KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
EIN KULTURZENTRUM ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
EIN KULTURZENTRUM VOR 5000 JAHREN
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MIJRNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Vergessenes Land
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er Indus ist ein gewaltiger Strom, der in den westlichen Gebirgsstöcken des Himalaya als tosendes und brausendes Wildwasser entspringt, in tiefen Schluchten, unter schwankenden Hängebrücken dahinrauscht und, mit Geröll und San,d beladen, quer durch ganz Pakistan seinen weißen Gischt zu Tale trägt. Grau und schlammig durchströmt er zuletzt in träger Breite eine unendliche Ebene «nd ergießt sich in einem weit verzweigten, sumpfigen Delta in den Indischen Ozean. Mit seinen vier bedeutendsten Nebenflüssen — Dschelam, Tschinab, Rawi und Satledsch — hat er dem ganzen Gebiet seines Oberlaufes den Namen ,Pandschab\ Fünfstromland, gegeben. Das Gebiet seines Unterlaufes dagegen hat den Namen ,Sind' erhalten, was des Wort ,Indus' entspricht. Vor fünf Jahrtausenden war die Indus-Ebene hervorragend fruchtbar. Es herrschte ein feuchtes Klima. Die glühende Sonne ließ unter wolkenbruchartigen Regengüssen dichte und unabsehbare Urwälder wuchern, in denen Tiger, Elefanten und andere Dschungeltiere hausten. Eines Tages, in jener Zeit der Morgenfrühe, drangen Men-
sehen in die Wildnis ein, rodeten den Urwald und siedelten sieh an. Dann aber — als das Klima trockener wurde — kam der Sand, fraß die Siedlungen und bedeckte das Land mit einem weiß-glitzernden Leichentuch. Alles erstarb unter dem regenlosen Sonnenbrand, So lag dieses Grab verdorrten Lebens, bis die Engländer in Indien erschienen und im Zuge der Neuordnung dieses riesigen Landes auch das Brachland am Indus in ihre tatkräftige Verwaltung einbezogen. Die tote Sandwüste begann wieder fruchtbar zu werden. Staudämme wurden angelegt und weite Landstrecken mit einem Netz von Kanälen durchzogen. Diese englischen Wasserbauten am Indus gehören zu den umfangreichsten technischen Bauten überhaupt, und ihnen ist es zu danken, daß aus jahrtausendealten Wüsten am Indus der Garten Indiens und heute der Garten Pakistans geworden ist. Nur einzelne umgrenzte Sandgebiete widersetzten sich der Bewässerung, weil sie hügelig waren. Irgendein Grauen umwitterte sie, und die Eingeborenen nannten sie Geisterstätten. Man erzählte sielt, daß Dämonen dort umgingen, und die meisten Bauern mieden diese verlassenen Regionen. Doch nicht alle waren so dämonengläubig, man sah immer wieder fleißige Männer dort hantieren; denn die Hügel erwiesen sich als fast unerschöpfliche Steinbrüche. Was man dort fand, %varen jedoch keine natürlichen Bruchsteine, sondern schöne glatte gebrannte Ziegelsteine, ganz ähnlieh denen, mit denen man im heutigen Europa baut. Als die Engländer das Land auch verkehrsmäßig erschlossen, folgten sie denn Beispiel der Eingeborenen und besorgten sich aus diesen Geisterstätten Material für den Bau ihrer Eisenbahnen und Straßen. Der Reichtum schien unerschöpflich, man holte davon, soviel man brauchte. Niemand machte sich Gedanken darüber, woher das alles kam, den braunen und weißen Arbeitern war das völlig gleichgültig. Sie räumten weg, was sie schaffen konnten. Dann und wann aber ereignete sich doch etwas Merkwürdiges. Die indischen Hilfsarbeiter wiesen den europäischen Aufsehern seltsame Fundstücke vor, die sie aus dem Hügelschutt herausgegraben hatten: schöngeschnitzte Stempel aus Stein oder gebranntem Ton, die auf der 3
Unterseite sorgfältig geformte Tierbilder und schriftartige Zeichen trugen. Man wußte nichts Rechtes damit anzufangen, Altertumsforscher waren nicht anwesend, und so steckte man die Sachen ein, ließ die Kinder damit spielen oder verkaufte die Dinge an die Altwarenhändler in Bombay und Kalkutta. In den indischen Städten aber forschten seit langem schon Beauftragte der Regierung nach Altertümern aus der Frühzeit Indiens, dessen Anfänge bisher hinter Schleiern der Sage verborgen gelegen hatten. Einer der unermüdlichsten und kundigsten unter ihnen war der Engländer Sir John Marshall, Direktor für Altertumskunde in Indien. In den Trödlerläden der Stadt erwarb er für billiges Geld einige der erstaunlichen Stücke, und seinem vorsichtigen Erfragen gelang es schon bald, ihre Herkunft aus den Ziegelsteinhügeln des Pandschab zu ermitteln. Das Ergebnis seiner Nachforschungen erschien ihm so bedeutsam, daß er mit aller Energie die Freilegung der Ruinenhügel betrieb. Dank der Tatkraft und Umsicht Sir Marshalls kam ein Ausgrabungsunternehmen in Gang, das zu den großartigsten in der Geschichte der Altertumsforschung gehört. Das Ergebnis war so überraschend, daß die Geschichtsforschung ihre Zeitstäbe erneut weit zurückstecken mußte. Unvermittelt wurde eine uralte Hochkultur der Menschheit aufgedeckt, von der bisher keine antike oder neuere Quelle auch nur eine Ahnung vermittelt hatte. Viele Anschauungen über das Altertum wurden umgestürzt und unsere Vorstellung von der Vor- und Frühgeschichte in die asiatische Welt hinein so umfassend erweitert, daß wir nun ein neues und gegen früher wesentlich reicheres Bild von den Altkulturen der Erde besitzen. Die am Indus erschlossene Kulturwelt blühte mit ihrem hohen Lebensstil, mit Städten, Kunstwerken und machtvollen technischen Bauten bereits vor fünftausend Jahren, in einer Zeit, als in Mitteleuropa außerhalb der unermeßlichen Urwälder mit ihren Bären und Wölfen, Luchsen und Wildkatzen erstmals primitive Häuser zu Dorfsiedlungen vereint wurden und die Ackerwirtschaft mit Weizen, Gerste und Hirsebegann.
