ФЕДЕРАЛЬНОЕ АГЕНТСТВО ПО ОБРАЗОВАНИЮ ГОСУДАРСТВЕННОЕ ОБРАЗОВАТЕЛЬНОЕ УЧРЕЖДЕНИЕ ВЫСШЕГО ПРОФЕССИОНАЛЬНОГО ОБРАЗОВАНИЯ «ВОРОНЕЖСКИЙ ГОСУДАРСТВЕННЫЙ УНИВЕРСИТЕТ»
ТИПОЛОГИЯ ХУДОЖЕСТВЕННЫХ ТЕКСТОВ Учебное пособие для вузов
Составитель: О. И. Быкова
Издательско-полиграфический центр Воронежского государственного университета 2007
Утверждено Научно-методическим советом факультета германской филологии 18 февраля 2007 г., протокол № 5
романо-
Рецензент доцент, к. фил. н. Людмила Митрофановна Борисова
Учебное пособие подготовлено на факультета романо-германской государственного университета.
кафедре немецкой филологии филологии Воронежского
Рекомендовано для студентов 4-го курса дневного и 5-го курса вечернего отделений факультета романо-германской филологии Воронежского государственного университета, изучающих спецкурс «Типология художественных текстов».
Для специальности: 031201 (022600) – Теория и методика преподавания иностранных языков и культур ОПД.В. 07.1 2
Thema 1. Poetische Kommunikation und sprachlich-kommunikative Tätigkeit 1. 2. 3. 4.
Zur kommunikativen Funktion künstlerischer Texte. Textfunktion, dominante Funktionen poetischer Texte. Texttypologie. Textsorten literarischer Werke.
1. Der literarische Text repräsentiert, eben als Text, kommunikative künstlerische Tätigkeit. Die wesentliche Charakteristik der poetischen (künstlerischen, literarischen) Kommunikation kann in folgendem bestimmt werden: wie sich sprachlich-kommunikatives Handeln mit künstlerischer Tätigkeit verbindet und auf welche spezifischen Formen der Wiederspiegelung der Wirklichkeit künstlerische Texte abzielen. «Poetische Kommunikation als Erscheinungsweise künstlerischer Tätigkeit ordnet diese v o r r a n g i g der Gesamtheit der Künste als „Formen menschlichen Verkehrs“ zu» [Lerchner 1987, 22]. Die literarische Tätigkeit steht immer im zweifachen Beziehungszusammenhang: 1) Sie ist auf der einen Seite eine der Weisen, in denen sich die Menschen die Wirklichkeit aneignen, indem sie sie aufhellen, von ihren Interessen her beleuchten und die Resultate dieser Aktivität mittelbar machen. 2) Auf der anderen Seite ist sie eine der Weisen des gesellschaftlichen Verkehrs, in dem Menschen bestimmte Beziehungen eingehen, miteiander kooperieren oder ihre Kämpfe austragen, ihre Verhältnisse bilden. Sie stellt sich dar als Sphäre einer ideellen Kommunikation, in der eine besondere Einwirkung der Menschen aufeinander stattfindet und das soziale Verhalten beeinflußt wird. Die literarische Tätigkeit gewinnt ihre Kommunikationsspezifik im System der Verkehrsweisen, der Organisation des sozialen Verhaltens. Die poetische Kommunikation unterscheidet sich von der Alltgskommunikation durch ihre ästhetische Funktion und die Wirkungsfunktion. «Wesensbestimmend für künstlerische Tätigkeit ist demnach deren ästhetische Charakter, der in einer spezifischen Erscheinungsweise der Wiederspiegelung von Wirklichkeit im ä s t h e t i s c h e n B e w u ß t s e i n der Menschen besteht» [Lerchner, ibidem]. Dadurch werden stark emotional ausgerichtete Formen des Erlebens der Wirklichkeitsbeziehungen ermöglicht. Die Einsicht, daß künstlerische Texte besondere Wirkungen hervorrufen, die auf anderem Wege nicht erreichbar sind, ist vermutlich so alt wie die Kunst selbst. Die Kunst ermöglicht eine besondere Art der Erkenntnisgewinnung und Verständigung. Die Kunst weckt und stillt im Menschen das Bedürfnis nach Selbstbestätigung und Selbsterkenntnis; sie ermöglicht ihm eine reiche Entfaltung seiner Sensibilität und ein neues Bewußtsein seiner selbst. Die Kunst ist auf das Subjekt des Schaffenden angewiesen, der sich zur Darstellung berufen fühlt und sich selbst in dem Kunstwerk «objektiviert». 3
«Künstlerische Tätigkeit wird demzufolge als an sinnliche Eindrücke gebunden, besonders persönlichkeitsbestimmend, subjektive Perspektiven einbringend und nichtalltägliche Zusammenhänge herstellend, also in hohem Maße schöpferisch charakterisiert» [Lerchner, ibidem]. 2. Verschiedene Textsorten sind auf der Basis ihrer Funktion, ihrer kontextuellen/situativen Bedingungen und ihrer sprachlichen Merkmale beschreibbar. Die Textfunktion (auch Textillokution, Makrosprechakt) wird als die im Text mit bestimmten, in der Kommunikationsgesellschaft festgelegten Mitteln ausgedrückte Intention des Senders verstanden. Die dominierende Funktion eines Textes dient als Typologisierungsbasis einer Textsorte. Die Textfunktion, auf den ersten Blick ein eher kommunikatives bzw. handlungsbezogenes Kriterium, ist als dominierende Illokution, eine Eigenschaft einer Äußerungseinheit, und zwar eine semantische Eigenschaft, sie ist selbst sprachlicher Art. Und sie ist auch linguistisch beschreibbar. Insofern können wir sagen, daß die primär funktional ausgerichtete Textsortenklassifikation linguistisch ist. 3. Der Begriff Textsorte fungiert in der deutschen Linguistik als Grundbegriff, daneben existieren auch solche Begriffe wie: Textklasse, Texttyp, Textart, Textgruppe, Textgenre. Textsorten werden als konventionalisierte Muster für komplexe sprachliche Handlungen aufgefaßt. Sie werden allgemein als komplexe Muster sprachlicher Kommunikation verstanden, «die innerhalb der Sprachgemeinschaft im Laufe der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung aufgrund kommunikativer Bedürfnisse entstanden sind. Der konkrete Text erscheint immer als Exemplar einer bestimmten Textsorte. Wir können sagen, daß sowohl unsere Textproduktion als auch unsere Textrezeption im Rahmen von Textsorten erfolgt. Den Textsorten kommt somit eine fundamentale Bedeutung für die kommunikative Praxis zu» [Brinker 1992, 126]. Die Auffassung von der Kategorie «Textmuster» stützt sich auf Hugo Steger, wenn es um die Charakterisierung von Textmustern als Handlungsmustern geht [Steger1979]. Barbara Sandig faßt Texte als Muster komplexer Sprechakte auf [Sandig 1978]. Die Wesensmerkmale der künstlerisch geformten Texte wurden von uns schon früher bestimmt [Einführung 1991, 9–10]. 4. Für den Bereich der literarischen Kommunikation stellt die in Deutschland auf das 18. Jh. zurückgehende literarische Gattungslehre eine Textklassifikation bereit; sie geht von den drei Dichtungsarten: Epik, Lyrik und Dramatik aus und unterscheidet innerhalb dieser Bereiche aufgrund formaler und inhaltlicher Merkmale eine Reihe von Gattungen im engeren Sinn («Genres»), auf die wir weiter eingehen. Sie können auf das globale Kriterium «ästhetische Funktionalität» zurückgeführt werden. «Texte, die primär ÄSTHETISGH WIRKEN sollen, können die <...> Grundfunktionen des SICH AUSDRÜCKENs und SELBST-DARSTELLENs (vor allem bei lyrischen Texten), des INFORMIERENs (Erzählungen, Novellen, Dramen ...) und 4
natürlich auch des STEUERNs (alle literarischen Gattungen) überlagern, in der Regel aber dürfen ästhetische Texte – auch aus dieser Sicht – als polysem angesehen werden» [Heinemann 1991, 153]. «Die Qualität des subjektiven ästhetischen E r l e b e n s ist wahrscheinlich für die Wirkung von sprachlichen Kunstwerken funktional dominant» [Lerchner 1987, 64]. Die Werke der schönen Literatur werden im großen Umfang sprachlich-ästhetischen Anforderungen als andere funktionale Textsorten gerecht Thema 2. Hauptgattungen der Literatur. Die Epik. 1. Allgemeines. Drei Gattungen der Literatur: Epik, Lyrik, Dramatik. 2. Epik. 2.1. Kurzepik. 2.1.1. Volkstümliche Kurzepik: Märchen, Sage, Legende, Volkslied, Schwank, Witz, Parabel, Fabel, Ballade, Anekdote, Aphorismus, Miniatur. 2.1.2. Literarische Kurzepik: Kunstmärchen, Erzählung, Kurzgeschichte, Kalendergeschichte. 1. Man unterscheidet drei Hauptgattungen der Literatur: Epik, Lyrik Dramatik. Diese Begriffe sind literaturwissenschaftliche Namen für fundamentale Möglichkeiten des menschlichen Daseins überhaupt. Wolfgang Kayer gibt folgende Definition der Hauptgattungen der Literatur: «Wo uns etwas erzählt wird, da handelt es sich um Epik. Wo verkleidete Menschen auf einem Schauplatz etwas agieren – um Dramatik, wo ein Zustand empfunden und von einem «Ich» ausgesprochen wird, um Lyrik» [Kayser 1961]. Obwohl jede Gattung ihre eigenen Stilmerkmale hat, sind die Begriffe Lyrik, Epik und Dramatik immer nur als Idealtypen zu verstehen, denen die literarische Mischformen in der Wirklichkeit sowie neue Formschöpfungen nicht zu entsprechen brauchen. Dennoch enthalten sie stets eine Verbindung von inneren und äußeren Formbestimmtheiten. In der reinen Lyrik spricht ein dichterisches Ich. Die persönliche Aussage ist zugleich allgemein menschlich und wird vom Empfänger wiederum als persönlich erfahren. In ihr kann sich daher eine unmittelbare Verschmelzung mit dem lyrischen Ich volluziehen. In der Epik berichtet der Erzähler von einem anderen, einem Er. Zwischen diesem Dritten und dem Leser oder Hörer besteht ein Abstand, der überbrückt wird, indem sich der Leser in den anderen hineinversetzt. Der Kern der Dramatik ist die spannungsvolle Beziehung zwischen dem Helden und einem Gegenspieler: seinem Widersacher oder dem Schicksal. Der Zuschauer beteiligt sich innerlich an der Handlung auf der Bühne, er wird selbst der Held. Gleichzeitig aber bleibt er bloß Zuschauer, der den Vorgängen gegenüber Stellung nimmt. 5
Die Dramatik hat mit der epischen Gattung gemein, daß sich die Perspektive mit den Handlungspersonen wandeln kann. Der Erzähler vermag zwischendurch aber auch seine eigene Sicht zu geben, was in der Dramatik ungewöhnlich ist. Im Bereich der Lyrik gibt es nur eine Welt, die des Dichters, in deren Zentrum er steht und aus der er spricht. Trotzdem vermag sie jeder als die seinige zu erleben. Der Epiker kann seinen Standort wechseln, er bewegt sich zwischen verschiedenen Welten. Einmal steht er außerhalb, über der Werkwelt, ein anderes Mal begibt er sich zeitweise in sie hinein oder kombiniert seine und unsere reale mit der von ihm erschaffenen Welt. Der Dramatiker greift gewöhnlich nicht in den von ihm gestalteten Spielraum ein: dieser bleibt eine Welt für sich, die sich nach ihren eigenen Gesetzen bewegt. Der Verfasser tritt nicht in ihr auf und äußert sich nicht über sie; im Drama gilt die Welt der Handlungspersonen. In der Redegestaltung stehen Lyrik und Dramatik dem natürlichen Sprechen und Denken am nächsten; beide bedienen sich einer direkten Ausdrucksweise. Dazu entsteht auf der dramatischen Bühne eine konkrete Wirklichkeit in all ihren Dimensionen wie Raum und Zeit, Personen, Handlung und damit die Sprechsituation, die sich aus dem Wort und Gebärde und der Inszenierung ergibt. Die Lyrik dagegen entfernt sich trotz der unmittelbaren Form ihres Sprechens doch wieder von der Realität, indem sie diese durch den bedeutungsvollen, zeichenhaften Charakter ihrer Wortung übersteigt. Auch ist die Sprechsituation nicht eigens mitgegeben wie im Drama, sondern oft nur aus der lyrischen Aussage selbst erschließbar. Die drei Gattungen unterscheiden sich auch in der Dichte ihrer sprachlichen Substanz. Die stärkste Verdichtung erfährt die Sprache in der Lyrik. In Wenigem ist Wesentlichstes enthalten. Zudem ist das lyrische Gedicht eine Einheit, die primär vom klingenden Rhythmus geprägt wird. «Der Lyriker spart aus, der Epiker dagegen bringt möglichst viel; er schweift nach allen Richtungen, auch bei Nebensächlichem länger verweilend, so sehr, daß seine locker gereihte Form oft nicht mehr als Einheit erlebbar ist. Das Drama verlangt wieder ein festes Gefüge; es reiht nicht bloß aneinander, sondern verknüpft das Entscheidende. Von Spannung zu Spannung sich steigernd, doch zur Entspannung hindrängend, führt es die Handlung ihrem Ende zu» [Kerkhoff 1962, 26]. Trotz der auf diesem Gebiet herrschenden Problematik können die allgemeinen Stilzüge der Gattunden richtungsweisend sein; wenn eine der vielfältigen konkreten Formen erfaßt werden soll. 2. Die Epik (von griech. epikos = zum Epos gehörend) ist eine der Hauptgattungen der Literatur. Demnach ist das ein umfassender Oberbegriff für eine erzählende Vers – und Prosadichtung überhaupt. Als episch gilt eine 6
Darstellung, die die Geschehnisse für die innere Vorstellung als objektiv dargestellte Welt behandelt. Der Gegestand des epischen Werkes sind die Schicksale und Abenteuer der Helden. Es gibt Kunde von seinen Erfahrungen in der Welt im weitesten Sinne und ist ein Ereignisbericht, eine Reportage. Die epische Darstellung kann sich auf verschiedenen Zeitebenen vollziehen. Hier sprechen wir über die sogenannte epische Distanz, die Distanz zwischen Erzähler und Erzähltem. Die Epik steht im Zeichen der Vergangenheit. Nicht nur frühere Begebenheiten, auch Geschehnisse der Gegenwart oder Zukunft werden durch Umwandlung der Tempusformen so wiedergegeben, als hätten sie sich schon zugetragen. In der Epik wird vom Standpunkt des Erzählers aus bereits Vergangenes erzählt; darum ist «das epische Präteritum» (Imperfekt) die natürlichste Zeitform des Erzählens. Für das epische Werk ist auch «episches Vorwissen» charakteristisch, der Autor stellt irgendwelchen Helden dar, wobei er in die Charakteristik des Helden einige Details einschließt, die den Leser auf den Gedanken bringen, was weiter mit den Helden geschieht. Der epische Bericht lebt von den für ihn typischen mittelbaren Redeformen der Sprache, durch welche die Gespräche und Bewußtseinsinhalte der Menschen in direkter und halbdirekter Einkleidung wiedergegeben werden. Die Form des mittelbaren Berichtens schafft Abstand, zudem hat die Erzählung ihre eigenen Mittel für die Wiedergabe menschlichen Sprechens und Denkens erfunden. Sie verwendet neben der indirekten und der erlebten Rede, die auch dem alltäglichen Leben angehören, eigentümlich schildernde künstlerische Formen wie den inneren Monolog und den Bewußtseinsstrom. Die Klassifikation der Textsorten des epischen Genres wird schematisch wie folgt dargestellt. Epische Genres Epik Kurzepik volkstümliche Kurzepik Märchen Sage Legende Volkslied Schwank Witz Parabel Anekdote Aphorismus Miniatur
Großepik literarische Kurzepik Kunstmärchen Erzählung Kurzgeschichte Kalendergeschichte
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Epos Saga Volksbuch Novelle Roman
2.1. Die Klassifikation von Typen der Kurzepik wurde von Andre Jolles in seinem gleichnamigen Buch 1930 durch die von ihm geprägte Bezeichnung einfache Formen für sich unter vorliterarischen Verhältnissen herausgebildete Grundtypen der volkstümlichen Kurzepik erweitert: Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Er betrachtet sie als Gebilde, «die sich sozusagen ohne Zutun eines Dichters, in der Sprache selbst ereignen» [Jolles 1930/1974, 10]. Diese Auffassung geht auf eine ähnliche Ansicht Jakob Grimms zurück. Jolles versteht die einfachen Formen nicht als Gattungen im Sinne der normativen Poetik, sondern als vorgegebene Gestalten, die Produkte (unbewußter) menschlicher Geistesbeschäftigungen sind. Nach Jolles ist die Legende > lat. legenda = das zu lesende; die poetische Form der Legende dient der Darstellung moralisch didaktischer oder menschlich erhebender außerordentlicher Schicksale, die Imitatio des Heiligen, die der Sage die familiale Welt (Familie, Stamm, Blutsverwandschaft), die der Mythe das Wissen und das Weltwissen, des Rätsels die Problematisierung eines Geheimnisses, beim Spruch sei die Zusammenfassung von Erfahrungsreihen, beim Kasus das Abwägen von Normen, beim Memorabile die Konkretisierung des Tatsächlichen im Bericht, beim Märchen die Überwindung der unmoralischen Wirklichkeit und beim Witz die Komik als Entbindung des Unzulänglichen und als Lösung der Spannungen. In den letzten Jahrzehnten geht man davon aus, daß die einfachen Formen psychische und funktionale Notwendigkeiten sind. All diese Formen entspringen also Grundbedürfnissen der menschlichen Seele. Sie sind notwendig bedingte Formen oder ontologische Gattungs-Archetypen. «Die Funktion der Sage etwas ist es, über die resignierende Einstellung des Menschen zum Weltgeschehen auszusagen, die der Legende, uns das Göttliche näherzurücken, die des Märchens, eine sublimierte Welt transparent zu machen, in der sich alle Sehnsüchte des menschlichen Herzens nach Glück und Erfüllung zu mythischer Vollendung gestalten; die Wirkungsmacht der Mythe liegt in der Aussage menschlichen Grübelns über das Verhältnis von dieser zu jener Welt, die des Schwankes in der über die Macht der geistigen Freiheit, die im Gelächter über alles Menschliche und Allzumenschliche gründet» [Jolles, ibidem]. Jolles Bestimmung der einfachen Formen unter Form- und Gestaltaspekt läßt sich in einem handlungstheoretischen Ansatz wieder aufnehmen. Damit hat Jolles einen Bestand an «kleinen» Textsorten gewählt, wie sie beim heutigen Stand der Textlinguistik [vgl. Gobyn 1984] und der Ethnographie des Sprechens [vgl. Hymes 1979] besonders interessant sein dürften. «Jolles weist auf die enge Beziehung zwischen vorgegebener Form (modern: dem Prototypischen) und verschiedenen Graden an Freiheit beim Ausfüllen dieser Form selbst (modern: den Ermessensfreiräumen) hin» [Fix 1996, 111]. Jolles zeigt, daß er selbst das Weiterleben der einfachen Formen in modernen Varianten gesehen hat. Er vergleicht die Legende mit der Berichterstattung über Sportrekorde – über Wunder berichten sie beide. «Wir könnten und sollten uns also ebenso fragen, 8
