Nr. 320
Die vier Seelenlosen Die Herren der FESTUNG senden ihre Häscher aus von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehrungen h...
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Nr. 320
Die vier Seelenlosen Die Herren der FESTUNG senden ihre Häscher aus von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtau senden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der verbannte Berserker, sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Atlan und Razamon gelangen auf eine Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, ist es, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon durch die Zerstörung des Kartaperators der irdi schen Menschheit bereits einen wichtigen Dienst geleistet. Jetzt, bei ihrer Flucht aus Moondrag, schlagen die Kampfgefährten den Weg zur Eiszitadelle ein. Ihrer Spur folgt Koy, der Trommler – mit den Häschern auf den Fersen. Es sind DIE VIER SEELENLOSEN … Die beiden Agenten sind am besten geeignet dafür – denn sie bilden DAS PSY CHOTEAM …
Die vier Seelenlosen
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Die Hautpersonen des Romans:
Koy der Trommler - Ein Jäger wird gejagt.
Jastall Gornd - Hüter des Wachen Auges.
Xaart, Spolko, Drove und Pjut - Vier Häscher im Auftrag der Herren der FESTUNG.
Dagrissa - Koys Mutter als Geisel der Häscher.
Uphtor - Anführer einer Bande von Flußpiraten.
1. Koy der Trommler saß auf einem der Sit ze in der Steuerkabine des Truvmers und lenkte das Fahrzeug durch den aufgeweich ten Lehm am südlichen Ufer des Regenflus ses. Die breiten Gleisketten rissen große Lehmbrocken aus dem Grund und schleu derten sie nach hinten. In den tiefen Spuren sammelte sich Grundwasser. Unmittelbar vor der Uferböschung hielt Koy den Truvmer an. Das heißt, er wollte es, aber die glattgeschliffenen Ketten rutsch ten auf dem nassen Lehm. Das Vorderteil des schweren Fahrzeugs kippte plötzlich nach vorn, schlug klatschend in den gur gelnd dahinströmenden Fluß und sank zur Hälfte ein. Vor der Steuerkabine, die einem kugelför migen Helm mit sichelförmigen Visier glich, schwappte Wasser hoch. Das Fahrzeug knickte in den Gelenken der Aufhängungs rohre ein. Der aus zahlreichen ringförmigen Elementen zusammengesetzte Rumpf, der zum Heck in eine Art Skorpionschwanz mit dem schwenkbaren Scheinwerfer auslief, drohte sich infolge der Massenträgheit zur Seite zu drehen. Dadurch entstand die Ge fahr, daß der Truvmer seitlich in tieferes Wasser kippte und absoff. Koy versuchte verzweifelt, dieser Gefahr zu begegnen, indem er die Lenkbremsen so betätigte, daß der Truvmer nach der anderen Seite schwenkte. Glücklicherweise hatte sich der Bug in einem zähen, niedergewalz ten Gestrüpp verfangen, so daß der Wagen nicht tiefer in den Fluß rutschte. Als der Truvmer endlich stand, wischte sich Koy den Schweiß von der Stirn. Er wollte das Fahrzeug zwar sowieso aufgeben,
aber erst nach Überquerung des Regenflus ses, denn in dem Wasser gab es räuberische Fische, die für jeden Schwimmer eine tödli che Gefahr darstellten. Das war allerdings nicht die einzige Ge fahr, die an den Ufern des Regenflusses drohte. Deshalb blickte sich der Jäger auf merksam um, während er überlegte, ob der Truvmer es schaffen würde, den Fluß an die ser Stelle zu durchqueren. Eine Furt gab es nicht, das hätte Koy an typischen Verände rungen der Wasseroberfläche bemerkt. Also würde das Fahrzeug unter Wasser zum ande ren Ufer fahren müssen. Ob der Truvmer das schaffte, hätte vielleicht Heimdall verraten können. Das Gleiskettenfahrzeug gehört dem Göttersohn, und er kannte es besser als der Jäger, dem er es beim Abschied überlas sen hatte. Koy wußte nicht, ob der Truvmer überall wasserdicht war. Zwar ließ die Kabine kein Wasser eindringen, aber wie es mit den übri gen Sektoren aussah, konnte erst die Erfah rung zeigen. Der Jäger grinste matt, als er daran dach te, daß er unter Umständen zum letzten Mal die Sonne der Erde sah, die als grellstrahlender Glutball im Osten über den Schroffen und Zinnen des Taambergs hing. Wenn der Truvmer auf dem Grund des Regenflusses vollief, würde er sich entscheiden müssen, ob er lieber darin erstickte oder im Wasser von den Raubfischen skelettiert wurde. Ge gen Hunderte von Fischen vermochte er mit seinen Broins so gut wie nichts auszurich ten. »Aber lieber werde ich meinen letzten Kampf kämpfen, als in der engen Kabine ta tenlos zu ersticken oder zu ertrinken!« sagte er halblaut und doch mit wilder Entschlos senheit.
4 Er packte die Fahrthebel und zog sie lang sam ein Stück zu sich heran. Das Brummen der Maschinen wurde lauter. Langsam, mit kleinen Rucken, zogen die Gleisketten an, zerfetzten das Gestrüpp, an dem sie vorüber gehend Halt gefunden hatten. Schaukelnd setzte das Fahrzeug sich in Bewegung. Koy beobachtete, wie das Wasser vor dem Kabinenvisier anstieg. Gespannt warte te er darauf, daß es zwischen den Berüh rungsflächen von Visier und Kabinenkugel einsickerte. Aber nichts dergleichen gesch ah. So leicht sich das Visier auch bewegen mochte, wenn es sollte, es lag so fest an, als wäre es mit den Kabinenwänden ver schweißt. Das Maschinengeräusch wurde dumpfer, als das Wasser über der Kabinenkugel zu sammenschlug. Die Ketten wirbelten Schlamm vom Grund des Regenflusses auf, das das Wasser rings um das Fahrzeug trüb te und die Sicht fast auf Null drückte. Koy konnte nicht sehen, wann der »Skorpionschwanz« des Hecks in den Fluß tauchte, aber er schätzte diesen Augenblick ab und schaltete dann die Lichter ein. Als er zurückschaute, erkannte er leicht überhöht schräg hinter sich zwei in Fahrtrichtung bla kende Lichtflecken und darüber das von der Wasseroberfläche nach unten reflektierte Licht des dritten Scheinwerfers. Er preßte die Lippen zusammen, als meh rere kleine silbrig schimmernde Fischleiber vor die Lichtflecke huschten. Ihre Schuppen blitzten auf und riefen die Illusion eines lautlosen Feuerwerks hervor. Unwillkürlich blickte der Jäger auf seine Feuerlanze, die neben ihm auf dem freien Sitz lag. Er schüt telte kaum merklich den Kopf. Auch sie würde ihn nicht vor den messerscharfen Zähnen der Räuber retten können, wenn er gezwungen wurde, mitten im Fluß auszustei gen. Er zerbiß eine Verwünschung, als es einen Ruck gab, der ihn mit dem Schädel gegen die Innenwand der Kabine prallen ließ. Mit beiden Händen umklammerte er die Fahrthebel, schob sie in die Nullstellung
H. G. Ewers und darüber hinaus in die Stellung für Rück wärtsfahrt. Koy wußte, daß er nicht die Richtung ver lieren durfte, in der das rettende nördliche Ufer des Regenflusses lag. Genau das aber konnte bereits geschehen sein. Er nahm an, daß der Ruck von dem Aufprall gegen einen Felsbrocken gekommen war, der auf dem Grund des Flusses lag. Wenn der Aufprall den Truvmer aus der Richtung gebracht hat te, mochte er stundenlang umherirren, bevor er eines der Ufer fand – und in dieser Zeit würde der Sauerstoff in der Kabine ver braucht werden. Als er annahm, weit genug zurückgefah ren zu sein, kuppelte Koy die linke Gleisket te aus und beschleunigte mit der rechten wieder vorwärts. Danach kuppelte er auch die linke Kette wieder ein, fuhr etwa zehn Meter und wiederholte den Vorgang mit der rechten Kette. Als er auch diese Kette wie der einkuppelte, konnte er nur hoffen, daß er die Linkskurve mit der Rechtskurve kom pensiert hatte, so daß er nunmehr in der ur sprünglichen Fahrtrichtung weiterfuhr. Vor der Kabinenkugel tauchten immer mehr der Raubfische auf. Sie wurden vom Licht aus dem Innern wie magisch angezo gen und zappelten an der Wandung entlang. Hin und wieder konnte der Jäger scharfe Zahnreihen sehen. Sie versuchten, sich in das Material der Kabine zu verbeißen, glit ten aber hoffnungslos ab. Dennoch gaben sie nicht auf. Koy fuhr langsam. Er mußte sich dazu zwingen, denn in ihm schrie alles danach, den Fluß so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Aber wenn er mit hoher Ge schwindigkeit gegen ein weiteres Hindernis stieß, mochte der Truvmer undicht werden – oder er wurde um einen unkontrollierbaren Winkel aus dem Kurs geworfen. Einmal krachte und knirschte es unter den Gleisketten, aber sonst geschah nichts. Koy nahm an, daß er Wrackreste eines Bootes oder Schiffes überrollt hatte, die aus dem Grundschlamm ragten. Seine Phantasie mal te sich aus, was aus der Besatzung geworden
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war, und er erschauerte. Endlich spürte er deutlich, daß der Truv mer eine Steigung emporklomm. Er zog die Fahrthebel weiter zu sich heran. Das Fahr zeug schüttelte sich. Die Maschinen brüllten auf, dann stieß die Kabinenkugel durch die Wasseroberfläche. Zappelnde Fische glitten von ihr herab, schnellten sich hoch und lan deten entweder im Schlamm der Uferbö schung oder im Fluß. Einige fielen auf die Gleisketten und versuchten, ihre Zähne in sie zu schlagen, bevor sie zermalmt wurden. Der Truvmer jagte die nördliche Uferbö schung hinauf, eine riesige Wolke von Was ser, Lehm und Fischleibern zurückschleu dernd, dann kippte das Vorderteil über den Rand der Böschung. Koy ließ das Fahrzeug noch einige Meter weit rollen, dann bremste er. Langsam öff nete er das durchsichtige Visier. Die Luft, die ihm entgegenschlug, war die faulige Luft des Galeriewaldes, aber er atmete sie, als wäre es reiner Sauerstoff …
* Für wenige Augenblicke nur war Koys Geist abgeschweift und hatte sich mit Kra molan beschäftigt und mit den Erinnerun gen, die mit ihm verknüpft waren. Kramolan hatte seine Gabe, die Schick salslinien sehen zu können, auch auf ihn an gewandt und ihm vorhergesagt, daß er wäh rend seiner Suche nach den Fremden, die von der Erde nach Pthor gekommen waren, den absolut tiefsten Punkt im Lauf seiner Existenz erreichen würde. Koy zweifelte keinen Augenblick daran, daß Kramolan tatsächlich in seine Zukunft geschaut hatte. Aber obwohl er nun wußte, daß die Suche nach den Fremden ihm tödli che Gefahren, schlimme Erniedrigungen und sowohl körperliche als auch seelische Schmerzen einbringen würde, hatte er seinen Entschluß nicht geändert. Die Schicksale seines Vaters und seiner Mutter und die Erlebnisse mit den Nach kommen der Berserker hatten eine Kehrt
wendung in seinen Anschauungen bewirkt. Koy war entschlossen, sich nie mehr von den Herren der FESTUNG als Werkzeug mißbrauchen zu lassen. Er würde ihren letzten Auftrag nicht aus führen. Seine Suche nach den Fremden hatte einen anderen Zweck. Sie konnten nur Fein de der Herren der FESTUNG sein – und da er sich gegen die Beherrscher von Pthor ge stellt hatte, waren sie seine potentiellen Ver bündeten. Folglich mußte er sie finden, Kontakt mit ihnen aufnehmen und sich mit ihnen gegen die Herren der FESTUNG verbünden. Koy war überzeugt davon, daß er beim Kampf gegen die Herren der FESTUNG den Tod finden würde, aber das machte ihn in seinem Entschluß nicht wankend. Er hatte sich ent schieden – ein für allemal. Nur für wenige Augenblicke hatte sein Geist sich mit diesen Gedanken beschäftigt – und doch viel zu lange, wie es ihm schien, als er etwas auf sich zufliegen sah und im nächsten Moment den süßlichen und betäu benden Duft der Hanneh-Blüte einatmete, die ihm gegen die Brust geprallt war und die Kabine mit ihrem Blütenstaub füllte. Koy reagierte mit dem Instinkt des kamp ferprobten Jägers. Er hielt die Luft an und warf sich nach vorn, kippte mit dem Ober körper durch die Visieröffnung, ließ sich fal len und landete auf dem feuchten Waldbo den. Dort wollte er sich aufrichten und seine Broins gegen die Feinde einsetzen, die die Hanneh-Blüte in die Kabine des Truvmers geworfen hatten. Aber er konnte sich nur halb aufrichten, dann knickten ihm die Beine unter dem Körper weg. Koy stürzte aber mals. Er fiel auf die Seite, rollte sich mit letzter Kraft auf den Rücken und konnte doch nichts tun, als in seinem Blickfeld mehrere Männer auftauchten, die ihre Sker zaals schußbereit in den schwieligen Händen hielten. Piraten! dachte Koy, dann schwanden ihm endgültig die Sinne.
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* Als er erwachte, schwamm er in einem Meer von Schmerzen. Koy wünschte sich, er wäre getötet wor den, denn die Schmerzen waren unerträg lich. Er hatte das Gefühl, am ganzen Leib in Flammen zu stehen, und wäre am liebsten davongerannt. Doch er konnte sich nicht be wegen. »Feiglinge!« heulte er. »Kämpft ehrlich, anstatt einen Wehrlosen zu foltern!« Als niemand darauf reagierte, wurde Koys blinde Wut so stark, daß sie die Schmerzen teilweise überlagerte. Dadurch war er wieder fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Es ist der Hanneh-Blütenstaub! dachte er. Er verursacht das unerträglich scheinende Brennen auf der Haut. Koy merkte außerdem, daß er gefesselt war. Er wälzte sich herum, bis er gegen eine Wand stieß, dann wälzte er sich nach der an deren Seite. Auf diese Weise ließ sich der Schmerz des in den Poren sitzenden Blüten staubs der Hanneh-Pflanze lindern. Das Wissen, daß Hanneh-Blütenstaub außer dem Schmerz und einer vorübergehenden Betäu bung keinen Schaden anrichtete, tat ein übri ges. Es gelang dem Jäger, sich so zu drehen und zu winden, bis er mit dem Rücken an ei ner Wand saß. Seine Haut brannte noch im mer höllisch, aber er vermochte einen Teil der Schmerzempfindung zu ignorieren, was sich wohltuend auf seine psychische Verfas sung auswirkte. Allmählich konnte er klare Eindrücke von seiner Umgebung gewinnen. Er befand sich in einem Bretterverschlag, und das leichte Schaukeln des Bodens verriet, daß der Bret terverschlag zu einem Schiff gehörte – zu ei nem Schiff der Flußpiraten. Der Jäger schämte sich seiner Unauf merksamkeit, die es den Flußpiraten erst er möglicht hatte, sich nahe genug an den Truvmer anzuschleichen, daß einer von ih nen eine Hanneh-Blüte in die Kabine werfen
konnte. Er schämte sich noch mehr, als er daran dachte, daß er Heimdall versprochen hatte, den Truvmer irgendwo in der Nähe des Taambergs stehen zu lassen, damit der Göt tersohn ihn sich wiederholen konnte. Wie sollte er dieses Versprechen erfüllen, wenn der Truvmer durch seinen Leichtsinn in die Gewalt der Piraten gefallen war? Heimdall würde vergeblich nach dem Fahrzeug su chen, dessen Besitz ihm viel bedeutete. Noch schlimmer, er konnte bei seiner Suche abermals in einen Hinterhalt der Piraten fal len – und vielleicht nicht wieder als Sieger aus dem Kampf hervorgehen. Koy hörte, wie außen an der Holztür ein Riegel zurückgezogen wurde. Offenbar ka men die Piraten, um ihn zu verhören. Schließlich mußten sie sich darüber gewun dert haben, daß er im Besitz des Truvmers von Heimdall gewesen war. Sie würden wis sen wollen, wie er zu dem Fahrzeug gekom men war – und sobald sie es wußten, würden sie ihn gefesselt in den Fluß werfen. Die Tür öffnete sich quietschend. Im Schein der an der Decke hängenden Petrole umlampe sah Koy deutlich, wie ein Pirat ge bückt durch die niedrige Öffnung trat und sich innerhalb des Verschlags aufrichtete. Der schwarzbärtige Mann trug nur eine rote Pluderhose und silberne Schnabelschuhe. Auf seiner behaarten Brust waren mehrere weiße Narben zu sehen, und auch in dem braunen Gesicht zog sich eine Narbe über die linke Seite. Der Pirat musterte den Gefangenen hä misch und drohend zugleich. Dann zog er ein Messer mit gebogener Klinge aus seinem Gürtel, bückte sich und durchtrennte mit ei nem Schnitt die Fußfesseln Koys. Danach hielt er das Messer stoßbereit, machte eine Kopfbewegung zur Tür und sagte mit kratzi ger Stimme: »Hinaus mit dir, Schlafmütze!« Er lachte über seine eigenen Worte. Obwohl er seine Schmerzempfindungen noch nicht ganz verdrängt hatte, erhob sich der Jäger. Er schwankte leicht, dennoch
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überlegte er, ob es ihm gelingen könnte, den Piraten blitzschnell zu überwältigen. »Du bist noch benommen vom HannehStaub, Bursche!« grollte der Pirat. »Und ich bin sehr schnell mit dem Messer. Also ma che keine Dummheiten!« Koy fügte sich. Er bückte sich, als er durch die Öffnung trat. Draußen stolperte er eine Holztreppe empor und sah sich kurz darauf auf dem Achterdeck einer Flußd schunke, die mit eingezogenen Mattensegeln in einem Seitenarm des Regenflusses vor Anker gegangen war. Ein Dutzend Piraten hockte um ein auf Ziegeln glimmendes Holzkohlenfeuer. Die Männer hielten an zu gespitzten Stöcken große Stücke einer Was serschlange über die Glut. Trotz seiner mißlichen Lage wurde dem Jäger der Mund wäßrig. Er ärgerte sich dar über, denn die Piraten hatten sicher nicht vor, ihn zu füttern. Die Männer um das Feuer blickten auf. Einige von ihnen lachten, andere musterten Koy gespannt. »Da ist ja unser Träumer!« rief einer. Koy wäre am liebsten vor Scham im Bo den versunken über den Spott, der leider völlig berechtigt war. Im nächsten Moment wurde ihm bewußt, daß keiner der Piraten ihn mit seinem Na men angesprochen hatte! Wußten sie denn nicht, wer er war? Wenn das zutraf, hatte er noch eine gute Chance, davonzukommen, denn dann konn ten die Piraten auch nichts von seiner psioni schen Detonatorfähigkeit ahnen und folglich auch nichts getan haben, um seine Broins zu lähmen. Und genau das hatte er als selbst verständlich vorausgesetzt. Ein harter Stoß in den Rücken ließ ihn vorwärtstaumeln. Aber er machte sich nichts daraus, denn er richtete seine Gedanken be reits auf das Ziel, seine Feinde zu besiegen.
2. Die handlichen Bratenstücke der Wasser schlange waren offensichtlich gar, denn die
Piraten rückten vom Feuer ab und bildeten einen Halbkreis, in dessen Mitte Koy gesto ßen wurde. Der Jäger blickte blinzelnd auf die Zähne der Piraten, die sich in das saftige Fleisch gruben, Stücke herausrissen und kauten. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf einen hünenhaften Mann, der ihn mu sterte und sein Bratenstück achtlos in der Hand hielt. Der Hüne war etwa zwei Meter groß und schien nur aus Knochen, Sehnen und Mus keln zu bestehen. Seine untere Gesichtshälf te war mit blauroten wulstigen Brandnarben bedeckt. In seinen Augen glomm ein Feuer, das den Jäger zur Vorsicht mahnte. Er ahnte, daß dieser Mann der Anführer der Piraten war. Plötzlich stieß der Hüne die Hand mit dem Bratenstück in Koys Richtung und frag te: »Wie heißt du?« Koy beglückwünschte sich dazu, daß er sich bereits einen falschen Namen und ande re Daten zurechtgelegt hatte, denn die Art der Fragestellung ließ überdeutlich erken nen, daß das geringste Zögern bei der Ant wort böse Folgen für ihn nach sich ziehen würde. »Kashan«, sagte er schnell. »Und was tust du am Regenfluß?« kam die nächste Frage des Hünen so blitzartig wie die erste. »Ich wollte Schlammhände jagen«, ant wortete Koy. Er wußte, daß es am Regen fluß krabbenähnliche Tiere gab, die aber in Wirklichkeit zu den Reptilien gehörten und die manchmal, aber nicht oft, von mutigen Männern gejagt wurden. Man nannte diese Tiere Schlammhände, weil sie wie die Hän de von Pthorern aussahen und sich bei Ge fahr im Uferschlamm verkrochen. Aus einer Drüse dieser Tiere wurde das Rauschmittel Ssagah gewonnen, das hohe Preise erzielte, weil jemand, der es in geringer Dosis nahm, herrliche Visionen erlebte. Der Hüne blickte Koy überrascht an. An dere Piraten lachten, und einer rief:
8 »Wer Schlammhände jagt, schläft nicht mit offenen Augen! Ich glaube dem Gefan genen kein Wort, Uphtor!« »Du bist nicht gefragt, Kaelin!« grollte der Hüne, ohne sich nach dem Rufer umzu drehen. »In der Tat, Kashan, Schlammhand jäger benehmen sich anders als du, denn am Regenfluß gibt es unzählige Gefahren.« Sein Blick wurde lauernd. »Wieviel Schlamm hände hast du denn schon erlegt?« Koy spielte Verlegenheit und senkte den Kopf. »Keine«, antwortete er mit leiser Stimme. »Ich … ich bin zum erstenmal auf der Jagd nach Schlammhänden. Es scheint schwerer zu sein, als ich mir vorgestellt hatte.« »Vor allem gefährlicher«, sagte Uphtor. »Wolltest du mit deinem Flammenrohr auf Schlammhandjagd gehen, Kashan?« Er trat zu einem Stapel Fässer, langte dar über und hielt danach Koys Feuerlanze in der Hand. »Nein, damit wollte ich mich gegen Raubtiere verteidigen«, erklärte der Jäger. »Hast du die Waffe von Heimdall – wie den Truvmer?« schoß Uphtor seine nächste Frage ab. »Ja«, antwortete Koy. »Er schenkte mir beides als Dank dafür, daß ich ihm half, die Kreaturen der Gordys zu vertreiben.« Ein Raunen ging durch den Halbkreis, den die Piraten bildeten. Ungläubige und auch unsichere Blicke trafen den Jäger. »Das glaube ich nicht«, warf Kaelin ein. »Ich habe nicht mehr als Gerüchte über die Gordys und ihre Kreaturen gehört, aber sie sollen sogar in der Lage sein, den Götter sohn Heimdall zu besiegen, der erst vor kur zem die Bande Kirrfoos besiegte.« »Warum haben sie dann Heimdall bisher nichts anhaben können?« spottete Koy. Im nächsten Augenblick schalt er sich einen Narren, denn mit seinem Spott hatte er die Rolle abgelegt, die zu spielen er sich vorge nommen hatte. Kaelins Gesicht lief rot an. Er riß seinen Dolch aus dem Gürtel und trat einen Schritt auf Koy zu.
H. G. Ewers »Laß das!« befahl Uphtor scharf. »Kashan hat dir auf deine dumme Bemerkung die richtige Antwort erteilt. Du bist nicht nur hitzig, sondern auch einfältig. Ich wette, Kashans Gehirn arbeitet besser als deines.« Er wandte sich wieder Koy zu. In seinen Augen glitzerte Heimtücke, als er fragte: »Wie hast du die Kreaturen der Gordys besiegt, Kashan? Antworte!« »Mit Magie«, antwortete Koy. »Führe es uns vor!« befahl Uphtor. »Das kann ich nicht«, erwiderte Koy. »Dazu brauche ich Hexenkräuter, die nur auf der Erde zu finden sind. Außerdem muß das Licht des Erdmonds in einem bestimm ten Winkel herabfallen.« Uphtors rechte Hand fiel schwer auf den Griff des Dolches, der aus seinem breiten Gürtel ragte. »Du lügst – oder du kommst von drau ßen!« sagte der Pirat mit flacher, aber nichtsdestoweniger drohender Stimme. »Du siehst anders aus als alle Pthorer, die ich je gesehen habe – und ich habe viele verschie dene Pthorer gesehen.« Er deutete mit der linken Hand auf die Broins. »Haben alle Erdbewohner das?« »Es sind unsere Gedankenfühler, mit de nen wir uns gegenseitig verständigen«, log Koy. »Auf Pthor funktionieren sie leider nicht.« »Ein Erdling!« rief eine Stimme. »Einer der Feinde Pthors, die sich gegen uns sper ren! Tötet ihn!« Uphtor hob die Hand. »Ein Erdling, ja – aber offenbar ein Freund Heimdalls. Erkläre mir, wie das zu sammenpaßt, Kashan!« »Ich wurde als Erdmensch geboren«, sag te Koy und merkte, wie sein Lügengebäude allmählich seiner Übersicht entglitt. Aber er mußte so lange weiterlügen, bis er eine Ge legenheit fand, seine Broins so effektiv ein zusetzen, daß die Piraten ihn nicht trotzdem umbrachten. »Aber ich wurde schon als Kind von einem Raben Odins geraubt und zu der unterirdischen Festung gebracht, in der Heimdalls Vater lebt. Odin erzog mich
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wie seinen eigenen Sohn. Als Pthor auf der Erde erschien, schickte er mich los, um Heimdall eine Botschaft zu überbringen.« »Wie heißt diese Botschaft?« fragte Uphtor und trat dabei dicht an Koy heran. Er nahm die Feuerlanze, die er über die Schul ter gehängt hatte und zielte damit auf den Jä ger. Jetzt oder nie! dachte Koy.
