Donia Lasinger Die Leistung vor der Innovation
GABLER RESEARCH
Donia Lasinger
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Donia Lasinger Die Leistung vor der Innovation
GABLER RESEARCH
Donia Lasinger
Die Leistung vor der Innovation Ermittlung und Nutzung schwacher Signale von Chancen Mit einem Geleitwort von o. Univ.-Prof. Dr. Franz Strehl MBA
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Johannes Kepler Universität Linz, 2010 Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung Wien.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Stefanie Brich | Sabine Schöller Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2783-5
V
Geleitwort Die Umwelt ist komplex und turbulent. Die Dynamik nimmt zu. Veränderungen, vor allem unvorhergesehene Umbrüche stellen Organisationen vor große Herausforderungen. Erfolgreich sind jene Unternehmen, die frühzeitig die Signale für drohende Gefahren (Risiken) und vor allem auch für neue Möglichkeiten (Chancen) wahrnehmen, die richtigen Entscheidungen treffen und die passenden Maßnahmen ergreifen. Vor diesem Hintergrund hat sich Donia Lasinger in ihrer Dissertationsschrift das Ziel gesetzt, einen wissenschaftlichen Erkenntnisbeitrag in Bezug auf den frühzeitigen Umgang mit Chancen in innovativen Unternehmen zu leisten. Die Strategische Frühaufklärung, d.h. die rechtzeitige Ermittlung, Erkennung und Nutzung schwacher Signale stellt das Ziel der Arbeit da. Im Fokus stehen der Prozess der Strategischen Frühaufklärung und mögliche Einflussfaktoren bei erfolgreichen innovativen Produktionsunternehmen. Frau Lasinger stellt bei empirischen ‚best-practice’-Untersuchungen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede mittlerer und großer Unternehmen dar und leitet daraus Hypothesen und Testhypothesen ab. Dies erfolgt auf Basis einer kritischen Reflexion der Literatur und der multiplen Fallstudienmethode. Zunächst wird die theoretische Ausgangsbasis behandelt. Das Forschungsgebiet der Strategischen Frühaufklärung, sein Ursprung, die Leitideen, der Prozessaspekt und die Ausprägungen der Intuition und Rationalität werden aufgezeigt. Aufbauend auf der Feststellung, dass die Thematik bisher nur unzureichend behandelt wurde, wählt Frau Lasinger österreichische innovative Unternehmen nach systematisch definierten und relevanten Kriterien aus und untersucht diese in den vor gelagerten Produktinnovationsphasen. Die Ergebnisse zeigen, dass unbewusst ein Strategischer Frühaufklärungsprozess durchlaufen wird. Dessen Ausgestaltung begründet sich nicht auf Größenunterschiede der Organisationen, sondern auf andere Einflussfaktoren wie Individuen, Gruppen, Erfahrung, Kommunikation, Ressourcen oder externe Partnerschaften. Eine besondere Bedeutung im Gesamtprozess hat die Intuition. Die Gesamtkonzeption, die in das Strategische Frühaufkärungs-Prozessmodell mündet, kann als besonderer Erkenntnisgewinn in der wissenschaftlichen Forschung zu dieser Thematik bezeichnet werden. Die Inhalte sind neu und in dieser Form in der Literatur noch nicht existent. In der Arbeit werden ein umfassender Ansatz und eine neue Systematisierung der Dimensionen und Einflussfaktoren des Strategischen Frühaufklärungsprozesses entwickelt, in den auch die organisationsinternen und -externen Rahmenbedingungen Eingang finden. Die Darstellung dieser Dimensionen aus einem sowohl theoretischem als auch praktischen Blickwinkel ist als ein interessanter Neuwert einzustufen.
VI Insgesamt gelingt es der Verfasserin, einen innovativen Beitrag in der Diskussion der Strategischen Frühaufklärung – und damit einen wesentlichen Impuls für die Initiierung und erfolgreiche Umsetzung von Innovationen – zu leisten. Univ.-Prof. Dr. Franz Strehl MBA
VII
Danksagung Unternehmen versuchen auf Einflüsse aus ihrer Umwelt zu reagieren. Unternehmensführungen sollten rasch und sicher Risiken erkennen und Chancen nutzen. Dies war für mich der Anlass, mich mit der Wahrnehmung kleiner Veränderungen mit großer Wirkung, der wichtigen Rolle von Intuition in scheinbar rationalen Entscheidungen und dem unersetzlichen Engagement der Innovatoren zu beschäftigen. Die Dissertation wurde im April 2010 von der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität erfolgreich abgeschlossen. Durch das große Interesse der an der Arbeit beteiligten Unternehmen und von im Innovations- und Organisationsbereich arbeitenden Beratern konnte inzwischen auch ein aufbauendes Buch mit weiterführenden Erkenntnissen, Diagnoseintrumenten und Handlungsleitfäden verfasst werden. An dieser Stelle danke ich jenen Personen, die die Dissertation ermöglicht, erleichtert und exzellent gemacht haben: Mein Erstbetreuer Herr o.Univ.-Prof. Dr. Franz Strehl MBA und mein Zweitbetreuer Herr a.Univ.-Prof. Dr. Johannes Lehner begleiteten mich durch konstruktive Anregungen während der gesamten zwei Jahre. Vor allem danke ich Herrn o.Univ.-Prof. Dr. Franz Strehl und seinem Institut für die prozessuale und inhaltliche Unterstützung. Ich freue mich darüber hinaus sehr über die große Kooperationsbereitschaft der von mir befragten Unternehmen durch die Unternehmensvertreter/innen. Sie haben die vorliegende Arbeit durch ihre Praxiserfahrungen gefüllt und meine Forschung spannend gestaltet. Ohne die damit verbundene Bereitschaft der Mitarbeiter/innen aller beteiligten Unternehmen wären die interessanten Ergebnisse nicht möglich gewesen. Die großartige persönliche Unterstützung meines Vaters, Manfred Lasinger, ermöglicht es mir immer wieder, neue Ideen aufzunehmen und umzusetzen. Über die perfekte Korrektur und Formatierungsarbeit hinaus danke ich meinem guten Freund Werner Stark für das unermüdliche Engagement. Mein Dank richtet sich auch an meine Familie und meine Freunde, allen voran an meine Mutter Vera Lasinger, die mir jederzeit zur Seite gestanden ist. Vielen Dank auch an den Förderer „Wissenschaftshilfe der WKO Oberösterreich“ für seine Unterstützung. Donia Lasinger
Inhaltsverzeichnis I
Arbeitsbasis
1
1 Die Forschungsfragen
3
2 Ziele, Nichtziele und Zielgruppe
5
3 Nutzen und ’value added’
7
4 Gesamtforschungsdesign
9
II
Das Forschungsgebiet der Strategischen Frühaufklärung
15
5 Ursprung der SFA
17
6 Detailaspekte der SFA
20
6.1
Basistheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 6.1.1
Diffusionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
6.1.2
Produkt-Lebenszyklus Modelle
6.1.3
Evolutionstheorie und Informationsprozesse . . . . . . . . . . . . . 22
6.1.4
Mathematische Katastrophentheorie
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
. . . . . . . . . . . . . . . . . 23
6.2
Multi-Paradigma Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
6.3
Strategisches Management und SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
6.4
Leitideen der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6.4.1
6.5
Umwelt und Turbulenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
6.4.2
Diskontinuitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
6.4.3
Public vs. strategic ’issues’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
6.4.4
Schwache Signale (’weak signals’) vs. starke Signale (’strong signals’) 36
6.4.5
Antwortstrategien auf schwache/strategische Signale . . . . . . . . . 38
Innensicht vs. Außensicht der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
INHALTSVERZEICHNIS
X 6.6
6.7
Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6.6.1
Operative vs. Strategische Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . 43
6.6.2
Kennzahlen- und Indikatorenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
6.6.3
Prognose und „Forecasting“
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Problemfelder der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 6.7.1
Definitionsproblem schwacher Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.7.2
Problematik der Opportunitätskosten
6.7.3
Problematik der Prognose von Diskontinuitäten . . . . . . . . . . . 47
7 Der SFA-Prozess
. . . . . . . . . . . . . . . . 47
49
7.1
Frühzeitigkeit – Rechtzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
7.2
Prozessphasen der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
7.3
Die Basis – „3 A+“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
7.4
7.3.1
Activation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.3.2
Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
7.3.3
Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
7.3.4
Interpersonale Prozesse zwischen den Teilschritten . . . . . . . . . . 57
Methoden des SFA-Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
8 Kritischer Diskurs 8.1
58
Die rationale Planungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
8.2
Kann diese Sicht bestehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
8.3
Umweltverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 8.3.1
Definition der Umwelt und der Organisation . . . . . . . . . . . . . 65
8.3.2
Objektivität versus Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
8.4
Rolle der Kognitionswissenschaft
8.5
Mehr als Rationalität in der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
8.5.1
Rationaler Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
8.5.2
Intuitiver Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 8.5.2.1
Definition „Intuition“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
8.5.2.2
Besonderheiten des intuitiven Prozesses . . . . . . . . . . 76 8.5.2.2.1
Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
8.5.2.2.2
Kognitive Charakteristika . . . . . . . . . . . . . 77
9 Zusammenfassung
79
INHALTSVERZEICHNIS
XI
III
81
Die empirische Untersuchung
10 Untersuchungsobjekte
83
10.1 Betriebsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 10.1.1 Größenkritierien in der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 10.1.2 Größenunterschiede in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 10.1.2.1 Vor- und Nachteile von GU und MU . . . . . . . . . . . . 90 10.1.2.2 Intuition, Rationalität und Unternehmensgröße . . . . . . 92 10.1.2.3 Auswirkungen der Größe auf Unternehmensprozesse . . . . 92 10.2 Qualitative bzw. zusätzliche Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 10.2.1 Unternehmensstandort und Außenorientierung . . . . . . . . . . . . 94 10.2.2 Unternehmensalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 10.2.3 Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 10.2.4 Art der Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.2.5 Tätigkeitsfeld (Branche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 10.3 Abgrenzung zwischen (K)MU und Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . 100 11 Analyseobjekt
102
11.1 Der Innovationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 11.2 Bedeutung und Arten der Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 11.3 Innovation und Unternehmensgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.4 Innovation in der empirischen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 11.4.1 Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 11.4.2 Einzigartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 12 Empirisches Vorgehen
115
12.1 Forschungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 12.2 Befragungssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 12.3 Datenauswertung und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 12.3.1 Hypothesengenerierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 12.3.2 Prozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 13 Zusammenfassung
122
INHALTSVERZEICHNIS
XII
IV
Die Phasen und Prozessarten des SFA-Prozesses
14 Theoretische Charakterisierung
125 128
14.1 Rationalität vs. Intuition in A1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 14.1.1 Das „intuitive“ Scanning: beobachten und orten . . . . . . . . . . . 129 14.1.2 Das rationale Monitoring: konkretisieren und dokumentieren . . . . 131 14.1.3 Scanning vs. Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 14.2 Rationalität vs. Intuition in A2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 14.2.1 Der SID-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 14.2.1.1 SID-Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 14.2.1.1.1 Input . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 14.2.1.1.2 Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 14.2.1.1.3 Output . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 14.2.2 Der ’T-O-approach’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 14.2.2.1 Chance und Bedrohung (bzw. Gefahr oder Risiko) . . . . . 141 14.2.2.2 Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 14.2.2.3 Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 14.2.3 Kritik der intuitiven Ansätze im Assessment . . . . . . . . . . . . . 143 14.2.4 Der SIA-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 14.2.5 ’F-U-approach’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 14.2.5.1 ’Urgency’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 14.2.5.2 ’Feasibility’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 14.2.5.3 ’Feasibility’ und ’urgency’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 14.2.5.4 Kritik der rationalen Ansätze im Assessment . . . . . . . . 148 14.2.6 SID (und T-O-Ansatz) vs. SIA (und F-U-Ansatz) . . . . . . . . . . 149 14.3 Rationalität vs. Intuition in A3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 15 Die befragten Unternehmen
154
15.1 Verständnis von Rationalität und Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 15.1.1 Das Rationalitätsverständnis der befragten Unternehmen . . . . . . 154 15.1.2 Das Intuitionsverständnis der befragten Unternehmen . . . . . . . . 156 15.1.3 Subjektive Einschätzung der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 157 15.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 15.2 Die Unternehmenspfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 15.2.1 KUNSTSTOFF-M-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
INHALTSVERZEICHNIS
XIII
15.2.2 ELEKTRO-M-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 15.2.3 METALLWAREN-M-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 15.2.4 ELEKTRONIK-M-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 15.2.5 BAUTEIL-M-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 15.2.6 MASCHINENBAU-G-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 15.2.7 FAHRZEUG-G-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 15.2.8 SYSTEM-G-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 15.2.9 PAPIER-G-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 15.2.10 TECHNIK-G-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 15.2.11 TEXTIL-G-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 15.2.12 ENTWICKLUNGS-G-GMBH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 16 Ergebnisse SFA-Phasen
174
16.1 SFA-Prozess in den Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 16.1.1 Rationale Ausrichtung der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 174 16.1.2 Der Strategische Frühaufklärungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 175 16.1.3 Erkenntnisse zu den einzelnen Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 16.1.3.1 Auslöser der Produktinnovationen (zu A1) . . . . . . . . . 179 16.1.3.2 Schwache Signale (zu A1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 16.1.3.3 Lernpotenziale (A3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 16.2 Methoden des SFA-Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 16.2.1 Eingesetzte Methoden im Strategischen Frühaufklärungsprozess . . 185 16.2.2 Methodeneinsatz in MU vs. GU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 16.3 Träger/innen der Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 16.3.1 Activation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 16.3.1.1 Die Bedeutung der Personen in der Befragung . . . . . . . 193 16.3.1.2 Die Bedeutung der Personen in der Literatur in der Phase Activation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 16.3.2 Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 16.3.2.1 Die Bedeutung der Personen in der Befragung . . . . . . . 196 16.3.2.2 Die Bedeutung der Personen in der Phase Assessment
. . 197
16.4 SFA-Prozesspfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 16.4.1 Pfad 1: Rationale Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 16.4.2 Pfad 2: Intuitive Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 16.4.3 Pfad 3: Kombinierte Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
INHALTSVERZEICHNIS
XIV
16.4.4 Pfad 4: Parallele Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 16.5 Eine Frage der Unternehmensgröße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
V
Die Einflussfaktoren im SFA-Prozess
205
17 Die Einflussfaktoren im Überblick
206
18 Interne Personen
209
18.1 Innovator/in (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 18.1.1 Innovatoren/innen in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 18.1.1.1 Charakteristika von Innovatoren/innen . . . . . . . . . . . 211 18.1.1.2 Innovatoren/innen versus Nicht-Innovatoren/innen . . . . 215 18.1.2 Innovatoren/innen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 18.1.2.1 Charaktereigenschaften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
18.1.2.1.1 Kognitive Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . 217 18.1.2.1.2 Motivationale Eigenschaften . . . . . . . . . . . . 217 18.1.2.2 Entscheidungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 18.1.2.3 Innovatoren/innen und Intuition . . . . . . . . . . . . . . 218 18.2 Interne Personen mit Einfluss (IE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 18.2.1 Interne Personen und Funktionen mit Einfluss in der Befragung . . 219 18.2.1.1 Eigentümer/in . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 18.2.1.2 Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 18.2.1.3 Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 18.2.1.4 Hauptunternehmensfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . 221 18.2.1.5 Spezielle Mitarbeiter/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 18.2.1.6 Personelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 18.2.1.6.1 Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 18.2.1.6.2 Hinzunahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 18.2.1.6.3 Abgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 18.2.2 Interne Personen und Funktionen mit Einfluss in der Literatur . . . 226 18.2.2.1 Top Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 18.2.2.2 Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 18.2.2.3 Produktinnovations-“champions“ . . . . . . . . . . . . . . 228 18.3 Exkurs: Erfahrung (E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 18.3.1 Erfahrung in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
INHALTSVERZEICHNIS
XV
18.3.2 Erfahrung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 18.3.2.1 Erfahrung und SFA-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 18.3.2.2 Erfahrung und Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 18.3.2.3 Experten/innen(wissen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 18.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 18.4.1 Innovatoren als intuitive Initiatoren des SFA-Prozesses . . . . . . . 235 18.4.2 Geschäftsführung und Eigentümer als notwendige Unterstützer . . . 236 18.4.3 Erfahrung als wichtiges Personenmerkmal . . . . . . . . . . . . . . 238 19 Interpersonale Prozesse
239
19.1 Gruppen (G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 19.1.1 Gruppen in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 19.1.1.1 Wichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 19.1.1.2 Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 19.1.1.3 Formale versus informale Gruppen . . . . . . . . . . . . . 243 19.1.1.4 Konfliktherde als Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 19.1.2 Gruppen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 19.1.2.1 Gruppen und Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 19.1.2.2 Heterogenität von Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 19.1.2.3 Informale Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 19.1.2.4 Gruppen als Konfliktherde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 19.1.2.5 Top-Management-Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 19.2 ’Issue selling’ (IS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 19.2.1 Der Prozess des ’issue sellings’ in der Befragung . . . . . . . . . . . 249 19.2.1.1 Stellenwert des Prozesses
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
19.2.1.2 Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 19.2.1.3 Förderliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 19.2.2 Der Prozess des ’issue sellings’ in der Literatur . . . . . . . . . . . . 251 19.2.2.1 Initiatoren/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 19.2.2.2 Fördernde und hinderliche Faktoren im ’issue selling’ . . . 253 19.3 Kommunikation (K) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 19.3.1 Kommunikation in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 19.3.1.1 Bedeutung der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 254 19.3.1.2 Sprachwahl (Benennung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 19.3.1.3 Ausprägung der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 257
INHALTSVERZEICHNIS
XVI
19.3.1.3.1 Alter der beteiligten Personen . . . . . . . . . . . 258 19.3.1.3.2 Filterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 19.3.1.3.3 Formale und informale Kommunikation . . . . . . 258 19.3.2 Kommunikation in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 19.3.2.1 Strategisches Informationssystem . . . . . . . . . . . . . . 259 19.3.2.1.1 Akteurbezogene Informationspathologien . . . . . 260 19.3.2.1.2 Interaktionsbezogene Informationspathologien . . 261 19.3.2.1.3 Wissensbezogene Informationspathologien . . . . 262 19.3.2.2 Stimmung (Emotionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 19.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 19.4.1 Gruppen als Träger in der Phase Assessment . . . . . . . . . . . . . 265 19.4.1.1 Struktur der Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 19.4.1.2 Vielfalt der Gruppenmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . 266 19.4.1.3 Gruppengröße: Keimzelle mit variabler Ausdehnung . . . . 266 19.4.2 ’Issue selling’ als wichtige Überzeugungsarbeit . . . . . . . . . . . . 269 19.4.3 Kommunikationsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 19.4.3.1 Offenheit vs. Geheimhaltung
. . . . . . . . . . . . . . . . 270
19.4.3.2 Räumliche Nähe und Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . 271 20 Organisationscharakteristika (O)
273
20.1 Organisationscharakteristika in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . 273 20.1.1 Wesentliche Organisationsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 20.1.1.1 Intangible Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 20.1.1.2 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 20.1.1.2.1 Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 20.1.1.2.2 Aufbauorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 20.1.1.2.3 Flexibilität vs. Stabilität . . . . . . . . . . . . . . 276 20.1.1.2.4 Zentralisierung vs. Dezentralisierung . . . . . . . 276 20.1.1.3 Besitzverhältnisse und Rechtsform . . . . . . . . . . . . . 278 20.1.1.4 Ziele, Strategie, Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 20.1.1.5 Kultur und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 20.2 Organisationscharakteristika in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 20.2.1 Bedeutung der Organisationsvariablen auf den SFA-Prozess . . . . . 286 20.2.1.1 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 20.2.1.1.1 Struktur und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . 286
INHALTSVERZEICHNIS
XVII
20.2.1.1.2 Struktur und Strategie . . . . . . . . . . . . . . . 287 20.2.1.2 Besitzverhältnisse und Rechtsform . . . . . . . . . . . . . 288 20.2.1.3 Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 20.2.1.3.1 Intangible Ressourcen (Wissen) . . . . . . . . . . 289 20.2.1.3.2 ’Slack resources’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 20.2.1.4 Strategie, Ziele und Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 20.2.1.5 Kultur, Philosophie, Identität und Werte . . . . . . . . . . 294 20.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 21 Einflüsse aus der Umwelt
298
21.1 Umwelteinflüsse (U) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 21.1.1 Umwelteinflüsse in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 21.1.1.1 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 21.1.1.1.1 Personen und Personengruppen . . . . . . . . . . 299 21.1.1.1.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 21.1.1.1.3 Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 21.1.1.2 Umweltveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 21.1.2 Umwelteinflüsse in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 21.1.2.1 Allgemeine Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 21.1.2.2 Aufgabenumwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.1.2.3 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 21.1.2.4 Art der Informationsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . 306 21.1.2.5 Netzwerkgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 21.1.2.6 Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 21.2 Externe Partnerschaften (EP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 21.2.1 Externe Partnerschaften in der Befragung . . . . . . . . . . . . . . 312 21.2.1.1 Art der Partner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 21.2.1.2 Grund der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 21.2.1.3 Intensität der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 314 21.2.2 Externe Partnerschaften in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 318 21.2.2.1 Eignung externer Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . 318 21.2.2.2 Thema des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 21.2.2.3 Gestaltung der Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 321 21.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 21.3.1 Umgang mit Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
INHALTSVERZEICHNIS
XVIII
21.3.1.1 Umgang mit Informationen in mittleren Unternehmen . . 322 21.3.1.2 Umgang mit Informationen in großen Unternehmen . . . . 324 21.3.2 Netzwerke als Chancenerkennungswerkzeug . . . . . . . . . . . . . . 325 21.3.3 Externe Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 21.3.3.1 Vertrauensprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 21.3.3.2 Konkurrent/innen als Partner/innen . . . . . . . . . . . . 327
VI
Schlussfolgerungen
329
22 Zusammenfassende Erkenntnisse
330
23 Die Intuition-Rationalitäts-Debatte
333
23.1 Probleme der Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 23.2 Der Prozessablauf: Intuition UND Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . 334 23.3 „Richtiger“ Einsatz von Intuition und Rationalität . . . . . . . . . . . . . . 335 23.4 Kombination der Prozessarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 23.4.1 Intuition und Rationalität als bipolare Enden . . . . . . . . . . . . 336 23.4.2 Intuition und Rationalität als parallele Prozesse . . . . . . . . . . . 337 24 Förderliche und hinderliche Faktoren
340
24.1 Förderliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 24.1.1 Personen(gruppen) und deren Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 341 24.1.2 „Weiche“ Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 24.1.3 „Harte“ Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 24.2 Hinderliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 24.2.1 Personen(gruppen) und deren Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 343 24.2.2 „Weiche“ Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 24.2.3 „Harte“ Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 25 SFA-Prozessmodell
345
26 SFA: personelles oder strukturelles Thema?
351
27 Lernen aus ’rare events’
354
VII
Resumée und Ausblick
355
28 Kombination der Prozessarten
357
INHALTSVERZEICHNIS
XIX
29 Optionentheorie
360
30 Schnittstellen ausnutzen
362
31 Ausblick
364
Literaturverzeichnis
365
XXI
Executive Summary Seit langem wird die Interaktion zwischen Unternehmen und Umwelt als Forschungsthema behandelt. Unternehmen versuchen auf Einflüsse ihrer Umwelten zu reagieren. Jene Unternehmen, die Veränderungen antizipieren und vor ihrem Eintreten Aktionen setzen, werden als „best-practice“- Beispiele angesehen. Sie bedienen sich der Strategischen Frühaufklärung, d.h. der rechtzeitigen Erkennung von Bedrohungen und Chancen durch schwache strategische Signale sowie der Initiierung von Gegenmaßnahmen. Die Strategische Frühaufklärung stellt das Erkennen von zukünftigen Entwicklungen und das aktive Handeln in den Mittelpunkt und verbindet die Innenwelt der Unternehmung mit der Außenwelt. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht1 – statt einer Inhaltsanalyse – der Prozessaspekt der Strategischen Frühaufklärung. Der Strategische Frühaufklärungsprozess findet in drei Phasen statt: Activation (A1), Assessment (A2) und Action (A3). Die erste Phase hat das Erkennen des schwachen Signals zum Inhalt. Die zweite Phase konzentriert sich auf Bewertungs- und Interpretationsvorgänge. Es wird das schwache Signale mit Inhalten gefüllt. Ziel dieser Phase ist es, das schwache Signal und dessen Ausprägung näher zu kennen. Der dritte Schritt umfasst die Lernprozesse und die aus dem Prozess entstehenden vermaschten Rückkopplungsschleifen zu anderen Prozessschritten. Bei vielen Managern/innen von Unternehmen besteht bisher kein Bewusstsein für die Existenz und Bedeutung kritischer Signale und für die Frühaufklärungsthematik. Nach Weigand und Buchner (2000, S. 20) können vorhandene Frühaufklärungsprozesse zwar einen großen Nutzen für die Praxis stiften, werden allerdings nur selten angewendet. So bietet die Literatur in diesem Gebiet meist nur Werkzeuge oder Vorschläge für Großunternehmen an und konzentriert sich auf die rationale Ausgestaltung des Prozesses. Rational steht für bewusst, analytisch, verbal, affektfrei, intendiert und methodenreich. Die rationale Prozessart und deren Methoden erweisen sich allerdings oft als wenig hilfreich. Daher wird der Fokus in der vorliegenden Arbeit zusätzlich auf eine zweite Prozessart – jene der Intuition – gelegt. Intuition steht für automatische, schnelle, wenig analytische, unbewusste, nonverbale, holistische, emotionale und kreative Vorgehensweisen. Jeder Prozessschritt der Strategischen Frühaufklärung kann somit intuitiv, rational oder als Kombination ausgestaltet sein (d.h. Scanning vs. Monitoring in A1, ’strategic issue diagnosis’ vs. ’strategic issue analysis’ in A2, implizites vs. explizites Lernen in A3). Mit Hilfe einer qualitativen Fallstudienuntersuchung in zwölf österreichischen großen und mittleren Produktionsunternehmen („best-practice“-Beispiele) werden der Strategische Frühaufklärungsprozess und die mögliche Einflussfaktoren untersucht. Der Ausgangspunkt für die Analyse sind erfolgreich durchgeführte Produktinnovationen in diesen Unternehmen. Die Untersuchung fokussiert auf den positiven Chancenaspekt des Strategischen Früh1 Sofern im Text nicht anders erwähnt, sind im Folgenden mit der männlichen Form immer beide Geschlechter angesprochen.
XXII
EXECUTIVE SUMMARY
aufklärungsprozesses. Im Zentrum des Interesses stehen die möglichen Unterschiede der Strategischen Frühaufklärungsprozesse, abhängig von der Unternehmensgröße. Die Generierung von Hypothesen, Testhypothesen und ein Prozessmodell führen die empirischen und theoretischen Ergebnisse zusammen. So ergibt die Untersuchung, dass kein bewusst installierter Strategischer Frühaufklärungsprozess in den befragten Unternehmen besteht. Tendenziell befürworten die Befragten eher rationale Vorgehensweisen als intuitive. Obwohl unterschiedliche Methoden zur Anwendung kommen, gehören diese eher dem Innovationsmanagement und weniger der Strategischen Frühaufklärung an. Trotzdem durchlaufen die Unternehmen unbewusst und implizit den von der Theorie abgeleiteten Drei-Phasen-Prozess (A1, A2, A3). Diese tatsächlich auftretenden Wege (die zwischen den Prozessarten Intuition und Rationalität wechseln können) werden im Folgenden als Prozesspfade bezeichnet. Erfolgreiche Produktionsunternehmen in Österreich unterscheiden sich in der individuellen Ausgestaltung dieser Prozesspfade. Vier Prozesskategorien treten bei den zwölf befragten Unternehmen hervor: rationale Pfade, intuitive Pfade, kombinierte und parallele Pfade. Die Art der Pfade und die Unterschiede zwischen den Unternehmen hängen nicht von den Unternehmensgrößen ab. Daher werden andere Einflussfaktoren untersucht: Individuen im Unternehmen (Innovator/in, Eigentümer/in, Führungskräfte,...), interpersonale Aspekte (Kommunikation, Gruppen, Überzeugungsarbeit), Organisationscharakteristika und Umweltvariablen (Umwelteinfluss und externe Partnerschaften). Ausschlaggebender für die individuellen Unterschiede sind die verfolgte Strategie, die Kultur und die gelebten Werte, die vorhandenen intangiblen Ressourcen, wie Wissen und Erfahrungen und der Einfluss von Machtpersonen im Unternehmen (Einstellungen der Eigentümer/in oder der Geschäftsführung). Strukturen und Strategien begünstigen oder verhindern das (Innovations-)Verhalten von Gruppen oder Personen. Andererseits bestimmen die Persönlichkeitseigenschaften von Individuen den Anstoß Strategischer Frühaufklärungsprozesse. Ob diese überhaupt realisiert werden, hängt jedoch in hohem Maße von den vorliegenden Strukturen ab (gegenseitige Abhängigkeit von Struktur und Verhalten). Ausgangspunkt eines Strategischen Frühaufklärungsprozesses ist die Leistung eines Einzelnen im Unternehmen: des Innovators/der Innovatorin, der/die sich durch spezifische Persönlichkeitseigenschaften auszeichnet. Dieser Person gelingt es durch Intuition (aufgebaut durch einen großen Erfahrungsschatz und eine gute Umwelt- und Unternehmenskenntnis), schwache Signale aus der Unternehmensumwelt wahrzunehmen und aufzugreifen. Diese Signale befinden sich zumeist im Marktumfeld, dem technologischen oder dem sozialen Umfeld, weniger im politischen oder ökologischen Bereich. Greift der Innovator/die Innovatorin ein schwaches Signal auf, so ist es im nächsten Schritt für den Transfererfolg essentiell, die Geschäftsführung von der Bedeutung des schwachen Signals zu überzeugen. Umfassende Überzeugungsprozesse (= ’issue selling’) werden demnach schon in der ersten Phase Activation angewendet. Diese
XXIII setzen sich auch in der zweiten Phase fort, wenn externe Personen und Partner/innen in die Phase Assessment miteinbezogen werden. Der Hauptträger dieser Phase ist eine unternehmensinterne Gruppe, die das schwache Signal mit Bedeutung füllt. Die Gruppen fungiert als Keimzelle im Unternehmen und weist eine spezielle flexible Struktur aus: intern wird die Gruppe von einem fixen Gruppenkern (2-5 Personen) beständig weitergeführt, allerdings – wenn nötig – durch weitere Gruppenmitglieder flexibel ausgedehnt und auch wieder verengt. Alle Phasen werden von Kommunikations- und Lernprozessen begleitet. Die erste Phase Activation spielt sich hauptsächlich auf der individuellen Ebene (Innovator/in) ab. Einzelpersonen werden zusätzlich für die Überzeugungsarbeit hinzugezogen. Die zweite Phase Assessment (Suchprozesse) legt den Schwerpunkt auf den Gruppenaspekt, um externe Partner/innen hinzuzuziehen. In der dritten Phase Action (Lernen), spielt vor allem die Organisation eine große Rolle. Durch Lernprozesse werden Einsichten in Strukturen, Strategie, Regeln oder Kultur festgehalten. Diesen Abläufen ist die Umwelt überlagert. Umwelteinflüsse gibt es sowohl in der ersten Phase bei der Erkennung von schwachen Signalen, als auch bei den externen Suchprozessen nach Partnern/innen im zweiten Schritt, und bei den Lernprozessen im dritten Schritt, wenn z.B. Erfahrungen von anderen Branchen oder Mitbewerbern/innen in den Prozess einfließen. Erfolgversprechend für einen funktionierenden Strategischen Frühaufklärungsprozess ist die Kombination der beiden Prozessarten Intuition und Rationalität. Unterschiedliche Situationen erfordern unterschiedliche Prozessarten. Wichtig ist es, zwischen diesen gekonnt wechseln zu können. Durch die Schaffung von Schnittstellen oder Optionen kann ein Unternehmen in der Strategischen Frühaufklärung erfolgreicher werden. Quantitative Studien sowie die Ausdehnung auf andere Länder (und die Untersuchung von nationalen Unterschieden) stellen weiterführende Forschungsgebiete dar.
Abbildungsverzeichnis 4.1
Multiple Fallstudien
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
4.2
Fallstudienmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
4.3
Gesamtkonzept der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
4.4
Übersicht über das Forschungsgebiet der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . 16
5.1
Von der Frühwarnung zur Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6.1
Übersicht über die Detailaspekte der SFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
6.2
Entwicklungsstränge des ’issue managements’ . . . . . . . . . . . . . . . . 25
6.3
Strategische Frühaufklärung am Beginn des Strategischen Managementprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
6.4
Zusammenhang zwischen Diskontinuitäten, ’strategic issues’ und schwachen Signalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
6.5
Führende Erfolgskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
6.6
Konkretisierung schwacher Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
6.7
Antwortstrategien auf schwache Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
6.8
Interne und externe Beobachtungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
7.1
Idealprozess der Strategischen Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 50
7.2
Basisprozess der Strategischen Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 53
8.1
Intuition- und Spontanitäts-Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
9.1
Übersicht der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
10.1 Mitarbeiteranzahl und Umsatzzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 10.2 Rangreihe (Mitarbeiteranzahl und Umsatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 10.3 Korrelation Mitarbeiteranzahl und Unternehmensalter . . . . . . . . . . . . 96 11.1 Von der Intuition zur Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
XXVI
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
12.1 Betrachtungspunkt der Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 12.2 Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 12.3 Hypothesendefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 13.1 SFA-Prozess und Prozessart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 13.2 Übersicht über die Phasen und Prozesssarten des FA-Prozesses . . . . . . . 127 14.1 Charakterisierung der Prozessabläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 14.2 SID-Prozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 14.3 ’Feasibility’-Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 14.4 ’Feasibility-Urgency’ Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 15.1 Rationalitätsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 15.2 Unternehmenstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 15.3 Unternehmenstypen und deren Entwicklungstendenz . . . . . . . . . . . . . 163 16.1 Subjektive Einschätzung versus reale Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . 175 16.2 Umweltsignale werden im Unternehmen aufgegriffen . . . . . . . . . . . . . 182 16.3 Methodenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 16.4 Methodenklassifizierung und rational vs. intuitiv . . . . . . . . . . . . . . . 187 16.5 Methodenkategorien A1 und A2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 16.6 Personen im Activation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 16.7 Personen im Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 16.8 Pfadübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 16.9 Rationale Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 16.10Intuitive Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 16.11Kombinierte Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 16.12Parallele Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 16.13Rational vs. intuitive Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 17.1 Untersuchungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 17.2 Übersicht über die Einflussfaktoren im SFA-Prozess . . . . . . . . . . . . . 208 18.1 Lebenszyklus einer Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 18.2 Orte der Ideenentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 19.1 Fixe Keimzelle und flexible Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 20.1 Schalenmodell der Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
XXVII
21.1 Zusammenarbeitsintensitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 21.2 Externe Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 22.1 Stage-Gate-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 22.2 Strategischer Frühaufklärungsprozess und Stage-Gate-Prozess . . . . . . . 332 22.3 Vermaschte Rückkopplungsschleifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 23.1 Intuition versus Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 25.1 Das Strategische Frühaufklärungs-Prozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . 346 25.2 Verhaltensweisen von Betroffenen in Veränderungsvorhaben . . . . . . . . . 347 25.3 Strategischer Frühaufklärungsprozess als Ebenenkonstrukt . . . . . . . . . 348 25.4 Organisationales Lernen als mehrschichtiger Prozess . . . . . . . . . . . . . 350 26.1 Verhalten und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 28.1 Der Wechsel von Intuition zu Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
Tabellenverzeichnis 4.1
Vor- und Nachteile der Fallstudienmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
6.1
Ansätze des Strategischen Managements nach Ansoff (1975) . . . . . . . . 27
6.2
Umwelt-Turbulenz-Skala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
6.3
Organisationsreaktion auf Umweltturbulenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 32
7.1
Basisaktivitäten der Strategischen Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . 56
8.1
Strategische Planung versus Strategische Frühaufklärung . . . . . . . . . . 59
10.1 Unternehmenskürzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 10.2 Unternehmen nach quantitativen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 10.3 Vor- und Nachteile von MU (und GU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 10.4 Unternehmensstandorte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
10.5 Unternehmensalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 10.6 Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 10.7 Besitzverhältnisse/Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.8 Brancheneinordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 10.9 Unterschied zwischen Entrepreneurship und KMU . . . . . . . . . . . . . . 101 11.1 Neuheitsbegriffe der Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 11.2 Anfänge und Dauer der Innovationsprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 11.3 Unterscheidung zu anderen Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 12.1 Interviewpartner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 14.1 T-O und F-U Frameworks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 14.2 Erweiterung der T-O und F-U Frameworks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 16.1 Unternehmenstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 16.2 Handelnde Personen in den Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
XXX
TABELLENVERZEICHNIS
18.1 Innovationsbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 19.2 Sprachwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 19.3 Gruppengröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 19.5 Offenheit vs. Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 20.1 Wertegeflecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 21.1 Beteiligte Partner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 21.2 Intensität der Zusammenarbeit der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 316 21.3 Abgabe von Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Teil I Arbeitsbasis
Kapitel 1 Die Forschungsfragen Die Reaktion von Unternehmen auf Anforderungen der Umwelt, Veränderungen und die Erfahrungen mehrerer Innovatoren aus verschiedenen erfolgreichen Unternehmen formen den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Die mehrjährige Arbeit der Autorin in einem Beratungsunternehmen zeigte ihr, dass bei vielen Managern/innen von Unternehmen bisher kein Bewusstsein für die Existenz und Bedeutung kritischer Signale und für Frühaufklärung vorliegt. Die Aussagen in der Literatur widersprechen dieser Erkenntnis, allerdings nur bei großen Unternehmen. Auch nach Weigand und Buchner (2000, S. 20) stiften vorhandene Frühaufklärungssysteme einen großen Nutzen für die Praxis, werden allerdings nur selten angewendet. Oftmals liegen die Ursachen in den kaum vorhandenen Strategischen Frühaufklärungsprozessen im Rahmen der bestehenden Steuerungs- und Managementsysteme. Somit ergibt sich eine Lücke zwischen Theorie und Praxis, die sich in den Gestaltungsempfehlungen widerspiegelt. Diese spannende Ausgangslage und die praktische Brisanz führten die Autorin zu einer intensiven Beschäftigung mit der Thematik der Strategischen Frühaufklärung. Der Nutzen der Arbeit ist somit für Praxis und Theorie direkt ableitbar. Im Zuge der Arbeit werden kritische Prozessfaktoren und Gestaltungsvorschläge für innovative Unternehmen im Rahmen des Strategischen Frühaufklärungsprozesses abgeleitet, vor allem für die frühzeitige Erkennung, Diagnose und Ergreifung von Chancen. Die Gegenüberstellung bzw. der Vergleich zwischen mittleren (MU) und großen Unternehmen (GU) bringt zusätzliche Einsichten und Lernchancen für Theoretiker und Praktiker, und damit für praktische Ausgestaltungen. Grund dafür ist, dass in der Literatur das Gebiet der Strategischen Frühaufklärung bisher nur auf Großunternehmen angewandt wurde und nur für diese komplexe Methoden und Instrumente entwickelt wurden. Auch Studien beziehen oftmals nur Großunternehmen mit ein1 . Aber: „strategic early recognition is not only appropriate for large companies“ (Reinhardt, 1984, S. 30). Für die Theorie wird ein Makromodell mit den Einflüssen und weiterführend den Unterschieden zwischen MU und GU 1 So untersuchten Julian und Ofori-Dankwa (2008) den intuitiven T-O bzw. rationalen F-U Prozess nur auf Basis einer Erhebung von Großunternehmen.
