Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 232
Die Waffe des Gehorsams Chaos an Bord der ISCHTAR - der
Auferweckte bricht jeden...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 232
Die Waffe des Gehorsams Chaos an Bord der ISCHTAR - der
Auferweckte bricht jeden
Widerstand
von Hans Kneifel
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, die in ihrer Habgier und Korruption das Gemeinwohl völlig au ßer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba naschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits mehrmals erfolg reich zum Einsatz gelangte. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besat zungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden. Gonozal wird von dem Willen eines Unbekannten gelenkt – und der junge Mann von Perpandron erwacht und setzt seine Fähigkeiten ein: DIE WAFFE DES GEHOR SAMS …
Die Waffe des Gehorsams
3
Die Hautpersonen des Romans:
Akon-Akon - Der Schläfer von Perpandron wird zum Tyrann der ISCHTAR.
Atlan - Der Kristallprinz unterliegt der Waffe des Gehorsams.
Fartuloon - Atlans Freund und Lehrmeister.
Orbanaschol III. - Der Imperator erhält eine seltsame Botschaft.
Gonozal VII. - Ein lebender Toter wird übernommen.
1. Der eisige Schrecken kam völlig unerwar tet über das Schiff. Aber er kam nicht laut los. Plötzlich gab es ein Geräusch, das es hier und auf diese Art nicht geben durfte. Ein hohles Zischen, ähnlich dem Rauschen der Statik während einer Hyperfunkpause. Aus Tausenden von Lautsprechern schien es zu fauchen und zu heulen. Der schwarzhaa rige Barbar zuckte zusammen. Seine Arme flogen hoch, er preßte beide Handflächen auf die Ohren und umfaßte seinen Kopf mit den Fingern. Dann stieß er einen schrillen Schrei aus. Sein Körper krümmte sich unter unfaßbaren Schmerzen zusammen. Schließ lich heulte Ra ein letztes Mal auf, fiel nach vorn und schlug vor Fartuloon aufs Gesicht. Kämpfe um dein Leben, Atlan! schrillte der Logiksektor. Der Schmerz packte mich. Ein anderer Schmerz raste wie eine riesige, weißglühende Nadel heran und schien meinen Kopf zu durchbohren. Ich sah mich wild um, bereits jetzt halb besinnungslos. Dann machte ich marionettenhaft drei Schritte und fiel in den nächsten, halb ausgeklappten Kontursessel. Rund um mich verwandelte sich die kugel förmige Zentrale der ISCHTAR in ein Cha os. Das Ziel des Schiffes war Kraumon, der Fluchtplanet. Ich war sicher, daß wir ihn nicht mehr er reichen würden …
* Genau in dem Augenblick, als wir uns nach der ersten langen Transition wieder im normalen Weltraum befanden, schlug der
unsichtbare Gegner ohne jede Warnung zu. Jenes gespenstische Rauschen und Zi schen schwoll an, wurde leiser und verstärk te sich wieder. Die Zentrale hallte wider von den Schreien der Frauen und Männer. Es waren Schreie des wahnsinnigen Schmerzes und solche der nackten Angst. Der Pilot des Schiffes wurde von einer unsichtbaren Kraft aus dem Spezialsessel gerissen, schräg von, den Kontrollen weggeschleudert und zu Bo den geworfen. Dort lagen bereits einige Ohnmächtige. Ihre Körper waren unglaub lich verrenkt. Andere Männer kämpften ge gen diesen Effekt an, der uns alle im Griff hielt und schüttelte. Es muß eine Emotiostrahlung sein! schrie der Extrasinn. Dank meiner Ark Summia schien ich eine Winzigkeit weniger betrof fen zu sein als alle anderen. Mein Körper wurde von den Schmerzwellen herumge schleudert. Jede einzelne Nervenendung schien von Stromstößen getroffen zu wer den. In den gemarterten Trommelfellen hatte ich dieses widerliche Zischen und Rauschen. Es war so laut, daß ich nicht merkte, daß ich ununterbrochen schrie. Vor meinen Augen verwandelten sich die Bilder auf den Rundumschirmen in phanta stische Farbenspiele. Ich merkte, daß ich langsam wahnsinnig wurde. Ab und zu ris sen die Schleier auf, und ich erkannte, was vor mir und neben mir geschah. Wie lang die Intervalle zwischen den ein zelnen Momenten der Klarsichtigkeit waren, wußte ich nicht. Uns alle hatte auch das Zeitgefühl verlassen. Halte dich ruhig! Nichts sonst hilft! mel dete sich das Extrahirn. Wir hatten die mythenschwangere Welt Perpandron verlassen, aber die lautlosen Schrecken dieses Planeten verfolgten uns bis
4 hierher. Was war vorgefallen? In welchem Teil des Raumes befanden wir uns? Wer oder was erzeugte diesen furchtbaren Ef fekt? War es der Junge, der dort drüben lag und aussah wie eine tiefgefrorene Statue? Nein! Ein brenzliger Geruch begann durch die Zentrale zu ziehen. Aber auch das konnte ei ne Täuschung der gemarterten Sinne sein; ich sah keinen Rauch. Fartuloon geriet in mein Gesichtsfeld. Der kleine, massive Mann schwankte hin und her und kämpfte mit der Wildheit eines Tieres gegen die Ein flüsse, die uns jede Kraft nahmen und unsere Körper unkontrollierbar zittern, sich aufbäu men und herumschleudern ließen. Endlich kippte auch der Bauchaufschnei der zur Seite, streckte sich, krümmte sich wieder zusammen und wurde bewußtlos. Er wandte mir in dem letzten Sekundenbruch teil sein Gesicht zu und schien mir etwas zu schreien zu wollen, aber seine Warnung oder Erklärung erreichte mich nicht mehr. Ich lag regungslos und völlig unfähig, mich zu bewegen, in dem Sessel. Noch einmal hörte ich einen gellenden Schrei, dann schlug die Bewußtlosigkeit nach mir. Ich weiß nicht, ob es Sekunden, Minuten oder Stunden waren. Aber ich kam wieder zu mir. Mein Extrahirn schrie unaufhörlich auf mich ein. Blicke nach rechts! Nur zwei Personen sind von der Strahlung nicht befallen! Mit unendlichen Schwierigkeiten und un ter Aufbietung aller meiner noch verbliebe nen Kräfte bewegte ich die Augäpfel. Was ich sah, war unfaßbar, unmöglich, unerklärlich …! Der Junge von Perpandron lag noch im mer regungslos auf seiner Spezialbahre. Aber an ihm vorbei schritt mein Vater in die Richtung auf den Pilotensitz. Er ging fe dernd und zielbewußt, als wäre ein Ro botskelett in seinem Körper eingebaut – oder als ob er gesund und ein Mann von fünfzig Arkonjahren wäre. Er wurde von seinem
Hans Kneifel Willen gesteuert! Er, der nicht einmal in der Lage gewesen war, mehr als ja oder nein zu sagen, der nicht einmal bis zwölf hatte zäh len können. Jetzt brauchte er keine künstli che Ernährung mehr. Er blieb kurz stehen, blickte einige Herzschläge lang aufmerksam in das Gesicht der reglosen Gestalt und ging dann weiter. Der leere Pilotensessel schwang herum, als er ihn anfaßte. Er setzte sich und streckte die Arme aus. Ich war sicher, daß ich träumte. Oder daß mir mein verwirrter Verstand ei ne schreckliche Illusion vorgaukelte. Jeden falls begann Gonozal mit der präzisen Schnelligkeit eines geübten Raumpiloten Tasten zu drücken, Koordinaten zu speisen, eine Kursänderung herbeizuführen. Soviel konnte ich gerade noch erkennen, erfassen und klar verstehen. Er hat fremdes Leben in sich! sagte der Logiksektor. Welches Ziel er immer anstrebte, es war nicht Kraumon, denn die Rechenmaschinen der ISCHTAR waren auf Kraumon einge stellt. Also wollte die lebende Mumie Gono zal verhindern, daß wir dorthin flogen. To tenstille herrschte jetzt in der Zentrale. Nur die Geräusche der Maschinen, jenes unun terbrochene Wispern und Flüstern – das war zu hören. Gonozal wollte ganz allein das Schiff steuern. Das war so gut wie unmöglich, denn alle Hilfsmittel, die astrogatorische Abteilung, die Maschinen und die Men schen, konnte eine Person nicht beherrschen. Es sei denn, es wäre eine Art Übermensch. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber Gonozal schien eine gefährliche, sehr weit führende Transition zu programmieren. Sie würde die ISCHTAR in größte Gefahren bringen. Alle anderen sind bewußtlos! Nur du, At lan, bist noch übrig! gellte es in meinen Ge danken. Ich versuchte zu atmen, bewußt zu atmen. Ich fühlte, wie sich meine Lungen füllten und leerten. Dann spannte ich probeweise meine Beinmuskeln an. Jene unsichtbare und rätselhafte Energie, die uns bewußtlos
Die Waffe des Gehorsams gemacht hatte, schien im Augenblick nicht so sehr auf mich zu wirken. Ich wußte, daß ich diesen spärlichen Rest von Lebensener gie der Ark Summia zu verdanken hatte, dem aktivierten Extrahirn. Es gelang mir beim ersten Versuch, den Oberkörper von der Lehne des Sessels nach vorn zu stemmen. Meine Arme begannen zu zittern. Ich war augenblicklich von kaltem Schweiß überströmt. Ich mußte verhindern, daß Gonozal dem Autopiloten diese gewaltige Transition be fahl. Sie würde uns alle, selbst als Bewußt lose, umbringen können! Ich winkelte meine Beine an; auch das gelang beim zweiten Versuch. Dann konzentrierte ich mich auf mein Vorhaben, auf den letzten Versuch, diese Transition zu verhindern. An allen Gliedern zitternd, stemmte ich mich aus dem Sessel hoch und konnte gera de noch meinen Sturz nach vorn abfangen, indem ich meine Hände in die gepolsterten Seitenlehnen krallte. Dann bewegte ich mich wie ein Betrunkener schwankend vorwärts. Ich taumelte hin und her und versuchte, die etwa zwanzig Schritte bis zum Pult zurück zulegen. Auf den Bildschirmen wirbelten fremde Sterne wie ein Mahlstrom vorbei. Das Schiff war nicht stabilisiert und wirkte wie ein Spielzeugkreisel oder ein Stück Holz, das von einem Bach mitgerissen wur de. Nach etwa einem Dutzend Schritten, die meine letzten Kraftreserven verzehrten, knickte ich in den Knien zusammen. Aber es waren nicht Muskeln, die mir nicht mehr ge horchten, sondern der Wille fehlte. Jene ge heimnisvolle Kraft lähmte die Nerven. Ich konnte gerade noch die leblos herunterhän genden Arme nach vorn reißen und meinen Fall abfangen. Ich schlug mit Kopf und Hals hart gegen die Stiefel eines regungslos daliegenden Be satzungsmitglieds. Der Boden der Zentrale war mit den zusammengekrümmten Gestal ten der Frauen und Männer bedeckt, wie nach einem tödlichen Gefecht. Eine unge heure Müdigkeit faßte abermals nach mir.
5 Wieder begann mein lautloser Kampf ge gen die elementare Schwäche. Auf! Du mußt! Nur du allein kannst die ISCHTAR und sechshundert Frauen und Männer retten! zischte das Extrahirn. Mein Ohr lag auf dem federnden, weichen Bodenbelag. Ich konnte die Geräusche hö ren, die das Schiff verursachte: das Brum men der Maschinen, das Ächzen der Ver bände, die überstrapaziert wurden. Dazwi schen immer wieder die klickenden, schnar renden und winselnden Geräusche, das Rat tern des Kursrechners und die Schaltungen, die der lebende Leichnam – mein Vater! – Gonozal durchführte. Versuche es! Wieder einmal war ich völlig allein mit mir und meinen Anstrengungen. Es gab nie manden, nicht einmal den Magnetier, der mir helfen konnte. Ich zwang mich dazu, tief durchzuatmen und bekämpfte so die aufzie hende Ohnmacht. Wieder stand ich zentime terweise auf, stemmte mich vom Boden weg, sackte noch einmal zusammen. Ich ver suchte es noch ein drittes Mal. Es gelang mir, mich auf Knie und Ellbogen aufzustüt zen und zog mich schließlich an einer Ses sellehne hoch. Ich zitterte am ganzen Körper und war wieder schweißüberströmt. Gonozal saß noch immer vor dem Kon trollpult und tastete den neuen Kurs ein. Es war absolut sicher, daß die unbekannte Kraft ihn manipulierte. Er würde verhindern, daß wir jemals Kraumon erreichten. Ich be fand mich jetzt vier Schritte von Gonozals Rücken entfernt. Reiß ihn von den Kontrollen weg! gellte die Stimme des Extrahirns in meinen Gedan ken. Ich hob mit einer mühevollen, langsamen Bewegung meine Arme und versuchte, mit den kraftlosen Fingern die Schultern Gono zals zu erreichen. Noch ein Schritt! Und endlich gelang es mir – ich packte die leben de, von einem fremden Verstand ausgefüllte Marionette an beiden Schultern und riß sie mit aller Kraft von den Kontrollen nach hin ten.
6 Mit unbewegtem Gesicht drehte sich Go nozal halb herum. Seine geisterhaften Augen sahen mich, blickten durch mich hindurch und registrier ten lediglich eine Störung, eine Unterbre chung des Programms. Gonozal hob den Arm, packte mich an der Brust und schleuderte mich mühelos vier Meter weit durch die Zentrale. Ich stolperte rückwärts, die Wucht des Stoßes trieb mich zurück zu meinem Sessel. Hart und kra chend fiel ich in die Polsterung des Kontur sitzes zurück und fühlte erst Sekunden spä ter den Schmerz. Versuche es trotzdem wieder! schrie der Logiksektor auf. Ich lag wie eine Gliederpuppe im Sessel und konnte mich nicht mehr bewegen, so sehr ich mich auch anstrengte. Gonozal drehte sich mit der unerschütterlichen Ruhe einer wohlprogrammierten Maschine wieder herum und widmete sich schweigend den Schaltungen. Es war eine gespenstische Situation. Drei Hirne funktionierten noch in diesem todgeweihten Schiff. Eines davon war mei nes; mühsam kontrolliert vom Logiksektor. Das andere war das Hirn des Imperators, ebenfalls kontrolliert: in diesem Fall von et was Fremden, Unbegreiflichen. Das dritte schien der Bordrechner zu sein, der jetzt ge rade die nächste Transition vorbereitete. Ich stöhnte auf. Der Laut war absolut fremd und unge wöhnlich in diesem tödlichen Schweigen der Zentrale. Noch immer wirbelte die ISCHT AR wie eine Kugel durch den Raum. Sie war ein Spielzeug einer fremden Macht. Ich lag in meinem Sessel und konnte nicht einmal meine Augen bewegen. Ich mußte regungslos und gelähmt, aber mit funktio nierenden Sinnen, Gonozals Schaltungen mit ansehen. Ich war kraftlos. Aber keineswegs ohne Bewußtsein. Ich nahm alle Vorgänge wie durch einen leich ten Nebel wahr, der auch die Geräusche dämpfte.
Hans Kneifel Die ISCHTAR raste, annähernd in der Geschwindigkeit des Lichtes, auf den Schnittpunkt einer Transition zu. Nur Gono zal wußte, in welchen Bezirk des Weltraums uns dieser Sprung führen würde. Nein! Auch er weiß es nicht! korrigierte mich das Extrahirn. Richtig! Nur die seltsame Kraft, die mehr als sechshundert Menschen betäubt hatte und von der Gonozal dirigiert wurde, kannte das unbegreifliche Ziel. Die Zeit verging voller unheimlicher Spannung. Ich wußte nicht, was ich tun sollte und was ich tun konnte. Ich war vollständig handlungsunfä hig. Der schweigende Kampf hatte zu nichts geführt. Ich war nur noch der gelähmte Zu schauer. Ich sah einen Teil der Instrumente und er kannte, daß die Transition unmittelbar be vorstand. Zeiger schnellten nach rechts. Far bige Anzeigen glühten auf. Die Ziffern in ih ren leuchtenden Feldern veränderten sich mit unerbittlicher Langsamkeit. Er bringt das Schiff aus unersichtlichen Gründen an ein anderes Ziel, verkündete der Logiksektor. Noch immer konnte ich mich nicht rüh ren. Ich sah nur Gonozal, der jetzt seine Hand ausstreckte, um nach dem Schalter für den Startvorlauf zu greifen. Aber aus den Augenwinkeln konnte ich noch immer den Jungen von Perpandron undeutlich erken nen. Von ihm ging diese fremde Kraft kei neswegs aus, denn er lag nach wie vor re gungslos da. Dann heulte kurz die Sirene auf. Die ISCHTAR ging in eine Transition. Für mich war es, als ob der Metallkoloß sich aufschreiend wehrte. Das Schiff gab einen schrillen Ton von sich. Es war eine Mi schung aller Geräusche, die ich mir vorstel len konnte. Träger schienen zu brechen, Verbindungen zu reißen, Nieten und Schrau ben zu brechen, die Maschinen heulten auf, sämtliche Schaltungen knisterten. Auf den Bildschirmen befanden sich plötzlich irre Lichterscheinungen. Die Lautsprecher pras selten und knisterten.
Die Waffe des Gehorsams Achtung! Der Transitionsschock! Während mich ein scharfer, würgender Schmerz überflutete, saß Gonozal noch im mer regungslos und ungerührt da. Seine Fin ger schwebten wartend über den unzähligen Schaltern und Kontrollen. Die Transition ergriff das Schiff, riß es aus dem normalen Umfeld des Weltraums und schleuderte es durch den Abgrund aus Raum, Zeit und Entfernungen. Ich wurde ohnmächtig. Der letzte Ein druck den ich hatte, war der jener regungslo sen Figur schräg vor mir. Die Störungslinien auf den vielen Bildschirmen umloderten Go nozal wie eine mythische Figur.
* Ich erwachte wieder in einem Feuer aus Schmerzen. Ich war blind, meine Ohren gellten, in meiner Nase lag ein stechender Geruch. Jeder einzelne Nerv schien mit glü henden Nadeln gepeinigt zu werden. Ich zwang mich, die Lider nicht zu heben, denn durch die Haut der Augenlider drang eine schon jetzt schmerzende Helligkeit. Aufwachen! Zwinge dich! Was wird Go nozal als nächstes tun? schrie der Extrasinn auf. Ich öffnete die Augen. Die Stille in die sem Geisterschiff wurde, wie schon vor Se kunden oder vor einer kleinen Ewigkeit, nur vom flüsternden Arbeitsgeräusch der Elek tronik durchbrochen. Ich war erstaunt darüber, daß ich noch et was wahrzunehmen vermochte. Ich hatte schon oft in meinem kurzen Leben Schmer zen verspürt, die bis an die Grenze des Er träglichen gingen und kurzzeitig, stellenwei se, auch darüber hinaus. Aber das, was mich jetzt marterte und quälte, war ein neuer, ma kabrer Rekord. Ich merkte, wie ich wahnsinnig zu werden begann. Der Schmerz war überall. Er war allmächtig. Er umfaßte jeden Kubikmillime ter meines Körpers. Es waren die harten, keineswegs schockartig auftretenden Schmerzen eines doppelten Transitions
7 schocks. Ich wollte sterben. Unter dem An sturm des rasenden Schmerzes versagte selbst mein Extrasinn, der mich – außer Go nozal – zum einzigen nicht ohnmächtigen Insassen der ISCHTAR machte. »Nein … aufhören … keine Tran … siti on …!« gurgelte ich hilflos. Ich wünschte, ebenso bewußtlos zu werden wie die ande ren. Sie spürten diese wilden Schmerzen nicht. Die zweite Transition wurde vorbereitet. Schon die erste hatte das Schiff fast in ein Wrack verwandelt. Ich sah undeutlich, wie ein psychedelisches Muster aus roten Vier ecken, daß alle nur vorstellbaren Systeman zeigen flackerten, erloschen, wieder auf leuchteten und wirre Zusammensetzungen von Vierecken auf den Kontrollen bildeten. Irgendwo außerhalb der Zentrale quäkte durchdringend ein Warnsummer. Ich verstand den Sinn nicht mehr. Auch die Bedeutung der akustischen und optischen Warnungen erfaßte ich in meinem Zustand keineswegs. Ich sah nur mit steigendem Schrecken, der sich dem rasenden Schmerz hinzugesell te, daß Gonozal von dem allen nicht betrof fen war. Jedenfalls deutete nichts darauf hin, daß er die Transitionsschocks spürte. Ich war verzweifelt und wünschte meinen Tod herbei, nur damit dieser Schmerz endlich aufhören sollte! Die ISCHTAR ging in die nächste Transi tion. In dem Augenblick, als die Ansammlung blauer und goldener Sterne von den Bild schirmen gewischt wurde, verlor ich das Be wußtsein. Endlich spürte ich den Schmerz nicht mehr. Und irgendwann erwachte ich wieder.
* Ich befand mich erneut in einem Ozean aus kochendem Öl oder aus kaustischer Säu re, die mich aufzufressen begann. Ich schrie, ohne die wirren Schreie hören zu können.