welche Rolle heute das Rätsel – z.B. in Quis- und Ratesendungen, in Werbeprospekten, in Nonsense-Rätseln, in Kriminalromanen spielt, oder welche Funktion der Spruch – als Graffito, als Demo-Spruch oder als abgewandeltes Sprichwort hat» [Fix 1996, 117]. 2.1.1. Volkstümliche Kurzepik Die Wesensmerkmale einiger epischen Genres der Kurzepik sind folgende: Das Märchen > ahd. mari, mhd. maere = Bericht, Kunde, ist eine kürzere, phantasievoll ausgeschmückte, sprachlich jedoch einfache Prosaform der Epik. Sie lebte bei nahezu allen Völkern meistens in mündlicher Überlieferung. Die Märchen sind Bestandteil eines kollektiven Bewußtseins. Erfahrungswissen und lakonische Erzählweise machen das Märchen so anziehend, anfällig für Interpretationen jeder Art. Charakteristisch für das Märchen ist eine einfache ethische Norm: das Gute, Anständige, Humane wird belohnt; das Böse, Ungerechte, Inhumane bestraft. In Märchen werden Lehren und moralische Anweisungen vermittelt, und damit erfüllen sie in allen Zeiten eine wichtige erzieherische Aufgabe. Die Märchen widerspiegeln die Lebensbegingungen und die Weltanschauungen der Völker unter verschiedenen Gesellschaftsverhältnissen; darum weisen sie neben nationalbedingten Besonderheiten auch gemeinsame Merkmale auf. Bei allen Völkern gibt es Märchen, die die Kraft der Bruderliebe, die Bewährung der Treue, die Unbeirrbarkeit der Liebe, die Mutterliebe, den scharfen Bauernsinn, die belohnte Tugend und die unbelohnt bleibende Untugend zeigen. Das Märchen schildert eine Welt, in die die Sphäre des Übernatürlichen einbricht, eine Wunschwelt, eine Art Utopie, die keine Tragik kennt und in der das Gute stets belohnt und das Böse bestraft wird (streng moralische Gesetzmäßigkeit). Man unterscheidet Volksmärchen und Kunstmärchen. Das Volksmärchen ist eng mit der Geschichte der menschlichen Gesellschaft verbunden. Dementsprechend bilden sich bestimmte Märchentypen heraus. Die Zaubermärchen stammen aus der Zeit der Gentilordnung und widerspiegeln den Glauben an Geister, Elfen, Zwerge, Naturgötter u.a.m. Die Tiermärchen entstammen der Zeit, als der Mensch begann Tiere zu zähmen («Der Wolf und die sieben jungen Geißlein»). Mythologische Märchen haben ihren Ursprung aus der Zeit des Beginns unserer Zeitrechnung («Dornröschen»); Königsmärchen – aus der Zeit des Feudalismus («König Drosselbart»). Sozialkritische Märchen stammen aus der Zeit des heranwachsenden Kapitalismus («Der Teufel und der Drescher»). Im Laufe der Zeit festigten sich innerhalb regionaler und historischer Varianten charakteristische Strukturelemente: moralische Unterscheidung zwischen gut u. böse, eine an der Erzählweise des Volkes (Redensarten, Vergleiche, Sprichwörter) orientierte stark formalisierte Sprache und ein Fundus wiederkehrender Motive wie sprechende Tiere und Gegenstände, Metamorphosen und Verzauberungen von Personen u.a.m. Der Märchenhandlung wird der Bezug auf das Wunderbare untergelegt. In einem 9
Rahmen unbestimmter Zeit, unbestimmten Ortes und unbestimmter Personen, in dem Szenarium einer Zauberwelt, die nicht an die Bedingungen dieser Welt geknüpft ist, läuft die Märchenerzählung ab. Auf diese Weise realisieren sich Wunschträume der einfachen Menschen von einem besseren Leben, Glückssehnen nach Freiheit und Gerechtigkeit; wodurch das Phantastische, als künstlerisches Hauptprinzip des Märchens, mit dem realen Leben verbunden wird. Für das Märchen gilt ERZÄHLEN mit Intentionen des UNTERHALTENs und des BELEHRENs/MORALISIERNs als dominierende Illokution. Charakteristische Merkmale des Genres sind: • eine einfache ethische Norm; • Vorliebe für das Phantastische, Wundersame; • die üblichen Einleitungsformeln: «Es war einmal...»; «Es lebte einmal...»; • die dreimalige Wiederholung der Handlung (die Dreizahl); • volkstümliche Sprache mit veralteten Elementen (Archaismen) lexikalischer und grammatischer Art; • im Aufbau der Märchen seien folgende Züge unterstrichen: der typische Held, dazu auch typische Namen der handelnden Personen (der Bauer, der Handwerker, der Teufel, Rumpelstilzchen, Aschenputtel usw.); • der jähe Übergang vom Traurigen zum Heiteren; • Erlösungen, Rückverwandlungen der Verzauberten («Dornröschen», «Der Froschkönig», oder «Der eiserne Heinrich»); • der Kontrast, der typisierend wirkt, und die Gestalten mit der jeweils nur stark betonten Eigenschaft, aus der andere Eigenschaften der Figur erschlossen werden. Der Kontrast realisiert sich sprachlich in Gegensatzpaaren gut – böse, arm – reich usw., die als Klischees auftreten. In der deutschsprachigen Literatur wurden die Volksmärchen um die Wende vom 18. zum 19. Jh. gesammelt (J. Musäus, Brüder Grimm). Die Sage erscheint ursprünglich als orale volkstümliche Form. Sie ist eine primitive Vorform des Wissenschaftlichen und geht auf das Bedürfnis nach Erfahrung zurück; sie ist wirklichkeitsgetreuer als das Märchen und stellt Sinnwidriges, Trauriges und Tragisches so dar, wie es sich ereignet hat oder ereignet haben könnte. Die Sagen verbreiten sich häufig und wandern von Volk zu Volk, wodurch Umformungen nicht selten sind (z.B. Götter- und Heldensagen). Christliche Umarbeitungen führen häufig zur Legende. Zu den ältesten Überlieferungen gehört die dämonische Sage, die auf Glaubensvorstellungen der Urgesellschaft zurückgeht, sie vermochte in verschiedenen Genres der künstlerischen Literatur einzugehen. Die dominierende Sprachhandlung der Sage ist BERICHTEN mit den Funktionen: ANGST AUSDRÜCKEN, ERKLÄREN/BELEHREN/EXEMPLIFIZIEREN, vor allem WARNEN. Die Sprachhandlung des BERICHTENs mit den Funktionen des EMOTIONALEN ENTLASTENs, des EZEMPLIFIZIERENs 10
und vor allem des WARNENs – ganz in der Tradition der alten Warnsage – ist geblieben. Wir finden auch in der „modernen Sage“ einfache Strukturen, die leichtes Behalten ermöglichen und mündliches Weitergeben erleichtern, also Stilmittel der Wiederholung, einfache Zeitbeziehungen, schlichten Wortschatz Eine formelhafte Ausdrucksweise kommt auch hier vor: am Anfang des Erzählens wird immer die Versicherung angegeben, das der Vorfall wirklich passiert sei, indem man auf die (bekannte) Person verweist, die den Vorfall selbst erlebt hat. Einfache Formen wie Märchen und Sage leben heute weiter. Anders als das Märchen lebt die Sage also nicht in Elementen und Mustermischungen, sondern in ihrer Ganzheit weiter. Das Märchen als traditionelle Erzählform, aber bruchstückhaft begegnet uns im Alltag: in der Werbung, in der Karrikatur, im Witz, in der Parodie. Dabei verändert sich die Funktion. Sie werden als umfunktionierte, parodierte, negierte Teile in neue Kontexte gebracht. Dominierende Sprachhandlung ist zwar auch das ERZÄHLEN, aber mit der Funktion des AUFFORDERNs (in der Werbung: zum Sich-Interessieren, zum Kaufen). Die Märchen erscheinen nun in Mustermischungen, nicht als reine (möglicherweise modernisierte) Form. Die Legende wird heute als eine kurze, volkstümliche Erzählung aus dem Leben der Heiligen (Mutter Maria, die Apostel u.a.) verstanden, die gelegentlich aus Sagen hervorgegangen ist. Daß legendärer Stoff auch aus dem realistischen Diesseitsglauben heraus gestaltet werden kann, zeigen die «Sieben Legenden» Gottfried Kellers. Das Volkslied gehört zur Volksdichtung, an deren Gestaltung das Volk schöpferisch teilnimmt. Eines der Wesenszüge des Volksliedes ist die Anonymität des Verfassers. Ebenso ist die Kollektivität des Verfassers typisch. Es ist eine entscheidende Eigenschaft des Volksliedes. Sie liegt aber nicht so sehr in der Entste- hung des Volksliedes, wie vielmehr in seiner Überlieferung, die vom Kollektiv getragen und von ihm gestaltet wird. Die Einteilung der Volkslieder in direkte oder primäre, d.h. anonym im Volk entstandene, und indirekte oder sekundäre, d.h. von uns bekannten Dichtern stammende Volkslieder ist also nicht von prinzipieller Bedeutung, da sie nicht auf inneren Wesenszügen der Lieder, sondern auf zufälligen Erscheinungen, wie möglichem Nachweis eines Verfassers, beruht. Am Anfang der literarischen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Volkslied in Deutschland steht Johann Gottfried Herder (1744–1803), führender deutscher Denker und Literaturtheoretiker, entscheidender Anreger des Sturm und Drang und der Klassik, der bewußteste und klarste Vertreter der demokratischen und nationalen Interessen des jungen deutschen Bürgertums am Ende des 18. Jhs. Den Zug zum Volke und zur Volksdichtung in den 1770-er Jahren sehen wir nichr nur bei Herder und dem von ihn angeregten jungen Goethe, sondern auch unabhängig von ihnen bei G.A. Bürger, Chr.Fr.D. Schubart und anderen. 11
Der Schwank > ahd. swanch, mhd. Swank Schwung, Streich, hier ist eine volkstümliche komische Dichtung zwischen dem 13. und 16./17. Jh. vertreten. Sozialkritik kann sich in sehr verschiedenen Formen im Schwank äußern. Die Hinwendung zur Volkstümlichkeit und die Volkssprache, die Wahrnehmung des kleinen Mannes, die satirische Bloßstellung des plumpen, naiven Bauern, der ehebrecherischen Frau, des bürgerlichen Wirts, des habgierigen Kaufmanns und geizigen Bürgers, Verhöhnung des niedrigen Klerus im Schwank ist mehr aus der Sicht des «misera plebs» (des einfachen Volkes) verachtenden, geistige gegen materielle Werte setzenden Literaten zu erklären als aus der bloßen Freude an der Schilderung skuriller Typen. Die «Wirklichkeit» des Schriftstellers ist literarischer Art; seine Stoffe sind zeittypisch, wie seine Gestalten typisch sind, aber sie vermitteln keine Realität. Von der Intention ihrer Autoren her sind die Schwankbücher primär «Sammlungen» witziger Erzählungen über soziale Typen und gesellschaftliche Situationen komischen Zuschnitts, die zur Unterhaltung eines breiten Publikums bestimmt sind und deren Unterhaltungszweck jeder anderen Tendenz widerspricht. Das Sujet ist meist die Übertrumpfung eines scheinbar überlegenen Gegenspielers durch List, Gewalt, grobe oder gewitzte Worte. Die Auseinandersetzungen, in denen Gestalten des Städtebürgertums, der armen und reichen Landbevölkerung, Fahrende, Plebejer usw. auftreten, offenbaren menschliche Unzulänglichkeiten sowie soziale Mißstände und basieren häufig auf dem Konflikt zwischen Privilegierten und Unterdrückten. Erzählt wird mit fröhlicher Leichtlebigkeit, streibar und drastisch, bedächtiges Moralisieren ist nicht ausgeschlossen. Der Witz ist die Schwundform des Novellistischen. Man kann sagen, er sei eine auf die Pointe reduzierte Novelle. Die humorvolle Pointe stellt eine Art Keim dar, aus dem sich eine Novelle entwickeln läßt. Sein Wesen liegt immer im Wort und entwickelt sich meist in einem Dialog. Der Witz ist die präzise, abgeschlossene Form, die ins Extreme getriebene Aussparung. Die Parabel ist eine in sich geschlossene kleine Lehr-Erzählung, in der zwei verschiedene Sachverhalte dicht aneinander nähern. Dadurch wird der vergleichende und lehrhafte Zweck erreicht, ohne daß er mit Worten ausgesprochen wird. Der Scheitelpukt der Annäherung ist das «Tertium Comparationis» (das zum Vergleich herangezogene Dritte). Dieser Text ist modal abgeschattet, sowohl in grammatischer, als auch in stilistischer Hinsicht (Konjunktiv und Ironie im engeren Sinne des Wortes). Die Modalität erweist sich als syntaktische und stilistische Wiederspiegelung des Standpunktes des Autors im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der Aussage für den Leser [Брандес 1983, 35]. Die Fabel (von lat. fabula = Rede, Sage, in eine Einkleidung versteckter Sinn) ist eine kurze lebhafte Geschichte, die auf eine Moral, Lebenserfahrung oder allgemeine Wahrheit bezieht; eine sich gerundete lehrhafte epische Erzählung, die einen geistvoll witzigen Stil zeigt. Gotthold Ephraim Lessing schreibt in der Abhandlung «Von dem Wesen der Fabel»: «Wenn wir einen 12
allgemeinen moralischen Satz auf einen besonderen Fall zurückführen, diesem besonderem Falle die Wirklichkeit erteilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt, so heißt diese Dichtung eine Fabel». In der Fabel wird ein allgemeingültiger Lehrsatz anhand eines überraschenden Beispiels versinnbildlicht. In der Regel geißelt sie in verhüllender Form moralische, soziale und politische Fehlschläge. Die Handlung spielt meist im Tierreich, wird aber durch einen Analogieschluß auf die Welt des Menschen übertragen. Die Geschichte der Fabel führt ins Altertum zurück. Das Ursprungsland der Fabel ist nicht genau bekannt: es kann Indien oder Griechenland sein. Bereits im Altertum und auch in der späteren Zeit wird die Fabel als Genre mit dem Namen Äsops verbunden (obwohl auch eine Meinung geäußert wird, daß es eine erfundene Person ist). Die Angaben über Äsop sind widersprechend und dürftig. Er soll als Sklave auf der griechischen Insel Samos um die Mitte des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung gelebt haben. Seine Fabeln sind auf uns nicht im Original, sondern durch Vermittlung späterer Dichter gekommen. Mittels seiner Fabeln kritisierte Äsop gesellschaftliche Umstände, vor allem die soziale Ungerechtigkeit. Für diese Fabeln sind scharfe Charakteristik der Gestalten, Anschaulichkeit der Situation, Schlichtheit der Sprache typisch. Nach dem Muster Äsops schrieb der römische Fabeldichter Phaedrus, ein Sklave griechischer Abstammung. Unter dem Einfluß Äsops bildeten sich in der europäischen Fabeldichtung traditionelle Tiertypen heraus: der mutige Löwe, der eitle Pfau, der kühne Adler, der dumme Esel usw. Da jedes Tier bestimmte Eigenschaften verkörpert, ist es möglich, die Aussage zu verkürzen (äsopische Kürze) und die Wahrheit zu verkleiden (äsopische Sprache), was den Dichter, der in der Fabel Gesellschaftskritik ausübte, schützte. In der deutschen Literatur entstehen die ersten Fabeln in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, aber erst im 14. Jh. erlebte die Fabeldichtung einen Aufschwung, als das heranwachsende Bürgertum der Städte eine belehrende Dichtungsart benötigte. Die deutsche Fabeldichtung hat zwei Höhepunkte: in der Reformation (M. Luther, H. Sachs) und in der Aufklärung (Chr.F. Gellert, J. W. L. Gleim, Fr. v. Hagedorn, G. E. Lessing). Die Fabel nahm im 18. Jh. unter den kleinen literarischen Formen eine bevorzugte Stellung ein. Es gab mehrere Gründe dafür: Zugänglichkeit für die breiten Leserkreise, volkserzieherische, moralische belehrende Wirkung, Möglichkeit, die Themen zu behandeln, die die fürstliche Zensur als unverhüllte Aussage über den Menschen nie gestattet und für die Veröffentlichung erlaubt hätte. In den Fabeln werden gesellschaftliche Situationen und Vertreter der herrschenden Klassen dargestellt und verspottet; auch werden solche Themen wie Mittleid mit dem unterdrückten Volk, Heuchelei, Habsucht u.a. behandelt. In der Aufklärung wird die Fabel zur Waffe im Kampf gegen den Absolutismus und die Kirche.