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KAPITEL 1. DIE FORSCHUNGSFRAGEN
geschaffen. Das Gebiet der Strategischen Frühaufklärung wird in diesem Zusammenhang weiterentwickelt und mit dem Vergleich zwischen MU und GU angereichert. Forschungsfragen schärfen den Fokus der Arbeit und konkretisieren den Untersuchungsgegenstand. Sie fungieren als Kompass und Orientierungsmaßstab, um sich in der Fülle von Literatur oder auch in der Empirie (Anzahl an Unternehmen) zurechtzufinden (Eisenhardt, 1989a, S. 536). Die vorliegenden Forschungsfragen entstanden aus neuen Entwicklungen und Erkenntnissen aus Praxis und Theorie (Bryman und Bell, 2003, S. 37). Die leitenden Fragen lauten: 1. Wie gestalten sich der Strategische Frühaufklärungsprozess (= SFAProzess) und mögliche Einflussfaktoren bei erfolgreich innovativen Produktionsunternehmen (a. Mittelunternehmen (MU) und b. Großunternehmen (GU)) in Österreich? 2. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen MU und GU in Österreich in Bezug auf den Prozess der Strategischen Frühaufklärung (= SFA) und a) welche Hypothesen b) welches Prozessmodell lassen sich daraus ableiten? Die Untersuchung ist zweigeteilt, richtet die Aufmerksamkeit einerseits auf Mittelunternehmen und andererseits auf Großunternehmen. Der Strategische Frühaufklärungsprozess wird als Prozess gesehen, in dem schwache und strategische (d.h. für das Unternehmen wichtige) Signale einer Chance rechtzeitig erkannt und genutzt werden. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht der Chancenaspekt (Risiken werden vernachlässigt) im Rahmen von Produktinnovationen. Der ersten Forschungsfrage liegt die Reflexion und Diskussion der in der Literatur vorhandenen Prozesse der Strategischen Frühaufklärung zu Grunde sowie die mögliche Einflüsse auf den Prozess. Als Zwischenergebnis liegt ein abgeleitetes Prozessmodell vor, das sich auf ausführliche Recherchen aus der Literatur stützt. Die Ergebnisse der Literatur werden durch eine Empiriestudie präzisiert. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die Einflussfaktoren auf den Prozess in der Praxis und die Unterschiede zwischen GU und MU gelegt. In einem weiteren Schritt werden den Ergebnissen die Literaturaussagen gegenübergestellt. Die Ergebnisse der Arbeit sind Hypothesen zum Prozess, die Unterschiede zwischen GU und MU und die relevanten Einflussfaktoren. Diese werden übersichtlich in ein Prozessmodell der Strategischen Frühaufklärung übertragen und Gestaltungsempfehlungen für das rechtzeitige Erkennen und Nutzen von Chancen werden abgeleitet.
Kapitel 2 Ziele, Nichtziele und Zielgruppe Folgende (Teil-)Ziele bilden sich für diese Arbeit heraus: • Der Status-Quo der Strategischen Frühaufklärung (Prozess und Einflüsse) in der Literatur ist dokumentiert und kritisch reflektiert. • Das Management von Chancen im Kontext der MU im Gegensatz zu GU ist beleuchtet. • Aussagen zum Prozess und möglichen Einflüsse in MU und GU sind aus der Literatur und Empirie gewonnen. • Hypothesen sind aus der Empirie generiert und mit der Literatur verflochten. • Ein Prozessmodell (mit seinen Einflüssen) zur rechtzeitigen Ermittlung kritischer Signale von Chancen (Innovationen) ist mit Hilfe von multiplen Fallstudien und Literaturrecherchen entwickelt. Die Gegensätze zwischen MU und GU sind dargestellt. • Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen sind aus Literatur und Empirie abgeleitet. Die Formulierung und Bewertung von Strategien (strategische Kontrolle), sowie die inhaltliche Auflistung von speziellen kritischen Signalen für Organisationen sind keine Ziele der Arbeit. Darüber hinaus wird das Gebiet der Strategischen Frühaufklärung an sich nicht kritisch hinterfragt und auf die Anwendbarkeit oder Sinnhaftigkeit getestet. Die Forschungsfrage richtet sich auch nicht nach der Unterscheidung zwischen erfolgreichen und erfolglosen Unternehmen sondern auf Größenunterschiede. Ausgangsbasis für die Empirie ist, dass nur jene Unternehmen ausgewählt wurden, die in einer speziellen Produktinnovation erfolgreich waren (also ’best-practice’-Beispiele).
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KAPITEL 2. ZIELE, NICHTZIELE UND ZIELGRUPPE
6
Die Arbeit richtet sich an drei Zielgruppen (Yin, 2003b, S. 143): 1. Die Betreuer der Arbeit, 2. die allgemeine akademische Zielgruppe und 3. innovative Unternehmen in Österreich (unabhängig der Branche), die kritische Signale von Innovationen (Chancen) rechtzeitig erkennen und diese Erkenntnisse in ihrer Führungsarbeit nutzen möchten. Für erstere dient zusätzlich zu der vorliegenden Arbeit ein empirisches Tagebuch mit detaillierten Ausführungen zur Empirie (dem Design, der Datensammlung, der Auswertungsstrategie)1 . Dieses Tagebuch liegt zum Schutz der befragten Unternehmen (Anonymität) getrennt von dieser Arbeit vor. Die Hypothesen sowie die umfassende Literaturrecherche und -belegung dienen der zweiten Zielgruppe. Die Hypothesen sowie die Folgen daraus, hauptsächlich niedergelegt in den Handlungsleitfäden, sind für die dritte Zielgruppe bestimmt.
1
Die Grundbausteine der Empirie finden sich in Abschnitt „Die empirische Untersuchung“ auf Seite 81.
Kapitel 3 Nutzen und ’value added’ Der geschaffene Mehrwert durch die vorliegende Arbeit reichert die bestehende Literatur in einigen Punkten an. • Übersichtliche Strukturierung: Die vielschichtige und unüberschaubare Menge an Literatur wird übersichtlich strukturiert, nachvollziehbar dargestellt, die wichtigsten Beiträge werden näher erläutert. • Anreicherung und Weiterentwicklung: Die klassische Basisliteratur wird mit den neusten Erkenntnissen in der Theorie und Forschung angereichert und auf den aktuellsten Stand weiterentwickelt. Durch neue Erkenntnisse von MU und GU im österreichischen Raum (= Empirie) wird der ’state of the art’ der Literatur empirisch gefüllt und theoretisch spezifiziert. • Fokussierung: Die Arbeit fokussiert auf den Prozess der Strategischen Frühaufklärung (im Gegensatz zur Inhaltsperspektive) und konzentriert sich auf genutzte Chancen (Produktinnovationen). • Input Intuition und Innovation: Die bestehende Literatur wird durch die aktuelle Diskussion über Intuition komplettiert. Somit verflechtet diese Arbeit verschiedene Wissensgebiete (Strategisches Management und Kognitionswissenschaften) in ein Modell der Strategischen Frühaufklärung. Wie aus der aktuellen Literatur ersichtlich (vgl. Julian und Ofori-Dankwa, 2008), gewinnt dieses Thema an Wichtigkeit. Durch die vorliegende Arbeit erhält das Wissensgebiet – neben der Stakeholdertheorie, dem Ressourcenansatz sowie dem Wissensmanagement – einen neuen Input. Ebenso wird auf das Themengebiet der Innovation Bezug genommen, der Strategische Frühaufklärungsprozess wird konkretisiert. • ’Best-practice’: Die Strategische Frühaufklärung wird von einer neuen Perspektive beleuchtet. Bisher wurde sie hauptsächlich im Bereich der Großunternehmen behandelt. Hier werden erstmals erfolgreich innovative, österreichische MU untersucht.
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KAPITEL 3. NUTZEN UND ’VALUE ADDED’ Der Gegensatz zwischen MU und GU wird näher beleuchtet. Durch die gewonnenen Einsichten können beide Untersuchungskategorien (MU und GU) lernen. Darüber hinaus können neue Einsichten für das Forschungsgebiet erarbeitet und Theorien in der Literatur generiert oder verfeinert werden. • Abgrenzung zu bestehenden Wissenschaftlichen Arbeiten: Bisher wurde in der Literatur (u.a. auch in Dissertationen) – bis auf einige Ausnahmen (z.B. Mayr, 1994) – die Strategische Frühaufklärung losgelöst von Klein- und Mittelbetrieben erfasst (z.B. Meyer, 1991). Der Unterschied zwischen Großunternehmen und kleineren Unternehmen wurde bislang noch nicht eingehend untersucht. Überdies rückten die Autoren bisher meist das Gebiet der Früherkennung und nicht deren Weiterentwicklung (Frühaufklärung) in den Mittelpunkt. • Neuentwicklung: Für innovationsbereite österreichische Unternehmen werden auf Grund einer intensiven Literaturrecherche und einer empirischen Forschung Gestaltungsempfehlungen abgeleitet, die ohne großen Aufwand Chancen frühzeitig erkennen lassen (identifizieren, bewerten, realisieren). Die Literatur wird durch ein Makromodell mit den wichtigsten Einflüssen weiterentwickelt und durch die Vorgehensweise in MU und GU angereichert. Die Ableitung von Hypothesen aus der Empirie und – wenn nötig von Testhypothesen aus der Literatur – dienen dazu.
Kapitel 4 Gesamtforschungsdesign Das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit beruht auf den Arbeiten von Yin und Eisenhardt (Yin, 2003b,a; Eisenhardt, 1989a; Eisenhardt und Graebner, 2007) und bedient sich des multiplen holistischen Fallstudiendesigns (vgl. Abbildung 4.1 von Yin (2003b, S. 40)).
Abbildung 4.1: Multiple Fallstudien Demnach hängt es bei der Fallstudienarbeit davon ab, ob einzelne (’single-case’) oder mehrere (’multiple-case’) Fallstudien durchgeführt werden. Zudem ist es möglich, mehre-
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KAPITEL 4. GESAMTFORSCHUNGSDESIGN
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re Analyseeinheiten (’multiple-units of analysis’), wie zum Beispiel Abteilungen, Produkte oder Dienstleistungen oder eine einzelne Analyseeinheit (’single-unit of analysis’) zu berücksichtigen (Yin, 2003b, 42ff). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die holistische und multiple Dimension (vgl. Abschnitt „Die empirische Untersuchung“ auf Seite 81). Die Forschungsmethode der ’case studies’ ist neben anderen Forschungsstrategien, wie Experimenten, Befragungen, archiven und historischen Analysen weit verbreitet und soll vor allem zur ganzheitlichen Untersuchung von realen Phänomenen in ihrem Alltagskontext dienen (Yin, 2003b, S. 1). Die Methode ermöglicht es, Fälle (z.B. Organisationen, Prozesse) herauszugreifen, und diese (durch unterschiedlichste quantitative und qualitative Arten der Datenerfassung, z.B. Befragungen, Beobachtungen, Dokumentenanalysen,... (Schramm, 1971, S. 12); „triangulation“: (Ghauri, 1994, S. 115)) im Detail zu untersuchen (Bryman und Bell, 2003, S. 56). Die Fallstudienarbeit ist dabei in der Literatur umstritten. Viele Autoren/innen bemängeln die Aussagekraft und Richtigkeit der Methode oder kritisieren den Umfang der Studie1 an sich und deren Ergebnisse (Yin, 2003b, S. 10f; Eisenhardt, 1989a, S. 547). Trotz der vielseitigen Kritik zeichnet sich die Fallstudie durch einige Vorteile aus. So ermöglicht es eine Fallstudie, Situationen im Nachhinein zu analysieren, sie besser zu verstehen und daraus Schlüsse zu ziehen (Schramm, 1971, S. 8). Der Zeithorizont sollte dabei nicht zu lange in der Vergangenheit liegen, um dem Problem des Vergessens vorzubeugen. Zudem weist die Fallstudie eine ganzheitliche Sichtweise mit verschiedensten Einflüssen und deren Zusammenhänge auf (Schramm, 1971, S. 10). Obwohl Yin (2003b, S. 1) anmerkt, dass „using case studies for research purposes remains one of the most challenging of all social science endeavors“, wird dieses Forschungsdesign in dieser Arbeit angewandt. Die nachfolgenden Gründe sprechen dafür. • Ein wichtiger Grund für die Wahl der Fallstudienarbeit war die inhaltliche Thematik. Diese zeichnet sich durch viele qualitative und weiche Faktoren aus, die in der Fallstudienbearbeitung Beachtung finden. – Fallstudien sind in neuen Untersuchungsfragen die passende Methode (Eisenhardt, 1989a, S. 532), denn sie ermöglichen es, ein Themengebiet sehr breit zu erforschen, komplexe und kontextabhängige Variablen zu erfassen und sich auf mehrere Forschungsquellen zu beziehen (Yin, 2003a, S. xi). – Fallstudien bilden die Möglichkeit, neue Theorien zu erschaffen (Eisenhardt, 1989a, S. 546). Dies ist die Absicht der vorliegenden Arbeit. Es bestehen zwar unzählige Arbeiten, Studien und Erhebungen im gesamten Gebiet der Strategischen Frühaufklärung, allerdings beziehen sie sich meist auf quantitative Aspekte, Detailinformationen (z.B. die alleinige Konzentration auf Großunternehmen) oder unterschiedlichste Spezialfragen (z.B. Ausgestaltung eines Informationssystems, Rolle des Führungsteams in der Auswahl der schwachen 1
(Scapens, 2004)
11 Signale, usw.). Daher folgert Eisenhardt (1989a, S. 532): „This research approach is especially appropriate in new topic areas.“ und „building theory from case study research is most appropriate in the early stages of research on a topic or to provide freshness in perspective to an already researched topic.“ (Eisenhardt, 1989a, S. 548). Der gewählte neue und gesamtheitliche Fokus auf den Prozessaspekt der Strategischen Früherklärung, sowohl in Groß- als auch in Klein- und Mittelunternehmen, wurde in dieser Art noch nie untersucht. Deshalb bestehen zwar Einzelhypothesen zu Detailaspekten dieser Thematik, aber keine umfassende Forschung. Auch die Gegenüberstellung der zwei Unternehmenstypologien fehlt bisher. Im Gegensatz zu Kritikern/innen dieser Methode betont zum Beispiel Eisenhardt (1989a, S. 547), dass die durch die Fallstudie erstellte Theorie auch empirisch valide ist. • Ein weiterer Grund liegt in der Art der Forschungskonditionen (Art der Forschungsfrage, Kontrolle des Forschers/der Forscherin über aktuelle Verhaltensweisen, zeitlicher Aspekt). – Die Forschungsfragen können dabei grundsätzlich folgende Kategorisierungen aufweisen: „wer“, „was“, „wo“, „wie“ und „warum“ und bedingen damit auch unterschiedlichste Forschungsstrategien. Da das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf dem wie (Prozess und Entscheidungen – Prozessevaluationen), der Fokus auf zeitnahen Ereignissen beruht (Yin, 2003b, S. 5), über die der Forscher/die Forscherin kaum oder keine Kontrolle verfügt (d.h. die Verhaltensweisen können vom Forscher/von der Forscherin nicht manipuliert werden), eignen sich Fallstudien durch ihre Vielseitigkeit am besten. – Der Unterschied zu historischen Analysen besteht darin, dass direkte Beobachtungen oder Interviews mit Betroffenen durchgeführt werden können. Bei historischen Analysen reichen die Untersuchungsobjekte zumeist weit in die Vergangenheit zurück, und Befragungen von Zeitzeugen sind nicht mehr möglich. Eisenhardt und Graebner (2007, S. 25) bezeichnen die Fallstudienmethode als das interessanteste Forschungsdesign. Sie stellt z.B. auch im Academy of Management Journal die am häufigsten zitierte Methode dar. Schramm (1971, S. 6) fasst den Hauptzweck einer Fallstudie zusammen: „The essence of a case study,..., is that it tries to illuminate a decision or a set of decisions: why they were taken, how they were implemented, and with what result“. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass „...a case study tends to deal with a major decision, its genesis and its apparent effect, or, more often, with the reasons for, the execution of, and the apparent effects of an entire project.“ (Schramm, 1971, S. 3). Genau ein solches Projekt wird im Rahmen der Arbeit eingehend in der Literatur und in der Em-
12
KAPITEL 4. GESAMTFORSCHUNGSDESIGN
pirie untersucht (ergriffene Chancen von österreichischer Groß- und Mittelunternehmen mit dem Resultat erfolgreich entwickelter Produkte). Die allgemeinen Vor- und Nachteile der Fallstudienmethode sind in der Tabelle 4.1 zusammenfassend dargestellt (vgl. Eisenhardt, 1989a; Yin, 2003b): Vorteile Generierung von neuer Theorie Entstehung von kreativem Wissen
Durchbrechung von festgefahrenem Denken Die emergente Theorie ist durch bestehende Konstrukte prüfbar und Hypothesen sind widerlegbar Empirische Validität
Nachteile Hohe Komplexität Endresultat kann sehr detailreich sein, aber es fehlt an einer einfachen Übersichtsperspektive Endresultat kann sehr eng und spezifisch sein und erlaubt somit kaum Generalisierbarkeit Hoher Ressourcenverbrauch
Defizit an statistischer Validität (Gummesson, 1991, S. 77)
Tabelle 4.1: Vor- und Nachteile der Fallstudienmethode
Als Leitfaden dient der Prozess von Eisenhardt (1989a), entnommen aus ihrem Artikel „Building Theories from Case Study Research“ (vgl. Abbildung 4.2).
Abbildung 4.2: Fallstudienmethode
Ausgehend von der Forschungsfrage werden die Analyseobjekte und das Fallstudiendesign ausgewählt. Es ist wichtig zu betonen, dass Eisenhardt (1989a, S. 536) feststellt, dass keine Hypothesen vor der Untersuchung bestehen sollen. Im nächsten Schritt werden die Instrumente und Datensammlungsmethoden festgelegt. Eisenhardt (1989a, S. 538) plädiert auch hier für eine kombinierte Anwendung von verschiedensten qualitativen und quantitativen Methoden, weil „[it] provides stronger substantiation“. Charakteristisch für Fallstudien ist die Tatsache, dass Datensammlung und -analyse oftmals reziprok sind. Daher wird eine flexible Art der Datensammlung, wie zum Beispiel Notizen und dergleichen, vorgezogen. Die Datenanalyse stellt das Herz einer Fallstudie dar und ist gleichzeitig der schwierigste Schritt im Prozess. Im nächsten Schritt werden iterativ auftauchende Muster der Theorie mit Tatsachen aus den Fallstudien verglichen. Bevor die Fallstudienforschung
13 abgeschlossen ist2 , werden die Ergebnisse aus den Fallstudien mit dem Wissen in der Literatur verglichen. Dies kann konfliktär oder bestätigend sein. Grundsätzlich ist der gesamte Prozess nicht linear, sondern hat Regelkreischarakter (Rückkopplungsschleifen). Der Gesamtprozess von Eisenhardt (1989b) wird in dieser Arbeit mit Prozessdetails von Yin (2003b) angereichert. Auch Yin (2003b, S. 20ff) fordert ein Forschungsdesign, um von den Forschungsfragen zu den Antworten zu gelangen. „A research design is as a „blueprint“ of research, dealing with at least four problems: what questions to study, what data are relevant, what data to collect, and how to analyze the results.“ (Yin, 2003b, S. 21). Yin (2003b) untergliedert das Forschungsdesign in fünf Komponenten: 1. Die Forschungsfragen, 2. deren Prämissen und Annahmen, 3. das Analyseobjekt, 4. die Verlinkung der Daten zu den getroffenen Annahmen und 5. Kriterien für die Interpretation der Ergebnisse. Ebenso fordert er die Inklusion der Theorie bereits am Beginn des Prozesses. Die Einsichten von Eisenhardt (1989b), Yin (2003b) und anderen Autoren/innen wie z.B. Schnell et al. (2005, S. 8)3 werden in dieser Arbeit kombiniert und damit der Prozess von Eisenhardt (1989b) näher konkretisiert (vgl. Abbildung 4.3). Die Forschungsfragen, Subforschungsfragen, Ziele, Nichtziele, Zielgruppen wurden bereits im ersten Teil dargelegt (Abschnitt „Arbeitsbasis“ auf Seite 1). Als zweiter Ausgangspunkt gilt die Theorie (Abschnitt „Das Forschungsgebiet der Strategischen Frühaufklärung“ auf Seite 15). Dieser Punkt umfasst die nähere Definition des Forschungsschwerpunktes Strategische Frühaufklärung und eine ausführliche Literaturrecherche.
Abbildung 4.3: Gesamtkonzept der vorliegenden Arbeit
2 Dies ist der Fall, wenn das inkrementelle Lernen und die Verbesserung der Theorie minimal sind (Eisenhardt, 1989a, S. 545) 3 Schnell et al. unterteilen den Forschungsablauf in 1. das Problem, 2. Theorie, 3. Konzept mit Untersuchungsform und Untersuchungseinheit, 4. Datenerhebung, 5. Datenerfassung, 6. Datenanalyse, 6. Publikation.
14
KAPITEL 4. GESAMTFORSCHUNGSDESIGN
Obwohl Eisenhardt (1989a) behauptet, eine Fallstudienarbeit solle ohne Theorie beginnen, muss trotzdem eine erste theoretische Basis geschaffen werden, um den Fokus festzulegen und auch die Befragungen mit Unternehmen effizient gestalten und nutzen zu können. Die Theorie ist demnach zur Bestimmung des Rahmens der Studie nötig. Daraus abgeleitet ergeben sich die ersten Testaussagen, die die Empirie gliedern und führen. Es muss klar sein, was untersucht wird und warum es untersucht werden soll, bevor das WIE, der Vorgang der Untersuchung, genau festgelegt werden kann (Yin, 2003b, S. 28): „For case studies, theory development as part of the design phase is essential, whether the ensuing case study’s purpose is to develop or test theory“. Abgeschlossen wird das Kapitel „Das Forschungsgebiet der Strategischen Frühaufklärung“ mit Details zum Strategischen Frühaufklärungsprozess, da dieser den Hauptschwerpunkt der Arbeit darstellt. Die Empirie wird im nächsten Teil auf Seite 81 kurz angesprochen, d.h. die Details zur Studie und die Vorgehensweise. Eine Schritt-für-Schritt Dokumentation liegt im separaten „Empirischen Tagebuch“ vor. Die während der gesamten Arbeit generierten Testaussagen (zur Bündelung und Fokussierung der Untersuchung) sind ebenso Bestandteil des Empirischen Tagebuchs. Der nächste Teil der Arbeit widmet sich der Auswertung der Befragung und der Ableitung von Hypothesen (Abschnitt „Die Phasen und Prozessarten des Strategischen Frühaufklärungsprozesses“ auf Seite 125 und „Die Einflussfaktoren im Strategischen Frühaufklärungsprozess“ auf Seite 205). In den Schlussfolgerungen (siehe Abbildung 329) werden alle Einsichten zu einem Prozessmodell verflochten. Das Resumée und ein kurzer Ausblick (siehe Abbildung 355) runden die Arbeit ab. Für die Unternehmen werden Handlungsleitfäden erstellt.
Teil II Das Forschungsgebiet der Strategischen Frühaufklärung
Kapitel 5 Ursprung der Strategischen Frühaufklärung Ausgangspunkt der SFA1 ist (wie bei Strategie) der militärische Bereich. Dortiges Ziel war es, durch z.B. Späher, Kundschafter, Luftraumüberwachung, Spione oder Aufklärungsflugzeuge (vgl. Hammer, 1992, S. 171; Simon, 1986, S. 14; Müller, 1981, S. 62; Klausmann, 1983, S. 40) Aktionen des Gegners frühzeitig zu antizipieren. Auch die Gebiete der Biologie (Vogelwarnrufe,...), Medizin (Krebsfrüherkennung, Fieber als Anzeichen für Entzündungen,...), Technik und Konjunkturtheorie nutzen Varianten der Frühaufklärung (Hammer, 1992, S. 171; Klausmann, 1983, S. 40). Die Wurzeln der Frühaufklärung liegen in den großen Veränderungen, die Anfang der 70er Jahre stattfanden. Rückgängiges Wirtschaftswachstum, wachsende Instabilität und unvorhergesehene Veränderungen waren charakteristisch (Welge und Al-Laham, 2003, S. 302). Unternehmen sahen sich zunehmend gezwungen, sowohl interne als auch externe Entwicklungen frühzeitig in ihren Strategieentwicklungsprozess mit einzubeziehen. Unternehmen und Wissenschaftler differenzieren die Entwicklung zur SFA von heute anhand verschiedener Kategorisierungsschemata.2 Erste Ansätze wurden unter dem Namen Frühwarnung (vgl. Rieser, 1978; Gareis, 1994) (auch „erste Generation“ (1973-1977) (Simon, 1986, S. 28ff); „operative Frühwarnung mit Hilfe von Kennzahlen, Hochrechnungen zur Erkennung von Risiken“ (ca. 1970) (Weigand und Buchner, 2000, S. 11)) bekannt, welche sich auf die frühzeitige Ortung von Bedrohungen konzentrierten. Grund dafür sah man in der erhöhten Turbulenz der Umwelt und der gleichzeitig reduzierten Flexibilität der Unternehmen (Rieser, 1978, S. 53). Die ersten Ansätze orientierten sich an Kennzahlen und Hochrechnungen (Klausmann, 1983, 1 Die Arbeit konzentriert sich auf die SFA. Dieser Begriff wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Daher kann es durchaus vorkommen, dass in direkten Zitaten nicht konkret von Frühaufklärung gesprochen wird, sondern z.B. von Früherkennung. 2 Eine mögliche Typologie anhand verschiedenster Kriterien wie Methodenorientierung oder Anwendungszweck versuchen Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 22ff), Weigand und Buchner (2000, S. 11), Hammer (1992, S. 175ff),...
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18
KAPITEL 5. URSPRUNG DER SFA
S. 41). Diese Richtung entstand in den 70er Jahren aus der operativen Unternehmensplanung (Welge und Al-Laham, 2003, S. 303). Durch Unter- oder Überschreitung von vorab definierten Schwellenwerten von Kennzahlen (in Kennzahlensystemen; interne und kurzfristige Abweichungs- und Ursachenanalysen zwischen Ist-, Soll-Werten und Planwerten sowie externe abgeleitete Abschätzungen von Unternehmensentwicklungen von Rechnungswesen- und Bilanzdaten) wurden Warnmeldungen ausgesendet (Wiedmann, 1984, S. 3; Liebl, 1991, S. 4). Die Planungshochrechnung3 versuchte, durch stete Ist- und Sollvergleiche frühzeitig Abweichungen festzustellen. Die Wirksamkeit dieser Ansätze war jedoch durch die ausschließliche Vergangenheitsorientierung und einseitige Ausrichtung auf Risiken begrenzt (für nähere Ausführungen siehe Klausmann, 1983; Gareis, 1994, S. 41f).
Abbildung 5.1: Von der Frühwarnung zur Frühaufklärung Diese Orientierung wurde durch die Früherkennung (Gareis, 1994, S. 119) (auch „zweite Generation“ (1977-1979) (Simon, 1986, S. 28ff); „operative Früherkennung mit Hilfe von Indikatoren zur Erkennung von potenziellen Chancen und Risiken“ (1975) (Weigand und Buchner, 2000, S. 11)) erweitert, welche neben den Gefahren auch Chancen mit einbezog. Damit wurde eine weitere Umweltperspektive einbezogen (Wiedmann, 1984, S. 4). Während dieser zweiten Entwicklungsstufe wurde der Fokus auf Indikatoren (Klausmann, 1983, S. 42ff), also Größen, die in vorab definierten Bereichen positive oder negative Entwicklungen frühzeitig aufweisen, gelegt. Dabei spielte die Orientierung an Sollwerten und Toleranzen eine große Rolle. Der Hauptnachteil dieses Ansatzes war aber gerade dort zu sehen, denn es mussten einige wenige, überschaubare und aussagekräftige Indikatoren de3 Durch die fehlende Zukunftsorientierung und -ausrichtung des klassischen Rechnungswesens wurde versucht, diese mit der zukunftsorientierten Planungshochrechnung zu verbinden. Entgegen der traditionellen Vorgehensweise, das Soll mit dem Ist zu vergleichen, wurden die Soll- den Ist-Daten zu den jeweiligen Periodenenden gegenübergestellt. (vgl. Mayr, 1994, S. 38ff)
19 finiert werden. Außerdem wurde dieser Ansatz oftmals mit eher kurzfristig ausgerichteten Entwicklungen in Verbindung gebracht (Klausmann, 1983, S. 43). Die bisher letzte Stufe führt zur Frühaufklärung (Gareis, 1994, S. 122) (auch „dritte Generation“ (ab 1979) (Simon, 1986, S. 28ff); „strategische Früherkennung (1980) (Weigand und Buchner, 2000, S. 11)), welche neben der Erkennung von Bedrohungen (Risiken) und Chancen, auch die Initiierung von Gegenmaßnahmen, also die Reaktion auf schwache Signale zum Inhalt hat. Somit ist eine verstärkte Fokussierung auf die Entwicklung strategischer Antworten und die umfassende Eingliederung in die strategische Unternehmensführung erkennbar (Wiedmann, 1984, S. 5; Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 21f; Welge und Al-Laham, 2003, S. 302; Hammer, 1992; Nagel, 1994). Diese dritte Stufe resultierte aus zwei Kritikpunkten der Vorgängermodelle: 1. Die eigenständige Stellung und fehlende Integration der Systeme, welche sich als nicht ideal erwies und 2. der Einsatz von klassischen Theorien und Methoden, die vollkommene Informationen voraussetzen (Liebl, 1996, S. 6f).4 Da in der Literatur keine einheitliche und umfassende Erläuterung der verschiedenen Stufen und deren Ausprägungen vorliegt, werden unterschiedlichste Namen dafür gebraucht: Generation 1, 2 und 3 bzw. Stufe 1, 2 und 3 usw.. Die Autorin hat diese zusammengefasst (siehe Abbildung 5.1, entnommen aus Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 21). Die ersten beiden Generationen stellen eine operative Ausrichtung dar. Nur die dritte Generation positioniert sich strategisch und fasst Risiken sowie Chancen mit möglichen Reaktionsmustern zusammen.
4 Weigand und Buchner (2000, S. 19) entwickelten die dritte Generation weiter und benannten eine vierte Generation: die „Integrative Frühaufklärung“. Sie entstand aus den Forderungen der Praxis, Instrumente und Modelle aus den drei Vorgängergenerationen zu verbinden und die Handhabung in der Praxis damit zu erleichtern („handlungsorientierte Frühaufklärung“). Ein Grundgedanke ist dabei die Verknüpfung der Frühaufklärung mit dem Konzept des Vernetzten Denkens. Obwohl sich dieser Ansatz theoretisch als sehr erfolgversprechend präsentiert, konnte er bislang nicht in bestehende Managementsysteme integriert und daher nicht systematisch eingesetzt werden.
Kapitel 6 Detailaspekte der Strategischen Frühaufklärung Zur näheren Charakterisierung der SFA sollen zunächst angelehnte oder zu Grunde liegende Theorien (sogenannte „Basistheorien“ auf der nächsten Seite) näher erläutert werden. Diese Theorien stammen aus unterschiedlichsten Forschungsdisziplinen und zeigen die vielseitige Einsetzbarkeit der SFA auf. Sie wird demnach auch als „Multi-Paradigma Forschung“ (siehe Kapitel 6.2 auf Seite 23) verstanden, d.h. speist ihre Einsichten aus unterschiedlichsten Disziplinen und Forschungsgebieten wie Marketing, Ethik oder Management. Obwohl dies die Thematik verkompliziert, können dadurch neue Einsichten gewonnen werden. Weiterführend wird das Gebiet der SFA in dieser Arbeit spezifiziert und in das Forschungsgebiet des Strategischen Managements eingegliedert, da dies auch das Hauptparadigma der Autorin und der Arbeit darstellt (siehe Kapitel 6.3 auf Seite 25). Im Abschnitt „Leitideen der Strategischen Frühaufklärung“ (siehe Kapitel 6.4 auf Seite 28) werden die Hauptkonstrukte der SFA näher erläutert und diskutiert. Die Abgrenzungen zu anderen verwandten Begriffen und Modellen (siehe Kapitel 6.6 auf Seite 42), sowie eine kurze Erläuterung der häufig mit der SFA verbundenen Problemfelder (siehe Kapitel 6.7 auf Seite 45) beenden den allgemeinen theoretischen Abschnitt (vgl. Abbildung auf dieser Seite).
Abbildung 6.1: Übersicht über die Detailaspekte der SFA
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6.1. BASISTHEORIEN
6.1
21
Basistheorien „But we cannot foresee the future perfectly. The unexpected may happen;...“ (Marshall, 1966, S. 289)
In den nächsten Absätzen werden grundlegende Theorien vorgestellt, die die Basis für die Strategische Frühaufklärung schaffen. Ausgewählt wurden sie aus folgenden Gründen (vgl. Hammer, 1992, S. 239f): 1. Es werden die meisten der hier vorgestellten Theorien in der Literatur mit dem Konzept der SFA in Zusammenhang gebracht. 2. Die vorgestellten Konzepte erweisen sich als theoretisch fundiert und wurden bereits oftmals erprobt und angewandt. 3. Die Vielseitigkeit und Verschiedenartigkeit der Modelle berücksichtigt überdies den Multi-Paradigma-Aspekt der SFA. 4. Sie ermöglichen ein besseres Verständnis der SFA, denn sie beschäftigen sich mit Möglichkeiten, wie schwache Signale erfasst werden können.
6.1.1
Diffusionstheorie
Die erste Theorie beschäftigt sich mit dem Phänomen der Diffusion (vgl. z.B. Liebl, 1991, S. 34ff; Kotzbauer, 1992, S. 49ff). Diffusion bezeichnet jenen Vorgang, durch den eine neue Idee oder Innovation zu neuen Systemmitgliedern kommuniziert wird1 und sich durch eine „Ansteckungswirkung“ wie eine Infektion verbreitet (Hammer, 1992, S. 210)2 . Dieser Prozess vollzieht sich entsprechend der Kommunikationsreife, der Kenntnisnahme, des Interesses und der Umsetzungsbereitschaft der Betroffenen (Simon, 1986, S. 127). „Gegenstand der Diffusionsforschung ist also die Erkundung des Weges der Ausbreitung neuer Verhaltensformen“ (Hammer, 1992, S. 210). Somit stehen der Informations- und Kommunikationsaustausch im Vordergrund. Individuen beteiligen sich an dieser Diffusion und nehmen die angebotenen Ideen oder Innovationen wahr oder verwerfen diese. Veränderungen, wie Gesetze oder Wertewandel, ereignen sich nach der Diffusionstheorie nicht überraschend und ohne Vorwarnung, sondern werfen, wie im Konzept Ansoffs (schwache Signale (1975) siehe „Schwache Signale (’weak signals’) vs. starke Signale (’strong signals’ auf Seite 36) einen langen Schatten voraus. Diese Anzeichen können z.B. Medienberichte oder Vorläuferereignisse sein. Verfolgt man diese Veränderungen über die Zeit 1 Malcolm Gladwell untersucht in seinem Buch „The tipping point - how little things can make a big difference“ jenen magischen Moment, an dem eine Idee, ein Trend oder ein soziales Verhalten einer einzelnen Person oder einer kleinen Personengruppe sich plötzlich rasant ausbreitet (siehe Gladwell, 2000). 2 Dies kann mit konstanter, epidemischer oder kombinierter Ausbreitung vonstatten gehen (vgl. Hammer, 1992, S. 212).
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
22
hinweg, entstehen sogenannte „Trendlinien“ (Liebl, 1991, S. 35). Kennen Organisationsmitglieder typische Diffusionsfunktionen, so können sie Zeit für bevorstehende Veränderungen gewinnen (Simon, 1986, S. 127) und als Innovatoren/innen in Erscheinung treten. Die Diffusionstheorie zeigt somit eine Möglichkeit auf, mit Umbrüchen umgehen zu können.
6.1.2
Produkt-Lebenszyklus Modelle
Wie in der Diffusionstheorie werden für die Produkt-Lebenszyklen vorhersehbare standardisierte Abläufe angenommen. Der Produkt-Lebenszyklus informiert über die Entwicklung eines Produktes, ausgehend von seiner Entstehung über seine Bekanntwerdung, Wachstum, Reife bis zum Ausscheiden. Wie die SFA versucht dieses Modell (neben Sättigungsmodellen (Hammer, 1992, S. 214)) nicht nur frühzeitig Diskontinuitäten, sondern auch Abweichungen vom normalen und erwarteten Entwicklungspfad aufzuzeigen. Obgleich diese Modelle oftmals wegen ihrer falschen Prognosefähigkeit und -richtigkeit kritisiert wurden, helfen sie durch die impliziten Annahmen gewisser Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungswerte, Vorhersagen zu treffen. „Durch die Generierung alternativer Wachstumspfade und die Sichtbarmachung der Auswirkungen auf eben beispielsweise den Absatzverlauf, lassen sich strategisch relevante Schlußfolgerungen ableiten...“ (Hammer, 1992, S. 214). Hammer (1992, S. 215) ordnet ihnen eine Planungshilfe im Sinne einer „What-if-Prozedur“ bzw. einer „How-to-achieve-Prozedur“ zu.