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Meine Augen gaukelten mir spukhafte Bilder vor. Noch immer lag ich zitternd und vor Schmerzen heulend im Kontursitz. Noch immer befand sich Gonozal an den Kontrol len. Hörte denn diese Marter niemals auf? Ich war nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Ich besaß keinerlei Zeitbegriff mehr. Ich war nichts anderes mehr als ein Bündel rohes Fleisch mit kreischenden Ner ven, das hoffnungslos dem Schmerz, dem Todeswunsch und der Pein ausgeliefert war. Ich war nicht mehr länger Atlan, der Kri stallprinz von Arkon, sondern eine Kreatur, die sich an der messerfeinen Grenze des Wahnsinnes entlangtastete. Die nächste Transition! Insgesamt führte die ISCHTAR unter dem Diktat der Marionette Gonozal vier Sprünge durch den Raum und Entfernung durch. Nachdem das Schiff erneut den normalen Weltraum erreicht hatte, schlug etwas wie ein Hammer gegen meinen Hinterkopf. Ich verlor abermals das Bewußtsein. Ich freute mich darüber, denn nichts, was uns alle er wartete, konnte schlimmer sein als dieses weitgefächerte Spektrum der Schmerzen, das mich in ein Bündel aus Schreien und Stöhnen verwandelte. Sekunden, Stunden oder Monate vergin gen scheinbar … Ich erwachte wieder …
* Befand ich mich im Zentrum eines rasen den, flackernden Feuers? Der Raum, in dem ich mich jetzt befand, war von zuckendem rotem Licht durchtost. Von den Kanten der Pulte, der Instrumente und aller Metallteile schienen lange, dunkel rote Funkenbündel zu entstehen. Der erste Eindruck war, daß die irrsinnigen Schmer zen nachgelassen hatten. Ein Versuch? Ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Ich riß die Augen auf und versuchte, mich zu konzentrieren. Der Logiksektor kam mir zu Hilfe:
Die letzte Transition scheint stattgefun den zu haben! Ich schloß und öffnete die Augen. Ich konnte noch immer keine einzige Bewegung durchführen. Mein gesamter Körper war starr wie Eis. Nur das salzige Augensekret sickerte über meine Wangen herunter. Es schien tatsächlich im Augenblick wieder Ruhe einzutreten. Der Schmerz war nicht mehr so wild und ausschließlich. Ich lag da und blieb der stumme Beobachter. Zunächst beseitigte Gonozal mit einigen schnellen und souverän durchgeführten Schaltungen die rollenden und drehenden Eigenbewegungen der ISCHTAR. Die Bil der auf den Panoramaschirmen klärten sich und wurden deutlicher. Rotes Feuer riesiger Sonnen schlug in den Raum der Zentrale hinein. Auch die rasende Fahrtgeschwindig keit wurde abgebremst. Sie sind noch alle ohne Besinnung! wis perte mein Extrahirn. In meinem fast gefühllosen Körper, in dem nur noch das Gehirn arbeitete, machte sich eine dumpfe Erstarrung bemerkbar. Der Herzschlag klang, als ob jemand mit einem Hammer an eine Stahlplatte schlüge. Plötz lich durchschnitten andere, noch rätselvolle re Laute die Totenruhe in der Zentrale. Der große, zentrale Kommunikationsbild schirm war eingeschaltet. Aber er zeigte nur ein Rechteck aus stählernem Grau, das von Zeit zu Zeit von feuerroten Störungsblitzen durchzuckt wurde. Gonozal stand vor dem Mikrophon und redete. Eine fremde Sprache! registrierte der Lo giksektor. Ich kannte nicht einmal Bruchteile dieser bellenden, rauhen Sprache. Es schien nicht einmal ein völlig verfremdeter Dialekt ir gendeines arkonidischen Hinterwäldlerpla neten zu sein. Gonozal beendete einen lan gen Satz und schwieg abwartend. Das Rauschen in den Lautsprechern riß ab. Die Antwort kam. Irgend jemand dort draußen zwischen den riesigen Sternen ant wortete in der gleichen Sprache. Die Geräte
Die Waffe des Gehorsams waren viel zu laut eingestellt. Die Zentrale dröhnte unter den bellenden Worten auf. Wieder antwortete Gonozal dem Unsicht baren. Es schien ein Mann zu sein, denn für mich war es undenkbar, daß eine Frau mit einer solchen widerwärtigen Stimme redete. Der Bildschirm blieb leer, aber die bewegli chen Linsen darüber waren eingeschaltet. Wir befanden uns in einem völlig fremden Bereich des Weltraums. Minutenlang sprachen Gonozal und der unsichtbare Mann dort zwischen den dicht nebeneinander stehenden Riesensonnen. Dann knackten die Lautsprecher, das Mikro phon wurde ausgeschaltet. Die ISCHTAR trieb auf annähernd geradem Kurs auf den Sternencluster zu. Die Situation wurde noch rätselhafter – gefährlich war sie bisher schon gewesen. Die Transitionen hatte uns weiter geführt, als ich vor einer kleinen Ewigkeit noch ge ahnt oder besser: gefürchtet hatte! Wieder legte sich Totenstille über den Raum. Weder einer der Besatzungsangehörigen, noch ich oder Gonozal regten sich jetzt. Der fremde Bann hatte uns noch immer in der Hand. Wir gehorchten wie gut funktionie rende Roboter. Bis auf zwei allerdings ver hielten wir uns wie desaktivierte Maschinen. Ich hatte aufgegeben, mich zu wehren. Es führte zu nichts. Ich unternahm nur sinnlose Anstrengungen. Die Ereignisse folgten jetzt langsamer aufeinander. Die Uhr war nicht in meinem Sichtbereich. Ich konnte nur schätzen, wie viel Zeit seit dem Eingreifen der Emotio strahlung bis jetzt vergangen war. Es konn ten Tage sein. Ich sah das Bild der Panoramagalerie. Die ISCHTAR trieb unendlich langsam auf eine Gruppe von riesigen Sonnen zu. Unendlich langsam – sie flog unterlicht schnell, und es gab keine Festpunkte, an de nen ich die Geschwindigkeit abschätzen konnte. Das Leuchten der neun von hier aus sichtbaren Sonnen überstrahlte den übrigen Sternenhimmel. In welch abgelegenem Teil
9 des Weltalls befanden wir uns hier? Warte, Arkonide! Du hast keinerlei Mög lichkeit, Informationen einzuziehen! meinte der Extrasinn beschwichtigend. Seit Beginn dieser rätselhaften Irrfahrt hatte mich das Entsetzen gepackt und ließ mich nicht mehr los. Ich befand mich in ei ner eisigen Hülle der Panik gefangen. Zuerst hatte der Schmerz meinen Schrecken zu rückgedrängt, ihn unwichtig werden lassen und mich beschäftigt, jetzt kamen Todes furcht und Angst um die Mannschaft und das Schiff zurück. Und ich konnte nichts tun! Absolut nichts! Die Sternenriesen besaßen, wie nicht an ders zu erwarten gewesen war, verschieden farbige Koronen und Chromosphären. Aber das furchtbare Rot, das durch die Bildschir me ins Schiff hereindrang, überflutete alles. Die ISCHTAR näherte sich einem Punkt zwischen den Sonnen, in deren Mittelpunkt furchtbare Gewalten herrschen mußten. Ge waltige Energiemengen tobten sich dort aus. Der von vielfarbigem Licht durchflutete Korridor zwischen den Sonnen war jene Zo ne, in der sich weiche und harte Strahlun gen, mehrdimensionale und magnetische Wellenfronten und alle nur denkbaren Schwerkraftlinien trafen. Und dort hinein würde sich in absehbarer Zeit das Schiff stürzen. Unendlich langsam kroch die Zeit dahin. Der technische Bereich des Schiffes ar beitete noch immer störungsfrei. Die ISCH TAR war ein gutes, neues Raumschiff. Es gab für die mehr als sechshundert bewußtlo sen Raumfahrer noch immer eine deutliche Chance. Aber dieses Glück würde nicht mehr lange anhalten. Wenn wir in den Anziehungsbereich einer dieser Sonnen gerieten – und das war so gut wie sicher –, dann stürzte die ISCHTAR in das hypernukleare Herz des Sterns hinein. Es würde für uns alle ein grauenvoller Tod werden. Langsam und qualvoll summierten sich die Zeiteinheiten. Nichts geschah, alles blieb so erstarrt, wie es war. Wir taumelten dem
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Schreckenspunkt zwischen den drohenden Riesensonnen entgegen. Der Tod kam mit Sekundenschritten näher.
* Die Stille ist tödlich. Die Gedanken ver wirren sich! Aus dem gasartig leuchtenden Raum zwischen den vielfarbigen Sonnen schiebt sich eine neue Vision! Der Verstand wurde so lange gefoltert, daß die Gedanken sich in Halluzinationen flüchten! Das kann keine Wirklichkeit sein! Dies ist der Versuch des Verstandes, angestiftet vom Extrasinn, sich zu beschäftigen, um nicht geschädigt, zu werden. Die Vision kristallisierte sich, wurde deutlicher, ergab ein in neun verschiedenen Farben funkelndes und leuchtendes Bild. Eine technische Vision! Der Gedanke nahm mehr und mehr Ge stalt an! Es ist nur ein kleiner Punkt. Er kommt näher! Er schiebt sich auf das Schiff zu und kommt aus dem gefährlichen Loch zwischen den Sonnen. Der Punkt wird größer! Die Vi sion wird immer deutlicher und zeigt dem winzigen Rest des normalen Verstandes, wie gefährlich nahe der Moment war, in dem der Wahnsinn ausbrechen würde. Die Schirme zeigten es deutlich! Der verwirrte Verstand beginnt, aus dem Nukleus der Vision ein diffizil wirkendes Ob jekt zu gestalten. Eine riesige Scheibe. Auf der Unterseite dieser Scheibe – unten und oben wurde durch die relative Lage der ISCHTAR bestimmt – wuchsen gitterähnli che und chromfunkelnde Konstruktionen in den Raum. Sie wirkten wie Antennen. Sende antennen oder solche, die in der Lage wa ren, diese gewaltigen Energiemengen anzu zapfen. Oder sich dagegen zu schützen. Die Scheibe kam näher und wurde deutli cher. Immer mehr Einzelheiten enthüllten sich. Die Vision blieb erstaunlich lange sta bil. Der Traum war vollkommen und dauerte lange. Oder war es vielleicht gar keine Re-
aktion des zitternden, hochgespannten Ver standes? Auf der Oberseite dieser gewaltigen Scheibe – sie konnte zehnmal so groß sein wie das Schiff! – spannte sich ein annähernd halbkugeliger Schirm. Eine Energiekugel, auf der sich die stechenden Leuchterschei nungen der Sonnen spiegelten. Die ISCHTAR und die überkuppelte Scheibe drifteten ohne jeden sichtbaren Energieausstoß direkt aufeinander zu. Sie befanden sich eindeutig auf Kollisionskurs. In diesem Augenblick begann ich zu be greifen, daß dies keine Vision war.
* Nein. Es ist real. Etwas geschieht mit uns! sagte der Extrasinn. Ich versuchte, meinen verschwimmenden Blick auf das seltsame, unbekannte Objekt zu richten. Es wurde unablässig größer und deutlicher. Es behielt ebenso wie das Schiff seinen Kurs bei. Eine winzige Bewegung lenkte mich vom Bild der Panoramagalerie ab. Gonozal hatte sich gerührt. Er war bisher regungslos, wie eine Statue, vor die Kontrollen gefesselt gewesen. Nicht einer seiner Muskeln hatte sich bewegt, nachdem er seine seltsame Funkunterhaltung beendet hatte. Aber jetzt ging er langsam und steif rückwärts in die Zentrale hinein. Dabei trat er nicht ein einziges Mal auf einen der daliegenden Raumfahrer. Aber er drehte sich auch nicht herum. Er wurde diri giert. Gonozal blieb stehen. Er befand sich gerade noch innerhalb mei nes Blickwinkels. Jetzt krümmte Gonozal seine Schultern nach vorn und erschlaffte. Er nahm genau die Haltung ein, die wir alle kannten: von Lebenskügelchen wiederer weckt, willenlos und erschlafft. Nichts ande res als eine Marionette aus scheinbar lebendem Zellgewebe. Eine Art Golem, ein An droide. Als ob ihn eine unsichtbare Kraft verlas
Die Waffe des Gehorsams sen hätte! erklärte auf einmal das Extrahirn. Schlagartig machte der Eximperator wie der den Eindruck der völligen Apathie, an den wir uns bereits gewöhnt hatten. Ein irrwitziger Gedanke zuckte durch meine Überlegungen. Konnte es sein, daß Gonozal einen Inku bus transportiert hatte? War es möglich, daß ihn kurz vor dem ersten Zwischenfall ein fremder Verstand, ein wanderndes Ego, übernommen und dirigiert hatte? Dann lag die Auffassung nahe, daß dieses Fremde eben jetzt den Körper wieder verlassen und ihn als leere Hülle zurückgelassen hatte. So irrsinnig schien dieser Gedanke nicht zusein! Denn ich glaubte zu erkennen, daß die Plattform ihre Geschwindigkeit verlangsamt hatte. Die Schlußfolgerung aus diesem wil den Reigen unsicherer Überlegungen war: Der Fremde hatte Gonozal nur als Zwi schenträger benutzt. Der oder das Fremde verließ ihn jetzt und wechselte in einen anderen Organismus über, der dort in oder auf der Plattform exi stierte. Eine Überlegung mit großer Wahrschein lichkeit! Wieder krochen die Sekunden dahin. Ich wartete, voll von Schrecken und regungslos. Die Plattform mit den merkwürdigen Git terkonstruktionen und der vielfarbig spie gelnden Energiekuppel schien plötzlich still zustehen. Dann begann sie sich zu entfernen – dorthin, woher sie gekommen war. Ich konnte nicht ein einziges der exakt anzei genden Instrumente erkennen, aber ich sah es daran, daß sie sich wieder schnell verklei nerte. Da überdies das Schiff ihr sozusagen langsam folgte, mußte sie, um diesen Ein druck zu erwecken, noch schneller zurückra sen. Für mich stand es fest, allerdings ohne jeden Beweis zu haben, daß die Station etwas abgeholt hatte. Da wir in Kürze sterben würden, gab es keine Chance, zu erfahren, was es wirklich gewesen war.
11 Wir alle waren von dieser fremden We senheit mißbraucht worden. Die ISCHTAR und Gonozal bildeten dabei lediglich die Trägerelemente. Wir waren zu besseren Laufburschen für ein überlegenes Wesen be nutzt worden. Zu meiner Reglosigkeit, mei ner Angst und Todesahnung kam jetzt auch noch die kalte Wut. Aber ich konnte nicht einmal fluchen. Nur denken konnte ich. Meine Phantasie schlug wirre Kreise. Ich begann mir vorzu stellen, was geschehen würde, wenn wir in eine bestimmte kritische Entfernung zu der Sonnenballung kamen. Alle einzelnen Vor gänge lösten in meiner Vorstellung neue Schrecken aus, die nur eine Steigerung kannten. Es ist der Tod! sagte schließlich der Ex trasinn.
2. Die unwiederholbare Mischung aus dem Klirren der Gläser, der vielen Gespräche und der Musik des Orchesters erfüllte einen der Prunksäle des Kristallpalasts. Nur scheinbar achtete niemand auf Orbana schol, der zu diesem Fest eingeladen hatte. Die zuckenden Linien und Punkte, Streifen und Helligkeitswechsel der Farbspiele ra sten über die kuppelartig gerundete Decke. Es war ein gigantisches Fest – die »Halle des Lichtes« faßte rund eineinhalbtausend Gäste. Das Orchester bestand aus zwanzig In strumenten und zwar an zwanzig verschiede nen Plätzen aufgestellt. Die Musiker, von denen die Instrumente bedient wurden, wa ren schwache Telepathen und brauchten kei nerlei optische Kommunikation; überdies befanden sich vier Ssarga-Harfen darunter, die weder einen Dirigenten noch die Hilfe eines Musikers brauchten. Sie selbst waren spezialisierte Viertelmutanten. Die flirrenden und summenden Töne der Harfen zitterten im Rhythmus der Licht wechsel. In der Nähe eines Portals tauchte zwi
12 schen einer Schar ankommender Gäste ein schmalgesichtiger Mann mit kurzem, eng am Kopf anliegendem Haar auf. Er trug den Gesichtsausdruck eines Mannes, der wußte, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Die uniformierte und schwerbewaffnete Dreierwache erkannte ihn. »Weilt der Impe rator in der Schar seiner gutgelaunten Gä ste?« erkundigte sich der Mann. Auch seine Stimme war bemerkenswert. Sie paßte zu seinem Gesicht. Es war die leise, eisige Stimme eines Arkoniden, der keinerlei Le bensfreude, Machtstreben oder persönliche Leidenschaften mehr kannte. Er war nichts anderes als ein Instrument. Viele Jahre an der Seite des Imperators hatten ihn so wer den lassen. »Jawohl, Sekretär!« sagte der Posten. »Er ist noch in der Halle.« »Ich muß zu ihm!« »Nichts dagegen. Wir haben keine an derslautenden Befehle erhalten!« Der Sekretär – einer von rund einem Dutzend spezieller Begabungen – nickte knapp und ging ruhig weiter. Auch seine Kleidung war in tristem Grau gehalten. Oh ne genau zu wissen, wer er war, wichen ihm die Gäste aus. Viele kannten seinen Namen, die meisten erfaßte ein merkwürdiges Ge fühl, und sie traten zur Seite. Die schnellen Augen suchten nach der überaus prächtig gekleideten Gestalt Orba naschols. Nach etwa zweihundert Schritten und ei nem Zickzackweg durch die Menge blieb der Mann vor einer Ssarga-Harfe stehen und heftete den Blick zunächst auf das kreisrun de etwa einen Meter hohe Podium, das mit dem gleichen kostbaren Teppich bedeckt war wie der Boden der riesigen Halle. Dann glitten seine Augen langsam an dem halbin telligenten Lebewesen hinauf. Niemand beachtete den schmalen Gang, auch er kümmerte sich nicht um das, was um ihn herum vorging. Seine schmalen, zu ei nem langen Strich zusammengepreßten Lip pen verzogen sich zu einem kaum wahr nehmbaren Lächeln.
Hans Kneifel Die Ssarga sah aus wie eine Anzahl ver schieden großer Spinnennetze zwischen den Ranken einer blütenübersäten Orchidee. Der ganze, graugrüne Körper befand sich in unaufhörlicher Bewegung. Die feinen Sai ten, in Wirklichkeit offenliegende Nerven scheiden, wimmerten und summten – dieses Geräusch wurde durch die Hohlkonstruktion der Halbpflanze verstärkt. Der Sekretär er innerte sich an den Bericht von einem Kolo nialplaneten, dessen Namen er vergessen hatte. Dort gab es riesige Waldzonen voller wildwachsender Ssarga. Sie summten und spielten jede Nacht, nur an kalten Winter monaten nicht. Diese halbintelligente, nicht ortsgebun dene Pflanze erahnte die Harmonien und Kadenzen, die von den anderen Musikern gespielt und vorher erdacht wurden. Dann schickte sie ihre eigenen Töne in die Luft. Es waren platzende Kristallblasen voller Wohl klang. Der Sekretär sah die Schalen voller schillernder Nährlösung, in denen sich die weißen Wurzelfäden der Ssarga zusammen ringelten. Eine letzte Kadenz voller süßer Töne zerrte einen Augenblick lang die Erin nerung an andere und bessere Jahre aus sei nem Gedächtnis, dann wandte er sich mit ei nem übertrieben entschlossenen Ruck ab und fuhr fort, den Imperator zu suchen. Überall gab es kleine Gruppen von Arko niden der obersten Klassen. Sie hielten Glä ser in den Händen, unterhielten sich ange regt und lachten. Die Frauen trugen ihre schönsten und auffallendsten Kleider, die meisten Männer waren in den Paradeunifor men der Raumflotte zu sehen. Der Imperator hatte zu einem »zwanglosen Fest« geladen, um einen winzi gen Sieg über die Methaner zu feiern. Es sollte Fröhlichkeit herrschen, hatte es auf der Einladung gelautet. Also herrschte Fröhlichkeit. Hin und wie der war sie sogar echt. Besonders unter den jungen Raumoffizieren. Dort wurde viel ge lacht. Sie alle waren zu siegessicher, obwohl sie die Schwere der Aufgaben kannten, die
Die Waffe des Gehorsams vor ihnen lagen. Weit hinten sah der Mann in der grauen, uniformähnlichen Kleidung einen größeren Kreis Arkoniden. Vermutlich befand sich der Imperator dort, denn soweit erkennbar war, benahmen die Personen dort hinten sich nicht unge zwungen, sondern steif und unnatürlich. Der Sekretär bahnte sich einen Weg dort hin. Auch er mußte sich hüten, durch eine Ungeschicklichkeit den Zorn des despoti schen Herrschers auf sich zu ziehen. Er erreichte den Kreis, sah zwischen sich bewegenden Köpfen hindurch und erkannte Orbanaschol. Mit einigen bereits angetrunkenen Flotte noffizieren der obersten Ränge diskutierte er. Der Disput war bereits zum Monolog ausgeartet. Orbanaschol stand da, gestiku lierte mit einem überschwappenden Becher voll schäumendem Wein in der Hand und verkündete sein tödliches Konzept in der Auseinandersetzung des Großen Methan krieges. Die Anwesenden gaben vor, mit ge spannter Aufmerksamkeit zuzuhören. Sie schienen förmlich gebannt zu sein. Der alte Sekretär, der keinerlei Illusio nen mehr hatte und nahezu alle Geheimnisse Orbanaschols kannte, zuckte in einem ver geblichen Reflex die Schultern und begann seinen Versuch, sich durch den dichtge drängt stehenden Kreis der Menge zu schie ben. Zuerst ging es leicht. Diejenigen, die von den stechenden und mißtrauischen Blicken des Imperators nicht getroffen wurden, ver suchten mit Erfolg, den Kreis zu verlassen. Aber der innere Ring war wie gebannt. Die Anwesenden fürchteten sich. In diesem. Augenblick begann sich auch der Sekretär zu fürchten. Er hatte eine wichtige und sehr mysteriö se Botschaft zu überbringen. Sie war vor Mi nuten über die Bildschirme im innersten Be reich des Kristallpalastes geflimmert. Mit einer gemurmelten Entschuldigung schob er eine goldhaarige Frau und einen uniformierten Mann auseinander. Er blieb
13 vor ihnen stehen und versuchte, unauffällig die Aufmerksamkeit Orbanaschols auf sich zu ziehen. In der Brusttasche seiner Uniform kni sterte die Botschaft im versiegelten Um schlag. » … auf keinen Fall mit einer einzigen, gewaltigen Anstrengung. Wir müssen den verdammten Methanern ein System nach dem anderen abjagen und sichere, feste Grenzen schaffen!« schrie Orbanaschol und sah sich beifallheischend um. In diesem Au genblick haßte der Sekretär den Imperator. Sonst hatte er nicht viel mehr als Mitleid für ihn übrig, bestenfalls kühle Verachtung. Aber heute war es zu spät, die Fronten und die Abhängigkeiten zu wechseln. Es war reiner Zufall, daß Orbanaschols flackernder Blick auf ihn, den Sekretär fiel. Der Mann hob leicht die Hand und zog dann den Umschlag in der charakteristischen Farbgebung einer dringenden Botschaft her vor. »Augenblick! Ich erkläre gleich weiter, was ich vorhabe!« rief der Imperator und streckte die Hand aus. Die Geste war voller Gleichgültigkeit, übertrieben hoheitsvoll und gleichzeitig blitzschnell. Niemand, der diesen Mann unterschätzt hatte, war noch am Leben, dachte der Sekre tär, übergab den Umschlag und konzentrier te sein kaltes, leidenschaftsloses Interesse auf Orbanaschol. Der Imperator riß den Umschlag auf und zog die Folie heraus, auf der jener Hyper funkspruch ausgedruckt war. Orbanaschol las schweigend. Das erste mal überflog er die wenigen Zeilen, dann als ihm die Bedeutung des Textes klar wurde, las er ein zweites Mal langsamer und, trotz seiner leichten Betrunkenheit, scharf kon zentriert. »Deine Gegner, Orbanaschol, sind nach deinem Wunsch behandelt worden. Sie sind handlungsunfähig. Die Belohnung werde ich persönlich kassieren. Schließlich habe ich alles getan, um sie mattzusetzen.« Alle sahen sie deutlich, wie Orbanaschol
14 zusammenzuckte. Lautlos bildeten seine Lip pen ein Wort, das ihn mit Schrecken erfüllte. Klinsanthor! Der Imperator starrte den Sekretär an. Der Graugekleidete hielt dem Blick ruhig stand. Langsam faltete Orbanaschol die Bot schaft zusammen und schob sie in seine Ta sche. Den Umschlag ließ er zu Boden fallen. Augenblicklich bückten sich drei hohe Flot tenoffiziere und versuchten, den Umschlag aufzuheben. Orbanaschol wußte, daß diese Botschaft nur vom Magnortöter stammen konnte. Sie besagte – für ihn, den Auftraggeber –, daß Klinsanthor augenscheinlich gegen Atlan und seine rebellische Gruppe und gegen Go nozal mit Erfolg vorgegangen war. Erfolg, das konnte in diesem Zusammen hang nur heißen, daß die Rebellen erledigt waren. Tot, vom Magnortöter vernichtet. Den Henkerslohn würde Klinsanthor selbst bestimmen. Orbanaschol blieb starr stehen. Seine Augen gingen ins Nichts; er nahm die Men ge und die Farbspiele nicht bewußt wahr. Unruhe griff mitten während des Festes nach ihm und schüttelte ihn. Die Nachricht des Magnortöters konnte auch für ihn selbst unabsehbare, gefährliche Folgen heraufbeschwören. Es sah aus, als hätte er eine Macht auf geweckt, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Klinsanthor entzog sich seinem Zu griff. Der Imperator machte zwei, drei zögernde Schritte vorwärts. Der Lärm des Festes und die Musik schlugen wieder an seine Ohren. Er kam aus der dunklen Welt seiner Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Der Sekretär, der jede Gemütsbewegung des Herrschers genau kannte, wußte jetzt, daß Orbanaschol Furcht zu spüren begann … Der Graugekleidete wurde nicht mehr gebraucht. Er drehte sich um und verließ langsam die Halle des Lichtes.
