abschlag gehandelt. In diesen Fällen bestehen offensichtlich Glaubwürdigkeitsdefizite über die zukünftigen Wachstumsaussichten des Unternehmens, die die eigentlich angebrachte Wachstumsprämie überwiegen. Um das Wachstum des EBITDAs in der Unternehmensbewertung nicht mehr nur implizit, sondern auch explizit zu berücksichtigen, verwenden einige Analysten die Kennzahl EV/EBITDA-to-EBITDA-growth, eine der PEG-Ratio vergleichbare, dynamische Kennzahl. Vergleichbar ist sie auch insofern mit der PEGRatio, als dass sich keine einheitliche Definition am Kapitalmarkt einbürgern konnte. In Formel (9.9) ist sie als EV/EBITDA-Multiple der laufenden Periode, dividiert durch das in den folgenden fünf Perioden erwartete EBITDA-Wachstum dargestellt:
364
9â•… EV-basierte Multiplikatoren
EV/EG =
EVt EBITDAt EBITDAt+5 EBITDAt
15 .
(9.9)
Dass das EBITDA in der Unternehmensbewertung eine so hohe Bedeutung hat, liegt nicht zuletzt daran, dass das EBITDA auch bei der Berechnung des finanziellen Leverage zum Einsatz kommt. Die Debt-to-EBITDA-Quote oder, häufiger noch, die Net Debt-to-EBITDA-Quote ist eine dynamische Kennzahl zur Messung des Leverage, die sowohl in einer „quick & dirty“-Analyse zum Einsatz kommt als auch eine der populärsten Solvenzkennzahlen bei der Bestimmung von KreditCovenants ist:
Leverage =
NetDebt . EBITDA
(9.10)
Kritische Grenzwerte sind von der beobachteten Industrie abhängig. In einigen Branchen wie Öl und Gas sind sogar negative Net Debt-to-EBITDA-Quoten an der Tagesordnung, in anderen wie der kapitalintensiven Versorgerbranche erreichen die Quoten manchmal zweistellige Werte. Als Daumenregel gelten Werte von über vier als kritisch, Werte von über sechs gelten als „High Yield“, der begriffspolitisch korrekten Variante des „Junk Bonds“8. Darunter liegende Werte weisen auf Unternehmen hin, die generell ihre Kreditverpflichtungen erfüllen können. Unternehmen mit einem Leverage von 3,5 wären demnach theoretisch in der Lage, innerhalb von dreieinhalb Jahren sämtliche zinstragenden Verbindlichkeiten zurückzuführen, wenn sie keine weiteren Sachanlageinvestitionen tätigen würden und keine Steuern zu zahlen hätten. Schwierigkeiten treten bei der Bestimmung des EBITDA auf, wenn nicht vollkonsolidierte Tochtergesellschaften zum Konzernverbund zählen. Sie gehen nicht in das operative Ergebnis der Muttergesellschaft ein, sondern werden erst im Finanzergebnis unter der Position „Ergebnis aus Beteiligungen“ oder „Ergebnis aus assoziierten Unternehmen“ berücksichtigt. Demgegenüber sind im Marktwert des Eigenkapitals Erträge aus nicht vollkonsolidierten Töchtern durchaus enthalten. Es liegt also eine methodische Inkonsistenz vor, die dazu führt, dass der EV/EBITDA-Multiplikator für Unternehmen mit einem breiten Beteiligungsportefeuille tendenziell zu hoch ausgewiesen wird. Für den Außenstehenden erscheint die Aktie damit überbewertet. Ein gegenteiliger Effekt ergibt sich, wenn Tochterunternehmen vollkonsolidiert werden, die sich nicht vollständig im Besitz der Muttergesellschaft befinden. In diesem Fall wird der Wert der Tochtergesellschaft zwar vollständig im Marktwert des Eigenkapitals widergespiegelt, das EBITDA ist jedoch tendenziell zu hoch, da Minderheitsanteile erst unterhalb des EBITDA subtrahiert werden. Für den Außenstehenden erscheint diese Aktie mithin unterbewertet.
8╇
Vgl. Vernimmen et€al. (2009, S.€219).
9.3â•… EV/EBITDA, EV/EBITA und EV/EBIT
365
Zu beachten ist ferner, dass die Berechnung von „Earnings-Before“-Kennzahlen wie das EBITDA am Kapitalmarkt und in der Berichterstattung der Unternehmen nicht standardisiert sind. Sie zählen zu den so genannten „Non-GAAP Figures“, also zu Ergebnisgrößen, für die keine allgemein anerkannten Prinzipien oder Ableitungsbestimmungen definiert wurden. Aus den Überleitungsrechnungen in den Geschäftsberichten ist ersichtlich, dass zwischen Jahresüberschuss und EBITDA nicht nur Abschreibungen, Unternehmenssteuern und das Zinsergebnis aufgeführt werden, wie man zunächst vermuten könnte, sondern regelmäßig eine Reihe von Bereinigungspositionen genannt werden. In Rechnung gestellte Zinskomponenten umfassen bei manchen Unternehmen nur das Zinsergebnis, bei anderen das gesamte Finanzergebnis. Bei der Ableitung des EBITDA wird ersichtlich, dass der Ergebnisbestandteil Abschreibungen und Amortisation bei manchen Unternehmen nur planmäßige Abschreibungen umfasst, bei anderen auch außerplanmäßige Wertminderungen. Analog zum EV/EBITDA-Modell kann auch das EV/EBIT-Verfahren in seine Bestandteile zerlegt werden. Aus Formel (5.17) folgt, dass der freie Cashflow to the Firm FCFF gleich ist der Differenz aus versteuertem EBIT und Nettoinvestitionen In, also FCFFâ•› = â•›EBIT(1╛╛− τ)╛╛− In. In Verbindung mit Formel (5.46) und Formel (9.6) ergibt sich für WACCâ•›>â•›g:
EV0 = EBIT1
In EBIT1 . WACC − gR
(1 − τ ) −
(9.11)
Damit hier ist der EV/EBIT-Multiplikator umso höher, je niedriger die Steuerquote, je niedriger die notwendigen Nettoinvestitionen, je niedriger die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten und je höher das erwartete Langfristwachstum ist. Abschreibungen und Amortisationen haben demgegenüber keine direkten Auswirkungen mehr auf die Höhe des Vervielfältigers. Die vereinzelt verwendeten Kennzahlen P/EBITDA oder P/EBIT dagegen unterliegen einem systematischen Defekt: Hier wird der Kurs als der allein den Aktionären zustehende Teil des Unternehmenswertes mit einer Ertragskennzahl (EBITDA oder EBIT) verglichen, aus der auch Fremdkapitalgeber bedient werden. Damit stehen im Zähler und im Nenner der beiden Kennzahlen Parameter, die unterschiedlichen Kapitalgebern zustehen. Daher sind beide Kennzahlen vom theoretischen Standpunkt aus abzulehnen.
Kapitel 10
Substanzwertbasierte Kennzahlen
10.1 Will the Real Value Please Stand Up? Empirischen Untersuchungen zufolge liegt die Eintrittswahrscheinlichkeit einer von Finanzanalysten erstellten Ertragsprognose nach gerade einmal zwei Jahren bei unter 10€%1. Abgesehen davon, dass sich ein Analyst nach Veröffentlichung seiner Schätzungen kaum die nächsten beiden Jahre in den Keller setzt und darauf wartet, ob sie eintreten oder nicht, sondern sie vielmehr regelmäßig den sich verändernden Umweltbedingungen anpasst, stellt sich schon die Frage, wie sich professionelle Kapitalmarktteilnehmer angesichts derartiger Schätzfehler allen Ernstes auf die Einschätzung professioneller Finanzanalysten verlassen können. Nicht wenige Fondsmanager und seriöse Anlegermagazine vertreten daher die Auffassung, der Wert einer Aktie lasse sich besser anhand von sicheren, weil vergangenheitsbezogenen zeitpunktspezifischen Bestandsgrößen aus der Bilanz ermitteln als anhand von prospektiven und daher unsicheren, zeitraumspezifischen Stromgrößen aus der Gewinn- und Verlust- bzw. Kapitalflussrechnung. Prominenteste dieser Bestandsgrößen ist der Substanz- oder Kapitaleinsatzwert. Unter dem Bruttosubstanzwert werden die Summe der Zeit- oder Wiederbeschaffungswerte der betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände zuzüglich der Liquidationswerte der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände verstanden (Einzelbewertungsansatz). Dass die Reproduktions- oder Wiederbeschaffungskosten der richtige Ansatz für den Substanzwert sind, kann aus dem Ansatz abgeleitet werden, im Erwerb eines Unternehmens die maßgebliche Handlungsalternative gegenüber der Neugründung eines vergleichbaren Unternehmens zu sehen. In einem IFRS-Regime ohne stille Reserven entspricht dieser Wert der Summe der in der Bilanz ausgewiesenen Buchwerte. Den Nettosubstanzwert, auch hierzulande besser bekannt unter seinem englischen Ausdruck Net Asset Value (NAV), erhält man nach Subtraktion des zu seiner Finanzierung eingesetzten Fremdkapitals. Bildlich gesprochen kann man den Substanzwert auch mit dem Betrag beschreiben, der erforderlich ist, ein Unternehmen von Grund auf neu wiederaufzubauen. Diesem Teilreproduktionswert steht der Vollrekonstruktionswert gegenüber, der auch 1╇
Vgl. Montier (2009, S.€154).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_10, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
367
368
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
nicht messbare immaterielle Vermögenswerte wie den Kundenstamm, den Markenwert oder das Image des Unternehmens erfassen soll. Infolge der schwierigen praktischen Durchführbarkeit, immaterielle nicht verkehrsfähige Güter wertmäßig zu erfassen, bleibt der Vollrekonstruktionswert nicht viel mehr als ein theoretisches Konstrukt2. Substanzwertbasierte Kennzahlen gehen von einem Nachbau des Unternehmens auf der grünen Wiese aus3. Ein Unternehmen soll damit nur so viel wert sein wie der Betrag, den ein Investor für eine Kopie des Unternehmens ausgeben würde. Wenn aber der Wert eines Unternehmens davon abhängt, wie hoch die Summe der Werte aller Vermögensgegenstände ist, wie wären dann die Bewertungs-Multiplikatoren von Internetwerten, die mit relativ geringem investiertem Kapital arbeiten können, zu begründen? Darüber hinaus können von den meisten Vermögensgegenständen – man denke nur an Wohnimmobilien in Toplagen – gar keine Kopien erstellt werden, an Kopien anderer Unternehmen mit technisch überholten Maschinen ist ein Investor vielleicht gar nicht interessiert. Substanzwertbasierte Bewertungskennzahlen vernachlässigen meist auch mögliche Synergieeffekte und andere immaterielle Werte wie Standortvorteile, das Humankapital, den Wert des Markennamens und der Kundenbeziehungen. Schon bald wird klar, dass ein Unternehmen mehr ist als eine statische Summierung seiner Einzelteile. Ein Unternehmen ist ein organisches Gebilde mit immateriellen und nicht zu konkretisierenden Elementen, die erst in ihrer Zusammensetzung den Wert des Unternehmens ausmachen. Es kommt eben nicht nur darauf an, Fabrikgelände, Fertigungshallen, Maschinen, Bürogebäude, den Fuhrpark und die Vorräte zu bewerten, viel wichtiger sind im Zweifel die zündende unternehmerische Idee und der Wille, sie zu verwirklichen, eine schlagkräftige Organisation und das Humankapital sowie das Engagement der Mitarbeiter, ein effizientes, unter Umständen internationales Vertriebsnetz, ausgewählte und verlässliche Zulieferer sowie ausreichende und langfristig sichere Finanzierungsquellen. Und noch ein grundlegender Unterschied zwischen der Bewertung aller Vermögensgegenstände eines Unternehmens anhand der aus diesen zukünftig erwarteten Cashflows und der Bewertung des Unternehmens selbst fällt ins Auge: Als Größe ohne Restlaufzeit besteht ein Unternehmen nicht nur aus den Vermögenswerten, die sich derzeit in der Bilanz finden, sondern auch aus den Vermögenswerten, die das Unternehmen in Zukunft erwerben wird. Dies verdeutlicht ein Blick auf eine vereinfachte Bilanz4 (Abb.€10.1). Diese Abbildung macht deutlich, dass ein guter Teil des heutigen Unternehmenswertes aus den zukünftig zu tätigenden Investitionen stammt. Bei etablierten Unternehmen, deren Aktivseite zum überwiegenden Teil aus Sachanlagevermögen besteht, mag es vielleicht noch angemessen sein, die Vermögenswerte des Wachstums zu „übersehen“. Stammt dagegen der wesentliche Teil des Unternehmenswertes aus zukunftsbezogenen Investitionen, dürfte die Verwendung von substanzbasierten Vgl. Mellerowicz (1952, S.€39). Vgl. Ballwieser (2007, S.€182). 4╇ Vgl. Damodaran (2008, S.€355). 2╇ 3╇
10.1â•… Will the Real Value Please Stand Up? Abb. 10.1↜渀 Die Bilanz eines Unternehmens – Gegenwart und Zukunft
369
Aktiva
Bestehende Vermögenswerte Getätigte Investitionen erzeugen heute Cashflows
Vermögenswerte des Wachstums Noch zu tätigende Investitionen schaffen in Zukunft Werte
Passiva
Eigenkapital Mittelherkunft der Aktionäre
Fremdkapital Mittelherkunft der Kreditgeber
Bewertungsmethoden eine deutliche Unterschätzung des Unternehmenswertes nach sich ziehen. Je nachdem, wie die Wachstumsaussichten in Zukunft eingeschätzt werden, variieren substanzwertbasierte Bewertungskennzahlen daher stark zwischen den einzelnen Branchen, ja selbst innerhalb einer Industrie können beträchtliche Abweichungen von den jeweiligen Durchschnittswerten beobachtet werden. Aufgrund der tendenziell steigenden Bedeutung der vielfach nicht bilanzierungsfähigen immateriellen Vermögenswerte kann der Substanzwert immer weniger ein Abbild des Unternehmenswertes sein. Nur bei solchen Unternehmen, deren Wert erkennbar zu einem überwiegenden Teil durch die (bilanzierte) Substanz widergegeben wird und bei denen sich gleichzeitig der Wert der Substanz an den aus ihnen erzielbaren Erlösen orientiert, kann die Anwendung des Substanzwertverfahrens das relevante Bewertungsverfahren sein. Infolge des fehlenden direkten Bezugs zu den zukünftigen finanziellen Überschüssen wird dem Substanzwert häufig eine eigenständige Bedeutung abgesprochen5. Eine weitere Frage spaltet den Kapitalmarkt: Ist IFRS mit seiner marktwertorientierten Bewertung von Vermögensgegenständen hilfreich für eine substanzwertbasierte Unternehmensbewertung oder eher kontraproduktiv? Während die einen darauf bestehen, dass aus bilanziellen Marktwerten durchaus zusätzliche Schlüsse gezogen werden können6, zeigen andere anhand von empirischen Untersuchungen, dass die veröffentlichten Marktwerte etwa in Quartalszahlen nur geringen Erklärungswert haben7. Wieder andere zeigen, dass die Veröffentlichung von Marktwerten allenfalls eine zeitlich nachgelagerte Erklärung dessen abgibt, was in der Kursentwicklung bereits vorweg genommen wurde und aus der erklärenden Variablen des Unternehmenswertes dann quasi die Erklärte wird8. Dies geht so weit, dass die Verwendung von substanzbasierten Kennzahlen sogar kontraproduktiv sein kann: So ist ein Immobilienentwickler gerade dann besonders effizient, wenn er ein möglichst geringes Eigenkapital möglichst häufig umsetzt; je höher das Eigenkapital zur Erzielung eines bestimmten Umsatzniveaus gewesen ist, desto Vgl. IDW (2007, S.€156). Vgl. Barth und Clinch (1998, S.€199–233). 7╇ Vgl. Nelson (1996). 8╇ Vgl. Rehkugler und Goronczy (2009, S.€90€ff.). 5╇ 6╇
370
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
ineffizienter hat das Unternehmen gewirtschaftet. In anderen Fällen sind substanzwertbasierte Kennzahlen bestenfalls nichtssagend. Vor allem für Technologie- oder Biotechnologiewerte ohne oder mit nur geringem Sachanlagevermögen ist der Buchwert des Eigenkapitals nur wenig mit der Wertschöpfung des Unternehmens korreliert. Trotz dieser Defizite haben substanzwertbasierte Kennzahlen wie das KBV ihren Reiz selbst während der Technologieblase nie völlig verloren. Nach einer Analyse von Merrill Lynch war das KBV auch in den Jahren 1999 bis 2001 unter institutionellen Investoren nur unwesentlich weniger populär als das hochgeschätzte KGV. Von Zeit zu Zeit haben substanzwertbasierte Kennzahlen sogar Hochkonjunktur. Gerade in Zeiten eines zyklischen Konjunktureinbruchs stellen substanzwertbasierte Kennzahlen vergleichsweise stabile Werte dar, da in ihnen häufig Unterstützungsniveaus für Aktien gesehen werden. Darüber hinaus können Substanzkennzahlen intuitiv nachvollzogen werden, da sie auf wesentlich weniger Annahmen als DCF-Modelle basieren, und sie können für Unternehmen in Verlustsituationen eingesetzt werden, da sie selbst nur selten negative Werte annehmen.
10.2 Kurs/Buchwert-Verhältnis Während der vergangenen Jahrzehnte wurden nur wenige Elemente der modernen Investitionstheorie ähnlich extensiv analysiert wie die Frage, ob Value die bessere Anlagealternative sei als Growth. Obwohl sich die Zunft bereits über die Definition von Value und Growth uneins zu sein scheint, wird in den meisten Fällen eine ad hoc-Klassifizierung anhand der anzuwendenden Bewertungsmultiplikatoren vorgenommen. Der Praktiker definiert Value in der Regel über Bewertungsmultiplikatoren, die unter dem Durchschnitt liegen. Growth-Aktien wären demgegenüber mit Multiplikatoren bewertet, die über dem Durchschnitt des Aktienmarktes liegen. Dieselbe Aktie könnte also in einem Jahr als Growth, im nächsten als Value klassifiziert werden. Aus naheliegenden Gründen kann dies nicht zufriedenstellend sein. Insofern scheint auch die Wahl des Multiplikators selbst für die Einstufung, ob eine Aktie als Value-Wert anzusehen ist oder nicht, relevant zu sein. Dabei scheint es durchaus naheliegend zu sein, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Marktkapitalisierung und dem Eigenkapital bzw. zwischen dem Kurs einer Aktie und dem Buchwert zu erkennen. Dieses Kurs/Buchwert-Verhältnis KBV hat eine lange Tradition unter den etablierten Bewertungsverfahren9, ja vermutlich war es sogar die erste systematisch ermittelte Bewertungskennzahl überhaupt. Als Verhältnis aus Marktwert des Eigenkapitals P0 zu bilanziellem Buchwert des Eigenkapitals EK ist das KBV ein Maß für die Prämie oder den Abschlag, die bzw. den ein Investor bereit ist auf das in das Unternehmen investierte und den Aktionären zustehenden Kapital zu bezahlen: 9╇
Vgl. bereits Graham und Dodd (1940, S.€485€ff.).
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
371
KBV =
P0 . BVPS
(10.1)
Im Zähler des KBV steht der aktuelle Aktienkurs P0, im Nenner der zuletzt veröffentlichte Buchwert je Aktie BVPS. Grundsätzlich als Einheit „je Aktie“ berechnet repräsentiert der Buchwert die historischen (nominalen) Anschaffungskosten sämtlicher, von den Aktionären bislang in das Unternehmen investierten Vermögenswerte. Als rein auf Vergangenheitsdaten basierende Kennzahl ist der Buchwert eine schlechtere Näherungsgröße für die zukünftige Wertschöpfung eines Unternehmens als der erwartete Gewinn. Er wird jedoch als Indikator für den Zerschlagungswert des Unternehmens angesehen. Die Marktkapitalisierung auf der anderen Seite ist ein Indikator für den Fortführungswert des Unternehmens, da sie auf der Einschätzung der in Zukunft vom Unternehmen erwirtschafteten Wertschöpfung basiert. Die dem KBV zugrunde liegende und vor allem von Börsen- und Anlegermagazinen10 verbreitete Philosophie ist, dass eine Aktie dann als unterbewertet anzusehen ist, wenn ihr Kurs unter dem Buchwert notiert bzw. wenn im PeergroupVergleich das KBV der Aktie niedriger ist als das der Referenzunternehmen11. Für dieses Konzept spricht eine ganze Reihe von Argumenten12. Ein schlagkräftiges wäre, dass der Kapitalmarkt in der Bepreisung weniger zuverlässig ist als der von konservativen Überlegungen geleitete Wirtschaftsprüfer. Alternativ dazu kann argumentiert werden, dass ein Investor, dem es gelingt, die vollkommene Herrschaft über das Unternehmen zu übernehmen, durch die Liquidation des Unternehmens größere Werte vereinnahmen kann als er durch den Kauf der Anteile hingegeben hat, sofern nur der Aktienkurs unterhalb des Buchwertes des Eigenkapitals notiert. Die Grundlage der Berechnung des Buchwerts bildet das bilanzielle Eigenkapital des Unternehmens EK, das um Minderheitsanteile MI – die dem Aktionär naturgemäß nicht zustehen – korrigiert wird. Ebenfalls zu subtrahieren sind die vom Unternehmen an der Börse zurückgekauften Treasury Shares TS. Damit ergibt sich der Buchwert je Aktie BVPS über folgende Gleichung13:
BVPS =
EK − MI − TS . NoSh
(10.2)
Das ausgewiesene Eigenkapital ohne Anteile Dritter und eigene Aktien wird anschließend mit dem Börsenwert gleichgesetzt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass Werte, die bilanziell nicht angesetzt werden können, den Buchwert und damit letztlich auch den Unternehmenswert nicht steigern können. Darunter Vgl. stellvertretend Bertram et€al. (2010, S.€34) oder Dreher (2008, S.€38). Vgl. für eine empirische Analyse des KBV: Rosenberg et€al. (1985). 12╇ Die auch von einer Reihe empirischer Studien belegt werden: Banz (1981) oder Fama und French (1993). 13╇ Anders dagegen u.€a. Ernst et€al. (2006, S.€168), die das gesamte bilanzielle Eigenkapital mit seinem Buchwert gleichsetzen. 10╇ 11╇
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
372
fallen zum Beispiel immaterielle Vermögenswerte wie Marktstellung, Wettbewerbsvorteile oder Patente – und natürlich auch sämtliche, in der Zukunft geschaffenen Werte. Beispiel 10.1: Berechnung des Buchwertes je Aktie╇ Mitte März veröffentlicht ein Stahlhersteller seine Bilanz zum Ende des vorangegangenen Geschäftsjahres. In dieser werden folgende Eigenkapitalpositionen ausgewiesen: Mio.€€ Eigenkapital Gezeichnetes Kapital Eigene Anteile Kapitalrücklage Gewinnrücklagen Unterschiedsbetrag aus der Kapitalkonsolidierung Minderheitenanteile Währungsumrechnungsdifferenz
66,4 10,0 6,8 35,8 12,9 2,2 0,5 0,4
Der Nennwert je Aktie beläuft sich auf 1,00€ €. Damit wurden insgesamt 10,0€Mio. Stück Aktien ausgegeben. Ein Blick in die Aktionärsstruktur zeigt, dass das Unternehmen zwischenzeitlich seinen Bestand an eigenen Aktien auf 9,0€% des ausgegebenen Grundkapitals aufgestockt hat. Damit wurden insgesamt 900.000 Stück Aktien zum Preis von durchschnittlich 7,56€€ je Aktie an der Börse erworben. Im ersten Schritt berechnen wir die aktuell gültige Anzahl ausstehender Aktien NoSh: NoSh = 10.000.000 − 900.000 = 9.100.000.
Daraus errechnet sich der Buchwert je Aktie über BVPS =
EK − MI − TresasuryShares 66,4 − 0,5 − 6,8 = = 6,49. NoSh 9,1
Der Buchwert liegt also bei 6,49€€ je Aktie. Neben diesem nicht adjustierten Buchwert kursieren auch diverse adjustierte Varianten, die einen Bewertungsvergleich vereinfachen sollen. Relativ verbreitet ist der tangible Buchwert je Aktie. Der hierbei zugrunde liegende Gedanke ist, dass immaterielle Vermögenswerte in bestimmten Fällen nicht liquidiert werden können und dem Aktionär theoretisch auch nicht zur Verfügung stehen. Immaterielle Vermögenswerte sind allerdings präzise auf ihre Werthaltigkeit zu analysieren. Am einen Ende der Skala rangiert zweifellos der Goodwill, da dieser nur in den seltensten Fällen bei einem Weiterverkauf realisiert werden kann. Am anderen Ende
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
373
befinden sich selbst geschaffene Wirtschaftsgüter, insbesondere Patente, deren Buchwert zumindest teilweise durch einen Verkauf realisiert werden kann. Auch außerbilanzielle Verpflichtungen können bei der Berechnung des adjustierten Buchwertes berücksichtigt werden. Kommt es zur Liquidation des Unternehmens, sind diese Verpflichtungen vorrangig zu bedienen. Prominentestes Beispiel hierfür sind Operative Leasingverpflichtungen. Im Kontrast dazu sind Aktivposten, bei denen absehbar ist, dass sie nicht den aktuellen Marktwert widerspiegeln, zum Buchwert hinzuzuzählen. Ein Beispiel hierfür sind Immobilien, die in bestimmten Fällen zu Anschaffungs- und Herstellkosten und nicht zu Marktpreisen bilanziert werden. Derartige Anpassungen sind jedoch für einen Außenstehenden schwierig und sollten daher nur in begründeten Ausnahmefällen durchgeführt werden. Eine Bewertung mit Hilfe des Buchwertes kommt insbesondere für Unternehmen in Frage, deren Vermögenswerte schnell und problemlos liquidiert werden können. Fungibel sind insbesondere kurzfristige Vermögenswerte, also der Kassenbestand, marktgängige Wertpapiere, Vorräte und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, sofern sie fakturiert werden können. Bei den langfristigen Vermögenswerten sind vor allem nicht zweckgebundene Immobilen in guten Lagen zu nennen. Vor diesem Hintergrund ist das KBV vor allem bei Banken und Versicherungen, bei Beteiligungsgesellschaften und bei Immobilienbestandshaltern weit verbreitet14. In diesen Branchen kommt dem Verhältnis aus Marktwert und Buchwert des Eigenkapitals ein besonderer Stellenwert zu: Banken und Versicherungen sind hochgradig reguliert und müssen gesetzliche Eigenmittelvorschriften einhalten, die auf Buchwerten basieren. Eine Ausdehnung der Geschäftstätigkeit ist daher mit einem Anstieg der Buchwerte des Eigenkapitals verbunden. Ein weiterer Vorteil des Buchwerts ist, dass er eine im Zeitablauf relativ stabile Größe darstellt. Zyklische Schwankungen wie beim Nachsteuerergebnis sind beim Buchwert weit weniger markant. Damit ist der Buchwert eine Kennzahl, die in stabilen Branchen wie Immobilienbestandshaltung oder Versicherungen angewendet werden kann, in denen Wachstum stetig ist, aber tendenziell auf einem gemächlichen Niveau stattfindet. In zyklischen Branchen, in denen das Ergebnis je Aktie konjunkturelle Höchst- oder Tiefstwerte aufweist, kann der Buchwert auch als eine Art zyklischer „Normalwert“ interpretiert werden. Analysen haben denn auch belegt, dass Unterschiede in den Buchwerten von Unternehmen auf langfristig unterschiedliche Performancekennziffern von Unternehmen zurückgeführt werden können15. Der größte Vorteil des Buchwerts ist, dass er in den überwiegenden Fällen eine positive Größe ist. Kann er überhaupt negativ werden? Natürlich, hoch verschuldete Unternehmen werden nach langen Verlustperioden ein negatives Eigenkapital aufweisen. Die Fremdkapitalquote übersteigt dann den Wert von 100€ % und die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten werden zu einer bedeutungslosen Größe. Doch derartige Fälle sind in der Realität selten, wesentlich seltener als Verlustsituationen, bei denen das KGV nicht angewendet werden kann. Das KBV kann 14╇ 15╇
Vgl. auch Wild et€al. (2001, S.€233, 456). Vgl. Bodie et€al. (2001).
374
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
also immer dann zum Einsatz kommen, wenn sich das Unternehmen noch in der Verlustzone befindet und ertragsbasierte Kennzahlen negativ werden. Aber auch bei jungen Wachstumsunternehmen wird der Buchwert nur sehr kleine Werte annehmen und nicht das wahre Ausmaß der zukünftigen Wertentwicklung widerspiegeln. Eher ungeeignet ist das KBV bei Unternehmen, die in besonderem Maße von Humankapital abhängig sind. Hier entscheidet sich der innere Wert eines Unternehmens weniger anhand der investierten Vermögenswerte, als anhand der Qualität seiner Mitarbeiter. In diese Kategorie fallen zum Beispiel Softwareunternehmen, Investmentbanken oder Immobilien- bzw. Windparkentwickler. Bei letzteren ist die Verwendung des Buchwertes sogar ausgesprochen kontraproduktiv, da bei ihnen ein Unternehmen gerade dann einem anderen überlegen ist, wenn es einen bestimmten Output mit einem möglichst geringen Input zu erwirtschaften in der Lage ist. Immaterielle Vermögensgegenstände, die zum Zeitpunkt, als die meisten der heute noch gültigen buchhalterischen Grundsätze entwickelt worden waren, keine Rolle spielten, werden weder in der Bilanz erkannt, wo sie Einfluss auf den Buchwert nehmen sollten, noch in der Gewinn- und Verlustrechnung, wo sie umsatzund ertragssteigernd wirken sollten. Unternehmen wie Microsoft oder Google, die über die Jahre beträchtliche immaterielle Werte geschaffen haben, die unabdingbare Basis ihrer Marktstellung sind, können diese Werte nicht verbuchen – außer sie werden von Dritten erworben. Auf der anderen Seite wirken sich die mit ihrer Entstehung verbundenen Kosten unmittelbar ertragsbelastend aus. Die Konsequenz ist, dass Buchwerte signifikant unterschätzt werden, was das KBV zu einer irrelevanten Kennzahl für derartige Firmen macht. Nachdem Buchwerte auf buchhalterischen Entscheidungen basieren, dürfte es wenig überraschend sein, dass die höchsten Kurs/Buchwert-Verhältnisse tendenziell in Branchen beobachtet werden können, in denen die wichtigsten Vermögenswerte keinen Eingang in die Bilanz finden. Werden in der Software- oder Biotechnologieindustrie Entwicklungsaufwendungen nicht kapitalisiert, sondern unmittelbar als Aufwand verkostet, werden aus dem KBV abgeleitete Unternehmenswerte tendenziell zu niedrig ausgewiesen. Auch Markenunternehmen generieren einen Großteil ihrer Erträge aus einem Vermögensgegenstand, der ebenfalls nicht bilanziell verbucht werden kann, ihrem Markennamen. In beiden Fällen mag dies ursächlich dafür sein, dass diese Unternehmen vergleichsweise hohe Eigenkapitalrentabilitäten erzielen können und mit weit überdurchschnittlichen Kurs/Buchwert-Verhältnissen gehandelt werden. Auch in anderen Fällen kann das KBV zu Fehlbewertungen führen und gerade die effizienten Unternehmen aus der Peergroup bestrafen. Stellt ein Hersteller seine Produktion auf eine Just in Time-Belieferung um, was einen deutlich effizienteren Lagerumschlag zur Folge hat, wird dies auch Auswirkungen auf den Buchwert haben. Gleiches gilt für Produktionsunternehmen, die nicht auf Halde produzieren, sondern auftragsbezogene Fertigungskonzepte verfolgen. Diese Unternehmen sind effizienter als andere, die für eine Produktion erforderlichen Mittel geringer. Unter sonst gleich bleibenden Bedingungen werden ihre Aktien mit höheren Multiplikatoren bewertet sein als andere, weniger effiziente Unternehmen.
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
375
Vorsicht ist auch bei einem Bewertungsvergleich von Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen angebracht, insbesondere wenn diese unterschiedlichen Buchhaltungsregimen unterliegen. Weichen die angewendeten Buchhaltungsregeln zwischen den Unternehmen zu sehr voneinander ab, ist ein Bewertungsvergleich kaum zielführend. Aus diesem Grund wird eine internationale Peergroup-Analyse anhand des KBV nur selten durchgeführt. Nachdem der Buchwert eines Vermögenswertes seine ursprünglichen Anschaffungskosten widerspiegelt, kann der Marktwert des Vermögens signifikant darunter liegen, falls absehbar ist, dass sich die Ertragskraft des Vermögenswertes im Zeitablauf abschwächen wird. Im Extremfall eines Unternehmens, das einen Paradigmenwechsel verpasst hat, repräsentiert der Buchwert ein auf veralteter Technologie aufgebautes Unternehmen, nicht jedoch dessen zu erwartenden Ertragseinbruch. Noch nicht einmal die Insolvenz kann durch den Einsatz des Buchwertes als Bewertungsmaßstab vermieden werden. So wies zum Beispiel der Computerspielehersteller 10tacle Studios weniger als ein Jahr vor seiner Insolvenz im Jahre 2008 einen Buchwert von rund 6,70€€ je Aktie auf. Bei Unternehmen, deren Going Concern gerade nicht unterstellt werden kann, kann die Verwendung des KBV drastische Fehlbewertungen zur Folge haben. Zu vergleichbaren Defiziten kann es kommen, wenn es keinen effizienten Markt für Vorräte gibt oder weil die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen nicht mehr werthaltig sind. Letzten Endes gelten alle Kritikpunkte, die beim KGV genannt wurden, cum grano salis auch für das KBV: Schließlich ist der Buchwert nichts anderes als das ursprüngliche Eigenkapital der Gesellschaft zum Börsengang zuzüglich sämtlicher danach thesaurierten Gewinne. Dass das KBV eng mit dem KGV verwoben ist, zeigt die Erweiterung von Formel (10.1) um den Jahresüberschuss je Aktie EPS zu folgendem Zusammenhang:
KBV =
P0 P0 EPS = = KGV · ROE. BVPS EPS BVPS
(10.3)
Eine geläufige Argumentation für die Verwendung des KBV ist, dass ein Unternehmen von seinen Anteilseignern jederzeit liquidiert und mindestens ein Ertrag in Höhe des Buchwertes erzielt werden kann. Vielfach wird daher behauptet, eine Aktie solle mindestens auf Höhe ihres Buchwertes notieren oder eine Aktie, die mit einem KBV von unter Eins gehandelt wird, sei unterbewertet. Schließlich könne man das Unternehmen vollständig übernehmen, in seine Einzelteile zerlegen und liquidieren und hätte anschließend einen risikolosen Arbitragegewinn erzielt, wenn man zuvor das Unternehmen unter Buchwert erwerben konnte. Selbst wenn man den zweiten Teil der Aussage akzeptieren würde, heißt das noch lange nicht, dass der Buchwert ein geeigneter Indikator für den Liquidationswert ist. Wachstumsunternehmen sind vielfach in sehr speziellen Nischen tätig, so dass es selten funktionsfähige Märkte für die Vermögenswerte gibt, so dass der nach buchhalterischen Vorgaben ermittelte Buchwert nicht erzielt werden kann. Doch Formel (10.3) zeigt, dass diese Aussage auch aus einem anderen Grund nicht richtig sein kann. Danach darf das KBV umso höhere Werte annehmen, je
376
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
höher das KGV und/oder je höher die Eigenkapitalrendite ist. Profitablere Unternehmen werden demnach ein grundsätzlich höheres KBV ausweisen als weniger profitable Unternehmen. Profitable Unternehmen, die eine Rendite oberhalb ihrer Eigenkapitalkosten erwirtschaften, werden sehr wohl mit einem KBV von deutlich über als Eins gehandelt, während weniger profitable Unternehmen mit einem KBV von zum Teil weit unter Eins bewertet werden. Gerade reife Unternehmen oder Unternehmen im Niedergang sind oft nicht (mehr) in der Lage, ihre Kapitalkosten zu verdienen. Sofern diese Unzulänglichkeit nicht allein der Unfähigkeit des Managements zuzuschreiben (und damit grundsätzlich zu heilen) ist, wird der innere Wert des Vermögens unter seinem aktuellen Buchwert notieren. Die unter institutionellen Investoren wie auch unter Privatanlegern weit verbreitete Aussage, eine Aktie müsse mindestens auf ihrem Buchwert notieren, kann daher nicht aufrechterhalten werden. Das KBV-Verfahren beruht überwiegend auf Vergangenheitsdaten und leitet die Bewertung von der Passivseite der Bilanz ab. Vorwärts gerichtete Konzepte, beispielsweise auf Basis des laufenden oder kommenden Geschäftsjahres, kommen nur selten zur Anwendung, beispielsweise wenn absehbar ist, dass sich das wettbewerbliche Umfeld im Zeitablauf deutlich verändern wird und dies Einfluss auf die Buchwerte hat. Derartige Fälle sind allerdings eher selten. Wichtig ist in jedem Fall, dass für alle Unternehmen der Vergleichsgruppe dasselbe Konzept verwendet wird. Apropos Vergleichsgruppe: Der Buchwert ist mindestens genauso stark von buchhalterischen Bewertungsspielräumen geprägt wie der Jahresüberschuss. Der Blick von Buchhaltern auf das Eigenkapital ist ein völlig anderer als der des Kapitalmarktes. Die buchhalterische Einschätzung von Vermögenswerten ist abhängig vom ursprünglich bezahlten Kaufpreis, von den kumulierten Abschreibungen und anderen buchhalterischen Anpassungen. Selbst innerhalb einer Industrie kann das KBV der einzelnen Unternehmen stark voneinander abweichen, sogar ohne dass notwendigerweise eine Aussage über die Qualität der Investitionen oder über das zukünftige Wachstumspotenzial getroffen wurde. Trotz des vergangenheitsorientierten Ansatzes sollten also auch beim KBV die fundamentalen Werttreiber der Kennzahl analysiert und die Frage beantwortet werden, wie das KBV auch ohne Referenzunternehmen für eine Unternehmenswertfindung herangezogen werden kann. In früheren Kapiteln wurde gezeigt, dass die relevanten Werttreiber von Dividenden- und Cashflow-Diskontierungsmodellen (Niveau der Liquiditätsströme, die erwartete Wachstumsrate und das zu ihrer Erzielung verbundene Risiko) für Unternehmen in einer stabilen Wachstumsphase grundsätzlich auch für die Multiplikatorbewertung Bestand haben. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt man, wenn man im Gordonschen Wachstumsmodell für Dividenden (4.9) die Dividende durch das mit der Ausschüttungsquote δ multiplizierte Nettoergebnis NetInc ersetzt, also
P0 =
δNetInc0 (1 + g) δNetInc1 = , rEK,R − gR rEK,R − gR
für rEK,R > gR .
(10.4)
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
377
Da die Eigenkapitalrendite definiert ist als16
ROE1 =
NetInc1 , EK0
(10.5)
folgt nach Umformung und Substitution in (10.3), dass
P0 =
δEK0 · ROE1 . rEK,R − gR
(10.6)
Nach Division beider Seiten der Gleichung durch den Buchwert des Eigenkapitals – der im Folgenden als Näherungsgröße für den Buchwert angesehen wird –, wird ersichtlich, von welchen fundamentalen Treibern das Kurs/Buchwert-Verhältnis letztendlich abhängig ist:
δROE1 P0 = KBV = , EK 0 rEK,R − gR
für rEK,R > gR .