6.1.3
Evolutionstheorie und Informationsprozesse
Autoren/innen (z.B. Müller, 1981, S. 21) behandeln das Feld des Strategischen Managements oftmals anhand des Konzepts der „geplanten Evolution“, d.h. „das Herantasten an neue Unternehmenskonstellationen unter Beachtung der relevanten Umweltgegebenheiten“. Diese Autoren/innen unterstellen die Koevolution zwischen Unternehmen und Umwelt. Hammer (1992, S. 227f) verbindet damit, „daß Plankorrekturen nicht immer nur das Ergebnis einer schlechten Planung darstellen, sondern uns vielleicht den Weg in eine neue empirische Wirklichkeit weisen. Gelingt es über diese systematischen Analysen, immer wiederkehrende Mechanismen der Evolution zu entdecken, so kann – situative Überprüfung vorausgesetzt – die Menge der möglichen zukünftigen „Mutationsstufen“ eingeengt werden.“ Der Evolutionsprozess ist nach der Theorie „Regeln als ordnende Kraft“ 3 durch gewisse Regeln geprägt. Diese beeinflussen die Erwartungen und somit auch das Verhalten der Akteure. Zu ihnen zählen jene, die bewusst von Menschen geschaffen wurden, und jene, die unbewusst entstanden sind (intuitiv). Somit können gewisse Gesetzmäßigkeiten vorausgesetzt werden, die den Einsatz einer Frühaufklärung ermöglichen. 3
(Müller, 1981, S. 28)
6.2. MULTI-PARADIGMA FORSCHUNG
23
Einen wichtigen Bestandteil für Evolutionsprozesse ist der Informationsprozess (Müller, 1981, S. 24ff). So zeichnen sich Informationen anhand dreier Merkmale bzw. Welten aus: 1. Welt 1: Physikalische Welt (Artefakte, Biologie,...) 2. Welt 2: Bewusstseinszustände (subjektives Wissen wie Wahrnehmung, Gefühle, Erinnerungen, Träume, Kreativität, Denken, Absichten,...) 3. Welt 3: Wissen im objektiven Sinn (kulturelle Kodierung z.B. in wissenschaftlichen, technologischen, theologischen und theoretischen Systemen) Treffen Informationen ein, so besitzen sie zuerst nur den semantischen Aspekt der dritten Welt. Durch die Wahrnehmung und Beeinflussung des Empfängers werden die Informationen in Welt 2 getragen und anschließend in die Welt 1 geführt (Müller, 1981, S. 26). Diese Informationsprozesse werden in der vorliegenden Arbeit in den weiteren Ausführungen einen wichtigen Stellenwert einnehmen, da SFA eng mit Informationsprozessen verbunden ist. Das Gleiche gilt für die Grundannahmen der Evolutionstheorie, nach der alles planbar und vorhersehbar ist. Diese Machbarkeit und Beherrschbarkeit ist jedoch oftmals reine Illusion, genau wie das Trugbild eines ’rational man’: „Es wird übersehen, daß Unternehmen – wie jedes soziale System – weitgehend selbstorganisierenden Mechanismen unterliegen.“ (Müller, 1981, S. 23).
6.1.4
Mathematische Katastrophentheorie
Die mathematische Katastrophentheorie zeigt anhand von stetigen Prozessen auf, wie „ein stabiler Gleichgewichtspfad instabil werden kann“ (Hammer, 1992, S. 203). Sie bedient sich einer Formelsprache und bringt den Vorteil eines breiten Einsatzspektrums mit sich. Sogenannte Katastrophenstrukturen zeichnen sich dabei durch Mehrdeutigkeit (Bimodalität), Unstetigkeiten (Diskontinuitäten bzw. Katastrophen), Hysteresis (Reaktionsverzögerung) und Divergenz (Entwicklungen in sehr verschiedene Richtungen) aus. Somit weisen sie ebenfalls auf Umbrüche in der Umwelt hin. Kleine Störungen können sehr schnell zu Umbrüchen im System führen. Allerdings sieht sich die mathematische Katastrophentheorie ähnlichen Kritikpunkten gegenüber wie jene der Statistischen Modelle. Sie kann keine Prognosetätigkeiten vollbringen, ist lückenhaft und praxisfern, allerdings kann sie neue Einsichten in die unterliegenden Mechanismen von Veränderungen geben.
6.2
Multi-Paradigma Forschung
Unterschiedlichste Forschungsstränge haben das Gebiet der Frühaufklärung beeinflusst und geprägt („Multi-Paradigma Forschung“ (Hammer, 1992, S. 168f) oder mit einer negativen Konnotation: „Multi-Paradigma-Problem“ (Kirsch und Trux, 1979, S. 50)). So weisen
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
24
Kirsch und Roventa (1983, S. 230f), Müller (1981, S. XXIII) und Kirsch und Trux (1979, S. 51) auf folgende Forschungsdisziplinen und deren Beitrag (sowie gleichzeitig einseitige Ausrichtung) hin: • Informationswissenschaften bzw. angewandte Informatik reichern die SFA mit Informations- und Dokumentationssystemen an. • Unternehmens- bzw. Systemforschung bietet Modelle zur Entwicklung und Analyse. • Statistik befasst sich mit der Entwicklung und Erfassung von Frühindikatoren durch Methoden, wie die Zeitreihenanalyse oder Trendextrapolation. • Rechnungswesen fokussiert sich auf Kennzahlensysteme und deren untypische Entwicklung. • Innovations- und Diffusionsforschung behandelt die Verbreitung von Ideen nach vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten. Deren Kenntnis erleichtert das Auffinden schwacher Signale oder Gelegenheiten. • Organisationsforschung beleuchtet Informationspathologien und deren Auswirkungen. • Wissenschaftstheorie weist auf die Logik der Frühaufklärung hin und beachtet den Einfluss neuer wissenschaftlicher Sichtweisen auf das Forschungsgebiet der Frühaufklärung. • Erziehungswissenschaft behandelt die Auswirkungen des Bildungssystems und dessen Ausrichtung auf Aufklärungssensibilisierung zukünftiger Mitarbeiter/innen. Alle Disziplinen weisen allerdings nur auf einen Teilaspekt des Forschungsgebietes hin. Deshalb soll im Rahmen der Arbeit immer wieder auch auf Ideen und Theorien von anderen wissenschaftlichen Gebieten (Kognitionsforschung, Kommunikationsforschung,...) Bezug genommen werden, um der Komplexität des Themas zu entsprechen. Liebl (2003) führt darüber hinaus die Entwicklungen in der Ethik, der Organisationstheorie, den Kommunikationswissenschaften (PR), des Marketings, des Controllings und des Strategischen Managements auf die Entstehung der Forschungsdisziplin zurück (siehe Abbildung 6.24 ). 4
Liebl (2003, S. 65).
6.3. STRATEGISCHES MANAGEMENT UND SFA
1963
1975
25
1980
1990
2000
Business Ethics
Ethik
Organisations− Theorie
Stakeholder
Kommunikations− wissenschaften/PR
Agenda Setting
Issue Attention Cycle
Issues Management
Environmental Scanning
Weak Signals
Strat. Issue Management
Strategische Planung/ Strat. Management
Corporate Citizenship
Stakeholder Management
Früh− warnung
Früh− erkennung
Strategic Issues Management
Strat. Früh− aufklärung
Marketing
Wertewandel− forschung
Controlling
Frühwarn− systeme
Trend− forschung
Corporate Branding Risiko− Management
Abbildung 6.2: Entwicklungsstränge des ’issue managements’ Liebl (2003, S. 65) betont, dass sich vor allem die Forschungsdisziplinen Public Relations und Strategisches Management mit der Thematik auseinandersetzen. Public Relations befasst sich hauptsächlich mit der Kommunikationsstrategie zu relevanten Stakeholdern über brisante Themen und hat seine Wurzeln in der Medienwirkungsforschung (für nähere Ausführungen und Details siehe Liebl, 2003). Das Strategische Management befasst sich mit dem Thema schon seit seiner Entstehung in den 60er Jahren.5
6.3
Das Strategische Management und die Strategische Frühaufklärung „Mit der Lösung der Aufgaben einer Strategischen Frühaufklärung eng verbunden ist der Erfolg eines Strategischen Managements.“ (Müller, 1981, S. 6)
Als Hauptaufgabe des Strategischen Managements (nach Müller, 1981, S. 16; Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 160) wird die Steuerung, Koordination und Kontrolle des Unternehmens mit der Umwelt gesehen. Das Unternehmen steht nach diesem Ansatz (z.B. Milliken, 1987) in einem Austauschverhältnis mit der Umwelt. Dabei wird in der Literatur 5 Aguilar (1967) z.B. behandelt das wichtige Thema des ’environmental scannings’, also der Umfeldbeobachtungen eines Unternehmens (in Liebl, 2003, S. 66).
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
26
unterschieden, ob Unternehmen völligen Einfluss auf die Gestaltbarkeit der Umwelt haben, oder nur reaktiv auf Umweltveränderungen reagieren können. Wichtig für die vorliegende Arbeit ist, dass ein gewisses Einflussverhältnis besteht und sich das Unternehmen mit der Umwelt befasst. Die Teilkomponenten des Strategischen Managements sind (vgl. Müller, 1981, S. 18ff): 1. Exploration (= stete Ausschau nach Problemfeldern und Möglichkeiten) 2. Strategische Analyse (= Erforschung der Ursachen) 3. Strategische Planung (= Formulierung der Unternehmenspolitik inklusive der dafür nötigen Schritte) 4. Strategische Steuerung (= Kontrolle und Durchsetzung der geplanten Aktionen) 5. Flankierende Systeme, z.B. Informations- und Dokumentationssysteme, Anreizsysteme, Operative Planungs- und Kontrollsysteme, Management Development (Bildungssysteme) Die SFA wird als Teilbereich des Strategischen Managements angesehen (Liebl, 1991, S. 4). Vielerorts wird ihre Stellung in der Unternehmensplanung diskutiert6 . Dabei widersprechen sich Autoren/innen oftmals in der Eingliederung der SFA in das übergeordnete System. Manche sehen die SFA in einer Alleinstellungsposition, andere als reinen Zusatz zur bestehenden Strategischen Planung. Überdies wird die Frühaufklärungsfunktion in unterschiedlichen Teilen der Unternehmung oder in verschiedenen Prozessschritten gesehen. Hammer (1992, S. 277 ) z.B. spricht sich für eine verstärkte Integration von der SFA mit der Strategischen Planung aus. Er verknüpft dabei die beiden Prozesse an unterschiedlichen Stellen. Die übergreifenden Elemente befinden sich demnach 1. bereits in der strategischen Analyse und Prognose, 2. erst bei der Ziel- und Strategieentwicklung und 3. spätestens in der Kontrolle, um frühzeitig Frühaufklärungsinformationen einzuspeisen. Die Integrationswirkung nimmt von der ersten bis zur dritten Ebene ab. Dem Unternehmen stehen nach Ansoff (1975) zwei Möglichkeiten zur Antizipation von Überraschungen bzw. strategischen Diskontinuitäten (Kirsch und Roventa, 1983, S. 221; Kast, 1980, S. 23) zur Verfügung: die ex-post Reaktion in Form eines Krisenmanagements (i.S. von „Brand löschen“) oder die ex-ante Antizipation, d.h. das Treffen von Vorüberlegungen und Vorkehrungen bevor es zu einer Überraschung kommt (Risiko- und Chancenmanagement). Krisenmanagement verstehen Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 27) als Komplementär zur Frühaufklärung. Ansoff (1975, S. 22) benennt diese beiden Ansätze „before-fact approach“ und „after-the-fact responsiveness“ (= Krisenmanagement7 ). Diese beiden Ansätze sind in Tabelle 6.1 kurz wiedergegeben (vgl. Wiedmann, 1984, S. 15): 6 7
(Hammer, 1992, S. 264ff) Für weitere Ausführungen siehe Krystek (1981); Gareis (1994).
6.3. STRATEGISCHES MANAGEMENT UND SFA Before-Fact Approach Die Grundidee liegt in der antizipativen Früherkennung, die die mangelnde Vorhersehbarkeit von Diskontinuitäten oder strategischen Überraschungen begrenzen und genügend Zeit für die Entwicklung von Strategien gewährleisten soll. Strategische Diskontinuitäten verlieren durch Vorbereitung an Dringlichkeit, Ungewissheit und Plötzlichkeit (Ansoff, 1975, S. 22). Die Stoßrichtung geht in Richtung Ausbau und Verfeinerung der Informationssysteme bzw. der Analyse- und Prognosetechniken (’strategic issue analysis’). Es wird dabei unterstellt, dass Diskontinuitäten sich zumeist durch sogenannte schwache Signale ankündigen und damit prinzipiell antizipierbar sind.
27
After-Fact Approach Die Grundidee konzentriert sich auf eine Erhöhung der Abwehrbereitschaft („preparedness“) des Unternehmens, die ein schnelles und wirkungsvolles Krisenmanagement ermöglichen soll, wenn (doch) strategische Überraschungen eintreten. Um diesen Ansatz zu verdeutlichen, zieht Ansoff den Vergleich einer Feuerwehr, die sich durch entsprechende Maßnahmen systematisch auf potenzielle Brände einstellt. Die Maßnahmen hierzu sind in diesem Fall eher im Bereich der Organisation und Führung sowie einer Schubladenplanung angesiedelt.
Tabelle 6.1: Ansätze des Strategischen Managements nach Ansoff (1975) Zwei Determinanten sind ausschlaggebend für eine SFA: 1. Die externe Geschwindigkeit des Auftretens von Diskontinuitäten (welche sich im Allgemeinen in den letzten Jahren beschleunigt hat) und 2. die für die vom Unternehmen zur Reaktion benötigten Zeit (welche sich verlangsamt hat) (Mayr, 1994, S. 84). Nachteile eines ’after-the-fact approaches’ liegt in der späten Reaktion und dem damit entstehenden Zeitdruck und der Unmöglichkeit, den bereits entstandenen Schaden zu verhindern (Trux et al., 1988, S. 318). Reagiert das Unternehmen zu spät, werden Chancen nicht erkannt bzw. können auf Grund fehlender Ressourcen8 nicht genutzt werden. Schlimmstenfalls ist überhaupt keine Reaktion des Unternehmens auf die Turbulenz mehr möglich. In letzter Folge kann nur ein Krisenmanagement das Unternehmen retten, welches allerdings meist kostenintensiver ist als die Frühaufklärung. Weigand und Buchner (2000, S. 3) plädieren daher 1. für eine Erhöhung der Flexibilität von Unternehmen, um auf Veränderungen schneller anpassungsfähig zu sein, 2. für die Erkennung frühzeitiger Informationen vor dem Eintreten der Entwicklung und 8
Diese werden zur Abwehr benötigt.
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
28
3. für eine strategie- und zukunftsgerichtete Unternehmenssteuerung, um den derzeitigen und erwarteten Bedingungen gerecht zu werden9 . In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls für eine Integration der SFA bereits ab der ersten Stufe des Strategieentwicklungsprozesses plädiert. Man könnte sogar sagen, dass SFA noch vor der Strategischen Planung stattfindet und diese mit Frühaufklärungsinformationen speist (vgl. Abbildung 6.3).
Abbildung 6.3: Strategische Frühaufklärung am Beginn des Strategischen Managementprozesses Der Prozess der SFA beginnt vor dem Gesamtprozess des Strategischen Managements. Wichtig ist die Tatsache, dass SFA nicht als weiteres flankierendes System des Strategischen Managements verstanden wird (Müller, 1981, S. 7).10
6.4
Leitideen der Strategischen Frühaufklärung
Um das Gebiet der Frühaufklärung verständlicher zu machen, sollen Grundbausteine und Gedankengerüste vorgestellt werden: auftretende Diskontinuitäten in unsicheren und komplexen Umwelten, die Thematik der strategischen ’issues’ und das Konzept der schwachen Signale (vgl. Abbildung 6.4). Die Grafik verdeutlicht die zeitliche Abfolge der oben genannten Begriffe: so folgt auf das Wahrnehmen von Diskontinuitäten die Entdeckung schwacher Signale (als Anzeichen von Diskontinuitäten). Diese weisen bereits einen höheren Wissens- und Informationsgehalt auf als Diskontinuitäten (vgl. Abbildung 6.6). Konkrete Bereiche, die aus schwachen Signalen entstehen und eine strategische Relevanz für Unternehmen haben, sind ’strategic issues’. Sind sich Entscheider/innen des Chancen- oder Bedrohungsaspektes dieser ’issues’ bewusst, so ist die Auswirkung dieses Ereignisses auf das Unternehmen bereits sehr konkret. Auf die Wahrnehmung von schwachen Signalen kann eine Aktion von Seiten des Unternehmens folgen (Antwortstrategien). Die Begrifflichkeiten werden anschließend noch genauer untersucht. Ausgangspunkt für die SFA ist eine hohe Umweltturbulenz. 9 Weigand und Buchner (2000, S. 4) geben die Empfehlung, die Zukunft früher in Überlegungen miteinzubeziehen und über gegenwärtige und zukünftige Zusammenhänge, Anpassungsverhalten und Flexibilität, Strukturänderungen und neues Wissen zu diskutieren. 10 Zu diesen Systemen zählen unter anderem Anreiz- bzw. Sanktionssysteme, Informations- bzw. Dokumentationssysteme Organisationsentwicklung und Management Development (vgl. Müller, 1981, S. 267; Mauthe, 1988, S. 500).
6.4. LEITIDEEN DER SFA
29
’strategic issues’
ERKENNEN
schwache Signale
Bedrohung Chance
t
HANDELN
Aktion
steigender Wissens− und Informationsgrad
Diskontinuitäten
Abbildung 6.4: Zusammenhang zwischen Diskontinuitäten, ’strategic issues’ und schwachen Signalen
6.4.1
Umwelt und Turbulenz „...uncertainty is opportunity.“ (Saffo, 2007, S. 124)
Wie im folgenden Abschnitt ersichtlich, wird bei der SFA eine komplexe und sich wandelnde Umwelt angenommen (vgl. Eisenhardt, 1989b).11 Umwelt kann dabei unterschiedlich definiert werden (vgl. „Umweltverständnis“ Abschnitt 8.3 und Lenz und Engledow (1986)). Wichtig für eine SFA ist das Wissen um eine Umwelt, das heißt die Existenz einer Außenwelt. Früher wurden die Umwelten negiert oder auf das Unternehmen selber fokussiert (die produktionsgeleitete Ära) (Miles et al., 1974, S. 245) (vgl. Abbildung 6.5 von Ansoff und Sullivan (1993, S. 12)). In der marktgeführten Zeit (’market driven’) weiteten die Unternehmen ihren Blick und bezogen vermehrt Kunden/innen und deren Wünsche mit ein. In der ’product development driven’ Ära in den 1940er Jahren konzentrierten sich einige Unternehmen auf Produktverbesserungen als Erfolgsfaktor, gleichzeitig wurde vermehrt auf Forschung Wert gelegt (’advanced technology driven’). Alle bisher vier beschriebenen Erfolgskräfte befanden sich innerhalb des Unternehmens, in den Funktionen Produktion, Marketing, Produktentwicklung oder Forschung. Ab 1950 bezogen die Unternehmen zum ersten Mal vermehrt das externe Umfeld mit ein und beschäftigten sich mit der Frage über zukünftige kritische Erfolgsfaktoren und Chancen und wie diese durch Strategien beeinflusst werden können: „...environment driven firms.... continually monitor the environment for signs of demand saturation, technology substitution, 11 Damit ist auch die Wichtigkeit der Außenorientierung einer SFA angesprochen (vgl. Abschnitt „Innensicht vs. Aussensicht der Strategischen Frühaufklärung“ auf Seite 40).
30
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
Abbildung 6.5: Führende Erfolgskräfte structural discontinuities, and assess the future inherent profitability and growth in their historical markets.“ (Ansoff und Sullivan, 1993, S. 12). „In unserem dynamischen Zeitalter häufen sich die Indizien dafür, daß wir uns an einer evolutionären Schwelle befinden, in einer Phase bedeutsamer Umwälzungen, die für unsere Zukunft, für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft, für die Zukunft von Unternehmungen, von entscheidender Bedeutung ist. Für Leben und Kultur des Menschen bedeutsame Prozesse haben in ihrer Vielfältigkeit und Komplexität eine Eigendynamik entwickelt, die sowohl auf geistiger, als auch auf materieller Ebene in immer kürzeren Intervallen wesentliche Strukturänderungen mit sich bringen oder immer zwingender erforderlich erscheinen lassen.“ (Hammer, 1992, S. 9) Die sich verändernden Umweltbedingungen stellen den Ausgangspunkt einer SFA dar.12 Die Umwelt hat sich dabei nach Aussage vieler Wissenschafter/innen (Zentner, 1981; Milliken, 1987) von einer stabilen zu einer turbulenten Ausrichtung hin verändert13 . Charakteristisch für eine turbulente Umwelt sind folgende vier formalen Dimensionen14 : 12 Für nähere Ausführungen zu Problemverursachern und Änderungen in der Umwelt, sowie zu Führungsschwächen im Unternehmen siehe unter anderem Hammer (1992). 13 Ansoff (1979, S. 21ff) beschreibt die historische Entwicklung der Umwelt, ausgehend von der industriellen Revolution, über die Massenproduktions-Ära, zur Massenmarketing-Ära bis zur postindustriellen Ära. Dabei diskutiert er vor allem die Neuheit des Wandels, die steigende Intensität und Geschwindigkeit und die vermehrte Umweltkomplexität. Ansoff (1979, S. 35) betont die steigende Schwierigkeit der Vorhersehbarkeit der Änderungen in der Umwelt und damit der Fokussierung auf Turbulenzen. 14 Ansoff und Sullivan (1993, S. 13) sprechen von der Komplexität, prägen allerdings die Begrifflichkeiten der Vertrautheit, der Sichtbarkeit von Konsequenzen und der Schnelligkeit.
6.4. LEITIDEEN DER SFA
31
1. Komplexität (versus Einfachheit) (Duncan, 1972; Ansoff und Sullivan, 1993), d.h. die Anzahl der vorhandenen Elemente in der Umwelt ist drastisch gestiegen. 2. Dynamik (Duncan, 1972) (oder „rapidity“ (Ansoff und Sullivan, 1993, S. 13) versus Statik), d.h. die Häufigkeit des Auftretens ist gestiegen und gleichzeitig die Absehbarkeit der Auswirkungen gesunken. 3. Druck, d.h. Freiräume mussten aufgrund vermehrt auftretender Regelungen weichen. 4. Unsicherheit15 . Diese vierte Dimension resultiert aus den drei vorher genannten Ausprägungen. Ansoff und Sullivan (1993) nennen diese Dimension „visibility“, d.h. inwieweit die Konsequenzen der Veränderung sichtbar sind bzw. „familiarity“, d.h. ob die Änderungen bekannt sind. Ansoff und Sullivan (1993, S. 13) spannen somit eine Umwelt-Turbulenz-Skala auf, die von einer eher stabilen (1) bis zu einer sehr turbulenten Umwelt reicht (5) (vgl. Abbildung 6.2). Turbulence Level
1
2
3
4
Complexity
National Economic
+
Regional Technological
+
Familiarity of Events Rapidity of Change Visiblitiy of Future
Familiar
Discontinuous Familiar
Extrapolable
Slower than Response
Comparable to Response
Recurring
Forecastable
Faster than Response Predictable
Partially Predictable
5 Global Socio-Political Discontinuous Novel Much faster than Response Unpredictable Surprises
Tabelle 6.2: Umwelt-Turbulenz-Skala Ansoff und Sullivan (1993, S. 14, 15, 18) stellen der Außenwelt das Verhalten des Unternehmens gegenüber. Dieses kann unterschiedlich intensiv sein (vgl. Abbildung 6.3) (vgl. den Gegensatz zwischen Innen- und Außenwelt in Abschnitt 6.5). Unternehmen reagieren unterschiedlich auf verschiedene Umweltturbulenzausprägungen. In sehr turbulenten Umwelten sind z.B. kreative Vorgehensweisen eher angebracht als in stabilen Umfeldern. Klassischen Instrumenten des Strategischen Managements wird z.B. unterstellt, dass sie in einer turbulenten Umwelt nicht bestehen, bzw. sogar gefährlich sein können (Courtney et al., 1997, S. 68). Auch die Organisationsausprägungen, wie z.B. die Kultur oder das Verhalten der Führungsebene, verändern sich nach Ansoff und Sullivan (1993) oder Duncan (1973, S. 273) je nach Umweltturbulenzausprägung (für nähere Ausführungen zu Organisationscharakteristika und deren Auswirkungen auf den SFA-Prozess 15 Vgl. Rall und König (2005); Milliken (1990); Leifer und Huber (1976); Aaron (2000); Courtney et al. (1997); Khandwalla (1972); Duncan (1972); Milliken (1987); May et al. (2000).
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
32 1
2
3
4
5
Environmental Complextiy
repetitive No Change
Degree of Change
Zero
expanding Slow Incremental Change Incremental
changing Fast Incremental Change Incremental
discontinuous Discontinuous Predictable Change Discontinuous Familiar
surpriseful Discontinuous Predictable Change Discontinuous Novel
(Strategic) Aggressivenesss
stable Stable based on Precedents
reactive Incremental Change based on Experience
anticipatory Incremental Change based on Extrapolation
Culture
Stability Seeking stability seeking Rejects Change
Efficiency Seeking efficiency driven Adapts to Change
Growth Seeking market driven Seeks Familiar Change
entrepreneur Discontinuous New Strategies based on Observable Opportunities Opportunity Seeking environment driven Seeks Related Change
creative Discontinuous Novel Strategies based on Creativity Opportunity Creating environment creating Seeks Novel Change
Precedents
Past Performance
Extrapolation of Past Performance
Vision of the Future
Weak Signals
Responsiveness of General Management Capability Key Data Base
Tabelle 6.3: Organisationsreaktion auf Umweltturbulenzen siehe Kapitel „Organisationscharakteristika“ auf Seite 273). Ansoff und Sullivan (1993, S. 18) führen dabei das Konzept der ’weak signals’ als Hauptinformationsbasis an, das in einer turbulenten Umwelt mit Hilfe von ’issue management’ oder ’surprise management’ zum Einsatz kommt (vgl. Abschnitt „Schwache Signale (’weak signals’) vs. starke Signale (’strong signals’)“6.4.4).
6.4.2
Diskontinuitäten
„With rapid change comes uncertainty. And with uncertainty comes risk – and great opportunity.“ (Courtney, 2001, S. 1) „Diskontinuitäten im Verhalten sozio-ökonomischer Systeme und ihrer Umwelt sind bis dato noch kaum erforschte, aber anscheinend immer häufiger in Erscheinung tretende Phänomene.“ (Hammer, 1992, S. 215). Ansoff (1975) wies in seinem Werk „Managing strategic surprise by response to weak signals“ auf das Phänomen der Diskontinuitäten, also der unerwarteten großen Umbrüche hin. „Eine Diskontinuität ist ein Ereignis, durch welches ein Strukturbruch oder eine Unstetigkeit hinsichtlich des Systemzustandes ausgelöst wird“ (Müller, 1981, S. 37). Ansoff (1975) hielt fest, dass die Zukunft durch die zuneh-
6.4. LEITIDEEN DER SFA
33
mende Umweltdynamik verstärkt von Strukturumbrüchen und Diskontinuitäten geprägt sein wird: „the rate of environmental change has accelerated, and the firm’s response has been made slower by growing size, complexity, and geographic diversifictation“ (Ansoff, 1975, S. 23). Trux et al. (1988, S. 321) unterscheiden dabei zwei Arten: • „Diskontinuitäten, bei denen die gültigen Invarianzen aufgrund bisher bekannter, aber bislang weitgehend „konstanter“ dritter Variablen gebrochen werden.“ (Wiedmann (1984, S. 2) nennt hier als Beispiel die Energiekosten zu Zeiten des Erdölschocks von 1973, die als bekannt und in ihrem Einfluss als konstante Variable gesehen wurden.) • „Diskontinuitäten, bei denen die gültigen Invarianzen aufgrund bisher unbekannter dritter Variablen gebrochen werden.“ (Wiedmann (1984, S. 2) weist auf unerwartete Entwicklungen hin, z.B. in der Mikroelektronik, die sich auf andere Branchen ausweiteten.) Ansoff (1975, S. 22) legt sein Hauptaugenmerk auf strategische Diskontinuitäten, oder „strategic suprises“ 16 , wie er die unbekannten und überraschenden Ereignisse nennt: „such events are strategic surprises: sudden, urgent, unfamiliar changes in the firm’s perspective which threaten either a major profit reversal or loss of a major opportunity“.17 Diskontinuitäten können dabei aus der Unternehmensumwelt oder im Unternehmen selbst entstehen (Liebl, 1991, S. 6). Im Sinne Ansoffs sind Diskontinuitäten für Unternehmen unausweichlich, andererseits können diese mit einer abgestuften Bereitschaft darauf reagieren und sind ihnen nicht unweigerlich ausgeliefert. Ansoff unterscheidet bei dem Auftreten einer Diskontinuität drei Informationsebenen: • Ebene 1: Informationen in der Umwelt – allgemeines, dem Unternehmen zur Verfügung stehendes Wissen. • Ebene 2: Handlungsinformationen in der Unternehmung – im Unternehmen verarbeitetes Wissen (vergangenheitsorientiert). • Ebene 3: Von der Unternehmensführung genutzte Informationen – im Unternehmen verwendetes Wissen (handlungsrelevant). Dabei können zwei Lücken, die Reaktions-18 und die Entscheidungslücke19 entstehen. Um 16 „Eine Strategische Überraschung tritt ein, wenn es nicht gelingt, eine signifikante Abweichung der Entwicklung eines relevanten Faktors von dessen im Plan festgehaltenen Prognosewerten zu antizipieren.“ (Müller, 1981, S. 38). Strategische Überraschungen stellen somit unerkannte Diskontinuitäten dar. Gründe dafür ist die periodische statt kontinuierliche Umweltbeobachtung, Informationsfilter und die fehlende Nutzung von verfügbaren Informationen (Stuiber, 1993, S. 47; Simon, 1986, S. 16). Werden Diskontinuitäten erkannt, so haben sie ihren Überraschungscharakter verloren. 17 (vgl. auch Tushman und Anderson, 1986) 18 zwischen Informationszufluss aus der allgemeinen Umwelt und den Unternehmenshandlungsprogrammen 19 zwischen den bestehenden Unternehmensplänen und der Implementierung dieser
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
34
Diskontinuitäten auszuweichen, müssen beide Lücken reduziert werden. Die Frühaufklärung beschäftigt sich weitgehend mit der ersten Lückenschließung, während die zweite Lücke Bestandteil eines Verhaltensproblems darstellt (Mayr, 1994, S. 83). Bestehende Methoden zur (langfristigen) Prognose erweisen sich als unzulänglich um Diskontinuitäten voraussehen zu können (Hammer, 1992, S. 215; Trux et al., 1988, S. 320). Diskontinuitäten sind allerdings ein wichtiger Baustein zur erfolgreichen Umsetzung von Strategischer Planung und Strategischem Management allgemein. Die Basistheorien (siehe „Basistheorien“ auf Seite 21) können das Phänomen der Diskontinuitäten nur ungenügend erklären. So ist die Umsetzbarkeit der mathematischen Katastrophentheorie als sehr beschränkt einzustufen. „Man sollte sie mehr im Sinne eines Verstehens des Systemprozesses sehen, als im Versuch der Systemprognose“ und eignet sich eher „zur Identifikation von Parametern, bei deren Änderungen die Stabilität des gesamten Systems sehr sensitiv ist“ (Hammer, 1992, S. 215-216). Auch die Diffusionstheorie oder der Produkt-Lebenszyklus können nur Ähnlichkeiten aus bekannten Prozessen herleiten, allerdings keinen Beitrag für völlig neue Entwicklungen liefern.
6.4.3
Public vs. strategic ’issues’
„If you don’t manage issues, issues will manage you“ (Heath und Nelson, 1986 in Liebl, 1991, S. 10) Da die SFA auch im Rahmen der PR- und Kommunikationswissenschaften häufig genannt wird, werden die Begrifflichkeiten ’public issue’ und ’strategic issue’ öfters gebraucht. Im anglo-amerikanischen Sprachraum versteht man unter ’issue’ ein allgemeines öffentliches Anliegen (Liebl, 1991, S. 8). Es wird meist mit sozialen, politischen oder öffentlichen Themen in Verbindung gebracht (spielt sich daher im externen Unternehmensfeld ab (King, 1982, S. 45))20 . Eine eindeutige und gleichbedeutende Übersetzung ins Deutsche ist nicht vorhanden. Der Begriff ’issue’ kommt allerdings dem deutschen Wort ’Thema’ sehr nahe. Ein ’issue’ oder ’Thema’ hat zumeist Relevanz für einen strategischen Bereich, da es Bezug auf ein Ereignis oder eine Gruppe von Ereignissen nimmt. Es umfasst zusammenhängende Ereignisse wie Interpretationen und Veröffentlichungen (dies ist der Unterschied zwischen Ereignis und ’issue’). Es bezieht sich meist auf einen Teil der Gesellschaft und nicht nur auf ein Individuum (Liebl, 1991, S. 8). Als ’issue’ wird ein zukünftiges Ereignis bezeichnet, welches wegen seines Chancen- oder Bedrohungspotenzials noch unbewertet ist (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 31) und sowohl „hard facts“ (z.B. Finanzkennzahlen, usw.) als auch „soft facts“ (z.B. Unternehmensklima, Meinungen, usw.; Liebl, 1996, S. 4) aufweist (Liebl, 2003, S. 63). Ansoff (1980, S. 133) definiert ein strategisches ’issue’ als „a forthcoming development, either inside or 20 Ein Trend entspricht einem ’issue’ im embryonalem Zustand vgl. Liebl (Chase (1984): Ïssue Management - Origins of the Futureïn 2003, S. 63).
6.4. LEITIDEEN DER SFA
35
outside of the organization, which is likely to have an important impact on the ability of the enterprise to meet its objectives.“ Damit werden sowohl Chancen und Stärken, als auch Risiken und Schwächen einbezogen21 . In Unternehmen werden ’issues’ unterschiedlich gehandhabt, abhängig von Ausrichtung und Aufgabe der betrauten Stelle. Daher unterscheidet Liebl (1991, S. 9) grundsätzlich zwei Strömungen:
• ’Public issues’, welche in der Funktion der Public Relations wahrgenommen werden und damit Themen betreffen, die sich auf die Stakeholder (für das Unternehmen wichtige Personengruppen) beziehen. Wirtschaftsethik und Unternehmenskultur werden ebenfalls in diesen Begriff eingegliedert. • ’Strategic issues’22 , welche aus dem Gebiet des Strategischen Managements entstanden, stellen die strategischen Konsequenzen eines Themas in den Mittelpunkt des Interesses. Ereignisse, denen eine hohe strategische Relevanz und Auftrittswahrscheinlichkeit zugeschrieben werden und einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens haben, nennt man ’strategic issues’23 . Ein Thema wird dann strategisch, wenn es auf das Unternehmen einwirkt (Seidl, 2004, S. 153). Die ’strategic issues’ üben einen gewissen Druck auf das Unternehmen aus (King, 1982, S. 45). Wirken sich diese störend auf den momentanen Aktivitätenverlauf des Unternehmens aus, so spricht man von Diskontinuitäten (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 163; Ansoff, 1975, S. 22; siehe „Diskontinuitäten“ auf Seite 32).
Im Zusammenhang mit ’strategic issues’ wird auch von strategischen Informationen gesprochen (Mauthe, 1988). Strategische Informationen werden wiederum mit schwachen Signalen (siehe „Schwache Signale (’weak signals’) vs. starke Signale (’strong signals’)“ auf der nächsten Seite) in Zusammenhang gebracht. Schwache Signale können auf ’strategic issue’ hinweisen (Mauthe, 1988, S. 518; Ansoff, 1975). Üben Stakeholder einen besonderen Druck auf das Unternehmen aus, und kann dieser Druck als Diskontinuität gedeutet werden, so stellen diese ’issues’ ebenfalls strategische ’issues’ dar. Da sich diese häufig durch nicht eindeutige Informationen auszeichnen und voneinander nicht klar abgrenzbar sind (Dutton et al., 1989, S. 380), sind die darauf folgenden Interpretationen und Antwortmöglichkeiten meist subjektiv und kontroversiell. (Liebl, 1991, S. 9) 21 Liebl (1991, S. 9) definiert diese Eigenschaft eines ’issues’ als „werteneutral“ und bezieht somit auch unternehmensinterne Entwicklungen neben öffentlichen Anliegen mit ein. 22 In weiterer Folge wird allerdings das Wort ’strategic issue’, ’issue’ oder Thema gleichbedeutend verwendet. 23 Die Handhabung dieser ’strategic issues’ wird (oftmals in der anglo-amerikanischen Literatur) ’strategic issue management’ genannt. In der vorliegenden Arbeit soll aber der deutsche Ausdruck SFA verwendet werden (vgl. z.B. Camillus und Datta, 1991; Liebl, 2003).
