Nr. 171
Die Menschenjäger von Arkon Betrug am Volk von Arkon - der Imperator treibt falsches Spiel von Ernst Vlcek
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Nr. 171
Die Menschenjäger von Arkon Betrug am Volk von Arkon - der Imperator treibt falsches Spiel von Ernst Vlcek
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man das Jahr 2843. Lordadmiral Atlan, der seit seinem Besuch auf Komouir eine ganze Serie lebensgefährlicher Abenteuer hinter sich hat, ist, kaum daß er die Sicherheit seines Hauptquartiers Quinto-Center erreichte, erneut im All unterwegs – und zwar diesmal allein und rein privat. Grund fürs das Unternehmen Atlans ist das Wirken eines geheimnisvollen Fremden namens Chapat, der dem Lordadmiral sehr ähnlich sieht und der seit seiner Auffindung auf dem Mond Gostacker schnell von sich reden macht, als er auf Kantanong, dem Show-Planeten der Galaxis, erstmals auftritt. Lordadmiral Atlan folgt den Spuren des mysteriösen Fremden. Er gerät dabei – zusammen mit Chapat – in den Bann von Alfo Zharadins Illusionsmaschinen, die, durch das Ischtar-Memory umprogrammiert, Atlans und Chapats Bewußtseine in die Zeit der Herrschaft Orbanaschols transportieren – in die Zeit der MENSCHENJÄGER VON ARKON …
Die Menschenjäger von Arkon
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Chapat - Der Arkonide und sein geheimnisvoller Sohn sollen als »Ware« deklariert werden. Kerlin Attofrest - Obermakler von Arkon II und Chef einer Clique von Menschenjägern. Orbanaschol III. - Der Imperator von Arkon betrügt sein Volk. Arcangelo - Persönlicher Berater Orbanaschols.
1. »Jetzt haben wir euch doch noch erwischt!« Der bewaffnete Unbekannte hatte es kaum gesagt, da warf sich Chapat ungeachtet des schußbereiten Blasters auf ihn. Das alles ging so schnell, daß Atlan die Einzelheiten überhaupt nicht mitbekam. Er sah gerade noch aus den Augenwinkeln einen Schatten durch die Luft schnellen – Chapat –, dann war der Unbekannte unter ihm begraben. Es entstand ein kurzes Gerangel. Der Blaster schlitterte über den Boden. Chapats Faust hob und senkte sich. Und dann ließ er von seinem Gegner ab, der reglos dalag. Chapat blickte schwer atmend auf ihn hinunter, packte ihn an seinen schulterlangen Haaren und hob seinen Kopf in die Höhe, so daß Atlan in sein Gesicht blicken konnte. »Kennst du ihn?« fragte Chapat. »Woher denn«, erwiderte Atlan. Da die Kabinentür immer noch offen stand und sie leicht von einem aus der Schiffsbesatzung überrascht werden konnten, zog Atlan den Unbekannten kurzerhand in die Kabine. Chapat trug er auf, die Tür zu schließen. Nachdem dies geschehen war, meinte Atlan bewundernd: »Du hast ein unglaubliches Reaktionsvermögen, Chapat. Ein Roboter hätte nicht schneller handeln können.« Chapat blickte ihm in die Augen, dann lächelte er und meinte: »Vielleicht bin ich ein Roboter.« »Wer weiß.« Atlan erwiderte das Lächeln. Es war natürlich absurd, daß Chapat ein Roboter, besser gesagt, ein Androide sein sollte. Aber die Schnelligkeit, mit der er die
Situation erfaßt und gehandelt hatte, war in höchstem Maße ungewöhnlich. Nur wenige Minuten davor hatte das Raumschiff eine Transition durchgeführt, die sie von Arkon I in den Raum von Arkon II brachte. Atlan selbst, der meinte, an Transitionen gewöhnt zu sein, hatte noch unter dem Schock der Wiederverstofflichung gestanden. Ähnlich mußte es dem Unbekannten ergangen sein, der plötzlich in ihrer Kabine auftauchte und sie mit einem Blaster bedrohte, denn sonst hätte er sich wohl kaum so leicht überrumpeln lassen. Nur Chapat schien von dem Transitionsschock überhaupt nicht betroffen. Er hatte eine beeindruckende Demonstration ungewöhnlicher Körperbeherrschung in einer Extremsituation bewiesen. »Was machen wir mit ihm?« fragte Chapat in Atlans Gedanken hinein. »Warten wir erst einmal ab, bis er zu sich kommt«, schlug Atlan vor. »In einigen Minuten wird es soweit sein. Ich habe nicht zu fest zugeschlagen. Ich bin gespannt, was er uns zu erzählen hat. In wessen Auftrag mag er gehandelt haben?« Atlan zuckte die Schultern. »Ich glaube kaum, daß er ein vom Imperator gedungener Mörder ist, denn der möchte uns sicherlich lebend haben. Der da aber hätte abgedrückt, wenn du ihm nicht zuvorgekommen wärst. Ich kann nicht umhin, dich nochmals für deine schnelle Entschlußkraft …« »Hör auf damit!« unterbrach Chapat ihn unwillig. »Deine Lobhudelei berührt mich peinlich. Überlegen wir uns lieber, wie es weitergehen soll. Wer weiß, was uns auf Arkon II erwartet. Da, unser Meuchelmörder kommt zu sich.« Der Unbekannte hatte die Augen aufge-
4 schlagen, da wurde er von Atlan an den Schultern ergriffen, hochgehoben und auf die Beine gestellt. »Wie heißt du?« herrschte Atlan ihn an. Der fremde Arkonide machte eine Bewegung der Abwehr und wollte sich gleichzeitig zur Flucht wenden. Aber Atlan schlug ihm fast spielerisch auf die Unterarme, daß sie plötzlich wie lahm an seinem Körper herabhingen. Dann wirbelte er ihn herum, drückte ihn mit dem Gesicht zur Wand und drückte ihm die Finger in den Nacken. »Wie heißt du?« wiederholte er. »Ihr könnt mich …« »Du meinst in Stücke reißen?« unterbrach Atlan ihn. »Verlaß dich darauf, das werden wir auch, wenn du unsere Neugier nicht befriedigst.« »Ich sage nichts«, stieß der Meuchelmörder hervor. Seinen Worten folgte ein Schmerzensschrei, als Atlan die Finger fester in seinen Nacken drückte. »Spürst du, wie dein Körper lahm wird?« fragte Atlan dicht an seinem Ohr. »Wenn ich den Druck meiner Finger verstärke, wirst du für immer gelähmt sein. Willst du dir dieses Schicksal nicht ersparen und doch lieber sprechen? Wie heißt du?« Atlan lockerte den Druck seiner Finger. Der Gefangene atmete rasselnd, dann kam es stockend über seine Lippen: »Enkena … Cryll Enkena.« »Schön, Enkena.« Atlan machte mit den Fingern Bewegungen, als wolle er den Nacken des Mannes massieren. »Wer hat dich geschickt, Enkena?« Schweigen. Atlan drückte wieder fester zu. »In wessen Auftrag solltest du uns ermor_ den?« »Arbantola …« »Der Führer der Wegbereiter der Zukunft hat dir diesen Auftrag gegeben?« staunte Atlan. »Ja … Ihr werdet für euren Verrat noch büßen«, antwortete Enkena, und in seiner Stimme brach zügelloser Haß durch. »Wenn ich es nicht bin, der euch tötet, wird ein anderer kommen. Ihr werdet eurer Strafe nicht
Ernst Vlcek entgehen!« »Spar dir deine lächerlichen Drohungen«, sagte Atlan und drehte ihn herum, damit er ihm in die Augen sehen konnte. »Erzähle uns lieber alles der Reihe nach.« Enkena starrte ihn mit wutverzerrtem Gesicht an. Er wollte sich plötzlich auf Atlan stürzen, doch dieser beförderte ihn mit einer Linksrechts-Kombination an die Wand zurück. »Glaubt nur nicht, euer Verrat sei nicht entdeckt worden«, sagte Enkena keuchend, die Hände abwehrend vor dem Gesicht erhoben. »Arbantola hat euren Funkspruch abgefangen und mich sofort angerufen und mich damit beauftragt, euch zu bestrafen …« »Das war Arbantolas letzte Handlung in Freiheit«, behauptete Atlan. »Inzwischen werden die Kralasenen eure Organisation ausgehoben haben. Die Wegbereiter der Zukunft gehören der Vergangenheit an, und Arbantola ist entweder tot oder in sicherem Gewahrsam.« »Du Hund!« sagte Enkena haßerfüllt. Atlan schlug ihm tadelnd auf die Backe. »Nicht doch, Enkena. Eine solche Aus_ drucksweise geziemt sich nicht für einen Ver_ treter der neuen Herrscherklasse. Wie war es dir denn möglich, so schnell zur Stelle zu sein?« Atlan hatte von Bord dieses Schiffes Verbindung zu den Kralasenen aufgenommen. Er hatte einfach den Interkom in ihrer Kabine in einen Sender umfunktioniert und bis knapp vor den Start des Raumschiffs gefunkt. Er hatte mit allem gerechnet, aber nur nicht damit, daß die WdZ noch Gelegenheit für einen Vergeltungsschlag finden würde. Jetzt erhielt er von Enkena Aufklärung darüber, wie das doch noch möglich war. »Ich befand mich zu eurer Bewachung an Bord des Schiffes – in der Nebenkabine«, erklärte er. »Arbantolas Anruf erreichte mich bald nach dem Start. Ich wartete die Transition ab und …« Er verstummte. »Du hast versagt, Enkena«, schaltete sich Chapat ein; seinen Mund umspielte ein spöt-
Die Menschenjäger von Arkon tisches Grinsen. »Aber du hast Glück im Unglück. Wahrscheinlich bist du der letzte der Wedezu, der sich seiner Freiheit erfreut.« Enkena machte wieder Anstalten, sich auf seinen Gegner zu stürzen, aber Atlans zum Schlag erhobene Hand ließ ihn sich eines Besseren besinnen. »Warum habt ihr das getan?« fragte er gepreßt. »Das kann ich dir leicht beantworten«, sagte Atlan. »Wir sind bestimmt alles andere als Freunde der Kralasenen oder des Regimes. Aber gegenüber der WdZ ist Orbanaschol III. das kleinere Übel. Ihr Wedezu widert uns an, Enkena. Wenn ihr an die Macht gekommen wäret, dann hättet ihr das große Imperium zugrunde gerichtet.« »Wir hätten die Arkoniden zu Ruhm und Macht geführt«, erwiderte Enkena. »Unter Arbantolas Führung hätten wir die Galaxis erobert, und deren Grenzen wären die Grenzen des Großen Imperiums gewesen.« »Ich weiß. Das wäre auf Kosten der anderen Völker geschehen. Ihr hättet sie unterdrückt, versklavt – und wenn sie sich nicht gewehrt hätten, wäret ihr auch nicht davor zurückgeschreckt, sie auszurotten. Und das hat uns nicht behagt, Enkena. Wir wollten nicht Orbanaschol einen Dienst erweisen, sondern einfach Arbantolas Größenwahn stoppen. Und das ist uns gelungen.« »Dafür werdet ihr büßen!« Enkena schien nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Er fletschte plötzlich die Zähne. Zuerst dachte Atlan, daß er den Verstand verloren habe. Doch dann sah er die erbsengroße Phiole zwischen den Zähnen des Mannes. Es konnte sich dabei um eine Bombe oder auch um eine Gas- oder Säurekapsel handeln. Aber zweifellos war es ein Mordinstrument, mit dem Enkena nicht nur sich selbst ins Jenseits zu befördern gedachte, sondern auch sie beide. Atlan schlug ihm die Handkante gegen den Kehlkopf, so daß er nach Luft japste und die Phiole nicht mit den Zähnen zerbeißen konnte. Enkena verdrehte die Augen und fiel in sich zusammen. Atlan fing ihn
5 auf umfaßte ihn um die Mitte, so daß sein Kopf nach unten baumelte, und zog ihn gleichzeitig an den Haaren hoch, damit er die Phiole nicht schlucken konnte. Sie fiel ihm aus dem Mund und rollte Chapat vor die Füße. »Steck sie ein, vielleicht können wir sie noch brauchen«, verlangte Atlan. Chapat gehorchte und fragte dann: »Was machen wir mit dem Wedezu?« »Wir fesseln und knebeln ihn und lassen ihn in der Kabine zurück, wenn wir das Raumschiff verlassen.«
2. Als über die Rundrufanlage das Landezeichen kam, verließen Atlan und Chapat ihre Kabine. Von der Besatzung durften sie sich keine Unterstützung erhoffen. Man hatte ihnen deutlich zu verstehen gegeben, daß sie auf Arkon II auf sich selbst gestellt waren und trachten müßten, ohne fremde Hilfe die Kontrollen der Behörden zu umgehen und von Bord des Schiffes zu gelangen. Sie waren illegal eingereist. Niemand von der Mannschaft würde sie verraten, aber auch niemand würde ihnen Unterstützung gewähren. Der Kabinentrakt lag verlassen da. Atlan schritt zielstrebig den Korridor hinunter; einen Antigravlift, an dem sie vorbeikamen, ignorierte er. Er hielt erst, als sie einen Lastenaufzug erreichten. »Was willst du hier?« fragte Chapat. »Wir können das Schiff nicht durch eine Mannschleuse verlassen«, erklärte Atlan. »Das Risiko wäre zu groß. Deshalb werden wir es durch die Ladeluke versuchen.« »Wer weiß, wann dieses Schiff wieder Ladung löscht«, gab Chapat zu bedenken. Atlan gab ihm nicht sofort Antwort. Er hielt sich am Rand des Einstiegs fest und beugte sich in den Schacht. Er fand sofort, wonach er suchte – die Sprossen einer Notleiter an einer Wand des Schachts – und nickte zufrieden. »Wir machen eine Klettertour, Chapat«,
6 sagte er, und erst dann ging er auf Chapats Bemerkung ein. »Wir werden nicht warten, bis das Schiff wieder mit Nahrungsmitteln für Arkon I beladen wird. Als wir an Bord gingen, hörte ich jemand sagen, daß man Fracht für Arkon II geladen habe. Und diese muß schließlich auch gelöscht werden. Das ist unsere Chance.« Atlan stieg in den Schacht ein und begann mit dem Abstieg. »Welche Waren könnten von Arkon I hierhergebracht werden?« wunderte sich Chapat, der Atlans Beispiel gefolgt war. »Ist doch egal«, erwiderte Atlan mürrisch; manchmal zeigte Chapat einen Hang dazu, selbst den nebensächlichsten Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Und das konnte nervtötend sein. Sie kletterten schweigend im Schacht hinunter, bis Atlan endlich bei einem Ausstieg anhielt. Er lugte vorsichtig über den Rand hervor. Sie befanden sich zweifellos auf einem der untersten Ladedecks. Der Auffangraum war leer, verlassen. Atlan stieg hinaus. Er ging zu dem riesigen Schott, das zum Laderaum führte. Es war nicht versiegelt. Atlan drehte an dem Handrad. Chapat, der ihm gefolgt war, unterstützte ihn. Kurz darauf schwang das Schott fast lautlos auf. Der dahinterliegende Laderaum war bis auf einige ramponierte Container leer, die, von Fesselfeldern gehalten, in einem Winkel neben der Ladeschleuse lagerten. Nur die Notbeleuchtung brannte. »Schnell hinein«, sagte Atlan, als er hinter sich Geräusche hörte. Sie schlüpften hintereinander in den Spalt und zogen das Schott an den Stützstreben zu. »Verdammt!« fluchte Atlan, als er feststellte, daß sich das Schott nicht von innen schließen ließ. Wenn die Löschmannschaft aufmerksam war, mußte es ihr bedenklich erscheinen, daß das Schott nicht versperrt war. Vielleicht erklärte man es sich aber auch so, daß vergessen worden war, es zu schließen.
Ernst Vlcek Atlan zerbrach sich nicht länger den Kopf darüber, sondern lief in Richtung der Container. Sie hatten sie kaum erreicht, als die Fesselfelder in sich zusammenfielen. Atlan wollte schon aufatmen. Doch als er versuchte, einen der klobigen Transportbehälter zu öffnen, mußte er enttäuscht feststellen, daß das nicht ging. »Versiegelt«, stellte er fest. »Was machen wir jetzt?« fragte Chapat. »Wir verstecken uns erst einmal.« Atlan zog Chapat mit sich hinter die Container. In diesem Augenblick schwang das Schott, durch das sie gekommen waren, auf. Aus ihrem Versteck sahen sie, daß eine Gruppe von vier Mann in Begleitung von einem halben Dutzend Robotern hereinkam. Zwei der Männer gehörten zur Schiffsbesatzung, die beiden anderen trugen Uniformen der »Industriepolizei«, der Exekutive auf Arkon II. Atlan atmete erleichtert auf, als er sah, daß die sechs Roboter nur einfache Arbeitsmaschinen waren. Von diesen drohte keine Gefahr. Die Truppe näherte sich den Transportbehältern. »Was macht es schon, daß das Schott nicht vorschriftsmäßig verschlossen war«, sagte der eine Raumfahrer. »Wir haben keine brisante Fracht, sondern nur …« »Ich muß die Sache trotzdem melden«, erklärte der eine Polizist. Er schien ein besonders mißtrauischer Bursche zu sein, denn er hatte den Paralysator gezogen und hielt ihn entsichert in der Hand. Atlan griff unwillkürlich nach dem Blaster in seinem Gürtel, den sie von Enkena erbeutet hatten. Der Strahler und die Phiole mit unbekanntem Inhalt waren ihre einzigen Waffen. Der andere Polizist sagte gerade: »Die ALCYNA steht auf der schwarzen Liste. Wir wissen, daß ihr Menschen schmuggelt.« »Das ist eine absurde Verdächtigung!« sagte einer der Raumfahrer, ohne überzeugend zu wirken. »Unser Kommandant hat
Die Menschenjäger von Arkon eine reine Weste. Der läßt sich auf keine illegalen Geschäfte ein.« Die Polizisten lachten. »Das erzählt, wem ihr wollt, aber nicht uns«, sagte der eine. »Was kümmert es uns«, meinte der andere. »Wenn sie Menschen geschmuggelt haben, wird die Clique sicherlich dafür sorgen, daß sie zirkulieren.« Atlan runzelte die Stirn. Er hätte zu gerne gewußt, was darunter zu verstehen war. Jedenfalls reizte diese Bemerkung die beiden Raumfahrer zum Lachen. Die vierköpfige Gruppe erreichte die Container. Die Arbeitsroboter blieben in einiger Entfernung stehen, um die Kontrollbeamten bei ihrer Tätigkeit nicht zu stören. Atlan zog sich mit Chapat in den Schatten einer Wandverstrebung zurück. Sie hörten die Schritte der Polizisten, die von einem Transportbehälter zum anderen gingen, um die Plombierungen zu überprüfen und dann abzunehmen. »Nanu«, sagte einer von ihnen überrascht, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig waren, »kein einziges Siegel ist erbrochen.« »Was habt ihr denn anderes erwartet«, maulte der Raumfahrer. »Wer könnte schon an dem Dreck interessiert sein?« »Nicht an dem Inhalt der Transportbehälter – sondern an dem Leerraum«, erklärte ein Beamter. »Da paßt kein zerdrücktes Ei mehr hinein«, behauptete der andere Raumfahrer. Die Beamten öffneten einige Container und schlossen sie sofort wieder. »Ihr könnt mit dem Ausladen beginnen«, sagte der eine von ihnen und zog sich mit seinem Begleiter zurück. Die beiden Raumfahrer schickten ihnen leise Flüche nach und begannen dann damit, die Arbeitsroboter für ihre Aufgaben zu programmieren. Das war in wenigen Minuten getan. »Hauen wir ab!« »Lieber nicht. Du weißt, was der Kommandant gesagt hat. Wir sollen die Roboter beaufsichtigen.« Atlan verfluchte bei sich die Dienstauffas-
7 sung der beiden. Nun mußten er und Chapat versuchen, unter ihren Augen in einen der Container zu gelangen. Atlan löste sich aus dem Schatten und schlich zu einem der Container, der den Blicken der Raumfahrer verborgen war. Es kostete ihn keine Mühe, den Verschluß der Schiebetür zu öffnen. Als er diese jedoch aufschob, gab es ein quietschendes Geräusch. »Was war das?« »Ich habe nichts gehört.« »Doch, da war ein Geräusch.« »Wenn schon. Es wird von irgendwelchem Ungeziefer verursacht worden sein.« »Ja, Ungeziefer …« Die beiden kicherten. »Blinde Passagiere haben wir ja keine an Bord.« »Eben.« Die beiden kicherten wieder. Atlan zuckte enttäuscht zurück, als er sah, was in dem Transportbehälter war. Müll! Und wie die Raumfahrer schon gesagt hatten, war darin nicht mehr genügend Platz, um einem ausgewachsenen Mann Platz zu bieten, geschweige denn zweien. Sie untersuchten noch drei weitere Container, bis sie endlich einen fanden, dessen Mülladung eine Aussparung aufwies, die groß genug war, sie beide aufzunehmen. Chapat kletterte zuerst hinein. Atlan folgte und zog die Schiebetür hinter sich bis auf einen kleinen Spalt zu. »Wieso bringt man den Müll von Arkon I hierher?« wunderte sich Chapat. »Zur Wiederverwertung«, antwortete Atlan. Er hatte festgestellt, daß es sich bei dem Müll durchwegs um hochwertige Kunststoffabfälle handelte. Atlan hörte, wie sich die Ladeschleuse öffnete. Dann fiel Tageslicht herein. »Los, ausladen!« rief einer der beiden Raumfahrer, obwohl die Roboter dieses Kommandos nicht bedurft hätten. Atlan erfuhr aber gleich darauf, daß der Mann die Roboter wahrscheinlich nur als Vorwand nahm, um ihnen einen Wink zu geben, denn er fügte hinzu: »Der Plastikmüll wird sofort zur
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Ernst Vlcek
Schmelzanlage gebracht und aus den Transportbehältern direkt in die Öfen geleert und veredelt.« »Wenn es uns nicht gelingt, die Container rechtzeitig zu verlassen, sind wir verloren. Warum hat man uns nicht früher gewarnt?« »Ich kann mir denken, daß schon so mancher illegaler Passagier auf diese Weise aus dem Weg geschafft wurde«, erwiderte Atlan. »Unser Trost ist, daß wir wenigstens etwas zur Veredelung des arkonidischen Kunststoffs beitragen können.« Chapat konnte über diesen Scherz verständlicherweise nicht lachen.