(10.7)
Auf der linken Seite steht das Kurs/Buchwertverhältnis, auf der rechten die erwartete Eigenkapitalrendite der folgenden Periode ROE1, die multipliziert wird mit der Ausschüttungsquote δ und dividiert wird durch die Differenz aus langfristigen Eigenkapitalkosten rEK,R und Wachstumsrate gR. Damit ist bewiesen, dass eine Aktie, die mit einem KBV von unter Eins gehandelt wird, nicht automatisch unterbewertet ist. Das Kurs/Buchwert-Verhältnis ist umso größer, je größer die Ausschüttungsquote δ, die Eigenkapitalrendite ROE1 und die Wachstumsrate gR sind und je kleiner die geforderten Eigenkapitalkosten rEK sind. Auch die Differenz zwischen der Eigenkapitalverzinsung und der erwarteten Wachstumsrate spielt eine bewertungsrelevante Rolle: Je näher das Wachstum an den Eigenkapitalkosten liegt, desto höher ist auch das aus Fundamentalfaktoren abgeleitete KBV. Ein Vergleich mit Formel (8.4) offenbart, dass die prospektive Eigenkapitalrendite ROE1 der einzige fundamentalanalytische Unterschied zwischen der Höhe des KGV und des KBV ist. Auch substanzwertbasierte Kennzahlen sind damit von der Ertragslage abhängig, und zwar stärker, als dies intuitiv zu vermuten gewesen wäre. So erstaunlich dieser Zusammenhang auf den ersten Blick sein mag, so verständlich wird er, wenn man sich der Mechanismen zwischen Ertragswert und Buchwert bewusst wird: Der Wert eines Unternehmens wird zum großen Teil durch die nachhaltige Ertragskraft seiner Vermögensbestandteile definiert. Dieses wiederum kommt maßgeblich im Marktwert des Vermögens zum Ausdruck. Berechnet man den Marktwert der Vermögensbestandteile als Barwert der zukünftig mit diesen Vermögenswerten erzielten Erträgen, so errechnet sich der Unternehmenswert als Summe der einzelnen Vermögensgegenstände abzüglich des Marktwertes der Ver-
16╇ Anm.: In dieser und den folgenden Gleichungen bezieht sich der Suffix 0 des Eigenkapitals nicht auf den Marktwert des Eigenkapitals, sondern ist eine zeitbezogene Größe.
378
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
bindlichkeiten. Damit zeigt sich, dass auch der Substanzwert letztlich eine modifizierte Ertragsbewertung darstellt. Durch den Zusammenhang (10.7) wird ersichtlich, dass ein Rückgang der Eigenkapitalrendite nur dann Auswirkungen auf das KBV hat, wenn dieser von einem simultanen Rückgang der Ausschüttung begleitet wird. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen geht zwar bei einem Gewinnrückgang die Eigenkapitalrendite zurück, bleibt die Dividende hingegen konstant, etwa weil das Unternehmen den Gewinnrückgang als einmaligen Ausrutscher betrachtet und eine stetige Ausschüttungspolitik verfolgt, bleibt das Produkt aus Eigenkapitalrentabilität ROE1 und Ausschüttungsquote δ per Saldo unter Umständen konstant. Beispiel 10.2: Einmaliger Gewinneinbruch und Auswirkung auf das KBV╇ Der Jahresüberschuss des Stahlunternehmens aus Beispiel (10.1) bricht infolge einer Brandkatastrophe in einer Montagehalle von 7,0€ Mio.€ € auf 5,0€Mio.€€ ein. Das Management hält dennoch an seiner Gesamtausschüttung des Vorjahres von 4,0€Mio.€€ fest. Die Ausschüttungsquote steigt damit von 57,1€% auf 80,0€% an. Bei einem Eigenkapital von 66,4€Mio.€€ verschlechtert sich die Eigenkapitalrentabilität von 10,5€% auf 7,5€%. Unter Berücksichtigung von Formel (10.7) und angesichts eines Unternehmenswachstums von 4,5€ % sowie Eigenkapitalkosten von 9,7€ % ergibt sich für das Vorjahr ein Kurs/Buchwert-Verhältnis von KBV =
δROE1 0,571 · 0,105 = = 1,17 rEK − g 0,097 − 0,045
und für das laufende Jahr von KBV =
δROE1 0,800 · 0,075 = = 1,17. rEK − g 0,097 − 0,045
Das sich aus den Fundamentalfaktoren des Unternehmens ergebende KBV liegt damit in beiden Fällen bei 1,17x. Mit anderen Worten: Die Aktie sollte für dieses Unternehmen um 17,0€ % über dem Buchwert notieren, da sich die Veränderungen der Eigenkapitalrentabilität und die Veränderungen der Ausschüttungsquote gegenseitig neutralisieren. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen muss ein einmaliger Ertragsrückgang keine negativen Auswirkungen auf das Kurs/Buchwert-Verhältnis haben. Ist der Rückgang dagegen dauerhaft, wird dies auch Auswirkungen auf die durchschnittliche Wachstumsrate der Unternehmensgewinne haben und damit auch den Nenner beeinflussen. In Verbindung mit dem in Beispiel (10.1) ermittelten Buchwert liegt das aus den Fundamentaldaten abgeleitete Kursziel bei V0 = 6,490 · 1,17 = 7,60,
also bei 7,60€€ je Aktie.
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
379
Aus den Dividendendiskontierungsmodellen – vgl. Formel (4.29) – ist bekannt, dass die Beziehung g = (1 − δ)ROE gelten muss. Damit folgt für eine Bewertung im Gleichgewicht:
KBV =
ROE1 − gR , rEK,R − gR
für rEK,R > gR
und
ROE1 > gR .
(10.8)
Damit wurde die Ausschüttungsquote δ aus der Beziehung getilgt und das aus den Fundamentaldaten eines Unternehmens abgeleitete KBV ist nur noch von der Eigenkapitalrendite ROE, den Eigenkapitalkosten rEK,R und den erwarteten Wachstumsraten gR abhängig. Der dominierende Einflussfaktor auf das KBV ist damit die Differenz zwischen der Eigenkapitalrendite eines Unternehmens und seinen Eigenkapitalkosten, eine Beziehung, die bekanntlich die Grundlage von Wertschöpfungsmodellen ist. Beispiel 10.3: Berechnung des Kurs/Buchwert-Verhältnisses╇ Die alternative Berechnung des inneren KBV über Formel (10.8) ergibt für das Stahlunternehmen aus Beispiel (10.1) mit KBV =
ROE1 − gR 0,105 − 0,045 = = 1,17 rEK − gR 0,097 − 0,045
denselben Wert wie Beispiel (10.2). In der Realität ist das KBV üblicherweise größer als Eins, ein Indiz, dass der Fortführungs- oder Going Concern-Wert eines Unternehmens von den Investoren höher wertgeschätzt wird als sein Liquidationswert17. Daraus lässt sich wiederum die Schlussfolgerung ableiten, dass die Differenz zwischen ROE1 und gR größer sein muss als die Differenz zwischen rEK,R und gR, was wiederum nichts anderes bedeutet als dass Eigenkapitalrendite ROE1 größer sein muss als die geforderten Eigenkapitalkosten rEK,R. Unternehmen, deren Fortführungswert ihren Liquidationswert übersteigt, und das dürfte die überwiegende Mehrheit der börsennotierten Gesellschaften sein, sind dementsprechend durch folgende Ungleichung charakterisiert: ROE1 > rEK,R > gR . Nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen KBV, Wachstumsrate und Eigenkapitalrendite (Abb.€10.2). Darüber hinaus ist das KBV umso höher, je höher die Differenz zwischen ROE1 und rEK,R ist. Die Gültigkeit dieser Aussage offenbart sich im Extremfall eines langfristigen nicht wachsenden Unternehmens, wenn also gRâ•› = â•›0. In diesem Nullwachstumsmodell folgt aus (10.8): 17╇ Auch dass immaterielle Vermögenswerte nicht bilanziert werden dürfen, könnte hierzu beitragen. Vgl. ausführlich: Lev (2001).
380
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
Abb. 10.2↜渀 KBV in Abhängigkeit von der Wachstumsrate g
120
ROE=11% ROE=15% ROE=20%
100
KBV
80 60 40 20 0 0%
1%
2%
KBVg=0 =
3%
4%
5% g
ROE1 . rEK,R
6%
7%
8%
9%
(10.9)
Beispiel 10.4: Berechnung des Kurs/Buchwert-Verhältnisses╇ Angenommen, das Stahlunternehmen aus Beispiel (10.1) würde aufgrund einer ausreichenden Marktsättigung kein weiteres Wachstum erzielen können. Eine Bewertung anhand Formel (10.9) ist daher angebracht. Wir berechnen das innere KBV aus KBVg=0 =
ROE1 0,105 = = 1,09. rEK 0,097
Sogar im Nullwachstumsfall kann daher das KBV den Wert von eins übersteigen. Damit liegt das über Formel (10.9) abgeleitet Kursziel der Aktie im Nullwachstumsfall bei V0 = 6,49 · 1,09 = 7,09,
also bei 7,09€€ je Aktie. Zusammengefasst zeigt sich, dass die Aussage, ein KBV von unter Eins würde uneingeschränkt auf eine Unterbewertung der Aktie hindeuten, nicht aufrechterhalten werden kann. Nicht einmal die gängige Argumentation, dass eine Aktie umso attraktiver bewertet ist, je niedriger das KBV ist, kann uneingeschränkt aufrechterhalten werden. In jedem Fall ist die Profitabilität des Unternehmens mit in Betracht zu nehmen. Die Praxis folgt hier auch den Erkenntnissen der Theoretiker, denn eine Outperformance von Aktien mit niedrigem KBV kann auch in empirischen Analysen
10.2â•… Kurs/Buchwert-Verhältnis
381
nicht nachvollzogen werden.18 Die dabei zugrunde liegende Argumentation ist, dass bei Aktien mit niedrigem KBV am Kapitalmarkt ein höheres Insolvenzrisiko unterstellt wird. Die Aufmerksamkeit des Investors auf sich zu ziehen sollten insbesondere jene Aktien, bei denen eine hohe Eigenkapitalrendite mit einem niedrigen KBV bzw. ein hohes KBV mit einer niedrigen Eigenkapitalrentabilität gepaart sind: Erstere lassen eine Outperformance der Aktie erwarten, letztere eine Underperformance. Verdient ein Unternehmen mehr als seine Kapitalkosten, übersteigt der Wert, der sich aus der Diskontierung zukünftiger Cashflows ergibt, das bislang in das Unternehmen investierte Kapital. Vom Standpunkt der Unternehmensbewertung ist dies kein sonderlich überraschendes Ergebnis: Vermögenswerte, die Werte schaffen, sind mehr wert als ihre Anschaffungskosten. Demnach kann es aus Sicht des Managements Sinn machen, noch mehr Vermögenswerte zu erwerben und zwar so lange, bis die zuletzt erworbene Einheit gerade noch die Kapitalkosten erwirtschaftet. Doch die getätigten Investitionen ziehen sprunghafte Veränderungen der Kapitalbasis nach sich, was eine Prognose der Ertragszahlen schwierig macht. Darüber hinaus werden Risikoparameter wie das Beta von den unterjährigen Neuinvestitionen beeinflusst, was ebenfalls zu Bewertungsunsicherheiten führt. Eine weitere Erkenntnis lässt sich ebenfalls aus Formel (10.8) ableiten. Nach Addition und Subtraktion von rEK zum Zähler des Bruchs, also
ROE1 − gR + rEK,R − rEK,R P0 , = EK rEK,R − gR
(10.10)
erhält man durch Umformung
ROE1 − rEK,R P0 =1+ EK rEK,R − gR
(10.11)
und schließlich
P0 = EK +
ROE1 − rEK,R EK. rEK,R − gR
(10.12)
Aus diesem Zusammenhang wird auf alternative Weise gezeigt, dass der Börsenkurs P0 nur dann berechtigt über dem Buchwert des Eigenkapitals EK notieren soll, wenn die Eigenkapitalrendite ROE1 die Eigenkapitalkosten rEK,R übersteigt. Erst unter Berücksichtigung der Eigenkapitalrendite kann also aus dem KBV eine Schlussfolgerung für die Bewertung gezogen werden. Der Wert eines Unternehmens, dessen Kapitalrendite deutlich über seinen Eigenkapitalkosten liegt, kann auch deutlich über seinem Buchwert notieren, ohne dass dies eine Überbewertung
Rosenberg et€al. (1985) zeigen, dass im Zeitraum von 1973 bis 1984 US-amerikanische Aktien mit hohem KBV eine durchschnittliche monatliche Outperformance von 36 Basispunkten erzielen konnten. Vergleichbare Ergebnisse stammen von Fama und French (1992).
18╇
382
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
der Aktie anzeigen würde, et vice versa. Damit können auch Aktien mit einem KBV von unter oder über Eins fair bewertet sein. Und noch eine weitere Schlussfolgerung ergibt sich: Weil das Management eines Unternehmens durch den Kauf oder den Verkauf von Wertpapieren keine Überrenditen erzielen kann, weisen diese ein KBV von Eins auf. Damit haben unterschiedlich hohe Wertpapierbestände einen verzerrenden Einfluss auf die Höhe des Multiplikators. Beispiel 10.5: Auswirkungen von Wertpapierbeständen auf das KBV╇ Aus Beispiel (10.1) ist bekannt, dass der Stahlhersteller einen Buchwert des Eigenkapitals von 6,49€€ je Aktie aufweist. Angenommen, die Aktie wird gegenwärtig bei 7,79€€ gehandelt. Damit errechnet sich ein KBV in Höhe von KBV =
7,79 = 1,2x. 6,49
Nimmt das Unternehmen zusätzlich 20,0€Mio.€€ Eigenkapital auf und erwirbt damit Wertpapiere zum Marktwert von 20,0€ Mio.€ €, dann verbessert sich diese Relation bei 9,1€Mio. ausstehender Aktien auf 20,0 9,1 KBV = = 1,15x, 20,0 6,49 + 9,1 7,79 +
obwohl sich das Nettovermögen der Eigentümer nicht verändert hat. Dies liegt an der Wertneutralität der Wertpapierbestände, die dazu führt, dass der Übergewinn aus den restlichen Vermögenswerten auf eine breitere Eigenkapitalbasis verteilt wird.
10.3 Marktwert/Firmenwert-Verhältnis Im Gegensatz zum KBV analysiert und bewertet das eher selten verwendete Marktwert/Firmenwert- (MVFV-) Verhältnis die gesamte Bilanz, nicht nur das Eigenkapital. Die Kennzahl wird üblicherweise auf Basis der Marktwerte berechnet, also
MVFV =
EK0 + Debt0 , EK + Debt
(10.13)
aber auch Enterprise Value-basierte Konzepte sind bekannt, wenngleich seltener in der Anwendung und beziehen sich beispielsweise auf das nicht-liquiditätsbezogene investierte Capital:
10.3â•… Marktwert/Firmenwert-Verhältnis
EVCE =
383
EK0 + Debt0 − ExcessCash + MI0 + PR0 . EK + Debt − ExcessCash + MI + PR
(10.14)
Das Marktwert/Firmenwert-Verhältnis errechnet sich aus der Summe aus dem Marktwert des Eigenkapitals und Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten dividiert durch die Summe aus Buchwert des Eigenkapitals und Buchwert der zinstragenden Verbindlichkeiten. So wie bei der Berechnung des Wertes des Eigenkapitals sämtliche Ansprüche der Aktionäre wiedergegeben werden müssen, insbesondere also die Ansprüche der Stamm- und Vorzugsaktionäre, so sind auch hier theoretisch sämtliche Ansprüche der Kapitalgeber zu berücksichtigen, also falls vorhanden inklusive operativem Leasing oder andere außerbilanzielle Verpflichtungen. Auch hier sollen die Einflussfaktoren auf das MVFV-Verhältnis herausgearbeitet werden. Aus dem Bewertungsmodell (5.46) und der Definition des FCFF (5.17) folgt, dass
EV0 =
EBIT1 (1 − τ ) − In , WACC − gR
für WACC > gR .
(10.15)
Nach Division beider Seiten durch den Buchwert des Gesamtkapitals ergibt sich unter Vernachlässigung von Minderheitsanteilen und Pensionsrückstellungen:
EBIT1 (1 − τ ) − In EV0 = EK + Debt − ExcessCash . EK + Debt − ExcessCash WACC − gR
(10.16)
Aus der Definition der Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE (Angaben jeweils ohne Zeitindex)
ROCE =
EBIT(1 − τ ) EK + Debt − ExcessCash
(10.17)
vereinfacht sich (10.16) zu:
EVCE =
ROCE −
In EK + Debt − ExcessCash . WACC − gR
(10.18)
Auf der rechten Seite von Gl.€(10.18) steht im Zähler die Differenz aus der Gesamtkapitalrendite und der zu ihrer Erwirtschaftung erforderlichen Investitionsquote. Je größer die Differenz zwischen Input und Output, desto größer ist bei sonst gleichbleibenden Bedingungen das EVBV-Verhältnis. Die Profitabilität eines Unternehmens hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe des EVCE-Verhältnisses. Wem Gl.€(10.18) bekannt vorkommt, hat ein gutes Gespür: Ein ähnlicher Zusammenhang zwischen Input und Output wurde bei den Wertschöpfungsmodellen in Kap.€6 vorgestellt.
384
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
10.4 Liquidationswert Benjamin Graham, einer der Urväter des Value Investing, hat einst zwei Bewertungsmethoden vorgeschlagen: Eine davon basierte auf Substanzwerten, genauer auf dem Liquidationswert eines Unternehmens. Er schrieb dazu: „The first rule in calculating liquidating value is that the liabilities are real but the assets are of questionable value”19. Betrachtet man die Substanz nicht vor dem Hintergrund der Fortführung eines Unternehmens, sondern der Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit, spricht man vom Liquidationswert. Reichen zum Beispiel die Erlöse eines Unternehmens nicht (mehr) aus, um die Kosten zu decken, muss früher oder später ein Investor gesucht werden, der Teile oder die Gesamtheit des Unternehmens übernimmt. Lässt sich ein solcher nicht finden und muss davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen zahlungsunfähig wird, ist eine herkömmliche Unternehmensbewertung nicht mehr möglich, da diese in der Regel von einem Going Concern der Gesellschaft ausgeht. In diesen Fällen kommt der Liquidationswert des Unternehmens zum Zug. Dieser ergibt sich aus
V0 = LV0 − FK0 − KostenL .
(10.19)
Der Liquidationswert LV0 entspricht jenem Betrag, der aus einer Zerschlagung eines Unternehmens und der Veräußerung aller Vermögensgegenstände voraussichtlich erzielt werden kann, sei es in Form eines Notverkaufs an den höchsten Bieter, zum Beispiel im Gefolge einer Insolvenz, oder in Form eines strukturierten Verkaufsprozesses, nachdem ein Aufkäufer das Unternehmen in seine operativen Einzelteile zerlegt hat (auch Break up-Value genannt). Auf eine Formel gebracht entspricht damit der Liquidationswert dem beim Verkauf des gesamten betrieblichen Vermögens erwirtschafteten Betrag abzüglich der bei der Unternehmensauflösung abzulösenden Verbindlichkeiten und abzüglich der mit der Liquidation verbundenen Aufwendungen (u.€a. Zerschlagungskosten, Anwalts- und Gerichtsgebühren, aber auch Sozialplanverpflichtungen oder Steuerzahlungen in Zusammenhang mit der Auflösung stiller Reserven). Zu beachten ist, dass bei einer bestehenden Insolvenzgefahr die Aktionäre derartige Wertverluste antizipieren und höhere Kapitalkosten fordern. Der an ein insolvenzgefährdetes Unternehmen anzusetzende Diskontierungssatz steigt damit unter Umständen erheblich an. Vor diesem Hintergrund dürfte der Liquidationswert die absolute Wertuntergrenze eines Unternehmens darstellen. Die für den Praktiker nicht ganz unbedeutende Frage, wie der Wert der einzelnen Aktiva und Passiva bestimmt werden soll, wird in der bewertungstechnischen Literatur indes meist nicht einmal tangiert. Verkehrs- oder Wiederbeschaffungswert sind die in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Begriffe, bei denen freilich übersehen wird, dass es sich entweder um theoretische Konstruktionen handelt – schließlich wird ja gerade nicht wiederbeschafft – oder um Schätzungen – so 19╇
Graham und Dodd (1940, S.€579).
10.4â•… Liquidationswert Tab. 10.1↜渀 Wertbandbreiten bei der Berechnung des Liquidationserlöses. (Quelle: Vgl. Graham und Dodd 1934, S.€579)
385 Vermögenswert Umlaufvermögen Kassenbestand Marktfähige Wertpapiere Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Vorräte Anlagevermögen Immobilien
Bandbreite Durchschnittswert 100 100 75–90
100 100 80
50–75
66,6
1–50
15
können sich zwischen dem Zeitpunkt der Bewertung und dem Zeitpunkt des Verkaufs substantielle Änderungen ergeben, die echten Kosten der finanziellen Notlage. Ist ein Unternehmen aus seinen Freien Cashflows nicht mehr in der Lage, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, ist es gezwungen, zu diesem Zweck Vermögenswerte zu verkaufen. Da es sich in der Mehrheit der Fälle um einen Notverkauf handelt, wird der zu erwartende Erlös aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit des Verkaufs unter den Marktwerten dieser Vermögenswerte liegen: Jeder, der etwas verkaufen muss, hat die Erfahrung machen müssen, dass er in den seltensten Fällen den Wert erzielt, den er in einem geordneten Verkaufsprozess erzielen könnte. Als Advocatus Diaboli könnte man im Extremfall die Frage stellen, ob Vermögensgegenstände überhaupt einen Wert haben, welcher unabhängig von der betrieblichen Aktivität der Gesellschaft ermittelt werden kann? Die typische Antwort des Bewerters lautet: Das kommt darauf an. Handelt es sich bei den Vermögenswerten um fungible Werte, beispielsweise um die Fahrzeuge einer Autovermietung, ist sie zu bejahen. Gibt es dagegen keinen Markt für Gebrauchtgüter, also beispielsweise für die Werkzeuge einer Fabrik, ist die Frage zu verneinen. Darüber hinaus fallen während einer Liquidation auch Kosten an, beispielsweise für die Abfindung der Angestellten oder für Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte. Je nach Ausgangslage kann der Abschlag zum Buchwert auch beträchtliche Größenordnungen einnehmen20. Können die Vermögenswerte beim Verkauf nicht ihre Buchwerte erzielen, entstehen bei der Liquidation der Gesellschaft Verluste, die das Eigenkapital schmälern, es unter Umständen sogar negativ werden lassen. Weitere direkte Kosten aus der operativen Schieflage entstehen aus einem höheren Personalumschlag, aus reduzierten Zahlungszielen der Zulieferer, aus gekündigten Kreditlinien der Banken oder aus Factoring. Diese Kosten werden auf 10 bis 25€ % des gesamten Unternehmenswertes eingeschätzt21. Um diese Kosten in der Berechnung des Liquidationswertes berücksichtigt zu sehen, schlug Benjamin Graham bereits 1934 bestimmte Abschläge vor (Tab.€10.1). Gemäß dieser Systematik haben immaterielle Vermögenswerte bei einem Notverkauf keinerlei Wert. Für welche Unternehmen macht die Verwendung des Liquidationswertes keinen Sinn? Zunächst natürlich für Unternehmen, für die die Liquidation keine Option ist, 20╇ 21╇
Vgl. auch Shleifer und Vishny (1988). Vgl. Andrade und Kaplan (1998).
386
10â•… Substanzwertbasierte Kennzahlen
etwa weil es sich um sehr große Unternehmen handelt oder weil es unter der Protektion des Staates steht. Bei Unternehmen des DAX oder des MDAX als die Repräsentanten der größten deutschen börsennotierten Unternehmen dürfte die Verwendung des Liquidationswertes im Investorenkreis eher auf Unverständnis stoßen. Grundsätzlich dürfte der Liquidationswert auch bei Unternehmen, die über einen sehr guten Zugang zu Fremdkapital verfügen, eher ungewöhnlich sein, da diese Unternehmen auch in Rezessionszeiten gut mit Fremdkapital ausgestattet sein werden.
Kapitel 11
Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
11.1 Über Ausnahmen und Regeln Die Mehrheit der Literatur zum Thema Unternehmensbewertung ist der Analyse reifer, etablierter Geschäftsmodelle gewidmet. Die Bewertung von Unternehmen, deren Kennzahlen sich im Jahresvergleich vielleicht nur geringfügig unterscheiden, ist in der Tat ein guter Anfang, um in die Thematik einzusteigen. Die Einstufung als „reifes“ Unternehmen ist gleichbedeutend mit moderatem einstelligem Umsatzwachstum und – bei aller Zyklizität des Geschäftsmodells – einer langfristigen Stabilität der Profitabilitätskennzahlen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die sich vom Normalfall derart drastisch unterscheiden, dass man mit der Lehrbuchmethode nicht mehr weiterkommt. Einige Unternehmen zeigen volatile Wachstumsentwicklungen in beiden Richtungen, andere haben als Holding überhaupt keine operative Geschäftstätigkeit, und auch die zunehmende Globalisierung mag Auswirkungen auf die Bewertung haben. Zusätzlich zum Lebenszykluskonzept, das in Dividenden- und Cashflow-Diskontierungsmodellen von besonderer Bedeutung ist, unterscheidet der Kapitalmarkt Unternehmen nach ihrer Art und Weise, auf Konjunkturzyklen zu reagieren – oder nicht zu reagieren. Dabei haben sich drei Unternehmenskategorien herauskristallisiert: • Wachstumsunternehmen weisen überdurchschnittliche, in der Regel zweistellige Umsatzwachstumsraten auf, sogar unabhängig vom Konjunkturzyklus. Die Gewinnmarge steigt im Zeitablauf an, so dass das durchschnittliche jährliche Ertragswachstum das der Umsätze sogar noch übersteigt. Unter Umständen ist das Unternehmen cash-negativ, da ihm eine breite Palette von Investitionsopportunitäten offensteht. Klassische Wachstumswerte stammen häufig aus innovativen, zukunftsweisenden Wachstumsbranchen wie den TIME-Industrien (Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien und Entertainment) oder Bereichen wie der Bio- oder Nanotechnologie, aber auch Internetwerte und Unternehmen der Informationstechnologie sowie der Telekommunikation gehören in der Regel in diese Kategorie.
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_11, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
387
388
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Boom Handel Maschinenbau, Anlagenbau
Aufschwung
Stahlhersteller Medien Abschwung
Autohersteller, -zulieferer Bau Transport und Logistik
Chemie
Elektronik, Elektrotechnik Rezession
Abb. 11.1↜渀 Konjunkturzyklus und Branchen
t
• Defensive Unternehmen sind durch eine stabile Geschäftsentwicklung charakterisiert, die ebenfalls weitgehend unabhängig vom Konjunkturzyklus verläuft. Die Umsätze bewegen sich auf einem leichten Aufwärtstrend, der in etwa dem langfristigen Wachstum der Volkswirtschaft entspricht. Typische Beispiele hierfür sind Immobilienbestandshalter, Nahrungsmittelhersteller, Healthcare-Unternehmen und Stromerzeuger. Unternehmen dieser Gruppe stehen meist als Synonym für „reife“ Unternehmen. • Bei zyklischen Unternehmen richtet sich die Umsatz- und Ertragsentwicklung nach dem Konjunkturzyklus, meist in deutlich ausgeprägter Weise: Zykliker profitieren überproportional vom konjunkturellen Aufschwung, aber leiden während der Rezession an einem markanten Ertragseinbruch, der die Unternehmen bis in die Verlustzone führt. Beispiele sind die Bauindustrie, der Maschinenbau, die Stahl- und die Automobilindustrie (Abb.€11.1).
11.2 Die Bewertung von Wachstumsaktien Ein Unternehmen wird als Wachstumswert bezeichnet, wenn es mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten wächst. Was als „überdurchschnittlich“ eingestuft wird, variiert von Zeit und Zeit, doch eine durchschnittliche jährliche Umsatzwachstumsrate von 20€% oder mehr, erzielt über einen Zeitraum von fünf Jahren, dürfte – unabhängig vom vorherrschenden Zeitgeist – eine Wachstumsaktie auf jeden Fall definieren. Gemäß dieser Vorgabe können Wachstumsunternehmen in drei Gruppen kategorisiert werden:
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
389
• Das klassische Wachstumsunternehmen entwickelt ein innovatives Produkt, das bislang nicht auf dem Markt erhältlich war und von dem Konsumenten noch nicht einmal ahnten, dass sie es benötigen: Die Produkte sind meist Ausfluss intensiver Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten des First Movers mit kurzer Unternehmensgeschichte. Häufig ist das Pionierunternehmen Teil eines neuen Booms oder Trends, an dessen Beginn mehrere Unternehmen mit ähnlichen Produkten um Marktanteile konkurrieren. Der sicherlich prominenteste Fall eines klassischen Wachstumsunternehmens während der letzten Dekade ist Apple mit seinem iPod. • Zweitens gibt es Unternehmen, die sich über die organische Gewinnung von Marktanteilen als Wachstumsunternehmen qualifizieren: Unternehmen aus dieser Klasse konnten sich bereits am Markt etablieren, ihre Produkte und Dienstleistungen sind jedoch gegenüber anderen überlegen. In einem theoretisch reifen Markt können sie sich durch überlegene Produktspezifikationen oder günstigere Preise als Wachstumswert qualifizieren. • Drittens gibt es Unternehmen, die über externes Wachstum den Markt konsolidieren wollen: Diese Unternehmen verfügen über eine ausreichend gefüllte „Kriegskasse“, mit der sie kleinere Wettbewerber aus dem Markt nehmen, oder über ausreichend Zugang zu Eigen- oder Fremdkapital. In einem ebenfalls reifen Markt sind viele Teilnehmer mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen vertreten, viele davon weisen jedoch eine subkritische Größe auf. Mit jeder Akquisition kann das konsolidierende Unternehmen von Skalen- und Synergieeffekten profitieren, die die Wettbewerbssituation der verbleibenden Anbieter weiter verschlechtert. Eine derartige Buy and Build-Strategie wird häufig von Private Equity dominierten Gesellschaften verfolgt. Bei klassischen Wachstumsunternehmen ist eine Referenzgruppenbewertung über Multiplikatoren problematisch, einfach weil es in der frühen Phase des Produktzyklus, in dem sich das Wachstumsunternehmen per Definition befindet, keine oder nur wenige Vergleichsunternehmen gibt, die zudem selten börsennotiert sind, und weil die, die es gibt, wie die zu bewertende Aktie auch nur über eine sehr beschränkte Unternehmenshistorie verfügen. Von Investorenseite wird sogar die Meinung vertreten, dass derartige Start-Up-Geschäftsmodelle bei privaten Geldgebern oder Venture Capital-Gesellschaften besser aufgehoben sind, da sie meist eines aktionistischen Investors bedürfen, der nicht allein Kapital zur Verfügung stellt, sondern dem vielfach jungen und unerfahrenen Management auch Expertise und Unterstützung angedeihen lässt. Nicht selten stellen Aktionäre mit größeren Beteiligungsportefeuilles, vor allem Hedge Fonds, dem Unternehmen Managementunterstützung, z.€B. in Form von speziellem Know-how, Netzwerken, Bar- oder Sachmitteln zur Verfügung. Im Gegenzug erhalten sie besondere Kontroll- und Mitspracherechte in Form von Aufsichtsratsposten. Das Being Public mit all seinen Folgeverpflichtungen wie Finanzberichterstattung oder Investor Relations ist ohne eine professionelle Unterstützung häufig eine zeitraubende Angelegenheit, die nicht zuletzt zu Lasten der operativen Performance geht. Aber auch Unternehmen der zweiten und dritten Kategorie stellen den Bewerter vor hohe Hürden, da die beschriebenen, traditionellen Methoden der Unternehmensbewertung schwerwiegende Defizite in ihrer Integration auf die für Wachs-
390
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
tumsunternehmen spezifischen Charakteristika aufweisen. Denn zum einen tragen die bislang besprochenen Bewertungsansätze nicht dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Wachstumswerten um Unternehmen handelt, die sich in einer Frühphase ihres Lebenszyklus befinden und damit für einen begrenzten Zeitraum und aufbauend auf einer geringen Basis weit überdurchschnittliche Wachstumsraten bei Umsatz und Ertrag erwirtschaften. Gleichzeitig können sie sich nicht wie etablierte Unternehmen auf eine breite Produktpalette stützen, die ihnen den nötigen Cashflow zur Finanzierung von Neuentwicklungen bereitstellt. Vor dem Hintergrund hoher Investitionsbedürfnisse und angesichts des Fehlens eines aktuell vermarktbares Produktspektrums ist ihr Freier Cashflow zunächst negativ, so dass der Bestand an liquiden Mitteln während der Wachstumsphase deutlich zurückgeht. Ein Vorstand wie Jerry Kennelly, CFO des Softwareherstellers Inktomi, meinte denn auch, dass „early profitability is not the key to value in a company like this“1. Wenn nicht nur in diesem Buch gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass der Wert eines Unternehmens abhängig ist von der Höhe der Cashflows, die dieses Unternehmen in Zukunft erwirtschaften wird, von der Lebensdauer der Vermögensgegenstände, die diese Cashflows erwirtschaften, und dem Risiko, das mit der Erwirtschaftung der Cashflows verbunden ist, und wenn gleichzeitig die solide Prognose ebendieser zukünftigen Cashflows nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich ist, dann können DCF- und Dividendendiskontierungsmodelle nicht zu glaubhaften Ergebnissen kommen. Konventionelle DCF-Verfahren basieren häufig auf Endwerten, die um ein Vielfaches höher sind als die während der Detailplanungsphase geschaffenen Unternehmenswerte, ein Phänomen, für das der Umstand verantwortlich ist, dass das zum jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt beobachtete Unternehmenswachstum über den Detailprognosezeitraum hinaus fortgeschrieben wird. Bereits vor fast 50 Jahren hat denn auch Malkiel festgestellt, dass die erwarteten Wachstumsraten hochbewerteter „high-Multiple“ Aktien viel zu aggressiv eingeschätzt werden, weit jenseits dessen, was in einem DCF-Modell als „normal“ eingestuft werden würde2, ein Zustand, der sich seither vermutlich nicht wesentlich verbessert hat. Auch andere klassische Bewertungsverfahren wie Dividendendiskontierungsmodelle sind für eine Bewertung ungeeignet, da Wachstumsunternehmen von einem hohen Kapitalbedarf zur weiteren Finanzierung des überproportionalen Wachstums gekennzeichnet sind, weswegen sie meist auf absehbare Zeit keine Dividenden ausschütten. Eine extrem langfristige Prognose von Dividenden abzugeben und diese abzudiskontieren hätte bei den Bewertungsadressaten keine Glaubwürdigkeit, zumal Aktionäre von Wachstumsunternehmen ohnehin keine laufende Ausschüttung für das von ihnen zur Verfügung gestellte Kapital anstreben, sondern einen Kapitalgewinn zum Zeitpunkt der Veräußerung ihrer Beteiligung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie riskante Wachstumsunternehmen überhaupt bewertungstechnisch in den Griff zu bekommen sind, wenn „the market overpays for superior growth expectations with statistical significance“3? Zitiert nach Aggarwal et€al. (2005, S.€1). Vgl. Malkiel (1963). 3╇ Arnott et€al. (2009, S.€3). 1╇ 2╇
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
391
Zu beginnen ist mit der Prognose der Umsätze, der Schlüsselgröße jeder Unternehmensbewertung. Die übliche Vorgehensweise wäre es, einen Blick auf die jüngsten Geschäftsabschlüsse zu werfen und aus diesen Schlüsse über die zukünftige Umsatz- und Ertragslage zu ziehen. Aufgrund der kurzen Unternehmenshistorie und der geringen absoluten Höhe der Vermögenswerte ist diese Vorgehensweise jedoch nur eingeschränkt möglich: Insbesondere in der Anfangsphase des Produktlebenszyklus können Unternehmen durchaus exponentielle Wachstumsraten erreichen und erst später in eine Phase rückläufiger Wachstumsraten eintreten. Dreistellige jährliche Wachstumsraten sind möglich, aber auch im Jahresvergleich erratisch schwankende, die keinen nachvollziehbaren Charakteristika folgen. Beispiel€ 11.1: Szenarioanalyse zur Umsatzentwicklung╇ Ein von einem Nobelpreisträger gegründetes Biotechnologieunternehmen konnte im vergangenen Jahr seine Umsätze von 40,0€Mio.€€ auf 52,0€Mio.€€ steigern. Ursächlich hierfür war ein innovatives Krebsmedikament, das neu auf den Markt gebracht wurde. Da keine vergleichbaren Präparate am Markt verfügbar sind, können die erwarteten Umsätze anhand der Zahl an Krebsindikationen und der Absatzpreise in einer top-down-Analyse geschätzt werden. Daraus ergibt sich folgende Entwicklung: Mio.€€
t╛╛−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
Umsatz 40,0 YoY (%) n/a
52,0 30,0
65,6 26,1
tâ•› + â•›1 80,2 22,3
tâ•› + â•›2 95,2 18,6
tâ•› + â•›3 109,5 15,1
tâ•› + â•›4 122,3 11,6
tâ•› + â•›5 132,4 8,3
tâ•› + â•›6 139,1 5,0
Damit ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum sehr hohe Wachstumsraten aufweisen kann, sind Markteintrittsbarrieren oder die Existenz eines Unique Selling Points erforderlich, also beispielsweise eine überlegene, patentgeschützte Technologie; auch ein etablierter Markenname kann als solche Barriere fungieren. Existieren dagegen keine Markteintrittsbarrieren, wird das Unternehmen sehr viel schneller auf sich einen am Gesamtmarktwachstum orientierenden Entwicklungspfad zurückkehren So wird auch dieses Szenario schnell Makulatur, wenn es dem einzig verbliebenen Wettbewerber gelingt, sein Alternativpräparat marktreif zu bringen. Sollte dies, wie von einigen Analysten erwartet, gegen Ende von tâ•›+â•›2 der Fall sein, dürften die Erlöse ab tâ•›+â•›3 einen ganz anderen Verlauf nehmen: t╛╛−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
Umsatz 40,0 YoY (%) n/a
Mio.€€
52,0 30,
65,6 26,1
tâ•› + â•›1 80,2 22,3
tâ•› + â•›2 95,2 18,6
tâ•› + â•›3 101,6 6,8
tâ•› + â•›4 97,7 −â•›3,9
tâ•› + â•›5 84,5 −â•›13,5
tâ•› + â•›6 65,8 −â•›22,2
Eine seriöse Unternehmensbewertung sollte beide Szenarien, den Monopolund den Wettbewerbsfall, berücksichtigen und mit jeweils einer Eintrittswahrscheinlichkeit gewichten.