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Charakteristische Merkmale des Genres sind: • Handlungsträger sind neben Menschen und mythologischen Figuren, Göttern personifizierte Tiere, Pflanzen, Gegenstände; • Moralsatz am Anfang oder am Ende, der lehrhafte Charakter; • vierteiliges Aufbauschema: 1) Situationsschilderung, 2) actio (Rede), 3) reactio (Gegenrede), 4) Ergebnis; • Einsatz von traditionelen Tiertypen, die seit Äsop immer wieder in der europäischen Literatur auftauchen (der mutige Löwe, der listige Fuchs, der eitle Affe, die diebische Elster usw); • die Handlung ereignet sich an einem Ort und in kurzer Zeitspanne; • die traditionellen Stilmerkmale sind: Kürze der Darlegung und Knappheit der sprachlichen Ausformung. Manchmal wird die Fabel als selbständige kurze episch-didaktische Gattung der Tierdichtung in Vers und Prosa definiert. Die Moral kann auch implizite enthalten sein, so daß der Leser sie erschließen muß. Die Lessingsche Fabel enthält meist drei thematische Einheiten: Einführung in die Situation (epischer Bericht), Dialog und Zwischentext und Belehrung (Resümee, das sich oft direkt an den Leser wendet). Die moderne Fabel verzichtet auf den deutlichen Schluß und die formulierte Moral. Sie läßt beides offen. Die Ballade ist ein erzählendes Gedicht mit einer stark dramatischen Handlung. Es ist ein poetisches Genre, in dem lyrische, epische und dramatische Elemente zusammenwirken. Das Lyrische ist in der Ballade durch die stark subjektive Haltung des Dichters zum Gegenstand der Darstellung ausgeprägt; das Epische realisiert sich in dem berichtenden Erzählton einiger Strophen oder Zeilen; das Dramatische kommt in der sich stürmisch entwickelnden Handlung und im vorherrschenden Dialog vor. Goethe hat die Ballade das «Ur–Ei» der Dichtung genannt. Damit hat er gemeint, daß sich die Ballade aller dichterischen Gattungen und Möglichkeiten bedient. Sie hat epische (= erzählende, berichtende), dramatische (= szenische, dialogförmige) und lyrische Teile (z.B. bei der Darstellung des Atmosphärischen). Goethe betonte, daß in der Ballade die Elemente noch nicht getrennt, sondern, wie in einem lebedigen Ur-ei, zusammen seien. Als Stoff der Ballade dienen handlungsreiche, oft tragische Ereignisse aus der Geschichte und Volkspoesie; es werden Leid und Liebe, Märchenhaftes und Realistisches, Kampf für Freiheit und Würde des Menschen gestaltet. Inhaltlich sind Balladen im weitesten Sinne erzählende Gedichte. Erzählt wird von Personen, denen Außergewöhnliches zustößt oder/und die sich in Ausnahmesituationen befinden (Bedrohung, Gefahr, Tod). Die typische Grundstimmung von Balladen ist die Bedrohung: Der Mensch erscheint ausgeliefert an Schicksalsmächte – wie die Eumeniden – , an Naturmächte – wie Geister – , oder er ist auswegslosen Gefahren ausgesetzt. In manchen Balladen 14
geht es weniger um die Übermacht geheimnisvoller Kräfte als vielmehr um die Bewährung des aktiv handelnden Menschen in einer Krisensituation. Ihrer Form nach sind Balladen meist regelmäßig strophisch gebaut. Ein weiteres formales Kennzeichen sind die häufigen Dialoge, die es ermöglichen, daß man das Geschehen unmittelbar erleben kann. Ursprünglich war die Ballade ein bei den romanischen Völkern verbreitetes Tanzlied (ital. ballata, von ballare – tanzen, altfranz.ballada). In England und Schottland bezeichnete man so Lieder, die die Taten von Volkshelden besingen (z.B. die Robin-Hood-Lieder). Die Entwicklung der deutschen Ballade geht bis ins Mittelalter zurück. Die deutsche Ballade wurzelt in dem germanischen Heldenlied, das im Mittelalter auf Schlössern und später in Wirtshäusern gesungen wurde, in den historischen Erzählliedern und Zeitungsliedern des 15. Jahrhunderts, die Sensationsnachrichten übermittelten, und dem Bänkelgesang (das Singen von Bänkelliedern, in einfacherweise vorgetragene Lieder, die von einem Aufsehen erregenden Ereignis berichten) des 18. Jahrhunderts, welcher schauerlich-rührselige Mordgeschichten, Naturkatastrophen oder Kriegsläufe primitiv schilderte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind Volksballaden entstanden. Die sogenannte Volksballade erreichte schon kurz danach ihren Höhepunkt in den Balladen Schillers und Goethes. Die Ballade blieb im 19. Jahrhundert eine sehr beliebte Gattung. Die balladeske Dichtung steht besonders in den Epochen der Empörung gegen die soziale Ungerechigkeit und nationale Unterdrückung, in Befreiungskriegen und Revolutionen in Blüte. Sehr beliebt war die Ballade im Sturm und Drang, mit seinem ausgeprägten Interesse für die Volkspoesie. Als eigentliche Schöpfer der deutschen Kunstballade gelten G.A. Bürger, J.G. Herder, J.W.v. Goethe und F. Schiller. Die erste weltbekannt gewordene Ballade ist «Lenore» von G.A. Bürger (1774). Sie verbindet den mystischen Zug mit anklagender Zeitproblematik. Ihren glanzvollen Höhepunkt erlebt die Ballade im Schaffen von Goethe und Schiller 1797; dieses Jahr ist in der Literaturgeschichte als «Balladenjahr» bekannt. Anfang des 19. Jahrhunderts findet die Kunstballade ihre Weiterentwicklung im Schaffen der Romantiker (A. v. Arnim, C. Brentano, J.K.B.F. v. Eichendorff), die den mystischen Inhalt mit an das Volkstümliche angelehnter Form verbanden. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts macht sich der Niedergang der balladesken Dichtung bemerkbar, um in der sozialen Ballade (H. Heine, A. v. Chamisso, die Dichter des Vormärz) zu neuer Blüte zu gelangen. Zur Entwicklung der Ballade im 20. Jahrhundert: In der neueren Zeit gibt es Balladen der oben definierten Art – abgesehen von Texten, deren Verfasser stark der Tradition verhaftet sind – nicht mehr. Freilich gibt es noch Gedichte, die etwas erzählen und die sichtbar von der Ballade, daneben aber auch von der Moritat, beeinflußt sind. Man faßt solche Gedichte unter dem Begriff «Erzählgedicht» zusammen.
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Die Wesensmerkmale der Ballade sind: • das Geschehen wird aufs äußerste gerafft; oft gibt der Autor nur den Schlußakt der sich tragisch entwickelnden Handlung; • die Eigenart des Baus bildet die Abwechslung der Berichtform und des Dialogs; • die Verszeile ist in der Regel kurz; • eine große Rolle spielt die Wiederholung einzelner Wörter oder ganzer Verszeilen; • der Umfang der Strophen und ihre Zahl ist in jeder Ballade unterschiedlich; • zu den fakultativen Merkmalen der Ballade zählt man ihre relative Knappheit und den sprunghaften Chrakter der Darstellung. Die Anekdote geht auf das Griechische «an-ek-doton» = etwas noch Unveröffentlichtes, mündlich Übermitteltes, zurück. Sie «stellt die kürzeste Form erzählender Prosa dar, aufs geschliffenste einen Vorgang oder ein Ereignis, das, im besten Falle, den für Jahrzehnte gültigen Ausdruck eines gesellschaftlichen Symptoms oder Symbols zusammenfaßt, die Essenz dessen, was endlich einmal ausgesprochen wird, um diese Vergangenheit oder Gegenwart zu beleuchten» (Arnold Zweig). Sie erzählt kurz und prägnant ein Ereignis und gipfelt in der abgeschlossenen Pointe. Es handelt sich um Geschichten über bekannte Persönlichkeiten, die sowohl in Bezug auf die historische Situation als auch auf die jeweilige Persönlichkeit bemerkenswert sind. Die handelnden Personen in zeitgenössischen Anekdoten können aber auch unbekannte Leute sein, deren Auftreten schlagartig konkrete Details einer historischen Situation erhellt. Anekdoten werden mit dem Anspruch auf eine wahrheitsgemäße Darstellung erzählt. Sie müssen daher zumindest wahrscheinlich sein (also keine offensichtlichen Fiktionen, z.B. keine phantastischen Geschichten). Sie werden oft als operatives Genre eingesetzt im Feuilleton – Teil von Zeitungen – veröffentlicht. Der Aphorismus ist seit Georg Christoph Lichtenberg in der deutschen Literatur als eigenes Genre vorhanden. Das Wort kommt aus dem Griechischen: «horizien» = begrenzen, Aphorismus = (scharf abgegrenzte), kurze, treffende Äußerung. Aphorismen benennen meist satirisch-ironisch in kurzer und prägnanter Form (oft in einem Satz) Lebensprobleme des Verfassers. Wortspiel, Vergleich, Metapher u.a. Stilfiguren verdeutlichen in zugespitzter Form (teils auch mit bewußten Überspitzungen) das subjektive Werturteil des Verfassers über problematische gesellschaftliche Erscheinungen. Die Miniatur ist ein Genre, das sich erst herauszubilden beginnt. Es ist eine episch-lyrische Kleinform. Mit den anderen epischen Formen der Gegenwartsliteratur hat sie gemein, daß sie nicht in Versform abgefaßt ist. Die Miniatur stellt jedoch keine in sich geschlossene Geschichte dar, sondern sie ist eine eher bildliche Darstellung von Situationen und Vorgängen, deren Verarbeitung für den Verfasser zum individuell bedeutsamen Ereignis geworden 16
ist. Wie in der Lyrik ist die Darstellung sehr subjektiv und auf das Ich des fiktiven Darstellers bezogen, das nicht unbedingt im Text als «Ich» erscheinen muß. Wahrscheinlich wurde Genrebezeichnung aus der bildenden Kunst übernommen, in der man unter Miniaturen Darstellungen auf kleinstem Format versteht, deren Gegenstände Porträts, Genreszenen, Landschaften, mythologische Darstellungen oder Stilleben sein können. 2.1.2. Literarische Kurzepik Das Kunstmärchen ist Schöpfung eines Dichters und existiert von Anfang an in literarischer Gestalt. Es nutzt Motive, Figurentypen und die Erzählweise des Volksmärchens, ist aber in stärkerem Maße an die Weltanschauung und künstlerische Metode des Autors gebunden. Das Kunstmärchen erlebte seine Blüte in der Romantik. In der deutschen Literatur sind die Märchen von J. Musäus, E.T.A. Hoffmann, C. Brentano. W. Hauff, L. Tieck, F. Novalis u.a. bekannt. In den Kunstmärchen erscheint das tradierte Erzählmuster in einer modernen Kunstprosa aufgehoben, sie wenden sich an Erwachsene. Die Erzählung ist ein episches Genre mittleren Umfangs, das, nicht durch strenge ästhetisch-strukturelle Gesetzmäßigkeiten charakterisiert, eine große inhaltliche und formale Elastizität aufweist. Die Erzählung konzentriert sich auf eine Begebenheit, einen Lebensabschnitt oder das Lebensschicksal einer Figur, die in der natürlichen, chronologischen Folge und mit der Möglichkeit des offenen Schlusses dargeboten werden. Die lockere und zugleich dehnbare Struktur läßt sowohl Milieu- und Naturbeschreibungen als auch Reflexionen und Kommentare des Autors zu. Der Stoff der Erzählung ist, ihrer Neigung zur unmittelbar realistischen Darstellung entsprechend, vorwiegend der Wirklichkeit geschichtlicher Vergangenheit und Gegenwart entnommen; das schließt indessen phantastische Sujets; eine erhöhende pathetische Darstellung, wie auch satirische oder parabelhafte Behandlungsweise nicht aus. Die Erzählung steht als Gattung zwischen der Novelle und dem Roman. Im Gegensatz zur Novelle treten die Konzentration auf ein Mittelpunktereignis und die Zuspitzung des Konflikts zurück. «Mit dem Roman teilt sie (die Erzählung) den Reichtum der Handlungen, mit der Novelle die Kürze der Szenen, aber nicht deren Straffung auf eine Mitte. Sie ist beweglicher und ohne durchgehende Formstruktur; jede einzelne Erzählung schafft sie sich neu» [Reallexikon 1965, 32]. Die Kurzgeschichte > Lehnübersetzung von engl. short story, beschränkt sich in der Regel auf einen Handlungsabschnitt oder ausführliche Darstellung der vorangegangenen und nachfolgenden Entwicklung. Der «offene Schluß» ist als Merkmal der Kurzgeschichte oft hervorgehoben worden. Er bedeutet keinen fragmentarischen Textabbruch, sondern vielmehr eine Art Notschluß der Handlung, bei dem das eigentliche Problem weiterhin gilt. Insofern bedingt dieser Textschluß zumeist eine implizite Aufforderung an den Leser, an sein Mitleid oder seine Empörung, die zur Auseinandersetzung mit den dargestellten Schwierigkeiten oder Ereignissen und ihren Analogien in der Erfahrungswelt 17
des Lesers drängt. Das setzt auch inhaltlich eine Nähe zur Erfahrungswelt oder Verständniswelt des Lesers voraus. So werden zumeist alltägliche oder alltäglich mögliche Ereignisse in der Kurzgeschichte dargestellt, die jedem Menschen in ähnlicher Situation passieren können. Man hat daher die Kurzgeschichte zu Recht eine «demokratische Prosaform» genannt, die großen bedeutenden Ereignissen oder Figuren meidet und die momentane Wichtigkeit des AlltäglichGewöhnlichen hervorhebt. Dem «offenen Schluß» der Kurzgeschichte entspricht der «offene Eingang», der mit der «Kunst des ersten Satzes» bzw. der ersten Sätze knapp die Situation umreißt, in der sich das nachfolgende sinnhaltige Geschehen vollzieht. Der «offene Anfang» wie der «offene Schluß» bedingen das, daß auch der Inhalt der Kurzgeschichte auf ein Ereignis, oft auch auf eine kleine Zeitspanne und den gleichen Ort konzentriert bleibt. Die Kurzgeschichte ähnelt darin dem antiken Drama mit seinen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung. Auch die erzählerische Darbietung der meisten Kurzgeschichten besitzt eine ähnliche Unmittelbarkeit wie ein Drama. Der kommentierende Erzähler fehlt hier oft; der Erzählinhalt wird meistens durch einen Ich-Erzähler (so oft bei H. Böll) oder in personaler Erzählweise (z.B. oft bei W. Borchert) dargeboten. Der Ich-Erzähler ist in der Regel dabei zugleich Handlungsfigur, die häufig diejenige ist, die das Geschehen erleidet. Ihre Gedanken und Empfindungen machen einen Großteil mancher Texte aus. Die Kurzgeschichte zeichnet sich eben durch Kürze und damit Komplexität ind Suggestivität aus. Auf kleinem, nicht sehr umfangreichem Raum wird eine Geschichte ausgebreitet, die sowohl in der Raum-, Zeit- und Figurendarstellung sowie in der Handlungsführung mit Aussparungen und Andeutungen statt Entfaltung bzw. mit Ausschnitten nach dem pars pro toto-Effekt arbeitet. Ein wegen seiner Kürze intensiv auf den Leser einwirkender Text, der Aussparungen enthält und in dem das Gesagte, eben weil es gesagt wird, um so bedeutungsvoller wird, erreicht eine große Komplexität. Denn jedes Textelement kann genau wahrgenommen und zu den anderen in Bezug gestellt werden. So wird dem Text Suggestivität verliehen, indem er den in den Bann geschlagenen Leser zu imaginativer, intellektueller, kombinierender Mitarbeit einlädt, die vor allem darin besteht, diese Komplexität erkennbar zu machen und die durch Aussparung entstandenen Leerstellen zu füllen. Verdichtende und intensivierende Formmittel, die die Kurzgeschichte verwendet, sind die ausschnittweise oder fragmentarische Darstellung eines Geschehens und der Wirklichkeit, die Abruptheit oder Offenheit von Anfang und Schluß, zeitliche Sprung-, Raffungs- und Überlagerungstechniken, Ökonomie und Verweisungsintensität der Raumdarstellung, die Reduktion des Figurenarsenals auf zwei oder drei Personen, die pointierte Dialogisierung, die Symbolisierung (vielfach mittels eines Dingsymbols), der parataktische Satzbau und der Rätselcharakter des Titels. 18
