Die Maske
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 115 von Jason Dark, erschienen am 09.10.1990, Titelbild: Sanjulian
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Die Maske
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 115 von Jason Dark, erschienen am 09.10.1990, Titelbild: Sanjulian
Er kam wie ein Gespenst. Bleich, blutig, und er war grausam. Begleitet von teuflischen Füchsen begann die Zeit des Terrors. Wo er auftauchte, hinterließ er Tote. Niemand wußte, wer dieser Killer war, denn sein wahres Gesicht verbarg er hinter einer scheußlichen Maske. Suko und ich wurden auf die Maske angesetzt. Die Spur führte ausgerechnet in ein Nonnenkloster. Zwischen alten Mauern, Kreuzgängen und einem unterirdischen Labyrinth aus Stollen und Tunnels jagten wir den unheimlichen Maskenkiller...
Nur das Keuchen war zu hören! Nicht das Rascheln der Blätter oder das Schleifen hastiger Schritte durch hohes Gras, dieses Keuchen durchdrang als einziges Geräusch die Stille der Nacht. Es drängte voran, es gab kein Hindernis, und es erreichte sehr schnell die unmittelbare Nähe des Ziels. Einen Opferplatz! Er lag mitten im Wald, wo das Gelände leicht abfiel und in muldenartige Vertiefungen mündete, die als Verstecke prima geeignet waren. Da hatte es vor Urzeiten ein Wunder gegeben, von dem nur wenige wußten. Keine Erscheinung einer Heiligen, nein, genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Der allmächtige Fürst der Finsternis und Herrscher der Dunkelheit war über dieses Land gefahren wie ein kräftiger Schatten und hatte eine bestimmte Stelle in seinen furchtbaren Besitz genommen. Noch heute waren Spuren vorhanden . . . Das Keuchen wehte über die sommerliche Vegetation hinweg. Es klang nun lauter, noch hektischer. Fast schien es, als wollten sich die Sommerblumen duk-ken, weil sie vor diesem schrecklichen Geräusch Furcht bekamen. Es hörte sich an, als wäre ein Mensch in höchster Not. Oder als wäre einer dabei, bis weit über seine Kräfte hinweg zu arbeiten und sich anzustrengen. Das alles kam zusammen. Aber wäre ein Zeuge in der Nähe gewesen, er wäre kaum auf den Gedanken gekommen, die Person zu suchen, die das Keuchen abgab. Dieses Geräusch weckte kein Mitleid. Es bereitete mehr Furcht, es war mit einer finsteren Botschaft zu vergleichen. Der Teufel holte scharf Luft und >spie< sie wieder aus. Sein Atem roch nach Pest, Schwefeldampfund Verbranntem. Noch war nichts zu sehen. Nur der dunkle Himmel über dem Land. Tiefblau, mit einem Stich ins Graue. Sterne funkelten um die Wette. Sie schienen in der Unendlichkeit versunken zu sein und hatten nur mehr winzige Löcher in den Himmel gerissen. Auch der Mond war zu sehen, wenn nicht gerade feine Wolkenschleier vor die Gondel trieben und sie verdeckten. Die kleine Lichtung strömte noch den Geruch des frühsommerlichen Tages aus. Eine Duftmischung aus Gräsern, Sommerblumen und jetzt — wie es kühler geworden war — würziger Luft. In sie hinein drang das Keuchen. Am nahen Waldrand verharrte es, hörte auf. Stille senkte sich über die Lichtung! Sekunden später war das Konzert der Grillen zu hören. Dieses Summen und Zirpen, ausgebreitet wie ein akustischer Teppich, der sich über das Areal gelegt hatte.
Dann änderte sich das Geräusch. Nicht mehr Keuchen oder heftiges Atmen, es war ein Knurren, das über die Lichtung wehte, und eine gefährliche Warnung zugleich. Da kam etwas . .. Die Halme bewegten sich, als sich das Etwas vorschob. Sie zitterten leicht, der Blütenduft nahm an Intensität zu. Er wehte wie ein starker Schleier. Auf einmal kam er! Eine Gestalt schob sich in die Höhe. Hochaufgerichtet schnellte sie auf die Lichtung zu. Ihre Sprünge wirkten grotesk, als wäre sie dabei, erst noch zu üben. Sie wischte durch das hohe Gras, trampelte Sommerblumen nieder, duckte sich noch tief, so daß kaum herauszufinden war, ob es sich bei ihr um einen Menschen oder um ein Tier handelte. Sie konnte beides sein ... Die langen Sprünge brachten sie bis auf die Mitte der Lichtung, wo ihr Ziel lag. Dort duckte sie sich, tauchte ein in das Gras und war erst einzige Zeit später wieder zu sehen, als sie sich hektisch bewegte und dumpfe Schläge ertönten. Erde flog in die Höhe, das Metallblatt eines kleinen Klappspatens blitzte auf. Große Erdbrocken, vermischt mit Gras, flogen zur Seite weg. Die Gestalt grub. Sie schuftete, sie arbeitete, denn vor dem Erreichen des Ziels hatten die Götter den Schweiß gesetzt, und das traf bei ihr wahrlich zu. Das Loch nahm an Größe und Tiefe zu. Dies innerhalb sehr kurzer Zeit, denn die Gestalt arbeitete mit einer kaum zu überbietenden Hektik und Kraft. Kein Profi hätte es schneller geschafft, innerhalb einer so kurzen Zeit ein derart tiefes und breites Loch in den Erdboden zu graben. Wer so hektisch arbeitete, der wußte von einem bestimmten Ziel, das versteckt im Boden lag. Es dauerte eine knappe Viertelstunde, da hatte er es geschafft. Das Spatenblatt stieß auf einen weichen Widerstand, der zusammenzuckte, als er berührt wurde. Lebte der Widerstand, den die starke Erde bedeckt hatte, möglicherweise? Davon ging auch die einsame Gestalt aus, obwohl diese Vorstellung schrecklich sein mußte. Das Spatenblatt wurde jetzt vorsichtiger geführt. Es stach nicht mehr so direkt in den Boden. Der angesetzte Winkel war flacher, die Lehmklumpen schabten über die glatte Fläche, viel weniger Erde türmte sich zu beiden Seiten der Mulde auf. Schließlich legte die Gestillt den Spaten zur Seite und tauchte selbst in die Grube. Ihre Hände wühlten weiter, sie räumten die Hindernisse zur Seite, die den vergrabenen Gegenstand jetzt noch einsperrten. Wenig später lag er frei.
Diesmal keuchte die Gestalt nicht, sie atmete tief und fest ein. In ihre Augen trat ein ungewöhnlicher Glanz, als würde sich darin das Licht des Mondes widerspiegeln. Noch tiefer drückte sie den Oberkörper in die Grube. Mit den gespreizten Händen griff sie zu. Zunächst fuhren sie über das feuchte glatte Fell des vergrabenen Gegenstandes, danach glitten sie an den Körperseiten herab und schoben sich unter den Bauch, und zwar so weit, daß dieses Tier auf den Unterarmen liegen konnte. Aus dem Mund der Gestalt drang ein Keuchen. Es floß in das Loch hinein, als wollte es dem dort Vergrabenen den nötigen Odem einhauchen. Ein Ruck lief durch den Körper. Die Gestalt hob den Gegenstand aus der Mulde hervor. Ein tiefes Seufzen durchwehte die Stille. Es klang so befriedigend, es war eine Belohnung, denn nach einer langen Jagd hatte es der Unbekannte endlich geschafft. Sehr vorsichtig, als könnte der Gegenstand zerbrechen, wurde er aus dem Loch gehoben und rechts zur Seite gelegt, neben dem kleinen Erdhügel. Die Gestalt drehte sich noch in der Hocke, schaute für einen kurzen Moment ihre Beute an und nickte. Sie hatte die richtige Stelle gefunden, und es war kein Traum mehr. Vor ihr lag der Fuchs! Ein relativ schmaler Körper, langgestreckt, versehen mit einem buschigen Schwanz. Der Fuchs lag auf der rechten Seite, die Pfoten von sich gestreckt. Er sah aus wie tot, aber das war er nicht. Die Gestalt nickte zugleich, während sie auch den Kopf schüttelte. Nein, nicht tot. .. Mit beiden Handflächen strich sie über das Fell. Sie reinigte es von den letzten Erdkrumen und Lehmbröseln, bevor sie den Fuchs herumdrehte und auf der anderen Seite das gleiche tat. Erst jetzt war sie zufrieden. Dann hob sie den Kopf des Tieres an. Die Schnauze war leicht geöffnet, zwischen den beiden Hälften schimmerten die Zähne perlmuttartig. Er hockte jetzt vor dem Tier und schaute gegen seine Augen. Waren sie tot? Lebten sie? Jedenfalls sahen sie dunkel aus wie zwei Tümpel und besaßen einen schwachen Glanz, ganz so, als wäre der Fuchs noch am Leben, obwohl er tief begraben worden war. Die Gestalt merkte genau, daß es kein normales Tier war, auf das ihr Blick fiel. Es besaß eine gewisse Kraft, trotz seiner Starre. Diese Kraft steckte tief in ihm, und sie war auch nicht von dieser Welt. Das stimmte.
Der rechte Arm bewegte sich, eine Hand verschwand unter der Kleidung. Sehr schnell wurde sie wieder hervorgezogen, und dann umklammerten die Finger ein Messer. Es war eine Klinge, wie es sie nicht oft gab. Jäger oder Wildhüter wurden mit ihr ausgerüstet, aber auch Fallschirmjäger, denn dieses Messer besaß zwei Schneiden, sah etwas plump aus, war nicht so elegant wie ein Stilett, aber für die Aufgabe genau das richtige Werkzeug. Dann setzte die Gestalt die Klinge an. Sie begann mit ihrer Arbeit in Höhe des Halses und fing an, die Gestalt des Fuchses zu häuten. Sehr schnell und zielsicher setzte sie die Klinge an, der das Fell kaum Widerstand entgegensetzte. j Die Gestalt arbeitete geschickt, als hätte sie nie etwas anderes getan als zu häuten. Eigentlich hätte der Boden mit dem Blut des Fuchses getränkt werden müssen, das wiederum geschah kaum. Zwar rannen hier und da Tropfen in das Gras, mehr geschah nicht. Der Fuchs sah so aus, als wäre er innerlich ausgeblutet, vielleicht sogar verbrannt, durch Kräfte, die anderen Angst einjagten. Die Gestalt ließ sich nicht beirren. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie das Fell vom Körper des Fuchses abgezogen, so daß vor ihr das rohe Fleisch lag. Doch auch nicht so, wie es hätte sein müssen. Kein dampfendes Blut, kein Geruch, abgesehen von einem leichten Gestank nach Schwefelgasen, was wiederum auf etwas anderes hindeutete. Nur der Kopf war nicht enthäutet worden. Dort spannten sich Haut und Fell noch über Schnauze und Knochen, und das beließ der Unbekannte auch so. Er kümmerte sich um den Rest des Fells. Mit der Außenseite nach unten lag das Fell im Gras. Mit dem Messer maß der Mann die bestimmten Stellen ab. Er markierte sie, maß noch einmal nach, nickte und lächelte ein böses, kaltes Lächeln. Die Größe stimmte. Dann setzte er das Messer an. Obwohl er seine Finger sehr hart um den Griff geschlossen hatte, sah es beinahe spielerisch leicht aus, wie er die Spitze durch das Fell zog und einen bestimmten Ausschnitt herausschnitt. Es war ein Rechteck, breiter als lang, und es war für ihn wie geschaffen. Aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren. Es hörte sich befriedigend an. Lange hatte er gekämpft und gesucht, endlich hatte er es gefunden. Seine weitere Existenz würde durch diesen Fuchs bestimmt werden. Einem Tier, das nur äußerlich so normal aussah, in seinem Inneren jedoch etwas besaß, das mit dem Begriff Seele nicht umschrieben werden konnte, sondern mit dem Begriff Teufelsatem.
Er legte das Messer zur Seite und hob das ausgeschnittene Stück Fell vorsichtig an. Er ließ es auf seinen ausgestreckten Unterarmen liegen, beugte sich vor und drückte seine Arme gleichzeitig in die Höhe, damit er das Fell sehr dicht an sein Gesicht bringen konnte, weil er dort die genaue Faßform suchte. Mit einem Ruck überwand er das letzte Hindernis und preßte das Fell vor sein Gesicht. Er hatte dabei die Augen geschlossen, wollte sich einzig und allein auf das Fell konzentrieren und spürte auch etwas von der Strömung, die es ausatmete. Es war eine ganz besondere Art. Nur sehr schwer in Worte zu fassen. Ein Duft von Tod und Grauen, der Atem einer fremden, sehr grausamen und bösen Welt. Ein Hauch von Hölle .. . Da waren Gerüche und auch Gedanken innerhalb des Fells vereint, die ihm bisher fremd gewesen waren. Er hatte von ihnen gehört, er hatte über sie gelesen, sich bisher aber nicht vorstellen können, daß dies alles einmal zur Wahrheit werden würde. Es stimmte, er hatte es hinter sich, er hatte es geschafft. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Kniend, den Oberkörper zurückgedrückt, so preßte er das Fell gegen sein Gesicht. Dann rutschten seine Hände daran entlang und drückten es im Nacken zusammen. So etwas Ähnliches wie eine Maske entstand . .. Die MASKE! Er hätte jubeln können, aber er beherrschte sich und konzentrierte sich auf die völlig neuen Kraftströme, die durch seinen Körper tosten, das Blut in Wallung brachten und dafür sorgten, daß er sich immens stark und kräftig fühlte. Das war noch nicht das Ende. Er stand erst am Beginn, denn es mußte noch viel getan werden. Nicht nur die andere Seite brachte etwas ein, er mußte ihr ebenfalls einiges von sich geben, und er wußte auch schon, was er der anderen Seite schuldig war. Das Fell ließ er wieder fallen. Noch war es zu frisch. Man mußte es behandeln, durch gewisse Lösungen ziehen, es mußte gegerbt werden, damit es eine bestimmte Geschmeidigkeit bekam. Das alles kam ihm in den Sinn, und er würde diese Arbeit auch nicht scheuen, weil sie einfach dazugehörten und seine weitere Zukunft stark beeinflussen würde. Dicht vor seinen Knien strich er das Fuchsfell wieder so glatt wie möglich. Dann griff er noch einmal zum Messer. Er tat es mit einer sehr verhaltenen Bewegung, als müßte er erst noch darüber nachdenken, ob es auch richtig war, was er machte.
Ja, es war richtig. Es gab keinen anderen Weg als diesen. Was hatte er schon zu verlieren? Nichts — er konnte nur gewinnen, wenn er sich auf die Seite des Schwarzen stellte. Der Mann beugte sich vor. Gleichzeitig hob er das Messer an, damit sich die Klinge seinem Gesicht nähern konnte. Er legte sie mit der Breitseite gegen die rechte Wange, dann gegen die linke, als wollte er die Kühle des Metalls spüren. Alles stimmte . . . Plötzlich drehte er die Klinge herum. Nicht mehr die breite, jetzt berührte die schmale, scharfe Seite des Messers seine Wangenhaut und bekam den nötigen Druck. Eine Wunde entstand. Wunden hinterlassen Blut. Da war auch bei dem Einsamen in dieser menschenleeren Gegend nicht anders. Der Mann sah, wie sein Blut aus den tiefen Schnittwunden tropfte und auf das Fell fiel, wo die einzelnen Tropfen sich ausbreiten konnten und zu blutigen Flecken wurden, die er mit seinen Fingerkuppen verrieb, damit eine möglichst große Fläche des Fells von seinem Lebenssaft getränkt wurde. Sein Blut und die unheimliche, uralte Kraft des Fuchses, da kamen die bestimmten Dinge zusammen, die einfach zusammenkommen mußten, um das Ziel zu erreichen. Es war für ihn wunderbar. Er lächelte, obwohl sein Gesicht brannte, als würden Flammen über die Haut streichen! Er hatte sich mehr als eine Wunde zugefügt. Das Blut konnte überall ins Freie quellen. Auf den Wangen, an der Stirn, am Kinn, nur die Lippen hatte er verschont beim Aufschneiden seines Gesicht. Es war der fast letzte Schritt gewesen, bis zu seiner Verwandlung. Wenn er das Fell behandelte und daran dachte, daß es mit seinem Blut getränkt war, gab es so gut wie keine Distanz mehr, um das zu werden, was er immer sein wollte. Die MASKE! *** Gibt es Engel? Oder anders gefragt: Engel — gibt es die tatsächlich? Natürlich gab es eine Definition des Begriffs, denn er stammte aus dem Griechischen von angelos — Bote. Im christlichen Glauben sind die Engel Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch. Als Boten Gottes werden sie zu den Menschen geschickt, um entweder etwas anzukündigen oder sie zu warnen. Es gibt unter den Engeln regelrechte Hierarchien, und die Frage, die ich mir stellte, war für mich relativ leicht zu beantworten, denn ich wußte, daß es Engel gab.
Schließlich waren an den Rändern meines Kreuzes die Anfangsbuchstaben der vier Erzengel eingraviert, und diese Wesen waren auch mir schon mehr als einmal zu Hilfe gekommen. Ich bin nicht der einzige, der sich die anfangs erwähnte Frage gestellt hat. Ein jeder von Ihnen wird sich mit diesem Problem schon einmal beschäftigt haben, und ein jeder mag wohl seine eigene Definition für den Begriff Engel gefunden haben. Feinstofflich, nicht körperlich, wundersame und wunderbare Wesen, Mittler zwischen Himmel und Erde. So ähnlich sah ich es auch, nur mußte ich mich jetzt selbst korrigieren, denn ich hatte einen nicht feinstofflichen Engel gefunden. Es war kein typischer >Hollywood-Engel<, er war auch nicht langbeinig, blond, schwarz- oder rothaarig, nein, dieser Engel, von dem ich sprach, der lebte auf dieser Welt, und zwar an einem ganz bestimmten Ort. In einem Kloster! Dieser Engel war eine Nonne, die auf den Namen Innocencia hörte und die aus dem Halbdämmer des langen Ganges außerhalb der Mauern erschien wie ein Geist. Ich stand da, ohne mich zu rühren. Aus dem Klostergarten wehte mir der Geruch von Kräutern und Blumen entgegen. Irgendwo plätscherte das Wasser eines kleinen Brunnens. Andere Nonnen durchschritten den Garten über schmale Wege, ohne daß ich etwas davon mitbekam, denn sie gingen lautlos. Wie die Nonne, die mich herbestellt und um ein Gespräch gebeten hatte. Die weiße Haube und die etwas dunklere Kleidung ließ sie sehr streng erscheinen, was sich allerdings nicht auf das Gesicht übertrug, das mir so engelhaft rein erschien. So fein geschnitten, beinahe schon fragil aussehend, bei einem Mann Beschützerinstinkte weckend, wobei ich keine Ausnahme machte und sie am liebsten umarmt hätte, um die Widrigkeiten dieser Welt von ihr fernzuhalten. Wie kleine, klare Seen lagen die Augen in ihrem Gesicht. Darüber besaßen die Brauen einen schon fast kühnen Schwung. Sie waren nicht durch irgendwelche Stifte nachgezeichnet worden, ebensowenig wie die Lippen mit ihrem natürlichen Rot. Diese junge Nonne strahlte eine derartige Ruhe und innere Heiterkeit aus, daß ich sie nur bewundern konnte. Die nahm das Leben bestimmt nicht so schwer wie ich, und ich vergaß auch alle Geschichten von erdrückenden Klostermauern, unter denen die Nonnen, hauptsächlich die jüngeren, zu leiden hatten. Ich brauchte diese junge Frau nur anzusehen, um alles andere Lügen zu strafen. Innocencia blieb vor mir stehen und lächelte. Vielleicht auch spöttisch, wer konnte das sagen? Möglicherweise hatte sie mein zu langes Starren bemerkt, das ich schon als ungehörig einstufen konnte, aber ich hatte halt nicht anders gekonnt.
»Mr. Sinclair?« Ich räusperte mich, schluckte, nickte und brachte endlich ein »Ja, das bin ich« hervor. »Ich freue mich.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Sehr feinglied-rig. Ich kam ihr mit meiner entgegen und umfaßte sie vorsichtig. Im nächsten Augenblick wunderte ich mich über den festen Druck dieser Hand, die einen derartigen Eindruck nicht auf mich gemacht hatte. Ich gab den Druck leichter zurück, zuckte mit den Mundwinkeln und mußte noch immer dämlich aus der Wäsche geschaut haben, denn Innocencia schüttelte den Kopf. »Was haben Sie denn, Mr. Sinclair?« »Das ist schwer zu sagen.« Sie löste ihre Hand aus der meinen. »Ich glaube, daß es an mir liegt, nicht wahr?« Es war leicht, mich in diesem Moment zu durchschauen. Ich versuchte auch keine Lüge und nickte. »Ja, es liegt an Ihnen. Es ist tatsächlich so gewesen.« Die Nonne schüttelte leicht den Kopf. »Aber warum?« fragte sie. »Habe ich etwas an mir?« »Nein«, antwortete ich spontan, »das auf keinen Fall. Ich denke da eher an das Gegenteil.« Jetzt lachte sie. »Ja, ich kenne das. Sie werden sich nun fragen, was eine junge Person wie ich hinter den mächtigen Klostermauern zu suchen hat. Nicht wahr?« »Ja, so ist es.« »Wissen Sie, Mr. Sinclair. Jeder Mensch verspürt in seinem Leben eine gewisse Berufung. Ihre Arbeit ist es, das Böse auszuschalten. Ich beschäftige mich beinahe mit den gleichen Problemen, wenn ich es auch etwas anders sehe. Ich bete, daß das Böse nicht überhand nimmt, und handle auch manchmal entsprechend. So wie bei Ihnen, Mr. Sinclair.« »Ach ja?« »Sicher, Mr. Sinclair. Oder hätte ich mich sotist mit Ihnen in Verbindung gesetzt?« »Das stimmt.« »Sehen Sie.« »Sie haben mich also zu Ihnen bestellt, weil es um das Böse geht. Liege ich da richtig?« »Ja.« »Und worum geht es genau?« Die Nonne drehte sich zur Seite und schaute in den blühenden und gepflegten Garten, in dem auch einige Bänke ihren Platz gefunden hatten, wo man wunderbar sitzen, reden oder sich ausruhen konnte. »Lassen Sie uns in den Garten gehen, bitte.« »Gern.« »Wissen Sie, ich habe eine Lieblingsbank. Die möchte ich Ihnen zeigen.« »Dort sind wir ungestört?« »Selbstverständlich.«
Es war ein wunderschöner Abend, und besonders hier auf dem Lande, denn das Kloster lag abseits von der Hektik der großen Städte. Ich war mit einer gewissen Skepsis im Herzen hergefahren, die allerdings war nun gewichen. Es mochte zum Großteil auch an der Person der jungen Nonne liegen, die ich vom Alter her auf ungefähr fünfundzwanzig Jahre schätzte und die in ihrer hellen Kleidung mich tatsächlich an einen Engel mit wallendem Gewand erinnerte. Wir gingen sehr langsam nebeneinander her. Innocencia erklärte mir den Garten. Sie kannte jede Blume mit Namen, sie wußte ebenso über die Kräuter Bescheid, und sie erzählte mir, daß zum Kloster noch ein Nutzgarten gehörte, wo Kartoffeln und Gemüse angebaut wurden, auf rein biologischer Basis, denn man ernährte sich hier autark. »Unsere Obstbäume sind übrigens eine wahre Pracht«, erklärte sie mir. »So etwas von Kirschen werden Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen haben.« »Das glaube ich Ihnen. Aber freuen sich über diese Beute nicht auch die Vögel?« »Leider.« »Was machen Sie dagegen?« Die Nonne lachte hell auf und legte mir eine Hand auf den Unterarm. »Nicht das, was Sie denken, Mr. Sinclair. Hier wird kein Tier getötet. Alle sind Geschöpfe Gottes.« »Wie sieht es denn mit Stechmücken aus?« fragte ich ein wenig hinterlistig. »Auch bei uns gibt es Ausnahmen, Mr. Sinclair.« Na, dachte ich. Da sind die frommen Frauen wohl doch nicht so vom Weltlichen ab. Über die sehr gepflegten, mit kleinen Kiesstücken bedeckten Wege schritten wir tiefer in den Garten hinein. Im Schutz einer dunkelgrünen Hecke schimmerte der weiße Umriß einer Bank, die zwei Personen Platz bot. Die Nonne steuerte auf diese Sitzgelegenheit zu und ließ sich als erste nieder. »Bitte, Mr. Sinclair.« Ich setzte mich neben sie, streckte meine Beine aus und schaute in den Garten hinein. Dabei sah ich auch die wuchtigen Mauern des Klosters und den nach vier Seiten hin offenen Glockenturm der kleinen Kapelle, die alle Gebäude überragten. Schwester Innocenica hatte die Hände übereinander-gelegt. Als Stütze dienten die Oberschenkel. »Es ist wunderschön hier, nicht wahr?« Das war schon mehr eine Feststellung, der ich nur zustimmen konnte. »Aber kein Licht ohne Schatten, kein Tag ohne Nacht, kein Sommer ohne Winter . . .« »Keine Freude ohne Trauer, nichts Gutes ohne das Böse«, ergänzte ich und sah ihr Nicken.
»Ja, Sie haben recht.« »Geht es um das Böse?« fragte ich. Ihre Augenbrauen bewegten sich nach oben, sie schaute dabei einem Käfer zu, der über den Weg kroch. Seine Schuppenhaut glänzte wie poliertes Metall. »Kennen Sie Father Ignatius?« Mit dieser Frage hatte sie mich überrascht. »Natürlich kenne ich ihn. Er gehört zu meinen treuesten Freunden, auch wenn er im Kloster St. Patrick, hoch oben in Schottland, lebt.« »Das ist gut«, erwiderte sie. »Was hat Father Ignatius mit uns zu tun?« Sie räusperte sich. »Das will ich Ihnen sagen. Er hat uns auf Sie aufmerksam gemacht, Mr. Sinclair. Er hat uns Sie gewissermaßen empfohlen.« »Dann haben Sie Kontakt mit ihm?« Die Nonne lachte über mein Erstaunen. »Natürlich, Mr. Sinclair. Glauben Sie mir, so weltfremd wie die meisten Menschen meinen, leben wir nicht. Wir wissen schon sehr genau, was außerhalb unserer Klostermauern vorgeht, nur halten wir uns mit begleitenden Kommentaren zurück, denn das ist nicht unsere Aufgabe. Aber informiert sind wir. Wenn Sie wollen, können wir über die aktuellen TV-Programme reden und . . .« »Nein, das glaube ich Ihnen.« »Es ist auch nicht das Thema, Mr. Sinclair. Ich möchte noch einmal auf Father Ignatius zurückkommen. Er hat uns Sie empfohlen, als wir uns an ihn wandten. Die Klöster liegen zwar abseits, aber wir Nonnen stehen mit anderen, auch mit den Padres in Kontakt, so daß wir gegenseitig Informationen austauschen können. Deshalb bin ich auch einigermaßen über Ihren Beruf informiert. Kann man sagen, daß Sie, Mr. Sinclair, Geister oder Gespenster jagen?« Ich runzelte die Stirn. »Nein, so einfach ist es wohl nicht. Ich habe zwar den Spitznamen Geisterjäger bekommen, aber zwischen den beiden Begriffen Gespenster und Geister existieren doch noch andere Dinge, die wesentlich tiefer gehen und an den Grundfesten der Gesellschaft rütteln oder an sie heranreichen.« »Der Teufel?« »Auch.« Schwester Innocencia nickte. »Wenn Sie meine Frage derart bestätigt haben, sind Sie für uns genau der richtige Mann. Dann hat sich Father Ignatius nicht geirrt.« »Was sagte er Ihnen denn?« »Daß Sie ein Todfeind der Hölle sind.« »Stimmt.« »Daß Asmodis oder wie immer er sich nennt, es nicht geschafft hat, Sie zu besiegen.« »Da haben Sie auch recht.«
»Daß Sie das Böse bekämpfen. Egal, in welcher Art und in welcher Form es Ihnen entgegentritt.« »Ja.« Die Nonne nickte. »Dann möchte ich Sie bitten, uns, den Menschen, zu helfen.« »Um was geht es?« Sie strich ihren langen Rock mit den Handflächen glatt. »Das ist nicht so einfach zu erklären, Mr. Sinclair. Wären Sie bereit, mir einen großen Gefallen zu tun?« »Jederzeit.« »Dann bringen Sie mich mit Ihrem Wagen zu einer bestimmten Stelle, die nicht allzu weit von diesem Kloster entfernt liegt, verborgen in der Einsamkeit der Landschaft.« »Das mache ich gerne. Darf ich neugierig sein?« »Bitte.« »Was würde uns dort erwarten?« Vor ihrer Antwort räusperte sie sich. »Ich weiß es nicht genau. Rechnen Sie jedoch damit, daß es ein Ort des Übels, des Bösen, ist.« Ich nickte. »So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht.« Dann lächelte ich. »Können Sie mir denn sagen, ob es etwas mit dem Teufel zu tun hat? Direkt, meine ich?« »Ja, Mr. Sinclair, denn er hat dort seine Spuren hinterlassen, und es gibt Menschen, die leider auf ihn hereingefallen sind. Damit sage ich Ihnen nichts Neues. Sie werden laufend mit Menschen zu tun haben, die sich an den Teufel verkauften.« »Das stimmt leider.« »So ähnlich ist es auch hier. Von diesem Ort strahlt eine schreckliche Gefahr ab. Ich habe Grund zu der Annahme, daß die Gefahr schon Gestalt angenommen hat, denn sie wurde bereits gesehen.« »Von wem?« »Eine unserer Schwestern begegnete ihr. Sie überlebte es leider nicht, aber sie konnte vor ihrem endgültigen Dahinscheiden noch reden. Einige Worte nur. Sie sprach vom Tanzplatz der bösen Füchse und von der Maske.« Ich wiederholte beide Begriffe, den letzten dabei besonders intensiv. »Die Maske?« »Sicher, Mr. Sinclair. Was immer sie auch bedeuten mag, sie ist gefährlich.« »Und sie soll ich suchen?« »Soweit ist es noch nicht.« Innocencia erhob sich. »Lassen Sie uns erst hinfahren.« »Gern.« Ich ging hinter ihr her, ziemlich benommen und den Kopf gleichzeitig voller Gedanken. Noch hatte die Frau für mich in Rätseln gesprochen. Ich persönlich konnte mit dieser Maske nichts anfangen und auch nichts mit dem Tanzplatz der bösen Füchse. Was immer es sein mochte, es strahlte jedenfalls eine Gefahr ab und hatte schon einen Toten gekostet.
Wir brauchten das Kloster nicht durch den Haupteingang zu verlassen. Die Nonne öffnete mir eine von Efeu umrankte Seitenpforte und ließ mich ins Freie treten. Das Gebäude lag in einer sehr einsamen, dafür aber waldreichen Gegend. Man konnte es über eine Straße erreichen, die als graues Band das saftige Grün der Landschaft durchschnitt. Einen direkten Parkplatz gab es nicht. Ich hatte meinen Rover unmittelbar im Schatten der Klostermauer abgestellt, die nur noch einen Teil des Gebäudes umgab. Ich schloß die linke Rovertür auf und ließ die Frau einsteigen. Geschmeidig glitt sie in den Wagen, souverän wie eine Taxifahrerin. »Ich könnte auch fahren, Mr. Sinclair.« »Wollen Sie denn?« Ihre Augen blitzten. »Gern, aber lassen Sie uns erst aus der Sichtweite sein. Die Oberin sieht es nicht so gern, wenn wir uns hinter das Steuer setzen. Mein Vater war ein Autonarr. Meine Brüder sind es immer noch. Etwas davon hat abgefärbt. Ich habe sogar mal ein Rennen mitgefahren.« Sie schlug gegen ihren Mund. »Um Himmels willen, sagen Sie das bitte nicht weiter.« »Keine Sorge, das bleibt unter uns.« Ich lächelte. Diese junge Nonne wurde mir immer sympathischer. Nach etwa einer Meile hielt ich an. Unser Wagen stand wie ein Fremdkörper auf der Straße zwischen den flachen Feldern. »Alles klar — wollen Sie jetzt?« Ihre Augen leuchteten, als sie nickte. »Gern. Noch eines, Mr. Sinclair, halten Sie mich zurück, wenn ich es zu toll treibe.« »Sind Sie denn eine so rasante Fahrerin?« Sie senkte den Kopf. Ihr Gesicht zuckte. »Leider«, gab sie zu. »Es überkommt mich hin und wieder.« Fünfzehn Sekunden später hatten wir die Plätze gewechselt. Innocencia umklammerte das Lenkrad, atmete tief durch und startete: »Keine Sorge, ich kenne mich aus«, sagte sie als Entschuldigung für ihren schnellen Start. »Hoffentlich!« Etwa zwei Meilen fuhren wir in die heranbrechende Dämmerung, dann bremste sie und bog in einen schmalen Feldweg ein. Ich schaute dem Licht der bleichen Scheinwerfer nach, in dessen Schein die Gräser und Büsche einen sehr fahlen Glanz bekommen hatten. Schon bald konnten wir auch von einem Feldweg nicht mehr sprechen, denn die Piste war zugewachsen. Manchmal schlugen die Zweige wie Hände gegen die Karosserie oder kratzten über die Scheiben. »Weit können wir auf diese Art und Weise aber nicht mehr fahren«, gab ich zu bedenken. »Keine Sorge, wir sind gleich da.«
Ich habe mal gehört, daß Nonnen nicht lügen. Hier jedenfalls bestätigte sich das Wort. Kurze Zeit später hielt Innocencia an, atmete seufzend auf und drehte mir ihr leicht verschwitztes Gesicht zu. »Ah — das hat richtig gutgetan, Mr. Sinclair. So etwas mußte einfach sein. Ich . . . ich wollte mal wieder fahren.» »Was Sie auch getan haben, und zwar hervorragend.« »O danke.« Da sie ausstieg, blieb auch ich nicht länger sitzen. Sehr behutsam drückten wir die Türen zu. Ich ging um den Wagen herum. »Ist es hier? Liegt hier dieser Tanzplatz in der Nähe?« »Ja.« »Was hat er zu bedeuten?« »Er ist ein Ort des Bösen. Der Teufel nistete sich in der Nähe ein und raubte den Füchsen ihre Seelen. Dafür pflanzte er ihnen seinen bösen Atem ein.« »Und was taten die Füchse?« »Sie töteten. Sie waren wie tollwütig. Man sprach von roten Augen. Irgendwann einmal war der Spuk vorbei. Da haben die Menschen die veränderten Füchse gefangen und sie einfach verbrannt. Aber einer hat gefehlt. Sein Geist ist nicht in Rauch und Feuer aufgegangen. Er wurde hier in der Nähe begraben.« »Und Sie kennen die Stelle?« »Ich hoffe, daß ich mich zurechtfinde. Eine andere Frage? Haben Sie eine Lampe?« »Ja.« »Das ist gut, dann lassen Sie uns gehen, denn ich befürchte das Schlimmste.« »Die Maske?« »Meine Schwester sprach davon. Ich aber kann mir nicht vorstellen, worum es da geht.« »Man sollte einen Maskenmörder in Betracht ziehen.« »Das kann sein.« Innocencia ging jetzt schnell. Ihre Kleidung hatte sie gerafft, damit sie der lange Saum nicht beim Gehen behinderte oder sich irgendwo festhakte. Ich mußte mich beeilen, um mit ihr Schritt halten zu können. Wir drangen in das Gelände ein und liefen in einem spitzen Winkel auf das dunkle Waldstück zu, das ich es öfteren mit einem Blick bedachte und das mir stets drohend vorkam, als würde sich zwischen den Bäumen etwas Schlimmes verstecken. Ich hatte den Ratschlag der Nonne befolgt und meine Lampe hervorgeholt, deren Strahl über den Grund tanzte und auch die zahlreichen Unebenheiten sichtbar werden ließ, die sich manchmal doch zu gefährlichen Stolperfallen in der Dunkelheit entwickeln konnten.