392
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Die Abwesenheit relevanter Vergangenheitsdaten macht es schwierig, die Umsätze und andere betriebliche Kennzahlen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Konjunkturerwartung zu prognostizieren. Als Außenstehender wird man sich daher an den erwarteten Wachstumsraten vergleichbarer Unternehmen orientieren oder auf die Management-Guidance zurückgreifen. In einem zweiten Schritt sind Prognosen über die mögliche operative Ertragslage des Unternehmens fällig. Wachstumsunternehmen sind in aller Regel unprofitabel, häufig auch auf operativer (EBITDA-) Ebene, manchmal sogar auf der Ebene des Rohertrags. Dies hat für die Bewertung verschiedene Konsequenzen. Erstens können die Wachstumsraten des operativen Ergebnisses nicht endogen aus dem Modell erklärt werden. Beide Inputfaktoren auf der rechten Seite der Formel (5.21) gEBITâ•› = â•›εROCE basieren auf dem operativen Ergebnis und können in einer Verlustsituation nicht zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Dies trifft den bewertenden Investor doppelt, denn zur Einschätzung der Qualität des Wachstums benötigt er Informationen über die bislang getätigten Investitionen, die wiederum nur dann wertschöpfend waren, wenn die aus ihnen erwirtschafteten Renditen die an sie gestellten Kosten übersteigen. Zweitens kann sich die Ertragslage bei jungen Wachstumswerten von einem auf das nächste Jahr sprunghaft verändern, etwa weil ein bestimmtes Produkt besser angenommen wird als angenommen. Daher mag es aus Bewertungssicht sinnvoll sein, nicht den Abschluss des vergangenen Geschäftsjahres zur Basis für die Analyse der Ertragslage zu machen, sondern den kombinierten Abschluss der vergangenen vier Quartale (LTM). Und drittens ist bei Unternehmen, deren gesamte Historie womöglich aus operativen Verlusten besteht, die Steuerquote aufgrund der Verlustsituation und der hohen steuerlichen Verlustvorträge nicht aussagekräftig. Für sie ist in Deutschland nur eine Mindestbesteuerung anzusetzen, nicht jedoch der für eine Unternehmensbewertung eigentlich relevante Grenzsteuersatz. Eine Wachstumsrate an ein negatives EBIT anzulegen wäre gleichbedeutend damit, dass dieses in der Folgeperiode noch stärker negativ wird. Nachdem die endogene Variante fehlgeschlagen ist, würde sich der Investor behelfsweise auf eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Vergangenheit zurückziehen. Doch auch diese ist für ein unprofitables Unternehmen nicht hilfreich. So errechnet sich die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate CAGR eines Unternehmens, dessen operativer Verlust sich innerhalb von fünf Jahren von ╛╛−╛╛10,0€Mio.€€ auf ╛╛−╛╛5€Mio.€€ 1 −5,0 5 − 1 = −0,129 = −12,9 % ein völlig unhalbiert hat, mit CAGREBIT = −10,0
brauchbares Ergebnis. Daneben gibt es eine weitere Besonderheit bei der Bewertung von Wachstumsaktien: Die Hauptursache für die erwartete negative Ergebnisreihe ist häufig in hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung zu suchen, die gemäß IFRS oder HGB nicht aktiviert werden dürfen. Eine Aktivierung von F&E-Aufwendungen ist jedoch für die Bewertung der meisten Wachstumsunternehmen hilfreich. Dies hat einen weiteren Hintergrund: Wie häufig lässt sich der Kapitalmarkt von Ertragszahlen täuschen, die über den Erwartungen lagen? Und wie oft stellt sich hinterher heraus, dass dies allein einem Rückgang der F&E-Aufwendungen geschuldet war und nicht der Existenz von Skaleneffekten? Eine sorgfältige Analyse, ob das Ma-
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
393
nagement gerade die zukünftigen Wachstumspotenziale auf dem Altar der aktuellen Quartalszahlen geopfert hat, ist bei Wachstumsunternehmen also unabdingbar. Um überhaupt zu einem akzeptablen Bewertungsergebnis zu gelangen, ist eine Einschätzung der langfristig erreichbaren Profitabilität erforderlich. Damit diese nicht allzu subjektiv bleibt, kann es hilfreich sein, einen Blick auf die Ertragslage von vergleichbaren Unternehmen aus der Branche zu werfen. Der Wettbewerbsvergleich findet also nicht erst beim Vergleich der Bewertungskennziffern statt, sondern bereits einen Schritt früher, nämlich bei der Analyse der operativen Ertragszahlen. Bei dieser Gelegenheit begehen nebenbei bemerkt viele Analysten den Fehler, dass sie sich auf die falschen Vergleichswerte versteifen: Viele online-basierte Einzelhändler, die um die Jahrtausendwende mit dreistelligen Umsatzwachstumsraten glänzten und dem Kapitalmarkt hohe operative Margen versprachen, sind letzten Endes doch nur Einzelhändler, deren Wachstumsraten und Nettogewinnmargen sich früher oder später im niedrigen einstelligen Prozentbereich einpendeln. Dessen ungeachtet wurden während der dot.com-Blase zentnerweise Berichte darüber verfasst, warum die Ertragslage eines Online-Händlers weit über der des filialen Einzelhandels liegen sollte, dennoch haben sich viele dieser Argumente trotz ihrer intuitiven Logik nicht bewahrheitet. Beispiel€11.2: Analyse der Margenentwicklung╇ Das Biotechnologieunternehmen aus Beispiel€ 11.1 rechnet mit einer Rohertragsmarge von 90,0€ %, mit Aufwendungen aus F&E bzw. aus Marketing und Vertrieb von 20,0€ % bzw. von 15,0€% vom Umsatz sowie Overhead-Kosten (der Summe aus Verwaltungskosten und sonstiges betriebliches Ergebnis) von 10,0€ Mio.€ €, die gleichmäßig um 10,0€% pro Jahr ansteigen sollen. Damit lässt sich im Monopolfall folgende Entwicklung der EBIT-Margen ableiten: Mio.€€ Umsatz Materialaufwand Rohertrag F&E-Aufwand Marketingaufwand Overhead EBIT
t╛╛−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
tâ•› + â•›1
tâ•› + â•›2
tâ•› + â•›3
tâ•› + â•›4
tâ•› + â•›5
tâ•› + â•›6
40,0 52,0 65,6 80,2 95,2 109,5 122,3 132,4 139,1 −╛╛4,0 −╛╛5,2 −╛╛6,6 −╛╛8,0 −╛╛9,5 −╛╛11,0 −╛╛12,2 −╛╛13,2 −╛╛13,9 36,0 46,8 59,0 72,2 85,6 98,6 110,0 119,2 125,2 −╛╛8,0 −╛╛10,4 −╛╛13,1 −╛╛16,0 −╛╛19,0 −╛╛21,9 −╛╛24,5 −╛╛26,5 −╛╛27,8 −╛╛6,0 −╛╛7,8 −╛╛9,8 −╛╛12,0 −╛╛14,3 −╛╛16,4 −╛╛18,3 −╛╛19,9 −╛╛20,9 −╛╛10,0 −╛╛11,0 −╛╛12,1 −╛╛13,3 −╛╛14,6 −╛╛16,1 −╛╛17,7 −╛╛19,5 −╛╛21,4 12,0 17,6 24,0 30,8 37,7 44,1 49,5 53,3 55,0
Für die EBIT-Margen bedeutet dies: %
tâ•›−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
EBIT-Marge (%)
30,0
33,8
36,5
tâ•› + â•›1 38,4
tâ•› + â•›2 39,6
tâ•› + â•›3 40,3
tâ•› + â•›4 40,5
tâ•› + â•›5 40,3
tâ•› + â•›6 39,6
Da die EBIT-Margen anderer Biotechnologieunternehmen mit ähnlicher Marktstellung mit den Unternehmensplanungen durchaus vergleichbar sind, kann die Guidance des Managements als glaubwürdig eingestuft werden.
394
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Den Detaillierungsgrad einer Bilanzprognose derartig stark zu abstrahieren kann sinnvoll sein, wenn bereits die Schätzung der Kerndaten der Bewertung – Umsätze und operative Marge – mit hoher Unsicherheit verbunden ist. Eine Bewertung gewinnt nicht allein deshalb an Glaubwürdigkeit, weil versucht wird, das sonstige betriebliche Ergebnis in allen Facetten vorherzusagen, gleichzeitig aber die Prognose der Umsätze mangels Daten kaum möglich ist. Daher kann es in diesen Fällen vollkommen ausreichend sein, mit einer vergleichsweise hochgranularen Ertragsprognose zu arbeiten. Den Insolvenzfall ausgenommen ist es nicht die entscheidende Frage, ob das Wachstumsunternehmen eine im Wettbewerbsvergleich adäquate Marge erreicht, sondern wann. Ein Zeitraum ist zu schätzen, weniger ein Renditeniveau, was durch das Vorhandensein von Wettbewerbern zusätzlich kompliziert wird. Um die Glaubwürdigkeit der Unternehmensbewertung zu erhöhen, kann es daher sinnvoll sein, Szenarioanalysen aufzustellen, in denen unterschiedlich lange Zeiträume überdurchschnittlichen Wachstums bewertet werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei Markteintrittsbarrieren und Marktmacht, die in Kombination die Fähigkeit des Unternehmens bestimmen, wie lange und wie hoch die erzielten Margen ausfallen. Im nächsten Schritt sind Annahmen über die erforderlichen Investitionen zu treffen. Oben wurde erwähnt, dass die sich endogen aus dem Modell erklärende Wachstumsrate g für unprofitable Unternehmen nicht aus der Formel gEBITâ•› = â•›εROCE ermittelt werden kann, so dass sich auch die Investitionen nicht endogen aus dem Modell errechnen. Gibt es alternative Wege, diesen Zusammenhang zu nutzen? Naheliegend mag es sein, behelfsweise auf die Investitionsquoten des Sektors zurückzugreifen und diese als Prozentsatz vom Umsatz zu ermitteln. Durch dieses Vorgehen können Größenunterschiede der Peergroup eliminiert werden. Stark wachsende Unternehmen würden sich mittelfristig dem Wert der Peergroup annähern, eine Methode, die natürlich nur funktioniert, wenn sich die Peergroup nicht ebenfalls aus verlustreichen Gesellschaften zusammensetzt. Ist diesem Fall kann es sinnvoll sein zu unterstellen, die erforderlichen Nettoinvestitionen in das Anlagevermögen und das Working Capital könnten mit derselben Rate wachsen wie die Umsätze. Durch diese Vereinfachung wird unterstellt, dass die aktuellen Erweiterungsinvestitionen ein Normalniveau erreicht hätten und sich der Auslastungsgrad der bestehenden Kapazitäten durch neue Anlagen nicht verändern würde. Damodaran schließlich schlägt einen dritten Weg vor4, die Umsatz/Kapital-Ratio UKR. Anstelle der operativen Erträge, die negativ sein können, nimmt er die Umsätze als Inputfaktoren, um anhand dieser die für ihre Erzielung notwendigen Investitionen zu schätzen:
4╇
Umsatz Capex + M&A + WC − Dep Umsatz , für Umsatz > In . = In
UKR =
Vgl. Damodaran (2000, S.€26€f.).
(11.1)
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
395
Eine Umsatz/Kapital-Ratio von 2,0 würde bedeuten, dass jeder in das eingesetzte Kapital investierte Euro in der darauf folgenden Periode Umsätze von zwei Euro zur Folge hätte. Notwendige Voraussetzung für das Funktionieren der Gl.€(11.1) ist, dass die Veränderung des Umsatzes die hierfür notwendigen Erweiterungsinvestitionen übersteigt, man es also in jedem Fall mit einem Wachstumsunternehmen zu tun hat. Die Erweiterungsinvestitionen umfassen nach dieser Definition sowohl solche in Sachanlagen, in Working Capital und externes Wachstum. Die zur Erzielung des geplanten Umsatzes erforderlichen Nettoinvestitionen können dann aus den Umsätzen sowie der Umsatz/Kapital-Ratio berechnet werden, und zwar durch Auflösung von Gl.€(11.2) nach In:
In =
Umsatz . UKR
(11.2)
Je höher die Umsatz/Kapital-Ratio ist, desto geringer sind die für die Erzielung der geplanten Erlöse erforderlichen Erweiterungsinvestitionen und umgekehrt. Beispiel€ 11.3: Schätzung der Investition anhand der Umsatz/KapitalRatio╇ Damit das Biotechnologieunternehmen aus Beispiel€11.1 seine Erlöse von 40,0€Mio.€€ auf 52,0€Mio.€€ steigern konnte, musste das Unternehmen Investitionen in Sachanlagen in Höhe von 11,0€Mio.€€ und in Working Capital in Höhe von 2,0€ Mio.€ € tätigen. Die Abschreibungen beliefen sich auf 10,0€Mio.€€. Damit ergibt sich eine UKR von UKR =
52,0 − 40,0 Umsatz = = 4,0. Capex + M&A + WC − Dep 11,0 + 2,0 − 10,0
Da vergleichbare Werte auch für andere Biotechnologiewerte in derselben Nische beobachtet werden können, berechnen wir die zukünftigen Erweiterungsinvestitionen anhand dieses Wertes sowie der geplanten Umsätze und gelangen damit zu folgender Datenreihen: Mio.€€
t╛╛−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
Umsatz YoY (%) UKR (x) In CE
40,0 n/a 4,0 10,0 60,0
52,0 30,0 4,0 13,0 73,0
65,6 26,1 4,0 16,4 89,4
tâ•› + â•›1 80,2 22,3 4,0 20,1 109,4
tâ•› + â•›2 95,2 18,6 4,0 23,8 133,2
tâ•› + â•›3 109,5 15,1 4,0 27,4 160,6
tâ•› + â•›4 122,3 11,6 4,0 30,6 191,2
tâ•› + â•›5 132,4 8,3 4,0 33,1 224,3
tâ•› + â•›6 139,1 5,0 4,0 34,8 259,0
Das eingesetzte Kapital CE, das zu Beginn der Periode t╛╛−╛╛2 bei 60,0€Mio.€€ gelegen hatte, ergibt sich jeweils als Summe des Vorjahreswertes zuzüglich der Erweiterungsinvestitionen der laufenden Periode.
396
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Durch diese Vorgehensweise können die notwendigen Erweiterungsinvestitionen in einen fundamentalen Zusammenhang mit der erwarteten Umsatzentwicklung gebracht werden. Zur Plausibilisierung der Ergebnisse sollte nun auch ein Blick auf die operative Ertragslage des Unternehmens geworfen werden. Dabei ergibt sich folgende Datenreihe:
EBIT EBIT-Marge τ EBIT(1â•›−â•›τ) ROCE
Mio.€€ % % Mio.€€ %
t╛╛−╛╛2
t╛╛−╛╛1
t
12,0 30,0 0,0 12,0 n/a
17,6 33,8 0,0 17,6 29,3
24,0 36,5 0,0 24,0 32,8
tâ•› + â•›1 30,8 38,4 0,0 30,8 34,5
tâ•› + â•›2 37,7 39,6 0,0 37,7 34,4
tâ•› + â•›3 44,1 40,3 13,0 38,4 28,8
tâ•› + â•›4 49,5 40,5 31,0 34,2 21,3
tâ•› + â•›5 53,3 40,3 31,0 36,8 19,2
tâ•› + â•›6 55,0 39,6 31,0 38,0 16,9
Während die EBIT-Marge sich bis tâ•›+â•›4 stetig verbessert und anschließend auf hohem Niveau verharrt, geht die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE (berechnet anhand des jeweiligen Jahresanfangswertes) von ihrem Höchstwert in tâ•›+â•›1 deutlich zurück und nähert sich gegen Ende der Planungsperiode den durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten an. Nach den Umsätzen, den operativen Renditen und den Investitionen sollen im nächsten Schritt die Diskontierungssätze betrachtet werden. Von besonderer Bedeutung ist bei Wachstumsunternehmen der für die Berechnung der Eigenkapitalkosten zu verwendende Betafaktor. Häufiger als bei anderen Unternehmen nimmt das Beta von Wachstumsunternehmen extreme Werte an, was zumeist Ausfluss einer kurzen Börsenhistorie und/oder eines geringen Handelsvolumens ist. Selbst wenn das Beta auf den ersten Blick sinnvolle Größenordnungen annehmen mag, ist es aufgrund der kurzen Börsenhistorie von wenigen Jahren oder gar Monaten ein statistisch nicht relevanter Wert, der für eine Unternehmensbewertung nicht verwendet werden kann. Daher ist es sinnvoll, auf Schätzungen der Fundamental-Betas auszuweichen, in dem das spezifische Geschäftsmodell, das operative und das finanzielle Leverage widergespiegelt werden (vgl. hierzu Kap.€ 3.2). Im jeweiligen Bewertungsmodell nähern sich die Betafaktoren diesen langfristigen, aus der Peergroup abgeleiteten Durchschnittswerten an. Für den Terminal Value sollte ein Beta von Eins gewählt werden, da langfristig das Beta der Aktie dem Risiko des Marktportefeuilles entsprechen muss. Gleichzeitig sollten sich auch die gewählten Fremdkapitalkosten und die Verschuldungsquoten dem jeweiligen Segmentdurchschnitt annähern. Damit zeigt sich, dass sich die Bewertung von Wachstumswerten langfristig der Bewertung eines durchschnittlichen Unternehmens annähert und spätestens bei der Berechnung des Terminal Value kein Unterschied mehr gemacht werden sollte. Viele Bewertungsverfahren basieren auf konstanten Diskontierungssätzen, zumindest in den jeweiligen Phasen. Bei Unternehmen, deren Risikostruktur sich im Zeitablauf verändert, etwa weil Unternehmensbestandteile ver- oder gekauft werden oder sie sich in einem Restrukturierungsprozess befinden, wird die vergangenheits-
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
397
oder zielkapitalstrukturbasierte Ermittlung der Diskontierungssätze zu einer fehlerhaften Berechnung des Unternehmenswertes führen. Verwendet man für die einzelnen Jahre wechselnde Diskontierungssätze, sind diese im Zeitablauf zu kumulieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass in die WACC des Jahres tâ•›+â•›3 sämtliche vorhergehenden WACC eingehen müssen, und zwar gemäß folgendem Zusammenhang:
WACCt+3 = (1 + WACCt+1 )(1 + WACCt+2 )(1 + WACCt+3 ) − 1
(11.3)
oder allgemein:
WACCt+i =
n i=1
(11.4)
(1 + WACCt+i )−1.
Beispiel€ 11.4: Berechnung der Diskontierungssätze╇ Nachdem das Biotechnologieunternehmen aus Beispiel€11.1–11.3 erst vor acht Monaten an die Börse gegangen ist, ist das Beta aufgrund des geringen Korrelationskoeffizienten statistisch nicht relevant. Vergleichbare Biotechnologieunternehmen mit längerer Börsenhistorie weisen ein Beta von 1,8 auf, reife Pharmaunternehmen mit langjähriger Börsenhistorie liegen bei durchschnittlich 1,1. Da die Rendite-Risikostrukturen eher mit denen der ersten Gruppe vergleichbar sind, wählen wir zur Schätzung der Eigenkapitalkosten zunächst ein Beta von 1,8, das sich im Zeitablauf dem Beta von Pharmawerten annähert. Zur Berechnung des Terminal Value verwenden wir das Markt-Beta von 1,0. Für die Berechnung der WACC verwenden wir konstante risikolose Zinssätze von aktuell 3,5€ % und eine konstante Risikoprämie von 5,0€ %. Die Kosten des Fremdkapitals ermitteln wir aus einer Unternehmensanleihe vergleichbaren Risikos (B-Rating), die derzeit mit 10,0€% rentiert. Aufgrund der laufenden Verluste und der hohen steuerlichen Verlustvorträge liegt die Steuerquote auf Konzernebene bis einschließlich tâ•›+â•›2 bei 0€%, danach nähert sie sich dem inländischen Grenzwert von rund 31,0€% an. Als Zieleigenkapitalquote strebt das Management einen Wert von 60,0€% an. Per Saldo ergibt sich damit folgende Entwicklung der gewichteten Kapitalkosten: %
t
Beta rf (%) rp (%) rEK (%) rDebt (%) τ (%) rDebt(1â•›−â•›τ) (%) Debt/EK (%) WACC (%)
1,8 3,5 5,0 12,5 10,0 0,0 10,0 0,0 12,5
tâ•› + â•›1 1,6 3,5 5,0 11,5 10,0 0,0 10,0 0,0 11,5
tâ•› + â•›2 1,5 3,5 5,0 11,0 10,0 0,0 10,0 20,0 10,8
tâ•› + â•›3 1,4 3,5 5,0 10,5 9,5 13,0 8,3 25,0 9,9
tâ•› + â•›4 1,3 3,5 5,0 10,0 9,0 31,0 6,2 30,0 8,9
tâ•› + â•›5 1,2 3,5 5,0 9,5 8,5 31,0 5,9 35,0 8,2
tâ•› + â•›6 1,1 3,5 5,0 9,0 8,0 31,0 5,5 40,0 7,6
398
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Die Faktoren, durch die die Cashflows eines jeweiligen Jahres zur Ermittlung des Barwertes dividiert werden müssen, die so genannte kumulativen WACC, ergeben sich aus den Formeln (11.3) bzw. (11.4). In nachstehender Tabelle sind die kumulativen WACC zusammengefasst:
Kumulative WACC (%)
tâ•› + â•›1 11,5
tâ•› + â•›2 23,5
tâ•› + â•›3 35,8
tâ•› + â•›4 47,9
tâ•› + â•›5 60,0
tâ•› + â•›6 72,2
Auch über die Steuerquote können bewertungsrelevante Überlegungen angestellt werden. Wachstumsunternehmen haben vermutlich noch nicht ein einziges Mal in ihrer kurzen Unternehmensgeschichte Steuern bezahlt. Während Vorsteuerverluste von Haus aus steuerbefreit sind, gilt dies innerhalb bestimmter Eckwerte auch für Vorsteuergewinne, sofern diese mit steuerlichen Verlustvorträgen aus der Vergangenheit verrechnet werden können. Seit der letzten Novellierung des Körperschaftsteuergesetzes können in Deutschland nicht ausgeglichene Verluste in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1,0€Mio.€€ unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60€% des 1,0€Mio.€€ übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abgezogen werden. Es sind also präzise Planungen anzustellen, wie sich die Steuerquote nach Erreichen der Gewinnzone entwickeln wird und wann der in Deutschland herrschende Grenzsteuersatz von rund 31,0€ % für ausschließlich im Inland tätige Unternehmen erreicht wird. Aus Vorsichtsgründen sollte unmittelbar nach Aufbrauchen des Verlustvortrags mit dem herrschenden Grenzsteuersatz gerechnet werden. Zur abschließenden Berechnung des Unternehmenswertes hat eine Phasendifferenzierung zwischen Detailprognosezeitraum und Terminal Value besonderen Charme. Da bei Wachstumsunternehmen die Prognose der zukünftigen Cashflows problematisch und unsicher ist, sollte der Bewertungszeitraum in mindestens zwei Phasen unterteilt werden. Diesem Two-Stage-Modell liegt der Gedanke zugrunde, dass überdurchschnittliche Gewinne und Cashflows in Märkten ohne prohibitive Markteintrittsbarrieren nicht dauerhaft vereinnahmt werden können. Die Existenz von Wettbewerbsvorteilen (oder USP, Unique Selling Propositions) ist Voraussetzung für Übergewinne5. Während des Detailprognosezeitraums können diese zwar unter Umständen für einen befristeten Zeitraum verteidigt werden, dies kann jedoch kein dauerhafter Zustand sein. Während der Übergangs- oder Konvergenzphase kommt es zu einem sukzessiven Abschmelzen der Monopolgewinne, bis das Unternehmen letztlich markt- bzw. branchenübliche Renditen erzielt. Die danach erzielbaren Renditen werden nur noch geringfügig über den Kapitalkosten liegen. Ein (hohes) Wachstum der Cashflows während der Endphase ist daher ökonomisch wenig sinnvoll. 5╇
Vgl. ausführlicher Mauboussin und Johnson (1997).
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
399
Für eine Unternehmensbewertung ist es naheliegend, den Detailprognosezeitraum bis zum Erreichen der Reifephase zu strecken und dadurch den schwankungsanfälligen Geschäftsverlauf von Wachstumsunternehmen zu berücksichtigen. Im Terminal Value kann dann unterstellt werden, dass das Wachstumsunternehmen dauerhaft positive Cashflows bei konstant niedrigen Wachstumsraten erwirtschaftet. Der Zeitraum bis zum Eintritt in die Steady State-Phase kann unterschiedlich lang ausfallen, zehn bis 20 Jahre sind durchaus angemessen. Nach Erledigung diverser Vorarbeiten erscheint die Ermittlung des Unternehmenswertes eines derzeit unprofitablen Wachstumswertes eine wesentlich konventionellere Tätigkeit zu sein als ursprünglich erwartet. Sämtliche, für eine Bewertung erforderlichen Parameter, namentlich die Entwicklung der Cashflows, der Investitionsquoten und der Diskontierungssätze, wurden sukzessive ermittelt und können nun für die Bewertung zusammengefasst werden. Beispiel€11.5: Ableitung des Wertes eines Wachstumsunternehmens╇ Aus den bislang ermittelten Daten berechnen wir nun den Unternehmenswert des Biotechnologieunternehmens. Zunächst berechnen wir die jährlichen Cashflows to the Firm. Mio.€€
t
EBIT(1â•›−â•›τ) In Abschreibungen FCFF
24,0 −â•›16,4 1,4 8,9
tâ•› + â•›1 30,8 −â•›20,1 2,3 13,0
tâ•› + â•›2 37,7 −â•›23,8 3,8 17,7
tâ•› + â•›3 38,4 −â•›27,4 5,5 16,5
tâ•› + â•›4 34,2 −â•›30,6 6,4 10,0
tâ•› + â•›5 36,8 −â•›33,1 7,2 10,9
tâ•› + â•›6 38,0 −â•›34,8 7,9 11,1
Die langfristig erwartete Wachstumsrate des Unternehmens setzen wir auf 4,0€% und damit tendenziell am oberen Rand der am Kapitalmarkt akzeptierten Bandbreite fest. Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC des Jahres tâ•›+â•›6 sollen auch die langfristig angestrebten Kapitalkosten sein. Aus den WACC ermitteln wir die kumulativen WACC über Formel (11.3) bzw. (11.4) und es ergeben sich für die Barwerte der FCFF folgende Größen: Mio.€€
t
WACC (%) kumulative WACC (%) PV FCFF
8,9
tâ•› + â•›1 11,5 11,5 11,7
tâ•› + â•›2 10,8 23,5 14,3
tâ•› + â•›3 9,9 35,8 12,1
tâ•› + â•›4 8,9 47,9 6,7
tâ•› + â•›5 8,2 60,0 6,8
tâ•› + â•›6 7,6 72,2 6,4
Die Summe der Barwerte der Detailplanungsphase ergibt demnach 67,0€ Mio.€ €. Für die Berechnung des Terminal Value würden wir ein Key Man-Risk mit in die Bewertung aufnehmen, da der Wert des Biotechnologieunternehmens stark von seinem Firmengründer, einem Nobelpreisträger, abhängig ist. Wir gehen davon aus, dass dieser sein Unternehmen nach t + 6 noch fünf weitere Jahre leiten wird, anschließend wird unterstellt, dass er es für 20,0€Mio.€€ an einen Pharmakonzern verkaufen kann.
400
Mio.€€ FCFF Kumulative WACC (%) PV FCFF
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
tâ•› + â•›7 11,5 85,3 6,2
tâ•› + â•›8 12,0 99,4 6,0
tâ•› + â•›9 12,5 114,6 5,8
tâ•› + â•›10 13,0 130,9 5,6
tâ•› + â•›11 13,5 148,5 5,4
tâ•› + â•›12 20 167,4 7,5
Für die fünfjährige Übergangsphase summieren sich die Barwerte zu 29,1€ Mio.€ €. Die Summe aller Barwerte des Zeitraums tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›6, der Übergangsphase tâ•›+â•›7 bis tâ•›+â•›11 sowie des Verkaufserlöses in tâ•›+â•›12 belaufen sich damit auf 67,0â•›+â•›29,1â•›+â•›7,5â•› = â•›103,6€ Mio.€ €. Zuzüglich des Barwertes des Verkaufserlöses von 7,5€ Mio.€ € und abzüglich der Nettoverschuldung, Pensionsrückstellungen und Minderheitsanteile und zuzüglich der nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte erhalten wir schließlich den Wert des Eigenkapitals. Um vom Enterprise Value zum Equity Value zu gelangen, sind die bestehenden liquiden Mittel sowie marktfähige Wertpapiere hinzuzuzählen und die Finanzverbindlichkeiten abzuziehen. Der diesem Vorgehen implizit zugrunde liegende Gedanke ist, dass dem Unternehmen ausreichend Liquidität zur Verfügung steht, um die bestehenden Investitionspläne zu finanzieren. Bei jungen Wachstumsunternehmen ohne Unternehmenshistorie muss diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllt sein, da sich der Zugang zu Fremdkapital wesentlich schwieriger gestaltet als bei etablierten Unternehmen. Da ist es kein Wunder, dass bei Wachstumswerten eine bestimmte Kennzahl der Bilanzanalyse häufiger zur Unternehmensbewertung herangezogen wird als bei anderen Unternehmen, die Cash Burn-Rate. Im eigentlichen Sinne für eine Einschätzung der Bonität und Solvenz eines Anleiheemittenten angewendet, kann sie bei Pionierunternehmen auch für eine Aktienbewertung behilflich sein, da sie den Zeitraum beschreibt, in dem das Unternehmen mit den vorhandenen liquiden Mittel überleben kann:
CashBurnRate =
Casht . EBITDAt
(11.5)
Damit verbunden ist auch die für eine Unternehmensbewertung unerlässliche Frage nach dem Going Concern der Gesellschaft. Wachstumsunternehmen weisen ein wesentlich höheres Risiko auf, in Insolvenz zu gehen als etablierte Gesellschaften. Im Insolvenzfall kann jedoch der Terminal Value nicht mehr anhand der erwarteten Cashflows berechnet werden, sondern nur noch über den Break-up-Value. Schafft es das Unternehmen jedoch, sich dauerhaft am Markt zu etablieren, stammt ein hoher Anteil des Unternehmenswertes aus denjenigen Cashflows, die in weiter Zukunft erwirtschaftet werden, unter Umständen ist sogar die Summe der Barwerte während der Detailplanungsphase negativ und mehr als 100€% des Unternehmens-
11.2â•… Die Bewertung von Wachstumsaktien
401
wertes stammen aus dem Terminal Value. Vor diesem Hintergrund werden völlig neue Fragen bewertungsrelevant: • Zunächst die digitale Frage, ob das Unternehmen bis zum Erreichen des Terminal Value überleben wird. Empirischen Untersuchungen zufolge liegt die jährliche Insolvenzquote von neu gegründeten Unternehmen bei rund 10€ %6 Statistisch gesehen ist also nach spätestens fünf Jahren jedes zweite Unternehmen vom Markt verschwunden. Da der Terminal Value bei Wachstumsunternehmen eine größere Rolle spielt als bei anderen Unternehmen, ist eine kritische Einschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit erforderlich. • Wird die erste Frage mit ja beantwortet, gilt es zu klären, wann das Unternehmen in die Reifephase eintreten wird. Nur während der Wachstumsphase kann ein Unternehmen seinen Wert steigern. Jedes Jahr, um das sich der Terminal Value nach hinten verschiebt, hat Auswirkungen auf das Kursziel und das Anlageurteil zum betrachteten Wertpapier. • Und schließlich ist es auch von Bedeutung, wie sich das Risiko des Unternehmens während der Reifephase entwickelt. Definitionsgemäß sind Wachstumsunternehmen riskanter als andere und ihre Aktien sind volatiler als andere. Im Terminal Value gilt dies nicht mehr. Dennoch müssen Annahmen getroffen werden, wie volatil die Aktie sich im Terminal Value verhalten soll und mit welchen Zinssätzen die Erträge diskontiert werden sollen. Wie würde man einen Peergroup-Vergleich von Wachstumsaktien aufbauen? Angenommen, ein junges unprofitables Wachstumsunternehmen soll anhand einer Gruppe profitabler Vergleichsunternehmen bewertet werden. Unterstellt man, dass der aktuell ermittelte Peergroup-Multiplikator langfristig repräsentativ wäre und dass das zu bewertende Unternehmen im Jahr tâ•›+â•›4 in die Gewinnzone eindringt, so ergibt sich ein Unternehmenswert von
EVt+4 = EBITDAt+4
EVPeergroup . EBITDAPeergroup
(11.6)
Anschließend ist der ermittelte EVtâ•›+â•›4 mit den durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten des Unternehmens zu diskontieren, um den aktuellen Enterprise Value zu erhalten. Notwendige Bedingung für diese Vorgehensweise ist allerdings, dass das Unternehmen mittelfristig profitabel wird. Kann dagegen eine Insolvenzwahrscheinlichkeit ω quantifiziert werden, ergibt sich der Unternehmenswert aus:
EV0 = EV0 ω + Liquidationserlös(1 − ω).
(11.7)
Die fundamentale Bewertung von Wachstumsaktien ist mit weit größerer Unsicherheit verbunden als die Bewertung stabiler, solider, mit der Gesamtwirtschaft wachsender Unternehmen. Investoren und Analysten sollten also darauf gefasst sein, dass die Unternehmensbewertung eine zeitpunktbezogene Analyse ist und – realis6╇
Vgl. zum Beispiel: Watson und Everett (1996); Knaup (2005); Amy und Piazza (2007).
402
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
tisch betrachtet – ex post mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das richtige Ergebnis ermittelt hat. Allein das Ausmaß des Bewertungsfehlers ist offen, seine Höhe kann jedoch durch fundierte Prämissen minimiert werden.
11.3 Die Bewertung zyklischer Unternehmen Die Prognose der Ertragslage von reifen, etablierten Unternehmen ist für den Bewerter nicht übermäßig problematisch: Wenn sich keine gravierenden Änderungen ergeben, wird sich das Unternehmen mit der in der Vergangenheit beobachteten durchschnittlichen Wachstumsrate weiterentwickeln – mehr oder weniger. Warum sollten die Menschen auch aufhören, ihren Cappuccino bei Starbucks zu trinken? Warum sollten schlagartig keine iPods mehr gekauft werden, warum keine Solarmodule verbaut werden? Bei Wachstumsunternehmen, so problematisch die Prognose auch sein mag, ist für einen absehbaren Zeitraum zumindest ein überdurchschnittlich hohes Unternehmenswachstum vorhersehbar. Die Ertragsentwicklung von zyklischen Unternehmen dagegen ist zum überwiegenden Teil von der gesamtwirtschaftlichen Lage abhängig, Marktstellung, Managementqualitäten oder Wettbewerbsintensität spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Auto- oder Stahlhersteller, Luftfahrtgesellschaften und Chemieunternehmen sind typische Zykliker, Stromversorger oder Healthcare-Anbieter, deren Produkte in jeder Phase des Konjunkturzyklus mehr oder weniger gleich nachgefragt werden (müssen), sind es nicht. Stahlunternehmen sind zyklisch, weil sich Stahlpreise im Konjunkturzyklus verändern, Papier- und Chiphersteller sind zyklisch, weil die angebotenen Papiermengen schweinezyklusartigen Schwankungen unterworfen sind, Autohersteller sind zyklisch, weil große Anschaffungen in rezessiven Zeiten, in denen Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, zurückgestellt werden, Airlines sind zyklisch aufgrund von übergeordneten makroökonomischen Faktoren. Neben diesen allgemeinen makroökonomischen Schwankungen der Geschäftsentwicklung gibt es noch verschiedene zyklische Phänomene, die von der gesamtwirtschaftlichen Lage unabhängig sind: Investmentbanken zeigen typische zyklische Charakteristika: In Zeiten steigender Aktienkurse ist der Kapitalmarkt für hochprofitable Börsengänge und Kapitalerhöhungen aufnahmebereiter als während Baisse-Phasen. Und auch in der Informationstechnologie, einer Branche, die tendenziell als Wachstumssektor eingestuft wird, sind zyklische Muster erkennbar. Allen Branchen jedoch ist gemeinsam, dass sie im konjunkturellen Abschwung von fallenden Umsätzen und fixkostenbedingt stark rückläufigen Ergebnissen gekennzeichnet sind, so dass eine Verlustsituation selbst für große, marktführende Unternehmen nicht ausgeschlossen werden kann. Im konjunkturellen Aufschwung dreht sich der Spieß um und bei steigenden Umsätzen verbessert sich die Ertragslage sprunghaft. Viele zyklische Unternehmen haben hohe Fixkosten in der Produktion. Diese sind das Ergebnis hoher Infrastrukturinvestitionen. Auto- oder Stahlproduzenten ebenso wie Bauunternehmen müssen einen substantiellen Overhead unterhalten,
11.3â•… Die Bewertung zyklischer Unternehmen
403
der aus den Abschreibungen der Produktionsanlagen, den Erweiterungsinvestitionen und den Kapitalkosten besteht. Während einer Rezession erweist sich dieser Overhead als Belastung, da er sich auf eine geringere Zahl ausgelieferter Produkte verteilt. Umgekehrt im Boom, wenn die Fixkosten je ausgelieferter Einheit fallen und die Gewinnmargen mit jeder abgesetzten Einheit steigen. Als logische Konsequenz folgt daraus, dass zyklische Unternehmen am Zyklustief sehr niedrige Erträge erwirtschaften – sofern sie denn überhaupt positiv sind – und damit sehr hohe Multiplikatoren aufweisen. Das der Bewertung zugrundeliegende Ergebnis je Aktie liegt im niedrigen Cent-Bereich, das KGV wird nicht selten drei- oder sogar vierstellig. Im Gegensatz dazu erwirtschaften zyklische Unternehmen am Zyklushoch ihre größten Gewinne und werden, da sich Aktienkurse gegenüber der Ertragsentwicklung unterproportional verhalten, tendenziell mit niedrigen Multiplikatoren bewertet. Ein ertragsabhängiger Multiplikator wie das KGV ist dementsprechend das denkbar schlechteste Verfahren, zyklische Unternehmen zu bewerten, da es zu vollkommen gegenläufigen Anlageempfehlungen führt: Eine niedrige Bewertung zum Zyklushoch würde eine Kaufempfehlung nach sich ziehen, eine hohe Bewertung zum Zyklustief eine Verkaufsempfehlung, wo doch das genaue Gegenteil Ergebnis der Bewertung sein sollte. Die Volatilität der Ertragsentwicklung bringt also eine zusätzliche, sehr komplexe Komponente in die Unternehmensbewertung ein. Zu urteilen, eine zyklische Aktie ist am Zyklushoch mit einem KGV von 5x über- und am Zyklustief mit einem KGV von 18x unterbewertet, widerspricht jeder Intuition. Vor dem Hintergrund des permanenten Auf und Ab eines zyklischen Geschäftsfeldes macht es daher keinen Sinn, die veröffentlichten oder prospektierten Ertragszahlen zur Grundlage einer Unternehmensbewertung zu machen. Eine Prämisse der Unternehmensbewertung, die eingangs dieses Buches aufgestellt wurde, lautet, dass eine Unternehmensbewertung immer stichtagsbezogen erstellt werden muss. Vor dieser Prämisse kann eine Bewertung anhand vergangenheitsbezogener Durchschnittswerte nicht sinnvoll sein, da für Wechselkurse, Rohstoffpreise und andere Inputfaktoren ebenfalls Durchschnittspreise errechnet werden müssten. Für zyklische Unternehmen allerdings führt die geforderte stichtagsbezogene Vorgehensweise zu dem schlechtestmöglichen Ergebnis. Ist die Ertragsentwicklung ausschließlich davon abhängig, in welcher Phase des Konjunkturzyklus man sich befindet, kann eine stichtagsbezogene Bewertung, die ja zu einem guten Teil auf der Ertragsentwicklung des Vorjahres basiert, nur zu einem „veralteten“ Ergebnis führen. Befand sich die Konjunktur im vergangenen Jahr an ihrem Höhepunkt, führt die Extrapolation der Vorjahreswerte zu einer Überschätzung des Unternehmenswertes, da sich im folgenden Jahr bereits die Symptome der konjunkturellen Abkühlung in der Ertragsentwicklung niederschlagen werden. Befand sich das Unternehmen dagegen in der Rezession, wird sich dies auch in der gedrückten Unternehmensbewertung widerspiegeln, obwohl sich die Ertrags- und Cashflow-Entwicklung bereits wieder erholt. Die Unternehmensbewertung anhand von stichtagsbezogenen Dividenden- oder CashflowDiskontierungsmodellen hinkt der Realität also immer um mindestens eine Phase hinterher.