3. Der Transportbehälter wurde von den Robotern auf Antigravfeldern zur Ladeschleuse gelenkt. Dort griff ein energetischer Transportstrahl nach ihm, der ihn über den Raumhafen beförderte. Atlan blickte durch den schmalen Spalt. Sie befanden sich in einer Höhe von fünfzig Metern, so daß er einen guten Überblick über das Raumhafengelände hatte. Überall standen die kugelförmigen Transportschiffe und wurden ent- und beladen. Über ihnen patrouillierten die Schweber der Exekutive. Ständig landeten und starteten mehrere Raumschiffe gleichzeitig. Die Luft war erfüllt vom Dröhnen ihrer Antriebs- und Bremsdüsen. In der Ferne sah Atlan im Dunst des Horizonts die Verwaltungsgebäude, die riesigen Depots und Silos und die prunkvollen Bürohäuser der mächtigen Händlerorganisationen. Aber die gigantischen Raumschiffe und die eindrucksvollen Anlagen wurden alle überragt von einem schlanken Funkturm, der inmitten des Raumhafens stand. Von hier kamen die Leitstrahlen für die Raumschiffe, wurde Lande- und Starterlaubnis erteilt, Luftstraßen zugewiesen, Verladekommandos dirigiert, Waren zu ihren Bestimmungsorten gelotst. Wenn dieser Funkturm ausfiel, würde die Ordnung auf dem
Raumhafen zusammenbrechen. An diesem Wahrzeichen erkannte Atlan auch, wo sie waren. Olp'duor, der größte Raumhafen auf Arkon II, der eine Grundfläche von 30 000 Quadratkilometern einnahm! Hier liefen alle Fäden des Industrieplaneten zusammen. Es gab insgesamt 300 Raumhäfen auf diesem etwa marsgroßen Planeten, der eine Schwerkraft von 0,7 Gravos besaß. Aber keiner von ihnen war auch nur annähernd so groß wie Olp'duor. Während Atlan diese Daten aus seiner Erinnerung hervorholte, beobachtete er die Vorgänge in ihrer nächsten Umgebung scharf. Ihm war aufgefallen, daß überraschend viele Polizeieinheiten und Robotergruppen patrouillierten. Die Polizisten tauchten oft unerwartet auf, machten bei Waren Stichproben, nahmen das Raumhafenpersonal unter die Lupe. Die Roboter agierten unauffälliger. Ohne äußere Anzeichen von Wachsamkeit orteten sie die Umgebung, durchleuchteten Transportbehälter, untersuchten sie auf Gehirnwellenstrahlungen. »Wir können froh sein, daß wir eine Mülladung erwischt haben«, meinte Atlan. »Selbst die Roboter finden es unter ihrer Würde, sich darum zu kümmern.« »Roboter haben eine Würde?« wunderte sich Chapat. Atlan seufzte. Chapat war nicht nur völlig humorlos, sondern auch ein Wortklauber. Das Schlimme daran war, daß er sich nicht nur so naiv stellte, sondern es tatsächlich war. »Auf jeden Fall bleibt uns eine peinliche Überprüfung erspart«, sagte Atlan. »Was nützt es uns, wenn wir zusammen mit dem Müll in der Schmelzanlage enden«, meinte Chapat. »Wir werden schon noch einen Ausweg finden«, behauptete Atlan zuversichtlich. Bei sich fügte er jedoch hinzu, daß sie in ihrer Bewegungsfreiheit ziemlich beschränkt waren, solange sie sich in der Luft befanden. Wenn er gewußt hätte, worauf die
Die Menschenjäger von Arkon Wachroboter programmiert waren und wonach die Polizeitruppen suchten, wäre ihm wohler gewesen. Hatte Orbanaschol III. mit der Möglichkeit gerechnet, daß sie nach Arkon II entkommen waren? Wenn ja, war der Imperator so sehr an ihnen interessiert, daß er solchen Aufwand trieb, um ihrer habhaft zu werden? Atlan hätte viel darum gegeben, zu wissen, ob die Patrouillen ihretwegen unterwegs waren. Er konnte sich zwar denken, daß Orbanaschol längst über seine Ähnlichkeit mit seinem jüngeren Ich Bescheid wußte. Aber war er ihm wirklich so wichtig, daß er alle Streitkräfte von Arkon II seinetwegen mobilisierte? Es war ja schließlich nicht damit getan, nur Olp'duor zu überwachen. Denn die Raumschiffe, die von Arkon I kamen, landeten auf allen 300 Raumhäfen. »Woran denkst du?« erkundigte sich Chapat. »Ich überlege mir gerade, wie es in diesem Augenblick meinem jüngeren Ich ergeht«, antwortete Atlan. »Ich möchte zu gerne wissen, ob es mir bereits gelungen ist, den Blinden Sofgart zur Strecke zu bringen. Das würde mich sehr erleichtern.« »Du solltest lieber daran denken, was gerade mit unseren Körpern in der Gegenwart passiert«, sagte Chapat. »Das würde an unserer Situation nichts ändern«, erwiderte Atlan. »Die Gegenwart liegt für uns in der Zukunft. Wenn wir dagegen die Geschehnisse der Vergangenheit, in der wir leben, nutzbringend verwerten, kann uns das sehr helfen.« »Das ist nur ein Traum, die Realität ist für uns das Jahr 2843. Dort sind unsere wirklichen Körper.« »Kneif dich mal«, riet Atlan. »Das tut weh, was? Dieser Körper ist so real, wie irgend etwas nur sein kann. Und der Traum, in dem wir leben, kann für uns tödlich enden. Deshalb müssen wir uns auf das Jetzt konzentrieren.« »Wir müssen nach einer Möglichkeit suchen, in unsere Körper und das Jahr 2843 zurückzukehren!«
9 »Wem sagst du das.« Atlan seufzte. Ihre Gespräche, die sich immer um das gleiche Problem drehten, führten zu nichts. Sosehr sie sich auch den Kopf zermarterten, es schien keine Möglichkeit zu geben, dem Bann des Ischtar-Memorys, das sie in die arkonidische Vergangenheit versetzt hatte, zu entrinnen. »Ich habe ein komisches Gefühl im Magen«, ließ sich Chapat vernehmen. »Gehen wir tiefer?« »Erraten«, sagte Atlan. Er sah, wie sich unter ihnen ein Schacht auftat und sie mitsamt dem Container zu verschlucken drohte. Atlan entsann sich wieder der Worte des Raumfahrers, der gesagt hatte, daß der Plastikmüll direkt in die Schmelzanlage wandern sollte. Und Atlan wußte, wenn sie sich erst einmal in der subplanetaren Förderanlage befanden, gab es für sie kein Entkommen mehr.
* Während sich der Müll-Container auf die Bodenöffnung niedersenkte, näherte sich ein energetischer Prallgleiter, der gerade gestartet war. Es handelte sich um einen großen Lastengleiter, der Ladung von einem Raumschiff gelöscht hatte und nun in Richtung der Warenlager am Rande des Raumhafens unterwegs war. Atlan hatte aus seinem Versteck schon zuvor beobachtet, wie Roboter den Lastengleiter untersucht hatten, so daß eine neuerliche Kontrolle eigentlich nicht zu befürchten war. Diese Tatsache gewann nun besondere Bedeutung, da der Lastengleiter den Weg des Müll-Containers zu kreuzen schien. Und darin sah Atlan ihre Chance, den Schmelzanlagen zu entkommen. »Bereite dich darauf vor, den Container zu verlassen, Chapat«, eröffnete Atlan seinem Gefährten. »Wir werden auf ein anderes Transportmittel überwechseln.« Der Müll-Container befand sich nur noch knapp zehn Meter über der Bodenöffnung, als der Lastengleiter auf ihre Höhe kam. At-
10 lan sah die Bordwand, hinter der sich Warenballen türmten, keine drei Meter an sich vorbeiziehen. Er stieß die Schiebetür auf, ging etwas in die Knie und stieß sich kraftvoll ab. Er sprang durch die Luft, erreichte die Bordwand des Prallgleiters und klammerte sich an der oberen Kante fest. Seine größte Sorge war in diesem Moment, daß zufällig einer der patrouillierenden Polizisten in seine Richtung blickte und ihn entdeckte. Aber es schien alles glattgelaufen zu sein. Er zog sich an der Bordwand hoch, ließ sich zwischen die Warenballen fallen und blickte dann zurück. Der Müll-Container hatte sich inzwischen weiter gesenkt. Chapat erschien in der Schiebetür und blickte zu Atlan hinauf. Chapat befand sich bereits zwei Meter tiefer. »Spring endlich!« forderte Atlan ihn auf. Chapat warf sich wie von einem Katapult geschnellt nach vorne und schaffte es gerade noch. Er erreichte mit einer Hand einen Vorsprung am unteren Ende der Bordwand und klammerte sich fest. So hing er eine Weile über dem Abgrund, bevor es ihm gelang, auch mit der zweiten Hand Halt zu finden. Atlan begann zu schwitzen. Jede Sekunde, die Chapat ohne Deckung war, den Blicken der Wachposten und Roboter preisgegeben, zerrte an seinen Nerven. Chapat jedoch schien die Ruhe selbst. Er schwang seine Beine wie ein Pendel, bis sie in die Horizontale kamen und er auf einem Sims der Bordwand Fuß fassen konnte. Dann holte er Atem und zog sich mit einigen kräftigen Klimmzügen hinauf. Atlan beugte sich hinaus, streckte ihm den Arm entgegen und zog ihn mit einem Ruck über die Bordwand. »Puh!« machte Chapat, als er zwischen den Warenballen versank. »Mir erschien es wie eine Ewigkeit, bis ich die rettende Ladefläche erreichte.« Atlan gab keine Antwort. Er sah über die Bordwand in die Tiefe. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Der Müll-
Ernst Vlcek Container war gerade in der Bodenöffnung verschwunden, die Klappe schloß sich. In unmittelbarer Nähe waren weder Roboter noch Polizisten zu entdecken. Der Lastengleiter gewann immer mehr an Höhe und wurde von Positionslichtern in eine Luftstraße eingewiesen, die schnurgerade zu Gebäuden der Handelsniederlassungen am Rande von Olp'duor führte. »Vorerst sind wir in Sicherheit«, stellte Atlan zufrieden fest. »Und wohin geht die Reise?« wollte Chapat wissen. »Zuerst fort vom Raumhafengelände«, antwortete Atlan. »Wenn wir erst einmal in einem der Lagerhäuser sind, werden wir schon einen Fluchtweg finden.« Der Prallgleiter reihte sich in eine endlos scheinende Kolonne von Lastengefährten ein, aus der ständig Gleiter ausbrachen und sich andere einordneten. Atlan und Chapat hatten sich während der Schwebefahrt durch die Warenballen nach vorne gearbeitet. Als der Prallgleiter die letzten Landefelder des Raumhafens hinter sich ließ, hatten sie das kugelförmige Pilotenhäuschen erreicht. Durch die Heckscheibe sah Atlan, daß es nur von zwei Mann besetzt war. Keine hundert Meter vor ihnen zogen sich die bunkerartigen Lagerhäuser in einer Linie dahin. Vor den großen, offenen Toren waren private Schutzstaffeln der verschiedenen Händlerorganisationen postiert. Der Prallgleiter kam zum Stillstand und blieb einige Meter über dem Boden in der Schwebe. Atlan sah, wodurch die Wartezeit verursacht wurde. Vor ihnen wurde gerade ein anderer Lastengleiter abgefertigt. Er schätzte, daß sie in etwa fünf Minuten an der Reihe sein würden. »Wir riskieren es, die beiden Piloten zu überwältigen«, raunte Atlan seinem Gefährten zu. Er rechnete damit, daß sie, zumindest solange sie in der Luft waren, das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten und kaum mit Widerstand zu rechnen hatten. Er gab Chapat durch einen Wink zu verstehen,
Die Menschenjäger von Arkon daß er den rechten Einstieg übernehmen sollte, während er von der linken Seite ins Führerhaus drang. Chapat verstand. Atlan holte den erbeuteten Strahler hervor und drückte sich am Rand der Ladefläche gegen die Pilotenkugel. Er lugte vorsichtig durch das Seitenfenster ins Führerhaus. Als er sah, daß beide Piloten in eine andere Richtung blickten, riß er den Einstieg auf und sprang hinein. Das Geräusch ließ die beiden Arkoniden herumfahren. Der auf sie gerichtete Strahler ließ sie erstarren. »Keine falsche Bewegung«, ermahnte Atlan und machte mit der Waffe eine drohende Bewegung. »Was soll das?« begehrte der Kopilot auf und versuchte hinter seinem Sitz in Deckung zu gehen, während er gleichzeitig nach seiner Waffe im Gürtel griff. Doch da wurde der andere Einstieg aufgerissen, und Chapat stürzte herein. Er schlug dem Kopiloten die Waffe aus der Hand, packte ihn im Nacken und drückte ihn mit dem Gesicht fest gegen den Sitz. »Ihr werdet euch auch während der Kontrolle am Tor ganz ruhig verhalten und so tun, als sei überhaupt nichts geschehen«, befahl Atlan. »Meine Waffe ist auf euch gerichtet. Und glaubt mir, ich werde nicht zögern, davon Gebrauch zu machen. Verstanden?« »Klar«, sagte der Pilot. »Und daß keinem von euch beiden einfällt, über Funk Alarm zu schlagen«, warnte Atlan. »Wenn man uns in der Lagerhalle einen Hinterhalt legt, dann seid ihr dran.« Chapat ließ den Kopiloten los, der wieder seinen Platz einnahm. Atlan und Chapat verbargen sich hinter den Sitzen. »Wir sind an der Reihe«, sagte der Pilot und wandte den Kopf halb über die Schulter. »Tut so, als gäbe es uns nicht«, sagte Atlan. »Tut genau, was man von euch erwartet.« Er verstummte, als das Sprechfunkgerät anschlug. Der Kopilot nahm das Gespräch
11 entgegen. Es entspann sich ein kurzer Dialog mit dem Torposten, dann durfte der Prallgleiter passieren. Nachdem das Sprechfunkgerät wieder ausgeschaltet war – Atlan mußte durch einen Druck mit seiner Waffe erst ein wenig nachhelfen –, befahl er: »Langsame Fahrt – und auf Automatik umschalten.« Der Pilot gehorchte. »Und was nun?« fragte der Pilot spöttisch. Atlan gab Chapat einen Wink. Dann schlug er den Piloten mit einem Nackenschlag nieder. Chapat tat dasselbe mit dem Kopiloten. »Und jetzt schnell, bevor wir durch unsere langsame Fahrt eine Stockung herbeiführen«, befahl Atlan. »Wir tauschen mit den beiden die Kleider und die Plätze.« Er zerrte den Piloten nach hinten und begann ihn auszukleiden. »Kannst du so ein Ding überhaupt steuern?« wollte Chapat, der die Kleidung mit dem anderen so rasch wechselte wie ein professioneller Verkleidungskünstler, wissen. »Leidlich«, erklärte Atlan. »Es ist immerhin schon über zehntausend Jahre her, daß ich einen Prallgleiter arkonidischer Bauart manövriert habe. Aber ich denke doch, daß meine Kenntnisse reichen werden.« Wenige Minuten später trugen sie die Uniformen dieser Handelsgesellschaft und nahmen die Sitze des Piloten und Kopiloten ein. Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben. Atlan überflog kurz die Armaturen und machte sich mit den Bedienungsinstrumenten oberflächlich vertraut, bevor er den Autopiloten ausschaltete. Der Lastengleiter ruckte an, als er die manuelle Steuerung übernahm, sackte etwas in die Tiefe, aber Atlan hatte ihn sofort wieder in seiner Gewalt. Über die Decke flog ein schimmernder Lichtstreif dahin. Da Atlan sich denken konnte, daß er ihnen den Weg weisen sollte, folgte er ihm. Sie kamen zu einem Sektor der Lagerhalle, wo ähnliche Warenballen
12 gestapelt waren, wie ihr Gleiter sie geladen hatte. Ein Arkonide wies sie auf ihren Landeplatz ein, indem er bunte Flaggen schwang. Atlan begann zu schwitzen. Er war mit den Instrumenten des Prallgleiters vertraut genug, daß er sich zutraute, jedes Manöver durchzuführen. Doch hatte er überhaupt keine Ahnung, was die Flaggenzeichen zu bedeuten hatten. So versuchte er auch gar nicht erst, darauf einzugehen, sondern landete den Prallgleiter nahe den Warenstapeln. Der Mann mit den Flaggen machte wütende Gebärden, aber da hatte Atlan bereits die Prallfelder ausgeschaltet, der Lastengleiter kam zum Stillstand. »Bist du übergeschnappt, Chogg!« rief einer der Lagerarbeiter. Etwa ein Dutzend von ihnen umstanden das Führerhaus des Gleiters. »Du stehst zu weit weg vom Kran. Willst du, daß wir uns mit den Ballen abschleppen sollen?« Atlan hatte nicht damit gerechnet, daß die Lagerarbeiter den Piloten des Gleiters so gut persönlich kannten. Aber er stellte sich sofort auf die neue Situation ein. »Tut mir leid«, sagte er, die eine Hand wie zufällig auf dem Griff seiner Strahlenwaffe, während er aus dem Führerhaus kletterte. »Aber Chogg hatte einen Schwächeanfall und ich mußte ihn ablösen.« »He, das ist auch nicht Titav«, rief ein anderer Lagerarbeiter, als er Chapat erblickte, der noch immer seine Alt-Männermaske trug. »Was ist den das für ein seltsamer Vogel?« »Wir arbeiten immer zusammen«, erklärte Atlan. »So, so«, sagte der Lagerarbeiter, der offenbar der Partieführer war, und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ihr beide habt also Chogg und Titav abgelöst. Wann war denn das?« »Gleich nach der Warenübernahme«, antwortete Atlan unbehaglich. »Tatsächlich? Wie kommt es dann, daß sich Chogg noch am Tor der Lagerhalle persönlich gemeldet hat?«
Ernst Vlcek Da sah Atlan keinen anderen Ausweg mehr, als die Strahlenwaffe zu ziehen. »Keine falsche Bewegung!« verlangte er mit schneidender Stimme. Chapat brachte seine Waffe, die er dem Kopiloten abgenommen hatte, ebenfalls in Anschlag. »Los, geht zu dem Warenstapel hinüber und stellt euch mit dem Rücken zu uns«, befahl Atlans Sohn. Die Lagerarbeiter ließen sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen. Sie waren ein gut aufeinander eingespieltes Team. Das zeigte sich sogleich, als sie, ohne sich vorher abzusprechen, wie auf Kommando zum Angriff übergingen.
4. Atlan war nicht daran gelegen, unschuldige Männer zu töten. Deshalb feuerte er zuerst einige Warnschüsse ab und ging hinter ein Instrumentenpult in Deckung. Chapat nahm da weniger Rücksicht. Er feuerte auf eine Gruppe von drei Männern, die ihm bedrohlich nahe gekommen waren. Aber wenigstens zielte er tief genug, daß sie nicht tödlich getroffen wurden. Zwei von ihnen erlitten jedoch an den Beinen Verbrennungen und brachen zusammen. Die anderen schwärmten aus. Chapat flüchtete sich zu Atlan. »Du bist ein Narr, Chapat«, schimpfte Atlan. »Vielleicht hätten uns die Arbeiter aus Angst um ihre eigene Sicherheit laufen lassen. Dadurch, daß du zwei ihrer Kameraden verletzt hast, haben sie aber wahrscheinlich eine solche Wut im Bauch, daß sie uns gnadenlos jagen werden.« »Ich hatte keine andere Wahl«, sagte Chapat zerknirscht. »Dann stelle deinen Strahler wenigstens jetzt auf minimalste Leistung ein«, verlangte Atlan und tat das gleiche. Er sah hinter sich zwei Arbeiter auftauchen, zielte über ihre Köpfe und schoß. Der Energiestrahl brandete gegen einen Stützpfeiler und sengte ihn nur schwach an. »Fort von hier«, befahl Atlan und setzte
Die Menschenjäger von Arkon sich in Bewegung. »Moment noch.« Chapat grinste. Er ließ seine Hände in fieberhafter Eile über das Instrumentenpult wandern und nahm wahllos Schaltungen vor. »Was soll das«, herrschte ihn Atlan an, als Chapat endlich von den Instrumenten abgelassen hatte und ihn erreichte. »Ich wollte nur einige Maschinerien in Gang bringen, um unsere Gegner zu verwirren«, erklärte Chapat. »Damit könntest du aber leicht das Gegenteil erreichen.« Atlan sah plötzlich einen Laufkran mit schlenkernden Gelenkarmen auf sie zurasen. Er gab Chapat einen Stoß, daß er zur Seite geschleudert wurde, und konnte sich selbst gerade noch durch einen Sprung in Sicherheit bringen. Der Kran raste an ihnen vorbei, wurde wenige Meter hinter ihnen durch Bremsfelder gestoppt, die Gelenkarme bohrten sich wie Geschosse in Metallbehälter, aus denen sofort eine grünliche Flüssigkeit spritzte. Ein durchdringender Geruch breitete sich aus, der sich beißend auf die Atemwege legte. Atlan sah über sich auf einem zehn Meter hohen Warenstapel einen Arbeiter auftauchen. Der stieß eine Antigravscheibe von sich, die mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf sie hinunterschoß. Atlan brachte sich mit zwei Sätzen aus der Flugbahn und feuerte dann nach dem Mann. Der Energiestrahl fraß ein Loch in das Lagergut unter den Füßen des Arbeiters. Er brach ein, verlor den Halt und rutschte in die Tiefe. »Atlan, hilf mir!« schrie Chapat verzweifelt. Atlan wirbelte herum. Er sah, wie Chapat hilflos in der Luft hing und von einer unsichtbaren Kraft fortgezerrt wurde. Ihm war sofort klar, daß die Lagerarbeiter sich die Einrichtungen zunutze machten und Chapat mittels eines energetischen Zugstrahls in ihre Gewalt bekommen hatten. »Hol mich hier heraus, Atlan!« rief Chapat. Er feuerte blindlings um sich. Von irgendwoher erklang ein spöttisches Lachen.
13 Atlan fand heraus, daß es nur aus einer Steuerkabine kommen konnte, die dicht unter der Decke auf Schienen dahinglitt. Hinter den Fenstern entdeckte er drei Gesichter, die zu grinsen schienen. Er feuerte auf die Steuerkabine. Doch der gedrosselte Energiestrahl war so harmlos, daß er den Boden der Kabine nur schwärzte. Chapat hing immer noch hilflos in dem Zugstrahl, der ihn bereits dreißig Meter von Atlan fortgebracht hatte. Da entsann sich Atlan der Antigravplattform, die einer der Arbeiter gegen ihn gesteuert hatte. Die Antigravplattform steckte mit ihrem Rand in einem Berg von Säcken, aus denen mehliger Staub quoll. Ohne lange zu überlegen, ging Atlan zu der Antigravplattform und hantierte so lange, bis er sie aus der Verankerung gezogen hatte. Dann drehte er die Plattform in Richtung der Steuerkabine und schaltete die Antigravfelder so, daß die Plattform in schneller Fahrt schräg in die Höhe schwebte. Entsetzen drückte sich auf den drei Gesichtern hinter den Fenstern der Kabine aus, als sie sahen, wie die Plattform geradewegs auf sie zuschoß. Einer der Männer sprang ab und fing seinen Sturz auf einer Querstrebe ab. Die beiden anderen fanden keine Zeit mehr, sich in Sicherheit zu bringen. Denn da bohrte sich bereits die Antigravscheibe in die Breitseite der Steuerkabine. Die bruchfesten Fenster fielen aus den Rahmen und segelten wie seltsame Vögel davon. Die Streben verformten sich, ein Riß tat sich in der Seite der Kabine auf. Atlan sah, wie die beiden Männer die Hände schützend vor die Gesichter hielten. Sie wurden wie von unsichtbaren Schlägen hin und her geworfen. Die Kabine rutschte von der Schiene, sackte ab und hing dann baumelnd in dem sich automatisch einschaltenden Energie-Leitstrahl. Chapat schrie auf. Atlan sah entsetzt, wie er plötzlich von dem Zugstrahl freigegeben wurde und aus einer Höhe von mehreren Metern in die Tiefe fiel. Ein Warenstapel verdeckte ihm die Sicht, so daß er nicht se-
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Ernst Vlcek
hen konnte, wo Chapat auftraf. Aber Atlan zögerte keine Sekunde. Er rannte los, umrundete den Warenstapel und sah Chapat dort reglos auf einem Berg von nachgiebigem Verpackungsmaterial liegen. Das weiche Material hatte seinen Aufprall gemildert, so daß Atlan annehmen konnte, daß Chapat sich bei dem Sturz nicht ernsthaft verletzt hatte. Aber Chapat hatte das Bewußtsein verloren, das war schlimm genug. Atlan beugte sich über ihn. Da fiel ein Schatten auf ihn. Atlan wollte sich zur Seite werfen – zu spät. Etwas schlug schmerzhaft auf seinen Hinterkopf und seine Schulterpartie. Ihm wurde augenblicklich schwarz vor Augen.
* Chapat war noch ganz benommen, als er sich hochgehoben fühlte. Stimmen drangen auf ihn ein, er konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Hände betasteten ihn, stießen ihn, reichten ihn weiter. Als er für einen Moment die Augen öffnen konnte, sah er irgendwo unter sich ein fremdes bleiches Gesicht. Seine Erinnerung sagte ihm jedoch sofort, daß es Atlans Gesicht war … Atlans neues Gesicht, denn er hatte Maske gemacht, um nicht sofort erkannt zu werden … Er lag da wie tot! Chapat unternahm den Versuch, sich gegen seine Häscher zu wehren. Doch da tauchte einen Faust auf und stieß seinen Geist zurück in einen Wirbel aus Schmerz und Nebel. Chapats Kopf baumelte. Jemand packte ihn an den Haaren, um ihn festzuhalten. Der Fremde packte bestimmt nicht gerade gefühlvoll zu, aber Chapat verspürte keinen Schmerz. Er nahm überhaupt nur die nebensächlichen Dinge wahr, wie zum Beispiel, daß er auf einer harten Unterlage lag. Wie Schemen tauchten Warenstapel aus dem Nebel auf, glitten vorbei. Bullige Gestalten – Dockarbeiter – umgaben ihn. Er
selbst glitt in gerader Linie durch die Luft. Man brachte ihn auf einer Antigravbahre fort. Er betastete sich vorsichtig mit zitternden Händen. Jemand schlug sie ihm brutal hinunter. Aber Chapat hatte vorher schon festgestellt, daß seine Waffe weg war. Man hatte ihm einfach den Waffengürtel abgeschnallt. Die Phiole! Dieser schreckliche Gedanke lähmte ihn. Er erinnerte sich, daß er sich die Phiole in den Mund gesteckt hatte, bevor der Zugstrahl ihn kampfunfähig machte. Er hatte keine Ahnung, was die Phiole enthielt, Gift oder Sprengstoff. Aber die Wirkung des einen konnte so verheerend für ihn sein wie die des anderen, wenn er die Phiole schluckte. Und sie von den Magensäften zersetzt wurde. Und ihr Inhalt in seinem Körper frei wurde. Allein der Gedanke daran verursachte ihm Übelkeit. Aber er konnte sich sofort wieder beruhigen. Er bewegte die Zunge und spürte die Phiole unter ihr. Sein Transportmittel wurde angehalten. Wieder wurde er betastet, diesmal allerdings weniger brutal. »Los, Doc, machen Sie schon. Sie sollen die beiden Kerle nur so zusammenflicken, daß sie eine Weile aus eigener Kraft auf den Beinen stehen können.« Chapat verspürte einen leichten Einstich in seiner Armbeuge. Das zeigte ihm, daß das Gefühl in seinen Körper zurückkehrte. Hoffentlich war er bald soweit bei Kräften, daß er es mit seinen Gegnern aufnehmen konnte. »Der da wird in wenigen Augenblicken vernehmungsfähig sein.« Chapat assoziierte »vernehmungsfähig« mit »Polizei«. Das verleitete ihn sofort dazu, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Doch falls man ihm ein Wiederbelebungsmittel injiziert hatte, erreichte es im Moment noch die gegenteilige Wirkung; Chapat war wie gelähmt. »Und der andere?«
Die Menschenjäger von Arkon »Wird auch bald wieder auf den Beinen sein.« Chapat atmete auf. Atlan lebte!
