Scan & Korrektur - Keulebernd
Ritterkreuzträger der Kriegsmarine
Karl Fleige Der spätere Kapitänleutnant (Hauptmann) ...
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Scan & Korrektur - Keulebernd
Ritterkreuzträger der Kriegsmarine
Karl Fleige Der spätere Kapitänleutnant (Hauptmann) Karl Fleige wurde am 5.9.1905 in Hildesheim geboren. Bei der Kriegsmarine war er zunächst Stabsobersteuermann und Wachoffizier auf den Unterseebooten »U 20« und »U 123«. Nach Lehrgängen von April bis Dezember 1942 wurde Fleige Kommandant von »U 18«, das er bis August 1944 führte. Er kämpfte mit diesem Boot im Schwarzen Meer und errang mit seiner Besatzung bedeutende Versenkungserfolge. Am 18.7.1944 als Oberleutnant z. S. und 238. Angehöriger der Kriegsmarine mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, war er von August 1944 bis Kriegsende Lehrer bei der 1. U-Boot-Lehrdivision und wurde im August 1945 aus der Gefangenschaft entlassen.
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Die Panzerschlacht von St Lô Juli 1944. – Der Untergang der Panzerlehrdivision an der Invasionsfront
Der Tod war überall in jenen Sommertagen des Jahres 1944. Die alliierte Invasion in Nordfrankreich hatte die Landschaft zwischen der Halbinsel Cotentin und St. Mere Eglise in eine menschenverschlingende Hölle verwandelt. Tausende von deutschen Soldaten wurden von Granaten in die blutgetränkte Erde gestampft, gewaltige Kaliber zerschlugen die Bunkerkolosse an der Küste, und Raketen feindlicher Tiefflieger ließen selbst von den größten Panzern nur ausgeglühte Wracks zurück. So auch in der Landschaft Caen, Tilly und St. Lô, wo dem VIII. US-Korps am 25. Juli schließlich der Durchbruch gelang. Auch die ungeheuren Blutopfer der Panzerlehrdivision waren umsonst gewesen, die in einem Vernichtungswirbel ohnegleichen ihr Ende gefunden hatte. Von dieser Schlacht auf den Totenfeldern der Normandie handelt der nachfolgende Bericht. Die Redaktion 3
Südwestlich Caen. Im Raum Tilly. Die Kerzen flackern unter dem fauchenden Luftsog der einschlagenden Granaten, und das Kellergewölbe erzittert. Klatschend fällt der Rauhputz von der Decke herab, und Pulverdampf wälzt sich träge die Treppe herunter. Mit stumpfen Gesichtern, in denen das Grauen tiefe Furchen gezogen hat, hocken die Soldaten an den feuchten Wänden. Ihre Hände umkrampfen die Waffen, und ihre Lippen zucken verhalten. Der Engländer trommelt. Stundenlang drischt das massierte, englische Artilleriefeuer auf die Stellungen des II. Bataillons hernieder, und der Major weiß nicht, ob dort vorn bei den Kompanien eigentlich noch ein einziger Mann am Leben ist. Oberfeldwebel Blohm* schiebt seine Papiere zusammen und verstaut sie in seiner Aktentasche. Unteroffizier Dahte, der Fahrer des Kommandeur-Schützenpanzerwagens, dreht sich geschickt eine Zigarette, schiebt sie zwischen seine trockenen Lippen und vergißt sie anzuzünden. »Lieb Vaterland, magst ruhig sein …«, knurrt der Adjutant leise zwischen den Zähnen hindurch. Er blickt zur Decke, als wollte er sie fragen, wie lange sie wohl noch standhielt. Unteroffizier Hünerfürst schiebt sich ein Stück Brot zwischen die Zähne und kaut langsam und bedächtig darauf herum. Obergefreiter Heinicke schüttelt den Kopf und versucht einen Witz: »Sie schießen wieder so lange, bis noch etwas passiert.« Hermann Pülm, evangelischer Pfarrer im Zivilleben, tippt sich vielsagend gegen die Stirn, Aber Heinicke zuckt nur mit den Schultern. Erst nach einer Weile sagt er leise: »Bete, Hermann, vielleicht hilft uns der Herrgott hier noch einmal heraus!« »Alles liegt in Gottes Hand.« Pülm lehnt sich zurück an die *
Alle Namen, falls es sich nicht um Persönlichkeiten der Zeitgeschichte handelt, sind verändert oder frei gestaltet.
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Wand, und seine Lippen bewegen sich lautlos. Die Hände hält er zwischen den Knien gefaltet. Aus dem Nachbarkeller dringt das Stöhnen der Schwerverwundeten durch das Gewölbe, und Oberfeldwebel Blohm wirft seine Tasche mit dem Schreibkram unter die als Tisch dienende Kiste. « Hartnäckig zieht der Major an seiner längst erloschenen Zigarre. Er schaut auf, als Doktor Lütgemeier – der Bataillonsarzt – unter der Tür zum Nachbarkeller stehenbleibt. »Was gibt es, Doktor?« »Leutnant Worrach ist eben gestorben, Herr Major!« Uthe springt auf. »Verdammt!« Aber dies klingt nicht wie ein Fluch, eher wie der Schrei eines Menschen, der völlig verzweifelt ist. »Hat er… ich meine, hat er noch schwer gelitten?« »Nein, Herr Major, ich habe ihm eine Spritze gegeben. Er ist völlig ruhig eingeschlafen.« »Danke – danke für Worrach, Doktor!« Wieder wankt der ganze Keller, und einige Kerzen verlöschen. Die britische Artillerie schießt den Trauersalut für Leutnant Worrach. Ruhig zündet Otto Blohm die erloschenen Kerzen wieder an. Aber es ist nur eine äußere Ruhe. Bei ihm wie bei allen anderen in diesem Keller hier. Kein Fernsprecher funktioniert mehr, und die Antenne des Hundert-Watt-Senders ist längst zerdroschen worden. »Die Tommies* arbeiten Akkord an ihren Geschützen«, sagt Feldwebel Fisser hart und wischt sich mit der flachen Hand den Schweiß – der in dicken Tropfen auf seiner Stirn steht – weg. Uthe nickt wortlos, und Oberleutnant Gerken, der Bataillonsadjutant, betrachtet die schwankenden Schatten, die die Kerzen von den Silhouetten der Männer an die Wand werfen. Seit gestern abend um acht Uhr trommelt der britische Gegner mit unvorstellbarer Wucht auf die Stellungen des *
Spitzname für Engländer
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Panzergrenadier-Lehrregimentes an der Normandiefront. Draußen steht kein Baum und kein Strauch mehr. Alles ist durcheinandergewirbelt worden. Die Erde bäumt sich auf unter den tödlichen Schlägen der Granaten, wird zum hundertsten Male umgewühlt. Trichter reiht sich an Trichter. Feurige Wände aus aufspritzendem Feuer und glühenden Stahlsplittern erheben sich immer aufs neue, und der Atem des Todes haucht über die zerstampften Stellungen. Vorn, bei der 7. Kompanie, liegt der Oberfeldwebel Brombach mit dem Rest seiner Zuges in einem gewaltigen Trichter, den die britische Schiffsartillerie geschossen hat. Die Männer krallen sich in die aufgerissene Erde und ducken sich unter den pausenlosen Einschlägen der feindlichen Granaten. »Hört denn das nie wieder auf«, stöhnt ein Obergefreiter, dessen rechter Uniformärmel zerfetzt ist und von dessen Hand das Blut in dicken Tropfen zu Boden fällt, um sogleich von der trockenen Erde aufgesogen zu werden. »Ruhe bewahren!« Es ist Brombach, der es kurz hervorstößt. Aber er kann die Männer verstehen, die mit ihm in diesem grausamen Todeswirbel liegen. Aber einmal werden die Engländer da drüben doch aufhören zu schießen, einmal muß doch auch bei ihnen die Munition ausgehen. Brombach blickt auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Es ist kurz vor drei Uhr, und in siebzig Minuten wird der neue Tag anbrechen. Was wird er bringen? Er rutscht etwas tiefer in den Trichter zurück und starrt seine dreckverschmierten Leute an. Da ist Grutke, kaum zwanzig Jahre alt. Einstmals verwöhntes Söhnchen eines Universitätsprofessors. Er ist hier draußen in wenigen Wochen zum Mann geworden. Dann der Gefreite Hempel. Sein ewiges Lachen hat er hier verlernt, er brauchte keine Woche dazu. Zwei Tage genügten, um tiefe Furchen in sein sonst so fröhliches Gesicht zu graben. Und Baumbach? Der Don Joan der Kompanie? Hat er die 6
hübschen Mädchen alle in die Tiefe seines Unterbewußtseins vergraben, oder denkt er auch jetzt noch an sie? Wer kann Antwort darauf geben? Brombach wirft sich herum. Dicht neben ihm hockt Paschke. Uralter Stabsgefreiter mit ebenso vielen Dienstjahren wie er selbst. »Verfluchter Mist, was?« »Gar kein Ausdruck!« Paschke winkt kurz ab. »Ich glaube, hier sterben wir noch alle, Paul.« »Möglich. Aber einige von uns müssen ja wohl noch nach Hause kommen um zu berichten, wie die anderen gefallen sind.« »Als wenn später einmal jemand Wert darauf legen würde? Sie werden sich an ihre Stirn tippen und sagen: Die waren ja schön dumm, da vorn im Dreck zu liegen, während wir hier zu Hause ›Heil‹ geschrien und unsere Geschäfte gemacht haben.« »Hast recht!« Plötzlich verstummt das wilde Artilleriefeuer schlagartig. Die wenigen Landser heben erstaunt die Köpfe, sie können es noch gar nicht begreifen. Die Ruhe zerrt ebenso heftig an den Nerven wie vorher das Trommelfeuer. Die Pulverschwaden ziehen träge über das Schlachtfeld, und dann hören sie englische Laute vorn. »Die Tommies kommen!« Hell klingt der Warnschrei über das Trichtergelände. Die Panzergrenadiere ergreifen ihre Waffen und schieben sich höher aus den Löchern heraus. Es ist eine dünne Linie, aber es ist immerhin noch eine Widerstandslinie. Wenn nur der Nordwind die Pulverschwaden nicht direkt auf die deutschen Stellungen zutreiben würde. Mit angehaltenem Atem erwarten die Verteidiger das Auftauchen der englischen Sturmtruppen. Und da sind sie schon, mit flachen, schrägsitzenden Stahlhelmen. Nur schemenhaft tauchen sie auf. Handgranaten 7
torkeln durch die Luft und zerspringen mit bösem Knallen. Maschinengewehre rasen los, und die ersten Schreie von zu Tode getroffenen Männern gellen auf. Vor Brombachs Trichter wächst ein hünenhafter Engländer empor. Paul Brombach reißt die Maschinenpistole durch … Paschke zieht eine Handgranate nach der anderen ab und wirft sie in den hin und her wogenden Qualm. Auf beiden Seiten wird voll Erbitterung gerungen und gestorben. »Wo bleiben nur unsere Panzer«, keucht der Oberfeldwebel und schießt mitten hinein in die im Qualm auftauchenden Schatten. Vom Süden klingen Artillerieabschüsse auf, und dann fegen die Lagen der schweren Heeresflakbatterien in das Niemandsland. Neue Feuerwände brechen auf, und heiße Splitter zerreißen aufs neue warmes, pulsendes Leben. Dumpf knallen die Abschüsse und Einschläge der schweren Feldhaubitzen dazwischen. Dann dreht sich der Wind und treibt die Pulverschwaden plötzlich nach Westen ab. Die Sicht wird besser, und dann können die Verteidiger auch die erdbraunen Massen der Angreifer vor sich liegen sehen. Die Maschinengewehre erfassen unbarmherzig ihre Ziele. Wer kennt hier noch Mitleid? Wer denkt daran, daß auf beiden Seiten Söhne von Müttern sterben, die einstmals unter Schmerzen geboren wurden? Und dann klart es plötzlich ganz auf. Von Norden, dort wo die Kaminreste der ehemaligen Ferme* ihre Stümpfe in den Himmel strecken, rasseln Panzer heran. Es sind britische Cromwell-Wagen, deren Kanonen die kaum mehr erkennbaren deutschen Stellungen aufs neue zerhämmern. Die Grenadiere nehmen ihre Panzerfäuste zur Hand. Die nagende Angst haben sie ins Unterbewußtsein verdrängt. Jetzt *
Bauernhof in Frankreich
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lauern sie nur noch darauf, daß die Panzer auf Schußentfernung herankommen. Hauptmann Oventrop, der Kommandeur der PanzerjägerLehrabteilung, zieht sechs seiner Geschütze durch den Bachgrund vor und stellt die Selbstfahrlafetten dicht am Hinterhang in Stellung. Aus ihren Langrohrmündungen lecken feurige Lohen. Stahl knallt auf Stahl. Berstend fliegen die ersten englischen Panzer in die Luft. Breitbeinig steht der Panzerjägerhauptmann ein Stück weiter vorn in einem Trichter neben einer Handvoll Grenadiere und leitet über einen Funktrupp das Feuer seiner Geschütze. Aber drüben schieben sich immer neue Panzerwellen aus dem zerfetzten Kastanienwäldchen hervor und nähern sich den deutschen Stellungen. Rechts, dort wo Einheiten der 12. SSPanzerdivision liegen, rollen jetzt einige Tiger-Panzer unter Michael Wittmann heran, die das Panzerkorps abgestellt hat. Hart bellen die Abschüsse der Tiger auf, und mehrere Cromwell fliegen dröhnend auseinander. Längst ist es hell geworden, niemand hat es in der Hitze des Kampfes so richtig bemerkt. Nach einer halben Stunde rollen die englischen Panzer wieder zurück. Nur brennende Wracks bleiben im Niemandsland liegen. Die deutschen Panzergrenadiere atmen auf und bergen ihre Verwundeten. In langen Reihen stolpern sie rückwärts zu Ärzten und Verbandsplätzen. Viele müssen getragen werden, und noch mehr schweigen für immer. Die 7. Kompanie zählt noch ganze zweiunddreißig Mann. Der Leutnant ist tot, und Brombach übernimmt die Kompanie. Am Hinterhang arbeiten sich einige Landser hoch, sie bringen in großen Thermoskübeln warmes Essen. Andere holen kalte Verpflegung und Zigaretten herbei. Es gibt für jeden Mann doppelte Rationen, denn gestern abend hatte die Kompanie noch eine Grabenstärke von achtzig Mann. Der Küchenunteroffizier zögert zuerst. 9
»Ich kann keine doppelten Rationen abgeben.« Brombach schaut den Unteroffizier an. »Und warum nicht?« »Die Rationen sind für achtzig Mann bemessen, Herr Oberfeldwebel!« »Hör« mal!« Brombach steht auf. »Du hast doch für die siebente Kompanie Verpflegung empfangen, nicht wahr?« »Jawohl!« »Nun, die siebente Kompanie sind wir, die anderen sind gefallen oder auf dem Hauptverbandsplatz, willst du den Rest der Verpflegung etwa wieder mit zurücknehmen?« »Ich weiß nicht«, sagt der Küchenunteroffizier zögernd. »Dann quatsch nicht so lange und pack schon aus.« Brombach setzte sich wieder. »Aber die Rauchwaren kann ich nicht…« Mit einer schroffen Handbewegung unterbricht ihn der Oberfeldwebel. »Ich bin hier der Kompanieführer – verteil die Sachen, aber ein bißchen fix, verstanden.« »Der Stabszahlmeister wird mich verantwortlich machen.« »Der kann uns den Buckel runterrutschen, klar?« Also verteilt der Unteroffizier doch die mitgebrachten Schätze. Die Männer grinsen sich an und beginnen zu essen. Dann glimmen die ersten Zigaretten auf, und bläulicher Rauch kringelt aus den Trichtern und Deckungslöchern hoch. »Jetzt sieht das Leben schon wieder viel rosiger aus«, brummt Paschke leise vor sich hin. »Ja, man wird bescheiden hier vorne.« Die britische Artillerie tastet das Gelände ab. Störungssucher haben die zerfetzten Fernsprechleitungen zu den drei Schützenkompanien wieder geflickt, und Major Uthe weiß jetzt wenigstens, wie es vorn bei seinen Kompanien aussieht. Nachdenklich geht er im Keller des zertrümmerten Schlosses hin und her. Endlich bleibt er vor den Fernsprechapparaten stehen und verlangt das Regiment. Nach einiger Zeit meldet sich die Vermittlung des 10
Lehrregiments. »Den Kommandeur, bitte!« »Einen Augenblick, Herr Major«, tönt es aus der Hörmuschel zurück. Dann meldet sich Oberst Scholze: »Was gibt es, Uthe?« »Herr Oberst, das Bataillon hat – mit schwerer Kompanie und Stab – noch eine Grabenstärke von einhundertundfünfzig Köpfen. Ich kann mit diesen Männern die Stellung nicht mehr halten. Noch solch ein Großangriff wie gestern – und der Gegner bricht durch.« »Ich weiß es, Uthe, aber ich kann es nicht ändern. Ich habe wiederholt um Ablösung gebeten, sie wurde mir auch zugesagt, bloß den genauen Zeitpunkt hat mir der General nicht verraten können.« »Die Soldaten sind am Ende ihrer Kraft, Herr Oberst.« »Ich weiß es.« »Das Bataillon hat noch drei Offiziere, Herr Oberst.« »Ich komme heute nacht vor zu Ihnen, Uthe. Tun Sie Ihr Bestes.« »Selbstverständlich, Herr Oberst.« Eine Weile summt es nur im Draht, dann sagt Oberst Scholze sehr leise, eigentlich mehr zu sich selbst: »Das Regiment stirbt wieder einmal.« »Herr Oberst?« »Schon gut, Uthe, ich komme vor.« »Danke, Herr Oberst!« »Ende!« Langsam legt er den Hörer zurück auf den Fernsprechkasten. Bis es dunkel wird, vergehen noch zwei Stunden. Und was kann in diesen zwei Stunden noch alles geschehen. Major Uthe steckt sich eine neue Zigarre an und setzt sich wieder hinter die Kiste. Blohm macht die Abendmeldung fertig, und die Melder dreschen in der Ecke einen Skat. Oberleutnant Gerken schreibt nach Hause, und der Doktor 11
liest einen Dreißig-Pfennig-Roman. Langsam vertropft die Zeit, nur wenn eine schwere englische Granate in unmittelbarer Nähe einschlägt, heben alle zugleich die Köpfe. Dann spielen, lesen oder schreiben sie wieder weiter. Als die Nacht hereinbricht, verstärkt der Engländer sein Artilleriefeuer. Aber langsam haben sich alle deutschen Landser daran gewöhnt. Gegen Mitternacht kommt Oberst Scholze nach vorn. »Na Uthe, wie geht’s?« »Schlecht, Herr Oberst!« »Ja, ja, ich weiß, aber morgen abend sollen wir endlich abgelöst werden.« »In Ruhe, Herr Oberst?« »Nein, die Panzerlehrdivision verlegt in den Raum St Lô, Uthe.« Major Uthe schüttelt den Kopf. »Was meine Männer brauchen, ist Ruhe und noch einmal Ruhe, Herr Oberst.« Oberst Scholze blickt den Major eigenartig an, dann sagt er leise: »Vielleicht haben wir bald alle Ruhe, Uthe?« »Verzeihung, Herr Oberst!« »Schon gut. Ich habe in zwei Weltkriegen schon so viele meiner Soldaten sterben sehen. Uthe, wenn ich einmal vor Gott stehen werde, weiß ich nicht, wie ich mich und mein Tun und Handeln verantworten soll. Davor habe ich Angst, Uthe.« Major Uthe schweigt, denn er weiß keine Antwort darauf. Dann sagt er: »Wollen wir durch die Stellungen gehen, Herr Oberst?« Die Nacht ist sternenklar, und die beiden Kommandeure gehen mit zwei Meldern durch den Bachgrund. Ein Posten ruft sie an. Major Uthe gibt die Parole zurück. Sie stoßen auf den Gefechtsstand der 7. Kompanie. Brombach meldet nichts Neues. Scholze legt dem Oberfeldwebel die Hand auf die Schulter. »Ihr habt euch gut geschlagen, Brombach.« »Solange wir uns wehren können, kommen sie bei uns nicht durch, Herr Oberst!« 12
Scholze schüttelt den Kopf und sieht den Oberfeldwebel nachdenklich an. Er sagt nichts, und Uthe würde etwas darum geben, jetzt die Gedanken des Regimentskommandeurs lesen zu können. Auf einmal meint der Oberst unvermittelt: »Der menschlichen Kraft sind Grenzen gesetzt, Brombach, vergessen Sie das nicht.« »Wie meint er das wohl?« fragt der Stabsgefreite den Oberfeldwebel, als der Kommandeur weitergegangen ist. »Er ist ein eigenartiger Kommandeur, mehr Mensch als Oberst«, erwidert Brombach. Der Stabsgefreite tippt sich mit dem Zeigefinger vielsagend gegen die Stirn und knurrt: »Du fängst auch schon an zu spinnen, Paul.« »Einer spinnt ja bekanntlich immer.« Major Uthe legt den Hörer auf und lehnt sich zufrieden zurück gegen die Wand. »Morgen früh werden wir abgelöst!« »In Ruhe, Herr Major?« »Zwei Tage, es gibt Ersatz, Gerken.« »Na, zwei Tage sind besser als gar nichts, Herr Major. Und wenn wir dann noch aufgefrischt werden, kann ja eigentlich gar nichts mehr schiefgehen!« Der Adjutant blickt auf seine Armbanduhr. »In einer halben Stunde ist es dunkel!« Uthe wendet sich an Oberfeldwebel Blohm. »Sind die Abendmeldungen alle eingegangen?« »Jawohl, Herr Major!« »Nennen Sie mir mal die Grabenstärke der Kompanien.« »5. Kompanie: ein Offizier, sechs Unteroffiziere und neunundvierzig Mann, 6. Kompanie: neun Unteroffiziere und dreiundfünfzig Mann, 7. Kompanie: vier Unteroffiziere und achtundvierzig Mann, und die 8. Kompanie: ein Offizier, sieben Unteroffiziere und einundsiebzig Mann. Dazu kommt die Gruppe Führer mit zwei Offizieren, einem Sanitätsoffizier, 13
sechs Unteroffizieren und zwölf Mann.« »Und zusammengezählt, Blohm?« »Fünf Offiziere, zweiunddreißig Unteroffiziere und zweihundertundfünfzehn Mannschaften, Herr Major.« »Dann haben wir bereits mehr als fünfzig Prozent Verluste, Blohm.« Uthe steht auf, schiebt die Hände in die Taschen seiner grauen Panzerüberfallhose und marschiert im Keller auf und ab. »Wer weiß, wann wir dran sind, um in die Ewigkeit zu marschieren.« »Man sollte nicht dran denken«, brummt Blohm und schreibt mit steiler Schrift weiter in seinem Buch herum. Dieses schwarze Buch spricht im wahrsten Sinne des Wortes Bände. Zahlen – nichts wie nüchterne Zahlen spiegeln das Schicksal eines Bataillons wieder, berichten vom Leben und vom Sterben vieler Hunderter von Männern. Man könnte es das Tagebuch des Todes nennen. Major Uthe bleibt stehen, denn von Norden dröhnt das unverkennbare Geräusch vieler Artillerieabschüsse herüber. »Ob das uns gilt?« Lauschend heben die Männer im Keller des Gefechtsstandes ihre Köpfe. Dann hören sie das Orgeln und Jaulen der heranrauschenden Granaten und ziehen unwillkürlich ihre Köpfe tiefer zwischen die Schultern. Mit elementarer Gewalt dröhnt es in den Schloßpark herunter. Die schweren, uralten Bäume ächzen unter dem Druck der Explosionen. Knorrige Äste werden abgeschlagen und versperren die Wege. Kaum heben die Männer im Keller wieder ihre Köpfe, als die zweite und gleich darauf die dritte Lage heranfegt. Nach zehn Minuten kann kein Mensch mehr einen Abschuß von einem Einschlag unterscheiden. »Trommelfeuer«, knurrt Gerjet Fisser, seines Zeichens Nachrichtentruppführer, leise vor sich hin. Die Erde erzittert unter den pausenlosen Hieben. 14
Der Posten vor dem Kellereingang kommt mit verstörtem Gesicht die Kellertreppe heruntergestolpert und meldet: »Herr Major!« »Was ist?« »Die Tommies…« »Was denn?« Uthe sieht, wie die Angst in den Augen des jungen Panzergrenadiers wächst. Die Augen flackern. Ruhig sagt Uthe: »Nun rede schon.« »Die Tommies schießen Nebel, Herr Major, ganz dicken Nebel – man kann keine drei Schritte weit sehen!« »Verflucht!« Major Uthe geht die Treppe hoch und schaut ins Freie. Was er sieht, ist dicker, milchigweißer Nebel, der nur durch die Explosionsflammen der krepierenden Granaten zerrissen wird, um sich dann noch dichter zusammenzuballen. Uthe kommt zurück und tritt an den Feldfernsprecher. Aber er legt den Hörer sofort wieder zurück, denn die Leitung ist tot. »Soll ich zwei Störungssucher losschicken?« fragt Fisser. »Nein, das wäre Selbstmord. Aber versuchen Sie das Regiment durch Funk zu erreichen. Melden Sie, daß der Tommy mit Nebelgranaten trommelt.« »Jawohl, Herr Major!« Aber auch die Funker bekommen keine Verbindung mehr, denn allem Anschein nach ist ihre Antenne bereits restlos zerfetzt worden. Somit ist das II. Bataillon des Panzergrenadier-Lehrregiments völlig abgeschnitten. »Versuchen Sie mal die Kompanien zu erreichen, Fisser.« Der Feldwebel bemüht sich, aber außer dem Chef der 8. Kompanie erreicht er niemand. Wenn man bedenkt, daß der Gefechtsstand der »Achten« im Keller des benachbarten Wirtschaftshofes liegt, ist das kein Wunder. Denn die anderen Kompanien liegen vorne, mindestens sechs- bis siebenhundert Meter weiter nördlich. Dazwischen liegt der Bachgrund, den der Engländer schon hundertmal zerstampft hat. Das alte Bett 15
des Baches ist nicht mehr zu erkennen, und das Wasser des Baches hat schon tagelang die von Granaten gerissenen Trichter gefüllt. Jetzt trommelt der Gegner bereits wieder volle zwei Stunden auf den Abschnitt der Panzerlehrdivision herum, und es sieht noch nicht so aus, als wenn das Feuer in nächster Zeit schwächer werden wird. Es hat sogar den Anschein, als wenn es sich noch weiter steigert. Pülm nimmt seine kleine Bibel zur Hand und beginnt zu lesen. Niemand macht sich über diesen Gefreiten lustig, der im Zivilberuf evangelischer Priester ist. Er ist ein feiner Kerl und ein noch besserer Kamerad. Er glaubt an Gott, sonst an niemand. Dröhnend krepieren einige Granaten auf den Schuttmassen, die sich über dem Keller türmen. Die Kerzen flackern, und der Kalk fällt in Mengen von der Decke. Das Trümmergeröll wirkt federnd und schützend, liegt doch der Schutt von drei Schloßstockwerken, darunter dicke Naturquaderblöcke, über dem Keller. Trotzdem ducken sich die Soldaten tiefer, und in ihren Gesichtern unter den Stahlhelmen zuckt es nervös. Sie alle, die hier vorn liegen, hadern mit ihrem Schicksal, das sie zwingt, hier auszuhalten und auf den Tod zu warten, der über die Normandie stampft. Klirrend und alles unter seinen Schritten zermalmend. Heinicke denkt daran, daß sie abgelöst werden sollen. Aber werden sie es noch erleben, oder wird das Massengrab da hinten an der Wegekreuzung wieder größer werden? Sie wissen es nicht, aber gewiß ist, daß nicht alle aus dieser Hölle herauskommen werden. Wer wird der nächste sein, der sterben muß? Gefallen für zweifelhaften Ruhm und Ehre. Keiner, der hier vorn im Dreck oder in den Gewölben zerhämmerter Schlösser und Häuser liegt, sieht mehr die Notwendigkeit seines Todes ein, und trotzdem halten sie aus, weil es das Gesetz so befiehlt. Niemand wird je die Kraft 16
ergründen können, die in ihnen wohnt. Heute und in alle Zukunft – die im Dunkeln vor ihnen liegt – nicht. Im Nebenkeller arbeitet der Arzt mit seinen Sanitätern. Hilflos steht er mit hängenden Armen vor denjenigen, an denen seine ärztliche Kunst versagt. Dann hadert auch er mit seinem Schicksal. Heute hat er acht Landsern nur noch die Augen zudrücken können, nachdem sie unter seinen Händen gestorben sind. Er muß arbeiten, ohne die Verwundeten betäuben zu können. Zwei tiefe Schlucke Cognac oder Schnaps, von denen Mengen im Keller lagern, müssen genügen, dann müssen die Männer die Zähne zusammenbeißen. Aber ihr unmenschliches Stöhnen läßt die Gesunden nebenan erschauern. Immer wieder schleppen Träger Verwundete heran, und es ist beinahe unverständlich, wie es den Männern gelingt, mit den verwundeten Kameraden das tobende Trommelfeuer zu durchlaufen. Kaum haben sie die Verwundeten in Sicherheit gebracht, verschwinden sie wieder, um weitere Verwundete anzuschleppen. Der Doktor schimpft leise vor sich hin. Wenn er nur mehr Licht in diesem verdammten Keller hätte. Aber das Aggregat ist längst außer Betrieb. Jetzt muß er sich mit Kerzen begnügen. Wieder haut es mit elementarer Gewalt in dem Schutt ein. Die Kellertür fliegt polternd die Treppe herunter, und gelber, beißender Qualm zieht in das Kellergewölbe. Schutt kollert herunter, und ein langgezogener Schrei dringt durch das gespenstische Toben des Trommelfeuers. Der Obergefreite Heinicke springt die Treppe hoch, und dann sieht er zwei Krankenträger mit einer Trage, auf der ein Verwundeter lag. Alle drei liegen tot vor dem Kellereingang. Mit grauem Gesicht kommt er zurück in den Keller.
