Nr.0570 Die Stimmen der Qual Er bedroht die Menschen - er ist der Sendbote des Wahnsinns von Ernst Vlcek
Auf Terra und ...
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Nr.0570 Die Stimmen der Qual Er bedroht die Menschen - er ist der Sendbote des Wahnsinns von Ernst Vlcek
Auf Terra und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Anfang Februar des Jahres 3444. Somit sind seit der Entlassung des Solsystems aus dem Sternenschwarm und dem Ende der "Verdummungsstrahlung" rund acht Monate vergangen. Das Leben der Terraner und der übrigen galaktischen Völker nimmt inzwischen wieder seinen gewohnten Gang - und dennoch verläuft manches nicht mehr in den gewohnten Bahnen. So ist zum Beispiel im Solaren Imperium eine schwere innenpolitische Krise ausgebrochen. Im August sollen Neuwahlen zum Amt des Großadministrators stattfinden - zu einem Amt, für das nach der Meinung vieler Solaren Bürger Perry Rhodan nicht mehr in Betracht kommt. Perry Rhodan - so verbreiten die Gegenkandidaten teilweise wider besseres Wissen - soll während der Schwarmkrise unverantwortlich gehandelt haben. Und Perry Rhodan selbst - er schweigt zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, obwohl er sich leicht rechtfertigen könnte. Er hat andere Sorgen - ihn beschäftigen DIE STIMMEN DER QUAL... Die Hauptpersonen des Romans: Perry Rhodan - Die Politik des Großadministrators wird in Frage gestellt. Reginald Bull - Staatsmarschall und Chef der Explorerflotte. Galbraith Deighton - Chef der Solaren Abwehr. Heydrac Koat - Sendbote des Wahnsinns. Bount Terhera, Merytot Bowarote und Munisho Aerce Kandidaten für das Amt des Großadministrators. 1. Buch: Todeskampf 1. Alantor Myns Zwiesprache Horche in dich, Alantor Myn, dann vernimmst du die Stimmen der Qual. Selbst wenn du meinst, sie seien verstummt, brauchst du nur zu lauschen, und schon hörst du sie. Sie flüstern und raunen, sie säuseln wie der Wind und hallen dem Echo gleich. Du nimmst sie schon nicht mehr bewußt wahr, denn: Wie dein Ohr die Geräusche des Lebens, die um dich sind, überhört, so überhört dein Geist das stete Murmeln der Stimmen der Qual. Oh, sie sind schon lange, seit vielen Planetenumläufen, in dir und deinen Artgenossen, die Stimmen der Qual. Sie waren schon vor dem Erwachen deines Geistes in euch. Wenn die Stimmen fordernd werden, dann mußt du ihnen gehorchen, egal, was sie verlangen, Alantor Myn. Du und alle anderen, ihr könnt ihnen nicht widerstehen! Was nutzt es, daß euer Geist vor kurzem auf wundersame Weise erwachte? Was nutzt es, wenn ihr plötzlich klarer denken könnt als früher, wenn ihr mit einem Mal besser und schneller begreift, wenn ihr euer Wissen von Tag zu Tag fast sprunghaft vergrößert? Gegen die Stimmen der Qual bleibt euer Geist machtlos! Das stete Raunen zermürbt euch. Das despotische Fordern erschüttert euch. An dem lautlosen Schreien werdet ihr schließlich zerbrechen.
die stimmen der Qual sind stimmen in dir, Alantor Myn, sind stimmen des inneren Chaos; höre nicht hin, Alantor Myn. Nehmt die Niederlagen, wie das Schicksal sie euch beschert. Durftet ihr noch hoffen, die ‚Stimmen der Qual' besiegen zu können, als euer Geist plötzlich erwachte, so mußt ihr nun erkennen, daß alle Wege in die bedingungslose Entsagung munden. Ihr glaubtet an den Erfolg jener, die verschollen waren. Doch als die ersten Boten der Verschollenen erschienen, auf die ihr eure Zukunft setztet, da mußtet ihr die letzten Hoffnungen begraben. Denn nie verkündeten sie vom Sieg über die weite Kluft. Alantor Myn, was hat das Schicksal mit euch vor? Zuerst die Stimmen der Qual! Dann das jähe Erwachen des Geistes. Fast gleichzeitig das Erscheinen der Verschollenen, die nicht den Sieg über die weite Kluft verkünden konnten. Und nun die Kugel! Frage das Schicksal, und es wird dir antworten: Alantor Myn, die Kugel ist ein Raumschiff, das aus der Tiefe der Unendlichkeit kam, das aus Fernen kam, die für euch unerreichbar sind. Aber das Schicksal kann euch nicht sagen, ob das Raumschiff Fluch oder Segen in sich birgt. Das müßt ihr selbst herausfinden. Alantor Myn, gehorche den Stimmen der Qual, die sagen, was zu tun ist. Sie verlangen, daß ihr das Innere der Kugel betretet, daß ihr das Raumschiff untersucht. Es muß nicht unbedingt ein böses Vorzeichen sein, daß es bei der Landung weite Landstriche verwüstete. Seht euch vor, aber seht euch auch um! Daher wirst du, Alantor Myn, zusammen mit vielen anderen von hohem Wissen das Raumschiff aufsuchen und sein Geheimnis ergründen. So wird es geschehen. Die Stimmen der Qual verlangen es. 2. Das Raumschiff bestand aus toter Materie, aber auf eine eigene Art war es voll von Leben. Es war eine präzise funktionierende Maschine, das Produkt einer hochtechnisierten Zivilisation. In den riesigen Konvertern im Zentrum des fünfhundert Meter durchmessenden Schiffsleibes ballten sich ungeheure Mengen von Energie. Einige wenige Handgriffe hätten genügt, um die Energien freiwerden zu lassen, dann wäre das Schiff augenblicklich zu selbständigem robotischen Leben erwacht. Doch niemand war da, um das auslösende Moment zu geben. Früher war das anders gewesen. Noch bei der Landung des Schiffes vor drei Jahren hatte es eine fünfzehnköpfige Besatzung gegeben, die sich mit der Bedienung ausgekannt hätte. Doch nun wehte der Wind einer fremden Welt über ihre Gebeine. Mit ihnen war eine seltsame Wandlung geschehen. Irgend etwas war in sie gefahren, das sie veranlaßte, übereinander herzufallen und sich gegenseitig zu töten. Nun war das Raumschiff ohne Meister. Niemand war da, der es beherrschen hätte können. Es war eine riesige Kugel mit einem toten Innenleben. Dabei hätte ein winziger Anstoß genügt, um es zu neuem Leben erwachen zu lassen. Doch es kam niemand, der den entscheidenden Anstoß gab. Jene, die erschienen und staunend und forschend durch die endlosen Korridore des Schiffes wanderten, waren nicht in der Lage zu begreifen, was sie sahen. Es waren keine Meister, nur Lehrlinge.
Vierhundert Lehrlinge mit einem unstillbaren Forscherdrang, der jedoch nicht das fehlende Wissen ersetzen konnte, das zum Begreifen der fremdartigen und komplizierten Maschinerie erforderlich war. Die Erforscher des Schiffes kannten ihre Grenzen und hüteten sich, irgendwelche Schaltungen vorzunehmen, die die im Schiff schlummernden Kräfte wecken konnten. Sie begnügten sich damit, die sekundären Schiffseinrichtungen zu untersuchen. Das Raumschiff ließ es mit sich geschehen. Das Raumschiff war ein Roboter. Und Roboter waren geduldig wie das Material, aus dem sie bestanden. Sie konnten warten, bis jemand kam, der sie aus ihrem Schlaf erweckte. Doch die fremden Forscher hüteten sich, irgend etwas zu unternehmen, das das Schiff aktivieren konnte. Sie waren froh, wenn sie die kleinen Rätsel, die ihnen das Schiff aufgab, lösen konnten. Sie fügten unermüdlich ein Detail an das andere und stützten auf den Bruchstücken des Mosaiks ihre verwegenen Theorien. Die gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis anzuwenden, wagten sie nicht. So ruhte das Schiff weiterhin. Tag um Tag, Jahr um Jahr. Es hätte sich bis in alle Ewigkeit nicht gerührt, wenn nicht unerwartet der entscheidende Funke übergesprungen wäre. Der Impuls kam aus dem Nichts, aus einer übergeordneten Dimension und schlug wie ein Blitz in die Vollautomatik ein. Was kümmerte es das Raumschiff, woher der Impuls kam und wer ihn geschickt hatte. Es war ein Roboter und nicht in der Lage, Fragen zu stellen. Es mußte auf bestimmte Impulse reagieren. Es mußte den empfangenen Hyperimpulsen gehorchen. Das Raumschiff erhielt den zwingenden Befehl: Start! Der fünfhundert Meter durchmessende Körper erwachte zu robotischem Leben. Überall in den Korridoren, den Räumen und Hallen wurden die Beleuchtungskörper eingeschaltet, auf den Kontrollwänden begann der Reigen der blinkenden Lichter, die Maschinen liefen an. Das Herz des Schiffes schlug so heftig, daß die Wände vibrierten. Es war, als atme es. Die drei Jahre währende Stille wurde auf einmal wieder von vielfältigen Geräuschen durchbrochen. Es ging wie ein Seufzen durch das Schiff. Endlich! Endlich! Die freiwerdenden Kräfte wurden genau dosiert; durch die weitverzweigten Kanäle geleitet, die die Adern des Schiffes waren. Und wie belebendes Blut durchflossen die Energien den mächtigen Körper und drangen bis in die entlegensten Winkel vor. Antennen reckten sich wie Fühler aus der Hülle - und orteten. Die Linsensysteme - Schiffsaugen - nahmen die Bilder auf und bannten sie auf die Bildschirme. Der mächtige Kugelkörper bäumte sich auf, kämpfte gegen die Schwerkraft an und hob langsam ab. Start! Fort von hier - hinauf ins All. * Heydrac Koat erstarrte, als die Alarmsirene durch das Schiff heulte. Er hatte das Rumoren gehört, das tief aus dem Schiffsinnern zu kommen schien, dem vorerst jedoch keine besondere Bedeutung beigemessen. Verschiedene Wissenschaftlergruppen stellten dauernd irgendwelche Versuche an, bei denen sie sich eigens herangeschaffter Maschinen bedienten. Er hatte das Rumoren für das Arbeitsgeräusch dieser Maschinen gehalten.
Doch die Alarmsirene ernüchterte ihn. Die Geräusche stammten nicht von irgendwelchen Maschinen, sondern kamen vom Schiff selbst. Hoffentlich hatte nicht einer der Wissenschaftler einen der Hebel gedrückt, deren Funktion sie noch nicht kannten. "Alle Teams sofort in die Zentrale!" Das war die Stimme Alantor Myns, die aus dem Funksprechgerät ertönte. Heydrac Koat überlegte nicht lange. Er ließ alles liegen und stehen und rannte auf den nächsten Aufstiegsschacht zu. Er kannte sich im Schiff aus und wußte, wo der Raum lag, den die Techniker als "Zentrale" bezeichneten. Als er den Aufstiegsschacht erreichte, erblickte er Arnani Cuor, die Xenologin, die seit der Landung des Schiffes das Geheimnis seiner Erbauer zu lüften versuchte. Noch bevor sie ihn erreicht hatte, rief sie: "Wir fliegen!" Heydrac Koat konnte den Sinn ihrer Worte im ersten Augenblick nicht erfassen. "Wir fliegen?" wiederholte er. "Aber das ist unmöglich. Wir müßten zumindest den Andruck zu spüren bekommen, der bei der Startbeschleunigung entsteht!" Arnani Cuor schüttelte den Kopf und verschwand im Schacht. Heydrac Koat folgte ihr. Er konnte es immer noch nicht glauben, daß das Schiff gestartet sein sollte. Selbst wenn jemand trotz der Warnungen und Verbote eine Funktion ausgelöst hatte, so war es unwahrscheinlich, daß er ausgerechnet den "Starthebel" erwischte. Abgesehen davon war es unmöglich, dieses riesige Schiff mit einem einzigen Hebeldruck in Bewegung zu setzen. Wenn man bedachte, wie viel Vorbereitungsarbeiten und komplizierte Vorgänge notwendig waren, um eines der viel kleineren heimischen Raumschiffe zu starten, dann konnte man sich vorstellen, welcher Aufwand notwendig war, um diesen Koloß zu bewegen. Heydrac Koat hätte früher nicht in seinen kühnsten Träumen anzunehmen gewagt, daß so ein riesiges Raumschiff überhaupt die Anziehungskraft eines Planeten überwinden könnte. Mit dieser Meinung stand er nicht allein, sondern alle Raumfahrtspezialisten teilten sie mit ihm. Erst die Landung dieses Raumgiganten hatte alle Theorien seines Volkes zerstört. Als er zusammen mit der Xenologin in der Zentrale ankam, herrschte dort ein grenzenloses Durcheinander. Die Wissenschaftler überschrieen sich gegenseitig, sie gestikulierten aufgeregt und liefen ziel- und planlos durch die Halle. Aber Heydrac Koat nahm das alles nur unterbewußt wahr. Er hatte nur Augen für den riesigen Bildschirm. Seit sie das fremde Schiff betreten hatten, bemühten sich die Techniker, ihn in Betrieb zu nehmen - ohne Erfolg. Doch jetzt war er erhellt und zeigte ein naturgetreues, dreidimensionales Bild der Außenwelt! Diese Tatsache allein verblüffte Heydrac Koat. Noch viel erregender war jedoch die Szenerie, die auf dem Bildschirm zu sehen war: Über die ganze Breite spannte sich das tiefschwarze All mit den funkelnden Lichtpunkten darin - die Sterne, in der Bildmitte war für einige Augenblicke ein faustgroßer Himmelskörper zu sehen, der schnell zusammenschrumpfte und schließlich vom uferlosen Sternenmeer verschluckt wurde Asporc. "Bei meiner Kammspange - wir fliegen", sagte Heydrac Koat fassungslos. Er spürte, wie sich Arnani Cuor an ihn preßte. Ein Blick in ihr Gesicht zeigte ihm, daß es sich vor Angst grau verfärbt hatte. Und er spürte selbst, daß Panik sich seiner zu bemächtigen drohte.
Wohin er auch blickte, überall sah er verstörte, ratlose Gesichter, von überall her drangen ängstlich vibrierende Stimmen auf ihn ein. Nur Alantor Myn, der wissenschaftliche Leiter des Forschungsteams, behielt die Fassung und versuchte, die aufgeregten Kollegen zu beruhigen. "Wir wissen zwar nicht, was die Maschinerie des Schiffes aktivierte und was den Startvorgang ausgelöst hat", rief er. "Im ersten Augenblick muß es so scheinen, als seien wir Gefangene und dazu verdammt, den Flug ins Unbekannte mitzumachen. Wir können nicht erwarten, von einem unserer eigenen Raumschiffe gerettet zu werden, denn keines von ihnen ist nur annähernd so schnell wie dieses hier. Von außen können wir nicht auf Hilfe rechnen. Trotzdem schätze ich unsere Chancen als ziemlich gut ein. Ich glaube nämlich, daß wir uns selbst helfen können." Ein Stimmengemurmel folgte seinen Worten, das aber sofort wieder verstummte, als er fortfuhr: "Wir alle hätten unsere Kammspangen dafür gegeben, wenn es uns gelungen wäre, das fremde Raumschiff in Betrieb zu nehmen. Keiner von uns hätte sich um die Konsequenzen gekümmert. Aber jetzt, da das Schiff von selbst gestartet ist, befällt euch Panik. Überlegen wir unsere Lage doch einmal nüchtern. Bisher scheiterten wir in unserem Bemühen, das Schiff zu ergründen, hauptsächlich daran, weil sämtliche Funktionen stillgelegt waren. Jetzt, da die gesamte Maschinerie in Betrieb ist, können wir unsere Meßgeräte viel wirkungsvoller einsetzen. Dadurch wird unsere Arbeit wesentlich erleichtert, und ich bin überzeugt, daß wir nach und nach herausfinden werden, welchen Sinn und Zweck jede einzelne Armatur in dieser Halle hat. Wenn uns das gelingt, können wir das Schiff steuern und zu unserem Planeten zurückfliegen." "Hast du nicht bemerkt, wie rasend schnell Asporc hinter uns zusammengeschrumpft ist, Alantor Myn", rief jemand aus der Menge. "Wir entfernen uns mit unheimlicher Geschwindigkeit von unserer Welt." "Das ist mir nicht entgangen", erwiderte der wissenschaftliche Leiter. "Ich kann dir sogar sagen, daß wir uns mit etwas mehr als halber Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Das ist ein phantastischer Wert. Aber selbst we nn wir so schnell wie das Licht flögen, könnte uns das nichts anhaben. Ich bin sicher, daß wir früher oder später dieses Raumschiff zu handhaben lernen. Wann das sein wird, ist nicht ausschlaggebend - denn uns steht alle Zeit des Universums zur Verfügung. Vielleicht trägt uns dieses Raumschiff Lichtjahre von unserer Heimat fort, bis wir es beherrschen. Na und? Es ist nicht viel, wenn wir einige Jahre opfern und damit einige Jahrhunderte unserer Entwicklung überspringen. Üben wir uns in Geduld, dann können wir in naher Zukunft zu unserem Volk zurückkehren und ihm dieses einmalige technische Wunderwerk zum Geschenk machen. Wollt ihr auf diese Chance verzichten, Asporcos?" Die Wissenschaftler antworteten auf eindrucksvolle Weise - sie verfielen in einen Begeisterungstaumel. Vergessen war die Angst, überwunden der Schock, entfacht die Begeisterung. Aber sie währte nicht lange. Plötzlich fuhr ihnen der Schreck wieder in die Glieder, das Entsetzen lähmte sie. Heydrac Koat starrte auf den Bildschirm und konnte nicht fassen, was er dort sah: Die Sterne verschwanden. Neben ihm sagte Arnani Cuor mit tonloser Stimme: "Es gibt den überlichtschnellen Sternenflug also doch!" 3.
Allgemeine Bestürzung. Die Raumschiffszentrale glich in den Augenblicken nach dem Verschwinden der Sterne einem Hexenkessel. Die Wissenschaftler, die eben noch Alantor Myn ihr Vertrauen geschenkt hatten, wandten sich nun gegen ihn. Sie beschuldigten ihn, zu lange damit gezögert zu haben, wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Schon vorher hatten einige Wissenschaftler darauf bestanden, das Steuer des Schiffes in die Hand zu nehmen. Doch sie waren von den Besonnenen überstimmt worden. Niemand wollte das Risiko eingehen, durch unsachgemäßes Hantieren Fehlschaltungen zu verursachen und dadurch das Schiff zu beschädigen oder die an Bord befindlichen Wissenschaftler zu gefährden. Jetzt sah die Lage allerdings anders aus. Die Wissenschaftler wischten die Bedenken beiseite, vergaßen alle Vorsicht, denn es galt, rasch zu handeln. Wenn es ihnen nicht gelang, den Überlichtantrieb auszuschalten und das Raumschiff zu stoppen, dann würden sie sich irgendwann in einem fremden Weltall wiederfinden, ohne die Aussicht, jemals nach Asporc zurückkehren zu können. Alantor Myn versuchte noch einmal, seine Kollegen umzustimmen. "Wer sagt, daß das Schiff sich im Überlichtflug befindet", riet er. "Das ist eine reine Vermutung, die sich auf nichts stützt. Die Möglichkeit, daß das Bildschirmsystem ausgefallen ist, liegt viel näher." Die Wissenschaftler lachten ihn aus. Einer von ihnen trat vor und sagte: "Wir haben von Anfang an herausgefunden, daß es auf diesem Schiff Geräte gibt, die mit Energieformen arbeiten, die uns unbekannt sind. Alle Spezialisten sind sich darin einig, daß es sich um Energien aus einem übergeordneten Kontinuum handelt. Wozu benötigt man diese Überenergie, wenn nicht, um das Schiff entweder in das andere Kontinuum zu schleudern oder es überhaupt in jene Energieform umzustrukturieren. Durch dieses Ausweichen in ein anderes Kontinuum, das ganz anderen Gesetzen unterliegen muß als unser Universum, könnten Entfernungen in kürzester Zeit übersprungen werden, für die man im konventionellen Raumflug Jahre oder Jahrzehnte benötigt. Das ist nicht graue Theorie, sondern wir erleben das in diesem Augenblick." Alantor Myn dachte noch nicht daran, dem Drängen seiner Kollegen einfach nachzugeben. "Selbst wenn ihr recht habt und wir mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit durch ein übergeordnetes Kontinuum fliegen, ist das noch lange kein Grund den Kopf zu verlieren. Wir müssen jede unserer Handlungen gut überlegen." "Und mit jedem Gedanken, den wir an Überlegungen verschwenden, vergrößert sich die Kluft zwischen uns und Asporc!" rief jemand. "Wir dürfen nicht länger warten!" "Wir müssen sofort Maßnahmen ergreifen!" "Und welche Maßnahmen sollen das sein?" fragte Alantor Myn. "Wir haben bei der langwährenden Erforschung des Schiffes nicht nur Mißerfolge zu verzeichnen gehabt", wurde ihm von seinem Gegenspieler geantwortet. "Unsere Erfolgsliste ist recht beachtlich. So kennen wir von vielen Geräten Sinn und Zweck und verstehen uns auf ihre Handhabung. Über andere Geräte, die wir nur teilweise beherrschen, haben wir aufschlußreiche Daten erarbeitet. Aufgrund dieser gesammelten Forschungsunterlagen haben wir Berechnungen angestellt, deren Ergebnisse einen hohen Wahrscheinlichkeitswert besitzen. Daraus geht hervor,
welche Bedeutung den einzelnen Bedienungselementen vermutlich zukommt." "Und anhand dieser sehr fraglichen Berechnungen wollt ihr ein Schiff eines von uns völlig fremden Volkes manövrieren?" erkundigte sich Alantor Myn ungläubig. "Wir sind fest entschlossen, das Risiko einzugehen. Denn wir haben keine andere Wahl!" "Ich werde mich dem Wunsch der Mehrheit beugen", meinte Alantor Myn. "Die Zentrale steht euch für das Experiment zur Verfügung." Er zog sich zurück. Die Wissenschaftler machten sich sofort daran, die nach ihren Berechnungen erforderlichen Schaltungen vorzunehmen. Heydrac Koat starrte erwartungsvoll auf den großen Bildschirm und er bemerkte nicht, daß Alantor Myn neben ihn trat. "Wie stellst du dich zu diesem Experiment, Heydrac Koat?" Der Wissenschaftler zuckte zusammen. "Ich begrüße es und lehne es ab", sagte er unsicher. Dann klärte er den scheinbaren Widerspruch seiner Worte auf. "Ich möchte nicht in ein fremdes Weltall verschlagen werden, deshalb befürworte ich, daß alles für unsere Rückkehr getan wird. Andererseits habe ich Angst, daß durch Fehlschaltungen Kräfte wachgerufen werden, die uns alle verschlingen." "Mir geht es ebenso", gestand Alantor Myn. "Aber ich hätte mich eher für die Forschung des grenzenlosen Alls entschlossen." Heydrac Koat spürte einen Druck an seinem Arm und hörte Arnani Cuor rufen: "Die Sterne!" Tatsächlich, da wa ren sie wieder. Sie füllten den ganzen Bildschirm aus. Es machte keinem der Wissenschaftler in diesem Augenblick etwas aus, daß sie unbekannte Konstellationen bildeten. "Wir haben es geschafft", sagte Heydrac Koat erleichtert. Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei aus einem Lautsprecher der schiffseigenen Sprechanlage. "Wer hat die Ungeheuer geweckt", schrie jemand in höchsten Tönen der Angst. "Diese metallenen Monstren werden uns alle töten..." Die Stimme erstarb. Aus dem Lautsprecher war ein Poltern zu hören, das von einem unheimlichen zischenden Laut überlagert wurde. Einige Wissenschaftler liefen, von Neugier getrieben, auf die Korridore hinaus. Dort kamen ihnen bereits die Maschinenwesen entgegen. Sie besaßen annähernd die Gestalt von Asporcos, hatten zwei Beine und zwei Arme, waren jedoch viel größer. Und ihre Arme endeten nicht in Händen, sondern in Waffenmündungen, aus denen Blitze zuckten. * Heydrac Koat versuchte später, diese schrecklichen Augenblicke zu rekonstruieren, doch seine Erinnerung an das fürchterliche Massaker war nur lückenhaft. Er wußte nur, daß er beim Anblick der Maschinengeschöpfe Arnani Cuor am Arm packte und mit ihr tiefer in die Halle hineinrannte. Rund um sie waren Flammen. In der Luft lag das Zischen der gespenstischen Strahlenschüsse, das Schreien der Getroffenen und das Poltern schwerer Metallbeine auf dem kunststoffbeschichteten Boden. Ein beißender Geruch verlegte Heydrac Koats Atemwege. Er mußte geblendet die Augen schließen, als vier Schritte vor ihm eine Gruppe von drei Wissenschaftlern verglühte. Instinktiv
warf er sich zu Boden und zog Arnani Cuor mit sich. Sie klammerte sich an seinen Beinen fest. "Wir müssen weiter!" schrie er ihr zu und zog sie hoch. Wohin sollte er sich wenden? Alle Ausgänge waren besetzt. Die gleißenden Blitze zischten aus allen Richtungen heran. Eine Gruppe von zehn Asporcos warf sich verzweifelt einem einzelnen Maschinenungeheuer entgegen. Nur drei von ihnen erreichten den Ausgang und verschwanden im Korridor. Sie kamen nicht weit. Ihr Schicksal erfüllte sich, als sie der Nachhut der metallenen Wächter vor die Waffenarme kamen... Alantor Myn hatte sich mit zwei anderen Wissenschaftlern zu der Säule in der Mitte der Zentrale zurückgezogen. Heydrac Koat sah sie in dem Schacht verschwinden, der senkrecht durch das gesamte Schiff verlief. Es mußte sich um eine Art Aufzug- oder Luftschacht handeln - jedenfalls gab es darin keine Steigleiter und außer einigen Vorsprüngen nichts, woran man sich festhalten konnte. Gleich nachdem Heydrac Koat die drei Wissenschaftler in dem Schacht verschwinden sah, hörte er ihre in der Tiefe verhallenden Todesschreie. Heydrac Koat erreichte eine Treppe, die zu einer Balustrade führte, die in halber Höhe rund um die Zentrale verlief. Er mußte über die verkohlten Überreste seiner Artgenossen klettern, bevor er den Steg erreichte. Er erinnerte sich später daran, wie Arnani Cuor schlecht geworden war. Er sah immer wieder ihr Gesicht vor sich, das vor Angst und Übelkeit verzerrt war. Er hatte in diesem Moment das Gefühl, als würden die Stimmen der Qual von ihr Besitz ergreifen. Die Umgebung versank um ihn, die Todesschreie seiner Artgenossen verhallten ungehört. Er sah nur Arnani Cuor, die ihm wie schwebend folgte - und den rettenden Ausgang, nicht weit vor ihm. Irgendwie schaffte er es, ihn zu erreichen. Er öffnete das Schott. Vor ihm lag eine in Dunkelheit gehüllte Kammer. Er verschwand darin und zog Arnani Cuor mit sich. Dann brach er erschöpft zusammen. Er atmete kühle Luft, die nur schwach vom Geruch nach Verbranntem durchsetzt war, und schloß erlöst die Augen. Aber nicht für lange. Arnani Cuors Schrei riß ihn aus der Lethargie. Eine Explosion, so heiß und grell wie ein komprimierter Sonnenstrahl ließ ihn die Augen öffnen und sofort wieder schließen. Dahinter erblickte er den Schemen eines Maschinenungeheuers und rollte sich zusammen. Arnani Cuors Körper, der sich wie ein Schild vor ihm befand, zuckte noch einige Male, dann erschlaffte er. Heydrac Koat wagte nicht, sich zu bewegen. Noch lange, nachdem sich wieder die Stille über das Raumschiff gesenkt hatte, lag er regungslos da, den Körper des toten Mädchens auf sich. Erst als seine Glieder zu erstarren drohten, sich Hunger und Durst bemerkbar machten und ihn Atemnot quälte, wagte er, sein Versteck zu verlassen. Die Maschinenwächter hatten sich zurückgezogen. Die Zentrale glich einem Schlachtfeld. Ein Blick auf den großen Bildschirm über dem gekrümmten Kontrollpult zeigte ihm, daß die Sterne wieder verschwunden waren. Er schob die sterblichen Überreste Arnani Cuors auf den Steg hinaus und zog sich in sein Versteck zurück. * Er wußte nicht, wie viel Zeit vergangen war, als von draußen Geräusche zu ihm drangen. Er lehnte sich zitternd gegen die Wand, jeden Augenblick darauf gefaßt, daß sich das Schott
öffnete, sich ihm ein Waffenarm entgegenstreckte und ein zischender Blitz seinem Leben ein Ende machte. Es hätte ihm in diesem Augenblick nichts ausgemacht zu sterben. Da öffnete sich das Schott. Aber keine Mordmaschine erschien in der Öffnung. Das erkannte Heydrac Koat auf den ersten Blick. Trotzdem lähmte ihn das Entsetzen beim Anblick der Maschine, die über den Steg rollte. Die Maschine schluckte alles, was ihr im Weg lag. Auch die sterbliche Hülle von Arnani Cuor. Als die Maschine Heydrac Koats Versteck erreichte, streckte sie einen sich windenden Schlauch in die Öffnung und saugte den Boden damit ab. Um Heydrac Koat machte der Schlauch einen Bogen. Obwohl diese seltsame Reinigungsmaschine offensichtlich nicht feindlich gegen ihn eingestellt war, atmete er erst auf, als das Schott wieder zufiel. Viel später, als wieder Stille über der Zentrale lastete, wagte er sich wieder aus seinem Versteck. Alle Spuren des Kampfes waren beseitigt. Nichts erinnerte mehr an das Massaker. * Heydrac Koat hatte viel Zeit zum Nachdenken. Die Mordmaschinen waren nicht wieder aufgetaucht. Er glaubte, auch eine Antwort auf die Frage gefunden zu haben, wodurch sie geweckt worden waren. Es konnte nur so gewesen sein, daß die Wissenschaftler Fehlschaltungen begangen hatten, die die metallenen Wächter auf den Plan riefen. Das war die einzige Erklärung, die er fand. Vorher war es noch nie zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen. In all den Jahren, die sich das Forschungsteam an Bord des Schiffes befand, waren die Verteidigungsanlagen nie aktiviert worden. Heydrac Koat glaubte nicht daran, daß es außer ihm noch einen Überlebenden gab. Er verließ die Zentrale und durchstreifte die angrenzenden Korridore. Er traute sich allerdings nie zu weit von seinem Versteck fort; weil er fürchtete, in den tieferen Schiffsregionen einem Maschinenwächter zu begegnen. Das war auch der Grund, daß er lieber Hunger und Durst litt, als nach Nahrung zu suchen. Er wußte, wo die Depots lagen, in denen die Schiffserbauer die konservierten Nahrungsmittel speicherten. Doch erstens fürchtete er die Maschinenwächter und zweitens kannte er die Analyseergebnisse, aus denen hervorging, daß die Nahrung des unbekannten Volkes nur bedingt für Asporcos geeignet war. Heydrac Koat wollte auf keinen Fall eine Vergiftung riskieren. Warum eigentlich nicht? Warum kämpfte er gegen den Tod an? Was erwartete er sich von einer Verlängerung seines Lebens? Es war doch nur eine Verlängerung seiner Leiden. Wenn er wenigstens einige Hilfsgeräte besessen hätte. Aber die Reinigungsmaschinen hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten alle Spuren beseitigt, die seine Artgenossen hinterlassen hatten. Nichts deutete mehr darauf hin, daß sich hier einmal Asporcos aufgehalten hatten. Heydrac Koat war der einzige - lebende - Beweis dafür. Aber wie lange noch? Es würde nicht mehr lange dauern, bis er an Schwäche starb und ein Opfer der Reinigungsmaschine wurde. Wo flog dieses Gespensterschiff mit ihm hin? Wie lange dauerte der Flug ins Ungewisse noch? Insgesamt hatte er neun Flugetappen gezählt. Neunmal waren die Sterne auf dem Bildschirm erschienen und wieder erloschen.