* Das Büro war geräumig und luxuriös eingerichtet. Atlan hatte noch einen Brummschädel von dem Schlag auf den Hinterkopf. Aber seltsamerweise waren seine Sinne geschärft. Die Erklärung dafür hatte er von Chapat erhalten, bevor man sie hierher brachte. »Sie haben uns ein Aufputschmittel gegeben«, erklärte er. »Ich habe keine Ahnung, wie lange die Wirkung anhält. Aber danach wirst du dich ziemlich mies fühlen.« »Klar«, sagte einer ihrer vier Bewacher – Chapat hätte nicht geglaubt, daß es unter den eher zart gebauten Arkoniden auch solche Hünen gab. »Damit ihr nicht auf den Gedanken kommt, zu flüchten. Und jetzt Mund halten. Redet erst wieder, wenn ihr gefragt werdet.« »Polizei?« wagte Atlan trotzdem zu fragen. Er sah, wie Chapat den Kopf schüttelte. Gleichzeitig erhielt er einen Schlag in die Seite, der ihm die Luft nahm. Jetzt saßen sie in dem luxuriösen Büro. Die vier Wachtposten standen drohend hinter ihnen. Der metallene Schreibtisch mit den ineinander verschlungenen Stahlbeinen war leer. Sie mußten aber nicht lange warten, bis eine Tür aufging und vier Männer in Privatkleidung hereintraten. Drei von ihnen sahen nicht viel anders aus als die übrigen Leibwächter, nur daß sie eben vornehmer gekleidet waren. Der vierte Mann unterschied sich jedoch deutlich von ihnen. Keine Frage, daß er der »Chef« war. Er war ziemlich klein und fettleibig. Sein Gesicht war in den Fettmassen der Backen und des wulstig hervorquellenden Halses eingebettet. Die in fleischige Augenbrauen-
15 wülste und dicke Tränensäcke eingebetteten Äuglein wirkten wäßrig und verschlagen. Der vollippige Mund war ein rötliches Herz, als wäre er geschminkt. Der Mann hielt die Würstchenfinger der einen Hand gespreizt von sich, während er mit der anderen Hand ebenso geziert seinen Umhang raffte. Er lächelte Chapat und Atlan maliziös zu, während er hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Er streifte sich mit dem Zeigefinger das schulterlange, mit Flitter besprühte Haar aus der Stirn. Er legte sich die andere Hand auf den Bauch und deutete dann mit dem Zeigefinger, mit dem er gerade seine Haarsträhnen aus der schweißglänzenden Stirn gestrichen hatte, auf sich. »Ich heiße Kerlin Attofrest. Ich bin der Obermakler.« Er machte eine Pause, so, als wolle er dasGesagte auf seine beiden Gefangenen einwirken lassen. Dann fuhr er fort: »Ich habe einen Bericht über euer Wirken in der Lagerhalle erhalten. Ich werde daraus die Konsequenzen ziehen. Ich will euch gleich verraten, daß ihr nicht an die Behörde ausgeliefert werdet. Ich bin aber sicher, daß ihr euch das noch wünschen werdet. Ich weiß Bescheid über euch. Ich will eure Namen gar nicht wissen. Mich interessiert es nicht, was ihr auf dem Kerbholz habt, denn sonst müßte ich euch vielleicht doch noch der Polizei ausliefern. Ich rate euch also, über eure Personen zu schweigen, wenn ihr nichts mit der Polizei zu schaffen haben wollt. Ich höre.« Atlan faßte das als Aufforderung auf, sich zu äußern. Er stufte den Obermakler als eingebildeten Narziß ein und gedachte, diese Schwäche für sich auszunutzen. »Sie können über uns verfügen, Kerlin Attofrest«, begann Atlan, »denn Sie haben uns in der Hand. Es stimmt schon, daß wir der Polizei aus dem Wege gehen. Genaugenommen sind wir tatsächlich illegal nach Arkon II gekommen. Aber wir sind in einem Geheimauftrag unterwegs.« »Ich höre Geheimauftrag?« Der Obermakler hob eine Augenbraue.
16 »Das ist richtig«, bestätigte Atlan und wich Chapats fragendem Blick aus. »Wir sind einer Widerstandsgruppe, den sogenannten Wegbereitern der Zukunft, auf der Spur. Davon haben Sie sicherlich schon gehört.« »Ich – ja, ja.« »Wir haben uns in diese Organisation eingeschlichen, und sie auf Arkon I zerschlagen«, fuhr Atlan fort. »Doch erhielten wir Informationen, daß auch auf Arkon II ein Verschwörerring der Wedezu existieren soll. Es ist unser Auftrag, diese Terroristen unschädlich zu machen. Wenn Sie uns dabei unterstützen, wird der Imperator persönlich …« »Ich sagte doch deutlich genug, daß mich die Hintergründe eures Verhaltens nicht interessieren«, unterbrach der Obermakler ihn ärgerlich. »Ich habe durch euch große materielle Schäden erlitten. Ich verlange Wiedergutmachung.« »Die werden Sie auch bekommen«, behauptete Atlan. Kerlin Attofrest lächelte süffisant. »Ich werde mich auf meine Weise schadlos an euch halten. Ich werde euch auch verraten, wie das geschehen soll. Ich erlebe es immer wieder, daß Arkoniden, aus welchen Gründen auch immer, illegal nach Arkon II kommen. Ich nehme keine Rücksicht darauf. Ich habe auch noch nie einen dieser illegalen Auswanderer an die Behörden verraten, noch habe ich einen von ihnen freigelassen. Ich und meine Kollegen haben ein Spiel ersonnen, das uns unsere monotone Tätigkeit kurzweiliger gestalten soll. Ich deklariere die Rechtlosen als Ware und lasse sie als solche im Handelssystem von Arkon II zirkulieren.« »Sie betreiben Menschenhandel«, stellte Chapat empört fest. »Das können Sie mit uns nicht machen. Wir genießen Orbanaschols Schutz. Es wird Sie teuer zu stehen kommen, wenn …« Der Obermakler schnippte mit den Fingern, und Chapat verstummte mit einem Schmerzenslaut, als ihm einer der hinter ih-
Ernst Vlcek nen stehenden Wachtposten einen Schlag versetzte. »Ich habe es nicht gerne, wenn man mich unterbricht«, meinte Kerlin Attofrest tadelnd. »Ich werde euch jetzt in groben Zügen erzählen, was euch erwartet. Ich bin fair genug, euch nicht unvorbereitet in dieses Abenteuer zu schicken.« In der Folge erfuhr der staunende Atlan, daß auf Arkon II eine Händlerclique eine besonders teuflische Art von Menschenhandel und Menschenjagd betrieb. Und Kerlin Attofrest war der Anführer dieser Organisation. Wann immer ein Händler einen Flüchtling erwischte, der illegal von einer der beiden anderen Arkonwelten nach Arkon II gekommen war, wurde ein planetenumspannendes Spiel veranstaltet, an dessen Ende der Tod wartete. Der Händler deklarierte den Rechtlosen als Ware, verkaufte ihn als solche und schleuste ihn in das weitverzweigte Handelsnetz von Arkon II ein. Das bedeutete, daß der Rechtlose zusammen mit irgendwelcher anderer Ware weiterverkauft wurde, von Hand zu Hand ging und über viele Stationen zirkulierte. Der Händler, der diese »Ware« in Umlauf gebracht hatte, mußte nun versuchen, ihren Weg zu verfolgen und zu manipulieren. Eine besondere Variante dieses Spiels war es, wenn der betreffende Händler das Ziel der »Ware« voraussagte. Und wenn es ihm dann durch kluge Transaktionen gelang, die »Ware« an das vorbestimmte Ziel zu bringen, dann hatte er gewonnen und durfte bestimmen, was damit zu geschehen hatte. In der Regel wurde der auf diese Weise manipulierte Rechtlose getötet. Da einem einzelnen Händler zumeist die Möglichkeiten fehlten, verzwickte Transaktionen durchzuführen, stellte Kerlin Attofrest der Clique seine große Positronik zur Verfügung. Dadurch wurde das Manipulieren mit der »Ware« zwar erleichtert, aber da die Händler immer schwierigere Ziele programmierten und immer raffiniertere Transaktionen
Die Menschenjäger von Arkon einleiteten, gab es genügend Unsicherheitsfaktoren, die für einen gewissen Nervenkitzel sorgten. Mit Hilfe der Positronik und aufgrund ihrer eigenen Geschicklichkeit gelang es den Händlern bei 999 von 1000 Fällen, die »Ware« an das Ziel zu bringen. Und dann ersannen sie eine besonders ausgeklügelte Todesart für ihr Opfer. Kerlin Attofrest erzählte, daß er einmal eine »Ware« ein halbes Jahr kreuz und quer über Arkon II dirigiert hätte, bevor es ihm gelungen wäre, sie an den Ausgangsort – in sein eigenes Warenlager – zurückzubringen. Natürlich hatte er nicht vergessen, seinem Opfer genügend Proviant auf den Weg mitzugeben und auch sonst für sein leibliches Wohl zu sorgen. Die Pointe der Geschichte war, daß die »Ware« an dem von Attofrest eingesetzten Tag und sogar zu der vorbestimmten Stunde (und nach genau 100 Zwischenstationen) das Ziel erreichte – und das Opfer gerade seinen letzten Bissen seiner Nahrungsvorräte hinunterschlang. Und die Todesart? Dieser letzte Happen war vergiftet – und Kerlin Attofrest sah dem Rechtlosen beim Sterben zu. »Und welche Chance, ihr Schicksal zu bestimmen, haben die Betroffenen?« wollte Atlan wissen. »Keine«, antwortete der Obermakler. »Ich sehe nicht ein, daß eine Ware ein Selbstbestimmungsrecht haben soll. Ich bin der Händler. Ich bestimme, wie eine Ware gehandelt wird. Ich weiß auch schon, wie ich euch zirkulieren lasse. Ich habe seit einigen Tagen einen fertigen Plan für eine Transaktion mit zwei Handelsobjekten. Ich bin sicher, daß es mir gelingen wird, euch zwanzig Tage getrennt auf die Reise zu schicken und euch dann zusammen und an einem Ziel zu erwarten. Ich werde euch sterben lassen, ohne Hand an euch zu legen!« Der Obermakler machte eine geziert wirkende Handbewegung, und Atlan und Chapat wurden von den vier Wachtposten ergriffen und abgeführt. Atlan versuchte noch einmal, Kerlin Attofrest einzuschüchtern, indem er ihm mit
17 Strafmaßnahmen der Kralasenen drohte, in deren Dienste sie angeblich standen. Doch der Obermakler ließ sich davon nicht beeindrucken. Und Atlan konnte sich auch denken, wieso: Attofrest gedachte nicht, sie sogleich zu töten, sondern er legte sie erst einmal für zwanzig Tage auf Eis. Sollte sich in dieser Zeit herausstellen, daß sie wirklich einen Geheimauftrag von Orbanaschol hatten, so konnte der Obermakler seine Transaktionen jederzeit stoppen und sie freilassen. »Haben wir wirklich nicht die geringste Chance, uns zur Wehr zu setzen?« erkundigte sich Atlan vertraulich bei den Wachtposten. Die grinsten wissend. Einer ließ sich dazu herab zu sagen: »Der Obermakler bestimmt die Spielregeln. Vielleicht plant er sogar, euch wissen zu lassen, was euch blüht. Ich könnte mir vorstellen, daß das den Reiz für ihn noch erhöht.« Als Atlan zu Chapat blickte, sah er, wie dieser die Phiole mit der Zunge über seine Zähne rollte.
5. Atlan bekam einen Schwächeanfall und mußte von zweien der Männer beim Gehen gestützt werden. Er führte das darauf zurück, daß die Wirkung des Aufputschmittels nachließ und nun ein gegenteiliger Effekt einsetzte. Chapat erging es wie ihm. Die Wachtposten schienen damit gerechnet zu haben. Denn sie hatten sofort eine Antigrav-Transportscheibe zur Hand, auf die sie die beiden verluden. Man brachte sie in eine Lagerhalle. An einem Hinweisschild erkannte Atlan, daß dieses Lager außerhalb des Raumhafens lag. Zwei der Wachtposten sonderten sich ab. Atlan hörte, wie sie sich verabschiedeten. Ihr Dienst war beendet. Für den Fall, daß sie sich vor Antritt der Reise nicht wiedersehen würden, wünschten sie den beiden zurückgebliebenen Wachen viel Glück bei der Jagd.
18 Atlan grübelte darüber nach, was das zu bedeuten haben mochte. Aber es fiel ihm schwer, zusammenhängend zu denken und logische Überlegungen anzustellen. Er fühlte sich wie berauscht. »Was habt … ihr mit uns gemacht?« hörte er Chapat mit schwerer Zunge fragen. »Wir wollen doch nicht, daß ihr uns Schwierigkeiten bereitet«, sagte der eine Wachtposten. »Deshalb haben wir euch etwas gegeben, das euch zahm macht.« »… uns zahm macht …?« wiederholte Chapat. »Aber das flaut rasch wieder ab«, sagte der andere. »Bis ihr in den Transportbehältern steckt, seid ihr wieder die alten.« »Transportbehälter?« fragte jetzt Atlan. Für einen Augenblick sah er das Bild des Müll-Containers vor sich, in dem sie das Raumschiff verlassen hatten … Wie hieß es doch gleich? Er konnte sich an den Namen des Schiffes nicht erinnern. »Was sind das für Behälter?« erkundigte sich Chapat. Atlan wandte den Kopf zur Seite, kniff die Augen zusammen. Links und rechts von ihnen standen gut fünf Meter hohe Metallzylinder, die einen Durchmesser von zwei Metern hatten. Ihre Transportscheibe hielt an. »Das sind Giftgastanks«, wurde Chapat erklärt. »Mit zweien davon werdet ihr auf die Reise gehen.« Atlan strengte seine Augen an, um die Beschriftung der Behälter lesen zu können. Methan … Ammoniak … Wasserstoff, las er. Und unter der Bezeichnung »Spurenelemente« waren zwei Dutzend weiterer Gase angeführt. Atlan verspürte ein ungewohntes Mitteilungsbedürfnis. »Aber wir werden in den Giftgasbehältern umkommen«, sagte er. »Ihr bekommt natürlich Spezialbehälter«, erklärte einer der Wachtposten. »Zwar werdet ihr euch darin kaum bewegen können, aber jeder Behälter enthält ein Lebenserhaltungssystem, das euch zwanzig Tage lang mit allem Nötigen versorgt.«
Ernst Vlcek »Wir werden darin lebendig begraben sein«, empörte sich Chapat. »Allerdings.« »Geht ihr beide ebenfalls auf die Reise?« fragte Atlan. »Ja. Wieso kommst du darauf?« »Eure Kameraden erwähnten es, als sie sich von euch verabschiedeten.« »Nun, es schadet nichts, wenn ihr wißt, daß wir versuchen werden, in eurer Nähe zu bleiben. Wir reisen sozusagen als Schiedsrichter und Protokollführer mit.« »Warum das?« »Zum Beispiel, um Sabotage zu verhindern und um zu vermeiden, daß gemogelt wird. Man könnte ja eure Behälter einlagern und nur vortäuschen, daß sie zirkulieren. Kapiert?« »Warum läßt du dich mit den beiden überhaupt ein«, sagte der andere Wachtposten vorwurfsvoll. »Los, verfrachten wir sie lieber in die Behälter, damit wir es hinter uns haben. Und dann machen wir, daß wir von hier fortkommen. Ich möchte nicht erwischt werden.« »Was habt ihr denn zu befürchten?« fragte Atlan. »Halt's Maul!« »Ah, ich kann es mir denken«, rief Atlan, als hätte er die größte Entdeckung seines Lebens gemacht. Er war immer noch wie berauscht. »Was kannst du dir denken?« »Das ist keiner von Attofrests Lagerräumen, stimmt's?« »Klug kombiniert«, sagte der redseligere der beiden Wachtposten. »Der Obermakler hat sich selbst einen Schwierigkeitsgrad auferlegt. Die Transaktionen werden noch komplizierter, indem er eure beiden Transportbehälter einer anderen Handelsgesellschaft unterjubelt. Er wird versuchen, euch über Strohmänner zurückzukaufen. Sollte das fehlschlagen … Aber wozu erzähle ich euch das?« »Ich würde gern mehr darüber erfahren.« Statt einer Antwort wurde Atlan aufgehoben. Er ließ es widerstandslos mit sich ge-
Die Menschenjäger von Arkon schehen. Die beiden Männer kletterten mit ihm auf eine Rampe hinauf und brachten ihn zu deren Rand. Dort stand einer der Giftgasbehälter. Das heißt, der Zylinder sah genauso aus wie der Giftgasbehälter, wies auch dieselbe Beschriftung auf – nur war er oben offen. Atlan wurde in ihn hineingelassen. Er versank darin. Die beiden Männer hantierten eine Weile an der Einrichtung des Behälters. Dann schob der eine einen Schlauch in Atlans Mund. »Sauge daran.« Atlan gehorchte. Eine warme, anregende und angenehm schmeckende Flüssigkeit quoll in seinen Mund. »Wohl bekomm's«, sagte der Wachtposten und schloß über Atlans Kopf den Behälter. Zuerst bemächtigte sich Atlans ein Gefühl der Platzangst. Aber er beruhigte sich sofort wieder, als ein schwaches Lämpchen anging und ein diffuses Licht verbreitete. Er sog weiter an dem Schlauch, bis er gesättigt war. Und dann ging eine Änderung mit ihm vor sich. Schlagartig verschwand das Gefühl des Berauschtseins, die Euphorie wich der Ernüchterung. Atlan war sich auf einmal seiner schrecklichen Lage bewußt. Er war in dem Behälter eingeschlossen. Bewegungsunfähig. Für zwanzig Tage. Wenn sich nach dieser Frist der Behälter öffnete, würde Kerlin Attofrest ihn erwarten, um ihn zu töten. Gab es keinen Ausweg? Atlan versuchte, sich herumzudrehen. Aber es war ihm nicht möglich, seine Lage zu verändern. In dem Behälter war es so eng, daß er nicht einmal einen Arm heben konnte. Plötzlich war ihm, als ging eine Erschütterung durch den Behälter wie von einem Erdbeben. Wurde er bereits verladen? Atlan winkelte unter Anwendung seiner ganzen Kräfte den Arm ab und schließlich gelang es ihm sogar, den Arm zu heben. Er trommelte gegen die Wandung vor seinem
19 Gesicht, doch das Isoliermaterial schluckte jedes Geräusch. Von draußen drangen auch keine Geräusche zu ihm. Oder doch? Da war tatsächlich ein Geräusch. Es kam vom Deckel seines Behälters. Er hob den Kopf und sah, wie sich ein schmaler Spalt bildete, breiter wurde, bis der Deckel gänzlich zurückgeklappt war und die kreisrunde Öffnung freigab. Darüber war Chapats grinsendes Gesicht zu sehen. »Ende der Reise«, sagte er und zog Atlan an der Hand aus seinem Gefängnis. Atlan wollte schon fragen, wie es Chapat gelungen war, sich zu befreien. Doch dann erblickte er die beiden Wachtposten. Sie lagen unterhalb der Rampe und waren übel zugerichtet. Atlan konnte sich denken, wie es dazu gekommen war. Er wußte jetzt auch, worauf die Erschütterung zurückzuführen war, die er in dem Behälter verspürt hatte. Dennoch fragte er: »Wie ist es gekommen, Chapat?« »Du erinnerst dich an die Phiole, die wir Cryll Enkena abgenommen haben«, sagte Chapat. »Nachdem die beiden dich in den Behälter verfrachtet hatten und zu mir kamen, um mit mir dasselbe zu tun, hatte ich für einen kurzen Moment wieder meine Sinne beisammen. Ich schleuderte ihnen die Phiole entgegen. Wie du siehst, enthielt sie kein Gift, sondern einen Explosivstoff. Die beiden waren auf der Stelle tot. Ich habe mir schon überlegt, was wir mit ihnen tun können. Schließlich müssen wir die Leichen beseitigen.« Atlan wußte, was Chapat vorhatte. Das Verschwinden der beiden würde nicht weiter auffallen, da sie ohnehin beabsichtigt hatten, mit den beiden Behältern auf die Reise zu gehen. Warum sollten sie dann nicht gleich an Stelle von Atlan und Chapat in ihnen reisen? Es war alles andere als eine erfreuliche Tätigkeit, die Leichen in den Transportbehältern zu deponieren. Aber Atlan und Chapat entledigten sich dieser Aufgabe in wenigen Minuten und legten erst eine Ruhepause
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ein, als die Deckel der Behälter geschlossen waren. »Geschafft«, sagte Chapat aufatmend. »Jetzt sind wir erst einmal vor einer Entdeckung sicher und können in der Versenkung verschwinden.« »Irrtum«, widersprach Atlan. »Wir müssen zuerst noch Attofrests Positronik einen Besuch abstatten.« »Warum das?« »Weil wir es dem Obermakler so schwer wie möglich machen müssen, den Weg der beiden Behälter zu verfolgen.«
* Sie hatten den beiden Wachtposten nicht nur die Strahlenwaffen abgenommen, sondern auch ihre persönlichen Habseligkeiten. So kamen sie in den Besitz eines beachtlichen Barvermögens – und zu einem Schlüsselbund. Atlan vermutete, daß die Schlüssel für die Lagerräume und verschiedene Büros der Handelsniederlassung paßten. Diese Vermutung bestätigte sich, als sie nach Einbruch der Nacht in das verlassene Bürogebäude eindrangen. Zuerst durchsuchten sie das Erdgeschoß. Keine der versperrten Türen war für sie ein Hindernis. Selbst eine Energiebarriere, die einen der Bürotrakte von den übrigen abschirmte, war für sie nicht unüberwindlich. Atlan brauchte nur den entsprechenden Schlüssel in die Kontaktöffnung der Anlage einzuführen – und die Energiebarriere fiel in sich zusammen. In einem der dahinterliegenden Büros fanden sie auch einen Plan des gesamten Hochhauses. Darauf war ersichtlich, daß die Positronik in der siebten Etage untergebracht war. Atlan war dreist genug, im Lift hinaufzufahren. Das war nicht einmal ein besonderes Wagnis, weil er schnell herausgefunden hatte, daß er einen Generalschlüssel für alle Alarmanlagen in diesem Haus besaß. So mühelos wie in die siebte Etage ge-
langten sie auch in den Raum mit der Positronik. Hier wurde die Angelegenheit allerdings komplizierter. Atlan war mit arkonidischen Computern vertraut genug, um einige harmlose Schaltungen vornehmen zu können. Dadurch erfuhr er einige interessante Dinge über die Grundzüge der Händlergepflogenheiten von Arkon II. Aber an die Datenspeicher von Attofrests Handelsgesellschaft kam er nicht heran. Man mußte schon den Kode kennen, um die wichtigen Speicher zu erreichen. Immerhin konnte Atlan sein Wissen über die Machenschaften der Händlerclique bereichern, die sich auf so widerwärtige Weise mit Menschenjagd vergnügte. Man schreckte dabei vor nichts zurück. Die rechtlosen Flüchtlinge von den beiden anderen Arkonwelten wurden – manchmal sogar, ohne es zu wissen – tatsächlich wie Ware gehandelt. Und die Regierung sah tatenlos zu, ja, nicht selten beteiligten sich hohe Beamte an dieser Art von Menschenjagd, in der Regel aber nur dann, wenn persönliche Feinde das Jagdobjekt waren. Über den speziellen Fall der beiden »Giftgasbehälter« fand Atlan jedoch nicht viel heraus. Er hatte sich die Nummer der beiden Behälter notiert. Als er sie in den Computer eingab, bekam er eine äußerst unbefriedigende Antwort. Auf dem Leuchtschirm erschien folgende Notiz: »Beschränkt versteigerungsfähiges Warengut – Experimentalcharakter – Transportbehälter entsprechen den Sicherheitsbestimmungen – Inhalt: unreines Ammoniak-Methan-Wasserstoffgemisch – Negativ.« Atlan gab aber nicht auf, und so gelang es ihm durch Abberufung weiterer Daten, die im Händlerjargon gehaltene Notiz zu entschlüsseln. Im Gegensatz zu den anderen Giftgasbehältern – die von der Regierung angekauft worden waren – konnten die beiden besonders deklarierten Behälter von Privaten ersteigert werden. Allerdings gab es eine Beschränkung, nach der Giftgasbehälter nur von Personen ersteigert werden durften, die
Die Menschenjäger von Arkon einen Befähigungsnachweis brachten. In Zusammenhang mit der Bezeichnung »Experimentalcharakter« war gemeint, daß diese beiden speziellen Behälter nur von Händlern erstanden werden durften, die sich ihrerseits wiederum verpflichteten, sie an Wissenschaftler für Experimente weiterzugeben. Durch Zufall fand Atlan noch heraus, daß die ganze Ladung Giftgasbehälter nach dem kleinen Raumhafen Kering-Thang transportiert werden sollte. Empfänger war – die beiden »Experimentalbehälter« ausgenommen – der dortige militärische Stützpunkt. Atlan fragte sich, wozu man dort das Methangemisch benötigte. Es war naheliegend, daß es für die Versorgung gefangener Methanatmer gebraucht wurde. Als Atlan jedoch von der Positronik Informationen über die Kriegsgefangenen von Kering-Thang haben wollte, erfuhr er, daß es auf dem Raumhafen keine Lager gab, in dem Maahks interniert waren. Wozu wurde dann das Methangemisch benötigt? Es konnte natürlich sein, daß die Giftgasbehälter in Kering-Thang nur Zwischenstation machten. Atlan machte sich darüber keine weiteren Gedanken mehr. Er hatte bereits einen Plan gefaßt. Von der Positronik erfuhr er die Adresse einer kleinen Manufaktur, die befähigt war, mit Giftgasbehältern zu handeln. Diese Handelsgesellschaft besaß sowohl in Kering-Thang als auch in Olp'duor eine Niederlassung. Atlan tippte in den Fernschreiber als Empfänger die Niederlassung in KeringThang ein und bat in Attofrests Namen um Ersteigerung der beiden »Experimentalbehälter«. Er schickte die Bestellung jedoch noch nicht ab, sondern schaltete bloß auf Automatik. Wer am nächsten Tag das Gerät in Betrieb nahm, würde damit gleichzeitig das Fernschreiben abschicken. Es beruhigte Atlan, zu wissen, wo die beiden Transportbehälter demnächst landen würden. Danach widmete er sich wieder der Positronik. Er arbeitete die halbe Nacht durch, bis er eine Möglichkeit fand, den Computer
21 funktionsuntauglich zu machen. Er hätte ihn natürlich durch Strahlenbeschuß zerstören können, was ihm aber nichts eingebracht hätte. Denn bei gewaltsamer Beschädigung von außen schaltete sich automatisch das Sicherheitssystem ein, das sämtliche Daten drahtlos in außer Haus liegende Speicher abstrahlte. Dazu kam es aber nicht, wenn sich die Positronik selbst zerstörte. Und eine Selbstvernichtungsanlage existierte. Atlan benötigte den Rest der Nacht, um jene Schaltungen vorzunehmen, die die Positronik veranlassen würden, sich bei Inbetriebnahme selbst zu zerstören. Damit wäre dann der Weg der beiden »Experimentalbehälter« nicht mehr kontrollierbar. Bis der Obermakler herausfand, wo die beiden Behälter waren, würden bestimmt einige Tage vergehen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß jemand über das Fernschreiben stolperte, aus dem hervorging, daß Attofrests Gesellschaft selbst die Vermittlung der beiden Behälter an einen Händler in Kering-Thang übernommen hatte, war äußerst gering. Atlan und Chapat verließen das Bürogebäude nicht durch den Hauptausgang, sondern begaben sich auf das Dach. Dort hielten sie sich solange versteckt, bis die ersten Angestellten mit ihren Privatgefährten oder den Schwebebussen eintrafen. Sie mischten sich unter sie, mieteten einen Robotschweber und ließen sich ans andere Ende von Olp'duor fliegen. Noch während des Fluges hörten sie in den Nachrichten, daß in der AttofrestManufaktur die Selbstzerstörungsanlage der Positronik gezündet hatte – offenbar ohne irgendwelches Fremdverschulden.