Hans Kneifel
3. Ganz plötzlich merkte ich, daß ich mich bewegen konnte. Die Lähmung wich und machte einer grenzenlosen Müdigkeit Platz. Meine Glieder begannen zu zittern, ich merkte, daß sämtliche Muskeln und Nerven von der langen, unnatürlichen Verkramp fung von einem heißen, stechenden Schmerz durchtobt wurden. Mit unendlicher Erleichterung begann ich tief zu atmen. Langsam ließ ein Teil der Schmerzen nach. Im gleichen Moment er tönte als erstes deutliches Geräusch seit ei ner kleinen Ewigkeit der Summer des Funk geräts. Jemand hatte uns erreicht und versuchte, mit uns in Kontakt zu treten. War es jene ge heimnisvolle Plattform mit den Gittermasten und der Energiekuppel? Du mußt ans Pult. Die Botschaft kann wichtig sein! beschwor mich der Extrasinn. Ich stand mit wackelnden Knien auf. Mei ne zitternden Finger krallten sich um die Polsterung der Armlehnen. Jedenfalls ge horchte mein Körper wieder mir und nicht einer fremden Macht. Ich drehte unschlüssig den Kopf, als ich aufgestanden war. Die Zentrale hatte ihr Aussehen nicht verändert, aber überall begannen sich die Raumfahrer zuckend zu bewegen. Vorry, der Magnetier, schien die Lähmung am besten überstanden zu haben, denn die Bewegungen seiner ge drungenen Gestalt waren gut koordiniert. In kurzer Zeit würde sich die ISCHTAR in ein Lazarett verwandelt haben. Ich schob mich an Gonozal vorbei und sank erschöpft aufs Pult. Noch immer dröhnte der Summer in meinen Ohren. Ich konzentrierte mich abermals und drückte die entsprechenden Schalter des Bildfunkgeräts. Der große Bildschirm wurde hell, dann grau, endlich zeichneten sich undeutlich Konturen eines Wesens ab, das menschlich sein konnte oder auch nicht; es schien jeden falls vier Extremitäten zu haben. Wieder hörte ich die knarrende und polternde Stim
Die Waffe des Gehorsams me. Aber dieses Mal war für uns verständ lich, was sie sagte. Für uns? Vorläufig nur für mich, denn alle anderen kämpften sich noch durch die Schleier der Bewußtlosigkeit an die Wirklichkeit hoch. Ich drückte einen Schalter, der die kombinierten Aufzeich nungsgeräte einschaltete. »Hier Schiff ISCHTAR!« sagte ich ins Mikrophon und erkannte meine eigene Stim me nicht mehr. Es war ein heiseres Kräch zen, nicht mehr. »Ich hätte euch vernichten können. Aber ich will erst die Entwicklung auf Arkon ab warten. Klinsanthor sagt dies.« »Wer immer du bist …«, begann ich, aber der Sender wurde abgeschaltet. Das Bild verschwand vom Schirm. Ich erkenne Klinsanthor nicht, sagte der Logiksektor. Eine unheimliche Botschaft. Ich hatte nichts verstanden, aber vielleicht war sie Teil einer Erklärung. Noch während ich am Pult hantierte, erwachten hinter mir immer mehr Besatzungsmitglieder. Ich sah zu, wie Fartuloon und Vorry vorsichtig auf mich zu kamen. In meiner Schwäche lehnte ich mich an das umlaufende Pult. Es war wie in einem phantastischen Schauspiel. Überall rund um uns standen stöhnend und fluchend die Besatzungsmit glieder auf. Einige halfen sich gegenseitig, andere drehten sich auf den Rücken und blieben liegen, um Kräfte zu schöpfen. Fartuloon warf einen langen Blick auf die Bildschirme. Auch er erkannte die Drohung der fremden Riesensonnen. »Wie lange bist du schon handlungsunfä hig?« knurrte er und legte, als er das Pult er reichte, die Hand auf meine Schulter. »Ganz kurze Zeit«, erwiderte ich. »Aber lange genug, um mich zu fürchten. Ich habe diesen Wahnsinnsflug gelähmt, aber bei mehr oder weniger vollem Bewußtsein mit erlebt.« Gleichzeitig sahen wir beide auf die Uh ren. »Das kann ich nicht glauben. Als wir auf brachen, war es …«, sagte Fartuloon und
15 rechnete schnell. Drei Tage lang hatte dieser Irrsinn gedauert. Ich fühlte mich mehr als nur erschöpft. »Gonozal?« Der Bauchaufschneider deutete auf die le bende Mumie, die ungerührt inmitten des Chaos stand. »Er hat uns hierher und in diese Lage ge bracht. Wer hat die Medorobots alarmiert?« »Keine Ahnung!« Die ersten Leute wankten aus der Zentrale hinaus. Sie würden hastig ein Essen herun terschlingen, sich vielleicht duschen und fünfzehn Stunden lang schlafen. Ich gönnte es ihnen, aber mir war nicht anders zumute. Aber wir mußten schnell und entschlossen handeln. »Wir müssen versuchen, uns aus dieser Sonnenballung zurückzuziehen«, sag te ich drängend. »Die Zeit ist knapp.« Zwei Medorobots schwebten in die Halle hinein, und Vorry gab ihnen den Befehl, sich um den Piloten zu kümmern. Ich schilderte, was ich mitangesehen hat te. Ich berichtete, wie die Marionette plötz lich zu organisiertem Leben erwacht war und in die Steuerung eingegriffen hatte. Schließlich murmelte ich schläfrig: »Und vor wenigen Minuten kam dieser Funkruf durch. Ich konnte ihn nicht in einen Dialog verwickeln, den Fremden.« »Schalte ein!« Wir hörten die Botschaft und verstanden deutlich den Namen, mit dem sie abge schlossen wurde. Fartuloon erbleichte, als er den Sinn ganz verstanden hatte. »Ich kann es nicht glauben! Es ist der Ma gnortöter Klinsanthor!« Ich sah ihn befremdet an. »Kennst du ihn?« Fartuloon winkte ab. Er wirkte plötzlich alt und müde. Es sah aus, als ob die Erwäh nung dieses Namens ihm den Rest gegeben habe. Aber auf alle meine bohrenden Fragen erhielt ich nur eine Antwort: »Zu gegebener Zeit werde ich dir alles be richten, was ich von Klinsanthor weiß. Ver suchen wir, das Schiff wieder in eine norma le Umgebung zu bringen.«
16 Die Besatzung war gewohnt, selbständig zu handeln. Etwa fünf Sechstel der Frauen und Männer zogen sich zurück, aßen und tranken und ließen sich dann auf die Liegen fallen. Die wichtigsten Posten wurden wie der besetzt. Die Raumfahrer hatten sich mit Medikamenten und entsprechenden Flüssig keiten gedopt und würden für einige Stun den durchhalten können. Dann würden wir sie durch halbwegs ausgeschlafene Leute er setzen müssen. Der Pilot des Schiffes stand zwischen den Maschinen und sah mich zwinkernd an. »Geht schon wieder, Atlan«, sagte er. »Hoffentlich haben meine Reflexe nicht zu sehr gelitten.« Alles andere, alle Überlegungen, Mutma ßungen und Thesen hatten für später Zeit. Das Schiff flog noch immer auf einen riesi gen roten Stern zu, dessen Schwerkraft am Schiffskörper zerrte. »Navigationszentrale?« verlangte ich und sah, wie sich der Pilot bereitmachte. Die Maschinen erwachten wieder. Aus den Ventilatoren kamen kühle, frische Luft ströme und vertrieben den stickigen Geruch. »Hier. Wir versuchen eine Ortung. Es wird schwer sein.« »Begreiflich«, erwiderte Fartuloon. »Wir hingegen versuchen, daß das Schiff wieder aus dem tödlichen Wirrwarr verschiedener Kräfte herausgebracht wird.« Die Roboter brachten Gonozal hinaus. Dann war die Zentrale einigermaßen leer, aber voll von den Spuren, die fünfzig zu sammengebrochene Leute hinterlassen hat ten. Die Reinigungsmaschinen kamen aus ihren integrierten Verstecken hervor und be gannen summend und klickend mit ihrer Ar beit. Fartuloon und ich ließen uns in Sessel fallen und verlangten von einem Automaten eine Kanne stärkender Getränke. »Gonozal war also von einer fremden Kraft besessen?« erkundigte sich der Bauch aufschneider, während das Schiff schneller wurde und seine Schutzschirme aufbaute. »Ja. Und natürlich können wir ihm keinen Kommentar darüber entlocken, was mit ihm
Hans Kneifel passiert ist.« »Wohl kaum. Aber jedes Geheimnis ist ir gendwann keines mehr!« bekräftigte Fartu loon. Ein Wall aus Problemen, teilweise leich terer und meistens schwerer Art, türmte sich vor uns auf. Wir waren hier kein Machtfak tor mehr, sondern nur ein verlorenes, winzi ges Schiff, das sich der vielfältigen Gewal ten der fremden Sonnen ausgeliefert sah. Die Mannschaft war weitestgehend ausge schaltet; der arbeitende Rest war der Er schöpfung näher als je zuvor. Schwere Feh ler konnten geschehen. Fremde Kräfte hatten uns hierher gezerrt. Die Sonnen bedrohten uns. Gonozal hatte sich in eine Marionette ver wandelt, die jetzt wieder willenlos war. Der Magnortöter schickte uns eine Bot schaft. Eine seltsame Plattform hatte sich genä hert und war wieder zwischen die Sonnen zurückgeflüchtet. Wir konnten unseren Standort nach diesen vier wahnwitzigen Transitionen nicht mehr ermitteln. »Wenn noch mehr Ärger auf uns lauert«, knurrte der Pilot und versuchte, die ISCHT AR aus der Anziehungskraft der Sonne her auszubekommen, »dann wird er wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.« Wir saßen schweigend da und sahen zu. Der Kampf des Schiffes mit der Sonne begann. Zwei Männer kamen herein und nahmen ihre alten Plätze wieder ein. Sie wa ren total erschöpft, aber um ihre Lippen lag ein trotziges Lächeln. Etwa zehn Minuten später hatte das Schiff eine Geschwindigkeit erreicht, die uns viel leicht eine Flucht gestattete. »Eine Transition ist unmöglich, solange wir keine Daten haben.« »Gonozal hat die Speicher abgeschaltet. Es gibt keine Informationen über die zurück liegenden Sprünge!« fluchte der Mann links von uns. »Das habe ich geahnt. Der Fremde ist gründlich gewesen und hat nichts dem Zu fall überlassen!« knirschte der Bauchauf
Die Waffe des Gehorsams schneider. Ruhe dich aus! Du kannst nichts anderes tun! sagte lustlos der Extrasinn. Wir brauchten ungefähr eine Stunde, bis im Schiff normale Zustände herrschten. Rund fünfhundert Frauen und Männer sch liefen. Die Versorgungseinrichtungen arbei teten mit gewohnter Zuverlässigkeit. Hun dert Raumfahrer befanden sich auf den wichtigsten Posten. Aber wir waren weit entfernt, sicher zu sein. Das Schiff kämpfte sich über eine Energiefront hinweg, die ei ner aufgewühlten Meeresfläche glich. Die Bewegungen der mit neun Zehnteln Lichtge schwindigkeit dahinschießenden ISCHTAR wurden unregelmäßig und hart. »Ich bleibe hier! Schlaf dich aus!« sagte Fartuloon zu mir, ohne die Augen von den Bildschirmen und den Kontrollen zu lassen. »Sind wir noch im Gravitationsbereich der roten Sonne?« fragte ich und stand auf. Ich hatte entsetzliche Rückenschmerzen. Der Stern leuchtete jetzt rechts, aus der Geraden unserer Flugrichtung gesehen. Die Zentrale glich noch immer einem gewaltigen kalten Feuer. Alles war dunkelrot und schien zu glühen. Ich schleppte mich aus der Zentrale und warf im Vorbeigehen noch einen kurzen Blick auf den hageren Jungen mit der auffal lenden Pigmentierung auf der Brust. Er lag nach wie vor da wie die in Stein gemeißelte Gestalt auf einem Grabmal. Ich ließ mir Essen kommen, duschte, ließ mich massieren, zog die Decke bis zum Hals und war augenblicklich eingeschlafen. Das Schicksal schenkte der ISCHTAR fast zehn Stunden Ruhe. Dann traf der näch ste Schlag dieses verirrte Schiff.
* Krachend flog das Schott auf. Das laute Geräusch riß mich vom Lager hoch. Ich sah im Rahmen der schweren Zuhaltungen den gedrungenen Körper Fartuloons. Einen Au genblick später hatten seine suchenden Fin ger den Schalter erreicht. Licht strömte von
17 der Decke und erhellte meine große Kabine. »Steh auf, zieh dich an und komm sofort mit!« stieß Fartuloon mit unheilverkündender Stimme hervor. Ich schwang meine Beine aus den Decken und griff nach Hemd und Hose. »Was ist passiert?« Ich merkte, daß das Schiff langschwin gende, unregelmäßige Bewegungen ausführ te. Also befanden wir uns noch immer im drohenden Einfluß der Sonnen dieser unbe kannten Ballung. »Der Junge von Perpandron – er er wacht.« »Warum? Hat jemand …?« Wir taumel ten, als ein neuer, schwerer Stoß das Schiff traf. Die große Kugelzelle geriet in Schwin gungen, stabilisierte ihre Flugbahnen aber wieder sehr schnell. »Ich weiß nicht, was der Grund war.« Fartuloon war ungeduldig und nervös. Ich sah auf die Uhr und errechnete, daß wir ge nau neuneinhalb Stunden Ruhe gehabt hat ten. Nur eine relative Ruhe, aber jetzt war der größere Teil der Schiffsbesatzung wie der einsatzfähig. »Haben wir schon eine Ortung?« fragte ich, während ich die Sandalen schnürte. »Nein. Die Zentrale versucht es immer wieder. Aber das einzige, was wir erreicht haben, ist ein neuer Kurs. Wir sind nicht mehr im Bannkreis der roten Riesensonne.« Wieder schwankte das Schiff, trotz aller technischen Einrichtungen waren die Ein flüsse zu merken. »Dafür ist die ISCHTAR unter dem Ein fluß einer der anderen Sonnen!« sagte ich und rannte hinter dem Bauchaufschneider aus der Kabine. Eine böse Ahnung hatte mich ergriffen. »Vielleicht haben ihn die Strahlungen der Sonne aufgeweckt?« rief ich. »Oder sogar die rätselhafte Plattform, die jetzt irgendwo lauert und uns zusieht, wie wir um unser Le ben kämpfen?« rief Fartuloon über die Schulter zurück. »Nicht unmöglich!« Wir legten die letzten Meter bis zur
18 Hauptzentrale in großen Sprüngen zurück. Stimmengewirr schlug uns entgegen. Mit ei nem langen Blick umfaßte ich die Zentrale und alles, was ich sehen konnte. Zuerst die Panoramabildschirme. Wir hatten die riesige, rote Sonne passiert und einige Lichtstunden zurückgelegt. Unse re Flugbahn war fast absolut gerade verlau fen, das konnten wir daraus erkennen. Aber noch immer befanden wir uns im scheinba ren Zentrum der vielen Sonnen. Aus jeder Richtung der Schirmgalerie strahlte eine an dere durchdringende Farbe auf uns herein. Fast alle Plätze vor den Kontrollen und Schaltungen waren besetzt. Das Schiff war, was die menschliche Mannschaft betraf, voll einsatzfähig. Dann drehte ich mich herum und schob zwei Männer auseinander, die di rekt vor der weißgepolsterten Bahre standen, auf der der Junge vom Planeten der GolteinHeiler bisher unbeweglich gelegen hatte. Jetzt bewegte er sich. »Ich frage noch einmal«, polterte Fartu loon los. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet. Dies alles waren keine Gefahren, denen wir durch schnelle Aktionen begeg nen konnten. »Ich frage euch alle: Hat je mand irgend etwas unternommen, woraus wir schließen können, daß es diesen Jungen aufgeweckt hat?« »Nein! Niemand! Wir alle sind ebenso überrascht.« Es war ein Chor von nahezu gleichlauten den Antworten. »Gut. Vielmehr nicht gut. Wir werden of fensichtlich von weiteren unangenehmen Überraschungen heimgesucht.« Wir hatten mehrmals mit unseren medizi nischen Methoden versucht, den schlafenden Jungen aufzuwecken. Jeder einzelne Ver such war gescheitert. Jetzt wurden wir da von überrascht, daß sich die Brust des Jun gen hob und senkte. Zuerst nur schwach, dann stärker und kräftiger. Die ungewöhn lich großen Augen waren weit offen und schimmerten rötlich. Der Verdacht, daß der namenlose Schlafende ein Arkonide oder ein Arkon-Abkömmling war, verstärkte sich er-
Hans Kneifel neut. Das silberne Haar, das bis zu den Schultern reichte, bewegte sich ebenfalls schwach. »Hoffentlich entpuppt er sich nicht als ein zweiter Gonozal!« brummte Fartuloon. Nie mand antwortete. Unsere Augen hingen ge bannt an dem schmalen, aber keineswegs ausgemergelt wirkenden Körper. Das Ge sicht war trotz seiner Leblosigkeit von ju gendlich-männlicher Schönheit; der edle Kopf eines Arkoniden. »Diese Sterntätowie rungen in den Handflächen …«, murmelte ich. Unser erwachsenes Findelkind war in fast jeder Hinsicht bemerkenswert und einzigar tig. Wir sollten kurze Zeit später erfahren, daß wir eine Art Zeitbombe an Bord geholt hat ten. Bestimmt nicht älter als sechzehn Jahre in der Rechnung Arkons. Auf der Brust, für uns jetzt sichtbar, und auf dem Rücken, jetzt nicht zu sehen, hatte der Namenlose stark fleckige Hautpigmentierungen. Sie wirkten merkwürdigerweise keineswegs abstoßend, aber irgendwie störend. Die Hände lagen an den Seiten des ausge streckten Körpers an. Die Handflächen wa ren in unnatürlichem Winkel nach oben ge dreht, so daß wir die Sternsymbole erkennen konnten. In dem aus sieben oder mehr Kom ponenten zusammengesetzten Licht der Rie sensonnen wirkten die Symbole, als ob sie leicht flimmerten. »Ich habe kein gutes Gefühl!« sagte Far tuloon nach einiger Zeit leise. Der Junge be wegte sich. Seine Muskeln beugten und streckten sich langsam. Der schmale Mund war geöffnet, und in der Stille konnten wir hin und wieder einen Atemzug hören. »Die Mehrzahl hier hat mit Sicherheit ein sehr schlechtes Gefühl!« erwiderte ich grim mig. »Aber wir werden auch diesen Zwi schenfall überstehen.« »Sicher, nur wie!« Das Schiff suchte sich verzweifelt einen Durchbruch zwischen den Sonnen. Aber da die Abstände überall etwa gleichgroß waren,
Die Waffe des Gehorsams würde jeder Fluchtversuch mit dem gleichen hohen Risiko behaftet sein. Das wußte in zwischen jedermann an Bord. Ich sage dir, daß dieser Flug lange dau ern wird. Mache dich auf alles gefaßt! wis perte der Logiksektor warnend. Ich hätte diesen unhörbaren Zwischenruf nicht gebraucht. Ich war auf alles gefaßt – so dachte ich wenigstens in diesem Moment. Der Junge zog die Knie an, drehte die Hände, stützte die Arme auf und erhob sich in sitzende Stellung. »Endlich habe ich den Zeitpunkt meiner Berufung erreicht!« Ich brauchte viel zu lange, um zu begrei fen, was hier geschehen war. Die Frauen und Männer um uns herum hatten nichts verstanden. Aber Fartuloon warf mir einen durchdringenden Blick zu. Altarkonidisch! sagte das Extrahirn. Ich hatte den Satz, der eigentlich eine selbstzufriedene Feststellung sein sollte, fast augenblicklich verstanden. Nur Adlige auf Arkon mußten diese Sprache lernen. Auch Gonozal kannte sie und hatte sie einst ge sprochen. An Bord verstanden wohl nur der Bauchaufschneider und ich dieses alte Idi om. Ich hatte es während der Schulung zur Ark Summia lernen müssen. »Ob du den Zeitpunkt der Berufung er reicht hast, ist unklar. Jedenfalls bist du un ser Gast!« sagte Fartuloon, sobald er seine Verwirrung überwunden hatte. Der Junge sah ihn prüfend an und machte einen überle genden Eindruck. Es war mehr als erstaun lich – niemand an Bord wußte, wie lange er in dieser Todesstarre gelegen hatte. Aber sein erster Satz war vollkommen klar und deutlich gewesen. Viel mehr noch: Jeder andere hätte ge fragt, wo er sich befände, warum er hier sei, was denn geschehen sei … oder hätte eine ähnliche Frage gestellt. Nicht so dieser Jun ge. Der Namenlose war in keiner Weise über rascht. Er zog die Knie an, legte die Arme darum und betrachtete aufmerksam die Ge sichter der etwa dreißig Umstehenden.
19 »Ich brauche Nahrung, denke ich!« sagte er. Ich sah, wie an Fartuloons Stirn die Zornadern zu schwellen begannen. Er warf einen durchbohrenden Blick auf den Jungen und knurrte: »Geht es vielleicht etwas höflicher, junger Mann?« Ich kannte diesen Tonfall. Fartuloon wur de immer dann so ruhig und schneidend, wenn er kurz vor der Explosion stand. Es konnte nur noch einige Herzschläge lang dauern, bis etwas Dramatisches geschah. Ich hob die Hand und ging bis dicht an die Bah re heran. »Wer bist du, Fremdling?« fragte ich deutlich. Das Sprechen in der uralten Spra che fiel mir nicht ganz leicht. Er beachtete mich nicht einmal. Sein In teresse richtete sich eindeutig auf Fartuloon, der mit verschränkten Armen auf der ande ren Seite der Bahre stand und auf den Na menlosen starrte. Seine buschigen Brauen bildeten eine waagrechte Linie. »Ich denke, ich brauche Essen und Klei dung. Hole mir beides, Dicker. Und nur vom besten, verstehst du? Sofort!« »Jawohl!« sagte Fartuloon, deutete eine Verbeugung an und ging schnell zur Zentra le hinaus. Ich erstarrte, als ich begriff, was passiert war. Das ist keine Illusion! stellte der Logik sektor fest. Erschrecken, Verwunderung, Atemlosig keit … schlagartig beherrschten uns höchst widersprüchliche Empfindungen. Vor Ver blüffung waren wir vollkommen still gewor den. Nur ich hatte verstanden, worum es ging. Aber Tonfall und darauffolgende Handlung waren für alle anderen zu verste hen gewesen. Der Junge hatte Fartuloon wie einen Sklaven behandelt. Und der Bauchauf schneider hatte gehorcht, schnell und wort los. »Seht euch vor«, sagte ich leise. »Der Junge besitzt eine gewisse Macht über uns.« »Kannst du verstehen, was er sagt?« »Ja«, murmelte ich betroffen. »Es ist
20 Altarkonidisch. Er hat Fartuloon um Essen und Kleidung geschickt.« »Und … der Bauchaufschneider ist ge gangen?« »Ihr habt es selbst gesehen.« »O verdammt!« Ein längerer Fluch in Neuarkonidisch folgte. Wir waren wie gelähmt. Die Ahnung, abermals einen schlafenden Geist oder eine ähnliche kaum erfaßbare Gefahr geweckt zu haben, wurde fast schmerzlich. Ich hätte meinen Strahler ziehen und ihn jetzt und hier erschießen sollen. Eine Handvoll Grün de hielt mich davon ab, nicht zuletzt auch die Überlegung, vielleicht von ihm erfahren zu können, warum wir in dieser Lage waren und wer uns hierher gebracht hatte. Der Jun ge hatte in seinem Gesicht, das plötzlich be stürzend lebendig geworden war, einen un nachahmlich arroganten Ausdruck. Mit sei nen großen Augen blickte er einen nach dem anderen an. Er musterte uns in einer Art, wie ein Schlachtviehzüchter eine Herde mustern würde. Er prüfte uns sozusagen anscheinend auf unsere Brauchbarkeit. Als unsere Augen sich trafen, sagte ich entschlossen: »Hör zu, Fremder. Wir sind nicht deine Diener. Vielmehr bist du unser Gast. Verhal te dich danach!« Er registrierte ohne sichtbares Erstaunen, daß auch ich Altarkonidisch sprach. Er be trachtete mich schweigend und lange vom Kopf bis zu den Füßen. Fartuloon kam, zwei andere Männer hinter sich, in die Zentrale zurück. Mit einem langen Finger deutete der Jun ge auf den Kartentisch und sagte kurz: »Bereitet dort das Mahl. Helft mir in die Gewänder.« Es ließ sich nicht vermeiden: das alte Ar konidisch klang immer etwas gestelzt und übertrieben. Der Fremde hatte nicht einmal eine Antwort für mich übrig gehabt. Von den drei angesprochenen Männern wurde auch dieser Befehl anstandslos be folgt. Sie standen im Bann dieses mächtigen Willens. Ich merkte noch nichts, drehte mich
Hans Kneifel halb herum und streckte den Arm aus. »Einen Schockstrahler!« murmelte ich. Jemand drückte mir den Kolben der kurz läufigen Waffe in die Hand. Ich sah empört zu, wie Fartuloon mit schnellen und sicheren Bewegungen ein Tuch über den Tisch brei tete und dort die Teller, Becher und Be stecke auslegte, wie die anderen Männer die Speisen hinstellten, mit der Kleidung han tierten, wie alles ablief, als sei es ein Teil der Morgenvorbereitungen am Hof des Im perators. Sie sind im Bann des Jungen! flüsterte der Extrasinn. Brich diesen Bann! Der Junge stand auf und ließ sich anklei den. Ich trat einige Schritte zurück und rich tete die Waffe auf die Brust des Fremdlings. »Meine Geduld hat Grenzen«, sagte ich laut und scharf. »Du bist nicht unser Herr scher! Aufhören, ihr alle!« Die Gruppe erstarrte vorübergehend. Mein Finger legte sich um den Abzug. Der Junge warf mir einen Blick voll mäßigem Interesse zu und sagte kurz: »Wirf die Waffe weg. Füge dich. Dieses Benehmen steht einem Sklaven nicht zu.« Die Wirklichkeit war vielfach schlimmer als die präziseste Vorstellung. Ich war wie hypnotisiert. Ich wurde von dem Willen des namenlosen Jungen gezwungen, genau das zu tun, was er verlangt hatte. Ich fühlte mich keineswegs wie ein Sklave, aber ich mußte erkennen, daß der Fremde deutlichen Zwang auf mich ausübte. Er zwang mich, ihm zu gehorchen wie ein willenloser Roboter. Ich ließ die Waffe fallen. Ich anerkannte seine Befehlsgewalt. Ich schämte mich, daß ich versucht hatte, etwas zu tun, was er nicht wollte oder nicht forderte. Langsam drehte ich mich um. Jetzt starr ten die Umstehenden mich an und wurden Zeuge meiner Niederlage. Verzweifelt such te ich nach einem Ausweg. Dabei machte ich schlagartig eine andere Erfahrung. Ich war wieder frei. Der Druck des absoluten, sklavischen Gehorsams wurde augenblick lich aufgehoben.