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Nacht westlich St. Lô. Drüben bei den amerikanischen Stellungen, die sich südlich um St. Lô herum winden, ist es verdächtig ruhig geblieben. Die aufgefrischten Regimenter der Panzerlehrdivision schieben sich zwischen die Fallschirmjäger und die 17. SS-Division. St. Gilles brennt noch an vielen Stellen. Über Canisy liegt eine pechschwarze, sogar in der Nacht zu erkennende Qualmwolke. Oberleutnant Gerken führt jetzt das Bataillon, denn Major Uthe ist noch kurz vor der Ablösung in der alten Stellung gefallen. Gerken zieht mit der Gruppe Führer in ein noch unzerstörtes Schloß ein, das von drei Seiten mit Wasser umgeben ist. Oberfeldwebel Blohm schüttelt mißmutig den Kopf. »Was gefällt Ihnen denn nicht?« fragt der Oberleutnant. »Die Keller sind naß, und wenn Granaten das Mauerwerk unterhalb des Wasserspiegels aufreißen, versaufen wir glatt, Herr Oberleutnant.« »Stimmt, bleiben wir also im ersten Stock, das Schloß hat ja dicke Wände.« Die Funkwagen des Stabes ziehen unter dichte Baumgruppen und werden noch sorgfältig getarnt. Gegen Morgen sitzen die Schützenkompanien in den Stellungen, die vorher Fallschirmjäger ausgebaut hatten. Hell und strahlend schiebt sich die Sonne über den Horizont und bescheint Freund und Feind. Man schreibt den 19. Juli 1944. Amerikanische Batterien beschießen die Stellungen der 30. schnellen Brigade, die sich im Südteil der Stadt St Lô festgesetzt hat Irgendwie hat der Gegner dort etwas vor. In der Nacht war Oberleutnant Gerken noch beim Kommandeur dieser Brigade, Freiherrn von Aufseß, und jetzt schaut er besorgt hinüber zu seinem rechten Nachbarn, denn das amerikanische Feuer steigert sich langsam von Stunde zu 18
Stunde. Gegen Mittag verschwinden die Ruinen der Stadt hinter dem Pulverdampf und Qualm der tobenden Artillerieschlacht. »Wenn das nur gutgeht«, knurrt Gerken. Was ihm alles noch bevorsteht kann der Oberleutnant zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ahnen. * General Eisenhower sieht sehr nachdenklich aus, und auch General Bradley wiegt immer wieder den Kopf. Seine Finger gleiten dabei unruhig über die Karte. Er sagt: »Wenn die Deutschen jetzt ihre Infanteriedivisionen heranführen, sehe ich schwarz. Wir werden in unserem engen Brückenkopf festgenagelt. Dann braucht es nur noch schlechtes Wetter zu geben, so daß es mit unserer Luftüberlegenheit vorbei ist, und wir können wieder nach Old England fahren.« »Bradley, Sie sehen zu schwarz!« »Möglich, aber wundert es Sie nicht, daß die Deutschen ihre Divisionen immer noch im französischen Hinterland mit Gewehr bei Fuß stehen lassen?« »Doch«, sagt Eisenhower trocken, »und ich hoffe, daß sie noch recht lange dort stehen werden. Jedenfalls so lange, bis General George S. Patton mit seiner 3. US-Panzerarmee einsatzbereit ist. Wenn Patton einmal ins Rollen gekommen ist, hält ihn niemand mehr auf, auch die Masse der deutschen Infanteriedivisionen nicht.« Eisenhower tritt an die Karte. »Montgomerys Offensive nördlich Caen ist so ziemlich gescheitert. Aber er wird an dem Tage noch einmal antreten, an dem Patton seine Panzerdivisionen durch die deutsche Front bei St Lô jagt.« »Warum gerade bei St Lô?« fragt Bradley. »Weil dort die Panzerlehrdivision steht, die einzige vollmotorisierte deutsche Division in diesem Abschnitt. Wenn 19
ich diese Division mit einem Schlag vernichte, dann habe ich den stärksten und beweglichsten Gegner ausgeschaltet.« »Verstehe.« Bradley blickt auf die Karte. »Wenn ich mich recht erinnere, wurde die Panzerlehrdivision bereits bei Tilly schwer angeschlagen, nicht wahr?« »Ja, aber Rommels alter Stabschef aus Afrika, ein zweiter Wüstenfuchs, führt diese Division, und ich möchte mich nicht überraschen lassen. »So, daher weht also der Wind. Deswegen gelang wohl Montgomery auch sein Durchbruch bei Tilly und Caen nicht?« »Ja, die Panzerlehrdivision schob ihm einen Riegel vor.« »Interessant, und was sagte Monty dazu?« Eisenhower wischt mit der Hand durch die Luft. »Nichts, er schluckte die bittere Pille. Ich habe so das Gefühl, daß Montgomery nicht ganz so will, wie ich gerne möchte.« Jetzt stützt sich der Oberkommandierende der Alliierten auf den Kartentisch. »An der französischen Atlantikküste steht nördlich Lessay die 243. deutsche Infanteriedivision. Nach Osten schließt sich die 91. Infanteriedivision an, dann folgen die 2. und die 17. SSDivision. Neben Teilen verschiedener Fallschirmjägerregimenter steht immer noch ziemlich kampfkräftig die Panzerlehrdivision, dann kommt die 352. Infanteriedivision. Wir setzen von West nach Ost ein: Das VIII. US-Korps und östlich St Lô das XIX. US-Korps. General Patton sammelt zwischen dem Wald von Mont Castre und dem Vire Kanal. Am Tage X wird Patton in Höhe der Panzerlehrdivision nach Südwest durchbrechen. Das wäre in groben Zügen eigentlich alles. Wenn der Durchbruch gelingt, marschiert Patton bis Avranches, um dann nach Osten einzuschwenken. Hoffentlich gelingt es dann den Engländern bei Caen ebenfalls durchzustoßen.« »Hoffentlich!« Bradley macht ein Gesicht, als wären ihm sämtliche Felle davongeschwommen. Er reicht Eisenhower die 20
Hand, stülpt sich den Helm mit den drei blitzenden Generalssternen über den Schädel und geht. Eisenhower beginnt sofort wieder zu arbeiten. Robert L. Atkins springt von dem Sherman-Panzer herunter und grinst das hübsche Mädchen frech an. »Hallo Baby!« Das französische Mädchen hebt kaum merklich die Hand. Ihre Stimme klingt tief, fast irgendwie traurig. »Hallo?« Robert schiebt beide Hände in die Hosentaschen und geht auf das Mädchen zu. »Du bist’n sauberes Kind«, sagt er anerkennend zwischen den Zähnen hindurch. Sie nickt ihm zu und fragt: »Zigarette?« »Yes!« Er reicht ihr die Schachtel, sie steckt sich eine zwischen die Lippen und die restliche Schachtel in die Schürzentasche. »Merci!« »Du bist gut… na, macht nichts.« »Voila…« Von vorn kommt der Ruf durch: »Weiterfahren!« »Okay!« Robert L Atkins klettert wieder auf seinen Fahrersitz, und Pattons Panzer rollen weiter nach Süden, der nicht mehr fernen Front entgegen. Ein Franzose im blauen Monteuranzug schiebt sich neben das Mädchen. »Hast du Zigaretten bekommen, Denise?« »Oui, Gaston!« Gaston grinst, schiebt sich mit unnachahmlicher Gebärde die Zigarettenschachtel in die Brusttasche und brummt: »Paß auf, wenn wieder welche anhalten, verstanden?« »Oui!« Panzer um Panzer durchrollen den Ort, und langsam begreifen die Franzosen, die hier als Statisten am Rande der 21
Invasion in ihrem Dorf geblieben sind, daß es den Deutschen jetzt wohl doch ernstlich an den Kragen geht. Robert Atkins schluckt an diesem heißen Sommertag viel Staub. Seine Kehle ist wie ausgedörrt, aber unaufhaltsam rollen die Panzerregimenter nach Süden. Bei einer technischen Rast hockt sich Robert neben seinen Kommandanten an den Straßenrand. »Du, Sam, jetzt geht’s den Krauts bestimmt an den Kragen, meinst du nicht auch.« Robert schweigt. Erst nach längerer Zeit sagt er: »Hast recht, Sam, ein Krieg ist keine Lebensversicherung. Ich habe beim Ausladen mit einigen Verwundeten gesprochen, sie waren dabei, als Carentan gestürmt wurde. Sie sagten, daß sie jedes Haus und jede Scheune einzeln stürmen und ausräuchern mußten.« »Nun, wir sitzen in unseren Panzern immerhin etwas sicherer, Robert!« »Hast du schon mal etwas von der 88-mm-Kanone der Germans gehört, Sam?« »Gewiß – die schießen auch nur mit Pulver.« »Die Tommies haben sie in Afrika fürchten gelernt.« »Hm.« »Los, aufsitzen – es geht weiter!« General George S. Patton treibt seine Panzerverbände unbarmherzig weiter voran. Er will die Breitstellungen pünktlich zum festgesetzten Termin erreichen. Er ist ehrgeizig und wird nicht umsonst der amerikanische Guderian genannt. Die GIs* geben ihr Letztes her. Zugmaschinen, Jeeps, schwere Lkw, Raupenschlepper, Motorräder und Panzer hinter Panzer bewegen sich in Richtung auf St. Lô zu. Überall taucht der Panzergeneral persönlich auf, weist Regimenter, ja manchmal sogar Bataillone und Kompanien persönlich ein. Wenn irgendwo eine Stockung eintritt, ist *
GI = Government Issue; Bezeichnung für den amerikanischen Soldaten (Umgangssprache)
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Patton nicht weit. Gerade hat er die Panzerabwehreinheiten der 2. Panzerdivision eingewiesen, als ein völlig verstaubter Kradmelder auf ihn zukommt und ihm einen Funkspruch überreicht. Pattons Gesicht wird um einen Schein blasser. Dann reicht er den Spruch wortlos seinem Stabschef. Der liest die wenigen Worte, faltet das Papier zusammen, schiebt es in das Kartenbrett, und sagt: »Die Deutschen scheinen uns zuvorgekommen zu sein, Sir!« »Es sieht so aus.« »Nun, für uns liegt noch kein Einsatzbefehl vor, Sir.« Patton nickt. »Wir könnten ja auch nichts einsetzen, denn alles befindet sich erst auf dem Marsch und ist kaum zu erreichen.« * »Ich habe jetzt genug gesehen, Denise. Ich haue ab, verstanden?« »Oui, Gaston, aber was soll ich hier tun – allein?« »Freunde dich mit den Burschen an, horch sie aus, in drei bis vier Tagen bin ich wieder hier.« »Eh bien!« Gaston Dupont schiebt sich die Baskenmütze über die schwarzen Haare, kneift ein Auge zu und geht los, so, als wollte er im nächsten Restaurant ein Bier trinken, und nicht über die Front wechseln. Er schwingt sich auf ein Fahrrad und biegt von der Hauptstraße auf einen Feldweg ab. Genau achtundvierzig Stunden später steht er vor einem Korpsgeneral der deutschen Truppen und berichtet vom Panzeraufmarsch der Amerikaner. »Wo haben Sie die Panzer abgestellt gesehen, Herr Dupont?« »Ich kann es auf der Karte genau bezeichnen, Herr General!« 23
»Gut, kommen Sie mit!« Auf der großen Lagekarte zeichnet Gaston Dupont rote Kreise ein. »Hier stehen mindestens zweihundert Panzer, Herr General, dicht an dicht, bis an den Vire-Kanal heran.« »Und wo ist die amerikanische Infanterie untergezogen?« »Die liegt um Carentan herum in allen Dörfern. Man kann sich kaum bewegen vor amerikanischen Soldaten.« »Es ist gut, Sie können sich drüben beim Quartiermeister Ihr Geld holen. Gehen Sie wieder zurück?« »Gewiß, Herr General.« »Hals- und Beinbruch, Gaston Dupont.« »Merci, mon General.« Nachdenklich bleibt der Kommandierende vor der Karte stehen. Dann führt er verschiedene Telefongespräche, und um Mitternacht steht fest, daß etwas geschehen wird. Der Amerikaner streut mit schweren Granatwerfern und Infanteriegeschützen das Gelände ab. Mit bösem Fauchen fallen die Minen fast senkrecht vom Himmel herab. Da nutzt keine Deckung, wenn sie nicht nach oben abgeschirmt ist. Hinten, dort, wo Marigny liegt, stehen einige Gehöfte in hellen Flammen, und schwarzer, undurchdringlicher Qualm wälzt sich über die Ebene bis zu dem Laufgraben, der sich von der Ferme Villeroy bis zu den ersten Stellungen der Kompanie vorschlängelt. Brombach lehnt am Einstieg des kleinen Erdloches, das nur notdürftigen Splitterschutz bietet, und sieht nach draußen. Die wenigen übriggebliebenen, kümmerlichen Gräser biegen sich unter dem Luftdruck der heranfauchenden Granaten zur Seite, als wollen sie ebenfalls in Deckung gehen. Die grelle Mittagssonne trifft ihn fast schmerzhaft, als er aus dem Schatten tritt. Trotzdem wird er noch von der Explosion einer dicht vor dem Loch zerspringenden Granate geblendet. »Verflucht«, murmelt der Oberfeldwebel und gleitet wieder 24
in das Loch zurück. Schon beim ersten Angriff auf Mellon verlor die 7. gleich ihren Chef und den Leutnant des ersten Zuges. Leutnant Horbach fiel in der Stellung bei Fontenay, und seit diesem Tage führt Brombach die Kompanie. Draußen zittert ein Schrei hoch, langanhaltend, klagend – um dann jäh abzubrechen. Brombach springt auf. »Unsere Posten!« Trotz des Trommelfeuers hastet er die roh ausgehauenen Stufen empor und blickt zum nahen Postenstand hinüber. Vom Posten selbst ist nichts zu sehen, nur das leichte Maschinengewehr liegt zerfetzt auf der Böschung. Mit drei gewaltigen Sprüngen erreicht Brombach die Stellung. Der Posten liegt auf dem Rücken. Sein Stahlhelm ist verrutscht, und sein blondes, verschwitztes Haar quillt unter dem Helm hervor. Aus dem Mundwinkel tropft Blut auf den Feldblusenkragen, und die Augen sind unnatürlich groß. »Wo hat’s dich erwischt? « Aber der Junge schweigt, nur seine Lippen bewegen sich lautlos. Er will sich aufrichten, die Hände krallen sich in die Erde, die unter seinem Griff zerbröckelt. Aufstöhnend sinkt er wieder zurück. Dann ist Paschke da, und sie öffnen ihm die Feldbluse. »Brustschuß!« Brombach nickt, sie zerschneiden sein Hemd und beginnen ihn zu verbinden. »Verdammter Mist«, knurrt der Stabsgefreite, als er die Wunde sieht. Er weiß, daß hier jede Hilfe zu spät kommt. »Bringt mich zurück«, flüstert der Junge – »bitte, bringt mich doch zurück!« »Bleib ruhig, wir bringen dich schon nach hinten!« Die Angst schnürt dem Verwundeten die Kehle zu, und der Schweiß rinnt ihm in wahren Sturzbächen über das verdreckte Gesicht. Brombach weiß, daß das Leben dieses Jungen nur noch Minuten währen wird. Seine Hand gleitet über dessen 25
Gesicht »Diese Hölle, mein Junge, hast du bald hinter dir!« Der schmächtige Körper des Jungen bäumt sich noch einmal auf, dann sackt er zusammen. Sein Kopf rollt zur Seite. Er ist tot. »Einmal sollten sie daheim sehen, was hier ein Menschenleben wert ist. Einmal in ihrem Leben sollten die Herren Staatsmänner in aller Welt zusehen müssen, wie die Opfer ihrer verfahrenen Politik sterben. Sterben im Dreck.« Paschke greift sich mit beiden Händen vor die Stirn, und erst als Brombach dem Stabsgefreiten die Hand auf die Schulter legt, blickt dieser wieder hoch. »Ich habe doch auch nur Nerven, Paul!« »Ja … ich … verstehe … es … ja … auch … nicht… mehr.« Brombach drückt dem Toten die Augen zu. Dann wischt er sich mit dem Handrücken über die Augen. Jeden Tag bröckelt in seinem Inneren irgend etwas ab. Der Panzerkommandeur studiert sorgfältig die Karte. Seine Gedanken gehen zurück, als er von Generalleutnant Bayerlein den Auftrag entgegennahm. Er soll mit seinen Panzern und den unterstellten zwei Bataillonen Panzergrenadieren die feindliche Front durchstoßen, um dem amerikanischen Angriff zuvorzukommen. Hauptmann Phillips weiß, daß dieser Gewaltstoß vielen den Tod bringen wird, aber er ist nicht in der Lage, das Schicksal von seinen Männern abzuwenden. Nachdenklich blickt er auf seine Armbanduhr. Es sind noch zwei Stunden bis zur Dämmerung, und dann werden sie antreten. Er lauscht auf das Dröhnen der Panzermotoren und das Klirren der Raupenbänder, die sich über die Straße schieben. Seine Panzer rollen in die Bereitstellungsräume. Dann klingt der Marschtritt einiger Kompanien durch die Nacht. Sie kommen aus den Ruhequartieren und rücken einer ungewissen Zukunft entgegen. Langsam verläßt der Hauptmann den Raum und tritt hinaus in die kühle Nacht. Er blickt den marschierenden Kolonnen nach. Von vorn, aus den Dörfern unmittelbar hinter der Haupt26
kampflinie, kommt eine Flüchtlingskolonne. Karren mit zwei hohen Rädern, von je einem kräftigen Pferd gezogen und mit allerlei Hausrat hochbepackt, ziehen über die Straße. Die Gesichter der französischen Zivilisten sind ernst und verschlossen. Manch haßerfüllter Blick fällt auf die grauen Soldaten. Der Himmel im Norden scheint zu brennen. Die Front ist zu neuem Leben erwacht. In ununterbrochener Reihenfolge zucken die Mündungsfeuer auf. Scheint der Gegner bereits zu wissen, oder zumindest zu ahnen, daß die Deutschen etwas planen? Ein neues Bataillon schiebt sich im Gleichschritt über die Dorfstraße. Leichter Staub wirbelt auf, und leise Flüche klingen herüber. Waffen klirren, und Gasmaskenbüchsen schlagen gegen Kochgeschirr oder Seitengewehre. ›Wann werden sie wieder in die Heimat marschieren können?‹ denkt der Hauptmann und zieht langsam an seiner Zigarette. Die Glut beleuchtet ein hartes Gesicht, das trotz seiner Jugendlichkeit schon alt und verbraucht wirkt. Verbraucht im Stahlgewitter vieler Schlachten und Gefechte. Aus dem Dunkel der Nacht kommt eine Gestalt auf ihn zu. Es ist der Abteilungsadjutant. »Es wird Zeit, Herr Hauptmann!« »Danke, wo steht der Wagen?« »Vor der Kirche, Herr Hauptmann!« »Danke, ich komme sofort.« Der Hauptmann zieht sich seinen Mantel über die graue Panzeruniform und geht quer über die Straße zu seinem Kübelwagen. »Fertig?« »Fertig!« Aufbrummend fährt der Wagen an und rollt nach Norden. Vorsichtig fährt der Fahrer an den marschierenden Kolonnen vorbei und hängt sich an das Ende der Panzerkolonne. 27
Rechts, dort wo der Wald noch ziemlich unversehrt aussieht, feuert eine schwere deutsche Kanonenbatterie in ununterbrochenem Salventakt zu den gegnerischen Stellungen hinüber. Etwas weiter steht schwere Heeresflak. Ihre hellen, peitschenschlagartigen Salven zerreißen in gleichmäßiger Folge alle paar Sekunden den Lärm der anderen Batterien. »Dort vorn wird wieder die Hölle los sein«, murmelt der Hauptmann und starrt in die glühenden Auspuffflammen des vor ihm fahrenden Panzers. Er weiß, die deutschen Batterien schießen, um das Dröhnen der Panzermotoren zu verbergen. Vorn gibt es eine Stockung, und beim Schein einer abgeblendeten Taschenlampe orientiert sich der Hauptmann an Hand einer Gefechtskarte. »Die Panzer haben ihre Ausgangsstellungen erreicht, Herr Hauptmann«, knurrt der Adjutant. »Vorfahren«, befiehlt der Kommandeur, und der Fahrer fährt an den letzten, noch auf der Straße stehenden Panzern vorbei. Jetzt erwacht auch die amerikanische Artillerie und streut die deutsche Front mit schweren Lagen ab. Die vorgezogenen Panzergrenadierkompanien gehen beiderseits der Straße in volle Deckung. Jede Bewegung auf der Straße erstirbt Dann wandert das amerikanische Feuer weiter ins Hinterland ab, und die Soldaten klettern wieder aus ihren Deckungen. Eine junge Frau zieht einen Handwagen vorbei. Oben auf ihren wenigen Habseligkeiten sitzt ein kleiner Junge und weint. Die Landser machen stumm Platz und starren auf dieses Bild des Elends. Einer flüstert: »Dieser verdammte Krieg.« Er schluckt hörbar und holt tief Luft. »Warum dies alles? Warum nur?« »Ruhe im Glied«, brummt ein Leutnant »Wir haben Augen im Kopf«, sagt der Mann, ein alter Obergefreiter mit vielen bunten Bändern und Auszeichnungen auf der Uniformjacke. 28
»Schweig, meinst du, ich sehe das nicht? Muß man erst durch lautes Reden auf all diese Hoffnungslosigkeit hinweisen?« Der Leutnant schüttelt den Kopf und geht weiter nach vorn. Schließlich haben die Einheiten ihre Ausgangsstellungen erreicht Die Uhren sind verglichen, und jetzt warten sie mit zusammengepreßten Lippen auf den Beginn der Schlacht. Sie schweigen. Sie wissen noch nicht, ob sie die nächsten Stunden überleben werden. Die Angst steigt riesengroß in ihnen hoch. Aber auch an diese Angst haben sie sich schon gewöhnt, wie an alles andere. Generalleutnant Bayerlein blinzelt in das Kerzenlicht. Der Ia (1. Generalstabsoffizier) Oberstleutnant Kaufmann, trommelt mit den Händen auf der Tischplatte, und Major Wrede blickt nachdenklich auf die Karte. »Dieser Angriff ist Wahnsinn, Herr General!« »Wem sagen Sie das?« fragt Bayerlein. Er blickt seinen ersten Generalstabsoffizier nachdenklich an. »Es ist Unsinn, diesen Krieg weiterzuführen, ihn überhaupt vom grünen Tisch aus führen zu wollen.« Etwas leiser fügt er hinzu: »Unsinn, ihn überhaupt begonnen zu haben.« Bayerlein weiß, was seinen Männern wieder bevorsteht, und er verflucht seine Ohnmächtigkeit, sie vor nichts bewahren zu können. Erst als das Telefon anschlägt, erwachen die Offiziere aus ihren Gedanken. Bayerlein nimmt selbst den Hörer zur Hand und meldet sich. »Ja – hier Bayerlein? – Ja – gut!« Er blickt auf die Uhr. »Ich weiß.« Dann legt er auf und lauscht nach draußen, denn in diesem Augenblick erhebt die deutsche Artillerie ihre dröhnende Stimme. »Es geht los!« knurrt Major Wrede in sich hinein. »Ja, wie so oft!« echot Kaufmann und fährt sich mit dem 29
