SEEWÖLFE
BAND 516
Fred McMason
Die Letzten der „San
Jacinto“
Seeabenteuer-Roman
Untätigkeit war nichts für d...
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SEEWÖLFE
BAND 516
Fred McMason
Die Letzten der „San
Jacinto“
Seeabenteuer-Roman
Untätigkeit war nichts für die schiffbrüchigen Mannen der verschwundenen „Empress of Sea“. Sie wäre auch lebensgefährlich gewesen - angesichts eines Haufens von Galgenstricken, die scharf darauf waren, jenen Kerlen an die Kehlen zu gehen, die ihnen die Goldbarren „entsteißt“ hatten. In dieser Nacht, in der es auffrischte und der Wind auf West drehte, verblockten Nils Larsen und Sven Nyberg zusammen mit Carberry und Stenmark mittels Hartholzkeilen das Ruder der „San Jacinto“. Und am frühen Morgen passierte das nahezu Unmögliche: Die „Empress of Sea“ tauchte wieder auf. Da hielt die Old Donegal-Mannen nichts mehr auf der Insel. Bevor die Kerle von der „San Jacinto“ reagieren konnten, besetzte Old Donegals Crew die „Empress“ - und auf ging's...
1. 9. Juli 1595 - Inseln der Cat Cays. Im Drehbassenbeschuß der auf unerklärliche Weise zurückgekehrten „Empress“ hockten die Schnapphähne unter Deck. Fast alle hatten sich nach unten verzogen. Über ihnen krachte es immer wieder, und sie selbst waren nicht einmal in der Lage das Feuer zu erwidern. Die „San Jacinto“ war etwa zweihundert Yards vom Uferstrand entfernt aufgebrummt und saß unverrückbar fest. Daß sie aufgebrummt war, verdankte sie den beiden Dänen Nils Larsen und Sven Nyberg, die in einer nächtlichen Aktion zusammen mit Edwin Carberry und Stenmark das Ruder verkeilt hatten. Jetzt saß die Galeone mit dem Bug voran auf dem Grund und reckte das Achterschiff seewärts. Achtern hatte sie keine Kanonen oder Drehbassen und somit ihren „wunden Punkt“. Die ersten Ladungen der Drehbassen waren ins Achterkastell gekracht und hatten dort erhebliche Schäden angerichtet. Als das Achterkastell dann unter Wasser stand, setzte sich die „San Jacinto“ auch achtern auf Grund. Der Drehbassenbeschuß harkte auch über die Decks, und da hatten sich die Kerle heulend und brüllend nach unten verzogen oder waren in wilder Panik in Deckung gerannt. Auch das Floß, mit dem sie die Seewölfe überrumpeln wollten, war längst davongetrieben, als ein Schuß die Vorleine zerfetzte. Jetzt hatten sie kein einziges Beiboot mehr und auch kein provisorisches Floß. Sie waren auf der „San Jacinto“ gefangen wie in einer großen Mausefalle. Der grobschlächtige Acosta hatte das bereits eingesehen und auch der Bootsmann Prado wußte, daß es hier kein Entkommen mehr gab. Ein paar andere Kerle lebten noch in der irrsinnigen Hoffnung, es würde ein Wunder geschehen. Doch es geschah kein Wunder. Immer wieder zuckten sie ängstlich zusammen, wenn achteraus das Krachen der Drehbassen zu hören war. Und jeder Schuß saß. Die Galeone war längst gerupft und glich einem Trümmerhaufen. Das Rigg war zerfetzt und zerschossen, einige Rahen waren unter ohrenbetäubendem Krach an Deck gefallen, und noch immer war kein Ende abzusehen. Tote und Verletzte hatte es auf der Galeone gegeben. Ein paar Kerle lagen immer noch stöhnend und ächzend herum, doch niemand kümmerte sich um sie. Jeder war sich selbst der Nächste, so lautete ihre Devise, nach der sie lebten. Acosta, Prado und ein paar andere hatten sich nach vorn verzogen, seit das Achterschiff auf dem Grund lag. Hier vorn, wo die Galeone mit dem Bug höher lag, waren sie noch relativ sicher. Aber das Überqueren der Decks hatte zwei Opfer gefordert, die unter dem Drehbassenfeuer ihr Leben ausgehaucht hatten. Ein weiterer Mann war stöhnend und jammernd nach vorn gekrochen. Jetzt lag er im Vordeck, preßte beide Hände auf seinen Leib und schrie. Sie ließen ihn schreien. Niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit oder versuchte, zu helfen. Achteraus war ein dumpfes Krachen und Bersten zu hören. Die Galeone erzitterte in allen Verbänden. „Verflucht noch mal!“ brüllte Acosta in hilfloser Wut. „Die Bastarde schießen uns in Fetzen, bis nichts mehr übrig ist!“
„Hier gelangen wir nicht mehr heraus“, sagte Prado gepreßt und ebenfalls von ohnmächtiger und hilfloser Wut erfüllt. „Wir können ja nicht einmal an Deck, ohne wie die Hasen abgeknallt zu werden.“ Er starrte finster auf die paar Musketen, die sie noch hatten, mit denen sie aber nichts anfangen konnten, denn immer wieder strich ein Eisen- oder Bleihagel nach dem anderen über die Decks und richtete verheerende Schäden an. Der schwerverletzte Kerl auf den Planken stieß einen lauten und gellenden Schrei aus, der allen durch Mark und Bein ging. Es regte sie noch zusätzlich auf, daß ihr Kumpan schrie und brüllte. Die meisten wünschten ihn zur Hölle, weil er ihnen mächtig auf die Nerven ging. „Halt jetzt endlich dein Maul!“ brüllte Acosta unbeherrscht. „Durch dein Gebrüll wird alles nur noch schlimmer!“ „Ich muß sterben!“ schrie der Mann und wand sich wie in Krämpfen. „Helft mir doch, ihr dreckigen Halunken! Ihr könnt mich hier doch nicht so liegenlassen!“ Acosta wandte den Blick ab und. gab keine Antwort. Prado und ein paar andere übersahen den schreienden Mann einfach. Sie zuckten wie unter einem Hieb zusammen, als es einmal kurz und heftig über ihnen in der Luft rauschte. Dem Rauschen folgte ein Splittern, dann ein Knirschen und ein fürchterliches Getöse. Voller Wucht schlug eine Rah an Deck und bohrte sich in die Planken, wobei die ganze Galeone durchgeschüttelt wurde. „Das war die Fockrah“, sagte Prado. Der Verletzte schrie wieder gellend auf, als das Krachen vorbei war und für Augenblicke entsetzliche Stille herrschte. Da war nur noch ein feines Knistern im Schiff zu hören. Irgendwo rauschte es auch leise. Das war in jenem Teil des Achterschiffes, wo jetzt pausenlos das Wasser eindrang. Stumm und von Entsetzen geschüttelt, hockten auch Santos, Normando und der spitzgesichtige listige Morro da. Sie hatten erbärmliche Angst vor diesem so lange unsichtbaren Gegner, den sie erst in letzter Zeit zu sehen gekriegt hatten. Neun Mann waren es, die auf rätselhafte und für die Schnapphähne unerklärliche Art und Weise in den Besitz einer kleinen dreimastigen bewaffneten Karavelle gelangt waren. Diese neun Männer hatten sie tagelang zum Narren gehalten, und nie hatten sie die Kerle vorher gesehen. Sie rätselten immer noch über diese neun Teufel nach, die ihnen die fette Goldbeute abgenommen hatten. Jetzt sah es nicht mehr danach aus, als würden sie von dem riesigen Kuchen noch ein Stück ergattern. Sie saßen in der Falle, in einer tödlichen Falle, der sie kaum noch entrinnen konnten, falls nicht doch noch das erhoffte Wunder geschah. Als der Verletzte wieder schrie, lief Acosta vor Wut rot an. „Ich kann das nicht mehr hören, verdammt! Fesselt und knebelt den Kerl, damit er endlich Ruhe gibt.“ Prado, skrupellos und boshaft, nickte beifällig. Rigoros und roh verfuhren sie mit ihrem Kumpan. Prado stand auf, holte einen Lappen und stieß ihn dem Mann in den Mund. Dann band er den Knebel fest und fesselte den wimmernden Kerl an Händen und Füßen. Dessen Geschrei hörte auf. Er rollte wild mit den Augen und gab unterdrückte Laute von sich. Die anderen kümmerte das nicht, Mitleid war für sie ein absolut fremder Begriff. Sie waren froh, daß das Geschrei ausblieb. Wieder raste ein Eisenhagel über die Decks. Splitter flogen nach allen Seiten. Es hörte sich an, als würden große Holzbrocken mit der Axt zerschlagen.
Prado nahm voller Wut die Muskete hoch und gab einen Schuß aufs Geratewohl ab. Er mußte sich abreagieren, obwohl es nichts nutzte. „Ich will hier weg“, jammerte Normando, dessen linke Hand stark verkrüppelt war und der hündische Angst vor den pausenlosen Einschlägen hatte. „Mir langt's auch“, sagte Santos. „Ich hab' schon die Schnauze von dem Gold voll. Das kriegen wir ja doch nicht mehr.“ Acosta sah aus schmalen Augen auf die Kerle. Insgesamt waren sie jetzt noch dreizehn Mann, die die Suche nach den Goldbarren überlebt hatten. Der eine, der jetzt gefesselt und geknebelt war, zählte ohnehin nicht mehr mit. Bleiben also noch zwölf, überlegte er. Damit erhöhte sich der Anteil jedes einzelnen ganz gewaltig. Möglicherweise würden auch noch ein paar weitere Kerle draufgehen. Er dachte nicht im Traum daran, die Jagd nach dem Gold aufzugeben, aber er sah auch ein, daß die Aussichten im Augenblick mehr als schlecht standen. Selbst wenn sie das hier heil überstanden, hatten sie das Gold immer noch nicht. Er wollte auch hier heraus und sann über eine Möglichkeit nach. Unter dem ständigen Beschuß fiel das Denken allerdings schwer. Immer wieder krachte es in seine Überlegungen, zerfetzte Holz, zersplitterte Rahen oder Spieren, oder jaulten heiße Bleibrocken über ihre Schädel weg. „Wollen wir einen Ausbruch versuchen?“ fragte Prado nach einer Weile. „Die Kerle sind ungefähr eine Schiffslänge achteraus. Wenn wir über die Back türmen und auf den Strand springen, sind wir im Vorteil, weil sie sich auf dem Wasser befinden. Mit ein paar weiteren Sätzen sind wir im Inseldickicht verschwunden.“ „Ohne Waffen?“ fragte Acosta. „Die sind bis an die Zähne bewaffnet und kennen sich auf der Insel aus. Wir haben keine Chance gegen sie.“ „Wenn wir hierbleiben und abwarten, bis sie uns die Rüben abgeschossen haben, sind unsere Chancen noch kleiner“, sagte Prado. „Und wie geht es dann weiter?“ „Weiß ich noch nicht. Uns wird schon eine Lösung einfallen. Bei einer günstigen Gelegenheit können wir uns eine der Jollen schnappen, die die Bastarde uns geklaut haben.“ Acosta dachte diese Möglichkeit nur einmal kurz durch. Dann schüttelte er ablehnend den Kopf. „Das bringt uns nicht weiter. Eine Jolle und ein paar Pistolen - was ist das schon gegen eine Karavelle mit Drehbassen und bis an die Zähne bewaffneten Kerlen?“ „Hast du eine bessere Lösung?“ fragte Prado gereizt. Er hielt seinen Vorschlag für besonders gut. Jetzt ärgerte es ihn, daß er auf Ablehnung stieß. Acosta grinste hinterhältig und tückisch. „Ich glaube schon, daß ich eine Lösung habe.“ Die beiden Männer blickten sich höhnisch an. Sie hielten nicht viel voneinander und ließen sich das gegenseitig auch spüren. „Dann bin ich mal gespannt“, sagte Prado. „Viel besser als mein Vorschlag wird die Idee wohl kaum sein.“ Acosta wartete ab, bis der nächste Eisenhagel über das Deck rauschte und erneut die Fetzen nach allen Seiten flogen. Die Galeone war jetzt nur noch ein Wrack, das systematisch zerschlagen und zerhämmert wurde. Sie würde nie wieder unter Segel stehen. Als der Hagel vorüber war, lehnte er sich zurück und sagte: „Wir ergeben uns den Bastarden und bitten um freien Abzug.“ Seine Worte fielen wie Hammerschläge in die folgende Stille. Sie sahen ihn an, als hätte er plötzlich den Verstand verloren.
„Wir ergeben uns?“ Prado schrie die Worte fast. „Bist du übergeschnappt?“ Zwei Augen blitzten ihn eisig und verächtlich an. „Das möchte ich überhört haben. Wenn ich etwas sage, dann habe ich mir das auch überlegt.“ „Ja, das haben wir bereits gemerkt“, höhnte Prado. „Leider waren es nicht immer die besten Überlegungen.“ Fast wären sie sich in die Haare geraten und hätten sich geprügelt. Da lenkte Normando rasch ein: „Lassen wir ihn doch erst einmal weiterreden.“ „Du kannst ja über Bord springen“, fauchte Acosta. „Dann knallen sie dich ganz sicher ab. Aber wenn wir uns ergeben, sehe ich noch eine Chance für uns.“ „Und wie stellst du dir das vor? Diese Kerle haben unser Gold geklaut, sie haben unsere Beiboote geschnappt und uns das Ruder verkeilt, bis wir auf Grund liefen. Jetzt zerballern sie uns das Schiff, bis keine Planke mehr auf der anderen bleibt. Und die willst du um freien Abzug bitten? Da kann ich nur lachen!“ „Dann lach doch! Ich werde es jedenfalls versuchen. Was haben sie davon, wenn sie uns umbringen? Gar nichts.“ „Gefällt mir ganz und gar nicht“, motzte Prado. „Schön, wenn sie uns wirklich abziehen lassen - was dann? Dann können wir sehen, wie wir an Land gelangen. Selbst wenn wir das geschafft haben, hocken wir bis in alle Ewigkeit auf einer dieser Scheißinseln und fressen für den Rest unseres Lebens Kokosnüsse, was?“ „Das zeigt mir nur, daß du Idiot nicht denken und schon gar nicht überlegen kannst. Wir werden natürlich um eine Jolle bitten und nur so tun, als geben wir uns unterwürfig und geschlagen. Oder glaubst du etwa, ich lasse das Gold sausen?“ Die anderen wurden jetzt hellhörig und starrten Acosta an. Der Vorschlag schien gar nicht mehr so verrückt zu sein, wie er sich anfangs angehört hatte. Selbst Prado blickte den selbsternannten Kapitän der „San Jacinto“ überrascht und verwundert an. „Ach so“, sagte er gedehnt. „Ich dachte schon, wir sollten wie die Feiglinge auf Nimmerwiedersehen verschwinden.“ „Das tun wir ja auch, aber nur vorerst, damit die Kerle in Sicherheit gewiegt sind. Alles andere können wir später immer noch genau besprechen. Die Hauptsache ist, daß wir erst einmal freien Abzug erhalten. Dann findet sich alles andere.“ „Das Gold haben wir dann aber immer noch nicht“, maulte San tos. „Alles kann man auch nicht auf einmal haben“, mußte er sich von Acosta belehren lassen. „Aber wenn man noch das Leben hat, dann kann man wesentlich mehr unternehmen, als wenn einem die Rübe fehlt. Oder geht das nicht in deinen verquasten Schädel?“ „Doch“, sagte Santos, „klar kapier ich das.“ Acostas Führungsnimbus hatte mittlerweile stark gelitten. Nach den letzten Ereignissen ging niemand mehr für ihn durchs Feuer. Der selbsternannte Kapitän war angeschlagen, und er wußte das auch. Er hatte sich zu viele Fehler geleistet. Da sie von dem Gold immer noch nicht einen einzigen Barren hatten und nicht einmal wußten, wo es versteckt war, stand Acosta in keinem guten Ansehen mehr. Außerdem hatte er kaltblütig eigene Männer erschossen. Einer der letzten, der über die Klinge gesprungen war, war Hongo, der Giftpilz, gewesen. Allerdings, so fanden die meisten, hatte er es auch verdient, denn durch seine Schuld waren die beiden Beiboote von den „Bastarden“ in einer nächtlichen Aktion geklaut worden. Der Kerl hatte auf Ankerwache gepennt. „Wer geht denn nun freiwillig nach achtern und teilt unseren lieben Freunden mit, daß wir uns ergeben?“ fragte Prado höhnisch. „Ich gehe jedenfalls nicht, ich will meinen Schädel noch behalten.“
„Sicher, du brauchst ja auch einen Hutständer. Ohne deinen Schädel würde es dir ja ständig in den Hals regnen. Hast du schon mal an eine andere Möglichkeit gedacht?“ Acosta gab sich ganz überlegen, doch das änderte nichts an den Tatsachen, daß die Kerle immer aufmüpfiger gegen ihn wurden. Was er einmal an Nimbus verloren hatte, war schlecht wieder aufzuholen. „Du bist doch hier der Klugscheißer“, sagte Prado. „Wenn du schon alles besser weißt, dann überlege es dir doch selbst.“ Ein Kerl namens Senona begann meckernd zu lachen. Aus seinem Kinn wuchsen ein paar lange schwarze Fransen, und auf der Oberlippe befand sich das passende Gegenstück. Da hingen auch nur Fransen hinunter, die an eine abgenutzte Bürste erinnerten. Sein Gesicht war hager und eingefallen mit vorstehenden Wangenknochen. Er hielt zu Prado und konnte Acosta nicht ausstehen, weil der einen seiner Freunde kurzerhand umgelegt hatte. „Dir wird dein dämliches Gemecker schon noch vergehen, Senona“, sagte Acosta wild. „Mit dir habe ich später noch eine Rechnung zu begleichen, aber das hat Zeit.“ „Paß nur auf, daß dir die Rechnung nicht von anderer Seite präsentiert wird“, zischte der Hagere haßerfüllt. „Hört jetzt auf“, sagte Morro, ein ebenfalls spitzgesichtiger, aber listiger Kerl. „Laßt uns lieber überlegen, wie wir hier mit heilen Knochen hinausgelangen. Auf dem Achterdeck können wir uns ja wohl nicht sehen lassen. Also müssen wir brüllen oder rufen.“ „Bei dem Krach?“ Gerade in diesem Augenblick donnerte wieder eine Drehbasse ihr eisernes Lied. Splitter flogen, es krachte entsetzlich laut, als sei das ganze Achterschiff auseinandergeflogen. Gleich darauf folgte ein zweiter Schuß, der erneut eine Rah an Deck stürzen ließ. Acosta schützte den Kopf mit den Händen, als in unmittelbarer Nähe Splitter an Deck regneten. „Die Bastarde“, sagte er heiser vor Wut. Auf der Galeone sah es mittlerweile aus wie auf einem Schlachtfeld. Irgendwo im Rumpf begann es immer stärker zu gluckern. Dort schoß Wasser herein, aber das war nicht die einzige Stelle. Acosta hatte jetzt endgültig die Nase voll. Die Kerle hatten ihnen den Schneid abgekauft. Stark waren sie selbst immer nur dann, wenn ihr Gegner schwächer war oder sie selbst in der Masse waren. Aber dieser Gegner war unheimlich zäh. Diese Kerle ließen sich nicht ins Bockshorn jagen, die dachten nicht im Traum daran, aufzustecken, auch wenn eine Sache noch so aussichtslos erschien. Acosta blickte auf einen schlotternden Kerl, der beide Hände vor die Augen hielt und erst dann wieder hochsah, als der Beschuß aufhörte. Der Kerl zitterte an allen Gliedern, hatte einen ängstlich-stieren Blick und erweckte den Anschein, als würde er jeden Augenblick über Bord springen, um dem Chaos zu entfliehen. „Zieh dein Hemd aus, Enrico“, sagte Acosta. „Einigermaßen hell ist es ja noch.“ Enrico tat, wie ihm geheißen. Mißtrauisch zog er sein Hemd aus. Von „einigermaßen hell“ konnte allerdings keine Rede mehr sein. Es hatte dunkle Schwitzflecken und sah aus, als sei es nachlässig geteert worden. Aber es würde seinen Zweck vielleicht erfüllen.
2.
