Ein weltberühmter Klassiker der Space Opera: Der Skylark-Zyklus von »Doc« Smith ILLUSTRIERTE NEUAUSGABE! Die Abenteuer ...
47 downloads
949 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ein weltberühmter Klassiker der Space Opera: Der Skylark-Zyklus von »Doc« Smith ILLUSTRIERTE NEUAUSGABE! Die Abenteuer der Skylark · 06/4777 Die Skylark und die Schlacht um Osnome · 06/4778 Die Skylark und die Sternenwanderer · 06/4779 Die Skylark und der Kampf um die Galaxis · 06/4780 Als sich das irdische Raumschiff »Skylark II« dem Planeten Osnome im Grünen System nähert, wird es ohne Warnung aus dem Hinterhalt angegriffen. Der Gegner, ein riesiges Schlachtschiff unbekannter Bauart, wird in einem erbitterten Gefecht mit Strahlenwaffen vernichtet. Als man dem letzten Überlebenden sein Geheimnis entreißt, wird erst das Ausmaß der drohenden Gefahr deutlich, die den intelligenten Rassen der Milchstraße droht. Die Fenachroner, eine hochentwickelte, aber machtgierige und grausame Spezies, haben sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Galaxis zu erobern und alles intelligente Leben auszulöschen, und sie operieren bereits mit 900 Schlachtschiffen in der Galaxis. Die Kräfte der menschlichen Rasse sind zu schwach, um den Kampf aufzunehmen. Dick Seaton und Mart Crane suchen fieberhaft nach alten Rassen, deren hochentwickelte Wissenschaften und Technologien von Nutzen sein könnten, dem schrecklichen Angreifer zu begegnen, denn es ist ein Wettlauf mit der Zeit.
Von Edward E. Smith erschienen in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: Der Lensmen-Zyklus: Band 1: Die Planetenbasis · 06/3704; auch als 06/4185 Band 2: Die ersten Lensmen · 06/3705; auch als 06/4186 Band 3: Galaktische Patrouille · 06/3708; auch als 06/4187 Band 4: Die grauen Herrscher · 06/3710-11; auch als 06/4188 Band 5: Das zweite Imperium · 06/3713-14; auch als 06/4189 Band 6: Das Erbe der Lens · 06/3716; auch als 06/4190 Band 7: Wächter des Mahlstroms · 06/3717; auch als 06/4233 Der Skylark-Zyklus: Band 1: Die Abenteuer der Skylark · 06/3479; auch als 06/4777 Band 2: Die Skylark und die Schlacht um Osnome · 06/3491; auch als 06/4778 Band 3: Die Skylark und die Sternenwanderer · 06/3503; auch als 06/4779 Band 4: Die Skylark und der Kampf um die Galaxis · 06/3515; auch als 06/4780
EDWARD E. SMITH
Die Skylark und die Schlacht um Osnome ZWEITER ROMAN DES SKYLARK-ZYKLUS
Science Fiction
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4778
Titel der amerikanischen Originalausgabe SKYLARK THREE Deutsche Übersetzung von Thomas Schlück Das Umschlagbild schuf Dariusz Chojnacki Die Illustrationen im Text sind von Klaus Porschka
Dieses Buch erschien unter gleichem Titel 1976 als HEYNE-BUCH 06/3491
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1930 by Experimenter Publishing Company erneut Copyright © 1948 by Edward E. Smith, Ph. D. Copyright © 1976 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Germany 1991 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-04490-8
KAPITEL 1 Im innersten Heiligtum der World Steel Corporation starrten sich Brookings und DuQuesne über den massiven Tisch hinweg an. DuQuesnes Stimme war kühl, seine Stirn war umwölkt. »Passen Sie gut auf, Brookings, passen Sie besonders gut auf. Ich fliege heute um Mitternacht los, und ich rate Ihnen, Richard Seaton in Ruhe zu lassen, und zwar völlig. Unternehmen Sie nichts. Nichts, verstanden? Schreiben Sie sich diese beiden Worte hinter die Ohren: Alles stoppen. Und das gilt, bis ich zurück bin, wie lange das auch dauern mag.« »Ihr Frontwechsel überrascht mich doch sehr, Doktor. Von Ihnen hätte ich am wenigsten angenommen, daß Sie sich schon nach dem ersten Scharmützel abschrecken lassen.« »Stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie es sind, Brookings. Es besteht durchaus ein Unterschied zwischen Angst und der Erkenntnis, daß man nur Zeit und Kraft verschwendet. Wie Sie sich erinnern, wollte ich Mrs. Seaton entführen, indem ich sie mit einem Attraktor an Bord eines Raumschiffs holte. Damals hätte ich gewettet, daß nichts mich aufhalten könnte. Na ja, als mich die beiden aufgespürt hatten – wahrscheinlich mit einem automatischenosnomischen Emissionsdetektor – und mein Schiff zum Glühen brachten, während ich noch gut dreihundert Kilometer entfernt war, wußte ich sofort, daß wir so nicht weiterkamen, daß wir keine andere Möglichkeit hatten, als auf meinen Plan zurückzugreifen – nämlich die Entführung aufzugeben und alle umzubringen. Da mein Plan Zeit ko-
sten würde, waren Sie natürlich dagegen und schickten ein Flugzeug los, das eine Fünfzentnerbombe auf sie abwerfen sollte. Flugzeug und Bombe – alles verschwand. Wie Sie sich erinnern, hat es keine Explosion gegeben, die Maschine ging nur in einem gewaltigen Lichtblitz unter. Danach haben Sie es mit verschiedenen anderen Wahnsinnsideen versucht, zum Beispiel mit einem Fernbombardement. Nichts wollte klappen. Und noch immer bilden Sie sich ein, Sie kämen mit gewöhnlichen Gangstern an die beiden heran! Ich habe Ihnen Diagramme und Zahlen gezeigt – ich habe Ihnen in allen Einzelheiten und denkbar deutlich geschildert, womit wir es hier zu tun haben. Und ich wiederhole: Die beiden sind im Augenblick besser gerüstet als wir. Und selbst der größte Dummkopf sollte erkennen, daß primitive Gangster versagen müssen, wo ich mit einem Raumschiff nichts ausgerichtet habe. Ich sage Ihnen eins, Brookings – Sie schaffen es nicht. Meine Methode ist die einzige Möglichkeit.« »Aber fünf Jahre, Doktor!« »Vielleicht bin ich ja schon in sechs Monaten zurück. Da aber auf einer solchen Reise alles passieren kann, rechne ich mit fünf Jahren. Und selbst das reicht vielleicht nicht – ich habe jedenfalls Vorräte für zehn Jahre an Bord, und die Kassette im Tresor darf erst heute in zehn Jahren geöffnet werden.« »Aber wir haben unsere Probleme sicher in wenigen Wochen gelöst. So ist es bisher immer gewesen.« »Ach, machen Sie sich doch nichts vor, Brookings! Stellen Sie sich nicht idiotisch an. Ihre Chance, Seaton umzubringen, ist so gering wie ...« »Bitte, Doktor! Reden Sie nicht so!« »Ach, noch immer feinfühlig? Ihre vorsichtige Art
ist mir schon immer ziemlich auf die Nerven gefallen. Ich bin für ein direktes Vorgehen in Wort und Tat. Ihre Chancen gegen Richard Seaton sind praktisch gleich Null.« »Wie kommen Sie zu der Schlußfolgerung, Doktor? Sie scheinen unsere Möglichkeiten gern herabzuspielen. Ich persönlich bin der Meinung, daß wir innerhalb weniger Wochen am Ziel sind – jedenfalls längst, bevor Sie von einer so ausgedehnten Reise zurück sein können. Und da Sie so für Offenheit sind, möchte ich Ihnen mal meine Meinung sagen. Ich habe das Gefühl, daß Seaton Ihnen Sand in die Augen gestreut hat. Neun Zehntel der wunderbaren osnomischen Geräte sind – wie mir von kompetenter Seite versichert wird – wissenschaftlich unmöglich, und das andere Zehntel besteht sicher nur in Ihrer Phantasie. Seaton hatte Glück, daß unsere Bombe schadhaft war und vorzeitig explodierte, und Ihr Raumschiff erhitzte sich, weil Sie in der Atmosphäre zu sehr beschleunigt hatten. Wenn Sie zurück sind, haben wir längst alles erledigt.« »Wenn das stimmt, schenke ich Ihnen meine Mehrheit an den Aktien der World Steel und lasse mich in den Beirat für ein Altersheim wählen. Ihre Ahnungslosigkeit und Ihr Widerstand gegen neue Ideen ändern nichts an den Tatsachen. Schon vor seiner Reise nach Osnome war schwer an Seaton heranzukommen, wie Sie selbst feststellen mußten. Auf dieser Reise hat er soviel dazugelernt, daß wir ihn mit normalen Mitteln überhaupt nicht mehr beseitigen können. Sie werden das sehr schnell erfahren, sobald er die Gangster erledigt, die Sie auf ihn hetzen wollen. Jedenfalls müssen Sie darauf achten, daß Sie auf
keinen Fall seine Frau umbringen – oder auch nur verletzen –, solange er noch nicht beseitigt ist.« »So etwas wäre wirklich bedauerlich, da es uns die Möglichkeit einer Entführung nimmt.« »Nicht nur das. Erinnern Sie sich an die Explosion in unserem Labor, die einen ganzen Berg vernichtete? Malen Sie sich mal aus, daß in jeder unserer Fabriken und in diesem Gebäude eine zehnmal stärkere Explosion stattfindet. Ich weiß, Sie sind töricht genug, Ihre Pläne trotz meiner Worte in die Tat umzusetzen, und da ich die World Steel noch nicht ganz kontrolliere, kann ich Ihnen das offiziell nicht verbieten. Aber im Grunde müßten Sie wissen, daß ich weiß, wovon ich rede – und ich sage noch einmal, daß Sie sich durch und durch blamieren werden, nur weil Sie nichts für möglich halten, das nicht schon seit hundert Jahren täglich praktiziert worden ist. Ich wünschte, ich könnte Ihnen begreiflich machen, daß Seaton und Crane über Mittel verfügen, die wir noch nicht besitzen – doch zum Wohle unserer Fabriken und auch zu Ihrem eigenen Besten müssen Sie sich eins auf jeden Fall merken; wenn Sie das vergessen, haben wir bald keine Firma mehr und Sie wären zu Atomen zerblasen. Was immer Sie anfangen – als erstes müssen Sie Seaton umbringen und sich felsenfest davon überzeugen, daß er auch wirklich und vollständig tot ist, ehe Sie Dorothy Seaton auch nur eins ihrer roten Haare krümmen. Solange Sie ihn allein angreifen, wird er nur die Leute umbringen, die Sie auf ihn hetzen. Wenden Sie sich aber gegen die Frau, solange er noch lebt, dann peng!« Und der dunkelhaarige Wissenschaftler schwenkte beide Hände, um eine allesumfassende Detonation anzudeuten.
»Da haben Sie wahrscheinlich recht.« Brookings war bleich geworden. »Ja, Seaton wäre so etwas zuzutrauen. Wir werden sehr vorsichtig sein, bis wir ihn beseitigt haben.« »Machen Sie sich keine Sorgen – das schaffen Sie nicht. Um diesen Punkt werde ich mich selbst kümmern, sobald ich zurück bin. Seaton und Crane und ihre Familien, die Direktoren und Angestellten ihrer Firmen, die Banken, die womöglich ihre Notizen oder Chemikalien lagern – kurz, jede Person und jeder Gegenstand, der zwischen mir und dem Monopol über ›X‹ steht, wird verschwinden.« »Das ist ein schrecklicher Plan, Doktor. Wäre der Entführungsplan des seligen Perkins, wie ich ihn im Sinn habe, nicht besser, sicherer und schneller?« »Ja – bis auf die Tatsache, daß er nicht funktioniert. Ich habe mir hier den Mund fusselig geredet und Ihnen tausendmal bewiesen, daß Sie die Frau nicht entführen können, ohne ihn vorher umzubringen – und daß Sie an ihn gar nicht erst herankommen. Mein Plan ist unsere einzige Hoffnung. Seaton ist nicht der einzige, der neue Erfahrungen gemacht hat – auch ich habe viel dazugelernt. Und eine neue Information ist besonders wichtig. Nur vier andere Lebewesen auf der Erde und auf Osnome haben davon gewußt, und sie sind längst gestorben. Ihre Gehirne wurden so zerstört, daß nichts mehr daraus zu gewinnen war. Diese Information ist mein As im Ärmel. Und darum will ich mich kümmern. Wenn ich das Gesuchte habe, dann – und erst dann – bin ich bereit, zur Offensive überzugehen.« »Sie wollen bei Ihrer Rückkehr einen offenen Krieg beginnen?«
»Der Krieg begann, als ich die Frauen mit meinem Attraktor zu entführen versuchte. Deshalb starte ich ja um Mitternacht. Seaton geht genau um halb zwölf Uhr zu Bett, und wenn er wieder aufwacht, bin ich längst außer Reichweite seines Objektkompasses. Seaton und ich verstehen uns bestens. Wir wissen, daß bei unserer nächsten Begegnung einer von uns in seine ultramikroskopischen Bestandteile zerlegt wird. Er hat noch keine Ahnung, daß er derjenige sein wird – aber ich weiß es. Mein letztes Wort an Sie: Verhalten Sie sich mucksmäuschenstill! Wenn nicht, werden Sie und Ihre kompetenten Berater einiges kennenlernen. Aber dann wird es zu spät sein, um etwas daraus zu lernen.« »Sie wollen mich nicht näher über Ihr Reiseziel oder Ihre Pläne informieren?« »Nein. Auf Wiedersehen.«
KAPITEL 2 Martin Crane lag zurückgeneigt in einem Sessel, hatte seine Hände zu einer hochgewölbten Brücke gefaltet und hörte aufmerksam zu. Richard Seaton wanderte vor seinem Freund auf und ab, das braune Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, und er redete, ohne seine übelriechende alte Bruyèrepfeife aus dem Mund zu nehmen. Bei seinem Vortrag schwenkte er einen Stapel Papiere in der Hand herum. »Mart, wir sitzen fest – absolut, und ich weiß nicht weiter. Mit der Energiezone hätte die Skylark alle denkbaren Hürden übersprungen – ohne die Zone stehen wir genau dort, wo wir angefangen haben. Die Zone ist etwas Gewaltiges, Mann – sie birgt unvorstellbare Möglichkeiten, und ich bin so verdammt blöd, daß ich einfach keinen Weg finde, sie vernünftig einzusetzen – ich kann sie überhaupt nicht gebrauchen. Von Natur aus läßt diese Zone keine Form von Materie durch, wie man sie auch ansetzt, und meine Berechnungen zeigen, daß sie auch jede denkbare Welle stoppt – ob sie nun durch Luft oder Weltall kommt – bis hinab zur kosmischen Strahlung. Im Schutz dieser Energiezone wären wir blind und hilflos und könnten sie also überhaupt nicht einsetzen. Ich werde noch verrückt! Stell dir vor – eine Barriere reiner Energie, unfaßbar, immateriell und auf einer geometrischen Oberfläche wirksam, die überhaupt keine eigene Dicke hat – und doch kann sie eine Strahlung aufhalten, die hundert Millionen Lichtjahre zurückgelegt hat und durch eine acht Meter dicke Bleiwand dringt, als wäre sie ein Vakuum. Das ist un-
ser Problem. Wie dem auch sei, ich will unser Modell mal ausprobieren, und zwar auf der Stelle! Komm mit!« »Du benimmst dich ganz schön idiotisch, Dick«, sagte Crane ruhig, ohne sich zu bewegen. »Du weißt noch besser als ich, daß du da mit der größten konzentrierten Energie herumspielst, die die Welt je gesehen hat. Diese Energiezone kann vermutlich nur erzeugt werden ...« »Nichts da – kein ›Vermutlich‹!« rief Seaton. »Die Sache ist so real wie dieser Stuhl!« Und er trat gegen das unschuldige Möbelstück, das quer durchs Zimmer rutschte. »Wenn du nicht so feige gewesen wärst, hätte ich's dir schon gestern gezeigt.« »Sicher, sicher. Nehmen wir einmal an, daß die Zone wirklich keine Materie und keine Wellen durchläßt. Nehmen wir ferner an, daß sie auch die Schwerkraft und alle magnetischen Einflüsse bremst. Diese Erscheinungen hängen wahrscheinlich vom Weltall ab, doch wir wissen eigentlich nichts Grundsätzliches darüber. Deshalb können deine Berechnungen, so umfassend sie auch sind, die Wirkung deiner Energiezone auf diese Dinge nicht vorhersagen. Nehmen wir einmal an, die Zone errichtet wirklich eine Barriere im Raum und hebt Schwerkraft, Magnetismus und alle damit verbundenen Erscheinungen auf, so daß Energieschienen, Attraktoren und Abstoßer nicht durch diese Barriere hindurch wirken können. Was dann? Damit hättest du nicht nur deine Energiezone demonstriert, sondern auch einen unfreiwilligen Flug ins All angetreten, denn du könntest deine Energie nicht steuern und wärst hilflos, wenn du die Zone errichtest. Nein, wir müssen mehr über das Grundsätz-
liche wissen, ehe wir auch nur das kleinste Experiment wagen.« »Ach, Unsinn! Du bist mal wieder übervorsichtig, Mart. Was kann denn passieren? Selbst wenn die Schwerkraft aufgehoben würde, könnte ich doch nur langsam aufsteigen und mich im Winkel unseres Breitengrads – neununddreißig Grad – südwärts von der Senkrechten fortbewegen. Ich könnte nicht als Tangente davonschießen, wie ein paar Blödmänner behauptet haben. Die Trägheit würde dazu führen, daß ich annähernd mit der Erdumdrehung Schritt halte. Ich würde langsam steigen – so schnell, wie die Tangente sich von der Krümmung der Erdoberfläche entfernt. Ich habe das Tempo noch nicht ausgerechnet, aber es müßte ziemlich niedrig sein.« »Ziemlich niedrig?« lächelte Crane. »Rechne es mal aus.« »Also gut. Aber es ist bestimmt langsamer als das Aufsteigen eines losgelassenen Kinderballons.« Seaton warf seine Papiere fort und nahm einen Rechenschieber zur Hand. »Du meinst sicher auch, daß man die Radialkomponente der Umlaufgeschwindigkeit der Erde bei dieser ersten Grobrechnung außer acht lassen kann, nicht wahr – oder soll das mit hinein?« »Die kannst du ruhig vergessen.« »Gut. Dann wollen wir mal sehen. Der Rotationsradius hier in Washington wäre Kosinus Längengrad mal Äquatorradius, ungefähr – sagen wir 5100 Kilometer. Winkelgeschwindigkeit fünfzehn Grad die Stunde. Ich brauche also Sekans 15 weniger mal 5100. Richtig? Sekans gleich eins über Kosinus. Hm. Eins Komma null-drei-fünf. Dann Null Komma null-dreifünf mal 5100 – hundertachtundsiebzig Kilometer in
der ersten Stunde. Geschwindigkeit konstant in bezug auf die Sonne, beschleunigt in bezug auf Startpunkt. Autsch! Du hast gewonnen; Mart – ich würde ja glatt in der Luft stehen! Was meinst du aber zu folgendem? Ich ziehe einen Anzug an und nehme Rationen mit. Die gleiche Ausrüstung, die ich bei den Testflügen verwendet habe, ehe wir die Skylark I bauten – und dazu die neuen Sachen. Dann schalten wir die Zone ein und sehen, was dann passiert. So kann's beim Start keinen Ruck geben, und mit der Ausrüstung komme ich auch sicher zurück, selbst wenn ich bis zum Jupiter sause!« Crane saß schweigend da, und sein wacher Geist überrechnete jeden Aspekt von Bewegung, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Trägheit. Er kannte Seatons Erfindungsreichtum in einer Krise und seine körperlichen und geistigen Möglichkeiten. »Soweit ich erkennen kann, dürfte das klappen«, sagte er schließlich. »Und du hast recht – wir sollten uns wirklich auch etwas außerhalb der Theorie bewegen.« »Gut! Dann mache ich mich ans Werk – bin in fünf Minuten zurück. Sag den Mädchen Bescheid, ja? Sie würden uns die Hölle heiß machen, wenn wir etwas Neues ausprobieren, ohne ihnen Bescheid zu sagen.« Wenige Minuten später schlenderten die ›Mädchen‹ untergehakt auf das Crane-Field – Dorothy Seaton, deren herrlich braunes Haar violette Augen und ein strahlendes Gesicht umrahmten; daneben Margaret Crane, die schwarzhaarig und dunkeläugig war. »Brr! Ist das kalt!« Dorothy fröstelte und zog ihren Mantel enger um sich. »Scheint der kälteste Tag seit Jahren zu sein!«
»Allerdings«, sagte Margaret. »Ich möchte nur wissen, was die beiden bei solchem Wetter hier draußen treiben!« In diesem Augenblick kamen die Männer aus dem ›Versuchsschuppen‹ – einem riesigen Hangar, in dem das auf Osnome gebaute Raumschiff Skylark II untergebracht war. Seaton watschelte ungeschickt herum. Er trug einen Crane-Raumanzug, der aus Fell, Leinen, Metall und durchsichtiger Kieselsäure bestand, verstärkt durch Stahlnetze und versehen mit Lufttanks und Heizeinrichtungen, die den Betreffenden von Temperatur und Druck seiner Umwelt unabhängig machten. Über dem Anzug trug er ein Ledergeschirr, das sich um Schultern und Beine zog und an dem zahlreiche Knöpfe, Schalter, Anzeigegeräte, Plastikkästen und andere Apparaturen befestigt waren. Von einem kräftigen Aluminiumgestell gehalten, das seinerseits von den Lederriemen gestützt wurde, ragte das Universallager einer kleinen Energieschiene über seinen grotesk wirkenden Helm. »Was willst du denn mit dem Ding anstellen, Dikkie?« rief Dorothy, ehe ihr einfiel, daß er sie ja gar nicht verstehen konnte. Sie wandte sich an Crane: »Was läßt du meinen armen Mann da machen, Martin? Sieht fast so aus, als hätte er etwas ausgeheckt.« Inzwischen hatte Seaton seine Helmscheibe aufschnappen lassen. »Nichts Besonderes, Dottie. Ich will euch nur mal die Energiezone vorführen. Martin wollte mich nicht weitermachen lassen, ehe ich mich nicht für eine einjährige Raumreise ausgestattet hatte.« »Dot, was ist das überhaupt – eine Energiezone?« fragte Margaret.
»Oh, das Ding hat sich Dick während des schrecklichen Kampfes auf Osnome in den Kopf gesetzt. Seit unserer Rückkehr hat er an nichts anderes mehr denken können. Du weißt, wie die Attraktoren und Abstoßer funktionieren? Nun, er stellte fest, wie seltsam sich alles verhielt, sobald die Mardonalier auf einer bestimmten Wellenlänge angriffen. Er kam schließlich auf die genaue Schwingung und stellte fest, daß sie sich bei einer bestimmten Stärke so verhält, als wirkten Abstoßer und Attraktor zusammen – nur so viel stärker, daß nichts hindurchdringt – weder von der einen noch von der anderen Seite –, ja, die Sache wirkt so stark, daß alles, was zufällig im Weg ist, entzweigeschnitten wird. Und das Komische ist, daß da eigentlich gar nichts Handgreifliches entsteht – Dick behauptet, daß die sich begegnenden Kräfte an der betreffenden Stelle eine Art Energiewand bilden. Verstehst du?« »Hmm«, meinte Margaret zweifelnd, während Crane die letzten Kontrollen und Justierungen vornahm und auf sie zukam. Als er einen sicheren Abstand zwischen sich und Seaton gelegt hatte, machte er kehrt und schwenkte die Hand. Seaton verschwand, und um die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, schloß sich eine schimmernde Kugel, die etwa sechs Meter Durchmesser hatte – ein offenbar vollkommen runder Spiegel, der in südlicher Richtung aufsteigend davonflog. Nach wenigen Sekunden verschwand die Kugel, und Seaton wurde wieder sichtbar. Er stand auf einem halbkugelförmigen Erdbrocken. Während er auf die Gruppe am Boden zuflog, fiel dieser Erdbrocken fünfhundert Meter entfernt zu Boden. Hoch über
Crane und den Frauen schloß sich erneut die Spiegelsphäre um Seaton, und wieder raste er nach Süden davon. Fünfmal wurde das Manöver wiederholt, ehe Seaton elegant vor seinen Freunden landete und seinen Helm öffnete. »Genau das, was wir uns vorgestellt haben, nur schlimmer«, sagte er ernst. »Man kann überhaupt nichts damit anfangen. Die Schwerkraft wirkt nicht durch die Barriere, auch nicht die Energieschiene – nichts. Und dunkel ist es! Leute, ihr habt bisher noch keine Dunkelheit gesehen und auch noch keine wirkliche Stille erlebt! Ich hab's glatt mit der Angst bekommen!« »Armer Junge – hast Angst vor dem Dunkeln!« rief Dorothy. »Aber wir haben doch schon die absolute Schwärze des Alls gesehen!« »Aber so etwas noch nicht. Zum erstenmal habe ich absolute Dunkelheit und Stille erlebt. So etwas hatte ich nicht für möglich gehalten – komm mal mit, ich zeig's dir.« »O nein!« rief seine Frau und wich zurück. »Vielleicht ein andermal.« Seaton legte die Gurte ab und betrachtete die Stelle, von der aus er gestartet war und an der nun ein rundes Loch gähnte. »Wollte mal sehen, was für Spuren ich hinterlassen habe, Mart.« Die beiden Männer beugten sich über das Loch. Erstaunt stellten sie fest, daß die Schnittstelle absolut glatt war und nicht die kleinste Unregelmäßigkeit aufwies. Selbst die winzigsten Sandkörner waren entlang einer mathematisch exakten halbkugelförmigen Oberfläche halbiert worden – von der unvorstellbaren Energie der sich auflösenden Kupferschiene.
»Also, das scheint mir doch wirklich ...« In diesem Augenblick schrillte eine Alarmglocke. Ohne sich umzudrehen, riß Seaton seine Frau an sich und sprang in den Testschuppen. Dort ließ er sie einfach zu Boden fallen und starrte durch das Okular eines gewaltigen Projektors, der sich automatisch auf die ferne Freisetzung atomarer Energie gerichtet hatte, von der der Alarm ausging. Er hatte eine Hand auf den Schalter gelegt, und sein Gesicht war hart und entschlossen, während er sich von der Identität des sich nähernden Raumschiffs zu überzeugen suchte, ehe er die schreckliche Kraft seiner Generatoren entfesselte. »Ich rechne schon seit einiger Zeit damit, daß DuQuesne es noch einmal versucht«, sagte er und kniff die Augen zusammen, um den Besucher auszumachen, der noch gut dreihundert Kilometer entfernt war. »Er hat es auf dich abgesehen, Dot – und diesmal will ich ihn nicht nur anwärmen und verscheuchen wie beim erstenmal. Diesmal bekommt er die volle Ladung zu schmecken ... Mit dem kleinen Teleskop kann ich ihn nicht ausmachen, Mart. Peil ihn mal mit dem großen an und gib mir Bescheid, ja?« »Ich sehe ihn, Dick, aber es ist nicht DuQuesnes Schiff. Unser Besucher besteht aus durchsichtigem Arenak wie die Kondal. Im Grunde unmöglich, aber ich glaube, es ist tatsächlich die Kondal!« »Kann sein – vielleicht steckt aber auch DuQuesne dahinter. Womöglich hat DuQuesne das Schiff gestohlen oder nachgebaut. Aber wenn ich's mir recht überlege, halte ich DuQuesne nicht für so dumm, uns ein zweites Mal auf dieselbe Weise anzugreifen, aber ich will kein Risiko eingehen. – Okay, es ist tatsäch-
lich die Kondal! Ich kann Dunark und Sitar erkennen!« Das durchsichtige Schiff näherte sich in schneller Fahrt dem Flugfeld, und die Erdbewohner traten ins Freie, um ihre osnomischen Freunde zu begrüßen. Durch die Arenakwände des Raumschiffs sahen sie Dunark, Kofedix von Kondal, an den Kontrollen stehen, und Sitar, die wunderschöne junge Königin, die auf einem Diwan an der Außenwand lag. Sie versuchte zu winken, aber ihr Gesicht war verzerrt; als laste ein großes Gewicht auf ihr. Nun schob Dunark sich und seiner Frau einen Helm über den Kopf und wollte eine der Türen öffnen. »Sie dürfen nicht ins Freie kommen, Dick!« rief Dorothy entsetzt. »Ohne Kleidung erfrieren Sie ja binnen Minuten!« »Ja, und Sitar hält es in unserer Schwerkraft nicht lange aus und Dunark nicht viel länger!« Seaton eilte auf das Raumfahrzeug zu und winkte die Besucher zurück. Aber Dunark verstand die Geste falsch. Als er schwerfällig durch die Tür kam, begann er zu taumeln, und Sitar, die er gestützt hatte, brach auf dem gefrorenen Boden zusammen. Dunark kniete sich über sie, um ihr hochzuhelfen, aber er mühte sich vergeblich ab. Seine grüne Haut nahm in der Kälte eine gelbliche Färbung an. Seaton eilte herbei und nahm Sitar auf die Arme, als wäre sie ein Kind. »Hilf Dunark wieder ins Schiff, Martin!« sagte er energisch. »Und komm mit, Mädchen – wir müssen unsere Gäste wieder ins All bringen, wo sie überleben können!«
Seaton schloß die Tür, und als alle auf den Andruckliegen Platz genommen hatten, gab Crane, der die Kontrollen übernommen hatte, einen Teilstrich Energie vor. Das riesige Raumschiff raste los. In einigen hundert Kilometern Höhe bremste er das Raumfahrzeug ab und legte es mit einem Ankerattraktor fest. »Bitte«, sagte er ruhig. »Hier müßte die Schwerkraft etwa so sein wie auf Osnome.« »Ja«, meinte Seaton, stand auf und warf seine Kleidung ab. »Ich würde vorschlagen, daß wir uns soweit ausziehen, wie es das Gesetz erlaubt – vielleicht auch weiter. Mir hat die osnomische Vorstellung von einer angenehmen Temperatur nie recht gefallen, aber wir halten die Hitze wenigstens aus, wenn wir uns etwas enthüllen – während die Osnomer unsere Temperatur völlig unerträglich finden.« Sitar sprang fröhlich auf, und die drei Frauen umarmten sich. »Was für eine schreckliche Welt!« rief Sitar, und ihre Augen weiteten sich bei der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit der Erde. »Sosehr ich euch liebe – ich werde nie wieder die Erde besuchen. Bisher wußte ich nicht, warum ihr Erdenbürger ›Kleidung‹ tragt oder so schrecklich kräftig seid. Jetzt weiß ich es, und ich werde den kalten und wilden Griff eurer Heimat nie vergessen, solange ich lebe!« »Ach, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, Sitar«, sagte Seaton, der energisch Dunarks Hände schüttelte. »Das hängt nur davon ab, wo man aufgewachsen ist. Uns gefällt es so, und Osnome geht uns auf die Nerven. Aber ihr Ärmsten«, wandte er sich an Dunark, »wo du doch all meine Erfahrungen im
Schädel hast, hätte dir doch auffallen müssen, worauf du dich einläßt.« »Das stimmt wohl«, sagte Dunark, »aber deine Erinnerungen verrieten mir, daß Washington heiß ist – ach, ich habe wohl vergessen, daß ihr Jahreszeiten habt, richtig?« »Richtig. Genauso geht es mir mit deinen Erinnerungen. Sobald etwas geschehen ist, sage ich mir oft genug, das hättest du vorher wissen müssen – aber es fällt mir immer erst ein, wenn es zu spät ist. Ich möchte vor allem wissen, wie ihr hergekommen seid! Dazu ist eigentlich mehr erforderlich als mein Gedächtnis – man kann unsere Sonne vom osnomischen System aus nicht sehen, selbst wenn man genau weiß, wo man suchen muß.« »Ganz einfach. Erinnerst du dich an die alten Instrumente, die aus der Skylark ausgebaut wurden, als wir die Skylark II bauten?« Da ihm Seatons Gehirn mit allen typischen Merkmalen eingegeben worden war, sprach Dunark das Englische ebenso nachlässig wie Seaton. Nur wenn er angestrengt nachdachte oder abstrakte Dinge behandelte, bediente sich Seaton der gepflegten Redeweise, auf die er sich ebenfalls ausgezeichnet verstand. »Na ja, keins von den Dingern war hoffnungslos kaputt, so daß man die wichtigsten Teile noch verwenden konnte. Ein Gerät war ein Objektkompaß, der auf die Erde eingestellt war. Wir haben uns einfach danach gerichtet, das Instrument etwas verbessert – und hier sind wir!« Nach kurzer Pause wechselte er übergangslos in die kondalische Sprache. »Kommt, wir wollen uns setzen, damit ich euch erklären kann, warum wir hier sind. Wir brauchen dringend zwei Dinge, die nur ihr
uns liefern könnt – Salz und das seltsame Metall, das ihr ›X‹ nennt. Salz habt ihr im Überfluß, das weiß ich, aber von dem Metall besitzt ihr nur wenig. Ihr habt nur einen Kompaß auf jenen Planeten gerichtet?« »Richtig – mehr haben wir nicht darauf eingestellt. Doch hätten wir knapp eine halbe Tonne zur Verfügung – du kannst dir alles nehmen, was du brauchst.« »Selbst wenn ich alles nähme, was ich ungern täte, wäre das weniger als die Hälfte der benötigten Menge. Wir brauchen mindestens eine irdische Tonne; zwei wären noch besser.« »Zwei Tonnen! Meine Güte! Wollt ihr eine ganze Flotte von Schlachtraumschiffen ausstatten?« »Mehr als das. Wir müssen eine Kupferfläche von etwa fünfzehntausend Quadratkilometern auskleiden – und genau genommen hängt das Leben unserer ganzen Rasse davon ab. Die Sache steht so«, fuhr er fort, als die vier Erdbewohner ihn erstaunt anstarrten. »Kurz nach eurem Abflug aus Osnome wurden wir von den Bewohnern des dritten Planeten unserer vierzehnten Sonne überfallen. Zum Glück landeten die Invasoren in Mardonale, und in knapp zwei Stunden lebte auf dieser Planetenhemisphäre kein einziger Osnomer mehr. Die Angreifer löschten unsere große Flotte nach kurzem Kampf aus, und nur die Kondal und einige ähnlich gebaute Schiffe konnten verhindern, daß die Gegner den Ozean überquerten. Aber selbst mit der vollen Kampfkraft dieser Einheiten können wir den Gegner nicht schlagen. Unsere normalen kondalischen Waffen waren nutzlos. Wir setzten explosive Kupferladungen von solcher Größe ein, daß überall auf Osnome Erdbeben auftraten – doch ohne den Gegner
nennenswert zu erschüttern. Ihre Offensivwaffen sind fast unschlagbar – sie besitzen Generatoren, die Arenak durchbrennen, als wäre es Papier, und eine Reihe tödlicher Frequenzen, gegen die nur ein kupferbetriebener Schirm wirksam ist – und selbst der hält nur kurze Zeit.« »Wie habt ihr überhaupt so lange durchgehalten?« fragte Seaton. »Die Angreifer haben keine Schiffe wie die Skylark und kennen sich mit der Atomenergie nicht aus. Ihre Raumschiffe sind also chemische Raketen und können deshalb nur zur genauen Konjunktion zu uns fliegen, oder wie ihr das nennt – nein, nicht Konjunktion, denn die beiden Planeten kreisen ja nicht um dieselbe Sonne, jedenfalls müssen sich die beiden Welten am nächsten stehen. Unser Sonnensystem ist so kompliziert, daß die Schiffe aus Osnome gar nicht landen können, wenn die Reise nicht bis auf die Stunde genau ausgerechnet ist – verfehlen sie ihr Ziel, werden sie ins Nichts abgelenkt und sind verloren oder stürzen in unsere riesige Zentralsonne. Es ist euch vielleicht noch nicht bewußt geworden, doch wenn ihr darüber nachdenkt, muß euch aufgehen, daß die Bewohner der inneren Planeten wie Osnome eigentlich keine Ahnung von Astronomie und von den Wundern des offenen Weltraums haben können. Vor eurem Besuch beschränkte sich unser – geringes – Wissen auf unser Sonnensystem. Wir kannten die nächsten Planeten nur insoweit, als sie hell genug leuchteten, um in unserer ständigen grellen Sonnenstrahlung gesehen zu werden – und das waren nur wenige. Sofort nach eurem Besuch gab ich euer astronomisches Wissen an eine Gruppe führender Physi-
ker und Mathematiker weiter, die seither ständig in Raumschiffen unterwegs sind und ihre Beobachtungen machen – so dicht bei Osnome, daß ihre Ergebnisse auf den Planeten umgerechnet werden konnten, doch weit genug, um sozusagen freie ›Sicht‹ zu haben.« »Aber ich weiß doch gar nicht viel über Astronomie!« wandte Seaton ein. »Deine Detailkenntnisse sind natürlich unvollständig«, räumte Dunark ein, »aber das präzise Wissen der besten Erdastronomen könnte uns nicht weiterhelfen, da wir so weit von euch entfernt leben. Ihr aber habt klare und solide wissenschaftliche Grundkenntnisse, und das brauchten wir vor allen Dingen.« »Ja, vielleicht hast du recht. Ich kenne mich mit der allgemeinen Bewegungstheorie aus und habe mich schon mal mit astronomischen Grundgegebenheiten befaßt – aber dann wird es schon schwach. Du wirst das noch feststellen, wenn du soweit vordringst.« »Mag sein – da aber unsere Gegner überhaupt keine astronomischen Kenntnisse haben, war es nicht überraschend, daß ihre Raketen nur zu besonders günstigen Zeiten gestartet werden können; denn es gibt viele Planeten und Planetenbegleiter, von denen sie nichts wissen und die ihre Raumfahrzeuge vom Kurs abbringen können. Es scheint da irgendeine Substanz zu geben, die sie dringend für den Betrieb ihrer Kriegsmaschinen brauchen und die offensichtlich von ihrem Heimatplaneten stammt, denn sie haben den Angriff eingestellt, haben sich festgesetzt und halten einfach die Stellung. Vielleicht hatten sie nicht mit dem Widerstand gerechnet, den wir mit unseren Raumschiffen und der Atomenergie leisten konnten. Jedenfalls ha-
ben sie sich offenbar genug von dem Stoff aufbewahrt, um bis zur nächsten Konjunktion durchzuhalten – mir fällt kein besseres Wort dafür ein. Unsere Streitkräfte greifen ständig mit voller Kraft an, doch wenn wir die nächste Konjunktion eintreten lassen, scheint das Ende der gesamten kondalischen Nation gewiß.« »Das meinst du mit ›wenn wir die nächste Konjunktion eintreten lassen‹?« schaltete sich Seaton ein. »Niemand kann das aufhalten.« »Ich will sie aufhalten«, erwiderte Dunark entschlossen. »Diese Konjunktion wird es nicht mehr geben. Deshalb brauche ich ja solche Mengen an Salz und ›X‹. Wir errichten auf dem ersten Satelliten unseres siebenten Planeten und auf unserem sechsten Planeten ein Gitterwerk aus Arenak. Das bedecken wir mit aktivem Kupfer und installieren Chronometer, die im richtigen Moment Schalter betätigen. Wir haben Zeiten, Plazierung und Größenordnung der anzuwendenden Kräfte genau berechnet. Wir werden den sechsten Planeten ein gutes Stück aus seiner Umlaufbahn reißen und den ersten Begleiter des siebenten Planeten aus dem Einflußbereich seines Planeten ziehen. Die beiden Himmelskörper, deren Bewegungen wir verändern, werden so miteinander zusammenstoßen, daß der sich daraus ergebende Himmelskörper mit dem Planeten unserer Feinde direkt kollidiert, und zwar lange vor der nächsten Konjunktion. Die beiden zusammengesetzten Gebilde werden in der Masse dem anderen fast gleich sein und entgegengerichtete und annähernd gleich große Geschwindigkeiten haben; die sich aus der Kollision ergebende geschmolzene oder gasförmige Masse wird
praktisch ohne Eigengeschwindigkeit sein und deshalb direkt in die vierzehnte Sonne fallen.« »Wäre es nicht einfacher, den Planeten mit einer explosiven Kupferbombe zu vernichten?« »Leichter ja, aber auch weitaus gefährlicher für das übrige Sonnensystem. Wir können die Auswirkungen der von uns geplanten Kollisionen nicht genau berechnen – aber es ist ziemlich sicher, daß eine Explosion, die alles Leben auf dem Planeten vernichten könnte, seine Eigenbewegung soweit zu verändern vermag, daß das gesamte System in Gefahr gerät. Die Methode, die wir im Sinne haben, führt dazu, daß der Planet und ein Mond sozusagen unauffällig verschwinden – die anderen Planeten derselben Sonne werden sich bald auf die neuen Verhältnisse einstellen, und das System im Ganzen wird praktisch nicht beeinflußt – das glauben wir jedenfalls.« Seaton kniff die Augen zusammen, als er an die erforderlichen Mengen ›X‹ und Kupfer dachte und an die technischen Probleme des Projekts; Crane dachte zuerst an die mathematischen Berechnungen, die ein Projekt dieser Größenordnung auslöste; Dorothy dagegen reagierte zunächst mit Entsetzen. »Das kann er doch nicht tun, Dick! Er darf nicht so handeln! Das ist ja undenkbar – einfach zu schrecklich!« Ihre violetten Augen blitzten. »Ein entsetzlicher Gedanke, Martin«, sagte Margaret. »Stell dir die Vernichtung eines ganzen Planeten vor – mit allen Bewohnern! Mir läuft es kalt den Rükken runter, wenn ich daran denke!« Wütend sprang Dunark auf. Doch ehe er etwas sagen konnte, brachte ihn Seaton zum Schweigen: »Bitte sag kein Wort, Dunark! Beruhige dich! Sage
nichts, was dir hinterher leid tun könnte. Ich will's ihnen sagen. Hört mal zu, ihr beiden – ihr seid etwas vorschnell und liegt nicht ganz richtig. Was meint ihr denn, womit es Dunark zu tun hat? Es geht hier um eine Art Krieg, wie sie bei uns völlig unbekannt ist. Es geht nicht um die Frage, ob ein Volk vernichtet werden soll oder nicht – sondern allein darum, welches Volk den Tod findet. Eins von beiden geht nämlich auf jeden Fall unter. Denkt daran, diese Leute betreiben das Kriegshandwerk sehr gründlich – und sie kennen nichts, was sich auch nur im entferntesten mit unserer Vorstellung von Barmherzigkeit vergleichen ließe – auf beiden Seiten nicht. Wenn Dunarks Pläne in die Tat umgesetzt werden, stirbt die gegnerische Nation. Das ist natürlich schrecklich. Aber wenn wir ihm andererseits das Salz und ›X‹ vorenthalten, wird die gesamte kondalische Nation ebenso gründlich vernichtet; kein Mann, Frau oder Kind entginge diesem Schicksal. Welche Nation möchtet ihr gerettet sehen? Überlegt euch das mal, Dot, und zieht keine voreiligen Schlüsse.« Entsetzt öffnete und schloß Dorothy den Mund, ehe sie die Stimme wiederfand. »Aber Dick, das können sie doch nicht tun. Würden sie denn alle umbringen, Dick? Das geht doch nicht ...« »Und ob, sie müßten es tun – in jenem Teil der Galaxis gehört das unabdingbar zur Strategie. Dunark hat uns gerade vorhin berichtet, daß der Gegner die Mardonalier völlig ausgerottet hat – in vierzig Stunden! Kondal würde das gleiche Schicksal blühen. Mach du dir nichts vor, Schatz. Der Krieg da oben ist das nackte Grauen, das kannst du mir glauben – die Hälfte meines Gehirns hat dreißig Jahre osnomischer
Kriege hinter sich, und ich weiß, wovon ich spreche. Wir wollen abstimmen. Ich bin für Osnome. Und du, Mart?« »Osnome.« »Dottie? Peggy?« Beide Frauen schwiegen, dann wandte sich Dorothy an Margaret. »Sag du's ihm, Peggy – wir sind beide der gleichen Meinung.« »Dick, du weißt, daß wir den Kondaliern die Vernichtung nicht wünschen – aber die Alternative ist so ... na ja, so absolut schrecklich – gibt es denn keinen anderen Ausweg?« »Ich fürchte nein – aber wenn es eine Lösung gibt, will ich sie zu finden versuchen. Die Ja-Stimmen überwiegen, Dunark, wir fliegen zu dem ›X‹-Planeten und verschaffen euch das Metall.« Dunark ergriff Seatons Hand. »Vielen Dank, Dick«, sagte er schlicht. »Doch ehe ihr mir weiterhelft und damit ich nicht gewissermaßen unter falscher Flagge segle, möchte ich euch noch etwas sagen. Obwohl du der Träger der sieben Scheiben und ein osnomischer Oberherr und mein Geistesbruder bist – wenn deine Entscheidung gegen mich ausgefallen wäre, hätte mich nur mein Tod von dem Salz und dem ›X‹Kompaß abhalten können.« »Aber natürlich«, sagte Seaton überrascht. »Warum auch nicht? Das würde jeder so machen – belaste dich nicht damit.« »Wie steht es mit eurem Platinvorrat?« »Wir sind sehr knapp. Wir waren ohnehin drauf und dran, einen Sprung hinüber zu machen und uns neues zu holen. Ich brauche auch ein paar eurer Fachbücher über die Elektrizität und so weiter. Wie ich sehe, habt ihr eine Platinladung mitgebracht.«
»Ja, ein paar hundert Tonnen. Wir haben auch eine Auswahl von Büchern an Bord, für die du dich sicher interessierst, dazu eine Kiste mit Radium, etliche kleine Beutel mit Edelsteinen und verschiedene Tuche, von denen Sitar meinte, daß eure Karfediro sich dafür interessieren würden. Während unseres Besuches würde ich gern Bücher über Chemie und einige andere Gebiete erwerben.« »Wir bringen euch in die Kongreßbibliothek, wenn ihr wollt und geben euch jede denkbare Unterstützung. Also, Leute, an die Arbeit! Was zuerst, Mart?« »Am besten fliegen wir zur Erde zurück, lassen das Platin ausladen und nehmen Salz, Bücher und die anderen benötigten Vorräte an Bord. Dann sollten beide Schiffe zum ›X‹-Planeten fliegen, da wir für künftige Verwendung beide Kompasse darauf richten müssen. Während der Ladezeit möchte ich gern mit dem Umbau unserer Instrumente beginnen, um sie dieser Anlage anzupassen – wenn Dunark einverstanden ist. Die Instrumente hier sind die reinsten Wunder, Dick – sie übertreffen alles, was ich je gesehen habe. Komm und schau sie dir an, wenn du mal etwas wirklich Schönes sehen willst.« »Komme gleich. Vorher noch etwas anderes, Mart, wir dürfen nicht vergessen, auch in diesem Schiff ein Energiezonengerät zu installieren. Obwohl wir das Ding nicht vernünftig einsetzen können, wäre es für die Verteidigung das Ei des Kolumbus. Natürlich können wir selbst durch die Energiewand nicht angreifen, aber wenn wir doch mal irgendwo in die Enge getrieben werden, brauchten wir uns nur darin einzuhüllen – und niemand käme an uns heran.« »Das ist die zweite gute Idee, die du gehabt hast,
seit wir uns kennen, Dicky«, sagte Dorothy lächelnd. »Martin, meinst du, man könnte ihn frei herumlaufen lassen?« »Eine vorzügliche Idee. Mag sein, daß wir die Zone wirklich mal brauchen. Selbst wenn wir keine andere Verwendung dafür finden – diese Möglichkeit rechtfertigt den Einbau.« »Ja, das gefällt dir – und auch ich entwickle mich langsam zum Sicherheitsfanatiker, seit wir im Feuer des Gegners gestanden haben. Was war mit den Instrumenten?« Die drei Männer scharten sich um die Kontrollkonsole, und Dunark erklärte die Veränderungen, die er vorgenommen hatte. Seaton und Crane erkannten bald, daß sie hier ein Muster vollkommener Kontrollinstrumente vor sich hatten, ein System, das nur die Wunderknaben der Instrumentenkunde, die Osnomer, hatten bauen können. Die neuen Objektkompasse waren nach der Einstellung in Arenakgehäusen untergebracht worden, die man sodann im höchsten Grade luftfrei gemacht hatte. Die Oszillation wurde durch einen sorgfältig eingestellten elektrischen Impuls bewirkt – und nicht mehr durch die grobe Fingerkontrolle, die Seaton bisher ausgeübt hatte. Die aus Arenak und osnomischen Edelsteinen bestehenden Lager waren stark wie die Achse eines Lastkraftwagens und arbeiteten fast reibungsfrei. »Selbst mir gefällt die Arbeit«, sagte Dunark. »Ohne Ladung rotieren die Nadeln aufgrund des Primärimpulses gut tausend Stunden lang – was sie beim alten Typ nur wenige Minuten lang getan haben; und bei Ladung sind sie viele tausendmal so empfindlich.« »Du bist ein wahrer Blitzstrahl und Donnerschlag,
mein Junge!« rief Seaton begeistert. »Dieser Kompaß ist meinem Modell so weit überlegen wie die Skylark dem ersten Flugzeug der Gebrüder Wright!« Die anderen Instrumente waren nicht weniger hervorragend. Dunark hatte das Perkins-Telefonsystem übernommen, doch fast bis zur Unkenntlichkeit verbessert, wodurch eine nahezu unbegrenzte Reichweite erlangt wurde. Selbst die Waffen – schwere Maschinenwaffen auf Drehlagern in den Wänden – wurden über Fernsteuerung von der Kontrolltafel aus gezielt und abgefeuert. Dunark hatte weiterhin vollautomatische Steuerkontrollen gebaut – dazu automatische Instrumente, die Beschleunigung, Geschwindigkeit, Entfernungen und Flugwinkel maßen und aufzeichneten. Er hatte ein System der Periskopbeobachtung vervollkommnet, das den Piloten in die Lage versetzte, die gesamte Außenfläche seines Schiffes zu überblicken und störungsfrei jeden Punkt des Himmels anzuvisieren. »Ja, das Ding gefällt mir, mein Lieber«, sagte Seaton, als er sich setzte und eine große konkave Scheibe herumschwenkte und an Hebeln und Drehknöpfen herumspielte. »Das kann man kein Periskop mehr nennen. Wenn du in diesen Schirm schaust, ist das fast ein Blick durchs Fenster, denn da wird mehr als das normale Blickfeld gezeigt – ich dachte im ersten Moment, ich würde hinausfallen. Wie nennst du diese Dinger, Dunark?« »Kraloto. Auf englisch hieße das ... Sichtplatte oder wörtlich übersetzt, Visischirm!« »Ein gutes Wort – das übernehmen wir. Martin, schau dir das mal an, wenn du vollkommene Linsen und Prismen sehen willst.«
Crane schaute auf den Visischirm und hielt den Atem an. Das Raumschiff war verschwunden – er schaute direkt auf die Erde unter sich! »Keine Spur einer chromatischen, sphärischen oder astigmatischen Abweichung!« sagte er überrascht. »Das Brechungssystem ist unsichtbar – und es kommt einem vor, als stünde nichts zwischen dem Auge und dem Objekt. Du hast all dies seit unserem Abflug von Osnome geschafft, Dunark? Dann bist du ein erstklassiger Techniker! Ich könnte so etwas in der Zeit nicht einmal nachbauen – geschweige denn erfinden!« »Ich habe natürlich nicht allein gearbeitet. Die Gilde der Instrumentenbauer, der ich als einfaches Mitglied angehöre, hat über hundert Systeme installiert und getestet. Die Anlage hier vereinigt die guten Elemente aller vorgeschlagenen Systeme. Und ihr braucht auch nichts nachzubauen. Ich habe ein komplettes Doppel für die Skylark mitgebracht, ebenso etwa ein Dutzend Kompasse. Ich dachte mir, daß ihr vielleicht nicht auf diese speziellen Verbesserungen gekommen wärt, da ihr Erdbewohner im Instrumentenbau nicht so versiert seid wie wir.« »Das war sehr rücksichtsvoll von dir, Dunark, und wir sind dir sehr dankbar.« »Hör mal, Dick!« rief Dorothy. »Da wir gleich landen wollen – was soll aus Sitar werden?« »Wenn sie sich hinlegt und überhaupt nichts tut, und wenn sie im Schiff bleibt, wo es warm ist, wird sie die kurze Zeit schon überstehen«, antwortete Dunark für seine Frau. »Ich werde euch natürlich helfen – aber ich weiß nicht, wie lange ich durchhalte.« »Im Liegen ist es gar nicht so schlimm«, sagte Sitar.
»Eure Erde gefällt mir zwar überhaupt nicht, aber kurze Zeit halte ich schon durch. Und überhaupt, ich muß es ja hinter mich bringen – warum sich also Sorgen darüber machen?« »So ist's recht, Mädchen!« sagte Seaton. »Und was dich angeht, Dunark, du wirst dasselbe tun wie Sitar – du wirst dich hinlegen. Wenn du dich zuviel bei uns herumtreibst, wird dir von der Schwerkraft noch dein ganzes Innenleben durcheinandergebracht – also bleibst du ebenfalls in der Koje. Wir haben genügend Männer in der Fabrik, um die Arbeiten in drei Stunden zu schaffen. Während des Ent- und Beladens installieren wir das Zonengerät, richten einen Kompaß auf euch, bauen einen von euren Kompassen bei uns ein – und dann kannst du wieder ins All hinauffliegen, wo es gemütlicher für euch ist. Sobald wir dann die Skylark reisefertig haben, kommen wir zu euch hoch und fliegen los. Alles klar? Gib Gas, Mart – wir landen!«
KAPITEL 3 »Hör mal, Martin – als Dunark eben abflog, fiel mir ein, daß ich ja als Instrumentenbauer genauso gut bin wie Dunark – wir sind ja geistig identisch –, und da kommt mir gleich so eine Ahnung. Weißt du, die Nadel, die auf DuQuesne gerichtet ist, hat sich seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr gerührt. Ich glaube nicht, daß das Gerät defekt ist. Ich meine vielmehr, er ist irgendwohin verschwunden, wo wir ihn nicht mehr erreichen können. Ich werde das Gerät in ein Vakuumgehäuse einbauen, mit neuen Lagern versehen und feststellen, wo er steckt.« »Eine ausgezeichnete Idee. Offenbar machst du dir auch Sorgen wegen des Mannes ...« »Sorgen! Der Kerl liegt mir auf der Seele! Ich habe solche Angst, daß er irgendwie an Dottie herankommt, daß ich im Geiste an den Fingernägeln knabbere. Er plant etwas, darauf kannst du dein letztes Hemd wetten – und mich ärgert besonders, daß er es auf die Mädchen abgesehen hat, und nicht auf uns oder die Produktionsanlagen.« »Ich würde eher sagen, daß jemand auf dich scharf ist – nach der Zahl der Kugeln zu urteilen, die dein Arenakpanzer in letzter Zeit abgewehrt hat. Ich würde dir ja gern etwas von der Mühe abnehmen, aber die Gegenseite konzentriert alle Angriffe auf dich.« »Ja – ich kann das Gelände nicht verlassen, ohne daß ich von irgendwo beschossen werde. Komische Sache – du bist doch wichtiger für das Energiewerk als ich.« »Du müßtest den Grund doch wissen! Vor mir ha-
ben die Leute keine Angst. Mein Geist ist zwar willig, aber es war dein Können und deine Schnelligkeit mit der Pistole, die bisher vier Entführungsversuche vereitelt haben. Es ist wirklich unheimlich, wie schnell du in Aktion treten kannst. Obwohl ich soviel geübt hatte, war meine Pistole gestern erst aus dem Halfter, als schon alles vorbei war. Dabei hatten wir außer Prescotts Wächtern vier Polizisten bei uns, die uns wegen der vielen Gangster, die du schon abwehren mußtest, ›bewachen‹ sollten.« »Mit Üben ist da nicht viel zu machen, Martin – so etwas muß angeboren sein. Ich bin schon immer ziemlich schnell gewesen und reagiere rein automatisch. Du überlegst zuerst noch, und deshalb bist du so langsam. Die Polizisten aber waren komisch – die wußten gar nicht, was los war, bis alles vorbei war. Eine hektische Sache, aber eins kann ich der Welt versichern – wir machen uns keine Sorgen. Von den Gangstern, die man auf uns gehetzt hat, überleben nur wenige – ich möchte mal wissen, was diese Leute denken, wenn sie auf uns schießen und wir uns als unverwundbar erweisen. Trotzdem wird es mir langsam zuviel, Mart. Mir gefällt die ganze Situation nicht. Es behagt mir nicht, daß wir die ganze Zeit einen Panzer tragen müssen. Es gefällt mir nicht, daß wir ständig bewacht werden. Mir ist dieses Töten zuwider und die ständige Gefahr, Dorothy zu verlieren, wenn ich sie mal fünf Sekunden aus den Augen lasse – das ist auf die Dauer einfach zuviel. Und ich will dir die Wahrheit sagen – ich habe große Angst, daß sich die Burschen eines Tages mal etwas einfallen lassen, das wirklich funktioniert. Ich werde mich erst wieder sicher fühlen, wenn wir
alle an Bord der Skylark sind und eine große Entfernung zwischen uns und die Erde gelegt haben. Ich bin froh, daß wir abfliegen, und will auch erst zurückkommen, wenn ich weiß, wo DuQuesne steckt. Auf ihn habe ich es abgesehen, und wenn ich ihn habe, kommt er mir nicht wieder los – ich verstreue seine Atome auf der ganzen Welt! Es war mir ernst, als ich ihm das androhte!« »Das weiß er. Er erkennt durchaus, daß es zwischen euch um Leben und Tod geht, und er ist wirklich gefährlich. Als er die World Steel Corporation übernahm und den Krieg gegen uns eröffnete, wußte er, was er tat. Für ihn gibt es nur das ›X‹-Monopol – oder gar nichts; und er weiß nur einen Weg, sich dieses Monopol zu sichern. Und wir beide wissen, daß er keinen von uns am Leben ließe, auch wenn wir uns ihm ergeben würden.« »Genau! Der Kerl soll noch merken, daß er da einen zu großen Bissen in den Mund genommen hat! Aber wie wär's, wenn wir jetzt einen Zahn zulegen? Dunark soll nicht zu lange warten müssen.« »Außer dem Einbau der neuen Instrumente ist nicht mehr viel zu tun; und damit sind wir fast fertig. Wir können das Vakuum des Kompasses unterwegs herstellen. Du hast ja bereits alle Offensiv- oder Defensivwaffen installiert, die auf der Erde und Osnome bekannt sind – einschließlich der Generatoren und Schutzschirme, die dir während der Schlacht über Kondal so gefehlt haben.« »Ja, wir haben den Kahn so mit Plunder vollgepackt, daß kaum noch Platz ist für Quartiere. Du willst doch hoffentlich außer Shiro niemanden mitnehmen?«
»Nein. Eigentlich brauchen wir ihn auch nicht, aber er möchte so gern mit und kann sich unterwegs nützlich machen.« »Allerdings. Von uns hat ja doch keiner Spaß am Saubermachen oder Geschirrspülen – außerdem ist er unser Starkoch und ein vorzüglicher Wirtschafter.« Der Einbau der neuen Instrumente war bald abgeschlossen, und während Dorothy und Margaret die letzten Vorbereitungen für den Abflug trafen, riefen die Männer eine Sitzung der Direktoren und Abteilungsleiter der Seaton-Crane-Company ein. Die Firmenverantwortlichen berichteten kurz. Die Einheiten 1 und 2 des riesigen neuen Energiewerks waren bereits i n B etrieb, Nummer 3 war fast zum Einsatz bereit, Nummer 4 ging der Vollendung entgegen, Nummer 5 war in Bau. Das Forschungslabor hielt mit seinen Problemen Schritt. Die Schwierigkeiten waren geringer als angenommen. Finanziell war die Firma eine Goldmine. Ohne Aufwendungen für Boiler und Verbrennungsrohstoffe und bei geringen Arbeitskosten wurde Energie zu einem Sechstel des durchschnittlichen Preises abgegeben, und die Gewinne reichten fast für die neuen Investitionen aus. Bei Fertigstellung der fünften Anlage sollten die Abgabepreise noch weiter gesenkt werden. »Kurz, es läuft alles bestens, Paps«, wandte sich Seaton an Mr. Vaneman, nachdem die anderen gegangen waren. »Ja. Du hast die besten Männer engagiert, sie gut bezahlt und ihnen Weisungsbefugnis und Verantwortung gegeben – und das hat sich ausgezeichnet bewährt. Ich habe noch kein Unternehmen dieser Größe so einwandfrei und harmonisch arbeiten sehen.« »So haben wir's uns ja auch vorgestellt. Die Direk-
toren wurden speziell ausgesucht; du hast dasselbe in der mittleren Verwaltung getan, und alle arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Jeder weiß, daß er für seinen Bereich voll und ganz zuständig ist – und spurt entsprechend.« »Gut, Dick, im Werk mag ja alles bestens stehen – aber wann ist es mit der anderen Sache soweit?« »Wir haben uns bisher durchgesetzt, aber ich fürchte, es kommt bald zur nächsten Runde. Deshalb will ich Dot ja auch eine Weile von hier fortbringen. Du weißt, was die Gegenseite vorhat.« »Nur zu gut«, sagte der ältere Mann mit besorgter Miene. »Dottie oder Mrs. Crane oder beide. Dorothys Mutter – die beiden verabschieden sich gerade – und ich sind auch der Meinung, daß die Gefahr hier größer ist als im Weltall.« »Gefahr im Weltall? So wie die Skylark jetzt ausgestattet ist, lebt Dot bei uns viel sicherer als du im Bett. Dir könnte das Haus doch über dem Kopf zusammenstürzen.« »Wahrscheinlich hast du recht, mein Sohn – ich kenne dich, und ich kenne Martin Crane. Ihr beide und die Skylark – ihr seid unschlagbar!« »Alles fertig, Dick?« fragte Dorothy, die ins Zimmer trat. »Alles fertig. Du weißt Bescheid wegen Prescot und so weiter? Vielleicht sind wir in etwa sechs Monaten zurück, vielleicht auch erst in einem Jahr, wenn wir etwas Interessantes finden. Du brauchst dir erst Sorgen zu machen, wenn wir nach ... sagen wir, drei Jahren nicht wieder da sind. Wir wollen uns Mühe geben, spätestens dann zurück zu sein.« Man verabschiedete sich, die Gruppe ging an Bord,
und die Skylark II schoß in den Himmel. »Dunark!« rief Seaton über Funk. »Wir kommen jetzt, Kurs direkt auf ›X‹ ... Nein, ihr bleibt am besten ein Stück seitlich von uns, wenn wir in Fahrt kommen. Ja, ich beschleunige acht Komma Null-null-null ... Ja, ich rufe dann und wann, solange wir noch Radiowellen verwenden können, zu euch hinüber, um den Kurs mit euch abzustimmen. Danach haltet ihr euch an den letzten Kurs, dann Kehrtwendung in der berechneten Entfernung, und wenn wir wieder ziemlich abgebremst haben, suchen wir uns mit den Kompassen und machen die Annäherung gemeinsam. Ja ... richtig ... In Ordnung! Bis dann!« Damit die beiden Raumfahrzeuge in vertretbarer Entfernung voneinander blieben, war man übereingekommen, jedes Schiff mit genau acht Metern in der Sekunde zu beschleunigen, positiv wie negativ. Diese Zahl stellte einen Kompromiß zwischen den Schwerkraftverhältnissen der Welten da, auf denen die beiden Gruppen lebten. Der Wert war zwar erheblich kleiner als die Schwerkraftbeschleunigung auf der Erdoberfläche, so daß sich die Erdbewohner leicht anpassen konnten, während der Druck nicht so wesentlich größer war als auf Osnome, daß die Grünhäutigen in ihrer Bewegungsfreiheit ernsthaft eingeschränkt wurden. Als die Skylark den Einflußbereich der Erde verlassen hatte, überzeugte sich Seaton, daß alles gut funktionierte, richtete sich zu voller Größe auf, schwenkte die Hände über dem Kopf und seufzte erleichtert. »Leute!« erklärte er. »Jetzt fühle ich mich zum erstenmal seit langer Zeit pudelwohl!« Er reckte sich wohlig und stieß ein lautes Freudengeheul aus.