Die Waffe des Gehorsams »Wir müssen gehorchen, wenn er es will!« sagte Fartuloon leise und blieb neben dem Tisch stehen. »Bediene mich, Kerl!« sagte der Junge. »Selbstverständlich!« erwiderte Fartuloon willig und machte sich an die Arbeit. Der Namenlose trug jetzt die wertvollsten Klei dungsstücke aus unseren Magazinen. »Es ist merkwürdig«, erklärte ich. »Sobald er mich aus den Augen gelassen hat, wich der Zwang.« »Und kommt wieder«, schränkte Fartu loon ein, »sobald er dich wieder anspricht. Wie soeben bei mir. Wir müssen ihn aus schalten.« »Unbedingt!« pflichtete ich ihm bei. Der Junge war an Bord eines Raumschiffs aufgewacht, nach soundso vielen Jahren Tief schlaf. Jeder, der einen einigermaßen funk tionierenden Verstand besaß, mußte merken, daß dies die kugelförmige Zentrale eines Schiffes war. Eines Raumschiffs, das noch immer darum kämpfte, einen Fluchtweg zwischen den Riesensternen zu finden. Aber der Namenlose war nicht im gering sten überrascht gewesen. Er erwachte und begann zu herrschen. Augenblicklich! Ich wandte mich an die staunende Gruppe mei ner Raumfahrer. »Verschwindet aus der Zentrale«, sagte ich. »Lauert auf eine Gelegenheit, ihn zu lähmen oder irgendwie zu isolieren. Fartu loon und ich fechten diesen Kampf hier aus. Ja, auch du, Vorry!« »Verstanden. Wir lassen uns etwas einfal len.« Während sich der Junge auf das Essen konzentrierte, verließ einer der Männer nach dem anderen schnell und schweigend die Zentrale. Wir blieben allein zurück, zusam men mit den schweigenden Männern an den Kontrollen, die kaum Zeit hatten, sich um die Vorgänge in ihrem Rücken zu kümmern. Das soll nicht bedeuten, daß sie nicht alles gesehen und verstanden hätten – aber sie zo gen es aus guten Gründen vor, nicht erst auf zufallen. Ich blieb regungslos stehen und überlegte.
21 Drei Schritte neben mir lag der entsicherte Schockstrahler. Der Bann hatte verhindert, daß einer der Männer ihn aufhob. Was konn ten wir tun? Eine wilde Serie teilweise un durchführbarer Gedanken raste durch mein Hirn. Ich betrachtete den Rücken des essenden Unbekannten und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Wir hatten ihm bedingungslos zu gehor chen, wenn er einen Befehl aussprach! Bisher waren es keine Bitten oder Anord nungen oder gar Vorschläge gewesen, son dern Befehle in einem arroganten, kalten Tonfall, den sich nicht einmal ein Imperator leisten konnte. Wir gehorchten. Nach einiger Zeit ließ der Bann nach, wenn er nicht wieder aufge frischt wurde. Der Umstand, daß sich jetzt der Namenlose umgedreht hatte und mit ge waltigem Appetit die Leckerbissen in sich hineinschlang, machte mich innerhalb eines gewissen Spielraumes frei – für den Augen blick. Dies bedeutete nichts anderes, als daß der Fremde mit uns hantieren konnte wie mit Spielzeug. Der kalte Schweiß brach mir aus, als ich dies erkannte. Ruhig! Es gibt immer eine Möglichkeit, der Falle zu entkommen! Blitzschnell bückte ich mich, hob den Strahler auf und zielte, noch auf dem Boden kauernd, auf den Hinterkopf des Namenlo sen. Gerade, als mein Zeigefinger sich krümm te und ich spürte, wie sich der Auslöseknopf hineinschob, erdröhnte links von mir ein gellender Schrei. »Nein! Atlan! Nicht!« Ich hatte verloren. Betäubt vor Ärger und mit dem Bewußtsein, niemals wieder eine solche Chance zu bekommen, stand ich auf. Karmina Arthamin kam schnell in die Zen trale hinein. Ich warf ihr nur einen ärgerli chen Blick zu und konzentrierte mich wieder auf den Jungen von Perpandron. Er sah mich hoheitsvoll über seine Schul ter hinweg an und sagte leise, aber mit schneidender Schärfe: »Du wirst mich niemals wieder mit der
22 Waffe angreifen, du Dienerseele!« »Nein!« würgte ich widerstrebend hervor. Die Waffe polterte ein zweites Mal zu Boden. Ich drehte mich herum und sah die Arkonidin an. »Das war außerordentlich unklug, Son nenträgerin Arthamin!« sagte Fartuloon nur. Die Szene hätte Ausdruck einer irrsinni gen Komik sein können, aber in Wirklich keit war sie ein Teil der steigenden Gefah ren, in denen sich die ISCHTAR befand. »Wie apart!« sagte der Junge plötzlich und musterte die Arkonidin wie ein zappelndes Insekt. »Komm her, Mädchen.« Die Sonnenträgerin gehorchte. Ihre kühl blickenden Augen waren jetzt voller Verwir rung. Die gnadenlosen Ängste ihres Unter bewußtseins hatten noch nicht voll zu wir ken begonnen. »Hierher!« sagte der Junge und deutete auf den leeren Kontursessel neben dem Far tuloon stand. Der Bauchaufschneider war – wie wir alle – verwirrt und unsicher. Er wür de alles riskieren, um diese neuen Gefahren von uns abwenden zu können – aber er muß te sich sagen, daß jede Aktion sinnlos war. Aber auch er suchte nach einem Ausweg. Ich verfluchte in Gedanken die Männer, die die Zentrale verlassen hatten. Es wäre für sie leicht gewesen, einen Roboter ent sprechend zu programmieren oder die Zen trale mit Betäubungsgas zu fluten. Zwar wä ren auch wir zusammengebrochen, nicht nur der Junge, aber im Vergleich zu den zurück liegenden Tagen würde es uns allen kaum etwas bedeutet haben. Und jetzt verfluchte ich auch die Sonnenträgerin. »Setz dich!« sagte der Junge mit seiner ei gentümlichen Stimme. Er deutete mit der Messerspitze auf den freien Sitz und lächelte kurz. »Ich setze mich!« wiederholte sie. »Ich habe Kleidung, wie sie mir zusteht«, sagte der Junge ohne Namen. »Ich denke, ich werde von diesen Brosamen auch satt. Also brauche ich Unterhaltung.« Die siebenundzwanzig jährige Arkonidin war verlegen. Im Augenblick war keines-
Hans Kneifel wegs zu erkennen, daß ihre Familie einst den Imperator Arthamin den Ersten gestellt hatte. Sie wirkte wie ein junges Mädchen mit zartem Gesicht und großen Augen, die in einer Situation gefangen war, die nicht einmal ihre Erfahrung entschlüsseln konnte. Uns allen ging es so. »Wie soll ich euch unterhalten?« fragte sie. Stockend wandte auch sie das uralte und völlig ungebräuchliche Idiom an. »Lasse dir etwas einfallen!« sagte er. Außerhalb der Zentrale warteten sechs hundert Besatzungsmitglieder, unter ihnen Ra und Vorry, darauf, daß etwas geschah. Ich wandte den Kopf. Die Linsen der auto matischen Kommunikationsanlage waren eingeschaltet, schon allein deswegen, weil wir uns noch immer zwischen den verderbli chen Riesensonnen befanden. Plötzlich, noch während alles offen und die Situation keineswegs klar war, hob der Pilot die Hand. »Atlan?« Ich war mit einigen schnellen Schritten bei ihm und blickte auf die Schirme. Ein ausgestreckter Arm deutete auf einen Spezi albildschirm. »Was gibt es?« »Wir haben hier eine merkwürdige Or tung. Eine unsichtbare Massenkonzentration von höchster Gefährlichkeit. Sie verändert ununterbrochen ihren Standort.« »Was können wir tun?« Das Schiff wurde von den Anziehungs kräften und den verschiedenen Wellenfron ten der Sonnen hin und her gezerrt. Und jetzt tauchte sogar noch ein zusammenge brochener Stern auf, winzig klein und mit der Masse einer Riesensonne, wie die Mes sungen bewiesen. »Nicht viel. Das einzige, das ich im Au genblick riskieren kann, ist ein winziger Hy persprung. Vielleicht ein halbes Lichtjahr, Atlan.« »Ich glaube, wir sollten es tun!« Noch während wir leise die einzelnen An zeigen kommentierten, uns mit den Teams in der Ortungszentrale unterhielten und den
Die Waffe des Gehorsams Kursrechner programmierten, riß uns die un gewöhnlich kalte und herrschaftsgewohnte Stimme aus unseren Bemühungen. »Was geht dort vor?« Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben, und antwortete: »Wir versuchen, unser Leben zu retten!« Die Stimme war die eines geborenen Herrschers. Dieser Junge war offensichtlich schon vor seiner Geburt zum Herrscher be stimmt worden – jedenfalls war dies mein Eindruck. Jede der wenigen Bewegungen, die wir bisher gesehen hatten, deutete eben falls unzweifelhaft darauf hin. Er herrschte, ohne es gelernt zu haben. Nein! Es ist keine Telepathie! versicherte ungefragt der Logiksektor. »Es wird nicht viel wert sein! Was plant ihr dort an dieser Schaltstation, Diener?« Der Pilot fluchte. Ich sagte: »Wir geraten in die Anziehungskraft die ser unbekannten Sonnen. Das Schiff ist in Gefahr!« »Hört auf. Ich begreife das nicht. Ich weiß, daß ich nicht in Gefahr bin. Ich brau che unterhaltende Dinge, nicht eure merk würdigen technischen Riten. Ich will Kampf, Spiele, Aufregung!« Wir starrten ihn entsetzt an. Er hatte voll kommen ruhig gesprochen. Für ihn waren dies alles absolut selbstverständliche Dinge. Gerade diese Selbstverständlichkeit, die aus der Unkenntnis der Situation kam, erschüt terte uns. »Ich will nicht, daß ihr euch weiterhin um die Schaltungen kümmert. Das können ande re Diener besser.« Der Junge faßte Karmina fest ins Auge und beugte sich vor. Er tätschelte ihr Gesicht und ihre Schultern. Sie ließ die Berührungen widerstandslos über sich ergehen. »Du wirst neben mir sitzen, wenn wir zu sehen!« bestimmte er im gleichen trockenen Tonfall. »Ich werde neben dir sitzen. Wo sehen wir zu?« fragte sie leise und folgsam. Er deutete in einer großartig umfassenden Geste um sich herum und sagte:
23 »Wir genießen es, wenn diese Männer im größten Raum dieses Gebäudes gegeneinan der kämpfen werden.« »Kämpfen?« rief ich. »Bist du wahnsinnig geworden?« Fartuloon schien im Augenblick seine Chancen abzuschätzen. Er verhielt sich ru hig und abwartend und stand an der Seite der Sonnenträgerin. Der Junge schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du bist ungezogen, außerdem höre ich derlei nicht gern. Du wirst als einer der letz ten kämpfen.« »Jawohl!« entgegnete ich fügsam. Es zer riß mich fast vor Wut. Aber es gelang mir nicht, gegen den Befehl zu handeln. Das neuerliche Verhängnis nahm seinen Fortgang.
4. Die automatischen Aufnahmegeräte dreh ten ihre Linsen hin und her. Das gleißende Licht der Tiefstrahler erhellte einen großen, freien Kreis auf dem Boden des größten, zur Zeit leeren Laderaumes. Auf Stahlrohrkonstruktionen, die von der Besatzung aus den Lagervorräten errichtet worden waren, befanden sich die Sitze des Auditoriums. Das ganze glich immer mehr einer antiken Arena auf einer Barbarenwelt. Breite, farbige Stoff streifen hingen von den kreisförmigen Tribünen herunter: Eine mannshohe Barriere aus Kunststoff teilen, die einem anderen Zweck hätten diesen sol len, bildeten eine Art Mauer. In der improvisierten Arena war es still. Aber in den breiten Korridoren rund um den zweckentfremdeten Lagerraum herrsch ten Lärm und Musik. Der Fremde von Per pandron hatte mit einer Reihe von Befehlen das gesamte Schiff unter seine Gewalt be kommen. Es waren alles Befehle und An ordnungen, die uns keinen Spielraum ließen. Jeder Bildschirm in der ISCHTAR war eingeschaltet. Der Befehl hatte gelautet, daß diejenigen, die nicht kämpften und zusahen,
24 die »Unterhaltung« in ihren Kabinen mitver folgen mußten. Welch ein Irrsinn! Aber es war ein wohl organisierter Irrsinn, ausgedacht von einem Gehirn, das noch immer nicht begriffen hat te, daß wir uns in einem gefährdeten Raum schiff befanden und zwischen den Riesen sternen und einem umherschwirrenden Neu tronenstern umhertaumelten. Die Musik stammte aus den Tonkonser ven des Schiffes, wurde von einem Bandge rät in der Zentrale abgespielt und über die Schiffskommunikation ausgestrahlt. Don nernd brachen sich die Echos der Bässe in den Korridoren und den Rampen. Die Fanfa ren dieser kriegerischen Musik schrien und kreischten wie entfesselte Sirenen durch die Gänge und Kammern. Das Zentrum des Schiffes hatte sich in ein Irrenhaus verwan delt. Wir waren die gehorsamen Narren. Bis jetzt hatte sich der mächtige Fremde noch nicht auf mich konzentriert. Er wußte nicht, wo er sich befand. Er hielt es offen sichtlich für den Ort, an dem wir ihn schla fend gefunden hatten. So entging ihm, daß die ISCHTAR ein lebender Organismus war. Der Junge wußte nicht, daß es in fast allen Teilen der großen Kugel für uns Verstecke gab, in die sich Frauen und Männer zurück ziehen konnten. So schafften wir es, daß das Schiff weiter hin gegen die Anziehungskräfte und Wellen fronten kämpfen konnte, obwohl vierhundert Raumfahrer sich der Laune des Unbekann ten fügten. Ein gewaltiges Spektakel be gann. Die Magazine waren auf Geheiß dieses unheimlichen jungen Mannes geplündert worden. Wir alle hatten uns mit Teilen der Ausrüstung kostümiert. Wir Sollten augen scheinlich einen Stamm höchst fremdartiger Krieger darstellen. Teile von Raumanzügen, farbiges Tuch, alle nur denkbaren Dinge, die Ähnlichkeit mit antiken Waffen hatten, bil deten die Verkleidung. Schwere Stiefel polterten durch die Korri dore.
Hans Kneifel Ein Orchester begleitete die anfeuernden Rhythmen aus den Lautsprechern. Es waren Männer, die Trommeln trugen – in Wirk lichkeit leere Behälter von Speisen oder Speziallacken – und mit improvisierten Schlegeln darauf droschen. Das dumpfe, harte Dröhnen der Trommelschläge unter malte das schauerliche Summen, das aus den Röhren verschiedener Durchmesser drang, die ihrerseits von einer Gruppe als Posaunen oder ähnliche Blasinstrumente benutzt wur den. Dazwischen bewegten sich kleine Grup pen von abenteuerlich ausgestatteten Mäd chen und Frauen. Sie schrien von Zeit zu Zeit grell auf und bildeten einen wilden, akustischen Hintergrund zu dem Krachen und Heulen der falschen Instrumente. »Yayaya!« schrien sie in höchsten Tönen, zehnmal, zwanzigmal hintereinander. »Yayaya!« Der Zug wurde angeführt von der häm mernden, blasenden und kreischenden Meu te. Er begann in der Zentrale. Niemand konnte ausbrechen. Die präzisen Befehle dieses seltsamen Herrschers über unseren freien Willen wurden ausnahmslos befolgt. Aber während wir alle gehorchten, sahen wir, daß wir uns zum Narren machten. Was immer wir versucht hatten, um der geistigen Fessel zu entkommen, es wirkte nicht. Wir planten Widerstand, Gegenwehr und Revo lution, aber schon der nächste Befehl ver wandelte uns wieder in willenlose Sklaven, die diesem ungereiften und unerwachsenen Herrscher gehorchten, als hätten sie Angst vor den sausenden Hieben der Peitschen. Langsam und in feierlichem Schrittmaß bewegte sich die Spitze des Zuges aus der Zentrale hinaus und einen der breiten Haupt korridore entlang. Aus der Richtung der Mannschaftsquartiere und einiger Magazine kamen kleine Gruppen phantastisch ausse hender Gestalten dazu und verbreiteten den trägen, dahinstampfenden Strom. Merkwür dige Helme waren zu sehen, Stangen und Rohre, Werkzeuge und improvisierte Stücke aus Konstruktionsstahl vermittelten den
Die Waffe des Gehorsams kriegerisch blitzenden Eindruck von Waf fen. Ich bewegte mich mit in dem ziehenden und schiebenden Gewimmel von abenteuer lich ausgerüsteten Frauen und Männern. Irr sinn lag wie ein farbiger, rauchiger Dunst in der Luft. Ich drehte den Kopf und starrte in die schwitzenden Gesichter neben und hinter mir. Eine Frau ging neben mir; ich kannte sie so gut wie alle Besatzungsmitglieder. Sie war noch jung, aber jetzt wirkte sie verbis sen und um Jahre gealtert. Sie trug ihr Haar im Stil einer alten arkonidischen Frisur. Sie stellte so etwas wie eine unordentlich geklei dete Amazone dar. »Ich bringe diesen Kretin um!« zischte sie. »Warum habt ihr ihn eigentlich aufge weckt?« Ihr Gesicht war verdrossen. Sie sträubte sich mit allen Fasern gegen die Befehle – aber es war umsonst. Widerstand fand nur in Gedanken und Worten statt. »Wir haben ihn nicht geweckt!« sagte ich. »Aber du hast recht! Wir hätten ihn in sei nem gläsernen Turm liegenlassen sollen!« »Jetzt ist es zu spät. Er wird uns alle in ei ne Sonne stürzen lassen!« »Noch haben wir Chancen!« sagte ich. »Ich soll als einer der letzten kämpfen, was immer das zu bedeuten hat.« »Du wirst ihn besiegen wollen?« »Nein. Ich werde versuchen, ihn zu über zeugen.« Sie torkelte weiter. Ich folgte ihr und den anderen. Um mich herum sah ich aufgerisse ne Augen unter Raumhelmen oder Blenden aus Stahlblech. Die nackten Gesichter und die bloßen Oberkörper waren schweißnaß. Einige der Männer hatten sich auf Geheiß des Fremden mit breiten Farbstreifen be malt. Grüne Zickzacklinien liefen quer über Rücken und Brustkörbe. Oder weiße Linien waren zu erkennen, die im Halbdunkel des Korridors leuchteten. Sie zogen sich vom Haaransatz bis zur Gürtelschnalle herunter. Kreise, Farbpunkte oder wirre grobe Muster.
25 »Dieser Wahnsinnige …« »Und keiner kann etwas gegen ihn tun. Wir gehorchen nur …« »Kann denn niemand etwas tun?« So oder ähnlich murmelten die Raumfah rer. Wieder dröhnten die Trommeln auf, wieder schrien die Mädchen ihr »Yayaya!«, und das summende Blöken der falschen Flö ten und Hörner hallte. Inzwischen hatte sich die erste Gruppe vergrößert; ununterbrochen sickerte Nachschub aus allen Richtungen heran. Behalte einen kühlen Kopf. Das ist erst der Anfang! warnte der Logiksektor. Kreischend, dröhnend und mit dem Scheppern der gegeneinandergeschlagenen Waffenimitationen wälzten sich Hunderte folgsamer Raumfahrer der nächstliegenden Kreuzung der breiten Korridore entgegen. Dort tauchte jetzt eben ein mehr als seltsa mes Gefährt auf. Karmine Arthamin, der Bauchaufschnei der und der Junge von Perpandron saßen in den Sitzen des halbautomatischen Ladege räts, das über den Boden schwebte und furchterregend mit den hydraulischen Ar men und Greifern herumfuchtelte. Der nüch tern technische Mechanismus hatte sich in ein archaisch buntes Ding verwandelt; mit Sprühfarben und verschiedenen StoffStreifen hatten Männer daraus eine Mi schung zwischen Thronsessel und Sänfte ge macht. Ein Lichtstrahl wanderte über uns, dann sagte der Junge etwas zu Fartuloon. Der Bauchaufschneider machte ein grim miges Gesicht, preßte einige Sekunden lang die Lippen zusammen und übersetzte dann den Befehl aus dem Altarkonidischen in die gebräuchliche Sprache. »Kommt alle hierher! Versammelt euch zur Feier vor den Kämpfen!« Allein schon der bloße Gedanke war von einem faszinierenden Irrsinn. Ein echter Kampf im Raumschiff, zwischen Raumfah rern, die sich als alte Krieger verkleiden mußten. Aber die Wirklichkeit, gegen die wir ankämpften, war noch schlimmer. Wie der gehorchten wir.