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Gelehrte beginnen zu arbeiten Es war im Jahre 1921, als Sir John Marshall dem eingeborenen Altertumsforscher Rai Bahadur Sahni die Anregung gab, in einem der sandbedeckten Schutthügel der Indusebene eine Probegrabung zu beginnen. Es handelte sich um jene Trümmerstätte, die bis dahin schon am emsigsten als Steinbruch ausgebeutet worden war. Hier brauchte am wenigsten Oberflächenschutt abgetragen zu werden, um bis zu den Mauern vorzudringen. Der Ruinenhügel führte unter den Einheimischen den Namen Harappa und lag im Bezirk Montgomery des Pandschab, nahe dem ehemaligen und heute ausgetrockneten Bett des Rawi in der nördlichen Indusebene. Wegen der jahrelangen rücksichtslosen Ausbeutung waren hier die einzelnen Kulturschichten aber so durcheinandergeworfen, daß sich dieser Platz als höchst ungünstig für archäologische Untersuchungen erwies. Deshalb faßte Sir Marshall einen anderen auffälligen Trümmerhügel ins Auge. Er lag südlicher, nicht allzu weit entfernt vom ehemaligen Strombett des mittleren Indus. Als Sir Marshall seine Ausgräberkolonne verpflichtete, ergab sich, daß bereits ein anderer den Hügel zu durchforschen begonnen hatte. Es war der Inder R. D. Banerji. Dieser Gelehrte suchte jedoch keine vorgeschichtlichen Altertümer, sein Interesse galt den Ruinen eines alten buddhistischen Klosters und eines dazugehörigen Stupa, eines Reliquienturmes, die einen Teil des Trümmerhügels einnahmen. Das Kloster stammte aus der Zeit um 200 v. Chr., konnte also in keinem Zusammenhang mit der verschollenen Kultur, nach der Sir Marshall fahndete, stehen. Obwohl Banerji ganz mit der Baugeschichte dieses Klosters beschäftigt war, erkannte er doch bereits, daß die Mauerreste, auf die er bei seinen Grabungen stieß, vorgeschichtlich sein mußten. Kloster 5
und Reliquienturm waren über und mit dem uralten Mauerschutt errichtet worden. Als nun auch Sir Marshall mit einer Grabung begann, ergab sich, wie wertvoll das Vorhandensein der Klosterstätte für sein Unternehmen war. Der Hügel mit dem Kloster war von den Ziegelsteinräubern viel weniger heimgesucht worden als der Hügel von Harappa, so daß Marshall hoffen durfte, hier mehr ungestörte Hinterlassenschaft aus dem Altertum zu finden als am Oberlauf des Indus. Das Ergebnis gab ihm recht. Er stellte fest, daß sich an den Klosterhügel eine große Stadtanlage anschloß, die, von salzigem Sand bedeckt, hier seit noch unbestimmbarer Zeit geruht hatte. Bei den Eingeborenen trug dieses ,Grab' einer unbekannten Vorzeit den Namen Mohendscho-Daro = „Totenstätte". Schon bald sollte es gelingen, diese Totenwelt zu beschwören. Als Sir Marshall nach sorgfältigen Probegrabungen erkannt hatte, welche Bedeutung dem Grabungsfeld zukam, ging er daran, die englische Regierung für die Aufgabe zu interessieren. Die bewilligten Geldmittel reichten aus, um nicht nur in Mohendscho-Daro, sondern indem ganzen in Frage kommenden Umkreis Ausgrabungen in großzügigem Stile durchzuführen. Mit der Leitung des gewaltigen Unternehmens beauftragte Marshall im Jahre 1923 den Archäologen M. S. Vats, im Jahr darauf zog er einen zweiten erfahrenen Ausgräber, K. Dikshit, hinzu. Die Grabungsarbeiten erstreckten sich nun nicht mehr nur auf den Hügel Mohendscho-Daro und seine Umgebung, sie wurden auf eine Reihe anderer Plätze ausgedehnt, wo man Überreste der verschollenen Kultur zu finden hoffte. Von 1925 an griff Sir Marshall persönlich mit einem Stab von Gelehrten ein, auch Rai Bahadur Sahni und der amerikanische Archäologe Ernest Mackay wurden mit herangezogen. Schließlich übernahm Mackay die Oberleitung über die gesamten Arbeiten. Weithin im Indusgebiet wurden Suchgräben in den Boden gewühlt oder Bagger eingesetzt, um die deckenden Sandschichten beiseite zu schaffen. Die Ausgräber arbeiteten in Harappa und in
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Mohendscho-Daro, an alten Flußufern und in den Bergen. M. G. Majumdar bereiste das ganze Sindgebiet, um nach neuen Fundplätzen zu suchen, und an zahlreichen Stellen konnte er Siedlungen nachweisen, die offensichtlich zu jener Altkultur gehörten, die man erschließen wollte. Sie lagen zerstreut zwischen den heutigen Städten Haidarabad und Jakobabad und weiterhin in dem gesamten Landstrich zwischen dem gegenwärtigen Lauf des Indus und den Khirtharbergen im Westen, hinter denen Belutschistan liegt. Da man auch in dem Khirthar-Gebirgsland Ruinenstätten erwartete, wurde der Forschungsreisende Sir Aurel Stein -— ein Zeitgenosse Sven Hedins — mit dem Flugzeug entsandt. Aus dessen Vogelschauperspektive konnten weitere zahlreiche Siedlungsreste erkannt werden, die mit den schon gefundenen in Zusammenhang standen. Fast jeder Tag erweiterte den Forschungsraum, und fast jeder Tag brachte Neues, neue Plätze, an denen es sich zu graben lohnte, und großartige Bodenfunde — und so ging es jahrelang fort. Aber diese herrliehe und von Erfolgen gekrönte Arbeit fraß Geld — ungeheures Geld, und die Weltwirtschaftskrise hatte die öffentlichen Mittel sehr rar gemacht. Im Jahre 1931 verödeten überall die Grabungsplätze. Die englischen Gelehrten kehrten nach Europa oder an ihre indischen Amtssitze, ihre eingeborenen Mitarbeiter und Helfer in ihre Heimatorte zurück. Jahrelang geschah nichts mehr. Dann aber sprang Amerika in die Bresche. Es waren die „Schule für indische und iranische Forschungen" sowie das „Museum der schönen Künste" in Boston, die 1935 Ernest Mackay mit erneuten Grabungen beauftragten. Der große Archäologe ging sofort an die Arbeit. Die Fundstelle, der er sich zuwandte, lag etwa 130 Kilometer südöstlich von Mohendscho-Daro, ebenfalls im Sind-Gebiet. Bei den Eingeborenen wurde sie „Chanhu-Daro" genannt, „Geisterstätte". Eine Gruppe von Sandhügeln barg die Ruinen einer kleineren Stadt als Mohendscho-Daro. Sie war offenibar sehr wohlhabend gewesen, ein Mittelpunkt der alten Metallindustrie und des Schmuckhandwerks. Hier grub Maekay ein Jahr lang.
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In den späteren Jahren bis in die jüngste Zeit folgten weitere Ausgrabungen im Indusgebiet. Heute weiß man, daß die verschollene Kultur sich hunderte Kilometer weit vom östlichen Belutschistan über die Indus-Ebene hinweg bis weit in das Stromgebiet des Ganges hinüber erstreckt. Da ihr Ausstrahlungszentrum im Industal gelegen war, hat sich für diese frühgeschichtliche Kulturepoche der Name „Indus-Kultur" eingebürgert. Vielleicht wird diese Bezeichnung eines Tages überholt sein, wenn es nämlich gelingen sollte, den Namen des Volkes zu ermitteln, das in uralter Zeit die Städte Nordindiens gebaut und bewohnt hat.