Seit Old O'Flynn seine über alles geliebte „Empress“ wieder gefunden hatte, war er wie ausgewechselt. Zudem beflügelte ihn immer noch das Bad im „Jungbrunnen“, der so jäh versiegt war. Aber die „Empress“ war wieder da, und das allein zählte für den kauzigen Alten. Heute morgen war die vom Sturm entführte Karavelle wiederaufgetaucht und der Alte vor Rührung fast zerflossen. Gewiß, ein bißchen hatte sie der Sturm gebeutelt und gerupft, aber das Wasser, das über der Bilge stand, war mit einem wahren Feuereifer gelenzt worden, nachdem sie ihr Schiffchen wieder besetzt hatten. Gleich danach hatte es sich der Alte nicht verkneifen können, die inzwischen aufgebrummte „San Jacinto“ von See her anzugreifen und sie sturmreif zu schießen. Jetzt, da er seine Karavelle wieder hatte, wollte er es den Halunken und Bastarden schon zeigen. Es war noch früher Vormittag an diesem neunten Juli, aber die Galeone sah aus, als stünde sie schon tagelang unter Dauerbeschuß. Old O'Flynn war mal wieder zu ganz großer Form aufgelaufen. „Und noch ein Ding!“ brüllte er. „Immer feste druff. Den Kerlen werden wir zum Piratentänzchen aufspielen.“ Carberry grinste nur, wenn er Donegal ansah. Der steigerte sich in einen wahren Freudenrausch. Seine Augen blitzten, und aus seinem verwitterten Granitgesicht waren erstaunlicherweise wieder mal die Falten und Runzeln verschwunden. Daraufhin angesprochen, behauptete er stur, das läge allein am Wasser des Jungbrunnens, in dem er sein Bad genommen hatte. Die anderen ließen ihn mit seinem Glauben selig werden, denn es war witzlos, ihm den Unsinn auszureden. „Jawoll!“ brüllte er begeistert, wobei er die linke Faust kraftvoll in die rechte Handfläche schlug. „Das hat gesessen!“ Mit blitzenden Augen sah er, wie sich eine angeschossene Rah vom Rack löste und mit fürchterlichem Getöse auf den Planken landete. Ihr Gewicht fetzte etliche Holzsplitter heraus und knackte die Planken an. Sie lagen mit der „Empress“ etwa fünfzig Yards achteraus der Galeone und hatten sie bereits in einen Trümmerhaufen verwandelt. Von drüben erfolgte keine Gegenwehr. Die Kerle waren heulend und zähneklappernd in Deckung gegangen, als die ersten Bleibrocken über die Decks rasten und solides Holz in Splitter und Trümmer verwandelten. Die Segel waren zerschossen. Ein paar Rahen lagen an Deck, ein Mast war geknickt und das Achterschiff teilweise voll Wasser gelaufen. Von den Bleiglasfenstern waren nicht einmal mehr die Rahmen übriggeblieben. Das Heck war verwüstet, zerschossen und übel zugerichtet. Die Galeone stand gewissermaßen schief. Vorn war sie auf den Grund gelaufen, achtern weggesackt und damit offen für die Drehbassen, die alles beharkten. Die Kerle befanden sich alle in Deckung. Von selten der „San Jacinto“ fiel kein einziger Schuß. Nachteilig wirkte sich aus, daß sie achtern weder über Kanonen noch Drehbassen verfügten, und so konnten die Männer der „Empress“ voll draufhalten, was das Zeug hielt. „Die Halunken haben wir bald ausgeräuchert“, sagte Old O'Flynn. „Die sind mit ihren Nerven jetzt schon am Ende. Und feige ist diese Brut auch noch. Die sind immer nur stark, wenn ihr Gegner ihnen stark unterlegen ist.“ „Den Schneid haben wir ihnen abgekauft“, meinte der Kutscher. „Ich bin gespannt, wann sie endgültig aufgeben. Aber was tun wir dann mit den Kerlen?“
„Weiß ich noch nicht“, erwiderte der Alte. „Mir wird schon was einfallen. Inseln gibt es hier ja genug, wo sie ihr erbärmliches Leben weiterfristen können.“ Nils Larsen gab den nächsten Schuß aus der Drehbasse ab. Dann feuerte der Schwede Stenmark. Die Bleikugeln - grobes Schrot - zerhackten das Holz. Ein paar größere Splitter flogen fast zwanzig Yards hoch in die Luft. Von der Galeone her war Gebrüll zu hören. Dann wurde aus einer Luke plötzlich ein grauweißer Fetzen heftig hin und her geschwenkt. „Was soll das denn bedeuten?“ fragte Martin Correa. „Wollen die etwa doch aufstecken und sich ergeben?“ „Jedenfalls soll das ein Hemd sein“, sagte Old O'Flynn. „Zwar kein weißes Hemd aber immerhin. Nicht weiterschießen, Nils. Wir stellen das Feuer vorerst ein.“ Nils, der gerade wieder die Drehbasse abfeuern wollte, trat zur Seite und nickte. Das Hemd wurde jetzt noch wilder geschwenkt. „Nicht schießen!“ brüllte eine Stimme. „Wir wollen mit euch verhandeln!“ „Aha, jetzt haben sie die Hosen doch voll“, triumphierte Old Donegal. „Oder es steckt eine List dahinter. Den Kerlen traue ich absolut nicht über den Weg.“ Er richtete sich aus seiner etwas gebückten Haltung auf und ging ein paar Schritte nach vorn. „Wenn ihr verhandeln wollt, dann zeigt euch an Deck!“ brüllte er zurück. „Wenn ich auch nur eine Waffe in euren Pfoten sehe, dann kracht es wieder! Verstanden?“ „Verstanden!“ wurde zurückgerufen. Einer der Kerle - es war Acosta - erschien gleich darauf an Deck. Er schwenkte immer noch das Hemd durch die Luft. Drei weitere Kerle tauchten neben ihm auf. Dann erschienen noch mehr. „Ungefähr ein Dutzend“, schätzte der Profos. Er stellte sich hinter eine der Drehbassen und paßte scharf auf. Doch die Schnapphähne trugen keine Waffen bei sich. „Was wollt ihr?“ fragte Old O'Flynn kampfeslustig. „Wir ergeben uns!“ rief Acosta, wobei die anderen Kerle aufgeregt nickten. „Wir bitten um freien Abzug.“ Old Donegal sah die Männer fragend an. „Sollen wir die Bastarde ziehen lassen?“ „Das wird wohl die beste Lösung sein“, erwiderte der Kutscher. „Was sollen wir sonst mit ihnen tun?“ „Soll der Teufel sie holen“, sagte Carberry. „Ich habe auch nichts dagegen. Dann sind wir sie endlich los.“ Die anderen stimmten ebenfalls zu. Sie hatten von den Kerlen genug. „Ihr könnt abziehen!“ rief Old O'Flynn. „Verschwindet und fahrt zur Hölle!“ Dann folgte eine Unverfrorenheit, die dem Alten und den anderen fast die Stiefel auszog. Acosta legte seine Hände trichterförmig an den Mund. „Gut, wir verschwinden. Aber ihr müßt uns dann die beiden Jollen wieder zurückgeben, sonst können wir nicht fort!“ „So ein Rübenschwein“, empörte sich der Profos. „Verlangt mit der größten Unverschämtheit die Jollen zurück, was, wie? Dem Kerl sollte man die Jollen um die Ohren schlagen.“ „Wollt ihr nicht auch noch die Karavelle, ihr Bastarde?“ rief Old O'Flynn mit Donnerstimme. „Hier gibt's keine Jollen zurück. Ihr könnt abziehen, das haben wir versprochen.“ „Wie gelangen wir dann von Bord?“ fragte Acosta.
„Baut euch Flöße, ihr triefäugigen Kakerlaken! Das könnt ihr doch so gut. Wenn ihr die gebaut habt, dann empfehle ich euch, so weit wie nur möglich abzuhauen. Und laßt euch hier nie wieder blicken, sonst gibt's was an die Ohren.“ Von Dankbarkeit war nichts zu spüren. Die Kerle nahmen den freien Abzug als selbstverständlich hin. Sie waren nur nicht sonderlich von der Aussicht begeistert, Flöße bauen zu müssen. Dabei hatten sie gerade ein Floß gebaut, um die Wassertiefe auszuloten, damit sie die Galeone näher zum Strand legen konnten. „Mistkerle!“ brüllte Acosta zum Dank. Der Profos lief vor Wut rot an. „Am liebsten würde ich ihm die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch abziehen“, grollte er. „Diese Kanalratten stellen auch noch Forderungen, und zum Dank murmeln sie Flüche und beschimpfen uns. Schnapphähne, dreckige!“ „Wenn die bis heute mittag nicht verschwunden sind, helfe ich den Kerlen nach. Dann gibt es Zunder“, sagte Old O'Flynn verärgert. Sie standen immer noch bei den feuerbereiten Drehbassen und beobachteten die Kerle auf ihrem Trümmerhaufen. „Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Kerle doch noch einen Trick versuchen“, sagte der Kutscher. „Die erwecken gar nicht den Eindruck, als wollten sie sang- und klanglos verschwinden.“ „Das Gefühl habe ich auch“, sagte Carberry. „Aber wir werden sie keinen Moment aus den Augen lassen. Wenn sie wirklich noch einen miesen Trick anwenden, dann war es ihr letzter.“ „Wie viele Kerle seid ihr noch?“ rief Old O'Flynn. „Zwölf Mann“, lautete die mürrische Antwort. Dann sahen sie zu, wie drüben gearbeitet wurde. Ein paar Schnapphähne bewaffneten sich mit Äxten, Beilen und Schiffshauern. Dann wurden Planken aus dem Deck geschlagen. „Der Oberschnapphahn rührt natürlich keinen Finger“, sagte Carberry. „Der steht wieder mal herum und tönt die Gegend voll. Aber offenbar ist sein Status angeknackst. Die Kerle scheren sich kaum noch um sein Gebrüll.“ Acosta stand breitbeinig und überheblich an Deck und gab Befehle, was alles zu tun sei und wie die Flöße gebaut werden müßten. Drüben wurde gehämmert, gesägt, geschlagen und geklopft. Zwei Kerle schnitten aus den zerfetzten Segeln große Stücke heraus. „Aha, ein Floß mit Besegelung“, sagte Stenmark. „Nun, dann haben wir sie wenigstens schneller vom Hals.“ Der Eifer der Kerle wurde direkt beängstigend. Aber das lag wohl daran, daß Old O'Flynn ihnen alles mögliche androhte, wenn sie sich bei der Arbeit zuviel Zeit ließen. Wie etwas später zu erkennen war, bauten sie zwei Flöße. Zwei Spieren, die abgeschossen an Deck lagen, dienten als provisorische Masten. „Dann werde ich mich mal um das Essen kümmern“, sagte der Kutscher. „Ein guter Gedanke“, lobte Carberry, der bereits einen gewaltigen Appetit hatte. „Falls noch genügend Eier da sind, kannst du mir ja so ungefähr zehn in die Pfanne hauen. Und vergiß den Speck nicht, daran brauchst du nicht zu sparen.“ „Und vergiß dies nicht, und vergiß das nicht“, tönte der Kutscher aus der Pantry zurück. „Und stell auch die Pfanne auf den Herd und vergiß nicht, das Feuer zu entzünden.“ „Na ja, du bringst das schon alles richtig hin“, meinte Carberry. „Ich bin nur eben ein bißchen besorgt.“
Aus der Pantry drang gleich darauf ein lieblicher Geruch, den der Profos gierig erschnüffelte. Eier mit Speck aß er für sein Leben gern, es mußte nur die richtige Portion sein, die sich bei ihm so um ein Dutzend herum bewegte. Drüben wurde emsig weitergearbeitet. Acosta linste immer wieder mal kurz herüber. „Die werden sich noch wundern, die Bastarde“, sagte er leise. „Wenn die glauben, ich gebe die Sache mit dem Gold auf, dann haben sie sich aber geschnitten.“ Auch Prado dachte nicht daran, das viele Gold aufzugeben. Er beschäftigte sich in Gedanken pausenlos damit. „Jetzt bauen wir erst einmal die Flöße“, sagte Prado, „damit wir verschwinden können. Hoffentlich fällt es den Kerlen nicht ein, vorher noch an Bord zu kommen. Du hast vorhin gesagt, wir seien zwölf Mann. Wir sind aber dreizehn mit dem Verletzten.“ Acosta grinste dreckig. „Na und? Wir verteilen uns zu je sechs Mann auf die Flöße. Ich habe nicht die Absicht, den Schreihals mitzunehmen. Den überlassen wir den anderen Kerlen. Sollen die sich doch um ihn kümmern. Aber vielleicht willst du ihn mitnehmen?“ „Ich? Darauf bin ich überhaupt nicht scharf. Der behindert uns nur. Ich nehme ihn auf keinen Fall mit.“ „Dann ist ja alles klar.“ „Die Halunken geben uns nicht mal die eigenen Jollen zurück“, sagte Prado erbost. „Wir könnten längst verschwunden sein, statt dessen müssen wir uns mit primitiven Flößen behelfen.“ Er und Acosta blickten gleichgültig auf einen Toten, der am zerschossenen Schanzkleid lag. Zwei weitere Tote, die dem Drehbassenbeschuß zum Opfer gefallen waren, lagen ebenfalls noch an Deck. Doch um die Toten kümmerte sich niemand. Sie ließen sie einfach liegen wie den Verletzten, der an seinem Knebel fast erstickte. „Wir schuften, und die fressen sich die Bäuche voll“, sagte Acosta mißmutig, als er einen Blick zur „Empress“ warf. „Wenn diese Kerle nicht wären, hätten wir längst ausgesorgt.“ Wieder wurde fast im Flüsterton über das Gold geredet, das die Kerle fast noch um den Verstand brachte. Fünfzig Yards weiter hockte Carberry auf der Gräting und mampfte mit verzückten Blicken seine reichlich bemessene Portion. Die anderen aßen ebenfalls und sahen grinsend zu den Kerlen der „San Jacinto“, die sich die Seelen aus dem Leib schufteten. Das erste, aus Planken, Spieren und Trümmern hergestellte Floß wurde knapp zwei Stunden später über Bord gegeben. Drei Mann arbeiteten weiter im Wasser an dem Floß herum. „Gegen Mittag werden sie ungefähr fertig sein“, schätzte Martin. „Sie haben sich wirklich höllisch beeilt.“ „Habe ich den Halunken auch empfohlen“, meinte Old Donegal. „Wenn sie weg sind, werden wir den Schlorren mal inspizieren. Vielleicht haben sie noch Rum, Wein und Proviant zurückgelassen.“ Der Kutscher dachte nach, dann schüttelte er den Kopf. „Den Proviant würde ich nicht anrühren, Donegal. Den Kerlen traue ich in ihrer Wut glatt zu, daß sie den Rest vergiftet haben. Davon sollten wir lieber die Finger lassen.“ „Meinst du wirklich?“ „Auszuschließen ist diese Möglichkeit jedenfalls nicht. Sie sind zwar nicht übermäßig klug, aber gerissen und voller Heimtücke. Angenommen, sie rechnen mit der Möglichkeit, daß wir den Proviant übernehmen, dann hätten sie doch später leichtes Spiel. Einer nach dem anderen von uns würde umkippen.“
„Verdammt, daran habe ich überhaupt nicht gedacht“, murmelte Old Donegal betroffen. „Es muß ja nicht der Fall sein“, beruhigte ihn der Kutscher. „Es ist nur eine Annahme.“ „Dann verzichten wir natürlich darauf, etwas mitzunehmen.“ * Die Vermutung, die der Kutscher hatte, erwies sich tatsächlich als gerechtfertigt. Weder Acosta noch Prado scheuten vor einer hinterhältigen Gemeinheit zurück. Die beiden Flöße befanden sich jetzt im Wasser und waren an der Jakobsleiter vertäut. Acosta und Prado unternahmen einen letzten Rundgang auf dem Wrack, um nachzusehen, ob sie noch etwas mitnehmen konnten. Das Achterschiff war zerschossen und voll Wasser gelaufen. Prado steckte bei der letzten Inspektion noch eine Buddel Rum ein. Dann gingen sie zur Kombüse und sahen sich um. Einen Teil des Proviants hatten sie mitgenommen, ebenso war für jedes Floß ein Fäßchen Rotwein an Bord genommen worden. Acosta sah sinnend auf die anderen Weinfässer und den Proviant in der Vorratslast. „Mehr können wir nicht mitnehmen, sonst sind die Flöße überladen. Also werden sich die Bastarde an unserem Zeug laben. Am liebsten würde ich es über Bord werfen.“ Plötzlich begann es in seinen Augen zu funkeln. Dann grinste er breit und dreckig. „Wenn du einer von den Kerlen wärst“, sagte er, „würdest du die Weinfässer mitnehmen? Oder den Proviant?“ „Ich würde alles abräumen“, versicherte Prado. „Ganz besonders den Wein und die paar Rumfässer. Was soll die Frage?“ Acostas Grinsen wurde noch gemeiner und boshafter. „Angenommen, wir vergiften das Zeug ein bißchen“, sagte er lauernd, „was passiert dann mit unseren guten Freunden?“ Erst starrte Prado den selbsternannten Kapitän sprachlos an. Dann wurde sein Grinsen genauso dreckig. „Na klar“, sagte er begeistert, „was passiert dann wohl mit ihnen? Sie werden nicht mehr viel Freude am Leben haben. Sie werden ganz sicher das Schiff untersuchen, wenn wir abgezogen sind. Das ist eine wirklich großartige Idee.“ „Einer nach dem anderen wird aus den Latschen kippen, sobald sie von dem Zeug getrunken haben. Später können wir dann abräumen, sind die Halunken los und haben noch dazu ein feines Schiffchen.“ „Und wenn es nicht klappt?“ „Dann werden wir sie bei Nacht und Nebel überfallen, so wie sie es mit uns getan haben. Irgendwie kriegen wir das Gold schon.“ Alle beide waren von der Idee begeistert. „Ich gehe nach achtern, um das Zeug zu holen“, sagte Acosta. „Ich habe da noch ein feines, hochwirksames Pülverchen.“ Kurz danach war er wieder zurück und grinste hinterhältig. Dann wurden die Weinfässer vorsichtig präpariert. Ebenso verfuhren sie mit dem Proviant, bis das Pulver verbraucht war. Acosta rieb selbst die Speckseiten in der Vorratslast ausgiebig mit dem Zeug ein. „Alles klar, dann guten Appetit, Freunde“, sagte er und kicherte.
Kurz darauf gingen sie an dem gefesselten und geknebelten Mann vorbei, der im Vorschiff halb hinter einem angelehnten Schott lag. „Ich sehe von diesen Kerlen schon einen nach dem anderen tot umfallen“, sagte Acosta. „Die brauchen an dem Rum oder Wein nur zu nippen, und schon ist der Ofen aus. Bei dem Proviant geht es ihnen genauso. Das wird vielleicht ein Spaß!“ Der Verletzte gab ein kaum hörbares Stöhnen von sich und wälzte sich ein Stück zur Seite. Mehr Bewegungsfreiheit hatte er nicht. Sein Hemd war jetzt blutdurchtränkt, und er rollte voller Angst mit den Augen. Dann versuchte er Acostas oder Prados Blick festzuhalten, doch die beiden taten so, als sei er nicht vorhanden. Er wußte, daß sie ihn hier hilflos zurücklassen würden. Niemand kümmerte sich um ihn. Sie hatten nur ihren eigenen Vorteil im Sinn und das Gold, auf das sie so gierig waren. Seine Schmerzen in der Brust wurden unerträglich und waren kaum noch auszuhalten, doch das kümmerte die Kerle nicht. Er haßte sie plötzlich alle, er verachtete sie und wünschte sie in die tiefste Hölle, während sie sich grinsend unterhielten und ihn nicht zur Kenntnis nahmen. „Dann verziehen wir uns jetzt“, hörte er sie murmeln. Er schickte ihnen einen unhörbaren Fluch nach. Selbst wenn es ihm gelang, sich von seinen Fesseln und dem Knebel zu befreien, würde er elend zugrunde gehen, denn er hatte ja eben gehört, daß sie alles Eßbare vergiftet hatten, auch den Wein. Vielleicht hatten sie auch das Trinkwasser vergiftet. Möglicherweise kamen die anderen Kerle aber überhaupt nicht an Bord, und dann war es aus mit ihm. „Ab auf die Flöße“, sagte Acosta. „Such dir fünf Kerle aus, Prado.“ „Santos, Felipe, Normando, Morro und Senona. Ihr segelt mit mir.“ Die fünf anderen Kerle übernahm Acosta. Prado hatte damit jetzt die Kerle an Bord, die etwas gegen Acosta hatten und ihn nicht ausstehen konnten. Die ersten enterten schon ab. Sie hatten auch Musketen dabei, doch die waren heimlich nach unten gebracht worden. Acosta ging als letzter von Bord. An der Jakobsleiter warf er noch einen letzten Blick über das zerschossene und zerstörte Deck. Jetzt, nachdem sie das Holz für die Flöße herausgesägt und gehackt hatten, sah das Schiff noch wüster und schlimmer aus. Da lagen die drei Toten und etwas weiter der gefesselte Mann, der ihn aus großen und weitgeöffneten Augen anstarrte. Acosta las unbeschreiblichen Haß in diesem Blick. Der Kerl hätte ihn auf der Stelle umgebracht, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Er grinste mitleidlos zurück und enterte dann ab. Kurz darauf segelten die beiden Flöße in südlicher Richtung davon. * Auf der „Empress“ hatte man alles genau verfolgt. Nur daß Musketen auf die Flöße gebracht worden waren, entging den Männern. Auf dem ersten Floß hockte der stiernackige Anführer, der den weißen Fetzen geschwenkt hatte. Er drehte sich um und hob wie grüßend die Hand, aber es war eine höhnische Geste. Carberry hatte schmale Augen, als er den Flößen nachsah. „Wir pullen nachher mal rüber“, sagte er, „und sehen uns den Kasten an, ob auch wirklich alle Mann von Bord verschwunden sind. Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Halunken noch etwas auf der Pfanne haben. Dieses ungewaschene
Rübenschwein gab sich ein bißchen überheblich. Vielleicht haben sie doch noch etwas ausgebraten.“ „Zum Beispiel?“ fragte Nils Larsen. „Na, zum Beispiel könnten sie eine Lunte an die Pulverkammer gelegt haben. Sie rechnen damit, daß wir uns auf der Galeone umsehen, und dann bläst es uns in die Luft.“ Der Kutscher sah den Profos nachdenklich an. „Die Zeit können sie nicht berechnen, weil sie nicht wissen, ob und wann wir an Bord gehen. Aber wir liegen nur knapp fünfzig Yards von dem Kasten entfernt. Sollte der wirklich mit einer Pulverladung hochgehen, dann kann Old Donegal seine Karavelle vergessen. Ich empfehle dir also...“ Der Kutscher brauchte nichts mehr zu empfehlen. Old O'Flynn geriet fast wieder aus dem Häuschen, als er das hörte. Gerade jetzt hatten sie ihr feines Schiffchen wieder - und dann... No, Sir! „Hievt den Anker, und dann nichts wie ab!“ rief er schrill. „Und beeilt euch damit, zur Hölle!“ Sie beeilten sich wahrhaftig, denn jetzt war auch der Profos von seiner Vermutung überzeugt. Noch während sie in aller Eile die Segel setzten, warfen sie immer wieder einen mißtrauischen Blick zu der zerschossenen Galeone. Einmal glaubte Martin Correa auch eine winzige Rauchwolke aufsteigen zu sehen, doch das erwies sich als reiner Irrtum. Inzwischen war eine halbe Stunde vergangen, bis sie in sicherer Entfernung von der Galeone wieder vor Anker lagen. Weit im Süden segelten die beiden Flöße mit den Schnapphähnen. Sie gaben noch einmal eine Viertelstunde zu. „Fehlanzeige“, murmelte Carberry. „Da war wohl nichts mit einer Lunte und Pulverladung. Vielleicht haben sie kaum noch Pulver an Bord. Ich denke, wir sollten jetzt einmal nachsehen.“ Der Kutscher glaubte ebenfalls nicht daran, daß jetzt noch etwas passieren würde. „Nun, man kann sich ja auch mal irren“, sagte Carberry. „Vorsicht war in diesem Fall jedenfalls angebracht.“ Old O'Flynn nickte bekräftigend. Er hatte sich wieder beruhigt, als er sah, daß nichts passierte. „War ganz gut, daß wir verholt haben. Später hätte ich mir die größten Vorwürfe gemacht, wenn es wirklich geknallt hätte.“ Die Jolle war abgefiert und lag längsseits. „Stenmark, Nils und Lars gehen mit mir“, sagte Carberry. „Jetzt werden wir dem Schiffchen mal auf den Zahn fühlen.“ „Nehmt Waffen mit“, riet Old O'Flynn. „Ich habe immer noch das verdammte Gefühl, als würde da drüben etwas passieren.“ Sie bewaffneten sich mit Blunderbussen und Pistolen. Dann enterten die vier Männer in die Jolle ab. Hasard und Philip junior hatten die aufgebrummte „San Jacinto“ unterdessen fast pausenlos mit dem Kieker beobachtet. „Da drüben rührt sich nichts“, meldete Philip. „Aber das heißt deshalb noch lange nicht, daß auch alles in Ordnung ist.“ Carberry nickte den Zwillingen freundlich zu. Den beiden hatten sie eine Menge zu verdanken, denn schließlich waren sie es gewesen, die die Höhle entdeckt hatten, in der sie Schutz fanden und in der jetzt das viele Gold lagerte. Dann griffen sie zu den Riemen und pullten zur „San Jacinto“ hinüber.