Gerade in diesem Augenblick wiederholte sich dieser Vorgang zum zehntenmal. Aus der düsteren Eintönigkeit des Bildschirms kristallisierten sich funkelnde Lichtpunkte heraus - und gleich darauf erstrahlte das Sternenmeer in majestätischem Glanz. Doch diesmal war es etwas anderes als bei den vorangegangenen Flugetappen. In der Mitte des Bildschirms erstrahlte, tausendmal heller als alle anderen Sterne, eine blaßgelbe Sonne. 2. Buch: Wahlkampf 4. Am 8. Juni 3442, um 16.24 Uhr Norm-Zeit war die Verdummungsstrahlung innerhalb der Galaxis erloschen. Die Menschheit konnte aufatmen. Jetzt, knapp acht Monate später, steuerte das Solare Imperium einer neuen Krise entgegen. Die Ursache dafür war jedoch nicht eine Bedrohung durch fremde Mächte, sondern war vielmehr auf die innenpolitischen Verhältnisse zurückzuführen. Infolge der verheerenden Auswirkungen der Verdummung war eine außerordentliche Regierungsneuwahl auf allen Imperiumsplaneten beschlossen worden. Mit dieser Maßnahme hatten sich sowohl sämtliche politischen Parteien wie auch die Regierung unter Perry Rhodans Führung bereiterklärt. Es war allen klar, daß nach all den Wirren der letzten Jahre eine Neuwahl stattfinden mußte. Ebenso einig waren sich allerdings auch die Kenner der Materie, daß die neue Regierung mit der alten identisch sein würde. Zumindest war das am Anfang so. Es herrschte die allgemeine Meinung, daß die Neuwahl nur eine Formsache war. Doch schon die Wahlen der planetarischen Administratoren, die auf allen fünfzehnhundert Planeten des Imperiums im Januar 3444 stattfanden, zeigten, daß es zu gewaltigen politischen Umschichtungen gekommen war. Die Anhänger Rhodans, die Rhodanisten, die nicht in einer eigenen Partei vereinigt waren, sondern den verschiedensten politischen Strömungen angehörten, erlitten eine arge Schlappe. Dreizehn Prozent der Rhodan nahestehenden Administratoren verloren ihre Sitze im terranischen Parlament zugunsten der anderen drei großen politischen Fraktionen. Diese Entwicklung kam für Rhodan selbst nicht überraschend. Meinungsforscher hatten ihm Stimmverluste für die Neuwahlen vorausgesagt - allerdings nicht in dieser Höhe. Der Gesinnungswandel der Menschheit war auf die Nachwirkung der Verdummungsstrahlung zurückzuführen. Zwar hatte sich schon drei Monate nach dem Abklingen der Verdummungsstrahlung die volle geistige Leistungsfähigkeit der Menschen eingestellt, doch war bei fast allen eine seelische Unausgeglichenheit und verstärkte Labilität zurückgeblieben, die sie gegen alle äußeren Einflüsse stark anfällig machte. Und das hatten Rhodans Gegner ausgenutzt. Die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Schwarm waren allen noch all zu deutlich in Erinnerung. Hier boten sich genügend Ansatzpunkte, wo man einhaken konnte. Oft bis zum Extrem verzerrt, wurde Rhodans Verhaltensweise während der SchwarmKrise verurteilt, seine Person an den Pranger der öffentlichen Meinung gestellt. Die Menschheit, die durch die über zweieinhalb Jahre andauernde geistige Verstümmelung noch nicht zu sich selbst zurückgefunden hatte, wurde von den Slogans der politischen Propaganda hin und hergerissen. Aber selbst jene, die sich ein
eigenes Urteil bilden konnten, fanden nicht selten, daß etwas an den gegen Rhodan vorgebrachten Beschuldigungen sein mußte. Nun glaubte niemand mehr, daß sich auch diese Wahl zu einem triumphalen Sieg für Perry Rhodan gestalten würde. Die psychologische Auswertung ergab, daß er am 1. Februar immer noch die Sympathie einer Dreiviertelmehrheit besaß. Doch seine politischen Gegner arbeiteten unermüdlich gegen ihn, brachten immer neue Beschuldigungen vor. Von Rhodans Popularitätsverlust profitierten hauptsächlich die drei Kandidaten der galaktischen Großparteien: Marschall Bount Terhera von der Solargalaktischen InteressenLiga, Oberkommandierender der 43. Strategischen Innensektorflotte. Merytot Bowarote von der Galaktischen Toleranz-Union, der im Januar dieses Jahres neugewählte Administrator von Terra. Munisho Aerce von der Sozialgalaktischen BürgerrechtsFöderation, neuer regierender Obmann von Plophos; sie war eine der vier Frauen, die für das Amt des Großadministrators kandidierten. Die anderen drei Dutzend Kandidaten der in die Tausende gehenden galaktopolitischen Interessengruppen gingen praktisch chancenlos ins Rennen. Aber immerhin hatte Perry Rhodan drei ernstzunehmende Gegenkandidaten. Noch nie seit dem Bestehen des Solaren Imperiums war die Wahl des Großadministrators so offen gewesen wie diesmal. Milliarden Menschen erwarteten mit Spannung den 1. August. * "Ist das ein Empfang!" Oberst Carlyon, Marschall Bount Terheras Propagandachef für das Solsystem, sagte es mit vor Erregung vibrierender Stimme. Die anderen Offiziere, die die Kommandozentrale der VICTORY bevölkerten, sparten nicht mit zustimmenden Kommentaren. Nur der Mann, dem die Worte gegolten hatten, schwieg. Marschall Bount Terhera starrte auf den Panoramaschirm, auf dem der Raumhafen von Terrania zu sehen war. Hunderttausende hatten sich rund um das Landequadrat versammelt, auf dem die VICTORY niedergehen sollte. Drei Dutzend Kamerawagen von Terra-Television und anderen Fernsehstationen standen am Rande der Absperrung; fliegende Kameras zogen ihre Schleifen und begleiteten das achthundert Meter durchmessende Flaggschiff der 43. Strategischen Innensektorflotte. Hunderte von Reportern drängten sich am Rande des Landequadrats und konnten von den robotischen Ordnungshütern nur mühsam zurückgedrängt werden. Als die VICTORY auf ihren Teleskopstützen aufsetzte, übertrugen die Außenmikrophone den vielhunderttausendfachen Jubelschrei der Menge. "Das ist der Empfang für den zukünftigen Großadministrator!" rief Oberst Carlyon voll Überzeugung. Ein Seitenblick zu Bount Terhera zeigte ihm, daß das Gesicht des Marschalls immer noch ausdruckslos blieb. Der große, schlanke Mann, der die Autorität und die Selbstsicherheit eines sieggewohnten Herrschers ausstrahlte, wandte sich vom Panoramaschirm ab. Ohne jemand Bestimmten anzusehen, sagte er: "Ich glaube, es ist Zeit!" Mit diesen Worten marschierte er festen Schrittes auf den Schacht des Antigravlifts zu. Oberst Carlyon blieb an seiner Seite. Sie fuhren gemeinsam zur unteren Polschleuse hinunter. Erst als sie allein waren, lockerte sich Marschall Terhera starrer Gesichtsausdruck etwas.
"Wie ist die Stimmung im System?" erkundigte er sich bei seinem Propagandachef. "Sie könnte nicht besser sein", erklärte Oberst Carlyon. "Wir gewinnen mit jedem Tag neue Stimmen. Die Überläufer stammen alle aus dem Lager der Rhodanisten." "Wie konnte es passieren, daß der Kandidat unserer Partei bei der Administratorenwahl gegen Merytot Bowarote so jämmerlich abschnitt?" erkundigte sich Terhera scharf. "Mit 23 Prozent aller Stimmen war unser Mann besser bedient als erwartet", hielt Oberst Carlyon dagegen. Er warf Terhera einen verstehenden Blick zu. "Das bedrückt Sie also, Marschall? Nun, ich kann Sie beruhigen. Daß Professor Merytot Bowarote zum Administrator gewählt wurde, war ein Verdienst seiner Partei, der Galaktischen Toleranz-Union. Die Wahl des Großadministrators wird aber eine reine Persönlichkeitswahl sein." Marschall Terhera verzog spöttisch den Mund. "Sie tun gerade so, als genieße Bowarote auf Terra weniger Popularität als ich." "Die Wahl des Großadministrators wird nicht im Solsystem entschieden, sondern auf den Kolonialplaneten", entgegnete Oberst Carlyon. "Auch dort kennt man Bowarote." Oberst Carlyon machte eine wegwerfende Handbewegung. "Machen Sie sich darum keine Gedanken. Vergessen Sie Bowarote und diese Munisho Aerce, die die Tränendrüsen der Menschheit strapaziert. Sie haben nur einen einzigen Gegner Perry Rhodan!" Marschall Terhera nickte. Dabei straffte er sich unwillkürlich. "Ja, wenn ich Rhodan aussteche, habe ich die Wahl so gut wie gewonnen." Oberst Carlyon warf ihm einen schnellen Blick zu. "War die Kampagne bei den Kolonialplaneten erfolgreich?" fragte er. "Was ich hier über Television erfahren habe, war zwar recht eindrucksvoll, aber im Endeffekt nichtssagend." Marschall Terhera schüttelte den Kopf. "Nicht hier. Wir könnten belauscht werden. Wir sprechen im Hauptquartier weiter." Sie erreichten Deck 1. Dort warteten sie, bis die anderen Offiziere eintrafen. Erst als sie alle im Laderaum versammelt waren, gab Oberst Carlyon das Zeichen für das Öffnen der Bodenschleuse. Ein wahrer Begeisterungssturm brandete gegen die VICTORY, als der Oberkommandierende der 43. Strategischen Innensektorflotte auf der Rampe der Bodenschleuse erschien. Marschall Terhera lebte beim Anblick der jubelnden Menge sichtlich auf. Um seine Lippen spielte ein befreites Lächeln, er hob die Hände über den Kopf und winkte der Menge zu. Oberst Carlyon, der diesen Empfang organisiert hatte, vermerkte zufrieden, daß Terhera beeindruckt war. "Habe ich Ihnen zuviel versprochen!" rief er. Terhera legte ihm impulsiv die Hand um die Schulter und drückte ihn kurz an sich. Die Reporter hielten diese Szene mit ihren Kameras fest. Als Marschall Terhera und seine Leute das Ende der Rampe erreichten, durchbrachen die Hunderte von Berichterstattern die Absperrung der robotischen Ordnungshüter. Terheras private Leibgarde war sofort zur Stelle und schirmte ihn von allen Seiten gegen den Druck der Menschenmasse ab. Kaum waren die Reporter heran, feuerten sie stakkatoartig ihre Fragen auf den Kandidaten der Solargalaktischen Interessen-Liga ab. Terhera antwortete so gut es ging, beschränkte sich aber zumeist auf ein "kein Kommentar".
"Was sagen Sie dazu, daß die SGIL auf Terra die Wahl des Administrators verloren hat?" "Wir haben bei der außerordentlichen Wahl im vergangenen Monat Stimmen gewonnen. Dies werte ich als Sieg der SGIL!" "Es heißt, Sie hätten die Propagandareise zu den Pionierwelten nur gestartet, um mit anderen Parteien, die der SGIL nahe stehen, eine Koalition einzugehen. Stimmt das?" "Kein Kommentar." "In Ihren Wahlkundgebungen haben Sie immer wieder die Unfähigkeit des amtierenden Großadministrators Perry Rhodan bei der Bekämpfung des Schwarms herausgestrichen. Werden Sie diese Linie bis zum ersten August beibehalten und weiterhin versuchen, Ihren Gegenspieler bei den Wählern in Mißgunst zu bringen?" "Es ist nicht meine Absicht, irgend jemanden in Mißkredit zu bringen. Ich decke nur Tatsachen auf." "Stimmt es, daß Sie beim Parlament Mißtrauensanträge gegen Perry Rhodan einbringen werden?" "Kein Kommentar." "Wurde der Klub der Dreihundert von Ihnen persönlich oder von Ihrer Partei gegründet?" "Klub der Dreihundert? Kenne ich nicht!" "Bisher wurde der Wahlkampf noch nicht offen geführt. Wann werden Sie das Startzeichen für die Großoffensive geben?" "Merken Sie folgendes Datum vor: 1. Februar 3444." "Aber das ist heute!" "Danke, daß Sie es mir sagen." "Das heißt also, daß Sie noch heute eine großangelegte Kampagne starten werden?" "Kein Kommentar." "Werden Sie bei Ihrer heutigen TV-Kundgebung die Katze aus dem Sack lassen?" "Wenn Sie es wissen wollen, dann sehen Sie sich die Sendung doch einfach an." Es dauerte eine ganze Stunde, bis Marschall Terhera den für ihn bereitgestellten Luxusschweber erreichte. Weitere zehn Minuten dauerte es, den Wall von Menschenleibern so weit zurückzudrängen, daß der Schweber starten konnte. Der Flug zur Parteizentrale in der Amalthea Avenue dauerte dagegen kaum eine halbe Stunde. Schon zwei Stunden nach der Landung saß Marschall Terhera mit seinen engsten Vertrauten in einem abhörsicheren Raum des achtzig Stockwerke hohen Wolkenkratzers beisammen. 5. Von der Geheimkonferenz wurde kein Protokoll angefertigt. Die Teilnehmer durften sich nicht einmal Notizen machen, sondern mußten alle zur Sprache kommenden Punkte im Kopf behalten. Auf die Vorwürfe, daß Marschall Terhera die Geheimhaltung maßlos übertreibe, reagierte der Kandidat für das Amt des Großadministrators ziemlich heftig. "Unsere Taktik bestand von Anfang an darin, die Vorbereitungen bis zum letzten Augenblick geheimzuhalten. Das hat seit dem Tag, als die außerordentlichen Neuwahlen vom Parlament einstimmig beschlossen wurden, tadellos funktioniert. Und jetzt, kurz vor der Stunde Null, beklagen sich einige Herren darüber. Wollen Sie etwa, daß unsere Gegner vorzeitig Informationen erhalten und sich in ihrer Gegenpropaganda darauf einstellen können?" Als niemand antwortete, fügte er abschließend hinzu: "Heute Abend um 20.00
Uhr werden wir die Bombe platzen lassen. Können wir jetzt zur Tagesordnung übergehen?" Der Parteiobmann des Bezirk Mars hatte noch einen Einwand vorzubringen. "Sie stellen die Geheimhaltung als unsere stärkste Waffe hin, Marschall. Aber ist es nicht so, daß die Galaktische ToleranzUnion und die Sozialgalaktische Bürgerrechts-Föderation ebenfalls größtes Stillschweigen über ihr Wahlprogramm bewahrten, wir aber dennoch ihre Pläne in groben Umrissen kennen? Es wäre anmaßend anzunehmen, daß nicht auch aus unserer Partei etwas nach außen durchgesickert ist." "Wir haben sogar bewußt einiges durchsickern lassen", antwortete Oberst Carlyon lächelnd. "Die anderen Parteien können jedoch keinen Nutzen daraus ziehen, die Wähler wurden dagegen neugierig gemacht. Sagen wir so: Man meint, unsere Pläne zu durchschauen, kennt aber nicht die von uns geplanten Maßnahmen. Damit wären wir auch schon beim Thema angelangt." Oberst Carlyon wartete noch auf eventuell geäußerte Einwände. Als sie ausblieben, fuhr er fort: "Wir erinnern uns alle noch mit Schaudern der zweieinhalb Jahre dauernden Schrecken, die das Erscheinen des Schwarms ausgelöst hat. Die Menschheit hat diese Ereignisse noch nicht vergessen, denn auf die eine oder andere Art leidet jeder noch unter der Nachwirkung der Verdummungsstrahlung. Viele haben ihr Leben verloren, ein Großteil der Überlebenden büßte Besitztümer ein, alle stehen noch unter seelischem Druck. Die gesamte Menschheit ist betroffen. Acht Monate sind seit dem Erlöschen der Verdummungsstrahlung vergangen, aber noch immer sind ihre Spuren überall zu sehen. Hier haken wir nicht ein, das können wir getrost den beiden anderen Großparteien überlassen. Wir werden aufzeigen, warum es überhaupt erst soweit kommen konnte. Wir werden der Menschheit die Augen darüber öffnen, daß die zögernde Haltung eines unfähigen Großadministrators die Ursache für die Katastrophe war!" Einige der Konferenzteilnehmer quittierten Oberst Carlyons Ansprache mit gedämpftem Gelächter. Einer sagte: "Wir sind keine Wähler, Oberst, uns brauchen Sie nicht davon zu überzeugen, daß Rhodan nicht der richtige Mann für den Posten des Großadministrators ist. Sagen Sie lieber, wie der Menschheit die Augen geöffnet werden sollen." "Ganz einfach", sagte Marschall Terhera. "Ich werde alle Fehler aufzeigen, die Rhodan während der Schwarmbedrohung gemacht hat. Wir haben Berge von Beweismaterial gesammelt, daß Rhodan die Mittel gehabt hat, eine Katastrophe dieses Ausmaßes zu verhindern. Aber das wissen Sie selbst, denn Sie haben das Beweismaterial zusammengetragen. Was Sie nicht wissen können, ist, daß ich während meiner Propagandareise die Administratoren von dreihundert Planeten für unsere Sache gewinnen konnte. Sie stehen bedingungslos hinter mir - und damit auch praktisch die Bevölkerung dieser Welten. Außerdem habe ich aus sicherer Quelle erfahren, daß fünfhundert andere Planeten ebenfalls die Absicht haben, Mißtrauensanträge gegen Rhodan einzubringen. Details darüber werden nach der Stunde Null bekannt werden. Sie sehen, das halbe solare Imperium steht gegen Rhodan - und selbst die Rhodanisten haben zu ihrem Idol eine gewisse Distanz gewonnen. Mich würde nun interessieren, wie die Dinge während meiner Abwesenheit auf Terra gelaufen sind." "Zu unserer vollsten Zufriedenheit", erklärte Oberst Carlyon spontan. "Grundsätzlich sind all jene unsere Helfer, die vom Schwarm geschädigt wurden. Besonders starke Verbündete sind für uns die Wirtschaftsbosse. Sie erlitten während der zweieinhalb
Jahre nicht nur Billionenverluste durch Geschäftsentgang, sondern auch durch die Zerstörung von Fabrikationsanlagen. Allein durch die Transition des Sonnensystems entstanden an empfindlichen Geräten und Produktionsmaschinen Schäden, die einige hundert Firmen an den Rand des Ruins brachten. Ich will mich hier nicht in Einzelheiten verlieren, jedenfalls stehen die geschädigten Firmen und Großkonzerne ziemlich geschlossen hinter uns. Sie werden zum gegebenen Zeitpunkt gegen die Regierung - und vor allem gegen Perry Rhodan - rigoros vorgehen." "Das ist erfreulich", sagte Marschall Terhera. "Mir macht nur eines Sorge. Wenn Rhodan erkannt hat, worauf wir zusteuern, wird er zweifellos versuchen, die Wirtschaftsbosse mit Wiedergutmachungsversprechungen und Sanierungsangeboten zu ködern. Hoffentlich widerstehen sie diesen Verlockungen." Oberst Carlyon lächelte. "Rhodan kann keine Versprechungen machen, weil ihm die Mittel fehlen. Außerdem findet sich in seinem Wahlprogramm nichts dergleichen. In der Propaganda der Rhodanisten wird hauptsächlich auf die früheren Erfolge Perry Rhodans hingewiesen - Erfolge, die unbestreitbar sind, die aber schon zu lange zurückliegen, als daß sie die jetzige Generation berühren. Und damit kommen uns Rhodans Berater sehr entgegen. Indem sie auf Rhodans fast eintausendfünfhundert Jahre währende Amtszeit hinweisen, vergrößern sie die Kluft zwischen ihm und der Bevölkerung. Sie streichen seine Unsterblichkeit heraus, um damit die Assoziation von Unfehlbarkeit zu erwecken, erreichen dadurch aber nur, daß der Menschheit ihre Sterblichkeit offenbar wird." Marschall Terhera nickte. "Der Slogan Perry Rhodan, Großadministrator der Vergangenheit - der Mann für die Zukunft wird zu einem Bumerang für den Unsterblichen werden. Ab 20 Uhr wird auf das lebende Denkmal der Menschheit geschossen - und zwar scharf!" * Marschall Bount Terhera hatte sich eine halbe Stunde vor der Sendung im Studio eingefunden. Eine Minute vor 20 Uhr waren die Vorbereitungen abgeschlossen, die Kameras standen bereit, die Lichter flammten auf. Er saß an einem wie ein Kommandopult geformten Arbeitstisch, der bis auf ein Raumschiffsmodell und die Flaggen des Solaren Imperiums und der 43. Strategischen Innensektorflotte leer war. In seinem Rücken befand sich eine dreidimensionale Sternenkarte, in der die Grenzen des vom Menschen besiedelten Weltalles eingezeichnet waren. Die übrigen Sternenzonen waren neutral gehalten, als handle es sich um Niemandsland. Terhera hatte absichtlich diese Karte als Hintergrund gewählt, in dem nicht die Grenzen des Solaren Imperiums eingezeichnet waren, sondern der von Menschen besiedelte Großraum. Er wollte damit demonstrieren, daß die Menschheit trotz ihrer Aufsplitterung ein Volk war. Außerdem war bewußt auf die Sternenreiche der nichtmenschlichen Völker keine Rücksicht genommen worden, denn die SGIL verfolgte einen extrem nationalistischen Kurs mit dem Fernziel, daß eines Tages die gesamte Galaxis von Menschen beherrscht wurde. Und Marschall Bount Terhera war der Mann, der als Großadministrator dieses Ziel verwirklichen wollte. Als um Punkt acht Uhr auf Sendung geschaltet wurde, begann Terhera sofort mit klarer leidenschaftsloser Stimme zu sprechen. Es war, als verlese er den Tagesbefehl für seine Truppe. Seine Milliarden und aber Milliarden Zuhörer, die über das ganze Solare
Imperium verteilt waren, sollten vom ersten Augenblick an erkennen, daß sie es mit einem disziplinierten Militär zu tun hatten. Erst als Terhera auf die eigentlichen Probleme zu sprechen kam, zerrann seine starre Maske, und in seine beherrschte Stimme kam Farbe. Aber auch das, was wie eine Eruption von bislang aufgestauter Emotionen aussah, war das Ergebnis kalter Berechnung. Der kluge Stratege Terhera wußte, wie er sich die Menschen zuerst Untertan machen mußte, um dann ihre Sympathien für sich und ihre Abneigung für seine Gegner zu entfachen. Damit war jedoch nicht gesagt, daß er nicht an das glaubte, was er sagte. Hinter jedem seiner Worte stand echte Überzeugung. Und das machte ihn auch vor der Menschheit glaubwürdig. Es schien, daß er, ein Mann, der die Menschheit mit unnachgiebiger, starker Hand führen konnte, gerade zur rechten Zeit gekommen war. Und er war sich seiner Wirkung vollauf bewußt - deshalb ging er immer mehr aus sich heraus. Seine Schlußworte wirkten wie der Aufschrei eines vom Schicksal in die Enge Getriebenen, der aber nicht resignierte, sondern zum Kampf gegen das Schicksal aufrief. Das war vielen Menschen aus der Seele gesprochen. Hier seine Rede, die bis weit über die Grenzen des Solaren Imperiums hinaus gehört wurde: "Es geschieht zum ersten Mal, daß ich mich in einer Ansprache an die gesamte Menschheit wende. Der Grund dafür ist allen bekannt - ich habe mich um das Amt des Großadministrators beworben. Es ist immer problematisch, in eigener Sache zu sprechen, vor allem, wenn man sich mit einem Unsterblichen messen muß. Ein Unsterblicher hat mir Jahrhunderte an Erfahrung voraus, er hat die Vergangenheit erlebt - ich kenne sie nur von Erzählungen her. Ein Unsterblicher wird in jeder Situation, dank seiner Routine, sofort einen Ausweg zur Hand haben. Er braucht nicht viel zu überlegen, dann egal was ihm auch passiert, so wird er in den tausendfünfhundert Jahren seines Lebens irgendwann einmal mit einer ähnlichen Situation konfrontiert worden sein. Er kann die Erfahrung von damals erfolgreich anwenden. Es ist ein altes Sprichwort, daß sich alles wiederholt. Der Schwarm war nicht die erste Bedrohung für die Menschheit und wird nicht die letzte sein. Indes, hat es jemals eine ähnliche Gefahr für uns gegeben? War der Schwarm nicht etwas völlig Neuartiges, eine Bedrohung, wie sie die Menschheit noch nie erlebte und für die es daher keine Patentlösung geben kann? Konnte sich ein Unsterblicher bei den zu treffenden Entscheidungen auf seine Erfahrungen stützen? Auch wenn es diese völlig neue, noch nie dagewesene Situation nicht zuließ, so behaupte ich, daß er es tun mußte. Er konnte gar nicht anders, als den Weg weiterzugehen, den er seit eintausendfünfhundert Jahren beschritt. Die Frage lautet nun: Handelte der Unsterbliche richtig, als er die Schwarmgefahr nach erprobtem Muster zu beseitigen versuchte? Ich möchte die vergangenen Ereignisse, die alle noch deutlich in unserem Gedächtnis haften, ein wenig durchleuchten, um die Antwort herauszufinden. Die gesamte verdummte Menschheit war nicht in der Lage, sich selbst zu helfen, sondern ihr Schicksal lag in den Händen einiger weniger Immunen. Perry Rhodan, der Unsterbliche, war immun. Niemand wird dem amtierenden Großadministrator bestreiten, daß er in den zweieinhalb Jahren sein Bestes zu geben versuchte. Aber war es wirklich das Beste für die Menschheit? Mußte es wi rklich dazu kommen, daß das Sonnensystem vom Schwarm verschluckt wurde? Ich sage, nein! Ich behaupte, hier hat
Rhodan auf der ganzen Linie versagt, und ich werde diese Behauptung beweisen. Es stand schon seit den ersten Begegnungen mit der Schwarmflotte fest, daß unsere Schiffe um ein Vielfaches stärker waren. Die Überlegenheit unserer Schiffe nützte am Anfang nichts, weil nicht genügend Immune zur Verfügung standen, um sie zu bemannen. Später jedoch, als es Professor Dr. Geoffry Abel Waringer gelang, die GrIko-Netze herzustellen, sah die Situation schon anders aus. Die ersten hunderttausend GrIko-Netze hätten ausgereicht, um zahlreiche kleinere Kampfschiffe auszurüsten. Damit hätte man die Schwarmflotte in Schach halten können. Aber dabei hätte man es gar nicht bewenden lassen müssen. Der Schmiegeschirm des Schwarms galt nämlich nur bis zu dem Zeitpunkt als undurchdringlich, bis die Sextagonium-Sprengungen durchgeführt wurden. Warum wurde nicht weiterhin der SchwarmSchmiegeschirm mit Sextagonium-Sprengungen geöffnet? Man hätte so eine Passage schaffen können, um alle mit GrIko-NetzTrägern bemannten Schiffe einzuschleusen. Es hätten auch Raumschiffe mit verdummten Mannschaften in den Schwarm gebracht werden können - innerhalb des Schmiegeschirms hätten sie dann ihre volle geistige Kapazität zurückerhalten. Auf diese Art und Weise hätten wir es innerhalb des Schwarms auf eine unschlagbare Flotte gebracht. Was hätte diese Flotte für Erfolge erzielen können! Dem Unsterblichen ist es nach kurzem Aufenthalt im Schwarm gelungen, Stato I zu entdecken und zu vernichten. Damals war es für wirkungsvolle Maßnahmen vielleicht schon zu spät, denn der Schwarm war bereits in Solnähe transistiert. Aber wäre eine schlagkräftige Flotte im Schwarm gewesen, hätte man Stato I früher zerstören können. Ebenso einfach wäre es gewesen, alle anderen wichtigen Reizimpulsstationen des Schwarms aufzufinden und zu vernichten. Dadurch hätte man verhindert, daß der Schwarm in Solnähe transistierte und das gesamte System verschluckte. Der Schwarm aber wäre, noch bevor er solch unermeßlichen Schaden anrichten konnte, von innen heraus zersetzt und schließlich vernichtet worden. All das haben wir dem unsterblichen Rhodan zu verdanken, weil er nicht schnell genug und nicht umsichtig gehandelt und nicht kompromißlos gegen die Beherrscher des Schwarms vorgegangen ist. Rhodan rühmt sich seiner humanitär orientierten Politik wegen. Aber da stimmt doch irgend etwas nicht, wenn man den Feind mit Glacéhandschuhen anfaßt, während man es geschehen läßt, daß die eigenen Artgenossen dahingerafft werden! Wir sollten aus den Fehlhandlungen des Unsterblichen die Lehren ziehen. Erkennen wir, daß er nicht mehr in der Lage ist, die Menschheit zu beschützen. Vielleicht hat ihm das eintausendfünfhundertjährige Leben Weisheit beschert, aber seine Fähigkeiten als Staatsmann haben darunter gelitten. Die Menschheit braucht keinen weisen, sondern einen starken Mann, um überleben zu können. Das höchste Amt im Solaren Imperium sollte von einem Mann bekleidet werden, der in erster Linie die Interessen der Menschen vertritt und gegen deren Feinde hart und kompromißlos durchgreift. Dazu ist Perry Rhodan nicht in der Lage - daran sollte die Menschheit am 1. August denken!" Als Marschall Bount Terhera geendet hatte, wurde er sofort von seinen Männern mit Glückwünschen überschüttet. "Das hat gesessen, Marschall!" rief Oberst Carlyon und drückte ihm als erster die Hand. "Anhand der ersten Infratestergebnisse zeichnet sich ein überwältigender Erfolg für uns ab. Es hat den Anschein, als sei die gesamte Menschheit in unser Lager übergelaufen."