Der Nonne schien das alles nichts auszumachen. Sie schritt mit der unerschütterlichen Ruhe eines Motors voran und tat so, als wäre sie hier zu Hause. Mich an ihrer linken Seite haltend, warf ich einen Blick auf ihr Profil. Es zeigte eine gewisse Härte und zeugte auch von der Entschlußkraft, die sich bei dieser Frau ausgebreitet hatte. Sie war darauf eingestellt, nicht aufzugeben, ihre Wege weiterzugehen, und keiner konnte sie davon abhalten. Es sah so aus, als würde sie mich in den Wald hineinführen. Bevor wir den Rand allerdings erreichten, blieb sie stehen, schaute sich um und nickte zugleich. »Ist es hier?« »Ja, Mr. Sinclair.« Sie hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Hier in der Nähe muß es sein.« Dann hob sie die Schultern. »Irgendwo habe ich den Eindruck, von etwas Bösem umgeben zu sein. Ich spüre das Fluidum, den Einfluß.« »Lassen Sie uns nachschauen.« Ich winkte mit dem Lampenstrahl. »Gibt es einen besonderen Punkt, der in Ihrer Erinnerung wach ist?« »Ja, der existiert, obwohl ich in der Dunkelheit mich erst umsehen muß.« Sie faßte mich an und drückte mich nach links. »Lassen Sie uns mal dorthin gehen.« Ich hatte hier nichts zu sagen, folgte ihr und auch dem Strahl des Lichtfingers. Der verschwand plötzlich, weil er von einem Loch im Boden aufgesaugt wurde. Die Frau blieb stehen, sie krallte sich an meiner Schulter fest. Zum erstenmal spürte ich so etwas wie Angst bei ihr. »Das . .. das ist es, Mr. Sinclair.« »Das Loch?« »Ja.« Ich ging darauf zu. Diesmal folgte die Nonne mir. Am Rand der kleinen Mulde blieben wir stehen. Ich leuchtete hinein, drehte den Lichtfingerund fand nichts. . Die Grube war leer. Hinter mir vernahm ich die hektisch klingende Flüsterstimme der jungen Nonne. »Jetzt ist es passiert. Jetzt ist es passiert. Mein Gott, wir sind zu spät gekommen, das Böse ist frei. Der Himmel möge uns und den anderen gnädig sein...« *** Es waren Worte, die nicht ohne Eindruck auf mich blieben. Vielleicht deshalb, weil sie von einer sehr couragierten Nonne gesprochen worden waren, die beim Anblick dieser Grube tatsächlich Furcht vor der Zukunft bekommen hatte.
Dabei war rein äußerlich nichts zu sehen. Auch als ich die Innenseiten ableuchtete, es gab keinen Hinweis, der auf etwas Schwarzmagisches oder Böses hingedeutet hätte. Ich wandte mich auf der Stelle um. Ihr Gesicht war noch blasser geworden. Selbst in der Dunkelheit las ich den Schrecken darin. »Sie . . . Sie glauben mir nicht, Mr. Sinclair?« »Nun ja, wissen Sie, ich . . . ich sehe nichts. Ich habe keinen Anhaltspunkt, Schwester.« »Doch, den haben Sie.« »Eine leere Grube?« »Das ist es doch!« stieß sie hervor. »Genau das ist es. Ich hätte sie lieber gefüllt gehabt.« »Mit diesem toten Fuchs?« »Ja, Mr. Sinclair. Und so hat meine tote Schwester genau recht gehabt. Es ist wieder frei.« »Wie kam sie eigentlich um, wollte ich noch fragen. Wie hat man sie ermordet?« »Mit bloßen Händen. Ihr Körper war über und über mit Wunden bedeckt.« Innocencia schüttelte sich noch im nachhinein. »Es war furchtbar, das können Sie mir glauben.« »Bestimmt. Fassen wir mal zusammen. Jemand hat den Fuchs aus seinem Grab oder Versteck geholt. Ist das richtig?« »Weiter, Mr. Sinclair.« »Wer ist dieser Jemand?« Innocencia wartete einen Moment, danach sprach sie die Antwort ins Leere. »Wenn ich das wüßte, Mr. Sinclair, wenn ich das wüßte.« »Aber es muß jemand sein, der Bescheid weiß.« »Das denke ich auch.« »Wissen Sie, wer alles dafür in Frage käme?« »Bestimmt sind viele Menschen über das Fuchsgrab informiert. Manche lieben ja den Satan sogar.« Da konnte ich nicht widersprechen, wollte aber wissen, was man mit einem Fuchskörper anstellen konnte. »Da bin ich überfragt.« Ich begann damit, die Stelle zu umkreisen. Rechts und links der Grube türmte sich die Erde zu kleinen Hügeln hoch. Im Schatten des rechten Hügels entdeckte ich den Körper. »Kommen Sie!« Die Nonne war schnell bei mir. Der Lampenstrahl zielte gegen den Fund wie eine helle Messerklinge, nur daß er ihn nicht durchbohrte, sondern herauskristallisierte, was da vor unseren Füßen lag. Ein bis auf den Kopf enthäuteter Fuchs! Mochte damit zurechtkommen, wer wollte, ich jedenfalls stand vor einem Rätsel und wartete auf die Erklärung meiner Begleiterin, die sich zurückhielt. »Nun?«
»Er hat das Tier gehäutet.« »Das sehe ich. Aber was will er damit?« Innocencia hob die Schultern. »Keine Ahnung. Aber sehen Sie den Körper. Er kommt mir so hart wie Stein vor.« Ich machte die Probe aufs Exempel und trat gegen ihn. Sie hatte recht, auch mir war dieser enthäutete Körper nicht geheuer. Da steckte einiges dahinter, worüber ich mir sicherlich noch den Kopf zerbrechen würde. Ich ließ den Strahl wandern, so daß er auch über den nicht enthäuteten Kopf strich. Der Lichtpunkt traf ein Auge, und da schreckte ich zusammen. Lebte es? Es besaß jedenfalls nicht den toten Blick, den es eigentlich hätte haben müssen. Auch der Nonne war dies nicht entgangen. Ich hörte sie leise sprechen. Wenn mich nicht alles täuschte, waren es Gebete. Und sie erklärte auch, daß der Teufel hier noch einen Stützpunkt hätte. »Der Fuchs ist tot, man hat ihm das Fell abgezogen. — Schauen Sie in sein Auge.« »Ich weiß.« »Was wollen Sie jetzt tun?« »Man hätte ihn verbrennen können, aber darauf möchte ich verzichten. Ich will ihn testen.« Bevor die Nonne nachfragen konnte, hatte ich bereits mein Kreuz an der Kette über den Kopf gestreift und hielt es ihr entgegen. »Gütiger Himmel, was ist das?« Ich lächelte sanft. »Ein Kreuz.« »Ja, ja, das sehe ich. Aber welch eine Schlichtheit und welch eine Pracht.« Sie fuhr über ihre Stirn. »Wenn ich mich recht daran erinnere, hat auch Father Ignatius davon gesprochen.« Sie nickte heftig. »Ja, es fällt mir wieder ein. Er redete darüber. Was . . . was wollen Sie denn damit machen, Mr. Sinclair?« »Ich werde testen, ob wir beide mit unserer Vermutung richtig gelegen haben.« »Durch das Kreuz?« »Sicher.« Sie wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte, ging einen kleinen Schritt zurück und ließ mich machen. Ich kniete mich so, daß ich den Kopf des Tieres sehr rasch berühren konnte. Wenn noch die Kraft der Hölle oder schwarzmagisches Leben in ihm steckte, dann mußte es mir einfach gelingen durch die Kraft des Kreuzes dieses Leben zu zerstören. Ich visierte das Auge an! Bewegte sich die Pupille, blinzelte es mir etwa entgegen? Zeigte es Furcht, Triumph oder Abwehr?
Nein, eigentlich nichts von dem. Dennoch konnte ich mir Leben innerhalb des Auges gut vorstellen. Allerdings ein Leben, das sehr schnell vernichtet werden mußte. Die Erwärmung des Silbers spürte ich bereits, bevor mein Kreuz noch Kontakt bekam. Ich zögerte für einen Moment, dann drückte ich es weiter — und hatte Erfolg. Das Zischen bei der Berührung hörte sich an, als hätte jemand kaltes Wasser auf eine heiße Ofenplatte geschüttet. Es war ein Geräusch, mit dem keiner von uns so direkt gerechnet hatte, deshalb schreckten wir auch beide zurück. Was die Nonne flüsterte, konnte ich nicht verstehen, aber dieses zischende Geräusch hatte sie völlig aus dem Rhythmus gebracht. Es blieb nicht dabei, denn mein Kreuz strahlte für einen Moment auf, bevor dieses Flimmern von den grauen, ätzenden Wolken überdeckt wurde, die dort in die Höhe stiegen, wo das Kreuz den noch vorhandenen Kopf des Fuchses erwischt hatte. Die Knochen drückten sich zusammen, als hätten sie von einer Hand den nötigen Druck bekommen. Zurück blieb nur mehr dunkles Mehl, und auch die Wolken verzogen sich. Ich stand wieder auf. Innocencia schaute mich an. Ihre Augen waren leblos und enthielten trotzdem eine Frage — glauben Sie mir jetzt? Ich nickte ihr zu. »Ja, Sie haben recht gehabt. Hier hat der Satan seine Spuren hinterlassen, doch jetzt sind Sie gelöscht.« »Und wir haben trotzdem verloren.« Obwohl die junge Nonne recht hatte, wollte ich ihre Feststellung nicht bestätigen. Was immer mit dem Fuchs geschehen war und wer auch immer sich seiner angenommen hatte, er war jetzt unterwegs, um der Hölle einen Gefallen zu tun. So etwas endete oftmals in einem blutigen Chaos. Da brauchte ich nicht einmal den Propheten zu spielen. »Wissen Sie weiter, Mr. Sinclair?« »Nein, da bin ich ehrlich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es genau weitergeht.« »Vielleicht wird die Vergangenheit wieder aufleben.« »Was bedeutet das?« »Blut und Schrecken. Die Taten und Verbrechen, die im Namen des Teufels begangen werden. Füchse können gefährlich werden. Wenn sie sich unter einer gewissen Kontrolle und einem Anführer bewegen, sogar tödlich. Tanzplatz der bösen Füchse, so hat man diesen Ort genannt, und das bestimmt nicht grundlos.« »Sie kennen den Grund?« »Nicht genau. In unserem Kloster existieren alte Schriftstücke. In einem habe ich über den Tanzplatz gelesen.«
»Was?« »Daß hier gefeiert wurde. Daß die Füchse eine teuflische Tollwut bekommen und Menschen mit ihren Bissen infizieren, damit sie dem Satan anheimfallen.« Das hörte sich alles sehr phantastisch an, ich jedoch hütete mich davor, zu widersprechen. »Sagen Sie mir eines, Schwester. Wissen Sie, ob es auch heute noch in dieser Gegend viele Füchse gibt. Oder sind sie ausgestorben, möglicherweise auch stark dezimiert.« »Sie sind da.« Dieser Satz sagte mir eigentlich alles. Das heißt, wir mußten damit rechnen, daß die hier in der Gegend existierenden Füchse durch die Magie des Teufels beeinflußt worden waren. Innocencia dachte so wie ich. »Sieht nicht gut aus — oder?« »Stimmt.« »Was können wir tun? Soll ich meine Mitschwestern im Kloster alarmieren?« »Lassen Sie das mal. Mich beschäftigen andere Gedanken. Diese Füchse werden etwas tun, sie sind darauf programmiert worden. Ich möchte von Ihnen wissen, wie bewohnt die Gegend hier ist. Ich meine, das Kloster liegt ziemlich einsam, aber so mensthenleer ist die Provinz Essex auch nicht, wie die Umgebung des Klosters «glauben machen läßt.« »Es gibt zahlreiche Orte in einem Umkreis von zwanzig bis dreißig Meilen. Ich weiß ja nicht, wie es weitergehen soll und was diese veränderten Tiere genau vorhaben. Sie werden sich nicht mehr von ihren eigenen Instinkten leiten lassen, jetzt sendet ihnen ein anderer die Befehle zu, der Teufel.« »Aber Ihre Mitschwester wurde nicht von einem Fuchs getötet, wie ich das sehe?« »Nein, darauf deuten ihre letzten Worte nicht hin. Sie sprach von einer Maske.« »Unter der Sie sich nichts vorstellen können, nehme ich an.« »Sie etwa?« »Leiderauch nicht.« »Ich weiß nicht, was wir tun sollen.« Sie machte einen verzweifelten Eindruck. »Sollen wir die Polizei alarmieren, damit die einzelnen Konstabier ihre Augen besonders offenhalten?« »Das wäre eine Möglichkeit, keine Lösung. Ich denke eher an die Maske. Sie spielt eine entscheidende Rolle. Wenn wir sie haben, ist das Problem meiner Ansicht nach gelöst.« »Wenn ich kann, Mr. Sinclair, möchte ich Ihnen gern bei der Suche helfen.«
Ich lachte leise auf. »Das ist sehr nett von Ihnen, Schwester, doch so etwas ist mein Job. Ich gehe davon aus, daß Sie hinter den Klostermauern sicherer sind.« »Das käme schon einem Rückzug gleich.« »Besser so, als sein Leben zu verlieren. Eine Tote hat es bereits gegeben, denken Sie daran.« »Es ist aber nicht meine Art.« »Dann ändern Sie sich.« Wir gingen zurück zu meinem Wagen. An der Grube hatten wir nichts mehr verloren. Mein Blick verlor sich in der Dunkelheit. Sie lag über dem Land, als hätte man sie gemalt, und sie umhüllte mit ihrer Schwärze das tiefe Schweigen. Hoch über uns und auch gleichzeitig weit entfernt sahen wir die wandernden Positionsleuchten eines Flugzeugs, die sehr bald verschwanden, als die Finsternis zu dicht wurde. Beim Aufschließen der Autotür sagte ich: »Ich habe mir den Weg gemerkt und werde jetzt fahren.« »Klar. Wollen Sie auch übernachten?« »Bei Ihnen?« »Sicher.« »Und das ist möglich?« »Wir haben einen Gästetrakt.« Jetzt lächelte sie wieder spitzbübisch. »Oder glauben Sie etwa, daß wir Nonnen von vorgestern sind, nur weil wir in einem Kloster leben?« »Um Himmels willen, das habe ich nicht behauptet. Beruhigt es Sie denn, wenn ich in der Nähe bleibe?« »Ein wenig schon.« »Dann rechnen Sie damit, daß in der Nacht etwas geschieht? Oder liege ich da falsch?« »Ich weiß nicht.« »All right, steigen Sie ein.« Ich startete, fuhr rückwärts bis zu einer Stelle, wo ich einigermaßen normal wenden konnte. Auch ich teilte die Befürchtungen der jungen Nonne. Es war durchaus möglich, daß etwas geschah, daß sich das Grauen in der Nähe aufhielt, manifestiert durch die veränderten Füchse, gezeichnet durch die Handschrift des Teufels. Es war keine der hellen Frühsommernächte, sondern eine der dunklen. Der Mond versteckte sich ebenso hinter den großen Wolkenmassen wie zahlreiche Sterne, und die Dunkelheit hatte einen dunkelgrauen Farbton angenommen, der alles einhüllte. Auf der schlechten Wegstrecke rollte der Rover weiter, bis ich die Straße erreichte, wo ich etwas mehr Gas geben konnte. Allerdings fuhr ich nicht so schnell wie Innocencia, die still und versunken neben mir saß und sich ihre Gedanken machte. Sie schaute nach vorn, wo die Strahlen der Scheinwerfer permanent die Dunkelheit zerstörten.
Ungefähr am Horizont entdeckte ich das Blinken von Lichtern. Dort lag eine kleine Ortschaft, deren Namen ich nicht wußte. Stumm und ruhig lag die flache Landschaft zu beiden Seiten der Straße. Das aber änderte sich, und es war die Nonne, die etwas entdeckte. »Moment mal, Mr. Sinclair .. .« »Was ist denn?« »Bitte, fahren Sie langsamer.« Ich tat ihr den Gefallen. Sie saß steif auf ihrem Sitz, das Gesicht zeigte Anspannung, nur die Augen bewegten sich. Dabei wanderten die Blicke von einer Sei te zur anderen. »Was haben Sie gesehen?« »Eine Bewegung.« Ich stoppte jetzt. »Ein Mensch, ein Tier?« Die Nonne hob die Schultern. »Wenn ich das wüßte. Jedenfalls bewegte sich etwas auf der rechten Seite, und ich habe mich nicht geirrt, Mr. Sinclair.« »Okay, wir werden sehen.« Ich drückte die Tür auf. »Was .. . was machen Sie denn da?« »Pardon, ich will aussteigen und nachschauen, ob Sie sich getäuscht haben.« »Nein, das habe ich nicht!« Plötzlich klang ihre Stimme schrill. »Da, sehen Sie doch! Da vorn, Mr. Sinclair!« Die Sätze alarmierten mich. Ich stieg nicht aus, blieb im Rover und sah mit eigenen Augen die Bewegungen im Gras und auf der freien Fläche. Es lag nicht am leichten Wind, daß sich die Halme und das niedrig wachsende Buschwerk zitternd bewegte. Das taten einzig und allein die Tiere, die dort ihre Bahn zogen. Katzen, Hunde? Nein! Füchse! Ich erkannte sie zwar nicht genau; auch als ich schnell ausstieg und in die Richtung strahlte, wurde mein Blickfeld kaum besser, doch den Rücken nach zu urteilen, mußten es Füchse sein, die ihren Weg durch die Landschaft suchten. Manchmal hoben und senkten sie auch die Köpfe. Immer, wenn sie die langgestreckten Schädel anhoben, sah ich die leuchtenden roten Punkte. Waren es ihre Augen? Dann rannten sie davon. Sie waren wiesclflink. Als Verfolger auf zwei Beinen hätte ich kaum eine Chance gehabt. Zudem bot das Gelände den Tieren eine mehr als gute Deckung. Es blieb nichts als die vorläufige Resignation. Die Nonne hatte den Rover nicht verlassen. Als ich einstieg, sagte sie leise: »Jetzt wissen wir wohl, was uns erwartet. Haben Sie die roten Punkte gesehen, Mr. Sinclair?«
»Ja.« »Das . . . das können die Augen der Veränderten gewesen sein. Darin leuchtet das Feuer der Hölle.« Ich schlug die Tür zu. »So ähnlich. Eines steht jedoch fest, Innocencia. Wahrscheinlich werde ich nicht nur eine Nacht in Ihrem Kloster verbringen.« »Da sagen Sie was. Sie können bleiben, so lange Sie wollen. Unsere Äbtissin, Schwester Clarissa, hat grünes Licht gegeben.« »Okay, fahren wir zurück.« Ab jetzt saß Innocencia nicht mehr so ruhig neben mir. Sie drehte sich des öfteren um, schaute durch die Heckscheibe, auch öfter in den zweiten Außenspiegel, aber von den Füchsen sahen wir beide keine Schwanzspitze mehr. Da uns niemand entgegenkam, fuhr ich mit Fernlicht. Die weißen, leicht bläulich schimmernden Streifen stachen wie breite, flachgelegte Messer in die Nacht. Sie machten die Finsternis zum Tag, sie ließen viel erkennen und auch die Gestalt, die, wie durch Zauberhand erschienen, plötzlich auf dem Weg stand. »Das ist es!« sagte die Nonne mit tiefer Stimme. »Das ist die schreckliche Maske...« *** Ob sie recht hatte, wußte ich nicht. Jedenfalls sah auch ich die Gestalt, die mitten auf der Straße stand und den Eindruck eines gespenstisches Wesens machte, das vom Licht der Scheinwerfer gardinenhaft umfangen wurde. Die Gestalt war nur mittelgroß. Was sie überhaupt größer erscheinen ließ, war der Hut mit breiter Krempe. Ein Teil des Gesichts lag deshalb im Schatten, die andere Hälfte war zu sehen. Sie schimmerte wie bleicher Käse, der unterschiedlich dick aufgetragen worden war. An gewissen Stellen wirkte die Haut eingeschrumpft und gleichzeitig aufgerissen. Aus diesen Rißwunden quoll Blut. .. »Fahren Sie doch! Fahren Sie!« Ja, ich gab Gas, obwohl ich wußte, daß es nicht viel nutzen würde. Kaum hatte der Rover eine gewisse Geschwindigkeit bekommen, da drehte sich die Gestalt zur Seite, hob den rechten Arm, und wir sahen das Blinken der breiten Messerklinge im Fernlicht. Es sollte wohl ein Gruß gewesen sein. Wenn ja, dann zum vorläufigen Abschied, denn mit geschmeidigen Bewegungen verschwand die Gestalt im Gebüsch am Straßenrand, dessen Zweige noch ein wenig nachzitterten. ilnnocencia staunte darüber, daß ich sitzen blieb. »Sie wollen nicht hinterher?«
»Nein.« »Warum nicht. Sie sind größer, Sie haben längere Beine und hätten ihn bestimmt gepackt.« »Ich denke da anders. Wenn er nicht hundertprozentig sicher gewesen wäre, hätte er sich nicht gezeigt. Dieser Mann wußte genau, was er wollte. Er hat uns bewiesen, daß es ihn gibt. Jetzt können oder sollen wir uns auf ihn einstellen.« Die Nonne nickte gedankenverloren. »Das ist alles richtig, Mr. Sinclair. Ich aber denke an etwas anderes.« »An was, bitte!« Durch ihre heftige Kopfbewegung war ich gezwungen, sie anzublicken. »An sein Gesicht«, drang es leise über ihre Lippen. »Haben Sie sein Gesicht gesehen?« Ich hob die Augenbrauen. »War es ein Gesicht?« Innocencia stotterte. »Dann ... dann denken Sie ähnlich wie ich, nicht wahr?« Ich zündete mir eine Zigarette an. »Ja, das denke ich. Ich habe mich an die Worte Ihrer Mitschwester erinnert, die sie kurz vor ihrem Tod sprach. Sie redete von einer Maske. Was sich dort unter der Hutkrempe abzeichnete, war für mich kein Gesicht. Es war eine Maske, eine sehr ungewöhnliche sogar.« »Sie sah so dick aus. Als hätte man die Maske auf die normale Haut gepappt. Was kann das gewesen sein?« »Ich habe keine Ahnung. Nur das Blut schimmerte durch. Rote Farbe war es sicherlich nicht.« »Dem Fuchs fehlte das Fell«, resümierte meine Begleiterin. »Man hat es ihm abgezogen. Die Gestalt wird das getan haben und steht nun mit dem Teufel im Bunde. Sie und ihre Helfer werden uns noch das Fürchten beibringen, davon bin ich überzeugt.« »Zunächst einmal werden wir zum Kloster fahren und auch mit der Äbtissin sprechen.« »Die wird uns für verrückt halten.« Die junge Nonne erschrak über ihre eigenen Worte. »Entschuldigen Sie. Manchmal mag ich Verrückte.« »Wieso?« »Man hat mich oft genug gefragt, ob ich nicht verrückt gewesen bin, in ein Kloster zu gehen.« »Das kann vorkommen. Was antworteten Sie dann darauf?« »Ich gab den Fragern recht, denn ich nahm ihnen damit den Wind aus den Segeln. Irgendwo ist man verrückt, wenn man sich der Masse entzieht. Aber nur so kann ich die Freiheit genießen, ob Sie es glauben oder nicht. Meine ganz persönliche Freiheit. . .« Ich hatte eine Frage hinterherschicken wollen, ließ es jetzt bleiben, als ich die ehrliche Antwort gehört hatte. Komischerweise brauchte ich nicht
erst groß über die Worte nachzudenken. Sie erschienen mir verständlich, und ich nickte. »Stimmen Sie mir zu, Mr. Sinclair?« »Ja. Vielleicht gehöre ich auch zu dieser Gruppe, die sich als verrückt bezeichnen können und dies als Kompliment auffassen werden. Ich weiß es nicht.« »Das muß jeder mit sich selbst ausmachen«, sagte sie leise, um dann zu fragen: »Darf ich Sie John nennen?« »Darum bitte ich.« »Das hört sich besser an.« Der Meinung war ich auch, fuhr wieder weiter und dachte, daß man vor den Idealen dieser jungen Nonne eine gewisse Hochachtung haben mußte... *** Im Raum war es so still, daß ich die Äbtissin tief einatmen hörte. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, während wir standen, was nichts mit der Hierarchie zu tun hatte, wir wollten einfach nicht sitzen, um das Gespräch nicht noch länger werden zu lassen, denn Mitternacht war bereits seit mehr als zehn Minuten vorbei. Die Äbtissin Clarissa hatte sich unseren Bericht angehört und auch unsere Wünsche mitbekommen. Sie war eine Frau mit sehr klugen Augen, wirkte alterslos, war von kleiner Gestalt und besaß einen Mund mit sehr weichen Lippen. »Jetzt wollt ihr meinen Rat, nicht wahr?« fragte sie und schaute uns aus ihren klugen Augen an. »Sicher, Schwester Clarissa . . .« »Aber mein Kind. Es ist doch alles gesagt worden. Was soll ich da noch hinzufügen?« Innocencia war plötzlich nervös geworden. »Sie . . . Sie haben nichts dagegen, Ehrwürdige Mutter?« »Nein, wie sollte ich? Mr. Sinclair bleibt hier. Wir haben ein Gästehaus, es ist für alle Menschen offen, besonders dann, wenn sich der Satan aufmacht, um die Stützpunkte seiner Feinde zu vernichten. Manchmal habe ich Angst davor, daß es unser Kloster einmal treffen wird. Es hat lange genug in der Erde gelegen und ist dem Bösen entgegengereift. Einmal mußte es so kommen.« Ich kam nicht daran vorbei, die Weisheit der Äbtissin zu bewundern. Zudem besaß sie eine gewisse Weitsicht, der auch ich nur zustimmen konnte. Sie schaute mich an und erkundigte sich, ob ich mit weiteren Taten rechnete.
»Ja, Ehrwürdige Mutter. Die Saat des Bösen ist aufgegangen. Es hat lange gedauert, wir haben sie leider nicht stoppen können, aber wir müssen jetzt Schlimmeres verhüten.« »Darf ich fragen, wie Sie das machen wollen?« »Ich kann natürlich nicht überall sein. Deshalb möchte ich Verstärkung holen. Mein Freund und Kollege Suko wird morgen früh hier sein. Zu zweit sieht alles ganz anders aus. Da haben wir unsere Erfahrungen.« Die Äbtissin lächelte. »Ich glaube Ihnen. Nicht nur, weil Sie es gesagt haben, ich denke an die Worte des Fathers Ignatius, denn er hat auch ihn erwähnt.« »Darf ich dann telefonieren?« Ich deutete auf den schwarzen Apparat. »Mitten in der Nacht, ist es nicht ungewöhnlich?« »Das schon, nicht für Suko. Wir sind da beide einiges gewohnt, das können Sie mir glauben.« Da hatte ich nicht übertrieben. Suko schien noch nicht tief geschlafen zu haben, denn er meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln. »Das kannst doch nur du sein, John.« »Richtig. Woher weißt du das?« »Intuition. Außerdem wächst dir da mal wieder etwas über den Kopf. Du kommst allein nicht mehr zurecht. Stimmt's?« »In etwa.« »Wann soll ich am Kloster sein?« Suko war über meine Reise informiert. »Morgen früh.« »Okay, ich bin da. Wie ist es gelaufen?« Ich informierte ihn mit wenigen Sätzen. Erhörte sehr gespannt zu und atmete dann tief durch. »Mein lieber Mann, da kann uns ja einiges bevorstehen.« »Du sagst es.« »Gibt es noch weitere Spuren?« »Nein, die Füchse sind ebenso entwischt wie die Maske. Halte schon während der Fahrt die Augen auf.« »Mach' ich glatt. Schlaf gut, und laß mir die Mädels im Kloster in Ruhe, du Schwerenöter.« »Ha, ha, du hast Humor.« Ich wußte nicht, ob die Äbtissin etwas verstanden hatte, jedenfalls lächelte sie irgendwie wissend, als ich den Hörer auflegte und mich für das Telefonieren bedankte. »Er wird kommen, nicht?« »Ja, morgen früh!« »Dann verbringen Sie den Rest der Nacht bitte in Ruhe. Ich werde für uns alle beten.« Ich ging, begleitet von Innocencia, die mir mein Zimmer zeigen wollte. Wir schritten durch die schwach erleuchteten breiten Flure in einen
schmalen Anbau hinein, wo einige Räume als Besucherzimmer abgeteilt worden waren. »Großen Hotelkomfort können wir Ihnen nicht bieten, John! Aber auch wir schlafen ähnlich.« »Das verlangt niemand.« Früher hatte man von Klosterzellen gesprochen. Der Begriff stimmte nicht mehr. Der Raum besaß eine normale Größe. An der Wand hing ein schlichtes Holzkreuz. Ebenso schlicht waren das Bett, die Waschgelegenheit, der Tisch, der Schrank und der Stuhl. Eines jedoch fiel auf, die Sauberkeit. Hier lag kein Stäubchen auf dem Boden, und die Bettwäsche war auch frisch. Innocencia reichte mir die Hand. »Dann darf ich Ihnen eine gute Nacht wünschen, John«, sagte sie leise und deutete dabei ein Lächeln an. »Schlafen Sie gut. Möge Sie der Herrgott beschützen. Gute Nacht.« Sie drehte sich um und ging. Die Worte taten mir gut. Daß mich der Herrgott beschützen würde, hatte mir auch lange keiner mehr gesagt. Ich würde mich gern unter seinen Schutz stellen. Die Schritte der jungen Nonne verklangen. Ich drückte die Tür zu, dann setzte ich mich auf das Bett und betrachtete den blanken Steinboden. Daß der Fall einen derartigen Verlauf oder eine derartige Wendung nehmen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich steckte ich wieder mitten in den Problemen. Als ich an die Füchse dachte, schüttelte ich den Kopf. Es war fast schon ein Unding, mit welchen Mitteln der Teufel es immer wieder versuchte, Siege zu erringen. Sollte er. Solange ich lebte, würde ich mit allen Kräften dagegenhalten. Ich stand auf und trat an das Fenster. Es lag etwas höher als bei normalen Zimmern. Da ich ziemlich groß war, kam ich trotzdem heran, öffnete es und schaute hinaus. Der Anbau lag dort, wo sich auch der Nutzgarten befand, von dem mir die junge Nonne berichtet hatte. Soviel ich erkennen konnte, war er vorbildlich angelegt und gepflegt worden. Besonders stark fielen mir die Obstbäume auf, deren Zweige und Äste bereits voller Früchte hingen. Auch in der Dunkelheit erkannte ich die Kirschen. Auch Äpfel- und Pflaumenbäume wuchsen dort. Der Garten lag eingetaucht in eine wundersame Ruhe. Ich schaute hoch zum Himmel und sah durch die dicke, aufgerissene Wolkendecke das bleiche Licht eines zunehmenden Mondes. Dann hörte ich das Heulen . . . Nein, es war kein Laut, den ein Werwolf abgegeben hatte, obwohl er eine gewisse Ähnlichkeit besaß. Dieses Heulen war leiser, verhaltener, aber für meinen Geschmack erklang es auch böse.
