Gruselspannung pur!
Parallelwelt der Vampire
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es wehte ein eiskalter Wind vo...
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Gruselspannung pur!
Parallelwelt der Vampire
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es wehte ein eiskalter Wind von der Nordsee her. Der Vollmond war hinter Wolken verschwunden. Die unaufhörlich niederprasselnden Regentropfen stachen in die Haut wie Nadeln. Mareike Boersma beschleunigte ihre Schritte. Die Plateau-Absätze der jungen Blondine schlugen einen regelmäßigen Takt auf dem Straßenpflaster neben der Gracht. Eigentlich liebte Mareike ihr Heimatstädtchen Franeker. Es war einer der schönsten Orte im holländischen Teil Frieslands. Doch an diesem Januarabend kamen ihr die Straßen feindlich und abstoßend vor. Es ging etwas Fremdes von ihnen aus. Etwas, das Mareike Angst machte. Die alten Ulmen waren jetzt mitten im Winter kahl und ohne Blätter. Ihre Äste schienen nach ihr greifen zu wollen wie Fangarme eines dämonischen Tintenfischs. Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
Du spinnst ja, sagte die Achtzehnjährige zu sich selbst. Du siehst zu viele
Horrorfilme an!
Und um sich selbst zu beruhigen, pfiff sie die neueste Melodie der »Spies Girls« vor sich hin. Für einige Minuten war nichts zu hören als dieser Popsong und das Klackern ihrer hochhackigen Stiefel. Doch dann drang noch ein anderes Geräusch an die Ohren der Blondine. Ein Röcheln! Mareike Boersma kämpfte mit sich. Sollte sie sich umdrehen? Oder einfach weglaufen? Es waren noch zehn Minuten zu Fuß bis zu ihrem Elternhaus. Was tun, wenn jemand sie verfolgte? Sie faßte sich ein Herz und drehte sich so schnell um, daß ihre langen, blonden Haare flogen. »Mensch, Keno!« rief sie dem jungen Mann zu, als sei eine Last von ihr gefallen. »Findest du es toll, mich so zu erschrecken?« Der Angesprochene grinste nur, denn gleich würde er die Achtzehnjährige aussaugen! * Der Junge war Mareike offenbar schon eine Zeitlang gefolgt. Sie hatte seine Schritte nicht gehört, weil er zu seiner College-Jacke und den Jeans Basketballschuhe trug. Erst als ihn nur noch wenige Schritte von ihr trennten, war sie durch sein Keuchen auf ihn aufmerksam geworden. »Hast du Grippe?« fragte das Mädchen die Gestalt, die sie für ihren Schulkameraden hielt. »Du röchelst ja entsetzlich.« Das Wesen in der College-Jacke grinste nur. Mareike hörte nicht seinen Atem, sondern den scharfen Seewind, der sich in dem aufgerissenen Maul fing. Mareike Boersmas nächtlicher Begleiter konnte überhaupt nicht atmen, denn er war untot. Eine Existenz zwischen Leben und ewiger Verdammnis. »Gehst du nach Hause, Mareike?« wollte der junge Mann wissen. Das Mädchen sah ihn an. War das wirklich Keno Hajunga, den sie seit ihren Kindergartentagen kannte? Er sah genauso aus. Und doch auch wieder nicht. Abgesehen von dem Röcheln hätte sie nicht sagen können, was ihr an ihm auffiel. Seine Haut war bleich, okay. Aber mitten im holländischen Winter waren die wenigsten Menschen sonnengebräunt. Da mußte man schon einen Skiurlaub in den Bergen machen. Und das war nichts für Keno. Als echter Friese liebte er das Meer. Das wußte Mareike, die genau wie er in Franeker geboren worden war. Ob das hier wirklich Keno ist? fragte sie sich. Aber gleichzeitig schalt sie sich auch eine dumme Gans. Wer soll das denn sonst sein? Ungefragt lief der Unheimliche in der College-Jacke neben dem Mädchen
her. »Ja, ich will nach Hause, Keno«, sagte die Blonde mit fester Stimme. »Und zwar allein, bitte! Ich brauche keine Begleitung.« »Arme Mareike«, erwiderte Keno Hajunga mit einer fast schon verträumten Stimme. Die trotzdem das Blut in den Adern des Mädchens gefrieren ließ. »Du wirst nie zu Hause ankommen.« Während er sprach, gingen sie unter einer der alten schmiedeeisernen Straßenlaternen hindurch. Und da sah Mareike, was mit dem jungen Mann nicht stimmte. Sein Körper warf keinen Schatten. Im Gegensatz zu ihrem. Mareikes Mund öffnete sich zu einem gellenden Schrei. Aber Keno Hajunga mußte ihre Absicht geahnt haben. Wie ein Schraubstock schloß sich seine mächtige rechte Faust um ihren schlanken Hals. Dann hob er sie hoch. Sie war in seinen Händen so leicht wie eine Puppe. Nun drang das Röcheln zwischen den Lippen der Blondine hervor. Verzweifelt schlug sie mit Armen und Beinen um sich. Doch es nützte nichts. Der Junge in der College-Jacke drückte ihren Körper gegen das Eisengeländer der Gracht. »Wir sind jetzt hier, kleine Mareike!« schrie der Unheimliche sie an, während er ihren Kopf an den Haaren nach hinten riß. »Und wir werden nicht wieder verschwinden!« Das völlig verängstigte Mädchen kam nicht mehr dazu, über den Sinn seiner Worte nachzudenken. Ihre Augen waren nach oben gerichtet. In den friesischen Nachthimmel. Sie spürte immer noch den Nieselregen auf ihrer Haut. Dann ließ ein fürchterlicher Doppelschmerz an ihrer Kehle einen Ruck durch ihren gepeinigten Körper laufen. Es waren zwei messerscharfe Vampirzähne, die in ihr Fleisch geschlagen wurden. Ein nervenzerfetzendes Schlürfen erklang. Das Mädchen erschlaffte bereits nach wenigen Augenblicken. Dann fühlte sie überhaupt nichts mehr. Die Augen des Vampirs wanderten hin und her. Er hielt nur noch eine leere Hülle in den Armen. Der Leichnam von Mareike Boersma war noch bleicher als der Vampir selbst. Die nächtliche Zilverstraat war ausgestorben. Niemand schien etwas von der satanischen Tat bemerkt zu haben. Oder doch? Und wenn schon, dachte Keno Hajunga. Ihr werdet noch viel mehr von
uns hören!
Er warf die tote junge Frau über das Geländer auf die gefrorene Gracht und kehrte mit festen Schritten dorthin zurück, wo er hergekommen war.
* Der Mond war rot. Rot wie Blut. Und er schien mindestens doppelt so groß zu sein wie normal. Ich stand an einem Geländer und blickte hinunter in eine Art Kanal. Mir drehte sich der Magen um. Dort, zehn Schritte unter mir, gurgelte kein Wasser. Dem Gestank nach konnte es nur Blut sein. Die träge Flüssigkeit wälzte sich an den modrigen Umfassungsmauern entlang und führte Exkremente und wimmelnde Maden mit sich. Meine Hände krampften sich um die Balustrade. Das Metall war verrostet. Es schien seit Jahrhunderten nicht mehr gestrichen worden zu sein. Dann wandte ich mich von dieser ekelerregenden Kloake ab und drehte ihr den Rücken zu. Was ich auf der anderen Seite sah, war auch nicht besser. Im Gegenteil. Von dem Blutkanal ging wenigstens keine direkte Bedrohung aus. Aber diese Häuserzeile mit den toten, ausgebrannten Fenstern war alles andere als unbewohnt. Aus ihr kroch Lebendiges. Menschen konnten das unmöglich sein. Eher eine Art Höllenwesen. Ich sah ihre Fangzähne. Sie waren groß und blitzend und weiß. Das einzig Helle weit und breit, abgesehen von meiner Haut und meinem Haar. Denn ansonsten bestand diese düstere Stadt-Landschaft aus dunklen und tiefroten Farben. Schwarze Bäume ohne Blätter ragten in den roten Himmel, der nur wenige Töne dunkler war als der Mond. Doch was ich in dem trüben Zwielicht erkennen konnte, reichte mir schon. Die Kreaturen in den Ruinen mußten mich gewittert haben. Viele von ihnen konnten nicht sehen. Jedenfalls hatten sie keine Augen. Aber sie hielten ihre widerwärtigen Schnauzen in den nach Moder stinkenden Wind und schienen zu spüren, wo ich gerade war. Versuchsweise ging ich einige Schritte nach rechts. Es nützte nichts. Sie schwenkten sofort herum und folgten mir. Versuchten mich einzukreisen. Konnte ich weglaufen? Unmöglich. Hinter mir war das Geländer, darunter der Blutfluß. Rechts und links gab es zwar kleine Brücken, die über den Kanal führten. Aber auch von dort kamen düstere Gestalten, die bestimmt nichts Gutes im Schild führten. Was ihre Absieht war, ließ sich leicht erraten. Ich, Mark Hellmann, sollte vernichtet werden! Ich wollte jedoch noch nicht abtreten, zumindest mein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Aber das würde nicht leicht werden. Denn mein Einsatzkoffer war nirgends zu sehen. Ich wußte nicht, was mit ihm geschehen war. Und mein Ring? Mein Siegelring fehlte an meiner Hand! Ich erschrak. Das Kleinod aus massivem Silber zeigt mir nicht nur dämonische Aktivitäten an, ich kann mit seiner Hilfe auch Zeitreisen
unternehmen. Außerdem verwandelt er normale Gegenstände zeitweilig in weißmagische Waffen. Eine unentbehrliche Stütze im Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Denn er ist der Grund, warum man mich den »Kämpfer des Rings« nennt. Und nun war er verschwunden! Es würde also auch ohne ihn gehen müssen. Ich biß die Zähne zusammen. Meine Muskeln spannten sich an. Während des Studiums war ich eine Sportskanone, wurde u.a. Zehnkampfmeister. Auch später habe ich nie aufgehört zu trainieren. Ich war also durchtrainiert. Die Blutkreaturen kamen immer näher. Ihre Zähne waren gefletscht. Einige zitterten vor Gier. Sie würden mich in Stücke reißen. Waren sie einmal Menschen gewesen? Falls ja, dann mußte es schon lange her sein. Und sie mußten entsetzliche Dinge getan haben, die sie zu diesen Höllenwesen hatten werden lassen. Ich ballte die Fäuste. Trotz meiner Kampfsportkenntnisse würde ich mich mit bloßen Händen gegen die Übermacht dieser Monstren nicht lange zur Wehr setzen können. Da kam mir plötzlich eine Idee. Was war mit den Eisenstangen der Balustrade? Sie schienen ziemlich marode in den Verankerungen zu hängen. Etwas Zeit blieb mir noch, bis diese unaussprechlichen Geschöpfe bei mir waren. Ich drehte mich um und packte mit beiden Händen eine der Stangen. Ein kräftiger Ruck. Ich spürte, wie sich das Metall schon bewegte. Hinter meinem Rücken kamen die Wesen immer näher auf mich zu. Zum Glück waren sie nicht allzu schnell. Ich spannte meine Muskeln an und versuchte es noch einmal. Mit einem Aufschrei riß ich das verrostete Rohr aus den Verstrebungen! Es war schwer. Das war gut. Mit beiden Händen packte ich es und stellte mich zum Kampf. Ich wollte nicht warten, bis sie alle an mich herangekommen waren. Statt dessen versuchte ich einen Ausfall, um aus ihrem Kreis zu entkommen. Ich stürzte mich auf ein Biest, das besonders gemein aussah. Es streckte mir seine langen, dünnen Arme entgegen, die in Krallen endeten. Mit dem linken Bein täuschte ich einen Angriff vor. Als es herumschwenkte, kam ich auf der anderen Seite mit dem Metallrohr durch. Ich ließ es auf den Schädel der Kreatur niedersausen. Und noch einmal. Meine Schläge hätten einen Ochsen fällen können. Doch hier zeigten sie keine Wirkung. Schade, aber eigentlich nicht verwunderlich. Denn dieses Monstrum mit den scharfen Fangzähnen war offensichtlich von dämonischem Leben erfüllt. Wie war ich nur hierher geraten? Diese Gedanken brachten mich nicht weiter. Ich wollte wieder
zuschlagen. Plötzlich schoß die rechte Klaue meines Gegners vor. Er hieb eine tiefe Wunde in meinen Oberschenkel. Im Handumdrehen färbte das Blut mein Hosenbein. Die Luft vibrierte von dem Triumphgeheul der höllischen Rotte. Der Geruch und Anblick meiner Lebensflüssigkeit schien sie erst richtig angestachelt zu haben. Ich stieß mein Metallrohr in eins der blutunterlaufenen Augen der Kreatur. Und sprang über sie hinweg! Doch es nützte nichts. Schon rückten andere nach. Manche der Wesen hatten noch eine fast menschliche Gestalt. Jedenfalls von den Proportionen her. Doch an ihrem Verhalten war nichts Menschliches. Krallen hackten sich in meinen Rücken. Ich brachte automatisch einen Ellenbogenstoß an, wie ich es bei meinem Kung-Fu-Training gelernt hatte. Kreischend ließ das Biest von mir ab. Da baute sich schon ein neuer Vampir vor mir auf. Bei flüchtiger Betrachtung hätte man ihn für ein sexy Girl halten können. Lange, blonde Haare, eine Figur wie Claudia Schiffer und blaue Augen. Doch ihre Augäpfel waren blutunterlaufen. Und als sie ihren Mund aufriß, präsentierte sie mir zwei ekelerregend spitze Fangzähne. »Schnapp ihn dir, Mareike!« brüllte jemand hinter mir. Zustimmendes Geglucker der anderen Widerlinge quittierte den Zuruf. Ich hatte keine Wahl. Mit beiden Händen riß ich das Metallrohr hoch und ließ es auf den Kopf der Blonden niedersausen. Sie schwankte, wich aber nicht zur Seite. Ich biß die Zähne zusammen. Viele Versuche würde ich nicht mehr haben. Bevor ich mich freikämpfen konnte, sprang ein anderes Biest auf meinen Rücken. Ich sah es nicht. Ich roch es nur. Und es war widerlich. Seine Krallen gruben sich tief in meine Brustmuskeln. Ich ließ das Metallrohr fallen, als ich den Gegner abzustreifen versuchte. Doch alle Kraft nützte mir nichts. Ich brach unter seinem Gewicht in die Knie. Nun gab es kein Halten mehr für die Meute. Sie stürzten sich auf mich, hieben ihre Krallen in mein Fleisch. Doch es war die blonde Mareike, die sich schließlich zu mir runterbeugte und ihre Vampirzähne in meine Halsschlagader versenkte. Bevor alle Kraft aus meinem Körper entweichen konnte, legte ich meine letzte Energie in einen verzweifelten Schrei. * »Mark! Liebster!«. Plötzlich war der Blutkanal verschwunden. Auch die schwarzen Häuser. Ganz zu schweigen von den Kreaturen, die mich in Stücke reißen wollten.
Von der blonden Vampirin Mareike fehlte ebenfalls jede Spur. Und die Flüssigkeit, mit der mein Körper bedeckt war, war kein Blut. Sondern mein eigener Schweiß. Ich saß aufrecht im Bett. Mir war nicht sofort klar, daß es mein eigenes Bett war. In meiner Dachgeschoßwohnung in der Florian-Geyer-Straße in Weimar. Es war stockdunkel. Nur die Digitalanzeige des Radioweckers war zu erkennen. Drei Uhr neunundzwanzig nachts. »Die Vampire…« krächzte ich. »Mark! Liebster!« Da war wieder diese sanfte Frauenstimme zu hören. Sie hatte mich schon wieder halbwegs in die Realität zurückgebracht. Dieser Traum war unglaublich intensiv gewesen. Selbst für meine Verhältnisse. Denn Alpträume scheinen ein Teil meines Schicksals zu sein. Allerdings kann ich mich im Normalfall nie daran erinnern, was in ihnen geschehen ist. Deshalb fragte ich mich, ob der Kampf gegen die Blutkreaturen wirklich eine Illusion meines Unterbewußtseins gewesen war. Oder nicht vielmehr etwas anderes. Eine Botschaft, zum Beispiel. Die Lampe auf dem Nachttisch wurde angeknipst. Nun war ich wieder völlig in der Wirklichkeit angelangt. Ich sah den schlanken, nackten Körper meiner Freundin Tessa Hayden im sanften Schein des Lichts. Sie war es, die mich zweimal angesprochen hatte, seit dieser verfluchte Nachtmahr vorbei war. »Du hast schlecht geträumt«, stellte sie fest. Mit diesen Worten strich sie beruhigend mit ihrer schmalen Rechten über meine Brust. Ich sah, wie sie das sternförmige Muttermal in der Herzgegend berührte. Es ist vollkommen schmerzunempfindlich. Woher es kommt, ist eines der Geheimnisse meiner Vergangenheit. Eines der vielen Geheimnisse. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch mein zerzaustes Haar. »Ein Traum, vielleicht. Vielleicht aber auch eine Vision, Tessa. Es war alles so - so realistisch. Ich rieche noch jetzt den Gestank von diesem Blutkanal.« »Blutkanal?« Meine Freundin zog angeekelt die Nase kraus. Als Polizistin bekam sie die düstersten Schattenseiten unserer Gesellschaft zu sehen. Doch das war nichts im Vergleich zu den Schrecken, in die sie durch mich verwickelt wurde. Die Mächte des Bösen hatten natürlich schon längst erkannt, welche Gefühle Tessa und ich füreinander empfanden. Deshalb versuchten Mephisto und seine Helfershelfer immer wieder, die junge Frau in ihr unheilvolles Tun zu verstricken. Um dadurch an mich, den Erzfeind der Dämonen, heranzukommen. Bisher waren diese Versuche immer gescheitert. Wenn auch oft in letzter Minute. Ich nickte. »Ja, ein Blutkanal. Sah fast so aus, wie ich mir eine holländische Gracht vorstelle. Nur Käseräder waren nirgends zu sehen.
Dafür um so mehr Vampire.« Tessa konnte über meinen Witz nicht lachen. Stattdessen ließ sie sich seufzend auf den Rücken fallen und gähnte herzhaft. Anfangs hatte sie nicht glauben wollen, daß es so etwas wie übernatürliche Kräfte überhaupt gibt. Aber nachdem sie einige meiner Abenteuer hautnah miterlebt hatte, wußte sie es besser. Nun hatte sie sich schon damit abgefunden, daß ständig das Unerklärliche und Bedrohliche in unser Leben eindrang. Doch das Stichwort Holland trug in dieser Nacht nicht dazu bei, ihre Laune zu heben. »Weißt du, wie spät es ist, Mark?« »Klar. Als achtundzwanzigjähriger Junge kann ich selbstverständlich schon die Uhr lesen. Inzwischen zeigt sie drei Uhr vierunddreißig an.« »Und ich bin hellwach.« Die Polizistin verdrehte genervt ihre braunen Augen. »Ich konnte schon nicht einschlafen, bevor du deine Vampirträume hattest. Und in drei Stunden klingelt der Wecker, und ich muß nach Holland. Ohne dich.« Sie zog einen ganz entzückenden Schmollmund. Ich zuckte mit den Achseln. »Du hast eben einen anspruchsvollen Job, Tessa. Da ist ständige Fortbildung gefragt. Und dieser Polizeiaustausch in Sachen Drogenkriminalität klingt doch ganz spannend.« »Ja, sicher. Vorträge über Anti-Rauschgift-Taktik anhören. Womöglich noch auf holländisch.« Ich versuchte, ihre Stimmung zu heben. »Also erstens können die meisten Holländer Deutsch. Die Kollegen werden schon dafür sorgen, daß ihr alles mitbekommt. Und zweitens soll die holländische Nordseeküste sehr schön sein.« »Mitten im Januar? Da dürfte das Windsurfen schon mal flachfallen. Klar, Holland ist wahrscheinlich schön. Windmühlen, Grachten und Fahrräder. Aber darum geht es nicht, Mark. Ich will jetzt einfach nicht allein für eine Woche wegfahren, verstehst du? Ja, wenn ich verheiratet wäre…« Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu. Das Gespräch nahm eine Wendung, die mir nicht gefiel. Seit wir zusammen sind, wünscht sich Tessa eine festere Bindung. Am liebsten eine ganz romantische Hochzeit. Aber ich spüre in meinem tiefsten Inneren, daß ich dafür noch nicht reif bin. Ich weiß bis heute nicht, woher ich komme. Die ersten zehn Jahre nach meiner Geburt fehlen in meinem Gedächtnis komplett. Als ich 1980 als Kind nach der Walpurgisnacht in Weimar aufgegriffen wurde, konnte ich mich weder an meinen Namen noch an weitere Einzelheiten erinnern. Schock, totaler Gedächtnisverlust. Ich trug nur den Siegelring mit den Buchstaben M und N an einem Lederband um meinen Hals. Andere Hinweise auf meine Herkunft gab es nicht. Das Ehepaar Lydia und Ulrich Hellmann adoptierte mich. Sie gaben mir nach diesen Initialen die Vornamen Markus Nikolaus.