Dorothy lachte fröhlich. »Das sieht dir ähnlich!« »Es ist wirklich eine Erleichterung, seine Sorgen zurückzulassen«, meinte Margaret. »Dick muß sich manchmal Luft machen«, bemerkte Crane. »Nur er kann seine Gefühle so lebhaft ausdrücken. Doch wir haben längst Schlafenszeit und müssen unsere Mannschaft organisieren. Machen wir's wie das letzte Mal?« »Nein, das ist nicht nötig. Die Maschinen laufen automatisch. Die Energieschiene wird vom Lenkkompaß ausgerichtet, und sobald sich eins der Instrumente abnormal benimmt, schrillt ein Alarmzeichen. Vergeßt nicht, daß jeder Faktor unseres Fluges von mindestens einem Gerät überprüft wird. Mit diesem Kontrollsystem geraten wir nicht in eine solche Lage wie beim letztenmal.« »Du meinst doch nicht etwa, daß wir die ganze Nacht fliegen sollten, ohne daß jemand an den Kontrollen sitzt?« »Aber ja! Wir brauchen niemanden, der an der Konsole übernachtet – ob nun wachend oder schlafend, niemand braucht dichter bei den Kontrollen zu sein als in Hörweite der Alarmklingel, falls sie läutet – und die hört man im ganzen Schiff. Außerdem verwette ich meinen Hut, daß wir mindestens eine Woche lang keinen Ton hören. Doch als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme habe ich noch eine Leitung legen lassen, so daß bei jedem Alarm über euren Betten ein Summer ertönt; also nehme ich automatisch die Nachtschicht. Denk dran, Mart, diese Instrumente sind viele tausendmal so empfindlich wie die menschlichen Sinne – sie erkennen ein Problem lange vor uns, wenn wir noch verständnislos drauf starren.«
»Natürlich verstehst du deine Instrumente im Augenblick noch besser. Wenn du dich darauf verläßt, will ich das gern auch tun. Gute Nacht.« Seaton setzte sich, und Dorothy kuschelte sich an ihn. »Bist du schläfrig, mein Schatz?« »Himmel nein! Ich könnte jetzt nicht schlafen – du etwa?« »Nein. Was soll's?« Er drückte sie an sich. Für die Passagiere schien das Raumschiff stillzustehen – doch in Wirklichkeit raste es mit ständig zunehmender Geschwindigkeit durch das All. Nicht das geringste Geräusch war zu hören, keine Vibration war zu spüren – nur der seltsame violette Schimmer, der den blanken Kupferzylinder in seinen massiven Universallagern umhüllte, gab einen Hinweis auf die vielen tausend Kilowatt, die in dieser gewaltigen Atomenergieanlage erzeugt wurden. Seaton betrachtete nachdenklich die Maschine. »Weißt du, Dottie, wenn die violette Aura der Kupferschiene ein wenig anders gefärbt wäre, hätte sie die Farbe deiner Augen und deines Haars.« »Was für ein Vergleich!« Dorothy lachte leise. »Du sagst manchmal die verrücktesten Sachen! Und vielleicht hast du sogar recht – und wenn der Mond aus anderem Material bestände und eine andere Farbe hätte – wäre er vielleicht ein Stück Käse! Wollen wir uns mal die Sterne ansehen?« »Hiergeblieben!« befahl er energisch. »Beweg dich keinen Millimeter – du bleibst, wo du bist. Ich hole dir alle Sterne, die du willst, und bringe sie hier ins Schiff. Welches Sternbild möchtest du haben? Ich besorge dir sogar das Kreuz des Südens – das bekommen wir in Washington nie zu sehen.«
»Nein, ich möchte etwas Vertrautes; die Plejaden oder den Großen Bären – nein, hol mir den Großen Hund, ›wo Sirius, hellstes Juwel im Diadem des Firmaments, Hof hält‹«, zitierte sie. »Na bitte! Du hast sicher angenommen, ich hätte deine Astronomielektionen vergessen, was? Ob du das Sternbild findest?« »Sicher, Deklination etwa minus zwanzig, wenn ich mich recht erinnere, und Rektaszension zwischen sechs und sieben Stunden. Wollen mal sehen – wo wäre das, von unserem Kurs aus gesehen?« Er überlegte einen Augenblick, bewegte mehrere Hebel und Kontrollen, schaltete das Licht aus und ließ den ersten Visischirm unmittelbar vor ihre Augen schwingen. »Oh ... Oh ... das ist ja wundervoll, Dick!« rief sie. »Überwältigend! Es scheint fast, als wären wir da draußen im All, und nicht hier im Schiff!« Obwohl beide schon im offenen Weltraum gewesen waren, bot die Leere doch immer wieder ein Schauspiel, das auch den erfahrensten Beobachter nicht kalt läßt; kein Mensch zuvor hatte die Wunder des Alls von einem solchen Aussichtspunkt aus genießen können. Die beiden schwiegen voller Ehrfurcht; während sie in die unendliche Tiefe der interstellaren Leere hinausblickten. In der Dunkelheit der irdischen Nacht flimmern zahlreiche Lichtstrahlen, die durch die Atmosphäre gebrochen werden; die Sterne blinken und zucken, und ihr Licht wird durch die Luft diffus gemacht. Doch wie anders war das hier! Seaton und seine Frau sahen eine absolute Schwärze, einen Hintergrund ohne jedes Licht, und in dieser unbeschreiblichen Schwärze ruhte die fast unerträgliche Helligkeit riesiger Sonnen, die zu dimensionslosen
mathematischen Punkten zusammengezogen waren. Sirius schimmerte in blauweißer Pracht und beherrschte die kleineren Sterne seiner Konstellation, ein winziger, aber sehr heller Diamant auf einer schwarzen Samtfläche – sein Glanz wurde durch keine Verzerrung, durch kein Flimmern entstellt. Als Seaton langsam das Blickfeld veränderte und die Optik des Geräts über den Himmelsäquator und die Ekliptik wandern ließ, kamen sie bald zum gewaltigen Rigel, dann der Gürtel des Jägers, angeführt vom hellweißen Delta-Orionis, dann die rote Beteigeuze, der gestaffelte Aldebaran, Freund der Seeleute, und die astronomisch konstanten Plejaden. Seaton drückte Dorothy an sich, zog sie herum und küßte sie. »Ist das nicht herrlich, mein Schatz«, murmelte sie, »hier draußen im All zu sein, weit weg von unseren Sorgen? Wundervoll ist das und ... ich bin sehr glücklich, Dick.« »Ich auch, Liebling. Ich will gar nicht erst versuchen, Worte zu finden ...« »Bei jedem Schuß auf dich wäre ich fast gestorben.« Dorothys Gedanken kehrten zu den überstandenen Abenteuern zurück. »Wenn nun dein Panzer nicht gehalten hätte, wenn er gebrochen wäre? Ich hätte nicht weiterleben wollen! Ich hätte mich einfach hingelegt und wäre gestorben.« »Ich bin froh, daß das Arenak gehalten hat – und doppelt froh, daß unsere Feinde dich nicht entführt haben ...« Sein Gesicht wurde starr, und seine Augen bekamen einen eisigen Schimmer. »Blackie DuQuesne muß sich auf einiges gefaßt machen. Bis jetzt habe ich meine Schulden immer bezahlt – und eines Tages
rechne ich mit ihm ab, bis auf den letzten Pfennig! Nun haben wir aber ziemlich schnell das Thema gewechselt«, fuhr er leise fort. »Aber das müssen wir nun mal in Kauf nehmen. Schließlich sind wir nur Menschen – wenn wir ständig im Hochgefühl lebten, hätte man schließlich gar keinen Spaß mehr daran. Und obwohl wir nun schon so lange verheiratet sind, machen mir unsere schönen Momente immer wieder große Freude!« »Bis jetzt!« Dorothy kicherte. »Natürlich – wir beide sind ja auch einzigartig. Ich weiß, daß das jeder von sich denkt – aber bei uns trifft das wirklich zu, und wir wissen es. Auch weiß ich, daß dich der Gedanke an DuQuesne immer wieder bedrückt. Jetzt wäre sicher ein guter Augenblick, mir mal zu erzählen, was dich so beschäftigt ...« »Nicht viel ...« »Komm schon, du kannst deinem Rotschopf alles anvertrauen!« »Laß mich ausreden, Frau! Ich wollte dir's ja sagen. Im Grunde ist es nur eine Ahnung, aber ich glaube, DuQuesne lauert da irgendwo im All – und wenn das zutrifft, werde ich hinter ihm herjagen, mit allem, was wir haben.« »Der Objektkompaß?« »Ja. Immerhin habe ich das Ding selbst gebaut und weiß sehr wohl, daß es nicht kaputt ist. Es ist noch immer auf ihn eingestellt, zeigt aber nichts an. Also muß er zu weit entfernt sein – und bei seiner Masse könnte ich ihn bis auf eine Entfernung von anderthalb Lichtjahren mühelos orten. Wenn er sich so weit von zu Haus entfernt, was ist dann logischerweise sein Ziel? Da kommt nur Osnome in Frage, der einzi-
ge Ort, an dem wir längere Zeit gewesen sind – der einzige Ort, an dem er etwas hätte erfahren können. Er hat dort etwas erfahren oder etwas für ihn Nützliches gefunden, genau wie wir. Das steht ziemlich fest, weil er nicht zu den Männern gehört, die einfach ziellos herumfliegen. Aber der Kompaß ist ihm bald wieder auf der Spur und wird ihn früh genug ausmachen!« »Sobald du das neue Kompaßgehäuse bis auf den äußersten Wert leergepumpt hast? Soweit ich mich erinnere, sprach Dunark doch von fünfhundert Pumpstunden, um das gewünschte Vakuum zu erreichen, nicht wahr?« »Ja, er hat so lange gebraucht. Die Osnomer sind zwar in mancher Hinsicht Wunderknaben, aber in anderer Beziehung können sie noch lernen. Du mußt nämlich wissen, daß ich drei Pumpen hintereinandergeschaltet habe. Erstens eine Rodebush-MichalekSuperpumpe, dann eine normale Quecksilberdampfpumpe und schließlich zur Unterstützung noch eine motorgetriebene Censor-Hyvac-Ölpumpe. In weniger als fünfzig Stunden wird das Instrument luftleerer sein, als es Dunark bei seinen Kompassen geschafft hat. Und um die letzten Restspuren auszuräumen, will ich im Innern eine Häuerladung abbrennen. Danach wird die Atmosphäre im Gehäuse ziemlich dünn sein – darauf kannst du wetten!« »Das muß ich schon, da die meisten wissenschaftlichen Dinge über meinen Horizont gehen. Was meinst du, wollen wir die Skylark II jetzt mal allein fliegen lassen, während wir ein bißchen Kräfte tanken?«
KAPITEL 4 Als Seaton in den Kontrollraum kam, trug er einen kleinen länglichen Kasten in der Hand. Crane saß an der Konsole und beschäftigte sich mit einer komplizierten mathematischen Abhandlung in einem wissenschaftlichen Magazin. Margaret arbeitete an einer Stickerei. Dorothy saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Kissen und griff von Zeit zu Zeit in eine Schachtel mit Pralinen. »Also, das ist ja wirklich eine friedliche Szene – tut mir leid, daß ich euch stören muß. Ich habe gerade dieses Gehäuse versiegelt und ausgebrannt. Wollen mal sehen, ob sich ein Wert ergibt. Habt ihr Interesse?« Er stellte seinen Kompaß auf den ebenen Tisch, setzte seine Stoppuhr in Bewegung und drückte zur gleichen Zeit den Knopf, der dafür sorgte, daß eine winzige Ladung in die Nadel gegeben wurde. Augenblicklich begann die Nadel um ihre zwei Achsen zu kreisen, und viele Minuten lang ergab sich keine sichtbare Veränderung in ihrer Bewegung, weder auf den primären noch auf den sekundären Lagern. »Glaubst du, das Ding ist doch kaputt?« fragte Crane bedauernd. »Nein.« Seaton dachte nach. »Dieses Instrument war nicht dafür gedacht, über große Entfernungen auf so kleine Objekte wie einen Menschen anzusprechen. Ich habe also eine Million Ohm mit dem Impuls eingegeben. Das begrenzt die freie Rotation auf weniger als eine halbe Stunde und steigert die Empfindlichkeit bis zur äußersten Grenze. Na bitte, versucht sie nicht aufzuhören?«
»Ja, die Nadel beruhigt sich. Der Kompaß muß also immer noch auf ihn eingestellt sein.« Endlich kam die ultrasensitive Nadel zum Stillstand. Kaum stand sie ruhig, berechnete Seaton die Entfernung, las die Richtung ab und verglich die Ergebnisse mit der Position von Osnome. »Er ist auf Osnome, wie erwartet. Die Richtung stimmt, und die Entfernung weicht nur um wenige Lichtjahre ab – etwas anderes können wir bei einer so kleinen Zielmasse nicht erwarten. Na ja, das wär's dann. Mehr können wir nicht tun, bis wir am Ziel sind. Eins ist sicher, Martin – nach unserem Besuch auf ›X‹ fliegen wir nicht sofort wieder nach Hause.« »Nein – wir müssen uns darum kümmern.« »Nun, dann wäre ich ja in nächster Zeit arbeitslos. Was soll ich machen? Ich habe keine Lust zum Lernen wie du. Ich kann auch nicht sticken wie Peg. Und Pralinen mag ich nicht. Ach, da fällt mir etwas ein – ich baue eine Lernmaschine und bringe Shiro Englisch bei – sein Kauderwelsch reicht mir langsam. Was hältst du davon, Mart?« »Laß das lieber sein«, sagte Dorothy entschieden. »Shiro ist vollkommen, wie er ist. Und was für eine gräßliche Vorstellung, daß er dann vielleicht so redet wie du – oder kannst du ihm wenigstens die Schriftsprache beibringen?« »Autsch! Das war ein Schlag unter die Gürtellinie! Wie dem auch sei, Mrs. Seaton, ich bin durchaus in der Lage und bereit, meine übliche Sprechweise zu verteidigen. Sie wissen natürlich, daß das gesprochene Wort kurzlebig ist, während der Gedanke, dessen Nuancen erst einmal unauslöschlich im Druck formuliert sind, nicht mehr revidiert werden kann – sei-
ne Grobheit kann nicht mehr in eine feinere, angenehmere Form gebracht werden. Ich bin der Meinung, daß in Anbetracht dieser unvermeidlichen Umstände der geistige Aufwand, der in der Verwendung hübscher Wort- und Bedeutungsformen sowie in der sklavischen Anhänglichkeit an die präziseren Grammatikfachleute liegt, jenen vorbehalten sein sollte ...« Dorothy sprang auf und schleuderte ihr Kissen auf Seaton. »Los, irgend jemand muß ihn doch zum Schweigen bringen! Vielleicht solltest du das Ding doch lieber bauen, Dick.« »Ich glaube, Shiro hätte Spaß daran, Dick. Er gibt sich wirklich Mühe mit dem Lernen, und es ist sicher eine Plage für ihn, daß er ständig ein Wörterbuch braucht.« »Ich frage ihn mal. Shiro!« »Sie haben Ruf, Sir?« Shiro eilte aus der Kombüse herbei und verbeugte sich tief. »Ja. Hättest du Spaß daran, Englisch zu sprechen wie Crane ohne Unterricht?« Shiro lächelte zweifelnd. »Doch, das ist zu machen«, sagte Crane. »Dr. Seaton kann eine Maschine bauen, die dir alles auf einmal beibringt, wenn du möchtest.« »Ich möchte, Sir, enorm, ja, Sir. Ich studiere, plage Jahre, aber ehrenwertes Englisch ungewöhnlich Unterschied vom Nipponesisch – unmöglich. Wörterbuch nützlich, aber ...« Er tat, als blättere er Seiten um, »... sehr behinderbar. Wenn ehrenwerter Seaton vermag, werde sein äußerst ... bedankt.« Wieder verbeugte er sich, lächelte und ging. »Gut, machen wir. Alles Gute, Leute. Ich verschwinde in die Werkstatt.«
Tag um Tag zog die Skylark ihre Bahn durch die Leere des interstellaren Raums. Mit Ablauf jeder Sekunde flog sie genau acht Meter in der Sekunde schneller als zu Beginn dieser Sekunde, und im Laufe der Tage erreichte ihre Geschwindigkeit Größenordnungen, die unvorstellbar schienen, selbst wenn man sie in Tausenden von Kilometern in der Sekunde ausdrückte. Trotzdem kam es den Passagieren vor, als hinge das Schiff reglos im All – und der einzige Unterschied zu einem stehenden Fahrzeug auf der Erde lag in der Tatsache, daß alle Gegenstände in seinem Innern drei Sechzehntel ihres normalen Gewichts verloren hatten. Nur die Schnelligkeit, mit der die näher stehenden Sonnen und ihre Planeten zurückblieben, deutete auf die ungeheure Geschwindigkeit hin, mit der sie von der unvorstellbaren Energie der sich auflösenden Kupferschiene vorangetrieben wurden. Als das Raumschiff fast die Hälfte der Entfernung zum Planeten ›X‹ zurückgelegt hatte, wurde die Energieschiene umgedreht, um die Richtung ihrer Beschleunigung zu wechseln; die Kugel des Schiffs beschrieb eine Wendung von hundertundachtzig Grad um den starren Käfig, der die gewaltigen Gyroskope beherbergte. Noch immer scheinbar bewegungslos im All hängend, flog die Skylark nun in eine Richtung, die ›unten‹ lag, und mit einer Geschwindigkeit, die ständig um den Wert ihrer negativen Beschleunigung reduziert wurde. Wenige Tage nach der Drehung des Antriebs verkündete Seaton, daß der Lernapparat fertig sei, und brachte seine Konstruktion in den Kontrollraum. Äußerlich war das Gebilde einem großen Radioapparat nicht unähnlich, doch es war weitaus kompli-
zierter. Es hatte zahlreiche Röhren, Lampen und fotoelektrische Zellen wie auch etliche seltsam gebaute Spulen – dazu Dutzende von Anzeigeskalen und Knöpfen und verschiedene Kopfhauben. »Wie kann so ein Ding überhaupt funktionieren?« fragte Crane. »Ich weiß, daß es das tut, aber selbst als ich meine Lektion von Dunark schon weghatte, konnte ich es kaum glauben.« »Das Ding hat aber doch absolut keine Ähnlichkeit mit dem Gerät, das Dunark benutzt hat«, wandte sich Dorothy an ihren Mann. »Wie kommt das?« »Deine Frage zuerst, Dot. Vor uns steht ein verbessertes Modell, das ein paar eigene Erfindungen enthält. Wie das funktionieren soll, Mart? So seltsam ist das gar nicht, wenn man es mal begriffen hat – in dieser Hinsicht ähnelt es durchaus einem Radio. Das Gerät arbeitet in einem Frequenzbereich, der zwischen den längsten Licht- und Infrarotwellen und den kürzesten Radiowellen liegt. Dies hier ist der Generator für diese Wellen, zugleich ein leistungsfähiger Verstärker. Die Kopfhörer sind stereoskopische Transmitter, die ein dreidimensionales Bild empfangen oder ausstrahlen. Für diese Wellen ist die Materie fast ausschließlich durchsichtig; zum Beispiel Knochen, Haar und so weiter. Doch von Zerebrin, einem Zerebrosid, das der Denkstruktur des Gehirns eigen ist, werden sie abgelenkt. Dunark, der sich in der Chemie nicht genug auskannte, hatte keine Ahnung, warum das Lerngerät funktionierte oder wie es arbeitete – die Osnomer stellten durch Experimente fest, daß es funktionierte – etwa so, wie wir hinter das Geheimnis der Elektrizität gekommen sind. Das dreidimensionale Modell oder Bild oder wie immer ihr es nennen
wollt, wird in den Kopfhauben in Elektrizität umgewandelt, und die sich daraus ergebende modulierte Welle wandert in das Lerngerät. Dort wird der Impuls mit einer anderen Welle überlagert – diese zweite Frequenz wurde in vielen tausend Versuchen gefunden und entspricht vermutlich der genauen Frequenz der Sehnerven – und wird dann in die empfangene Haube übermittelt. Auf diese Weise moduliert, ruft die Welle in der empfangenden Kopfhaube ein dreidimensionales Bild hervor, das natürlich genau das wiedergibt, was ›gesehen‹ worden ist, wenn man die Größe und Art der in den Transfer verwikkelten Gehirne gebührend berücksichtigt hat. Erinnert ihr euch an eine Art Blitz, an das Gefühl, etwas gesehen zu haben, als der Lernapparat auf euch einwirkte? Nun, ihr habt tatsächlich etwas gesehen, als wäre es dem Gehirn durch den Sehnerv übermittelt worden, aber es kam alles auf einmal, so daß der Gesamteindruck verwirrend sein mußte. Das Ergebnis im Gehirn war jedoch klar und nachhaltig. Der einzige Nachteil liegt darin, daß ihr keine visuelle Erinnerung an die so ›gelernten‹ Dinge habt, und das erschwert manchmal die Anwendung des erworbenen Wissens. Ihr habt keine Ahnung, ob ihr über ein gewisses Thema Bescheid wißt, bevor ihr nicht aktiv in eurem Gehirn danach sucht.« »Ich verstehe«, sagte Crane. »Ich verstehe nur Bahnhof«, sagte Dorothy ungerührt. »Was sind denn das für Verbesserungen, die du im Apparat angebracht hast?« »Nun, ich hatte den großen Vorteil, zu wissen, daß der Vorgang über die Zerebrinsubstanz läuft, und mit dieser Erkenntnis konnte ich das Verfahren über
Dunarks ursprüngliches Modell hinaus weiterentwickeln. Ich kann die Gedanken eines anderen an einen Dritten übermitteln – oder auf einem Band speichern. Dunarks Maschine funktionierte nicht gegen den Willen des Betroffenen – wenn der Mann nicht bereit war, seine Gedanken freizugeben, kam man nicht weiter. Mein Gerät entnimmt die Gedanken notfalls mit Gewalt. Ja, wenn ich die Spannung des Verstärkers entsprechend erhöhe, könnte ich ein Gehirn sogar gewissermaßen ›ausbrennen‹. Ich habe gestern mit dem Apparat herumgespielt und einen Teil meiner Gedanken auf Magnetband übertragen – um alles dauerhaft aufzuzeichnen –, und dabei stellte ich fest, daß der Vorgang oberhalb gewisser Voltspannungen zu einer Tortur wird, neben der sich die Foltermethoden der Inquisition wie Spielerei ausmachen.« »Hat die Übertragung geklappt?« fragte Crane interessiert. »Klar. Drück mal Shiros Knopf – wir fangen gleich an.« Shiro eilte in den Kontrollraum. »Lege deinen Kopf vor diesen Schirm«, sagte Seaton. »Ich muß zuerst dein Gehirn messen.« Nachdem das erledigt war, stellte er verschiedene Instrumente ein. Schließlich befestigte er Elektroden bei sich am Kopf – ebenso wie bei Crane und Shiro. »Möchtest du Japanisch lernen, wo wir schon mal dabei sind? Ich habe es jedenfalls vor.« »Ja, bitte. Ich hab's versucht, während ich in Japan war, aber es war mir zu schwierig, und ich sagte mir, das lohnt den Zeitaufwand nicht.« Seaton legte einen Schalter um, drückte zwei Tasten, schaltete die Energie ein und sofort wieder aus.
»Fertig«, sagte er und rief Shiro einige kurze, bellende Worte zu, die mit einem fragenden Tonfall endeten. »Jawohl, Sir«, erwiderte der Japaner. »Sie sprechen Nipponesisch, als hätten Sie nie eine andere Sprache gesprochen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Sir, daß ich mein Wörterbuch jetzt nicht mehr brauche.« »Wie steht es mit euch beiden – wollt ihr auch mal schnell etwas dazulernen?« »O nein!« rief Dorothy nachdrücklich. »Diese Maschine ist mir zu unheimlich! Und wenn ich mehr wissenschaftliche Kenntnisse hätte, Dick, lägen wir uns nur dauernd in den Haaren!« »Ich glaube nicht, daß ich ...«, begann Margaret. Sie wurde von dem durchdringenden Schrillen einer Alarmklingel unterbrochen. »Das ist mal was Neues!« rief Seaton. »Den Alarm kennen wir noch nicht!« Überrascht stand er an den Kontrollen, an denen eine hellrote Lampe blitzte. »Himmel! Das ist ein rein osnomisches Kriegsgerät – eine Art Schlachtschifforter – und zeigt uns an, daß hier irgendwo ein paar unangenehme Überraschungen auf uns warten! Schnell, die Visischirme!« rief er und läutete nach Shiro. »Ich nehme Visischirm Eins – und Sektor Eins direkt vor uns. Mart, du nimmst Nummer Zwei, Dot Drei, Margaret Vier, Shiro Fünf! Paßt gut auf ...! Vor uns ist nichts. Seht ihr etwas?« Niemand vermochte etwas Ungewöhnliches auszumachen, doch das rote Licht blitzte weiter, und die Alarmklingel schwieg nicht. Seaton schaltete sie aus. »Wir sind fast am Ziel«, überlegte er laut. »Vielleicht noch anderthalb Millionen Kilometer, und wir
stehen fast still. Ob sich da jemand vor uns herumtreibt? Vielleicht hat Dunarks Schiff den Alarm ausgelöst. Ich rufe ihn mal an.« Er legte einen Schalter um und sagte nur ein Wort: »Dunark!« »Hier!« ertönte die Stimme des Kofedix aus dem Lautsprecher. »Sendet ihr?« »Nein – und ich wollte nur fragen, ob ihr das seid. Was hältst du davon?« »Bis jetzt noch nichts. Wollen wir enger aufschließen?« »Ja, kommt näher zu uns heran – wir rücken auf euch zu. Gegenbeschleunigung bleibt wie gehabt – wir werden bald stoppen. Was immer das ist, es muß direkt voraus liegen. Noch sehr weit entfernt, aber wir müssen uns einen Plan zurechtlegen. Auch dürfen wir nicht viel reden – man hört vielleicht unser Wellenband ab, so schmal es auch ist.« »Am besten stellen wir den Funkkontakt ganz ein. Wenn wir dicht genug beisammen sind, geben wir Lichtzeichen. Du weißt nicht, daß du unsere Signalsprache verstehst, aber denk mal genau nach, du mußt sie kennen. Richtet eure größten Suchscheinwerfer auf mich – ich strahle zurück.« Ein Klicken ertönte, als Dunark abrupt abschaltete. Seaton grinste und machte es ihm nach. »So ist's recht, Leute. Bei osnomischen Kämpfen haben wir uns immer durch Zeichen verständigt, wenn wir nichts verstehen konnten – was meistens der Fall war. Ich beherrsche die Signale so gut wie das Englische – das weiß ich jetzt wieder, nachdem er mich daran erinnert hat.« Seaton veränderte den Kurs, um die Entfernung zum osnomischen Raumschiff zu verringern. Nach
einiger Zeit machten die Beobachter einen winzigen Lichtpunkt aus, der sich vergleichsweise schnell vor den Sternen bewegte – der Suchscheinwerfer der Kondal. Bald lagen die beiden Fahrzeuge fast nebeneinander und bewegten sich in langsamer Fahrt. Seaton fuhr einen 150-cm-Parabolspiegel aus, den er auf eine Spule ausrichtete. Nach und nach begann das rote Alarmlicht immer hektischer zu flackern, doch es war noch immer nichts zu sehen. »Geh mal an den sechsten Visischirm, Martin. Der ist teleskopisch und entspricht einem 60-cmReflektor. Ich sage dir gleich, wohin du schauen mußt – dieser Reflektor erhöht die Intensität unseres regulären Orters.« Er studierte seine Skalen und verstellte verschiedene Rädchen. »Ausrichtung auf neunzehn Stunden, dreiundvierzig Minuten und zweihunderteinundsiebzig Grad. Das Objekt ist noch zu weit entfernt, um es genau zu erfassen, aber das bringt es wenigstens ins Blickfeld.« »Ist die Strahlung schädlich?« fragte Margaret. »Noch nicht – dazu ist sie zu schwach. Aber wir werden sie bald spüren, dann errichte ich einen Schirm dagegen. Bei entsprechender Stärke ist sie allerdings ziemlich gefährlich. Siehst du irgend etwas, Martin?« »Ja, aber sehr undeutlich. Jetzt kommt es schärfer ins Bild. Ja, ein Raumschiff – sieht wie eine Art Luftschiff aus.« »Siehst du es schon, Dunark?« signalisierte Seaton. »Eben in Sicht. Bereit zum Angriff?« »Nein. Ich reiße aus, und zwar schnell!« Dunark signalisierte wie wild, aber Seaton schüttelte immer wieder stur den Kopf.
»Gibt's Probleme?« wollte Crane wissen. »Ja, er will angreifen, aber ich habe keine Lust, mich mit einem solchen Schiff einzulassen – das ist glatt dreihundert Meter lang und stammt weder von der Erde noch von Osnome. Ich meine, daß wir ausrücken sollten, solange wir das noch können. Was meint ihr?« »Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Crane, und die beiden Frauen stimmten ebenfalls zu. Die Energieschiene wurde umgedreht, und die Skylark raste davon. Die Kondal folgte, wenn die Beobachter auch merkten, daß Dunark sehr aufgebracht war. Seaton schwang den sechsten Visischirm herum, schaute einmal hinein und aktivierte sein Funkgerät. »Gut, Dunark«, sagte er grimmig; »dein Wunsch wird doch noch erfüllt. Der Bursche setzt uns nach – mit mindestens der doppelten Beschleunigung, die wir mit voller Kraft erreichen könnten. Er hatte uns längst gesehen und auf uns gewartet.« »Los, flieg weiter, Dick, flieh, wenn du kannst. Ihr ertragt eine höhere Beschleunigung als wir. Wir halten ihn so lange wie möglich auf.« »Das würde ich tun, wenn es einen Sinn hätte – aber wir haben keine Chance. Das Schiff ist soviel schneller als wir, daß es uns auf jeden Fall einholt, wie groß unser Vorsprung auch sein mag – und es sieht ganz so aus, als hätte er es auf uns abgesehen. Zu zweit haben wir bessere Chancen – wenn er es wirklich auf eine Auseinandersetzung anlegt. Wir sollten noch ein wenig mehr auf Abstand gehen und so tun, als wäre das alles, was wir an Tempo herausholen können. Was knallen wir ihm zuerst vor den Bug?« »Alles auf einmal. Strahlen Sechs, Sieben, Acht,
Neun und Zehn ...« Crane und Seaton sorgten mit schnellen, präzisen Bewegungen für die nötigen Einstellungen. »Hitzewellen Zwei bis Sieben. Induktion Zwei-acht. Oszillation – alles unter Null Komma Null-sechs-drei. Alles, was wir an explosivem Kupfer losschlagen können. In Ordnung?« »In Ordnung – und wenn es zum Schlimmsten kommt, denkt an die Energiezone. Aber erst schießen, wenn er das Feuer eröffnet. Vielleicht hat er doch friedliche Absichten – aber das sieht mir nicht nach einem Olivenzweig aus.« »Eure beiden Schirme sind draußen?« »Ja. Martin, du könntest Visischirm Zwei übernehmen und die Kanonen bedienen – ich kümmere mich um die anderen Sachen. Schnallt euch lieber fest an – könnte eine wilde Rutschpartie werden, so wie die Dinge aussehen.« In diesem Augenblick hüllten rote Feuerstrahlen das gesamte Schiff ein, als Energie des fremden Schiffs auf die äußeren Neutralisierungsschirme traf und harmlos im All verpuffte. Augenblicklich schaltete Seaton das Kühlsystem auf volle Leistung und bediente den Haupthebel, der die komplizierte Bewaffnung seines Raumkampfschiffs aktivierte. Ein intensiver hellvioletter Schimmer umhüllte die Haupt- und Hilfsenergieschienen, und lange Blitze sprangen in einigen Teilen des Schiffs zwischen metallischen Gegenständen über. Den Passagieren standen die Haare zu Berge, als sich die Luft immer mehr aufzuladen begann – dabei war dies nur eine leichte Randerscheinung des fürchterlichen Vernichtungsstrahls, der auf das andere Raumfahrzeug, das nur noch wenige Kilometer entfernt war, übergriff!
Seaton starrte auf Visischirm Eins, bediente Hebel und Kontrollknöpfe, ließ die Skylark hierhin und dorthin springen, machte verzweifelte Ausweichmanöver, während die automatischen Zieleinrichtungen den Gegner nicht verloren und die riesigen Generatoren weiter ihre tödlichen Frequenzen abstrahlten. Die Schienen schimmerten noch heller auf, als sie auf volle Leistung gefahren wurden – der Fremde war eine einzige sprühende Energiefackel, doch er kämpfte weiter und Seaton merkte, daß die Thermometer, die die Temperatur der Außenhülle meldeten, trotz der auf Hochtouren laufenden Kühlaggregate schnell anstiegen. »Dunark, richte alles auf eine Stelle, direkt an der Bugspitze!« Als die erste Granate das Ziel traf, konzentrierte Seaton die ganze Kampfkraft des Schiffes auf den genannten Punkt. Die Luft in der Skylark knisterte und zischte, und grellviolette Flammen sprangen von den Schienen, die nun fast überlastet waren. Vom vorderen Ende des fremden Raumschiffs flackerten weißglühende Flammen in zuckenden Eruptionen, als die schrecklichen Ladungen aus dem zerstrahlenden Kupfer detonierten und in Sekundenbruchteilen ihre unzähligen Millionen Kilowattstunden an Energie freisetzten. Der Flammengürtel hüllte alle drei kämpfenden Schiffe ein und breitete sich über Hunderte von Kilometern ins All aus – doch das feindliche Schiff setzte sein Bombardement mit Explosiv- und Energiewaffen fort. Ein grelles orangefarbenes Licht blitzte an den Kontrollen auf, und Seaton hielt den Atem an, als er seinen Visischirm auf die Verteidigungsanlagen der
Skylark richtete, die er für unüberwindbar gehalten hatte. Der Außenschirm war bereits zusammengebrochen, obwohl der mächtige Kupfergenerator mit voller Leistung arbeitete. Schon gab es schwarze Stellen, die sich schnell ausbreiteten, schon war das grelle Leuchten da und dort unterbrochen, und der innere Schirm strahlte bereits im Ultraviolett und stand kurz vor der Überlastung. Da Seaton die gewaltige Energie kannte, die diese Schirme aufrechterhielt, ahnte er die Größenordnung der unvorstellbaren Kräfte, die hier gegen ihn eingesetzt wurden, und seine rechte Hand zuckte zu dem Schalter, der die Energiezone aktivierte. Doch so schnell er auch war – in dem Augenblick, der verstrich, bis seine Hand den Schalter bedienen konnte, geschah noch sehr viel. In diesem letzten kurzen Moment vor dem Errichten der Zone erschien ein klaffendes Loch im Schimmer des inneren Schirms, und das kleine Stück eines Energiestrahls, der so mächtig war, daß er das Schiff vom Kurs abdrängen konnte, traf wie ein Metallprojektil die nackte Außenhülle der Skylark. Im Nu wurde das harte Arenak hellweiß, und gut dreißig Zentimeter der hundertundzwanzig Zentimeter dicken Schiffswandung zerschmolzen wie Schnee unter der Flamme eines Schneidbrenners, zerschmolzen und flogen als Tropfen und schimmernde Gase davon – die Kühlschlangen in der Außenhülle konnten gegen die konzentrierte Energie dieses gewaltigen Angriffs nichts ausrichten. Als Seaton den Hebel bediente, setzte intensive Dunkelheit und absolute Stille ein, und er sorgte für Licht. »Mann, die sind vielleicht am Ball!« knurrte er, und seine Augen funkelten. Er eilte zu den Generatoren.
Er hatte aber die Nebenwirkungen der Energiezone vergessen und schwamm, sich grotesk überschlagend, in der Luft umher, bis er in die Nähe eines Halteseils schwebte. »Moment mal, Dick!« rief Crane, als sich Seaton über eine der Antriebsschienen beugte. »Was hast du vor?« »Ich werde die größten Schienen einlegen, die unsere Generatoren fassen, und dann den Burschen erledigen. Mit osnomischen Strahlen und mit unserem explosiven Kupfer erwischen wir ihn nicht – aber mit der Energiezone kann ich den Kerl glatt in Scheiben schneiden, und das tue ich auch.« »Ganz ruhig, alter Knabe – beruhige dich. Ich weiß, was du meinst – aber vergiß nicht, daß du unsere Zone ja aufgeben müßtest, ehe du sie als Waffe einsetzen kannst. Außerdem mußt du die genaue Position des Gegners wissen und dicht genug an ihn heranmanövrieren, um die Zone als Waffe einzusetzen – und das alles in ungeschütztem Zustand. Können wir unsere Schirme nicht wenigstens noch soweit verstärken, daß sie diesen mörderischen Strahl auch nur eine Sekunde lang aushalten?« »Hmm. Das habe ich mir gar nicht überlegt«, erwiderte Seaton, und das kampflustige Funkeln erstarb in seinen Augen. »Möchte nur mal wissen, wie lange der Schußwechsel überhaupt gedauert hat.« »Etwa acht Sekunden, würde ich sagen, aber der Gegner hatte seinen schweren Energiestrahl nur einen Sekundenbruchteil lang in Betrieb, dann hast du die Energiezone eingeschaltet. Entweder haben die Leute unsere Kampfkraft zuerst unterschätzt, oder es dauert etwa acht Sekunden, um die schweren Gene-
ratoren hochzufahren – wahrscheinlich trifft das erste zu. Aber wir müssen doch etwas unternehmen, Mann! Wir können nicht hier sitzen bleiben und Däumchen drehen!« »Warum – und warum nicht? Dieses Verhalten scheint mir klug und angemessen zu sein. Ja, Däumchen drehen scheint mir im Augenblick sogar dringend geboten.« »Ach, du bist ja ganz durcheinander! Solange die Energiezone in Kraft ist, können wir nichts unternehmen – und du meinst, wir wollen hier verharren? Wenn die anderen die Energiezone nun kennen? Wenn sie sie aufbrechen könnten! Wenn sie uns rammen?« »Ich will deine Fragen der Reihe nach beantworten.« Crane hatte sich eine Zigarette angezündet und rauchte nachdenklich. »Erstens kann es natürlich sein, daß die Burschen über die Zone Bescheid wissen – vielleicht aber auch nicht: Dieser Punkt ist im Augenblick unwichtig. Zweitens – ob sie die Zone kennen oder nicht, mit ziemlicher Sicherheit können sie das Ding nicht knacken. Unsere Zone steht jetzt seit über drei Minuten, und in dieser Zeit haben sie uns wahrscheinlich mit voller Kraft beschossen. Und die Zone hält. Ursprünglich hatte ich damit gerechnet, daß sie in den ersten Sekunden zusammenbricht, aber nachdem sie jetzt schon so lange hält, wird sie wahrscheinlich auch weiter halten. Drittens wird der Gegner uns mit ziemlicher Sicherheit nicht rammen – aus mehreren Gründen. Wahrscheinlich hat man drüben bisher noch nicht viele fremde Schiffe erlebt, die sich einige Minuten lang wehren konnten – und man wird sich entsprechend verhalten. Außerdem können wir
wohl annehmen, daß auch das gegnerische Schiff beschädigt ist, wenigstens geringfügig; denn ich glaube nicht, daß irgend etwas den Kräften widerstehen konnte, die wir entfesselt haben. Und was würde überhaupt geschehen, wenn die Burschen uns rammen? Würden wir die Erschütterung spüren? Die Barriere im All scheint unüberwindlich zu sein, und wenn das der Fall ist, gibt sie einen Stoß vielleicht gar nicht an uns weiter. Ich wüßte allerdings nicht, wie die Wirkung auf das Schiff wäre, welches das Rammanöver durchführt. Du bist doch derjenige, der solche Probleme unerforschter Mathematik ergründet – du mußt dir irgendwann mal ein paar Monate Zeit nehmen und diese Frage klären.« »Ja – so lange bräuchte ich bestimmt – aber du hast recht. Der Bursche kann uns nichts anhaben. Du weißt dein Köpfchen zu gebrauchen, Martin! Wieder wollte ich voreilig loslegen, verdammt! Ich werde mich zusammennehmen, und wir halten mal ein Weilchen die Luft an.« Seaton bemerkte, daß Dorothys Gesicht leichenblaß war und daß sie um Fassung rang. Er hangelte sich an ihre Seite und umarmte sie. »Kopf hoch, Rotschopf. Der Krieg hat ja noch nicht angefangen!« »Nicht angefangen? Was meinst du? Seid ihr euch nicht eben darüber klar geworden, daß wir überhaupt nichts unternehmen können? Heißt das nicht, daß wir längst besiegt sind?« »Besiegt? Wir? Wie kommst du denn darauf? Keinesfalls!« rief er, und seine Überraschung war so offenkundig, daß sie sich sofort besser fühlte. »Wir haben uns nur ein Loch gegraben und uns darin ver-
steckt, das ist alles! Wenn wir uns eine gute Strategie zurechtgelegt haben, springen wir wieder ins Freie, und der Vogel soll erfahren, daß er sich mit einer Wildkatze angelegt hat!« Er schwieg einen Augenblick lang und fuhr dann nachdenklich fort: »Martin, du bist der Denker in unserer Gruppe. Du hast einen scharfen analytischen Verstand und schlägst mich immer wieder, wenn es um Argumente geht. Du hast doch sicher einen Eindruck von unserem Gegner – sag mir: wer, was und woher! Ich habe da den Ansatz einer Idee, und vielleicht klappt es sogar!« »Ich will's versuchen.« Crane schwieg und überlegte. »Die Wesen stammen natürlich weder von der Erde noch von Osnome. Es ist auch klar, daß sie die Atomenergie kennen. Ihr Raumschiff wird nicht angetrieben wie das unsere – sie haben diese Energie so vervollkommnet, daß sie auf jedes Partikel der Struktur und des Inhalts einwirkt ...« »Wie kommst du darauf?« rief Seaton. »Wegen der Beschleunigung, die der Gegner vorlegen kann. Die könnte kein Lebewesen aushalten, auch wenn es nur entfernt menschenähnlich wäre. Richtig?« »Genau – daran habe ich überhaupt nicht gedacht.« »Außerdem sind diese Wesen weit von zu Hause entfernt – denn stammten sie aus dieser Gegend, hätten die Osnomer wahrscheinlich schon von ihnen gehört –, zumal an der Form des Raumschiffs erkennbar ist, daß die Weltraumfahrt für diese Leute nichts Neues ist, was ja bei uns ganz anders aussieht. Da das Grüne System zum Mittelpunkt der Galaxis hin liegt, müßte man zunächst hypothetisch anneh-
men können, daß sie aus einem System stammen, das ziemlich weit vom Zentrum entfernt ist, das vielleicht irgendwo am Rand liegt. Die Wesen sind offenbar von hoher Intelligenz. Sie sind außerdem sehr brutal und rücksichtslos ...« »Warum das?« erkundigte sich Dorothy, die interessiert zuhörte. »Ich schließe auf diese Merkmale aus dem unprovozierten Angriff auf friedliche Schiffe, die sehr viel kleiner und erkennbar von unterlegener Bewaffnung waren – außerdem aus der Art des Angriffs. Dieses Raumschiff ist wahrscheinlich ein Kundschafter oder ein Forschungsschiff, da es offenbar allein manövriert. Es wäre sicher nicht übertrieben phantasievoll, zu sagen, daß es sich vielleicht auf einer Art ›Entdekkungsreise‹ befindet; daß es neue Planeten sucht, die unterworfen und kolonisiert werden sollen.« »Das ist ja ein sauberes Bild von unserem künftigen Nachbarn – aber vermutlich hast du wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen.« »Wenn deine Schlußfolgerungen auch nur annähernd stimmen, sind diese Nachbarn wirklich unangenehm. Und meine nächste Frage: Können wir annehmen, daß sie die Energiezone kennen oder nicht?« »Das ist schwierig. Angesichts der Dinge, die sie offenbar wissen, wäre es schwer vorstellbar, daß ihnen dieses Phänomen entgangen ist. Und doch, wenn sie sie schon lange kennen – müßten sie dann keine Möglichkeit haben, sie zu durchstoßen? Natürlich könnte es sich dabei um eine totale Barriere im All handeln – dann wüßten sie auch, daß sie nichts gegen die Zone ausrichten können, solange wir sie aufrechterhalten. Such's dir aus, aber ich glaube, sie kennen
den Schirm und wissen mehr als wir – daß er nämlich eine unüberwindliche Barriere darstellt.« »Da bin ich deiner Meinung – und wir werden von dieser Grundlage ausgehen. Der Gegner weiß also, daß er nichts unternehmen kann, solange wir die Zone aufrechterhalten – wir aber auch nicht. Also eine Pattsituation. Er weiß ebenfalls, daß sehr viel Energie erforderlich ist, um die Zone zu speisen. Gut, weiter kommen wir mit unseren mageren Informationen nicht – und wir sind eigentlich schon erstaunlich weit. Wir müssen nun sehen, ob wir Rückschlüsse auf das jetzige Verhalten des Gegners ziehen können. Wenn unsere Vorstellung über die Natur dieser Wesen auch nur annähernd stimmt, warten sie – wahrscheinlich in ziemlicher Nähe –, bis wir gezwungen sind, die Zone abzustellen, egal, wie lange diese Warteperiode dauert. Sie wissen natürlich aufgrund unserer geringen Größe, daß wir nicht genügend Kupfer an Bord haben, um die Zone so lange zu speisen wie sie. Klingt das einleuchtend?« »Bis auf die letzte Dezimalstelle, Martin, und deine Äußerungen verstärken meine Überzeugung, daß wir die Burschen reinlegen können. Ich kann notfalls sehr schnell in Aktion treten und würde vorschlagen, daß wir abwarten, bis sie ein wenig zur Ruhe gekommen sind, und sie dann mit einem Trick erledigen. Noch ein kleiner Geistesblitz, dann hast du für heute frei! Wann ist deiner Meinung nach die Wachsamkeit beim Gegner am geringsten? Ich weiß, das ist eine harte Nuß, aber von der Antwort kann alles abhängen – natürlich bringt unser erster Schuß die größten Chancen!« »Ja, wir müßten es beim ersten Versuch schaffen.
Was deine Frage angeht, so stehen uns sehr wenig Informationen zur Verfügung.« Crane überdachte das Problem einige Minuten lang, ehe er weitersprach: »Ich würde sagen, daß die Burschen eine Zeitlang mit allen Projektoren und anderen Waffen auf unsere Energiezone schießen – in der Erwartung, daß wir jeden Augenblick abschalten. Wenn sie dann erkennen, daß sie ihre Energie sinnlos verschwenden, stellen sie den Angriff ein, ohne aber in der Wachsamkeit nachzulassen – in dieser Periode sind alle Augen auf uns gerichtet, und jede Waffe ist schußbereit. Nach dieser wachsamen Zeit ginge man zur üblichen Schiffsroutine über. Wahrscheinlich geht nun die halbe Mannschaft auf Freiwache – denn wenn diese Wesen organisch auch nur annähernd so gebaut sind wie wir, brauchen sie regelmäßig Schlaf oder eine ähnliche Ruhepause. Die Diensthabenden, die normale Streitmacht, wären eine Zeitlang doppelt aufmerksam. Aber dann schleicht sich die Routine wieder ein, wenn wir nichts Verdächtiges unternehmen, und die Wachen werden uns bald nur noch ihre normale Aufmerksamkeit widmen. Gegen Ende der Dienstzeit werden die Beobachter unvorsichtig werden, weil der Kampf anstrengend und ihr Dienst ungewöhnlich lang gewesen ist – und dann ist die Wachsamkeit unterdurchschnittlich. Aber die genauen Zeiten dieser Entwicklung hängen natürlich weitgehend vom Zeitgefühl unserer Gegner ab, über die wir nicht das geringste wissen. Als reine Spekulation, die auf irdischen und osnomischen Erfahrungswerten beruht, würde ich sagen, daß etwa zwölf oder dreizehn Stunden nach dem Überfall der günstigste Angriffsmoment wäre.«
»Das genügt mir völlig. Prima, Martin, und vielen Dank! Du hast uns wahrscheinlich das Leben gerettet. Wir legen uns jetzt elf oder zwölf Stunden lang aufs Ohr.« »Schlaf, Dick?« rief Dorothy entgeistert. »Wie könntest du jetzt schlafen?«
KAPITEL 5 Die nächsten zwölf Stunden zogen sich endlos in die Länge. Der Schlaf wollte sich nicht einstellen, und das Essen fiel schwer, obwohl alle wußten, daß sie bald alle Kräfte brauchen würden. Seaton errichtete verschiedene Schalteinrichtungen, die mit elektrischen Zeitmessern verbunden waren, und trainierte stundenlang seine großartigen Reflexe, damit die Zeit zwischen Öffnung und Schließung des Zonenschalters möglichst gering gehalten wurde. Schließlich konstruierte er einen leistungsfähigen elektromagnetischen Apparat, in dem ein einziger Impuls die Schaltung sowohl öffnete als auch wieder schloß, so daß die Zeit der Öffnung nur eine Tausendstelsekunde betrug. Erst mit diesem Ergebnis zeigte sich Seaton zufrieden. »Ein Tausendstel genügt für einen Blick in die Runde – weil ein Netzhauteindruck doch nachklingt – und ist so kurz, daß die Gegenseite überhaupt nichts merkt, wenn sie nicht gerade ein Aufzeichnungsgerät auf uns gerichtet hat. Selbst wenn man uns noch unter Feuer hält, lassen sich unsere Schirme in so kurzer Zeit nicht neutralisieren. Alles klar, Leute? Wir bemannen die fünf Visischirme und gewinnen damit eine vollkommene Rundumsicht. Wenn einer von euch den Burschen sichtet, kennzeichnet ihr die genaue Position und den Umriß auf dem Glas. Alles fertig?« Er drückte den Knopf. In der schwarzen Leere blitzten einen Moment lang die Sterne auf und wurden sofort wieder fortgewischt.
»Hier ist er, Dick!« rief Margaret. »Genau hier – er hat fast die Hälfte meines Schirms ausgefüllt!« So gut es ging, zeichnete sie die genaue Position des Gebildes auf, das sie gesehen hatte, und Seaton rechnete hastig nach. »Großartig!« rief er. »Der Bursche ist nur einen Kilometer von uns entfernt und zeigt uns zu drei Vierteln die Spitze – ausgezeichnet! Ich dachte zuerst, er sei so weit weg, daß wir Aufnahmen machen müßten, um ihn zu finden. Auch hat er keinen einzigen Strahl auf uns gerichtet. Der Knabe ist so gut wie erledigt, Leute, wenn nicht jede Generatormannschaft den Finger auf den Kontrollen hat und in einer Viertelsekunde in Aktion tritt! Haltet euch fest, Leute – ich gebe Gas!« Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sich seine Begleiter sicher festgeschnallt hatten, gurtete er sich im Pilotensitz an, richtete die Energieschiene auf das fremde Schiff und gab ein Drittel Vollgeschwindigkeit ein. Die Skylark II bewegte sich natürlich nicht, solange sie in der Zone verharrte. Dann trat er mit erstaunlichem Tempo in Aktion; sein Gesicht verharrte dicht über dem Visischirm, und seine Hände bewegten sich so schnell, daß das Auge kaum zu folgen vermochte – die Linke schloß und öffnete den Kontakt, der die Energiezone kontrollierte, die Rechte ließ die Steuerkontrollen im Kreis schwingen. Das Raumschiff taumelte hierhin und dorthin, während die Zone ein- und ausgeschaltet wurde, und ruckte und bockte unangenehm um ihr Zentrallager, als die gewaltige Kraft der Antriebsschiene mal in dieser, mal in jener Richtung wirkte. Nachdem das wilde Hin und Her einige Sekunden lang gedauert hatte, schal-
tete Seaton die Energie völlig ab. Er schaltete die Zone aus, nachdem er sich vergewissert hatte, daß der innere und der äußere Schirm mit Höchstkraft liefen. »Na, das dürfte sie eine Zeitlang bremsen. Dieser Kampf war sogar kürzer als der erste – und weitaus wichtiger. Schalten wir die Scheinwerfer ein und sehen wir uns an, wie die Stücke aussehen.« Das Licht zeigte, daß die Energiezone das feindliche Raumschiff tatsächlich in Stücke geschnitten hatte. Kein Teil war groß genug, um aus eigenem Antrieb zu fliegen oder noch gefährlich zu werden, und die Trennkanten waren völlig glatt, als wäre eine riesige Sichel am Werk gewesen. Dorothy schluchzte erleichtert auf, während Crane, der einen Arm um Margaret gelegt hatte, seinen Freund beglückwünschte. »Ein tadelloses Manöver, Dick. Ein Schulbeispiel vollkommener Koordination und bester Zeiteinteilung unter extremen physischen Bedingungen! So etwas habe ich noch nicht erlebt!« »Du hast uns jedenfalls das Leben gerettet«, fügte Margaret hinzu. »Ach, war doch nicht mein Verdienst«, winkte Seaton ab. »Mart hat im Grunde das meiste getan. Ich hätte gleich zu Anfang den Karren in den Dreck gefahren, wenn er mich hätte gewähren lassen. Wollen mal sehen, was wir über die Wesen herausfinden können.« Er berührte den Hebel, und die Skylark näherte sich den Wrackteilen, die sich langsam im Einflußbereich ihrer gegenseitigen Anziehung zueinander und umeinander zu bewegen begannen. Er schaltete einen Suchscheinwerfer ein und schwang ihn hin und her.
Als das Licht auf eins der größeren Bruchstücke fiel, sah er eine Gruppe verhüllter Gestalten; einige standen auf dem Metall, andere schwebten durch die Leere gemächlich darauf zu. »Die armen Kerle – sie hatten keine Chance«, sagte Seaton bedauernd. »Doch entweder sie oder wir – paßt auf! Ach, du meine Güte!« Er sprang wieder an die Kontrollen, und die anderen wurden zu Boden geworfen, als er den Antrieb aktivierte – denn auf ein Signal hin hatte jede der verhüllten Gestalten eine Röhre in Anschlag gebracht – und wieder war der Außenschirm rot aufgeflammt. Während die Skylark noch davonraste, richtete Seaton einen Attraktor auf das Wesen, das offenbar den Angriff eingeleitet hatte. Er ließ das Raumschiff in einer engen Kehre herumrollen, so daß der Gefangene ins All davongezerrt wurde. Dann setzte er einen Hilfsattraktor ein, entriß dem Wesen die Röhre und hielt ihm mit anderen Strahlen die Glieder fest, so daß sich der Gefangene kaum noch rühren konnte. Während sich Crane und die Frauen wieder aufrappelten und zu den Visischirmen eilten, brachte Seaton die Strahlen Sechs, Zwei-sieben und Fünf-acht zum Einsatz. Nummer Sechs, der ›Weichmacher‹, war eine Frequenz, die vom Violetten bis ins Ultraviolette reichte. Bei entsprechender Energie vermochte dieser Strahl Sehvermögen und Nervengewebe zu zerstören und – weiter hochgeschaltet – sogar die Molekularstruktur von Materie zu lockern. Strahl Zwei-sieben arbeitete auf Frequenzen, die weit unterhalb des sichtbaren Rot lagen. Er stellte reine Hitze dar – unter seinem Einfluß glühte die getroffene Materie auf, wobei die Obergrenze beim theoretischen Temperaturmaxi-
mum lag. Fünf-acht bedeutete HochspannungsWechselstrom. Jedem Konduktor, der sich dieser Energie in den Weg stellte, erging es, als befände er sich in einem Alex-Northrup-Induktionsofen, der innerhalb von zehn Sekunden Platin verbrennt. Aus diesen drei Bestandteilen war der Strahl zusammengesetzt, den Seaton auf die Metallmasse richtete, aus der die Gegner den Kampf fortsetzen wollten – und hinter seinem Angriff stand nicht nur die geringe Energie, die der osnomische Erfinder dieser Waffen zur Verfügung gehabt hatte, sondern die unzähligen Kilowatt, die eine hundert Pfund schwere Schiene aus sich auflösendem Kupfer hervorzubringen vermochte! Es gab eine kurze, aber schreckliche Demonstration der ungeheuren Wirksamkeit dieser osnomischen Waffen, sobald sie auf etwas trafen, das nicht durch Hochenergieschirme geschützt wurde. Metallteile und Lebewesen lösten sich förmlich auf. Eben noch waren sie im Strahl deutlich zu erkennen, dann gab es ein kurzes grelles, flackerndes Leuchten, und im nächsten Augenblick stieß der Strahl ungehindert in die Leere. Es war nichts mehr zu erkennen. »Wollen mal sehen, ob sich noch mehr von diesen Burschen da draußen herumtreiben«, sagte Seaton, als er die Energie abschaltete und die restlichen Wrackteile mit einem Suchscheinwerfer erkundete. Doch es war keine Spur von Leben oder Bewegung mehr festzustellen, so daß man das Licht schließlich auf den Gefangenen richtete. Er hing reglos im unsichtbaren Griff der Attraktoren, an einer Stelle, wo die Kraft der seltsamen Magnetstrahlen genau im Gleichgewicht mit dem Einfluß der Abstoßer stand.
Seaton bediente die Attraktoren und holte die seltsame röhrenförmige Waffe durch eine kleine Luftschleuse in der Wandung herein und betrachtete sie neugierig, ohne sie zu berühren. »Ich hätte nie einen derart wirksamen Handstrahler für möglich gehalten – da will ich lieber nicht anfassen, ehe ich mehr darüber weiß.« »Du hast also einen Gefangenen gemacht?« fragte Margaret. »Was hast du nun mit ihm vor?« »Ich hole ihn zu uns herein und erforsche seinen Geist. Er gehört vermutlich zu den Offizieren des Schiffs, und ich will herausfinden, wie man so ein Ding nachbaut. Unsere Skylark ist plötzlich so überholt wie ein Flugzeug aus dem Jahr 1910. Wir müssen uns ein neues Schiff bauen. Was meinst du, Mart, brauchen wir nicht etwas wirklich Modernes, wenn wir uns weiter im All herumtreiben wollen?« »Allerdings. Die Fremden scheinen besonders angriffslustig zu sein, und wir werden uns nicht sicher fühlen, wenn wir nicht das denkbar kampfstärkste Raumschiff fliegen. Aber wir müssen uns vorsehen, der Bursche da drüben könnte auch jetzt noch gefährlich sein – man muß sogar damit rechnen!« »Genau. Ich würde lieber ein Pfund trockenen Jodstickstoff berühren. Ich halte seine Arme und Beine fest, damit er sein Gehirn nicht zerstören kann, bevor wir einen Blick hineingeworfen haben – also brauchen wir uns nicht besonders zu beeilen. Wir lassen ihn eine Zeitlang da draußen hängen. Suchen wir lieber nach der Kondal. Ich hoffe, es hat sie in dem Durcheinander nicht erwischt.« Sie vereinten die Strahlen acht riesiger Scheinwerfer zu einem senkrechten Lichtstreifen und schwenk-
ten ihn langsam im Kreis herum. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas entdeckten – einen Haufen zylindrischer Gegenstände inmitten zahlreicher Wrackteile, die Crane sofort erkannte. »Die Kondal ist zerstört, Dick. Das sind ihre Überreste, außerdem der größte Teil der Salzladung in Jutesäcken.« Im gleichen Augenblick blitzte es an einigen Säcken grün auf, und Seaton stieß einen Schrei der Erleichterung aus. »Ja – das Schiff ist hin, aber Dunark und Sitar leben noch! Sie sind bei ihrem Salz!« Die Skylark näherte sich dem Wrack. Seaton überließ Crane die Steuerung, legte einen Raumanzug an und betrat die Hauptschleuse. Dort schaltete er den Motor ein, der die Schleuse versiegelte, pumpte die Luft in einen Drucktank und öffnete die Außentür. Er warf den beiden Gestalten im All eine Leine zu und schwebte mit sanftem Anstoß in ihre Richtung. Schließlich verständigte er sich kurz durch Handzeichen mit Dunark und reichte Sitar das Ende der Leine, die es festhielt, während die beiden Männer die Überreste des fremden Raumschiffs erkundeten und dabei verschiedene interessante Dinge mitnahmen. Im Kontrollraum der Skylark ließen Dunark und Sitar ihren Anzugdruck langsam auf den atmosphärischen Druck des Erdenschiffes sinken und öffneten dann ihre Helmscheiben. »Oh, Karfedo der Erde, wieder haben wir euch unser Leben zu verdanken«, begann Dunark keuchend, während Seaton zu den Luftkontrollen eilte. »Habe ja ganz vergessen, welche Wirkung unser Luftdruck auf euch hat. Wir kommen in eurer Atmo-
sphäre gut zurecht, aber ihr seid bei unserem Druck einer Ohnmacht nahe! Da, das müßte besser sein. Habt ihr nicht unsere Energiezone errichtet?« »Ja – sobald ich sah, daß unsere Schirme nicht ausreichten.« Als der Luftdruck in der Skylark sich erhöhte und nur noch wenig unter dem osnomischen Wert lag, begannen Sitar und Dunark weniger krampfhaft zu atmen. »Ich verstärkte die Schirmenergie bis zum äußersten und öffnete die Zone einen Augenblick, um zu sehen, wie lange die Schirme bei stärkerer Eingabe halten würden. Aber dieser Augenblick genügte – ein konzentrierter Strahl von einer Gewalt, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte, durchstieß meine beiden Schirme, als wären sie gar nicht vorhanden, brannte sich durch die hundertundzwanzig Zentimeter Arenak unserer Schiffshülle, zerstörte die gesamten Zentralanlagen und verließ das Schiff auf der anderen Seite. Sitar und ich trugen vorsichtshalber Raumanzüge ...« »Hör mal, Martin, diese Kleinigkeit hatten wir glatt übersehen. Ein guter Gedanke – auch die fremden Wesen legen offenbar immer Anzüge an, wenn ein Gefecht bevorsteht. Wenn wir das nächste Mal in einen Kampf verwickelt werden, wollen wir das auch tun. Könnte von Vorteil sein. Entschuldige, Dunark – bitte, berichte weiter.« »Wir trugen unsere Anzüge. Als der Strahl abgeschaltet wurde, befahl ich der Mannschaft, das Schiff zu verlassen. Wir sprangen durch das Loch in der Schiffswandung hinaus. Die hinausströmende Luft half uns dabei – wir wurden viele Kilometer weit ins All hinausgetragen, und die geringe Anziehung der
Wrackteile brauchte Stunden, um uns wieder hierherzuziehen. Wir sind erst vor wenigen Minuten hier eingetroffen. Wahrscheinlich verdanken wir unser Leben dem Luftstrom, da anschließend unser Schiff zerstört und die vier Männer unserer Mannschaft gefangengenommen wurden, die ziemlich dicht am Ort des Geschehens geblieben waren. Etwa eine Stunde lang haben sie euch mit Bündeln ungeheuerlichster Strahlen beschossen – ich habe nicht für möglich gehalten, daß man solche Generatoren bauen könnte –, doch ohne euch irgendwie zu beeindrucken. Dann schalteten die Fremden alles ab und warteten. Ich schaute gerade nicht in eure Richtung, als du die Zone abgeschaltet hast. Eben war sie noch da, und im nächsten Augenblick war der Fremde in Stücke zerschnitten. Das übrige wißt ihr selbst.« »Wir sind wirklich froh, daß ihr es geschafft habt, Dunark. Na, Martin, was meinst du, wollen wir den Burschen mal hereinholen und versorgen?« Seaton schwang die Attraktoren herum, die den Gefangenen festhielten, bis er direkt vor der Hauptschleuse hing, dann reduzierte er die Energie der Abstoßer. Als sich das Wesen dem Schiff näherte, wurden verschiedene Kontrollen aktiviert, und bald stand der Fremde im Kontrollraum und wurde von Strahlen an einer Wand festgehalten, während ihn Crane mit einer 50er Elefantenbüchse im Anschlag bewachte. »Vielleicht sollten die Mädchen nach oben gehen«, meinte er. »Aber auf keinen Fall!« rief Dorothy, die mit aufgerissenen Augen an der Tür stand und eine schwere Automatic in der Hand hielt. »Ich möchte das auf keinen Fall verpassen!«
»Der kommt nicht los«, versicherte Seaton, nachdem er die verschiedenen Attraktoren und Abstoßer überprüft hatte, die auf den Gefangenen eingestellt waren. »Dann wollen wir ihn mal aus dem Anzug holen, doch zuerst müssen wir Atemluft, Temperatur und Druck in dem Anzug analysieren.« Von der Person des Fremden war nichts zu erkennen, da er von seinem Raumpanzer völlig eingeschlossen wurde, doch es wurde deutlich, daß er sehr klein und ungewöhnlich breit und massig gebaut war. Es dauerte lange, ein Loch durch den Panzer zu bohren, doch es wurde schließlich geschafft. Seaton nahm eine Probe der Atmosphäre in ein Orsatgerät, während Crane Druck und Temperatur bestimmte. »Temperatur dreiundvierzig Grad. Druck achtundzwanzig Pfund – etwa wie bei uns, nachdem wir uns dem osnomischen Wert angenähert haben, um unseren Gästen Unbehagen zu ersparen.« Seaton meldete kurz darauf, daß die Atmosphäre durchaus der der Skylark ähnelte, bis auf einen wesentlich höheren Anteil Kohlendioxyd und eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Wasserdampf. Er holte ein Schneidegerät in den Kontrollraum und schnitt den Raumpanzer an beiden Seiten von oben bis unten auf, während Crane die Kontrollen der Attraktoren und Abstoßer bediente, so daß sich der Fremde nicht rühren konnte. Schließlich zerrte Seaton den Helm ab und warf den ganzen Anzug zur Seite – und gab den Blick frei auf einen außerirdischen Offizier, der eine Tunika aus roter Seide trug. Das Wesen war knapp anderthalb Meter groß. Die Beine waren gedrungene Blöcke, praktisch so breit wie hoch, und stützten einen Torso von ungeheuren
Ausmaßen. Die Arme waren so groß und kräftig wie der Oberschenkel eines Mannes und hingen fast bis zum Boden herab. Die erstaunlichen Schultern, die annähernd einen Meter breit waren, verschmolzen fast mit dem riesigen Kopf. Deutlich erkennbar waren Nase, Ohren und Mund; und die breite Stirn und der riesige Schädel zeugten von einer hochentwickelten Intelligenz. Doch die Augen dieses seltsamen Wesens waren besonders auffällig. Sie waren groß und schwarz – sie hatten die matte, undurchsichtige Schwärze von Platin. Die Pupillen schimmerten in hellerem Schwarz, und in ihnen flammten rubinrote Lichtpunkte, was seinen Blick gnadenlos, spöttisch und kühl erscheinen ließ. In der unheimlichen Tiefe dieser Augen lag das unvorstellbare Wissen einer hochentwickelten Zivilisation, aber auch Unbarmherzigkeit, Machtgier und eine aufgestaute fremdartige Wildheit. Der verächtliche Blick glitt von einem Mitglied der Gruppe zum anderen, und wen der starre Ausdruck dieser Augen traf, dem war, als habe er einen spürbaren Schlag erhalten – als habe ihn eine greifbare Kraft getroffen, die Härte und Rücksichtslosigkeit verkörperte, eine Kraft, die von einem mächtigen Gehirn ausging und durch die abscheulichen flammenzuckenden Augen ausgestrahlt wurde. »Wenn ihr uns nicht mehr braucht, Dick, wollen Peggy und ich jetzt nach oben gehen«, brach Dorothy das lange Schweigen. »Eine gute Idee, Dottie. Unser Gespräch wird wohl nicht sehr angenehm.« »Wenn ich noch eine Minute länger bleibe, werde ich den Anblick dieses Wesens mein ganzes Leben nicht mehr los!« rief Sitar, und obwohl sie eine an er-
barmungslosen Kampf und Grausamkeit gewöhnte osnomische Frau war, folgte Sitar den beiden Frauen von der Erde. »Ich wollte vor den Mädchen nicht darüber sprechen – aber ich möchte ein paar Überlegungen mit dir abstimmen. Könnte man nicht annehmen, daß dieser Knabe sein Hauptquartier verständigt hat?« »Genau daran habe ich gedacht«, sagte Crane ernst, und Dunark nickte. »Jede Rasse, die ein solches Raumschiff entwickeln kann, hat wohl auch ein entsprechendes Kommunikationssystem zur Verfügung.« »Ja. Das ist anzunehmen, und deshalb will ich in sein Gehirn eindringen – und wenn ich ihn dabei überlade. Wir müssen wissen, wie weit er von zu Hause entfernt ist, ob er einen Bericht über uns abgesetzt hat – und so weiter. Außerdem will ich mir die Angaben über Konstruktion, Energiewerte und Bewaffnungssysteme der modernsten Schiffe dieser Wesen beschaffen – wenn er sie kennt, damit Dunarks Techniker uns so ein Raumschiff bauen können; denn der nächste Bursche, der sich auf uns stürzt, weiß Bescheid und läßt sich nicht mehr überraschen. Mit der Skylark hätten wir dann keine Chance mehr. Wenn wir aber eins von ihren Schiffen hätten, könnten wir fliehen – oder notfalls auch kämpfen. Sonst noch Ideen, Leute?« Da weder Crane noch Dunark andere Vorschläge zu machen hatten, holte Seaton sein Lerngerät, wobei er den Fremden nicht aus den Augen ließ. Als er eine Haube über den reglosen Kopf des Fremden schob, trat ein verächtlicher Ausdruck in die Augen des Wesens, doch als das Gerät geöffnet wurde und das
Durcheinander von Röhren und Transformatoren erschien, verschwand die Geringschätzung, und als Seaton eine Hochenergiestufe anschloß, indem er einen schweren Transformator und eine 5-KilowattSenderöhre dazuschaltete, glaubte er ein schnell unterdrücktes Aufflackern von Unsicherheit oder Angst auszumachen. »Die Haube war ein Kinderspielzeug für ihn, doch das andere Zeug gefällt ihm nicht. Kann ich ihm nicht mal verübeln – ich möchte auch nicht am anderen Ende dieser Anlage sitzen. Ich werde ihn an das Aufzeichnungsgerät anschließen und an einen Sichtschirm.« Seaton koppelte Spulen und Bänder, Lampen und Linsen zu einem komplizierten System und setzte schließlich selbst eine Kopfhaube auf. »Ich habe nicht die geringste Lust, einen Teil dieses Gehirns in meinen Schädel zu übernehmen – also werde ich nur zuschauen, und wenn ich etwas sehe, das ich haben möchte, greife ich zu und übernehme es in mein Gehirn: Wir fangen ganz geruhsam an – zunächst ohne die große Röhre.« Er bediente mehrere Hebel. Lichter flammten auf, und die Drähte und Bänder begannen sich zwischen den Magneten zu bewegen. »Also, seine Sprache habe ich, Leute, er schien sie mir förmlich geben zu wollen. Steckt 'ne Menge Zeugs darin, das ich noch nicht begreife, also verpasse ich ihm lieber das Englische.« Er steckte mehrere Verbindungen um, und der Gefangene äußerte sich mit ungewöhnlich tiefer Stimme. »Gebt es lieber gleich auf, denn von mir erhaltet ihr keine Informationen. Euer Maschinchen war bei uns schon vor vielen tausend Jahren überholt.« »Spar dir deinen Atem für vernünftigere Worte«,
sagte Seaton kühl. »Ich habe dir die englische Sprache beigebracht, damit du mir die gewünschten Angaben machen kannst. Du weißt schon, was ich haben will. Wenn du zum Sprechen bereit bist, sag uns Bescheid, oder bring es freiwillig auf den Bildschirm. Wenn nicht, gebe ich soviel Spannung vor, daß dein Gehirn qualmt! Denk dran, ich kann in deinem toten Gehirn so gut lesen, als wärst du noch am Leben, aber ich will nicht nur dein Wissen, sondern auch deine Gedanken kennenlernen, und ich werde mein Ziel erreichen. Wenn du mir alles freiwillig gibst, bauen wir dir ein Rettungsboot zusammen, mit dem du in deine Heimatwelt zurückfinden kannst. Wenn du dich weigerst, komme ich trotzdem ans Ziel, aber du verläßt dieses Raumschiff nicht mehr lebend. Du hast die Wahl.« »Du bist kindisch, und die Maschine vermag nichts gegen meinen Willen auszurichten. Ich hätte sie schon vor hundert Jahren niederkämpfen können, als ich kaum erwachsen war. Du sollst erfahren, Amerikaner, wir Fenachroner sind allen Wesen, die sich in Myriaden von Rassen millionenfach auf zahlreichen Planeten dieses Universums tummeln, so weit überlegen, wie ihr dem toten Metall überlegen seid, aus dem euer Schiff besteht. Das Universum gehört uns, und wenn die Zeit reif ist, werden wir es übernehmen – so wie ich auch dieses Schiff übernehmen werde. Gebt euch ruhig Mühe – ich werde nicht sprechen.« In den Augen des Wesens flammte es auf, und sie schleuderten ein starkes hypnotisches Kommando durch Seatons Augen in dessen Gehirn. Für Seaton verschwamm die Umwelt, so sehr wirkte die fremde Geisteskraft auf ihn ein; doch nach einem kurzen heftigen Kampf schüttelte er den Bann ab.