6. Atlan und Chapat mieteten sich in einem Büro am Rande von Olp'duor ein. Sie nannten sich Gonzal und Ischton und ließen sich als freie Händler eintragen. Die Kaution dafür brachten sie spielend auf – aus der Bar-
22 schaft der beiden getöteten Wachposten. Und ihnen verblieb immer noch Bargeld genug, um einige Transaktionen durchzuführen. Atlan, alias Gonzal (was von Gonozal abgeleitet wird), bestand darauf, daß sie beide ihre Masken ablegten. Nämlich deshalb, weil sie sonst Gefahr liefen, zufällig von einem von Attofrests Leuten entdeckt zu werden. Chapat, alias Ischton (diesen Namen hatte Atlan in Anlehnung an Ischtar ihm gegeben), wollte davon zuerst nichts wissen. Er begründete das damit, daß sie sich ohne Maske zu ähnlich sähen. Und damit waren sie bei einem Thema angelangt, das Atlan nach wie vor beschäftigte. Während der Turbulenz der vergangenen Ereignisse waren sie nicht mehr dazu gekommen, ihre persönlichen Probleme zu diskutieren. Was aber nicht hieß, daß sich Atlan nicht ständig Gedanken darüber machte. Ein Gedanke tauchte immer wieder auf: War nun Chapat sein Sohn, der aus der Verbindung zwischen ihm und Ischtar hervorgegangen war? »Hast du dir eigentlich überlegt, worauf unsere starke Ähnlichkeit zurückzuführen sein könnte, Chapat?« meinte Atlan wie nebenbei, während er vor dem Spiegel im Badezimmer ihres Büros saß. Chapat war hinter ihn getreten. Er trug keinen Bart mehr, die Altmänner-Schminke hatte er sich abgewaschen. Atlan löste gerade die letzten Reste seiner Gesichtsmaske. Chapat betrachtete ihr Spiegelbild. »So frappierend finde ich die Ähnlichkeit gar nicht«, behauptete er, während er ihr Spiegelbild betrachtete. »Ich sehe viel jünger als du aus.« »Stimmt – wie mein jüngeres Ich«, erwiderte Atlan. Chapat lachte plötzlich. Es war einer der seltenen Augenblicke, wo er seine Melancholie und den fast tierischen Ernst ablegte. »Wer sagt dir, daß ich nicht dein jüngeres Ich bin«, sagte Chapat.
Ernst Vlcek »Was soll denn das schon wieder«, fragte Atlan leicht verwirrt. Chapats Lächeln erlosch langsam, aber seine Stimme klang immer noch erheitert, als er sagte: »Du weißt nun mit Sicherheit, daß wir in eine Zeit verschlagen wurden, in der dein jüngeres Ich um den Thron von Arkon kämpft. Und du bist in echter Sorge darüber, daß du dir selbst begegnen und so ein Zeitparadoxon heraufbeschwören könntest. Was, wenn ich dir nun sage, daß du das nicht zu befürchten brauchst, weil dein jüngeres Ich in deine Zeit verschlagen wurde und dort als Chapat auftrat – und mittels des IschtarMemory und Zharadins Illusionsmaschinen wieder in seine eigene Zeit verschlagen wurde. Was, wenn du schon die ganze Zeit mit deinem jüngeren Ich zusammen gewesen bist? Glaubst du mir, daß du ich sein könntest?« »Du spinnst!« sagte Atlan überzeugt, versank daraufhin aber in brütendes Schweigen. Er überlegte sich Chapats Worte, fand, daß, so phantastisch sie klangen, sie andererseits auch die Wahrheit getroffen haben könnten. Vielleicht handelte es sich wirklich um einen teuflischen Schachzug von Ischtar, die aus Rache – oder welchem Motiv auch immer – sein jüngeres Ich als seinen Sohn Chapat auftreten ließ. Fürwahr, eine zeitparadoxe Intrige. Aber Atlan konnte nicht glauben, daß es so war. Und ein Blick in Chapats Augen gab ihm Gewißheit. Schalk blitzte darin auf. »Du willst mich nur verwirren«, stellte Atlan fest. Chapat lachte wieder. Atlan sagte ärgerlich: »Okay, du hast deinen Spaß gehabt. Du hast dir den unpassendsten Augenblick dafür ausgesucht.« Chapat tat, als sei er eingeschnappt. »Du verlangst immer, die Wahrheit über mich zu erfahren. Und wenn ich sie dir dann sage …« »Genug davon.« Atlan machte eine abschließende Handbewegung. Chapat hatte es wieder einmal fertiggebracht, sich gekonnt aus einer verfänglichen Situation herauszu-
Die Menschenjäger von Arkon reden. Und er hatte es geschafft, daß sich Atlan wider besseres Wissen immer wieder fragen mußte, ob er hier nicht tatsächlich sein jüngeres Ich vor sich hatte. »Komm, wir wollen uns auf dem Raumhafen etwas umsehen und umhören«, sagte Atlan, um dem Teufelskreis seiner abstrusen Gedankengänge zu entrinnen. »Mischen wir uns unter das Händlervolk.«
* Atlan ersteigerte eine Partie räudiger Sommerpelze. Er wußte, daß er einen schlechten Kauf getan hatte, und er wußte, daß er damit ins Gerede kam. Atlan ersteigerte anschließend drei Dutzend leere – und lecke – Giftgasbehälter, mietete einen Arbeitsroboter und ließ von ihm jeden geraden Behälter mit der Nummer 12-688-A2 und jeden ungeraden mit der Nummer 12-689-A2 versehen. Diese Nummern trugen auch die Giftgasbehälter, die als Transportmittel für ihn und Chapat gedacht waren und in denen sich jetzt die Leichen ihrer Bewacher befanden. Nachdem dies geschehen war, ließ er die Behälter an sechsunddreißig Händler als »Werbegeschenke« der Gonzal u. Ischton Manufaktur verschicken. Damit hoffte er, Attofrest die Suche nach den beiden Originalbehältern zu erschweren. Danach tüftelte Atlan einen Plan aus, wie er sich der Pelze entledigen und gleichzeitig sein Image als Händler verbessern konnte. Er kannte die Gepflogenheiten der Händler von Arkon II nun gut genug, um zu wissen, welche Transaktionen er tätigen mußte, um seinen Bluff zu landen. Zuerst bestach er einen Naturheilkundigen. Der besah sich die Pelze in Atlans Lager und behauptete vor Zeugen, daß diese Pelze eine starke Heilwirkung bei verschiedenen Krankheiten hatten – unter anderem beseitigten sie Schlafstörungen, wenn man sich auf sie bettete. Natürlich nahmen die anderen Händler diese Behauptungen skeptisch auf.
23 Einer gab Atlan den vertraulichen Hinweis: »Die Politik verursacht unserem Imperator in letzter Zeit gehörige Kopfschmerzen, was natürlich zu Schlafstörungen führt. Reden Sie ihm Ihre Pelze ein, Gonzal, und wenn sich die versprochene Wirkung einstellt, dann stehen Sie hoch in seiner Gunst. Es ist sogar wahrscheinlich, daß Sie dann adelig gesprochen werden.« »Oder er wird um einen Kopf kürzer«, meinte jemand aus dem Hintergrund kichernd. Atlan spielte weiterhin den Naiven. »Ich würde dem Imperator nur zu gerne meine Dienste antragen. Aber ich habe für den Kristallplaneten keine Lizenz. Wie sollte ich dann erst auf den Hügel der Weisen und in den Kristallpalast Orbanaschols gelangen?« »Nicht nötig«, sagte der Händler in streng vertraulichem Ton. »Orbanaschol kommt nach Arkon II.« »Ist das sicher?« fragte Atlan, der sein Interesse nunmehr nicht erst zu mimen brauchte. »Ich weiß das aus sicherer Quelle. Alle Händler von Olp'duor wissen das.« »Was ist der Grund für seinen Besuch?« erkundigte sich Atlan. »Kommt der Imperator nach Olp'duor?« Der Händler gab keine Auskünfte mehr. »Sie sind schlau genug, Gonzal«, spottete er. »Sie werden schon einen Weg finden, alles Weitere in Erfahrung zu bringen.« In der Zwischenzeit war Chapat von Atlan beauftragt worden, der Keelon-Manufaktur einen Besuch abzustatten. Die KeelonManufaktur war jene Handelsgesellschaft, die auf dem Raumhafen Kering-Thang eine Niederlassung hatte und bei der Atlan in Attofrests Namen den fingierten Auftrag gegeben hatte, die beiden Transportbehälter aufzukaufen, in denen sich die Leichen befanden. Chapat erreichte nun unter Hinterlegung einer angemessenen Vermittlungsgebühr, daß die Keelon-Manufaktur in seinem Auf-
24 trag die ganze Partie von Sommerpelzen aufkaufte. Kaum war Chapat in das Lager der Gonzal u. Ischton Manufaktur zurückgekehrt, als das Angebot für die Sommerpelze eintraf. Und zwar bot die Keelon-Manufaktur den doppelten Preis. Die anderen Händler, die Zeugen dieser Transaktionen wurden, staunten und revidierten ihre Meinung über den für einfältig gehaltenen Gonzal. Sie konnten auch nicht wissen, daß Atlan die Pelze um den doppelten Preis praktisch von sich selbst gekauft hatte. Und sie würden es auch nie erfahren, weil der Ankauf über die Keelon-Manufaktur auf einen fingierten Namen lief. Atlan hatte zwar die Pelze und eine Menge Geld verloren, aber immerhin hatte er bei den anderen Händlern an Ansehen gewonnen. Und er hatte eine weitere Brücke zu Keelon-Manufaktur geschlagen. Als er diese Transaktionen in die Wege geleitet hatte, war ihm noch nicht klargewesen, wie er Nutzen daraus schlagen konnte. Doch inzwischen hatte sich einiges geändert, und in ihm begann ein Plan zu reifen. Als er mit Chapat allein war, sagte er: »Orbanaschol kommt nach Arkon II.« »Wegen uns?« fragte Chapat. »Den Grund seines Besuches konnte ich noch nicht erfahren. Die Händler tun recht geheimnisvoll. Aber ich kann nicht recht glauben, daß er sich eigens unseretwegen hierher begibt. Seine Agenten sind uns ja nicht einmal auf der Spur.« »Wer weiß«, meinte Chapat. Atlan machte eine wegwerfende Handbewegung. »So wichtig, wie wir glauben, sind wir für Orbanaschol sicherlich nicht. Ganz bestimmt würde er unseretwegen nicht die Sicherheit des Kristallpalasts verlassen.« »Es muß also einen gravierenden Grund geben?« »Das vermute ich. Und ich werde ihn schon noch herausbekommen.« »Wie?« Chapat machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich kann mir vorstellen, daß Orba-
Ernst Vlcek naschols Mission strengster Geheimhaltung unterliegt. Willst du seine engsten Vertrauten befragen?« »Es muß irgendwo eine undichte Stelle geben. Denn wenn die Händler wissen, daß er kommt, dann wird auch der Grund seines Besuches für sie kein Geheimnis sein. Ich werde der Keelon-Manufaktur einen Besuch abstatten.« »Aber dort kennt man mich bereits unter einem falschen Namen«, gab Chapat zu bedenken. »Eben. Darum wirst du hier bleiben und zu einem genau verabredeten Zeitpunkt bei Keelon anrufen. Paß auf …«
7. Die Keelon-Manufaktur war ein ZweiMann-Betrieb. Einer fungierte als Lagerarbeiter und beaufsichtigte drei schrottreife Arbeitsroboter. Der andere trug ebenfalls Arbeitskleidung, machte bei Atlans Eintreffen jedoch Büroarbeit. Atlan konnte sich ein Grinsen nur mit Mühe verkneifen, als er in einem Winkel des Lagers den Berg Pelze entdeckte. Ein Arbeitsroboter stand dort Wache und hielt ein Dutzend Arkoniden in Schranken, die anscheinend Interesse für die Pelze bekundeten. »Scheint eine Rarität zu sein, wenn es so viele Interessenten für die Pelze gibt«, sagte Atlan zu dem Lagerarbeiter. Der rümpfte die Nase. »Ich würde sie sofort dem Meistbietenden überlassen. Weiß nicht, was die Leute daran finden. Aber vorerst sind die Pelze unverkäuflich.« »Was Sie nicht sagen! Sie wollen also den Preis künstlich hochtreiben.« »Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte der Lagerarbeiter mißtrauisch. »Ich möchte zu Keelon.« »Der ist nicht hier. Er leitet die Geschäfte in Kering-Thang. Aber Prelog« – er deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung Büro – »besitzt alle Vollmachten.«
Die Menschenjäger von Arkon »Ich weiß«, log Atlan. »Dann muß ich eben mit ihm vorliebnehmen.« »Interessieren Sie sich etwa auch für die Pelze?« rief der Lagerarbeiter ihm nach. Atlan drehte sich um und sagte: »Ich interessiere mich für alle dunklen Geschäfte der Keelon-Manufaktur.« Atlan wartete nicht erst seine Reaktion ab, sondern betrat das Büro. Er hatte bisher den Zeitplan genau eingehalten. Wenn sich Chapat ebenfalls daran hielt, dann mußte sein Anruf in fünf Minuten kommen. »Sind Sie Prelog?« sagte Atlan statt einer Begrüßung, als er ins Büro der Manufaktur kam. »Zu Diensten«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er war von der Statur her ein typischer Arkonide, groß und schlank. Aber der Oberkörper war etwas nach vorn gebeugt, sein schmales Gesicht wies unzählige Runzeln auf, es zuckte unaufhörlich darin. Der Mann besaß keine besonders guten Nerven. Seine Hände waren derb und schwielig, woraus man schließen konnte, daß er auch gelegentlich zupacken mußte. Wahrscheinlich immer dann, wenn die altersschwachen Arbeitsroboter ausfielen. »Was kann ich für Sie tun?« »Sie können mir einige Auskünfte geben.« »Das hier ist kein Auskunftsbüro.« »Ja, ich weiß«, sagte Atlan mit der nötigen Spur Sarkasmus. »Die Keelon-Manufaktur tut sehr geheimnisvoll, wenn es um illegale Geschäfte geht.« »Mein Herr!« Prelog sprang auf und trommelte dabei mit den Händen nervös auf die Tischplatte. »Was nehmen Sie sich heraus. Ich werde …« »Sie werden den Mund besser nicht so voll nehmen!« herrschte Atlan ihn an. Plötzlich hielt er einen Strahler in der Hand. »Und keine Dummheiten. Lassen Sie die Waffe, wo sie ist.« Prelog schluckte. Er begann plötzlich am ganzen Körper so zu zittern, daß er sich setzen mußte. Atlan ging um den Tisch herum
25 und öffnete die Lade. Darin lag ein Strahler, ein uraltes Modell; wahrscheinlich funktionierte die Waffe nicht einmal mehr. Atlan nahm sie heraus und schleuderte sie in eine Ecke. »Wenn ich melde, daß Sie mich bedrohen wollten, dann kommt Sie das teuer zu stehen, Prelog.« »Aber …« Es verschlug ihm die Stimme. »Ich habe doch nicht … Was fällt Ihnen ein!« Er verstummte, als Atlan ihm die Waffe unter die Nase hielt und ihn durchsuchte. »Daß Sie es gleich wissen«, sagte Atlan, während er wieder um den Schreibtisch herumging und sich in einen Besuchersessel sinken ließ. Er hielt den Strahler weiterhin auf Prelog gerichtet, aber so, daß man es von draußen nicht sehen konnte, »wir haben einen Hinweis über eine Verschwörung bekommen. Wir wissen alles!« »Aber … was habe ich damit … zu tun«, stotterte Prelog. Er zuckte zusammen, als das BildSprechgerät anschlug. Atlan bedeutete ihm mit einem Wink der Waffe, das Gespräch anzunehmen. »Keelon-Manufaktur, Olp'duor«, meldete sich Prelog mit zittriger Stimme. »Aktion Reinemachen«, sagte eine Stimme, und Atlan erkannte die von Chapat. »Wie bitte?« fragte Prelog. »Das ist für mich«, sagte Atlan barsch und zog das Gerät zu sich heran. Auf dem Bildschirm war nichts zu sehen; Chapat hatte, wie aufgetragen, die Aufnahmeoptik seines Geräts abgedunkelt. »Ich bin's, Agent Zeno«, sagte Atlan ins Mikrophon. »Alles in Ordnung?« ertönte es besorgt aus dem Lautsprecher. »Ich lebe noch«, antwortete Atlan. »Sollen wir Verstärkung schicken?« »Ich glaube, das ist nicht nötig. Prelog macht den Eindruck, daß er vernünftig sein wird. Ich werde schon von ihm herausbekommen, wer seine Hintermänner sind. Wenn nicht …« »Kein falsches Mitleid, Agent Zeno! Wir
26 haben es hier mit einer skrupellosen Verschwörergruppe zu tun. Terroristen, hinterhältige Meuchelmörder. Wir müssen die Attentäter um jeden Preis noch vor der Ankunft des Imperators fassen … Soll ich nicht doch Verstärkung schicken?« »Nein, Prelog wird vernünftig sein.« Während Atlan das sagte, warf er seinem zitternden Gegenüber einen fragenden Blick zu. Prelog nickte eifrig. Abschließend sagte Atlan: »Ende!« Er schob den Apparat wieder über den Tisch. »Jetzt wissen Sie Bescheid, Prelog?« »Ja«, kam es krächzend über dessen Lippen. »Sie sind von der Geheim …« »Behalten Sie es für sich«, unterbrach Atlan ihn. »Und antworten Sie nur auf meine Fragen – aber präzise. Was hat es mit den Pelzen dort draußen auf sich?« »Ich bin nicht befugt, darüber …« »Wie Sie wollen. Dann werde ich Ihnen sagen, was damit los ist.« Und Atlan erzählte ihm alle Einzelheiten über diese dubiose Transaktion und daß sie unter einem fingierten Namen abgewickelt worden sei. Das mußte bei Prelog den Eindruck machen, daß Orbanaschols Geheimagenten die Keelon-Manufaktur überwachten, nur konnte er sich wohl kaum vorstellen, welche Gesetzesübertretung man mit der Vermittlung der Pelze begangen haben sollte. »Das ist ein ganz legales Geschäft«, verteidigte sich Prelog. »Ah, in Ihren Augen ist es legal, daß man diese Pelze in Mordinstrumente umwandelt und sie auf Umwegen in den Kristallpalast einschmuggelt.« Dem Händler blieb vor Schreck der Mund offen. Er tat Atlan direkt leid, aber wenn er überzeugend wirken wollte, mußte er ihn hart anpacken. Bevor Prelog sich noch überlegen konnte, wie man räudige Sommerpelze in Mordinstrumente umfunktionieren konnte, startete Atlan bereits seine nächste Attacke. »Ist Ihnen bekannt, daß der Imperator
Ernst Vlcek nach Arkon II kommen wird?« »Ich …« »Ja oder nein?« »Ja …« »Woher wissen Sie das?« »Es hat sich herumgesprochen.« »Wirklich? Alles was mit dem Besuch des Imperators zusammenhängt, unterliegt größter Geheimhaltung. Und da sagen Sie, es habe sich herumgesprochen. Von wem haben Sie die Information?« »Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe zufällig …« »Zufällig!« schrie Atlan künstlich erregt. »Sie begehen Hochverrat wohl auch nur zufällig. Ich rate Ihnen dringend, Prelog, nicht mehr zu versuchen, Ihre Hintermänner durch Lügen zu decken. Hier geht es um Ihren Kopf!« »Aber …« Prelog brach wieder die Stimme. »Wir wissen, daß auf Arkon II ein Anschlag auf den Imperator geplant ist. Und vieles deutet darauf hin, daß die KeelonManufaktur das Zentrum der Verschwörer ist. Die Pelze sind nur ein Beweis.« »Aber ich weiß nichts von einer Verschwörung«, beteuerte Prelog weinerlich. Er war einem Nervenzusammenbruch nahe, und Atlan fand, daß er ihn hart genug angepackt hatte. »Sagen Sie mir alles, was Sie über den Besuch des Imperators wissen«, forderte er Prelog auf. »Alles! Verstanden?« Prelog nickte. Er benetzte sich die Lippen, räusperte sich. Aber seine Stimme klang immer noch rauh, als er zu sprechen begann. »Ich bin unschuldig … das kann ich beschwören. Ich weiß nicht mehr genau, von wem ich es zuerst erfahren habe, daß der Imperator nach Arkon II kommt …. ich hatte wirklich den Eindruck, daß es kein Geheimnis sei. Auf jeden Fall benachrichtigte mich Keelon selbst über Funk, daß der Imperator in Kering-Thang landen würde …« »Aha«, machte Atlan. »Weiter!« »Keelon wußte damals aber noch nichts von der Geheimkonferenz. Darüber erfuhr
Die Menschenjäger von Arkon ich von anderer Seite. Zuerst glaubte ich, daß es sich nur um ein Gerücht handele. Aber das Gerücht verdichtete sich. Ich meldete Keelon, daß der Imperator ziemlich sicher nur wegen einer Geheimkonferenz nach Arkon II komme, die auf einem Spezialraumschiff in Kering-Thang stattfinden würde. Keelon behauptete, das schon längst zu wissen. Die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Raumhafen seien schließlich nicht zu übersehen … Es sickerten immer mehr Informationen über die Geheimkonferenz durch. Und dann erfuhr ich, daß eine Delegation von Methanatmern auf Arkon II erwartet wurde. Es gehörte nicht viel dazu, sich auszurechnen, daß der Imperator sich mit den Methanatmern zu Verhandlungen treffen würde … Aber sicher weiß ich es immer noch nicht.« »Sie wissen zuviel, Prelog«, sagte Atlan. Vielleicht klang das aber nicht so recht überzeugend, denn Atlan war mit den Gedanken bereits ganz woanders. Ihm wurde nun vieles klar, nur eines nicht: Welche Veranlassung hatte Orbanaschol III., sich mit den Maahks an den Verhandlungstisch zu setzen?