Und seit einiger Zeit schwebe ich in ständiger Lebensgefahr, weil ich meine Berufung entdeckt habe. Gegen das Böse zu kämpfen. Wie kann ich unter diesen Umständen daran denken, eine Familie zu gründen? Doch wenn ich ehrlich bin, gibt es auch noch einen anderen Grund. So ganz sicher bin ich mir nicht, daß Tessa die richtige Frau für mich ist, denn mir gefallen auch andere. Irgendeine Schwäche hat eben jeder. Jetzt versuchte ich, das brisante Thema abzubiegen. »Aber das stimmt doch gar nicht, Tessa. An dem Lehrgang nehmen auch verheiratete Kollegen teil. Unser gemeinsamer Freund Pit Langenbach fährt auch mit. Das hat er mir noch gestern erzählt.« Aber meine Freundin blieb hartnäckig. »Du willst mich nicht verstehen!« Natürlich hatte ich kapiert, worum es ging. Ich bin ja schließlich ein cleverer Bursche. Nicht nur, weil ich studiert habe. Die wirklich wichtigen Dinge habe ich sowieso im Leben gelernt und nicht auf der Uni. Deshalb war mir jetzt klar, daß Tessa den Lehrgang in Holland nur als Vorwand benutzte. Um wieder die von ihr erträumte Hochzeit zwischen uns ansprechen zu können. »Ich verstehe dich nicht, weil du zu leise sprichst«, behauptete ich. »Ich muß näher kommen.« Mit diesen Worten schob ich meinen nackten Körper sanft über ihren. Mein Ohr befand sich nur noch einen Zentimeter von ihren Lippen entfernt. »Sag noch einmal, was du sagen wolltest, Tessa.« Sie grinste, biß mich sanft ins Ohr und gurrte. »Ich hab dich immer noch nicht verstanden.« Sie tat es noch einmal. »Ich fürchte, ich muß zum Ohrenarzt. Wie war das?« »Du Schuft, Mark Hellmann!« Ich war nicht untätig geblieben und hatte meine Hände über ihre weiche Haut wandern lassen. Unter meinen Fingerkuppen konnte ich spüren, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten. Sie drückte ihren Kopf mit der kecken, braunen Kurzhaarfrisur gegen die Matratze. Ihr Blick verschleierte sich. »Komm schon!« ächzte die Polizistin mit rauher Stimme. »Komm schon, Liebster!« Ich senkte meine Lippen und gab ihr einen langen, leidenschaftlichen Kuß. Er ging mir selber durch und durch. Tessa schlang ihre Arme um meinen Nacken. Der aufkommende Streit wurde durch unsere Liebkosungen in Luft aufgelöst. Ich spürte ihre schlanken Schenkel, die mich an den Lenden berührten. Bald hatten wir einen Rhythmus gefunden, der uns beiden gut gefiel. Sie bog ihr Kreuz durch, warf sich mir entgegen. Ein langanhaltendes Stöhnen des Wohlbehagens entrang sich ihrer Kehle. Ich spannte meine Muskeln an, konzentrierte mich ganz auf meine
Bewegungen. Tessa schloß die Augen und warf ihren Kopf verzückt hin und her. Meine Herzschläge schienen so laut zu sein wie die Gongs in einem asiatischen Tempel. Das Blut rauschte durch meine Ohren. Ich bemerkte, wie ich unwillkürlich immer schneller wurde. Mit einem Schrei aus unseren beiden Mündern verschmolzen wir miteinander. In diesem Moment klingelte das Telefon. Mist! * Mephisto lachte. Er ritt auf einem Blitzstrahl durch die Zeit, die Welten und die Dimensionen. Und was er dort sah, gefiel ihm gut. Menschen, die sich aus Bosheit und Habgier gegenseitig töteten. Mephistos gnadenlose Augen blitzten auf. Dies waren seine Kinder, die er bei ihrem Tod zu sich holen würde in seine höllischen Gefilde. Für immer. Krieger mit Federbüschen auf den Helmen trieben ihre Speere in die Leiber unbewaffneter Frauen und Kinder. Jahrhunderte später sah der Höllenfürst, wie andere Soldaten flüssiges Feuer über hilflose Zivilisten vergossen. Auch das erfüllte ihn mit düsterer Freude. Doch in dieser Welt hatte er den Kampf noch nicht gewonnen. Die Menschen kannten ihn. Viele dienten ihm, ohne es zu wissen. Im alten Kanaan kannte man ihn unter dem Namen Shahar. Die Ägypter im Reich der Pharaonen stellten ihn sich als die unsterbliche Schlange Sata vor. Und die Perser vergangener Jahrhunderte nannten ihn Ahriman. Aber es war immer dasselbe Wesen. Der abtrünnige Engel, der aus dem Himmel vertrieben worden war. Und das war genau der Grund, warum Mephisto diese Erde nicht schätzte. Gewiß, er hatte seine Anhänger. In allen Zeiten und in allen Kulturen. Wer sich dem Bösen verschrieben hatte, wurde automatisch zum Diener der Hölle. Doch auf dieser Erde hatten die Dämonen noch nicht gesiegt. Immer wieder standen Menschen auf und kämpften gegen sie. Trotz stärkster Bemühungen hatte Mephisto es in all den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte nicht geschafft, die Liebe und das Mitgefühl auszurotten. Oft waren seine Legionen geschlagen worden. Wenn es auch nie gelungen war, sie ganz zu besiegen. Deshalb verließ der Höllenherrscher diese Erde mit sehr gemischten Gefühlen. Und trat mühelos hinüber in eine andere Dimension. Sogleich verzerrte ein zufriedenes Grinsen seinen dreieckigen Schädel. Denn nun
befand er sich in einer Welt, in der er als höchstes Wesen angebetet wurde. Auf dieser Erde hatten die Kräfte der Finsternis gesiegt. Sie befand sich in einem Paralleluniversum. Es war ein entsetzlicher Platz. Mit all den unerträglichen Qualen, Demütigungen und Schmerzen. Buchstäblich eine Hölle auf Erden. Denn in dieser Dimension hatten sich alle Menschen für das Böse entschieden. Und weil jeder von ihnen gegen jeden kämpfte, gab es ständig Massaker und Blutbäder. Mephisto sah es mit Wohlgefallen. Doch das war noch nicht das Schlimmste. In der Höllen-Dimension nahmen die meisten Menschen früher oder später die Form von Dämonen an. Sie mutierten früher oder später, denn ihre Schlechtigkeiten ließen ein dauerhaftes menschliches Leben nicht zu. Die meisten von ihnen wurden zu Vampiren. Sie konnten nicht leben und nicht sterben. Hingen in einem düsteren Zwischenreich und machten sich gegenseitig das Leben zur Hölle. Der Blitz schlug in einem Teil der Erde ein, der in der Dimension der Menschen Holland hieß. Mephisto sprang elegant von seinem »Reittier« herunter. In diesem Moment erschien er in einer traditionellen Gestalt, wie ihn die Maler des Mittelalters oft dargestellt hatten. Mit Bocksfuß, zwei Hörnern, Fell an den Beinen, Klauen und einem Spitzbart. Und natürlich war seine Haut feurig rot. Er wurde schon erwartet. Unter dem roten Mond (in dieser Parallelwelt gab es keine Sonne) hatte sich am Rande eines Blutkanals eine grauenerregende Meute versammelt. Sie alle waren Blutsauger. Manche hatten noch eine halbwegs menschliche Gestalt. Doch die meisten waren durch die vergangenen Jahrhunderte in dieser bösen Welt zu Kreaturen mutiert, die nur noch durch ihre großen Mäuler und spitzen Fangzähne an Lebewesen erinnerten. Ein respektvolles Raunen ging durch ihre Reihen, als Mephisto auf sie zustolzierte. Er machte eine herrische Handbewegung. Und mit einem Schlag war es still. Nur das Blut im Blutkanal gurgelte weiter vor sich hin. »Also?« fragte Mephisto. »Wie kommt ihr voran mit dieser - Schleuse?« Ein jung aussehender Vampir trat vor. »Ich habe sie benutzt, Gebieter. Als es dort drüben Nacht war.« »Und?« »Es war, wie Ihr gesagt hattet. Es muß dort jemanden geben, der so ähnlich aussieht wie ich. Ein Mädchen hat es mir gesagt.« »Ein Määädchen!« dehnte der Höllenfürst mit einem sadistischen Grinsen. »Und was hast du mit diesem Mädchen gemacht?« »Ich habe sie leergetrunken, Gebieter. Bis auf den letzten Tropfen Blut.« Ein neidisches Murren erklang bei den anderen Höllenwesen. Man
bemerkte, daß sie sich ebenfalls nach dieser Welt sehnten. Nach dieser Welt, in der es reichlich Opferblut zu geben schien. Doch ein wütender Blick von Mephisto brachte sie schnell wieder zum Schweigen. Der Mega-Dämon wußte natürlich schon genau, was passiert war. Aber er wollte es aus dem Mund seiner Sklaven hören. Um sie richtig aufzubauen. Für ihren Angriff auf die Welt der Menschen. »Es gibt wirklich einen jungen Mann dort drüben, der so aussieht wie du«, erklärte Mephisto daher. »Er heißt Keno Hajunga. Und er hat wohl keine Ahnung davon, daß er einen Vampir-Doppelgänger hat!« Die Kreaturen stimmten in sein widerliches Gelächter ein. Dann fuhr der Höllenfürst fort mit seinen Erläuterungen. »Diese andere Welt ist voll von Menschen. Es gibt so viele, daß ihr alle euch jeden Tag bis zur Halskrause satt trinken könntet.« Atemlos hingen die gräßlichen Vampire an seinen Lippen. Saugten seine Worte in sich auf, als ob sie aus Blut bestünden. »Aber es ist nicht so einfach, dorthin zu gelangen. Es gab einmal ein Dimensionstor. Genau hier.« Und Mephistos Klaue deutete auf eines der ausgebrannten Häuser, die an dem Blutkanal standen. »Weiße Magie hat diese Schleuse zur Welt der Menschen schon seit Jahrhunderten verschlossen gehalten. Doch euer Kamerad hat es geschafft. Er ist in die Menschendimension hinübergelangt. Denn diese Narren haben das Tor wieder geöffnet.« »Warum? Warum, Meister?« hechelte eine Gestalt mit einem Auge und riesigen Fangzähnen. »Sehnen sie sich so sehr nach unseren Bissen?« Ekliges Gelächter quittierte seine Bemerkung. »Das nicht«, erwiderte der Oberteufel. »Die Idioten haben versehentlich das Tor zu unserer Welt aufgestoßen. Doch noch hält die weißmagische Sperre. Zeitweise. Deshalb konnte er nur in einem bestimmten Moment die Grenze überspringen.« Seine Klaue deutete auf den Vampir, der Mareike Boersma getötet hatte. »Als in der Menschenwelt Vollmond herrschte. Dann sind dort die Bedingungen für Vampire besonders günstig.« »Vollmond?« fragte ein anderer Vampir. »Scheint dort denn nicht immer der Mond, Gebieter?« »Nein«, sagte Mephisto. »Diese Welt ist ziemlich anders. Aber sie wird euch gefallen. Denn ihr werdet sie schon bald erobern.« Begeistertes Gejohle seiner unheimlichen Anhängerschaft war die Antwort auf den letzten Satz des Höllenfürsten. *
Tessa und ich sahen uns an. Obwohl es reichlich unromantisch war, stand ich auf und ging zum Telefon. Wenn mich jemand um zwanzig nach drei morgens anruft, muß es verdammt wichtig sein. »Hellmann.« »Mark? Entschuldige die nächtliche Störung. Aber es ist wichtig. Lebenswichtig. Hier ist Vincent.« Vincent van Euyen. Sofort war ich voll konzentriert bei der Sache. Ich habe den Bildreporter einer Weimarer Tageszeitung kennengelernt, nachdem ich meinen Job als wissenschaftlicher Assistent an der Universität hingeworfen hatte. Ich warf mich dann auf den freien Journalismus, wo ich noch heute meine Brötchen verdiene. Mehr schlecht als recht, zugegeben. Aber immerhin läßt mir diese Tätigkeit Zeit genug, um unerklärlichen Geschichten auf den Grund zu gehen. Und ich habe in dem hektischen Mediengeschäft einige gute Freunde gewonnen. Einer von ihnen ist eben dieser Vincent van Euyen, der mich nun mitten in der Nacht anrief. Im Hintergrund hörte ich Kneipengeräusche. »Was ist denn los, Vincent? Rufst du an, damit ich dir zwanzig Mark für die nächste Runde pumpe?« »Keine Zeit für Witze, Mark. Ich bin überhaupt nicht in Weimar. Sondern in Franeker.« »Wo?« »Franeker. Im holländischen Teil Frieslands.« »Und da haben die Kneipen so lange auf?« »Normalerweise nicht. Aber heute schon. Denn hier findet die Elfstedentocht statt.« »Die was?« »Ein Schlittschuhrennen. Deshalb bin ich auch hier. Um darüber zu berichten. Aber - verdammt - he! Ik heb nog kwartjes nodig! Ik bruik
kwartjes voor de telefoon!«
Die letzten beiden Sätze hatte er offenbar zu jemandem gesagt, der neben ihm stand. Vincent van Euyen hat holländische Vorfahren. Er spricht fließend Niederländisch. Es klickte. Dann sprach er wieder. »So. Ich mußte schnell Münzen nachwerfen. Paß auf, Mark. Ich habe was rausgefunden, was dich interessieren wird. Es geht um Vampire. Eine junge Frau ist ermordet worden. Du mußt sofort herkommen.« »Vampire?« Natürlich war ich sofort ganz Ohr. Ich mußte an den Traum oder die Vision? - denken, den ich gehabt hatte. Die unheimlichen Wesen, die mich hatten vernichten wollen. Und das blonde Vampir-Mädchen namens Mareike, das mich gebissen hatte… »Mark!« riß mich Vincent wieder aus meinen Gedanken. »Ich habe keine Münzen mehr! Ich bin in Franeker, im Hotel De Doelen! Bitte komm sofort! Ich…«
Der Rest des Satzes ging im Tuten unter. Die Leitung war unterbrochen. Nachdenklich legte ich auf. Wenn mich der erfahrene Reporter mitten in der Nacht aus dem Schlaf klingelte, mußte es wirklich dringend sein. Ich ging zu meinem Schreibtisch hinüber und warf einen Blick auf den Straßenatlas von Europa. Die Seite mit den Niederlanden hatte ich schnell gefunden. Und Franeker ebenfalls. Es liegt direkt an der A 31, unmittelbar in der Nähe von… Grinsend klappte ich den Atlas wieder zu. Tessa sah mich mißtrauisch an, als ich zum Bett zurückgeschlendert kam. »Was freust du dich so, Mark Hellmann? Ich habe gerade was von Vampiren gehört. Hast du Vincents Namen genannt? Hat er angerufen?« Abwehrend hob ich ihr die Handflächen entgegen, als sie mich mit ihren Fragen bestürmte. »Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, mein Schatz. Glaube ich jedenfalls. Wo genau findet dieser Polizistenaustausch statt?« Verständnislos sah mich meine Freundin an. »Ein halbes Dutzend niederländische Kollegen aus Leeuwarden kommen morgen früh hierher nach Weimar. Dafür gehen sechs von uns nach Holland. Wir sind in Harlingen untergebracht, in der dortigen Ausbildungsschule der Rijkspolitie. Das ist die staatliche Polizei der Niederlande. In allen Gemeinden zuständig, die keine eigene Polizeitruppe haben.« »Da hast du ja schon echt was gelernt, Tessa. Es war übrigens wirklich Vincent van Euyen, der angerufen hat. Ich habe wohl einen neuen Fall. Etwas mit Vampiren.« Sie verdrehte wieder einmal die Augen. »Du liebe Güte! Und die gute Nachricht? Oder war das schon die gute?« Ich lachte. »Nein. Die gute Nachricht ist, daß ich morgen früh auch nach Holland fahren werde. Nach Franeker, genauer gesagt. Das ist nur wenige Kilometer von Harlingen entfernt, wo du die Schulbank drücken darfst.« * Henk Dekker gähnte. Der junge Mann mit dem Ziegenbart hatte den seiner Meinung nach langweiligsten Job der Welt erwischt. Nachtwächter im Akademisch Ziekenhuis in Groningen. Der größte Hospitalkomplex in der Hauptstadt der holländischen Provinz Friesland. Was soll hier schon passieren? dachte Dekker, während er genervt mit seiner gigantischen Taschenlampe spielte, die man auch als Schlaginstrument verwenden konnte. Er kam sich in der beigen Uniform des Sicherheitsdienstes immer noch vor wie verkleidet. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Das Arbeitsamt hatte ihm diesen Job verschafft. Und er
mußte ihn gewissenhaft ausüben, wenn er nicht eine ganze Menge Ärger bekommen wollte. Gerade in diesem Moment sehnte sich der von Natur aus eher faule Bursche nach den Zeiten zurück, als er um diese Zeit gerade erst ausgegangen war, um das Nachtleben von Groningen unsicher zu machen. Es war gerade Mitternacht vorbei. Geisterstunde, spottete der Nachtwächter wider Willen innerlich. Dazu paßte es, daß ihn sein Patrouillengang gerade am Leichenkeller des Gerichtsmedizinischen Instituts vorbeiführte. Es gehörte ebenfalls zu dem riesigen Krankenhauskomplex zwischen dem Petrus Camper-Singel und dem Oostersingel. In unmittelbarer Nähe der Innenstadt von Groningen. Henk Dekker reckte sich. Neidvoll dachte er an seine Kumpels, die sich um diese Zeit in heißen Diskotheken mit hübschen Girls amüsierten. Doch gleichzeitig wurde ihm klar, daß er nicht der einzige war, den man in letzter Zeit mit sanfter Gewalt ins Arbeitsleben gedrängt hatte. Deshalb würden die anderen Mitglieder seiner Clique um diese Zeit wohl schon in den Federn liegen, um am nächsten Morgen um fünf oder sechs Uhr aufstehen zu können. Die Welt ist schon ungerecht, philosophierte Dekker und öffnete die schwere, weißgestrichene Stahltür, die den Gang vom eigentlichen Leichenkeller trennte. Warum er das tat, wußte er nicht. Es war wie ein innerer Zwang. Vielleicht kann ich ja eine Leiche klauen! dachte der Nachtwächter mit bitterem Humor. Dann werde ich den Job schneller los, als ich »uff!« sagen
kann…
Doch kaum hatte er den kalten Raum betreten, da vergingen ihm seine Albernheiten gründlich. Mit angehaltenem Atem starrte er auf das, was er sah. Henk Dekker war noch nie zuvor in einem Leichenkeller gewesen. Es roch stark nach Desinfektionsmitteln. Die Neonröhren an der Decke verbreiteten dasselbe grelle Licht wie auf dem Gang. Es kam dem Nachtwächter allerdings noch ein wenig intensiver vor. Vielleicht lag das an der Deutlichkeit, mit der jedes Detail zu sehen war. Jede Einzelheit am Körper dieser nackten toten Frau, die dort auf einem metallenen Tisch vor ihm lag. Dekker vermutete, daß sich die anderen Leichen in den Schubladen befanden, die in die Rückwand des Raums eingelassen waren. Doch diese Frau war noch nicht beseitigt worden. Wahrscheinlich hatten die Gerichtsmediziner noch etwas mit ihr vor. Eine Obduktion, natürlich! Das kannte er aus den Fernsehkrimis. Direkt neben dem Leichentisch befanden sich verschiedene chirurgische Instrumente auf einem Tischchen. Skalpelle, Sonden, Sägen in verschiedenen Größen. Und ein Diktiergerät. Dem jungen
Mann lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ob die ermordet worden ist? fragte sich der neugierige Nachtwächter.
Sieht aber unversehrt aus. Vielleicht vergiftet…
Er wagte es, noch ein paar Schritte näher ranzugehen. Nun stand er fast direkt neben der Leiche. Mit ausgestrecktem Arm hätte er sie berühren können. Sein Blick wanderte über ihren makellosen Körper. Ich habe noch nie eine Tote angefaßt, dachte Dekker. Ob ich es
vielleicht…
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Bevor seine Finger ihren Körper berührten, öffnete die Frau mit der wachsbleichen Haut plötzlich die Augen. Und drehte ihren Kopf in die Richtung des Nachtwächters. Der junge Mann rang nach Luft. Er sah die beiden sauberen Bißwunden an ihrem Hals. Der Blick der Toten war starr. Sie suchte den Blickkontakt mit dem Sicherheitsmann. Wollte ihn offenbar hypnotisieren. Doch da schlug die Panik mit einer leichten Verzögerung in Dekkers Bewußtsein durch. Ihm standen die Haare zu Berge. Er riß sich die Hände vor die Augen. Wie ein Kind, das die Realität nicht wahrnehmen will. Und glaubt, nicht gesehen zu werden, wenn es selbst nichts sieht. Steif vor Angst stand der Mann noch immer da. Geräusche deuteten darauf hin, daß die Frau aufstand. Dann klirrte es. Nun endlich wagte der Wächter einen zaghaften Blick. Viel zu spät. Denn da hatte sie schon ein Skalpell in ihrer rechten Faust und ging damit auf Dekker los. Das scharfe Chirurgenmesser fetzte über seinen linken Oberarm und hinterließ eine lange Blutspur. Einen Vorteil hatte die schmerzhafte Verletzung. Sie riß den Spitzbärtigen aus der tödlichen Lähmung, in die er nach seiner Entdeckung der »lebenden Leiche« verfallen war. Und nun wehrte sich Henk Dekker! Er hatte immer noch die schwere Taschenlampe in der rechten Hand. Schnell holte er aus und ließ sie mit aller Kraft auf den Schädel der zierlichen blonden Frau krachen. Jede lebende Gegnerin wäre damit erledigt gewesen. Aber nicht eine Untote. Die Leiche stieß wieder mit dem Skalpell nach dem Wächter. Er parierte ihren Angriff. Doch sie schaffte es, ihn in eine Ecke zu drängen. Und dann öffnete sie den Mund. Henk Dekkers Panik steigerte sich. Falls das überhaupt noch möglich war. Zwei messerscharfe Fangzähne ragten ihm entgegen. Eine Vampirin! schrie es im Kopf des jungen Mannes. Du bist verloren!
Du mußt hier raus! Du…
Wie alle Blutsauger verfügte die blonde Untote über Kräfte, denen kein Mensch etwas entgegensetzen konnte. Den nächsten Schlag mit der klobigen Taschenlampe fing sie ab, indem sie ihre schmale Hand um den
Leuchtstab schloß. Und dann das massive Gerät aus Metall einfach zerquetschte! Mit dem Mut der Verzweiflung rammte ihr Dekker seinen Kopf in den Magen. Ein Vorstoß, der sogar einen Ringer umgeworfen hätte. Doch die junge Frau geriet nur leicht ins Schwanken. Aber immerhin. Das reichte dem verängstigten Wächter schon, um an ihr vorbeizusprinten. Er mußte hier raus, und zwar schnell! Die Frau stieß einen grellen, furchterregenden Schrei aus. Der Nachtwächter war schon an der Tür. Sein Adrenalinspiegel war so hoch wie noch nie. Der Streß der Todesangst verlieh ihm ungeahnte Schnelligkeit. Er hörte, wie die nackten Füße der Vampirin auf dem Kunststoff-Fußboden hinter ihm herjagten. Und dann hörte er noch etwas. Ein leises Zischen. Im nächsten Moment wurde ihm klar, woher es gekommen sein mußte. Von dem Skalpell, das die Frau mit der Kraft einer Wahnsinnigen durch die Luft geschleudert hatte. Die scharfe Klinge steckte zitternd einige Zentimeter in Dekkers Rücken. Er fühlte den plötzlichen, gemein aufbrandenden Schmerz. In seinem Mund schmeckte er Blut. Er mußte sich durch den Schock auf die Zunge gebissen haben. Und er hatte nur noch einen Gedanken: Er mußte raus aus diesem verfluchten Leichenkeller! »Gleich habe ich dich, mein Liebling!« höhnte die Vampirin. Sie war nur noch wenige Schritte hinter Dekker. Der Stimme nach zu urteilen. Er rannte über den menschenleeren Gang. Nach Mitternacht befand sich kaum noch Personal in diesem Teil des Akademisch Ziekenhuis. Da packte die Untote mit ihrem kräftigen Griff die Schulter des jungen Mannes. Sein Herz schien einen Moment auszusetzen. Dann warf er sich mit ganzer Kraft nach vorne. »Aaaaaaahhh!« Es blieb Henk Dekker erspart, von der Nachzehrerin gebissen und selbst zum Vampir zu werden. Er stürzte eine lange Treppe hinunter und knallte mit dem Schädel so unglücklich gegen die Wand, daß er sich das Genick brach. Er war sofort tot. * Nach meiner Vampir-Vision, dem Anruf von Vincent van Euyen und nicht zuletzt unseren aufregenden Liebesspielen war an Schlaf natürlich nicht mehr zu denken. Deshalb setzten Tessa und ich uns zu einem sehr frühen Frühstück in meine gemütliche kleine Küche. »Schade, daß wir nicht gemeinsam nach Holland fahren können«, meinte meine Freundin, während sie sich einen Toast mit Erdbeermarmelade
bestrich. »Aber die Polizeidirektion Weimar besteht darauf, daß alle Kollegen des Lehrgangs gemeinsam reisen. Und zwar mit der Bahn. Ist alles schon organisiert.« »Ist auch besser so«, witzelte ich und schenkte mir einen Kaffee ein. »Sonst geht noch ein Polizist verloren. Und die holländischen Kollegen müssen ihn suchen.« »Blödmann!« Trotz meiner flotten Sprüche konnte ich nicht verbergen, daß ich mir Gedanken machte. Was hatten meine nächtlichen Horrorvorstellungen zu bedeuten? Standen sie in einem Zusammenhang mit Vincents Vampirgeschichte? Aber es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Ich mußte erfahren, was geschehen war. Und das konnte ich nur vor Ort. Mit einem heißen, leidenschaftlichen Kuß verabschiedete ich mich von Tessa. Sie nannte mir noch kurz ihre Lehrgangsadresse: Opleidingsschool Rijkspolitie, Koningin Wilhelmina Straat, Harlingen. Dann verschwand sie mit ihrer feuerroten Reisetasche, die sie schon am Abend zuvor in ihrer Wohnung gepackt hatte. Auch ich traf meine Vorbereitungen für den Holland-Trip. Nachdem ich den Anrufbeantworter aktiviert hatte, holte ich meinen kleinen Koffer. Er steht immer fix und fertig bereit und enthält die wichtigsten Dinge für ein paar Übernachtungen. Denn ich als Kämpfer des Rings muß ständig damit rechnen, Hals über Kopf verreisen zu müssen. Auch meinen neuen Einsatzkoffer wollte ich mit nach Franeker nehmen. Mit dem Inhalt dieses Gepäckstücks hatte ich eine faire Chance gegen die Schwarzblüter, die mich dort erwarten mochten. Jedenfalls dachte ich das an diesem Morgen. Die Luft war kalt und klar. Ich war in meine dreiviertellange Winterjacke gehüllt. In ihr konnte ich mich schnell bewegen, wenn es darauf ankam. Mein stahlblauer BMW war direkt vor dem Haus in der Florian-Geyer-Straße geparkt. Gerade schloß ich die Fahrertür auf, als mein Hauseigentümer und Vermieter aus dem Eingang geschossen kam. Der kleinwüchsige Sachse warf einen mißtrauischen Blick auf meine beiden Koffer: »Sie wollen verreisen. Herr Hellmann?« »Sieht so aus, oder nicht?« »So geht das aber nicht! Diese Woche kommt ein Beamter von den Stadtwerken, um die Stromzähler abzulesen! Und die sind in den Wohnungen, wie Sie wissen. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor?« Ich zuckte mit den Schultern und schenkte ihm mein entwaffnendstes Lächeln. »Die Behörden sind doch heutzutage technisch auf dem neuesten Stand. Wenn die Tür abgeschlossen ist, setzen sie ihr Mauerröntgengerät ein.«
»Mauerröntgengerät?« Dem kleinen Haustyrann fiel die Kinnlade herunter. »Ja, Mauerröntgengerät. Haben Sie davon noch nicht gehört? Wenn die Wohnungstür abgeschlossen ist, können die Beamten damit durch die Mauer sehen und den Zähler aus der Entfernung ablesen.« Der Groschen fiel bei ihm pfennigweise. Dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen. »Sie wollen mich wohl vergackeiern, Herr Hellmann!« Ich tat so, als hätte ich seine letzte Bemerkung nicht gehört und verabschiedete mich mit einem freundlichen Winken. Als ich das Gepäck eingeladen und die Fahrertür hinter mir zugezogen hatte, mußte ich laut und anhaltend lachen. Es verging mir erst, als ich bei meiner Bank angekommen war und mir etwas Reisegeld aus dem EC-Automaten ziehen wollte. Das Geld schien mich nicht zu mögen. Es flüchtete regelrecht vor mir. Mit einem Achselzucken und dem Baren machte ich mich auf die Reise Richtung Nordwesten. Der Morgen war herrlich. Um diese frühe Stunde hielt sich der Verkehr noch in Grenzen. Und die aufgehende Sonne tauchte den Horizont in ein zartes Rosa. Warum sollte ich mir da Sorgen über Geld machen? Es gab Wichtigeres in meinem Leben. Gegen das Böse zu kämpfen beispielsweise. Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle. Mein Siegelring, der sich bei schwarzmagischer Aktivität erwärmt und aufglimmt, blieb ruhig. Gegen Mittag aß ich an einer Raststätte in der Nähe von Hannover ein Schnitzel mit einem Berg Fritten. Frisch gestärkt bewältigte ich den Rest der Reise in einem Rutsch. Nur eine einsame niederländische Fahne zeigte mir die Grenze an. Auf der holländischen Seite war das Land genauso flach wie im deutschen Teil Frieslands. Auch die Ortsnamen ähnelten sich. Ich hatte mich morgens mit Hilfe meines Lexikons noch schnell ein wenig schlau gemacht. Friesisch wird auf beiden Seiten der Grenze gepflegt. Im holländischen Teil Frieslands sind sogar die Ortsschilder zweisprachig. Das fiel mir auf, als ich an der Abfahrt Franeker den Blinker setzte und in das Städtchen hineinfuhr. Auf Friesisch heißt es »Frjentsjer«, was ich ziemlich zungenbrecherisch fand. Ich wunderte mich, wie voll die Straßen der kleinen Stadt waren. Die Autos schoben sich Stoßstange an Stoßstange durch die engen Gassen. Die meisten Häuser sahen aus, als wären sie im 17. Jahrhundert gebaut worden. Größtenteils hatte man sie liebevoll restauriert. Wie in Holland üblich, hingen keine Gardinen vor den Fenstern. Man konnte den Leuten direkt auf den Abendbrottisch schauen.