Zeigefinger hinter den plötzlich zu eng gewordenen Hemdkragen. Kein Mensch wird erfahren, was hinter den Stirnen dieser hervorragenden und untadeligen Offiziere vor sich gegangen ist. Endlos vertropft die Zeit. Vorn wütet der Tod über die Stellungen bei St Lô. Die Hilflosigkeit schlägt über den Offizieren zusammen. Vorn treten die Einheiten zum Sturm gegen die amerikanischen Linien an. Canisy versinkt unter dem Hagel der Granaten. Mauern brechen und Steine werden zermahlen. Hundertfach wird die Erde umgepflügt, und Trichter reiht sich an Trichter. Oberfeldwebel Brombach schaut zu den Panzern hinüber. Er ergreift seine Maschinenpistole und schiebt sich den Stahlhelmriemen unter das Kinn. »Sprung auf – marsch marsch!« Torkelnd erheben sich die Grenadiere der beiden Lehrregimenter und rennen einem ungewissen Schicksal entgegen. Die Panzermotoren dröhnen, Ketten klirren, und die Auspuffflammen stehen steil gegen die ungewisse Dämmerung. Im Schutz der Panzer schieben sich die Grenadiere vor. Einige Maschinengewehre beginnen zu rattern, und ihre Geschosse prallen singend von den Panzerplatten ab. Hier und da bellt eine Pak auf, und dann beginnen die Panzerkanonen ihre Ziele zu erfassen. Das Blut zweier Nationen tränkt die Erde der Normandie. »Zusammenbleiben!« brüllt Brombach die Männer an, die sich mit ihm hinter einen Panzer drängen. Jeder Schritt zur Seite bedeutet den Tod. Erst wenn die amerikanischen Linien erreicht sind, werden sich die Panzergrenadiere zum Nahkampf entfalten. Schuß auf Schuß bricht aus den Mündungen der Panzerkanonen, und der Donner der Detonationen hallt über die Ebene. Dazwischen stampft die amerikanische Artillerie 30
und reißt Lücken in die Reihen der Angreifer. Brombachs Kiefermuskeln zucken, und seine Finger krallen sich um die Waffe. Rechts brechen die kurzen, harten Schläge der ersten Handgranatendetonationen auf, und der Pulverdampf verdichtet sich über den gegnerischen Stellungen. Dann senkt sich der Bug des vor ihm fahrenden Panthers, hebt Sich wieder und schiebt sich über das erste Maschinengewehrnest weg. Die Panzergrenadiere springen hinter den deckungsbietenden Stahlkolossen hervor, und die Handgranaten torkeln durch die Luft. Oberfeldwebel Brombach feuert aus der Hüfte. Paschke schleudert ununterbrochen Handgranate auf Handgranate nach links in die erkannten Stellungen, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan als Handgranaten geworfen. Wie weggeblasen ist die nagende Angst, wie weggewischt jeder menschliche Gedanke, geblieben ist nur der eigene Wille zu überleben. Die Panzergrenadiere laufen den Panthern nach, die die ersten Stellungen bereits hinter sich gelassen haben. Sie rennen hinter der Feuerwand der deutschen Artillerie her, die sich immer weiter nach Norden wälzt Der Panther mit der Nummer 201 rollt eine Pakstellung zusammen, die plötzlich im Dunst erkennbar wird. Einige Amerikaner erheben sich aus den Deckungslöchern. Sie heben die Hände. Klirrend spritzen Querschläger von der Stirnpanzerung des Panthers weg, der nun mitten in den Gegenstoß eines amerikanischen Bataillons hineinbricht. Es dauert keine zehn Minuten, dann ist dieses Infanteriebataillon aufgerieben – gestorben wie ein Mann. Mit beispiellosem Elan schiebt sich ein zweites amerikanisches Bataillon den Angreifern entgegen. Fremde Kommandos gellen auf und ersticken im harten Bellen der Panzerkanonen.
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Hauptmann Phillips dirigiert seine Panzer nach Nordosten gegen den Vire-Kanal zu. Wenn er ihn erreicht hat, werden beträchtliche Teile von Pattons Panzerarmee eingeschlossen sein. Dies ist das eigentliche Ziel des deutschen Gegenangriffs, von dem sie zur Zeit aber noch weit entfernt sind. Das Artilleriefeuer auf beiden Seiten schweigt, weil niemand mehr richtig weiß, wo die eigenen Verbände stehen. Nur das helle Krachen der Panzerkanonen und das dumpfere Dröhnen der amerikanischen Panzerabwehrgeschütze hallt noch über die sich weiter verschiebende Schlacht. Die 7. Kompanie geht hinter ihren Panzern durch einen Hohlweg vor, der von übermannshohen, dichten Hecken begrenzt wird. Dicker, grauer Staub lagert auf den ehemals grünen Blättern, wirbelt unter den Panzerketten auf und hüllt die Angreifer wie in eine Nebelwand. Nur die Abschüsse zerreißen für kurze Zeit die Staubwände, die sich dann nur noch dichter und zäher zusammenballen. Dann stellen die amerikanischen Verbände plötzlich jeden hinhaltenden Widerstand ein und ziehen sich auf Befehl kampflos zurück. So geht der Stoß der deutschen Panzer ins Leere. Unheimlich drohend und lautlos liegt das Land vor den Angreifern. Nur in ihrem Rücken, in ihren Flanken braut sich etwas zusammen. Bradley setzt seine Regimenter zum Flankenstoß an, um die Deutschen abzuschneiden und einzukesseln. Jetzt wird es den Einheiten der Panzerlehrdivision zum Verhängnis werden, ohne ausreichende Seitensicherungen vorgestoßen zu sein. Die Kommandeure, bis hinauf zum Divisionskommandeur, trifft hierbei keinerlei Schuld, denn immerzu haben sie darauf hingewiesen, daß ihre Kräfte für diesen Angriff nicht ausreichen. Eine Ferme taucht vor den weiterrollenden Panzern auf. Eine einsame Rote-Kreuz-Fahne weht im leichten Wind. Sanitätssoldaten der amerikanischen Armee stellen sich schützend vor ihre Verwundeten. Die Straße nach Nordosten ist mit 33
aufeinandergefahrenen Sanitätswagen gesperrt Hauptmann Phillips schickt einen Spähtrupp los, der erkunden soll, ob die Fahrzeuge besetzt sind. Der mit diesem Auftrag betraute Unteroffizier meldet: »Die Fahrzeuge sind leer, Herr Hauptmann.« »Weiter!« Die Panzerketten schieben die Wagen zusammen, zerstampfen sie zu wüsten Blech- und Schrotthaufen. Ein Teil der 7. Kompanie unter Oberfeldwebel Brombach besetzt die Ferme. Im gleichen Augenblick knallen von drei Seiten schwere amerikanische Panzerabwehrgeschütze auf. »Panzer – halt!« Das Duell – Panzer gegen Pak (Panzerabwehrkanonen) – steigert sich von Minute zu Minute, und jetzt weiß der Hauptmann, daß sich der Angriff festgefahren hat. Phillips verläßt seinen Kampfwagen und springt zur Funkstelle. »Geben Sie durch: Wir igeln uns ein. Stärkere Feindkräfte verhindern jeden weiteren Durchbruchsversuch.« »Jawohl, Herr Hauptmann!« Es ist ein schwerwiegender Entschluß, den der allseits beliebte Hauptmann fassen muß, denn er weiß, daß er keinesfalls zurückgehen darf. Auch Generalleutnant Bayerlein sieht sich außerstande, seine Verbände zurückzurufen. Er telefoniert mit dem Korps und mit der Armee, aber alle Bemühungen, seine Truppen zurückzuziehen, scheitern. Und so beginnt das Drama der Panzerlehrdivision westlich St Lô. Der amerikanische Stabsarzt steht vor dem deutschen Oberfeldwebel und starrt in dessen unrasiertes und dreckverschmiertes Gesicht Er spricht ein einwandfreies Deutsch. »Was wird aus den vielen Verwundeten?« »Die bleiben vorerst hier, Herr Doktor!« sagt Brombach. »Ihre Panzer kommen aber nicht weiter, Sergeant.« 34
»Was kümmert das Sie, Doktor?« »Dann gerät dieser Verbandsplatz ins Kampfgebiet?« Brombach hebt die Schultern und läßt sie wieder fallen. »Ich kann es nicht ändern, Doktor, ich bin nur ein kleiner Mann.« »Hm, können Sie mich zu Ihrem Kommandeur bringen lassen?« »Das läßt sich machen!« Brombach dreht sich um. »Hempel!« »Herr Oberfeldwebel?« »Such Hauptmann Phillips und nimm den Doktor hier mit, verstanden?« »Jawohl!« Hempel läuft mit dem amerikanischen Arzt los, und nach einer Viertelstunde trifft er Hauptmann Phillips bei der Funkstelle. »Sir«, beginnt der Amerikaner, »im Namen meiner vielen Verwundeten möchte ich Sie bitten, in der Gegend dieses Platzes nicht zu kämpfen!« Der Hauptmann preßt die Lippen zusammen. Dutzende Gedanken rasen durch sein Gehirn, und fieberhaft sucht er nach einem Weg, um diese Verwundeten vor der Vernichtung zu retten. Aber er findet keinen Ausweg. »Es tut mir leid, Sir, aber ich sehe keine Möglichkeit. Ihre Panzerabwehrgeschütze verhindern es.« »Ich höre es!« sagt der Arzt leise und senkt den Blick. Er denkt an die Hunderte von Verwundeten, die sich in seiner Obhut schon sicher fühlten, und die nun wieder mitten im Kampfgeschehen liegen sollen. »Kapitulieren Sie, Sir?« Atemlos erwartet der Doktor die Antwort des deutschen Offiziers. Aber Phillips schüttelt den Kopf. »Ich – kann – es – nicht, Doktor!« Der Arzt schweigt, und Phillips fährt fort: »Oder haben Sie allen Ernstes eine andere Antwort von mir erwartet, Doktor?« 35
»No!« »Schaffen Sie Ihre Verwundeten in die Keller, Doktor. »Dort liegen sie schon, aber die Keller bieten keinen Schutz mehr, sie sind meistens schon durchschossen, Sir!« »Dann ist guter Rat teuer, nicht wahr?« »Yes, Sir, aber würden Sie mir gestatten, mit meinen Verwundeten, soweit sie transportfähig sind, zu unseren eigenen Linien hinüber zu wechseln?« Eine Weile denkt der Kommandeur nach, dann sagt er kurz: »Gehen Sie, gehen Sie rasch, ich will Ihnen für zwanzig Minuten völlige Waffenruhe von unserer Seite zusichern.« »Thanks, Sir!« Zwei Offiziere reichen sich die Hand, ein Deutscher und ein Amerikaner. Und dann sehen die deutschen Landser, wie sich ein langer Zug nordwärts gegen die amerikanischen Stellungen zubewegt. Tragbahren hinter Tragbahren, und über ihren Köpfen flattert die Fahne der Barmherzigkeit: Das rote Kreuz auf weißem Grund. Auch das amerikanische Abwehrfeuer schweigt. Ein Arzt, vier amerikanische Sanitätssoldaten und etwa vierzig amerikanische Schwerverwundete, die nicht transportfähig sind, bleiben zurück. Der amerikanische Arzt kümmert sich im Augenblick um die deutschen Verwundeten und betreut sie genau wie seine eigenen Männer. Brombach steht neben ihm und brummt: »Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie diesem Schlamassel entrinnen, Doktor.« »Thanks.« Die Feuerpause haben die Panzer ausgenutzt, um sich in bessere Deckungen zu schieben. Nur ihre Turmoberseiten mit den überlangen Kanonenrohren schauen noch über die – für die Normandie charakteristischen – Erdwälle hinweg. Und dann dröhnt es wieder auf. Die Erde zittert und wankt. Haushohe Rauch- und Dreckpilze stehen wieder dicht an dicht im 36
Gelände, und das große Sterben geht weiter. Oberfeldwebel Brombach schiebt sich mit den Leuten seiner Kompanie im Halbkreis um die Ferme. Die Spaten beginnen zu klappern, und immer tiefer wühlen sich die Männer in den Erdboden ein. Brombach hat aus den liegengebliebenen amerikanischen Vorräten Zigaretten, Alkohol und Verpflegungspäckchen herangeschleift. Immer wieder springt er zurück und holt neue Päckchen heran. In einem Keller lagert so viel, daß ganze Bataillone wochenlang damit versorgt werden könnten. »Die Amis führen einen besseren Krieg als wir«, knurrt er. »Ihr solltet mal sehen, was es da für herrliche Sachen gibt. Keine Spur von Butterschmalz und Kunsthonig, alles erstklassige Waren.« Dann springt er wieder los, um neue Sachen zu holen. Auch die Panzerbesatzungen holen sich Verpflegung, Jeder ißt, so viel er kann. Zigaretten verschwinden in den Brotbeuteln, und jeder ist irgendwie zufrieden. Mit vollem Magen sieht die Welt gleich anders aus. Aber dieser rosige Zustand hält nicht lange an. Wieder zerreißt das Aufbrüllen der feindlichen Pak die eingetretene Stille. Einige Male knallt es schmetternd auf Stahl. Grelle Funkenbündel schießen empor. Rechts am Wirtschaftsgebäude der Ferme fliegt ein Panzer mit ohrenbetäubendem Donnergetöse in die Luft. »Die armen Kerle«, murmelt Oberfeldwebel Brombach halblaut vor sich hin und starrte mit brennenden Augen auf das ausglühende Panzerwrack, das für fünf Männer zum stählernen Sarg geworden ist. Paschke stößt den Oberfeldwebel in die Seite und keucht: »Sie kommen, Paul!« Brombach dreht sich um. Deutlich erkennbar arbeiten sich amerikanische Sturmbataillone gegen die deutschen Stellungen vor. Er taucht höher aus der Deckung empor, um sich genauer umzusehen, aber hastig gleitet er wieder zurück. 37
»Sie kommen von allen Seiten!« »Dann ist’s bald zappendüster«, knurrt der Stabsgefreite und macht sich am Maschinengewehr zu schaffen. »Alarm!« Der Ruf geistert über das Feld und rüttelt die Panzergrenadiere wach. Sie legen die Waffen zurecht und warten darauf, daß sich der Gegner auf Schußentfernung nähern wird. Endlich ist es soweit. »Feuer frei!« Der heiße Atem der Maschinengewehre streicht über den Erdboden hinweg und zwingt die Sturmtruppen erst einmal in Deckung. Einzeln sieht man jetzt die amerikanischen Infanteristen sich vorarbeiten. Wild hämmern die Panzerkanonen los und reißen gewaltige Lücken in die angreifende, amerikanische Infanterie. Aber es nützt alles nichts. Unaufhaltsam nähert sich der Gegner, und weitere Bataillone schieben sich gegen den Hohlweg und die Ferme vor. »Jetzt wird’s haarig!« keucht Paschke und legt sich die Handgranaten griffbereit auf die Deckung. Dann bleibt kaum hundert Meter vor dem deutschen Verteidigungsring der feindliche Angriff liegen. Aber die deutschen Soldaten haben zu früh aufgeatmet, denn nun walzen amerikanische Panzer über das freie Feld. Aus ihren Kanonenmündungen lecken feurige Zungen. Der Kommandeur hetzt zu seinem Panzer und schlägt das Turmluk krachend hinter sich zu. »Turm elf Uhr – Feuer!« Explodierend fliegt ein Feindpanzer in die Luft. »Turm zehn Uhr – Feuer!« Wieder beendet eine deutsche Panzergranate das Leben von fünf amerikanischen Panzersoldaten. Träge wandert der Pulverdampf nach Westen ab. Heiß brennt die Sonne herab. Jetzt mischt sich auch wieder 38
amerikanische Artillerie in den Kampf ein. Brüllend detonieren die schweren Granaten in und um die Ferme, zerwühlen den Hohlweg und zerstampfen die frisch ausgehobenen Stellung des Igels. Eine ganze Lage drischt den Keller des Wirtschaftsgebäudes zusammen. Die Männer werden blaß, denn in diesem Keller liegen die amerikanischen und die deutschen Verwundeten. Mit hämmernden Herzen lauschen die Panzergrenadiere auf die Entsetzensschreie der Getroffenen, aber sie warten umsonst. Dort unten herrscht Grabesstille. »Hempel!« »Herr Oberfeldwebel?« »Spring zurück und sieh einmal nach, ob noch jemand am Leben ist« Hempel springt auf und läuft los. Da rauscht es mit Urgewalt heran. Hempel verschwindet mitten zwischen den Einschlägen. Als der Staub und Dreck verzogen sind, liegt er bewegungslos auf dem Boden. Die Einschläge der amerikanischen Panzerkanonen umtanzen die deutschen Stellungen und zwingen die Verteidiger immer mehr in Deckung. Links bei der 6. Kompanie gibt es einen Volltreffer in einer Maschinengewehrstellung. Zurück bleiben nur Tote. Paschke drückt sich neben den Oberfeldwebel in die Erde. »Paul, am liebsten möchte ich abhauen. Ich habe die Schnauze gestrichen voll.« Brombach schaut den alten Kameraden lange an, dann sagt er hart: »Ich auch, oder meinst du, daß mir dies hier vielleicht Spaß macht? Aber wir können doch gar nicht anders, als hier liegenbleiben und aushalten.« Dicht vor ihren Stellungen schlägt eine schwere Granate ein und überschüttet sie mit Steinen und Erdbrocken. Fluchend schütteln sie sich frei, und Brombach dreht sich um. Durch die Trümmer der Ferme rollt ein Panzer und bleibt dicht hinter 39
ihnen stehen. Aus seiner Kanone fährt ein langer Blitz, und knallend jagt die Panzergranate über das freie Feld. Ein zweiter Panzer bleibt hinter der Ruine des zerstampften Wirtschaftsgebäudes stehen und beginnt ebenfalls zu feuern. Den Männern schmerzen die Ohren von den knallenden Abschüssen, aber sie sind trotzdem froh, von den Panzern bei ihrem Abwehrkampf unterstützt zu werden. Der Kommandeur befindet sich wieder bei der Funkstelle und gibt der Division die augenblickliche Lage durch. An ein weiteres Vorstoßen ist überhaupt nicht mehr zu denken. Resignierend blickt sich Hauptmann Philipps um. Die feindlichen Granaten haben fürchterlich gehaust. Wie lange wird es noch dauern, bis sich die Panzer verschossen haben? Auch die Panzergrenadiere werden mit ihrer Munitionsausstattung sparsam umgehen müssen. Und was kommt dann? Der Kommandeur wagt diesen Gedanken gar nicht zu Ende zu denken. Er weiß, daß der Befehl ihn dazu zwingt, auf diesem Platz auszuhalten und zu … Hastig wendet er sich ab und holt sich aus einem Schützenpanzerwagen einen Zehn-Schuß-Karabiner. Etwas wie Verzweiflung liegt in seinen Bewegungen. Er denkt: Wenn ich einfach versuche, nach Süden durchzubrechen? Dann schüttelt er den Kopf, denn das würde den Tod vieler seiner Männer zur Folge haben. Soll ich kapitulieren? Es ist, als drohe er unter der Last der Verantwortung zusammenzubrechen. * General Bradley hat die von den Deutschen drohende Gefahr rechtzeitig erkannt. Er telefoniert schon eine halbe Stunde lang mit allen möglichen Einheitsführern, bis er sich ein genaues Bild der gegenwärtigen Lage machen kann, und dann handeltet. 40
»Geben Sie mir die 2. US-Panzerdivision!« »Yes, Sir.« Bradley drückt den Hörer ans Ohr und spricht: »Hier Bradley, verstehen Sie mich?« – »Gut, Sie werden sämtliche verfügbaren Panzerabwehreinheiten gegen den deutschen Einbruchsraum ansetzen, verstanden?« – »Ja, Sie ziehen sämtliche Geschütze heran!« – »Auch die sich an anderen Frontabschnitten befinden!« – »Das ist egal, der Gegner wird keine weiteren Reserven mehr zur Verfügung haben. Ihre Sorge ist verständlich, aber im Augenblick unbegründet. Ich erwarte die sofortige Durchführung meines Befehls!« – »Gut – Ende!« Bradley legt auf. Er erblickt General Patton, der eben ins Zimmer tritt. »Patton, Sie halten Ihre Kräfte noch zurück, denn Ihre Divisionen werden den Durchbruch erzwingen müssen, wenn wir diesen deutschen Igel zerschlagen haben. Eisenhower hat mir großzügigste Luftunterstützung zugesagt.« »Ich könnte aber mit meinen Panzern den Igel eindrücken!« »Das weiß ich, aber ich möchte keinen Panzer mehr als notwendig opfern. Zum Durchbruch durch die deutsche Front brauche ich sie notwendiger.« »Ich verstehe, Sir.« Sie beugen sich über die Karten und studieren aufmerksam das Gelände. Der Vormarsch von Pattons Panzerarmee wird in allen Einzelheiten besprochen, und ein stiller Beobachter würde sich wundern, mit welcher Sicherheit alles angeordnet wird, obwohl noch starke deutsche Kräfte hinter den amerikanischen Linien stehen. Aber Bradley weiß, daß die Stunden dieser deutschen Verbände bereits gezählt sind. * Generalleutnant Bayerlein sitzt in der verräucherten Küche eines Bauernhauses bei Canisy und blickt seinen Ia, 41
Oberstleutnant Kaufmann, an. »Was meldet Philipps, Kaufmann?« »Starke Gegenangriffe durch Panzerabwehrgeschütze auf Selbstfahrlafetten, Herr General!« Bayerlein blickt nachdenklich seinen ersten Generalstabsoffizier an, dann sagt er: »Es ist zum Kotzen. Da wird einfach von oben herab etwas befohlen, ohne die genaue Lage zu kennen. Die Männer werden in den sicheren Tod gejagt und unsere schwachen Panzerkräfte noch mehr dezimiert. Dazu kommt die Meinung der Armee, daß Eisenhower den Schwerpunkt der alliierten Angriffe wieder auf Caen verlagern wird. Passen Sie auf, Kaufmann, Eisenhower greift hier an, hier bei St Lô, und ich habe so das Gefühl, daß wir wieder die Leidtragenden sein werden. Wenn ich an Philipps’ Stelle stehen würde, würde ich kehrtmachen und nach hinten ausbrechen. Aber befehlen kann ich es ihm nicht, Kaufmann.« »Ich weiß, Herr General!« Bayerleins Blick sucht die Karte. Dort vorn an der Front halten die zurückgebliebenen Einheiten der Regimenter 901 und 902 die alten Stellungen. Wenn die Einheiten im Igel nicht mehr zurückkommen, wird die Front verdammt dünn sein. In diesem Augenblick kommt ein Unteroffizier herein. »Funkspruch von Hauptmann Philipps, Herr General!« »Danke«, sagt Bayerlein mit müder Stimme und liest den Spruch. »Philipps hat von seinen 36 eingesetzten Panzern bereits zwanzig verloren, Kaufmann.« »Das bedeutet das Ende der Kampfgruppe, Herr General!« »Ich weiß es, Kaufmann, es ist zum Verrücktwerden. Versuchen Sie beim Korps den sofortigen Befehl zum rückwärtigen Durchbruch zu erhalten.« »Jawohl, aber es wird wenig Zweck haben.« Kaufmann telefoniert, ohne Erfolg zu haben. Da entschließt sich Bayerlein, auf eigene Verantwortung den Befehl dazu zu 42