Ich dachte sofort an die gefährlichen Füchse und durchsuchte mit scharfen Blicken den Garten. Noch war nichts zu sehen. Wenn sich die Tiere dort aufhielten, würden sie durch den dichten Bewuchs genügend Deckung finden, um sich vor mir verbergen zu können. Wo also konnten sis sein? Eine Richtung, aus der das Geräusch geklungen war, hatte ich nicht feststellen können. Irgendwo im Garten war es gewesen, mehr wußte ich nicht. Aber ich sah etwas. Zwei rote Punkte, für mich die Höllenaugen der Füchse. Sie standen nicht still, sondern huschten dicht am Kirschbaum entlang, um dahinter zu verschwinden. Jetzt hatte ich den Beweis. »Okay!« flüsterte ich und meinte mehr mich selbst. »Wenn ihr es nicht anders haben wollt, ich hole euch!« Bis zur Tür wollte ich nicht laufen, der schnelle Weg führte durch das Fenster. Meine Waffen trug ich bei mir, auch den Dolch, der mir für einen Kampf mit dem Höllenfuchs am geeignetsten erschien. Nach dem Springen landete ich relativ hart. Dort blieb ich erst einmal stehen, mit dem Rücken gegen die Mauer gedrückt. Ich wollte möglichst herausfinden, wie viele Füchse sich im Garten aufhielten. Einen hatte ich gesehen, aber damit würde ich nicht auskommen, das stand fest. Entdeckt hatte ich den Fuchs nahe des Kirschbaums, und er war auch mein erstes Ziel. Mit zielsicheren, leisen und langen Schritten bewegte ich mich voran. Geduckt huschte ich unter die tiefhängenden Zweige. Manche waren sehr weich und bogen sich unter dem Gewicht der Kirschen. Stille umgab mich. Kein Fuchs war zu sehen. Ich hörte auch nichts, kein Heulen mehr, kein Scharren der Pfoten oder Fauchen. Hatte ich mich geirrt? Eigentlich nicht, denn Halluzinationen gehörten nicht in mein Gebiet. Da mußte etwas anderes passiert sein. Ich verließ die Deckung, und mein Blick wanderte durch die Dunkelheit über dem Garten. Es war kühler und feuchter geworden. Woher der dünne Dunst kam, sah ich nicht. Jedenfalls trieben die müden Schwaden in den Garten hinein, und sie stiegen zumeist aus irgendwelchen Feuchtstellen in die Höhe, um sich dann ihren Weg zu bahnen. Mit ihnen kam der Fuchs!
Diesmal hatte ich nicht einmal seine Augen gesehen. Plötzlich war er da, ein in die Länge gestreckter Schatten, der sich bei seinen Sprüngen ruckartig und trotzdem gleitend bewegte. Er war so schnell, daß ich viel zu spät reagierte. Der Dolch steckte noch, da war er schon vorbei. Diesmal hatte ich mir die Richtung gemerkt, wohin er verschwunden war. Von mir aus gesehen nach links. Dort befanden sich die kleinen abgeteilten Beete des Nutzgartens, und als Deckung gab es Stachelund Johannisbeersträucher. Die Zweige bewegten sich. Bestimmt nicht durch den Wind. Ich riskierte es und strahlte dagegen. So gute Dienste mir die Lampe schon getan hatte, in diesem Fall half sie mir kaum. Ihr Strahl war einfach nicht breit genug. Ich hätte jetzt einen fächerförmigen gebrauchen können. Der Fuchs fühlte sich trotzdem gestört. Er sprang aus seiner Deckung hervor. Wütend, wie mir schien, und so suchte er sich im nächsten Strauch eine neue Deckung. Anhand der Bewegungen fiel mir auf, wie schwer es das Tier hatte, sich wieder zu befreien. Das war natürlich meine Chance. Mit wenigen Schritten hatte ich die Entfernung überwunden. Die Lampe blieb eingeschaltet, in der anderen Hand hielt ich den Dolch stoßbereit. Wenn der Fuchs mich angriff, bekam er die richtige Antwort. Ich hatte keine Lust, mir einen Biß einzu-fangen. Kopf und Maul erschienen vor mir! Ich befand mich noch im Lauf, der Fuchs aber hatte sich abkatapultiert. Und er besaß mehr Kraft als einer seiner normalen Artgenossen. Wie aus dem dunklen Hintergrund einer Bühne war er hervorgeschossen, das Fell gesträubt, und über seiner offenen Schnauze blinkten die Augen im Feuer der Hölle. Ich zog den Dolch von oben nach unten, damit ich ihn an der Brust erwischte. Das Gewicht des Tieres riß mich beinahe von den Beinen, als es gegen mich prallte. Als die Klinge sich in den Körper bohrte, hatte ich ein Zischen gehört, und der Fuchs veränderte sich innerhalb weniger Sekunden. Nicht nur daß er zu völliger Bewegungslosigkeit erstarrte, die Augen verloren sofort an Glanz, als hätte jemand das rote Feuer darin mit einem Schwall Wasser gelöscht. Dann lag er seitlich auf dem Boden, die Beine von sich gestreckt, und ich schaute für einen kurzen Moment auf die Klinge, die von einer dunklen Flüssigkeit bedeckt war. Blut — oder . . .? Blut ist dunkel, aber nicht so dunkel. Ich leuchtete die Klinge an. Das Licht zeigte mir, daß dieses Blut nicht mehr die normale rote Farbe besaß. Es war schwarz, möglicherweise auch mit einem Schuß Grün.
Dämonisches Blut! Meine Befürchtung hatte sich also bestätigt. Der Fuchs war ein verändertes Wesen, die Macht der Hölle hatte sich also über die lange Zeit hinweg halten können und war vor kurzem noch einmal aktiviert worden. Ich drehte mich und ging zur Seite. Gleichzeitig schaltete ich die Lampe aus, eine Zielscheibe wollte ich nicht mehr bieten. Nur mein eigenes Atmen hörte ich in der Stille. Aber ich war nicht allein, auch wenn es im ersten Augenblick den Anschein hatte. Der Garten lebte. Hier versteckte sich etwas, hier lauerte jemand, einer, zwei, auch mehrere, ich konnte leider nicht erkennen, wo sich meine Gegner verborgen hielten. Dann hörte ich Schritte. Schnell, leichtfüßig, als würde eine Frau in einer bestimmten Entfernung zu mir durch den Garten laufen. Als ich hinleuchten wollte, waren die Schritte verklungen. Dann zerschnitt ein dünner Pfiff die Stille der Nacht. Auf einmal kam Bewegung in den Gärten. Schatten füllten ihn aus, und diese Schatten bewegten sich hektisch durch das Gelände. Drei zumindest hatte ich gezählt, wenn nicht noch mehr. Sie liefen in eine bestimmte Richtung, der auch ich folgte. Zum Schutz gegen den Wind hatte man am Ende des Gartens Tannen gepflanzt, die eine dichte Wand bildeten. Es gab so gut wie keine Lücke zwischen den Bäumen, für die Füchse aber Platz genug, um sich hindurchzuwühlen. Im Licht der Strahlen schimmerten die Zweige in einem grünlichen Blau. Von innen her wurde eine Lücke geschaffen, die sich im nächsten Moment ausfüllte. Da erschien ein Gesicht! Dick, unförmig, bleich und an verschiedenen Stellen eingerissen und blutig — die Maske! Sie bot einen unheimlichen Anblick, der mir unter die Haut ging. Eine Hand erschien vor dem Gesicht, die ein Messer hielt, das eigentlich Drohung genug war. Ich griff zur Beretta, da war das Gesicht verschwunden. Nur mehr die Zweige wippten nach, und als ich die Stelle erreichte, sah ich gar nichts mehr, nicht einmal einen der veränderten Füchse. Ärgerlich und wütend zugleich über meine Niederlage blieb ich stehen, drehte mich um, leuchtete in verschiedene Richtungen und überhörte auch nicht die sich sehr schnell entfernenden Schritte. Sie durchquerten den Garten von rechts nach links. Ich glaubte, eine Gestalt gesehen zu haben, die eine sehr weite fließende Kleidung trug, wie sie für einen Mann nicht üblich war. Eine Frau also! Für mich gab es nur eine Erklärung. Außer mir befand sich noch eine der Nonnen im Garten. Innocencia?
Wenn ja, dann wollte sie nicht gesehen werden, sonst hätte sie sich bestimmt anders verhalten. Ich kümmerte mich um die Füchse und natürlich die Maske. Als ich mich durch die Tannen gewühlt hatte, fiel mein Blick über die leere Weite der Felder, wo sich nichts tat. Sie lagen dort in einer absoluten Ruhe, und da bewegte sich kein einziger Grashalm unter unnatürlichen Bedingungen. Das Mond- und Sternenlicht reichte zudem nicht aus, um die dunklen Schatten zu vertreiben. Die Maske und ihre Füchse hatten sich ein ideales Gelände ausgesucht. Um nicht noch einmal durch die Tannen zu laufen, umging ich die Bäume. Ich machte mir schon meine Gedanken, vor allen Dingen darüber, wer sich hinter der Maske verbarg. Wer traute sich nicht, sein Gesicht zu zeigen? Und warum tat er das? Aus Furcht, erkannt zu werden, oder frönte er nur der reinen Magie, die sich über lange Zeit erhalten hatte? Ich dachte auch an die Gestalt, die mir aufgefallen war. Wenn es sich tatsächlich um Innocencia gehandelt hatte, dann mußte sie einen Grund gehabt haben, den Garten zu dieser nächtlichen Zeit zu betreten. Konnte es möglicherweise sein, daß sie unter Umständen mehr wußte, als sie zugegeben hatte? Auch damit mußte ich rechnen. Es gab Fälle, wo jemand, der Bescheid wußte, nur allmählich mit der Wahrheit herausrückte oder selbst mitspielte, obgleich es mir bei Innocencia unwahrscheinlich vorkam, denn sie stand auf der entgegengesetzten Seite und würde kaum Kontakt zum Teufel oder zur Hölle halten. Wenn ja, dann hatte ich mich sehr in ihr getäuscht. In der Stille war eigentlich jedes Geräusch ziemlich deutlich zu hören. So auch das Schlagen einer Tür. Ich blieb stehen, als es an meine Ohren drang. Es war von vorn aufgeklungen, und dort genau lagen auch die Zellen der Nonnen. Danach legte sich wieder die tiefe Stille über Kloster und Garten, und ich ging mit etwas müden Schritten zurück. Die letzten Minuten waren mir wie die Zeitspanne einer Niederlage vorgekommen. Etwas befand sich in meiner Umgebung, das ich nicht fassen konnte. Man belauerte mich. So wie ich den Raum verlassen hatte, kletterte ich auch wieder hinein. Besuch hatte ich keinen gehabt, wie ich mit einem raschen Rundblick feststellte. Da sich mein kleiner Koffer noch im Wagen befand, verließ ich das Zimmer auf dem normalen Weg und ging dorthin, wo ich den Rover abgestellt hatte. Ich schritt durch das Schweigen zwischen den Mauern. Bei dieser beinahe absoluten Ruhe, kam ich mir wie ein Störenfried vor, denn lautlos konnte ich nicht gehen.
Jede noch so geringe Berührung der Sohlen hinterließ auf dem Steinboden ein leises Echo. Mein Fahrzeug war unversehrt. Ich holte den Koffer hervor, ging den gleichen Weg zurück und spürte trotz der Aufregungen der vergangenen Stunden die Müdigkeit wie Blei in meinen Gliedern. Ich kippte das Fenster, zog meine durchschwitzte Kleidung aus und legte mich rücklings auf das Bett. Die Unterlage war ziemlich hart, was mir aber nichts ausmachte. Die Müdigkeit gewann die Oberhand, und innerhalb weniger Minuten war ich tief und fest eingeschlafen. Jetzt konnten mir die Füchse und auch die verdammte Maske erst einmal gestohlen bleiben ... Blut auf der Fahrbahn! Nicht als Tropfen oder kleine Lachen, wie man es noch hätte akzeptieren können, sondern als ein breiter und querlaufender Streifen, als hätte jemand den Lebenssaft darüber gepinselt. Kein Mensch schien sich dafür zu interessieren, wenigstens keiner, der aus der Umgebung kam, wo der Ort Fieldham unter dem hellen Licht der Morgensonne lag. Es hatte trotzdem jemand gestoppt. Der Mann saß in einem schwarzen BMW, schaute durch die Frontscheibe auf den roten Streifen und ließ den Wagen dann an den linken Fahrbahnrand rollen, wo er anhielt und ausstieg. Der Mann war Suko! Losgefahren in den frühen Morgenstunden, hatte er sein Ziel auch relativ früh erreicht, und das hatte ihm auch vorgeschwebt. Nur keine Zeit vertrödeln. Den Ort selbst hatte er noch nicht erreicht, auch das Kloster, in dem John Sinclair wartete, war nicht zu sehen. Gestoppt hatte ihn allein der Blutstreifen. Oder war es Farbe? Suko lief auf das Indiz zu. Die Sonne brannte warm gegen seinen Kücken. In Sukos Nacken bildeten sich kleine Schweißperlen, als er sich hinkniete, um den roten Streifen zu untersuchen. Er hoffte, daß es Farbe sein würde, aber das wiederum stimmte nicht. Nach Eintauchen der Fingerkuppe in die bereits angetrocknete Flüssigkeit wußte er Bescheid. Das war keine Farbe, die hätte auch anders gerochen! Was da über die Fahrbahn gepinselt worden war, verdiente eben keinen anderen Namen als Blut. Suko drückte sich wieder hoch. Er schaute sich den Streifen jetzt der Länge nach an und entdeckte auch die Unruhe in dieser Zeichnung. Da war niemand hingegangen, um das Blut mit einem Pinsel über die Fahrbahn zu verteilen. Es zeigte zwar eine Geometrie, aber an den Seiten zitterte oder uferte der Streifen meist aus. Jenseits der Straße verlor er sich im Graben, wo auch einige rote Flecken das Gras bedeckten.
Wie war dieses Blutmuster auf den grauen Asphalt gekommen? Sukos Gedanken drehten sich, sie wirbelten, nur eine Erklärung fand er nicht dafür. Würde man sie ihm dort geben, wo der Sonnenschein auf die Dächer der Häuser fiel! Fieldham sah friedlich aus. Ebenso friedlich wie die gesamte dörfliche Umgebung, eine Idylle wie aus dem Bilderbuch. Aufgeteilt in weite Felder, auf denen das Korn wuchs, dazwischen lagen die mit saftigem Gras bewachsenen Flächen der Wiesen und Weiden und jenseits davon als dunklere Inseln die Wälder. Das alles durchzogen von wenigen Straßen, dafür überdeckt von einem weißblauen Sommerhimmel, wo sich keine einzige Wolke zeigte und die Sonne freie Bahn besaß, um sich verteilen zu können. Vögel schwebten durch die Luft, erfreuten sich an einem warmen Sommertag, und selbst die Insekten schienen vergnügter zu tanzen als sonst. Und dann das Blut! Suko schüttelte sich, als ihm dieser konträre Vergleich in den Sinn kam. Das Blut war der Beweis für den kalten Horror, der in diese Idylle eingefallen war. Jemand hupte! Suko hatte den Wagen nicht gehört. Er drehte sich um. Das Fahrzeug war noch ziemlich weit entfernt. Es kam vom Dorf her, ein Auto mit offener Ladefläche, ein Kleinlastwagen, wie der Inspektor sehr deutlich erkennen konnte. Er übersprang den Blutstreifen und blieb vor ihm und mitten auf der Fahrbahn stehen. Wollte der Mann Suko nicht überfahren, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als zu stoppen. Erst sehr spät betätigte er die Bremse, und Suko hatte sich bereits sprungfertig gemacht. Das Fahrzeug schaukelte ebenso wie seine Ladung, die sich aus Gemüsekisten zusammensetzte. Dann endlich kam es unter stöhnenden und quietschenden Geräuschen zum Stillstand. Die Fahrertür schwang auf. Bevor Suko den Mann noch richtig sehen konnte, hörte er bereits dessen Stimme. »Verrückt wie?« »Warum?« »Ich hätte Sie plattfahren können.« »Ach ja?« Der Mann hämmerte die Tür zu. Mißtrauisch schaute er Suko an. Sein weißes Haar sah aus wie gebleichtes Tuch. Er trug eine Schirmmütze, unter der sich ein wettergegerbtes Gesicht mit sehr breiten Wangenknochen abzeichnete. Der Mann sah aus wie ein Landwirt. Sein Overall schimmerte in einem dunklen Blau. Darunter trug er ein kariertes Hemd. Seine Füße verschwanden in schweren Schuhen. »Was wollen Sie denn?« »Sie etwas fragen.«
»Und?« Suko drehte sich um, wobei er den Arm ausstreckte. »Sehen Sie den Streifen da?« »Klar.« »Das ist Blut, Mister. Jetzt habe ich eine Frage. Wie erklären Sie sich das?« Der Landwirt schaute Suko fast wütend an, holte dann eine Brille aus der Brusttasche des Overalls, klemmte sie auf die Nase und schaute genauer hin. »Ja, das ist Blut.« »Sind Sie sicher?« »Wenn Sie das sagen.« »Sie können sich gern überzeugen, Mister. Es ist tatsächlich Blut, mit dem jemand die Straße bemalt hat.« Der Landwirt hob die Schultern und schabte mit dem Daumen durch sein Nackenhaar. »Es reicht auch so, meine ich.« Suko nickte. »Stimmt. Wer so etwas sieht, der hat natürlich Fragen, Mister. Sie auch?« Der Mann trug noch immer die Brille. Sie sah aus, als wäre sie ihm zu klein. »Fragen!« Er lachte auf. »Wissen Sie, ich habe keine Fragen. Ich nehme es einfach hin.« »Ohne Kritik?« »Klar doch.« Suko schüttelte den Kopf. »Sie stammen aus Field-ham! Das Blut wird auch Sie angehen. Da stellt man sich doch automatisch die Frage, wie es möglich ist, daß jemand einen derartig breiten Streifen auf der Fahrbahn hinterlassen hat.« »Vielleicht.« »Haben Sie eine Lösung?« Der Mann schaute Suko an, ohne etwas zu sagen. Mit einer sehr einstudiert wirkenden Bewegung nahm er dann die Brille ab und steckte sie wieder weg. »Ich will Ihnen mal was sagen, Mister. Steigen Sie in Ihren Luxusrenner, drehen Sie um oder fahren Sie so schnell wie möglich durch unser Dorf. Halten Sie am besten nicht an, denn es gibt manchmal Dinge, um die sollte man sich besser nicht kümmern. Da spielt es keine Rolle, ob man fremd oder einheimisch ist.« Suko nickte. »Ich habe Sie verstanden, Mister. Sicher, ich habe begriffen.« »Dann ist es ja gut.« »Eine Sache noch«, sagte Suko und wedelte dabei mit der Hand. »Wie ist es möglich, daß ein normaler Mensch wie Sie derartige Dinge so stark ignoriert? Darum muß man sich kümmern. Da steckt etwas dahinter. Nicht grundlos befindet sich ein Blutstreifen quer auf einer normalen Fahrbahn! Da kann etwas passiert sein.« »Was denn?« »Das wollte gerade ich Sie fragen.«
»Dann vergessen Sie es. Ich werde jetzt weiterfahren, und Sie sollten es auch tun.« »Und wenn Menschen gestorben sind, Mister?« Der Landwirt befand sich bereits auf dem Weg zu seinem Wagen. Jetzt drehte er sich wieder um. »Haben Sie denn Tote gefunden, Mister?« »Danke, das ist auch eine Antwort.« Suko ging zur Seite, denn der Landwirt stieg schnell ein und startete. Der gesamte Wagen geriet in Zitterbewegungen. Er rollte langsam an. Der Fahrer warf Suko keinen Blick mehr zu. Er schaute geradeaus, als er durch den Streifen rollte, wo das Profil der Reifen seine Spuren hinterließ. Sie zogen noch einige Yards hinterher und ließen genau erkennen, daß ein Auto durch das Blut gefahren war. Der einzige Wagen bisher und Suko fragte sich, wann das Blut auf die Straße gekommen war und-wer es hinterlassen hatte. Menschen- oder Tierblut? Einfach hingekippt oder aus den Körpern irgendwelcher bedauernswerten Geschöpfe strömend? Suko zählte zu den Menschen, die nicht so schnell aufgaben. Auf der Straße hatte er genug gesehen, da gab es nichts mehr zu entdecken. Möglicherweise am Rand, wo Gras und Unkraut hochwuchsen und einen Teppich bildeten. Dort suchte Suko und wurde fündig. Zuerst waren es nur die Federn, wenige Schritte weiter fand er den ersten Kadaver. Ein totes Huhn, ein paar Schritte weiter sah er den toten ausgebluteten Hund. Diebeiden Katzen-Kadaver waren ebenfalls nicht zu übersehen und die toten Gänse sahen aus wie blutige Fleischklumpen, von ihren weißen Federn befreit. Sukos Gesicht hatte sich bei jedem weiteren Fund verhärtet. Beim letzten war es zu einer starren Maske geworden. Hier mußten Bestien gewütet haben, das stand fest. Aber welche? Suko stand inmitten des Chaos' und dachte nach. Er erinnerte sich an das Telefongespräch mit seinem Freund John Sinclair, der ihn in der Nacht schon stichwortartig in den Fall eingeweiht hatte. Es ging um einen Maskenmörder und um magisch veränderte Füchse, die ihr Unwesen trieben. Die toten Tiere deuteten darauf hin, daß ein oder auch mehrere Füchse gewütet hatten, denn Hühner und Gänse gehörten auch zu ihrer normalen Beute. Aber Katzen und Hunde? Diese toten Tiere wiesen darauf hin, daß die Füchse doch stärker waren und möglicherweise von einer anderen Macht geleitet wurden, eben der des Teufels.
Und wie paßte die Maske dazu? Da wußte Suko keine Lösung. Er dachte auch nicht über dieses Problem nach, sondern über das Verhalten des Fahrers. Er wurde einfach das Gefühl nicht los, daß dieser Faharer mehr wußte, als er hatte zugeben wollen. Sicherlich nicht nur er. Der Mann stammte aus Fieldham, in diesen Ort wollte Suko ebenfalls. Vielleicht gab es dort den einen oder anderen, der ihm etwas erzählen konnte. Fliegen summten über die toten Kadaver hinweg. In der Nähe waren zudem einige Elstern und Raben gelandet. Sie glotzten die Kadaver an, als wären sie eine fette Beute. Im Wagen war es nicht zu heiß, denn das Fahrzeug besaß eine Klimaanlage. Langsam fuhr Suko an. Das Abrollgeräusch der Reifen veränderte sich, als er durch den blutigen Schmier fuhr. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte hinter ihm eine leere Straße. So einsam war die Gegend nun auch wieder nicht. Weshalb zeigte sich kein Mensch? Warum blieben sie zurück? Hatten sie Furcht vor den veränderten Füchsen? Suko wünschte sich, eines der Tiere zu sehen, und sein Wunsch wurde erfüllt. Plötzlich erschien der Fuchs an der rechten Fahrbahnseite. Er war aus einem dichten Unkrautgürtel aufgetaucht, der sehr nah an der Straße wuchs. Mit einem Sprung hatte er die Fahrbahn erreicht, trottete auf die Mitte zu, blieb dort stehen, und Suko, der schon abgebremst hatte, rollte vorbei an dem Fuchs, der sich umgedreht hatte. Er trottete zurück an den Rand der Straße, blieb dort nicht stehen, sondern hielt das Tempo des Autos bei. An der rechten Seite lief er mit auf das Dorf zu. Suko machte die Probe aufs Exempel. Gab er etwas mehr Gas, lief auch der Fuchs schneller. Ging er mit der Geschwindigkeit zurück, so wurde auch das Tier langsamer. Das war mehr als ungewöhnlich. Aber es verdeutlichte dem Inspektor, daß der Fuchs etwas von ihm wollte. Nur begleiten oder auch warnen vor dem, was noch kommen würde? Suko schaute nach vorn und schielte gleichzeitig nach rechts. Fast wie ein gehorsamer Hund trottete der Fuchs neben dem BMW her. Sein buschiger Schwanz stand halbhoch, den Kopf hatte er gesenkt, die Schnauze halb geöffnet. Ihn schien der Wagen und dessen Fahrer überhaupt nicht zu interessieren. Aber weshalb lief er dann mit? Suko nahm den Fuß vom Gas. Automatisch verlor der BMW an Tempo. Und sofort reagierte das Tier. Es blieb genau in den Moment stehen, als auch Suko das Fahrzeug stoppte. Was würde passieren, wenn er das Auto verließ?
Suko wollte es wissen. Er drückte die Fahrertür sehr vorsichtig auf, und der Fuchs rührte sich nicht. Er schaute noch immer geradeaus, als wäre er ausschließlich auf den Ort fixiert. Neben der Straße war das Gelände eingezäunt worden. Dünne Drähte spannten sich wie Stahlseiten zwischen den schlanken Pfosten. Sie waren elektrisch geladen und sollten die ein Stück entfernt weidenden Kühe davon abhalten, ihren Grund zu verlassen. Suko sah, daß Bewegung in die Kühe kam. Ihr lautes Muhen erschreckte ihn regelrecht. Und auch die Bewegung der Tiere, die plötzlich hektisch und schnell waren, so wie man sie kaum kannte. Was hatte die Tiere gestört? Es war ein Fuchs! Er hatte in einer kleinen Mulde gelauert und war plötzlich hervorgekommen. Was Suko dann zu sehen bekam, war einfach unglaublich. Kühe, die sich vor Füchsen nun wirklich nicht zu fürchten brauchten, gerieten plötzlich in Panik. Sie rannten in alle Richtungen davon, ob Ochse oder Kuh, ein jedes Tier wollte dem rasenden Fuchs entwischen. Eine Kuh schaffte es nicht. Der Fuchs war dicht hinter ihr, als er sich abstieß und auf dem breiten dunklen Rücken der Kuh landete. Er blancierte darauf wie ein Seiltänzer, sprang vor, hatte seine Schnauze so weit geöffnet wie möglich und biß zu. Die scharfen Zähne hackten in den Nacken der Kuh, rissen das Fell auf, als wäre es Papier, und ließen das Blut als dunkle Fontänen spritzen. Ein zweitesmal brauchte der veränderte Fuchs nicht zuzubeißen, denn die Kuh brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Sie brüllte noch schrecklich auf, und diese dumpfen Laute der Angst gingen dem Inspektor durch und durch! Der Angriff und der plötzliche Tod der Kuh hatte nur Sekunden gedauert. Eine Zeitspanne, in der Suko abgelenkt worden war, was der andere Fuchs ausnutzte. Zum Glück warf er einen Schatten und dieser Schatten bewegte sich so hektisch, daß Suko gewarnt war. Er drehte sich, noch in der offenen Tür sitzend, zum Straßenrand hin und sah nur mehr die aufgerissene Schnauze des Tieres, die auf sein Gesicht zielte... *** Der andere Morgen! Ich hatte tatsächlich tief und fest geschlafen. Geweckt worden war ich durch das dünne Läuten der Glocke, die zur Morgenandacht rief und nicht zu überhören war.