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
36
6.4.4
Schwache Signale (’weak signals’) vs. starke Signale (’strong signals’)
„Rather than an „End of“ mentality, we need a „Beginning of“ attitude. We have to be ready to respond to the early signals, the beginning of the beginning.“ (de Brabandere, 2005, S. 53) Hauptinitiator der SFA ist Ansoff (1975) mit seinem ’Konzept der schwachen Signale’. Entscheidungsprozesse in Unternehmen weisen nach Ansoff, Kirsch und Roventa (in Kirsch und Roventa, 1983, S. 244) meist harte Fakten (messbare und eindeutige Daten) und weiche Fakten (intuitive, mehrdeutige, qualitative Einschätzungen) (Davis, 2008) auf. Zweitere sind besonders in einer turbulenten und von Unsicherheit geprägten Umwelt von großer Bedeutung. Für das Strategische Management (im Speziellen für die Strategische Planung) kommen häufig nur wohldefinierte Informationen als Planungs- und Entscheidungsgrundlage in Frage (Mayr, 1994, S. 83). Diese sind allerdings in den wenigsten strategischen Fällen gegeben. Somit weist Ansoff (1975) bereits auf die Unzulänglichkeiten einer vollkommenen, klassischen Entscheidungstheorie hin. Ansoff (1975) geht davon aus, dass schwache Signale Vorreiter von auftretenden Diskontinuitäten darstellen, wie dies auch in der Natur, z.B. bei Katastrophen der Fall ist (de Brabandere, 2005, S. 54). Diskontinuitäten werfen einen langen Schatten in die Zukunft, welcher sich durch schwache Signale erkennbar macht. Ein schwaches Signal „ist ein frühes Anzeichen dafür, daß sich unter Umständen äußerst wichtige Veränderungen abzeichnen“ (Ansoff et al. in Kirsch und Roventa, 1983, S. 245).24 Schwache Signale sind qualitative, unsichere und unstrukturierte Informationen, welche sich durch weiches Wissen und intuitive Urteile auszeichnen und auf Innovationen, Diskontinuitäten und Bedürfnisse hinweisen (Welge und Al-Laham, 2003, S. 306; Hammer, 1992; Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 167ff; Simon, 1986, S. 19 Nagel, 1994, S. 202). Sie stehen damit im Gegensatz zu sogenannten „strong signals“, die einen eindeutigen Chancen- oder Risikogehalt aufweisen (Wiedmann, 1984, S. 16).25 Ansoff wirkt somit der klassischen Entscheidungstheorie, die auf vollkommenen Informationen basiert, entgegen (Hammer, 1992, S. 217). Schwache Signale haben ihren Ursprung in neuen Meinungen, Häufungen von gleichartigen und strategischen Ereignissen, wie z.B. Veränderungen der Rechtsprechung oder der Gesetzgebung (siehe auch Gladwell, 2000)26 . Schwache Signale 24 Autoren/innen wie Weigand und Buchner (z.B. 2000, S. 10) sprechen auch von „Früherkennungs(bzw. Frühaufklärungs-)informationen“ und weisen schwachen Signalen einen Informationscharakter zu. 25 Führt man diese Typologie weiter, so folgen auf diese sogenannten Signale „noises“, d.h. sehr starke und eindeutige Informationen, die auf einen Tatbestand hinweisen (vgl. Kiesler und Sproull, 1982, 549). 26 Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 178ff) definieren Quellen schwacher Signale, wie z.B. Zeitschriften, Netzwerke, Bücher, Datenbanken, Forschungsinstitute,... . Diese Quellen nehmen Hinweise von Sendern (wie Experten/innen, Trendsetter/innen, Erfinder/innen, Wissenschaftler/innen, Politiker/innen,...) entgegen und treffen oftmals eine (hoffentlich unverzerrte) Vorauswahl, um die Nutzung für Unternehmen zu erleichtern. Sie stellen somit bereits eine Zwischenebene der Signalerfassung dar. Das schwache Signal
6.4. LEITIDEEN DER SFA
37
stellen Informationsstücke von zukünftigen Ereignissen dar, die sich im Zeitablauf immer mehr konkretisieren (Abbildung 6.6; (Ansoff, 1975; vgl. Simon, 1986, S. 20)). Die Informationen werden im Zeitablauf zunehmend mehr. Diese Akkumulation von Informationen nimmt allerdings Zeit in Anspruch, welche die Grenzen des Erkennens und Reagierens setzt. Es sollte jener Zeitpunkt gefunden werden, an dem ein nicht wahrgenommenes Risiko Kosten verursacht oder die Gewinne einer Chance verloren gehen. Der höchste Grad an Ungewissheit findet sich in der Wissensstufe 1 (erste Spalte der Tabelle). Hier ist lediglich klar, dass eine Diskontinuität bevorsteht. Unklar ist allerdings, ob es sich im konkreten Fall um eine Chance oder um ein Risiko handelt. In der zweiten Stufe wird die Quelle der Diskontinuität ausfindig gemacht. Im darauf folgenden Stadium lässt sich die Diskontinuität schon näher charakterisieren und konkretisieren. Das vierte Stadium impliziert bereits mögliche Reaktionen und die fünfte Wissensstufe zeichnet sich durch das Wissen einer konkreten Diskontinuität, spezielle Reaktionsstrategien und konkrete Ergebnisse aus (vgl. Hammer, 1992). Wissensstand
Informationsinhalt
(1) Ahnung der Veränderung
(2) Quelle identifiziert
(3) Ereignis identifiziert
(4) Reaktion bestimmt
(5) Auswirkung geschätzt
(6) Auswirkung bekannt
Vom Vorhandensein von Diskontinuitäten überzeugt
JA
JA
JA
JA
JA
JA
Die Technologie, die Quelle der Marktstörung der sozial−politischen Veränderung ist identifiziert
NEIN
JA
JA
JA
JA
JA
Die Charakteristiken, die Bedeutung und der Zeitpunkt können geschätzt werden, das Eintreten ist aber noch ungewiss
NEIN
NEIN
JA
JA
JA
JA
Die Reaktion ist bestimmt: Zeitpunkt, Aktion, Programme, Budgets
NEIN
NEIN
NEIN
JA
JA
JA
Das Ergebnis der Reaktion ist berechenbar, aber noch ungewiss
NEIN
NEIN
NEIN
NEIN
JA
JA
Die Auswirkungen der Veränderungen sind aufgrund der Betriebsergebnisse bekannt
NEIN
NEIN
NEIN
NEIN
NEIN
JA
Abbildung 6.6: Konkretisierung schwacher Signale
Liebl (1991, S. 3) sieht schwache Signale als „Erscheinungsform strategischer Informationen, welche bedeutsame Sachverhalte – sogenannte strategische ’issues’ – anzeigen“.27 Simon (1986, S. 18) benennt die wichtigsten Eigenschaften schwacher Signale (aus verschiedensten Literaturquellen). Schwache Signale wurde bereits von einer Gruppe erfasst und aufbereitet. Hauptprobleme in der Nutzung dieser Quellen sehen die beiden Autoren in der fehlenden methodischen Unterstützung, den Hindernissen, die Vorurteile und Gewohnheiten mit sich bringen, in der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit „out-of-the-box“ zu denken, Informationspathologien zur Kompexitätsreduzierung und dem oftmals nicht strukturierten und organisierten Scanningspektrum und -verhalten. 27 Strategische Informationen können mit schwachen Signalen gleichgesetzt werden, da diese sich ebenfalls durch eine schlecht-strukturierte und fragmentarische Form auszeichnen und Interpretationen erschweren (Mauthe, 1988, S. 518). Daher weist Liebl (1991, S. 1) auch darauf hin, dass im strategischen Bereich Symptome im Gegensatz zu kompletten Beschreibungen im Vordergrund stehen.
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
38
• sind Informationen aus der Unternehmensumwelt mit relativ unstrukturiertem Inhalt. • haben Hinweischarakter auf Innovationen, Diskontinuitäten bzw. Bedürfnisse. • weisen auf vage, utopische oder unrealistisch erscheinende Ideen hin. • behandeln „schleichende Veränderungen von ständigen, begrenzt unveränderlichen Einflüssen“. • manifestieren sich in intuitivem und weichem Wissen. • sind qualitativer Natur und sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen sehr unpräzise. • ermöglichen keine genaue Interpretation, sondern stellen unklare und schlecht strukturierte Probleme dar. • sind Resultat von Vermutungen, Wertkonflikten und Informationspathologien (Mauthe, 1988, S. 518) (siehe „Kommunikation“ auf Seite 254). Zusammenfassend ist es wichtig, die aktive Gestaltungsaufgabe und Orientierung an schwachen Signalen zu erkennen. Unternehmen und deren Führungskräfte sind gefordert, ein Netz aufzubauen, um diese Signale zu empfangen, zu bearbeiten und weiterzuleiten (vgl. Hammer, 1992, S. 228). In der vorliegenden Arbeit wird auf strategische Themen, wie Produktinnovationen und deren vorgelagerte schwache Signale Bezug genommen.
6.4.5
Antwortstrategien auf schwache/strategische Signale
Reaktionen folgen nicht erst auf eine eindeutige Identifikation einer Chance oder eines Risikos. Müller (1981, S. 231) weist auf unterschiedliche Methoden der Generierung und Bewertung von Reaktionen hin.28 Die Reaktion auf schwache Signale oder Diskontinuitäten hängt von dem jeweiligen Wissensstand der Empfänger ab (siehe Abbildung 6.6). „In responding, firms have a choice of either basing their plans and actions on these generalities or waiting until the mechanisms of recovery become clearer. Acting now implies taking risks on imperfect knowledge; waiting courts the danger of being late in important decisions...“ (Ansoff, 1975, S. 23). Ansoff (1975, S. 23) spricht in diesem Zusammenhang von „states of knowledge“. Die Schnelligkeit, mit der ein Unternehmen auf schwache Signale reagiert, hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der das Risiko oder die Chance auf das Unternehmen und dessen Profit oder Wachstum einwirkt, und die Zeitspanne, welche das Unternehmen benötigt, 28 Z.B. Mittel-Zweck-Analyse, Strategische Kataloge, Strategische Bäume, Kosten-Nutzen-Analyse, Methoden zur Unsicherheitshandhabung, Unternehmensgesamtmodelle, Kreativitätstechniken, morphologischen Analysen, Portfolio Methoden (Hammer, 1992, S. 261).
6.4. LEITIDEEN DER SFA
39
um eine Antwortstrategie zu entwerfen. Je nach Ausprägung (= „states of ignorance“) entwirft Ansoff (1975, S. 24) eine Antwortstrategie (siehe Abbildung 6.7). Ansoff (1975, S. 23) bemerkt dazu: „we might call this graduated response through amplification and response to weak signals, in contrast to conventional strategic planning that depends on strong signals“. Ansoff (1980, S. 136) stellt fest, dass auf ’weak signals’ auch ’weak responses’ folgen können, die sich progressiv verstärken und spezifizieren. Reaktionsstrategie → Reaktionsgebiet ↓ Beziehung zur Umwelt
Interne Struktur
Direkte Reaktion
Flexibilität
Aufmerksamkeit
Externe Aktion (Strategische Planung und Durchführung) [A] Interne Bereitschaft (Kontingenzplanung) [B]
Externe Flexibilität [C]
Beobachtung der Umwelt [E]
Interne Flexibilität [D]
Selbstbeobachtung [F]
Abbildung 6.7: Antwortstrategien auf schwache Signale Um Reaktionen – auch auf Basis schwacher Signale – zu ermöglichen, bietet Ansoff (1975, S. 26) (siehe Abbildung 6.7, entnommen aus Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 168) eine erweiterte Palette an Antwortmöglichkeiten an. Diese beziehen sich einerseits auf Reaktionen im Unternehmen („internal dynamics and structure“), andererseits auf externe Maßnahmen („relationships with the environment“). Reaktionen können dabei eine direkte Antwort auf die Bedrohung oder Chance sein, die Flexibilität des Unternehmens stärken oder das Verständnis und die Aufmerksamkeit des Unternehmens betreffen. Zu den direkten Reaktionen in Bezug auf die Umweltbetrachtung (Feld A) zählen zum Beispiel das Eintreten in neue Märkte, Desinvestitionen oder der Rückzug aus bedrohten Gebieten. Interne Reaktionen (Feld B) propagieren den Erwerb von Ressourcen, Wissen, Fähigkeiten und Technologien, sowie die Anpassung von Systemen und Strukturen. Im Bereich der Flexibilität zählen Risikostreuungen, Langzeitkontakte, Diversifikationen der Diskontinuitäten oder Machtbalancen zum Umweltbereich (Feld C), während eine Zukunftsorientierung, Problemlösungsfähigkeit, Risiko- und Wandlungsfähigkeit, der Einbau von Elastizitäten und die Diversifikation von Liquidität und Ressourcen dem Reaktionsgebiet der internen Struktur angehören (Feld D). Schlussendlich umfasst das Gebiet der Aufmerksamkeit einerseits Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung und/oder des Absatzes (Feld E) und andererseits Leistungsanalysen, Stärken- und Schwächenermittlung, Finanzierungs- und strategische Modelle (Feld F). Auch Chattopadhyay et al. (2001, S. 938) unterscheiden in externe und interne Reaktionen, wobei erstere risikoreicher und
40
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
schwieriger zu implementieren sind und demnach auch weniger eingesetzt werden. Abhängig ist die Art der Reaktion auch von den Stakeholdern, d.h. welcher Unternehmensund Umweltbereich die meiste Aufmerksamkeit benötigt, bzw. den größten Einfluss ausübt (Chattopadhyay et al., 2001, S. 938). Müller (1981, S. 230) unterscheidet weiters in aktive und passive Reaktionsstrategien. Zu den aktiven Reaktionen zählt Müller die Beeinflussung der Umwelt durch das Unternehmen (aggressive Strategie), die Anpassung der Unternehmen an die sich verändernde Umwelt oder den Rückzug, wenn beide vorher genannten Strategien nicht mehr durchgeführt werden können. Passive Strategien vermeiden eine Strategiesuche (Isolation, Ignoranz und Indifferenz). Grundsätzlich soll ein weiter Gestaltungsspielraum und Platz für Kreativität geschaffen werden, verlangt Müller (1981, S. 232). Außerdem muss die Integration in die allgemeine Unternehmensstrategie und deren Aktivitäten erfolgen. Abschließend erfolgt die Implementierung29 und gegebenenfalls die Kontrolle der Reaktionsstrategien (Hammer, 1992, S. 261). Die Implementierung bezeichnet Hammer (1992, S. 261) als schwierigste Phase des gesamten Prozesses. Ohne der Durchführung von Aktionen und Plänen kann die Theorie allerdings nicht in die Praxis umgewandelt werden. Somit sollten operative Pläne erstellt, die Durchführung organisiert und die Ergebnisse kontrolliert werden. Die Phase der Autorisierung der Strategien, d.h. der Aufbau eines Verbindlichkeitscharakters, ist entscheidend (für nähere Details siehe Hammer, 1992, S. 262).
6.5
Innensicht vs. Außensicht der Strategischen Frühaufklärung „More dynamic environments require more information... Effective innovation ... requires scanning focus on appropriate external and internal domains.“ (Garg et al., 2003, S. 728)
Es ist wichtig zu klären, ob sich die SFA nach außen orientiert, oder auch nach innen. Welche Tendenz weist die SFA auf: eine Marktorientierung (Außenorientierung) oder eine Ressourcenorientierung (Innenorientierung)?30 Wie ist die ’unternehmensinterne’ (eigenorientierte Frühaufklärung) und ’unternehmensexterne’ (fremdorientierte Frühaufklärung) Umwelt abgegrenzt und definiert (Krystek, 1990, S. 422)? Krystek (1990, S. 433), Hahn (1983, S. 12), Ansoff (1980, S. 138), Kelley (1965, S. 19f) und Thomas et al. (1993, S. 241) unterscheiden in interne und externe Beobachtungs29
Autorisierung, Verbindlichmachung, Aufgabenverteilung und Durchführungspläne Diese Debatte weist auf den Diskurs der Wettbewerbskräfte, vertreten durch Michael Porter, und die ressourcen-basierenden Strategien hin (Hamer, 1997, S. 65). 30
6.5. INNENSICHT VS. AUENSICHT DER SFA
41
bereiche der SFA. So umfassen unternehmensexterne Bereiche z.B. den wirtschaftlichen, technologischen und sozio-politischen Bereich (Mayr, 1994, S. 46). Im wirtschaftlichen Bereich sind z.B. konjunkturelle Entwicklungen, strukturelle Entwicklungen, der Absatz-, Beschaffungs-, Arbeits- und Kapitalmarkt (Hammer, 1992, S. 194) eingebunden (siehe Abbildung 6.8). Porter (1983 in Hammer, 1992, S. 195) bzw. Liebl (1991, S. 46ff) plädieren z.B. für eine Ausrichtung der SFA auf Porters Determinanten des Wettbewerbs31 und seine generischen Strategien (Differenzierungs-, Kostenführerschaft- und Fokusstrategie). Die Suche von Informationen konzentriert sich im Hauptteil der Literatur auf externe Beobachtungsbereiche. Unternehmensinterne Bereiche sind z.B. das Produktprogramm, die Mitarbeiter/innen, die Ausrüstung, Ressourcen, die Finanzlage, Forschung und Entwicklung (Mayr, 1994, S. 46) sowie der Wertschöpfungsprozess. Ansoff (1981 in Simon, 1986, S. 73ff) benennt die unternehmensinterne Beobachtung als Bereitschafts-Diagnose. Er stellt somit der Umweltbeobachung einen Gegenpart gegenüber. Die interne Leistungsbereitschaft zeigt auf, zu welchen Reaktionen das Unternehmen intern fähig ist, und welche Kapazitäten und Ressourcen – also generell gesprochen Stärken und Schwächen – dem Unternehmen zur Verfügung stehen um mit Umweltsignalen umzugehen.
Abbildung 6.8: Interne und externe Beobachtungsfelder Somit kann tendenziell in eine ’market-based’ 32 und eine ’resource-based’-view der SFA unterschieden werden. Auch Ansoff (1980, S. 133) deutet an, dass „an issue may be a 31 Dazu zählen u.a. die Bedrohung durch neue Konkurrenten, das Wettbewerbsverhalten etablierter Unternehmen, Bedrohung durch Substitute, Machteinflüsse von Abnehmern und Lieferanten, Verhandlungsstärke der Arbeitnehmer und Eingriffe des Staates. 32 Vgl. dazu die Institutional Theory (Greening, 1992).
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
42
welcome issue, an opportunity to be grasped in the environment, or an internal strength which can be exploited to advantage. Or it can be an unwelcome external threat, or an internal weakness, which imperils continuing success, even the survival of the enterprise.“ 33 Grundsätzlich kann die SFA nicht losgelöst von einer Umfeldbeobachtung stattfinden34 : „a continual and intimate connection with the market environment is vital...“ (Miller et al., 2002, S. 40). Das Gleiche gilt für die Innenorientierung. Auch Hamer (1997, S. 65) spricht sich gegen eine „entweder-oder“ Haltung aus. Beide Sichtweisen bedingen einander. „Diese Entscheidungsprobleme [einer SFA] betreffen sowohl die externen Beziehungen („Systemumwelt“) als auch das System selbst, die interne „Struktur und Kultur“ (Arnold, 1981, S. 290). „Organizations face two types of strategic issues originating inside and outside the organization’s boundaries.“ (Dutton und Ottensmeyer, 1987, S. 356). Eine wichtige Grundidee liegt in der Annahme, dass Chancen und Risiken erst als solche erkannt werden können (d.h. die Außenorientierung), wenn diese den Stärken und Schwächen des Unternehmens (d.h. die Innenorientierung) gegenüber gestellt werden35 (Simon, 1986, S. 70). Deshalb müssen beide Bereiche in die Diskussion der SFA miteinbezogen werden (Dutton und Jackson, 1987). Die Innenorientierung richtet sich dabei vor allem auf Ressourcen, d.h. die Personen, das benötigte Wissen, die Fähigkeiten, die Kompetenzen oder kognitive Aspekte der Beteiligten. Die Außenorientierung umfasst – wie bereits erwähnt – Themen der PESTEL36 -Umwelt, wie Umfeldbeobachtungen, Konkurrenten/innen, Trends (wie Innovationen, Meinungsverschiebungen, Wertewandel), Änderungen (Gesetzesänderungen,...)37 . Um schwache Signale erkennen zu können, ist eine breite und gesamthafte Betrachtung der internen und externen Umwelt unumgänglich (Stuiber, 1993, S. 30; Garg et al., 2003), z.B. auch die Miteinbeziehung der Kultur (innen) und der Umwelt (außen) (Smith, 2007) (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ auf Seite 181).
6.6
Abgrenzungen
In den nachfolgenden Ausführungen wird auf wichtige Abgrenzungen näher eingegangen. Verwechslungen sollen damit ausgeschlossen und das Forschungsgebiet eingegrenzt werden. 33 „The interpretation of the events observed has to be done individually by the firms themselves, based on their own strenght and weakness analysis.“ (Reinhardt, 1984, S. 26). 34 Kotzbauer (1992, S. 5) weist darauf hin, dass bei der Beurteilung von Erfolgschancen einer Produktinnovation nicht nur interne technische Beurteilungen durch die Forschungs- und Entwicklungsabteilung ausreichen, sondern abnehmer- und wettbewerbsbezogene Einflussfaktoren ebenfals eine große Rolle spielen. 35 Also weiterführend im Sinne einer klassischen SWOT-Analyse und der „Koevolution von Unternehmen und Umfeld“ (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 4). 36 PESTEL steht für die Anfangsbuchstaben von: political, economic, social, technological, ecological, legal 37 Vgl. Narchal et al. (1987, S. 98).
6.6. ABGRENZUNGEN
6.6.1
43
Operative vs. Strategische Frühaufklärung
Obwohl Schnittstellen bestehen, wird die SFA grundsätzlich von der operativen Frühaufklärung und die gesamtunternehmensbezogene Frühaufklärung von der bereichsbezogenen Frühaufklärung abgegrenzt (Hammer, 1992, S. 178ff).38 SFA unterscheidet sich vom Controlling (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 30)39 . Controlling konzentriert sich im Gegensatz zur SFA auf die operative Ausrichtung (SollIst-Vergleiche, Indikatoransätze,...). Die SFA umfasst als Betrachtungsfeld – wie im Strategischen Management allgemein – das Unternehmen als Ganzes oder konzentriert sich auf wichtige Teilaspekte (Wiedmann, 1984, S. 93). Der Betrachtungshorizont ist langfristig auf Unternehmensziele und -strategien ausgerichtet, während die operative Frühaufklärung unmittelbare oder kurzfristigere Aktionen und Problembereiche umfasst40 . Da die SFA weiters versucht, relevante Chancen oder Risiken frühzeitig zu erkennen, konzentriert sie sich auf schwache Signale, unpräzisere Informationen und Erfolgspotenziale (Weigand und Buchner, 2000, S. 10) und verzichtet auf konkrete Zahlenkalkulationen, wie sie in der operativen Frühaufklärung zu finden sind. Die operative Frühaufklärung fokussiert auf kurzfristige Erfolgsgrößen (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 10) und nimmt daher eine „Überprüfungs- und Konkretisierungsfunktion“ ein (Wiedmann, 1984, S. 94). Ebenso unterliegt die operative Frühaufklärung oftmals einer Standardisierung – sowohl der Prozesse als auch der Methoden – und einer gerichteten Umwelt- und Unternehmensüberwachung. Die SFA erweitert ihren Fokus, und bezieht auch ungerichtete Überwachungen, ein weites Beobachtungsfeld, heuristische und kreative Methoden mit ein, z.B. für die Auswertung. Strategische und operative Frühaufklärung stellen somit sich ergänzende und manchmal überlappende Themengebiete dar.
6.6.2
Kennzahlen- und Indikatorenmodelle41
Indikatoren- bzw. Kennzahlenmodelle nehmen einen großen Stellenwert in der operativen Frühaufklärung (vor allem in der Praxis)42 ein (Simon, 1986, S. 32ff). Indikatorenmodelle stellen eine Weiterentwicklung und spezielle zukunftsgerichtete Anwendung von Kennzahlenmodellen43 dar. „Indikatoren sind dabei als variable Merkmale der Situation oder 38 Eine weitere Unterscheidung ist die überbetriebliche Frühaufklärung, die eine Vielzahl an Unternehmen umfasst (Hammer, 1992, S. 180f). 39 Andere Autoren/innen (z.B. von Horváth ("Controlling", 7. Auflage, München, 1998) in Weigand und Buchner, 2000, S. 21) setzen Controlling mit Unternehmensführung gleich. Von dieser Ansicht wird jedoch Abstand genommen. 40 In einem Prozessmodell unterscheiden sich die operative Frühaufklärung und die SFA im Systeminput, in der Informationsverarbeitung, im Output und im Outcome (vgl. Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 11ff). 41 Für nähere Ausführungen siehe Simon (1986, S. 32ff); Wiedmann (1984, S. 26ff); Hammer (1992, S. 231ff); Mayr (1994, S. 28ff); Krystek (1990, S.428). 42 ...als zweite Generation (operative Art) von Frühaufklärungssystemen... 43 Kennzahlen sind „Zahlen, die in konzentrierter Form über einen zahlenmäßig erfaßbaren betriebswirtschaftlichen Tatbestand informieren“ (Simon, 1986, S. 32), welche zu Steuerungs- und Kontrollzwecken
44
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
als Anzeigegrößen zu begreifen, deren Auftreten und/oder Veränderung auf unternehmensrelevante Entwicklungen bzw. auf Chancen/Risiken sowie Stärken/Schwächen eines Unternehmens hinweisen kann.“ (Wiedmann, 1984, S. 26). Mit Indikatoren und Indikatorenkatalogen versucht man durch Soll-/Ist-Vergleiche und Abweichungsanalysen in ausgewählten Beobachtungsbereichen bereits latente Entwicklungen frühzeitig zu identifizieren44 . Indikatoren wird ein erhöhter Praxisbezug, bessere Konkretisierung und eine größere Anwendbarkeit zugeschrieben als dies bei der SFA der Fall ist (Hammer, 1992, S. 231). Probleme des Indikatoransatzes liegen in der Auswahl geeigneter Indikatoren (Vermutungen, Erfahrungen) und der Festlegung der Sollgrößen und Toleranzgrenzen (Simon, 1986, S. 30), sowie der quantitativen Natur der Indikatoren (Simon, 1986, S. 47). Schwache Signale werden ignoriert. Deshalb konzentriert sich die vorliegende Arbeit nicht auf diese Art von Früherkennungssystemen45 .
6.6.3
Prognose und „Forecasting“
Um den Begriff der SFA noch besser hervorzuheben, soll er von im Kontext häufig verwendeten Begriffen wie ’Prognose’ oder ’Forecasting’ abgegrenzt werden. Einen Vorreiter der SFA stellt die technische Prognose dar (Krampe und Müller, 1983, S. 285). Prognosen (zu unterscheiden von „Wahrsagung“ und „Prophezeiung“) können Zukunftsperspektiven geben und sind ein wichtiger Teil von Strategieentwicklungsprozessen (Welge und Al-Laham, 2003, S. 293; Quinn, 1967; Wheelwright und Clarke, 1976). Allerdings zeigen Quellen auf, dass klassische Prognoseverfahren auf kausale Zusammenhänge in geschlossenen und stabilen Systemen gerichtet sind (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 163), und daher nur bedingt für die SFA brauchbar sind (Rieser, 1980; Dory und Lord, 1970). Organisationen werden in der Systemtheorie als offene Systeme gesehen (z.B. Bleicher, 1991). Die SFA muss daher mögliche kausale Zusammenhänge aufdecken und Drittvariablen (z.B. Störgrößen) erkennen (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 164). Kirsch und Roventa (1983, S. 221) weisen auf die Problematik der raschen Umfeldänderungen und die Notwendigkeit hin, diese frühzeitig zu erkennen. Sie behaupten: „Die Diskussion von Fragen der Strategischen Frühaufklärung vermag (...) zu zeigen, dass die Idee des Strategischen Managements mit einer Reihe von Denkweisen verbunden ist, die versuchen, an das letztlich nicht lösbare Problem langfristiger Prognosen aus einer anderen Perspektive heranzugehen. Ein Indiz hierfür ist nicht zuletzt, daß man immer mehr davon abkommt, von langfristigen „Prognosen“ zu sprechen. Statt dessen erstellt man „Szenariherangezogen weden. Sie weisen einen Ex-post Analysecharakter aus, welcher die Möglichkeit zur Frühaufklärung bereits bezweifeln lässt. Nähere Details siehe unter anderem Mayr (1994, S. 28ff). 44 Simon (1986, S. 37ff) differenziert dabei in adaptierte Kennzahlensysteme, Indikatorensysteme im weiteren Sinn und empirisch ermittelte Indikatorenkombinationen. 45 Für eine Auflistung möglicher Methoden der Indikatorsysteme und der Prozesse sieheWiedmann (1984, S. 30ff).
6.7. PROBLEMFELDER DER SFA
45
en“, die weniger die tatsächlich zu erwartende Welt „prognostizieren“, sondern „mögliche zukünftige Welten“ umkreisen...“. So sehen die Autoren die SFA als anderen Zugang zu Diskontinuitäten, und grenzen das Gebiet von der Prognosetätigkeit ab. Daher plädiert die Autorin, wie auch Krystek und Müller-Stewens (S. 163 1993), für eine Abkehr von der „herkömmlichen Prognosementalität“. Auch Forecasts können in turbulenten Umwelten keine „richtigen“ Informationen liefern, da sie zumeist auf den Annahmen von heute basieren (Cornelius et al., 2005, S. 94).
6.7
Problemfelder der Strategischen Frühaufklärung
Wie jede Thematik weist auch die SFA Problemfelder46 auf. Diese werden daher kurz angeführt. Müller (1981, S. 241ff) weist auf Grenzen und Gefahren Strategischer Frühaufklärung(ssysteme), sowie deren Probleme bei der Implementierung und beim Betreiben hin. Müller (1981) nimmt von einer perfekt funktionierenden SFA Abstand und argumentiert, dass dadurch die Probleme eines Strategischen Managements nicht vollständig gelöst werden können. Zu den allgemeinen Grenzen zählen z.B. (vgl. Müller, 1981, S. 246) • die Ungenauigkeit statistischer Daten • die mangelnde Treffsicherheit von Prognosen • die bruchstückhafte Vorhersagefähigkeit mittels Intuition und die mangelnde Prognosegüte von Expertenurteilen • die begrenzte Beobachtungs- und Auswertungskapazität im Informationsverarbeitungsprozess • die fehlenden theoretischen Erklärungen für viele langfristigen Entwicklungsstufen Somit werden auch kognitive Themen, wie Intuition oder Informationsverarbeitungskapazität angesprochen, die in weiteren Ausführungen in dieser Arbeit näher präzisiert werden. Auch Simon (1986, S. 177) befasst sich mit grundsätzlichen Engpässen der SFA. Als einen von drei Hauptengpässen weist er auf die Informationsqualität schwacher Signale hin und kritisiert, dass schwache Signale auf Grund ihrer Charakterisitika wie Unvollkommenheit, Vagheit und Intuition oftmals keinen Eingang finden. Als Ursachen nennt er erstens die unpassenden Methoden, die auf qualitative Daten nicht eingehen können und diese nicht verarbeiten. Zweitens führt er die Überbetonung des analytisch und rationalen Denkens zu Lasten intuitiver Denkansätze als Grund an, welche bei der Suche nach Chancen und Innovation nicht erfolgversprechend ist. Drittens bemängelt er die Bewertung der 46 Vgl. z.B. Müller (1981, S. 99) und die Funktionsbedinungen für eine Frühaufklärung: Die relevante Umwelt muss bekannt sein, die relevanten externen Einflussfaktoren und die Umweltenwicklung müssen prognostizierbar sein, die Verwender müssen willens und fähig sein, die Informationen zu benützen.
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
46
einlangenden Informationen auf einem zu niedrigen Aggregationsniveau und weist damit wiederum auf die logisch-deduktive Vorgehensweise der Informationsverarbeitung hin. Als zweiten Engpass nennt er die Aufgabenverteilung im Gesamtprozess und die Überbetonung der Aufgabenverteilung auf Spezialisten/innen in Stabsstellen, die sich wiederum mit rationalem statt intuitivem Vorgehen befassen. Das Organisationsklima nennt Simon (1986, S. 178) an dritter Stelle. Das Funktionieren und die Ausgestaltung eines Strategischen Frühaufklärungssystems hängt eng mit der Kritikfreudigkeit, dem Führungsstil, der Flexibilität und Fehlertoleranz sowie Offenheit gegenüber Neuem ab. Die großen Themenkomplexe der Verantwortungszuteilung, der Organisationscharakteristika und der Frage und Rolle der Intuition versus Rationalität werden im Kapitel zum Strategischen Frühaufklärungsprozess weiter ausgeführt.
6.7.1
Definitionsproblem schwacher Signale
Schwache Signale zeichnen sich durch zwei Vorteile aus: sie zeigen ein realistischeres Bild der Unsicherheit in der Zukunft und signalisieren Führungskräften frühzeitig, dass auf Veränderungen reagiert werden sollte (Kirsch und Roventa, 1983). Dennoch sieht sich das Konzept vermehrter Kritik ausgesetzt (vgl. z.B. Liebl, 1991, S. 23ff). Arnold (1981, S. 291f) bezweifelt z.B. die Argumentationslinie von Ansoff und deren interne Stimmigkeit sowie die von ihm angenommenen Prämissen. So wird der Begriff des schwachen Signals kritisiert. Liebl (1991) stellt fest, dass Ansoff keine eindeutige Definition oder Operationalisierung von schwachen Signalen liefert und das Konzept keine Möglichkeit zur Differenzierung gibt. Schwache Signale lassen sich auch nicht eindeutig von starken Signalen unterscheiden: „Allerdings erscheint der Informationsstand, den man besitzen muß, um a priori „Schwache Signale“ von „Starken Signalen“ unterscheiden zu können, durchaus paradox: Die inhaltliche Konkretisierung eines Trends ist noch nicht vollständig erfolgt. Es sollen aber Vorstellungen darüber existieren, wie sich der Trend auswirken wird und wie darauf zu reagieren sein wird. Und es sollen ebenfalls Aussagen über das zeitliche Eintreten der Auswirkungen sowie über den Zeitbedarf einer wirksamen Reaktion möglich sein.“ (Liebl, 1991, S. 23). Der Begriff des schwachen Signals ist somit variabel, mehrdeutig, unbestimmt und vage (Simon, 1986, S. 21).47 Autoren/innen merken überdies an, dass schwache Signale von sich aus zu unbestimmt sind, um darauf aufbauend strategische Entscheidungen zu treffen. Schwache Signale hätten – auf Grund ihrer Uneindeutigkeit und Unstrukturiertheit – die Eigenart, manipulative Aktionen zu begünstigen (Weigand und Buchner, 2000, S. 18). So verwirft Ansoff selbst 47 Müller (1981, S. 39) weist auf das Hauptproblem der Identifikation schwacher Signale hin. Einen Lösungsweg sieht Müller dabei in der Verbundenheit des Unternehmens mit der Umwelt durch ein Netzwerk. Daraus können Veränderungen frühzeitig abgeleitet werden. In der Praxis wird durch die gestörte Kommunikation (Informationspathologien, „Aufklärungsversagen“) und die Transformationsproblematik der gewonnenen Informationen in eine realistische Zukunft dieser Vorgang allerdings unmöglich.
6.7. PROBLEMFELDER DER SFA
47
die grundsätzliche Vorhersehbarkeit von Diskontinuitäten48 . Arnold (1981, S. 292) verdeutlicht, dass schwache Signale nur nach Eintreten der Diskontinuität erkennbar seien („nachträgliche Rationalisierung“). Auch der Umgang mit schwachen Signalen im Unternehmen und die Implementierung des neuen Konzepts in bestehende Systeme erfährt keine Ausgestaltung. Den Grund für diese Unschärfen sieht Arnold (1981, S. 292) in den von Ansoff zugrunde gelegten Prämissen. So wird vorausgesetzt, dass die Empfänger schwacher Signale schon ein gewisses Vorverständnis mitbringen. Ansonsten können diese nicht wahrgenommen bzw. in weiterer Folge interpretiert werden und würden in einem undefinierten „Rauschen“ enden. Auch setzt Ansoff rationale Menschenbilder in seinem Konzept ein und blendet damit Informationskapazitäts- und Wahrnehmungsprobleme aus. Deshalb wird in weiterer Folge vor allem auch auf diese Thematik näher eingegangen. Fraglich ist außerdem, ob Individuen willens sind, schwache Signale zu suchen und zu orten, oder ob diese eher von individualistischen Zielsetzungen getrieben werden.
6.7.2
Problematik der Opportunitätskosten
Die SFA versucht theoretisch jene Zeitspanne zu optimieren, die zwischen der Wahrnehmung eines schwachen Signales und der Reaktion auf dieses liegt. Wird zu spät reagiert, entstehen die Kosten eines Krisenmanagements. Es kann jedoch auch der Fall eintreten, dass zu früh auf ein relativ schwer erkennbares Signal reagiert wird und damit eine Fehleinschätzung und -aktion entsteht („Reaktionskosten“). Naumann (1981 in Hammer, 1992, S. 190) spricht in diesem Zusammenhang von „Opportunitätskosten“ und verlangt eine Abwägung „zwischen den Opportunitätskosten bzw. dem entgangenem Gewinn, der durch das Unterlassen einer Reaktion auf ein schwaches Signal entsteht, und den Opportunitätskosten bzw. der Gewinnminderung, die durch eine Reaktion auf ein bestimmtes, wahrgenommenes Ereignis anfallen bzw. anfällt, das sich später als weniger relevant oder gar als gegenstandslos erweist.“ Dies impliziert die Debatte der Frühzeitigkeit bzw. Rechtzeitigkeit der SFA (vgl. auf Seite 51).
6.7.3
Problematik der Prognose von Diskontinuitäten
Die frühzeitige Erfassung von Diskontinuitäten ist nur dann möglich, wenn Diskontinuitäten grundsätzlich prognostizierbar sind. Dieser Tatbestand ist jedoch bei Diskontinuitäten – streng der Literatur folgend – nicht gegeben. Zurückzuführen ist dieses Dilemma auf die zu Grunde gelegte Kausallogik einer SFA (Trux et al., 1988, S. 320). Die Welt basiert demnach auf gewissen Systemzusammenhängen und Prozessstrukturen, die durch Erfahrung 48 Warum werden schwache Signale oftmals nicht erkannt? De Brabandere (2005, S. 54) führt dies darauf zurück (abgeleitet von Francis Bacon), dass Individuen das Bekannte überbewerten und an Stereotypen festhalten.