Moderne Stadt vor 5000 Jahren Wenn man heute durch die vom Schutt der Jahrtausende befreiten Straßenschluchten von Mohendscho-Daro wandert, dann ist es wie ein Gang durch eine zerbombte Großstadt unserer Tage. Hellrot, mit einem glasigen, apfelgrünen Schimmer, stehen die schartigen Häusermauern geigen das sandverschleierte Violett des Himmels und starren in kahlem Schweigen auf die Gassen nieder. Keine Säule, kein Gesims^ kein anderer baukünstlerischer Schmuck unterbricht belebend die stumme Gleichförmigkeit der mächtigen Hauswände. Fensterlos schließen die riesigen Mauerflächen aus hartgebrannten Ziegeln aneinander und geben den Bauten den Anblick von trutzigen Festungen oder gewaltigen Bunkern. Schmale Tore bilden den Zugang in diese wuchtigen Steingewände. Man glaubt durch einen Tunnel zu gehen, wenn man durch die meterdicken Mauern das Innere eines der Häuser betritt. Auf den Straßen ist dieselbe Verlassenheit wie in den Häusern, auch an den Gassen und Plätzen findet man kein Bildwerk. Nur Totengebein liegt hier und dort auf dem Pflaster, meist in unnatürlicher Lage, als wäre einst ein gewaltiges Sterben über die Bewohner gekommen. Kein Laut regt sich in der hitzezitternden Luft. Kein Vogel singt. Hoch oben in der flirrenden Helle 8
kreist ein verirrter Falke über dem Trümme rfeld. Wahrlich ein Ort des Grauens, eine Toten- und Geisterstätte. Große Teile von Mohendscho-Daro sind in den letzten Jahren freigegraben worden, so daß man in dieser Stadt Spazierengehen kann wie in Pompeji oder Herkulaneum. Ein unbeschreibliches Erlebnis ist es, über die breite Hauptstraße zu schreiten, die durch die Mitte der Stadt von Süden nach Norden zieht. Viele enge Gassen queren von der Hauptstraße ab, man kann sich darin verirren wie in einem Labyrinth. Der Weg führt an Wohnhäusern vorüber, deren massige Bauweise immer erneut erstaunen läßt. Dann trifft man plötzlich auf ein noch mächtigeres Mauer-Ungetüm, das trotz seines Ruinencharakters in seiner nüchtern-monumentalen Wucht fast unheimlich wirkt. Moderne Sachlichkeit scheint sich hier antiker Größe verbunden zu haben. Die Starrheit der Würfelform ist wie bei fast allen Bauten der Stadt durch Schrägstellung der Mauern etwas gemildert. Mohendscho-Daro ist nicht wie die meisten alten und neuen Städte allmählich entstanden. Diese älteste Stadt der Welt wurde von vornherein nach einem festen Plan angelegt, wie in Römerzeiten die Kolonialstädte an Rhein und Donau, wie in neuerer Zeit die Städte Mannheim und Karlsruhe, Salzgitter und Wolfsburg und viele Neugründungen in der Neuen Welt. Es waren große Stadtplaner am Werk, und es ist gewiß, daß diesen Städtegründungen Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende einer immer reifer werden Kulturentwicklung voraufgegangen sein müssen. Alle Straßen und Gassen überschneiden einander fast rechtwinklig, sie verlaufen durchweg südnördlich oder west-östlich, vielleicht, damit die Durchlüftung der Stadt durch die damals vorherrschenden Winde ungehindert erfolgen konnte. Den gesamten Umfang und die Gestalt der ganzen Stadt hat man trotz der weitgetriebenen Ausgrabungen noch nicht feststellen können, und man vermag deshalb noch nicht zu sagen, ob Mohendscho-Daro von einer Mauer umgeben gewesen ist. Wahrscheinlich aber war die Stadt gegen das umgebende Land durch eine Mauer umhegt, ähnlich wie Harappa, wo man Reste einer Stadtmauer
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freigelegt hat. Vermutlich umzog sie genau rechteckig die Stadt, das läßt sich aus der geometrischen Form der bisher ausgegrabenen Straßenzüge folgern. Ähnliche, streng geometrische Stadtanlagen sind neuerdings auch im alten Turkistan in Mittelasien festgestellt worden. Trotz des großen Fläehenumfangs, den die Ausgrabungen bereits erreicht haben, ist es bisher noch nicht gelungen, bis zu den untersten Schichten in die Tiefe vorzudringen. Im Laufe der Jahrtausende hat sich der Grundwasserspiegel gehoben, fast überall stehen die Fundamente der Häuser in einem tiefreichenden schlammigen Brei, der tiefer greifende archäologische Untersuchungen unmöglich macht. Das Steigen des Grundwassers hängt nicht mit vermehrten Regenfällen zusammen — denn der Reigen ist im Laufe der Zeit in diesem Teile Pakistans mehr und mehr ausgeblieben. An der Veränderung des Grundwasserspiegels ist der Indus schuld. Das ständig mitgeführte Geröll und der herangenutete Schwemmsand haben sein Bett allmählich beträchtlich erhöht, wodurch auch das Sicker- und Grundwasser im Stadtgebiet gestiegen ist. Doch ist der Indus beute nicht mehr der Stadt benachbart, er hat seinen Lauf verändert. Mohendscho-Daro liegt nicht mehr wie ehemals unmittelbar an seinem Ufer, sondern einige Kilometer von ihm entfernt. Der Besucher, der die Straßen der toten Stadt durchwandert, erblickt über den Ruinen im Nordwestviertel den machtvollen Hügel, auf dem sich die Ruinen des buddhistischen Heiligtums erheben, von dem aus die Entdeckung der Stadt begonnen hat. Wahrscheinlich hat dort einst die Stadtburg, die „Akropolis", gestanden, ähnlich wie die altgriechischen und viele altdeutsche Städte einst ihren Burgberg besaßen. Am Klosterhügel sind Tiefgrabungen unmöglich, weil erst der heilige Turm abgetragen werden müßte, was die eingeborenen Buddhisten nicht zulassen. Die vermutete Burganlage bleibt deshalb vorerst den Forschern unerreichbar. Daß eine beherrschende Stadtburg in dem Hügel verborgen liegt, ist fast gewiß. Auch bei den jüngsten Ausgrabungen in Harappa ist eine Burganlage aus dem Schutt und den Sandverwehungen zutage getreten. Würde auch die 11
Burg von Mohendscho-Daro erschlossen, so könnte man vielleicht etwas über das Volk erfahren, das in igrauester Vorzeit diese Kulturlandschaft geschaffen und in ihr eine der rätselvollsten Stadtstaatengründungen der Menschheit vollzogen hat. Da man bei den Ausgrabungen in Mohendscho-Daro noch nicht bis an die Stadtmauer gelangt ist, weiß man auch nicht, wo die Stadttore gelegen haben und wie die Straßenzüge verlaufen sind, die aus der Stadt in die Weite des Landes führten. Wahrscheinlich gab es an der Südfront der Stadt in Fortsetzung der mehr als einen Kilometer langen Hauptstraße ein großes Tor, zu dein sich eine Anzahl kleinerer Tore an den übrigen Seiten gesellte. Die Bauentwicklung der Stadt war aufs engste mit dem Indus verbunden, der ihr das Leben gegeben hat und wohl auch ihren Untergang herbeiführte. Unstet war seine Laufrichtung — ähnlich dem stets wechselnden Lauf des chinesischen Gelben Flusses. Unregelmäßig erwies sich auch die zu Tal strömende Wassermenge. Riesige Überschwemmungen gehörten deshalb zum Jahresablauf. Jedes Hochwasser trug ungeheure Massen von Sand und Geröll in die Straßen von Mohendscho-Daro. Die Schwemm-Massen waren zu ungeheuer, als daß sie von den Bewohnern hätten weggeräumt werden können. Mit jeder Überflutung hob sich der Boden; Straßen, Plätze und Höfe wuchsen in die Höhe, Schicht lagerte sich über Schicht. Da man der Geröll- und Samdanschwemmungen und -ablagerungen nicht Herr wurde, begnügte man sich damit, den Schutt einfach einzuebnen. So versanken die Häuser immer mehr in die Erde. Um aber den nötigen Wohnraum zu wahren, stockte man die Bauwerke auf. Ehemalige Erdgeschosse wurden zu Kellern, der erste Stock zum Parterre. Heute ist der Schutt in langwieriger Ausgrabungsarbeit bis unmittelbar über die Grundwassergrenze weggeräumt, und so bieten die Bauwerke von Mohendscho-Daro dem Besucher ein ganz eigenartiges Bild: Die einstigen Türöffnungen der Erdgeschosse liegen oft meterhoch über dem Erdboden und sind nur mit Leitern zugänglich. Ehemalige Brunnenschächte ragen wie Türme empor. Alles würde noch 12