"Vergessen Sie nicht, daß die Menschheit seit der Verdummung seelisch zerrüttet ist", dämpfte Terhera den Optimismus seines Propagandachefs. "Keiner hat mehr eine feste Meinung, man denkt heute so und morgen so. Ein Wort von Rhodan genügt, und sie wechseln wieder zu ihm über. Aber das sorgt mich gar nicht. Die Wahlpropaganda ist schließlich erst angelaufen, und wir haben unser Pulver noch lange nicht verschossen." "Was bedrückt Sie dann? Etwa einer der anderen Kandidaten?" fragte Oberst Carlyon. Terhera nickte. "Kommen Sie mit mir in die Kabine, Oberst." Als sie in dem kleinen aber komfortabel ausgestatteten Raum eingetroffen waren, fragte Terhera: "Abhörsicher?" Nachdem Oberst Carlyon versicherte, daß sie nicht belauscht werden konnten, fuhr Terhera fort: "Dieser Soziologie-Preisträger Merytot Bowarote ist mir ein Dorn im Auge. Er steht weder links noch rechts, sondern hat in seiner Politik den goldenen Mittelweg gefunden. Das kommt beim Volk an. Es wäre gut, wenn ich etwas gegen ihn in der Hand hätte, damit ich ihn unter Druck setzen kann, falls er mir gefährlich wird." Oberst Carlyon war über diese Äußerung nicht einmal überrascht. "Ich habe Bowarotes Vergangenheit bereits durchstöbert", sagte er. "Aber da war nichts zu finden. Der Mann hat eine absolut reine Weste. Keine dunkle Machenschaften, keine Affären, rein gar nichts, mit dem man ihn erpressen könnte." "Wer redet von Erpressung!" herrschte Terhera ihn an. "Ich möchte nur etwas gegen ihn in der Hand haben, womit ich beweisen kann, daß er als Großadministrator nicht geeignet ist." "Egal wie man es dreht, dem Mann ist nicht beizukommen. Sogar das Doktorat als Galaktoregulator für Systemwirtschaft hat er sich nicht erschwindelt, sondern erarbeitet, ha, ha!" "Mir ist nicht nach Scherzen zumute. Irgendeinen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit werden Sie schon ausfindig machen!" "Wie Sie befehlen, Marschall!" Es klopfte an die Tür, und nachdem Terhera den Öffner betätigt hatte, kam einer seiner Leute hereingestürzt. "Perry Rhodan hat angekündigt, daß er zu den Vorwürfen Stellung nehmen wird", berichtete er atemlos. "Wann?" "In einer Stunde. Über Terra-Television." 6. Auf dem Bildschirm war ein ernster, deprimiert wirkender Perry Rhodan zu sehen. "Der Wahlkampf hat eben erst begonnen, und der Großadministrator resigniert bereits", sagte Merytot Bowarote verständnislos. Der Träger des "Großen Soziologie-Preises", Galaktoregulator für Systemwirtschaft und Administrator von Terra war ein großer, überaus schlanker und gebeugt gehender Mann. Bei einer Lebenserwartung von mindestens 300 Jahren stand er mit seinen 147 Jahren in der Mitte des Lebens. Obwohl er sich um die terranische Außenwirtschaft und die Kontakte zu den Fremdvölkern besondere Verdienste erworben hatte, wurde ihm prophezeit, daß seine große Zeit als Politiker erst vor ihm lag. Seine Partei, die Galaktische Toleranz-Union, kurz GTU genannt, hatte ihn nicht nur wegen seiner Popularität bei der Menschheit und den Fremdvölkern als Kandidat für die bevorstehende Wahl des Großadministrators nominiert. Der ausschlaggebende Grund
war, daß Bowarote für einen gesunden Mittelkurs in der Politik des Solaren Imperiums eintrat, wie ihn auch Perry Rhodan bevorzugte. Bowarote, tatkräftig von seiner Partei unterstützt, versuchte, die Interessen der Menschheit bestens zu vertreten, gleichzeitig strebte er aber auch freundschaftliche Beziehungen zu anderen Völkern an. Bowarote hatte einige Jahrzehnte als Diplomat Terras bei den Blues verbracht, war anschließend Botschafter bei den Maahks gewesen und kam erst zwei Jahre vor Einbruch der Verdummung nach Terra zurück. Die Wahl zum Administrator von Terra im Januar dieses Jahres hatte er vor dem Kandidaten der SGIL mit überwältigender Mehrheit gewonnen - nicht zuletzt, weil er von den Rhodanisten unterstützt worden war. Rhodan selbst war es gewesen, der die Rhodanisten aufgefordert hatte, ihre Stimmen Bowarote zu geben. "Es schmerzt mich zu sehen, mit welcher Teilnahmslosigkeit der Großadministrator in die Wahl geht", sagte Bowarote wieder, während Rhodans einleitende Worte aus dem Lautsprecher des TV-Gerätes drangen. "Seien Sie froh", entgegnete der Parteivorsitzende der GTU für die Terra Region, Hamsdierd Flee, der zugleich auch Bowarotes Propagandachef war. "Wenn Rhodan zurücksteckt, dann sind Ihnen die Stimmen der Rhodanisten sicher. Das würde Ihren Sieg bedeuten." "Soll nicht der bessere Mann gewinnen, Ham?" meinte Bowarote und strich sich die schulterlangen, graumelierten Haare aus der Stirn. "Wir wissen doch beide, daß Rhodan der fähigste Großadministrator ist, den man sich denken kann." Hamsdierd Flee wurde ungehalten. "Warum verschwenden wir dann Steuergelder für die Wahlwerbung, wenn Sie gar nicht gewählt werden wollen", sagte er mit unterdrücktem Zorn. Bowarote lächelte leicht. "Ich könnte das Zünglein an der Waage sein. Wenn ich verhindern kann, daß ein Mann wie Marschall Terhera gewählt wird, ist das schon ein Sieg für die Menschheit." Bowarote schnitt den zu erwartenden Einwand seines Propagandachefs mit einer Handbewegung ab und konzentrierte sich auf die Geschehnisse auf dem Bildschirm. Rhodan hatte seine Einleitung beendet und nahm zu den Vorwürfen Stellung, die von Terhera gegen ihn vorgebracht worden waren. "Die Darstellungen Marschall Terheras sind nicht stichhaltig, seine sogenannten Beweise sind bloß Fragmente und verzerren als solche die tatsächlichen Ereignisse", sagte der Großadministrator mit einer Stimme, die an Farbe gewonnen hatte. "Aus Marschall Terheras Worten geht hervor, daß er in militärischen Maßnahmen ein Allheilmittel sieht. Wenn er glaubt, mit der waffentechnischen Überlegenheit unserer Kampfschiffe hätten wir einen Sieg über die Schwarmflotte erringen können, so unterliegt er einem großen Irrtum. Wir waren den Schwarmschiffen nur scheinbar überlegen. Denn allein einige Walzenraumer der Schwarzen Dämonen hätten mit ihren hypnosuggestiven Strahlen jede Schlacht entscheiden können. Aber abgesehen davon, ging Marschall Terhera von ganz falschen Voraussetzungen aus. Das schon deshalb, weil er glaubt, alle Probleme mit militärischen Maßnahmen lösen zu können. Es stimmt, daß die von Professor Waringer gelieferten GrIkoNetze ausgereicht hätten, eine kampfstarke Flotte auszurüsten. Andererseits war das insofern nicht möglich, weil wir nicht alle verfügbaren Kräfte in den Kampf werfen konnten. Wir mußten auch die Milliarden von Verdummten betreuen, die ohne Unterstützung
hilflos gewesen wären. Welchen Schaden hätten diese Verdummten anrichten können, wenn sie sich selbst überlassen worden wären! Die schwerste Beschuldigung ist eindeutig die, daß die immunen Mitglieder der Regierung und ich zugelassen haben sollen, daß das Solsystem vom Schwarm verschluckt wurde. Theoretisch wäre das zu verhindern gewesen, zugegeben, aber in der Praxis waren die Voraussetzungen dafür nicht gegeben. Denn die Reizimpulsstationen wurden erst entdeckt, als wir uns innerhalb des Schwarms befanden und dort ausreichend Bewegungsfreiheit hatten. Die Entdeckung von Stato I ist überhaupt erst durch Hinweise gelungen, die uns der Cyno Schmitt gegeben hat. Wir hätten Stato I kaum entdeckt, und wenn doch, so hätten wir seine Bedeutung nicht erkannt, wenn wir nicht die Aussage Schmitts gehabt hätten. Die Vernichtung von Stato I wurde erst durch seine Bereitwilligkeit ermöglicht. Wenn Marschall Terhera das nächste Mal Anklage gegen die Regierung erhebt, dann sollte er sich nicht unsauberer Methoden bedienen, die letztlich ihn in ein schlechtes Licht stellen..." Merytot Bowarote schüttelte den Kopf. In Rhodans Rede steckte kein Feuer, keine Dynamik. Es genügte nicht, daß er einfach Fakten aufzählte, auch wenn sie Marschall Terheras Anklage noch so eindeutig widerlegten. Die Wahrheit allein war nicht genug, um die Massen zu überzeugen, sie mußte auch schmackhaft verpackt sein, damit sie geschluckt wurde. "Jetzt wäre für Sie Gelegenheit, das Zünglein an der Waage zu spielen, Administrator", sagte Hamsdierd Flee. "Die Infratests ergeben, daß ein Großteil der Überläufer zu Rhodan zurückgekommen ist. Es steht im Augenblick fünfzig zu fünfzig. Wenn Sie sich jetzt über Television an die Menschheit wenden, werden Sie der lachende Dritte sein." "Ich warte ab", entschied Bowarote. "Schließlich habe ich auch noch Pflichten als Administrator von Terra. Denen werde ich mich in den nächsten Tagen vornehmlich widmen." * Merytot Bowarotes Wahltaktik war einfach. Er würde den ganzen Februar und März hindurch den Wahlkampf von der Erde aus führen und Aufbauarbeit leisten. Für die Monate April, Mai und Juni war eine großangelegte Propagandareise vorgesehen, auf deren Route sich die wichtigsten Außenrandwelten befanden. Bei diesen Planeten handelte es sich durchwegs um Hochburgen der GTU, deren Bewohner von Bowarotes freundschaftlichen Beziehungen zu Fremdvölkern am meisten profitierten. Dort wollte sich vor allem die GTU die Stimmen für ihren Kandidaten sichern und Wähler aus den Reihen der Rhodanisten gewinnen. Bekanntlich gehörten die Rhodanisten keiner eigenen konstituierten Partei an, sondern es handelte sich dabei um jene Milliarden von Terranern und aus dem Solsystem stammende Kolonisten, die Perry Rhodan bedingungslos vertrauten. Die Rhodanisten waren in jeder der in die Tausende gehenden Parteien zu finden. Deshalb war jede galaktopolitische Interessengruppe in erster Linie darauf bedacht, die Rhodanisten aus den eigenen Reihen für ihren Kandidaten zu gewinnen. Marschall Bount Terhera war das zu einem hohen Prozentsatz gelungen, als er Perry Rhodan vorenthielt, zu lange zu zögern, wenn es galt, militärische Maßnahmen gegen die Feinde der Menschheit zu ergreifen. Merytot Bowarote wollte in den Anfangsphasen der Wahl noch nicht entscheidend eingreifen. Er dosierte seine öffentlichen
Auftritte ziemlich knapp, eine Fünf-Minuten-Sendung in TerraTelevision täglich hielt er für ausreichend. Sein Wirken beschränkte sich hauptsächlich auf seine Position als Administrator von Terra und war nur sekundär als Wahlwerbung gedacht. Er war nur selten in der Parteizentrale der GTU auf dem Frohner Square anzutreffen und hielt sich größtenteils in seinem Arbeitsraum in der Administration auf. Er vermerkte jedoch nicht ohne Besorgnis, welche Hektik Marschall Bount Terhera entwickelte. Die Absicht des SGILKandidaten wurde schon in der ersten Februarwoche deutlich. Er wollte Perry Rhodan diskriminieren und die gesamte amtierende Regierung in Mißkredit bringen. Das wurde aus seinen Wahlreden klar und zeigte sich auch in den Manipulationen, die er hinter den Kulissen vornahm. Schon am 2. Februar trafen 300 gegen Perry Rhodan und seine Vertrauten gerichtete Mißtrauensanträge in der Solar Hall ein. Sie wurden von den Administratoren jener Pionierwelten eingebracht, die sich zum sogenannten "Klub der Dreihundert" zusammengeschlossen hatten. Obwohl Marschall Terhera nachträglich seine Zugehörigkeit zum Klub der 300 bestritt, glaubte man ihm dies in eingeweihten Kreisen nicht. Denn es handelte sich grundsätzlich um jene Pionierwelten, die er auf seine Propagandareise bereist hatte. An den folgenden Tagen wurden weitere Mißtrauensanträge gegen Perry Rhodan gestellt, und am Ende der Woche waren es bereits über achthundert. Der Großadministrator, am Anfang noch redlich bemüht, die Vorwürfe in öffentlichen Stellungnahmen zu entkräften, mußte schließlich vor der Flut der Beschuldigungen resignieren. Er berief das Parlament für den 8. März zu einer Vollversammlung, um dort die Mißtrauensanträge behandeln zu lassen. Dieser Aufschub von einem Monat wurde von seinen Gegnern als Verzögerungstaktik hingestellt und gleichzeitig als Schuldbekenntnis gewertet. Gleichzeitig mit dieser gezielten politischen Maßnahme gegen die Regierung wurde eine zweite Kampagne von privater Seite gestartet. Schon nach dem Verschwinden des Schwarms am 5. Juni 3443 hatten viele Firmen und Personen, die sich durch die Verdummung geschädigt fühlten, Ansprüche auf Entschädigungen geltend gemacht. Die Anträge waren von der Regierung zur Kenntnis genommen und nach ihrer Wichtigkeit und der Reihenfolge der Einreichung behandelt worden. Niemand hatte davon besondere Notiz genommen. Jetzt wurde diese Angelegenheit plötzlich künstlich hochgespielt. Einige kleinere Parteien, die von Großunternehmern und Konzernen gegründet worden waren, warfen der Regierung vor, die Wiedergutmachung des der Öffentlichkeit durch den Schwarm entstandenen Schadens zu langsam und nicht im richtigen Ausmaß zu betreiben. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Aus allen Teilen des Imperiums trafen Klagen gegen die Regierung auf Schadenersatz ein. Es waren etliche tausend, hauptsächlich von eigennützigen Institutionen, Firmen und Konzernen eingereicht, die durch den direkten oder indirekten Einfluß des Schwarms finanzielle Verluste erlitten hatten. Wohlgemerkt, es handelte sich keineswegs um Anträge auf Wiedergutmachung, sondern um an den Obersten Gerichtshof des Imperiums gerichtete Klagen! Darin wurde Rhodan beschuldigt, durch seine falsche Handlungsweise die Geschäftsverluste und die Zerstörung kostspieliger Fertigungsanlagen verschuldet zu haben.
Als Beschuldigter wurde zwar die Regierung des Solaren Imperiums genannt, aber gemeint war Rhodan, denn auf ihm ruhte die Verantwortung. Viele dieser Klagen gingen über Merytot Bowarotes Schreibtisch, denn die klagenden Parteien waren auf Terra ansässige Firmen, deren Verluste durch die Transition des Solsystems entstanden waren. Bowarote beobachtete mit steigender Bestürzung, welche Ent wicklung der Wahlkampf nahm. Er glaubte nicht, daß der überwiegende Teil der Menschheit, der auf Rhodans Seite stand, plötzlich abtrünnig würde. Rhodan war immer ein guter Staatsmann gewesen, und das vergaßen selbst die durch die Verdummung zerrütteten Menschen nicht von einem Tag auf den anderen. Wenn sich viele auch beeinflussen lassen würden, so verblieben bestimmt noch genügend standhafte Rhodanisten, die dem Großadministrator zu einem Wahlsieg verhalfen. Vorausgesetzt natürlich, daß Rhodan sie in ihrem Glauben an ihn bestärkte. Doch gerade hier sah Bowarote den Grund zur Besorgnis. Wer könnte es Rhodan verübeln, wenn er unter der auf ihn einstürmenden Welle des Mißtrauens den Glauben an die Menschheit verlor und resignierte! Neben der Sorge um die zukünftige Politik des Solaren Imperiums, hatte Merytot Bowarote auch private Probleme. Am 8. Februar überreichte ihm sein Propagandachef Hamsdierd Flee einen knallroten Briefumschlag. Bowarote öffnete ihn und entnahm ihm ein halbes Dutzend 3-DFotos. Auf einem Bild war er mit einem Thermostrahler zu sehen und zu seinen Füßen lagen zwei tote Blues. Das Bild war aus einer so raffinierten Perspektive geschossen, daß es in dem Betrachter den Eindruck erweckte, daß Bowarote die Pose eines erfolgreichen Jägers einnahm. Das zweite Bild zeigte Bowarote mit haßverzerrtem Gesicht, wie er gerade seine Hände um den Hals eines nach Luft ringenden Blues legte. Auf den vier restlichen Bildern war Bowarote auf der Anklagebank eines Blues-Gerichts zu sehen. "Was soll das?" fragte Bowarote. "Drehen Sie das erste Bild um", riet der Parteivorsitzende der GTU. Bowarote tat es. Auf der Rückseite des Fotos stand in steiler Handschrift geschrieben: Ist das der Freund aller Fremdvölker? Aussprache erforderlich! Ein Schweber wird sie am 9. Februar vor der Administration erwarten. Diskretion zugesichert. "Erwarten Sie etwa, daß ich darauf reagiere?" fragte Bowarote erzürnt. "Den ersten Brief dieser Art habe ich ebenfalls ignoriert", sagte Hamsdierd Flee. "Aber das ist bereits der dritte. Wenn eines dieser Bilder an die Öffentlichkeit dringt, dann kann uns das teuer zu stehen kommen. Sie sollten sich zumindest einmal anhören, worauf dieser Erpressungsversuch hinausläuft, Administrator." 7. Munisho Aerce traf erst am 8. Februar auf Terra ein; zu einem Zeitpunkt also, da der Wahlkampf bereits in vollem Gang war. Dem weiblichen Obmann von Plophos wurde auf dem Raumhafen von Terrania ein Empfang geboten, der dem Terheras kaum nachstand. Die Kandidaten der Sozialgalaktischen Bürgerrechts-Föderation, besser unter der Kurzbezeichnung SBF bekannt, war auf der Erde sehr beliebt.