* Mit ängstlichem Gesicht wich Koy lang sam zurück. Die Piraten mußten glauben, daß er sich fürchtete, denn nur dann würden sie nicht schnell genug auf die Überraschung reagieren, die er ihnen bereiten wollte. »Lügner!« schrie Uphtor erbost. »Du bist nicht Odins Bote, sondern ein irdischer Spi on! Sprich, oder ich werde dich verbren nen!« Koy bedauerte fast, daß seine Feuerlanze aktiviert war, denn er hatte das Amulett nicht wieder aus der Sicherung entfernt, seit er es bei den Berserkernachkommen einge schoben hatte. Er mußte schnell handeln, ob wohl er bedauerte, Pthorer töten zu müssen, die nur schlecht waren, weil die Herren der FESTUNG es so wollten. Er fixierte den Anführer der Piraten. Sei ne Broins zitterten plötzlich, schlugen mit den Verdickungen gegeneinander und lösten gerichtete psionische Impulse aus – ein un hörbares Trommeln, das sich innerhalb von Sekunden in ein wahnsinniges Stakkato stei gerte. Koy hörte es nicht, aber er wußte, daß das Opfer der psionischen Impulse es hörte. Uphtor riß die Augen auf und starrte den Jäger entgeistert an, dann ließ er die Feuer lanze fallen und preßte sich beide Hände ge gen die Ohren, während er qualvoll auf stöhnte. In seinen Augen war nichts mehr außer wilder panischer Angst. Koy sah nicht, wie die übrigen Piraten er starrten, vor Entsetzen gelähmt. Aber er hat te diese Reaktion einkalkuliert – und er kannte sie aus den Erfahrungen anderer Kämpfe, an die er sich nicht gern erinnerte.
Uphtor riß den Mund auf und stieß einen Schrei voller unbeschreiblicher Qual aus, dann barst sein Körper wie eine gläserne Statue, die aus großer Höhe auf Stein stürzt. Unzählige Bruchstücke fielen mit dumpfem Trommeln auf das hölzerne Deck der Dschunke. Koy bückte sich, hob die Feuerlanze auf, entsicherte sie und feuerte in dem Augen blick, als die Piraten ihre Erstarrung über wanden und mit ihren Skerzaals auf ihn an legten. Ein weißglühender Feuerstrahl raste auf die Piraten zu. Koy schwenkte die Waffe im Halbkreis, und eine Flammenwand hüllte die Piraten ein. Der Jäger wurde leichenblaß, als er die grauenhaften Schreie der Piraten hörte. Aber hätte er nicht geschossen, wäre er jetzt von zahlreichen Stahlbolzen gespickt gewesen. Als er hinter sich ein Geräusch hörte, duckte er sich. Nur dadurch entging er dem Schwert, das dicht über ihn hinwegpfiff. Im nächsten Augenblick wirbelte er herum, streckte die Arme aus und ließ die Feuerlan ze erneut einen Halbkreis beschreiben. Der Pirat, der hinter ihm stand und zu ei nem zweiten Schwertstreich ausholen woll te, wurde von der Feuerlanze am Kopf ge troffen und ging bewußtlos zu Boden. Doch schon tauchten weitere Piraten aus dem Luk des hölzernen Decksaufbaus auf. Sie bewegten sich zu schnell, als das Koy seine Broins hätte einsetzen können – und er durfte sich auch nicht mehrere Sekunden lang auf einen Piraten konzentrieren, sonst hätten die anderen ihn in dieser Zeit getötet. Ein Skerzaalbolzen pfiff an seinem linken Ohr vorbei. Koy feuerte mit der Lanze auf den Schützen. Er traf ihn nicht direkt, aber die Streuhitze genügte, um seine Kleidung in Brand zu setzen. Mit einem gellenden Schrei sprang der Pirat ins Wasser – und we nig später schrie er erneut, aber nicht lange. Der Schuß, der ihn verfehlt hatte, war in den Aufbau geschlagen. Eine Feuerkugel bildete sich und setzte augenblicklich das Holz in Flammen. Koy feuerte vor die Füße der anderen Piraten, die mit Schwertern,
10 Streitäxten und Entermessern auf ihn ein drangen. Schreiend wichen die Piraten vor der Feuerwand zurück, die sich vor ihnen bildete und die Decksplanken in Brand setz te. Das Feuer und der Rauch entzogen Koy den Blicken der Piraten. Der Jäger nutzte die Gelegenheit und zog sich zum Heck der Dschunke zurück, das dem Ufer am nächsten war. Dort sah Koy auch seinen Truvmer zwischen Bäumen ste hen. An der Bordwand angekommen, schoß der Jäger noch einmal auf die Decksplanken. Die Piraten waren nicht zu sehen, aber aus ihren Zurufen und dem Trappeln ihrer Füße konnte Koy erkennen, daß sie vor der Ge fahr, zwischen dem brennenden Achterdeck und dem lodernden Aufbau eingeschlossen zu werden, zum Vorderdeck flüchteten. Koy fixierte einen starken Ast an, der von einem dicht am Ufer stehenden Baum halb über die Wasserfläche ragte, die das Heck der Dschunke vom Ufer trennte. Dann sprang er. Er erreichte den Ast, umklammerte ihn mit den Armen und schwang die Beine hoch, um zusätzlichen Halt zu bekommen. Da die Feuerlanze in der rechten Hand ihn behinderte, hängte er sie sich über den Rücken. Ein Knacken am Astansatz mahnte ihn zur Eile. Er hangelte sich so schnell wie möglich weiter. Abermals knackte es; der Ast brach nach und nach vom Stamm und senkte sich dabei. Koy wußte: Wenn er es nicht schaffte, war er verloren. Er verdop pelte seine Anstrengungen. Plötzlich riß sich der Ast mit hartem Kra chen endgültig vom Stamm los. Doch da be fand sich der Jäger bereits am oberen Rand der Uferböschung. Er ließ den Ast los, stürz te schwer in den nassen Lehm und rollte sich zur Seite. Aber die Feuerlanze auf dem Rücken behinderte ihn. Beinahe wäre er die Böschung hinabgestürzt. Schweratmend wälzte sich der Jäger hin ter einen Baumstamm, nahm die Feuerlanze vom Rücken und schaute nach der Dschun ke. Das Deck war ein einziges Flammen-
H. G. Ewers meer. Vor allem die eingerollten Mattense gel brannten wie Zunder. Ein brennender Körper flog aus den Flammen und schlug klatschend ins Wasser. Sekunden später bro delte die Wasseroberfläche rings um ihn. Der Pirat schlug wild um sich, dann war es vorbei. Aber nicht alle Piraten waren umgekom men. Koy sah hinter der brennenden Dschunke ein Boot auf dem Fluß auftauchen. Mehrere Piraten saßen darin und ruderten wie wild, um von ihrem Schiff wegzukommen. Sie steuerten das andere Ufer des Nebenarms an und würden Koy nicht so bald gefährlich werden. Aber der Jäger wußte, daß sie, sobald sie sich von ihrem Schock erholt hatten, auf Ra che sinnen würden. Er richtete sich auf und ging schnell auf den Truvmer zu.
* Als er um den Wagen ging und in die Ka bine schaute, stockte sein Schritt. Auf dem Steuersitz hockte eine Gestalt, die auf den ersten Blick ganz aus Silber zu bestehen schien. Auf den zweiten Blick war zu sehen, daß sie lediglich eine silberne Rü stung trug, die sie vollkommen einschloß. Die Gestalt war etwas kleiner als Koy und wirkte irgendwie zierlich. Im nächsten Mo ment erkannte der Jäger den Grund dafür: Die Arme und Beine waren mitsamt der Rü stung nicht einmal so stark wie seine eige nen; ohne Rüstung mußten sie nur halb so stark sein. Da die Gestalt unbewaffnet war, verzich tete Koy darauf, seine Feuerlanze auf sie zu richten. Außerdem erinnerte er sich daran, daß er vor einigen Tagen in einer ähnlichen Haltung in der Kabine des Truvmers geses sen und Heimdall verblüfft hatte. »Wer bist du?« fragte er – und lächelte in nerlich, weil er damit die gleichen Worte ge brauchte wie Heimdall damals. »Ich bin Elkohr«, antwortete der Fremde mit heller, knabenhafter Stimme. »Du hast
Die vier Seelenlosen sehr tapfer gegen die Piraten gekämpft, Koy.« Der Jäger wandte sich um. Soeben brach die brennende Dschunke mit einem Funken regen auseinander. Das Wasser zischte und brodelte, als die glühenden Trümmer hinein stürzten. Langsam drehte sich Koy wieder um. »Ich kämpfte nicht tapfer, sondern ver zweifelt, Elkohr«, sagte er. »Aber wieso kennst du meinen Namen? Und warum ha ben dir die Piraten nichts getan?« »Ich hörte von dir, ehe ich von Wolterha ven aufbrach«, erklärte der Fremde. »Und die Piraten griffen mich nicht an, weil sie vor mir erschraken. Die beiden Männer, die den Truvmer bewachten, flohen in heller Pa nik.« »Du siehst aber nicht erschreckend aus«, stellte Koy fest. »Aus Wolterhaven kommst du also. Da die Robotbürger dieser Stadt au ßer Händlern niemand einlassen, noch nicht einmal Balduur, mußt du entweder eine be sondere Stellung einnehmen oder in Wolter haven heimisch sein.« »Ich bin dort entstanden«, sagte Elkohr. »Deckenwiezel konstruierte mich, und ande re Robotdiener stellten mich fertig, nachdem Deckenwiezel dem Göttersohn Balduur zum Geschenk gemacht worden war.« »Du bist gebaut worden?« fragte Koy ver blüfft. »Dann bist du also ein Roboter?« »So ist es«, antwortete Elkohr. »Wie kommt es, daß du mit Heimdalls Truvmer unterwegs bist, Koy?« »Das ist eine lange Geschichte«, sagte der Jäger. »Wenn du mitfahren möchtest, erzäh le ich sie dir unterwegs.« Er schüttelte den Kopf. »Ein Roboter bist du! Und ich hatte dich für einen Pthorer gehalten, der in einer Rüstung steckt!« »Ich bin ein besonderer Roboter«, erwi derte Elkohr. »Die Herren der FESTUNG wissen nichts von meiner Existenz. Aber auch das ist eine lange Geschichte. Ich will eigentlich nach Donkmoon, aber wenn du woanders hin fährst, werde ich dich trotz dem ein Stück begleiten.«
11 »Ich bin auf der Suche nach Fremden, die von der Erde nach Pthor gekommen sind«, erklärte Koy. »Auf der Suche oder auf der Jagd?« »Nur auf der Suche, Elkohr. Ursprünglich sollte ich die Fremden auf Anweisung der Herren der FESTUNG stellen und töten, aber inzwischen habe ich meine Anschauun gen über die Herren der FESTUNG geän dert. Ich glaube nicht mehr, daß sie mit den Zerstörungen von fremden Zivilisationen ge fährliche Fehlentwicklungen ausmerzen und den Weg für die Entstehung des Guten von Pthor große Ungerechtigkeiten begehen. Deshalb will ich Kontakt zu den Fremden aufnehmen, ihre Absichten kennenlernen – und vielleicht mit ihnen gemeinsam gegen die Herren der FESTUNG kämpfen.« »Wie kommst du darauf, jemand könnte die Herren der FESTUNG besiegen, Koy?« fragte Elkohr. »Muß nicht vielmehr jeder sterben, der sich offen gegen sie auflehnt?« »Vielleicht werde ich bei dem bevorste henden Kampf sterben«, sagte der Jäger. »Aber ich werde mich nie wieder als Werk zeug der Ungerechten mißbrauchen lassen.« »Das sind große Worte«, stellte der Robo ter fest. »Aber wie willst du die Fremden finden, Koy?« Koy lächelte. »Sie sollen vor einiger Zeit in Wolterha ven aufgetaucht sein. Hast du nichts davon bemerkt?« »Ich habe Wolterhaven schon vor dem Eintreffen Pthors auf der Erde verlassen«, erwiderte Elkohr. »Also kann ich von Besu chern von der Erde nichts wissen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß die Fremden noch in Wolterhaven sind. Sie müssen sich davor hüten, aufgespürt zu werden.« »Aber wenn sie in Wolterhaven waren, müssen sie, als sie weiterzogen, eine be stimmte Route genommen haben. Diese Route ergibt sich aus gewissen gesetzmäßi gen Zwängen, die sich ihrerseits aus der un sichtbaren energetischen Struktur Pthors er geben, die mit einem magischen Labyrinth zu vergleichen ist.
12
H. G. Ewers
Bevor ich mit meiner Vegla im Taamberg abstürzte, hatte ich ausgerechnet, daß die Fremden auf dem Wege vom Dämmersee nach Moondrag sein müßten. Da ich einige Tage verloren habe, sollten sie von Moon drag aus an der Eisküste entlanggezogen sein und sich auf dem Weg zur Eiszitadelle befinden. Also werde ich zur Eiszitadelle gehen, um sie dort zu treffen.« »Du sagtest gehen?« fragte Elkohr. »Ich kann den Truvmer nicht länger be nutzen, denn mein Weg führt zwischen der Senke der verlorenen Seelen und dem Wa chen Auge vorbei. Also werde ich es stehen lassen, bevor ich aus der Sicht und Ortungs deckung des Taambergs komme. Außerdem habe ich Heimdall versprochen, seinen Truvmer in der Nähe des Taambergs stehen zu lassen, damit er ihn sich zurückholen kann.« »Ich werde, wenn du erlaubst, dein Ge fährte sein, bis du den Truvmer stehenläßt«, sagte Elkohr. »Du bist mir willkommen«, erwiderte Koy. »Rücke auf den Nebensitz, dann bre chen wir auf, bevor die überlebenden Piraten zurückkommen!«
3. Am Morgen des nächsten Tages saßen Koy und Elkohr am Lagerfeuer. Sie waren am Vortag in eine der zahllosen Schluchten am Rand des Taambergs gefahren und hat ten dort die Nacht verbracht. Koy aß von dem Proviant, den ihm Heim dall mitgegeben hatte und trank Tee, der mit dem Wasser aus den Vorräten des Truvmers aufgebrüht worden war. Dabei musterte er die Umgebung. Sein Blick blieb schließlich an einem Wasserfall hängen, der vom Ende der Schlucht aus zirka fünfhundert Metern herabstürzte. Kurz bevor er den Boden er reichte, schäumte er über eine etwa zehn Meter vorspringende breite Felsnase. »Das ideale Versteck«, sagte der Jäger be dächtig und schob noch einen Bissen in den Mund. »Wenn ich den Truvmer hinter den
Wasserfall fahre, kann er nur durch einen unwahrscheinlichen Zufall von Unbekann ten entdeckt werden.« »Und wie soll Heimdall ihn finden?« er kundigte sich Elkohr. »Ich hinterlasse ein magisches Zeichen für den Göttersohn«, erklärte Koy. Er trank seinen Tee aus, erhob sich und reckte sich. Plötzlich stutzte er, legte die Hand schützend über die Augen und blickte in den diesigen Morgenhimmel, der im Osten rötlich gefärbt war. Seine scharfen Augen erkannten einen Stormock, der in großer Höhe über der Schlucht kreiste. Er stieß eine Verwünschung aus. Elkohr erhob sich ebenfalls. Der zierliche Roboter mit der silbernen Außenhülle war für den Jäger noch immer ein faszinierender Anblick. Irgendwie entstand dabei in seinem Bewußtsein immer die Assoziation mit ei nem in eine silberne Rüstung gekleideten Ritter. Und auch sonst zweifelte Koy manchmal daran, daß Elkohr tatsächlich nur ein Roboter, eine Maschine, war. Zwar aß und trank er nicht, aber sein Verhalten war ansonsten alles andere als maschinenhaft. »Ein sehr großer weißgefiederter Vogel«, stellte Elkohr fest, nachdem er ebenfalls in den Himmel geschaut hatte. »Weshalb regt sein Anblick dich auf, Koy?« »Weil ich weiß, daß die Berserkernach kommen, die am Taamberg leben, hin und wieder die weißen Geier, die sie Stormocks nennen, fangen und zähmen. Die Tiere sind sehr intelligent und arbeiten mit ihren Her ren bei der Jagd und bei Überfällen zusam men, indem sie die Beute oder die Opfer er spähen und ihren Herren durch ihr Verhalten die Richtung weisen. Es muß nicht sein, daß dieser Stormock einem Berserkernachkommen gehört, denn die Kunst, mit den Tieren umzugehen, ist bei den verwilderten Nachkommen der ehe mals berühmten Familie Knyr nicht sehr verbreitet. Aber ich weiß beispielsweise, daß ein Berserkernachkomme, der in den Ruinen der Stadt Tfohr lebt, einen weißen Geier be sitzt.«
Die vier Seelenlosen Er formte die Hände vor dem Mund zu ei nem Schalltrichter. »Waabaa!« schrie er mit voller Stimm kraft. Der Stormock schien zusammenzuzucken. Aber der Eindruck entstand vielleicht nur deshalb, weil er die Schwingen anlegte und sich ungefähr zweihundert Meter tief fallen ließ. Danach glitt er nach Nordosten, so daß er bald aus dem Blickfeld des Jägers und seines Begleiters geriet. »Du hättest ihn mit deinen Broins töten können«, sagte Elkohr. Es war kein Vorwurf in seiner Stimme, sondern es handelte sich um eine sachliche Feststellung. »Ich töte Tiere nur dann, wenn ich ihr Fleisch brauche oder wenn sie mich angrei fen«, erwiderte Koy. »Also aus den gleichen Gründen, aus denen auch Tiere töten. Mit dem Versteck hinter dem Wasserfall wird es jetzt natürlich nichts. Der Stormock war Waabaa, sonst hätte er nicht auf meinen An ruf reagiert. Folglich wird demnächst Make ba mit anderen Berserkernachkommen hier auftauchen – und sie werden die Schlucht gründlich untersuchen, denn sie sind auf Beute aus.« »Es wäre aber auch sinnlos, ein anderes Versteck zu suchen«, sagte Elkohr und deu tete zu der breiten Felsrinne hinauf, von der aus der Wasserfall in die Schlucht stürzte. Koy entdeckte in dem dünnen Dunst schleier über der Felsrinne einen weißen Geier, der mit weit ausgebreiteten Schwin gen auf den Ast eines abgestorbenen Bau mes schwebte, der ein Stück über das Was ser ragte, und sich dort niederließ. »Waabaa wird uns überall und jederzeit finden«, sagte er niedergeschlagen. »Die einzige Möglichkeit für uns besteht darin, mit dem Truvmer zurück in Richtung Donk moon zu fahren und das Gefährt südlich des Taambergs abzustellen. Kein Stormock wird freiwillig das Gebiet des Taambergs verlas sen.« »Warum warten wir nicht auf die Berser kernachkommen und machen ihnen klar, daß sie uns aus dem Weg gehen sollen?« fragte
13 Elkohr. »Wir würden gegen sie kämpfen müssen, um ihnen das klarzumachen«, entgegnete Koy. »Einige von ihnen, vor allem aber Ma keba, hassen mich, weil ich sie verlassen und die Feuerlanze mitgenommen habe, die Waabaa in einer unzugänglichen Schlucht gefunden und für Makeba geholt hatte. Aber ich mag nicht gegen die bedauernswerten Geschöpfe kämpfen, denn sie können nichts für ihren Mord und Zerstörungstrieb und fri sten ein erbarmungswürdiges Leben, seit die Herren der FESTUNG sie verdammten.« »Ich verstehe dich, Koy«, sagte Elkohr. »Aber wenn du dich passiv verhältst und mir alles überläßt, braucht niemand zu sterben – und die Berserkernachkommen werden uns dennoch nicht mehr nachstellen.« Der Jäger musterte die zierliche Gestalt des Roboters nachdenklich, dann sagte er: »Ich weiß zwar nicht, wie du das anstellen willst, Elkohr, aber ich vertraue dir.«
* Die Sonne der Erde hatte den Zenit be reits überschritten, als sie kamen. Es waren nur fünf Berserkernachkommen, und sie kamen offen durch den Eingang der Schlucht. »Das sind nicht alle«, sagte Koy. »Man will uns in Sicherheit wiegen, während sich über uns andere Berserkernachkommen dar auf vorbereiten, Steinlawinen auf uns herab zuschicken und uns zu töten.« Er deutete die Steilhänge der Schlucht hinauf zu den zer klüfteten Rändern, hinter denen sich Hun derte von Feinden verbergen konnten. Aller dings zählte der in den Ruinen von Tfohr le bende Stamm nur rund siebzig Mitglieder, darunter etwa fünfzehn Kinder, die zu jung zum Kämpfen waren. »Vielleicht sollten wir uns in den Truvmer zurückziehen, obwohl ein großer Felsbrocken, der von dort oben kommt, die Kabine zerschmettern würde.« »Wir brauchen uns nicht zurückzuziehen, Koy«, sagte Elkohr. Seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr hell und
14 knabenhaft, sondern wie das dumpfe, dro hende Grollen eines aufziehenden Gewitters. »Dann schlage ich vor, daß du etwas un ternimmst«, erwiderte Koy. »Andernfalls haben wir nicht mehr lange zu leben.« »Ich hoffe, daß ich die Böse Stimme von dir fernhalten kann«, grollte Elkohr. »Wenn nicht, mußt du standhaft bleiben und dir im mer wieder sagen, daß dir nichts geschehen kann.« Koy war nun doch skeptisch. Er wußte nicht, was der Roboter mit der Bösen Stim me meinte und vermochte sich auch nicht vorzustellen, wie eine Stimme die Berser kernachkommen vertreiben sollte. Immerhin waren diese Bedauernswerten nicht zu hal ten, wenn sie von ihrer blinden Berserker wut ergriffen wurden. Vielleicht hätte er doch nicht auf Elkohr hören sollen. Langsam kamen die fünf Berserkernach kommen näher. Koy erkannte in einem von ihnen Makeba. Das Gesicht Makebas wirkte ausdruckslos, aber in den Augen glomm ein düsteres Feuer. »Bleibt stehen, Makeba!« rief der Jäger. Er richtete seine Feuerlanze jedoch nicht auf die Gruppe, da die drei Frauen und zwei Männer ihre Waffen gesenkt beziehungswei se hinter den Gürteln trugen. Die fünf Berserkernachkommen gingen weiter. Erst, als sie nur noch etwa zehn Me ter von Koy und Elkohr entfernt waren, blie ben sie stehen. »Du hast den Wagen unseres Wohltäters gestohlen, Koy!« sagte Makeba. »Außerdem trägst du die Feuerlanze, die Waabaa für mich aus den Trümmern deiner Vegla barg – und du hast Unfrieden in unserem Stamm gesät. Dafür mußt du sterben – und dein Be gleiter ebenfalls.« »Wenn wir sterben, sterbt ihr auch«, sagte Koy. Aber er konnte seine eigene Stimme nur noch undeutlich hören. Etwas erfüllte die Luft mit undefinierbaren Schwingungen. Ein tiefes Grollen erhob sich und schien die Ber ge verschlingen zu wollen. Die Götter der Finsternis steigen herab,
H. G. Ewers um uns zu zerschmettern! durchfuhr es den Jäger. Er spürte, wie die Furcht ihn zu panischer Flucht treiben wollte, aber er hatte Elkohrs Mahnung nicht vergessen und hielt unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft aus. Aber die fünf Berserkernachkommen starrten aus angstgeweiteten Augen nach oben, wo nichts war. Ihre Gesichter verzerr ten sich vor unbeschreiblichem Entsetzen, dann warfen sie ihre Waffen fort und stoben in wilder Flucht aus der Schlucht. Immer wieder fielen sie über Steine, prallten gegen Felsbrocken, aber sie rafften sich jedesmal wieder auf und flüchteten weiter. Auch hoch droben, an den zerklüfteten Rändern der Schlucht, regte sich etwas. Ein zelne Steine fielen herab. Aber es waren kleine Steine und keine Felsbrocken. Feiner Schutt rieselte hinterher; seine Bahnen sahen wären des Sturzes beinahe so aus wie dünne Wasserfälle. Als die Steine und der Schutt auf den Grund der Schlucht gefallen waren, trat eine fast unwirkliche Stille ein. Koy sah plötzlich alles wie durch hauchdünne Nebelschleier. Verwundert stellte er fest, daß außer den Berserkernachkommen auch der Stormock verschwunden war. Er stand allein mit Elkohr neben dem Truvmer und rang um seine Fassung. Etwas Entsetzliches war geschehen, aber es war für ihn nicht halb so entsetzlich gewesen wie für die Leute aus den Ruinen von Tfohr. Aber was immer auch Entsetzliches geschehen war, es hatte sich nicht materiell ausgewirkt – jedenfalls nicht in diesem Kontinuum. Der silberne Roboter regte sich und sagte – diesmal wieder mit seiner unschuldsvollen hellen Stimme: »Von jetzt an bis in alle Ewigkeit werden diese Frauen und Männer die Schlucht mei den. Keiner von ihnen wird wagen, auch nur in die Nähe der Schlucht zu kommen – und die Furcht wird sich auf ihre Brüder, Schwe stern und alle ihre Nachkommen übertragen – und auf alle Nachkommen ihrer Nachkom men.«
Die vier Seelenlosen »Was hast du getan?« fragte Koy mit be legter Stimme. »Ich habe nur die Böse Stimme gerufen«, antwortete Elkohr. »Aber frage mich nicht, was das ist. Ich weiß es selber nicht. Ich weiß nur, welche Schaltkreise ich aktivieren muß, um mir bestimmte magische Kräfte dienstbar zu machen.« »Eine Maschine, die sich magische Kräfte dienstbar macht!« stellte der Jäger erschüt tert fest. »Wahrlich, Pthor birgt mehr Ge heimnisse, als die wildeste Phantasie sich vorzustellen vermag!« »Pthor ist ein vielschichtiges Etwas«, sag te Elkohr. »Es ist mehr als das, was sich an sehen, anfühlen und anhören läßt. Aber un sere Wege müssen sich hier trennen, Koy. Fahre den Truvmer hinter den Wasserfall, wie du es wolltest – und lege für Heimdall dein magisches Zeichen aus!« Wie in Trance stieg Koy in den Truvmer und steuerte ihn hinter den undurchsichtigen Vorhang des Wasserfalls. Er nahm einen Proviantbeutel und eine flache Wasserfla sche von den entsprechenden Haken in der Kabine, dann stieg er aus und schloß das Vi sier hinter sich. Anschließend verstellte er seine Feuerlan ze und brannte mit einem dünnen Glutstrahl die Doppelumrisse eines Ringes auf die halbwegs glatte Seitenfläche eines Fels brockens. In den Zwischenraum der beiden Linien brannte er eine ringförmige Anord nung von Runen. Sie füllten den Ring fast ganz aus; nur an der Seite, die zum Wasser fall zeigte, gab es eine handspannengroße Öffnung. »Was bedeutet das?« erkundigte sich El kohr, der fast lautlos herangekommen war. »Es soll den Pietroasa-Ring darstellen – und die Runenschrift bedeutet: Gutaniowi hailag – dem Jupiter der Goten heilig«, ant wortete der Jäger. »Was ist Jupiter – und was sind Goten?« fragte der Roboter. »Ich weiß es nicht«, erklärte Koy aufrich tig. »Ich habe diesen Ring mit der Inschrift in der Schatzkammer von Heimdalls Lettro
15 gesehen. Ein skullmanenter Magier namens Kröbel übersetzte mir die Inschrift, aber er verriet mir nicht, was sie bedeutet! Wichtig ist nur, daß Heimdall, wenn er auf der Nache nach dem Truvmer in diese Schlucht kommt, in der Abbildung des Pietroasa-Rin ges etwas Vertrautes erkennen wird – und die Öffnung in der Runenschrift wird ihm den Weg zum Truvmer weisen.« »Auch für mich hat Pthor viele Geheim nisse«, meinte Elkohr nach einer Weile, in der er in der Art eines Pthorers nachzuden ken schien. »Vielleicht treffen wir uns ein mal wieder, Koy.« »Im Leben oder im Tod«, erwiderte der Jäger. »Ich wünsche dir viel Glück, mein Freund. Kennt ein Roboter eigentlich so et was wie Glück, Elkohr?« »Nicht jeder Roboter kennt Glück oder Unglück, Koy«, sagte Elkohr. »Aber ich bin ein besonderer Roboter, wie ich bereits sagte – und ich wünsche dir ebenfalls viel Glück, Koy.« »Hoffentlich geht dein Wunsch in Erfül lung, mein Freund«, meinte der Jäger und dachte an die Vorhersage Kramolans, jenes mehr als seltsamen Wesens, dem er begeg net war. Er kam darüber ins Grübeln – und als er wieder aufsah, war Elkohr bereits aus der Schlucht verschwunden. »Es ist seltsam«, sagte Koy zu sich selbst. »Noch nie haben sich mir auf Pthor so viele Dinge offenbart wie in letzter Zeit. Pthor scheint sich zu wandeln durch Kräfte, die wieder andere Kräfte wecken – und ein Teil dieser Wandlung scheine ich zu sein.« Er hängte sich Proviantbeutel und Was serflasche an einer Doppelschnur über die Schulter, nahm die Feuerlanze in die rechte Hand und verließ die Schlucht. Draußen wandte er sich nach Norden.