48
KAPITEL 6. DETAILASPEKTE DER SFA
oder empirische Forschungen aufgedeckt werden können. Diese Logik kann nur in stabilen Umwelten bzw. Netzwerken mit den Interessensgruppen bestehen. Daher unterscheiden Trux et al. (1988, S. 321) zwei Arten von Diskontinuitäten (siehe Ausführungen weiter oben). „Prognosen ihrerseits basieren auf theoretischen Gesetzmäßigkeiten, die, mit Bezug auf Diskontinuitäten im Verhalten sozio-ökonomischer Systeme, nur in geringem Ausmaß existent sind. Damit sind auch die Möglichkeiten zur Prognose von Diskontinuitäten sehr beschränkt.“ (Hammer, 1992, S. 200). Überdies stellen Diskontinuitäten Einzelereignisse dar, die sich nicht voraussehen lassen, die nur selten historische Parallelen aufweisen und sich meist auf qualitative Daten stützen49 . Deshalb wird, wie bereits im Abschnitt „Prognose und ’Forecasting’“ auf Seite 44 festgestellt, von Prognose-Methoden Abstand genommen. Obwohl sich diese Einwände gegen das Konzept der SFA richten, kann festgehalten werden, dass oftmals eine „Ahnung“ über Zukünftiges besteht (Simon, 1986). So geht Klausmann (1983, S. 44) von der Tatsache aus, dass strategische Diskontinuitäten nicht zur Gänze zufällig entstehen, sondern von Menschen eingeleitet sowie von Interessen gesteuert werden und damit stabilen Verbreitungsmustern folgen (vgl. Diffusionstheorie im Abschnitt „Basistheorien“ 6.1). Zusätzlich hat Ansoff erstmals auf den Charakter schwacher Signale hingewiesen und aufgezeigt, dass eine andere Handlungsstrategie für die Aufnahme und Verarbeitung dieser Signalart notwendig ist. Er führte somit erstmals eine abgestufte Reaktionsbereitschaft ein, die einem schädlichen Abwarten der Unternehmen entgegenwirkt (Mayr, 1994, S. 88). Liebl (1991, S. 23) argumentiert weiters, dass das Konzept der schwachen Signale an sich nicht trivial ist. Man müsse es nur aus dem Blickwinkel des ’strategic issue managements’ sehen: „Denn die Forderung, frühzeitig zu handeln, ist an sich trivial; nicht trivial hingegen ist die Maxime des ’strategic issue managements’, bereits vor der endgültigen inhaltlichen Konkretisierung eines Trendmusters Maßnahmen von adäquater Stärke zu ergreifen“. Somit sei es nicht Ziel der SFA, eine vordefinierte und starke Basis für die Interpretation strategischer ’issues’ zu bilden (Liebl, 1991, S. 24).
49 Eine Aufzählung der möglichen quantitativen (z.B. Trendexploration, Regression, Lebenszyklusanalyse,..) und qualitativen Prognosemethoden (z.B. Delphi Methode, Historische Analogie, Morphologie, Relevanzbaum, Systemanalyse, Szenarios,...) findet sich bei Hammer (1992, S. 201ff). Quantitative Methoden eignen sich für die Ermittlung qualitativer Informationen kaum. Auch Simon (1986, S. 49ff) beschäftigt sich eingehend mit qualitativen Methoden, deren Durchführung und Anwendungsbereiche. Er stellt allerdings fest, dass sich die vorgestellten Methoden nicht für die frühzeitige Erfassung schwacher Signale eignen. Als Gründe nennt er zum Beispiel das fehlende Gesamtbild, da die Methoden nur in speziellen Situationen und damit meist einzeln angewendet werden können. Ebenso liefern die Methoden keine konkreten Vorschläge zur Integration der erlangten Ergebnisse und werden auch dem zeitlichen Aspekt der „Dringklichkeit“ oder „Rechtzeitigkeit“ nicht gerecht, da diese Definition grundsätzlich in den Methoden (vor allem in der Delphi-Befragung und der Relevanzbaumerstellung) fehlen.
Kapitel 7 Der Strategische Frühaufklärungsprozess (SFA-Prozess) „...wenn eine Organisation keine Gefahr sieht, führen Trägheit und Zufriedenheit mit dem Status quo dazu, daß die erforderlichen Innovationen unterbleiben.“ (Tushman und O’Reilly, 1997, S. 57) In erfolgreichen Unternehmen warten die Manager/innen allerdings nicht darauf, dass Krisen sie zu Handlungen, die Veränderungen oder Innovationen zum Inhalt haben, zwingen, sondern sorgen proaktiv für die Erkennung und Nutzung von Chancen – „indem sie Probleme erzeugen – und lösen“ (Tushman und O’Reilly, 1997, S. 57). Um diese erkennen und einschätzen zu können, ist es zuerst nötig, die bestehende Strategie, die Ziele und die Vision genau zu kennen. Dabei wird eine gewisse Objektivität vorausgesetzt, d.h. Manager/innen sehen nicht das Erhoffte, Erwartete oder Erwünschte, sondern den tatsächlichen Tatbestand. Dieser Einschätzungsprozess passiert im Rahmen der bestehenden Ressourcen, der Umgebung und den Entwicklungen der Vergangenheit – dem strategischen Kontext (Tushman und O’Reilly, 1997, S. 59). Russo et al. (2008, S. 11ff) beschreiben in ihrem Buch einen Entrepreneurshipprozess, der jenem der SFA ähnelt. So teilt er sich in die Phasen „Gelegenheit erkennen“ (kognitive Eigenschaften, Vorkenntnisse), „Gelegenheit evaluieren“ (wesentliche Einflussfaktoren) und „Gelegenheit nutzen“. An die Stelle des Begriffs der ’Gelegenheit’ tritt in der Betrachtung der SFA das Phänomen der ’schwachen Signale’. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den Prozessaspekt der SFA. Die Bedeutsamkeit der Prozesssicht im Strategischen Management wird besonders von Pettigrew (1992) betont. Prozesse im Strategischen Management umfassen meist Entscheidungsund Veränderungsthematiken. „Its central questions are about the description, analysis and explanation of recurrent patterns in the process of strategy management, together with the exploration of why, when and how policy outcomes are shaped by features of policy processes and contexts. The special focus is on action and context.“ (Pettigrew,
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 7. DER SFA-PROZESS
50 1992, S. 11).
Liebl (1991, S. 3) unterscheidet bei seiner Studie über schwache Signale und künstliche Intelligenz den Vorgang der Beobachtung und Filterung der schwachen Signale (um Diskontinuitäten zu erkennen) und in deren Interpretation und Diagnose, um schwache Signale zu bewerten. Leitende Fragen für eine SFA sind demnach (vgl. Rieser, 1980, S. 34ff; Rieser, 1978, S. 54f): • Woher stammt der Hinweis (internes oder externes Umfeld)? • Aus welcher Sphäre stammt der Hinweis (der ökonomischen, technologischen, sozialen, politischen,... Sphäre)? • Welche Erscheinungsform hat der Hinweis (Trend, Trendänderung,...)? • Was sind die Ursachen? • Was für Auswirkungen hat die Änderung auf das Unternehmen (Bedrohung, Chance, nicht relevant)? • Welche Managementebene bzw. Stufe wird angesprochen (strategisch oder operativ)? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen Veränderungen identifiziert, diagnostiziert und evaluiert werden (Rieser, 1980, S. 35). Liebl (1991, S. 11) zeigt überdies einen Idealprozess der SFA auf (siehe Abbildung 7.1). Der Prozess gliedert sich dabei in vier Phasen (Umweltbeobachtung, Verdichtung, Diagnose, Formulierung einer Antwortstrategie), die in der Praxis oft nicht voneinander zu trennen sind und iterativ ablaufen. Der Prozess konzentriert sich auf die Beschaffung, Interpretation und Verdichtung von Informationen aus Umwelt- und Unternehmensbeobachtungen, um darauf aufbauend Antwortstrategien ableiten zu können1 .
Abbildung 7.1: Idealprozess der Strategischen Frühaufklärung Der SFA-Prozess wird in den nächsten Abschnitten näher erläutert. 1 Müller (1981, S. 159) unterscheidet stattdessen zwischen der dynamischen Umweltanalyse, bestehend aus Signalexploration, Signaldiagnose und Signalevaluation (und schließt somit die interne Betrachtung des Unternehmens aus), Planvergleich, Beurteilung der frühaufklärenden Informationen und Bestimmung und Bewertung der Reaktionsstrategien.
7.1. FRÜHZEITIGKEIT – RECHTZEITIGKEIT
7.1
51
Frühzeitigkeit – Rechtzeitigkeit (des Erkennens)
Im Zusammenhang mit der SFA wird oft auf die Zeitkomponente verwiesen („früh“) (Nagel, 1994, S. 200). Zeit spielt nach Davis et al. (2002) eine wesentliche Rolle in der Strategiearbeit, z.B. um Performanceverbesserungen zu erreichen oder um Wettbewerbsvorteile zu erlangen (z.B. „first-mover“-Vorteile bei der Schaffung eines neuen Produktes). Da traditionelle Verfahren oftmals darin versagten, frühzeitig Informationen zu erfassen und meist im Nachhinein reagierten, plädiert die SFA für eine ’Frühzeitigkeit’ und weist somit dem Fachgebiet einen zeitlichen Aspekt zu. Sprachlich korrekt weist Simon (1986, S. 15) der SFA eher den Begriff der ’Rechtzeitigkeit’ zu. Dies begründet der Autor mit folgenden Argumenten: • Informationen können aufgrund ihrer Unstrukturiertheit und Unvollkommenheit meist nicht vollständig und sofort aufbereitet werden (daher auch nicht vollständig frühzeitig). • Ist eine frühzeitige Aufbereitung und Beurteilung grundsätzlich möglich, so sprechen Kostenaspekte gegen diese Vorgänge. Rechtzeitigkeit besagt allerdings nicht, dass nur jene Informationen verarbeitet werden, die für einen bestimmten Sachverhalt von Bedeutung sind. Dies würde unter anderem den abgestuften Reaktionsstrategien auf bestehende Informationen widersprechen (vgl. Ansoff, 1975). Rechtzeitigkeit wird also von Simon (1986, S. 168) als „ausreichend frühzeitig“ umschrieben und bezieht sich nicht auf einen konkreten Zeitpunkt oder -horizont („RealTime-System“). Liebl (1996, S. 18) argumentiert, dass es „nicht das primäre Ziel der strategischen Frühaufklärung [ist], unbedingt frühzeitig zu handeln...; vielmehr geht es darum, zu einem gegebenem Zeitpunkt strategische zweckmäßige, gleichsam „robuste“ Schritte einzuleiten und unter Berücksichtigung der erwarteten Auswirkungen und der zeitlichen Dimension die richtigen Prioritäten zu setzen...“.
7.2
Prozessphasen der Strategischen Frühaufklärung
In den nächsten Kapiteln werden die einzelnen Prozessphasen näher betrachtet und reflektiert. Es liegt eine Unzahl an Prozessvorschlägen in der Literatur vor, die sich jedoch allesamt auf spezielle Hypothesen, Annahmen oder Teilaspekte stützen. Vorwegnehmend, Kirsch et al. (1979, S. 363ff) (vgl. Kirsch und Roventa (1983, S. 231) bzw. Kirsch und Trux (1979, S. 55)) vergleichen die SFA mit einem „Aufwirbel-AnsaugFilter System mit systematischem Recycling und automatischer Filterüberprüfung“ und beziehen sich dabei auf die automatische und aktive Suche („Ansaugvorrichtung zum
KAPITEL 7. DER SFA-PROZESS
52
Aufspüren und Aufgreifen neuer Ideen und Kontexte“ (Simon, 1986, S. 174)). Diese aktive Suche ist nötig, da Informationen nicht automatisch in die Unternehmen gelangen (Kirsch et al., 1979, S. 363). Zusätzlich hilft das zufällige, unbewusste und spielerische Aufspüren schwacher Signalen („Aufwirbeln“), um zu neuen Sichtweisen zu gelangen. Es folgt deren Filterung2 , um relevante Informationen zu generieren. Irrelevante Signale sind zwischenzuspeichern, um diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufwerfen zu können („Ideen-Recycling“).3 Mauthe (1988, S. 525) beschreibt sechs verschiedene Prozeduren eines SFA-Prozesses: Such-, Sammel-, Auswahl-, Interpretations-, Dokumentations- und Berichtsprozeduren. Diese werden sich im folgenden Makroprozess wiederfinden. Ausgangspunkt ist der Basisprozess der SFA, abgeleitet aus der gesamten gelesenen Frühaufklärungsliteratur und für die individuelle Zielsetzung adaptiert und konkretisiert. Wie Trux et al. (1988, S. 351) feststellen, ist der Prozess nicht allgemein festschreibbar, sondern für jede Situation und jedes Unternehmen spezifisch. Der folgende Basisprozess versucht, die Kernelemente in einer generalisierten Form darzustellen. Die genauen Ausprägungen finden sich im empirischen Teil wieder.
7.3
Die Basis – „3 A+“
Als Grundgerüst eines SFA-Prozesses dient die Unterteilung in drei Teilschritte: Activation (A1), Assessment (A2) und Action (A3) (abgeleitet von Dutton und Duncan, 1987, S. 281; Klausmann, 1983, S. 40; Kiesler und Sproull, 1982, S. 549; Schwenk, 1984; Billings et al., 1980; Rall und König, 2005; Blanco und Lesca, 1998; Bansal, 2003, S. 516; Müller, 1981, S. 97; Griffith, 1999, S. 479; Corner et al., 1994, S. 295; Miller, 1987, S. 251) und darüber liegenden zusätzlichen interpersonalen Prozessen („+“). Es wird von einem „triggering mechanism“ oder einer „activation“ (= Inkraftsetzung, Start, Aktivierung, Auslösung) (Dutton und Duncan, 1987, S. 281) ausgegangen, welche das Erkennen („sensing“ (Billings et al., 1980, S. 301)) eines strategischen ’issues’ oder schwachen Signals zur Folge hat („A1“). Weigand und Buchner (2000, S. 9) subsumieren unter dem Prozess die Phasen der Wahrnehmung, Sammlung, Auswertung und Weiterleitung von Informationen. Ein Zwischenschritt liegt in der Verdichtung bzw. Kategorisierung der Einzelsignale (Müller, 1981, S. 160). Darauf aufbauend werden Interpretationen, Diagnosen und Analysen an2 Bei der Filterung nehmen Kirsch et al. (1979, S. 362) vor allem Bezug auf Etzioni (1975, S. 211f) und desssen dreiteilige Unterscheidung in intellektuelle Filter, Expertenfilter und politische Filter. Ideen werden beim intellektuellen Filter rasch angenommen und bewertet; der Expertenfilter ist enger in der Filterung und basiert auf empirischen Prüfungen; der politische Filter ist der engste Filter und lässt nur jene Alternativen bestehen, die von der Elite vertreten werden. 3 Das „Aufwirbel-Ansaug-Filter-System“ kommt unter anderem in der Portfolioanalyse (und damit der Verstärkung und Entdeckung von schwachen Signalen, der Verhinderung von Informationspathologien sowie die ständige Hinterfragung des Status-Quo) zum Tragen (Simon, 1986, S. 176; Kirsch und Trux, 1979, S. 48ff.
7.3. DIE BASIS – „3 A+“
53
gestellt („assessment“, „A2“), welche in einer Reaktion – also einem Veränderungsprozess – enden („action“, „A3“)4 . Die Ergebnisse in den Teilbereichen sind im ersten Schritt das Erkennen des ’issues’, im zweiten das Kennen bzw. Wissen (inklusive der Evaluierung) des ’issues’ und im dritten Schritt das Handeln (Lernen) (vgl. Klausmann, 1983, S. 40). Zwischen den drei Teilschritten befinden sich zusätzlich noch interpersonale Prozesse, wie Kommunikation, abgebildet durch den Pfeil am unteren Ende der Grafik5 (vgl. Abbildung 7.2).
Abbildung 7.2: Basisprozess der Strategischen Frühaufklärung Dieser Grobprozess dient als Ausgangsbasis für die nächsten Kapitel, in denen er gefüllt und näher spezifiziert wird. Wichtig war hier auch die Frage, ob die Prozessphasen in dieser linearen Abfolge stattfinden. Fakt ist, dass die Ergebnisse der ersten zwei Phasen in die dritte Lernphase einfließen und von dort wieder in die Activation- und Assessmentphase, z.B. durch Verbesserungsvorschläge gelangen. Die dritte Phase kann somit ohne die Anfangsphasen nicht bestehen und speist wiederum die anderen zwei Phasen (Rückkopplung). Grundsätzlich gilt die Annahme, dass der Prozess mit einer Wahrnehmung eines schwachen Signales anfangen muss, damit dieses weiter interpretiert werden kann. Ohne Erkennen gibt es somit kein Kennen. Deshalb kann, zumindest für die vorliegende Arbeit, von einer stufenweisen Abfolge der drei Teilschritte ausgegangen werden. Weiters ist die Qualität des Prozesses nur so gut wie der schwächste Teilprozess in der Kette. Die Qualität des Gesamtprozesses kann als Produkt der Teilprozesse verstanden werden: Qualität der Strategischen Frühaufklärung = A1 × A2 × A3 Wird ein Prozessschritt ausgelassen (ist also gleich Null), dann ist der gesamte Prozess unzureichend. Wird z.B. kein schwaches Signal wahrgenommen, können auch keine Interpretationen oder Lernphasen folgen. Kennt man das schwache Signal nicht, kann darauf 4 Thomas et al. (1993, S. 239) sowie Maitlis (2005) und Weick (1995) sprechen in diesem Zusammenhang auch von „strategic sensemaking“ und inkludieren darin die Teilaspekte des Scannings, der Interpretation, der Aktion und die Ergebnisse. Vor allem in einer turbulenten Umgebung wird „sensemaking“ benötigt (Maitlis, 2005, S. 21) und bei überraschenden und verwirrenden Themen angestoßen. Eine turbulente Welt bedarf der Interpretation der Signale, die in einem vorgehenden Schritt aufgespürt worden sind, um die Komplexität zu verringern. Diese Interpretationen sind wiederum erfolgskritisch für das Unternehmen. 5 Diese zusätzlichen Prozesse werden in weiterer Folge aus dem Modell ausgegliedert. Sie weisen jedoch darauf hin, dass andere Komponenten auf den SFA-Prozess Einfluss ausüben. Diese werden im Teil V – „Die Einflussfaktoren im SFA-Prozess“ – näher erläutert.
KAPITEL 7. DER SFA-PROZESS
54
nicht reagiert werden. Gibt es keine Lern- oder Handlungsaktivitäten, so ist die Frühaufklärung nicht erfolgt. Nachfolgend werden die „drei+ Schritte“ mit ihren generellen Inhalten überblicksmäßig vorgestellt.
7.3.1
Activation
Ein wesentlicher Aspekt der SFA liegt in der Erkennung und Wahrnehmung strategischer schwacher Signale und Informationen (Kiesler und Sproull, 1982), meist durch ein Individuum (Nikander und Eloranta, 2001, S. 396). Activation steht dabei für den Prozess „describing what and how issues are recognized and isolated for further consideration“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 282). Das Unternehmen wird dabei als offenes System begriffen, welches von der Umwelt abhängig ist (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 187). Die erkannten Signale zeigen an, dass der Status-Quo sich verändert hat oder sich verändern wird. Somit werden momentane Strategien und Tätigkeiten obsolet – sie haben somit strategische Performanceauswirkungen (Dutton und Duncan, 1987, S. 283) und bringen Veränderungen in Gang. Das Unternehmen passt sich den Veränderungen an. Beim Schritt Activation können formale (z.B. ’strategic issue management systems’, Befragungen, Studien (Zentner, 1981, S. 44), STAR-System6 , Portfolioanalysen (vgl. z.B. Trux et al., 1988, S. 354ff), Diffusionsprozessanalysen 7 , Lebenszyklusmodelle,...) oder informale Mechanismen zur Erkennung beitragen (Lyles, 1987, S. 264). Verschiedenste Beobachtungsbereiche können auch unterschiedliche Scanningstrategien bevorzugen (z.B. Technologie-Forecasting versus Marktforschung,...) (Day und Schoemaker, 2007, S. 22)8 . Fahey und King (1977, S. 61ff) oder Fahey et al. (1981) unterscheiden unregelmäßige („irregular“), regelmäßige („regular“) und kontinuierliche („continuous“) Scanningaktivitäten. Das unregelmäßige Modell kommt bei ad hoc Überraschungen, hauptsächlich bei Krisen, zum Einsatz. Damit ist auch die Vergangenheitsorientierung des Modells angesprochen und lässt sich in den „after-the-fact“-Ansatz eingliedern (Ansoff, 1975). Das regelmäßige Modell beruht auf vermehrter Systematik, indem in gewissen Zeitabständen (z.B. jährlich) proaktiv die Umwelt überprüft und bewertet wird. Dabei liegt der Fokus auf ’issues’ und Entscheidungen. Obwohl sich das Modell vermehrt an Zukünftigem orientiert, basiert es hauptsächlich auf der Gegenwart und Extrapolationen aus der Vergangenheit. Der dritte Ansatz, das kontinuierliche Modell, beobachtet verschiedenste Umweltbereiche anhand 6 STAR ist ein partizipatives System zur Identifikation und Beobachtung schwacher Signale und beinhaltet sowohl Monitoring- als auch Scanningaktivitäten (Trux et al., 1988, S. 352). 7 Man bedient sich dabei den Grundlagen der Diffusionstheorie und geht davon aus, dass Signale immer wieder aus ähnlichen Bereichen kommen und sich vergleichbar entwickeln. Daher können strukturelle Trendlinien abgeleitet und Schlüsse auf zukünfigte Entwicklungen gezogen werden (Trux et al., 1988, S. 359ff). 8 Wiedmann (1984, S. 58) erläutert die Idee der „Spinner-Abteilung“ als Gestaltungsvorschlag der Scanning-Aktivität, also eine Spezialeinheit, die sich auf ungerichtete Überwachungen spezialisiert.
7.3. DIE BASIS – „3 A+“
55
von Systemen, im Gegensatz zur Beobachtung von speziellen Einzelereignissen. Da die Beobachtung beständig vor sich geht, benötigt die Aktivität eine spezielle Struktur im Unternehmen (z.B. ’environmental scanning unit’). Darüber hinaus liefert das dritte Modell nicht nur Informationen für spezielle Entscheidungen, Themen oder Krisen, sondern fließt in den gesamten Planungsprozess und dessen Einzelentscheidungen ein. „Consciously or unconsciously, decision makers become interested in and involved with some issues and ignore others.“ (Dutton und Webster, 1988, S. 663). Je unsicherer, turbulenter und komplexer sich eine Umwelt zeigt, umso schwieriger ist es, Änderungen formal vorherzusehen und informale Mechanismen werden in den Vordergrund gerückt (Lyles, 1987, S. 265). Wichtig ist dabei, dass der Entscheider/die Entscheiderin ein Interesse an dem ’issue’ bekundet, welches die folgenden Aktionen begründet und formt (Dutton und Webster, 1988, S. 663). Der Hauptfokus liegt beim ersten Schritt des SFA-Prozesses auf der unbewussten oder bewussten Beobachtung, d.h. den Aktivitäten des Scannings (ungerichtete Suche) und Monitorings (gerichtete Suche) (vgl. z.B. Liebl, 1991, S. 12ff; Gareis, 1994, S. 128), sowie auf der Inhaltsperspektive, d.h. auf den Quellen der schwachen Signale9 . Ein erster wichtiger Teilschritt ist die ’Definition der Beobachtungsbereiche’10 (Welge und Al-Laham, 2003, S. 194). Aus Kapazitäts- und Ressourcengründen (individuellen, wie z.B. Informationsverarbeitungskapazitäten, oder unternehmerischen, wie z.B. Kosten) kann die gesamte für die Unternehmung relevante Umwelt nicht ständig überwacht werden (Müller, 1981, S. 167). Möglichkeiten liegen in der gerichteten, ungerichteten, formalen oder informalen Suche. In den folgenden Kapiteln wird näher auf diese Komponenten eingegangen (siehe Tabelle 7.1, entnommen aus Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 177)).
7.3.2
Assessment
„Environmental scanning absorbs uncertainty when it advances beyond the mere collection of data and begins to provide interpretations.“ (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 189) Nachdem das Signal erkannt wurde, bedarf es einer Beschäftigung mit der Ausgestaltung und Interpretation des ’issues’ einerseits und mit den Hintergründen, Zusammenhängen und Ursachen sowie Auswirkungen dieses Signals andererseits. Auch Simon (1986, 9 Quellen der schwachen Signale, so argumentieren Dutton und Duncan (1987, S. 282) stellen z.B. Stakeholder als Komponente der Umweltbeobachtung dar. Auch Zeitschriften, Zeitungen, Protokolle, Medienberichte, Trendmeldungen usw. können im Zuge eines Scannings helfen (Trux et al., 1988, S. 352). Ansoff (1980, S. 136) fasst die Ursprünge schwacher Signale kompakt und gelungen zusammen: Signale aus der externen Umwelt, Signale aus evolutionären Trends innerhalb des Unternehmens, und Ziele. 10 Diese werden oftmals in der unmittelbaren Unternehmensumwelt („task environment“) und manchmal in der „Makro-Umwelt“ gesehen. Neuartige Umweltbereiche benennt Hammer (1992, S. 247) als „ExtraUmwelt“.
KAPITEL 7. DER SFA-PROZESS
56
Informal
Formal
Formal
Ungerichtete Suche Das Abtasten nach (schwachen) Signalen außerhalb der Domäne, ohne festen Themenbezug Das Abtasten nach (schwachen) Signalen außerhalb der Domäne, mit einem speziellen Themenbezug Die Beobachtung und vertiefende Suche nach Informationen außerhalb der Domäne mit speziellem Themenbezug eines bereits identifizierten Signals
Gerichtete Suche Das Abtasten nach (schwachen) Signalen innerhalb der Domäne, ohne festen Themenbezug Das Abtasten nach (schwachen) Signalen innerhalb der Domäne, mit einem speziellen Themenbezug Die Beobachtung und vertiefende Suche nach Informationen innerhalb der Domäne mit speziellem Themenbezug eines bereits identifizierten Signals
Scanning
Scanning
Monitoring
Tabelle 7.1: Basisaktivitäten der Strategischen Frühaufklärung S. 15) versteht unter dem Begriff des Erkennens „nicht [nur] das unmittelbare Aufnehmen der Signale, sondern auch ihre Bewertung hinsichtlich des Ausmaßes der Änderung und der jeweiligen Dringlichkeit, sowie einer allgemeinen Strukturierung der Situation unter dem Aspekt der Entscheidungsvorbereitung“. Methoden sind z.B. Cross-Impact-Analysen (Gareis, 1994, S. 132). Die Interpretation der schwachen Signale ist deshalb von großer Bedeutung, da sie die nachfolgenden Aktionen bestimmt (Denison et al., 1996, S. 455).
7.3.3
Action „...as organizations cycle through scanning, interpretation, action, and per-
formance over time, they modify their actions based on the feedback they receive from the environment.“ (Thomas et al., 1997, S. 308) Der dritte Teilschritt umfasst zwei Themengebiete. Unter Action kann die konkrete Reaktion auf ein schwaches Signal, die Implementierung von Antwortstrategien und die Kontrolle dieser verstanden werden. Gehandelt wird jedoch auch bereits in den Phasen Activation und Assessment. Deshalb ist diese Art der Definition für den dritten Schritt zu eng gefasst. Darüber hinaus sind die Grenzen zur Innovationsliteratur mit der ersten Definition fließend. Um aber eine Abgrenzung im Sinne der SFA zu schaffen, liegt der Hauptfokus dieses Abschnittes auf dem Lernen als Reaktionsform. Aktionsstrategien, sowie Themen der Implementierung und Kontrolle (im Sinne eines Innovationsmanagements) folgen erst nach dem Schritt Action und werden nur kurz angesprochen, da diese bei der Untersuchung in den Unternehmen als gegeben vorausgesetzt wurden, d.h. die Aktion ist in diesen Unternehmen in Form einer Produktinnovation bereits erfolgreich vonstatten gegangen.
7.4. METHODEN DES SFA-PROZESSES
7.3.4
57
Interpersonale Prozesse zwischen den Teilschritten
„...it is through talking that strategists negotiate over and establish meanings, express cognition, articulate their perceptions of the environment (etc.) and from this basis, legitimate their individual and collective judgements.“ (Samra-Fredericks, 2003, S. 143) Innerhalb jedes Teilschrittes bzw. zwischen den Teilschritten Activation, Assessment und Action spielt die Interaktion mit anderen Parteien z.B. durch Kommunikation eine wesentliche Rolle. Die zu Grunde liegende Annahme ist, dass sich die Teilschritte nicht in einer Person abspielen, sondern dass diese Person andere Instanzen zur Durchführung benötigt. Die Konsequenzen hängen sehr stark vom Einflussbereich dieser Person ab (Macht, Überzeugung). Beim Schritt Assessment können verschiedenste Instanzen des Unternehmens zur Beobachtung und Sichtung von Signalen maßgeblich beteiligt sein.
7.4
Die Methoden des Strategischen Frühaufklärungsprozesses
Die Kernmethoden im Strategischen Frühaufklärungsprozess sind Szenariotechniken, die Delphimethode, Scanning- und Monitoringaktivitäten (Malaska, 1985; Høyland und Wallace, 2001; Bloom und Menefee, 1994; Liebl, 1991; Gareis, 1994). Darüber hinaus werden Befragungen, Studien, Systeme (z.B. STAR-System), Diskontinuitätenbefragungen, Portfolioanalysen, Diffusionsprozessanalysen, Sensorensysteme, Ursachenanalysen, Prognosesysteme, analysezentrierte Programme, Cross-Impact-Analysen in der Literatur genannt (Zentner, 1981; Trux et al., 1988; Gareis, 1994; Liebl, 1991; Wiedmann, 1984). Die Methoden sind eher komplex. Eine konkrete oder gar vollständige Aufstellung über Methoden des Strategischen Frühaufklärungsprozesses ist nicht zu finden. Ein Grund dürfte dafür sein, dass die Abgrenzung zu anderen Gebieten sehr schwer fällt. So werden zum Beispiel Kreativitätstechniken im Rahmen von Innovationsmanagement benannt. Es ist fraglich, wie weit sie dem SFA-Prozess zugeordnet werden können. Deshalb richtet sich die vorliegende Arbeit auch auf die Eruierung möglicher Methoden des Strategischen Frühaufklärungsprozesses.
Kapitel 8 Das klassische Strategische Management und die Strategische Frühaufklärung im kritischen Diskurs „There is an enormous disjunction between accounts treating organizations as highly rational and descriptions of organizations as chaotic, loosely joined, and nonsensical in many of their actions. The bulk of theorizing has ben in the rational vein.“ (Meyer, 1979, S. 481f) Für das Strategische Management gibt es zwei Modelle, das Modell „Accountability“ mit sehr rationaler Ausprägung und das Modell „Chaos“ (Meyer, 1979).
8.1
Die rationale Planungsperspektive
Die SFA wird auf die planungsorientierte Perspektive zurückgeführt (siehe z.B. Mintzberg et al., 1998; Krystek und Müller-Stewens, 1993; Hammer, 1992). Mit einem strukturierten und formellen Vorgehen gelangen die Strategen/innen oder Planer/innen dieser Ansicht nach zu einem überlegten und analytisch erarbeiteten Vorgehen. Es „neigt die Tradition des Strategischen Managements dazu, essenzialistische Positionen zu vertreten und ’issues’ auf quasi objektive Tatbestände zurückzuführen.“ (Liebl, 2003, S. 67). Die oftmals durch Prognosen1 unterlegten Pläne können allerdings nur in einer stabilen Umwelt bestehen. Die häufigen Durchführungsprobleme und das Scheitern vieler Unternehmen an wohl durchdachten Plänen beschäftigte bald Theoretiker und Praktiker (Ansoff, 1975, S. 21). Die Strategische Planung wurde dabei hart kritisiert. So wird in der Literatur aufgezeigt, dass die Strategische Planung nicht mit individuellen und sich schnell entstehenden Risiken und Chancen effizient und rasch umgehen kann. Zusätzlich beruht sie auf rigiden und 1
Vorreiter waren technologische Prognosen (Müller, 1981, S. 63).
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
8.1. DIE RATIONALE PLANUNGSPERSPEKTIVE
59
unter Umständen falschen Annahme einer stabilen Umwelt (Gilmore und Camillus, 1996, S. 870). Reaktionsverzögerungen resultieren nach Ansoff (1975, S. 32) aus der Abhängigkeit der Strategischen Planung von starken Signalen2 , die sich in der Regel verzögert bemerkbar machen. Daneben führen die Rigidität des strategischen Planungskalenders (jährliche festgeschriebene Zyklen) und die strategische Inflexibilität (d.h. Themen, die mehrere Planungseinheiten betreffen, können nicht simultan betrachtet werden) zu Problemen. Abbildung 8.1 stellt die Strategische Planung der SFA gegenüber (vgl. Ansoff, 1975, S. 32; Liebl, 1991, S. 11; Camillus und Datta, 1991).
Strategische Planung...
behandelt die gesamte Unternehmensstrategie fokussiert sich auf die Bereiche Produkt-Markt-Technologie ist anwendbar, wenn große strategische Umorientierungen gewünscht sind antwortet auf starke Signale und auf einen definierten Informationsbedarf leitet strategische Informationen von Entscheidungen ab wird periodisch vorbereitet ist organisationsfokussiert
Strategische Frühaufklärung bzw. strategic ’issue management’... behandelt mögliche Diskontinuitäten vereint Diskontinuitäten aus allen Quellen ist anwendbar, wenn eine Absicherung gegen Überraschungen gewünscht ist antwortet auf schwache Signale trifft mögliche Entscheidungen aufgrund vorhandener Informationen ist ein kontinuierlicher Prozess ist problemfokussiert
Tabelle 8.1: Strategische Planung versus Strategische Frühaufklärung Die SFA ging aus dem Strategischen Planungsansatz hervor und ermöglicht das analytische und strukturierte Vorgehen, Diskontinuitäten frühzeitig zu erkennen. Sie war eine Weiterentwicklung, die bestehende Unternehmensplanung durch die Beschäftigung mit Diskontinuitäten, Frühwarn-, Früherkennungs- und Frühaufklärungssystemen anzureichern (Liebl, 1991, S. 11). Die SFA ist für die Formulierung und Implementierung von Strategien nötig und versteht sich als Anreicherung der Strategischen Planung (Liebl, 1996, S. 18) als „real time Instrumentarium“ (Liebl, 1991, S. 11) und nicht als deren Ersatz (Ansoff, 1980, S. 141)3 . Schwache Signale, mit denen sich die SFA beschäftigt, 2 „They disregard the intrinsically unique, intransigent, ’wicked’ character of strategic issues.“ (Gilmore und Camillus, 1996, S. 869). 3 Ansoff (1975, S. 22) plädierte z.B. für die Integration einer SFA in die Strategische Planung. Historisch belegte er seine Befunde mit der Ölkrise in den 70er Jahren oder den unerwarteten Veränderungen der Sicherheitsbestimmungen in der Automobilindustrie. Für die Zukunft erwartete Ansoff (1975) weitere Diskontinuitäten und Überraschungen mit gehäufter Auftrittswahrscheinlichkeit.
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
60
haben eine „trigger“-Funktion. „Von Anfang an hatte daher Ansoff dafür plädiert, Strategische Planung nicht einfach durch ein auf kurzfristige Änderungen schnell reagierendes, adaptives Management-System zu ersetzen. Statt des berüchtigten „Durchwurstelns“ muss es seiner Auffassung nach darum gehen, im Unternehmen ein zweigleisiges Strategisches Management folgenden Zuschnitts zu etablieren: Weiterhin soll die Strategische Planung dafür zuständig sein, die Unterscheidungskraft im Wettbewerb sicherzustellen, die Kompetenzen des Unternehmens weiterzuentwickeln sowie die Unternehmenstätigkeit durch neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle zu ergänzen. Daneben soll ein ’issue management’ neu aufkommende Trends und ’issues’ frühzeitig erkennen und rechtzeitig adäquate Maßnahmen zu ihrer Nutzung oder Abwehr einleiten. Mit diesem Instrument soll die Strategische Planung von der Bewältigung plötzlich auftauchender Irritationen entlastet werden, denen durch kurzfristige Änderung der Planungen womöglich gar nicht beizukommen wäre; überdies würde durch einen abrupten Kurswechsel das strategische Gleichgewicht des Unternehmens eventuell empfindlich gestört werden.“ (Liebl, 2003, S. 67). Mintzberg (1981, S. 107) hält in seinem Artikel über Organisationsformen und deren Teilelemente fest, dass sich Unternehmen von der langfristigen Planung wegbewegen, je komplexer und unsicherer sich die Umwelt gestaltet, und sich stattdessen auf Intuition und Erfahrung verlassen (vgl. Simon, 1986, S. 16): „Under uncertainty, traditional approaches to strategic planning can be downright dangerous“ (Courtney et al., 1997, S. 68). Strategische Frühaufklärung dient deshalb zur Erfüllung der Unternehmensführungsfunktion und ist zur Erhaltung und Schaffung von Erfolgsfaktoren bedeutend (daher auch der strategische Charakter4 ) (Simon, 1986, S. 24). Viele Autoren/innen behandeln die SFA aber im Hinblick auf die planungsorientierte Schule und deren strukturelles und vorhersehbares Vorgehen. Die SFA wird mit Methoden angereichert, ein genaues Vorgehen geschaffen und in immer komplexer werdenden Modellen verpackt. Eine kurze geschichtliche Zusammenfassung soll dies verdeutlichen. Die Frühaufklärung genoss in den 70er und 80er Jahren einen enormen Interessenszuwachs in der Literatur durch den Hauptinitiator Igor Ansoff und sein Konzept der schwachen Signale (1975; Welge und Al-Laham, 2003, S. 304). Unzählige Artikel entstanden zu dieser Zeit, die alle auf das Ursprungskonzept verwiesen. Viele nahmen einen speziellen Blickwinkel in Bezug auf das Thema ein und verknüpften unterschiedlichste Modelle miteinander. Hier sind die Verflechtung der SFA mit Porters fünf Wettbewerbskräften, dem ressourcenorientierten Ansatz, der Wahrscheinlichkeitstheorie und anderen mathematisch-statistischen Modellen, Portfoliomodellen und dem Stakeholderansatz zu nennen (Hammer, 1992; Liebl, 1996; Nagel, 1994). Autoren/innen beschäftigten sich grundsätzlich sowohl mit dem Inhalt von schwachen Signalen als auch mit dem Prozess der Frühaufklärung. Damit ist das Interessensfeld durch eine große Vielfalt und Komplexität gekennzeichnet. Dies ist alleine
4
Die SFA setzt dabei nach Simon (1986, S. 26) bei den Erfolgspotenzialen der Unternehmung an.