»Das war knapp, mein Lieber, aber du hast dein Ziel nicht ganz erreicht«, sagte er grimmig und starrte direkt in die unheimlichen Augen. »Geistig stehe ich vielleicht auf einer ziemlich niedrigen Stufe, aber ich lasse mich nicht durch Hypnose dazu bringen, dich freizulassen. Auch kann ich dir durchaus Zunder geben, wie du bald merken wirst. Daß ihr Supermänner seid, hat nicht verhindert, daß deine Begleiter in der Energie meiner Strahlen umgekommen sind – und es wird auch dein Gehirn nicht retten. Ich verlasse mich dabei nicht auf meine intellektuelle oder mentale Kraft – mein Argument sind fünftausend Volt, die auf deine empfindlichsten Gehirnzentren einwirken. Los, sag mir, was ich wissen will, oder ich hole mir die Informationen!« Der Fremde antwortete nicht, sondern starrte die Erdmenschen trotzig und haßerfüllt an. »Also gut!« sagte Seaton heftig und schaltete die Hochenergiestufe ein. Er begann seine Kontrollen zu bedienen und suchte in dem fremden Geist nach dem Bereich, der ihn am meisten interessierte. Er fand sein Ziel bald und schaltete das Sichtgerät ein – einen stereographischen Apparat, der parallel zu Seatons Gehirnaufzeichner ein dreidimensionales Bild auf einen Sichtschirm projizierte. Crane und Dunark saßen gespannt da und sahen nervös zu, wie sich der stumme Willenskampf entwickelte. Auf einer Seite wehrte sich ein mächtiges Gehirn von ungeahnter Kraft, auf der anderen Seite stand ein entschlossener Mensch, der mit voller Kraft kämpfte und gegen den monströsen Geist eine Waffe aus Hochspannungselektrizität einsetzte – mit aller Geschicklichkeit, zu der die irdische und osnomische Wissenschaft in der Lage war.
Seaton hockte gespannt über dem Verstärker, sein Blick zuckte von einer Skala zur nächsten, seine rechte Hand drehte langsam am Verstärkerknopf, der die schmerzhafte Energie der Superröhre mit immer größerer Spannung in das widerstrebende Gehirn fließen ließ. Der Gefangene stand reglos im Griff der Strahlen. Er hatte die Augen geschlossen, und alle Sinne und Fähigkeiten waren auf die Abwehr des grausamen Angriffs gerichtet. Crane und Dunark wagten kaum zu atmen, als im Sichtgerät das verschwommene, aber schon dreidimensionale Bild eines riesigen Raumschiffs erschien. Die Erscheinung verblaßte, als sich der Fremde mit größter Mühe der nachdrücklichen Befragung widersetzte, wurde jedoch noch deutlicher sichtbar, als Seaton die Spannung weiter erhöhte. Schließlich vermochten Fleisch und Blut dem tödlichen Angriff nicht länger zu widerstehen, und das Bild wurde ganz scharf. Es zeigte den Kapitän – ja, der Gefangene war der Kommandant des Schiffes gewesen – an einem großen Konferenztisch, umgeben von vielen anderen Offizieren, die auf niedrigen Metallstühlen hockten. Sie empfingen Befehle von ihrem Herrscher, Befehle, die auch Crane und der Osnomer deutlich verstehen konnten, denn Gedanken bedurften keiner Übersetzung. »Herren der Marine«, sagte der Herrscher feierlich, »unsere erste Expedition, die vor einiger Zeit zurückkehrte, war in jedem Punkt erfolgreich. Jetzt sind wir bereit, unsere Bestimmung zu erfüllen – die Eroberung des Universums. Diese Galaxis kommt als erste an die Reihe. Unsere Ausgangsbasis wird der größte Planet der bekannten Gruppe hellgrüner Sonne sein – denn sie sind von jedem Punkt in der Galaxis zu er-
kennen und befinden sich fast genau im Mittelpunkt. Unsere Astronomen ...« hier wechselten die Gedanken des Kapitäns zu einem Observatorium, das sich tief im All befand, und zeigten ein Reflektorteleskop mit einem acht Kilometer großen Spiegel, dessen Blick Milliarden Lichtjahre tief ins All vordringen konnte. »Unsere Astronomen haben alle Sonnen, Planeten und Monde dieser Galaxis registriert; und jeder von Ihnen hat eine komplette Sternkarte und ein bestimmtes Areal zugewiesen erhalten, das er erkunden soll. Denken Sie daran, meine Herren, daß diese erste Expedition nur der Erforschung dient; die Eroberung beginnt, sobald Sie mit kompletten Informationen zurückgekehrt sind. Jeder von Ihnen wird alle Zehnteljahr per Torpedo Bericht erstatten. Wir rechnen nicht mit ernsthaften Schwierigkeiten, da wir die höchste Lebensform im Universum sind, doch falls der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß sich Gefahren entwickeln, gebt uns sofort Bericht. Wir übernehmen den Rest. Zum Schluß nochmals die Warnung – niemand darf erfahren, daß es uns gibt. Leiten Sie keine Kriegshandlungen ein, vernichten Sie alle, die zufällig auf Sie stoßen. Meine Herren, gehen Sie in Macht.« Der Kapitän stieg in ein kleines Flugboot um und wurde zu seinem Raumschiff geflogen. Er bezog Stellung vor einem gewaltigen Kontrollbrett, und das Kriegsschiff raste mit unvorstellbarer Beschleunigung ins All hinaus, ohne daß es im Innern eine Erschütterung gab. An dieser Stelle sorgte Seaton dafür, daß der Kapitän ihn und seine Freunde durch das Schiff führte. Sie achteten auf die Konstruktion, die Energieanlage, die Kontrollen – jedes winzige Detail über Aufbau, Be-
dienung und Wartung wurde dem Gehirn des Kapitäns entnommen und gleichzeitig aufgezeichnet und sichtbar gemacht. Der Flug schien sehr lange zu dauern, doch endlich erschien die Gruppe der Grünen Sonnen, und die Fenachroner begannen die Sonnensysteme des Raumsektors zu erkunden, der diesem Schiff zugeteilt war. Doch die Expedition hatte kaum damit begonnen, als die beiden kugelförmigen Raumschiffe geortet und aufgespürt wurden. Der Kapitän stoppte kurz und griff schließlich an. Seaton, Crane und Dunark verfolgten den Angriff und sahen die Vernichtung der Kondal. Sie bekamen mit, wie der Kapitän das Gehirn eines Mannschaftsangehörigen der Kondal studierte und ihm alle Tatsachen über die beiden Raumschiffe entzog. Der Fenachroner überlegte, daß die beiden anderen Überlebenden der Kondal in wenigen Stunden zurücktreiben würden und sich dann erledigen ließen. Die Männer von der Erde erfuhren, daß diese Dinge automatisch auf den Torpedo übertragen wurden, der als nächster in das Heimatsystem geschickt werden sollte – wie überhaupt jede Einzelheit der Geschehnisse im und am Schiff. Sie verfolgten, wie der fenachronische Kapitän einen eigenen Gedanken in die Meldung einbrachte: »Die Bewohner des dritten Planeten der Sonne 6473 Pilarone offenbaren eine ungewöhnliche Entwicklungsstufe und könnten uns Schwierigkeiten machen, da sie bereits Kenntnisse über das Energiemetall und den undurchdringlichen Schirm in das grüne Zentralsystem gebracht haben, das unsere Basis sein soll. Empfehle Auflösung dieses Planeten durch Schiff mit Sondermission.« Sie sahen ferner, wie die Skylark be-
strahlt wurde. Dann spürten sie, wie der Kapitän weitere Befehle gab: »Beschießt ihn eine Zeitlang; er wird sein Schild wahrscheinlich kurz öffnen, wie der andere.« Nachdem einige Zeit verstrichen war, kam der Befehl: »Feuer einstellen – es ist sinnlos, Energie zu verschwenden. Irgendwann muß er den Schirm senken, wenn er keine Energie mehr hat. Aufpassen! Er muß vernichtet werden, sobald er abschaltet!« Das Bild wechselte. Der Kapitän schlief und wurde von einem Alarm geweckt – und schwebte im nächsten Augenblick zwischen Wrackteilen. Er arbeitete sich zu dem Teil des Schiffes vor, das den Torpedoausstoß enthielt, und schickte den Boten auf die Reise, der mit zunehmender Geschwindigkeit zur Hauptstadt der Fenachroner fliegen würde – in seinem Bauch eine Aufzeichnung über all die Dinge, die hier geschehen waren. »Das will ich wissen«, dachte Seaton. »Dieser Torpedo fliegt nach Hause, und zwar sehr schnell. Ich will wissen, wie weit er zu fliegen hat und wie lange die Heimreise dauert. Du weißt, wie groß eine Parsek ist, da es sich um einen rein mathematischen Begriff handelt, und du mußt auch eine Art Uhr oder ein ähnliches Instrument haben, mit dem du unsere Jahre in deine Zeitrechnung übertragen kannst. Ich will dich nicht umbringen, Bursche, und wenn du jetzt nachgibst, werde ich dich schonen. Ich bekomme meine Informationen ohnehin, und du weißt auch, daß du sterben mußt, wenn ich noch ein paar hundert Volt dazugebe.« Crane und Dunark sahen, wie der Gedanke empfangen wurde, und bekamen die Antwort mit: »Ihr
werdet nichts mehr erfahren. Dies ist die wichtigste Einzelheit von allen, und ich werde sie für mich behalten, bis ich nicht mehr lebe – und auch dann gebe ich sie nicht frei.« Seaton erhöhte die Spannung weiter, und das Gehirnbild verblaßte, wurde wieder kräftiger und verschwand schließlich ganz, doch aus den bruchstückhaften Aufzeichnungen wurde deutlich, daß der Torpedo etwa hundertundfünfzigtausend Parseks zurückzulegen hatte und daß die Reise zwei Zehntel eines Jahres dauerte; daß die Raumschiffe, die auf die Nachricht hin kommen würden, so schnell waren wie der Torpedo, daß der Fenachroner tatsächlich eine Uhr bei sich hatte, eine Maschine mit sieben Scheiben, von denen sich jede zehnmal so schnell drehte wie die Nachbarscheibe, und daß eine Umdrehung der langsamsten Scheibe identisch war mit einem Jahr fenachronischer Zeit. Seaton streifte seine Kopfhaube ab und öffnete den Energieschalter. »Nimm dir schnell eine Stoppuhr, Martin!« rief er, sprang zu dem abgelegten Vakuumanzug des Fremden und nahm die seltsame Uhr heraus. Crane und er stoppten die genaue Zeit, die eine der Scheiben für eine volle Umdrehung brauchte, und stellten hastige Berechnungen an. »Besser, als ich dachte!« rief Seaton. »Sein Jahr umfaßt rund vierhundertzehn irdische Tage. Das gibt uns zweiundachtzig Tage Zeit, bis der Torpedo sein Ziel erreicht – länger, als ich zu hoffen wagte. Wir müssen kämpfen, nicht fliehen. Diese Burschen wollen die Skylark erwischen und dann unsere Heimat auslöschen. Auf jeden Fall haben wir Zeit genug, um den Gehirninhalt dieses Burschen hundertprozentig
aufzuzeichnen. Wir müssen für das Kommende gerüstet sein!« Er setzte sich wieder an das Lerngerät und schaltete den Strom ein. Im gleichen Moment verdüsterte sich sein Gesicht. »Der arme Teufel, er ist gestorben – hat es nicht mehr ausgehalten«, sagte er bedauernd. »Aber das erleichtert uns die weitere Arbeit – wir hätten ihn wahrscheinlich ohnehin töten müssen, so unangenehm es mir auch gewesen wäre, ihn kaltblütig zu erledigen.« Er legte neue Spulen auf, und drei Stunden lang huschten kilometerlange Bänder zwischen den Magneten hindurch, während Seaton jeden Winkel dieses monströsen, doch außergewöhnlich intelligenten Geistes erforschte. »Das wär's«, sagte er schließlich, als das letzte Stück Information auf den Bändern festgehalten war, er den toten fenachronischen Kapitän ins All hinausmanövrierte und dort mit einem Energiestrahl vernichtete. »Was jetzt?« »Wie schaffen wir das Salz nach Osnome?« fragte Dunark, dessen Gedanken natürlich ständig um seine kostbare Mineralienladung kreisten. »Es ist ohnehin ziemlich eng an Bord, und Sitar und ich brauchen auch einigen Platz. Es gibt keinen zusätzlichen Laderaum mehr, und doch ginge wertvolle Zeit verloren, wenn wir aus Osnome noch ein Schiff kommen ließen.« »Ja, und außerdem müssen wir noch eine große Ladung ›X‹ bergen. Wir werden wohl doch die Zeit opfern müssen, ein anderes Schiff zu rufen. Ich würde auch gern die Wrackteile des fenachronischen Raumkreuzers mitnehmen – viele seiner Instrumente
und ein großer Teil der Überreste ließen sich wiederverwenden.« »Warum machen wir nicht alles auf einmal?« fragte Crane. »Wir könnten die ganze Masse in Richtung Osnome losschicken, indem wir sie hinter uns herziehen, bis die Geschwindigkeit groß genug ist, um die Ladung zur gewünschten Zeit in Osnome eintreffen zu lassen. Dann hätten wir Zeit, zum Planeten ›X‹ zu fliegen und den Materialkonvoi in der Nähe des Grünen Systems wieder einzuholen.« »Ausgezeichnet, mein Lieber – ein guter Gedanke. Aber sag mal, Dunark, es täte euch doch bestimmt nicht gut, wenn ihr längere Zeit von unseren Vorräten eßt. Während wir hier unsere Berechnungen anstellen, solltest du hinüberfliegen und ausreichend Proviant für euch beide holen. Gib Shiro die Sachen – wenn ihr ihn richtig anlernt, entwickelt er sich bestimmt noch zu einem ausgezeichneten osnomischen Koch!« Immer schneller flog die Skylark dahin und zerrte an allen verfügbaren Attraktoren zahlreiche Wrackteile hinter sich her. Als die berechnete Geschwindigkeit erreicht war, wurden die Attraktoren abgeschaltet, und das Raumschiff raste davon und nahm Kurs auf den Planeten ›X‹, der noch im Karbonzeitalter stand und zumindest einen riesigen Block des ›X‹-Metalls enthielt – des seltensten Metalls, das der irdischen Wissenschaft bekannt war. Während die automatischen Kontrollen das Raumschiff auf Kurs hielten, besprachen die sechs Passagiere die notwendigen Maßnahmen, um die drohende Vernichtung aller zivilisierten Kulturen der Galaxis durch die monströse
Rasse der Fenachroner zu verhindern. Sie waren dicht vor dem Ziel, als Seaton aufstand. »Ich sehe die Lage so: Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Dunark hat eigene Sorgen – wenn der Dritte Planet ihn nicht erwischt, werden das die Fenachroner tun, und der Dritte Planet ist die aktuellere Gefahr. Das nimmt Dunark aus dem Spiel. Wir selbst haben fast sechs Monate Zeit, ehe die Fenachroner wieder hier auftauchen können ...« »Aber wie können sie uns finden – hier oder wo immer wir dann sind, Dick?« fragte Dorothy. »Der Kampf hat in großer Entfernung von hier stattgefunden.« »Bei einem so großen Vorsprung könnten sie uns wahrscheinlich nicht finden. Ich denke aber an die Erde. Wir müssen die Fenachroner aufhalten, und zwar ein für allemal – und dazu haben wir nur sechs Monate Zeit ... Osnome hat die besten Werkzeuge und die schnellsten Techniker, die ich je erlebt habe ...« Er schwieg nachdenklich. »Das fällt auf dein Gebiet. Dick.« Crane äußerte sich ruhig wie immer. »Ich will natürlich mein Möglichstes tun, aber du hast wahrscheinlich längst einen Schlachtplan parat!« »Gewissermaßen. Wir müssen einen Weg finden, unsere Energiezone zu überwinden – oder wir sind hoffnungslos verloren. Selbst wenn wir ausreichend Waffen, Schirme und kampfstarke Schiffe hätten, könnten wir doch nicht verhindern, daß die Fenachroner ein Schiff zur Erde schicken, um unsere Heimat zu vernichten – und über kurz oder lang würde man uns auch erledigen. Diese Wesen wissen so manches, von dem wir noch keine Ahnung haben,
da ich bisher nur das Gehirn eines einzigen Wesens erforscht habe. Er war zwar ein fähiger Mann, wußte aber doch nicht alles, was es zu wissen gibt – ebensowenig wie ein einzelner Erdbewohner sämtliche irdische Wissenschaften beherrschen kann. Unsere einzige Chance liegt darin, die Energiezone in den Griff zu bekommen – die einzige Waffe, die die Fenachroner noch nicht besitzen. Natürlich könnte dieses Ziel unerreichbar sein, aber das will ich erst glauben, wenn wir alle Möglichkeiten erschöpft haben. Dunark, kannst du uns eine Mannschaft zur Verfügung stellen, die ein Duplikat des fenachronischen Schiffes baut – zusätzlich zu den Einheiten, die du für Osnome bauen willst?« »Gewiß. Es wird mir eine Freude sein.« »Gut – während Dunark hier an der Arbeit ist, schlage ich vor, daß wir den Dritten Planeten besuchen, etliche wichtige Wissenschaftler entführen und deren Gehirne erforschen. Dann fliegen wir jeden anderen hochentwickelten Planeten an, den wir finden können, und machen dort dasselbe. Die Chancen stehen gut, daß wir vielleicht ein gewisses Gegengewicht zu Fenachrone bilden können, wenn wir die besten Elemente der Kriegführung vieler Welten miteinander verbinden.« »Warum schicken wir keinen Kupfertorpedo los, der den ganzen Planeten vernichtet?« fragte Dunark. »Das würde nichts nutzen. Die Ortungsschirme würden das Geschoß schon auf eine Milliarde Kilometer Entfernung ausmachen und zur Explosion bringen, ehe es Schaden anrichten kann. Wenn das Ding eine Energiezone hätte, mit der man durch die Fenachronischen Schirme brechen könnte, würde ich
sofort eine solche Aktion empfehlen. Wie ihr seht, kommen wir immer wieder auf die Zone zurück. Wir müssen das Rätsel irgendwie knacken.« In diesem Augenblick gab es Kursalarm, und sie sahen direkt vor sich einen Planeten – ›X‹. Seaton gab ausreichend negative Beschleunigung vor, um eine sanfte Landung zu ermöglichen. »Wird das keine langwierige Sache, zwei Tonnen Metall zu schürfen und außerdem die schrecklichen Lebewesen zu bekämpfen?« fragte Margaret. »Ich glaube, wir brauchen nur einen Sekundenbruchteil, Peggie. Ich beiße mit der Energiezone ein Stück Metall heraus – wie damals auf unserem Flugfeld. Die Rotation des Planeten wird uns von der Oberfläche fortschleudern, dann schalten wir die Zone ab und schleppen unsere Beute fort. Klar?« Vom Objektkompaß gesteuert, senkte sich die Skylark langsam auf den Metallhügel hinab, den die Männer noch gut in Erinnerung hatten. »Dies ist genau die Stelle, an der wir auch beim erstenmal gelandet sind«, bemerkte Margaret überrascht. »Ja«, sagte Dorothy, »und da ist ja auch der schreckliche Baum, der den Dinosaurier gefressen hat! Ich dachte, du hättest das Ding vernichtet, Dick.« »Habe ich auch, Dottie – in Atome zerblasen. Muß ein guter Standort für fleischfressende Bäume sein, die offenbar sehr schnell wachsen. Was unseren Landeplatz angeht, so ist das kein Wunder – wozu haben wir die Objektkompasse?« Die Szene schien unverändert zu sein. Die üppige grellgrüne Karbonvegetation stand reglos in der stillen, heißen und schweren Luft. Die lebendigen Alp-
träume dieser primitiven Welt verbargen sich in den kühleren Tiefen des Dschungels, wo sie vor den sengenden Strahlen der seltsamen Sonne geschützt waren. »Wie wär's, Dottie? Möchtest du ein paar von unseren kleinen Freunden wiedersehen? Wenn ja, rufe ich sie her.« »Himmel, nein! Einmal genügt mir völlig!« »Also gut – dann schnappen wir uns ein Stück Metall und verschwinden.« Seaton steuerte das Raumschiff langsam über den Metallberg, richtete einen Ankerattraktor darauf und schaltete die Energiezone ein. Sofort ließ er die Zone wieder verschwinden, nahm Kurs auf Osnome und steigerte dann langsam die Energie. »Wieviel hast du mitgenommen?« fragte Dunark erstaunt. »Das Stück sieht ja größer aus als die Skylark!« »Richtig beobachtet – das Ding ist wesentlich größer. Wo wir schon mal hier sind, wollte ich auch gleich möglichst viel mitnehmen – und stellte die Zone auf einen Radius von fünfundzwanzig Metern. Dürfte etwa eine halbe Million Tonnen sein, da das Zeug gut zwei Tonnen pro Kubikmeter wiegt. Doch wir werden leicht damit fertig – und daß wir eine so große Masse mitbringen, wird uns helfen, all die anderen Teilchen zusammenzuhalten, die wir schon auf den Weg geschickt haben.« Die Reise nach Osnome verlief ohne Zwischenfälle. Sie überholten plangemäß die Wrackteile, als sie sich dem Grünen System näherten, und koppelten die Bruchstücke mit Attraktoren an die Metallmasse hinter dem Raumschiff.
»Wo sollen wir das Zeug landen?« wandte sich Seaton an Dunark, als Osnome unter ihnen größer wurde. »Wir behalten den Metallbrocken und das Schiffsteil bei uns, in dem das Salz lagert – und wir können auch die wichtigsten übrigen Teile manövrieren –, doch ein großer Teil muß losgeworfen werden, und Gnade allen, die dann darunter stehen. Dunark, ich schlage vor, daß du um Hilfe nachsuchst – und vielleicht könntest du dafür sorgen, daß jemand die astronomischen Daten bereit hat, sobald wir landen.« »Das Paradefeld müßte leer sein – ich würde meinen, daß wir unsere Ladung auf einer Fläche von dieser Größe landen könnten.« Dunark berührte den Sender an seinem Gürtel und verständigte im allgemeinen Kode die Stadt von ihrer Ankunft und forderte alle Bürger auf, sich vom Paradefeld fernzuhalten. Dann schickte er mehrere Meldungen im amtlichen Kode ab und beendete seine Durchgabe mit der Bitte, einige Raumschiffe sollten der Skylark entgegenfliegen und ihr dabei helfen, die Nutzlast zu landen. Als das seltsame pulsierende Klappern des osnomischen Telegrafen erstarb, rief Seaton um Hilfe. »Kommt mal her, ihr beiden, und übernehmt je einen Attraktor. Zwölf Hände müßte man haben, um den Plunder auf Kurs zu halten!« Er hatte sorgfältig gerechnet, um unter Berücksichtigung der verschiedenen Geschwindigkeiten und beteiligten Kräfte den kürzesten Weg zum kondalischen Paradefeld zu finden. Die ›X‹-Halbkugel und das Wrackstück der Kondal, welches das Salz enthielt, wurden vom Hauptattraktor und einem Hilfsgerät an Ort und Stelle gehalten, während zahlreiche Zusatzgeräte die Reste des fenachronischen Raumschiffs
kontrollierten. Der Luftwiderstand beeinflußte jedoch die Flugbahnen der unregelmäßig geformten Metallmassen, so daß die drei Männer alle Hände voll zu tun hatten, ihre Attraktoren überall einzusetzen, wo es nötig war – sie fingen davonrasende Brocken wieder ein, die auf Straßen oder Gebäude der kondalischen Hauptstadt zu stürzen drohten und sprangen dabei von einem Stück zum anderen, so daß kein Wrackteil frei fallen konnte. Zwei Schwesterschiffe der Kondal folgten Dunarks Bitte, und ihre Attraktoren halfen bei der Landung der widerspenstig taumelnden Wrackteile. Trotzdem stürzten einige kleinere Metallmassen ab, so daß die Landung der Skylark von meteorähnlichen Erscheinungen in der Atmosphäre begleitet war, wie man sie auf dieser Welt bisher noch nicht erlebt hatte. Als die drei Raumschiffe mit ihrer unhandlichen Last in die untere Atmosphäre eindrangen, dröhnten die Kanonen der Stadt einen Willkommensgruß; Banner und Wimpel wurden aufgezogen, die Luft färbte sich mit der Energie unzähliger Projektoren und füllte sich mit einer erstaunlichen Vielfalt von Düften, während der Konvoi von zahllosen Fluggeräten aller Größen und Formen umgeben war. Unter den landenden Schiffen war der Weg natürlich frei, doch ansonsten war die Luft dermaßen voller Flieger, daß Zusammenstöße unvermeidlich schienen – doch die Katastrophe blieb aus. Winzige Einmannhubschrauber, fliegenden Stühlen gleich, riesige Vergnügungsflugzeuge, die in der Luft kreisten, gewaltige Multiflügel-Luftschiffe und Riesenfrachter – alles, was sich in der Luft herumtrieb, suchte die Gelegenheit, möglichst nahe an der Skylark vorbeizurasen, um
vor Kofedix Dunark und Oberherr Seaton, dem Träger der Sieben Scheiben, grüßend die Fahne zu hissen. Schließlich war die Fracht ohne ernsthafte Schwierigkeit gelandet, und die Skylark raste zu dem Landedock auf dem Palastdach, wo die Königsfamilie und zahlreiche Würdenträger in prunkvoller Kleidung warteten. Dunark und Sitar verließen das Schiff, und die vier Erdenbürger traten ebenfalls ins Freie. »Sir«, wandte sich Seaton an Karfedix Roban, »wir grüßen Sie, aber wir können keine Sekunde verweilen. Sie wissen, daß mich nur dringlichste Umstände zwingen würden, das Vergnügen der Gastfreundschaft unter Ihrem Dach auszuschlagen – der Kofedix wird Ihnen die Gründe meiner Eile schildern. Wir werden danach streben, möglichst schnell zurückzukehren. Seien Sie gegrüßt und leben Sie wohl.« »Oberherr, wir begrüßen Sie und hoffen, daß wir Sie bald wieder hier willkommen heißen und Ihre Gesellschaft genießen dürfen. Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe. Möge die Erste Kraft auf Sie herablächeln, bis Sie wiederkehren. Leben Sie wohl.«
KAPITEL 6 »Martin, hier ist eine Karte des Grünen Systems, mit Planetenbewegungen und allen sonstigen Angaben, die man hat zusammentragen können. Übernimm du es bitte, uns zum Dritten Planeten der Vierzehnten Sonne zu navigieren.« »Während du wohl einen fenachronischen Supergenerator baust?« »Richtig. Dein Logikzentrum arbeitet wie immer gut. Der gewaltige fenachronische Strahl ist eine umwerfende Sache, im wahrsten Sinn des Wortes, und die Schutzschirme dieser Wesen sind auch nicht zu verachten.« »Wie können die fenachronischen Strahlen stärker sein als unsere?« fragte Dorothy neugierig. »Ich dachte, wir stünden mit unseren Strahlen ganz vorn?« »Das hatte ich auch angenommen. Die Fenachroner haben uns leider bewiesen, daß sie uns doch noch ein gutes Stück voraus sind. Sie arbeiten nach einem völlig anderen Prinzip. Sie erzeugen eine extrem kurze Trägerwelle, etwa wie der kosmische Millikanstrahl, indem sie einige Elektronen und Protonen ihres sich auflösenden Metalls umgruppieren – und auf diese Welle legen sie eine reine Hitzefrequenz von unglaublicher Stärke. Der Millikanstrahl durchdringt alles bis auf Spezialschirme oder eine Energiezone und nimmt dabei die Hitzestrahlen mit – so wie eine Funkfrequenz zuweilen Geräuschfrequenzen mitnimmt. Und diese Hitzestrahlen lösen alles auf, was sie berühren. Die fenachronischen Schirme sind auch
viel besser als unsere – sie umfassen das gesamte Spektrum. Ein vorzügliches System, und sobald wir unsere Anlagen entsprechend umgestellt haben, können wir mit den Leuten vom Dritten Planeten Fraktur reden.« »Wie lange brauchst du für den Umbau?« fragte Crane, der mit geschickten Fingern das Handbuch Wega umblätterte und den Kurs errechnete. »Ein paar Tage – vielleicht drei oder vier. Ich habe alle nötigen Angaben, und mit den osnomischen Werkzeugen brauche ich nicht lange. Wenn du unser Ziel erreichst, ehe ich soweit bin, mußt du noch ein bißchen die Zeit totschlagen.« Der Bau der Generatoren wäre für manchen irdischen Techniker und Elektriker eine schwierige Aufgabe gewesen – doch Seaton sah die Arbeit nur als einen Job von vielen an. Seine ›Werkstatt‹ war erweitert und bis zum Platzen mit osnomischen Maschinen gefüllt worden – Werkzeugmaschinen, die fast jede denkbare mechanische Tätigkeit automatisch und mit höchster Präzision ausführen konnten. Er setzte ein Dutzend Apparate in Betrieb, und ehe das Raumschiff sein Ziel erreicht hatte, waren die neuen Offensiv- und Defensivwaffen installiert und gründlich getestet worden. Er hatte einen dritten Schirmgenerator hinzugefügt, so daß die Skylark jetzt außer der hundertundzwanzig Zentimeter dicken Arenakwandung, die alle materiellen Projektile abwehrte, über einen äußeren, einen mittleren und einen inneren Strahlenschirm verfügte – und jeder dieser Schirme wurde von den Superkräften einer vierhundert Pfund schweren Schiene betrieben, und jeder deckte das gesamte Spektrum. Diese Schirme konnten sämtliche
gefährlichen Frequenzen abblocken, die den Superwissenschaftlern der Fenachroner bekannt waren. Als sich die Skylark dem Planeten näherte, richtete Seaton Visischirm Sechs darauf und lenkte das Schiff zu einem großen Armeestützpunkt. Er stieß in schneller Fahrt hinab, zerrte einen Offizier in die Luftschleuse, verriegelte die Tür und raste wieder ins All hinaus. Von Hilfsattraktoren gehalten, wurde der Gefangene in den Kontrollraum gebracht und entwaffnet. Dann studierte Seaton den Geist des Fremden, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Schließlich schaltete er die Attraktoren ab und begann in der Muttersprache des Mannes zu reden. »Setzen Sie sich bitte, Leutnant«, sagte Seaton höflich und deutete auf einen der Stühle. »Wir kommen in friedlicher Absicht. Bitte entschuldigen Sie die grobe Art und Weise, mit der wir Sie behandelt haben, aber das war leider erforderlich, um Ihre Sprache zu erlernen und uns mit Ihrem befehlshabenden Offizier in Verbindung zu setzen.« Der Soldat, der sich wunderte, daß man ihn nicht sofort getötet hatte, setzte sich auf den bezeichneten Stuhl, ohne zu antworten. »Bitte haben Sie die Freundlichkeit, Ihrem befehlshabenden Offizier ein Signal zu geben, daß wir sofort landen wollen – zu einer Friedenskonferenz. Übrigens kenne ich Ihren Kode und kann die Nachricht notfalls selbst schicken.« Der Fremde bediente ein Gerät, das an seinem Gürtel befestigt war, und die Skylark näherte sich langsam der Festung. »Ich weiß natürlich, daß Ihre Raumschiffe angreifen werden«, bemerkte Seaton, als er einen Hoff-
nungsschimmer in den Augen des Offiziers bemerkte. »Ihre Leute sollen sich ruhig eine Zeitlang austoben – und erkennen, wie harmlos ihre Waffen für mich sind. Danach werde ich Ihnen erzählen, was Sie Ihren Kollegen sagen sollen.« »Hältst du das für sicher, Dick?« fragte Crane, als sie eine Flotte riesiger Raumschiffe auf sich zukommen sahen. »Nichts ist so sicher wie der Tod und die Steuern«, gab Seaton fröhlich zurück. »Aber du solltest nicht vergessen, daß wir jetzt eine fenachronische Bewaffnung haben. Ich möchte wetten, daß diese Leute keine Waffe besitzen, die unseren Außenschirm auch nur ankratzen kann. Und selbst wenn sie den Schirm bis ins Violette bringen – ich glaube nicht mal, daß er kirschrot wird –, errichtet sich automatisch unsere Energiezone, und wir weichen an eine Stelle zurück, wo uns kein Luftschiff erreichen kann. Da die Raumschiffe dieser Wesen raketengetrieben sind und praktisch nicht manövrieren können, haben sie keine Chance. Auf jeden Fall müssen wir uns mit diesen Wesen in Verbindung setzen, um herauszufinden, ob sie etwas wissen, von dem wir keine Ahnung haben – und dies ist der einzige Weg, der mir einfällt. Außerdem möchte ich Dunark davon abbringen, diese Welt zu vernichten – die Menschen hier sehen genauso aus wie die Osnomer, und ich habe etwas gegen Bürgerkrieg. Habt ihr irgendwelche Vorschläge? Gut, Martin, dann behalte den Burschen im Auge; wir landen.« Die Skylark raste mitten in die Flotte hinein, die sofort mit der vollen Kraft ihrer Riesenkanonen und Strahlenbatterien losschlug. Seaton hielt die Skylark an einer Stelle und starrte auf seinen Visischirm, wäh-
rend seine rechte Hand den Zonenschalter berührte. »Unser Außenschirm wird nicht mal warm!« rief er gleich darauf. Die Abstoßer schleuderten die Granaten zurück, ehe sie überhaupt den ersten Schirm erreichten, und ließen sie harmlos in der Luft explodieren. Die volle Kraft der Strahlgeneratoren, die für die Osnomer so verhängnisvoll gewesen waren, ließ den Außenschirm nur mattrot aufglühen. Nach einer Viertelstunde passiven Ausharrens wandte sich Seaton an den Leutnant. »Sir, bitte signalisieren Sie dem befehlshabenden Offizier von Schiff 724, daß ich es gleich in zwei Stükke schneiden werde. Er soll alle Männer ins Heck führen und die Fallschirme bereithalten, da ich niemanden umbringen möchte.« Die Anordnung ging hinaus und wurde auch befolgt, denn man war bereits ziemlich angeschlagen von der Tatsache, daß die stärksten Strahlen dem Schirm der Fremden nichts anhaben konnten. Nun aktivierte Seaton die unvorstellbare Energie der fenachronischen Supergeneratoren. Die Verteidigungsschirme des zum Untergang bestimmten Raumschiffes flammten einmal kurz auf – ein Flakkern und Zucken von unglaublicher Helligkeit! –, dann stürzte der Kreuzer ab. Gleichzeitig explodierte das gesamte Mittelteil und verschwand. »Sir, bitte signalisieren Sie der gesamten Flotte, sie soll das Feuer einstellen und mit mir landen. Geschieht das nicht, werde ich alle Einheiten vernichten.« Die Skylark landete – gefolgt von der Kriegsflotte, die einen Ring um den Eindringling bildete – ohne zu schießen, aber wachsam.
»Würden Sie mir bitte Ihren Sender zur Verfügung stellen?« fragte Seaton. »Von jetzt an möchte ich die Verhandlungen lieber direkt führen.« Der Leutnant fand seine Stimme wieder, als er den Apparat überreichte: »Sie ... Sie sind doch der Oberherr von Osnome, von dem wir gehört haben! Wir hatten angenommen, daß es sich um einen Mythos handelt – aber Sie müssen es sein, niemand sonst würde Gegner schonen, die er umbringen kann, und der Oberherr hat angeblich so eine Haut wie Sie.« »Jawohl, Leutnant, ich bin der Oberherr – und ich habe beschlossen, Oberherr des gesamten Grünen Systems zu werden.« Nun setzte er eine Aufforderung an den Oberbefehlshaber aller Armeen des Planeten ab und informierte ihn, daß er ihn sofort besuchen wolle. Kurze Zeit später raste die Skylark durch die Atmosphäre des Planeten auf die Hauptstadt zu. Kaum war das irdische Schiff auf dem Palastgrundstück gelandet, als es auch schon von einem Ring von Kriegseinheiten umgeben war, die allerdings nicht angriffen. Wieder benutzte Seaton seinen Telegrafen. »Oberbefehlshaber der Armeen des Planeten Urvania – seien Sie gegrüßt vom Oberherrn dieses Sonnensystems. Ich fordere Sie auf, unbewaffnet und allein in mein Schiff zu kommen. Wir wollen eine Konferenz abhalten. Ich komme in friedlicher Absicht. Ob es nun Krieg oder Frieden zwischen uns geben wird – auf keinen Fall wird Ihnen etwas geschehen, bis Sie in Ihre Zentrale zurückgekehrt sind. Überlegen Sie gut, ehe Sie mir antworten.« »Und wenn ich mich weigere?«
»Dann vernichte ich eins der Schiffe, die mich umringen, und werde mein Vernichtungswerk fortsetzen – ein Schiff alle zehn Sekunden –, bis Sie kommen. Wenn Sie sich immer noch weigern, zerstöre ich alle Raumschiffe auf diesem Planeten, dann Ihre Soldaten, die sich zur Zeit auf Osnome befinden. Ich möchte Blutvergießen und sinnlose Zerstörung vermeiden, doch ich bin in der Lage, meine Drohungen wahrzumachen, und werde nicht zögern!« »Ich komme.« In Begleitung einer ganzen Kompanie kam der General unbewaffnet auf die Landefläche. Dreißig Meter vor dem Raumschiff ließ er die Wächter anhalten und ging allein weiter, aufrecht und soldatisch. Seaton begrüßte ihn an der Tür und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. »Was können Sie mir schon sagen?« wollte der General wissen, ohne sich um die Geste zu kümmern. »Vieles. Zuerst möchte ich Ihnen sagen, daß Sie nicht nur ein mutiger Mann, sondern auch ein kluger General sind – Ihr Besuch bei mir beweist das.« »Es ist ein Zeichen der Schwäche, doch ich habe die eintreffenden Berichte gehört – eine Weigerung hätte zu schweren Verlusten bei meinen Männern geführt.« »Allerdings. Ich wiederhole, daß bei Ihrer Entscheidung nicht von Schwäche die Rede sein kann – Sie haben klug gehandelt. Zweitens möchte ich Ihnen sagen, daß ich eigentlich nicht vorgehabt hatte, in die Verwaltung auf Osnome oder Urvania einzugreifen – meine Ansicht änderte sich erst, als ich von einer Katastrophe erfuhr, die alle Zivilisationen dieser Galaxis bedroht, meine eigene ferne Heimatwelt ebenso wie die Planeten dieses Sonnensystems. Drittens kann ich
nur durch meine Überlegenheit Sie und die Osnomer soweit zur Vernunft bringen, daß sie sich gegen einen gemeinsamen Gegner verbünden. Sie sind über so viele Generationen in unsinnigem Haß erzogen worden, daß Sie in diesem Punkt nicht mehr klar denken können. Deshalb habe ich die Kontrolle des gesamten Sonnensystems übernommen und lasse Ihnen nun die Wahl – entweder machen Sie mit, oder Sie werden nachhaltig daran gehindert, uns zu stören, während wir uns auf die drohende Invasion konzentrieren.« »Wir lassen uns nicht mit unserem Feind ein! Das ist mein letztes Wort!« »Das glauben Sie! Hier ist eine mathematische Berechnung dessen, was aus Ihrer Welt wird, wenn ich nicht einschreite.« Er reichte dem General eine Zeichnung von Dunarks Plan und legte alle Einzelheiten dar. »Das ist die Antwort der Osnomer auf Ihre Invasion. Ich möchte nicht, daß diese Welt zerstört wird, aber wenn Sie sich weigern, sich gegen einen gemeinsamen Gegner mit uns zusammenzutun, kommen wir vielleicht nicht darum herum. Haben Sie genügend Streitkräfte zur Verfügung, um diesen Plan zu vereiteln?« »Nein, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß eine solche Lenkung von Himmelskörpern möglich ist. Wie dem auch sei, Sie wissen, daß ich mich keinen leeren Drohungen beugen kann.« »Natürlich nicht – aber Sie waren so klug, Ihre Männer und Schiffe zu schonen, indem Sie auf einen sinnlosen Kampf gegen meine überlegenen Waffen verzichteten – und Sie sind bestimmt auch so klug, die Vernichtung Ihrer ganzen Rasse abwenden zu wollen. Doch ehe Sie eine endgültige Entscheidung
treffen, möchte ich Ihnen zeigen, welche Gefahr der Galaxis droht.« Er reichte seinem Gegenüber eine Kopfhaube und ließ den Teil der Aufzeichnung durchlaufen, der die Pläne der Invasoren behandelte. Dann führte er einige andere Abschnitte vor, die die unvorstellbare Kampfkraft der Fenachroner verdeutlichten. »Und das droht uns allen, wenn wir uns nicht gegen diese Wesen verbünden.« »Was verlangen Sie?« »Ich erbitte den sofortigen Abzug aller Ihrer Streitkräfte von Osnome und volle Mithilfe im kommenden Krieg gegen die Invasoren. Als Gegenleistung mache ich Ihnen die Geheimnisse zugänglich, die ich gerade den Osnomern gegeben habe – die Kampfkraft und die Offensiv- und Defensivwaffen dieses Raumschiffs.« »Die Osnomer bauen im Augenblick Schiffe wie dieses?« »Sie bauen Schiffe, die hundertmal so groß sind wie die Skylark – mit einer entsprechenden Bewaffnung.« »Ich selbst würde auf Ihre Bedingungen eingehen. Doch auf dieser Welt ist das Wort des Herrschers Gesetz.« »Ich verstehe. Wären Sie bereit, um eine sofortige Audienz bei ihm nachzusuchen? Ich möchte vorschlagen, daß Sie beide mich begleiten, damit wir dann an Bord dieses Schiffes eine Friedenskonferenz mit dem osnomischen Herrscher und Oberbefehlshaber abhalten können.« »Ich werde es versuchen.« »Sie dürfen Ihren General begleiten, Leutnant. Und
ich entschuldige mich nochmals für die harte Behandlung.« Als die beiden urvanischen Offiziere auf den Palast zueilten, traten die anderen Erdenmenschen ein, die das Gespräch mitgehört hatten. »Hört sich so an, als hättest du ihn überzeugt, Dick; aber die Sprache hat keine Ähnlichkeit mit dem Kondalischen. Warum bringst du sie uns nicht schnell bei? Auch Shiro, damit er für unsere hochstehenden Gäste kochen und sich mit ihnen unterhalten kann, wenn sie uns wirklich begleiten.« Während er das Lehrgerät einstellte, erklärte Seaton, was bisher geschehen war. »Ich will diesen Bürgerkrieg beenden«, schloß er. »Dunark soll Urvania nicht vernichten, Osnome soll den Osnomern vorbehalten bleiben – und alle sollen mit uns gegen die Fenachroner zusammenarbeiten. Ein ziemlich hochgestecktes Ziel, da diese Wesen nur ans Töten denken.« Eine Abteilung Soldaten näherte sich, und Dorothy stand hastig auf. »Bleibt hier, Leute, wir können auch gemeinsam auftreten.« »Du solltest lieber allein sein«, sagte Crane. »Diese Leute sind Autokraten gewöhnt und verstehen nur das Herrscherprinzip. Die Mädchen und ich halten uns da raus.« »Du hast vielleicht recht.« Seaton ging zur Tür, um seine Gäste zu begrüßen. Er bat sie herein und wies sie an, sich flach hinzulegen, und schaltete auf die höchste Beschleunigung, die sie aushalten konnten. Nach relativ kurzem Flug trafen sie in Kondal ein, wo Karfedix Roban und Karbix Tarnan Seatons Einla-
dung annahmen und unbewaffnet an Bord der Skylark kamen. Das Raumschiff kehrte wieder ins All zurück und verharrte reglos an einer Stelle, während Seaton die Herrscher und Oberbefehlshaber in einem Raum zusammenbrachte und vorstellte – eine Geste, die auf beiden Seiten ungerührt aufgenommen wurde. Dann gab er jedem Anwesenden eine Kopfhaube und ließ die gesamte Aufnahme des fenachronischen Gehirns ablaufen. »Halt!« rief Roban nach wenigen Sekunden. »Wollen Sie als osnomischer Oberherr den Erzfeinden Osnomes solche Geheimnisse verraten?« »O ja! Ich habe die Oberherrschaft des gesamten Grünen Systems übernommen, solange der Ausnahmezustand herrscht, und ich will nicht, daß sich zwei Planeten dieses Systems im Bürgerkrieg zerfleischen.« Nachdem die Aufzeichnung beendet war, versuchte Seaton die vier Krieger von seiner Denkweise zu überzeugen, doch alle Bemühungen waren vergeblich. Roban und Tarnan ließen alles verächtlich an sich ablaufen. Die beiden Urvanier blieben gleichermaßen störrisch. Der rücksichtsvolle Erdenmensch hatte ihnen ohne Gegenleistung alles gegeben. Schließlich richtete sich Seaton zu voller Größe auf und starrte seine Gäste grimmig an. »Ich habe Sie hier in einem Raumschiff im neutralen All zusammengebracht, um Frieden zwischen Ihnen zu stiften. Ich habe Ihnen die Vorteile aufgezeigt, die eine friedliche wissenschaftliche Zusammenarbeit bringt, im Gegensatz zur Fortsetzung des idiotischen und wirtschaftlich sinnlosen Krieges. Sie verschließen die Ohren vor der Vernunft. Ihr Osnomer beschuldigt
mich, ein treuloser Verräter zu sein, die Urvanier halten mich für einen sentimentalen Schwächling, den man getrost mißachten kann – nur weil ich das Wohlergehen der zahllosen Rassen des Universums für wichtiger halte als eure engstirnige, egoistische Eitelkeit. Denken Sie, was Sie wollen! Wenn Gewalt Ihre einzige Logik ist, dann sollten Sie erkennen, daß auch ich nackte Gewalt anwenden kann und werde. Hier sind die sieben Scheiben.« Seaton legte das Armband auf Robans Knie. »Wenn Sie als Anführer so kurzsichtig sind, Ihre lächerliche Auseinandersetzung über das Wohlergehen der gesamten Zivilisation der Galaxis zu stellen, ist es mit meiner Oberherrschaft und meiner Freundschaft vorbei. Ich habe den Urvaniern absichtlich dieselben Informationen gegeben wie den Osnomern – nicht mehr und nicht weniger. Keiner von beiden hat alles erfahren, was ich weiß, und wenn die Zeit der Eroberung heranrückt, werde ich noch mehr erfahren haben. Wenn Sie nicht auf der Stelle diesem Krieg abschwören und sich zu einem dauerhaften Frieden bereitfinden, wende ich diesem System den Rücken zu – dann können Sie sich meinetwegen gegenseitig vernichten, vielleicht schaffen Sie es sogar, bevor Sie von den Fenachronern ausgelöscht werden. Sie haben noch keine Ahnung von der Vernichtungskraft der Waffen, die ich Ihnen gegeben habe; aber Sie werden bald erkennen, daß die gegenseitige Vernichtung unvermeidlich ist, wenn Sie mit diesem Bürgerkrieg fortfahren. Inzwischen suche ich auf anderen Planeten nach dem Geheimnis, das noch zwischen mir und der unvollkommenen Beherrschung der Energie steht. Ich bin zuversichtlich, daß ich dieses Rätsel lö-
sen werde – und wenn ich am Ziel bin, werde ich die Fenachroner ohne Ihre Hilfe vernichten. Sie haben mehrfach höhnisch gesagt, Sie wollten sich nicht durch leere Drohungen einschüchtern lassen. Was ich nun äußere, ist keine leere Drohung, sondern das feierliche Versprechen eines Mannes, der sowohl den Willen als auch die Macht hat, seine Worte wahr werden zu lassen. Hören Sie gut zu. Wenn Sie Ihren Krieg fortsetzen, und wenn es dabei überhaupt einen Sieger gibt, der nicht selbst völlig vernichtet ist, werde ich, so wahr ich hier stehe, die überlebende Nation restlos auslöschen, sobald die Fenachroner erledigt sind. Wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, haben wir alle eine gute Überlebenschance – wenn Sie weiterkämpfen, werden Ihre beiden Nationen sterben. So oder so. Und jetzt Ihre Entscheidung. Ich habe genug gesprochen.« Roban nahm das Armband und befestigte es wieder um Seatons Arm. »Sie sind unser Oberherr, mehr noch als jemals zuvor. Sie sind kluger und starker als wir. Geben Sie uns Ihre Befehle, und wir werden sie befolgen.« »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Oberherr?« Der urvanische Herrscher salutierte lächelnd. »Wir konnten doch nicht ehrenvoll einem Schwächling nachgeben, welches Schicksal uns auch drohte. Nachdem Sie uns von Ihrer Stärke überzeugt haben, ist es keine Schande, unter Ihren Schirmen zu kämpfen. Ein Armband aus sieben Symbolen soll hergestellt werden und liegt für Sie bereit, wenn Sie uns das nächste Mal besuchen. Roban von Osnome, Sie sind ... äh ... Sie sind mein Bruder!« Die beiden Herrscher salutierten voreinander und
sahen sich einen Augenblick lang prüfend in die Augen, und Seaton wußte, daß ein dauerhafter Frieden geschlossen worden war. Er wandte sich an die Gruppe. »Dunark von Osnome weiß bereits, welche Aufgaben sein Planet erfüllen soll. Die Urvanier bitte ich darum, mir das fenachronische Raumschiff zu bauen. Urvan von Urvania, Sie begleiten Roban nach Osnome, wo Sie gemeinsam die sofortige Einstellung der Kriegshandlungen befehlen werden. Osnome hat inzwischen genügend Schiffe des Skylark-Typs, mit denen Ihre Streitkräfte bis zum letzten Mann und bis zur letzten Waffe auf Ihren Heimatplaneten zurückkehren können. So schnell wie möglich sollten Sie dann für mich ein Schiff bauen, wie es die Fenachroner besitzen – außer daß es in jeder Beziehung zehnmal so groß sein soll und keinerlei Instrumente, Kontrollen oder Waffen enthalten darf.« »Nein? Wir werden das Schiff bauen – aber was kann es Ihnen nützen?« »Die Einrichtung wird später vervollständigt, wenn ich von meiner Reise zurückkehre. Sie werden das Schiff aus Dagal bauen. Sie werden auch die osnomischen Kommandanten in der Herstellung dieses Metalls unterweisen, das noch erheblich widerstandsfähiger ist als das osnomische Arenak.« »Aber, Oberherr, wir haben ...« »Ich habe gerade einen Riesenvorrat des wertvollen Minerals und des Energiemetalls nach Osnome gebracht. Die Osnomer werden Ihnen einen Anteil überlassen. Ich rate Ihnen außerdem, für die eigenen Streitkräfte möglichst viele Schiffe nach fenachronischem Muster zu bauen, damit Sie die Invasoren be-
kämpfen können, falls mein Flug ergebnislos verläuft. Sie werden natürlich dafür sorgen, daß eine Abteilung Ihrer tüchtigsten Techniker und Handwerker jederzeit abrufbereit ist, falls ich zurückkehre und diese Leute dringend benötige.« »Es soll alles geschehen.« Nach der Konferenz wurden die vier Würdenträger hastig auf Osnome abgesetzt, und die Skylark raste wieder in ihr Element hinaus – in das Vakuum des Weltalls. »Da hast du aber tüchtig die Muskeln spielen lassen, Dick! Ich hatte fast das Gefühl, daß dir deine Worte ernst waren.« »Das waren sie auch. Die Burschen hätten eine Finte sofort gespürt. Wenn ich nicht in allem Ernst gesprochen hätte, wenn sie nicht von meiner Entschlossenheit überzeugt gewesen wären, hätte ich mein Ziel nie erreicht.« »Aber wie konntest du solche Drohungen ernst meinen, Dick? Du hättest die Osnomer nie vernichtet – das weiß ich!« »Nein, aber ich hätte die Überlebenden der Urvanier angegriffen – und alle wußten, wie die Sache gelaufen wäre und was ich getan hätte. Deshalb haben sie ja schließlich die Hörner eingezogen.« »Ich weiß nicht, wie die Sache gelaufen wäre«, warf Margaret ein. »Wie denn?« »Mit ihren neuen Waffen hätten die Urvanier die Osnomer vernichtet. Sie sind die ältere Rasse und in Wissenschaft und Technik überlegen – die Osnomer hätten keine Chance gehabt, was sie auch wußten. Deshalb lasse ich unser neues Schiff auch von den Urvaniern bauen. Sie werden uns ein paar hübsche
Sachen mitliefern, die Dunarks Männern zu hoch sind, vielleicht ein paar Dinge, die sogar die Fenachroner nicht haben. Es sah jedenfalls so aus, als würden die Urvanier gewinnen – doch der Urvan wußte, daß ich noch ein As im Ärmel hatte, daß ich die Reste seiner Rasse vom Planeten putzen konnte, wenn er die Osnomer niedergekämpft hätte.« »Was für ein ungeheures Risiko, Dick!« sagte Dorothy. »Man muß im Umgang mit diesen Leuten hart sein – glaube mir, die Sache war knapp. Diese Menschen denken und empfinden so seltsam, daß wir sie kaum verstehen. Der Gedanke an eine Zusammenarbeit ist so neu für sie, daß die vier förmlich starr vor Verblüffung waren.« »Glaubst du, daß sie sich wieder bekämpfen?« erkundigte sich Crane. »Nein. Beide Nationen haben einen starken Ehrenkodex, nach dem Lüge und Täuschung unmöglich sind. Das ist ein Aspekt, der mir an diesen Leuten gefällt – ich bin selbst gewissermaßen eine ehrliche Haut, und bei den Osnomern und den Urvaniern kommt man ohne Brief und Siegel aus.« »Was jetzt, Dick?« »Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an. Martin, hast du die gewaltige Kraft deines gigantischen Intellekts auf das Problem gerichtet – und hast du eine Antwort?« »Was für ein Problem?« fragte Dorothy. »Du hast uns gar nichts erzählt.« »Nein – aber Martin weiß Bescheid. Ich brauche den besten Physiker im ganzen Sonnensystem – und da die siebzehn grünen Sonnen nur hundertundfünf-
undzwanzig Planeten haben, dürfte das eine einfache Aufgabe für dein phänomenales Gehirn sein.« »Einfach kann man sie kaum nennen, Dick, aber ich habe ein paar Dinge herausgefunden. Es gibt etwa achtzig Planeten, die für Wesen wie uns bewohnbar sein könnten. Und in dieser Planetengruppe kann man wohl von folgendem ausgehen: Je älter und intelligenter die Lebensformen sind ...« »›Ah, elementar, mein lieber Watson!‹ meint Sherlock Holmes!« warf Seaton ein. »Du peilst direkt den größten, ältesten und intelligentesten Planeten an, auf dem ich mir einen Physiker schnappen kann!« »Nicht direkt, nein – ich peile die Stelle an, wo der Planet sein wird, wenn wir dort ankommen – und das ist wirklich elementar, mein lieber Watson!« »Autsch, das hat gesessen!« »Dick, du greifst mir vor – so einfach ist die Sache nicht. Die osnomischen Astronomen haben in der kurzen verfügbaren Zeit wahrhaft Wunder erzielt, aber ihre Informationen sind natürlich noch sehr unvollständig, besonders über die Planeten der äußeren Sonnen. Da die am weitesten draußen stehende Sonne wahrscheinlich auch die älteste ist, fällt unser Interesse natürlich auf sie. Der Stern hat sieben Planeten, von denen vier vielleicht gemessen an der Temperatur und der Atmosphäre bewohnbar sind. Doch ist noch nichts Genaues über Massen, Bahnen oder Positionen bekannt. Deshalb habe ich unseren Kurs so abgesteckt, daß wir die Bahn des uns am nächsten stehenden Planeten schneiden, soweit das anhand der mageren Daten feststellbar ist. Wenn es sich erweist, daß die Welt von intelligenten Wesen bewohnt ist, können die uns vermutlich genauere Informationen
über ihre Nachbarplaneten geben. Mehr kann ich im Augenblick nicht tun.« »Aber das ist schon verdammt viel, alter Freund – aus hundertundfünfundzwanzig hast du vier gemacht. Also, was tun wir, bis wir dort eintreffen? Singen wir etwas, damit unser Quartett in Schwung bleibt?« »Ach, ehe du zu singen anfängst«, sagte Margaret ernst, »würde ich gern wissen, ob du wirklich eine Chance siehst, daß wir diese schrecklichen Ungeheuer besiegen.« »Ehrlich gesagt, ja. Ich bin sogar ziemlich zuversichtlich. Hätten wir zwei Jahre Zeit, wäre ich absolut sicher, daß wir sie hereinlegen könnten, aber wenn wir jetzt etwas Tempo zulegen, kommen wir auch in weniger als sechs Monaten zum Ziel – das ist die äußerste Frist.« »Ich weiß, daß du uns nichts vormachst, Dick. Ich will auch niemandem den Mut nehmen, aber ich sehe eigentlich keinen Grund zum Optimismus«, sagte Crane nachdenklich. »Ich hoffe, daß du das Problem mit der Energiezone löst – aber du kümmerst dich ja nicht selbst darum. Du scheinst aus unerfindlichen Gründen überzeugt zu sein, daß es irgendwo in diesem System eine Rasse gibt, die die Lösung bereits hat. Ich würde gern wissen, wie du darauf kommst.« »Vielleicht gibt es diese fortschrittlichen Wesen nicht im Grünen System, vielleicht handelt es sich um Außenseiter, wie wir es sind – aber ich habe meine Gründe, sie für Bewohner dieses Systems zu halten –, da sie eine grüne Haut hatten. Du kennst doch die osnomische Mythologie so gut wie ich – auch ihr Mädchen habt euch mit den alten Legenden Osnomes
beschäftigt. Übrigens gibt es dieselben Überlieferungen auf Urvania. Ich habe sie dem Gehirn des Leutnants entnommen – nachdem ich gezielt danach gesucht hatte. Ihr wißt auch, daß jede Sage, jede Überlieferung eine reale Grundlage hat, so schmal diese auch sein mag. Schülerin Dottie, erzähl der Klasse doch mal vom Kampf der Götter, als Osnome noch ganz jung war.« »Die Götter kamen vom Himmel herab«, zitierte Dorothy aus dem Gedächtnis. »Sie waren grün wie die Menschen. Sie trugen Panzer aus poliertem Metall, die auftauchten und wieder verschwanden. Sie blieben in diesen unsichtbaren Panzern und kämpften doch mit Schwertern und Lanzen aus Feuer. Männer, die sich gegen sie stellten, durchschnitten ihre Körper immer wieder mit den Klingen, und sie wurden von den Flammenlanzen getroffen, so daß sie gelähmt waren. So kämpften die Götter in längstvergangenen Tagen und verschwanden in ihren unsichtbaren Panzern, und ...« »Genügt, genügt«, unterbrach sie Seaton. »Das kleine rothaarige Mädchen hat ihre Hausaufgaben gemacht. Begriffen, Martin?« »Kann ich nicht behaupten.« »Also, das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn!« rief Margaret. »Na gut, ich will's euch erklären. Osnome wurde von Fremden aus dem All besucht. Sie waren grün wie die Menschen. Sie trugen Energiezonen, die sie immer wieder aus- und einschalteten. Sie blieben innerhalb dieser Zonen und projizierten ihr Abbild ins Freie und gebrauchten Waffen durch diese Abschirmung hindurch. Männer, die gegen die projizierten
Trugbilder kämpften, schlugen immer wieder mit ihren Schwertern zu, konnten dem Gegner aber nichts anhaben, da sie keine reale Körpersubstanz vor sich hatten. Die Körperprojektionen richteten Kräfte gegen die Männer, von denen sie gelähmt wurden. So kämpften die Fremden in längst vergangenen Tagen, und verschwanden in ihren Energiezonen. Wie klingt das?« »Du hast die tollste Phantasie, die die Welt je erlebt hat – aber vielleicht hast du wirklich recht«, sagte Crane nachdenklich. »Ich bin davon überzeugt – besonders aus einem Grund. Bitte beachtet, daß in dem Bericht die Rede davon ist, die Männer wären von den Besuchern gelähmt worden. Diese Vorstellung widerspricht nun wirklich der osnomischen Natur – diese Leute kämpfen, um zu töten. Wenn sich diese Legende über so viele Generationen hinweg erhalten hat, ohne daß das ›gelähmt‹ in ›getötet‹ abgeändert wurde, möchte ich wetten, daß auch der Rest des Berichts ziemlich klar überliefert wurde. Vielleicht haben diese Wesen nicht die Energiezonen gehabt, wie wir sie kennen, aber es muß sich um irgendeine Art reiner Energie gehandelt haben – und glaubt mir, das war eine sehr fortschrittliche Waffe! Irgend jemand hatte offenbar ein großes Wissen – damals schon. Und wenn das für damals gilt, müssen diese Wesen heute schon erheblich weiter sein. Deshalb will ich mich umsehen. Und was die eigenen Versuche angeht – mein Wissen reicht gerade aus, um zu erkennen, wie hoffnungslos es wäre, in sechs Monaten mit einem Ergebnis zu rechnen. Wenn sich ein Dutzend der besten irdischen Physiker darum kümmerten und zwanzig Jahre Zeit hätten, bitte,
dann könnte man es versuchen. Wie die Dinge liegen, müssen wir eine Rasse finden, die die Lösung bereits kennt!« »Aber wenn uns diese Leute schon bei der Annäherung umbringen wollen?« wandte Dorothy ein. »Sie müßten doch dazu in der Lage sein!« »Sicher – aber wahrscheinlich hätten sie kein Interesse daran – ebensowenig wie du auf eine Ameise treten würdest, die dich bittet, ihr einen Zweig aus dem Weg zu räumen. So groß ist vermutlich der Entwicklungsunterschied zwischen uns. Natürlich sind wir schon hochentwickelten Intelligenzen begegnet, die uns fast vernichtet hätten, aber ich möchte wetten, daß diese Leute noch längst nicht so weit gewesen sind. Übrigens habe ich so eine Ahnung, was diese reinen Intellektuellen angeht, die wir auf unserer ersten Expedition getroffen haben.« »Ach, erzähl's uns!« lachte Margaret. »Deine Ahnungen sind immer großartig!« »Na ja, ich habe den Kompaß, den wir auf den komischen Planeten gerichtet hatten, ausgepumpt und neu gelagert – als letzten Ausweg. Vielleicht hätten wir die Leute besuchen und den Knaben, mit dem wir uns gestritten haben, um Hilfe bitten können. Vielleicht besitzt er Informationen über die Energiezone. Ich glaube nicht, daß er uns entmaterialisieren würde, weil die Situation ihm für weitere tausend Zyklen neuen Stoff zum Nachdenken gäbe – und das Denken scheint ja sein Lebenswunsch zu sein. Aber um auf das Thema zurückzukommen – ich habe festgestellt, daß trotz der neuen Kompaßenergie der gesamte Planet außer Reichweite ist. Wenn diese Wesen das Ding nicht entmaterialisiert haben, bedeutet das
eine Entfernung von mindestens zehn Milliarden Lichtjahren. Stellt euch das mal vor ...! Ich habe so eine Ahnung, als ob diese Burschen vielleicht gar nicht aus unserer Galaxis stammten – daß sie womöglich mitsamt ihrem Planeten aus einer anderen Galaxis gekommen sind, daß sie mit ihrer Welt munter herumreisen wie wir mit der Skylark. Na, ist das eine denkbare Vorstellung?« »O nein!« rief Dorothy entschieden. »Am besten gehen wir jetzt ins Bett! Noch so eine Idee, und dir platzt der Schädel! Gute Nacht allerseits – träumt was Schönes!«
KAPITEL 7 In großer Entfernung von unserem Sonnensystem setzte ein zigarrenförmiger Raumkreuzer seine unvorstellbare Beschleunigung soweit herab, daß sich die Passagiere wieder bewegen konnten. Zwei Männer richteten sich auf, machten Leibesübungen, um ihren Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen, und suchten die Kombüse auf, um sich die erste Mahlzeit nach etwa acht Stunden zuzubereiten, seitdem sie die Erde verlassen hatten. Wegen der Länge und Gefährlichkeit der vorgesehenen Reise hatte DuQuesne seine Angewohnheit, allein zu arbeiten, aufgeben müssen. Er hatte sich alle in Frage kommenden Männer sorgfältig angesehen, ehe er seinen Reisegefährten und Ersatzpiloten aussuchte. Seine Wahl war schließlich auf ›Baby Doll‹ Loring gefallen – der den Spitznamen seinem blonden Kräuselhaar, seiner rosigen Haut, den arglosen blauen Augen und seiner schmalen und unterdurchschnittlich kleinen Gestalt verdankte. Doch selten hatten äußere Merkmale mehr in die Irre geführt als bei diesem Mann. Die blonden Locken entsprossen einem Kopf, in dem ein agiler, energischer und rücksichtsloser Geist arbeitete; die mädchenhaft-feine Haut konnte einiges aushalten, die großen blauen Augen hatten schon oft über den Lauf tödlicher Waffen geschaut, so daß ihm an verschiedenen Orten der Strick drohte, und der schmale Körper bestand aus zähen Knochen und geschmeidigen Muskeln, und er gehorchte den Anordnungen eines gnadenlosen Gehirns. Unter den Fittichen der World Steel Corpora-
tion hatte er eine große Karriere gemacht, und als Gegenleistung für den Schutz der Firma führte er zahlreiche Aufträge aus, die auf seiner Linie lagen – still und sauber. Als sie dann bei einem ausgezeichneten Frühstück aus Schinken und Ei, Buttertoast und starkem, duftendem Kaffee saßen, brach DuQuesne das lange Schweigen. »Wollen Sie wissen, wo wir sind?« »So wie sich Ihr Fahrstuhl die ganze Nacht bewegt hat, würde ich sagen, daß wir schon ziemlich weit von zu Hause weg sind.« »Wir sind bereits einige hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt und fliegen mit einem Tempo, das man jetzt mit Millionen von Kilometern in der Sekunde messen müßte.« DuQuesne ließ den anderen nicht aus den Augen, als er diese verblüffende Nachricht äußerte, und erinnerte sich, wie Perkins auf eine ähnliche Information reagiert hatte. Wohlgefällig stellte er fest, daß Lorings Kaffeetasse nicht zu schwanken begann. Dieser atmete das Aroma des Kaffees ein und nahm einen tiefen Schluck, ehe er antwortete. »Sie verstehen es, Kaffee zu machen, Doktor – und ein guter Kaffee macht neun Zehntel eines guten Frühstücks aus. Was unsere Position angeht – die ist mir ziemlich Wurscht. Ich halt's schon aus, wenn Sie es durchhalten.« »Wollen Sie nicht wissen, wohin wir fliegen und warum?« »Ich habe mir natürlich schon Gedanken darüber gemacht. Vor dem Start wollte ich nichts weiter wissen. Was ein Mann nicht weiß, das kann er später
nicht verraten. Da wir jetzt aber unterwegs sind, sollte ich vielleicht soviel erfahren, daß ich einigermaßen gut reagieren kann, wenn sich etwas Unvorhergesehenes ergibt. Wenn Sie mich aber im dunkeln lassen und mir nur im Bedarfsfall Befehle geben wollen, ist mir das auch recht. Schließlich tanze ich hier auf Ihrer Party.« »Ich habe Sie mitgenommen, weil ich nicht ununterbrochen Wache schieben kann. Da Sie nun in der Sache mit drinstecken und da diese Reise gefährlich ist, müssen Sie alles erfahren. Sie gehören jetzt ohnehin zu den führenden Leuten der Firma – wir verstehen uns doch ganz gut, nicht wahr?« »Ich glaube schon.« In den Kontrollraum am Bug zurückgekehrt, erhöhte DuQuesne erneut die Beschleunigung, doch nicht so sehr, daß jede Bewegung unmöglich wurde. »Sie brauchen also nicht ständig so stark zu beschleunigen wie gestern abend?« »Nein, ich bin jetzt außer Reichweite von Seatons Instrumenten, und wir wollen uns ja nicht umbringen. Eine hohe Beschleunigung ist eine elende Qual, wir müssen bei Kräften bleiben. Also – ich vermute, Sie interessieren sich für den Objektkompaß hier, nicht wahr?« »Für den und andere Dinge.« »Ein Objektkompaß ist eine Nadel aus speziell behandeltem Kupfer, das derart aktiviert worden ist, daß sie stets auf einen bestimmten Gegenstand zeigt, wo der sich auch befinden mag, nachdem sie einmal darauf eingestellt worden ist. Seaton hat zweifellos so ein Gerät auf mich gerichtet; doch so empfindlich diese Dinger auch sind, sie können auf große Entfer-
nungen keine Masse halten, die so klein ist wie ein Mensch. Deshalb sind wir auch um Mitternacht abgeflogen, nachdem er zu Bett gegangen war – wir wollten außer Reichweite sein, ehe er aufwacht. Ich will ihn abschütteln, denn er hätte sich bestimmt eingemischt, wenn er wüßte, wohin wir wollen. Ich will mal von vorn beginnen und Ihnen die ganze Geschichte erzählen.« In knappen, aber lebhaften Worten schilderte er die erste interstellare Reise der Skylark*. Als er fertig war, saß Loring einige Minuten lang schweigend da und rauchte vor sich hin. »Da gibt's einige Dinge, die man nicht so schnell erfaßt. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mal ein paar dumme Fragen stelle, um ein klareres Bild zu bekommen?« »Bitte – fragen Sie, was Sie wollen. Besonders die osnomischen Details sind schwer zu verstehen – man kommt da nicht sofort mit.« »Osnome ist so weit entfernt – wie wollen Sie den Planeten finden?« »Mit einem der erwähnten Objektkompasse. Ich hatte eigentlich anhand von Notizen navigieren wollen, die ich auf unserer Rückreise zur Erde gemacht habe, aber das war gar nicht nötig. Seaton und Crane haben natürlich versucht, mir alle neuen Erkenntnisse vorzuenthalten, doch ich habe das Geheimnis der Kompasse ergründet, mir in der Werkstatt der beiden ein paar eigene Exemplare gebaut und einen auf Osnome ausgerichtet. Ich hatte das Ding und einige an* siehe Heyne-Buch Nr. 3479: E. E. ›Doc‹ Smith, DIE ABENTEUER DER SKYLARK
dere Geräte in der Tasche, als ich landete. Eigentlich ist die Kontrolle über das explosive Kupfergeschoß das einzige Geheimnis; das sie vor mir schützen konnten – aber das hole ich mir auf dieser Reise!« »Was ist ein Arenakpanzer?« »Arenak ist ein synthetisches Metall, das fast völlig durchsichtig ist. Es hat nahezu denselben Brechungswert wie Luft und ist deshalb so gut wie unsichtbar. Arenak ist fünfhundertmal so fest wie Chrom-Vanadium-Stahl, und selbst wenn man es bis zum Äußersten belastet, bricht es nicht, sondern streckt sich nur und federt wie Gummi zurück, ohne an Widerstandskraft zu verlieren. Der großartigste Fund auf der ganzen Reise! Die Leute machen ganze Anzüge daraus. Das ist natürlich sehr unbequem, aber da das Metall nur zwei Millimeter dick ist, lassen sie sich tragen.« »Und zwei Millimeter halten ein MG-Geschoß auf?« »Aufhalten! Zwei Millimeter Arenak sind schwerer zu durchschlagen als eine anderthalb Meter dicke Panzerplatte aus härtestem Stahl. Eine 40-cm-Granate würde Arenak nicht durchbrechen. Kaum zu glauben, aber es stimmt. Die einzige Chance, Seaton mit einer Waffe zu erledigen, bestünde darin, ein so großes Geschoß zu nehmen, daß allein schon der Aufprall ihn tötet – und es würde mich kein bißchen überraschen, wenn er sich dagegen nicht schon mit einem Attraktor abgesichert hätte. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, können Sie sich ausrechnen, wie groß die Chancen mit einer so großen Kanone wären.« »Ja, ich habe schon gehört, daß er wirklich schnell reagiert.«
»Das ist noch gelinde ausgedrückt. Sie wissen, daß ich ebenfalls mit einer Waffe umzugehen verstehe?« »Sie sind schneller als ich. Und das will schon etwas heißen.« »Nun, Seaton ist mindestens noch mal so schnell. Sie haben ihn noch nie erlebt – aber ich. Auf dem osnomischen Landedock hat er entschieden besser geschossen als ich. Es hat keinen Sinn, gegen Richard Seaton vorzugehen, ohne sich zumindest eine osnomische Ausrüstung zu beschaffen – aber wie Sie wissen, ist Brookings ein Idiot. Er glaubt an etwas Neues nur, wenn er es mit eigenen Augen gesehen hat. Na ja, noch heute abend wird er seine Erfahrungen machen.« »Gut, ich werde Seaton nie mit einer Waffe gegenübertreten. Wie hält er sich nur so fit?« »Er ist von Natur aus unglaublich schnell in seinen Reflexen und hat seit seiner Kindheit mit Taschenspielertricks geübt. Er ist einer der besten Amateurzauberer im Lande, und ich muß sagen, daß ihm diese Fähigkeit schon mehr als einmal sehr genützt hat.« »Ich verstehe nun, warum Sie sich ein bißchen zusätzliche Munition beschaffen wollen, wo wir doch nur ganz normale Waffen haben. Diese Reise soll unsere Position stärken, nicht wahr?« »Genau, und Sie wissen nun genug, um zu erkennen, worauf es ankommt. Sie ahnen, daß Osnome unser Ziel ist?« »Ich hab's vermutet. Doch wenn es nur um Osnome ginge, wären Sie allein geflogen; vermutlich ist das also nur die halbe Wahrheit. Ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber Sie führen bestimmt noch etwas im Schilde.«
»Ganz richtig – wußte ich doch, daß Sie ein kluger Bursche sind! Während meines Aufenthalts auf Osnome fand ich etwas heraus, das nur vier anderen Männern bekannt war – und die sind alle tot. Es gibt eine Menschenrasse, die den Osnomern in der Wissenschaft und besonders in der Kriegführung weit überlegen ist. Diese Wesen leben ein gutes Stück von Osnome entfernt. Ich habe die Absicht, mir ein osnomisches Luftschiff zu beschaffen und alle Schirme, Generatoren, Waffen und sonstigen brauchbaren Geräte in unseren Kahn zu übernehmen oder den Osnomer in ein Raumschiff umzubauen. Doch anstatt herkömmliche Energie einzusetzen, werden wir es Seaton nachmachen und auf Atomkraft zurückgreifen, die ja praktisch unerschöpflich ist. Damit sind wir so kampfstark wie Seaton – was aber nicht genügt. Ich brauche ein so großes Übergewicht, daß ich ihn buchstäblich auslöschen kann. Also werden wir, wenn wir uns ein Schiff zurechtgebaut haben, diesen fremden Planeten besuchen und uns mit den osnomischen Gegnern einigen oder ihnen ein Schiff stehlen. Dann haben wir außer unseren eigenen Waffen und den Waffen der Osnomer auch diese neuen Kampfmittel. Dagegen kommt Seaton nicht lange an.« »Darf ich fragen, woher Sie die Informationen haben?« »Natürlich. Wenn ich nicht gerade mit Seaton zusammen war, konnte ich tun und lassen, was ich wollte, und ich machte lange Spaziergänge, um fit zu bleiben. Die Osnomer sind ziemlich schwach auf der Brust und ermüden leicht, und wegen der geringen Schwerkraft mußte ich viel laufen, um fit zu bleiben. Ich erlernte schnell das Kondalische und freundete
mich mit den Wächtern soweit an, daß sie es bald aufgaben, mich im Auge behalten zu wollen, sondern am Rand des Palastgrundstücks warteten, bis ich zurückkam. Nun, bei einem dieser Spaziergänge war ich eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, als etwa einen Kilometer vor mir ein Luftschiff in einen Wald stürzte. Es handelte sich um eine unbewohnte Gegend, und außer mir hatte niemand das Unglück gesehen. Ich suchte die Absturzstelle auf in der Hoffnung, etwas Nützliches bergen zu können. Von dem Schiff war das ganze Vorderteil abgeschnitten oder abgebrochen – was mich neugierig stimmte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß eine Arenakwandung bei einem Absturz einfach durchbrechen würde. Ich ging durch das Loch ins Schiff und sah, daß es sich um einen Kampftender der Osnomer handelte – eine Mischung aus Kriegsschiff und Reparatureinheit, mit allen möglichen interessanten Dingen an Bord. Die meisten Generatoren waren ausgebrannt, und die Antriebs- und Hebemotoren arbeiteten nicht mehr. Ich sah mich um, machte mich mit der Werkstatt vertraut und fand viele nützliche Instrumente – und besonders eins der neuen Lerngeräte Dunarks mit kompletter Bedienungsanweisung. Auch fand ich drei Leichen und probierte den Apparat gleich mal aus ...« »Moment mal – nur drei Tote an Bord eines Kriegsschiffs? Und was konnte Ihnen ein Lerngerät nützen, wenn die Männer tot waren?« »Zuerst fand ich nur drei Männer, aber es war noch ein vierter im Schiff. Ein Kapitän und drei Mann – das ist die normale Besatzung für ein osnomisches Schiff. Alles läuft automatisch. Was den Zustand der
Männer anging, das machte nichts – man kann trotzdem in ihrem Gehirn lesen, wenn sie noch nicht zu lange tot sind. Bei diesen drei Osnomern stieß ich aber nur auf eine große Leere – man hatte ihren Geist vernichtet, so daß niemand ihr Gedächtnis studieren konnte. Das kam mir komisch vor, und ich durchsuchte das Schiff von einem Ende zum anderen und fand schließlich den vierten Toten, der einen Flughelm trug – er stand in einer Art Schrank im Kontrollraum. Ich legte das Lerngerät an.« »Hübsche Geschichte. Hört sich fast an wie aus ›Tausendundeine Nacht‹. Wirklich nicht überraschend, daß Ihnen Brookings kein Wort geglaubt hat.« »Wie ich schon sagte – viele Dinge sind schwer faßbar, aber ich werd's Ihnen zeigen – dies und eine ganze Menge mehr.« »Oh, ich glaube Ihnen ja! Nach dem Flug in Ihrem Boot und einem Blick aus dem Fenster glaube ich alles. Im Gehirn eines Toten zu lesen, ist allerdings starker Tobak.« »Ich zeig's Ihnen, wenn wir am Ziel sind. Ich weiß auch nicht genau, wie das funktioniert, aber ich weiß, wie man so ein Gerät bedient. Also gut, ich stellte fest, daß das Gehirn dieses Mannes in Ordnung war, und bekam einen gehörigen Schock, als ich mich damit befaßte. Hier ist seine Geschichte. Die Männer waren auf ihrem Weg zur Front, als ihr Schiff von einer unsichtbaren Kraft ergriffen und nach oben geschleudert oder gezogen wurde. Der Mann muß schneller geschaltet haben als die anderen, denn er setzte sich einen Flughelm auf und suchte Schutz in dem Schrank, wo er sich unter einigen Geräten ver-
steckte, so daß ihn niemand durch die transparenten Arenakwände erkennen konnte. Kaum war er im Versteck, da ging das Bugstück des Schiffs in grellem Licht auf, obwohl die Strahlenschirme mit voller Kraft liefen. Das Schiff war inzwischen so hoch in der Atmosphäre, daß die anderen drei Mannschaftsmitglieder aus Luftmangel ohnmächtig wurden, als der Bug fortbrannte. Kurz darauf versagten die Generatoren, und zwei seltsam gebaute Fremde kletterten ins Schiff. Sie trugen Vakuumanzüge und waren sehr klein und gedrungen und schienen äußerst kräftig zu sein. Sie hatten ein eigenes Lerngerät bei sich und studierten die Gehirne der drei Männer. Dann ließen sie das Schiff um einige hundert Meter absinken und brachten die drei mit einem Getränk wieder zu Bewußtsein.« »Ein starkes Mittel? Wollen wir herausfinden, was das für ein Zeug war?« »Wahrscheinlich ein Rauschgift; der Osnomer kannte es jedenfalls nicht. Als die Männer wieder bei klarem Verstand waren, schien es den Fremden Spaß zu machen, ihre Gefangenen in osnomischer Sprache zu informieren, daß sie von einer anderen Welt stammten, die am Rand der Galaxis läge. Sie nannten den Osnomern, die ohnehin keine astronomischen Kenntnisse hatten, die genaue Position ihrer Heimat. Dann sagten sie, sie wollten das ganze Grüne System in Besitz nehmen. In etwa zwei Jahren unserer Zeitrechnung würden sie sämtliche Lebewesen im System auslöschen und die Planeten als Basis für ihre weiteren Unternehmungen benutzen. Danach amüsierten sie sich mit einer genauen Schilderung der Todesarten und Vernichtungswaffen, die sie einset-
zen wollten. Die Einzelheiten sind zu kompliziert, um sie genau wiederzugeben – jedenfalls besitzen diese Wesen Strahlen, Energiewaffen, Generatoren und Schirme, von denen noch nicht mal die Osnomer gehört hatten. Und natürlich verfügen sie über die Atomenergie – wie wir. Nachdem die Fremden das alles losgeworden waren und ihre Opfer hatten leiden sehen, hielten sie ihnen eine Maschine an die Köpfe, woraufhin sie tot zu Boden sanken. Wahrscheinlich wurden dadurch ihre Gehirne völlig ausgelöscht. Dann sahen sich die Fremden ziemlich oberflächlich im Schiff um, als gäbe es hier nichts, wofür sie sich interessierten, setzten den Antrieb außer Betrieb und verschwanden. Schließlich wurde das Schiff losgelassen und stürzte ab. Der Mann im Schrank kam natürlich bei dem Absturz ums Leben. Ich begrub die Männer – ich wollte nicht, daß noch jemand das interessante Wissen an sich brachte –, versteckte ein paar von den dringend benötigten Sachen und tarnte das Schiff – und bin ziemlich sicher, daß es noch heute dort liegt. Schon damals faßte ich den Entschluß, eines Tages diese Reise zu machen.« »Ich verstehe.« Loring gab sich Mühe, mit diesen neuen und seltsamen Tatsachen fertigzuwerden. »Das sind erstaunliche Neuigkeiten, Doktor. Und die meisten Menschen glauben, unsere Welt sei das Nonplusultra der Schöpfung!« »Die Erde ist nur ein Staubkorn im Universum! Die meisten Leute sind sich theoretisch darüber im klaren, doch nur wenige widmen dieser Tatsache die gebührende Aufmerksamkeit. Sie haben sich ja auch schon ein wenig an die Vorstellung gewöhnt, daß es womöglich Wesen anderer Welten gibt, von denen
uns einige Rassen in der Wissenschaft so weit voraus sind, wie wir den Affen überlegen sind – was halten Sie denn von der Situation?« »Ich bin Ihrer Meinung, daß wir uns an Seatons Ausrüstungsstand angleichen müssen. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir beide das nicht irgendwie schafften!« »Ihr Stil gefällt mir, Loring. Wir werden es noch erleben, daß uns die Erde aus den Händen frißt, wenn wir zurück sind. Was unser Vorgehen in Osnome angeht, da habe ich natürlich noch keinen festen Plan. Wir werden die Situation abschätzen müssen, ehe wir uns festlegen. Auf keinen Fall kommen wir mit leeren Händen zurück!« »Wahr gesprochen, Chef!« Die beiden Männer, die äußerlich so ungleich waren, innerlich sich aber mehr ähnelten als Brüder, gaben sich zur Bekräftigung ihres gemeinsamen Ziels die Hand. Anschließend erhielt Loring Unterricht in der einfachen Navigation des Raumschiffs, und von nun an wechselten sich die beiden Männer an den Kontrollen ab. Nach der üblichen Reisezeit näherten sie sich Osnome, und DuQuesne betrachtete den Planeten eingehend durch ein Teleskop, ehe er sich in die Atmosphäre hinabwagte. »Diese Planetenhemisphäre war früher das Land Mardonale – jetzt gehört vermutlich alles zu Kondal. Nein, da unten wird noch immer gekämpft – jedenfalls gibt's da irgendeinen Aufruhr, und auf diesem Planeten heißt das Krieg.« »Wonach suchen Sie denn genau?« fragte Loring, der ebenfalls das Gebiet mit einem Teleskop absuchte.