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
404
Beispiel€ 11.6: Bewertung zum Zyklushoch╇ Kurz vor Erreichen des konjunkturellen Zyklushochs bekommt ein Finanzanalyst von einem institutionellen Kunden die Aufgabe, ein Stahllogistikunternehmen anhand eines DCF-Modells zu bewerten. Da sich der Verschuldungsgrad des Logistikunternehmens in den letzten zehn Jahren deutlich vergrößert hat, entscheidet sich der Analyst für ein FCFF-Modell. Der Analyst kann sich folgende Gewinn- und Verlustrechnung des Vorjahres von der Homepage des Logistikunternehmens herunterladen: Mio.€€ Umsatz Umsatzkosten Ergebnis aus operativer Geschäftstätigkeit Zinsergebnis Ergebnis vor Steuern EE-Steuern Jahresüberschuss
t 650,0 −╛╛578,0 72,0 −╛╛4,4 67,6 −╛╛23,7 44,0
Die Nettoinvestitionen in Sachanlagen und das Working Capital belaufen sich auf 5,2€Mio.€€ bzw. 3,2€Mio.€€. Damit ergibt sich für das Jahr t ein Freier Cashflow to the Firm von FCFFt = EBIT(1 − τ )−In = 72,0(1 − 0,35) − 5,2 − 3,2 = 39,3.
Die verkürzte Bilanz des Vorjahres zeigt folgende Positionen: Mio.€€ Langfristiges Vermögen Kassenbestand Sonstiges kurzfristiges Vermögen Bilanzsumme
t╛╛−╛╛1 230,0 50,0 65,0
Grundkapital Verzinsliches Fremdkapital
250,0 95,0
345,0
Bilanzsumme
345,0
Die Kosten für das Eigenkapital belaufen sich auf 10,4€ %, die Kosten für das verzinsliche Fremdkapital liegen bei 4,6€ %. Der Kurs je Aktie liegt aktuell bei 1,16€ €, was einer gesamten Marktkapitalisierung von 250,0â•›⋅â•›1,16â•› = â•›290,0€ Mio.€ € entspricht. Insgesamt ergeben sich folgende WACC: EK0,t−1 Debt0,t−1 + rDebt (1 − τ ) EK0,t−1 + Debt0,t−1 EK0,t−1 + Debt0,t−1 95,0 290,0 + 0,046 (1 − 0,35) = 0,086 = 8,6 % = 0,104 345,0 345,0
WACC = rEK
11.3â•… Die Bewertung zyklischer Unternehmen
405
Unterstellen wir eine langfristige Wachstumsrate des FCFF in Höhe von 2,5€%, ergibt sich über ein Steady-State-Modell folgender Unternehmenswert: EV0 =
FCFF0 (1 + gR ) 39,3(1 + 0,025) = = 660,4. WACC−gR 0,086 − 0,025
Unter Berücksichtigung der Nettoverschuldung ergibt sich ein innerer Wert des Eigenkapitals von V0 = EV0 + Cash − Debt = 660,4 + 50,0 − 95,0 = 615,4
bzw. von 2,46€€ je Aktie. Angesichts eines Kurspotenzials von 112,2€% entspricht dies einer signifikanten Unterbewertung der Aktie. Wie sollte man auf den zyklischen Charakter der Ertragsentwicklung reagieren? Anstelle von tagesaktuellen Daten verwenden manche Analysten normalisierte Daten. Ähnlich den Ratingagenturen, die ebenfalls eine Unternehmensbewertung „through the cycle“ erstellen, werden damit längerfristige Perspektiven eingenommen und Zeiträume betrachtet, die über den gegenwärtigen Zyklus hinausreichen. Unternehmen werden in der Aufschwungphase nicht besser und in der Abschwungphase nicht schlechter bewertet. Dies führt dazu, dass das Ergebnis einer Unternehmensbewertung überhaupt keinen zyklischen Schwankungen mehr unterworfen ist – was allerdings nicht bedeutet, dass dauerhafte Veränderungen des wirtschaftlichen Umfeldes nicht sofort berücksichtigt werden müssen. Bei zyklischen Unternehmen ist gegen dieses Vorgehen ausnahmsweise nichts einzuwenden – sofern auch tatsächlich normalisiert wird. Der Begriff der Normalisierung ist indes nicht präzise definiert, je nach Herkunft und Prägung des Bewertenden ist der Begriff unterschiedlich gefüllt. So dürfte es kaum ausreichend sein, lediglich die Erträge zu normalisieren, nicht jedoch die Profitabilitätskennzahlen, die Investitionen in Sachanlagen oder das Working Capital, die Kreditkosten oder den durchschnittlichen erwarteten Kapitalumschlag. Diese Daten auf ihrem Vorjahresniveau zu belassen und nur die Ertragszahlen zu normalisieren, kann kaum zu einem relevanten Ergebnis führen. Auch eine Doppelzählung des Wachstums ist in jedem Falle zu vermeiden. Als zweiten Schritt sollten tendenziell diejenigen Ertragskennzahlen zur Bewertung herangezogen werden, die die geringste Volatilität im Zeitablauf aufweisen. Aufgrund des hohen operativen und finanziellen Leverage, dem zyklische Unternehmen regelmäßig ausgesetzt sind, sind die ausgewiesenen Erträge umso volatiler, je tiefer in der Gewinn- und Verlustrechnung sie angesiedelt sind. Daher ist es unumgänglich, auf das EBIT oder sogar das EBITDA als Bewertungsgrundlage zurückzugreifen, zumal diese auch im konjunkturellen Abschwung mit größerer Wahrscheinlichkeit positive Werte aufweisen als das Ergebnis vor oder nach Steuern.
406
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Als dritter Schritt ist die Zeitspanne zu wählen, innerhalb der die operativen Erträge normalisiert werden sollen. Bei zyklischen Unternehmen mag es naheliegend erscheinen, den absoluten Umsatz- oder Ertragsdurchschnitt eines kompletten Konjunkturzyklus heranzuziehen. Bei dieser Vorgehensweise bleibt jedoch zunächst unklar, was als vollständiger Zyklus anzusehen ist. Die Angaben reichen von drei bis zehn Jahren. Ein starkes organisches Wachstum des Unternehmens unterstellt, führt die Bildung eines absoluten Durchschnittswertes während besonders langer Zyklusphasen dazu, dass der Unternehmenswert tendenziell unterschätzt wird. Daher dürfte es sinnvoller sein, nicht den absoluten Durchschnittswert zu errechnen, sondern die während eines Konjunkturzyklus durchschnittlich erwirtschafteten operativen Margen, die auf die im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsätze angelegt werden. Dieses Vorgehen kann auch für andere bewertungsrelevante Kennzahlen wie die Investitionsquote oder die Finanzierungskosten angewendet werden. Beispiel€ 11.7: Normalisierung der Erträge╇ Für das Logistikunternehmen aus Beispiel€11.6 ist eine Bewertung über eine normalisierte Ertragsentwicklung zu erstellen: Boom t╛╛−╛╛8 t╛╛−╛╛7 t╛╛−╛╛6 t╛╛−╛╛5 t╛╛−╛╛4 Umsatz 150,0 160,7 200,2 237,5 241,1 YoY (%) n/a 7,1 24,6 18,6 1,5 EBIT 11,4 15,9 20,0 24,2 26,1 Marge (%) 7,6 9,9 10,0 10,2 10,8
Rezession t╛╛−╛╛3 t╛╛−╛╛2 t╛╛−╛╛1 t Ø 240,3 203,2 193,5 188,5 −â•›0,3 −â•›15,4 −â•›4,8 −â•›2,6 3,6 25,4 19,4 12,5 11,3 18,5 10,6 9,5 6,5 6,0 9,0
Bezogen auf das operative Ergebnis ergibt sich für den gesamten Betrachtungszeitraum ein Durchschnittswert von 18,5€Mio.€€. Allerdings sind in dieser Zeit die Umsätze um durchschnittlich 2,9€% pro Jahr angestiegen, so dass die Verwendung von operativen Absolutzahlen zu einer Unterschätzung des normalisierten Unternehmenswertes führen würde. Wesentlich sinnvoller ist daher die Verwendung von normalisierten Margen, beispielsweise bezogen auf das operative Ergebnis EBIT. Hier ergibt sich für den Zeitraum ein Durchschnittswert von 9,0€% Bezogen auf die in t erwarteten Umsätze von 188,5€Mio.€€ ergibt sich ein normalisiertes EBIT von 17,0€Mio.€€, was deutlich über dem zum Zeitpunkt t erwarteten EBIT von 11,3€Mio.€€ liegt. Die Verwendung dieser Ertragsgröße spiegelt gut das für das Logistikunternehmen erfolgte organische Wachstum des Unternehmens wider. Zur Berechnung des Unternehmenswertes greifen wir auf weitere Daten des Logistikwertes zurück. Hierzu berechnen wir zunächst die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC. Über die Umlaufrendite zehnjähriger Bundesanleihen von 3,3€% und dem aus dem jüngsten Rating (BB) abgeleiteten CDS von 3,5€% ergeben sich zunächst Fremdkapitalkosten rDebt von 6,8€%.
11.3â•… Die Bewertung zyklischer Unternehmen
407
Aus dem Beta von 1,2 und der Risikoprämie von gegenwärtig 5,5€% ergeben sich Eigenkapitalkosten rEK von 9,9€%. Die Marktkapitalisierung liegt aktuell bei 80,0€Mio.€€, der Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten liegt bei 17,0€Mio.€€. Nehmen wir an, dass sich der Verschuldungsgrad auf absehbare Zeit nicht ändert, ergeben sich WACC von WACC =
17,0 80,0 0,099 + 0,068(1 − 0,34) = 9,0 %. 80,0 + 17,0 80,0 + 17,0
Für die globale Logistikbranche, dem Kernmarkt des Unternehmens, rechnen Marktforscher mit einem langfristig erzielbaren, durchschnittlich jährlichen Marktwachstum von 2,3€ %. Wir nehmen ferner an, dass das Unternehmen im Steady-State-Zustand eine Rendite erwirtschaftet, die ihren Kapitalkosten entspricht, also ROCEâ•› = â•›WACC. Damit ergibt sich eine Investitionsquote ε von εR =
gR 0,023 = = 0,257 = 25,7 %. ROCER 0,090
Das Stahllogistikunternehmen muss während der Reifephase rund ein Viertel seines operativen Ergebnisses nach Steuern investieren, um die geplanten Wachstumsziele zu erreichen. Aus diesen Daten lässt sich nun anhand der Formel (5.67) der normalisierte Enterprise Value der betrieblichen Vermögenswerte bestimmen. Er ergibt sich aus EBIT(1+gR )(1 − τ )(1−εR ) WACC−gR 17,0(1 + 0,023)(1 − 0,34)(1 − 0,257) = = 128,0 0,090 − 0,023
EV0 =
Abzüglich des verzinslichen Fremdkapitals ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von 111,0€ Mio.€ €. Basierend auf einem normalisierten operativen Ergebnis ist das Unternehmen damit deutlich unterbewertet. Es ergibt sich ein Kurspotenzial von 38,8€%. Alternativ zu einem Durchschnittswert innerhalb einer gewissen Zeitspanne kann auch ein durchschnittliches Jahr innerhalb eines Zyklus ausgewählt werden, ein Jahr also, in dem die Erträge weder nach oben noch nach unten übertrieben wurden. Eine objektive Vorgehensweise bei der Auswahl dieses durchschnittlichen Jahres gibt es nicht. In der Normalisierung implizit enthalten ist die Annahme, die Erträge würden sich langfristig ihren Durchschnittswerten annähern. Dauert der konjunkturelle Abschwung jedoch länger oder ist die Rezession intensiver als erwartet, kann der Kurs nochmals deutlicher nachgeben als dies anfangs unterstellt.
408
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Analysiert man zyklische Unternehmen über Multiplikatorverfahren, sollten vergleichbare Unternehmen mit einem ähnlichen bzw. im Extremfall sogar demselben Vielfachen der normalisierten Erträge gehandelt werden. Riskantere bzw. langsamer wachsende Unternehmen sollten mit einem niedrigeren Multiplikator der normalisierten Erträge gehandelt werden als Unternehmen mit prognostizierbaren Erträgen und hohen durchschnittlichen Ertragswachstumsraten.
11.4 Die Bewertung von Immobilienunternehmen Bis vor wenigen Jahren war die börsennotierte Immobiliengesellschaft ein „in Deutschland unbekanntes Wesen“7. Die indirekte Immobilienanlage wurde vorwiegend in Form der offenen und geschlossenen Immobilienfonds praktiziert, über Anlageformen also, die von hohen Ausgabeaufschlägen und geringer bis nicht vorhandener Zweitmarktliquidität geprägt waren. Börsennotierte Immobilienaktiengesellschaften spielen erst seit Anfang dieses Jahrtausends eine dann allerdings immer bedeutendere Rolle, die durch die Einführung der Gesellschaftsform des Real Estate Investment Trusts (REITs) noch gesteigert wurde. REITs sind Vehikel, über die ein Privatinvestor an den Entwicklungen der Immobilienmärkte partizipieren kann, ohne gleichzeitig eine den üblichen Diversifikationsbestrebungen zuwiderlaufende Kapitalallokation vornehmen zu müssen. Die Besonderheit des REITs bestehen darin, dass ein REIT selbst weder Körperschaftnoch Gewerbesteuer abführen muss, sofern • mindestens 75€% der gesamten Einkünfte der REIT-AG aus Immobilieneinkünften stammen, • mindestens 75€% des Gesamtvermögens der REIT-AG aus Immobilienvermögen stammen, • sich zum Zeitpunkt der Börsenzulassung mindestens 25,0€% der REIT-Anteile im Streubesitz befinden (initiale Streubesitzquote), • sich dauerhaft mindestens 15,0€% der Aktien in den Händen von Aktionären befinden, die jeweils nicht mehr als 3,0€% der Aktien halten, • sich die direkte Beteiligung eines einzelnen Aktionärs auf 10€% des Grundkapitals begrenzt (Höchstbeteiligung), und schließlich • mindestens 90€% des nach HGB vorsichtig (also unter Ausschluss stiller Reserven) ermittelten Gewinns als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Abschließend muss die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft einen „Schwerpunkt auf der passiven Immobilienbewirtschaftung“8 aufweisen, also auf das Halten und die Bewirtschaftung ihrer Immobilien, nicht den Handel mit ihnen. Bestandshalter im Allgemeinen und REITs im Besonderen sind Unternehmen, die Immobilien zu Bestandszwecken erwerben und hierfür Vermietungserlöse ge7╇ 8╇
Rehkugler (2003, S.€5). §Â€14 REITG.
11.4â•… Die Bewertung von Immobilienunternehmen
409
nerieren. Abgesehen von der Verpflichtung, mindestens 90€% des ausschüttungsfähigen Gewinns tatsächlich auszuschütten, besteht dabei kein Unterschied zwischen REITs und einer ebenfalls auf die Bestandshaltung ausgerichteten Real Estate Operating Company (REOC). Im Immobilienbereich ist der bestandshaltende REIT bzw. REOC von Immobilienhändlern und Immobilienentwicklungsgesellschaften abzugrenzen. Bei diesen Geschäftsmodellen basiert die Wertschöpfung weniger auf dem Einsatz von Kapital, sondern überwiegend auf der Kreativität des Managements und hat nur eine vernachlässigbare Beziehung zur Wertenwicklung des vorhandenen Grundbesitzes. Berücksichtigt man, dass sich der Wert eines Vermögensgegenstandes – unabhängig von dem rechtlichen Mantel, in den er eingekleidet ist – aus dem Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse während der Laufzeit des Vermögenswertes ergibt, dann stellt sich grundsätzlich die Frage, warum Immobilienbestandshalter anders zu bewerten sein sollten als etwa Softwarehersteller. Denn bei rationaler Abwägung und ausschließlicher Ausrichtung auf monetäre Zielfunktionen wird niemand bereit sein, für ein Unternehmen oder einen Vermögensgegenstand mehr als diesen Barwert bezahlen. Warum also sollte für ein Immobilienunternehmen nicht auch eine Bewertung anhand des Kurs/Gewinn-Verhältnisses oder EV/EBITMultiplikators möglich sein? Hält man sich vor Augen, das beim NAV Liquiditätsströme auf der Ebene der Einzelobjekte erfasst, diskontiert und summiert werden, während beim DCF-Modell in der Entity-Methode die Erfassung und Diskontierung der Liquiditätsüberschüsse auf der Ebene des Gesamtunternehmens erfolgt, müssten doch beide Verfahren unmittelbar zum gleichen Ergebnis kommen, zumindest wenn dieselben Zahlungsströme erfasst und mit demselben Zinssatz diskontiert wurden. Allerdings müsste ein Analyst, der ein Immobilienunternehmen anhand eines DCF-Modells bewerten wollte, sämtliche Kriterien, die bei der Bewertung der Immobilien eine Rolle spielen, implizit berücksichtigen. Dies fängt bereits bei der Festlegung des Diskontierungszinssatzes an: Marktgängige Immobilienrenditen liegen zwischen 3,0€% für eine 1a-Innenstadtimmobilie einer A-Stadt und 15,0€% und mehr für eine Lagerhalle im Außenbereich einer Kleinstadt. Die Unsicherheit wird noch verstärkt, wenn das zu bewertende Unternehmen in heterogenen Märkten aktiv ist. Daher ist es sinnvoll, immobilienwirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kriterien bei der Bewertung von Immobilienunternehmen nicht zu vermischen, sondern jeweils getrennt zu bewerten9. Aus der betriebswirtschaftlichen Sphäre sind ferner bilanzielle Wahlrechte für das Scheitern konventioneller Bewertungsverfahren verantwortlich. Bei der Bilanzierung nach IFRS erfolgt die erstmalige Bilanzierung von langfristig als Finanzinvestitionen gehaltenen Immobilien, die dem Anlagevermögen zuzuschreiben sind, zu Anschaffungs- und Herstellungskosten. Wird eine Folgebewertung durchgeführt, besitzt das Immobilienunternehmen ein Wahlrecht, ob es die fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten ansetzen will oder eine jährliche Neubewertung zum aktuellen Zeitwert, dem Fair Value, durchführen will. Entscheidet sich das Unter9╇
Vgl. Cadmus (2000, S.€97).
410
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
nehmen für eine Fair Value-Bewertung, müssen alle positiven und negativen Veränderungen des Zeitwertes nach IAS 40 direkt als Bewertungsgewinn oder -verlust in der Gewinn- und Verlustrechnung erfolgswirksam erfasst werden. Dabei ist der Fair Value als derjenige Betrag definiert, auf den sich unabhängige Parteien einigen würden. Zu seiner Ermittlung kommen Discounted Cashflow-Modelle ebenso in Frage wie Vergleichs- oder Ertragswertverfahren. Lediglich die gewählte Methode ist im Konzernanhang zu veröffentlichen, nicht jedoch die Annahmen, auf denen die Bewertung beruht, und selbst der Gutachter, der die Bewertung vorgenommen hat, ist nicht explizit zu benennen. Die wichtigsten, in die Ermittlung des Fair Value eingehenden Parameter sind die tatsächlich und voraussichtlich erzielbaren Mieteinnahmen, die erwarteten Bewirtschaftungskosten und die aus Vergleichsobjekten erzielbaren Multiplikatoren. Selbstverständlich handelt es sich bei den gutachterlichen Bewertungen nicht um tatsächliche Transaktionen, sondern um fiktive Marktpreise, die von den Sachverständigen auf Basis von Schätzungen und Vergleichen ermittelt wurden. Abweichungen von tatsächlich erzielbaren Marktpreisen können daher nicht ausgeschlossen werden, ja sind sogar wahrscheinlich. Ein Korridor von ±â•›15€% vom beobachteten Marktpreis gilt allgemein als hinnehmbar.10 Wird eine Immobilie dagegen zum Zwecke der Weiterveräußerung als Vorratsbestand im Umlaufvermögen gehalten, muss diese zu fortgeführten Anschaffungskosten erfasst werden. Planmäßige und eventuell außerplanmäßige Abschreibungen sind zu berücksichtigen, nicht hingegen Werterhöhungen, die über die fortgeführten Anschaffungskosten hinausgehen. Dieses Wahlrecht zwischen Cost- und Fair Value-Ansatz ist dafür verantwortlich, dass bei bestandshaltenden Immobiliengesellschaften unrealisierte Wertsteigerungen vollständig, teilweise oder gar nicht angesetzt werden. Gewinne von Immobiliengesellschaften sind damit nicht miteinander zu vergleichen und müssen zum Peergroup-Vergleich um Normalabschreibungen und unrealisierte Wertsteigerungen adjustiert werden. Da die Prognose der Mieteinnahmen mit weitaus geringeren Risiken verbunden ist als Analyse der Absatzchancen beispielsweise einer innovativen Software, eines Medikaments oder einer neuen Fahrzeugklasse, werden Aktionäre an REITs deutlich niedrigere Renditeforderungen stellen als an sonstige Unternehmen. Da REITs in Deutschland für Bestandsobjekte allein gewerblich genutzten Immobilien vorbehalten ist, ergibt sich für den REIT-Aktionär darüber hinaus der Vorteil eines Inflationsausgleichs der Erträge: Durch die Inflationsanpassung gewerblicher Mietverträge sichern REITs dem Aktionär überdies einen langfristigen Hedge11. Vor diesem Hintergrund ist aus theoretischer Sicht festzuhalten, dass DCF-Modelle zwar grundsätzlich die sachlich zutreffende Methodik zur Bewertung von Immobilienbestandshaltern darstellen, sie in der Praxis jedoch in der Regel nicht akzeptiert werden. Der außenstehende Bewerter müsste die freien Cashflows nicht nur für die vergangenen Perioden aus den Jahresabschlüssen herausrechnen, um eine Startbasis für die zukünftig zu schätzenden Werte zu finden, sondern sie auch 10╇ 11╇
Vgl. Rehkugler (2008, S.€30). Vgl. Chatrah und Liang (1998).
11.4â•… Die Bewertung von Immobilienunternehmen
411
für eine im Grundsatz unendliche Periode ermitteln. Die Wertunterschiede durch differierende implizite Annahmen aufgrund des langfristigen Charakters des Geschäftsmodells sind hier für den Anleger einfach zu groß. In der Bewertungspraxis werden die Aktien von Bestand erhaltenden Immobiliengesellschaften12, nicht jedoch von Entwicklern von Immobilien, über zwei Verfahren bewertet: Funds From Operations FFO und Net Asset Value NAV. Die zuweilen zu lesende Begründung13, der operative Ertrag einer Immobiliengesellschaft spiele für diese nur eine untergeordnete Rolle, wichtiger wäre dagegen die Substanz an sich, weist allerdings einen logischen Defekt auf, ist doch die NAV-Bewertung nichts anderes als eine modifizierte Ertragsbewertung. Denn der Wert der Immobiliengesellschaft wird in erster Linie durch die Ertragskraft des Immobilienvermögens bestimmt. Diese wiederum wird im Verkehrswert des Immobilienbestands widergespiegelt. Wird der Verkehrswert als abdiskontierter Strom der in Zukunft zu vereinnahmenden Mieterträge abzüglich der zu ihrer Erzielung erforderlichen Kosten betrachtet, zeigt sich schnell die Identität aus Ertragswert und Substanzwert. Die Funds From Operations (FFO) wurden 1991 von der National Association of Real Estate Investment Trust (NAREIT), der US-amerikanischen Standesorganisation für REITs und andere Immobilienunternehmen, entwickelt, um einen einheitlichen Standard zur Performancemessung bestandserhaltender Immobiliengesellschaften zu ermitteln und Probleme zu umgehen, die durch das Ausnutzen von Wahlrechten beim Ansatz von Ab- und Zuschreibungen sowie durch Veräußerungsaktivitäten entstehen. Ursprünglich als zusätzliche Kennzahl zum Jahresüberschuss 1991 gedacht, bilden die FFO heute den entscheidenden Industriestandard zur Einschätzung der Ertragskraft von Immobilienbestandshaltern. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass das Nachsteuerergebnis kein zufriedenstellendes Ertragsmaß sein kann: Die als Aufwand verrechneten und nach steuerlichen Regeln bestimmten Abschreibungen auf das Immobilienvermögen entsprechen nur zufällig ihrem tatsächlichen Werteverzehr. Meist verlaufen die steuerlichen Abschreibungen degressiv. Das Grundstück kann dagegen überhaupt nicht abgeschrieben werden, sondern wird häufig mit der Zeit immer werthaltiger. Per Saldo und in Abhängigkeit von der Lage ist damit sogar der umgekehrte Fall vorstellbar, in dem im Lauf der Zeit mit einer Steigerung des Immobilienwertes auszugehen ist, der sich erst bei einem späteren Verkauf positiv in der Erfolgsrechnung bemerkbar machen wird. Während also Abschreibungen angesetzt werden, denen keine tatsächlichen regelmäßigen Wertminderungen gegenüberstehen, bleibt der dominante Werttreiber, die Entwicklung des relevanten Immobilienteilmarktes, völlig unberücksichtigt. Zur Ableitung der FFO ist das Nachsteuerergebnis um folgende Faktoren zu korrigieren: • Addition der planmäßigen Abschreibungen auf Immobilien, auf Mietereinbauten und auf Mietforderungen; 12╇ 13╇
Vgl. stellvertretend Rehkugler (2003, S.€17) oder Scharpenack et€al. (1998, S.€670). Siehe zum Beispiel Hens et€al. (1998, S.€156).
412
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
• Bereinigung der Veräußerungsgewinne oder -verluste aus Gebäuden (den abschreibungsfähigen Immobilien); • Mögliche (Wahlrecht) Bereinigung der Gewinne oder Verluste aus der Veräußerung von Grundstücken; • Bereinigung der Gewinne und Verluste aus Bewertungsänderungen der Immobilien; • Bereinigung des Ergebniseffektes derivativer Finanzinstrumente; • Bereinigung der Gewinne und Verluste von nicht fortgeführten Geschäftstätigkeiten und von außerordentlichen Ergebnisbestandteilen; Damit ist die Berechnung üblicherweise beendet. Problematisch an dieser Herangehensweise ist allerdings die Tatsache, dass echte Wertminderungen einer Immobilie unberücksichtigt bleiben. Darunter sind Instandhaltungs- und Renovierungsmaßnahmen zu verstehen, die in regelmäßigem Abstand vorgenommen werden müssen, also beispielsweise die Erneuerung von Bodenbelägen in Wohnimmobilien oder individuelle Einbauten bei Gewerbeimmobilien (z.€B. Trennwände). Derartige Investitionen, die der Vermietbarkeit des Objektes dienen und üblicherweise kapitalisiert und abgeschrieben werden, sind bei der Berechnung der FFO zu berücksichtigen. Durch die Eliminierung des Kapitalaufwands erhält man die Adjusted FFO oder AFFO. In einem letzten Rechenschritt können aus dem AFFO die Funds Available for Distribution FAD bzw. Cash Available for Distributrion CAD ermittelt werden, die den maximalen, nachhaltig erwirtschafteten Cashflow darstellen. Diese Größe kann auch als Basis für die Dividendenausschüttung verstanden werden. Der Nettoinventarwert oder Net Asset Value NAV als zweite gebräuchliche Immobilienkennzahl ist definiert als die Differenz aus Marktwerten des Vermögens, typischerweise abgeleitet aus deren Ertragswerten, und den Marktwerten der Verbindlichkeiten. In einer HGB-Welt würde der NAV also dem Reinvermögen der Gesellschaft zuzüglich der stillen Reserven entsprechen. Gerechtfertigt wird die Verwendung des NAV aus dem spezifischen Geschäftsmodell des Bestandshalters: Immaterielle Vermögensgegenstände wie Brandname, Goodwill oder Kundenbeziehungen spielen für die Bestimmung der Ertragskraft eines Immobilienunternehmens nur eine untergeordnete Rolle, ebenso wenig können Synergieeffekte zwischen den einzelnen Immobilien gehoben werden. Die jeweiligen Liquiditätsströme können daher einer Immobilie relativ gut zugeordnet werden. Da der NAV nichts anderes als den Barwert der zukünftigen Nettoüberschüsse einer Immobilie repräsentiert, kann der NAV durchaus als objektivierter Näherungswert eines DCF-Wertes interpretiert werden14. Von Finanzanalysten wird der NAV in aller Regel nicht einfach aus dem Jahresabschluss übernommen, sondern mit eigenen Erfahrungswerten verglichen, insbesondere, inwieweit die angegeben Verkehrswerte und Mieteinnahmen mit den marktüblichen Mietmultiplikatoren übereinstimmen. Abweichungen können bei ungewöhnlichen Leerständen, geringen Mietrestlaufzeiten oder hohen Abweichungen vom Mietspiegel vorkommen. 14╇
Vgl. Rehkugler und Goronczy (2009).
11.4â•… Die Bewertung von Immobilienunternehmen
413
Um aus den FFO eine Kennzahl zu bilden, die mit den üblichen Multiplikatoren wie dem KGV vergleichbar ist, werden die FFO ins Verhältnis zum NAV gesetzt. Hierdurch wird eine ertragsabhängige Stromgröße mit einer zeitpunktabhängigen Bestandsgröße verglichen, ganz wie dies beim KGV oder dem EV/Umsatz-Multiplikator der Fall ist. Je größer die Kennzahl im Peergroup-Vergleich ausfällt, desto profitabler ist die Gesellschaft. Wurden FFO und NAV für die gesamte Referenzgruppe an bestandshaltenden Unternehmen berechnet, stellt sich die Frage, ob die zu bewertende Aktie mit einer Prämie oder einem Abschlag gehandelt werden sollte. In jedem Fall ist die Antwort darauf weitgehend unabhängig von der jeweiligen Marktsituation und für jedes Unternehmen gesondert festzulegen. Eine Bewertung, der ausschließlich der NAV zugrunde gelegt wird, gleicht einer Zerschlagungsbilanz, die ein Konkursverwalter aufstellen würde, wenn ihm die negative Fortführungsprognose eine Bilanzierung nach dem Going Concern-Grundsatz verbietet. Das kann für hochlebendige und dynamische Immobiliengesellschaften natürlich nicht gelten. Neben dem NAV ist die erwartete Performance der Aktie per Saldo von weiteren Faktoren abhängig, zum Beispiel • von der Qualität des Managements, u.€a. in Bezug auf ihre Immobilienexpertise und ihrer Bereitschaft zu einer transparenten Finanzmarktkommunikation, • von der Prognostizierbarkeit der erwarteten Cashflow-Ströme im Vergleich zu anderen Unternehmen, • von der erwarteten Dividendenrendite im Vergleich zu Bundesanleihen und des Aktienindex und • vom erwarteten Wachstum der Funds From Operations je Aktie (dynamischer Ansatz). Ursächlich für eine Abweichung des Aktienkurses vom errechneten NAV kann also eine Unter- oder Überbewertung der Aktie sein, muss aber nicht. Es gibt verschiedene Parameter, die nicht nur zu einer unterschiedlichen Bewertung von Immobilienunternehmen führen können, sondern sogar müssen. So ist ein Unternehmen mehr als die Summe seiner Einzelobjekte. Bewertungsrelevant sein kann das Management, das attraktivere Objekte identifiziert und erwirbt als seine Wettbewerber, aber auch die Besteuerung kann auf Unternehmensebene eine Rolle spielen, wenn wie im REIT-Fall keine, im Fall einer Real Estate Operating Company jedoch eine durchschnittliche Besteuerung anfällt. Unternehmen mit ausgewiesenen Managementqualitäten und einer hohen Reputation können also durchaus mit einer Prämie zum NAV gehandelt werden, während gleichzeitig andere Gesellschaften mit schwachem Track Record einen Bewertungsabschlag hinnehmen müssen. Weil die Gründe für einen Zu- oder Abschlag auf Erfahrungen beruhen, kann auch keine abschließende Liste der Beurteilungskriterien angeboten werden. Zu nennen sind insbesondere • eine spezifizierte Formulierung des Geschäftsmodells und der Kernkompetenzen, die Vermeidung außergewöhnlicher Risikopotenziale, • die Fähigkeit zu internem Wachstum durch Nutzung von Ausbaureserven, eine Verbesserung der Mieterstruktur, die Herbeiführung höherwertiger Nutzungen oder aktives Portfoliomanagement,
414
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
• die Fähigkeit zu externem Wachstum durch Akquisition neuer Anlageobjekte oder die Entwicklung von Projektimmobilien, und nicht zuletzt • die Qualität des Managements, also zum Beispiel Interessenskonflikte, Ausschaltung des Principal Agency-Problems durch Beteiligung des Managements am Unternehmenserfolg. Die Einordnung innerhalb dieser Spanne sollte danach erfolgen, in welchem Umfang die vorstehenden Kriterien von dem jeweiligen Unternehmen erfüllt werden. Gravierende Mängel dürften regelmäßig zu einem Discount führen. Erfüllt das Unternehmen im Wesentlichen die hier vorgestellten Kriterien und handelt es sich deshalb um ein brauchbares Kapitalmarktprodukt aus dem Immobilienbereich, so dürfte eine Prämie in Höhe von rund â•›+â•›10€% über dem NAV eine vernünftige Kompensation für den Wert des Unternehmens als organisatorische Einheit und die Fungibilität der Beteiligungsmöglichkeit darstellen. Aufgrund der geringen Homogenität der operativen Aktivitäten von Immobiliengesellschaften gelten die Kritikpunkte, die für Referenzgruppenmultiplikatoren allgemein angeführt werden können, auch hier. Reine Immobilienbestandshalter haben andere Werttreiber als Projektentwickler, Immobilienhändler oder -dienstleister. Bestandshalter von Wohnimmobilien gelten gemeinhin als weniger risikoreich als der Besitz von Gewerbeimmobilien, gute Lagen und Standorte sind weniger riskant als schlechte u.€s.€w.
