1 Atlan Centauri-Zyklus Band 9 (aus 12)
Die Masken der Kopfjäger von Hans Kneifel Was bisher geschah: Wir schreiben den...
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1 Atlan Centauri-Zyklus Band 9 (aus 12)
Die Masken der Kopfjäger von Hans Kneifel Was bisher geschah: Wir schreiben den Februar des Jahres 1225 NGZ. Auf Einladung der Historikerin Li da Zoltral besucht Atlan das auf einer Museumsinsel gelegene Epetran-Archiv, in dem Schätze und geheimes Wissen der Lemurer lagern. Diese Erste Menschheit besiedelte schon vor weit über fünfzig Jahrtausenden die Milchstraße; von ihr stammen alle gegenwärtig in der Galaxis existierenden humanoiden Völker ab. Als Unbekannte unter den Augen der Besucher einen Krish'un stehlen, einen Umhang lemurischer Tamräte, nimmt Atlan die Ermittlungen auf. Mit dem Schweren Jagdkreuzer TOSOMA stößt er ins Zentrum von Omega Centauri vor, einem wegen seiner hyperenergetischen Bedingungen bisher unerforschten Kugelsternhaufen. Auf der Handelswelt Yarn enthält er Informationen über lemurische Hinterlassenschaften, die ihn zum Planeten Acharr führen. Dort stößt er auf eine Steuerzentrale der Lemurer. Sein Verdacht wird zur Gewissheit: Die Familie da Zoltral zieht im Hintergrund die Fäden. Atlan beschließt, sich in einem der drei Reiche umzusehen, die in Omega Centauri von Lemurer-Abkömmlingen gegründet wurden. Seine Wahl fällt auf Shahan, dem gerade ein Angriff des Reichs Baylamor bevorsteht. Während seine Freundin Li da Zoltral als Geisel zurückbleibt, übernimmt Atlan den Oberbefehl Über die Shahano-Flotte. Auf dem Rückflug von der siegreichen Raumschlacht erfährt er, dass Li auf die Wasserwelt Tarik entführt wurde. Er befreit sie dort aus einem Biolabor, aber bei der Flucht von dem Planeten kommt der junge Mutant Akanara im konzentrierten Feuer von Angreifern ums Leben. Sein Tod hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Pläne von Crest-Tharo da Zoltral vereiteln können, der als Oberhaupt des Khasurns hinter den finsteren Machenschaften steht. Die Spur führt zu einem Urlaubsparadies im Talzor-System... Travor Faruso, der Chef des arkonidischen Profiteams, grinste trotz seiner Erschöpfung in sich hinein; er war außerordentlich zufrieden mit dem Erfolg seiner Leute. Dieses Mal lagen sieben Gefangene - davon zwei aufreizend junge weibliche Exemplare - fast bewegungslos in den halbtransparenten Beutecontainern. Nur die geschlitzten Organe, die dem Sauerstoffaustausch dienten, bewegten sich. Die kiementragenden LemurerAbkömmlinge waren für Stunden paralysiert, aber unverletzt, was sie als Beute besonders wertvoll machte. Durch das einfache Schlauchsystem wurden Wasserdampf und Atemluft in die flexiblen Behälter geleitet, so dass die Baylamor-Lemurer ohne Atembeschwerden dem Planetenherrscher übergeben werden konnten. Carranda Lexet löste ihre Blicke von den Kontrollen des Gleiters, wandte den Kopf und lächelte Travor verheißungsvoll an. Er deutete ihr Lächeln richtig: Es versprach lustvolle nächtliche Wonnen von fantastischer Ausführlichkeit. »Der da Zoltral wird mit seinen besten Kopfjägern zufrieden sein, denke ich«, sagte sie, wischte sich schweißfeuchtes Haar von den Schläfen und streckte die Hand nach dem Schalter des Autopiloten aus. »Sieben kräftige Kerlchen!« »Zwei davon brauchbare Weibchen«, knurrte Sefauran. »Für diese Woche ist hoffentlich Schluss mit der Jagd, wie?« »Erst einmal nachsehen, was in der Basis auf uns wartet«, antwortete Travor. »Wir können nicht damit rechnen, jedes Mal so viel Glück zu haben wie in den letzten Tagen.« Travors Team bestand aus vier, eigentlich sogar fünf Mitgliedern. In der Basis wartete. Hywalmers Schwester Draunya. Sie war eine Art bezahlte Sekretärin und arbeitete halbtags buchstäblich als Mädchen für alles. Sefauran Betho, Carranda Lexet, Kylat Hywalmer und er selbst waren Fallensteller und Kopfjäger, in letzter Zeit nur für Crest-Tharo da Zoltral tätig und gelegentlich für einige wenige andere Würdenträger Baylamors. Der halb geöffnete Gleiter hatte die Ufer und Dünen hinter sich gelassen und überflog gerade die savannenähnlichen Ausläufer der Parkanlagen, aus denen die oberen Teile der Trichterbau-Stadt hervorragten. Kleine Wolken hatten sich über der wie modelliert wirkenden Landschaft des Kontinents gebildet, zogen vor der gelben Sonne vorbei und ließen Schatten über das Land gleiten. Travor Faruso und sein Team trugen noch die feuchten Tarnanzüge, deren Färbung im fahlen, von Wellenreflexen durchbrochenem Blau erstarrt war. Der Chef dachte einige Atemzüge lang an die Falle, an der sein Team tagelang gearbeitet hatte; in den Maschen des ausgeklügelt aufgebauten Systems aus Netzen und Reusen hatten sich die sieben Kiemenwesen verfangen. Sefauran Betho schaltete gähnend das etwas altertümliche positronische Funkgerät ein, tippte den Kode und sagte mit einem kurzen Lachen: »Ich rufe Draunya. Hier spricht Sefau von den >Erfolgreichen Vier<. Sind die Sicherheitstanks im Palast bereit?« »Sie warten auf euch, Travor. Ich auch. Wie viele habt ihr gefangen?« »Sieben dieses Mal.« Die Kopfjäger waren von dem Einsatz ebenso gezeichnet wie ihr schwerer Gleiter, der die Spuren scharfkantiger Korallen, groben Sandes und schroffer Unterwasserfelsen trug. Auf den Anzügen und der Außenhülle des Gleiters war Salz auskristallisiert und stank nach Moder. Nur an wenigen ufernahen Stellen war es den Kopfjägern bisher jemals geglückt, jene Lemurer-Abkömmlinge zu fangen, die sich selbst Tarik nannten; meist bedurfte es ausgedehnter Flüge und aufwendiger Tauchaktionen nahe einer der vielen Inseln. Draunyas Antwort ließ einen Atemzug zu lange auf sich warten. Dann sagte sie, mit deutlicher Aufgeregtheit in der Stimme: »Strega Rallion hat sich vor einer Tonta nach euch erkundigt. Er wartet auf euch und natürlich auf die Beute.« »Viel schneller geht es nicht«, unterbrach Travor. »Wir fliegen fast Höchstgeschwindigkeit. « »Ich habe die Information weitergegeben«, schloss Draunya. »Mehr weiß ich nicht.« Der Gleiter näherte sich dem Rand der weitläufigen Siedlung aus Trichterbauten, die sich nahezu über den gesamten Kleinkontinent ausbreitete. Der Raumhafen und die industriellen Zweckbauten erstreckten sich an der gegenüberliegenden Küste. Farusos Basis und die Wohnungen seiner Teamangehörigen lagen in einem dickwandigen, überwucherten Khasurn-Bauwerk, das der mittleren Bauperiode entstammte und nicht allzu hoch aus dem umgebenden Wald herausragte. Carranda hob die Hand und rief: »Wenn Rallion nach uns fragt, ist das so gut wie ein Befehl, Trav!« »Ich überlege gerade«, antwortete Faruso scheinbar ruhig, »ob wir gleich direkt zum Hauptquartier da Zoltrals fliegen sollten.« Eine solche Nachricht verhieß nichts Gutes; dieser Umstand war den vier geläufig. Direkter Umgang mit der Macht und deren Vertretern forderte Vorsicht und Misstrauen heraus. Andererseits: Sie hatten nichts falsch gemacht, sondern kamen mit ausgesucht wertvoller Beute. Travor stieß einen kurzen Fluch aus, dem ein langer Seufzer folgte. »Ändere den verdammten Kurs, Carranda! ,« sagte er mit Bestimmtheit. »Wir fliegen in die Machtzentrale. Direkt zu Rallion. Stell den Rufkode ein, Sefauran!« »Schon geschehen, Chef.« Auf einem doppelt handgroßen, syntronisch gesteuerten Holodisplay erschien das spitznasige Gesicht Rallions, des Privatsekretärs Crest-Tharo da Zoltrals. Travor legte sein Gesicht in sorgenvolle Falten, was ihm nicht schwer fiel. »Wir haben deinen Wunsch gehört, Erhabener«, sagte er ohne eindeutige Betonung. »In einer halben Tonta können wir im Hauptquartier sein. Was die Beute betrifft«, er zögerte, »so wird sie allgemeines Entzücken hervorrufen. Fünf kräftige Wassermännchen und zwei ausnehmend wohlgeformte Kiemenweibchen.« Der Sekretär gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Gut zu hören, Kopfjäger Faruso! Ich habe es nicht eilig. Aber ihr habt die Aufmerksamkeit meines hochwohlgeborenen Dienstherrn erregt. Er geruht großzügig, gerade Zeit zu haben, und will euch sprechen.« »Zwei dringende Gründe«, bekräftigte Travor Faruso, »auf direktem Weg und so schnell wie möglich zur Übergabestation zu fliegen. In einer halben Tonta, eher etwas früher, sind wir bei euch.« Strega Rallion schaltete die Verbindung ab, das Holo erlosch. Carranda schob die Geschwindigkeitshebel bis zum Anschlag, kurvte um eine Gruppe mächtiger Blutstahlpappeln herum und steuerte auf das höchste Gebäude zu, auf dessen Rand die Gewächse eines kreisrunden Parks ihre blütenübersäten Kronen in den Mittagswind reckten. 1. Baylamor: In geheimer Mission Eine Gruppe schweigsamer Arbeitsandroiden, von einem Ara beaufsichtigt, hatte die erbeuteten Tariks von der Ladefläche des Gleiters geborgen, den Zustand der schweren, schlaffen Körper syntronisch dokumentiert und sie in schwebenden Containern irgendwo im unergründlichen Inneren des Palasts verschwinden lassen, der um die Mittagszeit leer und still schien. Ein Bediensteter, der sich wie ein Höchstleistungs-Klon bewegte, hatte Farusos Team ins Büro des Sekretärs geführt und wartete apathisch schweigend im Vorraum. In Sefauran Bethos Rücken schloss sich summend das
2 Schott, dessen Fläche aus kostbarer Schnitzerei und goldglänzenden Intarsien bestand. Hinter der Arbeitsplatte stand Strega Rallion auf. Der Ausdruck seines schmalen Gesichts ließ nicht erkennen, was er dachte; er musterte einige Atemzüge lang die vier, die müde vor ihm standen und nach ihrer Profession rochen. Selbst die Instrumente an ihren Handgelenken, Unterarmen und Schienbeinen - Tiefenmesser, Kompass, Tauchsyntron, Hochdruckspeicher, Spezialklingen, Scheinwerfer-, an breiten Bändern und durch weißen Kunststoff geschützt, waren von einer dünnen Salzschicht bedeckt. »Wir haben keine Zeit damit verloren, zu duschen und uns umzuziehen«, sagte Travor, als wolle er den Zustand seines Teams entschuldigen. »Warum diese Eile?« Strega, einer der drei oder vier höchstrangigen Sekretäre des Planetenbeherrschers, rümpfte die Nase. Faruso und sein Team waren froh, nur selten mit den Vertretern Crest-Tharo da Zoltrals zu tun zu haben. Sie taten ihren Job so gut wie nur irgend möglich und mieden bewusst den direkten Kontakt mit der obersten hierarchischen Ebene. Wann immer Faruso in Stregas graues Gesicht blickte, erwartete er, dass dieser nichts anderes als äußerste Missbilligung oder ätzenden Tadel aussprach. Zu seinem Erstaunen breitete der Sekretär die Arme aus und begann zu lachen. Hinter ihm baute sich ein Holo auf. Crest-Tharo erschien und musterte das Team ebenso leutselig wie sein Sekretär. Der Kopfjäger und seine Freunde begannen sich trotzdem unbehaglich zu fühlen. Crest-Tharo wirkte wie seine eigene Holo-Aufzeichnung. Sie hörten Rallion sagen: »Ihr habt heute, wieder einmal, die Aufmerksamkeit meines Dienstherrn errungen.« Er nahm einen Stapel länglicher Folienstreifen vom Tisch. »Ihr seid das beste und erfolgreichste Kopfjäger-Team. Das hat Seine Großzügigkeit, Zhdopanda Crest-Tharo da Zoltral, bewogen, euch auszuzeichnen. Ihr werdet befördert und bekommt um drei Klassen bessere Bezahlung.« »Wir danken.« Carranda hatte sich als Erste gefasst. »Das ist eine schöne Anerkennung.« »Will ich meinen«, sagte Rallion. Plötzlich schien er in Liebenswürdigkeit zu zerschmelzen. Crest-Tharo nickte zustimmend und begann zu sprechen, den Blick auf die Arkoniden gerichtet. »Zusätzlich zur Beförderung zum Spitzenteam und besserer Bezahlung zeichne ich euch mit einer Prämie aus. Ihr sollt sie genießen: einige Wochen bezahlten Urlaub in einer beneidenswert schönen Umgebung, mit bestem Service, auf Theka. Eure tüchtige Bürokraft wird ihren Urlaub zu einem anderen Zeitpunkt antreten. Rallion wird euch die Berechtigungschips überreichen.« Crest-Tharo machte eine Pause, starrte die Kopfjäger mahnend und zugleich gütig an und winkte; übergangslos löste sich die Holoprojektion auf. »Ich gratuliere«, sagte der Sekretär und überreichte ihnen einzeln die zusammengehefteten verschiedenfarbigen Streifen, die von eingestanzten Ziffern und syntronischen Kontaktflächen übersät waren. Travor Faruso erhielt einen Doppelblock; er enthielt die Karten für die Benutzung der Yacht. Der säuerliche, modrige Geruch, den das Team verströmte, ließ Rallion schnell drei Schritte rückwärts machen. »Wir sprechen uns wieder nach eurem Urlaub. Übrigens: Der Abflug mit einer der privaten Raumyachten des Herrschers, der ZOLTRALIA MYN, ist in drei Standardtagen. Es genügt, wenn ihr euch bei der Raumhafenverwaltung meldet. Es ist für alles gesorgt. Anordnung von ganz oben.« »Hervorragend!«, murmelte Kylat Hywalmer, der. bisher geschwiegen und die prächtige Einrichtung des Büros bewundert hatte. Strega Rallion zog sich hinter sei nen Schreibtisch zurück und erhöhte den Durchsatz der Klimaanlage. »Schnell und effizient. So wie wir.« »An höchster Stelle rechnet man damit, dass eure Arbeit nach dem Urlaub noch gewinnbringender wird.«Rallion zog übergangslos Folienstapel an sich, schaltete Bildschirme ein und tat, als habe er unendlich viel zu tun. »Wenn ihr zurück seid - meldet euch wieder einsatzbereit. In der Zwischenzeit werdet ihr wohl auch die wenig appetitlichen Spuren eurer Tätigkeit beseitigen, nicht wahr?« »Wir werden schon heute Abend wieder alle Wohlgerüche! Arkons verströmen!« Travor grinste, verbeugte sich und winkte seinem Team. Vor ihnen glitt die kostbar verzierte Platte zur Seite. Der Klon führte sie schweigend zurück zur Anlieferungshalle, wo ihr stinkender, ramponierter Allzweckgleiter wartete. Schon die ersten Tontas des Urlaubs, so schien es Carranda Lexet und Travor Faruso, waren ausgezeichnet und liebevoll organisiert worden. Sie hielten langstielige Gläser aus hauchdünnem Glas in den Fingern und betrachteten versonnen die Sterne in den Holobildern. Travor hielt das Glas gegen eine Lichtquelle und murmelte: »Es ist nicht gerade ein Grand Cru Voga blanc, aber immerhin von Arkon Eins; ziemlich edel. Aus der Nettoruna-Traube.« »Bisher wusste ich nicht, dass auf Arkon Eins überhaupt Wein angebaut wird.« Carranda streichelte unter dem bestickten Saum des Morgenmantels sein Knie. »In den letzten Stunden haben wir nicht gerade auf den Geschmack oder die Blume dieses Supérieur geachtet.« Travor hatte sich die Bezeichnung auf dem Etikett der Flasche gemerkt und nahm einen Schluck. Der Wein stammte aus einer halbrobotischen Lese, die auf einem südlich gelegenen Weingut des Äquatorialkontinents Laktranor stattgefunden hatte; der Jahrgang, neunzehn Jahre alt, hatte immerhin zwei Prädikate und fünfzehn Punkte auf der Wertskala. Die luxuriöse ZOLTRALIA MYN hatte Kurs auf den Situations-Transmitter des BaylamorTarik-Systems genommen. Die Inneneinrichtung der Yacht und der Service der ersten Tontas entsprachen höchstem Niveau. Der Pilot und der Kopilot, zugleich ein geschulter Steward, erfüllten jeden Wunsch des Teams mit fast telepathischer Perfektion. Die Kopfjäger waren abends an Bord gegangen und hatten die erste Nacht vor dem Start in den Luxuskabinen geschlafen. Faruso und Carranda, die vor wenigen Dezitontas ihr Liebesspiel unterbrochen und einen Imbiss zu sich genommen hatten, betrachteten, ohne sie bewusst zu deuten, den leuchtenden Nachthimmel Braangons voll von strahlenden galaktischen Sternen und den fernen, rot leuchtenden Ring der Permanentverbindung. Carranda stellte das Glas ab, stand auf und legte ihre kühlen, fordernden Finger auf Travors Nacken. »Wir können Besseres tun, als Sterne zu zählen«, sagte sie leise. »Seit Jahren haben wir weder so viel Ruhe noch so viel Luxus gehabt. Kostenlos, Jäger der Sternennacht!« »Die wenigen Freuden unseres Jobs.« Er leerte das Glas und stand auf. Kylan und Sefauran, die dem ausgezeichneten Essen und dem nicht weniger guten Wein reichlich zugesprochen hatten, schliefen noch. Lautlos näherte sich die Yacht der Sonne und dem roten Ring des Situations-Transmitters. »Ich kann noch immer nicht glauben, dass wir nicht mit Scheinwerfern, Netzen und Schockern entlang eines blauen Riffs jagen«, sagte Travor. Sie verließen den Salon mit all seinem Zierrat, den riesigen Spezialsesseln und der intimen Beleuchtung, gingen eng umschlungen den Hauptkorridor lang zum Heck und zu Farusos Kabine. Als sie eintraten, klang in der kühlen, duftenden Luft leise Musik auf, die ebenso berauschend wirkte wie der Laktranor- Wein, der in frisch gefüllten Gläsern glühte. Mit kaum hörbarem Fauchen glitt das Druckschott in die Dichtungen. Carranda löste den Knoten des Gürtels, griff nach dem silberbestickten Kragen des Mantels und ließ das Kleidungsstück an ihrem durchtrainierten Körper hinuntergleiten. Faruso betrachtete hingerissen das Schauspiel und dachte an schimmernde Beutekörper, die aus schwellender, schaumgekrönter Brandung auftauchten. Etliche Tontas oder mehrere winzige kosmische Ewigkeiten und eine Hand voll unwiederholbarer Höhepunkte später, nachdem Faruso geduscht, sich einer Robotmassage unterzogen und einen Bordoverall aus schmeichelndem Stoff angezogen hatte, blieb er vor dem Kabinenschrank stehen und betrachtete seine Ausrüstung, die er dort abgelegt hatte; es widerstrebte ihm, unbewaffnet und ohne gewisse Gerätschaften auch nur einen Urlaub zu verbringen. In dieser Hinsicht, dachte er, ging es ihm ebenso wie den Mitgliedern seines Teams; es war nicht professionell. Er griff in die Fächer und legte einen Teil seiner gewohnten Ausrüstung an. Der nächste angekündigte Programmpunkt war in etwa zwei Tontas während eines erlesenen Frühstücks der Durchgang durch den Situations-Transmitter. Seine Blicke glitten über das zerwühlte Bett, die leeren Gläser und Flaschen, die Holobilder an den Wänden, die sich fast unmerklich veränderten. Er zuckte mit den Achseln und brummte: »Ein langes Frühstück, wir alle am Tisch - das wäre ein feiner Abschluss des Reisetages. Also ... « Ein kurzer, harter Ruck ging durch die Konstruktion. Dann bremste die Yacht mit Höchstwerten ab. Antigravelemente sprangen sirrend an, ein Alarmsignal blökte. Es war, als greife eine fremde Kraft nach dem Raumfahrzeug und hielte es auf einer kurzen Distanz an. Ohne nachzudenken, zog Faruso den Schocker, hieb seine Handfläche auf den Kontakt und dachte, während das Schott vor ihm aufglitt: Warum höre ich keinen Alarm? Als er in den Zentralkorridor hinaussprang, tauchte hinter ihm seine Geliebte auf, ebenfalls im Bordoverall und gleichermaßen bewaffnet. Sie verständigten sich mit einem kurzen Blick. Nebeneinander liefen sie zur Schleuse, in Richtung des Cockpits. Die geringe Eigenbewegung der ZOLTRALIA MYN schien völlig aufgehoben worden zu sein. Einige Herzschläge später öffneten sich ein Dutzend Schritte vor Carranda und Travor die inneren Schottelemente der Zentralschleuse. Travor sah eine einzelne Gestalt, einen großen schlanken Arkoniden mit schulterlangem weißem Haar. Er brauchte nicht lange zu überlegen: Der willkürliche Stopp gehörte nicht zum Urlaubsprogramm, und der fremde Eindringling hatte es auf ihn abgesehen. Er sah, dass Carranda neben ihm auf den Fremden lossprang, und griff augenblicklich an. Der Fremde lächelte knapp, aber selbstbewusst und ging in Verteidigungshaltung. Als ihn Carranda mit einem gewaltigen Sprung erreichte, packte er ihren Oberarm, wirbelte sie in der Luft herum und schleuderte sie nach Travors Körper. Travor wich zur Seite aus und versuchte zu verhindern, dass