Der älteste uns bekannte Wagen (ausgegrabenes Kindersplelzeug) höher hinaufragen, wenn nicht überall die obersten Teile zerstört •<*<, wären. , , Die Bauten in dieser verwunschenen Stadt ain Indus sind aus gebrannten Leiiimziegeln errichtet. Auch das war für die Ausgrabungsleute eine große Überraschung; denn gebrannte Ziegel in solch früher Zeit hatte niemand vermutet. Nur die Emporen, auf denen manche Bauwerke wegen der Überschwemmungsgefahr stehen, sind ans luftgetrockneten Lehmziegeln aufgeschichtet. Aus Verkehrs« 13
gründen zeigen die Häuser an den Straßenecken vielfach abgerundete Kanten, damit der Fußgängerverkehr und der Verkehr der Lasttiere und Ochsenkarren hier an den Kreuzungen mehr Raum hatte und nicht „aneckte". Ein prächtiges Bild muß einst die zehn Meter breite Hauptstraße geboten haben, die die ganze Stadt in zwei Hälften teilte. Die übrigen Straßen und Gassen waren schmaler, manche hatten etwa vier Meter Breite, die schmälsten kaum zweieinhalb Meter. Das Pflastern der Straßen lohnte sich nicht; jede Überschwemmung hätte die Steine herausgespült, und zudem hätte man über dem Schwemmsand immer wieder neu pflastern müssen. Bei den Häusern von Mohendscho-Daro fällt es auf, daß sie sich nicht aneinander lehnen wie bei den Häuserzügen einer modernen Stadt. Sie halten jeweils einen kleinen Abstand voneinander, der dann vorn und hinten zugemauert wurde. Hinter den fensterlosen, schmucklosen Hausfassaden spielte sich das Leben der Familien in reichgegliederten Wohnungen ab. Die Zimmer waren meist um einen Innenhof gelagert, von wo sie durch die Türen oder schmale Mauerschlitze Licht und Luft bekamen. Der kleine Hof war gepflastert. Das Haus betrat man durch die Eingangshalle mit dem Pförtnerkämmerchen. Vorüber an einem Gastzimmer und dem Wasserraum mit dem Brunnen führte ein Flur in den Hof, und man hatte von da Zutritt zu den Wohn- und Schlafräumen. Ein höher gelegenes Zimmer im Erdgeschoß bot Schutz bei Hochwasser, aber fast alle Häuser hatten ein zweites Stockwerk. Meist an der Straße befanden sich ein Badezimmer und der Abort mit dem Abfluß. Die Badezimmer waren sehr geräumig, es gab keine Wanne, sondern eine Art ..Plantschbecken". Der Baumeister legte die Fall- und AbwasserRohre durch das Innere der Mauern, sie mündeten in einem weitverzweigten Kanalisationssystem, das alle Straßen durchzog. Wasser war in jedem Hause vorhanden, es wurde aus dem gemauerten Brunnen wie bei einer Zisterne mit Tonkübeln hochgeschöpft. Auffallend ist bei allen Bauwerken der Indus-Stadt die enorme 14
Dicke der Außenmauern, die selbst bei privaten Wohnräumen mehr als zwei Meter betragen hat, ebenso merkwürdig ist die Fensterlosigkeit. Aber allen Völkern des Orients ist es auch heute noch weniger um Sonne und Licht als um Schatten und Kühle, möglichst hinter dickem Mauerwerk, zu tun. Hier und dort wird die Reihe ider gleichartig angelegten Wohnhäuser durch die Ruinen der größeren Bauwerke unterbrochen, deren Zweckbestimmung nicht immer festgestellt werden konnte. Es mögen öffentliche Verwaltungsbauten oder anch Paläste von Fürsten und Vornehmen gewesen sein, vielleicht auch Priesterbauten. Eines dieser Gebäude ist 50 Meter lang und 40 Meter breit, und seine Außenmauer ist 2,75 Meter dick. Da der Grundriß einem Schriftzeichen der Indusleute ähnlich sieht, darf man annehmen, daß diesem Bau kultische Bedeutung zukam. Vielleicht war es ein Stall für die heiligen Tiere. Andere großangelegte Häuser, die sich vielfach an den Straßenecken breit machen, mögen Klubhäuser oder Wirtshäuser gewesen sein, vielleicht auch Kaufhäuser, da die Pflasterung Vertiefungen zeigt, wie zum Hineinstellen von tönernen Vorratsgefäßen, die damals als Kühlbehälter dienten. Eine 25X25 Meter im Grundriß messende Halle, deren Dach von zwanzig Ziegelsteinpfeilern getragen wurde, war vermutlich eine Markthalle. Ihre Lage unmittelbar südlich des Burghügels war für diesen Zweck besonders geeignet. Der großartigste und überraschendste Bau, der bisher ausgegraben wurde, ist ein geradezu modern anmutendes Hallenbad von 60 Meter Länge und 35 Meter Breite. Seine Ruinen liegen im Westen des Burghügels. Dieses Stadtbad, das parallel zur Hauptstraße gebaut war, hatte seine Eingangsfront an der Südseite, an einer engen Gasse. Solche Gassenfronten bei großen Gebäuden waren in MohendschoDaro üblich und finden sich auch in alten europäischen Städten, in Florenz, Rom, Paris. Durch zwei Tore gelangte man in eine geräumige Vorhalle mit je einer Portierloge an beiden Enden. Von hier aus betrat man einen Wandelgang, der die innere Badehalle um15
schloß; hier mündeten zahlreiche gemauerte Kabinen für Sonderbäder, für die das Wasser aus dem Brunnenzimmer entnommen wurde. Das Schwimmbassin bildete die Mitte des Hallenbades. Es war 13 Meter lang, 8 Meter breit und 2,5 Meter tief. Je eine steile Treppe an den beiden Schmalseiten führte zum Wasser, ein breiter Umgang gewährte den Badenden Raum auf dem Trockenen. Das Badewasser wurde durch einen mannshohen gewölbten Kanal abgelassen und wahrscheinlich auch mit Hilfe einer Schleuseneinrichtung durch den gleichen Kanal frisch zugeführt. Im Norden schloß sich an die eigentliche Schwimmhalle eine Folge von Räumen an, die zu Dampfbädern gedient haben könnten, da sie Bodenheizung besaßen, ähnlich wie die römischen Thermen. Im Laufe der Zeit ist das monumentale Bauwerk mehrmals umgebaut worden, schließlich hat man ein zweites Stockwerk aufgesetzt. In der Nähe des Burghügels liegt noch ein zweiter Riesenbau mit vorzüglichem Mauerwerk. Man vermutet, daß diese Anlage Verwaltungszwecken gedient hat. Obwohl der 66 mal 35 Meter große Bau an drei Seiten von breiten Straßen umgeben war, lag die Eingangsfront auch dieses Gebäudes an einer engen Gasse. Die Innenräume, um zwei Höfe herum angeordnet, scheinen Speicher, Gemeindezimmer und Metallwerkstätten gewesen zu sein. Der Wasserverbrauch war offenbar groß, denn drei Brunnen versorgten einst die Bewohner und die dort Beschäftigten mit dem unentbehrlichen Naß. In der Stadt herrschte stets ein reges Leben. Da die Bevölkerungszahl offenbar sehr rasch angewachsen ist, wurde mit zunehmenden Jahren der Wohnraum zu knapp, zumal die Wohnungen in den meisten Häusern durch das fortwährende Aufstocken immer mehr an Größe verloren. Die Außenmauern stiegen schräg nach oben an, das wurde auch bei der Aufstockung beibehalten, der Wohnraum mußte dadurch schrumpfen, während die Straßen in die Breite wuchsen. Um der Wohnungsnot zu steuern, überbaute man schließlich ganze Straßenzüge und teilte die größeren Wohnungen auf. Das trug nicht Bur Verschönerung des Stadtbildes bei, zumal die Sorgfalt und der 16