Ihr eilte der Ruf voraus, bei der Reorganisation der Sozialeinrichtungen Großes geleistet zu haben. Jedermann im Solaren Imperium wußte, daß die Erschaffung der Rehabilitationszentren für Verdummungsgeschädigte auf ihre Initiative zurückzuführen war. Plophos war die erste Welt gewesen, auf der es ein solches Rehabilitationszentrum gegeben hatte, in dem alle Menschen, die durch die Verdummung geistigen Schaden erlitten hatten, nach neu entwickelten Methoden geheilt wurden. Munisho Aerce war mit ihren 84 Jahren noch verhältnismäßig jung. Aber sie hatte schon früh mit ihrer diplomatischen Laufbahn begonnen und hatte sich in ihrer jahrelangen Tätigkeit als Erster Schreiber der plophosischen Staatsbank um ihre Welt verdient gemacht. Sie war mittelgroß, rothaarig, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Von ihrem Mann war kaum etwas bekannt, er führte das Schattendasein eines Prinzgemahls. In den Frauenzeitschriften des gesamten Imperiums war ihre glückliche Ehe ein beliebtes Thema; ihre Partei verstand es vorzüglich, sie als liebende Frau und Mutter, als modern denkend und schließlich auch als überragende Sozialpolitikerin hinzustellen. Munisho Aerce konnte gewiß sein, daß die Mehrzahl der Frauen am 1. August für sie stimmen würde. Zu ihrer Verteidigung muß gesagt werden, daß die PublicRelations-Manager der SBF nicht übertrieben, was ihre Fähigkeiten betraf; sie war als Expertin in Sozialfragen praktisch unübertroffen. Vom Charakter her war sie ehrlich und aufrichtig, was sie liebenswert machte. Sie hatte keine Feinde, und selbst ihre politischen Gegner anerkannten ihre Fähigkeiten neidlos. Es wäre unvorstellbar gewesen, daß irgend jemand gegen sie intrigierte. Gleich nach der Ankunft wurde ihr der Orden für Verdienste um die Resozialisierung der Verdummungsgeschädigten verliehen; Kinder überreichten Blumensträuße, Chöre erklangen... Munisho Aerce ließ geduldig über sich ergehen, was ihr der Propagandachef der SBF eingebrockt hatte. Als der Publicity-Rummel vorbei war, stellte sie ihn allerdings zur Rede und ließ sich das Programm für die nächsten Tage neu zusammenstellen. Am Tage nach ihrer Ankunft auf Terra inspizierte sie das Rehabilitationszentrum für Verdummungsgeschädigte, das in dem riesigen Gebäudekomplex des Ezialistischen Instituts untergebracht worden war. Schon nach einem kurzen Rundgang durch die Lehrsäle mußte sie neidvoll anerkennen, daß hier die Bedingungen für die Behandlung der Verdummungsgeschädigten besser waren als auf Plophos. Sie notierte im Geiste aber auch, daß die Möglichkeiten nicht voll genutzt wurden und nahm sich vor, die Verbesserungsvorschläge in ihrer nächsten Kundgebung einzustreuen. Neben einigen aufschlußreichen Fachgesprächen mit wissenschaftlich geschulten Betreuern mußte Munisho Aerce an verschiedenen Veranstaltungen, an einem Galadiner und an einer ermüdeten Festansprache des Anstaltsdirektors teilnehmen. Zwischendurch schüttelte sie unzählige Hände von Verdummungsgeschädigten, sprach tröstende Worte und spielte mit Kindern, die durch die Verdummung in ihrer Entwicklung um Jahre zurückgeworfen worden waren. Während der ganzen Zeit über klickten und surrten die Kameras - die Berichterstatter hatten Material genug, um Seiten ihrer Magazine und ganze Familiensendungen zu füllen. Als Abschluß ihrer Exkursion durch das Rehabilisationszentrum war ein Besuch in einer Abteilung für besonders schwere Fälle
gedacht. Munisho Aerce fühlte sich zu diesem Zeitpunkt bereits körperlich und geistig wie ausgelaugt, und sie wäre am liebsten auf dem schnellsten Weg in das Apartment im Gebäude der SBF zurückgekehrt. Aber dann sah sie ein, daß sie auch noch diese letzte Pflichtvisite hinter sich bringen mußte. Sie hatte die Abteilung für besonders schwere Fälle kaum betreten, als ihr eine Überraschung beschert wurde. "Muni!" Munisho Aerce erblickte den Mann, der sie mit ihrem Kosenamen angesprochen hatte und erkannte ihn sofort. "Halten Sie die Reporter zurück", sagte sie zu ihrem Berater. "Achten Sie darauf, daß keiner von ihnen ins Zimmer kommt." Während hinter ihr die Leibwächter und ihre Berater die Reporter zurückzudrängen versuchten, näherte sich Munisho Aerce lächelnd dem Mann, der in einem Bett saß, über das eine leicht flimmernde Energieglocke gestülpt war. "Afrigo, daß ich dich nach all den Jahren ausgerechnet hier wieder treffe", sagte sie fassungslos. Sie war beim Anblick ihres ehemaligen Jugendfreundes sofort mißtrauisch geworden. Konnte es Zufall sein, daß sich ihre Wege ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kreuzten? "Wie meinst du das?" fragte der etwa hundertjährige Mann in der Anstaltskleidung scharf. "Was gefällt dir an dieser Umgebung nicht, Muni? Dir wäre es wohl lieber gewesen, ich hätte dich in einem Palast empfangen. Ja, ja, jetzt bist du eine große Dame! Ein Wunder, daß du mich überhaupt brauchst." "Du hast mich erwartet?" fragte sie irritiert. Afrigo wollte sich mit den Händen an der Energieglocke abstützen, zuckte aber sofort wieder zurück, als er einen leichten elektrischen Schlag erhielt. "Glaubst du, sonst hätte ich mich in diese Klapsmühle versetzen lassen?" rief er empört. "Ich wollte dich sprechen. Du mußt mir hier heraus helfen. Ich bin vollkommen gesund. Aber die wollen mich hier behalten, weil ich zuviel weiß. Als ich erfuhr, daß du durch diese Abteilung kommst, habe ich mich versetzen lassen." Munisho Aerce warf dem Arzt einen Blick zu, und der formte mit den Lippen lautlos das Wort "Paranoia". "Von wem hast du erfahren, daß ich in diese Abteilung komme, Afrigo?" Afrigo lächelte geheimnisvoll. Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht. "Du mußt mir helfen, Muni", sagte er eindringlich. "Ich weiß, daß du das kannst. Du hast einen großen politischen Einfluß." Dann lächelte er verschwörerisch. "Wenn du dich nicht für mich einsetzt, dann erzähle ich allen, was vor fünfzig Jahren zwischen uns gewesen ist." "Was redest du da, Afrigo!" Er kicherte. "Glaube nur ja nicht, daß das zu lange zurückliegt, um jemanden zu interessieren. Ich weiß, daß du jetzt keine Skandale brauchen kannst. Aber wenn du mir nicht hilfst, dann werde ich plaudern. Und das gibt einen Skandal!" "Ich werde sehen, was sich tun läßt", murmelte Munisho Aerce. Als sie mit zweien ihrer Leibwächter durch einen Nebenausgang das Gebäude verlassen wollte, um den Reportern zu entgehen, sah sie sich plötzlich einer hundertköpfigen Menschenmenge gegenüber. Die Demonstranten stimmten bei ihrem Anblick Sprechchöre an, schüttelten ihre Fäuste und schwenkten riesige Transparente, auf denen Sprüche wie keine Amazone als Großadministrator! Munisho Aerce - Vertreterin der neuen Bourgeoisie! zu lesen standen. Munisho Aerce war froh, als sie den Schweber erreichte.
Zurück in ihrem Apartment, ließ sie ihren Propagandachef zu sich rufen. "Ich wußte nicht, daß auf Terra solch schmutzige Politik betrieben wird", sagte sie bitter. "Sie sollten die Demonstration nicht ernstnehmen. Die NTB (Nationalterranische Bruderschaft) hat im ganzen Solsystem nur einige zehntausend Mitglieder und ist bekannt dafür, daß sie gegen alles und jeden wettert. Niemand, außer sie selbst, nimmt sie ernst." "Es ist nicht nur wegen der Demonstranten", sagte Munisho Aerce. "Was mich wirklich bestürzt, ist die Begegnung mit Afrigo. Das war kein Zufall!" "Wie stehen Sie zu ihm?" erkundigte sich der Parteichef. "Gibt es etwas im Zusammenhang mit ihm, das man gegen Sie verwenden könnte?" Sie lächelte schmerzlich. "Wenn man es darauf anlegt, dann kann man auch aus einem Zwirn einen Strick drehen. Ich habe vor fünfzig Jahren mit Afrigo zusammengearbeitet, mehr nicht. Unsere Wege trennten sich, als ich in der Politik Karriere machte. Wir schrieben uns später gelegentlich. Zuletzt traf ich ihn vor zehn Jahren auf Plophos bei der Eröffnung eines Waisenhauses. Er war dort Erzieher. Unsere Begegnung war nur flüchtig, uns blieb nicht einmal Zeit, um Erinnerungen auszutauschen. Es ist mir unverständlich, wie jemand daraus eine Affäre machen kann." "Sie vergaßen, daß Afrigo selbst ziemlich eindeutige Bemerkungen über Ihre Beziehungen machte", erinnerte der Parteichef. "Er leidet an Bewußtseinsspaltung, das hat der Arzt selbst erklärt!" "Was kümmert die Leser von Klatschspalten die Wahrheit. Wenn sie Schlagzeilen wie Munisho Aerce besucht ehemaligen Geliebten in Rehabilitationszentrum lesen, werden sie sich sagen, daß etwas dahinterstecken muß." Munisho Aerce schüttelte verständnislos den Kopf. "Wer kann eine solche Gemeinheit ersonnen haben?" "Wir fanden bei Afrigo ein Parteibuch der NTB. Es wurde vor drei Tagen ausgestellt. Ich vermute, daß die Intrige von einer mächtigeren Partei ausgeht, die die NTB nur vorgeschoben hat. Wir werden von nun an auf der Hut sein müssen." * Munisho Aerce kam von einer Wahlversammlung zurück. Sie erinnerte sich mit Entsetzen an die Störversuche, die Mitglieder der NTB unternahmen und an die Rauferei, als die Saalordner die Unruhestifter hinausbefördern wollten. Sie hatte nur den einen Wunsch, sich schnellstens in ihr Apartment zurückzuziehen und ihre Lage in Ruhe zu überdenken. Gerade als sie aus dem Antigravschacht trat und auf ihre Tür zusteuerte, kam um die Ecke eines Korridors ein junger Mann gelaufen, dessen Gesicht blutverschmiert war. Zwei der in jeder Etage postierten Leibwächter waren hinter ihm her. "Helfen Sie mir, die bringen mich sonst um!" rief der junge Mann und klammerte sich an Munisho Aerce. Sie stellte sich schnell vor ihn, als die beiden Wachtposten herankamen. "Was hat das zu bedeuten?" erkundigte sie sich scharf. Der eine der beiden deutete auf den jungen Mann mit dem blutverschmierten Gesicht und sagte keuchend: "Er hat sich unter dem Vorwand eingeschlichen, seinen Mitgliedsbeitrag zahlen zu wollen. Dem Torposten kam er aber
gleich verdächtig vor. Er verständigte uns, und tatsächlich lief uns der Bursche beim Lastenaufzug in die Arme." "Mußten Sie ihn gleich so zurichten?" sagte Munisho Aerce. "Er gehört der NTB an und stieß Beleidigungen gegen Sie aus!" Munisho Aerce wandte sich an den jungen Mann. "Was haben Sie hier zu suchen?" Der junge Mann verneigte sich leicht und grinste. "Mein Name ist Helion Jorgan, Ich bin nicht nur ein Mitglied der NTB, sondern ihr Gründer. Und ich habe den gefahrvollen Aufstieg in Ihr Reich nur gewagt, um Ihnen eine Botschaft zu überbringen, Madam." "Ich höre." Helion Jorgan schüttelte den Kopf und sagte mit einem Seitenblick auf die beiden Wachtposten: "Nicht in Anwesenheit dieser beiden Schlägertypen. Die könnten mich mißverstehen und mich zusammenschlagen." Munisho Aerce überlegte kurz, dann sagte sie: "Kommen Sie mit mir auf mein Zimmer." "Aber...", wollte der eine Wachtposten aufbegehren. "Ihr könnt hier draußen warten und mir zu Hilfe kommen, wenn ich schreie", unterbrach sie ihn. Munisho Aerce schloß die Tür auf und trat vor Helion Jorgan ein. "Waschen Sie sich zuerst das Blut ab", sagte sie. "Dort ist das Bad." Als Helion Jorgan nach einigen Minuten zurückkam, sich gereinigt und seine Kleider in Ordnung gebracht hatte, stellte sie überrascht fest, daß er einen recht sympathischen Eindruck machte. Er hatte ein glattes, hübsches Gesicht mit braunen Augen. Sein schwarzes Haar war zerzaust, wirkte aber dennoch gepflegt. Er war der Typ, bei dem sie an ihre eigenen Kinder erinnert wurde und bei dem sie unwillkürlich Mutterinstinkte empfand. Sie mußte sich immer vor Augen halten, daß dieser Mann mit dem unschuldigen Gesicht ein Komplott gegen sie schmiedete, um nicht zu vergessen, daß sie einen Gegner vor sich hatte. "Ich hätte nicht gedacht, daß Sie mich so freundlich behandeln würden", sagte er. "Dafür bin ich Ihnen zu aufrichtigem Dank verpflichtet, Madam." "Von Ihrer Aufrichtigkeit dürfte nicht viel zu halten sein", entgegnete sie. "Aber ich trete eben selbst in Extremfällen für eine friedliche Koexistenz ein." "Ich bin für Zusammenarbeit", sagte Helion Jorgan. Munisho Aerce blickte überrascht auf. "Wie meinen Sie das?" Jetzt zeigte Helion Jorgan wieder sein entwaffnendes Lächeln. "Wie ich es sage, Madam. Ich möchte eine Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parteien. Zugegeben, die NTB ist im Vergleich zur SBF ein Zwerg. Aber wir haben Möglichkeiten, Ihnen zu helfen, oder - Ihnen zu schaden. Eine Koalition zwischen uns würde für beide Teile Vorteile bringen. Wir würden von Ihrer finanzstarken Partei materielle Unterstützung erhalten, und wir würden Ihnen dafür eine moralische Hilfe sein. Zum Beispiel könnte ich dafür sorgen, daß Ihr Freund Afrigo nicht plaudert." Munisho Aerce hatte nur für einen Augenblick Zorn in sich aufflammen gespürt. Jetzt war sie wieder ganz ruhig. "Wie man sich täuscht", sagte sie wie zu sich selbst. "Ich dachte, daß ein politischer Gegner versucht, mich zu seinem Vorteil bei den Wählern in Mißkredit zu bringen. Dabei handelt es sich um einen erbärmlichen kleinen Erpresser, der die Wahl dazu benutzt, sich persönlich zu bereichern. Verschwinden Sie!" Helion Jorgan rührte sich nicht vom Fleck. Selbstsicher, ja, überheblich blickte er auf sie hinab.
"Sie sehen nicht klar", sagte er bedauernd. "Sie sehen ganz und gar nicht klar. Aber ich werde Sie aufklären. Wenn Sie sich weigern, mit der NTB zusammenzuarbeiten, dann werde ich mich an eine der beiden anderen großen Parteien wenden. Es sind schon Vorverhandlungen gelaufen, die einiges versprechen lassen. Ich will Ihnen auch nicht verschweigen, daß sich die SGIL an einer Zusammenarbeit äußerst interessiert gezeigt hat. Wir sind uns nur noch nicht über die Höhe der Subventionen für die NTB im klaren. Noch ist es nicht zu spät, einen Pakt mit mir zu schließen, Madam. Wenn aber erst Marschall Terhera das Material über Sie in Händen hat, können Sie Ihre Hoffnungen auf den Posten eines Großadministrators sofort begraben." Munisho Aerce antwortete nicht darauf. Sie ging wortlos zur Tür und öffnete sie. Draußen erschienen die beiden Posten. Als Helion Jorgan sie sah, kam Bewegung in ihn. Er hob den beiden die Hände abwehrend entgegen und rief: "Nur nicht ungeduldig werden, meine Herren, ich gehe schon. Noch einmal möchte ich die Spezialbehandlung der SBF nicht zu spüren bekommen." An Aerce gewendet, fügte er hinzu: "Bevor ich es vergesse - schöne Grüße von Afrigo." Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, ging sie zum Bildsprechgerät und wählte die Nummer ihres Propagandachefs. Als er sich meldete, sagte sie: "Erstatten Sie gegen Helion Jorgan Anzeige. Er hat eben versucht, mich zu erpressen." Am Morgen des 10. Februar stach Munisho Aerce die Schlagzeile eines Boulevardblattes in die Augen. Dort stand es schwarz auf weiß, Munisho Aerces heimliches Rendezvous im Rehabilitationszentrum! Weitere Enthüllungen stehen bevor! 8. Die Stimmung in dem Haus am Goshun-See entsprach der vor einem Kampf, von dem man wußte, daß er mit einer Niederlage enden würde. Perry Rhodan hatte sich mit seinem gesamten Stab hierher zurückgezogen. Er verließ das Haus praktisch nie und unterhielt sich nur mit seinen engsten Freunden. Als Reginald Bull das Eintreffen Merytot Bowarotes meldete und dessen Wunsch übermittelte, ihn, Rhodan, zu sprechen, wollte er im ersten Moment nichts davon wissen. Erst als Reginald Bull nicht lockerließ, gab Rhodan nach. Er stand am Fenster und blickte auf den übervölkerten Park hinaus, als er hinter sich das Geräusch einer sich öffnenden Tür hörte. Rhodan drehte sich um und ging seinem Besucher entgegen. Sie schüttelten sich wortlos die Hände, Rhodan deutete auf einen bequemen Sessel, und sie setzten sich beide. Merytot Bowarote sprach als erster. "Sie brauchen nicht zu befürchten, daß irgend jemand etwas von meinem Besuch erfährt, Herr Großadministrator", sagte er. "Ich bin unter Anwendung der strengsten Vorsichtsmaßnahmen zu Ihrem Hauptquartier geflogen." Rhodan winkte ab. Mit einem bitteren Lächeln erklärte er: "Hier sieht es nur so aus wie in einem Hauptquartier. In Wirklichkeit ist das meine Klause, in der ich mich vor der Menschheit verstecke, Administrator Bowarote. Ich habe mich vorerst aus dem Wahlkampf zurückgezogen." Bowarote schwieg eine Weile, dann sagte er nur ein Wort: "Warum?"
Rhodan sah ihn an. "Liegen die Gründe nicht auf der Hand?" "Gerade von Ihnen hätte ich es am wenigsten erwartet, daß Sie so schnell resignieren. Ich beschwöre Sie, Herr Großadministrator, steigen Sie wieder in den Wahlkampf ein. Oder wollen Sie Bount Terhera das Feld kampflos überlassen?" "Terhera?" sagte Rhodan verwundert. "Sie glauben doch nicht, daß dieser Knopfdruck-Offizier echte Chancen hat! Sie, Administrator Bowarote, sind der Mann, auf den die Menschheit nach meinem Rücktritt schwören wird." "So dürfen Sie nicht sprechen", sagte Bowarote entsetzt. "Ich kann Ihre Verbitterung verstehen, aber so dürfen Sie nicht sprechen!" "Sie können meine Verbitterung verstehen?" Rhodan lachte gekünstelt. "Nichts können Sie verstehen, denn Sie wissen nicht, was sich tatsächlich in der Galaxis abspielt. Ich werde Ihnen einiges verraten, denn ich vertraue Ihnen." "Seien Sie nicht so sicher, daß Sie mir vertrauen können!" sagte Bowarote. "Überlegen Sie sich gut, was Sie mir mitteilen wollen, Herr Großadministrator!" "Verdammt, es ist ein offenes Geheimnis, daß die Menschheit gegen mich ist", sagte Rhodan leidenschaftlich. Er besann sich, mit wem er sprach. "Entschuldigen Sie, aber manchmal gehen meine Nerven mit mir durch. Es kommt zuviel auf mich zu. Mißtrauensanträge, Schadenersatzklagen, Schmähbriefe - ja, sogar Morddrohungen. Täglich treffen Tausende von Briefen von empörten Menschen ein, die in mehr oder weniger drastischen Worten meinen Rücktritt fordern. Jeden Tag kommen neue Hiobsbotschaften von den Pionierwelten; Administratoren, Parteiführer großer politischer Machtblöcke, einflußreiche Persönlichkeiten des Privatlebens wenden sich von mir ab. Es sind Personen und Gruppen darunter, mit deren Unt erstützung ich jederzeit rechnen konnte. Jetzt springen sie nacheinander ab und laufen in Terheras Lager über. Bedarf es noch mehr Beweise, um den Willen der Menschheit zu dokumentieren?" "Sie wissen so gut wie jeder andere, daß diese Leute manipuliert wurden", entgegnete Bowarote. "Die zweieinhalb Jahre Verdummung haben der Menschheit viel Substanz genommen. Die Menschheit ist wankelmütig, unentschlossen, sie glaubt bald diesem und bald jenem. Es liegt an Ihnen, sich der Menschheit in Ihrer wahren Größe zu zeigen. Wenn Sie nicht kämpfen, dann freilich wird Terhera seine Position immer mehr festigen. Die Menschheit ist nicht gegen Sie, sie wird nur gegen Sie aufgehetzt." "Das ist mir klar", erwiderte Rhodan. "Terhera beeinflußt die Meinung der Masse. Ich würde mich auch gar nicht einschüchtern lassen, wenn ich überzeugt wäre, daß Terheras Beschuldigungen zu Unrecht bestehen. Aber in mir sind Zweifel. Ich frage mich, ob Terheras Auslegung über die Bekämpfung des Schwarms unter Umständen nicht doch stimmt. Ich kapituliere nicht vor Terhera, sondern vor der Tatsache, daß ich vielleicht falsch gehandelt habe. Solange ich nicht die Gewißheit habe, daß mein Vorgehen während der Schwarmkrise richtig war, kann ich bei der Neuwahl nicht kandidieren. Ich möchte das Beste für die Menschheit, aber das kann ich ihr nicht geben, solange ich an meinen eigenen Fähigkeiten zweifle. Ich würde mich bei jeder Maßnahme fragen, ob sie richtig ist oder eine Fehlleistung. Sie verstehen das sicher, Administrator Bowarote." "Ich an Ihrer Stelle würde ebenso handeln", sagte Bowarote, schränkte jedoch sofort ein: "Wenn ich wüßte, daß es einen würdigen Nachfolger gäbe. Aber glauben Sie, daß Sie ihn in Terhera gefunden habe, der zuerst schießt und dann erst fragt?"
"Ich sehe in Ihnen einen würdigen Nachfolger", antwortete Rhodan. "Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich an die Rhodanisten appellieren, für Sie zu stimmen, Administrator Bowarote." Der Afro-Europäer schüttelte langsam den Kopf. "Setzen Sie besser nicht auf mich." Mit diesen Worten holte er einen knallroten Umschlag hervor und leerte ihn über dem Tisch. Zwei Dutzend Fotos fielen heraus. Dazu sagte er: "Wie glaubhaft ist ein Mann, der vor aller Welt für Rassengleichheit und die Verbrüderung aller Völker eintritt, von dem jedoch Fotos existieren, aus denen eindeutig hervorzugehen scheint, daß er in der Lage ist, Fremdwesen kaltblütig zu erschießen." Rhodan betrachtete das Bild, auf dem zu sehen war, wie ein noch ziemlich junger Merytot Bowarote mit entsichertem Strahler vor zwei toten Blues stand. "Eine Fälschung?" fragte der Großadministrator. "Eben nicht", antwortete Bowarote. "Wie kam es dazu?" "Ich handelte in Notwehr. Sie können sich vorstellen, daß ich als Diplomat Terras im Blues -Sektor nicht gerade beliebt war. Ich kann die Mordanschläge, die auf mich verübt wurden, nicht zählen. Ein Blues-Gericht hat mich damals freigesprochen. Ich handelte in Notwehr - aber wer fragt heute danach?" "Und Sie glauben, daß Terhera dahintersteckt?" wollte Rhodan wissen. "Ein Mittelsmann, mit dem ich mich traf, hat mir das zu verstehen gegeben", antwortete Bowarote. "Das und einiges mehr. Ich soll praktisch nur als Terheras Strohmann kandidieren und seine eigene Wahl begünstigen." "Wenn das stimmt, werde ich Terhera das Handwerk legen", sagte Rhodan gepreßt. "Sie, Administrator Bowarote, bereiten sich inzwischen darauf vor, daß ich zu Ihren Gunsten vor meiner Kandidatur zurücktrete." Die beiden Männer erhoben sich und schüttelten einander die Hände. Bowarote fragte: "Ist das Ihr letztes Wort, Herr Großadministrator?" Rhodan lächelte ungewiß. "Ich möchte mich noch nicht endgültig festlegen. Aber wahrscheinlich werde ich meine Meinung kaum mehr ändern." * Als Reginald Bull den großen, gebeugt gehenden Afro-Europäer, der das graumelierte Haar schulterlang trug, aus dem Haus kommen sah, steuerte er auf ihn zu. "Sie machen mir nicht gerade einen glücklichen Eindruck, Administrator", sagte Bull. "Müßig zu fragen, ob Sie Erfolg gehabt haben." "Wenn Sie als sein bester Freund keinen Einfluß auf ihn ausüben können, Staatsmarschall", sagte Bowarote, "was soll dann ich ausrichten?" "Als sein Freund denke ich in erster Linie an sein persönliches Wohl", entgegnete Bull. "Und Sie können mir glauben, daß ich ihm geraten habe, sich zuerst einmal von dem Schock zu erholen. Er braucht vorerst Entspannung und Ablenkung, um etwas Abstand zu gewinnen." Bowarote nickte. Bull hatte vor, den terranischen Administrator zu seinem Schweber zu geleiten. Doch auf halbem Wege wurde er aus der Richtung des Hauses angerufen. Er verabschiedete sich von Bowarote und kehrte um.
Galbraith Deighton, Erster Gefühlsmechaniker und Chef der Solaren Abwehr, erwartete ihn an einem Nebeneingang. "Kommen Sie schnell, Bully." "Haben Sie schon wieder eine Hiobsbotschaft für mich?" erkundigte sie Bull. "Vielleicht", sagte Deighton. "Aber zu Abwechslung handelt es sich mal um eine Nachricht, die nichts mit der bevorstehenden Wahl zu tun hat. Ein Explorerschiff ist eben unter recht seltsamen Begleitumständen ins System eingeflogen. Ich dachte, es würde Sie interessieren." "Mir ist jeder Vorwand recht, um dem Wahlrummel entfliehen zu können", meinte Bull. Sie gingen ins Haus. In diesem Teil waren die Funkgeräte und die Computer untergebracht. Ein Dutzend Funker und Techniker waren Tag und Nacht damit beschäftigt, die neuesten Meldungen über den Stand des Wahlkampfes entgegenzunehmen, aufzuzeichnen und auszuwerten. In einem angrenzenden Raum liefen zehn Monitoren gleichzeitig, die alle politischen Programme, die mittelbar oder unmittelbar mit der Wahl zu tun hatten, sendeten. Rhodan konnte sich jederzeit einschalten und jedes beliebige Programm auf seinem Zimmergerät empfangen. Deighton führte Bull zu einem der beiden Hyperkome und überreichte ihm ein Hypergramm. Darauf stand: 12. Februar 3444 + + + 18:23 Uhr Standard-Zeit + + + Kugelraumer der SOLAR-Klasse unmittelbar nach dem Austritt aus dem Linearraum geortet + + + Identifikation vorerst negativ + + + Keine Reaktion auf Anrufe + + + Nach Anflug Identifikation: Ex887-VRT + + + "Ich erinnere mich nicht an den Start eines Explorerschiffes mit dieser Bezeichnung", sagte Bull nachdenklich. "VRT bedeutet Vollrobot-teilbemannt, ich bin jedoch überzeugt davon, daß seit dem Verschwinden des Schwarms kein Schiff dieses Typs ausgeschickt wurde." Das Zusatzgerät an dem Hyperkom, das den Funkspruch in Schriftzeichen übertrug, trat wieder in Tätigkeit. Bull ergriff den Streifen und las den Text, während das Schreibgerät ihn auswarf. "Positronik der EX-887-VRT strahlt Funkimpulse aus, die vorerst keinen Sinn zu ergeben schienen... Erst unsere eigene Schiffspositronik erkannte sie als Erkennungsimpulse, die vor vier Jahren Gültigkeit besaßen... Kode ist seit vier Jahren verjährt... Erbitten Anweisungen vom terranischen Experimentalkommando... Schwerer Kreuzer KASHMIR, Innensektor-Überwachungsflotte, Kommandant..." Reginald Bull sah auf. "Kein Wunder, daß ich mich nicht erinnern konnte", sagte er. "Das Schiff ist vor vier Jahren gestartet. Damals wurde eine Reihe von teilbemannten Robotschiffen zur Erforschung der Galaxis ausgeschickt. Die Ex-887-VRT ist längst überfällig." "Wahrscheinlich eine Folge der Verdummungsstrahlung", vermutete Galbraith Deighton. "Wahrscheinlich", pflichtete Bull bei. Er wandte sich an den Funker. "Geben Sie an die KASHMIR durch, daß die Ex-887-VRT vorerst Einflugerlaubnis erhält. Aber einige Begleitschiffe sollen in der Nähe bleiben. Man kann nie wissen." Der Funker führte den Befehl aus. Er hatte den Funkspruch kaum abgesandt, da trug ihm Bull auf: "Setzen Sie sich mit dem Experimentalkommando in Verbindung. Ich möchte alle Unterlagen über die Ex-887-VRT und überhaupt über alle Schiffe dieses Typs haben. Aber schnell.