8.1. DIE RATIONALE PLANUNGSPERSPEKTIVE
61
anhand der verschiedenen Klassifikationsschemata erkennbar (vgl. Müller, 1981, S. 68ff)5 . Detailaspekte rückten immer wieder in den Vordergrund, um das vielschichtige Wissensgebiet verarbeitbar und übersichtlich zu machen. So forderten unterschiedlichste spezifische Aufgabenstellungen, wie z.B. die Konjunkturpolitik, Wechselkursentwicklungen usw. den Einsatz einer SFA (siehe Müller, 1981, S. 71). Obwohl in der Literatur die Wichtigkeit der SFA immer wieder betont wurde (siehe z. B. Klein und Newman, 1980; Krystek und Müller-Stewens, 1993; Hammer, 1992; Liebl, 1996; Nikander und Eloranta, 2001; North und Pyke, 1969), nahmen bisher Praktiker das Konzept und dessen Werkzeuge kaum an (Welge und Al-Laham, 2003, S. 314; Krampe und Müller, 1983, S. 283) sondern griffen eher auf die operative Frühaufklärung, die Frühwarnung oder Früherkennung zurück. „Hierbei geht es insbesondere darum, durch Indikatorenmodelle Prognosen über die Verletzung kritischer – womöglich existenzbedrohender – Grenzen anzustellen. In der Folge versuchte eine Reihe von fortschrittlichen Unternehmen diese, vom Prognoseoptimismus der 60er und 70er Jahre inspirierten, Ansätze einzuführen; jedoch konnten diese niemals eine wirkliche strategische Qualität entfalten, sofern sie sich überhaupt als operabel erwiesen.“(Liebl, 2003, S. 66). Anfang der 80er Jahre fand ein Wandel in der Denkhaltung hin zur SFA statt und griff auf die Grundidee von Ansoffs Konzept des ’strategic issue managements’ zurück. Dabei wurden die strategischen Konsequenzen eines ’issues’ in den Mittelpunkt gestellt (Liebl, 2003, S. 66) und von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet (z.B. der Technologieblickwinkel, vergleiche Zahn und Braun, 1992). Krystek und Müller-Stewens (1993, S. V) argumentieren: „Fordert man in einem Unternehmen die Einrichtung einer Frühaufklärungsfunktion, so stößt man meist auf breite Zustimmung. Kaum jemand bezweifelt angesichts der vielen und oft abrupt aus ungewohnten „Richtungen“ auftretenden Veränderungen die Notwendigkeit eines solchen Vorhabens.... Es wurden zwar (...) solche Projekte gestartet, die meisten davon verliefen ... allerdings im Sand....“. Die Hauptaufgabe der Frühaufklärung wird in der Prävention und Antizipation für ein schnelleres Reagieren gesehen, durch welches man auch einen Wettbewerbsvorteil erzielen kann ((„Wettbewerbs-)Faktor Zeit“: Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 5). Durch die wachsende Unsicherheit und Turbulenz der Umwelt und deren Austauschbeziehung (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 160) kommt man zu dem Schluss, dass es vorteilhafter ist, mögliche Zukunftsperspektiven zu erarbeiten und Handlungsspielräume zu gestalten, als das Unternehmen dem Zufall zu überlassen (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 3). Im weiteren Verlauf wurde der Prozess der SFA in computerunterstützten Modellen wei5 So unterscheidet – aus der Literatur abgeleitet – Müller (1981, S. 70) die verschiedenen SFA-Ansätze z.B. anhand der zeitlichen Lage der Kontrolle (als laufende Kontrolle der Planannahmen vs. der ex-ante Kontrolle der Planannahmen), dem Signalhorizont (operativ vs. strategisch), der Unternehmensbereiche (bereichsbezogen vs. gesamtunternehmensbezogen), der Benutzersichtweise (unternehmensintern vs. unternehmensextern) und der Signalherkunft (unternehmensintern vs. unternehmensextern).
62
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
terentwickelt (Krystek und Müller-Stewens, 1993; Liebl, 1996), oder es wurden Trendlandschaften6 entwickelt („outside-in“ und „inside-out“ Perspektive: Liebl, 1996). Liebl (1996) verwendet überdies die Konzeption des Hypertextes7 um den Prozess gestaltbar zu machen. Diese Modelle weisen allerdings eine hohe Komplexität auf8 . Im Verlauf der Zeit entwickelten sich dabei zwei gegensätzliche Lager: Befürworter sehen die Vorteile einer Planungsorientierung darin, dass sie durch einen geplanten und formellen Ablauf besser und schneller auf Umweltsignale reagieren kann. Diesen Vorteil widerlegen allerdings Autoren/innen, die der Meinung sind, dass solche formellen Regelwerke die Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit von Organisationen zerstören9 . Die Entwicklungsstränge ermöglichen verschiedene Ansätze, so z.B zu Entwicklungen der Szenariotechnik, deren immer ausgefeilteren Details (Malaska, 1985; Høyland und Wallace, 2001; Bloom und Menefee, 1994) und anderen Methoden. Das Ziel ist, immer rationalere Methoden zu schaffen, um Unsicherheit zu reduzieren: „in models of decision making under uncertainty, it is essential to represent uncertainties in a form suitable for computation“. Høyland und Wallace (2001, S. 295), Bloom und Menefee (1994, S. 225) sehen die Rationalität und das „Vorbereitet-sein“ als großen Vorteil dieser Methoden an. Die Schaffung von komplexen Frühaufklärungssytemen weist ebenfalls auf diese Entwicklung hin. ’Strategic issue management systeme’10 wurden von Ansoff (1984, S. 20ff) ins Leben gerufen und von Dutton und Ottensmeyer (1987), Venkatraman (1985) oder Müller (1981, S. 66ff) weiterverfolgt. „A strategic issue management system (SIM) is a systematic procedure for early identification and fast response to important trends and events both inside and outside an enterprise“ 11 (Ansoff, 1980, S. 134) „which impact on the firm“ (Ansoff, 6 Trendlandschaften sind eine Verdichtung und Aggregation von Trendmeldungen. Eine Trendmeldung stellt die durch Umfeldanalyse festgestellten externen Entwicklungen, wie Gefahren und Gelegenheiten, dar. Diese werden auf Gemeinsamkeiten, Abhängigkeiten und Ausprägungen hin untersucht und zu Gruppen zusammengefasst, die intern sehr homogene Charakteristika aufweisen, nach außen zu anderen Trendlandschaften sich aber deutlich abgrenzen (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 187 und S. 196). 7 Um die SFA, und damit Informationsverarbeitungsprozesse mit Computern, unterstützen zu können, wird die lineare Struktur von herkömmlichen Dokumenten mit Hilfe des Hypertextes in sogenannte „chunks“ aufgelöst und diese durch eine vernetzte Struktur miteinander verbunden. Das erlaubt es, die Informationsmenge gut abzubilden. „Ziel der Frühaufklärung beim Einsatz von Hypertext ist die Erzeugung und Nutzung eines aus der Vernetzung von Informationen resultierenden Mehrwerts gegenüber konventioneller Wissensspeicherung und -präsentation“ (Liebl, 1996, S. 226). 8 „Durch die Möglichkeiten der Computerisierung von Rechenverfahren wurden die Prognosemethoden zunehmend komplizierter und undurchschaubarer.“ (Müller, 1981, S. 156). 9 Dies stellt in weiterer Folge die Grunddebatte zwischen Analytik und Intuition und den Kognitionswissenschaften dar, welche auch in dieser Arbeit integriert wurde. 10 Solche Systeme werden als rationale Ausprägung von Strategischer Frühaufklärung verstanden. Da die vorliegende Arbeit allerdings auch kognitve Elemente in die Diskussion miteinbaut, soll in weiterer Folge nur mehr der Begriff „SFA“ als Begriff verwendet werden (und nicht SFA-Systeme), um von der allein rationalen Ausprägung Abstand zu nehmen. 11 „Strategic Issue Management (SIM) systems are one set of organizational procedures, routines, personnel, and processes devoted to perceiving, analyzing, and responding to strategic issues...“(Dutton und Ottensmeyer, 1987, S. 355). „Frühaufklärungssysteme können als eine spezielle Art von Informationssystem verstanden werden, die durch ihren spezifischen Output in Form von Frühaufklärungsinformationen, auf real vorhandene, aber noch nicht allgemein als solche erkannte strategische Chancen und Risiken, mit dem für ein rechtzeitiges Agieren erforderlichen Vorlauf, aufmerksam machen.“ (Hammer, 1992, S. 177;
8.1. DIE RATIONALE PLANUNGSPERSPEKTIVE
63
1980, S. 131), und zählt damit nach Ansoff zu den aktuellsten Managementsystemen, um externe Möglichkeiten und Gefahren und interne Stärken und Schwächen zu erkennen12 . Die frühzeitige Identifikation bezieht sich auf eine kontinuierliche Fokussierung auf und Überwachung von Schlüsselthemen innerhalb und außerhalb des Unternehmens in Echtzeit und die Alarmierung des Managements, wenn solche strategischen ’issues’ auftauchen. Die Vorteile eines ’strategic issue management systems’ sieht Ansoff (1980, S. 143) in • Echtzeit-Antworten auf strategische ’issues’. • schnellen internen Reaktionszeiten. • Antwortstrategien zu jeglichen Problemen aus ökonomischen, politischen, sozialen und technologischen Quellen. • einem „lightweight“-System, welches auf jede Organisationsgröße und -komplexität angewendet werden kann. • der gewonnenen Kompabilität mit bestehenden Strukturen und Systemen. Dieser Ansatz stellt eine rationale und durchwegs geplante Möglichkeit des klassischen Strategischen Managements dar: „[there is call] for a formal approach to planning - which provides a system for recognizing and reflecting rapidly changing trends in the broader environemnt“ (Venkatraman, 1985, S. 67). Der Erfolg dieser großen und komplexen Systemen und Methoden blieb – wie in Studien ersichtlich – aus. Die meisten dieser Systeme und Methoden wurden für große Unternehmen geschaffen und erwiesen sich auch dort als nicht erfolgreich und nützlich bzw. wurden nicht angewendet (Stubbart, 1982; Fahey und King, 1977; Thurston, 1971; Dory und Lord, 1970; Lenz und Engledow, 1986; Thomas, 1980; Diffenbach, 1983)13 . Gerade in der von kleinen und mittleren Unternehmen geprägten Unternehmenslandschaft in Österreich ist der Einsatz solcher Methoden fraglich: „The size of the company is....a significant factor affecting the use of MSA [=Multiple Scenario Approach]. Larger companies evidently have both a stronger interest in, and more resources for, various new planning methods“ (Malaska, 1985, S. 342). Schon Dutton und Ottensmeyer (1987) nehmen von der reinen Planungssicht Abstand und lassen symbolische Werte Welge und Al-Laham, 2003, S. 302). Liebl (2003, S. 64) subsumiert folgende Eigenschaften mit einem ’strategic issue management’: 1. frühzeitiges Aufspüren von Trends und ’issues’ im Umfeld, 2. Verständnis der daraus ableitbaren Diskontinuitäten, 3. Abschätzung der entstehenden Implikationen, 4. Ergreifen von Maßnahmen, „die der Vagheit und Unschärfe der Situation ausreichend Rechnung tragen“. 12 Als Managementsystem versteht Ansoff (1980) Antworten auf schwer erfassbare Probleme in einer sich schnell ändernden Umwelt. Er (1980, S. 132) unterscheidet in der historischen Entwicklung zwischen Kontrollsystemen, Langfristenplanungssystemen, Strategischer Planung, Strategischem Management, „strategic issue management“ und „surprise management“, wobei die letzten beiden (im Gegensatz zur periodischen Anwendung) in Echtzeit zum Einsatz kommen. Das „surprise management“ sieht Ansoff (1980, S. 131) als Managementsystem der Zukunft an (vgl. Ansoff, 1980, S. 132; Hammer, 1992, S. 72; Ansoff, 1984, S. 14). 13 „Yet, research strongly suggests that sophisticated planning systems are no guarantee of success.“ (Gilmore und Camillus, 1996, S. 869).
64
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
in solche Systeme einfließen. D.h. die Anwendung eines solchen Systems transportiert Wertigkeiten und Wichtigkeiten und nicht nur die klassischen Hauptziele des Systems. Auch Malaska (1985, S. 347) spricht sich für die Abkehr von einem reinen Planungssystem aus und zu einer Hinwendung zu Intuition: „Planning may become more participative and more emphasis put on managers’ intuition, instead of on objective information and analysis.“ Auch wenn Cornelius et al. (2005, S. 95) und Venkatraman (1985, S. 67) darauf hinweisen, dass Szenarien oder Managment Information Systems (MIS) als Früherkennungssysteme benutzt werden können, entkräften MacKay und McKiernan (2006, S. 93) diese Aussage, da Szenarien alleine nicht genügen, schwache Signale zu finden: „scenario thinking has been charged with a failure to identify weak signals in contextual environments...“. So fasst Simon (1989, S. 57) zusammen: „They [tools] have had their greatest impact on decision making that is well-structured, deliberative, and quantitative.“
8.2
Kann diese Sicht bestehen? „The best desription of the current state of research in many fields of management is that of a silent, ongoing battle between weak signals from the realm of management practice and strong, well-developed paradigms in established fields of scholary inquiery. Often, early signals that pretend a major shift in substantive areas of interest to management practice are either ignored or interpreted with existing academic tools and established prardigms.“ (Prahalad, 1995, S. iii)
Kann in einer immer unsicherer werdenden Welt Sicherheit durch rationale Pläne und noch mehr Methoden entstehen? Venkatraman (1985, S. 68) behauptet, dass „formal planning systems and processes will lead to better decision choices, more informed evaluation of alternatives, and ultimately better levels of organizational performance“. Allerdings lassen viele Autoren/innen andere Elemente, wie Kognitionseinsichten in ihre Arbeiten einfließen (vgl. Schoemaker, 1991; Linneman und Klein, 1979; MacKay und McKiernan, 2006; Noda und Bower, 1996; Mintzberg, 1994; Aaron, 2000; Dutton und Webster, 1988; Kiesler und Sproull, 1982; Hambrick und Mason, 1984; Grant, 2003; Harris, 1996; Mintzberg und McHugh, 1985). So z.B. weisen Bloom und Menefee (1994, S. 229) darauf hin, dass sehr viel Zeit und Energie benötigt wird, um Pläne und Methoden (wie Szenarien) zu gestalten. Linneman und Klein (1985) sprechen Managementerfahrung, „formalized intuitive thinking“, subjektive „fuzzy“ und weiche Faktoren in der Szenarioplanung an. Auch Liebl (2003, S. 67) hält fest, dass „kommunikative Phänomene und die damit verbundenen sozialen Konstruktionen....in den verwendeten Modellen bzw. Ansätzen [des klassischen Strategischen Managements] meist keinen adäquaten Niederschlag“ finden. Neueste Artikel (z.B. Julian und Ofori-Dankwa, 2008) legen den Hauptfokus bei der SFA auf die Unterscheidung zwischen intendiertem und automatischem Verhalten in der Aus-
8.3. UMWELTVERSTÄNDNIS
65
wahl von strategischen Themen. Schlecht strukturierte Ereignisse und Informationen, wie es schwache Signale sind, bedürfen immer einer „subjektiven Interpretation“ (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 6). Sie können aber „Erfolgspotenziale“ von Unternehmen darstellen, durch die frühzeitige Erkennung und Ergreifung von Chancen sowie die Abwehr von Risiken. Somit ist „das System einer strategischen Frühaufklärung (...) also selbst ein Erfolgspotenzial für Unternehmen...“ (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 162). Es wird auch die Idee von Krystek und Müller-Stewens (1993) aufgenommen, dass es keiner hoch komplexen Techniken zur Frühaufklärung bedarf, sondern auch Intuition und einfache, aber wirkungsvolle Methoden den gewünschten Effekt erzielen können. Dies ist insbesondere im Kontext von Klein- und Mittelunternehmen auf Grund der begrenzten Ressourcen von großem Interesse.
8.3
Umweltverständnis „It’s time to get realistic about strategy under uncertainty. The truth is that foresight does not emerge solely from the paintaking analyses of current market environment. Nor does it emerge from studying the „perfect“ forecasting tool, if it existed: a crystal ball that would make all your uncertainties disappear. Rather, the real issue is how to make the best strategy choices you can, accepting the ever presence of uncertainty.“ (Courtney, 2001, S. 3)
Ausgangspunkt der Debatte ist die Sicht auf die Umwelt (Meyer, 1979, S. 486). In vorhergegangenen Abschnitten wurde die Rolle der Aussensicht bereits kurz angesprochen, ebenso wie die Tatsache, dass in der Literatur vermehrt eine Konzentration auf unsichere und komplexe Umwelten erfolgte.
8.3.1
Definition der Umwelt und der Organisation
Die Organisation selbst kann als komplexes System im Sinne der Systemtheorie gelten (Ruegg-Stuerm, 2003). „All organizations are dependent for their survival on exchanges with the environment.“ (Kast, 1980, S. 23). Ein System ist „eine geordnete Gesamtheit von Elementen die miteinander in Beziehung stehen oder in Beziehung gebracht werden können“ (Hammer, 1992, S. 183). Die SFA kann mit der Systemtheorie in Zusammenhang gebracht werden. So definiert Hammer (1992, S. 183): „Frühaufklärungssysteme sind reale, komplexe und offene Systeme, die sich durch die Anzahl und Art der Subsysteme und Systemelemente bzw. durch die Art und die Intensität der Beziehungen zwischen den verschiedenen Subsystemen und Elementen, von anderen Systemen, beispielsweise Planungs- und Kontrollsystemen,
66
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
grundlegend unterscheiden“.14 Subsysteme und Elemente werden als Organisationseinheiten verstanden, die wie Sensoren schwache Signale aufnehmen, diese verarbeiten und weiterleiten. Auch Fahey et al. (1981, S. 32) verstehen Organisationen als offene Systeme: „...this notion holds that an organization’s growth and survival is dependent on the nature of the environment that it faces.“ Ein System ist darüber hinaus „eine Ganzheit von Elementen, d.h. eine Einheit, die von einer Umwelt unterscheidbar ist.“ (Ruegg-Stuerm, 2003, S. 5). Dies bedeutet, dass Grenzen erkennbar sein müssen. Anhand der Literatur (Johnson et al., 2008; Müller-Stewens und Lechner, 2005; Elenkov, 1997; Greening, 1992; Miles et al., 1974) kann zwischen dem Unternehmen und dessen Umwelt, also zwischen Außen- und Innenperspektive unterschieden werden (Duncan, 1972, S. 314). Es ist von Bedeutung, was als Umwelt und was als Organisation bezeichnet wird. Die Abgrenzung ist allerdings sehr unterschiedlich, situationsspezifisch und verläuft meist fließend. Wie kann ein Unternehmen seine Umwelt allerdings definieren? „The evironment is defined by Duncan (1972, S. 314) as the relevant physical and social factors outside the boundary of an organization that are taken into consideration during organizational decision making“ (Elenkov, 1997, S. 287). Grundsätzlich gehört alles, was außerhalb des Unternehmens liegt, der Umwelt an. Die Schnittstellen können vielfältig sein (Kunden/innen, Lieferanten/innen, Medien, Regierungen,...). Um die Komplexität der Umweltdefinition reduzieren zu können, bedient man sich gewisser Einteilungsschemata (z.B. Bourgeois III., 1980). Johnson et al. (2005, S. 64) unterteilen die Umwelt zum Beispiel in die Makroumwelt (d.h. die politische, ökonomische, soziale, technologische, ökologische und legale Umwelt im Sinne einer PESTEL-Analyse15 ) als übergreifende und generelle bzw. äußerste Schale eines Zwiebelmodells. Innerhalb dieser generellen Makroumwelt befindet sich die jeweilige Industrie (Sektor), gefolgt von den Wettbewerbern und speziellen Märkten des Unternehmens. Im Kern liegt die Organisation selbst16 . Dies bedeutet, dass bereits die Einteilung der Umwelt und deren Definition schwer fällt. Darüber hinaus ist das Unternehmen mit einer Vielzahl von Einflüssen konfrontiert und kann sich nicht allen Bereichen widmen. Es muss wählen und interpretieren. 14 Diese Definition weist auf das Themengebiet der Umweltdynamik hin. Das Unternehmen reagiert demnach auf die offene und dynamische Umwelt mit Hilfe eines Frühaufklärungssystems. Die Grenzen zwischen Umwelt und Unternehmen fließen vermehrt ineinander, und von außen kommende Einflüsse schlagen sich direkt oder indirekt auf innere Zustände nieder (Kast, 1980, S. 23). 15 Johnson et al. (vgl. 2005, S. 65) 16 Auch verschiedenste Autoren/innen sprechen von zwei oder mehreren Schichten (Elenkov, 1997, S. 287): der „task“ Umwelt (der Aufgabenumwelt, welche direkt auf das Unternehmen einwirkt wie Wettbewerber/innen, Lieferanten/innen, Kunden/innen und regulierende Einheiten) und der „general“ Umwelt (die Allgemeine-Umwelt, die indirekt auf das Unternehmen einwirkt wie ökonomische, politische oder soziale Sektoren).
8.3. UMWELTVERSTÄNDNIS
8.3.2
67
Objektivität versus Subjektivität
„Die Wahrnehmung der Außenwelt [ist] eine reine Konstruktion der Wirklichkeit.“ (Schnell et al., 2005, S. 111) Miteinhergehend ist die Frage, die sich der Konstruktivismus stellt, ob von einer objektiv erfahrbaren oder einer subjektiv erlebten Umwelt gesprochen werden kann (ein „Wirklichkeitsmodell“ (Simon, 1986, S. 144; Berger und Luckmann, 1966)) (Smircich und Stubbart, 1985; Hogarth und Makridakis, 1981; Gerum, 1998; Huber et al., 1975; Leifer und Huber, 1976; Bourgeois III., 1980; Duncan, 1972; Kiesler und Sproull, 1982; Gareis, 1994; Boyd und Fulk, 1996, S. 3; Segev, 1977, S. 9; Flick et al. 2008, S. 150ff; Schnell et al. 2005, S. 109ff; Snow, 1976; Miles et al., 1974, S. 249f). In einer objektiven Sicht ist die Organisation in eine Umwelt eingebettet und hat eine eigenständige Existenz. Dies entspricht der oben beschriebenen Definition der Umwelt und Organisation. Sie geht davon aus, dass die Organisation real und separat von der Umwelt existiert. Die Umweltanalyse geht daher davon aus, dass Chancen oder Risiken bestehen und einfach gefunden werden können (Smircich und Stubbart, 1985, S. 725). Die konstruktivistische Sichtweise vertritt die Ansicht, dass die Umwelt von der Organisation nicht komplett erfahrbar ist, sondern durch die begrenzte Rationalität der Akteure eingeschränkt wird. Die Organisation definiert in dieser Sicht die Umwelt (Miles et al., 1974, S. 250) und in weiterer Folge auch die Technologie, also z.B. das Produkt, das sie vertreibt. Das Gleiche gilt für die Unsicherheit der Umwelt, d.h. ob die Umwelt objektiv unsicher ist, oder von den Akteuren als solche empfunden wird („perceived environmental uncertainty“)17 (Milliken, 1987). Die Umweltanalyse in dieser Sicht geht daher davon aus, dass Chancen oder Risiken „erfunden“ werden. Zumeist wird das Verständnis von Unsicherheit von der dominanten Koalition geprägt (Führungsebene), welche die Umwelt und damit die Unsicherheit subjektiv wahrnimmt und darauf die Strategie aufbaut (Miles und Snow, 1986, S. 30; Huber et al., 1975, S. 726; Duncan, 1973)18 . „Underestimating uncertainty can lead to strategies that neither defend against the threats nor take advantage of the opportunities that higher levels of uncertainty may provide.... At the other extreme, assuming that the world is entirely unpredictable can lead managers to abandon the analytical rigor of their traditional planning processes altogether and base their strategic decisions primarily on gut instinct.“ (Courtney et al., 1997, S. 68). Unsicherheit fördert somit den Einsatz von Bauchgefühl und Intuition, denn „where high levels of uncertainy exist, there are multiple paths for achieving ends, ends are unknown, and the probabilities that any paths will achieve a desired end are difficult to determine“ (Dutton und Webster, 1988, S. 664). 17 Thomas et al. (1994, S. 1276f) unterscheiden weiters in drei Arten von „interpretive environments“: 1. „divisive“, 2. „utilitarian“ und 3. „normative“. 18 Forschungsstränge unter diesem Paradigma zählen zur Verhaltensorientierten Betriebswirtschaftslehere (Organizational Behaviour). Für eine Definition von „perceived environmental uncertainty“ vgl. Duncan (1973); Huber et al. (1975).
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
68
Spricht man von subjektivem Erleben, so können Führungskräfte zwei Extrempositionen betreffend der Umweltdynamik einnehmen: einerseits das Bild einer stabilen Umwelt und andererseits das Bild einer turbulenten Umwelt. Eine stabile Umwelt ermöglicht genaue Vorhersagen des Zukünftigen, während eine dynamische Umwelt per Definition jegliche Zukunftssicht, auch durch verfeinerte Prognosetechniken wie die Technologieprognose oder die Szenariotechnik (Hammer, 1992, S. 19), unmöglich macht (Courtney et al., 1997, S. 68).19 Die Wahl der Strategie und Ausrichtung hängt also sehr vom Bild der Umwelt ab, das sich das Unternehmen macht (Dutton und Webster, 1988, S. 664). Daher versuchen Courtney et al. (1997) die Unsicherheit zu systematisieren und in vier Kategorien einzuteilen.20 1. ’A clear-enough future’ (eine klare Zukunft): Ein einziger, von Führungskräften entwickelter Forecast, ist präzise genug um eine Strategie zu entwickeln bzw. eine einzige Strategierichtung mit Hilfe von traditionellen Strategiemethoden aufzuzeigen. 2. ’Alternate futures’ (alternative Zukunftsperspektiven): Die Zukunft bestimmt sich durch einige bestimmte Ergebnisse („discrete scenarios“) (Courtney et al., 1997, S. 69). Obwohl nicht klar erkennbar ist, welches Ergebnis eintreten wird, so sind gewisse Möglichkeiten vorgegeben, auf die sich das Unternehmen vorbereiten kann. Entscheidungsanalysen, Optionsbewertungsmodelle und die Spieltheorie unterstützen den Vorgang (Weigand und Buchner, 2000, S. 8). 3. ’A range of futures’ (viele Zukunftsformen): Diese Form der Unsicherheit bestimmt sich durch keine natürlichen Szenarien. Eine breite Möglichkeit an Zukünften liegt vor, die sich durch eine eingeschränkte Anzahl an Variablen auszeichnet. Das Ergebnis kann innerhalb dieser Variablenausprägungen liegen. Durch die Forschung über latente Nachfrage, Technologieprognosen und Szenarioplanung versucht man die Unsicherheit zu beherrschen. 4. ’True ambiguity’ (echte Mehrdeutigkeit): Diese Unsicherheitssicht stellt keine Basis für Zukunftsprognosen zur Verfügung. Mögliche Ergebnisse bzw. Variable können nicht identifiziert werden, verschiedene Unsicherheiten treffen aufeinander. Obwohl eine von echter Mehrdeutigkeit geprägte Umwelt nur selten anzutreffen ist (Courtney et al., 1997, S. 71), können Analogien und Mustererkennungswerkzeuge sowie nichtlineare und dynamische Modelle bei der Bewältigung helfen. 19
Eine realistischere Betrachtung ist der Mittelweg zwischen diesen beiden Extremsituationen. Wichtig ist dabei zu bedenken, dass: „Even the most uncertain business environments contain a lot of strategically relevant information.“ (Courtney et al., 1997, S. 68). Nachdem die beste Analyse eingesetzt wurde, verbleibt allerdings ein Rest an Unsicherheit – von den Autoren/innen „residual uncertainty“ genannt (Courtney et al., 1997, S. 69). 20
8.3. UMWELTVERSTÄNDNIS
69
Wie zuvor angemerkt wurde, kategorisieren Führungskräfte die Umwelt zumeist nach dem ersten oder vierten Level. Wurzeln von Unterschieden der persönlichen Einschätzung der Umweltunsicherheit sind z.B. die Art des Unternehmens, in dem die Entscheider/innen arbeiten, der Bereich sowie die Themen, mit denen sie konfrontiert werden (Dutton und Webster, 1988, S. 664). In der Praxis zeigen sich jedoch meist nur die Ausprägungen 1 bis 3 (vgl. Courtney et al., 1997, S. 71), da meist gewisse Informationen vorhanden sind (also die vierte Art kaum in der Praxis anzutreffen ist). Level 1 ermöglicht den Einsatz der traditionellen Instrumente und Methoden des Strategischen Managements. Unglücklicherweise werden diese Methoden in der Praxis auch in den anderen drei Levels angewandt. Aus der Wahrnehmung der Umwelt und deren Unsicherheit resultieren drei Arten des Reagierens: 1. die Umwelt formen und neue Möglichkeiten schaffen („shape“) (vgl. auch Jauch und Kraft, 1986), 2. sich der Umwelt anpassen und bestehende Möglichkeiten ausschöpfen („adapt“) und 3. sich das Recht zu handeln – durch inkrementelle Investitionen – vorzubehalten („reserve the right to play“) (Courtney et al., 1997, S. 73)21 . Smircich und Stubbart (1985, S. 726) sprechen noch von einer weiteren Variante, der „enacted“ Umwelt: „organization and environment are created togehter (enacted) through the social interaction processes of key organizational participants.“, d.h. es gibt keine separaten und objektiven Umwelten. Die Umwelten werden von den Aktionen und intellektuellen Anstrengungen der Akteure erschaffen. Es gibt keine fixen Chancen und Risiken in der Umwelt, sondern diese entstehen durch die Aufmerksamkeit und Aktionen der Unternehmensmitglieder. „What everyone knows about an industry translates into an opportunity for those who do not know. Many, if not most, really novel and exciting new strategies that invade an industry, are perpetrated by outsiders who do not know the rules“ (Smircich und Stubbart, 1985, S. 729). Die Wahrnehmung der Personen gestaltet somit die Umwelt und die daraus gezogenen Handlungen mit. Smircich und Stubbart (1985, S. 727) treten deshalb für eine interpretative Ausrichtung des Strategischen Managements ein, d.h. für das Hinterfragen, wie diese Aktionen von den Akteuren gestaltet werden. „An interpretive perspective argues that strategic managers can manage their organizations only on the basis of their knowledge of events and situations.“ (Smircich und Stubbart, 1985, S. 729). D.h. Unternehmen passen sich nicht nur einfach der Umwelt an, sondern gestalten diese auch aktiv mit. Strategisches Management bekommt daher einen kreativen und politischen Anstrich. 21 Dabei stehen drei Aktionen zur Verfügung: 1. „big bets“ d.h. große Investitionen, 2. „options“ d.h. verschiedene Möglichkeiten und 3. „no-regret moves“ d.h. Aktionen, die sich auf jeden Fall rentieren (Courtney et al., 1997, S. 75). Zusammenführend mit den Unsicherheitsausprägungen erstellen die Autoren/innen ein Kontingenzmodell (siehe Courtney et al., 1997, S. 75). In der ersten Umwelt befinden sich meist „adapters“ mit „no-regret moves“. In Umwelt zwei agieren meist „shapers“ neben „adapters“ und „reserve the right to play“ mit „options“-Aktionen. Auch die dritte Umwelt zeichnet sich durch „shapers“ (allerdings in einer anderen Form) und „adapters“ und „reserve the right to play“ aus und bedient sich dabei unter anderem „big bets“. Auch im vierten Level befinden sich „shapers“.
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
70
8.4
Rolle der Kognitionswissenschaft „We believe that one of the strongest biases in management research is the bias toward rationality.“ (Taggart und Valenzi, 1990, S. 153)
Einsichten in der Kognitionsliteratur, wie z.B. zu Einstellungen, unbewussten Prozessen oder Wahrnehmungsfragen, bereichern das Strategische Management seit längerem (in Fragen der Ausbildung, des Trainings, Gruppenbildung, Entwicklung, Aufgabendesign, Konfliktmanagement,...) (vgl. z.B. Augoustinos et al., 2006). Auch in der Phase der Frühaufklärung können kognitive Dimensionen tiefere Einsichten hervorbringen (Hayes und Allinson, 1994, S. 67). Kognitionen spielen bereits beim Verständnis von Organisation versus Umwelt eine große Rolle (vgl. z.B. Augoustinos et al., 2006, S. 22), wie im obigen Abschnitt angesprochen. Dass die Kognitionsliteratur auch im Strategischen Management seine Berechtigung hat, zeigt Stubbart (1989). Der/die rationale ökonomische Manager/in wird durch einen „bounded-rational man“ abgelöst, dem/der es nicht gelingt, jede Information aufzunehmen und zu bewerten. Dies macht auch deutlich, warum es nicht jedem Unternehmen bzw. jeder Person gelingt, die gleichen Gefahren und Chancen wahrzunehmen. Die Kognitionen spielten bereits bei den ersten Ideen zum Strategischen Management eine implizite Rolle, wurde jedoch zu diesem Zeitpunkt nie näher ausgeführt. Strategisches Management wurde vordergründig als intendierte, „deliberate“ und intelligente Aktivität verstanden, welche bewusst von Managern/innen durchgeführt wird (Stubbart, 1989, S. 327). Stubbart (1989) weist in seinem Artikel auf kognitive Landkarten, Schemata, Kategorisierungen oder mentale Modelle hin und folgert: „Research in managerial decision-making shows little evidence of comprehensive rationality in managerial decisions“ (Stubbart, 1989, S. 338).
8.5
Mehr als Rationalität in der Strategischen Frühaufklärung? „It may be that management researchers have been looking for the key to management in the lightness of logical analysis whereas perhaps it has always been lost in the darkness of intuition.“ (Mintzberg, 1976, S. 53)
Ausgangsbasis ist in der SFA die Person und deren Aktivitäten (’enacted environment’)22 . Die Frage, die sich auch im Zitat (siehe Kapitelanfang) stellt, ist, ob das Gebiet des Strategischen Managements alleine auf die rationale Sicht ausgerichtet sein soll, oder 22 „Zunächst einmal bilden auf der Ebene des Individuums dessen Informationsverarbeitungsprozesse den zentralen Bezugspunkt der Beruteilung der Rationalität“ (Becker, 1998, S. 172).
8.5. MEHR ALS RATIONALITÄT IN DER SFA
71
ob die Sicht des Konstruktivismus (und damit auch der Intuition) einen Platz in der Argumentation verdient. In der kognitiven Forschung – mit Hinblick auf das Strategische Management (vgl. Stubbart, 1989) – wird von einer logisch-analytischen und einer intuitiv-automatischen Vorgehensweise von Personen gesprochen23 (Simon, 1986, S. 141ff; Lieberman, 2007, S. 260ff; Liedtka, 1998, S. 121; Simon, 1989, S. 57; Louis und Sutton, 1991, S. 58). „Thus the decision process scholar used prevailing rational analytical schemes of intentional choice and outcome as a target in order to project more realistic views of choice behavior which recognized the importance of bounded rationality, organizational context, politics and power and chance.“ (Pettigrew, 1992, S. 6). Klausmann (1983, S. 40) fügt zu seinem eher logischen Modell die Folgeschritte einer Frühaufklärung hinzu: „Im Wirtschaftsalltag läuft dieser Prozeß in vielen Fällen nur sporadisch/zufällig (ad hoc) und vor allem auch eher unbewußt/intuitiv ab.“ (im Sinne von „unternehmerischem Fingerspitzengefühl“).24 Die Grundfrage ist dabei, ob der Entscheider/die Entscheiderin willens ist Informationen zu benutzen oder ob er/sie dazu auch in der Lage ist (Grenzen der Erkenntnisfähigkeit und Grenzen des Wissens) (Rieser, 1980, S. 113, S. 124; Kelley, 1965, S. 19). Er/sie ist damit ein „Nervenzentrum“, das Informationen aufnimmt (aus internen und externen Quellen, Analysen, Ideen, Sitzungen und Trends, Wünschen, Forderungen von Stakeholdern,...) und weiterverarbeitet. Z.B. als „Disseminator/in“ leitet er/sie Informationen an Organisationsmitglieder weiter, als „Sprecher/in„ überträgt er/sie Informationen an Außenstehende und als „Entscheider/in“ benutzt er/sie Informationen für seine/ihre eigenen Zwecke (Rieser, 1980, S. 116). Becker (1998) diskutiert das Konstrukt der Rationalität im Hinblick auf innovative Entscheidungsprozesse. Die Abwendung vom rationalen Menschen („economic man“ 25 ) und der rationalen Entscheidung in der traditionellen Volkswirtschaftstheorie hin zur begrenzten Rationalität („administrative man“) im Sinne von Simon (1967, S. 241ff) erfolgte bereits in den letzten Jahren. Gründe werden in der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität („computational limitation“; Stanovich und West, 2000) und dem unvollständigen Informationszugang gesehen, welche postulieren, dass der Entscheider/die Entscheiderin nicht das Wissen über alle relevanten Aspekte seiner Umgebung besitzen kann. Gründe für die begrenzte Informationskapazität sieht Rieser (1980, S. 127) in der begrenzten Fähigkeit, Umweltstimuli zu unterscheiden, in Kategorien zu ordnen und zu speichern (z.B. „7 plus/minus 2 Modell“ von Miller (1994, 343ff), d.h. das Differenzierungsvermö23 Augoustinos et al. (2006, S. 76) unterscheidet in „category-based processing“ und „data-based processing“. 24 Stanovich und West (2000) beschäftigen sich ebenfalls eingehend mit Fragen der Irrationalität und dem von normativen Modellen abweichenden Verhalten von Menschen. 25 Der „economic man“ steht dabei für eine Person mit völliger Klarheit über seine Umwelt, ein stabiles System an Präferenzen und der Fähigkeit, die für ihn beste Alternative aus den vorhandenen Möglichkeiten (die ihm bewusst ist) bewerten und auswählen zu können (Simon, 1967, S. 241; Stubbart, 1989, S. 326). Die zugrundeliegenden Thesen finden sich bei Simon (1967, S. 242).
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
72
gen und die Speicherungsfähigkeit sind auf 7 plus/minus 2 Einheiten beschränkt). Diese veränderte Sichtweise wird in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen als Grundannahme festgehalten (z.B. neue Institutionenökonomie). Der „administrative man“ – als Gegenstück zum „rational man“ – wählt bei Entscheidungen keine optimale (Simon, 1967, S. 261), sondern eine befriedigende Handlungsalternative („satisficing“) (Gerum, 1998). Dies bedeutet zusammenfassend nicht, dass Entscheider/innen einfach und simpel sind – sondern „we are looking for a model of both intelligent choices and occasional errors“ (Stubbart, 1989, S. 339). Auch Rice Jr. und Hamilton (1979) nehmen in ihren Studien von der allein rationalen Sichtweise Abstand. Mintzberg (1976) greift als einer der Ersten diesen Aspekt in den Kognitions- und Neurowissenschaften auf, und behandelt das Thema der zwei Gehirnhälften mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen: der linearen linken und der holistischen rechten Hälfte (vgl. auch Taggart und Valenzi, 1990): „There is a set of thought processes – linear, sequential, analytical – that scientists as well as the rest of us know a lot about. And there is another set – simultaneous, relational, holistic – that we know little about“ (Mintzberg, 1976, S. 52). Deshalb werden in weiterer Folge die beiden Prozesse getrennt voneinander behandelt und diskutiert (Olson, 1985).