Superfit fühlte ich mich zwar nicht, schaute auf die Uhr und stellte fest, daß es fünf vor sechs war. Da würde die Messe sicherlich um sechs beginnen. Ich lauschte dem Klang der Glocke und dusselte wieder ein, als er leiser wurde. Irgendwo bekam ich nicht den richtigen Dreh, mich vom Bett zu schwingen, aufzustehen, mich zu waschen und den munteren Mann zu spielen. Ich sackte wieder weg. Traumlos und tief schlief ich so lange, bis ich wieder hochschreckte. Da war schon beinahe eine Stunde vorbei. Diesmal setzte ich mich schlagartig hin, strich durch mein Gesicht und blieb für die Dauer einer Minute auf der harten Kante des Bettes hocken. Kaltes und warmes Wasser waren vorhanden. Ich wusch mich am Waschbecken und dachte daran, daß es die Menschen früher immer so getan hatten, als es noch keine Duschen gab. Erst allmählich gelang es mir, über den Fall nachzudenken, der mich hergetrieben hatte. Die Maske, die Füchse, die junge Nonne, die Äbtissin, das Kloster. Die Begriffe drehten sich in meinem Kopf, ohne daß es mir gelang, einen Grund hineinzubekommen. Als ich mich anzog, schaute ich aus dem Fenster. Im Sommer hielten die dicken Mauern des Klosters die Hitze ab, im Winter die Kälte. Es würde ein warmer Tag werden, schon jetzt stand die Sonne als Blendwerk am Himmel und überdeckte meinen gesamten Sichtausschnitt mit ihrer weißgelben Fülle. Kein Wölkchen trübte den klaren Eindruck. Ein Wetter, um Urlaub zu machen, aber nicht dazu geeignet, um einen Killer zu jagen. Ich knöpfte mein Hemd zu und dachte darüber nach, was dieser Tag wohl bringen würde. Zunächst einmal Suko. Wie ich meinen Freund kannte, hatte er es sich bestimmt nicht nehmen lassen, sich so früh wie möglich in seinen Wagen zu schwingen und herzukommen. Ich rechnete mit seiner Ankunft zwischen acht und neun Uhr. Jemand klopfte von außen gegen die Tür. Schritte hatte ich nicht gehört, konnte mir aber vorstellen, wer es war. »Ja bitte?« Innocencia betrat meine Kammer. Sie lächelte scheu, schaute sich aus ihren klaren Augen um und nickte mir zu. »Haben Sie gut geschlafen, John?« erkundigte sie sich nach dem Morgengruß, den ich lächelnd erwidert hatte. »Und wie, meine Liebe. Tief und fest. So lange, bis mich das Läuten der Glocke weckte.« »Ja, wir waren schon in der Kapelle.« »Danach bin ich dann noch einmal eingeschlafen, ich habe es einfach nicht geschafft, auch die Messe zu besuchen.«
»Das ist nicht schlimm. Ich wollte sie nur abholen. Oder möchten Sie nicht mit uns frühstücken?« »Doch, sehr gern. Ich habe nämlich Hunger.« »Das ist gut.« Da Innocencia nicht auf die vergangene Nacht und die schrecklichen Ereignisse zu sprechen kam, übernahm ich dies. »Sagen Sie mal, ist Ihnen noch etwas aufgefallen, nachdem wir uns voneinander verabschiedet haben?« Erstaunt blickte sie mir ins Gesicht. »Wie meinen Sie das, John? Was sollte mir denn aufgefallen sein?« Ich hob die Schultern. »Füchse . . .« Sie erschrak. »Hier im Kloster?« »Nicht unbedingt. Im Garten, zum Beispiel.« »Nein, John, nein. Ich habe nichts gesehen. Ich legte mich hin und schlief nach meinem Gebet ein. Die Ereignisse sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich war sehr, sehr müde.« »Das kann ich mir denken.« »Aber weshalb fragen Sie? Ist Ihnen vielleicht etwas in unserem Garten aufgefallen? Haben Sie da was gehört?« »Ich war sogar im Garten!« War ihr Erstaunen echt, tat sie nur so? Innocencia ging einen Schritt zurück und legte die Handflächen gegeneinander, als wollte sie beten. »Haben Sie mich — entschuldigen Sie — angelogen?« »Weshalb sollte ich Sie anlügen? Es stimmt. Ich war noch im Garten.« »Warum denn?« »Das will ich Ihnen gern sagen. Ich hörte das Schreien der Füchse. Einsam klingende, fürchterliche Laute, ein schreckliches Heulen, als würden Tiere gequält.« »Das war im Garten?« »Genau kann ich es nicht sagen. Jedenfalls habe ich mich in Ihrem Nutzgarten umgeschaut und tatsächlich einen Fuchs entdeckt. Der griff mich sogar an!« »Und dann?« »Wollen Sie seinen Kadaver sehen?« »Nein, bitte nicht!« Sie streckte ihre Hände abwehrend aus. »Ich ... ich bin ja so froh, daß Sie noch leben.« »Trotzdem werde ich noch einmal hingehen.« »Vor dem Frühstück?« »Ist denn noch Zeit?« »Ein paar Minuten. - Ich gehe mit.« Sehr schnell hatte die junge Nonne ihre Meinung geändert. Ich streifte mir nur meine Jacke über, denn ich wollte die frommen Frauen beim Frühstück nicht schon durch den Anblick meiner Beretta erschrecken. Wir traten hinein in das Sonnenlicht. Schon jetzt war es sehr warm. Der Wind hatte gedreht. Er wehte aus südlicher Richtung. Dann brachte er Schwüle mit und war gleichzeitig ein Vorbote von Gewittern. Von den anderen Nonnen bekam ich keine zu Gesicht. Die Frauen hielten sich innerhalb der Mauern auf, wahrend wir in den Nutzgarten
gingen, der bei Tageslicht überhaupt nicht mehr gefährlich oder unheimlich wirkte, sondern so aussah wie jeder andere Garten auch. »Wo war es denn?« »Kommen Sie.« Ich führte Innocencia dorthin, wo die Tannen einen dichten, natürlichen Wall bildeten. Sie rochen wunderbar frisch und auch nach Harz. Der Fuchs lag genau an der Stelle, wo ich ihn tot zurückgelassen hatte. Der Dolch war tief in seinen Körper gedrungen und hatte eine breite Wunde hinterlassen, aus der dunkles, beinahe schwarzes Blut ausgeströmt war. Es hatte sich auf dem Boden verteilt, eine Kruste gebildet und sah aus wie Teer. Eigentlich hätte der Kadaver von zahlreichen Fliegen umschwirrt werden müssen. Das war hier nicht der Fall. Die Tiere hielten sich zurück, als hätten sie Angst davor, sich an dieser Leiche und dem dunklen Blut zu vergiften. Möglicherweise waren sie sensibler als wir Menschen. Innocencia stand links hinter mir. Sie sagte nichts, hatte die Arme halb erhoben und ihre Hände gegen die Wangen gelegt. In dieser Haltung drehte sie auch den Kopf, wobei sie zurück zu den Mauern des Klosters schaute, als könnte sie dort Schutz finden. »Nun?« fragte ich. Die Nonne holte tief Luft. Das helle Sonnenlicht ließ ihre Tracht noch weißer erscheinen. »Mir.., mir fehlen die Worte, John . ..« »Es war aber so. Der Fuchs griff mich an. Ich nahm den Dolch. Schauen Sie sich das Blut an.« »Das — habe ich.« »Und?« »Warum ist es so dunkel?« »Dämonenblut, Innocencia. Oder verändertes Blut. Ein Blut, das mit dem Fluch der Hölle behaftet ist. All dies müssen Sie leider in Betracht ziehen.« Ihre Augen waren groß geworden und hatten von ihrem ursprünglichen Ausdruck verloren. Trotz der Wärme fror sie, und ihre folgenden Worte paßten zu der plötzlich kalt gewordenen Atmosphäre. »Der Teufel, nicht wahr? Es muß der Teufel gewesen sein, der seine Hand mit im Spiel hatte.« »Davon geh' ich aus. Auch wenn er es persönlich nicht war. Er hat Helfer.« »Wie die Füchse.« »Richtig. Und auch die Maske.« Innocencia schüttelte sich, als sie meine Antwort htirte. Sie konnte sie einfach nicht richtig fassen, fuhr mit ihrer Zungenspitze über die Lippen und mußte sich meine Frage anhören. Während der Worte ging ich näher an sie heran. »Und Sie waren in der Nacht wirklich nur in Ihrem Zimmer und nicht hier im Garten?«
Erstaunen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Wie ... wie kommen Sie denn darauf?« Ich hob die Schultern. »Ich hatte das Gefühl, Sie gesehen zu haben, Innocencia.« »Nein, das ist...« »Okay, dann hatte ich eine Halluzination.« Mein Gesichtausdruck wechselte zu einem Lächeln. »Wie war das noch mit dem Frühstück? Sollten wir nicht...« »Sorry, ich hatte es vergessen.« Einen letzten scheuen Blick warf sie noch auf den toten Fuchs, bevor sie mit leicht zitternden Bewegungen die Umgebung der Tannen verließ. Wir sprachen nicht miteinander. Ein jeder hing seinen Gedanken nach. Ich wurde den Eindruck nicht los, daß mir diese junge Nonne etwas verschwieg, das durchaus entscheinend sein konnte. Drängen wollte ich sie nicht. Vielleicht erzählte sie mir von sich aus, was sie bedrückte. Man hatte schon auf uns gewartet. Die Äbtissin schaute uns mit einem sehr strengen Blick an. Bevor Innocencia zu einer Erklärung ansetzte, redete ich und griff zu einer kleinen Notlüge. »Pardon, Ehrwürdige Mutter, aber ich habe mich leider verschlafen.« »Ach ja?« Sie schüttelte den Kopf und wischte über ihre Augen. »Komisch, ich benötige wohl eine neue Brille, denn ich glaubte Sie und Innocencia im Garten gesehen zu haben. Nun ja, spielt ja keine Rolle. Wir freuen uns, daß Sie hier sind.« Meine Begleiterin bekam ein knallrotes Gesicht. Auch ich schämte mich, bei einer Füge ertappt worden zu sein. Wenn die Zeit dafür war, wollte ich es richtigstellen. Innocencia setzte sich auf ihren Platz zwischen den anderen Nonnen. Ich saß an der Stirnseite des langen Tisches und der Äbtissin direkt gegenüber. Es wurde gebetet, und auch ich faltete die Hände. Die Nonnen hielten die Köpfe gesenkt, meiner Ansicht nach nicht nur wegen der Andacht. Aus halb geschlossenen Augen schielten sie in die Runde, und zumeist wurde ich von ihren Blicken getroffen. Es amüsierte mich, daß ich heimlich beobachtet wurde. Als Besucher schien ein männliches Wesen selten im Kloster zu sein. Von der Altersstruktur her waren praktisch alle Phasen am Tisch vertreten. Allerdings überwogen bei den Nonnen die älteren Jahrgänge. Für die Schwestern war es nicht einfach, Nachwuchs zu finden. Das Frühstück war gut und reichhaltig. Auf Kaffee wurde verzichtet, die warme Milch oder der Tee schmeckten auch so. Dazu aß ich dunkles Brot. Es gab Käse und Konfitüre, Wurst wurde nicht gereicht. Die Nonnen unterhielten sich leise miteinander. Man sprach über den Tagesablauf, doch eine Diskussion wollte nicht in Gang kommen. Die
Frauen kamen mir irgendwie gehemmt vor, was möglicherweise auch an meiner Anwesenheit liegen konnte. Des öfteren traf mich der Blick der Äbtissin. Mir kam es vor, als wartete sie darauf, daß ich etwas sagte, möglicherweise von meinen Plänen berichtete. Den Gefallen tat ich ihr nicht. Wußte ich denn, ob jede Person am Tisch eingeweiht war? Natürlich würde ich ihr von meinen Erlebnissen im nächtlichen Klostergarten berichten, und das am besten direkt nach dem Frühstück, wenn auch noch die anderen Nonnen am Tisch saßen, weil keine aus Versehen über den toten Fuchs stolpern sollte. Als ich mit meinem Messer leicht gegen die Tasse schlug, was ein hell klingendes Geräusch verursachte, wandte mir jede Frau ihre Aufmerksamkeit zu. »Entschuldigen Sie, daß ich so einfach das Wort übernehme, aber ich halte es für angemessen, Ihnen von einem Vorfall zu berichten, der sehr merkwürdig ist.« Nach dieser Einleitung folgte gespanntes Schweigen. Bis auf Innocencia wußte keine der Anwesenden Bescheid. Sämtliche Blicke richteten sich auf mich. Ich fiel mit der Tür quasi ins Haus, als ich sagte: »In Ihrem Nutzgarten liegt ein toter Fuchs!« Schweigen, gleichzeitig stille Unruhe, nur an den sich bewegenden Augen der Frauen abzulesen. Schließlich ergriff die Äbtissin das Wort. »Können Sie das genauer erklären, Mr. Sinclair?« »Das werde ich sogar.« In den folgenden Minuten hörten mir die Nonnen zu, ohne Zwischenfragen zu stellen. Ich übertrieb nichts, fügte nichts hinzu und blieb bei meinem sachlichen Bericht. Niemand stellte sie, obwohl sie den Schwestern auf den Seelen brannten! Es gab hier eine Rangordnung, eine Hierarchie, die genau eingehalten wurde, deshalb überließ man der Äbtissin das Wort, die ihren Kopf leicht gedreht hatte und gegen die Reihe der kleinen Fenster in der Wand schaute, hinter denen sich die Helligkeit des morgendlichen Sonnenlichts verteilte. »Tot ist tot«, sagte sie. »Aber ich gehe trotzdem davon aus, daß es kein normaler Tod gewesen ist, Herr Oberinspektor?« »Da gebe ich Ihnen recht. Es; war auch kein normaler Fuchs. Dieses Tier stand mit dem Bösen im Bunde. Es folgte nicht mehr seinem eigenen Antrieb, sondern einer gefährlichen, schwarzmagischen Kraft, die meiner Ansicht nach ihren Ursprung in der Hölle hat.« Ich nickte. »Und damit müssen wir uns abfinden.« Meine Worte waren nicht ohne Eindruck geblieben. Eine jede Nonne hier am Tisch konnte mit Begriffen wie Teufel und Hölle etwas anfangen.
Obwohl im Glauben gestärkt, so bereiteten ihr diese Worte so etwas wie Unbehagen. Und aus ihrer Mimik war die Angst herauszulesen. Zwei Ausnahmen gab es. Innocencia und die Äbtissin Clarissa, sie blickten in andere Richtungen und überlegten. Dann überraschte mich die Äbtissin mit einer Frage: »Wissen Sie, was das Wichtigste für uns Menschen ist, Mr. Sinclair?« Ich kam ins Grübeln. »Da gibt es viele Dinge . ..« »Die wichtigsten . . .« »Gesundheit und . . .« »Das zählt auch dazu. Aber Sie gehen den falschen Weg, Oberinspektor. Die wichtigsten Dinge sind sauberes Wasser und saubere Luft. Sind sie nicht mehr vorhanden, wird der Mensch eingehen.« »Da haben Sie recht, die Umwelt also.« »So ist es. Ich will, daß die Umwelt nicht länger belastet wird. Dazu zähle ich nicht nur die sichtbare Verschmutzung wie den Rauch, den Müll und Abgase, für mich zählt auch der Satan dazu. Satan und seine verfluchten Diener.« Plötzlich schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. So laut, daß zahlreiche Personen sich erschreckten, ich eingeschlossen. »Finden Sie diese Brut, Mr. Sinclair, und löschen Sie sie aus. Der Teufel darf die Seelen der Kreaturen nicht verschmutzen! Egal, ob Mensch oder Tier.« Ich nickte über dcn'Tisch hinweg. »Kompliment, Äbtissin, Sie sind eine sehr kluge Frau.« »Nein, das bin ich nicht. Nur eine Person, die nachgedacht hat. Man darf mich nicht für weidfremd halten. Ich weiß, was in dieser unmittelbaren Umgebung passiert ist. Ich habe über das Furchtbare gelesen. Wahrscheinlich wurde deshalb das Kloster genau an diese Stelle gesetzt, um damit dem Bösen zu trotzen. Es sind nicht mehr die ganz alten Mauern, die liegen tief in der Erde, aber sie atmen noch immer den Geist unserer längst verstorbenen Schwestern aus. Der Teufel hat versucht, über die Tiere, die Füchse, Einfluß zu gewinnen, und der hat sich leider bis zum heutigen Tage gehalten.« Widersprechen konnte ich ihr nicht. Allein aus diesem Grunde war ich hergekommen. Die Äbtissin wunderte sich, von mir keine Antwort zu bekommen, und hakte nach. Ich hob die Schultern. »Sie sehen mich zwar nicht ratlos, Ehrwürdige Mutter, aber ich bin im Augenblick überfragt. Ich weiß leider nicht genau, wo ich ansetzen soll.« »Haben Sie nicht schon den alten Fuchs gefunden? Diese furchtbare Quelle des Bösen?« »Stimmt. Nur war jemand schneller, das wissen Sie. Ich habe nur die Reste zerstören können, der wahre Geist des Bösen aber ist leider befreit worden.«
»Wo kann er sein?« Ich runzelte die Stirn. »Vielleicht hier?« fragte ich leise, aber durchaus verständlich. Die Nonnen starrten mich erschreckt an. Eine ergraute Person saß in meiner Nähe. »Aber doch nicht in unserem Kloster?« »Wer weiß. Der Teufel findet stets seine Wege. Hat er nicht auch eine Person aus Ihrer Mitte gerissen und sie in den Tod gezerrt?« »Ja, das hat er. Und wir waren nicht in der Lage, unsere Schwester zu schützen.« »Manchmal ist die Hölle sehr stark. Ich kenne das. Aber ich möchte Sie nicht beunruhigen und Ihnen sagen, daß ich bereits gewisse Maßnahmen ergriffen habe. Ich rief einen sehr guten Freund und Kollegen von mir an. Er ist sehr früh aus London abgefahren und müßte schon bald hier eintreffen.« »Was werden Sie dann tun?« fragte die Äbtissin. Ich hob die Schultern. »Wenn Sie mich nach meinem Beruf fragen, so würde ich den Begriff Exorzist abstreiten. Wir werden uns wohl auf die Suche nach der Maske begeben. Nach der Person, der es gelungen ist, die Magie des Teufels aufzufangen und sie weiterzu-transportieren. Das ist meine Devise.« »Darf ich fragen, wo Sie mit der Suche beginnen werden? Ihre Worte hörten sich an, als wollten Sie dieses Kloster nicht ausschließen.« Ich nickte. »Richtig, Ehrwürdige Mutter. Ich möchte auch diese Mauern unter die Lupe nehmen.« Selbst über die Länge des Tisches hinweg erkannte ich, daß ihre Augen verglasten. »Was bitte, versprechen Sie sich davon, Mr. Sinclair? Wir sind ein Hort gegen das Böse . . .« »Stimmt. Nur haben Sie selbst gesagt, daß es noch die alten Mauern gibt. Kann es nicht sein, daß sich dort der damalige Geist der Hölle manifestiert hat?« »Ich weiß es nicht.« »Waren Sie nie dort? Oder gibt es keinen Zugang zu diesem alten Teil des Klosters?« »Ja, aber er ist verschlossen.« Ich lächelte kantig. »Dann werde ich ihn eben öffnen. Brauche ich dafür Werkzeug?« Sie hob die Schultern. »Es ist eine alte Falltür, wenn Sie verstehen. Sie liegt abseits. Wir haben etwas dar-übergestellt. Niemand soll in Versuchung kommen, sie zu öffnen. Ich leite dieses Kloster seit über dreißig Jahren, und bisher habe ich mich immer an das Wort meiner Vorgängerin gebunden gefühlt. Heute jedoch hat es sich geändert. Ich weiß, daß wir zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen müssen, um den Satan von hierzu vertreiben.« »Das sehe ich auch so.«
»Um eines allerdings möchte ich Sie bitten, Mr. Sinclair. Wenn es geht, lassen Sie meine Schwestern aus dem Spiel. Ich weiß nicht, ob jede von ihnen diesen fürchterlichen Anforderungen gewachsen ist, die zwangsläufig auf sie zukommen werden.« Mein Nicken und das gleichzeitige Lächeln sollten sie beruhigen. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Ehrwürdige Mutter. Ich werde meinen Weg allein gehen oder zusammen mit meinem Freund und Kollegen. Das bin ich gewohnt.« »Können denn die Schwestern Ihrer normalen Tagesarbeit nachgehen?« fragte sie. »Darum bitte ich sogar. Nichts soll bei Ihnen anders sein. Nur ich werde meine Arbeit in Angriff nehmen.« Die Äbtissin legte ihre Handflächen auf die Tischplatte. »Gut«, sagte sie mit einer Stimme, deren Klang etwas Endgültiges besaß. »Ich hebe damit diese Tafel auf.« . Ganz war noch nicht Schluß, denn es wurde wieder gemeinsam gebetet. Danach hörte ich aus den Reihen der Nonnen eine schüchterne Frage. »Ich hatte mir vorgenommen zu beichten, Ehrwürdige Mutter. Bleibt es dabei. Kann ich zu Ihnen kommen?« »Der Beichtstuhl ist frei für dich, mein Kind.« »Danke.« Erst als die Äbtissin sich erhoben hatte, standen auch die übrigen Nonnen auf, Fast scheu verließen sie den großen Raum. Still und mit gesenkten Köpfen. Nur Innocencia nicht. Sie wartete an der Wand gelehnt, dicht unter einem braunem Holzkreuz. Als sich unsere Blicke trafen, nickte sie mir zu. Ich verstand das Zeichen und ging zu ihr. »Was gibt es?« »Muß ich bei Ihnen bleiben, John?« »Nein«, erwiderte ich lachend. »Das ist meine Arbeit. Lassen Sie sich nicht stören. Darf ich fragen, was Sie vorhaben?« »Ich muß Briefe beantworten.« Sie lachte leise. »Ich bin so etwas wie eine Briefkastentante, wenn Sie verstehen. Das sind die Fragen, die in der Yellow Press...« »Ja, ich weiß. Fragen Sie Frau Betty oder so .. .« »Genau, nur ist es bei mir echter, denn ich werde oft von jüngeren Leuten angeschrieben, die starke Probleme haben. Zumeist sind es Mädchen, die nicht mehr weiterwissen. Da gehen manche zu ihrem Pfarrer, der ihnen dann erklärt, daß ihre Probleme bei mir besser aufgehoben sind. So etwas drängt oft.« »Ich bitte Sie, Innocencia. Ich bin der letzte, der sie davon abhalten würde. Auch die Beichte der . . .« »Sie meinen Schwester Christiana?«
»Wenn sie so heißt...« »Sie ist erst zwei Monate bei uns und steckt in ihrer erste Krise. Sie weiß nicht, ob sie bleiben will oder kann. Die Äbtissin gibt ihr in langen persönlichen Gesprächen und auch bei der Beichte die entsprechenden Ratschäge.« »Hier ist niemand allein gelassen, wie?« »Nein. Jeder ist für jeden da, und das finden wir alle hier gut. Besser als draußen, wo Neid, Mißgunst und Übervorteilung herrschen. Sie leben die Gemeinschaft vor, obwohl es auch bei uns Kritik gibt.« »Sicher man liest viel.« »Das ist es nicht. Da saugen sich die meisten etwas aus den Fingern.« Sie berührte leicht meinen rechten Arm. »Wir sehen uns später, John. Und viel Glück bei der Suche.« Ich hatte noch eine Frage. »Wie stehen Sie denn zu dem Problem?« Innocencia schaute mich nachdenklich an, hob dann die Schultern und sagte: »Ich weiß nicht. Noch ist alles so unglaubwürdig und furchtbar. Ich möchte mich dazu nicht äußern.« Sie ging davon und wurde als Gesprächspartnerin von der Äbtissin abgelöst. »Bleibt es bei Ihrem Vorhaben, Mr. Sinclair?« »Natürlich.« »Gut, dann werde ich Sie gleich in den entsprechenden Raum führen, wo sich der Einstieg befindet. Es wird noch dauern, eine halbe Stunde möglicherweise.« »Die Beichte?« »Ja.« »Das macht mir nichts. Ich muß sowieso auf meinen Freund warten. Er würde sich wundern, wenn er mich nicht findet.« »Wo treffe ich Sie?« »Ich schaue mich draußen ein wenig um. Man soll den Sonnenschein genießen, solange er noch vorhanden ist, finde ich.« »Da sprechen Sie mir aus der Seele, Mr. Sinclair.« Die Äbtissin nickte mir zu und ging davon. Ich aber begab mich nach draußen, wo mir die Sonne warm ins Gesicht schien. Dennoch fror ich innerlich. Für mich ein Zeichen und eine gleichzeitige Warnung... *** Suko riß die Arme hoch! Etwas anderes konnte er nicht tun, denn ihm blieb keine Zeit mehr, nach seinen Waffen zu greifen, weil der rasende und veränderte Fuchs bereits zu nahe an ihn herangekommen war.
Gleichzeitig warf sich Suko zurück in den Wagen, was sein Glück war, denn der Fuchs hatte bei seinem Sprung noch die Enge der Fahrerseite berechnet. So prallte er seitlich gegen den Lenkradring, und die aufgerissene Killerschnauze geriet aus der Bißrichtung. Suko bekam Zeit, die er auch nutzte. Er winkelte das rechte Bein an und stieß es sofort danach wieder vor. Sein Schuh drückte gegen das Fell am Bauch, dann ein heftiger Tritt, und der Fuchs wurde von der Kraft zurückgeschleudert. Suko hörte in wütend knurren. Der rotbraune Körper verschwand vor seinen Augen, er prallte zu Boden, rollte sich dort herum und jagte wieder hoch. Geduckt sprang Suko aus dem Wagen. Ein gezielt geführter Karatetritt gegen die Flanke schleuderte den Fuchs zur Seite. Er heulte und biß vor Wut in das Gras, in dem er gelandet war. Wie ein Stehaufmännchen schnellte er hoch, da hatte Suko seine Beretta bereits gezogen. Als der Fuchs den Kopf herumdrehte und den Inspektor mit seinen roten unnatürlichen Augen anstarrte, drückte Suko ab. Das geweihte Silber fand sein Ziel genau zwischen den Augen. Es sah so aus, als würde der Schädel des veränderten Tieres auseinanderfliegen. Der , Fuchs drehte sich, schlug noch einmal mit den Läufen, kratzte über den Boden und sank zusammen. Regungslos blieb er im etwas tieferen Straßengraben liegen, und Suko ging langsam auf ihn zu. Nein, von diesem Tier drohte ihm keine Gefahr mehr. Eine Kugel hatte ausgereicht, um dessen Existenz zu vernichten. Mit dem Fuß drehte Suko den Kopf so, daß er in die Augen blicken konnte. Kein Rot schimmerte mehr in ihnen. Sie hatten die kräftige Farbe verloren und sahen jetzt aus wie sprödes Glas, das dicht vor dem Zerbrechen stand. Tief atmete der Inspektor durch. Aus der Kugelwunde drang nicht viel Blut, nur ein kleiner Rinnsal, aber es besaß eine dunkle, fast schwarze Farbe, was Sukos Verdacht zur Gewißheit verdichtete, daß er es bei diesem Tier mit einem von teuflischen Kräften veränderten zu tun hatte. Hier hatte die Hölle tatsächlich ihre Hände im Spiel gehabt. Er drehte sich um, suchte nach anderen Gegnern, entdeckte keinen mehr, und auch auf der Weide war es wieder still geworden. Die Kühe hatten sich wieder beruhigt. Hier und da gaben sie noch ein dumpf klingendes Muhen ab, das war auch alles. Dennoch reagierten sie anders als gewöhnlich, den sie hatten sich in einem großen Kreis aufgestellt, in dessen Mitte die von dem Fuchs vernichtete Kuh lag. Aus dem Gras ragte ihr Körper hervor wie ein dunkler, etwas in die Länge gezogener Hügel.
Suko wollte sich die tote Kuh aus der Nähe anschauen. Er überquerte die Straße und sprang über den Zaun. Seine Füße versanken im weichen Gras. Die Tiere glotzten ihn an, als er die Weide überquerte. Manche bewegten träge ihre Schwänze, weil sie damit die Fliegen vertreiben wollten. Die tote Kuh blutete aus, und Suko erschrak, als er sah, welche Wunden die Zähne des Fuches gerissen hatten. Das war kaum mehr erklärbar. Der Körper sah an dieser Stelle aus, als wäre er in die Klammer eines Monstrums gelangt. Der Inspektor schluckte. Er schüttelte den Kopf und schritt um das tote Tier herum. Andere Spuren, die sich verfolgen ließen, hatte der Fuchs nicht hinterlassen. Nicht weit entfernt hob sich der dunkle Saum des Waldrandes ab. Dort gab es genügend Deckung und Möglichkeiten, sich zu verstecken. Es wäre die reinste Zeitverschwendung gewesen, am Waldrand zu suchen. Wichtig waren andere Dinge. Beim Zurückgehen dachte Suko über die nahe Zukunft nach. Er konnte praktisch zwischen zwei Alternativen wählen. Entweder fuhr er zum Kloster, wo sein Freund John Sinclair auf ihn wartete, oder aber in den Ort, aus dem der Mann mit dem Transporter gekommen war und so ungewöhnlich reagiert hatte. Suko konnte sich vorstellen, daß er nicht der einzige Mensch war, der eine derartige Furcht vor gewissen Dingen spürte. Möglicherweise fand er des Rätsels Lösung in Fieldham oder zumindest einen Teil davon. Im Kloster konnte er anrufen und Bescheid sagen. Das tat er vom Wagen aus. Leider hob niemand ab. Auch nach dem siebten Klingeln nicht, und Suko legte frustriert auf. Dann fuhr er an. Bis zum Ziel hatte er nicht mehr weit zu fahren. Nach einer Kurve, von der aus eine schmalere Straße nach links abzweigte, die direkt zum Kloster führte, sah er bereits die breite Front der Häuser. Jeder hatte gebaut, wie es ihm gefiel. Bei einem derartig schönen Sommertag hätte in den Morgenstunden eigentlich Betrieb herrschen müssen. Das war nicht der Fall. Zwar fuhr der Inspektor in kein Geisterdorf ein, aber Menschen sah er kaum im Freien. Und wenn, dann machten sie ihm einen ängstlichen und irgendwie bedrückten Eindruck. An der Tankstelle schaukelte das Schild >closed< im leichten Sommerwind. Die Sonnenstrahlen warfen Reflexe auf die grell gemalten Buchstaben. Was war passiert?
Einen '['eil der Antwort auf seine Frage bekam der Inspektor in den nächsten Sekunden zu Gesicht. Rechts von ihm, direkt in einem Rinnstein, lagen die toten Tiere wie aufgereiht. Vier leblose Hühner und ein Hahn. Klumpen waren von ihnen zurückgeblieben. Ein rötlicher Mischmasch aus Fleisch, Knochen und Federn, schrecklich anzusehen und umweht von schwarzen Fliegenschwärmen. Suko ließ das Fensternach unten gleiten. Der Geruch drang sofort in das Wageninnere. Und welch ein Gestank! Fürchterlich - eine Mischung aus Blut und Verwesung. Das passierte bei diesen heißen Temperaturen schnell. Kadaver verwesten so rasch, daß man dabei zuschauen konnte. Aber der Gestank konnte nicht nur von den vier Hühnern und dem Hahn ausgehen. Auf der anderen Straßenseite sah Suko ebenfalls die Reihe der toten Tiere. Katzen, Hunde sogar zwei Rehe lagen im Schatten einermächtigen Eiche. Suko lenkte seinen Wagen auf die linke Seite und stellte ihn nicht weit entfernt ab. Er schaute auf die seitliche Front eines Backsteinhauses, an dessen Mauer Efeu wuchs. Hinter zwei Fenstern nahm er Bewegungen wahr. Man beobachtete ihn also. Das Summen der Kadaverfliegen blieb zurück, als er sich dem Haus mit langsamen Schritten näherte. Er rechnete damit, nicht willkommen zu sein, das machte ihm nichts aus. Er hatte seine Fragen und würde sie stellen. Die grüngestrichene Tür besaß weiß lackierte Innenränder und eine Klingel. Suko schellte. Errechnete auch damit, daß nicht geöffnet wurde, ein Irrtum, denn ein Mann zog die Tür auf. Suko schaute in ein bleiches Gesicht, das Schweißperlen zierten. Dunkle Augen blickten ihn abwehrend an. Der Mann hielt die spaltbreit geöffnete Tür noch fest, als er eine Frage stellte, die Suko völlig überraschte. »Sind Sie der Teufel?« »Sehe ich etwa so aus?« Eine andere Antwort fiel Suko auf die schnelle nicht ein. »Habe ich zwei Hörner und einen Bocksfuß?« »Verdammt!« Der Mann versprühte bei seiner Antwort Speichel. »Sie sind verrückt. Das ist kein Scherz.« »Ich weiß, denn ich habe die toten Tiere gesehen.« »Auch gerochen, Mister?« »Natürlich.« Der andere lachte. »Dann wissen Sie ja, was Sache ist. Hier hat der Tod Einzug gehalten, und er hat sich sogar einen Begleiter mitgebracht. Es
ist der Teufel, verstehen Sie? Der Teufel! Glauben Sie an den Teufel? Haben Sie ihn schon mal gesehen?« »Nicht direkt, aber . . .« »Gehen Sie.« keuchte der Mann. »Gehen Sie sofort. Auf der Stelle. Hier ist der Ort des Sterbens. Erst sind es die Tiere, danach kommen die Menschen an die Reihe, die Menschen! Haben Sie mich nicht verstanden? Warum sind Sie noch hier?« »Vielleicht bin ich wegen der Toten gekommen, Mister, das ist doch möglich.« »Ach ja? Wollen Sie die Leichen aufsammeln? Sind Sie so etwas wie ein Sammler?« »Kann sein.« »Nein, ich . . .!« Der Mann war durcheinander, das merkte Suko sehr schnell. Dann hatte er sich entschlossen und wollte die Tür zurammen. Weit kam er damit nicht. Suko hatte längst seinen rechten Fuß hochkant gestellt, so donnerte die Tür vor seine Sohle. Das Holz wippte, es federte noch nach, der Mann holte laut Luft. »Lassen Sie mich rein!« »Nein, zu mir kommt der Teufel nicht!« »Verdammt noch mal, ich habe mit dem Teufel nichts zu tun!« Suko drückte jetzt gegen das Holz. Aus dem Hintergrund hörte er die leicht schrill klingende Stimme einer Frau. »Was ist denn, Duncan? Wirst du mit diesem Chinesen nicht fertig? Willst du . . .« »Der Chinese ist Polizist!« rief Suko so laut, daß es auch die Frau hören konnte. »Verstehen Sie, Polizist?« Bei Duncan löste die Antwort einen leichten Schreck aus. Seine Haltung änderte sich, und Suko konnte die Tür beinahe schon bequem aufdrücken. Zur Beruhigung hielt er seinen Dienstausweis in der rechten Hand. In einem kleinen Flur, der muffig roch, blieb er stehen. Unter seinen Füßen spürte er die Weiche einer Bastmatte. Die Frau näherte sich aus dem Hintergrund. Sie hatte ihre Küche verlassen. »Wirklich Polizei, Mister?« »Ja, Sie können den Ausweis sehen.« Die Frau holte aus der Kitteltasche eine Brille mit kreisrunden Gläsern. Sie zwinkerte hinter der Optik, schüttelte den Kopf und nickte später. Sie besaß eine rundliche Figur, ein ebenfalls rundes Gesicht und kurzgeschnittenes dunkles Haar. Im Alter lag sie so um die vierzig. »Ja, Duncan, der ist wirklich ein Bulle. Sogar ein besonderer. Scotland Yard.« Der Mann trug sein schwarzes Haar gescheitelt. Die breite Seite schleuderte er mit einer Kopfbewegung nach hinten. »Na und? Was nutzt uns das denn? Die Tiere sind tot, und das ist erst der Anfang, kann ich dir versprechen.«
»Meinst du?« »Klar doch. Das ist der Beginn. Ich . . . ich drehe hier bald noch durch, zum Henker.« »Sollen wir uns nicht setzen?« Suko sprach ruhig. Das Ehepaar schaute sich an. »Gut«, sagte die Frau schließlich. »Gehen wir.« Beide führten Suko in eine Wohnküche, in der sich auch viel KirmesKitsch angesammelt hatte. Vom Teddybären bis zur verstaubten Zimmerpalme war alles vorhanden. Die Scheiben der Fenster glänzten so blank wie Spiegel. Die Frau hatte Sukos Blick bemerkt. »Ich habe sie in der Frühe noch geputzt«, erklärte sie. »Man sieht es, wie?« »Und ob.« »Rita ist auch ein Teufel, aber ein Putzteufel«, sagte der Mann und lachte dabei. Schnell wurde er wieder ernst. »Auch von uns lebt kein Huhn mehr«, erklärte er. »Sie sind alle getötet worden.« »Wissen Sie, wer der Mörder ist?« »Das kann kein Mensch sein«, flüsterte Rita. »Verdammt noch mal, ich sage Ihnen, daß es kein Mensch sein kann.« »Stimmt!« Suko nickte. Die beiden saßen ihm gegenüber wie Chorknaben, so steif und aufrecht. Jetzt schauten sie ihn gemeinsam an, wobei sich ihr Blick nicht von dem des Mannes unterschied. »Sie haben das mit einer so großen Bestimmheit untermauert. Woher wissen Sie das?« Suko hatte an der Tür den Namen gelesen. Die beide hießen Wilson. »Mrs. Wilson, die Sache ist die. Ich bin gekommen, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Ich will den oder die Killer jagen, und ich habe sie selbst schon erlebt. Es waren die Füchse, verstehen Sie? Die Füchse haben die Tiere getötet, und sie sind auch in der Lage, Menschen anzufallen und zu zerbeißen.« Rita Wilson nickte mit großen Augen. »Ja, Sir, das wissen wir. Das haben wir schon herausgefunden. Es ist einfach grauenhaft. Die Füchse drehen durch.« »Einmal hat es ja so kommen müssen«, sagte ihr Mann. »Ich habe immer daran geglaubt.« »Ach ja.« »Sicher, Mister, sicher. Dieses Dorf ist wunderbar, die Gegend ist auch herrlich. Alles ist einfach toll, das kann ich Ihnen sagen. Aber keine Sonne ohne Schatten. Und den Schatten, den ich meine, den hat der Teufel hinterlassen.« »Aber nicht hier — oder?« »Nein, Sir, weiter entfernt. Im Gelände, Dort ist vor unendlich langer Zeit der Satan erschienen und hat sich der Füchse bemächtigt. Er hat ihnen sein Zeichen aufgedrückt, das mit einem Brandmal zu vergleichen ist. Er
hat dort etwas hinterlassen, was nicht ausgemerzt werden konnte. Unseren Vorfahren ist es gelungen, die meisten zu verbrennen, aber den Anführer, den haben sie nicht geschafft. Wenn etwas eintritt, was jetzt eingetreten ist, dann ist es das Zeichen dafür, daß jemand den Anführer befreit hat.« »Wer kann das sein?« Die Duncans bekamen beide das große Staunen. »Das wissen wir doch nicht.« »Überlegen Sie.« »Nein, Sir, keine Chance.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts. Da können Sie mich teeren und federn. Ich habe einfach keine Ahnung.« »Ist Ihnen hier in Fieldham etwas aufgefallen? Haben Sie Fremde gesehen, die sich einfach ungewöhnlich benommen haben?« »Wen denn?« »Personen, die Sie nicht kennen. Die eintrafen, kurz bevor es passierte.« Beide verneinten wieder. Sie saßen noch immer wie Schulkinder auf der Couch, die Sonne im Rücken, die gegen die blanke Fensterscheibe schien. Rita Wilson knetete ihre Hände. »Haben Sie denn da einen bestimmten Verdacht, Sir?« »Ich hörte etwas.« »Dann wissen Sie mehr als wir.« Rita Wilson nickte heftig. »Abwarten, Madam. Mir kam zu Ohren, daß sich in der Gegend jemand herumtreiben soll, der furchtbar aussieht. Der kein Gesicht mehr hat, sondern nur noch eine maskenhafte Masse, und der nur einen Hut trägt, wenn er unterwegs ist.« Beide Wilsons schauderten zusammen, als Suko ihnen die Gestalt beschrieb. Sie bekamen jetzt schon Furcht, das war ihnen sehr deutlich anzusehen. »Wir kennen keine Maske«, flüsterte Rita. Jetzt wischte sie ihre Hände am geblümten Kittel trocken. »Sie nicht. Andere möglicherweise?« »Kann sein. Ist alles möglich. Ja, das . . . aber . . . wir haben mit niemanden darüber gesprochen. Die Menschen hier in Fieldham sind entsetzt.« Suko wurde jetzt konkret. »Wann genau begann der Terror dieser Teufelsfüchse?« »Vor zwei Tagen, glaube ich.« Duncan schaute seine Frau an. »Ist es nicht so?« »Ja, ich glaube.« »Wie viele Tiere sind den Angriffen denn zum Opfer gefallen?« Sie hoben gleichzeitig die Schultern, Rita fing an zu weinen. »Ich . . . ich kann mir vorstellen, daß keiner mehr lebt.« »Und was sagt die Polizei?«
Da lachte Duncan Wilson auf. »Wir haben keinen Konstabier hier. Sie wissen doch, es gibt zu wenig Geld. Ein Beamter betreut drei Ortschaften. Laut Statistik passiert hier nichts. Das haben wir selbst zu hören bekommen. Klar, wir haben die Vorfälle gemeldet«, er pausierte, weil sich seine Frau die Nase putzte, »aber man hat uns praktisch ausgelacht und auffahren lassen. Da hat sich nichts getan. Wer kümmert sich schon um tote Tiere? Man hat uns geraten, sie zu begraben.« »Was nicht geschehen ist.« »Stimmt.« »Und warum nicht? Verfaulte Kadaver können Seuchen bringen. Denken Sie dran.« »Es traut sich niemand raus. Die meisten haben Angst, daß es auch sie erwischt. Haben Sie denn nicht selbst gesagt, daß Sie von den Füchsen angegriffen worden sind. Die haben doch die teuflische Tollwut in sich, denke ich.« »Sicher. Mr. Wilson. Eine Frage noch. Über die genaue Anzahl der Füchse wissen auch Sie nicht Bescheid?« »Nein. In dieser Gegend gibt es viele. Die Menschen waren stolz darauf. Viele Füchse, so sagt man, zeugen von einer noch intakten Umwelt.« Er beugte sich vor. »Und jetzt ist sie im Arsch«, flüsterte er. »Eine alte Rache hat uns eingeholt. Wir stehen an der Schwelle, wo wir für die Sünden unserer Ahnherren büßen müssen, und zwar schwer büßen müssen, Inspektor, das sage ich Ihnen.« »Da fällt mir noch etwas ein. Eine Verbindung zwischen den Füchsen, der Maskengestalt und dem in der Nähe liegenden Kloster könnten Sie auch beim besten Willen nicht herstellen.« Sukos Frage hatte die beiden sprachlos gemacht. »Das... das«, flüsterte die Frau. »Das ist ja Wahnsinn.« »Ich habe nur nachgedacht.« »Aber doch nicht die Nonnen!« keuchte Duncan. Er schlug gegen seine Stirn. »Die Nonnen und der Teufel. Das ist wie Feuer und Wasser. Nein, die stehen auf unserer Seite.« »Hoffentlich.« »Wie meinen Sie das denn?« Suko winkte ab. »Lassen wir das.« Als er aufstand, blieben die beiden hocken. »Und wo wollen Sie jetzt hin?« erkundigte sich die Frau. »Ich schaue mich im Ort um.« »Suchen Sie den Maskenmann?« »Möglich. Wäre schön, wenn er mir über den Weg liefe. Aber ich will sehen, ob ich die Füchse vor die Mündung bekomme. Vielleicht gibt es auch so etwas wie ein Versteck, von dem aus sie agieren. Hätten Sie da eine Idee. Sie kennen sich schließlich aus.«
»Versteck?« hauchte Mrs. Duncan. »Hier im Ort? Das glauben Sie doch selbst nicht. Die sind draußen. Hier haben sie fast alles getötet. Was jetzt noch an Tieren lebt, das haben die Besitzer mit in ihre Wohnungen genommen.« »Okay, danke. Wenn ich zum Kloster will, muß ich wieder zurück und den schmalen Weg nehmen, der von der Kurve aus abzweigt.« »Ja, Sir.« Suko ging durch den schmalen Flur auf die Haustür zu. Hinter sich hörte er die Schritte des Ehepaares. Alles war normal, bis zu dem Zeitpunkt, als Suko die Tür öffnete, nach draußen schaute und sein Blick wie zufällig auf die große Eiche mit ihrem mächtigen und schattenspendenden Astwerk fiel. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber innerhalb des Baumes und den Körper gegen eine Astgabel gestemmt, hockte wie ein Panther sprungbereit ein Fuchs mit roten tödlichen Augen. Suko zog die Berctta, als er die Bewegungen in der Nähe seines Wagens sah. Da wanderten zwei Schatten über den Boden, die in rötlich braunen Fellkörpern mündeten. Noch zwei Füchse! Und über sich, auf dem Dach des nicht sehr hohen Hauses hörte er ebenfalls ein drohendes Knurren. Er war von Killer-Füchsen umzingelt! *** Kalt kam ihr die Kapelle vor, manchmal sogar eisig und auch nicht eben einladend, denn sie besaß in ihrem Innern so gut wie keinen Schmuck, von den hohen Festtagen einmal abgesehen. Die Wärme des Tages blieb draußen. Große Fenster besaß die Kapelle nicht, die Öffnungen konnte man mit breiten, langgezogenen Schlitzen vergleichen, die das Mauerwerk auflockerten. Keine Blumen, keine wertvollen Figuren oder besondere Bilder. Ein Taufbecken aus Stein, ein schlichter Altar, davor die dunkelbraunen Betund Sitzbänke ohne Polster, zwei Kerzen am Altar, dahinter das große, schlichte Kreuz. Weiß schimmerten die Wände, so daß sie das Innere immer aufhellten. Auf dem dunklen Steinboden aber verlor sich das Licht, und über den Stein schritt Schwester Christiana, wobei sie den Echos ihrer eigenen Schritte lauschte. Ihr Ziel war nicht der Altar, sondern der menschenhohe schmucklose Kasten an der rechten Wand. Rechts und links zwei offene Eingänge, in der Mitte eine Tür, durch die sich der Pfarrer in den Beichtstuhl schieben konnte.