Wenn nötig, soll NATHAN zwischengeschaltet werden." Als Bull geendet hatte, stellte er fest, daß Galbraith Deighton grinste. "Ihr Eifer ist bewundernswert", meinte der Erste Gefühlsmechaniker. "Wenn ich nicht wüßte, daß Sie nur die Gelegenheit ergreifen, um dem Wahlrummel zu entkommen, könnte ich meinen, Sie befürchteten eine ernste Bedrohung für die Erde." "Ich würde diese Möglichkeit nicht völlig ausschließen", erwiderte Bull. "Aber man muß nicht sofort an eine Bedrohung denken, um sich für ein Schiff zu interessieren, das so lange überfällig ist." "Ich habe das Experimentalkommando in der Leitung", meldete sich der Funker. "Soll ich die Verbindung auf ein Visiphon überstellen, Sir?" "Ja, machen Sie schon", sagte Bull ungeduldig. Er ging zum nächsten Bildsprechgerät und wartete, bis die Verbindung hergestellt war. Auf dem Bildschirm erschien ein hübsches, rothaariges Mädchen, das bei Bulls Anblick den Mund vor Überraschung nicht schließen konnte. "Jetzt zeigen Sie, daß Sie den Teufel nicht fürchten, Mädchen, und sagen mir, was ich wissen möchte", verlangte Bull. "Ja, Sir... ich wußte nicht, daß Sie..." Sie räusperte sich und blickte auf Unterlagen, die sie vor sich liegen hatte. "Die Ex-887VRT wurde am 4. Juni 3440 gestartet. An Bord war eine Kontrollbesatzung von fünfzehn Freiwilligen. Bei dem Kommandanten handelte es sich um einen Major des Experimentalkommandos. Sein Name war Dr. Talt Rebowo..." "Wieso war", unterbrach Bull. "Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Mädchen! Wir wollen doch hoffen, daß die Kontrollbesatzung noch lebt, nicht wahr?" "Natürlich", sagte das Mädchen irritiert. "Was können Sie mir noch über die Ex-887-VRT sagen?" drängte Bull. Das Mädchen fuhr fort: "Die Ex-887-VRT gehört zu jenem Typ von Robotexplorern, wie sie in den Jahren 3435 bis 3440 in die unbekannten Gebiete der Galaxis ausgeschickt wurden. Auf allen diesen Schiffen war lediglich eine Kontrollbesatzung stationiert. Sie sollten die Sonnensysteme der unbekannten Regionen erkunden, eventuell vorhandene Planetensysteme registrieren und nach erfüllter Aufgabe zur Erde zurückkehren. Es bestand in jedem der Fälle striktes Landeverbot." "Nun ergibt sich die Frage, ob sich die Mannschaft der Ex-887VRT daran gehalten hat", warf Bull ein. "Würden Sie fast vier Jahre in einem Raumschiff eingeschlossen bleiben und Entbehrungen auf sich nehmen, nur wegen eines Befehls, der in dieser Situation kaum mehr Gültigkeit besitzt, Mädchen?" "Ich weiß nicht, Sir..." "Weiter!" "Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Nur noch, daß die Ex-887-VRT den Auftrag hatte, im Zentrum Übernord, Alpha I bis III die Sonnenund Sonnensysteme zu katalogisieren." Bull bedankte sich und verlangte, daß er sofort über seine Privatfrequenz informiert wurde, wenn die Nachforschungen neue Aspekte ergaben. "Haben Sie mitgehört?" sagte Bull zu Deighton, nachdem der Bildschirm erlosch. "Die Berichte der Kontrollbesatzung und die Auswertung der Schiffspositronik versprechen recht interessant zu werden. Das Zentrum Übernord liegt jenseits des Mittelpunkts auf der anderen Seite der Galaxis. Ein völlig unerforschtes Gebiet." "Wahrend Sie flirteten, haben die Wachschiffe den Kurs und das voraussichtliche Ziel der EX-887-VRT berechnet", sagte Deighton.
"Der Robotexplorer fliegt geradewegs auf Terra zu - wie könnte es auch anders sein! Als Zielgebiet wurde das nördliche Sibirien angegeben." In Bulls Augen blitzte es auf, als er sagte: "Gibt es hier Wichtiges für Sie zu tun, oder würden Sie mich in das Zielgebiet begleiten?" "Als Chef der Solaren Abwehr sehe ich es als meine Pflicht an, mich an den Untersuchungen zu beteiligen", meinte Deighton mit leichtem Lächeln. "Hat die Kontrollbesatzung ein Lebenszeichen von sich gegeben?" "Bisher noch nicht." "Hoffentlich ist noch jemand von den fünfzehn Mann am Leben", sagte Bull düster. 3. Buch: Titanenkampf 9. Die Ex-887-VRT raste auf die Nachtseite der Erde zu. Obwohl die Bremsmanöver schon lange eingeleitet worden waren, war die Geschwindigkeit beim Eintauchen in die Atmosphäre immer noch zu hoch. Die durch die Luftreibung erhitzte Hülle des fünfhundert Meter durchmessenden Robotexplorers begann zu glühen und fiel wie ein feuriger Meteor über den Nachthimmel Sibiriens. Erst in einer Höhe von zwanzig Kilometer hatten die Bremsdüsen die Fallgeschwindigkeit auf annähernd normale Werte gedrosselt. Als die gigantische Metallkugel in die Wolkendecke eintauchte, die über der Laptewsee und den Neusibirischen Inseln lag, war sie bereits ausgeglüht. Sie durchstieß die Wolkendecke und sank durch den von Schneestürmen gepeitschten Luftraum wie ein schwarzer Schemen tiefer - geradewegs auf die Insel Kotelnyj zu... Als Reginald Bull und Galbraith Deighton mit dem Gleiter die Landestelle erreichten, waren bereits drei Schwere Kreuzer der Wachflotte dort niedergegangen. Unter ihnen befand sich die KASHMIR, deren Kommandant den Robotexplorer zuerst geortet hatte. Außerdem waren auch die von Bull und Deighton angeforderten Spezialfahrzeuge des Experimentalkommandos und der Solaren Abwehr eingetroffen. Bull und Deighton, die sich nicht die Zeit genommen hatten, sich für die hier herrschenden winterlichen Bedingungen entsprechend auszurüsten, mußten sich von den Bodentruppen Schutzanzüge besorgen. Dann erst konnten sie die Meldung Dr. Kinsha Rastrows entgegennehmen. Dr. Rastrow war Xenologe und Kosmobiologe und stand bei der Explorerflotte im Range eines Obersten. Er war fast zwei Meter groß, besaß einen durchtrainierten Körper und die blaßgelbliche Haut eines Eurasiers. Bull hatte ihm die Leitung des Unternehmens "Später Heimkehrer" übertragen, weil der Xenologe hier ganz in der Nähe mit seinem Team stationiert war und weil er ein äußerst fähiger Mann war, der jeder Situation gewachsen zu sein schien. Der Explorer-Oberst zog sich mit seinem Chef und dem Ersten Gefühlsmechaniker in die Kanzel eines Shifts zurück, der zusammen mit zwanzig anderen Flugpanzern in einem Kreis um die Landestelle stand und den fünfhundert Meter durchmessenden Robotexplorer mit seinen starken Scheinwerfern anstrahlte. Doch der Schneesturm war so heftig, daß man die Ex-887-VRT trotz der starken Beleuchtung mehr erahnen als sehen konnte. Nur wenn sich die dichte Schneewand gelegentlich auftat, konnte man erkennen, daß einige Teleskoplandebeine verbogen und die Schiffsachse geneigt war.
"Bruchlandung", konstatierte Bull, als sie durch die Panzerglaskuppel des Shifts in den tobenden Sturm hinausblickten. "Bruchlandung", bestätigte Dr. Rastrow. "Aber der Schaden wirkt auf den ersten Blick schlimmer, als er tatsächlich ist. Die Schiffszelle jedenfalls dürfte nicht beschädigt sein. Wenn es Überlebende an Bord gibt, haben sie von dem Aufprall nichts gespürt - denn die Andruckneutralisatoren müßten ihn abgefangen haben." "Was haben Sie bisher unternommen. Oberst?" "Zuerst einmal haben wir das ganze Gebiet in einem Umkreis von zwanzig Kilometern abgesperrt", erklärte Dr. Rastrow. "Um diese Jahreszeit ist zwar noch die gesamte Insel vereist, so daß sich kaum jemand hierher verirrt. Aber ich wollte keine Vorsichtsmaßnahme außer acht lassen. Außerdem habe ich angeordnet, daß alle an diesem Unternehmen beteiligten Personen Schutzanzüge tragen, und zwar solche, die gegen Strahlung und Bakterien wirksam sind. Wir wissen schließlich nicht, welche Überraschungen das Schiff für uns birgt, immerhin k ommt es aus einem vollkommen unerforschten Teil der Galaxis." "Das ist noch nicht erwiesen", widersprach Bull. "Trotzdem haben Sie richtig gehandelt. Gibt es irgendwelche Hinweise, daß noch jemand von der fünfzehnköpfigen Besatzung am Leben ist?" "Nein. Bisher ist noch kein einziger unserer Funksprüche beantwortet worden." "Seltsam", meinte Bull. "Warum reagieren die nicht? Zumindest einige Mitglieder der Besatzung müssen noch am Leben sein. Wie sonst ist es zu erklären, daß die Ex-887 ins Solsystem zurückgekommen ist?" "Es handelt sich um ein vollrobotisches Schiff", erinnerte Dr. Rastrow. "Ein Funkimpuls genügt, um es zurückzubeordern." "Ja, aber nur hat niemand vom Experimentalkommando diesen Funkbefehl gegeben", sagte Bull. "Also müssen wir annehmen, daß jemand von der Kontrollbesatzung die Periode der Verdummung heil überstand und nach Wiedererlangung der Intelligenz den Heimatkurs programmierte." Die drei Männer unterhielten sich bei geschlossenen Schutzanzügen über die Helmsprechgeräte. Es kam zu einer Unterbrechung, als Dr. Rastrow von einem seiner Leute angerufen wurde. "Wir haben die gesamte Hülle des Explorers mit antibakteriellen Strahlen bestrichen", berichtete er. "Danach sind wir durch eine Notschleuse in die Luftdruckkammer vorgedrungen, haben Atmosphäreproben entnommen und sie analysiert. Es steht mit Sicherheit fest, daß das Schiff auf einem Planeten gelandet ist. Das geht nicht nur aus der Zusammensetzung der Atmosphäre und den Partikeln hervor. Wir haben auch Bakterien gefunden. Aber sie sind harmlos, bösartige Krankheitserreger fanden sich nicht." Bull, der mitgehört hatte, sagte zu Dr. Rastrow: "Lassen Sie trotzdem einen HÜ-Schirm über dem ganzen Gebiet errichten. Ich möchte, daß der Umkreis des Schiffes hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt wird. Außerdem läßt es sich besser arbeiten, wenn wir den Schneesturm von uns abhalten. Sind die erforderlichen Aggregate eingetroffen?" "Die Abwehr hat die Spezialfahrzeuge zur Verfügung gestellt", sagte Dr. Rastrow. "In wenigen Minuten steht der HochenergieÜberladungsschirm." Der Explorer-Oberst gab über die allgemeine Frequenz den entsprechenden Befehl. Es dauerte tatsächlich kaum fünf Minuten, als sich über das gesamte Gelände eine tausend Meter hohe Kuppel aus grün flimmernder Energie spannte. Der Schneesturm
legte sich augenblicklich, nur außerhalb des HÜ-Schirmes tobte er weiter. Plötzlich wurden auch die starken Strahlen der Shifts voll wirksam und erleuchteten die ganze Umgebung taghelle. "Sind Ihre Leute bereit, in das Schiff vorzudringen?" fragte Deighton. "Die prophylaktischen Untersuchungen sind abgeschlossen", sagte Dr. Rastrow. "Der Kode für das Öffnen der Schleusen wurde uns von NATHAN bereits auf unserem Flug hierher geliefert. Wir können jederzeit ins Schiff - außer Sie haben dagegen schwerwiegende Bedenken einzuwenden." "Keine Bedenken. Schicken Sie schon die Kodeimpulse aus, damit wir an Bord gehen können." "Sie wollen sich persönlich an dem Kommando beteiligen, Sir?" erkundigte sich Dr. Rastrow. "Aber das ist zu gefährlich." "Wußten Sie, daß früher die Feldherrn immer an der Spitze ihrer Männer geritten sind?" meinte Bull. "Ich sehe nicht ein, warum wir ihnen nachstehen sollen." "Wie Sie meinen, Sir", sagte Dr. Rastrow indigniert, weil er merkte, daß sich Bull über ihn lustig machte. * Die Bodenschleuse des mächtigen Schiffes öffnete sich fast geräuschlos. Die sieben Wissenschaftler mit ihren auf Antigravfeldern schwebenden Geräten gingen voran auf den im Dämmerlicht vor ihnen liegenden Laderaum zu. Obwohl ihre automatischen Analysegeräte anzeigten, daß die Luft im Schiff keinerlei gefährliche Keime enthielt, hatten sie die Helme ihrer Schutzanzüge geschlossen. Hinter ihnen folgten Bull, Deighton und der Xenologe Rastrow. Da das Schiff nach vorne überhing und tief im Eis eingesunken war, konnte die Einstiegrampe nicht ausgefahren werden. Trotzdem kostete es keine Mühe, in den Laderaum zu gelangen, denn der Niveauunterschied betrug kaum einen Meter. "Hier stimmt etwas nicht", sagte Galbraith Deighton sofort, als er den Laderaum betrat. "Das kann man wohl meinen", stimmte Bull zu. Er blickte über die Robotfahrzeuge hinweg, die vermutlich durch die Bruchlandung aus ihrer Verankerung gerissen worden waren und nun kreuz und quer standen. Er entdeckte auf den ersten Blick die Zerstörungen an den Wänden und an verschiedenen Einrichtungen. "Sehen Sie die durchgebrochenen Wände und die geschmolzenen Stellen an den Robotfahrzeugen, Galbraith? Die rühren nicht von der Bruchlandung her. Das sind Einschüsse von Energiewaffen." "Die Einschüsse dürften von terranischen Waffen stammen", erklärte einer der Wissenschaftler von seinem Meßgerät aus. "Also hat ein Kampf stattgefunden", kombinierte Bull. "Aber gegen wen mußte sich die Besatzung zur Wehr setzen?" "Möglicherweise gegen die Eingeborenen des Planeten, auf dem die Ex-887-VRT landete", vermutete Dr. Rastrow. "Da, sehen Sie, Bully", rief Deighton und deutete in ein Fahrzeug, das für das Einsammeln von Bodenproben gedacht war. Es konnte vollrobotisch arbeiten, besaß aber auch eine Führerkanzel und die nötigen Armaturen, um von einem Menschen gesteuert werden zu können. Bull kam heran und warf einen Blick in die Kanzel. Das Panzerglas war rundum bis zum Rahmen geschmolzen, vom Fahrersitz waren nur noch einige verkohlte Fragmente übrig. Bull runzelte die Stirn. "Es scheint, als wollte jemand in diesem Fahrzeug flüchten", meinte er nachdenklich, "kam aber nicht mehr dazu, weil ein anderer mit einer Energiewaffe auf ihn schoß - und zwar solange,
bis nichts mehr von ihm übrigblieb. Das Opfer könnte ein Fremdwesen gewesen sein, der Schütze war aber bestimmt kein Terraner. Nur ein Wahnsinniger würde einen Gegner so gründlich vernichten." "Oder ein Roboter", sagte Deighton. "Soll ich das Innere des Fahrzeuges untersuchen lassen", bot Dr. Rastrow an. "Vielleicht finden wir Reste des Opfers, aus denen wir auf seinen biologischen Aufbau und seine Gestalt schließen können." "Ersparen Sie sich die Arbeit, Sie werden nichts finden", sagte Bull. "Hier wirkt alles so blankgeputzt, daß ich vermute, die Reinigungsroboter haben alle Spuren beseitigt." "Kampfroboter!" Bull und Deighton blickten sich nach dem Sprecher um, dessen Stimme sie in ihren Helmempfängern vernahmen. Sie erkannten ihn daran, daß er mit der ausgestreckten Hand hinter ein schweres Räumerfahrzeug wies. Als sie zu ihm kamen, sahen sie einen reglos stehenden Kampfroboter. "Warum hat es bei der Bruchlandung die schweren Fahrzeuge durcheinandergewirbelt, ihn aber nicht von den Beinen gerissen?" wunderte sich Bull. Er gab sich selbst die Antwort: "Also kann das Durcheinander nicht durch die Landung verursacht worden sein. Es muß schon vorher bestanden haben. Wahrscheinlich wurden die Bodenfahrzeuge aus der Verankerung gerissen, als die Unbekannten in ihnen vor den Robotern zu flüchten versuchten." Bull schüttelte sich. "Wer die Unbekannten auch immer waren, ich möchte nicht in ihrer Haut gesteckt haben. Zu sehen, wie sich der Tod in Form von Robotern nähert und nicht vom Fleck zu kommen!" "Hier stimmt etwas nicht!" ließ sich wieder Deighton vernehmen. "Das sehen wir alle", entgegnete Bull. "Aber ich fühle es!" Bull warf dem Ersten Gefühlsmechaniker einen interessierten Blick zu. "Was fühlen Sie, Galbraith?" Deighton versuchte sich zu konzentrieren. Er strengte seinen Geist an, um das Etwas einzufangen, das rein psychischer Natur war und durch das Schiff geisterte. "Es ist... schwer zu beschreiben", berichtete er stockend. "Ich habe ständig das Empfinden, daß jemand hinter mir ist und mir über die Schulter blickt." "Natürlich!" meinte Bull. "Sie empfangen die Emotionen der Kontrollbesatzung." Der Erste Gefühlsmechaniker schüttelte den Kopf. "Nein, von der Besatzung lebt niemand mehr. Geben Sie sich diesbezüglich keinen falschen Hoffnungen hin. Ich empfange auch nicht die Ausstrahlung eines menschlichen Wesens, sondern die von etwas ganz und gar Fremdartigem..." "Aber wenn nicht die Mannschaft das Schiff ins Sonnensystem zurückgeflogen hat, wer dann, Galbraith!" sagte Bull. "Wissen Sie, was das bedeutet? Es ist ungeheuerlich. Niemand hat den Robotexplorer zurückgerufen, niemand hat seinen Rückflug programmiert. Trotzdem ist er plötzlich aufgetaucht und hat exakten Kurs auf die Erde genommen!" "Es existiert etwas in diesem Schiff..." "Sie können einem direkt Angst einjagen, Galbraith", sagte Bull. Er wandte sich an Dr. Rastrow. "Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie ihre Waffen schußbereit halten sollen. Von jetzt an sind sie nicht nur Wissenschaftler, sondern müssen notfalls auch ihr Leben verteidigen. Und fordern Sie Verstärkung an, wir werden das Schiff systematisch durchsuchen!"
"Ich fürchte, mit konventionellen Mitteln werden wir nicht viel erreichen", murmelte Deighton. Er versuchte wieder, dieses Etwas mit seinem Geist zu erreichen. Als es ihm nicht gelang, sandte er über das in seinem Schutzanzug eingebaute Hyperfunkgerät einen Notruf der Alarmstufe 1 ab. * Es dauerte nicht lange, da kam Reginald Bull von einem ersten kurzen Erkundungsgang zurück. Er fand Galbraith Deighton an der gleichen Stelle vor, an der er ihn verlassen hatte. "Es ist aussichtslos", sagte Bull. "Das meine ich auch", entgegnete Deighton. "Wir brauchen Tage, um das ganze Schiff zu durchkämmen." "Eben." "Wir wissen nicht einmal, wonach wir suchen", klagte Bull. Er sah Deighton herausfordernd an. "Ist es ein Wesen mit einem Körper? Ist es ein intelligentes, friedfertiges Geschöpf? Oder ein Tier? Eine Bestie? Wissen Sie es, Galbraith?" "Ich kriege es nicht zu fassen", erklärte der Erste Gefühlsmechaniker. "Aber es ist etwas da." "Vielleicht handelt es sich doch um ein Mitglied der Besatzung", sagte Bull hoffnungsvoll. "Warum auch nicht? Vielleicht hat er oder sie durch die Verdummung einen geistigen Schaden genommen. Das würde erklären, warum er sich vor uns versteckt. Es könnte aber auch eine Erklärung dafür sein, warum Sie einen ganz und gar fremdartigen Eindruck von ihm bekommen. Wäre das nicht möglich, Galbraith?" "Doch, doch. Es liegt im Bereich des Möglichen. Aber bloße Vermutungen bringen uns nicht weiter." "Richtig. Wir kommen aber auch nicht schneller zu einem Ergebnis, wenn wir das Schiff Deck für Deck durchsuchen. Wir müssen andere Maßnahmen ergreifen." "Schon geschehen." Bull starrte den Ersten Gefühlsmechaniker an. "Was haben Sie unternommen?" Galbraith Deighton lächelte hinter der Klarsichtscheibe seines Helms. "Ich habe die Mutanten angefordert. Sie müßten..." Er brach ab, denn wenige Schritte vor ihnen materialisierten zwei Gestalten. Die eine war eine mittelgroße, schwarzhaarige Frau, deren wohlproportionierte Figur durch die enganliegende Kombination besonders zur Geltung kam. Es handelte sich um die MetabioGruppiererin Irmina Kotschistowa. Das Pelzwesen an ihrer Hand war Gucky, der Mausbiber, der die Teleportation, Telekinese und Telepathie gleichermaßen beherrschte. Beide trugen sie keine Schutzanzüge. "Ladies first", sagte der Mutant vom Volk der Ilts, ließ Irmina Kotschistowa los und entmaterialisierte wieder. Galbraith Deighton schien die Anwesenheit der MetabioGruppiererin nicht zu bemerken. Wie zu sich selbst, sagte er: "Es ist wieder da... ich spüre förmlich, wie es sich reckt, um sich tastet und wieder in sich zusammenfällt..." Obwohl Irmina Kotschistowa nicht wissen konnte, wovon er sprach, zuckte sie zusammen. Ihr Gesicht wurde für Sekunden zu einer starren Maske. 10. "So, das wäre geschafft", seufzte Gucky, nachdem er nacheinander mit Irmina Kotschistowa, Fellmer Lloyd und Merkosh dem Gläsernen in den Laderaum der Ex-887-VRT teleportiert war.