Geschmack der Bauherren und Baumeister nachließ. Ein Bild von der Gestalt der Stadt im Augenblick ihrer Gründung gewinnt man nur von den unteren Schichten. Der Güterverkehr innerhalb der Stadt und über Land erfolgte mit Tragtieren oder Ochsenkarren, der Fernverkehr zu Schiff über den Indus. Man hat Modelle von Karren und Schiffen unter dem Kinderspielzeug gefunden. Ackerbau und Viehzucht waren hoch entwickelt. Im Umland baute man Weizen, an Haustieren hielt man Zebu, Büffel, Elefant, Schaf, Schwein, Hund, Katze und Huhn, auch eine Pferderasse war bekannt. Es gab unter den Bewohnern von Mohendscho-Daro erfolgreiche Jäger und Fischer. Fische gehörten zum Speisezettel. Im übrigen wimmelte es in der Umgebung der Stadt von Wisenten, Elefanten, Nashörnern, Tigern, Bären und Affen, im Indus lebte der Gavial, eine Krokodilart, und sonstiges Wassergetier, das sich zu jagen lohnte. Neben Ackerbau und Viehzucht blühten Handwerk und Gewerbe. Die Töpfer hatten alle Hände voll zu tun, um den ungeheuren Bedarf an Tongefäßen zu decken, die für die verschiedensten Zwecke begehrt waren und oft ersetzt werden mußten. Unzählige Dinge wurden aus Ton angefertigt, von den riesigsten Vorratsgefäßen bis zu den kleinsten Näpfchen und Väschen beherrschte die Töpferei das Feld. Metall wurde für Geschirr außer Prunkgefäßen nur sehr wenig verarbeitet. Eine wichtige Rolle spielten auch die Schmiede, aus deren Werkstätten bronzene Beile, Speerspitzen und ähnliche Geräte hervorgingen. Gold, Silber und Elektrum—eine Mischung aus Gold und Silb e r — und Kupferwurden zu Halsketten, Nasenringen, Broschen, Fingerringen und anderen Schimucksachen verarbeitet. Man fand im Boden Spiegel aus Bronzeblech, Rasiermesser, edelsteinbesetzte Jagdwaffen, Werkzeug vielerlei Art, Sägen, Angeln, Waagen mit bronzenen Balken und Gewichten aus Quarz;, Jasper, Alabaster und Kalkstein. Alle diese Funde verraten alte, durch viele Generationen gepflegte und ausgebaute Handwerkstraditionen. 18
Von den Handwerksberufen, die sich mit vergänglicheren Stoffen als Metall beschäftigen, sind nur wenig Spuren gefunden worden. Doch ist es selbstverständlich, daß bei der ausgedehnten Bautätigkeit neben dem Maurer- auch das Zimmermannshandwerk in Blüte stand; die Holzteile an den Gebäuden— Deckenbalken, Türstürze undTüren und häufig auch die Treppen — setzten geschickte Zimmerleute voraus, und die ausgegrabenen Schreinerwerkzeuge — Äxte, Sägen, Hobelteile — legen noch Zeugnis ab von ihrer Arbeit. Auch Reste der Möbeltischlerei haben sich gefunden, Stühle und Tische, und an sonstigen Holzarbeiten Messergriffe und Lanzenschäfte. Die vergänglichsten Handwerkserzeugnisse, die Textilwaren, sind natürlich restlos untergegangen. Daß aber ein reges Textilgewerbe bestanden haben muß, geht aus den erhaltenen Darstellungen von Bekleidungsstücken hervor. Es haben sich aber auch Zubehörstücke zum Spinnstuhl erhalten. Innerhalb der Masse der Bevölkerung scheinen keine großen wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede bestanden zu haben. Das geht aus der auffallenden Gleichartigkeit der Wohnhäuser hervor, die man fast als „uniformiert" zeichnen kann. Das Vorhandensein von Stadtburgen und herunigelagerten Monumentalbauten deutet darauf hin, daß ein Herrscher — Priester oder Fürst oder beides in einer Person — jeweils über dem Ganzen gestanden hat. Er war es auch, der den Befehl zu neuen Stadtgründungen gegeben hat und durch seine Baumeister die einheitlichen Pläne entwerfen ließ. Die Verhältnisse mögen im allgemeinen friedlich und stetig gewesen sein. In keiner der Indus-Städte finden sich Anhaltspunkte für kriegerische Ereignisse, wie man sie etwa in Troja, Babylon und Mykenä festgestellt hat. Man ist auch — mit wenigen Ausnahmen — auf keine Kriegswaffen gestoßen. Die Lanzen, Speere und anderen Waffenstücke scheinen nur der Jagd gedient zu haben. Die einzige, immer drohende Gefahr war der Indus, und in «inem seiner gewaltigen Hochwasser scheinen Harappa und MohendschoDaro auch schließlich untergegangen zu sein. 19
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Reste einer alten Religion Vergeblich ist in den alten Indus-Städten die Suche nach einem Tempel als dem Haus der Götter. Unsere Vorstellung von Götterheiligtümern verbindet sich allzu einseitig mit den Tempelbauten der Griechen und Römer, trifft aber nicht auf das ganze Altertum zu. Die ältesten Heiligtümer der alten Völker waren keine geschlossenen Bauwerke, sondern freie Plätze, die in der Ebene oder auf einem Berg lagen. Es waren einfache ,fana', umgrenzte heilige Bezirke, die durch diese Umgrenzung aus der ,pro-£anen' Umwelt herausgehoben wurden. Auch die Germanen und Kelten kannten keine .Tempel', sondern hielten ihren Gottesdienst in geheiligten Waldgebieten ab. Selbst das Heiligtum der Juden der mosaischen Zeit bestand nur aus einem mit Leinenplanen umsäumten Bezirk, in dessen Mitte das Zelt mit der Bundeslade aufgeschlagen war. Ganz ähnlich erscheinen auch die ältesten heiligen Orte der Ägypter; es waren von einer niedrigen Mauer umzogene Bodenflächen mit der SonnenSäule im Mittelpunkt. Ahnliches müssen wir auch für die IndusKultur annehmen, und Ernest Mackay hat tatsächlich in ChanhuDaro eine riesige rechteckige Arena freigelegt, um die nur eine niedrige Mauer läuft und die erst in gemessenem Abstand von Baulichkeiten umgeben ist. Von den Griechen und Römern hergeleitet ist auch unsere Vorstellung von den ,Götterbildern' der Altvölker. Vermenschlichte Bildwerke der Götter wie bei den Griechen und Römern aber gab es kaum in der übrigen alten Welt. Die in das Gottwesen selbst v e r wandelten' und als ,Sitz' desselben geltenden Idole besaßen entweder überhaupt keine menschliche Gestalt oder waren durch Stilisierung so der Naturform entfremdet, daß sie nicht mit profanen Menschenbildern verwechselt werden konnten. Oft galt als eigentlicher Sitz des Gottwesens einfach ein Pfahl oder ein Ring.