Hin und wieder kam ein Pfarrer, um den Nonnen die Beichte abzunehmen, in der Regel aber kümmerte sich die Äbtissin um die seelischen Nöte ihrer Schäfchen. Und eine derartige seelische Not durchlebte auch Christiana. Sie wußte nicht, wie es für sie persönlich weitergehen sollte. Einerseits fühlte sie sich von diesem schlichten Leben der Nonnen angezogen, andererseits drängte es sie hinaus in die Welt, wo sie eine völlig andere Rolle spielen würde. Die Kälte der Kapelle sah sie als typisch an, denn auch in ihrem Innern spürte sie eine gewisse Kälte. Sie war verhärtet, sie ließ sich zu sehr von Emotionen leiten, und als sie diesen Polizisten gesehen hatte, da war es wieder hochgekommen. Dieser Mann kam von draußen. Er kam aus der Welt, die sie hinter sich gelassen hatte. Er würde wieder in sie zurückgehen und sich dort einordnen. Aber sie? Christiana schüttelte den Kopf. Sie kam nicht zurecht. Sie holte saugend Luft, schüttelte den Kopf und stützte sich wie eine alte Frau auf die Bank. »Was soll ich denn machen?« flüsterte sie. »Was soll ich tun?« Sie selbst war nicht mehr in der Lage, sich einen Ratschlag zu geben, deshalb hatte sie um das Gespräch im Beichtstuhl mit der Äbtissin gebeten, ohne allerdings davon überzeugt zu sein, eine Lösung zu finden. So einfach war das nicht, das brauchte Wochen, wenn nicht sogar Monate. Aber sie wollte das 'Thema anreißen. Zudem hatte die Äbtissin bereits gemerkt, was mit der jungen Nonne vorging, in welch einer Zwickmühle sie steckte. Da brauchte Christiana nur die Blicke der älteren Frau richtig zu deuten. Sie war eine sehr gute Beobachterin und Psychologin. Mit ihren Schuhen schlurfte sie über den Steinboden. Es fiel ihr plötzlich schwer die Beine anzuheben, und sie hatte ein ungewöhnliches Gefühl beschlichen. War es Angst? Möglich — allerdings noch unterdrückt und darauf lauernd, hervorbrechen zu können. Der Beichtstuhl stand in der Kapelle wie eine Insel. Es gab Mitschwestern, die verbrachten Stunden darin, dort versuchten sie dann, in Gesprächen ihre Depression loszuwerden. Es gab keine Nonne, die dieses Leben so einfach wegsteckte, auch wenn es nach außen hin so schien. Irgendwann brach es immer hervor, denn sie alle waren Menschen und keine gut funktionierende Maschinen. Die letzten Schritte in Richtung Beichtstuhl legte sie dicht an der hellen Wand zurück. Durch eines der Fenster schien das Sonnenlicht und blendete sie für einen Moment. Sie freute sich plötzlich über den warmen
Schein auf ihrem Gesicht. Die innere Kälte vertreiben konnte er allerdings nicht. Darüber dachte sie immer nach. Christiana kam damit nicht zurecht. Sie fand keine Erklärung für diese Verhärtung. War es eine Warnung, reagierte ihr vegetatives Nervensystem oder wurde die unterdrückte Angst nach oben gespült. Denn Angst hatten sie alle. Die einen mehr, die anderen weniger. Es gab welche, die offen darüber sprachen, doch die meisten schwiegen mit einer nahezu verstockten Verbissenheit. Seit eine aus ihrer Mitte ums Leben gekommen war, war die Furcht zu einem ständigen Begleiter geworden. Jede konnte es erwischen. Bitzschnell, ohne Vorwarnung. Sie hatten nie miteinander darüber gesprochen, mal eine Andeutung, okay, mehr aber nicht, bei der Beerdigung war nur gebetet worden. Kommentare gab keiner von ihnen ab. Möglicherweise war es noch zu früh, darüber zu reden. Erst mußte Zeit vergehen, die schrecklichen Dinge konnten nur verarbeitet werden, wenn die Zeit ablief. Dann erst konnte man zu Diskussionen kommen. Falls es nicht zu spät war . .. Christiana hatte extra gewartet, weil sie der Äbtissin Gelegenheit geben wollte, den Beichtstuhl vor ihr zu betreten. Die Ehrwürdige Mutter bereitet sich immer gern vor, da brauchte sie die Zeit der Stille, um ihre Gedanken ordnen zu können. Die Novizin stand wieder an einem Punkt, wo ihr alles egal war. Am liebsten hätte sie die Brocken hingeschmissen, einfach weggeworfen, sich umgedreht und das Kloster fluchtartig verlassen. Das sollte es schon einmal gegeben haben, hatte man ihr gesagt. Sie aber würde so etwas nie können, nein, das war nicht ihr Fall. Vor dem Beichtstuhl blieb sie stehen. Die seitlichen Eingänge lagen nie frei. Auf Ringen und über eine Stange laufende violette Vorhänge verdeckten sie. War der Vorhang nur zur Hälfte geschlossen, war es das Zeichen, den Beichtstuhl betreten zu können. War er voll geschlossen, wußte jede Bescheid, daß sie draußen bleiben mußte, um ihre Mitschwester nicht zu stören. Christiana kannte die Regeln. In ihrem Fall war der Vorhang nur bis zur Hälfte vorgezogen. Sie lauschte, weil sie erfahren wollte, ob die Äbtissin schon Platz genommem hatte. Es war nichts zu hören. Eine Hand legte sie um den Stoff. »Ehrwürdige Mutter?« flüsterte sie in den Beichtstuhl hinein.
Etwas knarrte. Wahrscheinlich hatte sich die Äbtissin auf ihrem hölzernen Stuhl bewegt. Für die Novizin war es Beweis genug, sie wartete bereits auf sie. Noch ein tiefes Durchatmen, dann zog sie den Vorhang zur Seite. Nur wenig Licht fiel in die schmale Nische mit der Bank, auf der die Beichtende knien mußte. In Kopfhöhe befand sich ein Fenster aus abgedunkeltem Glas. Das Gesicht der Äbtissin war nur schemenhaft zu erkennen. Durch kleine Sprachschlitze konnte gefragt und geantwortet werden. Christiana kniete nieder. Auch bei ihr knarrte das Holz, als die Bank durch ihr Gewicht belastet wurde. An langes Knien hatte sie sich mittlerweile gewöhnt. Irgendwann stumpften die Beine ab. »Ehrwürdige Mutter, ich möchte Ihnen sagen, daß . . .« Die Novizin zwinkerte und stoppte mitten im Satz. Etwas war nicht in Ordnung. Normalerweise begrüßte die Äbtissin jecie Person, die den Beichtstuhl betrat. Sie redete sie auch mit Namen an. Jetzt nicht. . . Christiana schluckte. Plötzlich lag eine Eisstange in ihrem Hals. Sie reichte hinunter bis zum Magen. Blinzelnd bewegte sie die Augenlider, wollte es noch einmal mit der Ansprache versuchen, als etwas geschah, was ebenfalls so gut wie nie vorkam. Von innen her wurde das Fenster aufgerissen. Ein blitzschneller Ruck, es stand sperrangelweit offen, und die Novizin konnte sehen, wer sich dahinter verborgen hatte. > Das war nicht die Äbtissin Clarissa. Im Beichtstuhl saß eine andere Person. Furchtbar anzusehen und fast nur aus einem Gesicht bestehend — eben die Maske! Christiana war dermaßen perplex, daß sie sich nicht rühren konnte. Sie blieb in ihrer knienden Haltung und starrte fassungslos auf dieses schreckliche Gesicht, das aus einer wulstigen, bleichen Masse bestand, durch deren Poren Blut sickerte. Nur die Augen waren als menschlich zu bezeichnen. Aber sie schauten die Novizin kalt und gnadenlos an, unter diesem schrecklichen Blick konnte man frieren. Darüber sah sie eine schwarzen Rand, die Krempe des dunklen Huts. Du mußt weg! Du mußt verschwinden! Du mußt fliehen! Diese Sätze hämmerten durch ihr Hirn. Es war ihr klar, daß es keine andere Möglichkeit gab. Um Hilfe zu schreien, hatte keine Sinn, sie . . . Da sah sie das Mesesr! Von unten hier war es in die Höhe geschoben worden und stand jetzt als breite blinkende Schräge vor dem häßlichen Gesicht der Maske. Ein Killer-Instrument, grausam und vernichtend.
Aus der Fläche des Gesichts drang ein zischendes und puffendes Geräusch. Die Novizin empfand es als widerlich. Ihr Gesicht verzerrte sich, sie wollte weg, da traf sie die Klinge. Es war überhaupt nicht schlimm, sie spürte nichts. Sie konnte sogar ihr Vorhaben noch durchführen und die kleine Nische an der Seite verlassen. Aber weshalb schwebte sie dabei? Warum hielt man sie in ihrem Rücken fest? Christiana wußte nicht, daß es der Vorhang war, der sie einwickeln wollte, weil sie ihn mit ihrem Gewicht samt Stange abgerissen hatte. Und sie begriff auch nicht, daß sie rücklings auf dem kalten Steinboden lag und gegen die Decke der Kapelle schaute. Warum das alles? Warum ...? Sie wollte doch weglaufen, entfliehen. Dann erreichte sie der Schmerz. Er war einfach furchtbar. Er raubte ihr das Denken, er nahm ihr die Sicht, denn die pechschwarzen Schatten verdeckten alles. Wa rum legte man ihr eine Decke über, warum . . .? Sie wollte die Decke fortschieben und schaffte es, die Arme anzuheben. So konnte sie ihre Hände sehen. Blut... sie waren voller Blut! Ihr Blut! Es war der letzte Gedanke im Leben der jungen Novizin. Die schwarzen Schatten vergrößerten sich und umfaßten sie mit ihrer alles bedeckenden Fläche. Aus, vorbei. .. Beim letzten Atemzug der jungen Novizin quoll Blut aus dem Mund und legte sich schaumig auf ihre Lippen... *** Es war nicht nur warm, sondern auch schwül geworden. Schon nach wenigen Schritten geriet ich ins Schwitzen, so daß ich froh war, den Schatten aufsuchen zu können. Ich fand einen Platz an der Klostermauer, wo wilder Wein schlangengleich hochrankte. Dort schaute ich den Nonnen hinterher, die ihrer täglichen Arbeit im Garten nachgingen. Es existierte ein fester Plan. Ein jeder mußte jede Arbeit tun. Man wechselte sich ab. Allmählich machte ich mir Sorgen um meinen Freund Suko. Er hätte eigentlich schon hier sein müssen. Er war ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte. Wenn er versprach zu fahren, dann fuhr er auch und wenn es tote Hunde regnete. Der Himmel war klar und sonnig. Möglicherweise war er auch im Verkehr steckengeblieben oder hatte andere Schwierigkeiten bekommen, hoffentlich keine schwarzmagischen.
Die Warterei fiel mir schwer. Auch das Wissen, daß etwas lauerte, uns etwas umgab, was nicht zu sehen und zu fassen war. Ich hoffte stark, daß die Äbtissin die Beichte der jungen Nonne sehr schnell hinter sich brachte und sich mir widmen konnte. Meine Gedanken drehten sich um die Urmauern des Klosters. Steckte dort möglicherweise des Rätsels Lösung? Verbarg sich da etwas, das man mit dem Begriff teuflische Rache bezeichnen konnte? Hatte die Maske dort ihren Ursprung gehabt? Davon konnte ich ausgehen, mußte es aber nicht, es war eine Möglichkeit unter vielen. Die kleine Kapelle sah ich von meinem Standort aus nicht. Ich wollte auch nicht länger in der Hitze stehen und betrat wieder die kühlen Räume des Kloster, wo ich die erste Nonne ansprach, die mir über den Weg lief. »Sagen Sie bitte, ob es hier noch ein zweites Telefon gibt?« »Nein, nur das im Zimmer der Ehrwürdigen Mutter!« Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich müßte ich telefonieren.« »Tun Sie es.« »Ohne Begleitung soll ich das Büro .. .?« Das Gesicht der Nonne verzog sich zu einem Lächeln. Zahlreiche Falten entstanden an den Augenwinkeln. »Warum denn nicht, Mr. Sinclair? Sie sind Polizist. Wenn Sie es nicht tun sollen, wer dann? Ihnen kann man doch trauen.« »Das schon, aber . . .« Die Nonne legte mir eine Hand gegen den Rücken. »Gehen Sie, Mr. Sinclair. Den Weg kennen sie ja. Und es ist auch nicht abgeschlossen, wir vertrauen uns.« »Okay, danke.« Das Büro der Äbtissin fand ich erst nach einigem Suchen. Die Gänge waren einfach zu weiträumig angelegt worden. Es hatte sich nichts verändert, das schwarze Telefon stand noch am gleichen Fleck. Der Schweiß auf meiner Stirn war mittlerweile kalt geworden. Ich nahm den Hörer mit spitzen Fingern hoch und wählte die private Nummer meines Freundes Suko. Dort meldete sich niemand. Dann rief ich unseren gemeinsamen Chef, Superintendent Sir James Powell, an. Wir hatten zwar Samstag, aber wie ich ihn kannte, befand er sich im Büro. Es stimmte. Sir James, pflichtbewußt, hockte hinter seinem Schreibtisch. Was hätte der alleinlebende Beamte auch sonst machen sollen. Er klang erfreut, als er meine Stimme hörte. »Wie kommen Sie voran, John?« »Nicht besonders. Ich trete auf der Stelle.« »Noch keine Spur?« »Das schon. Hat Suko Sie ...?« v »Ja, wir telefonierten kurz.« »Jetzt warte ich auf ihn.«
Sir James räusperte sich. »Ist er nicht da?« erkundigte er sich dann leicht erstaunt. »Richtig.« »Er wollte fahren, John. Noch brennt nichts an. Der Weekend-Verkehr hat schlimme Ausmaße angenommen. Es kann sein, daß er darin steckengeblieben ist. Ich an Ihrer Stelle würde mir keine allzu großen Sorgen machen.« »Mache ich mir auch nicht, Sir. Ich wollte mich eben nur noch einmal vergewissern.« »Das ist gut, viel Glück.« Ich legte den Hörer wieder zurück und schaute dabei durch das Fenster. Es war für mich nichts zu hören, aber zu sehen. Einige Nonnen standen aufgeregt beisammen. Zwei von ihnen weinten, eine dritte bekreuzigte sich, und an ihren Gesichtern erkannte ich, daß etwas Schreckliches geschehen sein mußte. Ich wollte raus, als ich vor der offenstehenden Bürotür hastige Schritte hörte. Dann taumelte eine ältere Nonne über die Schwelle, das Gesicht gerötet, kaum in der Lage, ein vernünftiges Wort zu sagen. Sie rang die Hände ineinander, stolperte auf mich zu. Ich fing sie ab und drückte sie auf einen Stuhl. »Mein Gott, was ist denn passiert?« Die Frau konnte kaum sprechen. Sie mußte mehrmals Luft holen, um einen halbfertigen Satz hervorzubringen. Der aber ließ mich innerlich zu Eis werden. »In der Kapelle liegt eine Tote . . .« Mehr brachte sie nicht hervor, weil ihre Stimme in Tränen erstickte. Ich stand für einen Moment bewegungslos. Meine Kehle wirkte wie umklammert. »Bitte . . . .?« Ich mußte das Wort mehrmals wiederholen, bevor die Nonne reden konnte. »Ja, in der Kapelle liegt eine Tote, Mr. Sinclair. Sie ist... sie ist aus dem Beichtstuhl.« Ich dachte sofort an die Äbtissin. »Clarissa?« »Nein, eine Novizin, Christiana.« Ich erinnerte mich an die noch junge Frau, die zur Beichte hatte gehen wollen. Nichts hielt mich mehr im Büro der Äbtissin. Ich rannte mit Riesensätzen nach draußen, verfolgt von den Blicken der Nonnen, in denen das Entsetzen lag. Es hatte sich blitzschnell herumgesprochen, was geschehen war. Irgendwo fühlte auch ich mich etwas schuldig, denn die Tat war praktisch in meiner Nähe geschehen. Die Hitze spürte ich ebensowenig wie die Kühle im Innern der Kapelle. Ich hatte nur Augen für die drei Nonnen. Eine davon war die Äbtissin. Sie saß in der letzten Bankreihe und hatte ihre Hand auf das klopfende Herz gepreßt.
Die tote Novizin nahm ich aus dem Augenwinkel wahr. Sie lag auf dem Rücken, nicht weit vom Beichtstuhl entfernt. Ihre helle Kleidung zeigte einen großen Blutfleck. . Die beiden anderen Nonnen machten mir schweigend Platz, als ich die Szene betrat. Ich beugte mich hinab zum Gesicht der Äbtissin. Die Frau hielt ihre Augen geschlossen. Die blasse Haut an den Wangen zitterten ebenso wie die Lippen, sprechen konnte sie nicht. »Bitte holen Sie ein Glas Wasser.« Eine der Nonnen verschwand, die zweite blieb zurück, vermied es aber, auf die Tote zu schauen. Da die Äbtissin momentan nicht ansprechbar war und meiner Ansicht nach dieser Zustand noch eine Weile dauern konnte, kümmerte ich mich um den Tatort und kam mir dabei vor wie ein einsamer Spurensucher. Der Novizin war nicht zu helfen. Ich schloß ihre Augen, weil ich diesen glasigen, erstarrten Blick nicht länger ertragen konnte. Auf meinem Rücken lag eine Gänsehaut. Einen Mord in der Kapelle erlebte ich nicht jeden Tag. Ich schaute mir den Beichtstuhl an. Das Fenster in der Mitte stand offen. Der Mörder mußte genau dort gesessen, es aufgedrückt und dann mit der Waffe zugestochen haben. Daß für mich als Täter nur die Maske in Frage kam, lag auf der Hand. Sie war also in die Kapelle gelangt, ohne sich abgestoßen zu fühlen. Diese Tatsache empfand ich als schlimm. Hier hatte das Böse also das Gute besiegt, weil letzteres nicht stark genug war. Warum gerade die junge Novizin? Gab es dafür einen besonderen Grund, ein bestimmtes Motiv? Oder hätte es auch jede andere treffen können? Überhaupt, was bezweckte der Täter mit diesem Mord, hatte er einen Grund gehabt, obwohl ich anders darüber dachte. Für mich gab es einfach keinen Grund, einen anderen Menschen zu töten. Ein junges Leben war radikal ausgelöscht worden. Das mußte ich als Tatsache hinnehmen. Wiederum spürte ich die Eiskörner, die über meinen Rücken rieselten. Die Gänsehaut verstärkte sich. Gleichzeitig legte sich der kalte Schweiß auf meine Handflächen, auch die Haare wurden naß, ich strich sie zurück. Spuren fand ich keine. Wie immer die Maske in die Kapelle hineingekommen war, sie hatte es wunderbar verstanden, die Spuren zu verwischen oder erst gar keine zu hinterlassen. Ich schritt auf den Altar zu und schaute mich hinter der schlichten Platte um. Es existierte keine zweite Tür, die in eine Sakristei geführt hatte. Man konnte die Kapelle tatsächlich nur durch einen Eingang betreten. Eine normale Messe zelebrierten die Nonnen sowieso nicht. Dazu wäre ein
Priester notwendig gewesen. Sie trafen sich in der Kapelle, um zu beten oder zu singen. Ich ging wieder zurück. Vom Eingang her fiel Licht in den Raum, weil die Tür aufgedrückt worden war und die Nonne mit einem Glas Wasser zurückkehrte. Ich war es dann, der ihr das Glas aus der Hand nahm und es der Äbtissin reichte. »Bitte, trinken Sie.« Clarissa mußte es mit beiden Händen umfassen, sonst wäre es ihr aus den Fingern gerutscht. Trotzdem schwappte noch Wasser über. Sie trank in kleinen Schlucken, weinte noch immer, trank und putzte anschließend ihre Nase. Ich stellte das leere Glas zur Seite und erkundigte mich, ob sie in der Lage war, Fragen zu beantworten. Die Äbtissin seufzte auf. »Das muß wohl sein«, flüsterte sie. »Wir haben beim erstenmal nicht die Polizei benachrichtigt, nur Sie. Werden Sie jetzt die Mordkommission einschalten, Mr. Sinclair?« »Das glaube ich nicht, Ehrwürdige Mutter. Der Mörder würde sich nur gestört fühlen.« Sie schaute mich lange an. »Dann wissen auch Sie, wer Christiana getötet hat?« »Die Maske.« »Ja, die Maske«, hauchte sie. »Es war die Maske.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber wer ist die Maske? Ist sie ein Mensch, ist sie ein Monster oder beides?« »Ein Dämon«, sagte ich. »Nein, nein, bestimmt nicht. Ein Dämon in unserer Kapelle. Wie ist das möglich?« Ich holte Atem. »Eine gute Frage, wirklich, Ehrwürdige Mutter. Im Prinzip hat das Gute gewonnen. Es begann am Beginn der Zeiten. Aber es istnichtderganz große Kampf zwischen den Teufel und den Kräften des Lichts. Alles hat sich verlagert, verstehen Sie? Es ist mehr ins Detail gegangen, es gibt die Kämpfe in den untergeordneten Regionen. Dort wechseln sich Siege und Niederlagen ab.« »Hier war es eine Niederlage.« »So sehe ich es auch.« Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Es war furchtbar«, sagte sie, »einfach schrecklich. Ich kam, um Christiana die Beichte abzunehmen. Ich gebe zu, daß ich mich verspätete. Wäre ich früher gekommen, hätte ich sie noch retten können . ..« »Oder Sie wären selbst tot gewesen.« • »Ja, Mr. Sinclair. Aber besser ich als dieses junge Leben. So aber fand ich sie. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Blut, es war grauenvoll. . .«
Die Stimme der Ehrwürdigen Mutter erstickte. Ich konnte mir vorstellen, was sie durchgemacht hatte. Mir wäre es in diesem Fall auch nicht anders ergangen. Wieder fiel Licht in die Kapelle, als jemand die Tür öffnete. Diesmal betrat ein bekanntes Gesicht die kleine Kirche. Es war Schwester Innocencia. Zuerst schaute sie mich an, dann wanderte ihr Blick und blieb an der Toten haften. Die junge Nonne ging nicht mehr weiter. Aus der Distanz schaute sie auf die Leiche. Dann schwankte sie, aber sie fiel nicht. Mit Zitterschritten kam sie zu uns. »Ich habe es gehört«, hauchte sie. »Ich habe es gehört und konnte es kaum glauben. Jetzt. . . jetzt sehe ich es mit eigenen Augen. Sie lebt nicht mehr.« »Ja, die Maske.« Innocencia preßte die Hand gegen ihre Lippen. Nur die klaren Augen waren zu sehen. Ihr lagen Fragen auf der Zunge, nur traute sie sich nicht, diese zu stellen. Dann kümmerte sie sich um die Äbtissin. Sie umarmte die Frau und flüsterte ihr Trost zu. »Wir werden es schaffen, Ehrwürdige Mutter, ja, wir werden es schaffen. Es darf nicht siegen. Das Böse darf nicht Überhand gewinnen.« Dabei schaute sie mich an, sie erwartete Zustimmung und sah mein Nicken. »Es ist aber so schwer«, murmelte die Äbtissin. »Es ist einfach furchtbar, verstehst du?« »Was können Sie tun, John?« »Ich bleibe bei meinem Plan. Ich werde in die Tiefen des alten Klosters hineinsteigen.« »Ist sie dort?« fragte Innocencia. »Die Maske?« »Ja.« »Möglich, daß ich sie dort finde. Zumindest aber rechneich mit einem Hinweis.« Mit der nächsten Frage wandte ich mich an alle Anwesenden. »Hat denn niemand etwas gesehen? Ist keinem etwas aufgefallen? Es muß doch möglich gewesen sein . . .« »Keinem«, sagte eine der Nonnen. »Die Kapelle liegt etwas abseits. Man kann auf verschiedenen Wegen zu ihr gelangen. Sie sind nicht alle gut einsehbar.« »Das hat die Maske gewußt«, sagte Innocencia. »Leider.« Die Äbtissin streckte ihre Arme vor, weil sie sich abstützen wollte. »Es hat keinen Sinn, wenn wir hier in der Kapelle bleiben und diskutieren. Wir müssen etwas unternehmen. Wir haben zwei Schwester verloren, das sind genau zwei zuviel. Es ist einfach schlimm gewesen, so furchtbar, wenn Sie verstehen . . .«
»Es bleibt bei meinem Plan«, sagte ich. »Wie geht es Ihnen, Ehrwürdige Mutter? Können Sie allein gehen?« »Ich versuche es.« »Ich werde Sie stützen«, sagte Innocencia, was die Äbtissin mit einer dankbaren Kopfbewegung quittierte. Normalerweise hätte ich mich darum gekümmert. Meine Aufgabe war eine andere. Ich wollte die Tote nicht vor dem Beichtstuhl liegenlassen. Diese Stelle fand ich irgendwie unwürdig. Deshalb ging ich hin und trug sie zum Ausgang. Sie war nicht schwer. In meinem Gesicht regte sich nichts, als ich mit der Toten die Kapelle verließ. Der Schauer lag wie eine Eisschicht auf meinem Rük-ken, zog sich hoch über das Gesicht und erreichte sogar die Kopfhaut. Die Nonnen hatten sich nahe der Kapelle versammelt. Sie bekreuzigten sich, als ich sie passierte. Die meisten von ihnen weinten. Es war fürmich ein schlimmer Weg. Mit einer Toten auf den Armen und dabei hineinschreiten in einen wunderschönen Morgen. Im Kloster führte man mich in das Zimmer der Toten. Dort legte ich sie auf ihr Bett nieder. An der offenen Tür standen Nonnen und schaute mir zu. Ich drehte mich um und suchte die Äbtissin. Sie war nicht da. Auf meine diesbezügliche Frage wurde mir erklärt, daß ich sie in ihrem Büro finden konnte. Dorthin führte mich der nächste Weg. Clarissa saß wie eine Steinfigur hinter ihrem Schreibtisch, versunken in Gedanken und mit einer bleichen Haut, bei der die verweinten Augen besonders auffielen. Ich blieb vor dem Schreibtisch stehen. Sie sah mein Nicken, hob den Kopf an und sagte: »Sie sind gekommen, damit ich Ihnen den Platz zeigen kann.« »So ist es.« Die Äbtissin nickte, bevor sie sich erhob. »Dann bitte, Mr. Sinclair. Ich glaube, daß jede Sekunde wichtig ist.« »Das meine ich auch.« »Und Sie wissen genau, auf was Sie sich da eingelassen haben?« »Darauf können Sie sich verlassen, Ehrwürdige Mutter. Ich bin in diesem Geschäft kein Neuling.« »Wer ist denn Ihr Gegner?« »Das Böse allgemein. Das bekämpfe ich. Daraufhabe ich einen Eid geleistet.« Sie erhob sich mühsam. Und ebenso mühsam gestaltete sich ihr Lächeln. »Es ist gut, daß es Menschen gibt, die so denken und auch handeln, Mr. Sinclair.«
»Danke.« Die Äbtissin war noch sehr schwach auf den Beinen, deshalb reichte ich ihr meinen Arm, den sie in Ellbogenhöhe umklammerte, mit einem sehr sicheren Griff. »Wir müssen es schaffen, Mr. Sinclair. Wir müssen es einfach!« »Keine Sorge. Ich werde den Killer stellen.« »Sie besitzen ein großes Gottvertrauen, das ist gut.« »Und ein mächtiges Maß an Optimismus, Ehrwürdige Mutter. Das kommt noch hinzu.« »Beides ist in unserer heutigen Zeit sehr wichtig. Leider gibt es nicht viele Menschen, die so denken.« Unsere Unterhaltung schlief ein. Ich dachte wieder an Suko, der noch immer nicht eingetroffen war. Um ihn konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Die Äbtissin hatte wirklich recht gehabt. Wir durften keine Zeit mehr verlieren. Innerhalb der Mauern war sämtliches Leben erstarrt. Wir hörten kaum noch Stimmen. Das Entsetzen hatte sich bleiern zwischen die Mauern gelegt. Im Angesicht der schlimmen Vorgänge traute sich niemand, auch nur lauter zu reden. Die Äbtissin atmete schwer. Auch sie oder gerade sie drückten die schweren Sorgen. Sie führte mich durch einen langen Gang in Räume, die nicht bewohnt waren. Sie drückte eine voluminöse Tür auf, und wir betraten gemeinsam einen großen Raum, der zwei Fenster besaß, die sich gegenüberlagen. Ein für das Kloster ungewöhnlicher Geruch umgab mich. Es roch kühl, nach Staub und auch nach alten Möbeln, die an den Wänden standen. Dunkle Schränke, einer davon nur so hoch wie eine Kommode, der andere reichte fast bis zur Decke. »Ist es hier?« fragte ich ein wenig skeptisch. Die Äbtissin nickte. »Sie müssen den Teppich hochnehmen. Der Eingang ist darunter verborgen.« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Das klingt ja richtig geheimnisvoll.« »Ist es auch. Wir haben im Prinzip vergessen wollen, daß dieses Kloster zum zweitenmal aufgebaut wurde, nachdem man es zerstört hatte.« »Gab es einen Grund?« Sie hob die Schultern. »Gerüchte. Das Kloster wurde niedergebrannt, weil sich hier Dinge abgespielt haben, die mit dem normalen Leben der Nonnen nicht zu vereinbaren waren, wenn Sie verstehen. Ober muß ich in Details gehen?« »Nein, man liest in letzter Zeit viel über die Vergangenheit der Kirchenfürsten und der Klöster.« »Auch wir wollen die Augen nicht vor unserer Geschichte verschließen, Mr. Sinclair.« Ich hatte mich gebückt und den Teppich an einer Seite angefaßt. Zum Glück stand kein Möbelstück auf ihm, der ihn beschwert hätte. Ich rollte
ihn weiter auf und wunderte mich wieder einmal, wie schwer ein Teppich war, der gar nicht so wirkte. Wie überall im Kloster bestand der Boden auch hier aus dunklen Steinen. Bis auf eine Ausnahme. Die alte Luke in der Mitte mit dem schmalen Griff, in den ich soeben noch meine Finger hineinschieben konnte. »Das ist er!« flüsterte die Äbtissin. »Ja, das ist der Zugang. Er ist noch ebenso wie früher. Nichts hat sich verändert. Ich sehe ihn erst zum zweitenmal. Zum erstenmal hat ihn mir meine Vorgängerin gezeigt. Es ist wie ein Wunder.« Ihr Zeigefinger zitterte, als sie auf die rechteckige Luke deutete. »Darunter, Mr. Sinclair, liegt eine andere Welt, die sie mit der, in der wir jetzt stehen, überhaupt nicht vergleichen können.« »Was ist anders?« »Sie werden keinen Menschen finden. Altes Gemäuer, von dem ich nicht weiß, ob noch alle Wände stehen. Rechnen Sie damit, daß einige von ihnen eingestürzt sind, auch die Decken.« »Davon gehe ich aus. Ich hoffe nur, daß ich den Killer mit der Maske auch dort finde.« »Dann werden Sie kämpfen müssen, Mr. Sinclair. Vielleicht auch töten. Denken Sie daran?« »Sehr oft.« »Es gibt Menschen, denen es sogar Spaß macht, andere zu töten. Bei Ihnen kann ich mir das nicht vorstellen.« »Sie haben recht.« »Und wenn es kein Mensch ist, der sich dort unten möglicherweise aufhält?« »Bei einem Dämon bin ich gezwungen, meine persönlichen Skrupel über Bord zu werfen, Ehrwürdige Mutter. Es gibt Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Dämon.« »Das weiß ich.« Sie trat dicht an mich heran und segnete mich. »Möge der Herr Sie beschützen«, flüsterte sie. Bei ihren Worten rann mirein Schauer über den Rük-ken, den ich nicht stoppen konnte. Ich bückte mich und schob die zusammengelegten Finger meiner rechten Hand in den Griff. Das kühle Metall hatte leicht Rost angesetzt. Beim ersten Versuch schaffte ich es noch nicht, die Klappe anzuheben. Sie klemmte an den Seiten. Ich strengte mich mehr an, hörte die leisen knirschenden Geräusche und sah auch den Staub, der aus den Ritzen hervorquoll. Beim Hochheben rissen die Spinnweben, die sich festgesetzt hatten. Die Luke wurde durch keine Klammern oder Bügel gehalten. Ich konnte sie ganz von der Öffnung wegziehen und sie danebenlegen. Jetzt war der Einsteig frei, aus dem mir ein Geruch entgegendrang, der an Grab und tiefe Vergessenheit erinnerte.