4. Jastall Gornd sah ungeduldig zu, wie die Gruppe der Technos die an langen Stangen sitzenden Detektoren langsam an den freige
16 legten elektronischen Elementen der Chelu ten Ortungsauswertung entlangführte. Der Mann, der zur Familie Gordy gehörte und im Auftrag der Herren der FESTUNG verantwortlich für das einwandfreie Arbei ten des Wachen Auges war, ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Er hatte auf grund seiner wissenschaftlichen Ausbildung und seiner Erfahrungen den besten Über blick über die Einzel und Gesamtfunktionen aller zum Wachen Auge gehörenden Anla gen. Aber diesmal war er nervös, und die lang same Arbeit der Technos entnervte ihn noch mehr. Dabei wußte er, daß es sinnlos gewe sen wäre, die Männer antreiben zu wollen. Sie mußten systematisch vorgehen, wenn sie die Ursache für die Fehlfunktion herausfin den wollten, die vor einigen Nächten aufge treten war und die vermutlich die Schuld daran trug, daß Koy der Trommler aus der Kontrolle des Wachen Auges und damit aus der Kontrolle der Herren der FESTUNG ent kommen war. Das Schlimme an der Geschichte war, daß die Herren der FESTUNG gegenüber ihm, Jastall Gornd, nicht das gleiche sachkundige Verständnis zeigten wie er gegenüber seinen Technos. Für sie zählten nur Erfolg oder Mißerfolg; die Ursachen schienen sie nicht zu kümmern. Und sie hatten stets jemanden, dem sie die Schuld für einen Mißerfolg zuschieben konnten. In diesem Fall hatten sie ihn – und sie hatten nicht gezögert, ihm eine Rüge zu erteilen, weil der telemetrische Kontakt zwi schen dem Wachen Auge und Koy dem Trommler abgesprochen war. »Haben sie noch nichts gefunden, Ja stall?« fragte Kamyr Montpal, der engste Vertraute Gornds. Montpal war jünger als Gornd, besaß ein umfassendes Wissen über alle Funktionen des Wachen Auges – und doch ließ er sich von seinem Ehrgeiz nicht soweit treiben, gegen den Älteren zu intri gieren, um vielleicht seinen Posten überneh men zu können. Im Gegenteil, er war der be ste Helfer, den Gornd sich vorstellen konnte.
H. G. Ewers Und ich weiß auch, warum! dachte Gornd. Die Verantwortung über die weitver zweigte Ortungs und Peilanlage war groß – und der Verantwortliche mußte für alle Ver sager den Kopf hinhalten, ob es nun in sei ner Macht gelegen hatte, eine Fehlfunktion zu verhindern oder nicht. Wenn es Kamyr gelänge, meinen Posten einzunehmen, würde er damit nur erreichen, daß er den Rest sei nes Lebens auf einem schwankenden Seil über einen Abgrund tanzte. »Bis jetzt nicht«, antwortete Gornd. »Ich habe etwas entdeckt!« rief einer der Technos aufgeregt. »Der Rückkopplungs modulator für Hyperultraträgerwellen ist ge stört.« »Läßt sich die Art der Störung feststel len?« fragte Gornd erregt. »Leider nicht«, antwortete der Techno, der den Namen Navaltruk trug. »Wir müß ten das Element dazu ausbauen und auf dem Prüfstand untersuchen.« »Eine zeitraubende Prozedur«, warf Ka myr Montpal ein. »Ich schlage vor, den Rückkopplungsmodulator auszuwechseln und das defekte Gerät zur Herstellung zu schicken.« »Selbstverständlich tauschen wir das Ele ment gegen ein neues aus«, erklärte Gornd. »Aber wir überprüfen das defekte Gerät selbst. Navaltruk, du selbst baust das Ele ment aus und bringst es auf den Prüfstand. Ich komme nachher selbst hinüber und über zeuge mich davon, was die Störung verur sacht hat. Nimm Kermoll mit!« Er sah zu, wie Navaltruk gemeinsam mit Kermoll eine Schwebeplattform bestieg und mit der Plattform zu dem freigelegten Ele ment hinaufschwebte. Der Rückkopplungs modulator für Hyperultraträgerwellen war nur etwa faustgroß, quaderförmig und mit mehreren runden, magnetisch haftenden Kontakten besteckt. Nachdem Navaltruk und Kermoll das de fekte Element fortgebracht hatten, tauchten zwei andere Technos auf und setzten das Er satzelement ein. »Chelute Ortungsauswertung testen!« be
Die vier Seelenlosen fahl Jastall Gornd. Die anderen mit der Überprüfung be schäftigten Technos traten zurück, legten ih re Detektorstäbe beiseite und brachten die Verkleidungen wieder an der Wand an. Da nach entfernten sie mit Hilfe eines entspre chenden Geräts allen Sauerstoff aus dem Komplex der elektronischen Elemente, er setzten ihn durch Stickstoff und kompensier ten die geringen statischen Rufladungen, die während der Detektorüberprüfung entstan den waren. Während Gornd ihnen zusah, überlegte er, warum sich Koy der Trommler nicht von sich aus gemeldet hatte. Die Einsätze des Jä gers waren in der Vergangenheit ebenfalls durch das Wache Auge kontrolliert worden, aber niemals war es zu derart gravierenden Pannen gekommen wie dieses Mal. Konnte es sein, daß Koy zum Rebellen geworden war? Oder war mit Pthor selbst etwas nicht in Ordnung? Bisher war Jastall Gornd nicht beunruhigt darüber gewesen, daß die Zerstörung der ir dischen Zivilisation sich verzögert hatte. Pthor war etwas, das sich Zeit lassen konnte, denn es beherrschte Raum und Zeit. Aber dann war – kaum daß der Kontakt zu Koy dem Trommler unterbrochen worden war – die schreckliche Nachricht aus Donk moon gekommen, daß Artol Forpan, der von allen Mitgliedern der Familie Gordy hoch geschätzte Wissenschaftler, sich selbst getö tet hatte, weil sein Projekt mit dem Kartape rator gescheitert war. Und der Kartaperator hatte den Energie schirm aufbrechen sollen, mit dem die Erd bewohner sich bisher gegen die Vernichtung ihrer Zivilisation gewehrt hatten! Das Scheitern des KartaperatorProjekts hatte sich demoralisierend auf viele Gordys und Technos ausgewirkt, der zudem von un vorstellbaren magischen Kräften geschützt gewesen sein sollte. Doch diese magischen Kräfte hatten ihn nicht vor der Zerstörung bewahrt. »Gerät eingeschaltet!« meldete ein Tech
17 no. »Testprogramm läuft ab.« Aufmerksam verfolgte Gornd die Mel dungen der einzelnen Kontrolltechnos. Alle besagten, daß ausschließlich positive Funk tionen angezeigt wurden. Damit stand fest, daß die Fehlfunktionen der Cheluten Or tungsauswertung nur durch den defekten Rückkopplungsmodulator für Hyperultraträ gerwellen zustande gekommen war. »Wir sehen nach, wie weit Navaltruk und Kermoll sind!« sagte Gornd Jastall zu Ka myr Montpal.
* Navaltruk und Kermoll hatten den Rück kopplungsmodulator für Hyperultraträger wellen in einen magischen Käfig gebracht, der aus einem verwirrend wirkenden Ge flecht bestand. Das Geflecht setzte sich aus zahllosen Drähten zusammen, die aus verschiedenarti gen Materialien bestanden. Ein Teil davon waren simple Ferrumdrähte, die den Innen raum gegen magnetische Wechselfelder und elektrische Felder abschirmten. Andere Drähte bestanden aus Legierungen, die unter Mitwirkung von Großer Magie präpariert worden waren und dazu dienten, natürliche und künstliche Hyperströmungen und -felder vom Innenraum fernzuhalten. Das Element, das an einem nichtleitenden Draht im Mittelpunkt des magischen Käfigs aufgehängt war, wurde demnach von fast al len äußeren Einflüssen abgeschirmt. Nur die von allen denkbaren statischen Rufladungen »gereinigte« Luft und der optisch sichtbare Bereich des Lichts hatten Zutritt. So wurde garantiert, daß die Tests von keinen äußeren Einflüssen verfälscht wurden und absolut reine Ergebnisse brachten. »Bisher kein Ergebnis«, sagte Navaltruk, als die beiden Gordys eintraten. Er zog den an einem Stab befestigten Emissionskopf heraus, so daß nur noch der von Kermoll ge haltene Meßkopf im magischen Käfig blieb. »Was hast du bisher alles versucht, Na valtruk?« fragte Gornd.
18 »Alles«, antwortete Kermoll an seiner Stelle. »Nicht ganz«, meinte Navaltruk. »Aber die letzte Möglichkeit wird auch von mir nur zögernd erwogen. Psionische Magie ist zwar nicht gerade tabu für uns, aber ihre Anwen dung ist normalerweise den Herren der FE STUNG vorbehalten.« »Was heißt ›normalerweise‹?« wollte Montpal wissen. »Wir dürfen sie nicht einsetzen«, erklärte Gornd. »Allerdings halte ich es für vertret bar, sie zu reinen Testzwecken zu benutzen. Die Herren der FESTUNG hätten uns nie mals einen entsprechenden Emissionskopf überlassen, wenn sie uns diese Möglichkeit nicht zugestehen wollten. Navaltruk, ich be fehle dir, das defekte Element mit dem Meß kopf der psionischen Magie zu überprüfen!« »Sollten wir nicht erst bei den Herren der FESTUNG nachfragen?« gab Montpal zu bedenken. »Wir müssen unter allen Umständen her ausbekommen, weshalb das Element gestört ist«, sagte Gornd entschlossen. »Das ist es, was die Herren der FESTUNG von uns er warten. Navaltruk, führe meinen Befehl aus!« Navaltruk zog den Emissionskopf ab, der an seinem Nichtleiterstab befestigt war. Er legte ihn in ein Wandregal zurück und nahm dafür einen anderen Emissionskopf heraus. Mit einem Ruck steckte er den Emissions kopf auf die Stange, dann ging er zum magi schen Käfig zurück und führte ihn behutsam durch eine der Gitteröffnungen ein. Kermoll schob seinen Meßkopfstab an das defekte Element heran und drückte den Meßkopf leicht dagegen. Aufmerksam und gespannt beobachtete er das leuchtende An zeigefeld am Ende seines Stabes. Durch eine Schaltung aktivierte Navaltruk seinen Emissionskopf und bewirkte dadurch eine Abstrahlung schwacher psionischer Energien. Fast im gleichen Augenblick stieß Kermoll einen leisen Schrei aus. »Was stellst du fest?« fragte Gornd scharf.
H. G. Ewers Kermoll riß sich zusammen. »Mein Meßkopf ermittelt, daß der Rück kopplungsmodulator auf psionische Magie anspricht«, meldete er aufgeregt. »Aber der Rückkopplungsmodulator ist dafür gar nicht eingerichtet.« Gornd nahm dem Techno den Meßstab aus der Hand und musterte selbst das Anzei gefeld. »Die Funktion ist total verändert wor den«, stellte er verblüfft und erschrocken fest. »Zwar funktioniert die Rückkopplung noch, aber sie wirkt nicht mehr im Bereich von Hyperultraträgerwellen, sondern im Be reich psionischer Magie.« »Das gibt es nicht«, warf Kermoll erregt ein. »Das Element kann seine Funktion viel leicht teilweise nicht mehr erfüllen, aber es kann sie nicht auf eine ganz andere energeti sche Ebene umsetzen.« »Eine Tatsache ist eine Tatsache«, erklär te Gornd. »Ich weiß auch, daß das Rück kopplungselement nicht von sich aus auf ei ner anderen energetischen Basis funktionie ren kann. Da es das aber tut, muß es von au ßen beeinflußt worden sein – und da es ein Rückkopplungselement ist, muß es seiner seits nach außen mit psionischer Magie ge wirkt haben. Die Konsequenzen lassen sich noch gar nicht überblicken, aber wir müssen weiterforschen, bevor wir den Herren der FESTUNG Bericht erstatten.« Er wandte sich wieder an Navaltruk. »Du wirst das verwandelte Element in ei ne Versuchungsanordnung einbauen und ak tivieren. Wir müssen feststellen, ob wir ir gendwelche Wirkungen außerhalb oder in nerhalb des Wachen Auges damit hervorru fen. Ich veranlasse, daß die Ortungsanlagen ihr Hauptaugenmerk darauf richten, solche Wirkungen anzumessen und zu lokalisie ren!« Er wandte sich ab und kehrte durch Korri dore und Lifts in seinen Schaltraum zurück, der sich genau wie die Chelute Ortungsaus wertung innerhalb der vierzig Meter hohen und hundert Meter durchmessenden Stahl kuppel der Zentralstation befand.
Die vier Seelenlosen Kaum hatte sich Jastall Gornd hinter sein Kommunikationspult gesetzt, das mit seinen Verschnörkelungen und Götzenreliefs wie das aus Holz geschnitzte Möbelstück eines Alchimisten aussah, als die Signallampe ei nes der zahlreichen Kommunikationskanäle aufleuchtete. Gornd drückte auf das erhabene linke Au ge eines Götzengesichts und schaltete damit das Gerät ein. Im aufgesperrten Rachen ei nes Drachen leuchtete ein kleiner Bild schirm auf und zeigte Gesicht und Oberkör per eines Technos, den Gornd als Glumrod erkannte. »Was gibt es, Glumrod?« fragte er unge duldig, denn er wartete auf eine Meldung von Navaltruk. »Ich habe eine nicht avisierte Person ge ortet, die sich sechzig Kilometer vom Wa chen Auge am Ostrand der Senke der verlo renen Seelen nach Norden bewegt, Gornd«, antwortete der Techno. Ärgerlich erwiderte Gornd: »Es gibt auf Pthor zahllose Personen, die sich unangemeldet in alle möglichen Rich tungen bewegen, Glumrod. Wir können uns nicht um alle diese Leute kümmern, und die Herren der FESTUNG interessieren sich auch kaum dafür, was Geächtete unterneh men, denn niemand kann Pthor ohne ihren Willen verlassen.« »Aber eine Rückrechnung beweist, daß der einsame Wanderer aus der Richtung des Taambergs kommt«, sagte Glumrod. »Dort aber ist der Kontakt zu Koy dem Trommler abgebrochen. Sollten wir nicht versuchen, ein Fernbild hereinzuholen?« Gornd wollte bereits ablehnen, da er in er ster Linie daran interessiert war, eventuelle Ergebnisse des Versuchs mit dem gestörten Rückkopplungselement zu beobachten. Aber er erinnerte sich wieder an die Rüge, die die Herren der FESTUNG ihm erteilt hatten und die nur dann gelöscht werden würde, wenn es ihm gelang, Koy aufzuspüren. »In Ordnung, Glumrod«, erwiderte er. »Geben Sie mir die genauen Koordinaten durch. Ich werde sofort eine Konzentration
19 aller Ortungsgeräte auf die betreffende Per son veranlassen.« Als er die Koordinaten auf einem zweiten Bildschirm sah, alarmierte er die Besatzun gen aller Ortungsgeräte, vor allem aber die Besatzung des Seelenfinders. Der Seelenfinder war es schließlich auch, der die einsame Person, die sich gerade noch am Rand seines Wirkungsbereichs bewegte, aufgrund der individuellen »seelischen« Ausstrahlung als Koy den Trommler identi fizierte. Sofort erhob sich Jastall Gornd und schal tete ein anderes Funkgerät ein. Auf dem da zugehörigen Bildschirm wurde ein uraltes Symbol sichtbar. Es war eines der Symbole der Herren der FESTUNG und alles, was die Herren der FESTUNG einem zu sehen er laubten, der nicht zu ihrem Kreis gehörte. Dagegen sahen die Herren der FESTUNG sehr wohl, wer zu ihnen sprach – und des halb blieb Gornd auch stehen. Er erstattete seinen Bericht und bat um die Genehmigung, mit einer Gruppe Tech nos aufzubrechen und Koy den Trommler einzufangen. Und er war sehr enttäuscht darüber, als die Herren der FESTUNG ihm übermittel ten, er solle Koy lediglich ortungstechnisch festhalten. Man würde sich selbst um diese Angelegenheit kümmern.
* Jastall Gornd brauchte einige Zeit, um seine Enttäuschung zu überwinden. Er hatte gehofft, sich durch seine persön liche Beteiligung an der Festnahme Koys voll rehabilitieren zu können, aber die Her ren der FESTUNG hatten ihm weder für sei nen Erfolg gedankt noch einen Zweifel dar an gelassen, daß sie ihn und seine Unterge benen offenbar für unfähig hielten, diese leichte Aufgabe zu lösen. Erbittert erteilte der Gordy schließlich sei ne entsprechenden Befehle. Da zur ortungs technischen Fixierung des einsamen Wande rers, der sich zu Fuß bewegte, ein einziges
20 Gerät genügte, ordnete Gornd an, daß alle anderen Ortungs und Peilanlagen wieder zur Beobachtung des Experiments mit dem Rückkopplungselement eingesetzt werden sollten. Anschließend fuhr er mit dem Hauptlift zu der kleinen Beobachtungsplattform auf dem höchsten Punkt der Zentralkuppel. Ein steifer Wind blähte sein weites Gewand auf und ließ ihn frösteln, deshalb schaltete er den schwachen Wetterschutzschirm der Plattform ein. Nachdenklich blickte er nach Südosten, wo die FESTUNG lag. Doch wie immer war die FESTUNG selbst nicht zu sehen. In der Gegend, in der sie sich befand, wallten stän dig Nebel, hinter denen man manchmal et was Dunkles zu ahnen glaubte. Aber solche Ahnungen waren keine brauchbare Basis für konkrete Vorstellungen. Seufzend ließ Gornd seinen Blick über die flachen rechteckigen Gebäude schweifen, die rund um die Zentralkuppel standen. In ihnen lebte die Besatzung des Wachen Au ges, die aus dreihundert Technos und zwölf Gordys bestand. Wie die meisten Gordys, war auch Gornd der festen Überzeugung, daß den Angehöri gen der Familie Gordy, die ihren Haupt wohnsitz in einer Vorstadt von Donkmoon hatte, in der auf Pthor herrschenden hierar chischen Ordnung der erste Rang gleich nach den Herren der FESTUNG zustand. Sie hatten die besten Wissenschaftler hervorge bracht und dienten den Herren der FE STUNG mit der größten Effizienz. Leider kümmerten sich die Herren der FESTUNG nicht um die Ansprüche der Fa milie Gordy. Sie akzeptierten deren Dienst leistungen, aber sie unternahmen nichts, um den Gordys dabei zu helfen, sich die Parra xynth-Bruchstücke anzueignen, die Heim dall in seiner Schatzkammer verwahrte. Von den Gordys waren schon zahlreiche Versuche unternommen worden, dem Göt tersohn die Artefakte abzujagen, aber alle waren sie gescheitert. Aber die Gordys wür den ihre Bemühungen nicht einstellen, denn
H. G. Ewers die Legende besagte, daß derjenige, dem es gelang, alle Bruchstücke zusammenzutragen und zum ursprünglichen Gebilde zusammen zusetzen, in den Besitz des Geheimnisses von Pthor gelangen würde. Und wer das Geheimnis von Pthor kannte, besaß große Macht. Wie mochte dieses Geheimnis wohl aus sehen? Gornd musterte die zahlreichen Außenge bäude, die hinter den Wohnbauten in dem großen Areal des Wachen Auges verstreut waren. Sie hatten die unterschiedlichsten Formen und Größen und wirkten teilweise verfallen. Das lag daran, daß die Anlagen des Wa chen Auges immer wieder ergänzt worden waren, aber ohne die veralteten Anlagen zu demontieren. Was unmodern war und tech nisch vollkommeneren Anlagen weichen mußte, blieb ungenutzt stehen, verrottete teilweise, wurde von Bäumen und Sträu chern verdeckt oder stand einfach als Beton denkmal da und streckte unbenutzte korrosi onsfreie Antennentürme in den Himmel. Die intakten Anlagen dagegen wurden vorbildlich gewartet. Sie waren durch breite Straßen miteinander verbunden und glänzten vor Sauberkeit. Ihre Geräte konnten fast alle innerpthorischen Vorgänge beobachten, vor allem dann, wenn sie mit energetischen Emissionen verbunden waren. Sie dienten aber auch dazu, den Dimensionsfahrstuhl bei seinen Fahrten zu navigieren. Außerdem wurden sie zur Vorbereitung der Invasion heimgesuchter Planeten eingesetzt. Aller dings hatten sie bei der Erkundung der Erde versagt – eben wegen der Schutzschirme, mit denen sich die Erdbewohner gegen Pthor schützten. Gornds Augen funkelten zornig. Das war ein wirkliches Problem. Die Her ren der FESTUNG hätten es als vorrangig einstufen müssen. Statt dessen erlaubten sie nichts, was über die normale Routine hin ausging. Er kniff die Augen zusammen, als er vor dem Hintergrund des Nebels, der die FE
Die vier Seelenlosen STUNG vor seinen Blicken verhüllte, etwas blinken sah. Kurz darauf wiederholte sich das Blinken. Das, was es verursachte, war inzwischen näher herangekommen. Es wirk te wie ein gläserner Diskus, in dem sich die Sonnenstrahlen brachen. Ein Zugor! Wahrscheinlich saßen Abgesandte der Herren der FESTUNG darin. Sie sollten sich offenbar um Koy kümmern. Wieder blinkte es hell auf. Gornd runzelte die Stirn. So viele scharfe Schwenkmanöver brauchte der Zugor nicht zu beschreiben, wenn er das Wache Auge anfliegen wollte – und das Aufblinken kam ja nur dadurch zu stande, daß der Zugor seine Unterseite in Richtung der Sonne drehte. Und schon wieder blinkte es. Diesmal war der Zugor noch näher herangekommen. Gornd sah deshalb genau, daß der Flugglei ter taumelte und ständig – und vorzeitig – an Höhe verlor. Etwas stimmte mit seinem An trieb und mit seiner Steuerung nicht. Gornd erschrak, als er an das Experiment mit dem Rückkopplungselement dachte. Konnten die psionischen Emissionen, die von ihm ausgingen, eventuell an der Störung des Zugorantriebs schuld sein? Gornd hakte das ovale Funksprechgerät von seinem Gürtel, schaltete auf die Allge meine Welle des Wachen Auges und sagte: »Ich rufe Navaltruk!« »Hier Navaltruk!« meldete sich der Tech no wenig später. »Desaktiviere sofort das Rückkopplungs element!« befahl Gornd. »Es stört wahr scheinlich die Funktion eines Zugors, der aus Richtung FESTUNG zu uns unterwegs ist.« Noch während er sprach, weiteten sich seine Augen voller Entsetzen, denn der Zugor streifte die Hochantenne eines unbenutz ten Bauwerks, sackte weiter ab und brach krachend durch das Geäst eines großen Bau mes. Es sah aus, als würde er die letzten zwanzig Meter haltlos abstürzen und auf dem harten Boden zerschellen.