11.5 D er Sum of the Parts-Ansatz bei der Bewertung von Konglomeraten Wie würde man idealerweise zwei Unternehmen bewerten, die sich bezüglich ihrer Komplexität unterscheiden? Angenommen, in der roten Ecke stünde ein fokussiertes, einfach zu verstehendes Pure Play-Unternehmen, das ausschließlich in seinem Heimatmarkt tätig ist, während sich in der blauen Ecke ein komplexer, diversifizierter Konzern befindet, der mit unterschiedlichen Produkten in unterschiedlichen Ländern weltweit tätig ist. Annahmegemäß sollen beide Unternehmen ähnliche Profitabilitätskennzahlen und ein vergleichbares finanzielles Leverage aufweisen. Vor dem Hintergrund identischer Cashflows und Abzinsungssätze würde eine DCFBewertung für beide Unternehmen theoretisch denselben Unternehmenswert ermitteln. In der Kapitalmarktpraxis dürfte dagegen das Konglomerat mit einem Bewertungsabschlag gehandelt werden, da Investoren diversifizierte Unternehmen häufig mit der Begründung ablehnen, dass sie die Diversifizierung gerne selbst über ihre Asset Allocation vornehmen. Unabhängig davon, ob derartige Bewertungsabschläge gerechtfertigt sind, treten bei einer Vergleichsgruppenbewertung bislang völlig unbekannte Probleme auf. Allein dass es nur sehr wenige Konglomerate geben dürfte, die einander so ähnlich sind, dass ihre Aktien überhaupt miteinander verglichen werden können, ist ein Spezifikum. Nicht nur, dass Vergleichsunternehmen zu finden sind, deren Ka-
11.5â•… Der Sum of the Parts-Ansatz bei der Bewertung von Konglomeraten
415
pitalströme, Wachstumsraten und Risikostrukturen mit dem zu bewertenden Titel ähnlich sind, sollten auch die Geschäftsfelder, in denen die Unternehmen tätig sind, ähnlich sein. Holding- oder Beteiligungsgesellschaften sind jedoch nur in seltenen Fällen untereinander ähnlich, zu groß sind in der Realität die Unterschiede in der operativen Ausrichtung der Konzerngesellschaften. Mit welchem Unternehmen sollte ein Siemens-Konzern auch verglichen werden? Mit der US-amerikanischen GE? Der Schweizer ABB? Oder der amerikanisch-französischen Alcatel-Lucent? Angesichts der existenziellen Unterschiedlichkeit von Konglomeraten dürfte es naheliegend sein, dass eine Ableitung eines Multiplikators aus einer Referenzgruppe für einen Unternehmensvergleich kein befriedigendes Ergebnis zur Folge haben kann und gleich mehrere Schwachstellen aufweist. Konglomerate erwirtschaften ihre Cashflows in unterschiedlichen Risikoklassen mit unterschiedlichen Wachstumsraten. Manche sind riskanter und sollten dementsprechend mit höheren Diskontierungssätzen abgezinst werden, andere sind weniger riskant und mit niedrigeren Diskontierungssätzen zu versehen. Das Beta des Gesamtkonzerns kann daher nur als gewichteter Durchschnitt der Betas der Tochtergesellschaften verstanden werden. Für eine Bewertung der einzelnen Geschäftsbereiche ist es daher kaum brauchbar, vor allem, wenn die einzelnen Geschäftsbereiche nicht miteinander korreliert sind. Im Bestreben, diversifizierte Konzerne miteinander zu vergleichen, gehen viele Analysten daher einen Umweg. Anstelle einer Gesamtbewertung auf Konzernebene isolieren sie bei stark heterogenen Konglomeratsstrukturen die einzelnen Geschäftsbereiche bzw. Unternehmensteile und bewerten diese individuell mit börsennotierten Pure Plays. Bei diesem Sum of the Parts-Ansatz werden für jeden Konzernbereich marktspezifische Multiplikatoren angewendet oder über DCF-Modelle intrinsische Marktwerte berechnet – sofern die erforderlichen Informationen bezüglich der operativen Grunddaten wie Umsatz, EBIT, Investitionen oder Nettoverschuldung einem Außenstehenden zur Verfügung stehen. Durch Addition der Einzelwerte mit den nicht betriebsnotwendigem Vermögen und anschließender Subtraktion der Holdingkosten, des verzinslichen Fremdkapitals und sonstiger, nicht den Aktionären zustehenden Werte errechnet sich der innere Wert des Eigenkapitals. Der Mehrwert, den eine Sum of the Parts-Bewertung erbringt, ist dementsprechend am größten, je stärker die Charakteristika der einzelnen Teilbereiche voneinander abweichen. Liegen die hierfür erforderlichen Daten nicht vor, wie dies beispielsweise bei der Schätzung der erforderlichen Investitionsbedürfnisse der Geschäftsbereiche oder bei der Schätzung der Betafaktoren der einzelnen Konzernbereiche der Fall ist, bietet sich die Verwendung industriespezifischer Werte bzw. Multiplikatoren an. Besonders wichtig bei dieser Vorgehensweise ist die präzise Abgrenzung der einzelnen Geschäftsbereiche: Jeder einzelne Geschäftsbereich sollte isoliert für sich bewertet werden und sollte im Modell unabhängig und eigenständig agieren. Auch sollte immer hinterfragt werden, welche Synergien zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen bestehen und ob diese bei einer Herauslösung des Geschäftsbereichs aus dem Konzernverbund untergehen. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass a priori nicht bekannt ist, ob die Zusammenfassung von Gesellschaften zu einem Konzernverbund eine Wert steigernde Maßnahme ist, etwa weil Syn-
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11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
ergieeffekte gehoben werden können, oder eine Wert vernichtende Maßnahme, zum Beispiel weil Effizienzverluste auftreten. Doch auch diese Vorgehensweise kommt nicht ohne eine Klarstellung aus. So stellt sich die Frage, auf welche Weise die in den Zentralstellen angefallenen Kosten auf die Tochtergesellschaften verteilt werden können. Ein mögliches Verfahren ist es, die Overhead-Kosten in der Bewertung der Teilkonzerne zunächst zu unterschlagen und erst als Pauschalposition in Abzug zu bringen, eine Vorgehensweise, die natürlich eine substantielle Überbewertung der betrieblichen Vermögenswerte zur Konsequenz hat. Die aus der Kostenstellenrechnung bekannten Verteilungsschlüssel über Bereichsumsätze oder -mitarbeiter stellen eine theoretisch mögliche Verbesserung dar, doch ist es für einen Außenstehenden kaum möglich herauszufinden, in welcher Höhe betriebliche Kosten im einzelnen Geschäftsbereich tatsächlich angefallen sind. Gänzlich verloren dürfte sich ein an der Unternehmensbewertung interessierter Anleger angesichts der Konsequenzen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung vorkommen: Unternehmen gestalten in der Regel innerbetriebliche Verrechnungspreise nicht at arm’s length, sondern zu steuerminimierenden Konditionen. Der intern einkaufende Bereich wird bei überhöhten Preisen zu schlecht, der verkaufende Bereich zu ertragreich wiedergegeben. Zusätzlich verstärkt wird dieser Trend, wenn eine innerbetriebliche Kreditvergabe stattfindet; auch hier können die vereinbarten Zinsen die Marktzinssätze widerspiegeln, müssen aber nicht, so dass eine künstliche Verschlechterung oder Verbesserung der Ertragslage die Folge ist. Und auch Investitionen in Sachanlagen und in Working Capital werden von der Konzernzentrale nur höchst selten für die einzelnen Geschäftsbereiche untergliedert veröffentlicht. In der Theorie sind also unterschiedliche, nach dem Einfluss von Geschäftsbereichen gewichtete Diskontierungssätze zu verwenden. In der Praxis stehen diese den Anlegern nicht zur Verfügung. Selbst wenn die Betas der einzelnen Geschäftsbereiche bekannt wären und ein gewichteter durchschnittlicher Diskontierungssatz ermittelt werden könnte, kann dieser bei unterschiedlichen Wachstumsraten der einzelnen Geschäftsbereiche nur ein zeitpunktbezogener Diskontierungssatz sein, der für eine zeitraumbezogene Unternehmensbewertung, zum Beispiel über ein DCF-Modell, unbrauchbar ist. Überhaupt ist auch der zweite Input-Faktor der WACC, das finanzielle Leverage, auf Geschäftsbereichsebene nicht bekannt, weil weder das verzinsliche Fremdkapital noch der Marktwert der einzelnen Bereiche veröffentlicht wird. Bei der Schätzung der Diskontierungssätze werden die aus den einzelnen Vergleichsgruppen abgeleiteten Betas sowie die aus dem Bereich abgeleiteten Verschuldungsquoten verwendet – soweit diese publiziert werden; falls nicht, können sie aus den Verschuldungsquoten von Vergleichsunternehmen abgeleitet werden. Risikolose Zinssätze und Risikoprämien bleiben gegenüber der aggregierten Unternehmensbewertung unverändert, da das Unternehmen ja über einen einzigen Markt bewertet wird. Aus den genannten Daten können anschließend die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten eines Teilbereichs berechnet werden. Mit Hilfe der gewichteten Kapitalkosten kann eine Bewertung der Cashflows der einzelnen Teilbereiche vorgenommen werden. Jeder einzelne Geschäftsbereich wird dabei separat
11.5â•… Der Sum of the Parts-Ansatz bei der Bewertung von Konglomeraten
417
bewertet, indem die operative Geschäftsentwicklung, die Investitionsquoten und die Nettoaufnahme von Finanzverbindlichkeiten geschätzt werden. Anschließend sind die Werte der Teilbereiche zu summieren und der Marktwert des Fremdkapitals (netto, nach Abzug des Cash-Bestandes) zu subtrahieren. Nach Addition des Marktwertes der nicht betrieblichen Vermögensgegenstände ergibt sich der Wert des Eigenkapitals und, nach Division durch die Zahl ausstehender Aktien, der Wert je Aktie. Beispiel€11.8: Bewertung von Konglomeraten╇ Die HighTex AG, ein führender deutscher Technologiekonzern, ist in fünf verschiedenen Geschäftsbereichen tätig. Aus der Segmentberichterstattung des Geschäftsberichts können wir folgende Angaben entnehmen: Mio.€€ Telekommunikation Energieerzeugung Medizintechnik Maschinenbau Verkehrstechnik Konsolidierung Overhead Konzern
Umsatz 1.525,0 1.499,0 1.188,0 1.085,0 652,0 −â•›99,0 0,0 5.850,0
EBIT 188,0 223,0 245,0 135,0 55,0 0,0 −â•›92,0 754,0
EBIT-Marge (%) 12,3 14,9 20,6 12,4 8,4
12,9
Zunächst berechnen wir das Beta für HighTex. Über die für jeden Geschäftsbereich ausgewählten Vergleichsunternehmen ermitteln wir ein durchschnittliches unlevered Beta, das wir mit den anteiligen operativen Ergebnissen von HighTech gewichten. Damit ergibt sich ein unlevered Beta für den Konzern in Höhe von 1,07: Telekommunikation Energieerzeugung Medizintechnik Maschinenbau Verkehrstechnik Konzern
EBIT (Mio.€€)
Anteil (%)
β U
β U gewichtet
188,0 223,0 245,0 135,0 55,0 846,0
22,2 26,4 29,0 16,0 6,5 100,0
1,22 1,03 1,05 0,94 1,11
0,27 0,27 0,30 0,15 0,07 1,07
Aus diesem berechnen wir nun das levered Beta für den Konzern. Die Konzernsteuerquote liegt bei 33,0€%, die Marktkapitalisierung bei 5.600,0€Mio.€€, der Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals bei 1.250,0€ Mio.€ €, zudem bestehen operative Leasingverpflichtungen mit einem Marktwert von 280,0€Mio.€€. Damit ergibt sich ein levered Beta von 1,26:
ß L = ßU 1 + (1 − τ )
Debt 1.250,0 + 280,0 = 1,07 1 + (1 − 0,33) = 1,26. EK 5.600,0
418
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Vor der Berechnung der WACC ist es erforderlich, eine konzernweite Risikoprämie zu ermitteln. Diese ergibt sich als Mittelwert der in den einzelnen Regionen angesetzten Risikoprämien. Als Gewichtungsfaktor wählen wir hierzu die quotalen Konzernumsätze:
Europa USA APA Sonstige Konzern Gewichtete Risikoprämie
Umsatz (Mio.€€)
Anteil (%)
rP (%)
2.750,0 1.580,0 980,0 540,0 5.850,0
47,0 27,0 16,8 9,2 100,0
5,5 5,5 7,0 8,5
rP gewichtet (%) 2,6 1,5 1,2 0,8 6,0
Wir errechnen also eine gewichtete Risikoprämie in Höhe von 6,0€%. Zehnjährige Staatsanleihen verzinsen aktuell bei 3,5€%. Damit ergeben sich Eigenkapitalkosten von rEK = rf + rP = 0,035 + 1,26 · 0,06 = 0,111 = 11,1 %.
Das letzte Rating von HighTex war A-, was einem Default-Spread von 2,0€% entspricht. Die Fremdkapitalkosten vor Steuern liegen damit bei rDebt = rf + CDS = 0,035 + 0,02 = 0,055 = 5,5 %.
Damit ergeben sich für HighTex durchschnittliche gewichtete Kapitalkosten in Höhe von WACC = 0,111
1.250,0 + 280,0 5.600,0 + 0,055 (1 − 0,33) = 0,095 = 9,5 %. 7.130,0 7.130,0
Aus dem Buchwert des Eigenkapitals von 2.375,0€Mio.€€, des Fremdkapitals von 1.280,0€Mio.€€ und des Kassenbestands von 350,0€Mio.€€ (alle Angaben zur Vorperiode) ergibt sich eine Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE von ROCE =
846,0(1 − 0,33) = 0,172 = 17,2 %. 2.375,0 + 1.280,0 − 350,0
Aus den gesamten Investitionen von 480,0€Mio.€€, den Abschreibungen von 290,0€Mio.€€ und dem Aufbau an Working Capital von 66,0€Mio.€€ ergibt sich eine Investitionsquote ε von ε=
480,0 − 290,0 + 66,0 = 0,452 = 45,2 %. 846,0(1 − 0,33)
11.5â•… Der Sum of the Parts-Ansatz bei der Bewertung von Konglomeraten
419
Die erwartete endogene Wachstumsrate g von HighTex liegt damit bei g = 0,172 · 0,452 = 0,077 = 7,7 %.
Mithilfe dieser Wachstumsrate errechnen wir das operative Ergebnis EBIT der folgenden fünf Jahre, in denen wir eine überdurchschnittliche Wachstumsphase vermuten. Die Investitionen berechnen wir anhand der bekannten Formel, die daraus abgeleiteten FCFF werden mit den gewichteten Kapitalkosten diskontiert: Mio.€€ EBIT(1â•›−â•›τ) Investitionen FCFF Barwert FCFF
tâ•› + â•›1 602,0 −╛╛257,9 344,1 316,7
tâ•› + â•›2 639,3 −╛╛273,9 365,4 309,5
tâ•› + â•›3 678,9 −╛╛290,9 388,0 302,5
tâ•› + â•›4 721,0 −╛╛308,9 412,1 295,7
tâ•› + â•›5 765,7 −╛╛328,0 437,7 289,0
Die Summe der Barwerte der FCFF im Zeitraum tâ•›+â•›1 bis tâ•›+â•›5 ergibt 1.513,5€ Mio.€€. Nach Beendigung der Wachstumsphase tritt das Unternehmen in den Steady State-Zustand ein. Die vom Management avisierte Zielkapitalstruktur liegt bei 50:50, für den Steady State wird ein Beta von 1,1 veranschlagt. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen ergibt sich für den Terminal Value WACCTV ein Wert von WACCTV = 0,101 · 0,5 + 0,055 · 0,5(1 − 0,33) = 0,074 = 6,9 %
ergeben. Die ROCETV werden auf 8,0 geschätzt, das Unternehmenswachstum auf 3,0€%. Damit ergibt sich eine stabile Investitionsquote ε für den Terminal Value von ε=
gTV 0,03 = 0,375 = 37,5 %. = ROCETV 0,08
Der Wert des Terminal Value gegen Ende der Periode tâ•›+â•›5 beläuft sich damit auf EBITt+5 (1 − τ )(1 + gTV )(1 − εTV ) WACCTV − gTV 765,7(1 + 0,03)(1 − 0,375) = 12.612,9. = 0,069 − 0,03
TV5 =
Diskontiert auf den Zeitpunkt t ergibt sich ein Barwert des Terminal Value TV0 von TV0 =
TVt+5 11.192,8 = = 9.031,6. (1 + WACCTV )5 (1 + 0,069)5
420
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Der gesamte Enterprise Value von HighTex beläuft sich damit auf 1.513,5 + 9.031,6 = 10.545,1.
Abzüglich der Nettoverschuldung und des Marktwertes der Leasingverpflichtungen ergibt sich ein Wert des Eigenkapitals von V0 = 10.545,1 − 1.250,0 − 280,0 + 372,0 = 9.387,1.
Verglichen mit der aktuellen Marktkapitalisierung von 5.600,0 ergibt sich ein Kurspotenzial für die Aktie in Höhe von 67,6€%. Die Aktie ist damit deutlich unterbewertet. Bei einer Gesamtbewertung eines Konglomerats würden die unterschiedlichen Chance-Risiko-Profile der einzelnen Geschäftsbereiche unberücksichtigt bleiben. Je heterogener die Konzernstruktur ist, je geringer die Beziehung zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen und je unterschiedlicher die Risiken der einzelnen Konzernteile sind, desto unpräziser ist das Ergebnis einer Gesamtbewertung des Unternehmens. Als Ausweg bietet sich das Sum of the Parts-Verfahren an. Hierbei werden die Aktiva des Unternehmens separat bewertet und dann die Einzelwerte aufaddiert. Infolgedessen kommt das Sum of the Parts-Verfahren bevorzugt in Konglomeraten zum Einsatz, deren einzelne Geschäftsbereiche sich in punkto Ertragslage, Ertragsentwicklung und Risiko signifikant unterscheiden. Ein entscheidender Nachteil des Sum of the Parts-Ansatzes ist es, dass nicht alle Kapitalmarktteilnehmer die eigene Bewertungsmethodik kennen – bzw. selbst wenn sie sie kennen – auch unterstützen würden. Im Gegenteil, finden sich kaum zwei gleich lautende Sum of the Parts-Ansätze zu ein und demselben Unternehmen. In der Praxis werden häufig Konglomeratsabschläge erhoben. In welcher Höhe diese bei einer Holding oder einem diversifizierten Unternehmen anzusetzen sind, ist a priori schwer zu beantworten, gibt es doch eine große Diskrepanz zwischen den am Kapitalmarkt als „fair“ eingestuften Holdingabschlägen. Zum einen gibt es nur spärliche empirische Studien, zum anderen können mehrere Gründe für Zuoder Abschläge gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken. In einigen Studien wurde das Verhältnis aus Marktwert und Ersatzkosten, das so genannte Tobins Q, von Konglomeraten und Pure Plays miteinander verglichen. Danach würden diversifizierte Unternehmen mit einem etwa 8€%igen Abschlag gegenüber spezialisierten Vergleichsunternehmen bewertet15. Sind derartige Abschläge gerechtfertig? Andere Frage: Gibt es überhaupt noch Pure Plays? Ist nicht die Reinheit der geschäftlichen Ausrichtung grundsätzlich einer Aufweichung in verschiedene Geschäftsfelder gewichen, so dass allenfalls die Frage zu beantworten wäre, in welchem Ausmaß eine Diversifizierung vorliegt? 15╇
Vgl. Zum Beispiel: Berger und Ofek (1995).
11.6â•… Auswirkung der Globalisierung auf die Unternehmensbewertung
421
Während bis in die 1970er Jahre hinein der Wunsch nach Risikostreuung im Vordergrund der Diversifizierung stand, waren es in den 1980er und 1990er Jahren Portfoliooptimierungsüberlegungen, die bei der Übernahme von schwach performenden Unternehmen im Vordergrund standen. Ein Trend, der auch heute noch beobachtet werden kann, vor allem wenn Unternehmen in die Reifephase eintreten. Die Erfahrung zeigt, dass Unternehmen höchstens so lange in ihrem ursprünglichen Geschäftsbereich verhaftet bleiben, wie sich ihnen dort neue Investitionschancen bieten. Trocknen diese im Zeitablauf aus, trifft die Gesellschaft irgendwann auf ihren Sättigungspunkt und muss sich entscheiden, ob man sich damit abfindet, ein reifes Unternehmen mit unbefriedigenden Wachstumschancen zu sein, oder ob eine Strategie der vertikalen und horizontalen Differenzierung verfolgt werden soll.
11.6 A uswirkung der Globalisierung auf die Unternehmensbewertung Wohl kaum ein Thema wurde in den letzten Jahren so kontrovers diskutiert wie die Globalisierung. Wie schlägt sich die Globalisierung in der Bewertung von Unternehmen nieder? Sind Unternehmen mit großem internationalem Footprint anders zu bewerten als ausschließlich auf dem Heimatmarkt tätige? Sind Geschäftstätigkeiten in Industrieländern anders einzustufen als in weniger entwickelten Ländern? Was im Extremfall die Frage aufwirft, ob Unternehmen anders zu bewerten sind, die den Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit in Schwellen- oder Entwicklungsländern haben? Die Bewertung von Unternehmen, die nicht nur ein Produkt, sondern viele Produkte herstellen und über Sum of the Parts-Verfahren zu bewerten sind, wurde im vorangegangenen Kapitel umfänglich erklärt. Nun soll ein Schritt weitergegangen und ein Unternehmen analysiert werden, das verschiedene Produkte in verschiedenen Ländern herstellt und vertreibt. Unternehmen, die ausschließlich in einem Markt tätig sind, sind nur einem Landesrisiko, einer Risikoprämie und einem risikolosen Zinssatz ausgesetzt, man muss nur eine Investitionsquote berechnen, einen Cashflow und eine Wachstumsrate der Cashflows. Bei Unternehmen, die in verschiedenen Märkten tätig sind, steigt die Komplexität der geforderten Datenmenge mit jedem Geschäftsbereich an. Ist das Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern in mehreren Ländern tätig, wird die Bewertung rasch unüberschaubar. Die Komplexität der Unternehmensbewertung gewinnt eine zusätzliche Dimension, und ein Unternehmen, das mit fünf Produktgruppen in 30 Ländern tätig ist, würde über eine Sum of the Parts-Bewertung mit 150 einzelnen Cashflow-Strömen zu bewerten sein. Dass dies schnell unübersichtlich werden und im praktischen Einsatz undurchführbar sein kann, ist einsichtig. In der Praxis der Unternehmensbewertung ist daher pragmatisch vorzugehen, denn würde ein Unternehmen aus 150 Cashflow-Strömen bestehen, so wäre der Beitrag eines einzelnen Cashflow-Stromes dermaßen gering, dass es sinnvoll sein kann, gleich das Unternehmen als Ganzes zu
422
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
bewerten, anstatt sich die Arbeit einer Detailanalyse zu machen. Allerdings bleibt ein fader Beigeschmack übrig und zudem die Frage unbeantwortet, wie die verschiedenen Risiken, Cashflows und Wachstumscharakteristika von Multinationals oder Global Playern eigentlich in den Griff zu bekommen sind. Der nach der Lektüre von mehreren hundert Seiten dieses Buches mittlerweile geschulte Leser wird der These zustimmen, dass Unternehmen, deren Präsenz in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich hoch ist, unterschiedlich zu bewerten sind. Ein Unternehmen, das 50€% seiner Umsätze in Lateinamerika erwirtschaftet, sollte anders bewertet werden als ein Unternehmen, das den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit in der Euro-Zone hat. Es kann sogar naheliegend sein, ein Pharmaunternehmen, das die Hälfte seiner Erlöse in Südamerika erwirtschaftet, allein mit südamerikanischen Pharmaunternehmen als Referenzunternehmen zu vergleichen, mindestens jedoch in dem Ausmaß, in dem das zu bewertende Unternehmen in diesen Ländern tatsächlich den jeweiligen Länderrisiken ausgesetzt ist. Allerdings kann ein Unternehmen auch dann länderspezifischen Risiken ausgesetzt sein, wenn es in dem bestimmten Land keine oder nur geringe Umsätze erwirtschaftet, sondern dort Produktionsstätten unterhält. Ein Beispiel hierfür ist SKW Stahl-Metallurgie, das eine Produktionsstätte für Kalziumsilizium im asiatischen Königreich Bhutan aufgebaut hat. Würde es in diesem Land politische Unruhen, Erdbeben oder andere Naturkatastrophen geben, kämen auf das Unternehmen substanzielle Abschreibungspotenziale und Ertragsrisiken zu, die umso größer sind, je weniger das Unternehmen in der Lage ist, seine Geschäftstätigkeit im Notfall in andere Länder zu verlagern. Im Grunde genommen gibt es nur wenige Unternehmen, die ausschließlich auf den Heimatmarkt fixiert sind. Selbst Telekommunikationsdienstleister wie die Deutsche Telekom AG oder Postdienstleister wie die Deutsche Post AG generieren, anders als dies ihre Namensgebung vermuten ließe, ihre Erlöse nicht mehr ausschließlich in Deutschland, sondern haben sich – meist durch diverse Zukäufe – substantielle Standbeine im Ausland geschaffen. Nur sehr wenige, meist kleine Gesellschaften erzielen ihre Erlöse noch ausschließlich im Inland – zu nennen wären insbesondere Einzelhandelsunternehmen wie die Ludwig Beck AG, die noch nicht einmal deutschlandweit tätig ist, sondern ausschließlich im Münchener Raum. Eine Methode, anhand derer die im Ausland und im Inland erwirtschafteten Erträge bewertet werden können, dürfte also für den Großteil der börsennotierten Gesellschaften relevant sein. Dabei macht es einen entscheidenden Unterschied, in welchen Ländern ein global tätiges Unternehmen vertreten ist. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich sind wesentlich geringer als die zwischen Deutschland und den USA, wo immerhin eine Währungskomponente mit ins Spiel kommt, die wiederum geringer sind als zwischen Deutschland und einem afrikanischen Entwicklungsland, wo sich neben der Währungskomponente auch das ökonomische Gesamtbild ändert und schließlich auch eine Einschätzung der Stabilität der Wirtschaftsordnung vorgenommen werden muss. Cashflows, die in Entwicklungsländern erwirtschaftet werden, unterliegen einem deutlich größeren unternehmerischen Risiko als Cashflows, die innerhalb der Eurozone oder auf dem nordamerikanischen Kontinent ge-
11.6â•… Auswirkung der Globalisierung auf die Unternehmensbewertung
423
neriert werden. Auch die Inflationsrate hat Auswirkungen auf den Unternehmenswert: Denn dass nicht kurzerhand der Diskontierungssatz der Eurozone für alle Cashflows im Konzern angesetzt werden kann, wird unmittelbar einsichtig, wenn es um die Diskontierung von Cashflows aus Entwicklungsländern, zum Beispiel aus Südamerika, geht: Hier würde eine tendenziell zu niedrige Inflationsrate in den Diskontierungssatz eingearbeitet werden, um Cashflows zu diskontieren, die einer hohen Inflationsrate ausgesetzt sind: ein klarer Fall der Überbewertung des Unternehmens. Aber auch der gegenteilige Fall ist an den Kapitalmärkten zu beobachten: Wenn bei der Bewertung von Cashflows aus Entwicklungsländern höhere risikolose Zinssätze (die das länderspezifische Ausfallrisiko widerspiegeln sollen), höhere Risikoprämien (um sich von reifen Industrieländern abzuheben) und ein pauschaler Abschlag auf die erwarteten Cashflows angesetzt werden, handelt es sich nicht nur um eine Doppelzählung des Risikos, sondern sogar um eine Dreifachzählung. Auch die Frage, in welcher Währung eine Unternehmensbewertung zu erfolgen hat, ist bei einem multinationalen Konzern nicht von vorneherein eindeutig festgelegt. Währungen in Entwicklungsländern sind volatiler als in den führenden Industrieländern, auch wenn die Anbindung mancher Währungen an den US-Dollar oder den Euro Stabilität vorspiegeln mag. Unternehmen, die in verschiedenen Währungsräumen tätig sind, erwirtschaften notwendigerweise Cashflows, die von der Heimatwährung abweichen. Aus pragmatischen Gründen erfolgt die Bewertung der Ertragsströme in der jeweiligen Landeswährung mit den landesspezifischen Diskontierungssätzen. Abschließend erfolgt die Umrechnung der Werte in die Währung, in der die Aktie notiert ist. Länderspezifische Risiken sollten in extra länderspezifischen Risikoprämien widergespiegelt werden. Besonderheiten aus der Bewertung ausländischer Tochtergesellschaften ergeben sich insbesondere aus eventuellen politischen und wirtschaftlichen Risiken und aus anderen Rechts- und Wirtschaftsordnungen. Weitere länderspezifische Risiken entstehen aus der demographischen Stabilität eines Landes. Abwertungsrisiken fallen dagegen nicht unter diese Kategorie, weil zum Beispiel exportorientierte Rohstoffproduzenten von einer schwächeren Heimatwährung profitieren würden; für sie eine extra Risikoprämie anzulegen würden das Risiko über- und den Unternehmenswert unterschätzen. Länderspezifische Risikoprämien basieren auf dem jeweiligen Länder-Rating und dem Anleihen-Spread gegenüber deutschen Bundesanleihen. Darüber hinaus sollte die Länderprämie auch ein Maß dafür sein, wie volatil sich der Aktienindex gegenüber dem jeweiligen Anleihenmarkt verhält16. Hierfür sollen die Standardabweichungen des jeweiligen Aktienindizes σAktienindex mit den zehnjährigen Staatsanleihen des Landes σStaatsanleihen verglichen werden. Die landespezifische Risikoprämie rP,Land errechnet sich dann über folgenden Zusammenhang:
16╇
rp,Land = (rf ,Land −rf ,Deutschland )
Vgl. Damodaran (2001, S.€67).
σAktienindex,Land σStaatsanleihen,Land
(11.8)
424
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Beispiel€11.9: Berechnung der landespezifischen Risikoprämie╇ Im Zuge der Finanzmarktkrise wird das Rating eines Mittelmeerstaates von der Ratingagentur Standard & Poor’s mit BBâ•›+/B auf einen Junk-Status herabgestuft. Zehnjährige Staatsanleihen des Landes rentieren nunmehr bei 8,0€%, deutsche bei 2,8€%. Der Default-Spread gegenüber Deutschland beläuft sich damit auf 5,2€ %. Die Standardabweichung des Aktienindizes des Landes (basierend auf wöchentlichen Renditen, gemessen über einen Zeitraum von zwei Jahren) beträgt 18,0€%, die des Anleihenmarktes 11,0€%. Damit ergibt sich eine Länderprämie von rp,Land = (rf ,Land −rf ,GER )
σAktienindex 0,18 = 0,052 = 0,085 = 8,5 %. σStaatsanleihen 0,11
Diese Länderprämie ist nun zur impliziten Risikoprämie Deutschlands hinzuzurechnen, die Ende 2010 bei etwa 3,0€% lag. Die bisweilen vertretene Aussage, dass länderspezifische Risiken nicht in die Berechnung der Diskontierungssätze mit aufzunehmen sind, weil aus der Perspektive eines global tätigen Investors nur das systematische Risiko zählt und länderspezifische Risiken unkorreliert mit den weltweiten Marktschwankungen sein müssen, würde bedeuten, dass die erwartete Eigenkapitalrendite an ein diversifiziertes äthiopisches Aktienportefeuille genauso hoch zu sein hat wie an ein diversifiziertes deutsches Portefeuille. Kein Wunder also, dass Mitarbeiter des Institutional Sales vermutlich aller Investmentbanken der Welt unmittelbar nach Ausbruch einer xbeliebigen Krise reflexartig bei ihrem Head of Research vorstellig werden und sich bei ihm nach denjenigen Unternehmen erkundigen, die das jeweils höchste prozentuale Umsatz- und Ertragsexposure in einer jeweiligen Krisenregion aufweisen. Aber nicht nur aus der Übertragung der Cashflows sind bestimmte Risiken zu ermitteln, auch bei der Ermittlung der zu ihrer Diskontierung verwendeten Zinssätze. Denn wenn die Krise um Island und die PIIGS-Staaten 2010 etwas Gutes hatte, dann zu zeigen, dass es in vielen Staaten risikolose Zinssätze nicht mehr uneingeschränkt gibt17. Auch Staaten, und zwar nicht mehr nur kleine, politisch unstabile Entwicklungsländer, können insolvent gehen, sondern überraschenderweise auch Länder der Eurozone. Wie hoch die verwendeten Zinssätze für die Komponente rf letzten Endes sind, wird von Ratingagenturen ermittelt und in Tabellen über die wahrscheinlichen Ausfallrisiken veröffentlicht. Nachstehend eine Liste der zehnjährigen Credit Default Swaps (CDS), die eine Indikation für länderspezifische Risikoprämien abgeben. CDS bezeichnen die jährlichen Versicherungsprämien, die für eine Versicherung gegen das Risiko zu zahlen sind, dass das entsprechende Land zahlungsunfähig wird. CDS werden in Basispunkten angegeben. Ein Lesebeispiel: Die für eine Versicherung einer zehnjährigen italienischen Staatsanleihe zu bezahlende CDS-Prämie liegt bei 226; eine Versicherung über 100€Mio.€€ gegen die 17╇
Vgl. Damodaran (2010).
11.6â•… Auswirkung der Globalisierung auf die Unternehmensbewertung
425
Zahlungsunfähigkeit von Italien kostet 100€Mio.€€ multipliziert mit 0,00226, also 226.000€€ pro Jahr. Über die gesamte Laufzeit der zehnjährigen Anleihe beläuft sich die Versicherungsprämie damit auf 2,26€Mio.€€. Aus diesen Prämien kann abgeleitet werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit angesehen wird, dass das Land zahlungsunfähig wird (PD, Probability of Default) und ein Staatsbankrott eintritt. Damit ist auch einsichtig, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Zinssätzen, die von Staatsanleihen der jeweiligen Länder gezahlt werden, und den risikolosen Zinssätzen in diesen Ländern. Diese beiden Zinsen dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Eine Staatsanleihe enthält in ihrer Verzinsung immer auch das jeweilige Ausfallrisiko des Landes. Ein Teil der Verzinsung ist also diesem Ausfallrisiko geschuldet. In die Bewertung der Cashflows eines in Russland tätigen Unternehmens darf dieses genau genommen nicht enthalten sein, da es sonst zu einer Doppelzählung kommen würde18. Um herauszufinden, wie hoch der Anteil des Ausfallrisikos einer russischen, in Rubel gehandelten Staatsanleihe ist, ist lediglich der für das russische Länder-Rating (hier BBB) angemessene Default Spread von der Verzinsung der Staatsanleihe zu subtrahieren, also
rf ,Land = rStaatsanleihe,Land −CDSLand .
(11.9)
Beispiel€ 11.10: Berechnung des risikolosen Zinssatzes╇ Eine russische Staatsanleihe, die bei 9,75€% rentiert, enthält in dieser Verzinsung das Ausfallrisiko einer BBB-Anleihe. Aus Tab.€ 11.1 ist ersichtlich, dass der Credit Default Spread einer russischen Staatsanleihe mit BBB-Rating bei 214 Basispunkten liegt. Damit ergibt sich für die risikolose Verzinsung Russlands ein Wert von rf ,RUS = rStaatsanleihe,RUS −CDSRUS = 9,75 % − 2,14 % = 7,61 %.
Die Verwendung der Rendite russischer Staatsanleihen als risikolosen Zinssatz in einer Unternehmensbewertung würde also eine systematische Unterschätzung des Unternehmenswertes mit sich bringen. Aus Tab.€11.1 wird ersichtlich, dass streng genommen auch für Deutschland ein CDS in Rechnung gestellt werden muss. Liegt die Verzinsung einer zehnjährigen Staatsanleihe bei 3,35€ %, dann ergibt sich unter Verwendung des Credit Default Spreads von 53 Basispunkten für den risikolosen Zinssatz ein Wert von: rf ,GER = rStaatsanleihe,GER −CDSGER = 3,35 % − 0,53 % = 2,82 %.
18╇
Vgl. Damodaran (2008a, S.€23€f.).
426
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Tab. 11.1↜渀 Credit Default Swaps für zehnjährige Staatsanleihen Thomson Financial Datastream (Juni 2010)) Land CDS PD (%) Rating Land Venezuela 1.287 94,9 BB− Mexiko Argentinien 1.142 92,5 B− Thailand Griechenland 672 76,4 Tschechien BB+ Ukraine 633 74,2 Estland CCC+ Lettland 410 57,5 BB− Israel Rumänien 391 55,7 Belgien BB+ Ungarn 386 55,2 BBB− Slowakei Bulgarien 338 50,3 BBB Chile Kroatien 326 49,0 BBB Japan Portugal 318 48,2 A− Slowenien Litauen 310 47,3 BBB Österreich Island 304 46,6 BBB− China Irland 257 41,0 AA Frankreich Spanien 251 40,3 AA Großbritannien Italien 226 37,0 BBB− Neuseeland Uruguay 220 36,2 BB− Australien Türkei 216 35,7 BB− Schweiz Russland 214 35,4 BBB Niederlande Südafrika 206 34,3 Dänemark BBB+ Philippinen 204 34,1 BB− Deutschland Polen 193 32,5 A− Schweden Kolumbien 190 32,1 USA BB+ Brasilien 170 29,2 BBB− Finnland Korea 170 29,2 A Norwegen
ausgewählter Länder. (Quelle: CDS 165 156 142 142 137 133 131 126 121 115 115 112 101 97 73 67 66 61 55 53 51 49 39 34
PD (%) 28,5 27,2 25,0 25,0 24,3 23,6 23,3 22,5 21,7 20,8 20,8 20,3 18,5 17,8 13,7 12,6 12,4 11,6 10,5 10,1 9,7 9,4 7,5 6,6
Rating BBB BBB+ A A+ A AA+ A+ A+ AA AA AAA A+ AAA AAA AA+ AAA AAA AAA AAA AAA AAA AAA AAA AAA
Aus den Renditen für die jeweiligen Staatsanleihen und den landesspezifischen Risikoprämien ergeben sich die landesspezifischen Kosten des verzinslichen Fremdkapitals. Je nach Herkunft der Wertschöpfung und Risikostruktur der generierten Cashflows können diese also völlig unterschiedliche Werte annehmen. In Verbindung mit den landesspezifischen Verschuldungsquoten, die zugegebenermaßen von den Gesellschaften nur sehr selten und hoch granular veröffentlicht werden, können dann die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten eines Marktes berechnet werden. Wie gezeigt wurde, ist in jedem Fall die Konsistenz zwischen den Währungen des Unternehmens und den Diskontierungssätzen sicherzustellen. Wird ein russisches Unternehmen in Euro bewertet, muss auch der Diskontierungssatz aus dem Euro abgeleitet werden, also beispielsweise basierend auf dem risikolosen Zins einer zehnjährigen Staatsanleihe. Da üblicherweise viele Staaten zehnjährige EuroAnleihen begeben haben, sollte diejenige mit der geringsten Nominalverzinsung angesetzt werden, da davon auszugehen ist, dass diese dem Konzept „risikolos“ am nächsten kommt. Wird das russische Unternehmen dagegen in Rubel bewertet, sollte auch der Diskontierungssatz aus einer auf Rubel basierenden „risikolosen“ Staatsanleihe abgeleitet werden. Während die Betafaktoren von der Internationalisierung eines Unternehmens unbeeinflusst bleiben betrifft ein dieses Kapitel abschließendes Problemfeld die zu
11.7â•… Die Bewertung von Markenunternehmen
427
verwendenden Steuerquote von Unternehmen, welche einen Großteil ihrer Erträge in ausländischen Steuerregimen erwirtschaften. Von den meisten Praktikern wird eine durchschnittliche Steuerquote propagiert, bei der die Gewichtungsfaktoren in Abhängigkeit von den im jeweiligen Land erwirtschafteten Vorsteuerergebnissen gewählt werden. Allerdings werden Erträge früher oder später in das Land zurückgeführt, in dem das Unternehmen seinen Firmensitz hat. Weist dieses Land einen höheren Steuersatz auf als die übrigen Länder, in denen das Unternehmen präsent ist, würde die Verwendung durchschnittlicher Steuersätze eine tendenziell zu niedrige Steuerquote zur Folge haben. Daher sollte unterschieden werden: • Liegt der Grenzsteuersatz des Landes, in dem das Unternehmen seinen Firmensitz hat, über dem Durchschnittswert der anderen Länder, sollte der Grenzsteuersatz des Heimatlandes auch für den Gesamtkonzern angewendet werden; • Liegt der Grenzsteuersatz des Landes, in dem das Unternehmen seinen Firmensitz hat, unter dem Durchschnittswert der anderen Länder, ist der mit den jeweiligen Vorsteuerergebnissen gewichtete, durchschnittliche Grenzsteuersatz relevant für den Gesamtkonzern.
11.7 Die Bewertung von Markenunternehmen Vergleichbar einem forschungsintensiven Unternehmen werden auch Markenunternehmen von den buchhalterischen Gegebenheiten benachteiligt. Das Marketingbudget stellt bei ihnen einen beträchtlichen Kostenfaktor dar, der unmittelbar im Jahr ihrer Entstehung als Aufwand verbucht werden muss, obwohl es zumindest in Teilen zur Schaffung langfristiger Werte geeignet ist. Bei Markentiteln besteht die langfristige Wertschöpfung unter anderem in der Fähigkeit, einen höheren Preis für ein vergleichbares Produkt durchzusetzen, als dies einem No-Name-Anbieter möglich wäre. Die sofortige „Verkostung“ der Marketingaufwendungen in der Gewinnund Verlustrechnung belastet also die operative Lage von Markenunternehmen, obwohl diese einen kapitalisierungsfähigen Tatbestand darstellen, der die Ertragslage nur langfristig – nämlich über die Abschreibungen – belasten sollte. Zumindest ein Teil des Marketingbudgets sollte daher nicht als Aufwand behandelt werden. Für eine sorgfältige Behandlung von Marketingaufwendungen sind a priori vier Entscheidungen zu fällen: • Handelt es sich tatsächlich um Aufwendungen, die den Unternehmenswert langfristig steigern? Marketingaufwendungen entfalten ihre Wirkung in der Regel recht kurzfristig. Nur wenn es sich um ein echtes Markenunternehmen handelt – zum Beispiel Sony, Apple oder auch Google –, deren Preispunkte und Marktstellung zum wesentlichen Teil von der Marketingstrategie geprägt werden, kann es überhaupt gegeben sein, Marketingaufwendungen zu kapitalisieren. • Wurde die erste Frage mit Ja beantwortet, ist als zweiter Schritt der Zeitraum zu definieren, über den das operative Ergebnis von den Marketingaufwendungen begünstigt wird. • Anschließend ist in einem dritten Schritt die Höhe des Vermögenswertes zu schätzen, der durch die Marketingausgaben geschaffen wurde.
428
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
• Abschließend ist viertens das operative Ergebnis um die Marketingaufwendungen und die aus der Kapitalisierung entstandenen Abschreibungen zu korrigieren.