Als sie näher heran waren, beäugten sie das Schiff mißtrauisch. Es war nur noch ein Wrack, und es gab seltsame Töne von sich wie ein großes krankes Tier, das sich vor seinem Tod verkrochen hat. „Was sind das für unheimliche Geräusche?“ fragte Stenmark. Da war ein Raunen und Flüstern zu hören. Hin und wieder knackte es, und dann folgte ein dumpf klingendes Gemurmel. Einmal hörten sie klar und deutlich ein Ächzen. Der Profos runzelte die Stirn. In der rechten Hand hielt er feuerbereit einen Blunderbuss. Sie trieben jetzt genau auf die immer noch ausgebrachte Jakobsleiter zu. Die Geräusche wiederholten sich. Knacken, Ächzen und wieder dieses merkwürdige Wimmern. „Das Schiff stirbt“, sagte Carberry, „und dabei verursacht es diese unheimlichen Geräusche. Ferris sagt immer, daß es dann seine Seele aushaucht. Das ist eine ganz natürliche Erklärung, weil das Holz pausenlos arbeitet.“ Er zuckte aber doch zusammen, als wieder das wimmernde Geräusch erklang. Dumpf und halb erstickt war es zu hören. Dann kamen wieder andere Geräusche hinzu. Die Jolle wurde an der Jakobsleiter vertäut. Von der „Empress“ aus wurden sie scharf beobachtet. Carberry enterte als erster auf und blieb neben dem Schanzkleid stehen, um sich einen allgemeinen Überblick zu verschaffen. Die anderen folgten und sahen sich ebenfalls aufmerksam um. „Himmel, sieht der Kahn aus“, sagte Sven. „Da müssen wir aber genau aufpassen, wo wir hintreten, sonst sausen wir nach unten.“ Scharfkantige gezackte Löcher befanden sich im Deck der Kühl. Auf der Back und den anderen Decks sah es nicht besser aus. „Da hat's mächtig eingeschlagen“, meinte Stenmark. „Wir sollten uns jetzt aber mal um die Pulverkammer kümmern.“ Der Profos marschierte schon los und umging die tückischen Löcher und angeknacksten Planken. Er hatte immer noch so ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und traute dem Frieden nicht. Als sie jedoch die Pulverkammer erreichten und das Schott öffneten, sahen sie sich erleichtert an. „Zwei armselige Fäßchen“, sagte Carberry. „Damit konnten sie keinen großen Feuerzauber mehr veranstalten. Aber es hätte trotzdem gereicht, um den Eimer in die Luft zu blasen.“ Damit war die Sorge ausgeräumt, daß sie in die Luft flogen. Jetzt erst sahen sie sich genauer und sehr aufmerksam um. Das Knacken und leise Krachen begleitete sie auf Schritt und Tritt. Sie gingen nach achtern, doch da stand mittlerweile alles unter Wasser. „Zwecklos, da hineinzuwaten“, sagte Sven. „Da hält sich auch niemand mehr auf.“ Der Profos winkte ab. Da war wirklich nichts mehr zu holen. Deshalb gingen sie wieder zurück. Auf dem Quarterdeck lagen Bruchstücke von Holz herum. Zerfetzte Segel waren in Streifen über die Planken verteilt. Der leichte Wind hob sie immer wieder an und ließ sie wie Leichentücher flattern. Plötzlich blieb Stenmark wie angenagelt stehen. Sein Blick war auf die halbzerstörte Nagelbank gerichtet. „Da liegt einer“, sagte er leise.
Der Mann war tot und lag auf dem Rücken. Zwei zerfetzte Planken bedeckten teilweise seinen Körper. Sein Hemd war blutig. Das Schrot aus einer Drehbasse hatte ihn getroffen. Der Profos sah schweigend auf den Toten. Dann drehte er sich ebenso wortlos um und ging weiter, denn er hatte aus den Augenwinkeln etwas gesehen. Sie fanden gleich darauf einen weiteren Toten, der übel zugerichtet war. Auch ihn hatte Drehbassenschrot getroffen. „Diese dreckigen Strolche“, sagte Carberry aufgebracht. „Nicht einmal um die Toten kümmern sie sich. Sie lassen sie einfach an Deck liegen, diese verlausten Bastarde. Zumindest hätten sie sie über Bord geben können, wie sich das für einen Christenmenschen gehört.“ Der Profos konnte sich über solche Dinge immer sehr aufregen, und das tat er noch gründlicher, als sie den dritten Toten fanden. Der befand sich weiter vorn zum Vordeck und lag unter einem teilweise zerschossenen Niedergang der Länge nach ausgestreckt. Es war ein bärtiger Kerl mit einem harten Gesicht, das selbst im Tod noch grimmig verzogen war. „Drei Tote“, sagte Carberry empört. „Und alle drei lassen diese Halunken einfach so liegen. Wir werden sie nachher mitnehmen und irgendwo an Land begraben.“ Die Galeone arbeitete und ächzte inzwischen zum Gotterbarmen weiter. „Was war das eben?“ fragte Nils Larsen. Er drehte sich um und lauschte mit vorgerecktem Kopf. „Das war der Wind, der irgend etwas bewegt hat. Die Geräusche lassen sich kaum unterscheiden. Es kann auch eindringendes Wasser im Achterschiff gewesen sein.“ „Das hat sich aber verdammt anders angehört.“ „Das muß weiter vorn gewesen sein“, meinte Stenmark. „Wie ein Stöhnen klang es, nur sehr unterdrückt.“ Das Stöhnen, oder was immer es auch gewesen sein mochte, wiederholte sich nicht. Dafür traten die anderen Geräusche verstärkt auf, als sie zum Vordeck gingen. Ein angelehntes Schott, das der Profos schon seit einer Weile mißtrauisch beobachtete, schwang hin und her. Manchmal knarrte es auch in den Angeln. Das Schott führte ins Vorschiff, aber dahinter war alles dunkel. Mit den Pistolen und Blunderbussen in den Fäusten näherten sie sich dem Schott und nahmen seitlich davon Aufstellung. Dann trat der Profos einen schnellen Schritt vor und riß es auf. Zuerst hatten sie erwartet, daß sich ein paar Kerle in dem Raum verborgen hatten, um sie blitzartig zu überfallen und vielleicht als Geiseln zu nehmen. Deshalb hatte Carberry das Schott auch keine Sekunde aus den Augen gelassen. Jetzt aber traf sie fast der Schlag, als das Schott geöffnet war. Ein Mann in einem durchbluteten Hemd lag hinter dem Schott und blinzelte aus großen ängstlichen Augen in das hereinfallende Sonnenlicht. Der Mann war gefesselt und geknebelt, obwohl er schwer verletzt sein mußte. Er wollte etwas sagen, doch der Knebel hinderte ihn daran, und so folgte nur ein ersticktes Geräusch. „Das darf doch nicht wahr sein“, sagte Carberry erschüttert. Der Mann in seinen Fesseln bewegte sich so, als ob er sich davonrollen wollte. Seine Angst schien unbeschreiblich zu sein. Fassungslos standen Nils, Sven und Stenmark um den Mann herum. Sie konnten auch nicht glauben, was sie mit eigenen Augen sahen. „Diese Drecksbande von Strolchen“, sagte Carberry voller Zorn. „Die lassen einen Verwundeten zurück, weil sie sich mit ihm nicht belasten wollten, weil er ihnen lästig war. Sie gehen einfach davon aus, daß wir uns um ihn zu kümmern haben.“
„Aber warum haben sie ihn geknebelt?“ fragte Stenmark entsetzt. Carberry und Sven Nyberg beugten sich schon hinunter, um dem Mann den Knebel abzunehmen. Die Kerle hatten ihn so fest zugezogen, daß der Mann fast erstickt war. „Wahrscheinlich wollten sie sein Geschrei nicht hören, weil es ihnen auf die Nerven ging“, meinte Carberry. Der Profos war von Wut bis zum Bersten erfüllt. Sten schnitt ihm mit dem Entermesser die Fesseln durch. „Keine Angst“, sagte der Profos, als er die wild rollenden Augen des Mannes sah. „Wir tun dir nichts. Du hast von uns nichts zu befürchten. Kannst du uns verstehen?“ Die Antwort bestand aus einem kläglichen Nicken. Das Gesicht des Mannes verzog sich wie unter fürchterlichen Schmerzen. Auch wenn er ein Schnapphahn war, so tat er ihnen doch leid, denn was seine Kumpane mit ihm angestellt hatten, war an Gefühlsroheit und Menschenverachtung nicht mehr zu überbieten. Der Profos regte sich noch mehr auf als über die drei Toten. „Eins steht für mich fest. Wenn ich das gewußt hätte, dann wäre dieser Oberschnapphahn nicht mit einem blauen Auge davongekommen. Diese ganze Schwefelbande hätte das teuer bezahlt. So ein Scheiß! Aber hinterher ist man ja immer klüger.“ Er rannte voller Zorn zum Schanzkleid und blickte nach Süden, wohin die Schnapphähne gesegelt waren. In weiter Ferne waren jedoch nur noch zwei winzige Punkte zu erkennen, die sich zwischen dem Gewirr der zahlreichen Inseln bewegten. Carberry schlug mit der Hand auf den zersplitterten Handlauf des Schanzkleides. Sein Blick war zornig auf die Punkte gerichtet. „Jetzt ist es natürlich müßig, noch hinter den Kerlen herzusegeln“, sagte er. „Bis wir klar sind, haben die die Kimm längst hinter sich gebracht.“ Der Mann auf den Planken stöhnte laut. Wasser trat vor Schmerz in seine Augen. Carberry wollte ihn aufheben und zur Gräting bringen, aber jede noch so leichte Berührung vertrug der Mann nicht. „Dann lassen wir ihn am besten so liegen“, entschied er. Sie sprachen ein paar Worte Englisch, damit der Mann sie nicht verstand. „Glaubst du, daß er das überleben wird?“ fragte Stenmark. „Nein, ganz sicher nicht. Vielleicht noch ein paar Stunden, mehr bestimmt nicht. Er muß sehr schwer verletzt sein.“ Der Mann verstand sie nicht. Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, seit ihm der Knebel nicht mehr die Luft abdrückte, aber der Schmerz stand nach wie vor in seinen Augen. „Sven und Nils, ihr pullt hinüber und holt den Kutscher“, sagte der Profos. „Er soll sich beeilen. Wenn er dem Mann nicht mehr helfen kann, kann er vielleicht seine wahnsinnigen Schmerzen lindern. Schildert ihm kurz die Lage.“ Sven und Nils enterten ohne ein weiteres Wort ab und pullten zur „Empress“ hinüber. Von dort aus wurden sie immer noch mit den Spektiven beobachtet. Carberry und Stenmark waren mit dem Sterbenden und den drei Toten allein. Das Gesicht des Mannes veränderte sich auf erschreckende Weise. Es sah jetzt leichenblaß aus. Der Mund war etwas geöffnet, während er die Augen bis auf einen schmalen Spalt geschlossen hatte. „Sind noch mehr von euch an Bord?“ fragte Carberry. „Kannst du mich überhaupt verstehen?“ Dem Mann bereitete es sichtliche Anstrengungen, zu sprechen. Aber er brachte ein paar Worte heraus, wenn auch sehr mühsam. „Alle weg“, hauchte er. „Alle fort. Allein hier.“
Stenmark linste hinter das Schott, nahm die Pistole in die Faust und ging die paar Stufen hinunter. Er wollte sich nicht unbedingt darauf verlassen, daß alle weg waren. Vielleicht hatte der Mann auch nicht genau gewußt, was er sagte. Er fand jedoch niemanden mehr vor. Das Logis war ein Haufen Dreck und Unrat, verlassen wie ein Saustall, in dem alles drunter und drüber ging. Angewidert nahm er zwei löchrige Decken und einen seegrasgefüllten Beutel mit, der einem der Kerle mal als Kopfkissen gedient haben mußte. Damit kehrte er an Deck zurück. Dann bewegten sie den Mann ganz vorsichtig auf eine der Decken, legten ihm das Kopfkissen unter und eine weitere Decke auf seinen so entsetzlich zugerichteten Körper. Ein dankbarer Blick traf die beiden Männer. „Schon gut“, sagte der Profos rauh. „Wir haben einen Feldscher an Bord, der wird gleich hier sein und dir helfen. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.“ „Vorsicht an Bord“, stammelte der Mann heiser. Er hustete und bäumte sich auf. „Ja, ich weiß“, sagte Carberry. „Hier ist alles kaputt. Wir werden uns schon nicht die Knochen brechen.“ Er ahnte nicht, daß der Mann etwas ganz anderes meinte, aber er war für den Augenblick zu erschöpft, um weiterzusprechen.
3.
Das änderte sich erst, als Nils, Sven und der Kutscher bei der „San Jacinto“ anlegten und aufenterten. Der Kutscher hatte seinen Kasten mit Salben, Tinkturen und dem Besteck dabei, seine „Knochenbrecherkiste“, wie der Profos sie immer gern bezeichnete. „Gefesselt und geknebelt hat man ihn?“ fragte der Kutscher entgeistert. „Damit er ihnen mit seinem Geschrei nicht auf die Nerven ging, was?“ „So ist es“, erwiderte Carberry. „Schon das wäre ein Grund, den Strolchen hinterher zu segeln und sie kräftig durchzuwalken. Aber dazu ist es jetzt zu spät. Was hältst du von ihm, Kutscher?“ Der Kutscher kniete sich nieder, entfernte die Decke und schnitt dem Verletzten das Hemd auf. Bei jeder noch so leisen Berührung zuckte der Mann zusammen und verbiß sich nur mühsam das Schreien. Der Kutscher ließ sich nichts anmerken, als er die fürchterlichen Wunden sah. „Niemand kann ihm mehr helfen“, sagte er leise. „Selbst bei einer Operation würde er mir unter den Händen sterben. Hier kommt jede Hilfe zu spät.“ „Kannst du ihm nicht anderweitig helfen?“ „Doch, ich werde ihm Laudanum geben, damit er die Schmerzen nicht so spürt. Aber er hat nicht mehr lange zu leben.“ Der Kutscher holte ein Fläschchen mit einer harzig riechenden Tinktur aus seiner Kiste. Dann gab er dem Mann Laudanum. Sie hockten um ihn herum und warteten die Wirkung ab, die erstaunlich schnell eintrat. Das Trübe in den Augen verschwand, die Pupillen erweiterten sich und der schmerzende Krampf, der seinen Körper befallen hatte, begann sich zu lösen. „Geht es besser?“ fragte der Kutscher besorgt. „Danke, viel besser. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Ich weiß, daß ich sterben muß. Vorsicht an Bord“, wiederholte er dann. „Weshalb Vorsicht?“ fragte der Kutscher mißtrauisch. „Habt ihr nicht alles abgesucht?“ „Doch, aber das hat er vorhin schon einmal gesagt. Es bezieht sich wohl auf die angeknackten Planken und Löcher im Schiff.“ „Nein, nicht das Schiff“, ächzte der Mann. „Acosta hat alles vergiftet - den Proviant, den Wein, den Rum. Sie ließen mich hier liegen und haben sich darüber unterhalten. Alles vergiftet. Nehmt nichts mit, wenn ihr weggeht.“ Die fünf Männer warfen sich einen langen Blick zu. Carberry kratzte sich verlegen das Genick. „Verdammt noch mal, du hattest wieder einmal recht, Kutscher“, sagte er dann tonlos. „Diese Strolche schrecken wahrhaftig vor nichts zurück. Wir hätten den Kerlen keinen Abzug gewähren sollen. Glaubst du, daß das stimmt?“ „Weshalb sollte uns der Mann anlügen? Er ist dankbar, daß wir ihm helfen, und er meint es nur gut. Laßt also um Himmels willen die Finger von Speisen und Getränken, und wenn sie noch so verlockend aussehen oder duften.“ „Ich rühre bestimmt nichts an“, versicherte Carberry hastig. Die anderen nickten bestätigend. „Wir haben noch drei Tote entdeckt“, sagte Sten, „die haben sie hier auch einfach zurückgelassen. Ed meinte, wir sollten sie später an Land beerdigen.“ „Ja, das tun wir, es ist Christenpflicht, auch wenn es Schnapphähne waren.“ Der Kutscher wandte sich wieder dem Mann zu. Sein Gesicht war jetzt fast glatt und die Augen blickten ihn sehr wachsam an. Trotzdem sah der Kutscher, daß es mit ihm zu Ende ging. Bestenfalls gab er ihm noch eine oder zwei Stunden. Der starke
Blutverlust hatte den Mann geschwächt und war nicht mehr auszugleichen, egal was der Kutscher auch unternehmen mochte. „Ich danke euch“, murmelte der Mann, von dem sie nicht einmal den Namen wußten. „Geht auch nicht an das Trinkwasser. Ich glaube, Acosta hat es auch vergiftet.“ „Dieser Acosta - ist das der stiernackige Anführer, der schwarzbärtige Kerl mit dem groben Gesicht und den harten Augen?“ „Ja, das ist er. Aber sie sind mittlerweile zerstritten, er, Prado und ein paar andere. Der Satan soll sie alle holen. Wir wollten das Gold, aber wir haben es nicht gekriegt. Die anderen werden es auch nicht kriegen.“ „Ganz sicher nicht“, sagte der Profos grimmig. „Wenn die noch einmal unseren Kurs kreuzen, dann war es ihr letzter Törn.“ Der Mann versuchte zu grinsen, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. Er entblößte ein paar schadhafte Zähne. Noch im Angesicht des Todes schien er sich darauf zu freuen, daß seine Kumpane nicht mehr an die Goldbarren herankamen. „Sie geben noch nicht auf“, flüsterte er, „sie werden es wieder versuchen, weil sie verrückt nach dem Gold sind. Ich war auf der ‚Viento Este' und habe das Zeug gesehen. Viel, viel Gold, und alles ist weg.“ „Ja, es ist weg. Wir haben es jetzt“, sagte Carberry. „Was hatte es mit der Galeone auf sich?“ Der Kutscher verabreichte dem Mann noch etwas Laudanum, denn allmählich schienen die Schmerzen wieder zurückzukehren. Er merkte das schon an dem wechselnden Mienenspiel. „Die ‚Viento Este' war ein Einzelfahrer. Ich werde euch alles erklären, solange ich noch Zeit dazu habe, denn ihr habt mir geholfen, während die anderen Kerle mich einfach im Stich ließen. Wir hatten die Goldbarren in Vera Cruz geladen. Vor einem Monat sind wir dann aus Havanna losgesegelt.“ „Was habt ihr in Havanna getan?“ „Proviant und Wasser genommen. Wir segelten bis zur Floridastraße, und da gerieten wir in einen höllischen Sturm.“ „Der Sturm hat das Schiff entmastet und auf die Riffe der Cat Cays getrieben“, setzte der Profos hinzu. „So war es. Capitan Molina gab Befehl, das Schiff zu verlassen. Mit drei Booten segelten wir los, um Florida und an der Ostküste entlang Sankt Augustine zu erreichen. Molina wollte das Gold, das für die spanische Krone bestimmt war, nicht aufgeben. Es sollte abgeborgen werden, doch dann ging alles schief. Wir erreichten um den fünfzehnten Juni herum die Küste von Florida und segelten an ihr entlang nordwärts.“ „Und dann gab es Ärger?“ fragte Carberry gespannt. Sie kannten nur einen Bruchteil der Geschichte und hatten sich meist auf Vermutungen gestützt. „Ja, dann gab es Ärger. Molina führte eins der Boote, das zweite sein Erster Offizier und das dritte Acosta, der als Steuermann fuhr. Acosta hat seine zwölf Männer zum Mord aufgestachelt, weil er das Gold später selbst bergen wollte. Er hatte sich auch schon ein paar Goldbarren eingesteckt.“ „Feine Brüder“, meinte Stenmark. „Ein wirklich dankbares Völkchen.“ Der Verletzte versuchte wieder vergeblich zu grinsen. Offenbar hatte er selbst einen gehörigen Anteil an der Sache gehabt. Dann redete er hastig weiter, als bliebe ihm nicht mehr viel Zeit. „Es war, als wir an der Küste nordwärts entlang segelten. Da feuerten Acosta und seine zwölf Kerle auf die beiden anderen Boote, brachten sie zum Sinken und
schossen auf die Schwimmenden, bevor sie sich ans Ufer retten konnten. Sie haben einen nach dem anderen abgeknallt. Zwölf Tage später erreichten sie dann Sankt Augustine.“ „Und das fiel keinem auf?“ fragte der Kutscher. „Haben die Behörden denn nichts gemerkt?“ „Nein, wir sind ganz unauffällig eingesickert. Dann hatten wir Gelegenheit, auf einer Galeone anzuheuern, die unterbemannt war und einen Ruderschaden hatte. Sie sollte mit Gewürzen nach Spanien segeln. Der Kapitän hat sich über den Zuwachs gefreut.“ Später wohl kaum noch, dachte Carberry, aber das sagte er nicht. Statt dessen fragte er: „Diese Galeone war dann die ,San Jacinto', wenn ich nicht irre. Das Wrack, auf dem wir jetzt stehen.“ „Ja, sie war es. Acosta riß ganz plötzlich das Kommando an sich und erschoß den Kapitän. Zehn Mann der Mannschaft stimmten für ihn und entschieden sich, unter seinem Kommando zu segeln. Die restlichen Männer waren gegen ihn und mußten sterben. Danach waren wir insgesamt zweiundzwanzig Kerle. Dann wollten wir die ‚Viento Este' leichtern, aber es ging alles schief.“ „Die Galeone war doch aber mit kostbaren Gewürzen beladen“, wandte der Kutscher ein. „Das Zeug wurde über Bord geworfen, bis wir leer waren. So hatten wir die Laderäume frei für das Gold.“ „Dann war es wohl eine herbe Enttäuschung, als ihr das Gold auf der ‚Viento Este' nicht mehr fandet“, meinte Carberry. „Acosta ist fast wahnsinnig geworden vor Zorn. Später entdeckten wir dann den Papagei und suchten nach euch. Aber ihr seid immer unsichtbar geblieben. Schließlich hatten wir Angst vor euch, weil ihr dann zur Stelle wart, wenn es keiner vermutete.“ Er dachte wohl daran, wie sie ihnen bei Nacht und Nebel die Beiboote abgenommen und später das Ruder verkeilt hatten, bis die „San Jacinto“ in den Riffen aufgebrummt war. „Jetzt kennen wir auch das Kapitel“, sagte der Kutscher. „Viel hat es ihnen bisher nicht eingebracht. Aber ich bin sicher, daß die Kerle immer noch nicht aufgegeben haben. Irgendwann werden sie zurückkehren, vielleicht in dieser Nacht noch. Dann werden sie versuchen, die ‚Empress' zu entern.“ „Darauf werden wir allerdings gefaßt sein“, knurrte Carberry. „Ich kann es kaum erwarten, bis dieser Acosta mit seiner Mörderbande aufkreuzt. Den nehme ich mir höchstpersönlich zur Brust, diesen Satan, diesen hinterhältigen.“ Stenmark beugte sich zu dem Mann hinunter und fragte: „Hat Acosta etwas von dem Überfall gesagt?“ Er erhielt keine Antwort. Der Mann schwieg. Der Kutscher warf nur einen Blick auf ihn. „Er wird dir keine Antwort mehr geben, Sten. Er ist tot. Mich wundert nur, daß er noch so lange ziemlich klar und deutlich gesprochen und alles erzählt hat.“ Der Schnapphahn, der jetzt sein Leben ausgehaucht hatte, starrte aus blicklosen Augen in den fast wolkenlosen Himmel. Noch im Tode hatte sich sein Grinsen verstärkt und war zu einer Fratze gefroren, die Schadenfreude ausdrückte. Wenigstens in seinen letzten Minuten hatte er seinen Kumpanen noch eins ausgewischt, indem er die Engländer vor dem vergifteten Proviant und dem Wein gewarnt hatte. Daß sie sowieso nichts angerührt hätten, wußte er nicht. Jetzt lag er still und reglos da und hatte ausgelitten. Der Kutscher sah sinnend auf den Toten.