3 seine Partnerin gegen die Wand prallte. Aus der Hand des Fremden schien ein Strahl zu zucken, traf Carranda in die Brust und ließ sie auf dem Teppich des Korridors zusammenbrechen. Aus dem Augenwinkel erkannte Faruso, dass sie paralysiert war. Als er seine Hand hochriss, um die Waffe auszurichten und abzudrücken, fegte sie ein Handkantenschlag zur Seite und prellte sie aus seinen Fingern. Er sah sie fallen und sprang den Fremden an, zielte mit einem Angriffsschrei nach dessen Hals und dem unteren Ende der Knochenplatte in der Brust, fühlte sich aufgefangen, zurückgeschleudert, stolperte und fiel auf die Knie. Er kam wieder in die Höhe, aber sein Gegner wehrte jeden seiner Schläge mit unglaublicher Leichtigkeit ab, sprang von der Innenschleuse auf ihn zu und schien genau zu wissen, dass Faruso gegen ihn nur verlieren konnte. Trotzdem hechtete Faruso über Carrandas reglosen Körper wieder auf den Eindringling zu, griff mit steigender Wut an und wich keuchend zurück, als jeder seiner Griffe, Schläge und Hiebe mit schmerzhafter Schnelligkeit blockiert und erwidert wurde; der Fremde trieb ihn Schritt um Schritt durch den Korridor zurück. Verzweifelt dachte der Kopfjäger: Wo sind Hywalmer und Betho? Was tut der verdammte Pilot? Und der andere Kerl? Noch bevor er verstand, dass sie ihm nicht helfen konnten, griff der Fremde an seinen Gürtel, hatte plötzlich eine winzige Waffe in den Fingern und feuerte auf ihn. Übergangslos wich alle Kraft aus seinen Muskeln. Stöhnend brach er, die Schulter an der Wand, zwei Meter hinter dem Körper Carrandas zusammen. Sein Kopf hatte noch nicht den Boden berührt, als er sah, dass die Luftschleuse sich abermals öffnete und drei Arkoniden in Raumanzügen eindrangen, die wortlos ihn und Carranda aufhoben und ins Cockpit trugen; dort hingen beide Piloten reglos in ihren Sesseln. Der Wirbel der Tätigkeiten dauerte nur zwei oder drei Dezitontas. Pilot und Kopilot, die ebenfalls bewusstlos waren, wurden ins Innere der Yacht geschleppt. Einer der Eindringlinge setzte sich vor die Kontrollen, verschwand hinter farbigen Feldern und syntronischen Holoprojektionen und begann zu reden; Faruso verstand immerhin, dass er irgendwelche Störungen meldete, die mit Bordmitteln beseitigt worden waren, und dass der Flug ungehindert weiterging. Farusos undefinierte Furcht verwandelte sich in kreatürliche Angst, als der Gegner, der ihn mit solch überlegener Leichtigkeit besiegt hatte, an seinem Hals eine Hochdruckspritze ansetzte und ihm zischend ein Medikament oder Sedativ injizierte, das ihn vollends lähmte, aber weder seine Augen noch die Ohren betäubte: Er glaubte jemand sagen zu hören, dass die Annäherung und die letzte Flugphase mit dem StealthGleiter planmäßig vonstatten gegangen seien und dass die ZOLTRALIA MYN ohne Blutvergießen oder allzu großen Aufwand »übernommen« worden sei. Die Bilder verschwammen vor Farusos Augen, als nach einer zweiten Injektion die Helligkeit um ihn herum schwand und er, in völliger Finsternis, die Besinnung verlor. Travor Faruso wagte nicht, die Augen zu öffnen. Er fühlte den Zustand seines Körpers und fragte sich, woher die Erschöpfung und die Schmerzen kamen. Je weiter er aus der Bewusstlosigkeit auftauchte, desto genauer spürte er, dass er sich nicht bewegen konnte. Der erste tiefe Atemzug ließ ihn aufwimmern. Er riss die Augen auf und begriff nur in winzigen Schritten, dass er nicht in einen Spiegel blickte. Unmittelbar vor ihm stand - er selbst! Der falsche Faruso trug die Kleidung, die er eigenhändig für den Urlaub eingepackt hatte. Sein Haar war schulterlang, eine Handbreit länger als Farusos weißes Haar. Der zweite Schrecken folgte binnen eines Atemzugs: Neben seinem Doppelgänger stand Carranda Lexet und blickte ihn mit undeutbarem Gesichtsausdruck an. Als es Faruso gelang, den Kopf zu heben, erkannte er auch Betho und Hywalmer, die neben Carranda - die ihr Haar plötzlich kurz und feuerrot trug! standen und in seine Augen blickten, als erwarteten sie seine Befehle. Das Erkennen kam schnell, aber bis sich Farusos Gedanken klärten und er begreifen konnte, was geschehen war, dauerte es abermals eine kleine Ewigkeit. Mindestens vier fremde Kopfjäger, die schneller und gründlicher zugeschlagen hatten als er und sein Team. Sie hatten sich perfekt maskiert. Sie waren an seine Stelle getreten und im Begriff, den einzigartigen Urlaub zu genießen. Aber da steckte etwas anderes dahinter ... und mehr! Sein Doppelgänger stellte mit leiser, scharfer Stimme eine Frage. Faruso verstand, antwortete aber nicht. Er ahnte, dass auch dieser Zustand nicht lange durchzuhalten war. Plötzlich fühlte er sich schutzlos und verloren; eine Welle der Sorge um Carranda, Hywalmer und Betho schlug über ihm zusammen. Der Fremde auch dessen Stimme und Gestik entsprachen derjenigen Farusos! - wiederholte die Frage. Faruso stemmte sich mit all seinem verbliebenen Willen gegen die Bereitschaft zur Antwort. Wieder presste sich die zischende Kontaktplatte eines Injektionsgerätes gegen seinen Hals. Faruso antwortete auf die Frage, beantwortete eine zweite, hörte sich reden und fühlte, wie er auf eine Antigravliege gehoben wurde; wahrscheinlich, dachte er, während er sprach und sprach, wurden er und seine Freunde gerade aus der Yacht hinaustransportiert. Aber ... wohin? 2. Ring zwischen den Planetensystemen Während die sechs Besatzungsmitglieder der luxuriösen ZOLTRALIA MYN im sicheren Gewahrsam an Bord der TOSOMA schliefen - in sechs geräumigen Kabinen eines abgesperrten Decksbereichs, mit allem Notwendigen versorgt, unter anderem einer Sammlung Holofilmen von Urlaubswelten der kosmischen Umgebung -, ließ ich unsere Ausrüstung in die MYN bringen. Ich kontrollierte jeden einzelnen Raum der Yacht und ging in Gedanken ein zweites Mal die Einzelheiten unserer Masken durch. Selbst Zanargun, der stämmige, grauhaarige Luccianer, passte hervorragend in die Maske des Piloten, und auch die neue Persönlichkeit des glatzköpfigen, hageren Arkoniden Hurakin, die ihm eine Perücke aufgezwungen hatte, entsprach völlig derjenigen des Kopiloten und Stewards. Unsere Mannschaft schien fehlerlos zu sein. Schließlich beruhigte mich der Extrasinn: Alles ist perfekt, Arkonide! Du hast alle Antworten bekommen, die ihr braucht. Ihr könnt den Schiffsspeicher abfragen; da Zoltral wird seine eigenen Gäste kaum intensiv kontrollieren. Genießt euren so genannten Urlaub! Die MYN glitt weiter, als sei nichts geschehen, auf den Situationstransmitter-Ring zu. Auf den Orterschirmen blinkten die Positionsimpulse einiger anderer Raumschiffe, die auf Bahnen flogen, die für uns kein Problem darstellten. Als Li-Carranda (erstaunlich, wie sich die bei den Frauen ähnelten!) ins Cockpit kam und eine lange Weißhaar-Perücke schwenkte, hob ich fragend die Schultern. »In ein paar Millitontas hat der Stealth-Gleiter eingedockt, dann verlässt uns die TOSOMA per Transitionsflug und wird außerhalb des ThekaSystems auf Stand-by-Position bleiben. Dort wartet Kommandant Khemo-Massai auf das Kodesignal.« »So wie berechnet. Unsere Gäste sind wohl versorgt?«, wollte ich wissen. »Der Bord-Urlaub in der TOSOMA wird für sie keine rechte Freude sein.« »Vielleicht fällt mir eine großzügige Entschädigung ein«, sagte Li. Ein Signal ertönte, dann meldeten sich Altra Atlan und Rintar. Die Außenschleuse der MYN verriegelte sich. Ruhig bugsierte Zanargun die Yacht in die richtige Flugposition und erhöhte geringfügig die Geschwindigkeit. Wenig später lag wieder der prächtige, rot leuchtende Ring gerade voraus, dessen Durchmesser eine Million Kilometer betrug; jetzt konnte ich bereits das violette Wallen und Fluten im Inneren des Kreises erkennen. Zanargun verschwand wortlos in der hervorragend ausgestatteten Kombüse, fand eine heiße schwarze Flüssigkeit, die entfernt Kaffee ähnelte, und servierte uns ungefragt erfrischende und alkoholische Getränke. »Zur Feier des geglückten Überfalls«, knurrte er. »Und um den Anblick des Transmitters auszuhalten.«Er nahm einen Schluck, verzog missbilligend das Gesicht und knurrte: »Lausiges Gesöff. Hat nicht einmal BarbarenStandard. Aber - Besseres haben wir nicht hier. Hoffentlich schmeckt's euch.« Ich nickte ihm dankend zu, verringerte die Helligkeit im Hauptraum und schaltete einige Holoschirme zu. Der Anblick des riesigen Ringes, dem wir uns mit rund fünf Prozent der Lichtgeschwindigkeit näherten, etwa 43 Millionen Kilometer von der Sonnenkorona entfernt, war faszinierend: Die Tefroder nannten dieses Prinzip Stoßimpuls-Generator, eine Anwendung der Halbraum- Technologie. Die orangerote Bahn des Sonnenzapfstrahls, 500 Kilometer im Durchmesser, endete auf dem Planeten Tarik I. Wir betrachteten fasziniert den scheinbar massiven Strahl, der sich durch die Dunkelheit des Kosmos spannte und auf dem Planeten, den wir nur als Ortungsimpuls wahrnahmen, in einem diffusen Streueffekt verschwand. Die violetten Energieerscheinungen, Zeichen der Permanent-Verbindung zwischen den beiden Sonnensystemen, brodelten und wogten, bildeten seltsame fraktale Strukturen, veränderten ihre Helligkeit und boten sich unseren Augen als scheinbar undurchdringliche kosmische Lava dar, je mehr sich die MYN näherte. Gebannt schweigend verfolgten wir die rätselvollen Prozesse in der Ebene des Situations-Transmitters. Der Ring weitete sich scheinbar, das lautlose Schauspiel schlug uns alle in seinen Bann. »Für mich«, sagte ich nachdenklich und nahm für einen Augenblick Li da Zoltrals Hand, »ist diese Anlage mit vielen Erinnerungen an wichtige Ereignisse verbunden. Andromeda, MdI-Krieg, auch Archi-Tritrans-Sonnentransmitter und die Versetzung des Zwergs Kobold ins Solsystem… sagen sie dir nichts, diese Begriffe?« »Wenig bis gar nichts.« Li beugte sich vor und schien daran zu denken, was uns nach dem Durchgang erwartete. Ich fühlte die Spannung, die uns gepackt hatte, spürte das Gefüge des kleinen Raumschiffs, das uns vor den mächtigen Energien schützte, und sah
4 schweigend zu, wie wir uns in das Gebrodel zu stürzen begannen. Die holografischen Darstellungen färbten sich violett, rot und purpurn, die Schnittfläche schien vor uns zurückzuweichen, waberte auf uns zu, umhüllte uns und sog das mikroskopisch winzige Raumfahrzeug in sich auf. Der Vorgang dauerte scheinbar einige Atemzüge lang. Als die ZOLTRALIA MYN durch die lautlos tobenden Energiefluten hindurchdriftete und sich die rote Dunkelheit lichtete, befanden wir uns bereits weit im anderen Sonnensystem. Die Yacht schoss aus dem Transmitter hervor, der Ring begann sich abzuzeichnen und wurde auf den Heckbildschirmen kleiner. Im gleichen Augenblick sagte Hurakin kurz: »Ein Leitstrahl, Atlan!« Er deutete auf seine Ortungsanzeigen. »Mit größter Wahrscheinlichkeit führt er uns zu einem Raumhafen auf Theka.« »Klinke dich ein«, sagte ich. »Das entspricht genau dem, was unsere Urlauber erwarten würden.« Nach unserer Bestätigung nahm uns der Leitstrahl auf. Die abgerufenen Informationen aus der Bordsyntronik sagten uns, dass Theka der zweite Planet von sechs Welten der gelben G9V-Sonne Talzor und 160,92 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt war. Mein Patensohn Altra Atlan alias Kylat Hywalmer las einige der zusätzlichen Spezifikationen halblaut vor: »Schwerkraft beträgt 1,26 Gravos, 576 1/2 Tage zu knapp neunzehn Stunden, vier Kontinente und viele Inseln und Atolle; 55 Prozent der Oberfläche sind Wasser - also der typische Urlaubsplanet.« Der Raumhafen, den die MYN auf dem Leitstrahl vollsyntronisch ansteuerte, lag nahe der Westküste des Äquatorialkontinents Cylchon am Fuß des 8705 Meter hohen Tadwag-Vulkans. Jene Ferieninsel Tukhan, als traumhaft schönes Südsee-Paradies bezeichnet, lag 1650 Kilometer südlich des Äquators, die Hotelanlage erstreckte sich entlang des Strandes der Lydonbucht. Das andere Kap der gewaltigen Bucht war die Dhaluun-Halbinsel, die sich mitsamt einer breiten, verschlungenen Straßen- oder Dammanlage zu zwei Dritteln unter Wolken verbarg. Während Hurakin die Yacht ohne Schwierigkeiten in einen hohen Orbit um den Planeten brachte, um Landeerlaubnis ersuchte und die offiziellen Daten austauschte, packten wir zwischen die Ausrüstung für Tauchgänge und andere maritime Abenteuer, die der Kopfjäger-Crew gehörte, unsere eigenen Geräte und unsere Urlaubsutensilien. Jeder von uns trug mindestens zwei schwere Gepäckstücke, und Li hatte die Carranda-Perücke über ihren Kopf gezogen. »Heute Abend liegen wir am Strand oder schwimmen im warmen Meer«, sagte Li da Zoltral. Unsere Augen hingen am Bild des Planeten, das auf den Holos wuchs. Die Sterne über der Tageshälfte leuchteten wie kleine, zusätzliche Sonnen des Systems. Zanargin rief einzelne Vergrößerungen auf, von denen uns die meisten Projektionen zeigten, dass Crest-Tharo da Zoltral einen bestimmten Typ seiner Gäste durchaus zu verwöhnen wusste. Mitten in meine Überlegungen hinein meldete sich der Extrasinn: Ob du ausgerechnet hier weitere Anhaltspunkte für eine Verschwörung gegen Arkon finden wirst, ist sehr fraglich! Ich zuckte mit den Achseln. Rache für den Tod Akanaras zu nehmen war weder unsere Absicht noch ein sinnvoller Versuch; wir konnten nur versuchen, im Talzor-System und auf der Urlaubswelt Spuren zu entdecken, die uns halfen, Crest-Tharos verbrecherische Unternehmungen zu beenden was Akanaras Ende, wenn überhaupt, eine Spur von Sinn gab. Während des Landeanflugs kontrollierten wir jede Detailvergrößerung, fanden aber keine Einzelheiten, die unser Misstrauen geweckt hätten. Tief in meinen Gedanken bildete sich die Überzeugung, dass wir etwas finden würden, wenn wir nur intensiv genug suchen würden. Da gab es etwas! Unter der idyllischen Oberfläche versteckten sich Informationen, nach denen ich suchte; indes: Ich hatte kaum einen gewichtigen Anhaltspunkt. Knapp zwei Tontas später landete Hurakin die Yacht am vorgesehenen Platz, und als Rintar da Ragnaari die Gleiter und das Empfangskomitee auf den Schirmen sah, sagte er: »Wir, die vier Kopfjäger, sind augenscheinlich angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Verhalten wir uns also, als hätten wir die Aufmerksamkeit verdient.« »Das sollte uns nicht eine Mikrotonta lang schwer fallen«, antwortete Li da Zoltral und begann, ihr Aussehen zu kontrollieren. Zanargun und Hurakin würden an Bord bleiben, abwechselnd die Bars am Raumhafen unsicher machen und uns vier in Zusammenarbeit mit den Freunden in der TOSOMA helfen, wenn es notwendig war; jede Einzelheit war abgesprochen. Die entsprechende Technik führten wir mit uns. Die Schleuse glitt auf. Wir gingen in Sonnenschein und warmen Wind hinaus, der nach Meer und Nichtstun roch. Roboter verluden unser Gepäck. Während der ersten Dutzend Schritte spürten wir die stärkere Schwerkraft; wenn wir uns meist im Wasser aufhielten, dachte ich grinsend, würden wir die zusätzliche Belastung am wenigsten spüren. Ein urlaubsbunt gestylter Atmosphärengleiter wartete neben der Yacht, und ein beflissener Vertreter der Ferienorganisation begrüßte uns; ein kiementragender Baylamor-Lemurer-Abkömmling. Er war von professioneller Liebenswürdigkeit und grinste schmierig, als er Li da Zoltrals Reiseunterlagen in ein syntronisches Lesegerät schob und seine Blicke nicht von ihrem großzügig bemessenen Ausschnitt und der schulterlangen, weißsilbernen Lockenpracht lösen konnte. Wir glaubten seinen Versicherungen, die er mit heiserer Stimme wiederholte, bis unser Gepäck verladen war: »Ich versichere dir, Travor Faruso, dass wir euch jeden, aber auch jeden Wunsch erfüllen werden! Wir sind darauf vorbereitet, ja geradezu dafür ausgerüstet«, er vollführte eindeutige Gesten und deutete schließlich schwungvoll auf den schnittigen Gleiter, »auch dir, Schönste, die ausgefallensten Bedürfnisse zu befriedigen; angemessenes Trinkgeld vorausgesetzt.« Ich nickte und antwortete leutselig: »Unsere Vorstellungen bewegen sich in konventionellem Rahmen, unser Reichtum ist nicht der Rede wert.« Er verneigte sich tief. Wenn er enttäuscht war, ließ es nicht erkennen. Wir nahmen in den geradezu wollüstig breiten und weichen Kontursesseln Platz. Der Gleiter hob ab und jagte in mittlerer Höhe auf die felsigen Ufer und die Brandungslinie unterhalb des erloschenen Vulkans zu. Wir überflogen die Küste, näherten uns der weit vorspringenden Landzunge, bewunderten die Wolken um die obersten Vulkankrater, viele Sandstrände und Felsriffe der riesigen Wasserfläche und entdeckten voraus die Insel Tukhan im gleichnamigen Golf. Sie war in Nord-Süd-Ausdehnung 111 Kilometer lang und mehr als 90 Kilometer breit. In einer weiten Kurve senkte sich der Gleiter dem Wald und den Trichterbauten der Lydonbucht entgegen. Das seichte Meer, in Küstennähe smaragdfarben, war voller Wasserfahrzeuge und deren schäumender Spuren. Ich starrte schweigend und konzentriert nach unten und ließ die lebhaften Bilder der Ferienanlage auf mich einwirken. Der Gleiter verlangsamte seine Geschwindigkeit. Plötzlich schrillte der Extrasinn: Diese Farbfläche im Boden! Erinnere dich, Arkonide! Das hat etwas zu bedeuten! Ich zuckte zusammen und heftete meinen Blick auf den Planetenboden zwischen den Rundungen der Trichterhäuser. Erinnern? Woran? Ich erkannte eine Art Mosaik im Boden, aus vielen Farben und von dennoch klassischer Figuration, eine geordnete Fläche von sechs gleich großen Fünfecken. Sie schien überlagert zu sein von einer identischen Figur, der Durchmesser betrug ungefähr dreißig Meter. Noch während ich darüber nachdachte, woran mich dieses ornamentale Mosaik erinnerte, hörte ich die Erklärung des Extrasinns: Stelle dir einen der so genannten platonischen Körper vor, ein Dodekaeder. Hier sind zwei Hälften in zweidimensionaler Wiedergabe, sozusagen aufgeklappt, in Pentagrammen, übereinander gelegt. Jene ... lemurische Leuchtfeuerkonstellation etwa? Ich brauchte noch mehr Zeit, um den Hinweis zu verstehen. Mein fotografisches Gedächtnis speicherte das Bild, und ich würde das Mosaik ebenso wenig jemals wieder vergessen wie so vieles andere. Der Gleiter schwebte zwischen hohen Bäumen weiter, und ich verlor das Bild aus den Augen. Während des Landevorgangs erinnerte ich mich an verschiedene' Besonderheiten der klassischen griechischen Mathematik; und blitz schnell erwachte mein Misstrauen wieder: ausgerechnet ein dreidimensionales Dodekaeder als zweidimensionales Bodenornament projiziert … unendlich weit durch Zeit und kosmische Distanzen von Platon, Griechenland, der Erde entfernt. Der Gleiter setzte im Schatten auf. Wir landeten unter einem weißen Vordach, von dem aus breite Pfade zu den Schäften von mehr als einem Dutzend kleiner Trichterbauten führten. Nachdem wir eingecheckt hatten und unser Gepäck forttransportiert worden war, sahen wir keinen anderen Touristen mehr. Mehrere Bedienstete eskortierten uns zu unserer 300-Quadratmeter-Suite. An unzähligen Stellen gab es farbige Terminals, an denen wir unsere Wünsche äußern konnten. Diskrete optische Hinweise führten zu Begegnungszentren, wo wir mit anderen Touristen in Kontakt treten konnten; schließlich waren wir in unserem luxuriösen Quartier und begannen auszupacken und unsere spezielle Ausrüstung bereitzulegen, die in hoch gesicherten Koffern verstaut war. Die Organisation des Urlaubsparadieses war perfekt. Wir nahmen ein spätes Mittagessen zu uns, das seinesgleichen suchte, dann zogen wir uns um und nahmen eine Schwebeplattform zum Strand; Altra Atlan-Hywalmer blieb zunächst im Hotel zurück und begann, unsere Ausrüstung zu testen und einige Geräte behutsam einzusetzen. Wir hatten eine kleine Bucht für uns allein, einschließlich Liegen, Sonnensegeln, einigen unterwürfigen persönlichen Betreuern, die uns - alles kostenlos! - mit kühlen Ge. tränken, blütenweißen Handtüchern und warnenden Hinweisen auf neugierige Meeresbewohner verwöhnten. Ich nahm Lis Hand und ging langsam, etwas schwerfällig wegen der höheren Schwerkraft, auf die Brandung zu. Wir trugen Taucherbrillen, winzige Pressluftatmer und Schwimmflossen und schwammen zu einer großen Badeplattform, die neben einem einzelnen Felsen verankert war; dort tauchten wir entlang der Korallengitter, schwammen, sonnten uns und dösten im Schatten.