Zum Stilzug der Verknappung gehört sicherlich auch der in vielen Kurzgeschichten verwandte «offene Beginn», unmittelbar überraschende Anfang, der den Leser gleich in eine Situation hereinführt, die zu rekonstruieren er erst durch die ihm sukzessive zugespielten Daten aufgefordert ist. So ist es häufig der Fall, daß die Geschichte mit der Nennung eines Personalpronomens beginnt, zu dem das Nomen erst später hinzutritt. Oder die Geschichte setzt mit einer Handlung ein, deren Ursache erst später zu rekonstruieren ist. Häufig verhält es sich auch mit der Rekonstruktion der Vorgeschichte so, daß sie erst durch verstreute, aber dann zusammengesetzte Informationen, die der Text bietet, erzählbar wird. Mit dem unvermittelten, unmittelbaren Beginn schafft der Autor u.a. auch Spannung und Interesse am Weiterlesen. Die Kurzgrschichte kann mit Leitmotiven, sprachlichen Bildern, Motivoder Bildketten arbeiten, sie kann durch die Arbeit mit einem Leitsymbol fokussieren, sie operiert mit indirekten Hinweisen, Andeutungen. Ihr dominierendes Stilprinzip ist die Verknappung. Aus dem Prizip der Verknappung und der dadurch erreichten Intensivierung resultiert auch das Prinzip der Reihung, der oft asyndetischen Parataxe, konjunktionsloser Fügungen, verbloser elliptischer Sätze. Die Kurzgeschichte bedient sich der Bedeutungsverdichtung, so daß im Extremfall jedes Wort, jeder Satz wichtig werden kann, wodurch der Leser zu äußerst konzentrierter, lesender Mitarbeit eingeladen wird. Äußerlich mag die Sprache einfach und unprätentiös erscheinen, weil die Wortwahl oft alltäglich und umgangssprachlich ist, doch erreicht sie ihre hintergründige Qualität indirekt, denn das thematisch Bedeutsamste findet sich oft auffällig in einem Nebensatz, so daß der Leser es überall erwarten muß. So erhalten Worte, die auf den ersten Blick banal wirken, eine sinngerichtete, andeutende, eventuell pointierende Funktion; sie kalkulieren also eine bestimmte Lesererwartung mit ein. Das findet sich vielfach bei untertreibendem Stil, vor allem, wenn die stark verkürzende und verdichtende dialogische Gestaltung eingesetzt wird. Einerseits ist so die Beschreibung ausgespart, da das Verhalten der Figuren aus der direkten Rede hervorgeht und sie auf diese Weise charakterisiert, andererseits trägt das zur Offenheit und Vergegenwärtigung des Dargestellten bei. Denn die umgangssprachliche, dialodisch-aussparende Diktion sorgt für Spannung und Wirklichkeitsnähe, teils weil die unmittelbare direkte Rede in Verbindung mit personalem bzw. neutralem Erzählverhalten eine Gegenwartsfiktion schafft, teis eine solche Diktion die Kurzgeschichte leserbezogen betont und offen hält, indem die Erklärungen beispielweise für unverständliches – vielleicht widersprüchliches – Verhalten fehlen, so daß der Leser zum Mitgehen und Mitdenken in das Geschehen eingespannt wird. Wer eine Kurzgeschichte verstehen will, muß wie bei der Betrachtung lyrischer Dichtung offen sein für die geheime Bewegung der Sprache. Er muß sich um den Text bemühen, indem er unvoreingenommen auf das hinhört, was 19
in den Worten anklingt, was zwischen den Zeilen mitschwingt und was sich in scheinbar beiläufigen Bildern und Gesten an Lebensfülle und tieferer Bedeutung offenbart. Es wird sich als vorteilhaft erweisen, wenn der Leser gerade von solchen Stellen ausgeht, an denen er sich schon bei der ersten Lektüre gestoßen hat. Die Wesensmerkmale der Kurzgeschichte sind: • Stoffwahl aus dem Alltagsleben; • umgangssprachliche Durchgestaltung, weitgehend dialogischer Art; • Unabgeschlossenheit am Anfang und zum Schluß; • keine örtliche und zeitliche Konkretisierung; • knappe Skizzierung des Raums, oft gleich zu Beginn, äußerste Konzentration auf engstem Raum; • überraschende Wende; • rätselhafte Andeutung des Titels auf das Geschehen; • ständige Verweisung auf einen tieferen Sinn und damit eine starke Neigung zum Symbolischen; • andeutende Stilmittel wie Bilder, Symbole, Leitmotive, Wiederholungen und Variationen, die der Sprache eine Aussagekraft verleihen. Die Kalendergeschichte ist seit Mitte des 19. Jhs. gebräuchliche Sammelbezeichnung für kürzere volkstümliche Erzählungen, die zur Unterhaltung und Belehrung für Kalender, im 20. Jh. auch als fingierte Kalendergeschichten verfaßt wurden. Sie vereinigte in unterschiedlichen Proportionen – Elemente des Schwanks, der Anekdote, Legende oder Novelle und machte den Kalender zu einer beliebten Volkslektüre, wovon z.B. Des Abenteuerlichen Simplicissimus Ewig währender Kalender (1670/71) von H. J. Ch. Grimmelshausen oder der Wundergeschichten Kalender (1669/73) zeugen; die Calendarien wurden nach und nach verdrängt, indem im Unterschied zu Bauernpraktiken usw. eine Spezialisierung auf Kalendergeschichten stattfand. Im 18.Jh. vor allem im Südwesten des deutschen Sprachgebietes weiter ausgebildet, war die Kurzgeschichte seit 1780 ein fester Bestandteil der Volkskalender wie etwa des Lehrer Hinkenden Boten (1801), der das Vorbild für in anderen Städten erscheinende «Hinkende Boten» wurde, oder auch des von J. P. Hebel redigierten Kalenders Der rheinländische Hausfreund (1808/11; die Kalendergeschichten gesammelt als Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, 1811). Die unabhängig von ihrer ursprünglichen Publikationsform geschaffene deutsche Kalendergeschichte hat ihre herausragenden Meister in O. M. Graf (Bayrisches Dekameron, 1927; Kalendergeschichten, 1929; Mitmenschen, 1947), B. Brecht (Kalendergeschichten, 1949) und E. Strittmatter (Schulzenhofer Kramkalender, 1967). Das Belehrende der Kalendergeschichte und auch die Einbindung in die Bedürfnisse eines Kalenders und seiner Rezipienten sind konstitutive Merkmale dieses Genres. 20
Thema 3. Großepik 1. Das Epos. 2. Die Saga, das Volksbuch. 3. Die Novelle. 4. Der Roman. 1. Das Epos (griech. Ausdruck, Wort, Rede, Erzählung, Kunde, Sage, Lied) ist eine in der Literatur der meisten Völker schon früh auftretende epische Großform in Versen, wodurch die Gattung der Epik in ihren wesentlichen Merkmalen konstituiert wird; es erzählt von wichtigen Ereignissen aus der Geschichte des jeweiligen Volkes, von Sagen ihrer Helden oder aus der Mythologie und Götterwelt, womit es zugleich ein Welt-Bild aufbaut. Das Epos wurde zunächst mündlich überliefert, an Fürstenhöfen von Rhapsodien – mit Instrumentalbegleitung – vorgetragen, welche die für seine Gestaltung erforderlichen metrischen Voraussetzungen (stereotype Vers- und Zeilenbildung, Versmaße, Strophenformen) und sonstigen formalen Komponenten (Epitheta und Vergleiche, charakteristische Szenen, Muster der Schilderung von Gegenständen, Festen, Spielen, Kämpfen usw.) kannten; vom Auftreten des griechischen Rhapsoden vermittelt Homer (Odissee, 8. Buch) eine lebendige Vorstellung. Indem das Volks-Epos im Unterschied zum späteren Kunst-Epos und Roman unter erst wenig ausgebildeten gesellschaftlichen Verhältnissen – zwischen Gentilverfassung und Frühfeudalismus – entstand, in denen der (heute als solcher nicht mehr bezweifelte) persönliche Verfasser «noch kein von der Nation und deren Dasein abgelöstes inneres Vorstellen und Empfinden besaß» (Hegel, Ästhetik), ging es rasch in den Allgemeinbesitz über und wurde zumeist anonym übermittelt. Daher ist es lange Zeit als poetischer Ausdruck der Volksphantasie (wie etwa in der deutschen Romantik) oder auch als Schöpfung mehrerer Autoren verstanden worden. Größte Berühmtheit erlangte bei den verschiedenen Völkern und in der Weltliterarur sicherlich das Heldenepos. In Europa stehen von Homer im 8. Jh.vor unserer Zeitrechnung gedichteten und im 6. Jh. v. u. Z. aufgezeichneten Epen Ilias und Odyssee am Anfang der Eposgeschichte, denen im augusteischen Rom Vergils Aeneis (1. Jh. v. u. Z.) folgt, die zum Vorbild für das lateinische Epos des Mittelalters wurde. In der Renaissance entstanden auf der Grundlage erwachenden bürgerlichen und nationalen Bewußtseins in Italien Dantes' La Divina Commedia (erschienen 1320). Nach Übersetzungen griechischer und römischer Epen sowie nach Versuchen, das Epos – sei es als christliches oder nach dem Muster des Heldenepos – fortzuführen (F.G. Klopstock, Der Messias,1748/73), wurde im Zuge der Aufklärung und der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft das Epos allmählich vom Roman abgelöst. Schiller und Goethe erörterten 1797 in ihrem Briefwechsel die historische und gattungstheoretische Voraussetzungen dafür; Hegel (Ästhetik) charakterisierte z. B. die Bedingungen, die das 21
Zustandekommen von Goethes Hermann und Dorothea (1797) als zur Idylle tendiertes bürgerliches Epos ausnahmsweise ermöglichten. 2. Die Saga (isländ., Geschichte, Erzählung), erwuchs in der bäuerlichen Gentilgesellschaft Islands als Prosaerzählung unterschiedlichen Charakters und verschiedenartiger Thematik. Obgleich wie die Sage zumeist von anonymen Verfassern geschaffen, ist die Saga doch scharf von der Sage zu scheiden, da es sich nicht um Volksdichtung handelt. Die erzählende (epische) Großform der Saga, die zumeist autobiographisch angelegt war, ist wahrscheinlich unter dem Einfluß kontinentaler, vor allem lateinischer Prosaerzählungen – Viten (Biographik), Legenden u.ä. – entstanden. Unter Verwendung von Familientraditionen und zeitgenössischen Ereignissen, von Sagen- und Märchenmotiven schildern darin phantasiebegabte und lebenskluge Verfasser des 13. Jh., die auch mit dem Feudalismus auf dem Kontinent, in England und Skandinavien bekannt waren, isländische Bauern des 9./11. Jh. mit vielen realistischen Zügen und geschliffenen Dialogen in oft sehr dramatischer Weise. Diese Gruppe, die – obschon in den historischen Einzelheiten nicht zuverlässig – ein künstlerisch gestaltetes Bild von der ausgehenden Gentilgesellschaft vermittelt, bildet den wertvollsten Teil des nationalen Kulturerbes Islands, zumal große Kunstprosa mit einem solchen Gegenstand und Stil kein anderes Volk im Mittelalter aufzuweisen hat. Das Volksbuch, das Genre der erzählenden Prosa, ist besonders im 16. Jh. als volkstümliches Buch bekannt geworden. 3. Die Novelle (ital. novella – Neuigkeit) ist als Genre der epischen Gattung, seit der Renaissance Bezeichnung einer zuerst in Italien ans Licht getretenen kürzeren Erzählung episch-dramatischen Charakters in Versen oder Prosa, obwohl novellenartige Geschichten bereits bei den Völkern des Altertums fanden. Im 14. Jh. erreichte die Prosanovelle ihren Höhepunkt im Schaffen des italienischen Schriftstellers Boccachio («Dekameron»). Sie war Ausdrucksmittel des frühkapitalistischen Bürgertums, das seine neue Ideologie und seinen gesellschaftlichen Optimismus in dieser Genreform zum Ausdruck brachte. Im Zuge der Herausbildung der Nationalliteraturen erlangte die Novelle spätestens seit der Aufklärung zunehmend in ganz Europa Bedeutung. In Deutschland tauchte die Novelle um die Wende vom 18. zum 19. Jh. auf, als das Bürgertum sich energisch zum Kampf um seine Befreiung erhob. Der erste deutsche Dichter, der Novellen schrieb und auch theoretisch dieses Genre begründete, war J. W. v. Goethe («Die Novelle», «Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter»). Goethe hat die Novelle in seinen Gesprächen mit Eckermann am 25. 1. 1827 «eine sich ereignete unerhörte Begebenheit» genannt. Seit dieser Zeit war die Novellentradition in der deutschen Literatur sehr stark (H. Kleist, G. Keller, Th. Storm, Th. Mann, A. Seghers, W. Borchert, M. Frisch, F. Fühmann, E. Strittmatter, F. Dürrenmatt u.a.). Die Fähigkeit, im raschen Wechsel der Ereignisse neue Stoffe oder Gegenstände aufzunehmen sowie unerwartete Wendungen als Realität und damit als wahr zu gestalten, gestattete 22
es, das Eigentümliche der gesellschaftlichen Bewegung jeweils adäquat und kritisch abzubilden. Sie zeichnet sich durch einen relativ geringen Umfang aus und konzentriert sich nur auf eine beschränkte Zahl der Figuren, oft auf eine einzige, und nur auf eine Begebenheit, auf ein einzelnes Ereignis, das in den Mittelpunkt des Geschehens tritt. So wird am Einzelfall das Allgemeine sichtbar. Die Novelle unterliegt drei Gesetzen: dem Gesetz der Ersparung, der motivischen Einheit und der Verschmelzung. Zum Unterschied der Novelle vom Roman. Es gibt zwei Grundmöglichkeiten epischer Welterfassung: die novellistische und die romanhafte; sie beruhen auf den verschiedenen Möglichkeiten, Mensch und Welt darzustellen: Synthesis und Analysis, Intensität und Extensität, Eingliederung und Ausgliederung. Das Leben wird jeweils wie durch einen Hohlspiegel gesehen: das Große klein oder das Kleine groß. Diese beiden Grundmöglichkeiten entsprechen den beiden Gattungsarten Roman und Novelle oder gleichsam Konvexspiegel und Konkavspiegel. Was das Gesetz der Ersparung betrifft, so läßt es sich hervorheben, daß die Novelle einen bestimmten Zeitraum umfaßt und der Handlungsort nur erwähnt wird. Der Roman müßte jedoch die Landschaft, die Gesellschaft, die wirtschaftlichen Verhältnisse ausmalen. Der Roman muß das Psychologische entfalten, die Novelle rafft es zusammen und wird auf diese Weise poetisch wirksam: die Vielfalt des menschlichen Lebens wird in einem bildhaft-konkreten Einzelzug zusammengezogen. Der Roman schildert die Erregung der Menschen und ihre Seelenzustände, die Novelle faßt alldies in ein Symbol zusammen. Zum Gesetz der motivischen Einheit sei folgendes betont. Der Roman knüpft die Schicksalsfäden in der – gelegentlich nur schwer überschaubaren – Fülle, die motivische Einheit der Novelle verlangt die Herauslösung des Einzelschicksals aus der Schicksalsverflechtung. Die Novelle gestaltet also nur ein Einzelschicksal (oder die Schicksale einiger weniger Personen), der Roman – ein Schicksalsgeflecht. Die motivische Einheit der Novelle besteht in der gehaltlichen und stofflichen Einheitlichkeit des Dargestellten, in der stilistischen Synthesis. Der Roman kennt eine solche Einheit nicht, sein Wesen besteht vielmehr darin, daß viele gleichbedeutende Situationen in ein harmonisches Verhältnis gebracht werden. Das Gesetz der Verschmelzung oder der Zuspitzung kann sich in verschiedenen Möglichkeiten und Extremen ausdrücken. Im Roman werden die Gegensätzlichkeiten in ein logisches, systematisches und «ganzes» Weltgebäude gebracht und dort vereinigt. Im Roman herrscht das Gesetz der Abrundung; in der Novelle das der Zuspitzung. Jede Novelle besitzt eine solche Pointe. Für den Bau der Handlung in der Novelle ist die Zuspitzung auf den Höhepunkt charakteristisch; alle Punkte der Handlung weisen auf diesen Höhepunkt; der Schriftsteller verweilt nicht bei dem Schicksal von Nebengestalten, obwohl eine gewisse Selbständigkeit einzelner Teile – 23