26 Die Stimme des Bauchaufschneiders durchdrang dank der Lautsprecher den rhythmischen Lärm der Instrumente und die Schreie der Mädchen. Der bunte und glit zernde Zug schob sich aus dem Korridor und gabelte sich auf. Ein Teil der Prozession blieb links, der andere umrundete rechts das schwebende, sich langsam drehende Lade gerät. Der Junge stand auf und breitete die Arme aus. Er sah unbeschreiblich aus. Ich kämpfte einen flüchtigen Augenblick mit dem La chen, aber dann kam mir der gefährliche Wi dersinn zum Bewußtsein. Das Grinsen erstarb auf meinen Lippen. »Hierher! Bildet einen dichten Kreis!« Wieder übersetzte, wie schon während al ler Vorbereitungen, Fartuloon. Wir versuch ten uns zu sträuben, aber der Zwang war in uns, also versammelten wir uns in der Hel ligkeit des runden Raumes. Der Junge trug eine Art Tunika aus un zähligen Metallplättchen. Ich erkannte das Material; es war eine Spezialfolie, mit der bestimmte Reflektoren ausgekleidet wurden. Seine hohen Stiefel mochten Erinnerungs stücke eines Raumfahrers gewesen sein. Auch sie waren mit breiten, golden funkelnden Metallstreifen verziert. Ein ebensolches Band lag wie eine seltsame Krone um die Stirn des Jungen. Sein Gesicht glühte fana tisch, die großen Augen schienen uns alle gleichzeitig zu mustern. »Diener! Sklaven! Ihr werdet, ehe das Spektakel beginnt, den feierlichen Tanz des vergossenen Blutes tanzen!« Fartuloons Gesicht war eine Studie von Haß und Widerwillen, aber er übersetzte auch diese Anordnung. »Spielt! Laut und hart!« Die Musikanten gehorchten einem inne ren Rhythmus. Nach einigen langen Sekun den des verblüfften Schweigens begann abermals diese donnernde und schrille Mu sik. Jemand führte ein neues Band ein, und eine andere, anfeuernde Melodie war durch das gesamte Schiff zu hören. Wir begannen zu tanzen …
Hans Kneifel Zweihundert, vielleicht dreihundert Frauen und Männer hoben und senkten ihre Rücken. Ein schneller Tanz, der eine Art or ganisiertes Laufen auf der Stelle war, fing an. Das Metallzeug klirrte, rasselte und dröhnte. Langsam kam ein klarer Takt in diese Geräuschorgie. Wir tanzten langsam um das Ladegerät herum. Die Leute des in nersten Kreises sehr langsam, wir im äußer sten Kreis waren schneller. Der Junge, der schon vor seiner Geburt als Herrscher einge setzt worden war, dirigierte mit schnellen Bewegungen. Es war unmöglich, dem Zwang zu entkommen. Ich warf, während ich gedankenlos ge horchte und Abscheu vor uns allen zu emp finden begann, einen langen Blick auf die kühle, herrische Arkonidin aus der Familie der Arthamin. Sie hatte sich auf wunderbare, aber schreckliche Weise verändert. Ihre Augen waren geschlossen wie in Trance. Sie trug eine ähnliche Tracht wie der Junge. Auch sie bewegte ihren schlan ken, aber wohlproportionierten Körper im Schlag der Trommel. Ihr Gesicht war schweiß überströmt. Ihr Haar klebte am Schädel. Sie sah wie eine fremde Stammes fürstin aus, die sich einem rituellen Tanz hingab, der den Stamm ins Verderben füh ren sollte. Dann schrie auch sie auf, gellend und schrill. »YaYaYaYaYa!« Etwa zwanzig Minuten lang tanzten wir. Ein stechender Geruch nach Schweiß be gann sich auszubreiten. Immer mehr seltsam kostümierte Besatzungsmitglieder kamen aus allen Richtungen her und stießen zu uns. Auch der Bauchaufschneider, der hinter un serem Herrscher stand und das Mikrophon hielt, zuckte mit seinem massigen Körper. Der Junge winkte mit einer kleinen, kaum wahrnehmbaren Geste nach hinten. Fartu loon beugte sich über ihn, und ich hörte un deutlich ein paar altarkonidische Worte. Dann wieder die Stimme meines alten Freundes.
Die Waffe des Gehorsams »Wir alle versammeln uns in der Halle des Kampfes. Die dreißig Paare der Kämp fer bleiben im Nebenraum. Sie werden auf gefordert. Kommt in die Arena! Die Kämpfe beginnen!« In geordneten Gruppen strebten wir in die bekannte Richtung. Die gesamte Besatzung diente dem irrsinnigen Wunsch des Herren. Wir wußten, was zu tun war. Die Frauen und Männer kletterten auf die Gerüste und setzten sich. Erstaunlicherweise faßte bei dieser Anordnung der Laderaum die riesige Menschenmenge. Endlich schwiegen auch diese wilden Instrumente. Ein aufgeregtes Murmeln erfüllte nach kurzer Zeit den Saal. Schließlich schwebte nach kurzer Zeit das Ladegerät herein, hob sich langsam in die Höhe, bis die Personenkabine auf gleicher Höhe mit einem Balkon in der Mitte der Ränge anhielt. Sechzig Raumfahrer, unter ihnen auch ich, standen in einem Nebenraum und sahen fassungslos zu. Ein Teil unserer Überlegun gen widmete sich dem möglichen Wider stand, der andere beschäftigte sich mit den bevorstehenden Kämpfen, und dabei hatten wir alle Angst, daß die ISCHTAR in die töd liche Gewalt eines der Riesensterne geraten konnte. Was plante dieser unbesiegbare Satan, der weder Schlaf noch Unaufmerksamkeit zu kennen schien? »Atlan? Hat denn niemand eine Idee, wie wir ihn besiegen können?« flüsterte ein hü nenhafter Arkonide neben mir. »Ideen haben wir alle. Aber wir können nicht gegen die ausgesprochenen Befehle handeln!« murmelte ich, schon fast resignie rend. Ich war von allen noch am besten dran, denn ich rechnete mir ehrliche Chancen aus. »Wie soll das enden? Werden wir uns ge genseitig töten müssen?« Ich hatte diese Überlegung bereits durch dacht. Es konnte durchaus sein, daß uns der junge Herrscher dazu zwang. Andererseits würde – vielleicht! – der Umstand, daß wir einander kannten, das Schlimmste verhüten helfen.
27 »Ich weiß es nicht. Ich werde mich zwin gen, niemanden zu verletzen!« erklärte ich nicht sehr überzeugend. »Und wir?« »Ihr solltet alle eure Fähigkeiten zusam mennehmen und kämpfen, mit großem Auf wand an Gestik und Dramatik, aber ohne ernsthafte Gedanken an Sieg. Wir müssen die unausweichlichen Befehle irgendwie zu umgehen versuchen.« Die Gesichter meiner Männer wandten sich mir zu. Sie waren vor Aufregung, Sorge und dem nutzlosen Versuch, sich gegen das geheimnisvolle Diktat zu stemmen, verzerrt. Schweiß lief über die Haut, die Farbstreifen glänzten unnatürlich. Ich deutete über die Barriere hinweg durch die Öffnung und schwieg. Wir sahen zu, wie Karmina und der Junge sich setzten. Hinter ihnen stand, ein großes Megaphon in der Hand, Fartu loon. Ich bemerkte plötzlich, daß er zwar seinen Brustharnisch, nicht aber das Skarg trug. »Es geht los!« sagte ich. Weder die Män ner rund um mich noch ich selbst wußten, mit welchen Waffen und nach welchen Re geln wir würden kämpfen müssen. Ich fühlte mich plötzlich von dem Zwang befreit und faßte einen tollkühlen Plan. »Und niemand kann ihm beibringen, daß er nicht unser Herrscher ist!« schrie aufge regt ein Mann. Ein wilder Fluch folgte. »Tatsächlich ist er aber unser Herrscher!« sagte ich scharf und bewegte mich, ohne das seltsame Paar aus den Augen zu lassen, seit lich auf ein schmales Schott zu. Zwei Kontursessel waren auf dem Gestell aus Rohren, Schellen und Stahlteilen befe stigt worden. Weißer Stoff lag darüber aus gebreitet. Hinter diesen »Prunksesseln« stand Fartuloon. Sein Gesichtsausdruck sag te mir, daß er ebenso angestrengt nachdachte wie ich. Auf dem rechten Sessel nahm der Junge Platz. »Neue Musik!« sagte Fartuloon laut in die Richtung eines tragbaren Bildschirmes. Der übersetzte Befehl bewirkte, daß ein neues
28 Band eingespeist wurde. Die Zeremonie wurde von rasender, aufpeitschender Musik begleitet. Dann machte der Fremde eine Be wegung, und links von ihm setzte sich Kar mina Arthamin. Sie war vollkommen ver stört: was sie tun mußte, bei welchen Dingen sie sich selbst beobachten mußte – dies alles entsprach schon gar nicht ihrem freien Wil len und war so fremd für sie wie nur irgend etwas. Der Junge senkte und hob den Arm. »Die ersten vier Kämpfer treten auf!« er klärte Fartuloon widerwillig, aber laut und deutlich. Ich nickte den nächststehenden Männern zu und entfernte mich schnell, aber in völli ger Deckung. Der Junge aus dem gläsernen Turm des Planeten Perpandron konnte mich nicht sehen. Mit fünfzehn Sprüngen war ich an dem Schott und riß es auf. Schnell! Vermeide, jemanden einzuwei hen. Sie sind alle von den Befehlen gebannt! flüsterte eindringlich der Logiksektor. Ich holte Luft, spannte meine Muskeln und rannte davon, ich lief durch den ersten Korridor, der noch immer nach Schweiß roch. Teile der improvisierten Waffen lagen herum, ich spürte knirschende Reste unbe kannter Substanzen unter den Sohlen, und überall lagen Fetzen der verschiedenfarbigen Stoffe auf den Boden. Ich erreichte die Zentrale, und mein erster Blick galt den Bildschirmen. Keine Änderung! Die ISCHTAR taumelte noch immer im Unterlichtflug zwischen den riesigen Ster nen dieses untypischen Haufens hindurch. Noch immer lag keine Ortung vor; der Fremde hätte die Funktion des eingeschalte ten Bordrechners nicht beeinflussen können. Gefährdet, verschollen in unbekannten Be zirken des Weltraums, von einem kindi schen, machterfüllten Fremden beherrscht. Ich rannte auf den Piloten zu. »Keine Transition?« fragte ich. »Wie steht es?« Er drehte den Kopf und warf mir einen Blick von abgrundtiefer Resignation zu.
Hans Kneifel »Ich bin blockiert. Vor Stunden tauchten Fartuloon und dieser Wahnsinnige auf. Sie befahlen mir, nichts an der Situation zu än dern. Stell dir vor, was er sagte: ›Die Stadt darf nicht bedroht werden!‹ Keine Transiti on. Ich kann nichts anderes tun, als das Schiff so gut wie möglich an den Sonnen vorbeisteuern.« »Und Fartuloon? Übersetzte er nur, oder gab er auch eigene Anordnungen?« erkun digte ich mich angstvoll. In der betreffenden Zeit war ich, wie die meisten anderen, mit der Auswahl der Ko stümierung und der Herstellung dieser Are na beschäftigt gewesen. Wenigstens steckte das kostbare Schiff nicht mitten in der tödli chen Strahlung einer Sonne. Auch die schüt zenden Energieschirme standen noch außer halb der Kugelzelle und hielten die harte Strahlung vom Schiffskörper fern. Ich atme te auf und fragte weiter: »Konnte Fartuloon den Bann abschütteln, während er übersetzte?« Der Pilot zögerte und murmelte dann: »Ich weiß nicht recht. Er gehorchte natür lich diesem Verbrecher. Aber er schien eini ge Passagen anders interpretiert zu haben. Jedenfalls bin ich froh, daß es nicht schlim mer kam.« »Ich auch!« versicherte ich grimmig. »Sehen wir zu, was wir tun können. Wir müssen seine Macht brechen. Und zwar schnell, denn im Laderaum kämpfen inzwi schen die Männer gegeneinander.« »Die künstliche Schwerkraft ausschal ten?« schlug er vor. Wir waren die beiden einzigen Personen in der Zentrale. Wo sich Ra und Vorry be fanden, wußte ich nicht. Ich hatte seit Stun den keinen von ihnen gesehen. »Selbst wenn er in der Luft schwebt, kann er noch Befehle brüllen. Etwas anderes!« sagte ich. »Lähmungsgas, die Roboter, Schockstrahler … ich glaube, eine Flasche voll Lähmgas würde die beste Wirkung er zielen.« »Aber …« Ich nickte und erwiderte:
Die Waffe des Gehorsams »Ich weiß. Aber der Umstand, daß Hun derte mit ihm zusammen einschlafen, ist das kleinere Übel. Wo lagert das Zeug, weißt du das?« »Im Magazin Neun. Gleich dort hinten.« »Ich hole es!« sprach ich und wirbelte herum. Es würde nur Minuten dauern, die richtigen Teile des Schiffes festgesteuert ab zuschotten und das Gas in die Luftumwälz anlage zu leiten. Ich erreichte das Magazin, suchte zuerst eine versiegelte Kiste voller Masken mit den entsprechenden Filtern her aus, dann packte ich eine der armlangen, schenkeldicken Flaschen und warf sie am Haltegurt über meine Schulter. Dann lief ich zurück in die Zentrale. »Wird er dich nicht vermissen?« fragte der Pilot. Ich riß die Kiste auf und warf ihm eine der Einwegmasken zu. »Hoffentlich nicht. Ich kämpfe als letz ter!« sagte ich, ließ die an den Ecken der Deckplatte angebrachten Verschlüsse auf schnappen und widmete mich dem Schema der einzelnen Rohrleitungen, die wie ein Adersystem sämtliche Räume der ISCHTAR durchzogen. Dann schloß ich die Flasche mit dem klickenden Bajonettverschluß an die betref fende Ventilanlage an. Schon beim Bau des Schiffes schien man solche Zwischenfälle einkalkuliert zu haben. Ein Kommandant konnte, wenn er schnell genug war, aus der verschlossenen Zentrale eine meuternde Mannschaft außer Gefecht setzen. »Und jetzt die Schottanlage. Rund um den Laderaum sämtliche Sicherheitsplatten schließen und verriegeln!« sagte ich. Eine wilde Freude durchzog mich. In wenigen Sekunden würde selbst ein zielgerechter Be fehl zu spät kommen, denn das Gas ließ sich nicht aufhalten. Ich sah, wie der Pilot aus dem Sitz schnellte, mit zwei Sprüngen an einem ande ren Schaltpult war und dort Schalter drückte und Knöpfe hineinpreßte. Offensichtlich lie ßen ihm die letzten Befehle diesen engen Spielraum, ebenso wie mir jetzt in diesem Augenblick.
29 Ich streckte die Hand aus und umklam merte das gezahnte Rad des Hochleistungs ventils. »Fertig!« kam es aus der anderen Rich tung. Als ich zupackte und das Rad zu dre hen begann, mit der anderen Hand nach der Maske griff, die ich vielleicht nicht brau chen würde, knackte es in den Lautspre chern. Ein deutlicher Befehl hatte kurz nach dem Erwachen dieses jugendlichen Tyran nen uns allen die Möglichkeit genommen, einen Interkom auszuschalten. Alle Geräte im ganzen Schiff waren und blieben einge schaltet. »Altan! Hier spricht Fartuloon!« schallte die bekannte Stimme. Ich zögerte; in diesem Augenblick hätte ich das Gas noch einströ men lassen können. Fartuloon war aufge regt, denn er sprach Altarkonidisch. »Atlan! Der Junge hat …«, begann er, aber durch das Dröhnen der Musik dort im überfüllten und lichtdurchfluteten Lade raum, durch die undeutlichen Geräusche ei nes Kampfes und das Aufstöhnen und Mur meln der Menschenmassen hindurch schnitt die befehlsgewohnte Stimme des Herrschers der Panik. »Atlan. Ich weiß nicht, was du planst, aber ich verbiete dir zum letztenmal, auch nur etwas zu denken, was mir schaden könn te. Komm zurück an deinen Platz und berei te dich auf den Kampf vor.« »Ich gehorche!« sagte ich stumpf. Die Niederlage war vollkommen. Meine Hand löste sich von dem Rad. Ich kämpfte mit aller Gewalt darum, die Finger am Ven til lassen zu können und das Rad in die be stimmte Richtung zu drehen. Meine Finger begannen zu zittern. Ich zwang mich dazu, nicht an den Befehl zu denken, aber ein un gleich stärkerer Zwang diktierte meinen Nerven und Muskeln. Ich gehorchte, inner lich fluchend, ohnmächtig vor Haß und Wut, angefüllt mit einem Chaos von widersprüch lichen Gefühlen, niedergeschlagen und hoff nungslos. »Wir haben buchstäblich keine Chance, ihm zu entkommen!« sagte der Pilot mit mü
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der Stimme. Er betätigte wieder die Schal tungen, diesmal mit umgekehrter Wirkung. Dort unten öffneten sich jetzt die kleinen Spezialtüren, rollten die Portale wieder zu rück in die Ausschnitte der Wände, hoben sich die Notschotte zur Decke. »Nein. Wir haben keine wirkliche Chan ce. Er scheint einen sechsten Sinn zu ha ben«, bestätigte ich, ebenso niedergeschla gen. Eine unsinnige, kalte Wut, die eindeu tig selbstzerstörerische Impulse trug, erfaßte mich. Ich konnte und würde diese Niederla ge nicht akzeptieren! Nicht diese Art von Kampf, die dem Gegner keine Chance ließ! Dann wirst du dich anstrengen müssen! sagte das Extrahirn. »Was jetzt?« Ich hob die Schultern und versuchte, wie der einmal meine Lage genau zu analysie ren. Alles schien hoffnungslos zu sein. Selbst Fartuloon, der alte Fuchs, der bisher jeder Gefahr getrotzt hatte, war im Bann des Jungen. Trotz des Extrahirns hatte ich keine wirkliche Chance. Aber irgendwann würde ich ihn besiegen können. »Du bleibst hier und versuchst, was du tun kannst. Das Schiff muß gesteuert wer den! Es geht wieder einmal um unser Leben. Um das Leben von Hunderten, und um das Schiff. Ich gehe zurück in die Arena!« »Viel Glück, Atlan!« »Ich werde es brauchen. Nicht nur ich – wir alle!« murmelte ich und schlich wie ein geprügelter Hund hinunter in den Neben raum des verwandelten Laderaumes. Je mehr ich mich dem Schauplatz der Kämpfe näherte, desto lauter wurden die verschiede nen Geräusche. Der Wahnsinn hielt das Schiff in seinem Griff. Schon viel zu lange.
* Ich blieb stehen, als ich am breiten Ein gang der künstlichen Arena vorbeikam. Jetzt war in den verschiedenen Korridoren und anderen Räumen keine Lautsprechermusik mehr zu hören. Aber hier, in der runden Are-
na, klirrten und dröhnten die Lautsprecher. Ein aufgeregtes Stimmengewirr und ein un verkennbarer Geruch nach vielen aufgereg ten und angefeuerten Menschen schlugen mir entgegen. Die Tiefstrahler und Punkt lichter konzentrierten ihre Helligkeit auf den untersten Kreis. Ich sah zwischen den Körpern und Glied maßen der zusammengeballten, durch Be fehle an ihre Plätze gefesselten Zuschauer flüchtig Fartuloon, den Fremden und Karmi na. Sie befanden sich noch immer auf der vorspringenden Terrasse. Sie blickten kon zentriert schräg nach unten, ihre Augäpfel bewegten sich. Aber in jedem der drei Ge sichter herrschte ein anderer Ausdruck. Offensichtlich hatte Karmina den höch sten Punkt ihrer Verwirrtheit erreicht. Sie war blaß, ihre Lippen formten unhörbare Worte, und sie schien zu zittern. Trotzdem war sie in den Sessel neben den Fremden ge bannt und starrte aufgeregt nach unten, wo Männer gegeneinander kämpften. Während ich versuchte, mir einen Weg zwischen den Zuschauern zu bahnen, hörte ich Schreie, Stöhnen und Geräusche von Waffen. Fartuloons Gesicht schien eine Maske aus Stein zu sein. Es war unbewegt und be herrscht. Konnte ihn, obwohl auch er zu ge horchen hatte, denn nichts mehr erschüttern? Er hatte seine mächtigen Arme vor dem Brustharnisch verschränkt und blickte aus bösartig blitzenden Augen auf die Kämpfer. Das für mich unsichtbare Orchester unter malte die Lautsprechermusik mit den Trom meln, den Röhren und den anderen selbstge bastelten Instrumenten. Endlich erreichte ich einen Platz, von dem aus ich mehr erkennen konnte. Die Raum fahrer bewegten sich nicht. Sie bildeten Mauern, die nach Schweiß stanken, sich in einem unbegreiflichen Takt hin und her wiegten und immer wieder in laute Schreie ausbrachen. Immer wieder dieses gellende, kreischend vorgetragene Yayaya! Dann bohrte sich mein Blick in das schmale, hochmütige Gesicht dieses wahn
Die Waffe des Gehorsams sinnigen Herrschers. Er betrachtete die Kämpfer und den Kampf mit kaltem Interes se. Kein Muskel bewegte sich in diesem ar roganten Gesicht. Trotzdem wußte und dachte ich, daß dies alles ein furchtbarer, aber noch unaufklärbarer Irrtum war. Er war Herrscher und fand ein Volk vor, für das er nicht geschaffen, gezeugt und ge boren worden war. Und wir verstanden nicht, warum er herrschte. Wir wußten nur, daß wir unter keinen Umständen dieses »ausgesuchte Volk« waren, über das er zu herrschen hatte. Trotzdem gehorchten wir, trotzdem boten wir ihm die Gelegenheit, uns als seine wil lenlose Sklaven zu betrachten. Ich wurde von einem Stoß in den Rücken getroffen und taumelte gegen die Barriere, die Zuschauer und Kämpfende voneinander trennte. Augenblicklich zuckte ich zurück. Direkt in der Höhe meiner Brust fuhr mit einem knirschenden Geräusch ein zerfetztes, speer ähnliches Stück Metall in die Schutzbrü stung. Ich sah undeutlich einen Schatten, der schräg von dieser Stelle weggesprungen war. Dann rollte sich der Raumfahrer zusam men und kam wieder, drei, vier Meter ent fernt, auf die Beine. Er ruderte mit dem rechten Arm in der Luft herum, in den Fin gern eine große Stahlkugel. Im Zentrum der Arena stand ein anderer Raumfahrer. Er war an der Schulter verwundet und hielt einen riesigen Schild am Unterarm. In seinem weit zurückgebogenen Arm glänzte ein weiterer jener Metallsplitter. Seine Au gen unter dem silbernen Metall suchten den Gegner. Die Brust war schweißüberströmt, die Farbe fing an, zu zerfließen. Beide Kämpfenden keuchten und stöhnten, sie wa ren am Ende ihrer Kräfte. »Aufhören!« stöhnte ich laut. Niemand beachtete mich, niemand schien mich gehört zu haben. Sie waren alle halb verrückt. Im jenseitigen Raum sah ich schwebende Bahren und die metallenen Körper der Spe zialroboter.
31 Der Kämpfer mit den weißen Zickzack streifen kam auf den anderen Mann zu. Er drehte noch immer seinen Arm hoch über seinem Kopf. Jetzt erst bemerkte ich, daß von der Kugel, lange, schlingförmig geraffte Seilstücke herunterhingen und über den blu tigen, von Stoffetzen bedeckten Boden schleiften. Dann schnellte der Arm nach vorn und nach unten. Die schwere Kugel raste durch die Luft und traf mit einem ungeheuren Krach den oberen Rand des improvisierten Schildes. Von dort sprang sie weiter und traf den Metallring um die Stirn. Gleichzeitig mit dem begeisterten Schrei aus vierhundert heiseren Kehlen schrie auch der andere Raumfahrer auf und begann, taumelnd rück wärts zu stolpern. Halte den Wahnsinn an! schrie plötzlich der Logiksektor. Die Kämpfer setzten sich, getreu dem Be fehl, hundertprozentig ein, aber sie wußten nicht, weswegen sie kämpften. Meine Kenntnis der anderen Menschen war groß genug, um diese Feststellung mit unumstöß licher Sicherheit treffen zu können. Ich versuchte nicht erst, die Überlegungen zu treffen – ich handelte. Meine Finger klammerte sich um den oberen Rand der Brüstung. Dann eine kurze und schnelle Anstrengung, und ich schnellte mich hinter der Rampe in die Höhe und sprang in die Arena hinein. Im gleichen Au genblick geschahen drei verschiedene Din ge. Der Mann, der von der Schleuder getrof fen worden war, ging zu Boden und blieb mit ausgebreiteten Gliedern liegen. Hunderte von Kehlen schrien sich heiser, während die Trommeln aufdröhnten, die Röhren schauerliche Laute von sich gaben und die Blechteller schmetterten. »Yayayayaya!« Und der Fremde sprang auf, deutete auf mich und schrie undeutliche Worte in meine Richtung. Endlich klärte Fartuloon das Cha os, indem er das Megaphon ergriff und auf höchste Lautstärke drehte.