* Atlan verstand jetzt, wieso eine Ladung Giftgasbehälter nach Kering-Thang abging. Das Methan-Ammoniak-Wasserstoffgemisch wurde für die Maahkdelegation benötigt. Welch glücklicher Zufall, daß Atlan die beiden Experimentalbehälter mit den Leichen ihrer ehemaligen Bewacher ausgerechnet der Keelon-Manufaktur in Kering-Thang zugespielt hatte. Damit ließ sich vielleicht noch etwas machen. Es war Atlan aber immer noch unverständlich, wieso Orbanaschol zu so einem ungünstigen Zeitpunkt mit den Maahks verhandeln wollte. Schließlich hatte der Methankrieg seinen Höhepunkt erreicht und wurde in der Zeit, in der Atlan »träumte«, besonders heftig geführt.
27 Die Maahks errangen viele große Siege, das wußte Atlan aus den Geschichtsaufzeichnungen. Sie hatten es nicht nötig, den Arkoniden einen Frieden anzubieten. Orbanaschol dagegen konnte den Frieden auch nicht wollen, zumindest nicht einen Frieden, den ihm die Maahks anboten. Ein solches Friedensabkommen wäre den Arkoniden teuer zu stehen gekommen – und das hätte Orbanaschol das Genick brechen können. Oder hatte der Imperator einen Trumpf in der Hand? Allein die Tatsache, daß die Maahkdelegation zu einer Arkonwelt kam, daß sie sozusagen zu Kreuze gekrochen kamen. Atlan nahm sich in diesem Augenblick vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Er ahnte, daß Orbanaschol irgendeine Teufelei im Schilde führte. Atlan wollte Näheres darüber in Erfahrung bringen. »Ich habe nichts mit irgendwelchen Verschwörern zu tun«, drang Prelogs weinerliche Stimme in seine Gedanken. Atlan fand in die Wirklichkeit zurück. »Ich will Ihnen glauben, Prelog«, sagte Atlan. »Wir haben Erkundigungen über Sie eingeholt, und was wir erfuhren, sprach nicht unbedingt gegen Sie. Aber jetzt können Sie beweisen, daß Sie ein treuer Untertan des Imperators sind.« »Wie?« fragte Prelog unsicher. »Wissen Sie, daß Ihre Manufaktur zwei Experimentalbehälter mit Methanatmosphäre angekauft hat?« Prelog nickte. »Im Auftrag der Attofrest-Manufaktur.« »Da hat man Sie aber schön an der Nase herumgeführt.« Atlan lachte. »Erkundigen Sie sich bei Attofrest. Niemand von seinen Leuten wird zugeben, die Keelon-Manufaktur um Ankauf der Experimentalbehälter gebeten zu haben. Es war eine Transaktion der Verschwörergruppe.« »Das ist ungeheuerlich«, entfuhr es Prelog. »Nicht wahr«, stimmte Atlan zu. »Mit Ihrer Hilfe, Prelog, könnten wir den Ver-
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Ernst Vlcek
schwörern auf die Spur kommen. Verfolgen Sie den Weg der beiden Experimentalbehälter und machen Sie uns Meldung. Wir müssen das Attentat verhindern.« »Könnte es nicht sein, daß der Anschlag nicht dem Leben des Imperators gilt?« meinte Prelog. »Vielleicht will man mit dem Inhalt der Experimentalbehälter die Delegation der Methanatmer töten. Das könnte zu politischen Verwicklungen führen, deren Auswirkungen nicht abzusehen sind …« »Ich sehe, Sie sind unser Mann, Prelog«, sagte Atlan anerkennend. »Statt zu einem Frieden könnte es zu einer Verschärfung des Krieges kommen. Das bezwecken die Verschwörer. Ich verlasse mich auf Sie, Prelog, und werde mich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Werden Sie alles tun, was ich von Ihnen verlange?« Prelog nahm im Sitzen unwillkürlich Haltung an. »Sie können sich auf mich verlassen, äh – Zeno.« »Unter diesem Tarnnamen werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Atlan verließ die Keelon-Manufaktur. Er hatte genug erfahren. Zurück bei Chapat, erstattete er ihm Bericht und traf dann alle nötigen Vorbereitungen für die Reise zu dem etwa 3000 Meilen entfernten Raumhafen Kering-Thang.
8. Kering-Thang wirkte gegenüber Olp'duor geradezu provinziell. Der Raumhafen hatte nur ein Fassungsvermögen von dreißig Raumschiffen bis zu einer Größenordnung von zweihundert Metern Durchmesser. Im Augenblick herrschte jedoch totales Landeverbot. Die offizielle Begründung dafür lautete, daß die Landepisten ausgebessert werden mußten – und nach außen hin schien es auch so, daß dementsprechende Arbeiten ausgeführt wurden. Doch in Kreisen Eingeweihter wußte man, daß dies alles nur Tarnung war. In Wirklichkeit wurden die Handelsschiffe nur
auf andere Raumhäfen umgeleitet, weil man alles für den Empfang der Maahkdelegation vorbereitete. Niemand hatte zum Raumhafengelände Zutritt – außer den Soldaten und den Geheimpolizisten, die die Wachmannschaften stellten. Rings um die Landefläche waren Büros mit Beschlag belegt worden, in die sich Sonderkommandos einquartierten. Die Verwaltungsgebäude waren zu waffenstarrenden Festungen geworden. An den Ortungsgeräten des Raumsicherungsdienstes saßen Geheimpolizisten, das Stammpersonal war beurlaubt worden. Das alles gab zu Gerüchten Anlaß. Es gab kaum noch jemand in Kering-Thang und Umgebung, der das Märchen glaubte, daß die Sicherheitsvorkehrungen nur getroffen worden waren, um die Pistenarbeiten zu überwachen. Dennoch ließ sich die Regierung nicht dazu herbei, den wahren Grund für diese Maßnahmen zu nennen. Das nährte die Gerüchte nur noch mehr. Atlan und Chapat hatten sich in einem vollrobotischen Lager einquartiert. Atlan hatte ihnen diesen Unterschlupf schon beschafft, bevor sie in einem Mietgleiter von Olp'duor gestartet waren. Er dachte noch rechtzeitig daran, daß es in Kering-Thang wegen der Sicherheitsmaßnahmen nicht so leicht sein würde, ein Büro zu mieten. Sie mußten damit rechnen, peinlichen Fragen unterzogen zu werden. Und wie leicht konnte es da passieren, daß jemand sich dessen erinnerte, daß Orbanaschol III. eine Kopfprämie auf sie ausgesetzt hatte … Deshalb setzte sich Atlan noch einmal mit Prelog in Verbindung und verlangte von ihm, daß er ihm einen Nachschlüssel für das Warenlager der Keelon-Manufaktur in Kering-Thang beschaffte. Prelog wandte ein, daß die KeelonManufaktur dort kein eigenes Lager besitze, sondern nur einen Sektor eines vollrobotischen Großlagers gemietet habe … Das gefiel Atlan sogar noch besser. Er bekam den Nachschlüssel – und so waren sie relativ einfach zu diesem Unter-
Die Menschenjäger von Arkon schlupf gekommen. Sie fanden schnell heraus, daß der Schlüssel ihnen Zugang zu allen Teilen des Lagers verschaffte und die Robotkontrollen nicht auf sie ansprachen. Sie konnten nur nicht in die Sperrzonen eindringen, in denen die Waren fremder Firmen lagerten. Aber das hatten sie sowieso nicht vor. Im Keelon-Sektor konnten sie sich dagegen ungehindert bewegen. Und dort fanden sie auch die beiden »Experimentalbehälter«, die für sie als Gefängnisse gedacht gewesen waren. Nun waren es Särge für zwei von Attofrests Killern. Nachdem sich Atlan und Chapat umgesehen hatten, suchten sie sich einen Platz, von wo sie einen Ausblick auf den Raumhafen hatten. Sie fanden einen geeigneten Beobachtungsposten in einem leeren Dachgeschoß des Lagers, in dem Ersatzteile für die Robotanlage aufbewahrt wurden. Durch eine Dachluke blickten sie auf den Raumhafen. Da Atlan es wegen der Ortungsgefahr nicht wagte, sich energetischer Geräte zu bedienen, begnügten sie sich damit, das Gelände mittels eines Fernglases zu beobachten. Wegen der geringen Entfernungen war das völlig ausreichend.
* »Es ist ganz deutlich zu erkennen, daß einige der Landequadrate willkürlich beschädigt worden sind«, erklärte Atlan, während er an der Feineinstellung des Vergrößerungsglases drehte. »Die Piste weist nirgends Schäden durch Witterungseinfluß oder Korrosion auf. Viel Mühe hat man sich jedenfalls nicht gegeben, um die Reparaturarbeiten vorzutäuschen.« »Was soll's, wir wissen ohnehin, wozu das ganze Theater dient«, erwiderte Chapat. »Trotzdem sollte es uns zu denken geben, daß man so wenig zur Geheimhaltung der Konferenz unternimmt, wenn man angeblich auf Geheimhaltung solchen Wert legt«, meinte Atlan. »Wachen, wohin man blickt.
29 Das gesamte Areal strotzt nur so von Waffen. Da kommt nicht einmal eine Mücke hindurch.« »Damit bist du endlich bei unserem Problem angelangt«, sagte Chapat. »Wie sollen wir auf das Raumhafengelände gelangen?« »Es wird sich schon ein Weg finden.« »Warum lassen wir die ganze Sache nicht überhaupt platzen?« »Was für eine Frage!« »So unberechtigt finde ich sie gar nicht. Im Ernst, Atlan, was versprichst du dir von diesem Unternehmen?« Atlan wandte sich vom Fernglas ab. »Ich möchte zu gerne wissen, was wirklich hinter dem ganzen Rummel steckt.« »Und welchen Nutzen hätten wir davon?« Atlan breitete die Arme in einer verzweifelten Gebärde aus. »Was für einen Nutzen«, äffte er Chapat nach. »Ich weiß es selbst noch nicht. Aber wir müssen etwas unternehmen. Vielleicht erfahren wir Dinge, die uns helfen, auf unser Schicksal Einfluß zu nehmen. Wenn wir nur dasitzen und die Hände in den Schoß legen, dann kleben wir womöglich für immer in der Vergangenheit fest.« »Und wenn wir die Verhandlungen mit den Maahks platzen lassen, dann öffnet sich das Tor in unsere Zeit«, sagte Chapat spöttisch. »Wolltest du das sagen?« Als Atlan schwieg, fuhr Chapat fort: »Gib es doch zu, unser ganzes Unternehmen zielt doch nur darauf ab, Orbanaschol zu schaden. Du möchtest dem Imperator einen Denkzettel geben und so deinem jüngeren Ich helfen. Für dich und mich wird dabei herzlich wenig herausschauen. Aber ich mache dennoch mit.« »Warum, Chapat? Aus Resignation?« »Vielleicht. Mag sein, daß ich in meinem Innersten nicht mehr daran glaube, einen Weg zu finden, um aus eigener Kraft in unsere Zeit zurückzukehren. Machen wir also das Besteaus unserer Situation. Versuchen wir, die Vergangenheit zu beeinflussen.« »Die Frage ist nur, ob das überhaupt möglich ist …«
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Chapat seufzte. »Fängst du schon wieder damit an.« Er ging zum Fernglas, drehte es auf dem Stativgelenk so, daß er das bunkerähnliche Gebäude inmitten des Raumhafens im Sucher hatte. Dieses Gebäude mußte erst in den letzten Tagen errichtet worden sein. Es wirkte neu und wie ein Fremdkörper. Und es wurde besonders scharf bewacht. Für Chapat und Atlan stand es fest, daß dort die Maahks untergebracht waren, oder, falls sie noch nicht auf Arkon II eingetroffen waren, daß man sie dort unterzubringen gedachte. »Sagte Prelog nicht, daß die Verhandlungen auf einem Spezialraumschiff stattfinden würden?« fragte Chapat. »Ich glaube, in diesem Punkt hat er gelogen. Wozu hat man den Bunker errichtet, wenn nicht, um ihn als Konferenzort zu verwenden?« »Vergiß nicht, daß Prelog seine Informationen aus zweiter oder dritter Hand hatte«, antwortete Atlan. »Hm«, machte Chapat. Er ließ von dem Fernglas wieder ab. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie wir unbemerkt in den Bunker gelangen könnten.« »Still!« gebot Atlan. »Mir war, als hätte ich ein Geräusch gehört.« Sie lauschten eine Weile angestrengt. Nach wenigen Sekunden war Atlan, als hörte er wieder von Ferne ein Geräusch. Er blickte zu Chapat, und dieser nickte bestätigend. Sie zogen ihre Strahler.
* Sie verließen das Dachgeschoß und schlichen sich in die Lagerhalle hinunter. Das heißt, sie begaben sich auf die Verbindungsstege, die unter der Decke entlangführten und ein weitverzweigtes Netz bildeten. Von hier oben hatten sie einen guten Überblick, konnten beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Atlan hörte jetzt ganz deutlich verhaltene
Stimmen, konnte jedoch noch nicht bestimmen, aus welcher Richtung sie kamen. Er hielt sich zuerst links. Doch je weiter er sich in diese Richtung begab, desto leiser wurden die Stimmen. Chapat hatte sich auf einen im rechten Winkel abzweigenden Steg begeben und winkte Atlan, ihm zu folgen. Als Atlan Chapat erreichte, konnte er feststellen, daß die Stimmen wieder lauter zu hören waren. Aber noch immer konnte er nicht verstehen, was gesprochen wurde. Sie bewegten sich so rasch wie möglich vorwärts, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Die Stimmen wurden lauter. Es waren Männerstimmen und Atlan konnte drei verschiedene unterscheiden. Eine davon kam ihm irgendwie bekannt vor. Und dann war er plötzlich sicher. Die eine Stimme gehörte Kerlin Attofrest! Atlan konnte nun ganz deutlich verstehen, wie er sagte: »Ich denke an Sabotage. Ich finde keine andere Erklärung. Ich weiß ganz genau, jemand will meine Jagd stören.« »Aber verehrter Attofrest«, ertönte eine unterwürfige Stimme. »Ich habe Ihnen das Fernschreiben gezeigt. Ihre Manufaktur hat mich beauftragt, die beiden Experimentalbehälter zu erstehen und auf Abruf bereitzuhalten.« »Keelon«, raunte Chapat Atlan zu. Der nickte. Im stillen mußte Atlan den so dekadent wirkenden Attofrest bewundern. Er hatte schneller als erwartet die beiden verschollenen Behälter aufgetrieben. »Ich habe das Fernschreiben wohl gesehen«, sagte Attofrest. Als Atlan über das Geländer blickte, sah er vier Mann. Zwei davon waren mit schweren Thermostrahlern bewaffnet. Attofrest, die Arme abgewinkelt, die Finger geziert gespreizt, fuhr fort: »Ich … es stammt von meiner Adresse, aber keiner meiner Leute hat es verschickt.« »Vielleicht ein Verräter«, warf Keelon ein. Er war klein und zart gebaut. Attofrests Leibwächter wirkten neben ihm wie Riesen.
Die Menschenjäger von Arkon »Ich denke an Verrat«, bestätigte Attofrest. »Ich werde den Verräter noch finden. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß die beiden Schiedsrichter ihre Hände im Spiel haben. Ich muß mich davon überzeugen, ob nicht etwamit den Behältern manipuliert wurde.« »Wir sind gleich da, verehrter Attofrest«, sagte Keelon katzbuckelnd. »Verdammt!« stieß Atlan leise hervor. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« »Du glaubst, daß Attofrest die Behälter öffnen läßt?« fragte Chapat. »Er hat es angedeutet.« »Aber damit würde er sich selber den ganzen Spaß verderben«, meinte Chapat. »Die zwanzig Tage sind noch nicht um, die Behälter haben noch nicht ihr Ziel erreicht. Wie steht er vor seinen Kollegen da, wenn er jetzt schon aufgibt!« »Attofrests Anwesenheit kann nur bedeuten, daß er die beiden Behälter einer Untersuchung unterziehen will«, sagte Atlan. »Wenn er sieht, was wirklich darin ist, müssen wir uns auf eine gnadenlose Jagd gefaßt machen. Wir würden keine Sekunde mehr Ruhe haben.« »Das käme uns allerdings zu diesem Zeitpunkt besonders ungelegen«, stimmte Chapat zu. »Dann müssen wir eben verhindern, daß Attofrest die Behälter öffnet.« Chapat hob seine Waffe. Atlan drückte ihm den Arm hinunter. »Warten wir noch«, schlug er vor. »Vielleicht überlegt es sich Attofrest noch anders.« Attofrest, Keelon und die beiden Leibwächter erreichten die Sektion, die die Keelon-Manufaktur gemietet hatte. Ein energetischer Schutzschirm umhüllte das Abteil. Keelon ging zu dem Energieprojektor, hantierte kurz an ihm, und der Schutzschirm brach in sich zusammen. »Folgen Sie mir bitte, verehrter Attofrest. Ich führe Sie zu den Experimentalbehältern. Sie können sich selbst überzeugen, daß sie noch Originalplomben aufweisen …« »Ich werde einen Blick hineinwerfen«, er-
31 klärte Attofrest. »Unmöglich!« rief Keelon entsetzt. »Ich kann nicht riskieren, daß die Giftgase entweichen …« »Ich habe Ihnen doch deutlich genug gesagt, welche Art von Ware in den Transportbehältern ist«, unterbrach Attofrest ihn barsch. »Ich werde sie öffnen!« Das war das Zeichen für Atlan. Chapat hatte schon vorher über eine Treppe den Steg verlassen und näherte sich dem KeelonAbteil zu ebener Erde, den Strahler im Anschlag. Atlan stand genau über Attofrest und seinen drei Begleitern. »Waffen fallen lassen!« befahl Atlan mit schneidender Stimme. »Versucht nicht erst zu fliehen. Ihr seid umzingelt.« Die beiden Leibwächter reagierten blitzschnell, aber nicht so, wie Atlan es sich wünschte. Sie brachten sich sofort in Deckung. Kerlin Attofrest bewegte sich jedoch nicht vom Fleck. »Ich wußte doch, daß ich die Ratten aus ihren Löchern locken würde«, sagte Attofrest ohne die geringste Spur von Angst oder Unsicherheit; er gab sich überheblich wie immer. »Führen Sie keine großen Reden, das können Sie sich in Ihrer Situation nicht erlauben«, sagte Atlan. »Befehlen Sie lieber Ihren Wachhunden, aus den Verstecken zu kommen und die Waffen wegzuwerfen. Sonst sind Sie ein toter Mann!« »Aber ja«, meinte Attofrest und machte eine Bewegung mit dem kleinen Finger. Die beiden Leibwächter kamen daraufhin tatsächlich aus ihren Verstecken. Auch sie gaben sich siegessicher. Bevor Atlan noch dazu kam, sich über ihre Haltung zu wundern, blitzte es plötzlich an drei Seiten auf. Thermostrahlen fuhren in den Laufsteg, brachten ihn zur Rotglut und an einer Stelle schließlich zum Schmelzen. Atlan spürte, wie der Boden unter ihm nachgab, und brachte sich mit einem Sprung aus dem Gefahrenbereich. Aber die Thermostrahlen verfolgten ihn, heiße Luft schlug
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ihm entgegen, raubte ihm den Atem. Er erkannte zu spät, daß sie umzingelt waren. Attofrest war schlauer gewesen. Er hatte seine Leute versteckt in der Lagerhalle postiert, um sich gegen einen eventuellen Überfall zu schützen. Und Atlan und Chapat waren in diese Falle getappt!
9. Orbanaschol III. verließ an der Spitze einer Delegation von Politikern und Heerführern den Kristallpalast. Einige Minister und Militärstrategen fehlten – und zwar jene, die sich Orbanaschols Gunst kürzlich verscherzt hatten. Zur Linken des Imperators schritt der Kriegsminister in Paradeuniform einher. Seine rechte Seite nahm sein persönlicher Ratgeber Arcangelo ein, der sich rühmen konnte, gegenwärtig in der Gunst Orbanaschols noch weit vor dem Blinden Sofgart zu rangieren. Orbanaschol trat seine Reise mit dem einem Imperator zustehenden Prunk an. Und das, obwohl Stunden vorher offiziell noch gar nichts davon bekanntgegeben worden war. Dennoch hatten sich alle Adeligen, Würdenträger und Offiziere eingefunden, um ihrem Imperator das Geleit zu geben. Nur das staunende Volk erfuhr erst im letzten Augenblick von der diplomatischen Mission ihres Souveräns – und nicht einmal jetzt noch etwas Genaues. »Sie haben die Flüsterpropaganda wieder einmal perfekt betrieben, mein schlauer Arcangelo«, lobte Orbanaschol seinen Berater. »Sie sind alle gekommen, die Heuchler und Intriganten. Und ich wette meinen Thron, daß sie sich schon seit Tagen auf diesen Augenblick vorbereitet haben.« »Ihr habt schon gewonnen, Imperator«, meinte Arcangelo lächelnd. »Seht nur, wie sie Überraschung heucheln und dabei denken, klüger als wir alle zu sein. Sie glauben, alles über eure Mission zu wissen, ohne daß
ihr es selbst ahnt, Imperator.« »Genau das ist der Zweck der Übung«, sagte Orbanaschol. »Der edle Arcangelo versteht sich eben darauf, Menschen zu manipulieren«, meinte der Kriegsminister. »Es war ein weiser Rat von ihm, die Gerüchte über die bevorstehenden Verhandlungen mit den Methanatmern in Umlauf zu bringen. In der Raumflotte spricht man nur noch davon, daß wir die Methanatmer bereits bezwungen haben, ohne den Krieg gewonnen zu haben.« »Erinnern Sie mich nicht an den Krieg, Minister«, sagte Orbanaschol zornig. »Wenn die Flotte nicht so kläglich versagt hätte, wäre ich gar nicht in die mißliche Lage gekommen, diese Verhandlungen zu führen.« »Manchen Krieg kann man auch am Verhandlungstisch gewinnen, Imperator«, meinte Arcangelo. »Aber nicht bei Verhandlungen, die Sie arrangiert haben, Arcangelo«, erwiderte Orbanaschol. »Wieso nicht?« tat der persönliche Berater des Imperators erstaunt. »Ihr habt die denkbar beste Ausgangsposition, zumindest einen symbolischen Sieg zu erringen.« »Machen Sie sich über mich lustig?« »Wie käme ich dazu, nie würde ich mir das herausnehmen!« Arcangelo meinte es so, wie er es sagte. »Wenn ich von einem Sieg am Verhandlungstisch spreche, so meine ich nicht einen Sieg über die Methanatmer, sondern einen Sieg über die Moral der eigenen Truppen. Stellt euch vor, Imperator, wie es unsere Streitkräfte moralisch aufrüstet, wenn sie erfahren, daß ihr die Methanatmer zu einem Kniefall gezwungen habt. Das läßt alle vorangegangenen Niederlagen vergessen.« »Nur um das zu erreichen, begebe ich mich überhaupt nach Arkon II«, sagte Orbanaschol III. mit einem Seitenblick auf den Kriegsminister. »Hätte die Flotte nicht versagt, dann könnte ich mir diesen diplomatischen Winkelzug ersparen. Ich empfinde es beinahe als demütigend, diese sogenannten
Die Menschenjäger von Arkon Friedensverhandlungen zu führen. Aber was will ich tun? Die arkonidische Flotte erleidet eine empfindliche Niederlage nach der anderen. Deshalb muß ich, der Imperator, in die Bresche springen und mein Volk retten. Wie ist die Stimmung auf Arkon II?« »In den gehobenen Bevölkerungsschichten spricht man von nichts anderem als den Friedensverhandlungen«, erklärte Arcangelo. »Wenn das Raumschiff mit euch in Kering-Thang landet, wird es jedermann im System wissen. Alle Massenmedien sind informiert – wenn auch nur durch Flüsterpropaganda. Alles spricht von diesem Ereignis als dem größten Tag in der Geschichte des Großen Imperiums. Diese Friedensverhandlungen werden euch zu einem großen Popularitätsgewinn verhelfen, Imperator.« »Zügeln Sie Ihre Zunge, Arcangelo«, mahnte Orbanaschol. »Nicht einmal Sie als mein engster Vertrauter dürfen mich so unverblümt darauf hinweisen, daß man mir, dem Imperator, die Fehler des Militärs ankreidet. Ein kluger Imperator weiß immer, wie sehr ergeliebt wird oder nicht.« »Nach den Friedensverhandlungen mit den Methanatmern wird es bestimmt niemand mehr wagen, die Stimme gegen euch zu erheben, Imperator«, schmeichelte Arcangelo. »Ihr werdet der Retter der Arkoniden sein!« »Das klingt mir schon wieder etwas zweideutig.« Orbanaschol III. wurde plötzlich ernst. Er blieb stehen. Das kam so unerwartet, daß einige Mitglieder der Delegation außer Tritt gerieten. »Arcangelo«, sagte Orbanaschol eindringlich. »Es darf keine Panne geben!« »Es wird keine Panne geben, mein Imperator«, versicherte Arcangelo. »Es wurde an alles gedacht. Die Vorbereitungen bis ins kleinste Detail gewissenhaft ausgeführt. Die Friedensverhandlungen werden ohne Zwischenfall und erfolgreich abgeschlossen werden.« »Wenn dennoch etwas schiefgeht, dann werden Köpfe rollen«, drohte Orbanaschol. Die Delegation setzte sich wieder in Be-
33 wegung. Der Imperator schritt durch ein Spalier der Elitetruppen, bestieg mit seinen engsten Vertrauten seine Raumjacht, die sofort startete und in einer Höhe von einem Kilometer vom Flaggschiff der arkonidischen Flotte aufgenommen wurde. Kurz darauf erfolgte der Start mit Ziel Arkon II. Das Volk jubelte seinem Imperator zu. Und selbst die besser informierten Adeligen, die die Politik Orbanaschols durchschauten, glaubten, daß eine neue Ära angebrochen sei. Alle waren sie überzeugt, daß dies der größte Tag in der arkonidischen Geschichte wäre. Doch nur die wenigen Vertrauten wußten, daß es sich um den bisher größten Betrug Orbanaschols an seinem Volk handelte.