Naturbilder, Milieuschilderung u.a. – möglich ist. Manchmal hat die Novelle einen Erzählrahmen, in welchem der Autor entweder seine persönliche Stellungnahme ausspricht oder den Leser in die Erzählsituation der Binnenerzählung einführt. Charakteristische Merkmale der Novelle sind: • beschränkte Zahl der handelnden Personen; • Zuspitzung auf den Höhepunkt; • Offenbaren des Allgemeinen am Einzelfall; • der Rahmen, in den die eigentliche Geschichte eingebunden ist. 4. Der Roman ist eine der formenreichsten und variabelsten Gattungen der Großepik. W. Kayser gibt foldende Definition des Genres: «Die Erzählung von der privaten Welt in privatem Tone heißt Roman»[Kayser 1961]. Der Roman zielt auf eine komplexe synthetische Darstellung. Goethe bezeichnete den Roman als «eine subjektive Epopöe, in welcher sich der Verfasser die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln» (Maximen und Reflexionen). Er ist ein offenes Genre und manifestiert die «Weltbeziehung des Erzählers, seine moralische, ästhetische, politische, soziale, ökonomische und philosophische Haltung, seine Position in der Welt und die vielfältigen Bezüge, welche er zur Wirklichkeit hat...» (Karalaschwili 1978, 242). Diese Komplexität des Gegenstandes des Romans hat auch formale Konsequenzen: Romane stellen in der Regel nicht nur eine einsträngige Handlung dar, sie sind umfangreicher als andere Erzähltexte und können deshalb in ihrer Komposition und in ihrer kommunikativen Grundstruktur sehr vielschichtig sein. Es gibt keine einheitliche Klassifikation der Romanformen. Jede Gliederung beruht auf einem oder anderem Prinzip. Subtypen des Romans werden dennoch vor allem nach den dargestellten Themen bezeichnet (Entwicklungs- und Gesellschaftsroman, Abenteuer-, Künstler-, Maler-, Heimat, Kriminalroman, historischer Roman usw.), nach weltanschaulicher oder ästhetischer Wirkungsabsicht (religiöser, satirischer, philosophischer, TendenzRoman) oder im Hinblick auf den Leserkreis und dessen Geschmack (Frauen-, Unterhaltungs-Roman) erweist sich die Variabilität des Romans, ohne daß eine tatsächlich umfassende Definition gelänge. Der Künstlerroman, in dem der Künstler oft das Modell universellen menschlichen Vermögens abgab, etablierte sich um 1800 als eine Erscheinungsform des Bildungsromans (G.Ph.Fr.F. v. Novalis, L. Tieck, C. Brentano u.a.). Der Form nach unterscheidet man z. B.: Ich-Roman, Briefroman, Tagebuchroman usw. Charakteristische Merkmale des Romans sind: • Komplexität und Vielschichtigkeit; • mehrere Sjuetlinien und Gestalten; • zeitliche und örtliche Konkretisierung; • Darstellug des Menschen in komplizierten Lebensverhältnissen.
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Thema 4. Die Lyrik Die Lyrik (von griech. lyrikos = zum Spiel der Leier gehörig) ist die subjektivste Gattung der Literatur. Während gemeinhin Lyrik ein Sammelbegriff für in gebundener Rede abgefaßte Gedichte, Lieder und Sprüche ist, bezeichnet das Lyrische den Wesenszug der Stimmung und Musikalität, an dem eine Dichtung unabhängig von ihrer Gattungszugehörigkeit, mehr oder weniger Anteil haben kann. Ihrem Wesen nach ist Lyrik die Antwort eines Ich auf eine Begegnung mit der Welt. Ihr Inhalt ist nicht nur Stimmung und Gefühl, sondern kann auch eine Erkenntnis, ein Wollen sein; sie ist Ausdruck jedes seelischen Erlebens von Äußerem und Innerem. Das Lyrische bedeutet unmittelbare Kundgabe der Selbstaussage eines Dichters, der seinen Gefühlen, Vorstellungen und Gedanken einen monologischen Ausdruck verleiht. Das lyrische Ich steht dabei stellvertretend für die menschliche Subjektivität schlecht hin, so daß sich der Leser, ohne es zu wissen, mit den in einem lyrischen Gedicht enthaltenen Empfindungen identifiziert und lyrische Verse vor sich hin spricht, als kämen sie aus seiner eigenen Vorstellungswelt. Das echt lyrische Gedicht ist zeitlos. Es hält etwas Einmaliges fest, das zu allen Zeiten wieder lebendige Gegenwart werden kann. Der spezifische lyrische Raum ist die Innenwelt; sogar Äußeres bedeutet hier Innenwelt. Formen der Lyrik sind Ballade, Elegie, Hymne, Kirchenlied, Minnesang, Ode, Sonett, Volkslied, Liebesgedicht, Naturgedicht. Das formale Wesen der Lyrik wird im Vers gesehen. Zu den Formelementen der Lyrik gehören: der Vers, die Strophe, der Reim, das Metrum. Der Vers (lat. versus = das Umwenden, gepflügelte Furche, Reihe, Linie, Zeile) ist die kleinste Gliederungseinheit einer Dichtung. Das ist die Zeile einer Strophe, die oft mit einem Reim endet. Die Strophe (griech. = Wendung) ist eine bestimmte Zahl von Versen, die in regelmäßig wiederkehrender Zusammenstellung geordnet wird. Ein wichtiges Mittel dieser Ordnung ist der Reim. Der Reim ist der Gleichklang aller Laute zweier oder mehrerer Wörter vom letzten betonten Vokal an. Falls nur die Vokale reimen, spricht man von Assonanz. Nach ihrer Stellung werden Reime am Versende Endreime, im Innern Binnenreime genannt. Will man ein Schema der Reimordnung in einer Versgruppe aufstellen, bedient man sich der Kleinbuchstaben als Symbole. Der erste Reim wird mit «a» bezeichnet, der zweite mit «b» usw. Häufige Reimstellungen sind: – abab (Kreuzreim), – aabb (Paarreim), – abba (umarmender Reim), – aabccb (Schweifreim). 25
Nach der Art des Silbenschlusses ergeben sich zwei Reimtypen: 1) der männliche Reim, wenn das Reimwort mit einer Betonung endet (fiel – Spiel); 2) der weibliche Reim, wenn das Reimwort mit einer unbetonten schließt (endet – versendet). Eine einzelne nicht gereimte Zeile in einer Versgruppe nennt man «Waise». Das Metrum ist eine regelmäßige Tonfolge, die in einem regelmäßigen Wechseln von betonten und unbetonten Silben besteht. Die kleinste Einheit einer Tonfolge bezeichnet man als Takt. Es sind folgende Taktarten zu unterscheiden: 1. Der Jambus besteht aus einer unbetonten und einer betonten Silbe (x 'x): z.B. Her 'bei, her 'bei! 2. Der Trochäus besteht aus einer betonten und einer unbetonten Silbe ('x x): z.B. 'einzig 'Hochzeit! 3. Der Anapäst besteht aus zwei unbetonten und einer betonten Silbe (xx 'x): z.B. Wie mein 'Glück, ist mein 'Lied. 4. Der Daktylus besteht aus einer betonten und zwei unbetonten Silben ('xxx): z.B. 'Wasserfall Die Sprechform der Lyrik ist der Monolog, unmittelbare Aussage in direkter Rede, wenn man will, ein Stück des lautgewordenen Bewußtseinsstroms, vom Dichter eingefangen und künstlerisch durchgeformt. Die Sprache der Lyrik ist durch die Dominanz der häufigen Verwendung von Stilfiguren gekennzeichnet. Das Eigentliche kann durch die Assoziationen nur andeutungsweise ermittelt werden. Thema 5. Die Dramatik 1. Das Drama. 2. Typen und Gattungen des Dramas: 2.1. Die Tragödie. 2.2. Die Komödie. 2.3. Die Tragikomödie. 1. Das Drama (> griech. Handlung) bedeutet die Bühnendarstellung einer knappen, in sich geschlossenen Handlung vor einem Publikum. In dieser Handlung wird durch Dialog und Monolog agierender Figuren ein Konflikt entfaltet. Die Definition enthält Merkmale, durch die sich das Drama von den anderen Gattungen unterscheidet («Bühnendarstellung»), und solche, die es mit der erzählenden Dichtung gemeisam hat («in sich geschlossene Handlung»), «Dialog und Monolog», «Konflikt entfaltet sich». Das Drama hat die Darstellung menschlichen Schicksals durch die Handlung mit dem Epischen gemeinsam. In der Dramatik spielen sich Aktionen und Gegenaktionen ab. In sichtbaren und hörbaren Handlungen und Ereignissen werden die Folgen innerer Vorgänge, äußerer Handlungen und Ereignissen dargestellt und gemimt. Hier werden 26
Konflikte und Probleme ausgetragen; der Held setzt sich mit einer entscheidenen Frage, mit anderen oder mit sich selbst auseinander. Im Spielraum des Dramas wickelt sich das Geschehen als echte Gegenwart ab und begibt sich unmittelbar vor unseren Augen auf der Bühne. Es ist realer Ablauf in der realen Zeit und aktuelle Präsenz. Das Drama stellt auch Seelisches in den konkreten Raum der Bühne hinein. Der Inhalt des Dramas entfaltet sich in der sprachlichen Form der direkten Rede, in den Dialogen und Monologen der handelnden Personen. 2. Typen und Gattungen des Dramas: Der Begriff der «Gattung» dient nicht nur drei großen Dichtungsarten Epik, Lyrik, Dramatik, sondern auch zur Unterscheidung der vielen dramatischen Typen und Formen. Die Gattungen des Dramas sind: Tragödie, Komödie, Tragikomödie. 2.1. Die Tragödie [griech. tragodia, lat. tragoedia (< griech. tragos = Bock; oder Gesang; den als Opfertier dargebrachten Bock geltender Gesang)] ist eine der Grundgattungen oder Hauptformen des Dramas; dramatisch gestaltete Tragik. Tragik ist immer durch Werte und Wertbeziehungen fundiert und ausgerichtet auf Vernichtung eines positiven Wertes einer bestimmten Ranghöhe. Tragisch ist der Konflikt, der innerhalb der positiven Werte und ihrer Träger selbst waltet. Im Mittelpunkt steht die Darstellung eines Konflikts, der den Helden in den Untergang führt. Entstanden im alten Griechenland aus Kultritualen; namentlich aus dem seit dem 6. Jh. v. u. Z. aufgeführten Dithyrambus (Chorlied), stellte sie dann ernste Begebenheiten aus Mythen und Herrschergeschlechtern dar, in welcher Gestalt sie zum bevorzugten Medium für die szenische Darstellung tragischer Konflikte wurde. In der Geschichte des Dramas hat sich die szeniswche Vergegenwärtigung tragischer Konflikte, die sich aus dem spannungs-und kollisionsreichen Verhältnis eines Helden zu seiner Umwelt ergeben, bis heute als relativ konstante Strukturkomponente der Tragödie erwiesen. Die klassische Tragödie hat wesentlich zur Ausbildung einer einheitlichen Nationalsprache, insbesondere der Literatursprache beigetragen sowie zugleich – durch das grundlegende Formprinzip, künstlerische Vollendung mit klaren und anschaulichen Mitteln zu erstreben, die Verlagerung der eigentlichen Handlung in das Innere des Helden, die geschlossene Form u. a. – die Entwicklung der dramatischen Gattung selbst in hohem Maße gefördert und die Möglichkeiten dramatischer Gattung bereichert. Einen Höhepunkt erreichte die Tragödie in der Weimarer Klassik, die – nach ShakespeareRezeption Lessings, Herders u. a. – eine Synthese zwischen antiker und moderner Tragödie anstrebte. Nach dem Vorbild Shakespeares, der das Alte und das Neue in seinen Stücken ins Gleichgewicht zu setzen wußte, benutzten J. W. v. Goethe, F. Schiller und auch H. v. Kleist die tradierte Form der Tragödie zur Vermittlung ihres unerschütterten Glaubens an die Geschichtsmächtigkeit des Individuums anhand typisch aufklärerischer Konflikte: Inwieweit z.B. der Mensch als moralisches Wesen historischgesellschaftliche Schranken übersteigen und so zu seinem Gattungswesen 27
gelangen könne, oder wie in einem bedeutenden Charakter verkörperte «Weltzwecke» (Hegel) sowohl mit den Grenzen des Charakters als auch mit gesellschaftlichen Widerständen zu kollidieren vermögen. In der Regel erwächst der tragische Konflikt bis ins 19. Jh. hinein innerhalb der gehobenen sozialen Schichten. Eine Ausnahme macht lediglich das «bürgerliche Trauerspiel»; hier erwächst der tragische Konflikt aus dem «Zusammenprall» zweier Stände; die Träger der positiven Werte gehören zwei verschiedenen Ständen an (Adel und Bürgertum) oder gar beide dem Stand, der bisher eines tragischen Konfliktes nicht für fähig gehalten wurde (Bürgertum). 2.2. Die Komödie (griech. komos = Umzug (von Bezechten) ist die Darstellung des Komischen im Kontrast zum Üblichen, zum Gewohnten. Sie hat einen desillusionierenden Charakter. Die Auseinandersetzung geht von menschlichen Schwächen aus und endet versöhnlich. Übergreifende, sich historisch allerdings modifizierende Merkmale der Komödie sind folgende: • meist glücklicher oder doch versöhnlicher Handlungsausgang; • thematisch-stoffliche Zuordnung zum Bereich des Alltäglichen (nicht des Erhabenen), wobei jedoch alle Mittel des Phantastischen, Surrealen usw. zugänglich sind; • der Standpunkt der Komödie war fast immer der der sozial Niedriggestellten (unterdrückter Klassen, Schichten usw.), daher ihre grundsätzliche Respektlosigkeit gegenüber offiziellen Normen und Institutionen wie ihre Potenz, als Bestandteil einer nichtoffiziellen («zweiten») Kultur die Sehnsüchte und Wertvorstellungen des einfachen Volkes positiv artikulieren zu können; • ebenfalls das Personal der Komödie entstammt traditionell im Gegensatz zur Tragödie diesen Gesellschaftsschichten, was bis in die zweite Hälfte des 18. Jhs. durch die Ständeklausel (ständische Gattungstrennung) sogar vorgeschrieben war; • die Tendenz – insbesondere im eigentlichen Lustspiel – zu stereotypen Handlungsstrukturen, in denen gesellschaftliche Erfahrung bereits vorgeprägt erscheint, sowie zur Typisierung sowohl ihrer einzelnen Charaktere wie des Figurenensembles. Unter den deutschen Komödien war Lessings Minna von Barnhelm (1767) «die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt» (Goethe, Dichtung und Wahrheit, 7. Buch). Die Entwicklung der bürgerlichen Komödie im 19. und 20. Jh. ist außerordentlich vielschichtig und heterogen verlaufen. 2.3. Die Tragikomödie ist eine dramatische Mischform: ein tragischer Stoff wird komisch behandelt. Es ist ein Drama, in dem tragische wie komische Wertung und also die wirkungsstrategisch-strukturellen Elemente des Werkes in einem unentschiedenen Verhältnis zueinander stehen, so daß es weder als Komödie noch als Tragödie eindeutig zu bestimmen ist. Hier werden objektiv 28