„Immerhin hat er uns noch gewarnt, obwohl wir von dem Zeug ganz sicher nichts angerührt hätten. Das konnte er aber nicht wissen. Wir werden ihn auch mitnehmen und an Land bestatten.“ „Wir sollten auch noch etwas anderes tun“, sagte Carberry. „Ich habe mir gerade überlegt, daß es auch andere auf eine dieser Inseln verschlagen könnte. Schiffbrüchige etwa, die nichts mehr zu beißen haben. Wenn sie das Wrack entdecken, den Proviant, das Wasser, den Wein und all das Zeug, werden sie sich verständlicherweise davon bedienen. Es ist zwar kaum anzunehmen, daß das der Fall sein wird, aber die Möglichkeit besteht.“ „Das ist richtig“, sagte der Kutscher. „Daher werden wir das ganze Zeug einfach über Bord werfen.“ „Genau das hatte ich vor.“ „Und danach das gründliche Händewaschen nicht vergessen“, mahnte der Kutscher. „Ich weiß nicht, um welche Art von Gift es sich handelt. Jedenfalls müssen wir uns vorsehen.“ „Dann fangen wir gleich damit an.“ „Ich hole inzwischen die Pulverfässer“, sagte Nils. „Es sind zwar nur zwei, aber Pulver können wir immer gebrauchen. Donegal hat eine ganze Menge davon verballert.“ Mit dem Verbrauch von Schießpulver war Old O'Flynn wahrhaftig nicht gerade zimperlich umgegangen. Da kamen ihnen die beiden Fässer ganz recht. Nils nahm auch gleich noch die Arzneikiste vom Kutscher mit und verstaute sie in der Jolle. Sie wurde jetzt nicht mehr gebraucht. Der Mann war tot und die drei anderen ebenfalls. Dann holte er die beiden Fässer mit Schießpulver, die er ebenfalls im Beiboot zwischen den Duchten verstaute. Als er zurückkehrte, fand er die anderen in der Kombüse und der angrenzenden Proviantlast. Sie hatten ein paar Speckseiten auf die Kombüsenback gelegt und begutachteten sie. „Ein Jammer, daß man aus Gemeinheit und Boshaftigkeit so mit dem Proviant umgeht und ihn verschwendet“, sagte der Kutscher gerade. „Diese Kerle sind wahrhaftig Ausgeburten der finstersten Hölle.“ „Glaubst du wirklich, daß das alles vergiftet ist?“ fragte Sven. „Davon bin ich überzeugt. Wenn du genau hinsiehst, kannst du noch Spuren von einem grauweißen Pulver entdecken. Damit haben sie fast alles eingerieben. Dasselbe Zeug haben sie wahrscheinlich auch in das Trinkbare getan.“ Tatsächlich entdeckten sie kaum sichtbare feine Spuren einer grauweißen Substanz, die größtenteils bereits in den Speck eingedrungen war. Sie roch nach nichts, wie der Kutscher feststellte, als er einmal daran schnupperte. „Noch besser wäre es, den ganzen Kahn in Brand zu stecken“, meinte Carberry. „Dann hat alles ein Ende.“ „Das halte ich für sinnlos. Weshalb sollen wir die Galeone in Brand stecken, Ed? Denk doch mal an die potentiellen Schiffbrüchigen, die hier landen und das Holz gut verwerten könnten.“ „Was für Kerle?“ fragte Carberry. Er sah den Kutscher verblüfft an. „Potentielle Schiffbrüchige“, wiederholte der Kutscher geduldig. „Hab' ich noch nie gehört“, versicherte der Profos. „Ich kenne echte Schiffbrüchige und Gestrandete, oder an Land geschwommene, aber die Dingsda - äh - pot... Äh werden sich nicht ausgerechnet in diese Ecke verirren.“
„Potentiell steht für mögliche Schiffbrüchige. Das ist so ein Ausdruck für etwas, das eintreten könnte, aber noch nicht Wirklichkeit ist.“ „Dann sag doch gleich, was du meinst, sonst versteht das ja kein Mensch. Dein Latein geht mir langsam auf den Geist.“ „Latein gehört nun einmal zu einem Feldscher oder zu einem Arzt. Das hat Doc Freemont immer gesagt, daher habe ich es auch bei jeder Gelegenheit gelernt.“ „Bei uns kannst du dich jedenfalls ganz normal ausdrücken“, erlaubte Carberry großzügig. Daraufhin lächelte der Kutscher nur feinsinnig. Immer wenn der Profos etwas nicht gleich kapierte, ärgerte er sich. Carberry und Sten luden sich ein paar Speckseiten auf die Schulter, trabten damit an Deck und warfen sie über Bord. Mit lebhaftem Bedauern natürlich. Nach und nach wurde auch das andere Zeug über Bord geworfen. Am meisten zerriß es dem Profos das Herz, daß der Wein und auch der Rum weggeschüttet werden mußte. Da kriegte er sich fast nicht mehr ein, wie er glaubhaft versicherte. „Schon dafür gehört den Strolchen was auf die Nüstern“, sagte er grimmig. „Das schöne Zeug! Jetzt wandert es über Bord, dabei hätte man so herrlich einen gluckern können.“ „Wir haben ja noch auf der ‚Empress' was“, sagte Sven, aber das war für den Profos auch nur ein schwacher Trost. Nach einer knappen halben Stunde waren Kombüse und Proviantlast ausgeräumt. Im Wasser schwammen Speckseiten, Mehlreste und Fett. Es sah nicht gerade appetitlich aus. Aber für den Speck begannen sich bereits zwei kleinere Haie zu interessieren. Sie umkreisten die im Wasser schwimmenden Brocken und näherten sich neugierig, wobei sie immer engere Kreise zogen. „Verderbt euch nur nicht den Magen“, warnte Carberry. „Aber ihr habt ja einen anderen Pansen als wir.“ An Bord befand sich jetzt nichts mehr, was noch mitnehmenswert gewesen wäre. Das Schiff gab nichts mehr her. Es war nur noch ein Wrack, das bald der See und den Klippen zum Opfer fallen würde. Sturm und Wellen würden an ihm fressen, und eines Tages würde nur noch ein mageres Gerippe zwischen den Klippen liegen, bis auch die letzten Spuren verschwunden waren. „Was jetzt?“ fragte Stenmark. „Wenn wir die vier Toten mitnehmen, haben wir in der Jolle nicht alle Platz. Ich schlage vor, Nils und Sven pullen den Kutscher zur Karavelle, und Nils kehrt allein wieder zurück und bringt noch zwei oder drei Schaufeln mit. Ihr könnt den anderen inzwischen Bericht erstatten.“ „In Ordnung“, sagte der Kutscher. „So werden wir es halten. Wenn wir euch bei der Bestattung helfen sollen, dann gebt Bescheid. Ihr müßt ja schließlich nicht allein bei der Hitze schuften.“ Carberry wedelte abwehrend mit der Hand. „Wir heben zwischen den Felsen im Sand eine größere Grube aus und beerdigen sie dort.“
4.
Der Kutscher, Nils und Sven enterten ab und pullten zur „Empress“ hinüber. Nachdem sie drüben angelegt hatten, kehrte Nils allein wieder zurück und brachte drei Schaufeln mit. „Bevor wir die Toten zum Strand bringen“, sagte Carberry, „durchsuchen wir noch einmal schnell alle Räume, auch die Laderäume. Ich will mir später keine Vorwürfe machen, daß wir doch noch jemanden übersehen haben.“ Sie begannen, noch einmal das Schiff auf den Kopf zu stellen. Aber es wurde niemand mehr gefunden. In die Laderäume war ebenfalls Wasser eingedrungen. Ins Achterschiff konnte man ebenfalls nicht mehr hinein, weil dort alles unter Wasser stand. Jetzt begann für sie die unangenehme Arbeit, die vier Toten ins Beiboot zu bringen. „Geh du in die Jolle, Nils und nimm sie uns ab. Wir lassen sie an einem Tau hinunter.“ Carberry und Stenmark holten den ersten Toten, banden ihm ein Tau um den Leib und fierten ihn nach unten ab, wo Nils ihn zwischen die Duchten legte. Dann wurde der zweite, dritte und schließlich der vierte Tote nach unten gebracht. Die vier Leichen, die kreuz und quer zwischen den Duchten hingen, boten einen schaurigen Anblick. Bei jeder noch so kleinen Welle schien das Leben wieder in sie zurückzukehren. Einer von ihnen erweckte den Eindruck, als winke er zum Abschied mit der Hand zur „Empress“ hin. Dann aber hatten sie die grausige Fracht endlich an Land. Schweigend gingen sie daran, eine größere Grube zwischen den Felsen auszuheben. Die Sonne stach heiß vom Himmel. Es war jetzt Nachmittag, und die Hitze schien immer größer zu werden. Schon bald rann ihnen der Schweiß in Bächen über die Stirn. „Christenpflicht kann manchmal ganz schön anstrengend sein“, sagte Stenmark. „Aber wir haben es gleich geschafft.“ Verbissen schaufelten sie weiter. Als der Profos einmal kurz verschnaufte, sah er dicht neben der „San Jacinto“ heftige Bewegungen im Wasser. Neben dem Schiffsrumpf schien das Wasser zu kochen und zu brodeln. „Haie“, sagte Nils. „Die fallen jetzt über den Speck her.“ Die Grube war endlich fertig. Die vier Toten wurden hineingelegt. Dann schaufelten sie die Grube wieder zu und legten einen größeren Stein darauf. In der Nähe des Wracks pfeilten die Haie weiter durchs Wasser und gebärdeten sich wie toll. Der Profos empfahl die sündigen Seelen dem Herrn und kehrte zur Jolle zurück. „Vergeßt nicht, was der Kutscher gesagt hat“, mahnte er. „Wir sollen uns ordentlich die Hände waschen, damit wir nichts von dem lausigen Gift abkriegen.“ Sie wuschen sich ausgiebig die Hände, wie der Kutscher empfohlen hatte, stiegen in die Jolle und kehrten zur „Empress“ zurück. Old O'Flynn stand an Deck – mit roten Ohren und dickem Hals. Er war voll in Braß. „Ich überlege gerade“, sagte er grimmig, „ob wir diesen Bastarden nicht doch hinterher segeln sollen. Nach allem, was sie getan haben, sollte man ihnen einen Denkzettel verpassen. Wir schießen ihnen die Flöße zusammen und lassen sie an Land schwimmen. Dann sollen sie meinetwegen auf der nächstbesten Insel vergammeln. Die Halunken haben es nicht besser verdient.“ „Die Rachegefühle sind ja durchaus verständlich“, meinte der Kutscher, „doch inzwischen sind die Kerle längst über alle Berge. Sie stecken irgendwo südlich hinter
den Inseln. Wenn wir denen folgen, können wir den ganzen Tag bis zur Nacht mit der Suche verbringen, wobei es immer noch fraglich bleibt, ob wir sie überhaupt finden.“ Old O'Flynn wollte wieder mal mit dem Schädel durch die Wand und bedauerte lebhaft, daß sie die Strolche überhaupt hatten abziehen lassen. Aber schließlich siegte die Vernunft. „Keine Sorge“, sagte der Kutscher. „Wir werden sie schon noch wiedersehen. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, daß sie noch nicht aufgegeben haben. Warum sollen wir hinterhertörnen, wenn sie uns ohnehin einen Besuch abstatten werden? Wir werden auf der Hut sein und sie gebührend empfangen. Möglicherweise können wir schon für die heutige Nacht mit einem Überfall rechnen.“ Die Argumente des Kutschers überzeugten auch Old O'Flynn schließlich. „Gut“, sagte er, immer noch zornerfüllt. „Dann verholen wir jetzt auf gleicher Höhe zu der Galeone und legen uns vor der Westküste auf die Lauer. Danach können wir uns aufs Ohr hauen, um später gerüstet zu sein. Eine Wache genügt.“ Da von der „San Jacinto“ absolut keine Gefahr mehr drohte, hievten sie den Anker, setzten die Segel und verholten. Auf gleicher Höhe vor der aufgebrummten Galeone wurde dann erneut der Anker gesetzt. „Ich werd' glatt verrückt“, sagte Carberry, als die Karavelle ruhig vor Anker lag und sie Zeit hatten, sich umzusehen. „Schaut mal dort hinüber.“ Dabei wies er mit dem ausgestreckten Finger zu der Galeone hin. Was sie sahen, schockierte sie doch. Ganz in der Nähe, etwa zwanzig Yards von der „Empress“ entfernt, trieben zwei Haie. Sie hatten die Bäuche nach oben gedreht. Ihre aufgesperrten Mäuler schnappten haltlos ins Leere. Die großen Fische zuckten, als litten sie unter heftigen Krämpfen. Einer bewegte sich nur noch ruckartig durch das Wasser. Dann lag er wieder still da, zuckte erneut und raste im Zickzack hin und her. Das Spiel wiederholte sich ein paarmal hintereinander. Der große Fisch schoß danach bis auf den Grund, wühlte den Sand auf und kam schlingernd wie betrunken an die Oberfläche. Nach einer Weile rührte er sich nicht mehr. Der zweite Hai schien ebenfalls tot zu sein. Die Wellen trieben ihn langsam dem Ufer zu. „Die haben den durchwachsenen Speck gefressen“, sagte der Kutscher unbehaglich. „Das haben wir schon vorhin beobachtet.“ „Und der Speck war vergiftet“, fügte der Profos hinzu. „Dabei dachte ich, daß ihnen das nichts ausmacht. Jetzt stellt euch nur mal vor, daß wir von dem Zeug gemampft hätten! Dann würden wir uns jetzt ebenfalls in Zuckungen winden.“ Die Fische rührten sich nicht mehr. Mit ihren nach oben gerichteten hellen Bäuchen trieben sie immer näher ans Ufer. Zwei weiteren kleinen Haien schien es ähnlich zu ergehen. Einer donnerte wie benommen an den Rumpf der Galeone, daß das Geräusch deutlich bis zur „Empress“ hinüber zu hören war. Der andere raste wild durchs Wasser und schoß auf die Riffe zu. Dort verschwand er etwas später, ohne daß sie ihn noch einmal sahen. Nach einer weiteren halben Stunde hauchte auch der dritte Hai sein Leben aus. Auch er wand sich in wilden Zuckungen, bis er dicht vor die Bordwand der Karavelle trieb. „Das will ich genau wissen“, sagte der Profos. „Wir hieven ihn an Bord und sehen mal nach, was er im Magen hat.“ „Speck“, sagte der Kutscher lakonisch. „Was sonst! Genau daran ist er eingegangen.“
Dem Profos aber ließ das keine Ruhe. „Das muß ja ein fürchterliches Gift sein“, sagte er, „wenn schon Haie daran krepieren. Das hätte ich nie geglaubt.“ „Hievt den lieber nicht an Deck“, sagte Old O'Flynn schaudernd. „Nachher vergiftet er uns noch alle.“ „Da kann nichts passieren, Donegal. Wir sehen mal nach.“ Die Zwillinge waren wieder einmal voller Begeisterung bei der Sache. Sie brachten auch sogleich Taue herbei. Carberry streifte das Auge eines Taues dem vor der Bordwand treibenden Hai über den Schädel. Sven und Nils verfuhren mit dem Schwanzende des Haies ebenso. Dann packten alle mit an und hievten den Hai an Deck. Er war so lang wie ein ausgewachsener Mann und rührte sich nicht mehr. Der Profos erlebte jedoch eine üble Überraschung, als er sich mit dem Entermesser in der Faust über den Hai beugte. Er setzte gerade zum Schnitt an, als der Hai ganz überraschend lebendig wurde. Der große Fisch riß das Maul mit den gewaltigen Zähnen auf und schnappte zu. Gleichzeitig krümmte sich der Körper, und die Schwanzflosse holte zu einem gewaltigen Schlag aus. Gedankenschnell sprang der Profos vor dem zuschnappenden Kiefer noch rechtzeitig zur Seite. Doch dem Schlag mit der Schwanzflosse vermochte er nicht mehr auszuweichen. Ein gewaltiger Schlag säbelte ihm die Beine unter dem Leib weg. Edwin Carberry sauste quer über die Planken, verlor das Entermesser und donnerte mit dem Schädel an die Unterkante des Schanzkleides. Dort blieb er für ein paar Augenblicke liegen, als hätte ihn ein gewaltiger Schwinger von den Beinen gerissen. Der Hai aber begann an Deck zu toben. Er wand sich wie ein Riesenaal. Sein fürchterliches Maul öffnete und schloß sich. Der Leib zuckte wie wild, der Schwanz teilte Schläge nach allen Richtungen aus. Die Männer sprangen fluchend zur Seite. Old O'Flynn begann lautstark zu zetern. „Das habe ich gleich gewußt. Das Biest zertrümmert uns noch das ganze Schiff.“ Carberry berappelte sich und kam wieder auf die Beine. Dabei schüttelte er ärgerlich den Kopf. Ein ganzer Bienenschwarm hatte sich dort eingenistet und summte in den höchsten Tönen. Die Bordhündin Plymmie stürzte sich auf das zappelnde und um sich schlagende Monstrum. Sie knurrte heiser, hatte die Lefzen hochgezogen und versuchte, nach dem Hai zu schnappen. Wie wild stürzte sie sich darauf. Aber sie konnte keinen Biß anbringen, ihre Fänge schnappten jedesmal an der rauhen Haut vorbei und glitten ab. Old O'Flynn raufte sich inzwischen fast die Haare. Übergangslos hatte sich die Karavelle in ein Tollhaus verwandelt. Sir John schrie Zeter und Mordio, Plymmie schnappte nach dem Hai, und die anderen beeilten sich, den wilden Schwanzschlägen auszuweichen, die immer heftiger wurden. Old O'Flynn schnappte sich eine Pistole, visierte kurz an und feuerte auf den Hai. Aber der Schuß ging in der Aufregung in die Planken und jaulte als plattgedrückter Querschläger schräg in den nachmittäglichen Himmel. Fast hätte es dabei noch Sir John erwischt. Der Papagei flatterte fürchterlich schimpfend und zeternd hoch in die Luft. Das wiederum brachte den Profos in Braß. „Bist du verrückt, auf Sir John zu schießen!“ brüllte er.