5 Lis spitze Fingernägel glitten über meine Haut und zeichneten die Narben auf meiner Bauchdecke nach. Träumerisch bemerkte sie: »Würden die Hautzellen reden können, geliebter Atlan, würden sie lange, spannende Geschichten erzählen. Selbst ich könnte von deinen Erinnerungen lernen.« Sie lächelte; dieses Mal überraschte mich ihre Ironie. Ebenso leise antwortete ich: »Es wären grausige Geschichten aus barbarischen Zeiten. Vielleicht könnten wir daraus lernen, gewisse Fehler nur zweimal zu begehen. Aber ... ich will jetzt, Schönste, weder an Narben noch Verletzungen denken.« Ich zog sie an mich und streifte ihre Perücke ab. »Sondern an angenehme und leidenschaftliche Dinge; trotz der wenigen Zeit, die uns bleibt.« Li entledigte sich des winzigen Bikinis, schmolz in langen, zärtlichen Küssen dahin und verführte mich mit meisterlicher Leidenschaft. Lange danach, als die Schatten eine Armlänge gewandert waren, begann sie sich hingebungsvoll murmelnd mit duftendem Balsam einzuölen. Ich bewunderte erschöpft ihren schlanken Körper, der mich noch immer erregte, und dachte gleichzeitig an die fünf platonischen Körper Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder -, die von den Griechen des klassischen Altertums ob ihrer Symmetrie, Regelmäßigkeit und Ganzzahligkeit als isolierte Urbilder kosmischer Verhältnisse angesehen wurden, die man mit rationaler Überlegung erfassen konnte. Unauflöslich waren jene geometrischen Strukturen auch mit dem goldenen Schnitt verbunden - der irrationalsten geometrischen Struktur! Aus der Hitze, dem trägen Plätschern der Wellen des »weinfarbenen .Meeres« und der Umgebung, die plötzlich ihren Charakter änderte und das Aussehen einer bewaldeten Insel des klassischen Attika annahm, taumelten seltsame, präalexandrinische Erinnerungen hervor: Ich, Atlan, im Eichenschatten einer Flussmündung, in einem Boot, halb schlafend-träumend, eine nackte, braunhaarige Griechin im Arm, nippte am gemischten Wein und gab mich der honigsummenden Stimmung hin. Larsaf Drei, der Barbarenplanet, das Jahr, in dem ich Alexander von Makedonien treffen wollte. Später entrollte ich einen Papyrus, der angeblich von Pythagoras oder Platon beschrieben und mit Zeichnungen bedeckt war. In der Sonne, irgendwann, lange nachdem ich in Hafenschenken Homers zur Leier gesungenen Erzählungen über meine Abenteuer an Odysseus' Seite gelauscht, begannen Schrift und Zeichnungen auszubleichen. Sie wurden ebenso unleserlich wie meine Erinnerungen an die Kämpfe um Troja und die Suche nach dem Sohn, den ich mit einer Amazone gezeugt haben sollte. Aber ich hatte die Klarheit des Geistes, des Verstandes, der Mathematik mitgenommen in meine kühle, dunkle Schlafstätte an der Seite des Roboters. Der Papyrus knisterte in meinen Fingern; ich betrachtete die Würfel, Tetraeder, Dodekaeder - bis sich meine schöne Gefährtin regte und mir bewusst machte, dass ich nicht in der Hitze von Arkon Eins lag. Nun; ich hatte den göttlichen Säufer Alexander überlebt, Jahrhunderte verschlafen und Griechenland oftmals »mit der Seele gesucht«. Pythagoras,. entsann ich mich, hatte reguläre Polyeder - Mehrfacheckgebilde beschrieben, und dies war etwa 480 vor der Zeitenwende geschehen. Auch von Platon, rund 80 Jahre später, fand ich Berechnungen und Bemerkungen. Hatte ich die Formeln meinem treuen Hochleistungsrobot Rico zum Nachrechnen vorgelegt? Ich wusste es nicht mehr. Pinienkerne, Oliven und ölgetränktes Brot, Hirtenkäse und die Leidenschaft meiner namenlosen Gefährtin, einer Helena von Troja würdig, lenkten mich für Stunden ab. Oh, wie fern das alles war! Damals, als ich fern von Arkon in der Verbannung zu überleben hatte und als die weisen Gelehrten dachten, dass Feuer, Wasser, Luft und Erde mit der Himmelsmaterie verbunden waren und dass Göttervater Zeus Blitzkeile schleuderte - schon damals hörte und las ich im »Timaion« von den Platonischen Körpern. Im Halbschlaf kämpfte ich mit mir, ob ich weiterhin im vergangenen Reich der Erinnerungen schwelgend weiterdösen sollte oder ob ich mich in die Wirklichkeit dieses Strand-Nachmittags zurückkämpfen sollte. Später, in der malvenfarbenen Abenddämmerung, sagte ich mir: Du hast gestochen scharfe Bilder von Polyedern, hast Wein - und Besseres! -, sonnst dich in der Liebe einer schönen, klugen Frau ... zurück in die Gegenwart! Zurück in den Schatten der Badeplattform. Zurück zu Li da Zoltral! Zurück in die Urlaubswelt Theka! Ich öffnete die Augen und blickte in Lis Gesicht. Das rote Haar umgab ihren Kopf wie eine phrygische Mütze. Ihre Brüste waren wie jene der Mondjägerin Diana. Noch hatten mich die Pfeile ihrer wissenden Ironie nicht getroffen... Das Pentagon-Dodekaeder, das ich im Park gesehen hatte, war aus regelmäßigen Fünfecken gebildet. In Gedanken zeichnete ich in ein solches Fünfeck alle Diagonalen ein und erhielt ein Pentagramm, ein Sternfünfeck, einen fünfzackigen Stern. Ich schreckte aus meinen Überlegungen auf, als Li von meiner Seite aufstand, einen wütenden Laut ausstieß, sich mit einem gewaltigen Hechtsprung ins Wasser stürzte und schräg abtauchte. Ein beunruhigender Vorgang, Arkonide!, warnte der Logiksektor. Deine Gefährtin scheint einen aggressiven Anfall zu haben. Ich rückte die Maske zurecht, in der die Luftversorgung integriert war, nahm einen Anlauf und sprang hinterher. Nach wenigen Schwimmstößen, mit aller Kraft schnell mit den Flossen paddelnd, sah ich Lis hellen Körper schräg unter mir. Sie schwamm in einem Tempo, das sie nicht lange durchhalten konnte, und hielt das blanke Tauchermesser in der Hand. Als sie durch eine Schule farbiger Zierfische hindurch auf eine besonders prächtige Orchideenkoralle zuschwamm, die pulsierend am Felsen haftete, stieß sie mit der Spitze zu und hieb mit der Schneide auf die Korallen ein, deren Fäden und Blüten zurückzuckten und sich aufrollten und schlossen. Größere Fische 'flüchteten mit wirbelnden Schwanzschlägen durch die aufperlenden Luftblasen. Hol sie zurück, bevor sie sich selbst verletzt!, rief der Extrasinn. Und bevor ihr Kreislauf zusammenbricht! Ich schwamm schneller, tauchte hinter ihr her und näherte mich ihr von oben, so dass sie mich nicht sah. Als ich die Arme ausstreckte, um ihren Unterarm und die Hand zu packen, nahm sie mich als Schatten über sich wahr und drehte sich in einer kraftvollen, eleganten' Bewegung herum. Die Messerschneide blitzte auf, 'als die Waffe durchs Wasser schnitt und auf mich zielte. Ich wich aus, tauchte zwischen Arm und Körper hindurch und wandte einen Dagor-Hebel an, als meine Finger die Knochen des Ellbogengelenks ertasteten, zweimal an der ölglatten Haut abrutschten und schließlich zupacken konnten. Dann war ich in der richtigen Position und konnte ihr Handgelenk ergreifen. Li wehrte sich mit einer Hand und beiden Füßen. Ihre langen Beine schlugen wild um sich und nach mir und traten Korallen in Stücke. Ihr rotes Haar wirbelte durch die Ströme der Luftblasen. Hinter dem Glassit der Maske waren ihre Augen weit aufgerissen. Schließlich. schlang ich meine Beine um ihren glatten Oberkörper, wand ihr das Messer aus der Hand und ließ es fallen; langsam, sich überschlagend, versank es in der Tiefe. Ich brachte mich in senkrechte Haltung und begann zur Oberfläche aufzutauchen. Li wehrte sich verbissen, rutschte in meinem Griff hin und her, konnte sich aber nicht befreien. Ihre Maske glitt zur Seite, und noch bevor ich handeln konnte, schluckte sie Wasser und schien das Bewusstsein zu verlieren. Ihr Körper wurde schwer und starr. Wir tauchten einen Steinwurf neben der Plattform auf, und Li würgte und spuckte und holte keuchend und gurgelnd Luft. Langsam schleppte ich sie zu den Stufen, der Leiter und dem Geländer und half ihr, auf den nassen Belag zu kriechen. Mit einem Ruck riss sie sich die Maske vom Kopf, sah mich an,. als wäre ich ein Fremder, dann fiel sie nach vorn und blieb regungslos liegen. Mir war, als hätte ich miterlebt, wie sich ihre Persönlichkeit veränderte; ich stieg aus dem Wasser, zog Li in den Schatten, bettete ihren Kopf auf ein zusammengerolltes Badetuch und öffnete einen Liquitainer, der ein aufmunterndes und kräftigendes Energiegetränk enthielt. Ihr Verhalten hat vielleicht mit dem Versuch der Übernahme zu tun, als sie die Tamrätin angriff, schlug mein Extrasinn vor. Ich nahm einige tiefe Schlucke. Dann flößte ich ihr so viel wie möglich von dem kalten Getränk ein. Sie atmete ruhiger, öffnete die Augen und blickte mich verwirrt an. »Atlan, ich bin beinahe ... ertrunken«, flüsterte sie. Ich half ihr, sich halb aufzurichten, und unterdrückte meine Ratlosigkeit. Sie spuckte Wasser und keuchte. Waren es vielleicht die Traumbilder der Blauen Sonne gewesen, die sie wieder ängstigten? »Die Hitze war's«, sagte ich. »Die Ruhe und die Schönheit. Die Sterne, die am Tag strahlen.« Sie trank hastig, verschluckte sich und hustete. »Das alles geht mir gegen den Strich.« »Deine Aggressivität .hat mich erschreckt.« Ich versuchte, obwohl unsere Maske perfekt zu sein schien, meine Nervosität nicht zu zeigen. »Im entscheidenden Augenblick müssen wir vielleicht blitzschnell flüchten. Wenn du durchdrehst, gefährdest du. uns alle.« »Ich weiß.« Sie nickte schwer und sah schweigend aufs Meer hinaus. Ich konnte nur hoffen, dass sie in den kommenden Tagen stabil blieb und sich diese Störungen nicht wiederholten. Bisher war sie gewohnt gewesen, sich extrovertiert wie eine verzogene Prinzessin zu verhalten; die ständige Einschränkung belastete sie zusätzlich. Trotz der idyllischen Umgebung und der bevorzugten Situation als Gäste waren wir leider nicht nur hier, um Urlaub zu machen. Altra Atlan würde inzwischen unsere Spionageausrüstung betriebsbereit gemacht haben; ich sagte mir, dass es wohl das Beste war, wenn ich für heute Sonnenbaden, Schwimmen und Tauchen beendete und mich um unsere eigene Sicherheit kümmerte. Ich deutete auf den längst getrockneten Bikini und die Perücke und sagte: »Wir schwimmen zum Strand zurück und fangen nach dem Essen mit ersten Erkundigungen an.« Li war einverstanden. Während der wenigen Stunden war bei mir so gut wie keine Ferienstimmung aufgekommen. Trotzdem mussten wir die Maske der harmlosen Touristen beibehalten, die vom Gebotenen überwältigt waren. Also schwammen wir ohne Eile zu Rintar da Ragnaari zurück, der in einer Hängematte lag und sich von zwei Tarik-Mädchen maniküren und pediküren ließ.
6 Wir duschten, zogen uns um und gingen in den Südflügel unserer Wohnstätte. Altra Atlan da Orbanaschal hatte die Wohnräume unserer Suite überprüft und festgestellt, dass zumindest wir, das Kopfjäger-Team, nicht beobachtet und abgehört wurden. Unsere Waffen waren ausgepackt, getestet und auf Wandborden bereitgelegt, die Einzelteile des Minitransmitters lagen griffbereit, die Anzüge und Rückentornister sahen aus wie Taucherkleidung, und ein halbes Dutzend kleiner Holoprojektionen zeigte Bilderschleifen. Unser Techniker lag bequem in einem Sessel, die nackten Füße auf der Lehne eines zweiten Sessels, und trank rauchfarbenen Alkohol auf Eiswürfeln, zwischen denen sich purpurne Pflanzenteile drehten. »Die interessantesten Aus- und Überblicke unserer näheren Umgebung.« Er deutete lässig auf die Darstellungen. »Stammt alles aus frei zugänglichen Quellen. Aus Datenbänken des Planeten.« »Eine erste Orientierung also. Sind Überraschungen zu erwarten?« Altra Atlan schüttelte langsam den Kopf. »Noch, nichts Besonderes, meine ich.« Wir vertieften uns in die Darstellungen. Zunächst betrachtete ich die Oberflächenaufnahmen der Dhaluun-Halbinsel, vor der sich, nur 33 Kilometer südlich, die Insel Valiruu erstreckte, von Brandung und goldsandigen Stränden gesäumt und teilweise dicht bewaldet. Durch Täler, über niedrige Pässe, durch Ebenen und entlang schroffer Steilfelsen zog sich auf der Halbinsel eine durchschnittlich 100 Meter breite Piste, deren Oberfläche nur zum Teil fertig war. Viele Streckenabschnitte bestanden noch aus Geröll, herausgesprengten Felsen und grobem Sand, in der Gesamtheit kaum kürzer als 600 Kilometer. In aufsehenerregenden Windungen folgte sie teilweise den gefährlichsten Geländemerkmalen; die Halbinsel selbst war 580 Kilometer lang und maß an der breitesten Stelle 360 Kilometer. Mit dem Festland war Dhaluun-Peninsula durch eine etwa 200 Kilometer lange Landbrücke verbunden. Der gesamte riesige Vorsprung war ein kaum bewohnter Teil der herrlichen äquatorialen Natur. Ich begann zu ahnen, welchem Zweck die kurvenreiche Piste dienen konnte, aber noch bevor ich eine Vermutung äußern konnte, erschienen grafisch aufbereitete Informationen im Hologramm: Hier entsteht eine Rennstrecke für bodengebundene Hochleistungs- Prallfeld-Bodengondeln. Talzor-System, Planet Theka, in Braangon: die erste Karaketta- Rennstrecke außerhalb von Arkon 1. Fertigstellung geplant für Anfang des Jahres 21.357 da Ark (November 1225 NGZ). Die Strecke führt durch eines der schönsten Naturgebiete des Planeten; nach Fertigstellung wird die unmittelbare Umgebung renaturiert. Die Infrastruktur wird für ca. 250.000 Zuschauer geplant, deren Tribünen etc. voll im Gelände integriert sein werden, sobald die entsprechenden Serviceeinrichtungen in Vorbereitung sind. Verantwortlich für das Bauvorhaben: Khasurn-Architektur-Monopol des Zhdopanda Crest-Tharo da Zoltral. »Eine geradezu gewaltige Unternehmung«, murmelte Li da Zoltral beeindruckt. Ich musterte sie scharf; sie war noch immer nervös, fast verstört. »Ausgerechnet eine KarakettaBahn! Crest-Tharo scheint überaus potente Geldgeber gefunden zu haben.« Altra Atlan ließ die Eiswürfel klicken. »Ich habe mich bemüht, die Mitglieder des Konsortiums herauszufinden. Leider Fehlanzeige.« »Es wäre auch zu einfach gewesen«, sagte Rintar. »Aber ... er müsste die meisten seiner Zuschauer hierher holen. Aus der Galaxis nach Omega Centauri! Was hat er nur vor? Wie will er sie denn auf diesen Planeten locken?« Die Bilderschleife begann eine neue Wiederholung; ich widmete mich der nächsten Holoprojektion. Sie zeigte den exquisiten Freizeitpark der Insel Valiruu. Die Anlage, kleiner, aber schöner und raffinierter als jene, in der wir uns aufhielten, erstreckte sich auf Gebiete über und unter Wasser. Der so genannte Gunra-Golf, der entlang der Landbrücke die Halbinsel vom Kontinent trennte, beherbergte eine unterseeische Stadt. Sie gehörte zu den Attraktionen der Urlaubsanlage; mit Meeresaquarium, unterseeischen Wohnungen und Taucherzellen, die den Schwimmern und Tauchern freien Zugang zu langen Korallenbänken und maritimen Felsabstürzen gestatteten. Teilweise unterhalb, zum Teil neben der Stadt im Wasser überraschten uns die Schatten eines dreieckigen Bauwerks, das unter Sedimenten halb verborgen war und daher uralt zu sein schien; die Karten wiesen es als »das Tarvian« aus. Weniger ausführlich, aber immerhin informativ genug schilderten die Bilder den Umstand, dass eine Tunnelverbindung zu diesem Tarvian bestand. Das Tarvian selbst war monströs groß: von dreieckigem Grundriss, zehn Kilometer exakt in Nord-Südrichtung und mit zwei Schenkeln, deren Länge jeweils mehr als 7,8 Kilometer betrug. Offensichtlich war das Tiefenbauwerk auch von stattlicher Höhe. Mit dieser Aussage endeten die öffentlich zugänglichen Informationen über dieses Thema. Ich wechselte einen langen Blick mit Rintar da Ragnaari, und als ich begann, in meinen Erinnerungen zu forschen, warf der Logiksektor ein: Entsinnst du dich des Tarkihls auf Gortavor, der Exilwelt deiner Jugendzeit? Ich erinnerte mich zunächst nur undeutlich, wusste aber, dass ich angesichts der Wirklichkeit sehr rasch meine volle Erinnerungsfähigkeit zurückerhalten würde. Ich wartete, bis ein Robotkellner in meinem Wohnraum die umfangreiche Bestellung an Getränken und Leckerbissen abgestellt hatte, dirigierte das schwebende Tablett in Altra Atlans Suite und schloss die Tür hinter mir. »Weiter!«, sagte ich. »Ich hab's geahnt: Es wird von Stunde zu Stunde interessanter.« 3. Traumbuchten, Gleiterflug und Touristen zweiter Klasse Wir hatten für die Dauer des Abendessens, des darauf folgenden Besuchs der verschiedenen Bars und für die Nacht einen kleinen Teil unserer Ausrüstung an uns genommen, den Rest wieder gesichert und die Bestandteile des Transmitters zwischen Sportgeräten in einem verschlossenen Schrank getarnt. Ich wollte den ersten vollen Urlaubstag, den 8. März, zum Ruhetag bestimmen. Wir waren nicht gerade völlig erschöpft, aber die Ereignisse der zurückliegenden etwa 28 Tage waren keineswegs spurlos an uns vorübergegangen. Ungestörter Schlaf und ein Tag Ruhe mussten genügen! Außerdem war es wichtig, unsere Umgebung genauer kennen zu lernen, ebenso wie die Möglichkeiten, mehr unbezweifelbare Informationen einzuholen. Unsere Maske schien noch immer perfekt zu sein; das Personal, liebenswürdig bis unterwürfig, behandelte uns zuvorkommend wie alle anderen Gäste Crest-Tharos. Ich zog leichte, elegante Abendkleidung an, schickte die anderen ins Restaurant voraus und suchte eine Stelle, von der aus ich das kunstvoll ausgeleuchtete Bodenmosaik ungestört und lange genug studieren und einige Holoaufnahmen machen konnte. Ich hatte mich erkundigt: Es bestand aus Metall und verschiedenen Steinarten, deren Herkunft bisher niemand erklären konnte. Das zweidimensional projizierte Dodekaeder entsprach tatsächlich dem Polyeder aus der Epetran-Sequenz! Die Leuchtfeuer-Konstellation im Zentrum Omega Centauris, die aus zwanzig blauen Riesensonnen bestand, besetzte ebenfalls die Eckpunkte eines Pentagon-Dodekaeders! Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass dieses Bodenmosaik etwas mit der Lemurer-Hinterlassenschaft zu tun hatte! Und - die Beobachtung gliederte sich in die Bedeutung ein, die das Tamanium Baylamor, ehemals Tarik'Taman genannt, für uns besaß: eine Bedrohung Arkons! Mit deutlicher Zufriedenheit warf der Extrasinn ein: Ihr seid an der richtigen Stelle, Atlan! Die Entwicklung nimmt eine bestimmte Logik an! Ich löste meine Blicke vom Mosaik und meine aufgeregten Gedanken von der Erinnerung. Li und meine Kameraden warteten; es war wichtig, ihnen meine Überlegungen mitzuteilen. Altra Atlan würde die Aufnahmen aus arbeiten und analysieren; ich maß ihnen große Bedeutung zu. Zwischen Hauptgericht und Nachspeise sagte Rintar da Ragnaari: »Morgen löse ich Altra ... Kylat Hywalmer an unseren Geräten ab. Der Ärmste hat sonst nichts von unserem Urlaub.« »Wie edel, Sefauran« , antwortete Altra Atlan grinsend. »Danke! Zumal ich nahezu alles, was uns interessiert, schon herausgefunden habe. Wir sollten unauffällig versuchen, an Ort und Stelle nachzuforschen.« Ich hob die Hand und meinte: »Keine unnatürliche Hast, Freunde! Sonst fallen wir unliebsam auf. Crest-Tharo hat zwischen den Gästen sicherlich seine Beobachter. Ich schlage vor, dass wir uns morgen erkundigen, wie wir zu diesem Paradies im südlichen Meer und dem Tarvian gelangen. Ebenfalls ohne als allzu Neugierige aufzufallen!« »Atlan hat Recht«, wandte Li ein. Sie schien sich beruhigt zu haben; in ihrem eng anliegenden Kleid war sie der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. »Die Karaketta-Bahn ist monströs, aber für uns vermutlich bedeutungslos. Falls sie nicht als Tarnung gedacht ist.« »Tarnung - wofür?«, fragte Rintar. Wir zuckten mit den Achseln. Obwohl uns die Beobachtungen und die Schlussfolgerungen daraus erregten, taten wir so, als würden wir uns unentwegt über die Annehmlichkeiten wundern und freuen, die wir als Gäste genossen. »Wobei ich Crest-Tharo alles Unangenehme unterstelle.« »Also!«, murmelte Rintar. »Planen wir morgen einen Ausflug zu den touristischen Geheimnissen der Insel Valiruu.« »Zur Unterseestadt« , sagte ich. »Wir haben einen ganzen Tag für die Planung Zeit.« Altra Atlan hatte sich unter den kiementragenden Servicekräften umgehört. Ihre Antworten klangen vertrauenerweckend. Die Ruhe des Gastes war oberstes Gebot für jeden Angestellten. Die Pannen waren vernachlässigbar selten und ebenso geringfügig, Diebstahl war seit Jahren unbekannt, ja geradezu undenkbar. Nach dem letzten Diebstahl, so hatte der junge Monteur mit zweideutigem Grinsen versichert, hatten die Sicherheitsleute der Ferienanlage dem überführten Dieb die Haut in schmalen Streifen abgezogen und ihn für immer gezeichnet. Immerhin, hatte Altra Atlan gedacht, schien unter diesen unglaubwürdigen Umständen unser Gepäck ebenso sicher wie das aller anderen Gäste. Aber wir hatten keine Zweifel daran, dass die unzähligen Hilfskräfte, die fast unsichtbar hinter der glänzenden Fassade schufteten, von Crest-Tharos