Beispiel€ 11.11: Bewertung von Markenunternehmen╇ Ein global tätiger Luxusgüteranbieter investiert im Durchschnitt 12,0€ % seiner Umsätze in Werbung und PR. Wir unterstellen, dass die Hälfte davon für den Aufbau und die Pflege des Markennamens verantwortlich ist. In nachstehender Tabelle haben wir diesen Teil der Marketingaufwendungen für die vergangenen zehn Jahre abgetragen. Wir nehmen an, dass dies auch dem durchschnittlichen Abschreibungszeitraum der Marketingaufwendungen entspricht (zu beachten ist in unten stehender Tabelle, dass die Abschreibungen des jeweiligen Jahres abhängig sind von der Höhe der kapitalisierten Marketingaufwendungen zu Ende des Vorjahres). Mio.€€ Marketingaufwand Marketingaufwand kumuliert ╅╇ (1) Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Abschreibungen Summe Abschreibungen kumuliert (2) Marketing-Kapitalisierung [ = â•›(1)-(2)]
t╛╛−╛╛8 t╛╛−╛╛7 t╛╛−╛╛6 t╛╛−╛╛5 t╛╛−╛╛4 t╛╛−╛╛3 t╛╛−╛╛2 t╛╛−╛╛1 t 100,0 105,0 111,0 120,0 130,0 142,0 158,0 159,0 162,0 100,0 205,0 316,0 436,0 566,0 708,0 866,0 1.025,0 1.187,0 10,0
10,5 10,5
11,1 11,1 11,1
14,2 14,2 14,2 14,2 14,2 14,2
15,8 15,8 15,8 15,8 15,8 15,8 15,8
10,0 10,0
21,0 31,0
33,3 48,0 65,0 85,2 64,3 112,3 177,3 262,5
110,6 373,1
15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 127,2 500,3
100,0 195,0 285,0 371,7 453,7 530,7 603,5
651,9
686,7
0,0 0,0
12,0 12,0 12,0 12,0
13,0 13,0 13,0 13,0 13,0
Nehmen wir an, das operative Ergebnis EBIT des Jahres t beliefe sich auf 140,0€Mio.€€, so erhöht sich dieses durch die Aktivierung der Aufwendungen zur Pflege des Markennamens und die periodengerechte Abschreibung auf EBITadj = EBIT + Mktg − DepMktg = 140,0 + 162,0 − 127,2 = 174,8.
Das um die Marketingaufwendungen adjustierte EBIT ist mithin um 24,9€ % höher als der nicht adjustierte Wert, eine nicht unbeträchtliche Größenordnung. Kritisch an dieser Vorgehensweise dürfte die Wahl des Abschreibungszeitraums sein: In der Realität ist der Aufbau von Markennamen ein überaus langwieriges, womöglich Jahrzehnte dauerndes Unterfangen, so dass ein
11.7â•… Die Bewertung von Markenunternehmen
429
Abschreibungszeitraum von zehn Jahren – wie in unserem Beispiel – zu kurz sein könnte. Bei längerfristigen Abschreibungszeiträumen ist zudem zu erwägen, ob eine Inflationsbereinigung sinnvoll sein könnte. Somit kann die Kapitalisierung der Marketingaufwendungen tiefgreifende Effekte auf die Ertragslage des Unternehmens haben. Aber nicht nur sie, natürlich ist auch die Kapitalbasis des Unternehmens höher als im nicht adjustierten Fall. Im oben genannten Beispiel€11.11 steigt sie um 686,7€Mio.€€ an. Auch die Investitionsquote muss adjustiert werden, denn kapitalisierte Marketingaufwendungen sind wie Investitionen zu behandeln. Und schließlich verändert sich die endogene Wachstumsrate des Unternehmens, die sich aus der Investitionsquote und der Kapitalrendite berechnet, durch die Adjustierung: Während der Anstieg der Investitionsquote in jedem Fall einen wachstumssteigernden Effekt hat, sind die Auswirkungen der Adjustierung auf die Kapitalrendite prima vista unklar, sie können einen steigernden oder rückläufigen Effekt haben. Beispiel€11.12: Bewertung von Markenunternehmen╇ Wir analysieren die Auswirkungen der Kapitalisierung der Marketingaufwendungen auf die Profitabilität des Luxusgüteranbieters aus Beispiel€11.11. Vor der Kapitalisierung belief sich die Rendite auf das eingesetzte Kapital ROCE bei einem unterstellten Vermögen von 650,0€Mio.€€ und einem Grenzsteuersatz von 33,0€% auf ROCEt =
EBITt (1 − τ ) 140,0(1 − 0,33) = = 0,249 = 24,9 %. CEt−1 650,0
Nach der Kapitalisierung sinkt dieser Wert auf EBIT(1 − τ ) + Marketing − DepMarkteting CE+V0,Marktg 140,0(1 − 0,33) + 162,0 − 127,2 = = 0,096 = 9,6 %. 650,0 + 686,7
ROCEadj =
Die Kapitalisierung von Marketingaufwendungen hat in diesem Fall signifikante Auswirkungen auf die Rendite auf das eingesetzte Kapital. Der Freie Cashflow to Equity FCFE dagegen, aus dem die nicht liquiditätswirksamen Investitionen ebenso wie die liquiditätswirksamen Marketingaufwendungen bereits eliminiert worden sind, wird durch die Kapitalisierung der Marketingaufwendungen nicht beeinträchtigt.
430
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
11.8 Industriespezifische Multiplikatoren Die meisten Ratgeber zur Unternehmensbewertung fokussieren auf die Bewertung von reifen etablierten Unternehmen. In der Tat ist die Analyse von Unternehmen, die nur geringfügig von ihrem langfristigen Wachstumspfad abweichen, ein guter Einstieg in die Unternehmensbewertung. Das unangenehme Erwachen folgt dann in der rauen Wirklichkeit, wenn die für reife Unternehmen geltenden Spielregeln für eine Vielzahl anderer Unternehmen nicht angewendet werden können. Spätestens mit dem Aufkommen des Internets und der „New Economy“ begann für die in traditionellen Bewertungsmethoden geschulten Analysten und Investoren eine traumatische Zeit: Standen die Kapitalmärkte jahrzehntelang ausschließlich etablierten Unternehmen als Medium zur Kapitalbeschaffung offen, wurden plötzlich Unternehmen an die Börse gebracht, die kurz zuvor gegründet worden waren und von denen oft kaum mehr als eine veritable Geschäftsidee existierte19. Wie soll nur ein Unternehmen bewertet werden, das noch nicht einmal Umsätze generiert? Das nur auf einer Geschäftsidee basiert und in entfernter Zukunft den Break Even-Punkt möglicherweise überschreiten mag? Das keinen Buchwert hat? Dessen Finanzberichterstattung wenig darüber aussagt, welche Vermögenswerte den größten zukünftigen Wertbeitrag leisten sollen. Und für das es ausschließlich Vergleichswerte gibt, die ebenfalls keine Umsätze erwirtschaften und für die es ebenfalls keine aussagekräftigen Vervielfältiger gibt?20 Traditionelle Bewertungsverfahren wie EV/Umsatz oder KBV weisen Defizite auf, wenn sie für Peergroups angewendet werden, in denen profitable und unprofitable Unternehmen gleichermaßen enthalten sind. Es ist auch keine Lösung, wenn, wie dies von Praktikern regelmäßig getan wird, das unprofitable Unternehmen kurzerhand mit einem Profitabilitäts-Discount versehen wird, um eine Diskriminierung gegenüber den restlichen Referenzunternehmen durchzuführen: Der EV-Multiplikator eines unprofitablen Unternehmens multipliziert mit einem prozentualen Abschlag kann in keinem Fall mit dem Multiplikator eines profitablen Unternehmens verglichen werden. Wie also hätten Analysten und Investoren mit dieser für sie neuen Situation umgehen sollen? Hätten sie sagen sollen, diese Unternehmen sind nicht zu bewerten, einfach weil sie mit ihren herkömmlichen Bewertungsverfahren schnell am Ende waren, zumindest was die Berechnung von Kurszielen anbelangt? Unternehmen wurden mit Kursen gehandelt, die ein Vielfaches des ermittelten Kurszieles betrugen, und dennoch weiter anstiegen21. Viele fragten sich: „Bin ich zu pessimistisch in meinen Erwartungen oder habe ich etwas Wesentliches übersehen?“ Man darf nicht vergessen, dass noch 1990 die zehn in punkto Marktkapitalisierung schwersten Unternehmen der Welt bereits den größten Teil des 20. Jahrhunderts über existiert Vgl. Ip et€al. (2000). Vgl. auch Estrada (2000). 21╇ Nur vereinzelt wurden übrigens moderate Kursentwicklungen vorhergesehen; vgl. bereits: Cole et€al. (1996). 19╇ 20╇
11.8â•… Industriespezifische Multiplikatoren
431
haben. Zehn Jahre später wurde die Liste von Microsoft und Cisco angeführt und vier der zehn schwersten Unternehmen waren noch keine 25 Jahre alt. Dabei nimmt die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen veralten, sogar noch zu: Microsoft, gegründet 1977, wird aufgrund einer verfehlten Onlinestrategie bereits vereinzelt als Dinosaurier des Internets22 betrachtet. Die, die nicht aufgegeben haben, schoben die Schuld für das Unvermögen, derartige Unternehmen zu bewerten, den Modellen zu und dachten sich kurzerhand neue aus. Aber nicht nur von Seiten der Analysten war Kreativität gefordert. Auch von den Investoren und nicht zuletzt von den Emittenten selbst wurden Kennzahlen gefordert, mit deren Hilfe Webportale oder transaktionsbasierte Internetgeschäftsmodelle in den Griff zu bekommen sind, wie also die zentralen Werttreiber des Unternehmens ermittelt werden können, die als Näherungsgröße für die zukünftig zu erwartenden Erträge herhalten können. Als Ausweg bieten sich Enterprise ValueMultiplikatoren an, die nicht auf Finanzkennzahlen wie Umsatz oder EBIT basieren, sondern auf nicht-finanziellen Bezugsgrößen, den so genannten Non-Financials23. Von besonderer Relevanz sind Non-Financials in abonnentenbasierten Geschäftsmodellen wie dem Bezahl- oder Kabelfernsehen, im Mobilfunk oder im Internet. Dort ist es üblich, den Wert eines einzelnen Abonnenten zu ermitteln, indem der Enterprise Value des Unternehmens durch die durchschnittliche Anzahl der Abonnenten einer Periode dividiert wird, also
EV0 EK0 + Debt0 −ExcessCash + MI0 +PR0 . = Abonnentent + Abonnentent−1 Abonnent 2
(11.10)
Die Kennzahl EV/Abonnent eines bestimmten Unternehmens wird dann mit dem Vervielfältiger eines anderen Unternehmens oder der ganzen Branche verglichen und eine relative Über- oder Unterbewertung des Unternehmens festgestellt. Der zugrunde liegende Gedanke ist es zu unterstellen, dass die Abonnenten untereinander sehr homogen sind, dass also zum Beispiel die Kündigungsraten der Abonnenten oder ihre durchschnittlichen Umsatzbeiträge (ARPU) im Wettbewerbsvergleich ähnliche Größenordnungen haben. Innerhalb der Telekommunikationsindustrie ist der Unternehmenswert je Telefonanschluss eine verbreitete Kennziffer:
EV0 . Anzahl Telefonanschlüsset + Anzahl Telefonanschlüsset−1 2
(11.11)
Im Hotel- und Gaststättengewerbe kommen beispielsweise der Wert je Restaurant
22╇ 23╇
EV0 Anzahl Restaurantt + Anzahl Restaurantt−1 2
Vgl. The Economist (2006). Vgl. Hasler (2010, S.€149).
(11.12)
432
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
oder der Wert je Hotelzimmer
EV0 Anzahl Hotelzimmert + Anzahl Hotelzimmert−1 2
(11.13)
zur Anwendung. Bei den Fluglinien sind es der Wert je Passagiermeile
EV0 Jährliche Passagiermeilen
(11.14)
und der Wert je verkauften Sitz
EV0 . Anzahl verkaufter Passagiersitze in der Periode
(11.15)
In typischen Infrastrukturbereichen wie der Zement- oder Stahlindustrie kommt der Wert je Tonne Kapazität zum Einsatz
EV0 Tonne Jahresproduktionskapazitatät
(11.16)
und bei Kinobetreibern der Unternehmenswert je Leinwand
EV0 Anzahl Kinoleinwäde
(11.17)
und so weiter, allein in der Phantasie des Bewerters sind hier Grenzen gesetzt. Diese Methodik weist eine Reihe von Vorteilen auf. Zunächst ist sie intuitiv nachvollziehbar. Wird einem Parameter ein Wert zugeordnet, ist nur noch die zukünftige Entwicklung dieses Parameters zu prognostizieren und schon kann die Bewertung als beendet erklärt werden. Zudem erklärt sich die Methodik von buchhalterischen Bewertungsspielräumen unabhängig. Der Wert je Einheit des Parameters gilt universell, also insbesondere auch in Ländern, in denen es keine zuverlässigen Buchhaltungsvorschriften gibt oder diese mit HGB, IFRS oder US-GAAP nicht vergleichbar sind. Gleichzeitig weisen industriespezifische Multiplikatoren auf der Basis von NonFinancials entscheidende methodische Defekte auf. Da sie industriespezifisch sind, können sie per definitionem nicht für den restlichen Kapitalmarkt angewendet werden. Sie werden von Analysten und Investoren verwendet, die sich überwiegend nur mit Unternehmen aus einer Branche beschäftigen. Dass dann in dieser Branche früher oder später Bewertungsblasen entstehen ist beinahe unvermeidlich, im Grun-
11.8â•… Industriespezifische Multiplikatoren
433
de genommen werden diese richtiggehend gefördert. Was bedeutet es eigentlich, 1,50€€ pro Ad Impression zu bezahlen? Ist die entsprechende Aktie eines vergleichbaren Unternehmens günstig bewertet, wenn für einen vergleichbaren Wettbewerber 2,50€€ zu bezahlen wären? Würde ein Investor, der auf der Grundlage dieser Information bereit wäre, eine Aktie zu erwerben, dies immer noch tun, wenn er wüsste, dass dieses Unternehmen mit dem 15-fachen Jahresumsatz gehandelt wird? Darüber hinaus gibt es ernsthafte Zweifel an der grundsätzlichen Aussagekraft sektorspezifischer Bewertungskennzahlen: Selbst wenn man unterstellen würde, dass der Preis pro Klick ein adäquater Maßstab für die Attraktivität von internetbasierten Werbemodellen ist, kann damit noch keine Kausalität über andere bewertungsrelevante Kennzahlen getroffen werden. Denn früher oder später müssen sich industriespezifische Kennzahlen an den traditionellen ertrags- oder substanzwertbasierten Kennzahlen messen lassen. Ob sich indes ein Ad Click tatsächlich in Erträgen niederschlägt und wenn ja, wann, ist prima vista unklar und von Industrie zu Industrie unterschiedlich. Darüber hinaus sollten industriespezifische Multiplikatoren niemals isoliert betrachtet werden, sondern immer im Zusammenhang mit den sie treibenden Fundamentalparametern. In abonnentenbasierten Geschäftsmodellen wären zunächst die Wachstumsraten der Abonnentenzahlen zu berücksichtigen: Unternehmen mit höheren Wachstumsraten sollten höher bewertet sein als solche mit niedrigeren Wachstumsraten. Die Höhe des EV/Abonnent-Multiplikators kann zudem nicht abschließend beurteilt werden, wenn nicht auch analysiert wurde, inwieweit die Dienstleistung an die Abonnenten mit unterschiedlicher betrieblicher Effizienz ausgeliefert wird. Vor allem kleinen Unternehmen mangelt es an den nötigen Skaleneffekten, um gegenüber ihren größeren Vergleichswerten reüssieren zu können. Daher wäre bei kleineren Unternehmen ein Abschlag angemessen. Als prominentes Beispiel hierfür kann hierzulande der Bezahlsender Premiere/Sky Deutschland herangezogen werden, der gegenüber seinen internationalen Vergleichsunternehmen BSkyB oder Canalâ•›+ deutlich kleiner und damit ineffizienter ist. In die gleiche Kerbe schlägt auch das Argument, dass Unternehmen mit geringeren Kundengewinnungskosten mit höheren Multiplikatoren bewertet sein sollten als ihre Wettbewerber mit höheren Kundengewinnungskosten24. Die Kategorisierung von Unternehmen kann auch Probleme aufwerfen, wenn sich die Nische ändert oder wenn sogar die ursprüngliche Kategorie unzutreffend war. Industriespezifische Nuancen werden dann von einer übergeordneten Kategorie überdeckt. Überhaupt ist der Zusammenhang zwischen dem gewählten Parameter und der zukünftige Ertragslage des Unternehmens nur in den seltensten Fällen eindeutig. So fehlt in den meisten Fällen eine kausale Verbindung zwischen dem sektorspezifischen Indikator und der betrieblichen Wertschöpfung. Selbst wenn es mehr oder weniger einstimmiges Ergebnis der Forschung sein mag, dass die Anzahl der Unique User diejenige Kennzahl ist, die am stärksten mit den zukünftigen Umsätzen korreliert ist25, ist doch prima vista unklar, ob ein Unique Visitor oder eine 24╇ 25╇
Vgl. Damodaran (2001, S.€350). Vgl. u.€a. Hand (2000), Dewers und Lev (2000) oder Rajgopal et€al. (2000).
434
11â•… Spezialprobleme der Unternehmensbewertung
Page Impression überhaupt jemals zu Umsatz und damit zu Ertrag wird. Darüber hinaus kann die Conversion Rate, also der Anteil jener Besucher einer Website, der eine gewünschte Handlung ausführt, nur schwer vorhergesagt werden und variiert zudem von Unternehmen zu Unternehmen. Letztlich sind Non-Financials nur dann eine angemessene Alternative für finanzbezogene Kennzahlen, wenn zwischen ihnen und dem Umsatz ein hinreichend stabiler Zusammenhang hergestellt werden kann und wenn gleichzeitig Umsätze als Werttreiber des Unternehmens akzeptiert werden. Insbesondere mit dem Platzen der Internet-Blase im Jahre 2001 hat sich jedoch herausgestellt, dass derartige Kennzahlen nur eine geringe Korrelation zum operativen Ertrag und dem Unternehmenswert aufweisen.
Kapitel 12
Die Unternehmensbewertung zum IPO
12.1 Über Interessenskonflikte und Bauchgefühle1 Bislang hat sich dieses Buch ausschließlich mit der Bewertung bereits börsennotierter Unternehmen beschäftigt. Beim Börsengang, bei dem die zu bewertenden Aktien aus einer Kapitalerhöhung – das sogenannte Primary – oder aus dem Bestand der Altaktionäre – das sogenannte Secondary – stammen, können Altgesellschafter und Anleger nicht miteinander in Verhandlungen treten, und auch ansonsten liegt kein objektiver Maßstab für den Unternehmenswert vor. Daher ist in beiden Fällen eine Unternehmensbewertung durchzuführen, deren Ziel es ist, eine Preisspanne zu finden, in der Altgesellschafter ihre Aktien gerade abgeben und sich gleichzeitig Investoren am Börsenkandidaten gerade noch beteiligen wollen. Zunächst sind für nicht börsennotierte Unternehmen die Werttreiber zu bestimmen und zu analysieren, ob diese sich grundsätzlich von denen börsennotierter Gesellschaften unterscheiden. Die umfängliche Literatur zum Börsengang hat insgesamt drei Kategorien von Werttreibern identifiziert: • Finanzanalytische Fundamentaldaten wie Umsatz, Gewinne, Ausgaben für Forschung und Entwicklung2, • ausgewählte Non-Financials wie M&A-Aktivitäten, innovative Produkte und IP, die Attraktivität der Produktpipeline, Joint Ventures und strategische Allianzen3 sowie • aktientechnische Besonderheiten wie der Anteil, mit dem die Altaktionäre nach dem Börsengang an ihrem Unternehmen beteiligt sind4. Erfahrungsgemäß wird in der Unternehmensplanung das zukünftige Unternehmenswachstum tendenziell überschätzt. Empirischen Analysen zufolge kann ein Unter1╇ So der Herausgeber des Red Herring, A. Gove, der meint, dass „valuations are just as often based on gut feel, …it’s as if everybody just settles on a number that they are comfortable with.“ Gove (2000). 2╇ Vgl. Kim und Ritter (1999) oder Purnanandam und Swaminathan (2004). 3╇ Vgl. Rajgopal et€al. (2002). 4╇ Vgl. Leland und Pyle (1977).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_12, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
435
436
12â•… Die Unternehmensbewertung zum IPO
nehmen nach dem Börsengang durchschnittlich gerade einmal fünf Jahre schneller wachsen als seine Wettbewerber, danach können keine Unterschiede mehr zwischen den Unternehmen festgestellt werden5. Da an der Börse bei der Preisbildung insbesondere Zukunftspotenziale von Unternehmen einen hohen Stellenwert haben, gleichzeitig manche Unternehmen vor ihrem Börsengang nicht gerade vor Ertragskraft strotzen, sie weder Cashflows noch materielles Vermögen in nennenswertem Ausmaß aufweisen, scheint die Kategorie Zwei der Schlüssel zum Verständnis der Besonderheiten der IPO-Bewertung zu sein. Darüber hinaus ist die Aktionärsstruktur nach dem IPO ein Spezifikum, da die Weigerung der Altaktionäre, Anteile zum Börsengang zu verkaufen, Vertrauen signalisiert und geeignet ist, einen höheren Emissionspreis durchzusetzen. Nicht gelistete Gesellschaften, deren Börsengang unmittelbar bevorsteht, sind demzufolge speziellen Problemen hinsichtlich der Börsenbewertung ausgesetzt6, und obwohl die Bewertung von Börsenkandidaten nicht nur in der kapitalmarkttheoretischen Forschung einen prominenten Platz einnimmt7, sondern auch in Medien der Finanz- und Wirtschaftspresse weit ausführlicher diskutiert wird als sonstige Unternehmensnachrichten, bleibt der Bewertungsvorgang zum Börsengang ein mysteriöses8, weil von spieltheoretischen Gegensätzen geprägtes Thema: Ist doch die Preisfindung von verschiedenen elementaren Interessenskonflikten geprägt9, die bei börsennotierten Gesellschaften in diesem Ausmaß normalerweise nicht auftreten: • Der mit dem Börsengang betraute Finanzanalyst versucht einen möglichst niedrigen Unternehmenswert anzusetzen, damit er auf eine gute After-Market-Performance verweisen kann. Dass von den Konsortialanalysten mehrere Methoden parallel und gleichberechtigt angewendet werden – ein Verfahren, um die Bewertungssicherheit zu steigern und die Ergebnisse zu plausibilisieren10 –, kann diese Tendenz des „IPO Underpricing“11 nicht verhindern. • Auf der anderen Seite versucht die konsortialführende Investmentbank, der neben der Strukturierung und Durchführung der Aktienemission u.€a. auch die Steuerung der Emissionspreisfindung und die Platzierung der Aktien obliegt, als Interessensvertreter der Altaktionäre einen möglichst hohen Emissionskurs durchzusetzen, schon um die performanceabhängigen Bestandteile des Konsortialvertrags zu maximieren12. Gleichzeitig muss die Bank das Platzierungsrisiko minimieren, also nach Möglichkeit sämtliche Aktien am Markt platzieren und dadurch ihre Reputation als Emissionsbank stärken. Die Erreichung dieses Ziels würde durch einen niedrigen Emissionskurs begünstigt. Die vollständig integ╇ Vgl. Metrick (2007). ╇ Vgl. auch Mills (2003). ╇ 7 ╇ Vgl. für eine Übersicht Bhagat und Rangan (2003, S.€7–12). ╇ 8 ╇ Vgl. Guo et€al. (2005, S.€2). ╇ 9 ╇ Vgl. Blättchen und Jacquillat (1999, S.€128€f.). 10╇ Bösl (2004, S.€165). 11╇ Vgl. stellvertretend Ibbotson et€al. (1988) und Ibbotson und Ritter (1995). 12╇ Vgl. Michaely und Womack (1999). ╇ 5 ╇ 6
12.1â•… Über Interessenskonflikte und Bauchgefühle
437
rierte Investmentbank mit Beratungs-, Research- und Handelsaktivitäten steckt damit in einem klassischen Zielkonflikt. • Auf den ersten Blick besteht die Zielfunktion des Unternehmens in der Maximierung des Emissionspreises, was einen größtmöglichen Mittelzufluss ins Unternehmen bewirkt. Allerdings muss sich das Unternehmen bewusst sein, dass ein übertriebener Emissionspreis mit hoher Wahrscheinlichkeit eine negative Kursentwicklung am Sekundärmarkt zur Folge hat, wodurch das Vertrauen in die Gesellschaft und die Reputation für etwaige spätere Kapitalmaßnahmen belastet werden. Das Unternehmen sollte daher an einem möglichst „fairen“ Emissionspreis interessiert sein, der allen Seiten gerecht wird. • Ganz im Gegensatz zum Alteigentümer: Je größer seine Abgabebereitschaft ist, desto weniger wird er an der zukünftigen Kursentwicklung nach dem IPO partizipieren. Im Extremfall der vollständigen Abgabe besteht – rationales Handeln vorausgesetzt – seine Zielfunktion allein in der Maximierung des Emissionspreises. Aber selbst für den Fall, dass der Alteigentümer nach dem Börsengang am Unternehmen beteiligt bleibt, muss er an einem möglichst hohen Emissionspreis interessiert sein, schon um die Verwässerung der Kapitalerhöhung, bei der er auf sein Bezugsrecht verzichten muss, zu minimieren. Nur wenn der Alteigentümer nach dem Börsengang mit einem signifikanten Anteil im Unternehmen investiert bleibt, geht ein aggressiver Emissionspreis zu Lasten seiner zukünftigen Vermögensposition, da er aufgrund bestehender Lock up-Vereinbarungen nicht in der Lage ist, etwaige Verluste durch sofortige Aktienverkäufe zu begrenzen. • Dass der Fondsmanager an einem niedrigen Emissionspreis interessiert ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aus Performancegründen strebt er einen initialen Zeichnungsgewinn (der genau dem Verzicht der Alteigentümer am inneren Wert der Aktie entspricht) an, der ausreichende Kurssteigerungspotenziale im Sekundärmarkt zulässt13. Pokert er allerdings bei der Abgabe seiner Order zu hoch, indem er etwa sein Limit ans untere Ende der Bookbuilding-Bandbreite setzt, erhält er möglicherweise keine Zuteilung, wenn nämlich die Marketingmaschine der Konsortialbanken auf ein aufnahmebereites Kapitalmarktumfeld trifft. Wird dann die Aktie zum Hot Deal erklärt, die jeder haben will, und entwickelt sich das IPO zum Selbstläufer, dann ist das Buch schnell überzeichnet und eine Zuteilung findet am oberen Rand der Bookbuilding-Bandbreite statt. Um dann nicht leer auszugehen muss der Fondsmanager also mindestens den Preis bieten, bei dem er im Falle einer Überzeichnung der Emission das von ihm gewünschte Aktienpaket gerade noch zugeteilt bekommt. Letzten Endes ist der Emissionspreis immer ein Kompromiss und das Ergebnis umfangreicher Preisverhandlungen zwischen Konsortialbank, Emissionsberater, Alteigentümer und den institutionellen Investoren. Die Ergebnisse der fundamentalen Wertpapieranalyse dienen dabei als Grundlage und Argumentationshilfe14. Doch selbst 13╇ Auch wenn es zumindest hierzulande empirisch keinen Zusammenhang zwischen Zeichnungsgewinn und Sekundärmarktentwicklung zu geben scheint; vgl. Brühl und Oei (2001, S.€685). 14╇ Vgl. Bösl (2004, S.€151).
438
12â•… Die Unternehmensbewertung zum IPO
eine allein die Interessen der Investoren berücksichtigende Preisfindung ist keine Garantie dafür, dass der Unternehmenswert am Kapitalmarkt angenommen wird. Immer wieder nämlich kann beobachtet werden, dass Unternehmen kurz vor der Notierungsaufnahme den Emissionsprozess abbrechen müssen, da die Aktien zum angebotenen Preis nicht vollständig platziert werden konnten. Auch wenn die beteiligten Emissionsbanken selbst in normalen Marktphasen das „schlechte Kapitalmarktumfeld“ als Ursache für den geplatzten Börsengang heranziehen werden, hat doch meist auch der angebotene Preis eine maßgebliche Rolle gespielt. Dies sollte jedoch nicht als Plädoyer für einen möglichst niedrigen Emissionspreis verstanden werden. Denn auch ein Underpricing über den kurzfristigen Kursgewinn hinaus ist keine Voraussetzung für eine nachhaltig positive Kursentwicklung und einen erfolgreichen Börsengang, eine Erkenntnis, die wiederum die Stellung des Alteigentümers bzw. des Unternehmens festigen und eine Emissionspreisfindung ohne Bewertungsabschlag nahelegen sollte.
12.2 Der Prozess der Preisfindung Für jeden Börsenaspiranten stellt das IPO eine Zäsur dar, da es die erste Gelegenheit ist, dass das Management seine Preisvorstellungen mit denen des Kapitalmarktes vergleichen kann. Diese können bestätigt werden oder enttäuscht, mit entsprechenden Konsequenzen für die zukünftige Investitionsbereitschaft des Managements. Insofern ist der Emissionspreis immer auch das Resultat von Verhandlungen, wie besprochen häufig sogar in einem größeren Ausmaß als das Ergebnis einer fundamentalanalytischen Unternehmensbewertung15. Es genügt also nicht zu fragen, wie sich der Emissionspreis errechnet, sondern es ist zu untersuchen, wie er sich bildet. Also sind die relevanten Fragestellungen: Wer legt den Emissionspreis fest und wie bilden sich die Vorstellungen der beteiligten Parteien über den Emissionspreis?16 Bereits von den Konsortialbanken werden in den verschiedenen Phasen des Börsengangs unterschiedliche Unternehmenswerte ermittelt, die den stetigen Zuwachs an bewertungsrelevanten Informationen widerspiegeln. Die Zusammenfassung des Prozessablaufs zeigt, dass sich das Thema Unternehmensbewertung durch sämtliche Phasen des Börsengangs zieht: Unter anderem werden Unternehmenswerte • im Beauty Contest von den interessierten Corporate Finance-Teams der Investmentbanken erstmals als indikative Preisvorstellung ermittelt, die sich zum Teil substantiell voneinander unterscheiden und Ausfluss der unterschiedlichen Einschätzung der zukünftigen Entwicklungspotenziale des Emittenten sind: Je weniger Informationen über den Börsenkandidaten bei der im Beauty Contest antretenden Bank vorhanden sind, desto breiter ist die indikative Bewertungsspanne und desto unverbindlicher ist diese erste Wertindikation. • im Rahmen der mehrwöchigen Due Diligence von den Banken an die aktuellen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmendaten des Emittenten, an seinen Business Plan und an die veränderten Kapitalmarktgegebenheiten angepasst, was ins15╇ 16╇
Vgl. Yeh (2004, S.€2). Vgl. Killat (1998, S.€235).
12.2â•… Der Prozess der Preisfindung
439
Bewertungsspanne
Bewertung des Research Report
Pre-IPOMarketing
Pilot Fishing
Nachfrageindikation und Preissensitivität
Gezielte Ansprache europäischer Opinion Leaders
Investor Education
Management Roadshow
BookbuildingBandbreite
Feedback der Investoren
Erweiterung der Ansprache auf globale institutionelle Fonds Regionale Ansprache von Privataktionären
Umwandlung von Interesse in Orders
Abb. 12.1↜渀 Ermittlung der Emissionspreisbandbreite im IPO-Prozess
•
• •
•
besondere bei ungünstiger Nachrichtenlage von Seiten der Best Comparables Gegenstand lebhafter Diskussionen mit dem Management sein und gegebenenfalls den gesamten Börsengang in Frage stellen kann. im Anschluss an die Konsortialanalystenveranstaltung von den Finanzanalysten im Research Report (in dem sie das Geschäftsmodell des Unternehmens vorstellen und im Rahmen ihres Industrie-Know-hows einschätzen, eine eigene mehrjährige und integrierte Unternehmensplanung durchführen) anhand verschiedener marktgängiger Bewertungsverfahren hergeleitet, im Prozess des Pilot Fishing, inzwischen bevorzugt Pre-Sounding genannt, ausgewählten, branchenaffinen institutionellen Investoren vorgestellt und aufbauend auf deren detailliertem Feedback als Bookbuilding-Bandbreite17 von den Lead-Banken und der Gesellschaft verhandelt und von den Unternehmensvertretern und Research-Analysten während der Bookbuilding-Phase – im Regelfall eine zweiwöchige Periode – der Öffentlichkeit und insbesondere einer breiten Palette an unterschiedlich ausgerichteten, institutionellen Fondsmanagern unterbreitet, ein Prozess, der am Kapitalmarkt unter dem etwas abschätzigen Terminus Investor’s Education bekannt ist. in Abhängigkeit von der Nachfrage und der angestrebten Überzeichnung des Buches schließlich als Emissionspreis innerhalb der Bookbuilding-Bandbreite festgelegt.
Kennzeichnend für diesen mehrstufigen Bewertungsprozess ist, dass die Bewertungsbandbreite immer weiter eingeengt wird und das Wettbewerbs- und Kapitalmarktumfeld sowie die Einstellung der Investoren gegenüber dem Börsenkandidaten immer stärker in der Unternehmensbewertung berücksichtigt werden (Abb.€12.1). Trotz dieser sukzessiven Einengung der Wertbandbreite ähnelt die Emissionspreisbildung aufgrund der fehlenden Kurshistorie und des geringen Informationsstands Das bis Mitte der 1990er Jahre etablierte Festpreisverfahren spielt heute in der Preisfindung nur noch in Ausnahmefällen eine Rolle.
17╇
440
12â•… Die Unternehmensbewertung zum IPO
über zu erwartende Umsätze, Erträge und Cashflows der Gesellschaft häufig mehr einem intellektuell ambitionierten Stochern im Nebel als einer analytisch anspruchsvollen Ausarbeitung. Bereits die jeweilige Industrie des Börsenaspiranten kann ursächlich für spezifische Probleme in der Wertfindung sein: Bei zyklischen Unternehmen mit einer nur kurzen Unternehmensgeschichte ist die Normalisierung der bewertungsrelevanten Kennzahlen nicht möglich, da das Unternehmen nicht auf die Daten eines vollständigen Konjunkturzyklus zurückgreifen kann. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, auf Industriedurchschnitte auszuweichen. Allerdings entfernt sich der Analyst mit dieser Vorgehensweise um eine Stufe von den Unternehmensspezifika, die das zu bewertende Unternehmen vom restlichen Sektor abheben sollen. Auch bei Technologieaktien, die in den vergangenen 20 Jahren die Mehrheit der Börsenkandidaten stellten, können spezielle Probleme auftreten: anstatt auf materiellen Vermögenswerten basiert ihr Geschäftsmodell häufig auf immateriellen, also auf Patenten, Markennamen oder auf technischem Know-how und Innovationskraft. Dies kann Anpassungen wie die Kapitalisierung von F&E-Aufwendungen erforderlich machen, was sich unter Umständen nachteilig auf die Akzeptanz des Börsengangs auswirkt. In Abhängigkeit vom gewählten Börsensegment gehen in die Bewertung nur die letzten zwei oder drei Jahresabschlüsse des Unternehmens sowie sämtliche, öffentlich zugängliche Informationen ein. Dass den Analysten im Rahmen der Analystenveranstaltung zwar eine breite Palette an Unternehmensdaten (nicht selten undifferenziert) zur Verfügung gestellt wird, jedoch nicht die für eine Bewertung wichtigsten, die mehrperiodischen Planzahlen des Unternehmens, trägt zweifellos zur Bewertungsunsicherheit bei. Ausgerechnet die Plandaten sind neben dem Unternehmen selbst nur den Corporate Finance-Bankern bzw. den Equity Capital Markets- (ECM-) Abteilungen der Lead Manager bekannt. Den Analysten der Investmentbanking-Division werden sie vorwiegend aus Haftungsgründen verweigert. Konsortialanalystenmeeting und jedes Gespräch mit den Finanzanalysten nämlich stehen unter dem Postulat, dass das Unternehmen den Analysten nur jene Informationen bereitstellen darf, die auch im Wertpapierprospekt enthalten sind – und Prognosen sind dort garantiert nicht zu finden. Durch die Errichtung von „Chinese Walls“ soll die Unabhängigkeit des Research, dessen Ziel eine sachgerechte und neutrale Analyse ist, sichergestellt und ein eventuell vorhandenes Konfliktpotential von vorneherein ausgeschlossen werden. Aus diesen Gründen versucht das Management, auf der so genannten „Tonspur“ den Analysten eine Guidance zur zukünftigen Unternehmensentwicklung zu geben. Da die Wortwahl bei der Guidance naturgemäß nicht konkret, sondern eher schwammig gefasst ist, fällt die Interpretation bei den Analysten nicht immer gleich aus. Diese Reglementierung der Informationslage hat zur Folge, dass die Analysten für ihre Bewertung eigene Planungsprämissen und Umsatz- bzw. Ertragsprognosen aufstellen, die in Abhängigkeit von den Erfahrungen und Industriekenntnissen des Analysten mitunter beträchtlich voneinander abweichen können. Bezüglich der verwendeten Bewertungsverfahren dürften beim Börsengang alle in diesem Buch vorgestellten zur Anwendung kommen, abgesehen von einer Ausnahme: Die Bewertung auf Basis des Liquidationswertes dürfte bei einem IPO kaum akzeptiert sein, wird mit ihm doch ein Unternehmen nicht vor dem Hintergrund der Fortführung betrachtet, sondern seiner Beendigung, eine Vorstellung, die zum Zeitpunkt des Börsengangs geradezu skurril ist.
12.2â•… Der Prozess der Preisfindung 9,000
441 100%
Underpricing DAX
7,000
80% 60%
5,000
40%
3,000
20% 1,000 0% – 1,000 – 20% – 3,000
– 40%
– 5,000 – 7,000 – 9,000 2001
– 60%
Overpricing
– 80%
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
– 100%
Abb. 12.2↜渀 Over- und Underpricing in Deutschland, 2001–2011. (Quelle: Thomson Financial Datastream, eigene Berechnungen)
Dass in den daraus abgeleiteten unterschiedlichen Unternehmenswerten erhebliches Konfliktpotenzial liegt, muss nicht eigens erwähnt werden, vor allem wenn man sich vor Augen hält, welche hohe Bedeutung der Research Report für das Gelingen des Börsengangs hat. Schließlich stellen der Analystenbericht und die daraus abgeleitete Unternehmensbewertung für viele Investoren die wichtigste, womöglich sogar einzige Orientierungsgröße dar. Wenigstens übernimmt der Research Report des Konsortialführers in der Praxis eine Signalfunktion für die übrigen, am Börsengang beteiligten Bankhäuser: An seinem Unternehmenswert sollen sich die übrigen Banken orientieren18. In der Realität liegt die Preisfindung der Lead-Bank jedoch meist etwas über der der anderen Konsortialmitglieder. Kennzeichnend für die Bewertungsunsicherheit ist das weltweit zu beobachtende systematische Underpricing, ein Phänomen, das meist durch asymmetrische Information und adverse Selektion erklärt wird. In Abb.€12.2 ist die Entwicklung des Over- und Underpricing in den vergangenen zehn Jahren dokumentiert. Ausgewertet wurde die Kursperformance von 185 Börsengängen in Deutschland während der ersten 100 Tage nach Notierungsaufnahme. Während unmittelbar nach dem Platzen der Technologie-Blase 1999/2000 ein signifikantes Overpricing zu beobachten war, hat sich die Situation gegen Mitte des Jahrzehnts normalisiert, so dass sich Ober- und Underpricing die Waage hielten. Mit dem Aufkommen der Immobilien- und Finanzmarktkrise wurden die Ausschläge nach unten wieder größer. Insgesamt überwiegen die Zeichnungsgewinne: In 59,0€ % der IPOs konnten die 18╇
Vgl. Bösl (2004, S.€168).