8.5.1
Rationaler Prozess
„In business, innovation rarely springs from a flash of inspiration. It arises from a cold-eyed analysis of seven kinds of opportunities.“ (Drucker, 2002, S. 95) „Accurate analysis provides the best framework for maximizing opportunities and allocating resources for the anticipated future.“ (Jain, 1984, S. 117) Der rationale Prozess lässt sich durch folgende Kriterien charakterisieren (Hodgkinson et al., 2008, S. 9)26 : • Er operiert auf einem bewussten Niveau, • ist analytisch, • wird verbal kommuniziert, • ist weitgehend frei von Affekten und • die Informationsauffassung erfolgt intendiert (Analysenanwendung). Damit stehen beim rationalen Prozess systematische Prozeduren bzw. Methoden im Mittelpunkt, die so viel Informationen wie nötig aufnehmen, bearbeiten, analysieren und 26
Becker (vgl. 1998); vgl. „comprehensiveness“ bei Fredrickson und Mitchell (1984, S. 401).
8.5. MEHR ALS RATIONALITÄT IN DER SFA
73
bewerten und schließlich zu einem bewussten, logischen und analytischen Urteil führen (Dane und Pratt, 2007, S. 40). Viele Methoden des Strategischen Managements fallen in diese Kategorie (vgl. Heenan und Addleman, 1976; Quinn, 1967; Schlange und Jüttner, 1997; Wheelwright und Clarke, 1976; Langley, 1989), z.B. um Konsumentenwünsche zu erkennen oder Risiken von Produktinnovationen zu senken. Auch wenn die Anwender/innen nicht erwähnen, den Basistheorien und Grundannahmen des „rational man“ zu folgen, so werden dennoch oftmals Werkzeuge vorgestellt und implementiert, die eine analytische und logische Vorgehensweise genau im Sinne einer vollständigen Informationsauffassung, -sammlung und -bewertung benötigen. Man denke hierbei nur an Werkzeuge wie die SWOT-Analyse. Implizit wird angenommen, dass alle Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken erkannt, als solche bewertet und von den anderen Kategorien genügend abgegrenzt werden können. Kognitionen, verhaltenswissenschaftliche Themen, wie Wahrnehmung und Interpretationsfehler bzw. unbewusste Prozesse finden darin oftmals keinen Platz oder werden nur kurz erwähnt. Sie finden allerdings keinen Eingang als wichtige Variablen in die Methodik. Denn dies widerspricht der Systematik und dem Aufbau dieser formalen Methoden und Instrumente, die ja gerade versuchen, Fehler auf Grund von Intuition zu verhindern.
8.5.2
Intuitiver Prozess
„Intuition is a concept that has truly come of age.“ (Hodgkinson et al., 2008, S. 1) „Insightful and creative strategic thinking is the key to organisational performance and success in turbulent environments.“ (Bronn und Bronn, 2002, S. 249)
Goll und Rasheed (1997, S. 584) kommen in ihrer Studie zu der Erkenntnis, dass sich Rationalität nicht unbedingt positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken muss und Brunsson (1982, S. 29) bekennt: „rational decision making affords a bad basis for action. Some irrationalities are necessary requirements for organizational actions.“. Deshalb gibt es auch die intuitive Prozesskategorie. Methoden mit einem hohen intuitiven Anteil bieten zwei Vorteile: Erstens erleichtert diese ganzheitliche Vorgehensweise die Erstellung von Wirkungszusammenhängen und -ketten, wie sie bei schwachen Signalen oft definiert werden müssen. Zweitens ermöglichen diese Methoden, dass jede Art der Information – unabhängig von ihrer Qualität – in die Gesamtdarstellung einfließen kann (wie dies bei statistischen Verfahren meist nicht der Fall ist) (Simon, 1986, S. 180).
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
74 8.5.2.1
Definition „Intuition“ 27
„First, it facilitates the identification of a range of possible creative solutions. Second, it aids in the selectoin of the appropriate solution from a range of possibilities.“ (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 167) Den Ursprung hat das Wort im Lateinischen (’in-tuir’) und bedeutet „von innen sehen, betrachten oder wissen“. Intuition spielt eine große Rolle in kognitiven Prozessen. Sie wird mit Kreativität (Burke und Miller, 1999, S. 97)28 und Lernen in Zusammenhang gebracht, und spielt in den Persönlichkeitstheorien eine große Rolle (Hodgkinson et al., 2008, S. 1)29 . Intuition wird in einer Reihe von Forschungssträngen, von Medizin bis Management, als „potentially powerful explanatory construct“ bezeichnet (Hodgkinson et al., 2008, S. 2). Sie wird oftmals mit Fähigkeiten, kognitiven Stilen oder Strategien in Zusammenhang gebracht (Hayes und Allinson, 1994). Unter anderem betonte Mintzberg (1976, S. 53) schon, dass diese Prozessart im Strategischen Management noch viel zu wenig behandelt wird: „the important policy processes of managing an organization rely to a considerable extent on the faculties identified with the brain’s right hemisphere“. Er unterstellt ihr aber die höchste Wichtigkeit (in Folge seiner Untersuchungen), da Manager/innen in einer komplexen, von Ambiguität geprägten Umwelt, mit wenigen Informationen umgehen müssen, und somit holistische, intuitive Prozesse vor intellektuelle und sequentielle Prozessen rücken. „...intuition plays a role in a firm’s efforts to innovate“ (Miller und Ireland, 2005, S. 20). Demzufolge steht Intuition in einem engen Zusammenhang mit der Forschungsfrage. Das Phänomen Intuition wird sehr unterschiedlich in der Literatur definiert. Intuition wird dabei als Prozess (die Art der Aufnahme und Bearbeitung von Informationen) oder Ergebnis (was jemand versteht oder wahrnimmt) angesehen (Dane und Pratt, 2007, S. 34). Grundsätzlich umfasst Intuition beide Dimensionen. Dabei wird der Prozess als „intuiting“ bezeichnet und das Ergebnis als „intuitive judgement“ (Dane und Pratt, 2007, S. 38). 27
(Hodgkinson et al., 2008; Dane und Pratt, 2007) Dass Intuition eine Rolle spielt, zeigen die Bedeutung der Kreativität in Innovationsprozessen und bewährter Kreatitvitätsmethoden, wie zum Beispiel die Delphi-Methode (Schlicksupp, 1988, S. 148): „Erstaunlicherweise haben komplex-intuitiv entstandene Ergebnisse einen hohen Wahrheitswert, vor allem dann, wenn der Verstand auf ein reichhaltiges Spektrum an Wissen zurückgreifen kann: Die intuitiven Entscheidungen des langgedienten Praktikers sind meist befolgenswerter als die Resultate kunstvoller mathematischer Entscheidungsmodelle...“. 29 In diesem Zusammenhang werden oft weitere Themen angesprochen: implizites Wissen, unbewusstes Wissen, „insight“ (Einblick, Einsicht, Erkenntnis). Diese lassen sich jedoch von Intuition abgrenzen (vgl. Hodgkinson et al., 2008, S. 3; Dane und Pratt, 2007). Einige Beispiele verdeutlichen dies: So kann Intuition in den ersten Stufen des Kreativitätsprozesses involviert sein und Signale für Folgeaktionen geben. Intuition ist ebenfalls ein Element von „tacit knowledge“ und basiert bzw. greift auf Erfahrung und Wissen zurück. Ebenso kann Intuition ein Endprodukt eines impliziten Lernprozesses darstellen. Im Gegensatz zu Intuition wird der Instinkt nicht von bestehenden und tiefen Wissensstrukturen, Lernprozessen und Erfahrungen geleitet. Insight hingegen konzentriert sich auf einen plötzlichen Moment des Verstehens in Bezug auf ein Problem. Insight ist also ein kurzer rationaler Informationsbearbeitungsprozess, der eigentlich nicht im Rahmen der intuitiven Prozessart zu finden ist. Improvisation wird als eine spontane Aktion verstanden, die von Intuition geleitet wird und ebenfalls für die Qualität von Aktionen bzw. Entscheidungen ausschlaggebend ist (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 155). 28
8.5. MEHR ALS RATIONALITÄT IN DER SFA
75
Intuition ist somit eng mit einer Entscheidung verbunden. Hodgkinson et al. (2008, S. 4) definieren30 Intuition folgendermaßen: „Intuiting is a complex set of inter-related cognitive, affective and somatic processes, in which there is no apparent intrusion of deliberate, rational thought. Moreover, the outcome of this process (an intuition) can be difficult to articulate. The outcomes of intuition can be experienced as an holistic ‘hunch’ or ‘gut feel’, a sense of calling or overpowering certainty, and an awareness of a knowledge that is on the threshold of conscious perception.“ Somit lässt sich der intuitive Prozess exakt vom rationalen Prozess abgrenzen. Dies zeigen auch Crossan und Sorrenti (1997, S. 157) in ihrer Matrix, in der sie Intuition und Spontanität gegenüberstellen. Den Plan (also den rationalen Teil) gliedern sie dabei unter geringer Intuition und Spontanität ein, die Improvisation zum Beispiel unter hoher Intuition und hoher Spontanität (siehe Abbildung 8.1).
Abbildung 8.1: Intuition- und Spontanitäts-Matrix Raidl und Lubart (2001, S. 218) unterscheiden drei verschiedene Arten von Intuition: • „Socioaffective intuition“ behandelt interpersonale Beziehungen, d.h. wenn eine Person eine andere Person oder Situation verstehen will. • „Applied intuition“ beschäftigt sich mit der Lösungsfindung einer Aufgabe. • „Free intuition“ beschreibt ein Gefühl über mögliche Zukunftsentwicklungen. Behling und Eckel (1991) differenzieren genauer: 1) übernatürliche Kraft, 2) angeborenes oder gelerntes Persönlichkeitscharakteristikum, 3) unbewusster Prozess, 4) Abspiel von Aktionen, 5) Ergebnis von Erfahrung, 6) sonstige nicht erklärbare Phänomene. Die Autoren merken an, dass ein genaues Verständnis der Definition von Intuition nötig ist, da sich unterschiedliche Schlussfolgerungen und Strategien daraus ableiten lassen. Will man z.B. Intuition in einem Unternehmen verstärken, so ist zuvor wichtig zu klären, wie 30
Für weitere Definitionen siehe Hodgkinson et al. (vgl. 2008, S. 5f) und Dane und Pratt (2007, S. 35).
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
76
man Intuition versteht. Versteht man Intuition im Sinne der ersten Definition, so ist eine Forcierung der Intuition im Unternehmen nicht möglich. Bei zweiterer Definition ist eine Verstärkung von Intuition nur durch die Personalauswahl möglich usw.. Folgt man Definition 3, so ist das Ergebnis eines intuitiven Prozesses besser. Ist man aber der Auffassung von Definition 2 oder 4, können keine Schlussfolgerungen gezogen werden (Behling und Eckel, 1991, 52ff). Fakt ist, dass es wichtig ist, Intuition zu definieren. Die intuitive Prozessart weist folgende Eigenschaften auf (Hodgkinson et al., 2008, S. 9; Dane und Pratt, 2007, S. 36; Miller und Ireland, 2005, S. 21; Crossan und Sorrenti, 1997, S. 157; Burke und Miller, 1999, S. 92; Shapiro und Spence, 1997, S. 64): • Sie läuft automatisch ab31 , • ist schnell (Khatri und Ng, 2000, S. 60), • ist weniger analytisch, und damit weniger anstrengend (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 157), • hat eine unbewusste Basis (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 168)32 , • wird nonverbal kommuniziert, • ist holistisch33 (Dane und Pratt, 2007, S. 33), • ist von Emotionen geführt (Hayashi, 2001, S. 60), • basiert auf der angeborenen Fähigkeit, Informationen schnell und effektiv zu synthetisieren, • begründet sich auf Erfahrungen (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 157)34 und • ist kreativ – besser gesagt führt zu Kreativität (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 157). 8.5.2.2
Besonderheiten des intuitiven Prozesses
Intuitive Prozesse zeichnen sich einerseits durch ihre schnelle Anwendbarkeit und andererseits durch ihre kognitiven Charakteristika aus. In einer turbulenten Umwelt ist vor allem die Schnelligkeit dieser Prozessart erfolgversprechend. 31 „Intuition as automated expertise...corresponding to recognition of a familiar situation and the straightforward but partially subconscious application of previous learning related to that situation.“ (Miller und Ireland, 2005, S. 21). 32 „Although the realization...may arrive at a seemingly magical moment, it comes usually after a long, hard pondering of a problem.“ (Khatri und Ng, 2000, S. 60) 33 „Intuition as holistic hunch corresponds to judgement or choice made through a subconscious synthesis of information drawn from diverse experiences.“ (Miller und Ireland, 2005, S. 21). 34 „Intuition does not come easily; it requires years of experience in problem solving and is founded upon a solid and complete grasp of details of the business.“ (Khatri und Ng, 2000, S. 59).
8.5. MEHR ALS RATIONALITÄT IN DER SFA 8.5.2.2.1
77
Schnelligkeit
Eine Besonderheit des intuitiven Prozesses liegt in der Schnelligkeit seiner Anwendbarkeit. „...nonconscious recognition occurs almost immediately upon engagement with social stimuli.“ (Dane und Pratt, 2004, S. A2). Da die Umwelt zunehmend als komplexer und dynamischer gesehen wird (eine Basistheorie und Grundannahme der SFA), sind schnelle Aktivitäten und Entscheidungen erforderlich (Eisenhardt, 1989b; Dane und Pratt, 2007; Hayashi, 2001; Crossan und Sorrenti, 1997). Schnellere Aktivitäten bergen aber einen Zielkonflikt und eine Gefahr in sich: Wenn die Entscheidungsgeschwindigkeit steigt, sinkt grundsätzlich die Qualität der Entscheidungen und es wird von Partizipationsversuchen abgesehen (da diese wiederum Verzögerungen verursachen (Eisenhardt, 1989b, S. 545)). Versuche, den Prozess zu formalisieren (wie in rationalen Entscheidungsprozessen), erhöhen möglicherweise die Effizienz der Prozesse, benötigen allerdings dafür Zeit (Eisenhardt, 1989b, S. 545). Daher versucht man im Rahmen der Strategischen Planung, die Qualität der Entscheidungen hoch zu halten und gleichzeitig die Entscheidungszeiten zu verkürzen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Intuition. Sie gelangt somit in kritischen, zeitbetonten Entscheidungen – wie sie in der SFA auftreten – zu großer Bedeutung (Dane und Pratt, 2004, S. A1; Dane und Pratt, 2007, S. 33). Eisenhardt (1989b, S. 549) beschäftigt sich in ihrer Forschung verstärkt mit schnellen Entscheidungen. Diese beinhalten nicht unbedingt weniger Information. Im Gegenteil, erfolgreiche Teams können bei schnellen Entscheidungen sogar mehr Informationen miteinbeziehen. Es geht also nicht um die Quantität der Informationen. Wichtiger ist die Einsicht, dass es auf die Art der Informationen ankommt, d.h. die Autorin betont die Wichtigkeit von „real-time“ Informationen gegenüber von „forecasted information“, die nur sehr aufwändig zu bekommen sind. Echtzeitinformationen ermöglichen es, Probleme oder Möglichkeiten früher zu erkennen. Darüber hinaus ermöglicht Intuition per Definition, schneller Entscheidungen zu treffen, da „intuition relies on patterns developed through continual exposure to actual situations. ... Aided by intuition, they can react quickly and accurately to changing stimuli in their firm or its environment“ (Eisenhardt, 1989b, S. 555). 8.5.2.2.2
Kognitive Charakteristika35
Die zweite Thematik im Gebiet der Intuition ist die Anwesenheit von emotionalen, politischen und kognitiven Elementen (Eisenhardt, 1989b, S. 544)36 . Dabei wird auf die Kognitionsliteratur und -forschung verwiesen, die seit langem versucht, das Strategische 35 „Cognition“ im Sinne von Wahrnehmung und subjektiven Kriterien und nicht von objektivem Wissen (wie z.B. bei Ginsberg und Venkatraman (1995, S. 441)). 36 Kognitive Strukturen werden als in sich konsistente, jedoch individuell unterschiedliche, Ausprägungen der Informationsorganisation, -verarbeitung und Erfahrung definiert (Messick, 1984, in Allinson und Hayes, 1996, S. 119 und Sadler-Smith et al., 2000, S. 175; Hayes und Allinson, 1994, S. 53).
78
KAPITEL 8. KRITISCHER DISKURS
Management mit kognitiven Einsichten zu bereichern (Stubbart, 1989). „Cognition is the way a person acquires, stores and uses knowledge“ (Hayes und Allinson, 1994, S. 53). Sie umfasst subjektive Ansichten und Interpretationen (Chattopadhyay et al., 2001)37 : „Because environmental changes are often ambiguous, interpretations of environmental changes play a large part in the future actions and the continuing effectiveness of an organization“ (Chattopadhyay et al., 2001, S. 937). Eng damit verknüpft sind auch Emotionen (Dane und Pratt, 2007, S. 38), Wahrnehmungsfragen und -verzerrungen (Kiesler und Sproull, 1982, S. 552)38 . Hambrick und Mason (1984, S. 195) zeigen, dass alle sogenannten objektiven Reize, Stimuli und Informationen aus der Unternehmens- und Umweltsituation durch die kognitive Basis und Werte geformt und gefiltert werden. Dieser kleinere Teilausschnitt wird wiederum durch das Beschäftigungs- bzw. Visionenfeld der Person, deren selektive Wahrnehmung und Interpretationen dezimiert und verändert. Dane und Pratt (2004, S. A2) fassen die Ausführungen zur Intuition gelungen zusammen: „To summarize, intuitions may be viewed as confident judgments that arise through rapid, nonconscious associationistic recognition. Moreover, intuitive processing is believed to draw upon emotional-cognitive frameworks, including heuristics and schemas. In brief, the use of intuition to make decisions differs from more rational models of decision-making in that it is (a) nonconscious, (b) rooted in pre-existing emotional-cognitive structures rather than the gathering of “external” information, (c) holistic (requiring associationistic connections) rather than analytical (requiring logical connections) and (d) faster.“
37 „Assessments of environmental threats and opportunities (and organizational strenghts and weaknesses) are the sine qua non of strategic management. Although these assessments can have an objective basis, they are often influenced by subjective perceptions and interpretations.“ (Schneider und De Meyer, 1991, S. 307). 38 Hogarth und Makridakis (1981) zeigen z.B. verschiedenste Informationsverarbeitungsbegrenzungen und -fehler in der Planung und Prognose auf. Darunter zählen die „illusion of control“, Anhäufung von redundanten Informationen, Selbstüberschätzung und der Trend, widersprüchliche Informationen zu ignorieren (die Autoren führen eine Liste von Informationsverarbeitungsfehlern in ihrem Artikel auf). (vgl. auch Schwenk, 1984)
Kapitel 9 Zusammenfassung Die Definition und Charakterisierung des Forschungsgebietes ist der Ausgangspunkt der Literaturdiskussion. Die SFA ist eng mit dem Strategischen Management verbunden und beschäftigt sich mit der Beobachtung von Chancen und Risiken und der Reaktion darauf. Sie befindet sich somit bereits am Beginn klassischer Strategieprozesse. Ausgangspunkt für den Einsatz der SFA ist die Umweltunsicherheit und die dabei auftretenden Diskontinuitäten und ’strategic issues’ (z.B. Innovationen). Die SFA ist auf die rechtzeitige Ortung der vorauseilenden schwachen, strategischen Signale dieser Diskontinuitäten ausgelegt, d.h. hat ein Unternehmen erfolgreich auf ein schwaches Signal einer strategischen Chance oder eines strategischen Risikos reagiert, so hat es rechtzeitig gehandelt. Die SFA kombiniert somit die Sicht nach außen (Umwelt) mit der Sicht nach innen (Unternehmen), im Sinne eines Chancen/Risiken- und Stärken/Schwächen-Abgleichs. Das Unternehmen wird als offenes System im Austausch mit der Umwelt verstanden. Abgeleitet aus der gesammelten Literatur entsteht ein SFA-Prozess, der sich grob in drei miteinander verknüpfte Prozessphasen (Activation, Assessment und Action) untergliedern lässt, verbunden durch diverse überlagernde interpersonale Prozesse. Die SFA stellt eine Multi-Paradigma-Forschung dar. Deshalb werden in der vorliegenden Arbeit auch andere Forschungsgebiete – wie die Kognitionswissenschaften – berücksichtigt. Die vielzähligen (Weiter-)Entwicklungen in der Literatur zeigen, dass die SFA „...kein völlig neues, aber offenbar ein äußerst aktuelles Management-Konzept“ ist (Liebl, 2003, S. 68). So führt der Autor die Wichtigkeit des Marken-Brandings und der Unternehmensethik (Corporate Citizenship) für den Unternehmenswert und dessen Erhaltung und Stärkung durch die rechtzeitige Wahrnehmung und das richtige Handeln von ’issues’ auf. Liebl (2003) weist auf die verstärkte Fokussierung des (Risiko-)Controllings hin, welches traditionelle Bereiche des Strategischen Managements übernimmt und auch für eine stärkere Konzentration auf die SFA plädiert. Ausgehend von der klassischen Planungsperspektive wird eine andere Sicht auf die SFA entwickelt. Die SFA kann von einer rationalen sowie einer kognitiven Seite betrachtet werden. Anstoß dafür gibt die Sicht einer „enacted“ Umwelt. Rationalität lässt sich durch ein intendiertes und analytisches Vorgehen charak-
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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KAPITEL 9. ZUSAMMENFASSUNG
terisieren. Bewusstes Bewerten, der formale und standardisierte Einsatz von Methoden, sowie die Dokumentation (und damit bewusste Verschriftlichung) werden als rationale Ausprägungen gesehen. Der intuitive Prozess hingegen ist unbewusst, automatisch und schnell. Emotionen, Interpretationen, politische Prozesse sowie kognitive Schemata, wie Heuristiken, usw. kommen bei der Intuition zum Einsatz. Die SFA ist sinnvoll (vgl. z.B. Müller, 1981, S. 4; Rall und König, 2005, S. 17; Seidl, 2004). Dies resultiert aus der immer turbulenter werdenden und von Unsicherheit geprägten Umwelt (Krampe und Müller, 1983). Zusätzlich ist durch die Abhängigkeit der Unternehmung von der Umwelt der Einsatz der SFA wichtig. Es wird argumentiert, dass die immer stärker werdende Umweltturbulenz die Handlungsfähigkeit des Unternehmens gefährdet und somit die frühzeitige Identifizierung dieser Gefahren bzw. Gelegenheiten notwendig wird (Krampe und Müller, 1983, S. 283). Durch die SFA soll die Umwelt nicht nur vorhersehbar, sondern auch aktiv mitgestaltet werden (Müller, 1981, S. 6) (vgl. „Organisation als offenes System“ (Müller, 1981, S. 8)). „Wegen dieser Annahme der Unvorhersagbarkeit der Zukunft wird... von der Planung also nur erwartet, daß mit ihr der Zufall durch den Irrtum ersetzt werden soll, denn aus Irrtümern kann man ja lernen.“(Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 4). Die Unternehmensrespräsentanten versuchen mehr zu wissen als andere, um sich daraus Vorteile zu verschaffen. Ein weiteres Ziel ist es, dieses Mehr früher zu erkennen und zu nutzen. Somit rückt Zeit als Wettbewerbsfaktor in den Mittelpunkt. Die Wichtigkeit der SFA wird grundsätzlich bejaht und deren positive Auswirkung auf die Unternehmensleistung bestätigt (vgl. z.B. Judge und Douglas, 1998). Allerdings ist sie in manchen Aspekten noch unterentwickelt. So wird die Gegenwart der Zukunft vorgezogen und mehr Wert zugemessen (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 6). Smircich und Stubbart (1985, S. S. 734) kommen zu dem Ergebnis, dass Fallstudien oftmals nicht in der Sicht der „enacted world“ durchgeführt werden. In dieser Arbeit hingegen wird die Fallstudie als Methode eingesetzt, um den Forderungen von Smircich und Stubbart (1985) nach einer interpretativen Sichtweise des Strategischen Managements gerecht zu werden.
Teil III Die empirische Untersuchung
Kapitel 10 Untersuchungsobjekte In dieser Arbeit werden SFA-Prozesse von erfolgreich realisierten Innovationen untersucht. Das Untersuchungsobjekt sind dabei österreichische Großunternehmen (GU) und mittlere Unternehmen (MU). Vor allem sind Unterschiede zwischen den beiden Gruppen interessant, um damit nicht nur „one side of the coin“ zu sehen (Mohan-Neill, 1995, S. 11). Der Prozess wird nicht nur aus einer Sicht beleuchtet, wie es so oft in der Literatur der Fall ist (d.h. entweder aus der komplexen Sicht der GU oder aus der vereinfachten Sicht der MU). Dabei müssen sich als Voraussetzung – im Sinne von Pfohl (1997a, S. 2) – die beiden Gruppen hinreichend voneinander abgrenzen lassen („polar types“ (Eisenhardt, 1989a, S. 537)1 ). Kleinunternehmen sind ausgenommen, da hier die Entscheider/innen oftmals intuitiv agieren. Dadurch kann angenommen werden, dass die Grundstrukturen eines SFA-Prozesses in diesen Unternehmen nicht vorhanden sind. Die Einbeziehung des organisationalen (und strategischen) Kontexts betonten bereits Bower (1970), Burgelman (1983) und Mintzberg (1981). Die Struktur und Ausrichtung (d.h. Strategie) des Unternehmens beeinflussen die strategischen Frühaufklärungsphasen des Erkennens (A1), Wissens (A2) und Handelns (A3) (Thomas und McDaniel, 1990, S. 290). In den weiteren Ausführungen wird vorerst näher auf den strukturellen und weniger auf den strategischen Kontext (z.B. Kontingenztheorien von Miles und Snow (1986) z.B. in Jennings und Lumpkin (1992)) eingegangen. Welsh und White (1981, S. 18) argumentieren: „a small business is not a little big business“. Auch soll von der Hypothese Abstand genommen werden, dass kleine Unternehmen im Grunde wie große Unternehmen funktionieren, nur in einem kleineren Maßstab. Im Sinne dieser Arbeit unterscheiden sich beide „Unternehmenstypen“ in ganz speziellen Konditionen; z.B. ergibt die oftmals vorhandene „resource poverty“ von kleinen und mittleren Unternehmen eine Notwendigkeit für andere Managementansätze (Welsh und White, 1981, S. 18). 1 „...it makes sense to choose cases such as extreme situations and polar types in which the process of interest is „transparently observable““ (Eisenhardt, 1989a, S. 537) um die Theorie entweder weiter zu entwickeln, darzulegen oder zu erweitern.
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
84
Nach Fueglistaller et al. (2008, S. 167) zählen 99,6% der österreichischen Unternehmen zur Kategorie der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) (ca. 300.000 Unternehmen, darunter auch freie Berufe und sonstige selbstständige Tätigkeiten (Fueglistaller et al., 2008, S. 25)), von denen ein Großteil (90%) weniger als zehn Beschäftigte aufweist. Jedoch beschäftigen KMU in Österreich, Deutschland und der Schweiz mehr als 60% der Personen in der Privatwirtschaft (Fueglistaller et al., 2008, S. 25). Im europäischen Vergleich (EU19-Vergleich) nehmen in Österreich KMU eine übergeordnete und bedeutende Rolle ein. Fueglistaller et al. (2008) stellt fest: „Ein Großteil der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft wird in KMU erbracht“. KMU sind somit Antriebsmotor für Investitionen, Beschäftigung (Braehmer, 2005, S. 1)2 sowie Innovationen (Beise et al., 1995; Aretz, 1999). Kahle (1992, S. 1414) fasst allgemeine organisatorische Erfolgsfaktoren von kleineren und mittleren Unternehmen zusammen: • frühzeitiger Eintritt in Wachstumsmärkte • Spezialisierung • Produktkonzeptionsentwicklungen • flexible Produktionstechnologien und Serviceorientierung • Programmerweiterung im angestammten Geschäft • motivierende Führung (Unternehmerpersönlichkeiten mit konsistenten Strategien und Entscheidungen) und einfache Organisation • gute Führungskräfte – auf Grund langer Zugehörigkeit, und geeignete Anreizsysteme Trotz des Tatbestandes, dass KMU für die Schaffung von Arbeitsplätzen, sowie die Weiterentwicklung und die Durchsetzung von Innovationen sehr wichtig sind, werden sie im Gegensatz zu Großunternehmen (Anteil der Unternehmen in Österreich 0,4%: Stand 2003) nur wenig wahrgenommen (Fueglistaller et al., 2008, S. 25). Dem gegenüber nehmen in der Entwicklung der Industrie Großunternehmen einen hohen Stellenwert ein. So begreift man – im Sinne der Transaktionskostentheorie – die interne Organisation und Schaffung einer Managementhierarchie gegenüber dem Markt als kostengünstigere Variante. Großunternehmen wird somit ein Kostensenkungspotenzial zugeschrieben (Hammer, 1992, S. 37). Daher werden in der vorliegenden Studie beide Unternehmenstypen näher betrachtet. Für die vorliegende Studie wurden mittlere und größere Unternehmen (MU und GU) aus folgenden Gründen gewählt:
2
Auch Hamer (1997) nimmt auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der KMU Bezug.
85 Mittelunternehmen: • gestalten die österreichische Landschaft, deren Analyse kann nutzenbringende Einsichten bringen. • zeichnen sich durch eine überschaubare Größe aus. • agieren äußerst flexibel auf neue Herausforderungen. • haben Chefs, die häufiger auch Eigentümer/in sind; dadurch können tiefe Einsichten gewonnen werden (Braehmer, 2005, S. 3). Aretz (1999, S. 13) behauptet, dass „die Effizienz, gemessen an der Wertschöpfung je Beschäftigtem, (...) mit der Unternehmensgröße zu[nimmt]“ und „die größte Effizienz (...) Unternehmen mittlerer Größe“ erreichen, die zwischen 100 und 499 Beschäftigte aufweisen. Ansoff et al. (in Kirsch und Roventa, 1983, S. 246) argumentieren zudem, dass Diskontinuitäten und eine unsichere Umwelt MU stark betreffen können. KMU stellen ein geeignetes Forschungsobjekt im Rahmen der gestellten Forschungsfragen dar, da sie nicht nur einen Motor der Wirtschaft sind, sondern sich in besonderem Maße durch Flexibilität auszeichnen und sich daher oftmals innovativ zeigen. Die Vorteile unterstreicht auch Ghauri (1994, S. 113): „In SMEs [small and medium-sized enterprises],..., the informants may be eager to learn and willing to participate in an academic study. It tends to be considerably easier to get in touch with people who have themselves participated in the issues being investigated.“ Großunternehmen eignen sich in der Fragestellung der SFA ebenfalls für eine genaue Untersuchung. Großunternehmen: • werden in der Frühaufklärungsliteratur hauptsächlich beschrieben3 . • wenden eher die komplexen Methoden an, die von Theoretikern vorgeschlagen werden. • haben die nötigen Kapazitäten (finanziell, personell und kognitiv) für den Einsatz dieser Methoden. • werden oftmals als Analyseobjekt in empirischen Untersuchungen herangezogen (Simon, 1986, S. 213). • spielen eine „Vorreiterrolle“. 3 Ghauri (1994, S. 113) merkt dazu an: „I would argue that research problems tend to be richer in MNCs [multinational corporations], but it is likely to be harder to negotiate access and identify the right informants who have personally been involved in the phenomenon under study.“
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
86
• repräsentieren als Unternehmenstyp eine überschaubare Anzahl • liefern leicht abrufbare Information über sich. Die Unternehmen werden in dieser Arbeit anonymisiert dargestellt (Unternehmenssynonym). Aus Übersichtlichkeitsgründen wird in Abbildungen und Tabellen ein Kürzel für die Unternehmen verwendet (vgl. Tabelle 10.1). Unternehmenssynonym KUNSTSTOFF-M-GMBH ELEKTRO-M-GMBH METALLWAREN-M-GMBH ELEKTRONIK-M-GMBH BAUTEIL-M-GMBH MASCHINENBAU-G-GMBH FAHRZEUG-G-AG SYSTEM-G-AG PAPIER-G-AG TECHNIK-G-GMBH TEXTIL-G-GMBH (a und b) ENTWICKLUNGS-G-GMBH
Kürzel MU1 MU2 MU3 MU4 MU5 GU1 GU2 GU3 GU4 GU5 GU6, GU6a, GU6b GU7
Tabelle 10.1: Unternehmenskürzel
10.1
Betriebsgröße als quantitatives Unterscheidungsmerkmal
Primär richtet sich die Unterscheidung in Klein-, Mittel- und Großbetriebe nach der Betriebsgröße (Pfohl, 1997a, S. 3)4 . Dabei kann die Betriebsgröße unterschiedliche quantitative und qualitative Sachverhalte miteinbeziehen, wie z.B. Beschäftigtenanzahl, Umsatz oder Führungsstil (Busse von Colbe, 1964, S. 29). Häufig werden quantitative Kriterien den qualitativen vorgezogen, unter anderem wegen der leichteren Vergleichbarkeit und der höheren Konkretisierungsmöglichkeit5 . In der vorliegenden Arbeit wird als einfache Klassifizierung zuerst die quantitative Größenabgrenzung der europäischen Standards 4
Vgl. Diskussionen zum Begriff der „Größe“ bei Kimberly (1976). In der Literatur findet sich eine Vielzahl an Messgrößen. Sombart (1928) (in Busse von Colbe (1964, S. 34)) klassifiziert zum Beispiel in personale (Beschäftigungsanzahl), reale (Anzahl der Arbeitsmittel und Menge an verarbeiteten Rohstoffen) und kapitale Maßgrößen, lässt dabei aber Umsatzzahlen außer Betracht. Busse von Colbe (1964, S. 29ff) unterscheidet hingegen in Merkmale zur Messung von Einsatzmengen elementarer Produktionsfaktoren (z.B. Maschinenstunden, Arbeitsstunden), elementarer Produktionsfaktoren (z.B. Maschinenkosten, Personalkosten), Merkmale zur Messung des Kapitaleinsatzes (z.B. Gesamt- bzw. Eigenkapital), der Leistungsmengen (z.B. Produktions- oder Absatzmengen) und der Leistungswerte (z.B. Umsatz, Wertschöpfung). 5
10.1. BETRIEBSGRÖE
87
verwendet (Mitarbeiteranzahl6 )7 . Nach europäischen Richtlinien (EUROSTAT) werden Unternehmen nach der Beschäftigtenanzahl wie folgt abgegrenzt8 (vgl. Aretz, 1999, S. 13): • 0 - 9 Beschäftigte: Mikrounternehmen bzw. Kleinstunternehmen • 10 - 99 Beschäftigte: Kleinunternehmen • 100 - 499 Beschäftigte: Mittelunternehmen • > 500 Beschäftigte: Großunternehmen Die europäische Kommission (Stand 1. Jänner 2005) definiert kleinere und mittlere Unternehmen zusätzlich anhand von Umsatzzahlen, Bilanzsummen und der Eigenständigkeit der Unternehmen (Fueglistaller et al., 2008, S. 167): • weniger als 250 Beschäftigte und9 • weniger als 50 Mio. EUR Umsatz oder • eine Bilanzsumme weniger als 43 Mio. EUR und • weitgehende Unabhängigkeit bzw. Eigenständigkeit (25% oder mehr des Kapitals oder der Stimmrechte dürfen nicht direkt oder indirekt von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden). Für die Untersuchungsobjekte der vorliegenden Arbeit wird eine kombinierte Betriebsgrößendefinition zwischen der europäischen Kommission (Umsatz) und den europäischen Richtlinien (Beschäftigtenanzahl) verwendet. 6 „Although different variables can be used to define the size of a statistical unit in innovation surveys, it is recommended that size should be measured on the basis of number of employees.“ (OECD und Eurostat, 2005, S. 71). 7 Diese Einteilung erleichtert die Auswahl von Analyseobjekte für die empirische Untersuchung („erhebungsbezogene Auswahlkriterien“ (Pfohl, 1997a, S. 6) siehe die Definition der Analyseobjekt). Auf die Grenzen jedweder Einteilung wird dennoch hingewiesen (vgl. Busse von Colbe, 1964). Die Mitarbeiterzahl kann z.B. nur indirekt den Umfang der Produktionsgrößen messen und Gleichartigkeit voraussetzen. Allerdings ermöglicht die Zahl der Mitarbeiter/innen einen Vergleich über alle Branchen hinweg (Pfohl, 1997a, S. 30). 8 Grunsätzlich bestehen unterschiedlichste Größenabgrenzungen. Bei Fueglistaller et al. (2008, S. 26 in Fueglistaller/Federer (2006)) zum Beispiel weisen Kleinunternehmen 10 bis 49, Mittelunternehmen 50 bis 249 und Großunternehmen über 250 Beschäftigte auf. In Österreich (Stand 2003) zählen 86,9% zur ersten, 11,2% zur zweiten und 1,9% zur dritten Kategorie. 9 Hier sind die unterschiedlichsten Größeneinstufungen erkennbar. Während die EUROSTAT (siehe oben) auch Unternehmen bis 499 Beschäftigte unter Mittelunternehmen zählt, so wird nach der europäischen Komission die Maximalanzahl bei 250 Personen festgesetzt.