Uniformierte Parkwächter lotsten die Fahrzeugmassen auf riesige
Parkeerterreins, was ich für mich mit »Parkplätze« übersetzte. Von einem
dieser Männer erfuhr ich auch den Grund für den Andrang. »Die Elfstedentoch ist eines der größten Volksfeste in den Niederlanden, Mijnheer. Ein Schlittschuhrennen auf den Flüssen, Kanälen und Grachten, mit denen die elf Städte Frieslands verbunden sind. 15.000 Läufer waren beim letzten Mai dabei.« »Findet das jedes Jahr statt?« erkundigte ich mich. »Nein«, lachte der Mann mit der Schirmmütze. »Es muß einen richtig kalten Winter geben, damit alle Gewässer zufrieren. So wie dieses Jahr.« Dann wies er mir einen Parkplatz zu. Zum Glück war hier das Parken kostenlos. Ich war ja noch nicht dazu gekommen, meine wenigen DMScheine in Gulden zu wechseln. Zu Fuß machte ich mich auf in das Stadtzentrum. Das Hotel De Doelen fand ich ohne fremde Hilfe. Es liegt am Breedeplaats, direkt neben der Martinikerk. Ich stieg die schmale Treppe empor, die zu der kleinen Empfangshalle führte. Hinter dem Rezeptionstresen stand ein junger Mann mit Querbinder und weißem Hemd. Er nickte mir freundlich zu und sagte etwas auf Holländisch. »Sprechen Sie deutsch?« fragte ich. »Selbstverständlich, mein Herr. Aber ich bedaure sehr. Wir haben kein Zimmer mehr frei. Die Elfstedentocht, Sie verstehen…« »Natürlich. Aber ich möchte kein Zimmer. Ich bin hier mit dem Journalisten namens Vincent van Euyen verabredet…« Der Portier riß die Augen auf. »Mijnheer van Euyen! Sie kennen ihn? Wissen Sie vielleicht, wo er sein könnte? Er ist Gast in unserem Hotel, müssen Sie wissen. Er ist gestern abend nicht hierher zurückgekehrt. Sein Zimmerschlüssel wurde nicht abgeholt. Und das dienstmeisje - äh Zimmermädchen sagt, sein Bett wäre unberührt gewesen. Zum Frühstück ist er auch nicht erschienen. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.« * Joris Kalff war ein Vergewaltiger! Und in dieser Nacht hatte sich der Perverse entschlossen, wieder seinen dreckigen Gelüsten nachzugeben. Zweimal schon hatte er es geschafft, Frauen zu überwältigen und zu mißbrauchen. In beiden Fällen war er ungeschoren davongekommen. Die Polizei von Groningen fahndete zwar intensiv nach ihm. Doch Joris Kalff war schlau. Jedenfalls dachte er das von sich.
Die Straßen waren hell erleuchtet. Der Verbrecher wirkte auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Schaufensterbummler, der nach Feierabend noch durch die Fußgängerzone bummelt. Doch seine Schritte führten ihn zu dem begrünten Uferstreifen beim Verbindingskanaal, der nördlich des Groninger Bahnhofs verläuft. Eine finstere Ecke. Dort wollte er sich auf die Lauer legen. Er kannte die ganze Innenstadt wie seine Westentasche. Joris Kalff pustete seinen Atem in die Fäuste und rieb die Hände gegeneinander. Verdammt kalt. In seiner Lederjacke fror er ein wenig. Doch er mochte das Kleidungsstück. Es verlieh ihm so etwas Brutales. Und der Schänder liebte es, wenn die Menschen Angst vor ihm hatten. Besonders die Frauen. Ein helles Lachen ließ ihn aufhorchen. Ein Stück weit die Straße hoch, auf der Höhe des Herenplein, sah er eine junge Frau mit einer roten Zipfelmütze und einem dunklen Kamelhaarmantel. Augenblicklich packte ihn das Jagdfieber. Kalff duckte sich hinter einen Transformatorkasten, der unweit des Kanals stand. Er ließ das Mädchen mit der Mütze nicht aus den Augen. Und er hoffte inständig, daß sie herunter in die Parkanlage kommen würde. Aber er wurde enttäuscht. Die Frau winkte jemandem zu und stieg dann in einen grünen Saab. Wenige Sekunden später war sie mit dem Auto spurlos verschwunden. Joris Kalff fluchte leise vor sich hin. Nun wurde es wirklich kalt. Von der Küste wehte ein eisiger Wind. Vielleicht sollte er sein Glück lieber in einem Parkhaus versuchen? Doch bevor er sich dazu durchringen konnte, geschah etwas. Jemand kam den Weg entlang. Der Vergewaltiger hörte es ganz deutlich. Selbst der leise Verkehrslärm vom Herenplein her konnte es nicht übertönen. Kalff ging schleunigst wieder in Deckung. Ihm war klar, daß er in der schwarzen Lederjacke und bei der schlechten Beleuchtung so gut wie unsichtbar sein mußte. Überrascht rang er nach Luft. Da kam tatsächlich eine Frau. Eine junge, gutaussehende Blondine. Und nicht nur das. Zu allem Überfluß war sie auch noch splitternackt! Und das bei mindestens minus fünf Grad Celsius. Diese Tatsache hätte Joris Kalff mißtrauisch machen müssen. Aber der Verbrecher dachte nur noch an die Befriedigung seiner perversen Gelüste. Er zog sich einen Damenstrumpf über das Gesicht, wie er es schon bei den anderen Vergewaltigungen getan hatte. Dann ließ er sein Klappmesser aufspringen. Das blonde Mädchen hatte nichts von seinen Vorbereitungen gemerkt. Sie schritt mit hocherhobenem Kopf den Weg hinunter. Genau auf ihn zu. Sie schien nicht zu frieren.
Kalff spürte, wie seine Handinnenflächen trotz der Kälte feucht wurden vor Erregung. Quälend langsam vergingen die Sekunden, bis die Frau direkt vor dem Transformatorkasten angelangt war. Mit einem heiseren Schrei sprang der Vergewaltiger hervor. Das Mädchen drehte ihren Kopf zu ihm hin. Ihr Gesicht glich einer Totenmaske. Aber der Mann merkte immer noch nichts von der tödlichen Gefahr, in der er sich in diesem Moment befand. »Komm her, du…!« keuchte Kalff und packte sein Opfer am Arm. Die Haut fühlte sich eiskalt an. Mit der anderen Hand hielt er ihr die Spitze seines Messers vor den Kehlkopf. Und dann geschah etwas, womit der Verbrecher nie gerechnet hätte. Das Mädchen begann zu grinsen. Er konnte es trotz der schlechten Beleuchtung ganz deutlich sehen. Aber es war ein freudloses Lächeln, das auf ihren blutleeren Lippen erschien. Joris Kalff war irritiert. Deshalb paßte er für einen Moment nicht auf. Ihre schmale Hand schoß hoch und umklammerte das kräftige Gelenk seiner Messerhand. Dann gab es einen kräftigen Ruck. Der Vergewaltiger jaulte auf vor Schmerzen. Das zierliche Mädchen hatte mit einer einzigen kleinen Bewegung sein Handgelenk gebrochen! Kraftlos öffneten sich seine Finger. Die Stichwaffe fiel zu Boden. Dem Mann war alles vergangen, was ihn zu seinem gemeinen Vorhaben bewegt hatte. Er wollte fliehen. Und das so schnell wie möglich. Doch dagegen hatte die Blonde etwas. Sie hielt ihn an seiner Lederjacke fest. Verzweifelt schlug der Mann mit seiner noch gesunden Faust um sich. Doch sie schien die Schläge überhaupt nicht zu spüren. Im Gegenteil. Ihr Lächeln wurde immer breiter. Es war, als ob sie ein Spiel mit ihm spielte. Ein Spiel, an dem sie immer größeren Gefallen fand. »Laß los! Verflucht!« Kalff brüllte jetzt. Aber niemand konnte ihn hören. Die Autofahrer auf der verkehrsreichen Herebrug waren zu weit entfernt. Und wenn sie etwas bemerkt hätten, würden sie ihren Augen nicht trauen. Eine nackte Frau, die einen Lederjackenträger vernichtet? Kopfschüttelnd würden sie ihre Wagen wieder starten und weiterfahren. Doch es gab keine Zeugen. Niemand sah, wie der Vergewaltiger mit aller Kraft zu entkommen versuchte. Das Mädchen packte den noch einsatzfähigen Arm des Mannes. Und riß ihn mit einer leichten Bewegung einfach aus. Entsetzt starrte Kalff auf sein Schultergelenk. Die Blonde warf den abgerissenen Arm achtlos zur Seite. Dann entblößte sie endlich ihr Gebiß. Joris Kalff starrte auf zwei messerscharfe Fangzähne. Er konnte es nicht
glauben. Und nun geschah etwas, was er selbst noch vor wenigen Minuten für unmöglich gehalten hätte. Der Vergewaltiger starb vor Angst. Sein grauengeplagter Körper weigerte sich, weiter seinen Dienst zu tun. Das Herz hörte auf zu schlagen. Und Kalff sank tot zu Boden. Das Mädchen kniete sich in aller Ruhe neben ihn und zog ihm die Strumpfhose vom Gesicht. Nun konnte sie endlich ihren Durst nach Blut stillen. Der Wachmann im Krankenhaus war nur eine unbefriedigende Vorspeise gewesen. * Ich muß ziemlich verloren ausgesehen haben, als ich vor dem Hotel stand, in dem ich mich mit meinem Freund Vincent van Euyen hatte treffen wollen. Inzwischen war es vollständig dunkel geworden. Altertümliche Straßenlaternen erhellten das Kopfsteinpflaster zwischen der typisch holländischen Gracht und der Häuserzeile. Plötzlich durchzuckte mich ein Schock. Es sah hier fast genauso aus wie in meinem Alptraum! Nur daß in den Grachten kein gefrorenes Blut, sondern gefrorenes Wasser war. Eine Unterkunft hatte ich auch noch nicht gefunden. Aber das war momentan mein geringstes Problem. Wohin war Vincent verschwunden? Das letzte Lebenszeichen von ihm hatte ich anscheinend selbst bekommen. Als er mich mitten in der Nacht zuhause in Weimar angerufen hatte. Ich lehnte mich gegen das Geländer der Gracht und dachte nach. Natürlich. Er war in einer Kneipe gewesen. Hatte einen öffentlichen Fernsprecher benutzt. Und jemand - wahrscheinlich den Wirt oder einen anderen Gast nach Münzen gefragt. Also mußte es auch jemanden geben, der sich an ihn erinnern konnte. Deshalb würde ich die Vampirjagd mit einer Kneipentour beginnen müssen. Oder sollte ich besser die Polizei einschalten? Ich entschied mich dagegen. Das konnte ich später immer noch tun. Vincent war schließlich ein erwachsener Mann von zweiundvierzig. Wenn er eine Nacht nicht in sein Hotelzimmer zurückkehrte, würden die meisten Leute eher an ein Sexabenteuer denken als an einen Kampf gegen Schwarzblüter. Außerdem hatte ich nicht immer gute Erfahrungen damit gemacht, die Behörden um Unterstützung gegen die Mächte des Bösen zu bitten. Nicht alle Polizeibeamten waren so aufgeschlossen wie mein Freund Pit Langenbach und meine geliebte Tessa Hayden.
Ich brauchte nicht weit zu gehen, um meine Suche zu beginnen. Nur eine kleine Brücke über die Gracht trennte mich von der einladenden Fassade eines Lokals, das sich »Sinterklaasje« nannte. Während ich diesen Weg hinter mich brachte, beschlich mich wieder ein ungutes Gefühl. Aus dieser Perspektive sah die Szenerie wieder genauso aus wie in meinem Traum. Nur daß hier alles idyllisch und schön zu sein schien, während die nächtlichen Bilder von abstoßender Häßlichkeit und Gemeinheit gewesen waren. Es mußte einen Zusammenhang geben zwischen dem echten Franeker und der Stadt meines Alptraums. Aber welchen? Das Grübeln würde mich für den Moment nicht weiterbringen. Ich mußte Vincent van Euyen finden, um der Wahrheit näher zu kommen. Tabakqualm drang mir entgegen, als ich die Schwingtüren des »Sinterklaasje« aufstieß. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht, daß wie in einem Western schlagartig alles verstummte, wenn ich - der Fremde - den Saloon betrat. Doch das stimmte nicht. Die Kneipe war gerammelt voll mit Gästen, von denen die meisten keine Einheimischen zu sein schienen. Jedenfalls hörte ich aus dem allgemeinen Volksgemurmel auch jede Menge deutsche Stimmen heraus. Mit etwas Glück konnte ich mich noch in eine Ecke der langen Eichentheke quetschen und ein Bier bestellen. Man servierte mir im Handumdrehen ein »Grolsch«. Meine Kehle war ausgetrocknet. Der erste Schluck schmeckte wie immer am besten. Den Einsatzkoffer hatte ich bei mir, zwischen meine Stiefel geklemmt. Ich mußte auf alles vorbereitet sein. Mein Reporterfreund war ja kein Windmacher. Wenn er mich mitten in der Nacht anrief, dann war es ernst. Ich mußte damit rechnen, daß ich jederzeit gegen einen Vampir antreten mußte. Deshalb behielt ich meinen Siegelring stets im Auge. Doch noch zeigte er keine schwarzmagische Aktivität an. Ich winkte der Barfrau. Die Strohblonde mit den aufregend modellierten Heineken-T-Shirt wandte sich mir zu. »Ja, Mijnheer?« Sie hatte vorhin schon mitbekommen, daß ich Deutscher war. »Ich suche einen Freund, der vielleicht letzte Nacht hier gewesen sein könnte. Er heißt Vincent van Euyen.« Die Frau hörte mir zwar zu, füllte aber gleichzeitig drei Colagläser und entkorkte dann eine Flasche Rotwein. Es war wirklich Hochbetrieb. Diese Elfstedentocht mußte eine Sportveranstaltung der Sonderklasse sein. »Der Name sagt mir nichts, Mijnheer. Ist Ihr Freund Holländer?« »Ja. Das heißt, seine Vorfahren. Er arbeitet für eine Tageszeitung in Deutschland.« »Hallo! Heeft u gekeuzt? Moment, bitte. Ja, eenpilsje. Bedankt. Wie sieht
er denn aus?« »Vincent ist zweiundvierzig und etwas kleiner als ich. Sein Haar ist kurz und fast so hell wie Ihres. Er hat einen kugelrunden Bauch und raucht Pfeife.« Die Frau hinter der Theke legte den Zeigefinger nachdenklich an ihren kirschroten Mund. »Ich glaube, der war wirklich gestern hier. Mein collega weiß das besser. He, Willem!« Ihre Stimme glich plötzlich einer Hafensirene, als sie den Bierzapfer am anderen Ende der langen Theke rief. Der Herr über die Zapfhähne drehte den Kopf. Er wollte etwas sagen. Aber was, das erfuhr ich in diesem Moment nicht. Denn plötzlich bekam ich einen schmerzhaften Ellenbogenstoß in die Nierengegend. Das Grolsch-Glas zerbrach in meiner linken Hand. Ich sah, wie das Blut an meinem Unterarm hinunterlief. * Mareike Boersma hatte Kräfte getankt. Sie hatte sich an dem Mann in der dunklen Parkanlage endlich satt getrunken. Es war ihre erste Nacht als Vampirin. Doch ihre Instinkte waren schon völlig erwacht. Wie durch einen Schleier sah sie ihr normales Teenagerleben, das sie vor dieser Begegnung an der Gracht geführt hatte. Die Schule, die Tischtennisstunden, die kleinen Geheimnisse unter Freundinnen, das Tagebuch, ihre erste Liebe. Das alles war Vergangenheit und würde nie mehr zurückkehren. Mareike genoß ihre neue untote Existenz. Die Saat des Bösen in ihrem Inneren ging bereits auf. Alles drehte sich um sie. Sie spürte die starke Anziehungskraft des Bösen, des Dunklen, des nicht Lebendigen. Und sie fühlte, wie sich ihr Verhältnis zu den Menschen änderte. Als sie noch normal gewesen war, hatte sie immer anderen helfen wollen. Nun verzog sich ihr mit Fangzähnen versehenes Gebiß zu einer höhnischen Fratze, als sie an ihre Einsätze als Pfadfinderin dachte. Kleider hatte sie gesammelt, für Obdachlose! Kaffeekränzchen ausgerichtet für einsame alte Leute! Das kam ihr nun lächerlich vor. Denn sie sah die Menschen nun mit anderen Augen. Als Schlachtvieh… Das uralte Wissen der Nachzehrer war plötzlich da. Keine Schule hätte ihr all die Kenntnisse beibringen können, die sie durch den Biß von Keno Hajunga nun abrufbereit in ihrem bösen Bewußtsein hatte. Sie wußte nun, daß sie bloß ihren nackten Körper dem Mondlicht
aussetzen mußte, um einen weiteren Vampir zu gebären. Auch der Weg zum nächsten megalithischen Steinkreis war ihr geläufig. Der Platz, wo sich andere Blutsauger bei Vollmond trafen und gemeinsam auf Menschenjagd gingen. Und natürlich die Verehrung von Mephisto. Der Herr des Bösen, dem sich jeder Nachzehrer zu unterwerfen hatte. Also auch Mareike Boersma. Doch vor allem sehnte sich die junge Vampirin nach der Dimension der Vampire. Ihr böser Instinkt sagte ihr, wie sie dorthin gelangen konnte. In diese andere Welt, wo sie nur unter ihresgleichen war. Mareike stellte sich vor, wie sie die Tür zu dieser dunklen Dimension öffnen würde. Und alle anderen Blutsauger konnten dann hierherströmen und sich an den vielen Menschen satt saufen, die es in dieser Welt gab. Sie würden Mareike als ihre Heldin feiern. Die junge Blondine schritt über den nächtlichen Fußweg am zugefrorenen Verbindingskanaal in Groningen entlang. Bei dem eiskalten Wind von der Nordsee her lungerten hier noch nicht einmal die üblichen Dealer und Junkies herum. Niemand begegnete ihr. Bis plötzlich ein Blitz die Dunkelheit erhellte. Eine Gestalt ragte vor der Vampirin auf. Sofort fühlte sie in ihrem rabenschwarzen Inneren, wer dort aus dem Nichts vor ihr erschienen war. Das Wesen war als ein Jäger aus früheren Jahrhunderten gekleidet. Auf dem dreieckigen Schädel hatte es ein Samtbarett mit roter Feder. Sein Wams war blutrot. Und die hohen Schaftstiefel stanken, als würden Pech und Schwefel der Hölle an ihnen kleben. »Meister!« stammelte die nackte Untote ehrfurchtsvoll und warf sich zu Boden. »Seid gegrüßt, Meister!« Mephisto griff sich angesichts dieser Erniedrigung geschmeichelt in seinen Spitzbart. Aus seinen bösen Augen sprühten Funken. Er liebte es, wenn man ihm mit bedingungslosem Gehorsam gegenübertrat. Etwas anderes ließ er sowieso nicht gelten. »Wie gefällt dir dein neues Leben, Mareike?« Die Vampirin sah demütig zu ihm auf. »Ich bin dankbar für meine ewige Existenz, Meister. Dankbar der Nachtkreatur, die mich aus dem Menschendasein erlöst hat. Und die tiefste Dankbarkeit empfinde ich natürlich für Euch, den Herrn aller Dämonen!«
Deine Begeisterung wird dir noch vergehen, wenn du erst im Höllenfeuer schmorst, dachte der Fürst des Bösen hinterhältig. Aber er ließ sich nichts anmerken, sondern bedachte das Blutsauger-Mädchen mit einer salbungsvollen Geste. »Deinen Durst hast du vorerst gestillt, wie ich mitbekommen habe. Was hast du jetzt vor?«
»Ich will zurück nach Franeker, Meister. Um die Pforte für die anderen Nachzehrer zu öffnen.« Mephisto brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. »Um diese Pforte kümmern sich andere, Mareike. Ich habe eine viel wichtigere Aufgabe für dich. Indirekt hat sie auch etwas mit der Pforte zu tun.« Die Vampirin sah ihn gespannt an. Aus den gemeinen gelben Augen von Mephisto schienen Funken zu sprühen. »Es hat eine Panne gegeben. Einige Menschen haben Verdacht geschöpft.« Ihr Lachen unterbrach ihn. »Verzeiht, Meister. Aber was können Menschen schon gegen uns Dämonen der Nacht ausrichten?« »Normalerweise nichts. Aber diese sind gefährlich. Es handelt sich um einen verdammt neugierigen Reporter, Vincent van Euyen. Er hat sozusagen den Stein ins Rollen gebracht. Dann sind da noch zwei Polizisten, Tessa Hayden und Pit Langenbach. Sie kommen alle aus Weimar und halten sich gerade in Harlingen auf, nur wenige Kilometer von der Pforte entfernt. Aber am gefährlichsten ist Mark Hellmann!« Es war der Schwarzblüterin aufgefallen, mit welchem abgrundtiefen Haß Mephisto ihr den Namen entgegengeschleudert hatte. Dieser Mark Hellmann mußte ein ganz besonderer Mann sein, wenn der Höllenherrscher ihn einerseits verabscheute, andererseits aber noch nicht hatte beseitigen lassen. Mephisto schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Hellmann nennt sich Kämpfer des Rings. Er hat einige unbedeutende Erfolge gegen kleinere Dämonen errungen. Er ist einer dieser weißmagischen Weltverbesserer, die noch an das Gute im Menschen glauben!« Dabei verschwieg der MegaDämon, daß er selbst es war, der schon manche empfindliche Schlappe gegen Mark Hellmann hatte einstecken müssen. Das gestand er sich selbst gegenüber kaum jemals ein. Der Teufel und die Vampirin lachten widerwärtig. Dann fuhr Mephisto fort: »Du wirst die Ehre haben, Hellmann zu umgarnen. Flirte mit ihm. Geh mit ihm ins Bett, wenn es sein muß. Er hat eine Schwäche für gutaussehende Frauen. Das müssen wir ausnutzen. Und bleib an ihm dran. Du mußt auf jeden Fall verhindern, daß er das Geheimnis der Pforte entdeckt.« »Wie soll ich das machen?« fragte Mareike Boersma. »Ganz einfach. Töte ihn, bevor er den Übergang zwischen unserer Dämonenwelt und dem Menschenreich entdeckt!« Der Höllenherrscher sah sie nachdenklich an. »Außerdem solltest du dir ein paar Kleider besorgen. Die Menschen werden es verdächtig finden,
wenn du im tiefsten Winter nackt rumläufst.« Er grinste schmierig und fügte hinzu: »Obwohl Mark Hellmann bestimmt nichts dagegen hätte.« * Reflexartig wirbelte ich herum. Ich erwartete bereits, die Zähne eines Vampirs an meiner Kehle zu spüren. Aber es war ein Mädchen. Sie starrte mich mit aufgerissenem Mund an und stammelte etwas auf Holländisch. Dabei konnte ich ganz deutlich sehen, daß sie keine Fangzähne hatte. Abgesehen von ihrem Ellenbogen in meinem Rücken machte sie überhaupt einen tiefen Eindruck auf mich. Unter ihrer Jeans und ihrem weiten Seemannspullover schienen sich tolle Rundungen abzuzeichnen. Mit ihrer flotten Kurzhaarfrisur erinnerte sie fast ein wenig an meine Freundin Tessa. Nur daß die Holländerin schwarze Haare hatte. Ich grinste sie an. Der Schmerz ließ schon etwas nach. Nur das Blut tropfte immer noch von meiner verletzten linken Hand zu Boden. Doch bevor ich etwas auf ihre Worte erwidern konnte, ging der Ärger weiter. Ein baumlanger Kerl mit phantasievollen Tätowierungen auf beiden Unterarmen kam hinter ihr hergeschwankt. Sofort war mir klar, daß er es gewesen sein mußte, der sie gestoßen hatte. Deshalb war sie gegen mich gefallen. Also hatte ich letztlich ihm die Schnittwunden an meiner Hand zu verdanken. »Verdammtes Aas!« grölte er. »Bist dir wohl zu fein, um mit mir zu trinken, was?« Während ich mich von der Theke löste, wurden mir mehrere Dinge gleichzeitig klar. Erstens war der Typ voll wie eine Kompanie Soldaten am Entlassungstag. Zweitens überragte er mich um fast einen Kopf, obwohl ich 1,90 m groß bin. Und drittens war er in jedem Fall auf Randale aus. Egal, was ich sagen oder tun würde. »Du hast wohl was verwechselt«, sagte ich zu ihm. »Die Dame ist keine Bowlingkugel. Und ich bin kein Kegel, den du einfach umwerfen kannst. Also gehst du besser raus und kühlst dich in der frischen Brise ab.« »Was ist?« röhrte der Kerl mit blutunterlaufenen Augen. »Wenn du Ärger willst - den kannst du haben!« Wie die meisten Schlägertypen verließ er sich ganz auf seine Kraft und seine Tricks. Doch obwohl ich selbst kein Schwächling bin, weiß ich, daß man nur mit Muskeln keinen Kampf gewinnen kann. Jedenfalls nicht mit einem Gegner, der schnell und nüchtern ist. Und das war ich. Seine riesige Faust erschien in der rauchgeschwängerten Luft wie ein
Meteor, der auf die Erde zu krachen drohte. Ich schoß mich schnell in eine andere Umlaufbahn. Mein Oberkörper pendelte. Ich duckte mich unter seinem Schlag weg und ließ eine schnelle Links-Rechts-Kombination in seinen Rippenbogen krachen. Dem Schläger traten die Augen aus den Höhlen. Er versuchte einen linken Schwinger anzubringen. Gleichzeitig hob er sein Bein zu einem gemeinen Tritt. Aber er war zu langsam. Ich hatte beides kommen sehen und erwartete ihn schon. Seinen Schwinger blockte ich mit dem linken Unterarm ab. Dabei ließ ich meine Faust einfach bis zu seinem Kinn durchrutschen. Es gab einen klatschenden Knall wie in einem Kung-FuFilm. Und sein Tritt kam ebenfalls nicht in meinen edelsten Regionen an. Denn ich hatte meinen rechten Oberschenkel zur Abwehr hochgerissen. Für einen Sekundenbruchteil stand der Betrunkene nur noch auf einem Bein. Das nutzte ich aus. Mit angewinkelten Armen versetzte ich ihm einen gewaltigen Stoß. Normalerweise würde man zurückstolpern und versuchen, das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Normalerweise. Aber ich hatte meinen linken Fuß benutzt, um seinen Standfuß auf den Boden zu nageln. Also kam er nicht weg. Also knallte er der Länge nach auf den Kneipenboden. Ein beifälliges Gejohle der anderen Gäste ertönte, als ich mich auf ihn warf. Seine Niederlage hatte die Aggression bei ihm nicht gerade abgebaut. Er schlug blindwütig um sich. Aber ich nahm ihn in eine Beinschere. Meine Waden preßten sich so stark gegen seinen Schädel, daß ihm die Luft wegblieb. Ich wirbelte herum und riß ihm die Arme auf den Rücken. Meine linke Hand tat zwar immer noch weh von den Schnittwunden, doch ich konnte sie einsetzen. Jedenfalls reichte es aus, um den Mann vor mir her Richtung Ausgang zu schubsen. Er beschränkte seine Abwehr inzwischen auf lästerliche Flüche. »Schlaf deinen Rausch aus!« zischte ich in sein Blumenkohlohr. »Und denk mal über dein Benehmen nach!« Dann waren wir an der Schwingtür angelangt. Und ich beförderte ihn mit einem gewaltigen Tritt in den Hintern in die Winternacht hinaus. Gäste und Personal des »Sinterklaasje« waren begeistert von meinem schnellen Eingreifen. »Der hat hier schon öfter Ärger gemacht«, erzählte die Barfrau. Ich zuckte mit den Schultern. »Manche Leute fahren eben nur zu Sportveranstaltungen, um zu randalieren. Traurig, aber wahr.« Das schwarzhaarige Meisje lächelte mir zu. Und ihren holländischen Akzent fand ich genauso niedlich. »Vielen Dank, daß Sie mir geholfen haben, Mijnheer. Und das, wo der Kerl ein Landsmann von Ihnen ist.« »Die Nation hat damit nichts zu tun. Schlägertypen gibt es überall. Aber