21 Aber plötzlich schossen mit urweltlich an mutendem Brüllen starke Flammenbündel aus den Heckdüsen, rissen das Fahrzeug vorwärts, aus dem Geäst heraus. Es schlin gerte, verlor aber nicht weiter an Höhe, dann stabilisierte sich seine Flugbahn. Etwas un sanft, aber nicht zu hart, setzte es schließlich neben der Zentralkuppel auf. Gornd sah, wie die vier Besatzungsmit glieder ausstiegen. Es waren Dellos, hünen hafte, weißhäutige und glotzäugige Andro iden aus der FESTUNG, mit seltsamen Ge räten, die an den Schulterkreuzgurten ihrer Kombinationen befestigt waren. Gornd wußte, daß die Dellos seelenlose Geschöpfe waren. Dennoch erschauderte er, als er sah, daß ihre Gesichter und Bewegun gen überhaupt nichts davon verrieten, daß sie soeben knapp an einer Katastrophe vor beigekommen waren. Er fuhr mit dem Hauptlift nach unten, um die Dellos zu empfangen. Er tat es nicht gern, aber es gehörte zu seinen Pflichten, al len Abgesandten der Herren der FESTUNG ehrerbietig gegenüberzutreten. Minuten später stand er in der Empfangs halle vor den vier Androiden. Er verneigte sich mit über der Brust ge kreuzten Armen und sagte: »Ich freue mich, die Abgesandten der Magie begrüßen zu dürfen und bin froh darüber, daß euch nichts Schlimmes zugestoßen ist. Mein Name ist Jastall Gornd.« »Wir wissen, wer du bist, denn nur der Hüter des Waches Auges darf uns als erster begrüßen«, sagte einer der Dellos mit kalter Stimme, während seine Augen ihn unver wandt anstarrten. »Da die Fehlfunktionen unseres Zugors vorübergehend waren und keine ernsten Folgen hatten, ist es müßig, sie zu erwähnen. Ich heiße Xaart – und meine Begleiter sind Spolko, Drove und Pjut. Füh re uns zu einer Anlage, von der aus wir Koy den Trommler sehen können!« »Und halte uns nicht länger mit unnöti gem Geschwätz auf!« befahl der Dello, den Xaart als Spolko vorgestellt hatte. Gornd gehorchte wortlos. Er wußte, daß
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es sinnlos gewesen wäre, gegen den rüden Ton der Dellos bei den Herren der FE STUNG zu protestieren. Er führte die An droiden in seinen Schaltraum, rief Glumrod an und forderte ihn auf, die Fernbildbeob achtung Koys auf seinen Kanal zu schalten. Sekunden später leuchtete der betreffende Bildschirm auf. Gornd erblickte einen klei nen korpulenten Mann mit silbergrauem kurzgeschorenen Haar und zwei fühlerför migen Auswüchsen am Haaransatz, der sich mit federndem Schritt durch eine flache, et was wellige Steppenlandschaft bewegte. Er trug bunte Kunststoffkleidung und halb schäftige Stiefel. An einem Riemen baumel ten ein Proviantsack und eine Wasserfla sche, und in der rechten Hand trug er seine Feuerlanze. Gornd blickte die Androiden an. Die Dellos starrten aus ihren Glotzaugen unbewegt auf das Fernbild Koys. Nach einiger Zeit wandten die Dellos sich zum Gehen. »Kann ich euch helfen?« fragte Gornd. »Du hast einen Raum zur Reaktivierung und Rekonditionierung«, stellte Xaart fest. »Sorge dafür, daß er einwandfrei funktio niert, wenn wir Koy dorthin bringen.« Er schien absolut sicher zu sein, daß ihr Opfer ihnen nicht entkommen konnte. »Ich werde dafür sorgen«, versicherte Gornd mit gemischten Gefühlen. Er begriff selbst nicht, warum er fast so etwas wie Mit leid mit dem Jäger empfand, der zum Gejag ten geworden war. Vielleicht lag es nur dar an, daß ihn der Gedanke beunruhigte, daß vier gefühlskalte Roboter aus Fleisch und Blut ein fühlendes Wesen einfangen und quälen wollten. Aber vielleicht konnte Koy der Trommler ihnen doch noch entkommen.
5. Koy roch das Wasser schon aus mehreren hundert Metern Entfernung. Er wußte, daß es in der Steppenlandschaft zwischen der Senke der verlorenen Seelen
und dem Wachen Auge viele kleine Seen gab. Alle diese Steppenseen hatten eines ge meinsam: Sie waren kreisrund, unergründ lich tief und besaßen steile, fast senkrechte Ufer. Sie sahen aus, als hätte vor Urzeiten ein Riese mit einem turmstarken Bohrer nach Wasser gebohrt. Der Jäger beschloß, seine inzwischen ge leerte Wasserflasche am nächsten See zu füllen und sich danach um einen geeigneten Platz für die Nacht zu kümmern. Am See selbst wollte er nicht bleiben, da es dort nachts spukte. Er selbst hatte so etwas noch nicht erlebt, denn er mied die Seen bei Dun kelheit, weil er viele übereinstimmende Be richte über Reisende gehört hatte, die an ei nem Steppensee nächtigten und während der Nacht spurlos verschwanden. Tagsüber stellten die runden Seen jedoch erwiesenermaßen keine Gefahr dar. Aller dings war es in ihrer Nähe auch bei Sonnen schein manchmal gefährlich, denn außer zahlreichen Pflanzenfressern wurden sie auch von kleinen und großen Raubtieren als Tränke benutzt. Deshalb stellte Koy zuerst fest, daß der Wind, der über die Steppe wehte, aus Osten kam. Danach wandte er sich nach links und näherte sich dem See von Westen – mit dem Wind von vorn. Wenig später beglückwünschte er sich zu dieser Vorsichtsmaßnahme, denn als er von einem flachen Hügel aus zum See hinab spähte, entdeckte er ungefähr einen Sker zaalschuß weit vor sich eine schwarzweiß gescheckte Springspinne, die ihm das Hin terteil zuwandte und langsam durch das schenkelhohe Steppengras schlich. Springspinnen wurden selten größer als ein durchschnittlicher Pthorer, aber diese hier war fast dreimal so groß – die acht Beine und die großen behaarten Beißzangen nicht mitgerechnet. Unwillkürlich hob Koy seine Feuerlanze. Aber dann ließ er sie wieder sinken, denn er dachte daran, daß die Entladung der Waffe vom Wachen Auge aus registriert werden würde. Normalerweise machte das gar
Die vier Seelenlosen nichts, aber da man ihn mit großer Wahr scheinlichkeit suchte, würde in diesem Fall eine Reaktion erfolgen. Deshalb blieb Koy unbeweglich stehen. Er versuchte zu erkennen, was für ein Tier die Springspinne anschlich, aber er ver mochte außer einigen Pflanzenfressern, die sich allerdings auf der anderen Seite des Sees aufhielten, kein mögliches Opfer zu se hen. Dennoch vollführte die Riesenspinne plötzlich einen etwa acht Meter weiten Sprung – und kurz bevor sie mit ihren lan gen behaarten Beinen wieder den Boden be rührte, stieß aus dem Steppengras etwas nach oben, das einem schenkeldicken Wurf spieß ähnelte. Koy erkannte Kopf und Ober körper einer Mussurania, einer ungiftigen Bodenschlange, die als Giftschlangen und Raubkatzenjägerin bekannt war. Der Jäger kniff die Augen zusammen, um genau zu sehen, was passierte. Dennoch ging alles viel zu schnell, als daß er Einzel heiten der Bewegungen hätte ausmachen können. Er sah nur, daß die Mussurania sich so im Ansatz einer Beißzange der Spring spinne verbissen hatte, daß die Spinne ihren tödlichen Giftbiß nicht anzubringen ver mochte. Der lange blauschwarze Schlangen leib peitschte der Spinne die Beine unter dem Körper weg und zwang die Spinne auf den Rücken. Aus der Angreiferin war das Opfer ge worden. Die Spinne wehrte sich verzweifelt und entwickelte ungeheure Kräfte. Mehr mals rollten die Gegner über den Boden, und die Krallenfüße der Spinne versuchten, sich im Gras und kleinen Sträuchern festzuklam mern. Doch die Schlange war geschmeidiger und ebenso kräftig wie die Springspinne. Ih re Zähne hielten die Beißzange der Spinne unverrückbar fest, und immer wieder zwang sie ihre Gegnerin auf den Rücken. Schließ lich brach mit einem lauten Knacken die Beißzange ab. Sofort packte die Schlange die zweite Zange. Der Kampf ging weiter, aber allmählich
23 erlahmten die Kräfte der Spinne. Als auch ihre zweite Beißzange abgebrochen war, er lahmte ihr Widerstand – und schließlich zuckte sie kaum noch, als die Schlange sich daran machte, sie zu verzehren. Koy schulterte die Feuerlanze und ging zum See. Er kam nur wenige Meter an der Mussurania vorbei, wußte aber, daß er von dieser Schlange nichts zu befürchten hatte. Mussuranias griffen nur Tiere an. Die Schlange hob den Kopf, als er vorbeiging, blickte ihn einen Herzschlag lang an, dann setzte sie ihr Mahl fort. Am Ufer des kreisrunden Sees blieb der Jäger stehen und sah sich sehr aufmerksam um, bevor er niederkniete, die Feuerlanze aus der Hand legte und mit beiden Händen Wasser schöpfte. Koy trank sich satt, dann füllte er seine Wasserflasche. Nach einem letzten Blick auf die glatte Oberfläche des unergründlichen Sees suchte er nach einem Platz für die Nacht. Er entdeckte in zirka tausend Metern Ent fernung einen Geisterbaum und lächelte zu frieden. Eigentlich handelte es sich um die Ruine eines Kimberfruchtbaums. Der Name »Geisterbaum« kam daher, daß die meisten der abgestorbenen Kimberfruchtbäume, die groß genug und deren Stämme hohl waren, von Nachtsängern bewohnt wurden. Nachtsänger waren große, aufrechtgehen de Tiere mit zottigem schwarzen Fell und großen roten Augen: die Endstufe einer Rei he von Metamorphosen, die nicht einmal al le bekannt waren. Gerüchten zufolge schlüpfte die erste Lebensform aus nur fin gerlangen Eiern, die im Leib der Endstufe ausgebrütet wurden. Diese kleinen Wesen ernährten sich von der Körpersubstanz der »Mutter«, von der anschließend nur die grö ßeren Skeletteile übrig blieben. Während dieser Phase rührte sich ein Nachtsänger nicht aus seinem hohlen Baum stamm heraus. Man hätte erwarten können, daß er dadurch, daß er zur Unbeweglichkeit verurteilt war, eine leichte Beute für alle möglichen Raubtiere darstellte. Aber seltsa
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merweise wagte sich kein Raubtier an einen Geisterbaum heran. Vögel und harmlose Pflanzenfresser dagegen empfanden keiner lei Scheu. Koy hatte oft an oder auf Geisterbäumen genächtigt, weil er dort vor jagenden Raub tieren sicher war. Andere Pthorer dagegen erzählten, daß sie ein unerklärliches Grauen empfanden, wenn sie sich einem Geister baum bis auf eine bestimmte Entfernung nä herten. Sie führten das auf Geister zurück, die mit dem Nachtsänger in dem hohlen Baumstamm lebten. Der Jäger hatte nie etwas von Geistern be merkt. Er nahm an, daß es der Nachtsänger war, der eine Aura des Grauens ausstrahlte und andere Lebewesen damit abschreckte. Warum weder er noch harmlose Tiere davon betroffen wurden, wußte Koy allerdings auch nicht. Jedenfalls wußte er, daß er die kommende Nacht tief und fest schlafen würde. Er konn te nicht ahnen, daß er sich selten so geirrt hatte.
* Koy hatte den Geisterbaum fast erreicht, als er sah, wie sich über den langgestreck ten, nach Osten weisenden Schatten des Rie senbaums ein anderer Schatten legte. Der Schatten war ein großes langes Oval, aber obwohl seine Form nur annähernd dem des Gegenstands glich, der ihn warf, wußte der Jäger sofort, womit er es zu tun hatte. Er schaute schräg nach oben und entdeck te die dunkle Unterseite des zirka fünf Meter durchmessenden Zugors, der sich langsam und lautlos herabsenkte und sich dabei sei nem Standort näherte. Koy ahnte, was das bedeutete. Offenbar besaßen die Gordys und Tech nos des Wachen Auges Möglichkeiten, so gar einsame Wanderer aufzuspüren, die rund vierzig Kilometer vom Wachen Auge ent fernt waren. Da sie feststellen wollten, wer dieser einsame Wanderer war, hatten sie ei ne Zugorbesatzung losgeschickt.
Koy überlegte, ob er bleiben oder fliehen sollte. Er wußte, daß er, einmal entdeckt und erkannt, nicht mehr entkommen konnte – je denfalls nicht für längere Zeit. Daran, den Zugor mit seiner Feuerlanze zu zerstören und dabei die Insassen zu töten, dachte er nicht – und als er diesen Gedanken zaudernd erwog, war es zu spät, ihn auszuführen. Der Luftgleiter landete einen halben Sker zaalschuß von ihm entfernt im Steppengras. Vier große weißhäutige Androiden mit star ren Glotzaugen entstiegen ihm. Ihre Kombi nationen waren mit allen möglichen Waffen und Ausrüstungsteilen behängt. Obwohl sie den Jäger sahen, sprachen sie ihn nicht an, sondern formierten sich, schwerfällig durch das Gras stapfend, zu einem Halbkreis, des sen Öffnung auf Koy gerichtet war. Koy wandte sich zur Flucht. Er konnte nicht mehr schießen, denn die Dellos waren bereits zu nahe an den Geisterbaum herange kommen – und ein Instinkt sagte dem Jäger, daß er den Geisterbaum und den darin hau senden Nachtsänger nicht gefährden durfte. Er stürmte durch das Steppengras in Rich tung Osten und versuchte, einen genügend großen Vorsprung zu gewinnen, um wieder in seine alte Richtung, nach Norden abbie gen zu können, ohne einem der Dellos in die Arme zu laufen. Aber die eben noch schwerfälligen An droiden bewegten sich plötzlich schneller, setzten ihm in langen flachen Sprüngen nach und hielten den Abstand. Koy versuchte, die in ihm aufkeimende Panik zu unterdrücken. Als Sohn zweier An droiden und als Bürger von Agmonth kannte er sich in der Androidenhierarchie gut genug aus, um zu wissen, daß die Herren der FE STUNG die Dellos als eine Art Elitetruppe einsetzten. Zwar besaßen die glotzäugigen Androiden angeblich keine Seele, aber sie verfügten über logisch denkende Gehirne, die ganz auf ihre Spezialaufgaben gezüchtet waren. Bisher hatte sich noch kein Pthorer erfolgreich mit ihnen angelegt. Aber Koy war zäh. Zudem hatte er die letzten Tage keine großen körperlichen An
Die vier Seelenlosen strengungen durchgemacht, da er bis zum Vortage den Truvmer benutzt hatte. Der heutige Tagesmarsch hatte seine Konstituti on noch nicht beeinträchtigt. Er beschleunigte sein Tempo. Seine Au gen funkelten, als er den Abstand zwischen sich und den Häschern vergrößerte. Sofort bog er leicht nach links ab. Wenn er den nördlichsten Verfolger hinter sich lassen konnte, hatte er gewonnen. Es sei denn, die Dellos setzten die Verfolgung mit dem Zugor fort, bevor er ein Versteck fand. Aber es sah nicht so aus, als ob die Androiden auf ihren Gleiter zurückgreifen wollten. Den Grund dafür erkannte der Jäger, als die vier Dellos plötzlich ebenfalls beschleu nigten – und innerhalb kurzer Zeit aufholten. Koy mußte wieder nach Osten ausweichen, weil der nördlichste Dello ihm den Weg nach Norden versperrte. Doch er merkte bald, daß er es nicht schaffen würde, den Verfolgern zu entkom men. Sie holten mehr und mehr auf. Der Dello an der linken Flanke seiner Formation überholte ihn sogar. Verzweifelt blickte sich der Jäger nach ei ner Deckung um, hinter der er in Stellung gehen und den Kampf aufnehmen konnte. Er wußte, daß es sein letzter Kampf werden würde, aber er war entschlossen, lieber zu sterben, als sich von den Dellos fangen und verschleppen zu lassen. Sein Blick fiel dabei auf ein Hünengrab mit halb eingestürztem Deckstein und noch deutlich erkennbarem Seelenloch an dem aufrechtstehenden Stein, der die Abschluß platte bildete. Koy kannte mehrere solcher Hünengräber. Sie galten als heilige Stätten, da die Überlieferungen besagten, daß hier in der grauen Vorzeit Pthors gewaltige Recken begraben worden seien, deren Seelen irgendwann zurückkehren und die Hünen zu neu em Leben erwecken würden. Normalerweise hätte Koy das Steingrab gemieden, aber in seiner verzweifelten Lage entschloß er sich, es zu entweihen, indem er es zu seiner Verteidigungsstellung erkor. Er mobilisierte alle seine Reserven und
25 konnte noch einmal einen Vorsprung gewin nen. An der Seite des Hünengrabs hielt er an, lehnte sich gegen den von der Sonne er wärmten Fels und fixierte den Dello an der Nordflanke des auseinandergezogenen Halb kreis seiner Verfolger. Der Androide war – wie seine Artgenos sen – stehengeblieben, als Koy das Hünen grab erreichte und anhielt. Dadurch gab es für den Jäger keine Schwierigkeiten, die psionische Energie seiner Broins auf ihn zu konzentrieren. Die kugelförmigen Enden der Broins vollführten einen ebenso rasenden wie lautlosen Trommelwirbel. Gleich muß der Androide die ersten Reak tionen zeigen und gleich darauf bersten! dachte Koy. Doch nichts dergleichen geschah. Lang sam setzten sich alle vier Dellos auf das Hü nengrab zu in Bewegung. Koy verstärkte seine Anstrengungen, aber er ahnte bereits, daß er den Häschern mit seiner natürlichen Waffe nicht beikommen würde, denn er hatte das schwache Flim mern gesehen, das sie umgab. Wahrschein lich waren die kastenförmigen Metallgeräte an ihren Schulterkreuzgurten Schutzschirm projektoren. Als es dem Jäger schwarz vor Augen wur de, brach er seine psionischen Anstrengun gen ab. Er hob die Feuerlanze, zielte auf den nördlichsten Dello und drückte ab. Der sonnenhelle Energiestrahl raste wie immer auf das Ziel zu, um sich herum eine schmale Zone nachtdunklen Waberns ver breitend. Dort, wo der Dello sich befand, bildete sich eine Feuerkugel. Koy nahm den Daumen vom Feuerknopf. Die Feuerkugel erlosch – und der Dello mar schierte unversehrt weiter auf sein Opfer zu. Dennoch feuerte Koy auch auf die übrigen drei Androiden, bis er einsah, daß es hoff nungslos war, sich mit der Feuerlanze weh ren zu wollen. Halb demoralisiert, halb von sentimenta lem Stolz erfüllt, erwartete Koy der Tromm ler seine Häscher – und sein Ende …
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* Dem ersten Dello hieb Koy die Feuerlan ze gegen den Schädel. Aber der Androide nahm dem Schlag den größten Teil der Wir kung, indem er den Kopf zurückriß. Im nächsten Augenblick packte er das En de der Feuerlanze und zog mit kraftvollem Ruck daran. Koy ließ los, um nicht in die Reichweite der riesigen Hände des Dellos zu geraten. Dennoch taumelte er. Aber gerade das war seine Rettung, denn der Dello schlug unbarmherzig und mit aller Kraft zu – und der Schlag hätte Koys Schädel zer schmettert, wenn er nicht zur Seite getau melt wäre. »Spolko, nein!« rief einer der anderen Dellos. »Nicht töten!« Spolko tat, als hätte er es nicht gehört. Er holte mit unbeweglichem Gesicht zum zwei tenmal aus. Diesmal unterlief der Jäger den Schlag und rammte Spolko den Kopf in den Bauch. Spolko ließ die Feuerlanze fallen, taumel te einen Schritt zurück und wollte Koy mit seinen Armen umschlingen. Aber der Jäger war bereits zurückgesprungen und bückte sich nach seiner Waffe. Da waren die übrigen drei Dellos heran. Sie fielen ohne einen Laut über Koy her und versuchten, seine Arme und Beine festzuhal ten. Dem einen stieß Koy sein Messer in die Brust, ohne eine Reaktion zu erzielen. Der Getroffene verzog nicht einmal das Gesicht, sondern packte Koys rechtes Handgelenk und verdrehte es. Dann zog er das Messer aus seiner Brust, ohne daß mehr als ein paar Tropfen Blut flossen. Koy hatte das Gefühl, die Hand würde ihm aus dem Gelenk herausgedreht. Er schrie auf und trat und schlug wild um sich, so gut er konnte. Aber er hatte den unglei chen Kampf bereits verloren. Die Dellos hielten seine Arme und Beine fest und schlugen mit den flachen Händen solange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührte. Anschließend fesselten sie ihm mit Kunst-
stoffschnüren die Arme auf dem Rücken und banden seine Fußgelenke so zusammen, daß er nur winzige Trippelschritte machen konn te. Der Jäger war halbbetäubt, aber er erholte sich schnell von den Schlägen. Das Blut, das ihm aus Mund, Nase und Ohren sickerte, ignorierte er, aber er versuchte sich noch einmal aufzubäumen, als einer der Andro iden seine Broins mit einer bläulich schil lernden Lösung aus einer Flasche bestrich. Es half ihm nichts. Entsetzt spürte Koy, wie seine Broins ge fühllos wurden. Und nicht nur das. Alles Blut wich aus ihnen, so daß sie umknickten und gleich zwei leeren Hautsäcken vor sei nem Gesicht herabbaumelten. Der Jäger wußte, daß er damit seiner psio nischen Detonatorfähigkeit beraubt war. Die letzte Bestätigung dafür lieferten die Dellos, indem sie ihre Konturschutzschirme, die sie vor dem Nahkampf abgeschaltet hatten, nicht wieder aktivierten. »Warum habt ihr mich nicht getötet?« schrie er die Häscher an. Statt einer Antwort stellten zwei Dellos ihn auf die Beine und versetzten ihm einen Stoß in den Rücken. Koy stolperte vorwärts – in Richtung des Zugors, der in der Nähe des Geisterbaums stand. Während der Jäger sich bemühte, trotz seiner Fußfesseln so schnell wie möglich voranzukommen – denn der erste Stoß in den Rücken hatte ihm gereicht, sagte er: »Es ist ein Fehler, daß ihr mich mitnehmt. Schließlich bin ich ein Androide wie ihr – und wir Androiden sollten zusammenhal ten.« »Er lästert«, stellte der Dello fest, der Spolko genannt worden war. »Wenn ich ihn töte, müssen wir uns diese gefährlichen Re den nie mehr anhören.« Seine Faust legte sich von hinten um Koys Genick. Für den Jäger fühlte es sich an, als hätte man ihn in einen Schraubstock gespannt. Er versuchte, die Hand abzuschütteln, aber sie hielt eisern fest und drückte immer stärker zu. Es war nur eine Frage der Zeit, wann
Die vier Seelenlosen Koys Nackenwirbel unter dem mörderischen Druck splittern würden. Spolko schien ent schlossen zu sein, ihn umzubringen. Ein anderer Dello verhinderte schließlich den Mord. Er hieß Drove, wie Koy später er fuhr. Drove schlug Spolko Koys Feuerlanze, die er aufgehoben hatte, auf den Unterarm. Sofort erlahmte der eiserne Griff um Koys Genick. Spolko blieb stehen und starrte Dro ve aus glitzernden Augen an. Sein rechter Arm war gelähmt, deshalb hob er den lin ken, um auf Drove einzuschlagen. Ein dritter Dello packte den erhobenen Arm und hielt ihn fest. »Du kennst unsere Befehle, Spolko!« sag te er scharf. »Wir sollen Koy nicht umbrin gen, sondern zum Wachen Auge transportie ren.« »Koy ist ein Verräter«, entgegnete Spolko kalt. »Laß mich los, Xaart! Drove hat mich angegriffen. Dafür muß ich ihn bestrafen.« »Mir scheint, du bist schlecht für deine Aufgabe konditioniert«, erklärte Xaart. »Vielleicht sollte ich den Herren der FE STUNG Meldung erstatten.« »Sie würden mich auslöschen«, sagte Spolko erschrocken. »Fürchtest du dich vor dem Tod?« fragte Koy ohne jeden Spott. »Wenn ja, bedeutet das nichts anderes, als daß auch ihr Dellos so etwas wie Seelen besitzt – und wer eine Seele hat, darf seinen Bruder nicht zur Schlachtbank schleppen.« Xaart ließ Spolkos Arm los, und Spolko machte keine weiteren Anstalten, Drove zu schlagen. »Wir schleppen dich nicht zur Schlacht bank, Koy«, erklärte Xaart. »Du sollst nur in einer Sonderstation des Wachen Auges ver hört und reaktiviert werden.« »Reaktiviert?« fragte der Jäger bitter. »Du meinst, man will dort meine echte Persön lichkeit auslöschen und sie durch eine skla vische Pseudopersönlichkeit ersetzen!« »Eine Neukonditionierung wird sich nicht vermeiden lassen«, warf der vierte Androide ein. »Du bist, wie du selbst sagtest, schließ
27 lich nur ein Androide und hast deshalb kein Anrecht auf eine bestimmte Persönlichkeit. Aber vielleicht wirst du auch ausgelöscht, und deine Substanz wird in Aghmonth einer neuen Verwertung zugeführt.« »Ich bin dafür, den Verräter ganz zu streuen, Pjut«, sagte Spolko. »Wir entscheiden nicht darüber«, erwider te Xaart und versetzte Koy einen neuen Stoß. »Vorwärts!«