geben. Kaufmann nickt und läßt den Funkspruch abgehen. »Es geht zurück!« Oberfeldwebel Brombach wischt seine Maschinenpistole mit dem Uniformärmel ab und erhebt sich. »Zurück bis zu den Panzern!« Es ist nicht mehr viel, was bei den Panzern sammelt. Knapp die Hälfte der Kompanie. Die Männer suchen Schutz hinter den Panzern, die immer noch nach allen Seiten auf den Gegner feuern. Mit flackernden Augen stehen oder liegen die Soldaten hinter den Panzern, deren Motoren plötzlich aufbrüllen. »Panzer marsch!« Langsam rollen sie zurück durch die Hohlwege, und dann sind plötzlich die amerikanischen Jabos da. Mit hämmernden Bordkanonen stoßen sie auf die deutsche Kampfgruppe herab. Fluchend wirft sich Brombach mit seinen Panzergrenadieren in den nächsten Straßengraben. Einige Flakselbstfahrlafetten beginnen mörderisch zu feuern, aber ihre Abwehrkraft ist zu gering. Immer wieder stoßen die Jabos mit heulendem Motor in die Tiefe und hämmern wild auf die Panzer ein. Aber noch knallen die Panzerkanonen über die Felder und zwingen die nachstoßende amerikanische Infanterie in ihre Deckungen zurück. Die Munitionslage wird kritisch. Hauptmann Philipps befindet sich jetzt bei den letzten Grenadieren, die dicht vor den Panzern liegen und die Absetzbewegung decken. Gruppenweise müssen sie zurückgehen. Eine Gruppe gibt der anderen Feuerschutz, aber es werden immer weniger Landser, die zurückspringen, denn der Wirbel der detonierenden feindlichen Granaten wird immer dichter und tödlicher. An einem Wegekreuz stößt eine feindliche Kampfgruppe in Stärke eines Bataillons in die zurückgehende deutsche Gruppe. Es kommt zum erbitterten Nahkampf mit Seitengewehren und Handgranaten. 43
Brombach sieht, wie vier Amerikaner auf den Kommandeur eindringen. Er feuert von der Hüfte aus. Philipps bekommt etwas Luft, läuft zurück, stolpert, kommt wieder hoch, und während Brombach sich eben verschossen hat, fällt der Kommandeur dem Gegner in die Hände. Wütend schiebt Brombach ein volles Magazin in seine Maschinenpistole. Er feuert, aber es hat keinen Zweck mehr. Der Kommandant ist in Gefangenschaft geraten. Links fliegt ein Panzer auseinander. Er brennt, und schwarzer Qualm steigt dick zum Himmel empor. Bis zu den eigenen Linien sind es noch drei Kilometer. Unbarmherzig treibt Brombach seine Männer an. Mit keuchendem Atem hetzen sie von Deckung zu Deckung. Verschnaufen eine Weile und jagen dann wieder weiter. Die Garben von Maschinengewehren und Schnellfeuerwaffen streichen dicht über den Erdboden hinweg und holen sich noch manches Opfer. Im Süden ertönen die Abschüsse der deutschen Artillerie. Die Einschläge zwingen die nachfolgenden Amerikaner vorerst in Deckung, so daß sich die Kampfgruppe nun etwas rascher absetzen kann. Aber dann stehen sie vor der wieder geschlossenen amerikanischen Hauptkampflinie, die sich nach Norden und nach Süden verzweifelt wehrt. Wieder werden einige Panzer im zusammengefaßten Feuer des Gegners vernichtet. Endlich haben sie es geschafft. Nur zehn Panthern gelingt es, wieder über die eigene Hauptkampflinie zu rollen. Die Grenadiere, die sich mit durchgeschlagen haben, sinken erschöpft zu Boden. Brombach steckt sich mit zitternden Händen eine Zigarette an und raucht mit hastigen Zügen. Es war zu viel, was man ihnen zugemutet hatte. Zu viel und wieder einmal – wie schon so oft – umsonst. Müde und resignierend marschieren sie auf staubiger Straße weiter zurück. Immer wieder werden sie von herabstoßenden 44
Jabos in die Straßengräben gezwungen, und noch mancher Panzergrenadier muß dabei sein Leben lassen. In ohnmächtiger Wut ballen sie die Fäuste und starren mit brennenden Augen zu den Flugzeugen hoch. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen sie ihre Ruhestellungen. Aber sie ahnen es, daß diese Ruhe nicht lange währen wird. Bei den Stäben wird fieberhaft gearbeitet, um die Gefechtskraft so, schnell wie nur irgend möglich wiederherzustellen. Oberleutnant Gerken, der nach dem Tod von Major Uthe die Führung des II. Bataillons Panzergrenadier-Lehrregiment 901 übernommen hat, faßt mit Oberfeldwebel Blohm die Abendmeldung ab. »Wieviel Mann Grabenstärke haben wir noch Blohm?« Einen Augenblick, Herr Oberleutnant. Ich bin noch nicht soweit.« Nach kurzer Zeit sagt Blohm trocken: »Drei Offiziere, siebzehn Unteroffiziere und einhundertzweiundsiebzig Mannschaften, Herr Oberleutnant!« »Also schwere Verluste, und noch dazu alles zwecklos. Es ist zum Aus-der-Haut-fahren, Blohm!« Blohm schweigt, was soll er auch sagen. Unteroffizier Hünerfürst kaut auf einem Stückchen Brot herum, und Unteroffizier Dathe, der Fahrer des Kommandeurschützenwagens, dreht sich eine Zigarette. Oberleutnant Gerken sieht ihn dabei an. Er spricht eigentlich mehr zu sich selbst: »Ich bin gespannt, wie lange es noch so weitergehen soll. Da werden uns neue Waffen versprochen. V1, V2, aber keine dieser vielgepriesenen Waffen wird entscheidend werden. Nichts wie hohle Redensarten. Phrasen helfen uns nicht mehr. Die Masse der alten aktiven Soldaten ist längst weg. Der Ersatz ist kümmerlich ausgebildet und verblutet bereits in den ersten Einsatztagen. Es ist wirklich an der Zeit, um Schluß zu machen.« 45
Dathe grinst. »Wer macht den Anfang, Herr Oberleutnant?« »Ja, wer?« Gerken steckt beide Hände in die Hosentaschen. Dann ruft er das Regiment an. »Herr Oberst, haben sie die Abendmeldung bereits durchbekommen?« – »Die anderen? – Tot, verwundet oder in Gefangenschaft geraten, Herr Oberst!« – »Ich verstehe, Herr Oberst – danke, Ende!« Blohm schaut fragend auf. »Nichts?« »Nichts, Blohm. Wir müssen weiter in Stellung bleiben.« Der Oberfeldwebel packt seine Sachen zusammen und deckt die kleine Schreibmaschine zu. »Ich habe Hunger und muß erst etwas essen!« Gerken grinst »Keine schlechte Idee, aber zuerst möchte ich noch die Stellungen ansehen. Hünerfürst!« »Herr Oberleutnant?« »Nimm ein S-Krad und fahr mit mir los!« »Jawohl, Herr Oberleutnant!« Sie treten hinaus ins Freie, und Gerken bleibt lauschend stehen. »Hörst du, Hünerfürst?« »Jawohl – Flugzeuge, Herr Oberleutnant!« Gerken läuft über den freien Platz vor dem Gefechtsstand und sucht den Himmel ab. »Da hinten kommen sie, Bomber!« »Mein Gott«, stöhnt der Unteroffizier, »wo die abladen, bleibt auch kein Stein mehr auf dem anderen, Herr Oberleutnant!« »Hast recht, unter diesen Umständen werden wir lieber noch etwas warten.« Etwa siebenhundert Bomber fliegen, von Norden kommend, in etwa dreitausend Meter Höhe die deutschen Stellungen an. Mit angehaltenem Atem starren die Soldaten auf die feindliche Luftflotte, die da übermächtig auf sie zufliegt. Die Landser vermuten, daß dieser Angriff ihnen gilt Die Nacht verlief ziemlich ruhig. Generalleutnant Bayerlein hat 46
keinerlei aufregende Nachrichten erhalten, und trotzdem ahnt er als erfahrener Truppenführer und alter Generalstäbler, daß irgend etwas in der Luft liegt. »Nichts Neues, Kaufmann?« »Nichts Neues, Herr General!« »Was hat 901 zuletzt gemeldet, Kaufmann?« In diesem Augenblick klingelt das Feldtelefon, und der Ia nimmt ab. Er meldet sich, sagt einige Male Jawohl und legt dann den Hörer zurück auf den Kasten. »Regiment 901 meldet soeben, daß die Amerikaner ihre Stellungen verlassen, Herr General!« »Was soll denn das nun wieder bedeuten?« Wieder schrillt das Telefon. Bayerlein bleibt abwartend im Raum stehen. Dann meldet Kaufmann: »Amerikanische Bomberverbände haben ihre eigenen, zurückgehenden Truppen soeben mit Bomben belegt, Herr General!« »Ist denn so etwas möglich?« »Es besteht kein Zweifel, Herr General!« »Da haben sich die Amerikaner also ins eigene Fleisch geschnitten.« Trocken lacht Kaufmann auf: »Wir dürfen uns jetzt auf allerhand gefaßt machen, Herr General!« »Ich glaube es auch, Kaufmann!« Vorn bei den Panzergrenadieren starren alle zum Himmel empor und beobachten die abfliegenden Bomber. Aber keine zehn Minuten später dröhnt die zweite Bomberwelle heran. Jetzt vergeht den Landsern der Humor. »Volle Deckung!« Oberleutnant Gerken ist gerade mit dem S-Krad unterwegs, als die zweite Welle ihre Bombenschächte öffnet. »Halt, Hünerfürst! Rechts heran!« Der Unteroffizier tritt mit aller Kraft auf die Bremse. In der Luft beginnt es zu rauschen. Gerken krallt sich in die Erde. Vor 47
ihnen liegen einige Soldaten, die Munition nach vorne zu bringen haben. Das Rauschen schwillt an, und dann bricht die Erde um sie herum mit elementarer Gewalt auf. Splitter pfeifen durch die Luft und fegen in die Erde. Ein Schrei bricht auf und geht unter im erneuten Bersten der schweren Bomben. Die Sonne versteckt sich hinter den schwarzen Detonationspilzen, und es riecht nach verbranntem Pulver. Das Dröhnen der Flugzeugmotoren vermischt sich mit dem Bersten der detonierenden Bomben zur grausamen Todesmelodie. Die Erde beginnt zu wanken, und dann fühlt der Oberleutnant stechende Schmerzen in beiden Beinen. »Hünerfürst!« »Was ist?« schreit der Unteroffizier zurück. »Mich hat es erwischt!« »Wo?« »An den Beinen!« Gerken trägt hohe Offiziersstiefel, und als Hünerfürst sie ausziehen will, schreit Gerken hell auf. Da sieht der Unteroffizier, daß beide Stiefel von unzähligen Splittern zerrissen sind. Sein Blick gleitet höher, auch die Reithose ist bis an den Unterleib zerfetzt. Er schweigt und sagt kein Wort zu Gerken. Kurzerhand zerschneidet er die Stiefel, reißt die Hose auseinander und macht sich ans Verbinden, während rings um ihm Bombe um Bombe explodiert. Einer der Männer, die vor ihnen liegen, kommt zurückgerobbt und stöhnt: »Ich bin der letzte!« »Wo sind die anderen?« »Tot – alle tot!« »Mein Gott«, stößt Hünerfürst zwischen den Zähnen hervor. »Hilf mir den Oberleutnant verbinden!« »Ja – doch!« Mit zitternden Händen verbinden sie den Bataillonsführer. Dann erblickt der Unteroffizier sein brennendes Krad. »Verdammter Mist.« 48
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Der Obergefreite deutet nach Norden. »Sieh nur – da kommen sie schon wieder!« Mit zusammengekniffenen Augen starrt Hünerfürst auf die dritte Bomberwelle, die eben anfliegt. In seinen Augen beginnt es zu flackern. Die Angst kommt übermächtig in ihm hoch, und seine Zähne schlagen hart aufeinander. Der Obergefreite betet laut. Kurt Hünerfürst quält sich ein hartes Lachen von den zitternden Lippen. Kurt Hünerfürst starrt die vielen Bomber an, die dröhnend näher kommen. Von niemand behindert. Riesenhaft und unaufhaltsam. Und schon bricht die Hölle wieder los. Riesengroße Flammenbündel wachsen um sie herum aus der Erde auf. Es donnert, kracht und faucht in ununterbrochener Reihenfolge. Feurig und tödlich. Gerkens Gesicht ist leichenblaß. Seine Lippen sind blutleer geworden, und seine Nasenflügel zucken. »Schmerzen?« fragt Hünerfürst. »Höllisch, bitte bring mich zurück!« Der kleine Unteroffizier zuckt mit den Schultern und deutet in die Gegend. »Ich weiß«, flüstert der Oberleutnant und schließt die Augen. Hünerfürst zieht seinen Oberleutnant in einen tiefen Trichter. Er schleudert einen großen, noch heißen Splitter heraus und verbrennt sich dabei die Finger. »Komm rein!« brüllt er den Obergefreiten an, der ihn aus irren Augen unverwandt anstarrt. Hünerfürst holt aus und schlägt dem Mann ins Gesicht. Das bringt ihn wieder zur Besinnung. »Danke«, murmelt er halblaut vor sich hin, »danke!« »Du kannst noch mehr haben, wenn du willst«, knurrt der Unteroffizier vor sich hin und drückt den Mann tiefer in den Trichter. »Nimm Deckung, du Knallkopf, Ich brauch dich doch, um den Oberleutnant zurückzuschaffen!« »Gewiß!« Der Mann trägt beide Eisernen Kreuze, genau wie der 50
Oberleutnant und der Unteroffizier. Außerdem die Nahkampfspange, das Sturmabzeichen und die Ostmedaille. Ein alter Frontsoldat also, der hier vom Grauen der Materialschlacht überwältigt wird. Bei der 7. Kompanie ist die Hölle los. Brombach drückt sein dreckiges Gesicht in den warmen Erdboden. Neben ihm liegt der Stabsgefreite Paschke. Keiner rührt sich, während rings um ihre Stellungen die Bomben niederprasseln. Den Panzer, der zu ihrer Sicherung hinter der Hecke stand, hat es auf den Rücken geworfen. Die zerrissenen Raupenbänder starren in die Luft, und er brennt. Jeden Augenblick kann seine Munition auseinanderfliegen. Aber niemand wagt in diesem Durcheinander aufzuspringen und wegzulaufen. Rechts, dort wo das schwere Maschinengewehr stand, gähnen drei tiefe Trichter. Von dem Gewehr und seiner Bedienungsmannschaft ist nicht einmal mehr ein Sohlennagel oder ein Uniformknopf übriggeblieben. Sie brauchen kein Grab mehr. Minuten nach der letzten Bombendetonation hebt Brombach den Kopf. Er glaubt an kein Wunder, aber er kann es kaum fassen, unverwundet diese Hölle überstanden zu haben. »Hast du was abbekommen, Paschke?« Aber der Stabsgefreite rührt sich nicht. »He, gib Antwort!« Paschke ist tot. Dem Oberfeldwebel würgt es in der Kehle, er dreht den alten Kameraden auf den Rücken und blickt in seine gebrochenen Augen. Langsam drückt er seine Lider herunter. »Heulen – verdammt noch mal, heulen sollte man können.« Aber keine Träne bringt ihm die gewünschte, innere Erlösung. Alles in ihnen ist schon verhärtet. Er schiebt sich höher, bis er über den Trichterrand blicken kann. Das Gelände hat sich in eine Mondkraterlandschaft verwandelt. Kein Baum, kein Strauch und keine Hecke ist verschont geblieben, alles wurde bis zur Unkenntlichkeit 51
zerstampft und vernichtet. Er sucht aus alter Gewohnheit nach seiner Maschinenpistole. Endlich findet er sie, ein großer Splitter hat sie kurz vor dem Handgriff in zwei Teile geschlagen. Wütend wirft der Oberfeldwebel die zerstörte Waffe zur Seite. Paschkes Waffe ist auch weg, und jetzt ist der Oberfeldwebel völlig waffenlos. Rechts taumelt ein Schwerverwundeter durch die Trichter. Sein rechter Arm ist zerfetzt, der Rock aufgerissen, seinen Stahlhelm hat er verloren, und in seiner linken Hand trägt er, völlig überflüssig – einen leeren Maschinengewehrkasten. »Komm her!« Der Mann stutzt, dann nickt er und kommt näher. Er gleitet in den Trichter und läßt sich verbinden. Brombach ist erstaunt, daß der Mann nicht eine Miene verzieht. »Spürst du gar nichts?« »Nee!« »Das muß doch weh tun, Menschenskind!« »Tut’s aber nicht!« Noch zwei Leichtverwundete kommen angelaufen. »Wo sind die anderen des II. Zuges?« fragt Brombach. »Alle tot, Herr Oberfeldwebel!« »Was, ihr seid die letzten?« »Jawohl!« Einer fragt: »Den wievielten Juli haben wir heute eigentlich?« »Den 27. Juli 1944, genau 9 Uhr 30.« »An diesen Tag will ich ewig denken«, knurrt der Mann und hebt beschwörend die Hand. »Wenn du jemals dazu kommst«, meint Brombach, »denn es steht ja noch gar nicht fest, ob du auch alles heil überleben wirst.« »Stimmt genau!« Ganz rechts, dort wo die Fallschirmjäger des Regiments 15 liegen, rattert ein einzelnes Maschinengewehr wütend los. Aber 52
Brombach kann nichts entdecken, denn noch immer wogt dichter Pulverdampf über das Kampffeld. Aber dann hört er vor sich das Klirren von Panzerketten. »Wir müssen zurück!« »Los!« Sie klettern aus dem Trichter und wenden sich nach Süden. Die Straße ist kaum noch zu erkennen. Nur an den Steinen in den Trichtern kann man sehen, daß sie einst zum Straßenpflaster gehören mußten, denn sie sind viereckig behauen. Nach zweihundert Metern stoßen sie auf ihren verwundeten Bataillonsführer. »Hat Sie’s auch erwischt, Herr Oberleutnant?« »Ja!« »Faßt mich an!« Sie heben Gerken auf. Er stöhnt laut. Dann marschieren sie stumm weiter nach Süden. Brombach deutet zum Schloß hinüber, wo sich der Bataillonsgefechtsstand befand. Nur die Grundmauern und einer der vier Ecktürme stehen noch. Der Sanitätsschützenpanzerwagen liegt auf der Seite – ausgebrannt. Eben kommen die Männer des Stabes aus den Trümmern gekrochen. Oberfeldwebel Blohm blickt Brombach an: »Ist das alles, was von vorn zurückgekommen ist?« »Jawohl!« Dathe untersucht den Kommandeurswagen, der wie durch ein Wunder heilgeblieben ist, läßt den Motor anspringen. Plötzlich fegen die ersten amerikanischen Maschinengewehrgarben über den zerstörten Schloßplatz, schlagen klirrend in die Ruine des Schlosses und ziehen als Querschläger singend durch die Luft. Oberleutnant Gerken liegt bereits im gepanzerten Wagen. Die anderen springen auf. Einige laufen lieber zu Fuß, denn solch ein Fahrzeug bietet ein großes Ziel. Oberfeldwebel Blohm wirft seine ledernen Taschen in den Wagen und springt 53
über umgestürzte Bäume hinweg. Jetzt beginnt die amerikanische Artillerie das Gelände abzustreuen und noch einmal umzuwühlen. Im ersten Geländegang schiebt sich Dathe mit seinem SPW durch das Trichtergelände. Ganze Maschinengewehrgarben knallen gegen seine Panzerung, aber noch haben die Amerikaner keine schweren Waffen vorziehen können, denn dazu ist das Gelände zu sehr zerrissen worden. Sogar auf Panzerunterstützung müssen sie verzichten. Nur ihre Infanterie geht, ohne auf Widerstand zu stoßen, weiter vor. Dort, wo sich noch etwas bewegt, wird hingeschossen. Gerken muß wahnsinnige Schmerzen haben. Sein Gesicht verfällt zusehends. Und nach einer halben Stunde ist Oberleutnant Gerken tot. Die Männer starren sich an. Es sind außer dem Fahrer noch vier Männer des Bataillonsstabes. Alle anderen liegen da vorn unter den Trümmern begraben und schlafen bereits der Ewigkeit entgegen. Dathe tritt auf die Bremse, denn ein Kübelwagen versperrt die Straße. »Was iSt Lôs, wo wollt ihr hin?« »Zum Hauptverbandsplatz und zu unserem Regiment, Herr Major!« »Wie sieht es vorne aus?« Unteroffizier Dathe zieht sich höher und blickt den Major an. Er lächelt böse. »Wir sind die letzten des II. Bataillons Panzergrenadier-Lehrregiment 901, Herr Major. Bauen Sie lieber Ihre Geschütze ab und machen Sie Stellungswechsel, denn in einer halben Stunde ist der Ami hier!« »Quatschen Sie nicht solches Zeug, Unteroffizier. Wie heißen Sie?« »Idiot!« knurrt Dathe, läßt sich auf seinen Sitz fallen und gibt Gas. »Hast du schon solch einen Trottel gesehen, Kurt?« »Nee!« Hünerfürst tippt sich mit dem Zeigefinger 54
bedeutungsvoll an die Stirn. Dann haben sie den Regimentsgefechtsstand erreicht. Oberst Hauser, der Oberst Scholze abgelöst hat und erst seit kurzer Zeit das Lehrregiment führt, ist erschüttert. »Ist das alles, was vom II. Bataillon übriggeblieben ist?« »Jawohl, Herr Oberst!« »Und die anderen?« »Tot oder verwundet in Gefangenschaft, Herr Oberst!« Oberst Hauser setzt sich auf den steinernen Rand eines Brunnens. Er schüttelt immer wieder den Kopf. »Der Gegner drückt nach, Herr Oberst!« »Das glaube ich!« Der Regimentskommandeur blickt die Straße hinunter. Eine Infanteriekompanie zu Fuß zieht weit auseinandergezogen nach vorn. Ihr Führer, ein junger Leutnant, tritt an Oberst Hauser heran und salutiert. »Können Sie mich einweisen, Herr Oberst?« »Nein!« Hauser steht auf. »Sehen Sie diese Männer hier um mich herum?« Verwundert blickt der Leutnant die Landser und dann den Oberst an. »Jawohl, Herr Oberst!« »Nun, das sind die letzten meines II. Bataillons. Sie allein sind der Hölle der Bombenteppiche entronnen. Eben kommen sie von vorn. Der Amerikaner drückt nach und wird gleich dasein. Gehen Sie hier in Stellung und sperren Sie die Straße. Zwei Pak von mir kommen dazu, ebenso die Regimentspioniere. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.« »Danke, Herr Oberst«, sagt der Leutnant leise. »Alles Gute!« Hauser schaut die paar Panzergrenadiere an. »Fahrt zum Troß zurück, mehr kann ich nicht für euch tun!« Dumpf dröhnt der Motor auf, und rasselnd schiebt sich der Schützenpanzerwagen wieder auf die Straße, die in sanftem Boden nach Süden führt.