»Die Osnomer besitzen ein paar Kugelraumer, Schwesternschiffe von Seatons Skylark. Ich weiß, daß sie zumindest eins besaßen, und sie haben inzwischen sicher noch andere gebaut. Die Luftschiffe können uns nichts anhaben, aber die kugelförmigen Schlachtraumer wären das reinste Gift für uns, so wie wir jetzt ausgestattet sind. Können Sie etwas erkennen?« »Noch nicht. Wir sind zu weit weg, um Einzelheiten auszumachen. Allerdings ist da unten ein ganz schöner Betrieb.« Sie gingen noch tiefer und näherten sich einer Festung, die von den Invasoren vom Dritten Planeten der Vierzehnten Sonne erbittert verteidigt und von den Kondaliern nicht minder heftig angegriffen wurde. »Da, jetzt können wir sehen, was da unten passiert.« DuQuesne legte das Schiff mit einem Attraktor fest. »Ich möchte wissen, ob viele von den runden Raumschiffen eingesetzt sind, und Sie interessieren sich bestimmt für die Kampfmethoden von Lebewesen, die seit zehntausend Jahren im permanenten Kriegszustand leben.« Sie waren so weit vom Ort des Geschehens entfernt, daß sie den heftigen Kampf in der Tiefe eben noch verfolgen konnten. Dabei entdeckten sie nicht nur ein Kugelraumschiff, sondern tausend solche Schiffe, die hoch in der Luft schwebten und einen gewaltigen Kreis um eine Festung am Boden bildeten. Es schienen gar keine Luftschiffe unmittelbar am Kampf beteiligt zu sein; sie pendelten dagegen zwischen Front und Hinterland hin und her und schafften Vorräte heran. Bei der Festung handelte es sich um eine riesige Kuppel aus einem glasähnlichen Material,
zum Teil mit Gesteinsbrocken bedeckt. Unter der Kuppel waren ordentliche Reihen von Baracken zu erkennen, die zum Rand der Anlage hin von zahlreichen Generatoren, Projektoren und anderen Maschinen umringt waren, deren Sinn und Zweck unklar blieb. Vom Fuß der Kuppel erstreckte sich ein dreißig Kilometer breiter Streifen derselben Glassubstanz über den Boden, und über dieser Fläche und rings um die Kuppel lagen die gewaltigen Verteidigungsschirme, die da und dort in schillernder Flammenpracht sichtbar wurden, wenn einer der kupfergetriebenen kondalischen Projektoren vergeblich nach einer Öffnung suchte. Aber die Erdenmenschen stellten überrascht fest, daß sich der Hauptangriff nicht gegen die Kuppel richtete, sondern daß nur ab und zu ein Strahl in diese Richtung zuckte, um die Verteidiger zu zwingen, ihre Schirme aufrechtzuerhalten. Die eigentliche Attacke galt dem Rand der auf dem Boden liegenden Glasschicht – und hier konzentrierte sich auch die Verteidigung. Vor diesem Rand erstreckte sich ein kilometerbreiter Streifen kochenden Erdreichs, von der unvorstellbaren Hitze immer neuer Ladungen aufgewühlt, so tief die schrecklichen Energiestrahlen und gewaltigen Kupfergranaten vorzudringen vermochten. Lava glühte und wurde von der unvorstellbaren Energie der Angriffswaffen kilometerweit in alle Richtungen verspritzt – von den denkbar größten Projektilen, die eingesetzt werden konnten, ohne den Planeten zu gefährden. Der ganze Angriff war auf die freiliegende Kante der unzerstörbaren Glasschicht gerichtet – doch diese Schicht war durch Attraktoren mit dem festen Kern
des Planeten verbunden; flüssige Erde strömte in die riesigen Krater, die von den Explosionen gerissen wurden. Der Angriff schien sich an gewissen Stellen zu konzentrieren, die sich in einigermaßen regelmäßigen Abständen um die Stadt verteilten, und nach einer Weile stellten die Beobachter von der Erde fest, daß an diesen Stellen unter der Glaskante Maschinen am Werk waren – in einem tobenden Inferno aus kochender Lava, Vernichtungsstrahlen und sich auflösendem Kupfer. Die Maschinen stärkten die schützende Glasschicht und dehnten sie langsam weiter aus, doch immer tiefer – in dem Maße, wie der Boden darunter und davor von der fürchterlichen Gewalt des kondalischen Angriffs aufgelöst oder fortgeschleudert wurde. Stellenweise betrug die Absenkung schon fast einen Kilometer. Ab und zu stellte einer der mechanischen Maulwürfe die Arbeit ein oder beugte sich der konzentrierten Vernichtungskraft. Die Überreste wurden fortgezerrt, und bald setzte ein repariertes oder neues Gefährt die Arbeit fort. Doch nicht die Verteidiger hatten die schwersten Verluste hinnehmen müssen. Rings um die Festung lagen die Wrackteile von Luftschiffen und die zerplatzten Wandungen vieler hundert kugelförmiger Raumschiffe – stumme Zeugen der Gefährlichkeit der Invasoren. Während DuQuesne und Loring die Szene beobachteten, vermochte eins der Kugelschiffe aus irgendeinem Grund seine Schirme nicht mehr aufrechtzuerhalten oder wurde von den gewaltigen Kräften überwältigt. Seine Schirme flammten vom Weißen ins Violette, und es wurde wie von einer riesigen Hau-
bitze abgefeuert in die Höhe geschleudert. Eine Luke ging auf, und aus dem lodernden Innern sprangen vier Gestalten in die Luft hinaus, gefolgt von einer orangefarbenen Rauchwolke. Beim ersten Anzeichen der Gefahr legte sich das benachbarte Schiff vor das havarierte, während die vier Gestalten sanft zu Boden schwebten – gehalten von den Attraktoren ihrer Freunde und durch die Masse und die Schirme des intakten Schiffs vor Angriffen geschützt. Aus dem Hinterland rasten zwei große Luftschiffe heran und zerrten das beschädigte Schiff mit kräftigen Attraktoren zu Boden. Die beiden Erdenmenschen sahen verblüfft, daß nach kurzer Reparatur durch eine ameisenhafte Bodenmannschaft die ursprüngliche vierköpfige Besatzung wieder an Bord ging und sich erneut in den Kampf stürzte. »Was sagt man dazu?« rief DuQuesne. »Das bringt mich doch gleich auf eine Idee, Loring! Nach der guten Zusammenarbeit zu urteilen, muß so etwas ziemlich oft passieren. Wie wär's, wenn wir abwarten, bis wieder mal ein Schiff ausgeschaltet wird, und es uns dann schnappen, solange es noch verlassen und wehrlos in der Luft hängt! So ein Schiff ist tausendmal mehr wert als dieser Kahn, selbst wenn wir alle osnomischen Waffen an Bord hätten!« »Großartige Idee – diese Kugelschiffe scheinen wirklich einiges auszuhalten«, meinte Loring und fuhr fort: »So führt man hier also einen Krieg! Sie haben recht – Seaton könnte mit halber Kraft die Armeen und Flotten dieser Welt auslöschen! Allerdings kann ich Brookings verstehen – so etwas glaubt man nur, wenn man es wirklich sieht.« »Ich begreife das nicht.« DuQuesne überdachte
stirnrunzelnd die Situation. »Die Angreifer sind Kondalier, das stimmt – bei den Schiffen handelt es sich um Weiterentwicklungen der Skylark – aber die Festung verwirrt mich. Ob es sich schon um meine Fremden handelt? Das glaube ich eigentlich nicht – mit denen ist doch erst in einigen Jahren zu rechnen, und ich kann mir nicht denken, daß die Kondalier auch nur eine Minute lang gegen sie bestehen würden. Wahrscheinlich haben sich da unten die letzten Streitkräfte Mardonales verschanzt, obwohl ich von so einer Taktik noch nie gehört habe. Vielleicht irgendeine neue Erfindung, die sie im letzten Augenblick eingesetzt haben. Ja, das muß es sein.« Seine Stirn glättete sich. »Etwas anderes scheint kaum möglich zu sein.« Sie warteten lange darauf, daß sich der Zwischenfall mit einem Raumschiff wiederholte – doch ihre Geduld wurde schließlich belohnt. Als das nächste Schiff ausgeschaltet und von einer Konzentration feindlicher Energien in die Höhe gedrückt wurde, ließ DuQuesne sein Schiff hinabschießen, griff mit dem stärksten Attraktor zu und zerrte das Gebilde mit einer solchen Geschwindigkeit ins All hinaus, daß das Boot für die Kondalier einfach zu verschwinden schien. Er zog das manövrierunfähige Raumschiff vom Planeten fort und ließ es einige Zeit abkühlen. Durch die transparenten Wände war keine Spur von Leben auszumachen. DuQuesne legte einen Raumanzug an und betrat die Luftschleuse. Während Loring das Schiff dicht neben dem Fremden hielt, sprang DuQuesne mühelos durch das offene Luk ins Innere. Er schloß die Tür, öffnete einen kleinen Lufttank und stellte die Kontrollen auf eine
Atmosphäre ein. Als der Druck normal geworden war, legte er den Anzug ab und machte sich an eine gründliche Durchsuchung des Raumschiffs. Schließlich gab er Loring Zeichen, ihm zu folgen, und kurze Zeit später hingen beide Schiffe über Kondal, allerdings so hoch, daß sie vom Boden aus nicht zu sehen waren. DuQuesne ließ sein Beuteschiff schließlich schnell wie ein Geschoß auf den Wald zuschießen, in dem er das kondalische Luftschiff zurückgelassen hatte, bremste es abrupt ab und landete sicher. Als er osnomischen Boden betrat, brachte Loring das Erdenschiff nicht weniger geschickt herab. »Das erspart uns große Mühe, Loring. Diese Kugel ist zweifellos eins der besten Raumschiffe des Universums, und man kann wirklich viel daraus machen.« »Aber wieso ist es im Kampf so schwach gewesen?« »Wahrscheinlich hat einer der Schirmgeneratoren versagt – war vermutlich seit Wochen in Betrieb. Auf diese Weise sind einige Strahlen durchgekommen, alles wurde heiß, und die Mannschaft mußte abspringen, wenn sie nicht verschmoren wollte. Aber es ist alles noch in Schuß, da das Schiff nach oben und außer Reichweite gedrückt wurde, ehe das Arenak schmelzen konnte. Die Kupferabstoßer sind natürlich durchgebrannt, und die meisten Schienen sind abgeschmolzen, aber wir haben noch genug von der Hauptschiene übrig, um das Schiff zu betreiben, und das Abgeschmolzene läßt sich leicht ersetzen. Sonst hat es keine Schäden gegeben, da in diesem Schiff absolut nichts brennbar ist. Selbst die Isolierungen in den Spulen und Generatoren haben einen Schmelz-
punkt, der über dem von Porzellan liegt. Und Kupfer ist auch noch übrig. Einige isolierte Lagerräume sind noch voller Kupfermunition!« »Was war das für ein Rauchfaden?« »Das müssen die Nahrungsmittelvorräte gewesen sein. Die sind zu Asche verbrannt, und das Wasser ist durch die Sicherheitsventile verdampft. Die Strahlen bringen jedenfalls eine hübsche Hitze auf!« »Können wir die Kupferabstoßer reparieren? Das Schiff hat ja einen Durchmesser von mindestens fünfundzwanzig Metern!« »Ja, es ist viel größer als die alte Skylark. Müßte zu den neuesten Modellen gehören – sonst wäre es sicher nicht an die Front gekommen. Was die Abstoßer angeht – das ist ganz einfach. Das Luftschiffwrack hier im Wald steckt voller Werkzeugmaschinen, mit denen man wirklich alles machen kann. Die meisten Apparate kenne ich – und den Rest erarbeiten wir uns.« An dieser entlegenen Stelle bestand kaum Gefahr, daß sie aufgespürt wurden – aus der Luft ebensowenig wie vom Boden. Trotzdem tarnten Loring und DuQuesne ihre Schiffe und machten sich dann intensiv an die Arbeit. Neue Kupferabstoßer wurden angebracht und zahlreiche zusätzliche Maschinen in der schon bestens ausgerüsteten Schiffswerkstatt aufgestellt. Anschließend luden sie Wasser, Nahrung, Instrumente und alle anderen brauchbaren Dinge in ihr Kampfschiff um – auch schlachteten sie das alte kondalische Luftschiff gehörig aus. Schließlich unternahmen sie einen letzten Rundgang, um sich zu vergewissern, daß sie nichts Nützliches vergessen hatten – dann stiegen sie um.
»Ob jemand die Schiffe findet? Man könnte erraten, was wir hier gemacht haben.« »Das ist sogar anzunehmen – also sollten wir die beiden vernichten. Aber zunächst machen wir eine kleine Probetour, um alles zu testen. Da Sie die Kontrollen eines so großen Schiffes noch nicht kennen, brauchen Sie Übung. Los, eine kleine Umkreisung des Mondes da drüben und zurück.« »Läßt sich großartig steuern – simpel wie ein Fahrrad!« rief Loring, als er das Schiff bei der Rückkehr leicht wie eine Feder aufsetzen ließ. »Wir können den alten Kahn jetzt hochgehen lassen. Wir brauchen ihn nicht mehr.« »Ein gutes Boot. Ja, die beiden Schiffe müssen verschwinden, aber nicht hier. Unsere Strahlen würden den Wald in Brand setzen, und das Metall würde in den Boden schmelzen. Da wir keine Spuren hinterlassen wollen, müssen wir sie wohl ins All hinausziehen und dort vernichten. Wir könnten sie treiben lassen, da Sie aber noch nie mit einer Strahlenkanone gearbeitet haben, machen wir eine kleine Zielübung für Sie daraus. Auch sollten Sie mal selbst sehen, wie schlecht unser bester Panzerstahl gegenüber dem Arenak abschneidet.« Als sie die beiden Schiffe weit ins All hinausgeschleppt hatten, setzte Loring die Anweisungen DuQuesnes in die Tat um. Er richtete den Strahlprojektor auf das kondalische Luftschiff und drückte auf drei Knöpfe. In gut einer Sekunde war die gesamte Schiffshülle glühendweiß geworden, doch es dauerte noch einige Sekunden, bevor sich das extrem widerstandsfähige Material aufzulösen begann. Obwohl das Metall nur etwa zwei Zentimeter dick war, hielt
es störrisch an seiner Form fest und wurde nur langsam zu aufflackernden Gaswolken. »Da, Sie haben gesehen, was zwei Zentimeter Arenak aushalten«, sagte DuQuesne. »Jetzt schießen Sie auf die anderthalb Meter Chrom-Vanadium-Stahl unseres alten Kahns.« Loring gehorchte. Als der Strahl das Schiff berührte, verschwand das Metall, während der Projektor in einem einzigen Bogen vom Bug zum Heck geführt wurde – ein sprühender Funkenregen, dann war nichts mehr vorhanden. Loring pfiff verblüfft durch die Zähne. »Mann! Was für ein Unterschied! Und unser Schiff hat eine Arenakwandung, die hundertundachtzig Zentimeter dick ist?« »Ja. Jetzt verstehen Sie, warum ich mit niemandem Streit haben wollte, solange wir noch unser altes Schiff hatten!« »Allerdings, aber ich begreife nicht, woher diese Waffen die Energie nehmen – wenn ich nun alle zwanzig eingeschaltet hätte, und nicht nur drei?« »Mit der Kampfkraft könnten wir bestimmt auch die stämmigen Fremden besiegen.« »Wir beide allein! Aber hören Sie, jedes Schiff muß einen Namen haben. Unser neuer Kahn ist so ein harmloses kleines Ding – wir sollten es Violet nennen, was meinen Sie?« DuQuesne ließ die Violet Kurs auf das Sonnensystem nehmen, das von den kriegerischen Fremden bewohnt wurde, aber er hatte keine Eile. Er und Loring übten tagelang geduldig an den Kontrollen, ließen das Schiff hierhin und dorthin rasen, legten gewaltige Beschleunigungen vor, bis die Skalen eine
Geschwindigkeit von vielen hunderttausend Kilometern in der Sekunde anzeigten, drehten dann die Beschleunigung um, bis die Geschwindigkeit Null oder sogar negativ war. Sie studierten die Kontrollen und Alarmsysteme, bis beide Männer jedes Instrument, jedes Kontrollicht und den Klang jeder Glocke kannten. Sie übten mit den Projektoren und Generatoren, einzeln und in Kombination, mit den Sichtschirmen und den zahlreichen Hebeln und Instrumenten, bis sie mit der kompletten Anlage so vertraut waren, daß sie die Kontrollen automatisch bedienen konnten. Erst jetzt gab DuQuesne Anweisung, das Ziel auf direktem Weg anzufliegen – ein System, das unvorstellbar weit entfernt war. Sie waren noch nicht lange unterwegs, als eine Alarmglocke schrillte und ein hellgrünes Licht zu flackern begann. »Hmm«, sagte DuQuesne stirnrunzelnd, als er die Energieschiene umdrehte. »Ein Atomenergiedetektor. Irgend jemand verwendet da draußen diese Energie. Die Richtung – unmittelbar voraus! Wollen mal sehen, ob wir etwas finden.« Er schwang Sichtschirm Sechs herum, die teleskopische Anlage, und beide Männer starrten auf den Empfänger. Nach längerer Zeit machten sie einen kurzen grellen Blitz aus, der offensichtlich aus großer Entfernung kam; gleichzeitig läuteten drei weitere Alarmglocken, und drei farbige Lampen flackerten. »Da hat jemand einen ziemlichen Schlag bekommen. Drei Impulse gleichzeitig in Aktion, drei oder vier Sekunden lang«, berichtete DuQuesne und erhöhte die negative Beschleunigung. »Ich möchte gern wissen, was das alles soll!« rief er
gleich darauf, als sie einen matten Schein ausmachten, der etwa eine Minute lang anhielt. Als das Warnlicht immer langsamer und mit nachlassender Intensität blinkte, wurde die Violet wieder auf Kurs gebracht. Doch mit der Zeit wurden die automatischen Warnungen vor der Freisetzung atomarer Energie immer stärker, und beide Männer suchten hastig nach Spuren der Ursache dieser Störung, während sie die Geschwindigkeit auf wenige hundert Kilometer in der Stunde drosselten. Plötzlich ruckte das Ortungsgerät herum, deutete nach hinten und zeigte damit an, daß sie das Objekt – worum es sich auch handeln mochte – bereits passiert hatten. DuQuesne gab Energie vor und schaltete einen Suchscheinwerfer ein. »Wenn das Ding so klein ist, daß wir's im Vorbeifliegen nicht gesehen haben, brauchen wir keine Angst davor zu haben. Wir müßten das Ding mit einem Scheinwerfer finden können.« Nach längerer Suche sahen sie einen Gegenstand im All schweben – einen Raumanzug! »Soll einer von uns das Ding in die Luftschleuse holen, oder ziehen wir ihn mit einem Attraktor heran?« fragte Loring. »Wenn schon, dann mit dem Attraktor. Besser wären zwei oder drei Attraktoren und auch Abstoßer – um das Ding festzuhalten, was immer das sein mag. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wahrscheinlich ein Osnomer, aber das weiß man nie. Vielleicht gehört der Bursche zu den anderen. Wir wissen, daß sie sich vor ein paar Wochen hier herumgetrieben haben, und soweit ich weiß, sind das die einzigen, die außer uns und den Osnomern die Atomenergie kennen. Das ist kein Osnomer«, fuhr er fort, als der Fremde
in die Luftschleuse gezogen wurde. »Er ist massig genug für vier Osnomer; aber nicht annähernd so groß. Mit dem Burschen wollen wir uns lieber vorsehen.« Der Gefangene wurde in den Kontrollraum gebracht und an Kopf, Händen und Füßen mit Attraktoren und Abstoßern festgehalten, ehe sich DuQuesne der Gestalt näherte. Er maß Temperatur und Druck im Anzug des Fremden und ließ langsam die überflüssige Luft abströmen, ehe er vorsichtig den Anzug löste und einen Fenachroner zum Vorschein brachte, der die Augen geschlossen hatte; das Wesen war entweder bewußtlos oder tot. DuQuesne holte hastig das Lerngerät und reichte Loring eine Kopfhaube. »Setzen Sie das schnell auf. Vielleicht ist er nur bewußtlos. Wahrscheinlich bekämen wir nichts aus ihm heraus, wenn er wach wäre.« Loring schob sich die Kopfhaube über, während er die monströse Gestalt verblüfft anstarrte und DuQuesnes ganzes Streben auf die Erkenntnisse gerichtet war, die er suchte. Hastig machte er sich an den Kontrollen des Apparats zu schaffen. Seine erste Frage galt den Waffen und der Abwehr der Fenachroner. Doch darin wurde er enttäuscht, als er erfuhr, daß der Fremde zu den Navigatoren gehörte und als solcher keine genauen Kenntnisse über die Dinge hatte, die DuQuesne am Herzen lagen. Allerdings beherrschte er das großartige fenachronische Antriebssystem, und diese Informationen übernahm DuQuesne sofort. Dann erkundete er hastig andere Gebiete des riesigen Gehirns. In der nächsten Stunde nahmen DuQuesne und Lo-
ring nicht nur die Sprache, Sitten und Kulturangewohnheiten der Fenachroner auf, sondern lernten auch alle Zukunftspläne dieser Rasse kennen, wie auch die Ereignisse der Vergangenheit. Deutlich wurde sichtbar, wie der Fenachroner durch die Leere getrieben war. Sie sahen, wie der Raumkreuzer die beiden Kugelschiffe belauerte. Sie blickten mit den Augen ihres Gefangenen durch ein ungewöhnlich starkes Teleskop und sahen die beiden Kugeln ahnungslos näher kommen. DuQuesne erkannte die fünf Personen an Bord der Skylark und Dunark und Sitar in der Kondal – so leistungsfähig war das nichtmenschliche optische Gerät und so klar war der Eindruck aus dem fenachronischen Geist. Sie erlebten den Angriff und den Kampf mit. Sie sahen, wie die Skylark ihre Energiezone abwarf und angriff, sahen ihren Gefangenen mit einer riesigen Projektorfeder bereitstehen, die unter großer Spannung stand. Sie erlebten mit, wie die Feder durch die Energiezone getrennt wurde. Das abgetrennte Ende schnellte zurück und traf das Wesen an der Schläfe, und der Schlag, der von dem Helm nur teilweise gedämpft wurde, schleuderte den Fenachroner durch eine gähnende Öffnung in der Schiffswandung viele hundert Kilometer weit ins All hinaus. Plötzlich verwischten sich die klaren Bilder aus dem Gehirn des Fenachroners und wurden bedeutungslos – der Gefangene hatte das Bewußtsein wiedererlangt und bäumte sich mit aller Gewalt in den unsichtbaren Fesseln auf. So gewaltige Kräfte durchtobten ihn, daß nur einige zuckende Muskeln seine Anstrengung verrieten. Er warf einen Blick in die Runde, sah die Attraktoren und Abstoßer, die auf ihn
gerichtet waren, gab seinen Fluchtversuch auf und starrte mit voller hypnotischer Macht in die schwarzen Augen, die dicht vor den seinen schimmerten. Aber DuQuesnes Geist, stets von eisernen Fesseln der Beherrschung gehalten und inzwischen durch das Wissen des Fremden verstärkt, schwankte nicht unter dem Ansturm des kraftvollen Blicks. »Sinnlos, wie Sie selbst merken«, sagte er in der Sprache des Fremden. »Sie sind völlig hilflos. Im Gegensatz zu den Fenachronern bringen Angehörige meiner Rasse nicht gleich jeden um, nur weil er ein Fremder ist. Ich werde Ihr Leben schonen, wenn Sie mir Informationen geben, die den Zeitaufwand und die Mühe lohnen.« »Sie haben in meinem Geist gelesen, während ich mich Ihren kindischen Bemühungen nicht widersetzen konnte. Ich will nichts mit den Wesen zu tun haben, die mein Schiff zerstört haben. Wenn Sie geistig stark genug sind, um einen Teil meines Verstandes zu erfassen – was ich bezweifle –, kennen Sie bereits das Schicksal, das auf Sie wartet. Machen Sie, was Sie wollen.« DuQuesne überlegte eine Zeitlang, ehe er antwortete: Er überlegte, ob es zu seinem Vorteil sein konnte, den Fremden über die wahren Zusammenhänge aufzuklären. Schließlich traf er seine Entscheidung. »Sir, weder ich noch dieses Schiff hatte mit der Vernichtung Ihres Kreuzers zu tun. Unsere Orter haben Sie im All treibend aufgespürt; wir haben abgebremst und Sie vor dem sicheren Tod errettet. Wir haben sonst nichts gesehen, außer den Bildern, die Ihr Geist uns übermittelte. Ich weiß, daß Sie wie Ihre Artgenossen weder Gewissen noch Ehrgefühl ken-
nen, so wie wir diese Begriffe verstehen. Da Sie nach Instinkt und Schulung ein notorischer Lügner sind – bei allen Gelegenheiten, da Ihnen dies vorteilhaft zu sein scheint –, sind Sie hoffentlich intelligent genug, um zu erkennen, wenn Ihnen jemand die schlichte Wahrheit sagt. Sie haben bereits gemerkt, daß wir derselben Rasse angehören wie die Wesen, die Ihr Schiff vernichtet haben, und nehmen natürlich automatisch an, daß wir zu dieser Gruppe gehören. Aber das ist ein Irrtum. Es ist richtig, daß ich mit den anderen bekannt bin, aber sie sind meine Feinde. Ich bin hier, um sie zu töten, nicht um ihnen zu helfen. Sie haben mir bereits in einer Hinsicht geholfen – die undurchdringliche Energiezone ist mir nun ebenso bekannt wie meinem Gegner. Wenn ich Sie unverletzt in Ihre Heimat zurückbringe, werden Sie mir dann helfen, eins Ihrer Raumschiffe zur Verfügung zu stellen, damit ich jenes Erdenschiff vernichten kann?« Der Fenachroner ignorierte DuQuesnes beißende Bemerkungen über sein Ehrgefühl und seine mangelnde Wahrheitsliebe und ging direkt auf DuQuesnes letzte Frage ein. »Auf keinen Fall. Wir Fenachroner als allen anderen überlegene Rasse lassen es nicht zu, daß irgendein Schiff unserer Flotte, dessen Geheimnisse den anderen Rassen im Universum unbekannt sind, in die Hände von geringeren Wesen fällt.« »Nun, diesmal haben Sie wenigstens nicht gelogen. Aber überlegen Sie mal einen Moment. Seaton, mein Feind, hat bereits eins Ihrer Schiffe in Besitz – bilden Sie sich nur nicht ein, daß er es nicht schafft, die Teile wieder zusammenzusetzen und Ihre kostbaren Geheimnisse zu ergründen. Und bedenken Sie auch, daß
ich Zugang zu Ihrem Geist gehabt habe und ohne Sie weiterfliegen könnte; wenn ich auch einräume, daß Sie mir soweit helfen könnten, daß ich Ihnen als Gegenleistung das Leben schenken würde. Und überlegen Sie ferner, daß Sie zwar ein Supermensch sind, daß Ihr Geist aber nicht gegen die Kräfte ankommt, die ich in diesem Augenblick auf Sie gerichtet habe. Auch wird Ihr Körper nicht am Leben bleiben können, wenn ich Sie ohne Panzer ins Weltall hinausstoße.« »Ich liebe das Leben wie jedes andere Lebewesen; aber es gibt Dinge, die tut man einfach nicht, auch wenn dafür der Tod droht. Der Diebstahl eines fenachronischen Raumschiffs gehört dazu. Ich kann jedoch eins tun – wenn Sie mich auf meinen Heimatplaneten zurückbringen, sollen Sie und Ihr Begleiter als Gäste an Bord eines unserer Schiffe empfangen werden. Dort dürfen Sie dann die Rache der Fenachroner an Ihren Feinden miterleben. Anschließend werden Sie zu Ihrem Raumschiff zurückgebracht, mit dem Sie ungehindert wieder abziehen können.« »Jetzt lügen Sie aber doch – ich weiß genau, was Sie tun würden. Schlagen Sie sich den Gedanken sofort aus dem Kopf! Die Attraktoren, die jetzt auf Sie gerichtet sind, werden erst abgeschaltet, wenn Sie Ihre Leistung erbracht haben. Dann – und erst dann – werde ich mir einen Weg überlegen, Sie in Ihre Heimat zurückzuschicken, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen. Übrigens warne ich Sie – Ihr erster Versuch, mich hereinzulegen, wird zugleich Ihr letzter sein.« Der Gefangene schwieg, während er jeden Aspekt der Situation überdachte.
»Und noch ein Punkt, über den Sie nachdenken sollten«, fuhr DuQuesne gelassen fort. »Wenn Sie uns nicht helfen wollen – was sollte mich dann daran hindern, Sie zu töten und dann Seaton aufzutreiben und mich für die Dauer des bevorstehenden Krieges mit ihm zu verbünden? Mit den Wrackteilen Ihres Schiffs, die er hat, mit meinen Kenntnissen aus Ihrem Geist, verstärkt durch das Wissen Ihres toten Gehirns, und mit den ausgezeichneten Möglichkeiten der Planeten des Grünen Systems – da hätten Sie mit Ihrer Invasion sicher keine Chance. Es ist durchaus möglich – sogar wahrscheinlich –, daß wir Ihre Rasse letztlich völlig vernichten könnten. Wohlgemerkt, im Grunde ist mir das Grüne System gleichgültig – Sie können sich ruhig bedienen, wenn Sie meine Wünsche erfüllen. Wenn nicht, werde ich die Leute dort warnen und ihnen helfen, nur um meine Heimat zu schützen, die nun mein Privatbesitz ist.« »Geben Sie als Gegenleistung für unseren Schutz und unsere Ausrüstung das Versprechen, das Grüne System nicht zu warnen? Der Tod Ihrer Feinde ist Ihnen offenbar das wichtigste.« Der Fremde hatte einen nachdenklichen Ton angeschlagen. »In diesem Punkt verstehe ich Ihre Beweggründe. Aber wenn ich Ihren Antrieb umgebaut und Sie zu unserem Planeten geführt habe, welche Sicherheit habe ich, daß Sie mich wie versprochen freilassen?« »Gar keine Sicherheit – ich gebe keine Versprechungen ab, da ich nicht damit rechnen kann, daß Sie mir mehr vertrauen als ich Ihnen. Beenden wir diese Diskussion! Ich bin hier der Herr und lege die Bedingungen fest. Wir brauchen Sie nicht. Deshalb müssen Sie sich nun entscheiden, ob Sie lieber jetzt sterben
oder meine Forderungen erfüllen und weiterleben wollen, bis Sie zu Hause eintreffen – wobei Sie dann die Hoffnung haben, freigelassen zu werden.« »Moment mal, Chef!« sagte Loring auf englisch. Er hatte dem Gefangenen den Rücken zugekehrt. »Wäre es nicht besser, wenn wir ihn umbringen und uns auf die Seite Seatons und des Grünen Systems schlagen, wie Sie vorhin gesagt haben?« »Nein.« DuQuesne wandte sich ebenfalls ab, um seine Züge vor dem intensiven Blick des Fenachroners zu verbergen. »Das war nur ein Bluff. Ich möchte nicht mal auf eine Million Kilometer an Seaton heran, solange ich nicht wie ein Fenachroner gerüstet bin. Ich könnte jetzt keinen Frieden mit Seaton schließen, selbst wenn ich wollte – und ich habe auch nicht die Absicht. Bei unserem nächsten Zusammentreffen gedenke ich ihn ohne Warnung zu töten. Wir machen jetzt folgendes. Zuerst holen wir uns, was wir haben wollten. Dann suchen wir die Skylark, pusten sie aus dem Himmel und übernehmen die Wrackteile des fenachronischen Schiffes. Danach fliegen wir zum Grünen System. Mit unserer Kampfkraft und den eigenen Erfindungen der Grünen können wir den Fenachronern einen heißen Empfang bereiten. Wenn sie die Osnomer schließlich vernichten – falls es soweit kommt –, haben wir inzwischen die Erde gerüstet.« Er wandte sich an den Gefangenen. »Wie lautet Ihre Entscheidung?« »Ich unterwerfe mich – in der Hoffnung, daß Sie Ihr Versprechen halten, da es keine Alternative als den Tod gibt.« Im gelockerten Griff der Attraktoren und von DuQuesne und Loring scharf bewacht, machte sich der
Fenachroner an die Aufgabe, die osnomische Maschine in den leistungsstarken Antrieb der Fenachroner umzubauen. Dabei wurde er nicht einmal zum Verräter an seiner Heimat, denn er war sich einer Tatsache bewußt, die DuQuesnes hastige Suche nicht aus dem Labyrinth seines Geistes hatte lösen können; daß nämlich das Erdenschiff absolut hilflos sein würde, sobald es die fenachronischen Detektorschirme im fernen Heimatsystem erreichte. Im Interesse seiner Rasse mußte er die Violet so schnell antreiben, daß sie sogar den dahinrasenden Torpedo überholen würde, der nun schon seit vielen Stunden unterwegs war – den Torpedo, der schlimme Neuigkeiten überbrachte: Zum erstenmal in der Geschichte Fenachrones war einer seiner gewaltigen Raumkreuzer völlig vernichtet worden. In einer Zeit, die angesichts der Kompliziertheit der Arbeit sehr kurz war, hatte er die Umwandlung des Antriebs beendet, und die Abstoßer, die als leistungsfähigster Schutz gegolten hatten, waren durch eine zehntausend Pfund schwere Masse aktivierten Kupfers verstärkt worden, die auf viele Millionen Kilometer wirkte. Der fremde Pilot brachte dann die Energieschiene auf den richtigen Kurs und schob beide Hebel der doppelten Antriebskontrollen bis zum äußersten Anschlag vor. DuQuesne und Loring spürten keine Bewegung und keine Beschleunigung, da der neue Antrieb auf jedes Molekül im Einflußbereich der Schiene einwirkte, die so eingestellt war, daß die gesamte Schiffshülle erfaßt wurde. Sie spürten nur das völlige Fehlen der Schwerkraft und die anderen seltsamen Weltraumeinflüsse, die sie bereits kannten. Doch
trotz des scheinbaren Mangels an Bewegung raste die Violet mit der unvorstellbaren Beschleunigung der fünffachen Lichtgeschwindigkeit durch die unendliche Weite des interstellaren Weltraums.
KAPITEL 8 »Wie lange brauchen wir wohl noch, Martin?« fragte Seaton aus einer Ecke, wo er sich über seine Werkbank beugte. »Bei dieser Beschleunigung noch etwa drei Tage. Ich habe einen Wert eingestellt, der den Mädchen kein Unbehagen bereitet. Sollen wir ihn erhöhen?« »Lieber nicht – drei Tage sind gar nicht so übel. Um nur einen Tag einzusparen, müßten wir die Beschleunigung verdoppeln – also lassen wir's lieber laufen. Wie geht es dir, Peg?« »Ich gewöhne mich langsam daran, daß ich eine Tonne wiege. Meine Knie sind heute nur einmal eingeknickt, als ich versehentlich nicht darauf achtete. Aber laß dich durch mich nicht stören – wenn ich den Betrieb aufhalte, lege ich mich ins Bett und bleibe dort!« »Das brächte uns kaum weiter. Wir können die Zeit auch so ganz gut nutzen. Schau mal, Martin – ich habe mir einige Sachen angesehen, die aus dem fenachronischen Schiff stammen. Hier sind ein paar Kleinigkeiten, die dir bestimmt gefallen. Das Ding heißt bei den Fenachronern ›Karte‹, aber es ist dreidimensional – einfach unglaublich! Nicht daß ich das Ding begreife, aber es macht Spaß, sich damit zu beschäftigen. Ich starre nun schon ein paar Stunden darauf und habe noch keinen rechten Einstieg gefunden. Ich habe weder unser Sonnensystem noch das Grüne System aufgespürt. Bei unserer Beschleunigung ist das Ding zu schwer, um es umzudrehen – komm mal her und schau's dir an!«
Die ›Karte‹ war ein Filmstreifen, der anscheinend kilometerlang war und an den Enden der Maschine auf Spulen endete. Ein Teil des Films befand sich stets unter dem Sehgerät, ein optisches System, das ein verzerrungsfreies Bild auf einen Bildschirm warf – drückte man auf einen Hebel, zog ein Motor den Film durch den Projektor. Es war keine gewöhnliche Sternkarte – das Bild war dreidimensional, ultrastereoskopisch. Das Auge nahm keine glatte Oberfläche wahr, sondern erblickte einen real wirkenden schmalen Raumausschnitt, von der Mitte der Galaxis her gesehen. Jeder der näher stehenden Sterne war in der perspektivisch richtigen Position zu sehen – und trug eine Ziffer. Im Hintergrund leuchteten schwächere Sterne und nebelhafte Lichtmassen, die zu weit entfernt waren, um sich in einzelne Sterne aufzulösen – die wirklichkeitsnahe Darstellung des tatsächlichen Himmels. Während beide Männer fasziniert auf den Bildschirm starrten, berührte Seaton den Hebel, woraufhin sie scheinbar direkt auf der Mittellinie in den breiter werdenden Raumsektor vordrangen. Die Sterne auf dem Bild wurden heller und größer, bildeten sich bald zu Sonnen mit Planeten und Monden heraus und verschwanden schließlich scheinbar hinter den Beobachtern aus dem Bild. Die schwächeren Sterne wurden heller, wuchsen zu Sonnen und Systemen heran und fielen ebenfalls zurück. Und immer weiter entfaltete sich die Sternenkarte vor ihnen. Die nebelhaften Lichtmassen rückten näher, zerfielen zu schwachen Sternen, die sich wie die anderen entwickelten und passiert wurden. Als das Bild schließlich den gesamten Schirm aus-
füllte, erreichten sie den äußeren Rand der Galaxis. Hier waren keine Sterne mehr zu sehen – der leere Raum erstreckte sich über unvorstellbare Entfernungen. Doch auf der anderen Seite dieses unbeschreiblichen und unbegreiflichen Vakuums sahen sie schwache Linsen und matte Lichtflecke, die ebenfalls Namen trugen und von denen sie wußten, daß es sich um andere Galaxien handelte, die von den ausgezeichneten fenachronischen Astronomen erfaßt, aber noch nicht erforscht worden waren. Als der Zauberfilm weiterrollte, befanden sie sich wieder im Mittelpunkt der Galaxis und begannen eine neue auswärts gerichtete Reise durch den benachbarten Raumkeil. Seaton schaltete den Motor aus und wischte sich über die Stirn. »Macht dir das nicht auch zu schaffen, Martin? Hast du dir so etwas je träumen lassen?« »Nein. Auf jeder Spule sind achtzigtausend Meter Film, und der Behälter hier ist vollgepackt mit Rollen. Es muß doch einen Index oder eine Hauptkarte geben.« »Ja, hier im Schlitz steckt ein Buch, aber wir kennen die Namen oder Ziffern nicht – Moment mal! Wie hat er unsere Erde auf dem Torpedo genannt? Dritter Planet der Sonne Sechs-vier- und so weiter, Pilarone, war das nicht der Name? Ich suche die Unterlagen mal heraus.« »6473 Pilarone – das war die Bezeichnung.« »Pilarone ... wollen mal sehen ...« Seaton studierte den Indexband. »Rolle zwanzig, Szene einundfünfzig.« Sie fanden die gesuchte Rolle, und ›Szene 51‹ zeigte tatsächlich den Raumsektor, in dem sich unser Son-
nensystem befindet. Seaton stoppte den Film, als Stern 6473 aus nächster Nähe gezeigt wurde – und da stand unsere Sonne mit ihren neun Planeten und ihren vielen Monden, ein präzises Abbild. »Sie kennen sich aus – das muß man den Fenachronern lassen. Ich habe unsere Gehirnaufzeichnungen bereinigt – du weißt schon, die undeutlichen Szenen herausgenommen und die Informationen korreliert, damit wir sie auch nutzen können – und es sind viele astronomische Einzelheiten dabei. Ob du aus diesen Unterlagen und der Gehirnaufzeichnung die genauen Koordinaten Fenachrones ableiten kannst?« »Sicher. Ich kann wahrscheinlich auch komplettere Informationen über das Grüne System gewinnen, als sie die Osnomer im Augenblick besitzen, was sehr nützlich sein kann. Du hast recht – ich interessiere mich sehr für dieses Material, und wenn du im Augenblick damit fertig bist, möchte ich mich gern damit befassen.« »Du kannst mich ablösen. Ich werde mich weiter um die Aufzeichnung kümmern. Ich habe keine Ahnung, wie lange mein Geist das noch aushält, aber ich werde mich ein bißchen am Rand herumtreiben und ein paar Informationen aufschnappen, die wir dringend brauchen. Der Kerl hat uns wirklich viel Nützliches hinterlassen.« Etwa sechzig Stunden nach dem Start meldete sich Dorothy zu Wort, die am sechsten Visischirm den Zielplaneten beobachtet hatte. »Komm doch mal her, Dickie! Hast du noch immer nicht alles in deinem Schädel verstaut?« »Noch lange nicht. Das Gehirn des Burschen war
drei- oder viermal größer als meins und bis zum äußersten vollgestopft mit Daten. Ich bewege mich noch immer in den Außenbezirken.« »Ich habe mir sagen lassen, daß die Kapazität des menschlichen Gehirns fast unendlich ist. Stimmt das denn nicht?« fragte Margaret. »Möglich, wenn das Wissen über Generationen hinweg allmählich aufgebaut wird. Ich hoffe, daß ich die meisten Informationen so unterbringen kann, daß sie sich bei Bedarf abrufen lassen, aber es wird Probleme geben.« »Sind uns die Fenachroner geistig wirklich so weit überlegen, wie ich nach meinem ersten Eindruck annehmen muß?« fragte Crane. »Die Frage ist schwierig zu beantworten; diese Wesen sind so anders als wir. Ich möchte nicht behaupten, daß sie intelligenter sind als wir. Über gewisse Dinge wissen sie mehr als wir, aber in anderer Hinsicht sind wir ihnen überlegen. Grundsätzlich haben sie sehr wenig mit uns gemein. Sie gehören nicht zum Genus ›Homo‹. Anstatt wie wir vom Menschenaffen abzustammen, haben sie sich aus einem Genus entwickelt, der die unangenehmsten Züge der Katzenwesen und der fleischfressenden Echsen miteinander verbindet – der beiden wildesten und blutrünstigsten Familien des Tierreichs –, und anstatt sich im Laufe ihrer Entwicklung zu mäßigen, wurde es nur schlimmer mit ihnen, wenigstens in dieser Beziehung. Aber um die Lektion zu beenden, was wolltest du, mein Schatz?« »Der Planet, den Martin für uns ausgesucht hat, ist naß – im wahrsten Sinne des Wortes«, meldete Dorothy. »Sicht gut – wenige Wolken, aber zumindest
diese Hemisphäre ist ganz von einem Ozean bedeckt. Wenn es überhaupt Inseln gibt, sind sie sehr klein.« Die vier starrten auf den Schirm. Bei stärkster Vergrößerung füllte der Planet fast das gesamte Bild. Es waren einige Wolkenfetzen zu sehen, doch die gesamte übrige Oberfläche zeigte das Tiefblau eines ungeheuren Ozeans. »Was hältst du davon, Martin? Das ist wirklich Wasser – Kupfersulfatlösung, wie die osnomischen und urvanischen Meere und sonst nichts zu sehen. Wie groß müßte eine Insel sein, damit wir sie hier oben sehen?« »Das hängt weitgehend von den Umrissen und der Beschaffenheit der Insel ab. Wenn sie flach und mit grünblauer Vegetation bedeckt wäre, entginge uns wahrscheinlich sogar eine ziemlich große Insel – wenn sie aber hügelig und kahl ist, müßten wir jetzt schon Inseln sehen, die nur drei oder vier Kilometer lang sind.« »Wir sollten den Planeten von jetzt an lieber ständig im Auge behalten.« Als die Skylark noch ein gutes Stück näher war, wurden mehrere kleine Inseln entdeckt. Man errechnete, daß die Rotationsgeschwindigkeit des Planeten bei fünfzig Stunden lag. Margaret, die gerade an den Kontrollen saß, suchte die erste größte sichtbare Insel aus und richtete die Energieschiene darauf. Während sie sich ihrem Ziel näherten, ermittelten sie, daß die Atmosphäre osnomische Werte hatte, aber nur einen Quecksilberdruck von achtundsiebzig Zentimetern besaß, während die Oberflächenschwerkraft fünf Prozent geringer war als die der Erde. »Großartig!« rief Seaton. »Fast wie zu Hause – al-
lerdings haben wir kaum Platz zum Landen, ohne naß zu werden. Die Reflektoren dort unten sind wahrscheinlich Sonnengeneratoren, und sie bedecken die ganze Insel mit Ausnahme der Lagune direkt unter uns.« Die Insel, die fünfzehn Kilometer lang und etwa halb so breit war, war zur Gänze mit großen hyperbolischen Reflektoren bedeckt, die so dicht beisammenstanden, daß sich zwischen ihnen kaum etwas erkennen ließ. »Also, hier gibt's nicht viel zu sehen – gehen wir tiefer«, bemerkte Seaton, als er die Skylark bis dicht über das Wasser hinabsteuerte. Doch wieder war nichts von der eigentlichen Planetenoberfläche zu erkennen. Die Küste war eine nahtlose senkrechte Metallwand mit riesigen Metallstreben, zwischen denen Metallpontons schwammen. Von diesen Riesenflößen gingen Metallträger aus, die durch Wandschlitze im dunklen Innern der Insel verschwanden. Eine eingehende Untersuchung ergab, daß die großen Flöße ständig, wenn auch sehr langsam, anstiegen, während sich kleinere Pontons mit jeder Welle auf und ab bewegten. »Sonnengeneratoren, Gezeitenmotoren und Wellenmotoren zugleich!« rief Seaton. »Eine großartige Energiegewinnungsanlage! Leute, ich will mir das mal ansehen, und wenn ich mir den Zugang mit der Waffe erzwingen muß!« Sie umrundeten die Insel, ohne eine Öffnung zu finden – die gesamten fünfundvierzig Kilometer waren eine einzige Generatorenbatterie. An den Ausgangspunkt zurückgekehrt, hüpfte die Skylark über die Insel hinweg und näherte sich der kleinen zen-
tralen Lagune, die Seaton schon beim Anflug entdeckt hatte. Dicht über der Wasseroberfläche schwebend, war zu erkennen, daß unter dem Dach der Reflektoren für das Raumschiff genügend Platz war und daß die Insel ein solider Block aus Gezeitenmotoren war. An einem Ende der Lagune befand sich ein offenes Gebilde, das einzige sichtbare Gebäude. Seaton lenkte den Raumkreuzer durch die riesige Öffnung unter das Dach; ein Tor gab es nicht. Das Innere wurde durch lange, röhrenförmige Lichter erhellt, die an den Wänden verliefen, bei denen es sich um Kontrollwände handelte. Reihe um Reihe, Absatz um Absatz erstreckten sich die Instrumente, elektrische Meßgeräte von enormer Kapazität und in vollem Betrieb – doch es waren keine Leitungen zu sehen. Vor jedem Instrumentenbord war ein schmaler Gang mit Stufen, die ins Wasser der Lagune führten. Jeder Teil des großen Raums war deutlich einsehbar, aber kein Lebewesen beobachtete die gewaltigen Kontrollen. »Was hältst du davon, Dick?« fragte Crane leise. »Keine Leitungen – also Bündelstrahlübertragung. Die Fenachroner schaffen so etwas mit zwei Gleichfrequenzgeräten. Hier schwirren viele Millionen Kilowatt herum, wenn ich mich nicht sehr irre. Absolut automatisch, sonst ...« Seine Stimme erstarb ... »Sonst was?« fragte Dorothy. »Nur so eine Ahnung. Es würde mich nicht wundern, wenn ...« »Moment mal, Dicky! Weißt du noch, daß ich dich nach deiner letzten großen Ahnung ins Bett schicken mußte?« »Trotzdem, paß auf, Martin! Was wäre das logische Ergebnis der Entwicklung, wenn ein Planet so alt ist,
daß alles Land bis unter den Meeresspiegel durch Erosion abgetragen wurde? Du hast uns wirklich einen alten Planeten ausgesucht – so alt, daß es hier kaum noch Land gibt. Würde sich ein hochzivilisiertes Volk zu Fischen zurückentwickeln? Das käme mir wie ein Rückschritt vor, aber welche andere Antwort ist denkbar?« »Vielleicht nicht zu echten Fischen – obwohl sie sicher ein paar fischähnliche Charakterzüge annehmen würden. Ich glaube allerdings nicht, daß sie sich wieder Kiemen und kaltes Blut zulegen.« »Wovon redet ihr da überhaupt?« schaltete sich Margaret ein. »Wollt ihr behaupten, daß diese Anlagen von Fischen gebaut wurden?« Sie deutete mit der Hand auf die komplizierten Maschinen. »Keine wirklichen Fische.« Crane schwieg nachdenklich. »Aber ein Volk, das sich durch eine bewußte oder natürliche Entwicklung an seine Umgebung angepaßt hat. Wir haben uns über diesen Punkt auf unserer ersten Reise unterhalten, kurz nachdem ich euch kennenlernte. Wißt ihr noch? Ich äußerte mich über die Tatsache, daß es im Universum Leben geben müsse, das wir nicht verstehen können, und du hast geantwortet, es gäbe keinen Grund, Lebewesen für schrecklich zu halten, nur weil sie uns unbegreiflich seien. Das ist hier vielleicht der Fall.« »Nun, das werde ich herausfinden«, erklärte Seaton, der mit einer Schachtel voller Spulen, Röhren und anderer Geräte erschien. »Wie denn?« fragte Dorothy neugierig. »Ich baue mir einen Detektor und folge einem der Strahlenbündel. Ich stelle Frequenz und Richtung
fest, orte draußen das Ding und folge ihm. Die Energie dringt natürlich durch alles, aber ich kann genug aufspüren, um dem Strahl zu folgen, selbst wenn er sehr eng gebündelt ist. Das ist schon mal etwas, das ich aus der Geheimaufzeichnung gelernt habe.« Er arbeitete mit schnellen, entschlossenen Bewegungen und wurde bald durch ein hellrotes Signal seines Orters belohnt, wenn er ihn in einer bestimmten Stellung vor eine der Skalen hielt. Er notierte die Richtung auf der großen Gradscheibe und lenkte dann die Skylark in einer bestimmten Richtung über die Insel hinweg. Über dem Wasser ging er wieder tiefer. »Also Leute, wenn ich es richtig angepackt habe, erleben wir gleich einen roten Blitz.« Im gleichen Augenblick flammte der Detektor wieder scharlachrot auf. Seaton richtete die Energieschiene darauf aus und gab ein wenig Schub vor, wobei er das Licht in der rotesten Farbe hielt. Die anderen schauten ihm fasziniert zu. »Dieser Strahl ist auf etwas gerichtet, das sich bewegt, Martin – ich darf keine Sekunde wegschauen, sonst würde ich ihn verlieren. Seht doch mal nach, wohin wir fliegen, ja?« »Wir berühren gleich das Wasser«, sagte Crane gelassen. »Ja, wir sind fast im Wasser!« rief Margaret. »Warum denn nicht?« »Richtig – ich habe ja ganz vergessen, daß die Skylark als U-Boot ebenso geeignet ist wie als Raumschiff!« Crane richtete den sechsten Visischirm direkt in die Flugrichtung und starrte in das schwarze Wasser hinab.