lassen wir das Thema. Darf ich Sie zu einem Drink einladen. Ich muß sowieso noch mit dem Barmann Willem reden. Mein Name ist übrigens Mark Hellmann.« Die Dunkelhaarige grinste und rutschte auf den Barhocker neben mir. »Gerne. Für mich auch ein Grolsch. Ich heiße Monique van Woelderen.« Ich schaute in ihre haselnußbraunen Augen. Und vergaß dabei fast das Blut, das immer noch an meiner Hand hinunterlief. Der Barkeeper Willem kam herüber. Er hatte meine Blessur ebenfalls bemerkt und holte einen Verbandskasten unter der Theke hervor. Schnell hatte er die Wunde gereinigt und eine Bandage herumgeschlungen. »Sie sollten das aber noch einem Arzt zeigen, Mijnheer. Schon wegen Tetanus. Aber Sie wollten mich sprechen?« »Ja, Willem. Kennen sie Vincent van Euyen?« »Ja, zeker!« rief der Holländer aus. Mit seinem mächtigen Schnurrbart hätte er sogar meinem Freund Pit Langenbach Konkurrenz machen können. »Der Reporter uit Weimar. Er war letzte Nacht hier. Hat telefoniert. Ich habe ihm Münzen gegeben.« Mein Herz schlug schneller. Ich war also auf der richtigen Fährte. »Ich bin der Mann, den er angerufen hat. Wissen Sie, was er von mir wollte?« Willem zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie es nicht wissen, Mijnheer… Ich habe nur gemerkt, daß er sehr aufgeregt war. Hat er denn nichts angedeutet?« Konnte ich es riskieren, meine Karten auf den Tisch zu legen? Ich warf einen verstohlenen Blick auf meinen Siegelring. Er zeigte keinerlei dämonische Aktivität an. Wenn es in Franeker Vampire oder andere Schwarzblüter gab, waren sie jedenfalls nicht in nächster Nähe. »Vincent van Euyen sagte mir, es ginge um Vampire«, erklärte ich mit der größten Selbstverständlichkeit. Wie ich befürchtet hatte, lachte der Barmann auf. »Vampire? Wie in einem Draculafilm? Da hat Mijnheer van Euyen wohl zuviel Grolsch gehabt!« Ich biß die Zähne zusammen. Die meisten Menschen glaubten heutzutage nicht an übersinnliche Phänomene. Wenn sie ihnen dann allerdings einmal Auge in Auge gegenüberstanden, fielen sie meist aus allen Wolken. Deshalb konnte ich Willem seine Reaktion nicht verdenken. Der Holländer hinter der Theke widmete sich wieder seiner Arbeit. »Nichts für ungut, Mijnheer. Aber ich glaube wirklich, daß Ihr Freund nicht ganz nüchtern war. Er hat auch dauernd was von Planeten gequasselt.« »Von Planeten?« hakte ich nach. »Von Planeten!« bestätigte Willem und öffnete eine Colaflasche. Das ergab keinen Sinn. Was hatten Vampire und Planeten miteinander zu
tun? Aber ich kannte Vincent. Er war kein Spinner. Und auch kein Trunkenbold. Außerdem konnte ich mich an das Telefonat noch genau erinnern. Mein Freund hatte nicht betrunken geklungen. Sondern vielmehr panisch. Als ob er ganz dringend meine Hilfe brauchen würde. Und ich saß hier in der Kneipe herum und stocherte im Nebel. Das konnte einen schon entmutigen. Ich nahm einen großen Schluck Grolsch und beschloß, umgehend zum Arzt zu gehen. Eine Blutvergiftung wegen der Schnittwunde konnte ich mir nun wirklich nicht erlauben. Wenn mich dann auch kein Vampir mehr beißen wird, dachte ich mit bitterem Humor. »Mark…?« Ich sah auf. Durch die Gedanken an das Geheimnis um Vincent hatte ich ganz die Dunkelhaarige vergessen, die auf dem Barhocker neben mir saß. Obwohl Monique van Woelderen zu den Frauen gehörte, die man nicht so schnell vergessen konnte. »Entschuldigen Sie, Monique. Ich habe einige Probleme. Ein Freund ist spurlos verschwunden. Und ich mache mir Sorgen um ihn.« »Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich habe mitbekommen, was Willem gesagt hat. Es gibt in Franeker nur einen Ort, wo sich alles um Planeten dreht. Ihr Freund könnte dort gesehen worden sein.« »Was ist das für ein Ort, Monique?« »Das Planetarium von Eise Eisinga. Aber es hat erst morgen wieder geöffnet.« Ich warf seufzend einen Blick auf meine Armbanduhr. »Klar. Es geht schon auf Mitternacht zu. Und wegen der Elfstedentocht werde ich wohl in ganz Franeker kein Hotelzimmer mehr finden.« »Du kannst bei mir schlafen«, schnurrte mir Monique ins Ohr. »Das ist doch das Mindeste, nachdem du mir vorhin so mutig geholfen hast.« Ich bin ein Mann der schnellen Entschlüsse. Und angesichts meiner fast schon übermächtigen dämonischen Gegner glaube ich nicht, daß ich als Greis im Sessel an Altersschwäche sterben werde. Mit diesen Gedanken nahm ich das Angebot an. »Gerne, Monique.« Übergangslos waren wir zu der vertraulicheren Anrede übergegangen. »Aber erst muß ich noch meine Hand versorgen lassen.« »Zeker - sicher«, erklärte die Holländerin und rutschte vom Barhocker. »Am besten fahren wir nach Harlingen, ins Ziekenhuis Oranjeoord. Dort kannst du deine Verletzung in der Notaufnahme verbinden lassen.« Die Erwähnung von Harlingen, wo sich auch die Polizeischule befindet, versetzte mir einen Stich von schlechtem Gewissen gegenüber Tessa. Aber
dann hakte sich die Dunkelhaarige bei mir ein, und wir verließen die überfüllte Kneipe »Sinterklaasje«. Willem winkte uns freundlich zum Abschied zu. Plötzlich wurde mir klar, daß ich meinen Einsatzkoffer vergessen hatte. Aber da standen wir schon draußen auf dem kleinen Treppchen. »Ich muß noch mal zurück«, erklärte ich Monique. »Ich habe meinen Koffer vergessen…« Aber ich konnte nicht zurück. Ich bemerkte nur noch, wie mein Ring plötzlich stark aufglimmte und sich erwärmte. Dann landete ein gewaltiges Gewicht auf meinem Rücken. Ich knickte in den Knien ein. Das Mädchen schrie vor Entsetzen. Ich rollte mich herum. Spürte die Klauen, die in meinen Rücken geschlagen wurden. Ein Vampir schob seine verzerrte Fratze an mich heran. Seine Fangzähne befanden sich nur noch Zentimeter von meiner Kehle entfernt. Doch das war nicht das Schrecklichste. Der Vampir war niemand anders als mein Freund Vincent van Euyen! * Automatisch brachte ich einen Jiu-Jitsu-Griff an, versuchte mich zu befreien. Doch der Untote hing wie ein Klette an mir. Und als dämonisches Wesen war er mir an Körperkräften natürlich haushoch überlegen. Meine Position war mehr als bescheiden. Alle meine Waffe waren in dem Einsatzkoffer, den ich in der Kneipe vergessen hatte. Ich mußte dem Nachzehrer also mit bloßen Händen gegenübertreten. Es war mir nicht möglich, meinen Blick von seinem Gesicht zu lassen. Einerseits war es Vincent van Euyen, andererseits aber auch nicht. Die Figur und das Gesicht waren täuschend ähnlich. Sogar der Bauch fehlte nicht. Aber die sonst so freundlichen Augen starrten derartig haßverzerrt, daß ich es kaum glauben konnte. War dieses Höllenwesen einmal mein Freund gewesen? »Ich hole Hilfe!« schrie Monique, die ihren Schock überwunden hatte. Ich hörte, wie sich ihre Schritte schnell entfernten. Sie lief in die Kneipe zurück. Ich wollte ihr noch zurufen, daß sie mir meinen Einsatzkoffer bringen sollte. Aber da krachte die Faust des Vampirs gegen meinen Kiefer und ließ mich schon im Ansatz verstummen. Der Schlag warf mich mindestens drei Meter auf dem Kopfsteinpflaster zurück. Ich lag mitten auf der Straße. Zum Glück war um diese späte Stunde der Autoverkehr schon zum Erliegen gekommen. Aber das war nur ein kleiner Trost. Viel schlimmer war der Vampir, der nun mit seinen
ausgestreckten Krallen auf mich zukam. Ein höhnisches Lachen klang durch die Stille. »Nun hole ich dich, Mark Hellmann!« Plötzlich fiel mir der Alptraum ein. Da hatte ich eine Eisenstange aus dem Geländer gerissen, um mich gegen die Monstren mit den Fangzähnen zu wehren. Einen Versuch war es wert. Ich sprang noch einige Schritte zurück. Und war bei der Balustrade angelangt, mit der die Grachtmauer abgesperrt wurde. Der Vampir schlich weiter auf mich zu. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein und es nicht eilig zu haben. Ich packte mit beiden Händen die oberste Stange des Geländers und zog. Nichts. Meine Muskeln spannten sich an. Ich konnte meine linke. Hand wegen der Verletzung kaum belasten. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ich riß mit ganzer Kraft an der Eisenstange. Wieder nichts. In meinem Traum war alles verrostet und verkommen gewesen. Dieses Geländer hingegen war gute solide Handwerksarbeit. Der Vampir war nun schon fast bei mir. Es kam nicht in Frage, wegzulaufen. Ich bin der Kämpfer des Rings. Es ist meine Bestimmung, gegen die Kräfte der Finsternis anzutreten. Allein schon, um die anderen Menschen zu beschützen. Also würde ich das tun. Oder dabei untergehen. Ich drehte mich um und wollte mich zum Kampf stellen. »Zur Seite, Mark!« Das war die Stimme von Vincent van Euyen gewesen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Hatte er sich denn nicht in einen Nachzehrer verwandelt, der mich vernichten wollte? Wohl nicht. Denn nun kam der kleine und dickliche Reporter aus einer Seitengasse herbeigestürzt. Er war es, ganz eindeutig. In den Händen hielt er einen Benzinkanister. Sofort wurde mir klar, was er vorhatte. Mit einem Hechtsprung brachte ich mich in Sicherheit. Der Vampir drehte sich. Für einen Moment starrten sich Vincent van Euyen und sein dämonisches »Spiegelbild« an. Dann überschüttete mein Freund die widerliche Kreatur mit dem Treibstoff. Bevor der Nachzehrer angreifen konnte, hatte Vincent ein Streichholz hinterhergeworfen. Mit einem leisen Geräusch ging die Kreatur in Flammen auf. Vincent goß den Rest des Benzins hinterher. Nun wurde sofort klar, daß hier kein Mensch verbrannt wurde. Uralte, vermoderte Knochen kamen unter den hellen Flammen zum Vorschein. Die untote Existenz wand sich noch für einige Momente auf dem Kopfsteinpflaster. Doch dann war sie endgültig vernichtet. Nun tauchte auch Monique wieder auf. Hinter ihr waren Willem und
einige andere handfeste Männer zu sehen. Sie waren mit Billardqueues bewaffnet. Und staunten nicht schlecht, als sie die von den Flammen verzehrten uralten Gebeine auf der Straße liegen sahen. »Vampire, Willem«, erklärte ich mit einem bitteren Grinsen. »Kaum zu glauben, was?« Vincent van Euyen wandte sich dem Barkeeper zu und hielt eine längere Ansprache. Der Schnauzbärtige starrte ihn ungläubig an. Aber dann senkte er den Kopf und kehrte mit seinen Kumpels in die Kneipe zurück. Sie sahen alle aus, als ob sie einen doppelstöckigen Genever vertragen könnten. * Nun kam ich erst dazu, meinen Freund näher zu betrachten. Der Reporter trug einen seiner üblichen Nadelstreifenanzüge, der ihm nun aber in Fetzen vom Leib hing. Sein Gesicht und sein Oberkörper wiesen mehrere Schnitt- und Schürfwunden auf. Aber die Vernichtung des Vampirs schien ihm seine übliche Seelenruhe zurückgegeben zu haben. Jedenfalls sah ich mit großer Erleichterung, wie er in sein Jackett griff und eine Handvoll »Katzenpfötchen« hervorzauberte. Solange er sein geliebtes Lakritz-Konfekt nicht verschmähte, konnte die Welt nicht völlig aus den Fugen geraten sein. Ob die Polizei auch dieser Meinung sein würde? Ein Streifenwagen mit der Aufschrift Politie auf den Türen rollte auf uns zu. Ein Mann und eine Frau in blauen Polizeiuniformen stiegen aus. Der Mann fragte etwas und deutete auf die verkohlten Vampirüberreste. Man mußte kein Holländisch verstehen. Es war klar, daß er wissen wollte, was geschehen war. Wieder übernahm mein Freund Vincent das Reden. Zuerst sah es aus, als ob sich die Polizisten verschaukelt vorkamen. Doch die ruhige, aber bestimmte Art des Reporters schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Er stopfte seine Pfeife, während er mit den Ordnungshütern debattierte. Ich stand mit Monique van Woelderen ein Stück weit von ihnen entfernt. »Die Politie kann nicht glauben, was passiert ist«, übersetzte die junge Frau für mich. »Und ich eigentlich auch nicht, ehrlich gesagt. Aber ich habe es ja mit eigenen Augen gesehen. Und außerdem muß es schon mal einen - Vorfall gegeben haben.« »Vorfall?« »Ja, mit Vampiren. Ein Unbekannter hat Mareike Boersma getötet. Und ihr alles Blut ausgesaugt. Arme Mareike. Ich habe sie gekannt. Wir sind in derselben Straße aufgewachsen. Sie ist - war einige Jahre jünger als ich.«
Ich überlegte fieberhaft. Ein Opfer hatte es also schon gegeben. Aber wenn diese Mareike durch einen Vampirbiß umgekommen war, würde aus ihr ebenfalls ein Nachzehrer geworden sein. Aber das sagte ich Monique nicht. Plötzlich fiel mir siedendheiß wieder mein Einsatzkoffer ein! Von dunklen Vorahnungen geplagt, eilte ich in die Kneipe zurück. Doch da stand er immer noch vor der Theke, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Niemand schien sich dafür interessiert zu haben. Als ich wieder auf die nächtliche Straße trat, legten die Polizisten gerade eine Plastikplane über die Vampirreste. »Glück im Unglück«, brummte Vincent van Euyen und hielt ein Zündholz über seinen Pfeifenkopf. Er sog am Mundstück, und sein Gesicht wurde durch die Glut in rötliches Licht getaucht. »Wenn dieses Mädchen nicht den Vampiren zum Opfer gefallen wäre, hätten mich die Polizisten jetzt wohl in die Psychiatrie geschafft. Aber der Tod von Mareike Boersma hat sie nachdenklich gemacht. Deshalb haben sie mir den Nachzehrer-Überfall glatt geglaubt.« »Warum sah diese Bestie genauso aus wie du?« bestürmte ich ihn. »Was hast du herausgefunden, Vincent? Welche Rolle spielt dieses Planetarium? Weshalb sollte ich sofort herkommen? Hat Mephisto seine Klauen im Spiel?« Doch bevor der Reporter antworten konnte, hatte sich Monique eingeschaltet. Sie wandte sich meinem Freund zu. »Ich kenne Sie nicht, Mijnheer. Aber ich sehe, daß Sie ebenfalls verletzt sind. Wie wäre es, wenn wir drei nun ins Krankenhaus nach Harlingen fahren? Ihre Geschichte kann sicher bis dahin warten.« Dieser geballten Ladung weiblicher Vernunft konnten wir uns beide nicht entziehen. * Wir nahmen meinen BMW. Monique dirigierte mich über die - von einigen LKW abgesehen - leere Autobahn ins benachbarte Harlingen. Dort befindet sich am Achlumerdijk das Krankenhaus Oranjeoord. Wir hatten Glück. Da es eine ruhige Nacht war, wurden sowohl Vincent als auch ich sofort behandelt. Die Schnittwunden an meiner Hand waren für den Arzt ein Routinefall, wie er bei jeder Kneipenschlägerei vorkommt. Doch angesichts der Verletzungen meines Freundes hob er mehrfach die Augenbrauen und stellte mißtrauische Fragen, die der Reporter gleichmütig zu beantworten schien.
»Sie wollen mich zur Beobachtung hierbehalten«, erklärte Vincent, als er nach einer Stunde sein Jackett wieder anzog. »Aber das läuft nicht. Ich werde auf eigene Verantwortung gehen. Du und ich haben Wichtigeres zu tun, als im Krankenhaus herumzuliegen.« Mit diesen Worten sah er mich ernst an. Monique hatte in einem der grünen Schalensitze auf dem Flur gewartet. »Wieviel weiß sie?« raunte mir der Reporter zu. »Noch weniger als ich«, erwiderte ich. »Wenn du alter Geheimniskrämer endlich mit der Sprache herausrücken würdest…« Bevor Vincent van Euyen etwas sagen konnte, meldete sich sein Magen mit einem erschreckend lauten Knurren zu Wort. Monique und ich sahen uns an und begannen wie auf Kommando zu lachen. »Ich glaube, wir können alle einen Mitternachtsimbiß vertragen«, sagte die Dunkelhaarige. »Um diese Zeit haben allerdings die Restaurants in Harlingen und Franeker schon geschlossen. Aber meine Küche ist zum Glück durchgehend geöffnet.« * Monique van Woelderen bewohnte ein Dachgeschoß in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert. Ich hatte mir gleich beim Eintreten den Kopf an einem der Deckenbalken gestoßen, was bei dem Mädchen und meinem Freund grenzenlose Heiterkeit hervorgerufen hatte. Als hochgewachsener Mensch hat man es eben nicht leicht. Die kleine Wohnung sah aus wie eine Kajüte auf einem Schiff. Die Wände wurden von alten Rettungsringen geschmückt, über dem Bett standen Mordelle von Segelbooten, und um die eiserne Lampe war ein Fischernetz drapiert. Man mußte kein Hellseher sein, um die Interessen des Mädchens zu erkennen. Sie verschwand in der kleinen Küche und kam gleich darauf mit Brot, Wurst und jeder Menge holländischem Käse zurück. Auf dem Herd begann ein Teekessel zu summen, was mich nicht verwunderte. Schließlich waren wir hier in Friesland. Inzwischen merkte auch ich, was für einen Kohldampf ich hatte. Wir langten alle drei kräftig zu, wobei sich besonders der Reporter hervortat. Aber er sah auch so aus, als ob er durch die Strapazen der letzten Stunden mindestens fünf Pfund abgenommen hätte. Während wir schweigend unsere Butterbrote verzehrten, flirtete ich per Blickkontakt mit Monique. Sie gefiel mir wirklich immer besser. Eine junge
Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stand. Das würde sie auch brauchen, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden. Denn ich war mir sicher, daß uns Vincent Haarsträubendes zu berichten hatte. Nachdem sich der Reporter eines von ungezählten Broten mit Gouda in den Mund geschoben hatte, seufzte er wohlig auf und spülte mit heißem Tee nach. Dann stopfte er seine Pfeife. Ich wußte, daß nun die Stunde der Wahrheit kommen würde. »Ich bin hierher nach Franeker gekommen, um über die Elfstedentocht zu schreiben«, begann er seine Erzählung. »Du, Mark, wirst schon erfahren haben, daß dieses Schlittschuhrennen eines der berühmtesten niederländischen Sportereignisse ist. Eigentlich mehr schon ein Volksfest. Bei der letzten Elfstedentocht haben fünfzehntausend Teilnehmer ihre Schlittschuhe auf den Grachten und Kanälen gequält. Und überall an den Strecken warten begeisterte Zuschauer, um sie anzufeuern. Ich kam jedenfalls in Franeker etwas früher an, um auch noch die Vorbereitungen für das Rennen mitzukriegen. Also hatte ich noch Zeit. Und besuchte daher das Planetarium .« »Ein Planetarium?« hakte ich ein. »Das sind doch normalerweise große Gebäude mit Kuppeln und Teleskopen und so was.« »Normalerweise schon«, erklärte Monique van Woelderen, die unserem auf deutsch geführten Gespräch problemlos folgen konnte. »Aber unser Planetarium in Franeker ist etwas ganz Besonderes. Es wurde in einem Wohnzimmer eingerichtet.« Vincent sah meinen erstaunten Blick und fügte hinzu: »Monique hat recht. Ein gewisser Eise Eisinga hat sich in seinem Wohnhaus ein Planetarium gebaut. Mit dem Modell kannst du noch heute den Lauf der Planeten erkennen. Bewegt wird das Schaubild von einem komplizierten Räderwerk, das auch noch Uhrzeit und Datum anzeigt. Obwohl das Eisinga Planetarium fast zweihundert Jahre alt ist, funktioniert es heute noch einwandfrei.« »Aber was hat das nun mit den Vampiren zu tun?« »Nicht so ungeduldig, Mark.« Der Reporter paffte einige große Rauchwolken und schob sich eine Handvoll »Katzenpfötchen« in den Mund. Als Dessert sozusagen. »Ich ging also zum Planetarium in der Eise Eisingastraat 3 und habe mir die galaktischen Bastelarbeiten angesehen. An dem Tag waren gerade Handwerker im Haus. Wegen einer defekten Lichtleitung. Und dann ist es passiert.« »Was?« Ich kannte Vincents Art, die Spannung zu steigern. Aber in dem Moment ging sie mir auf die Nerven. »Sie beschädigten versehentlich mit dem Vorschlaghammer eine Wand. Die Aufsicht kam und hätte die Elektriker beinahe verprügelt. Schließlich
steht das ganze Haus unter Denkmalschutz. Aber dann stellte sich heraus, daß die Wand nur ganz dünn und aus Gips war. Und dahinter…« »… war ein verborgener Raum?« riet das Mädchen. Ihr Gesichtsausdruck zeugte von fiebriger Erregung. »Richtig, Monique. Ein geheimes Zimmer, das in den Jahrhunderten seit der Errichtung des Planetariums nie jemand entdeckt hat. Ich war gerade zufällig in der Nähe, als die dünne Gipsschicht komplett zusammenfiel und eine kleine Tapetentür zum Vorschein kam. Reporterglück, würde ich sagen.« »So wie ich dich kenne, konntest du deine Nase nicht aus dem Raum herauslassen.« »Du kennst mich richtig, Mark. Die Aufsicht hat die Elektriker weggejagt und ist sofort zum Telefon gestürzt, um einen Historiker aus Groningen zu alarmieren. Oder was weiß ich, wer sonst für solche Entdeckungen zuständig ist. Jedenfalls war ich für einen Moment unbeobachtet. Und ich schlüpfte durch die schmale Tür. So gut es halt ging.« Er strich selbstironisch über seinen kugelrunden Bauch. »Was ist hinter der Tür?« fragte ich. Vincent van Euyen sah mich für einige Minuten schweigend an und sog an seiner Pfeife. Obwohl ich überzeugter Nichtraucher bin, nahm ich in diesem Moment den Qualm in Kauf. »Hinter der Tür ist ein zweites Modell, Mark. Aber nicht von den Planeten unseres Universums.« »Sondern?« Ich haßte es, ihm die Informationen wie Würmer aus der Nase ziehen zu müssen. »Von Paralleluniversen.« »Was ist das?« fragte Monique atemlos. »Das Wort Paralleluniversum geht auf eine geschichtliche Theorie zurück«, erklärte ich. »Diese Lehre besagt, daß unsere Welt nicht die einzige ist. Es existieren unendlich viele Welten neben unserer. Es sind Welten, in denen sich die Dinge anders entwickelt haben als in unserer Realität. Deshalb gibt es dort andere Realitäten.« »Das ist mir zu hoch«, sagte das Mädchen. »Es ist ganz einfach, wenn man es auf das eigene Leben anwendet, Monique. Angenommen, dieser Kerl in der Kneipe hätte dich nicht belästigt, sondern eine andere Frau. Was wäre dann geschehen?« »Er hätte die andere gegen dich gestoßen. Dann hätte ich dich nicht kennengelernt. Ich hätte auch von diesem Vampir nichts mitbekommen.« »Genau richtig!« bestätigte ich. »In einer anderen Parallelwelt hat eine andere Monique einen anderen Mark nie kennengelernt.« »Das ist ja Wahnsinn!« rief die Dunkelhaarige und faßte sich an den Kopf. »Jeder kleinste Gedanke, jede kleinste Tat…«
»… hat unabsehbare Folgen«, sagte ich. »In noch einer anderen Welt hat ein anderer Mark Hellmann nie als freier Journalist gearbeitet. Er versauert als wissenschaftlicher Assistent in einem Museum.« »In einer weiteren anderen Welt sind meine Vorfahren nie nach Deutschland gegangen«, warf Vincent ein. »Also hat der Vincent in dieser Welt nie in Weimar gelebt und sich nie mit Mark Hellmann angefreundet.« »Aber dann muß es ja unendlich viele Parallelwelten geben.« »Die gibt es auch, Monique. Jedenfalls, wenn man der Theorie glauben will«, relativierte ich. »Ich mußte ihr glauben«, warf der Reporter bitter ein. »Denn ich habe eine andere Welt gesehen.« Seine Kinnmuskeln spannten sich an, als ob er das Mundstück seiner Pfeife durchbeißen wollte. »Erzähl weiter!« drängte ich ihn. »Du bist also durch die Tür gegangen und hast das Modell der Paralleluniversen gesehen.« »Richtig, Mark. Es ist der pure Wahnsinn. Dieser Eise Eisinga muß ein Genie gewesen sein. Wenn er es ist, der es gebaut hat. Natürlich kann man unendliche Universen nicht mit einer Bastelei darstellen. Nur das Prinzip. Und das habe ich ziemlich schnell erkannt.« »Und wie lautet das Prinzip?« »Jede dieser Welten existiert nebeneinander, Mark. Sie haben nichts miteinander zu tun. Doch es gibt einzelne Tore oder Pforten, durch die man in ein anderes Paralleluniversum hinüberwechseln kann.« »Woher weißt du das?« fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte. »Weil ich in einer anderen Welt gewesen bin.« * Nach dieser Bemerkung des Reporters herrschte für einige Zeit Stille in der gemütlichen kleinen Wohnung von Monique van Woelderen. Es war, als müßten wir erst einmal verdauen, was er gesagt hatte. Und was das für uns bedeutete. Und für die Welt, so wie wir sie kannten. Ich selbst bin zwar schon oft in andere Zeiten und Dimensionen gereist. Aber das kann ich nur tun, weil ich durch meine Bestimmung und meinen Ring ein Auserwählter bin. Doch eine Pforte zwischen den Welten, durch die jeder in eine andere Realität hinüberwechseln kann? An diesen Gedanken mußte ich mich wohl gewöhnen. »Der Raum ist winzig klein«, fuhr Vincent fort. »Dort befindet sich nur das Modell der Paralleluniversen. Und die Pforte selbst, ein kleiner Durchgang, der mit Totenschädeln umrahmt ist. Das hätte mich schon mißtrauisch machen sollen. Das und die Nachzehrer-Flaschen, die auf
einem kleinen Regal standen.« Ich fuhr auf. »Du meinst…« Vincent nickte. »Ja, genau. Ein halbes Dutzend.« »Ich habe keine Ahnung, worum es geht!« beschwerte sich Monique. »Sprecht nicht in Rätseln, bitte.« »Nachzehrer-Flaschen«, wiederholte ich. »In früheren Jahrhunderten gab es weißmagische Zauberer, die Vampire in Flaschen einschließen konnten. Diese besonderen Flaschen kennt man, wenn man sich länger mit übersinnlichen Dingen befaßt hat.« »So wie du«, sagte das Mädchen mit einem unsicheren Grinsen. »So wie ich.« Dann wandten wir uns wieder Vincent van Euyen zu. »Ich habe also die Nachzehrer-Flaschen ignoriert und bin durch die Pforte gekrochen«, erzählte der Reporter. »Zuerst dachte ich, es wäre eine optische Täuschung. Denn der Raum auf der anderen Seite sah auf den ersten Blick genauso aus wie das Geheimzimmer mit dem Paralleluniversum-Modell. Aber nur auf den ersten Blick. Denn es fehlten die Flaschen auf dem Regal. Statt dessen war dort ein riesiges Gemälde angebracht, das wohl Mephisto darstellen sollte.« Ich nickte grimmig. »Die Welt jenseits der Pforte ist völlig böse!« sagte Vincent mit Nachdruck. »Ich bin dort in einem Franeker angekommen, das aussah wie nach einer Atomexplosion. Die Häuser schwarz und ausgebrannt. Alles düster, deprimierend und hoffnungslos. Die Gracht ist mit Blut gefüllt!« »Und überall lauern diese widerwärtigen vampirischen Kreaturen!« ergänzte ich. Mein Freund starrte mich überrascht an. »Woher weißt du das?« »Ich habe es in einer nächtlichen Vision gesehen, Vincent. Mich selbst, wie ich dort gegen diese Blutsauger gekämpft habe. Kurz bevor du angerufen hast.« Diese Bemerkung traf ihn. Aufgeregt stopfte er sich eine Handvoll »Katzenpfötchen« in den Mund. »Vielleicht spielt jemand ein Spiel mit uns, Mark. Möglicherweise war es kein Zufall, daß der Handwerker die Wand zerschlagen hat, als ich gerade im Planetarium war.« Ich brauchte es nicht auszusprechen. Mir war klar, daß Vincent in diesem Moment an denselben Ungeist dachte wie ich. Mephisto. Mein Erzfeind. Der mächtigste Dämon der Hölle, der mich und die Freunde meiner Familie wie lästige Insekten zertreten wollte. »Was ist dort drüben geschehen?« fragte ich. Auf den Armen von Monique hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Sie wurde hier aber auch mit unglaublichen Dingen konfrontiert!