10. Atlan sah, wie sich der Steg vor ihm senkte. Er wurde rotglühend, bog sich nach unten durch. Als er von einer neuen Thermosalve getroffen wurde, zerstob er funkensprühend. Glutflüssiger Kunststoff und Metall spritzten nach allen Seiten davon. Atlan blieb keine andere Wahl, als sich über das Geländer zu schwingen und in die Tiefe zu springen. Unter ihm spannte sich die energetische Kuppel eines Lagerabteils. Es war ein kalkuliertes Risiko, auf das Atlan sich einließ. Er wußte, daß wegen des leicht entzündbaren Materials, das hier teilweise gelagert war, die Schutzschirme nicht aus thermischer Strahlung bestanden. Sie waren von unterschiedlicher Konsistenz. Einige stießen materielle Körper ab. Andere wiederum hielten die Objekte, die mit ihnen in Berührung kamen, gefangen. An einen solchen Schutzschirm war Atlan geraten. Als er auf der leicht federnden Energiebarriere landete, sank er mit den Beinen sofort bis zur Hüfte ein. Dann hing er hilflos fest. Er versuchte verzweifelt, sich zu befreien,
34 doch es gelang ihm nicht. Je mehr er sich bewegte, desto enger schloß sich das Energiefeld um ihn. Gleichzeitig schlug eine Alarmanlage an. Unweit von Atlan tauchte ein Mann mit einem Thermostrahler auf. Atlan sah ihn und feuerte sofort. Der Mann brach unter seinem Strahlenbeschuß zusammen. »Ich hole dich heraus!« ertönte eine Stimme von unten. Es war Chapat, der seine Deckung verlassen hatte. Sofort wurde er von Thermostrahlen eingedeckt. Er erwiderte das Feuer und verschaffte sich so eine Atempause. »Glaubst du, daß dieser Schutzschirm ein guter Leiter thermischer Energien ist?« fragte Chapat, der vor den Schützen im Hinterhalt in Deckung gegangen war. »Ich glaube nicht«, erwiderte Atlan. Er hatte sich geduckt, um den Gegnern kein Ziel zu bieten. »Mach schon. Falls ich gebraten werde, lasse ich es dich wissen.« Chapat nahm den Schutzschirm unter Beschuß. Blitze zuckten über die Energiebarriere, es knisterte und krachte. Plötzlich zeigte sich in dem Schutzschirm ein Strukturriß, er weitete sich verästelnd aus … Atlan bereitete sich auf den Sturz in die Tiefe vor. Da tauchte auf einem der Stege über ihm eine Gestalt auf. Atlan wollte schießen. Doch da spürte er, wie ihn das Energiefeld losließ. Ein Schuß löste sich aus seinem Strahler, ein Energiefinger fuhr in die Decke. Atlan landete mit beiden Beinen auf dem Boden. Es durchfuhr ihn elektrisierend, als er mit den Fußballen aufschlug. Aber er hatte sich bei dem Sprung nicht verletzt. Der Schutzschirm war in sich zusammengebrochen. Die Energiestrahlen aus Chapats Waffe griffen auf den Energieprojektor über. Atlan sah es, rief Chapat eine Warnung zu und warf sich gleichzeitig zu Boden. Gleich darauf erfolgte ein furchtbarer Knall. Ein Blitz, der die Lagerhalle taghell erleuchtete, schlug aus dem Energieprojektor. Der ersten Explosion folgten weitere, es
Ernst Vlcek kam zu einer wahren Kettenreaktion. Die Luft schien zu kochen. Es regnete Trümmerstücke. Als endlich eine Pause eintrat, sprang Atlan auf die Beine. Er sah unweit von sich einen ihrer Gegner, der von einer der Explosionen getötet worden war und nun in einem der Schutzschirme hing. »Wir müssen fort von hier«, rief Atlan Chapat zu. »Gleich wird es hier zugehen wie in einem Tollhaus. Die Explosionen werden die Wachen anlocken.« »Wenn die Wachen ihre Posten verlassen, könnten wir versuchen, auf den Raumhafen zu gelangen«, meinte Chapat. »Genau das habe ich mir selbst schon überlegt.« Atlan grinste verzerrt. »Ich bin froh, daß du mit mir einer Meinung bist.« Die Lagerhalle war inzwischen zu robotischem Leben erwacht. Vollautomatische Löschanlagen traten in Aktion, versprühten Schaum, um das Feuer einzudämmen, riegelten verschiedene Sektionen hermetisch ab, um das Feuer zu ersticken. Reinigungsroboter tauchten auf. Atlan und Chapat benützten die Roboter als Deckung, um sich in ihrem Schutz bis zu dem Tor vorzuarbeiten, das auf den Raumhafen hinausführte. »Da sind sie!« Der Ruf kam von oben, von einem der Verbindungsstege. Im nächsten Augenblick wurde von dort das Feuer auf sie eröffnet. Rings um sie schmolzen und explodierten Roboter. Sie mußten sich zu Boden werfen und konnten sich nur noch robbend vorwärts bewegen. Nach einer Weile wurde ihnen eine Feuerpause gegönnt. Als Atlan jedoch den Kopf hob, blitzten auf allen Seiten Mündungsfeuer von Thermostrahlern auf. »Sie haben uns in die Zange genommen«, stellte Atlan fest. »Unsere einzige Chance ist es, auf einer Seite einen Durchbruch zu versuchen.« »Worauf warten wir denn noch«, sagte Chapat und sprang auf. Sofort wurde das Feuer auf ihn eröffnet.
Die Menschenjäger von Arkon Atlan gab ihm Feuerschutz. Auf einem der Stege begann das Geländer zu glühen. Einer von Attofrests Leuten, der sich darauf gestützt hatte, schrie vor Schmerz auf. Er verlor den Halt, kippte über das Geländer und stürzte in die Tiefe. »Chapat, Achtung!« schrie Atlan. Er hatte links von sich eine Bewegung entdeckt und schoß in diese Richtung. Einer der glockenförmigen Schutzschirme explodierte mit einem Knall. Der Mann, der sich in seinem Schutz befunden hatte, wurde wie eine Puppe durch die Luft geschleudert. Flammen züngelten auf, griffen auf das Lagergut über. Atlan erkannte gerade noch, daß es sich um hochexplosive Gastanks handelte, die stark unterkühlt gelagert wurden. Eine Warntafel zeigte an, daß schon ein Temperaturanstieg von zwanzig Grad zur Explosion führen konnte. Und die Luft wurde von den Flammen, die immer höher schlugen, rasch angeheizt. Atlan lenkte Chapats Aufmerksamkeit auf die Gastanks. Chapat verstand und lief noch schneller. Atlan hatte Mühe, ihm zu folgen. Jetzt heulten überall Alarmsirenen. Schwere robotische Löscheinheiten rasten heran. In der Decke öffneten sich Düsen, aus denen Löschschaum mit großem Druck gesprüht wurde. Kühlaggregate liefen an. Doch sie erzielten keine Wirkung. Attofrests Leute deckten das gefährdete Gebiet, ohne zu wissen, welche Katastrophe sie damit heraufbeschworen, mit Thermosalven ein. Atlan und Chapat erreichten das Ende der Lagerhalle. Chapat zerschmolz das Schloß eines Seiteneingangs. Da rollte das große Tor auf, und Einheiten der regulären Truppen stürmten herein. Panzerfahrzeuge glitten auf ihren Prallfeldern in die Lagerhalle. Schwere Geschütze wurden aufgefahren. Atlan stieß Chapat hinter einen meterdicken Betonblock und brachte sich selbst dahinter in Sicherheit. Gerade im rechten Augenblick, denn kaum waren sie in Deckung, da explodierten hinter ihnen die Gasbehälter.
35 Durch die Wucht der Explosion wurde ein riesiges Loch in das Dach der Halle gerissen. Die Druckwelle fegte die Soldaten wie Spielzeuge hinweg, zwei Panzerfahrzeuge kippten um. Das Tor wurde aus der Führungsschiene gehoben, von aufprallenden Trümmerstücken verbeult. Risse bildeten sich in der Wand der Halle. Kaum war die erste Druckwelle abgeebbt, kam es zu einer zweiten Explosion, die nur um ein weniges schwächer war. Nachdem auch die zweite Druckwelle vorbei war, verließen Atlan und Chapat ihre Deckung und kamen durch die kleine Tür ins Freie. Vor ihnen lag der Raumhafen.
* Auf dem Landefeld ging es zu wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen. Atlan rannte im Schutz eines Verteidigungswalles auf ein Einsatzfahrzeug zu, das mit rotierendem Blinklicht dastand – aber verwaist war. Chapat folgte ihm. Atlan setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr los, kaum daß Chapat neben ihm Platz genommen hatte. Die im Laufschritt entgegenkommenden Soldaten wichen ihnen aus. Hinter ihnen, in der robotischen Lagerhalle, heulten immer noch die Sirenen, kleinere Explosionen fanden statt. Solange die Löschkommandos noch nicht das Feuer eingedämmt hatten und die Wachtruppen nicht Herr der Lage waren, konnten Atlan und Chapat ziemlich ungestört auf ihr Ziel zustreben. Atlan steuerte das Einsatzfahrzeug mit heulender Sirene geradewegs auf das bunkerartige Gebäude inmitten des Raumhafens zu. Es war inzwischen längst Nacht. Bis vor Ausbruch der Explosionen hatte der Bunker im grellen Licht der Scheinwerfer gestanden. Aber jetzt waren diese auf das umliegende Gebiet und zum größten Teil auf die in Flammen stehende Lagerhalle geschwenkt worden. Atlan fuhr im Zickzack, um den wandern-
36 den Scheinwerferkegeln auszuweichen. Hundert Meter von dem Bunker entfernt mußte er das Fahrzeug jedoch anhalten. Die Wachen, die den Bunker umstanden, hatten ihre Posten nicht verlassen. Atlan und Chapat schlichen näher. Vereinzelt standen auch im Vorfeld des Bunkers Soldaten beieinander und diskutierten erregt die Geschehnisse. Sie fragten sich, ob es zufällig zu den Explosionen gekommen war oder ob Terroristen sie verursacht hatten. »Zufall – daß ich nicht lache«, sagte einer. »Die Terroristen haben natürlich von der bevorstehenden Friedenskonferenz mit den Methanatmern Wind bekommen und wollen sie sabotieren.« »Ein Glück, daß man sie rechtzeitig entdeckt hat. Stell dir vor, sie wären in den Bunker eingedrungen.« »Blödsinn. Wozu stehen wir da? An uns kommt niemand vorbei. Die Maahks sind im Bunker so sicher wie in ihrer eigenen Festung.« »Hast du sie gesehen?« »Wie denn? Sie wurden in ihren Druckbehältern in den Bunker geschafft. Aber ich habe die Druckbehälter gesehen. Zwanzig Stück.« »Dann sind die Methanatmer bereits im Bunker?« »Schon längst …« Atlan und Chapat hörten die weitere Unterhaltung der beiden Wachen nicht mehr. Sie hatten sich schon längst weitergeschlichen und waren nur noch zwanzig Meter vom Bunker entfernt. Dort standen die Wachen zwanzig Meter voneinander entfernt. Sie waren so postiert, daß jeder seine Nebenleute sehen konnte. »Da kommen wir nicht so leicht hinein«, raunte Chapat Atlan zu. »Das habe ich auch nicht erwartet«, erwiderte Atlan. »Aber schaffen müssen wir es. Uns wird schon eine List einfallen, wie wir die Wachen umgehen können.« Sie überlegten eine Weile und diskutierten die verschiedenen Möglichkeiten. Doch
Ernst Vlcek keiner der erörterten Pläne garantierte ihnen, unbemerkt in den Bunker zu gelangen. Sie waren eine Strecke von hundert Metern im Schutze einer metallenen Verteidigungsmauer abgeschritten, bis sie zu einem der Eingänge kamen. Es handelte sich um ein Panzerschott, und es war geschlossen. Dieses Panzerschott lag in einer Nische. Zwei Posten patrouillierten davor. Als sie nun wieder zum Schott kamen, zogen sie sich beide in die Nische zurück. Jetzt konnten sie von ihren Nebenleuten nicht gesehen werden. Atlan sah, daß die Wachtposten das Schott überprüften. Er trug Chapat auf, sich, so wie er, jeden ihrer Handgriffe zu merken. »Was nützt uns das?« maulte Chapat, kam aber Atlans Aufforderung nach. Atlan hatte schon zuvor mit Zufriedenheit bemerkt, daß der Zugang zu dem Panzerschott etwa vierzig Zentimeter unter dem Bodenniveau lag. Die Wachen links und rechts konnten diese Vertiefung nicht einsehen. Man mußte nur die beiden Posten vom Tor weglocken, um sich unbemerkt anschleichen zu können. Während Atlan noch überlegte, wie das zu bewerkstelligen war, ohne großes Aufsehen zu erregen, hatten die beiden Posten die Kontrolle des Schotts beendet. »Hast du dir ihre Handgriffe gemerkt?« fragte Atlan. Chapat nickte nur. Er ließ die beiden Torposten nicht aus den Augen. Sie trennten sich, marschierten jeder nach einer anderen Seite, dabei ließen sie ihre Augen über das umliegende Gebiet wandern. Der eine von ihnen erreichte den linken Nebenmann, wechselte mit ihm einige Worte und kehrte dann um. Er warf einen Blick in die Tornische, dann ging er weiter zu seinem Kameraden, der mit seinem Nebenmann ein Gespräch führte. »Jetzt«, sagte Atlan und glitt in die Bodenvertiefung hinein. Er robbte sich, dicht gegen den Boden gepreßt, nach vorne. Chapat folgte seinem Beispiel und überholte ihn auf halber Strecke.
Die Menschenjäger von Arkon Atlan hörte jetzt ganz deutlich die Stimmen der kaum zehn Meter entfernten Wachen. Schritte näherten sich, hielten dann jedoch an und entfernten sich wieder. Chapat hatte die Tornische erreicht und hantierte in fiebernder Hast an der kleinen Schalttafel. Als Atlan endlich bei ihm war, stand das Schott bereits offen. Sie zwängten sich durch den Spalt und drückten das Schott hinter sich zu. Sie waren an ihrem Ziel angelangt.
11. Sie befanden sich in einem Ringkorridor, der wahrscheinlich um den ganzen Bunker herumlief. Von hier führten Gänge in regelmäßigen Abständen wie die Speichen eines Rades zum Zentrum. Kleine Deckenlichter spendeten ein schwaches Licht. Es herrschte eine unheimliche Stille. Atlan suchte die Wände und die Decke nach Ortungsgeräten ab, konnte aber nirgends welche entdecken. Das besagte aber noch lange nicht, daß es solche nicht gab. Chapat öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Atlan brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Die absolute Stille gab Atlan zu denken. Möglicherweise schaltete sich die Warnanlage schon beim geringsten Laut ein. Lange Zeit verharrten die beiden reglos an der Stelle. Atlan ließ seine Blicke immer wieder über den Boden und die Decke wandern. Es irritierte ihn, daß es nirgends Anzeichen einer technischen Einrichtung gab. Nicht einmal ein Bild-Sprechgerät oder der Lautsprecher einer Rundrufanlage war zu erblicken. Es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, bevor Atlan beschloß, sich endlich in Bewegung zu setzen. Er wollte zuerst einmal den äußeren Ringkorridor erkunden, weil hier mit keiner besonders strengen Überwachung zu rechnen war. Atlan setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, bemüht, dabei kein Geräusch zu verursachen. Es war so still, daß er seinen
37 eigenen Atem vernehmen konnte, und seine Sinne täuschten ihm vor, daß er meilenweit zu hören sein mußte. Sie legten gut fünfzig Meter zurück und kamen an drei Querkorridoren vorbei, die allesamt verlassen waren, als der Gang einen Knick machte. Atlan sah vorsichtig um die Ecke. Aber was er auch zu sehen erwartete, auch dieser Abschnitt war leer und zeigte sich in der gleichen Monotonie wie jener, den sie durchschritten hatten. Nun wagte es Atlan, eine der Türen zu öffnen. Er vermied es auch dabei, ein Geräusch zu verursachen. Der dahinterliegende Raum war eine Mannschaftsunterkunft für zwei Personen. Der Raum war leer, die Schlafstätten unbenützt. Alles war so sauber und steril, daß man auf den ersten Blick sah, daß dieser Raum von keinem menschlichen Wesen benützt wurde. Auf ihrem Weg öffneten sie noch ein Dutzend Türen. Überall bot sich ihnen der gleiche, sterile Anblick. Selbst als sie in einen Aufenthaltsraum kamen, erkannten sie sofort, daß er unbenutzt war. Sie betraten ihn, und Atlan schloß hinter ihnen die Tür. »Hier wird man doch keine Warnanlagen eingebaut haben«, sagte Atlan dann flüsternd. »Bei dem Lärm, den die dienstfreie Wachmannschaft während ihrer Freizeit macht, würde es ständig Alarm geben.« Chapat wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich wette, daß dieser Raum noch nicht einmal einen Seufzer gehört hat. Was hältst du davon, Atlan?« »Ich neige immer mehr zu der Ansicht, daß sich im Bunker keine Wachen befinden.« »Also begnügt man sich mit einem robotischen Überwachungssystem?« »Auch dafür haben wir noch keine Anzeichen gefunden.« »Es wäre allerdings seltsam, wenn es nicht einmal Robotwachen gäbe.« »Wie man es nimmt.« Atlan zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich denkt man, daß der Aufwand rund um den Bunker genügt,
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die Sicherheit der maahkschen Delegation zu garantieren. Und Orbanaschol glaubt wohl, daß die Maahks sicherer sind, wenn kein Arkonide in ihrer Nähe ist.« »Aber warum dann nicht einmal ein robotisches Wachsystem?« fragte Chapat. »Dagegen könnten die Maahks etwas haben«, antwortete Atlan. »Sie könnten es als Bespitzelung betrachten.« »Daran kann etwas Wahres sein.« Sie begaben sich wieder in den Korridor hinaus. Als sie an ihren Ausgangspunkt zurückkamen, waren sie nicht klüger als zuvor. Der Außenring des Bunkers lag wie ausgestorben da. Sie hatten nicht einmal das Arbeitsgeräusch irgendwelcher Maschinen vernommen. Atlan beschloß, einen Vorstoß ins Zentrum des Bunkers zu unternehmen.
* Atlan hatte erkannt, daß Schweigen eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme war, und sie wagten es nun, sich auch in den Gängen flüsternd zu unterhalten. Sie kamen zu einem zweiten Ringkorridor und betraten ihn. Doch sie gaben sich nicht die Mühe, ihn auf seiner ganzen Länge abzuschreiten. Auf seiner Außenseite führten bloß Türen in weitere Unterkunftsräume, die alle unbenützt waren. Wie gehabt. Die gegenüberliegenden Wände wiesen dagegen keinerlei Türen auf, waren glatt und fugenlos. Alles strahlte die Sterilität eines Krankenhauses aus. Da sie sich keine umwerfenden Entdeckungen erhofften, verließen sie den inneren Ringkorridor wieder durch den nächsten Längsgang. Auch dieser bot keine neuen Erkenntnisse, denn er war kahl und hatte keine Türen. An seinem Ende kamen sie in eine Halle, die eine Art Auffangraum zu sein schien. Auf der einen Seite war ein schweres Schott, wie von einer Luftschleuse. Sie war unbeschriftet, aber Atlan konnte sich denken, daß die Luftschleuse in den Wohnbereich der
Methanatmer führte. Die auf einer Schaltwand angebrachten Druckmesser, Temperatur- und Atmosphäreanzeiger waren deutlich genug. Bei genauerer Betrachtung stellte Atlan jedoch fest, daß die Kontrollinstrumente nicht in Betrieb waren. Alle Anzeigen standen auf Null. »Das ist allerdings seltsam«, meinte Atlan. »Man scheint nicht besonders um das Wohlergehen der Maahks besorgt, wenn man die Kontrollgeräte nicht einmal einschaltet.« »Es gibt sicherlich einen eigenen Kontrollstand«, vermutete Chapat. »Trotzdem …« »Machen wir weiter«, drängte Chapat. »Wer weiß, wie lange wir uns hier noch ungehindert bewegen können.« Atlan nickte. Es gab in der Halle noch insgesamt vier Türen. Atlan und Chapat öffneten sie nacheinander. Drei davon führten in Räume mit technischen Geräten. Doch, wie nicht anders erwartet, waren diese Geräte nicht eingeschaltet. »Sicherlich ist das eine besondere Art der Tarnung, um ungebetene Gäste in die Irre zu führen«, meinte Chapat. Atlan sagte nichts dazu. Die vierte Tür führte in eine andere Welt. Die dahinterliegenden Räumlichkeiten unterschieden sich grundlegend von denen, in die sie bisher gekommen waren. Auch hier handelte es sich zwar um einen Wohnbereich, aber von der sonst gewohnten Monotonie und Sterilität war nichts zu merken. Es gab eine Videothek mit einer Vielzahl von Lesespulen, eine Bar, eine Küche, eine Reihe von luxuriös eingerichteten Aufenthaltsräumen für jeweils eine Person, in denen es an nichts mangelte, verschiedene Klubzimmer – und einen Konferenzsaal. Diesem galt Atlans besonderes Interesse. Drei der Wände zierten Monitoren, Projektionsflächen für schematische Darstellung, und nicht zuletzt ein Bildnis des Imperators Orbanaschol III. Es erübrigt sich zu erwäh-
Die Menschenjäger von Arkon nen, daß es sich um eine idealisierte Darstellung seiner Person handelte. Überlebensgroß. Die vierte Wand bestand aus einer Panzerglasscheibe. Davor stand der eigentliche Konferenztisch mit Mikrophonen, die an robotische Übersetzungsgeräte angeschlossen waren. Hinter der hermetisch dichtenden Panzerglaswand befand sich ein ebenso großer Raum. Auch auf der anderen Seite verlief entlang der Glaswand ein Pult, nur waren die Sitzgelegenheiten auf die Bedürfnisse nichtmenschlicher Lebewesen abgestimmt. Ebenso die übrige Einrichtung des Raumes. »Hier wird also die Friedenskonferenz stattfinden«, stellte Chapat fest. »Man muß es Orbanaschol eigentlich hoch anrechnen, daß er daran gedacht hat, den Maahks allen nur erdenklichen Komfort zu bieten. Es wurde an alles gedacht.« »Ja«, sagte Atlan gedehnt, »nur nicht daran, daß die Maahks Methanatmer sind. Die Atmosphäre im Maahk-Abteil ist jedenfalls alles andere als ein Methan-Ammoniak-Wasserstoffgemisch.« »Findest du es so seltsam, daß man die Atmosphäre erst knapp vor der Konferenz auswechseln wird?« fragte Chapat. »Ich könnte mir vorstellen, daß das ein allgemein üblicher Vorgang ist.« »Sehen wir weiter«, sagte Atlan nur.