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Auch in den Indus-iStädte-n steht kein einziges ,Götterbild' im griechisch-römischen Sinn auf den Straßen oder Plätzen. Dagegen finden sich in den Häusern sehr zahlreich kleine Terrakotten, Figuren aus gebranntem Ton, die eine weibliche Gottheit darstellen, Gegenstände privater Frömmigkeit, starr stilisiert und schematisch gearbeitet. Es sind nicht Verkörperungen der Göttin, wie bei einem Tempelbild, sondern eben Andachtsstücke, Abbildungen, an denen sich religiöse Gedanken entzünden konnten. Aus der großen Zahl dieser weiblichen Terrakotten dürfen wir schließen, daß der Kult der Muttergöttin eine bedeutende Rolle in den Indus-Städten gespielt hat. Dieses Merkmal teilt die Indus-Kultur mit allen uns bekannten Altkulturen. Überall stand dort die Frau im Mittelpunkt des religiösen Bewußtseins und prägte oft auch der sozialen Verfassung ihre Persönlichkeit auf. Wie weit die politische Rolle der Frau in der IndusKultur ging, wissen wir nicht. Religiös hatte sie sicher eine bedeutsame Stellung inne. Auch eine männliche Gottheit wurde verehrt. Man fand ein priesterliches Siegel-Amulett, das einen hockenden Gott mit dreigesichtigem Kopf darstellt. Die Vorstellung von der Heiligkeit der Dreizahl reicht also weit hinab in die Vergangenheit. Die wirklich göttlichen Idole der Indusleute aber bestanden aus kegelförmigen oder ringförmigen Gebilden aus Stein oder Ton, die durch magische Zeremonien und Formeln in das Gottwesen selbst ,verwandelt' wurden. Solche Kegel und Ringe finden sich auch bei den Sumerern und Babyloniern und in anderen alten Religionen als heilige Verkörperungen des Gottes. In den Indus-Städten stand auch das Tier in religiöser Verehrung. Im gleichen Maße finden wir den Tierkult unter allen uns bekannten Altvölkern nur noch bei den Ägyptern. Die Indusleute verehrten vielerlei Tiere — Elefant, Nashorn, Tiger, Hirsch und Krokodil —als heilige Wesen; im Mittelpunkt aber stand doch der heilige-Stier. Er wurde schließlich zu einer Art »Wappentier' — wie der Bayerische Löwe oder der Preußische Adler —, und man findet ihn mit der 21
Zeit immer häufiger auf den Siegeln. Er erscheint mit Prunkdecken und Gehängen geschmückt und vor ihm steht ein kunstvoll gearbeiteter Futterbefoälter, wie ein heiliges Gefäß. Die heiligen Tiere wurden, so nimmt man an, in besonders gepflegten Ställen gehalten und hei Prozessionen mitgeführt. Vieles aus der alten Religion der Indusleute findet sich noch bei den heutigen Hindu. So kehrt dort die Muttergottheit wieder in Gestalt der ,Schwarzen Mutter Gauri Durga', nach der auch der Gaurisankar benannt ist. Der dreigesichtige hackende Gott erscheint in Form des drei- und mehrgesichtigen Schiwa, des Gatten der Kali Durga. Die Kegel- und Ring-Idole sind in ähnliehe Zeichen übergegangen, die selbst wieder Schiwa und Gauri versinnbildlichen. Der alte Tierkult aber lebt fort in der Verehrung, die vielerlei Tieren, vor allem der heiligen Kuh, gezollt wind. Manche Forscher nehmen allerdings an, daß all diese Kulte im heutigen Indien auf eine noch viel ältere Vorzeit zurückgehen, als es die Indus-Kultur gewesen ist. Diese Kulte seien seinerzeit von den einwandernden Indusleuten bereits bei der Urbevölkerung Indiens vorgefunden und einfach übernommen worden. Mancher Kultbrauch kann auch aus dem ältesten Asien stammen und durch die Träger der Indus-Kultur erst nach Indien verpflanzt worden sein.
Klassische Kunst im Frührot der Kultur Man glaubte früher, erst die Griechen hätten eine wirklich naturnahe und deshalb im europäischen Sinn vollendete' Kunst geschaffen, während alle übrigen alten Völker dieses europäische Ideal nicht hätten erreichen können. Die Meinung, daß jenen anderen Völkern die naturwahre Wiedergabe der Umwelt nicht möglich gewesen wäre, beruhte von vornherein auf einem Irrtum. Diese Völker wollten die bloße, genaue Wiedergabe des Geschauten nicht; es war ein anderes Lebensgefühl, das bei ihnen künstlerisch zur Darstellung drängte. In vielen Kulturkreisen bestand das Ziel gerade in einer Ab22
Blick ins Bassin des ältesten Hallenbades der Welt rückung des Kunstwerks von der Naturforra. Das war der Fall in der gesamten afrikanischen, polynesischen und indianischen Kunst. Naturgetreue Nachbildung war also nicht immer das Ideal der Kunstschaffenden, sogar bei den ältesten Griechen nicht. Das beweist ihr sogenannter geometrischer Stil' der Frühzeit, der so starke und absichtliche Verformungen des Naturvorbildes zeigt, daß die dargestellten Gegenstände oft kaum mehr zu erkennen sind. Manche Forscher haben deshalb geglaubt, diese naturferne künstlerische Gestaltung sei überhaupt kennzeichnend für die Urkunst der Menschheit, und das Ideal der Naturtreue sei erst später erwacht und bei den Griechen der ,klassischen' Zeit zum erstenmal verwirklicht und zur Vollendung gebracht worden. Auch diese Ansicht hat sich als unrichtig erwiesen. Schon in der Altsteinzeit treffen wir auf sehr naturnahe künstlerische Malereien, Ritzzeichnungen und Figuren. 23
Auch in spateren Kulturen war Naturferne nicht immer der Anfang und das Ursprüngliche. Oft setzt eine Kultur mit Kunstwerken in ganz naturalistischer Vorstellungsweise ein und gelangt nie zu vereinfachten, wirklichkeitsfernen, abstrakten Formungen, während eine andere Kultur völlig abstrakt beginnt und dann erst allmählich zu größerer Naturnähe übergebt. In der Indiuskultur nun finden wir beide künstlerischen Bemühungen und Stilrichtungen nebeneinander, und wir können nicht sagen, welche davon die frühere und welche die spätere ist. Vielleicht sind alte Traditionell des Kunstschaffens auch noch in späteren Perioden beibehalten worden, selbst nachdem sich der Tagesgeschmack gewandelt hatte; oder es pflegten die verschiedenen Bevölkerungsschichten — Eingeborene und Eingewanderte — jeweils ihren eigenen Kunststil; oder aber — und das ist das wahrscheinlichste — man behielt bestimmte Stilformen bestimmten kulturellen Lebensgebieten vor, zum Beispiel allen Dingen und Zeichen, die mit dem Götterglauben zn tun hatten. Ähnliche Unterschiede finden wir auch in anderen Kulturkreisen, und im Grunde bestehen sie auch noch heute; trotz aller neueren Bestrelbungen trennen auch wir immer noch kirchliche, sakrale, Kunst von profaner, ,weltlicher', Kunst, und das war in früheren Zeiten in noch höherem Maße der Fall. Die Kunst des religiösen Bereichs ist nie so sehr dem Wandel unterworfen wie die Profankunst, und es werden oft Stilformen beibehalten, die bei weltlichen Kunstwerken längst nicht mehr zu finden sind. Der Sakralkunst gehört in der Indus-Kultur vor allem jenes Siegelamulett an, das den dreigesichtigen Gott darstellt; es fällt auf durch die naturferne Stilisierung. Hier scheint älteste Überlieferung zum Ausdruck gekommen zu sein. Sehr altertümlich und wie frühe asiatische Feistzeichnungen wirken auch andere Siegelbilder, die Vorgänge aus der Götter- und Sagenwelt darstellen. Auch sie sind noch sehr naturfern. Ein völlig anderes Bild bieten demgegenüber jene zu Hunderten gefundenen Siegel, die offenbar sehr weltlichen Zwecken dienten u n d