»Ich bin herumgeschlichen, bis ich auf diese Monstren mit den Fangzähnen gestoßen bin. Zum Glück waren das ein paar Exemplare, die ziemlich langsam waren. Du wirst sie ja in deiner Vision auch gesehen haben. Trotzdem konnte mich eins von ihnen anfallen. Daher ist mein Anzug in diesem traurigen Zustand. Von meinen Wunden ganz zu schweigen. Aber bevor es mich beißen konnte, bin ich wieder durch die Pforte in unsere Welt zurück.« »Aber warum ist diese Kreatur nicht hinter dir hergekommen? Und woher stammt dieser Vampir, der so aussah wie du?« »Mein blutsaugerischer Doppelgänger ist aus der Vampir-Parallelwelt, Mark. Ich habe keine Ahnung, warum er die Pforte überwinden konnte und die anderen Monstren nicht. Er muß kurz hinter mir den Dimensionssprung gemacht haben. Erst dachte ich, er wollte mich beißen. Aber der Nachzehrer hatte überhaupt keinen Blick für mich. Wie ein ferngesteuerter Roboter hat er sich aufgemacht, quer durch Franeker. Ich bin ihm unauffällig gefolgt und habe fieberhaft überlegt, wie man Vampire von ihrer untoten Existenz befreien kann. Einen Eichenpfahl konnte ich mitten in der Nacht nicht auftreiben. Aber einen Kanister Benzin.« Er lachte auf. »Gott sei gedankt für durchgehend geöffnete Tankstellen!« »Ich verdanke dir mein Leben«, sagte ich ernst und drückte seine Hand. »Ohne dich hätte mich der Vincent-Vampir erwischt. Und ich würde jetzt schon als Untoter hier herumspuken.« Der Reporter grinste geschmeichelt. »War mir ein Vergnügen, Mark. Du wirst dich bestimmt zu gegebener Zeit revanchieren.« »Eins verstehe ich aber nicht, Vincent«, sagte ich. »Wenn du die ganze Zeit dort drüben in der anderen Realität warst - wann hast du mich dann angerufen?« Wir sahen uns erschrocken an. »Ich habe dich angerufen!« beharrte mein Freund. »Das weiß ich ganz genau. Aber ich kann mich nur noch an den Anruf selbst erinnern. Nicht mehr an das, was vorher oder nachher passiert ist.« Nachdenklich drehte ich meine Teetasse in den Händen. »Fast kommt es mir so vor, als wären jetzt mehr Fragen offen als vor deiner Erzählung. Warum können einige Vampire die Pforte überwinden und andere nicht? Wie viele sind schon hier drüben? Gibt es eine Möglichkeit, das Dimensionstor wieder zu verschließen? Und vor allem: Warum hat Eise Eisinga dieses Modell der Paralleluniversen gebaut? Welcher Sinn steckt dahinter?« Wir schwiegen für eine Weile und hingen unseren Überlegungen nach. Dann meldete sich Monique van Woelderen zu Wort. »Ich wüßte eine Möglichkeit.«
Gespannt schauten wir sie an. »Von dem geheimen Zimmer wußte ich natürlich nichts. Niemand wußte das. Aber es hieß immer, Eisinga hätte sein Modell - das normale, das Planetenmodell - nur gebaut, um den Mitmenschen eine Angst zu nehmen.« »Was für eine Angst war das?« fragte ich. »Die Angst vor dem Weltuntergang.« * Henk ten Molde und Jan Cuyper rasten durch die Nacht. Die beiden Freunde waren echte Techno-Fans. Spaß, das hieß für sie, ständig unterwegs zu sein. In Henks kleinem Honda Civic hatten sie den Abend bei einem Rave in Zwölle gestartet. Dort hatte es sie nicht sehr lange gehalten. Und sie waren über die Grenze nach Deutschland gefahren, wo es in Münster in der Nähe des Hafens einen Club gab, der in ihren Kreisen einen guten Ruf genoß. Doch in jener Nacht war ihnen das DJAufgebot nicht abgefahren genug. Es hielt sie nicht an einem Ort. Wenn sie unterwegs waren, rissen sie manchmal fast tausend Kilometer ab. Bis zum Stehkragen aufgeputscht mit Drogen. Von Münster waren sie Richtung Norden gefahren und hatten in Groningen die Autobahn verlassen, um noch schnell ein paar weitere Pillen zu kaufen. Sie hatten dafür viele Adressen. Gerade wollten die Techno-Fans nach erfolgreichem Deal wieder auf die A22 fahren, als diese Blondine im Scheinwerferlicht auftauchte. »He, Jan!« rief der am Steuer sitzende Henk und fuhr sich mit dem Zeigefinger über seine gepiercten Augenbrauen. »Sieh dir mal dieses Geschoß an!« Das Mädchen war so sexy wie keine andere, die sie in dieser Nacht auf den diversen Partys und in den Clubs gesehen hatten. Den beiden Freunden fielen fast die Augen aus dem Kopf. Sie trug einen sehr knappen Minirock, hohe Stiefel mit Plateausohlen und einen rosa gefärbten Kunstpelz. Henk ten Molde malte sich aus, wie ihn die neidischen Blicke treffen würden, wenn er mit diesem Girl im Schlepptau auf dem nächsten Rave auflief. Sie hob einen Daumen und lächelte charmant ins Scheinwerferlicht. »Die nehmen wir mit!« riefen die Partygänger wie aus einem Mund. Henk stieg in die Bremsen. Der Honda Civic kam wenige Meter hinter dem Mädchen zum Stehen. Schnell lief sie zur Beifahrertür. »Hallo, Boys!« sagte sie mit ihrer einschmeichelnden Stimme und beugte
sich in das schnell heruntergekurbelte Fenster. Dabei gönnte sie den beiden jungen Männern den Spaß, in ihr tiefes Decollete zu starren. »Fahrt ihr Richtung Franeker?« Eigentlich wollten die Freunde bloß bis Leeuwarden, wo am Stadtrand ein großer Rave ablaufen sollte. Aber sie hätten sich in diesem Moment lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. »Klar doch!« erklärte Henk und riß dabei seinen Mund zu einem wölfischen Grinsen auf. Sogar seine Unterlippe war gepierct. »Komm an meine grüne Seite!« Jan Cuyper biß die Zähne zusammen und trollte sich auf den Rücksitz. Ihm gehörte die Karre nicht, also mußte er gute Miene zum bösen Spiel machen. Aber noch war ja nicht gesagt, daß Henks Chancen bei der Kleinen besser waren als seine eigenen. Noch war das Rennen offen. Das kesse Mädchen schlug die Beifahrertür zu und blitzte die beiden Teenager aus ihren blauen Augen herausfordernd an. Henk trat das Gaspedal durch. Er wollte sie mit seiner waghalsigen Fahrweise beeindrucken. Weder er noch sein Kumpel konnten ahnen, daß sie gerade den Tod zu sich eingeladen hatten. Die Musikanlage war so laut aufgedreht, daß die Scheiben klirrten. Der hämmernde Techno-Sound schien den kleinen Wagen durch die Nacht zu treiben. Die Blonde lachte und schlug ihre wohlgeformten Oberschenkel übereinander. »Du fährst ja einen heißen Reifen!« brüllte sie Henk ins Ohr. Der gepiercte Fahrer fühlte sich geschmeichelt. Mit Komplimenten konnte man ihn immer um den Finger wickeln. Besonders, wenn sie von einer so blendend aussehenden Frau kamen. »Das ist nicht das einzige an mir, was heiß ist, Baby!« »Wirklich?« Plötzlich war ihre linke Hand auf seinem Oberschenkel. »Dann beweis es mir!« Henks Adamsapfel hüpfte ruckartig auf und nieder. Plötzlich war er in einer Situation, die sich sonst immer nur in seinen Wunschträumen abspielte. Denn die meisten Mädchen waren von seiner großspurigen Art eher abgenervt und ließen ihn links liegen, bevor es zur Sache ging. Jan Cuyper hatte von seiner Position auf dem Rücksitz aus alles mitbekommen. Aber bevor er vor Eifersucht platzen konnte, hatte sich die neue Mitfahrerin schon halb umgedreht und ihm eine Kußhand zugeworfen: »Du gefällst mir auch, Süßer. Ich kann mich gar nicht zwischen euch entscheiden. Da werde ich euch wohl beide nehmen müssen.«
Und sie meinte diese Worte sogar ernst. Wenn auch in einem anderen Sinn, als es sich die beiden Freunde erträumten. Henk setzte den Blinker und überholte einen Lastzug. Nach Mitternacht war auf diesem Teil der Autobahn nur wenig Verkehr. Er glaubte, daß hier irgendwo ein Rastplatz kommen mußte. Und er täuschte sich nicht. Schon nach fünf Kilometern zeigte ein Schild die ersehnte Ausfahrt an. Während der ganzen Zeit hatte die Blondine ihre Hand nicht von seinem Bein genommen. Sie schien es nicht für nötig zu halten, große Worte zu machen. Das war ganz im Sinn von Henk und Jan. Außerdem wäre es bei der ohrenbetäubenden Musik im Auto auch gar nicht möglich gewesen. Der gepiercte Fahrer brachte den Honda mit radierenden Reifen zum Stehen. Weit und breit war kein anderes Auto in Sicht. Die beiden Freunde waren völlig high. Aufgeputscht von der Musik, den Drogen und dem, was nun ihrer Meinung nach folgen würde. Die Blonde verzog den Mund zu einem spitzbübischen Grinsen und schaltete das Cassettendeck aus. »Geiler Sound«, meinte sie. »Aber den können wir auch später weiterhören, okay? Machen wir es uns doch auf dem Rücksitz bequem.« Und sie sah Henk dabei direkt in die Augen. Jan spielte den Coolen. »Ich vertrete mir dann mal solange die Beine.« Das Mädchen stieg aus und klappte den Beifahrersitz zurück, um den Jungen an ihr vorbeizulassen. Als sich ihre Körper fast berührten, kniff sie ihm in den Hintern. »Du kommst auch noch an die Reihe, Süßer. Keine Sorge. Es wird super!« Jan wurde es heiß und kalt zugleich bei dieser Ankündigung. Aber er tat so, als würde er solche eindeutigen Angebote täglich mehrmals bekommen. Mit den Händen in den Taschen schlenderte er ein Stück weit durch die eiskalte Januarnacht. Seine dünne Trainingsjacke war eher dafür geeignet, auf Raves herumzustehen. In dieser Saukälte konnte man sich darin schon den Arsch abfrieren. Aber die Kleine wird mir schon noch einheizen, freute sich der Teenager und zündete sich eine Zigarette an. Dann warf er einen scheuen Blick über die Schulter hinweg zum Auto. Er wollte schließlich nicht als Spanner gelten. Obwohl das Licht brannte, konnte er nicht deutlich sehen, was dort vor sich ging. Er sah nur, daß die Karosserie schaukelte. Plötzlich ertönte ein unmenschlicher Schrei aus dem Wageninneren. Jan Cuyper wiegte sich auf den Fußballen. Sein Freund Henk schien ja ganz schön ranzugehen. Der ließ eben nichts anbrennen. Aber diese Blonde gehörte auch nicht gerade zu der schüchternen Sorte. Wenn er, Jan, erst einmal selbst ein Auto hatte, würde er auch seine Abschleppquote bei
Mädchen erhöhen können. Dann rechnete er sich aus, wie viele Stunden er mit Rasenmähen und anderen Jobs zubringen mußte, bis er sich seine Traumkarre leisten konnte. Diese Kopfrechnung ließ seine Stimmung beträchtlich sinken. Doch nur wenig später hellten sich seine Gesichtszüge wieder auf. Der Junge sah, wie sich in dem Auto etwas bewegte. Die Beifahrertür wurde wieder geöffnet. Das hat ja nicht sehr lange gedauert, dachte er mit einem spöttischen Grinsen. Nur eine Zigarettenlänge. Schwache Leistung, Henk! Die Blonde stieg aus und ging geradewegs auf Jan Cuyper zu. Der Partygänger ahnte immer noch nichts Böses und machte weiterhin auf cool. Mit den Händen in den Taschen seiner weiten Hosen erwartete er seine Quickie-Partnerin. Doch je näher sie kam, desto stärker gefror das Lächeln auf seinen Lippen. Das Mädchen trug ihre Pelzjacke und den Minirock. Beides war über und über mit Blut bespritzt. Die rote Flüssigkeit lief auch an ihrem Kinn herunter. Jan verharrte noch einen Moment bewegungslos. Er war zu geschockt, um fliehen zu können. Und dann sah er die weißen Fangzähne im Licht der einsamen Parkplatzbeleuchtung. Eiskalte Totenhände schienen nach seinem Herz greifen zu wollen. Dann überwand er endlich seine Erstarrung. Und rannte los. Schrie sich dabei die Seele aus dem Leib. Er hatte keine Chance. Vampire sind nicht nur stärker als Menschen, sondern auch schneller. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis er die Plateausohlen des Mädchens direkt hinter sich hörte. Ihr rechter Arm schoß vor. Legte sich um seine Kehle. Instinktiv schlug der Junge um sich. Er hatte sich schon oft auf dem Schulhof schlagen müssen. Eigentlich hatte er sich immer behaupten können, sogar gegen größere Kerle. Er war ziemlich zäh. Aber gegen einen schwarzmagischen Gegner nützte ihm das überhaupt nichts. »Laß mich!« brüllte er. »Ich will nicht!« Unbarmherzig zog das blonde Mädchen seinen Oberkörper immer näher an sich heran. Seine Fausthiebe schienen von ihr abzuprallen wie das lauwarme Wasser einer Dusche. Aus der Nähe sah sie noch viel unheimlicher aus. Entsetzt starrte Jan auf ihre untoten Augen. Die Freude auf den Quickie war plötzlich in sich zusammengefallen. »Aber ich will!« sagte die junge Frau mit ruhiger Stimme. »Und das reicht.« Ihre rechte Hand grub sich in das Haupthaar des Jungen. Sie riß seinen Kopf zurück und beugte sich über ihn. Jan Cuyper konnte nicht wegsehen, obwohl er es gerne wollte. Er bemerkte ihre scharfen Fangzähne. Und dann
spürte er sie an der Haut seines Halses. Sein Todesschrei ging in einem Gurgeln unter. Mareike Boersma trank ihn leer, wie schon zuvor seinen Freund Henk ten Molde. Sie hatte schnell erkannt, worauf es für eine Blutsaugerin ankam. Deshalb ließ sie auch keine Gelegenheit aus, um an den Lebenssaft heranzukommen, der ihre Kräfte vergrößerte. Das Mädchen schaute an sich hinunter und stellte fest, wie schmutzig sie war. Nicht auffallen. Das war ihre neue Devise. Deshalb streifte sie den Minirock und den Kunstpelz ab und zog dem toten Jan Cuyper den Trainingsanzug aus. Er war ihr zwar etwas zu groß und viel zu weit, aber bei der heutigen Mode fiel das nicht weiter auf. Dann ging sie zu dem Honda Civic zurück. Ohne Hast packte sie die Leiche von Henk ten Molde und ließ sie achtlos auf den Parkplatz fallen. Sie setzte sich auf den Fahrersitz, schloß die Türen, drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Zum Glück hatte sie gerade vor wenigen Wochen ihre Führerscheinprüfung bestanden. Das Geschenk ihrer Eltern zum achtzehnten Geburtstag. Das Gebiß der Nachzehrerin verzog sich zu einem bösen Lächeln. Wie lange lag dieses ganz normale menschliche Leben nun schon zurück! Es kam ihr vor, als würde sie sich mit jeder ihrer Taten davon mehr entfernen. Für sie war nur noch eins wichtig: ihrem Meister Mephisto treu zu dienen. Deshalb war sie um so glücklicher, daß es nun Richtung Franeker ging. Ihrer Bestimmung entgegen. Sie fuhr zu ihm. Zu Mark Hellmann. Zu dem Mann, den sie töten sollte. * Der Weltuntergang. Eine Horrorvorstellung, von der die Menschheit seit dem Beginn aller Zeiten verfolgt wurde. Nicht umsonst finden sich in der Bibel und in anderen Heiligen Schriften ausführliche Darstellungen von der Sintflut und anderen Katastrophen, die ein Ende des bisher bekannten Universums beschreiben. Das waren die Gedanken, denen Vincent, Monique und ich in dieser Nacht in der kleinen Dachwohnung nachhingen. »Plötzlich bekommt alles einen anderen Sinn«, sagte die Dunkelhaarige. »Wie meinst du das?« wollte ich wissen. »Eise Eisingas Planetarium sollte den Leuten erklären, wie unser Sonnensystem funktioniert. Damals glaubten viele noch, die Erde wäre eine Scheibe. Und fürchteten sich vor dem Weltuntergang, weil die Scheibe
umkippen könnte. Aber vielleicht hat er ja etwas ganz anderes gemeint. Zum Beispiel, daß die Welt, wie wir sie kennen, untergeht.« Ich schnippte mit den Fingern. »Genau! Er hat diese Dimensionspforte entdeckt und zu seinem Entsetzen herausgefunden, was für eine grauenvolle Parallelwelt auf der anderen Seite liegt.« »Deshalb wird er das Tor mit weißmagischen Kräften verschlossen haben«, schlug Vincent vor. »Und hat diesen Teil seines Planetariums zugemauert, damit die Menschen nicht aus Neugierde in dieses Universum des Grauens gelangen wollen.« »Dann wissen wir ja jetzt, was wir zu tun haben«, sagte ich. »Diese Pforte wieder schließen. Und die Vampire, die schon in unsere Welt eingedrungen sind, von ihrer untoten Existenz erlösen.« »Wie wollt ihr das machen?« fragte Monique. Ich zog meinen Einsatzkoffer unter dem Tisch hervor und zeigte ihr die einzelnen Instrumente. Sie pfiff durch die Zähne. »Bist du so eine Art Exorzist?« Ich lachte. »Nein. Ein Exorzist ist ein Priester, der Kraft seines Amtes Dämonen austreibt. Ich kämpfe auch für das Gute. Aber auf einer anderen Ebene.« Sie schien sich für den Moment mit meiner etwas vagen Antwort zufriedenzugeben. Vincent van Euyen gähnte laut und unüberhörbar. »Mir kommt es vor, als ob ich ewig in dieser anderen Dimension gewesen bin. Dabei war ich nach meiner eigenen Uhr nur fünf Minuten fort.« »Dort herrscht wohl eine andere Zeit«, sagte ich. »Der Portier in deinem Hotel sagte jedenfalls, du wärst die ganze Nacht und den ganzen Tag nicht in deinem Zimmer gewesen.« »So lange? Dann brauche ich jetzt wirklich eine Mütze voll Schlaf. Wir sollten morgen früh zum Planetarium gehen, Mark. Und den Verantwortlichen klarmachen, daß dieses Geheimzimmer niemals von der Öffentlichkeit betreten werden darf.« »Das wird nicht leicht sein.« Wir verabschiedeten uns. Für den Reporter schien es keine Frage zu sein, daß ich bei Monique übernachten würde. Waren die Signale zwischen uns so eindeutig? Ich war gerade eingeschlafen, da hatte ich schon meinen eigenen Tod vor Augen gehabt! * Es war noch dunkel, als der gestohlene Honda Civic in Franeker eintraf.