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Generalfeldmarschall von Kluge schaut zum Fenster hinaus und lauscht auf das ferne Dröhnen der Invasionsfront. Er weiß, daß hinter ihm ein Oberstleutnant steht und auf einen Befehl wartet. Kluge weiß auch, was da vorne jetzt los ist, und er schämt sich fast, den Befehl aus dem Führerhauptquartier weiterzugeben. Aber was bleibt ihm anderes übrig. Hart wendet er sich um und sagt: »Sie werden die Panzerlehrdivision aufsuchen.« »Jawohl, Herr Generalfeldmarschall.« »Generalleutnant Bayerleins Gefechtsstand befindet sich bei Dangy. Sagen Sie Bayerlein, daß er die Stellung St Lô-Periers unbedingt zu halten hat. Sagen Sie dem General, daß dies ein Befehl ist, verstanden?« »Jawohl, Herr Generalfeldmarschall!« »Schön, das wäre alles. Sie können fahren. Melden Sie sich nach Ihrer Rückkehr wieder bei mir, klar? « »Jawohl, Herr Feldmarschall!« Der Oberstleutnant grüßt und geht. Draußen besteigt er einen Kraftwagen des Oberbefehlshabers und läßt sich nach Norden, der brodelnden Front, entgegenfahren. Er braucht fast zwei Stunden, ehe er den Gefechtsstand der Lehrdivision gefunden hat. Endlich entdeckt er die Gefechtsstandsflagge hart an der Straße und läßt halten. »Ziehen Sie in Fliegerdeckung unter«, befiehlt er dem Fahrer und wendet sich an den Posten. »Wo finde ich Generalleutnant Bayerlein?« »In der Küche, erste Tür rechts, Herr Oberstleutnant!« »Danke!« Dann steht der Generalstabsoffizier vor dem Kommandeur der Panzerlehrdivision und grüßt. Er schaut in das unrasierte, übernächtigte Gesicht Bayerleins. Er schämt sich seines sauberen Aussehens, seines weißen Hemdes, der karmesinroten Streifen an seinen Hosen und den tadellos blank gewichsten Reitstiefeln. Irgendwie 56
scheint er in seinem Unterbewußtsein zu fühlen, was diese Männer hinter sich haben. Trotzdem muß er seinen Auftrag erledigen, und er beschließt, es so kurz wie möglich zu machen. Aber schon hört er Bayerlein sagen: »Bringen Sie uns Unterstützung oder sonst etwas Angenehmes?« Der Oberstleutnant strafft sich. »Herr General, ich werde von Herrn Feldmarschall von Kluge persönlich geschickt. Der Herr Feldmarschall verlangt, daß die Linie St Lô-Periers unter allen Umständen gehalten wird.« Das Schweigen, minutenlang anhaltend, wirkt fast tödlich. Nur die alte Küchenuhr tickt laut und vernehmlich, mahnend, daß alles vergänglich sei. Bayerlein wirkt müde und stützt sich mit beiden Händen auf die eichene Tischplatte. »So«, sagt er plötzlich hart in die Stille hinein. Oberstleutnant Kaufmann starrt zu Boden, und Major Wrede kaut auf einem Bleistift herum. »Das hat der Feldmarschall befohlen? « »Jawohl, es ist ein Befehl, den ich überbringe, Herr General!« »Nun, hat der Herr Generalfeldmarschall auch gesagt, wer diese Linie zu halten hat, Herr Oberstleutnant?« Bayerleins Stimme hebt sich merklich. »Die Panzerlehrdivision natürlich, Herr General!« Schweigen. »Herr General, die Linie St Lô-Periers ist unbedingt zu halten. Kein Soldat darf ohne ausdrücklichen Befehl seine Stellung verlassen. Wie mir bekannt ist, kommt dieser Befehl direkt aus dem Führerhauptquartier, Herr General!« »Das Führerhauptquartier ist sehr weit weg vom Schuß«, knurrt Bayerlein mit bitterem Unterton in seiner Stimme. »Waffen-SS wird in dieser Nacht mit Panzerunterstützung zum Gegenangriff antreten und Ihrer Division fühlbare Entlastung bringen, Herr General.« Nur mühsam kann Bayerlein Haltung wahren. Scharf 57
entgegnet er: »Melden Sie dem Herrn Feldmarschall, daß meine Division in ihren Stellungen bleiben wird. Melden Sie, daß kein Mann seine Stellung verlassen hat. Melden Sie dem Herrn Feldmarschall weiter, daß sie alle in ihren Löchern liegen, und daß sie dort liegenbleiben werden bis zum Jüngsten Tag. Melden Sie, daß die Panzerlehrdivision gestorben ist, gestorben am 26. Juli 1944. Wollen Sie mit mir nach vorne gehen? Es kann nicht mehr weit sein, denn Sie hören bestimmt schon die amerikanischen Maschinengewehre. Also gut, ich nehme einen Karabiner und verteidige mit den zehn Männern des mir verbliebenen Stabes auch noch dieses Haus. Da vorn ist alles tot, ausgelöscht, still und stumm.« Bayerlein fühlt sein Herz hoch im Halse schlagen, und er fühlt auch, daß seine Kräfte nachlassen. Irgendwie sind auch seiner Kraft Grenzen gesetzt. Er, der als Stabschef des Afrikakorps an der Seite Rommels stand, der durch die Hölle der Wüstenkämpfe ging, der vor Tobruk und in der Cyrenaika immer kaltes Blut bewahrte, schweigt jetzt vor innerer Erregung. Das Schweigen aber ist schlimmer als lautes Aufbegehren. Dann folgen Worte wie Hammerschläge: »Hier, wo der Tod nichts mehr zu sagen hat, kann auch kein Feldmarschall mehr befehlen.« »Ich habe nur meinen Auftrag ausgeführt«, wagt der Oberstleutnant einzuwenden. Verlegen blickt er dabei zu Boden. »Das verstehe ich!« Sachlich werdend, spricht Generalleutnant Bayerlein weiter: »Melden Sie dem Herrn Generalfeldmarschall, daß die Panzerlehrdivision restlos vernichtet ist. Vielleicht sammeln sich in den nächsten Tagen noch hundert oder zweihundert Mann. Im Augenblick hat die Division ihren Eid erfüllt, sie ist in ihren Stellungen gestorben. Der Gegner steht jetzt vor Dangy, und ich glaube, daß er den Ort noch in dieser Nacht einnehmen wird. Ich danke Ihnen, 58
Herr Oberstleutnant!« Der Generalstabsoffizier grüßt und geht. Er besteigt seinen Kraftwagen gerade in dem Augenblick, als das deutsche Munitionsdepot in der Nähe von Dangy in die Luft fliegt. »Fahren Sie schon los!« herrscht er den erschrockenen Fahrer an. »Jawohl, Herr Oberstleutnant!« Im Hause geht Bayerlein unruhig auf und ab. Er wartet – ja worauf wartet er eigentlich noch? Auch Kaufmann drängt: »Es hat keinen Sinn mehr, hier länger zu warten, Herr General. Es wäre falsch, hier in Gefangenschaft zu gehen!« »Dann wären wir wenigstens alle Sorgen auf einen Schlag los, Kaufmann!« »So kann man es auch betrachten, Herr General.« »Ich nehme einen Karabiner und verteidige den Gefechtsstand. Ja, ich würde es tun, wenn es einen Sinn hätte. Aber so?« Er lacht kurz auf. »Was ist ein General ohne Truppen wert? Nichts, rein gar nichts!« Er deutet nach draußen. »Mir sind fünf Offiziere, vier Unteroffiziere und neun Melder, Funker und Fernsprecher verblieben.« Er tritt an die Karte. »Wir verlegen jetzt hinter den Soulesbach, verstanden?« »Jawohl, Herr General!« »Gut, dann versuchen Sie unsere Fahrzeuge durchzubekommen, ich selbst werde zu Fuß gehen.« Keiner wagt irgendwelche Einwände zu machen, und zehn Minuten später marschiert der Kommandeur der einst so gefürchteten Panzerlehrdivision durch den Staub der französischen Straße nach Süden, in der Hoffnung, doch noch versprengte Leute seiner Division anzutreffen. Die Sonne brennt heiß vom Himmel herab. Tiefe Trauer breitet sich in seinem Herzen aus, das immer für seine Soldaten schlug. *
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Tief befriedigt vom Einsatz der alliierten Bomber, betrachtet Eisenhower die Generalstabskarte. General Patton, der sich im Hauptquartier Eisenhowers befindet, wartet jetzt auf den Befehl, seine 3. Panzerarmee in die entstandene Bresche westlich St Lô werfen zu können, denn bis jetzt rücken nur die bereits im Einsatz stehenden amerikanischen Verbände langsam und zögernd vor. Zum Teil liegt es daran, daß die Divisions- und Korpskommandeure es einfach nicht begreifen können, bei den Deutschen auf keinen ernsthaften Widerstand mehr zu stoßen. Sie wittern eine Falle. Nur Eisenhower nicht. Er richtet sich jetzt auf und blickt den Führer seiner Panzerarmee kurz an, dann sagt er: »Marschieren Sie los, Patton!« Über Pattons sympathisches Gesicht huscht ein leises Lächeln. Er verbeugt sich knapp und sagt: »Thanks, Sir, meine Leute warten schon darauf.« »Viel Glück, und besorgen Sie es den Deutschen, Patton!« »Ich werde mein möglichstes tun, Sir.« Die beiden Generale reichen sich die Hand. Patton geht, besteigt seinen Jeep und braust los. Wenig später spielt der Funk und summen die Drähte der Feldfernsprecher. Immer wieder heißt es: »Angreifen zur befohlenen X-Zeit. Panzer – marsch!« Patton selbst führt – genau wie Rommel einst in Afrika – von vorn. Die Panzerbataillone rollen an, die Infanterieregimenter auf ihren gepanzerten Halbkettenfahrzeugen schieben sich dazwischen. Panzerjäger, Pioniere mit großen Planierraupen, und Nachschubeinheiten für Sprit und Munition setzen sich in Bewegung. Alles rollt nach Süden. Jagdbombergeschwader tummeln sich am Himmel, bereit, sich auf jedes Erdziel zu stürzen, das sie erkennen können. Die Artillerie zerschlägt noch einmal das Gelände bis zur Unkenntlichkeit, und dann setzt schlagartig das Feuer der Panzerwaffen ein. 60
* »An ein Herauslösen der Resteinheiten der Panzerlehrdivision ist gar nicht zu denken.« Generalfeldmarschall von Kluge schaut seinen Sohn, den Oberstleutnant im Generalstab, kurz an. »Bitte, vergiß nicht, daß auch der Kommandeur des II. Fallschirmjägerkorps, General Meindl, von der Sinnlosigkeit weiteren Widerstandes in dieser Frontlinie überzeugt ist!« Von Kluge schüttelt ärgerlich den Kopf. »Was verstehen sie denn schon alle. Jeder will Krieg nach seiner eigenen Meinung führen, und alle vergessen dabei, daß auch ich nur das tun darf, was mir vom Führerhauptquartier erlaubt wird.« »Na, bis jetzt hat ja das Korps Meindl immer noch die Flanke gehalten. Die Fallschirmjäger-Aufklärungsabteilung unter Hauptmann Goetsche steht immer noch im harten Abwehrkampf am Wegekreuz Le Mesnil Herman. Sie hat bereits ein Dutzend Shermans dort abgeschossen.« »Gut, wenn nur die Panzerlehrdivision noch stehenbleibt«, erwidert Kluge und sieht auf den Oberstleutnant, den er zur Panzerlehrdivision geschickt hatte, und der eben das Lagezimmer betritt. »Was sagt Bayerlein?« Der Oberstleutnant bleibt in gerader Haltung neben der Tür stehen und meldet mit klarer Stimme: »Herr Feldmarschall, von der Panzerlehrdivision können nur noch Tote in den Stellungen bleiben!« »Was soll diese unsinnige Meldung?« Kluge wird ungehalten und trommelt mit seinem Bleistift nervös auf der Tischplatte herum. »Diese Meldung ist nicht unsinnig, Herr Feldmarschall, denn die Panzerlehrdivision existiert praktisch nicht mehr. Selbst die Gefechtstrosse der Panzer und Panzergrenadiere sind zu 99 Prozent vernichtet worden. In unserer Front klafft eine Lücke 61
von etwa vier Kilometer Breite. Der Korridor des Todes, hervorgerufen durch mehr als 2.000 alliierte Bomber, ist zehn Kilometer tief. General Bayerlein bedauert, den Befehl zum Aushalten nicht mehr durchführen zu können. Bei meiner Abfahrt befand sich der Gegner unmittelbar vor dem Divisionsgefechtsstand der Panzerlehrdivision.« »Das kann doch nicht wahr sein«, flüstert Kluge vor sich hin, aber sein Sohn sowie der andere Oberstleutnant haben es dennoch gehört. »Es ist so, Herr Feldmarschall!« Kluge schüttelt den Kopf. »Und die 2. Panzerdivision rollt nach Caen. Jetzt habe ich nicht eine Reservedivision zur Verfügung. Gestern noch rechnete ich mit einer halben Kampfstärke der Panzerlehrdivision, und heute kann ich sie bereits abschreiben. Aber trotzdem, Bayerlein soll seine Versprengten sammeln und zu Kampfgruppen zusammenfassen. Jedes Gewehr wird gebraucht, wir müssen eine Katastrophe verhindern.« »Ich fürchte, die ist nicht mehr aufzuhalten«, sagt Oberstleutnant von Kluge zu seinem Vater. »Westfrankreich muß geräumt werden, damit am Ostufer der Seine eine neue stabile Front errichtet werden kann. Überall stehen an den französischen Küsten deutsche Divisionen mit Gewehr bei Fuß und erwarten eine zweite Landung, die nie mehr erfolgen wird. Hier oben haben wir nicht eine einzige Reservedivision zur Verfügung. Hinter uns werden die Brücken, Straßen und Bahnhöfe zerschlagen, und unser Nachschub kommt nicht mehr heran, es ist wirklich an der Zeit…« »Schweig!« sagt der Generalfeldmarschall zu seinem Sohn. »Bitte!« Oberstleutnant von Kluge dreht sich herum und verläßt mit steifen Schritten das Zimmer. *
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Eisenhower diktiert die neuen Befehle. »Das VIII. Korps nimmt Lessay und Periers, stößt auf Coutances vor, überschreitet die Souelles und die Sienne und hält sich dabei immer an der Atlantikküste. Das VII. Korps stößt über Cerisy und Villibaudon auf Avranches vor. Das XIX. Korps nimmt Torigny und schwenkt dann sofort nach Osten ein, um die deutsche Hauptkampflinie aufzurollen. Diese Ziele müssen bis zum 28. Juli erreicht werden. Bitte, geben Sie das sofort an die Korpskommandeure durch. Dann erwarte ich – sofort nach Eintreffen – Bericht von General Patton, wo er zur Zeit steht.« Daß der von ihm gesetzte Termin von seinen Einheiten allerdings nicht eingehalten werden kann, ahnt Eisenhower zu dieser Stunde noch nicht. Er wähnt, daß die deutsche Front – einmal zerrissen – nicht wieder geflickt werden kann: * Es ist nur ein kleines Haus, unweit des Baches Soules, das Bayerlein mit seinem Reststab bezogen hat. Überall sind seine Offiziere dabei, die Versprengten zu sammeln, und erfreut stellt er fest, daß sich immer noch einzelne Kampfgruppen wieder durch die amerikanischen Linien schlagen. Das Panzergrenadier-Lehrregiment 901 hat nun wieder eine Grabenstärke von vierhundert Mann, das Regiment 902 sogar eine Stärke von etwas mehr als fünfhundert Mann gewonnen. An Panzern, die zurückkamen oder aus den Werkstattkompanien nach vorn rollten, stehen noch sechsunddreißig Panther und Panzer IV zur Verfügung. Und was den General am meisten wundert ist, daß der Geist seiner Soldaten trotz des fürchterlichen Bombardements noch ungebrochen ist. Er wird sich mit diesen Kampfgruppen dem Gegner entgegenstemmen, um ein Chaos zu verhüten. Verwundert schaut er auf, als der Gefechtsstandposten ins 63
Zimmer stürmt. »Was gibt’s?« »Amerikanische Panzer am anderen Ufer, Herr General!« »Nein?« »Doch!« Bayerlein läuft an das Fenster und starrt hinaus. »Tatsächlich, jetzt sitzen wir in der Falle!« Oberstleutnant Kaufmann sagt: »Was nun?« »Wir müssen hier sofort verschwinden«, entscheidet Bayerlein ruhig. »Packt die Klamotten zusammen und dann einzeln absetzen!« In fieberhafter Eile raffen die Offiziere und Unteroffiziere alles Material zusammen und springen einzeln zur Tür hinaus. Bis jetzt haben die Panzer dem alleinstehenden Haus noch keine Beachtung geschenkt, aber in dem Moment, wo der General das Haus verläßt, knallen ihre Kanonen los. Steine und Erde wirbeln auf, aber Bayerlein springt in einen Straßengraben und hastet weiter, während dicht über seinem Kopf die Panzergranaten jaulen. Zwei Kilometer rückwärts sammelt sich der Stab, und aufatmend stellt Bayerlein fest, daß nicht ein Mann fehlt. »Wir begeben uns jetzt zum Rest der 901er«, entscheidet er kurz. Oberst Hauser, der den Rest des Regiments und die ihm unterstellten Panzer nördlich Villibaudon gesammelt hat, ist sofort wieder in Stellung gegangen. Die Reste des II. Bataillons führt jetzt ein Hauptmann Fink von Finkenstein. Dieser Offizier, obwohl nervös und reizbar, ist von einer seltenen Kameradschaftlichkeit. Er ist immer da, wo es am heißesten hergeht, und seine Männer verzeihen ihm sehr rasch seine Nervosität, zumal sie wissen, was dieser Offizier bereits alles hinter sich hat. Hauptmann Fink, die Maschinenpistole unter dem Arm, steht mit einem Unteroffizier am Waldrand und beobachtet die 64
vorgehenden Amerikaner. Zwanzig Meter rechts von ihm liegt Oberfeldwebel Brombach mit sechs Grenadiergruppen, einigen Panzerfäusten, Ofenrohren, zwei schweren Granatwerfern und einer 7,5-cm-Pak. Weiter links stehen zwei Panther und ein Panzer IV, sowie zwei Jagdpanzer unter Hauptmann Oventrop. Keine vierzig Meter hinter den Grenadieren haben zwei komplette Batterien schwerer Feldhaubitzen auf Selbstfahrlafetten ihre Rohre zum direkten Beschuß heruntergekurbelt und warten auf den Feuerbefehl. Fink wendet sich an den Unteroffizier, der immer noch neben ihm steht und knurrt: »Leg dich in Deckung, mein Sohn!« »Herr Hauptmann, Sie stehen ja auch!« »Du sollst dich hinlegen!« »Jawohl, Herr Hauptmann!« Nach einer Weile: »Siehst du die Panzer dort rechts im Grund?« »Nein, Herr Hauptmann!« Fink grinst. »Natürlich, du liegst ja jetzt in der Froschperspektive, steh’ wieder auf!« Als wenn der Unteroffizier heftige Zahnschmerzen hätte, solch Gesicht macht er nun, als er die Masse der vorrollenden Panzer sieht. »Meine Güte, das sind ja mindestens achtzig Panzer, Herr Hauptmann?« »Richtig, lauf los und melde es den Batteriechefs und auch Hauptmann Oventrop. Sie stehen alle tiefer als wir und können sie noch nicht sehen!« »Jawohl, Herr Hauptmann!« Unteroffizier Friedag, der etwas weiter am Waldrand liegt, sieht seinem Kameraden entgegen: »Geht’s wieder los, Oskar?« »Gleich, Justus, wart’ noch ein wenig!« »Verfluchte Sauerei, und ich dachte schon, daß wir in den Raum Paris zur Neuaufstellung kämen.« 65
Aber Oskar ist schon weitergesprungen. Fünf Minuten später steht er wieder neben Fink und meldet, daß er den Befehl ausgeführt hat« Drohend schieben sich die Sherman-Panzer gegen den flachen Hügel vor. Sie fahren im Breitkeil und dazwischen geht Infanterie, sich immer in unmittelbarer Nähe der Panzer haltend, vor. Brombach schnauft durch die Nase. Hauptmann Oventrop läßt sich laufend die Entfernung geben, und dann verschwindet er blitzschnell in einem Jagdpanzer. Hart dröhnt der erste Abschuß auf, und ein Sherman-Turm segelt in hohem Bogen durch die Luft. Schlagartig, als wenn alles nur auf diesen einen Schuß gewartet hätte, bricht das Feuer los. Aus allen Rohren schlägt es den Angreifern entgegen. Die Panzer der Amerikaner sehen die schweren Waffen der Deutschen nicht, da sie tiefer im Wald stehen und durch das Blattwerk vorzüglich getarnt sind. Die Abschüsse der Panther dröhnen, ihre Türme schwenken unaufhörlich hin und her, verhalten kurz, feuern und nehmen bereits wieder das nächste Ziel auf. Auch die 7,5-cm-Pak schießt ununterbrochen. Maschinengewehrgarben streichen über das Feld und zwingen die amerikanischen Infanteristen in Deckung. Trotzdem schiebt sich die Masse der ShermanPanzer immer weiter gegen die schwache Linie der Verteidiger vor. Die Artillerie feuert im direkten Beschuß auf die Panzer, und fast jeder Schuß ist auf diese kurze Distanz ein Volltreffer. »Es wird wieder gestorben«, knurrt Brombach und macht die Panzerfäuste schußklar. Seine Augen flackern wie immer, wenn es heiß hergeht, aber seine Hände bleiben ruhig. »Kommt nur heran, es sind noch einige Rechnungen unbeglichen.« Neben ihm rast ein schweres Maschinengewehr. Es frißt Gurt auf Gurt, und die Amerikaner verschwinden hinter den Panzern, die kaum noch fünfzig Meter von den deutschen Stellungen stehenbleiben. 66
Mit einemmal ist Generalleutnant Bayerlein vorn. Keiner weiß, woher er so plötzlich gekommen ist. In Keilhosen, Feldbluse und Feldmütze wirft er sich zwischen seine Soldaten. »Wir dürfen sie nicht durchlassen, die Front muß sich wieder festigen«, mehr sagt er nicht. Und er weiß, daß er sich – trotz allem, was vorhergegangen ist – auf seine Männer verlassen kann. Amerikanische Panzergranaten zerhämmern jetzt den Wald, aber inmitten des feurigen Splitterregens feuern die Geschütze der Lehrbatterien unaufhörlich weiter. Und das kaum Glaubhafte geschieht, der Gegner zieht seine Angriffsspitze langsam wieder zurück. Erst als die Dämmerung mit ihren langen Schatten hereinbricht, wird es vor den Stellungen der deutschen Kampfgruppen wieder ruhiger. Die Toten werden geborgen und die Verwundeten versorgt. Generalleutnant Bayerlein sitzt in einem kleinen Bauernhaus am Rande einer Lichtung mitten unter den Leuten des Stabes vom II. Bataillon. Er, der nicht mehr der Jüngste ist, leidet unter den Anstrengungen des vergangenen Tages besonders. Karl Heinicke, seines Zeichens Obergefreiter, wendet sich an Bayerlein: »Haben Sie Hunger, Herr General?« Bayerlein lächelt. »Ein Stück Brot könnte ich schon vertragen!« Heinicke macht ein belegtes Brot zurecht und reicht es dem Divisionskommandeur. »Kaffee, – zwar kalt, oder Rotwein, Herr General?« »Wo hast du den Rotwein her?« »Gefunden, Herr General!« »Na, dann gib mir mal einen Schluck!« Heinicke entkorkt fachgerecht die Flasche. »Schmeckt nicht schlecht, nicht wahr?« »Nein, der Tropfen ist gut!« 67
Heinicke reicht die Flasche weiter von Mann zu Mann, bis sie leer ist, dann wirft er die Flasche in eine Ecke. »Ich habe noch eine Pulle, Herr General.« »Trinkt sie alleine, aber wenn du noch ein Brot für mich hättest?« »Klar, haben wir!« Bayerlein freut sich über den ungebrochenen Geist dieser Soldaten, die in den vergangenen Tagen – im wahrsten Sinne des Wortes – durch die Hölle vor St Lô gegangen sind, die dem Tod von der Schippe sprangen, die ihre Kameraden unter dem Bombenhagel haben sterben sehen, die den Glauben an die gerechte Sache schon verloren haben, die aber trotzdem noch zusammenstehen und weiterkämpfen, obwohl sie zumindest schon das furchtbare Ende ahnen. Als Bayerlein gehen will, ist es ihm ein Bedürfnis, einem jeden von ihnen die Hand zu drücken. Er schaut in die harten Augen eines zwanzigjährigen Obergefreiten, er sieht die schmalen Lippen eines zweiundzwanzigjährigen Unteroffiziers, und er bemerkt die gebeugte Gestalt des Oberfeldwebels Brombach. Er möchte ihnen allen etwas Tröstendes sagen, aber leere Worte wären hier fehl am Platz. »Macht’s gut, Kameraden!« Hinter ihm fällt die Tür ins Schloß. »Wenn wir mehr solche Generale hätten …«, sagt Unteroffizier Friedag. Oberleutnant Hinz, der vom Regiment vorgeschickt wurde, um den ständigen Offiziersmangel beheben zu helfen, nickt mit dem Kopf und murmelt Unverständliches vor sich hin. * »Was geht nicht?« Patton sieht den Ordonnanzoffizier durchdringend an. »Wir sind auf stärksten Widerstand gestoßen, Herr General. Die Germans haben zweiunddreißig Panzer abgeschossen!« 68