Ras Tschubai, selbst ein Teleporter, war zusammen mit Balton Wyt und Dalaimoc Rorvic materialisiert. "Ich habe alle Mutanten angefordert!" sagte Galbraith Deighton. "Ras und ich, wir sind keine Schwerarbeiter!" rief Gucky empört. "Takvorian und Ribald Corello mit seinem Trageroboter werden etwas später per Jet eintreffen. Und überhaupt, was braucht ihr die anderen, wenn ich zur Verfügung stehe!" "Es handelt sich nur um eine vorbeugende Maßnahme", behauptete Galbraith Deighton. "Hoffen wir, daß unsere Vorsichtsmaßnahme übertrieben war", fügte Reginald Bull hinzu. "Was erwartet man eigentlich von uns?" erkundigte sich Fellmer Lloyd. "Irgend etwas stimmt auf diesem Schiff nicht", antwortete Reginald Bull und blickte zu Galbraith Deighton. "Als die Ex-887 vor über dreieinhalb Jahren startete, befand sich eine fünfzehnköpfige Kontrollbesatzung an Bord. Von ihr fehlt jede Spur. Dafür befindet sich nach Deightons Angabe ein anderes Wesen auf dem Schiff, über dessen Beschaffenheit er jedoch nichts Genaueres sagen kann." "Es ist etwas da", sagte Deighton überzeugt. "Ich habe es gefühlt. Es waren sehr starke, wechselhafte Emotionen, die aufwallen und dann wieder versiegen. Im Augenblick kann ich sie nicht empfangen - wahrscheinlich weil sie von der Ausstrahlung der vielen Menschen überlagert werden. Irmina, erging es Ihnen nicht ähnlich wie mir?" Die Metabio-Gruppiererin wurde unsicher, als sie aller Augen auf sich ruhen spürte. Sie lächelte. "Vielleicht war alles nur Einbildung. Aber ich hatte den Eindruck, als würde sich etwas auf meinen Geist senken." "Das war bestimmt keine Einbildung", versicherte Deighton. "Gucky, Fellmer! Ihr als Telepathen müßtet doch diese fremdartige Ausstrahlung am ehesten espern können." "Ich versuche es gerade", sagte Gucky. Fellmer Lloyd gab keine Antwort. Er hatte Deightons Worte unterbewußt gehört, aber er war mit seinen Gedanken bereits weit fort. Er tastete sich mit seinen telepathischen Fühlern Deck für Deck in das Schiff vor. Er vernahm die Gedanken der Suchkommandos, und er erkannte, daß in den meisten Männern eine geheime Furcht geweckt worden war. Sie wußten nicht, wonach sie suchten, aber in ihrem Innersten fürchteten sie sich davor, obwohl sie es nicht offen zugeben wollten. Es war jene Angst, die ein Kind in einem dunklen Zimmer empfindet. Es war eine Angst, die kein Gesicht, keinen Namen hatte, sondern als unförmiges, dunkles Etwas in den Gehirnen lauerte und jederzeit zuschlagen konnte. "Ich nähere mich dem Zentrum", sagte Fellmer Lloyd. Er hörte Deighton rufen: "Da ist es wieder!" "Das ist nicht die Ausstrahlung eines Gespenstes!" erklärte Gucky. "Das sind die Gedanken eines Fremdwesens. Es hält sich in der Kommandozentrale auf. Ich werde hinteleportieren." "Nein! Auf keinen Fall!" Das war Reginald Bull. Fellmer Lloyd breitete seinen telepathischen Fächer über die gesamte Region der Kommandozentrale. Er vernahm zuerst die Gedanken zweier Terraner, die, aus dem äußersten Korridorring kommend, sich der Kommandozentrale näherten. Gefahr! Flucht! Das waren die Gedanken, die Lloyd plötzlich aus der Kommandozentrale vernahm. Obwohl sie klar verständlich für ihn waren, erkannte er sofort, daß sie von keinem menschlichen Wesen gedacht wurden. Hinter diesen eindeutigen Gedanken
befand sich nämlich ein ganz und gar fremdartiges Individualmuster, das Lloyd bisher noch nie empfangen hatte. "Ich höre die Gedanken ganz deutlich", berichtete Fellmer Lloyd. "Sie kommen von einem fremden, jedoch intelligenten Lebewesen." "Das habe ich schon längst erkannt", erklärte Gucky. "Für mich steht es sogar fest, daß es sich um ein friedfertiges Wesen handelt. Es hat Angst, weil es erkannt hat, daß es gejagt wird. Diese kreatürliche Angst allein zeigt, wie harmlos es ist." "Das Raubtier hat auch Angst, wenn es sich einer Übermacht zum Kampf stellen soll, dennoch wird es zur reißenden Bestie", meinte Reginald Bull. "Den Fremden kann man nicht mit einem Raubtier vergleichen", sagte Lloyd entschieden. "Er ist friedfertig, aber ob er auch harmlos ist, kann ich nicht sagen." "Wir müssen hin und ihn beruhigen, bevor die Suchkommandos zu ihm stoßen!" beharrte Gucky. "Das unheimliche Etwas beginnt sich wieder auszubreiten", sagte Deighton mit brüchiger Stimme. Sein Gesicht unter der Klarsichtscheibe des Helms glänzte schweißnaß. Aus dem Außenlautsprecher ertönte ein gurgelnder Laut. Seine Finger hantierten an den Verschlüssen, und er riß sich den Helm vom Kopf. "Ich ersticke... Es erdrückt mich!" "Es sind die Stimmen der Qual! Der Fremde denkt an nichts anderes!" * Sie waren wieder da. Die Stimmen der Qual! Er hatte sie schon ganz vergessen, denn gemessen an der Gefahr, die sich für ihn abzuzeichnen begann, waren sie harmlos. Sie lasteten auf seinem Geist, wie die Gravitation eines Planeten auf seinem Körper. Beide - Stimmen der Qual und Gravitation wurden nur unerträglich, wenn sie sich verstärkten. Beide waren sie körperlos und nicht greifbar. Was aber auf ihn zukam, besaß Körper. Es waren Wesen aus Fleisch und Blut. Oder vielleicht doch nicht? Sie besaßen zwei Arme und zwei Beine - wie er -, aber was hatten sie sonst noch mit ihm gemeinsam? Er konnte nicht viel von ihnen erkennen, denn sie waren vermummt. Sie verbargen ihre Gestalt - warum? Etwa, weil sie so häßlich waren? Wollten sie ihn nicht erschrecken? Ein lächerlicher Gedanke! Es war aber auch möglich, daß sie die Vermummung zu ihrem Schutz trugen vielleicht, weil die Atmosphäre im Schiff für sie giftig war. Wenn dies zutraf, dann waren die Eindringlinge nicht mit den Erbauern dieses Riesenschiffes identisch. Denn die Wesen, die mit diesem Schiff nach Asporc gekommen waren, hatten diese Atmosphäre unbeschadet atmen können. Daß sie dann dennoch zugrunde gingen, hatte ganz andere Ursachen. Sie brachten sich gegenseitig selbst um - und das zu einem Zeitpunkt, als für die Asporcos das Erwachen des Geistes begann... Heydrac Koat wischte diese Überlegungen hinweg. Er mußte den Kreislauf seiner Gedanken stoppen. Ihm näherte sich eine drohende Gefahr in Gestalt zweier vermummter Fremder! Er sah sie durch einen Gang auf die große Halle zukommen, die von den Wissenschaftlern seines Volkes "Zentrale" genannt worden war und in der er sein Versteck hatte. Sollte er sich wieder dahin zurückziehen, oder sollte er sein Heil in der Flucht suchen? Er entschloß sich für die erste Möglichkeit. Noch bevor die vermummten Eindringlinge das Schott erreicht hatten, wandte er
sich der Treppe zu, die zu dem Steg hinaufführte, an dem sein Versteck lag. Doch da geschah etwas Seltsames mit ihm. Mit jedem Schritt, dem er sich seinem Versteck näherte, wurde er langsamer. Sein Körper erschauerte, und sein Kamm stellte sich so steil auf, daß er den Druck der Spange spürte. Etwas drang in ihn und legte sich auf seinen Geist. Es wollte ihn beruhigen, wollte das Chaos seiner Gefühle beilegen. Aber plötzlich wurden die besänftigenden Impulse von den Stimmen der Qual verdrängt. Und dieser Kampf der fremden Mächte in seinem Gehirn war es, der dermaßen seine Psyche erschütterte, daß ihm der Kamm schwoll. Seine Haut verfärbte sich zuerst grau, bekam aber dann schnell wieder einen bläulichen Farbton. Er setzte sich wieder in Bewegung. Die Furcht war aus ihm gewichen. Er spürte eine Kraft seinen Körper durchfluten, die er als schmerzhaft empfand. Er kannte sich nicht mehr selbst - und er war auch nicht mehr er selbst! Er war die Inkarnation der Stimmen der Qual! Er verschwand in seinem Versteck, verschloß es jedoch nicht ganz. Durch einen schmalen Spalt konnte er in die große Halle hinunterblicken. Und da tauchten die beiden Fremden auf. Sie wandten sich geradewegs der Treppe zu und erstiegen sie. Es sah so aus, als wüßten sie, wo er sich verbarg! Für einen Moment drohte ihn der frisch gewonnene Mut zu verlassen, aber die Stimmen der Qual unterdrückten die aufflammende Angst. Sie lasteten so schwer auf ihm, daß sie ihm unerträglich wurden. Sie peinigten ihn nicht, aber sie hielten ihn in ihrem gnadenlosen Griff fest. * "Ihr seid schon ganz nahe dran!" hörten die beiden Wissenschaftler die Stimme Fellmer Lloyds in ihren Kopfhörern. "Er verbirgt sich hinter dem Schott, fünf Meter von euch entfernt." Die Schritte der beiden Wissenschaftler wurden langsamer. Die Hände, in denen sie die Paralysatoren hielten, zitterten leicht. "Es besteht keine Gefahr", war wieder Lloyds Stimme zu hören. "Der Fremde ist völlig harmlos." Die Wissenschaftler trauten dieser Behauptung nicht ganz. Sie fragten sich, warum die Mutanten nicht selbst den Fremden aus seinem Versteck holten, wenn er tatsächlich ungefährlich war. "Das hat seinen besonderen Grund", antwortete der Telepath, der die Gedanken der beiden gelesen hatte. "Der Fremde hat selbst eine parapsychische Ausstrahlung, die wir nicht recht analysieren können. Es wäre leicht möglich, daß er auf parapsychische Impulse anderer negativ reagiert. Ein ähnlicher Effekt hat sich eingestellt, als wir ihn telepathisch zu beruhigen versuchten. Ich betone nochmals: Der Fremde kann euch nicht gefährlich werden!" "Ist er bestimmt unbewaffnet?" "Er ist unbewaffnet!" "Nun, wir haben wenigstens die Paralysatoren", sagte der eine Wissenschaftler zu seinem Kameraden. "Aber ihr dürft sie nur im äußersten Notfall einsetzen!" ermahnte Fellmer Lloyd über Sprechfunk. "Und vergeßt nicht, den Translator einzuschalten." "Längst geschehen." Die beiden Wissenschaftler erreichten das Schott, hinter dem die Telepathen die Gedanken des Fremdwesens gesperrt hatten. Es war nur angelehnt. Während der eine von ihnen zwei Meter davor
stehenblieb und den Paralysator in Anschlag brachte, stellte sich der andere dahinter und faßte nach dem Handgriff. Auf ein Zeichen seines Kameraden riß er das Schott auf. "Nehmen Sie jetzt langsam den Helm ab", erklang Lloyds eindringliche Stimme im Helmempfänger des Wissenschaftlers. "Der Fremde hat bei sich den Wunsch geäußert, das Gesicht seines Gegenübers zu sehen." "Dazu brauche ich beide Hände", sagte der Wissenschaftler. "Wie soll ich ihn dann in Schach halten? Und wer garantiert mir, daß er nicht für Menschen schädliche Erreger an sich hat!" "Wenn es so wäre, dann müßte das ganze Schiff verseucht sein", entgegnete Lloyd. "Aber wir haben nirgends gefährliche Keime entdeckt. Das müßten Sie am besten wissen." Der Wissenschaftler schluckte, dann nahm er den Helm langsam ab. In seinem Gesicht zuckte es, als er daraufhin in das Halbdunkel der Kammer blickte, in dem er die Konturen eines entfernt menschenähnlichen Geschöpfes erkannte. "Und jetzt sprechen Sie - beide", forderte Lloyd über Helmfunk. "Es ist egal, was Sie sagen, wichtig ist nur, daß Sie dem Fremden eine Entgegnung entlocken, falls er eine Sprache in unserem Sinn kennt. Denken Sie daran, daß wir den Translator zumindest mit einigen Fragmenten des fremden Sprachidioms füttern müssen, bevor er es entschlüsseln und übersetzen kann." "Weiß ich, aber... wann werden Sie den Fall übernehmen?" erkundigte sich der Wissenschaftler. "Wenn wir seine Sprache kennen und uns über den Translator mit ihm verständigen können", entgegnete Lloyd. "Nur so ist es möglich, ihm die Angst vor fremder parapsychischer Ausstrahlung zu nehmen." Der Wissenschaftler begann zu sprechen. Da ihm nichts anderes einfiel, hielt er an den Fremden eine ziemlich theatralische Begrüßungsrede. Als es ihm zu dumm wurde, übergab er seinem Kameraden das Wort. Der hatte kaum zum Sprechen angesetzt, als Bewegung in den Fremden kam. Er trat mit zwei langsamen, zögernden Schritten aus seinem Versteck auf den Steg hinaus. Jetzt erst konnten die Wissenschaftler Einzelheiten an ihm erkennen. Er war annähernd humanoid und ungefähr 1,70 Meter groß, besaß zwei Arme und zwei Beine. Aber schon die Hände ließen die Fremdartigkeit erkennen. Sie besaßen sechs Finger, von denen zwei Daumen waren; der eine Daumen wirkte allerdings recht verkümmert. Warum sehe ich zuerst auf die Hände, obwohl vor allem der Kopf der eines Exoten ist, dachte der eine Wissenschaftler. Der Schädel war birnenförmig und wies mit der Spitze nach unten. In dem breiten Schädel saßen zwei zweigeteilte Facettenaugen, die unbeweglich starrten. Darunter lagen zwei vertikal angeordnete Schlitze, die sich öffneten und schlossen - es konnte keinen Zweifel darüber geben, daß es sich um Atemorgane handelte. In der sehr schmalen Kinnpartie befand sich der vorgewölbte Mund, der halb geöffnet war und zwei Reihen kräftiger Zähne zeigte. Die Besonderheit des Kopfes waren jedoch zwei Hautlappen, die an den geschwollenen Kamm eines kampfbereiten Hahnes erinnerten - nur daß der Fremde eben zwei Stück davon besaß. Sonst war der Schädel blank. Von seinem Körper war nichts zu sehen, weil er mit einer blaßroten Kombination bekleidet war. Aber immerhin konnte man erkennen, daß die Beine dick und stämmig waren und die Hälfte der gesamten Körpergröße beanspruchten. Die Stellung der Arme ließ vermuten, daß sie, wie beim Menschen, durch ein Gelenk in Ober- und Unterarme geteilt waren.
Während die beiden Wissenschaftler noch in seine Betrachtung vertieft waren und einen unzusammenhängenden Redeschwall auf ihn losließen, rief der Fremde plötzlich etwas in einer fremden Sprache und rannte davon. Er kam jedoch nicht weit. Noch bevor er die Treppe erreichte, wurde er plötzlich durch eine unsichtbare Kraft in die Höhe gehoben und in der Schwebe gehalten. Die Wissenschaftler ließen ihre Paralysatoren wieder sinken, als sie sahen, daß Gucky in der Kommandozentrale materialisiert war. Sie konnten sich denken, daß der Mausbiber den Fremden mittels seiner telekinetischen Fähigkeit in der Luft schweben ließ. "Hier geblieben!" hörten sie Gucky rufen. "Wir wollen doch Freunde werden!" 11. Takvorian und Ribald Corello haben eines gemeinsam - das sind ihre kindlich wirkenden Gesichter, dachte Irmina Kotschistowa. Der Vergleich war jedoch ziemlich gewagt. Die Ähnlichkeit der Gesichter konnte wahrscheinlich nur einer Frau auffallen. Jeder Mann würde in Corello einen kaum 1,30 großen Menschen mit einem überdimensionalen Schädel, der zwei Fünftel der gesamten Größe beanspruchte, sehen. Das handtellergroße Gesicht in dem mächtigen, kahlen, mit blauen Äderchen durchzogenen Schädel würde ihm nicht so sehr ins Auge stechen. Und Takvorian war dagegen auf den ersten Blick als Zentaur zu erkennen, mit hellblauem Fell auf dem Pferdekörper und einem zierlichen menschlichen Oberkörper, dessen Haut von gleicher Farbe war. Von seinem kindlichen Gesicht dagegen war nicht viel zu sehen, denn es lag eingebettet zwischen schulterlangem Haupthaar und einem etwa zehn Zentimeter langen Kinnbart. Im Gegensatz zu Schweif und Mähne, die von ockergelber Farbe waren, besaß das Haar der menschlichen Hälfte den hellblauen Farbton der Haut. Takvorian kam in den Gemeinschaftsraum auf Deck 4 getrabt, in dem sich die anderen Mutanten mit Reginald Bull und Galbraith Deighton versammelt hatten. Er streckte die Arme seitlich und schüttelte seinen Pferdekörper, daß das Wasser nach allen Seiten davonsprühte. "Wir mußten durch den Schneesturm", erklärte er, "weil man im HÜ-Schirm keine Strukturschleuse öffnen wollte, die groß genug für die Space-Jet gewesen wäre." Hinter ihm kam Ribald Corello auf seinem Trageroboter hereingeschwebt. Er nickte mit seinem riesigen Kopf kaum merklich in Bulls und Deightons Richtung und fragte: "Wird hier Kriegsrat gehalten, oder sind die Helden bloß müde?" "Wohl von beidem etwas", meinte Bull. Er klärte Corello und Takvorian kurz darüber auf, was bisher geschehen war. Er beendete seinen Bericht mit den Worten: "Wir haben den Fremden im angrenzenden Aufenthaltsraum untergebracht und mit drei aneinandergekoppelten Translatoren allein gelassen. Lloyd und Gucky halten ihn unter Beobachtung. Er verhält sich ruhig, solange wir ihn allein lassen. Aber wenn er einen von uns zu sehen bekommt, nimmt er sofort Abwehrstellung ein." "Er dürfte ahnen, daß wir es gut mit ihm meinen", fügte Deighton hinzu; Fellmer Lloyd nickte bei diesen Worten bestätigend, "aber seine Scheu vor uns ist größer als die Vernunft. Er scheint sich mit der Existenz von Fremdwesen einfach nicht abfinden zu können." "Ganz so ist es nicht", widersprach Gucky. "Er hat schlechte Erfahrungen mit den Kampfrobotern gemacht. Als wir auf dem Weg hierher an einem stillstehenden Kampfroboter vorbeikamen,
befiel ihn hysterische Angst. Da er uns damit in Zusammenhang bringt, gerät er bei unserem Anblick jedes Mal in Panik." "Wie ist seine Mentalität?" erkundigte sich Corello. "Wie stark ist sein Aggressionstrieb?" Bull winkte ab. "Praktisch nicht vorhanden. Er hat einen stark ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb, das ist alles. Das dürfte der Grund dafür sein, daß er bei einer Annäherung sofort Abwehrstellung einnimmt." "Vielleicht wäre er zugänglicher, wenn er nicht unter diesem fremden Zwang stünde", meinte Deighton. "Ein fremder Zwang?" erkundigte sich Corello interessiert. "Ja", bestätigte Lloyd. "Es ist etwas in ihm, irgendeine psychische Kraft, die untrennbar mit seinem Geist verknüpft ist. Wir alle, auch die Nichttelepathen, haben es schon zu spüren bekommen, einmal stärker, einmal schwächer. Der Fremde kann dieses Etwas nicht kontrollieren, sondern es kontrolliert ihn. Er nennt es Stimmen der Qual." Corello schien in sich hineinzuhören. "Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie meinen, Lloyd. Könnte es sich um hypnosuggestive Impulse handeln?" Deighton meinte achselzuckend: "Wir wissen es nicht. Aber wir müßten unbedingt herausfinden, ob dieses Etwas harmlos ist oder vielleicht eine Bedrohung für uns darstellt. Das können wir nur, wenn wir uns mit dem Fremden intensiver beschäftigen. Bisher sind jedoch alle Versuche fehlgeschlagen, an ihn heranzukommen." Takvorian hatte bisher schweigend zugehört. Er stampfte mit den Hufen auf, um Aufmerksamkeit zu erwecken und fragte: "Wer hat bisher den persönlichen Kontakt zu dem Fremden gesucht?" "Vor allem Gucky und Lloyd", antwortete Deighton verständnislos. "Bully und ich haben ebenfalls einmal unser Glück versucht. Wir haben sogar schon in Erwägung gezogen, ihn hypnosuggestiv zu behandeln. Aber das könnte sich für später nachteilig auswirken." "Vielleicht wäre es einen Versuch wert, wenn wir ihn alle gemeinsam aufsuchten", schlug Takvorian vor. "Selbst wenn er einen Menschen vom anderen nicht unterscheiden kann, müßte er erkennen können, daß Gucky, Merkosh, Corello und ich ein völlig unterschiedliches Aussehen haben." "Und was sollte das Ihrer Meinung nach bewirken?" erk undigte sich Bull neugierig. "Er würde sehen, daß verschiedene Lebewesen in friedlicher Koexistenz nebeneinander leben und könnte daran erkennen, daß auch ihm keine Gefahr droht." "Es ist ganz sicher einen Versuch wert", stimmte Bull zu. Über Galbraith Deightons Lippen kam ein kurzes Röcheln, als er sich selbst plötzlich durch die Augen Dalaimoc Rorvics sah. Irmina Kotschistowa zitterte am ganzen Leib und schloß die Augen. Wer hatte ihr nur die Idee eingegeben, die Zellen von Takvorians Hufen umzugruppieren und ihm Füße wachsen zu lassen? "Gehen wir!" bestimmte Bull und setzte sich in Bewegung. Nach zwei Schritten blieb er jedoch wie zu Stein erstarrt stehen. "Was ist?" erkundigte sich Deighton bei Bull, als er eine Sekunde später weiterging, wie wenn nichts geschehen wäre. "Mir war eben, als hättet ihr euch alle in Luft aufgelöst", murmelte Bull kopfschüttelnd. Takvorian setzte sich langsam in Trab. Er fragte sich besorgt: War das ich, der eben Bulls Bewegungsablauf fünfzigfach verlangsamt hat?
"Jetzt weiß ich, was ihr meint", sagte Ribald Corello. "Ich habe die Stimmen der Qual gerade selbst vernommen." Seine Augen sind mit acht Zentimeter Durchmesser zu groß für sein Kindergesicht, dachte Irmina Kotschistowa. Dachte wirklich sie das? Und dann: Man müßte versuchen, die Zellen der Augen so umzugruppieren, daß sie schrumpfen... Wahnsinn! * Heydrac Koats Zwiesprache: Deine Angst ist groß, Heydrac Koat, obwohl dir die Stimmen der Qual Kraft und Mut geben. Du fürchtest dich nicht mehr vor den Fremden, o nein! Deine Angst ist nicht die der Kreatur, sondern die des Mächtigen, der fürchtet, seine Macht anwenden zu müssen. Wenn du nur den unerbittlich fortschreitenden Prozeß in dir aufhalten könntest! Du versuchst es, aber du tust es in dem Bewußtsein, daß du unterliegen wirst. Du bangst um das Leben der Fremden. Ist das nicht seltsam? Noch vor kurzem hast du sie gehaßt. In dem Augenblick, als du erkanntest, daß sie die Kampfmaschinen erbauten, die deine Artgenossen getötet haben, da hast du sie gehaßt. Und wie haben sich deine Gefühle für die Fremden plötzlich gewandelt. Du bangst um ihr Leben! Denn du hast erkannt, daß ihre Mentalität keineswegs so schrecklich ist, wie es ihr Aussehen vermuten läßt. Sie haben dein Leben geschont, obwohl sie Gelegenheit hatten, es dir zu nehmen. Sie haben dich gut behandelt, obwohl sie dazu eigentlich keine Veranlassung hatten. Sie brachten dich in diesen Raum und stellten jene drei Geräte auf, die der Verständigung dienen sollten. Das hast du nicht gleich erkannt, Heydrac Koat. Am Anfang hast du geglaubt, es seien Mordmaschinen, die dich töten sollten. Das hast du deshalb vermutet, weil du die Fremden für grausam hieltest. Selbst als Geräusche aus den drei Geräten kamen, glaubtest du noch, man wolle dich mittels Schall töten. So etwas gibt es, denn auch die Asporcos haben Versuche in dieser Richtung getan. Du gerietest in Panik, deine Wut ließ dich die Beherrschung verlieren, und du verfluchtest und beschimpftest die Geräte, die doch nur Werkzeuge ihrer Erbauer waren. Und das war gut - das vermutest du zumindest, Heydrac Koat. Denn als dich wieder einer der Fremden besuchte und zu dir sprach, gaben die drei Geräte wieder Laute von sich, von denen alle auf der schmerzfreien Frequenz lagen und von denen einige für dich sogar verständlich waren. Da erkanntest du den Sinn dieser Geräte. Sie sollten deine Sprache in die Sprache der Fremden übertragen und umgekehrt. Plötzlich wurde dir die Möglichkeit gegeben, dich mit den Fremden zu unterhalten. Aber bevor du davon Gebrauch machen konntest, zog sich dein Besucher wieder zurück. Jetzt bist du schon eine geraume Zeit allein. Du weißt nun, daß die Fremden nur kamen, um Kontakt mit dir aufzunehmen. Aber als sie deine Abneigung erkannten, zogen sie sich schnell wieder zurück. Wie solltest du ihnen bisher klarmachen, daß du eigentlich nicht Furcht vor ihnen und Haß gegen sie empfindest, sondern daß du nur den Kontakt ablehntest, um sie zu schützen? Zugegeben, du bist dir selbst nicht ganz klar über deine Haltung, Heydrac Koat, denn die Stimmen der Qual sind nun mit solcher Intensität in deinem Geist, daß deine Sinne ständig wie umnebelt sind. Du kannst nur hoffen, daß die Fremden wiederkommen, und daß du die Kraft besitzt, zu ihnen zu sprechen.