tragische – oder wenigstens bedrohliche – Wiedersprüche, Konflikte, Vorgänge auf komische Weise dargestellt bzw. vordergründig komische Sachverhalte in ihrer letztlich tragischen Determiniertheit ergründet. Die Anfänge der Tragikomödie im modernen Verständnis können in der deutschen Dramatik etwa mit J. M. R. Lenz (Der Hofmeister, 1774) angesetzt werden; es folgten H. v. Kleist (Amphitryon, 1806) und – bereits auch mit grotesken Momenten – G. Büchner (Leonce und Lena, 1836). In der nachklassischen Zeit soll durch die Tragikomödie vor allem die Doppelgesichtigkeit von Leben und Welt sichtbar gemacht werden – G. Hauptmann (Die Ratten, 1911). Nach dem Inhalt unterscheidet man Charakterdramen, Ideendramen, Gesellschaftsdramen, Geschichtsdramen usw. Nach der Form unterscheidet man das Zieldrama (auch «Entscheidungsdrama» genannt) und Enthüllungsdrama (oder analytisches Drama). Hinsichtlich der Formtypen des Dramas sind zwei Formtypen des Dramas zu unterscheiden: offene Form und geschlossene Form des Dramas. Das Drama der geschlossenen Form betrachtet die Wirklichkeit als Material zur Ausprägung einer Idee. Der Prototyp der geschlossenen Form liegt im fünfaktigen Drama vor. Diese Form des Dramas weist eine einheitlich Haupthandlung auf. Das Ensemble der Figuren ist überschaubar. Jede Figur, jeder Schauplatz, jede Szene empfängt ihre Funktion vom Handlungsganzen. Im Vordergrund stehen Bewußtseinsprozesse der Personen, die in der Figurenrede zum Ausdruck kommen. Aufgrund all dieser Merkmale hat man solche FünfAkt-Dramen als «Dramentyp der geschlossenen Form» bezeichnet und alle Stücke, welche sich deutlich davon unterscheiden, unter dem Begriff der «offenen Form im Drama» zusammengefasst. Das Verhältnis zur Wirklichkeit in der offenen Form ist weniger distanziert. Die Welt soll in der Fülle ihrer Einzelerscheinungen präsent sein, eine Vielzahl von Weltausschnitten wird vorgeführt. Die Personen schließen immer neue Weltaspekte auf, ohne für den Zuschauer eine «Idee» von der Welt zu entwerfen. Geistige Zusammenhänge bleiben häufig verdeckt.
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Aufgaben zur Selbstkontrolle I. Beantworten Sie folgende Kontrollfragen. Wodurch unterscheidet sich die poetische (künstlerische) Kommunikation von der Alltagskommunikation? Wie wird die Textfunktion definiert? Welche Bedeutung kommt ihr bei der Textsortenklassifikation zu? Wie wird die Textsorte aufgefaßt? Was liegt der Textsortenklassifikation literarischer Texte zugrunde? Welche drei Hauptgattungen der Literatur sind zu unterscheiden? Durch welche Besonderheiten wird die jeweilige Gattung ausgewiesen? Welche Textsorten werden dem epischen Genre zugeordnet (Kurzepik, Großepik)? 29
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.
Wem gehört die Bezeichnung «einfache Formen»? Welche Grundtypen der Kurzepik gehören dazu? Welche Illokution ist im Märchen dominierend? Charakterisieren Sie die Merkmale des Märchens. Wodurch kommt die Volkstümlichkeit in der Legende zustande? Wie ist die dominierende Sprachhandlung der Sage? Lebt sie heute weiter, wie verändert sich ihre Funktion? Nennen Sie die Wesenszüge des Volksliedes. Welche Merkmale kennzeichnen den Schwank, den Witz, die Parabel? Welche textsortenspezifischen Merkmale weist die Fabel auf? Welche Stellung nimmt sie in der deutschen Nationalliteratur ein? Welche Elemente der einzelnen Hauptgattungen literarischer Texte wirken in der Ballade zusammen? Worin wurzelt die deutsche Ballade? Weisen Sie auf die Wesensmerkmale der Ballade hin. Inwieweit sind die Anekdoten der Ausdruck eines gesellschaftlichen Symptoms oder Symbols und wie sind sie inhaltlich ausgestaltet? Wie sind die Aphorismen und Miniaturen inhaltlich und formal ausgestaltet? Was ist für das Kunstmärchen kennzeichnend? Wodurch unterscheidet sich die Kurzgeschichte von der Erzählung? Welche konstitutiven Merkmale sind in der Kalendergeschichte nachzuweisen? Welche epische Großform erscheint als die frühauftretende Gattung der Epik? Wodurch unterscheidet sich die Saga als Genre der Großepik von der Sage? Durch welche Wesensmerkmale wird die Novelle ausgewiesen? Was hat die Novelle mit dem Roman gemeisam und worin besteht zwischen ihnen der Unterschied? Worin äußert sich die Komplexität des Romans? Welche inhaltlichen und formalen Wesenszüge zeichnen die Lyrik aus? Wie werden die Textsorten der Dramatik (Tragödie, Komödie, Tragikomödie) inhaltlich und sprachlich ausgestaltet ?
II. Ordnen Sie sie charakteristische Merkmale den entsprechenden Genres der Kurzepik (Märchen, Fabel usw.) und der Großepik (Novelle, Kurzgeschichte, Erzählung, Roman), der Lyrik und der Dramatik zu. 1. Die Vorliebe für das Phantastische. 2. Augenblickfixierung. 3. Zuspitzung auf den Höhepunkt. 4. Die übliche Einleitungsformel: «Es war einmal...». 5. Auftreten der Tiere, Pflanzen, Gegenstände, Götter: sprechend und handelnd. 6. Andeutung von Ereignissen, Handlungen. 30
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.
Beschränkte Zahl der Figuren. Der typische Held, dazu auch die typisierenden Namen der handelnden Personen. Traditionelle Tiertypen (der mutige Löwe, der listige Fuchs usw.). Lineare Struktur. Unabgeschlossenheit am Anfang und am Ende. Der Rahmen, in den die eigentliche Geschichte eingebettet ist. Die dreimalige Wiederholung. Moralsatz am Anfang oder am Ende. Vierteiliges Aufbauschema: Situationsschilderung, Rede, Gegenrede, Ergebnis. Stoffwahl aus dem Alltagsleben. Das Offenbaren des Allgemeinen am Einzelfall. Knappe Skizzierung des Raums, oft gleich zu Beginn. Rätselhafte Andeutung des Titels auf das Geschehen. Eine einfache ethische Norm. Keine zeitliche und örtliche Konkretisierung der Handlung. Die volkstümliche Sprache mit umgangssprachlichen und veralteten Elementen. Der lehrhafte Charakter. Offenes Zeigen des Erzählers, daß er erzählt. Komplexität des Gegenstandes und Vielschichtigkeit der kommunikativen Grundstruktur der Darstellung. Texte für die Analyse Text 1
Dorothea Solle Phantasie wird häufig mißdeutet, als sei sie eine Anlage, die einer hat, ein anderer nicht, so wie einer musikalisch ist, ein anderer nicht. In Wirklichkeit ist Phantasie eine Form der Freiheit, die ein Mensch in seinem Leben gewinnen kann. Sie entsteht, wie jede andere Tugend, als Frucht unserer Auseinandersetzung mit der Welt, sie erwächst aus der Erziehung, die wir erfahren und wir uns selber geben. Ein Mensch kann also im Laufe seines Lebens phantasievoller oder, was der Normalfall ist, er kann immer mehr an Phantasie einbüßen, immer ärmer in seinen Lebensentwürfen werden und immer fixierter an das, was er seine Lebenserfahrung oder seine Menschenkenntnis nennt. Diese wachsende Verarmung des Lebens gibt sich gern den Anschein der Reife und des Realitätsbewußtseins, aber in der Tat ist sie eine Einbüße an Möglichkeitssinn, an grenzensprengender Phantasie. Der Mensch beschränkt sich auf das Vorgefundene, das er bewahrt und ordnet. Seine Spontaneität verkümmert. Er hört auf, ein Kind zu sein – so sagt man, ohne den Verlust zu 31
spüren, der sich in dieser Rede ausdrückt, und die Einbüße an geträumter, gespielter, gedichteter und darin möglicher Welt. Text 2 Gotthold Ephraim Lessing Der Adler Man fragte den Adler: «Warum erziehest du deine Jungen so hoch in der Luft?» Der Adler antwortete: «Würden sie sich erwachsen so nahe zur Sonne wagen, wenn ich sie tief an der Erde erzöge?» Text 3 Gotthold Ephraim Lessing Der Geizige Ich Unglücklicher! klagte ein Geizhals seinem Nachbarn. Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet, und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt. Du hättest, antwortete ihm der Nachbar, deinen Schatz doch nicht benutzt. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts ärmer. Wäre ich schon nichts ärmer, erwiderte der Geizhals, ist ein andereк nicht um soviel reicher? Ein anderer um so viel reicher! Ich möchte rasend werden. Text 4 Bertold Brecht Form und Stoff Herr K. betrachtete ein Gemälde, das einigen Gegenständen eine sehr eigenwillige Form verlieh. Er sagte: «Einigen Künstlern geht es, wenn sie die Welt betrachten, wie vielen Philosophen. Bei der Bemühung um die Form geht der Stoff verloren. Ich arbeitete einmal bei einem Gärtner. Er händigte mir eine Gartenschere aus und hieß mich einen Lorbeerbaum beschneiden. Der Baum stand in einem Topf und wurde zu Festlichkeiten ausgeliehen. Dazu mußte er die Form einer Kugel haben. Ich begann sofort mit dem Abschneiden der wilden Triebe, aber wie sehr ich mich auch mühte, die Kugelform zu erreichen, es wollte mir lange nicht gelingen. Einmal hatte ich auf der einen, einmal auf der anderen Seite zu viel weggestutzt. Als es endlich eine Kugel geworden war, war die Kugel sehr klein. Der Gärtner sagte enttäuscht: «Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer?» Text 5 Franz Kafka Kleine Fabel «Ach», sagte die Maus, «die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich 32
endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe». – «Du mußt nur die Laufrichtung ändern», sagte die Katze und fraß sie. Text 6 Die Kinder zu Hameln Im Jahr 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem buntem Tuch an, weshalb er Bundting soll geheißen haben, und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm einig und versicherten ihm einen bestimmten Lohn. Der Rattenfänger zog demnach ein Pfeifchen heraus und pfiff, da kamen alsobald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wäre keine zurück, ging er heraus, und der ganze Haufen folgte ihm, und so führte er sie an die Weser; dort schürzte er seine Kleider und trat in das Wasser, worauf ihm alle Tiere folgten und hineinstürzend ertranken. Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten ihn dem Manne unter allerlei Ausflüchten, so daß er zornig und erbittert wegging. Am 26. Juni auf Johannisund Paulitag, morgens früh sieben Uhr, nach andern zu Mittag, erschien er wieder, jetzt in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut, und ließ seine Pfeife in den Gassen hören. Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten Jahr an, in großer Anzahl gelaufen, worunter auch die schon erwachsene Tochter des Bürgermeisters war. Der ganze Schwarm folgte ihm nach, und er führte sie hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Dies hatte ein Kindermädchen gesehen, welches mit einem Kind auf dem Arm von fern nachgezogen war, darnach umkehrte und das Gerücht in die Stadt brachte. Die Eltern liefen haufenweis vor alle Tore und suchten mit betrübtem Herzen ihre Kinder; die Mütter erhoben ein jämmerliches Geschrei und Weinen. Von Stund an wurden Boten zu Wasser und Land an alle Orte herumgeschickt, zu erkundigen, ob man die Kinder oder auch nur etliche gesehen, aber alles vergeblich. Es waren im ganzen hundertunddreißig verloren. Zwei sollten, wie einige sagen, sich verspätet und zurückgekommen sein, wovon aber das eine blind, das andere stumm gewesen, also daß blinde den Ort nicht hat zeigen können, aber wohl erzählen, wie sie dem Spielmann gefolgt wären; das stumme aber den Ort gewiesen, ob es gleich nichts gehört. Ein Knäblein war im Hemd mitgelaufen und kehrte um, seinen Rock zu holen, wodurch es dem Unglück entgangen; denn als er zurückkam, waren die andern schon in der Grube eines Hügels, die noch gezeigt wird, verschwunden. 33
Die Straße, wodurch die Kinder zum Tor hinausgegangen, hieß noch in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts (wohl noch heute) die bunge-lose (trommel-, tonlose, stille), weil kein Tanz darin geschehen noch Saitenspiel durfte gerührt werden. Ja, wenn eine Braut mit Musik zur Kirche gebracht ward, mußten die Spielleute über die Gasse hin stillschweigen. Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt Poppenberg, wo links und rechts zwei Steine in Kreuzform sind aufgerichtet worden. Einige sagen, die Kinder wären in eine Höhle geführt worden und in Siebenbürgen wieder herausgekommen. Die Bürger von Hameln haben die Begebenheit in ihr Stadtbuch einzeichnen lassen und pflegten in ihren Ausschreiben nach dem Verlust ihrer Kinder Jahr und Tag zu zählen. Nach Seyfried ist der 22. statt des 26. Juni in Stadtbuch angegeben. An dem Rathaus standen folgende Zeilen: Im Jahr 1284 na christi gebort To Hamel worden uthgevort Hundert und dreißig Kinder dasülvest geborn Dorch einen Piper under den Koppen verlorn. Text 7 Johann Wolfgang von Goethe Der König in Thule Es war ein König in Thule gar treu bis an das Grab, dem sterbend seine Buhle einen goldenen Becher gab Es ging ihm nichts darüber, er leert ihn jeden Schmaus; die Augen gingen ihm über, so oft er trank daraus. Und als er kam zu sterben, zählt' er seine Städt' im Reich, gönnt' alles seinen Erben, den Becher nicht zugleich. Er saß beim Konigsmahle, die Ritter um ihn her, auf hohem Vätersaale dort auf dem Schloß am Meer. Dort stand der alte Zecher, trank letzte Lebensglut 34
und warf den heiligen Becher herunter in die Flut. Er sah ihn stürzen, trinken und sinken tief ins Meer. Die Augen täten ihm sinken; trank nie einen Tropfen mehr. Text 8 Christian Friedrich Daniel Schubart Die Forelle In einem Bächlein helle, da schoss in froher Eil die launische Forelle vorüber wie ein Pfeil. Ich stand an dem Gestade und sah in süßer Ruh des muntern Fischleins Bade im klaren Bachlein zu. Ein Fischer mit der Rute wohl an dem Ufer stand und sah's mit kaltem Blute, wie sich das Fischlein wand. Solang dem Wasser Helle, so dacht ich, nicht gebricht, so fängt er die Forelle mit seiner Angel nicht. Doch endlich ward dem Diebe Die Zeit zu lang. Er macht das Bächlein tückisch trübe, und eh ich es gedacht, so zuckte seine Rute, das Fischlein zappelt dran, und ich mit regem Blute sah die Betrogene an.