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die Rolle unserer Siegelringe oder Firmenstempel spielten. Sie alle zeigen meist ein Wappentier mit der Namens-Inschrift des Siegelinhabers darüber. Diese Tierbilder verblüffen tdurch den auf schärfster Beobachtung beruhenden Naturalismuis der Darstellung. Die Tiere sind so genau wiedergegeben., daß man sie noch heute bis in die Unterarten hinein zoologisch bestimmen kann. Obwohl auch bei diesen Siegeln der heilige Stier oft zur Darstellung gelangt, handelt es sich doch um Profankunst, die in engster Beziehung zum unmittelbaren Alltagsleben gestanden bat. Das Überraschendste für den Kunsthistoriker jedoch bilden einige in Mobendscho-Daro aufgefundene ,profane' Plastiken, die so vollendet und im europäischen Sinn ^klassisch' erscheinen, daß man anfangs an einen Irrtum glaubte und annahm, sie stammten aus der hellenistischen Spätzeit der Griechen und wären nur zufällig in den Schutt der Indus-Städte geraten. Diese Plastiken zeigen eine so pakkende Lebendigkeit, eine so feine Modellierung und einen solchen Adel der Form, daß man dabei an die großen europäischen Meister denken könnte. Vieles ist zerbrochen, aber selbst diese Bruchstücke sind noch Kostbarkeiten. Zum besterhaltenen gehören ein männlicher und ein weiblicher Torso aus Sandstein bzw. aus Schiefer. Beide trugen ehemals Bronzeschmuck. Von der (gleichen Lebendigkeit und voll anmutigster Bewegtheit erscheint die Bronze-Statuette einer Tänzerin, offenbar einer Eingeborenen mit den schmalen Gliedern des Hindumädchens. Verblüffend europäisch ist auch die KalksteinStatuette eines Priesters im Festgewand, mit der Priesterbinde um das kurzgeschnittene Haar und mit kleinem Spitzbart. Diese Bildwerke dienten keinem kultischen Zweck und stellten keine Gottheiten dar. Deshalb konnte sich an ihnen die Schaffenskraft des Künstlers, durch keine überlieferten Vorschriften gebunden, frei entfalten. Die Werke zählen heute — nicht mur wegen ihres hohen Alters — zu iden größten Kostbarkeiten unter den Kulturschätzen der Erde (vgl. Bild Seite 27).
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Rätselhafte Schriftzeidien Auf den Siegeln befanden sich neben den bildlichen Darstellungen eigenartige Zeichen, die sogleich als ,Schrift' erkannt wurden und deshalb von Anfang an die Forscher besonders lebhaft beschäftigt haben. Außer diesen Siegelzeichen sind andere Schriftzeugnisse noch nicht entdeckt worden, weder auf Tontäfeldien noch auf Stein. Leider umfassen die Inschriften auf den Siegeln meist nur eine einzige Zeile, so daß trotz der Menge der aufgefundenen Siegel keine zusammenhängenden Texte vorliegen, die eine Entzifferung erleichtern würden. So kennt man nicht einmal die Sprache, in der die Zeichen geschrieben sind. Man darf annehmen, daß die Siegel-Inschriften nur Eigennamen wiedergehen. Nur ein einziger dieser Namen ist uns zufällig keilschriftlich erhalten. Er ist vermutlich als ,Kakuva' zu lesen. Wenn das stimmt, würden wir daraus erfahren, daß die Indussprache eine Nachsilbe ,-va' verwendete, die lautlich dem russischen ,-ow' bzw. ,-off entspricht und die ein Abstammungsverhältnis (Sohn von . . . ; aus der Familie von . . .) ausdrücken will. Eine weitere Schwierigkeit für die Entzifferung besteht darin, daß wir nicht einmal wissen, ob die Schriftzeichen ohne Verwendung von Buchstaben Begriffe wiedergeben oder ob sie Silbenzeichen oder aber einfache Buchstaben sind. Aus der großen Zahl von verschiedenen Zeichen — man hat bisher rund 300 Zeichen festgestellt — kann man allerdings schließen, daß sich unter ihnen eine große Zahl Begriffszeidtcn befinden müssen; eine Alphabctschrift braucht nicht so viele Zeichen. In den letzten Jahren ist nun gelegentlidi der Entzifferungsversudie am -Diskos von Phaistos' — einer altägäischen Bilderschrift* "' Vgl. Ernst Sdiertel: Der Diskos von Phaistos. (Würzburger Jahrbücher für die AÜcrlumswissensdiait, Heft HI/2.)
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-— eine Methode ausgearbeitet worden, die es möglich macht, an Hand der Zeichenhäufigkeit jeden beliebigen Schrifttext in Kurvenform darzustellen. Aus der Kurve laßt sich dann erschließen, welches Schriftsystem darin verwendet ist und welchem Sprachkreis die zugrundeliegende Sprache zuzuordnen ist. Man kann also heute bei jedem Schriftwerk — noch ehe man die Zeichen lesen kann und noch bevor man die zugrundeliegende Sprache kennt •— eine- Entscheidung darüber treffen, ob es sich um eine Begriffs-, eine Silben- oder eine Buchstabenschrift handelt und mit welchen uns bekannten Sprachen die betreffende SpraBruchstück einer 4500 Jahre alten Statue von klassischer Vollendung che verwandt sein muß. Das Verfahren ist sehr aufschlußreich. Untersucht man mit Hilfe dieser ,Graphischen Schriftbildanalyse' die Siegel-Inschriften vom Indus, so ergibt sich, daß die Indus-Schrift eine Misch-Schrift aus Begriffszeichen, Silbenzeichen und reinen Buchstaben darstellt und einem Sprachkreis zuzuordnen ist, dem auch die germanischen und slawischen Sprachen sowie das Griechische angehören: dem Indogermanischen. Di« Zeichen der Indus-Schrift sind zum größten Teil gegenüber der ursprünglichen Form sehr abgeschliffen und vereinfacht und beweisen damit ihre lange Entwicklung. Nur etwa acht Zeichen sind noch ganz primitiv und stellen Männchen in verschiedenen Stellun27
gen und mit verschiedenen Beigaben (Stab, Lanze, Bogen u. a.) dar. Gerade diese noch «ganz urtümlichen Zeichen finden sich auch in der altchinesischen Schrift sowie in der Bilderschrift der Osterinsel im Stillen Ozean. Manche andere Zeichen haben Ähnlichkeit mit einer alten Schrift im Zweistromland, ebenso auch mit einigen Zeichen der ältesten sumerischen Schrift. Viele Indus-Zeichen leben auch in dem späteren indischen Brahmi-Alplhabet fort sowie in der sabäischen Schrift im südlichen Arabien. Anklänge finden sich auch in den ägyptischen Hieroglyphen und in der altkretischen Schrift. Der Forschung öffnen sich hier viele interessante Ausblicke. Leider haben die Indusleute das, was sie sonst schriftlich niederlegten, nicht auf Tontäfelchen und Stein geschrieben. Ihre Verträge, Gesetze, Berichte, Dichtungen, Briefe legten sie wahrscheinlich auf Holzbrettchen und Tierhäuten nieder, die sich nicht bis heute erhalten haben. Bisher ist noch keine Spur davon gefunden worden. Trotzdem muß man eine umfangreiche Literatur voraussetzen, da sonst die Schrift nicht den hohen Grad der Vollendung hätte erreichen können, wie er auf den Siegeln zu erkennen ist.