Da kommen sie! Alle. Fast jeder der Fremden hat eine andere Gestalt, sie sind klein, groß, dünn, breit, tragen verschiedene Gewänder; ein Wesen hat vier Beine, das andere einen fast durchscheinenden Körper. Du bist jetzt bei ihrem Anblick ganz ruhig. Du läßt sie herankommen und spürst ein Prickeln in den Kämmen, das von der Spange auszugehen scheint. Eines der Wesen tritt vor. Es hat zwei Arme und zwei Beine wie du, ist breiter gebaut als einige andere, besitzt eine blasse Haut, und seine Schädeldecke ist von einem roten Flaum bedeckt. Diese Farbe scheint das Erkennungszeichen dieses Wesens zu sein, deshalb versuchst du, deinem Körper die gleiche Farbe zu geben. Aber das gelingt dir nicht. Die Farbskala deines Körpers reicht nicht bis in dieses tiefe Rot. Vielleicht kannst du dem Wesen dort, mit den vier Beinen und dem langgestreckten waagrechten Körper ein Farbzeichen geben. Sein massiger Rumpf ist von hellblauer Farbe. Das liegt dir, denn blau beherrschst du perfekt. Du gibst das Farbzeichen, aber der Vierbeiner versteht es offensichtlich nicht; er zeigt keine Reaktion. Das Wesen mit dem roten Kopfflaum deutet nun auf sich. Sein Mund öffnet sich, und ein fast schmerzhaft tiefer Ton kommt heraus. "... Reginald Bull", übersetzen die drei Geräte. Das Rotflaumwesen deutet nun auf den Artgenossen neben sich, gibt einen dumpfen Ton von sich, und du hörst es aus dem Gerät mit klarer Stimme klingen: "Galbraith Deighton." Und das verstehst du, Heydrac Koat! Du legst beide Hände auf die Brust und rufst: "Mein Name ist Heydrac Koat. Ich stamme vom Volk der Asporcos. Ich bin ein Asporco. Ich muß euch warnen..." Weiter kommst du nicht, deine Stimme versagt. Die Stimmen der Qual hindern dich am Sprechen. Später stellt sich heraus, daß die Stimmen der Qual schwächer werden und sich raunend im Hintergrund deines Geistes aufhalten. Du kannst sprechen und denken, wie es dir beliebt. Aber jedes Mal, wenn du deine Warnung aussprechen möchtest, versagt es dir die Stimme. "Denke an dein Volk, Heydrac Koat!" ertönt der Wunsch der Fremden aus den Übersetzungsgeräten. Du kannst diesem Wunsch nachkommen, Heydrac Koat, du kannst über die Asporcos sprechen. Es fällt dir überhaupt nicht schwer, dein Wissen in Wort und Gedanken preiszugeben. Die Stimmen der Qual raunen und murmeln in der Ferne deines Unterbewußtseins, als würden sie sich an deinen Denkprozessen nicht beteiligen. Aber du weißt es besser, du weißt, daß sie sich zusammenballen und auf den großen Schlag konzentrieren. Das erkennst du allein schon daran, daß du nicht die Macht über dich hast, die Warnung auszusprechen. Du kannst nichts, überhaupt nichts tun, Heydrac Koat, um das Verhängnis abzuwehren, das auf die ahnungslosen Fremden zukommt. * Dalaimoc Rorvic saß in seiner bekannten Yogastellung da und schien zu meditieren. Aber das täuschte, er war hellwach. Er hatte einen verschwommenen Eindruck von den Stimmen der Qual gewonnen, der ausreichte, ihn zu alarmieren. Er hatte erkannt, daß sich in Regionen, die weder er noch einer der anderen Mutanten erfassen konnte, etwas zusammenbraute. Es schwebte wie eine Wolke aus einer anderen Dimension über
ihnen, und selbst wenn man einen Zipfel von ihr zu fühlen bekam, konnte man noch nicht sagen, was sie mit sich führte. Dalaimoc Rorvic war jedenfalls auf der Hut, versuchte aber gleichzeitig, die Ereignisse um ihn mitzubekommen. Da waren die Stimmen von Gucky und Fellmer Lloyd, die Heydrac Koats Gedanken wiedergaben. "Ich sehe Bilder von einer hochstehenden Zivilisation in seinem Geist", berichtete Gucky. "Ausgedehnte Städte, deren Bauwerke zwar imposante Erscheinungen sind, jedoch keine festen Umrisse haben, weitläufige technische Anlagen, Präzisionsgeräte... Atomfeuer! Ja, die Asporcos beherrschen die Atomkraft. Sie betreiben Fahrzeuge damit, gewinnen Energie und kennen die verheerende Wirkung atomarer Sprengkörper. Ich sehe eine weite Ebene, aus der Türme ragen. Sie sehen wie Bohrtürme aus... Nein, es sind Rampen. Startrampen für Raumschiffe. Die Raumschiffe werden mit Atomkraft betrieben..." Dann hörte Dalaimoc Rorvic wieder die Automatenstimmen der drei Translatoren, die Heydrac Koats Worte in Interkosmo übertrugen. Die Translatoren hatten sich bereits vorzüglich auf das fremde Sprachidiom eingespielt, so daß kaum Lücken in den Berichten des Asporcos entstanden. "Wir haben unseren Planeten verlassen und die Grenzen unseres Sonnensystems erreicht. Aber wir wollten weiter hinaus. Viele von uns glaubten daran, daß es eine Möglichkeit geben mußte, sich noch schneller als das Licht fortzubewegen. Doch die Forschung verlief in dieser Richtung negativ. Wir bauten also Raumschiffe, die mit einfacher Lichtgeschwindigkeit flogen, und schickten sie auf die Reise zu anderen Sternen. Es vergingen Jahrzehnte - (diese Zeitangabe stellten die Translatoren in Frage, weil damit der Ausdruck, den Heydrac Koat gebrauchte, offenbar nicht exakt übersetzt war) - und wir erfuhren nie, was aus den Pionieren wurde, die es wagten, die weite Kluft zu übersetzen. Keines der großen Schiffe ist von seiner langen Reise je zurückgekehrt. Dann erschien die große Raumkugel auf unserer Welt. Wir haben nie die Existenz von anderen Intelligenzen bezweifelt, aber in dieser Richtung auch keine Theorien entwickelt. Deshalb nahmen wir auch an, daß die Raumkugel von den Nachkommen der Pioniere gebaut worden war. Uns erschien es wahrscheinlicher, daß die Asporcos, die vor hundert Jahren oder mehr ausgewandert waren, das Geheimnis des überlichtschnellen Sternenfluges entdeckten, als daß Lebewesen einer anderen Welt bei uns landeten. Das hat sich als Irrtum erwiesen." "Habt ihr die Menschen gesehen, die sich an Bord der Ex-887VRT befanden?" wollte Reginald Bull wissen. Die Translatoren schwiegen. Es war Fellmer Lloyd, der in den Geist des Asporcos eindrang und Antwort gab: "Er hat keine klare Vorstellung von der Besatzung der Raumkugel... Sein Volk kam nie dahinter, was mit den Menschen wirklich passierte. Es gab Augenzeugenberichte, die behaupteten, daß der Raumkugel Ungeheuer entstiegen seien und übereinander herfielen..." "Wir kennen auch auf der Erde die Glaubwürdigkeit von Augenzeugenberichten", sagte Bull. Er wandte sich den Translatoren zu und fragte: "Habt ihr es fertiggebracht, die Raumkugel zu starten, Heydrac Koat?" Eine Weile herrschte Stille, dann berichtete Fellmer Lloyd, welche Gedankenbilder er im Geist des Asporcos sah: "Die toten Maschinen der Raumkugel wurden plötzlich belebt... Die Raumkugel startete... ging in den überlichtschnellen Flug über - erst da versuchten die Asporcos, die Maschinerie des
Raumschiffes abzuschalten. Es gelang nicht. Dafür erschienen die Mordmaschinen und löschten alles Leben aus... Nur Heydrac Koat konnte ihnen entkommen..." "Damit ist klar, was geschah", sagte Bull. "Die Asporcos haben in ihrer Panik vollkommen unsinnige Schaltungen vorgenommen. Dadurch wurde die Verteidigungsschaltung aktiviert, die für den Fall einer Kaperung durch fremde Mächte vorprogrammiert worden war." "Ich möchte eine Frage an ihn richten", meldete sich Galbraith Deighton. "Heydrac Koat, was sind die Stimmen der Qual?" Die Frage war noch nicht verklungen, als das Etwas, das bisher in einer überdimensionalen Sphäre gelauert hatte, plötzlich Form annahm. "Das Schiff muß sofort geräumt werden!" schrie Ribald Corello. Reginald Bull wußte nicht sofort, was er davon halten sollte, denn er spürte nicht die Veränderung, die von einer Sekunde zur anderen mit dem Asporco vor sich ging. Nur die Mutanten und der Halbmutant Galbraith Deighton waren davon betroffen. Erst als Bull ihre verzerrten Gesichter sah, ahnte er, welches unheimliche Kräfteringen sich außerhalb seines Wahrnehmungsbereiches abspielte. Galbraith Deighton hatte als Gefühlsmechaniker die Entwicklung vorausgesehen. Als sich seine Vermutungen jedoch so plötzlich auf drastische Weise bestätigten, konnte er nichts dagegen tun. Er war machtlos. Dalaimoc Rorvic war auf diesen Augenblick vorbereitet. Er war gewappnet, als er sich plötzlich in die Höhe gehoben fühlte. Er zögerte keine Sekunde, seine psi-reflektorische Fähigkeit gegen die auf ihn einwirkenden Fremdkräfte einzusetzen. Dadurch wurde der auf ihn wirksame telekinetische Paraimpuls zu seinem Ursprung zurückgeschleudert. Der 2,10 Meter große Tibet-Terraner spürte gleich darauf wieder Boden unter den Füßen und sah, daß Heydrac Koat unter den reflektierten Paraimpulsen erbebte. Mehr geschah nicht. In dieser Sekunde fühlte Dalaimoc Rorvic, wie ihn Entsetzen beschlich. Was immer auch den Asporco beherrschte, es war nicht nur mächtig genug, alle Mutanten gleichzeitig in Schach zu halten, sondern auch die zurückkehrenden eigenen Paraströme zu kompensieren oder abzuwehren. Es war unbesiegbar. Dalaimoc Rorvic wandte sich zur Flucht. Nicht weit vor ihm brach ein Stützpfeiler aus massivem Terkonitstahl in der Mitte entzwei. 12. "Sofort alle Einsatzkommandos aus dem Schiff zurückziehen!" Die Warnung Galbraith Deightons kam über die allgemeine Frequenz und wurde von allen Männern gehört. "Rückzug!" ordnete Dr. Rastrow an, obwohl er noch nicht wußte, was eigentlich passiert war. Aber die Stimme des Ersten Gefühlsmechanikers hatte so eindringlich geklungen, daß Dr. Rastrow keine Sekunde zögerte, dem Befehl nachzukommen. Er befand sich mit acht Wissenschaftlern in den Mannschaftsunterkünften auf Deck 4. Seine Leute waren gerade dabei, die persönliche Habe der verschollenen Kontrollbesatzung zu untersuchen, um vielleicht darin Hinweise dafür zu finden, was nach der Landung auf Asporc geschehen war. Jetzt kamen die Wissenschaftler aus den Kabinen geeilt. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich Ratlosigkeit ab. "Weg von hier!" rief Dr. Rastrow.
Plötzlich fühlte er, wie er schwerelos wurde. Den anderen Männern erging es ebenso. Sie verloren den Boden unter den Füßen und segelten durch die Korridore. "Welcher verdammte Narr hat die Antigravaggregate eingeschaltet!" schrie Dr. Rastrow wütend. Von irgendwoher aus dem Schiff kam ein Donnergrollen, das sich anhörte, als würden Wände bersten. "Das sind nicht die Antigravaggregate!" rief einer der Männer entsetzt. "Blicken Sie auf Ihren Schwerkraftmesser, Dr. Rastrow." Der Xenologe und Kosmobiologe befolgte den Ratschlag. "Das... das ist unmöglich!" entfuhr es ihm, als er sah, daß der Schwerkraftmesser seines Armbandgerätes exakt 1 anzeigte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß das Meßgerät falsche Werte anzeigte, andererseits konnte er sich nicht erklären, daß seine Männer und er bei einer Schwerkraft von konstant einem g scheinbar gewichtslos durch die Luft schwebten. Die Männer versuchten sich den neuen Bedingungen anzupassen. Sie ruderten mit den Händen, um so ihre Richtung bestimmen zu können. Aber die Gesetze der Schwerelosigkeit schienen diesbezüglich keine Gültigkeit zu besitzen. Die Männer hatten bei ihrer Ausbildung gelernt, sich auch bei Ausfall der Antigravgeräte während des freien Falls "schwimmend" fortzubewegen. Aber ihre Körper gehorchten einfach nicht den Bewegungen ihrer Hände. Dr. Rastrow selbst hatte sich von der Wand abgestoßen, um zu einem fünf Meter vor ihm liegenden Querkorridor zu gelangen. Er schwebte auch zwei Meter in diese Richtung. Doch plötzlich wurde sein Körper wie von einer unsichtbaren Gegenströmung abgedreht und in die entgegengesetzte Richtung getrieben. Dabei stieß er mit einem Wissenschaftler zusammen, der von der Decke wie ein Stein nach unten fiel. Trotz des heftigen Zusammenstoßes, der eigentlich seine Bewegung beeinflussen mußte, trieb er unbeirrbar in die ursprüngliche Richtung weiter. Erst nach gut zwanzig Metern wurde er abrupt gestoppt, hing für Sekundenbruchteile hilflos in der Luft und wurde dann wuchtig gegen die Wand geschleudert. Vor seinen Augen wurde es schwarz, und er verlor für kurze Zeit die Besinnung. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden. Über ihn fegte ein Sturm hinweg. Durch tränende Augen hindurch sah er eine gespenstische Szenerie: Seine Männer wurden wie Treibgut durch den Korridor gewirbelt. Ihre Schreie wurden vom Heulen des Sturmes verschluckt. Dr. Rastrow spürte, wie er angehoben wurde und über den Boden schlitterte. Der Sturm war zu einem Orkan angewachsen. Er klammerte sich an den Griff einer Kabinentür und stemmte sich gegen den starken Luftsog. Er hob instinktiv eine Hand vor das Gesicht, als ein lebloser Körper gegen ihn prallte. Seine kraftlosen Finger verloren an dem Türgriff langsam den Halt, das Gewicht des Toten lastete schwer auf ihm, der Sog zerrte an ihm. Bevor seine Hände den Halt verloren, brach die Kabinentür berstend aus den Angeln. Mitsamt dem Toten und der Tür segelte Dr. Rastrow durch den Korridor. Vor ihm tat sich der Boden auf. Der Kunststoffbelag zersplitterte, als sich die Metallplatten des Bodens aufwölbten und unter der Spannung barsten. Die Wände senkten sich, Metallträger und Stützpfeiler bogen sich durch und wurden wie Grashalme geknickt. Wände und Stützpfeiler versanken in einem zwanzig Meter durchmessenden Loch. Fünfzig Meter tiefer prallten sie auf die Innenseite der Schiffshülle auf.
Als Dr. Rastrow sah, daß er mit der aus den Angeln gerissenen Tür auf das zwanzig Meter durchmessende Loch zufiel, ließ er los. Er sah noch, wie sich die Tür in den ausgezackten Rand des Bodens bohrte und sich einringelte wie angesengtes Papier, dann wurde er vom Sog in einen Korridor befördert. Plötzlich brach der Sturm so unvermittelt ab, wie er aufgekommen war. Das erste, was Dr. Rastrow sah, waren die Beine eines Mannes, die aus einer Wand ragten. Es schien, als sei sein Körper mit unheimlicher Kraft durch das Metall getrieben worden. Es war ihm nicht möglich, sich vorzustellen, wodurch diese unerklärlichen Vorgänge ausgelöst worden waren. Der Effekt der Schwerelosigkeit, obwohl normale Schwerkraftbedingungen herrschten! Die Verwüstungen im allgemeinen und der zwanzig Meter durchmessende Schacht, der auf einer Länge von insgesamt 250 Metern quer durchs Schiff gerissen worden war! Als hätte ein Meteor von wahrhaft gigantischen Ausmaßen eingeschlagen. Diese rein theoretische Möglichkeit konnte jedoch schon allein deswegen nicht eingetreten sein, weil der Schacht vom Mittelpunkt des Schiffes, von der Zentrale aus, senkrecht in die Tiefe gerissen worden war und an der Hülle endete. Und dann war da noch der Sturm, der mit einer Geschwindigkeit von gut zweihundert Stundenkilometern durch die Korridore getobt hatte. Für all diese Phänomene gab es keine vernünftige Erklärung. Das heißt, Dr. Rastrow hatte schon eine, doch die war im höchsten Grad phantastisch. Aber je länger er sich damit beschäftigte, desto wahrscheinlicher erschien sie ihm. Nur konzentrierte parapsychische Kräfte konnten in der Lage sein, solche verheerenden Effekte hervorzurufen. Die scheinbare Schwerelosigkeit, die rasende Luftbewegung und die Versetzung von zigtausend Tonnen Materie ließen sich mit telekinetischen Paraströmungen erklären. Dr. Rastrow mußte sich an der Wand stützen. Wenn seine Vermutung zutraf, dann kam nur eine Person als Urheber der entfesselten Parakräfte in Frage. Heydrac Koat, der Fremde, den sie an Bord der Ex-887-VRT vorgefunden hatten! Denn die Mutanten Perry Rhodans wären kaum in der Lage, diese gewaltigen Verwüstungen innerhalb dieser kurzen Zeit anzurichten - wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn sie sich zu einem Geistesblock zusammenschlossen. Das ist richtig... und du mußt die Konsequenzen ziehen! Waren das seine eigenen Gedanken? Und welche Konsequenzen sollte er ziehen? Er sah mit ungläubig geweiteten Augen, wie sich seine Rechte selbständig machte, nach dem Strahler an seinem Gürtel griff und ihn an seiner Schläfe ansetzte. Er wurde hypnosuggestiv beeinflußt! Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich sein Zeigefinger krümmte. Plötzlich ging eine Veränderung mit dem Zeigefinger vor. Zuerst machte sich ein explosionsartig ausweitender Schmerz darin bemerkbar, dann quoll er auf; die Haut platzte, wild wucherndes Fleisch brach aus den Wunden. Obwohl der fremde Zwang immer noch da war und seiner Hand befahl, die Waffe abzudrücken, besaß der verstümmelte Finger nicht mehr die Kraft dazu. "Tut mir leid, Dr. Rastrow", hörte er durch den pochenden Schmerz hindurch eine Frauenstimme sagen. "Aber ich hatte keine andere Möglichkeit, ihnen das Leben zu retten, als die Zellen Ihres Fingers umzugruppieren."
"Ich bin Ihnen trotzdem dankbar", sagte Dr. Rastrow mit vor Schmerz entstellter Stimme. "Sie haben mir das Leben gerettet, Irmina Kotschistowa." Während er durch verschleierte Augen sah, wie die MetabioGruppiererin langsam auf ihn zukam, nahm er den Strahler in die linke Hand. Er wollte der Mutantin eine Warnung zurufen, doch ihm versagte die Stimme. "Heydrac Koat hat das Chaos im Schiff verursacht", erklärte Irmina Kotschistowa. "Wir waren selbst machtlos gegen die parapsychischen und paraphysikalischen Kräfte, die er plötzlich entwickelte. Wir spürten zwar die Drohung, die von ihm ausging, aber es gab keine Anzeichen dafür, daß er übernatürliche Fähigkeiten besitzt. Er entwickelte sie ganz plötzlich und unerwartet..." Der fremde Zwang befahl ihm, die Waffe gegen die Frau abzudrücken. Er versuchte, sich dem Befehl mit aller Kraft zu widersetzen, doch er war zu schwach dazu. Er mußte den Strahler gegen seinen Willen abdrücken. Der Korridor wurde sekundenlang in blendende Grelle getaucht, dann ließen die hypnosuggestiven Impulse von ihm ab. "Ich habe Irmina Kotschistowa getötet", sagte Dr. Rastrow ungläubig. "Irrtum", sagte die Metabio-Gruppiererin hinter ihm. Er wirbelte herum. Wahrhaftig, da stand die Mutantin vor ihm, unverletzt und mit einem dämonischen Ausdruck in den Augen. "Seit wann können Sie teleportieren...?" entfuhr es ihm. Aber er erkannte noch während des Sprechens die Wahrheit. Heydrac Koat, oder die Macht, die ihn beherrschte, mußte Irmina Kotschistowa teleportiert haben. Und dieselbe Macht, die ihn vorhin hypnosuggestiv beeinflußt hatte, beherrschte nun sie! "Achtung vor den Mutanten, sie...", konnte Dr. Rastrow noch die anderen über das Funksprechgerät warnen, dann erstarb seine Stimme. In seinem Hals begann plötzlich ein Tumor zu wachsen. Er griff sich an die Kehle und spürte dort eine faustgroße Beule. Er konnte nicht mehr atmen, denn das Geschwür versperrte seine Luftröhre. Er taumelte vor der wie eine Marionette auf ihn zuschreitenden Metabio-Gruppiererin zurück, stolperte, fiel der Länge nach hin und konnte sich nicht mehr aufraffen... Irmina Kotschistowa stieg über die reglose Gestalt hinweg und stakte mit hölzernen Schritten den Korridor hinunter. Erst Minuten später ließ der fremde Zwang von ihr ab, und sie war wieder frei. "Mein Gott!" stöhnte sie in Erinnerung dessen, was sie eben angerichtet hatte. "Wenn die anderen Mutanten der hypnosuggestiven Beeinflussung ebenfalls verfallen, dann..." * Dalaimoc Rorvic konnte den parapsychischen Sturm, der von Heydrac Koat ausging, nicht mehr länger reflektieren. Er war schon zu schwach. Es war, als hätte jemand seinen Geist angezapft und würde ihn seiner psionischen Energien berauben. Es hatte überhaupt keinen Sinn, seine Fähigkeit als Psi-Reflektor gegen Heydrac Koat einzusetzen, denn er erreichte damit überhaupt keine Wirkung. Den 2,10 Meter großen Tibet-Terraner erfaßte Panik. Seit er vor knapp zwei Jahren die Erweckung seiner latenten Paragabe erfahren hatte, war es ihm noch nicht passiert, daß sie versagte. Aber hier verpufften seine Reflexi onen nicht nur, sondern er verlor noch zusätzlich parapsychische Substanz. Hier konnte nur noch Flucht helfen.
Den anderen Mutanten schien es nicht anders als ihm zu gehen. Ras Tschubai hatte Irmina Kotschistowa und Merkosh den Gläsernen an den Händen ergriffen und war mit ihnen entmaterialisiert. Ribald Corellos Versuch, die anderen dazu zu bewegen, einen Geistesblock zu bilden, um dieser unheimlichen Macht, die Heydrac Koat beherrschte, entgegenwirken zu können, war bereits im Anfangsstadium gescheitert. Es gelang keinem der Mutanten, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Als erster war Takvorian scheinbar vollkommen unmotiviert im Galopp geflüchtet. Gucky, der in seine Gedanken eindrang, hatte erklärt: "Takvorian wurde hypnotisiert!" Gleich darauf war der Mausbiber von einer unsichtbaren Kraft erfaßt worden. Er schwebte plötzlich über den anderen. "Laß den Blödsinn, Balton Wyt!" rief er dem Telekineten zu. "Jetzt habe ich keinen Sinn für Scherze." Und dann entmaterialisierte er. Ribald Corello erkannte sofort, daß Balton Wyt nichts mit dem telekinetischem Transport zu tun hatte. Denn der Telekinet gehörte wie Gucky und die anderen selbst zu den Betroffenen. Er lag auf dem Boden und rang nach Luft. "Er steht unter Hypnose", erklärte Fellmer Lloyd, der kurz in seine Gedanken gesehen hatte, sich aber schleunigst wieder zurückziehen mußte. "Sein Nervensystem hat versagt, weil ihm suggeriert wird, er sei gelähmt." Corello handelte blitzschnell. Er hob den steifen Körper des Telekineten mit einem Gelenkarm seines Trageroboters auf und fuhr mit ihm auf den Prallfeldern davon. "Man will uns nacheinander ausschalten", vermutete der Supermutant mit schriller Stimme, "damit wir uns nicht parapsychisch vereinigen können. Das ist im Augenblick auch gelungen. Wir können hier nichts mehr ausrichten. Deshalb ist es am besten, wir versuchen, aus dem Schiff zu gelangen und uns vor der Bodenschleuse zu treffen. Fellmer, können Sie Gucky erreichen?" "Den Kleinen scheint es erwischt zu haben", antwortete der Telepath. "Ich empfange nur schwache Individualimpulse von ihm. Wahrscheinlich hat er das Bewußtsein verloren." "Dann kann er wenigstens nicht beeinflußt werden", sagte Corello. "Sagen Sie mir, wo er sich befindet, dann werde ich ihn holen." Dalaimoc Rorvic hörte Lloyds Antwort nicht mehr. Ein Heulen wie von einem Orkan fegte plötzlich durch den Gemeinschaftsraum, die Atmosphäre geriet in Bewegung und zerrte an den Mutanten. Wahrhaftig ein Sturm! dachte Rorvic verblüfft. Er wollte auf den Ausgang zulaufen, wurde aber plötzlich auf eine der Seitenwände zugetrieben. Er versuchte vergeblich, sich gegen den Druck zu stemmen und wurde unerbittlich gegen die Wand gedrückt. Der Druck wurde immer stärker, und er hatte das Gefühl, als ginge von der Wand eine Anziehungskraft von mehr als 19g aus. Als der Andruck sich weiterhin verstärkte und ihm das Blut aus Nase und Ohren trieb, bäumte er sich noch einmal mit aller Kraft gegen die unsichtbare Macht auf. Er umgab sich mit dem Schild der Psi-Reflexion und verspürte gleich darauf Erleichterung. Als die Wand in seinem Rücken barst, konnte er sich auf den Beinen halten. Er wußte, daß ihm der sekundenlange Einsatz seiner Fähigkeit das Leben gerettet hatte. Wäre es ihm nicht gelungen, sie einzusetzen, dann hätte ihn der gigantische Druck an der Wand zerquetscht. Dalaimoc Rorvic wurde wieder vom Sturm erfaßt und den Korridor hinuntergewirbelt. Es grenzte an ein Wunder, daß ihm dabei nicht sämtliche Knochen gebrochen wurden. Andererseits
erkannte er, daß dies den telekinetischen Kräften zuzuschreiben war, die manchmal von verschiedenen Seiten wirksam wurden. Schon einige Male hatte es so ausgesehen, als würde er unweigerlich mit der Wand oder der Decke zusammenprallen. Doch immer wurde seine Flugrichtung im letzten Moment verändert. Trotz dieses glücklichen Umstands hatte er jedoch keine Lust, als Spielball des parapsychischen Sturmes durch das Schiff getrieben zu werden. Als er auf das Schott eines Hangars für Lightning-Jäger zutrieb, nahm er seine Chance wahr. Er hielt sich unter größter Kraftanstrengung an Wandvorsprüngen fest und zog sich durch das Schott. Im Hangar wurde die Luft zwar ebenfalls durcheinandergewirbelt, und die Gravitation schien 8g zu betragen, aber es gelang ihm, sich zum nächsten Lightning-Jäger zu schleppen und in die Pilotenk anzel zu klettern. Er schnallte sich im Sitz des Kopiloten fest und verfiel in Meditation. Auf diese Art und Weise gedachte er das Chaos zu überbrücken. Doch lange konnte er sich seiner Lieblingsbeschäftigung nicht widmen. Plötzlich tauchten in seinem Geist Bilder auf, die so real waren, als würde er sie durch die Augen eines anderen sehen. Er sah Männer, die gegen den Sturm kämpften, hörte die Schreie von Verwundeten und sah sie sterben. Und dann erkannte er durch die Augen des anderen, daß der Sturm aufgehört hatte. Aber die Gefahr war noch nicht vorbei. Jetzt wurden andere parapsychische Kräfte frei. "Rorvic, wo sind Sie?" Der Albino hörte die Stimme zweimal. Einmal aus seinem Bildsprechgerät und dann durch die Ohren jenes Unbekannten, durch dessen Augen er sah. Und plötzlich war es kein Unbekannter mehr. Die Stimme gehörte diesem widerlichen Marsianer Tatcher a Hainu! "Melden Sie sich, damit ich Sie heraushauen kann, Rorvic", ertönte wieder die Stimme des kleinen Marsianers. Die Macht, die Rorvic durch die Augen seines gehaßten Kompagnons sehen ließ, hatte ihn nicht fest genug in ihrem Griff, daß er nicht hätte antworten können. "Scheren Sie sich zum Teufel, Tatcher", sagte er. "Ich habe mich in einen Lightning-Jäger zurückgezogen und möchte in meiner Meditation nicht gestört werden." Rorvic erkannte zu spät, daß er sich dadurch verraten hatte. Durch die Augen Hainus sah er plötzlich das Schott des Hangars. Durch seine Ohren hörte er ihn im Selbstgespräch sagen: "Dem fetten Albino werde ich eine aufs Dach klopfen, wenn er meint, sich der Verantwortung einfach durch Meditation entziehen zu können." Dalaimoc Rorvic saß bewegungsunfähig im Kopilotensessel, die parapsychische Macht hatte ihn jetzt fest in ihrer Gewalt. Sein Bewußtsein war ausgeschaltet, er sah und hörte nur noch durch Hainus Organe. Und er sah sich selbst - wie er mit geschlossenen Augen im Zwei-Mann-Jäger saß. Dann kam eine sich senkende Faust, in der ein Prügel lag, ins Blickfeld. Er sah durch Hainus Augen noch, wie der Prügel auf seinen kahlen Schädel sauste. Dann verlor er das Bewußtsein.
13. "Ich werde abräumen", sagte die Frau und erhob sich. Als sie das Geschirr auf das Tablett lud und in die Küche hinausging, flackerten die Kerzen im Luftzug.