* An den Konferenzkomplex grenzend, gab es noch eine Reihe leerer Räume, in denen es nicht einmal Anschlüsse für Beleuchtung gab. »Jetzt haben wir praktisch den ganzen Bunker erkundet«, sagte Chapat. »Und was hat es uns eingebracht?« »Den wichtigsten Teil des Bunkers haben wir noch nicht erforscht«, erwiderte Atlan. »Willst du etwa in den Lebensbereich der Maahks eindringen?« fragte Chapat ungläubig. »Was versprichst du dir davon?« »Wir könnten von den Maahks etwas über
39 die Hintergründe erfahren«, antwortete Atlan. »Und vielleicht können wir uns mit ihnen sogar verbünden.« »Willst du etwa die Luft anhalten, solange wir uns in der Methanatmosphäre befinden?« Atlan mußte lächeln. So humorlos, wie es manchmal schien, war Chapat doch nicht; es kam nur auf die Situation an. Je lebensgefährlicher sie war, desto gelockerter gab er sich. Er verstand nur keinen Spaß, wenn es um seine persönlichen Geheimnisse ging. »Es muß Druckanzüge geben«, erklärte Atlan. Sie machten sich auf die Suche. Sie fanden zwar einen Raum, der als Gerätekammer eingerichtet war, doch gab es in ihm keinerlei Ausrüstung. »Nicht einmal eine schäbige Atemmaske«, schimpfte Atlan. »Wie will man den Maahks zu Hilfe kommen, wenn ihnen etwas zustößt? Orbanaschol kann sie nicht sich selbst überlassen.« »Langsam wird mir die ganze Sache selbst unheimlich«, gestand Chapat. »Nach außen hin wurden zwar alle Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen getroffen, aber die elementarsten Dinge hat man nicht beachtet.« »Wir werden ganz einfach ohne Druckanzüge in den Lebensbereich der Maahks eindringen«, beschloß Atlan. »Solange es dort eine Sauerstoffatmosphäre gibt, kann uns nichts geschehen.« »Und wenn Orbanaschol inzwischen eintrifft und man die Maahks aus der Isolation läßt?« »Auch in diesem Fall verbleibt noch Zeit genug, uns in Sicherheit zu bringen.« Sie kehrten in die Halle zurück, wo sich das einzige Schott befand, durch das man in die Druckzone der Maahks eindringen konnte. Es war aber gar nicht so einfach, die Schleuse zu öffnen. Welche Schaltungen Atlan auch vornahm, der Öffnungsmechanismus funktionierte einfach nicht. Sämtliche Energieleitungen waren tot. Erst als Atlan
40 und Chapat mit vereinten Kräften versuchten, das Schott mittels Handrad zu öffnen, schwang es auf. Zu ihrer Überraschung stand das Innenschott jedoch offen. »Was für ein Leichtsinn«, sagte Chapat. »Wie leicht könnten die Giftgase durchsickern …« Atlan sagte darauf nichts. Er betrat den Lebensbereich der Maahks. Nirgends fand er Hinweise darauf, daß sich hier Fremdwesen aufgehalten hätten. Die Sauerstoffatmosphäre war untadelig. Auch hier fand sich die gleiche Sterilität wie überall im Bunker – abgesehen von dem Konferenzkomplex. Die Räumlichkeiten waren hier höher, die Korridore und Durchgänge breiter – den Bedürfnissen der Methanatmer angepaßt. Sie kamen zum Maschinenraum, in dem sich die Methangas-Tanks befanden, von wo aus die Zusammenstellung der Atmosphäre, der Gasdruck und die künstliche Gravitation geregelt wurde. »Unglaublich!« entfuhr es Atlan, als er die Kontrollinstrumente erblickte. Keines davon zeigte irgendwelche Werte an. Die Anlage, die die Atmosphäre regelte, stand still. Atlan ging zu den Gastanks. Ein Blick auf den Druckmesser zeigte ihm, daß sie alle gefüllt waren. Sie waren voll mit MethanAmmoniak-Wasserstoffatmosphäre. Aber kein einziger Tank war an das Gasumlaufsystem angeschlossen! Die Tanks standen völlig unnütz herum. »Das ist ungeheuerlich«, sagte Atlan. Er entwickelte plötzlich eine hektische Aktivität, stürmte von einem Raum zum anderen. Chapat erkundigte sich, was denn plötzlich in ihn gefahren sei, doch bekam er keine Erklärung. So blieb ihm nichts anderes übrig, als Atlan zu folgen – ohne zu wissen, was das eigentlich sollte. Nach und nach wurde er von Atlan jedoch aufgeklärt. Atlan deutete in einen Raum. »Das sind Privatunterkünfte der Maahks. Leer!« Er stürmte weiter.
Ernst Vlcek »Hier, die Versorgungseinrichtungen für Maahks. Nahrungs- und Genußmittel, die das Herz eines jeden Methanatmers höher schlagen ließen. Man könnte damit eine ganze Kompanie von Maahks versorgen. Aber alles ist unberührt.« Sie kamen in den Konferenzraum für die Maahks und konnten durch die Panzerglaswand in den Raum für die arkonidische Delegation sehen. Atlan hielt sich hier nicht erst auf, sondern hastete weiter. An den Konferenzraum grenzte eine Lagerhalle. Hier standen zwanzig klobige Druckbehälter, wie sie für den Transport von Fremdwesen dienten. Die Decke konnte eingefahren werden, so daß es möglich war, die Druckbehälter auf dem Luftweg zu befördern. »Zwanzig Transportbehälter«, sagte Atlan erregt. »Warum haben die Maahks sie bisher noch nicht verlassen? Niemand nimmt freiwillig in Kauf, für längere Zeit auf engsten Raum eingeschlossen zu sein.« Bevor Chapat es verhindern konnte, erkletterte Atlan einen der Druckbehälter und öffnete ihn. Chapat hielt den Atem an. Er erwartete einen explosionsartigen Knall, wenn der atmosphärische Druck des Giftgasbehälters frei wurde. Aber nichts passierte. Atlan blickte triumphierend zu ihm herab. »Leer!« konstatierte er. »Leer?« wiederholte Chapat ungläubig. »Noch nie hat ein Maahk seinen Fuß in ei_ nen dieser Behälter gesetzt«, erklärte Atlan. »Das verstehe ich nicht …« »Dabei ist alles so einfach. Es gibt überhaupt keine Maahks in diesem Bunker.« Chapat konnte es nicht fassen. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Wozu denn das ganze Spektakel, wenn es überhaupt keine Maahk-Delegation gab? Warum der Aufwand? Die vielen Wachen? All die Schutzmaßnahmen? Chapat merkte es kaum, daß Atlan ihn aus dem Bereich der Methanatmer führte. »Wir müssen sehen, daß wir aus dem Bunker kommen«, sagte Atlan. »Versuche nicht zu verstehen, was das alles zu bedeu-
Die Menschenjäger von Arkon ten hat. Ich werde es dir später erklären. Orbanaschol ist noch niederträchtiger, als ich gedacht hätte!« Chapat stellte keine Fragen. Sie erreichten den Ausgang. Als Atlan das Schott einen Spaltbreit öffnete, zuckte er sofort wieder zurück. »Zu spät!« stellte er fest. »Die arkonidische Delegation mit Orbanaschol ist bereits eingetroffen.« »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, bekannte Chapat. »Wozu bemüht sich der Imperator selbst hierher, wenn es keine Gesprächspartner für Friedensverhandlungen gibt?« »Du wirst schon noch dahinterkommen. Los, verstecken wir uns!«
12. Die Propagandaleute hatten auf Arkon II einen Empfang vorbereitet, der selbst den an Prunk und Pomp gewohnten Imperator überraschte. Nachdem die Privatjacht Orbanaschols auf dem Raumflughafen von Kering-Thang gelandet war und er in Begleitung der arkonidischen Delegation dieser entstieg, erklang die arkonidische Hymne. Tausende und aber Tausende von Raumsoldaten auf dem Raumhafen sangen mit. Fliegende Fernsehkameras hielten diesen Augenblick im Bilde fest. Milliarden Bewohner der drei Arkonwelten und der anderen Planeten des Großen Imperiums erlebten ihn auf ihren Bildschirmen. Arkon ging gerade hinter den Verwaltungsgebäuden auf. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten die Überreste einer ausgebrannten Lagerhalle. Doch die Ruine wurde von dem Glanz der Feierlichkeiten überstrahlt. Orbanaschol III. hielt eine kurze Ansprache an sein Volk. Er sagte, man solle nicht zu viele Hoffnungen in diese Friedensverhandlungen setzen. Die Methanatmer hätten sich nur unter dem Druck der arkonidischen Flotte – die
41 Sieg um Sieg errang – zu diesen Gesprächen bereit erklärt. Aber dies sei erst der Beginn der Verhandlungen, die Arkoniden müßten um den Sieg und den Frieden tapfer und unerschrocken weiterkämpfen. Dies sei erst der Anfang … Jubel brandete auf. Die Arkoniden feierten ihren Imperator als Helden des Methankrieges. Die Delegation mit Orbanaschol III., seinem persönlichen Berater Arcangelo und dem Kriegsminister an der Spitze setzte sich in Richtung des Bunkers in Bewegung. Kralasenen, eigens für diesen Anlaß herausgeputzt, standen Spalier. Hoch über Kering-Thang formierte sich eine Flotte schwerer Kampfschiffe zu einem Kreis und feuerte einen Salut in den Himmel von Arkon II. Die kreuz und quer verlaufenden und in verschiedenen Farben leuchtenden Energiebahnen verwoben sich miteinander und formten das Bildnis von Orbanaschol III. Ein erhebender Anblick … Orbanaschol und seine Delegierten erreichten den Bunker. Betraten ihn durch den Haupteingang. Die Wachen blieben draußen. Vor ihnen schloß sich das Schott. Der Imperator und sein Gefolge schritten in majestätischer Haltung den Korridor entlang zum Zentrum des Bunkers und gelangten in den Konferenzkomplex. Als sich die Tür hinter ihnen schloß, fragte Orbanaschol: »Sind wir jetzt unter uns?« Und dann begann er schallend zu lachen. Er hatte schon längst das Bedürfnis verspürt, seiner Heiterkeit auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, es aber bisher unterdrückt. Jetzt ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Die meisten seiner Begleiter stimmten in das Gelächter ein. »Genug des Spaßes«, sagte er, als er sich einigermaßen erholt hatte. »Laßt uns jetzt sofort zur Tagesordnung übergehen. Führt die Delegation der Methanatmer vor, damit wir das Friedensabkommen besiegeln können.« Und er begann wieder aus vollem Halse
42 zu lachen. »Das muß gefeiert werden«, riefen einige seiner Gefolgsleute. »Ja, laßt uns den Sieg über die Methanatmer mit den gebührenden Feierlichkeiten begehen!« »Es ist für alles vorgesorgt. Wir haben ausreichend Vorrat an Speisen und Getränken, um zehn solcher Friedensverhandlungen durchzustehen. Allerdings müssen wir uns selbst bedienen. Aus Sicherheitsgründen konnten wir es nicht einmal wagen, Roboter anzustellen.« »Schon gut.« Orbanaschol winkte ab. »Ich habe das förmliche Getue im Kristallpalast sowieso längst satt. Ich möchte mich wenigstens einmal in meinem Leben frei und ungezwungen geben können. Den ersten Trinkspruch möchte ich unserem schlauen Arcangelo widmen, dessen Idee diese Friedensverhandlungen sind.« Orbanaschol und seine Günstlinge wurden immer ungezwungener. Immer wieder brandete Gelächter auf, wenn die Sprache auf die angeblichen Friedensverhandlungen kam. Man malte sich aus, wie sich die oppositionellen Gruppen gifteten, die gegen Orbanaschols Kriegspolitik mehr oder weniger offen polemisierten. »Jetzt haben wir ihnen das Maul gestopft!« rief Orbanaschol ausgelassen. Man machte sich über die Offiziere und die Soldaten lustig, die zwar von einzelnen Niederlagen gegen die Methanatmer wußten, aber glaubten, den großen Sieg errungen zu haben. »Unsere tapferen Arkoniden werden durch diesen Erfolg, den wir hier eben erringen, angespornt«, verkündete Arcangelo. »Von nun an werden sie noch aufopferungsbereiter, noch selbstloser für die arkonidische Sache kämpfen!« »Darauf trinken wir.« Die Feierlichkeiten nahmen immer mehr die Form eines wüsten Gelages an. Der Höhepunkt an Geschmacklosigkeit wurde erreicht, als Orbanaschol einen raffiniert zusammengeschnittenen Film ablaufen ließ.
Ernst Vlcek Man hatte als »Darsteller« gefangene Methanatmer genommen, die unter Drogeneinfluß standen und die Rolle der Friedensdelegation spielten. Es wurde sogar ein Vertrag unterzeichnet, der als authentisches Dokument im Tresor des Kriegsministeriums aufbewahrt werden sollte. »Ich kann nicht garantieren, daß sich die Methanatmer an das Friedensabkommen halten werden«, erklärte Orbanaschol in feierlichem Ton; die gleichen Worte hatte er auch bei der Ansprache an das Volk des Großen Imperiums gebraucht, bevor er den Bunker betrat. »Aber ich garantiere meinen Untertanen, daß jeder Verstoß der Methanatmer gegen diesen Vertrag geahndet wird. Und wenn Diplomatie versagt, dann werden wieder die Waffen sprechen. So lange, bis wir die Methanatmer endgültig in die Knie gezwungen haben.« Gelächter. »Ich möchte, daß das Volk ebenfalls feiert«, rief Orbanaschol überschwenglich. »Verkündet überall im Großen Imperium, daß die Arbeit für zwei Arkon-Tage zu ruhen hat. Das Volk soll Gelegenheit haben, mich, Orbanaschol III., der ich die Methanatmer zu einem Kniefall brachte, ausgiebig zu feiern!«
* »Widerlich«, sagte Chapat angeekelt, der das Gelage der arkonidischen Führungsspitze durch die dicke Panzerglaswand beobachtete. Er und Atlan hatten sich in dem für die Maahk gedachten Sektor versteckt. Da bei Ankunft der arkonidischen Delegation auch die Energiezufuhr eingeschaltet worden war, übertrugen die Mikrophone die Unterhaltung von jenseits der Panzerglaswand, so daß sie jedes Wort verstehen konnten. Sie waren auch Zuschauer bei dem Film über die fingierten Friedensverhandlungen. »Ich hätte nie gedacht, daß Orbanaschol so niederträchtig sein könnte«, sagte Chapat erschüttert.
Die Menschenjäger von Arkon »Er ist noch zu ganz anderen Gemeinheiten fähig«, erwiderte Atlan. »Aber ich muß zugeben, daß auch ich das hier für eine seiner ärgsten Schandtaten halte.« »Gibt es keine Möglichkeiten, diesen Schwindel aufzudecken?« »Ich denke schon die ganze Zeit an nichts anderes mehr«, sagte Atlan. »Ich würde nur zu gerne Orbanaschol einenStrick daraus drehen. Stell dir vor, wir hätten die entsprechende Ausrüstung, um diese Szenen festzuhalten und dann der Öffentlichkeit vorzuführen. Das würde Orbanaschol das Genick brechen.« »Diese Möglichkeit haben wir aber nicht«, meinte Chapat. »Und vielleicht ist es auch gut so.« Atlan blickte ihn fragend an, dann nickte er verstehend. »Ja, vielleicht hast du recht«, stimmte Atlan gedankenverloren zu. »Es könnte zu einem schwerwiegenden Zeitparadoxon führen, wenn man versucht, die Vergangenheit in diesem Ausmaß zu beeinflussen. Aber es würde mich reizen, wenigstens in Erfahrung zu bringen, ob wir in der Lage wären, überhaupt eine Veränderung herbeizuführen. Wir sind nicht Bestandteil dieser Zeit, sondern gehören einer fernen Zukunft an.« »In deinen Worten liegt ein Widerspruch«, sagte Chapat. »Wenn du glaubst, daß wir in dieser Zeit nicht nur sozusagen träumen, sondern real hier sind – und demzufolge auch den Tod finden können, dann müssen wir auch die Realität dieser Zeit beeinflussen können. Anders ausgedrückt, wenn diese Zeit einen Einfluß auf uns hat, haben wir einen Einfluß auf sie. Das ist eine einfache Logik.« »Nur können wir mit Logik unsere Situation nicht erklären«, hielt Atlan dagegen. Sie wurden wieder von den Geschehnissen jenseits der Panzerglaswand abgelenkt. Arcangelo, Orbanaschols rechte Hand, erbat die Aufmerksamkeit der Delegationsmitglieder.
43 »Wie ich sehe, sind die meisten von Ihnen von den Verhandlungsgesprächen psychische wie auch physisch ziemlich mitgenommen …« Gelächter. Man prostete ihm zu. »Es war auch anstrengender als erwartet, die Methanatmer …« Zwischenrufer ließen die Methanatmer, »unsere Verbündeten«, hochleben. »… dazu zu bringen, alle unsere Forderungen zu akzeptieren. Aber wir haben es geschafft, und ich glaube, daß wir nun langsam zu einem Ende der Gespräche kommen sollten.« Gegenstimmen wurden laut, doch als auch Orbanaschol seine Getreuen ermahnte, die »Verhandlungen« nicht zu sehr auszudehnen, fügte man sich. Die Stimmung flaute merklich ab. Man traf die ersten Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch. »Was soll mit den zwanzig Druckbehältern geschehen?« fragte jemand. »Eine berechtigte Frage«, sagte ein anderer. »Darüber soll sich niemand den Kopf zerbrechen«, meinte Arcangelo. »Die Delegation der Methanatmer erhält besonderen Geleitschutz.« »Was passiert mit den Druckbehältern wirklich?« erkundigte sich nun Orbanaschol leicht besorgt, wie Atlan meinte. »Niemand wird etwas davon merken, daß sie leer sind«, erklärte Arcangelo. »Zumindest vorerst nicht. Ich lasse sie von einem Raumschiff nach Arkon III bringen. Wenn man sie dort öffnet und feststellt, daß niemand drinnen ist, wird ein ›Eingeweihter‹ auf den Plan treten, der zu wissen glaubt, daß die Methanatmer – aus Geheimhaltungsund Sicherheitsgründen – heimlich mit einem anderen Transport zu einem ihrer Stützpunkte geflogen worden sind.« Orbanaschol gab sich damit zufrieden. Es war ein simples, aber narrensicheres Täuschungsmanöver. »Jetzt wird es auch für uns Zeit, eine Möglichkeit zu suchen, wie wir hier herauskommen«, meinte Chapat.
44 »Uns bleibt noch genügend Zeit, unsere Unterhaltung zu Ende zu führen«, sagte Atlan. »Was gibt es dazu noch zu sagen? Wir kommen einfach auf keinen befriedigenden Nenner, was unsere Situation betrifft. Traum oder Wirklichkeit – diese Frage läßt sich nicht beantworten.« »Aber auf andere Fragen gäbe es Antworten.« Chapat versteifte sich wieder. Sein Gesichtsausdruck wurde starr, er blickte durch Atlan hindurch. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, Atlan …« »Ich will gar nicht, daß du dein ganzes Seelenleben vor mir ausbreitest«, unterbrach Atlan ihn. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die arkonidische Delegation aufbrach. Atlan fuhr fort: »Zwischen dir und dem Ischtar-Memory besteht eine geheimnisvolle Verbindung. Du stehst in starker Abhängigkeit zu diesem geheimnisvollen Kreisel. Weißt du, warum das so ist? Siehst du in ihm einen Mutterersatz? Ist Ischtar überhaupt deine Mutter?« Chapat zitterte leicht, als er antwortete: »Es ist alles so lange her … Es liegt so weit zurück …« »Mach keine Ausflüchte, Chapat!« drang Atlan in ihn. »Du müßtest dich einmal hören, wenn du über Ischtar sprichst. Es hört sich an, als würdest du über einen Geist sprechen, nicht über ein Wesen aus Fleisch und Blut. Dabei ist Ischtar alles andere als ein überirdisches Geschöpf. Wenn sie auch nicht den Naturgesetzen unterworfen sein mag, so lebt sie doch in einem Körper – oder sie lebte …« »Ischtar ist unvergänglich …«, murmelte Chapat. »Ich habe Ischtar auch gekannt, sehr gut sogar«, fuhr Atlan fort, gegen die drängenden Erinnerungen ankämpfend, bemüht, ihnen nicht zu unterliegen. Er wollte nicht wie Chapat der Realität entrücken. »Ischtar sagte mir zum Abschied, daß wir zusammen einen Sohn namens Chapat haben würden. Weißt
Ernst Vlcek du das? Hast du noch nie gefühlt, daß uns beide starke Bande verbinden könnten, die stärker sind als die der Freundschaft?« Chapat starrte wortlos ins Leere. Es geschah zum erstenmal, daß Atlan ihn so direkt darauf hinwies, daß er sein Sohn sein könnte. Und Chapat kapselte sich noch deutlicher ab als sonst. »Warum versuchst du nicht, deine Erinnerung vor dir auszubreiten?« drängte Atlan weiter. »Durchwandere die Situationen deines Lebens, um zu deiner vollen Identität zu kommen.« Chapat schüttelte den Kopf. »Die Situationen meines Lebens sind im Nebel des Vergessens«, murmelte er. »Auf dem Weg durch die Zeit gibt es nur jene Stationen, die meine Seele auf ihrer Wanderschaft gemacht hatte …« Atlan gab es auf. Er war am Ende seiner Weisheit, und er ärgerte sich, daß er immer wieder versuchte, Chapat auszuhorchen, obwohl dieser sich dagegen wehrte. Vielleicht würde Chapat eines Tages von sich aus reden … Atlan hatte gar nicht bemerkt, daß Orbanaschol und sein Gefolge den Konferenzsaal bereits geräumt hatten. Er schreckte hoch. Jeden Augenblick konnten die Druckbehälter von den Transportkommandos abgeholt werden. »Chapat, komm zu dir!« rief Atlan eindringlich. »Wir müssen unsere Chance zur Flucht wahren.« Chapat blickte ihn entgeistert an. »Flucht?« wiederholte er, dann schien er zu begreifen. »Was hast du vor?« Atlan deutete auf die Druckbehälter. »Wir müssen uns in ihnen verstecken.« »Aber sie sollen nach Arkon III gebracht werden.« »Das kann uns nicht stören, wir haben hier nichts mehr verloren. Die Behälter sind unsere einzige Chance, von hier fortzukommen.« Chapat sah das ein. Er zögerte nicht länger, sondern erkletterte mit Atlan einen der Behälter. Er war geräumig und bot ihnen
Die Menschenjäger von Arkon beiden genügend Platz. Sie stiegen hinein und schlossen den Deckel über sich. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis den Druckbehälter endlich eine Erschütterung durchlief und sie das Gefühl hatten, emporgehoben zu werden.