Meine Befürchtung, in die Tiefe springen zu müssen, verschwand, als ich die Treppe sah. Uralte Stufen, längst nicht mehr so verhanden, wie sie ursprünglich gewesen waren. An vielen Stellen ge- oder angebrochen und mit einem Staub bedeckt, der im Laufe der Zeit Feuchtigkeit angesammelt hatte und zu einer dunklen schmierigen Masse geworden war, die auch die Stufen glatt machte. Ich leuchtete hinein. Spinnweben flitzten im scharfen Strahl der Lampe. Käfer und anderes Kleingetier wurden aufgeschreckt und verschwanden blitzschnell in schmalen Spalten und Ritzen, wo sie nicht mehr zu sehen waren. »Das ist eine Hölle, Mr. Sinclair, in die Sie hinabsteigen«, flüsterte die Äbtissin. »Eine gefährliche Hölle, die nicht jeder überstehen kann. Ich aber traue es Ihnen zu.« »Danke.« Ich drehte mich um, lächelte sie an und sie lächelte barmherzig zurück. »Noch einmal, der Herr sei mit Ihnen.« Dieser Wunsch begleitete mich auf dem Weg in diesen uralten Teil des Klosters, wo angeblich das Böse in Gestalt des teuflischen Maskenmörders lauern sollte... *** Die Äbtissin stand wie eine Säule neben der offenen Luke, die Augen gesenkt, den Blick in die Tiefe gerichtet, die ihr eine bedrückende Angst einjagte. Aus diesem Loch wehte der Geruch der Jahrhunderte. War es ein guter oder ein schlechter? Sie wußte es nicht, sie gab aber ehrlich zu, daß sie sich nicht getraut hätte, in diese Tiefe zu steigen, obwohl sie als sehr couragiert bekannt war. Die Gestalt des Oberinspektors wurde von der Dunkelheit geschluckt. Nur mehr der feine Lampenstrahl war zu sehen, dann schlug er einen scharfen Bogen nach links, als der Mann in einem Stollen verschwunden war. Die Frau hatte ihre Hände gegen die Wangen gelegt gehabt. Jetzt ließ sie die Arme langsam sinken und spürte plötzlich, wie etwas in ihr hochkroch oder sich ausbreitete, für das sie keine Erklärung fand, weil sie es dermaßen intensiv noch nicht erlebt hatte. Es war wie eine beklemmende Kälte, die ihren Körper umfaßte und immer mehr zudrückte. Warum? Clarissa stand da und dachte darüber nach. Sie konnte den Grund nicht so rasch finden, doch aus heiterem Himmel hatte sie diese Gefühlsanwandlung bestimmt nicht überkommen. Da war etwas . ..
Es gelang ihr, die Gedanken von John Sinclair weg-zurichten und sich auf sich selbst zu konzentrieren und natürlich auf ihre Umgebung, die ihr vorkam wie in eine drückende Stille eingepackt, die sich immer mehr verengte, als würden sich die vier Wände des Zimmers aufeinander zubewegen, um sie zu zermalmen. Das war schrecklich . . . Aber herrschte tatsächlich die absolute Stille? War da nicht noch etwas anderes? Nicht im Raum, nein, außerhalb und wahrscheinlich draußen im Gang. Sie lauschte noch konzentrierter, und dann vernahm sie das unheimliche Geräusch. Eigentlich war es natürlich, in ihrem Fall allerdings flößte es ihr Angst ein. Eine Mischung aus Atmen und vorsichtig gesetzten Schritten, wobei die Sohlen noch über den blanken Boden hinwegschleiften, als würde der Ankömmling schlurfen, weil er nicht mehr die Kraft besaß, die Beine anzuheben. Clarissa drehte sich nicht um. Sie blieb stehen, und sie dachte daran, daß keine der Nonnen diesen Gang besaß. Da kannte sie fast jeden Schritt. Es gab nur eine Lösung! Ein Fremder mußte sich in den unmittelbaren Bereich des Klosters eingeschlichen haben. Wenn dem so war, gab es nur eine Lösung. Als Fremder kam der Mörder, die Maske, in Betracht! Als die Frau mit ihren Gedanken diesen Punkt erreicht hatte, durchstieß sie die Angst. Plötzlich fing sie an zu zittern. Sie dachte daran, um Hilfe zu schreien, aber wer hätte sie in diesem abgelegenen Teil des Klosters schon gehört? Zudem war auch John Sinclair zu weit weg. Clarissa fand nicht den Mut, sich umzudrehen. So blieb sie neben der Luke steif stehen und wartete darauf, daß dieser Kelch der Furcht an ihr vorbeigehen würde. Die Schritte und das widerlich klingende Keuchen waren lauter geworden. Ein Beweis dessen, wie nahe sich die unbekannte Person schon hinter ihr befand. Jetzt war sie da — und . . . Eine Hand legte sich schwer auf ihre rechte Schulter, als wollte sie die Frau in die Tiefe drücken. Die Berührung hatte sie tief erschreckt. Sie widerstand jedoch der Versuchung, sich umzudrehen und sich den Unbekannten anzuschauen. Clarissa wunderte sich selbst, woher sie die Kraft nahm, dies alles durchzustehen. Sie wehrte sich gegen den Druck und wartete zunächst nur ab.
Sekunden verstrichen. Für die Äbtissin eine lange, sehr dehnbare Zeit. Viele Gedanken durchzuckten ihren Kopf und formulierte sich zu einer Frage, die sie jedoch nicht stellen konnte, denn der Druck der Hand veränderte sich zu einem Ziehen, so daß die Frau nicht anders konnte, als nachzugeben. Der Unbekannte zog sie herum. Nicht schnell, nein, sehr langsam, beinahe gemächlich. Er ließ sich Zeit dabei, aber Clarissa kam sich vor wie in einem Kreisel. Ihr Blick glitt über die Wand, er streifte das Fenster mit dem hellen Sonnenlicht dahinter, fiel auch auf die Kommode und sah dann, was sie hatte sehen sollen. Das Gesicht! Die Äbtissin schrie. Allerdings nicht laut, sondern in Gedanken. Denn ein Gesicht sah sie nicht, sondern eine aufgequollene Masse, durchwebt von Blutfäden, weißlich blau schimmernd, aussehend wie eine Mischung aus Haut und Leder. Darüber der Hut mit seiner breiten Krempe und schwarz wie das Gefieder eines Raben. Und unter der Krempe schimmerten die Augen. Zwei Augen, ein Augenpaar, ein bestimmter Blick, eine bestimmte Farbe, die Ähnlichkeit mit der hatte, die die Äbtissin kannte. Himmel, das konnte nicht wahr sein. Das war ein Irrtum, eine satanische Täuschung. Diese Ähnlichkeit, diese ... Sie wollte es hinausschreien, das aber hatte auch die Maske befürchtet und gewußt. Plötzlich war der Schmerz da! So grauenhaft, so furchtbar und begleitet vom Geschmack des Blutes auf ihrer Zunge. Clarissa konnte es nicht mehr fassen, sie sah auch nicht, daß diese Maske eine Messerklinge in ihren Körper gedrückt hatte. Die Welt um sie herum verschwamm. Als ächzende Laute über ihre Lippen drangen, sank sie in die Knie. Das Messer war wieder aus ihrem Körper verschwunden. Sie preßte die Hände gegen die Wunde, fühlte die klebrige Nässe, und plötzlich wurde es ihr klar. Sie starb . . . Es war der letzte Gedanke der mutigen Äbtissin, bevor sie in das Reich des Todes hineingezerrt wurde. Dicht vor der Luke blieb sie zusammengekrümmt liegen. Die Maske reinigte die Klinge, ließ sie in der dunklen Kleidung verschwinden und zerrte den schweren Körper zur Seite, damit die Bahn frei war. Dumpf klingende Laute drangen hinter der Maske auf. Ungefähr dort, wo auch der Mund sein mußte. Die Maske sah es als ihren Triumph an. Es lief alles nach Plan. Die Mitwisser waren erledigt, jetzt konnte er sich um
den gefährlichsten Gegner kümmern, der sich im alten Teil des Klosters versteckt hielt. Dort aber kannte sich die Maske aus, denn diese unheimliche Umgebung war ihr Gebiet... *** Sukoe zuckte zurück, denn das Knurren über ihm war ihm Warnung genug gewesen. Er hatte sich dabei derart hektisch bewegt, daß er in dem engen Flur gegen die beiden Wilsons prallte, die zurücktaumelten und dabei eine Bodenvase umwarfen, die glücklicherweise nicht zerbrach. Der Inspektor hatte auch die Tür zugezogen, drehte sich um und schaute in die leichenbleichen Gesichter der Wilsons, die nicht in der Lage waren, einen Kommentar abzugeben. Suko nickte ihnen zu. Fr wollte zumindest erfahren, ob sie alles gesehen hatten. »Ja«, erklärte Wilson. »Ich habe es gesehen. Ich habe die Füchse erkannt. Sie sind hier. Sie haben uns eingekreist. Sie ... sie sind gekommen, um uns zu töten.« »Möglich.« Mrs. Wilson kam einen Schritt vor. Sie wirkte in diesem Augenblick wie eine Puppe, der ein Motor Leben eingehaucht hatte. »Polizist sind Sie, nicht wahr?« »Das kann ich nicht leugnen.« »Dann tun Sie was!« schrie die Frau. »Tun Sie endlich etwas gegen diese verfluchte Seuche!« »Ich werde mich bemühen.« »Und was wollen Sie tun?« fragte Duncan. Suko gab eine ausweichende Antwort. »Wir müssen herausfinden, was sie von uns wollen. Das allein zählt, das ist wichtig. Bisherhaben sie noch nicht angegriffen, sie haben das Haus umstellt, sie werden es . ..« Rita Wilsons Finger schnellten vor. »Sie, Inspektor, sind derjenige, auf den es die Füchse abgesehen haben. Durch Ihre Anwesenheit ziehen sie uns nur mit hinein. Verstehen Sie das, Mann? Der Besuch dieser Höllentiere gilt nicht uns, sondern Ihnen, auch wenn die Füchse das Haus umstellten haben.« »So dürfen Sie das nicht sehen, Mrs. Wilson. Schließlich haben die Tiere getötet. Sie brauchen nur durch den Ort zu gehen, da können Sie die Kadaver liegen sehen.« »Warum haben sie sich dann vor unserem Haus versammelt?« rief er laut. »Warum?« »Das weiß ich noch nicht.« Mrs. Wilson verzog die Lippen. Die Antwort verschluckte sie zur Hälfte. Dennoch hatte Suko herausgehört, daß sie für ihn und seinen Berufsstand nicht eben schmeichelhaft gewesen war.
Fr kümmerte sich nicht darum. Von der Küche her konnte er leider den Platz vor dem Haus nicht beobachten. Er fragte deshalb nach einem anderen Zimmer. »Der Arbeitsraum.« »Wo, Mr. Wilson?« Er winkte mit einer knappen Bewegung. »Kommen Sie!« Der Arbeitsraum entpuppte sich nicht als Büro, sondern war eine gut eingerichtete Hobby-Werkstatt, wo ein Fachmann schalten und walten konnte, wie es ihm gefiel. Das große Fenster war Suko beim Eintritt kaum aufgefallen, erst jetzt sah er, daß es nachträglich eingebaut worden war und einen Großteil der Wand einnahm. Wahrscheinlich deshalb, weil Mr. Wilson bei seiner Arbeit viel Licht brauchte. Er hielt sich selbst vom Fenster entfernt und blieb nahe der Tür stehen. Suko aber ging vor. Hinein in den stickigen Geruch aus Hitze und Holzteilchen. Zudem stank es nach Farbe. In einer Ecke standen frisch lak-kierte Holzteile, die in einem hellen Braun schimmerten. Suko sah seinen Wagen, auf dem die Strahlen der Sonne förmlich explodierten, und er sah natürlich die Füchse, wobei einer noch auf dem Dach hocken mußte. Im Geäst der Eiche wirkte das Tier mit seinen roten Augen tatsächlich wie ein gefährliches Monstrum, das nur auf seine Beute lauerte, um zuschlagen zu können. »Sind sie noch da?« fragte Rita Wilson, die die Werkstatt ebenfalls betreten hatte, aber an der Tür stehengeblieben war und sich nicht vortraute. »Ja doch!« »Hör auf, so mit mir zu reden, Duncan. Du weißt selbst, in welcher Klemme wir stecken. Warum verschwinden die nicht einfach, he? Warum laufen sie nicht weg? Auf was oder auf wen warten die eigentlich? Auf Sie, Inspektor?« Die Frage war von Mrs. Wilson nur so dahingesagt worden, doch Suko nahm sie ernst. »Das kann schon sein.« »Wie? was?« Er drehte sich um. »Ich glaube, daß diese Tiere tatsächlich auf mich warten.« »Jetzt bin ich baff!« flüsterte Duncan Wilson. »Völlig von der Rolle, ehrlich. Was wollen die denn dann, verdammt? Können Sie mir das sagen? Was wollen die?« »Ich weiß es nicht.« Auf die Lippen der Frau legte sich ein hinterlistiges Lächeln. »Ich hätte da einen Vorschlag zu machen, Mister. Gehen Sie doch einfach hinaus und probieren Sie es aus. Wäre das nicht am besten? Rausgehen und sehen, was geschieht.«
Suko nickte. »Das ist nicht schlecht. Sie werden lachen, das hatte ich vor.« »Und dann liegen Sie anschließend mit zerfetzter Kehle am Straßenrand, wie?« »Das ist mein Risiko, Mr. Wilson. Wenn Sie allerdings einen besseren Vorschlag haben, ich bin ganz Ohr.« »Nein, Duncan, den hast du bestimmt nicht. Laß den Bullen gehen. Laß ihn von hier verschwinden.« »Keine Sorge, Mrs. Wilson, ich werde auch gehen.« Suko blieb gelassen. Sie schämte sich plötzlich und senkte den Kopf, um auf ihre Füße zu starren. Suko passierte sie und schlug leicht auf ihre Schulter. »Nehmen Sie es nicht so tragisch, Mrs. Wilson. Ich kann Ihre Reaktion sehr gut verstehen! Wer nie mit außergewöhnlichen oder unerklärlichen Dingen konfrontiert wird, der muß einfach so handeln.« »Meinen Sie das ehrlich?« »Sicher.« Suko ging in den schmalen Flur und näherte sich abermals der Haustür. Die beiden Wilsons blieben zurück. Sie sagten auch nichts mehr, sondern warteten ab. Suko drückte die Klinke. Er zog die Tür noch nicht auf, sondern tat etwas, über das sich die Wilsons nur wundern konnten. Er zog seine Dämonenpeitsche, schlug einen Kreis über den Boden und ließ die drei Riemen ausfahren. Sie klatschten zu Boden, verteilten sich dort fächerförmig, und Suko steckte die Peitsche ausgefahren und mit dem Griff nach unten ziehbereit in den Gürtel. »Was haben Sie da getan?« Suko drehte sich um und lächelte Mrs. Wilson kantig an. »Damit werde ich die Füchse dressieren.« Es waren seine Abschiedsworte, denn sehr schnell zog Suko die Tür auf und war froh darüber, daß sie keine lauten Geräusche abgab. Dann huschte er nach draußen, obwohl er wußte, daß über ihm noch der Fuchs auf dem Dach lauerte. Nach drei Schritten drehte er sich um, wandte dem Fuchs seine Frontseite zu, aber das Tier rührte sich nicht. Es stand auf dem schrägen Dach, als hätte man es dort abgestellt. Die roten Augen waren auf den Inspektor gerichtet, der einzige Beweis für die magische Veränderung des Tieres. Suko wandte ihm den Rücken zu, weil er den Eindruck hatte, daß ihm von diesem Tier und den anderen dreien keine Gefahr drohte, denn keiner traf Anstalten, Suko anzugreifen. Zwei hatten seinen Wagen eingekreist. Sie bewegten nur ihre langen, buschigen Schwänze. Der
letzte Fuchs hockte im Baum, die Hinterläufe direkt in die Astgabel gestemmt. Was wollten sie? Aus dem Fenster an der Werkstatt schauten die Wilsons zu. Ansonsten sah Suko keinen Menschen im Freien. Die Leute wußten, was ihnen drohte, sie hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, um nicht Gefahr zu laufen, von den Tieren attackiert zu werden. Nur der Geruch von Blut und Verwesung, in der Hitze doppelt stark zu spüren, wehte über den kleinen Platz. Hinzu kam das Summen der zahlreichen Schmeißfliegen. Allmählich gewann Suko den Eindruck, daß die Füchse gar nicht die Initiative übernehmen wollten und es allein ihm überließen, wie es weitergehen sollte. Dieses träge Verhalten kam ihm schon mehr als komisch vor, und er beschloß, die Probe aufs Exempel zu machen. Mit möglichst ruhigen Schritten ging Suko auf seinen Wagen zu, schloß ihn auf, blieb noch davor stehen, weil er das Verhalten der beiden Tiere beobachten wollte. Sie taten nichts, blieben am Fahrzeug, auch in Sukos Nähe, hielten sich ansonsten zurück. Der Inspektor stieg ein, hämmerte die Tür zu und freute sich über die Kühle im BMW. Das Geräusch der zuschlagenen Tür war so etwas wie ein Signal gewesen. Mit einem geschmeidigen Sprung, der einem Panther zur Ehre gereicht hätte, löste sich der Fuchs aus der Eiche, landete am Boden und wartete auf seinen Artgenossen, den es nicht länger auf dem Dach hielt. Er stieß sich ab, landete sicher, rutschte aber mit ausgebreiteten Pfoten auf den Wagen zu. Jetzt standen die Tiere fast zusammen. Suko ließ den Motor an. Sofort geriet Bewegung in die Füchse. Sie hatten das Zeichen begriffen und fingen an, sich zu bewegen. Sie liefen vor wie brave Lämmer und nicht wie killende Bestien. Ihr Weg führte sie über den kleinen Platz hinweg bis hin zur Straße, wo sie sich drehten und dem Fahrzeug entgegenschauten. Ein Zeichen, das auch der Inspektor verstand. Die Tiere wollten, daß er auf sie zufuhr. Suko stufte das Verhalten der Füchse zwischen rätselhaft und lockend ein. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, hätte er mit dieser Entwicklung niemals gerechnet. Er dachte wieder nach, ließ den BMW sehr bedächtig anrollen und nickte, als er seinen Verdacht bestätigt sah. Die Tiere liefen nicht weg, sie blieben in seiner unmittelbaren Nähe und dicht am Fahrzeug.
Zwei von ihnen übernahmen die Führung. Auf der Fahrbahn blieben sie stehen, drehten die Köpfe, als wollten sie sich davon überzeugen, ob der Mensch ihnen auch folgte. Was Suko tat. Der Wagen rollte langsam weiter. Die Füchse waren zufrieden, sie liefen jetzt schneller, und zwar in die Richtung, aus der Suko auch in den Ort eingefahren war. 1 Sehr schnell hatten sie wieder die freie Fläche erreicht und auch die Abzweigung, an der eine Straße direkt zu dem Nonnenkloster hinführte. »Was wollen sie denn da?« sprach Suko mehr zu sich selbst. Dann hob er die Schultern und bog in den schmaleren Asphaltstreifen ein. Das flache Gelände war sehr übersichtlich. Bei seinem Rundblick erkannte Suko, daß sich in sichtbarer Entfernung kein weiteres Fahrzeug befand, das ihm auf den Fersen war. Die Umgebung lag wie ausgestorben in der schon mittäglichen Sonne. Die Klimaanlage arbeitete gut und beinahe lautlos. Suko gratulierte sich dazu, denn bei diesem Wetter war ein aufgeheizter Wagen mit einer Sauna zu vergleichen. Suko hatte die dunkle Brille aufsetzen müssen, um nicht geblendet zu werden. Die abgedunkelten Scheiben hielten das grelle Licht ab. Das Kloster konnte er nicht sehen. Es mußte nach der Biegung und hinter dem Waldstück liegen. Im Winter würde die Mauer sicherlich durch das kahle Geäst der Bäume schimmern, jetzt war von dem großen Bau nichts zu sehen. Die Füchse hatten sich auch nicht mehr um die weidenden Kühe gekümmert. Sie besaßen mittlerweile eine neue Aufgabe, indem sie dem BWM Geleitschutz gaben. Bis dicht vor dem Waldstück blieben sie auf der normalen Straße. Dann rannten die Tiere, die den Wagen direkt begleiteten, plötzlich vor und bogen in einen schmalen Feldweg ab, der sonst nur von Traktoren befahren wurde, wie an den Spuren im trockenen Boden deutlich zu erkennen war. Die Fahrt ging weiter. Nur nicht so bequem, denn der Weg war alles andere als eben. Gespickt mit Löchern, mit kleinen Buckeln, mit den eingedrückten Spuren und den Grasbüscheln tat er der Federung des BMW auf keinen Fall gut. Suko rollte nur im Schrittempo dahin, was den Füchsen nichts ausmachte, denn kein Tier lief schneller. Und so näherten sie sich dem Waldstück und rollten sehr bald in dessen Schatten. Wenn Suko es umfahren hatte, würde er das Kloster sehen können. So weit kam es nicht. Wie auf einen geheimen Befehl hin verließen die Füchse den Feldweg und liefen in das Gelände hinein, genau auf den dunklen Rand des Waldes zu, wo sie an einem bestimmten Punkt stehenblieben, mit ihren
Läufen kratzten, die Köpfe bewegten, als wollten sie Suko dazu auffordern, ebenfalls hinzukommen. Der BMW rollte aus. Im nächsten Augenblick verstummte der Motor. Suko wartete noch, beobachtete die Tiere, die nichts taten und nur warteten. Sollte er aussteigen? Bisher hatte alles geklappt. Für ihn gab es keinen Zweifel, das würde so bleiben. Die Füchse schienen ihre Angriffslust vergessen zu haben. Aber trauen wollte ihnen Suko nicht. Ihre roten Höllenaugen sprachen Bände, die jetzt, im Schatten, wieder deutlicher zu sehen waren, als im grellen Licht der Mittagssonne. Er ging das Risiko weiterhin ein und stieg aus. Nur flüchtig dachte er an seinen Freund John Sinclair. In der Nähe des Klosters befand er sich schließlich, womöglich führte sie der Fall auf verschiedenen Wegen zusammen. Der Wald roch. Es war ein guter, natürlicher und auch kühler Geruch, der Suko entgegenwehte. Er brauchte nicht bis zum Beginn des Unterholzes gehen, die Füchse hatten sich an einer anderen Stelle versammelt. Sie kreisten einen bestimmten Platz ein, einen kleinen Hügel, bewachsen mit dichtem Buschwerk. Suko blieb stehen, die rechte Hand auf den Griff der Dämonenpeitsche gelegt. Grillen zirpten im dichten Gras am Waldrand. Mücken summten und zeigten ihre bizarren Tänze. Die Füchse bewegten ihre Köpfe und scharrten gleichzeitig mit den Vorderläufen. Dabei deuteten sie auf eine bestimmte Stelle am Rande des Hügels, der für Suko nicht einsehbar war. Um etwas zu erkennen, mußte er das Buschwerk zur Seite drücken oder auch brechen. Er bückte sich nicht mit einem guten Gefühl, denn es war ein Risiko, den Tieren den Rücken zuzuwenden. Sie taten nichts, blieben ruhig. Suko hörte nur ihren hechelnden Atem, der schnell und keuchend aus ihren aufgerissenen Mäulern drang. Mit beiden Händen griff der Inspektor zu. So stark wie möglich bog er die Zweige zur Seite, ohne etwas anderes erkennen zu können als nur den normalen Boden. Dennoch machte er weiter, suchte auch an anderen Stellen nach, bis er plötzlich nach vorn fiel, weil er seine Hand zu stark gegen den Boden gepreßt hatte. Unter der Fläche hatte der Boden nachgegeben, war durch den Druck einfach weggebröckelt, und Suko war mit seinem Arm direkt ins Leere gestoßen. Hatten ihm die Füchse das zeigen wollen? Suko bohrte mit dem Arm nach, der bis zu seiner Schulter hin verschwunden war.
Kein Zweifel, die Füchse hatten ihm einen Stollen zeigen wollen. Suko zog den Arm wieder hervor. Seine Kleidung hatte bereits den Geruch angenommen. Nach Moder, nach Kühle, nach alten Mauern und auch nach Staub roch er jetzt. Unbeweglich wie künstliche Geschöpfe standen die vier Füchse auf dem Fleck. Suko hätte gern gewußt, wo der Stollen hinführte. Sicherlich wußten es die veränderten Tiere, nur konnten sie nicht sprechen. Der Inspektor ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Er fing an, den Eingang zu erweitern. Es war einfach. Durch Schläge mit der flachen Hand schleuderte Suko immer mehr Dreck und Stücke in die Tiefe hinein, und schon bald konnte er die Schräge sehen, die in die Erde hineinstach. Sie kippte nicht zu stark ab und war einigermaßen bequem zu laufen. Um sicher/.ugehen, leuchtete Suko hinein. Der dünne Lichtfinger verlor sich in der Finsternis. Er glitt zuvor über einen sehr schmutzigen und grauen Boden, bedeckt mit unterschiedlich großen Steinen, die sich von den Rändern und der Decke gelöst hatten. Das Loch war groß genug, um hineinkriechen zu können. Wenn er den Weg im Geiste verlängerte, konnte es durchaus sein, daß er unter dem Nonnenkloster ankam. Ein Gang also . . . eine Verbindung. Suko dachte nach. Er wußte zwar nicht viel, glaubte jedoch, der Lösung des Rätsels ein Stück nähergekommen zu sein. Und er zögerte nicht mehr. Füchse hin, Füchse her, er mußte es einfach wagen. Auf Händen und Füßen kroch der Inspektor durch die Öffnung in den Stollen. Bereits nach wenigen Yards konnte er sich aufrichten, ohne mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Er blieb stehen, drehte sich um, sah schräg über sich und etwas weiter entfernt das Loch des Eingangs. Genau dort malten sich Schatten ab. Vier Füchse drängten sich näher, um Suko wie eine lautlose gefährliche Meute zu folgen. Acht Augen leuchteten im kalten Höllenfeuer. Für Suko gab es nur mehr einen Weg. Den nach vorn! *** Mich hatte eine Tiefe gefangengenommen, durch den der Atem der Jahrhunderte wehte.