7 Organisation auf das Brutalste ausgebeutet wurden. »Ich programmiere einige. Spionsonden«, sagte Altra leise, »und finde für euch rund um die Unterwasserstadt heraus, wie ihr am sichersten nach Valiruu und zum Tarvian kommt.« »Einverstanden.« Ich winkte dem Getränkekellner. »Trotzdem verhalten wir uns weiterhin vorsichtig und überaus diskret.« Nachdem wir das Essen mit einigen starken alkoholischen Spezialitäten beendet hatten, gingen Li und ich in eine der zahlreichen Bars im obersten Kelchrand des Hotel-Hauptgebäudes. Die Aussicht über Strände und Meer im strahlenden Omega-Centauri-Sternenhimmel war einzigartig. Durch den Glanz der schimmernden Wellen zogen beleuchtete Yachten und dunkle Segelschiffe ihre Bahnen. Am westlichen Horizont flackerte zwischen farbigen Wolken vor dem sternhellen Himmel fernes Wetterleuchten. Li und ich tranken kühlen, leichten Weißwein und unterhielten uns; ich versuchte festzustellen, ob ihre Aggressivität abgeklungen war oder sich in ungefährliche Tiefen ihres Verstandes zurückgezogen hatte. Die Hinterlassenschaften der Lemurer waren wahrscheinlich rund fünfzig Jahrtausende alt. Was hatte der Diebstahl des Krish'un mit der unterseeischen Anlage auf der anderen Seite der Bucht zu tun? Und welche Bedeutung besaß das gedankliche Gebäude des Dodekaeders, Mosaik oder nicht, für unsere Mission? Keiner von uns vermochte ein klares Schema zu entdecken. Mit besserwisserischer Zufriedenheit, als habe er mich seit Tagen darauf hingewiesen, sagte der Extrasinn: Vor euch liegen noch viele Geheimnisse. Ebenso viele Bemühungen stehen euch bevor; du weißt, wie viele Informationen euch noch fehlen! Dein Interesse sollte sich auf das so genannte Tarvian richten! Ich glaubte, einen Kompromiss zwischen Erholung und Dringlichkeit gefunden zu haben, als ich sagte: »Hör zu, Li. Wir beide mieten morgen einen schnittigen Gleiter und besuchen, wie es neugierige Urlauber zu tun pflegen, das Touristenzentrum auf Valiruu.« »Altra Atlan und Rintar sollen hier bleiben?« »Sie sind genauso müde wie wir. Sie werden sich an den Geräten im Haus und am Sonnenstrand abwechseln.« Unsere Gläser wurden zum letzten Mal gefüllt. Lis Aggressivitätsschub schien vorüber zu sein, aber mich beunruhigte noch immer das Flackern ihrer schönen rubinroten Augen. »Wann brechen wir auf?« »Nach dem Frühstück«, antwortete ich, »aber nicht zu spät.« Sie nickte und drehte das Glas in den Fingern. Wir boten für die anderen Gäste den Anblick eines Liebespaares, das angesichts des Luxus und der strahlenden Großartigkeit mitunter seine Verlegenheit nicht verbergen konnte. Bedächtig leerten wir unsere Gläser, lauschten der unaufdringlichen Musik aus vielen verborgenen Quellen, die durch den nächtlichen Park wehte, und gingen dann in enger Umarmung auf den Pfaden aus selbstleuchtendem, erotisch knisterndem Kies zunächst zur Rezeption, um den Gleiter zu bestellen, und anschließend zu unserem kühlen Quartier. Der Duft, der uns nach Mitternacht im Schlafraum umfächelte, schien aus Blüten zu stammen, die sich nur auf den Welten Omega Centauris den Frühlingssonnen öffneten. Im Sternenlicht hatten wir uns lange zärtlich und erregt geliebt; in Lis Leidenschaft hatte ich eine deutliche Spur Wildheit gespürt; mir er schien es wie ein Keim oder ein Kondensationskern, in den sich ihre Persönlichkeitsstörung zurückgezogen hatte. In einem bestimmten Medium, unter bestimmten Umständen könnte und würde sich die Störung, so fürchtete ich, von diesem Kern ausgehend, vergrößern und Besitz von Lis Persönlichkeit ergreifen. Und derlei geschah nicht geplant oder errechenbar, sondern völlig unerwartet. Was den Grund dieser psychologisch bedeutsamen Absonderlichkeit betraf, tappte ich nicht nur im Dunkeln, sondern in kosmischer Finsternis: ein neues Rätsel zu all den bekannten Problemen. Nach, dem gemeinsamen Frühstück, wohl versehen mit Ratschlägen von Rintar und Altra Atlan und einigen Mikrogeräten, quittierte ich den Empfang des mittelgroßen, sportlichen Gleiters und studierte mit Li die Karte des Bordsyntrons, bevor wir das Ziel eingaben und uns entspannt zurücklehnten. Der Gleiter startete, schwebte in die Höhe und schlug in mittlerer Geschwindigkeit einen weiten Halbkreis ein, der uns vom östlichen zum westlichen Kap der Bucht bringen sollte. Schweigend und beeindruckt betrachteten wir die Küstenlandschaft, die sich vor und unter uns den Blicken zeigte; wir überflogen eine jener Zonen, die archetypische arkonidische Erwartungen bedienten. Die Mischung zwischen Wäldern und Klippen, Felsen und Brandung, Stränden und tiefgrünen Gezeitenbäumen, tiefblauem Meer mit schneeweißen Spuren, winzigen Schaumkämmen und dem Glanz der Sonnenstrahlen auf Myriaden Wellen griff nach unserem Gemüt und beruhigte meine unruhigen Gedanken. Ein schmeichelnder Wirbel aus Düften seltsamer Pflanzen, Grillengezirp in beruhigender Wärme, Zikaden, Geschrei exotischer Vögel, treibenden Wolken über einem Dutzend verschiedener maritimer Blautöne es gab, selbst in meiner Erinnerung, wenige gleichartig schöne Landschaften. Der Fahrtwind riss an unserem Haar, und wir beobachteten das Gelände nicht nur mit unseren Blicken, sondern auch mit den Optiken und Sensoren unserer syntronischen Mikrogeräte. »Für die Schönheit dieses Planeten, besonders für all jene einzigartigen Uferzonen, ist Crest-Tharo nicht verantwortlich zu machen«, sagte Li nach einer Weile. Ich nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Li seufzte hingebungsvoll. »Aber was bedeuten ihm die lemurischen Hinterlassenschaften wirklich?« »Wir versuchen, genau das herauszufinden!«, sagte ich. »Und dort vorn, zehn Zentitontas entfernt, sehe ich die Eingangsanlage des Freizeitparks.« Der Gleiter, der bisher in einer Höhe von ziemlich genau 500 Metern über die Landschaft dahingejagt war, begann nördlich einer Hafenanlage voller weißer Boote langsam zu sinken. Die blinkenden Instrumente im Cockpit zeigten an, dass die Änderung der Flughöhe extern gesteuert wurde. Li und ich wechselten einen kurzen Blick. Der Betreiber dieser Anlage wollte offensichtlich, dass nicht jedermann den südlichsten Teil der Halbinsel und das Eiland Valiruu überflog. In langsamem Schwung flog der Gleiter auf ein Tor zu, das seitlich von hohen Zäunen und Formenergiemauern gesäumt und der Landschaft angepasst war. Die grüne Barriere schien sich quer über die Insel zu erstrecken. Einige Millitontas danach summte das Gefährt unter den mächtigen Seitenästen gigantischer Bäume auf die Sperre zu und hielt einen Steinwurf weit vor einem künstlerisch gestalteten riesigen Bronzegitter. Rechts von uns sah ich einen Gleiter-Abstellplatz, auf dem nur wenige Maschinen in Halterungen standen, darunter einige schwere Lastengleiter. Ein Doppelposten, ein Lemurer-Abkömmling und ein schlanker, waffentragender Robot, kam auf unseren Gleiter zu. Ich hob mich aus dem Sitz und setzte mich auf die Kante der Rückenlehne. »Wir wollen uns nur umsehen«, sagte ich. »Wie die anderen Touristen leben. Wir haben von Valiruu so viel Schönes gehört.« Der Mietgleiter war durch einen syntronischen Eingriff aus seiner Flughöhe heruntergeholt und gezwungen worden, zwei Handbreit über dem Boden zu schweben. Ich brauchte nicht lange nachzudenken: Diese Einschränkung galt logischerweise für den gesamten südlichen Bereich der Insel. »In diesem Gebiet halten sich nur diejenigen Gäste auf, die Zhdopanda Crest-Tharo einlädt. Überdies verfügen sie ausnahmslos über einen Sternenstaub-Korona-Chip.« Der Posten war von überströmender Herzlichkeit, aber er redete mit Bestimmtheit. »Ihr beide zählt sicherlich zu den Korona-Chip-Privilegierten?« Li rückte den großen weißen Hut in den Nacken, schenkte dem jungen Mann ihr schönstes Lächeln und schüttelte langsam den Kopf. »Wir sind ebenfalls Gäste des Herrschers«, sagte sie. Ihre Stimme schwankte. Ich merkte, dass sie sich mit zunehmender Mühe beherrschte. Ihr Blick glitt hinüber zum Robot, der mit Schockwaffen ausgerüstet war. »In der Tukhan-Anlage drüben, auf der anderen Seite der Bucht. Aber hier ist es schöner.« »Wir sind nicht privilegiert«, fügte ich hinzu. »Wir wollten nur, vielleicht eine Tonta lang, das leichte Leben der bevorzugten Klasse sehen.« »Tut mir Leid. Ich darf euch nicht durchlassen.« »Keine Ausnahme für ein sonnenhungriges junges Mädchen?«, rief Li schrill. Die Blüten auf der Hutkrempe falteten sich erschreckt zusammen. Der Posten schüttelte energisch den Kopf und rührte sich nicht. Lis Hände krampften sich um die Griffe neben dem Sitz, und ich glitt zurück in das Cockpit, um schnell eingreifen zu können. »Nein, keine Ausnahme. Wenn ihr versuchen solltet durchzubrechen, muss ich leider zu harten Maßnahmen greifen.« Ich hob die Hand und antwortete: »Unnötig. Dann eben nicht. Wir wollen nicht unangenehm auffallen. Verglichen mit wirklich wichtigen Gästen, sind wir nur ganz kleine Fische.«»Schön, dass ihr es einseht.« Der Posten trat einen Schritt zurück. Ich griff in die Steuerung, stieß zurück und wendete den Gleiter. Als die Maschine Geschwindigkeit aufnahm, hielt Li ihren Hut fest und winkte dem Posten mit einer Geste, die an einen tödlichen Angriffsschlag erinnerte. Wir schwebten ungefähr einen Kilometer weit über der Gleiterpiste, bis die Sperre aufgehoben wurde und der Gleiter zu steigen begann. Nach einer Zentitonta sagte ich: »Du musst dich beruhigen, Li!« Sie atmete mehrmals tief ein und aus. »Trotz gegenteiliger Beteuerungen verbringen also auch Gäste höherer Klassen ihren Urlaub hier. Auf Valiruu sind wir offiziell nicht willkommen.« »Ich finde schon zur Selbstkontrolle zurück. Nicht willkommen; ich verstehe. Aber wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg«, meinte Li gepresst. »Das Verbot lenkt unsere Aufmerksamkeit direkt auf das Tarvian.« »Oder auf eine andere, ebenso wichtige Einrichtung.« Der Gleiter hatte die normale Flughöhe erreicht. Ich flog mit Höchstgeschwindigkeit auf »unsere« Insel Tukhan zu und sah unter uns die Segel, Bordwellen und Kielspuren von Yachten; große und kleine Schiffe, mit unterschiedlichem Antrieb, einem oder mehreren Rümpfen. Ich deutete auf eine schnelle
8 Gleiteryacht, die ein langes Heckwasser hinter sich herzog. »Die Fahrt eines solchen Bootes zwischen den Touristikinseln dauert nicht viel länger als unser Gleiterflug«, rief ich. Auf den Wellen, die sich in der riesigen Dünung gebildet hatten, funkelte Sonnenlicht. Vor den Stränden jagten Vögel mit bunten Schwingen. »Ich bin ganz sicher, dass wir einen Weg zur Unterwasserstadt finden.« »Beraten wir uns mit Altra und Rintar«, schlug Li vor. »Was hältst du von einem Boot mit Hochseeangeln?« »Wenn du mir einen Riesenfisch lieferst, der uns quer über die Bucht schleppt ...?« Zweifellos verbrachten einige tausend Arkoniden ihren Urlaub in den beiden Zentren, und keiner von ihnen machte sich Gedanken darüber, was sich jenseits der Strände und unter den blauen Wellen des Meeres verbarg. Auch was das riesenhafte Bauwerk bei Valiruu bedeutete, wussten jene Urlauber nicht. Welche Bedeutung es für Crest-Tharo hatte, würde ich herausfinden müssen. Nachdem wir den Yachthafen Valiruus mehrmals überflogen hatten, landete ich den Gleiter, erledigte die Formalitäten und erkundigte mich, welche Boote wir benutzen oder mieten konnten und ob zum Urlaubsprogramm auch Hochseeangeln gehörte. Wir zogen uns in unsere kleine Bucht zurück. Ich räkelte mich im Sand und hatte mein Denken auf die Gegenwart eingestellt. Fast von Anfang an hatte ich bis zu einem bestimmten Punkt der lautlosen Perfektion misstraut, der makellosen Schönheit der Hotelinsel und unserer Sicherheit unter der Kopfjägermaske. Aber bisher schien ich mich getäuscht zu haben - nicht einmal ein Sonnenbrand oder eine giftige Qualle belästigte uns. Faulenzend verbrachten wir die Zeit bis zum frühen Abend in Rintars Gegenwart. Unsere Überlegungen und Unterhaltungen kreisten um das abgesperrte Gebiet und das, was sich dort verbarg, sowie darum, wie wir unbemerkt dorthin vorstoßen konnten. Die Bilder der winzigen Spionsonden Altra Atlans zeigten mehr oder weniger das, was wir vermutet hatten: paradiesische Landschaften, Strände aus weißem Sand, Gleiter, die ebenso aus größerer Flughöhe heruntergeholt wurden wie unser Gefährt, schöne Trichterbauten, den dreieckigen Unterwasserschatten des Tarvian, einige Gruppen Naats, die wie Techniker in regenbogenfarbene Overalls gekleidet waren, hunderte Boote, Yachten aller Arten, farbige Segel und die typischen Hafenanlagen; die ZOLTRALIA MYN lag zwischen anderen Raumyachten dort, wo wir gelandet waren. Atlan Altra da Orbanaschol hatte unseren Tisch noch vor der Nachspeise verlassen, um aufgefangene Funksprüche zu dekodieren und nach Informationen zu forschen. Rintar lehnte sich zurück, schüttelte den Kopf und grinste anerkennend; er meinte die Delikatesse. »Wir schaffen es in der kurzen Zeit nicht«, sagte er bedauernd, spießte eine exotische Frucht auf und machte eine umfassende Armbewegung. »Wir werden nicht in allen diesen teuer eingerichteten Restaurants essen und längst nicht in allen diesen sagenhaften Bars trinken können.« »Du sagst es.« Li musterte die Essschale, als sei sie voller vergifteter Köstlichkeiten. Ihre Finger schlugen rasend schnelle Wirbel auf der Tischplatte. »Es sind zu viele.« »Ich bin unruhig.« Ich löffelte geeiste, süße Blütenknollen und apart säuerliche Früchte, deren Herkunft ebenso rätselhaft war wie Crest-Tharos Vorhaben. »Vielleicht werden wir beobachtet, weil wir uns unbewusst enttarnt haben.« »Haben wir nicht.« Rintar hob abwehrend die Hände. »Wer hätte unsere wahre Identität ...?« »Hier schuften ein paar tausend Tarik-Amphibier, die in künstlicher Abhängigkeit gehalten werden. Jemand vom zahlreichen Personal braucht nur scharfe Augen zu haben. Wahrscheinlich werden die Gäste genauer beobachtet, als sie sich vorstellen können. Selbst wenn die Dienerschaft sich irrt - der eine oder andere fällt sicher auf«, sagte ich und schob die leere Schale zurück. Durch die blütenbedeckten Zweige und Ranken über uns strahlten die Sterne Braangons mit den Duftkerzen um die Wette. »Es hat etwas zu bedeuten, wenn ich unruhig werde.« »Gemeinsam sind wir stark.« Rintar schob ein Trinkgeld unter die Damastserviette und stand auf. »Gehen wir zu unserem vierten Mann und hören den Geheimgesprächen Crest-Tharos zu.« Der Logiksektor murmelte: Vertraue deiner Unruhe, Atlan! Meistens ist sie begründet. Ohne Eile, Li zwischen uns, wanderten wir durch den stillen Park. Zwischen den Gewächsen schimmerten kleine Lichter. Nachtwind flüsterte in den Ziergräsern und raschelte mit dem Blattwerk hoch über Unseren Köpfen. Das Licht der Sternhaufen-Sonnen lag auf dem Strand. In den von Blütenduft erfüllten Büschen schienen Schatten umherzuhuschen. Ich spannte meine Muskeln und versuchte, durch das Halbdunkel zu sehen. Aber es schien, als wären wir auf dem selbstleuchtenden Pfad, der zu unserem Hotel führte, ganz allein. Wir betraten das filigrane, zylinderförmige Mauerwerk des Trichterschafts, bewunderten die kunstvollen holografischen Kunstwerke dieses Abends sie wechselten, vor konkave Wandteile projiziert und höher als neun Meter, innerhalb weniger Stunden - und schwebten durch den spitzkegeligen Innenraum hinauf zu unserer Zimmerflucht. Ich richtete den Blick auf die Kameralinsen und ließ nach dem Irisvergleich die Eingangstür öffnen. Altra Atlan arbeitete meist mit Musikuntermalung; jetzt war es beängstigend still. Li und Rintar begriffen augenblicklich die Bedeutung der Stille, sprangen auseinander und zogen ihre Waffen aus den Falten der Kleidung. Zu spät!, gellte der Extrasinn. Ich rannte in die eine Richtung, Li und Rintar in die andere. Unsere Räume schienen unangetastet zu sein, aber Altra Atlan war verschwunden, und bei jedem dritten Schritt mussten wir erkennen, dass Geräte, Holoschirme, Kabel, Waffen und Fernsteuerungen fehlten; ich lief zu den Wandschränken, in denen wir die Teile des Transmitters versteckt hatten. Alles war gestohlen worden! Altra Atlan blieb verschwunden. Die vagen Spuren eines Kampfes wurden erst nach und nach sichtbar. Die Einbrecher, Diebe und Entführer hatten versucht, die Unordnung in aller Eile zu beseitigen. Seit einem Jahrhundert, hatte man uns versichert, war hier nichts mehr gestohlen worden, aber als wir unseren hastigen Rundgang beendet hatten, mussten wir erkennen, dass selbst die meisten unserer ausgepackten Koffer fehlten. Sämtliche Ausrüstungsgegenstände und alle Teile des Transmitters, samt der Energiezellen, hatten sich in Luft aufgelöst. »Wir sind nicht nur bestohlen, sondern völlig enttarnt worden«, sagte ich und lief unruhig zwischen Tischen, Wandfächern und leeren Tischplatten umher. »Altra wurde entführt, und uns hat man ausgeplündert. Aber - die Wirklichkeit ist anders als der Anschein der Wahrheit.« »Wie das?«, wollte Li wissen. Ich überlegte fieberhaft und antwortete: »Hätten die Aufseher, Sicherheitskräfte oder die Schergen Crest-Tharos unsere wahre Identität herausgefunden, wären wir längst tot oder zumindest in sicherem Gewahrsam. Ich meine, dass die potentiellen Revolutionäre der Arbeiterklasse, die Geknechteten, uns für irgendwelche Böslinge halten.« Wir blickten einander ziemlich ratlos an und sahen ein, dass wir mit völlig leeren Händen und fast wehrlos dastanden. Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit breitete sich aus. »Macht es Sinn, wenn wir Altra Atlan suchen?«, murmelte Rintar. Li begann sich wie ein eingesperrtes Raubtier zu bewegen, und ich griff nach ihrem Handgelenk. »Es gäbe tausend Verstecke. Wir sind nur zu dritt und völlig fremd hier«, sagte sie aufgeregt. »Ich denke, Atlan hat Recht. Wir wären längst unter Bewachung zu Crest-Tharo unterwegs, hätte man unsere Maske durchschaut.« »Unsere unbekannten Gegner«, wandte ich ein und hoffte auf einen erhellenden Einwurf des Logiksektors, »haben unsere gesamte Ausrüstung. Spätestens jetzt wissen sie, dass wir spionieren. Sie haben noch nichts gegen uns unternommen und warten ab.« »Worauf warten sie?«, rief Li unterdrückt. Auf das Gleiche wie ihr, raunte der Extrasinn. Nämlich auf Gewissheit. Vielleicht suchen die Ausgebeuteten, die seit rund siebenhundert Jahren von den Arkoniden unterdrückt werden, nach Verbündeten. Oder Crest-Tharos Sicherheitsleute suchen schon nach mehr Beweisen gegen euch. »Dann sollten wir uns darauf einstellen, dass es in einigen Zentitontas hier von bewaffneten Eingreiftruppen wimmelt«, sagte Rintar. Ich zuckte die Achseln; meine Gedanken überschlugen sich. Unser Hotel lag in tiefer, nächtlicher Ruhe. Nichts deutete auf eine solche Aktion hin; wir hatten keinen Hinweis auf das Schicksal Altra Atlans. »Flucht ist sinnlos«, murmelte ich, »ebenso der Gedanke an eine Gegenwehr - etwa mit Tauchermesser und Schwimmflossen? Wären die Entführer überzeugt, Kopfjäger vor sich zu haben, dann hätten sie uns längst stillschweigend umgebracht, aus Hass und Rache. Wir warten auf den nächsten Zug der Unbekannten. Die Diebe und Entführer werden sich zeigen; schon bald.« »Bist du sicher, Atlan?« , fragte Li. Ich nickte. In diesen Millitontas verflog schlagartig der letzte Rest Urlaubsstimmung. »Was können sie mit einem einzelnen Gefangenen anfangen, wenn sie die Maskierung von allen vieren durchschaut haben?«, knurrte Rintar da Ragnaari. »Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, Zanargun und Hurakin in der Yacht zu benachrichtigen.«Ich hob meinen linken Unterarm und schob den Jackenärmel zurück. »Irrtum! Ich halte Kontakt mit ihnen. Dieses Mehrzweckarmband haben sie nicht gestohlen.« Li stieß flüsternd einen kaum verständlichen Fluch aus. »Wir warten«, entschied ich. »Eine Tonta vor Mitternacht fängt das Feuerwerk am Strand an. Mit Musik und Barbetrieb.« »Du willst, dass wir die Entführer provozieren?« Li ließ die großen Glassitflächen aufgleiten, die zu den Terrassen führten. »Rechnest du mit Erfolg, Travor Faruso?« »Ja, Carranda«, antwortete ich. »Ich rechne damit, dass die Entführer in diesem Geschäft weniger Erfahrung haben als ich.« »Einverstanden.« Rintar nickte. Seine hellroten Augen schienen aufzuleuchten, als er an die Brüstung trat und in den leeren Park hinuntersah. Etwa eine Tonta später begannen sich die Pfade und die intimen Plätze zu füllen. Leise Musik ertönte aus zahlreichen unsichtbaren Quellen; dünner Nebel, mit balsamischen Düften getränkt, kroch dicht über dem Boden dahin und waberte um die Knöchel der Gäste. Zum ersten Mal sahen wir