32 Er schrie ins Mikrophon: »Der Herrscher befiehlt allen, ruhig zu sein. Schafft den blutenden Bewußtlosen aus der Arena.« Langsam beruhigten sich die Zuschauer. Maschinen kümmerten sich um den Bewußt losen, dem das Blut aus den Ohren und der Nase lief. Ich blieb im Zentrum der Arena stehen und richtete meine Augen schräg nach oben. Welch ein Bild! Noch niemals hatten arkonidische Augen solche Bilder und Szenen an Bord eines Schlachtschiffes gesehen. Der heiße Atem von vielen Hunderten Menschen bildete förmlich Dampfwolken, die in die Richtung der Umwälzöffnungen drifteten und wie Ne bel vor den stechenden Lichtern der Schein werfer wirkten. Staub stieg auf und senkte ich auf die Arena. Er mischte sich mit dem Dampf und bildete wirre Muster. Scheinbar blickten Tausende Gesichter und Millionen Augen auf mich herunter. Überall bewegten sich die Stoffstreifen. Überall war Bewe gung in den dicht gedrängten Zuschauern zu sehen. Und der Fremde war aufgesprungen und schrie in der alten Sprache zu mir her unter. »Du störst die Kämpfe, du Kreatur, die ich vernichten kann!« Das ist wahr! Wenn er dir befiehlt, dich umzubringen, mußt du gehorchen! wisperte der Logiksektor. »Ich störe sie, weil du wahnsinnig bist, du Namenloser!« schrie ich, so laut ich konnte. Vielleicht überzeugte ihn dies. Und im glei chen Augenblick wußte ich, daß er mir mit dem Befehl »Schweige!« auch diese Mög lichkeit nehmen konnte. Hoffentlich sprach er gerade dieses Wort nicht aus! Auch ich hatte in Altarkonidisch geschrien und geant wortet. »Du wagst es, mich wahnsinnig zu nen nen, du Clasterwurm?« »Ich wage es! Du bist nicht in deiner Stadt, nicht in deinem Glasturm. Du bist in einem Sternenschiff aufgewacht, Namenlo ser!« brüllte ich.
Hans Kneifel Nur drei Personen verstanden die Unter haltung, aber mit einiger Sicherheit verstan den alle anderen, worum es letzten Endes ging. Ich sah mich, halb außer Kontrolle vor Wut und Entschlossenheit, nach einer Waffe um. Ich entdeckte nur die drei Metallfetzen, mannslang und eigentlich tödliche Waffen, die furchtbare Wunden schlagen konnten. »Ich bin in der Umgebung erwacht, in der ich geweckt werden sollte!« kreischte mit seiner jungen Stimme der Imperator der Pa nik. »Da irrst du. Wir fanden dich in einer ver lassenen Stadt und retteten dich vor Krie gern, die dich töten wollten!« bluffte ich. Er hatte mir noch nicht befohlen, die uneinge schränkte Wahrheit zu sprechen. »Das glaube ich nicht!« Meine Arme beschrieben Kreise. Ich deu tete auf die schweigenden und tief atmenden Zuschauer dieser Kämpfe. »Glaube es, glaube es nicht – frage diese hier! Sie werden die Wahrheit sagen. Du bist in einem Raumschiff aufgewacht, das du durch deine kindischen Spiele aufs äußerste gefährdest!« schrie ich. Träumte ich, oder war seine kalte Arroganz einer leichten Un sicherheit gewichen? »Ich bin nicht gefährdet. Du bist ein Schwätzer!« schrie der Junge. Er vergaß sei ne herrscherliche Würde. Sein geringes Al ter und seine schlagartige Begeisterungsfä higkeit kamen durch. Ich versuchte, diese Chance zu nützen, und erwiderte mit rauher Kehle: »Ich mag ein Schwätzer sein, aber wir alle sind in Gefahr!« »Wie das? Erkläre dich!« »Weißt du überhaupt, was Sterne sind? Was der Weltraum bedeutet?« brüllte ich, um ihn von kühlen Überlegungen und befeh lenden Reaktionen abzulenken. Ich ging zwei Schritte zurück und bückte mich blitz schnell. In meiner Hand lag einer der Me tallspeere. »Ich weiß, was ein Raumschiff ist!« er tönte es aus der Loge des Herrschers. Fartu loon und Karmina schienen noch mehr ver
Die Waffe des Gehorsams wirrt zu sein. Sie blickten mich an wie mei nen eigenen Leichnam und schwiegen, er starrt und fassungslos. Ich brüllte weiter: »Dann weißt du auch, daß ein Raumschiff etwas anderes ist als ein Planet. Wir sind im Bann von riesigen Sternen. Du nimmst uns mit deinen Aktionen die Chance, den Gefah ren zu entkommen. Du bist jung, dumm und blind. Und dazu noch von verbrecherischer Arroganz. Wir sind nicht diejenigen, über die du herrschen sollst!« Trotzig kreischte er zurück: »Aber ich herrsche über euch alle!« »Das ist absolut richtig. Aber dadurch, daß du uns zwingst, deinen kindischen Be fehlen zu gehorchen, treibt das Schiff in das Todesfeuer der Sonnen hinein. Eines ist ganz sicher für uns alle!« »Was meinst du?« Ich holte tief Atem und schleuderte ihm die Worte entgegen wie Geschosse. Ich be fand mich optisch in der schlechtesten Situa tion, denn er blickte auf mich herunter. Aber es gelang mir, ihn zu provozieren. »Mit uns stirbst auch du, Fremder!« »Das verstehe ich nicht!« Ich versuchte bewußt, ihn zu reizen. So lange er nicht daran dachte, neue Befehle auszusprechen, war er harmlos und konnte – vielleicht! – überzeugt werden. Also erwi derte ich: »Du bist zu jung und zu dumm dazu zu verstehen. Jedenfalls sterben wir mit dem Schiff, und wenn wir alle sterben, stirbst auch du, der junge König. Das ist die abso lute Wahrheit!« Ich schwieg erschöpft, und wir starrten uns an. Dann veränderte sich langsam und, wie ich hoffte, unmerklich meine Haltung. Mein rechter Arm bewegte sich nach hinten. In der Hand balancierte ich den Speer. Im mer weiter, immer mehr schräg über die rechte Schulter. Ich faßte das Ziel ins Auge. Ich wollte nicht töten, aber ich würde nicht betroffen darüber sein, wenn er starb. Ich spannte meine Muskeln und blieb, als die richtige Haltung erreicht war, bewegungslos. »Es ist die Wahrheit, wie du sie sehen
33 willst. Ich glaube dir nicht.« »Der Wahrheit ist es gleichgültig, ob du glaubst oder nicht, Fremder. Die Wahrheit ist böse!« Er blieb ruhig. Eine Pause voller dramati scher Spannung entstand. Es war nicht bloße Dramatik, sondern für uns alle ging es ums Überleben. Schon rund drei Tage lebte das gesamte Schiff unter dem Diktat dieses jun gen Halbirren, der nicht begriff, was wirk lich war. Es wurde Zeit, daß etwas geschah, was den herrschenden Zustand veränderte. Mög lichst in meinem Sinn.
* Ganz ohne Zweifel, dachte ich, als ich hier in der Arena stand und versuchte, die Situa tion entscheidend zu ändern, ist auch dieses Verhalten des Jungen vorprogrammiert wor den. Seine Befehle, die Art seiner seltsamen »Herrschaft«, jene merkwürdige Riten und Kämpfe, sein Verhalten und seine Jugend deuteten darauf hin, daß er mehr zum Für sten einer kleineren Gruppe von Menschen berufen war als zum Herrscher über einen Planeten. Schon gar nicht zum Herrscher über die ISCHTAR und über uns alle. Ich wog die Waffe in meiner Hand und rief nach der Pause, in der sich die betroffe ne Stille ausgebreitet hatte: »Du bist so sicher wie wir alle! Und wir sind aufs höchste gefährdet, Mann vom Pla neten Perpandron.« Die großen Augen schienen uns alle gleichzeitig anzusehen. Der Junge überlegte, das war deutlich zu erkennen. Ich spannte meine Muskeln an und schnellte meinen Arm und den Oberkörper nach vorn. Aber im letzten Sekundenbruchteil, als der impro visierte Speer gerade noch in meiner Hand lag, erfaßten mich wieder die Motivierungen des zuletzt gegebenen Befehls. Ich änderte, ohne es zu wollen, die Flugrichtung der Waffe. Wie ein gezackter Blitz zischte das ge
34 streckte Metallstück schräg aufwärts, durch querte die Zone des Lichtes und schlug mit einem entsetzlich lauten Geräusch vor den Füßen des Eindringlings gegen die stählerne Verkleidung des Gerüsts. Ein Ton wie ein Glockenschlag ging durch das Gerüst. Die Zuschauer, die bisher gespannt geschwiegen hatten, schrien last gleichzeitig auf. Hoch mütig und eiskalt blickte der Junge den Speer an, der abprallte und, immer wieder sich drehend und überschlagend, hinunter in die Arena klapperte. »Du bist nicht nur ein Schwätzer, sondern auch noch ein Revolutionär!« sagte er deut lich. »Vielleicht kann dich dieser Angriff aus dem Nebel deiner Unkenntnis reißen«, schrie ich wütend. »Was sollte ich tun, deiner Meinung nach?« Ich glaubte, mich verhört zu haben. Noch immer mischte sich niemand ein. Nur der Fremde und ich sprachen oder besser brüll ten miteinander. Konnte ich es schaffen? Ich durfte mich von meiner Wut nicht hinreißen lassen. Antworte ihm! Schnell! mahnte der Logik sektor. »Komm mit mir hinauf in die Zentrale. Dort zeige ich dir die Sterne, von denen un ser Leben bedroht wird!« »Sterne? Ich bin auf dieser Welt vollkom men sicher!« sagte er halsstarrig, aber nicht überzeugt. Jetzt schaltete sich Fartuloon ein und rief: »Glaube ihm, Herrscher! Du bist auf kei nem sicheren Planeten. Du befindest dich in einem Sternenschiff!« »In einem Sternenschiff?« Endlich schien dieser Begriff durch den Nebel seiner Selbstgefälligkeit gedrungen zu sein. Obwohl ihn rund drei Tage und Nächte lang keiner auch nur einen Moment lang un aufmerksam oder gar schlafend gesehen hat te, befand er sich wohl in der Lage eines Barbaren, der seine Umwelt nicht ganz be griff. »Richtig!« sagten Fartuloon und ich bei-
Hans Kneifel nahe gleichzeitig. »In einem winzigen Schiff, das durch den Weltraum schwebt und in Gefahr ist.« Der Junge biß sich auf die Lippen und sah ein wenig hilflos von Fartuloon zu Karmina, dann hinunter zu mir. »Wir sind nicht auf einem Planeten?« meinte er unsicher. »Das versuchen wir dir schon seit drei Ta gen beizubringen, du arroganter Ignorant!« schrie ich. Wieder ging ein Stöhnen durch die Zuschauer. Ich sah aus den Augenwin keln, wie sich einige Männer vorsichtig wegschlichen. Sie schienen über ihren Status und Zustand außerordentlich betroffen zu sein. Mit Sicherheit hatte sich für sie der Bann der Befehle einigermaßen gelockert. Wieder entstand eine Pause voller offen sichtlicher Spannung. Schließlich befahl der Junge: »Wenn ich schon nicht auf einem Plane ten bin, dann bringt mich dorthin, Sklaven!« Ich begann zu lachen und erwiderte: »Du verstehst wirklich nicht, Fremder! Seit drei Tagen tischen wir dir mit gewal tigem Aufwand die feinsten Leckerbissen aus unseren Küchen und Speichern auf. Seit derselben Zeit versuchen wir mit allen Tricks, das Schiff aus den Gefahren hinaus zubringen. Du hinderst uns ununterbrochen daran – unser Trost ist nur, daß du mit uns zusammen in der Sonne verschmoren wirst!« Ich hatte gesehen, wie die Medoroboter verletzte und blutende Raumfahrer, die in den ersten Runden dieses wahnsinnigen Spiels miteinander gekämpft hatten, ver sorgten. Jetzt warteten noch etwa dreißig Männer im Nebenraum. Sie wirkten wie ein barbarischer Kriegerstamm. Er besitzt nur eng programmiertes Wis sen! flüsterte der Extrasinn. Konnten wir ihm denn wirklich erklären, worum es ging? Verstand er die Begriffe? Konnte er sie richtig deuten und in Relation bringen? Würde er uns glauben? »Geh mit mir hinauf in die Zentrale!« sagte ich. »Dort erkläre ich dir alles!«
Die Waffe des Gehorsams Er winkte ab und sagte schroff, endlich entschlossen, wenn auch in der falschen Richtung: »Zuerst will ich dich kämpfen sehen. Wenn du mit den Waffen ebenso gut bist wie mit dem Mund, glaube ich dir viel leicht.« Der Junge von Perpandron gab eine Serie von präzisen Befehlen, die unseren freien Willen keinerlei Spielraum mehr ließen. Schließlich war binnen kurzer Zeit der ur sprüngliche Zustand der Arena wiederherge stellt. Die Musik aus den Lautsprechern brüllte und klirrte, untermalt von den primitiven In strumenten der desorganisierten Raumfah rer. Die Frauen schrien ihre beschwörenden, gellenden Silben. Der Zuschauer war wieder verpflichtet, gebannt zuzusehen und jeden Hieb zu kommentieren. Die Scheinwerfer schienen stärker zu leuchten, und drei Män ner traten gegen mich an. Auch ich mußte wieder gehorchen. Ich hatte keine andere Wahl. Ich suchte meine Waffen zusammen und machte mich wider willig mit dem Gedanken vertraut, gegen meine eigenen Kameraden kämpfen zu müs sen.
* Sie schrien auf, als ich durch den schma len Eingang und die Gasse aus Stahlblech die Arena betrat. An drei verschiedenen Punkten warteten meine Gegner, bis zur Un kenntlichkeit vermummt, ausgerüstet und bemalt. Sie trugen phantastische Helme, runde und eckige Schilde, Schleuderkugeln, Speere und andere Hiebwaffen. Ich hatte nichts anders als einen Schild, einen giftgelb angemalten Raumhelm ohne Visier, eine Art Streitaxt und einen wuchti gen, langstieligen Hammer im Gürtel. In der rechten Hand hielt ich drei der improvisier ten Speere. Von oben schrie der Junge: »Kämpft! Ich will etwas sehen! Blut, Be wegung, Verletzung und Tod!« Es war das Signal. Einer der Raumfahrer
35 schleuderte die Wurfkugel nach mir. Ich war noch unvorbereitet, duckte mich aber und warf mich nach links. Mein Arm streckte sich nach rechts, ich drehte den Unterarm. Mit einem schauerlichen Krachen traf die pfundschwere Kugel den Rand des Schildes, schlug die Schildkante gegen meine Brust und prallte ab. Ich kippte den Schild herum, griff nach dem dünnen Seil, das die Kugel mit dem Werfenden verband und fühlte, wie es sich in Schlingen um mein Handgelenk wickelte. Dann, indem ich mich nach hinten abrollen ließ, riß ich so heftig an dem Seil, wie ich konnte. Ich sah, als ich mich aufraffte und wieder den Schild hochriß, daß zwei andere Männer mich angriffen. Der erste Gegner lag ausge streckt am schmutzigen Boden und versuch te, auf die Beine zu kommen. Ich riß, als ich mich bis zur Barriere zu rückzog, ein zweites Mal und noch viel hef tiger an dem Seil. Der weißbemalte Krieger mit dem koni schen Metallhelm und der goldenen lackier ten Taucherbrille wurde zum zweitenmal zu Boden geschleudert. Ich wickelte das Seil von meinem Handgelenk und ließ die beiden Gegner nicht aus den Augen. Einer von ih nen zielte mit einem riesigen Schrauben schlüssel nach mir, der andere schoß eben einen Speer ab, der aus einem Rohr und ei ner gewaltigen Kunststoff spitze bestand. Der Speer zischte durch die stauberfüllte Luft. Die Zuschauer schrien auf, als sie sa hen, daß die Spitze sich meiner ungeschütz ten Brust näherte. Ich sprang schräg in die Höhe und schmetterte mit dem Schild den Speer zur Seite. Dann, in derselben Bewe gung, schleuderte ich die Kugel auf den An greifer, der den Speer geworfen hatte und noch immer nicht in die Verteidigungshal tung zurückgefallen war; sein Körper be wegte sich noch mit demselben Schwung, mit dem er den Speer geschleudert hatte. Die Kugel mit dem lockeren Seil, das wie eine Peitschenschnur durch die Luft zischte und knallte, traf die Brust des Mannes genau am empfindlichsten Punkt. Er wurde von
36 den Beinen gerissen. Ein ungläubiger Aus druck trat in sein Gesicht. Dann taumelte er schnell drei Schritte zurück, ehe die Läh mung seine Knie ergriff und ihn zusammen brechen ließ. Schild, Helm und Speer bilde ten klappernd und klirrend einen wirren Haufen. Du wirst es überstehen! prophezeite das Extrahirn. Dies war auch mein Ziel. Ich wechselte blitzschnell meinen Standort und rannte auf den Kämpfer zu, der jetzt wieder hochge kommen war und seine Keule gegen mich schwang. Ich bemühte mich, den Kampf zu been den, ehe er gefährlich oder gar tödlich wer den konnte. Ein Gegner war bewußtlos, der andere würde es bei einigem Glück und Ge schick auch bald sein. Ich hob den Arm mit den drei Speeren, als ich auf den Gegner los stürmte. Er konzentrierte seinen Blick auf die drei leuchtenden Spitzen. Im gleichen Schwung ließ ich die Waffen fallen, riß den Hammer aus dem Gürtel und holte aus. Gewann ich diesen Kampf, konnte ich vielleicht den Fremden überzeugen und das Schiff, unsere Leben und unser großes Ziel retten. Der Hammerkopf beschrieb einen Halbkreis und traf mit genügend großer Kraft die Schulter des Mannes. Er schrie auf. Der Schlag ins Zentrum des Muskels lähmte seinen Arm. Ich fintierte, tauchte un ter seinem Hieb mit dem Schild hinweg und parierte ihn mit dem Zentrum meines Schil des. Dann schlug ich zum zweitenmal mit dem Hammer zu. Wieder schrie das Audito rium auf, und ich sprang zurück. Ich hob den Fuß, zielte und holte aus, dann trat ich zu. Ich traf das Nervenzentrum des Raumfahrers dicht unterhalb der Kno chenplatte. Pfeifend entwich, zugleich mit einem würgenden Schrei, die Luft aus sei nen Lungen. Hinter dir … warnte der Extrasinn. Ich begriff und wirbelte herum, gleichzei tig duckte ich mich. Der geschleuderte Speer fauchte dicht über meinem Scheitel und kei nen Handbreit neben dem Kopf des zusam-
Hans Kneifel menbrechenden Angreifers vorbei und blieb in der Barriere stecken. Ich vergaß das Schreien der zuschauenden Raumfahrer, hörte weder die Lautsprecher musik noch das Geschrei und Krachen der anderen Instrumente, vergaß auch den Frem den und wußte, daß ich für mich kämpfte. Widerwillig, gezwungen, aber auch dem Selbsterhaltungstrieb gehorchend. Der nächste Speer fuhr auf mich zu. Mein Arm zuckte hoch. Mit dem Stiel des Ham mers wehrte ich das Geschoß ab. Es wirbelte in die Höhe und polterte unschädlich zwi schen den Sitzen und den Stahlrohren. Jetzt griff ich an. Einer von vielen hundert Kämp fen, die ich überlebt hatte. Ich warf mich nach vorn und ließ dem dritten und letzten Gegner keine Zeit mehr, einen neuen An griff zu starten. Der Arm mit dem großen runden Schild aber war vorangestreckt, ich schwang in der Deckung den langstieligen Hammer nach vorn. Krachend stießen wir zusammen. Die Stahlblechschilde prallten aufeinander. Ich hatte den größeren Schwung und drängte den Angreifer einige Meter zurück, dann ließ ich den Hammer nach unten fallen und schlug kräftig auf seinen Fuß. Sein Aufheu len mischte sich in die schmetternden Rhythmen von Fanfaren aus den Lautspre chern. Der Mann sprang in die Höhe und ließ den Schuld sinken. Ich warf den Ham mer hoch, wirbelte ihn herum und ergriff ihn dicht hinter dem stählernen Kopf. Der Stiel und das Ende wurden mit aller Kraft nach vorn gestoßen und traf den Ner venstrang seitlich des Halses. Mit einem gurgelnden Schrei brach der dritte Mann zu sammen. »Holt die Roboter! Helft ihnen!« schrie ich nach hinten. Dann wandte ich mich wie der an den Fremden, der aufgestanden war und mich neugierig, aber mit kritischer Di stanz musterte. »Ich habe gewonnen!« schrie ich nach oben. Meine Stimme übertönte nur schwer den Lärm der Musik. Fartuloon übersetzte. »Das habe ich gesehen, ich halte mein
Die Waffe des Gehorsams Wort!« rief der Fremde. »Dann komm sofort in die Steuerzentrale des Schiffes!« schrie ich zurück. »Ich komme, wenn ich es will, nicht wenn du mich bittest!« war die Antwort des Jun gen. »Ich bitte dich nicht!« rief ich und ging zurück in den Nebenraum, wo sich die Ro boter und einige Mädchen um die Bewußtlo sen kümmerten. Ich warf die Waffen zu Bo den, entledigte mich des Helmes und des Schildes und wischte mir den Schweiß aus der Stirn. Dann machte ich mich auf den Weg zur Zentrale.
5. Erschöpft lehnte ich mich gegen eine Ver kleidung in der Zentrale. Nur der Pilot arbei tete hier, die anderen Abteilungen waren weitestgehend verwaist. Der Fremde war ei ne Gefahr. Das ließ sich nicht mehr verleug nen. Das Schiff befand sich noch immer in derselben Lage. Wir alle befanden uns in Lebensgefahr – es war grotesk, unglaublich, aber die nackte Wahrheit. Er wollte und soll te über Perpandron herrschen, aber er herrschte über uns. Im Augenblick schien sich eine Phase, der Ruhe anzubahnen. Je denfalls zerstreuten sich die Zuschauer aus der Arena und wuschen sich vielleicht auch die Farben von den Körpern. Ich versuchte, mich zu erholen und einen klaren Gedanken zu fassen. Ich blickte auf die umlaufenden Bildschirme. Der Kurs der ISCHTAR verlief in wirren Kurven, Schlangenlinien und Parabeln. Der furchtbare Glanz der roten Riesensonne war vergangen. Auch das grelle Leuchten eines gelben Sterngiganten blieb zurück. Aber jetzt strahlte ein Blauer Riese oben und vor dem Schiff, von der Ebene der Zentrale aus gesehen. Auch dieser Stern zerrte an uns, warf uns alle seine mehrdimensionalen Strahlen ent gegen und versuchte, die ISCHTAR zu sich heranzuzerren.
37 Von einer Möglichkeit, eine zuverlässige Ortung zu erlangen, war keine Spur. Es gab, solange wir uns zwischen den Sonnen der Ballung befanden, keine Chance einer Or tung. Noch immer wußten wir nicht einmal, in welcher Gegend der Galaxis sich das Schiff befand. Ich drehte mich herum und ging langsam auf den Piloten zu. Für mich war er jetzt mittlerweile ein Symbol für Beständigkeit. Ich wußte nicht, wie lange er schon hier saß und versuchte, das Schiff in Unterlichtfahrt zu steuern. »Unser Herrscher kommt vermutlich gleich«, sagte ich, »und nimmt die Situation zur Kenntnis.« Er stand auf und rieb sich gähnend die Augen. »Ich kann es kaum erwarten. Vermutlich wird er uns befehlen, die Lage blitzschnell zu klären.« »Kann sein. Wie steht es wirklich?« frag te ich. Schlecht. Du siehst es selbst! sagte der Logiksektor. Die Zentrale war von fahlgrünem Licht erfüllt. Ich blickte auf die Instrumente. Noch immer neun Zehntel Lichtgeschwindigkeit. Es hatte in der Zwischenzeit keine Transiti on stattgefunden. Von zwei Seiten wirkten Schwerkraftfelder überstarker Ausprägung auf die ISCHTAR ein. »Sind wir in Gefahr? Ich sehe, daß wir knapp an der Schnittgrenze entlangfliegen!« meinte ich. »Eine einzige Transition geradeaus, nur drei Lichtjahre weit, würde uns endgültig aus der Gefahr hinausbringen!« murmelte mit müder Stimme der Pilot. Er stand auf, ging zu einem Automaten und wählte einen Becher eiskaltes Erfrischungsgetränk, das mit einer starken aufpeitschenden Substanz versetzt war. Er stürzte den Inhalt des Be chers mit drei Schlucken hinunter. »Wir fliegen ständig am Rand der Gefahr. Haarscharf!« sagte der Pilot. »Ich verstehe. Horch, die Musik hat auf gehört!«
38 Der Pilot streckte seine Muskeln, bückte sich und atmete tief ein und aus. Tatsächlich hatte jemand diesen ständig dröhnenden Verband von Lautsprechern ausgeschaltet. Schritte näherten sich. Der Junge von Per pandron näherte sich mit seiner unvermeidli chen Eskorte. Hinter ihm betraten Fartuloon und Karmina die Zentrale. Ich bereitete mich auf die nächste Runde der Auseinan dersetzung vor. »Wo bin ich hier?« fragte der Junge und sah sich in dem hellen grünen Licht um. »In dem Raum, von dem aus dieses Schiff gesteuert wird!« erklärte Fartuloon. »Das dort ist eine Sonne?« Er deutete auf die hellste Stelle des riesi gen Sternes links von uns. »Das ist die Sonne, die versucht, das Schiff an sich zu ziehen. Wenn das ge schieht, sind wir alle verloren.« »Ich begreife es nicht …«, begann er lei se. Er sah sich verwirrt um, als sähe er das Innere der Zentrale zum erstenmal. Mit dem sicheren Instinkt des Mißtrauens hatte er Vorry und Ra in ihre Kabinen geschickt und ihnen ausdrücklich verboten, diese Räume zu verlassen. Seine Augen wanderten über die vielen Armaturen und Anzeigen. »Du begreifst nicht, was das alles bedeu tet, nicht wahr?« fragte Karmina zurück. »Nein. Wo ist in diesen Bildern Perpan dron, mein Planet? Wo ist die Welt, über die ich herrschen soll?« Wir sahen ihn mit einiger Verblüffung an. Er war tatsächlich nichts anderes als ein Barbar mit Spezialkenntnissen, der in eine Kultur oder Zivilisation geschleudert wor den war, die er nicht begreifen konnte. »Niemand von uns weiß, wo Perpandron ist. Wir haben den Planeten mit dir verlas sen, als du geschlafen hast. Wir kennen den Weg zurück nicht mehr. Und wir sind wie ein Wanderer, der keine Karte hat und in ei ner wildfremden, gefährlichen Landschaft überleben muß.« Der Junge sah mich an. Erstaunt und ver wirrt. Seine Sicherheit schmolz dahin wie Wachs.