Aber da war er bei Old Donegal an der richtigen Adresse. Der war jetzt auch geladen, weil das wilde Biest nicht zu bändigen war. „Dein Scheißhai!“ schrie er zurück. „Du bist verrückt, so ein Mistvieh an Bord zu hieven. Außerdem habe ich nicht auf deinen dreimal verdammten Aasgeier geschossen!“ Den Profos überfiel wilde und jähe Wut. Er hatte sich von dem Hieb immer noch nicht so richtig erholt, und jetzt wurde er äußerst aggressiv und angriffslustig. Er hob sein Entermesser auf, stürzte sich auf den zuckenden Fisch, rammte ihm das Messer in die Seite und zog es wild durch. Nils Larsen feuerte zugleich einen Schuß aus nächster Nähe in den Schädel des Haies ab. Ein letztes wildes Zucken, ein Aufbäumen erfolgte. Dann schlug der Schwanz nur noch einmal matt über Deck. Eine zweite Kugel, diesmal von Stenmark abgefeuert, gab dem Riesenfisch endgültig den Rest. „Aus und vorbei“, sagte der Kutscher erleichtert, als der Hai ruhig und blutend auf den Planken lag. Aber noch war gar nichts aus und vorbei, denn jetzt gerieten sich Old O'Flynn und der Profos wieder in die Haare. Der Profos war dabei allerdings etwas ungerecht. „Gar nichts ist vorbei!“ brüllte O'Flynn. „Jetzt haben wir die Sauerei an Deck, nur weil dieser Hornochse mal nachsehen wollte, was der Hai im Magen hat.“ „Und du Oberhornochse schießt auf unschuldige Vögel!“ röhrte Carberry. „Immer drauf, ohne Rücksicht auf Verluste!“ „Ich hab' nicht auf deine Krachente geschossen“, verteidigte sich der Alte stocksauer. „Ich hab' auf das Mistvieh gefeuert, aber das geht in deinen dösigen Schädel wieder mal nicht hinein. Der Hai hätte uns beinahe umgebracht.“ „Quatsch! Gar nichts hätte er! Ich hätte das Vieh schon erledigt!“ „Das hat man gesehen“, höhnte Old Donegal. „Der hat dir eins übergebraten, daß du fast über Stag gegangen wärst. Der Mist wird jetzt über Bord gefeuert. Noch bin ich der Kapitän.“ „Jetzt, nachdem er tot ist, hast du noch Angst vor ihm, was, wie? Du brauchst gar nicht dauernd zu betonen, daß du der Kapitän von diesem Geisterschlorren bist, das wissen wir längst.“ „Was heißt hier Geisterschlorren?“ empörte sich der Alte. „Na, ist das etwa kein Geisterschlorren? Haut klammheimlich ab und kehrt klammheimlich zurück.“ „Wärmt nur den alten Kram wieder und streitet weiter“, sagte der Kutscher ruhig. „Etwas anderes könnt ihr ja nicht. Wir werfen das Vieh über Bord, reinigen das Deck, und damit ist der Vorfall erledigt. Und ihr beiden Streithähne gebt euch die Hand und vertragt euch wieder.“ „Ha, dem werde ich meine Hand geben“, wetterte Old O'Flynn. „Der kriegt es glatt fertig und gibt sie nicht mehr zurück. Der hat doch zuviel Wind auf der Mühle, hat der.“ Der Kutscher nahm einen neuen Anlauf, weil es nicht so aussah, als würden die beiden Kampfhähne ihren unsinnigen Streit beenden. „Vielleicht tut's ein kleiner Schluck Rum zur Versöhnung.“ „Sagtest du Rum?“ fragte Old Donegal. „Das wäre direkt zu überlegen.“ „Aber erst, wenn ich dem Vieh den Bauch aufgeschnitten habe“, sagte Carberry. Seine Stimme klang jetzt ein wenig gedämpfter, seit er etwas von einem Versöhnungsschluck gehört hatte.
Schließlich einigte man sich darauf, daß man „einmal nachsehen“ würde. Immerhin war der Hai jetzt ungefährlich. Er würde auch nicht mehr ganz überraschend zum Leben erwachen, denn sein Blut färbte bereits die Planken rot. „Also gut“, sagte Old O'Flynn schließlich. „Dann fang endlich an, damit die Schweinerei ein Ende hat.“ Es gab keine sonderliche Überraschung, als der Mageninhalt des Hais auf den Planken lag. Er hatte große Teile der Speckseite aus dem Stück gesägt. Ansonsten fanden sie nur noch die vermatschten Überreste zweier kleinerer Tintenfische. Mehr enthielt der Haimagen nicht. Der Profos war's zufrieden, denn jetzt hatte er die Gewißheit, daß der große Fisch an dem vergifteten Speck eingegangen war. „Und wo ist die Buddel mit Rum?“ fragte er. „Die gibt es erst, wenn die Planken wieder sauber sind.“ In der Beziehung gab Old O'Flynn um keine Handbreite nach. Speck und restlicher Mageninhalt wurden durch die Speigatten über Bord befördert. Dann hievten sie den Fisch hoch und warfen ihn ebenfalls ins Wasser. Old O'Flynn paßte auf wie ein Luchs. Er selbst rührte keinen Finger, sondern sah nur zu. Kurz danach war auch das Deck wieder sauber geschrubbt.. Old O'Flynn betrachtete kritisch die Planken und schaute peinlich genau nach, ob nicht noch irgendwelche Reste von dem „Schweinkram“ zu finden waren, bis das dem Profos wieder auf die Nerven ging: „Was gibt's denn da ständig zu glotzen - hast du noch keine Schiffsplanken gesehen?“ „Ich will mich nur vergewissern, ob alles sauber ist und der Kahn später nicht nach toten Fischen stinkt.“ „So sauber waren deine Planken noch nie“, behauptete Carberry, was ihm einen zornigen Blick des Alten eintrug. Dann aber bequemte er sich doch, die Rumbuddel zu holen, und jeder setzte zu der üblichen Daumenbreite an. Hasard und Philip junior bedauerten dabei lebhaft, nicht so breite Daumen wie der Profos zu haben. „Jetzt kontrollieren wir noch die Drehbassen und legen Musketen bereit“, sagte Old O'Flynn. „Und dann können diese Fleischvergifter antanzen. Sie werden ihre helle Freude haben. Daß man mich vergiften wollte, das vergißt ein O'Flynn nie im Leben. Da bin ich verdammt nachtragend.“ Da es immer noch sehr warm war, legten sich ein paar der Männer einfach auf die Planken, um auf Vorrat zu schlafen. Niemand zweifelte daran, daß sie in dieser Nacht noch recht unliebsamen Besuch erhalten würden. Sie waren jedoch gewappnet und erwarteten ihre Gegner.
5.
Auf dem einen südwärts segelnden Floß hockte Acosta am Ruder und grinste verzerrt vor sich hin. Seine fünf anderen Kerle grinsten ebenfalls etwas mühsam. Sie waren heilfroh, so glimpflich davongekommen zu sein, und darüber palaverten sie jetzt auch noch. „Das sind vielleicht ein paar blöde Kerle“, sagte Dino, ein dickwanstiger Bursche mit plattgedrückter Nase. „Bei mir hätte es keinen Pardon gegeben. Ich hätte alle abgeknallt.“ Die anderen pflichteten ihm lebhaft bei. Auch der Stotterer, den sie wegen seiner Aussprache Tartamudo nannten, gab ihnen recht. Aber weil er immer so lange brauchte, um einen Satz herauszubringen, nahm ihn keiner für voll, und sie hörten ihm auch gar nicht erst zu. Aber es war bezeichnend für sie, daß sie jetzt groß herumtönten, seit sie ihre Freiheit wieder hatten. Beide Flöße segelten fast nebeneinander in Richtung Süden. Es war jetzt später Nachmittag, und eine laue Brise trieb die Flöße langsam über das Meer. Acosta warf immer wieder einen Blick zurück. Er sah das Wrack der „San Jacinto“ und achteraus von ihr die Karavelle. Dort waren die Kerle gerade dabei, etwas weiter achteraus zu verholen. Auch die fünf anderen sahen gespannt dem Manöver zu, konnten es sich allerdings nicht erklären. Noch etwas später sahen sie, wie ein Beiboot zu der zerschossenen Galeone gepullt wurde. „Einen Kieker hätten wir mitnehmen sollen“, sagte Acosta. Dann ließ er für einen kurzen Augenblick das Ruder los und rieb sich die Hände. „Jetzt gehen sie an Bord und werden eine Überraschung erleben. Die zweite wird noch folgen.“ Mittlerweile wußten alle Schnapphähne, was Acosta und Prado mit dem Proviant angestellt hatten. „Ich kenne doch die Kerle“, sagte Acosta. „Sobald sie in der Proviantlast stehen und den verlockenden Speck sehen, werden sie nicht widerstehen können und sich ein paar Scheiben absäbeln. Dann finden sie den Wein und den Rum, und aus lauter Freude werden sie sich das Zeug zu Gemüte führen. Ist doch überall das gleiche“, meinte er mit einer wegwerfenden und verächtlichen Handbewegung. „Ich würde es ja auch nicht anders halten. Aber die sind bald geliefert.“ Seine Begeisterung steckte die anderen jedoch nicht an. Sie hatten kein richtiges Vertrauen mehr zu ihm, weil alles, was er bisher angepackt hatte, schiefgegangen war. „Vielleicht sind sie schlauer, als wir denken“, sagte Esposito, ein Glatzkopf mit wildem Schnurrbart, der ihn brutal und hinterhältig aussehen ließ. „Was heißt hier: Schlauer als wir denken?“ fuhr Acosta den Kahlköpfigen an. „Wenn ich mir etwas überlege, dann überlege ich es richtig, weil ich Kerle von der Sorte genau kenne. Nach einer Weile kippen die aus den Latschen.“ Miguel, Dino und Esposito warfen Acosta einen Blick zu, der mehr als deutlich ausdrückte, was sie von ihm hielten. „Deine Pläne sind ja immer ganz gut“, meinte Miguel, „aber sie gelangen meist nicht zur Ausführung.“ Auf Acostas Stirn schwoll eine Ader dick an. Sein Gesicht begann sich heftig zu röten.
„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst“, drohte er. „Ich kann auf dich ohne weiteres verzichten.“ „Wenn du auf einen nach dem anderen verzichtest, dann hast du bald niemanden mehr, und es dürfte dir im Alleingang sehr schwerfallen, noch das Gold zu ergattern.“ „Das sieht nicht nur Miguel so“, sagte Esposito, „das sehen wir anderen auch so. Bisher sind wir immer nur auf die Schnauze gefallen, mehr haben wir noch nicht erreicht.“ Acosta merkte selbst, daß seine Führungsrolle immer mehr abbröckelte. Aber er konnte es sich nicht leisten, noch einen seiner Kerle kaltblütig umzulegen. Auf dem Floß hätte es einen Aufstand gegeben, und außerdem wußte er nicht genau, wie Prado reagieren würde. Acosta lenkte vorsichtig ein, denn auch die Kerle waren alle bewaffnet. Das Blatt konnte sich sehr schnell zu seinen Ungunsten wenden. „Viel haben wir nicht erreicht, das ist schon richtig“, sagte er. „Aber es wird sich bald einiges ändern, dann nämlich, wenn wir richtig zuschlagen.“ „Wir haben schon oft zugeschlagen, aber leider immer ins Leere“, sagte Dino. „Immer - immer - i - i - ins Lee -re“, wiederholte Tartamudo. „Halt du lieber dein Maul!“ schrie Acosta den Stotterer an. „Bis du ein dämliches Wort gequasselt hast, haben wir längst das Gold.“ Die Entfernung zur „San Jacinto“ wurde immer größer. Jetzt waren auch an Deck des Wracks keine Einzelheiten mehr zu erkennen. Sie sahen nur noch ganz undeutlich und klein zwei oder drei Gestalten, die aber auch bald aus ihrem Gesichtskreis verschwanden. Acosta versuchte sich weiterhin zu verteidigen, denn die gleichgültigen oder zweifelnden Blicke der Kerle ärgerten ihn maßlos. Sie taten so, als erzähle er Märchen, die sie schon hundertmal gehört hatten. „Wir sind zwölf Mann, haben zwei Flöße und sind alle gut bewaffnet“, zählte er auf. „Außerdem sind wir aus der Reichweite dieser Bastarde. Wir werden nachher eine der kleinen Inseln anlaufen und die Dunkelheit abwarten. Bei Nacht ist die Karavelle dann fällig. Wenn wir Glück haben, lebt von den Kerlen bis dahin keiner mehr.“ Für Acosta war das alles immer sehr einfach - jedenfalls in seinen eigenen Vorstellungen. Er war stur entschlossen, sich das Gold doch noch mit Gewalt zu holen. Aber schon etwas später erlebte er eine herbe Enttäuschung, obwohl seine eigenen Kerle fast schon wieder überzeugt waren, doch noch in den Besitz des Goldes zu gelangen. Die Enttäuschung bereitete ihm Prado. Auch auf seinem Floß befanden sich außer ihm fünf Kerle. Da waren Santos, Normando, Felipe, Senona und der listige Morro, letzter ein dürrer, aber zäher Kerl, der etwas mehr Verstand hatte als die anderen und auch immer überlegte, wenn er etwas tat. Auch sie unterhielten sich, aber auf andere Weise, als Acosta sich das vorstellte. Prado, der frühere Bootsmann der „Viento Este“, blickte aus schmalen Augen zu dem anderen Floß, wo Acosta an der Pinne hockte. Acosta hatte offenbar wieder mal Schwierigkeiten mit seinen Kerlen, denn er brüllte herum und pfiff den Stotterer an. Da drüben regte sich offener Widerspruch. Prado grinste sich eins. Seit sie abgesegelt waren, hatte er lange überlegt und längst einen Entschluß gefaßt. Er wollte das Gold natürlich auch, aber nicht auf Acostas Art - mit der Brechstange. Das war ihm viel zu riskant, denn auch er hatte vor den Kerlen auf der Karavelle einen höllischen Respekt. Zudem war es mehr als fraglich, ob Acostas „Vergiftungsmethode“ überhaupt klappen würde.
Morro hockte neben ihm mit übergeschlagenen Beinen. Zwischen den Beinen hatte er einen geladenen Blunderbuss liegen, mit dem er hin und wieder spielte. „Der hat wieder mal Ärger, der Versager“, sagte er. „Das dauert nicht mehr lange, dann gehen ihm die anderen an den Kragen. Ich bin jedenfalls von dem Kerl restlos bedient. Wir sind sechs Mann und können selbst bestimmen, was wir wollen. Oder siehst du das anders, Prado?“ „Du meinst - natürlich sehe ich das genauso. Mit anderen Worten: Ihr habt keine Lust mehr, euch Acosta unterzuordnen.“ Er sah die Kerle der Reihe nach lauernd an. Santos schüttelte nur stumm den Kopf, ebenso Felipe. Normando sagte es gleich etwas drastischer. „Ich auf keinen Fall. Wenn der mich noch einmal schief anglotzt, knall' ich ihm was in den Wanst, und das wird ein schönes rundes Stück Blei sein.“ „Wie siehst du das, Senona?“ „Mit dem Idioten haben wir nur Ärger gehabt, weiter nichts. Vom Gold sind wir immer noch so weit weg wie vom Mond. Alles nur großkotzige Versprechungen, und dann legt der Mistkerl auch noch die eigenen Leute um, wenn sie etwas sagen.“ „Und du, Morro?“ „Hab“ ich doch schon gesagt, oder? Beinahe hätte mich der Drecksack auch abgemurkst. Das liegt jetzt natürlich auch an dir, Prado“, fügte er hinzu. „Du hattest ja selbst schon genug Ärger mit ihm. Ich will mit ihm jedenfalls nichts mehr zu tun haben. Er ist allein schuld daran, daß alle Aktionen gescheitert sind und unser Schiff jetzt ein Trümmerhaufen ist. Wenn wir ihn los sind, können wir auf eigene Faust weitermachen. Der sitzt uns doch nur wie eine dicke Laus im Pelz und weiß alles besser.“ Damit war Acosta schon ausgebootet. Er wußte es nur noch nicht. Prado hatte sich schon länger mit dieser Aussicht befaßt. Sollte der Kerl seinen eigenen Weg gehen, sie würden ihren gehen und damit wesentlich besser fahren. „Also sind wir alle einer Meinung“, sagte er. „Dann soll Acosta die Karavelle eben selbst entern. Daran werden sie sich sowieso die Zähne ausbeißen.“ „Ganz klar“, sagte Morro eifrig. „Er glaubt nämlich, daß die Kerle auf der Karavelle so dämlich sind und sich einfach entern lassen. Die ahnen doch längst, daß wir nicht aufgeben. Die sind viel gerissener, als wir denken. Das haben sie ja bewiesen.“ Prado nickte nachdenklich. Der dürre Bursche hatte recht, der fiel nicht auf jeden Schmus herein. „Wir werden jedenfalls anders vorgehen, aber das werde ich euch nachher erklären.“ Der vorläufige Grund für Prados Schweigen war das andere Floß, das sich jetzt auf dem Törn nach Süden ihnen noch weiter näherte. Der Abstand betrug nur noch knappe zehn Yards. Acosta schien äußerst miese Laune zu haben, weil die Kerle nicht mehr so richtig nach seiner Pfeife tanzen wollten. Deshalb versuchte er jetzt, wieder alle unter einen Hut zu bringen. Acosta segelte noch ein bißchen näher an Prados Floß heran. Dann zwang er sich zu einem überlegenen Grinsen, obwohl ihm die Galle hochstieg, als er die abweisenden Gesichter der anderen sah. „Nur keine schlechte Laune!“ rief er hinüber. „Heute nacht haben alle unsere Sorgen ein Ende. Dann sind wir reich und haben Gold im Überfluß.“ „Ich kann den Scheiß von dem Kerl nicht mehr hören“, murmelte Morro. „Der ist nur am Rumtönen und schickt wieder die anderen vor.“
Den anderen erging es genauso. Auch sie konnten Acostas Wunschdenken nicht mehr hören. Es fiel ihnen auf die Nerven, weil es nur hohle Phrasen waren. „He, verdammt, nun reißt euch mal zusammen!“ rief Acosta. „Denkt daran, daß wir bald in Samt und Seide gehen werden und viele schöne Jungfrauen uns begleiten, die uns aus der Hand fressen.“ Er grinste dreckig bei seinen Worten. Die anderen grinsten mehr abfällig, denn Acosta drosch wieder mal Stroh und sah sich in Glanz und Gloria mit einer Schar Jungfrauen umherziehen. „Die Jungfrauen holt er sich aus den Kaschemmen in Havanna“, raunte Santos, „da gibt es ja genug.“ Aber Acosta tönte noch weiter, als seine Worte offenbar auf keinen fruchtbaren Boden fielen. „Zieht nicht solche Gesichter, ihr Bastarde. Es ist doch wohl klar, daß wir eisern zusammenhalten und noch in dieser Nacht die kleine Karavelle entern werden. Ein Klacks wird das! Alles klar?“ Prado sah ihm grinsend ins Gesicht. „Noch ist überhaupt nichts klar“, sagte er lässig. „Es ist nur klar, daß du bisher alles vermasselt hast.“ „Was, zum Teufel, soll das heißen?“ brüllte Acosta. Er ließ das Ruder fahren und starrte aus flammenden Augen zum anderen Floß. Aber Prado ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte von dem Kerl endgültig und für alle Zeiten genug. Auf dem anderen Floß spitzten sie überrascht die Ohren. „Das bedeutet, daß du wirklich alles, aber auch alles vermasselt hast!“ rief Prado zurück. „Aber wenn du die Karavelle heute nacht entern willst, bitte sehr, das kannst du ja tun, aber ohne mich und die anderen, die auf meinem Floß sind.“ Acosta glaubte, sich verhört zu haben. Dann wurde er fuchsteufelswild und grob. „Was hat das zu bedeuten, ihr verfluchten Hundesöhne? Wollt ihr etwa von der Fahne gehen?“ „Genau das haben wir vor. Frag' doch die anderen bei mir, sie werden es dir bestätigen: Sie haben die Schnauze endgültig voll von deinen so erfolgreichen Unternehmungen.“ „Das gibt es bei mir nicht!“ brüllte Acosta. „Nicht mit mir. Du wirst das gleich als erster bereuen - und ihr anderen auch!“ Acosta hatte eine wilde Wut gepackt. Jetzt wurde sie noch größer. Er bückte sich, griff nach einer Muskete und wollte damit auf den kalt grinsenden Prado feuern. Er hatte sie noch nicht richtig in der Hand, als er schluckend zu dem dürren Morro starrte. Der hatte ein noch besseres Argument in der Faust, denn er zielte mit einem Blunderbuss genau auf Acosta. Dabei grinste er höhnisch und überlegen. Acosta war sich darüber klar, daß ihn der Dürre bedenkenlos abknallen würde, sobald er die Muskete auch nur noch ein Stückchen höher hob. „Leg sie wieder hin“, sagte er gehässig. „Und warte nicht zu lange damit. Greif lieber zum Ruder.“ Immer noch schluckend, starrte Acosta zu seinen ehemaligen Kumpanen. Jetzt hatte sich die Restmannschaft der „San Jacinto“ geteilt und war endgültig auseinandergefallen. Er konnte es einfach nicht begreifen. „Du siehst also, daß sie von dir bedient sind“, sagte Prado, „und zwar restlos. Sie akzeptieren dich nicht mehr als Anführer.“ Die fünf Kerle nickten unisono und grinsten kalt. Morro hielt immer noch den Blunderbuss auf Acosta gerichtet.
Der selbsternannte Kapitän - jetzt weiß vor Wut im Gesicht - legte die Muskete wieder auf das Floß zurück. „Ohne mich werdet ihr nie an das Gold gelangen“, drohte er mit vor Wut heiserer Stimme. „Ihr habt es auch noch nicht.“ „Aber du hast es, was?“ „Ich kriege es, das weiß ich.“ „So, wie du alles bisher gekriegt hast“, höhnte Morro. „Du hast nur Sand in den Stiefeln vom vielen Herumlatschen, mehr nicht. Und mehr wirst du auch nicht kriegen.“ Von Acostas Kerlen muckste sich kein einziger. Sie hockten nur da und starrten abwechselnd von einem zum anderen. „Überlegt es euch noch einmal“, sagte Acosta mit erzwungener Ruhe. „Wenn wir nicht zusammenhalten, dann läuft auch nichts. Aber ich werde euch zu dem Gold führen.“ Von Prados Floß erklang Gelächter, erst leise, dann lauter werdend, was Acosta zur wilden Verzweiflung trieb. Obwohl der Blunderbuss auf ihn gerichtet war, bückte er sich erneut und wollte nach der Muskete greifen. „Er will unbedingt ein Loch in seinem verdammten Schädel haben“, sagte Morro mit gellendem Lachen. Acosta ließ die Muskete fallen, als sei sie aus glühendem Eisen. Der Dürre war auch schon drauf und dran, abzudrücken und hätte sicher keinen Augenblick gezögert. „Na schön“, knirschte Acosta. „Dann fahrt zur Hölle! Der Teufel soll euch alle holen, und wenn ihr Bastarde je wieder meinen Kurs kreuzt, dann gibt es Zunder.“ „Das gilt auch für dich“, sagte Prado. „Paß auch gut auf, daß dir nicht ein paar von deinen Kerlen ins Kreuz springen, wenn du dich umdrehst.“ Er stänkerte noch ein bißchen, um die anderen aufzuhetzen, doch die meisten hatten noch Angst vor Acosta. Sie ergriffen allerdings auch nicht seine Partei und blieben sehr wortkarg. Dann winkte Prado Acosta lässig mit der Hand zu, als wolle er ein paar Hühner verscheuchen. Acosta änderte den Kurs, zähneknirschend und von einer berstenden Wut erfüllt. Am liebsten hätte er Prado und seine fünf Kerle vom Floß geschossen, doch das Kräfteverhältnis war gut verteilt, denn auch die anderen waren alle bewaffnet. „Nun reg dich wieder ab“, sagte Dino kleinlaut. „Wir brauchen die anderen ja nicht unbedingt.“ Acosta war so von Wut erfüllt, daß er eine ganze Weile lang nicht antworten konnte. Mit Haß in den Augen starrte er dem Floß nach, auf dem die „Fahnenflüchtigen“ und „Abtrünningen“ hockten und in aller Seelenruhe dem weißen Strand einer Insel zupaddelten. „Ich lege diesen Schweinehund um“, sagte Acosta heiser. Er wollte schon wieder zur Muskete greifen, aber Esposito drückte den Lauf mit sanfter Gewalt zur Seite. „Bringt doch nichts ein“, sagte er ruhig. „Die zielen im Augenblick mit vier Musketen auf uns.“ Acosta hatte das in seiner grenzenlosen Wut nicht einmal bemerkt. Jetzt sah er, daß vier grinsende Kerle höhnisch über ihre Musketen das Floß anvisierten. Da legte er die Waffe mit einem Fluch zurück. In seinen Augen aber loderte ein unversöhnliches Feuer, das vom Haß genährt war.