Fassungsloses Staunen spiegelt sich in den Gesichtszügen des Generals wider. »Zeigen Sie mir die Stelle auf der Karte!« »Yes, Sir!« Der Finger des jungen,Captains gleitet auf der Karte entlang. »Hier war es, Sir.« »Was für Truppen?« »Keine Ahnung, Sir, wir kamen nicht nahe genug heran!« Nachdenklich starrt Patton auf die Karte, dann sagt er, zu seinem Stabschef gewandt: »Sollten das noch Reste der Panzerlehrdivision sein?« »Unmöglich, Sir, die Division ist bereits am 25. Juli gestorben. Reste von ihr hätten diesen massiert geführten Angriff von uns niemals aufhalten können.« »Das erscheint mir auch so. Dann müssen die Germans ihre 2. Panzerdivision zurückgerufen haben. Aber unsere Agenten haben doch nichts Derartiges gemeldet, nicht wahr?« »No, Sir, es sind keine Meldungen eingegangen. Meines Erachtens nach steht die 2. deutsche Panzerdivision bereits im Raume südöstlich Caen.« Patton blickt noch immer auf die Karte. »Die Deutschen liegen auf einer flachen, aber alles beherrschenden Höhe. Wir werden morgen früh um vier wieder angreifen. Lassen Sie das in Reserve gehaltene Panzerbataillon bis dahin vorziehen!« »Yes, Sir!« »Außerdem will ich die ganze Nacht schweres Artilleriefeuer auf die deutschen Linien haben.« »Sehr wohl, Sir.« * »Abschüsse?« »Es hört sich so an!« Die Stimme des Obergefreiten klingt rauh. Und dann orgelt es heran, frißt sich mit bösem Kreischen in die Erde, schlägt mit gewaltigen Stichflammen ein und reißt 69
Steine, Erde und Dreck hoch. »Jetzt geht’s los«, knurrt der Posten hinter dem schweren Maschinengewehr. »Es wäre besser, wenn wir die Knarre solange abbauen.« »Machen wir.« Hastig nehmen sie das Gewehr von der Lafette und wickeln es in eine Zeltbahn ein. Die nächsten Lagen liegen verteufelt nahe. Und ehe zehn Minuten vergangen sind, liegt die ganze Höhe unter einem Hagel feindlicher Granaten. »Alle Posten sind einzuziehen, das Bataillon geht bis an den Hinterhang zurück«, befiehlt Hauptmann Fink, nachdem er sich mit den Artillerie-, den Panzer- und Panzerjägeroffizieren abgesprochen hat. Unnötige Verluste sollen unter allen Umständen vermieden werden. Heinicke grinst den Unteroffizier Friedag an. »Jetzt können sie von mir aus die ganze Nacht trommeln!« Gegen Mitternacht steigert sich das feindliche Artilleriefeuer zum gewaltigen Orkan. Eine flammendrote Wand aus Feuer und berstendem Stahl steht oben auf der Höhe, und die Landser sehen mit brennenden Augen in diese tödliche Helligkeit. Sie graben eine zweite Auffangstellung, und alle atmen auf, als gegen zwei Uhr morgens fünf schwere Flakgeschütze nach vorn kommen. Ein Major führt diese fünf Geschütze, die letzten einer ganzen Abteilung. Eines wird am Hinterhang eingebaut, um Panzer, die über die Höhe vorbrechen sollten, unter Beschuß zu nehmen. Die anderen vier sollen unmittelbar nach Beendigung des schweren Trommelfeuers nach vorn gezogen werden. »Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen«, erklärt Heinicke, über die Steigerung der eigenen artilleristischen Feuerkraft hochbefriedigt. »Abwarten, und dann erst Tee trinken!« Justus Friedag legt sich in sein Panzerdeckungsloch und verschränkt beide Armee hinter dem Kopf. Er denkt an zu Hause und daran, daß er 70
eigentlich Organist ist Seine Gedanken lösen sich vom Krieg und von allem, was damit zusammenhängt. »Ob ich je wieder zum Orgelspielen kommen werde?« denkt der Unteroffizier, und in ihm rauscht und dröhnt es nach. Trotzdem er Diener der Kirche ist, fühlte er sich seinem Herrgott nie so nahe, als in diesem dreimal verfluchten Krieg. Der schrille Mißton einer schweren Granate, die direkt am Hinterhang oberhalb seines Loches detoniert, reißt ihn in die grausame Wirklichkeit zurück. Er wischt sich mit der Hand über die Augen, als wolle er den entschwundenen Traum festhalten. Dann richtet er sich auf und schaut zur Höhe empor, die immer noch in Feuer und Rauch getaucht liegt »Wie soll dies alles wohl einmal enden?« »Was meinen Sie?« Es ist Oberleutnant Hinz, der ihm gegenüber hockt und diese Frage an den Unteroffizier richtet. »Ich meine, wie das wohl noch einmal enden wird?« Hinz sagt: »Wir dürfen nur den Glauben nicht verlieren, der ›Führer‹ wird’s schon machen!« »Gegen Trommelfeuer schützt mich auch dieser Glaube nicht, Herr Oberleutnant. Hier herrschen andere Maßstäbe!« »Wie reden Sie?« Hinz schaut verwundert drein, und plötzlich fällt ihm ein, daß er ja nationalsozialistischer Führungsoffizier ist. »Laut dürfen Sie so etwas nicht sagen, Friedag. Das könnte böse für Sie ausgehen!« meint er schärfer, als beabsichtigt. »Was wird denn da für ein Quatsch zusammengeredet?« Hauptmann Fink hat sich näher geschoben. »Oh, wir hatten nur eine kleine Diskussion, Herr Hauptmann!« »Lassen Sie mir die Leute in Ruhe, Hinz!« »Die Moral der Truppe ist in erschreckendem Maße gesunken, Herr Hauptmann. Ich bitte dies zu beachten, in meiner Eigenschaft als …« 71
»Halten Sie Ruhe, Herr Hinz!« »Jawohl, Herr Hauptmann!« Hinz ist beleidigt, aber in dieser drohenden Lage wagt er keine weiteren Einwendungen zu machen. Aber vielleicht ergibt sich einmal die Gelegenheit. Friedag klettert aus dem Loch und hockt sich zu Oskar. »Der Hinz hat mich eben angemeckert!« »Ich hab’s gehört. Aber der Alte hat ja ganz schön dazwischengefunkt, nicht wahr?« »Er scheint gar nicht so unrecht zu sein!« »Hm, nur ein bißchen zu leichtsinnig, finde ich!« Sie müssen wegen des immer noch starken Artilleriefeuers ziemlich laut reden, und so geschieht es, daß Hauptmann Fink auch dieses Gespräch hört. Er taucht aus der Dunkelheit und pflanzt sich vor den beiden Unteroffizieren auf. »Was ist denn jetzt schon wieder los?« Er wischt mit der Hand durch die Finsternis. »Wenn ich hinten ’rumkrauche und euch vorjage, sagt ihr: Der ist feige, und wenn ich vorneweg marschiere, mault ihr, daß ich unvorsichtig bin. Aber wie man es macht, es ist immer verkehrt!« Sagt es und verschwindet wieder. »Ein komischer Heiliger.« Friedag blickt zur brennenden Höhe hoch. »Wenn wir dort gelegen hätten, wären wir wohl alle schon längst erledigt.« »Hast recht, Justus.« Oskar steckt sich eine Zigarette an, und bei jedem Zug beleuchtet die Glut sein hageres Gesicht mit den dunklen, fast schwarz wirkenden Augen. Dathe sitzt neben Hünerfürst im Loch. Nachdenklich sagt er zu seinem Kameraden: »Ich möchte nur wissen, wo Otto Blohm geblieben ist.« »Vielleicht haben ihn die Amis geschnappt«, erwidert Hünerfürst »Wir werden immer weniger, von den alten Lehrinfanteristen sind bald keine mehr da.« »Und wann werden wir dran sein?« 72
Die beiden Soldaten schweigen und hadern mit ihrem Schicksal, das sie hierher verschlagen hat. Hans Dathe lehnt sich zurück und schließt die Augen. Er wünscht sich in die Zeit zurückversetzt, in der es keine Granaten und keine Bomben gegeben hat, in der der Mensch noch Mensch war und nicht Soldat im Krieg. Erschrocken fährt er zusammen, als einige zu weit gegangene Granaten in seiner unmittelbaren Nähe zerplatzen und sie beide mit Erde und Dreck überschütten. Fern im Osten schiebt sich ein heller Streifen über den Horizont, der Vorbote des neuen Tages. Was wird dieser Tag wieder bringen? Wie viele Kameraden werden die Sonne nicht mehr untergehen sehen. So ist es Heute, so war es gestern und so wird es morgen ebenfalls wieder sein. Unteroffizier Dathe denkt eben an das Mädchen in Chartres. Sie arbeitete als Nachrichtenhelferin auf dem dortigen Flugplatz. Fast körperlich nahe glaubt er ihr zu sein, hört ihre warme, dunkle Stimme an sein Ohr dringen – bis ein donnerndes Krachen seine Gedanken auseinanderreißt. Er blickt den Bruchteil einer Sekunde in eine strahlende Helligkeit, spürt nicht einmal mehr Schmerzen, und sinkt hinab in eine schwarze Finsternis. Ein Splitter hat seinem Leben – im dreiundzwanzigsten Jahr – ein jähes Ende gesetzt. Unteroffizier Dathe ist tot. Hünerfürst rappelt sich unter den Schuttmassen hervor und starrt auf seinen alten Kameraden. »Hans!« Aber Hans Dathe antwortet nicht mehr. »Brüll nicht so«, kommt die Stimme Hauptmann Finks aus der Dunkelheit. »Der Hans … Unteroffizier Dathe ist tot, Herr Hauptmann!« Fink springt in das halb zugeschüttete Loch und fühlt den Puls seines Fahrers. Dann richtet er sich auf und nimmt seine Feldmütze ab. Betet oder hadert der Hauptmann innerlich? Seine Lippen bleiben geschlossen, aber seine Finger verkrampfen sich 73
ineinander. Erst nach längerem Schweigen sagt er verbissen: »Und keine Totenglocke läutet!« Dafür drischt die amerikanische Artillerie mit verstärkter Wucht auf die flache Kuppe ein, wühlt die gepeinigte Erde wohl zum hundertsten Male um und zerfetzt die letzten Baumstümpfe. »Drei Uhr dreißig.« Oberfeldwebel Brombach starrt auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. »Eigentlich die günstigste Zeit für einen Angriff.« Der Obergefreite am Maschinengewehr setzt gerade das MG auf die Lafette. »Abwarten, es wird früh genug losgehen.« Schlag vier Uhr morgens bricht das Trommelfeuer ab. Tödliche Stille liegt über dem Schlachtfeld. Hauptmann Fink springt auf. »Gruppenweise bis auf die Höhe vorarbeiten!« Müde, zerschlagen und mit brennenden Augen erheben sich die Panzergrenadiere aus ihren Löchern und wanken den Hang hoch. Donnernd springen die Motoren der Panzer und der FlakZugmaschinen an. Die Panzerjäger rollen hinterher. Als Fink mit den ersten beiden Gruppen die Kuppe erreicht hat, sieht er in zweihundert Meter Entfernung den amerikanischen Angriff anlaufen. Die Kanoniere wuchten die 8,8-cm-Geschütze herum, die Spreizlafetten fallen auseinander, und die Verschlüsse fahren klirrend zu. »Feuer!« Mit unheimlichem Knallen eröffnen die schweren Flakgeschütze den Todesreigen des neuen Tages. Die Pantherkanonen brüllen auf, und dazwischen mischt sich das dumpfe Wummern der schweren Granatwerfer. Zuletzt donnern die schweren Feldhaubitzen. Die Granaten schlagen mitten in die Reihen der Angreifer und zwingen sie zu Boden. Die Schreie der Getroffenen hallen über das Feld und werden durch erneute 74
Granatexplosionen zerrissen. Hell schiebt sich die Sonne über den Horizont Sie bescheint Freund und Feind, sie bescheint die Lebenden und die Toten, und sie wird so lange über der Normandie aufgehen, wie die Erde sich dreht. * Generalfeldmarschall Keitel blickt besorgt auf die eingegangenen Meldungen des gestrigen Tages. Er schüttelt den Kopf, denn der Gedanke ist ihm unangenehm, Hitler melden zu müssen, daß es den Amerikanern gelungen ist, bei der Panzerlehrdivision durchzubrechen. Ausgerechnet bei dieser Division, auf die man die größten Hoffnungen gesetzt hatte, und von der Generaloberst Guderian einmal sagte, daß sie allein in der Lage wäre, eine eventuelle Invasion zu vereiteln. Dann sieht sich der Feldmarschall die Meldungen im einzelnen an, und er erfährt von der Größe des Opfers dieser Division. Praktisch existiert sie gar nicht mehr. Keitel erhebt sich und geht schweren Herzens hinüber in die Lagerbaracke. Zehn Minuten später erscheint Hitler. Nervös und übernächtigt. Keitel legt ihm die Meldungen vor. Hitler fährt auf. »Warum hat die Panzerlehrdivision nicht gehalten?« »Sie hat gehalten, der Gegner überrannte nur noch Tote!« Minutenlang herrscht eisige Grabesstille in der Lagerbaracke. Dann sagt jener Mann, der als »Führer« Deutschlands bezeichnet wird, nur ein Wort: »So!« Er steht auf und geht – ein Bein nachziehend – auf die Lagekarte zu, und entfernt mit raschem Griff das eingesteckte Fähnchen, das die Panzerlehrdivision bezeichnet. Das ist der Opfertod von Tausenden tapferen Soldaten wert: Ein Wort: »So«, und ein weggeworfenes Papierfähnchen. 75
* Am 25.7.1944 durchbrachen die Alliierten die deutsche Front. Pattons Panzer stießen nach und stehen am 1.8. mit ihrem rechten Flügel südlich Avranches, während ihr linker Flügel immer noch nördlich Torigny hängt, denn das I. Korps hat bisher nur unbedeutende Geländegewinne erzielt. Patton wartet darauf, daß man ihm einen Gefangenen vorführt. Endlich erscheint der Mann, von zwei Soldaten bewacht. »Nehmen Sie Platz«, sagt der Dolmetscher zu dem deutschen Unteroffizier. »Danke, ich stehe lieber!« »Wie Sie wollen!« Patton mustert den Gefangenen. Er ist groß gewachsen, hat helle Augen und strohblondes Haar. Dann blickt er in das vor ihm liegende Soldbuch des Gefangenen. »Sie gehören zur Panzerlehrdivision?« »Sie haben ja mein Soldbuch!« »Antworten Sie«, sagt der Dolmetscher barsch, aber Patton wehrt ab. »Bitte, so nicht.« Er blickt den Deutschen fast freundlich an. »Warum kämpft ihr eigentlich noch? Wäre es nicht besser, wenn ihr die Waffen niederlegen würdet?« »Ich kann solche Fragen nicht beantworten. Wir haben – genau wie Sie und Ihre Soldaten – einen Eid ablegen müssen. Schon deshalb erübrigt sich eine solche Frage!« »Gut pariert«, gesteht Patton, »aber wir wundern uns immer wieder, daß ihr noch die Kraft findet, euch uns entgegenzustemmen. Wir bombardieren einen ganzen Tag, wir trommeln mit unserer Artillerie eine weitere Nacht, und wenn wir dann angreifen, flackert überall Widerstand auf, und zumeist an den Stellen, an denen wir annehmen möchten, daß dort keine Maus mehr lebt. Aber ihr lebt nicht nur noch, ihr verteidigt euch auch noch mit einer Zähigkeit, die mich in Erstaunen versetzt.« 76
Patton bietet dem Unteroffizier eine Zigarette an. »Danke«, sagt der Gefangene, »kann ich jetzt wieder gehen?« »Moment noch.« Patton kommt um den Tisch herum, hinter dem er bis, jetzt gesessen hatte, und bleibt dicht vor dem gefangenen Deutschen stehen. »Sie haben doch lange keine warme Mahlzeit mehr gehabt, nicht wahr?« »Seit zehn Tagen nicht mehr!« »Kaltes Essen?« »Unregelmäßig!« »Und trotzdem haben Sie standgehalten?« »Wie Sie sehen!« Patton richtet sich auf. »Ich bin davon überzeugt, daß Ihr Vaterland nie in der Lage sein wird, Ihnen und Ihren Kameraden für all diese Opfer zu danken, und das wird sehr bitter für euch Soldaten sein. Behalten Sie den Kopf oben, einmal wird auch wieder Friede sein.« Er wendet sich ab und sagt zum Dolmetscher: »Sie sorgen dafür, daß dieser Soldat heute mit vollständigem Essen aus meiner Küche versorgt wird!« »Yes, Sir!« So war Patton, der »Guderian« der Amerikaner. Der deutsche Unteroffizier grüßt und verläßt mit harten Schritten den Raum. Er läßt einen kopfschüttelnden amerikanischen Panzergeneral zurück, der nachdenklich zu einem seiner Stabsoffiziere meint: »Niemand wird jemals ergründen können, wo der einzelne deutsche Soldat diese Kraft hernimmt, um über sich selbst hinauszuwachsen.« * Am zweiten Geschütz steht der Obergefreite Höhne als Geschützführer. Er steht aufrecht neben der Selbstfahrlafette 77
und leitet – mit an den Augen gepreßtem Fernglas – das Feuer. Er stammt aus Landsberg an der Warthe, ist verheiratet und hat einen kleinen Buben von knapp zwei Jahren. Aber in dieser Stunde hat er keine Zeit, an seinen Sohn zu denken. Jetzt gilt es wieder einmal schneller zu schießen und besser zu treffen als der Gegner, wenn man am Leben bleiben will. Immer wieder leckt eine gelbrote Lohe aus der Mündung der schweren Feldhaubitze und frißt sich mit Donnergetöse in den Stahl der angreifenden amerikanischen Panzer. Aber nicht jeder Schuß bedeutet die Außerkampfsetzung eines getroffenen Panzers. Zumeist feuern deren Kanonen weiter, und das ist bei der Masse der Shermans bitter. Höhne korrigiert nach. Seine Stimme klingt heiser und unwirklich. Er muß laut schreien, damit der Richtkanonier ihn überhaupt versteht. Der Obergefreite Blatz an der Richtmaschine ist dreiundzwanzig Jahre alt. Aber er schießt, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan, als nur eine Haubitze bedient. Jeder Handgriff ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er hat die Zeit in der Oberschule völlig vergessen, manchmal glaubt er, daß er die sorglose Jugendzeit im Elternhaus überhaupt nur geträumt hat. Hier draußen geht der Tod um, der auch Blatz schon mehr als einmal mit seinen kalten Händen gestreift hat. Manchmal schüttelt er sich, als wolle er eine erdrückende Last von seinen schmalen Schultern abwerfen. Für einen Augenblick glaubt er, die Gesichter der Kameraden wieder vor sich zu sehen, die vor einigen Tagen noch mitten unter ihnen weilten, und die nun nicht mehr sind. Die hier Stehenden an den wenigen Geschützen sind noch die ganze Abteilung. So rasch wie die 15-cm-Granaten die Rohre verlassen, so rasch wechseln die Gedanken des Richtkanoniers. Es erscheint ihm, als wenn nach jedem Abschuß die alte Szenerie zerreißt, um einem neuen Erinnerungsbild Platz zu machen. Vor seinem wirklichen Blick aber stehen fahrende, ausbrennende und 78
explodierende Panzer. Bei jedem Abschuß bäumt sich das Panzer-IV-Fahrgestell kurz auf und rüttelt die Kanoniere durcheinander. Eine Woche dauert dieser harte Kampf bereits. Eine Woche schon müssen sie Schritt für Schritt zurückgehen. Nicht, daß sie zurückgeworfen würden, nein, aber der Gegner schiebt sich – wenn er merkt, daß er bei ihnen nicht durchkommt – links und rechts an ihnen vorbei, und dann müssen auch die Reste der Panzerlehrdivision wieder weichen. Höhne blickt zum Geschütz hoch und begegnet dem Blick des Richtkanoniers. Sie brauchen nicht viele Worte zu machen, sie verstehen sich auch so gut genug. Jetzt brüllt Blatz: »Verdammte Sch …!« Höhne versucht zu grinsen, aber es reicht nur zu einer verzerrten Grimasse. Die Angst um das Leben schnürt ihnen alle weiteren Worte ab. Blatz schaut sekundenlang zum Himmel empor und entdeckt zuerst die anfliegenden Jagdbomber. Seine Augen weiten sich vor Entsetzen, und laut stößt er den Warnungsschrei aus: »Jabos! (Jagdbomber).« Die Kanoniere gehen hinter den Schutzschilden der Geschütze in Deckung, und Höhne taucht zwischen die beiden Raupenketten unter die Selbstfahrlafette. Keine Minute zu früh, denn schon stoßen die Jabos herunter, und ihre Bordwaffen hämmern auf die deutschen Stellungen ein. Das Stakkato der Bordwaffen reißt mit übermächtiger Gewalt an den Nerven der Soldaten. Ihre Hände krallen sich an Stahl und in die Erde fest, aber vielen von ihnen nutzt diese Deckung nichts mehr. Tödlich getroffen sinken sie zur Seite. Beim zweiten Geschütz explodieren Kartuschen, und im Nu steht das ganze Geschütz in dunkle Explosionswolken gehüllt. Grelle Stichflammen schießen hoch, und Splitter surren fauchend umher. Nur zehn Minuten dauert der Jabo-Angriff, aber er hat der Kampfgruppe mehr als zwanzig Tote gekostet. 79
Zwei Fla-Geschütze stehen mit merkwürdig verbogenen Rohren da. Sie werden nie mehr feuern können, denn ihre Bedienungsmannschaften sind gefallen, und die Kanonen selbst sind zerstört. Schwer atmend schiebt sich der Obergefreite Höhne unter seinem Geschütz wieder hervor. Sanitäter hasten an ihm vorbei, und die helle Stimme des Kommandeurs reißt ihn in die Wirklichkeit zurück: »Einzeln weiterfeuern!« Es bleibt keine Zeit zu langen Überlegungen, und es bleibt erst recht keine Zeit zur Trauer um die gefallenen Kameraden. Der Kampf nimmt seinen Fortgang, und dumpf rollt der Donner der Geschütze über die Front. Vorn am Fuß des flachen Hügels sind die Shermans stehengeblieben und schicken ihre ehernen Grüße zur Kuppe empor. Die Grenadiere können nicht wagen, ihre Köpfe über die Deckungen zu nehmen, denn kaum eine Handbreit über die Panzerdeckungslöcher hinweg fegen die Panzergranaten und zerspringen kreischend zwischen den zerfetzten Bäumen, die immer weniger Sichtdeckung bieten. Irgendwann müßten doch auch Hauptmann Oventrop die Nerven versagen, denken die Landser, die unweit von ihm in ihren Deckungen liegen und auf den hochgewachsenen Offizier starren. Aber Julius Oventrop scheint keine Nerven mehr zu besitzen. Breitbeinig steht er neben einem seiner Jagdpanzer und beobachtet ruhig die Bewegungen der amerikanischen Kolosse. Auch in diesem fürchterlichen Durcheinander trägt Hauptmann Oventrop nur seine weiche Feldmütze. Oskar, der Panzergrenadierunteroffizier vom Regiment 901, der den Hauptmann schon von der Lehrbrigade her kennt, läuft auf Oventrop zu und wirft sich neben ihn zu Boden. Er keucht: »Sie sollten etwas vorsichtiger sein, Herr Hauptmann!« Oventrop blickt ihn kurz an. »Oskar, altes Haus, du hältst am 80