»Wie tief sind wir?« fragte Seaton nach kurzem Schweigen. »Nur etwa dreißig Meter tief, und wir scheinen nicht tiefer zu gehen.« »Das ist gut. Ich hatte schon Angst, der Strahl wäre für eine Station auf der anderen Seite des Planeten bestimmt und ginge quer durch den Globus. Dann hätten wir zurückkehren und einen anderen Strahl suchen müssen. Durch das Wasser können wir den Impulsen folgen, nicht aber durch Gestein. Braucht ihr Licht?« »Nicht, solange wir nicht tiefer tauchen.« Zwei Stunden lang richtete Seaton den Orter auf den Bündelstrahl aus Energie und ließ die Skylark mit einer Geschwindigkeit von hundertundfünfzig Kilometern in der Stunde durch das Wasser pflügen. Schneller durfte die Skylark nicht sein, um den Ortungskontakt nicht zu verlieren. »Ich wäre jetzt am liebsten da oben und sähe uns zu: Ich wette, das Wasser kocht hinter uns«, sagte Dorothy. »Ja, wir dürften ein erheblich aufgeheiztes Kielwasser haben. Kostet ganz schön Energie; einen so klobigen Brocken durch soviel Nässe zu bewegen.« »Langsamer!« befahl Crane. »Da ist ein U-Boot vor uns. Das Ding sah zuerst wie ein Wal aus, aber es handelt sich um ein Schiff, und wir halten direkt darauf zu. Du schwingst dem Ding nach und behältst es ständig im Visier.« »Okay.« Seaton reduzierte den Schub und ließ den Visischirm herumschwingen, woraufhin die Ortungslampe erlosch. »Was für eine Erleichterung, endlich mal nach Sicht zu steuern, anstatt erraten zu
müssen, in welche Richtung sich der Strahl gleich windet.« Die Skylark schloß sich an das U-Boot an – und blieb auf Sichtweite. Schließlich stoppte der Fremde und stieg zwischen einigen Reihen von Unterwasserpontons auf, die sich endlos in beide Richtungen zu erstrecken schienen. »Na bitte, Dottie, wir sind am Ziel, wo immer das sein mag.« »Meinst du? Sieht wie ein schwimmender Schutzhafen aus.« »Mag sein, aber wenn das stimmt, können diese Wesen keine Fische sein. Also los – ich möchte mir das mal ansehen.« Das Wasser schoß in alle Richtungen, als die Skylark aus dem Ozean sprang und in den Luftraum über einem Gebilde raste, das eine schwimmende Stadt sein mußte. Sie war rechteckig und schien etwa zehn Kilometer lang und sechs Kilometer breit zu sein. Sie war überdacht von Sonnengeneratoren, doch die Reflektoren standen hier nicht ganz so dicht zusammen wie auf der Insel, und es gab zahlreiche offene Lagunen. Das Wasser rings um die Stadt war mit Wellenmotoren bedeckt. Aus großer Höhe sahen die Besucher da und dort ein U-Boot, das sich langsam unter der Stadt bewegte. Kleine Fahrzeuge rasten über die freien Wasserflächen. Während sie hinabschauten, stieg ein Wasserflugzeug auf, dessen kurze, gedrungene Flügel wie bei einer Möwe geschwungen waren, und verschwand über dem Meer. »Ein erstaunlicher Ort«, bemerkte Seaton, als er den Visischirm auf eine der Lagunen richtete. »Unterwasserfahrzeuge, Schnellboote und Wasserflugzeuge.
Diese Wesen mögen Fische sein oder nicht – sie sind jedenfalls nicht langsam. Ich werde einen Vertreter dieser Rasse ins Schiff holen und feststellen, wie hoch sie entwickelt ist. Ich wüßte nur gern, ob diese Leute friedlich oder kriegerisch gestimmt sind.« »Sie sehen friedlich aus, aber du weißt ja, wie das manchmal täuschen kann«, warnte Crane seinen Freund. »Ja, ich werde mich vorsehen.« Die Skylark näherte sich in schneller Fahrt einer Lagune am Rand der Insel. Keine feindliche Bewegung war zu beobachten, als sie tiefer gingen, und Seaton, der eine Hand auf den Schalter der Energiezone gelegt hatte, lenkte den Raumkreuzer langsam an den Reflektoren vorbei auf die Wasseroberfläche hinab. Auf dem Visischirm sah er eine Gruppe von Gestalten auf das Schiff zukommen – einige schwammen in der Lagune, andere wanderten über schmale Stege herbei. Sie schienen ziemlich verschieden in der Größe zu sein und waren offensichtlich unbewaffnet. »Ich halte diese Wesen für friedlich. Sie sind nur neugierig, Martin. Die Abstoßer stehen bereits auf kleinem Radius – ich glaube, ich schalte sie ganz ab.« »Was ist mit den Strahlenschirmen?« »Alle drei auf voller Kraft. Die stören sich an keiner festen Materie und schaden niemandem. Sie wehren jeden Strahlenangriff ab, und unsere Arenakhülle wird uns gegen alle anderen Übergriffe schützen. Achte mal bitte auf die Kontrollen – ich will sehen, ob ich mich mit den Leuten verständigen kann.« Seaton öffnete die Tür. Im gleichen Augenblick sprang eine Reihe der kleineren Wesen kopfüber ins
Wasser. Knapp zwanzig Meter entfernt stieg ein UBoot lautlos aus dem Wasser, und eine seltsame röhrenförmige Waffe und ein riesiger Strahlenprojektor wurden auf die Skylark gerichtet – Seaton blieb stehen und hob die rechte Hand zum Gruß des Friedens, der hoffentlich auch hier verstanden wurde. Seine Linke umklammerte an der Hüfte eine automatische Pistole, die voller X-Patronen war, während Crane an den Kontrollen die fenachronische Superkanone in Anschlag gebracht und den Finger auf den Hebel gelegt hatte. Ein Schuß hätte das U-Boot auflösen und eine flammende Schneise der Vernichtung quer durch die Stadt legen können. Nachdem sich einen Augenblick lang nichts gerührt hatte, sprang eine Luke auf, und ein Mann trat auf das Deck des U-Boots. Die beiden Männer versuchten sich zu verständigen, was aber nicht gelang. Daraufhin holte Seaton sein Lerngerät, hielt es in die Höhe und forderte den anderen durch Gesten auf, an Bord zu kommen. Das Wesen sprang sofort ins Wasser und tauchte unmittelbar vor Seaton wieder auf, der ihm an Bord der Skylark half. So groß und kräftig Seaton auch war – der Fremde war einen halben Kopf größer und doppelt so schwer. Seine dicke Haut hatte die typisch osnomische grüne Färbung, seine Augen waren schwarz, und er hatte überhaupt keine Haare. Die Schultern waren zwar breit und kräftig, doch sie neigten sich schräg herab, und die kräftigen Arme waren nur gut halb so lang, wie man sie bei einem Menschen seiner Größe erwartet hätte. Hände und Füße waren sehr groß und breit und besaßen Schwimmflossen. Seine gewölbte Stirn wirkte wegen der völligen Kahlheit ungewöhnlich hoch; ansonsten
waren seine Züge regelmäßig und wohlproportioniert. Er hielt sich aufrecht und hatte die natürliche Anmut und Würde eines Mannes, der das Befehlen gewohnt war. Als er in den Kontrollraum trat und die vier Erdenmenschen begrüßte, sah er sich hastig um und zeigte sich erfreut, als er den Antrieb in der Mitte des Raumschiffs entdeckte. Bald war das Sprachproblem beseitigt, und der Fremde äußerte sich in einer ungewöhnlich tiefen Baßstimme. »Im Namen unserer Stadt und unseres Planeten – ich kann sogar sagen, im Namen unseres Sonnensystems, denn Sie stammen eindeutig nicht aus dem Grünen System – begrüße ich Sie. Ich würde Ihnen gern eine Erfrischung anbieten, wie es bei uns üblich ist, aber leider entsprechen unsere Nahrungsmittel nicht den Dingen, die Sie gewöhnt sind. Wenn es etwas gibt, wobei wir Ihnen helfen können, wollen wir Sie nach Kräften unterstützen – aber ehe Sie uns verlassen, muß ich ein großes Geschenk von Ihnen erbitten.« »Sir, wir danken Ihnen. Wir suchen Aufklärung über Kräfte, die wir noch nicht zu beherrschen wissen. Anhand der Antriebssysteme, die Sie verwenden, und aufgrund der Beschaffenheit Ihrer Sonnen und Planeten schließe ich, daß Sie keine Vorräte des Energiemetalls besitzen und daß Sie dringend eine Menge dieses Elements benötigen.« »Ja. Energie ist unser einziger Mangel. Wir erzeugen möglichst viel Energie mit den Mitteln und Kenntnissen, die wir zur Verfügung haben, aber sie reicht nicht. Unsere Entwicklung wird behindert, unsere Geburtsrate muß auf einem Minimum gehalten werden, wir können keine neuen Städte bauen oder
neue Projekte beginnen, nur weil uns die Energie fehlt. Für ein Gramm dieses Metalls, das ich hier auf der Kupferschiene sehe und von dessen Existenz kein Wissenschaftler auf Dasor eine Ahnung hat, würden wir fast alles tun. Im schlimmsten Fall würde ich sogar in Versuchung kommen, Sie anzugreifen, wüßte ich nicht, daß unsere besten Waffen nicht einmal Ihren äußeren Schirm durchstoßen, daß Sie jedoch den ganzen Planeten vernichten könnten.« »Meine Güte!« Seaton wechselte überrascht in seine schnoddrige Ausdrucksweise. »Haben Sie das alles aus dem Stand kombiniert?« »Wir kennen uns mit Elektrizität, Chemie, Physik und Mathematik ziemlich gut aus. Sie müssen wissen, daß unsere Rasse viele Millionen Jahre älter ist als die Ihre.« »Dann sind Sie der Mann, den ich gesucht habe! Wir haben genügend Metall bei uns, um Ihnen etwas abzugeben. Doch bevor ich es hole, möchte ich Sie meinen Begleitern vorstellen. Liebe Freunde, dies ist Sacner Carfon, Chef des Rates auf dem Planeten Dasor. Sein Volk hat uns die ganze Zeit beobachtet, und als wir auf diese Stadt zuhielten, die Sechste Stadt, eilte er im Flaggschiff seiner Polizeiflotte aus der Hauptstadt – der Ersten Stadt – herbei, um uns willkommen zu heißen oder sich uns mit Waffengewalt entgegenzustellen, je nachdem. Carfon, dies ist Martin Crane ... ach, Schluß mit der Vorstellerei. Setzt alle mal die Kopfhauben auf und lernt euch wirklich kennen.« Nachdem dies geschehen und das Gerät wieder verstaut war, holte Seaton aus einem Lagerraum einen Brocken ›X‹, der etwa hundert Pfund wog.
»Das dürfte reichen, um neue Energiewerke zu errichten. Es würde Zeit sparen, wenn Sie Ihr U-Boot fortschicken. Wenn Sie uns den Weg weisen, können wir Sie weitaus schneller in die Erste Stadt zurückbringen als Ihr Fahrzeug.« Carfon nahm einen Sender aus einem Beutel unter seinem Arm und sprach einige kurze Sätze hinein, ehe er Seaton den Kurs angab. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Erste Stadt. Die Skylark senkte sich in schneller Fahrt zur Wasseroberfläche einer Lagune hinab, die an einem Ende der Stadt lag. So kurz der Flug von der Sechsten Stadt auch gewesen war, es wartete bereits eine neugierige und aufgeregte Menge auf sie. Die Mitte der Lagune war dicht mit kleinen Booten bedeckt, während sich an den Seiten, die wie Bürgersteige durch Metallgeländer abgetrennt waren, zahlreiche Schwimmer tummelten. Die Dasorier machten einen Riesenlärm, die Menge brüllte und jubelte. Seaton bremste die Skylark ab, legte seiner Frau einen Arm um die Schulter und schwang sie vor dem Visischirm herum. »Sieh dir das an, Dot! Das heißt hier Stadtverkehr! Die Leute könnten der New Yorker U-Bahn noch einen Vorsprung lassen und würden doch allemal gewinnen!« Dorothy starrte auf den Visischirm und hielt den Atem an. Sechs Metallröhren, die übereinanderlagen, verliefen über und parallel zu jedem bürgersteigbreiten Wasserstreifen. Die Röhren waren voller Meerwasser, das mit gut siebzig Stundenkilometern dahinschoß und sich jeweils in Form eines kleinen Wasserfalls in die Lagune ergoß. Jede Röhre war innen erleuchtet und voller Menschen, die sich im un-
unterbrochenen Strom, völlig eingetaucht in den Strom, gelassen dahintragen ließen. Sobald der Passagier Tageslicht zu sehen bekam und spürte, daß sich der Strom senkte, richtete er sich auf, suchte nach einem Bezugspunkt und ließ sich in den Ozean plumpsen. Nach wenigen Schwimmzügen befand er sich entweder an der Wasseroberfläche oder auf einer der Treppen, die zu den Plattformen führten. Viele Reisende bewegten sich nicht mal, wenn sie die Röhre verließen. Wenn sie zufällig auf dem Rücken lagen, ließen sie sich so ins Wasser fallen. »Um Himmels willen, Dick! Sie sterben ja oder ertrinken!« »O nein. Hast du die Haut gesehen? Die sind dickfellig wie ein Walroß und haben darunter eine sehr dicke Fettschicht. Sogar die Köpfe sind geschützt – man könnte bei so einem Burschen mit einem Knüppel gar nichts ausrichten. Und was das Ertrinken angeht, die schwimmen doch jederzeit einem Fisch davon und können gut eine Stunde unter Wasser bleiben, ohne an die Oberfläche zu müssen. Selbst die Jungen könnten quer durch die Stadt schwimmen, ohne einmal zu atmen.« »Wie erzielen Sie die Strömgeschwindigkeit, Carfon?« fragte Crane. »Durch Pumpen. Die Kanäle gibt es überall in der Stadt, und die Geschwindigkeit des Wassers in jeder Röhre und die Anzahl der in Betrieb befindlichen Röhren wird automatisch durch das Verkehrsaufkommen reguliert. Wenn sich in irgendeiner Röhrenselektion keine Leute befinden, fließt dort auch kein Wasser – und es wird Energie gespart. An jeder Kreuzung gibt es Standrohre und automatische
Schwimmzähler, die die Wassermenge und die Anzahl der betriebenen Röhren festlegen. Dies ist normalerweise ein ruhiges Becken, da es sich in einem Wohnbezirk befindet, und dieser Kanal – unsere Kanäle entsprechen Ihren Straßen – hat nur sechs Röhren in jeder Richtung. Wenn Sie auf die andere Seite des Kanals schauen, sehen Sie das Eintrittsende der Röhren, die in die Stadt führen.« Seaton ließ den Visischirm herumschwingen, und sie sahen sechs Treppen, die sich schnell bewegten und zahlreiche Gestalten vom Meeresspiegel an die Spitze eines Metallturms trugen. Wenn ein Passagier die Oberkante der Treppe erreichte, sprang er kopfüber in die Kammer, die in die darunterliegende Röhre führte. »Also, das ist wirklich ein interessantes Verkehrssystem!« rief Seaton. »Wie groß ist seine Kapazität?« »Wenn sechs Röhren unter Höchstdruck gefahren werden, schaffen sie fünftausend Menschen in der Minute. Das passiert aber nur selten, etwa in Momenten wie jetzt. Einige Kanäle im Stadtzentrum haben bis zu zwanzig Röhren, so daß es immer möglich ist, in weniger als zehn Minuten von einem Ende der Stadt zum anderen zu gelangen.« »Gibt es denn nie einen Stau?« erkundigte sich Dorothy neugierig. »Ich bin mehr als einmal in der New Yorker U-Bahn steckengeblieben.« »So etwas ist bei uns noch nicht vorgekommen. Die Röhren sind absolut glatt und hell erleuchtet, und alle Kurven und Abzweigungen sind gerundet. Die Kontrollmaschinen lassen nur eine bestimmte Anzahl von Personen zu – wenn mehr einzudringen versuchen, als für den reibungslosen Ablauf zulässig sind, wer-
den die überzähligen Passagiere über eine Rutsche zu den Schwimmwegen oder Bürgersteigen abgeleitet und können entweder eine Zeitlang warten oder zum nächsten Kreuzungsturm schwimmen.« »Das sieht mir fast wie eine Stauung aus«, sagte Seaton und deutete auf den Empfangsteich, der nun dichtgedrängt voll war – mit Ausnahme der Stelle, die von den sechs herabströmenden Wasserkaskaden freigehalten wurde. »Wenn die Neuankömmlinge an der Wasseroberfläche keinen Platz finden, schwimmen sie zu einem anderen Becken.« Carfon zuckte gleichgültig die Achseln. »Ich wohne im fünften Gebäude auf der rechten Seite dieses Kanals. Nach unseren Sitten müssen Sie die Gastfreundschaft meines Hauses genießen, und wenn es nur eine Sekunde wäre. Jeden normalen Besucher würde ich in meinem Büro empfangen, aber Sie müssen mein Zuhause kennenlernen.« Seaton steuerte die Skylark vorsichtig zu der angegebenen Stelle und verankerte sie so, daß sich eine der Schleusen dicht neben einer Treppe befand, die von der Ecke des Gebäudes ins Wasser hinabführte. Carfon trat hinaus, öffnete die Tür seines Hauses und ging seinen Gästen voraus. Das Zimmer war groß und quadratisch und bestand aus dem korrosionsfesten Synthetikmaterial, aus dem die ganze Stadt errichtet war. An den Wänden befanden sich geschmackvolle geometrische Muster aus buntem Metall, und auf dem Boden lag ein weicher Metallteppich. Drei Türen führten in andere Zimmer, und hier und dort standen seltsame Möbelstücke. In der Mitte des Bodens gähnte eine kreisrunde Öffnung, die etwa einen Meter durchmaß, und hier, nur wenige Zenti-
meter unter dem Zimmer, befand sich die Meeresoberfläche. Carfon stellte die Gäste seiner Frau vor – einem weiblichen Abbild seiner selbst, wenn sie auch nicht ganz seine Körpermaße erreichte. »Sieben ist doch hoffentlich in der Nähe?« wandte sich Carfon an seine Frau. »Wahrscheinlich ist er draußen bei der fliegenden Kugel. Wenn er sie nicht berührt hat, dann bestimmt nur deswegen, weil ihn Stärkere fortgedrängt haben. Sie wissen ja, wie Jungen sind«, wandte sie sich lächelnd an Dorothy. »Die verhalten sich wahrscheinlich überall im Universum gleich.« »Entschuldigen Sie meine Neugier – aber warum ›Sieben‹?« fragte Dorothy. »Er ist der 2347. Carfon in direkter Abstammung«, erklärte sie. »Aber wahrscheinlich hat Ihnen Sechs diese Dinge noch nicht erläutert. Unsere Bevölkerung darf nicht zunehmen, deshalb darf jedes Paar nur zwei Kinder haben. Üblicherweise wird der Junge zuerst geboren und erhält den Namen des Vaters. Das Mädchen ist jünger und wird nach ihrer Mutter genannt.« »Das wird sich jetzt ändern«, sagte Carfon nachdrücklich. »Unsere Besucher haben die Lösung unserer Energieprobleme gebracht, und wir können jetzt neue Städte bauen und Dasor bevölkern, wie es dieser Welt ansteht!« »Wirklich ...?« Sie nahm sich zusammen, doch ein Leuchten war in ihre Augen getreten, und ihre Stimme war ziemlich unsicher, als sie sich an die Besucher wandte. »Dafür werden Ihnen die Dasorier weitaus dankbarer sein, als es sich mit Worten ausdrücken
läßt. Wir können jedenfalls ermessen ... Ich werde Sieben rufen.« Sie drückte auf einen Knopf, und aus der Öffnung im Boden schoß ein heranwachsender Dasorier. Er kam derart schwungvoll aus dem Wasser, daß er kaum den Bodenrand berührte. Sieben sah sich im Kreis der Besucher um und eilte zu Seaton und Crane. »Bitte, darf ich mal ein Stück in Ihrem Schiff mitfliegen?« »Sieben!« dröhnte Carfon streng, und der Junge senkte den Kopf. »Verzeihen Sie, aber ich war so aufgeregt ...« »Schon gut, mein Junge, du bekommst deinen Flug in der Skylark, wenn deine Eltern einverstanden sind.« Seaton wandte sich an Carfon. »Ich kann verstehen, wie dem Jungen zumute ist – so alt bin ich ja auch noch nicht.« »Vielen Dank; Sieben würde sich freuen, uns ins Amt zu begleiten – und das wäre etwas, an das er sich sein ganzes Leben erinnern kann.« »Sie haben auch ein kleines Mädchen?« fragte Dorothy. »Ja«, erwiderte die Frau. »Wollen Sie sie sehen? Sie schläft gerade.« Ohne auf eine Antwort zu warten, führte die stolze dasorische Mutter die Besucherin in ein Schlafzimmer: Hier standen allerdings keine Betten, denn die Dasorier schlafen in thermostatisch kontrollierten Tanks und genießen hier eine Bequemlichkeit, die keine irdische Matratze bieten kann. In einem kleinen Tank in einer Ecke lag ein winziges Baby, bei dessen Anblick Dorothy und Margaret die übliche frauliche Begeisterung zeigten. Nachdem die Gruppe ins Wohnzimmer zurückge-
kehrt war und sich eine Zeitlang lebhaft über die beiden Planeten und ihre Bewohner unterhalten hatte, füllte Carfon sechs Metallkrüge mit destilliertem Wasser und bot seinen Gästen das Getränk an. Die sechs stießen an und tranken. Dann gingen sie wieder an Bord, und während Crane die Skylark langsam über den Kanal auf den Sitz des Rates zusteuerte und während Dorothy und Margaret den aufgeregten Jungen im Schiff herumführten, saßen Seaton und Carfon zusammen. Seaton schilderte die Gefahr, die dem Universum drohte, und beschrieb seine Gegenmaßnahmen und seine Vorstellungen. »Dr. Seaton, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte der Dasorier, als der Bericht beendet war. »Da Sie offensichtlich noch Landbewohner sind, hatte ich angenommen, daß Sie von geringer Intelligenz sein müssen. Es stimmt, daß Ihre jüngere Zivilisation in mancher Hinsicht Mängel aufweist, aber Sie haben einen geistigen Weitblick und ein Vorstellungsvermögen bewiesen, wie es kaum ein Mitglied unserer älteren Zivilisation erreichen könnte. Ich meine, daß Ihre Schlußfolgerungen zutreffen. Wir haben keine solchen Energien oder Schirme auf diesem Planeten und haben sie auch nie besessen – doch das ist auf dem sechsten Planeten unserer Sonne anders. Etwa vor fünfzig Jahren unserer Zeitrechnung, als ich noch ein Junge war, besuchte meinen Vater eine Projektion. Sie bot ihm an, uns von unserem Wasserplaneten zu ›retten‹ und uns zu zeigen, wie wir Raketen bauen könnten, um auf den dritten Planeten umzusiedeln, der zur Hälfte aus Land besteht und der nur von niederen Tierformen bewohnt wird.«
»Und Ihr Vater hat abgelehnt?« »Aber selbstverständlich. Damals wie heute fehlte es uns nur an Energie, und die Fremden haben uns nicht gezeigt, wie wir unsere Lage in diesem Punkt bessern könnten. Vielleicht besaßen sie auch nicht mehr Energie als wir – vielleicht konnten wir wegen der schwierigen Verständigung unsere Wünsche nicht verdeutlichen. Jedenfalls wollten wir nicht zum dritten Planeten übersiedeln – und Raketen kannten wir bereits seit vielen hundert Generationen. Wir haben nichts für Land übrig. Land ist hart, unfruchtbar, unfreundlich. Wir haben ja alles hier auf Dasor. Nahrung gibt es im Überfluß, ob nun synthetisch oder natürlich gewachsen, wie es uns lieber ist. Dasor stillt all unsere Bedürfnisse – mit einer Ausnahme. Und nachdem wir nun auch die Energie in Händen halten, wird Dasor förmlich zum Paradies. Wir können nun unser natürliches Leben leben, wir können arbeiten und spielen, wie es uns paßt. Wir würden unsere Heimat niemals aufgeben, selbst wenn wir dafür das Universum bekämen.« »So habe ich das noch gar nicht betrachtet, aber Sie haben recht«, sagte Seaton. »Sie sind ideal auf Ihre Umwelt eingestimmt!« Im Amt wurden die Fremden offiziell vom Rat begrüßt – von den neun Männern, die den Planeten lenkten. Nachdem die Zeremonie vorbei und der Kurs zum Sechsten Planeten berechnet war, begleitete Carfon die Erdenmenschen zur Skylark. »Wir danken euch aus vollem Herzen für eure gute Tat. Bitte vergessen Sie uns nicht – und das ist keine leere Phrase –, wenn wir Ihnen bei dem bevorstehenden Konflikt irgendwie helfen können, steht Ihnen
dieser Planet zur Verfügung. Wir schließen uns Osnome und den anderen Welten dieses Systems an und erklären Sie, Dr. Seaton, zu unserem Oberherrn.«
KAPITEL 9 Als die Skylark bereits einige Tage unterwegs war, sah sich Seaton mit seinem Visischirm wieder einmal im All um und trat zu den anderen. »Na, redet ihr immer noch über die Menschenfische, Dottie?« fragte er. »Seltsamer Haufen – aber die Leute gefallen mir. Sie sind uns ähnlicher als die meisten Lebewesen, die wir bisher kennengelernt haben.« »Ja, sie gefallen mir sehr, obwohl sie so seltsam aussehen. Mrs. Carfon ist eine herzensgute Frau, auch wenn sie wie ein Walroß aussieht, und die niedliche kleine Seerobbe war so lieb – zum Auffressen!« »Ach, Martin«, meinte Seaton, »wenn der Planet Dasor so alt ist, daß das ganze Land abgetragen wurde, wie kommt es, daß noch soviel Wasser übrig ist? Und diese Welt hat eine ziemlich dichte Atmosphäre.« »Der Luftdruck, der zwar größer ist als unser irdischer Luftdruck, lag früher wahrscheinlich bei drei Metern Quecksilber. Was die Erosion angeht, so hat es auf Dasor wahrscheinlich von Anfang an mehr Wasser gegeben als auf der Erde.« »Ja, das könnte eine Erklärung sein.« »Eine Frage wollte ich unseren beiden Wissenschaftlern gern stellen«, sagte Margaret. »Auf allen Welten, die wir bisher besucht haben – mit Ausnahme der Welt, von der Dick annimmt, daß sie ein wandernder Planet ist –, war das intelligente Leben sehr menschenähnlich. Wie erklärt ihr euch das?« »Hör dir das an, Martin, das ist mal wieder ein dikker Brocken!« sagte Seaton herausfordernd. Als Crane
die Frage schweigend überdachte, fuhr er fort: »Ich will darauf antworten, indem ich selbst eine Frage stelle: Warum nicht? Warum sollten diese Rassen nicht menschenähnlich sein? Bedenkt, der Mensch ist die höchstentwickelte Lebensform auf der Erde – zumindest nach seiner eigenen Auffassung und seinen bisherigen Erkenntnissen. Auf unseren Reisen haben wir Planeten gewählt, die im Hinblick auf Atmosphäre und Temperatur und, mit Einschränkungen, auch im Hinblick auf die Masse erdähnlich waren. Da ist es doch nur logisch anzunehmen, daß bei derart ähnlichen Ausgangsverhältnissen das Ergebnis auch eine gewisse Ähnlichkeit mit uns aufweist. Was meinst du dazu, Martin? Ist das denkbar?« »Irgendwie schon plausibel«, räumte Crane ein, »doch es trifft wahrscheinlich nicht in jedem Fall zu.« »Natürlich nicht – das ginge ja auch gar nicht. Zweifellos ließen sich viele Welten finden, die von allen möglichen intelligenten Lebewesen bewohnt sind – von Ungeheuern, die wir uns im Augenblick gar nicht vorstellen können –, aber die würden wahrscheinlich auf Planeten hocken, die sich von unserer Heimat in wesentlichen Aspekten wie Atmosphäre, Temperatur oder Masse unterscheiden.« »Ja, Fenachrone ist völlig anders«, wandte Dorothy ein, »aber die Wesen sind trotzdem mehr oder weniger menschlich – sie sind Zweibeiner mit ähnlichen Merkmalen. Ich habe eure Aufzeichnung studiert. Die Heimat der Fenachroner hat eine derart gewaltige Masse, daß die Schwerkraft unvorstellbar groß ist!« »Dieser Unterschied ist vergleichsweise geringfügig – und im Grunde gar kein Unterschied. Ich
meinte Abweichungen, die um ein Hundertfaches in die eine oder andere Richtung gehen. Die fenachronische Schwerkraft allein hat den Körperbau dieser Wesen wesentlich verändert – und wenn sie nun fünfzigmal so groß gewesen wäre? Wie sähen die Fenachroner dann aus? Ansonsten ähnelt ihre Atmosphäre der unseren sehr, und ihre Temperatur ist erträglich. Ich meine, daß Atmosphäre und Temperatur mehr auf die Evolution einwirken als irgendein anderer Einfluß und daß die Masse des Planeten allenfalls an dritter Stelle kommt.« »Das mag stimmen«, sagte Crane, »aber mir will scheinen, daß du für deine Argumente keine ausreichende Basis hast.« »Natürlich nicht – ich habe fast überhaupt keine Basis. Ich könnte ebensogut versuchen, aus drei zufällig gefundenen Kieseln auf die Größe einer Bergkette zu schließen. Wir können uns aber Gewißheit verschaffen, wenn wir mal viel Zeit haben.« »Wie denn?« »Erinnert ihr euch an den Planeten, auf den wir bei unserem ersten Flug stießen und dessen Atmosphäre hauptsächlich aus Chlorgasen bestand? In unserer Ahnungslosigkeit nahmen wir an, daß es dort unmöglich Leben geben könne, und landeten nicht. Vielleicht war das damals ganz richtig. Wenn wir heute im Schutz unserer Schirme dorthin zurückkehrten, würde es mich kein bißchen überraschen, Lebewesen zu finden – wahrscheinlich Lebensformen, die unseren Großvätern einen gehörigen Schrecken eingejagt hätten!« »Du hast vielleicht verrückte Ideen, Dick!« rief Dorothy. »Ich hoffe nicht, daß du das wirklich in die Tat
umsetzen willst, nur um zu beweisen, daß du recht hast.« »Auf den Gedanken bin ich eben erst gekommen. Aber die Zeit ist knapp – wir haben alle Hände voll zu tun. Wenn wir die Fenachroner versorgt haben, werden wir uns mal darum kümmern müssen ...« »Ich meine ...«, begann Dorothy aufgeregt, unterbrach sich aber erstaunt und hielt den Atem an. »Was war das, um Himmels willen?« »Was meinst du?« »Es ist direkt durch dich hindurchgeschossen! Eine komische Wolke, wie Rauch oder so. Das Ding ist wie ein Blitz durch die Decke gekommen, durch dich hindurchgefahren und durch den Boden wieder verschwunden. Da – jetzt kommt es zurück!« Vor ihren verblüfft geweiteten Augen stieg ein nebelhaftes Gebilde vom Boden empor und verschwand durch die Decke. Dorothy eilte zu Seaton, der beruhigend den Arm um ihre Schultern legte. »Schon gut, Leute – ich weiß, was das für ein Ding ist.« »Na, dann sag's uns schnell!« flehte Dorothy. »Es handelt sich um eine der Projektionen von dem Planeten, auf den wir zufliegen – die Erscheinung versucht unseren genauen Standort zu finden; ein höchst willkommener Anblick für meine müden Augen! Die Wesen haben uns wahrscheinlich anhand unserer Energieemission geortet. Da wir noch ziemlich weit entfernt sind und uns verflixt schnell bewegen, haben sie alle Mühe, sich auf uns einzuspielen. Diese Wesen sind friedlich gesonnen, das wissen wir schon – wahrscheinlich wollen sie mit uns sprechen. Wir würden ihnen die Annäherung erleichtern, wenn
wir den Antrieb abschalteten und mit gleichbleibender Geschwindigkeit dahintrieben, aber das würde kostbare Zeit kosten und unsere Berechnungen über den Haufen werfen. Na ja, sollen sie versuchen, sich unserer Beschleunigung anzupassen. Wenn sie das schaffen, sind sie wirklich gut!« Die Erscheinung wurde erneut sichtbar, oszillierte in unregelmäßigen Sprüngen hin und her und drang dabei verschiedentlich durch Arenakwände, Möbelstücke, Instrumentenkonsolen und sogar durch den gewaltigen Antrieb, als gäbe es kein Hindernis für sie. Nach einiger Zeit verharrte das Gebilde etwa dreißig Zentimeter über dem Boden des Kontrollraums. Dann begann es an Dichte zuzunehmen, bis scheinbar ein Mensch vor ihnen stand. Seine Haut war ebenfalls grün – wie die Haut aller Lebewesen im System der Grünen Sonnen. Er war groß und hatte nach irdischen Maßstäben einen wohlproportionierten Körper, nur sein Kopf war übergroß und besonders im oberen Teil auffällig umfangreich. Der Mann war offensichtlich schon sehr alt, denn was von seinem Gesicht zu sehen war, wirkte faltig und eingeschrumpft, und seine lange, dichte Haarmähne und der eckig geschnittene meterlange Bart waren schlohweiß und nur leicht mit Grün durchsetzt. Die Erscheinung war zwar nicht durchsichtig oder auch nur durchscheinend, aber es wurde doch erkennbar, daß sie nicht aus Fleisch und Blut bestand. Der Fremde musterte die vier Erdenmenschen einen Augenblick lang und deutete dann auf den Tisch, auf dem das Lerngerät stand. Seaton setzte die Kopfhaube auf, reichte dem Fremden einen Kontakt und bediente den Hebel. Sofort empfand er eine große Ruhe,
eine tiefe Gelassenheit. Die Projektion begann zu sprechen: »Dr. Seaton, Mr. Crane, meine Damen – willkommen auf Norlamin, dem Planeten, zu dem Sie Ihr Kurs führen wird. Wir warten seit über fünftausend Jahren Ihrer Zeitrechnung auf Sie. Es war eine mathematische Gewißheit, es ist auf der Sphäre eingraviert, daß Wesen von außerhalb des Systems zu uns kommen würden und eine vielleicht nur geringe Menge Rovolon bringen werden – das Energiemetall. Gut fünftausend Jahre warten unsere Instrumente darauf, jene Vibration auszumachen, die die Ankunft eines Kenners dieses Metalls verkündet. Jetzt sind Sie da, und ich spüre, daß Sie über einen großen Vorrat Rovolon verfügen. Da Sie selbst die Wahrheit suchen, werden Sie das Metall freudig mit uns teilen, so wie wir Sie gern die Dinge lehren wollen, die Sie wissen müssen. Bitte gestatten Sie mir, das Lerngerät zu bedienen – ich möchte in Ihre Gehirne schauen und Ihnen das meine offenbaren. Aber zuvor muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Maschine zu einfach ist, um richtig zu funktionieren. Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich einige kleine Änderungen vornehmen.« Seaton nickte, und aus den Augen und von den Händen der Gestalt sprangen sichtbare Kraftströme, die die Transformatoren, Spulen und Röhren unter Seatons verblüfftem Blick ergriffen und zu einem völlig neuen Gerät zusammensetzten. »Oh, ich verstehe!« flüsterte er. »Sagen Sie, wer sind Sie überhaupt?« »Verzeihen Sie – in meiner Aufregung habe ich das ganz vergessen. Ich bin Orlon, der Erste Astronom von Norlamin, in meinem Observatorium auf der
Planetenoberfläche. Was Sie vor sich sehen, ist nur meine Projektion, die sich aus Kräften zusammensetzt, für die es in Ihrer Sprache keinen Namen gibt. Wenn Sie wollen, können Sie diese Energie mit Ihren Schirmen unterbrechen, die von einer erstaunlich hohen Entwicklungsstufe sind. Hier, dieses Lerngerät arbeitet jetzt wesentlich besser. Bitte setzen Sie die umgestalteten Helme auf, Sie alle vier.« Die Erdenmenschen gehorchten, und die seltsamen Kraftstrahlen bewegten Hebel, Schalter und Knöpfe so sicher wie menschliche Hände – und mit weitaus größerer Geschwindigkeit und Genauigkeit. Zugleich empfing jedes Gehirn einen verständlichen Abriß über Sitten, Sprache und Angewohnheiten der Norlaminer. Ein unermeßlicher Friede breitete sich in ihnen aus, eine ruhige Entschlossenheit und eine Tiefe geistigen Verstehens, wie sie es sich niemals hätten erträumen lassen. Ein tiefer Blick in den Geist des Fremden offenbarte ihnen ruhige Sicherheit, Selbstvertrauen und ein Wissen, das ihnen unendlich vorkam, und eine Weisheit, die unermeßlich zu sein schien. Dann ergoß sich ein gewaltiger Strom aus seinem Geist in den ihren – ein Begreifen kosmischer Phänomene. Vage sahen sie, wie sich unendlich kleine Punkte wie Planetenformationen zusammenfanden und praktisch dimensionslose Ansammlungen bildeten. Diese formten ihrerseits größere Gebilde – und nach endlosen Umgruppierungen wurde deutlich, daß die vergleichsweise großen Körper, die ihre Aufmerksamkeit gefangennahmen, in Wirklichkeit Elektronen waren, die kleinsten Teilchen, die von der irdischen Wissenschaft erkannt worden waren. Sie er-
faßten die Zusammenziehung subatomarer Teilchen zu Atomen. Sie erkannten die Art und Weise, wie sich Atome zu Molekülen formten und erahnten die Molekularstruktur der Materie. In kaum erfaßbaren mathematischen Gedanken wurden die grundlegenden Gesetze der Physik, der Elektrizität, der Schwerkraft und der Chemie vor ihnen ausgebreitet. Sie sahen kugelförmige Materiemassen, Sonnen und ihre Planeten, die Sonnensysteme bildeten; sie sahen, wie Sonnensysteme diesen unveränderlichen Gesetzen folgten und sich zu Galaxien gruppierten, wie Galaxien ihrerseits – hier wurde der Gedankenstrom plötzlich unterbrochen, als sei ein Kontakt gerissen, und der Astronom ergriff das Wort. »Verzeiht mir. Man sollte nur die Dinge in Ihre Gehirne eingeben, die Sie wirklich zu wissen wünschen und wirklich einsetzen können, denn Ihre geistige Kapazität ist noch eingeengter als die meine. Bitte glauben Sie mir, daß ich nicht abwertend spreche; dieser Umstand liegt in der einfachen Tatsache begründet, daß Ihre Rasse noch viele tausend Generationen hinter sich bringen muß, ehe Ihr Geist mit so breit gestreuten Informationen vollgestopft werden kann. Selbst wir haben dieses Stadium noch nicht erreicht, dabei sind wir womöglich Millionen Jahre älter als Sie. Und doch«, fuhr er nachdenklich fort, »beneide ich Sie. Wissen ist natürlich relativ, und ich weiß nur, daß wir so wenig wissen! Zeit und Raum haben unseren klügsten Geistern keinen wesentlichen Aspekt ihrer Geheimnisse enthüllt. Und ob wir nun ahnungslos das Kleine ergründen oder blind und hilflos das Große erstreben – es ist doch dasselbe. Die Unendlichkeit ist nur dem Unendlichen Wesen be-
greiflich – jener allesformenden Kraft, die das Universum und die unergründliche Sphäre lenkt und kontrolliert. Je mehr wir wissen, je ausgedehnter die jungfräulichen Gebiete des zu Lernenden sich vor uns erstrecken, desto winziger ist unser Wissen. Aber ich halte Sie vielleicht von wichtigeren Dingen ab. Wenn Sie sich Norlamin nähern, werde ich Sie zu meinem Observatorium führen. Ich freue mich wirklich, daß Sie noch zu meinen Lebzeiten gekommen sind, und ich erwarte begierig die Gelegenheit, Sie von Angesicht zu Angesicht zu begrüßen. Die Jahre, die mir in dieser Existenz noch verbleiben, sind gezählt, und ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, Ihre Ankunft noch zu erleben.« Die Projektion verschwand abrupt, und die vier starrten sich ungläubig an. »Also, da soll mich doch ...!« brach Seaton das Schweigen. »Martin, hast du dasselbe gesehen wie ich? Ich hatte zwar gehofft, daß wir so etwas finden würden, aber ...« Schweigend näherte sich Crane dem Lerngerät. Er untersuchte den Apparat, betastete die veränderten Spulen und Transformatoren und schüttelte sanft die Isolierfassung der großen Energieröhre. Stumm drehte er sich um, ging um die Instrumententafel herum, las die Skalen ab, kehrte zurück und untersuchte noch einmal das Lerngerät. »Die Erscheinung war keine Hypnose, wie ich zuerst annahm«, sagte er schließlich. »Eine Hypnose von hohen Graden hätte uns so beeinflussen und uns sogar eine fremde Sprache beibringen können – doch sie hätte keinesfalls einen solchen Einfluß auf Kupfer, Stahl, Plastik und Glas haben können. Die Erschei-
nung war real, und obwohl ich das alles nicht ganz begreife, muß ich schon sagen, daß sich deine kühnen Voraussagen wirklich bewahrheitet haben, Dick. Einer Rasse, die solche Dinge tun kann, ist praktisch nichts unmöglich. Du hast von Anfang an recht gehabt.« »Dann könnt ihr die schrecklichen Fenachroner also wirklich besiegen?« rief Dorothy und warf sich ihrem Mann in die Arme. »Weißt du noch, Dick, daß ich dich einmal als Columbus in San Salvador bezeichnet habe?« fragte Margaret leise. »Wie soll man einen Mann auch nennen, der aus der Tiefe seines Geistes die Kraft gewinnt, die Zivilisation vieler Millionen Welten vor der Vernichtung zu bewahren?« »Redet nicht soviel«, sagte Seaton nervös. »Martin hat sowieso die Hauptarbeit geleistet, das muß ich hier mal sagen, und überhaupt haben wir den Karren noch lange nicht aus dem Dreck.« »Du mußt aber zugeben, daß wir schon gewissermaßen Land sehen – und daß du ebenfalls ziemlich erleichtert bist, nicht wahr?« sagte Crane. »Das gebe ich dir sogar schriftlich! Mit Hilfe der Norlaminer müßten wir in der Lage sein, die Fenachroner aufs Korn zu nehmen. Wenn sie die benötigten Waffen und Methoden nicht schon haben, werden sie zumindest den Weg zur Lösung kennen – selbst wenn die Zone wirklich unüberwindlich ist. Und ob ich erleichtert bin!« Als Norlamin so dicht herangerückt war, daß das Bild fast den sechsten Visischirm füllte, musterten die vier Reisenden den Planeten voller Interesse. Teilweise durch Wolken verdeckt und mit zwei schimmernden
Polzonen versehen – die in wenigen Monaten grün sein würden, wenn der Planet innerhalb der Kreisbahn seiner Sonne um das riesige Zentralgestirn dieses komplizierten Sonnensystems schwingen würde –, bot Norlamin einen herrlichen Anblick. Die Erdenmenschen sahen schimmernd blaue Meere und riesige Kontinente. Die Geschwindigkeit des Raumkreuzers war so gewaltig, daß das Bild ständig anwuchs und die Sichtscheibe bald nicht mehr den gesamten Globus erfaßte. »Also, bald dürfte Orlon wieder in Erscheinung treten«, bemerkte Seaton, und kurz darauf erschien die Projektion in der Luft des Kontrollraums. »Seid gegrüßt, Terrestrier!« sagte die Erscheinung. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich nun das Raumschiff übernehmen.« Die Erlaubnis wurde gegeben, und die Gestalt schwebte durch den Raum zum Kontrollbord, wo die Energiestrahlen den Visischirm neu richteten, die Einstellung der Energieschiene ein wenig veränderten und die negative Beschleunigung verringerten. Schließlich machte sich ein Kraftstrahl am Steuermechanismus zu schaffen. »Wir werden auf dem Gelände meines Observatoriums in Norlamin in siebentausendvierhundertundzwanzig Sekunden landen«, verkündete Orlon. »Das Observatorium wird sich auf der Nachtseite Norlamins befinden, wenn wir eintreffen. Ich habe eine Kraft auf den Steuermechanismus gerichtet, die das Schiff auf dem erforderlichen Kurs hält. Ich bleibe bei Ihnen, bis wir landen, und wir können uns über jedes gewünschte Thema unterhalten.« »Wir haben Ihre Rasse aufgesucht, um insbesonde-
re eine Angelegenheit zu diskutieren, für die Sie sich ebenso interessieren werden wie wir. Aber es würde zu lange dauern, um Ihnen davon zu erzählen. Ich will's Ihnen zeigen.« Seaton holte die magnetische Gehirnaufzeichnung heraus, spannte sie in die Maschine ein und reichte dem Astronomen die Kopfhaube. Orlon setzte die Haube auf, berührte den Hebel, und gut eine Stunde lang herrschte Stille. Die Bewegung des Magnetbandes wurde nicht gestoppt, es gab keine Wiederholungen – Orlons Gehirn absorbierte die Information so schnell, wie sie ausgestrahlt wurde, und begriff die schreckliche Wahrheit bis ins letzte Detail. Als das Band zu Ende war, glitt ein Schatten über Orlons Gesicht. »Wahrlich eine verkommene Entwicklung – traurig, sich diese Verirrung guten Gehirnpotentials vorzustellen. Die Fenachroner haben Macht wie Sie, und sie besitzen einen Vernichtungswillen – etwas, das ich nicht begreife. Doch wenn es auf der Sphäre eingraviert ist, daß wir vergehen sollen, bedeutet das nur, daß wir unsere Suche auf der nächsten Ebene fortsetzen – hoffentlich mit besseren Werkzeugen und mit größerem Verständnis als jetzt.« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Seaton heftig. »Wollen Sie das alles dulden, ohne dagegen anzugehen?« »Was können wir denn tun? Gewalt widerstrebt unserer Natur. Kein Norlaminer könnte etwas anderes tun als passiven Widerstand leisten.« »Sie könnten viel tun, wenn Sie nur wollten. Setzen Sie die Haube noch einmal auf, und hören Sie sich meinen Plan an.«
Als der Wissenschaftler seine strategischen Erwägungen in das Gehirn des Astronomen strömen ließ, erhellte sich Orlons Gesicht. »Es steht also auf der Sphäre geschrieben, daß die Fenachroner untergehen sollen«, sagte er schließlich. »Was Sie von uns erbitten, können wir tun. Ich kenne mich mit der Wissenschaft der Strahlen nicht genau aus, da sie nicht zum Gebiet der Familie Orlon gehört, aber Student Rovol aus der Familie Rovol von Strahlen besitzt das aktuellste Wissen über diese Phänomene. Morgen führe ich Sie zusammen, und ich bin ganz sicher, daß er mit Hilfe Ihres Energiemetalls in der Lage sein wird, Ihr Problem zu lösen.« »Ich habe nicht ganz begriffen, was Sie vorhin über die Familien sagten, die ein bestimmtes Thema studieren, aber nur einen Studenten haben«, sagte Dorothy leise. »Am besten gebe ich Ihnen noch einige Erläuterungen. Erstens sollten Sie wissen, daß jeder Mensch auf Norlamin ein Student ist – und die meisten von uns sind Studenten der Wissenschaften. Bei uns bedeutet ›Arbeit‹ ausschließlich geistige Anstrengung, also Lernen. Wir verrichten keine körperliche Arbeit, abgesehen von der Leibesertüchtigung, da alles übrige durch Energien erledigt wird. Dieser Zustand herrscht seit vielen tausend Jahren und uns ist schon vor langer Zeit klar geworden, daß eine Spezialisierung erforderlich war, um doppelte Arbeit zu vermeiden und dafür zu sorgen, daß auch wirklich alle Möglichkeiten genutzt wurden. Kurz darauf stellte man fest, daß in keinem wissenschaftlichen Zweig mehr wesentliche Fortschritte gemacht wurden, weil man soviel wußte, daß es selbst auf einem kleinen
und hochspezialisierten Gebiet ein ganzes Leben dauerte, das bisher gesammelte Wissen aufzunehmen. Um diesen Zustand zu beseitigen, wurde das Lerngerät entwickelt. Als dieser Apparat immer mehr vervollkommnet wurde, war ein neues System geschaffen. Jeder kleinen Untergruppe wissenschaftlichen Strebens wurde ein Mann zugeteilt – er sollte sein Thema eingehend studieren. Wenn er alt wurde, bestimmte er seinen Nachfolger – normalerweise seinen Sohn – und übertrug sein Wissen auf den jüngeren Studenten. Er fertigte auch eine komplette Aufzeichnung seines Gehirns an, so wie Sie beispielsweise das Gehirn des Fenachroners auf Ihren Bändern festgehalten haben. Diese Unterlagen werden in einer großen Zentralbibliothek aufbewahrt und sind dort ständig verfügbar. Heutzutage braucht ein junger Mensch nur eine elementare Erziehung hinter sich zu bringen – soviel, daß er lernen kann, was nur etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre dauert –, dann ist er bereit für die eigentliche Arbeit. Wenn diese Zeit heranrückt, empfängt er an einem Tag sämtliches Wissen auf seinem Spezialgebiet, das von seinen Vorgängern in vielen tausend Jahren intensiven Studiums angesammelt worden ist.« »Mann!« Seaton pfiff leise durch die Zähne. »Kein Wunder, daß Sie ganz vorn liegen! Auf so einer Grundlage möchte ich auch anfangen! Als Astronom interessieren Sie sich bestimmt für diese Sternkarte – oder wissen Sie darüber schon Bescheid?« »Nein, die Fenachroner sind uns auf diesem Gebiet weit voraus, weil sie ihre Observatorien im All errichten können und riesige Reflektoren benutzen, die innerhalb einer Atmosphäre nicht funktionieren. Wir
werden außerdem durch die Tatsache behindert, daß unsere Dunkelperioden nur wenige Stunden dauern und auch das nur im Winter, wenn sich unser Planet außerhalb der Umlaufbahn unserer Sonne um die große Zentralsonne des Grünen Systems befindet. Doch mit dem Rovolon, das Sie uns gebracht haben, können wir erstklassige Observatorien im Raum errichten, und schon dafür stehe ich mehr in Ihrer Schuld, als ich jemals auszudrücken vermag. Was die Sternkarte angeht, so hoffe ich sie untersuchen zu können, während Sie mit Rovol das Thema der Strahlen behandeln.« »Wie viele Familien arbeiten an den Strahlen – nur eine?« »Eine an jeder Art von Strahlen. Das heißt, jede der Strahlenfamilien weiß über alle möglichen Vibrationen Bescheid, spezialisiert sich aber auf ein enges Gebiet. Zum Beispiel die Strahlen, für die Sie sich am meisten interessieren – Strahlen, die eine Energiezone zu durchdringen vermögen. Aufgrund meiner geringen und sehr allgemeinen Kenntnisse weiß ich, daß es sich dabei um Strahlen fünfter Ordnung handeln müßte. Diese Strahlen sind auch für uns sehr neu – sie werden erst seit wenigen tausend Jahren erforscht, und Rovol ist der einzige Student, der überhaupt eine Ahnung davon haben kann. Soll ich Ihnen die Ordnungsgruppen der Strahlen noch genauer erläutern, als es durch das Lerngerät möglich war?« »Bitte sehr. Eine kleine Erklärung kann uns nur nützen.« »Alle normalen Vibrationen – das heißt, alle molekularen und materiellen Wellen wie Licht, Hitze, Elektrizität, Funkwellen und dergleichen – wurden
umfassend Wellen der ersten Ordnung genannt, um sie von den Wellen der zweiten Ordnung zu unterscheiden, die von Partikeln zweiter Ordnung ausgestrahlt werden. Bei Ihnen sind diese Partikel als Protonen und Elektronen bekannt und bilden Atome. Ihr Wissenschaftler Millikan entdeckte diese Strahlen, und in Ihrer Sprache heißen sie Millikanstrahlen oder kosmische Strahlen. Als einige Zeit später Subelektronen der ersten und zweiten Ebenen gefunden wurden, nannte man die Energien, die bei der Verbindung oder Trennung dieser Partikel auftraten, Strahlen der dritten und vierten Ordnung. Diese Strahlen sind am interessantesten und nützlichsten; ja sie erledigen hier unsere sämtlichen mechanischen Arbeiten. Als Gruppe werden sie Protelektrizität genannt und stehen im selben Verhältnis zur Elektrizität wie die Elektrizität zur Drehkraft – beides sind reine Energieformen, die ineinander umwandelbar sind. Doch im Gegensatz zur Elektrizität kann die Protelektrizität durch Kraftfelder in viele verschiedene Formen gebracht werden – etwa dem Verfahren vergleichbar, durch das in einem Prisma weißes Licht in Farben zerlegt wird – oder noch besser: so wie Wechselstrom durch Motor und Generator in Gleichstrom umgewandelt wird. Es gibt zwei komplette Spektren aus fünfhundert beziehungsweise fünfzehnhundert Wellenarten, die sich jeweils so sehr voneinander unterscheiden wie Rot von Grün. Die Energie, die Ihr Raumschiff antreibt, Ihre Attraktoren, Ihre Abstoßer, Ihr Objektkompaß, Ihre Energiezone – all das sind nur einige der fünfzehnhundert Wellenarten der vierten Ordnung. Auf diese Dinge wären Sie zu gegebener Zeit bestimmt
auch selbst gekommen. Da ich praktisch nichts über die fünfte Ordnung – die erste subätherische Ebene – weiß, und da Ihr Interesse um diesen Bereich kreist, will ich eine Erklärung Rovol überlassen.« »Wenn ich nur einen Bruchteil Ihrer ›praktisch nicht vorhandenen‹ Kenntnisse hätte, würde ich mich für sehr gebildet halten. Aber was die fünfte Ordnung angeht – ist das das letzte Wort in Sachen Strahlenforschung?« »Meine Kenntnisse sind gering und nur sehr allgemein; ich weiß nur das, was ich wissen muß, um mich auf meinem Spezialgebiet zurechtzufinden. Die fünfte Ordnung ist gewiß noch nicht das Ende – sondern allenfalls ein kleiner Anfang. Wir sind inzwischen überzeugt, daß sich die Ordnungsgruppen bis zu unendlich kurzen Wellen fortsetzen lassen, so wie auch die Galaxien zu größeren Gruppierungen zusammengefaßt sind, die ihrerseits wahrscheinlich nur winzige Brocken in einem unendlich großen Universum darstellen. Vor über sechstausend Jahren wurden die letzten vier Strahlen vierter Ordnung erkundet, und gewisse Besonderheiten in ihrem Verhalten brachten den damaligen Rovol auf den Gedanken, daß vielleicht noch eine fünfte Ordnung existierte. Nachfolgende Rovolgenerationen bewiesen die Existenz solcher Strahlen, bestimmten die Bedingungen ihrer Freisetzung und stellten fest, daß das Energiemetall der einzige Katalysator ist, der sie in verwendbaren Mengen hervorrufen kann. Dieses Metall, nach den Rovols Rovolon genannt, wurde zuerst rein theoretisch vorausgesetzt und erst später spektroskopisch in gewissen überschweren Sternen festgestellt – in erster Linie in ei-
nem Stern, der nur acht Lichtjahre von uns entfernt ist. Etliche Mikrogramm wurden schließlich von Meteoriten gewonnen. Genug für die Forschung und einige wenige Versuche, aber nicht genug, um von praktischem Nutzen zu sein.« »Ah ... ich verstehe. Die Besuche auf Osnome und Urvania haben also wirklich stattgefunden – Norlaminer haben auf diesen Planeten durch eine Energiezone hindurch gekämpft.« »So könnte man mit Einschränkungen sagen. Die Flüge hatten den Zweck, das Interesse von Fremden zu erwecken – und bei Ihnen hatten wir ja auch Erfolg. Seit damals hat die Familie Rovol ununterbrochen an der Theorie der fünften Ordnung gearbeitet und auf Ihre Ankunft gewartet. Der jetzige Rovol – wie auch viele andere Norlaminer, deren Arbeit praktisch zum Stillstand gekommen ist – warten mit besonderer Ungeduld darauf, Sie begrüßen zu können, sobald die Skylark auf unserem Planeten gelandet ist.« »Ihre Raketen oder Projektionen konnten Ihnen kein Rovolon beschaffen?« »Nein, bis auf die winzigen Mengen, die ich bereits erwähnte. Alle hundert Jahre entwickelt jemand eine neue Rakete, von der er annimmt, daß sie vielleicht die Reise in das Sonnensystem mit dem Rovolon schafft – doch keiner der unternehmungslustigen Jünglinge ist bis heute zurückgekehrt. Entweder hat die Sonne keine Planeten, oder die Raketen haben ihr Ziel nicht erreicht. Unsere Projektionen sind nutzlos, da sie mit unserer derzeitigen Trägerwelle nur über kurze Entfernungen errichtet werden können. Mit einer Trägerwelle der fünften Ordnung könnten wir ei-
ne Projektion an jeden gewünschten Ort der Galaxis bringen, da die Lichtgeschwindigkeit dabei um ein Millionenfaches übertroffen würde und wir entsprechend weniger Energie brauchten – aber wie ich schon sagte, solche Impulse lassen sich ohne Rovolon nicht erzeugen.« »Ich unterbreche unser Gespräch nicht gern – ich könnte Ihnen eine Woche lang zuhören –, aber wir landen gleich, und es sieht so aus, als würden wir ziemlich heftig aufprallen.« »Wir werden bald landen, aber keineswegs heftig«, erwiderte Orlon zuversichtlich, und er behielt recht. Die Skylark sank mit hoher Geschwindigkeit ab, und der Abstieg war so schnell, daß die Beobachter den Eindruck hatten, sie müßten durch das Dach des riesigen hellerleuchteten Gebäudes stürzen, das im Schirm schnell größer wurde. Doch sie berührten das Observatorium nicht. So unglaublich genau waren die Berechnungen des norlaminischen Astronomen und so übermenschlich präzise war die Kontrolle, die er auf die Energieschiene der Skylark ausübte, daß sie um Haaresbreite über die Kuppel dahinschwebten und schließlich sanft den Boden berührten. Die Passagiere spürten nur ein plötzliches Nachlassen der Beschleunigung, als habe ein Expreßfahrstuhl im Erdgeschoß gestoppt. »Ich begrüße Sie bald von Angesicht«, sagte Orlon, und die Projektion verschwand. »Nun, wir sind am Ziel, Leute, wieder mal auf einer anderen Welt. Nicht ganz so aufregend wie Dasor, wie?« Seaton näherte sich der Tür. »Wie steht es mit Luftzusammensetzung; Dichte, Schwerkraft, Temperatur und so weiter?« fragte Cra-
ne. »Vielleicht sollten wir lieber erst ein paar Tests machen.« »Hast du das nicht durch das Lerngerät mitbekommen? Ich dachte, du hättest aufgepaßt. Schwerkraft: ein wenig geringer als sieben Zehntel. Luftzusammensetzung: identisch mit Osnome und Dasor. Druck: auf halbem Wege zwischen Erde und Osnome. Temperatur: meistens wie Osnome, aber im Winter gemütlicher. Im Augenblick Schnee nur an den Polen – doch unser Observatorium ist nur zehn Grad vom Äquator entfernt. Auch auf Norlamin wird nicht viel Kleidung getragen, außer wenn es sein muß. Gehen wir.« Er öffnete das Luk, und die vier Reisenden betraten einen gepflegten Rasen – dessen blaugrüne Tönung und Elastizität den Vergleich mit jedem irdischen Teppich standhielt. Die Landschaft war durch ein weiches, doch zugleich intensives grünes Licht erhellt, das keine sichtbare Quelle zu haben schien. Als sie stehenblieben und sich umschauten, erkannten sie, daß die Skylark in der Mitte einer kreisförmigen Fläche gelandet war, die etwa hundert Meter Durchmesser hatte – diese freie Fläche war von Gebüschreihen, Statuen und Brunnen gesäumt. Nur an einer Stelle hatte dieser Kreis eine Lücke – hier stießen die Wände nicht zusammen, sondern begrenzten einen Weg, der zu einem Gebäude aus gelbgrünem Marmor führte, das oben von einer gewaltigen glasartigen Kuppel abgeschlossen wurde – das Observatorium Orlons. »Ich heiße Sie auf Norlamin willkommen!« ertönte die tiefe, ruhige Stimme des Astronomen, und Orlon, der diesmal persönlich erschienen war, begrüßte sei-
ne Besucher mit herzlichem Handschlag und legte jedem eine Klistallkette um, an der ein kleines norlaminisches Chronometerradio befestigt war. Hinter ihm standen vier ältere Männer. »Diese Herren sind bereits mit Ihnen bekannt – aber Sie kennen sie natürlich noch nicht. Ich möchte sie Ihnen vorstellen – Fodan, Anführer der Fünf von Norlamin, Rovol, von dem Sie bereits wissen, Astron, der Führer der Energie, Satrazon, der Führer der Chemie.« Orlon drehte sich um, und die Gruppe ging langsam auf das Observatorium zu. Unterwegs sahen sich die Erdenmenschen immer wieder um; die unirdische Schönheit dieses Gartens schlug sie in ihren Bann. Die Buschhecken, die zwischen drei und fünf Meter hoch waren und völlig den Blick versperrten, bildeten phantastische geometrische Formen, bei denen jedes Blatt seinen Platz hatte. Am Rand der runden Rasenfläche standen zahlreiche überlebensgroße Statuen. Sie stellten einzelne Männer und Frauen dar; bei anderen handelte es sich um Büsten oder Gruppen in natürlichen oder allegorischen Posen – doch alle waren wirkungsvoll und äußerst naturgetreu gestaltet. Zwischen den Skulpturen erstreckten sich Brunnen mit herrlichen Bronze- und Glasdarstellungen der seltsamen Wasserwesen dieser Welt, die von geometrisch geformten Wasserwänden und Tropfkaskaden umgeben waren. Um die Statuen und die Brunnen zog sich eine bewegliche schillernde Barriere, und im Wasser und an dieser Barriere zuckten zahlreiche Farben auf, harmonisch zueinander passende Lichter – jede denkbare Tönung des grünen norlaminischen Spektrums war vertreten, wand sich dahin und flammte in unvergleichlicher Pracht auf.