6. Als der Zugor landete, packten zwei der Dellos den gefesselten Jäger, hoben ihn auf und warfen ihn einfach über die Bordwand. Koy prallte hart auf den Plattenbelag des Bodens, konnte sich aber so drehen und krümmen, daß er nicht mit dem Kopf auf schlug. Er sah, daß er sich in unmittelbarer Nähe der großen Stahlkuppel befand, in der das zentrale Rechen und Auswertungszen trum des Wachen Auges untergebracht war. Zwischen den mit Reliefsymbolen verzierten Steinplatten wuchsen in Aussparungen Bäu me, Sträucher und Blumenstauden. Große bunte Vögel liefen dazwischen umher. Es war ein friedliches Bild, das überhaupt nicht zu Koys Situation paßte. Während Drove ihn aufrichtete, bemerkte der Jäger mehrere Technos, die bei ihren Wohngebäuden standen und herüberblickten. Sie schie nen peinlich berührt zu sein von der brutalen Behandlung des Gefangenen. »Vorwärts!« befahl Xaart. »Er kann schlecht gehen, wenn seine Beine so dicht zusammengeschnürt sind«, sagte Drove und schnitt kurzerhand Koys Beinfes seln durch. »Danke!« sagte der Jäger. Pjut ging voraus, während die anderen drei Dellos Koy folgten. Das Hauptportal der Zentralstation öffnete sich lautlos vor der Gruppe. Hinter der Öffnung stand ein äl terer Mann, der auf dem Brustteil seiner Kombination die stilisierte Abbildung eines Auges trug. »Ich protestierte dagegen, daß ihr ein Un
28 geheuer aus den Horden der Nacht in meine Station habt bringen lassen!« sagte der Mann, in dem Koy einen Angehörigen der Familie Gordy erkannte. »Es war notwendig, Gornd!« erwiderte Xaart. »Außerdem geschah es mit Billigung der Herren der FESTUNG. Führe uns in die Sonderstation!« Tiefe Resignation machte sich auf dem Gesicht des Gordys breit. Er drehte sich um und ging mit hängenden Schultern voran. Als die Gruppe an einem nach unten führen den, breiten Treppenschacht vorüberkam, er scholl aus der Tiefe ein furchtbares Brüllen. Koy erschauderte. Er ahnte, daß der Transport des Ungeheuers zum Wachen Au ge irgendwie mit ihm zu tun hatte. Vielleicht wollten die Dellos ihn damit einschüchtern – oder sie warfen ihn der Bestie zum Fraß vor. Wenig später erreichten sie einen großen Raum mit glatten Stahlwänden. Die Decke bestand ebenfalls aus blankem Stahl, enthielt aber Hunderte von handflächengroßen run den Löchern, durch die hellblaues Licht fiel. Der Boden war auch aus Stahl und von un zähligen haarfeinen Rissen durchzogen. Koy wunderte sich, daß es in dem Raum kein einziges Gerät, ja überhaupt keine Ein richtung gab. Unter einem Verhör und Kon ditionierungsraum hatte er sich etwas ande res vorgestellt. Spolko und Pjut schoben Koy in die Mitte des Raumes, dann zogen sie sich zu ihren Gefährten zurück, die sich an einer Wand aufgestellt hatten. Mit lauerndem Lächeln entledigten sich die vier Dellos ihrer Waffen und Ausrüstungsgegenstände – einschließ lich der Schutzschirmprojektoren. Danach schickten sie den Gordy hinaus. Koy überlegte, ob er versuchen sollte, zur Tür durchzubrechen. Er unterließ es jedoch, denn erstens waren seine Hände noch immer hinter seinem Rücken gefesselt und zweitens nahm er als sicher an, daß die Dellos dafür gesorgt hatten, daß er nicht entkommen konnte. Wahrscheinlich hatten sie ihre Waf fen und Schutzschirmprojektoren nur abge legt, um ihn zu einem Fluchtversuch zu pro-
H. G. Ewers vozieren. Nach einiger Zeit verwandelte sich das lauernde Lächeln der Dellos in ärgerliche Gesichter. »Du machst mit den Fremden, die von der Erde nach Pthor gekommen sind, gemeinsa me Sache, Koy«, behauptete Xaart. »Das stimmt nicht«, entgegnete Koy. »Es stimmt doch!« erklärte Xaart. »Warum sonst hättest du dein Funkgerät zer stört, so daß wir es nicht mehr einpeilen konnten – und warum hast du deine Vegla so verborgen, daß sie von der Ortung nicht mehr erfaßt wird? Du tatest das alles, um dich heimlich mit den Fremden zu treffen. Wann und wo hat der erste Kontakt stattge funden?« »Aber es hat keinen Kontakt mit Fremden gegeben!« rief Koy empört. »Meine Vegla wurde von Impulsen aus dem Wachen Auge gestört und stürzte im Taamberg ab. Ange hörige der Berserkernachkommen, die in den Ruinen von Tfohr leben, fanden die Trümmer der Vegla in einer unzugänglichen Schlucht. Ich lebte einige Tage bei ihnen, dann führte mich mein Weg mit dem Götter sohn Heimdall zusammen. Fragt ihn, dann wird meine Unschuld bewiesen!« »Er ist verstockt und lügt«, sagte Spolko. »Wenn er kein Verräter wäre, warum ist er dann nicht aus dem Taamberg direkt zum Wachen Auge gekommen?« »Das stimmt«, sagte Xaart. »Warum hast du versucht, dich am Wachen Auge vorbei zuschleichen?« Er drehte an dem ornamentalen Armband, das er am linken Handgelenk trug. Die Farbe des aus den Deckenöffnungen kommenden Lichts veränderte sich, wurde grellweiß, aber nur dort, wo Koy stand. Der übrige Teil des Raumes hüllte sich in un durchdringliche Dunkelheit. Koy spürte, wie ihm heiß wurde. Gleichzeitig vibrierte der Boden unter seinen Füßen. Die Vibrationen wurden nicht heftiger, aber schneller und übertrugen sich auf Koys Körper. Der Jäger versuchte, aus der Hitze und Helligkeit in die Dunkelheit zu flüchten,
Die vier Seelenlosen aber er vermochte seine Füße nicht vom Bo den zu heben. Da wurde ihm klar, daß der Verhörraum selbst eine einzige Folterma schine war. »Sprich, Koy!« drang Xaarts Stimme ver zerrt an seine Ohren. »Wann und wo hast du dich mit den Fremden getroffen?« »Ich habe keine Fremden gesehen!« schrie der Jäger. Die Vibrationen und die Hitze wurden un erträglich. Gleichzeitig spürte Koy, daß sich in seinem Schädel, und zwar unter der Stel le, an der die Broins herausragten, ein dumpfer Druck aufbaute. Er preßte die Lip pen zusammen und hoffte, daß er während der Folter starb. Die Herren der FESTUNG würden ihn ohnehin nicht mit dem Leben davonkommen lassen. Zumindest würden sie seine Persönlichkeit vernichten – und das war gleichbedeutend mit dem Erlöschen des Bewußtseins. Aber plötzlich schwand die Hitze. Die Vi brationen hörten auf, und das Licht verän derte sich wieder zum gleichen hellblauen Leuchten wie zuvor. Und das Leuchten er füllte wieder den ganzen Raum. Koy blinzelte, weil der Schweiß ihm über die Augen gelaufen war. Er sah, daß die vier Dellos ihn ungläubig anstarrten. Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, daß er der Folter standhalten würde. Er betrachtete sei ne von Brandblasen bedeckten Hände und sah, daß die Fesseln zerbröckelt und abge fallen waren. »Warum habt ihr nicht weitergemacht?« fragte Koy mit völlig veränderter Stimme. Das Sprechen bereitete ihm Mühe, da Zunge und Gaumen geschwollen und wie ausge dörrt waren. »Weil du reden und nicht sterben sollst!« antwortete Xaart. »Aber wir haben glückli cherweise ein Mittel, das dich zum Reden bringen wird.« Er drehte wieder an seinem Armband. Koy wappnete sich gegen neue Torturen, aber sie blieben aus. Verwundert blickte er seine Peiniger an – und alles in ihm krampf te sich zusammen, als er den Hohn auf ihren
29 Gesichtern sah. Nur Droves Gesicht war nicht vom Hohn gezeichnet. Aber Drove schien überhaupt anders zu sein als die drei übrigen Dellos. Was kommt jetzt? fragte sich der Jäger.
* Die Tür glitt auf. Zwei Technos schlepp ten eine alte Frau herein. Koy sah, daß die Frau sich nicht mehr aus eigener Kraft auf den Füßen halten konnte. Das strähnige blonde Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Ihr Kopf pendelte haltlos hin und her. Die beiden Technos blieben wenige Schritte weiter stehen. Xaart trat zu ihnen, packte die Haare am Hinterkopf der Frau und zog so den Kopf hoch. Koy blickte in ein abgezehrtes Gesicht und in fast erloschene Augen. Er hatte diese Frau noch nie gesehen und wußte nicht, was das Schauspiel bedeuten sollte. Aber da weiteten sich die Augen und leb ten sichtlich auf. Das Gesicht veränderte sich auf unbeschreibliche Weise – und plötz lich wußte Koy, daß diese Frau Dagrissa war, seine Mutter. Nur ihr Blick und ihr Mienenspiel verrieten es ihm, denn er war erst ein Jahr alt gewesen, als er von ihr ge trennt wurde und hatte von seinem Pflegeva ter nur erfahren, daß sie damals sehr schön gewesen war. Aber wie sah sie jetzt aus! Was hatten die Herren der FESTUNG ihr alles angetan, daß sie fast ein lebender Leichnam war! »Mutter!« schrie Koy und wollte zu ihr eilen. Aber die unbekannte Magie, die ihn schon vorher an seinen Platz gebannt hatte, hielte ihn auch diesmal mit unsichtbaren Fesseln gefangen. Dagrissa bewegte die welken Lippen. Ohnmächtige Wut gegen die Herren der FE STUNG und gegen die vier Dellos erfüllte ihn. Er überschüttete seine Häscher mit Ver wünschungen und Flüchen und drohte ihnen, sie umzubringen, wenn er sich wieder frei bewegen konnte. Xaart ließ Dagrissas Haar los und sagte ungerührt:
30 »Du weißt selbst, daß du machtlos bist, Koy. Und du hast vorhin gemerkt, wie leicht es für uns ist, dich für deine Verstocktheit zu bestrafen. Du hast es ausgehalten, jedenfalls dieses eine Mal. Aber kannst du dir vorstel len, daß deine Mutter die gleiche Tortur überleben würde?« »Ihr Dämonenbrut!« heulte Koy auf. »Wagt es nicht, meine Mutter zu foltern!« Spolko lachte zynisch. »Keine Sorge, Koy, wir werden deine Mutter nicht der gleichen Tortur unterwer fen wie dich. Für die alte Hexe haben wir et was ganz besonderes vorgesehen. Sie wird …« »Sag' noch nichts!« warf Xaart ein. »Wir wollen Koy erst Gelegenheit geben, seine Verstocktheit abzulegen und alles zu geste hen.« Verzweifelt überlegte Koy, was er tun sollte. Er hatte zwar vorgehabt, die Fremden zu treffen und sich mit ihnen zu arrangieren, aber er hatte sie ja nicht getroffen. Wie konnte er dann etwas gestehen? Andererseits war ihm klar, daß die Dellos ihm nicht glaubten. Diese Geschöpfe dach ten eingleisig und waren zweifellos auch so konditioniert, daß sie gar nicht anders konn ten, als daran zu glauben, daß er Kontakt mit den Fremden von der Erde gehabt hatte. Wenn er nicht gestand, würden sie zweifel los seine Mutter foltern – und Dagrissa wür de in ihrem Zustand nicht einmal den ein fachsten Grad der Folter überleben. Er kam zu dem Schluß, daß er sich eine Geschichte ausdenken mußte, die die Dellos zufriedenstellte. Nur so vermochte er das Leben seiner Mutter zu retten. Aber in seinem Kopf ging es so durchein ander zu, daß ihm einfach kein Anfang der Geschichte einfiel. Dazu kam der zuneh mende Druck unterhalb der Ansätze seiner Broins. Offenbar staute sich dort psionische Energie, die sonst in die Broins floß und dort gespeichert wurde. Da seine Broins aber blutleer und gelähmt waren, konnte die ständig erzeugte psionische Energie nicht abfließen.
H. G. Ewers »Wo bleibt dein Geständnis, Koy?« hallte die Stimme Xaarts durch den Raum.
* Im nordöstlichen Außenbezirk des Wa chen Auges blieben zwei kugelförmige, mit dunklen Stacheln bedeckte Wesen stehen, als ein fernes Brüllen erscholl. »Was war das?« fragte das eine Wesen, das Gauzor hieß und einer der beiden Pfi sters war, die Amshun losgeschickt hatte, um nach dem Verbleib Koys zu forschen. »Es klang wie das Brüllen eines der Un geheuer der Nacht«, erwiderte Peynch, sein Gefährte. »Aber die Ebene Kalmlech liegt weit im Südwesten«, meinte Gauzor. »Ich habe noch nie gehört, daß die Monstren sich soweit nach Norden wagen – und schon gar nicht in den Bereich des Wachen Auges.« Abermals erscholl das Brüllen, und dies mal waren die beiden Pfisters sicher, daß es aus dem Zentrum des Wachen Auges kam. »Wir sollten uns nach einem Versteck umsehen«, sagte Peynch. »Wenn das Unge heuer hierher kommt und uns entdeckt, sind wir verloren.« Die beiden rundlichen Wesen blickten sich suchend um. Sie waren nicht feige, aber sie waren keine Kämpfer und wußten zu dem, daß ihnen jedes Ungeheuer aus den Horden der Nacht um ein Vielfaches überle gen war. Ihre einzigen Möglichkeiten, einer solchen Gefahr zu begegnen, bestanden dar in, sich entweder zu verstecken oder zu flie hen. »Dort ist ein alter Peilturm!« sagte Gau zor nach einer Weile und deutete auf einen gemauerten, etwa dreißig Meter hohen Turm, auf dessen Dach eine Peilantenne be festigt war. Das Mauerwerk war bröckelig und größtenteils von Schlingpflanzen über wuchert. Der Antennenträger war halb um geknickt, und in der Antennenschale befand sich halb verrottetes Nestmaterial. Alles zu sammen verriet eindeutig, daß der Peilturm zu jenen Anlagen des Wachen Auges gehör
Die vier Seelenlosen te, die durch moderne ersetzt und dem Ver fall preisgegeben worden waren. Die beiden Pfisters eilten auf den Turm zu. Aber sie hatten noch nicht die Hälfte der Entfernung überwunden, als sich vor ihnen eine kleine Schwebeplattform niedersenkte. Ein Techno in zweiteiliger Lederrüstung steuerte die Plattform, und ein darauf veran kerter großer Korb voller Früchte verriet, daß der Mann aus einer der Obstplantagen kam, die hier und da von den Technos in dem weiten Areal des Wachen Auges ange legt worden waren. »Wer seid ihr – und was sucht ihr hier?« fragte der Techno. Seine Stimme klang nicht unfreundlich. Außerdem war er nicht be waffnet. »Wir sind Gauzor und Peynch und kom men aus Aghmonth«, sagte Peynch. »Wir befinden uns auf dem Weg zur Eisküste, und als wir das Ungeheuer brüllen hörten, woll ten wir uns verstecken.« Der Blick des Technos verdunkelte sich. »Das Ungeheuer!« stieß er erbittert her vor. »Vier Dellos haben es aus der Ebene Kalmlech in die Zentralstation bringen las sen, um den Gefangenen unter Druck zu set zen. Aber ihr braucht euch nicht vor ihm zu verstecken. Es ist sicher eingesperrt.« Die Pfisters atmeten auf, als sie hörten, daß ihnen keine Gefahr drohte. Aber sie wurden neugierig. »Welcher Gefangene?« fragte Gauzor. »Man nennt ihn Koy den Trommler«, ant wortete der Techno. »Er soll mit Fremden konspiriert haben, die von der Erde nach Pthor gekommen sind. Seine Mutter Dagris sa befindet sich ebenfalls in der Zentralstati on.« Gauzor und Peynch mußten sich zusam menreißen, um sich nicht zu verraten. Sie waren einesteils erleichtert darüber, daß sie endlich wußten, wo Koy sich befand, aber sie waren zutiefst erschrocken, weil er in die Gewalt der berüchtigten Häscher aus der FESTUNG geraten war. Die Pfisters wuß ten, daß Dellos seelenlos waren und deshalb keine Gnade kannten.
31 »Fremde sollen auf Pthor sein?« fragte Gauzor schließlich zaghaft. »So behaupten die Dellos«, erwiderte der Techno. »Aber ich halte das für Unsinn.« Erschrocken hielt er sich die Hand auf den Mund. »Das heißt, ich würde es für Unsinn halten, wenn die Dellos es nicht von den Herren der FESTUNG wüßten. Aber ich muß weiter. Und ihr solltet das Wache Auge schnell verlassen. Unbefugte dürfen sich in diesem Areal nicht aufhalten.« »Wir gehen sofort weiter«, versicherte Peynch hastig. »Hätten wir gewußt, daß das Wache Auge verbotenes Gebiet ist, wären wir weiter östlich daran vorbeigegangen.« Der Techno lachte. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ihr seid unbewaffnet und sicher harmlos. Trüget ihr Waffen bei euch, hätten unsere Detektoren längst darauf angesprochen und ihr wäret festgenommen worden.« Er griff in den Obstkorb und warf den Pfisters zwei faustgroße Früchte zu. »Laßt es euch gut schmecken, Stachelhäuter!« »Danke, Techno!« sagten Peynch und Gauzor wie aus einem Mund. Sie sahen zu, wie die Flugscheibe startete und in Richtung Zentralstation davonflog, dann marschierten sie – für den Fall, daß der Techno zurückschaute – in nordwestlicher Richtung weiter. Aber nach einiger Zeit blieben sie stehen. »Wir müssen etwas tun, um Koy und Dagrissa zu helfen«, sagte Gauzor. »Wie denn?« fragte Peynch niederge schlagen. »Wir würden es nicht schaffen, Koy und Dagrissa gewaltsam zu befreien. Außerdem bekäme schon der Versuch, sich gegen die Dellos und damit die Abgesandten der Herren der FESTUNG zu stellen, allen Pfisters schlecht. Die Herren der FESTUNG würden uns schwer bestrafen und unsere Brüder und Schwestern wahrscheinlich aus Aghmonth vertreiben.« »Ich weiß, daß wir nicht direkt eingreifen dürfen und es auch nicht können«, sagte Gauzor. »Aber vielleicht gelingt es Koy, zu entkommen. Wenn wir aufpassen und ihn in
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einem Versteck unterbringen, können die Dellos ihn nicht wieder einfangen.« »Die Möglichkeit, aus der Gewalt von Dellos zu entkommen, ist schon sehr ge ring«, meinte Peynch. »Aber die Wahr scheinlichkeit, daß sich Koy, gelänge es ihm doch, ausgerechnet in unsere Richtung wen det, ist noch geringer. Aber versuchen soll ten wir es wohl. Ich schlage vor, wir bestei gen den alten Peilturm und richten uns in dem verrotteten Nest ein, das wahrscheinlich vor vielen Jahren von einem großen Raub vogel gebaut wurde.« »Einverstanden«, erwiderte Gauzor. »Von dort oben haben wir einen weiten Überblick – und außerdem können wir Koy unter dem Nestmaterial verstecken, falls ihm wirklich die Flucht gelingt.« Die beiden Pfisters setzten sich in Bewe gung. Ihr Gang wirkte infolge der großen schwarzhäutigen Füße watschelnd und schwerfällig, aber als sie sich an den Überre sten der Wendeltreppe im Turm hinaufhan gelten, verrieten ihre Bewegungen Kraft und Geschmeidigkeit. Wenig später hockten sie auf dem Nest material in der Antennenschale und spähten nach Südwesten.
7. Jastall Gornd wischte sich mit der Hand über die Augen, aber das Flimmern, das ihn überraschend überfallen hatte, ging davon nicht weg. Angestrengt musterte der Gordy die Mo nitore, auf denen das Innere des Verhör raums abgebildet wurde. Er sah die vier Del los und Koy den Trommler – und er sah auch die beiden Technos, die Koys Mutter noch immer halten mußten, weil sie sonst zusammengebrochen wäre. Aber er sah alle Personen nur verschwommen. Meine Nerven sind überreizt! sagte sich Gornd. Zuviel ist in letzter Zeit auf mich ein gestürmt. Zuerst der Abbruch des Kontakts mit Koy, danach die Rüge der Herren der FESTUNG – und nun hatten die vier Dellos
auch noch ein Ungeheuer aus den Horden der Nacht in seine Zentralstation gebracht. Koys Schicksal bedeutete ihm nichts. Wenn die Herren der FESTUNG ihn für einen Verräter hielten – und Koys Versuch, am Wachen Auge vorbeizuschleichen, an statt sich hier zu melden, war schon eine Art Beweis dafür –, dann mußte er bestraft wer den. Die Sicherheit Pthors ging über alles. Aber es war unnötig und grausam, auch noch Dagrissa, seine Mutter, in die Sache hineinzuziehen. Die Frau hatte nichts ver brochen und war am Ende ihrer physischen und psychischen Kräfte. Sie sollte nicht noch gequält werden, bevor sie starb. Aber Gornd hütete sich, diese Gedanken auszu sprechen. Das hätte nicht nur nichts genützt, sondern ihm schwerste Bestrafung, wenn nicht gar den Tod, eingebracht. »Wo bleibt dein Geständnis, Koy?« kam die Stimme Xaarts aus den Lautsprechern der Übertragungsanlage. Koys Gesicht auf einem der Monitorschir me drückte Verzweiflung und Verwirrung aus – und noch etwas, das Gornd nicht defi nieren konnte. »Ich werde gestehen, wenn ihr dafür mei ne Mutter in Frieden laßt«, sagte der Jäger. Seine Stimme klang stark verändert. »Gestehe!« befahl Xaart. Koy verzog gequält das Gesicht und schüttelte den Kopf, dabei stöhnte er unter drückt. Abermals fuhr sich der Gordy über die Augen, denn das Flimmern hatte sich ver stärkt. Für die Dauer eines Herzschlags frag te er sich panikerfüllt, was er eigentlich sei. Aber das ging schnell vorüber – und wieder hielt der Gordy das für ein Resultat seiner überforderten Nerven. Ich darf mir nichts anmerken lassen! dachte er. Wenn die Herren der FESTUNG glauben, ich sei nutzlos für sie geworden, lassen sie mich in die Wildnis jagen. »Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen«, sagte Koy. »Mein Kopf! Die Schmerzen werden unerträglich!« »Er will nicht und versucht, uns zu täu
Die vier Seelenlosen schen!« rief Spolko wütend. »Koy!« sagte Xaart mahnend. »Wenn du nicht endlich ein umfassendes Geständnis ablegst, werden wir Dagrissa einem Unge heuer vorwerfen.« Der Dello drehte an seinem ornamentalen Armband. Vor Jastall Gornd leuchtete eine bestimmte Signalfolge auf. Es handelte sich um eines der mit den Dellos abgesprochenen Signale und bedeutete, daß Gornd dafür sor gen sollte, daß eine Projektion des gefangen gehaltenen Monstrums in den Verhörraum geblendet werden sollte – und zwar sollte die Projektion das Ungeheuer nicht ruhend, sondern im Zustand höchster Wut zeigen. Gornd schaltete ein Funkgerät ein und sagte: »Lektrograf und Domestikenmeister zu mir!« Er merkte, daß seine Stimme ihm nicht recht gehorchte. Aber ihm wurde nicht be wußt, daß er die beiden Technos nicht zu sich hätte zitieren müssen – nicht für die Aufgabe, die er ihnen stellen wollte. Es hätte genügt, ihnen das über Funk mitzuteilen. Aber Gornds Geist war inzwischen so ver wirrt, daß er seine Handlungen für normal hielt. Nach einer Weile kamen die beiden Tech nos zu ihm. Lektrograf war ein großer korpulenter Mann, der wie viele Technos im Wachen Auge, statt einer zweiteiligen Lederrüstung eine Kombination trug. Aber für ihn hatte extra eine Sonderanfertigung in Aghmonth bestellt werden müssen. Domestikenmeister war äußerlich das ge naue Gegenteil des Elektronikspezialisten. Er war klein und dürr, und seine zweiteilige Lederrüstung war ihm viel zu weit. Hervor stechend an ihm war eigentlich nur das weit vorspringende fleischige Riechorgan. Man sah ihm nicht an, daß er eine geniale Bega bung dafür besaß, die Jungen wildlebender Tiere zu friedfertigen und zu nützlichen Haustieren zu erziehen. Die Aufgabe, die ihm diesmal gestellt worden war, fiel allerdings weit aus dem
33 Rahmen seiner Spezialisierung. Ja, im Grun de genommen widerte sie ihn an, denn es war eine Sache, normale Wildtiere zu dome stizieren und eine ganz andere, ein Unge heuer aus dem Norden der Nacht herauszu fangen und in dem Käfig zu betreuen, in das man es gesperrt hatte. Gornd blickte die beiden Technos an und fragte sich, ob sie heimlich an die Weinvor räte gegangen waren oder ob es an seinen Augen lag, daß sie schwankten. Er schob diese Überlegung aber rasch wieder beiseite und sagte: »Die Dellos wol len dem Gefangenen das Ungeheuer vorstel len. Sorgt dafür, daß es sich wild gebärdet und gebt mir Bescheid, wenn es soweit ist!« »Es gebärdet sich schon so wild genug, Gornd«, erwiderte Domestikenmeister. »Ich bin schon ganz krank vom Anblick dieser Bestie.« »Und ich vom Gebrüll«, sagte Lektrograf. »Mir ist ganz komisch im Kopf. Ich bitte darum, mich krankmelden zu dürfen.« »Ich bin selber krank«, erwiderte Gornd. »Tut, was ich euch befohlen habe. Los, jetzt!« Die beiden Technos trollten sich. An der Tür stießen sie zusammen und brauchten ei nige Zeit, um sich darauf zu einigen, wer zu erst hindurchgehen sollte. »Verrückt!« sagte Gornd. Er fühlte sich plötzlich etwas besser, und die Dellos, Technos, der Jäger und seine Mutter auf den Monitorschirmen wirkten nicht mehr verschwommen. Aber die beiden Technos, die Dagrissa festhielten, schienen plötzlich große Mühe zu haben, die alte Frau, die doch bestimmt nicht viel wog, zu halten. »Etwas stimmt hier nicht«, bemerkte der Gordy nachdenklich.