442
12â•… Die Unternehmensbewertung zum IPO
Zeichner gegenüber der Erstnotiz nach 100 Tagen eine positive Performance verbuchen, in 41,0€% mussten sie dagegen Kursverluste hinnehmen. In Absolutzahlen gemessen waren jedoch die durchschnittlichen Kursverluste mit − 12,8€% größer als die durchschnittlichen Kursgewinne mit +â•›7,9€%, so dass ein Zeichner, der an sämtlichen deutschen Börsengängen teilgenommen hätte, eine durchschnittliche Performance von rund − 4,9€% erzielt hätte. Das Phänomen des Underpricing und die Präzision der Unternehmensbewertung sind Themen einer kaum mehr überschaubaren Anzahl empirischer Analysen19. Derartige Analysen verwenden ex-post Kursentwicklungen, um die ursprünglichen Bewertungsmethoden der Analysten einzuschätzen. Eine Stichprobe aus US-amerikanischen IPOs ergab zum Beispiel, dass eine Bewertung anhand historischer KGVs bzw. KBVs zu sehr ungenauen Ergebnissen geführt hat, während prospektive Kennzahlen deutlich präzisere Ergebnisse zur Folge hatten20. Eine andere Studie über 45 neuseeländische IPOs zeigte dagegen, dass DCF-Modelle und KGV-Bewertungen zu ähnlichen Ergebnissen kamen21. Zur Optimierung des Platzierungsergebnisses werden von den Konsortialbanken meist Bewertungsabschläge vorgenommen. Je nach Marktverfassung können Abschläge von bis zu 20€% gegenüber dem fundamentalanalytisch abgeleiteten Unternehmenswert beobachtet werden (der so genannte Kaufanreiz). Immerhin sind Investoren von einer Aktie zu überzeugen, die ihnen bis dato völlig unbekannt war: Das Unternehmen weist keine Kapitalmarkthistorie auf, es existiert kein Kurschart, an dem sich der Investor orientieren kann und er muss von dem ihm bislang unbekannten Management in einem einzigen, möglicherweise sehr kurzen One-on-One zu einem Engagement in die Aktie überzeugt werden. Auch psychologisch gibt es ein großes Fragezeichen: Warum teilt ein Altaktionär ausgerechnet jetzt die guten Zukunftsaussichten des Börsenkandidaten – denn ohne diese hat vermutlich noch kein Unternehmen den Gang an den Kapitalmarkt gewagt – mit einem ihm unbekannten Investor? Dieses klassische Problem der Informationsasymmetrie wird umso gravierender, je geringer der Primary-Anteil am gesamten Emissionsvolumen ist, das heißt, je geringer der Anteil der an die Gesellschaft fließenden Liquidität ist und je höher der Anteil ist, der an die Altaktionäre fließt. Daneben gibt es beim IPO methodische Besonderheiten: Wird ein Unternehmen nicht an einer Börse gehandelt, können kein Beta und damit auch keine Kapitalkosten bestimmt werden. Diese für eine Unternehmensbewertung wichtigen Parameter müssen also aus Vergleichswerten anderer, bereits börsennotierter Unternehmen oder aus dem Durchschnittswert der Branche abgeleitet werden. Dabei sind erhebliche Abweichungen der zudem oft recht instabilen Branchenwerte hinzunehmen22. Auch aus Liquiditätsgründen werden zuweilen Bewertungsabschläge angesetzt, die in der Realität sogar signifikant
Vgl. auch De Maeseneire et€al. (2002). Vgl. Kim und Ritter (1999). 21╇ Vgl. Berkman et€al. (2000). 22╇ Vgl. die empirischen Ergebnisse von Zimmermann (1997, S.€320–334). 19╇ 20╇
12.2â•… Der Prozess der Preisfindung
443
sein können; in älteren Untersuchungen werden Werte von 40–50€% genannt23, die heutzutage allerdings kaum mehr zeitgemäß sein dürften. Die Konsortialbanken wiederum begründen die Notwendigkeit von Bewertungsabschlägen damit, dass sie aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung die Preissensitivität und das Nachfrageverhalten der Investoren besser einschätzen können als das Unternehmen. Diese Abschläge werden in der Praxis umso höher ausfallen, je stärker der Gesamterfolg des Börsengangs durch ein schwaches Kapitalmarktumfeld oder eine fragwürdige Equity Story gefährdet ist. Dabei können sie selbst ursächlich für einen Bewertungsabschlag sein: Empirischen Untersuchungen zufolge ist nämlich die Sekundärmarktperformance positiv mit der Reputation des Konsortialführers korreliert24. Verschiedentlich wird argumentiert, dass die Höhe des Bewertungsabschlags auch vom aktuellen Kapitalmarktumfeld abhängig ist: In Zeiten eines schwachen Kapitalmarktumfelds muss der Emissionspreisabschlag höher sein, um einen Erfolg des Börsengangs sicherzustellen, in Boomphasen ist der Emissionsabschlag dagegen eher gering. Obwohl Abschläge meist erforderlich sind, um eine Emission erfolgreich durchzuführen, basieren diese jedoch nicht auf einem rational nachvollziehbaren Gleichungssystem, sondern sind nicht zuletzt das Ergebnis des Risikoappetits der Investoren: Der wohl größte Einflussfaktor dürfte daher die Attraktivität des Geschäftsmodells sein: So genannte Me-Too-Geschäftsmodelle, von denen verschiedene Repräsentanten bereits an der Börse gehandelt werden, müssen tendenziell höhere Abschläge hinnehmen als First Mover in attraktiven Branchen. Auch wenn es akzeptierte Standards25 zur Erstellung von Research Reports gibt, kann auch die allgemeine Verfassung des Kapitalmarktes verantwortlich für die Fehlbewertung eines Unternehmens sein. So kann in einem sehr guten Kapitalmarktumfeld mit vielen Börsengängen beobachtet werden, dass die Qualität der Research Reports nachlässt, da den einzelnen Analysten weniger Zeit für die Erstellung des Emissionsberichts zur Verfügung steht als in einer Marktphase ohne rege IPO-Aktivität. Dies umfasst nicht nur den Umfang des Analystenberichts, sondern auch die Tiefe der Analysearbeit, die Qualität der Aussagen und Schlussfolgerungen sowie die Interpretationen zum Unternehmen und seinem Umfeld. Die vom Konsortialführer in Abstimmung mit einer auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Anwaltskanzlei entwickelten Research-Guidelines, die für die Konsortialanalysten für die Erstellung der Research Reports verpflichtend sind, können ebenfalls bewertungsrelevant sein. Sind diese unklar formuliert, sorgt die Unterscheidung zwischen einer pre money- und einer post money-Bewertung regelmäßig für Verwirrung. Der pre-money-Wert entspricht dem Unternehmenswert, bevor der Gesellschaft frisches Geld aus der Kapitalerhöhung zugeflossen ist, der post-money-Wert entspricht dem Unternehmenswert, in dem die Ergebniswirkung des Mittelzuflusses aus der Kapitalerhöhung berücksichtigt wurde. Vgl. Pratt et€al. (1997). Vgl. Campbell et€al. (2008, S.€17) Anderer Auffassung sind dagegen Booth et€al. (2010, S.€143). 25╇ Vgl. DVFA (1999). 23╇ 24╇
444
12â•… Die Unternehmensbewertung zum IPO
EK0,post−money = EK0,pre−money + Mittelzufluss.
(12.1)
Beispiel 12.1: Pre-money vs. post-money╇ Ein Venture Capital-Fonds will sich über eine pre-IPO-Finanzierungsrunde an einer Social CommunityWebsite zu beteiligen. Der Fonds ist bereit, 100€Mio.€€ für einen Anteil von 20,0€ % an der Gesellschaft zu bezahlen. Damit liegt der pre-money-Wert als Unternehmenswert vor der Zuführung zusätzlichen externen Kapitals bei 400,0€Mio.€€, die post-money Bewertung liegt gemäß Formel (12.1) bei 500€Mio.€€. Mit dem Mittelzufluss aus dem Börsengang erhöht sich der gesamte Unternehmenswert, zwangsläufig aber auch die Anzahl an Aktien. Unter stark vereinfachenden Annahmen steigt der Wert des Unternehmens exakt um den Liquiditätszufluss aus der Kapitalerhöhung. Bei einer korrespondierenden Verwendung der gestiegenen Zahl an Aktien würde sich also am Unternehmenswert je Aktie nichts verändern. Dieser Gedanke gilt jedoch nur in der Theorie. In der Realität werden die zugeflossenen Barmittel aus der Kapitalerhöhung nur höchst selten unmittelbar im Anschluss an den Börsengang investiert. Für den Mittelzufluss aus dem Börsengang ist daher eine fiktive Verzinsung zu unterstellen, die zwar das Planergebnis erhöht, jedoch im Regelfall deutlich unter der durchschnittlichen Eigenkapitalrendite der Gesellschaft liegt.
Kapitel 13
Typische Fehler in der Unternehmensbewertung
In diesem abschließenden Kapitel sollen die wichtigsten Fehler rekapituliert werden, die bei der Unternehmensbewertung auftreten können. Grob gesprochen lassen sich diese auf drei Quellen subsummieren: 1. Fehler bei der Analyse der Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Kapitalflussrechnung, 2. Fehler bei der Berechnung der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten und 3. Fehler bei der Anwendung der Bewertungsmodelle.
13.1 F ehler bei der Analyse von GuV, Bilanz und Cashflow-Statement Fehler bei der Auswertung der Vergangenheitsdaten treten vor allem dann auf, wenn sich Finanzanalyst oder Investor auf die Analyse von lediglich einem oder zwei Geschäftsjahre beschränken. In einem derart kurzen Auswertungszeitraum dürfte es schwer möglich sein, die geschäftstypischen Vorgänge und die Besonderheiten des Unternehmens umfassend zu erkennen. Zwar kann nicht immer der für eine aussagekräftige Bewertung notwendige Idealfall von zehn verfügbaren Jahresabschlüssen erfüllt werden – schon aus zeitökonomischen Gründen – aber fünf sollten es für eine ernst zu nehmende Bewertung mindestens sein. Bei der unzureichenden Bereinigung von Einmaleffekten werden vermutlich die häufigsten Fehler gemacht1. Häufig werden historische Finanzdaten nur unzureichend um Sondereinflüsse bereinigt. Hockeystick-artige Prognosen sind die Folge, da dann kurzfristige Entwicklungen der Vergangenheit unreflektiert in die Zukunft fortgeschrieben werden. Die auftretenden Fehler sind umso gewichtiger, wenn konjunkturelle Sondereinflüsse missachtet oder wenn durchschnittliche jährliche
1╇
Vgl. zum Beispiel Baecker et€al. (2007, S.€272).
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6_13, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
445
446
13â•… Typische Fehler in der Unternehmensbewertung
Wachstumsraten in unzulässiger Weise mit einem arithmetischen anstelle eines geometrischen Durchschnitts hergeleitet werden. Inkonsistenzen entstehen in der operativen Planung häufig zwischen der Umsätzen und den Produktionskapazitäten, zum Beispiel, wenn die grundlegenden Formeln
g = (1 − δ)ROE,
für ROE > 0.
(13.1)
für ROCE > 0.
(13.2)
für Equity-Modelle bzw.
g = (1 − δ)ROCE,
für Entity-Modelle nicht beachtet werden. Natürlich ist ein Zuwachs in der Kapazitätsauslastung möglich, vor allem, wenn das Unternehmen aus einem konjunkturellen Abschwung kommt, in dem ein guter Teil der Produktionskapazitäten brach lag. Dauerhafte Zuwächse sind jedoch unmöglich, und dass sich Produktionskapazitäten auch während der Steady State-Phase ungebremst vermehren sollen, ist ebenso unrealistisch wie ein ungezügelter Anstieg der Pro-Kopf-Umsätze im Zeitablauf. Vielfach werden auch für den Terminal Value unrealistische Wachstumsraten angesetzt. Da diese Wachstumsrate ein unendlicher Modellparameter ist, sind die getroffenen Annahmen einer besonderen Prüfung zu unterwerfen. Im Steady StateFall sollten sich die unterstellten Wachstumsraten aufgrund der Unendlichkeit an den langfristig erzielbaren Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts orientieren. Höhere Wachstumsraten können im Zustand der Unendlichkeit nicht aufrechterhalten werden. Bei der Prognose der unendlichen Wachstumsrate ist insbesondere die regionale Herkunft der Umsatzerlöse zu betrachten. Bereits rein aus statistischen Gründen muss die Wachstumsrate des Unternehmens kleiner sein als die der adressierten Märkte. Es gibt auch empirische Gründe, für die Wachstumsrate des Terminal Value deutlich niedrigere Wachstumsraten als für die Gesamtwirtschaft zu veranschlagen, da es eine historische Tatsache ist, dass viele der heute dominierenden Unternehmen und selbst Industriezweige in absehbarer Zeit keine Bedeutung mehr haben werden. Selbst ehemals als unantastbar geltende Unternehmen wie Microsoft, GM oder Nokia haben in den letzten Jahren so viele operative Fehlentscheidungen getroffen, dass ein Verschwinden auf Sicht einer Generation nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Zum Zeitpunkt des Terminal Value ist auch zu berücksichtigen, dass die Kapitalkosten gegen die Kapitalrendite konvergieren. Damit ist ausgeschlossen, dass im Fortführungswert Über- oder Unterrenditen erwirtschaftet werden.
13.2 Fehler bei der Berechnung der Diskontierungssätze Der häufigste Fehler bei der Berechnung der WACC ist die Verwendung von Buchwerten anstelle von Marktwerten. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Buchwerten, die historische Anschaffungskosten widerspiegeln, und den aktuellen
13.2â•…Fehler bei der Berechnung der Diskontierungssätze
447
Marktwerten, die die Entscheidungsgrundlage für eine heutige Investition in eine Aktie sein müssen. Buchwerte sind für eine Investitionsentscheidung vollkommen irrelevant. Diese in Bewertungsmodellen abzubilden ist bislang nur in wenigen und außerordentlich komplexen Modellen gelungen2 Zudem kann der Buchwert des Eigenkapitals bei langfristig unprofitablen Unternehmen negative Werte annehmen. In diesem Fall müsste der Investor eine Verschuldungsquote von über 100€% ansetzen, was vergleichsweise niedrige durchschnittliche Kapitalkosten zur Folge hätte, eine angesichts der desolaten Ertragslage des Unternehmens geradezu skurrile Situation. Als Näherungsgröße der erwarteten Fremdkapitalkosten wird vielfach die Effektivverzinsung einer Unternehmensanleihe angesetzt. Diese entspricht der maximalen Rendite, die ein Gläubiger vereinnahmen kann, wenn er eine Anleihe bis zum Rückzahlungstag in seinem Depot behält. Geht das Unternehmen vorher insolvent, geht die Anleihe in Default und die ex post tatsächlich vereinnahmte Effektivverzinsung fällt bedeutend niedriger aus. Dieser Insolvenzanteil der Fremdkapitalkosten darf jedoch nicht Bestandteil der durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten sein, da diese die erwartete Verzinsung einer Unternehmensanleihe im Fall des Going Concern definiert. Dieser Unterschied zwischen erwarteten Fremdkapitalkosten und der vertraglich vereinbarten Effektivverzinsung wird in der Bewertungspraxis nur selten beachtet. Die aus Kap. 3 geläufige Definition der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (Darstellung ohne Zeitindex)
WACC = rEK
EK0 Debt0 + rDebt (1 − τ ) EK0 + Debt0 EK0 + Debt0
(13.3)
verleitet zu der Annahme, eine Veränderung der Zielkapitalstrukturen können eins zu eins in alternative Kapitalkosten umgesetzt werden. De facto gilt es allerdings zu beachten, dass sich das finanzielle Leverage in zweierlei Hinsicht auf die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten auswirkt: Zum einen über die Gewichte der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital, zum anderen über die Eigenkapitalkosten, die ja selbst wiederum von der Höhe des finanziellen Leverage abhängen:
rEK = rEK,U + (rEK,U − rDebt )(1 − τ )
Debt0 , EK0
(13.4)
wobei rEK,U die Eigenkapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens darstellen. In einer Welt, in der das Theorem von Modigliani-Miller gelten soll, führt jede Veränderung des finanziellen Leverage zu einer entsprechenden Veränderung der Eigenkapitalkosten. Abgesehen vom Steuervorteil führt eine Erhöhung des günstigen Fremdkapitalanteils über einen gleichzeitigen Anstieg der Eigenkapitalkosten daher nicht automatisch auch zu sinkenden WACC.
2╇
Vgl. Essler et€al. (2004, S.€133).
448
13â•… Typische Fehler in der Unternehmensbewertung
Schließlich sind bei Betafaktoren häufig große Bandbreiten der ermittelten Werte festzustellen, je nachdem, wie die Beta-Werte berechnet wurden. Wenn wie in Deutschland etwa 80€% der (statistisch relevanten) Betafaktoren in einer Bandbreite zwischen 0,75 und 1,25 liegen, sind Werte von unter 0,5 oder über 2,0 Zufallswerte, die statistisch nicht von Belang sind. Für eine Bewertung sollten diese Werte nicht verwendet, sondern Fundamental-Betas aus den Vergleichsunternehmen abgeleitet werden. Insbesondere bei Wachstumsunternehmen kann es zu Beginn der Detailplanungsphase zu negativen Cashflows kommen. Zur Berechnung des Barwertes werden diese mit den Kapitalkosten diskontiert. Häufig werden dabei dieselben Diskontierungssätze verwendet wie während des Zeitraums, innerhalb dessen das Unternehmen profitabel ist. Dabei kommt es zu dem logischen Defekt, dass der Barwert der negativen Cashflows während der Verlustphase umso geringer ist, je höher der Diskontierungssatz ist. Diese Vorgehensweise kann nicht korrekt sein, da dadurch risikoreichere Projekte höher bewertet würden als risikoärmere, ein Ergebnis, das im Widerspruch zur Risikoaversion des Investors steht. Von verschiedener Seite wird daher bei Verlustfällen die Verwendung negativer Risikoprämien gefordert3.
13.3 Fehler in der Anwendung der Bewertungsmodelle Der unsaubere Einsatz der durchschnittlichen Kapitalkosten in DCF-Modellen ist eine permanente Fehlerquelle, insbesondere wenn Zielquoten für den Marktwert des Eigenkapitals und des Fremdkapitals bereits in der Detailplanungsperiode angelegt werden. In diesem Fall kommt es zu einer tendenziellen Überschätzung des Unternehmenswertes, da es während der Detailplanungsphase in der Regel zu einer Verringerung des Gearing kommt, was wiederum einen Anstieg der WACC zur Folge hat. Dieser Anstieg wird nicht modelliert, wenn die Kapitalquoten bereits zu Beginn der Detailplanungsperiode auf ihre jeweiligen Zielwerte fixiert worden sind. Ebenfalls weit oben auf der Fehlerliste stehen Inkonsistenzen bei der Berechnung des Terminal Value. Man erinnere sich: Ein bei der Berechnung des Endwertes unterstelltes Wachstum, das über die langfristig angesetzte Wachstumsrate der Gesamtökonomie hinausgeht, ist nicht möglich. Auch eine permanente Schrumpfung der Kapitalbasis ist nicht möglich, da sich damit das Unternehmen früher oder später aufgelöst haben wird. Ausgehend von einem Nullwachstum muss demzufolge gelten, dass zum Zeitpunkt des Terminal Value die Investitionen in das Sachanlagevermögen bzw. in immaterielles Vermögen ihren Abschreibungen entsprechen. Ausgiebig wurde bereits über operative Leasingverpflichtungen gesprochen und dass diese Einfluss auf die Kapitalbasis und die Kapitalkosten des Unternehmens haben. Häufig vernachlässigt wird jedoch, dass diese Adjustierung des eingesetzten Kapitals Auswirkungen auf das operative Ergebnis hat. Da Leasingaufwendungen eine feststehende zukünftige Verpflichtung darstellen, sollte der Finanzierungsan3╇
Zum Beispiel von Beedles (1978, S.€173).
13.3â•… Fehler in der Anwendung der Bewertungsmodelle
449
teil auch dem finanziellen Leistungsbereich zugeordnet werden, nicht dem operativen. Ansonsten würde es zu einer Diskriminierung gegenüber Unternehmen kommen, die ihre Investitionen als Kauf mit Fremdfinanzierung oder über Capital Leasing finanzieren. Das operative Ergebnis, in dem die Leasingaufwendungen rein buchhalterisch enthalten sind, wird um den Betrag der impliziten Zinsen zu gering ausgewiesen und ist dementsprechend zu entlasten. Dieser Adjustierungseffekt errechnet sich aus den Vorsteuerkosten des Fremdkapitals des Unternehmens und dem Barwert der operativen Leasingverpflichtungen. Die Anpassung erfolgt dabei nach folgender Formel:
EBITadj = EBITrep + OpLease − DepLease .
(13.5)
Die Einstufung der operativen Leasingaufwendungen in den finanziellen Leistungsbereich erhöht also das Betriebsergebnis und damit den Freien Cashflow. Es gibt aber auch einen gegenläufigen Effekt auf den Freien Cashflow: Veränderungen der operativen Leasingbeträge im Zeitablauf sind nämlich als Substitut für Sachanlageinvestitionen zu betrachten. Ausgaben für operatives Leasing erhöhen mithin die Sachanlageninvestitionen und verringern den Freien Cashflow. Die gesamten Capex einer Periode sind demnach die Summe aus den direkten Investitionen und den über operatives Leasing getätigten Investitionen, also Capexadj = Capex + (Lease − Lease t 0,t 0,t−1 ) = Capext + Lease0,t . t
(13.6)
Weitere Auswirkungen hat die Kapitalisierung der Leasingaufwendungen auf EVbezogene Multiplikatoren. So wird sich der EV/Umsatz-Multiplikator durch die Berücksichtigung von Leasing in jedem Fall verschlechtern, da hier zwar der Zähler ansteigt, der Nenner jedoch konstant bleibt. Anders im Fall des EV/EBITDAMultiplikators, bei dem Zähler wie Nenner gleichermaßen zu adjustieren sind, und zwar im Zähler mit den Leasingaufwendungen und im Nenner mit den impliziten Zinszahlungen:
EV/EBITDA =
EK0 + Debt0 + Lease0 . EBITDA + Intimplizit
(13.7)
Ob sich diese Bewertungskennzahl durch die Einbeziehung der Leasingzahlungen verbessert oder verschlechtert, kann prima vista nicht gesagt werden. Die Antwort ist davon abhängig, ob die nicht-adjustierte EV/EBITDA-Kennzahl größer oder kleiner ist als das Verhältnis aus dem Barwert der operativen Leasingverpflichtungen und den jährlichen Leasingzahlungen4. Eine weitere, häufig zu beobachtende Fehlerquelle in Bewertungsmodellen ist die Inkonsistenz von Diskontierungsfaktor und zu diskontierender Größe: Werden die Cashflows geschätzt, die Eigen- und Fremdkapitalgebern zur Verfügung stehen, sind als Diskontierungssatz die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten anzu4╇
Vgl. auch Damodaran (2008, S.€23).
450
13â•… Typische Fehler in der Unternehmensbewertung
setzen. Erfolgt dagegen die Ermittlung des Unternehmenswertes über Cashflows to Equity, auf die allein Aktionäre einen Anspruch haben, muss die Diskontierung über die geforderten Eigenkapitalkosten erfolgen. In diese Kerbe schlagen auch Inkonsistenzen, wie sie bei der Bildung von Multiplikatoren entstehen können. Ein Beispiel ist der Kurs/Umsatz-Multiplikator. Bei diesem steht im Nenner eine gesamtkapitalspezifische Kennzahl, im Zähler eine eigenkapitalspezifische. Meist argumentieren die Befürworter dieser Kennzahl damit, dass ja schließlich alle Unternehmen der Referenzgruppe gleichermaßen von der Inkonsistenz betroffen wären. Daraus kann jedoch keine Legitimität dieser Kennzahl abgeleitet werden. Zwei unterschiedlich verschuldete Unternehmen mögen zwar gleich bewertet sein, jedoch ist die Aktie des höher verschuldeten Unternehmens relativ überbewertet, die des weniger verschuldeten Unternehmens relativ unterbewertet. Zu den schwierigsten Aufgaben in der Unternehmensbewertung zählt die Berechnung des Endwertes. Gleichzeitig kommt ihr aufgrund der hohen Bedeutung, den der Endwert auf den gesamten Unternehmenswert hat, eine der Hauptrollen im Bewertungsprozess zu. Dennoch werden bei der Berechnung des Endwertes immer wieder gravierende Fehler gemacht. Bekannt ist, dass zum Zeitpunkt des Steady-State annahmegemäß nur noch Ersatzinvestitionen stattfinden, die gerade ausreichen, das Wachstum widerzuspiegeln; Erweiterungsinvestitionen sind dann nicht mehr zulässig. Für ein Wachstum der Produktionskapazitäten ist ebenso wenig Spielraum wie für ein dauerhaftes Schrumpfen, da dieses aufgrund der Ewigkeitsannahme des Terminal Value in einem Unternehmenswert von Null enden würde. Erweiterungsinvestitionen und Endwert schließen sich also aus5. Eigen- wie Gesamtkapitalkosten sind nur in Einperiodenmodellen präzise definiert. Kommen sie in Mehrperiodenmodellen zum Einsatz, sind in der Regel Verzerrungen die Folge, da zum Beispiel bei der Berechnung des Terminal Value nicht dieselben Kapitalkosten zum Einsatz kommen sollten wie bei der Bewertung von Zahlungsströmen während der Detailplanungsperiode. Eigentlich ein Anfängerfehler, taucht er trotzdem immer wieder in Bewertungsmodellen selbst aus profilierten Research-Häusern auf: Die fehlerhafte Diskontierung des Endwertes. Anstelle der korrekten Diskontierung
TV0 =
TVT+1 (1 + WACC)T
(13.8)
,
liest man häufig fehlerhaft
TV0 =
TVT+1 (1 + WACC)T+1
.
(13.9)
Hierbei wird der Fortführungswert – vermutlich aus Symmetriegründen – um eine Periode zu viel diskontiert.
5╇
Vgl. Bamberger (1999, S.€656).
13.3â•… Fehler in der Anwendung der Bewertungsmodelle
451
Schließlich ergeben sich auch aus Multiplikatormodellen verschiedene Probleme. Angenommen, die Peergroup ist mit einem EV/EBIT-Multiple von 3,0x bis 11,8x bewertet, der Durchschnittswert liegt bei 6,9x. Angesichts einer derart großen Bandbreite stellt sich natürlich die Frage, ob die Peergroup tatsächlich die richtigen Werte enthält und warum ein mathematischer Durchschnittswert überhaupt eine relevante Rolle einnehmen soll6. Auch sollte sich der Investor nicht vor allzu tiefsinnigen Ableitungen des Unternehmenswertes anhand von selbst geschaffenen „esoterischen“ Multiplikatoren blenden lassen, wenn, wie Fernández dies in einem erbaulichen Beispiel vorführt7, der Enterprise Value eines Internetunternehmens durch die Anzahl der Einwohner der von diesem Internetunternehmen adressierten Landesteile dividiert wird, dieser Wert anschließend mit dem Anteil des Bruttoinlandsprodukts dieses Landesteils am Bruttoinlandsprodukts des Landes und mit dem Marktanteil des Internetunternehmens multipliziert wird. Nach Subtraktion der Nettoverschuldung und Division durch den Wechselkurs erhält der Analyst den Wert je Aktie. Zum gleichen Ergebnis könne man, so Fernández, auch gelangen, wenn man das Alter der Schwiegermutter von Manolo, der in der Nähe des Firmensitzes des Internetunternehmens wohnt, mit zwei multipliziert.
6╇ 7╇
Vgl. Fernández (2001, S.€7€ff.). Fernández und Bilan (2007, S.€23).
Glossar
Adjusted Present Value-Ansatz╇ Beim APV-Ansatz wird der Unternehmenswert in drei separaten Schritten berechnet: Zunächst wird der Wert eines unverschuldeten Unternehmens hergeleitet, anschließend wird der Barwert der Steuerersparnisse ermittelt, der entsteht, wenn das Unternehmen einen bestimmten Kreditbetrag aufnimmt, und abschließend die Auswirkungen der Verschuldung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit, mit der das Unternehmen in Insolvenz gehen kann. Im praktischen Einsatz kommt das APV-Konzept vor allem bei der Bewertung von Unternehmen zur Anwendung, die von Illiquidität bedroht sind und deren Überleben nicht uneingeschränkt vorausgesetzt werden kann. Alpha╇ Das Alpha (auch Alpha-Faktor oder Jensen-Alpha) bezeichnet in der Finanzmarkttheorie ein Maß für die Überrendite eines Wertpapiers oder eines Portefeuilles gegenüber seiner Benchmark. Es entspricht der Differenz zwischen der tatsächlich erzielten Wertpapierrendite und der Rendite, die man risikoadjustiert für diese Anlage hätte erwarten können. Bezogen auf einen Investor entspricht das Alpha dem Maß für seine Fähigkeiten, den Kapitalmarkt zu schlagen. Nur wenn das Alpha positiv ist, ist es dem Investor gelungen, eine risikoadjustierte Überrendite zu erwirtschaften. Ursächlich für ein positives Alpha sind exzellente analytische Fähigkeiten des Fondsmanagers, gute Kontakte auf den Kapitalmärkten, ein Informationsvorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern oder einfach nur Glück. Empirischen Untersuchungen zufolge erzielen Small Caps und Unternehmen mit niedrigem KGV über einen langen Zeitraum positive Alphas. Anzahl ausstehender Aktien╇ Die Anzahl ausstehender Aktien wird üblicherweise als „voll verwässerte“ Zahl angegeben. Darunter ist die Zahl an Aktien zu verstehen, die von der Gesellschaft in der Vergangenheit ausgegeben wurde, zuzüglich der Aktienoptionen, die sich im Geld befinden (in the money), zuzüglich der ausgegebenen Wandelanleihen und abzüglich der Treasury Shares, also der Aktien, die die Gesellschaft am Kapitalmarkt zurückgekauft hat und im eigenen Bestand hält. Ausschüttungsquote╇ Üblicherweise wird die Ausschüttungsquote als Quotient zwischen Dividendensumme und Nachsteuerergebnis definiert. Sie misst den Anteil des Jahresüberschusses, der an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Da für die DiviP. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
453
454
Glossar
dendenhöhe ausschließlich der ausschüttungsfähige Gewinn der Muttergesellschaft bedeutsam ist, dürfte genau genommen nur der AG-Abschluss zur Berechnung der Ausschüttungsquote verwendet werden. Wachstumsunternehmen zu Beginn ihres Lebenszyklus weisen in der Realität sehr niedrige Ausschüttungsquoten auf, meist ist sie sogar Null. Mit zunehmendem Reifegrad des Unternehmens und sinkenden Investitionsalternativen steigt die Ausschüttungsquote sukzessive an. Der Kehrwert der Ausschüttungsquote wird Dividend Cover bezeichnet. Beta╇ Basierend auf dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) stellt der Betafaktor das mit einer Investitions- oder Finanzierungsentscheidung übernommene systematische, also nicht-diversifizierbare Risiko eines Wertpapiers dar. Er gibt an, wie stark die Rendite eines Wertpapieres im Vergleich zum Marktportefeuille schwankt. Als theoretisches Konstrukt sind im Marktportefeuille sämtliche Anlageformen einer Volkswirtschaft enthalten. Ein Beta von Eins bedeutet, dass das Wertpapier so stark schwankt wie das Marktportefeuille. Liegt das Beta über Eins, sind die Schwankungen stärker ausgeprägt als die des Marktportefeuilles, ein Wert zwischen Null und Eins bedeutet, dass sich die Rendite des Wertpapiers unterproportional zum Marktportefeuille entwickelt, Betafaktoren von Null sind vollkommen risikolose Wertpapiere, während ein Beta von kleiner Null eine inverse Korrelation zwischen dem Wertpapier und dem Gesamtmarkt unterstellt, d. h. dass die Rendite des betroffenen Wertpapiers zurückgeht, wenn die Rendite des Gesamtmarktes steigt, und umgekehrt. Zu unterscheiden ist zwischen dem Asset- oder unlevered Beta und dem levered Beta. Betriebsergebnis╇ Das Betriebsergebnis, meist EBIT, ist das aus dem betrieblichen Geschäft erwirtschaftete Ergebnis vor Zinsen und Steuerzahlungen. Book to Bill-Ratio╇ Die Book to Bill-Ratio (BtB-Ratio) gibt das Verhältnis aus Auftragseingang (Bookings) zu Umsatz (Billings) innerhalb eines definierten Zeitraums wider. Als relevanter Indikator für die aktuelle Marktverfassung ist sie ein Indikator, ob der Gesamtmarkt wächst (BtB-Ratioâ•›>â•›1) oder schrumpft (BtB-Ratioâ•›<â•›1). Buchwert╇ Unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten bezeichnet der Buchwert den Betrag, mit dem ein Vermögenswert (oder eine Verbindlichkeit) in der Bilanz ausgewiesen wird. Beim erstmaligen Ansatz eines Vermögenswertes ist dieser mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Für die Folgebewertung ist ein um die kumulativen Abschreibungen verminderter (bzw. um eventuelle kumulative Zuschreibungen erhöhter) Betrag anzusetzen. Er gibt damit das gesamte Kapital wieder, das in der Vergangenheit in das Unternehmen investiert wurde. Buchwerte spielen in der Unternehmensbewertung nur eine Randrolle, zum Beispiel bei Profitabilitätskennzahlen wie ROCE oder ROE. Buchwert des Eigenkapitals╇ Unter dem Buchwert des Eigenkapitals versteht man das den Aktionären zustehende Kapital. Es setzt sich aus dem Grundkapital, den Kapitalrücklagen und den Gewinnrücklagen zusammen. Nicht enthalten sind die Minderheitsanteile, da diese nicht den Aktionären zustehen. Der Buchwert wird immer als Kennzahl „je Aktie“ angegeben. Buchwerte und Dividendenzahlungen sind negativ miteinander korreliert.
Glossar
455
CAGR╇ Die Compound Annual Growth Rate misst die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate einer Größe. Sie wird errechnet aus CAGR =
Endwert Anfangswert
1 AnzahlJahre
−1.
CAPM╇ Die Kernthese des Capital Asset Pricing Models besagt, dass die Opportunitätskosten des Eigenkapitals der Rendite risikofreier Wertpapiere zuzüglich dem länderspezifischen Marktpreis des Risikos, der Risikoprämie, multipliziert mit dem systematischen Risiko des Unternehmens entsprechen. Capex╇ Abkürzung für Capital Expenditures, also für Sachanlageinvestitionen. Unter analytischen Gesichtspunkten sind häufig die Nettosachanlageinvestitionen von Bedeutung, also die um Abschreibungen bereinigten Capex. Während in einzelnen Jahren aufgrund des sprungfixen Charakters von Investitionen die Netto-Capex durchaus Null oder kleiner als Null sein können, ist dies im langfristigen Gleichgewicht nicht möglich: In stabilen Gleichgewichtszuständen, in denen ein Unternehmenswachstum von größer Null unterstellt wird, müssen auch die Netto-Capex größer als Null sein, da andernfalls ein permanenter Anstieg der Kapitalrentabilitäten unterstellt würde. Capital Employed╇ Das eingesetzte Kapital oder Capital Employed ist die Summe aus dem Sachanlagevermögen eines Unternehmens und seinem Working Capital. Es entspricht daher dem Kapitalbetrag, der dem Geschäft für betriebliche und investive Zwecke zur Verfügung steht. Finanziert wird das Capital Employed aus zwei Quellen, dem Eigenkapital und der Nettoverschuldung. Cashflow-Yield╇ Durch Umformung von Formel (5.38) erhält man im Gleichgewicht die so genannte Cashflow-Yield:
FCFE1 P0
= FCF − Yield = rEK −gR . Diese in
der Unternehmensbewertung verbreitete Profitabilitätskennzahl setzt sich damit aus der Differenz aus Eigenkapitalkosten und langfristiger Wachstumsrate zusammen. CDS╇ Der Credit Default Swap ist ein Kreditderivat, das es ermöglicht, Ausfallrisiken von Anleihen oder Krediten zu handeln. Je höher die erwartete Ausfallwahrscheinlichkeit des Schuldners, desto höher die zu zahlende Prämie für die Besicherung eines Risikos durch einen CDS. DCF-Modell╇ Das Discounted Cashflow-Modell beschreibt ein Verfahren der Unternehmensbewertung, das auf der Abdiskontierung zukünftiger Zahlungsströme basiert. Zu unterscheiden ist zwischen der Entity- oder Bruttomethode, die den Barwert aller zufließenden Cashflows ermittelt und von diesem Wert den Marktwert des Fremdkapitals und anderer Ansprüche abzieht, und der Equity-Methode, die unmittelbar den Wert des Eigenkapitals ermittelt.
456
Glossar
Debt-Cashflow╇ Neben FCFF und FCFE existiert der Debt-Cashflow DCF, die Summe aus Zinsaufwendungen, die auf die bestehenden Verbindlichkeiten zu zahlen sind, und der Nettoneuaufnahme der zinstragenden Verbindlichkeiten (ΔDebt). Zur Bestimmung des Marktwertes des DCF ist diese mit den geforderten Zinsen auf das Fremdkapital rDebt zu diskontieren. Dividendenrendite╇ Die Dividendenrendite wird üblicherweise berechnet als Quotient aus der erwarteten Dividende des laufenden Geschäftsjahres und dem aktuellen Börsenkurs. Alternativ wird die Dividendenrendite auch als Quotient der zuletzt ausgeschütteten Jahresdividende und dem aktuellen Börsenkurs berechnet. Earnings-Yield╇ Die Earnings-Yield ist die Inverse des Kurs/Gewinn-Verhältnisses. Die Angabe erfolgt in Prozent, so dass der Vergleich der Rendite einer Aktie mit der Effektivverzinsung einer Anleihe möglich ist. Je niedriger das KGV, desto höher ist die Earnings-Yield und desto attraktiver wird eine Aktie im Vergleich zu einer Anleihe angesehen. EBITDA╇ EBITDA ist ein Akronym aus Earnings Before Interests, Taxes, Depreciation and Amortization, also das Ergebnis vor Zinsaufwand (oder -ertrag), Steuern auf Einkommen und Ertrag, Abschreibungen und Amortisationen, bisweilen auch OIBDA genannt, also Operating Income Before Depreciation and Amortization. Als nicht-standardisierte Kennzahl ist EBITDA eine dem Vorsteuer-Cashflow nahestehende Ergebnisgröße, die keinerlei Investitionen in das Sachanlagevermögen oder in das Unternehmenswachstum berücksichtigt. Dies wird dem EBITDA auch von seinen Kritikern vorgeworfen, deren prominentester Warren Buffett sein dürfte, der meinte: „Does management think the tooth fairy pays for capital expenditures?“1 Eigenkapitalkosten╇ Sind Zahlungsströme zu diskontieren, die ausschließlich an risikoaverse Eigenkapitalgeber fließen, darf ihre Diskontierung ausschließlich die Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber berücksichtigen. Da risikoaverse Individuen höchst unterschiedliche Auffassungen über die zu erzielenden Renditen einer Aktie haben, haben sie auch unterschiedliche Risikoauffassungen über diese Aktie. Um dennoch zu einem einheitlichen Bewertungsergebnis zu kommen, wird davon ausgegangen, dass die Aktionäre vollständig diversifiziert sind und die einzige Risikokomponente, die in ihre Eigenkapitalkosten aufgenommen wird, das nicht diversifizierbare systematische Risiko ist. Die Eigenkapitalkosten sind als Opportunitätskosten zu verstehen. Eigenkapitalrendite╇ Die Eigenkapitalrendite (Return on Equity ROE) ist eine betriebliche Effizienzkennzahl, die die erwirtschafteten Gewinne einer Geldeinheit des Eigenkapitals wiedergibt. Sie gibt an, wie gut das Kapital der Gesellschafter angelegt wird, um mit ihm zukünftige Erträge zu generieren. Definiert wird die Eigenkapitalrendite als das Verhältnis zwischen Jahresüberschuss nach Anteilen Dritter und bilanziellem Eigenkapital nach Anteilen Dritter. Üblicherweise ist die Eigenkapitalrendite Ausgangspunkt der Du Pont-Formel. 1╇
Buffett (2000).