Als sie den Weg erreichten, erkannte Seaton erstaunt, daß diese Barriere gar keine Mauer war, wie er zunächst angenommen hatte. Aus nächster Nähe sah er Myriaden von funkelnden Edelsteinen verschiedenster Färbung, zum größten Teil selbstleuchtend. Jedes Juwel zuckte scheinbar völlig frei zwischen seinen Nachbarn hin und her, raste hierhin und dorthin und folgte mit hektischer Geschwindigkeit einem äußerst komplizierten, doch offenbar sorgfältig berechneten Kurs. »Was kann das nur sein?« flüsterte Dorothy, und Seaton wandte sich an ihren Gastgeber. »Verzeihen Sie meine Neugier, Orlon, aber würden Sie mir bitte diese bewegliche Wand erklären?« »Aber ja. Diese Gärten stehen seit vielen tausend Jahren im Besitz der Orlon-Familie. Die Frauen unseres Hauses arbeiten seit Anbeginn an ihrer Verschönerung. Sie haben vielleicht schon bemerkt, daß die Skulpturen am Rasen sehr alt sind. Kunstwerke dieser Art sind schon seit vielen Jahren nicht mehr erstellt worden. Die moderne Kunst ist völlig auf Farbe und Bewegung konzentriert, daher auch die Beleuchtungseffekte und die Schmuckwand. Jedes Juwel bewegt sich am Ende eines winzigen Kraftstrahls, und alle diese Strahlen werden durch eine Maschine gesteuert, die einen Abrufimpuls für jeden Edelstein hat.« Crane, dessen Geist stets methodisch arbeitete, starrte auf die unzähligen aufblitzenden Steine und fragte: »Muß es nicht schrecklich lange gedauert haben, ein solches Werk zu vollenden?« »Es ist noch gar nicht vollendet, o nein. Die Arbeit hat kaum begonnen. Wir haben erst vor vierhundert Jahren damit angefangen.«
»Vierhundert Jahre!« rief Dorothy. »Leben Sie denn so lange? Und wie lange wird es noch dauern, bis die Mauer vollendet ist, und wie wird sie dann aussehen?« »Nein, keiner von uns lebt länger als etwa hundertundsechzig Jahre – ungefähr in diesem Alter entscheiden sich die meisten von uns, in die nächste Ebene weiterzuwandern. Wenn diese Schmuckwand beendet ist, wird sie nicht nur Form und Farbe sein, wie jetzt. Sie wird die Geschichte Norlamins darstellen, vom ersten Abkühlen des Planeten an. Wahrscheinlich werden noch viele tausend Jahre vergehen, ehe sie wirklich fertig ist. Sie müssen wissen, Zeit bedeutet uns hier sehr wenig, und das Kunsthandwerk alles. Meine Gefährtin wird weiter daran arbeiten, bis wir weiterwandern wollen, die Gefährtin meines Sohnes setzt die Arbeit vielleicht fort. Auf jeden Fall werden viele Generationen von Orlonfrauen daran arbeiten, bis das Ziel erreicht ist. Und wenn die Arbeit getan ist, wird die Wand ein Objekt der Schönheit sein, solange Norlamin besteht.« »Aber wenn nun die Frau Ihres Sohnes künstlerisch nicht so begabt ist? Wenn sie nun lieber Mosaike gestalten oder malen wollte?« fragte Dorothy neugierig. »Das ist durchaus möglich, denn zum Glück ist die darstellende Kunst noch nicht so völlig intellektualisiert wie unsere Musik. Es gibt im Hause Orlon viele unfertige Kunstwerke, und wenn die Gefährtin meines Sohnes sich nicht für das eine interessiert, steht es ihr frei, etwas anderes fortzusetzen, das vielleicht schon begonnen wurde – oder ein völlig neues Projekt zu beginnen.« »Sie sind also wirklich eine Familie?« fragte Marga-
ret. »Ich glaube, ich habe das alles nicht so gut verstanden, als Sie uns durch das Lerngerät informierten.« »Ich habe alles zu schnell gesendet, da ich vergaß, daß das Lerngerät etwas Neues für Sie war, etwas, mit dem Sie noch nicht vertraut waren. Ich möchte Ihnen daher einige Dinge mit Worten erklären. Die fünf haben alle Regierungsaufgaben für den gesamten Planeten übernommen. Ihre Entscheidungen basieren auf der offensichtlichen Wahrheit und sind deshalb Gesetz. Die Bevölkerung wird nach den Bedürfnissen des Planeten beschränkt, und da im Augenblick viel in Arbeit ist, haben die fünf eine Zunahme der Bevölkerung empfohlen. Meine Gefährtin und ich durften deshalb drei Kinder haben, und nicht nur die üblichen zwei. Durch Los wurde bestimmt, daß wir zwei Jungen und ein Mädchen bekamen; einer der Jungen wird meine Pflichten übernehmen, wenn ich weiterwandere; der andere sucht sich einen anderen Zweig der Wissenschaft, der zu kompliziert geworden ist für einen einzigen Spezialisten. Er hat sein Thema bereits gefunden und ist auch schon angenommen worden – er wird Nummer Neunhundertsiebenundsechzig der Chemie sein. Student der asymmetrischen Kohlenstoffatome, die von nun an sein Spezialgebiet sind. Wir wissen seit langem, daß jene Eltern die besten Kinder bekommen, die sich in der Blüte ihres geistigen Lebens befinden, etwa um die hundert Jahre. Deshalb umfaßt jede Generation bei uns hundert Jahre. Die ersten fünfundzwanzig Jahre verbringt ein Kind zu Hause bei den Eltern; in dieser Zeit erwirbt es seine grundlegende Bildung in den allgemeinen
Schulen. Dann ziehen Mädchen wie Jungen in das Land der Jugend, in dem sie weitere fünfundzwanzig Jahre zubringen. Hier werden Gehirn und Initiative geschult, indem sie nach freier Entscheidung Forschungsarbeiten durchführen. In diesem Alter lösen die meisten von uns die verwirrendsten Probleme des Universums, nur um später festzustellen, daß die Lösungen ganz falsch gewesen sind. Doch im Land der Jugend wird ausgezeichnete Arbeit geleistet, vordringlich wegen der frischen und völlig unvorbelasteten Ansichten der jungen Leute. In diesem Land findet jeder auch seinen Lebensgefährten, den Menschen, der erforderlich ist, um das bloße Dasein zu einer Vollkommenheit zu bringen, die als Einzelperson unerreichbar ist. Ich brauche Ihnen die Wunder der Liebe und die Erfüllung eines solchen Lebens nicht zu schildern – denn Sie alle, obwohl Sie an unserem Alter gemessen noch Kinder sind, kennen die Liebe in ihrem ganzen Ausmaß. Im Alter von fünfzig Jahren wird der Mann, der nun die geistige Reife erlangt hat, in den Kreis seiner Familie zurückgerufen, da nun das Gehirn seines Vaters einen Teil seiner Kraft und Schärfe verliert. Der Vater gibt seine Arbeit über das Lerngerät an den Sohn weiter – und wenn die Last der Forschungsergebnisse von hunderttausend Generationen in das Gehirn des Sohnes einzieht, ist seine Jugend vorbei.« »Was macht der Vater dann?« »Nachdem er seine Gehirnaufzeichnung gemacht hat – ich habe das schon erwähnt – zieht er sich mit seiner Gefährtin – die ihrerseits ihre Arbeit an die Nachfolgerin abgegeben hat – in das Land des Alters zurück, wo sich die beiden nach ihren hundert Jahre
währenden Mühen erholen. Sie tun, was sie wollen, solange sie Spaß daran haben. Wenn sie sich überzeugt haben, daß bei den Kindern alles gut läuft, kommen sie eines Tages zu dem Schluß, daß sie für den Wechsel bereit sind. Seite an Seite wandern sie dann in die nächste Ebene.« An der Tür des Observatoriums angekommen, blieb Dorothy stehen und drängte sich furchtsam an Seaton. »Nein, meine Liebe, warum sollten wir den Wechsel fürchten?« beantwortete Orlon ihre unausgesprochene Frage. »Das Lebensprinzip ist für den endlichen Geist unergründlich, wie auch die allessteuernde Kraft. Aber obwohl wir nichts von dem höchsten Ziel wissen, auf das es zuläuft, kann und wird jede Person, die für den Wechsel reif ist, sich über das Lebensprinzip hinwegsetzen, damit sein Fortschritt nicht behindert wird.« In dem Riesenzimmer des Observatoriums, in dem die Terrestrier und ihre norlamimschen Gastgeber seit vielen Stunden diskutierten und Unterlagen studierten, erhob sich Seaton schließlich, hielt seiner Frau die Hand hin und sagte: »Ihre Schlafperiode beginnt in zwanzig Minuten, Orlon, und wir sind auch schon seit dreißig Stunden auf den Beinen, was für uns eine lange Zeit ist. Wir kehren an Bord der Skylark zurück, und wenn die Arbeitsperiode beginnt – in zehn Stunden –, suche ich Rovols Labor auf, und Crane kann hierher zurückkehren, um weiter mit Ihnen zu arbeiten. Sind Sie damit einverstanden?« »Sie brauchen nicht in Ihr Schiff zurückkehren – ich
weiß, daß Ihnen die engen Quartiere dort etwas auf die Nerven gehen. Wir haben Zimmer für Sie vorbereiten lassen. Wir nehmen noch eine leichte Mahlzeit ein, dann ziehen wir uns zurück, um morgen weiterzumachen.« Bei diesen Worten erschien vor jeder Person ein Tablett in der Luft, beladen mit leckeren Gerichten. Als Seaton sich setzte, folgte ihm das Tablett und verharrte stets in der günstigsten Position. Crane warf Seaton einen fragenden Blick zu, und Satrazon, der Führer der Chemie, beantwortete seinen Gedanken, ehe er ihn aussprechen konnte. »Die Nahrungsmittel sind bekömmlich für Sie – im Gegensatz zu den Dingen, die wir essen. Sie enthalten kein Kupfer, kein Arsen, keine Metalle – kurz, nichts, was Ihrer Körperchemie schaden könnte. Die Speisen sind ausgewogen im Hinblick auf Kohlehydrate, Proteine, Fette und Zucker und enthalten auch die erforderlichen Vitamine und Spurenelemente. Sie werden außerdem feststellen, daß der Geschmack Ihnen zusagt.« »Synthetisch, wie? Sie haben uns durch und durch analysiert«, stellte Seaton fest, als er mit Messer und Gabel das dicke, herrlich saftig gebratene Steak in Angriff nahm, das mit Pilzen und anderen leckeren Beigaben garniert war. Dabei stellte er fest, daß die Norlaminer mit völlig anderen Bestecken aßen. »Synthetisch«, erwiderte Satrazon, »bis auf das Natriumchlorid, das dazu erforderlich ist. Wie Sie bereits wissen, sind Natrium und Chlor in unserem System sehr selten, deshalb haben die Kräfte, die für unsere Versorgung zuständig sind, aus Ihrem Schiff die benötigte Menge Salz geholt. Wir haben leider noch
keine Atome synthetisieren können, aus demselben Grund, warum die Arbeit so vieler behindert worden ist – weil uns Rovolon fehlt. Jetzt aber wird meine Wissenschaft die gebührenden Fortschritte machen; und dafür möchte ich mich dem Dank meiner wissenschaftlichen Kollegen für die uns erwiesene Hilfe anschließen.« »Nein, wir danken Ihnen – denn das, was wir Ihnen gebracht haben, ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was Sie uns geben werden. Vielen Dank.« Nach dem Essen wurden die Besucher von der Erde in ihre Räume geführt und fielen in einen tiefen traumlosen Schlaf.
KAPITEL 10 Nach dem Frühstück starrte Seaton eindringlich hinter seinem Tablett her, das voller leerer Behälter davonschwebte und in einer Wandöffnung verschwand. »Wie machen Sie das nur, Orlon?« fragte er neugierig. »Ich wage kaum meinen Augen zu trauen.« »Jedes Tablett wird von einem Kraftstrahl getragen. Da der Strahl auf die individuelle Welle des Instruments abgestimmt ist, das Sie auf der Brust tragen, wird das Tablett natürlich zu Ihnen gelenkt – bis auf eine vorher bestimmte Entfernung. Wenn Sie mit dem Essen fertig sind, wird der Strahl verkürzt; so wird das Tablett zum Speiselabor zurückgezogen, wo andere Kräfte die verschiedenen Eßgeräte reinigen und sterilisieren und für das nächste Essen bereitlegen. Es wäre eine Kleinigkeit, den Mechanismus so einzustellen, daß er Ihnen das Essen überall auf dem Planeten serviert – vorausgesetzt, es läßt sich ein direkter Kurs zu Ihnen abstecken.« »Danke, aber das würde sich kaum lohnen. Außerdem sollten wir doch öfter in der Skylark essen, um unseren Koch bei Laune zu halten. Ah, da kommt Rovol, wir brechen auf. Begleitest du mich, Dottie, oder hast du etwas anderes vor?« »Ich lasse dich eine Zeitlang allein. Ich weiß ja nicht mal, wie ein Radiogerät funktioniert, da macht mich der Gedanke an all die komischen komplizierten Strahlen, die du produzieren willst, ganz nervös. Mrs. Orlon will mich ins Land der Jugend begleiten – sie meint, Margaret und ich könnten ein bißchen mit ihrer Tochter und ihren Freundinnen plaudern, wäh-
rend ihr Wissenschaftler tüchtig arbeitet.« »Also gut, dann bis heute abend.« Seaton trat ins Freie, wo der Führer der Strahlen bereits wartete. Sein Fluggerät war ein torpedoförmiges Gebilde aus einem durchsichtigen glasähnlichen Material. Von der Mitte, die etwa anderthalb Meter durchmaß und mit vier dick gepolsterten Sesseln versehen war, spitzte sich die Schiffswandung nach beiden Seiten zu. Als Seaton eintrat und sich in die Kissen sinken ließ, berührte Rovol einen Hebel. Sofort glitt eine durchsichtige Tür vor die Öffnung und schob sich fugenlos in die Lücke. Das Fluggerät stieg auf und flog davon. In den ersten Minuten herrschte Stille, während Seaton das unter ihm dahinhuschende Gelände betrachtete. Felder oder Städte gab es nicht, sondern nur dichte Wälder und riesige Grasflächen, auf denen sich da und dort große Gebäude mit parkähnlichen Gärten erhoben. Schließlich brach Rovol das Schweigen. »Ich glaube Ihr Problem zu kennen, nachdem mir Orlon alle Gedanken übertragen hat, die er von Ihnen bekam. Mit Hilfe des Rovolon, das Sie uns mitgebracht haben, finden wir bestimmt eine zufriedenstellende Lösung. Es dauert noch einige Minuten, bis wir mein Laboratorium erreichen, und wenn Sie einige Dinge auf dem Herzen haben, die Ihnen noch nicht klar geworden sind, will ich sie Ihnen gern erläutern.« »Das ist nett«, sagte Seaton lächelnd. »Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, daß Sie mich kränken – ich weiß genau, wie unwissend und dumm ich im Vergleich zu Ihnen bin. Es gibt tatsächlich viele Dinge, die ich überhaupt nicht begreife. Zunächst mal dieses Flugboot. Es scheint gar keinen Antrieb zu ha-
ben – also bewegt es sich wie so viele andere Dinge hier am Ende eines Energiestrahls, richtig?« »Richtig. Der Strahl geht von meinem Labor aus. Die Installation hier im Boot beschränkt sich auf einen kleinen Sender zur Fernsteuerung.« »Von wo beziehen Sie die Energie? Aus Sonnengeneratoren und Gezeitenmotoren? Ich weiß, daß die Norlaminer ihre Arbeit durch Protelektrizität erledigen lassen und daß Sie alle Strahlen der dritten und die meisten der vierten Ordnung ergründet haben – aber über die Quelle hat Orlon nichts gesagt.« »Wir haben solche leistungsschwachen Generatoren seit vielen tausend Jahren nicht mehr benutzt. Vor langer Zeit ergab die Forschung, daß im freien Weltall ständig Energie im Überfluß erzeugt wird und daß diese Energie – bis einschließlich der Strahlen sechster Ordnung – mühelos und ohne Transportverluste gesammelt und zur Oberfläche des Planeten herabgeholt werden kann. Man braucht nichts weiter als synchronisierte Sende- und Empfangsstationen. Wir haben diese Geräte in vielen Millionen Exemplaren gebaut und als Satelliten um Norlamin in Umlauf gebracht.« »Wie konnten Sie die Stationen weit genug hinausschießen?« »Die ersten wurden mit Energiestrahlen in die benötigte Entfernung gebracht, und zwar mit Energiestrahlen aus umgewandelter Elektrizität, die ihrerseits aus Turbinen, Sonnenmotoren und Gezeitenmotoren stammte. Als die ersten Sammelgeräte draußen waren, hatten wir genügend Energie, um weitere hinauszuschicken – und wenn heute jemand mehr Energie braucht, als er zur Verfügung hat, startet er
einfach so viele zusätzliche Sammler, wie er braucht.« »Nun zu den Strahlen fünfter Ordnung, die eine Energiezone zu durchdringen vermögen. Wie ich erfahren habe, handelt es sich dabei gar nicht um Ätherwellen!« »Richtig. Die Strahlen vierter Ordnung sind die kürzesten Vibrationen, die sich durch den Äther fortpflanzen, denn der Äther selbst ist kein gleichbleibendes Medium. Wir wissen nicht genau, was er eigentlich ist, aber er ist eine reale Substanz und besteht aus einzelnen getrennten Partikeln vierter Ordnung. Die Energiezone, die für sich gesehen eigentlich ein Phänomen vierter Ordnung ist, schafft eine Stasis von Partikeln, aus denen sich der Äther zusammensetzt. Diese Partikel sind relativ grob, so daß Strahlen und Partikel der fünften Ordnung die feste Zone ohne Verlangsamung durchdringen. Wenn sich also etwas zwischen den Partikeln des Äthers befindet – diese Frage ist bei uns zur Zeit heiß umstritten –, muß dies ein Subäther sein wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, diese Dinge voll zu erkunden, nicht einmal eine so relativ grobe Erscheinung wie den Äther; aber nachdem wir nun Rovolon haben, kann es nur noch wenige tausend Jahre dauern, bis wir unser Wissen um vier Größenordnungen in beiden Richtungen erweitert haben.« »Wie kann Ihnen Rovolon dabei helfen?« »Dieses Metall ermöglicht die Erzeugung einer Energie der neunten Stärke – soviel ist erforderlich, um mit dem Gebilde arbeiten zu können, das Sie so zutreffend Energiezone genannt haben – und gibt uns die Möglichkeit, Strahlen fünfter Ordnung und viel-
leicht sogar höherer Ordnungen zu erzeugen, die – wenn es sie überhaupt gibt – von uns zur Zeit nicht aufgespürt werden können. Die Energiezone ist erforderlich, um gewisse Gerätschaften vor Äthervibrationen abzuschirmen, da jede Vibration innerhalb der Energiefelder die Beobachtung oder Kontrolle der höheren Strahlenordnungen unmöglich macht.« »Hmm. Ich verstehe – man lernt immer dazu«, sagte Seaton. »Ähnlich ist das Prinzip, nach dem ein Funkgerät besonders gut abgeschirmt sein muß, je leistungsstärker es ist.« »Ja. So wie die geringste Spur von Gas Ihre besten Vakuumröhren nutzlos macht, so wie eine unvollkommene Abschirmung störende Wellen in empfindliche elektrische Geräte eindringen läßt – so wirkt selbst die geringste Äthervibration sehr störend auf die Arbeit der empfindlichen Felder und Linsen aus Energie, die wir zur Kontrolle der Kräfte höherer Ordnung benötigen.« »Orlon hat mir berichtet, Sie hätten die fünfte Ordnung schon ziemlich gut im Griff.« »Wir wissen genau, wie die Kräfte aussehen, wie wir sie freisetzen und kontrollieren müssen und wie sie sich einsetzen lassen. Bei dem Projekt, das wir heute beginnen, werden wir kaum normale Kräfte einsetzen; die Arbeit wird fast ausschließlich durch Energien getan, die dank Ihres Rovolons aus Kupfer gewonnen werden. Aber wir sind bereits am Ziel. Sie wissen selbst – man lernt am schnellsten, wenn man etwas ausprobiert. Wir fangen sofort an.« Das Flugboot landete in einem Garten, der dem Park vor Orlons Observatorium ähnelte, und der Wissenschaftler führte seinen irdischen Gast in den
großen glasausgekleideten Raum, der sein Labor war. Breite Werkbänke zogen sich an den Wänden hin. Seaton sah Hunderte von Meßgeräten, Röhren, Transformatoren und anderen Geräten und Apparaten, deren Verwendungszweck er nicht einmal erraten konnte. Zunächst legte Rovol einen Anzug aus durchsichtigem, flexiblem Material an und bedeutete Seaton, es ihm nachzutun. Er erklärte, daß ein Großteil der Arbeit von gefährlichen Frequenzen begleitet sein würde und daß die Anzüge nicht nur absolut gegen Elektrizität, Hitze und Geräusche isolierten, sondern auch jede gefährliche Strahlung abhielten. Da die Helme mit Sprechgeräten ausgestattet waren, wurde die Verständigung nicht behindert. Darauf nahm Rovol einen winzigen Leuchtstift zur Hand und schnitt damit ein Stück Rovolon fast mikroskopischer Größe ab. Dieses Stück legte er auf einen großen polierten Kupferblock und richtete eine Energie darauf. Er bediente Hebel, und zwei weitere Kraftstrahlen preßten das Metallstück nieder, breiteten es auf dem Kupfer aus und drückten es in die Oberfläche des Blocks, bis die dünne Rovolonschicht an jedem Punkt Molekularkontakt mit dem Kupfer hatte – eine vollkommene Plattierung, die im Nu geschaffen wurde. Dann schnitt Rovol ein erbsengroßes Stück des behandelten Kupfers ab, und andere Kraftstrahlen bauten mit großer Geschwindigkeit ein Gebilde aus Spulen und Metallröhren um den kleinen Kupferbrocken. Dieses Gerät wurde am Ende eines Energiestrahls in der Luft aufgehängt. Als nächstes wurde der große Kupferblock in zwei Teile geschnitten, und Rovols Finger bewegten sich geschickt über
die Tastatur einer Maschine, die entfernt an einen übergroßen komplizierten Buchungsautomaten erinnerte. Elektrische Spannung knisterte, und Seaton sah, wie die Rohmaterialien sich allmählich zu einer vollständigen Energiestation formten – in der Mitte der zweihundert Pfund schwere spezialbehandelte Kupferbrocken. Rovols Hände bewegten sich schnell von den Tasten zu den Drehknöpfen und wieder zurück, und plötzlich legte sich eine Energiezone von der Größe eines Fußballs um das in der Luft schwebende Gerät. »Aber das Ding wird wegfliegen, und wir können es nicht aufhalten!« sagte Seaton, und das Gebilde bewegte sich tatsächlich mit großer Geschwindigkeit in die Höhe. Der alte Mann schüttelte den Kopf, während er sich anderen Kontrollen zuwandte, und Seaton hielt den Atem an, als sich neun gewaltige Kraftstrahlen auf den schimmernden Kugelspiegel aus reiner Energie stürzten, ihn packten und mühelos zu einem komplizierten geometrischen Gebilde umformten. Grellviolettes Licht füllte den Raum, und Seaton blickte auf die Energiemasse. Die zweihundert Pfund Kupfer nahmen sichtbar ab, so gewaltig waren die Kräfte, die hier eingesetzt wurden, und das grelle Licht wäre unerträglich gewesen, wenn der Schutzhelm nicht automatische Farbblenden besessen hätte. Unvorstellbare Blitze zuckten von den Ableitungskontakten der Werkbank auf Erdpole am Boden; Seaton wagte es nicht, sich die unvorstellbaren Kräfte vorzustellen, die hier auf die widerstandsfähige Energiekugel einwirkten. Der alte norlaminische Wissenschaftler setzte keine
Werkzeuge im irdischen Sinne ein. Sein Laboratorium war eine Energiewerkstatt; zu seiner Verfügung standen die gewaltigen Kräfte einer Batterie von Planetoidenbeschleunigern, außerdem noch die Kräfte vierter Ordnung und neunter Größe der sich auflösenden Kupferschiene. Elektrizität und Protelektrizität, insgesamt viele Millionen Kilovolt, gehorchten den Befehlen dieses großartigen Gehirns, in dem sich das Wissen vieler tausend Jahre wissenschaftlicher Forschung gesammelt hatte. Während Seaton den greisen Physiker bei der Arbeit beobachtete, kam er sich wie ein Schuljunge vor, der Chemikalien zusammenmixte, ohne ihre Eigenschaften zu kennen, und der von Zeit zu Zeit rein zufällig auf ein Ergebnis stieß. Während er wie ein Schüler mit der Atomenergie umgegangen war, kannte dieser Meister alle Reagenzien und alle Reaktionen und arbeitete mit bestens bekannten Hilfsmitteln auf ein genau definiertes Ziel zu – und er war sich des Ergebnisses absolut gewiß. Stundenlang arbeitete Rovol, ohne sich um die Zeit zu kümmern, während er zugleich Seaton unterwies, der jeden Schritt interessiert beobachtete und der mithalf, wo es ihm möglich war. Nach und nach entstand in der Mitte des Labors ein hoch aufragendes Gebilde. Eine Metallbasis stützte ein massives Drehlager, das ein Gewirr aus Metallstangen stützte, die eine Art Teleskop bildeten. Am oberen Ende dieser offenen Röhre hielt ein Bündel von neun Kraftstrahlen die Energiezone in der Achse fest; am unteren Ende standen Sitze für zwei Techniker und die erforderlichen Geräte für die Bedienung der komplizierten Kraftsysteme und Motoren, die den riesigen Projektor
in Gang setzen und steuern sollten. Große Stundenund Deklinationskreise waren von den Sitzen aus abzulesen, Kreise, die gut zwölf Meter Durchmesser hatten und mit unglaublicher Präzision Winkelminuten und -sekunden anzeigten und die über Getriebe und Züge von stufenlos schaltbaren Motoren bewegt wurden. Während Rovol an einem der letzten Instrumente arbeitete, das am Kontrollbrett angebracht werden sollte, hallte ein angenehmer Laut durch das Gebäude, woraufhin er sofort die Arbeit einstellte und den Hauptschalter seiner Energieanlage betätigte. »Sie haben sichausgezeichnet gehalten,jungerMann«, beglückwünschte er seinen Helfer, während er seinen Schutzanzug öffnete. »Ohne Ihre Hilfe wäre ich in dieser Arbeitsperiode nicht halb so weit gekommen. Jetzt beginnen die Perioden der Leibesertüchtigung und Entspannung – kehren wir zu Orlon zurück, wo wir uns alle auf die morgendliche Arbeit vorbereiten wollen.« »Aber wir sind doch fast fertig!« wandte Seaton ein. »Bauen wir das Ding doch zu Ende – dann können wir es gleich mal ausprobieren!« »Sie sprechen mit der Begeisterung und Ungeduld der Jugend«, erwiderte der Wissenschaftler, half dem jüngeren Mann aus dem Anzug und führte ihn zum wartenden Flugboot. »Ich habe in Ihrem Gehirn gelesen, daß Sie oft ununterbrochen arbeiten, bis Ihr Gehirn ermüdet. Sie müßten eigentlich wissen, daß ein solches Verhalten nicht nur töricht, sondern sogar gefährlich ist. Wir haben die ganze Periode hindurch gearbeitet. Wenn man länger arbeitet, ohne sich zu erholen, führt das zu Energieverlusten, die einen nachhaltigen Schaden im Gehirn anrichten können,
und dadurch wäre nichts gewonnen. Wir haben reichlich Zeit, unsere Arbeit zu tun – der Projektor fünfter Ordnung wird fertig sein, ehe der Torpedo mit der Katastrophenmeldung Fenachrone erreicht –, deshalb ist ungebührlicher Eifer fehl am Platze. Was das Testen angeht, so müssen nur amateurhaft gebaute Geräte ausprobiert werden. Richtig gebaute Maschinen funktionieren auf Anhieb.« »Aber ich hätte zu gern gesehen, wie das Ding funktioniert, wenigstens einmal!« sagte Seaton, als das kleine Flugboot startete. »Sie müssen mehr Gelassenheit beweisen, mein Sohn. Sie müssen die Kunst der Entspannung üben. Mit diesen Eigenschaften könnte Ihre Rasse die derzeitige Lebensspanne mühelos verdoppeln. Körperliche Bewegung, um die Gewebe in bestem Zustand zu erhalten, und geistige Entspannung nach höchster Anstrengung – das sind die Geheimnisse eines langen und produktiven Lebens. Warum wollen wir versuchen, mehr zu tun? Der nächste Tag kommt bestimmt. Ich interessiere mich weitaus mehr für unsere Konstruktion, als Sie ermessen können, da viele Generationen der Rovol diesen Augenblick herbeigesehnt haben; und doch weiß ich, daß in unserem eigenen Interesse und im Interesse der Zivilisation die Arbeit nicht über die heutige Arbeitsperiode hinweg ausgedehnt werden darf. Außerdem wissen Sie selbst, daß es keinen günstigsten Punkt gibt, an dem eine Arbeit unterbrochen werden kann. Solange etwas nicht ganz fertiggestellt ist, ist jeder Zeitpunkt so gut oder schlecht wie der andere. Hätten wir weitergearbeitet, hätten wir immer weitermachen wollen – ohne ein Ende zu finden.«
Seaton schwieg lange und dachte nach. »Sie haben wahrscheinlich recht«, sagte der Besucher von der Erde schließlich, als das Flugboot vor dem Observatorium den Boden berührte. Crane und Orlon saßen bereits im Gemeinschaftsraum, umgeben von einigen Wissenschaftlern, die Seaton bereits kannte, und von einer Gruppe Frauen und Kinder, die den Erdenmenschen fremd waren. Nach wenigen Minuten trat Orlons Gefährtin ein, eine würdige weißhaarige Frau, begleitet von Dorothy, Margaret und einer lachenden, fröhlichen Schar aus dem Land der Jugend. Nachdem man sich gegenseitig vorgestellt hatte, wandte sich Seaton an Crane. »Wie ist die Lage, Martin?« »Oh, sehr gut. Wir bauen ein Observatorium im All – na ja, Orlon baut es, und ich helfe ihm, so gut ich kann. In wenigen Tagen werden wir das System der Fenachroner ausfindig machen können. Wie geht es bei euch voran?« »Bestens. Wir haben den großen Projektor vierter Ordnung fast fertig. Wir werden eine Kraft vierter Ordnung ausstrahlen, um uns dichte Materie zu schnappen, so nahe wie möglich an reinem Neutronium. Es gibt hier nichts, was dicht genug wäre, selbst nicht im Kern der großen Zentralsonne, also versuchen wir es in einem weißen Zwergstern – der so ähnlich gebaut ist wie der Begleitstern des Sirius –, holen uns Materie von der richtigen Dichte aus dem Kern und wandeln unseren Sender in eine Maschine fünfter Ordnung um. Dann können wir uns richtig ans Werk machen.« »Neutronium? Reine Masse? Ich hatte eigentlich den Eindruck, daß es so etwas nicht gibt. Was kann euch eine solche Substanz nützen?«
»Nicht reines Neutronium – jedenfalls nicht ganz rein. Fast – das spezifische Gewicht müßte bei zweieinhalb Millionen liegen. Wir brauchen es für die Linsen und Kontrollen fünfter Ordnung. Diese Strahlen durchstoßen alles, was weniger dicht ist. Aber ich sehe, daß Rovol böse zu mir herüberschaut. Er ist in dieser Sache mein Chef, und ich könnte mir denken, daß ein solches Gespräch während der Periode der Entspannung verpönt ist. Habe ich recht, Chef?« »Das wissen Sie doch«, erwiderte Rovol lächelnd. »Also gut, Chef – nur noch eine winzige Überschreitung, dann halte ich bestimmt den Mund. Ich würde allzu gern wissen, was die Mädchen gemacht haben.« »Wir haben uns großartig amüsiert!« sagte Dorothy. »Wir haben Stoffe und Muster und Juwelen und dergleichen entworfen. Wartet nur, bis ihr seht, was wir gemacht haben – ihr werdet staunen!« »Sehr schön! Also bitte, Orlon, jetzt sind Sie am Zug.« »Wir haben die Zeit der Leibesertüchtigung. Da gibt es viele Übungen, die Ihnen fremd sein dürften. Doch Sie alle schwimmen, und das ist eine der besten Methoden. Ich schlage vor, daß wir schwimmen gehen.« »Los! Gehen Sie voraus!« rief Seaton, doch dann veränderte sich seine Stimme. »Moment mal – ich weiß gar nicht, ob wir in Kupfersulfatlösung schwimmen dürfen.« »Wir schwimmen auch in frischem Wasser – das Becken ist jetzt mit destilliertem Wasser gefüllt.« Die Terrestrier legten ihr Badezeug an, und alle gingen durch das Observatorium und über einen gewundenen Weg zwischen zahlreichen rotgrünen Bü-
schen hindurch zum ›Becken‹ – einem künstlichen See, der hundert Morgen groß und dessen polierter Grund mit herrlichen Juwelen und schimmernden eingelegten Kacheln verziert war. Er hatte jede gewünschte Tiefe, die deutlich gekennzeichnet war. Orlon und die anderen älteren Norlaminer stürzten sich ohne Umstände ins Wasser und schwammen mit kraftvollen Zügen auf das gegenüberliegende Ufer zu. In weitem Bogen näherten sie sich einem Gebilde aus Sprungbrettern, Ringen und Katapulten, das in der Mitte aus dem Wasser ragte. Sie stiegen hinauf und bewegten methodisch ihre Körper mit gymnastischen Übungen und Sprüngen. Es wurde deutlich, daß sie den Wert des Schwimmens in der Körperertüchtigung sahen, etwas, das sie ebenso gründlich taten wie eine Arbeit. Die Besucher aus dem Land der Jugend dagegen faßten sich an den Händen, sprangen um die vier Erdenmenschen herum und riefen: »Kommt, wir wollen Gruppentauchen!« »Ich glaube nicht, daß ich so gut schwimmen kann«, flüsterte Margaret ihrem Mann zu, und sie und Crane sonderten sich ab. Seaton und Dorothy, die gute Schwimmer waren, ließen sich mit in die Gruppe ziehen und lachten, als sie in der Phalanx grüner Körper verschwanden und am Ende eines pierähnlichen Gebildes auf eine Art Katapult geschoben wurden. »Alle gut festhalten!« rief jemand, und die Gruppe der grünen und weißen Körper klammerte sich krampfhaft aneinander fest und wurde von der Kraft des Katapults wie eine Einheit fünfzehn Meter hoch über den tiefsten Teil des Sees geschleudert. Mit lau-
tem Platschen und großer Flutwelle verschwanden die Springer unter Wasser und kamen einzeln wieder zum Vorschein. Dann herrschte ein wildes Durcheinander. Fröhliche Spiele fanden statt, bei denen es darum ging, Bälle unter Wasser zu drücken, es gab Wasserkämpfe und fröhliche Schwimmwettbewerbe, die den Beteiligten großen Spaß machten. Als schließlich alle in den Gemeinschaftsraum des Observatoriums zurückgekehrt waren, nahm Orlon einen Miniatur-Strahlenprojektor zur Hand, der nicht größer war als ein Schreibstift, und richtete ihn kurz auf eine der vielen hundert knopfähnlichen Linsen an der Wand. Sofort verwandelte sich jeder Sessel in einen Diwan, der zum Ausruhen einlud. »Ich habe mir gedacht, daß unsere Gäste in der Periode der Entspannung vielleicht Freude an unserer Musik hätten – sie unterscheidet sich sehr von der Musik auf der Erde«, sagte Orlon und bediente wieder seine Energiestrahler. Die Lichter wurden gelöscht, und eine tiefe Vibration machte sich bemerkbar, eine tiefe Note, die eher zu spüren als zu hören war – gleichzeitig tauchte in der Dunkelheit ein mattroter Streifen auf, während ein seltsamer Duft das Zimmer erfüllte. Die Musik kletterte hastig durch den gesamten akustischen Bereich bis zur Grenze der Hörbarkeit – und im gleichen Tempo durchlief das Licht das sichtbare Spektrum und verschwand im Ultraviolettbereich. Dann kamen ein dröhnender Akkord und ein grelles Aufzucken gemischten Lichts – der Beginn einer unbeschreiblichen Symphonie aus Tönen, begleitet von einer rhythmischen Folge sich verändernder und überlagernder Farben.
Der Klang war mal der eines gewaltigen Orchesters, mal der einer kleinen Blechbläserkapelle und wurde dann wieder auf ein einziges unbekanntes Instrument reduziert – als habe der Komponist die Töne sämtlicher Instrumente zur Verfügung gehabt und daraus einen wahren Musikteppich gewoben. Weder Musik noch Beleuchtung schienen von einem bestimmten Punkt auszugehen; sie durchdrangen den gesamten Raum. Wenn die Musik schnell war – gewisse Passagen liefen mit einem Tempo ab, das keine menschliche Hand hätte erreichen können –, dann zuckten die Lichter in kurzen, stechenden Strahlen, lösten sich gegenseitig in scharfgezeichneten, grellen Figuren ab, die mit schwindelerregender Geschwindigkeit wechselten; war das Tempo langsam, kamen die Lichtstrahlen breit und weich und verschmolzen miteinander. »Was halten Sie davon, Mrs. Seaton?« fragte Orlon, als die Symphonie zu Ende war. »Großartig«, sagte Dorothy beeindruckt. »Ich hätte mir so etwas nie träumen lassen – es gefällt mir sehr. Eine vollkommene Darbietung, und die Art und Weise, wie das Licht die Musik unterstützt, ist einfach wunderbar. Brillant!« »Brillant – gewiß, und vollkommen dargebracht. Aber mir fällt auf, daß Sie nichts über Gefühlswerte sagen.« Dorothy errötete und wollte etwas erwidern, aber Orlon fuhr hastig fort: »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich hatte einen Grund für meine Anmerkung, denn in Ihnen erkenne ich die wahre Musikerin, und unsere Musik ist wirklich gänzlich seelenlos. Das ist eine Folge des Alters unserer Zivilisation. Wir sind so alt, daß unsere Musik rein intel-
lektuell und völlig mechanisch geworden ist. Sie ist vollkommen – und hat keine Ähnlichkeit mit Ihren Musikkünsten.« Dorothy senkte den Blick. »O doch, ich weiß, daß Sie Violine spielen, daß Sie in Ihrer Heimat Musik studiert haben. Wir würden uns freuen, wenn Sie ...« »Aber das wäre doch Arbeit!« schaltete sich Seaton ein. »Unsinn!« unterbrach ihn Dorothy. »Ich fürchte nur, daß ich vor diesem kritischen Publikum ...« »Ach was, Mädchen! Ich hole deine Violine ...« »Bleiben Sie sitzen, mein Sohn«, sagte Orlon, als der Kasten mit der Stradivari-Violine, von einem Kraftstrahl gehalten, vor Dorothy in der Luft erschien. Dorothy traf ihre Vorbereitungen, und als die herrlichen Töne der ›Melodie in F‹ den Raum erfüllten, wußte sie, daß sie ihr Publikum in den Bann geschlagen hatte. Obwohl diese Wesen so intellektuell ausgerichtet waren, daß sie selbst keine wirklich tiefempfundene Musik hervorbringen konnten, vermochten sie doch solche Musik zu verstehen und ihre Freude daran zu haben – mit einer Faszination, die Wesen von geringerer Geisteskraft nicht aufbringen konnten. Der Genuß, den Dorothy den Norlaminern mit ihrem Spiel bereitete, wurde ihr mit der telepathischen und fast hypnotischen Intensität der norlaminischen Mentalität zu Bewußtsein gebracht und trug sie in musikalische Höhen, die sie bisher noch nicht erreicht hatte. Als schließlich der letzte Ton einer langen Kette von Soli verklang, wurde sie mit einem tiefen Schweigen belohnt, das mehr aussagte als der stärkste Applaus.
KAPITEL 11 Als Rovol und Seaton zu Beginn der Arbeitsperiode vor dem Labor landeten, erschien ein weiteres Flugboot mit einem Mann an Bord. Der Fremde, ebenfalls ein weißhaariger älterer Norlaminer, begrüßte Rovol freundlich und wurde Seaton vorgestellt: »Caslor, der Führer der Techniker.« »Dies ist zweifellos ein Höhepunkt der norlaminischen Wissenschaft, mein junger Freund«, sagte Caslor lächelnd. »Sie haben uns in die Lage versetzt, viele Dinge in die Praxis umzusetzen, die unsere Vorfahren über viele Zeitzyklen hinweg nur in der Theorie studieren konnten.« Er wandte sich an Rovol und fuhr fort: »Wie ich höre, brauchen Sie einen besonders präzisen Zielmechanismus. Muß ja ein tolles Projekt werden; die Kontrollen, die Sie bisher selbst gebaut haben, lassen sich doch auf jeden Punkt in unserem Sonnensystem einstellen, so schnell er sich auch bewegt.« »Wir brauchen eine Steuerung, die eine Million mal genauer ist als das, was ich bisher konstruiert habe. Deshalb habe ich um Ihre Mitarbeit gebeten. Ihre hervorragenden Kenntnisse werden uns weiterhelfen. Es wäre sinnlos, wenn ich mich selbst an einen Versuch wagen würde, der doch von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Wir gedenken eine Projektion fünfter Ordnung auszuschicken, die uns mit ihrer unvorstellbaren Geschwindigkeit in die Lage versetzt, jeden Teil der Galaxis so schnell zu erkunden, wie wir jetzt für einen Projektionsbesuch auf unserem Schwesterplaneten benötigen. Sie kennen die Dimen-
sionen der Galaxis und können daher die Präzision ermessen, die erforderlich ist, um etwa einen Punkt am äußeren Rand unseres Sternhaufens anzupeilen.« »Das ist wirklich ein Problem, das einem Könner Ehre macht«, erwiderte Caslor nach kurzem Überlegen. »Ihre kleinen Kreise ...«, er deutete auf die zwölf Meter großen Stunden- und Deklinationskreise, die Seaton für das Höchste an Präzision in der Winkelmessung gehalten hatte, »... sind in dem Fall natürlich nutzlos. Ich werde ganz große und genaue Kreise bauen müssen, und um diese Kreise je nach Bedarf langsam oder schnell bewegen zu können, ohne daß es ruckelt, schlägt oder rutscht, brauche ich eine reine Drehkraft, die sich stufenlos steigern läßt – reine Drehkraft.« Er überlegte eine Zeitlang und fuhr fort: »Kein Getriebe oder Kettenmechanismus kann diese Anforderungen erfüllen, da es in jedem Mechanismus Luft gibt – und damit er richtig arbeitet, darf es in unseren beweglichen Teilen keinen Spielraum geben. Wir brauchen also eine reine Drehkraft – und die einzige Kraft, die unseren Erfordernissen entspricht, ist die Wellenlänge 1467 der vierten Ordnung. Ich muß mich also damit beschäftigen, was mit Hilfe des Rovolons neuerdings möglich ist. Der Projektor braucht natürlich ein volles Äquatorial-Drehgestell mit fünfundsiebzig Meter großen Winkelkreisen. Muß Ihre Projektorröhre länger sein?« »Die Länge dürfte genügen.« »Das Gestell muß in beiden Ebenen voll drehbar sein und muß eine Vorrichtung zum Ausgleich unserer Planetenbewegung haben, die ja bekanntermaßen unregelmäßig ist. Zusätzliche schnelle oder langsame Be-
wegungen des Projektorstrahls müssen natürlich möglich sein, um das Gerät nach Belieben auf jeden Punkt einzustellen. Ich würde sagen, daß ich die äußere Stützröhre recht groß mache, damit Sie freie Hand haben bei der Gestaltung Ihrer inneren Röhre, der eigentlichen Projektorröhre. Es will mir scheinen, als müßten Dimensionen X37 B42 J867 völlig ausreichen.« »Einverstanden. Sie haben das Gerät ja praktisch schon vor Augen.« »Diese Dinge brauchen nur ihre Zeit. Wann benötigen Sie den Mechanismus?« »Wir haben auch viel zu tun. Sagen wir in zwei Arbeitsperioden – oder drei, wenn Sie darauf bestehen.« »Gut. Zwei Perioden müßten ausreichen. Ich hatte schon Sorge, daß Sie die Anlage heute noch brauchen – denn die Arbeit ist in einer Periode nicht zu schaffen. Das Gestell wird natürlich im Versuchsgelände stehen. Leben Sie wohl.« »Sie wollen den endgültigen Projektor also nicht hier bauen?« fragte Seaton, als Caslors Flugboot aufgestiegen war. »Wir bauen ihn hier und schaffen ihn dann ins Versuchsgebiet, wo das Drehgestell dann bereitsteht. Alle Geräte dieses Typs werden dort errichtet. Der Ort ist nicht nur für alle Interessierten bequem zu erreichen, sondern man findet dort auch alle nötigen Werkzeuge, Geräte, Ausrüstungsgegenstände und Materialien. Und bei den Distanzen, die wir im Auge haben, dürfen wir die Tatsache nicht übersehen, daß das gesamte Versuchsgebiet unbeweglich mit der Planetenkruste verbunden ist, so daß nicht die geringste Vibration unsere Energiestrahlen beeinflussen kann, die natürlich sehr lang sein werden.«
Er betätigte die Hauptschalter seiner Energieanlagen, und Orlon und Seaton setzten die begonnene Arbeit fort. Die Kontrollkonsole war bald fertiggestellt. Rovol versah nun einen gewaltigen Kupferzylinder mit ›X‹ und brachte ihn in der Energieanlage unter. Dann schuf er ein völlig neues System von Ableitungskontakten und installierte zusätzliche Erdpole, über die die Überschußspannung abfließen konnte. »Wissen Sie, mein Sohn, wir verlieren ein Tausendstel eines Prozents unserer gesamten Energie, und da muß vorgesorgt werden, damit sie sich verteilen kann, sonst würde das Labor vernichtet. Dabei sind Luftwiderstände immer noch am wirksamsten.« »Ich verstehe – aber wie werden wir die Energie draußen im All los? Wir haben in der Skylark schon ziemlich große Spannungen gehabt – so groß, daß ich mehrfach in den ionisierten Schichten einer Atmosphäre halten mußte, bis die Ladung nachließ – und unser Gerät hier wird das Kupfer tonnenweise verbrauchen, während die Schiffsanlage doch nur Gramm gebraucht hat.« »In dem vorgesehenen Raumschiff werden wir Konverter installieren, um alle Energien auszunutzen. Dort gibt es gar keine Verluste. Da solche Konverter für jede Anlage gesondert entworfen und gebaut werden müssen und eine große Genauigkeit erfordern, lohnt es sich nicht, sie für provisorische Geräte mitzubauen.« Die Wände des Laboratoriums wurden geöffnet, Ventilationsgeräte wurden eingebaut und Kühlschlangen verlegt, sogar im röhrenförmigen Projektor und hinter dem Visischirmgerät. Nachdem sich Sea-
ton und Orlon überzeugt hatten, daß alles Brennbare fortgeschafft worden war, setzten die beiden Wissenschaftler unter ihren Helmen Schutzbrillen auf, deren Linsen auf jede gewünschte Verdunkelung gestellt werden konnten. Schließlich legte Rovol einen Schalter um, und eine Hemisphäre grellgoldener Strahlung umgab das Labor und breitete sich kilometerweit nach allen Seiten aus. »Was soll das Licht?« fragte Seaton. »Eine Warnung. In der ganzen Gegend wird sich gefährliche Strahlung herumtreiben, und das Licht soll alle nicht isolierten Personen auffordern, einen weiten Bogen um uns zu machen.« »Ich verstehe. Was passiert jetzt?« »Jetzt brauchen wir nur noch unser Linsenmaterial zu nehmen und loszulegen«, erwiderte Rovol und nahm aus einem Schrank den größten Faidon, den Seaton jemals gesehen hatte. »Oh, das wollen Sie also verwenden! Wissen Sie, ich habe mich schon mit so einem Stein beschäftigt. Ich hatte zum Experimentieren ein Exemplar auf der Erde, bin aber nicht hinter sein Geheimnis gekommen. Ich konnte ihn nicht einmal dazu bringen, seine Temperatur zu verändern. Was ist ein Faidon überhaupt?« »Es handelt sich nicht um Materie, nicht in der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Ein Faidon ist fast reine kristallisierte Energie. Sie haben natürlich gemerkt, daß der Stein durchsichtig aussieht, was er eigentlich aber gar nicht ist. Sie können kein Millionstel eines Mikrons unter die Oberfläche schauen – die Illusion der Durchsichtigkeit ist nur ein Oberflächenphänomen und nur dieser besonderen Substanz ei-
gen. Ich habe Ihnen schon erzählt, daß der Äther aus Substanzen vierter Ordnung besteht. Der Faidon ist ebenfalls eine Substanz vierter Ordnung, aber sie ist kristallin, während der Äther wahrscheinlich flüssig und amorph ist. Man könnte diesen Faidon kristallisierten Äther nennen und läge gar nicht mal so schief.« »Aber das Ding müßte glatt eine Tonne wiegen, dabei ist es kaum schwerer als Luft – aber nein, Moment mal! Die Schwerkraft ist ebenfalls eine Erscheinung vierter Ordnung, also wiegt das Ding vielleicht überhaupt nichts. Aber es hätte auf jeden Fall eine gewaltige Masse – oder vielleicht auch nicht, da es doch keine Protonen besitzt! Kristallisierter Äther würde flüssigen Äther verdrängen, also wäre das vielleicht ... Ich geb's auf. Die Sache ist zu hoch für mich!« »Die Theorie ist verworren, und ich kann sie Ihnen nicht präziser erklären, solange wir Ihnen noch keinen Einblick in die vierte und fünfte Ordnung gegeben haben. Reine Substanzen der vierten Ordnung wären gewichts- und masselos; aber in der Form, in der die Kristalle gefunden werden, sind sie nicht absolut rein. Während der Kristallisierung im Magma haben sie genügend Partikel anderer Ordnungen in sich gebunden, um die Eigenschaften zu gewinnen, die Sie beobachtet haben. Die Unreinheit genügt mengenmäßig aber nicht, um einen Angriffspunkt für gewöhnliche Reagenzien zu bieten.« »Aber wie kann sich solche Materie überhaupt bilden?« »Sie kann sich nur in einem riesigen kosmischen Gebilde formen wie unserem Grünen System, als es
vor vier Milliarden Jahren noch in einer einzigen gigantischen Sonne vereint war. Stellen Sie sich die Zustände im Kern dieser Sonne vor! Sie hat das theoretische Temperaturmaximum erreicht – siebzig Millionen Grad Celsius –, die Elektronen sind von den Protonen fortgerissen worden, bis der gesamte Sonnenkern ein einziges kompaktes Stück Neutronium geworden ist und nicht weiter zusammengepreßt werden kann, ohne daß die Protonen selbst vernichtet werden. Und doch nimmt der Druck weiter zu. Die Temperatur, die bereits den theoretischen Höhepunkt erreicht hat, kann nicht mehr steigen. Was passiert?« »Es kommt zur Vernichtung.« »Genau. Und in gerade diesem Augenblick, als die schrecklichen Kräfte ausgeschickt werden, die Sonnen, Planeten und Monde viele Millionen Kilometer weit in den Raum schleudern – genau in diesem Augenblick entsteht der Faidon als Ergebnis der unvorstellbaren Kräfte und Druckzustände. Er kann sich nur im absoluten Temperaturmaximum bilden und unter einem Druck, der nur vorübergehend bestehen könnte, selbst in der größtmöglichen Masse.« »Wie kann man aber eine Linse daraus machen? Es dürfte unmöglich sein, ihn irgendwie zu bearbeiten?« »Da er sich nicht mit normalen Mitteln bearbeiten läßt, werden wir diesen Kristall in die Tiefe des weißen Zwergsterns tragen, wo ein Druck und eine Temperatur herrschen, die nur wenig unter den Werten liegen, die ihn entstehen ließen. Dort werden wir Kräfte auf den Kristall einwirken lassen, die ihn unter den Begleitumständen beeinflussen müssen.« »Hmm. Das möchte ich mir gern ansehen.« »Also los.«
Die beiden Wissenschaftler setzten sich an die Kontrollen, und Rovol begann Hebel, Tasten und Knöpfe zu bewegen. Sofort entstand ein kompliziertes Gebilde sichtbarer Energie – Strahlen und flache rote Energiefächer – am Ende der teleskopartigen Gitterröhre. »Warum sind die Strahlen rot?« »Sie sollen nur sichtbar sein. Man kann schlecht mit unsichtbaren Werkzeugen arbeiten, deshalb habe ich eine farbige Lichtfrequenz auf die unsichtbaren Frequenzen der Energien gelegt. Wir können uns eine ganze Auswahl von Farben zulegen, wenn Ihnen das lieber ist.« Und schon nahm jede Kraft eine andere Farbe an, so daß das Ende des Projektors bunt zu strahlen begann. Das Gebilde aus Energie, der sekundäre Projektor, schwang sich wie ein intelligentes Wesen herum. Ein grüner Strahl zuckte vor, nahm den Faidon auf, wurde länger und schleuderte das Juwel durch die offene Wandung des Labors hinaus. Rovol aktivierte weitere Kontrollen, und das Gebilde drehte sich zurück, richtete sich wieder mit der Röhre aus und hielt den Faidon mit dem Energiestrahl tausend Meter über dem Labor fest. »Wir sind jetzt bereit, die Projektion zu beginnen. Passen Sie auf, daß Ihr Anzug dicht ist und die Brille richtig sitzt. Wir müssen sehen können, was wir tun, die Lichtstrahlen müssen also auf unsere Trägerwelle gelegt werden. Aus diesem Grund bekommt das Labor und die Umgebung ein paar gefährliche Frequenzen ab – zusätzlich zu den Kräften aus unseren Generatoren.« »In Ordnung, Chef! Hier ist alles bestens. Sie sagen,
es sind zehn Lichtjahre bis zu dem Stern. Wie lange brauchen wir bis zum Ziel?« »Etwa zehn Minuten. Wir könnten die Strecke auch in zehn Sekunden schaffen, wenn wir nicht den Faidon mitnehmen müßten. So gering die Masse auch ist, kostet ihre Beschleunigung doch viel Energie. Unsere Projektionen haben natürlich keine Massen und verbrauchen nur ihre Verbreitungsenergie.« Rovol bewegte einen Finger, zwei mächtige Plungerschalter schlossen sich, und Seaton, der an seinen Kontrollen saß und auf den Visischirm starrte, stellte verblüfft fest, daß er offenbar zweimal existierte. Er wußte, daß er reglos am Fuße des starren Primärprojektors saß, und wenn er den Blick vom Visischirm hob, sah er, daß sich im Labor bis auf das laute Knistern der Energieschiene nichts verändert hatte. Sobald er aber auf den Schirm starrte, war er draußen im Weltraum und raste mit einer Geschwindigkeit dahin, neben der das Höchsttempo der Skylark wie ein Kriechen anmutete. Er veränderte seine Kontrollen, um einen Blick nach hinten zu werfen. Ihm stockte der Atem, weil er das Grüne System nur noch als kaum erkennbaren Lichtfleck hinter sich erblickte, so gewaltig war seine Geschwindigkeit. Als er wieder nach vorn schaute, wollte ihm scheinen, als habe sich ein hellweißer Stern aus dem unbeweglichen Firmament gelöst. Nach wenigen Minuten war der violettweiße Schimmer so intensiv, daß die Beobachter nach und nach die Schutzlinsen vor ihren Augen verstärkten. Als sie weiter vorrückten und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in das glühende Inferno der Sonne vordrangen, bot sich ihren Augen ein Anblick, wie ihn kein Mensch vor ihnen
geschaut hatte. Sie stürzten in eine weiße Zwergsonne, konnten alles bei klarem Verstand miterleben und würden später berichten können, was sie gesehen hatten! Sie verfolgten das herrliche Schauspiel solarer Protuberanzen, die viele hunderttausend Kilometer weit ins All schossen. Unmittelbar vor sich machten sie einen riesigen Sonnenfleck aus, eine Mischung aus vulkanischen Eruptionen und Zyklonenstürmen in einem gasförmig-flüssigen Medium von greller Rotglut. »Dem Fleck sollten wir lieber ausweichen, oder was meinen Sie, Rovol? Der strahlt doch sicher Frequenzen vierter Ordnung ab!« »Natürlich, aber uns kann nichts etwas anhaben, da wir jede Komponente unseres Strahls von Norlamin aus steuern.« Seaton packte seinen Handgriff und kauerte sich unwillkürlich zusammen, als sie mit unvermindertem Tempo durch die flammende Photosphäre stürzten und geradewegs in das unerforschte Innere dieser schrecklichen Masse vordrangen. Durch das schützende goldene Metall sah Seaton die Energiestruktur, in der er sich befand, und die Umrisse des Faidon. Ihre Bewegung verlangsamte sich schnell, und die Materie ringsum verdichtete sich und wurde immer undurchsichtiger. Der Faidon wurde zurückgedrückt, bis er den Projektor berührte, und seltsame Ströme und Wirbel machten sich in der Masse ringsum bemerkbar, während sie immer langsamer wurden. »Was ist los? Stimmt etwas nicht?« fragte Seaton. »Alles bestens. Die Substanz ringsum ist jetzt so dicht, daß sie für Strahlen vierter Ordnung undurchdringbar wird, so daß wir jetzt teilweise Materie ver-
drängen, anstatt uns ohne Reibung hindurchzubewegen. Wenn wir kaum noch etwas sehen können – wenn unsere Trägerwellen so verzögert werden, daß sie die mitgenommenen Lichtwellen nicht mehr ohne völlige Verzerrung übertragen können, stoppen wir automatisch, da die Materie dann die nötige Dichte hat, um Strahlen fünfter Ordnung im richtigen Maße zu brechen.« »Wie halten unsere Verankerungen das aus? Diese Materie muß doch hundertmal so dicht sein wie Platin, und wir müssen gewaltige Energien verbrauchen.« »Wir üben auf unsere Fundamente oder auf Norlamin keinerlei Kraft aus. Die Energie wird verlustfrei aus der Station in unserem Labor auf den sekundären Projektor hier im Innern der Sonne übertragen, wo sie in der richtigen Wellenform freigesetzt wird, um uns weiterzuziehen, wobei die vor uns liegende Masse als Anker verwendet wird. Wenn wir zurückkehren wollen, machen wir aus dem Zug einfach einen Druck. Ah! Wir stehen! Jetzt kommt der wichtigste Augenblick des ganzen Projekts!« Sie waren zum Stillstand gekommen, und Seaton vermochte die Umrisse des Faidon, der sich nun direkt vor seinen Augen befand, nur noch schwach zu erkennen. Die Energiestruktur des sekundären Projektors drehte sich langsam um, bis sie mit dem vorderen Teil wie ein Schraubstock den Faidon hielt. Rovol legte einen Hebel um, und im Labor rasteten vier gewaltige Plungerschalter ein. Eine Scheibe aus reiner Energie, die sogar in der unbeschreiblichen Grelle des Sonnenkerns blendend strahlte, trennte den Faidon säuberlich in zwei Hälften, und zehn riesige Strahlen,
fünf an jeder Hälfte des Juwels, formten mit schnellen Bewegungen die beiden Teile einer geometrisch perfekten Hohllinse. Die beiden Teile wurden dann von den zusammenrückenden Backen des mächtigen Schraubstocks wieder vereint, wobei die Kanten genau übereinander saßen. Sofort verwandelten sich die Energiescheibe und die Energiestrahlen in zwei entgegengerichtete Energieröhren – schillernde Stränge, deren sich berührende Kanten mit den fast unsichtbaren Nähten zwischen den beiden Linsenhälften übereinstimmten. Wie eine unvorstellbar energiereiche Schweißflamme trafen diese beiden unermeßlichen und unwiderstehlichen Kräfte in entgegengesetzten Richtungen aufeinander – einer Begegnung von solcher Macht, daß es überall in der gewaltigen Masse des violettweißen Sterns zu seismischen Störungen kam. Sonnenflecke von bisher nie erlebter Größe erschienen, Protuberanzen stiegen auf und erreichten Höhen, die hundertfach über den normalen Werten lagen – und die beiden Wissenschaftler, die im tiefsten Kern der Sonne steckten, merkten nichts von diesen Ereignissen an der Oberfläche. Seaton spürte, daß sein Luftvorrat sich erhitzte. Plötzlich wurde es eiskalt, und in dem Bewußtsein, daß Orlon die Kühlsysteme eingeschaltet hatte, wandte sich Seaton von dem faszinierenden Schweißvorgang ab, um sich hastig im Labor umzusehen. Dabei erkannte er, wie umsichtig Rovol vorgesorgt hatte, als er neue Ableitungskontakte, Erdpole und ein umfassendes Kühlsystem schuf. Durch die praktisch lichtundurchlässige Brille sah er, daß das Labor eine einzige flammende Lichthölle
war. Nicht nur von den Ableitungskontakten, sondern auch von jedem Metallvorsprung strömte die Überschußenergie der abschmelzenden Kupferschiene zu den flammenden blauweißen Bodenkontakten – und die Luft des Raums nahm den perlmuttartigen Schimmer der Ionisation an, obwohl sie durch die großen Ventilatoren ständig erneuert wurde. Aber die Berechnungen des alten Physikers stimmten. Als die Linse fertig war, blieben von dem Kupfer noch einige hundert Pfund übrig, und das kostbare Faidonprodukt folgte dem sekundären Projektor auf dem Rückweg in das Grüne System. Rovol stand auf, legte seinen Schutzanzug ab und bedeutete Seaton, es ihm nachzutun. »Ich bin restlos begeistert!« rief Seaton und wand sich aus seinem Schutzpanzer. »Mir ist, als hätte man mich durch ein Knopfloch gezogen! Wie groß ist die Linse denn geworden? Es sah aus, als könnte sie ein paar Liter fassen, vielleicht drei.« »Der Inhalt beträgt fast genau drei Liter.« »Hmm. Siebeneinhalb Millionen Kilogramm – sagen wir achtzigtausend Tonnen. Das ist ganz schön viel Masse in einem kleinen Behälter. Da sich das Ding in dem Faidon befindet, hat sie natürlich kein Gewicht, aber die Trägheit ist wirksam ... deshalb dauert es auch so lange, bis Sie das Ding hier haben?« »Ja. Der Projektor wird unser Prunkstück ganz selbständig ins Laboratorium holen. Unsere Arbeitsperiode ist ohnehin fast zu Ende, und morgen finden wir die Linse hier vor, wenn wir unsere Arbeit fortsetzen.« »Wie steht es mit der Abkühlung? Das Ding muß etwa vierzig bis fünfzig Millionen Grad Celsius heiß
gewesen sein, als Sie mit der Arbeit begannen – und als Sie fertig waren, war's bestimmt noch viel heißer.« »Sie haben wieder etwas vergessen, mein Sohn. Denken Sie daran, daß die heiße, dichte Materie völlig umhüllt ist von einem Material, das keine Strahlen durchläßt, die länger sind als die der fünften Ordnung. Sie könnten jetzt die Hand darauf legen, ohne Kälte oder Hitze zu spüren.« »Richtig – glatt vergessen! Ich hatte schon auf der Erde festgestellt, daß ich einen Faidon geradewegs aus einem Lichtbogen nehmen konnte, ohne daß er sich warm anfühlte. Damals hatte ich keine Erklärung dafür, aber jetzt erkenne ich die Wahrheit. Das Zeug in der Linse wird also immer so heiß bleiben, wie es jetzt ist! Mann! Da kann man nur hoffen, daß der Faidon nie explodiert. Bitte, da tönt die Glocke – zum erstenmal in meinem Leben bin ich froh, daß wir pünktlich Schluß machen können.« Arm in Arm gingen der irdische Chemiker und der alte norlaminische Physiker zu dem wartenden Flugboot.