Die kleine Stadt schien friedlich zu schlafen. Um vor dem großen Tag der Elfstedentocht noch einmal Kraft zu schöpfen. Mareike Boersma stellte den Wagen achtlos irgendwo am Ortseingang ab. Er hatte seinen Dienst getan. Die blonde Vampirin war in der friesischen Stadt geboren und aufgewachsen. Ein großer Vorteil für sie. Denn dadurch kannte sie hier jede Ecke und jeden Winkel. Kein Problem also, ein Versteck zu finden, in dem sie den schon bald heraufdämmernden Tag überstehen konnte. Wie die meisten Blutsauger würde Mareike auf der Stelle zu Staub zerfallen, wenn ein Sonnenstrahl ihren untoten Körper traf. Daher mußte sie sich tagsüber an einem Ort aufhalten, wo sie ungestört in absoluter Dunkelheit schlafen konnte. Zielstrebig schritt sie durch die schmalen Gassen. Für ihre Eltern, die den gewaltsamen Tod ihrer Tochter betrauerten, hatte sie keinen Gedanken. Dieses menschliche Leben mit seinen Gefühlen wie Freundschaft und Liebe war für sie vorbei. Es zählte nur noch die ewig währende Existenz als Dienerin von Mephisto. Mareike bog in die Vijverstraat ein. Hier gab es ein Lagerhaus, in dem sie als Kind mit ihren Freundinnen oft Versteck gespielt hatte. Wirklich wertvolle Dinge wurden dort nicht aufbewahrt. Deshalb war das Gebäude wohl auch nur mit einem simplen Vorhängeschloß gesichert. Die Blutsaugerin lächelte höhnisch und riß mit einem einzigen Griff ihrer dämonisch starken Hand den Einbruchschutz ab. Die Neonröhren flammten auf, als sie den Schalter betätigte und den muffigen Raum betrat. Mareike grinste. Darauf hatte sie gehofft. Der rechteckige Lagerschuppen hatte keine Fenster, nur einen kleinen Ventilator. Der wurde aber wohl nur im Sommer benutzt. Ungefähr drei Dutzend lange Kisten waren aufgestapelt. Die Blutsaugerin ging in die hinterste Ecke und öffnete einen der Behälter. Darin befanden sich zugeschnittene Eisenrohre. Das Mädchen hatte keine Ahnung, welchem Zweck sie dienen sollten. Es interessierte sie auch nicht. Nur die Kiste zählte. Mareike hob die Rohre aus dem Holzbehälter und stapelte sie so, daß man sie von der Tür aus nicht gleich sehen konnte. Dann schwang sie sich selbst in die Kiste und schloß den Deckel. Es klappte. Kein Lichtstrahl drang zu ihr durch. Obwohl sie die Beine etwas anziehen mußte, fand sie es bequem. Ihr vampirischer Instinkt würde ihr sagen, wenn die Abenddämmerung wieder hereinbrach. Dann, wenn es Zeit wurde für den Tod von Mark Hellmann! * Der Kaffee schmeckte ungewohnt, etwas stärker gebrannt als der in
Deutschland. Aber nach der recht kurzen Nacht war er genau das Richtige, um die Lebensgeister wieder zu wecken. Ich saß Monique am Frühstückstisch gegenüber. Sie bestrich einen Toast mit Butter und streute dann aus einer Dose eine Art bunten Schokostreusel darüber. Die Dunkelhaarige mußte lachen, als sie meinen entgeisterten Blick sah. »Erstaunt, Mark? Das ist Hagelslag, eine hollandse specialiteit. Probier mal!« Das tat ich neugieriger Mensch natürlich. »Schmeckt gut«, bestätigte ich mit vollem Mund. »Sehr süß. Fast so süß wie du.« »Schmeichler«, hauchte Monique. Dann blickte sie auf die Uhr. »Ich muß zur Arbeit, sonst kriegt mein Chef einen Wutanfall.« »Was machst du denn?« »Ich arbeite auf einer Bootswerft. Als Schiffszimmermann. Oder heißt das bei euch Zimmermädchen?« »Nein, das ist was anderes.« »Jedenfalls müssen wir jetzt im Winter alle Jachten für das Frühjahr fit machen. Damit die Hobbykapitäne dann wieder segeln können. Meine Nummer habe ich dir aufgeschrieben. Wenn du mich mal anrufen möchtest.« Sie hauchte mir zum Abschied noch einen Kuß auf die Wange und war kurz darauf verschwunden. Nicht ohne mich zu bitten, die Wohnungstür einfach ins Schloß zu ziehen. Ich goß mir eine letzte Tasse Kaffee ein und dachte nach. Von meiner Todesvision hatte ich Monique nichts erzählt, um sie nicht zu beunruhigen. Ich fand, daß sie schon viel zuviel mitbekommen hatte. Aber sie schien es einigermaßen verkraftet zu haben. Der beste Beweis dafür war wohl, daß sie zur Arbeit ging, als sei nichts geschehen. Als wäre sie in der Nacht nicht mit der Existenz einer grauenvollen Parallelwelt konfrontiert worden. Ich dachte darüber nach, ob Mephisto hinter der ganzen Geschichte steckte. Es war schon ein seltsames Zusammentreffen, daß das Geheimzimmer gerade in dem Moment entdeckt wurde, als mein Freund Vincent van Euyen in der Nähe war. Schon deshalb wollte ich nicht an einen Zufall glauben. Das trug für meinen Geschmack zu sehr die Handschrift des Höllenfürsten. Andererseits - was würde das ändern? Ich mußte um jeden Preis verhindern, daß die Unwesen aus dieser dunklen Welt durch diese Pforte stürmten. Plötzlich hatte ich ein seltsames Gefühl. Mir war, als wäre ich nicht mehr allein im Zimmer. Ich wirbelte herum. In der gegenüberliegenden Ecke schwebte ein kleiner Mann über dem
Boden. Er war feinstofflich, schemenhaft. Von Sekunde zu Sekunde wurde seine Gestalt mal deutlicher, dann wieder verschwommener. So wie ein Fernsehbild bei schlechtem Empfang. Jedenfalls konnte ich sehen, daß er wie ein Bürger des 18. Jahrhunderts gekleidet war. Schwarzer Gehrock aus dickem Stoff. Stehkragen. Hochgeknöpfte Weste. Lange Koteletten. Enttäuscht warf ich einen Blick auf meinen Siegelring. Er hatte mich nicht vorgewarnt. Die Erscheinung schien meinen Gedanken gelesen zu haben. Sie lachte meckernd. »Sei nicht traurig, Mark Hellmann. Dein Ring warnt dich nur vor dem Bösen. Aber ich bin kein Teufel und kein Blutsauger.« »Was bist du dann?« Mein Einsatzkoffer stand einige Schritte von mir entfernt. Ich versuchte nicht, ihn zu erreichen. Wenn mir dieses Wesen an den Kragen wollte, hätte es das schon längst tun können. Mein Gefühl sagte mir außerdem, daß es mir freundlich gesinnt war. »Das ist nicht wichtig. Meine Zeit liegt hinter mir. Du hast deine Aufgaben noch zu erfüllen. Trotz allem, was du heute nacht gesehen hast.« »Hast du mir die Vision von meinem Tod geschickt?« Der Geist im Gehrock wiegte den Kopf. Das konnte sowohl ja als auch nein bedeuten. »Ich kenne weder Ort noch Stunde deines Endes, Mark Hellmann. Aber eins weiß ich genau. Ein Mark Hellmann wird bald sterben. Sehr bald.« Ich kniff die Lippen zusammen. »Du scheinst dich ja wirklich auszukennen. Und was ist mit dem Kampf am Blutkanal, von dem ich in Weimar geträumt habe?« »Das war kein Traum, Mark. Das war Realität. Eine Realität.« Wenn mich dieses Wesen verwirren wollte, hatte es das schon halb geschafft. Ich atmete tief durch. »Könntest du dich etwas klarer ausdrücken, bitte?« »Also gut. Es gibt diesen Kampf, den du im Schlaf gesehen hast. Es hat ihn gegeben. Oder es wird ihn in Zukunft geben. Was ist Zeit? Darauf haben die größten Philosophen der Menschheit keine befriedigende Antwort gefunden. Warum sollte das ein Geist aus ferner Vergangenheit können?« »Weil er etwas anderes gesehen hat als unsere Welt.« Das Wesen im Gehrock lachte. »Eine gute Antwort, Mark Hellmann. Aber glaube mir: Je mehr du erkennst, desto weniger verstehst du.« Ich verzog den Mund, als hätte ich Zahnschmerzen. »Du bist bestimmt weise, lieber Geist. Aber was genau willst du mir sagen?« »Ich will dich bestärken. Gehe in das Planetarium. Schließe diese Höllenpforte. Und vernichte die untoten Blutsauger, die über deine Welt zu
kommen drohen.« »Warum ist dieses Tor zu anderen Universen überhaupt geöffnet worden?« fragte ich. »Und von wem? Von dir - Eise Eisinga?« Der Geist starrte mich an, sagte eine ganze Weile nichts. Dann sprach er wieder. »Ich war nur ein einfacher Wollkämmer. Mein Planetarium habe ich gebaut, um den Menschen zu zeigen, wie die Welt wirklich ist. Aber dann bin ich zu weit vorgedrungen. Es gibt Dinge, die man den Leuten nicht zeigen darf. Weil sie sonst wahnsinnig werden.« »Was sind das für Dinge?« hakte ich nach. Obwohl ich mir die Antwort denken konnte. »Die Dinge, die auf der anderen Seite der Pforte liegen. Es gibt nur wenige, die eine solche Wahrheit ertragen können. Ich bin sehr dankbar, daß ein solcher Mann jetzt in Franeker ist.« »Ich bin kein Übermensch, Eise Eisinga.« »Das weiß ich«, sagte der Geist des Planetariumsgründers mit einem weisen Lächeln. »Aber du hast tiefes Vertrauen in das Gute. Und du bist mutig. Das ist selten heutzutage.« »Ich muß noch etwas wissen, Eise Eisinga. Warum kommen einige Vampire durch die Dimensionspforte und andere nicht?« »Als ich damals diese grauenvolle Entdeckung gemacht habe, bekam ich zum Glück Hilfe. Im 18. Jahrhundert lebten noch nicht so viele Menschen hier in Friesland. Es gab einen Einsiedler, der in einer verfallenen Kate bei Dongjum hauste. Ein tiefgläubiger Mann. Er kannte viele Geheimnisse. Ihm habe ich den weißmagischen Bann zu verdanken, der das Tor zur VampirDimension über die ganze Zeit geschützt hat.« »Hat dieser Einsiedler auch die Vampire in die Nachzehrer-Flaschen gebannt?« Das Wesen aus einer anderen Welt nickte anerkennend. »Ich sehe, du kennst dich aus. Ja, das war er. Damit hat er mein Leben gerettet. Denn als ich die Dimensionspforte geöffnet hatte, sprangen mir sofort diese Höllenwesen an die Kehle. Zum Glück war der weise Mann rechtzeitig zur Stelle. Doch leider reichte seine Macht nicht aus, um sich selber zu schützen.« »Wieso?« fragte ich. »Wenige Tage später wurde er in seiner Hütte gefunden. Tot. Mit verrenkten Gliedern. Die Bauern aus der Nachbarschaft haben einen leibhaftigen Teufel gesehen, der auf einem Blitzstrahl zu dem Einsiedler geritten sein soll. Angeblich jedenfalls.« »Daran habe ich keinen Zweifel«, bemerkte ich grimmig.
* Eine La-Ola-Welle brandete durch die begeisterte Menge. Dichtgedrängt standen die Menschen an den Grachten, die durch den Ortskern von Franeker führten. Verschiedene Musickapellen verbreiteten Gute-LauneSound. Viele Zuschauer schunkelten mit. Es war eine Stimmung, die fast an den Kölner Karneval erinnerte. Und dann kamen die ersten Schlittschuhläufer. Angefeuert von den Zuschauern. Strahlender Sonnenschein und ein wolkenloser Himmel ließen auch die eisigen Temperaturen vergessen. Fast jeder im Publikum trug eine orangefarbene Strickmütze. Die holländische »Nationalfarbe«, die für das Königshaus Oranien steht. Doch auf den Kopfbedeckungen prangte nicht der Name der Königin, sondern der eines Wurstfabrikanten. Er hatte die Mützen kostenlos verteilen lassen, wie ich später von Monique erfuhr. Leider hatte ich weder Zeit noch Lust, mich in das bunte Treiben zu stürzen. Meine Aufgabe war es vielmehr, diese freundlichen nichtsahnenden Leute vor einer unvorstellbaren Gefahr zu beschützen. Das Erlebnis mit Eise Eisingas Geist ging mir nicht aus dem Kopf. Ich erzählte Vincent van Euyen mit einigen knappen Worten davon, nachdem ich ihn in seinem Hotel abgeholt hatte. »Wir sollten auch Tessa und Pit Langenbach benachrichtigen«, fügte ich hinzu, während wir uns durch die Menge der Sportfans zum Planetarium drängten. »Sie machen hier in der Nähe einen Polizeilehrgang. Und werden sich bestimmt freuen, uns helfen zu können.« Und ich gab dem Reporter die Adresse der Polizeischule in Harlingen, obwohl ich dort auch selbst hätte anrufen können. Es war wie eine Eingebung. Im Planetarium wurden wir nicht gerade sehnsüchtig erwartet. »Wir haben geschlossen!« beharrte Mijnheer Boon, der wohl so eine Art Museumsdirektor war. Doch Vincent van Euyen war hartnäckig. Er zückte seinen Internationalen Presseausweis und redete auf den Mann ein. Inzwischen sah ich mich unauffällig in dem Gebäude um. Meinen Einsatzkoffer hatte ich in der rechten Hand. Ich würde ihn nicht aus den Augen lassen. Das Planetarium war ein schmales Wohnhaus aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Steile Stiegen führten in die oberen Regionen. Die Wände waren mit kleineren Planetenmodellen geschmückt. Und mit jahrhundertealten Sternenkarten. Doch ich bemerkte noch etwas anderes. Mein Ring glomm auf. Ich konnte die Wärme an meinem Finger deutlich spüren. Das Kleinod zog mich unwiderstehlich dorthin, wo eine andere Welt auf mich wartetet. Ich
stieg die Treppe hinauf. »Das geht nicht!« rief mir Mijnheer Boon nach. Vincent mußte ihm erklärt haben, daß ich kein Holländisch verstand. »Sie dürfen das nicht! Wir haben heute geschlossen!« Normalerweise wäre ich nicht so unhöflich gewesen, ihn zu ignorieren. Er konnte nicht wissen, um was es hier ging. Aber ich wußte es. Und ich spürte in meinem Innersten, daß mich dort oben meine Bestimmung erwartete. Bevor ich die Tapetentür sah, war ich mir über ihr Vorhandensein im klaren. Jemand hatte sie mit einem Plastikband abgesperrt. Ich stieg darüber hinweg und zog gleichzeitig den Kopf ein, denn auch dieses Haus war nicht für einen 1,90-m-Mann konstruiert worden. Der Geheimraum war so klein, wie Vincent ihn mir beschrieben hatte. In der Mitte stand ein schwer zu beschreibendes Modell, das die Paralleluniversen symbolisieren sollte. Aber obwohl ich es hochinteressant fand, konzentrierte ich mich auf die Rückseite des Zimmers. Dort gab es die kleine Pforte, die von Totenschädeln eingerahmt war. Ich atmete einmal tief durch und schloß meine Hand fester um den Griff meines Einsatzkoffers. Vorbei an dem Regal mit den in Flaschen eingeschlossenen Blutsaugern ging ich auf das Tor zur Vampir-Dimension zu. Ich beugte mich hinunter. Im nächsten Moment verschwand ich aus unserer Welt. * »So geht das aber nicht!« wiederholte Mijnheer Boon. Vincent van Euyen versuchte, ihn zu beruhigen. Aber der Mann hatte Angst um seine Kostbarkeiten. Um die sensationelle Entdeckung hinter der Tapetentür, die sich ein Historiker aus Groningen an diesem Tag ansehen wollte. Der Museumsdirektor stapfte wütend hinter Mark Hellmann her. Der Reporter folgte ihm seufzend. Ihm schwante nichts Gutes. Im ersten Stockwerk gab es Planetenmodelle, Bücher und aufwendige Karten zu sehen. Vieles davon offenbar Handarbeit von Eise Eisinga aus dem 18. Jahrhundert. Aber der Kämpfer des Rings war spurlos verschwunden. »Also wirklich!« ereiferte sich Mijnheer Boon. »Hat er das geheime Zimmer betreten?« Er kletterte über die Absperrung hinweg und betrat den Raum mit dem Paralleluniversen-Modell. Doch auch hier fehlte jede Spur des Eindringlings. Vincent van Euyen war ihm gefolgt. Für einen bangen Moment dachte er,
der Museumsdirektor würde ebenfalls durch das Dimensionstor gehen wollen. Denn für ihn gab es keinen Zweifel, wohin Mark verschwunden war. Doch Mijnheer Boon dachte wohl nicht im Traum daran. Dem Reporter wurde auch klar, warum. Die Pforte befand sich an einer Außenwand des Hauses. Physikalisch gesehen konnte dahinter überhaupt nichts sein, außer natürlich Luft. Der Durchgang wirkte auch nicht so, als ob er irgendwo hinführen würde. Für nicht eingeweihte Betrachter sah er aus wie ein blinder Spiegel, der von Totenköpfen umrahmt war. Und das war auch gut so. »Wo hat sich Ihr Freund versteckt?« rief der aufgebrachte Museumsmann. »Sagen wir: Er hat das Planetarium wieder verlassen. Genügt Ihnen die Auskunft?« Damit gab sich Mijnheer Boon zwar nicht zufrieden. Doch Vincent van Euyen erkannte, daß er bei ihm auf Granit biß. Allerdings mußte er zugeben, daß seine Geschichte auch wirklich zu unglaublich klang. Wie konnte man einem normalen Menschen klarmachen, daß Blutsauger durch einen blinden Spiegel aus einer anderen Welt kommen konnten? Der Reporter hielt es für sinnvoller, mit Verstärkung zurückzukehren. Wenn Tessa Hayden und Pit Langenbach auf diesem Polizeilehrgang waren, hatten sie bestimmt schon gute Kontakte zu den örtlichen Sicherheitsbehörden. Van Euyen hoffte, auf diesem Weg etwas erreichen zu können. »Das wird ein Nachspiel haben!« drohte der Museumsdirektor. Dabei fuchtelte er drohend mit seinem Arm vor der Nase des Reporters herum. Und dann geschah es. Boon fegte eine der Nachzehrer-Flaschen vom Regal. Sie ging klirrend zu Boden und zersprang in tausend Stücke. * Es roch nach Moder und Fäulnis in dieser anderen Welt. Ein düsterer Mond schien auf das blutige und schmutzige Franeker in diesem Paralleluniversum. Ich glitt vorsichtig zu Boden. Der Raum glich dem Geheimzimmer im Planetarium von Eise Eisinga haargenau. Dieselben Ausmaße, dieselbe Einrichtung. Nur befanden sich hier keine Flaschen mit Nachzehrern auf dem Regal. Sondern Menschenköpfe. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich horchte nach draußen. Kein Geräusch war zu hören. Das rötliche Licht einer trüben Lampe schien auf meine Hände, während ich geräuschlos meinen Einsatzkoffer öffnete und
ein Holzkreuz und einen Pfahl herauszog. Im Fall eines Angriffs würde ich keine Zeit haben, nach meinen Waffen zu suchen. Mein Ring strahlte so heiß, daß es beinahe schon schmerzte. Kein Wunder. Die dämonische Aktivität war hier überall vorhanden. Diese ganze Welt war des Teufels. »Nun bist du also hier.« Ich erschrak. Obwohl ich niemanden gehört hatte, war ich angesprochen worden. Da sah ich den vertrauten Geist von Eise Eisinga in einer Ecke schweben. »Du auch, wie ich sehe«, erwiderte ich. »Mir kann nichts passieren. Egal, wo ich mich aufhalte. Dir schon. Du mußt vorsichtig sein, Mark Hellmann.« »Vielen Dank. Aber du hast mich ja hergeschickt.« Er nickte ernst. »Du bist der einzige, der das Dimensionstor wieder schließen kann.« »Was soll ich tun?« »Dein Ring wird dir den Weg weisen.« Bevor ich noch eine weitere Bemerkung machen konnte, war die Gestalt schon wieder verschwunden. Nun war ich also in der gleichen Situation wie in meinem Traum. Das heißt, nicht ganz. Denn diesmal war ich vorbereitet. Wußte, was mich erwartete. Und ich war nicht unbewaffnet. Mit dem stoßbereiten Pflock in der rechten Hand schlich ich aus dem kleinen Zimmer. Draußen erwartete mich ein stinkender Flur. Eine Ratte huschte vorbei. Ihre bösen Augen glommen auf. Selbst die Tiere schienen in dieser Welt durch und durch verderbt zu sein. Das wunderte mich allerdings nicht. Denn ich sah an fast allen Wänden riesige Bilder, die meinen Erzfeind Mephisto darstellten. Ich befand mich offenbar in einer Realität, in der das Gute vollständig vernichtet worden war. Eine Welt, in der sich die Menschen selbst zu Blutsaugern gemacht hatten, weil sie zu Sklaven des Bösen geworden waren. Es gab zwei Möglichkeiten für mich. Ich mußte die Dimensionspforte entweder von dieser Seite her verschließen. Oder von dort, wo ich hergekommen war. Aber wie sollte ich das machen? Ich beschloß, mich zunächst umzusehen. Vielleicht fand ich ja einen Hinweis darauf, wie sich diese Vampirwelt abschotten ließ. Nach allen Seiten sichernd stieg ich fast lautlos die Treppe hinunter. Sie war genauso steil wie in dem »normalen« Franeker. Da packte eine Klaue mein Fußgelenk!
* Mijnheer Boon schrie auf vor Entsetzen. Das war auch kein Wunder. Der Vampir, der den Scherben der Flasche entstieg, sah wirklich fürchterlich aus. Seine Haut war verwittert und grau. Die toten Augen lagen tief in den Höhlen. Er trug normale Bauernkleidung aus einem früheren Jahrhundert, die ihm allerdings in Fetzen von seinem entstellten Leib hing. Seine Hände waren eher als Klauen zu bezeichnen. Genau wie die Fangzähne stellten sie tödliche Waffen dar, mit denen er sich jetzt geifernd auf den Museumsdirektor stürzen wollte. Das war der Moment, in dem Vincent van Euyen eingriff. Morgens im Hotel De Doelen hatte er sich die Bibel eingesteckt, die dort zur Erbauung für einsame Reisende bereit lag. Nun zog er die Heilige Schrift aus der Tasche und hielt sie dem Blutsauger vor das Gesicht. Der Vampir fauchte und wich zurück. Doch noch hatte der Reporter nicht gewonnen. Das wußte er selbst. Die Klaue des Nachzehrers griff nach Vincent van Euyen. Der Museumsdirektor tat nichts. Er schien vor Schreck gelähmt. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er, wie der Journalist mit der dickleibigen Bibel nach dem Dämon schlug, um ihn sich vom Leib zu halten. Mein Freund überlegte fieberhaft. Eine andere »Waffe« als die Heilige Schrift hatte er nicht bei sich. Von einem Einsatzkoffer konnte er nur träumen. Ihm blieb also nur sein Einfallsreichtum, um seinen schwarzmagischen Feind zu erledigen. In Gedanken ging van Euyen schnell alle Möglichkeiten durch, mit denen man einen Vampir von seiner untoten Existenz erlösen konnte. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Denn die Bestie mit den Fangzähnen wurde immer schneller und aggressiver. Schon war der linke Ärmel des Reporters in Fetzen gegangen. Vincent stieß die Bibel gegen die Kinnlade des Blutsaugers. Dieser heulte auf, als hätte er einen Stromschlag erlitten. So mußte er sich auch fühlen. Doch dann stürzte er schon wieder nach vorne. Er war viel stärker als mein Freund, der mit seiner menschlichen Kraft gegen einen Dämon kaum etwas ausrichten konnte. Da kam Vincent van Euyen die entscheidende Idee. Bisher hatte sich der Kampf nur in dem kleinen, fensterlosen Geheimzimmer abgespielt. »Fang mich doch, du blöder Blutschlürfer!« rief der Reporter dem Vampir zu. Und dann zwängte er sich durch die Tapetentür. Auf den Flur hinaus. Der Nachzehrer jagte wutschnaubend hinter meinem Freund her. Er folgte ihm auf den sonnendurchfluteten Gang. Ein markerschütternder Schrei entrang sich der Kehle des Unwesens. Für einen Moment starrte es die Sonne an, die am wolkenlosen Himmel bestes
Wetter für das Schlittschuhrennen spendierte. Dann taten die Strahlen des Gestirns ihre reinigende Wirkung. In ihrem klaren Licht zerfiel der Vampir innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer Handvoll Staub. Vincent van Euyen fühlte, wie sein Herz raste. Doch die unmittelbare Gefahr war nun vorbei. Er schob die Bibel in seine Jackett-Tasche zurück. Mit der anderen Hand fischte er eine große Menge »Katzenpfötchen« hervor und stopfte sie in seinen Mund, um seine flatternden Nerven zu beruhigen. Dann bewegte er sich durch die Tapetentür in den Geheimraum zurück. Der Museumsdirektor Mijnheer Boon stand da immer noch wie eine Salzsäule und starrte ihn an. Seine Hautfarbe war nur unwesentlich frischer als die des Blutsaugers. »Was war das, Mijnheer van Euyen?« »Das war ein Vampir«, sagte der Reporter ernst und eindringlich. »Und ich würde Ihnen dringend raten, diese Flaschen nicht auch noch zu zerschlagen. Denn darin befinden sich noch mehr von der Sorte.« Boon starrte die übriggebliebenen Nachzehrer-Flaschen entsetzt und angeekelt an. Vincent van Euyen gab dem Mann einige Minuten Zeit, um wieder zu sich zu kommen. Dann fuhr er fort: »Nachdem Sie nun mit eigenen Augen gesehen haben, was für unglaubliche und gefährliche Dinge passieren können, haben Sie bestimmt mehr Verständnis für das, was ich Ihnen erzählen werde.« Der Reporter faßte zusammen, was Boon über die Vampir-Parallelwelt wissen mußte. Er erzählte, daß sein Freund Mark Hellmann in dem Universum hinter der Pforte verschwunden war. Der Museumsdirektor schielte mißtrauisch nach dem Tor, als erwarte er, jede Sekunde dort einen Nachzehrer hervorspringen zu sehen. Ausgeschlossen war das wirklich nicht. »Was werden Sie nun tun?« fragte Mijnheer Boon. Er hoffte insgeheim, daß ihm Vincent van Euyen die Verantwortung abnehmen würde. Was immer dieser Mann mit dem kleinen Bauch auch getan hatte - der Vampir war verschwunden. Und das war das einzige, was den Museumsdirektor interessierte. »Ich werde Hilfe holen«, kündigte der Reporter an. »Und dann werden wir zusammen mit meinem Freund Mark Hellmann dafür sorgen, daß durch diese verfluchte Pforte kein schwarzmagisches Unglück mehr in unsere Welt kommen kann.« *
Ich stürzte die Treppe hinunter. Der Angriff war so schnell erfolgt, daß ich mich nicht mehr halten konnte. Zum Glück habe ich beim Judo die richtigen Falltechniken gelernt. Deshalb verletzte ich mich nicht und war sofort wieder auf den Beinen. Mein Gegner raste auf mich zu, die Fangzähne gefletscht! Instinktiv steppte ich zur Seite und ließ den Einsatzkoffer gegen seine Schläfe krachen. Es passierte natürlich überhaupt nichts. Vampire sind zäh. Dieses Exemplar war besonders groß und grauenerregend. Trotz seiner halbwegs menschlichen Gestalt hatte er in dieser durch und durch bösen Welt die Gestalt eines fleischgewordenen Angsttraums angenommen. Besonders seine Schnauze war riesig. Zum Sprechen war er anscheinend nicht mehr fähig. Jedenfalls stieß er nur ein ohrenbetäubendes Geheul aus. Ich verstand auch so, was er von mir wollte. Die Bestie gierte nach meinem Blut. Es machte sie wahnsinnig, einen lebenden Menschen so dicht vor sich zu haben. Und dieser dunkle Drang ließ sie alle Vorsicht vergessen. Kein Wunder, dachte ich, während ich mein Holzkreuz in der Tasche umfaßte. Diese Fangzahn-Monstren kennen Menschen nur als Schlachtvieh.