9 andere Touristen oder Urlauber in größerer Zahl. Sie waren ebenso festlich gekleidet wie wir und schlugen ohne Eile den Weg zum Strand ein. Das Summen vieler Gespräche, Gelächter und die schmeichelnden Klänge erfüllten den Park, ein milder Wind bewegte Fächerwedel, Blattwerk und Blütenlianen. Von dem phosphoreszierenden Band, das in einiger Entfernung von den auslaufenden Wellen den Strand entlang lief, kamen die exquisiten Gerüche eines Mitternachtsbüfetts. Li hatte sich bei mir eingehängt; ich spürte durch ihre Finger ihre mühsam gebändigte Erregung. »Ich fühle es zwischen den Schulterblättern«, flüsterte sie. »Man beobachtet uns.« »Man bewundert deine Schönheit, Liebste«, sagte ich leichthin. Li hatte Recht: Die Bediensteten, die in dunkle Uniformen gekleidet waren, schenkten uns weitaus mehr Aufmerksamkeit als sonst. »Trotzdem da geht etwas vor.« Der Extrasinn schwieg. Wir wechselten belanglose Worte mit anderen Gästen und holten uns Leckerbissen vom Büfett. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass das Oberhaupt des Zoltral-Khasurns sich durch diese Art der Belohnung sicherlich keine Feinde schuf, aber ob sie reichte, aus Gästen wie einem Kopfjäger- Team überzeugte Anhänger und Kämpfer für seine verwegenen und ehrgeizigen Ideen zu schmieden, war höchst fraglich. Die Musik verlor ihren einschmeichelnden Charakter und nahm, während sie lauter wurde, einen Rhythmus an, der jeden Zuhörer erwartungsvoll stimmte. Über dem Meer, vor den Mustern der dicht stehenden, gelb strahlenden Sterne, erschien eine lautlose eisblaue Sonne, die sich im Takt der Klänge in zwei, vier, acht, sechzehn und zweiunddreißig kleine Sonnen teilte, die einen komplizierten Tanz umeinander begannen. Sie sandten lange, vielfarbige Funkenschauer aus, deren Leuchten die Sterne überstrahlte. Nach zwei oder drei Zentitontas lösten sich die Sonnen auf und bildeten Schleier, Bänder und wallende Wogen wie irdische Nordlichter. Die Gäste waren begeistert und stießen hingerissene Bewunderungsrufe aus. Diener boten uns langstielige Gläser mit perlendem Frühlingswein an. Nicht mehr als ein halbes Tausend Personen bewegten sich auf der Terrasse, tranken und lachten, bewunderten das Feuerwerk, aßen und flirteten miteinander und hoben die Köpfe, wenn wieder neue Figuren, Strukturen, Wirbel und explodierende Sterne am Himmel über uns erschienen. Wir drei waren schutzlos, aber wachsam. Erst jetzt erreichten die Geräusche des Feuerwerks den Strand und die Feriensiedlung; metallische Klänge, lang gezogene Glissandi, Riffs von kosmischen Mega-Saiten, seltsame Trommelschläge, stellares Schmettern und Krachen und anschwellendes Heulen aus dem energiedurchtosten Zentrum von Centauri. Es war unmöglich, mehr von den Köstlichkeiten zu essen. Eine Geruchswolke aus gebratenem Fisch mischte sich in den Knospenduft des Nebels, der sich aus dem Park über die Promenade zum Strand schob, auf dem leuchtende Schildkrötenwesen flimmernde Spuren legten, die sich in sinnverwirrenden Mustern kreuzten und ineinander verschlängelten. Achtung! Ihr seid umzingelt!, gellte der Logiksektor. Ich wirbelte herum und sah, dass zwischen uns und den anderen Gästen der Abstand gewachsen war. Aus den Nebelschwaden tauchten Angreifer auf, kaum weniger als drei Dutzend, die sich auf uns stürzten und uns in den dichtesten Teil des Nebels drängten. Die Körper pressten sich eng an uns, zahllose Hände hielten uns gepackt, schweigend und mit keuchendem Atmen aus den Kiemen drangen die Männer auf uns ein. Sie stießen und schoben, zerrten an uns und wichen nicht zurück, als wir uns zu wehren versuchten. Zuerst gelang es Li, sich mit einigen Körperdrehungen und harten Dagorschlägen Raum zu verschaffen, dann schüttelte ich einen Teil der Angreifer ab und erkannte, das es sich um kiemenbewehrte Abkömmlinge von Lemurern handelte. Der Nebel, in den sie uns hineindrängten, wurde dichter. Li und Rintar sprangen hin und her, wirbelten herum und sprangen über zusammenbrechende Gestalten. Als ich mich aufrichtete, zwei Gegner im Nacken und auf den Schultern, sah ich, dass ein Angreifer den Arm hob und Rintar die Projektionsnadel einer unserer Waffen an die Stirn hielt. Rintar hörte auf, sich zu wehren; mit wenigen Schritten durchquerten wir den Nebel und standen plötzlich in einem mäßig beleuchteten Bauwerk. Zuletzt schleppten die schweigsamen Männer von Tarik oder Baylamor Li heran und verschwanden, als sie sich wehrte, wieder im Nebel. Aus dem wabernden Weiß über dem Boden schoben sich drei Gestalten. Die mittlere war Altra Atlan, von zwei Lähmstrahlern bedroht, die ebenfalls. aus unserem Besitz stammten. Ich schüttelte zwei Angreifer ab, die an meinen Armen hingen, nickte Altra zu, der einen mitgenommenen Eindruck machte, und .sagte in erzwungener Ruhe: »Es ist frevelhaft, Gäste zu bestehlen, zu überfallen und zu bedrohen. Wir scheinen euer Missfallen erregt zu haben.« Einer der Kidnapper, vermutlich der Anführer, schob sich durch den Nebel, in dem er bis zu den Oberschenkeln watete, vor dem Hintergrund einer halb fertigen Schwimmbadwand näher heran und erwiderte unbewegten Gesichts: »Wir haben eure Ausrüstung gesehen und sichergestellt. Sie entspricht nicht dem herkömmlichen Urlaubsgepäck.« »Was hat euch unser Gepäck zu interessieren?« Li stolperte aus dem Nebel, schlug zwei Kidnapper nieder und war mit einem Sprung an meiner Seite. »Wir haben euch keinen Grund gegeben, uns zu bestehlen.« »Die Diebe seid ihr«, sagte der Anführer hart. »Crest-Tharo hat euch, seine besten Kopfjäger, mit diesem teuren Urlaub belohnt und ausgezeichnet.« Er winkte seinen Leuten und rief: »Hört auf! Ich bringe sie schon dazu, uns Rede und Antwort zu stehen.« Mein Extrasinn hatte mich kein zweites Mal gewarnt; also schien unser Leben nicht unmittelbar gefährdet zu sein. Die Unruhe, die mich bisher gemartert hatte, war wie fortgewischt. Die Kidnapper hielten uns also wirklich für Kopfjäger mit seltsamer Ausrüstung. Bis jetzt wenigstens. Ich deutete auf Altra und sagte: »Von ihm habt ihr sicherlich gehört, dass wir harmlose Feriengäste sind.« »Harmlose Urlauber mit einem harmlosen Transmitter für eine schnelle Flucht aus harmloser Umgebung.« Der Anführer lachte. »Zu unserer Sicherheit«, sagte Li. Altra schüttelte den Kopf und sagte leise: »Von mir haben sie nichts erfahren. Aber sie haben jeden unserer Schritte überwacht. Keine Kunst - sie verfügen über ein paar tausend Augenpaare.« Wir standen am Boden eines Schwimmbads, das vom Park ausgehend bis dicht an den Strand gebaut war, so dass der Gast mit wenigen Schritten oder durch einen Energieschirm hindurchschwimmend zwischen Meerwasser und Süßwasser wechseln konnte. Der Pool wurde repariert oder teilweise neu gebaut; Installationen und halb fertige Bilder und Anlagen für Unterwasserholos befanden sich an einigen der gekurvten Wände. Der Boden bestand aus weißem Sand, der die Auslassöffnungen kaum bedeckte. Wahrscheinlich stiegen hier, wenn die Arbeiten abgeschlossen waren, duftende Luftperlen statt künstlichem Nebel auf. Lis Stimme verriet ihren Ärger und dass sie sich gerade noch mühsam beherrschen konnte. Die Lemurer-Abkömmlinge, deren pulsierende Kiemen jetzt deutlich zu erkennen waren, schienen ganz bestimmte Antworten zu erwarten. »Ihr schuftet hier unter miesen Umständen. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr diesen Zustand ändern wollt. Plant ihr auf unsere Kosten einen Aufstand?« »Es ist selbstverständlich, dass sich Minderheiten zum Selbstschutz organisieren«, antwortete der Anführer. »Etwa um die Urlaubsinseln zu erobern und die Hotels zu besetzen?«, fragte ich herausfordernd. Über einen Teil der Wände bewegten sich projizierte Wellen, und aufflammende Holos zeigten Korallen, leuchtende Tangblätter und fantastische Meeresbewohner. »Allein schon, um unsere Lage zu verbessern. Mit eurer Ausrüstung werden wir einen großen Schritt weiterkommen.« Die Kidnapper bildeten einen dichten Kreis um uns und den Anführer. Zwar konnte die Stimmung augenblicklich in Handgreiflichkeiten und Kampf umschlagen, aber ich ahnte, dass wir nicht in Todesgefahr steckten. »Ihr seid keine Sklavenjäger. Auch keine Touristen; wir kennen die Unterschiede. Ihr seid wahrscheinlich Agenten Crest-Tharos, mit deren Hilfe er uns weiter unterdrücken will.« »Wir, eine Vier-Mann-Armee!«, zischte Li verächtlich und machte wegwerfende Gesten. »Wollt ihr etwa Crest-Tharo stürzen?«, fragte ich verblüfft. »Mit euren Fäusten und den wenigen Waffen, die ihr uns gestohlen habt?« »Wer seid ihr wirklich?«, lautete die nächste Frage des Mannes von Tarik. »Überlegt, ob ihr uns weiter anlügt.« »Da wir euch bisher nichts Wesentliches gesagt haben«, antwortete Altra trocken, »können wir auch nicht gelogen haben. Vielleicht sind wir unabhängige Vertreter einer Macht, die sich hier umzusehen gewillt ist? Wer weiß?« »Eure wertvolle, spezialisierte Ausrüstung sagt uns, dass ihr, vorgeblich Kopfjäger, über hohe Geld- und Machtmittel verfügt. Also hat euch Crest-Tharo geschickt, der ehrgeizige Ausbeuter.« »Weder er noch einer aus seiner Sippe«, sagte ich und beschloss, ein wenig von unserer Mission preiszugeben. »Nehmt die Waffen herunter, und ich verrate euch mehr.« Der Anführer starrte uns nacheinander in die Gesichter, schien eine lautlose Abstimmung mit seinen Gefährten vorzunehmen, und nach einigen Atemzügen sagte er: »Vertrauen gegen Vertrauen. Wir sind in der Mehrzahl.« Ich entspannte mich, und als ich Li da Zoltrals Hand nahm, spürte ich, dass auch ihre Erregung nachgelassen hatte. Der Logiksektor murmelte: Überlege sehr genau, wie viel du ihnen preisgibst! Vielleicht ist eine bedingte Zusammenarbeit sinnvoll! 4. Die Yacht der Rebellen Während das aufwendige Feuerwerk endete und die Sterne wieder in gewohnter Helligkeit zu strahlen begannen, verklangen auch die kosmischen Laute, und die Brandung wurde lauter und rhythmischer als die sphärische Musik am Strand. Die Rebellen führten uns aus der Baustelle der
10 Swimmingpool-Anlage hinaus, in einen labyrinthartigen Garten und auf eine Reihe einfacher Bauwerke zu, in denen die Dienerschaft wohnte. Der Gegensatz der ärmlichen, schmalen Gebäude zu den Hoteltrichtern war beträchtlich; wir gingen schweigend bis zu einer Art Versammlungsplatz, der unter mächtigen Baumkronen lag und von dichten Hecken geschützt wurde. Der Anführer stellte mit knappen Gesten sicher, dass einige Tariks sich als Wächter postierten. Ich setzte mich auf einen Steinwürfel, hob die Hand und sagte: »Wir haben die Masken von vier Kopfjägern angenommen, die für Crest-Tharo da Zoltral erfolgreich Sklaven fangen. Wir sind hier, um herauszufinden, ob und welche lemurische Hinterlassenschaften für den ehrgeizigen Herrscher von Interesse sind.« »Das könnt ihr uns sicherlich beweisen? « Ich zuckte die Achseln. »Das ist nicht leicht. Ihr müsst uns glauben, dass wir die Wahrheit sagen. Ihr habt unsere Waffen, Instrumente und alles Übrige begutachten können.« »Um eine Rebellion gegen Crest-Tharo anzuzetteln, fehlen uns die Möglichkeiten«, sagte Rintar. »Und wir sind zu wenige.« »Nennt mich Irdon So'en«, meinte der Anführer, der langsam vor mir und meinen Freunden hin und her ging. »Dafür sind wir viele. Millionen leben auf Theka!« »Aber ebenso waffen- wie chancenlos«, murmelte Altra Atlan. »Unser Ziel ist der Sturz des da Zoltral.« Irdon blieb ungerührt. »Wir rechnen jedoch nicht mit schnellen Erfolgen.« »Kluge Überlegung«, murmelte Rintar. Nun kannten wir einen Teil der Wahrheit. Ich brauchte den Rebellen nicht mehr viel zu verraten; nicht einmal unsere richtigen Namen. Es genügte, dass sie Vertrauen fassten und uns halfen. »Auch ich rechne nicht mit einem schnellen Erfolg.« Ich zwang mich zu einem breiten Lächeln. »Carranda, erfahren in Geschichtswissenschaft; wird mir Recht geben: Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, geht alles wie von selbst. Wollen wir nun zusammenarbeiten, Irdon So'en? Wir und du und deine unzählbar vielen Rebellen?« »Warum nicht? Ihr braucht unsere. Hilfe?« »So sieht es aus«, antwortete Li. »Vor allem brauchen wir unsere gesamte Ausrüstung zurück. So schnell wie möglich.« Irdon So'ens Männer waren äußerst diszipliniert. Sie musterten uns schweigend, flüsterten bisweilen, achteten auf die Gesten des Anführers. Sie hatten unter der Knute der Arkoniden gelernt, schnell und zuverlässig zu gehorchen. »Die Mitglieder meiner Widerstandsgruppe sind schon unterwegs.«Ich nickte zufrieden und fragte: »Wie lange gibt es euch schon - als Widerstandsgruppe?«Irdon lachte kurz; das Lachen klang bitter. Hinter uns ertönten Summer und dumpfe Gongschläge. Li zuckte zusammen. »Seit vielen Jahren. Die Organisation ist alt, wir haben vieles gesehen und besitzen viele Informationen, aber unter den .Umständen, die auf dieser Welt herrschen, ist an Rebellion oder Aufstand noch nicht zu denken.« »Weil es kein erkennbares Ziel gibt.« Altra Atlan wandte den Kopf. Aus den schäbigen Wohnstätten der Gärtner, Küchengehilfen, Servicekräfte oder anderer dienstbarer Geister kamen Frauen und Männer in verschiedenfarbigen Uniformen und stiegen in ungepflegt wirkende Personentransportgleiter. Nur wenige Lemurer-Abkömmlinge blickten zu uns herüber. Die Maschinen schwebten nach rechts und links davon. Ich blickte auf die kunststoffgeschützte Taucheruhr: Mitternacht. Schichtwechsel des Personals, das sonst so gut wie unsichtbar ist, dachte ich. »Das ist ein Grund. Würden wir die Arkoniden vertreiben oder gar töten«, erläuterte der Anführer mit Resignation in der Stimme, »würde sich CrestTharo fürchterlich an uns rächen.« »Sein Sturz ist auch unser Ziel«, sagte Li mit Bestimmtheit. »Aber wir besitzen längst nicht alle Informationen, die wir brauchen, um ihn in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Wir haben es bisher nicht einmal geschafft, das unterseeische Bauwerk bei Valiruu näher zu untersuchen.« »Dabei können wir euch helfen.« Irdon blieb jäh stehen und musterte Li und mich. »Wir haben bemerkt, dass bei der anderen Insel, drüben bei Valiruu, unerklärliche Dinge vorgingen. Fremde Leute kamen und verschwanden. Schlamm wurde vom Meeresboden aufgewirbelt.« »Du meinst das dreieckige Tarvian?«, fragte ich. Er warf mir überraschte Blicke zu. Seine Leute begannen zu murmeln. Rintar richtete die Augen zum Himmel, als suche er dort nach Erklärungen. »Riesiges Ding«, sagte er. »Offensichtlich uralt. Die lange Seite verläuft genau in südnördlicher Richtung. Die Spitze aus den beiden Schenkeln deutet nach Osten.« »Wir kennen das Tarvian. Seit vielen, vielen Jahren«, gab Irdon So'en zu. »viele von uns sind dort geschwommen. Es ist ein großes Rätsel. Die größere Masse des Bauwerks ist unter dem Boden des Meeres. Vielleicht versteckt worden, vielleicht im Lauf der Zeit versunken?« Die Informationen Irdons bestätigten, was unsere Spionsonden gezeigt und wir mühsam herausgefunden hatten. Die Unterwasserbilder verrieten viel, waren aber in entscheidenden Dingen wenig aussagekräftig. Ich war fast davon überzeugt, dass es sich beim Tarvian um eine Station aus der Lemurer- Hinterlassenschaft handelte. Die Wichtigkeit des Gebäudes rechtfertigte auch, dass ein großer Teil der Insel abgesperrt und das Überfliegen mit Gleitern verboten war. Ich deutete auf Irdon und sagte: »Wir haben versucht, zum Tarvian zu kommen, und sind abgewiesen worden. Siehst du eine Möglichkeit, uns dorthin zu bringen, ohne dass es jemand merkt? Wir müssen in das Dreieck hinein!« »Eine Yacht? Ein Angelausflug? Oder ein langer Tauchgang? Ihr als Urlauber bekommt leicht ein Schiff, und wir können euch bei allen Problemen unterstützen.« »Und ihr müsst dafür sorgen, dass die Aufpasser abgelenkt werden.« Altra Atlan stand auf und deutete in Richtung der Hoteltrichter. »Ich bin müde. Eure Versuche, mich zu verhören, haben mich geärgert. Wir sollten auf Großfischfang auslaufen, mit Taucherausrüstung und möglicherweise Übernachtung auf dem Meer. Überlegt euch etwas alles klar?« »Ich komme gleich nach«, versprach ich. »Wir haben den Rest der N acht und den halben Tag für die Vorbereitungen. Unsere Prunksuite kennst du ja, Irdon.« Er brummte etwas Unverständliches. Hinter der Kulisse einer Schönheit, die mit einem Mal brüchig geworden war, verhielten sich die Tariks unauffällig und flüsternd wie eine Masse Insekten, deren Informationsstand binnen kurzer Zeit überall gleich hoch war; binnen Tontas kannte jeder Tarik uns ebenso gut wie Irdons Befehle. Ich sah zu, wie sich einige unserer Kidnapper entfernten, und wandte mich an Irdon. »Wie viele Tariks arbeiten auf diesem Planeten, auf der Urlaubswelt Theka?« »Mehr als zwei Millionen sind versklavt. Auf Tukhan sind wir fast zehntausend.« Einige Millitontas später hatten sich die Tariks zerstreut, und wir verließen den Versammlungsplatz. Auf dem verwaisten Terrassen-Pfad über dem Strand wandte ich mich an Irdon. »Nach dem Frühstück gehen wir mit unserer Ausrüstung an Bord einer großen, gemieteten Yacht mit Großfischjagd-Ausrüstung. Wir jagen begreiflicherweise nach großen Fischen ...« »... nach dem goldenen Nurkhana ...«, sagte Irdon grinsend. »... unter anderem. Und wollen tauchen. Dabei nähern wir uns, so weit wie möglich, dem Tarvian. Du und deine Leute, ihr seid für den gesamten Anflug und unsere sichere Rückkehr verantwortlich. Wir haben dein Wort?« »Wir sorgen für alles, was dazu nötig ist«, sagte Irdon So'en mit fast feierlicher Betonung und verbeugte sich. Ich nahm Li an der Hand und zog sie zu der einzigen Bar nahe unserem Quartier, in der noch starke Getränke ausgeschenkt wurden. Die CARRACON-GISCHTWOGE schnitt mit beiden Bugen wie ein Vibromesser durch die Wellen. Die Bugwellen schäumten spitz und hoch nach Steuerbord und Backbord. Die sechs Meter langen Angelruten krümmten sich vibrierend, die Schnüre verschwanden straff im Meer, jenseits der Heckspuren. Mikrolinsen nahe der köderbestückten Angelhaken übertrugen rasend schnell bewegte Unterwasserbilder auf zweidimensionale Bildschirme im Steuerstand der Yacht. Aytcarm, ein Tarik mit dunkelbrauner Haut, saß im Sessel des Rudergängers und jagte das Doppelrumpfboot nach Südwesten, auf das offene Meer hinaus und einem Punkt weit südlich der Insel Valiruu entgegen. Altra Atlan, wie wir alle im Taucheranzug mit zusätzlicher Ausrüstung, hatte es sich im Backbordrumpf bequem gemacht und steuerte seine Sonden unter Wasser auf das Tarvian zu, dem sich in der zweiten Tageshälfte ein Dutzend Tarik-Schwimmer nähern würden. Inzwischen wussten wir mehr über das Tarvian - Informationen aus dem Netzwerk der Tariks auf Theka: Die Außenhülle schien aus unbearbeitetem bronzeartigem Metall zu bestehen und war von ungewöhnlich vielen Kuppeln, Kanzeln, Vorsprüngen und irregulären Erhebungen unterbrochen. Den Tariks waren keine Schleusen oder Eingänge bekannt, der größere Teil des Dreiecks verbarg sich unter den Ablagerungen des Meeresbodens, und niemand wusste, ob das Bauwerk jemals betreten worden war. Nur eine Schleuse in einem alten Verbindungsgang war seit einigen Jahren bekannt, sagten die Schwimmer; sie hatten sie vom Algenbewuchs befreit und versucht, die Hebel gangbar zu machen. Nachdem ich die ersten Bilder gesehen hatte, formierte sich meine Erinnerung. Zweifelsohne eine Lemurer-Station, vielleicht eine Fluchtsiedlung, so, wie ich sie in meiner Jugend auf Gortavor kennen gelernt habe! Ich drehte mich um, musterte die wippenden Angelruten, sah die Erregung in Lis und Rintars Gesichtern und fragte mich, ob wir heute oder morgen den Küchen unserer Hotels einige Tonnen Fleisch vom »goldenen Nurkhana« anlanden konnten; wir hatten den Köchen lachend unsere Beute im Voraus geschenkt. Die Sonden waren schneller als unsere Yacht, aber sie hatten einen weitaus längeren Weg zurückzulegen. Die Steilhänge und die malerischen Buchten Valiruus kamen näher, während sich die Yacht in der weiten Dünung durch die Wellen arbeitete. Im Sonnenlicht glitzerten Gischt und Wassertropfen. Ich stand hinter dem Rudergänger und konzentrierte mich auf die Bilder und Anzeigen der Instrumente. An den Angelhaken zuckten fast armlange, geklonte Lachsartige. Irdon So'en hatte zuerst voll Hass in allem Ernst vorgeschlagen, zwei von Crest-