13. Orbanaschol III. erfuhr durch Zufall von den Vorgängen in der ausgebrannten Lagerhalle. Man wollte ihn nicht mit solch einer Kleinigkeit belästigen, und der Sicherheitschef von Kering-Thang hätte den Vorfall auch gerne verschwiegen, weil er um seinen Kopf fürchtete. Doch als Orbanaschol III. auf einer der »Schwebenden Inseln« die Adeligen, Politiker und Militärs zu einem festlichen Empfang einlud, um seinen Triumph feiern zu lassen, entdeckte er den schwarzen Fleck inmitten der Raumhafenanlagen. Diese »Schwebenden Inseln« waren Plattformen, die von Antigravstrahlen getragen wurden, mit künstlichen Gärten, Wasserspielen und dergleichen mehr. Als Orbanaschol und seine Gäste damit über Kering-Thang schwebten, brauchte der Imperator nur einen Blick in die Tiefe zu werfen, um die ausgebrannte Lagerhalle sofort zu entdecken. »Was hat das zu bedeuten?« wollte er wissen – und brachte damit eine Lawine ins Rollen. Der Sicherheitschef des Raumhafens versicherte ihm, daß hinter dem Brand nichts weiter stecke. Doch Orbanaschol wollte der Sache auf den Grund gehen und beauftragte Arcangelo damit, den Fall zu untersuchen. Arcangelo nahm zuerst den Sicherheitschef ins Verhör. Von diesem erfuhr er, daß der Zwischenfall wenige Stunden vor Eintreffen des Imperators geschehen war. Natürlich habe man zuerst angenommen, daß Terroristen dahintersteckten, die die Friedensverhandlungen mit den Methanatmern sabotieren wollten. Deshalb seien alle verfügbaren Truppen in die Lagerhalle abgezo-
45 gen worden. Doch dort stellte sich heraus, daß dahinter nur zwei rivalisierende Händlercliquen steckten: Kerlin Attofrest, der Obermakler von Olpduor, hatte in der Halle eine »lebende Ware« als Jagdobjekt deponiert. Doch zwei Beauftragte, die zweifellos von einem Konkurrenten geschickt worden waren, hatten ihm einen erbitterten Kampf geliefert. Arcangelo hätte sich mit der Aussage des Sicherheitschefs begnügen können, doch da er dem Imperator Bericht erstatten mußte und der sich mit den Beteuerungen des Sicherheitschefs nicht zufriedengegeben hätte, forschte Arcangelo weiter. Er nahm den Obermakler ins Verhör. Von diesem erfuhr er die Vorgeschichte: Zwei illegale Einwanderer von Arkon I seien ihm in die Hände gefallen. Sie behaupteten, auf Arkon I die Wegbereiter der Zukunft an die Kralasenen ausgeliefert zu haben. Attofrest glaubte diesen Behauptungen nicht, steckte sie in Experimentalbehälter und schickte sie auf die Reise. Es zeigte sich aber bald, daß ein Unbekannter seine Jagd sabotierte. Attofrests Positronik wurde zerstört die beiden Experimentierbehälter verschwanden auf mysteriöse Weise. Durch mühsame Recherchen bekam Attofrest heraus, daß die Gonzal u. Ischton Manufaktur, die von bislang unbekannten Händlern gerade erst gegründet worden war, dahinterstecken mußte. Als Attofrest die Personenbeschreibung dieser beiden Männer gab, wurde Arcangelo hellhörig. Aber er ließ den Obermakler weitererzählen. Gonzal u. Ischton wurden von Attofrest der Intrige überführt, als sie sechsunddreißig Behälter kauften, sie mit den Nummern der von Attofrest gesuchten Experimentalbehälter versahen und mit verschiedenen Zielen auf die Reise schickten. Leider konnte der Obermakler Gonzal u. Ischton nicht mehr zur Rechenschaft ziehen, weil diese spurlos verschwanden. Attofrest fand aber nochmals ihre Spur, und zwar bei der Keelon-Manufaktur, an die sie die beiden gesuchten Experimentalbehäl-
46 ter mit der »lebenden Ware« verschachert hatten. Der Obermakler stellte ihnen in der Lagerhalle eine Falle, in die sie auch prompt liefen. Es kam zu einem furchtbaren Kampf, in dessen Verlauf der Händler Keelon und ein halbes Dutzend von Attofrests Leuten den Tod fanden. Die Auseinandersetzung nahm die Form einer Schlacht an, so daß sich die regulären Truppen einschalteten. »Dabei werden Gonzal und Ischton den Tod gefunden haben«, schloß Attofrest zufrieden. Daran konnte Arcangelo jedoch nicht glauben, denn das Ergebnis des Spurensicherungskommandos ergab nur, daß sieben Menschen den Tod gefunden hatten, zwanzig Soldaten wurden verletzt. Von den beiden Unbekannten, die sich Gonzal u. Ischton nannten, fand man keine Spur. Arcangelo, der mit den Regeln der Jagdspiele der Händler von Arkon II vertraut war, gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß Attofrest keine Schiedsrichter einsetzte, die den Weg der beiden Jagdobjekte verfolgen sollten. Das sei doch sonst üblich. »Ich schwöre, daß ich es getan habe«, beteuerte Attofrest. »Ich setzte zwei meiner besten Männer als Schiedsrichter ein, doch sie verschwanden spurlos und gaben bis heute kein Lebenszeichen mehr von sich. Ich bin jetzt sicher, daß sie von meinen Gegnern bestochen wurden.« Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Arcangelo bereits seine eigene Theorie zurechtgelegt. »Sie werden noch von mir hören, Attofrest.« »Ihr ergebener Diener«, sagte Attofrest, fügte aber sofort hinzu: »Bin ich nun entlassen? Kann ich jetzt das Warenspiel fortsetzen? Ich muß die Jagd zu Ende führen, will ich vor meinen Kollegen nicht das Gesicht verlieren.« Arcangelo hatte Verständnis dafür. »Ich glaube, daß ich die Untersuchungen bald abschließen kann. Gedulden Sie sich noch bis dahin. Ich lasse es Sie wissen, wann die beiden Experimentalbehälter wie-
Ernst Vlcek der zu Ihrer Verfügung stehen.« »Ergebensten Dank!« Arcangelo ließ als nächstes die beiden Experimentalbehälter öffnen. Seine Ahnung bestätigte sich: Darin fanden sich nicht die beiden Jagdobjekte, sondern die Leichen der beiden Schiedsrichter. Arcangelo ließ Attofrest wissen, daß er seine Jagd fortsetzen konnte, und kehrte zu Orbanaschol III. auf die »Schwebende Insel« zurück, um ihm Bericht zu erstatten.
* Sie zogen sich an einen Ort zurück, wo sie ungestört waren. »Ich glaube jetzt zu wissen, wer die WdZ an die Kralasenen verraten hat, Imperator«, begann Arcangelo das Gespräch. »Es müssen die beiden Fremden gewesen sein, deren ihr um jeden Preis habhaft werden wollt.« »Warum haben sie die Organisation verraten?« wunderte sich Orbanaschol. »Etwa, um sich meine Gunst zu erschleichen? Wenn es so wäre, warum haben sie sich dann nicht gemeldet?« »Über ihre Motive werden wir erst Klarheit bekommen, wenn wir sie fassen«, erwiderte Arcangelo. »Sicher ist nur, daß sie nach Arkon II flüchteten und hier dem Obermakler Attofrest in die Hände fielen. Der aber hat sie unterschätzt. Sie entkamen ihm, legten ihre Masken ab und intrigierten unter falschen Namen gegen den Obermakler.« »Unter falschen Namen?« meinte Orbanaschol spöttisch. »Kennen Sie denn ihre richtigen Namen?« »Der eine nannte sich Gonzal«, fuhr Arcangelo ungerührt fort, »was leicht von Gonozal abgeleitet sein könnte. Und seine Beschreibung paßt auch auf einen der Gonozals und stimmt bis ins letzte Detail mit der des Fremden überein, der euch solches Kopfzerbrechen bereitete.« »Hat man ihn endlich erwischt?« fragte Orbanaschol. »Nein«, mußte Arcangelo zugeben. »Aber jetzt habe ich die Suche nach ihm aufge-
Die Menschenjäger von Arkon nommen. Ich bin sicher, daß er noch in Kering-Thang ist. Wir werden ihn finden.« »Hoffentlich«, sagte Orbanaschol. Plötzlich begann er zu toben. »Ich bin von lauter Schwachköpfen umgeben. Wagt man es tatsächlich zu behaupten, daß die Lagerhalle von sich gegenseitig bekriegenden Händlercliquen zerstört wurde. Ein harmloser Zwischenfall, sagt der Sicherheitschef von Kering-Thang. Wissen Sie, was ich glaube, Arcangelo? Der Überfall galt mir. Man hat ein Attentat auf mich verüben wollen. Und niemand hat etwas davon gemerkt. Und wahrscheinlich wurde es nur durch das Eingreifen des Obermaklers verhindert. Wenn er es auch nicht bewußt getan hat – ich möchte ihn dafür belohnen.« »Das ist schon geschehen, Imperator«, meinte Arcangelo lächelnd. »Ich habe ihm gestattet, seine Transaktionen mit den beiden Experimentalbehältern beliebig durchzuführen und sein Jagdspiel fortzusetzen. Allerdings habe ich ihm verschwiegen, daß in den Behältern nicht die von ihm gesuchten Jagdobjekte sind. Ich möchte sein Gesicht sehen, wenn er die Behälter öffnet und seine Schiedsrichter vorfindet.« »Statt sich an solchen Späßen zu delektieren, sollten Sie lieber die beiden Fremden fangen, Arcangelo«, sagte Orbanaschol barsch. »Ich habe bereits veranlaßt, daß man ihre Spuren verfolgt. Ich erwarte jeden Augenblick die ersten Berichte. Diesmal werden sie uns nicht entkommen.«
* Attofrest hatte dem persönlichen Berater des Imperators alles gesagt, was er wissen wollte. Doch zum Glück hatte der nicht gefragt, was er mit den beiden Experimentalbehältern vorhatte. Sonst hätte der Obermakler lügen müssen. Denn er wollte unbedingt seine Transaktionen zu Ende führen. Das war er seinem Ruf schuldig. Sein bis ins kleinste Detail ausgearbeiteter Plan lag dem obersten
47 Schiedsgericht des Händlergremiums vor. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt davon abzuweichen. Die beiden Experimentalbehälter mußten ihr vorbestimmtes Ziel erreichen. Attofrest hatte eine Passage nach Arkon III gebucht. Und zwar auf jenem Schiff, auf dem auch die Delegation der Methanatmer reisen würde. Er hatte nur seine Beziehungen spielen lassen müssen, um an Bord dieses Schiffes einen Platz zu bekommen. Das war der leichtere Teil seines Planes gewesen. Schwieriger war es schon, auch die beiden Experimentalbehälter an Bord des Schiffes zu schmuggeln. Sie waren zwar als Methan-Ammoniak-Wasserstofftanks deklariert, doch der Zusatz, daß es sich um ein unreines Gasgemisch handelte und sie deshalb zu Experimentalbehältern gestempelt wurden, erschwerte die Transaktionen mit ihnen. Doch Attofrest hatte dennoch eine Möglichkeit gefunden, sie auf das Schiff zu bringen. Er wußte, daß die anderen Atmosphärebehälter für die Versorgung der zwanzig Methanatmer benötigt wurden. Man hatte einen genügend großen Vorrat an MethanAmmoniak-Wasserstoffgemisch an Bord genommen, der die Methanatmer auf Jahre hinaus versorgen könnte. Doch hatte man es unterlassen, einen Teil der Gastanks als »Reserve« zu deklarieren. Und egal, wie groß der Vorrat war, die Vorschriften verlangten, daß beim Transport von NichtSauerstoffatmern eine eiserne Reserve an Atmosphäre angelegt wurde. Attofrest machte darauf aufmerksam und bot seine beiden Experimentalbehälter als »Reserve« an. Niemand hatte Bedenken, das unreine Gasgemisch anzukaufen, denn man war ja überzeugt, diese Reserve nicht zu benötigten. Es sollte ja nur den Vorschriften Genüge getan werden. Nachdem ihm diese Transaktion geglückt war, konnte Attofrest zusammen mit zweien seiner engsten Freunde an Bord des Schiffes gehen. Die beiden Freunde sollten die Zeugen sein, die später bestätigen konnten, daß
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Ernst Vlcek
Attofrest die Aktion erfolgreich abgeschlossen hatte. Für ihn gab es auf dem Schiff nur noch eines zu tun. Er mußte die beiden Experimentalbehälter an die Lebenstanks der Maahks anschließen. Auch das konnte er ruhigen Gewissens tun, denn die Experimentalbehälter enthielten kein unreines Gasgemisch, so daß die Methanatmer nicht gefährdet waren. Statt daß Methan-Ammoniak-Wasserstoffatmosphäre entweichen würde, würde das für Menschen tödliche Giftgas in sie gepumpt werden. Und auf diese Weise konnte Attofrest sein Versprechen wahrmachen, daß er die beiden Jagdobjekte töten würde, ohne Hand an sie zu legen. Attofrest war sicher, daß man auch auf Seiten der Militärs für diese Transaktion Verständnis haben würde. Das Risiko, einen Prozeß wegen staatsfeindlicher Umtriebe aufgehalst zu bekommen, war nur minimal. Wozu hatte er schließlich seine Beziehungen, die bis hinauf zum Imperator reichten …
* »Das Komplott der beiden Unbekannten ist viel gewaltiger, als es zuerst den Anschein hatte«, berichtete Arcangelo dem Imperator. »Die Untersuchungen haben ergeben, daß sie lebend aus der brennenden Lagerhalle entkommen sind und es ihnen gelang, in dem allgemeinen Durcheinander bis zu jenem Bunker zu gelangen, in dem die Friedensverhandlungen mit den Methanatmern stattgefunden haben.« »Wieso wissen Sie das so genau, Arcangelo?« fragte Orbanaschol lauernd. »Haben die beiden etwa ein Geständnis abgelegt?« »Wir haben sie doch noch nicht erwischt«, gestand Arcangelo. »Aber ihre Spuren führen zum Verhandlungsbunker – noch schlimmer, sie … sie sind in den Bunker eingedrungen.« »So, so«, meinte Orbanaschol. Es war ihm anzumerken, daß er sich zwingen mußte, ruhig zu bleiben. »Könnte das bedeuten,
daß sie auch noch während der Friedensverhandlungen im Bunker waren?« »So ist es. Sie waren die ganze Zeit über im Bunker, während wir … Es muß angenommen werden, daß sie uns beobachtet haben.« Der Imperator zitterte vor unterdrückter Wut. »Wissen Sie, was das bedeutet, Arcangelo? Stellen Sie sich vor, die beiden bringen ihre Beobachtungen an die Öffentlichkeit!« »Niemand wird solchen suspekten Personen glauben.« »Egal. Allein das Gerücht, daß es bei den Friedensverhandlungen nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, wäre schon schlimm genug. Wir würden viel schlechter als zuvor dastehen. Es wäre eine Katastrophe für das Große Imperium!« »Ich weiß, Imperator«, sagte Arcangelo kleinlaut. »Wir müssen dafür sorgen, daß die beiden keine Gelegenheit bekommen, ihr Wissen an die Öffentlichkeit zu bringen.« »Die Voraussetzungen haben Sie dafür schon getroffen«, schrie Orbanaschol, außer sich vor Wut, »indem Sie sie wieder entkommen ließen.« »Diesmal werden sie nicht weit kommen«, behauptete Arcangelo. »Wir wissen nämlich, daß sie auf keinen normalen Weg aus dem Bunker gelangt sind …« »Woher haben Sie denn dieses Wissen schon wieder? Etwa von den Wachen, die ebenso sicher waren, daß niemand in den Bunker eingedrungen ist?« »Es gibt eigentlich nur eine einzige Möglichkeit, wie ihnen die Flucht gelungen sein könnte«, fuhr Arcangelo ruhig fort. »Die Drucktanks. Sie müssen sich in ihnen verborgen haben. Damit sitzen Sie aber in der Falle.« »Ja, warum ließen Sie die Drucktanks noch nicht öffnen?« »Sie wurden gleich nach der Konferenz auf ein Transportschiff gebracht.« »Dann lassen Sie das Schiff durchsuchen.« »Es ist bereits nach Arkon III gestartet.«
Die Menschenjäger von Arkon Der Imperator atmete schwer. »Sagen Sie nur noch, daß das Schiff auch schon dort gelandet ist – dann sind Sie um einen Kopf kürzer.« Arcangelo brachte trotz dieser Eröffnung ein Lächeln zustande. »Nein, Imperator. Ich habe über Funk erfahren, daß das Schiff soeben die Transition beendet hat.« »Dann ordnen Sie an, daß das Schiff nicht landet, sondern in eine Kreisbahn geht. Die Fremden sind sofort zu töten.« Arcangelo vertiefte sein Lächeln. »Ersteres ist bereits geschehen.«
14. Der Transitionsschock war kaum vorbei, da öffnete Atlan den Drucktank. Nun, da sie wußten, daß sie sich im Bereich von Arkon III befanden, verließen sie ihr Gefängnis. Die zwanzig Maahkbehälter waren in einer Druckkammer untergebracht. Da alle an Bord glauben mußten, daß dieser Sektor unter Giftgasatmosphäre stand, brauchten sie nicht zu befürchten, hier auf Wachen zu treffen. Darauf mußten sie sich zuerst gefaßt machen, wenn sie die Druckkammer verließen. »Bald sind wir auf Arkon III«, sagte Atlan zuversichtlich. »Von dort aus werden wir den Kampf gegen Orbanaschol aufnehmen. Wir werden uns die Möglichkeiten des Kriegsplanes zunutze machen.« »Hast du die Idee, deinem jüngeren Ich helfen zu wollen, immer noch nicht aufgegeben?« meinte Chapat. »Wenn wir Orbanaschol schaden, helfen wir auch uns«, sagte Atlan darauf nur. Er begab sich zu der Schleuse. Das Innenschott stand offen. »Ich möchte zu gerne wissen, ob draußen Wachen postiert sind«, meinte Atlan. »Wenn es so ist, werden sie vor Überraschung wie gelähmt sein, wenn sich plötzlich das Außenschott öffnet«, erklärte Chapat und wog seinen Strahler in der Hand. »Und das wird uns Zeit genug geben, sie zu
49 überwältigen.« Er schloß das Innenschott. Ein schwaches Licht glomm auf und erhellte die Schleusenkammer spärlich. Atlan überblickte das Armaturenbrett und drückte dann eine Taste nieder. Zu seiner Überraschung stand der Maahk-Sektor diesmal unter Energie. Die Außenschleuse glitt mit einem Seufzer auf. Kaum war der Spalt groß genug, sprang Chapat mit erhobener Waffe in den Korridor hinaus. Geduckt wirbelte er einmal um seine Achse. Aber er gab keinen Schuß ab. »Die Luft ist rein!« rief er Atlan zu. Atlan trat auf den Korridor, blickte sich um.Niemand war zu sehen. Er schloß das Schott hinter sich. »Wohin jetzt?« wollte Chapat wissen. »Ich schlage vor, daß wir uns zuerst einmal in unserer näheren Umgebung umsehen und uns ein geeignetes Versteck suchen«, antwortete Atlan. »Wir müssen uns schon jetzt über die Möglichkeiten informieren, die sich bieten, das Schiff nach der Landung unbemerkt zu verlassen.« »Sollten wir uns nicht trennen?« meinte Chapat. »Dann könnten wir die Erkundigungen schneller abschließen.« »Nein, wir bleiben zusammen«, entschied Atlan ohne weitere Erklärung. Sie wandten sich im Korridor nach rechts. Plötzlich ertönten Schritte. Atlan und Chapat sprangen fast gleichzeitig in eine Nische. Es dauerte nicht lange, bis die Schritte ihren Korridor erreichten. Jemand sagte: »Das hier ist der Lagerraum für die Giftgasbehälter. Ich habe den Wachkommandanten bestochen, damit er die Posten für einige Zeit von hier abzieht. Wir sind also ungestört.« Atlan und Chapat sahen einander an. Sie hatten beide diese Stimme sofort erkannt. Sie gehörte dem Obermakler Attofrest. Sie hörten das Geräusch eines sich öffnenden Schottes. Die Schritte entfernten sich. Das Schott schloß sich nicht wieder. Atlan blickte auf den Korridor hinaus. Attof-
50 rest und seine beiden Begleiter – denn die verursachten Geräusche stammten mit Sicherheit von drei Personen – waren verschwunden. Zwanzig Meter von ihnen entfernt erblickte Atlan ein Schott, das nur angelehnt war. »Was hat denn der Obermakler hier zu suchen?« wunderte sich Atlan. »Ich hätte gar nicht geglaubt, daß er die Katastrophe von Kering-Thang überlebte«, sagte Chapat. »Sehen wir doch nach, was ihn hierher getrieben hat.« Atlan war damit einverstanden. Sie schlichen zu dem Schott. Atlan spähte hindurch. Er hörte aus dem Hintergrund Geräusche, konnte jedoch nichts sehen, weil die Atmosphäretanks ihm die Sicht verstellten. Deshalb zog er das Schott weiter auf und zwängte sich hindurch. Chapat folgte ihm lautlos. Sie suchten sich vorsichtig ihren Weg, bis sie nahe genug waren, um Attofrest und dessen beide Begleiter beobachten zu können. »Das sind doch die beiden Experimentalbehälter«, stellte Chapat fest. »Wie ist es dem Obermakler nur gelungen, sie auf dieses Schiff zu bringen?« Atlan grinste. »Jetzt wissen wir, warum er hier ist. Das ist das Ende seiner Jagd. Er muß immer noch glauben, daß wir in den Behältern sind.« Atlan hatte nicht mehr daran gedacht. Er hatte angenommen, daß Attofrest sie während der Schießerei in der Lagerhalle erkannt hatte. Doch jetzt wurde ihm klar, daß dies unmöglich war. Attofrest hatte sie kennengelernt, als sie noch ihre Gesichtsmasken trugen. In der Lagerhalle von Kering-Thang hatten sie ihre Masken aber längst schon abgelegt. »Da, er schließt die Experimentalbehälter an die Druckkammer der Maahks an. Auf diese Weise wollte er uns also beseitigen.« »Erinnerst du dich denn nicht mehr, als er sagte, er werde uns töten, ohne Hand an uns zu legen? Er will uns vergiften.« »Er wird sich wundern, wenn er die Tanks
Ernst Vlcek öffnet und seine beiden Leibwächter erblickt …« »… und feststellen muß, daß er gar keine Methanatmosphäre abzapfen konnte.« »Ich denke, das wird genug sein«, sagte Attofrest in diesem Moment. »Ich schlage vor, daß Sie jetzt die Tanks öffnen und zu Protokoll nehmen, daß ich die Jagdobjekte erlegt habe.« Seine Begleiter erkletterten die beiden Experimentalbehälter und öffneten die Deckel. Der eine gab einen spitzen Schrei von sich, als er den Inhalt sah. Der andere wich entsetzt zurück und wäre beinahe abgestürzt. »Ich … was ist?« fragte Attofrest amüsiert. »Ich glaube fast, Sie haben noch keinen Toten gesehen.« »Sehen Sie selbst, Obermakler«, sagte der eine, während der andere keinen Ton über die Lippen brachte. Attofrest schien nicht erbaut von dem Gedanken, einen der Tanks zu erklettern, aber dann kam er der Aufforderung doch nach. Er warf einen Blick in den Tank … »Ich … das ist … ich …« Er würgte. In diesem Augenblick wurde das Schott aufgerissen. Atlan und Chapat konnten gerade noch hinter die Giftgasbehälter in Deckung springen. Aus ihrem Versteck sahen sie, wie eine Gruppe von Raumsoldaten in den Lagerraum gestürmt kam. Attofrest und seine beiden Begleiter sahen ihnen verblüfft entgegen. »Ich kann alles erklären …«, begann Attofrest. Weiter kam er nicht. Ohne ein Wort der Erklärung hoben die Soldaten ihre Waffen und begannen zu feuern. Attofrest und seine Begleiter wurden von den Strahlenenergien erfaßt und von den Tanks geschleudert. Während sie in die Tiefe stürzten, waren sie schon längst tot, aber die Soldaten stellten das Feuer erst ein, als von den Männern nichts mehr übrig war. »Ich dachte, es handle sich nur um zwei«, sagte ein Soldat erstaunt. Da wußten Atlan und Chapat, daß dieser Überfall ihnen gegolten hatte. Man hatte ih-
Die Menschenjäger von Arkon re Spur gefunden. Orbanaschol legte keinen Wert mehr darauf, sie lebend zu fangen. Atlan schlich hinter den Gifttanks dem Schott zu. Als ihn nur noch vier Meter davon trennten, begann er zu laufen. Er erreichte den Korridor, ohne daß er entdeckt worden wäre. Doch als Chapat neben ihm auftauchte, rief jemand im Lagerraum: »Da sind noch welche!« Atlan stieß das Schott zu und versperrte es. Chapat hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie hatten keine zwanzig Meter im Korridor zurückgelegt, als hinter ihnen eine andere Gruppe von Soldaten auftauchte. Und plötzlich versperrten ihnen auch auf der anderen Seite Soldaten den Weg. »Da hinein!« Chapat packte Atlan am Arm und sprang mit ihm in einen Seitengang. Doch kaum hatten sie einen Schritt hineingetan, da sahen sie, daß es sich um eine Sackgasse handelte. Nach zehn Metern war der Korridor zu Ende. Und es gab keinen zweiten Ausgang. »Wir werden unser Leben so teuer wie möglich verkaufen!« rief Chapat. Er wollte wieder auf den Korridor hinausstürmen, doch da waren die Soldaten schon da. »Wirf die Waffe weg, Chapat!« verlangte Atlan. »Wir haben keine Chance.« »Niemals«, erwiderte Chapat. »Die werden uns rücksichtslos zerstrahlen. Du hast gesehen, was Sie mit Attofrest … Was geschieht mit uns?« Atlan wußte, was Chapat meinte. Die Wände des Korridors, die Soldaten vor ihnen, die gerade ihre Waffen anlegten, Ziel nahmen – alles um sie schien sich aufzulösen. Und Atlan erkannte die Wahrheit. »Der Traum ist aus«, konnte er noch sagen, dann wurde es schwarz um sie, und sie stürzten in ein bodenloses Nichts.
51 Funkdepesche überreicht. Der Imperator überflog sie kurz, dann las er sie noch einmal. Dabei schüttelte er fassungslos den Kopf und murmelte: »Das ist unglaublich … Wenn ich nicht wüßte, daß der Kommandant des Schiffes einer der besten Offiziere ist … unbedingt zuverlässig. Da, Arcangelo!« Er überreichte die Depesche seinem persönlichen Berater. Dieser las die Nachricht nur ein einziges Mal. »Wie erklären Sie sich das?« fragte Orbanaschol. Arcangelo zuckte nur hilflos mit den Schultern. »Das kann es doch nicht geben, daß sich zwei Menschen aus Fleisch und Blut auf einmal in Nichts auflösen«, wetterte der Imperator. »In dem Bericht steht ausdrücklich, daß sich die beiden keiner technischen Hilfsmittel bedienten. Es muß eine Erklärung für ihr Verschwinden geben.« »Ich weiß keine«, gestand Arcangelo. »Vielleicht waren es Mutanten?« meinte Orbanaschol. »Dann hätten sie sich ihrer Fähigkeiten schon früher bedient.« »Nun, vielleicht handelt es sich um Massensuggestion …?« »Nein. Denn man hat sie mit Ortungsgeräten angemessen. Und diese registrierten ebenfalls das urplötzliche Verschwinden der beiden.« »Dann …« Orbanaschol seufzte. Ihm erschien das alles auf einmal so unwirklich wie ein Traum. Waren dies überhaupt reale Ereignisse gewesen? Orbanaschol seufzte wieder. Er wollte sich keine Gedanken mehr über dieses Phänomen machen. Hauptsache, die beiden Fremden waren und blieben für immer verschwunden. ENDE
* Bald nach diesen Ereignissen wurde Orbanaschol III. von einem Sonderkurier eine
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