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Text 9 Wolf Biermann Das Märchen vom kleinen Herrn Moritz, der eine Glatze kriegte Es war einmal ein kleiner älterer Herr, der hieß Moritz und hatte sehr große Schuhe und einen schwarzen Mantel dazu und einen langen schwarzen Regenschirmstock, und damit ging er oft spazieren. Als nun der lange Winter kam, der längste Winter auf der Welt in Berlin, da wurden die Menschen allmählich böse. Die Autofahrer schimpften, weil die Straßen so glatt waren, daß die Autos ausrutschten. Die Verkehrspolizisten schimpften, weil sie immer auf der kalten Straße rumstehen mussten. Die Verkäuferinnen schimpften, weil ihre Verkaufsläden so kalt waren. Die Männer von der Müllabfuhr schimpften, weil der Schnee gar nicht alle wurde. Der Milchmann schimpfte, weil ihm die Milch in den Milchkannen zu Eis fror. Die Kider schimpften, weil ihnen die Ohren ganz rot gefroren waren, und die Hunde bellten vor Wut über die Kälte schon gar nicht mehr, sondern zitterten nur noch und klapperten mit den Zähnen vor Kälte, und das sah auch sehr böse aus. An einem solchen kalten Schneetag ging Herr Moritz mit seinem blauen Hut spazieren, und er dachte: «Wie böse die Menschen alle sind, es wird höchste Zeit, daß wieder Sommer wird und die Blumen wachsen». Und als er so durch die schimpfenden Leute in der Markthalle ging, wuchsen ihm auf dem Kopf ganz schnell und ganz viel Krokusse, Tulpen und Maiglöckchen und Rosen und Nelken, auch Löwenzahn und Margeriten. Er merkte es aber erst gar nicht, und dabei war schon längst sein Hut vom Kopf hochgegangen, weil die Blumen immer mehr wurden und auch immer länger. Da blieb vor ihm eine Frau stehen und sagte: «Oh, Ihnen wachsen aber schöne Blumen auf dem Kopf!» «Mir Blumen auf dem Kopf!» sagte Herr Moritz, «so was gibt es gar nicht!» «Doch! Schauen Sie hier in das Schaufenster, Sie können sich darin spiegeln. Darf ich eine Blume abpflücken?» Und Herr Moritz sah im Schaufensterspiegelbild, daß wirklich Blumen auf seinem Kopf wuchsen, bunte und große, vierlei Art, und er sagte: «Aber bitte, wenn Sie eine wollen...». «Ich möchte gerne eine kleine Rose», sagte die Frau und pflückte sich eine. «Und ich eine Nelke für meinen Bruder», sagte ein kleines Mädchen, und Herr Moritz bückte sich damit das Mädchen ihm auf dem Kopf langen konnte. Er brauchte sich aber nicht so sehr tief zu bücken, denn er war etwas kleiner als andere Männer. Und viele Leute kamen und brachen sich Blumen vom Kopf des kleinen Herrn Moritz, und es tat ihm gar nicht weh, und die Blumen wuchsen immer gleich nach, und es kribbelte so schön am Kopf, als ob ihn jemand freundlich streichelte; und Herr Moritz war froh, daß er den Leuten mitten im kalten Winter Blumen geben konnte. Immer mehr Menschen kamen zusammen und lachten 36
und wunderten sich und brachen sich Blumen vom Kopf des kleinen Herrn Moritz, und keiner, der eine Blume erwischt hatte, sagte an diesem Tag noch ein böses Wort. Aber da kam auf einmal ein Polizist Max Kunkel. Max Kunkel war schon seit zehn Jahren in der Markthalle als Markthallenpolizist tätig, aber so was hatte er noch nicht gesehen! Mann mit Blumen auf dem Kopf! Er drängelte sich durch die vielen lauten Menschen, und als er vor dem kleinen Herrn Moritz stand, schrie er: «Wo gibt's denn so was! Blumen auf dem Kopf, mein Herr! Zeigen Sie doch mal bitte sofort Ihren Personalausweis!» Und der kleine Moritz suchte und suchte und sagte verzweifelt: «Ich habe ihn doch immer bei mir gehabt, ich hab ihn doch in der Tasche gehabt!» Und je mehr er suchte, um so mehr verschwanden die Blumen auf seinem Kopf. «Aha», sagte der Polizist Max Kunkel, «Blumen auf dem Kopf haben Sie, aber keinen Ausweis in der Tasche!» Und Herr Moritz suchte immer ängstlicher seinen Ausweis und war ganz rot vor Verlegenheit, und je mehr er suchte – auch im Jackenfutter – , um so mehr schrumpften die Blumen zusammen, und der Hut ging allmählich wieder runter auf den Kopf! In seiner Verzweiflung nahm Herr Moritz seinen Hut ab, und siehe da, unter dem Hut lag in einer abgegeriffenen Gummihülle der Personalausweis. Aber was noch!? Die Haare waren alle weg! Kein Haar mehr auf dem Kopf hatte der kleine Moritz. Er strich sich verlegen über den kahlen Kopf und setzte dann schnell den Hut darauf. «Na, da ist ja der Ausweis», sagte der Polizist Max Kunkel freundlich, «und Blumen haben Sie ja Wohl auch nicht mehr auf dem Kopf,wie?!» «Nein...», sagte herr Moritz und steckte schnell seinen Ausweis ein und lief, so schnell man auf der glatten Straße laufen konnte, nach Hause. Dort stand er lange vor dem Spiegel ind sagte zu sich: «Jetzt hast du eine Glatze, Herr Moritz!» Text 10 Ein Philosoph hatte sein Faß Wein versiegelt. Als aber sein Famulus das Faß von unten her angestochen hatte, verwunderte er sich, daß der Wein, gleichwohl das Siegel unversehrt, täglich abnehme. Da ihm aber einer sagte, er solle sehen, ob nicht etwa unten am Faß ein Betrug begangen worden wäre, antwortete er ihm, er wäre ein Narr, der Wein mangelte nicht unten, sondern oben. Text 11 Von einem Bettler, der zu Kaiser Friedrich kam Als Kaiser Friedrich, der Dritte, zu Nürnberg einen Reichstag der Fürsten hielt, kam ein Bettler vor den Hof und begehret, man sollt ihn einlassen, dann er wär des Kaisers Bruder; und wie er nicht wollt nachlassen, ward es dem Kaiser anzeigt, der, ob des Handel verwundert, befahl, daß man den Bettler sollt einlassen, und ihn fraget, woher er sein Brudr wär. Da antwortete der Bettler, 37
alle Menschen wären unter ihnen Brüder von dem ersten Vater Adam, und heischet, daß ihn der Kaiser von dieser Bruderschaft wegen wollt begaben. Der Kaiser gab dem Menschen, dessen Trotz ihm nicht recht wohl gefiel, nicht mehr denn ein Kreuzer. Saget der Bettler: «Es geziemt sich nicht, großmächtigster Kaiser, daß du deinem Bruder so ein schlechte Schenkung gebest, wo du so reich bist». Sprach der Kaiser: «Fort mit dir! Wann dir ein jeglicher Bruder so viel gibt, so wirst du reicher sein, denn ich bin». Ein ander begehret vom Herzog von Sachsen ein Pfennig von wegen der Freundschaft, damit sie miteinander verwandt wären; da fraget der Herzog, woher diese Freundschaft käme, und der antwortet; «Von Adam, unser aller Vater». Drauf der Herzog: «Gang hin! Dann wann ich solch Freunden allen wollt ein Pfennig geben, würde weder mein Land noch mein väterlich Erb dazu genugsam sein». Text 12 Johann Wolfgang Goethe Der Sänger (1) Was hör’ ich draußen vor dem Tor, was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr im Saale widerhallen! Der König sprach’s, der Page lief; der Knabe kam, der König rief: Laßt mir herein den Alten! (2) Gegrüßet seid mir, edle Herrn, gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit schließt, Augen, euch: Hier ist nicht Zeit, sich staunend zu ergötzen. (3) Der Sänger drückt’ die Augen ein und schlug in vollen Tönen; die Ritter schauten mutig drein, und in den Schoß die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel, ließ, ihn zu ehren für sein Spiel, eine goldne Kette holen. (4) Die goldne Kette gib mir nicht, die Kette gib den Rittern, 38
vor deren kühnem Angesicht der Feinde Lanzen splittern; gib sie dem Kanzler, den du hast, und laß ihn noch die goldne Last zu andern Lasten tragen. (5) Ich singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet; das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch darf ich bitten, bitt ich eins: Laß mir den besten Becher Weins in purem Golde reichen. (6) Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus: O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, wo das ist kleine Gabe! Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich, und danket Gott so warm, als ich für diesen Trunk euch danke. Text 13 Heinrich Mann Untertan (Auszug) Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt. Ungern verließ er im Winter die warme Stube, im Sommer den engen Garten, der nach den Lumpen der Papierfabrik roch und über dessen Goldregen- und Fliederbäumen das hölzerne Fachwerk der alten Häuser stand. Wenn Diederich vom Märchenbuch, dem geliebten Märchenbuch, aufsah, erschrak er manchmal sehr. Neben ihm auf der Bank hatte ganz deutlich eine Kröte gesessen halb so groß wie er selbst! Oder an der Mauer dort drüben stak bis zum Bauch in der in der Erde ein Gnom und schielte her! Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendrein sollte man ihn lieben. Diederich liebte ihn. Wenn er genascht oder gelogen hatte, drückte er sich so lange schmatzend und scheu wedelnd am Schreibpult umher, bis Herr Heßling etwas merkte und den Stock von der Wand nahm. Jede nicht herausgekommene Untat mischte in Diederichs Ergebenheit und Vertrauen einen Zweifel. Als der Vater einmal mit seinem invaliden Bein die Treppe herunterfiel, klatschte der Sohn wie toll in die Hände – worauf er weglief. Kam er nach einer Abstrafung mit gedunsenem Gesicht und unter Geheul an der Werkstätte vorbei, dann lachten die Arbeiter. Sofort aber streckte 39
Diederich nach ihnen die Zunge aus und stampfte. Er war sich bewußt: «Ich habe Prügel bekommen, aber von meinem Papa. Ihr wäret froh, wenn ihr auch Prügel von ihm bekommen könntet. Aber dafür seid ihr viel zuwenig». Er bewegte sich zwischen ihnen wie ein launenhafter Pascha; drohte ihnen bald, es dem Vater zu melden, daß sie sich Bier holten, und bald ließ er kokett aus sich die Stunde herausschmeicheln, zu der Herr Heßling zurückkehren sollte. Sie waren auf der Hut vor dem Prinzipal: er kannte sie, er hatte selbst gearbeitet. Er war Büttenschöpfer gewesen in den alten Mühlen, wo jeder Bogen mit der Hand geformt ward; hatte dazwischen alle Kriege mitgemacht und nach dem letzten, als jeder Geld fand, eine Papiermaschine kaufen können. Ein Holländer und eine Schneidemaschine vervollständigten die Einrichtung. Er selbst zählte die Bogen nach. Die von den Lumpen abgetrennten Knöpfe durften ihm nicht entgehen. Sein kleiner Sohn ließ sich oft von den Frauen welche zustecken, dafür, daß er die nicht angab, die einige mitnahmen. Eines Tages hatte er so viele beisammen, daß ihm der Gedanke kam, sie beim Krämer gegen Bonbons umzutauschen. Es gelang – aber am Abend kniete Diederich, indes er den letzten Malzzucker zerlutschte, sich ins Bett und betete, angstgeschüttelt, zu dem schrecklichen lieben Gott, er möge das Verbrechen unentdeckt lassen. Er brachte es dennoch an den Tag. Dem Vater, der immer nur methodisch, Ehrenfestigkeit und Pflicht auf dem verwitterten Unteroffiziersgesicht, den Stock geführt hatte, zuckte diesmal die Hand, und in die eine Bürste seines silberigen Kaiserbartes lief, über die Runzeln hüpfend, eine Träne. «Mein Sohn hat gestohlen», sagte er außer Atem, mit dumpfer Stimme, und sah sich das Kind an wie einen verdächtigen Eindringling. «Du betrügst und stiehlst. Du brauchst nur noch einen Menschen totzuschlagen». Frau Heßling wollte Diederich nötigen, vor dem Vater hinzufallen und ihn um Verzeihung zu bitten, weil der Vater seinetwegen geweint habe! Aber Diederichs Instinkt sagte ihm, daß dies den Vater nur noch mehr erbost haben würde. Mit der gefühlsseligen Art seiner Frau war Heßling durchaus nicht einverstanden. Sie verdarb das Kind fürs Leben. Übrigens ertappte er sie geradeso auf Lügen wie den Diedel. Kein Wunder, da sie Romane las! Am Sonnabendabend war nicht immer die Wochenarbeit getan, die ihr aufgegeben war. Sie klatschte, anstatt sich zu rühren, mit dem Mädchen... Und Heßling wußte noch nicht einmal, daß seine Frau auch naschte, gerade wie das Kind. Bei Tisch wagte sie sich nicht satt zu essen und schlich nachträglich an den Schrank. Hätte sie sich in die Werkstätte getraut, würde sie auch Knöpfe gestohlen haben. Sie betete mit dem Kind «aus dem Herzen», nicht nach Formeln, und bekam dabei gerötete Wangenknochen. Sie schlug es auch, aber Hals über Kopf und verzerrt von Rachsucht. Oft war sie dabei im Unrecht. Dann drohte Diederich, sie beim Vater zu verklagen; tat so, als ginge er ins Kontor, und freute sich irgendwo hinter einer Mauer, daß sie nun Angst hatte. Ihre zärtlichen Stunden nützte er aus; aber er fühlte gar keine Achtung vor seiner Mutter. Ihre Ähnlichkeit mit ihm selbst verbot es ihm. Denn er achtete sich selbst nicht, dafür 40