11 Tharo da Zoltrals 'kleinen Klon-Elefanten zu fangen und an die Haken zu hängen, aber dies war selbst für Li ein Zuviel an unangemessener Barbarei gewesen. Aus winzigen Löchern in Kapseln, die auf den Angelschnüren auf und ab glitten, trat rektifiziertes Fischöl aus und verbreitete unter Wasser eine intensive Geruchsspur, ebenso wie das Cirisulk, das unser Begleiter Birrca aus vollen Händen in die brodelnden Heckwellen streute. Es handelte sich um mehlartig getrocknete Abfälle aus Muschelschalen, Austernresten und pulverisierten Küchenabfällen, die ihrerseits wie Krill oder Mikroorganismen die kleineren Fische anlocken sollte. Aytcarm würde die Yacht bis zu jenem Punkt steuern, an dem die unsichtbare Grenze um die Insel verlief; näherten wir uns weiterhin der Küste, bekämen wir Schwierigkeiten, hatte er uns glaubwürdig versichert. Li da Zoltral, Rintar und ich wollten zum Tarvian vordringen. Altra Atlan sollte weiterhin die Sonden kontrollieren und uns, wenn nötig, warnen und unterstützen. Als ich, die Stöße der Rümpfe abfedernd, ins Wasser hinter dem Heck blickte, sah ich dicht unter der Oberfläche Hunderte oder Tausende kleiner Fische, die sich um die winzigen Cirisulk-Schwebeteilchen balgten. Ich rief zu Birrca hinüber: »Ist es sicher, dass wir den Nurkhana an die Haken kriegen?« »Eigentlich schon. Aber - kann lange dauern, Erhabener!« Der Abstand zwischen der Yacht und dem Gebiet der Unterwasserstadt betrug jetzt etwa zwei Kilometer; mehr als eine terranische Seemeile. Mit Hilfe unserer Anzugtornister konnten wir einige Tontas lang unter Wasser manövrieren, ohne bis zur Erschöpfung schwimmen zu müssen. Sicherlich wurden wir bereits beobachtet. Eine Bootscrew, die mit einem Rekordfang kämpfte, würde vermutlich unbehelligt bleiben. Außerdem wussten über das Flüster-Netzwerk der Lemurer-Abkömmlinge die Tariks von Valiruu, dass wir ihre Hilfe brauchten; ausgesuchte Schwimmer würden uns erwarten. Irdon, der Anführer, hatte uns drei . erfahrene Tariks mitgegeben. Sie mimten die bemühte Dienerschaft der reichen Yachtkunden, würden beim Fischen helfen und waren die kräftigsten Taucher und Schwimmer aus So'ens Mannschaft: Tejeda, Bentayga und Maniarr beobachteten die Angeln, während Aytcarm das Boot in einem weiten Kreis nach Süden und zurück nach Osten steuerte. Die Bildschirme zeigten große, haiähnliche Fische, die in den Schwärmen der handgroßen Fischlein wüteten und sie dazu brachten, sich in silbrigen Schauern wie Fliegende Fische aus den Wellen hinauszuschnellen. Einige feuerrote Vögel, mit ähnlich hässlichem Geschrei aus den Hakenschnäbeln wie Möwen, verfolgten uns in einigem Abstand. Jedes Mal, wenn uns die Dünung hob, konnten wir in dem weiten Meeresgebiet viele andere Boote sehen. Riesige Segel und Spinnaker strahlten im Sonnenlicht. Zwischen mächtigen schneeweißen Wolken leuchteten einige der hellsten Sterne der Omega-Ballung. Das gesamte großartige Bild an diesem Vormittag wirkte völlig harmlos, wie aus einem Holo für Urlaubs- Werbeveranstaltungen. Und - wir waren nur ein winziger Teil dieser Szene. Meine innere Unruhe nahm ab. Der Ritt des schnellen Bootes auf den gischtenden Wellen schien mit einer Phase jener rätselhaften Aggression zusammenzutreffen, die bisweilen meine schöne, ebenso rätselhafte Gefährtin heimsuchte. Die »Anfälle«wurden heftiger, die Abstände zwischen ihnen wurden kürzer. Ich richtete meine Aufmerksamkeit zuerst auf Li, dann auf jede andere Kleinigkeit der Umgebung. Die Fisch-Winzlinge waren davongeschwommen, dezimiert und von den großen Fischen gejagt. Jetzt hetzten größere Räuber mit nadelfeinen Zähnen hinter den Ködern her, und wenn die Gesetzmäßigkeit anhielt, würde der goldene Nurkhana seinen Hunger an den Großfischen stillen wollen. »Ich hätte für euch einige bemerkenswerte Unterwasseransichten«, rief Altra Atlan und winkte Rintar und mir, Wir bewegten uns schwankend und taumelnd in den Fahrstand. Altra verdunkelte die Scheiben und tippte auf die Rahmen der Bildschirme. »Die so genannte submarine Stadt«, sagte Altra. »Die bewegten Objekte sind wahrscheinlich unsere Tarik-Schwimmer.« Bis ungefähr dreißig Meter Tiefe reichte das Sonnenlicht, um Konturen und Farben erkennen zu können. Unterhalb dieser Tiefe waren die Optiken der Sonden auf Scheinwerfer und Wärmestrahlung angewiesen. Wir betrachteten schweigend die Bilder im Normallicht. Von einigen Felswänden, einem bizarren Riff und zwei malerischen Stränden aus führten kühne Stege, gläserne Röhren und Wege zu einem kreisrunden Dachgarten von ausgesuchter Schönheit. Dort erkannten wir eine Treppen- und Toranlage, von der aus die Stadt betreten werden konnte. Über Lifte und Schächte konnten Besucher absteigen, immer tiefer in ein zylindrisches Bauwerk, das auf dem Grund des Meeres aufsaß, etwa 120 Meter tief. Unzählige Punktlichter, Scheinwerfer, leuchtende Glassitscheiben, die vielfältigen Lampen im Inneren der Wohnräume, Bars, Restaurants und Aussichtskanzeln verwandelten die Stadt in eine Anlage, um die herum Fische und alle Arten Lebewesen schwärmten; sie wurden durch Futter, das von oben herabrieselte, in der Nähe von dicken Glassitscheiben gehalten. Große, vermutlich geklonte Kraken hafteten mit Saugnäpfen am Glas, und mit mindestens zwei Armen handhabten sie tellerförmige Geräte, mit denen sie den Belag von den Scheiben putzten. Wenn eine Scheibe sauber war, wechselten die Oktopusse die Farbe und leuchteten in einem fröhlichen Gelb. Es schienen Roboter zu sein oder Klone mit syntronischer Aufrüstung. »Überaus eindrucksvoll«, bemerkte Altra Atlan. »Sicherlich auch viel teurer als unsere Hotels auf der anderen Seite der Bucht«, sagte ich. »Aber ich vermag außer einer vorbildlichen Anlage für Fisch- und Quallenbegeisterte keine Sensationen zu entdecken.« »Vorläufig keine«, bestätigte er knurrig. »Kommen wahrscheinlich später.« Die Unterwasserstadt, zu großen Teilen wahrscheinlich ein Hotel, bot einen prächtigen Anblick, bis hinunter zu den Korallen und dem Schlick des Bodens, aber keine Auffälligkeiten. Etwa auf halber Höhe führte von der leuchtenden Stadt eine Röhre aus Fertigbauteilen mit einem Durchmesser von mehr als fünfzehn Metern zum Tarvian. Die Länge der mehrfach gekrümmten Verbindung entsprach unseren ersten Fernmessungen: 250 Meter. Sie spannte sich, durch dicke Trossen gesichert, zwischen den unbeleuchteten Versorgungsschächten der Stadt und einer undeutlich erkennbaren Eingangshalle, die den gewaltigen Ausmaßen des Tarvian entsprach. »Das ist schon interessanter«, bemerkte Li da Zoltral und nahm eine Feineinstellung vor. Bisweilen schob sich ein Tarik-Schwimmer durch das Blickfeld. »Sie erwarten uns. He, Birrca! Warten deine Kiemenfreunde auf uns? Dort unten?« »Sie warten«, sagte er abschätzig. »Aber nicht bis morgen. Sie haben sich für diesen Einsatz freigenommen, was einen abstrusen Aufwand erfordert.« »Bald werden wir Seite an Seite mit ihnen schwimmen.« Ich suchte nach einem Eingang zur Verbindungsröhre außerhalb der gläsernen Stadt. »Bis zur Dunkelheit haben wir noch etwa fünf Tontas.« Aytcarm, Birrca und Maniarr zogen die Schultern in die Höhe. Noch während Altra die Sonden in engen Spiralen um die Verbindungsröhre steuerte und die Scheinwerfer ein- und ausschaltete, schrie Tejeda aus dem Heck: »Der Große Goldene Fischfisch ist da!« »Das ist ein Grund, langsamer zu fahren und uns näher an das Tauchgebiet heranzubringen«, sagte ich zu Aytcarm. »Wir versuchen, das Vieh zu fangen, und während der letzten Dezitontas verlassen wir die Yacht. Einverstanden? « »Irdon hat befohlen, dass wir euch gehorchen«, erwiderte Birrca. »Wir tun, was ihr verlangt.« »Wir verlangen«, rief Li schrill, »dass ihr uns brauchbare Ratschläge gebt. Wir vertragen auch Kritik. Ihr müsst eure wenig beneidenswerte Lage nicht wie Transparente vor euch hertragen.« »Jawohl, Herrin«, sagte Bentayga mehrdeutig. Ich turnte zu den Befestigungen der Angelschäfte und bohrte meine Blicke in die Darstellungen der Bildschirme. Der Logiksektor bemerkte mit kryptischer Zufriedenheit: Da hast du deinen Riesengroßen Goldenen Nurkhana, Arkonide. Mach das Beste daraus! Zeig es dir und ihnen allen! Ich grinste entschlossen. Nicht9 anderes habe ich vor! Ich streifte die metallbewehrten Handschuhe über, die bisher in meinem Gürtel gesteckt hatten. Der Nurkhana ... Ein fischähnliches Etwas, etwa zwölf, vielleicht fünfzehn Meter lang, eine seltsame Kreuzung zwischen Delfin, Kopffüßler, Stachelrochen und Fetzenfisch. In der schuppigen Haut verliefen breite Bänder, die im tiefen Wasser phosphorizierend leuchteten wie tausend Unterwasseraugen, in der Nähe der Oberfläche das Sonnenlicht goldfarben spiegelten. Lange Tentakel, die hinter dem Schädel und vor den schenkelbreiten Spalten der Kiemen aus der Seite herauswuchsen, streckten ihre Muskelbündel und zahnstarrenden Saugnäpfe nach der Beute aus, die den Impuls spürte und wie irrwitzig zu zittern und zu zappeln begann. Noch schien der Nurkhana unentschieden, ob er sich dem rechten oder linken Köder zuwenden sollte. »Ein kapitaler Brocken«, bemerkte Rintar. »Da wäre ein Transformgeschütz gerade richtig.« »Man sagt, es geht auch mit herkömmlichem Gerät«, rief Li und klinkte den Sicherungsgurt ihres Anzugs an einem Bordhaken ein. »Wenn der Nurkhana so schmeckt, wie er aussieht, vergiften wir mit ihm die halbe Insel!« »Hässliche Schale, wohlschmeckender Kern«, rief Rintar. Der spitzkegelige Schädel, den ein Maul von der Größe eines Gleitervorderteils spaltete, trug einen Kranz von etwa eineinhalb Dutzend Augen, von denen eines tückischer zwinkerte als sein Nachbar. Ein halbkreisförmiger Wall weißer Zähne schnappte, bisher vergebens, nach dem Köder. Der Geschmack des Fischöls, das nur noch in mikroskopisch feiner Verteilung unsere Spur markierte, schien den Riesen, der mit einer Walfluke, breiten Brustflossen, sichelförmigen Rückenflossen und einem Dutzend Pilotfischen am Bauch hinter unserer Yacht herjagte, rasend zu machen.
12 In dem Augenblick, in dem sich zufällig beide Köder einander bis auf einen Meter genähert hatten, peitschten alle Tentakel nach vorn, ergriffen die violetten Lachsklone, rissen sie ans Maul heran, dann klappte der Rachen in einem Wirbel winziger Blasen zu wie ein nasses Fallbeil; einmal und nach einer kurzen Wendung des Körpers zum zweiten Mal. »Wir haben ihn!«, brüllte Birrca. »Achtung! Gebt Leine! Sonst brechen die Ruten!« Rintar, Li und ich, jeweils mit zwei Tampen und schweren Karabinerhaken gesichert, befanden uns in den Hecks der Yacht. Li und ich schalteten augenblicklich die großen Trommeln, auf der 1500 Meter unzerreißbarer Monofiles aufgewickelt waren, auf Leerlauf. Sirrend drehten sich die Trommeln, und bei jeder Bewegung des Nurkhana, der seitwärts ausbrach und tauchte, bohrten sich die unterarmlangen Haken tiefer in seinen Kiefer. »Klack!«, murmelte Rintar. »Er sitzt fest am Haken.« Aytcarm drosselte die Geschwindigkeit der Yacht, als wir den kreisförmigen Kurs beendet hatten. Die CARRACON fuhr nun wieder auf die Position der Unterwasserstadt zu. Unsere Helfer hatten sich ebenfalls angeschnallt und beobachteten die Angelruten, die sich fast zum Halbkreis krümmten, während die Schnüre abliefen und fast senkrecht in der Tiefe verschwanden. Tejeda winkte zu mir herüber und rief durch den Maschinenlärm und das Rauschen und Klatschen der Wellen: »Der Große da unten ist nicht durch Stromschlag zu töten. Zuerst muss er auftauchen!« »Verstanden«, gab ich laut zurück. »Die Jagd beginnt.« Es fing der klassische Kampf des Fischers gegen die einzigartige Beute an. Der Nurkhana war ein würdiger Gegner: Mit den ungeheuren Muskeln unter der goldgesprenkelten Haut und den Tentakeln konnte er die Yacht zumindest ernsthaft beschädigen, und wenn einer von uns über Bord ging, war sein Schicksal besiegelt. Ich sah auf die Anzeige der Spulen: Gerade lief das letzte Viertel der 1500-Meter-Schnur von den Trommeln. »Bremsen, Li! Wir müssen die Beute einholen - Meter um Meter.« Zufällig blickte ich zu Altra Atlan hinüber. Er hob die Hand und machte mir Zeichen; schließlich deutete er in die Wolken. Der Extrasinn fasste zusammen: Er hat irgendwelche Sonden oder Flugkörper angemessen, von denen aus einige Yachten, unter anderem auch unser Schiff, intensiv beobachtet werden. Ich hatte schon beim Betreten des Bootes am Steg des Yachtclubs mit dieser Möglichkeit gerechnet. Bisher hatten wir uns »unauffällig« verhalten. In meine Überlegungen mischte sich das heulende Geräusch, mit dem die Bremsen der schweren Trommeln griffen. Rote Warnlichter blinkten, die Ruten bogen sich stärker durch. Die Yacht zog den goldenen Nurkhana, der in einer Tiefe von etwa fünfhundert Metern mit den Haken kämpfte und weit nach rechts und links schwamm, hinter sich her. Jemand hat gute - oder schlechte Gründe, dachte ich, uns zu beobachten. Wir nähern uns also definitiv einem wichtigen Punkt. Es muss uns gelingen, den Fischzug so dramatisch zu gestalten, dass es nicht auffällt, dass drei Mann in der Tiefe verschwinden. Die Doppelrumpfyacht gierte nach Steuerbord, und der Rudergänger korrigierte sofort den Kurs. Ich nickte Li zu und kuppelte das Getriebe ein. Langsam begannen sich die Trommeln zu drehen und spulten Handbreit um Handbreit des kaum sichtbaren Drahtes auf. Zwei Tonnen Fisch, Muskeln und Fleisch, stemmten sich gegen den Zug, rissen und rüttelten an den Haken. Ließ der Zug des Nurkhana nach, schnellten die Hecks in die Höhe und uns überschütteten wilde Wassergüsse. Die CARRACON-GISCHTWOGE, für wenige Atemzüge scheinbar ohne Last, setzte wieder schwer ein, und abermals verschwanden Decks und Aufbauten in gewaltigen Tropfenschauern. Bald waren wir abwechselnd triefend nass, oder wenn uns die Sonne trocknete, überzogen sich die dunklen Anzüge mit einer Schicht Salzkristallen. Unendlich langsam spulten die Trommeln die Schnüre auf; die Kraft des großen Fisches begann zu erlahmen. Die Abstände zwischen seinen Versuchen, uns zu entkommen und die Yacht in die Tiefe zu zerren, wurden größer. »Weiter auf die Strände zu, Aytcarm!«, schrie Bentayga und griff nach den Halterungen, in denen die Harpune befestigt war. Mit mächtigen doppelten Bugwellen fuhr die Yacht wieder auf Westkurs und näherte sich der Südspitze Valiruus. Wir bewegten uns jetzt mit der Richtung der Wellen, und die Fahrt wurde ruhiger. Ich beugte mich weit zu Rintar hinüber. »Halte dich bereit. Sobald die Beute halbwegs an Bord ist, tauchen wir zwischen den Rümpfen ab. Checke deine Instrumente mit Altra.« Er nickte langsam und beobachtete wie ich die gekrümmten Ruten und den Monodraht, der im Sonnenlicht aufblitzte. Die Vibrationen durch den Wellenschlag, die schwer arbeitenden Motoren und die Angelservos rüttelten am Schiffskörper und ließen unsere Zähne klappern. Dann schrie Li auf; ihr Arm schnellte hoch und deutete auf das Meer weit hinter unserem Doppelheck. »Da! Der Nurkhana springt!« Das riesige Tier schoss zweihundert Meter hinter uns senkrecht aus dem Wasser. Die Tentakelenden schienen vor dem weit geöffneten Maul zusammengekrampft, alle Flossen peitschten das Meer, als der Zug der Schnüre den Koloss zur Seite riss. Er machte einen dreißig Meter weiten Satz und schlug mit der ganzen Länge seines Körpers in die Wellen zurück. Die gischtende Wassersäule schien die einer Unterwasserexplosion zu sein und leuchtete in allen Regenbogenfarben. Das Geräusch des Einschlags übertönte mühelos allen anderen Lärm, auch das Aufheulen der Trommelservos. Der Zug war vorübergehend gering; die Spulen wickelten zwei Dutzend Meter auf und wurden angehalten, als das Tier abtauchte und sich wieder mit aller Kraft gegen die Angeln stemmte. Ich benutzte die kurze Unterbrechung und das Nachlassen des Lärms, um mit Zanargun und Hurakin in der ZOLTRALIA MYN zu sprechen; sie hielten sich bereit, um in einem Notfall schnell reagieren zu können - auf welche Weise, wussten wir selbst noch nicht. Ungefähr eineinhalb Tontas dauerte der Kampf des goldenen Nurkhana. Der Fisch schwamm mit äußerster Kraft hin und her, tauchte und durchbrach sechsmal die Oberfläche; seine Kräfte ließen nach, und wir zogen ihn näher und näher heran. »Nicht mehr lange«, klärte uns Birrca auf. »In zwei, drei Zenties ist er erschöpft.« Nach kurzer Beratung hatten wir uns schon im Hotel entschlossen, die unersetzbaren und viele der wichtigen Teile unserer eigenen Ausrüstung an Bord der Yacht bringen zu lassen. Die Taucherausstattung der »Kopfjäger« trugen wir ohnehin schon; es fiel mir leicht, eine bestimmte Menge Verlust in Kauf zu nehmen - es ging um mehr. Li, Rintar und ich begannen, aus Taschen und Segeltuchsäcken die Tauchgeräte auszupacken. Kurze Zeit später betrug der Abstand zwischen dem Fisch und den Heckspiegeln nur noch fünfzehn Meter. »Volle Kraft auf die Winschen!«, rief Bentayga. »Es ist gleich vorbei!« Wimmernd drehten sich die Trommeln und spulten den Monodraht auf. Kopf und Vorderteil des Nurkhana tauchten zwischen dem Schaum und den Wellenbergen auf. Birrca und Tejeda rissen die Harpunen aus den Halterungen und schalteten die Entladungsstärke auf Maximalwert. Das erschöpfte Riesentier verschwand für einen Augenblick in der Heckwelle, tauchte daraus hervor und wurde über die Heckplattform hochgezogen. Dienadelfeinen Spitzen der Harpunen stachen in den Körper des Nurkhana. Zwei gewaltige Stromstöße töteten das Tier binnen eines Millitonta-Bruchteils. Mit drei, vier Trommelumdrehungen zogen die Angelspulen den Fisch in die Plicht des Doppelhecks, die er mit der Hälfte seines Körpers ausfüllte. Während des Kampfes mit dem Goldenen hatten sich ein halbes Dutzend Sportboote genähert, deren Mannschaften uns beobachteten. Jetzt, als sie sahen, dass der Nurkhana leblos im Heck lag und es weit ins Wasser drückte, winkten die Urlauber; die Kapitäne oder Steuermänner betätigten wie wild die Hörner und andere Schallerzeuger. Wir winkten und gaben die Signale zurück. Während Tejeda seine ausgeschaltete Harpune wieder in die Halterung klemmte, wandte ich mich an Aytcarm und sagte: »Ihr müsst länger als zwei Tontas dazu brauchen, den Riesenfisch aufzubrechen und zu zerlegen. Veranstaltet bitte ein gehöriges Spektakel - wir tauchen in ein paar Augenblicken zum Tarvian.« Er hielt das Boot mit beiden Maschinen auf der Stelle. Eine schwache Strömung zog uns auf die Position der Unterwasserstadt zu. Die Tariks fingen an, den Fischkörper mit Tauen an Bord festzumachen. Die Leitern klappten zwischen den Rümpfen heraus, und Rintar versenkte die leinengesicherten Aquajets ins schäumende Wasser. »Schwimmt an die Stelle«, sagte der Steuermann, »an der Unterwasserstadt und Verbindungsgang auf einander stoßen. Dort werden euch unsere Schwimmer erwarten.« Altra Atlan testete die Sprechverbindung zwischen uns und dem Steuerstand, schaltete die Impulsgeber ein und deutete auf die blinkenden Ortungsechos im absoluten Zentrum des Bildschirms. »Ihr seht, wo wir uns befinden. Vielleicht müssen wir schnell flüchten dann müsst ihr dieses Paket bereithalten.« »Du hast es mir schon dreimal erklärt.« Aytcarm grinste. »Ich hab's schon beim zweiten Mal begriffen.« »Umso besser.« Li da Zoltral setzte sich und befestigte die Schwimmflossen. »Los! Kommt!«. Eine letzte Überprüfung. Nahezu alle Geräte waren doppelt vorhanden, in mehr als einem Dutzend Taschen und Schlaufen unserer Anzüge steckten technisches Mikrogerät, einige wasserdicht versiegelte Waffen und Energiezellen für die Handscheinwerfer. Rintar folgte Li über die breiten Leitersprossen in den dünnen Schaum auf den Wellen, aktivierte den Taucherhelm und packte die Griffe des Jets. »Bereit!«, hörte ich seine Stimme. Ich verständigte mich durch einen langen Blick mit Altra Atlan und kletterte in das dunkelblau leuchtende Wasser, dessen Temperatur ideal für einen längeren Tauchgang schien. »Wir bleiben nebeneinander, Freunde«, sagte ich leise und tastete nach den Griffen des Jets, »und lassen Uns in fünfzehn Metern Tiefe oder besser noch tiefer auf den Lichtschein der Stadt zuschleppen. Alles klar?« »Ich hoffe nur, dass uns die Zeit reicht«, antwortete Li und schaltete die Schraube ein. Langsam zog sie an mir vorbei. Aus den winzigen Lautsprechern über dem Anzugskragen hörten wir das Plätschern der Wellen und das tiefe Brummen der Yachtmaschinen. »Es sind beträchtliche Entfernungen.« »Aber wir sind geübte Eindringlinge und Überprüfer von Geheimnissen«, antwortete Rintar und überholte Li.