besten deinen Schnabel, ich verstehe dich doch nicht.« Ein merkwürdiges Vertrauensverhältnis verbindet diese beiden Männer. Oventrop war Ordonnanzoffizier in der Winterschlacht vor Moskau bei der Kampfgruppe 900 und Oskar war Meldeunteroffizier. Deswegen kann er es sich erlauben, an seine Stirn zu tippen. Oventrop schaut ihn an und nickt, als wolle er sagen: ›Eigentlich hast du ja recht, aber warum soll ich mich schonen, wenn auch meine Leute kämpfen müssen?‹ Rasch bückt sich der Hauptmann, legt seine Hand auf die Schulter des Unteroffiziers und brüllt: »Danke, Oskar, aber nun hau wieder ab!« Oskar nickt und verschwindet. Oventrop klettert in seinen Panzer und drückt den Richtschützen zur Seite. Und dann schießt Hauptmann Oventrop mit der Präzision eines Uhrwerkes. Seine Granaten sitzen mit Sicherheit immer mitten im Ziel. Erschrocken stellt er nach einer halben Stunde fest, daß er sich fast völlig verschossen hat. Aber mit Munitionsnachschub ist erst in der Nacht zu rechnen. Durch Funk fragt er den anderen Jagdpanzer sowie die Pantherkommandanten, wie bei ihnen die Munitionslage aussähe. Die Antworten sind mehr als entmutigend. Oventrop setzt einen Funkspruch an den Divisionskommandeur ab und schildert kurz die Gesamtlage. Nach zehn Minuten trifft die Antwort ein. »Handeln nach eigenem Ermessen!« Oventrop geht zu Hauptmann Fink, sie ziehen auch den Artilleriemajor zu Rate und kommen doch zu keinem Schluß, denn Fink erklärt: »Es ist unmöglich, jetzt zurückzugehen. Wir hätten im gleichen Augenblick die Jabos auf dem Hals und würden restlos zusammengeschlagen sein, ehe wir auch nur drei Kilometer zurückgelegt hätten.« »Stimmt«, sagt Oventrop in seiner ruhigen Art, »aber dann bleibt uns nur noch ein Weg offen!« »Und der wäre?« 81
»Wir sprengen unsere Waffen und marschieren geschlossen in die Gefangenschaft.« Dabei blickt Oventrop seinen Kameraden gerade ins Gesicht. »Es ist schon zu viel unnötiges Blut vergossen worden.« »Ist das Ihre wahre Meinung?« fragt Fink. »Ich habe aus meinem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht!« Hauptmann Oventrop zuckt mit den Schultern, es wirkt irgendwie resignierend und hilflos. Jeder, der ihn kennt, weiß, daß er zutiefst Sorge um seine Männer hat. * General Patton, der Befehlshaber der 3. US-Panzerarmee, dem das VII., das XV. und das XX. Korps unterstellt sind, entschließt sich, seine Verbände an den Resten der Panzerlehrdivision vorbeizuschieben. Dann ist das Schicksal dieser deutschen Kampfgruppe entschieden. Aufrecht, wie Patton nun einmal ist, erkennt er die Leistungen dieser deutschen Soldaten bedingungslos an, und er wünscht sie so rasch wie möglich als Gefangene nach Norden marschieren zu sehen. Kurz entschlossen erteilt er die notwendigen Befehle, zieht seine Panzerbataillone von der Front der Deutschen zurück, gruppiert um und läßt seine Regimenter seitlich an der deutschen Kampfgruppe vorbeistoßen. Den GI’s in den Panzern und Schützenpanzern, auf den Artilleriezugmaschinen, Jeeps und mot. Pionierfahrzeugen sitzt ebenfalls die Angst im Nacken. Es ist ein unschönes Gefühl, hinter sich nun eine kampferprobte und bewährte Feindeinheit zu wissen, die sich zäh verteidigte und tapfer kämpfte. Sergeant McKingley hockt verbissen hinter seiner ShermanKanone und sieht zu Staff-Sergeant Muller hoch, der ebenso reglos aus dem offenen Turmluk starrt. »He – old boy, was ist dir?« 82
»Nichts!« »Du machst solch deprimierten Eindruck?« »Schau in den Spiegel, dann weißt du, wie du ausschaust!« »Hm, mir gefällt es gar nicht, daß wir die ›Krauts‹* in unserem Rücken stehenlassen müssen.« »Sie werden uns nicht fressen, McKingley.« »Meinst du? Na, du mußt ja deine alten Landsleute besser kennen als ich, bist ja in Old Germany geboren.« »Quatsch nicht so viel!« »Oho, man darf doch wohl noch etwas sagen, oder nicht?« Muller zieht es vor zu schweigen. Seine Augen gleiten über den Heckenstreifen, der halblinks vor ihnen liegt. Er glaubt dort drüben Bewegung gesehen zu haben und will gerade die Sprechtaste drücken, um seinem Chef davon Mitteilung zu machen, als es in der Hecke aufblitzt. Rasch läßt Muller sich fallen und zieht das Turmluk hinter sich zu, aber schon haut es mit elementarer Gewalt gegen die Stirnpanzerung seines Shermans. Feurige Sterne tanzen vor den Sehschlitzen, aber es scheint kein wichtiger Teil getroffen worden zu sein, denn der Panzer schiebt sich langsam weiter. Aber dann bricht die Hölle los, Abschüsse, Einschläge, Abpraller und Treffer vermischen sich zum Toben der wieder entbrennenden Schlacht. Muller beißt sich auf die Lippen. Er spürt den warmen Geschmack des eigenen Blutes. Seine Augen suchen ein Mündungsfeuer, und dann hat er es entdeckt. Rasch schwenkt sein Turm ein, und jaulend verläßt die erste Granate das Rohr. Mit fieberhafter Geschäftigkeit arbeiten seine beiden Kanoniere. Muller feuert unaufhörlich weiter in die Hecke hinein. McKingley schreit auf, denn drüben hinter der Hecke fliegt ein Rad und Teile einer Lafette in die Luft. Grelle Flammenbündel zucken hoch, denn anscheinend explodiert dort die deutsche Pakmunition, die in Bereitschaft lag. Ohne es zu wissen, sind Pattons Panzer auf die Sicherungen *
US-Soldatenjargon für die Deutschen
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der 116. deutschen Panzerdivision gestoßen, die ihnen jetzt den weiteren Weg versperren wollen. Rechts von Mullers Panzer kurvt der Sherman des Captain Carter wild im Gelände umher, denn eine Pakgranate hat die linke Kette des Chefwagens zerrissen. Jetzt zeigt Carters Wagen den Deutschen das leichter zu verwundende Heck, und die nächsten Panzerabwehrgranaten fetzen den Sherman auseinander. »Verdammt!« knurrt Muller unwillkürlich auf deutsch. Immer, wenn er erregt ist, verfällt er in seine Muttersprache. Dies soll das letzte Wort in seinem Leben gewesen sein, das letzte Wort, ein Fluch in deutscher Sprache. Denn plötzlich sieht Muller eine feurige Lohe vor sich aufsteigen, er fühlt noch das Schwanken des Panzers, und dann wird es ewige Nacht um ihn. Ein unruhiges Herz, hin und her gerissen zwischen Pflicht und Liebe zur alten Heimat, findet endlich Ruhe und Erlösung. * Die wenigen stehengebliebenen Bäume stehen drohend im Dunkel der Nacht. Nur von Zeit zu Zeit steigt im weiten Bogen der zerrissenen Front eine Leuchtkugel hoch und ergießt ihre strahlende Helligkeit über das gepeinigte Land. Trotzdem ein kühler Wind – von Norden, dort, wo das Meer liegt – weht, schwitzen die Panzergrenadiere. Sie verlassen ihre Stellungen und sitzen auf ihren Fahrzeugen auf. Eben ist der Befehl durchgegeben worden, sich abzusetzen und sich, wenn notwendig, nach hinten durchzuschlagen. Die wenigen Panzer und Jagdpanzer bilden mit ihren kargen Munitionsbeständen die Spitze. Dann folgen Grenadiere, Artillerie und zum Schluß wieder eine schwache Kompanie Panzergrenadiere mit einem Panzer IV als Schlußsicherung. Sie biegen nach Südosten ab und fahren kettenklirrend 84
querfeldein. Einmal blitzt es an der Spitze auf, und das Echo des Abschusses rollt durch die Nacht. Dann ist es wieder ruhig, bis auf das Stampfen der Motoren und das Rasseln der Ketten. Hauptmann Fink sitzt auf dem Rand eines Schützenpanzerwagens und versucht mit seinem schweren Nachtglas die Dunkelheit zu durchdringen. Aber die Konturen der Nacht geben das Bild der Landschaft nur verschwommen wieder. Die Nerven des Kommandeurs sind auf das Äußerste angespannt. Immer wieder reicht ihm der Funker einen Spruch der Division, den er beim Schein einer rot abgeblendeten Taschenlampe nur mühsam entziffern kann. Der letzte Spruch besagt, daß die kümmerlichen Reste der Panzerlehrdivision herausgezogen werden, um im Raum südlich Domfront notdürftig aufgefrischt zu werden. In dieser Stunde ist es nur ein schwacher Trost für die Männer, wähnen sie sich doch alle schon weit hinter der amerikanischen Front. Daß die Amerikaner nur sehr zögernd nachstoßen und im übrigen bereits wieder durch Einheiten der 116. Panzerdivision aufgehalten werden, kann Hauptmann Fink nicht wissen. Er blickt nach Westen, dort, wo sich der Himmel blutrot gefärbt hat. Einige Male lodern helle Flammen über ein Waldstück empor. Anscheinend brennt dort ein französisches Dorf. Fink preßt die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er verspürt auf einmal grenzenlose Leere in sich. Es ist eine tiefe Müdigkeit in ihm, die auch kein erfrischender Schlaf beseitigen könnte. Innerlich ist er vollkommen leer, ausgehöhlt und ausgebrannt. Polternd rollen die Panther über eine hartgepflasterte Straße, schieben sich an Häusern vorbei, die sich hinter hohen Büschen und Bäumen ducken. Wenn sich die Offiziere nicht getäuscht haben, müssen sie jetzt Vire erreicht haben. Die gepanzerten Wagen rumpeln weiter. Keine Menschenseele ist zu sehen, kein einziges Licht schimmert durch die Läden der dunklen Häuser. Nur der Lärm der 85
gepanzerten Kolonne bricht sich an den Häusern. Plötzlich gibt es eine Stockung. Mitten auf einem freien Platz steht ein brennendes, deutsches Beiwagenkrad. Der Kradfahrer im langen Gummimantel liegt zwei Meter neben seiner brennenden Maschine am Boden, gespenstisch von den Flammen beleuchtet. Hauptmann Oventrop springt aus seinem Schützenpanzerwagen. Einige Landser eilen ihm zu Hilfe. Sie drehen den Soldaten auf den Rücken und sehen auf einen Blick, daß er tot ist. Aber daß er erst vor wenigen Minuten gestorben sein kann, versetzt den Hauptmann in Verwunderung. Er richtet sich auf. »Die diesen Kameraden erschossen haben, können noch nicht weit sein. Erhöhte Aufmerksamkeit ist notwendig.« Oventrop hat gerade das letzte Wort ausgesprochen, als ein wüstes Feuer einsetzt. Aus fast jedem Fenster, jeder Tür und von jedem Dach schlägt den Deutschen ein wildes Gewehrfeuer entgegen. Die Soldaten schwingen sich blitzartig wieder in ihre Wagen, und stampfend und dröhnend setzt sich die Kolonne wieder in Bewegung. Die Maschinengewehre feuern in die Fenster und streichen die Dächer ab. Schrille Schreie ertönen und gehen unter in den Abschüssen und Einschlägen der Panzerkanonen. Keiner der Deutschen weiß, wer auf sie schießt. Ist es durchgebrochene amerikanische Infanterie oder sind es französische Widerstandskämpfer? Aber Hauptmann Fink ist entschlossen, seine Kampfgruppe um jeden Preis zurückzuführen. Vorn fährt Hauptmann Oventrop mitten durch ein zweistöckiges Haus, das polternd über seinem Jagdpanzer zusammenbricht. Dann schieben sich die Spitzenpanther gegen eine Straßensperre vor, und das Dröhnen ihrer Abschüsse läßt die in der Nähe befindlichen Fensterscheiben zerspringen. Die Sperre gibt unter dem Druck der schweren Kampfwagen nach, und die Schützenpanzer können passieren. 86
Einige Häuser beginnen lichterloh zu brennen. Menschen laufen über die Straßen und brechen unter dem Hämmern der deutschen Maschinengewehre zusammen. »Weiter!« Jetzt gilt es, das eigene Leben zu retten. Handgranaten torkeln – aus den Schützenpanzerwagen geworfen – auf die Straße und zerplatzen berstend, kollern in dunkle, geöffnete Fenster, und ihre Explosionsblitze lassen die Schatten der Menschen in den Zimmern für den Bruchteil einer Sekunde deutlich werden. Mit Vollgas rattern die Fahrzeuge durch die Nacht. Manchen der deutschen Soldaten trifft es. Besonders die Flakkanoniere auf ihren schweren, ungepanzerten Zugmaschinen erleiden bittere Ausfälle. Aber dann hat die Marschkolonne den Ort hinter sich gelassen, und das Feuer ebbt ab. Nur noch die knisternden Flammen fressen sich gierig in das Gebälk der alten Häuser. Mehrere Kilometer außerhalb der Stadt läßt Fink die Kolonne anhalten. Die Verwundeten müssen dringend versorgt werden. Manche sterben dem Arzt unter den Händen, und verzweifelt schüttelt der Doktor immer wieder den Kopf, wenn er nichts anderes mehr tun kann, als einem der Männer die Augen zuzudrücken. »›Du sollst nicht töten‹, steht in der Heiligen Schrift geschrieben«, keucht der Sanitätsfeldwebel. »Das Weltgewissen schweigt immer, wenn die Politik versagt hat und die Staatsmänner der Welt zum Kampf und Schießen aufrufen.« Es ist der Oberarzt, der diese Worte in die Nacht hinausschreit. In eine Nacht, die stumm ist und kein Gehör hat. Am weiten Himmel stehen die Sterne in funkelnder Pracht und schauen auf das sinnlose Werk menschlichen Zerstörungsund Vernichtungswillens herab.
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Südlich Domfront, etwa sechzig Kilometer östlich Mortain, sammeln sich die Reste der Panzerlehrdivision. Generalleutnant Bayerlein ist erschüttert, erkennt er doch jetzt erst richtig die hohen blutigen Verluste seiner Division. Gewiß werden viele verwundet und auch unverwundet in amerikanische Gefangenschaft geraten sein, aber dies bedeutet nur einen schwachen und ungewissen Trost. Immer wieder gleitet sein Blick über die endgültigen Stärkemeldungen seiner Regimenter, Bataillone und Kompanien hinweg. Ein Torso ist ihm geblieben, weiter nichts. Die Kompanien sind damit beschäftigt, das Schicksal ihrer Soldaten aufzuklären, aber nur in den wenigsten Fällen gelingt es, Klarheit zu schaffen. Hunderte, nein Tausende von Briefen mit inhaltsschweren Sätzen werden in die Heimat gesandt. Immer wieder wird das Wort »Vermißt« oder »Gefallen« in den Briefen stehen. Die Hände, die diese Worte schreiben, beginnen zu zittern. Viele Tote sind mit zurückgebracht worden, und große Massengräber werden ausgehoben, um die gefallenen Kameraden aufzunehmen. Hohe Birkenkreuze ragen in den strahlenden Sommerhimmel, mahnend und anklagend. Doch wird die Menschheit daraus lernen? Wird man für alle Zeiten einen Schlußstrich ziehen unter dieses sinnlose Völkermorden? Stumm umstehen die Panzergrenadiere die Gräber. Pfarrer sprechen tröstende Worte. Gebete werden gemurmelt, und Ehrensalven fegen in den blauen Himmel. Dann poltern Erdschollen in die Gruben, und Hügel wachsen empor. Namen – in endloser Reihe – stehen auf den Birkenkreuzen und künden von dem Sterben deutscher Soldaten, die mitten aus ihrem Leben gerissen wurden, weil es so befohlen worden war. Wortlos gehen die Männer nach den Bestattungsfeierlichkeiten auseinander und suchen ihre Quartiere auf. Französische Bauern schauen diese grauen und schwarzen Soldaten an, sie wundern sich über die Haltung dieser Männer, die aus der 88
großen Schlacht kommen, die den Bomben, Granaten und MGGarben noch einmal entkamen, und die nicht wissen, wie lange man ihnen jetzt eine Gnadenfrist eingeräumt hat. Die aber trotzdem ihre Köpfe hochhalten und nicht verzagen und jammern. Unteroffizier Friedag liegt im Schatten eines Apfelbaumes und starrt zum Himmel empor, an dem einige amerikanische Jagdbomber ihre suchenden Kreise ziehen. Dann wendet er seine Aufmerksamkeit einer geschäftig hin und her summenden Biene zu, die eifrig von Blüte zu Blüte fliegt. Er denkt: »Wie lange wird es wohl noch dauern, bis auch dieses friedliche Fleckchen Erde vom Krieg zerstampft wird?« Er hört das fröhliche Lachen einiger französischer Mädchen, die im nahen Flüßchen baden, und er hört auch die harten Worte eines Mannes, der sie an die Nähe der deutschen Soldaten erinnert. »Als wenn wir wirklich Barbaren wären«, murmelt Friedag, der jedes Wort verstanden hat, vor sich hin. Langsam erhebt er sich und starrt hinüber zu den badenden Mädchen. Alles atmet Ruhe und Zufriedenheit, alles strahlt Sicherheit und Lebensfreude aus, und dennoch steht der Tod nicht mehr weit entfernt. Ganz schwach ist das Rumoren der Front zu hören, es scheint an die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens zu mahnen. Friedag schiebt beide Hände in die Taschen seiner grauen Panzerüberfallhose und geht langsam ins Dorf zurück. Die kleine Kirche mit ihrem stumpfen Turmdach grüßt freundlich herüber, und wie von innerlichem Zwange vorwärts getrieben, geht Friedag auf die Kirche zu und betritt sie. Wohltuende Kühle empfängt ihn. Das Halbdunkel des Kirchenschiffes zwingt ihn zum Verweilen, bis sich seine Augen an das dämmrige Dunkel gewöhnt haben. Einige Zivilisten knien hinter den Bänken und beten. Seine benagelten 89
Schuhe dröhnen auf den Steinquadern des Bodens, und dann entdeckt der Unteroffizier die Orgel auf der Empore. Er steigt die Treppe hoch, und seine Blicke gleiten über die Tasten. Ein Mann in schwarzem Rock blickt ihm entgegen. Friedag deutet auf den Blasebalg, und der Mann nickt wortlos. Wie lange ist es her, daß ich nicht mehr an einer Orgel saß? denkt Friedag, und seine Hände gleiten suchend über die abgegriffenen Tasten. Leise und unendlich zart quellen die ersten Töne hervor, geistern durch das Kirchenschiff und tönen lauter wieder zurück. Aber noch bilden diese Töne keine Melodie, es hört sich an, als suche sich dieser Mann erst aus der jüngsten Vergangenheit zu lösen. Doch dann kommen die Töne perlend und klar aus dem alten Instrument hervor: »So nimm denn meine Hände, und führe mich …« Die Franzosen unten in der Kirche heben ihre Köpfe, drehen sie langsam nach oben. Sie sind erstaunt, daß dort ein deutscher Soldat sitzt, ein Mann mit den Totenkopfabzeichen der Panzerwaffe auf dem breiten, offenen Kragen. Und Friedag spielt weiter, er spielt über sich selbst hinaus, er vergißt die Zeit und den Raum. »Über allen Wipfeln ist Ruh’…« Hauptmann Fink geht an der Kirche vorbei, hört den Klang der alten bekannten Melodie und betritt die Kirche. Unter der Empore lehnt er sich an einen eichenen Stützbalken und lauscht. Andere Soldaten kommen. Auch Bauern mit blauen, groben Leinenkitteln und abgewetzten Hosen. Und Frauen und Kinder. Immer weiter dröhnt die Orgel, die schon Generationen überdauert hat, und die hier, unter der Hand eines Frontsoldaten, ihre größte Stunde erlebt. Denn ein Meister läßt sie erklingen. Die letzten Töne verrinnen wie das Wasser bei Ebbe am Meeresstrand. Aber in den Herzen der Menschen klingen diese Melodien nach, rufen die Sehnsucht nach Ruhe und ewigem 90
Frieden in ihnen wach. Als Friedag die Treppe heruntertrappt, machen ihm alle Platz. Hauptmann Fink beobachtet ihn aus den Augenwinkeln und hält ihn an. »Friedag?« Der Unteroffmer scheint erst jetzt in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sein Lächeln wirkt irgendwie hilflos. »Herr Hauptmann?« »Warum haben Sie das getan?« »Gespielt?« »Ja.« »Ich weiß es nicht – es wäre besser gewesen, ich hätte es nicht getan. Es ist nicht gut, wenn man in seiner Seele Saiten anschlägt, die längst verklungen sind, Herr Hauptmann!« Fink tritt mit Friedag hinaus in die Sonne. »Trotzdem ist es gut, daß man noch nicht ganz vergessen hat, Mensch zu sein.« Friedag deutet auf eine Sanitätswagenkolonne, die eben durch den Ort rollt und sagt: »Auch das ist eine Antwort, Herr Hauptmann!« Fink hat diesen Satz nicht verstanden. Kopfschüttelnd wendet er sich ab und geht mit steifen Schritten die Dorfstraße hinunter. Oskar schiebt seine Hand unter Justus Friedags Arm. »Menschenskind, wie du spielen kannst!« »Man muß dazu aufgelegt sein. Man muß sich von allem lösen können, was hinter einem liegt, nur dann kann man so spielen.« Schweigend gehen sie ihrer Unterkunft zu. Ihr Quartierherr, ein pensionierter französischer Seeoffizier, blickt den Unteroffizier nachdenklich an. Dann sagt er in ziemlich einwandfreiem Deutsch: »Ich habe Ihr Spiel gehört, mein Herr. Auch wenn ich kein Freund der Deutschen bin, so muß ich sagen, daß ich Ihre seelische Kraft bewundere, denn Sie müssen doch Schweres hinter sich haben. Sie und Ihre Kameraden?« »Es hat uns allen gereicht. Und es ist fast ein Wunder, daß 91
wir überhaupt noch atmen dürfen. Aber wozu darüber reden. Jetzt ist die Zeit dafür noch nicht reif. Vielleicht später einmal. Ja bestimmt, der Generation, die nach uns kommt, der sollte man von diesem großen Sterben erzählen, ihnen sagen, wie ihre Väter und Brüder gefallen sind. Sie mahnen, solchen Krieg für alle Zukunft abzulehnen.« Friedag schweigt eine kurze Weile, ehe er weiterspricht: »Aber vielleicht wird dann die Dummheit der Menschheit wieder so groß geworden sein, daß sie alles Leid vergessen hat« »Ihr Deutschen habt diesen Krieg begonnen.« Friedag tippt auf seine Brust. »Ich etwa? Nein, kein einfacher Mann in Deutschland wollte ihn. Die Generation, die den Ersten Weltkrieg mit all seinen Schrecken durchgemacht hat, lebt ja noch. Aber das Gesetz befahl – was blieb uns übrig? Jetzt hoffen meine Kameraden und ich nur noch, dieser Hölle einmal entrinnen zu können. Aber vielleicht ist es schon zu spät dazu.« Er schaut auf die Uhr, die auf dem Kaminsims tickt. * »Und ich befehle den Angriff auf Mortain-Avranches. Es muß gelingen, wieder bis zur Küste durchzustoßen!« Hart stehen diese Worte in dem Raum der Baracke des Führerhauptquartiers. Der sie nervös ausstößt, ist niemand anders als Hitler, der noch immer im Wahn seines Feldherrntums lebt, und glaubt, die Alliierten wieder vom Kontinent vertreiben zu können. Jeden sachlichen Einwand seines Generalstabschefs fegt er bedenkenlos beiseite. Sein Gesicht zuckt und läuft blau an. »Ich verbitte mir Ihre Kritik!« Der Generaloberst schweigt betroffen, und Generalfeldmarschall Keitel tritt unruhig von einem Bein auf das andere. »Die Divisionen, die zu diesem Angriff befohlen werden«, 92