„Drecksbande, verfluchte“, knurrte er. „Aber wir schaffen es auch allein, ohne die Mistkerle.“ „Richtig“, stimmte Miguel zu. „Du wolltest uns doch noch deinen Plan verklaren.“ So langsam beruhigte Acosta sich wieder. „Ja, ich habe vor, die Insel da drüben anzulaufen.“ „Da, wo Prado hin will?“ „Nein, verdammt, die andere da drüben. Dort können uns die Kerle von der Karavelle nicht sehen. Auf der Insel warten wir die Dunkelheit ab und kehren dann wieder zurück. Bei der richtigen Finsternis entern wir die Karavelle, nachdem wir uns rangepirscht haben.“ „Wir sind aber nur sechs Mann“, gab Dino zu bedenken. „Das weiß ich selbst. Aber ich will das Gold haben, bevor es den anderen Dreckskerlen in die Finger fallt. Deshalb entern wir eben mit nur sechs Mann. Das hat auch gleich noch den Vorteil, daß wir dann um so schneller das Gold kriegen.“ Miguel und Esposito kratzten sich die Schädel, weil sie Acostas Gedankengänge nicht ganz begriffen. Die drei anderen sahen ebenfalls verunsichert aus. „Das kapiere ich nicht ganz“, sagte Miguel lahm. „Wieso kriegen wir das Gold dann schneller?“ Acostas Gesicht nahm wieder einen hinterhältigen Ausdruck an. Er grinste jetzt auch etwas schief, denn er glaubte, wieder einmal ganz genial zu handeln. „Ganz einfach. Wenn wir entern, dann schnappen wir uns den erstbesten Kerl, überwältigen ihn und nehmen ihn in die Mangel. Dann werden die anderen schon aufstecken, wenn sie nicht das Leben ihres Kumpans riskieren wollen.“ „Und wenn sie es trotzdem tun?“ So ganz waren die anderen von der Theorie des schnellen Goldes noch nicht überzeugt. „Stellt keine dämlichen Fragen“, sagte Acosta. „Dann schnappen wir uns eben den nächsten Kerl. Ich möchte wissen, was da schiefgehen soll! Wir müssen nur vorsichtig sein.“ Einer hatte aber doch noch Einwände, und das war der glatzköpfige Esposito, der mißtrauisch Acosta anblickte. „Da sind immer noch zwei Sachen, die mir nicht gefallen. Die Kerle haben Drehbassen an Bord. Wenn sie uns rechtzeitig bemerken, dann werden sie uns mit Blei beharken, daß es nur so raucht.“ „Wir werden eben so leise heransegeln, daß sie uns nicht bemerken. Und was mißfällt dir sonst noch?“ „Die Sache mit Prado. Was tun wir, wenn wir mit dem gleichzeitig bei der Karavelle sind?“ „Sind wir nicht“, behauptete Acosta. „Wir werden eher da sein, weil wir eher aufbrechen. Von dem Gold werden Prado und seine Dreckskerle überhaupt nichts sehen, und wenn sie glauben, sie könnten es uns später auf die laue Tour abnehmen, dann sind sie geliefert.“ „Hoffentlich geht alles glatt“, sagte Miguel zweifelnd, aber auch diese Bedenken räumte Acosta schnell aus. „Sicher geht alles glatt. Einesteils bin ich ganz froh, daß Padro mit den anderen Bastarden verschwunden ist. Das hat für uns nämlich noch einen weiteren Vorteil.“ Die anderen hörten wieder interessiert zu, denn Acosta sprach diesmal mit solcher Sicherheit, als hätten sie das edle Metall bereits eingesackt. „Welchen Vorteil?“ „Na, überlegt doch mal: Wenn die sechs Kerle weg sind, brauchen wir das Gold auch nicht mit ihnen zu teilen. Dann gehört uns alles.“
Rein rechnerisch hörte sich das gut an. Es gab nicht mehr Hälften, sondern nur noch eine Masse, die durch sechs geteilt werden mußte, obwohl sich Acosta als der Initiator wohl den größten Teil der Beute bewilligen würde. Aber dann hatten sie immer noch genug. Schließlich war es eine ganze Schiffsladung voller Goldbarren, die auf sie wartete. Sie steuerten die Nachbarinsel an und zogen das Floß auf den Strand. Die Dunkelheit war schon zu ahnen. Nicht mehr lange, und die Sonne würde hinter der westlichen Kimm verschwinden. Acosta rieb sich die Hände und freute sich auf die Dunkelheit. Wenn ihnen nur einer der Kerle in die Finger fiel, dann konnten sie ihn so lange in die Mangel nehmen und piesacken, bis er das Versteck mit dem Gold verriet. Das waren Acostas Gedanken, und daher konnte er es kaum erwarten, endlich loszuschlagen. * Auf der anderen Insel rieb man sich ebenfalls die Hände. „Den Dreckskerl sind wir los“, sagte Prado zufrieden. „Sollen sie nur entern und sich die Schädel einrennen. Die haben offenbar die Drehbassen auf der Karavelle vergessen. Sobald die lieben Freunde bemerkt werden, ist es aus mit ihnen. Die Kerle werden sie wegputzen wie alte Lappen.“ „Hoffentlich“, sagte Senona, ähnliche Gedanken hegend wie Acosta. „Dann wird der Batzen für uns auch größer bei der Teilung.“ Das freute auch die anderen sehr. „Weiter, weiter“, drängte Santos, „was tun wir dann?“ „Ich bin davon überzeugt, daß sich das Gold nach wie vor auf der Insel befindet, wo wir mit der ,San Jacinto' gestrandet sind. Das ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche. Es kann gar nicht woanders sein.“ Darin stimmten ihm alle zu. „Keiner wird so dämlich sein und sich damit abplagen, das Gold auf eine andere Insel zu schaffen“, meinte Normando. „Richtig, das können wir voraussetzen. Wir werden daher auch in der Nacht zurückkehren, aber nicht, um die Karavelle zu entern, denn das dürfte uns nichts einbringen, wie ich schon gesagt habe.“ „Du willst Acosta das Gold holen lassen und es ihm dann bei günstiger Gelegenheit abnehmen?“ fragte Santos. „Der hat es noch gar nicht. Wir werden die Insel anlaufen und uns dort festsetzen, um alles genau zu beobachten. Das kann ruhig einige Zeit dauern.“ Er sah Enttäuschung in den Gesichtern und schüttelte den Kopf. „Ich habe doch gerade eben gesagt, daß das Gold auf der Insel und nicht auf der Karavelle ist. Aber diese Kerle werden das versteckte Gold ja auch irgendwann einmal holen. Dazu müssen sie dann allerdings erst an Land gehen. Diese Gelegenheit warten wir ab und schlagen dann zu, wenn sie nicht mehr damit rechnen. Dann haben wir zumindest ein oder zwei Kerle in der Hand. Und daß die uns das Lied vom Gold singen werden, das verspreche ich euch, wenn wir sie danach sehr höflich fragen. Aus einem Kerl kriegt man alles heraus, wenn man es nur richtig anstellt. Dafür habe ich ein paar feine Methoden, denen auch der stärkste Kerl nicht standhält. Haben wir ein paar von den Kerlen, ist die Gruppe aufgesplittert. Ein paar an Land, ein paar auf dem Schiff. Der Vorteil liegt dann ganz klar auf unserer Seite, denn mit den Drehbassen können sie schließlich nicht an Land. Wir liegen in der besseren Position. Erst danach werden wir uns überlegen, wie wir
weiter vorgehen. Alles andere ist vorerst müßig. Das muß sich aus der Handlung selbst ergeben. Wir haben also erst einen Teil des Planes zu erfüllen, woraus sich der andere entwickelt. Das ist besser, als blindlings anzugreifen.“ Jetzt waren alle am Feixen und am Grinsen, denn Prados Plan schien wesentlich erfolgreicher zu werden als Acostas Hauruck-Methode. Sie wünschten ihren Kumpanen nur noch, daß sie sich blutige Köpfe holten. Inzwischen war das Floß auf den Strand gelaufen. Mit vereinten Kräften zogen sie es noch ein Stück höher hinauf. Von Acosta war nichts mehr zu sehen, von der „San Jacinto“ und der Karavelle ebenfalls nicht. Sie konnten hier erst einmal in aller Ruhe abwarten und es sich gemütlich machen. Sie hockten sich erwartungsvoll an den Strand und holten ihre Vorräte vom Floß. „Kalte Verpflegung“, sagte Prado, „ein Feuer können wir uns hier nicht erlauben, man würde es sehr weit sehen. Aber wenn wir Rotwein dazu trinken, rutscht es auch ganz gut hinunter.“ „Gut, daß wir uns für dich entschieden haben“, sagte Santos. Er säbelte sich eine Speckscheibe ab, kaute etwas Hartbrot dazu und spülte mit Rotwein nach. Die anderen mampften drauflos und freuten sich, daß sie sich bald jeden Wunsch erfüllen konnten. Dann starrten sie in den Sonnenuntergang und sahen zu, wie die Riesenscheibe scheinbar im Meer versank. Jetzt war nur noch ein kleiner Bogen übrig, der rasch tiefer glitt und schließlich auch verschwand. An der Kimm standen nur noch bunte Wolken in den Farben Orangerot und Tieflila, die immer mehr in Schwarz übergingen. Dann war die Nacht da. „Wer will, der kann sich ein paar Stunden hinlegen“, sagte Prado. „Einer geht den Strand ab, damit wir keine Überraschungen erleben.“ „Die Karavelle segelt bestimmt nicht hierher“, sagte Santos. „Ich denke an unseren lieben Freund. Dem traue ich viel eher zu, daß er heimlich heransegelt und einen kleinen Feuerzauber auf uns veranstaltet.“ Schlafen wollte keiner, denn Acosta trauten sie nicht über den Weg. Der kriegte es in seinem Haß fertig und stattete ihnen einen blitzschnellen Besuch ab. Daher gingen Morro und Senona die erste Runde Wache und wechselten sich später mit zwei anderen ab. Gesprächsthema war das Gold, und wie sie es einmal anlegen wollten. Darum drehte sich alles.
6.
Acosta hatte es furchtbar eilig. Ihm brannte die Zeit unter den Nägeln, weil er nicht wußte, wann Prado aufbrechen würde, denn der steckte ebenfalls nicht auf und würde bei nächster Gelegenheit zuschlagen. „Los, hoch mit euch“, sagte er zu seinen Kerlen. „Wir müssen so früh wie möglich da sein, sonst haben wir die verdammten anderen Kerle vor uns. Beeilt euch gefälligst, gleich haben wir goldene Nasen.“ Das Gold trieb die dösenden Kerle augenblicklich hoch. Sie schoben das Floß ins Wasser, setzten das Segel und fuhren los. „Wir haben Ostwind“, sagte Acosta, der wieder das Ruder übernommen hatte. „Dann sind wir auch schneller da. Möglicherweise ist von den Kerlen jetzt keiner mehr am Leben oder nur noch einer oder zwei.“ „Wenn die nicht mehr am Leben sind“, sagte Dino bedächtig, „dann sieht es für uns beschissen aus.“ „Wieso das denn?“ fragte Acosta leise lachend. „Dann haben wir doch alles, was wir brauchen.“ „Eben nicht - das Gold haben wir nicht, und niemand wird uns verraten können, wo es steckt.“ Ein paar Augenblicke lang herrschte absolutes Schweigen auf dem Floß. Jeder dachte intensiv nach. Sogar Acosta war für kurze Zeit betroffen, doch dann fing er sich wieder. „Quatsch! Wenn die Kerle abgenippelt sind, haben wir keine Gegner mehr, aber ein wehrhaftes Schiff, das gut bestückt ist. Damit können wir Prado und die anderen Bastarde erledigen. Das Gold suchen wir dann in aller Ruhe. Es muß ja auf der Insel sein. Zeit und Ruhe haben wir ebenfalls. Von mir aus können alle abgenippelt sein.“ Das beruhigte die anderen Kerle wieder. Die Nacht war nicht schwarz, wie sie es sich gewünscht hatten, doch es gab Wolkenbänke am Himmel, und der Mond ließ sich auch nicht blicken. Etwas später sahen sie die Umrisse der Karavelle. Acosta nahm das Segel weg und ließ das Floß langsam weitertreiben. „Keine Unterhaltung mehr“, raunte er den anderen zu. „Sieht so aus, als hätten die Kerle nicht mal eine Wache aufgestellt. Oder sie sind doch alle erledigt.“ Er sah sich lauernd nach allen Seiten um, aber von dem anderen Floß war keine Spur zu sehen. Demnach war Prado also noch unterwegs, oder er wollte noch länger warten. Immer wieder beobachtete Acosta die Karavelle, auf der sich nichts rührte, kein Licht brannte und sich niemand zeigte. Bei dem Gedanken, daß sie alle an dem vergifteten Proviant zugrunde gegangen waren, grinste er höhnisch. Jetzt würde es nicht mehr schwer sein, sich der Karavelle zu bemächtigen. Seine Kerle grinsten ebenfalls bei der Vorstellung, bald im Besitz des Goldes und der Karavelle zu sein. Die Waffen hatten sie griffbereit zur Hand. * Nach dem Einbruch der Dunkelheit waren Old O'Flynn und seine Crew auf alles gefaßt. Sie wußten, daß etwas passieren würde, nur den Zeitpunkt kannten sie nicht. Die Drehbassen waren feuerbereit, ebenso die anderen Waffen, die griffbereit dalagen.
Eine Stunde nach der anderen war vergangen. Die Zwillinge schauten abwechselnd durch das Spektiv. „Die lassen sich aber verdammt viel Zeit“, meinte der Kutscher. „Die werden doch nicht etwa geläutert und gereinigt verschwunden sein? Das kann ich mir absolut nicht vorstellen.“ „Die Flöße sind ja auch keine Schnellsegler“, sagte Martin Correa. „Die brauchen selbst bei dem guten Ostwind eine Weile, bis sie herangetörnt sind.“ Nach abermals einer Stunde meldete sich Philip junior. „Da sind sie, 'noch ziemlich unten im Süden. Aber es ist nur ein einziges Floß zu sehen.“ „Dann spielen wir ihnen zum Tanz auf“, sagte Old Donegal entschieden. „Wir feuern, sobald sie auf Musketenschußweite heran sind. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob die Kerle nicht ein paar Waffen auf die Flöße geschmuggelt haben.“ „Pardon gibt's jedenfalls nicht mehr“, sagte Carberry, „die Kerle wollen uns an den Kragen, und ich sehe nicht ein, daß wir sie immer wieder schonen sollen.“ Nils, Sven, Stenmark und Carberry hatten die Drehbassen der Steuerbordseite besetzt und warteten. Sie hielten sich so, daß sie von dem Floß aus nicht gesehen werden konnten. Für die Angreifer mußte das aussehen, als sei nicht einmal eine Wache an Bord. Kurz darauf war zu erkennen, daß auf dem Floß das Segel weggenommen wurde. „Jetzt wollen sie sich anpirschen“, sagte Carberry, „die müssen uns für ziemlich bescheuert halten.“ Das Floß trieb nur noch langsam näher, seit das Segel weggenommen worden war. Aber es behielt die Richtung bei. Old Donegal und die Zwillinge stierten sich die Augen nach dem anderen Floß aus. Es mußte den gleichen Kurs segeln, wenn es die „Empress“ erreichen wollte, aber es war nicht zu sehen. Sie wunderten sich darüber und fragten sich, was die Kerle wohl vorhaben mochten, denn es war ungewöhnlich, daß nur sechs Mann die „Empress“ entern wollten. Eine Gestalt auf dem Floß richtete sich auf und schien scharf zur Karavelle zu starren. Eine zweite richtete sich ebenfalls langsam und vorsichtig auf. „Sieht aus, als hielten sie Musketen in den Händen“, sagte Hasard junior leise, „aber so genau kann ich das leider nicht erkennen.“ Der Abstand verringerte sich langsam. Haargenau trieb das Floß auf die Steuerbordseite der „Empress“ zu. Eine Wolkenwand zog vorüber. Für Augenblicke wurde die Sicht so schlecht, daß sie nicht einmal mehr das Floß sahen. Dann konnten sie es wieder erkennen und auch die sechs Gestalten, die jetzt alle zusammengekauert auf den Planken hockten. „Feuer“, sagte Old O'Flynn, als das Floß auf Musketenschußweite heran war. Die Schwärze der Nacht wurde jäh von vier überaus grellen Blitzen zerrissen. Vier lange Feuerzungen leckten aus den Drehbassen. Dann rollte der Donner über die See. Ein Blei- und Eisenhagel fegte mit vernichtender Gewalt über das Wasser und schlug auf dem Floß ein. Der Hilfsmast zersplitterte und flog in hohem Bogen davon. Ein Kerl schrie laut und brüllend auf. Das Floß schwankte, und ein weiterer Mann stürzte ins Wasser. Innerhalb von Sekunden befanden sich vier der Angreifer im Wasser. Sie gingen unter und tauchten auch nicht mehr auf.
Zwei andere, Dino und Acosta, hatte es ebenfalls erwischt. Ihr letzter Eindruck war der eines endlos langen Blitzes gewesen. Mehr hatten sie nicht gesehen, und auch die Einschläge der Blei- und Eisenkugeln nicht mehr gespürt. Jetzt saßen die beiden letzten Gestalten in sich zusammengesunken und tot auf dem Floß. Die Drehbassenladung hatte ausgereicht, alle sechs Angreifer außer Gefecht zu setzen. Carberry blickte an der Drehbasse vorbei. Die beiden Dänen und der Schwede Stenmark sahen ebenfalls zu dem Floß. „Aus und vorbei“, sagte Old O'Flynn mit harter Stimme. „Die Kerle waren nicht zimperlich, und wir sind es auch nicht. Wir hatten keine Veranlassung, die Schnapphähne zu schonen. Sie haben es selbst nicht anders gewollt.“ Die beiden zusammengesunkenen Gestalten rührten sich nicht mehr. Das Floß trieb jetzt langsam und teilweise zersplittert in Richtung Westen davon. Sie blickten ihm nach, bis es die Dunkelheit nach einer Weile verschluckte. „Wo, bei allen Nachtgeistern, bleibt nur das andere Floß?“ fragte Old O'Flynn verwundert. „Warum war es bei dem Angriff nicht dabei? Da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu.“ Der Kutscher hatte bereits darüber nachgedacht und glaubte, auch ein Ergebnis zu haben. „Wir wissen ja nicht, welche Kerle auf diesem Floß waren. Wir wissen nur, daß es sechs waren, die uns überfallen wollten. Aber die sechs Kerle auf dem anderen Floß hatten dem früheren Steuermann von der ‚Viento Este' schon den Gehorsam aufgekündigt. Ansätze zur Aufmüpfigkeit haben wir ja beobachten können. Die Kerle haben sich ganz einfach zerstritten, und so geht jeder seiner eigenen Wege. Das ist die plausibelste Erklärung, die ich habe. Deshalb sind die anderen nicht dabei und kochen jetzt ihr eigenes Süppchen.“ „Ja, so könnte es sein“, sagte Stenmark, „das würde erklären, warum die sechs Halunken allein angreifen wollten. Der eine hatte Stunk mit diesem Acosta und hat fünf Kerle um sich geschart. Die fünf anderen sind bei dem anderen Kerl geblieben.“ Old O'Flynn seufzte leise und starrte zu den Zwillingen, die immer noch abwechselnd durch das Spektiv spähten. „Nichts zu sehen?“ „Nein gar nichts. Auch das Floß ist jetzt im Westen verschwunden.“ „Behaltet die westliche Richtung trotzdem hin und wieder im Auge“, empfahl er. „Die kehren sicher nicht mehr zurück“, sagte Carberry. „Die letzten beiden sind tot, die hat es erwischt.“ Old O'Flynn aber war ein mißtrauischer Mann. „Vielleicht hat er sie doch nicht erwischt und sie spielen jetzt den toten Mann, und kommen dann zurück.“ „Tote kehren nicht mehr zurück“, sagte Martin. „Ich habe deutlich gesehen, wie der kleine Mast zersplitterte, neben dem die beiden saßen. Sie sind schlagartig zusammengesunken, als hätte der Blitz sie gefällt.“ „Das habe ich auch gesehen“, sagte Nils. „Die Befürchtung brauchen wir nicht zu haben.“ Schließlich war Old O'Flynn selbst davon überzeugt, jedenfalls sagte er das, konnte sich aber den Blick in westliche Richtung doch nicht verkneifen. Der Kutscher nahm den Faden wieder auf und sagte: „Diese anderen sechs Kerle sind vermutlich nicht gerade zu Lämmern geworden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie jetzt auf das Gold verzichten werden.“
„Das kann ich mir auch nicht vorstellen“, sagte Sven. „Solche Buschklepper geben doch nicht auf, und wenn sie sich zehnmal blutige Nasen holen. Der Kutscher hat recht - wir müssen mit weiterem Besuch rechnen.“ „Damit rechne ich sowieso“, brummte Old Donegal. „Sechs großmäulige Helden werden noch mal einen Versuch wagen. Deshalb bleiben wir auch gefechtsbereit. Am besten, wir stellen zwei Posten auf, die pausenlos beobachten.“ Carberry reckte seinen mächtigen Brustkasten. „Vielleicht hält die anderen Schnapphähne das Drehbassenfeuer ab. Sie müssen es auf jeden Fall gehört haben, wenn sie nicht gerade auf den Ohren sitzen. Kann sein, daß diese Nacht kein Überfall mehr erfolgt und die Kerle fürs erste die Hosen voll haben.“ „Darauf verlasse ich mich lieber nicht.“ „Sollst du auch nicht“, sagte Carberry, „wir stellen zwei Wachen auf und beobachten. War ja nur eine Vermutung von mir.“ Die Drehbassen waren inzwischen wieder feuerbereit. Auch die nächste Gruppe Schnapphähne würde eine herbe Enttäuschung erleben. Sie wußten zumindest, daß sie sich nicht ungesehen heranpirschen konnten, und sie durften auch mit Sicherheit annehmen, daß ihre Kumpane das Zeitliche gesegnet hatten, wenn sie logisch denken konnten. Vielleicht waren diese Kerle etwas schlauer als die anderen. Jene, die keine Wache hatten, legten sich neben den Drehbassen auf die Planken, um ein paar Stunden zu schlafen. Edwin Carberry behielt mit seiner Vermutung recht. In dieser Nacht blieb alles still und ruhig. Das abgetriebene Floß kehrte nicht mehr zurück, und auch die anderen Kerle ließen sich nicht blicken.