KAPITEL 12 »Was nun?« fragte Seaton, als er und Rovol das Laboratorium betraten. »Bauen wir den Projektor vierter Ordnung auseinander und nehmen uns den dicken Brocken vor? Wie ich sehe, ist die Linse pünktlich eingetroffen.« »Wir brauchen das Gerät noch. Wir benötigen mindestens eine weitere Linse mit dichter Materie – und andere Wissenschaftler wären vielleicht auch dankbar für einige Exemplare. Außerdem wird der neue Projektor so groß sein, daß er nicht in diesen Raum paßt.« Rovol setzte sich an seinen Kontrolltisch und ließ die Finger über die Tasten huschen. Die gesamte Wand des Labors verschwand, und Hunderte von Kraftstrahlen zuckten hin und her, bearbeiteten Rohstoffe und ließen in der Öffnung vor Seatons verblüfftem Blick Tastaturen und Kontrollinstallationen erstehen, wie sie sich der Mann von der Erde in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hätte. Eine Tastenbatterie nach der anderen, unzählige Reihen von Pedalen, Hebeln und Knöpfen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Tastatur einer riesigen Orgel hatten – reihenweise Skalen, Schalter und Knöpfe –, all dies war rings um zwei gepolsterte Stühle angeordnet und leicht zu erreichen. »Mann! Das sieht nach den Alpträumen einer ganzen Horde von Linotypesetzern, Organisten und Radiofans aus!« rief Seaton, als die Anlage komplett war. »Was haben Sie mit dem Ding vor?« »Auf ganz Norlamin gibt es kein Kontrollsystem,
das für die bevorstehende Aufgabe geeignet wäre, da die Probleme der Projektion fünfter Ordnung bisher nur rein akademisch behandelt wurden. Ich bin sicher, daß dieses Gerät ausreichend viele Verwendungsmöglichkeiten hat, um unseren Zwecken zu dienen.« »Sieht aus, als könnte man alles damit machen – vorausgesetzt, der Mann am Ruder versteht darauf zu spielen –, aber wenn der zweite Sitz für mich ist, sollten Sie mich lieber aus der Sache rauslassen – ich habe Ihnen vorhin höchstens fünfzehn Sekunden lang folgen können, dann war ich verloren.« »Das habe ich allerdings übersehen.« Rovol überlegte einen Augenblick lang und sagte dann: »Wir nehmen die Maschine auseinander und bauen sie sofort neu.« »Nein – das wäre zuviel Arbeit!« wandte Seaton ein. »Sie sind doch fast fertig, nicht wahr?« »Ich habe kaum angefangen. Zweihunderttausend Kraftstrahlen müssen untergebracht werden, jeder am richtigen Platz – außerdem ist es erforderlich, daß Sie jede Einzelheit dieses Projektors begreifen.« »Warum? Ich schäme mich nicht zuzugeben, daß ich nicht das Köpfchen habe, um so ein Ding zu erfassen.« »Ihre Gehirnkapazität reicht aus; sie ist nur nicht genug trainiert. Zwei Gründe, warum Sie diesen Mechanismus so gut beherrschen müssen wie die Kontrollen Ihrer Skylark: Erstens sollen ähnliche Kontrollen in Ihr neues Raumschiff eingebaut werden, da Sie dadurch eine Beherrschung Ihres Fahrzeugs erzielen, die bei jedem anderen System unmöglich ist. Der zweite und wichtigere Grund liegt darin, daß weder
ich noch ein anderer Norlaminer bereit ist, einen Strahl zu lenken, der das Leben einer anderen Intelligenz vernichten könnte.« Während des Sprechens hatte Rovol mit dem Abbau begonnen, und nach kurzer Zeit lagen die Einzelteile der neuen Kontrollanlage in geordneten Haufen überall im Labor. »Hmm. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Sie haben natürlich recht. Wie wollen Sie das in meinen dicken Schädel hineinpressen – mit einem Lerngerät?« »Genau.« Und Rovol schickte einen Kraftstrahl aus, der seinen hochentwickelten Lernapparat ins Labor holte. Knöpfe und Elektroden wurden angebracht, Verbindungen geschlossen, und die Strahlen und Kraftfelder begannen das neue zentrale Kontrollgerät wieder zusammenzubauen. Diesmal war Seaton nicht nur ein verwunderter Zuschauer, sondern nahm aktiv an der Arbeit teil. Mit jedem Instrument, das befestigt und angeschlossen wurde, prägte sich seinem Gehirn unauslöschlich ein, wozu dieses Teil diente und wie es funktionierte – und als später die Kontrollen fertig waren und die scheinbar endlose Arbeit des Anschließens begonnen hatte, begriff er die Dinge, die er tat, und sah plötzlich Wege, auf denen all die Ziele erreicht werden konnten, die er seit langem anstrebte. Für den alten Wissenschaftler war die Arbeit reine Routine, die ganz automatisch verrichtet wurde, und er widmete sich nebenbei der Aufgabe, alle Bereiche seines umfassenden Wissens auf das Gehirn des jungen Terrestriers zu übertragen, die dieser verarbeiten konnte. Immer schneller strömte das Wissen in Seatons Kopf. Als nach etwa einer Stunde
so viele Verbindungen hergestellt waren, daß automatische Kraftstrahlen die Arbeit fortführen konnten, verließen Rovol und Seaton das Labor und suchten das Wohnzimmer auf. Und das Lerngerät folgte ihnen auf einem Kraftstrahl. »Ihr Gehirn reagiert vorzüglich, viel besser, als ich es nach seiner Größe für möglich gehalten hätte. Vielleicht ist es sogar möglich, daß ich Ihnen all mein Wissen übertrage, das nützlich für Sie sein könnte. Deshalb habe ich Sie hier herübergeführt. Was halten Sie davon?« »Unsere Psychologen sind der Ansicht, daß der Mensch ohnehin nur einen winzigen Teil seiner tatsächlichen Gehirnkapazität ausnutzt«, erwiderte Seaton nach kurzem Überlegen. »Wenn Sie mir auch nur ein Prozent Ihres Wissens vermitteln könnten, ohne daß ich daran sterbe, wäre ich Ihnen unendlich dankbar.« »Diese Antwort habe ich erwartet – und bereits Drasnik, den Führer der Psychologie, zu uns gebeten. Er ist unterwegs«, sagte Rovol. Nach wenigen Minuten betrat ein weiterer Norlaminer den Raum. Als man ihm die Tatsachen dargelegt hatte, nickte der Psychologe. »Das ist durchaus möglich«, sagte er begeistert. »Und ich würde mich freuen, bei einem solchen Vorgang mitzuhelfen.« »Aber Moment mal!« wandte Seaton ein. »Durch die Übertragung wird vermutlich meine ganze Persönlichkeit verändert. Rovols Gehirn ist dreimal so groß wie meins!« »Ach, keine Sorge!« sagte Drasnik. »Wie Sie selbst schon gesagt haben, benutzen Sie ja nur einen kleinen
Teil der aktiven Masse Ihres Gehirns. Dasselbe gilt für uns – viele Millionen Zyklen müßten vergehen, um das Gehirn zu füllen, das wir jetzt besitzen.« »Warum sind denn die Gehirne der Norlaminer so groß?« »Sicher nur eine Vorsichtsmaßnahme der Natur, damit wir nie an die Grenzen der Speichermöglichkeiten stoßen«, erwiderte Drasnik überzeugt. »Sind Sie bereit?« Die drei Männer setzten Kopfhauben auf, und eine Welle geistiger Energie drang in Seatons Geist ein, eine dermaßen starke Woge, daß dem Terrestrier die Sinne zu schwinden drohten. Er wurde nicht ohnmächtig, er blieb bei vollem Bewußtsein – doch er verlor die Kontrolle über seinen Körper, während sein Gehirn von der gewaltigen Mentalität des Führers der Psychologie beherrscht und zu einem Empfänger gemacht wurde, der das Wissen des alten Physikers aufnehmen sollte. Die Übertragung dauerte Stunden. Seaton lag reglos da, als lebe er nicht mehr, die beiden Norlaminer hockten gespannt neben ihm und waren mit vollen Sinnen auf das unwissende jungfräuliche Gehirn konzentriert, das ungeschützt vor ihnen lag. Endlich war das Unternehmen abgeschlossen, und Seaton wurde aus dem seltsam hypnotischen Griff des gewaltigen Geistes befreit. Er holte mehrmals tief Atem, schüttelte sich und richtete sich auf. »Meine Güte!« rief er, und seine Augen waren vor Verblüffung weit aufgerissen. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß es im Universum soviel Wissen gibt! Vielen Dank, Freunde, millionenfach möchte ich Ihnen danken – aber habe ich jetzt überhaupt noch Platz für
weitere Eindrücke? Auf eine Weise scheine ich weniger zu wissen als vorher – es gibt immer noch so viel Neues zu lernen. Kann ich überhaupt noch lernen, oder haben Sie meine Kapazität völlig erschöpft?« Der Psychologe, der den Worten des jungen Mannes mit unverhohlener Freude gelauscht hatte, erwiderte ruhig: »Allein die Tatsache, daß Sie Ihre relative Ignoranz erkennen, zeigt, daß Sie noch lernen können. Ihre Lernkapazität ist größer als je zuvor, obwohl der freie Raum reduziert worden ist. Zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, daß Sie theoretisch noch mehr als neunmal soviel dazulernen können, als Sie in Ihrem bisherigen Leben erfahren haben.« Der Psychologe verabschiedete sich, und Rovol und Seaton kehrten ins Laboratorium zurück, wo die Kräfte noch immer am Werk waren. Da es keine Möglichkeit gab, das Anschließen der Kontakte zu beschleunigen, dauerte es bis zum Ende der nächsten Arbeitsperiode, ehe sie mit dem Bau des eigentlichen Projektors beginnen konnten. Als sie jedoch erst einmal angefangen hatten, ging die Arbeit mit erstaunlichem Tempo voran. Seaton begriff nun das System, und es kam ihm gar nicht mehr seltsam vor, daß er nur eine gewisse Kombination von Kräften aktivieren mußte, wenn eine bestimmte Arbeit getan werden sollte; auch fand er es nicht mehr ungewöhnlich, mit einem Fingerschnipsen eine Kraft über Hunderte von Kilometern zu einer anderen Fabrik zu schicken, wo andere Kräfte eifrig arbeiteten, um hundert Metallstreben aus durchsichtigem purpurnen Metall aufzunehmen, die das Rückgrat des Projektors fünfter Ordnung bilden sollten. Ebenso selbstverständlich war es, daß dieselbe Kraft ohne weitere Anweisung
die hundert Streben in einem gewaltigen Bogen durch die Luft herbeitrug und sie sanft an einer leeren Stelle nahe der Baustelle absetzte – und dann verschwand, als hätte es sie nie gegeben! Mit solchen Werkzeugen dauerte es nur wenige Stunden, bis der Projektor gebaut war – eine Arbeit, die auf der Erde viele Jahre in Anspruch genommen hätte. Fünfundsiebzig Meter hoch ragte das Gebilde in die Luft, ein Gitterwerk aus verstärkten I-Trägern in Form einer Röhre – am Boden fünfzehn Meter durchmessend und konisch zulaufend, so daß der Durchmesser an der Spitze nur noch drei Meter betrug. Die Streben bestanden aus einem Metall, das viele tausendmal so widerstandsfähig und hart war wie Stahl, so daß die Konstruktion, obwohl sie ganz luftig wirkte, einiges aushalten konnte. Zehn gewaltige Kraftstrahlen hielten die Neutroniumlinse in der Mitte der oberen Öffnung; weiter unten im Schacht hielten ähnliche Strahlen verschiedene Linsen und Prismen, die aus Energiezonen geformt waren. Ganz unten, gewissermaßen auf dem Boden des turmähnlichen Gebildes, befand sich das doppelte Kontrollsystem, wobei jeder der beiden Wissenschaftler einen Visischirm vor sich hatte. »Soweit, so gut«, bemerkte Seaton, als die letzte Verbindung geschlossen war. »Jetzt hüpfen wir los und fliegen den Brocken zum Versuchsgebiet hinüber. Caslor muß das Fundament inzwischen fertig haben, und wir haben noch genug Zeit in dieser Arbeitsperiode, um den Projektor auszuprobieren.« »Moment noch. Ich stelle eben den Projektor vierter Ordnung ein, damit er uns aus dem Zwergstern noch einen Neutroniumvorrat holt.«
Seaton wußte, daß die Kontrollen des Projektors anhand der Daten ihrer ersten Reise so eingestellt werden konnten, daß die Bewegungen in jeder Einzelheit ohne Aufsicht wiederholt wurden. Er setzte sich an seine neuen Kontrollen, drückte einen Hebel und sagte: »Hallo, Dottie. Bist du gerade beschäftigt?« »Nicht sehr«, erwiderte Dorothys klare Stimme. »Seid ihr fertig – und kann ich's mir anschauen?« »Klar – ich schicke dir ein Flugboot hinüber.« Gleichzeitig stieg Rovols Fluggerät in die Luft und verschwand. Nach kaum zwei Minuten kehrte es zurück und landete. Dorothy sprang strahlend heraus und stürzte sich in Seatons Arme. »Liebling, ich glaube, du hast alle zulässigen Höchstgeschwindigkeiten überschritten! Hast du keine Angst, bestraft zu werden?« »Nein – nicht auf Norlamin. Außerdem wollte ich Rovol nicht warten lassen. Wir sind startbereit. Komm her zu mir. Die linken Kontrollen gehören mir.« Rovol betrat die Röhre, nahm seinen Platz ein und winkte. Seatons Hände fuhren über die Knöpfe, und die Riesenröhre erhob sich in die Luft. Aufrecht stehend wurde sie von riesigen Kraftstrahlen zum Versuchsgebiet getragen, das bald erreicht war. Das Gelände war mit phantastischen Geräten übersät – doch es gab keinen Zweifel, welches Ziel sie ansteuerten. Alle anderen Installationen überragend, erhob sich ein gewaltiges Teleskopgestell mit einer riesigen Hohlröhre aus Metallstreben – ein Gebilde, das nur für ihren Projektor gedacht sein konnte. Seaton korrigierte vorsichtig den Anflug, ließ den Projektor längs
in die Empfängerröhre gleiten und verankerte ihn entlang der optischen Achse. Grelle Energiestrahlen verschweißten die beiden Röhren im Nu miteinander, die Kontakte der stufenlos hochfahrbaren Motoren wurden angeschlossen, und der erste Versuch konnte beginnen. »Was für spezielle Informationen brauchen wir, um das Ding zu betreiben?« wandte sich Seaton an den Führer der Techniker, der in den Projektor heraufgekommen war. »Nur wenig. Diese Hebel steuern die Stundenbewegung, und diese die Rektaszension. Die Potentiometer regeln das Ausmaß der Noniusbewegung – jede Ratio ist möglich, von einem direkten Anpeilen bis zu gut einer Million vollständiger Umdrehungen dieser markierten Scheiben, um eine Bogensekunde zu gewinnen.« »Ausgezeichnet, würde ich sagen. Vielen Dank. Wohin jetzt, Rovol – haben Sie einen Wunsch?« »Wohin Sie wollen, mein Sohn – es ist ja nur ein Versuch.« »Also gut. Wir springen rüber und sagen Dunark guten Tag.« Die Röhre schwang herum und richtete sich auf das ferne Osnome, und Seaton trat kräftig auf ein Pedal. Sofort schienen sie Myriaden von Kilometern tief im Raum zu stehen, und das Grüne System schimmerte als schwacher grüner Stern weit hinter ihnen. »Mann, der Strahl ist aber schnell!« rief der Pilot zerknirscht. »Ich bin etwa hundert Lichtjahre zu weit. Versuchen wir's noch mal, mit erheblich geringerer Energie.« Und er stellte seine Kontrollen neu ein. Nach vielen Anpassungen und weiteren Energiere-
duzierungen gewöhnte sich Seaton an die Empfindlichkeit des Projektors und schwebte bald über einem Landstrich, der früher Mardonale gewesen war. Hier waren inzwischen alle Spuren des Krieges verschwunden. Seaton betätigte vorsichtig die Kontrollen, ließ seine Projektion über das osnomische Meer rasen und führte sie durch die angeblich undurchdringlichen Metallwände des Palasts in den Thronsaal Robans, wo der Herrscher, Karbix Tarnan und Dunark zusammensaßen. »Da sind wir ja«, bemerkte Seaton. »Jetzt geben wir ein bißchen Substanz hinzu und verschaffen den Eingeborenen ein kleines Schauspiel.« »Psst!« flüsterte Dorothy. »Sie können dich ja hören, Dick – wir sind schrecklich aufdringlich!« »Nein, sie hören uns nicht, weil ich die akustische Welle noch nicht auf unsere Trägerwelle gelegt habe. Und was das Eindringen angeht – deshalb sind wir doch hier!« Er legte das akustische Signal auf die unvorstellbar hohe Trägerfrequenz und sagte in osnomischer Sprache: »Seid gegrüßt, Roban, Dunark und Tarnan – von Seaton.« Die drei Männer sprangen verblüfft auf und sahen sich hilflos in dem leeren Raum um. Während Seaton fortfuhr: »Ich bin nicht selbst hier, sondern schicke nur meine Projektion. Moment, ich will mich ein bißchen sichtbarer machen.« Er schaltete weitere Kräfte ein, und in der großen Halle erschienen undurchsichtige Bilder – die Gestalten der drei Menschen an den Kontrollen. Nachdem man sich gegenseitig begrüßt und vorgestellt hatte, kam Seaton zur Sache. »Wir haben gefunden, was wir suchten – und zwar
weitaus mehr, als ich je zu hoffen wagte. Sie brauchen sich vor den Fenachronern nicht mehr zu fürchten, Roban – wir haben eine Wissenschaft entdeckt, die der ihren überlegen ist. Aber es ist noch viel zu tun, und wir haben nicht mehr allzuviel Zeit, deshalb habe ich heute eine Bitte.« »Der Oberherr braucht nur zu befehlen«, erwiderte Roban. »Ich will nicht befehlen, da wir ja alle ein gemeinsames Ziel verfolgen. Und im Interesse dieser gemeinsamen Sache, Dunark, möchte ich dich bitten, mich sofort in Begleitung Tarnans und einiger anderer Männer aufzusuchen, die du aussuchen kannst. Euer Schiff wird von einer Kraft bewegt, die wir von hier aus steuern. Unterwegs werdet ihr die Erste Stadt des Planeten Dasor besuchen, wo ihr Sacner Carfon an Bord nehmt, der euch dort erwartet.« »So soll es geschehen.« Darauf ließ Seaton seine Projektion auf den Nachbarplaneten Urvania zucken. Dort stellte er fest, daß der riesige Raumkreuzer, den er in Auftrag gegeben hatte, bereits fertiggestellt war, und bat Urvan und seinen Befehlshabenden, die Schiffshülle nach Norlamin zu schleppen. Dann besuchte er Dasor und besprach sich mit Carfon, der ihm die volle Unterstützung der Meermenschen zusagte. »Das wär's«, sagte Seaton schließlich und schaltete den Projektor ab. »In den nächsten Tagen können wir nicht mehr viel machen – es geht erst weiter, wenn alle eingetroffen sind. Dann können wir unseren Kriegsrat abhalten. Was meinen Sie, Rovol, sollte ich nicht weiter mit dem Projektor üben, während Sie die verschiedenen Kleinigkeiten erledigen, die Sie noch
im Sinn haben? Sie könnten Orlon bitten, die Steuerung unserer Gäste zu übernehmen.« Nachdem Rovol verschwunden war, besuchten Crane und Margaret das Versuchsgelände und wollten sich den Projektor zeigen lassen. »Na, wie ist die Lage, Martin? Wie ich höre, bist du ja ein ziemlich guter Astronom geworden!« »Ja, dank Orlon und dem Führer der Psychologie. Er schien sehr daran interessiert zu sein, unser irdisches Wissen zu erweitern. Jedenfalls weiß ich heute mehr, als ich mir je hätte erträumen lassen.« »Ich auch. Du kannst uns jetzt sicher mühelos ins fenachronische System führen. Du hast auch einige ethnologische und verwandte Kenntnisse aufgeschnappt. Was meinst du – sind wir mit Dunark und Urvan genügend vorbereitet, um loszuschlagen, oder sollen wir das Risiko eingehen, noch mit anderen Lebewesen des Grünen Systems Kontakt aufzunehmen?« »Jede Verzögerung ist gefährlich, da die Zeit knapp wird«, erwiderte Crane. »Ich glaube, daß unsere Kenntnisse ausreichen. Außerdem kann es mit der zusätzlichen Hilfe problematisch werden – damit stünde es nicht zum Besten. Die Norlaminer haben das Grüne System ziemlich gründlich erforscht; kein anderer Planet scheint Bewohner zu haben, die auf der erforderlichen Entwicklungsstufe stehen.« »Genau – so sehe ich die Dinge auch. Sobald die Leute hier sind, geht es los. Aber ich habe dich hergerufen, damit du mal einen kleinen Flug mit dem Projektor erlebst – eine großartige Sache! Ich würde ja am liebsten gleich ins fenachronische System sausen, aber das wage ich doch noch nicht.«
»Du wagst es nicht? Du?« fragte Margaret spöttisch. »Wie ist denn das möglich?« »Na ja, wagen ist vielleicht falsch ausgedrückt – ich möchte es lieber noch sein lassen. Warum? Weil die Fenachroner zwar ratlos vor einer Energiezone stehen, ihre ausgezeichneten Wissenschaftler aber vielleicht feststellen können, daß hier Strahlen fünfter Ordnung am Werk sind, selbst wenn sie noch nichts damit anfangen können. Auf jeden Fall wären sie dann gewarnt.« »Klingt vernünftig, Dick«, sagte Crane. »Aber wohin dann?« »Natürlich nach Hause!« schaltete sich Dorothy ein. »Ja, natürlich! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht!« Nach kurzer Berechnung ließ Seaton die gewaltige Röhre herumschwingen, stellte rasch einige Knöpfe ein und trat auf das Energiepedal. Einen Sekundenbruchteil lang hatten sie das Gefühl, mit unmöglicher Geschwindigkeit durch das All gerissen zu werden, dann schwebten sie an einem Punkt im leeren Weltraum. »Na, wie weit liege ich diesmal daneben?« brach Seatons lebhafte Stimme das verblüffte Schweigen. »Das ist doch unsere Sonne, da links, nicht wahr, Martin?« »Ja. Deine Entfernung stimmt, und lateral liegst du bis auf wenige Zehntel eines Lichtjahrs richtig. Das ist ziemlich gut.« »Für diese Kontrollen ist das viel zu schlecht. Ich bin wohl zu hastig gewesen. Noch ein Versuch!« Diesmal stellte er den Nonius sehr sorgfältig ein und aktivierte erneut den Projektor. Wieder der unvorstellbare Flug durch das All – dann schwebten sie
dreißig Meter über Crane-Field, fast genau über dem Testschuppen. Seaton ließ die Motoren laufen, bis sie das Haus der Vanemans unter sich sahen und vorsichtig ins Wohnzimmer eindrangen, wo Mr. und Mrs. Vaneman beim Essen saßen. »Hallo, Schwiegereltern!« sagte Seaton leise. »Bitte nicht erschrecken, wir sind's nur! Nein, ihr seht keine Gespenster. Wir wollten euch mal kurz besuchen!« Als sie den Projektor abgeschaltet hatten und zum wartenden Flugboot zurückkehrten, ging Seaton neben Rovol. »Die Urvanier haben unseren neuen Raumkreuzer aus Dagal gebaut und bringen die Schiffshülle her. Dagal ist ein gutes Material, aber nicht so gut wie Ihr Inoson, das als Material mit Molekularstruktur die theoretisch größte Härte erreicht. Wäre es nicht angebracht, das Schiff auf Inoson umzustellen, wenn es hier ist?« »Eine ausgezeichnete Idee, das werden wir tun. Mir ist auch der Gedanke gekommen, daß unsere Wissenschaftler Ihnen helfen sollten, einen kompletten Projektor fünfter Ordnung in der neuen Skylark zu installieren – außerdem alle anderen Dinge, die Sie brauchen. Schließlich kann es ja dazu kommen, daß die Sicherheit der Galaxis von der Leistungsfähigkeit der Erdenmenschen und ihres Schiffes abhängt – und deshalb sollte nichts unversucht bleiben.« »Ja, das wäre gut, vielen Dank.« Nach einigen Tagen trafen die Delegationen der anderen Planeten ein. Der Raumkreuzer erregte große Aufmerksamkeit, bevor er gelandet war – so riesig war er im Vergleich zu den winzigen Raumfahrzeugen, die die Metallhülle schleppten. Als das giganti-
sche Schiff schließlich gelandet war, schien es unmöglich, daß sich ein solches Gebilde aus eigenem Antrieb bewegen könnte. Drei Kilometer war die Metallmasse lang, und obwohl das Schiff für seine Länge ziemlich schmal war, erreichte der Durchmesser stolze vierhundertundfünfzig Meter. Aber Rovol und die anderen norlaminischen Wissenschaftler lächelten zufrieden bei dem Anblick, errichteten ihre Kontrollen und machten sich entschlossen an die Arbeit. Inzwischen hatte sich eine Gruppe um einen Konferenztisch versammelt – eine Gruppe, wie sie noch nie zuvor auf einem Planeten des Grünen Systems zusammengetroffen war. Da war zunächst Fodan, der greise Chef der Fünf von Norlamin. Neben ihm saßen Dunark und Tarnan aus Osnome und Urvan aus Urvania. Es schloß sich Sacner Carfon an, der riesige Dasorier. Schließlich Seaton und Crane, die Vertreter unserer irdischen Zivilisation. Seaton eröffnete die Konferenz, indem er jedem Mann eine Kopfhaube überreichte und eine Aufzeichnung ablaufen ließ, die die Pläne der Fenachroner offenbarte; nicht nur, wie er sie aus dem Gehirn des fenachronischen Kapitäns erfahren hatte, sondern erweitert um die Schlußfolgerungen, die der Führer der norlaminischen Psychologie nach dem Studium des fenachronischen Gehirns gezogen hatte. Dann nahm er die Spule heraus und beschrieb den vorläufigen Aktionsplan. Nachdem die Kopfhauben abgenommen worden waren, eröffnete er die Diskussion, und es wurde heftig diskutiert. Jeder der Anwesenden hatte Vorstellungen, die offen besprochen und untersucht wurden, zum größten Teil ruhig und lei-
denschaftslos. Die Konferenz dauerte an, bis nur noch ein Punkt geklärt werden mußte, der aber so heftig umstritten war, daß alle durcheinanderriefen. »Bitte Ruhe!« rief Seaton schließlich und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Osnome und Urvania wollen ohne Warnung angreifen. Norlamin und Dasor bestehen auf einer formellen Kriegserklärung. Die Erde hat die entscheidende Stimme. Martin, wie wollen wir uns entscheiden?« »Ich stimme für eine formelle Warnung – aus zwei Gründen, von denen einer zumindest für Dunark überzeugend sein müßte. Erstens entspricht das einer fairen Handlungsweise – der Grund, der natürlich für die Norlaminer der entscheidende ist, den Osnome aber nicht gelten lassen würde und der den Fenachronern erst recht nichtverständlich wäre. Zweitens bin ich sicher, daß die Fenachroner über die Warnung nur wütend sein und sie mißachten werden. Was werden sie dann tun? Hier am Tisch ist gesagt worden, daß bisher nur wenige Erkundungsschiffe der Fenachroner geortet werden konnten. Sobald wir den Krieg erklären, werden sie mit ziemlicher Sicherheit Torpedos zu jedem ihrer Kriegsschiffe schicken. Wir können dann diesen Geschossen nachspüren und auf diese Weise die Schiffe lokalisieren und vernichten.« »Das ist also die Entscheidung«, verkündete der Vorsitzende, als zustimmendes Gemurmel laut wurde. »Wir gehen nun zum Projektor und schicken die Kriegserklärung ab. Ich habe einen Spürstrahl auf den Torpedo gerichtet, der die Vernichtung des fenachronischen Schiffes meldet, und dieser Torpedo wird bald am Ziel sein. Ich würde meinen, daß wir
unsere Ankündigung unmittelbar nach dem Augenblick machen, da der fenachronische Herrscher von dem ersten Verlust eines Schiffes gehört hat.« Im Projektor stießen Rovol, Orlon und mehrere andere führende Wissenschaftler Norlamins zu ihnen. Mit den Strahlen fünfter Ordnung drangen sie zu dem fliegenden Torpedo vor, und Seaton grinste Crane an, als die Trägerwelle die riesigen fenachronischen Schirme durchdrang, ohne die geringste Reaktion auszulösen. Der Melderakete folgend, stießen sie durch eine warme, dichte und neblige Atmosphäre, glitten durch eine Empfangsröhre in ein riesiges konisches Gebäude und in den Nachrichtenraum. Sie sahen, wie der Funkoffizier Bandspulen aus dem Torpedo holte und in einen magnetischen Sender legte – dann hörten sie seine Stimme. »Verzeihen Sie, Majestät – wir haben soeben einen Nottorpedo erster Ordnung von Flaggschiff Y427W, Flotte 42, erhalten. Sendebereit.« »Wenn er das Ding sendet, müssen wir wahrscheinlich lange suchen«, bemerkte Seaton. »Ah – er gibt die Nachricht über einen Bündelstrahl. Das ist gut, dem können wir nachgehen.« Und mit einem engen Ortungsstrahl folgte er dem unsichtbaren Sendestrahl in die Ratskammer. »Seltsam – dieser Raum kommt mir vertraut vor, ich könnte schwören, daß ich schon oft hier gewesen bin«, bemerkte Seaton verwirrt, als er sich in dem düsteren Saal mit den mattschimmernden Metallwänden umsah, die voller Karten, Bildschirme und Lautsprecher waren. »Ach ja, ich kenne den Raum aus dem Gehirn des fenachronischen Kapitäns. Also, während Seine Hochwohlgeboren die schlechte
Nachricht verdaut, wollen wir die Sache noch einmal durchsprechen. Carfon, Sie haben die stärkste Stimme von uns – Sie werden reden. Den Text haben Sie. Wir anderen müssen solange mucksmäuschenstill sein.« »Mir ist da eben etwas eingefallen!« sagte Carfon. »Wenn die Stimme mitten aus der Luft kommt, wie wir es vorhaben, könnte das dem Feind unsere Methoden verraten, was vielleicht nicht wünschenswert ist.« »Hmm. Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte Seaton. »Wollen mal sehen. Das können wir vermeiden, indem wir auf einer Radiowelle senden. Die Fenachroner haben überall Lautsprecher, von denen viele auf eine allgemeine Wellenlänge eingestellt sind! Ich werde Ihre Stimme auf dieser Welle senden, so daß jeder Lautsprecher ausspricht, der darauf eingestellt ist. Dann klingt es, als sendeten wir aus großer Entfernung. Sie können die Warnung vielleicht entsprechend formulieren.« »Wenn wir noch einen Moment Zeit hätten«, meinte Dunark. »Wir sind hier und sehen alles, was passiert. Wände, Planeten, sogar Sonnen behindern uns nicht, denn unsere Trägerwelle fünfter Ordnung durchdringt alles. Das verstehe ich zum Teil. Aber muß da nicht ein Sammler oder Empfänger in der Nähe des Objekts sein und den Eindruck zu uns zurücksenden?« »Wir haben beides am anderen Ende«, erwiderte Seaton, »und noch viele andere Dinge. Unser sekundärer Projektor dort draußen besteht aus unsichtbaren oder sichtbaren Energien, je nach Wunsch. Ein Teil dieser Kräfte stellt den Empfangs-, Seh- und Sendemechanismus dar. Die Kräfte sind nicht materiell, aber sie sind trotzdem so real vorhanden und so
wirksam wie jedes normale Radio-, Fernseh- oder Telefonsystem. Schließlich ist es ja die Energie, die das Radio und das Fernsehen betreibt – Kupfer, Isolierung und die anderen Gegenstände sollen die verschiedenen Kräfte nur lenken und kontrollieren. Die Norlaminer haben einen Weg gefunden, reine Kräfte zu steuern und zu beherrschen – ohne hinderliche materielle Substanzen ...« Er brach ab, als die Aufzeichnung aus dem Torpedo plötzlich unterbrochen wurde und die Stimme des Funkoffiziers durch einen Lautsprecher ertönte. »General Fenimol! Kundschafterschiff K3296, auf Patrouille in der Detektorzone, möchte einen dringenden Notfall berichten. Ich habe erwidert, daß Sie mit dem Herrscher konferieren, wurde aber angewiesen, Sie zu stören. Das Patrouillenschiff hat einen Überlebenden der Y427W an Bord und hat zwei Männer derselben Rasse gefangengenommen und getötet, die unser Schiff vernichtet hat. Man sagt, Sie wollten den Bericht unverzüglich hören.« »Allerdings!« rief der General, nachdem ihm sein Herrscher ein Zeichen gegeben hatte. »Schalten Sie um. Den Rest des Torpedoberichts senden Sie unmittelbar danach!« Im Projektor sahen sich Seaton und Crane an. Seaton nickte langsam. »Das war natürlich DuQuesne – es gibt keinen anderen Tellurier, der so weit von zu Hause entfernt ist. Der Bursche tut mir irgendwie leid – ein guter Mann, der auf den falschen Weg gekommen ist. Aber irgendwann hätten wir ihn wahrscheinlich sowieso umbringen müssen. Los, spitzt die Ohren und paßt auf – ich will kein Wort verpassen!«
KAPITEL 13 Die Hauptstadt der Fenachroner lag auf einer Dschungelebene, die von hohen Bergen umgeben war. Sie bildete ein perfektes Rund, ihre Gebäude, gleich hohe Gebilde aus demselben mattgrauen durchscheinenden Metall, standen in konzentrischen Kreisen um einen auffälligen Mittelpunkt. Zwischen jedem Gebäudering erstreckten sich Teiche, Rasenflächen und Haine – das Wasser war warm, trüb und dampfend, die Haine bestanden aus Palmen, riesigen Farnkräutern, Bambuspflanzen und zahlreichen tropischen Gewächsen, die auf der Erde unbekannt waren. Am Rand der Stadt begann ein urzeitlicher Dschungel, wie er nur bei sehr feuchten Klimaverhältnissen möglich ist. Es gab keinen Wind und auch keinen Sonnenschein. Nur gelegentlich war die Sonne dieser Welt als bleiche, verschwommene Scheibe durch den allgegenwärtigen Nebel sichtbar; stets war die Luft schwer, schwül und feucht. Im Mittelpunkt der Stadt erhob sich ein gewaltiges Gebäude, ein terrassenförmig abgesetzter Kegel, als wären riesige Scheiben, die einen abnehmenden Durchmesser hatten, übereinandergestapelt worden. In diesen Etagen wohnten der Adel und die hohen Beamten der Fenachroner. In der allerhöchsten Scheibe, die wegen des dichten Nebels von der Oberfläche aus nur selten zu sehen war, befanden sich die Räume des Herrschers dieser monströsen Rasse. Auf kompakten niedrigen Metallstühlen saßen die führenden Fenachroner am Ratstisch – Fenor, der Herrscher, Fenimol, der Oberbefehlshabende, sowie
der elfköpfige Rat des Planeten. In der Luft vor ihnen schwebte ein dreidimensionales bewegliches Bild – der Bericht des einzigen Überlebenden aus dem Kriegsschiff, das die Skylark II angegriffen hatte. Aus dem Blickwinkel des Ingenieurs wurde der Kampf gezeigt, anschließend kamen detailgetreue Angaben über die Sieger. Als liefe die Szene vor ihren Augen ab, sahen die Ratsherren, wie der Gefangene an Bord der Violet wieder zu sich kam, und hörten das Gespräch zwischen dem fenachronischen Ingenieur, DuQuesne und Loring. In der Violet rasten sie wochenlang mit zunehmender Geschwindigkeit dahin – auf das System der Fenachroner zu. Schließlich näherten sie sich mit negativer Beschleunigung der Welt; sahen den Planeten groß unter dem Schiff aufragen und passierten den Ortungsschirm. DuQuesne festigte die Attraktorkontrollen, die er seinem Gefangenen nie ganz abgenommen hatte, und preßte den Fenachroner wieder hilflos an die Wand. »Ich will nur sichergehen, daß Sie keine üblen Tricks versuchen«, sagte er kalt. »Sie haben bis jetzt gut gearbeitet, aber ab sofort übernehme ich das Kommando, damit Sie uns nicht in eine Falle lavieren können. Jetzt sagen Sie mir genau, was ich tun muß, um eins Ihrer Schiffe zu erbeuten. Danach werde ich mir überlegen, wie ich Sie laufen lasse.« »Narren seid ihr! Es ist zu spät. Es wäre zu spät gewesen, selbst wenn Sie mich draußen im All getötet hätten und mit Höchstbeschleunigung geflohen wären! Ihr wißt es noch nicht, doch ihr seid bereits tot – unser Patrouillenschiff muß gleich da sein!« DuQuesne wirbelte aufgebracht herum, und er und
Loring zogen ihre automatischen Waffen; als eine g ewaltige Beschleunigung sie zu Boden warf, eine magnetische Kraft ihnen die Waffen entriß und ein Hitzestrahl sie in zwei Aschehäufchen verwandelte. Gleich darauf neutralisierte eine Kraft aus dem Patrouillenkreuzer die Attraktoren, die den Gefangenen festhielten, und er wurde in das eigene Schiff hinübergeholt. Der Sonderbericht endete, und die Meldung von dem vernichteten fenachronischen Schiff wurde fortgesetzt, konnte aber keine neuen Informationen über die Katastrophe bringen. Fenor von Fenachrone sprang auf, und seine flammenden Augen starrten wild in die Runde. Er hüpfte zornig auf seinen stämmigen Beinen herum, doch ohne eine Sekunde des Berichts zu versäumen. Erst als das Band abgelaufen war, packte er den nächsten Gegenstand, den er erreichen konnte – seinen Stuhl –, und schmetterte ihn zu Boden. »So behandeln wir die ganze Rasse dieser verfluchten Lebewesen!« kreischte er. »Tod und Vernichtung allen, die ...« »Fenor von Fenachrone!« dröhnte da eine gewaltige Stimme aus einem großen Lautsprecher. Die Stimme war so laut, daß Fenor mitten in der Bewegung erstarrte. »Fenor von Fenachrone! Ich weiß, daß Sie mich hören können, denn jeder Lautsprecher Ihres Planeten, der auf die allgemeine Welle eingestellt ist, gibt meine Worte wieder. Hören Sie gut zu, denn meine Warnung wird nicht wiederholt. Ich spreche mit Vollmacht des Oberherrn des Grünen Systems, das Sie als Zentralsystem unserer Galaxis kennen. Auf einigen unserer vielen Planeten gibt es Lebewesen, die Sie
ohne Vorwarnung vernichten wollen, aber der Oberherr hat bestimmt, daß Sie weiterleben dürfen, wenn Sie sich an seine Befehle halten, die er mir zur Weitergabe an Sie übermittelt hat. Sie werden ab sofort Ihre machtgierigen, grausamen und sinnlosen Eroberungspläne aufgeben. Sie werden sämtliche Schiffe unverzüglich in die Grenzen Ihres Sonnensystems zurückziehen, und sie auch künftig dort belassen. Sie haben fünf Minuten Zeit zu entscheiden, ob Sie diese Befehle befolgen wollen. Wenn bis dahin keine Antwort eingetroffen ist, weiß der Oberherr, daß Sie sich ihm widersetzen wollen, und Ihre gesamte Rasse wird untergehen. Er weiß wohl, daß Ihre bloße Existenz jeder wirklichen Zivilisation Hohn spricht, doch er meint, daß auch eine böse Rasse wie die Fenachroner ihren obskuren Platz im großen Plan der Dinge haben mag. Durch mich, den zweitausenddreihundertsechsundvierzigsten Sacner Carfon von Dasor übermittelt Ihnen der Oberherr seine erste und letzte Warnung.« Die Stimme verhallte, und das Chaos brach los. Die Fenachroner sprangen auf und begannen zu toben. Fenor gab einen Befehl, und die anderen verstummten, während er hastige Anordnungen traf. »Funker! Schicken Sie sofort Rückruftorpedos an jedes Schiff, das draußen ist.« Er eilte zu einem der Spezialgeräte. »X-794-PW! Allgemeiner Aufruf an alle Schiffe über E. Sie sollen sich auf Kampfstationen begeben! Volle Kraft auf Verteidigungsschirme, und ein volles Spektrum Ortungsschirme soll bis zur äußersten Grenze ausgeworfen werden. Wächter und Patrouillen nach Invasionsplan XB-218!
Damit wären die ersten Maßnahmen getroffen, meine Herren!« Er wandte sich an die Ratsherren. »Nie zuvor sind die Supermenschen der Fenachroner so beleidigt worden! Dieser freche Oberherr wird seine Warnung bis zu seinem Tode bereuen, den wir hübsch lange hinauszögern wollen. Sie alle kennen Ihre Pflichten in einer solchen Lage. Sie sind hiermit entschuldigt – damit Sie an die Arbeit gehen können. General Fenimol! Sie bleiben noch – wir werden zusammen weitere Einzelheiten durchgehen.« Als die Ratsherren den Saal verlassen hatten, wandte sich Fenor an den General. »Haben Sie irgendwelche Vorschläge?« »Ich möchte raten, daß wir sofort Ravindau, den Chef der Wissenschaftlichen Labors, kommen lassen. Er hat die Warnung bestimmt auch gehört und kann uns vielleicht sagen, wie und von wo die Sendung erfolgt ist.« Der Herrscher sprach über einen anderen Sender, und kurze Zeit später trat der Wissenschaftler ein. In der Hand trug er ein kleines Instrument, an dem eine blaue Lampe leuchtete. »Wir wollen nicht hier sprechen«, sagte er ernst. »Es besteht Gefahr, daß wir von dem anmaßenden Oberherrn belauscht werden.« Er führte die beiden Männer in einen strahlensicheren Raum seines Privatlabors, das mehrere Stockwerke unter dem Ratssaal lag. »Es interessiert Sie vielleicht, daß Sie den Untergang unseres Planeten und aller Fenachroner verschuldet haben!« sagte Ravindau aufgebracht. »Wie können Sie es wagen, so mit Ihrem Herrscher zu sprechen!« brüllte Fenor.
»Ich wage es«, erwiderte der andere nüchtern. »Wenn die Zivilisation eines Planeten durch die Dummheit und Machtgier seines Herrschers der Vernichtung anheimgegeben wird, dann ist jede Loyalität gegenüber diesem Herrscher absurd. Hinsetzen!« brüllte er, als Fenor aufspringen wollte. »Sie sind nicht mehr in Ihrem Thronsaal, nicht mehr umgeben von untertänigen Wächtern und Automaten. Sie sind in meinem Laboratorium, und ich könnte Sie mit einer winzigen Fingerbewegung in die Ewigkeit schleudern!« Der General merkte, daß die Warnung ernster zu nehmen war, als er bisher angenommen hatte. Er schaltete sich in das heftige Gespräch ein. »Lassen wir das!« rief er. »Die Sicherheit der Rasse geht vor. Muß ich aus Ihrer Reaktion schließen, daß die Lage wirklich ernst ist?« »Schlimmer als das – unsere Position ist verzweifelt. Unsere einzige Chance liegt darin, daß möglichst viele Fenachroner sofort aus dieser Galaxis fliehen, in der Hoffnung, daß unsere Rasse dadurch der Vernichtung entgeht, die der Oberherr des Grünen Systems unweigerlich über uns bringen wird.« »Das ist doch barer Unsinn!« gab Fenimol zurück. »Unsere Wissenschaft ist jeder anderen im Universum überlegen!« »Das nahm ich auch an, bis diese Warnung eintraf und ich Gelegenheit hatte, sie zu studieren. Und da wußte ich sofort, daß wir es hier mit einer Wissenschaft zu tun haben, die wesentlich fortgeschrittener ist als die unsere.« »Angehörige der miesen Rasse, die sich von unserem kleinsten Patrouillenboot kampflos besiegen lie-
ßen? In welcher Hinsicht läßt sich deren Wissenschaft mit der unseren auch nur vergleichen?« »Nein, diese beiden nicht. Es geht um den Mann, der sich der Oberherr nennt. Der ist unser Meister. Er vermag die undurchdringliche Energiezone zu überwinden und reine Energie durch sie hindurchzulenken; er kann Infrastrahlen koppeln, senden und einsetzen, deren Existenz wir noch bis vor kurzem bezweifelt hatten. Während die Warnung ausgesprochen wurde, hat er Sie wahrscheinlich beobachtet und Ihre Reaktion mitgehört. In Ihrer Unwissenheit nahmen Sie an, die Warnung käme über den Äther, und der Sender müsse sich irgendwo in der Nähe unseres Systems befinden. Dabei hält sich der Oberherr wahrscheinlich im Zentralsystem auf und bereitet jetzt seine ungeheuren Kampfmittel vor, die er gegen uns ins Feld führen will.« Der Herrscher ließ sich in einen Stuhl sinken. Alle Großspurigkeit war von ihm abgefallen. Der General richtete sich entschlossen auf und kam zur Sache: »Woher wissen Sie das alles?« »Zum großen Teil habe ich Schlußfolgerungen gezogen. Wir Angehörigen der Schule der Wissenschaft haben Sie mehrfach aufgefordert, den Tag der Großen Eroberung hinauszuschieben, bis wir die Geheimnisse der Substrahlen und der Infrastrahlen bewältigt haben. Aber Sie Kriegstreiber haben sich nicht darum gekümmert und weitergemacht. Wir wissen wenig über die Substrahlen, die wir jeden Tag benutzen, und praktisch gar nichts über die Infrastrahlen. Vor einiger Zeit entwickelte ich einen Orter für Infrastrahlen, die uns in kleinen Mengen aus dem All erreichen und die auch von unseren Energiestationen
abgesondert werden. Damals hielten wir den Detektor für eine wissenschaftliche Kuriosität, doch heute hat sich das Gerät bewährt. Ich halte hier ein Exemplar in der Hand. Bei normaler Infrastrahlung ist das Licht blau, wie jetzt. Einige Zeit vor der Warnung wurde es grellrot und zeigte damit an, daß eine gewaltige Infrastrahlenquelle in der Nähe arbeitete. Ich stellte fest, daß die Quelle sich in der Mitte des Ratssaales befand, fast direkt über dem großen Tisch. Die Trägerwelle muß also unsere sämtlichen Schutzschirme durchstoßen haben, ohne einen Alarm auszulösen. Kaum wurden mir diese Tatsachen bewußt, legte ich um den Ratssaal einen Schutzschirm, der keine Strahlen hindurchläßt, die länger sind als Infrastrahlen. Aber die Warnung ging weiter, und da wußte ich, daß unsere Befürchtungen nur zu begründet waren – irgendwo in dieser Galaxis gibt es eine Rasse, die der unseren wissenschaftlich weit überlegen ist. Unsere Vernichtung ist nur noch eine Sache von Stunden, vielleicht sogar Minuten.« »Sind diese Infrastrahlen denn so gefährlich?« fragte der General. »Ich hatte angenommen, sie seien von so hoher Frequenz, daß sie keinen praktischen Nutzen haben.« »Ich versuche seit Jahren mehr darüber herauszufinden – aber abgesehen von der Ortung und Analyse dieser Strahlen kann ich noch nichts damit anfangen. Offensichtlich wirken sie unter der Ebene des Äthers und haben deshalb eine Ausbreitungsgeschwindigkeit, die unvorstellbar weit über der Lichtgeschwindigkeit liegen muß. Wenn jemand diese Wellen lenken und kontrollieren und als Trägerwellen für jede andere gewünschte Frequenz benutzen kann – all
dies hat uns der Oberherr vorhin bewiesen –, dann müssen auch die Waffen dieses Gegners ungeheuer wirksam sein – wir hätten ihm absolut nichts entgegenzusetzen.« »Aber er sprach von einer ...« »Fenimol, und Fenor von Fenachrone – unsere einzige Hoffnung liegt in der sofortigen Flucht – damit retten wir uns im Augenblick und erhalten uns die Hoffnung auf einen Sieg in ferner Zukunft. Fliehen wir in eine ferne Galaxis, denn an keinem Punkt in dieser Galaxis sind wir vor den Infrastrahlen dieses selbsternannten Oberherrn sicher.« »Sie alter Feigling! Sie verzagter Bücherwurm!« Fenor hatte wieder zu sich selbst zurückgefunden. »Aufgrund so schwacher Beweise wollen Sie uns fliehen lassen? Sie entdecken eine seltsame Vibration, und schon schließen Sie daraus, daß wir von einer Rasse mit übernatürlichen Fähigkeiten vernichtet werden? Bah! Ihr jammernder Clan hat ohnehin schon dafür gesorgt, daß der Tag der Großen Eroberung mehrfach hinausgezögert wurde – ich bin fast überzeugt, daß Sie selbst oder ein verräterischer Anhänger Ihrer obskuren Partei diese Warnung gesendet hat, um uns dazu zu bringen, den Tag der Eroberung erneut zu verschieben. Nein, die Zeit ist gekommen! Fenachrone wird mit aller Macht zuschlagen. Und du, Verräter an deinem Herrscher, du wirst den Tod eines Feiglings sterben!« Eine Hand zuckte unter die Tunika, und ein Vibrator trat in Aktion. »Es mag schon sein, daß ich ein Feigling und Bücherwurm bin«, erwiderte der Wissenschaftler starr. »Aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Dummkopf. Diese Wände, diese Luft sind von Energiefel-
dern durchwoben, die keine Kräfte weitergeben, Sie schwachsinniger Abkomme eines degenerierten Hauses – arrogant, überheblich, machtgierig, unwissend –, Ihr Gehirn ist zu zerfallen, um zu erkennen, daß Sie mit Ihrer Eroberung des Universums viele hundert Jahre zu früh beginnen. Ihr Stolz und Ihr Machtstreben hat unseren geliebten Planeten und unsere ganze Rasse an den Rand der Vernichtung gebracht. Deshalb wirst du sterben – schon viel zu lange hast du geherrscht!« Ravindau bewegte einen Finger, und der Körper des Monarchen erschauderte, als würde er von einem unerträglichen elektrischen Strom getroffen – und brach zusammen. »Es war nötig, dieses Wesen zu vernichten, das unser Herrscher war«, wandte sich Ravindau an den General. »Ich weiß seit langem, daß Sie ein Gegner voreiliger Maßnahmen in puncto Großer Eroberung sind; deshalb habe ich überhaupt soviel geredet. Sie wissen, daß mir die Ehre der Fenachroner viel bedeutet und daß alle meine Pläne dem letztlichen Triumph unserer Rasse gelten?« »Ja, und ich beginne zu ahnen, daß diese Pläne nicht erst geschmiedet wurden, seit die Warnung des fremden Oberherrn eingetroffen ist.« »Meine Pläne reifen bereits seit vielen Jahren, und seitdem der sofortige Eroberungsplan verkündet wurde, arbeite ich daran, sie in die Tat umzusetzen. Ich hätte diesen Planeten sowieso kurz nach dem Abflug unserer Eroberungsflotten verlassen – Fenors sinnloser Widerstand gegen den Oberherrn zwingt mich nun, mein Verschwinden zu beschleunigen.« »Was haben Sie vor?« »Ich habe ein Schiff, doppelt so groß wie das größte
Kriegsschiff, das Fenor in seiner Flotte hat, mit Vorräten und Waffen für eine hundertjährige Reise bei hoher Beschleunigung versehen. Das Schiff liegt in einer fernen Dschungelfestung. Ich ziehe in diesem Schiff eine Gruppe der besten, klügsten und fortschrittlichsten Fenachroner – Männer, Frauen und Kinder – zusammen. Wir werden mit Höchstgeschwindigkeit in eine bestimmte ferne Galaxis fliehen, wo wir uns einen Planeten suchen, der in Atmosphäre, Temperatur und Masse unserer Heimat ähnelt. Dort werden wir uns vermehren und unsere Studien fortsetzen, und von diesem Planeten aus werden wir eines Tages, wenn unser Wissen ausreicht, über das Zentralsystem dieser Galaxis hereinbrechen und Rache üben. Diese Rache wird um so süßer sein, je länger sie hinausgezögert worden ist.« »Aber was ist mit den Bibliotheken, Apparaten und dergleichen? Wenn wir nun nicht lange genug leben, um das nötige Wissen zu erlangen? Und mit nur einem Schiff und einer Handvoll Männer kämen wir gegen den verfluchten Oberherrn und seine Weltraumflotten nicht an.« »Bibliotheken befinden sich an Bord, ebenso zahlreiche technische Geräte. Was wir nicht mitnehmen können, läßt sich nachbauen. Und was das erwähnte Wissen angeht, so erreichen wir unser Ziel womöglich nicht in diesem Leben. Doch das Rassengedächtnis der Fenachroner ist lang, wie Sie sicher wissen, und selbst wenn die Probleme erst gelöst werden, wenn unsere Nachkommen zahlreich genug sind; um einen ganzen Planeten zu bevölkern, wird diese Generation doch erst die Rache der Fenachroner über die Rasse des verhaßten Oberherrn bringen, ehe sie
die Eroberung des Universums fortsetzt. Natürlich wird es viele Probleme geben, die wir aber lösen werden. Genug gesprochen! Die Zeit eilt! Ich habe Ihnen das auch nur erklärt, weil es in meiner Organisation noch keinen Soldaten gibt und die Fenachroner der Zukunft Ihr Wissen über die Kriegführung brauchen werden. Kommen Sie mit?« »Ja.« »Gut.« Ravindau führte den General durch eine Tür und an Bord eines Luftboots, das auf der Terrasse vor dem Labor wartete. »Fliegen wir mit Höchstgeschwindigkeit zu Ihrer Wohnung, dort nehmen wir Ihre Familie an Bord.« Fenimol übernahm die Kontrollen und legte einen Energiestrahl zu seinem Heim – einen Strahl, der einen doppelten Zweck erfüllte. Er hielt das Schiff automatisch auf dem vorherbestimmten Kurs und machte trotz des dichten Nebels einen Zusammenstoß unmöglich. »Ich kann verstehen, daß Sie keinen Angehörigen des Militärs ins Vertrauen gezogen haben, bis Sie bereit waren, Ihre Pläne in die Tat umzusetzen«, sagte der General unterwegs. »Wie lange werden die Startvorbereitungen dauern? Sie haben gesagt, daß wir uns beeilen müssen, und ich nehme deshalb an, daß Sie die anderen Expeditionsteilnehmer schon verständigt haben.« »Das Notsignal ist hinausgegangen, ehe ich zu Ihnen und Fenor in den Ratssaal kam. Jeder Mann der Organisation hat das Signal empfangen, wo immer er auch gewesen sein mag, und inzwischen müßten die meisten mit ihren Familien auf dem Weg zu dem versteckten Raumschiff sein. Wir werden diesen Plane-
ten in spätestens fünfzehn Minuten verlassen – ich möchte keinen Augenblick länger hierbleiben, als unbedingt nötig.« Die erstaunte Familie des Generals wurde an Bord des Luftboots genommen, das sofort wieder startete und Kurs auf das Versteck nahm. In einem entlegenen, öden Teil des Planeten war zwischen gewaltigen Dschungelpflanzen ein riesiges Raumschiff verborgen, das nun seine Passagiere aufnahm. Luftboote, über ihre Leitstrahlen mit unglaublicher Geschwindigkeit durch den dichten Nebel herbeigeflogen, gaben Signale, tauchten in den scheinbar undurchdringlichen Dschungel und brachten immer neue Passagiere, die in das große Raumfahrzeug strömten. Als der Augenblick des Starts heranrückte, nahm die Spannung an Bord zu, und es herrschte höchste Alarmbereitschaft. Die Luken wurden geschlossen, niemand durfte mehr nach draußen, und alles war zum Alarmstart bereit, sollte die geringste Gefahr auftreten. Endlich trafen ein Wissenschaftler und seine Familie ein, die auf der anderen Seite des Planeten gewohnt hatten – die letzten Mitglieder der Organisation. Siebenundzwanzig Minuten, nachdem Ravindau das Zeichen gegeben hatte, stieg der Bug des großen Raumschiffs in die Höhe und brachte die gewaltige Metallmasse in den erforderlichen Startwinkel. Dort verharrte das Schiff einen Augenblick lang und verschwand dann abrupt – und nur eine gewaltige Spur zerfetzter Vegetation, die durch das Vakuum des schnellen Starts aus dem Boden gerissen und kilometerweit in die Luft gezerrt worden war, zeugte
von dem Weg, den das fliegende Projektil genommen hatte. Stunde um Stunde raste das fenachronische Raumschiff mit einer gewaltigen und ständig zunehmenden Geschwindigkeit dahin – zwischen den immer weiter auseinanderrückenden Sternen hindurch. Doch erst als das letzte Gestirn zurückblieb, erst als vor dem Schiff kein einziger Lichtpunkt mehr lag und hinter ihm die Galaxis ihre bekannte ovale Form anzunehmen begann, erklärte sich Ravindau bereit, die Kontrollen zu verlassen und sich die wohlverdiente Ruhe zu gönnen. Die Tage und Wochen vergingen, und noch immer hielt das fenachronische Schiff die Beschleunigung bei, mit der es gestartet war. Ravindau und Fenimol saßen in der Kontrollkabine und starrten gedankenverloren auf die Visischirme. Sie brauchten gar nicht hinauszuschauen und nahmen eigentlich auch gar nichts wahr, denn es gab praktisch nichts zu sehen. Die Galaxis, in der unsere Erde ein winziges Staubkorn ist, die Galaxis, die die Astronomen früher für das Universum hielten, lag so weit hinter ihnen, daß sie trotz ihrer Größe zu einem matten, verwischten Lichtfleck geschrumpft war. Und andere Galaxien, die sich auf allen Seiten als Lichtflecke abzeichneten und auf der absoluten Schwärze der Leere kaum auszumachen waren – schienen ebenso weit entfernt zu sein. Die Galaxis, auf die sie zuhielten, lag noch so weit vor ihnen, daß sie ohne optische Hilfsmittel gar nicht zu sehen war. Viele tausend Lichtjahre weit herrschte die Leere – in allen Richtungen. Keine Sterne, keine interstellare Materie, nicht einmal der winzigste kosmische Staubpartikel – nur der absolut leere
Weltraum. Das absolute Vakuum, das absolute Nichts – ein Gedanke, der selbst für den höchstentwickelten menschlichen Geist im Grunde unvorstellbar ist. So skrupellos und abgehärtet die beiden Fenachroner von Natur aus waren, blieben sie doch nicht unbeeindruckt von der totalen Leere. Ravindau war ernst, Fenimol niedergeschlagen. Endlich ergriff der General das Wort. »Der Flug wäre erträglicher, wenn wir wüßten, was wirklich geschehen ist – wenn wir erfahren könnten, ob all dies wirklich nötig gewesen ist.« »Wir werden es erfahren, General. Ich bin davon überzeugt nach einer gewissen Zeit, wenn wir uns in unserer neuen Heimat eingerichtet haben und der Oberherr in seiner Wachsamkeit nachläßt, werden Sie in diesem oder einem ähnlichen Schiff in das Sonnensystem der Fenachroner zurückkehren. Ich weiß, was Sie finden werden, aber die Reise wird trotzdem stattfinden – und Sie werden selbst sehen, daß aus unserem früheren Heimatplaneten eine brodelnde Sonne geworden ist.« »Sind wir denn hier vor Verfolgung sicher?« fragte Fenimol. »Wir sind nie sicher, doch unsere Chancen wachsen mit jeder Minute. Fünfzig der intelligentesten Fenachroner unserer Welt arbeiten seit unserem Start an einem Problem, auf das ich durch gewisse Meßergebnisse gestoßen bin, die während der Rede des selbsternannten Oberherrn gemacht wurden. Ich kann dazu noch nichts Näheres sagen – nicht einmal Ihnen –, außer daß der Tag der Großen Eroberung vielleicht doch nicht so weit in der Zukunft liegt, wie wir angenommen hatten.«
KAPITEL 14 »Ich verlasse die Sitzung ungern – sehr interessant!« bemerkte Seaton und huschte zum Torpedoraum hinab, als Fenor den Entschluß gefaßt hatte, alle unterwegs befindlichen Schiffe zurückzurufen. »Diese Maschine erlaubt es mir leider nicht, an zwei Stellen zugleich zu sein – vielleicht kann man so etwas später noch einbauen.« Der fenachronische Funkoffizier berührte einen Hebel, woraufhin er samt seines Sessels und seiner Kontrollen auf eine scheinbar kahle Wand zuglitt. Darin öffnete sich eine Luke, und eine Metallrolle erschien, auf der die Kennziffern und letzten bekannten Positionen aller fenachronischen Schiffe außerhalb der Ortungszone verzeichnet waren. Ein gewaltiges Magazin mit Torpedos stieg aus dem Boden auf – dazu ein automatisches Ladegerät, das dem Funkoffizier einen Torpedo hinschob, sobald der vorherige abgeschossen worden war. »Schnell, Martin – wir müssen die Nummern mitbekommen, die auf der Rolle stehen! Wir werden die ganze Sache aufzeichnen; dann können wir uns in aller Ruhe damit befassen.« Er mußte schnell reagieren, denn der Funkoffizier arbeitete mit unheimlicher Geschwindigkeit. Ein kurzer Blick auf die Rolle, eine blitzschnelle Einstellung der Torpedokontrollen, ein Druck auf einen Knopf, und der Bote war unterwegs. Doch so schnell er auch war, Seatons Finger hielten mit ihm Schritt, und an jedem Torpedo, der durch das Rohr verschwand, wurde ein Spürstrahl fünfter Ordnung befestigt, der
sein Objekt erst verlassen würde, wenn seine Energie am Kontrollbrett des norlaminischen Projektors abgeschaltet wurde. Eine hektische Minute verging, in der siebzig Torpedos abgeschossen wurden. »Möchte nur wissen, wie viele Schiffe die Fenachroner haben«, sagte Seaton hastig. »Aus der Gehirnaufzeichnung war das nicht zu ersehen. Wie dem auch sei, Rovol, es ist vielleicht eine gute Idee, wenn du mir noch ein paar neue Spürstrahler installierst. Ich habe nur noch ein paar hundert, das könnten eventuell nicht genug sein.« Rovol setzte sich neben den jüngeren Mann. Seatons Finger bewegten sich hin und her und richteten die Kontrollen aus, bis er die richtige Kombination von Kräften auf den nächsten Torpedo gerichtet hatte. Dann drückte er einen kleinen Hebel, und an einer Konsole voller numerierter roter Plungerschalter senkte sich der nächste Schalter herab, übernahm die eingestellten Strahlen und gab die Kontrollen für die Manipulierung neuer Kräfte frei. Auch Rovols Finger huschten über die Tastatur, doch seine Kräfte beschafften und dirigierten Materialien. Der norlaminische Physiker etablierte einen Rundkontakt, trat auf ein Pedal, und ein neuer roter Plungerschalter wurde wie durch Zauberhand links von Seaton angebracht. Dann lehnte sich Orlon zurück – doch weitere rote Schalter erschienen, mit einem Tempo von siebzig in der Sekunde, und Seatons Kontrollen wurden automatisch entsprechend erweitert. Der jüngere Wissenschaftler war rot geworden bis hinter die Ohren, errichtete hastig ebenfalls eine Rundschaltung und lehnte sich zurück. »So ist's recht, mein Sohn. Sie dürfen nie vergessen,
daß es reine Energieverschwendung ist, dasselbe zweimal zu tun. Wenn man weiß, was geschehen soll, braucht man es nicht selbst zu tun. Kraftstrahlen sind schneller als menschliche Hände, und sie ermüden nicht und machen keine Fehler.« »Danke, Rovol – diese Lektionen werde ich wohl nicht so schnell vergessen.« »Sie sind es noch nicht gewöhnt, von Ihrem Wissen Gebrauch zu machen. Das kommt noch mit der Zeit, und in ein paar Wochen kennen Sie sich mit den Energien so gut aus wie ich.« Schließlich war der letzte Torpedo abgeschossen, und das Ausstoßrohr wurde geschlossen. Seaton steuerte die Projektion wieder ins Ratszimmer hinauf, das aber leer war. »Wie ich sehe, ist die Konferenz vorbei – außerdem haben wir Wichtigeres vor: Der Krieg ist erklärt, von beiden Seiten, und wir müssen uns an die Arbeit machen. Die Fenachroner haben neunhundertundsechs Schiffe unterwegs, und jedes einzelne muß ausgeschaltet werden, ehe wir wieder ruhig schlafen können. Wird eine hübsche Aufgabe sein, die neunhundertsechs Spürstrahlen zu entwirren, zu verfolgen, den Kurs zu extrapolieren und die Zielschiffe zu finden, ehe die Torpedos sie erreichen. Martin, du solltest dich mit Orlon gleich mal um die letzten bekannten Positionen dieser Schiffe kümmern, damit wir wissen, wo wir nach ihnen zu suchen haben. Rovol, Sie sollten einen Ortungsschirm ausschicken, der ein paar Lichtjahre durchmißt, um sicherzugehen, daß die Fenachroner uns nicht hereinlegen wollen. Wenn Sie den Schirm von hier ausgehen lassen und langsam erweitern, können Sie feststellen, ob sich ein
fenachronisches Schiff in unserem Detektorbereich befindet. Dann suchen wir uns auf Fenachrone einen Kupferbrocken, überziehen ihn mit ›X‹-Metall und blasen die Welt ins Nichts.« »Dürfte ich einen Vorschlag machen?« fragte Drasnik, der Führer der Psychologie. »Aber ja!« »Sie wissen natürlich, daß die Fenachroner ausgezeichnete Wissenschaftler haben – Sie haben das selbst eingeräumt. Nehmen wir an, daß ein Wissenschaftler unsere Kräfte fünfter Ordnung ausgemacht hat, während Sie unsere Erklärung übermittelten. Was würde der Mann tun?« »Keine Ahnung – was würde er tun?« »Er hätte verschiedene Möglichkeiten, aber wenn ich diese Wesen richtig verstehe, würde ein solcher Wissenschaftler etliche Männer und Frauen um sich scharen – so viele, wie er erreichen kann – und zu einem anderen Planeten auswandern. Denn er würde sofort begreifen, daß Sie Strahlen fünfter Ordnung als Trägerwellen benutzt haben, und würde daraus Ihre unvergleichliche Kampfstärke ableiten. Ihm würde auch bewußt sein, daß er in der kurzen Zeit diese unbekannten Kräfte nicht ergründen könnte – und aufgrund seiner rachedürstenden Natur und seines Rassenstolzes würde er danach streben, seine Art zu erhalten. Habe ich recht?« Seaton drehte sich zu seinen Kontrollen um und betätigte sie. »Ausgezeichnet, Drasnik. Hier – ich lege einen O rtungsschirm fünfter Ordnung um den Planeten, den die Fenachroner unmöglich neutralisieren können. Alles, was diesen Schirm durchstößt, bekommt automatisch
einen Spürstrahl angehängt. Aber seit unserer Kriegserklärung ist etwa eine halbe Stunde vergangen – ob wir schon zu spät dran sind? Vielleicht sind schon ein paar Burschen entkommen, und wenn uns nur einige Fenachroner entwischen, stehen wir in tausend Jahren vor demselben Problem wie heute. Sie kennen sich da aus, Drasnik. Was kann ich tun? Wir können ja keinen Ortungsschirm um die ganze Galaxis legen.« »Da Sie sich nun gegen einen weiteren Exodus abgesichert haben, würde ich meinen, daß es nicht erforderlich ist, den Planeten sofort zu vernichten. Rovol und seine Kollegen sind fast fertig mit dem anderen Projektor. Sie sollen mich nach Fenachrone projizieren, wo ich eine durchgreifende psychologische Untersuchung anstellen will. Wenn Sie mit der fenachronischen Raumflotte fertig sind, habe ich hoffentlich alles erfahren, was wir wissen müssen.« »Ausgezeichnet – machen Sie sich an die Arbeit. Hat sonst noch jemand eine Lücke entdeckt, die ich übersehen habe?« Es wurden keine weiteren Vorschläge gemacht, und die Männer gingen an die Arbeit. Mit Hilfe der galaktischen Sternkarte und der Abschußrolle des fenachronischen Funkoffiziers stellten Crane und Orlon hastig die ungefähren Positionen der fenachronischen Raumschiffe fest und markierten sie mit winzigen grünen Lichtpunkten in einem großen Modell der Galaxis, das sie von den Energiestrahlen im Fuß des Projektors hatten errichten lassen. Ihre Ermittlungen ergaben, daß einige Schiffe ganz in der Nähe ihres Heimatsystems standen – so dicht, daß die unglaublich hoch beschleunigten Torpedos sie in wenigen Stunden erreichen würden.
Seaton ließ sich die Schalternummer des Spürstrahls nennen, dessen Torpedo sein Ziel als erster erreichen mußte, und projizierte sich hinaus. Der Torpedo bewegte sich mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit und war für normale Augen nicht sichtbar; doch die Lichtwellen, die von den Strahlen fünfter Ordnung getragen wurden, übermittelten sein Bild, als stünde er reglos im All. Seaton berechnete den Kurs und projizierte sich an der extrapolierten Linie entlang, wobei er einen flachen Ortungsschirm ein halbes Lichtjahr in beide Richtungen auswarf. Der Schirm stoppte ihn automatisch, als er auf die Energieemission des fenachronischen Kriegsschiffs stieß. Ein Oszillator gab Alarm, und Seaton bewegte langsam die Kontrollen, bis er im Kontrollraum des feindlichen Schiffes stand. Das fenachronische Schiff war dreihundert Meter lang und gut dreißig Meter breit und raste auf einen hellen blauweißen Stern zu. Die Mannschaft war auf Gefechtsstationen, die Navigationsoffiziere starrten wie gebannt auf die Visischirme und ahnten nicht, daß ein Fremder zwischen ihnen stand. »Also, das wäre der erste. Mir gefällt nicht, was ich jetzt tun muß – aber die Drecksarbeit muß ja getan werden.« Als er diese Worte ausgesprochen hatte, verließen Orlon und die anderen Norlaminer den Projektor und schwebten zur Planetenoberfläche hinab. »Wie erwartet«, fuhr Seaton fort. »Sie ertragen nicht mal den Gedanken daran, ohne nervös zu werden – und das kann ich ihnen nicht verdenken. Wie steht es mit Ihnen, Carfon? Sie können auch gehen, wenn Sie wollen.«
»Ich möchte sehen, wie die Kräfte arbeiten. Ich habe keinen Spaß am Vernichten, aber ich kann mich wie Sie dazu überwinden, es zu ertragen.« Dunark, der wilde osnomische Prinz, sprang mit blitzenden Augen auf. »Das ist etwas, was ich bei dir noch nie begriffen habe, Dick!« rief er auf englisch. »Wie kann ein Mann mit deinen Geistesgaben so weich, so sentimental sein! Pah! Entweder sie oder wir! Sag mir, welchen Knopf ich drücken muß, dann tu ich's! Hör mit den Trauerreden auf und mach dich dran!« »Dunark, schon gut – wenn du willst, kannst du es tun! Wenn ich ›Los!‹ sage, drückst du diesen Schalter.« Seaton bewegte die Kontrollen, bis zwei Energieelektroden an beiden Seiten der gegnerischen Energieschiene befestigt waren; dann stellte er Rheostate und Kräfte ein, um einen destruktiven Kraftstrom durch den gewaltigen Kupferzylinder zu schicken, und gab das Signal. Dunark drückte heftig den Schalter, und ringsum explodierte das Universum, explodierte zu einem tobenden, wirbelnden, funkelnden grellen Chaos, als sich der gigantische Kupferzylinder übergangslos in die reine Energie verwandelte, aus der das Metall ursprünglich entstanden war. Seaton und Dunark taumelten zurück, von dem unerträglichen Lichtschein geblendet, und selbst Crane, der an seinem Modell der Galaxis arbeitete, kniff die Augen zusammen. Es dauerte Minuten, bis die beiden Männer wieder sehen konnten. »Mann! Das waren vielleicht Energien!« rief Seaton, als ihm schwache Umrisse anzeigten, daß er nicht nachhaltig geblendet worden war. »Wieder eine
sträfliche Nachlässigkeit. Ich hätte wissen müssen, daß auch bei überlagerten Sichtstrahlen genügend Energie zurückschlagen würde, um unsere Schirme zu füllen – die Schiene war hundert Tonnen schwer und hat genug Energie freigesetzt, um einen Planeten von hier bis zum Arkturus zu jagen. Wie geht es, Dunark? Kannst du schon wieder sehen?« »Es wird schon besser.« »Nächstesmal passen wir auf. Ich schalte sämtliche optischen Strahlen vor dem Blitz ab und konvertiere und rekonvertiere das Infrarot. So können wir die Ereignisse ohne direkte Einwirkung verfolgen. Wie ist die Nummer des nächsten, Martin?« »Neunundzwanzig.« Seaton richtete einen Detektorstrahl auf Spürstrahl Neunundzwanzig und folgte ihm zu dem Torpedo. Wie zuvor fand er das Schiff vor dem Torpedo und befestigte die Energieelektroden an der gewaltigen Antriebsschiene. Als Dunark den Sprengschalter betätigte, gab es wieder eine gewaltige Explosion und einen grellen Lichtblitz, aber diesmal wurden die Augen am Visischirm nicht belastet, obwohl das Geschehen deutlich zu erkennen war. Eben noch raste ein riesiger Raumkreuzer auf grausamer Eroberungsmission durch die Leere – im nächsten Augenblick erstreckte sich ein Feuerball von der Größe eines Zwergsterns viele tausend Kilometer weit in jede Richtung. Die Fackel erlosch so schnell, wie sie entstanden war – und dort, wo eben noch das fenachronische Raumschiff gewesen war, befand sich nichts – keine Platte, keine Strebe, kein einziges Bruchstück, kein Partikel, kein Metalltröpfchen – nichts. So allesumfassend, so immens waren die Kräfte, die durch
die Auflösung der Kupfermasse freigesetzt wurden, daß jedes Atom des Schiffes mit der Energieschiene verschwunden war – zu reiner Strahlung aufgelöst, die sich in ferner Zeit und an einem einsamen Ort mit anderen Strahlen verbinden würde, um neue Materie zu bilden und somit den unveränderlichen Zyklengesetzen der Natur zu folgen. Von der siegesgewissen Flotte der Fenachroner, die noch keine Niederlage erlitten hatte, wurde ein Schiff nach dem anderen vernichtet, und wenn wieder eine Gefahr beseitigt war, verlöschte ein weiteres grünes Licht im Modell der Galaxis. Nach wenigen Stunden war das All rings um das System der Fenachroner ohne Lichtsignale, doch nun kamen Seaton und Dunark langsamer voran, da es aufgrund der größeren Distanzen zwischen Torpedos und Zielschiffen immer schwieriger wurde, das Objekt zu finden. Immer wieder mußte Seaton mit ausgefahrenen Ortungsschirmen auf sorgfältig extrapolierten Torpedokursen vorstoßen – und stellte sehr oft fest, daß er die logisch mögliche Position des Schiffes längst passiert haben mußte. Daraufhin kehrte er zum Torpedo zurück, nahm eine winzige Kursänderung vor und suchte erneut. Und sehr oft stieß er wieder ins Leere. Nach dreißig ergebnislosen Versuchen, seinen Ortungsschirm mit dem nächststehenden fenachronischen Schiff in Kontakt zu bringen, gab er das Vorhaben auf, schob sich seine übelriechende Bruyèrepfeife zwischen die Zähne und ging im Fuß des Projektors auf und ab, wobei er sich mit blauen Rauchwolken einnebelte. »Der junge Meister denkt nach«, bemerkte Dorothy, die aus einem Luftboot in den Projektor umstieg.