ging er mit einem zu schlechten Gewissen durch sein Leben, das vor den Augen des Herrn nicht hätte bestehen können. Text 14 Der Dom zu Köln Als der Bau des Doms zu Köln begann, wollte man gerade auch eine Wasserleitung ausführen. Da vermaß sich der Baumeister und sprach: «Eher soll das große Münster vollendet sein als der geringe Wasserbau!» Das sprach er, weil er allein wußte, wo zu diesem die Quelle sprang und er das Geheimniss niemanden als seiner Frau entdeckt, ihr aber zugleich bei Leib und Leben geboten hatte, es wohl zu bewahren. Der Bau des Doms fing an und hatte guten Fortgang, aber die Wasserleitung konnte nicht angefangen werden, weil der Meister vergeblich die Quelle suchte. Als dessen Frau nun sah, wie er sich darüber grämte, versprach sie ihm Hilfe, ging zu der Frau des andern Baumeisters und lockte ihr durch List endlich das Geheimnis heraus, wonach die Quelle gerade unter dem Turm des Münsters sprang; ja, jene bezeichnete selbst den Stein, der sie zudeckte. Nun war ihrem Manne geholfen; folgenden Tags ging er zu dem Stein, klopfte darauf, und sogleich drang das Wasser hervor. Als der Baumeister sein Geheimnis verraten sah und mit seinem stolzen Versprechen zuschanden werden mußte, weil die Wasserleitung ohne Zweifel nun in kurzer Zeit zustande kam, verfluchte er zornig den Bau, daß er nimmermehr sollte vollendet werden, und starb darauf vor Traurigkeit. Hat man fortbauen wollen, so war, was an einem Tag zusammengebracht und aufgemauert stand, am andern Morgen eingefallen, und wenn es noch so gut eingefügt war und aufs festeste haftete, also daß von nun an kein einziger Stein mehr hinzugekommen ist. Andere erzählen abweichend. Der Teufel war neidig auf das stolze und heilige Werk, das Herr Gerhard, der Baumeister, erfunden und begonnen hatte. Um doch nicht ganz leer dabei auszugehen oder gar die Vollendung des Doms noch zu verhindern, ging er mit Herrn Gerhard die Wette ein: er wolle eher einen Bach von Trier nach Köln, bis an den Dom, geleitet als Herr Gerhard seinen Bau vollendet haben, doch müsse ihm, wenn er gewänne, des Meisters Seele zugehören. Herr Gerhard war nicht säumig, aber der Teufel kann teufelsschnell arbeiten. Eines Tages stieg der Meister auf den Turm, der schon so hoch war, als er noch heutzutag ist, und das erste, was er von oben herab gewahrte, waren Enten, die schnatternd vor dem Bach, den der Teufel herbei geleitet hatte, aufflogen. Da sprach der Meister in grimmem Zorn: «Zwar hast du, Teufel, mich gewonnen, doch sollst du mich nicht lebendig haben!» So sprach er und stürzte sich Hals über Kopf den Turm herunter, in Gestalt eines Hundes sprang schnell der Teufel hintennach, wie beides in Stein gehauen noch wirklich am Turme zu schauen ist. Auch soll, wenn man sich mit dem Ohr auf die Erde legt, noch heute der Bach zu hören sein, wie er unter dem Dome wegfließt. 41
Endlich hat man eine dritte Sage, welche den Teufel mit des Meisters Frau Buhlschaft treiben läßt, wodurch er vermutlich, wie in der ersten, hinter das Baugeheimnis ihres Mannes kam. Text 15 Peter Bichsel Die Tochter Abends warteten sie auf Monika. Sie arbeitete in der Stadt, die Bahnverbindungen sind schlecht. Sie, er und seine Frau, saßen am Tisch und warteten auf Monika. Seit sie in der Stadt arbeitete, aßen sie erst um halb acht. Früher hatten sie eine Stunde eher gegessen. Jetzt warten sie täglich eine Stunde am gedeckten Tisch, an ihren Plätzen, der Vater oben, die Mutter auf dem Stuhl nahe der Küchentür, sie warteten vor dem leeren Platz Monikas. Einige Zeit später dann auch vor dem dampfenden Kaffee, vor der Butter, dem Brot, der Marmelade. Sie war größer gewachsen als sie, sie war auch blonder und hatte die Haut, die feine Haut der Tante Maria. «Sie war immer ein liebes Kind», sagte die Mutter, während sie warteten. In ihrem Zimmer hatte sie einen Plattenspieler, und sie brachte oft Platten mit aus der Stadt, und sie wußte, wer darauf sang. Sie hatte auch einen Spiegel und verschiedene Fläschchen und Döschen, einen Hocker aus marokkanischem Leder, eine Schachtel Zigaretten. Der Vater holte sich seine Lohntüte auch bei einem Bürofräulein. Er sah dann die vielen Stempel auf einem Gestell, bestaunte das sanfte Geräusch der Rechenmaschine, die blondierten Haare des Fräuleins, sie sagte freundlich «Bitte schön», wenn er sich bedankte. Über Mittag blieb Monika in der Stadt, sie aß eine Kleinigkeit, wie sie sagte, in einem Tearoom. Sie war dann ein Fräulein, das in Tearooms lächelnd Zigaretten raucht. Oft fragten sie sie, was sie alles getan habe in der Stadt, im Büro. Sie wußte aber nichts zu sagen. Dann versuchten sie wenigstens, sich genau vorzustellen, wie sie beiläufig in der Bahn ihr rotes Etui mit dem Abonnement aufschlägt und vorweist, wie sie den Bahnsteig entlang geht, wie sie den Gruß eines Herrn lächelnd erwidert. Und dann stellten sie sich mehrmals vor in dieser Stunde, wie sie heimkommt, die Tasche und ein Modejournal unter dem Arm, ihr Parfüm; stellten sich vor, wie sie sich an ihren Platz setzt, wie sie dann zusammen essen würden. Bald wird sie sich in der Stadt ein Zimmer nehmen, das wußten sie, und daß sie dann wieder um halb sieben essen würden, daß der Vater nach der Arbeit wieder seine Zeitung lesen würde, daß es dann kein Zimmer mehr mit Plattenspieler gäbe, keine Stunde des Wartens mehr. Auf dem Schrank stand 42
eine Vase aus blauem schwedischem Glas, eine Vase aus der Stadt, ein Geschenkvorschlag aus dem Modejournal. «Sie ist wie deine Schwester», sagte die Frau, «sie hat das alles von deiner Schwester. Erinnerst du dich wie schön deine Schwester singen konnte?» – «Andere Mädchen rauchen auch», sagte die Mutter. «Ja», sagte er, «das habe ich auch gesagt». «Ihre Freundin hat kürzlich geheiratet», sagte die Mutter. Sie wird auch heiraten, dachte er, sie wird in der Stadt wohnen. Kürzlich hatte er Monika gebeten: «Sag mal etwas auf französisch». «Ja», hatte die Mutter wiederholt, «sag mal etwas auf französisch». Sie wußte aber nichts zu sagen. Stenografieren kann sie auch, dachte er jetzt. «Für uns wäre das zu schwer», sagten sie zueinander. Dann stellte die Mutter den Kaffee auf den Tisch. «Ich habe den Zug gehört», sagte sie. Text 16 Friedrich Schiller Kabale und Liebe Zweiter Akt Zweite Szene Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt. Die Vorigen. K a m m e r d i e n e r: Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Mylady zu Gnaden und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen soeben erst aus Venedig. L a d y hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück: Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine? K a m m e r d i e n e r mit finsterm Gesicht: Sie kosten ihn keinen Heller. L a d y: Was? Bist du rasend? Nichts! — und indem sie einen Schritt von ihm wegtritt du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest — N i c h t s kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine? K a m m e r d i e n e r: Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort — Die zahlen alles. L a d y setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener: Mann, was ist dir? Ich glaube, du weinst? K a m m e r d i e n e r wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimme, alle Glieder zitternd: Edelsteine, wie d i e s e da - ich hab’ auch ein paar Söhne drunter. L a d y wendet sich bebend weg, seine Hand fassend: Doch keinen gezwungenen? K a m m e r d i e n e r lacht fürchterlich: O Gott — Nein — lauter Freiwillige. Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch’ vor die Front heraus und 43
fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? — aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: J u c h h e! n a c h A m e r i k a! — L a d y fällt mit Entsetzen in den Sofa: Gott! Gott! — Un ich hörte nichts? Und ich merkte nichts? K a m m e r d i e n e r: Ja, gnädige Frau – warum mußtet Ihr denn mit unserm Herrn gerad' auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug? – Die Herrlichkeit hättet Ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündeten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wütende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinanderriß, und wir Graubärte verzweiflungsvoll dastanden und den Burschen auch zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt — O, und mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns nicht sollte beten hören – L a d y steht auf, heftig bewegt: Weg mit diesen Steinen — sie blitzen Höllenflammen in mein Herz. Sanfter zum Kammerdiener. Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wiederkommen. Sie werden ihr Vaterland wiedersehen. K a m m e r d i e n e r warm und voll: Das wieß der Himmel! Das werden sie! — Noch am Stadttor drehten sie sich um und schrien: “Gott mit euch, Weib und Kinder! — Es leb’ unser Landesvater — am Jüngsten Gericht sind wir wieder da!” — L a d y mit starkem Schritt auf und nieder gehend: Abscheulich! Fürchterlich! — Mich beredete man, ich habe sie alle getrocknet, die Tränen des Landes — Schrecklich, schrecklich gehen mir die Augen auf — Geh du — Sag deinem Herrn — Ich werd’ ihm persönlich danken! Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Geldbörse in den Hut. Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest — K a m m e r d i e n e r wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück: Leg’s zu dem übrigen. Er geht ab. Text 17 Joseph von Eichendorff Bei Halle. Da steht eine Burg überm Tale Und schaut in den Strom hinein, Dai ist die fröhliche Saale, Das ist der Giebichenstein. Da hab ich so oft gestanden, Es blühten Täler und Höhn, Und seitdem in allen Landen 44
Sah ich nimmer die Welt so schön! Durch Grün da Gesänge schalten, Von Rossen, zu Lust und Streit, Schauten viel schlanke Gestalten, Gleichwie in der Ritterzeit. Wir waren die fahrenden Ritter, Eine Burt war noch jedes Haus, Es schaute durchs Blumengitter Mach schönes Fräulein heraus. Das Fröulein ist alt geworden, Und unter Philistern umher Zestreut ist der Ritterorden, Kennt keiner den andern mehr. Auf dem verfallenen Schlosse, Wie der Burggeist, halb im Traum, Steh ich jetzt ohne Genossen Und kenne die Gegend kaum. Und Lieder und Lust und Schmerzen, Wie liegen sie nun so weit – O Jugend, wie tut im Herzen Mir deine Schönheit so leid.
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Основная литература 1. Акулянц С.А. Аналитическое чтение : пособие для студентов пед. интов и филол. фак. ун-тов (немецкий язык) / С.А. Акулянц, Ю.Н. Афонькин, И.М. Смолянский. – Л. : Гос. уч.-пед. изд-во М-ва просвещения РСФСР, Ленингр. отд-ние, 1963. – 383 с. 2. Вазбуцкая К.Г. Аналитическое чтение / Л.Г. Вазбуцкая, Н.Л. Гильчёнок. – Л. : Просвещение, 1980. – 188 с. 3. Брандес М.П.. Практикум по стилистике немецкого языка / М.П. Брандес. – М. : Высшая школа, 1983. – С. 144. 4. Сильман Т.И. Пособие по стилистическому анализу немецкой художественной литературы / Т.И. Сильман. – Л. : Просвещение, 1969. – 327 с. 5. Einführung in die lingustische Analyse und Interpretation literarischer Texte / Г. Лерхнер [и др.]; под ред. Быковой О.И. – Воронеж : Изд-во Воронеж. гос. ун-та, 1991. – 127 с. Дополнительная литература 1. Новикова Е.В. Введение в анализ текста / Е.В. Новикова. – Омск : Омск. гос. ун-т, 2003. – 51 с. 2. Diederichs U. Who is who im Märchen / U. Diederichs. – 2. Aufl. – München : Verlag GmbH & Co. KG, 1996. – 392 S. 3. Deutscher Sagenschatz. Zusammengestellt und herausgegeben von HansJörg Uther. – München : Heinrich Hugendubel Verlag, 2000. – 352 S. 4. Deutsche Schwänke / hrsg. von Leander Petzoldt. – Baltmannsweiler : Schneider Verl. Hohengehren, 2002. – 392 S. 5. Deutsche Volkssagen. – 2. Aufl. – Rastatt : Erich Pabel-Arthur Moewing KG, 1994. – 128 S. 6. Gobyn L. Textsorten. Ein Methodenvergleich, illustriert an einem Märchen / L. Gobyn. – Brussel : Paleis der Academien Hertogsstratt, 1984. – S. 53–55. 7. Heinemann W. Textlinguistik. Eine Einführung / W. Heinemann, D. Viehweger. – Tübingen, 1991. – 309 S. 8. Hymes D. Soziolinquistik. Zur Ethnographie der Kommunikation / D. Hymes. Eingeleitet und herausgegeben von Florian Coulmas. – 1. Aufl. – Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 1979. – 285 S. 9. Fix U. Was ist aus Andre Jolles „Einfachen Formen“ heute geworden? Eine kulturanalytische und textlinguistische Betrachtung / U. Fix // Sprache und Kommunikation im Kulturkontext: Beiträge zum Ehrenkolloquium aus Anlaß des 60. Geburtstages von Gotthard Lerchner. – Franfurt a. Main ; Berlin ; Bern ; N. Y. ; Paris ; Wien : Lang, 1996. – 425 S. (Leipziger Arbeiten zur Sprach- und Kommunikationsgeschichte; Bd. 4). 46
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Вопросы для зачёта по спецкурсу Ausgestaltung literarischer Genres» (4 к. д/о ) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
«Textsortenspezifische
Die poetische Kommunikation als besondere Art des kommunikativen Prozesses. Die Textauffassungen: propositionale und kommunikativ-pragmatisch orientierte Textauffassung. Die Wesensmerkmale des Textes. Der literarische Text, seine Wesensmerkmale. Die Textfunktion. Die Textsorte. Drei Hauptgattungen der Literatur. Die Epik: Kurzepik, Großepik. Einfache Formen, ihre Grundtypen. Das Märchen als Genre der volkstümlichen Kurzepik. Die Sage als Genre der volkstümlichen Kurzepik. Die Fabel, ihre inhaltliche und formale Ausgestaltung. Die Ballade, ihre Stellung in der deutschen Nationalliteratur, typische Merkmale. Der Schwank als Genre der Kurzepik. Legende, Volkslied, Anekdote, Witz, Parabel, Aphorismus; Miniatur als Genres der Kurzepik. Die Kurzgeschichte als Genre der Kurzepik, ihre Wesensmerkmale. Die Kalendergeschichte, ihre Wesenszüge. Genres der Großepik: Epos, Saga, Volksbuch. Die Novelle, ihre textsortenspezifischen Besonderheiten. Der Roman, seine Wesenszüge. Die Lyrik als Gattung der Literatur. Dramatik, Wesensmerkmale der dramatischen Gattung, Typen und Gattungen des Dramas.
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Учебное издание
ТИПОЛОГИЯ ХУДОЖЕСТВЕННЫХ ТЕКСТОВ Учебное пособие для вузов
Составитель Быкова Ольга Ильинична
Редактор Т. Д. Бунина
Подписано в печать 03.05.07. Формат 60×84/16. Усл. печ. л. 2,84. Тираж 60 экз. Заказ 876. Издательско-полиграфический центр Воронежского государственного университета. 394000, г. Воронеж, пл. им. Ленина, 10. Тел. 208-298, 598-026 (факс) http://www.ppc.vsu.ru; e-mail:
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