Ich ging einen derartigen Weg nicht zum erstenmal. Immer wieder beschlich mich dabei ein ungutes Gefühl, denn ich wußte nie, wo die unterirdischen Gänge und Stollen endeten. Mit der Lampe strahlte ich die Strecke ab, die vor mir lag. Viel veränderte sich nicht. Die altersschwachen Wände, die Steine auf dem Boden, die Feuchtigkeit, das Kleingetier, mal tauchte eine Nische auf, dann wiederum sah ich die Spinnwebennetze, groß wie Bälle, unter der Decke und an den Wänden kleben. Es war die Welt des Schweigens. Da hing die Dumpfheit zwischen den Wänden, und von einer normalen Atemluft war kaum zu sprechen. Der stark reduzierte Sauerstoffgehalt machte auch mir zu schaffen. Für jeden normalen Atemzug mußte ich zweimal Luft holen und hatte jedesmal das Gefühl, als würde ich den Staub der Jahrhunderte auf meiner Zunge schmecken und diesen Geschmack nicht wegbekommen. Ich hatte meine unsichtbaren Antennen ausgefahren und suchte nach einer Gefahr. Daß sie lauerte, stand für mich fest. Es gab einfach kein besseres Versteck für die Maske. Allerdings dachte ich auch darüber nach, wie es ihr gelungen sein konnte, überhaupt in diesen Stollen zu steigen. Wahrscheinlich nicht durch die Luke, die ich genommen hatte. Sie hatte so ausgesehen, als wäre sie all die Jahrhunderte nicht mehr benutzt worden. Aber nichts sprach dagegen, daß noch ein zweiter Einoder Ausgang existierte. Ich war in dem ersten Stollen geblieben und seiner Führung gefolgt. Einmal war ernach links weggeknickt. Jetzt lag wiederum diese lange Röhre vor mir mit der ziemlich niedrigen Decke, so daß ich gezwungen war, den Kopf einzuziehen, wenn ich nicht mit dem Schädel über die Unebenheiten hinwegkratzen wollte. Davon gab es leider genug. Die Decke zeigte an verschiedenen Stellen Risse und Löcher. Das darüberlic-gende Gestein drückte sich hervor. Scharfkantige Gebilde schauten in die Tiefe, und auf dem Boden lagen Trümmerstücke, über die ich hinwegsteigen mußte. Überall klebte Staub. Und weiter wanderte das Licht in die Finsternis hinein, in die Leere und über einen Boden, der leicht anstieg. Es blieb nicht bei einem Stollen. Nach einer Weile erreichte ich ein Gebiet, wo kleine Tunnels in verschiedene Richtungen hinführten und ich mir aussuchen konnte, wohin ich ging. Von der Höhe her waren sie gleich und auch mit Dreck und Steinen gefüllt. Einige von ihnen mündeten in Kellern, die allesamt leer waren. Wenn ich daran dachte, daß hier früher die Gründerinnen des Klosters gelebt hatten, wurde mir ganz anders. Jetzt sah alles verfallen aus, wie begraben.
Kopfschüttelnd suchte ich weiter. Verstecke für die Maske gab es genug, nur eben keine Wege. Allmahlich kamen mir Zweifel, ob ich mich überhaupt auf dem richtigen Dampfer befand. Möglicherweise war alles ganz anders, so daß ich nur umherlief und die Maske sich heimlich ins Fäustchen lachte, wobei die schon überlegte, wer ihr nächstes Opfer sein konnte. Damit mußte ich rechnen. Deshalb beschloß ich, hier unten nicht eine halbe Ewigkeit zu verbringen. Trotzdem war diese Umgebung nicht so langweilig wie der Gang durch den Stollen. Mir fiel ein Gitter auf, das von der Decke nach unten ragte und den Boden berührte. Verrostete Stäbe, zum Ende hin gekrümmt, sah es aus, als wäre es in der letzten Zeit bewegt worden. Ich untersuchte es, umfaßte die Stäbe, rüttelte daran und stellte fest, daß sie tatsächlich nicht so hart im Boden steckten. Ich konnte es vorziehen und wieder nach unten drücken, während ich über mir ein häßliches Knarren vernahm, als würde das Rostgitter jeden Augenblick zusammenbrechen. Ich drehte mich nach rechts und drückte mit der Schulter gegen das Hindernis. Es half. Ich war selbst überrascht, wie es sich plötzlich in Bewegung setzte, als es meinem Druck nachgegeben hatte. Es schwang nach innen, kratzte zwar noch über den Boden, aber es gab mir den Weg frei, um den Raum dahinter betreten zu können. Früher mußte er mal ein alter Keller gewesen sein, ein Verlies oder ein Vorratsraum. Noch jetzt standen dort die Reste der alten Truhen, wobei die Schlösser noch am besten in Ordnung waren. Das Holz war zu einer fauligen Masse geworden. Als ich darauf und dagegen trat, verschwanden einige Ratten. Die Tiere hatten sich in die Reste förmlich eingebuddelt gehabt und waren über einen Besuch nicht erfreut. Vier graue Körper huschten aus meiner Nähe und verschwanden in irgendwelchen Löchern. Mich plagte nicht nur das Kratzen im Hals, auch der Durst machte mir zu schaffen. Für ein Glas Wasser hätte ich einiges gegeben. Statt dessen schaute ich mich um und vergaß auch nicht, gegen die Decke zu leuchten, denn mir war etwas aufgefallen. Ein Luftzug hatte mein Gesicht berührt. Nicht so kühl und dumpf, mehr warm, fast schon stickig. Es war wie ein Hauch über die Haut geglitten und mir vorgekommen wie ein ferner Gruß aus der Oberwelt. Oberwelt? Automatisch erinnerte ich mich an meinen ersten Gedanken, als ich davon ausging, daß es noch einen zweiten Ausgang geben mußte. Jetzt, in der Tiefe der alten Klostermauern spürte ich diesen Hauch und duckte mich bei der Drehung.
Tatsächlich, da war etwas. Die alten Wände leuchtete ich sehr genau ab. Modriges, feuchtes Gestein, verklebt mit Dreck und Spinnweben, eine vorspringende Ecke, die zudem noch in einem rechten Winkel gebaut war, damit man sie nur von einer bestimmten Stelle aus betreten konnte, zog meine Aufmerksamkeit besonders stark an. Da mußte etwas sein .. . Ich ging vorsichtig weiter, weil ich auf alles gefaßt war. Die Beretta steckte locker in der Halfter. Ich würde sie mit einem blitzschnellen Ruck hervorziehen können, was allerdings nicht nötig war, obwohl ich mich an einem ungewöhnlichen Ort befand, mit dem ich hier unten wahrlich nicht gerechnet hatte. Nicht alles war zusammengebrochen, was einmal zu dem alten Kloster gehört hatte. Dieser Raum hier hatte so etwas wie einen Mittelpunkt des Gründungskloster gebildet. Es war rund, von seinen Seite zweigten Gänge ab. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht, die aussah wie Asche. Die feuchten Flecke dazwischen gefielen mir nicht. Sie sahen ziemlich frisch aus. Ich leuchtete sie direkt an. War es Blut — Menschenblut vielleicht? So genau war es nicht zu sehen, nur hatte ich das Gefühl, den Mittelpunkt erreicht zu haben. Wenn über das alte Kloster der Schatten der Hölle gefallen war, dann konnte es hier gewesen sein. Ich leuchtete auch weiterhin den Boden ab. An einigen Stellen lag die Staubschicht nicht so dick. Da sah sie aus, als wäre sie weggefegt worden. Ich schabte mit dem Fuß, leuchtete auch und legte die Gravierungen des alten Gesteins frei. Unter dem Staub hatte sich eine primitive Tierzeichnung verborgen. Beim ersten Hinsehen machte sie den Eindruck einer Hyäne oder eines Schäferhundes. Beim zweiten wußte ich es besser. Da holte ich die Umrisse eines Fuchses hervor. Ein Fuchs also! Ich schluckte hart, dachte an die Entdeckungen, die Innocencia und ich gemeinsam gemacht hatten, und fühlte mich durch diese hier unten gefundene Zeichnungen bestätigt. Schon das alte Kloster hatte unter der Magie der Füchse gestanden, die wiederum vom Teufel persönlich geleitet wurden, denn er hatte ihnen seinen höllischen Stempel aufgedrückt. Da paßte eigentlich alles zusammen, nur fehlte mir noch ein Stück der Verbindung. In der Oberwelt regierten die Füchse, hier unten ebenso! Und was lag dazwischen? Es gab nur eine Lösung — die Maske!
Wer war dieser geheimnisvolle Killer, der hier sein Unwesen trieb? Warum setzte er sich die Maske auf? Was verband ihn mit den Füchsen? Es standen einfach noch zu viele Fragen offen. Ich war ein Mensch, derauf Stimmungen abfuhr. Wenn mich nicht alles täuschte, dann würde ich hier unten der Maske begegnen. Ein Gedanke, der mir einen leichten Schauer über den Rücken trieb. Nicht allein aus der Furcht oder der Sorge geboren, ich war mittlerweile auch verdammt neugierig geworden. Ich wollte ihr zudem gegenüberstehen und dem Spuk ein Ende bereiten. Mochte sie auch hundertmal durch die Magie des Teufels infiziert sein, sie sollte nicht siegen. Fragte sich nur, wo sie sich verbarg? Das Zentrum, in dem ich stand, war wichtig. Ich hatte mich zudem über die Größe des unterirdischen Raumes gewundert. Das hier war eine Art Zentrale, in der sich die Magie konzentrierte. Mehrere Gänge zweigten von diesem Hauptraum ab. Wohin sie führten, wußte der Henker. Aus einem der dunklen Löcher aber vernahm ich ein Geräusch. Es waren keine Schritte, es war auch kein Schleifen, es kam mir vor wie ein hartes, kaum unterdrücktes Keuchen. Ich wurde sehr ruhig und kalt. Dann hob ich den rechten Arm so weit an, daß ich genau dorthin leuchten konnte. Der Strahl konzentrierte sich auf eine der Öffnungen, denn dort bewegte sich etwas. Ich ließ ihn an seiner schwarzen Kleidung entlanggleiten, bis ich die dicke, aufgepappte weiße Flache erwischte, in der das Blut geronnen war. Darüber zeichnete sich ein ebenfalls dunkler Schatten ab. Er, der Hutrand, interessierte mich nicht. Mein Blick galt einzig und allein der teuflischen Maske, die ich endlich gefunden hatte... *** Das Wissen tat gut. Ich atmete tief durch, über meine Lippen glitt sogar ein Lächeln, den ich freute mich über den Fund. Jetzt würde sie mir nicht mehr entwischen können. Ich suchte auch nach einer Waffe, sah keine. Das Messer mußte die Maske innerhalb der Kleidung verborgen haben. Ich ging vor. »Keinen Schritt weiter!« Der Befehl mochte mit einer hart und peitschend klingenden Stimme gesprochen worden sein, mich allerdings erreichte er nur mehr als ein dumpfes Gurgeln, so daß ich große Mühe hatte, ihn überhaupt zu
verstehen. Zudem hatte er mich dermaßen überrascht, daß ich meinen Schritt tatsächlich stoppte. Die Maske rührte sich nicht. Was immer sich für ein Gesicht unter ihr verbarg, eine Regung zeigte sich nicht. Selbst das Blut blieb geronnen auf der Oberfläche. Ich nickte ihr entgegen. »Okay, ich habe dich verstanden, Killer. Schließen wir einen Kompromiß. Ich werde nicht weiterkommen, aber dafür kommst du zu mir.« »Nein.« »Dann gehen wir beide«, schlug ich vor. »Jeder zwei Schritte. Wir treffen uns in der Mitte.« »Was bezweckst du damit?« »Ich habe noch Fragen, viele Fragen.« »Wer sagt dir, daß ich sie beantworten werde?« Ich lachte leise. »Den Gefallen wirst du mir doch erweisen, Mister Unbekannt. Es ist das alte Spiel. Auf der einen Seite der Killer, auf der anderen der Mann des Gesetzes. Zwei Pole, wie sie gegensätzlicher nicht sein können, und keiner weiß, wer den Sieg davontragen wird.« »Ich!« »Schön, akzeptiert. Wenn du dir dessen so sicher bist, dann wirst du mir die Fragen doch beantworten.« Die Maske überlegte. Ich ließ ihr Zeit und reizte sie auch nicht unnötig, denn ich hatte den Strahl der schmalen Lampe gesenkt, damit er nicht direkt in ihr Gesichtund damit in die beiden Augenschlitze stach. Nickte sie? Ich wußte es nicht genau und fragte deshalb nach. »Was ist, gehst du auf meinen Vorschlag ein?« Ich hatte es schon nicht mehr für möglich gehalten, aber die Maske nickte. »Ja, ich werde kommen, John Sinclair!« Fast hätte ich durch die Zähne gepfiffen. Der Killer zeigte sich gut informiert, er kannte sogar meinen Namen. Plötzlich fühlte ich mich wie ein Teil eines großen Puzzles, das nur nicht wußte, an welch einer Stelle es hingehörte. Was lief hier ab? Die Maske ging vor. Dabei löste sich der Körper aus dem Schatten der Ecke, aber viel konnte ich nicht sehen, denn er war ganz in Schwarz gekleidet. Sein Mantel erinnerte mich etwas an den kleinen Magier Myxin, den ich ebenfalls nur in diesem Kleidungsstück kannte. Bei den Gehbewegungen geriet er in Schwingungen, klaffte vorn sogar auf, so daß ich die Beine sehen konnte. Auch sie waren durch den dunklen Stoff einer Hose verhüllt. Eine Identifizierung war nicht mehr möglich. Ich ging ebenfalls vor, ungefähr mit der gleichen Schrittlänge wie die Maske. Da sie von mir nicht verlangt hatte, die Lampe auszuschalten,
ließ ich sie brennen. Unter unseren Füßen knirschte der Dreck. Ansonsten hüllte uns eine beklemmende, beinahe schon dumpfe Stille ein. Beide taten wir nichts, wir gingen nur. Ich rechnete damit, daß die Maske zum Messer greifen würde, doch auch da sah ich mich getäuscht. Sie blieb gelassen. Sie stoppte zuerst. Ich verhielt ebenfalls meinen Schritt. Zwischen uns befand sich ungefähr eine Distanz von einer Armlänge. Die Maske war kleiner als ich. Wenn sie mir ins Gesicht schauen wollte, war sie gezwungen, den Kopf ein wenig anzuheben. Ich blickte nach unten. Es zuckte mir in den Fingern, die Masse zu berühren, obwohl sich darin das Blut ausgebreitet hatte, doch ich beherrschte mich. Sie zu reizen, wäre unklug gewesen, denn ich wollte von ihr die Lösung des Falles. Ich blickte wie unter Zwang in ihr Gesicht. Diese Masse sah aus wie Leder. Ja, jetzt hatte ich den Begriff gefunden. Sie erinnerte mich an gegerbtes, zähes Leder. Nicht mehr an Käse oder dicken Quark, über den Blut floß. Ich schaute höher. Die Maske besaß Schlitze für die Augen. Durch die etwas schräg fließenden Blutstreifen wirkten sie so, als würden sie unterschiedlich hoch wachsen. Das alles kümmerte mich nicht. Fs war zweitrangig geworden, ich konnte es vergessen. Mein Blick konzentrierte sich allein auf die Augen hinter der Maske, und nur die Augen. Himmel, diese Augen, diese Pupillen. Ich ... ich hatte sie schon gesehen, ich kannte sie. Scharf saugte ich den Atem ein. Ich wollte etwas sagen, meine Stimme zerbrach. Die Maske mußte es einfach bemerkt haben. Meine Reaktion war zu auffällig gewesen. »Du weißt Bescheid?« Die Stimme identifizierte ich nicht. Sie klang einfach noch zu dumpf. »Ich . . . ich glaube . . .« »Dann schau«, sagte die Maske und zerrte das ab, was ihr eigentliches Gesicht bedeckte... *** Die Füchse waren hinter ihm her wie eisenharte Aufpasser und das wiederum gefiel dem Inspektor überhaupt nicht. Es ärgerte ihn, er hätte sie am liebsten zum Teufel gejagt, nur blieb das ein Wunschtraum, denn es waren die Füchse, die hier regierten und herrschten. Ihnen gehörte
diese unterirdische Welt. In den Stollen kannten sie sich aus, auch wenn der Eingang verschüttet gewesen war. Suko dachte nicht an einen Rückweg. Er hatte viel erlebt, nur war der Inspektor der Lösung des Falles noch nicht viel nähergekommen. Weiterhin lief er hinterher, und seinen Freund John Sinclair hatte er ebenfalls nicht gefunden. Aufrecht gehen konnte er nicht. Suko mußte sich ducken. Er sah, daß der Tunnel ein leichtes Gefälle besaß. Nicht sehr steil, doch ein Ball würde immer weiterrollen und nicht gestoppt werden, falls kein Hindernis im Weg lag. Die Luft war mit der draußen nicht zu vergleichen. Suko empfand sie als eine Zumutung, doch als Fatalist* mußte er durch, daran ging kein Weg vorbei. Manchmal, wenn der Weg frei war und er über Hindernisse hinweggeklettert war, schaute er sich um. Die vier roten Augenpaare blieben permanent hinter ihm. Einmal auf seinen Fersen wollten sie nicht aufhören und weiter am Ball bleiben. Der Stollen verengte sich noch mehr. Suko hatte den Eindruck, als würden die Wände zusammenwachsen. Wenn er sich zu stark nach einer Seite bewegte, schleifte er mit der Schulter und dem Arm oft genug an der rauhen Gangwand entlang, aus der kantige Steine hervorschauten. Ein Fuchs drängte sich vor. Suko hörte hinter sich das schnelle Aufklatschen der Pfoten, dann warder Körper schon neben ihm und drängte sich vorbei. Das Tier lief anschließend nicht mehr so schnell. Es behielt ein gewisses Tempo bei, als wollte es Suko zeigen, wie schnell er sich voranzubewegen hatte. Ein zweiter Fuchs huschte an ihm vorbei, die anderen beiden aber blieben hinter ihm. Suko kam sich vor wie jemand, der eingekesselt war. Die Füchse wollten in seiner Nähe bleiben, sie gaben keinen Zentimeter an Boden frei, sie waren die Führer und glitten in eine düstere, muffige und schaurige Welt hinein. Irgendwann und irgendwo mußte der Gang ein Ende haben. Suko rechnete mit einem zentralen Punkt, einer Stelle, wo die Maske auf ihn lauern würde. Er bemerkte die Unruhe der veränderten Füchse. Nicht daß sie gebellt hätten, wie man es von ihnen kannte, nein sie zeigten eine gewisse Nervosität. Sie huschten von einer Seite zur anderen. Die vorderen schauten auch mal zurück, um den Zweibeiner mit ihren roten Augen anzuglotzen.
* Fatalist ist jemand, der an die Vorherbestimmung glaubt.
Der Gang blieb nicht so eng. Suko verglich ihn mit einem Fluß, der manchmal breiter war, sich an gewissen Stellen wieder verengte, aber in seinem Bett blieb. Über die Körper der vor ihm laufenden Füchse leuchtete Suko hinweg und entdeckte das Hindernis, auf das der Lampenstrahl einen kleinen Kreis zeichnete. Eine Mauer, die den Weg versperrte. Dort blieben die Füchse stehen. Sie hockten sich hin und drehten ihre Körper, um Suko entgegenzuschauen. Er wurde von ihnen geführt und als er die Mauer erreicht hatte, konnte er sehen, daß es nur nach rechts ging, wo die Wand dann stufenweise aufgebröckelt war und sich dahinter wie ein riesiges schwarzes Maul eine große Höhle öffnete. War es das Zentrum? Suko hatte schon die Zeit über nachgedacht, wo er sich möglicherweise befand. Das waren nicht nur einfach Stollen, nein, in dieser unterirdischen Welt steckte ein gewisses System. Es sah aus, als wäre es von Menschenhand erschaffen worden. Möglicherweise hatten hier vor langer Zeit einmal Menschen gewohnt und sich dann später irgendwann — aus welchen Gründen auch immer — zurückgezogen. Wie dem auch gewesen war, Suko mußte sich den heutigen Gegebenheiten stellen, und das waren die Füchse, die allesamt die Mauer umrundet hatten und sich in der Höhle aufhielten, als hätten sie genau hier ihren Futterplatz. Es fiel durch keine Öffnungen Licht in die Tiefe. Helligkeit spendete einzig und allein Sukos Lampe, und der ließ den Strahl kreisen, weil er so viel wie möglich von seiner fremden Umgebung erkennen wollte. Den Füchsen paßte es nicht, wenn die Helligkeit sie streifte. Sie schraken jedesmal zusammen, wenn der Schein über ihre Augen huschte. Sie taten nichts. Suko rechnete zwar mit einem Angriff, aber die blieben auf ihren Wartepositionen. Die Umgebung faszinierte ihn. Je länger er sie durchleuchtete, um so größer wurde seine Überzeugung, daß hier vor langer Zeit jemand gelebt haben mußte. Ein Höhlenvolk? Das konnte Suko sich nicht vorstellen. Spuren der Zivilisation waren auch anhand der Bauweise zu erkennen. Die Mauern und Wände, von denen es Reste gab, brauchte Suko nur im Geiste zu vervollständigen, um so etwas wie Räume zu Zimmern entstehen zu lassen. Befand er sich vielleicht im alten Teil des Klosters? Möglicherweise in einem Keller in gefährlichen Katakomben, durch die noch der Atem der Vergangenheit wehte? Wenn er an den Weg dachte, der hinter ihm lag, konnte es durchaus möglich sein, daß diese Welt hier damals zum Kloster gehört hatte. Er
leuchtete in die Höhe. Als helles Schimmern tastete der Strahl über das Deckengestein. Suko entdeckte Risse, Mulden, kleine Vorsprünge, aber keinen Schacht oder keine Öffnung, durch die Luft geströmt wäre. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Die Füchse bewegten sich unruhig. Mit ihren Läufen scharrten sie über den Boden, senkten die langen Schnauzen oder hoben sie an, als würden sie etwas wittern. Suko sah auch die Schwänze, die ihm noch buschiger vorkamen, als sie ohnehin schon waren. Es tat sich etwas. Die Füchse besaßen ein besseres Wahrnehmungsvermögen als er. Bei ihm würde es noch seine Zeit dauern, bis er die Gefahr erkannte. Er wechselte seinen Standort und löschte die Lampe. Über ihm hing plötzlich der Sack der Dunkelheit. Suko erlebte, wie sich die Geräusche verstärken konnten. Er hatte den Eindruck, die Bewegungen der Füchse doppelt so laut zu hören. Um nicht so stören, atmete er selbst so flach wie möglich. Einen Beweis besaß er zwar nicht. Dem Gefühl nach ging er davon aus, daß sich was tun würde. Und er irrte sich nicht. Er hörte die dumpfen Laute, die ihm vorkamen, als wäre jemand dabei, mit aller Kraft seinen verräterischen Atem zu unterdrücken. Die Richtung konnte Suko noch nicht bestimmen. In dieser Höhle war es einfach zu schwer. Atmen und schleichen? Jawohl, da wurden Schritte gesetzt. Erst vorsichtig, dann mit den Sohlen schleifend. Sukos Daumen lag auf dem Kopf der Lampe. Er zögerte bewußt. Wenn er das Licht in die Dunkelheit schickte, wollte er auch sicher sein, daß es das Ziel erwischte und den anderen nicht verschreckte. Die Geräusche verklangen, weil andere sie überlagerten. Diesmal von den Füchsen, die ebenfalls ihre Stellungen wechselten, was Suko nicht gefiel, denn er rechnete auch damit, daß sie gewisse Angriffspositionen einnehmen würden. Auch er blieb nicht stehen. Dabei ging er wie ein Mensch mit verbundenen Augen, der über Hindernisse steigt. Erst einmal den Fuß hochstellen, nach vorn drücken, den Boden berühren, abrollen . . . Er blieb stehen, konzentrierte sich wieder auf das Neue, Fremde — und riskierte es. Scharf schnitt der Strahl durch die Luft. Wie ein Schwert, ein Messer, das sein Ziel traf. Direkt, denn Suko hatte Glück. Und gleichzeitig traf ihn die Überraschung wie ein Hammerhieb. Der Strahl erwischte ein Gesicht. Es war die Maske!
*** Bisher hatte Suko davon nichts gesehen, es nicht erlebt, nur darüber von seinem Freund John Sinclair gehört. Allerdings nicht detailliert, mehr als eine Annahme. Jetzt sah er sie vor sich! Sie war schlimm, sie war scheußlich. Obwohl Suko in seiner Laufbahn schon schrecklichere Anblicke hatte ertragen müssen, traf ihn dieser deshalb so hart, weil er so überraschend gekommen war und Suko sich auch keine direkte Vorstellung gemacht hatte. Diese helle weißbläuliche, mit Blut beschmierte Masse unter dem Rand des Hutes war einfach widerlich. Er hatte den Lichtstrahl so hoch gerichtet, daß er auch die Augen erfassen konnte. Sie waren nicht mehr als zwei gläserne Punkte innerhalb der Masse. Schiefsitzend, und mit dem ausgefüllt, was man als den bösen Blick bezeichnete. Der Böse Blick des Teufels! Suko schloß für einen Moment die Augen. Sein Hals saß zu. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Drohen, Schießen? Die Gestalt mit den nackten Fäusten bekämpfen? Eine sichtbare Waffe trug die Maske nicht bei sich, was aber nichts zu sagen hatte. Suko konnte kaum glauben, daß es ausgerechnet ihm gelungen war, die Maske oder den Killer zu finden. Dabei war er nur dem Verlauf des Stollens gefolgt und tatsächlich ins Zentrum gestoßen. Auch Suko mußte den Anblick verdauen. Die Maske strahlte etwas Unheimliches ab. Gleichzeitig ging von ihr ein scheußliches böses Versprechen aus. Wer war sie? Hätte Suko ein Kreuz besessen wie sein Freund John, so hätte er die direkte Probe aufs Exempel machen können. So aber blieb ihm die Beretta — und die Dämonenpeitsche. Die Maske tat nichts. Sie stand nur da, starrte ihn an. Die Augen bewegten sich dabei in der dicken, käsigen Masse. Sie waren wie kleine Räder, die jemand in Bewegung gesetzt hatte. Suko bewegte sich ebenfalls nicht. Erwartete auf eine Reaktion. Sie war gekommen, sie hatte sich gezeigt, als wollte sie auch etwas von ihm und nicht umgekehrt. Die Maske blieb starr. Keine Regung auf der Masse. Auch das Blut floß nicht mehr durch die schmalen Spalten. Es hatte sich bereits genug verteilt. Dann zuckte der Arm. Es war ein Huschen, mehr nicht, wobei die Hand über die dunkle Kleidung glitt.
Suko stieß sehr laut die Luft aus. Das Geräusch war noch nicht verklungen, als die Hand mit einem Gegenstand hervorkam, der in der Kleidung verborgen gewesen war. Ein Messer! Gewaltig kam es Suko vor. Wie ein erstarrter Schatten. Eine breite Klinge, versehen mit einem Griff, der in der behandschuhten Faust der Maske verschwand. Wenn Suko sich nicht sehr irrte, klebten sogar dunkle Flachen auf der Klinge, denn sie reflektierte das Licht der schmalen Lampe nicht überall. Blut des Vorgängers? Er schluckte, als er daran dachte. Schweiß stand plötzlich auf seiner Stirn. Wer ein Messer zieht, der will töten. Und hier gab es nur eine Person, die angreifbar war. Suko griff zur Beretta. Er hatte sich zu sehr auf die Maske konzentriert und war deshalb von den anderen Dingen abgelenkt worden. Darauf hatten die Füchse gewartet. Plötzlich sah er ihre roten Augen wieder. Vier Augenpaare tanzten vor ihm einen wilden Reigen, und ihm war klar, daß sie sich auf dem Sprung befanden... *** Sie stand vor mir, hielt die Maske in der Hand und ich sah ihr blondes Haar, das flach wie eine Perücke an ihrem Kopf klebte. »Überrascht, John?« »Ja, Innocencia!« Bei dieser Antwort hatte ich meiner Stimme einen festen Klang geben wollen, was mir leider nicht gelang. Irgendwo zwischen Kehle und Lippen versickerte sie. Es war für mich unfaßbar, die negativste Überraschung der letzten Zeit, und ich hatte Mühe, den Boden unter meinen Füßen zu bewahren. Eine Nonne war der Killer! Und nicht nur das. Sie steckte zudem mit dem Satan unter einer Decke, mußte sich mit ihm verbündet und alle anderen Nonnen getäuscht haben. Nicht daß in diesem Augenblick eine Welt für mich zusammenbrach, aber schlimm war es doch. So schlimm, daß ich auch weiterhin Mühe hatte, zu sprechen. Die Nonne und der Teufel! Oft genug ist dieses Bild gemalt worden. Von Atheisten, die sich darüber lustig machten, die sagten >Ich habe es schon immer gewußt«. Ich gehörte nicht zu diesen Menschen. Okay, es gab Ausnahmen, dafür waren alle fehlbar, mich schockte es nur, daß ich persönlich damit konfrontiert wurde. Und von einer jungen Frau, die mein vollstes Vertrauen gehabt hatte. Vertrauen bis ...
Ich konnte nicht mehr weiterdenken. Die Lampe zitterte, ich schüttelte den Kopf und atmete aus, als wollte ich ein Licht ausblasen. Es war einfach furchtbar, unglaublich, nicht zu fassen. Innocencia, die Maske — Innocencia war der Killer, der sein Gesicht versteckte. Sie hielt die Maske in der Hand, schwenkte sie dann etwas und ließ sie fallen. Mit einem dumpfen Laut landete sie auf dem Boden, wo sie als zusammengeschrumpftes Gebilde liegenblieb. »Du sagst nichts, John?« Sie duzte mich plötzlich. Mir war es egal, ich lauschte nur ihrer Stimme nach. »Es war eben zu hart«, flüsterte ich nach einer Weile. »Die Überraschung, verstehst du?« »Sicher.« »Warum?« keuchte ich und dachte daran, daß sie mir waffenlos gegenüberstand. Ich zog nicht die Beretta, es kam mir irgendwie lächerlich und dumm vor. »Warum?« flüsterte sie mir nach. »Du fragst, warum?« »Ist das nicht mein Recht?« Sie schüttelte den Kopf. Im Licht der Lampe sah ihr Gesicht mit der dünnen Haut fragil aus, als würde es im nächsten Augenblick mit einem leisen Klirren zerbrechen. »Ich warte auf eine Antwort.« Die bekam ich als Frage. »Was glaubst du denn jetzt, John Sinclair? Was glaubst du?« »Das, was ich sehe.« Sie runzelte die Stirn. »Es ist schade, daß Menschen immer nur das glauben, was sie sehen, John.« »Nein, rede nicht. Die Beweise liegen so verdammt klar auf der Hand, meine Liebe.« »Ich bin der Mörder!« »Was sonst?« »John« . . .« Sie schüttelte den Kopf. »John, es tut mir leid.« »Dann bist du es nicht?« »Richtig!« Ich schwieg, weil ich vor Überraschung nichts sagen konnte. Log sie, legte sie mich jetzt rein, wie ich selten zuvor reingelegt worden war? Ich wußte es nicht. »Denke nach, John!« »Worüber bitte?« »Über alles. Besonders über die Zeit, die wir am Grab des Fuchses verbracht haben.« »Klar, ich erinnere mich gut.« »Leider nicht gut genug. Wir sind in den Wagen gestiegen und weggefahren. Ich saß neben dir. ..« »Was soll das?« unterbrach ich sie schroff.