Alter und Herkunft der Indus-Kultur In welche Zeit reicht die Indus-Kultur zurück? Die Antwort ist nicht leicht. Die Ausgrabungen sind noch nicht bis zu den tiefsten Schichten vorgedrungen, um den Beginn der Kultur zu ermitteln, ebenso fehlen für die Bestimmung ihres Endes alle sicheren Anhaltspunkte. Wir können nur mit einiger Gewißheit sagen, daß die arischen Einwanderer, die in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. über die Pässe des Gebirges hinweg nach Indien zogen, nicht mehr mit den Indusleuten zusammengetroffen sind. Die sicherste Grundlage für eine Datierung liefern uns einige Indus-SiegeL die sich in verschiedenen Teilen des Zweistromlandes am Euphrat und Tigris gefunden haben. Da die Fundschichten hier bereits datiert waren, ließen sich daraus auch Schlußfolgerungen für 28
das Alter der Siegel gewinnen. Man kam dabei auf die Zeit um 2500 v. Chr. Doch kann ein Gegenstand auch viel älter sein, als die Bodenschicht, in der er zufällig gefunden wird; so entdeckt man heute im Schutt einer zerbombten Stadt auch noch Gegenstände aus dem Barock oder aus noch früheren Epochen, weil sie sich in den zerbombten Wohnungen als Sammel- oderErbstücke befunden haben. Aus den Siegel-Funden läßt sich demnach nur mit Sicherheit entnehmen, daß die Indus-Kultur mindestens um 2500 v. Chr. bereits bestanden haben muß. Daß sie aber nicht erst zu dieser Zeit begonnen hat, ergibt sich aus anderen Funden, die auf die Zeit um 2700 v. Ohr. weisen. Da aber auch diese Gegenstände nicht erst damals entstanden zu sein brauchen und entsprechende Vorläufer gehabt haben werden, kommt man schon nahe an 3000 v. Chr. heran, und manche Forscher zögern nicht, den Beginn der Indus-Kultur bis in das 4. Jahrtausend v. Chr. hinaufzusetzen. Woher aber sind die Indusleute gekommen? Die beiden hochverdienten Ausgräber Marshall und Mackay haben die Ansicht vertreten, daß die Indus-Kulturmenschen aus einem nordwestlich von Indien gelegenen Gebiet [gekommen seien. Diese wohlbegründete Annahme h a t sich im weiteren Verlauf der Forschungen bestätigt und kann heute schon fast als gesicherte Erkenntnis gelten. Alle mit neuen Errungenschaften in Vorder- und Südasien auftretenden Völker sind aus den west- und nordasiatischen Räumen gekommen, das gilt für die späteren Kulturvölker Irans, Mesopotamiens und Kleinasiens ebenso, wie für das noch namenlose Kulturvolk am Indus. Auf den asiatischen Norden weist bei der Indus-Kultur zum Beispiel das sogenannte ,Mattenmuster' auf den Tongefäßen. Dieses Muster ist für das vorgeschichtliche Sibirien kennzeichnend und ahmt die Oberfläche bastgeflochtener Säcke nach. Zentralasiatisches Erbgut ist der Bweirädrige Wagen und nicht zuletzt die Pflege von Ackerbau und Viehzucht. Auch der Tierkult der Indusleute und die Art ihrer Tier- und Menschendarstellungen darf auf Zentralasien 29
zurückgeführt werden. Es gibt auch Ähnlichkeiten auf dem Gebiet der Bauart. So weisen älteste Bauwerke in Turkistan, einer Landschaft in Zentralasien, die gleiche Kahlheit und rein zweckhafte Sachlichkeit der Baukunst und jene enorme und ganz unbegreifliche Dicke des Mauerwerkes auf, die auch bei der Indus-Kultur auffällt. Weitgehende Ähnlichkeit mit den Indus-Städten zeigt auch die Planung der alt-turkistanischen Städte: Auch sie sind süd-nördlich orientiert mit der Stadtburg im nordwestlichen Eck, mit der durch die Mitte der Stadt von Süden nach Norden führenden Hauptstraße und den sie rechtwinklig schneidenden und einander selbst wiederum rechtwinklig überkreuzenden Nebenstraßen. Noch ist zwar die Entstehungszeit jener Städte im alten Turkistan nicht festgelegt; sie sind gewiß viel jünger als die ausgegrabenen Städte am Indus, doch deutet das bloße Vorhandensein derartiger mit den Indus-Städten nahe verwandter Stadtplanungen auf urälteste Baugedanken hin, die von Zentralasien ausgegangen oder von dort mit auswandernden Volksteilen in die Fremde getragen und dort verwirklicht worden sind. Im asiatischen Turkistan gehen die Überlieferungen weit zurück in entlegene Zeiten. Eine Volkssage berichtet von einer großen Katastrophe, die einst unendliches Unheil über Innerasien gebracht habe. Nach dieser sagenhaften Überlieferung gah es eine Zeit, in der der Aralsee noch nicht bestand und die beiden Ströme Amu-Darja und Syr-Darja — in der Sage Oxus und Jaxartes genannt — unmittelbar in da; "'espische Meer mündeten. An der Stelle des heutigen Sees — der die G öße Bayerns besitzt — soll sich fruchtbares Land ausgebreitet ..£,ben, in dem blühende Städte lagen, die von Königen regiert wurden. Durch einen Finch aber soll eine furchtbare Überschwemmung eingetreten sein: das heutige Ustjurt-Plateau hob sich, bildete eine Schranke und schnitt die beiden großen Ströme vom Kaspischen Meer ab. Die gestauten Flüsse ließen den Aralsee entstehen, der Land und Städte in seinen Wassern begrub. Noch heute sollen die Ruinen auf seinem Grunde zu sehen sein. Das ist die Sage. SO
Geschichtlich erwiesen ist, daß die beiden Ströme wiederholt ihren Lauf geändert und dabei riesige Überschwemmungen verursacht haben, denen alte Städte zum Opfer fielen. Diese Unibeständigkeit der Bodenverhältnisse mag nicht zuletzt ein Grund dafür gewesen sein, daß sich große Bevölkerungskreise vor Jahrtausenden plötzlich zur Auswanderung entschlossen, und auf diese Weise dürfte auch jene Kultur nach Nordindien gelangt sein, die wir heute als ,IndusKultur' bezeichnen. Manche Aufschlüsse sind auch aus den Skeletten zu gewinnen, die man besonders in Moihendscho-Daro ausgegraben hat. Sie gehören zwar ausschließlich der Endzeit der Induskultur an und dürften von Opfern der letzten vernichtenden Überschwemmung herrühren, aber sie sind teilweise recht gut erhalten und genau bestimmbar. Auch sie deuten darauf hin, daß central- und nordasiatische Völker in das Industal eingedrungen sind und dort bodenständige Rassen überlagert haben. Wichtig sind diese Skelettfunde auch deslialb, weil sie mit Hilfe der neuesten strahlungsphysikalischen Methode zeitlich bis auf Jahre genau datiert werden können; doch steht diese Forschungsarbeit noch bevor. Nach der gleichen Methode wird man auch Reste organischer Stoffe, Holzsplitter, Holzkohlenstückchen, Pflanzenfasern, die aus tieferen Schichten der Indus-Städte stammen, genau datieren können und dadurch bessere Zeitbestimmungen für die Indus-Kultur gewinnen, die noch immer so viele ungelöste Rätsel in sich birgt.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Arthur Ptobsthain, London (Copyright Gouvernment ol India) L u x - L e s e b o g e n 198 (Geschichte) H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postan9talt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Oltcn — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth
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