der Generaloberst holt tief Luft, »bestehen nur noch zu einem Drittel. Wir operieren hier mit Divisionen, die nur noch den Kampfwert von Bataillonen besitzen. Die Sprit- sowie die Munitionslage ist katastrophal, die Nachschublinien zerbombt, die Brücken gesprengt und …« »Schweigen Sie, Herr Generaloberst«, sagt Hitler scharf, dreht sich herum und hinkt aus dem Raum. Der Generalstabschef des deutschen Heeres weiß, daß dies wieder den sicheren Tod von Tausenden braver Soldaten bedeutet. Ist wirklich niemand mehr da, der dieser Wahnsinnsherrschaft ein Ende bereitet? Die Operationsabteilung arbeitet – weit weg vom Ort des tatsächlichen Geschehens – den Angriffsplan aus. Die Kurieroffiziere werden in Marsch gesetzt, und ein Funkspruch jagt den anderen. Kopfschüttelnd vernehmen die Korps- und Divisionskommandeure diesen ungeheuerlichen Befehl, der die Reste ihrer Divisionen noch einmal zum Angriff vorwärts treiben soll. * Auch Generalleutnant Bayerlein kann diesen Befehl nicht begreifen. Er weiß, daß damit die letzte Stunde für seine zusammengeschrumpfte Division angebrochen ist. Kaufmann, der Ia der Lehrdivision, faßt sich an den Kopf. »So etwas kann doch nur im Gehirn eines Wahnsinnigen entstehen!« »Nicht so laut, Kaufmann«, mahnt Bayerlein und läßt sich schwer auf einen Stuhl fallen. »So ist es immer«, murmelt der Ia, »wir haben zu lange geschwiegen und zugeschaut. Ich glaube, jetzt ist es wirklich zu spät.« Bayerlein sieht seine Hände an und beginnt zu sprechen: »Ich hatte für die Division schon den Herauslösebefehl in 93
der Tasche und wollte mich beim Oberbefehlshaber West gerade abmelden. Aber der Generalfeldmarschall erklärte nur ganz kurz, daß die Division in Frontnähe aufgefüllt werden solle, so, wie er es von Rußland her gewöhnt ist. Ich konnte nichts daran ändern und mußte wieder gehen. Als wenn man den Kampf im Westen in irgendeiner Form mit Rußland vergleichen kann. Hier herrschen doch ganz andere Bedingungen.« Sein Finger gleitet über die Karte. »Hier, westlich von Nogent le Rotrou, verläuft jetzt die Front. In dieser Stadt befand sich unser Divisionsgefechtsstand vor der Invasion. Jetzt stehen wir wieder hier, und zwar geschlagen. Wer hätte das gedacht, Kaufmann?« »Ja, wer hätte das gedacht«, wiederholt der Oberstleutnant im Generalstab, Kaufmann. »Das Regiment 901 hat jetzt eine Grabenstärke von zweihundertsiebzig Mann, das Regiment 902 eine solche von dreihundertvierzig Mann. Die Artillerie besitzt noch sechs Geschütze, denn zwei konnten neu zugeführt werden. Die schwere Flak hat noch drei Kanonen, die Panzerjäger vier Geschütze, so geht es weiter. Wir sind ein kümmerlicher Haufen geworden, und in diesem idiotischen Befehl, denn anders kann ich ihn nicht bezeichnen, steht: Die Panzerlehrdivision greift an und so weiter und so fort. Die Panzerlehrdivision hat dabei längst aufgehört, als Divisionsverband zu bestehen. Der ›größte Feldherr aller Zeiten‹ sollte sich einmal unsere Friedhöfe ansehen, dann wüßte er, wo sich die Panzerlehrdivision jetzt befindet.« »Kaufmann, nicht aufregen, es hat wirklich keinen Zweck.« Major Wrede schiebt die Mütze ins Genick. »Einmal möchte ich ungestraft meine Meinung sagen dürfen. Allen denen, die fern vom Schuß sitzen und mit uns Krieg spielen. Die dabei keine Ahnung haben, die die Wirklichkeit der Front nur von schöngefärbten Berichten her kennen. Die vom Heldentod für das Vaterland faseln, ohne jemals vorn gestanden zu haben.« 94
»Nicht so hart, Wrede«, mahnt der General. »Ist es etwa nicht die Wahrheit, Herr General?« »Doch!« Mehr sagt Generalleutnant Bayerlein nicht. Er stülpt seine Feldmütze auf den Kopf und verläßt den Raum. Er setzt sich in seinen Wagen und fährt zu seinen Regimentern. Überall dort, wo er auftaucht, vermißt er so manches altvertraute Gesicht. Aber er wagt gar nicht, nach den einzelnen zu fragen, denn die Antworten kann er schon nicht mehr hören. Aber an den Gesichtern der wenigen Überlebenden kann er das ganze furchtbare Erleben ablesen. Beim Panzergrenadier-Lehrregiment 901 ist gerade Ersatz eingetroffen. Vierhundert Soldaten, aus den Lazaretten und Genesungskompanien zusammengekratzt. Uralte Obergefreite mit vielen Orden und Abzeichen neben blutjungen Soldaten, die kaum acht Wochen lang in der Uniform stecken. Wo ist der alte Grundsatz geblieben, daß nur die besten Soldaten aller deutschen Einheiten zu den Lehrregimentern versetzt werden? Bayerlein wagt nicht weiterzudenken, denken ist sinnlos wie überhaupt alles, insbesondere die Weiterführung dieses mordenden Kriegs. Drüben vor der Schule werden die Neuangekommenen auf die beiden Bataillone und anschließend auf die einzelnen Kompanien verteilt. Neue Maschinengewehre werden auf dem Schulhof entladen, und der Divisionskommandeur weiß, daß der Tag, wo sie wieder antreten müssen, nicht mehr fern ist. Antreten zum Sterben, denn die Chance zu überleben ist verdammt gering geworden. Auch für Divisionsgenerale und auch Korps-, sogar Armeeführer. Aber das sind blitzschnelle Gedanken. Sie kommen und gehen innerhalb weniger Sekunden. Es ist gut, daß man sich noch in der Gewalt hält und nicht alles lautwerden läßt. Ehe Generalleutnant Bayerlein diesen Ort verläßt, geht er allein hinüber zu dem Friedhof, wo die Toten des Lehrregiments 901 zur ewigen Ruhe gebettet wurden. Lange 95
steht er mit entblößtem Kopf zu Füßen der Gräber. Niemand kann in diesen Minuten die Gedanken dieses Mannes lesen, der General und Divisionskommandeur ist, der einst Rommels Stabschef in Afrika war, der vom Gegner gefürchtet und von seinen eigenen Soldaten verehrt wird. Doch es ist gut so. Vielleicht würde sich mancher über die Gedanken eines so hoch dekorierten Generals wundern. * Hitler hat am 30. Juli 1944 den Bericht des Generalfeldmarschalls von Kluge erhalten und entschließt sich daraufhin, den General Walter Warlimont an die Westfront als seinen persönlichen Beauftragten zu entsenden. Gleichzeitig stellt er dem Oberbefehlshaber West frei, mit dem Abzug der Infanteriedivisionen aus dem Pas de Calais zu beginnen. Erst jetzt hat er begriffen, daß die Gefahr einer zweiten Invasion im Raum Calais – Dünkirchen nicht mehr gegeben ist. Warlimont entledigt sich seines Auftrages, und der General der Panzertruppen Hans Eberbach wird mit der Durchführung des Gegenangriffes auf Mortain beauftragt. Rechts der Panzergruppe Eberbach, die durch sechs Panzerdivisionen gebildet wird, steht die 7. Armee unter Generaloberst Paul Hauser, während die Caen-Front immer noch durch die neuaufgestellte 5. Panzerarmee unter Generaloberst Sepp Dietrich gehalten wird. General der Panzertruppen Eberbach bekommt ganze 400 Panzer zusammen, mit denen er den Stoß auf Mortain und nach Möglichkeit auf Avranches gegen die durchgebrochenen Amerikaner führen soll. Jeder weiß, daß dies unmöglich sein wird, wird doch der Gegner bestimmt die drei-, wenn nicht vierfache Zahl an Panzern in die Schlacht werfen können. Eberbach weiß, daß er Unmögliches von den ihm unterstellten Verbänden verlangen muß, und er gibt sich über den Ausgang dieser Offensive auch keinerlei großen Hoffnungen hin. 96
So kommt der Morgen des 7. August 1944 herauf. Strahlend hell wächst die Sonne über dem Horizont hoch. »Jabowetter!« fluchen die Landser, als sie ihre Waffen aufnehmen und zum Gegenangriff antreten. Den Stoß im Zentrum führt die 2. Panzerdivision unter General von Lüttwitz. Ihr Nachbar zur linken Seite ist die 116. Panzerdivision. General Lüttwitz stößt im ersten Angriffsschwung 16 Kilometer tief in die amerikanischen Linien und verliert dabei nur drei seiner Panzer. Aber dann kommen die Jagdbomber herabgestoßen, und am 9. August steht von Lüttwitz wieder an der Stelle, von der er aus angetreten ist. 30 Panzer und 800 Soldaten liegen auf dem Schlachtfeld vor Mortain. Etwas tiefer, hinter der 116. Panzerdivision gestaffelt, kämpfen die Reste der Panzerlehrdivision. Nur mühsam kommen sie durch Hohlwege und auf den heckenumsäumten Straßen vorwärts. Hauptmann Oventrop schießt am 7. August vierzehn ShermanPanzer ab und öffnet der nachfolgenden Begleitinfanterie eine Gasse. Hart dröhnen die Abschüsse über das Feld. Heeresartillerie schießt mit guter Trefferwirkung auf die gegnerischen Stellungen, zerschlägt Reserven und belegt Panzerbereitstellungsräume. Oberfeldwebel Brombach geht – mit entsicherter Maschinenpistole – vor den Männern seiner Kompanie. Feindliche Maschinengewehre streuen das Gelände ab, zerfetzen die Hecken und streichen über die Erdwälle, die Felder, Straßen und Wege nach allen Seiten begrenzen. »Weiter, Männer, vorwärts!« Ohne zu murren, wird Hecke um Hecke freigekämpft. Die Reihen der 7. Kompanie beginnen sich wieder bedrohlich zu lichten. Und dann kommen die Jabos. Ganze Schwärme stoßen 97
vom Himmel herab, stürzen sich auf jeden einzelnen Soldaten, zerhämmern die Artilleriestellungen und ziehen heulend über die Panzerspitzen weg. Qualm, Feuer und explodierende Granaten verdunkeln den strahlenden Sommerhimmel. Verwundete stöhnen, und Maschinengewehre spucken ihre tödlichen Garben über die Felder. Aber noch ist der Angriffsschwung der Deutschen nicht gebrochen. Erst gegen Mittag beginnt der Angriff zu stocken. »Eingraben!« Die Schanzzeuge klappern. Panzer schieben sich in Deckung und suchen Schußfeld für ihre Kanonen. Panzerabwehrgeschütze rollen vor, und die Artillerie sucht gegen Fliegersicht geschützte Stellungen. Vorn bei der 7. Kompanie des Grenadier-Lehrregiments 901 ist die Stimmung auf den Nullpunkt gesunken. Oberfeldwebel Paul Brombach geht die Stellungen ab und muntert seine Leute, insbesondere die Jungen vom Ersatz etwas auf, obwohl er selbst eine Aufmunterung dringend nötig hätte. »Paßt gut auf, der Amerikaner liebt Überraschungen!« Aus großen Augen schauen ihn die jungen Soldaten an und schweigen, denn die Angst drückt ihnen die Kehlen zu. Nur die ganz wenigen alten Landser versuchen bei seinen Worten zu grinsen. Einer sagt: »Paul, du wirst auch nicht mehr gescheit.« »Hast recht, Paul.« Dann geht Brombach zurück zu den Männern des Kompanietrupps. Sie essen ein Stück trockenes Brot, denn ihre Feldflaschen sind längst leer. Wenige Meter links von ihnen steht ein Vierlingsgeschütz. Dichtes Laubwerk tarnt es gegen Fliegersicht. Aufmerksam verfolgt der Geschützführer, ein kleiner Obergefreiter, die herumfliegenden Jabos. Sein Gesicht drückt höchste Anspannung aus, er wartet 98
darauf, daß sich eine der Maschinen tiefer herabwagt. Dann stößt tatsächlich ein Flugzeug herab, braust die Heckenreihe entlang und kurvt ein, kaum zweihundert Meter von dem Geschütz entfernt. Schon rast die Vierlingskanone los. Wenige Schüsse genügen, die Maschine schwankt, zeigt eine dunkle Rauchfahne, neigt sich und rutscht mit Bauchlandung dicht neben der Straße auf die Wiese. Das Kabinendach wird zurückgeschoben, und der Pilot klettert mit erhobenen Händen zu Boden. Er kann es gar nicht fassen, abgeschossen worden zu sein. »Hierher!« ruft Brombach aus der Deckung heraus und winkt. Zögernd kommt der amerikanische Flieger näher. Er fürchtet um sein Leben. Mißtrauisch betrachtet er den bärtigen Oberfeldwebel, dessen Maschinenpistole genau auf seinen Magen zielt. Jeden Moment erwartet er einen Feuerstoß. Aber als sie ihn in Deckung ziehen, zum Hinsetzen auffordern, und als Brombach seine Maschinenpistole absetzt, entspannt sich sein Gesicht. Zögernd zieht er eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bietet an. Die Landser grinsen und bedienen sich, aber zum Rauchen kommen sie nicht, denn ein ganzer Schwarm Jabos stürzt sich in diesem Augenblick auf die Straße und die deutschen Stellungen neben den Hecken herab! Bomben donnern, Maschinenwaffen hämmern und Motoren heulen auf. Dichter Staub zieht träge nach Süden. Menschen schreien, und dazwischen schießt die Vierlingsflak. Keiner wagt den Kopf über die Deckung zu strecken, denn die Leuchtspurgarben zischen immer wieder dicht über die Löcher hinweg. Kaum sind die ersten Jabos abgeflogen, tauchen die nächsten auf. Bäume, Hecken und Sträucher werden unter Feuer genommen. Bombentrichter gähnen schwarz im Grün des Geländes, und einige Panzer der 116. Division fliegen berstend auseinander. Der deutsche Einbruchsraum gleicht mit seinen umgestürzten Fahrzeugen, brennenden Panzern, explodierender 99
Munition und toten Soldaten einem Korridor des Todes. Die 7. Kompanie ist zusammengeschmolzen. Mitten unter ihren gefallenen Kameraden hocken die Überlebenden. Zitternd, verängstigt, mit bleichen Wangen und tiefliegenden Augen starren sie auf die immer wieder herabstoßenden Jagdbomber des Gegners, die unbarmherzig auf jede erkannte Bewegung mit allen Waffen einhämmern. Brombachs Backenmuskeln zucken, und seine Hände ballen sich in ohnmächtiger Wut zusammen. Sie können sich nicht wehren, denn gegen diese Jagdbombereinsätze sind sie machtlos. Neben Brombach murmelt ein junger Panzergrenadier vor sich hin. Zu hören sind seine Worte nicht, aber an seinen bebenden Lippen kann man sehen, wie die Angst ihn schüttelt. Der Oberfeldwebel weiß, daß hier kein Beten und Fluchen mehr hilft. Hier muß man nur ergeben abwarten, daß der Tod vorbeigeht. Ausharren, warten und hoffen, das ist die Devise dieses 8. August 1944 in der Hölle um Mortain. Hauptmann Fink liegt mit Friedag und einigen anderen Landsern im rasch vertieften Straßengraben und starrt nach vorn. »Wenn sie doch nur angreifen würden. Aber hier liegen zu müssen und darauf zu warten, bis man endlich erwischt wird, ist mehr, als man vertragen kann.« Friedag schweigt. Oskar raucht. Er zieht so lange an seiner Zigarette, bis er sich die Finger verbrennt. Mit einem Fluch wirft er die Kippe weg. Hünerfürst beobachtet schon seit ein paar Minuten einen jungen Ersatzsoldaten. Aber ehe er ihn halten kann, springt der Grenadier auf und schreit: »Ich will nach Hause, ich habe Angst!« »Idiot!« Der kleine Unteroffizier springt hoch und drückt den Soldaten zu Boden. »Du bist wohl lebensmüde?« 100
»Laß mich«, wimmert der Junge, »ich will heim zu Muttern!« »Wir auch – als wenn das so einfach wäre!« Ehe Hünerfürst sich versieht, springt der Junge wieder hoch. Eine Granate schlägt schmetternd auf der Straße ein. Mit schrillem Aufschrei kollert der Kleine in den Graben zurück. Er holt noch einmal tief Luft, sein Kopf rollt leblos zur Seite. »Er kommt nicht mehr heim«, knurrt Hünerfürst, und seiner Stimme ist das innere Weh nicht anzumerken. Immer stärker wird das Artilleriefeuer. Eine Wand aus Feuer, Stahl und aufbrechender Erde baut sich um die deutschen Landser auf. Oskar blickt über die Straße, wo eben ein Artillerievolltreffer in den jenseitigen Straßengraben geschlagen ist. Entsetzliche Schreie dringen durch das Krachen der krepierenden Granaten. Der Unteroffizier springt hoch und hetzt über die Straße. Er kommt nicht weit und bricht im Aufbrüllen einer neuen Detonation zusammen. Als der Rauch sich verzogen hat, liegt er bewegungslos auf der Straße. Diesmal ist es Friedag, der hinausgleitet und den alten Kameraden in Deckung zieht. »Was ist?« »Er lebt noch!« Sie verbinden ihn, und nach fünf Minuten schlägt Oskar die Augen auf. »Kleiner Kratzer, nicht schlimm.« »Laßt mich nicht liegen, bitte!« fleht Oskar, dem der Schock mehr als die Verwundung zusetzt. »Wo denkst du hin.« Fink entscheidet plötzlich: »Es hat keinen Sinn mehr, zurück!« Er weiß, daß er deswegen zur Verantwortung gezogen werden wird. Aber er kann nicht mehr mit ansehen, wie seine Leute in diesem mörderischen Feuer zugrunde gehen. Er robbt zurück. Friedag zieht Oskar auf seine Schultern und hetzt los. 101
Mehrmals stolpert und stürzt er. Zwischendurch fragt er: »Lebst du noch, Oskar?« »Ja, aber laß mich doch laufen, mir fehlt doch gar nichts an den Beinen!« »Dann spring!« Voll Schrecken stellen sie fest, daß die Panzer, Panzerjäger und die Flak bereits zurückgezogen wurden. Fink schüttelt den Kopf. »Die hätten uns da vorn einfach liegenlassen – macht, daß ihr weiterkommt, Kinder!« Sie laufen um ihr Leben, helfen sich gegenseitig weiter, springen durch frische, rauchende Granattrichter, hetzen durch ein zusammengeschossenes Dorf, blicken kurz auf gefallene Kameraden, und erreichen nach einer Stunde beispielloser Hetzjagd endlich die deutschen Auffangstellungen. Das Bataillon sammelt. Ein Offizier, fünf Unteroffiziere und zweiunddreißig Mann sind es noch, davon zwei Unteroffiziere und sieben Mann schwerverwundet. Tränen des Zorns laufen dem Hauptmann über die verdreckten Wangen. Mit bebender Stimme sagt er: »Wer wird das alles einmal zu verantworten haben?« Aber niemand kann ihm darauf eine Antwort geben. Sie marschieren auf staubiger Straße zurück. Im nächsten Dorf, das ebenfalls schon schwer zerbombt ist, steht Hauptmann Oventrop von den Panzerjägern mitten auf der Straße. Er ist barhäuptig. Wer weiß, wo er seine Feldmütze Verloren hat. Er schaut den zurückkommenden Grenadieren entgegen. Oskar sieht ihn und brüllt: »Julius!« Steifbeinig kommt der große Panzerjägerhauptmann näher. Sein brandrotes Haar leuchtet in der Sonne auf, und dann erkennt er den Grenadierunteroffizier auf dem Leiterwagen. »Oskar, hat es dich jetzt auch erwischt?« »Ja – wie du siehst!« »Sei zufrieden, so hast du wenigstens das Leben gerettet. 102
Wer weiß, was uns noch alles bevorsteht. Mach’s gut, alter Freund, und grüß’ die Heimat!« »Du sollst nicht leichtsinnig sein, Julius!« »Schon gut!« Die Hand des Hauptmanns streicht über die schweißnasse Stirn des verwundeten Unteroffiziers, dann dreht er sich um und läuft über die Straße zurück. Sie marschieren weiter. Wo sind die anderen geblieben? Wo ist Oberfeldwebel Brombach? Keiner hat ihn mehr gesehen. Nur ein Mann der 7. Kompanie ist noch da, ein alter Obergefreiter. Er zuckt mit den Schultern. Sie marschieren bis zu ihren Trossen zurück. Infanteriekompanien kommen ihnen entgegen, treten an den Straßenrand und lassen die an Leib und Seele zerschlagenen Panzergrenadiere vorbei. An der Straße steht Oberst Hauser. Er legt grüßend die Hand an die Mütze, als Hauptmann Fink auf ihn zugeht und meldet: »Der Rest des II. Bataillons aus der Hölle vor Mortain zurück!« Oberst Hauser bleibt regungslos stehen. Sein Blick schweift über das kleine Häuflein der Soldaten, während im Westen die Sonne blutrot zu sinken beginnt. Um seine Lippen zuckt es verhalten. Dann sagt der Oberst mit knarrender Stimme, in der tiefe Niedergeschlagenheit und Traurigkeit mitschwingt: »Vergeßt eure gefallenen Kameraden nicht!« Die Sonne taucht hinter den Horizont hinab. Sie wird wieder aufgehen und die Lebenden und die Toten bescheinen. Sie wird noch aufgehen, wenn die Gefallenen längst vermodert sind und keine Kreuze mehr mahnend gegen den Himmel stehen. * So wie diese Division, die deutsche Panzerlehrdivision, gab es viele Verbände, die im Schmelztiegel des Großen Krieges starben. Ihr Tod war sinnlos, aber ihr Sterben verpflichtet uns, 103
sie nie zu vergessen, auch wenn wir nicht vor ihren Gräbern stehen können.
ENDE
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Nachtjagd-Leitschiff »Togo«
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich das Frachtmotorschiff »TOGO« der »Woermann-Linie AG Hamburg« in Boma, einem Hafen in Belgisch-Kongo. Kapitän Rouffelet konnte das Schiff trotz Blockade in die Heimat bringen, wo es am 23.11.1939 in Hamburg eintraf. Bereits im Frühjahr wurde der Woermann-Frachter beim Norwegen-Unternehmen als Transporter eingesetzt. Danach diente er als Hilfsminenschiff in der Biskaya und vor Westfrankreich. Ende 1941 wurde der inzwischen »Schiff 14« benannte Frachter bei Wilton-Fijenoord, Schiedam, umgebaut und anschließend in Stettin bei den Oder-Werken als Hilfskreuzer ausgerüstet. Das Kommando erhielt der bisherige Referent für die Hilfskreuzerbauten, Kapitän z. See Thienemann. Er stellte »Schiff 14« als Hilfskreuzer CORONEL im Dezember 1942 in Dienst. CORONEL lief am 31.1.1943 von der Ostsee aus, um durch den Englischen Kanal den Operationsraum zu erreichen. Der Durchbruch mißlang jedoch, so daß das Unternehmen aufgegeben werden mußte. Der Hilfskreuzer wurde anschließend auf der Kriegsmarine-Werft Gotenhafen zum Nachtjagd-Leitschiff umgebaut und erhielt wieder seinen alten Namen »TOGO«. Korvettenkapitän Lück übernahm die nunmehrige »TOGO« als Kommandant und stellte das NachtjagdLeitschiff am 16.10.1943 in Dienst. Als solches wurde es in den gegnerischen Bomber-Einflugschneisen im Großen Belt und in der östlichen Ostsee sehr erfolgreich eingesetzt und überstand den Krieg. Nach dem Krieg benutzten die Engländer das Schiff zur Rückführung deutscher Truppen von Norwegen und anschließend zum Transport von polnischen Staatsangehörigen in ihre Heimat. Im Januar 1946 übernahm die US-Marine die ehemalige »TOGO«, um sie im März des gleichen Jahres an die Norweger weiterzugeben. Dort diente sie als Hilfsschiff der Marine unter dem Namen
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»SVALBARD«. 1954 erfolgte bei den Nordsee-Werken in Emden der Rückbau zum Frachtschiff. Als »STELLA MARINA« fuhr das ehemalige Nachtjagd-Leitschiff bei der Reederei Skips A/S Tilhorn in Kjöpsvik, bis es dann 1956 wieder in deutsche Hände überging und den alten Namen »TOGO« erhielt.
Technische Daten Baujahr: Maschinenleistung: Bauwerft: Geschwindigkeit: Größe: Wasserverdrängung: Länge: Breite: Tiefgang:
1938 5.100 PS Bremer-Vulkan, Bremen 16 Knoten 5.042 BRT 12.700t 134 m 17,9 m 7,9 m
Besatzung als Nachtjagd-Leitschiff: 283 Mann Marine + 74 Mann Luftwaffe Besatzung als Hilfskreuzer: 347 Mann + 3 Prisenoffiziere Bewaffnung als Hilfskreuzer: sechs 15-cm-Kanonen, sechs 4-cm-Bofors-Flak, acht 2-cm-Flak, drei Bordflugzeuge. Bewaffnung als Nachtjagd-Leitschiff: drei 10,5-cm-Flak, bis zu dreißig 3,7- und 2-cm-Flak, vier Raketenwerfer.
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Deutsche Kriegsmarine
Nachtjagdleitschiff »Togo« 107