7.
Im Gegensatz zu Acosta hatte Prado die Ruhe weg. Er wollte auch nichts überstürzen, sondern sorgfältig planen und vorgehen. Sie hatten es sich am Strand bequem gemacht und dösten oder lungerten ganz einfach herum. „Acosta segelt los“, meldete Senona aufgeregt. „Der Kerl will uns unbedingt zuvorkommen.“ „Laß ihn nur segeln“, sagte Prado abfällig. „Wir haben es nicht so eilig wie dieser Narr. Er wird sowieso nicht viel erreichen.“ Sie sahen zu, wie das Floß als undeutlicher und nur schwach erkennbarer Schatten durch das Wasser glitt. Da der Wind aus Osten mitschob, lief es einigermaßen gute Fahrt. „Der Idiot“, sagte Prado, „der lacht sich jetzt eins ins Fäustchen, weil er sich mal wieder für sehr klug hält. In Wirklichkeit ist er ein dämlicher Hornochse, der alles vermasselt.“ „Wann ziehen wir denn los?“ fragte Santos. „Wir warten mindestens noch ein oder zwei Stunden. Acosta soll auch nicht bemerken, wann wir lossegeln. Der Affe soll sich ruhig den Kopf zerbrechen. Haut euch noch hin, wir brauchen auch keine Posten mehr. Wir wissen ja, was los ist.“ Als das Floß längst außer Sicht war, stand Prado auf und wanderte ein Stück am Meer entlang. Dann kehrte er in aller Ruhe zurück und nickte den anderen zu. „Zwei Stunden sind ungefähr herum. Wir werden jetzt lostörnen, und zwar laufen wir die Ostseite der Insel an. Dort werden wir das Floß verstecken und tarnen, damit es niemand sieht.“ Die Kerle waren wieder eifrig bei der Sache und Feuer und Flamme, als sie das Floß ins Wasser schoben. Dann wurde das Segel gesetzt, und Prado übernahm das Ruder in Form eines achtern ausgebrachten Riemens. Eine Stunde lang segelten sie etwa. Dann zuckten alle wie unter einem gewaltigen Hieb zusammen. Normando bewegte sich so heftig, daß er fast vom Floß gefallen wäre. Der Himmel wurde weißlichgelb, dann orangefarben und schließlich blieb nur ein dumpfes Nachleuchten zurück. Dem Blitz folgte viermal hintereinander, unwahrscheinlich schnell, ein Donnern und Krachen. „Mann!“ brüllte Santos. „Jetzt hat es die aber...“ „Maul halten“, rief Prado. „Kein Wort mehr!“ Die Kerle schwiegen überrascht, während er mit vorgerecktem Schädel in die Dunkelheit lauschte. Er glaubte, einen ganz schwachen Schrei gehört zu haben. Das Donnern war längst verhallt, und über allem lag die Dunkelheit. Bis auf den leisen und sanften Wellenschlag war es unheimlich still. Die Kerle stierten immer noch zum Himmel, wo als Spiegelung das Feuer aufgezuckt war. Jetzt begann Prado breit zu grinsen. Er schlug Senona auf die Schulter und lachte laut. „Haha, ich könnte mich totlachen! Jetzt kannst du sagen, was du wolltest, Santos. Die Idioten hat es in die Luft geblasen, weggepustet. Die sind erledigt, diese Klugscheißer und Anfänger. Fein ist das, da kann ich die anderen Kerle nur beglückwünschen.“ „Woher willst du das so genau wissen, daß sie erledigt sind?“
„Weil ich denken kann, und es ganz einfach ist. Das war Drehbassenfeuer, und zwar viermal ganz kurz hintereinander. Acosta hat aber keine Drehbassen auf dem Floß, oder? Folglich sind die Halunken gesichtet und in die Luft geblasen worden.“ „Aber sie haben doch Musketen.“ „Sie haben nur nicht damit zurückgeschossen, weil sie dazu nicht mehr in der Lage waren. Es muß sie blitzartig erwischt haben, oder hat einer von euch einen Schuß gehört?“ Niemand hatte auch nur einen Musketenschuß gehört. „Und die Drehbassen haben auch nicht weitergefeuert“, belehrte Prado die anderen. „Weil die Kerle nach dem Beschuß nämlich gleich erledigt waren.“ „Stimmt genau“, sagte Morro, und dann begann er schrecklich laut zu lachen, bis auch die anderen in das Gelächter einstimmten. Prado schlug sich immer wieder auf die Schenkel. Die unliebsame Konkurrenz war aus dem Wege geräumt. Jetzt konnten sie endlich allein absahnen, ohne groß teilen zu müssen. Es war für sie auch bezeichnend, daß sie über den Tod ihrer Kumpane in rauhes und rohes Gelächter ausbrachen und die Schadenfreude sehr groß war. „Jetzt wird nur noch durch sechs geteilt, und dann kann jeder mit seinem Gold anfangen, was er will.“ Wieder folgte Prados Worten befreiendes Gelächter. Gegen drei Uhr morgens erreichten sie die Ostseite der Insel und zogen das Floß auf den Strand. Prado und Morro sahen sich um. Sie entdeckten gleich darauf eine Stelle mit dichtem Buschwerk und nickten sich zu. „Dort verstecken wir das Floß. Da kann es niemand sehen.“ Das Floß wurde hochgehoben und zu dem Dickicht geschleppt. Dahinter befand sich eine kleine Lichtung, die nur von oben einsehbar war. Selbst vom Strand aus konnte man nichts erkennen. „Nehmt jetzt die Waffen und den Proviant mit“, befahl Prado. „Und dann zischen wir ab zur Westseite der Insel, wo der Kahn liegt. Dort werden wir vorerst die Beobachter spielen und abwarten, bis ein paar der Kerle an Land gehen.“ Nachdem sie alles zusammen hatten, überquerten sie die Insel und stießen zur Westseite vor. Oberhalb des Strandes fanden sie einen hervorragend gegen Sicht geschützten Platz, hinter dem sie in Deckung gingen. Es war jetzt kurz vor Sonnenaufgang. Die Sicht war schon besser geworden, so daß sie Einzelheiten erkennen konnten. „Hier werden die uns nie vermuten“, sagte Prado. „Die warten doch sicher darauf, daß wir von See her angreifen wie der selige Acosta und seine dämlichen Genossen. Gott hab' sie selig.“ Wieder lachten sie leise und hielten nach dem Floß Ausschau. Doch es gab keine Spuren und auch keine Trümmer davon, weder auf dem Wasser noch am Ufer. Als die Sonne aufging, hatten sie einen glänzenden Überblick. Da lag die Karavelle vor ihnen - fast zum Greifen nah, und doch noch so unendlich fern. Ein paar Kerle erschienen an Deck. Prado stierte das Schiff immer wieder an. „Ich möchte nur wissen, was es mit der Karavelle auf sich hat“, sagte er kopfschüttelnd. „Das ist eine verdammt merkwürdige Angelegenheit. Der kleine Dreimaster gibt mir immer wieder Rätsel auf. Die Kerle bewegen sich auf dem Schiff, als seien sie dort zu Hause. Ich verstehe das einfach nicht.“ An dem kleinen Dreimaster hatten auch die anderen schon vergeblich herumgerätselt. Selbst Morro zuckte immer wieder mit den Schultern.
„Kapiere ich auch nicht. Der Kahn tauchte gestern früh unbemannt vor der Insel auf, die Kerle pullten hinüber und besetzten ihn mit der größten Selbstverständlichkeit, als hätten sie auf ihn gewartet. Jetzt ist die Situation umgekehrt: Die Bastarde haben ein Schiff, und wir sind schiffbrüchig.“ Merkwürdig war das Ganze für sie schon, denn sie fanden keine vernünftige Erklärung. Aus dem kleinen Abzugsrohr über der Pantry kräuselte sich blauer Rauch, den der Wind langsam zerblies. „Die frühstücken jetzt gleich“, maulte Santos, „und wir können uns die Zähne am Zwieback ausbeißen. Vielleicht gibt es bei denen Eier mit Speck oder so was.“ Neidvoll sahen sie zu, wie ein hagerer Mann ein paar Kummen an Deck brachte. Die Kerle da drüben hatten ihre Morgenwäsche gerade beendet, die darin bestand, daß sie sich ein paar Pützen Wasser über die Köpfe gossen. Prado mampfte in Gedanken ebenfalls mit, als die Männer von dem Dreimaster sich gemütlich an Deck setzten und zu essen begannen. Bei dem einen Kerl hockte ein Papagei auf der linken Schulter, der mit seinem großen Schnabel gierig nach einem Brocken faßte, dem ihm ein Riese von Kerl zusteckte. „Der Köter sieht verdammt gefährlich aus und scheint auch sehr scharf zu sein“, kommentierte Prado. „Hoffentlich nehmen sie den nicht mit, wenn sie an Land gehen.“ „Dann knallen wir ihn eben ab“, sagte Morro. „Wir haben ja einen guten Überblick und sehen alles rechtzeitig.“ Nachdem der Papagei den Brocken geschluckt hatte, erhob er sich von der Schulter des Riesen und flog eine Runde über das Schiff. Die Prado-Meute beobachtete den bunten Vogel. Sie kannten ihn und wußten, daß er unflätige Beschimpfungen ausstoßen konnte. Die Kerle hatten ihm einen reichhaltigen Wortschatz beigebracht. Zudem konnte der Papagei krächzen, kreischen und krakeelen, daß es ihnen jedes Mal durch Mark und Bein ging. Der bunte Schreihals drehte eine zweite Runde. Dann fand er das wohl zu langweilig und flog zum Ufer. Der Riese sprang auf und rief ihm etwas nach, offenbar um ihn vom Landflug abzuhalten, doch der Papagei flog unbeirrt weiter. Er stieß nur wieder dieses entsetzliche Gekreische aus. Scheinbar ziellos flog der bunte Vogel am Strand entlang. Dann war er über ihnen und zog neugierig ein paar Kreise. Anfangs hielt er noch den Schnabel, doch dann wurde er ausfallend und begann hoch über ihren Köpfen zu krakeelen, zu zetern und zu schimpfen. Es waren auch ein paar hundsgemeine spanische Brocken dabei, die Prado sehr aufregten. „Dieser mistige Schreihals“, fluchte er. Doch gleich darauf atmete er erleichtert auf, denn offenbar hatte der Papagei das Interesse an ihnen verloren. Auf fast schnurgeradem Kurs flog er zu der dreimastigen Karavelle hinüber. Dort setzte er die Krakeelerei weiter fort, schimpfte erbost und kreischte entsetzlich. Nachdem er ein paar Runden über dem Schiff gedreht hatte, kehrte er zum Entsetzen der Kerle wieder zurück und zog neue Kreise. Er flog etwas tiefer und kreischte so laut, daß ihnen die Ohren wehtaten. Santos griff voller Wut nach seiner Pistole. „Den knall' ich ab, den Kreischer!“ zischte er. Prado drehte sich blitzschnell um und schlug ihm mit der Faust auf den Handrücken.
„Du Idiot! Willst du es unbedingt darauf anlegen, daß die Kerle uns entdecken. Ein Schuß - und wir sind verraten und verkauft. Laß das Vieh doch kreischen.“ „Aber der verrät unseren Standort.“ „Blödsinn, dazu ist er viel zu dämlich. Der benimmt sich immer so, das haben wir ja schon erlebt.“ „Aber die Kerle werden schon aufmerksam.“ Prado stierte zur Karavelle hinüber. Der Breitschultrige unterbrach gerade sein Frühstück und schaute dem Papagei nach, der immer noch krakeelend und schimpfend seine Runden drehte. „Wir ziehen uns ein Stück zurück“, sagte er. „Nur so weit, daß wir die Mastspitzen der beiden Schiffe noch sehen. Da ist auch die Deckung besser.“ Der schimpfende Schreihals über ihnen gab jedoch keine Ruhe. Er lamentierte weiter und flog wieder hin und zurück. Er beruhigte sich erst, als Prado mit seiner Meute weiter achteraus im Dickicht verschwand. * Sie saßen an Deck und futterten ihr Frühstück, als die Sache mit Sir John losging. Carberry steckte ihm ein Stück Schiffszwieback zu, das der Vogel krachend zerbiß. Dann hatte er anscheinend genug und setzte zu seinen „Erkundungsflügen“ an. „Hiergeblieben!“ donnerte der Profos. Sir John kümmerte das nicht. Er zog einen weiten Kreis um das Schiff, ließ die üblichen rotzfrechen Sprüche ab und flog zur Insel hinüber. „Der gehorcht dir auch nicht mehr aufs Wort“, meinte der Kutscher anzüglich. „Früher hat er ja noch einigermaßen pariert, aber jetzt ist er stur und kümmert sich nicht darum.“ „Wenn ich wollte, könnte ich ihn zurückpfeifen“, prahlte Carberry, „aber er soll sich nur austoben. Ihm gefällt das, so herumzufliegen und alles zu beobachten.“ Sie sahen dem farbenfrohen Punkt nach, der jetzt über der kleinen Insel weite Kreise zog. Dann begann er zu zetern und zu lamentieren. Er kehrte wieder zurück und krakeelte ihnen die Ohren voll. Die Kreischtöne waren entsetzlich. „Er ist und bleibt ein elender Schreihals“, wetterte Old O'Flynn. „Man ist noch nicht richtig aufgestanden, da geht schon das nervtötende Krakeelen los. Wenn du noch einmal mit dabei ist, Mister Carberry, dann aber ohne den Kreischgockel.“ „Er meint es doch nur gut“, verteidigte der Profos sein „Sir Jöhnchen“. „Er ist noch jung und muß sich austoben.“ Sie sahen den Profos sehr zweifelnd an, der immer wieder neue Ausreden für die unflätige Schimpferei hatte. „Feine Ausreden sind das“, sagte Stenmark grinsend. Sir John hatte aus seiner luftigen Höhe jedoch offenbar etwas entdeckt, denn jetzt begann er über einer ganz bestimmten Stelle zu kreisen und noch lauter zu lamentieren. Wieder flog er hin und zurück und schimpfte. War er über der Karavelle, dann war sein aufdringliches Krakeelen kaum noch zum Aushalten. Nach einer Weile wurden sie jedoch alle aufmerksam und sahen dem Vogel nachdenklich hinterher. „Das ist kein bloßes Gekreische“, behauptete Carberry. „Da steckt was dahinter, da halte ich jede Wette.“ „Sieht wirklich so aus“, murmelte der Kutscher ebenfalls sehr nachdenklich.
Auch die Bordhündin Plymmie wurde plötzlich aufmerksam. Sie setzte sich auf die Hinterpfoten, reckte den Kopf vor und schnupperte in den Wind. In dieser Haltung blieb sie eine ganze Weile. Dann begann sie leise zu knurren, wobei sich ihr Fell langsam aufrichtete. „Jetzt laust mich doch der Affe“, sagte Carberry, als die Wolfshündin immer noch leise knurrte. „Sir John hat mit Sicherheit etwas auf der Insel entdeckt, und das gleiche erschnuppert Plymmie jetzt. Was mag der alte Sumpfgockel wohl entdeckt haben?“ „Na, was wohl?“ fragte der Kutscher süffisant grinsend. „Was gibt es denn groß zu entdecken? Ich bin der Ansicht, daß wir den Kerlen nicht den Gefallen tun sollen, jetzt an Land zu gehen. Lassen wir sie ruhig zappeln, zumindest tagsüber.“ „Welche Kerle?“ fragte der Profos verblüfft. Er begriff allerdings gleich, bevor der Kutscher zu reden anfing. „Die letzten sechs Kerle meine ich. Heute nacht haben sie uns in Ruhe gelassen, weil sie durch das Drehbassenfeuer gewarnt und abgeschreckt waren. Jetzt haben sie sich überlegt, daß sie auf diese Art und Weise nicht zum Ziel gelangen. Also?“ „Sie haben sich auf der Insel eingenistet, um uns zu beobachten“, sagte der Profos prompt. Der Kutscher nickte und suchte mit den Blicken die Insel ab. Mit bloßem Auge war jedoch nichts zu sehen. Es gab zuviel Gestrüpp und Buschwerk auf der Insel. „Sehr richtig. Irgendwo dort drüben hocken sie und warten auf eine günstige Gelegenheit. Scheinen nicht gerade die Dümmsten zu sein. Vermutlich warten sie darauf, daß ein paar von uns an Land pullen. Über die fallen sie dann her. Daher mein Vorschlag, sie wenigstens tagsüber zappeln zu lassen. Für die Dunkelheit können wir ja noch eine andere Taktik entwickeln.“ Philip und Hasard junior hatten sich nach den Worten schon unauffällig postiert und suchten mit den Kiekern das Land ab. „Zu sehen ist nichts“, sagte Philip, „zumindest zeigt sich keiner an der Stelle, die Sir John angeflogen hat.“ „Sie werden in guter Deckung liegen.“ Auch die weitere Beobachtung mit den Spektiven brachte nichts ein. Sir John aber war inzwischen zu einer anderen Stelle der Insel geflogen und krakeelte dort weiter. Offenbar hatte er doch noch etwas anderes entdeckt. „Vielleicht haben sich die Kerle zurückgezogen und sind jetzt von Sir John wieder entdeckt worden“, meinte Martin. Der Kutscher ließ sich den Kieker geben und suchte sorgfältig das Buschwerk ab. Dann sah er zu Plymmie, die immer noch heiser knurrte und das Fell gesträubt hatte. „Ich sehe zwar keinen, aber ich bin sicher, daß die sechs Schnapphähne auf der Insel sind. Sie werden heute nacht die Ostseite angesteuert haben und sind dann quer über die Insel gegangen. Infolgedessen und um Gewißheit zu erhalten, sollten wir uns die Ostseite einmal ansehen. Vermutlich werden wir dort ein Floß entdecken. Sollte ich mich in der Annahme allerdings irren, werde ich mich später in gebührender Form entschuldigen.“ „Das heißt beim Kutscher, anders ausgedrückt, er will wetten, und zwar um eine Buddel Rum“, sagte Carberry. „Mittlerweile kenne ich seine Redewendungen.“ Der Kutscher nickte lächelnd. „Ich will aber diesmal nicht wetten“, sagte der Profos. „Sich mit dir anzulegen, bringt meistens nicht viel ein.“ „Klar setzen wir die Jolle aus“, sagte Old O'Flynn eifrig. „Dann sehen wir uns auf der Ostseite einmal gründlich um. Linst mal wieder durch die Kieker, ob ihr einen der
Spitzbuben sehen könnt. Sie brauchen nicht unbedingt mitzukriegen, daß wir einen kleinen Rundtörn vorhaben.“ Es zeigte sich immer noch niemand. Keine Haarspitze war zu sehen. Die Kerle hatten sich entweder sehr gründlich getarnt oder ein Stück in den Verhau zurückgezogen. Sir John kehrte wieder krakeelend und schimpfend zurück, doch diesmal hagelte es keine Vorwürfe. Selbst Old O'Flynn sagte nichts, weil es ihm vor Staunen die Sprache verschlagen hatte. Dann wurde die Jolle segelklar gemacht. „Nehmt die beiden Spektive mit“, sagte Carberry zu den Zwillingen. „Ihr geht mit, Stenmark ebenfalls. Ihr könnt die Ostseite der Insel absuchen.“ „Wir dürfen mit?“ „Sagte ich doch“, brummte der Profos. „Ich könnt ja nicht ewig hier an Bord hocken bleiben.“ „Was sollen wir tun, wenn wir das Floß entdecken?“ fragte Old O'Flynn. Die Frage war an den Kutscher gerichtet, weil der immer die besten Ideen hatte. „Gar nichts, wir wollen uns ja nur Gewißheit verschaffen. Wir haben den Verdacht, daß die Kerle hier sind, aber noch nicht die Gewißheit. Finden wir das Floß, dann ist alles klar. Ich würde auch empfehlen, nicht zu dicht an das Ufer zu segeln. Falls die Kerle noch auf der Ostseite im Busch stecken, können sie euch leicht mit Musketen unter Feuer nehmen.“ Der Profos schluckte. Himmel, der Kutscher dachte aber auch immer wirklich an alles und ließ nichts aus. Sie nahmen vorsichtshalber drei Musketen mit und steckten auch ein paar Pistolen ein. Die Zwillinge bewaffneten sich mit den Kiekern. Dann enterten sie ab, wobei Martin, die beiden Dänen und der Kutscher unentwegt das Land im Auge behielten. Immer noch war nicht die geringste Spur von den Kerlen zu sehen. Sie schienen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Stenmark setzte das Segel, und dann zogen sie los. Da die Insel nicht groß war, dauerte es nicht lange, bis sie die Ostseite erreichten. „Haltet jetzt gut Ausschau“, sagte Carberry zu den Zwillingen, aber die Worte hätte er sich sparen können, denn alle beide waren mit einem wahren Feuereifer bei der Sache. Sir John erhob sich von Carberrys Schulter und setzte erneut zur Exkursion an. Er strich zeternd und kreischend ab. Die Ostseite der Insel lag im strahlenden Schein einer funkelnden Sonne da, die ihre Strahlen über das Meer warf und den ohnehin hellen Strand fast weiß erscheinen ließ. Manchmal wurde der Strand von einer Palmengruppe unterbrochen, die fast im Wasser stand. Dann wieder gab es dichtes Buschwerk und Pflanzen mit Stelzwurzeln, die Mangroven ähnelten. Die Ostseite sah aus, als hätte sie noch nie ein Mensch betreten. „Ich glaube fast, daß sich unser Kutscherlein in gebührender Form entschuldigen muß“, sagte Carberry. „Es sieht wahrhaftig nicht so aus, als seien die Kerle hier.“ Er blickte fragend auf die Zwillinge, doch die schüttelten nur die Köpfe und inspizierten den Strand aufmerksam weiter. „Langsam glaube ich auch nicht mehr daran“, sagte Stenmark. Er hatte eine Muskete vor sich auf der Ducht liegen. „Wir gehen noch ein paar Yards näher an das Ufer heran“, sagte der Profos. „Sonst entgeht uns was.“ Damit waren sie gerade auf Musketenschußweite heran.