Hans Kneifel »Wenn ihr Perpandron nicht findet, dann bringt mich auf einen anderen sicheren Pla neten!« sagte er schließlich. Ich grinste ihn kalt an. Endlich hatten sei ne Befehle keinen Sinn mehr. Sie waren so gut wie unerfüllbar. »Um einen Planeten zu finden, müssen wir eine geeignete Sonne finden. Vorher müssen wir wissen, wo wir sind.« Er schleuderte mir einen weiteren Befehl entgegen. »Findet also eine Sonne!« »Du brauchst nur zu sagen, wo wir die Sonne finden. Und vorher mußt du uns er klären, wo wir eigentlich sind!« sagte Fartu loon. Wieder herrschte ein Schweigen, das uns alle bedrückte. Die Lage war und blieb aussichtslos. »Ihr wißt es wirklich nicht? Ihr habt mich also wirklich nicht betrügen wollen?« »Nein. Und von dir wollen wir nichts an ders, als unsere Freiheit. Hör mit deinen dummen Befehlen auf!« »Ich bin der Herrscher!« schrie er und stampfte mit dem Fuß auf. »Ihr habt meinen Befehlen zu gehorchen!« »Gern. Normalerweise gehorchen wir gern«, sagte ich sarkastisch. »Aber deine blödsinnigen Befehle bringen uns näher an den Tod heran als an alles andere. Und nach Perpandron bringen sie uns schon gar nicht.« Fartuloon sagte hart: »Vielleicht begreifst du, daß wir dich auf geweckt und durchgefüttert haben. Begreife doch, daß du uns immer tiefer in die Gefahr hineinbringst. Du weißt nichts. Gar nichts weißt du von den Sternen, Planeten und Weltall. Du nennst uns bereits seit Tagen ›Raumfahrer‹ – du bist keiner. Du bist der zu junge Herrscher eines Barbarenstamms.« »Also gut!« sagte er schließlich, ohne auf Fartuloons Vorwürfe einzugehen. »Findet eine Sonne. Findet einen Planeten!« »Das bedeutet, daß die bemalten Krieger an alle diese Schaltpulte zurückkehren müs sen.« »Meinetwegen. Aber ich kontrolliere al
Die Waffe des Gehorsams les. Jeden Handgriff. Jede Bewegung. Sogar jeden Gedanken.« »Meinetwegen!« sagte ich und ging zum nächsten Mikrophon. Ich nannte die Namen der betreffenden Frauen und Männer und rief sie zusammen. Sie meldeten sich aus al len Bezirken des Schiffes. Ständig wechsel ten die Bilder auf dem Schirm. Sie verspra chen, sofort zu kommen. Das bedeutete, daß wir wenigstens eine Transition durchführen konnten. »Ich bleibe hier und kontrolliere alles. Ich befehle euch, einen Planeten zu finden. So schnell wie möglich!« »Diesmal gehorchen wir nicht einmal un gern!« schloß Karmina Arthamin wegwer fend. Sie schien ganz langsam wieder zu sich zurückzufinden. Eine Stunde später hatten wir einen kurz en Transitionssprung programmiert und be schleunigten die ISCHTAR. Aber alles ge schah unter den mißtrauischen Blicken und den ständigen, bohrenden Fragen des Jun gen. Vielleicht schafften wir es diesmal.
* Das Innere der ISCHTAR war noch im mer ein System chaotischer Verhaltenswei sen. Verschiedene Befehle und Anordnun gen hielten Frauen und Männer im Griff. Ei nige Befehle waren gelöscht worden, andere nicht. Die Macht dieses Jungen war gigan tisch. Immerhin arbeitete die Versorgung, das Schiff konnte gesteuert werden, und wir näherten uns dem Augenblick des ersten Transitionsschocks. »Warum schweigt ihr? Redet! Unterhaltet euch!« schrie der Junge. Er saß zwischen uns und schien sich zu fürchten. »Das Schiff erfordert unsere gesamte Aufmerksamkeit. Es ist nicht die Zeit für Unterhaltungen!« knurrte Fartuloon. Die ISCHTAR raste durch das grüne Leuchten der Sonne. Die Zeiger auf dem Chronometer rückten dem Zeitsprung der Transition ent gegen.
39 »Ihr seid verkrampft! Ihr erwartet ein be stimmtes Ereignis! Ihr wollt mich übertöl peln!« schrie er. Eine neue Hoffnung zuckte durch meine Überlegungen. Vielleicht set zen ihm die Transitionsschocks so zu, daß er ohnmächtig wurde und von uns überwältigt werden konnte. Vielleicht auch nicht. Ich wußte nicht, was ich glauben sollte. Ich zog es vor, keine Antwort zu geben. Dann erfolgte der schneidende Schmerz, der uns traf wie ein Lähmstrahl. Die ISCHT AR verließ den dreidimensionalen Welt raum. Schlagartig verschwand das grüne Leuch ten und machte dem stumpfen Grau ohne Konturen Platz. Noch einige Sekunden lang blieben die Farbeindrücke auf den Netzhaut stellen, dann gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit. Automatisch war die Notbeleuchtung wieder aufgeflammt. Schweigen herrschte. Ich versuchte, den Jungen zu erkennen. Er wand sich stöhnend auf seinem Sitz, wie wir alle, mehr oder we niger vom Schock geschüttelt. Und nach ei ner bestimmten Zeit flammten die Schirme gleichzeitig mit einer neuen, intensiven Schmerzwelle auf. Ein Summer ertönte. Der Transitionssprung war durchgeführt worden. »Zweieinviertel Lichtjahre«, brachte der Pilot hervor. »Aber wir sind noch immer nicht aus allem draußen.« In seine letzten Worte mischte sich der Ortungsalarm. Das Schiff hatte eine gefähr liche Distanz unterschritten. Der Pilot han delte augenblicklich. Fartuloon und ich sprangen auf und rannten zu den Bildschir men. »Hier Ortung. Hindernis auf Kollisions kurs!« Auf den Testbildschirmen flackerten un deutliche Bilder. Der Umstand, daß zuwenig Raumfahrer an den Pulten saßen, machte sich gefährlich bemerkbar. »Was ist es?« »Eine zusammengebrochene Riesenson
40 ne. Planetengroß. Gewaltige Anziehungs kräfte. Sofortige Kursänderung!« schrie es aus den Lautsprechern. Erst jetzt merkten wir, an welcher Stelle des Weltraums wir herausgekommen waren. Unser Sprung war einfach geradeaus gewe sen, ohne genaues Ziel. Wir hätten ebenso in einer Sonne wie auf einem Planeten remate rialisieren können. Aber noch bewegten wir uns im freien Weltraum. Die grüne Sonne, während des letzten Tages unser ständiger Begleiter und Nachbar, war zu einem großen, stechenden Ball achtern zu unserer Fluggeraden geworden. Vor uns hing, noch unsichtbar, die uralte, hochverdichtete Son ne. Eine Handvoll Materie wog Tausende von Tonnen. Sie zerrte an der Masse des Schiffes und wollte sie an sich ziehen. Aber wir befanden uns noch immer in der Sonnenballung. Zweifellos an der Peripherie dieser kom pakten Kleingalaxis – oder wie immer ich diese Versammlung von eng beieinander stehenden Sternen nennen mochte. Aber wieder umgab uns eine Kugelschale von verschiedenfarbigen Sonnen. Es waren keine solche Giganten, sondern kleinere Sterne, jung, heiß und mit gewaltigen Protuberan zen, die entlang von Kraftlinien ins All hin ausrasten, die scheinbar die einzelnen Son nen miteinander verbanden. »Ändere den Kurs!« schrie ich den Pilo ten an. Auf sämtlichen Instrumenten began nen die Anzeigen zu zittern. Zeiger schnell ten an die Enden der Skalen. Auf einzelnen Abschnitten erschienen stechend rote Warn lichter. Ein Summer quäkte unablässig. Die ses Geräusch riß an den Nerven, es versetzte uns in Panik. Wir litten seit Tagen unter die sem Streß, und schon winzige Einzelheiten erhielten dadurch eine viel größere Bedeu tung. »Ich bin bereits dabei. Ich versetze die ISCHTAR nach Sektor Grün!« schrie der Pi lot. Die Maschinen heulten. In den Pulten kni sterten und knackten die rasend ausgeführ ten Schaltungen. Partikelströme, durch die
Hans Kneifel wir hindurchrasten, zauberten auf der Ober fläche des Schutzschirms wahre Feuerwerke aus intensiven Farben hervor. Noch immer jaulten die akustischen Warneinrichtungen. Das Schiff kämpfte mit aller Kraft gegen die Anziehungskraft des toten Sternes an. »Ein neuer Sprung! Geradeaus! Hinter die gelbe Sonne dort!« rief ich und federte einen schweren Stoß, der das Schiff erschütterte, mit den Knien ab. Mein Blick traf zufällig Karmina Arthamin. Die Sonnenträgerin saß kerzengerade in ihrem Sessel und krampfte ihre Finger um die Lehnen. Sie zitterte am ganzen Körper. »In Ordnung. Es wird hart werden!« gab der Pilot zurück. »Schnell!« Dies ist die beste Lösung, aber nicht frei von hohem Risiko! schrie der Logiksektor. Der Pilot arbeitete auf der Tastatur des Bordrechners einen weiteren Transitions sprung aus. Ich erinnerte mich an den Jun gen, drehte mich um und deutete mit der Hand auf ihn. »Du bist an allem schuld, du Barbar!« schrie ich aufgebracht. »Jetzt kämpfen wir um unser Leben. Du hast uns in diese Lage gebracht!« Er schien sich doch besser in der Gewalt zu haben, als ich gedacht hatte. Der Tyrann des Schiffes saß ruhig da und schwieg. Seine großen Augen starrten mich an. Nur der zu sammengekniffene Mund bewies, daß er sich zu fürchten begann. »Es ist eure Aufgabe, einen Weg aus der Gefahr zu finden!« sagte er schließlich fast feierlich. »Findet ihn also.« »Wir sind gerade dabei.« Fartuloon saß schweigend und konzen triert da. Er war bereit, bei jeder sich bieten den Gelegenheit, einzuspringen. Noch brauchten wir ihn nicht. Das Schiff schlingerte, Sprang und tau melte dahin. Nur waren hier die Wellen un sichtbare Kraftlinien, die nur auf Spezial schirmen sichtbar gemacht werden konnten. Die ISCHTAR raste, wieder schneller wer dend, auf die gelbe Sonne zu und versuchte,
Die Waffe des Gehorsams der gewaltigen Anziehung des toten Sterns zu entkommen. Wir sahen den Kampf auf unzähligen Instrumenten und Skalen darge stellt. Das Schiff arbeitete mit mehr als fünf undneunzig Prozent seiner Energie. Ich murmelte am Ohr des Piloten: »Kommen wir dieses Mal durch?« »Wir werden es wissen, wenn die Zeiger hier stehen!« Es wies mit dem Zeigefinger auf die Zif fern. Dann zuckte seine Hand zum großen roten Schalter hinüber. »Transition!« sagte er scharf. Wieder wurden wir ohne Erbar men von Schmerzen gepackt. Der Transiti onsschock war nicht besonders stark, aber wir spürten ihn. Das Schiff raste wieder durch die stumpfe Schwärze und schoß hin aus in den normalen Raum. Und jetzt befan den wir uns wirklich außerhalb der drohen den Sonnen. Auf den Schirmen der Panoramagalerie breitete sich der Weltraum aus. Tiefschwarz, von Diamantsplittern der Sterne übersät, ein Meer von Lichtern. Wir hatten den Anblick schon zu lange vermißt. Ich spürte plötzlich eine wohltuende Schwäche, die eindeutig ein Zeichen meiner Erleichterung war. Der Junge von Perpandron sprang auf. »Was ist das? Wo sind wir plötzlich! Al les ist dunkel …!« Er vermißte das durchdringende Leuch ten, das tagelang von sämtlichen Bildschir men aus gestrahlt hatte. Die plötzliche Dun kelheit, nur von den Instrumentenlichtern und den verdeckten Notbeleuchtungen un terbrochen, erschreckte ihn zutiefst. »Das ist der Anblick des normalen Welt raums. Für dich ist es neu und erschreckend. Für uns ist es ein gutes Zeichen!« Fartuloon stand ruhig auf und kam näher. »Um zu wissen, wo wir sind, brauchen wir eine voll besetzte Ortungsabteilung. Wenn du auf einen sicheren Planeten ge bracht werden willst, dann mußt du wieder einige Befehle geben, Tyrann!« Der Junge fuhr herum. So schnell, wie er die Angst gespürt hatte, so schnell gewann er wieder seine Arroganz wieder. Er verän
41 derte als deutliches Zeichen für uns alle plötzlich sogar seine Körperhaltung! »Wie nennst du mich?« In der arkonidischen Sprache klang es noch drohender und direkter. »Tyrann, das war das Wort. Du hast ein Schiff voller freier Raumfahrer zu lächerli chen Sklaven gemacht. Und jetzt mußt du deinen Sklaven befehlen, nach einer Karte zu suchen, die uns einen Weg zeigt.« »Ja«, sagte Fartuloon düster. Er vergaß nie etwas. Er würde sich für die zurücklie genden Demütigungen rächen – wenn es an der Zeit war. Noch beherrschte er sich. »Wenn du deinen Planeten oder einen an deren finden willst, dann brauchen wir eine voll besetzte Ortungsstation und einige Zeit. Genau das mußt du befehlen!« »Sterne? Eine Karte? Ortungsstation?« Karmina Arthamin hielt es nicht mehr aus. Die Sonnenträgerin hatte einen Punkt erreicht, an dem Selbstdisziplin und Beherr schung nicht mehr funktionierten. Die zu rückliegenden Tage hatten sie ununterbro chen belastet. Versuchter Widerstand und Abscheu auf der einen und der Zwang zum Gehorchen auf der anderen Seite, dazu auch noch ausgesprochen von einem Menschen, der ihr an Jahren, Herkunft und Klugheit zu namenlos unterlegen war, das alles sum mierte sich bis zu diesem Augenblick. Sie sprang aus dem Sessel und war mit zwei Schritten dicht vor dem Jungen. Sie holte aus und schlug ihm, ehe jemand eingreifen konnte, mit der flachen Hand rechts und links ins Gesicht. Zwei schallen de Geräusche waren zu hören, dann ein spit zer Schrei, ein kurzer Fluch in Altarkoni disch. Der Junge taumelte zurück und hob die Hände an seine Wangen. »Aufhören!« grollte Fartuloon. Der Junge sah uns mit weit aufgerissenen Augen an. Wir kannten seine Lebensge schichte nicht, aber er war jetzt demorali siert. Dieser Zustand mußte ausgenutzt wer den. Karmina fuhr ihn an: »Du elender Barbar! Du Abschaum! Du verdienst nicht, die Luft in diesem Schiff zu
42 atmen. Gib sofort die Befehle. Wir haben es satt, vor dir herumzukriechen. Ich kann dich nicht einmal mehr verachten!« Sie schwieg, dann schluchzte sie auf. Sie warf mir einen verständnislosen Blick zu und rannte in panischer Eile stolpernd aus der Zentrale hinaus. »Sie hat recht!« sagte ich leise. »Wir müs sen einen Planeten finden. Los!« Der Junge schwieg. Er bot einen trauri gen, fast komischen Anblick. Er war noch in die improvisierten Prunkgewänder gekleidet, die er während der Kämpfe getragen hatte. Aber er war alles andere als lächerlich – noch immer stellte er eine Bedrohung dar. Er durfte nur nicht wieder daran denken, unsinnige Befehle zu geben. Fartuloon be zwang sich und, legte ihm in einer väterli chen und beruhigenden Geste die Hand auf die Schulter. »Wir warten auf dich, mein Sohn!« sagte er leise und mit beschwörender Stimme. »Du wirst schon das Richtige tun.« »Ich will … werde … wen soll ich rufen …?« fragte er leise. Auf seinen Wangen zeichneten sich die Spuren der Finger Kar minas ab. »Ich werde die Besatzung zusammenru fen!« sagte ich scharf. »Kümmere dich nicht darum.« Eine Viertelstunde später konnten sich die Spezialisten mit Hilfe aller ihrer Geräte und Maschinen daran machen, den Standort des Schiffes herauszufinden. Die Arbeit würde einige Stunden dauern. Und dann erst konn ten wir daran gehen, einen Planeten zu fin den. Die anderen Fragen waren für den Augen blick unwichtig geworden, aber niemand hatte die Rätsel wirklich vergessen. Warum hatte uns die fremde Macht, die sich Gonozals bediente, auf dem Weg von Perpandron nach Kraumon entführt? Wo versteckte sich diese Konstruktion? Ich war müde und hungrig. Als ich sah, daß uns diesmal der Junge nicht sabotieren würde, weil er mit seinen eigenen Proble men zu sehr beschäftigt war, verließ ich die
Hans Kneifel Zentrale und ging in meine Kabine. Ein paar Stunden Ruhe waren für mich lebensnot wendig.
* Zuerst suchte ich Ra auf. Ein Blick auf den Bildschirm und ein kurzes Gespräch hatten mir gezeigt, daß meine Raumfahrer mit der Bestimmung unserer Position fast fertig waren; diese wahnsinnigen Transitio nen kurz nach dem Start hatten uns Tausen de Lichtjahre vom eigentlichen Kurs wegge rissen. Ra lag in seiner Kabine und starrte mich mit nackter Mordlust in den Augen an. »Solange er seinen Befehl nicht aufhabt, kann ich hier nicht heraus. Aber wenn ich frei bin, werde ich ihn umbringen!« stieß er scharf hervor. »Das wirst du nicht tun, denn eigentlich ist er nichts anderes als ein unwissendes Kind.« »Kind?« Ra zuckte seine breiten Schul tern. »Ich weiß doch, was ich auf dem Bild schirm gesehen habe. Er tyrannisiert das ganze Schiff!« »Nicht im Augenblick!« sagte ich. »Wenn er wieder sicher ist, fängt alles von vorn an!« sagte Ra. »Keiner von uns kann ihm etwas tun, weil er es uns allen ver boten hat. Ich kann nicht einmal aus diesem Loch hinaus!« »Ganz gut für dich«, sagte ich bitter und wandte mich zum Schott. »Auf diese Weise entgehst du seinen Schikanen.« Er nickte und brütete neue Rachepläne aus. »Ich versuche, Karmina zu finden. Sie ist knapp einem Nervenzusammenbruch ent gangen. Vielleicht gelingt es uns, die Lage zu klären.« »Ich bewundere deinen Optimismus, At lan!« knurrte er. »Ich glaube, ein Schädel bruch würde ihm mehr nützen. Uns ganz be stimmt!« »Warten wir's ab.« Ich schlug das Sicherheitsschott hinter
Die Waffe des Gehorsams mir zu und blieb stehen. Wenn es uns ge lang, wieder auf unseren Kurs nach Krau mon zurückzufinden, würden die Probleme mit dem Jungen nicht mehr so sehr ins Ge wicht fallen. Das dachte ich einige Minuten lang, während ich in der beginnenden Ruhe im Schiff langsam zur Zentrale zurückging. Kurz bevor ich sie erreichte, hörte ich, wie sich das Kommunikationssystem wieder ein schaltete. »Atlan! Ich suche Atlan. Komm sofort zu mir. Ich bin in Karminas Kabine!« Meine Schultern sackten nach vorn. Er hatte es wieder einmal geschafft. Ich hatte den Befehl bekommen und mußte gehor chen. Bereite dich auf Ärger vor! sagte der Lo giksektor.