* Wenige Minuten später meldeten sich Lektrograf und Domestikenmeister über Funk. Ihre Gesichter wirkten kalkig; die Pu pillen hatten sich so verengt, daß sie kaum
34 noch zu sehen waren. »Wir jagen das Vieh jetzt hoch!« rief Do mestikenmeister. »Die Dellos werden sich freuen, wenn sie sehen, wie es herumtobt«, ergänzte Lektro graf. »Schaltet die Projektion zuerst auf mein Kontrollgitter!« befahl Gornd hastig. »Ich sage euch dann, wenn ihr das Projektionsgit ter im Verhörraum direkt beschicken sollt!« »Ja, ja!« erwiderte Lektrograf. »Hoho!« schrie Domestikenmeister. »Habt ihr Wein getrunken?« fragte Gornd besorgt. Doch er bekam keine Antwort. Rasch schaltete er in die Sicherheitsabtei lung der Zentralstation um. Dort befand sich ständig eine Gruppe von dreißig schwerbe waffneten Technos in Bereitschaft, um je derzeit eingreifen zu können, wenn dem Wachen Auge irgendwelche Gefahren droh ten. Die Bildverbindung kam sofort zustande, aber es fand sich niemand, der eine vernünf tige Meldung abgab. Auf dem Bildschirm sah Gornd Wächter, die sich gegenseitig be schimpften, andere, die ihre Waffen zerleg ten und reinigten und wieder andere, die mit Messern und Farbstiften die Plastikplatte ei nes großen Tisches bearbeiten und offenbar eine Karte das Areals des Wachen Auges herzustellen versuchten. »Ich verlange eine Meldung!« schrie Gornd ins Mikrophon. »Ist denn dort ein Tollhaus! Alarm, Alarm!« Erschüttert sackten seine Schultern herab, als niemand darauf reagierte. Er begriff überhaupt nichts mehr. Das hatte es im Wa chen Auge noch nie gegeben. Er mußte eine Alarmstufe ausrufen, aber er konnte sich nicht dafür entscheiden, wel che. Und schließlich unterließ er es ganz, weil in diesem Augenblick über dem Projek tionsgitter schräg rechts von ihm die täu schend echt wirkende dreidimensionale und farbige Projektion des Stationssektors er schien, in dem sich der Käfig mit dem Un geheuer befand. Gornd zuckte unwillkürlich zusammen,
H. G. Ewers als er das Monstrum erblickte – beziehungs weise dessen Projektion. Es sah aus wie ein überdimensionaler Pthorer, war rund drei Meter hoch, mit zwei Meter breiten Schul tern, flammendroten Fellbüscheln am gan zen Körper und einer Art Hahnenkamm auf dem Kopf. Das Gesicht wirkte wie eine Dä monenfratze, und die fingerlangen Reißzäh ne sahen erschreckend aus – genauso er schreckend wie das einzige riesige Auge in der Stirnmitte und die klauenartigen, mit scharfen Krallen bewehrten Pranken. Gornd hatte ein solches Ungeheuer noch nie gesehen – und er hätte niemals geglaubt, daß ein Angehöriger der Horden der Nacht eine derartig unglaubliche Wildheit ent wickeln konnte. Das Monstrum tobte so rasend in seinem Käfig herum, daß die armdicken Gitterstäbe teilweise verbogen und mit seinem eigenen Blut befleckt wurden. Der Gordy wunderte sich allerdings nicht mehr darüber, als er das Starkstromkabel sah, das Lektrograf an den stählernen Käfig boden angeschlossen hatte. Deshalb also qualmten die Fußsohlen des Ungeheuers! »Das ist zuviel!« schrie Jastall Gornd er zürnt. »Fort damit, Lektrograf und Domesti kenmeister!« Die Gestalten der beiden Technos wank ten in Gornds Blickfeld. Die Augen des Gordys weiteten sich in namenlosem Entset zen, als er sah, daß Lektrograf und Domesti kenmeister nicht das Kabel entfernten, son dern mit schweren Hämmern die Bolzen herausschlugen, die die Sperrstangen der Käfigtür hielten. »Nicht das!« schrie Gornd. »Das Kabel!« »Das Kabel, Lektrograf!« lallte Domesti kenmeister. »Ich mache das hier allein fer tig.« Ungerührt schlug Domestikenmeister den letzten Bolzen heraus, obwohl Gornd schrie und tobte. Lektrograf ging unterdessen zu dem Starkstromkabel, löste mit bloßen Hän den den Knoten, mit dem die bloßliegenden Stromleiterenden in einer Öse des Käfigbo dens befestigt waren – und wurde dabei in
Die vier Seelenlosen eine strahlende Aura gehüllt. Anschließend warf er das Kabel mit den freigelegten Stromleitern nach der Bestie. Er verfehlte sie mehrmals, aber dann traf er genau in den aufgerissenen Rachen. Mit einem Gebrüll, das alle Wände der Zentralstation erschütterte, sprang das Unge heuer quer durch seinen Käfig, prallte gegen die Gittertür und flog mit ihr noch einige Meter weiter. Domestikenmeister starb, den Hammer noch in beiden Händen und im Gesicht den Ausdruck völligen Nichtbegreifens. Lektro graf hatte etwas länger Zeit. Es reichte gera de dazu aus, ihn begreifen zu lassen, daß er und sein Gefährte eine Dummheit angerich tet hatten. Er versuchte, sich mit dem blanken Stromkabelende gegen die wütende Bestie zu wehren, aber das Ungeheuer war schnel ler als er und hatte dreimal so lange Arme. Sekunden später lebte auch Lektrograf nicht mehr – und das funkensprühende Kabel war in einen Abfluß gerutscht und setzte sämtli che Abwässer der Zentralstation und da durch auch alle Wände, die von den Abwäs sern durchflossen wurden, unter Starkstrom. Das Ungeheuer aber verließ den Käfigsektor und tobte durch Korridore und Hallen. Gornd sah vor sich eine Signalfolge auf leuchten. Die Dellos wurden ungeduldig und forderten die Projektion des Ungeheuers nachdrücklicher an. Sie hatten demnach von der Katastrophe noch nichts bemerkt. Jastall Gornd geriet in Panik. Er wagte nicht, den Dellos mitzuteilen, daß das Unge heuer ausgebrochen war und durch die Stati on tobte. Andererseits mußte er irgend etwas unternehmen, um das Schlimmste abzuwen den. Er brauchte eine Lähmwaffe. Die Be stie besaß ein Nervensystem, folglich konnte sie auch gelähmt werden. Gornd ließ sein Kontrollpult Kontrollpult sein und eilte davon, um sich in der nächsten Waffenkammer mit einem Waggu auszurü sten. Er war verzweifelt genug, um dem Un geheuer notfalls allein gegenüberzutreten.
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* Koy der Trommler wußte nicht, was in ihm und um ihn herum vorging. Der Druck in seinem Kopf hatte etwas nachgelassen; dafür aber hatte er das Gefühl, als strömten Energien aus ihm heraus und bauten eine unsichtbare Aura um ihn auf. Hin und wieder schnappte er ein paar Worte der Dellos auf. Seine Häscher schie nen sich über etwas zu ärgern. Dann wieder stellte er verwundert fest, daß die beiden Technos, die seine Mutter hielten, sich so umschauten, als wüßten sie nicht mehr, wo sie sich befanden. Plötzlich zitterte der Boden, auf dem Koy stand. Gleichzeitig drang dumpfes Gebrüll an seine Ohren. Der erfahrene Jäger hatte schon viele Kreaturen Pthors brüllen hören und konnte bei den meisten Arten sagen, was ihr Gebrüll ausdrückte. Dieses dumpfe Brüllen kam von einer Kreatur, die er nicht kannte, dennoch glaubte er, aus ihm die Äu ßerung eines bis aufs Blut gepeinigten We sens herauszuhören. Seine Sinne wurden mit einemmal wieder hellwach. Er schaute sich um und sah, daß die vier Dellos sich fragend ansahen. Die beiden Technos, die seine Mutter hielten, schwankten und stierten mit gläsern wirken den Augen in die Luft. Dagrissa aber schien sich erholt und neue Kräfte gesammelt zu haben. Sie hob den Kopf und blickte ihren Sohn mit einem kaum merklichen Lächeln in den Augen an. Die Erkenntnis, was mit ihm und dadurch um ihn herum geschehen war, traf Koy bei nahe wie ein Schlag. Er begriff, daß sich durch die Blockierung seiner erschlafften Broins die psionische Energie in ihm gestaut hatte – und vor allem, daß sie sich, als der Druck zu stark wurde, nach außen entladen und die Gehirne anderer Lebewesen beein flußt hatten. Die Gehirne der Technos schienen nega tiv davon betroffen zu werden, während die Dellos wahrscheinlich überhaupt keine Wir
36 kung spürten. Auf das Gehirn seiner Mutter schien diese psionische Aura jedoch einen positiven Einfluß auszuüben und ihre psy chischen und sogar physischen Energien zu verstärken. Koy überlegte, wie weit seine psionische Aura reichte. Wenn sie alle Technos und vielleicht auch die Gordys innerhalb der Zentralstation erfaßte, konnte das eine ziem liche Verwirrung hervorrufen – und viel leicht ergab sich dadurch eine Gelegenheit, mit seiner Mutter zu fliehen. »Ich möchte wissen, wo die Projektion bleibt«, sagte Pjut. Xaart drehte an seinem ornamentalen Armband, dann blickte er auf den Boden zwischen Koy und Dagrissa. Offenbar be fand sich darunter ein Projektionsgitter. Koy vermutete, daß dort die Projektion des Un geheuers aufgebaut werden sollte, mit dem Xaart gedroht hatte. Der Jäger lächelte seiner Mutter aufmun ternd zu – und sie erwiderte das Lächeln. Wußte sie etwa, was geschah? Aber natürlich! durchfuhr es Koy. Sie ist meine Mutter. Ein Teil meiner Begabung muß latent in ihr vorhanden sein. Also spürt sie zumindest, was von mir ausgeht. »Dieser Gornd ist faul und unzuverläs sig«, erklärte Pjut. »Die Rüge, die die Her ren der FESTUNG ihm erteilten, hat nichts genützt.« »Geht zu ihm, Pjut und Spolko!« ordnete Xaart an. »Klopft ihm gehörig auf die Fin ger!« Spolko und Pjut verließen den Verhör raum. Kurz darauf flackerte das blaue Licht in den Deckenöffnungen, dann wurde es gelb. Auf dem Stahlboden unter Koys Füßen knisterten Funken, die aus den haarfeinen Rillen zu kriechen schienen. Der Jäger wich unwillkürlich zurück – und stellte fest, daß seine Füße nicht mehr an den Boden gefes selt waren. Sofort blieb er wieder stehen und schaute zu den beiden Dellos. Aber sie hatten nichts gemerkt, denn sie diskutierten leise mitein ander.
H. G. Ewers Von irgendwoher kamen dünne Schreie, dazwischen ein dumpfes Brüllen. Leichte Erschütterungen durchliefen den Boden. Xaart und Drove gingen beunruhigt zur Tür. Sie hatten sie gerade geöffnet, als mit einem mörderischen Kreischen die Stahl wand zerriß, an der die beiden Dellos eben noch gestanden hatten und vor der ihre Waf fen und Schutzschirmprojektoren lagen. Eine riesige Pranke erschien und zerfetzte mit mächtigen Krallen einen weiteren Teil der Wand, dann zwängte sich ein breiter runder Tierschädel durch die Öffnung. Das »Gesicht« hatte entfernte Ähnlichkeit mit dem eines Pthorers, aber die platte Nase und die mächtigen Reißzähne in dem großen dampfenden Maul bewiesen, daß es einer Bestie aus den Horden der Nacht gehörte. Mehreres geschah zur gleichen Zeit: Xaart und Drove wirbelten herum, sahen den Schädel des Monstrums und setzten da zu an, zu ihren Waffen zu stürzen und den Kampf aufzunehmen. Das Ungeheuer riß mit seinen Krallen die Stahlwand völlig aus einander, zwängte sich hindurch und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Koy sprang zu seiner Mutter. Die beiden Technos standen mit schlotternden Gliedern im Raum, unfähig dazu, fortzulaufen. Die Bestie beachtete weder Dagrissa noch die beiden Technos noch Koy. Es schleuder te die Ausrüstung der Dellos beiseite und stürzte sich auf die weißhäutigen Androiden. Xaart und Drove bewiesen ihr ausgezeichne tes Reaktionsvermögen, indem sie sich auf den Stiefelsohlen um hundertachtzig Grad drehten, mit kraftvollen Hechtsprüngen durch die offene Tür schnellten und draußen nach verschiedenen Richtungen davonrann ten. Koy hatte bereits seine Mutter auf die Ar me genommen, als er sah, daß eine der Lähmwaffen der Dellos ihm genau vor die Füße geschlittert war. Er bückte sich noch einmal, hob sie auf und eilte dann hinter dem Ungeheuer her, daß draußen brüllend durch die Gänge tobte. Der Weg nach draußen erwies sich als
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schwierig und gefahrvoll, denn die tobende Bestie hielt sich nicht an eine bestimmte Richtung, sondern jagte Technos, Gordys und Dellos kreuz und quer durch die Zen tralstation. Dabei tauchte sie auch mehrmals im Weg Koys auf, so daß der Jäger gezwun gen war, blitzschnell in einen Raum zu flüchten oder umzukehren. Er verzichtete darauf, seine erbeutete Lähmwaffe gegen die Bestie einzusetzen, denn er wußte, daß er nur dann eine geringe Chance hatte, aus dem Wachen Auge zu ent kommen und seine Mutter in Sicherheit zu bringen, wenn das Ungeheuer noch recht lange für Verwirrung und Panik in der Stati on sorgte. Doch endlich hatte er es geschafft. Draußen war heller Tag. Er mußte also ei ne ganze Nacht lang im Verhörraum gewe sen sein. So lange war es ihm nicht vorge kommen. Er blickte sich um und stellte fest, wo die Himmelsrichtungen lagen. Seine Absicht war, sich nach Nordosten abzusetzen und ir gendwo in den Dschungeln zu beiden Seiten des Flusses Xamyhr unterzutauchen. Der Marsch nach Norden zur Eisküste verbot sich unter den gegebenen Umständen von selbst. Er hätte mehrere Tage lang über frei es Gelände wandern müssen und wäre schon bald von den Ortungsgeräten der Station ge funden worden. Für einen Augenblick lauschte er dem Ge schrei und Gepolter, das aus dem Portal der Zentralstation drang, dann preßte er die Lip pen zusammen und setzte sich nach Nord osten ab.
8. Nach anderthalb Stunden war Koy so gut wie am Ende. Das Verhör und die Flucht mit seiner Mutter auf den Armen hatten ihn förmlich ausgelaugt. Er war gezwungen, wenigstens eine kurze Rast einzulegen. Neben einem Baum sank er langsam in die Knie, legte seine Mutter sanft ins Gras, stützte sich mit den Händen ab und
versuchte, ruhiger zu atmen. »Koy?« flüsterte seine Mutter. »Ja?« fragte der Jäger. Zu mehr fehlte ihm die Luft. »Du bist ein lieber Junge, Koy«, flüsterte Dagrissa. »Ich bin sehr stolz auf dich – und ich bin froh, daß ich dich noch einmal sehen durfte.« Sie schwieg eine Weile, da sie mit ihren schwachen Kräften sparsam umgehen mußte, dann fuhr sie fort: »Damit ist mein letzter Wunsch in Erfüllung gegangen, Koy, und ich werde zufrieden sterben, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Bitte, laß mich hier liegen und fliehe allein weiter. Nur dann ent kommst du deinen Häschern.« »Nein!« stieß Koy hervor. »Ich lasse dich nicht allein, Mutter. Bald werden wir das Wache Auge verlassen haben, dann tauchen wir in den Dschungeln des Regenflusses un ter. Ich kenne mich in der Wildnis aus und kann dafür sorgen, daß wir keine Not lei den.« »Mit mir kommst du nicht weit, Koy«, sagte Dagrissa mit matter, flehender Stim me. Koy setzte sich und wischte sich den Schweiß aus den Augen. Ohne dich käme ich auch nicht weit! dachte er, als er den Zugor sah, der von der schimmernden Stahlkuppel der Zentralstati on aus gemächlich weitere Kreise zog. Die Dellos haben das Ungeheuer gelähmt oder getötet, und sie wissen, daß sie sich nicht zu beeilen brauchen, um meine Spur zu ent decken und mich einzuholen. Ich hätte ver suchen sollen, ihren Zugor zu finden. Als es in einem Gebüsch nicht weit von dem Baum raschelte, griff der Jäger zu sei ner Beutewaffe. Er ließ den Waggu sinken, als er den Pfister erblickte, der sich durch das Gestrüpp arbeitete und ihn mit seinen kleinen Augen anstrahlte. »Gauzor!« rief er fassungslos. »Wie kommst du hierher?« Der Pfister tappte auf seinen breiten Fü ßen näher, beugte sich über Dagrissa und ne stelte eine Wasserflasche von dem Riemen, der über seiner Schulter hing. Behutsam leg
38 te er eine breite schwarze Hand unter den Hinterkopf der Frau, hob den Kopf ebenso behutsam an und flößte Dagrissa ein paar Schlucke Wasser ein. Danach reichte er die Flasche an Koy weiter und erklärte: »Amshun hat Peynch und mich losge schickt, um dich zu suchen, als er erfuhr, daß die Herren der FESTUNG nach dir fahndeten. Wir kamen zufällig ins Gebiet des Wachen Auges und erfuhren ebenso zu fällig von einem Techno, daß du und deine Mutter von vier Dellos in die Zentralstation verschleppt worden wart. Wir konnten leider nichts tun, um euch dort herauszuholen. Aber wir beschlossen, zu warten und das Gelände zu beobachten, um helfen zu können, wenn euch die Flucht gelingen sollte.« »Wie wollt ihr uns schon helfen, Gau zor?« fragte Koy. Als er das betrübte Ge sicht des Pfisters sah, fuhr er beschwichti gend fort: »Ihr seit gewiß sehr tüchtig und auch sehr mutig, Gauzor, aber es wird nicht lange dauern, bis die Dellos mit ihrem Zugor auch in diese Gegend kommen und uns ent decken.« »Wir haben ein gutes Versteck«, erklärte Gauzor. »Auf einem Peilturm befindet sich in der alten Antennenschale ein großes ver lassenes Nest. Dort werden wir Dagrissa und dich verstecken.« Koy überlegte. »Es hätte keinen Sinn«, sagte er schließ lich. »Die Dellos können sich ausrechnen, daß wir das Gelände des Wachen Auges noch nicht verlassen haben. Also werden sie sämtliche verfügbaren Technos veranlassen, jeden Fußbreit des Geländes abzusuchen und vor allem alles genau zu untersuchen, das als Versteck dienen könnte. Aber meine Mutter darf nicht noch einmal in ihre Hände fallen. Ich bitte dich deshalb, Gauzor, gemeinsam mit Peynch meine Mut ter zum Xamyhr zu bringen. Ihr könnt dort ein Floß bauen und euch bis zum Delta der Mündung treiben lassen. Seht zu, daß ihr den südlichsten Arm des Deltas benutzt,
H. G. Ewers sonst geratet ihr in Sumpfgelände. Wie ihr danach weiterkommt, überlasse ich eurer Findigkeit. Ich weiß aber, daß es in der Bergwildnis an der Küste kleine Gruppen entflohener Sklaven gibt, die hin und wieder in die Verpflegungslager der Steinbrüche eindringen und sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Sie werden euch weiterhelfen, wenn sie erfahren, welches Schicksal die Herren der FESTUNG meiner Mutter berei tet haben.« Er holte tief Luft. »Ich werde die Aufmerksamkeit der Del los auf mich lenken, so daß ihr wahrschein lich unentdeckt entkommen könnt«, flüsterte er in Gauzors Ohr, so daß Dagrissa es nicht hörte, »kümmert euch nicht um mich! Und richtet Amshun Grüße von mir aus und sagt ihm, daß ich unbeirrt meinen Weg gehe, der nicht mehr der Weg der Herren der FE STUNG ist!« »Man wird dich wieder einfangen und vielleicht töten«, flüsterte Gauzor betrübt zurück. »Und wenn schon!« sagte Koy leise. »Selbst wenn ich meinen Häschern entkom me, wird der Tod künftig mein Begleiter sein, solange die Herren der FESTUNG über Pthor herrschen.« Er lächelte, als er sah, daß Peynch ebenfalls hinter dem Gebüsch auf tauchte. »Ich danke euch, Gauzor!« Er beugte sich über seine Mutter und sag te: »Du bist unter guten Freunden, Mutter. Gauzor und Peynch bringen dich in Sicher heit, während ich nach einer anderen Rich tung fliehe. So haben wir beide eine gute Chance zu entkommen – und die Pfisters und ihre Freunde werden dich gesundpfle gen. Auf Wiedersehen, Mutter!« Dagrissa lächelte matt. »Ich sagte vorhin schon, du bist ein guter Junge, Koy. Wenn meine Seele in die viel fach verwobenen magischen Kräfte eingeht, die Pthor durchdringen, wird auch mein Wunsch darin eingehen, daß deine Wege stets unter dem Schutz der guten Magie ste hen mögen. Lebewohl und viel Glück,
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Koy!« Der Jäger ergriff ihre Hände und wandte sich ab, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Er wußte, daß er sie nie lebend wie dersehen würde. Er konnte nur hoffen, daß sie nicht noch einmal in die Gewalt der Del los geriet und daß ihr ein friedlicher Tod be schieden sein würde. Dann küßte er sie auf die Stirn, ließ ihre Hände los, nahm die Lähmwaffe in die Hand und lief nach Nordwesten. Nach etwa fünf hundert Metern blieb er stehen und blickte sich um. Er sah, daß die beiden Pfisters ebenfalls schon etwa fünfhundert Meter weit vom Rastplatz entfernt waren. Sie trugen seine Mutter zwischen sich und kamen zügig vor an. Koy holte tief Luft, wandte sich wieder um und setzte seinen Weg mit grimmiger Entschlossenheit fort.