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Enterprise Value╇ Der Enterprise Value (EV) repräsentiert sämtliche Ansprüche an ein Unternehmen. In den meisten Broker Reports wird der EV definiert als Summe aus Marktwert des Eigenkapitals und Marktwert der Nettoverschuldung. Korrekterweise ist auch der Marktwert der Anteile Dritter hinzuzuzählen, und auch die Pensionsrückstellungen repräsentieren Ansprüche an das Unternehmen, die nicht den Eigenkapitalgebern zustehen. Buchwerte des Fremdkapitals, wie sie verschiedentlich verwendet werden, führen bei stark risikobehafteten Unternehmen zu falschen Bewertungsergebnissen. In seltenen Fällen von Unternehmen mit hohem Nettoliquiditätsbestand kann der EV auch negativ werden. Die ökonomische Konsequenz eines negativen Enterprise Values ist eine risikolose Arbitragesituation für den Erwerber aller Gesellschaftsanteile. Ergebnis je Aktie╇ Das Ergebnis je Aktie (EPS) entspricht dem ausschüttungsfähigen Nettoergebnis nach Steuern und Minderheiten, dividiert durch die durchschnittliche Anzahl der Aktien. Üblicherweise werden zwei Arten von EPS veröffentlicht: „EPS basic“, das sich auf die aktuelle Anzahl von Aktien NoSh bezieht, und „EPS diluted“, das sich auf die mit Wandelschuldverschreibungen, Mitarbeiterbeteiligungsplänen (ESOP) und Optionsanleihen verwässerte Anzahl von Aktien bezieht. EVA™â•‡ Das Economic Value Added- bzw. EVA™-Modell des New Yorker Beratungsunternehmens Stern Steward & Co. ist ein Maß für die Überrendite, die mit einem gegebenen eingesetzten Kapital erzielt werden kann. Unternehmensintern übernimmt das Konzept die Rolle eines Steuerungsinstruments, um das Management auf jene Faktoren zu incentivieren, die den Unternehmenswert nachhaltig steigern können. Entspricht der Buchwert des investierten Kapitals tatsächlich seinem Marktwert und entspricht das NOPAT tatsächlich dem unverzerrten betrieblichen Ergebnis, kann durch das EVA™ die Wertschöpfung eines Unternehmens gemessen werden. Excess Cash╇ Das Excess Cash umfasst die nicht betriebsnotwendigen Kassenbestände, die über den operativ notwendigen Minimalbestand an Liquidität gehalten werden. Die betriebliche Ratio für Excess Cash ist das Halten einer Liquiditätsreserve, zum Beispiel als eiserne Reserve für den konjunkturellen Abschwung. Das Excess Cash ist bei der Ermittlung der Nettoverschuldung von den zinstragenden Verbindlichkeiten in Abzug zu bringen. FCFE╇ Der Freie Cashflow to Equity ist ein Maß für Zahlungsströme, die theoretisch als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden können, ohne dass das betriebliche Vermögen oder die zukünftigen Wachstumsaussichten beeinflusst werden. Das Nettoergebnis, von dem bereits alle anderen Ansprüche beglichen worden sind, ist die Finanzierungsquelle der Sachanlagenettoinvestitionen (inkl. M&A) und von Investitionen in das Working Capital. Einen diese Liquiditätsgröße vermehrenden Effekt hat die Nettoaufnahme von zinstragendem Fremdkapital. FCFF╇ Der Freie Cashflow to the Firm entspricht dem Cashflow, aus dem alle Kapitalgeber „entlohnt“ werden sollen. Infolgedessen handelt es sich um ein Cashflow-Konzept vor Einbeziehung von zinstragenden Verbindlichkeiten. Das opera-
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tive Ergebnis (EBIT) wird zunächst mit dem Grenzsteuersatz der Gesellschaft fiktiv versteuert, anschließend werden die Nettoinvestitionen subtrahiert. FCFF steht der Gesellschaft für Ausschüttungen an die Aktionäre oder für die Tilgung von Verbindlichkeiten zur Verfügung. Ein negativer FCFF ist von der Gesellschaft durch Kapitalerhöhungen oder die Aufnahme von Verbindlichkeiten zu decken. Firm Value╇ Der Firm Value (FV) repräsentiert den Marktwert sämtlicher Vermögensgegenstände eines Unternehmens, gleichgültig, ob sich diese im operativen Einsatz befinden oder nicht. Er wird definiert als Summe aus Marktwert des Eigenkapitals und Marktwert des Fremdkapitals. Der FV spielt in der Unternehmensbewertung nur eine untergeordnete Rolle. Forschung und Entwicklung╇ Trotz der Ungewissheit, ob heutige Ausgaben in F&E wertschaffend sein werden, können Überlegungen angestellt werden, F&EAufwendungen nicht im Jahr ihrer Entstehung zu verkosten, sondern wie als einen Vermögenswert zu kapitalisieren und entsprechend ihrer Nutzungsdauer abzuschreiben. Diese Vorgehensweise ist angemessen, da nicht alle Unternehmen von F&E-Aufwendungen gleichermaßen betroffen sind, sondern kleinere und jüngere Unternehmen tendenziell stärker betroffen sind als größere und etablierte. Diese Diskriminierung sollte in der Unternehmensbewertung eliminiert werden. Free Float╇ Der Free Float oder Streubesitz entspricht dem Anteil der Aktien, die sich nicht dauerhaft im Besitz von Investoren befinden und damit dem Aktienhandel zur Verfügung stehen. Laut den Statuten der Deutsche Börse AG zählen zum Free Float alle Aktien, die nicht von strategischen Großaktionären gehalten werden. Als Großaktionär zählen Institutionen mit einem Anteilsbesitz von mehr als 5,0€% des Grundkapitals. Free Float wird entweder als Prozentsatz gemessen oder in absoluten Beträgen (Mio. € oder Mrd. €). Gearing╇ Das Gearing oder der Verschuldungsgrad ist in der Literatur nicht einheitlich definiert. Nicht nur, dass eine Berechnung sowohl über die Buchwerte als auch über die Marktwerte üblich ist, herrscht auch bezüglich der verwendeten Komponenten Uneinigkeit. In der Regel wird Gearing als das Verhältnis der zinstragenden langfristigen Verbindlichkeiten zum bilanziellen Eigenkapital angegeben. Aber auch das kurzfristige verzinsliche Fremdkapital kann im Zähler enthalten sein. Eher selten ist die Beziehung des verzinslichen Fremdkapitals zum Gesamtkapital oder der Bilanzsumme. Neben Eigenkapitalquote und Liquidität ist das Gearing eine der maßgeblichen Faktoren für das Rating einer Gesellschaft. Going Concern╇ Beim Going Concern wird von einem Fortbestand der Gesellschaft ausgegangen, also dass ein Unternehmen seine derzeitige Geschäftstätigkeit auch in Zukunft fortsetzen wird, und zwar theoretisch bis in alle Ewigkeit. Modelle, die auf dem Going Concern basieren, stellen die überwiegende Mehrheit aller geläufigen Bewertungsverfahren dar. Investiertes Kapital╇ Beim investierten Kapital handelt es sich um die Buchwerte der Bruttoverschuldung zuzüglich dem Buchwert des Eigenkapitals, abzüglich der Liquidität sowie der marktfähigen Wertpapiere. Alternativ kann das Investierte
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Kapital über die Aktivseite berechnet werden, und zwar aus Summe von Sachanlagevermögen und Working Capital. Investitionsquote╇ Die Investitionsquote ist ein Verfahren zur Prognose des Anlagevermögens. Sie ist definiert als Quotient aus Nettoinvestitionen in das Sachanlagevermögen (also die Differenz aus Zugängen und Abgängen zu Restbuchwerten) und Endbestand des Sachanlagevermögens in der Vorperiode. Die Investitionsquote misst das Investitionsverhalten in einer Periode im Verhältnis zum gegenwärtigen Anlagebestand. Die Quote gibt also Aufschluss über die Wachstumsambitionen des Managements, da die Nettoinvestitionen das Ausmaß des zukünftigen Kapazitätsniveaus bestimmen. Als Alternative zur Investitionsquote eignet sich die inkrementelle Sachanlageninvestitionsquote. Sie ist definiert als die Differenz aus Sachanlageinvestitionen und Abschreibungen, dividiert durch die Veränderung des Umsatzes. Abschreibungen werden subtrahiert, da nur dann die notwendigen Zahlungsströme für ein Aufrechterhalten der laufenden Produktionskapazitäten in der Quote wiedergegeben werden. Eine Quote von 10,0€% würde demnach bedeuten, dass ein Umsatzanstieg von 100,0€Mio.€€ auf 120,0€Mio.€€ inkrementelle Sachanlageninvestitionen von 20,0€Mio.€€â•›·â•›10,0€% â•›=â•› 2,0€Mio.€€ nach sich ziehen würden. KBV╇ Vermutlich die erste systematisch ermittelte Bewertungskennzahl, ist das Kurs/Buchwert-Verhältnis KBV der Quotient aus Marktwert des Eigenkapitals zu bilanziellem Buchwert des Eigenkapitals und damit ein Maß für die Prämie (die auch negativ sein kann), die ein Investor bereit ist, auf das in das Unternehmen investierte und den Aktionären zustehende Kapital zu bezahlen. KGV╇ Das Kurs/Gewinn-Verhältnis KGV entspricht dem Verhältnis des Kurses einer Aktie zu dem auf diese Aktie entfallenen Nettoergebnis. Es gibt an, mit dem Wievielfachen des laufenden oder erwarteten Gewinns eine Aktie an der Börse bewertet wird. Vollausschüttung der Gewinne unterstellt bezeichnet das KGV die Anzahl der Jahre, die es dauert, bis der Kaufpreis einer Aktie über Dividenden zurück an den Investor geflossen ist. Aus dem Reziprokwert des Kurs/Gewinn-Verhältnisses wird bisweilen die geforderte Rendite der Eigenkapitalgeber abgeleitet. Diese Definition ist jedoch nur dann korrekt, wenn das betreffende Unternehmen keine zukünftigen Wachstumsmöglichkeiten hat. Leasing╇ Von Bewertungsrelevanz ist allein das operative Leasing, das im Gegensatz zum Finanzierungsleasing außerhalb der Bilanz stattfindet, jedoch das zu versteuernde Einkommen ebenso reduziert wie das finanzielle Leverage und den Buchwert des Unternehmens. Diese Effekte sind in der Unternehmensbewertung rückgängig zu machen, indem die tatsächlichen Leasingaufwendungen der Periode hinzugezählt werden, während die fiktiven Abschreibungen auf den kapitalisierten Leasingbestand abgezogen werden. Das investierte Kapital ist um die kapitalisierten Leasingaufwendungen zu erhöhen. Levered Beta╇ Im levered Beta ist das Verschuldungsrisiko aus dem Gearing enthalten. Steigt das Gearing an, erhöhen sich auch der levered Betafaktor, die Eigenkapitalkosten und die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten.
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Marktkapitalisierung╇ Zur Ermittlung der Marktkapitalisierung wird die Gesamtzahl der ausstehenden Aktien (Stämme und Vorzüge) mit ihrem aktuellen Börsenkurs multipliziert. Sie gibt die gegenwärtige Einschätzung des Kapitalmarktes über ein bestimmtes Unternehmen wieder. Treasury Shares gehen in die Berechnung der Marktkapitalisierung nicht ein. Neben dem durchschnittlichen Börsenumsatz ist die Marktkapitalisierung des Free Float der relevante Faktor für die Aufnahme in einen Auswahlindex der Deutschen Börse. Marktwert des Eigenkapitals╇ Von der Marktkapitalisierung unterscheidet sich der Marktwert des Eigenkapitals insofern, als dass bei letzterem auch Wandelanleihen, Optionsanleihen oder anderes Hybridkapital mit eingerechnet werden. Ihre jeweiligen Marktwerte sind für die Berechnung des Marktwertes des Eigenkapitals hinzuzurechnen. Minderheitsanteile╇ Zu den bedeutendsten nicht betriebsnotwendigen Vermögensbestandteilen zählen Tochtergesellschaften, an denen die Muttergesellschaft weniger als 100€% der Anteile besitzt. Diese werden im Konzernabschluss voll konsolidiert, obwohl sie nur zum Teil den Aktionären zustehen. Der nicht den Aktionären zustehende Teil ist vom Enterprise Value zu subtrahieren, um den Marktwert des Eigenkapitals zu ermitteln. Nettoinvestitionsquote╇ Die Nettoinvestitionen umfassen den Betrag, den ein Unternehmen für die Generierung des zukünftigen Wachstums zurückstellt und nicht an die Aktionäre ausschüttet. Dabei handelt es sich um die Netto-Capex, also die um Abschreibungen bereinigten Capex, zuzüglich den Investitionen in das Working Capital. Dividiert man die Nettoinvestitionen durch das versteuerte operative Ergebnis EBIT(1╛╛−╛╛τ), erhält man die Nettoinvestitionsquote. Sie stellt gewissermaßen das unternehmensbezogene Pendant zur eigenkapitalbezogenen Thesaurierungsquote dar. Sie kann sowohl negative Werte annehmen, wenn nämlich das investierte Kapital schrumpft, oder Werte über 100€%, wenn frisches Kapital von außen zur Finanzierung des Wachstums eingesammelt wird. Nettoverschuldung╇ Die Bruttoverschuldung eines Unternehmens umfasst sämtliche zinstragenden Verbindlichkeiten, unabhängig von der Fristigkeit. Sie umfasst kurzfristige Kredite, die innerhalb eines Jahres fällig werden, zum Beispiel Kontokorrentkredite, und mittel- bis langfristige Schulden, die in mehr als einem Jahr fällig werden, insbesondere Bankdarlehen und Anleihen. Die Nettoverschuldung saldiert hiervon die Aktivpositionen Kassenbestand und marktfähige Wertpapiere. Ist die Nettoverschuldung negativ, spricht man auch von einer Nettofinanzposition oder Nettoliquidität. NOPAT╇ Das Net Operating Income After Tax, auch NOPLAT (Net Operating Income Less Adjusted Tax) oder NOI (Net Operating Income) bezeichnet das um die durchschnittliche Steuerquote sowie um nicht betriebliche Ereignisse bereinigte betriebliche Ergebnis. PEG-Ratio╇ Die Price-earnings to Earnings-growth-Ratio, kurz PEG-Ratio, wird ermittelt, indem das KGV durch die die erwartete durchschnittliche Gewinnwachs-
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tumsrate dividiert wird. Die Kennzahl basiert auf der Überlegung, dass ein optisch hohes KGV nicht in jedem Fall auf eine Überbewertung der Aktie hinweisen muss, da dieses durch ein Gewinnwachstum, das höher ist als das KGV, gerechtfertigt werden kann. Für eine Berechnung von Kurszielen ist die PEG-Ratio nicht geeignet; sie dient lediglich dazu, die KGV-Bewertung von Unternehmen durch Zuhilfenahme ihrer Gewinnwachstumsraten in einem Peergroup-Vergleich zu relativieren. Durch die Einbeziehung der PEG-Ratio können Aktien der Größe nach sortiert werden, mehr nicht. Pensionsrückstellungen╇ In Europa sind Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung ungewisse Verbindlichkeiten, bei denen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung unklar ist, ob, wann und in welcher Höhe Versorgungszahlungen zu leisten sind. In der Regel erfolgt eine Bewertung der Pensionsverpflichtungen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen. Aufgrund ihres eindeutigen Schuldcharakters sind Pensionsrückstellungen dem verzinslichen Fremdkapital gleichzustellen und ihr Marktwert vom Enterprise Value in Abzug zu bringen. Risikoprämie╇ Die Risikoprämie entspricht dem Preis des Risikos und errechnet sich als Differenz zwischen der erwarteten Rendite des Marktportefeuilles und dem risikofreien Zinssatz. Sie ist eine wesentliche Komponente der Kapitalkosten. Sie wird üblicherweise aus historischen Daten berechnet, die dann in die Zukunft fortgeschrieben werden. ROA╇ Die Gesamtkapitalrendite ROA (Return on Assets) ist eine Performancekennzahl, die die Rendite aus den eingesetzten Vermögenswerten bestimmt, also ROAt =
EBITt (1−τt ) Assetst−1 .
Problematisch am ROA-Konzept ist, dass es mit den kurzfris-
tigen, nicht zinstragenden Verbindlichkeiten Kapitalbestandteile enthält, die nicht Bestandteil der WACC-Berechnung sind. ROCE╇ Der Return on Capital Employed, auch Return on Invested Capital ROIC, zählt zu den substanzbasierten Profitabilitätskennzahlen und ist definiert als ROCEt =
EBITt (1−τ ) SachAVt−1 +WCt−1 −Casht−1 . Vergleichbar
der ROA oder der ROE basiert auch
die ROCE auf einem Buchwertkonzept, da gemessen werden soll, welche Rendite ein Unternehmen aus den in der Vergangenheit getätigten Investitionen erwirtschaften kann. ROE╇ Der Return on Equity oder Eigenkapitalrendite ist eine aus allen – operativen wie liquiden – Vermögenswerten zusammengesetzte Performance-Kennzahl. Der ROE berechnet sich über folgende Formel: ROEt =
JÜt . EKt−1
Bei Unternehmen mit
einem im Vergleich zu den operativen Vermögenswerten hohen Liquiditätsbestand, wie es etwa bei Start-Ups kurz nach dem Börsengang zu beobachten ist, führt die Eigenkapitalrendite zu verzerrenden Ergebnissen, da sie durch die niedrige Verzinsung der Bankguthaben nach unten gedrückt ist.
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Rohertrag╇ Der Rohertrag ist die erste Ergebnisgröße der Gewinn- und Verlustrechnung. Er berechnet sich aus dem Umsatz abzüglich der Materialaufwendungen. Im Falle der Umsatzkostensystematik entspricht der Rohertrag den Umsätzen abzüglich der Umsatzkosten, in denen sämtliche direkten betrieblichen Kosten enthalten sind. Indirekte betriebliche Kosten, das Zinsergebnis und Steuern sind in den direkten Betriebskosten nicht enthalten. Steuerquote╇ Von Bewertungsrelevanz ist nicht die tatsächliche Steuerquote eines Unternehmens als Quotient aus dem tatsächlich gezahlten Steuerbetrag und dem zu versteuernden Periodenertrag, sondern der Grenzsteuersatz der jeweiligen Steuerjurisdiktion. Dieser liegt in Deutschland für die Körperschaftsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag bei 15,825€ %. Der durchschnittliche Hebesatz der Gewerbesteuer liegt aktuell bei etwa 430€ %, was einem durchschnittlichen Gewerbesteuersatz von etwa 15,1€ % gleichkommt. Die Gesamtbelastung von ausschließlich im Inland tätigen Unternehmen liegt damit bei rund 31,0€ % des Vorsteuerergebnisses. Bei global tätigen Unternehmen wird in der Regel vereinfachend davon ausgegangen, dass im Ausland erwirtschaftete Gewinne früher oder später nach Deutschland transferiert und damit ebenfalls mit diesem Grenzsteuersatz besteuert werden. Thesaurierungsquote╇ Die Thesaurierungsquote ist definiert als jener Anteil des Nettoergebnisses, der nicht als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet wird, sondern in Vermögensgegenstände investiert oder als liquide Mittel gehalten wird. Die Thesaurierungsquote ist Basis des zukünftigen Wachstums. Unlevered Beta╇ Beim unlevered Beta (auch Asset Beta genannt) handelt es sich um ein Eigenkapital-Beta bei unterstellter kompletter Eigenmittelfinanzierung der Gesellschaft. Es repräsentiert das Beta aller jemals vom Unternehmen getätigten Investitionen. Seine Höhe wird durch das Geschäftsmodell des Unternehmens bestimmt. WACC╇ Die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten WACC sind ein Maß für die Ansprüche aller Kapitalgeber an das Unternehmen. In der verbreitetsten Definition entsprechen sie dem gewichteten Durchschnitt der Eigenkapitalkosten und der Fremdkapitalkosten des verschuldeten Unternehmens. Die Gewichte, mit denen die Eigenkapitalkosten und die Fremdkapitalkosten in die Berechnung eingehen, sind die relativen Anteile der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital am gesamten Unternehmenswert. Working Capital╇ Das Working Capital, früher auch Betriebsmittel genannt, entspricht der Differenz aus Umlaufvermögen, also Vorräten und Lagerbeständen, und kurzfristigen, jedoch nicht zinstragenden Verbindlichkeiten, also vor allem Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Ebenfalls zum Working Capital ist jener Teil der liquiden Mittel zu zählen, der zur Aufrechterhaltung des operativen Betriebs mindestens notwendig ist und damit nicht dem Kassenbestand entnommen werden kann. Ein Anstieg des Working Capitals stellt eine Mittelverwendung dar, die refinanziert werden muss, ein Rückgang des Working Capitals ist gleichbedeutend mit der Freisetzung von Liquidität.
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Glossar Buffett W (2000) Aktionärsbrief des Jahresabschlusses der Berkshire Hathaway Inc., Omaha
Sachverzeichnis
A Added-Value-Modell, 248 Adjusted-Present-Value-Modell, 7, 163, 207 AFFO, siehe FFO Aggregate Value, 198 Aktie Anzahl, 105 ausstehende, 192 Aktiengattung, 105 Allwissenheit, 12 Anlagenintensität, 9 Anlageurteil, 2 Annuitätenbarwertformel, 121 ARPU, 47 Assimilation-Bias, 23 At-equity-Beteiligung, 232 Ausschüttungsquote, 121, 144 B Bargain Purchase, 64, 139, 299 Bauchgefühl, 437 Beauty Contest, 440 Best Comparable, 441 Beta, 74, 80, 132, 398, 417, 450 Levered, 86, 187 Raw, 83 Unlevered, 86 Beteiligung, 232 Bewertungsabschlag, 444 Bewertungsblase, 2, 12, 18, 149, 300, 304, 317, 356, 359, 364, 435 Bewertungsmethode absolut, 11 direkt, 11 dynamisch, 11, 12 indirekt, 11 intrinsisch-absolut, 11 objektiv, 11, 13 objektiviert, 13
relativ, 11 statisch, 11, 12 subjektiv, 11, 13 Bigger-Fool-Theorie, 1, 18 BilMoG, 199 Blodget, Henry, 19 Book-to-Bill-Ratio, 45 Bookbuilding, 441 Börsengang, 30, 437 Kosten, 62 Börsenweisheit, Bottom-up Analyse, 10 Planung, 44 Break-up-Value, 3, 13 Bruttosubstanzwert, 12 Bruttounternehmenswert, 11, 198 Bruttoverschuldung, 199, 228 Buchgewinn, 64, 299 Buchwert je Aktie, 3, 373 Definition, 373 Buchzins, 95 Buffett, Warren, 1, 6, 22, 33, 34, 273, 363 Burggraben, 33 C CAD, siehe Cash Available for Distribution Capital Asset Pricing Model, 72, 89 Capital-Charge-Formel, 252 Cash Available for Distribution, 414 Burn-Rate, 240, 402 Conversion Cycle, 176 Earnings, 345 Operating Taxes, 251 Ratio, 60 Return on Capital Invested, 15 Value-Added-Modell, 248 Umsätze, 64
P. T. Hasler, Aktien richtig bewerten, DOI 10.1007/978-3-642-21170-6, ©Â€Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
479
480 Cashflow Konzeption, 162 Return on Investment (CFROI), 15, 275 Defizite, 279 Statement, Direkte Ableitung, 164 Indirekte Ableitung, 170 CDS, siehe Credit Default Swaps CFO, 348 CFROI, siehe Cashflow Return on Investment Chartanalyse, 3 Chinese Wall, 442 Comparable Quoted Company Analysis, 293 Comparable-Transaction-Ansatz, 305 Competitive Advantage Period, 128, 273 Completed-Contract-Methode, 356 Confirmation-Bias, 23 Consensus-Schätzung, 310 Conservatism-Bias, 23 Contribution-Modell, 247 Corporate Governance, 110 Credit Default Swaps (CDS), 426 Credit Spread, 95 CROCI, 15 Current Ratio, 59 D Days of Inventory, 57 Outstanding, 177 of Payable Outstanding, 177 of Sales Outstanding, 9, 58, 177 DCF-Modell, 7, 15, 16, 411 Anwendungsgebiete, 161, 164 Bruttoverfahren, 163 Defizite, 206, 243, 285 dreistufiges DCF-Modell, 226 Einflussfaktoren, 242 Grundprinzip, 190 Mehrphasenmodell, 212 Nettoverfahren, 162 Debt Risk Premium, 95 Debt-to-EBITDA-Quote, 366 Detailplanungsphase, 52, 75, 113, 127, 138 Länge, 191 Directors’ Dealing, 25 Discontinued Operation, 62 Discounted Cashflow-Modell, siehe DCF-Modell Diskontierungssatz, 71 Diversifizierung, 115 Dividendendiskontierungsmodell Aktienrückkaufprogramm, 158 Anwendungsgebiete, 156
Sachverzeichnis bei dividendenlosen Unternehmen, 135, 156 Dreiphasenmodell, 127, 128 H-Modell, 136 Kontraindikator, 158 Markenname, 158 Mehrphasenmodell, 138 Thesaurierung, 157 Vorteile, 155 Wertschöpfung, 157 Zweiphasenmodell, 128, 136 Dividendenrendite, 348 Due Diligence, 440 DuPont-Formel, 37, 146 DVFA, 361 E Earnings Before Interest and Amortization, siehe Net Operating Profit After Tax Earnings-Yield, 308 EBIA, siehe Net Operating Profit After Tax EBIT, 51 EBITDA, 51, 66, 361 Economic-Profit-Modell, 15, 248 Economic-Value-Added-Modell, 15, 248 Economies of Scale, 49 Effektivverzinsung, 97 Eigenkapitalkosten, 90 Eigenkapitalquote, 9 Eigenkapitalrendite, 15, 37, 76, 143, 145, 146, 180, 196, 203, 257, 276, 318, 321, 378, 379, 426, 446 Eigenkapitalverzinsung, Implizit, 150 Einzelbewertungsmethode, 11 Emissionsberater, 439 Endwert, 126 Enterprise Value, 11, 228, 353, 402 Definition, 198, 354 Multiplikatoren, 291 Entity-Methode, 11, 71 Entry-Standard, 27 Equity Methode, 11, 71 Multiplikatoren, 291 Value, negativ, 241 Ergebnis je Aktie, 307 Basic, 311 Verwässert, 312 Ergebnisanteil Dritter, 11 Ertragswertverfahren, 11, 12 Euphorie, 17 EV/Abonnent-Verhältnis, 433 EV/EBITA-Verhältnis, 360 Defizite, 363
Sachverzeichnis
481
EV/EBITDA-to-EBITDA-growth, 365 EV/EBITDA-Verhältnis, 360, 451 Defizite, 363 Einflussfaktoren, 364 Vorteile, 362 EV/EBIT-Verhältnis, 360, 411 Defizite, 363 Nach Sektoren, 363 EV/Umsatz-Verhältnis, 352, 432 Anwendungsgebiete, 355 Definition, 353 Defizite, 355 Einflussfaktoren, 358 nach Sektoren, 355 EV-Multiplikatoren, 351 Excess Cash, 175, 200, 228 Definition, 229 Verzinsung, 229 Extrapolation-Bias, 304
Gearing, 9, 59, 87, 91, 450 Gekko, Gordon, 18 Gesamtbewertungsmethode, 11 Geschäftsbericht, 28 Gier, 17 Global Industry Classification Standard, 295 Globalisierung, 423 Going Concern, 11, 13, 114, 381 Gordon-Modell, 117 Graham, Benjamin, 6 Grenzsteuersatz, 13 Gross Capital Employed, 276 Growth Appreciation Period, 273 Guidance, 20, 25, 42, 141
F FAD, siehe Funds Available for Distribution Fairer Wert, 4 Fairness Opinion, 2 Fama Eugene, 22 FFO, siehe Funds from Operations Finanzierungsquelle, 93, 105 Finanzverbindlichkeit, 228 Buchwert vs. Marktwert, 228 Firm Value, 198 First-Mover, 33, 128, 294 Flow to Equity, 185 Fortführungswert, 126 Franchise Modell, 321 Free Cashflow to Equity, 139, 185 Definition, 163 Einflussfaktoren, 183 Schwächen, 197 vs. Free Cashflow to the Firm, 186 Free Cashflow to the Firm Definition, 163, 179 vs. EBITDA, 184 Fremdkapital, 199 Kosten, 95 Friedman, Milton, 16 Frontend-Loading, 63 Funds Available for Distribution (FAD), 414 from Operations (FFO), 413, 414 Adjusted FFO, 414
I Ifo, Institut für Wirtschaftsforschung, 46 Immobilienunternehmen, 410 Informationseffizienz, 21 Informationsquelle, 35 Insolvenz, 97, 377, 386, 396 Kosten, 208 Quote, 403 Risiko, 69, 383 Wahrscheinlichkeit, 98, 102, 208, 240, 305, 403 Interessenskonflikt, 437 Interest Coverage Ratio, 96 Interest Tax Shield, 103 Investitionsquote, 55, 145, 180, 203, 270, 385, 396, 408, 419, 431 Investor’s Education, 441 IPO-Abschlag, 26 Irrational Exuberance, 301
G GAAP, 338 GARP, 337
H Herdenverhalten, 5 Hockeystick, 447 Hussmann-KGV, 343
J Januar-Effekt, 89 K Kapital, investiertes, 252 Kapitaleinsatzwert, 369 Kapitalisierung von Kosten, 65 Katastrophe, 299 Kaufpreis, strategischer, 3 KBV, siehe Kurs/Buchwert-Verhältnis KCE, siehe Kurs/Cash Earnings Keynes, John Maynard, 5 KFCFE, 346
482 KGV, siehe Kurs/Gewinn-Verhältnis Konglomeratsabschlag, 29 Kontrollprämie, 30 Kostenführer, 48 Kostolany, André, 3 Kraft, tierische 17 Kurs/Buchwert-Verhältnis, 15, 372, 432 Anwendungsgebiete, 375 Daumenregeln, 373, 377 Defizite, 376 Einflussfaktoren, 377 Kurs/Cash-Earnings-(KCE-)Verhältnis, 345, 346 Kurs/EBITDA-Verhältnis, 352 Kurs/EBIT-Verhältnis, 352 Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV), 14, 307, 308, 405, 411 absolut/relativ, 309 basic/diluted, 309 bei unprofitablen Gesellschaften, 311 Defizite, 324, 329 Eigenkapitalkosten, 318 Einflussfaktoren, 313 forward/trailing, 309 historisches, 341 Definition, 341 Defizite, 342 Normalisierung des EPS, 328 Nullwachstum, 315 relativ, 340 reported/adjusted, 310 Sektoren in Deutschland, 313 steuerliche Verlustvorträge, 327 unlevered, 351 Verschuldungsgrad, 325 Vollausschüttung, 316 Wachstumserwartungen, 314 Wachstumsunternehmen, 321 Zinsniveau, 317 Zirkularität, 323 zyklische Unternehmen, 328 Kurs/Umsatz-Verhältnis, 291, 352 L Länder-Rating, 427 Lao-Tse, 31 Last Twelve Months, 293 Leasing, 271, 375, 450 Finanzierungsleasing, 106 Kapitalisierung, 271 operatives, 106 Leibowitz/Kogelman-Modell, 322 Lemmingverhalten, 19
Sachverzeichnis Leverage, 37, 53, 59, 66, 88, 90, 106, 122, 125, 143, 208, 221, 297, 326, 347, 351, 353, 366 Effekt, 101 finanzielles, 84 operatives, 84 Leveraged-Buyouts, 361 Limonenproblem, 22 Lintner, John, 72 Liquidationsansatz, 131 Liquidationswert, 3, 386 Liquidität, 83 einer Aktie, 26 Liquiditätsgrad, 60 LTCM-Krise, 97 M Managementqualität, 10 Markenmacht, 33 Markenname, 30 Markenunternehmen, 429 Marketingaufwendungen, Kapitalisierung, 265, 429 Markowitz, Harry M., 29, 72, 84 Markteintrittsbarriere, 43 Marktkapitalisierung, 105, 198, 296, 308, 353, 372, 433 Mark-to-market, 233 Marktportefeuille, 76, 89 Marktpreis, 3 Marktwert/Firmenwert-Verhältnis, 384 Marktwert, 448 Materialaufwandsquote, 49 Mean Reversion, 152, 304, 345 Median, 289 Mehrwert, ökonomischer, 255 Minderheitsanteil, 199, 228 Mittelwert, 78, 289 Modigliani/Miller, 198, 351, 449 Molodovsky-Effekt, 328 Mossin, Jan, 72 Multi-Faktor-Modell, 90 Multiplikator, Auswahl, 287, 289 Einflussfaktoren, 303 industriespezifischer, 432 Multiplikatormodell Defizit, 288 Vorteile, 303 N NAREIT, 413 NAV, siehe Net Asset Value
Sachverzeichnis Net Asset Value (NAV), 369, 413, 414 Net Debt-to-EBITDA-Quote, 366 Net Operating Profit after Tax (NOPAT, NOPLAT), 250, 251 Less Adjusted Tax, siehe Net Operating Profit after Tax Net Present Value, 247 Nettoinvestitionen, 139, 178, 179, 185, 188, 220, 364, 367, 396 CFROI, 278 im Steady State-Gleichgewicht, 179 Wachstumsphase, 226 Nettosubstanzwert, 12 Nettoverschuldung, 100 negative, 103 Newton, Isaac, 18 Next Twelve Months, 293 Niedergangsphase, 125 Nischenplayer, 48 Non-Financials, 15, 433, 437 NOPAT, siehe Net Operating Profit after Tax NOPLAT, siehe Net Operating Profit after Tax Normalisierung der Erträge, 408 O Old Economy, 94 Opportunitätskosten, 72 Overpricing, 443 Overpromising, 25 P Patent, 33 PEG-Ratio, 333 Daumenregel, 334 Definition, 334 Defizite, 338 Handlungsanweisungen, 336 Vorteile, 338 PEGY-Ratio, 339 Pensionsrückstellung, 11, 108, 199, 228 Percentage of Completion, 63, 356 Personalaufwand, 50 PIIGS-Staat, 426 Post-money-Wert, 445 Pre-money-Wert, 445 Pre-Sounding, 441 Preis/Mengengerüst, 44 μ-σ-Prinzip, 72 Produktführer, 48 Produktlebenszyklus, 122 Prognosezeitraum, 131 Purchase Price Allocation, 362 Pure Play, 416
483 Q Quick Ratio, 60 R Ratingagentur, 96 Ratingklasse, 96 Real Estate Investment Trust, 111, 410 Operating Company (REOC), 411 Recent Transactions Analysis, 292 Referenzgruppe, 291, 299 Abweichende Geschäftsjahre, 298 Auswahl, 287 Bildung, 293 Closest Comparable, 300 Defizite, 300 enge oder weite Auslegung, 294 Konzept, 287 Kriterien, 296 Reifephase, 133, 403 REIT, siehe Real Estate Investment Trust REOC, siehe Real Estate Operating Company Reproduktionskosten, 12 Research Report, 441 Restrukturierungsaufwendung, 299 Restwert, 126 Return on Capital Employed, 180, 251 Risiko, Betrugsrisiko, 70 diversifizierbares, 73 Kapitalstrukturrisiko, 90 Katastrophenrisiko, 70 Key Man Risk, 70 länderspezifisches, 425 Liquiditätsrisiko, 70 nicht diversifizierbares, 73 operatives, 70 politisches, 70 regulatorisches, 70 Translationsrisiko, 70 Währungsrisiko, 70 Zinsänderungsrisiken, 70 Risikoprämie, 74, 76, 425 implizite Marktrisikoprämie, 151 ROCE, siehe Return on Capital Employed S Sachanlageinvestition, 54, 173 Sachanlagevermögen, 53 Saisonalität, 48, 56 Sale and Lease Back, 54 Sarbanes-Oxley Act, 362 Shakespeare, William, 1 Sharpe, William, 72
484 Shiller, Robert, 23 Shiller-KGV, 343 Similar Public Company Approach, 293 Skaleneffekt, 51 Slater, Jim, 333 Small Caps, 25, 124, 229, 296 Effekt, 89 Start-up-Phase, 84, 123 Steady State, 448 Steuern, latente, 240 Steuerquote, 52, 172, 400, 429 in Deutschland, 173 Stockholm-Syndrom, 23 Substanzerhaltungsgrad, 54 Substanzwert, 369 Substanzwertverfahren, 11, 12 Sum-of-the-Parts-Ansatz, 416 Szenarioanalyse, 149, 396 T Teilreproduktionswert, 369 Templeton, John, Terminal Value, 36, 126, 131, 214, 273, 400, 452 Anteil am Unternehmenswert, 223 bei Verlusten, 224 Hockeystick-Effekt, 223 Probleme, 244 Top-Down-Ansatz, 9, 45 Track-Record, 24 Trailing, 293 Transaktionsmultiplikator, 292 Transparenzniveau, 27 Treasury Shares, 198 Twain, Mark, 34, 115 U Übergangsphase, 128 Übergewinn, 247 Umsatz/Kapital-Quote, 396 Underachieving, 25 Underpricing, 438 Unternehmen defensives, 390 zyklisches, 390, 404, 442 Unternehmensgröße, 85 V Valentin, Karl, 31 Value-Spread-Formel, 252 Value-Stock-Effekt, 89
Sachverzeichnis Verlustvortrag, 237 Vermögen, nicht betriebsnotwendiges, 232 Vermögensumschlag, 55 Verschuldungsgrad, 187 Visibilität, 41 Vollausschüttung, 122 Vollrekonstruktionswert, 369 Vorlieben irrationale, 4 persönliche, 17 W WACC, 71, 92, 399, 448 kumulativ, 399 Wachstumsrate, 119, 141 DAX-Unternehmen, 140 FCFE-Modell, 195 FCFF-Modell, 203 implizite, 134 modellendogene Bestimmung, 144, 195 negative, 120 Zweiphasenmodell, 218 Wachstumsunternehmen, 389, 391, 450 Watson, Thomas, 46 Wert, innerer, 21 Wertpapier, 231 Wertpapierprospekt, 35 Wertschöpfungsmodell, 7, 15, 247, 254 Anpassungen, 264 Bereinigungsfaktoren, 251, 252 Defizite, 280 Dreiphasenmodell, 259 Konzept, 249 Stärken, 279 Vorteil, 248 WACC-Ansatz, 251 Wiederbeschaffungskosten, 12, 369 Williams, John Burr, 111 Working Capital, 37, 55, 57, 174, 346 Z Zerschlagungswert, 373 Zielkapitalstruktur, 110 Zinsdienstdeckungsgrad, 96 Zinssatz, Laufzeit, 75 risikoloser, 74 Zinsstrukturkurve, 75 Zirkularitätsproblem, 109