6. Ich zögerte fast zu lange, ehe ich den Griff packte. Ich war wirklich auf Ärger vor bereitet. Der Junge war mit vernünftigen Ar gumenten nicht zu überzeugen. Er war unsi cher, und deshalb sah ich eine lange Zeit vor uns, in der wir seinem Willen und seinen un berechenbaren Launen ausgeliefert sein wür den. Mein Selbstvertrauen war nicht gerade gering, aber ich glaubte nicht, daß ich ihn überzeugen konnte. Ich streckte die Hand aus und stieß das schwere Schott auf. Star ker Geruch nach einem teuren Duftwasser schlug mir entgegen. Vier große Bildschir me arbeiteten und produzierten vier ver schiedene Bilder. Als ich die dreidimensio nalen Abläufe erkannte, wußte ich, daß mir eine unschöne Zeit bevorstand. Zwei Sessel befanden sich vor dem reich gedeckten Tisch. Karmina und der Junge sa ßen da und blickten mich an. Ich brauchte gar nicht erst in die Gesichter von Fartuloon oder der Sonnenträgerin zu sehen, um ihre Gefühle zu erkennen. »Was willst du?« fragte ich und lehnte mich an das geschlossene Schott. Einer der Bildschirme zeigte einen Blick in die Zen
43 trale. Dort arbeiteten, augenscheinlich unge hindert, meine Männer. Das Schiff raste wieder in Unterlichtgeschwindigkeit auf die Mitte der Sternenkulisse zu. »Mit dir reden. Du scheinst vernünftig zu sein. Der Dickwanst hier«, er deutete mit dem gerade ausgestreckten Finger auf Fartu loon, der diese Bemerkung mit unbewegter Miene schluckte, »ist einigermaßen unergie big. Aber er serviert recht artig.« »Worüber willst du reden?« fragte ich. Sein Befehl hatte die Sonnenträgerin in eine Lage gebracht, die selbst mich nach al lem verblüffte. In einem außerordentlich ge wagten Anzug, offensichtlich der letzten Moderichtung auf Arkon entstammend, saß sie dem Jungen gegenüber. Ihr Gesicht drückte ohnmächtigen Haß aus. »Über alles!« schnappte er. »Alles ist an ders. Ich wachte mit bestimmten Gedanken auf. Keiner davon traf auf die Realität.« Ich blieb, wo ich war, und musterte die Szene vor mir. Auf dem zweiten, oberen Bildschirm, flimmerte die Aufzeichnung ei nes dieser Kämpfe. Die Lichter und die blitzschnellen Bewegungen der Kämpfenden warfen kleine Lichtechos in den Raum. »Die Realität war anders. Es war unsere Wirklichkeit. Du solltest nicht in ihr aufwa chen.« Er beugte sich über den Tisch und strich mit seinen Fingerspitzen prüfend über den Körper der Sonnenträgerin. Karmina beweg te sich nicht, aber ihr Gesicht drückte Ab scheu aus. »Wer hat mich aufgeweckt?« fragte der Junge. »Es stellt sich eine andere Frage – was hat dich aufgeweckt. Ich weiß es nicht, denn wir waren nicht in der Lage, etwas zu tun oder zu unternehmen.« »Ich will alles wissen. Erzähle!« ordnete er an. Ich berichtete also, was kurz nach dem Start von Perpandron vorgefallen war und hörte auf, als es uns gelungen war, der Son nenhölle zu entkommen. Schweigend hatte der Junge zugehört. Auch der Bauchauf
44 schneider und die Sonnenträgerin sagten nichts. Das Gefühl von mehr Ärger und dem unweigerlich erfolgenden Hineinschlittern in noch mehr Gefahren verstärkte sich. »Das ist also die Geschichte. Und was er folgt jetzt?« Ich deutete auf den Bildschirm und erklär te kurz: »Sie sind dabei, eine Sonne zu suchen, die Planeten hat. Aber wir sollten nach Perpan dron zurückfliegen.« Vielleicht ahnte er noch immer nichts von Kraumon – wir hätten uns alle gleich um bringen können, was denselben Effekt ge habt hätte. »Ich will aus diesem unsicheren Schiff heraus. Ich will endlich Boden unter den Fü ßen haben.« Je länger er bei uns war, desto mehr Be fehle sprach er aus. Da er kaum einen Befehl widerrief oder durch eine Gegenorder auf hob, gab es immer mehr Befehle, die von einzelnen oder der gesamten Mannschaft be folgt werden mußten. Je mehr Befehle es gab, desto eingeschränkter wurden wir alle in unseren Versuchen, uns zu retten und un sere Pläne weiterzuverfolgen. Jetzt drohte seine Angst: das Schiff sollte auf einem fremden Planeten landen. »Ich habe das schon oft zu erklären ver sucht. Es dauert Stunden oder Tage, bis wir eine Sonne finden, die Planeten besitzt.« »Wieviele Tage?« schnappte er und trank einen Schluck Wein. Ich sah den Weinbe hälter. Der Jahrgang gehörte zu den teuer sten und ältesten Weinen, die sich in unseren Magazinen befanden. »Das weiß niemand. Ich hoffe, daß du mir glaubst!« »Ich bin geneigt«, erklärte er mit seiner üblichen Arroganz, »dir bis zu dem Punkt zu glauben, an dem sich unsere Interessen in verschiedene Richtungen bewegen.« Auf dem dritten Bildschirm erkannte ich das Bild, das in diesem Raum von den Lin sen aufgenommen wurde. Vermutlich war es dieses Bild, das im Augenblick auf allen. Schirmen des Schiffes zu sehen war. Hof-
Hans Kneifel fentlich fanden wir im Schiff noch ein paar Arkoniden, die ihre gesamte Freiheit behal ten hatten und sich aus Klugheit bisher ver steckt hielten. Ich war verzweifelt. Aber ich versuchte, mich ebenso zu beherrschen wie mein Vorbild Fartuloon. Er hatte so gut wie keine Befehle herausgefordert, die sich auf ihn allein bezogen. Er war, obwohl er den Diener spielte, der freieste von uns allen. »Wir versuchen es ununterbrochen«, er klärte ich. »Von hier aus können wir Perpan dron nicht finden. Vielleicht finden wir in der nächsten Zeit einen Planeten, auf dem du überleben kannst.« »Ich?« fragte er voller Verwunderung. »Ja. Wer sonst?« »Wir alle. Ihr, meine Sklaven, alle diese starken Männer und die schönen Mädchen, mit denen ich viele Kinder haben werde. Ihr seid mein Volk. Ich habe euch ausgewählt, indem ich in eurer Mitte das Bewußtsein wiedererlangt habe.« »Das kann nicht dein Ernst sein!« flüster te ich. Jetzt packte mich – und nicht nur mich! – das nackte Entsetzen. »Mein völliger Ernst. Ich scherze nie mals!« versicherte er. »Wir alle werden auf diesem Planeten landen und dort die Keim zelle eines neuen Volkes sein. Ein Volk von fähigen Sklaven. Ich als absoluter Herr scher.« Ich stöhnte auf. Mein Logiksektor schwieg offensichtlich erschrocken. »Dir scheint die Vorstellung nicht zu be hagen?« erkundigte sich der Mann aus dem gläsernen Turm. »Keineswegs!« sagte ich kurz. »Unsere Pläne sind anders.« Er lächelte mich kurz an. Es war ein klei nes, grausames Lächeln. Er wirkte jetzt wie ein Kind, das damit beschäftigt war, einem Käfer die Beine auszureißen. Schweiß brach mir aus. »Ihr werdet die Pläne gern ändern!« sagte der Junge. »Dafür sorge ich.« »Ja«, meinte ich. »Das ist zu befürchten.« Wie sollten wir ein Wesen besiegen kön nen, das jeden anderen zwingen konnte, das
Die Waffe des Gehorsams niemals schlief und keinen Augenblick lang unaufmerksam war? Ich wußte es nicht. Ich hob die Schultern und fror innerlich vor Angst. Kraumon, der Fluchtplan, ver schwand vor meinem geistigen Auge irgendwo in den Tiefen des Raumes und in den Nebeln der Zeit. Wir waren alle verdammt. Es muß einen Weg geben! Schlafe aus und denke nach, solange sie nach einer Sonne suchen! wisperte verschwörerisch der Extra sinn. »Kann ich jetzt gehen?« fragte ich. »Wohin?« »Zu meinen Leuten.« »Was willst du tun?« »Ihnen helfen, einen Planeten zu finden!« log ich. Glücklicherweise hatte er mir nicht befohlen, immer nur die Wahrheit zu sagen. »Dann geh. Und benachrichtige mich, wenn ein Planet gefunden worden ist. Das ist ein Befehl!« »Ich gehorche!« sagte ich und ging hin aus. Karmina begann mir leid zu tun. An ihr schien der Junge seine Art von Rache vor nehmen zu wollen. Niemand konnte etwas dagegen tun.
* Nach zwanzig Schritten hörte ich links von mir ein scharfes Fingerschnappen. Achtung! zischte der Extrasinn. Ich fuhr herum und erkannte in dem Halb dunkel eines abzweigenden Ganges eine Frau. Ich kannte sie; wir waren uns auf eine mehr als freundschaftliche Weise sympa thisch. »Algonia!« sagte ich und lief in ihre Rich tung. »Was ist los?« »Ich soll dich zu den Technikern rufen. Es erschien uns zu riskant, dich per Interkom zu rufen. Los, komm mit!« Sie packte meine Hand und zog mich in die Richtung des nächsten Antigravschach tes. »Techniker? Was ist los? Was haben sie vor?« Schnell liefen wir auf den hell leuchten-
45 den Einstieg des Abwärts-Schachts zu. Ich wurde ununterbrochen von verschiedenen Stimmungen gepeinigt. Diesmal war es zur Abwechslung wieder einmal eine schwache Hoffnung. Ich kannte die junge Frau als zu verlässig und vertrauenswürdig. »Es sind drei Leute, die kaum einem Be fehl zu gehorchen haben.« Also doch! sagte der Logiksektor. »Du auch?« »Ich bin nicht sehr eingeschränkt. Sie ver suchen, einen Roboter zu programmieren.« Ich schwang mich neben ihr in den Schacht. Wir hatten uns flüsternd unterhal ten. Das war die Lösung. Zumindest war dies eine echte Chance. Eine Maschine mit einem positronischen »Gehirn« konnte nicht wie ein lebendes Wesen beeinflußt und ge zwungen werden. »Ausgezeichnet. Sie brauchen mich, nicht wahr?« fragte ich begeistert. Algonia nickte eifrig. »Ja. Ein Medorobot, ausgerüstet mit Schockstrahlern. Und wenn er den Fremden niedergeschossen hat, können wir ihn in ei ner der Kältekammern in Tief schlaf legen.« »Er will mit der Besatzung der ISCHTAR zusammen ein neues Reich gründen!« er klärte ich. Den Weg kannten wir beide. Die Männer mußten sich tief abseits im Unter schiff, nur wenige Ebenen oberhalb der Pol schleuse, versteckt gehalten haben. Aus der Hoffnung wurde eine wilde Freude. »Nicht, wenn wir uns überhaupt noch ir gendwie wehren können!« sagte Algonia entschlossen. »Hier, in diese Richtung.« Dieser Teil des Schiffes wurde so selten benutzt, daß keine der Beleuchtungen einge schaltet war. Nicht einmal die roten Leucht körper der Notlichter. Aber die junge Frau tastete sich mit erstaunlicher Sicherheit vor wärts, bog ein paarmal rechtwinklig ab und drückte schließlich einen Summerknopf. Langsam schwang ein Druckschott auf. Ein Luftstrom, gemischt aus Rauch, dem stechenden Geruch schmorender Verbindun gen und heißen Fetten oder Ölen, kam uns entgegen. Vor uns lag eine der hervorragend
46 ausgerüsteten Werkstätten des Schiffes für Reparaturen an mittelgroßen Maschinen. Ein Mann stand da und zielte mir einem dickläu figen Schockstrahler auf uns. Er ließ ihn sin ken und grinste verzerrt. »Atlan!« rief er leise. »Endlich! Wie frei sind Sie, Chef?« Ich zuckte die Schultern. »Es geht. Ich bin vielfach blockiert, aber vermutlich habe ich eine etwas größere Wi derstandskraft.« »Wie können wir das verstehen?« Ich ging näher und sah, daß sie einen der Spezialroboter teilweise umkonstruiert hat ten. Aber er sah noch immer wie ein Medo robot aus. Machte es für den Fremden einen Unterschied? »Die zurückliegenden Befehle verlieren schneller ihren Ausschließlichkeitscharakter. Ich muß ihnen nicht gehorchen. Und ich bin eben in die Zentrale geschickt worden und konnte trotzdem hierher kommen.« »Ausgezeichnet. Wir haben Schwierigkei ten, die Positronik umzuprogrammieren. Das Potential ist zu schwach ausgebaut.« Ein solcher Robot mußte Arkoniden be täuben können, denn in vielen Situationen würde die Maschine sonst Verletzungen nicht schmerzlos behandeln können. Aber die Definition hieß, einen Verletzten zu be täuben, nicht einen offenkundig unverletzten Mann niederzuschießen, der keinerlei er kennbare Spuren von Verletzungen oder ähnliche Merkmale aufwies. »In Ordnung. Ich helfe euch. Sind hier eingeschaltete Bildschirme?« »Ja. Einer!« »Schaltet ihn ins Netz. Kappt die Tonlei tung in beide Richtungen. Er kann uns auch über Bildschirm Befehle erteilen.« »Sofort!« Drei junge Techniker waren es. Sie hatten es bisher ganz geschickt angestellt. Die Ma schine war mit einem Spezialmagazin verse hen worden. Statt einer Diagnoseröhre war ein kleiner Schockstrahler eingebaut wor den. Die Sicherung war entfernt, die Ladung war hoch, die Streuungskegel des Schusses
Hans Kneifel war sehr eng gebündelt. Wenn wir es schaff ten, die Maschine richtig zu motivieren, dann würde sie den Kranken behandeln … Jetzt stand sie ausgeschaltet und bewe gungsunfähig da. »Wo ist das Programmierpult?« »Hier!« Sie hatten neun Zehntel aller notwendigen Arbeiten mit hervorragendem Ergebnis aus geführt. Aber keiner von ihnen war in der Lage gewesen, ein richtiges Programm zu schreiben und die Maschine nur auf den Fremden abzustimmen. Bis zu einem be stimmten Punkt ließ sich das Positronenge hirn eines Roboters überlisten – ich versuch te langsam und methodisch, die Motivatio nen richtig zu setzen. Zwischendurch erkundigte ich mich: »Was sagt die Ortungszentrale?« »Sie glauben herausgefunden zu haben, daß wir uns in der Nähe des galaktischen Zentrums befinden. Und zwar im Randbe zirk einer Sternenballung, in deren Mitte sich die Riesensonnen befanden.« Langsam und methodisch drückte ich die Tasten und kontrollierte immer wieder alle Teilschritte. »Keine weiteren Erkenntnisse?« »Nein. Wir wissen nicht, wo wir uns be finden. Wir können noch keinen Kurs ent wickeln.« »Das hört sich bitter an!« murmelte ich. Der Extrasinn warf ein: Wenn ihr den Fremden besiegt habt, wird der Kurs keine Schwierigkeiten mehr ma chen. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihr nach Kraumon kommt.
* Ein Zusatzgerät hinter den komplizierten Sichtlinsen der Maschine begann zu arbeiten und setzte die Bilder, die der Robot auf nahm, um. Sie erschienen auf einem kleinen Bildschirm. »Geh in den Nebenraum, suche das Zentrum der improvisierten Zielscheibe und schieße den Lähmstrahler genau ins Ziel!« befahl ich.
Die Waffe des Gehorsams Wir hatten alles entsprechend präpariert und so viele Hindernisse aufgestellt, daß die Maschine einen gewaltigen Umweg machen mußte. Außerdem gehörte zum Basiswissen eines jeden solchen Roboters die perfekte Kenntnis eines jeden Raumes der ISCHT AR. Es war unumgänglich. Der Robot summte bestätigend auf und eilte davon. Immer wieder gingen unsere Augen von der Maschine zum Bildschirm. Wir sahen, daß die Maschine in einem wilden, aber ra tionellen Kurs in den Nebenraum schwebte, dort die Zielscheibe suchte und einen Au genblick später klar definierte. Der getarnte Lähmstrahler peitschte auf und aktivierte mit seiner Energie eine winzige Zelle. Das Signal war klar und deutlich. Die Bilder waren klein, aber gestochen scharf. Wir sahen uns an und wagten ein kurzes Grinsen. Ich setzte mich auf eine Werkbank und murmelte: »Ihr vier bleibt am besten hier. Ich bringe die Maschine nach oben und weise sie ein. Solange ihr versteckt und abgeschnitten seid, kann euch kein Befehl erreichen.« Einer der Techniker, deutete auf den Schirm, der uns fünf zeigte, denn die Vor auslinsen der Maschine waren auf unsere Gruppe gerichtet. »Und Sie, Atlan?« »Ihr seht auf dem Schirm, was vorfällt. Ich komme sofort zurück und sehe mir den Bandmitschnitt an. Einverstanden?« »Natürlich.« Ich winkte der Maschine und sagte: »Du wirst jetzt mit mir kommen. Auf Deck Sieben in den Kabinen Acht und Neun befindet sich dieser junge Mann. Er ist töd lich erkrankt. Er weiß nichts davon und wird sich dage gen sträuben, untersucht zu werden. Es ist notwendig, ihn zu betäuben, ehe die Diagno se gestellt werden kann. Betrachte die Bil der!« Wir hatten vom Bildschirm stehende Auf nahmen angefertigt und schalteten das Gerät
47 wieder ein. Ich deutete auf den Jungen. Er saß jetzt neben Karmina Arthamin und ver suchte auf seine noch fast kindliche Art, sie zu verführen. Wenn ich ihr Gesicht anblick te, liefen mir eiskalte Schauer über den Rücken. »Du hast die fragliche Person klar defi niert? Antwort?« Der Medorobot summte auf. »Folge mir. Ich begleite dich bis Deck Sieben.« Ich sprang auf den Boden und ging auf das Schott zu. Im Augenblick traute ich es mir sogar selbst zu, wieder einen Schock strahler in die Hand zu nehmen und den Jun gen niederzuschießen. Die Wirkung des Be fehls hatte nachgelassen. Ich hörte das vier fach geflüsterte »Viel Glück!« Algonias und der Techniker, dann schloß sich das Schott hinter uns. Die Maschine summte an mir vorbei, ich schaltete die Notbeleuchtung ein und sprang in den Aufwärtsschacht. Nach Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorka men, schwangen wir uns beide hinaus auf den Bodenbelag von Deck Sieben. Niemand war uns begegnet. »Kabine Sieben und Acht. Warte nicht auf die Aufforderung. Öffne das Schott und dringe ein. Höchste Wichtigkeit. Ein Arko nide muß sterben, wenn du nicht richtig schaltest!« Ein zustimmendes Summen, dann glitt der Roboter davon. Ich sah ihm nach, bis er et wa in der Höhe des Eingangs war. Ich fühl te, wie ich vor Anspannung zitterte. Dann zwang ich mich dazu, wieder hinunter zu den letzten »Freien« der ISCHTAR zu ge hen. Wieder einmal hing das Schicksal des Schiffes mit sechshundert Mann Besatzung an einem dünnen Faden. Genauer gesagt am richtigen Funktionieren einer Maschine … Ich schwitzte und war aufgeregt.
* Plötzlich, mitten im Antigravschacht, sehnte ich mich wieder danach, eine mög
48 lichst primitive Waffe in der Hand zu halten und damit zu kämpfen. Alle aufgestaute Spannung der letzten Tage, die Qual der Hoffnungen und die immer wieder wie schlagartig auftretende Resignation – sie hinterließen Spuren. Ich wollte losschlagen. Jeder, der mich kannte, bescheinigte mir viel Geduld und die Fähigkeit zur Planung über lange Zeiträume hinweg, aber bisher hatte sich die Ausgangssituation nicht verändert. Also würde sich auch die Lage nicht ver ändern. Ich stieß das Schott auf und trat in die große Werkstatt hinein. »Wie ist es ausgegangen?« brachte ich hervor. Schon der zweite Blick in die Ge sichter der Schweigenden sagte mir, daß es eine Panne gegeben hatte. »Hier. Wir fahren die Aufzeichnung ab!« sagte Algonia. Das Bild erschien auf dem Schirm und scheinbar vor ihm in der Luft; eine vorzügli che dreidimensionale Wiedergabe. Wir sa hen das Schott, das zu dem Doppelapart ment führte, durch die Linsen der Maschine. Das Schott schwang auf. Die Maschine bewegte sich nach vorn. Karmina saß auf dem Rand der Liege und blickte den Jungen mit Mordgier in den großen Augen an. Sie schien zu gehorchen, aber ihre innere Sperre war gewaltig. Er hatte seine arrogante Art nicht abgelegt, schien aber verwirrt über den deutlichen Widerstand, der sich vor ihm auf baute. Beide zuckten zusammen, der Junge sah genau in die Optiken der Maschine. »Bis hierher klappte es!« flüsterte Algo nia. Der Robot summte quer durch den Raum und betätigte die Zoom-Linsen. Der Kopf des Fremden schien ins Bild hineinzuschie ßen, bis er den flimmernden Grenzbereich der Wiedergabe berührte. »Was soll das?« fragte er aufgebracht und streckte die Hand aus, als ob er die Maschi ne abwehren könne. Auch Karmina war erschrocken, sprang auf und bewegte sich unschlüssig auf den Medorobot zu. Der Robot umrundete Sessel und Tisch und blieb dicht vor der Liege ste-
Hans Kneifel hen. Die Gliedmaßen mit den vielen ver schiedenen Elementen bewegten sich nach vorn, ergriffen den Jungen von Perpandron und wollten ihn auf die Liege drücken. »Eine Maschine! Sie wollen mich um bringen! Ich verbiete euch allen, mir etwas anzutun. Ich bin der Herrscher des Schiffes! Ich bin unantastbar!« schrie er schrill. Die Sonnenträgerin war bis an die Wand zurückgewichen. Sie schwieg und wußte nicht, was geschah. Die Maschine war sanft, aber beharrlich. Ich wartete zitternd auf das erlösende Geräusch des Schockschusses. Nichts. Der verdammte Apparat begann, mit sanfter Gewalt die Diagnoseeinheiten anzu setzen und die einlaufenden Informationen rasend schnell zu verarbeiten. »Heft mir! Sie bringen mich um! Ich habe euch allen befohlen …«, kreischte der Ty rann des Schiffes. »Warum schießt dieser verfluchte Roboter nicht …?« heulte ich in ohnmächtigem Zorn auf. »Werden wir gleich sehen …« Jetzt lag der hundertachtzig Zentimeter lange Körper flach auf der Liege. Der Junge wehrte sich verzweifelt und schrie, als glau be er, die Maschine würde ihm die Haut ab ziehen. Wieder einmal ahnte ich, daß er für dieses Abenteuer keineswegs vorprogram miert war. Aber in der Aufregung vergaß ich den Gedankengang wieder und sah zu, wie die Maschine endlich den Schockstrahler vorklappte. Im gleichen Augenblick hörten wir harte, schnelle Schritte. Das Rückwärts-Auge des Roboters erfaß te die gedrungene Gestalt Fartuloons. Er war mit eindeutigen Befehlen konditioniert wor den. In seiner Hand blitzte das Skarg auf. Ein Kampfroboter hätte schneller reagiert, aber diese Maschine war nicht dafür ge schaffen. Ein knatternder, lauter Krach er tönte, ein blendender Lichtstrahl fuhr vom Schwerte aus durch die gesamte Breite der Kabine und verwandelte den Arm der Ma schine in ein weißglühendes und funken sprühendes Stück Metall. Aufjaulend befrei
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te sich der Junge vom Griff des anderen Ro botarms. »So also funktionierte unser großer Trick!« murmelte ich und fühlte abermals den Schmerz der tiefen Enttäuschung. Wie der war der Versuch, die tyrannische Skla verei abzuschütteln, völlig fehlgeschlagen. »Ja. So funktionierte er nicht!« stimmte ein Techniker zu. »Der Bauchaufschneider ist so höllisch schnell.« »Er gehorchte nur genauen Befehlen. Habt ihr das Zögern in seinem Gesicht gese hen? Aber er konnte seinen Reflex nicht mehr ausschalten.« Die Maschine drehte sich, wich zurück und wurde von Fartuloon aus dem Raum ge schickt. Als sich das Schott hinter dem Roboter schloß, der zu allem Überfluß noch den zer störten Handstumpf mitnahm, atmete ich seufzend auf. »Ich gehe in die Zentrale. Hoffentlich fragt er mich nichts über die Maschinen. Ich würde meinen, daß ihr hier unten in einer hervorragenden Lage seid.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Wir können sicher sein, daß in wenigen Sekun den niemand mehr im Schiff gegen den Fremden handeln kann. Mit jeder Panne wachsen seine Kenntnisse. Er wird jetzt da mit rechnen können, daß es Verstecke gibt.« Ich fluchte laut und verließ dieses Ver steck. Kurze Zeit später war ich in der Zen trale und erfuhr dort, daß man in einer Ent fernung von einigen Lichtjahren eine stabile, blaue Sonne entdeckt hatte. Sie wies, nach der ersten großen Analyse, mindestens fünfzehn Planeten auf.
Zentrale. »Habt ihr etwas gefunden?« fragte er kurz angebunden. »Es scheint so!« sagte ich. »Wirst du ei gentlich niemals müde?« Er schüttelte den Kopf und erklärte mit kalter Arroganz: »Nein. Niemals läßt meine Wachsamkeit nach.« »Wer bist du?« erkundigte ich mich. »Wir wissen nichts von dir, nichts über dich. Nicht einmal deinen Namen.« Er hob den Kopf, bis er wie eine Statue des Stolzes wirkte. Langsam sah er sich in der Zentrale um. Alle meine Männer blick ten ihn an wie ein Gespenst. Die wußten, daß seine Gegenwart mit neuen Schwierig keiten verbunden war und bereiteten sich auf den nächsten Schock vor. Vielleicht hatte der eine oder andere gesehen, wie der Über fall durch den Medorobot fehlgeschlagen war. »Kennst du mich nicht?« fragte er ver blüfft. »Ist es möglich, daß du mich nicht kennst?« »Niemand kennt dich!« bestätigte ich wahrheitsgemäß. »Ich bin Akon-Akon!« sagte er, als würde das alles erklären. Aber er steigerte nur noch unsere Verwirrung und Unsicherheit. Ich verstand jetzt zum erstenmal, wie ein zu rückhaltender Mann zum Affektmörder wer den konnte. Ich war in der Stimmung dazu, ihn mit bloßen Händen zu erdrosseln – aber nicht in der Lage, es tun zu können. Er sah mich kühl, ungerührt und mit fast wissen schaftlichem Interesse an. Dann zuckte er die Schultern und wandte sich ab. Ich war ihm vollkommen gleichgültig geworden.
*
ENDE
Gerade, als die Mannschaft Kursberech nungen vornahm und versuchte, das System genauer zu analysieren, kam der Junge in die E N D E