13 5. Der rätselhafte Zustand des Tarvian Die Jets besaßen den Vorteil einfachster Technik und großer Wirksamkeit: In einem Zylinder rotierte eine große Bootsschraube, angetrieben von einer Energiezelle und drehzahlgesteuert von einem Drehgriff. Zwei Druckschalter aktivierten stechend grelle Geradeaus-Scheinwerfer, ein Strömungsteiler lenkte das Wasser an unseren Schultern vorbei. Wir ließen uns schräg abwärts ziehen und regulierten die Mikrogravitatoren ein, die unseren Körpern genügend zusätzliches Gewicht verliehen. In der Zwielichtzone, über uns die Kringel des Sonnenlichts auf den Wellen, folgten wir den Anzeigen unserer Kompasse nach Westen; die Richtung bestimmten wir mit trägen Schlägen der Schwimmflossen, lautlos schwammen wir zwischen Schulen kleiner Fische auf die Küste und den zunehmenden Lichtschein der unterseeischen Stadt zu und zogen lange Wölkchen aufsteigender Luftblasen hinter uns her. »Wir kommen gut vorwärts«, bemerkte Li nach einer Weile. Ich blickte nach rechts und ließ einen Scheinwerfer aufblitzen. »Aber ich bezweifle, dass uns die Tariks helfen können.« Aus ihrer drängenden Stimme sprach die gleiche Anspannung, die Rintar und ich empfanden. Je mehr wir uns dem fraglichen Objekt näherten, desto deutlicher sahen wir einzelne Schwimmer vor der gewölbten Fassade, hinter deren riesigen Glasflächen in unterschiedlich starkem und verschiedenfarbigem Licht sich schwer identifizierbare Silhouetten bewegten. Unsere Atemzüge und die Ventilgeräusche füllten die glasklaren Kugelhelme aus. »Mehr nach links, dorthin, wo die drei Tariks warten.« Ich drehte den Zylinder des Jets auf das neue Ziel und streckte meinen Körper. Li und Rintar schlossen auf. Über Funk fragte Altra Atlan: »Alles in Ordnung, ihr dort unten? Ich habe euch auf dem Display - jetzt schwimmt ihr zum richtigen Punkt.« »In Ordnung, Rintar.« Auf mein Zeichen glitten wir abermals um etwa fünfzehn Meter tiefer und summten auf die dunkle Kluft zu, durch die sich jene Verbindungsröhre spannte. Das letzte Licht von der Oberfläche wich. War das Tarvian wirklich eine Lemurer-Hinterlassenschaft - was wir nicht bezweifelten -, erwarteten uns wertvolle Relikte der Lemurer- Vergangenheit: überragende Technik, faszinierende Anlagen, die noch immer arbeiteten, und viele Erkenntnisse aus der Zeit des Großen Tamaniums. Flüchtig dachte ich an die amphibischen Tariks, die an Bord der CARRACON den Riesenfisch zerlegten. Sollte ausgerechnet unsere Yacht beobachtet werden, konnte nur besondere Aufmerksamkeit Unterschiede zwischen dem »Kopfjägerteam« und den Tariks zeigen. »Wir sind im gesperrten Bereich.« Li da Zoltrals Stimme, leise aber voller Schärfe, wies uns auf das Risiko des Eindringens hin. »Da sind die Amphibier.« Sechs oder sieben Schwimmer lösten sich aus dem Hintergrund und kamen auf uns zu. Unsere Scheinwerfer blendeten auf. Wir erkannten in der quer liegenden Röhre einige massige Luken, Schleusen, kastenförmige Elemente und selbstleuchtende Folien, die verschiedene Umrisse deutlich machten. Über allem haftete eine dicke Schicht Algen, Muscheln und Meeresgewächse. Die Tariks winkten und gaben Taucherzeichen, wir erwiderten die Begrüßung. Je zwei Tariks ergriffen einen von uns an den Armen und ließen sich mitziehen, dirigierten uns aber scharf nach links, auf das Tarvian zu und aus dem hellen Bereich der Stadt hinaus. Wir lasen unsere Instrumente ab und tauchten aus vierzig Metern Tiefe auf. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich rechts, weit unter uns, ein lautloses Gewitter aus stechend gelben, eisblauen und auffallend roten Blitzen. Ich flüsterte: »Achtung! Rechts unten. Was ist das?« Gleichzeitig drehten die Tariks die Köpfe dorthin und begannen plötzlich schneller zu schwimmen. Wir setzten die Drehzahlen der Aquajets herauf und schwammen auf die Ausläufer von Unterwasserpflanzen zu, die zu einem mächtigen Baum zu gehören schienen. Kelp!, durchfuhr es mich. Tangblätter in der biologisch aktivsten Uferzone! Ich konzentrierte mich auf die Lichtblitze und erkannte schließlich ein Tauchboot, das vermutlich aus einem Hangar in der Basis der Stadt kam. Hinter großen, durchsichtigen Halbkuppeln, die wie riesige Insektenaugen wirkten, sah ich ungeschlachte große Körper in Regenbogen-Overalls und wusste einige Atemzüge später, dass es Naats waren. Die Tariks gaben uns aufgeregt Zeichen: Schneller! In den Wasserdschungel hinein! Die Bilder, die eine Sonde Altra Atlans aufnahm, wurden ins Innere meines Helms gespiegelt: Ich sah mehrere Unterwasserfahrzeuge, die Service- und Reparaturarbeiten dienten; sie waren mit verschiedenen Geräten an mehrgelenkigen Armen ausgestattet. Mächtige Scheinwerfer flammten auf und richteten sich auf das Bauwerk. Die Warnlampen zuckten und flackerten, als sich ein Tauchboot wie ein neugieriges Lebewesen aus geheimnisvoller Tiefe entlang der Rundung aus unserem Blickfeld entfernte und eine Menge großer Blasen ausstieß. »Sie kümmern sich nicht um euch«, meldete Altra Atlan. »Achtet aber auf dem Rückweg auf die Boote.« »Danke für den Rat«, murmelte Rintar. Hinter einem mächtigen Vorhang aus Tang, dessen lange Blätter sich in der Strömung wiegten, hielten wir vor einer kleinen, algenbedeckten Schleuse an. Rahmen, Torangeln und Handgriffe waren erst kürzlich freigelegt worden. Altra Atlan und Rintar verständigten sich abermals, während ich meinen Aquajet abschaltete, an einem der zahlreichen Handgriffe einklinkte und mich mit zwei Tariks in die Schleuse schob. Zusammen mit einem Schwall Wasser landeten wir auf einem Gitter in völliger Dunkelheit, und ich zog den Handscheinwerfer aus der Schlaufe. Eine Anzeige blinkte. Die Luft war feucht, kalt und atembar. Ich desaktivierte Helmanlage und Luftversorgung, dann sagte ich ins Summen des zugleitenden Innenschotts hinein: »Ich bin Travor. Dank dafür, dass ihr uns erwartet habt. Gibt es hier außer uns andere Tarvian-Besucher?« »Vielleicht in der Eingangshalle. So weit haben wir uns noch nicht hineingewagt. Ich heiße Tagoro, das dort ist Beranco.« »In welche Richtung?« Die Kiemenspalten der Amphibier öffneten und schlossen sich pulsierend. Ich suchte mit dem breit gefächerten Scheinwerferstrahl die Umgebung ab. Wir befanden uns in einem leeren Rohr großen Durchmessers aus Systembauteilen mit einem Boden aus schweren, begehbaren Rosten. Das Schleusen-Innenschott glitt nach oben und entließ schäumendes Wasser, Rintar und zwei Tariks. »Dorthin, zur Halle?« »Wir begleiten euch.« Wir entledigten uns der Schwimmflossen, warteten auf Li und ihre Begleiter und versteckten die Flossenpaare. Dann stießen wir im zuckenden Scheinwerferlicht weiter nach Süden vor, durch die Krümmungen des Verbindungsrohres. Es gab keine Spuren oder Hinweise darauf, dass der Tunnel häufig benutzt wurde. Eine Reihe des aktivierter, einfacher Beleuchtungskörper zog sich bis zu einem Gitter hin, das die Konstruktion versteifte. Nach fünfhundert Schritten, entlang mehrerer Kurven, erreichten wir das Ende des Verbindungsganges und standen vor einem uralten Portal, an dessen kantigem Rahmen das Verbindungsrohr mit dicken Schweißnähten und Metallankern befestigt war. »Dahinter sind Dunkelheit und Leere«, sagte Beranco bekümmert. »Wir wissen nur, dass das Tarvian sehr, sehr alt ist.« »Älter als alles, was wir kennen«, bekräftigte ich und grinste aufmunternd. »Sogar noch älter als ich.« Das! Schottportal war zweigeteilt, der rechte Flügel stand etwa eineinhalb Meter weit offen. Was unsere Sonden gezeigt hatten, ertasteten wir mit den Fingern: Die Außenfläche war körnig und unbearbeitet und zeigte sich im. Licht bronzefarben. Li leuchtete in den Spalt, blickte sich um und schlüpfte hindurch. Mein Logiksektor erklärte mit Bestimmtheit: Ihr befindet euch in einer lemurischen Station. Alle Zeichen beweisen es. Vermutlich werdet ihr keine wertvollen Entdeckungen machen können - zu viel Zeit ist vergangen. Ich folgte Li da Zoltral, hinter uns drängten sich die Tariks durch den Spalt. Drei schwere Handscheinwerfer beleuchteten die stumme, kalte Szenerie. Unter unseren Füßen erstreckte sich der geriffelte, dunkle Boden einer riesigen, annähernd würfelförmigen Halle, deren Seiten und Decke sich in der kaum aufgehellten Finsternis des Raumes verloren. Erst das Scheinwerferlicht zeigte Schleif - und Räderspuren in der blauen Masse, die aus Kunststoff zu sein schien und den Eindruck erweckte, unter unseren Schritten zu federn. Wir hinterließen eine breite, nasse Spur in einer Schicht aus getrocknetem Schlamm. Wir verteilten uns in dem Gebäude, das eine Eingangshalle zu sein schien, leuchteten die Wände und die Decke an, und jeder von uns entdeckte abgetrennte Aufhängungen, leere Träger, demontierte Zwischenwände, fehlende Deckenkonstruktionen und zerschnittene Energieleitungen und Rohre. »Das sind deutliche Beweise dafür, dass vor unbestimmter Zeit zumindest dieses Eingangsbauwerk ausgeschlachtet worden ist«, rief Li zu mir herüber. Es gab keinen Widerhall. Zwischen aufragenden Wänden, einer wabenartigen Konstruktion bis zur Decke, leeren Podesten und Sockeln führte eine Schneise geradeaus zu dem einzigen Tor oder zu einer Schleuse in der Rückwand, die ebensolche Spuren der Ausschlachtung zeigte. Das Portal war die einzige Verbindung zum Inneren des dreieckigen Bauwerks. »Ich erinnere mich an eine ehemalige Fluchtsiedlung der Lemurer«, sagte ich laut, als wir nebeneinander auf das Schott zugingen. Jemand war irgendwann vor uns da gewesen und hatte mit Pfeilen und Kreisen aus Sprühlack Markierungen angebracht. Als wir eine kulissenartige Wand passierten, traten wir in den Bereich einer gelblichen Helligkeit. Entweder war die Beleuchtung durch unser Erscheinen eingeschaltet worden, oder
14 die gewendelten Rampen, die Hallen und die Korridore waren seit Urzeiten beleuchtet. Also, sagte ich mir, arbeiteten irgendwo im Tarvian unermüdlich große Energiemeiler. Warum waren sie, als man das Tarvian ausplünderte, nicht abgeschaltet worden? Warum arbeitete keine Luftumwälzung, keine Heizung? Li bewegte einen mächtigen Schalter. Nichts änderte sich. Vor uns strahlten geräuschlos viele Leuchtkörper; Kugeln, Platten und flächenhafte Lichtkörper. Die Tariks blickten sich staunend um, von den riesenhaften Ausmaßen überwältigt. »Meine Gortavor-Jugendzeit. Da ist nichts anderes ... gewesen.« »Die Lemurer scheinen damals mitsamt ihrer Ausrüstung und aller Habe geflohen zu sein«, bemerkte Li. Wir hatten ein mehrstöckiges Bauwerk betreten und sahen im fahlen Licht und in geheimnisvollen Schatten und Halbschatten lange Rampen und Treppen und Liftröhren. Die Ausmaße des Tarvian waren uns bekannt. »Wir würden Jahre brauchen, um jeden Raum zu betreten.« Rintar, Li und ich hatten etwa zweihundert große Schritte zurückgelegt und standen in einem Teil der Anlage, der einst ein Verteiler gewesen war. Auch hier erkannten wir an allen senkrechten Flächen und auf vielen leeren Sockeln verschiedener Größe, dass die lemurische Station mit einigem Aufwand ausgeschlachtet worden war. Die Schrottstellen waren nicht scharf genug zu definieren wann man die Geräte ausgebaut und, den anderen Spuren nach zu urteilen, abtransportiert hatte, konnten wir nicht feststellen. Die wenigen Geräte, die sich noch hier befanden, schienen defekt zu sein. An einigen Wandflächen hatte man Reliefs zurückgelassen, die abstrakte Formen und unerklärbare Strukturen zeigten. »Wenn du dich schon erinnerst, Atlan, kannst du uns vielleicht einen Hinweis darauf geben, wo sich das Robotgehirn einer solchen Station befindet?« »Oder befunden hat«, präzisierte Rintar. »Genau im Mittelpunkt? Oder an einer zufällig geeigneten Stelle?« »Das Zentralgehirn ist wahrscheinlich ebenso abtransportiert worden«, antwortete ich. Wir begannen zu frösteln. Die Leere und die Stille, in der das einzige Geräusch das der Tropfen aus Kondenswasser war, zerrten an unseren Nerven. »Es kann praktisch an jeder Stelle dieser gigantischen Anlage eingebaut gewesen sein.« »Ein kleiner Trost«, sagte Li. »Wollen wir danach suchen? Müssen wir danach suchen?« »Nicht unbedingt.« Ich lauschte in die Stille hinein. Aus den Tieren der Anlage ertönte Lärm: Stimmengewirr, kreischende Maschinengeräusche, Hämmern und durchdringendes Zischen in verschiedenen Tonhöhen. Wir starrten einander irritiert an. Nach kurzer Zeit hörte das Lärmen auf, und ich sagte mir, dass es besser war, langsam den Rückweg anzutreten. Ich deutete in die Richtung des Ausgangs und winkte Li und Rintar. »Wir haben es vielleicht mit einer Demontage-Mannschaft zu tun«, flüsterte ich. »Wir haben keinen Lärm gemacht - sie wissen nichts von uns.« »Wir haben genug gesehen«, gab Li da Zoltral zurück und wischte sich Schlamm und Schweiß aus dem Gesicht. »Zurück zur Yacht.« Wir liefen eine Rampe aufwärts und sahen uralte Fresken, die dick von Staub bedeckt waren, ebenso wie die meisten Bodenflächen. Immer wieder schufen unsere Scheinwerfer in dämmerigen Bezirken zusätzliche Helligkeit. An den Stellen, an denen es heruntertropfte, war der uralte Staub zu Schlamm geworden, der zu stinken begann. Wir bewegten uns durch eine metallene Landschaft, die stellenweise in einer seltsamen Halbdämmerung lag, zum Teil durch mächtige Scheinwerfer grell ausgeleuchtet. Unsere Körper warfen gespenstisch lange und große Schatten. Bisweilen entdeckten wir auf unserer Wanderung ein uraltes Gerät, das die Spuren von Bränden und Explosionen trug und ebenso undeutbar war wie die Gemälde, Statuen und Mosaiken. Übergangslos, wie es schien, meldete sich Altra Atlan. Er schien besorgt zu sein. »Ihr seid jetzt fast zwei Tontas im Tarvian. Es wird Zeit, dass ihr zurückkommt. Ich sehe undeutliche Bewegungen in der Nähe des Verbindungsganges.« »Verstanden. Ist klar. Wir kommen«, antwortete Li. Ich hörte ihre Stimme in den Ohrlautsprechern, sah ihre Spuren, aber Rintar und sie untersuchten Räume, in die ich keinen Einblick hatte. »Wir machen uns auf den Rückweg.« »Noch sind wir mit dem Nurkhana beschäftigt ...«, schloss er. Es klang wie eine Warnung. Die vielen Sektoren, die tief unter den wenigen uns bekannten Ebenen lagen, konnten wir nicht einmal mehr flüchtig erforschen. Ich schwenkte meinen Scheinwerfer, betrachtete verständnislos eine wuchtige Statue, tastete mit dem Strahl nach den Tariks und rief: »Wir ziehen uns zurück. Jemand hat das Tarvian ausgeräumt - sogar das Robotgehirn hat man ausgebaut und entfernt.« Die Tariks versammelten sich und folgten mir; dank meines fotografischen Gedächtnisses bestand keine Gefahr, dass wir uns im Wirrwarr der bedeutungslos gewordenen Räume und Korridore verirrten. Als wir eine lange Rampe hinunterschritten, hörten wir wieder jene markerschütternden Geräusche. Sie kamen aus größerer Nähe. *Drei oder vier Dezitontas später schlüpfte ich als Erster durch den Spalt der Schleusenportale zurück in die Eingangshalle und wandte mich nach rechts. Beim Eindringen hatten wir die Halle auf der linken Hälfte durchquert; ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass wir aus Leichtsinn oder in der Eile etwas übersahen. Es konnte wichtig sein. Aber: Wahrscheinlich gab es nichts Wichtiges, was uns die unbekannten Plünderer übrig gelassen hatten. Der große Lichtkreis des Scheinwerfers glitt über Boden und Wände, und erwartungsgemäß fesselte nichts meine Blicke und mein Interesse. Als ich Lis und Rintars Scheinwerferstrahlen etwa fünfundsiebzig Meter hinter mir sah, blieb ich stehen und betrachtete, halb gelangweilt, eine farbige Struktur, die in Form eines breiten Streifens vom Boden über die gesamte Wand bis weit in die Decke hinein verlief und der leuchtenden Darstellung einer komplizierten Schaltung ähnelte. Der Aufschrei des Logiksektors traf mich wie ein elektrischer Schlag. Für den Bruchteil einer Millitonta zuckte ein mörderischer Schmerz durch meinen Schädel. Sieh genau hin, Arkonide! Dieses Wandgemälde enthält Strukturen, die dein Gedächtnis bereits kennt! Ich erstarrte, schüttelte mich und holte tief Luft. Vorsichtig bewegte ich den Scheinwerfer auf das Wandgemälde zu, das sich neben jener bandförmigen Darstellung in der Mitte einer sonst leeren Wandfläche ausbreitete. Als das Licht das Gemälde traf, strahlte und blitzte es in einem irrwitzigen Farbenspiel auf. Langsam traten Formen und Farbspiele aus dem zweidimensionalen Bereich hervor und bildeten stellenweise holografische Effekte. Ich betrachtete die unzähligen Punkte, Farbc1uster, Linien und Muster, und in winzigen gedanklichen Schritten begann ich zu verstehen, was ich sah. Es war, als sträube sich mein Verstand samt der Vorzüge der ARK SUMMIA, die Bedeutung des monströsen Gemäldes zu erkennen. Du kennst die wahre Bedeutung dieser Farbpunkte!, rief der Extrasinn. Ein Teil der funkelnden Punkte War erkennbar auf irgendeine Weise hervorgehoben. Noch bevor mein Gedächtnis die Darstellung identifizierte, wusste ich, dass etwa ein Zehntel aller Punkte eine zweidimensionale Sternkarte des Kugelsternhaufens Braangon-Omega Centauri darstellte. Es ergab sich für mich keine andere Deutung. Zuerst hatte ich die Dodekaeder-Konstellation der stellaren Leuchtfeuer erkannt. Richtig! Die mit größter Sicherheit ein lemurischer Sonnentransmitter ist!, behauptete mit kristallener Schärfe der Extrasinn. Ich strahlte das Gemälde an, schaltete die Kamera ein und filmte, was ich sah.. Inzwischen waren Li und Rintar näher gekommen, und die Tariks zwischen uns starrten das Bild an, ohne recht zu begreifen, was mich daran so faszinierte. Ich machte einige vorsichtige Schritte nach rechts, fühlte eine Stufe, benutzte sie und blieb zwei, drei Handbreit tiefer stehen. Auch die anderen Lichtpunkte, die aus meinem neuen Blickwinkel untrügliche Positionen in der Farb-Helligkeits-Strukturorgie eingenommen hatten, erschlossen mir nach und nach ihren Sinn. Du kennst die Namen der wichtigsten Planeten!, drängte der Extrasinn. Ich nickte schweigend und konzentrierte mich. In meinem Verstand bildete sich ein logisches System aus N amen und Positionen. Ich hörte mich sagen: »Acharr. Shahano. Othmura. Tarik. Baylamor. Theka. Und andere Welten.« Ich hatte in Gedanken versucht, die Planeten bestimmten Positionen zuzuordnen. Ich stolperte zum zweiten Mal, schwenkte den Scheinwerferkegel nach unten und sah, dass ich in einer knapp knietiefen Grube des Hallenbodens stand, ein Dutzend Meter von dem Omega-Centauri-Wandbild entfernt. Dieses Mal begriff ich augenblicklich: Hier war das Mosaik eingelassen gewesen, das ich im Hotelpark bewundert hatte. Abermals: kein Zweifel. Die Oberfläche der Grube, die etwa dreißig Meter Durchmesser hatte, zeigte deutliche Spuren der Bearbeitung. Man schien ziemlich roh mit dem Material umgegangen zu sein, als man es herausgerissen hatte. Das Mosaik-Ornament, als aufgeklapptes Dodekaeder, bestand aus der ineinander fließenden Projektion von sechs Fünfecken der oberen und ebenso vielen Fünfecken der unteren Hälfte des Körpers. In Gedanken legte ich die obere und untere Hälfte übereinander, verglich sie mit den Bildern meiner Erinnerung, klappte sie wieder auseinander und wiederholte das Ganze. In den zentralen Fünfecken zeichnete ich die Diagonalen hinzu und stellte mir weitere Diagonalen im entstandenen Pentagramm vor. Das farbige Gesamtergebnis sah ebenso aus wie das Mosaik-Ornament, dessen Holos ich lange genug studiert hatte. Rintar wollte mich ansprechen; ich hielt ihn mit einer Handbewegung auf und murmelte: »Ich muss nachdenken. Einen Augenblick!« Die Einzeichnungen im innersten Pentagramm ähnelten der klassischen Darstellung von fünfstrahligen Sternen. In der Überlagerung befanden sich im Park-Ornament eingezeichnete Sterne. Ich hatte vier fünfzackige und einen mit zehn Zacken jeweils mit zentralen Punkten in der Erinnerung und in den Holos gefunden. »Jetzt hab ich die Zuordnungen«, sagte ich und lachte kurz. Unser Vorstoß hatte sich schon jetzt gelohnt! Unsere Beute bestand aus Erkenntnissen, die ich für unwiderruflich hielt. Ich fragte mich nicht einmal, woher ich diese Sicherheit hatte. »Raus hier! Zurück zur Yacht!« Wir verließen schnell die Halle und bogen in die Verbindungsröhre ein. Ich hörte, dass sich Rintar mit Altra Atlan verständigte, und brachte meine Gedanken zu Ende. Crest-Tharos Arbeiter haben das Bodenmosaik aus dem Tarvian ausgebaut und im Park eingesetzt, sagte der Extrasinn, während