* Am Rand eines kleinen Areals, auf dem ausschließlich halbverfallene Anlagen stan den, hielt Koy an. Er sah sich die Anlagen genau an. Zwi schen ihnen wucherten dornige Sträucher und wuchsen Bäume mit schirmförmigen dichten Kronen. Sicher gab es auch einige Verstecke unter dem Boden. Koy entschloß sich, diesen Ort als Schauplatz eines Kamp fes zu wählen, der nur den Sinn hatte, die Dellos lange genug irrezuführen, damit die beiden Pfisters seine Mutter in Sicherheit bringen konnten. Der Zugor mit den Dellos zog inzwischen Kreise, die ihn bis dicht an die Ansammlung alter Anlagen heranbrachte. Zur Zeit befand er sich auf der entgegengesetzten Seite des Wachen Auges, aber er würde bald wieder hier sein. Das war auch nötig, denn inzwischen stie gen bei der Zentralstation zahlreiche mit Technos besetzte Schwebeplattformen – ähnlich seiner Vegla – auf. Sie durften erst gar nicht so weit nach Nordosten kommen,
um in die Nähe der Fliehenden zu geraten. Als Koy den Zugor mit den Dellos heran fliegen sah, erkannte er, daß er diesmal den südlichen Rand des »Jagdreviers« überflie gen würde, wie der Jäger das kleine Gebiet inzwischen bezeichnet hatte. Er eilte in einen Antennenturm, hangelte sich an den Geländer, das allein von der Treppe übrigge blieben war, hinauf und steckte oben seinen Kopf durch die Öffnung. Der Zugor schwebte aus zirka dreihundert Metern Entfernung heran und würde den Turm, in dem Koy steckte, genau überflie gen – und zwar in etwa zweihundert Metern Höhe. Der Jäger lächelte kalt, kroch ein Stück zurück, stemmte seine Füße auf das wackli ge Geländer und schob den zylindrischen Lauf der Lähmwaffe mit der eigenwillig ge formten Mündung durch das Loch. Er war sicher, daß man vom Zugor aus weder ihn noch den Waggulauf sehen konnte. Er dage gen erkannte drei Delloköpfe, die sich über die wulstige Bordwand beugten und aus ih ren Glotzaugen herabstarrten. Als der Zugor fast genau über ihm war, drückte der Jäger ab. Einer der herabspähen den Dellos schnellte hoch und fiel dann in den Zugor zurück. Die anderen beiden Köp fe verschwanden blitzschnell, so daß Koy keinen weiteren Treffer erzielen konnte. Aber der Pilot beging einen folgenschwe ren Fehler. Er reagierte ebenfalls blitzartig, aber taktisch falsch. Er riß den Zugor zuerst mit Hilfe der nach unten gerichteten Lenk düsen hoch und beschleunigte erst danach. Dadurch wurde das Heck nach vorn ge drückt, und der Bug ging noch steiler nach oben. Ohne lange zu überlegen, feuerte Koy sei ne Waffe auf den Piloten ab, der ungeschützt auf dem Podest vor der Steuersäule stand. Der Dello sackte zusammen und wäre aus dem Zugor gefallen, wenn ihn die An schnallgurte nicht festgehalten hätten. Die übrigen drei Dellos, von denen einer gelähmt war und von seinen Artgenossen festgehalten wurde, boten sich Koy als Ziel
40 scheibe dar, so daß er bereits hoffte, sie alle ein für allemal aus dem Spiel bringen zu können. Doch der Pilot mußte in dem Augenblick, in dem er vom Lähmstrahl getroffen wurde, noch mit letzter Kraft den Notlandehebel herabgezerrt haben. Jedenfalls schmierte der Fluggleiter nach Backbord ab, während er gleichzeitig den Bug senkte und beinahe zu schnell sank. Koys letzter Schuß traf nur die Bordwand, dann hörte der Jäger die krachenden und berstenden Geräuschen, mit denen das schwere Fahrzeug durch dichtes Strauch werk brach. Im nächsten Moment schlug der Rumpf irgendwo in der Nähe auf festen Boden. Die Erschütterung pflanzte sich fort und erreichte auch den Antennenturm des Jägers. Koy spürte, wie unter seinen Füßen das Ge länder den letzten Halt verlor. Er warf den Waggu auf die Turmplattform und konnte sich gerade noch mit den Händen am Rand des Ausstiegslochs festhalten, bevor das Ge länder endgültig zusammenbrach. Verwünschungen ausstoßend, zog Koy sich mühsam auf die Plattform hinauf. Um ein Haar hätte er alle vier Dellos ausgeschal tet, und er war sicher, daß er danach den Technos entkommen wäre. Aber statt dessen lag er auf einem Turm, der nur noch ein leeres Gehäuse war und zerbrach sich den Kopf darüber, wie er hin abkam, ohne sich dabei alle Knochen zu bre chen. Er blickte zu dem Antennengerippe über sich hinauf und verwarf den Gedanken, sich dort verstecken zu wollen, sofort wieder. Die sattelförmig geschwungene Kunststoff verkleidung über dem Stahlgerippe hatte sich größtenteils gelöst und lag nur noch locker auf. Außerdem fehlten große Stücke davon, so daß es darunter nicht so dunkel war, daß er sich den Blicken seiner Verfol ger entziehen konnte. Der Jäger kroch bis zum Rand der Turm plattform und spähte hinab. Noch regte sich nichts bei dem notgelandeten Zugor. Aber
H. G. Ewers von allen Seiten kamen jetzt Technos auf Schwebeplattformen zum Jagdrevier. Nun, wenigstens war es ihm gelungen, die Aufmerksamkeit der Dellos und aller Tech nos und Gordys ausschließlich auf sich zu lenken. Bestimmt dachten seine Gegner, daß seine Mutter noch bei ihm war. Koy entschloß sich, das Risiko einzuge hen und sich den vorstehenden Steinkanten der Turmwandung anzuvertrauen. Zirka fünf Meter tiefer konnte er sich zusätzlich an den Schlingpflanzen festhalten, die zwar auch bis zur Plattform reichten, aber oben zu schwach waren, um ihm einen Halt zu bie ten. Er klemmte sich den Waggu hinter den Gürtel und begann mit dem Abstieg.
* Koy schaffte rund drei Meter, dann bröckelte die Steinkante, auf der er vorüber gehend mit beiden Fußspitzen stand, ab. Der Jäger verlor die Nerven nicht. Er spreizte Arme und Beine und achtete darauf, daß sein Schwerpunkt sich nicht nach außen verlagerte, während an dem Mauerwerk und den Pflanzen herabsauste. Immer wieder konnten seine Hände sich an Pflanzenteilen festhalten, und obwohl die Pflanzen jedes mal nachgaben, bremste er seinen Sturz doch etwas ab. Aber er schrammte auch mit den Unterarmen, den Beinen und dem Bauch über weitere vorspringende Mauer kanten und hatte das Gefühl, völlig zer schrammt zu werden. Aber schließlich vermochte er Pflanzen teile zu fassen, die kräftiger waren und sein Gewicht trugen. Gleichzeitig fanden auch seine Füße Halt im Pflanzengewirr. Koy verschnaufte einen Moment, dann hangelte er so schnell wie möglich hinab, denn er hörte, daß die ersten Technos in der Anlage gelandet waren und sich durch Zurufe ver ständigten. Als der Jäger den Boden erreichte, legte er sich hin, preßte ein Ohr auf den Boden und lauschte auf die Erschütterungen, die
Die vier Seelenlosen von den Füßen seiner Verfolger hervorgeru fen wurden. Sie kamen aus drei Richtungen und bewegten sich keineswegs zielstrebig auf sein Versteck zu. Koy schloß daraus, daß die Technos noch nicht wußten, wo er steckte. Aber die beiden nicht gelähmten Dellos mußten wissen, von wo aus sie be schossen worden waren. Oder hatten sie beim harten Aufprall das Bewußtsein verloren? Koy entschied sich dafür, zwischen den Technos hindurchzuschleichen und zu ver suchen, eine Schwebeplattform zu erbeuten. Er griff in den feuchten Boden und schmier te sich das Gesicht voll Schlamm, damit es nicht im Halbdunkel des dschungelartigen Bewuchses durch seine Helligkeit auffiel. Dann schlich er gebückt von einem Baum zum anderen, die Lähmwaffe schußbereit in der Armbeuge. Als er über ein unsichtbares Hindernis stolperte, verharrte der Jäger reglos. Er blickte auf den Boden, um zu sehen, woran sein rechter Fuß hängengeblieben war, sah aber nichts. Erst als er mit den Händen den Boden abtastete, bekam er einen spinnweb dünnen, aber unzerreißbaren Draht zu fas sen. Stirnrunzelnd sah der Jäger sich um. Er war sicher, daß es sich bei dem Draht um einen Signaldraht handelte, aber es konnte einer sein, der vor vielen Jahren ge spannt worden war. Andernfalls hätte er in der Nähe die Fußabdrücke der Technos se hen müssen, die ihn gespannt hatten. Aber als er voraus eine Gestalt sah, die geduckt von einem Baum zum anderen eilte, wußte er Bescheid. Offenbar hatten die Technos den Signaldraht nicht auf konven tionelle Weise verlegt, sondern mit Spezial geräten überall im Dschungel verschossen – und nun wußten sie, wo er sich befand. Er wartete unbeweglich, denn er wußte, daß im Halbdunkel eines Dschungels erst Bewegungen verräterisch waren. Als der Techno, den er zuerst gesehen hatte, seine Deckung abermals verließ, um zum nächsten Baumstamm zu eilen, schoß Koy aus der
41 Armbeuge heraus. Der Techno sprang hoch, warf die Arme in die Luft, drehte sich halb um sich selbst und fiel dann steif auf den Waldboden. Koy lauschte, und als er nichts hörte, eilte er in die Richtung, aus der der Techno ge kommen war. Wenn seine Verfolger eine Suchkette gebildet hatten, dann war die Stel le, die der gelähmte Techno eingenommen hatte, vorerst die einzige Lücke darin, durch die ein Mann mit sehr viel Glück entkom men konnte. Als er den nächsten Verfolger erblickte, schoß er sofort – und merkte im nächsten Moment, daß er damit einen Fehler began gen hatte. Der Getroffene hatte offenbar in Sichtkontakt mit einem anderen Mann ge standen, denn der andere, für Koy noch un sichtbar, schrie seinen Gefährten eine War nung zu. Wenig später war der Dschungel von dem charakteristischen Summen von Lähmschüs sen erfüllt. Koy warf sich auf den Boden und robbte weiter. Wenn er einen Techno sah, schaltete er ihn durch einen Lähmschuß aus. Viele seiner Verfolger wurden außer dem durch das ungezielte Feuer ihrer Ge fährten getroffen. Koy rechnete sich infolge des Ungeschicks seiner Verfolger doch noch eine Chance aus, zu entkommen. Als er eine kleine Lichtung erreichte und darauf eine Schwebeplattform stehen sah, zögerte er deshalb keinen Augenblick. Er sprang auf und hetzte auf die Plattform zu, schwang sich darauf und packte die Steuer hebel. Aber die Plattform rührte sich nicht von der Stelle. Der Jäger erkannte, daß er auf einen Trick hereingefallen war. Er wollte von der Platt form springen, hörte ein höhnisches Lachen und merkte plötzlich, wie sich seine Mus keln unter dem Volltreffer aus einer Lähm waffe verkrampften. Er stürzte stocksteif zu Boden.
9.
42 Als er zu sich kam, lag er auf dem harten Metallboden des Verhörraums, den er schon kannte. Über sich erkannte er ein bleiches Gesicht mit zwei großen Glotzaugen. Ein Dello! dachte der Jäger mutlos. Dies mal habe ich endgültig verloren! Er ver suchte, sich zu bewegen und merkte, daß er mit Stahlkammern an den Boden gefesselt war. Bei einem Blick zur Seite sah er, daß die Stahlkammern lediglich durch Halbku geln aus Metall auf dem Boden gehalten wurde. Als Koy bemerkte, daß der Dello die Fla sche mit der bläulich schillernden Lösung aus einer Tasche seiner Kombination zog, spannte er seine Muskeln an und versuchte, die Metallgewichte an Armen und Beinen hochzureißen. Aber es gelang ihm nicht. »Die Wirkung der Lösung ist fast abge klungen«, sagte der Androide leise. »Xaart hat mich beauftragt, die Einpinselung zu er neuern, denn du könntest uns sonst gefähr lich werden.« »Ihr habt doch eure Schutzschirmprojek toren!« stieß Koy hervor. »Wie könnte ich euch dann gefährlich werden?« Der Dello lächelte – und plötzlich erkann te Koy in ihm Drove, jenen Androiden, der ihn als einziger der Dellos nicht brutal be handelt hatte. Neue Hoffnung durchzuckte ihn. »Du könntest beispielsweise die Decke über uns zum Einsturz bringen«, erklärte Drove. »Das würde uns zwar nicht töten, aber doch für einige Zeit handlungsunfähig machen. Allerdings hat sich herausgestellt, daß es sich negativ auf die Gordys, haupt sächlich aber auf die Technos, auswirkt, wenn deine psionische Energie nicht in die Broins abfließen und sich dort speichern kann. Dadurch ist es zu dem letzten Zwi schenfall gekommen, bei dem mehrere Technos getötet wurden.« »Das tut mir leid, aber die Verantwortung dafür fragt ihr Dellos allein, denn ihr habt den Energiestau und die folgende ungerich tete Abstrahlung hervorgerufen«, sagte der Jäger. »Und so wird es wieder kommen,
H. G. Ewers wenn ihr meine Broins ausschaltet.« »Ungerichtete psionische Energie beein flußt uns Dellos nicht«, erwiderte Drove – und Koy fragte sich, warum der Androide ihm überhaupt diese Erklärungen gab. »Wir haben deshalb rund um den Verhörraum Projektoren aufgestellt, die einen Schutz schirm gegen psionische Energien aufbauen. Feste Materie kann den Schutzschirm aller dings ungehindert durchdringen.« Koy begriff, daß Drove ihm sagen wollte, daß er ungehindert aus dem Verhörraum fliehen konnte. Allerdings würden sich die entsprechenden Voraussetzungen nicht erge ben, wenn seine Broins abermals behandelt würden. »Warum?« fragte Koy. Droves Glotzaugen drückten Traurigkeit aus. »Weil ich zuviel gesehen habe, Koy. Wir Androiden sind für die Herren der FE STUNG nichts weiter als organische Robo ter. Wir werden benützt, solange wir pro grammgemäß funktionieren. Wer aber selbst anfängt zu denken, der wird beseitigt. Und nicht nur das. Am Beispiel deiner Mutter ha be ich erkannt, daß Androiden sogar dann gequält werden, wenn sie nicht gegen die Regeln verstoßen haben. Lieber will ich sterben, als ein solches unwürdiges Leben weiterzuführen und andere Androiden zu quälen. Zögere nicht, deine Broins sofort einzusetzen, sobald sie sich aufrichten, Koy!« Koy war zutiefst erleichtert und dankbar. Er wußte, warum Drove ihn aufgefordert hatte, nicht zu zögern. Wenn die anderen drei Dellos sahen, daß seine Broins sich auf richteten, würden sie wissen, daß er ihnen wieder gefährlich werden konnte – und sie würden nicht zögern, ihn sofort zu töten. »Ich werde nicht zögern, Drove, aber du hast von mir nichts zu befürchten, denn für mich bist du durch deine Haltung wie ein Bruder geworden. Ich danke dir. Wir werden gemeinsam fliehen und gegen die Herren der FESTUNG kämpfen, von denen wir nur wissen, daß sie existieren, aber nicht, wie sie
Die vier Seelenlosen aussehen oder was sie eigentlich sind. Oder weißt du es?« »Ich weiß es nicht«, antwortete Drove. »Vielleicht habe ich sie schon einmal gese hen, aber die Herren der FESTUNG sorgen dafür, daß ihre Werkzeuge alle Erinnerun gen an das verlieren, was in der FESTUNG wirklich vorgeht.« Er hob lauschend den Kopf, dann flüsterte er: »Die anderen kommen!« Er öffnete die Flasche und strich mit ei nem Pinsel die Lösung sorgfältig über die Broins des Jägers, so daß seine Artgenossen es sehen konnten, als sie den Verhörraum betraten. Kurz darauf erschien Spolko im Blickfeld des Jägers. Er trat Koy mehrmals heftig ge gen die Rippen und sagte haßerfüllt: »Das ist dafür, daß du es wagtest, auf uns zu schießen, Verräter!« Koy entdeckte die große Schwellung an Spolkos Hinterkopf und sah, daß der linke Arm geschient war und in einer Binde hing. »Es tut mir leid, daß du nicht aus dem Zugor gefallen bist«, sagte er. »Dann wäre mit dir auch dein Haß gestorben. Eigentlich ist es seltsam, daß Androiden, die angeblich seelenlos sind, Haß und andere Gefühle empfinden können.« Spolko zog seinen Waggu aus dem Gür telhalfter, drehte ihn um und wollte das Griffstück auf Koys Gesicht schmettern. Aber Drove fiel ihm in den Arm und sagte: »Wir sollen ihn verhören. Hast du das vergessen? Wenn du ihn umbringst, ohne daß wir die Informationen aus ihm herausge holt haben, die die Herren der FESTUNG wissen wollen, können wir uns alle selbst tö ten.« Grollend schob Spolko seine Lähmwaffe wieder ins Halfter und trat zurück. »Drove, Pjut!« rief Xaart. »Zieht ihn in die Mitte der Halle und nehmt ihm die Fes seln ab!« Drove und Pjut gehorchten. Als Koy seiner Fesseln entledigt war, richtete er sich auf und probierte, ob er die
43 Füße heben konnte. Zu seiner Verwunde rung gelang es ihm. »Du würdest nicht weit kommen«, sagte Xaart und zog eine kurzstielige Bogenpeit sche aus einer Beintasche seiner Kombinati on. Als er sie mit einem kurzen Schlag auf rollte und die dünne Schnur knapp einen Schritt weit neben Koy durch die Luft pfiff, zuckte der Jäger unwillkürlich zusammen, denn seine Nervenenden vermittelten dem Bewußtsein den Eindruck brennenden Schmerzes. Koy merkte daran, daß die Peitschen schnur aus Fasern der Traumapflanze ge flochten war, einer Schlingpflanze, die nor malerweise nur bei unmittelbarer Berührung rein körperlichen Schmerz auslöste. Unter zog man die Fasern aber einem bestimmten Fermentierungsprozeß, emittierten sie eine schmerzauslösende Strahlung – und bei di rekter Berührung riefen sie sogar einen tota len psychischen Zusammenbruch hervor. Wahrhaftig eine teuflische Waffe! dachte Koy. Damit hat sich Xaart selbst zum ersten Opfer ernannt!
* »Wo hast du Dagrissa versteckt?« fragte Xaart, während seine behandschuhten Hän de die Peitschenschnur einrollten. »Dort, wo ihr sie niemals finden werdet«, antwortete der Jäger, um Zeit zu gewinnen. Er konnte sich nicht eher wehren, als bis sei ne Broins wieder funktionierten. »Wenn sie nicht gefunden wird, muß sie verschmachten«, meinte Pjut. »Wir könnten auch das Ungeheuer loslas sen, sobald es aus seiner Betäubung erwacht ist«, sagte Spolko. »Wenn wir und die Tech nos und Gordys in den Gebäuden bleiben, kann es uns nichts anhaben. Aber es ist sehr hungrig und wird nicht eher ruhen, als bis es im Gelände eine Beute aufgespürt hat.« Wahrscheinlich wird es dann die Spur der Pfisters wittern und ihnen folgen! dachte Koy. Laut sagte er: »Es ist verboten, Unge heuer aus den Horden der Nacht in anderen
44 Gebieten Pthors freizulassen. Die Herren der FESTUNG werden euch bestrafen, solltet ihr dagegen verstoßen.« »Wir könnten die Bestie mit dem Zugor verfolgen und sie abschießen, wenn sie ihre Aufgabe vollbracht hat«, meinte Xaart. »Solange wir sie unter Kontrolle halten, ver stoßen wir gegen kein Verbot.« Koy zwang sich zu einem höhnischen Lä cheln und erwiderte: »Dort, wo ich meine Mutter versteckt ha be, kommt dieses Ungestüm nicht hin.« »Ist Dagrissa in einem Kellerverlies?« fragte Drove. Der Jäger erkannte die Absicht des An droiden, mehr Zeit für ihn herauszuschin den, indem er nebensächliche Wortwechsel anfachte. »Es ist mehr als ein Kellerverlies«, sagte er, um die übrigen Dellos neugierig zu ma chen und damit zu weiteren Fragen zu ver anlassen. »Ich sagte schon, meine Mutter ist absolut sicher vor der Bestie – und auch ihr werdet Dagrissa nicht finden.« »Der Zugang ist demnach zu eng für das Ungeheuer?« fragte Xaart lauernd. »Aber die Bestie kann mit ihren Krallen sogar Stahlwände zerfetzen, wie du selbst gesehen hast.« »Nur dünne Stahlwände«, widersprach Koy. »Die Gitterstäbe seines Käfigs hat es nicht zerreißen können. Es wurde von zwei Technos freigelassen, wie ich Jastall Gornd über die Rundfunkanlage schreien hörte, als die Bestie sich innerhalb der Zentralstation austobte.« »Die Hexe versteckt sich in einem alten Turm!« rief Spolko. »Warum rufen wir nicht einfach die Herren der FESTUNG an und holen die Erlaubnis ein, die gesamte Sekti on, in der wir Koy einfingen, mit der Magie des Atoms zu vernichten?« »Weil die Herren der FESTUNG uns dann für zu dumm halten würden, unsere Aufgabe zu erfüllen«, wandte Drove ein. »Ich nehme an, daß Dagrissa von Koy in dieser Zentralstation versteckt wurde, bevor er floh.«
H. G. Ewers Koy bemühte sich, den Eindruck zu er wecken, als sei er über diese Vermutung zu tiefst erschrocken. »Ha!« rief Pjut. »Seht euch den Verräter an! Jetzt wissen wir, wo wir Dagrissa suchen müssen! Es gibt in der Zentralstation mehr als genug Räume, die seit langer Zeit nicht mehr benutzt werden.« »Nein!« sagte Pjut. »Es heißt, daß ich Koy durchschaut habe. Er will uns für dumm verkaufen. Wir ken nen schließlich sein Psychogramm und wis sen, daß er ein Androide ist, der sich eisern beherrschen kann. Er wäre vielleicht zusam mengezuckt, wenn wir das Versteck seiner Mutter erraten hätten, aber er hätte sich an schließend zusammengerissen, um sich nicht zu verraten.« Er rollte die TraumaPeitsche auseinander und ließ sie so dicht an Koys Kopf vorbei knallen, daß der Jäger vor übermächtigem Schmerz aufschrie und in die Knie sank. »Schluß mit den Wortplänkeleien, Koy!« schrie Xaart. »Wir brauchen Dagrissa nicht, um aus dir herauszuholen, was wir wissen wollen. Gestehe, daß du die Fremden von der Erde getroffen hast!« Koy versuchte, sich aufzurichten, brach aber wieder in die Knie. Er zitterte am gan zen Körper. Ihm war, als würde er abwech selnd mit kochendem Teer und Eiswasser übergossen. Verzweifelt fragte er sich, ob seine Broins unter diesen Umständen über haupt in absehbarer Zeit wieder funktionie ren würden. »Spiele uns nichts vor!« befahl Xaart. Koy hob mühsam den Kopf. Er sah die Dellos nur wie durch einen blutigen Schlei er. Offenbar waren die kleinen Blutgefäße rund um seine Augen geplatzt. Wie würde es ihm erst ergehen, wenn die Peitsche ihn traf? »Ich will gestehen«, stammelte er. Xaart verschränkte die Arme vor der Brust, ohne die Peitsche einzurollen. »Wo hast du die Fremden getroffen?« »In einer Gletscherhöhle am Nordhang des Schubath«, log Koy. »Also im TaambergMassiv«, erwiderte
Die vier Seelenlosen Xaart. »Wie sind die Fremden dorthin ge kommen und wie heißen sie?« »Sie kamen zu Fuß den Regenfluß auf wärts, dessen Quelle sich im Taamberg-Mas siv befindet«, antwortete Koy. »Ihre Namen sind Saamyhr und Prölkaht.« Er sah das tückische Aufblitzen in Xaarts Augen und wußte, daß es ein Fehler gewesen war, ein fach die Namen zweier Sagengestalten Pthors zu verwenden. Aber er hatte nicht ge ahnt, daß diese Sage, die man sich nur bei den Bewohnern der Großen Barriere von Oth erzählte, auch den Dellos bekannt war. Rasch versuchte er den Fehler auszubügeln, indem er hinzufügte: »Das sind allerdings nicht ihre richtigen Namen. Sie haben sie angenommen. Angeblich stammen sie aus einer alten pthorischen Sage.« Xaart kalt und arrogant wirkendes Gesicht verriet nicht, ob er die doppelte Lüge durch schaut hatte oder ob er glaubte, was der Jä ger sagte. »Was wollen die Fremden auf Pthor?« forschte der Dello weiter. »Sie wollen die Herren der FESTUNG besiegen«, erklärte Koy – und er war davon überzeugt, daß es sich tatsächlich so ver hielt. »Zwei Männer?« meinte Pjut abfällig. »Was für Waffen führten sie mit?« »Seltsame Waffen, die ich nicht kenne«, sagte Koy. »Sie verrieten mir nicht, wie sie wirken.« »Was wollten sie von dir?« fragte Xaart. »Sie haben mich nach den Verhältnissen auf Pthor befragt«, antwortete der Jäger. »Weiter nichts?« fragte Xaart. »Weiter nichts«, sagte Koy. »Du verschweigst uns etwas«, stellte Xaart fest. »Wenn die Fremden nur Informa tionen von dir wollten, warum hast du dich anschließend nicht sofort hierher begeben, um einen Unfall vorzutäuschen und bist statt dessen nach Norden gewandert?« Er beweg te ganz leicht die rechte Hand, und die Trau maPeitsche ringelte sich schlangengleich auf dem Metallboden. Der Jäger wußte, daß er in einer Sackgas
45 se steckte. Er wollte auf keinen Fall verra ten, daß er die Fremden an der Eisküste ver mutete, denn dann hätte er eine Treibjagd auf sie heraufbeschworen. Aber er fand auch keine andere glaubhafte Erklärung dafür, daß er sich nach Norden gewandt hatte. »Nun?« sagte Xaart drohend. In diesem Augenblick spürte der Jäger, wie seine Broins sich aufrichteten und wie die angestaute psionische Energie in sie floß. Er mußte nur noch wenige Sekunden durchhalten, dann konnte er zurückschlagen. »Ich sollte nach Moondrag gehen und die Katastrophenschaltung beseitigen, die sich dort befindet«, sagte Koy, während er Xaart fixierte und die kugelförmigen Enden der Broins gegeneinander schlugen. Er wußte, daß sich in Moondrag so eine Schaltung be fand. Sie war von den Herren der FE STUNG dort installiert worden, um einen Mißbrauch der dortigen technischen Anla gen durch Fremde zu verhindern. Die Broins schlugen inzwischen wie ra send gegeneinander. Xaart wollte etwas sa gen, aber er öffnete nur den Mund. Seine Hand mit der Trauma-Peitsche ruckte nach oben – und erstarrte in dieser Haltung. »Die Broins!« schrie Spolko und griff nach seinem Waggu. Drove sprang von der Seite auf Xaart zu, riß ihm den isolierten Peitschenstiel aus der Hand und ließ die Schnur neben Spolko auf den Boden knallen. Spolko schrie auf und taumelte zurück. Im gleichen Augenblick gab Xaart ein tier haftes Stöhnen von sich, preßte beide Hände gegen die Ohren – und zerplatzte plötzlich in unzählige Fragmente, die klirrend auf den Metallboden fielen. Spolko schien vorerst unfähig zu sein, auf Koy zu schießen. Deshalb nahm sich der Jä ger Pjut vor, der keine Waffe bei sich trug und sich mit bloßen Fäusten auf ihn stürzte. Da die Broins bereits in höchster Aktivität vibrierten und ihre psionische Energie nur noch auf ein Ziel ausgerichtet zu werden brauchte, um voll zu wirken, kam Pjut nicht einmal bis an Koy heran. Sein Körper zer
46 sprang mit lautem Knall gleich einer Porzel lanfigur, die von einem Schmiedehammer getroffen wird. Sofort wandte sich der Jäger zu Spolko herum. Der Androide hatte sich halbwegs von dem Schmerzanfall erholt und starrte wütend auf Drove, der allerdings nichts an deres tat, als zurückzustarren. Offenbar hatte Drove Hemmungen, einen anderen Dello zu töten. Aber auch bei Koy setzte eine Hemmung ein, da Spolko ihn nicht unmittelbar bedroh te. Erst als Spolko zum Gürtel griff und die Mikrobombe aus ihrer Magnethalterung zie hen wollte, deren Explosion zumindest den Verhörraum in eine Gluthölle verwandelt hätte, setzte der Jäger auch gegen ihn seine Kraft ein. Als es vorbei war, stand Koy mit hängen den Schultern da, bis Drove sagte: »Du mußt fort, Koy! Komm, ich weiß, wo der Zugor steht! Er ist beschädigt, aber bis zur Eisküste sollte er noch durchhalten.« Er lief voraus – und der Jäger folgte ihm, noch immer benommen von dem, was in der letzten Zeit alles geschehen war. Der Zugor stand in der Nähe des Haupt portals. Allerdings hätte Koy ihn allein nicht so bald gefunden, denn er befand sich in ei ner kleinen Werkstatthalle und sollte offen bar demnächst repariert werden. Drove blieb neben dem Zugor stehen. Koy schwang sich auf den Bordrand und blickte den Androiden auffordernd an. Dro ve schien zu zögern, doch dann trat ein ent schlossenes Funkeln in seine Augen. Er ver setzte dem Jäger einen Stoß, der ihn ins In nere des Zugors beförderte, drehte sich um und stürmte in die Zentralstation zurück. Koy rappelte sich auf. Als er sah, daß der Dello verschwunden war, begriff er. Drove wußte, daß ein so großes Objekt wie ein Zugor, der außerdem während des Fluges große Energiemengen emittierte, den Or tungs und Peilanlagen des Wachen Auges nicht entkommen konnte – und wenn er bis zur nächsten Küste floh. Sorgte aber jemand innerhalb der Zentral-
H. G. Ewers station für ausreichend Verwirrung, konnte er, Koy mit dem Zugor entkommen – vor ausgesetzt, er landete ihn so bald wie mög lich wieder und schaltete die Energiesyste me aus. Koy erkannte, daß er sofort starten mußte, wenn das Opfer, das Drove zu bringen bereit war, einen Sinn bekommen sollte. Er stellte sich auf den Instrumentenwür fel, schnallte sich an und ließ den Gleiter einen Meter hoch steigen. Danach beschleu nigte er in Vorwärtsrichtung. Der Zugor schwebte aus der Werkstatthal le, stieg abermals ein Stück und jagte dann, zwischen den zahlreichen Bauwerken kur vend, im Tiefflug über das Areal des Wa chen Auges nach Norden.