Der Profos und Stenmark sahen Sir John nach. Der Papagei begann wieder über einer ganz bestimmten Stelle seine Kreise zu ziehen. „War er da nicht vorher schon?“ fragte Sten. Der Profos nickte zustimmend. „Es ist jene Stelle, über der er von der ‚Empress' aus schon seine Kreise zog. Da muß etwas sein.“ Sir John krakeelte einmal laut und kreischend, dann kehrte er wieder zur Jolle zurück, hielt es aber dort nur einen Augenblick aus und verschwand gleich wieder, um abermals die Stelle anzufliegen. Der Profos wandte sich an die Zwillinge. „Sucht mal den Strand unterhalb jener Stelle genau ab, über der Sir John immer kreist. Da muß etwas sein, das sein Interesse geweckt hat. Wenn das nicht stimmt, freß ich die Jolle mitsamt der Takelung.“ Die Stelle wurde näher in Augenschein genommen, wobei der Profos es riskierte, noch etwas näher unter Land zu gehen. Da standen jetzt nur vereinzelte Palmen und junge Schößlinge, aber da gab es auch - wie es den Anschein hatte - undurchdringliches Buschwerk. Darauf konzentrierten sich jetzt die Zwillinge. „Bald haben wir die Ostseite abgetörnt“, sagte Carberry mißmutig. „Dann können wir runden, ohne etwas entdeckt zu haben.“ Hasard junior stieß den Profos leicht mit der Hand an. „Da ist tatsächlich etwas“, raunte er. „Ja, das Floß“, sagte auch Philip im selben Augenblick. „Es liegt zwischen dem Buschwerk, das von zwei Palmen begrenzt wird.“ Der Profos wurde ganz fuchtig und warf selbst einen Blick durch das Spektiv. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis auch er es deutlich erkannte. Das Floß war zwischen die Büsche geschoben worden und lag gut versteckt da. Einem zufällig Vorbeisegelnden wäre es niemals aufgefallen. „Also doch“, murmelte er. „Gut, daß ich mit dem Kutscher nicht gewettet habe. Der Kerl behält immer recht.“ Er lief weiter vom Strand ab, warf aber gleichzeitig noch einen prüfenden Blick durch den Kieker, den er dann Sten reichte. Der Schwede nickte bestätigend. „Einwandfrei das Floß, daran gibt es keinen Zweifel. Irgendwo auf der Insel haben sich die Kerle festgesetzt, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten.“ „Möglicherweise beobachten sie uns“, sagte Philip. „Nur, in der Nähe des Floßes sind sie nicht. Sie haben sich woanders verborgen. Sonst hätten wir etwas gesehen.“ „Wenigstens haben wir jetzt die Gewißheit und können uns darauf einrichten. Wir segeln wieder zurück.“ Sir John sauste im Tiefflug heran, schlug heftig mit den Flügeln und landete mit heiserem Gekrächze auf Carberrys Schulter. „Braver Junge“, lobte er, „das hast du wirklich fein hingekriegt, Sir Jöhnchen.“ „Arsch am Besan, vor den Wind, ihr Säcke“, palaverte Sir John mit seiner schrillen Stimme. „Schon gut, schon gut“, murmelte Carberry. „Wir sind ja schon vorm Wind, mein Kleiner. Ist er nicht vortrefflich?“ „Das ist er“, gab Stenmark zu. „Was das Fluchen betrifft, ist er sogar unübertrefflich.“ „Immerhin hätten wir ohne ihn nicht gewußt, daß sich die Kakerlakenbrut hier heimlich eingenistet hat.“
Das konnte Stenmark allerdings nicht abstreiten. Sir John hatte sie auf die Kerle durch seine Neugier aufmerksam gemacht.
8.
Als sie wieder an Bord der „Empress“ aufenterten, sah Old O'Flynn ihnen neugierig entgegen. „Euren Gesichtern sehe ich an, daß die Kerle hier sind.“ „Stimmt genau“, sagte Carberry. „Hasard und Philip haben das Floß entdeckt. Es liegt gut versteckt auf der Ostseite zwischen dichtem Gestrüpp.“ „Und die Kerle - habt ihr die auch gesehen?“ „Keine Spur von ihnen.“ Old O'Flynn kratzte mit der Hand über seine Bartstoppeln. „Jedenfalls sind sie hier. Ich habe mir schon überlegt, ob wir uns nicht ein weiteres Späßchen mit den Halunken erlauben sollen. Aber das fiel mir leider erst ein, als ihr schon unterwegs wart.“ „Und was sollte das für ein Späßchen sein?“ wollte der Profos wissen. „Ich hatte vor, ihnen das Floß zu klauen und es entweder zu zerstören oder einfach abtreiben zu lassen. Die Idee war nicht schlecht, denn dann hätten sich die Halunken schwarz geärgert. Aber der Kutscher riet mir dringend davon ab.“ „Dann hatte er sicher gute Gründe“, meinte Carberry. „Ich hatte starke Bedenken“, erklärte der Kutscher. „Um das Floß zu klauen, hättet ihr an Land gehen müssen, und auf eine solche Gelegenheit warten die Kerle doch nur. Entweder hätten sie euch überfallen oder irgendwo aus dem Hintergrund mit Musketen beschossen. Daher erschien mir das zu riskant.“ „War es auch. Die Möglichkeit bestand immerhin. Ich an ihrer Stelle hätte das Floß sogar als Köder angeboten, aber dazu sind sie wohl zu dämlich, oder sie denken nicht soweit.“ „Was tun wir jetzt?“ fragte Nils. „Sie weiterhin zappeln lassen - oder sollen wir landen, um den Kerlen ordentlich den Marsch zu blasen? Dazu müßten wir allerdings wissen, an welcher Stelle sie sich aufhalten.“ Old O'Flynn war gar nicht dafür. „Das gefällt mir nicht. Wenn wir landen, sind die Kerle einwandfrei im Vorteil. Wir haben ja schon selbst erlebt, was passiert, wenn man sich auf Musketenschußweite dem Ufer nähert. Da ist immer derjenige im Vorteil der an Land ist und gute Deckung hat. Nein, nein, das lehne ich ab.“ „Dann lassen wir sie eben zappeln“, schlug Carberry vor. Auch das schien Old O'Flynn nicht so recht zu behagen. Er wollte Taten vollbringen, und nicht faul herumhocken. Die sechs Kerle gingen ihm auf den Geist, wie er versicherte. „Wir trinken erst mal einen Schluck“, schlug er vor. „Bei einem guten Tropfen kann man alles besser besprechen, und dann fällt mir sicher noch etwas ein.“ Also wurde wieder die obligatorische Rumbuddel geholt und einer „verlötet“, wie Old Donegal das gern ausdrückte. Der Rum schien ihn tatsächlich zu beflügeln. Er hockte auf der Gräting, wischte sich mit der Hand über den Mund und grinste. Wenn er auf diese Art grinst, dachte Carberry, dann sieht er immer wie ein isländischer Troll aus, der etwas ausheckt, um anderen einen üblen Streich zu spielen. „Du scheinst tatsächlich schon eine Idee zu haben“, meinte der Kutscher, „sonst würdest du nicht so grinsen.“ „Die Idee ist erst halbfertig, die muß noch einmal begossen werden, damit sie ausreifen kann.“ Old O'Flynn nahm den zweiten Schluck und pochte mit seinem Holzbein auf die Planken.
„Ich hab's!“ rief er aus. „Wir werden den Kerlen einen lustigen Streich spielen. Ich bin sicher, daß sie darüber sehr verärgert sein werden.“ „Aber nicht die Idee mit dem Floß“, bat der Kutscher. „Die haben wir mittlerweile schon vergessen.“ „Ich auch, die ist begraben.“ „Und was hast du vor?“ Wieder erschien das schon fast diabolische Grinsen, das sich noch vertiefte. „Wir hauen einfach ab.“ „Und wohin?“ fragte Carberry entgeistert. „Wir segeln zu der ersten Insel zurück, wo die ,Viento Este' aufgebrummt ist, von der wir das Gold geborgen haben.“ Die anderen sahen Old Donegal zunächst noch verständnislos an. Selbst der Kutscher runzelte fragend die Stirn. „Schön und gut“, sagte er schließlich. „Aber was tun wir auf der anderen Insel Däumchen drehen?“ „Arbeiten“, sagte Old O'Flynn geheimnisvoll. „Natürlich tun wir nur so, als würden wir arbeiten.“ Carberry sah den Alten von der Seite her an. Dann räusperte er sich. „Seit wann wirken denn zwei Schlucke so stark auf dich?“ fragte er anzüglich. „Mehr hattest du doch nicht. Und den Scheiß nennst du eine Idee?“ „Laß mich doch ausreden, du Tranfisch. Wir nehmen ein paar leere Kisten mit, Schaufeln und Spaten und graben im Sand. Die Kerle werden das beobachten und genau wissen, wonach wir graben. Nämlich nach den Goldbarren, die wir versteckt haben.“ Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann verstand jeder die Gedankengänge des Old O'Flynn. Carberry schlug ihm grinsend auf die Schulter. Der Kutscher war ebenfalls am Grinsen. „Das wird sie sicher sehr grämen“, meinte er. „Das wird sie aber auch gleichzeitig aktiv werden lassen und zwingen, etwas zu unternehmen, einen Angriff nämlich.“ „Das hast du sehr richtig erkannt“, lobte Old O'Flynn. „Erst werden sie sich schwarz und grün ärgern, dann werden ihnen sämtliche Gäule durchgehen, und dann greifen sie nachts unüberlegt an, weil sie sonst von dem vermeintlichen Gold nie wieder etwas zu sehen kriegen. Aber wir werden mit der Karavelle auf sie lauern und ihnen entgegensegeln, sobald sie diese Insel verlassen. Dann gibt's Zunder, und wir haben die Kerle endgültig vom Hals.“ „Dann verholen wir doch am besten gleich“, schlug der Profos vor. „In einer Stunde können wir auf der anderen Insel sein.“ „Das tun wir auch“, versicherte Old O'Flynn. „Holt den Anker ein und setzt die Segel. Ich möchte zu gern die Gesichter der Kerle sehen, wenn sie uns beim Buddeln beobachten. Und wenn sie dann noch erfahren würden, daß das Gold doch auf dieser Insel und alles andere nur eine Finte ist, dann möchte ich die Visagen noch lieber sehen.“ Sie verloren keine Zeit mehr. Sie wußten, daß sie beobachtet wurden, holten den Anker ein und setzten die Segel. „Na denn, Amigos“, sagte Old O'Flynn händereibend, „jetzt könnt ihr mal die Klüsen aufreißen.“ Die „Empress“ nahm Kurs auf die Insel, wo die „Viento Este“ aufgelaufen war. Die Insel lag nördlich vor der jetzigen, Die Kerle konnten also die südliche Westküste gut beobachten.
Eine knappe Stunde später lag die „Empress“ an der gewünschten Stelle und ging vor Anker. Die Segel wurden weggenommen. „Jetzt holen wir leere Kisten aus dem Laderaum und ein paar Schaufeln“, sagte Old O'Flynn. „Und dann buddeln wir den Strand ein bißchen um. Dort vorn, zwischen den Palmen, ist ein guter Platz. Die Kerle werden nicht feststellen können, ob wir wirklich Gold in die Kisten laden.“ Gleich darauf waren sie eifrig bei der Sache. Ein paar leere Kisten wurden in die Jolle geladen, ebenso ein paar Schaufeln. Dann pullten sie zum Strand hinüber und taten sehr geheimnisvoll. Zwischen den Palmen wurde emsig gebuddelt. Der Profos bückte sich grinsend, hob einen Stein aus dem Sand und legte ihn neben die leere Kiste. Von weitem mußte das eine Menge Eindruck schinden. Die anderen gruben auch eifrig den Sand um und verschreckten ein paar Krabben, die sich dort eingebuddelt hatten und nun verstört zum Wasser dwarsteten. „Wahrhaftig, ein toller Spaß“, sagte Carberry. Immer eifriger bückten sie sich. Dann waren die ersten Kisten „voll“ und wurden von jeweils zwei Mann zur Jolle transportiert, wobei die Kerle so taten, als hätten sie schwer zu schleppen. Der erste Pendelverkehr zwischen „Empress“ und Strand begann. Auf der Karavelle wurden die leeren Kisten übernommen, nach unten in den Laderaum geschafft und ebenso leer wieder nach oben gereicht. Die Jolle pullte wieder zurück. Old O'Flynn hatte ein Dauergrinsen im Gesicht und geizte nicht mit der Rumbuddel. Bei jeder Fahrt gab es einen kleinen Schluck. * Prado und seinen fünf Kerlen war es entgangen, daß ein Boot die Insel gerundet hatte. Sie hatten sich etwas weiter ins Innere zurückgezogen, um dem krakeelenden Papagei zu entwischen, der ihren Standort verraten konnte. Erst viel später kehrten sie wieder an den Ausgangspunkt ihrer Beobachtung zurück. Da sahen sie, wie auf dem Dreimaster gerade der Anker gehievt und die Segel gesetzt wurden. Prado schluckte hart, als er sah, daß die Karavelle Kurs auf die südliche Westküste der nördlich gelegenen Insel nahm. „Was hat das denn zu bedeuten?“ fragte er verblüfft. „Die Kerle hauen einfach ab und kümmern sich nicht um das Gold? In meinen Schädel geht das jedenfalls nicht hinein.“ Er sah in fünf verblüffte und verdatterte Gesichter. Keiner konnte sich einen Reim auf den plötzlichen „Umzug“ bilden. Sie starrten dem Schiffchen nach, bis es auf der anderen Insel erneut vor Anker ging. Prado sah alles deutlich durch den Kieker. Erstaunt registrierte er, daß drüben Kisten und Schaufeln ausgeladen und in die Jolle verfrachtet wurden. Ein paar Kerle pullten zum Strand hinüber und begannen gleich darauf eifrig im Sand zu buddeln. Erst da ging Prado und seinen Kerlen das Licht der Erkenntnis auf. Sie gewannen eine völlig neue „Einsicht“. „Verflucht!“ brüllte Prado. „Die graben da drüben unser Gold aus und verladen es auf die Karavelle. Das darf nicht wahr sein!“ Er stöhnte laut auf und gab den Kieker an seine Kerle weiter, die alle reihum hindurchstarrten.
„Was heißt das?“ fragte Normando verständnislos. „Wieso buddeln die da drüben nach dem Gold, wenn es doch auf dieser Insel vergraben liegt?“ Ein wüster Fluch war zuerst die Antwort. Dann schlug sich Prado mit der Hand klatschend an die Stirn. „Scheiß, verdammter!“ schrie er außer sich vor Wut und Enttäuschung. „Wir hocken auf der falschen Insel, wir Idioten. Natürlich - die Kerle werden ja auch nicht so dämlich sein und das Gold erst zu dieser Insel bringen. Sie haben das Gold genau da vergraben, wo die ‚Viento Este' aufgebrummt ist, und jetzt holen sie es. O du lieber Himmel, was sind wir doch für Idioten!“ „Die Einsicht kommt reichlich spät“, sagte Morro kalt. „Acosta hätte ich das ja zugetraut, aber dir nicht. Jetzt liegt das Gold für uns auf dem Mond.“ Prado steckte den Vorwurf zähneknirschend ein. „Ihr anderen hättet ja auch mal nachdenken können“, sagte er. „Aber diese Bastarde haben sich immer so benommen, als würden die Goldbarren auf dieser Insel liegen.“ Jetzt ging auch dem Dämlichsten von ihnen ein Licht auf. Ein paar jaulten ihre Enttäuschung hinaus. Einer warf sich in den Sand und trommelte mit den Fäusten so lange darin herum, bis er das Zeug zwischen den Zähnen hatte und es wütend und knirschend ausspie. „Wir sind allesamt Blödmänner“, sagte Morro in vortrefflicher Selbsterkenntnis. „Das hätten wir uns denken können.“ Er riß Santos das Spektiv aus der Hand. Dann stieß er einen grimmigen Fluch aus. „Die ersten drei Kisten voller Gold werden gerade zur Jolle geschleppt“, jaulte er. „Jetzt pullen diese Bastarde hinüber und laden es aus. Der Alte hat eine Buddel in der Hand und gibt einen aus. Klar, die saufen jetzt einen vor Freude. Und was tun wir? Wir haben nicht mal mehr was zum Saufen, und das Gold können wir nur aus der Ferne betrachten.“ So fluchten, brüllten und schrien sie sich vor Wut die Kehlen heiser, bis Prado eingriff. „Haltet jetzt eure Schnauzen“, knurrte er. „Ich bin genauso enttäuscht wie ihr. Oder glaubt ihr, mir gefällt es, daß die Bastarde das Gold abräumen? Wir werden es uns schon noch holen.“ „Und wie stellst du dir das vor?“ „Die Kerle wissen nichts von uns und nehmen an, daß wir längst abgehauen sind. Daher werden sie auch nicht besonders aufmerksam sein. Noch vor Mitternacht segeln wir hinüber und holen uns das, was uns zusteht. Dann wird angegriffen, und zwar blitzartig.“ Die, Worte Prados richteten die Kerle zwar noch nicht auf - dafür war ihre Enttäuschung zu stark, aber sie waren sich zumindest darüber einig, daß es höchste Zeit wurde, die Karavelle anzugreifen, zu entern und sich in den Besitz des Goldes zu bringen. Tagsüber hatte das natürlich keinen Zweck, da hatten sie keine Chance gegen die Drehbassen. Aber wenn der Angriff nachts erfolgte, würde die Überraschung um so größer sein. Der Kieker ging wieder reihum. Sie starrten sich die Augen aus und zählten die Kisten mit, die an Bord gebracht wurden. Mit leeren Kisten kehrte die Jolle jedesmal zum Strand zurück. Der Anblick der Kisten reizte die Kerle bis zur Weißglut, aber Prado verstand es, sie auch in dieser Hinsicht zu beruhigen.
„Das spart uns doch nur die mühsame Buddelei“, sagte er. „Wenn wir den Kahn entern, haben sie bereits alles schön sauber verpackt, und wir brauchen nur noch loszusegeln. Diesmal schaffen wir es ganz bestimmt.“ Der Tag verging für die Meute quälend langsam und wollte kein Ende nehmen. Sie konnten nicht einmal schlafen oder dösen, denn das, was sie auf der anderen Insel sahen, beschäftigte sie pausenlos und ließ ihnen keine Ruhe. Unterdessen pausierten die Kerle auf der Nordinsel einmal in aller Ruhe und schlugen sich die Bäuche voll. Danach gingen sie wieder an die Arbeit, und eine Kiste nach der anderen verschwand auf dem kleinen Dreimaster. Dann wurde es langsam dunkel. Sie sahen, daß am Strand der anderen Inseln Fackeln entzündet wurden. Aber die Gestalten waren nur sehr schlecht bei der Dunkelheit zu erkennen. Immer noch verging die Zeit quälend langsam. Dann gab Prado endlich den erlösenden Befehl. „Schiebt das Floß ins Wasser - und dann nichts wie hinüber.“ Das taten sie nur allzu gern. Das Floß wurde ins Wasser geschoben und das kleine Segel gesetzt. Die sechs Kerle hielten ihre Musketen schußbereit. * „Dann segeln wir jetzt los und fangen sie gleich hinter der Insel ab, sobald sie gerundet haben“, sagte Old O'Flynn. Am Strand brannten immer noch Fackeln, und es hatte ganz den Anschein, als würde dort immer noch gebuddelt. So sollte es für die anderen ja auch aussehen. Etwas später lag die „Empress“ feuerbereit auf der Lauer im Sichtschutz der Insel. Dann tauchte das Floß auf. Es segelte langsam und schwerfällig, hielt aber stur Kurs auf die nördliche Insel, wo am Strand die Fackeln brannten. Die Karavelle rauschte dem Floß entgegen. Die vorderen Drehbassen waren ausgerichtet. „Feuer frei!“ rief Old O'Flynn. „Zeigt es den Halunken!“ Zwei Drehbassenschüsse fetzten in das Floß und rissen es auseinander. Holz splitterte, Kerle stürzten ins Wasser. Ein dritter Schuß folgte und zerriß brüllend die Nacht. Der Blei- und Eisenhagel fetzte noch einmal hinein. Vom Floß blieben nur noch Trümmer, von den Kerlen war keiner mehr zu sehen. Prado und seine Meute waren ein bißchen klüger gewesen als Acosta mit seiner Horde, aber für Old Donegal und seine Crew eben doch nicht klug genug. Jetzt hatten auch die letzten sechs Kerle ausgespielt. Auf den Inseln herrschte wieder Ruhe... ENDE