»Ihr scheint hier alle blind zu sein und hört die Glokke nicht, was? Ich bin gekommen, um dich zum Essen zu holen!« »Braves Mädchen, Dottie – versäumst keine Mahlzeit.« Seaton schüttelte mit sichtlicher Anstrengung sein Problem ab. »Die Sache wird hart, Martin«, kehrte er zum Thema zurück, als sie im Flugboot saßen und ›nach Hause‹ flogen. »Ich erwische die Fenachroner mit zunehmender Azimutverschiebung bis auf eine Entfernung von dreißigtausend Lichtjahren, aber sobald die Distanz größer wird, ist es verdammt schwierig, die richtige Verschiebung zu treffen, und ab hunderttausend scheint das ganz unmöglich zu sein – da kann man nur noch raten. An den Kontrollen kann es nicht liegen, weil die bis fünfhunderttausend Lichtjahre auf den Punkt genau arbeiten können. Im Grunde haben wir nur eine verdammt kurze Kurslinie zur Verfügung, von der wir extrapolieren, aber die Verschiebung ist gut hundertmal so groß, wie der denkbar größte Fehlerwert aus der Peilung sein kann, und die Sache hat anscheinend keine wiederkehrenden Aspekte – jedenfalls soweit ich feststellen kann. Aber ... ich weiß nicht recht ... in der vierten Dimension ist das Weltall natürlich gekrümmt ... Ich frage mich nur, ob ... hmm.« Er brach ab, und Crane gab Dorothy, die etwas sagen wollte, ein Zeichen. Sie hielt den Mund, wobei sie sich zwar lächerlich vorkam, und die drei schwiegen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. »Na, hast du das Rätsel gelöst, Dickie?« »Ich glaube nicht – ich scheine tiefer im Dreck zu sitzen, als je zuvor«, erwiderte er und fuhr fort: »Der Raum ist in der vierten Dimension gekrümmt – und
Spürstrahlen fünfter Ordnung, die eine ungeheure Geschwindigkeit erreichen, folgen in dieser Dimension vielleicht nicht demselben Kurs wie das Licht – ja, das ist bestimmt so. Wenn man diesen Weg errechnen will, muß man fünf simultane Gleichungen fünften Grades lösen – dazu eine Exponentialserie mit der Unbekannten in der letzten Exponente; ehe das vierdimensionale Konzept abgeleitet werden kann ... hmm. Sinnlos – wir stehen hier vor einer Mauer, die nicht mal die norlaminische Theorie einreißen kann.« »Du überraschst mich«, sagte Crane. »Ich dachte, diese Burschen hätten alles gelöst.« »Nicht, wenn es um die fünfte Ordnung geht. Es sieht so aus, als müßten wir abwarten, bis jeder Torpedo in die Nähe seines Mutterschiffs gelangt. Unangenehme Sache – das dürfte verdammt lange dauern, da einige Schiffe auf der anderen Seite der Galaxis stehen. Ich werd's unseren Freunden beim Essen servieren – hoffentlich läßt man mich kurz von der Arbeit reden.« Den interessierten weißhaarigen Wissenschaftlern erklärte Seaton bei Tisch das Phänomen und stellte überrascht fest, daß sich Rovol begeistert gab. »Wunderbar, mein Junge!« rief er atemlos. »Herrlich! Ein großartiges Studienthema für die nächsten Jahre – und eine gute Überlegung! Perfekt!« »Aber was wollen wir unternehmen?« fragte Seaton. »Wir wollen doch nicht ein ganzes Jahr lang Däumchen drehen, bis die Torpedos am Ziel sind!« »Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten und zu studieren. Das Problem ist von einmaliger Schwierigkeit, wie Sie selbst erkannt haben. Für seine Lö-
sung brauchen wir vielleicht mehrere Menschenalter. Was bedeutet da ein Jahr mehr oder weniger? Sie können die Fenachroner letztlich ja doch vernichten – also geben Sie sich zufrieden.« »Aber ich bin nicht zufrieden!« erklärte Seaton nachdrücklich. »Ich will die Sache sofort erledigen!« »Vielleicht dürfte ich einen Vorschlag machen«, sagte Caslor schüchtern, und als Rovol und Seaton ihn überrascht ansahen, fuhr er fort: »Mißverstehen Sie mich nicht. Ich meine jetzt nicht die mathematischen Probleme, die hier besprochen werden und von denen ich keine Ahnung habe. Aber ist Ihnen aufgefallen, daß die Torpedos keine intelligenten Wesen sind, daß sie nicht aus eigenem Antrieb handeln und sich nicht selbst steuern? Nein, es sind Mechanismen, wie ich sie täglich baue, und ich möchte behaupten, daß sie durch Energiestrahlen gelenkt werden, die von ihren Zielschiffen ausgehen.« »Ja, das ist es! Ausgezeichnet!« rief Seaton und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Das habe ich völlig übersehen! Vielen Dank für den Einfall – das schafft mir eine Ausgangsbasis für meine nächsten Versuche – und da auch Rovol jetzt ein hübsches schwieriges Problem hat, sind wir ja wohl alle glücklich.« »Wie hilft uns das aber weiter?« fragte Crane. »Natürlich ist es nicht weiter überraschend, daß keine Energiestrahlen sichtbar waren, aber ich hatte angenommen, deine Detektorschirme hätten solche Lenkstrahlen sofort aufgespürt!« »Gewiß – in den normalen Wellenbereichen, wenn sie stark genug sind. Aber es sind doch Lenkstrahlen vorstellbar, die nicht unbedingt auf solche Schirme
reagieren müßten, wie ich sie benutzt habe. Mein Schirm war sehr dünn und schwach und war auf die große Geschwindigkeit und den sofortigen automatischen Stopp zugeschnitten, sobald er auf die gewaltigen Energien einer Antriebsschiene stieß. So ein Schirm hätte nicht auf die geringe Energie solcher Strahlen reagiert. Caslor hat auf jeden Fall recht. Die Fenachroner steuern ihre Torpedos mit Lenkstrahlen von minimaler Energie, und diese Strahlen werden in den Torpedos verstärkt – so würde ich dieses Problem lösen. Es mag eine Weile dauern, bis wir die Geräte beisammen haben, aber wir werden's schon schaffen, und dann erledigen wir die Burschen. Wir kommen also doch ohne die vierdimensionale Korrektur aus.« Als die Glocke den Beginn der nächsten Arbeitsperiode anzeigte, warteten Seaton und seine Helfer bereits im Versuchsgelände. »Wie willst du's anstellen, Dick?« fragte Crane. »Ich werde als erstes die Spitze eines fenachronischen Torpedos untersuchen und feststellen, wie diese Dinger arbeiten. Dann baue ich einen Lenkstrahldetektor, der die Frequenz auch bei hoher Geschwindigkeit hält. Wie interessant, daß weder Rovol noch ich auf eine so einfache Sache gekommen sind, daß die Torpedos gelenkt werden!« »So etwas ist leicht zu erklären. Ihr beide habt euch nicht nur völlig auf die Krümmung des Alls konzentriert, ihr wart zu dicht am Problem – wie der Mann, der vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.« »Möglich.« Seaton hatte sich in den Torpedo projiziert, dessen Kurs er gestern so oft vergeblich extrapoliert hatte. Eine Automatik hielt ihn in dem winzi-
gen Instrumentenabteil der Torpedos, der mit vieltausendfacher Lichtgeschwindigkeit dahinraste. Mit einem Blick machte er den Ortungsmechanismus ausfindig, eine Reihe Kurzwellenspulen und Verstärker, und erkannte bald das Prinzip des Geräts, das den Torpedo auf dem Lenkstrahl hielt. Anschließend baute er eine Ortungsstruktur aus reiner Energie, die er unmittelbar vor den Torpedo plazierte, und variierte die Frequenz, bis ihm ein Instrument auf seiner Konsole anzeigte, daß sein Detektor in vollkommener Übereinstimmung mit der Lenkstrahlfrequenz lag. Dann flog er dem Torpedo davon und folgte dem Lenkstrahl. »Läuft doch bestens, wie?« sagte Dunark. »Einigermaßen. Mein Richtungsweiser da draußen ist allerdings nicht besonders fix. Irgendwie sind die Kontrollen lax – wenn ich das Ding auf volle Geschwindigkeit bringen will, verliere ich den Strahl. Ich hoffe allerdings, daß ich das mit ein paar Experimenten bereinigen kann.« Er berührte leicht die Kontrollen und verschob eine Noniusscheibe, bis sie statt eines Maßstabs von einer Million zu eins zehn Millionen zu eins anzeigte. Dann erhöhte er seine Geschwindigkeit und stellte fest, daß der Detektor zwar bis zu einer gewissen Geschwindigkeit gut funktionierte, die weit über dem Maximaltempo der fenachronischen Schiffe oder Torpedos lag, daß er aber den Kontakt verlor, sobald er sich der vollen Geschwindigkeit näherte, die der Projektor fünfter Ordnung erreichen konnte. Nach vielen Tagen harter Arbeit – die zur Vernichtung vieler weiterer fenachronischer Schiffe führte –, gelangte er zu der Überzeugung, daß es im Grunde unmöglich war, ei-
ner Ätherwelle mit der gewünschten Geschwindigkeit nachzuspüren. »Ich glaube, das geht nicht, Martin«, sagte er zerknirscht. »Bis zu einem gewissen Punkt funktioniert alles bestens – doch darüber hinaus komme ich ins Schwimmen. Ich habe auch den Grund herausgefunden – und das könnte tatsächlich ein Beitrag zur Wissenschaft sein. Bei Geschwindigkeiten, die erheblich unter der des Lichts liegen, werden Lichtwellen um eine Winzigkeit verändert. Bei Lichtgeschwindigkeit und bis zu einer Geschwindigkeit, die nicht einmal von den fenachronischen Schiffen auf längeren Reisen erreicht wird, ist die Verzerrung noch nicht schlimm – so schnell wir auch in der Skylark fliegen wollen, ich kann euch garantieren, daß wir stets richtig sehen können. Das läßt sich auch aus der allgemein akzeptierten Vorstellung schließen, daß die offenkundige Geschwindigkeit jeder Äthervibration nicht abhängig ist von der Geschwindigkeit des Senders oder Empfängers. Doch diese Beziehung klappt nicht mehr bei Geschwindigkeiten, die weit unter der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Strahlen fünfter Ordnung liegen. Schon bei einem Bruchteil dieser Geschwindigkeit werden die Lenkstrahlen, denen ich folge, derart verzerrt, daß sie völlig verschwinden und ich sie entzerren muß. Das wäre nicht weiter schlimm, aber wenn ich etwa ein Prozent der gewünschten Geschwindigkeit erreiche, kann ich keine Kraft mehr berechnen, die mein Ziel in erkennbare Wellenformen entzerrt. Noch ein Problem, das Rovol in den nächsten hundert Jahren lösen kann.« »Dadurch wird natürlich unsere Arbeit behindert, die Galaxis von den Fenachronern zu säubern, aber
ich glaube nicht, daß wir beunruhigt sein müßten«, erwiderte Crane. »Du arbeitest jetzt sowieso schon viel schneller, als wenn du auf die Ankunft der Torpedos gewartet hättest. Und das ist doch sehr zufriedenstellend, würde ich sagen.« Er deutete auf das Modell der Galaxis, das schon zu drei Vierteln von den grünen Lichtern freigeräumt war. »Ja, kann man wohl sagen – wir müßten in etwa zehn Tagen fertig sein. Aber ich liebe keine ungelösten Probleme. Na ja, hören wir mit dem Gejammer auf.« Zu gegebener Zeit wurde auch das neunhundertundsechste fenachronische Raumschiff aus dem Modell genommen, und die beiden Terrestrier suchten Drasnik auf, den sie in seinem Arbeitszimmer antrafen. »Also, unsere erste Aufgabe ist erfüllt«, stellte Seaton fest. »Haben Sie etwas festgestellt?« »Meine Ermittlungen sind praktisch abgeschlossen«, erwiderte der Führer der Psychologie ernst. »Ich habe viele fenachronische Gehirne erforscht – ein bedrückendes und unvorstellbares Erlebnis. Aber Sie interessieren sich nicht für die Psychologie dieser Wesen, sondern für Tatsachen, die sich auf Ihr Problem beziehen. Es war zwar schwierig, solche Tatsachen aufzuspüren, doch ich bin auf einige Dinge gestoßen. Aus der Summe meiner Beobachtungen habe ich eine Theorie geschmiedet. Zuerst möchte ich Ihnen die bekannten Tatsachen aufzählen. Die fenachronischen Wissenschaftler können keinen Strahl lenken oder kontrollieren, der sich nicht durch den Äther fortpflanzt, doch sie vermögen eine Frequenz oder ein Frequenzband zu orten, das sie ›Infra-
strahlen‹ nennen und bei denen es sich wahrscheinlich um Strahlen fünfter Ordnung handelt, da sie in der ersten Ebene unterhalb des Äthers liegen. Der Detektor ist eine Art Lampe, die bei normalen Strahlen ein blaues Licht anzeigt und die sich rot verfärbt, sobald sie von stärkeren Vibrationen angesprochen wird.« »Ah – das verstehe ich. Rovols Urururgroßvater hatte solche Geräte, und ich weiß, wie sie funktionieren. Die Fenachroner sind also gewarnt. Obwohl wir von hier aus einen Bündelstrahl ins fenachronische System geschickt hatten, hat unser sekundärer Projektor bei den Fenachronern genug Strahlung abgegeben, um in weitem Umkreis jeden Detektor zu aktivieren.« »Eine weitere bedeutsame Tatsache liegt darin, daß zahlreiche Personen – man sprach von fünfhundert, aber es waren wahrscheinlich viel mehr – ohne Erklärung und spurlos verschwunden sind, anscheinend kurz nach unserer Warnung. Zu diesen Leuten gehört Fenor, der Herrscher. Seine Familie ist jedoch zurückgeblieben, und sein Sohn hat nicht nur seinen Platz eingenommen, sondern setzt die Politik seines Vaters aktiv fort. In den anderen Fällen gibt es seltsame Übereinstimmungen. Erstens gehörte jeder der Verschwundenen zur Partei des Aufschubs – einer Minderheitenpartei der Fenachroner, die der Meinung war, daß die Zeit für die Große Eroberung noch nicht reif sei. Zweitens bekleidete jeder der Betroffenen eine Spitzenposition in seinem Bereich – und es sind fast alle wichtigen Berufe vertreten – sogar die Armee, denn auch General Fenimol, der Oberbefehlshaber, und seine ganze Familie zählen zu den Abwesenden. Drittens – und das ist am auffälligsten –
sind immer nur ganze Familien verschwunden, bis hinab zu Kindern und Enkeln, gleichgültig welchen Alters. Eine andere Information besagt, daß in der fenachronischen Abteilung für Navigation alle Schiffe registriert waren, besonders Einheiten, die im freien Raum navigieren können. Jedes Schiff muß dort angemeldet sein, und die jeweilige Position ist mittels Spürstrahlen ständig bekannt. Es fehlt aber danach kein fenachronisches Schiff. Ich bin auch zahlreichen Gerüchten nachgegangen, von denen einige zum Thema gehören könnten. Viele Fenachroner glauben, daß die Verschwundenen von Fenors Geheimdienst liquidiert wurden und daß der Herrscher aus Rache ermordet wurde. Doch die Mehrzahl ist überzeugt, daß diese Fenachroner geflohen sind und sich irgendwo im Dschungel verstekken, da wegen der genauen Schiffskontrolle eine Reise ins All unmöglich ist. Außerdem hätten die Detektorschirme sofort Alarm geschlagen. Andere meinen, daß Männer, die so mächtig waren wie Fenimol und Ravindau, heimlich ein Schiff gebaut oder gestohlen haben – und daß Ravindau auf jeden Fall die Ortungsschirme hätte neutralisieren können, so daß sie keinen Alarm gaben.« »Das sind wirklich wertvolle Hinweise«, bemerkte Seaton. »Wir wissen allerdings, daß die Anhänger des Aufschubs genauso begierig sind, das Universum zu erobern wie die anderen, nur sind sie viel vorsichtiger und wollen kein Risiko eingehen. Aber Sie haben sich eine Theorie zurechtgelegt, nicht wahr?« »Aus der Analyse dieser Tatsachen und Vermutungen und unter Berücksichtigung gewisser rein psychologischer Aspekte, die wir jetzt nicht näher zu er-
örtern brauchen, schließe ich, daß diese Fenachroner ihr Sonnensystem verlassen haben. Wahrscheinlich in einem riesigen Raumschiff, das schon vor langer Zeit gebaut wurde und das für eben diesen Notfall bereitstand. Das Reiseziel kenne ich nicht, aber ich glaube, daß die Wesen diese Galaxis verlassen haben und wahrscheinlich auf einem geeigneten Planeten in einer anderen Galaxis von vorn anfangen wollen, von dem dann irgendwann die Eroberung des Universums wie ursprünglich geplant doch noch beginnen soll.« »Bei den großen Sonnen!« rief Seaton. »Das sollen sie nicht schaffen!« Er überlegte einen Augenblick lang und fuhr langsamer fort: »Aber vielleicht doch – so wie die gebaut sind! Sie haben völlig recht, Drasnik – jetzt geht die Jagd erst richtig los. Leben Sie wohl und vielen Dank.« Zum Projektor zurückgekehrt, wanderte Seaton in dem kleinen Kontrollraum auf und ab, während Crane seinen Freund ruhig musterte. »Ich hab's, Martin!« rief Seaton nach einiger Zeit, eilte an die Kontrollen und errichtete einige Rundkontakte. »Wenn die Fenachroner ihren Planeten in einem Raumschiff verlassen haben, können wir ihren Flug vom Start an verfolgen – und genau sehen, was sie getan haben!« »Wie denn? Sie sind doch fast einen Monat fort!« fragte Crane. »Die genaue Abflugzeit können wir schnell feststellen. Dann gehen wir einfach auf die Entfernung, die das Licht seit damals zurückgelegt hat, sammeln die verstreuten Strahlen wieder ein, verstärken sie millionenfach und sehen uns an, was da passiert ist.« »Aber wir haben doch keine Ahnung, an welchem
Punkt des Planeten wir suchen müssen und ob es Tag oder Nacht war!« »Wir fangen im Ratszimmer an und verfolgen die Ereignisse von dort. Ob Tag oder Nacht – das macht keinen Unterschied – wegen des Nebels müssen wir sowieso mit Infrarotstrahlen arbeiten. Martin, ich habe hier genug Energie zur Verfügung, um auf gleiche Weise den Bau der Pyramiden in Ägypten zu fotografieren – und das war vor vielen tausend Jahren!« »Himmel, was für Möglichkeiten!« sagte Crane atemlos. »Also, du könntest ja sogar ...« »Ja, ich könnte vieles«, unterbrach ihn Seaton, »aber im Augenblick haben wir andere Sorgen. Da – jetzt habe ich die Stadt, etwa zu der Zeit, als wir da waren. General Fenimol, der später verschwand, muß jetzt unten im Ratssaal sein. Ich werde unsere Projektion verzögern, so daß die Zeit scheinbar schneller abläuft, und wir sehen uns an, was wirklich passiert ist. Ich kann die Wellen überlagern, kombinieren und umstellen, als beobachteten wir die Szene – der Vorgang ist natürlich viel komplizierter, da ich der Szene folgen und sie verstärken muß, aber es klappt.« »Unglaublich, Dick! Stell dir vor, wir sehen etwas, das in der Vergangenheit passiert ist!« Die beiden Männer erblickten auf ihren Visischirmen den riesigen Zentralkegel der Hauptstadt Fenachrones. Dem Infrarotlicht setzte der Nebel keinen Widerstand entgegen, und die unbeschreibliche Pracht der konzentrisch angelegten Stadt war deutlich zu erkennen. Seaton und Crane drangen in den Ratssaal ein und sahen Fenor, Ravindau und Fenimol, die sich angeregt unterhielten. »Wo du schon mal so zauberst – kannst du nicht
gleich auch die Worte hörbar machen?« fragte Crane herausfordernd. »Hör mal, du alter Zweifler, das wäre vielleicht gar nicht mal unmöglich. Allerdings brauchten wir dazu zwei Projektoren – wegen des Geschwindigkeitsunterschieds zwischen Schallwellen und Lichtwellen. Auch Schallwellen setzen sich theoretisch endlos durch die Luft fort, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß so ein Detektor und Verstärker Geräusche wiedererstehen lassen könnte, wenn sie mehr als eine Stunde zurückliegen. Vielleicht aber doch – wir müssen das eines Tages mal ausprobieren. Du bist doch aber ein ziemlich guter Lippenleser. Paß gut auf und sieh zu, was du erwischen kannst.« Sie verfolgten die Szene. Sie sahen Fenor sterben. Sie sahen die Familie des Generals an Bord des Luftboots gehen, sahen den geordneten Abzug von Ravindaus Organisation. Schließlich verfolgten sie den Start des ersten gewaltigen intergalaktischen Raumkreuzers, und bei diesem Start trat Seaton in Aktion. Immer schneller führte er seinen Strahl fünfter Ordnung auf der Spur des Flüchtlings entlang, bis eine Geschwindigkeit erreicht war, bei der seine Ortungskonverter die Ätherwellen, denen sie folgten, nicht mehr halten konnten. Minutenlang starrte Seaton gebannt auf den Visischirm und berechnete Kurse und Kräfte, dann drehte er sich zu Crane um. »Also, Martin, alter Knabe – dies alles war einfacher, als ich gedacht habe – aber unsere Chancen, die letzten Fenachroner zu vernichten, sinken schnell.« »Ich lese von den Instrumenten ab, daß sie geradewegs in die Leere zwischen den Galaxien fliegen. Mit Höchstbeschleunigung, nicht wahr?«
»Es sieht so aus. Sie befinden sich längst draußen im absolut leeren All – und haben nicht die Absicht, ihren Antrieb umzukehren oder abzubremsen –, sie müssen seit dem Start mit Höchstbeschleunigung fliegen. Jedenfalls sind sie schon so weit draußen, daß ich nicht mal einen Detektor auf sie richten könnte, geschweige denn eine Kraft, die sich steuern ließe. Also los, mein Freund – an den Start!« »Jetzt beruhige dich aber – du wirst ja schon wieder hysterisch! Die Fenachroner erreichen als Maximalbeschleunigung die fünffache Lichtgeschwindigkeit pro Stundenquadrat. Wir auch, da wir den fenachronischen Antrieb übernommen haben. Wenn also unsere Beschleunigung genauso groß ist wie die ihre und sie einen Monat Vorsprung haben – wie lange dauert es wohl, bis wir sie eingeholt haben?« »Du hast wieder mal recht, Martin – ich bin zu voreilig!« sagte Seaton zerknirscht. »Die Fenachroner würden etwa eine Millionmal schneller fliegen als wir und würden ihren Vorsprung ständig vergrößern. Was schlägst du vor?« »Ich bin deiner Meinung, daß es an der Zeit ist, den Planeten Fenachrone zu vernichten. Was die Verfolgung des Schiffes durch den intergalaktischen Raum angeht – das ist dein Problem. Du mußt dir etwas ausdenken, womit sich unsere Beschleunigung steigern läßt. So wirksam dieses Antriebssystem auch ist, muß es sich doch mit Hilfe der Norlaminer irgendwie verbessern lassen! Selbst eine kleine Steigerung der Beschleunigung würde uns in die Lage versetzen, die Fenachroner irgendwann einmal einzuholen.« »Hmm.« Seaton hatte sich beruhigt. »Wie weit werden wir wohl fliegen müssen?«
»Bis wir nahe genug heran sind, um unseren Projektor zu benutzen – etwa auf eine halbe Million Lichtjahre.« »Aber sie müssen doch irgendwann abbremsen!« »Natürlich – aber das kann noch Jahre dauern. Sie sind auf hundert Jahre eingerichtet, vergiß das nicht, und fliegen zu einer ›fernen Galaxis‹. Ein Mann wie Ravindau hätte diese Bezeichnung nicht sinnlos verwendet, und die nächsten Galaxien sind uns nicht sehr nahe.« »Aber unsere Astronomen sind doch der Ansicht ... oder irren sie sich?« »Deren Schätzungen liegen ausnahmslos unter den richtigen Werten.« »Also gut, nehmen wir uns den Planeten vor – und dann an die Arbeit.« Seaton hatte bereits die Magazine ausgemacht, in denen die Energieschienen für die fenachronischen Kriegsschiffe aufbewahrt wurden, und es machte ihm keine Mühe, einen sekundären Energieprojektor in der fenachronischen Atmosphäre zu errichten. Kraftstrahlen stießen aus diesem Projektor hervor, packten einen der riesigen Zylinder aus verkleidetem Kupfer und transportierten ihn, den Befehlen Seatons folgend, eilig an einen der Pole des Planeten, wo Energieelektroden daran befestigt wurden. Auf ähnliche Weise wurden weitere siebzehn Bomben in gleichmäßigen Abständen auf der Oberfläche Fenachrones verteilt, so daß bei einer gleichzeitigen Explosion die nach unten gerichteten Kräfte auf jeden Fall genügend Widerstand fanden, um zur völligen Vernichtung des Planeten zu führen. Als alles bereit war, griff Seaton nach dem Plungerschalter. Mit bleichem Gesicht ließ er die Hand schließlich sinken.
»Es hat keinen Sinn, Martin – ich schaff's nicht! Das ist zuviel für mich. Und du bringst es auch nicht fertig. Ich rufe Hilfe.« »Habt ihr auf Infrarot geschaltet?« fragte Dunark ruhig, als er Seatons Ruf folgte. »Ich will alles mitbekommen.« »Ja, ist eingeschaltet – du kannst dich bedienen.« Als sich die Terrestrier abwandten, flackerte das gesamte Projektorinnere im Widerschein einer grellen Explosion auf den Schirmen. Mehrere Minuten lang starrte Dunark auf das Bild, und Befriedigung zeichnete sich auf seinem entschlossenen grünen Gesicht ab, während er die Katastrophe beobachtete, die er mit achtzehn gewaltigen Sprengladungen ausgelöst hatte. »Eine gelungene Säuberungsaktion, Dick«, berichtete der osnomische Prinz und kehrte dem Visischirm den Rücken zu. »Aus dem Planeten ist eine Sonne geworden.« »Es ging nicht anders«, sagte Seaton stockend. »Entweder sie oder der Rest des Universums. Aber das macht es nicht leichter. Also, wir sind mit diesem Projektor fertig. Der weitere Kampf liegt an uns und an der Skylark III. Wir wollen hinüberfliegen und sehen, ob sie fertig ist – heute sollte ja der Übergabetermin sein.« Es war eine stumme Gruppe, die in das kleine Flugboot stieg. Als sie die halbe Strecke zurückgelegt hatten, erwachte Seaton mit einem Schrei aus seiner düsteren Stimmung. »Ich hab's, Mart! Wir können aus der Skylark eine weitaus größere Beschleunigung herausholen als die Fenachroner – und brauchen dazu nicht mal die Hilfe der norlaminischen Intelligenz!«
»Wie denn?« »Indem wir ein ganz schweres Metall als Treibstoff verwenden. Die Intensität der freigesetzten Energie ist eine Funktion des Atomgewichts, der Atomzahl und der Dichte, doch die Tatsache der Freisetzung hängt von der atomaren Struktur ab – eine Tatsache, die wir beide schon vor langer Zeit erarbeitet haben. Aber unsere Überlegungen gingen damals nicht weit genug – wie denn auch? Wir hatten ja keine Ahnung. Kupfer ist zufällig das wirksamste der wenigen Metalle, die sich unter normaler Reizung auflösen lassen. Doch wenn wir besondere Reizstoffe nehmen, wenn wir alle Kraftordnungen aussenden, die nötig sind, um den Auflösungsprozeß in Gang zu bringen, können wir jedes gewünschte Metall verwenden, einschließlich Radium und Uran. Natürlich würden wir bei einer Energieschiene aus Radium nicht lange überleben, aber wir können und werden Uran nehmen, und das dürfte uns annähernd das Vierfache der Beschleunigung verschaffen, die mit Kupfer möglich ist. Dunark, wie wär's, wenn du mal schnell nach Hause fliegst und zwei Kubikkilometer Uran einschmilzt. Halt! – Ich schicke ein paar Kraftstrahlen los. Die arbeiten schneller. Die Uranschienen werden morgen zum Verladen bereit sein, und dann haben wir genug Energie, um die Fenachroner zu verfolgen, bis wir alt und grau sind.« Seaton kehrte zum Projektor zurück und aktivierte ein kompliziertes System von Energien, die für das Einschmelzen und den Transport der gewaltigen Metallmengen erforderlich waren, und als die drei Männer wieder an Bord des Flugboots gingen, flammte hinter ihnen die Energieschiene des Projek-
tors auf, als der Uranabbau auf dem fernen Osnome begann. Die Skylark lag wie zuvor im freien Gelände, doch sie hatte sich verändert. Die drei Kilometer lange Schiffshülle war nicht mehr wasserhell, sondern war ein einziges nahtloses Gebilde aus durchsichtig schimmerndem, purpurnem Inoson. Sie betraten das Schiff durch eine der offenen Luken, erreichten einen Fahrstuhl und wurden in den Kontrollraum getragen, in dem sich ein Dutzend norlaminischer Wissenschaftler um eine komplizierte Kontrollanlage scharte, bei der es sich um die Bedienung des Projektors fünfter Ordnung handeln mußte, den man Seaton versprochen hatte. »Ah, die jungen Leute – Sie kommen gerade richtig. Die Arbeit ist getan, und wir wollen eben mit dem Laden anfangen.« »Tut mir leid, Rovol, aber wir müssen noch ein paar Veränderungen vornehmen – wir müssen das Reizgerät umbauen oder ein anderes einsetzen.« Mit knappen Worten erläuterte er seine neuen Überlegungen. »Natürlich ist das eine ergiebigere Energiequelle«, sagte Rovol, »und ich beglückwünsche Sie, daß Sie auf den Gedanken gekommen sind. Wir hätten vermutlich nicht daran gedacht, da die Schwermetalle dieser Gruppe bei uns sehr selten sind. Es dürfte einfach sein, ein neues Reizgerät für Uran zu bauen, und die Konverter für die Überschußenergie können natürlich so bleiben, wie sie sind, da ihr Einsatz nur von der Frequenz der abgestrahlten Energien abhängt, nicht von der Menge.« »Haben Sie etwa schon geahnt, daß uns die
Fenachroner zu einem langen Flug zwingen würden?« fragte Dunark ernst. »An so etwas haben wir nicht gedacht«, antwortete der Anführer der fünf. »Mit zunehmendem Alter werden Sie es lernen, nicht auf Ärger und Sorgen zu warten. Hätten wir uns über diese Angelegenheit vorzeitig Gedanken gemacht, wäre das ein vergeblicher Schmerz gewesen, denn unser junger Freund hat ja diese Schwierigkeit schon denkbar elegant umschifft.« »Alles fertig, Rovol?« fragte Seaton, als die Kraftstrahlen das Reizgerät zusammengesetzt hatten, das die Auflösung der Uranatome möglich machen würde. »Das Metall wird morgen eintreffen – genug, um sämtlichen freien Laderaum in der Schiffshülle zu füllen. Jetzt möchten Crane und ich gern erfahren, wie dieser Projektor funktioniert, der mir weitaus komplizierter zu sein scheint als das Gerät auf dem Versuchsgelände.« »Dieser Projektor ist die kompletteste Installation, die es je auf Norlamin gegeben hat«, erwiderte Rovol lächelnd. »Jeder von uns hat alle möglichen Dinge beigesteuert, die Ihnen eines Tages vielleicht von Nutzen sind, und da unser kombiniertes Wissen einen großen Bereich abdeckt, ist der Projektor entsprechend umfassend geraten.« Kopfhauben wurden aufgesetzt, und aus den Gehirnen der Norlaminer empfingen die Terrestrier ein komplettes und detailliertes Wissen über jede mögliche Anwendung der gewaltigen Energiekontrollen, die sich in sinnverwirrender Fülle vor ihnen ausbreiteten.
»Also, das ist wirklich ein phantastischer Apparat!« rief Seaton, als die Unterweisung beendet war. »Fehlt nur noch, daß wir das Ding veranlassen können, ein Ei zu legen, und das schafft es vielleicht auch noch! Martin, wir sollten die Mädchen holen und im Schiff herumführen. Die Skylark wird eine Zeitlang ihr Zuhause sein.« Während sie warteten, wandte sich Dunark an Seaton und führte ihn zur Seite. »Dick, brauchst du mich auf dieser Reise?« fragte er. »Natürlich erkannte ich, daß du etwas mit mir vorhast, als du mich nicht zusammen mit Urvan, Carfon und den anderen abreisen ließest.« »Nein, wir fliegen allein – es sei denn, du willst mitkommen. Ich habe dich hierbehalten, um mal allein mit dir zu sprechen. Ergreifen wir doch gleich die Gelegenheit. Wir beide haben unsere Gehirnströme ausgetauscht, außerdem haben wir viel miteinander erlebt. Ich wollte mich bei dir entschuldigen, daß ich nicht alles an dich weitergeben konnte, was ich hier gelernt habe. Eigentlich wünschte ich sogar, ich müßte mich nicht mit all dem Zeug abplagen. Verstehst du das?« »Und ob ich dich verstehe! Ich will das Zeug ja auch nicht haben – wirklich nicht. Deshalb habe ich mich gar nicht danach gedrängelt, mehr zu lernen, und deshalb werde ich nach Hause fliegen, anstatt euch zu begleiten. Mein Köpfchen reicht gerade aus zu erkennen, daß weder ich noch ein anderer Angehöriger meiner Rasse für dieses Wissen reif ist. Wenn wir einmal erwachsen sind, werden wir vielleicht damit fertig, vorher aber nicht.« Die Geistesbrüder gaben sich die Hände, und
Dunark fuhr leise fort: »Es gibt alle möglichen Leute auf einer Welt, das weißt du – und alle möglichen Rassen im Universum, wobei Wesen wie die Fenachroner nicht dazugehören dürfen. Nachdem Mardonale nicht mehr existiert, wird die Evolution Osnomes große Fortschritte machen, und wenn wir vielleicht auch nicht das Höchste Ziel erreichen, so habe ich von dir doch genug gelernt, um unsere Entwicklung sehr zu beschleunigen.« »Ich wußte, daß du mich verstehen würdest – aber ich mußte das irgendwie loswerden. Da kommen die Mädchen – und Sitar. Wir wollen sie im Schiff herumführen.« Seatons erster Gedanke galt dem Gehirn der Skylark – der kostbaren Linse aus Neutronium in der dünnen Hülle des ewigen Juwels, ohne die keine Strahlen fünfter Ordnung errichtet werden konnten. Er fand die Linse fünfhundert Meter vom Bug entfernt im Zentrum des Schiffes – genau auf der Längsachse der Schiffshülle, von zahlreichen undurchdringlichen Inosonschotten geschützt. So riesig das Schiff auch war – Platz war nicht verschwendet worden. Die Skylark war so kompakt konstruiert wie eine gute Uhr. Die Wohnquartiere schlossen sich an den Mittelraum an, in dem sich die Energiestationen, die vielen Generatoren und Projektoren und die unzähligen Kontrolleinrichtungen befanden. Verschiedene große Räume enthielten die Maschinen, die das Schiff automatisch versorgten – Kühlaggregate, Heizungsanlagen, Generatoren und Reinigungsvorrichtungen für Wasser und Luft und die zahlreichen anderen Geräte, die aus dem Raumkreuzer ein gemütliches und sicheres Heim machten – zu-
gleich aber ein unbesiegbares Schlachtschiff, das durch die hitzelose, lichtlose, luftlose, materielose Öde des intergalaktischen Weltalls raste. Viele Räume dienten der Unterbringung der Nahrungsmittelvorräte, die noch von den Kraftstrahlen der Chemiefamilien an Bord gebracht wurden. Fast der gesamte übrige Laderaum diente der Unterbringung des Energieurans; einige Hallen waren bereits mit barrenförmigem Inoson für Reparaturen gefüllt. Zwischen den vielen Schotten, die das Schiff in luftdichte Sektionen unterteilten, und zwischen den vielen konzentrischen Wandungen aus purpurnem Metall, die die Skylark absicherten, ließ sich in jedem Winkel das kostbare Metall unterbringen, das die gierigen Generatoren füttern sollte. Die Räume waren durch ein System von Röhrengängen miteinander verbunden, durch die kraftgetriebene Wagen oder Fahrstühle glitten – Röhren, die sich im Fall einer Beschädigung an bestimmten Stellen luftdicht versiegeln konnten. Als sie in den großen Kontrollraum des Raumschiffs zurückkehrten, fiel ihnen etwas auf, das sie wegen der geringen Größe bisher übersehen hatten. Unter der Zentrale, ein Stück innerhalb der Außenhülle, befand sich in einem speziell gebauten kugelförmigen Startraum die Skylark II, komplett ausgerüstet und bereit für eine eigene interstellare Reise! »Hallo, alter Junge!« rief Margaret. »Rovol, das ist aber ein netter Einfall! Ohne die alte Skylark würden wir uns auch gar nicht heimisch fühlen, nicht wahr, Martin?« »Ein netter und auch ein praktischer Einfall«, erwiderte Crane. »Bestimmt müssen wir manchmal Orte
besuchen, die zu klein sind für die Masse des großen Schiffs.« »Ja, und wer hat schon mal ein seetüchtiges Schiff ohne Rettungsboot gesehen?« schaltete sich Dorothy ein. »Ist sie nicht niedlich, wie sie da hockt?«
KAPITEL 15 Bis zum Platzen mit eng gestapelten Uranschienen gefüllt und für jeden denkbaren Notfall gerüstet, den sich die besten Wissenschaftler Norlamins vorstellen konnten, lag die Skylark III reglos da. Sie rührte sich nicht, doch sie schien vor Energie förmlich zu vibrieren, und es kam Seaton so vor, als teile sie seinen Eifer, endlich zu starten. Die fünf Menschen standen vor einem offenen Luk ihres Raumschiffs; vor ihnen standen die alten Wissenschaftler, die so lange Zeit mit ihnen gearbeitet hatten in dem Versuch, die monströse Rasse zu vernichten, die ihre Galaxis bedrohte. Hinter den Wissenschaftlern warteten die vielen Freunde der Terrestrier aus dem Land der Jugend, und eine gewaltige Menschenmenge umringte die Skylark III. Viele waren aus dem Land der Jugend gekommen, viele auch aus dem Land des Alters, um dieses gewaltige Schiff des Friedens zu verabschieden. Fodan, der Anführer der Fünf, beendete seine Ansprache. »Und möge die unvorstellbare Kraft Ihre geringen Kräfte so lenken, daß Ihre Aufgabe erfolgreich beendet wird. Wenn es andererseits auf der Sphäre eingraviert stehen sollte, daß Sie bei diesem Unternehmen in die nächste Ebene weiterwandern, so dürfen Sie das in aller Ruhe geschehen lassen, denn das vereinte Streben unserer ganzen Rasse unterstützt mich in meinem feierlichen Schwur, daß es den Fenachronern nicht gestattet sein soll, die Herrschaft an sich zu reißen. Im Namen von ganz Norlamin wünsche ich Ihnen Lebewohl!«
Crane hielt ebenfalls eine kurze Rede, und die kleine Gruppe der irdischen Reisenden betrat den Fahrstuhl. Während sie auf den Kontrollraum zurasten, schloß sich hinter ihnen eine Tür nach der anderen, wodurch zwischen ihnen und der Außenwandung zahlreiche Sicherheitsschranken errichtet wurden. Seatons Hand berührte die Kontrollen, und der gewaltige Rumpf reckte sich langsam hoch, bis der spitze Bug fast in den Zenit zeigte. Zuerst sehr langsam, dann mit zunehmender Geschwindigkeit, schwebte die unvorstellbare Masse des Schiffs aufwärts. Immer schneller flog es, verließ die Atmosphäre und überschritt die Grenzen des Grünen Systems. Im interstellaren Raum errichtete Seaton schließlich den supergetriebenen Detektor und Abstoßschirm, verankerte sich mit einer Kraft an der Steuerkonsole; stellte die Energiekontrolle auf ›molekular‹, so daß die Antriebskräfte nun jedes Molekül am und im Schiff gleichermaßen erfaßten, und als dann jedes Empfinden von Schwerkraft und Beschleunigung verschwunden war, drückte er den Plungerschalter, der die volle Kraft der Uran-Antriebsmasse freisetzte. Er starrte intensiv auf den Visischirm und korrigierte von Zeit zu Zeit mit winzigen Bewegungen der entsprechenden Hebel den Kurs. Als er endlich zufrieden war, stellte er die automatische Steuerung ein, die sie um jedes Hindernis herumführen würde – wie um die Tausende von Sonnensystemen, die auf ihrem Kurs lagen. Schließlich löschte er die Kräfte, die seinen Körper festhielten, und hangelte sich zu Crane und den beiden Frauen hinüber. »Gut, Leute«, sagte er. »Wir sind unterwegs. Wir werden einige Zeit so herumschweben, also sollten
wir uns lieber schleunigst daran gewöhnen. Gibt's irgend etwas zu besprechen?« »Wie lange brauchen wir, um sie einzuholen?« fragte Dorothy. »Die Schwerelosigkeit ist nicht so angenehm.« »Schwer zu sagen, Dorothy. Wenn wir genau die vierfache Beschleunigung der Fenachroner hätten und vom selben Punkt aus gestartet wären, würden wir sie natürlich genau in der Zahl von Tagen einholen, die sie uns voraus waren. Doch gibt es da mehrere Faktoren, die das Bild sehr komplizieren. Wir sind nicht nur neunundzwanzig Tage nach den Fenachronern gestartet, sondern auch etwa fünfhunderttausend Lichtjahre von ihrem Planeten entfernt. Wir brauchen also eine Weile, um überhaupt ihren Startpunkt zu erreichen. Und selbst diese Schätzungen sind ungenau, da wir vermutlich unsere Beschleunigung noch zurücknehmen müssen, ehe wir die Galaxis verlassen, damit sich unsere Orter und Abstoßer auf Sterne und andere Hindernisse einstellen können. So leistungsstark und reaktionsschnell unsere Schirme auch sind, können wir doch hier in der engen Galaxis nicht mit jeder gewünschten Geschwindigkeit fliegen. Im freien All werden wir natürlich wieder voll aufdrehen. Außerdem ist unsere Beschleunigung nicht genau viermal so groß wie die der Fenachroner, sondern hat nur das Verhältnis drei Komma neuneins-acht-sechs. Andererseits müssen wir die Fenachroner gar nicht einholen, um ans Werk zu gehen. Wir können ganz gut über fünftausend Lichtjahrhunderte hinweg zupacken. Also bitte – ich würde sagen, zwischen neununddreißig und einundvierzig Tagen.«
»Woher weißt du, daß die Fenachroner Kupfer benutzen?« fragte Margaret. »Vielleicht haben sie auch Uran an Bord und wissen damit umzugehen.« »Nein. Da bin ich ganz sicher. Erstens haben Martin und ich nur Kupferschienen in dem Schiff gesehen. Zweitens ist Kupfer das leistungsstärkste Metall, das in ziemlich großen Mengen auf Fenachrone zu finden war. Und drittens – selbst wenn sie Uran an Bord hätten, könnten sie dieses Metall nur mit genauen Kenntnissen über die Strahlen vierter und fünfter Ordnung einsetzen.« »Du meinst also, die Vernichtung dieses fenachronischen Schiffes wird so leicht sein wie die der anderen?« fragte Crane. »Hmm. Von dem Gesichtspunkt aus habe ich das nie überdacht, Martin ... Du bist nach wie vor der große Denker hier an Bord. Also im Grunde müssen wir wohl damit rechnen, daß diese Burschen nicht ganz so wehrlos sind. Sie haben kluge Köpfe an Bord – und sie haben etwa siebzig Tage Zeit, sich einiges einfallen zu lassen. Zumindest ist es möglich, daß sie unsere Energiefelder analysiert und daraus auf den sekundären Projektor geschlossen haben, den wir damals im Thronsaal von Fenachrone benutzten. Und wenn das zutrifft, brauchen sie bestimmt nicht viel Zeit, um uns Schwierigkeiten zu machen – aber ich glaube nicht, daß sie genug wissen. Na ja, ich weiß es nicht genau, wir müssen abwarten. Jedenfalls bin ich sicher, daß wir sie erledigen können.« »Ich auch, aber wir müssen jede Möglichkeit bedenken. Wir wissen, daß die Fenachroner zumindest einen Detektor für Emissionen fünfter Ordnung hatten ...«
»Und wenn sie außerdem einen analytischen Detektor hatten«, unterbrach ihn Seaton, »werden sie uns wahrscheinlich eins auf die Nase geben, sobald wir die Galaxis verlassen!« Die nächsten Tage verliefen ohne Zwischenfälle, und wie Seaton vorhergesagt hatte, konnten sie die ungeheure Startbeschleunigung nicht beibehalten. Kurz bevor sie den Rand der Galaxis erreichten, mußten sie den Molekularantrieb abschalten und die Beschleunigung auf einen Wert reduzieren, der der Oberflächenschwerkraft der Erde entsprach. Die Reisenden, die der Schwerelosigkeit und ihrer Begleiterscheinungen überdrüssig waren, genossen die Zeit der Erholung sehr – doch schon traten die Sterne weiter auseinander. Kaum war der Weg vor der Skylark III frei, schaltete Seaton wieder auf die Höchstenergie seiner riesigen Schienen und stellte eine lange, komplizierte Berechnung an. Als er bereit war, die vermischten und ausgesteuerten Kräfte auf einen Plungerschalter zu übertragen, zögerte er und wandte sich an Crane. »Ich brauche mal deinen Rat, Martin. Ich hatte mir vorgestellt, drei oder vier Bahnen von Fünffachschirmen in die Kontrollen einzugeben – auf jeder Bahn außen ein Ortungsschirm, dann ein Abstoßer, dann ein voller Ätherschirm, dann eine Energiezone und dann ein kompletter Schirm fünfter Ordnung, um die Sache abzurunden. Das alles wollte ich in die Kontrollen eingeben, aber nicht aktivieren. Vielmehr sollte ein gewaltiger Ortungsschirm hinausgehen. Dieser Detektor soll bei der Berührung mit einer feindlichen Kraft die Kontrollen aktivieren, die automatisch die Bahnen auswerfen.«
»Scheint mir doch ein ausreichender Schutz zu sein – aber meine Strahlenkenntnisse sind nicht so gut, daß ich eine Meinung dazu äußern könnte. Was macht dir Sorgen?« »Die automatische Eingabe. Die Reaktion ist nämlich nicht absolut. Selbst Strahlen fünfter Ordnung brauchten eine Millionstelsekunde, um den Schirm auszulösen. Wenn die Fenachroner Ätherwellen benutzen, ist die Zeit mehr als ausreichend, um sie abzublocken, aber wenn sie doch zufällig Strahlen fünfter Ordnung einsetzen, kämen sie zusammen mit unserem Ortungsimpuls hier an, und das könnte uns einen ziemlich unangenehmen Stoß versetzen, ehe unsere Schirmabwehr steht. Ach, im Grunde bin ich jetzt übervorsichtig. Wir haben viel Uran, und ich werde eine Bahn hinausschicken.« »Alles kannst du wohl nicht draußen lassen?« »Nicht ganz, aber nahezu. Ich werde im Ätherschirm ein Loch lassen, um sichtbares Licht zu haben – nein! Wir können ja ebensogut sehen, indem wir Lichtwellen auf die Projektionsstrahlen fünfter Ordnung legen, also schließen wir alle Ätherfrequenzen. Dann brauchen wir nur noch eine sehr schmale Frequenzlücke offenzulassen, durch die unser Projektor arbeitet – und die werde ich mit einem Ortungsschirm schützen. Auch werde ich alle vier Bahnen ausschicken und nicht nur eine – dann wissen wir, daß wir richtig liegen.« »Wenn die Fenachroner aber diese Wellenlänge finden, obwohl das Band so schmal ist? Natürlich wären wir in Sicherheit, weil das Loch durch den Detektor geschlossen würde – aber würden wir dann nicht die Kontrolle verlieren?«
»Nicht unbedingt – wie ich sehe, hast du über das Lerngerät nicht alles mitbekommen. Der andere Projektor hat so funktioniert – auf einer festen Frequenz. Aber dieses Gerät ist ein Ultraprojektor, eine Weiterentwicklung. Der Trägerstrahl kann nach Belieben innerhalb der fünften Ordnung von einer Frequenz zur anderen verschoben werden – und ich wette, daß die Fenachroner das nicht können. So – ich mache mich ans Werk.« Ein leichter, schnellwirkender Detektorschirm wurde vier Bahnen des fünffachen Schirms vorausgeschickt, dann huschten Seatons Finger erneut über die Tasten und schufen einen Ortungsschirm, der so schwach war, daß er erst auf eine vollwirkende Kupferschiene ansprach, und der praktisch keinen Widerstand hatte, so daß er mit der vollen Geschwindigkeit des Ultraprojektors ausgefahren werden konnte. Während Crane eingehend die Instrumente studierte, drückte Seaton den Plungerschalter, der diesen komplizierten Schirmfächer mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit ausschickte, die viele Millionen mal über der des Lichts lag. Fünf Minuten lang starrten die Männer auf das untätige Instrument – fünf Minuten, in denen dieser gewaltige Schirm so weit ausgeschickt wurde, wie die Energie der Uranschiene reichte. Schließlich zuckte Seaton die Achseln. »Hab ich's doch geahnt«, sagte er grinsend. »Die Fenachroner haben nicht auf uns gewartet. Keine Reaktion. Dabei ist der Schirm so weit vorangetrieben worden, daß Entfernungen gar keine Bedeutung mehr haben, selbst wenn man sie in Parseks ausdrückt. Na, es wird eben eine lange Jagd.« Alle acht Stunden schickte Seaton seinen umfas-
senden Ultradetektor aus, doch Tag um Tag verging, und die Instrumente blieben bei jeder Aktivierung des Riesennetzes still und stumm. Seit Tagen schrumpfte die Galaxis hinter ihnen – aus einer bildschirmfüllenden Sternmasse war bereits eine ziemlich schmale Ellipse geworden. Als der Detektor zum letztenmal ausgeworfen wurde, war sie noch deutlich sichtbar gewesen. Als Dorothy und Seaton, die allein im Kontrollraum waren wieder einmal auf den Visischirm starrten, fuhren sie entsetzt zusammen – ihre Heimatgalaxis unterschied sich durch nichts mehr von zahlreichen anderen matten Lichtflecken. »Das ist ja schrecklich, Dick! Ich habe Angst!« Sie drückte sich an ihn. »Schon gut, Dottie. Die Kräfte, die wir hier entfesselt haben, sind tatsächlich unbegreiflich – doch eins ist bei allem sehr beruhigend: Wir sind beisammen.« »Sonst könnte ich das auch nicht aushalten. Es wäre verdammt einsam hier draußen, ohne Sterne, die man sich besehen kann«, fuhr sie fort und lachte leise. »Außerdem haben wir ja die Cranes und Shiro!« »Und vergiß die Fenachroner nicht. Ich will noch einmal in die Runde schauen, ehe wir zu Bett gehen; beim letztenmal war ja noch nichts zu finden.« Wieder warf er sein schwaches Energienetz aus. Als es seine größte Ausdehnung erreichte, bewegte sich die Nadel des Mikroanzeigers. »Hurra!« rief Seaton. »Martin, wir haben sie!« »Sind sie nahe?« fragte Crane, der in den Kontrollraum eilte. »O nein. Wir haben sie kaum berührt – aber die Reaktion zeigt, daß unsere Überlegungen richtig waren.«
Am nächsten Tag bedeckten die beiden Mathematiker zahlreiche Bögen mit Berechnungen und Kurven. Nachdem sie die Zahlen mehrfach überprüft hatten, schaltete Seaton den Molekularantrieb aus und gab eine Beschleunigung von neun Komma einssieben-sechs Metern in der Sekunde vor, und die fünf Menschen atmeten erleichtert auf, als eine fast normale Schwerkraft im Schiff Einzug hielt. »Warum verzögern wir den Flug?« fragte Dorothy. »Die Fenachroner sind doch noch schrecklich weit entfernt! Warum beeilen wir uns nicht?« »Weil wir schon unendlich mal schneller fliegen als die Fenachroner. Wenn wir die volle Beschleunigung beibehielten, würden wir so schnell an ihnen vorbeirasen, daß wir nicht mit ihnen kämpfen könnten. So fliegen wir, wenn wir sie erreichen, noch immer erheblich schneller als sie, aber der Unterschied ist nicht mehr so groß, daß wir notfalls nicht mit ihnen manövrieren könnten. Am besten peilen wir sie noch mal an.« »Ich glaube nicht, daß das ratsam wäre«, sagte Crane nachdenklich. »Immerhin wäre es möglich, daß sie ihre Instrumente verbessert haben und die minimale Berührung durch unseren Schirm noch nicht gemerkt haben. Warum wollen wir sie unnötig aufscheuchen?« »Sie passen wahrscheinlich sowieso auf – aber du hast natürlich recht. Und um ganz sicherzugehen, schalte ich die Schirme fünfter Ordnung ab – und errichte einen fixen Detektorschirm, der aufpassen soll. Wir kommen jetzt langsam in Reichweite eines leichten kupfergetriebenen Strahls, aber etwas Schweres können sie uns noch nicht ins Haus schicken – und
wenn sie meinen, wir wären zu leichtsinnig, um so besser!« »Na bitte«, fuhr er einige Minuten später fort. »Alles eingestellt; wenn sie einen Detektor auf uns richten, gibt's hier einen Heidenspektakel. Natürlich sind wir wieder mal übervorsichtig, und ich setze mein gutes Hemd, daß wir keinen Ton hören, bis wir in Reichweite sind. Außerdem ...« Der Rest seiner Worte ging in einem gewaltigen Rasseln unter. Seaton schaltete hastig den Lärm ab, musterte kritisch seine Instrumente und wandte sich grinsend an Crane. »Das Hemd hast du schon gewonnen. Ich geb's dir nächsten Mittwoch, wenn mein anderes aus der Wäscherei kommt. Ein Detektor fünfter Ordnung – Peilung auf Wellenlänge 40 750.« »Willst du ihnen nicht einen Spürstrahl anhängen?« fragte Dorothy überrascht. »Nein – wozu? Ich kann ihren Strahl so gut auswerten wie meinen eigenen. Vielleicht wissen sie das auch – wenn nicht, wollen wir sie in dem Glauben lassen, daß wir uns arglos nähern. Der Impuls ist viel zu schwach, um dicke Brocken zu tragen, und wenn sie ihn verstärken, stehe ich mit der Axt bereit, ihn zu unterbrechen.« »Du scheinst dich ja über diese Entwicklung zu freuen«, sagte Margaret unbehaglich. »Aber sicher. Ich kämpfe ungern gegen einen wehrlosen Gegner, auch wenn es sich um Fenachroner handelt. Wenn es zur Schlacht kommt, werde ich die Burschen allerdings rücksichtslos vernichten.« »Aber wenn sie sich nun zu gut wehren?« »Das geht gar nicht – schlimmstenfalls könnte uns
passieren, daß wir sie nicht vernichten können. Uns können sie auf keinen Fall erledigen, da wir schon mal viel schneller sind als sie. Schaffen wir es allein nicht, kehren wir nach Norlamin zurück und holen Verstärkung.« »Ich weiß nicht recht«, sagte Crane langsam. »Vermutlich besteht doch die theoretische Möglichkeit, daß es Strahlen sechster Ordnung gibt. Müßte uns nicht eine Erweiterung der Ortungsmethoden fünfter Ordnung darauf bringen?« »Sechster Ordnung? Bei allen Strahlengeistern! Von denen hat keiner eine Ahnung. Aber da ich heute schon eine Überraschung weghabe, will ich gern zugeben, daß deine Bemerkung vielleicht gar nicht so verrückt ist. Wir haben noch drei oder vier Tage Zeit, bis wir oder die Fenachroner handgreiflich werden können, und da will ich mal sehen, was sich machen läßt.« In den nächsten drei Tagen beschäftigte er sich intensiv mit dem neuen Problem und zeigte Martin schließlich einen winzigen Empfänger, an dem eine kleine rote Lampe blitzte. »Es gibt tatsächlich solche Strahlen, Martin, und ich kann sie orten.« »Schicken die Fenachroner diese Strahlen aus?« »Nein, zum Glück nicht. Die georteten Impulse stammen von unserer Energieschiene. Seht ihr, der Detektor leuchtet blau, solange ich ihn vor der Schiene abschirme, und bleibt blau, wenn ich ihn auf den fenachronischen Detektorstrahl richte.« »Kannst du diese Strahlen lenken?« »O nein. Hier muß wahrscheinlich viele hundert Jahre lang geforscht werden – es sei denn, jemand
würde hier in der Nähe ein ziemlich komplexes Muster dieser Strahlen benutzen, so daß ich sie analysieren könnte. In diesem Punkt ist das Problem ein bißchen wie die Differentialrechnung. Es dauerte viele tausend Jahre, ehe man darauf kam, doch sobald man sie von jemandem gezeigt bekommt, der Bescheid weiß, ist die Sache ganz einfach.« »Die Fenachroner haben aber verdammt schnell gelernt, mit Strahlen fünfter Ordnung umzugehen – vermutlich durch eine Analyse unseres Projektors fünfter Ordnung.« »Ja, durch eine Analyse unseres sekundären Projektors. Sie müssen auch einen Neutroniumvorrat gehabt haben – eigentlich kein Wunder, denn sie kennen die Atomenergie seit langem.« Stumm setzte sich Seaton an die Konsole und gab in der nächsten Stunde ein kompliziertes Muster von Kräften in die unerschöpflichen Kontrollen des Ultraprojektors ein. Schließlich berührte er einen Plungerschalter. »Was machst du da?« fragte Crane. »Ich habe ein Weilchen mitdenken können, aber dann hast du mich schnell verloren.« »Nur ein paar Sicherheitsmaßnahmen. Falls uns die Fenachroner tatsächlich Impulse sechster Ordnung schicken, wird meine Vorrichtung hier die Strahlen analysieren, die Analyse aufzeichnen, einen Schirm gegen jede registrierte Frequenz errichten, den Molekularantrieb einschalten und uns mit voller Beschleunigung in Richtung Galaxis fliegen lassen, während die Frequenz unserer Trägerwelle tausendmal in der Sekunde gewechselt wird, um zu verhindern, daß uns die Fenachroner ein dickes Ei durch unser offenes
Band schicken. Und das alles in einer Millionstelsekunde ... Hmm ... Jetzt haben die Burschen ihren Strahl abgeschaltet – sie wissen also, daß wir ihn angezapft haben. Gut, der Krieg ist erklärt. Wir werden sehen, was passiert.« Er legte die kombinierten Kräfte auf einen Plungerschalter und ließ einen sekundären Projektor mit Höchstgeschwindigkeit auf das fenachronische Schiff zurasen, dicht hinter einem breit gefächerten Ortungsnetz. Er fand das gegnerische Schiff, aber die Entfernung war noch so groß, daß er die Projektion nicht in der Nähe des Ziels halten konnte. Sie zuckte darüber hinaus und hindurch und nach allen Seiten davon, aber trotz der Empfindlichkeit der Kontrollen konnte er den Projektor nicht auf die gewaltige Schiffshülle ausrichten, geschweige denn auf ein so relativ kleines Objekt wie die Energieschiene. Als Seaton und Crane wiederholt durch das Kriegsschiff rasten, gewannen sie einen bruchstückhaften Eindruck von der immensen Bewaffnung und den vielen hundert Mannschaftsmitgliedern, die auf Kampfpositionen waren und die Kontrollen ihrer gefährlichen Vernichtungsmaschinen bewachten. Plötzlich schloß sich ein Schirm über ihnen, und sie wurden abgeschnitten – die Erdenmenschen machten einen Augenblick blinden Entsetzens durch, als sie den Eindruck hatten, eine Hälfte ihrer seltsamen Doppelpersönlichkeit urplötzlich verloren zu haben. Seaton lachte. »Ein komisches Gefühl, was?« »Mir gefällt das alles nicht, Dick.« Cranes Gesicht war sehr ernst. »Die Fenachroner haben viele hundert Männer, und wir sind nur zu zweit. Eigentlich bist du
allein, denn an den Kontrollen kann ich dir nicht helfen.« »Um so besser, Martin! Unsere Steueranlage macht den Unterschied mehr als wett. Die Fenachroner sind natürlich gut gerüstet, aber sie haben keine solchen Kontrollen. Der Kapitän drüben muß Befehle geben, während ich hier alles unter den Fingern habe. Die Chancen stehen nicht so ungleich, wie die drüben glauben!« Als sich die beiden Schiffe auf Kampfentfernung genähert hatten, feuerte Seaton seine größtmögliche Konzentration direkter Kräfte ab, unter deren Ansturm drei Bahnen der fenachronischen Verteidigungsschirme ins Ultraviolette flammten und schwarz wurden. Aber dann wurde der massive direkte Angriff gebremst – zu welchem Preis, wußte der Feind allein –, und die Fenachroner konterten sofort und auf eine völlig unerwartete Methode. Durch die schmale Lücke im Schirm fünfter Ordnung, die Seaton benutzte, drang ein Strahl – genau synchronisiert, daß er in der Tausendstelsekunde, in der diese Wellenlänge offen war, die anderen Schirme nicht zum Aufglühen brachte –, ein Strahl, der den spitzen Bug der Skylark traf und das harte Metall grellweiß aufkochen und in flammenden Gaswolken davonfliegen ließ. Durch vier Inosonschichten brannten sich die fürchterlichen Energien, ehe der automatisch reagierende Detektor den Schlitz schloß und die unüberwindlichen Verteidigungsschirme, von ihren Uranschienen gespeist, blockierend aufflammten. Die Barriere hielt, und die Fenachroner schalteten ihren Strahl ab. »Mann! Die beißen ja wirklich ganz hübsch zu!«
rief Seaton bewundernd. »Da haben wir einen beachtlichen Schlag einstecken müssen! Wir nehmen uns Zeit zur Reparatur. Auch vermindere ich die Lücke auf ein Kilohertz, wenn ich eine Möglichkeit finde, auf diesem schmalen Wellenband zu arbeiten, und steigere den Frequenzwechsel auf hunderttausend. Nur gut, daß dieses Schiff so viele Wandungen hat! Martin, kümmere dich bitte um die Ausbesserung!« Dann fiel Seatons Blick auf die Frauen, die mit bleichen Gesichtern bebend auf einem Stuhl saßen. »Was ist los? Kopf hoch, ihr beiden! Ihr habt ja noch gar nichts erlebt! Das waren nur ein paar erste kleine Knuffe, wie zwei Boxer, die sich in der ersten Runde abtasten.« »Knuffe?« gab Dorothy zurück und blickte Seaton in die Augen; die völlig ruhig waren. »Aber unser Schiff ist getroffen und beschädigt! Das Loch ist so groß wie ein Haus!« »Ja, aber uns geht es gut. Die Schramme läßt sich leicht ausbügeln, und wir haben nur ein paar Tonnen Inoson und Uran verloren – davon haben wir genug. Ich weiß nicht, was ich drüben angerichtet habe – und die Fenachroner wissen nicht, welche Schäden wir haben –, aber ich verwette auch noch mein anderes Hemd, daß sie tüchtig durchgeschüttelt worden sind!« Als die Reparaturen beendet und die neuen Einstellungen in den Projektor eingegeben worden waren, aktivierte Seaton die schnell wechselnde Frequenz fünfter Ordnung und warf einen Blick auf das gegnerische Schiff. Er stellte fest, daß die fenachronischen Schirme noch standen, und begann einen um-
fassenden Angriff mit vier Energieschienen, während er die gesamte Kraft der restlichen Generatoren auf eine Frequenz konzentrierte, diese durch das ganze Spektrum laufen ließ und so beim Gegner eine Lücke suchte, durch die er seinen vernichtenden Energiestrahl zum Tragen bringen konnte. Obwohl die Energien des Fenachroner zum großen Teil gebunden waren, weil er den ununterbrochenen Angriff der Skylark abwehren mußte, blieb er doch auch ständig in der Offensive, und trotz der geringen Größe des offenen Wellenbandes und der Schnelligkeit, mit der die Lükke von Frequenz zu Frequenz sprang, kam genügend Energie durch, um die ultraaktivierten Verteidigungsschirme bis weit ins Violette strahlen zu lassen – und da sich das Kühlsystem gegenüber den konzentrierten Strahlen als nutzlos erwies, wurden immer neue Inosonlagen von den äußeren beiden Wandungen der Skylark abgerissen. Seaton beobachtete grimmig seine Instrumente und warf einen kurzen Blick zu Crane hinüber, der in aller Ruhe an seiner Konsole zahlreiche Kräfte lenkte und die Schäden reparierte, so schnell sie entstanden. »Die Fenachroner schicken uns immer mehr herüber, und die Strahlen werden laufend heißer – das bedeutet, daß sie ständig neue Projektoren dazubauen. Bei dem Spiel können wir mitmischen! Die Fenachroner treiben Raubbau mit ihren Energiereserven; aber wir sind größer und haben mehr Metall an Bord – und unser Metall ist ergiebiger. Es gibt wohl nur einen Ausweg – was meinst du, wenn wir genügend neue Generatoren einsetzen, um sie mit Gewalt niederzuknüppeln?« »Warum setzt du nicht eine deiner schrecklichen
Kupfergranaten ein? Oder sind wir noch zu weit weg?« Dorothys leise Stimme war deutlich zu hören, so lautlos spielte sich die entsetzliche Schlacht ab. »Weg! Wir sind noch gut zweihunderttausend Lichtjahre voneinander entfernt! Dies dürfte das größte Schlachtfeld aller Zeiten sein! Und was das Kupfer angeht, selbst wenn wir's ins Ziel bringen könnten, wäre das doch nur ein kleiner Knall im Vergleich zu den Kräften, die wir hier auf beiden Seiten einsetzen!« Er schuf eine Reihe von Ringkontakten – und in einem Lagerraum, der von den schnell schwindenden Uranvorräten geräumt worden war, entstanden zahlreiche neue Riesengeneratoren, die sich mit ihrer gewaltigen Leistung in den gigantischen Energiestrom einschalteten, der bereits zum Gegner floß. Während diese Angriffe in ihrer Stärke laufend zunahmen, ließ die Offensive der Fenachroner nach und hörte schließlich völlig auf, da die gesamte Energie auf die Verteidigung konzentriert werden mußte. Und immer weiter steigerten sich die Energien, die die Skylark abstrahlte, und nachdem die Gegenwehr erlahmt war, öffnete Seaton den Spalt weiter und beendete den Frequenzwechsel, um seine fürchterliche Waffe noch wirksamer zu machen. Mit angespanntem Gesicht trieb er seine unwiderstehlichen Kräfte ins Ziel. Seine Finger huschten über die Tasten; er lauerte in dem sekundären Projektor in der Nähe des verlorenen Schiffes der Fenachroner und lenkte seinen Angriff mit meisterlicher Hand. Als sich die Leistung seiner Generatoren weiter steigerte, legte Seaton eine Hohlkugel aus flammender Energie um die bereits wild sprühenden Verteidigungsschirme der
Fenachroner. Schichtweise wurden die schweren Schirme überladen, wurden von zusätzlichen Kupferladungen durchlöchert, deren Metall sich in der Größenordnung von Tonnen in der Sekunde auflöste. Als sich auch die mächtige Kugel weiter zusammenzog, vermochte selbst die letzte Anstrengung der Verteidiger nicht mehr zu verhindern, daß Bug und Heck ihres Raumschiffs dem gewaltigen Kraftfeld ungeschützt ausgesetzt waren, in dem sich keine denkbare Substanz länger als nur Sekundenbruchteile halten konnte. Abrupt hörte jeder Widerstand auf, und die titanischen Kräfte, die nach innen gerichtet waren, stürzten auf einen Punkt zusammen. In diesem Moment des Zusammenbruchs explodierte die gewaltige Masse des Energiekupfers in dem fenachronischen Schiff, das bei der Berührung dieser unvorstellbaren Energie bis auf das letzte Atom zu reiner Energie zerrissen wurde. In dem fürchterlichen Augenblick, ehe Seaton seine Angriffsstrahlen abschalten konnte, hatte er den Eindruck, als müsse von der Konzentration dieser unwägbaren Energien das ganze Metall ausgelöscht werden, als würde es überschwemmt von der unglaublichen Helligkeit des Millionen Kilometer durchmessenden Strahlenfeldes, in dem die letzten Angehörigen der monströsen Fenachroner gegen die Kräfte des Universalen Friedens gekämpft hatten.