10. Drove wußte, daß er in den sicheren Tod lief. Aber er wußte auch, daß Koys Flucht nur von kurzer Dauer sein würde, wenn er sich nicht opferte. Und er wollte um jeden Preis, daß Koy entkam und die Fremden traf, die nur gekommen sein konnten, um die Herrschaft der Herren der FESTUNG zu brechen. Zwei Technos, die ihm kurz hinter dem Hauptportal begegneten, setzte er kurzer hand mit der TraumaPeitsche außer Gefecht. Ebenso ging es allen anderen Technos und Gordys, die ihm auf dem Wege zum Verhör raum begegneten. Drove hetzte durch die Korridore, denn er mußte erst in die Verhörhalle, bevor er die Schaltzentrale der Station selbst angreifen konnte. Gegen die schwerbewaffneten Gordys, die dort Dienst taten, hätte er mit der Trauma-Peitsche und seinem Waggu nicht sehr viel ausgerichtet. Er brauchte schwerere Waffen und vor allem einen Schutzschirmprojektor. Nachdem er einen Detonator an sich ge rafft und einen Schutzschirmprojektor an seinem Schulterkreuzgurt befestigt hatte, fuhr er mit dem Lift zur Schaltzentrale hin auf. Inzwischen hatten die Gordys und
Die vier Seelenlosen Technos offenbar Koys Flucht bemerkt be ziehungsweise den fliehenden Zugor gese hen und den richtigen Schluß daraus gezo gen, denn die Korridore und Hallen füllten sich mit dem entnervenden Heulen der Alarmsirenen. Bevor Drove die Schaltzentrale betrat, ak tivierte er seinen Schutzschirmprojektor, dann öffnete er das Schott und trat ein. Er sah, daß mehrere Gordys Schaltungen vor nahmen – und auf einem Bildschirm erkann te er den Zugor, der im Tiefflug und in Schlangenlinien zwischen den Bauten des Wachen Auges nach Norden jagte. Ein Gordy drehte sich um, bemerkte den Dello und sagte: »Wenn das Koy ist, der dort mit eurem Zugor flieht, trifft uns keine Schuld. Er stand unter eurer Bewachung.« »Das war richtig«, erwiderte Drove und feuerte mit dem Detonator auf das Schalt pult, mit dem die ortungstechnische Verfol gung des Zugors gesteuert wurde. Das Pult zerbarst in einer kalten Explosi on und schleuderte den davor sitzenden Gordy zu Boden. Schreie gellten auf. Kalt blütig feuerte Drove systematisch auf die nächsten Schaltpulte und Bildschirme. Tau sende von Trümmerstücken flogen durch die Zentrale; Gordys versuchten, sich in Sicher heit zu bringen. Aber niemand schoß auf den Dello. Die Autorität, die den Dellos von den Herren der FESTUNG für ihren Auftrag ver liehen worden war, wirkte irrational nach. Da knackte es in einem Lautsprecher, und die Stimme eines Gordys schrie: »Hier spricht Gornd! Drei Dellos wurden von Koy dem Trommler mit seinen Broins getötet. Ein Techno beobachtete von seiner Unterkunft aus, wie der überlebende Dello gemeinsam mit Koy die Zentralstation ver ließ und …« Droves Detonator verwandelte auch den Lautsprecher in umherfliegende Trümmer. Aber Gornds Mitteilung hatte die Gordys in der Schaltzentrale, die noch lebten, aufge rüttelt. Sie zogen ihre Waggus und eröffne ten ein wildes Feuer auf den Dello. Die
47 Lähmstrahlen wurden jedoch von dem Schutzschirm abgewiesen, und auch die Schüsse zweier Gordys, die mit Detonatoren bewaffnet waren, vermochten den Energie schirm nicht entscheidend zu erschüttern. Aber jemand mußte mit seinem Funk sprechgerät eine Nachricht nach draußen ab gesetzt haben, denn plötzlich erschollen vom Korridor vor der Schaltzentrale die trappelnden Geräusche vieler Füße. Drove wandte sich gelassen um. Die Energieschüsse der überlebenden Gordys in der Schaltzentrale ignorierte er. Überhaupt schöpfte er wieder Hoffnung für sich selbst. Sein Energieschirm schützte ihn besser, als er erwartet hatte. Die Schaltzentrale war funktionsunfähig. Damit entfiel die Koordi nation der Anlagen des Wachen Auges. Es war unwahrscheinlich, daß Koy noch geortet wurde. Folglich konnte er, Drove, daran denken, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wenn er sich zum Ausgang durch kämpfte und eine Schwebeplattform der Technos nahm, würde er dem Jäger folgen und gemeinsam mit ihm und den Fremden gegen die Herren der FESTUNG kämpfen. Doch im nächsten Augenblick schwand diese Hoffnung. Vor der Schottöffnung tauchte eine Gruppe Technos auf – und sie trugen keine Energiewaffen, sondern Sker zaals in den Händen. Und gegen die Abwehr der Projektile von Primitivwaffen war Dro ves Energieschirm nicht eingerichtet! Drove bekam es sogleich zu spüren. Ein Stahlbolzen schlug in seinen linken Oberarm und fuhr hinten wieder heraus. Ein zweiter Stahlbolzen grub eine blutige Furche in Droves Kopfhaut. Doch dann spie der Detonator des Andro iden Tod und Verderben. Über die Überreste der Technos hinweg sprang Drove nach draußen. Von links stürmten weitere Tech nos heran. Der Androide kniete sich nieder und feuerte abermals mit dem Detonator, dann schoß er gegen die Decke, deren Trüm mer auf die Toten herabstürzten. Es ist genug, mehr als genug! dachte Dro ve und wunderte sich darüber, daß der
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Schmerz über das Gemetzel, das er notge drungen unter den Technos angerichtet hat te, stärker war als die Schmerzen seiner Wunden. Im gleichen Augenblick traf ihn ein Sker zaalbolzen unterhalb des rechten Schulter blatts in den Rücken. Drove wurde von der Gewalt des Anpralls aufs Gesicht geworfen. Aber er war zäh und wälzte sich herum, feu erte blindlings in die Richtung, aus der der Bolzen gekommen war. Ein weiterer Bolzen traf ihn mit voller Wucht in die Brust, als er sich aufrichtete. Er taumelte zurück, blickte an sich herab und wunderte sich, daß er keine Wunde sah. Dann entdeckte er, daß die stählerne Hülle des Schutzschirmprojektors zersprungen war und daß hinter den Rissen ein Funkenregen tobte. Zweifellos würde der Projektor bald ver sagen. Mit Bedauern erkannte Drove, daß er nicht mehr erleben würde, ob der Kampf Koys und der Fremden gegen die Herren der FESTUNG erfolgreich sein würde. Er selbst hatte keinen Grund, weiterzukämpfen und noch weitere Leben auszulöschen. Als sein Schutzschirm zusammenbrach, blieb er leicht schwankend stehen. Ein Deto natorschuß beendete sein Leben, ohne daß er etwas davon spürte.
* Gauzor und Peynch schoben das Floß, das sie in hektischer Arbeit gebaut hatten und auf dem Dagrissa lag, ins tiefere Wasser des Xamyhr und zogen sich dann ebenfalls hin auf. Die Strömung erfaßte das primitive Fahrzeug und riß es mit sich nach Südosten. Schweratmend lagen die Pfisters neben der fiebernden alten Frau. Hinter ihnen la gen Strapazen, die zu überstehen sie sich zu vor niemals zugetraut hätten. Nur mit weni gen kurzen Unterbrechungen waren sie durch die hügelige Steppe gelaufen, Koys Mutter zwischen sich. Die Sonne hatte heiß auf sie herabgebrannt, dichte kleine Wälder
sie zu Umwegen gezwungen. Sie waren durch Bäche gewatet, hatten auf einem schwankenden Baumstamm eine schmale, aber tiefe Schlucht überquert und hatten mit Steinwürfen die Angriffe eines Rudels von Hyänen abgewehrt. Nach einer Weile setzte Gauzor sich auf, schöpfte mit einer Hand Wasser aus dem Fluß und wusch sich damit das staubverkru stete Gesicht. Danach beugte er sich über Dagrissa und lauschte ihren flachen, hin und wieder von einem Rasseln begleiteten Atem zügen. »Sie schläft und fiebert«, sagte er zu sei nem Gefährten. »Hoffentlich hält sie bis Aghmonth durch. Dort kann Amshun sie mit seinen Heiltränken gesundmachen.« Peynch setzte sich ächzend auf. »Wer weiß, ob wir überhaupt bis nach Aghmonth kommen, Gauzor«, sagte er nie dergeschlagen. »Wenn wir den südlichsten Nebenarm des Deltas nicht finden, geraten wir entweder in die Sümpfe oder sogar in den Bereich der Dunklen Region.« Gauzor erschauderte. »Nur nicht in die Dunkle Region, lieber ertränke ich mich. Ich habe gehört, daß es dort von Geistern, Dämonen und Zauberern nur so wimmelt.« »Das ist bestimmt übertrieben«, erwiderte Peynch. »Aber auf jeden Fall ist es dort nicht geheuer. Ich habe von so manchem ge hört, der aufbrach, die Dunkle Region zu er forschen – aber noch nie von einem, der von dort zurückkehrte.« Er schöpfte ebenfalls Wasser und reinigte sein Gesicht, so gut es ging, dann legte er ei ne Hand auf die Stirn Dagrissas. »Ich fürchte, ihr Fieber ist gestiegen«, sagte er besorgt. »Ich kenne ein Kraut, daß das Fieber besiegt: das Gelbe Tyrsonkraut. Aber ich habe keine Ahnung, ob es auch an den Ufern des Xamyhr wächst. Wir sollten jedoch nach dünnen gelben Stämmen aus schauen, deren Spitze von einem Büschel gelber Blätter gekrönt wird.« »Tue das!« erwiderte Gauzor. »Ich werde inzwischen versuchen, einen Fisch zu fan
Die vier Seelenlosen gen.« Er nahm sein Messer und bearbeitete da mit einen der fünf dünnen, kerzengerade ge wachsenen Zweige, die er vor ihrem Start gesammelt und aufs Floß gelegt hatte. Nach einiger Zeit hatte er eine Art Harpune herge stellt. Er kerbte das stumpfe Ende ein und befestigte eine dünne Kunststoffschnur dar an. Danach stand er vorsichtig auf, stellte sich mit gespreizten Beinen ans vordere Ende des Floßes und beobachtete das Wasser. Es war leicht getrübt, aber er konnte dennoch im mer wieder die schlanken Leiber von Fi schen sehen, die hin und her huschten. Lei der wichen sie bereits aus, wenn sich das Floß ihnen bis auf wenige Meter genähert hatte. Aber der Pfister war geduldig – und seine Geduld wurde nach knapp einer Stunde be lohnt. Ein unterarmlanger Fisch wich nicht rechtzeitig genug aus, und die Harpune Gau zors bohrte sich durch seinen Leib. Rasch zog der Pfister die Beute mit Hilfe der Kunststoffschnur aufs Floß und tötete sie mit einigen kraftvollen Schlägen des Mes sergriffs. Er schlitzte den Fischleib auf, holte die Leber heraus und zerrieb sie zwischen den Händen. »Es ist das einzige von dem Fisch, das wir Dagrissa zumuten können«, sagte er zu sei nem Gefährten. »Wenn du ihren Kopf anhe bst, will ich versuchen, ihr den Brei einzu flößen. Sie braucht Nahrung, und die Fischleber enthält Stoffe, die ihre Wider standskraft stärken.« Mit rührender Geduld bemühten sich die beiden Pfisters darum, der alten, dahindäm mernden Frau die zerriebene Fischleber ein zuflößen. Glücklicherweise funktionierte der Schluckreflex noch einigermaßen, so daß sie nicht erstickte, sondern etwa die Hälfte hin terschluckte. Anschließend kauten die Pfisters das rohe Fleisch des Fisches. Es schmeckte ihnen nicht, aber es war die einzige Nahrung, über die sie verfügten. Dabei musterten sie immer
49 wieder die Vegetation in der Nähe der Ufer. Aber sie entdeckten keine Spur des Gelben Tyrsonkrauts. Es dämmerte bereits, als sie dicht an einer kleinen Insel vorbeiglitten, die mitten im Fluß lag. Plötzlich schrie Peynch unter drückt auf und deutete zum Ufer der Insel. Als Gauzor hinsah, entdeckte er drei ho he, dünne Stämme von gelber Färbung – und auf jedem von ihnen saß ein Büschel gelber Blätter. Ohne ein Wort zu verlieren, tauchten die beiden Pfisters ihre Paddel, die eigentlich mehr nach Reisigbesen aussahen, ins Wasser und paddelten wie wild, um aus der Strö mung herauszukommen. Sie schafften es, als sie beinahe schon an der Insel vorbeigefah ren waren. Das Floß glitt knirschend auf ei ne Sandbank, in die die Insel auslief. Die Pfisters sprangen heraus und zogen das Floß ein Stück weiter an Land, dann sagte Peynch: »Warte bei Dagrissa, Gauzor! Ich hole einen Armvoll Blätter. Damit besiegen wir das Fieber.« Er eilte davon, kämpfte sich durch die dichte Vegetation der Insel und erreichte schließlich die drei Tyrsonbäume. Rasch riß er einen Armvoll der gelben, heilkräftigen Blätter ab, dann kehrte er zu seinem Gefähr ten zurück. »Hier ist das Wundermittel!« rief er froh gestimmt, als er auf die Sandbank trat. Gauzor saß neben Dagrissa und sagte nichts. In jäh aufwallender Angst eilte Peynch zu seinem Gefährten, kniete neben Dagrissa nieder und schluchzte auf, als er in ein Paar gebrochener Augen blickte. »Alles war umsonst!« jammerte er. Gau zor hob den Kopf und sah ihn ernst an. »Es war nicht umsonst, Peynch. Sie ist im Schlaf hinübergegangen, ohne Furcht und in dem Glauben, daß ihr Sohn seinen Häschern entkommen ist. Und wir werden sie auf die ser Insel begraben und ihr das Magische Zeichen des Lichten Sterns errichten, bevor wir nach Aghmonth zurückkehren. Ihr Leib
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wird in Frieden ruhen – und nichts wird ihre Seele beunruhigen.« Schweigend machten sich die beiden Pfi sters an die Arbeit. Es war eine schwere Ar beit, nur mit Holzstücken und bloßen Hän den eine Grube auszuheben, die tief genug war, daß Dagrissas Leichnam vor Aasfres sern geschützt wurde. Es wurde dunkel, und das Licht des Mondes – des Erdmondes – übergoß die Sandbank mit silbernem Leuch ten. Als der Leichnam versenkt, die Grube zu geschüttet und das Magische Zeichen des Lichten Sterns darüber aufgerichtet war, stiegen Gauzor und Peynch schweigend auf das Floß und paddelten in die Strömung, die sie rasch davontrug.
ger Gordy. Gornd kannte ihn. Er hieß Ver gan Deiselt und stammte wie er selbst aus Donkmoon. Natürlich würde er glauben, daß ihm so etwas wie seinem Vorgänger nicht passieren konnte. Er würde sich irren, so wie sich einst Gornd und alle seine Vorgänger geirrt hat ten. Gornd blickte dem jungen Gordy nach und hörte, wie er die Technos und die ande ren Gordys antrieb. Wie er sagte, sollte die Anlage schnellstens instand gesetzt werden, damit weiter nach Koy Ausschau gehalten werden konnte. »Viel Glück!« sagte Gornd, als der Zugor abhob. Er meinte Koy, während die beiden Dellos dachten, er meinte seinen Nachfol ger.
* Jastall Gornd sah schweigend zu, wie die überlebenden Gordys und Technos sich an die Reparatur der Zentralstation machten. Er hatte die Arbeiten nicht angeordnet, denn er wußte, daß seine Zeit im Wachen Auge ab gelaufen war. In den Augen der Herren der FESTUNG hatte er versagt. Es würde ihren gleichgültig sein, warum Koy tatsächlich entkommen war und welche besonderen Umstände ver hindert hatten, daß sein Fluchtfahrzeug geor tet worden war. Für die Herren der FE STUNG zählte nur das Endergebnis, und das hieß, daß ein Verräter entkommen war und vier Dellos gestorben waren. Es dunkelte bereits, als ein schwarzer Zugor neben der Zentralstation landete. Zwei hünenhafte Dellos mit Schutzschirmprojek toren und tödlichen Waffen stiegen aus und gingen langsam auf Jastall Gornd zu. Gornd wartete nicht, bis sie ihn erreich ten. Er warf einen letzten Blick auf die Stati on, in der er gelebt und gearbeitet hatte, dann ging er den Dellos entgegen. »Ich bin bereit!« sagte er tonlos. Die Dellos nahmen ihn in ihre Mitte und führten ihn zu dem schwarzen Zugor. Als sie ihn hineinschoben, erhob sich darin ein jun-
* Mehrmals hatte der Antrieb des Zugors gestottert, aber jedesmal war er zu seiner normalen Funktion zurückgekehrt. Koy starrte aus brennenden Augen hinab auf das vereiste Gelände, über das der Zugor in geringer Höhe dahinjagte. Der Jäger war am Ende seiner Kräfte – und zwar sowohl seiner physischen als auch seiner psychi schen Kräfte. Aber er wußte, daß er keine Pause einlegen durfte, sondern weiterfliegen mußte, damit er den Zugor so bald wie mög lich landen und desaktivieren konnte. Der Jäger konnte nicht wissen, wieviel Verwirrung und Zerstörungen Drove in der Zentralstation des Wachen Auges hatte an richten können. Er rechnete vorsichtshalber damit, daß die Ortungsanlagen ihre Tätigkeit bald wieder aufnahmen und ihn – bezie hungsweise seinen Zugor – entdeckten, falls er sich dann noch in der Luft befand. Aber noch war es zu früh zur Landung. Koys Ziel war die Eiszitadelle im Zentrum des »schweren« Eises. Vorläufig aber über flog er noch eine Landschaft, die nicht zur Eisküste gehörte. Endlich tauchte vor ihm das »Gebirge« aus bizarr geformten Eisklippen, buckeln
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und regelrechten Eismauern auf. Koy mußte den Zugor höher ziehen, um nicht mit einer der vielen hochragenden Eisnadeln zu kolli dieren. Plötzlich erkannte er unter einer Art Eis glocke die Umrisse eines quadratisch ge formten Bauwerks. Er sah die Umrisse nur verschwommen, aber er ahnte, daß sie iden tisch mit der sagenumwobenen Eiszitadelle waren. Sofort drückte der Jäger den Zugor tiefer. Er war übermüdet, deshalb hätte er das Hin dernis, das in Form einer Eisnadel vor ihm auftauchte, fast zu spät bemerkt. Aber sein ruckartiges Ausweichmanöver brachte den Zugor auf einen riesigen Eisbuckel. Die Un terseite schrammte darüber, und der Zugor drehte sich mehrmals im Kreis. Links und rechts ragten gewaltige Eisbarrieren auf. Koy erkannte, daß er den Zugor nicht mehr über die Barrieren hinwegbringen konnte. Er schaltete die Bremstriebwerke und den Schwerkraftverstärker ein, erlebte für kurze Zeit ein Inferno aus hochgewirbel tem Eisstaub und hohem Andruck, dann
stand sein Fahrzeug inmitten einer trostlosen Eislandschaft. Beinahe automatisch schaltete der Jäger alle Systeme des Zugors aus. Die Eisnadeln flammten plötzlich im blutroten Schein der untergehenden Sonne auf, dann senkte sich Dunkelheit über die Landschaft. Koy blieb sitzen. Er wußte nicht, in wel che Richtung er sich wenden mußte, um die Eiszitadelle zu erreichen – und er fror er bärmlich. Aber als der Mond der Erde auf ging und die Eiswüste scheinbar in eine Landschaft aus Glas und Silber verwandelte, stieg der Jäger doch aus seinem Fahrzeug. Während er über das Eis ging, überlegte er, ob er in der Kälte lange genug leben wür de, um die Eiszitadelle zu erreichen und um – vielleicht – jenen geheimnisvollen Frem den von der Erde zu begegnen …
E N D E
ENDE