Aber jetzt werden sie auf einen treffen, der sich zu wehren versucht.
Ich wirbelte herum und erwartete seinen nächsten Angriff. Und der kam prompt. Mit dem Holzkreuz baute ich mich vor ihm auf. Ein gewaltiger Prankenhieb warf mich gegen die Wand. Für einen Moment sah ich Sterne. Das christliche Symbol segelte davon. Ich schüttelte den Schreck ab. Dieses Höllenwesen hatte überhaupt keine Reaktion auf mein Holzkreuz gezeigt! Im selben Augenblick verstand ich auch den Grund dafür. Ich befand mich hier in einer Welt, die das Gute schon seit ewigen Zeiten ausgerottet haben mußte. Also hatte es in diesem Universum auch kein Christentum gegeben. Deshalb war dieses Symbol hier sinnlos. Um diese Fragen konnte ich mich später kümmern. Im Moment war ich ganz mit dem Blutsauger beschäftigt. Er zitterte vor Gier. Mit weit aufgerissenen untoten Augen kam er auf mich zu. Ich roch den Leichengestank schon ganz deutlich, der von ihm ausging. Er hatte mich in eine Ecke geschleudert. Ich wußte nicht, ob ich noch würde aufstehen können, bevor er mich wieder attackierte. Nein. Da kam er schon. Ich konnte ihm nicht ausweichen. Sein riesiges Maul war geöffnet. Die Fangzähne blinkten. Seine Arme hatte er weit ausgestreckt. Die widerlichen Klauen würden gleich in mein Fleisch hacken. Im letzten Moment riß ich den Pflock hoch und hielt ihn mit beiden Händen abwehrend vor meine Brust. Ich konnte nur hoffen, daß wenigstens diese Waffe in dieser Welt funktionierte.
Schwer prallte der untote Körper auf meinen. Mein Kopf wurde gegen die Wand geknallt. Für einen Moment fühlte ich Blut in meinem Mund. Hatte ich mir auf die Zunge gebissen? Dann war alles vorbei. Ein ekelhafter Geruch erfüllte die Luft um mich herum. Er war so bestialisch, daß ich glaubte, kaum atmen zu können. Aber ich nahm das gerne in Kauf. Denn dieser Gestank war entstanden, weil die große Gestalt des Blutsaugers verging. Seine uralten Knochen lösten sich auf. Ich hatte den Pflock zielsicher in sein schwarzes böses Herz geschlagen. Eigentlich hatte er sich sogar selbst gepfählt, indem er auf mich losgesprungen war. Ich streifte seine Reste von mir ab und rappelte mich auf. Den Pflock wischte ich ab und verstaute ihn wieder in meiner Jackentasche. Das Holzkreuz legte ich zurück in den Einsatzkoffer. Wenigstens wußte ich nun, daß die Kreaturen dieser Welt nicht unbesiegbar waren. * Tessa Hayden lächelte. Die Fortbildung war anstrengend, machte aber auch Spaß. Die junge Polizistin aus Weimar hätte allerdings nicht behaupten können, daß die langen Theoriestunden am Vormittag nach ihrem Geschmack waren. Natürlich sah, sie ein, daß es Situationen gab, die lang und breit analysiert und erklärt werden mußten. Auch die Polizeiarbeit wurde immer komplizierter. Nachdem sie soviel Wissen in ihr Gehirn gehämmert hatte, schätzte sie die Sportstunden am Nachmittag um so mehr. Dabei konnte sie sich so richtig austoben. Die Austauschgruppe aus Weimar konnte zwischen verschiedenen Angeboten wählen. Und Tessa hatte sich spontan für Kendo - japanischen Schwertkampf - entschieden. Sie wollte schließlich etwas Neues lernen. Zusammen mit ihr traten noch zwei Polizisten aus Weimar in die Trainingshalle. Der Meister erwartete sie schon. Es war ein älterer holländischer Konstapel, der sich sein Leben lang mit dem Schwertkampf beschäftigt hatte. Die drei deutschen Kollegen setzten sich auf die Matten und sahen ihn gespannt an. »Gestern haben wir mit Holzschwertern geübt«, sagte der Lehrer mit hartem Akzent. »Heute geht es einen Schritt weiter.« Er schlug ein weißes Tuch auf, das vor ihm auf dem Boden lag. Darin befanden sich vier Schwerter. Mit vorsichtigen Bewegungen griff er sich
eins davon und zog es aus der Scheide. »Das ist ein Katana«, erklärte er. »Die Klinge ist knapp einen Meter lang und so scharf geschliffen, daß man sich damit rasieren könnte. Die Samurai-Krieger führten stets zwei Schwerter mit sich. Ein langes Katana für die Distanz und ein kurzes Wakizashi für den Nahkampf.« Mit einer fließenden Bewegung stand er auf und ließ das. gewaltige Schwert um seinen Oberkörper wirbeln. Dabei waren seine Hände so schnell, daß die deutschen Polizisten die Klinge kaum noch sehen konnten. »Ich zeige euch jetzt ein paar einfache Abwehrmanöver«, kündigte der Instruktor an. »Tessa, tritt vor und nimm ein Schwert!« Das tat die junge Frau. Genau wie der Holländer war sie mit einem Brustpanzer und einer Fechtmaske geschützt. »Grundstellung!« Die Schülerin und der Meister standen sich mit gebeugten Knien gegenüber. Das rechte Bein befand sich einen Schritt vor dem linken. Ihre Körper waren wie gespannte Bogen. Plötzlich konnten sie pfeilschnell losschießen. »Greif an!« Tessa wirbelte ihr Schwert, packte den Griff mit beiden Händen und führte einen seitlichen Hieb. Der ältere Polizist blockte ab. Mit einem widerlichen metallischen Geräusch prallten die blanken Klingen aufeinander. Funken flogen. »Weiter! Von der anderen Seite!« Tessa Hayden kam sich vor wie in einem Samurai-Film. Sie bewunderte die ruhige und doch kraftvolle Führung der Waffe. Das wollte sie auch können. Wieder sauste ihr Schwert herab. Diesmal kam ihr der Instruktor mit einem Gegenangriff zuvor. Bevor sie die Bewegung ganz ausgeführt hatte, ließ sie ihre Waffe zu Boden fallen. Erstaunt starrte sie ihn an. Ihre Finger schmerzten. »Siehst du?« sagte er und lachte. »Ich habe es dir einfach aus der Hand geschlagen. Das darf nicht passieren. Du mußt deine Hiebe fließen lassen, Tessa. Ohne Anstrengung. Dann kannst du auch das unmöglichste Ziel erreichen. Und vergiß nie, tief zu atmen.« Die Polizistin versuchte es. Und sie spürte augenblicklich, wie ihre Angriffe kraftvoller und konzentrierter wurden. Der Schweiß lief ihr über den Rücken. Aber ihre Übungen gewannen an Sicherheit. »Tessa!« Die junge Frau blickte auf und ließ das Schwert sinken. Pit Langenbach kam herein. Der 1,90 m große Hauptkommissar der Weimarer Polizei war noch viel verschwitzter als sie. Das war allerdings auch kein Wunder. Ein Blick auf seinen Kopfschutz und auf die Handschuhe zeigte ihr, daß er
gerade nebenan im Boxring trainiert hatte. Hinter ihm schob sich noch eine wohlbekannte rundliche Gestalt durch die Tür des Trainingsraums. »Vincent!« rief die Polizistin erfreut. Sie kannte den Freund von Mark Hellmann natürlich ebenfalls und mochte seine lustigen Geschichten, die er normalerweise immer auf Lager hatte. Doch die Mienen der beiden Männer drückten jetzt nichts anderes aus als Sorge und Anspannung. Kurzerhand lief Tessa auf sie zu. »Was ist passiert? Wo ist Mark?« Daß ihr Freund hinter Vampiren her war, hatte sie schon durch den nächtlichen Anruf von Vincent in Weimar erfahren. Der Reporter gab ihr schnell die wichtigsten Informationen über die Ereignisse der vergangenen Stunden. »Mark ist also in dieser Vampir-Parallelwelt verschwunden«, faßte die Polizistin zusammen. Ein harter Zug umspielte ihren sonst so sinnlichen Mund. »Und allein ist er dort wahrscheinlich so gut wie verloren.« Pit Langenbach und Vincent van Euyen widersprachen ihr nicht. Aber sie konnte auf den Gesichtern der beiden absolute Entschlossenheit erkennen, ihrem Freund aus der Patsche zu helfen. »Worauf warten wir noch?« fragte Tessa und schloß ihre Finger fester um das Samurai-Schwert. »Ich leihe mir das Katana mal aus! Okay, Trainer?« Der ältere niederländische Polizist protestierte nicht. Er spürte instinktiv, daß es um Leben und Tod ging. * Ich war allein in einer völlig feindlichen Welt. Einen Vampir hatte ich schon von seiner untoten Existenz erlöst. Doch der Übermacht würde ich niemals gewachsen sein. Es gab hier für mich nur eins zu tun. Die Dimensionspforte zu unserer Welt zu schließen. Aber ich wußte nicht wie. Ob ich das Haus verlassen sollte? Außer mir schien sich niemand in dem düsteren Planetarium dieser Welt zu befinden. Draußen war es immer noch ruhig. Zu ruhig. Vorsichtig warf ich einen Blick aus dem Fenster. Es hatte keine Scheibe. Und glich sowieso eher einem in den Stein geschlagenen Loch. Der Mond stand hoch an dem blutroten Himmel. Genau wie in meiner Vision. Überhaupt glich die Alptraumlandschaft dort draußen haargenau der düsteren Stadt, in der ich mich selbst gesehen hatte. Da ertönte plötzlich ein Geräusch. Ich duckte mich. Und sah einen Mann. Nein, ein Mann konnte es nicht sein. Vielleicht war er früher einmal ein Mann gewesen. Aber jetzt war er ein Vampir. Wie alle Wesen in dieser Welt. Außer mir selbst natürlich. Aber ich war ja auch ein Eindringling, der
nicht hierher gehörte. Und auch niemals hierhergehören wollte. Dieser Vampir war hochgewachsen und breitschultrig. Er drehte mir den Rücken zu. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Langsam ging er über das schmierige Kopfsteinpflaster hinüber zu der Blutgracht. Er blieb an dem verrosteten Geländer stehen. Eine dunkle Vorahnung kroch in meinem Inneren herauf. So unbarmherzig wie ein Alptraum, aus dem man nicht wieder aufwacht. Der Blutsauger drehte den Kopf. Schaute hinüber zu der kleinen Brücke, die ich auch in meiner Vision erblickt hatte. Sein Gesicht blieb mir immer noch verborgen. Ich überlegte, was ich tun sollte. Ihn angreifen? Ihn zum Reden bringen? Aber was konnte er mir verraten? Ob die Bewohner dieser Welt wußten, wie man das Dimensionstor wieder schloß? Falls ja, würden sie es mir bestimmt nicht auf die Nase binden. Ich kam wieder ab von dem Gedanken. Denn nun regte sich etwas. Ich hörte das widerwärtige Gemurmel der anderen Nachzehrer-Kreaturen. Sie kamen heran. Aus den anderen Häusern auf meiner Straßenseite und über die Brücke. Der ganze ekelhafte Abschaum von Schwarzblütern. Sie bildeten einen weiten Ring um ihren Artgenossen. Und dann saß er plötzlich in der Falle. Der hochgewachsene Vampir wandte sich nun denjenigen zu, die ihn eingekesselt hatten. Trotz des trüben Lichts konnte ich genau sein Gesicht erkennen. Ich erschrak. Obwohl ich nicht verwundert hätte sein sollen. Dort am Geländer stand ein vampirischer Mark Hellmann! * Mein Herz schlug schneller. Aber trotz des Schocks wurde mir klar, daß nicht ich es war, der dort drüben auf seine Gegner wartete. In dieser Welt war alles und jeder durch und durch böse. Der vampirische Vincent van Euyen war Mephistos Geschöpf gewesen. Und genauso würde es auch um diesem Mark Hellmann dort bestellt sein. Ich sah ihn mir genauer an. Nein, an seinen Händen war kein Ring zu erkennen, wie ich einen trug. Eine innere Stimme sagte mir, daß es nicht noch ein zweites Kleinod dieser Art gab. In keiner von unendlich vielen Parallelwelten. Bei diesem Gedanken musterte ich meinen Ring. Nein, er hatte sich nicht verändert. Er strahlte immer noch dieselbe Wärme aus und zeigte gleichbleibend dämonische Aktivität an. Daran hatte sich nichts geändert, seit ich diese verfluchte Dimension betreten hatte. Der vampirische Hellmann tat nun das, was ich selbst in meiner Vision gemacht hatte. Er riß eine Eisenstange aus der Balustrade und ging damit
auf seine Artgenossen los. Würde sein Kampf genauso vergeblich sein, wie ich es in jener Nacht gesehen hatte? Zunächst schien er Erfolg zu haben. Er war viel schneller als die anderen Nachzehrer. Seine Schlagwaffe wirbelte durch die Luft. Schnell entstand eine Bresche in der Front seiner Angreifer. Viele verkrochen sich feige. Sie schienen keinen Wert darauf zu legen, mit der verrosteten Stange Bekanntschaft zu machen. Beschränkten sich lieber auf Drohgebärden mit ihren Fangzähnen und Klauen. Der Blutsauger-Hellmann riß nun seinerseits seinen Mund auf. Und ließ ein Paar scharfe Vampirzähne erkennen. Obwohl mich das nicht hätte überraschen sollen, lief mir doch ein eiskalter Schauer über den Rücken. Und ich war froh, daß ich in der Welt geboren worden war, aus der ich kam. Ob ich sie wohl jemals wiedersehen würde? Doch solche Gedanken haben bei einem Kämpfer des Rings nichts verloren. Ich habe noch nie aufgegeben. Auch wenn meine Lage noch so aussichtslos war. Der andere Mark stürzte sich wie ein Berserker auf seine Feinde. Aber hier kämpften Böse gegen Böse. Deshalb ergriff ich auch keine Partei. Sonst wäre ich schon längst meinem »Ebenbild« zu Hilfe geeilt. Aber mir war völlig klar, daß ich für ihn nur eine sprudelnde Blutquelle sein würde. So wie für seine anderen Artgenossen. Ein Nachzehrer nach dem anderen sackte weg unter den brutalen Schlägen, mit denen sich der »Hellmann-Vampir« Platz zu schaffen versuchte. Aber es waren einfach zu viele. Es dauerte nicht lange, bis ihn die erdrückende Übermacht eingekesselt hatte. Ab und zu ging immer noch ein Angreifer zu Boden. Aber dann sah ich, wie sie ihm die Waffe entwanden. Obwohl es mir eigentlich hätte gleichgültig sein können, versetzte es mir doch einen Stich. Ich kann es nicht ertragen, wenn ein einzelner gegen eine Übermacht antreten muß. Auch wenn es die Schwarzblüter unter sich ausfechten. Langsam lichtete sich das Kampfgetümmel. Einige von den größten BlutMonstren hatten den Blutsauger-Hellmann mit festem Griff gepackt. Er fletschte seine Fangzähne. Aber es war sinnlos. Sie hatten ihn in ihrer Gewalt. Mit ohrenbetäubendem Triumphgeheul schafften sie ihn über die kleine Brücke fort. Dabei ließen sie es sich nicht nehmen, ihn zu treten und zu verhöhnen. Sie mußten ihn wirklich hassen. Aber konnte man von diesen Kreaturen etwas anderes als Haß erwarten? Ich hatte mich zu sehr auf den Kampf konzentriert, der dort vor meiner Nase an der Blutgracht stattfand. Dadurch war ich abgelenkt gewesen von dem, was in dem Planetarium vor sich ging. Wo ich mich immer noch befand.
Das wurde mir im nächsten Moment klar. Denn einige Blutsauger hatten sich von hinten an mich herangeschlichen und stürzten nun auf mich los. * Ich wußte nicht, woher sie kamen. Eigentlich hatte ich angenommen, im Planetarium allein zu sein. Das stellte sich nun als folgenschwerer Irrtum heraus. Es waren fünf Vampire, die mir an die Kehle wollten. Und sie waren verdammt schnell. Ich duckte mich und stieß dem ersten Angreifer meinen Ellenbogen ins Gesicht. Der zweite streckte schon seine widerwärtigen Krallen nach mir aus. Doch noch hielt ihn der Anblick meines Pflocks halbwegs zurück. Das bestätigte wieder einmal meine Ansicht, daß ich mit dieser Waffe auch in der Vampirwelt eine Chance haben würde. Mit einem Karatetritt verschaffte ich mir für einen Moment Luft. Aber ich machte mir nichts vor. Diese Monstren waren mir an Kraft weit überlegen. Selbst jemand, der wie ich jahrelang Kampfsport betrieben hat und immer noch betreibt, ist ein Schwächling gegen die übermenschlichen Fähigkeiten eines Schwarzblüters. Trotzdem kamen mir meine Kenntnisse zugute. Ich schlug einem Vampir mit meiner rechten Hand die Krallen zur Seite und wechselte blitzschnell den Pflock in die Linke. Dann verlagerte ich mein ganzes Gewicht in meinen linken Arm und hieb das angespitzte Stück Holz in seine Brust. Offenbar hatte ich das Herz auf Anhieb getroffen. Der Nachzehrer verging jedenfalls augenblicklich. Seine Artgenossen kreischten entsetzt auf. Ihre totenbleichen Gesichter verzerrten sich vor Ekel, als sie die Waffe in meiner Hand sahen. Ihnen schien klarzuwerden, daß sie auf der Stelle das gleiche Schicksal ereilen konnte. Wenn sie nicht höllisch aufpaßten. Doch das taten sie ab jetzt. Ich hatte den Pflock wieder in die Rechte genommen. Wir umkreisten einander wie Messerkämpfer. Die Vampire verließen sich ganz auf ihre Krallen und ihre Fangzähne. Und darauf, daß sie mir an brutaler Kraft überlegen waren. Ich hatte nur meinen Pflock. Aber dafür war ich von tiefem Vertrauen durchdrungen, für die Sache des Guten zu kämpfen. Zwei der Kreaturen rissen ihre Mäuler auf und griffen gleichzeitig an. Ich verpaßte ihnen einige blitzschnelle Karatetritte gegen die Schädel. Damit hielt ich sie auf Distanz. Für einen Gegenangriff mit dem Pflock ergab sich die Gelegenheit allerdings nicht. Da unterlief ein weiterer Blutsauger meine Verteidigung und rammte
seinen stinkenden Kopf gegen meinen Rippenbogen. Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Das nutzten sie aus. Um sich alle gleichzeitig auf mich zu stürzen. Ich trat und schlug verzweifelt um mich. Die Spitze des Pflocks ritzte das untote Fleisch meiner schwarzmagischen Feinde. Es war umsonst. Genau wie der andere Hellmann wurde ich überwältigt. Sie entwanden mir den Pflock. Ihre Krallen gruben sich in meine Haut. Ich wollte den Kopf wegdrehen. Aber es ging nicht. Sie hielten mich so fest, als ob ich auf einem Folterbett angekettet wäre. Der größte von ihnen beugte sich genießerisch herunter. Er entblößte seine riesigen Fangzähne, um sie in meine Halsschlagader zu versenken. * Mephisto lachte. Er rieb sich seine Klauenhände, während er aus höllischen Gefilden beobachtete, was mit Mark Hellmann geschah. In der Unterwelt war er der uneingeschränkte Herrscher. Daher konnte er auch sehen, was sich in der Vampirwelt abspielte, ohne selbst dort zu sein. Es gab keine Macht des Guten in dieser Sphäre, die sich ihm hätte in den Weg stellen können. Jedenfalls dachte er das. »Was erheitert euch so, Herrscher?« fragte einer seiner persönlichen Leibdämonen ehrfürchtig. Es war eine ekelhafte Erscheinung, mit krummen Hörnern und heimtückischen kleinen Augen. »Ich lache über Mark Hellmann. Über den sogenannten Kämpfer des Rings. Einer dieser Unverbesserlichen, die immer noch glauben, es mit den Kräften der Hölle aufnehmen zu können!« Der Dämon lachte nun ebenfalls. Es war immer klug, sich mit Mephisto gutzustellen. Selbst gegenüber seinen ergebenen Dienern war der MegaDämon stets hinterhältig und unberechenbar. »Das klingt wirklich nach einem Narren, Herrscher.« »Du sagst es. Denn Mark Hellmann ist der einzige, der verhindern kann, daß die Vampire die Welt der Menschen überschwemmen werden. Ich habe den Blutsaugern ein wenig - sagen wir - unter die Arme gegriffen.« Wieder rieb er sich seine Pfoten. »Dadurch konnten bisher zwei Blutsauger die weißmagische Sperre überwinden, die dieser alte Einsiedler Trottel im Planetarium von Franeker errichtet hatte. Ich habe also alles bestens vorbereitet.« »Wofür, Herrscher?« »Für den Moment, in dem der Bann des Guten endgültig gebrochen wird. Dann werden meine Nachzehrer-Geschöpfe durch die Pforte strömen und
sich die Welt der Menschen Untertan machen. Zu Millionen werden sie kommen!« »Und wann wird das sein?« »In dem Moment, wenn Mark Hellmann zur Hölle fährt. Denn dann wird sein Siegelring mir gehören.« * »Warte!« Einer der anderen Vampire hielt seinen Artgenossen zurück, der gerade alles Leben aus mir heraussaugen wollte. »Wir sollten ihn lieber zur Königin bringen.« Ich wußte nicht, in was für einer Sprache sie sich miteinander verständigten. Aber ich konnte jedes Wort verstehen. Mein Ring half mir also nicht nur in fremden Ländern und fernen Jahrhunderten, sondern auch in anderen Dimensionen. Das war im Moment für mich allerdings nur ein geringer Trost. Der größere Vampir war unwillig. »Wir haben ihn besiegt! Da können wir uns doch auch als erste an ihm bedienen, oder?« Der zweite Nachzehrer zuckte mit den Schultern. »Die Königin hat eindeutige Befehle gegeben. Du weißt, was mit denen passiert, die gegen sie rebellieren.« Ich konnte deutlich sehen, wie der beißwillige Vampir mit sich zu kämpfen schien. Sein Blutdurst gegen seine Angst vor der Herrscherin. Endlich siegte aber doch die Feigheit. Zu meinem Glück. »Also gut. Schaffen wir ihn in den Thronsaal.« Sie rissen mich auf die Beine. An Gegenwehr war nicht zu denken. Obwohl ich einmal Zehnkampfmeister gewesen bin und immer noch regelmäßig verschiedene Sportarten trainiere, konnte ich mich nicht befreien. Zu fest waren die Griffe dieser Monstren aus einer anderen Welt. Sie schoben und zogen mich hinaus auf die Gasse. Es ging über die kleine Brücke. Wir schienen dem Weg des Mobs zu folgen, der vor kurzem den vampirischen Mark Hellmann weggeschleppt hatte. Die fünf Vampire knurrten einer lauter als der andere. Ich spürte deutlich ihre Gier nach meinem Blut. Aber etwas hielt sie zurück. Etwas, das stärker war als der Wille, meine Halsschlagader aufzureißen. Es mußte die Angst vor ihrer Königin sein. Mit Schlägen und Tritten dirigierten sie mich in ein größeres Haus. Im »normalen« Franeker befand sich darin das Rathaus, das stadhuis. Soviel hatte ich bei meinem kurzen Aufenthalt dort schon mitbekommen. In dieser Vampir-Parallelwelt sah es genauso schäbig und düster aus wie die