Sie ist schön, dachte der Mann. Warum ist mir das vorher noch nicht aufgefallen? Er berichtigte sich. Ihre Schönheit war ihm schon an dem Tag vor eineinhalb Jahren sofort ins Auge gestochen, als er ihr zum erstenmal begegnete. Nur hatte er sie bisher nicht bewußt wahrgenommen. Er kannte sie als tüchtige Hyperdim-Mechanikerin, die ein schweres Schicksal hinter sich hatte. Er wußte, daß sie liebenswert, verständnisvoll, etwas scheu und zurückhaltend, aber andererseits voll von Lebensfreude war. Er blickte zum Fenster, in dem sich die Kerzen spiegelten. Neben dem flackernden Kerzenlicht sah er die Silhouette eines Mannes, der nur selten Gelegenheit hatte, Mensch zu sein. Das war sein Übel. Er lebte nur für das Wohl der anderen, ohne an sein eigenes Leben zu denken. Wie lange lag es schon zurück, daß er zum letzten Mal er selbst gewesen war? Er wollte nicht mit dem Schicksal hadern. Seine Aufgabe füllte ihn aus, sie war sein Lebensinhalt. Solange er glaubte, der Menschheit dienen zu können, würde er es tun und dafür auch weiterhin sein Privatleben opfern. Aber ihm waren Zweifel gekommen, daß die Menschheit ihn wirklich noch benötigte. Vielleicht hatte Marschall Terhera nicht so unrecht, wenn er sagte, er, Rhodan, hätte in der Schwarmkrise versagt. Jeder Mensch konnte irren. Auch er war nur ein Mensch, das hatte er in den wenigen Stunden, die er sich hier im tibetanischen Hochgebirge aufhielt, deutlich gespürt. Nur konnte er sich als Großadministrator des Solaren Imperiums solche Irrtümer nicht leisten - Milliarden Menschen würden sie zu spüren bekommen. Er mußte objektiv sich selbst gegenüber sein. Wenn er zu der Überzeugung gelangte, daß seine Entscheidungen falsch gewesen waren, dann wollte er sofort die Konsequenzen ziehen. Hier bot sich Merytot Bowarote als ein möglicher Nachfolger an. Der Galaktoregulator für Systemwirtschaft würde der Menschheit bestimmt ein guter Großadministrator sein. Wenn er selbst zurückträte, dann würde er seinen Einfluß geltend machen, um Bowarote zu fördern... Rhodan schreckte aus seinen Gedanken hoch, als plötzlich Orana Sestores schlanke Gestalt vor ihm auftauchte. "Ich habe Sie gar nicht kommen gehört, Orana", sagte Rhodan. "Sie waren tief in Gedanken versunken, Perry", sagte sie mit ihrer wohlklingenden Stimme und blieb unschlüssig stehen. "Wenn ich störe, dann ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück." "Nein, nein", sagte Rhodan schnell. "Setzen Sie sich zu mir. Ich habe nur eben etwas wehmütig daran gedacht, auf welche Annehmlichkeiten des Lebens ich in den letzten Jahrhunderten freiwillig verzichtet habe. Das war alles." Orana setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und blickte ihn aus ihren großen, dunkelblauen Augen an. "Und jetzt glauben Sie, genug für die Allgemeinheit getan zu haben und Ihren Nachholbedarf decken zu müssen?" fragte sie ohne Spott. Rhodan lächelte. "Sie wollen mich mit dieser Frage nur provozieren. Denn Sie wissen ganz genau, daß es nicht so ist. Ein Unsterblicher braucht keinem verlorenen Tag seines Lebens nachzutrauern, denn vor ihm liegt die Ewigkeit. Aber Scherz beiseite. Ich trauere nicht, ich bedauere nur, daß ich vergessen habe, wie die andere Seite des Lebens aussieht. Daß ich hier sein kann, ist mir viel wert." "Und ich dachte, Sie wollten nur vor dem ganzen Wahlrummel entfliehen", meinte sie. "Aber selbst diese Begründung hätte ich bedingungslos akzeptiert. Nur glaube ich, daß Sie es hier in der Abgeschiedenheit des tibetanischen Hochlandes nicht lange
aushalten werden. Es wird Sie bald wieder zurück in die technisierte Zivilisation ziehen." "Da irren Sie, Orana. Das Gebirge ersetzt mir die Hochhäuser, Kerzenlicht finde ich viel gefälliger als taghelles Kunstlicht, und auf die Annehmlichkeiten, die mir die Dienstroboter bieten, kann ich für eine Weile verzichten. Immerhin habe ich Sie..." Rhodan brach verlegen ab. Orana Sestore lachte schallend. "Ich habe Sie durchschaut, Perry! Ich gebe Ihnen noch eine Chance, sich zu rechtfertigen. Sollte es ein Kompliment werden, oder wollten Sie mich mit einem Dienstroboter vergleichen?" "Welche Frage!" Rhodan lächelte andeutungsweise, dann fragte er ernst: "Warum tun Sie das für mich, Orana?" Jetzt war es an ihr, verlegen zu werden. Sie hätte über diese Frage mit einer schlagfertigen Bemerkung leicht hinweggehen können. Aber das wollte sie nicht. Sie empfand mehr für Perry Rhodan als bloße Kameradschaft. Sie fühlte sich seit dem ersten Tag zu ihm hingezogen. Und dann, eines Tages, traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel; sie liebte ihn. Sie hatte ihm das nie zu verstehen gegeben, hatte nur seine Nähe gesucht, war immer für ihn dagewesen. Mehr als das konnte sie nicht. Sie wollte sich nicht aufdrängen. Damit hatte sie erreicht, daß er sie akzeptierte und ihr seine Freundschaft schenkte. Nach seinen eigenen Worten sah er in ihr einen Kameraden, "mit dem man Pferde stehlen konnte". Sie war nicht enttäuscht oder gekränkt, weil er ihre wahren Gefühle nicht erkannte und seinerseits nicht mehr für sie zu empfinden schien. Sie war damit zufrieden, diesen Mann wenigstens teilweise für sich gewonnen zu haben. Und jetzt fragte er sie plötzlich, warum sie das alles für ihn tat. Seit Rhodan die Frage gestellt hatte, schienen Minuten vergangen zu sein. Sie mußte endlich antworten. Aber was? "Orana..." Sie sah eine Bewegung und fühlte den kräftigen Druck einer Männerhand an der ihren. Von irgendwo her ertönte ein eindringliches Summen. Es war die Warnglocke am Hyperkom, die durch ihr Läuten den Empfang eines Funkspruchs anzeigte. Orana Sestore sprang schnell auf. "Ich werde das erledigen." "Ich habe ausdrücklich erklärt, daß ich in den nächsten Tagen nicht gestört werden möchte", sagte Rhodan ärgerlich. "Wenn der Anruf mit der Wahl zusammenhängt, so verleugnen Sie mich, Orana!" Drei Minuten später kam sie zurück und berichtete: "Der Anrufer war Mike. Er sagte, daß auf der Neusibirischen Insel Kotelnyj ein Explorerschiff gelandet sei..." Sie erzählte ihm in knappen Worten, was sie von Roi Danton über die Vorfälle auf der Ex-887-VRT erfahren hatte. "Ich werde sofort hinfliegen", erklärte Rhodan entschlossen. Er war plötzlich wie ausgewechselt. Die Lethargie war von ihm abgefallen, von den Spuren der Resignation war nichts mehr zu sehen. "Ich nehme den Gleiter. Wenn Sie wollen, schicke ich Mike, damit er Sie abholt. Aber es würde mich freuen, wenn Sie hier auf mich warteten, Orana." "Ich werde hier warten", sagte sie mit tapferem Lächeln, obwohl sie wußte, daß er nicht zurückkommen würde. *
Rhodan ballte die Hände zu Fäusten, während er durch den unüberwindlichen HÜ-Schirm zur Ex-887-VRT starrte. Der Schneesturm hatte sich inzwischen gelegt, und er konnte mit freiem Auge erkennen, daß drei Männer aus der Schleuse taumelten. Der erste warf plötzlich die Arme in die Luft und brach zusammen. "Das war Bully", konstatierte Roi Danton mit einem Blick auf den Bildschirm des Beobachtungsgerätes, auf dem die Schleuse des Robotexplorers vergrößert zu sehen war. "Wir müssen ihnen helfen", sagte Rhodan gepreßt. "Das ist unmöglich", erwiderte Roi Danton. "Der HÜ-Schirm muß aufrechterhalten werden, damit sich diese unheimliche Macht nicht weiter ausbreiten kann. Unsere einzige Hoffnung ist, daß sich die Mutanten dagegen behaupten." "Was ist mit Bully?" wollte Rhodan wissen. "Er wurde nur von einem Paralysestrahl getroffen", antwortete Roi Danton. "Damit fällt er aus und kann nicht mehr manipuliert werden." Rhodan blickte auf den Bildschirm. Er sah Bullys reglose Gestalt zwischen den geborstenen Eisblöcken liegen. Die beiden Wissenschaftler, die auf ihn geschossen hatten, fielen völlig unerwartet übereinander her. Rhodan befürchtete schon, daß sie sich mit ihren Strahlenwaffen gegenseitig töten würden. Doch sie warfen ihre Waffen beiseite und begannen miteinander zu ringen. Aus der Schleuse kamen drei weitere Männer. Sie vollführten seltsame Bewegungen, und es hatte den Anschein, als würden sie sich zwischen Hindernissen hindurch ihren Weg suchen, die nur sie sehen konnten. Ihre Bewegungen muteten wie ein ekstatischer, exotischer Tanz an. Hinter ihnen tauchten zwei andere auf. Einer von ihnen war ein großgewachsener Afroterraner. "Balton Wyt und Ras Tschubai!" entfuhr es Danton. Rhodan sagte nichts. Er hatte sofort gemerkt, daß mit dem Telekineten und dem Teleporter irgend etwas nicht stimmte. Das wurde gleich darauf offensichtlich. Balton Wyt schleuderte die drei vor ihm durch die zerklüftete Eislandschaft geisternden Männer mit seinen telekinetischen Kräften hoch in die Luft und ließ sie dort oben gegeneinanderprallen. Ras Tschubai teleportierte mit vier bis fünf Meter weiten Sprüngen im Zickzack durch die Gegend. Dabei hatte Rhodan wieder das Gefühl, als ob er sich durch ein Labyrinth einen Weg suche. "Dort ist Merkosh!" rief Roi Danton. Rhodan wollte sich in die Richtung wenden, in die seine ausgestreckte Hand wies, aber er wurde von einem anderen Ereignis abgelenkt. Vor ihm begann der HÜ-Schirm auf einmal verstärkt zu flimmern, und im nächsten Augenblick geisterte ein weit verästelter Strukturriß über die Wand aus grüner, komprimierter Energie. "Es versucht, den HÜ-Schirm zu durchdringen!" rief Rhodan. Ein zweiter rotglühender Blitz spaltete die grünlich flimmernde Energiekuppel für Sekundenbruchteile auf. Der HÜ-Schirm dehnte sich einige Meter weit aus und zog sich dann wieder zusammen. Dieser Vorgang wiederholte sich. "Das Hochenergie-Überladungsfeld beginnt zu pulsieren!" rief einer der Wissenschaftler und blickte in Erwartung eines Befehls zu Rhodan. "Wir müssen die Insel räumen", sagte Roi Danton drängend. "Wenn der HÜ-Schirm zusammenbricht, dann sind wir hier verloren - die ganze Erde ist in Gefahr!" stimmte auch der Wissenschaftler zu. Rhodan rührte sich nicht vom Fleck.
"Wir können Bull und Deighton, die Mutanten und die Wissenschaftler nicht einfach im Stich lassen", sagte er. "Wollen Sie deshalb Ihr Leben und die Sicherheit der irdischen Menschheit aufs Spiel setzen, Sir!" rief der Wissenschaftler anklagend. "Wir können hier nicht helfend eingreifen. Wir müssen die Ex-887-VRT mitsamt der fremden Macht in die Luft sprengen. Das ist unsere einzige Rettung!" Auf dem HÜ-Schirm zeigten sich erneut Strukturerschütterungen. Diesmal waren sie heftiger und hielten länger an. * Corello erkannte zu spät, daß der Telekinet Balton Wyt wieder zu sich gekommen war. Gerade als er den Korridor erreichte, in dem der gleich zu Anfang außer Gefecht gesetzte Gucky lag, befreite sich Balton Wyt aus der Umklammerung des Robotarms und entmaterialisierte. Er teleportierte! Corello machte sich keine Gedanken darüber, wie das möglich sein konnte. Er war selbst zu stark damit beschäftigt, gegen den Einfluß der fremden Macht anzukämpfen. Er ließ den bewußtlosen Mausbiber von dem Gelenkarm zu sich auf den Trageroboter heben und glitt auf den nächsten Transportschacht zu. Er schloß geblendet die Augen, als rund um ihn geisterhafte Lichtspiralen explodierten. Aber auch als er die Augen geschlossen hatte, verschwanden die Leuchterscheinungen nicht. Im Gegenteil, sie waren noch deutlicher zu erkennen. Der Supermutant ließ sich davon nicht beirren. Er fuhr in den Transportschacht ein und glitt darin auf den Antigravfeldern seines Trageroboters in die Tiefe. Ich muß mit Gucky die Bodenschleuse erreichen! sagte er sich in Gedanken immer wieder vor. "Ich muß stark bleiben!" schrie er. Das Echo hallte schaurig nach. Seine eigene Stimme klang ihm fremd. Er mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um die fremden Einflüsse abzuwehren. Noch gelang ihm das, aber er wußte, daß er sich nicht mehr lange zur Wehr setzen konnte. Er versuchte, die Quelle der psionischen Ausstrahlung als Hypnosuggestor zu beeinflussen. Aber das mißlang kläglich. Immer wenn er glaubte, einen Teil der fremden Macht unter Kontrolle zu haben, löste sich das Fragment in Nichts auf. Er setzte seine Fähigkeit als Individualauflader ein, um die Schutzschirme seines Trageroboters zu verstärken und so die auf ihn einwirkenden Geisteskräfte abzuhalten oder zumindest abzuschwächen. Aber das kostete ihm so viel Kraft, daß er bald davon abließ. Schließlich war Corello schon so geschwächt, daß er sich eine kurze Ruhepause gönnen mußte, um sich zu sammeln. Das wurde ihm zum Verhängnis. Gerade als er das Ende des Transportschachtes erreichte, überfielen ihn die Geisterbilder mit bisher noch nie erreichter Intensität. Er fand sich plötzlich in einem Dschungel aus seltsam geformten Gebilden. Sie lösten sich von den Wänden, wuchsen aus dem Boden und fielen wie riesige Tropfen von der Decke - während des Falles wurden sie größer und bekamen Schwingen, mit denen sie ihren Flug stoppten und sich in der Schwebe hielten. Jedes dieser konturscharfen und doch so formlosen Gebilde schien Milliarden Augen zu besitzen. Die Augen waren facettenartig, saßen auf beweglichen Stielen, waren faustgroß und winzig, besaßen hornige Lider oder waren lidlos. Aber alle starrten sie Ribald Corello an, als wollten sie ihm etwas sagen.
Er glitt auf den Prallfeldern durch den Dschungel der skurrilen Formen und der hypnotischen Augen hindurch - die auf einmal keine Augen mehr waren. Sie leuchteten plötzlich wie Sonnen. Milliarden und aber Milliarden Sonnen waren um ihn. Und er fuhr nicht mehr auf dem Boden eines Raumschiffdecks, sondern flog durch die Unendlichkeit des Weltraums. Die Sonnenlichter verloren ihre Beständigkeit und wurden zu rot wallenden Leuchtgebilden. Er befand sich im Hyperraum auf einem Dimesextaflug! Die Kälte dieses unvergleichlich fremden und abstrakten Überraumes griff nach ihm. Er war fasziniert und erschrocken zugleich, fühlte sich angezogen und abgestoßen. Aber er spürte über all diesen widersprechenden Gefühlen, daß er auf seinem Flug zwischen den wabernden und wallenden roten Gebilden, die Galaxien und Universen waren, daß er der Lösung aller Rätsel entgegentrieb. Er wußte nicht, wo sein Ziel lag, aber er war voller Ungeduld, es endlich zu erreichen. Er war bereit, alle Hindernisse zu beseitigen, die sich ihm in den Weg stellten. Dunkle Gestalten tauchten auf, von humanoider Gestalt und ihm vertraut. Es hätten Fremde sein können, denn es handelte sich um Menschen. Doch als sie sich ihm entgegenwarfen, erkannte er sie als seine Feinde. Sie wollten ihn daran hindern, sein Ziel zu erreichen! Er ließ die Gelenkarme seines Trageroboters rotieren und warf die angreifenden Gestalten zurück. Als sie trotzdem in immer bedrohlichere Nähe kamen, schickte er ihnen hypnosuggestive Befehle entgegen. Er hätte es dabei bewenden lassen können. Doch er fühlte plötzlich eine noch nie gekannte Kraft seinen Geist durchfluten, daß er nicht anders konnte, als sie einzusetzen. Er erkannte, daß die fremde Macht seinen Geist speiste und ihn unüberwindlich machte. Sie verlieh ihm Fähigkeiten, wie ehedem dem Fremdwesen Heydrac Koat - er vereinigte in diesen Augenblicken alle parapsychischen Fähigkeiten in sich. Er wurde spielend mit den Angreifern fertig. Es störte ihn nicht, daß er gegen seine früheren Verbündeten kämpfen mußte. Was machte es aus, daß es sich um die Wissenschaftler und Soldaten des Einsatzkommandos handelte, die versuchten, ihn dazu zu bringen, das Schiff zu verlassen - jetzt waren sie seine Feinde! Sie hatten es schließlich fertiggebracht, daß die Illusion eines Dimesextafluges durch den Hyperraum zerrann. Er würde nun nie mehr das verheißungsvolle Ziel erreichen und das Geheimnis aller Geheimnisse enträtseln können. Er befand sich wieder an Bord des Robotexplorers und mußte gegen die Männer kämpfen, die ihn zwingen wollten, das Schiff zu verlassen. Er hörte ihre Schmerzensschreie, wenn sie von den rotierenden Roboterarmen getroffen wurden, sah sie lautlos zusammensinken, wenn seine Paralysestrahlen nach ihren Nervenzentren griffen. Und plötzlich sah er vollkommen klar. Der Druck wich abrupt von seinem Geist. Von einer Sekunde zur anderen fiel der fremde Zwang von ihm ab - er war nicht länger mehr der Sklave der unheimlichen Macht. Der Spuk war vorbei. 4. "Seit wir ihn vor fünf Stunden in der scheintoten Starre vorgefunden haben, hat er sich noch nicht gerührt", erklärte Galbraith Deighton. "Er kann jederzeit wieder zu sich kommen", meinte Rhodan. "Hoffentlich reichen dann die Sicherheitsmaßnahmen aus."
Er hatte sich mit seinen engsten Vertrauten in dem Laderaum eingefunden, wo Heydrac Koat untergebracht war. Nachdem die psionischen Gewalten abgeflaut waren, fanden die Einsatzkommandos und die Mutanten mit Perry Rhodan an der Spitze den Asporco wie leblos daliegend vor. Sie brachten ihn aus dem völlig zerstörten Aufenthaltsraum in diese Lagerhalle und errichteten um ihn einen HÜ-Schirm und einen Paratronschutzschirm. Innerhalb dieser doppelten Energiezone standen Narkosegeschütze bereit, die mit Individualtastern gekoppelt waren. Wenn Heydrac Koat erwachte und sich die Stimmen der Qual bemerkbar machten, würden es die Individualtaster registrieren und sofort die Narkosegeschütze aktivieren. "Mehr können wir nicht tun", ließ sich Roi Danton vernehmen. "Mehr ist auch nicht nötig", erklärte Reginald Bull. "Schon beim geringsten Aufflammen der parapsychischen Fremdimpulse treten die Narkosegeschütze in Aktion." "Und was ist, wenn der Asporco erwacht, ohne von den sogenannten Stimmen der Qual beherrscht zu werden?" wollte Rhodan wissen. "Dann treten die Narkosestrahler nicht in Aktion", antwortete Bull. "Die Individualtaster wurden so programmiert, daß sie auf sein Gehirnwellenmuster nicht reagieren." Rhodan nickte zufrieden. "Wenn er zu sich kommt, möchte ich mit ihm sprechen. Wir müssen unbedingt herausfinden, was für diese unheimliche geistige Metamorphose verantwortlich ist. Die Mutanten, und auch die untersuchenden Wissenschaftler sagen eindeutig aus, daß er grundsätzlich harmlos und friedfertig veranlagt ist, daß er ein hohes geistiges Niveau besitzt, und daß seine psychische Kapazität ausbaufähig ist. Wenn wir diese Möglichkeiten nützen, könnte er eine wertvolle Hilfe für uns sein." "Es wäre besser, wenn wir uns seiner entledigten", sagte Galbraith Deighton. "Wir wissen von der Schiffspositronik, daß die Ex-887-VRT tatsächlich in dem vorprogrammierten Zielgebiet, nämlich im Zentrum Übernord, Alpha I bis III, war. Warum schicken wir den Asporco nicht einfach mit einem kleinen Robotschiff dorthin zurück?" Rhodan schüttelte den Kopf. "So leicht können wir es uns nicht machen. Wir werden ein Schiff in diesen Raumsektor schicken, aber es soll einen weitergesteckten Aufgabenkreis bekommen. Wenn Oberstleutnant Patic Runno eintrifft, möchte ich ihn sofort sprechen!" "Du denkst doch nicht daran, selbst an Bord eines Erkundungsschiffes zu gehen?" fragte Reginald Bull hintergründig. "Nein. Wieso?" "Ich dachte, daß du dich vielleicht vor der Wahl drücken möchtest", sagte Bull. "Ich hätte gute Lust dazu, aber daran ist im Augenblick noch nicht zu denken", meinte Rhodan. Er starrte auf den Bildschirm, auf dem eine überlebensgroße Aufnahme des Asporcos zu sehen war, die noch vor seinem Abtransport aus dem Aufenthaltsraum gemacht worden war. Er betrachtete vor allem die Schädelpartie eingehend. Schließlich blieb sein Blick auf den beiden nun schlaff herunterhängenden Kämmen hängen, die durch eine etwa 23 Zentimeter lange, türkisfarben schillernde Spange miteinander verbunden waren. Die Spange war sechs Millimeter dick und acht breit und mit ihren Enden in die Kämme eingepflanzt. "Dient diese Spange nur der Zierde, oder kommt ihr eine besondere Bedeutung zu?" fragte Rhodan wie zu sich selbst. "Das haben die Wissenschaftler noch nicht herausgefunden", antwortete Roi Danton, der die Worte seines Vaters gehört hatte. "Es wurde bisher lediglich festgestellt, daß sie aus einem Material mit sechsdimensionaler Strahlung besteht. Es handelt sich dabei
um einen Sextadimstrahler nach der Art unseres Sextagoniums, dessen Impulsmuster allerdings auf einer völlig anderen Frequenz liegt." Reginald Bull, der ebenfalls herangekommen war, fügte hinzu: "Es wäre möglich, daß sich die Asporcos von der sechsdimensionalen Ausstrahlung der Spangen Gesundheit oder Kraft oder eine gesteigerte psychische Ent wicklung erhoffen." Rhodan nickte. "Daran könnte etwas sein." Er drehte sich um, als sich einer der Wachtposten näherte. Er nahm vor Rhodan Haltung an und meldete: "Oberstleutnant Patic Runno ist soeben eingetroffen, Sir!" * Oberstleutnant Patic Runno war der Kommandant des 500 Meter durchmessenden und auf den neuesten Stand der Technik gebrachten Schlachtkreuzers OSSATA. Rhodan kannte ihn als einen der fähigsten Offiziere der Solaren Flotte; er und seine Mannschaft hatten sich schon bei unzähligen Schleichfahrten durch Feindgebiet und bei Erkundungsflügen ausgezeichnet. Es war nicht nötig, ihm bei diesem Auftrag besondere Instruktionen und Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg zu geben. Rhodan überreichte ihm die Unterlagen mit der Erklärung: "Darin finden Sie alle Angaben über die Hintergründe, die zu Ihrem Einsatz geführt haben, so wie die genauen Zielkoordinaten. Ich kann Ihnen jedoch nicht sagen, was Sie am Ende Ihrer Reise vorfinden werden, wahrscheinlich aber ein Sonnensystem, das von einem fremdartigen und bisher unbekannten Volk bewohnt ist. Alle verfügbaren Angaben über diese Intelligenzwesen, die sich Asporcos nennen, finden Sie in den Unterlagen. Die Asporcos scheinen grundsätzlich friedliebend zu sein, aber irgend etwas stimmt mit ihnen nicht. An dem rätselhaften Verhalten des Asporcos, der mit Ex-887-VRT zur Erde gekommen ist, können Sie jedoch erkennen, daß höchste Vorsicht im Umgang mit diesen Wesen angebracht ist." Rhodan machte eine Pause und fragte dann: "Wann ist die OSSATA startbereit?" Ohne nachzudenken, antwortete Oberstleutnant Patic Runno: "Die Mannschaft ist für mich jederzeit verfügbar. Ein Start müßte innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu schaffen sein." "Gut. Sie haben zwei Tage für die Vorbereitungen Zeit, Oberstleutnant", sagte Rhodan zufrieden. "Bewahren Sie größtes Stillschweigen über Ihren Auftrag. Ich möchte vermeiden, daß sie von den galaktopolitischen Interessengruppen für die Propaganda ausgeschlachtet wird. Sie verstehen?" "Ich bin im Bilde, Sir", versicherte der Kommandant der OSSATA. Er warf einen kurzen Blick in die Unterlagen und blickte dann stirnrunzelnd auf. "Was ist?" fragte Rhodan. "Unser Ziel liegt im Zentrum Übernord, Alpha I bis III", stellte der Oberstleutnant fest. "Das ist eine lange Strecke. Ich dachte nur daran, daß sie von der Hyperfunkanlage der OSSATA nicht überbrückt werden kann. Wir werden nicht in der Lage sein, Ihnen Nachrichten zu übermitteln, Sir." "Doch", versicherte Rhodan. "Ich habe bereits daran gedacht, zehn Raumschiffe als Funkrelaisstationen auf der Route zum Zentrum Übernord zu postieren. Wir können also mit der OSSATA in Kontakt bleiben. Haben Sie noch spezielle Fragen, Oberstleutnant?" "Nein, Sir. Soweit ich es sehe, dürfte alles klar sein." Rhodan verlangte, daß er sich vor dem Start noch einmal mit ihm in Verbindung setzte und verabschiedete den Kommandanten der
OSSATA. Dann kehrte er zu dem Laderaum zurück, in dem der Asporco isoliert worden war. Gerade als er das Schott öffnete, hörte er jemanden rufen: "Er regt sich. Er scheint zu sich zu kommen!" Rhodan war sofort zur Stelle. "Ich werde mit ihm sprechen", erklärte er spontan. Obwohl Bull, Deighton und Roi Danton ihn davon abzubringen versuchten, hielt Rhodan an seinem Entschluß fest. "Mir kann nichts geschehen", erklärte er. "Wenn sich die Stimmen der Qual wieder bemerkbar machen, treten die Narkosestrahler in Aktion. Außerdem werden nach eurer eigenen Aussage parapsychisch Unbegabte nicht in dem Ausmaß angegriffen wie Mutanten. Ich habe also kaum etwas zu befürchten, selbst wenn die Sicherheitsanlage ausfällt." Während Rhodan sich zu der Energiezelle begab, in der Heydrac Koat gerade aus der scheintoten Starre erwachte, wichen die anderen bis ans Ende des Laderaums zurück. Als Rhodan mit der Hand ein Zeichen gab, schalteten die Techniker die Schutzschirme nacheinander aus, nur um sie sofort wieder hinter Rhodan aufzurichten. Wenige Sekunden später befand sich Rhodan bei Heydrac Koat in der erweiterten Energiezelle. Der Asporco wirkte müde und kraftlos. Er stützte seinen voluminösen Oberkörper auf die Arme und drehte den Kopf, als wolle er sich seine Umgebung ansehen. Dann blieben seine Facettenaugen an Rhodan haften. Sein Mund bewegte sich, und ein schriller, abgehackter Ton kam aus ihm. Noch während der Translator seine Worte in Interkosmo übersetzte, sank er in sich zusammen und verfiel wieder in die scheintote Starre. Rhodan hörte die Übersetzung des Translators, aber es dauerte einige Zeit, bis sein Bewußtsein den Sinn erfaßte. Der Asporco hatte gesagt: "Helft meinem Volk, oder ihr werdet untergehen."
ENDE