15 wir im Scheinwerferlicht zur Schleuse gingen. Nach fünfzig Schritten stieg die Temperatur. Ich vergegenwärtigte mir die dreidimensionale Anordnung der Sterne im Dodekaeder und sah ein, dass ich praktisch ein Hologramm vor dem inneren Auge hatte, eine stereoskopische Sternkarte mit Sonnen- und Planetenstandorten und einer Welt - durch den zehnzackigen Stern gekennzeichnet - als Punkt besonderer Bedeutung im geometrischen Zentrum eines Dodekaeder-Teils, im Mittelpunkt des »unteren« Fünfecks. »Wenn Crest-Tharo ein Stück der Einrichtung ausgebaut hat«, sagte ich und wusste, dass wir auf dieser Welt keine wichtigere Beobachtung hätten machen können, »hat er auch alles andere. Also verfügt er über zahlreiche Geräte und Maschinen aus dem Erbe der Lemurer.« Und ich glaubte fest zu wissen, dass die Hauptwelt der Lemurer im Kugelsternhaufen Omega Centauri zu suchen und zu finden war. Was der Punkt im exakten Mittelpunkt des Ornaments und gleichbedeutend mit dem geometrischen Zentrum bedeutete, wusste ich nicht. Ebenso rätselte ich darüber, ob die Eckpunkte, an denen die Fünfecke des Dodekaeders aufeinander trafen, irgendetwas mit Positionsangaben oder anderen Überraschungen in der Sonnenballung des Zentrums zu tun hatten. Die Lemurer, wusste ich, rechneten im Duodezimalsystem - dieser Umstand mochte zusätzliche Schwierigkeiten bergen. »Noch weiß ich längst nicht alles«, murmelte ich, als wir uns setzten und die Schwimmflossen überstreiften. »Aber sehr viel mehr werden wir wissen, sobald wir ins Zentrum des Kugelsternhaufens vorstoßen.« Wir testeten schnell unsere Geräte durch, die Syntrons projizierten Tauchermasken und Helme, und als wir den eigenen Luftvorrat atmeten, schlüpfte ich mit drei Tariks in die Schleuse. »Achtung«, warnte Altra Atlan. »Wenn ihr die Schleuse benutzt, kann es sein, dass ihr Schwierigkeiten bekommt. Ein größerer Impuls nähert sich.« »Danke für die Warnung«, antwortete ich sofort und überlegte kurz, dann zog ich aus der Oberschenkeltasche eine Blendgranate, die sowohl im normaloptischen als auch auf der gesamten Breite des Spektrums arbeitete. Ich wandte mich an die Amphibier und sagte drängend: »Wenn ich das Signal gebe«, ich hielt den dünnen Stab in die Höhe und stieß mit dem rechten Arm schräg links über meinen Kopf, »müsst ihr die Augen schließen und die Ellenbeuge vor die Augen pressen.« »Was hast du vor?« fragte Beranco ängstlich. »Unseren Gegner, wenn es sein muss, für fünf Dezitontas blenden. Allerdings wird der Lichtblitz andere Gegner herbeirufen und tausend Fische erschrecken.« »Fische erschrecken ...?« »Ja. Li, Rintar - ich steige aus und muss wahrscheinlich eine Blendgranate zünden. Ich warne euch mit dem Ruf >Zündung
16 Sorglosigkeit und sagte in aller Schärfe: »Rintar! Li! Verabschiedet euch von den Tariks. Steigt an die Oberfläche, schaltet die Jets auf Höchstleistung und schwimmt zur Yacht. Schnelligkeit ist unser einziger Vorteil. Noch haben wir genug Zeit.« »Verstanden.« Der Umstand, dass unsere Anzüge wie starre Umhüllungen wirkten und wir keine Pressluft atmeten, sondern Atemluft mit normalem Druck, wenn auch mit Sauerstoff angereichert, war günstig: Wir brauchten nicht wie klassische Taucher vor dem Aufstieg zu dekomprimieren. Ich schoss in einem einzigen langen Zug schräg zur Oberfläche hinauf und wartete ein, zwei Meter unter den Wellen. In der geringen Tiefe war die Sicht besser, und wir sahen nicht nur schärfer, sondern auch weiter. Drei Unterwasserboote waren mit aufgeblendeten Scheinwerfern, blinkenden Warnlampen in drei Farben und mit ausgefahrenen Werkzeugen hinter uns her. Die Yacht, vielleicht einen Kilometer entfernt, kam rasch näher. Die Entfernung zu den Serviceeinheiten betrug höchstens die Hälfte; ich und meine Gefährten würden sie noch nicht sehen können, wenn nicht Altras Unterwassersonde die Bilder ins Helminnere übertragen würde. Zwei blinkende Ortungsechos zeigten mir, dass Li und Rintar sich mit höchster Geschwindigkeit näherten, und ein Halbkreis anderer Pünktchen glitt auf die drei Serviceeinheiten zu. »Wahrscheinlich haben sie uns als Eindringlinge erkannt«, sagte ich und tauchte auf. »Bis sie unsere falschen Namen kennen, sind wir weg.« Die CARRACON-GISCHTWOGE kam mit hoch aufspritzenden Bugwellen heran. Das Boot wurde von einem Schwarm Theka-Möwen umschwirrt, ein zweiter Schwarm balgte sich zeternd zweihundert Meter achteraus in den Heckwellen um die blutigen Reste des Nurkhana. »Wir sind hundert Meter hinter dir«, rief Li. »Die Tariks schwimmen auf die Serviceboote zu. Warte nicht auf uns ...« Ich erkannte Altra Atlan und Aytcarm hinter der Frontscheibe des Steuerstandes, tauchte wieder ein und steuerte in einem flachen Bogen seitwärts auf die Yacht zu. Hin und wieder gelang es mir, einen Blick auf die eingespiegelten Bilder zu werfen, kurz aus dem Wasser zu tauchen und zu winken. »Ich sehe dich, Atlan.« Altras Stimme wirkte beruhigend. »Gleich bist du an Bord.« Zehn Tariks waren mit uns zusammen ins Tarvian eingedrungen und hatten uns eskortiert. Sie hatten sich zu einer Gruppe zusammengefunden, schwammen erstaunlich schnell auf die Unterwasserboote zu und griffen sie an. Ihre Versuche hatten etwas zeitlupenhaft Spielerisches; sie wichen den Bewegungen der Werkzeuge geschickt aus. Die Naats konnten die Schwimmer schlimmstenfalls als Störung empfinden, keineswegs als Bedrohung, und sie steuerten die Arbeitsarme, an die sich die Schwimmer klammerten, in wilden Rucken und Halbkreisen. Scheren, Zangen, Poliergeräte, Schneiden und Sprühdüsen öffneten und schlossen sich, rotierten, blitzten auf, erzeugten Blasen werfende Wirbel und Fontänen. Fünf Meter neben mir verringerte die Yacht die Fahrt und sank mit den Bugsteven in die ausrauschenden Wellen. Ich schwamm auf die Leiter zu; Birrca und Tejeda rissen mir den Aquajet aus den Händen und zogen mich in die Höhe. . »Schnell in den Transmitter!«, rief Altra Atlan. »An Bord der ZOLTRALIA MYN ist alles in Ordnung. Zanargun erwartet euch.« »Danke.« Überall standen halb gepackte Taschen. Die Tariks waren aufgeregt, nur Aytcarm drehte am Ruder und handhabte die Maschinenhebel wie ein Virtuose. Ich riss fluchend die glitschigen Schwimmflossen von den Füßen, öffnete den Taucherhelm und turnte, vorbei an Hautfetzen, Teilen von Fischrippen und goldschimmernden Schuppen, zum Aufenthaltsraum. Jeder Gischtschwall wusch Blutreste und Schuppen vom Holz der Plicht. In der Mitte des Mehrzweckraums stand der Transmitter, zusammengesteckt und angeschlossen. Zwei dicke Kabel schlängelten sich aus der Kontrollbox der Yacht. Ich legte Bentayga die Hand auf die Schulter und sagte: »Was wir zurücklassen, gehört euch. Der Transmitter hier - er zerstört sich selbst. Werft die Reste ins Meer.« »Danke. Wir kommen schon zurecht - ihr habt uns zu allem verführt und bestochen!« »Genauso war es«, bekräftigte ich grinsend. Altra Atlan hatte seine Ausrüstung wahllos in einige Taschen gepackt und schloss eine nach der anderen. Birrca und Maniarr halfen Li und Rintar an Bord. Als sie sicher standen, schob Aytcarm die Fahrthebel nach vorn, drehte die Yacht in einer engen Wendung und fuhr, von Atemzug zu Atemzug schneller, mit wild gischtenden Bugwellen, von Welle zu Welle springend, mit dem Krachen des einsetzenden Doppelrumpfs und mörderisch schnell rotierenden Schrauben nach Osten; fort von Valiruus Küste. Ich sah mich um und hoffte, dass ich nichts übersehen hatte. Die Schenkel des Transmitters glühten, aus dem Basisbalken des Geräts kam ein durchdringendes Summen. »Hurakin und Zanargun - verständigt?«, stieß ich hervor. Flüchtig dachte ich an die Anzugkamera und deren gespeicherte Bilder. »Schon längst. Sie öffnen gerade die Flaschen unserer Begrüßungsdrinks!« Altra Atlan schien unnatürlich ruhig. Ein hervorragendes Team, dachte ich zufrieden, aber das habe ich ja schon längst gewusst! Als die Yacht für einen kurzen Moment ruhig und waagrecht lag, bückte ich mich und passierte den Transmitter. Zanargun fing mich auf, als ich triefend und keuchend aus dem Gegengerät stolperte. Ich hielt mich an seinen Schultern fest; die Erleichterung, in der Messe der kleinen Yacht zu stehen, ließ mich einen Augenblick taumeln. »Wir sind im hohen Orbit und sicher«, sagte er. »Und auf Kurs zum Situationstransmitter.« Ich war mit wenigen Schritten bei einem Sessel, ließ mich hineinfallen und begann, meine Taucherkleidung Stück um Stück abzulegen. Als ich den Kopf hob, taumelte Li da Zoltral gebückt aus dem Transmitter. Eine Millitonta nach ihr kam Rintar mit schwerem Gepäck. Dann trat eine lange Pause ein; Unsicherheit marterte mich. Endlich erschien Altra Atlan, der die restliche Ausrüstung trug, im Rahmen des Transmitters. Ich atmete hörbar laut aus und ließ meine Schultern nach vorn sacken. »Das war's«, sagte Rintar. »Der nasse Urlaub ist zu Ende.« »Wir sind unverletzt und bedingt erfolgreich.« Ich stand auf und streifte das Oberteil des Tauchanzugs ab. »Unser nächstes Ziel ist definiert. Bevor wir das Sonnendodekaeder im Zentrum des Kugelsternhaufens ansteuern, sind noch einige Kleinigkeiten zu erledigen.« »Vor allem eine saftige Erholungspause. Ich bin hungrig«, sagte Li vorwurfsvoll und zerrte an ihrer Kleidung. »Und ich dürste, aber nicht nach Fruchtsaft oder Mineralwasser.« Die Anspannung löste sich in Gelächter. Zanargun schaltete den Transmitter ab und begann, die Verbindungen der Rahmenteile zu lösen. »Schon gut. Nach dem Duschen, in feierlichen Gewändern, beginnen wir mit einer Spontanorgie!«, antwortete ich. Ich nahm Li in die Arme und wandte mich an Altra Atlan. »Unsere Freunde und die Yacht ... was kannst du, der zuletzt Angekommene, uns darüber sagen?« Altra Atlan grinste, und während er ein großes Glas Fruchtsaft mit Eisstückchen und Alkohol in großen Schlucken hinunterstürzte, sagte er mit Pausen zwischen den Satzteilen: »Sie haben den Megafisch in handliche Stücke zersägt und zerschnitten und im kalten Laderaum verstaut. Seine Innereien haben gestunken. Die aufdringlichen Vögel hatten ein Fest, bis Aas fressende Fische oder andere Untiere auftauchten. Auf meinen Ortungsschirmen ging nie die Kontrolle über eure Bewegungen verloren bis auf die Tontas, die ihr im Tarvian verschwunden wart. Zuletzt war zu sehen, dass die Naats ihre Verfolgung abgebrochen haben; die tapferen Schwimmer scheinen ihre Werkzeuge verbogen zu haben.« »Und die GISCHTWOGE?«, wollte Li da Zoltral wissen. »War mit Höchstgeschwindigkeit zu unserem Yachthafen unterwegs. Aytcarm ist ein Steuermann der Sonderklasse. Das Boot war voll mit gutem Fisch. Die Tariks schienen nicht gerade glücklich, aber zufrieden zu sein.« Wieder begann er zu lachen. »Die richtige Kopfjägercrew wird es nicht leicht haben, auf unseren Spuren Urlaub zu machen.« »Und wir sind auf direktem Kurs zum Rand des Theka-Systems«, erklärte Hurakin aus der Pilotenkanzel über Interkom. »Dort erwartet uns die TOSOMA.« »Wie viel Zeit haben wir bis zum Treffen?« »Da wir es nicht eilig haben - zweieinhalb Tontas.«Wir benutzten die Einrichtungen der gekaperten Yacht, um uns zu erholen und gewohnte Bordkleidung anzuziehen. Der Einsatz hatte uns alle erschöpft; wir aßen, tranken, redeten wenig und dachten an unsere Erlebnisse und die Erkenntnisse, die wir gewonnen hatten. Ich erlaubte mir später, alle Besitztümer des Kopfjägerteams, die wir benutzt hatten, auszusortieren und in einer Kabine auf einem Haufen zurückzulassen. Drei Lichtstunden systemauswärts von der gelben G9V-Sonne Talzor entfernt, jenseits der Bahn des sechsten, äußersten Planeten, kam die TOSOMA in langsamer Fahrt auf Kollisionskurs mit einer geöffneten Hangarschleuse näher. Der Hasproner Agir-Ibeth NirAdar-Nalo Nilmalladah III. meldete .sich. Als sein fellbedeckter Schädel im Hologramm auftauchte, war es, als kämen wir nach langer Reise endlich in unsere ersehnte Heimat zurück. »Wir freuen uns, euch begrüßen und in kurzer Zeit einschleusen zu können«, sagte er und lachte meckernd. »Ein Laderaum ist geöffnet; ich weise den Glatzkopf ein. Alle an Bord sind neugierig, von euren Abenteuern zu erfahren.« »Brau mir einen starken Bordkaffee«, rief der Luccianer. »Schwarz wie die Tiefsee auf Theka. Dann erzähl ich euch auch von den Bars und Vergnügungsbetrieben am Raumhafen!« Der kleine Hasproner schob die Haarsträhnen vor seinen Augen zur Seite und krähte: »Das werden wohl die üblichen Lügenmärchen sein. Atlan wird uns die Wahrheit berichten übrigens: Dein Kaffee ist bereit.« Li da Zoltral packte meinen Unterarm und wollte mich zu unserer Kabinenflucht ziehen. »Auf unseren Bericht braucht die Crew nicht lange zu warten.« Ihre flatternden Nerven schienen sich beruhigt zu haben. »Wie haben unsere sechs Gäste ihren Aufenthalt verbracht?« »Wohl versorgt«, antwortete der Chef der Ortung. »Gegenwärtig fast ein wenig zu müde. Obwohl wir etwas gegen Arkoniden haben, die auf be-
17 zahlten Sklavenfang gehen beziehungsweise schwimmen, haben wir alles getan, dass sie sich ein paar Tage lang nicht allzu schlecht gefühlt haben.« Der Hasproner hob seine braune Dreifingerhand und schloss: »Sie werden nur erzählen können, dass sie in einem Raumschiff gefangen waren.« Das Licht der unzähligen Sterne spiegelte sich matt im Metall der Außenhülle, als sich die MYN und die TOSOMA einander näherten und Hurakin den Peilstrahl einfing. Er bugsierte die kleine Yacht mit gewohntem Können rückwärts in den provisorischen Hangar eines Laderaums. In der Lichtflut der Tiefstrahler und Scheinwerfer wirbelten Nebel, eiskalte Luft und Warmluft Dezitontas lang durcheinander. Nachdem der Luftausgleich stattgefunden hatte, erwartete uns Kommandant January Khemo-Massai in der inneren Hangarschleuse. Die glatte Haut seines schwarzen Gesichts schien das Licht aufzusaugen. Wir verließen nacheinander die Yacht und gingen auf ihn zu. Sein Händedruck war Knochen brechend. »Willkommen zurück«, sagte er knapp. »Wie lauten deine Anordnungen? Das heißt - einiges kann ich mir auch ohne Befehl vorstellen.« »Genau so ist es. Machen wir es . kurz«, sagte ich grinsend vor der offenen Schleuse. »Bringt die beiden Piloten und die vier Kopfjäger, ohne dass sie etwas vom Stil der Inneneinrichtung der TOSOMA sehen können, in die Yacht. Ersetzt die Vorräte, bitte. Gebt dem Boot dann einen kleinen Stoß. Irgendwie fühle ich mich schäbig - wir haben ihnen den wohlverdienten Urlaub verdorben.« »Zumindest sind sie ausgeschlafen. Die Geschichte, die sie erzählen können, honoriert ihnen sicher Crest-Tharo«, sagte der Kommandant mit kehligem Lachen. Seine Zähne strahlten in der Hangarbeleuchtung. Wir betraten die Schleuse und warteten. »Trotzdem. Habt ihr sie gut behandelt?«»Selbstverständlich! Aber sie dürften sicherlich erhebliche Langeweile verspürt haben.« Wir erfuhren, während wir in der vertrauten Umgebung der TOSOMA zu unseren Kabinen gingen, dass Travor Faruso und seine Partner vor kurzer Zeit mit einem harmlosen Narkosegas betäubt worden waren. Roboter trugen die sechs in die MYN und betteten sie behutsam auf Liegen und in Sessel. Ein Kommando füllte in Eile die Vorräte auf, die Zanargun und Hurakin verbraucht hatten, eine Ordonnanz breitete grinsend mit übertriebener Sorgfalt die gebrauchten Tickets und Zugangschips auf einem der Keyboards des Cockpits aus und legte ein Täschchen voller Chronner-Münzen dazu. »Hast du auf dem Planeten etwa schon unser neues Ziel erfahren?«, fragte Khemo-Massai, bevor er den Weg zur Zentrale einschlug. Ich nickte und hielt Li da Zoltrals Hand fest. »Es liegt im Zentrum von Omega Centauri«, antwortete ich ruhig. »Bereitet alles vor; wir haben auch einige Bilddokumente. In einer halben Tonta erfährt die gesamte Besatzung, was wir entdeckt haben.« Auf den Holomonitoren der Zentrale verfolgte ich ein wenig später, wie die Schleuse der ZOLTRALIA MYN geschlossen wurde. Der Hangar leerte sich, die Tore glitten auf und ein Traktorstrahl packte die Yacht und bugsierte sie behutsam aus dem Kreuzer. In einigem Abstand von der Außenhülle bewegte sich der scharfe Bug und deutete auf die ferne Sonne, dann schob ein Energiestoß das kleine Raumschiff an. Gleichzeitig nahm die TOSOMA Fahrt auf und beschleunigte. Eine Tonta später würde jeder Raumfahrer unsere Erkenntnisse und die Bilder kennen und wissen, warum wir uns in das Abenteuer der Navigation im Zentrum von Omega Centauri stürzten. ENDE Atlan und sein Team können ihre Masken wieder ablegen. Ihre Mission auf der . Urlaubswelt Theka war ein voller Erfolg. In einer ausgeräumten Station der Lemurer haben sie einen entscheidenden Hinweis auf die lemurische Hauptwelt in Omega Centauri gefunden. Ihr weiterer Weg führt sie ins Zentrum des Kugelsternhaufens… KAMPF UM KHARBA Unter diesem Titel schildert Achim Mehnert die weiteren Abenteuer des unsterblichen Arkoniden. In zwei Wochen überall im Zeitschriftenhandel.