»Laß mich ausreden, bitte.« Ihre Stimme hatte einen kalten Klang bekommen. »Okay, rede weiter.« »Ich saß neben dir, John. Ich habe neben dir gesessen, denke daran. Dann sahen wir die Maske. Die Gestalt erschien plötzlich und war sehr schnell verschwunden. Kannst du dich wenigsten daran erinnern, John Sinclair?« »So schlecht ist mein Gedächtnis nicht.« »Schön. Nun müßtest du anders denken, mein Lieber. Kann ich die Maske tatsächlich gewesen sein, ich saß neben dir, den Killer abersahen wir draußen.« Ich schaute sie an, sie wich meinem Blick nicht aus, ein feines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. War es Spott? Häme . . .? »Nun?« »Du hast recht.« »Deshalb bin ich die Maske nicht!« Ich hob meine leere Hand. »Moment mal, so einfach ist das nicht, Innocencia. Man kann die Sache auch anders sehen, in einem anderen Licht, denn jedes Ding hat zwei Seiten.« »Erkläre du mir die andere.« »Das will ich gern. Du kannst hiereine Farce vorspielen, bist tatsächlich der Killer, und hast dir jemand als Hilfe geholt, der uns einen zweiten vorspielen soll, um mich, wenn es zur Konfrontation kommt wie jetzt, in Sicherheit zu wiegen.« Meine Worte hatten sie nachdenklich gemacht, denn sie war plötzlich ziemlich still geworden. »Und das denkt du tatsächlich, John Sinclair? Ist das deine Meinung?« »Natürlich.« »Dann bist du für mich arm, sehr arm, John. Ich muß dir die Menschenkenntnis absprechen.« »Was zu beweisen wäre.« Sie nickte sehr bedächtig. »Ich werde es dir beweisen, John Sinclair. Das werde ich.« »Bitte.« »Ich kenne den Killer!« Meine Reaktion war Null. Ich lachte nicht, ich gab keinen positiven Kommentar auch keinen negativen. Ich hatte ihre Antwort zunächst einmal hingenommen. »Du glaubst mir nicht!« »Nein, Innocencia. Ich kann dir nicht glauben. Es ist für mich unwahrscheinlich.« »Dabei ist es sehr simpel!« »Dann sage mir Bescheid. Los, ich will wissen, was du weißt. Ob es stimmt. Was hast du dir ausgedacht, Innocencia? Wer ist der Killer, der kein Erbarmen kennt?« »Er heißt Gideon!« erklärte sie mit flacher, kaum verständlicher Stimme. Ich horchte dem Klang nach, schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber der Name sagt mir nichts.«
»Das habe ich mir gedacht, du wirst ihn nicht kennen. Ich aber kenne ihn um so besser, denn Gideon, John, ist mein Bruder. Mein eigener Bruder!« schrie sie plötzlich und schüttelte dabei wild den Kopf, als wollte sie dieses Wissen loswerden. »Begreifst du es jetzt? Weißt du nun, wie es in mir aussieht? Wie zerrissen ich innerlich bin? Ich eine Nonne, habe einen Bruder, der sich mit dem Teufel verbunden hat und rücksichtslos tötet. Kannst du dir vorstellen, wie es in mir ausschaut? Wie ich mich gequält habe, wie ich versuchte, darüber hinwegzukommen, was mir nicht gelang, wie ich nachdachte, hineinglitt in die reine Verzweiflung und nicht wußte, wem ich mich anvertrauen konnte. Nicht der Ehrwürdigen Mutter, die nichts, aber auch gar nichts verstanden hätte. Nicht meinen Schwestern, nein, ich mußte es allein durchmachen. Bis ich auf den Gedanken kam, mich mit dir in Verbindung zu setzen, was ich wiederum als die einzige Lösung sah. Jetzt weißt du alles, John . . .« Sie sprach nicht mehr, blieb stehen mit Armen, die am Körper herabhingen, als wären es steife Stücke. Sie schaute an mir vorbei, wollte mir Gelegenheit geben, über das Gesagte nachzudenken, was ich auch tat, obwohl ich es weder fassen noch begreifen konnte und mir vorkam wie jemand, der einfach danebenstand und nicht mehr er selbst war. Innocencia schaute ins Leere und rührte sich auch nicht, als ich den letzten Rest der uns trennenden Distanz überwand. Dann nahm ich sie in den Arm. Ich streichelte ihren Rücken, strich sacht über das Haar und suchte nach Worten. Was sollte ich ihr sagen? Welcher Trost war in dieser Situation der richtige? »Jetzt weißt du es«, flüsterte sie. »Jetzt weißt du alles. Der Teufel ist Gideon.« »Und warum hast du dir die Maske nachgebaut, Innocencia? Es muß doch einen Grund gehabt haben.« »Ja, den gab es, aber ich weiß nicht, ob du ihn überhaupt begreifen kannst.« »Versuche es.« »Ich mußte, als ich es wußte, damit fertig werden. Ich mußte es überwinden, ich konnte nicht anders. Es ging nicht, ich suchte nach einem Grund, nach einer Lösung, alles zugleich. Es war einfach schlimm. Ich wollte mich in die Haut meines Bruders hineinversetzen und erfahren, was ihm zu dieser Tat trieb.« »Und? Hast du es geschafft?« »Nein, John, nein. Ich habe nichts geschafft. Ich konnte es nicht, denn ich bin nicht so anfällig für das
Böse, verstehst du? Mein Bruder war anders als ich, obwohl wir von den gleichen Eltern abstammen. Ich nicht, John, ich wehrte mich dagegen. Ich war für so etwas einfach nicht geschaffen.« »Das glaube ich. Aber hast du darüber nachgedacht, wieso dein Bruder so anders war?« »Er war im Prinzip nicht anders«! Sie sprach über meine Schulter hinweg. »Das kann man wirklich nicht sagen. Er war nicht anders. Aber er hat mich besucht. Er kam zu mir und interessierte sich für alles. Er mußte schon vor seinen Besuchen gewisse Nachforschungen angestellt haben, denn er kannte sich aus. Ihn interessierte sehr stark die Vergangenheit des Klosters und auch das Böse, das sich darin verteilt hatte. Es war einfach grauenhaft.« »Dann kannte er auch die Stelle, wo der Fuchs damals . ..« Sie ließ mich nicht ausreden. »Ja, John, er kannte sie. Ich habe sie ihm gezeigt. Ich hätte schon damals aufmerksam werden sollen, denn ich merkte seine für mich unnatürliche Begeisterung. Er war einfach hingerissen, er war fasziniert.« Sie holte einige Male tief Atem. »Und dann hat er es getan.« »Was tat er?« »Er schnitt die Maske aus dem Fell. Wir haben es gesehen, er hat das Fell bearbeitet, gebleicht, damit es zu einer Maske wurde. Und er mußte es mit seinem Blut beträufeln. Ich gehe davon aus, daß er sich das Gesicht einschnitt. Mit dem Messer in die Haut stechen, sein Blut auf die Maske fallen lassen oder das Fell. Der Einfluß des Teufels war vorhanden, er vermischte sich nun mit Gideons Blut und ging damit die perfekte Verbindung ein.« »Hast du mit ihm gesprochen?« »Später nicht mehr. Aber ich wußte, daß er es war, der tötete. Auch ich habe Fehler gemacht. Ich hätte mich früher offenbaren sollen, aber es ging einfach nicht. Ich kann nicht über die Grenze hinweg. Das ist schlimm, John.« Ich blieb sachlich, mußte einfach sachlich bleiben und fragte: »Weißt du, wo er sich aufhält?« »Ich nehme es an. Wir stehen in seinem Revier. Hier unten hat einmal das Böse regiert. Über die Füchse gelang es dem Satan Einfluß zu nehmen. Hier hatte er sein Reich, hier breitete er sich aus, wenn du verstehst, John.« »Dann müßten wir ihn hierauch finden.« »Davon gehe ich aus!« Sie drückte sich zurück, schaute mir ins Gesicht und fragte leise: »Glaubst du mir jetzt?« Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, räusperte mich mehr aus Verlegenheit, sprach aber nicht. Erst nach einer Weile sagte ich leise: »Ja, ich glaube dir, Innocencia.«
Sie lächelte. Es kam mir erlösend vor. Plötzlich weinte sie. Vielleicht aus Beruhigung oder aus Freude, ich wußte es nicht. Sie wischte ihre Tränen fort. »Ist das Scicksal ungerecht oder ausgleichend«, fragte sie leise. »Wie meinst du das?« »Auf der einen Seite steht mein Bruder, der dem Teufel dient, auf der anderen ich. Wobei ich das reine Gegenteil zu ihm bin. Oder ist es der ewige Kampf?« Ich atmete heftig aus. »Ja, es ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Er wird immer ausgefochten. Wahrscheinlich hast du dies vorgehabt, Innocencia. Oder nicht?« »Du denkst an meine Verkleidung?« »Richtig.« »Ich wollte ihn finden, ich wollte ihn schocken. Er sollte sehen, wie es ist, wenn man mit dieser furchtbaren Verkleidung durch die Gänge des alten Teils läuft. Ob ich es geschafft hätte, weiß ich nicht, ich kann es nur hoffen.« »Du bist dir außerdem der Gefahr bewußt, in die du dich begeben hast.« »Sicher.« »Er hätte keine Rücksicht genommen«, sagte ich. »Nicht ein Mörder wie Gideon. Ob Schwester oder nicht, er muß seiner Aufgabe nachgehen. Er ist ein von der Hölle geleiteter Killer. So traurig sich dies auch anhört, aber es ist die Wahrheit.« Sie schaute ins Leere. Nahm sich Zeit, über meine Antworten nachzudenken. Ich schaute mir inzwischen die nähere Umgebung an, geführt vom Strahl meiner Leuchte. »Kennst du dich hier unten aus, Innocencia?« »Bestimmt. Ich habe mich oft genug hier herumgetrieben.« »Okay. Wo könnte er denn sein Versteck haben?« »Bisher habe ich ihn nicht gefunden«, klang mir die Antwort aus der Dunkelheit entgegen. »Ich bin davon überzeugt, daß er sich in der Nähe versteckt hält. Außerdem wird er längst wissen, daß auch du die alten Regionen betreten hast. Er weiß alles, er hält seine verfluchten Augen auf, er folgt den Gesetzen des Teufels. Er weiß, daß wir anders leben als normale Menschen. Er rechnet mit unserer Verschwiegenheit. Bis die Polizei hier eintrifft und Untersuchungen vornimmt, hat er bereits die Hälfte der Nonnen getötet. Er will unter Umständen das vollenden, was früher nicht geschafft wurde.« »Eine Rache?« »So ähnlich.« Ich ging auf sie zu. Meine Schritte knirschten auf dem vom Staub und kleinen Steinen bedeckten Boden. Die Luft war muffig, sie stank einfach widerlich. Jeder Atemzug bedeutete eine gewisse Qual. Ich hatte das
Gefühl, beim Luftholen den Staub der Jahrhunderte in die Lungen zu bekommen. »Okay, lassen wir die Gefühle beiseite, Innocencia. Konzentrieren wir uns beide auf den Mörder und auf sein Versteck. Ich glaube kaum, daß er erscheinen wird, wenn du seinen Namen rufst. Wir müssen uns ihm anbieten, wenigstens ich.« Sie nahm ihre Hand hoch und legte die Finger gegen das Kinn. »Sprichst du von einem Köder?« »So ist es. Dabei möchte ich darauf hinweisen, daß nicht du der Köder bist, diesen Part übernehme ich. Dich allein gehen zu lassen, kann ich einfach nicht riskieren.« »Also bleibe ich bei dir.« »Ja und wir werden .. .« Es war sinnlos, einen Plan auszuarbeiten, denn andere Ereignisse trieben uns zur Eile an. Durch den Wirrwarr der Tunnels und Stollen hallten die dumpfen und gleichzeitig peitschenden Geräusche. Neben mir schrak Innocencia zusammen. Sie blieb stehen, als wäre sie vereist. »Was war das?« »Schüsse!« flüsterte ich. »Mein Gott, das ist unmöglich. Gideon schießt nicht. Er... er besitzt ein Messer.« »Stimmt.« »Wer kann dann ...« »Das ist jetzt zweitrangig. Es können sich noch andere herumtreiben. Wir müssen ihn finden.« Ich nahm sie an die Hand wie ein kleines Kind. Wieder erklang das Schußecho. Es breitete sich aus, glitt mir rollend entgegen, aber ich hatte die ungefähre Richtung feststellen können. In die liefen wir... *** Die Maske lachte dumpf auf, als die Füchse sprangen. Sie waren ihre Helfer, sie gehörten zu denen, die ebenfalls das Zeichen der Hölle trugen, und sie würden den Eindringling zerreißen. Gleichzeitig bewegte der Killer seine Hand, und die lange Messerklinge blinkte, als wollte sie irgendwelchen Personen bestimmte Zeichen geben. Für den Killer war Suko bereits so gut wie tot. Er bedauerte ein wenig, daß er dabei nicht hatte mithelfen können, aber die Füchse würden seine Aufgabe gut erledigen. Suko dachte anders darüber. Er hatte mit einem Angriff gerechnet und sich entsprechend darauf eingestellt. Zwei waren besonders schnell. Sie hatten zudem in seiner Nähe gestanden und schafften es, sich mit einem Sprung gegen ihn zu schleudern.
Bevor sie ihre Zähne durch die Kleidung in seinen Körper hacken konnten, hielt Suko bereits seine Beretta in der Hand und schoß. Zweimal drückte er ab. Er bewegte seine Pistole von rechts nach links. Der erste Fuchs fing die geweihte Silberkugel mit seiner Brust auf. Das Geschoß stoppte seinen Sprung, es hämmerte ihn buchstäblich zu Boden, wo der Fuchs schrecklich heulte und sich um seine eigene Achse drehte, dabei mit den Füßen schlagend. Die zweite Kugel schmetterte in den Schädel des nächsten Angreifers und riß ihn auseinander. Suko kam die Bewegungsfreiheit zugute. In dem engen Stollen hätte er es nicht geschafft. Hier aber konnte er ausweichen und wechselte nach dem zweiten Treffer sofort seinen Standort, um den dritten Fuchs aufs Korn zu nehmen. Die Maske war verschwunden. Wie ein schwarzer Klumpen hatte sie sich in die Finsternis zurückgezogen. Nicht einmal ihr bleiches Gesicht schimmerte durch. Der dritte Fuchs huschte dicht über den Boden wie ein schlanker Fisch über den Meeresgrund. Er kam sehr dicht an Suko heran. Das rote Leuchten in seinen Augen verriet ihn, als er den Kopf anhob. Darauf hatte der Inspektor gewartet. Die Mündung der Beretta zielte auf einen Punkt zwischen den Augen. Schuß, Treffer, der heulende, kurze Schrei, dann war es mit dem Fuchs vorbei. Er strampelte noch einige Male, drehte sich um die eigene Achse und verging. Wieder wechselte Suko seinen Standort. Er hatte sich genau gemerkt, wo die Mauer stand und preßte sich mit dem Rücken in deren Schatten. Dort blieb er stehen. Ein Fuchs und die Maske! Den Vierbeiner schätzte er als nicht sehr gefährlich ein, die Maske war es schon. Denn dieser Killer ließ sich nicht allein von seinem Instinkt leiten. Er konnte denken, war raffiniert und hatte schon zahlreiche Morde auf dem Gewissen. Er war verschwunden. Suko hörte ihn nicht. Dafür aber die letzten Zuckungen der höllischen Füchse. Das geweihte Silber trieb das Böse aus ihnen heraus. Suko sah nichts von der Verwandlung, er roch nur, wie sie vergingen. Die Tiere lösten sich unter der geheimnisvollen Kraft des Silbers auf. Ein ätzender Gestank begleitete die Schwaden. Sie roch nach Schwefelgasen und verbranntem Fell. Suko brauchte nicht hinzuleuchten, für ihn stand fest, daß er es mit drei Gegner weniger zu tun hatte. Die Maske lebte noch! Sie mußte das Geschehen mitbekommen haben und würde sich darauf einstellen.
Suko blieb an der Mauer stehen. Er freute sich über die Stille, weil sie ihm erlaubte, nach vorn zu horchen und sich auf fremde Geräusche zu konzentrieren. Noch vernahm er nichts. Selbst der vierte Fuchs verhielt sich still. Kein Tappen von Pfoten, auch keine Schritte, die sich näherten. Suko rechnete nicht damit, daß sich die Maske lautlos bewegte. Sie besaß zwar den Vorteil, sich in diesen alten Katakomben auszukennen, aber sie konnte nicht fliegen, mußte laufen, und diese Tatsache war zwangsläufig mit Geräuschen verbunden. Die Zeit verstrich. Es mußten zwei oder drei Minuten sein, in denen sich Suko auf die Stille konzentrierte. Die Pistole hatte er nicht weggesteckt. Die Mündung wies schräg zu Boden, Suko war bereit, sie jeden Augenblick in die Höhe zu reißen und auf den letzten Fuchs zu schießen, wenn er das rote Augenpaar in der Dunkelheit entdeckte. Die Wand in seinem Rücken gab ihm das sichere Gefühl, nicht von hinten überrascht zu werden. Still blieb es trotzdem nicht, denn durch die Finsternis klangen Geräusche. Sie waren noch relativ weit entfernt, in der Stille jedoch gut zu hören. Schritte? Suko wollte seinen Ohren nicht trauen. Sollte die Maske so unvorsichtig sein und normal durch dieses Labyrinth laufen, wobei sie zwangsläufig gehört wurde. Er konzentrierte sich auf die Geräusche und hörte sogar das Rollen eines kleinen Steins, wenn jemand dagegen gestoßen war. Das konnte nicht die Maske sein. Die würde sich niemals so unvorsichtig bewegen. Der Fuchs ebenfalls nicht — wer dann? Suko dachte daran, einen Fehler gemacht zu haben. Er hätte bei der ersten Begegnung mit der Maske seinen Stab einsetzen müssen. In den fünf Sekunden wäre es ihm bestimmt gelungen, den Killer zu überwältigen. Er hatte es verpaßt, jetzt mußte er die Zeche zahlen und in Kauf nehmen, daß die Maske an ihn herankam. Dann sah er das Licht! Für einen einzigen Moment erhellte ein dünner, scharfer Strahl das Dunkel. Er blieb nicht an einer Stelle, wurde geschwenkt und Suko dachte daran, daß er in der gleichen Situation ähnlich reagiert hätte. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Der Strahl, das Schwenken, das Verschwinden des Lichts - all das kam ihm bekannt vor. Sollte sich John Sinclair hier unten herumtreiben. Noch war er sich nicht sicher und traute sich auch nicht, nach seinem Freund zu rufen. Und dann war der Fuchs da. Er mußte mit geschlossenen Augen geschlichen sein. Suko hatte ihn weder gehört noch gesehen. Bis er plötzlich sprang.
Da entdeckte er ihn auch nicht sofort, das Tier war mehr ein Schemen in der Finsternis. Zudem öffnete es die Augen erst, als Suko es dicht vor sich sah. Wie rote, böse Sonnen erschienen sie, und ausweichen hatte keinen Sinn mehr. Suko riß die Arme hoch, hörte das Knurren - und bekam den verdammten Biß mit. Die Zähne hätten sich in seiner Hand verhakt, zum Glück hielt er die Beretta fest und über das Metall schrammten die Hauer der veränderten Bestie. Suko riß sein Bein hoch. Das Knie traf weiches Fell, bohrte sich hinein, der Fuchs fiel zu Boden, wo er sich überschlug. Suko sah dabei das rote Augenpaar wie einen Kreisel, weil sich das teuflische Tier mehrmals überrollte. Er schwenkte den rechten Arm. Die Beretta hatte er trotz der heimtückischen Attacke noch halten können, aber er schoß nicht, den in seiner Nähe hörte er das dumpfe gurgelnde Lachen. Die Maske war da! *** Wir waren nicht mehr allein! Ich hatte zwar niemand gesehen, doch das Gefühl, auf jemand urplötzlich zu treffen, ließ sich einfach nicht vermeiden. Innocencia dachte ähnlich. Sie war dicht hinter mir und flüsterte, daß in der Nähe das Böse lauerte und darauf wartete, zuschlagen zu können. Wir stolperten durch die Dunkelheit. Die Schüsse hatten sich nicht wiederholt, deshalb gab es für uns auch keinen Anhaltspunkt, wo wir genau suchen mußten. Es war ruhig, aber trotzdem nicht still. Irgendwo mußte sich jemand versteckt halten, die Geräusche waren einfach zu fremd und auch nicht zu überhören. Mal ein Schaben, dazu ein Tappen, und der Geruch wies uns den Weg. Es stank nach Schwefelgasen, die träge durch diese finstere unterirdische Landschaft zogen. Innocenica zeigte sich irritiert. Ich weniger, denn auf ihre Frage bekam sie eine flüsternde Antwort. »Jemand muß einen Teil der Hölle vernichtet haben. Da sind Diener getötet worden. Der Gestank ist der entsprechende Beweis, das kannst du mir glauben.« »Ja, aber .. .« »Kein Aber. Ich rechne mit den Füchsen.« »Und wer?« »Du wirst es kaum glauben. Ich bin davon überzeugt, daß sich mein Partner Suko in der Nähe aufhält.« »Dann hätten wir ihn doch sehen müssen.«
»Wir haben ihn gehört. Die Schüsse . . .« Ich sprach nicht mehr weiter, weil ich den Eindruck bekam, daß jedes zu laut gesprochene Wort verräterisch sein würde. Wir huschten weiter durch die tiefe Finsternis. Oft genug stolperten wir, konnten uns immer wieder fangen, aber das verräterisch klingende Rollen irgendwelcher Steine, die von uns angestoßen worden waren, konnten wir nicht vermeiden. Der Gestank hatte sich irgendwie intensiviert. Für mich ein Zeichen, daß wir vom Zentrum des Geschehens nicht mehr weit entfernt waren. Die Lampe einzuschalten, war ein Risiko, das ich nur ungern einging, aber ich mußte es tun. Als ich stehenblieb, prallte die junge Nonne leicht gegen mich. »Was ist denn jetzt?« »Duck dich hinter mich!« »Und dann?« »Mach schon.« Sie kam der Aufforderung nach. So war sie wenigstens geschützt. Ich hatte meinen linke Arm vorgestreckt, in der rechten hielt ich die Beretta, dann schaltete ich die Lampe ein, bewegte den Strahl so heftig in verschiedene Richtungen, weli ich so ein geringes Ziel wie möglich bilden wollte, und sah innerhalb weniger Sekunden, was passiert war. Auf dem Boden lagen die Reste der höllischen Tiere, ohne sich noch zu bewegen. Kugeln mußten ihre Körper durchbohrt haben, die sich im Tode zu einer stinkenden Masse zusammengezogen hatten, von der noch letzte Rauchfäden in die Höhe stiegen. Jetzt wußte ich Bescheid, daß sich Suko tatsächlich irgendwo aufhielt. Nur hatte er sich nicht gemeldet. Ich löschte das Licht und drückte mich zur Seite. Innocencia hauchte ihre Fraga in mein rechtes Ohr. »Waren Sie das?« »Ja, die Füchse. Sie sind erledigt. Bestimmt hat sie mein Partner mit Silberkugeln vernichtet. Wir hörten die Schüsse. Es paßt alles zusammen. »Aber wo steckt er?« »Das werden wir auch gleich haben, keine Sorge.« Mein Freund und Partner mußte sich in der Nähe aufhalten, vielleicht nur ein paar Schritte entfernt. Bei meiner kurzen Orientierungs- und Leuchtaktion war mir der Schatten aufgefallen, der vom Boden her starr in die Höhe wuchs. Ein Schatten, der sich nicht bewegte, der einfach stand. Das mußte eine der alten Mauern sein, und sie lag links von uns. In dieser Richtung bewegte ich mich. Nach dem ersten Schritt schon hörten wir die Geräusche: ein dumpfer Aufprall, dann ein Klirren und Laute, die sich anhörten wie ein Fluch.
Suko hatte sie bestimmt nicht ausgestoßen, das mußte die Maske gewesen sein. Die Nonne behielt ich in meiner Nähe. Ich zerrte sie weiter - und riskierte es, die Lampe einzuschalten... *** Suko sah im Augenblick keine andere Möglichkeit, als sich nach vorn zu werfen und dabei auf den Fuchs zu. Er hatte damit genau das Richtige getan, denn hinter ihm und in Kopfhöhe schrammte die Klinge über die Mauern, begleitet von klirrenden und brechenden Geräuschen, als sie eine Spur im Gestein hinterließ. Die Maske hatte mit dieser Aktion nicht gerechnet. Durch den eigenen Schwung war sie ins Stolpern gekommen und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie war mit sich selbst beschäftigt, was Suko wiederum Gelegenheit gab, sich um den Fuchs zu kümmern. Er war tatsächlich auf den Körper gefallen, hörte die Bestie knurren, preßte sie zwar mit seinem Gewicht gegen den Boden, aber der verfluchte Kopf lag frei, damit auch das Maul, und die Zähne versuchten, nach ihm zu schnappen. Suko veränderte den Winkel seines Arms. Er rammte dem Fuchs die Beretta mit dem Lauf nach oben in den Kiefer, so daß selbst das teuflische Tier aufheulte. Zeit durfte er nicht verlieren, denn der Maskenkiller hielt sich in seiner Nähe auf. Suko drückte ab! Das geweihte Silbergeschoß durchschlug den Oberkiefer des Fuchses. Zurück blieb ein zuckender Körper und ein zerschmettertes Etwas von Schädel. Suko rollte sich zur Seite, er kämpfte noch im Dunkeln, und auf seinem Rücken lag der Eisschauer einer Gänsehaut. Wo stand der Killer? Er rollte sich zur Seite, spürte plötzlich den Widerstand und hörte über sich das dumpfe Kichern, dieses Lachen, das die verdammte Maske so verzerrte. Da wußte er, daß er haargenau gegen die Beine dieses Monstrums gerollt war. Wer war schneller? Er oder das Messer? Ein anderer, denn plötzlich wurde es hell, und er Lichtschein traf direkt das bleiche und mit Blutfaden übersäte Gesicht des Killers. Aus der Dunkelheit rief eine Stimme. »Stop, Gideon!« ***
Der Rufer war ich gewesen, und ich hatte die Maske auch haargenau im Visier. Genau dort, wo der Lampenstrahl sein Ziel fand, befand sich das aufgequollene widerliche Gesicht dieses verdammten Killers, der ein Messer mit langer Klinge in der rechten Hand hielt. Sie wiederum wies auf den liegenen Suko. Zwar schimmerte aus seiner Hand der Stahl der Beretta, ob er allerdings schneller gewesen wäre, als der Mörder, stand in den Sternen. Jedenfalls war ich zum richtigen Zeitpunkt erschienen und hatte die Maske mit ihrem richtigen Namen angesprochen. Zwei Sekunden geschah nichts. Die Szene wirkte wie eingefroren. Bis ich mich an Suko wandte. »Nicht schießen, Partner, nicht schießen. Das machen wir anders.« »Wie du willst«, vernahm ich seine gepreßt klingende Antwort. »Ich tue ja alles für dich.« Die Maske wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie fühlte sich eingekreist und konnte sich nicht auf zwei Feinde gleichzeitig konzentrieren. Für einen mußte sie sich entscheiden. Das war in diesem Falle ich, denn in den dunkel gekleideten Körper geriet Bewegung, als sie sich langsam umdrehte. Dadurch gelang es meinem Freund, von ihr wegzurutschen. Er stand auf, die Beretta auf den Killer gerichtet. Ich wollte etwas sagen, als mich Innocencia, die hinter mir stand, auf die Schulter tippte. Ihr Flüstern war nur für mich hörbar. »Darf ich es tun?« »Was?« »Ich ... ich muß mit ihm reden, bitte.« Ihre Stimme zitterte vor Not. Ich konnte ihr die Bitte einfach nicht abschlagen. Zudem hatte sie ein Recht darauf. Der Killer war schließlich ihr Bruder. »Okay, Innocencia, sprich!« Sie schob sich an mir vorbei. Erst jetzt nahm die Maske sie wahr. Unter dieser bleich-blutigen Masse regte sich nichts. Jedenfalls war nichts zu sehen. »Gideon . . .« Nur dieses eine Wort sagte sie. Darin aber lagen all die Enttäuschungen, die Angst und auch ihr eigenes Versagen, daß sie es nicht geschafft hatte, ihn vom Weg des Satans abzubringen. Er gab Antwort. Abermals kaum zu verstehen, weil nur ein Knurren zu hören war. Sie ging weiter. »Gideon, du hast Schuld auf dich geladen, schwere Schuld sogar. Ich will, daß du der Hölle abschwörst. Was du getan hast, ist nicht wiedergutzumachen, aber ich will, daß du damit aufhörst. Du darfst nicht mehr killen, verstehst du? Es muß aufhören, du wirst den Anfang machen.« Sie hatte genug gesagt, nun war er an der Reihe. Die Maske bewegte ihren Kopf. Es sah zackig aus, als sie ihn von rechts nach links
schwenkte. In Höhe des Mundes bewegte sich die Masse, als er stöhnend Luft einsaugte. Auch die Augen blieben nicht still. Sie waren wie glitzernde Teiche, auf deren Oberfläche Quecksilber-Tropfen schimmerten. Ich glaubte nicht daran, daß Innocencia Erfolg haben würde. Sie aber war davon überzeugt, denn sie trat noch näher an ihren Bruder heran, trotz meiner gezischten Warnung. »Er ist mein Bruder«, sagte sie nur. Unter der Maske lachte Gideon dumpf. Vielleicht wollte er es nicht wahrhaben, aber die junge Nonne ließ sich nicht beirren, denn sie forderte von ihm das Messer. »Gib mir deine Waffe, Gideon! Gib sie her! Du wirst sie nicht mehr brauchen!« Ich wußte, daß Innocenica den falschen Weg schritt. Ein Killer wie er würde sein Messer niemals hergeben. Oder doch? Der Kopf senkte sich, und der Rand des Hutes warf einen noch größeren Schatten. Das Augenpaar richtete sich auf die Klinge, als wollte es von dieser Mordwaffe Abschied nehmen. Besaß die junge Nonne tasächlich diese Kraft und den Einfluß, um ihren Bruder von seinem mörderischen Weg abzubringen? Noch hielt er das Messer fest, aber seine Schwester gab nicht auf. »Ich will die Waffe haben, Gideon. Das Töten muß einmal ein Ende haben. Du kannst nicht mehr so weitermachen! Der Teufel ist nicht der Sieger. Er darf es nicht sein.« Gideon hob den Kopf an. Auch Suko hatte die Lampe eingeschaltet und strahlte von einer anderen Richtung gegen ihn. Gideon stand im Kreuzfeuer der hellen Balken. Er sah so aus, als würde er tatsächlich intensiv nachdenken. »Bitte, Gideon . ..« Ich warnte die junge Nonne. Für meinen Geschmack war sie schon zu nahe an den Killer herangekommen. »Seien Sie vorsichtig, Innocencia, seien Sie um Himmels willen vorsichtig.« »Keine Sorge, John. Ich weiß, wie man mit ihm umgeht. Das kenne ich von früher.« Sie sprach mit einer erstickt klingenden Stimme, als wäre jedes Wort abgewürgt worden. Klar, daß diese junge Frau unter einem wahnsinnigen Streß stand. Sie vertraute auf die alten Zeiten, als das Verhältnis zwischen ihr und dem Bruder noch normal gewesen war. Deshalb ging sie weiter. Noch einen Schritt und . . . Da regte sich der Killer. Und diesmal schrie er. Die Maske hielt den Schrei so gut wie nicht zurück. Er drang schrill wie das Pfeifen einer Lok aus den Öffnungen in der blutig-bleichen Masse. Er drehte die Klinge plötzlich herum, die Spitze wies genau auf seine Schwester, dann stieß er den rechten Arm
vor und wollte das Herz der Frau treffen, die sich vor Furcht nicht bewegen konnte... *** Ich schoß, Suko schoß, und ich tat noch etwas anderes. Als die Kugel den Lauf verließ, wuchtete sich mein Körper schräg nach vorn, stieß die junge Nonne um. Innocencia fiel mit einem Schrei auf den harten Boden. Das Geräusch mischte sich in die Echos der Schüsse, die peitschend und grollend durch das unterirdische Labyrinth rollten. Ob die Klinge Innocencia letztendlich doch noch erwischt hatte, konnte ich nicht erkennen! Wir mußten uns um den Killer kümmern, der seine Waffe noch immer festhielt und den rechten Arm dabei kreisend bewegte, als wollte er irgend etwas auf eine nicht vorhandene Leinwand kritzeln. Dann ließ er die Klinge fallen. Beide Silberkugeln hatten ihn getroffen. Sie waren an verschiedenen Stellen in seinen Körper gedrungen. Blut sickerte nicht aus den Wunden, aber der Killer tat etwas anderes. Seine Hände schnellten hoch zum Gesicht, sie fegten den Hut vom Kopf, und die Finger stießen hinein in die weiche Maske. Er wollte sie von seinem Gesicht reißen, aber die Hölle ließ es nicht zu. Gideon hatte sich mit dem Teufel verbündet, er hatte verloren, und Asmodis rächte sich. Die Maske fing Feuer. Kalte Flammen schlugen aus der Masse hervor und mußten auch nach innen gerichtet sein, denn wir hörten einen wahnsinnigen Schrei. Ich sprang auf den Killer zu. In der rechten Hand jetzt mein Kreuz haltend, unter dessen Berührung die Flammen des Höllenfeuers zischend verloschen. Von der Maske waren nur mehr Reste vorhanden. Ein Schmier aus Verbranntem und einer weißen Masse, vermischt mit Blut. Ich versuchte, die Maske vom Gesicht des Mannes zu reißen, während Suko Gideon an den Schultern festhielt. Die klebte auf der Haut, ich mußte daran zerren, dann hatte ich es doch geschafft. Sein Gesicht lag frei. Eine dunkle, zuckende Fläche, bestehend aus zahlreichen Wunden, die nicht zugeheilt waren und immer neues Blut produzierten, das sich mit der teuflischen Magie vermischt hatte. Die Augen sahen aus wie starre Kugeln. Ich schleuderte die Maske weg. Suko ließ den Killer los, der steif und nun tot auf den Rücken fiel, wo er liegenblieb. Noch einmal leuchteten wir in sein Gesicht!
Es sah schrecklich aus. Verbrannt, blutig und gleichzeitig schrecklich leer und tot. Mein Freund nickte. »Das ist es dann wohl gewesen, Alter, nicht wahr?« Ich schaute ihn an, nickte, bevor ich fragte: »Wo kommst du her?« »Das ist eine längere Geschichte, die ich dir später erzählen werde.« Eine gute Antwort, denn zunächst mußten wir uns um unseren Schützling kümmern. Innocencia lag am Boden. Wir ahnten Schlimmes, aber sie schaute uns an, stellte keine Fragen. Als ich ihre rechte Handfläche sah, entdeckte ich das Blut. »Mein Gott, wir . . .« »Nein, John, ich werde nicht sterben. Nur ein Kratzer verstehst du, nur ein Kratzer . . .« Nach diesen Worten wurde sie bewußtlos. Gemeinsam trugen Suko und ich sie nach oben, hinter die schweigenden Mauern des Klosters, wo wir das letzte Opfer des Maskenkillers sahen. Vor der Luke lag die Ehrwürdige Mutter. Sie war nicht von der Klinge gestreift, sondern tödlich getroffen worden, als sie mir den Weg gezeigt hatte. Ich überließ Innocencia Sukos Obhut, kniete neben der Ehrwürdigen Mutter nieder und schloß ihre Augen. Es war alles, was ich noch für sie tun konnte...
ENDE