anderen Gebäude. Mitten über dem Eingangstor prangte eine Skulptur, die wohl die häßliche Fratze von Mephisto darstellen sollte. Ich knirschte vor ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Dann wurde ich eine kleine Treppe hinaufgeprügelt. Meine Bewacher brachten mich in einen großen, fast ovalen Raum. Dort warteten weitere Blutsauger. Bei meinem Anblick gerieten sie in Aufregung. Doch eine Vampirin auf einem Schädelthron brachte sie mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen. Ich blieb stehen. Im düsteren Licht des Mondes, der durch die schmierigen Oberlichter schien, sah ich sie. Eine böse Schönheit mit gnadenlosem Blick. Das Kleid bedeckte ihre vollendeten Formen nur knapp. Ihre Haut war so bleich, wie man es von einer Untoten erwarten konnte. Doch sah sie insgesamt sauberer und nicht so verkommen aus wie ihre Untertanen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, daß sie ein Geschöpf der Nacht war. Und sich ganz der dunklen Seite verschrieben hatte. Sie musterte mich, als wollte sie mir die Haut bei lebendigem Leib abziehen. Ich starrte zurück, zeigte keine Furcht. Allerdings mußte ich mir eingestehen, daß mir in diesem Moment ihr »Gegenstück« in meiner Welt lieber gewesen wäre. Jene Frau, die Monique van Woelderen hieß. Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend. Aber es war dasselbe wie bei dem vampirischen Hellmann und mir selbst. Nur die äußere Hülle stimmte größtenteils überein. Aber zwischen dem Inneren von Menschen und Blutsaugern lagen wirklich Welten. »Du bist zu uns gekommen. Willst du einer von uns werden?« Die Königin sprach mich direkt an. Dabei zeigte sie mit einem Zepter auf mich, das aus einem Knochen geschnitzt zu sein schien. »Niemals!« rief ich. »Du wirst es nicht verhindern können«, spöttelte sie. »Sieh dich doch um, Mark Hellmann! Unser Herrscher Mephisto hat uns angekündigt, daß du in unsere Welt kommen würdest. Siehst du hier jemanden, der dir helfen könnte? Nein. Du bist verloren.« »Solange ich noch atmen kann, kämpfe ich«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. Dieser Satz schien die verdammte Vampirbande grenzenlos zu erheitern. Meine Blicke waren überall. Fieberhaft suchte ich in meinem Gehirn nach einem Ausweg. Aber ich fand keinen. Einer meiner Bewacher hatte den Pflock und meinen Einsatzkoffer mitgenommen und beides der Königin zu Füßen hingelegt. Ja, wenn ich den Koffer öffnen und meine SIG Sauer mit den Silberkugeln hervorziehen könnte… Es war sinnlos. Sie würden mir nie soviel Zeit lassen. Als die teuflische Lachsalve verklungen war, wandte sich die
Vampirkönigin wieder an mich. »Aber niemand soll mir vorwerfen, ich würde einen Menschen eiskalt ermorden und sein Blut aussaugen. Normalerweise habe ich da keine Hemmungen. Aber mein Meister Mephisto hat mir von dir erzählt, Mark Hellmann. Du bist ja wohl etwas ganz Besonderes unter den Menschen. Deshalb hast du dir auch einen ganz besonderen Abgang verdient.« »Mach's nicht so spannend, du zu groß geratene Fledermaus!« Wut flammte in ihren kalten Augen auf. Aber dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Wie ich schon sagte, will ich dich nicht wehrlos abschlachten. Du sollst die Chance bekommen, um dein Leben zu kämpfen. Mann gegen Mann. Du nennst dich doch Kämpfer des Rings, Mark Hellmann. Gleich kannst du beweisen, wie ernst es dir damit ist.« Sie machte eine Bewegung in Richtung ihrer widerwärtigen Dienerschar. Eines der Monstren eilte durch eine breite Tür im Hintergrund. Die anderen wichen an die Wände zurück. Auf diese Weise wurde die Mitte des Thronsaals in eine Art Kampfarena umgewandelt. Das wurde mir jedenfalls im nächsten Moment klar, als mein Gegner hereingeführt wurde. Es war der vampifische Mark Hellmann. * Jeder von uns hat wohl schon einmal davon gesprochen, mit sich selber zu kämpfen. Aber wir kennen diese Redensart nur im übertragenen Sinne. Für mich sollte es nun blutige Wirklichkeit werden. Obwohl ich mir immer wieder klarmachen mußte, daß nicht ich es war, der mir dort gegenüberstand. Dieselbe Größe, dieselben Muskeln, dieselben Haare, dasselbe Gesicht. Aber damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Die Seiten, auf denen wir standen, waren nicht miteinander zu vereinbaren. Es war wie Tag und Nacht. Und wenn ich ihn vernichtete, dann tötete ich keinen Menschen. Sondern erlöste nur eine böse Kreatur von ihrer unnatürlichen Existenz. Der Hellmann-Vampir griff sofort an, als man seine Handfesseln löste. Ich stand ihm mit bloßen Händen gegenüber. Denn natürlich war die Königin nicht so selbstmörderisch, mich an meine Waffen herankommen zu lassen. Zwischen dem Einsatzkoffer und mir selbst standen einige riesige Blutsauger. Also versuchte ich mein Bestes. Ich wollte so lange wie möglich überleben. Auf Hilfe hoffte ich nicht mehr. Es war idiotisch gewesen, allein
durch die Dimensionspforte zu gehen. Jetzt hatte ich mir die Folgen selbst zuzuschreiben. Der Vampir riß sein Maul auf. Er bewegte sich ähnlich wie ich. Aber er war nur von Blutgier getrieben. Und von Haß. Ich beobachtete seinen Körper genau. Er war stark, gewiß. Aber ihm fehlten die eintrainierten Reflexe, die ich habe. Der Grund wurde mir sofort klar. Dieses Wesen hatte nie Kampfsport gemacht. Denn Techniken wie Karate oder Kung Fu wurzeln im Buddhismus. Und diese Weisheitslehre hat sich wie das Christentum ganz dem Guten verschrieben. Also hatte es sie in dieser Vampirwelt nie gegeben. Ich versuchte einen schnellen High-Kick. Mein Stiefel knallte gegen die Schläfe des Blutsaugers. Er taumelte zurück. Da wurde mir klar, daß ich recht hatte. Ich hätte einen solchen Angriff abwehren können. Der Vampir konnte es nicht. Die zuschauenden Kreaturen stöhnten enttäuscht auf. Vorhin hatten sie ihren Artgenossen noch in Stücke reißen wollen. Aber wenn er gegen einen Menschen antrat, hielten sie ihm natürlich die Daumen. Mein Treffer schien den Nachzehrer nur noch wütender gemacht zu haben. Er ging auf mich los wie eine Dampfwalze. Ich wich ein paar Schritte zurück. Dann machte ich einen blitzschnellen Ausfall. Ließ eine Links-Rechts-Kombination los. Meine Fäuste donnerten abwechselnd auf die Nase des untoten Hellmann. Die Kreatur brüllte auf. Ich spürte, wie sein uraltes Gebein unter meinen Schlägen brach. Er stieß mich zurück. Seine enorme Kraft ließ mich einige Meter weit durch die Luft fliegen. Unsanft knallte ich auf den Rücken. Noch während ich stürzte, setzte er mir nach. Er wollte sich auf mich werfen. Ich ließ mein linkes Bein vorschnellen. Es prallte gegen seine Brust. Einem Menschen hätte dieser Angriff die Luft genommen. Aber Vampire müssen ja nicht atmen. Meine Gegenwehr brachte mir nur eine winzige Pause. In den Augen des Vampirs loderte das Feuer ewigen Hasses. Es war klar, daß ich von ihm keine Gnade zu erwarten hatte. Ich kam wieder auf die Beine. Der Sturz hatte mich doch ziemlich durchgeschüttelt. Ich würde verdammt aufpassen müssen. Der Blutsauger ließ jede Vorsicht in den Wind schießen. Mit ausgestreckten Klauen marschierte er auf mich zu. Wie ein Roboter. Er achtete nicht auf seine Deckung. Ich ließ meinen Stiefel gegen seinen Rippenbogen schnellen. Es knackte. Von einer Wirkung war nichts zu bemerken. Ich durfte mich von ihm nicht in die Defensive drängen lassen. Aber das war leichter gesagt als getan. Mit Tritten und Schlägen attackierte ich ihn. Aber er schritt weiter, wobei er mich haßerfüllt anstarrte. Sein Blick
war auf meine Kehle gerichtet. »Mach ein Ende mit ihm!« ordnete die Vampir-Königin an. Er nickte ergeben und drang weiter auf mich ein. Ich verstand den Blutsauger-Mark nicht. Vorhin hatten ihn die Kreaturen der Herrscherin gefangengenommen und mißhandelt. Nun führte er wieder treu ihre Befehle aus. So hätte ich mich, Mark Hellmann, nie verhalten. Aber ich hatte keine Zeit, darüber zu philosophieren. Der Nachzehrer jagte mich vor sich her. Der Ring der Zuschauer wich zurück. Plötzlich stolperte ich. Dort lag mein Einsatzkoffer auf dem Boden! Daneben der Pflock! Ich stürzte, konnte mich nicht mehr halten. Mit einem riesigen Satz sprang mich der Hellmann-Vampir an und riß mich zu Boden. Seine Krallen griffen nach meiner Kehle. Ich preßte das Kinn auf die Brust, wie es Kampf Sportler zur Abwehr von Würgegriffen tun. Außerdem spannte ich die Halsmuskeln an. Aus den Augenwinkeln sah ich den Pflock aus Eichenholz. Lag er in meiner Griffweite? Blitzschnell ließ ich meinen linken Arm vorschießen. Es fehlten ungefähr fünf Zentimeter. Mein Gegner hatte meine Absicht erkannt. Er versuchte mich wegzuziehen und gleichzeitig meine Kehle zu erwischen. Die VampirMeute grölte vor Begeisterung. Das war eine Vorführung nach ihrem Geschmack. Ich spannte alle meine Muskeln an und verrenkte mich in Richtung der angespitzten Waffe. Mit den Fingerspitzen konnte ich das Holz schon fühlen. Da trat der Fuß des Vampirs mit voller Wucht auf meinen Arm. Ein höllischer Schmerz schoß hoch bis zum Schultergelenk. Ich blickte in die höhnische Fratze der Kreatur. Sie öffnete ihr Maul. Die Fangzähne erschienen. Ich glaubte schon, den Kampf verloren zu haben. In diesem Moment explodierte eine Benzinbombe mitten in der Arena! * Ich kannte den Geruch, und ich kannte die Flammen. Während meiner Aufträge als freier Journalist bin ich schon manchmal in verbotene Demonstrationen hineingeraten. Habe erlebt, wie feige Chaoten mit Molotowcocktails nach Polizisten werfen und dann sofort wieder in der Menge verschwinden. Deshalb kam mir das Klirren des zerberstenden Glases und das Geräusch des ausströmenden, sich entzündenden Treibstoffs bekannt vor. Und doch war alles anders.
Denn zu dieser Stunde, in dieser verfluchten Vampir-Welt, warf die Polizei mit Molotowcocktails. Ich drehte den Kopf und sah die wohlbekannte Gestalt meines Freundes Pit Langenbach, der im Eingang aufgetaucht war. Er hatte offenbar die Flasche mit dem explosiven Inhalt mitten in die Menge der Schwarzblüter geworfen. Einige von ihnen vergingen unter höllischen Schreien. Der Hauptkommissar hatte viel gelernt, seit er mit mir zusammen gegen das Böse kämpfte. Er wußte auch, daß Feuer eines der besten Mittel gegen Blutsauger ist. Und er war nicht allein gekommen. An seiner Seite erschien meine Freundin Tessa Hayden. Sie trug einen blauen Trainingsanzug und hielt eine Art Samuraischwert in den Händen. Es hatte eine sehr lange Klinge. Hinter ihr kam Vincent van Euyen. Er hatte sich mit einigen Pflöcken bewaffnet. Der Hellmann-Vampir war durch den Anblick des Feuers schockiert. Seine Ablenkung mußte ich ausnutzen. Mit einer ruckartigen Bewegung schlossen sich meine Finger um den Pflock. Und bevor er noch reagieren konnte, hatte ich ihm mit beiden Händen das Holz in sein untotes Herz gerammt. Ich spürte, wie er verging. Der schwere Körper, der auf mir gekniet hatte, wurde leicht wie Papier. Dann war nur noch etwas dunkle Schlacke übrig. Das Ende einer Existenz, die schon lange keine mehr gewesen war. Ich spürte kein Bedauern. Dieses Wesen hatte der Hölle gedient, wie alle, die sich in dieser Dimension befanden. Die Vampirkönigin hatte sich von ihrem ersten Schrecken erholt. »Tötet sie!« kreischte sie in den höchsten Tönen. »Keiner von ihnen darf entkommen!« Pit Langenbach ließ sich davon nicht einschüchtern. Ich sah, daß er eine Stofftasche um die Schultern hängen hatte. Daraus zog er einen weiteren Molotowcocktail hervor. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit rauchte er keinen Zigarillo, sondern paffte an einer dicken Zigarre. An ihrer Glut entzündete er den benzingetränkten Docht und schleuderte die Flasche in das Gefolge der dämonischen Herrscherin. Volltreffer! Fünf oder sechs Blutsauger wurden augenblicklich ein Raub der Flammen. Die Königin raste vor Wut. Sie wollte ihre Untertanen zum Angriff aufstacheln. Aber da sprang ihr Tessa entgegen. Ich erkannte meine Freundin kaum wieder. Wie eine Amazone ließ sie das Schwert kreisen. Es gab ein scharfes Geräusch, als die Klinge durch die Luft sirrte. »Du hast jetzt Sendepause!« sagte die Polizistin mit trockenem Humor zu der Dämonin. Und bevor diese wußte, wie ihr geschah, hatte Tessa
zugeschlagen. Mit einem einzigen Hieb hatte sie den Kopf der Vampirkönigin vom Hals abgetrennt. Mit ungläubigem Keuchen mußten die Blutsauger mit ansehen, wie der Schädel ihrer Herrscherin in den Dreck des Fußbodens fiel. »Nichts wie weg hier!« rief Pit, während er den nächsten Molotowcocktail einsatzbereit machte. »Bevor sie sich von dem Schock erholen!« Ich rappelte mich auf und zog meinen Einsatzkoffer an mich. Holte die SIG Sauer mit den Silberkugeln heraus. Aber noch schoß ich nicht. Ich wollte mir die Munition für den absoluten Notfall aufheben. Tessa stürzte sich auf die Blutsauger und enthauptete noch drei von ihnen. Wie die anderen dämonischen Kreaturen vergingen sie augenblicklich. »Zurück!« mahnte Pit. »Komm, Tessa!« Wir schlugen den Weg zum Planetarium ein. Vincent van Euyen und ich eilten voraus. Dem korpulenten Reporter fiel von uns allen das Laufen am schwersten. Deshalb mußten wir darauf achten, daß er nicht zurückblieb. Es folgte der Hauptkommissar, der immer noch einige Brandbomben in seiner Umhängetasche zu haben schien. Die Nachhut bildete Tessa. Vor ihrem Samuraischwert schienen die Blutsauger einen ziemlichen Respekt zu haben. »Gerade noch rechtzeitig!« keuchte Vincent und rang nach Luft. »Ich habe Tessa und Pit aus Harlingen abgeholt. Und dann sind wir sofort durch die Pforte gegangen, um dich rauszuhauen.« »Ohne euch wäre ich jetzt selbst ein Vampir«, gestand ich. »Aber die Pforte…« Ich verstummte. Denn im selben Moment hatte ich verstanden, wie ich das Dimensionstor schließen konnte. Für immer. Wie hatte doch der Geist von Eise Eisinga zu mir gesagt? Mein Ring würde mir den Weg weisen? Damit hatte er recht. Ich wußte intuitiv genau, was ich zu tun hatte. Wir jagten über die Brücke. Unter uns gurgelte immer noch das Blut in der Gracht. Eine Welt, wie ich sie in meinen schlimmsten Alpträumen nicht wiedersehen möchte. Aber das würde ich auch nicht, wenn alles klappte. Inzwischen hatten sich auch unsere Verfolger aufgemacht. Es waren viele. Und es wurden von Sekunde zu Sekunde mehr. Hunderte mochten es inzwischen sein. Ein grauenerregender Schlachtruf brandete über das vampirische Franeker. »Paß auf, Mark!« Vincent klang erschrocken. Ich wirbelte herum. Am anderen Ende der Brücke hatte sich ein Vampir versteckt gehalten, der sich auf uns stürzen wollte. Mit einem Schuß aus der SIG Sauer machte ich ihm einen Strich durch die Rechnung. Das geweihte Silber ließ ihn auf der Stelle vergehen.
Wir kamen nur langsam voran, weil der Reporter nicht so schnell laufen konnte. Die ersten Verfolger griffen schon mit ihren widerlichen Klauen nach Tessa. Doch da machten sie Bekanntschaft mit der scharfen Klinge. Nachdem einige Vampir-Gliedmaßen zu Boden gesegelt waren, verging ihnen die Lust darauf. Endlich erreichten wir das Planetarium. Vincent van Euyen keuchte wie eine Dampflokomotive. Wir stürmten die Treppe hinauf. Dann waren wir in dem kleinen Raum mit dem Dimensionstor. »Geht hindurch!« rief ich meinen Freunden zu. »Ich komme als letzter! Ich werde es verschließen!« Sie sahen mich an. Und verstanden, daß nun keine Zeit für lange Erklärungen blieb. Vincent verschwand als erster in der kleinen Pforte. Dann zwängte Pit Langenbach seinen hochgewachsenen Körper hindurch. Er ließ mir noch einen Molotowcocktail zurück. Schließlich kam Tessa an die Reihe. »Bis gleich, Geliebter!« Sie hauchte mir eine Kußhand hin. Das war für mich der beste Ansporn, meinen Job möglichst schnell und gut zu machen. Die Vampire waren schon an der Zimmertür. Zwar war sie ziemlich solide. Doch den dämonischen Kräften würde sie nicht lange standhalten können. Ich mußte mich also beeilen. Ich aktivierte meinen Siegelring an dem fünfmarkstückgroßen sternförmigen Muttermal auf meiner Brust. Das Kleinod strahlte sofort ein warmes, blaues Licht aus. Mit diesem Lichtstrahl schrieb ich das keltische Wort für »Tor« auf den Boden. Der Ring sandte weiter seine Strahlen aus. Vorsichtig richtete ich sie auf die obere rechte Ecke des Durchgangs in unsere Dimension. Es klappte. Er verschwand spurlos. In diesem Moment gab die Tür nach. Damit hatte ich gerechnet. Dem ersten Vampir brannte ich eine silberne Kugel auf den Pelz. Damit hatte ich einen Moment Luft. Genug, um mit meinem Sturmfeuerzeug die Lunte des Molotowcocktails zu entzünden. Bevor die Masse der Blutsauger in den kleinen Raum flutete, hatte ich bereits die Brandbombe auf dem Fußboden zerplatzen lassen. Eine hochlodernde Flammenwand deckte meinen Rückzug. Ich stieg in das Dimensionstor. Als ich auf unserer Seite angekommen war, strahlte mein Ring immer noch. Ich richtete das blaue Licht auf die Pforte. Der Durchstieg verschwand Stück für Stück. Sogar die ihn umrahmenden Totenschädel schienen nie existiert zu haben. Für einen kleinen Moment hörten wir noch das enttäuschte Gebrüll der satanischen Gestalten in der anderen Dimension. Dann war es verklungen. Denn nun lag die Wand so unbeschädigt vor uns, als ob es in ihr nie eine
Pforte zu einer Vampirdimension gegeben hätte. Tessa fiel mir um den Hals. * An diesem Abend hatten wir allen Grund zum Feiern. Vincent van Euyen hatte einen Tisch in dem chinesischen Restaurant De Pauw in der Voorstraat 40 reserviert. Monique vaft Woelderen war von ihm ebenfalls eingeladen worden, wie er mir augenzwinkernd mitgeteilt hatte. Ich nahm es gelassen hin. Ein großer rot und golden bemalter Drache schien über die weißgedeckte Tafel zu wachen. Als ich um acht Uhr das kleine Lokal betrat, war es nur mäßig besucht. Die große Masse der Elfstedentocht-Fans war inzwischen schon wieder weitergezogen. Die Etappe Franeker war für sie gelaufen. Außer Tessa, Pit Langenbach und Vincent van Euyen war noch der ältere holländische Konstapel anwesend, der meine Freundin in die Geheimnisse des Schwertkampfes eingeweiht hatte. Das Samuraischwert hatte ihr in der Vampir-Dimension wirklich gute Dienste geleistet. Unser Ehrengast saß in seiner blauen Uniform mit den silberfarbenen Schulterstücken am Kopfende des Tisches. Er erhob sich, als ich ankam. »Sie sind also Mark Hellmann«, sagte der niederländische Polizist, der sich mir als Konstapel De Witt vorstellte. »Ich habe ganz unglaubliche Geschichten über Sie gehört.« »Ich wünschte, sie wären wirklich unglaublich«, sagte ich und nahm Platz. In dem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand konnte ich mein Gesicht sehen. Es wirkte reichlich abgespannt. »Die Leitung des Planetariums ist jedenfalls sehr glücklich darüber, daß du dieses verwünschte Tor verschlossen hast«, teilte mir Vincent van Euyen mit. »Sie haben beschlossen, die Tapetentür wieder herzurichten und das Geheimzimmer überhaupt nicht der Öffentlichkeit zu präsentieren.« Er machte eine kleine Pause und fügte hinzu: »Es gibt eben Türen, die man wirklich niemals öffnen sollte.« Die blonde Kellnerin brachte die Speisekarten. Jeder von uns nahm eine entgegen. Die attraktive Frau blieb direkt neben mir stehen. Ich sah auf, erwartete einen vernichtenden Blick von Tessa. Ihre Eifersucht kannte ich ja zur Genüge. Doch statt dessen sah ich etwas anderes. Und ich reagierte sofort! Mit einer blitzschnellen Bewegung ließ ich meinen Stuhl nach hinten kippen. Ich landete auf dem Rücken und machte eine Rolle, um sofort wieder auf die Beine zu kommen.
Die Kellnerin hatte ihr Vampirgebiß gefletscht und griff mich an! Ich duckte mich weg und hieb ihr den Ellenbogen in den Magen. Die anderen Gäste kreischten. Sie hatten noch nicht mitbekommen, was hier lief. Ich war durch den Spiegel gerettet worden. In ihm hatte ich gesehen, daß neben mir niemand zu stehen schien. Denn Blutsauger haben kein Spiegelbild. »Hier, Mark!« De Witt warf mir sein Schwert zu, das Tessa ihm an dem Abend zurückgeben wollte. Er hatte durch die deutsche Kollegin erfahren, was in dem anderen Universum geschehen war. Und wenn er es vielleicht auch kaum glauben konnte - nun sah er eine Vampirin mit eigenen Augen. Das war ihm Beweis genug. Das Schwert wirbelte durch die Luft. Ich fing den Griff und holte sofort aus. Die Untote streckte ihre Klauen nach mir. Der Kampf mußte so schnell wie möglich entschieden werden. Zwar hatte sie es wohl auf mich abgesehen, aber es gab hier auch noch jede Menge unschuldige Menschen, die zu Schaden kommen konnten. Ihr Arm fuhr mir an die Kehle. Ich stieß sie mit ganzer Kraft zurück. Mit einem widerlichen Zischen griff sie wieder an. Mein Hieb saß. Ihr Kopf fiel polternd zu Boden. Sofort danach verging ihre untote Existenz. Der chinesische Restaurantbesitzer kam herbeigeeilt. Soeben hatte er seine echte Kellnerin gefesselt und geknebelt in einem Abstellraum gefunden. Wir erklärten ihm mit wenigen Worten die Lage. Er schien nicht besonders überrascht zu sein. Auch in der chinesischen Tradition gibt es ein uraltes Wissen um die Blutsauger. Die dortigen Vampire sollen manchmal am ganzen Körper leuchten. Wir warfen eine Tischdecke über die Überreste der Vampirin. »Das war Mareike Boersma«, erklärte Konstapel De Witt. »Eine junge Frau, die vor kurzem ermordet wurde. Wir haben ihren Körper völlig blutleer in einer zugefrorenen Gracht gefunden. Ich habe nicht gut aufgepaßt. Sonst hätte ich früher mißtrauisch werden müssen. In diesem Lokal gibt es sonst immer nur chinesische Kellnerinnen.« »Sie hat sich uns ja nur ganz kurz gezeigt«, sagte ich. »Sie wollte mich offenbar gerade beißen. Aber nun ist es ja vorbei.« In diesem Moment öffnete sich die Eingangstür. Monique van Woelderen kam herein. Tessa sprang auf, als wäre sie vom wilden Affen gebissen worden. »Das gibt es doch nicht!« rief sie. »Diese Blutsaugerin habe ich doch geköpft. Warum ist…?« Aber ich beschwichtigte sie. »Das ist keine Vampirin, Tessa.«
»Woher willst du das wissen? Die sieht doch genauso aus wie diese Nachzehrer-Königin!« Monique van Woelderen blickte verdutzt zwischen uns hin und her. »Ich weiß es, weil ich sie gut kenne.« »Soooooo?« Nun klang die Stimme der Polizistin noch um einige Tonlagen mißtrauischer. »Darüber möchte ich jetzt aber alles hören!« Ich machte mich auf einen »gemütlichen« Abend gefaßt. ENDE »Natürlich fahr ick nen Triebwagen. Det is meene Bestimmung. Schließlich hab ick nen janz ausjeprägten Trieb.« Kurt Bolte, Fahrer bei den Berliner Stadtwerken war wie immer bester Laune, auch als er an diesem trüben Morgen seinen Kollegen vorn in der U-Bahn ablöste. Doch das war kein Tag wie tausend andere; zum Halse steckenbleiben. Kaum fuhr er mit seiner Bahn los. kam es im U-Bahnschacht zur Katastrophe…
Ghul-Alarm in Ostberlin nannte Dämonenjäger Mark Hellmann diesen Fall, als er ihn endlich zu den Akten legen konnte…