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
88
10.1.1
Größenkritierien in der Untersuchung
In der Arbeit werden nur österreichische Produktionsunternehmen untersucht. Untersuchungssubjekte sind: • Mittelunternehmen (100 bis 499 Personen, höchstens 50 Mio. EUR Umsatz) • Großunternehmen (mindestens 500 Personen, mindestens 50 Mio. EUR Umsatz)10 Dabei wurden die Messrichtlinien der europäischen Kommission (Umsatz) und die europäischen Richtlinien (Beschäftigtenzahl) herangezogen und kombiniert. Die in der Arbeit untersuchten Unternehmen sind (vgl. Tabelle 10.2)11 : kürzel MU1 MU2 MU3 MU4 MU5 GU1 GU2 GU3 GU4 GU5 GU6 GU7
Mitarbeiteranzahl (ca.) 165 (2008) 240 (2009) 260 (2008) 200 (2008) 120 (2008) 500 (in Ö); 1.295 (Gruppe) (2007) 1.795 (weltweit, 2008) 2.651(Konzern) 5.881 (2009) 1.800 (2008) über 800 2000 (in Ö); 4.500 (weltweit) (2008)
Umsatz (Mio €) 51 (2008) 40 (2008) 32 (2008) 40 (2008) ca. 30 (2008) 173,3 (2007) ca. 500 (2008) 690 (Konzern, 2008) 1.329 (2008) 370 (2008) 145 (2008) 740 (2008)
Tabelle 10.2: Unternehmen nach quantitativen Kriterien Die Unternehmen in der Untersuchung wurden nach dem Prinzip des „theoretical samplings“ (Wiedemann, 1995, S. 441; Eisenhardt, 1989a, S. 536; Merkens, 2007, S. 296) konkret ausgewählt und nicht durch Zufall ausgelost: „Die Auswahlkriterien folgen keinen statistischen Auswahlprozeduren..., sondern orientieren sich ausschließlich an inhaltlichen Relevanzkriterien, die sich aus den Analysen des sozialen Feldes ergeben“ (Froschauer und Lueger, 2003, S. 55). Die folgenden Grafiken verdeutlichen die Größenverhältnisse der Untersuchungsobjekte (vgl. Abbildung 10.1): 10 Wichtige Kriterien sind zudem – im Sinne von Ghauri (1994, S. 113) – die vorliegenden finanziellen Ressourcen der Autorin für die Fahrten zu den Unternehmen sowie die Nutzung von bestehenden persönlichen Kontakten. 11 Neben den quantitativen Daten steht in Klammer immer die Jahreszahl (wenn bekannt), in der diese Daten erhoben wurden bzw. das Datum der benutzen Quelle. Auf Aktualität wurde geachtet. Die Quellen für die Mitarbeiteranzahl sowie den Umsatz sind unterschiedlich (Unternehmenshomepages, Jahresberichte, Zeitungsberichte,...). Die Mitarbeiteranzahl bezieht sich meist auf die Standorte in Österreich.
10.1. BETRIEBSGRÖE
89
Abbildung 10.1: Mitarbeiteranzahl und Umsatzzahlen
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
90
Da sich gewisse Unterschiede zwischen den beiden Abgrenzungskriterien ergeben, wird in der weiteren Reihung die Priorisierung von Mitarbeitern gegenüber Umsatz vorgenommen (vgl. Abbildung 10.2).
Abbildung 10.2: Rangreihe (Mitarbeiteranzahl und Umsatz)
10.1.2
Größenunterschiede in der Literatur
In der Literatur finden sich zahlreiche Ausführungen zu den Größenunterschieden von Unternehmen. Dies inkludiert eine Auflistung der Vor- und Nachteile von GU und MU, die Auswirkung der Unternehmensgröße auf die Wahl der Prozessart (Intuition vs. Rationalität) und generelle Einflüsse der Unternehmensgröße auf Unternehmensprozesse. 10.1.2.1
Vor- und Nachteile von GU und MU
In der Literatur finden sich zahlreiche Ausführungen zu den Vor- und Nachteilen von GU und MU (Pfohl, 1997b; Kropfberger, 1986; Aiginger und Tichy, 1984). Pfohl (1997a, S. 19ff) gibt eine Zusammenfassung über qualitative Unterscheidungsmerkmale von Großund Kleinunternehmen (vgl. Tabelle 10.3). In der Tabelle liegt der Hauptfokus auf MU, für GU wird das Gegenteil der Aussagen angenommen (Pfohl (1997a); und organisatorische Erfolgsfaktoren von Kahle, 1992, S. 1414).
10.1. BETRIEBSGRÖE
Kategorie Führungsspitze
Organisation und Unternehmensfunktionen
91
Mittelunternehmen Stärken Schwächen - unmittelbare Teilnahme am Betriebsgeschehen - ’entrepreneurial spirit’ durch den Eigentümer - Weisungen und Kontrolle im direkten personenbezogenen Kontakt - kaum Koordinationsprobleme durch einfache Strukturen - kurze, direkte Informationswege - hohe Flexibilität - geringere Formalisierung - starke persönliche Bindungen - Familienbesitz, damit starke Kultur - Spezialisierung im Produktprogramm, Produktkonzeptionsentwicklungen (Nischenpolitik)
- möglicher enger Fokus - geringe Ausgleichsmöglichkeiten bei Fehlentscheidung - Delegation beschränkt - allein auf den Unternehmer/die Unternehmerin ausgerichtetes Einliniensystem (verkraftet weniger Komplexität und Umfang) - schwächere Position am Beschaffungsmarkt - geringe Arbeitsteilung (kaum Kostendegression) - Deckung kleindimensionierter individualisierter Nachfrage in einem räumlich und/oder sachlich schmalen Marktsegment - kaum Zugang zum anonymen Kapitalmarkt, damit nur begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten und hohe Risiken - rigide Kultur und “strategic drift“ (Johnson et al., 2005, S. 27)
Tabelle 10.3: Vor- und Nachteile von MU (und GU)
Aus Abbildung 10.3 erkennt man zwei Ursprünge von Stärken und Schwächen: jene die durch die Unternehmensspitze, und jene die durch die Einzigartigkeit der Organisation und der Funktionseinheiten (organisatorische und strukturelle Merkmale) entstehen. Durch die geringe Größe und den geringen Formalisierungsgrad von MU sind kurze und direkte Informationswege möglich. Damit treten kaum Koordinationsprobleme auf. Die Organisationsstruktur der MU erhöht die Flexibilität, und damit die Möglichkeiten, z.B. neue Produkte zu entwickeln. Weisungen und Kontrolle erfolgen im direkten personenbezogenen Kontakt. Darüber hinaus fallen in MU die häufig hohe Spezialisierung im Produktprogramm und in den Produktentwicklungen auf. In der Literatur finden sich unzählige weitere Aussagen über Vor- und Nachteile von MU. So stellen Aiginger und Tichy (1984) Höfner (1977), Brandenburg (1978) oder Freter (1982) z.B. eine Informationsknappheit bei MU fest12 . 12
zu finden unter anderem in Mayr (1994, S. 149ff)
92 10.1.2.2
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE Intuition, Rationalität und Unternehmensgröße
Anhand der obigen Ausführungen lässt sich die These ableiten, dass in MU (z.B. auf Grund Ressourcenknappheit) vermehrt intuitive Prozesse ablaufen (Rice Jr. und Hamilton, 1979, S. 8). Größe hat demnach einen starken Einfluss auf den Prozess (Frederickson, 1984, S. 535; Smeltzer et al., 1988). Großunternehmen hingegen sind komplexer aufgestellt, haben die nötigen Kapazitäten und das Wissen für den bewussten Einsatz umfassender Methoden oder Prozesse (Diffenbach, 1983, S. 107). Diese Aussage wird von den Ausführungen Pfohls (1997a, S. 19ff) abgeleitet bzw. findet sich in Frederickson (1984, S. 520) wieder: „There will be a positive relationship between change in organizational size and change in comprehensiveness [d.h. steigende Rationalität bei GU, sinkende bei MU].“ Nach Pfohl (1997b) haben Improvisation und Intuition in MU größere Bedeutung als in GU. Ist in GU eine umfangreiche Planung vorhanden, so besteht sie in MU nicht. Gleiches gilt für ausgebaute und formalisierte Informationsmanagementsysteme (Pfohl, 1997a, S. 19). Der hohe Formalisierungsgrad in GU führt zu geringerer Flexibilität, in MU liegt die gegenteilige Situation vor. Die Forschung und Entwicklung ist in MU eher kurzfristig-intuitiv, in GU langfristig-systematisch13 . Der für eine Frühaufklärung betreibbare Aufwand sollte der Unternehmensgröße angepasst werden. Es soll allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass nur in einem GU (mit hochdotierten Stäben) Frühaufklärung betrieben werden kann (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 8). Es zeigte sich allerdings bei empirischen Forschungen, dass Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten mehr Strategische Planung betreiben als Unternehmen mit weniger Personen (Esser et al., 1984, S. 508). Unternehmen unter 1000 Personen planen zu 92,2% nicht, nur 7,8% wenden Planungsmethoden an. Bei Unternehmen mit über 1000 Personen planen hingegen 55%. Daher könnte eine steigende Unternehmensgröße auch einen erhöhten Einsatz von Rationalität bedeuten. Sind jedoch Größenunterschiede die einzigen Faktoren für Unterschiede im SFA-Prozess? Das nächste Kapitel wendet sich dieser Frage genauer zu, bevor diese Frage in der empirischen Untersuchung näher analysiert wird.
10.1.2.3
Auswirkungen der Größe auf Unternehmensprozesse
Schon Mintzberg (1981) schließt in seiner Konfigurationsidee Größenunterschiede als situative Faktoren mit ein. Er unterscheidet bei der Struktur fünf grobe Bausteine: strategischer Apex, Mittellinie, Operating Core, Technostruktur und Supporting Staff. „The central purpose of structure is to coordinate the work divided in a variety of ways; how that coordination is achieved – by whom and with what – dictates what the organization 13 Uneinig ist sich die Literatur in Bezug auf die Performanceauswirkungen eines systematischen Vorgehens (vgl. Pearce II et al., 1987). Einige Autoren/innen weisen einem standardisierten rationalen Vorgehen eine erhöhte Unternehmensperformance zu, andere eine geringere.
10.1. BETRIEBSGRÖE
93
will look like.“ (Mintzberg, 1981, S. 104). Mintzberg untersucht die Ausprägung dieser fünf Bausteine sowie den Koordinationsmechanismen und konstruiert somit fünf Organisationstypen. Dabei bezieht er Variablen wie das Alter und die Größe mit ein. Kleine Unternehmen weisen tendenziell einfache Strukturen mit wenig Formalisierung, Planung, Steuerung und Kontrolle auf (einfacher Strukturtyp und Adhocracy). Große Unternehmen hingegen, wie der Konfigurationstyp der Maschinenorganisation oder der Divisionalen Organisation, lassen sich durch einen hohen Formalisierungsgrad und viel Planung charakterisieren. Die Literatur ist in Bezug auf die Wirkung von Größenunterschieden uneinheitlich (Meyer, 1979, S. 489). Dibrell et al. (2007, S. 23) oder Thomas et al. (1994, S. 1276) kommen in ihren Studien zum Ergebnis, dass sich Größe nicht auf den untersuchten Tatbestand (z.B. strategischer Planungsprozess, Interpretationen,...) auswirkt. Andere Autoren/innen hingegen erkennen einen Einfluss der Unternehmensgröße z.B. auf den Interpretations- und Wahrnehmungsprozess (vgl. Ausführungen in Thomas et al., 1994, S. 1259; Denison et al., 1996; Lubatkin et al., 2006, S. 665). Die Unternehmensgröße hat nach Thomas et al. (1994, S. 1259), Matthews und Scott, 1995, S. 36 und Mayr (1994, S. 145) Auswirkungen auf den SFA-Prozess. De Brabandere (2005) oder Reinhardt (1984) implizieren sogar ein negatives Verhältnis zwischen Unternehmensgröße und dem Aufspüren von schwachen Signalen: „The bigger the company, the greater the tendency to sweep these rumblings under the rug.“ (de Brabandere, 2005, S. 54) und „in large companies the implementation is more difficult and more time-consuming than in a well-organized and complex medium-sized company.“ (Reinhardt, 1984, S. 30). Mit zunehmender Größe weiten sich die Informationsbedürfnisse aus, das zu verarbeitende Informationsvolumen nimmt zu, die Komplexität des Betriebsablaufes steigt, und damit auch die Gefahr eines Aufklärungsversagens. Der Überblick kann auf Grund des gestiegenen Organisationsgrades verloren gehen (Mayr, 1994, S. 145). Linneman und Klein (1979, S. 89) unterstellen diversifizierten Unternehmen ein unfokussierteres Bewerten. Malaska (1985, S. 345) hingegen erkennt, dass die Unternehmensgröße sich positiv auf Prozesse auswirkt. Greening und Gray (1994, S. 490) folgern aus ihren Untersuchungen, dass größere Unternehmen vermehrt formale ’issue’Managementstrukturen aufweisen und diesen Aktivitäten mehr Ressourcen widmen. Daher werden in weiterer Folge nicht nur Größenunterschiede in die Befragung und Auswertung miteinbezogen, sondern auch Variablen wie Struktur14 , Ressourcen, Strategie, Ziele oder Kultur, um ein umfassenderes Bild der Einflüsse gewinnen zu können.
14 „Whereas theories in the rational tradition emphasize the importance of structure...the relevance of size to these theories is much more opaque.“ (Meyer, 1979, S. 489).
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
94
10.2
Qualitative bzw. zusätzliche Merkmale15
Neben quantitativen Abgrenzungsmerkmalen lassen sich Unternehmen auch anhand von qualitativen Merkmalen unterscheiden. Pfohl (1997a, S. 5) oder Aretz (1999, S. 14ff) z.B. fügen zu quantitativen Unterscheidungen schwer quantifizierbare Messgrößen, wie Unternehmensführung oder Führungsstil16 , Organisationstyp und Besitzverhältnisse, oder Kriterien des Personals, des Absatzes, der Beschaffung und der Materialwirtschaft, der Produktion, der Forschung und Entwicklung oder der Finanzierung hinzu17 . Die Untersuchungsobjekte in der vorliegenden Studie werden neben der Betriebsgröße auch noch bezüglich 1. Unternehmensstandort und Außenorientierung, 2. Gründungsdatum und Unternehmensalter, 3. Rechtsform, 4. Art der Unternehmensführung und 5. Tätigkeitsfeld (Branche) spezifiziert.
10.2.1
Unternehmensstandort und Außenorientierung
Nach OECD und Eurostat (2005, S. 72) lassen sich Unternehmen anhand des Unternehmensstandortes bzw. des Exportanteiles klassifizieren. In der vorliegenden Arbeit wird auf den Unternehmensstandort Österreich zurückgegriffen, um möglichen kulturellen Unterschieden im SFA-Prozess auszuweichen. Innerhalb der Studie wurde versucht, eine möglichst große Streuung in Hinblick auf den Unternehmensstandort in Österreich zu erlangen (vgl. Tabelle 10.4)18 . Standort Oberösterreich Niederösterreich Salzburg Steiermark
Unternehmen MU1, MU2, MU3, MU5, GU2, GU4, GU5, GU6 GU1 MU4, GU3 GU7
Tabelle 10.4: Unternehmensstandorte Die Außenorientierung lässt sich anhand folgender Kriterien abschätzen: Exportanteil und Niederlassungen außerhalb Österreichs und Europas. Dabei sind sowohl die in der Studie beteiligten MU als auch GU stark international ausgerichtet, die MU meist durch die 15
Siehe auch Kahle (1992, S. 1408ff). ... im Sinne von Sozial- (z.B. Gruppenbeziehungen) und Führungsbeziehungen (Führung bei einer Person, kurze Instanzwege) (Kahle, 1992, S. 1412). Entscheidungen, Ziele, Erwartungen und Bedürfnisse aller Unternehmensangehörigen finden in kleineren und mittleren Unternehmen mehr Eingang in die Unternehmensstrategie als bei Großunternehmen. Bürokratie (und damit Kommunikationsverluste) kann durch die oftmals einfachere Struktur vermieden werden. 17 Pfohl (1997a, S. 19ff) zeigt eine gelungene Zusammenfassung über qualitative Unterscheidungsmerkmale zwischen GU und kleineren und mittleren Unternehmen auf. 18 Eine Vielzahl der Unternehmen in der Studie befinden sich in Oberösterreich. Dies ist nicht verwunderlich, ist Oberösterreich eines der wirtschaftlich am stärksten treibenden Bundesländer Österreichs (Eder und Pöchhacker, 2006, S. 6). 16
10.2. QUALITATIVE BZW. ZUSÄTZLICHE MERKMALE
95
Exportfunktion, die GU zusätzlich durch Tochtergesellschaften und/oder internationale Standorte.
10.2.2
Unternehmensalter
Oftmals beziehen sich Autoren/innen bei ihren Studien einerseits auf die Größe der Unternehmen als Kontrollvariable, andererseits auch auf das Unternehmensalter (z.B. MohanNeill, 1995). Älteren Unternehmen sagt Mohan-Neill (1995, S. 10) einen größeren Einsatz von formalen, strukturierten Methoden nach als jüngeren. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass das Unternehmensalter einen größeren Einfluss auf die Methodenwahl hat als die Unternehmensgröße. Das Unternehmensalter der beteiligten Unternehmen ist in der folgenden Tabelle 10.5 ersichtlich. Unt. MU5 GU7 MU4 GU3 MU2 MU1 GU5 GU4 MU3 GU1 GU2 GU6
Unternehmensalter (in Jahren) 9 26 31 33 54 65 65 72 87 95 144 220
Tabelle 10.5: Unternehmensalter Die Unternehmen sind, wie aus der Tabelle ersichtlich, fast alle älter als 10 Jahre, fallen also nicht in die Kategorie „Start-up“ oder Unternehmensgründung. Dies hängt sicherlich auch mit den Unternehmensgrößen zusammen. Start-ups weisen meist noch nicht die Kriterien von MU oder GU auf, sondern befinden sich im Kleinunternehmersegment. Die Tabelle zeigt die große Bandbreite der Unternehmensalter, von neun bis 220 Jahre. Die MU sind neun bis 87, die GU 26 bis 220 Jahre alt. Tendenziell sind die ältesten Unternehmen auch größer. Stellt man der Unternehmensgröße das Unternehmensalter gegenüber, so ergibt sich ein „gemischtes“ Bild (vgl. Abbildung 10.3). Das kleinste Unternehmen BAUTEIL-M-GMBH mit 9 Jahren ist das jüngste. Das größte MU, die METALLWAREN-M-GMBH ist mit 87 Jahren das älteste MU. Bei den GU ist das Bild genau umgekehrt: die kleineren GU sind auch die älteren: an der Spitze das kleinste GU mit 220 Jahren, gefolgt vom zweitkleinsten
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
96
Unternehmen MASCHINENBAU-G-GMBH mit 95 Jahren und der FAHRZEUG-G-AG mit 144 Jahren.
Abbildung 10.3: Korrelation Mitarbeiteranzahl und Unternehmensalter
10.2.3
Rechtsform
Bei der Rechtsform wird zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen unterschieden („type of institution“ (OECD und Eurostat, 2005, S. 72)). Hauptunterscheidung ist bei der vorliegenden Arbeit der rechtliche Unternehmensrahmen (d.h. ob GmbH oder AG), sowie die Art der Besitzverhältnisse (Unternehmensführung). Rechtsform GmbH AG
Unternehmen alle MU, GU1, GU5, GU6, GU7 GU2, GU3, GU4
Tabelle 10.6: Rechtsform Alle MU sind GmbHs, wie auch die GU MASCHINENBAU-G-GMBH, TECHNIK-G-
10.2. QUALITATIVE BZW. ZUSÄTZLICHE MERKMALE
97
GMBH, TEXTIL-G-GMBH und ENTWICKLUNGS-G-GMBH. Die GU FAHRZEUG-GAG, SYSTEM-G-AG und PAPIER-G-AG werden als AG geführt.
10.2.4
Art der Unternehmensführung
Pfohl (1997b, S. 30) unterscheidet Organisationen nicht nur anhand von Beschäftigtenoder Umsatzzahlen, sondern auch auf Basis der Unternehmensführung. Dies bedeutet eine Differenzierung zwischen inhabergeführten (Unternehmen, die direkt durch die Eigentümer geführt werden oder Unternehmen im Familienbesitz) und fremdgeführten Unternehmen (durch Manager/innen). Die Art der Unternehmensführung wirkt sich stark auf die Entscheidungsprozesse aus. Manager/innen handeln auf einer zeitbegrenzten Vertragsbasis, Inhaber/innen halten ein dauerndes Eigentumsrecht. Mangager/innen agieren im fremden Namen und unter Kontrolle, Inhaber/innen im eigenen Namen und frei. Die Stärken der Inhaberbetriebe hängen mit der Eigentümerperson zusammen, die der Managementbetriebe mit deren Kapitalbasis. In Abbildung 10.7 werden die Untersuchungsobjekte anhand dieser Kriterien differenziert. Bei den Besitzverhältnissen bzw. der Unternehmensführung ergeben sich große
Besitzverhältnisse & Unternehmensführung
Differenzen. Zum einen gibt es in der
GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, TECHNIK-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH), teilweise in der 3. oder 4. Generation. Andere werden von einem angestellten Management geführt (ELEKTRO-M-GMBH, METALL-
MU1 MU2 MU3 MU4 MU5 GU1 GU2 GU3
ELEKTRO-M-GMBH). Manche Unternehmen werden noch von den Gründerfamilien selbst geleitet (KUNSTSTOFF-M-
GU4
pe an (z.B. ELEKTRONIK-M-GMBH,
Management
GU5
sitz einer ausländischen Gruppe. Einige Unternehmen gehören auch einer Grup-
Inhaber
GU6
det sich z.B. die SYSTEM-G-AG im Be-
Fremd
GU7
Stichprobe völlig private und unabhängige Unternehmen, zum anderen befin-
Familie
WAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, SYSTEM-G-AG, PAPIER-G-AG). Tabelle 10.7: BesitzverhältnisVergleicht man diese Kriterien mit der Unse/Unternehmensführung ternehmensgröße oder dem -alter, so ergibt sich kein einheitliches Bild. Familiengeleitete Unternehmen gibt es sowohl unter den MU
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
98
als auch unter den GU. Gleiches gilt für die managementgeführten Unternehmen.
10.2.5
Tätigkeitsfeld (Branche)
Die Unternehmen der Studie lassen sich anhand der produzierten Güter trennen, z.B. Konsumgüter, Intermediärgüter oder Investitionsgüter (OECD und Eurostat, 2005, S. 72). Da die Auflistung der produzierten Güter Rückschlüsse auf die einzelnen Unternehmen zulassen würde, wird hier nur eine Einteilung in Branchen vorgenommen. Alle befragten Unternehmen vertreiben hauptsächlich Produkte, als Zusatzservice teilweise Dienstleistungen. Mayr (1994, S. 145) argumentiert, dass jede Branche andere Instrumente zur SFA benutzt. Die Prüfung dieser Hypothese ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Da die Unternehmen der Studie in den verschiedensten Branchen tätig sind, ergibt sich jedoch eine breitere Sicht auf das Feld der SFA19 . Damit folgt die Stichprobe den Vorschlägen von Hambrick (1981a), in „Scanning“-Studien verschiedenste Industrien zu verwenden (Boyd und Fulk, 1996, S. 7). Eine breitmöglichste Streuung der Unternehmen in Hinsicht auf Branchenzugehörigkeit ermöglicht einen differenzierten Einblick in den SFA-Prozess. In der Arbeit wird die Branchenstruktur entsprechend der Kategorisierung der Österreichischen Wirtschaftskammer20 herangezogen. Diese unterscheidet sieben Bundessparten, welche wiederum in Fachverbände untergliedert sind. Zu den Bundessparten zählen: 1. BS Bank und Versicherung (BS1) 2. BS Gewerbe und Handwerk (BS2) 3. BS Handel (BS3) 4. BS Industrie (BS4) 5. BS Information und Consulting (BS5) 6. BS Tourismus und Freizeitwirtschaft (BS6) 7. BS Transport und Verkehr (BS7) Die zwölf untersuchten Unternehmen lassen sich hinsichtlich der Wirtschaftskammer in folgende Fachverbände, und damit Bundessparten, gliedern (vgl. Tabelle 10.8): 19 So schreiben z.B. OECD und Eurostat (2005, S. 37): „Differences in innovation activity across sectors (e.g. whether mainly incremental or radical innovations) also place different demands on the organisational structure of firms, and institutional factors such as regulations and intellectual property rights can vary greatly in their role and importance.“ 20 www.wko.at
10.2. QUALITATIVE BZW. ZUSÄTZLICHE MERKMALE Unt. Fachverband - Kunststoffverarbeiter MU1 (- Schlosser und Schmiede) - Elektro- und Elektronikindustrie - Maschinen- und Metallwaren MU2 - Elektro- und Alarmanalgentechnik und Kommunikationselektronik - Sanitär-, Heizung- und Lüftungstechnik - Chemische Industrie - Maschinen- und Metallwaren MU3 - Holzverarbeitende Industrie - Eisen- und Hartwarenhandel MU4 - Elektro- und Elektronikindustrie MU5 - Fahrzeugindustrie - Chemische Industrie - Maschinen- und Stahlbau GU1 - Kundststoffverarbeitende Industrie - Handel mit Maschinen, Computersystemen, technischem und industriellem Bedarf - Fahrzeugindustrie - Handel mit Maschinen, Computersystemen, technischem und GU2 industriellem Bedarf - Maschinen- und Metallwaren - Maschinenhandel (Hard- & Software, Büromaschinen und GU3 papierverarbeitende Maschinen) (- Mechatroniker) - Textilindustrie - Textilhandel - Papierindustrie, Papier- und Pappe verarbeitende Industrie - Chemische Industrie GU4 - Handel mit Arzneimitteln, Drogeriewaren, Farben und Chemikalien (- Einrichtungsfachhanden, Buch- und Medienwirtschaft, Unternehmensberatung und Informationstechnologie, Werbungund Marktkommunikation) - Radio- und Elektrohandel - Handel mit Maschinen, Computersystemen, technischem und industriellem Bedarf GU5 - Handel mit Arzneimitteln, Drogeriewaren, Farben und Chemikalien (- Mechatroniker) - Eisen- und Hartwarenhandel GU6 - Textilindustrie - Chemische Industrie - Elektro- und Elektronikindustrie - Handel mit Arzneimitteln, Drogeriewaren, Farben und Chemikalie GU7 - Fahrzeugindustrie - Maschinen- und Metallwaren (- Schlosser und Schmiede, Mechatroniker)
Tabelle 10.8: Brancheneinordnung
99 BS BS2
BS4
BS3, BS4, BS5 BS4 BS4 BS2, BS3, BS4
BS3, BS4
BS2, BS3
BS3, BS4, BS5
BS2, BS3
BS3, BS4
BS2, BS3, BS4
KAPITEL 10. UNTERSUCHUNGSOBJEKTE
100
Es lässt sich bei der Stichprobe der Unternehmen für die vorliegende Arbeit eine Konzentration in den Bundessparten 2 (Gewerbe und Handwerk), 3 (Handel) und 4 (Industrie) erkennen. Aufgrund der Forschungsfrage (die Fokussierung auf Produktionsunternehmen) sind keine Banken oder Versicherungen, Informations- und Consultingunternehmen, Tourismus- oder Freizeitwirtschaftsorganisationen oder Transport- und Verkehrsunternehmen in der Stichprobe enthalten (BS 1, 5, 6, 7).
10.3
Abgrenzung zwischen (K)MU und Entrepreneurship
Carland et al. (1984) sehen eine Überschneidungszone zwischen „entrepreneurial firms“ und KMU, die trotzdem separate Einheiten darstellen. Um sich nicht in dem von großer Unstimmigkeit und Vielseitigkeit geprägtem Forschungszweig des Entrepreneurships zu verirren, wird in weiterer Folge nicht näher auf Einzelheiten dieses Gebietes eingegangen. Allerdings soll der Begriff zum besseren Verständnis kurz erklärt werden, weil Entrepreneure häufig mit Innovation in Verbindung gesetzt werden (Schumpeter, 1934; Carland et al., 1984, S. 355). Schumpeter (1934) gilt als Gründervater des Studienobjektes „Entrepreneur/in“, welches sich von Eigentümern/innen und Managern/innen unterscheidet. Er definiert Entrepreneure/innen als „individuals whose function was to carry out new combinations of means of production“ (Carland et al., 1984, S. 354)21 . Entrepreneurship befasst sich unter anderem mit der Gründung von Unternehmen. Die zum Managen von bestehenden KMU erforderlichen Fähigkeiten unterscheiden sich deutlich von jenen, die in Entrepreneurunternehmen (Neugründung) entscheidend sind22 . Entrepreneure/innen23 sind auf der ständigen Suche nach neuen Möglichkeiten, entdecken diese und nutzen Chancen. Kleinere und mittlere Unternehmen tun dies nicht gezwungenermaßen, sie beschäftigen sich häufiger mit koordinierenden und verwaltenden Tätigkeiten. Somit unterscheiden sich KMU und Entrepreneure/innen hinsichtlich ihres Innovationsgrades. In Tabelle 10.9 sind Entrepreneurship und KMU-Management gegenübergestellt (Fueglistaller et al., 2008, S. 29): 21 Für nähere Ausführungen zum Begriff Entrepreneur/in und zum Gebiet Entrepreneurship vgl. Lasinger (2007). 22 Entrepreneure/innen sind nicht nur in kleinen Unternehmen, sondern auch in Großunternehmen anzutreffen („intrapreneurship“) (Fueglistaller et al., 2008, S. 27). Fueglistaller et al. (2008) sehen Entrepreneurship als Grundvoraussetzung für die Entstehung von KMU, wobei die Mehrzahl der Unternehmen klein bleiben. 23 Eine Abgrenzung der Begriffe „small business venture“, „entrepreneurial venture“, „small business owner“ und „entrepreneur“ kann bei Carland et al. (1984, S. 358) nachgeschlagen werden.
10.3. ABGRENZUNG ZWISCHEN (K)MU UND ENTREPRENEURSHIP
Begriffsdefinitionen
Unternehmensgröße Risikograd Anzahl der beteiligten Personen Wirtschaftssektor Wachstumsfokus Schlüsselperson Schlüsseleigenschaften des Individuums
Entrepreneurship Ein Prozess, der von Individuen initiiert und durchgeführt wird und der dazu dient, Gelegenheiten zu identifizieren, zu evaluieren und zu nutzen. groß, mittel oder klein sehr unterschiedlich reicht von sehr wenigen bis zu sehr vielen privater, staatlicher und Non-Profit-Sektor hoch Entrepreneur/in Streben nach Anerkennung (gründet ein Unternehmen, um einen Traum zu verwirklichen); hohe Kontrollüberzeugung (=“locus of control“); hohe Risikobereitschaft; wachstumsorientiert
101
KMU-Management Die Verwaltung eines kleinen unabhängigen Unternehmens.
klein im Allgemeinen niedriges Risiko wenige bis mittlere Anzahl privater Sektor variabel KMU-Manager/in moderates Streben nach Anerkennung (führt ein Unternehmen, um den Lebensunterhalt davon zu bestreiten); gute organisatorische Fähigkeiten, um effizient zu managen; keine/geringe Innovation; moderates Wachstum
Tabelle 10.9: Unterschied zwischen Entrepreneurship und KMU Fueglistaller et al. (2008, S. 13) definieren Entrepreneurship umfassend als Prozess, welcher die Suche nach unternehmerischen Gelegenheiten (asymmetrischen Informationen, wirtschaftliches Ungleichgewicht), deren Entdeckung (kognitive Eigenschaften, Vorkenntnisse), Evaluierung (Eigenschaften von Gelegenheiten, individuelle Unterschiede) und Nutzung (Marktlösung, institutionelle Lösung) beinhaltet, aber auch Personen, die diesen Prozess vollziehen. Dieser Prozess ähnelt dem Prozess der SFA.
Kapitel 11 Innovation im Zusammenhang mit der Strategischen Frühaufklärung (Analyseobjekt)
„Innovation is not a new phenomenon. Arguably, it is as old as mankind itself.“ (Fagerberg in Fagerberg et al., 2007, S. 1) „Eine Strategische Frühaufklärung ist .... eng mit der Problematik von Innovationen verbunden.“ (Trux et al., 1988, S. 366). In der Innovationsliteratur ist klar erkennbar, dass am Anfang jeder Produktinnovation die Entdeckung und Analyse einer Chance – also die SFA – steht. Die konkrete Begründung liefert Schlicksupp (1988, S. 43): „Jeder Problemlösungsprozeß – damit auch jeder Innovationsprozeß – muß irgendeinen Auslöser haben. Und dieser Auslöser ist in aller Regel das Auftauchen eines Problems oder einer Chance, deren Lösung beziehungsweise Verfolgung für das Unternehmen wichtig und nützlich erscheint.“ So fügen Autoren/innen (z.B. Schlicksupp, 1988, S. 142ff) in ihren Ausführungen über Innovation häufig auch ein Kapitel über Frühwarnung, -erkennung und -aufklärung hinzu. Trux et al. (1988, S. 317) sprechen von einem steigenden Innovationsdruck für Unternehmen: „Dieser wachsende Innovationsdruck ist nun natürlich wiederum ein Resultat aus dem beschleunigten Auftreten sozio-ökonomischer Gefahren und Gelegenheiten“. Durch die Einführung einer SFA soll „die Möglichkeit geboten werden, innerhalb eines Managements von Innovationen Neu-Entwicklungen systematisch unter antizipativer Einbeziehung der sich ständig ändernden Rahmenbedingungen zu planen“ (Trux et al., 1988, S. 317). Es wird, vor allem in der Empirie, der Fokus auf Chancen (= erfolgreiche Produktinnovationen als ergriffene Chancen) und gelegt. Als Chance sieht Schlicksupp (1988, S. 43) „eine
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
11.1. DER INNOVATIONSBEGRIFF
103
nutzbringende eigene Handlungsmöglichkeit, sei sie mit der Bewältigung eines Problems verbunden oder nicht“ an. Chancen verbessern die Wettbewerbssituation des betreffenden Unternehmens (Kotzbauer, 1992, S. 1)1 .
11.1
Der Innovationsbegriff
Das Wort Innovation (lat. innovatio; 200 bzw. 400 n. Chr.) steht für „Erneuerung“ und „Veränderung“ (Müller, 1997, S. 9). Seit 1500, nach Übersetzungen ins Französische, Italienische und Englische, wird darunter „Neuerung“ verstanden, im 20. Jahrhundert „technischer Fortschritt“. Der österreichische Nationalökonom Josef Alois Schumpeter (1883-1950) bildet mit seiner Begriffsbestimmung der „kreativen Zerstörung“ („creative destruction“) den Ausgangspunkt für die Diskussion zwischen Kreativität, Innovation und Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft (Little, 1997, S. 29). Nach Schumpeter können erfolgreiche Unternehmen nur durch die Zerstörung des Alten und die Erschaffung des Neuen bestehen. Mit der deutschen Übersetzung seines Werkes „Business Cycles“ im Jahre 1939 gelangte der Innovationsbegriff 1961 unter dem Schlagwort „Innovationsmanagement“ oder „Produktinnovation“ auch in den deutschen Sprachraum (Müller, 1997, S. 9). Der Begriff an sich wird sehr unterschiedlich verwendet und zeichnet sich durch eine Vielfalt an Definitionen und einem Zwiespalt zwischen Theoretikern und Praktikern aus2 . Fagerberg et al. (2007, S. 4) unterscheiden, wie andere Autoren/innen (z.B. Russo et al., 2008, S. 6), zwischen Invention (lat. inveniere = entdecken, erfinden bzw. inventio = Einfall) und Innovation (lat. novus = neu bzw. innovatio = etwas neu Geschaffenes). Invention bezeichnet das erste Auftauchen einer Idee, oder nach Russo et al. (2008, S. 6) jede materielle und immaterielle Erfindung. Innovation ist die Einführung dieser Idee in den Markt, durch die Kombination von Fähigkeiten, Kompetenzen, Ressourcen und Wissen. Die beiden Begriffe stehen in einem engen Verhältnis zueinander, oft sind sie jedoch zeitlich getrennt. Aichner et al. (in Bildungswerk, 2000, S. 5) stellen eine Innovationslücke, hervorgerufen durch Innovationshindernisse (zumindest in Deutschland), fest. Die Verkürzung der Produktlebenszeiten erhöht die Innovationsgeschwindigkeit. Informations- und Kommunikationsentwicklungen und die stete Globalisierung führen zu Strukturänderungen und benötigen Handeln. Oftmals wird damit die Reorganisation der Forschung und Entwicklung als Lösung in Zusammenhang gebracht (Aichner et al. in Bildungswerk, 2000, S. 6). Diese radikale Umorientierung überfordert allerdings kleinere und mittlere Unternehmen 1 Studien in Amerika und Europa zeigen, dass erfolgreiche Neuprodukteinführungen zu einer Wachstums- und Renditesteigerung führen (vgl. Kotzbauer, 1992, S. 1). Misserfolge während der Produktentwicklung und -einführung werden nicht näher beleuchtet. Es wird auf die (Produkt)innovationslektüre verwiesen (z.B. Kotzbauer (1992); Cooper (2002)). 2 Einen Überblick gibt Hauschildt (1997, S. 4ff).
104
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
auf Grund z.B. der fehlenden strategischen Ausrichtung auf Innovationen, den fehlenden Ressourcen, der unüberwindbaren Komplexität, der erschwerten Kooperationspartnersuche und der Widerstände der beteiligten und betroffenen Personen. Zusätzlich hindern das geringe Eigenkapital, die geringe Betriebsgröße, der Kapazitätsmangel, fehlende Managementkapazitäten, geringe Veränderungsbereitschaft – um nur einige Hintergründe zu nennen – eine große Umorientierung. Edward DeBono (in Little, 1997, S. 19) stellt eine europäische Lücke in Hinblick auf Innovation und Kreativität fest und betont: „Der Schlüsselbaustein der Zukunft ist die Kreativität“ und nicht das Ansammeln von immer mehr Informationen, „Haushalten“ im Sinne von Kostenkontrolle, Kosteneinsparungen, Automatisierung oder Firmenübernahmen. Unabdingbare Bedingung für Innovation ist nämlich Kreativität3 . Kreativität wird auch mit Intuition in Zusammenhang gebracht, und als Ergebnis von Intuition verstanden (Hodgkinson et al., 2008, S. 2, 19). Die Grundaktivität von Kreativität ist die Veränderung von Konzepten und Sichtweisen. Unter Kreativität versteht man die Zusammensetzung von Wissen aus verschiedensten Gebieten in Hinblick auf einen speziellen Kontext um neuere und bessere Ideen zu generieren (West, 1999, S. 11). Kreativität ermöglicht es, vorhandene Strukturelemente zu variieren, Altbewährtes auf andere Gebiete zu übertragen, die Gesamtstruktur zu zerlegen, „artfremde Elemente“ zu kombinieren und die Betrachtungsweise zu verändern (Schlicksupp, 1988, S. 175). Die folgende Implementierung dieser Ideen nennt man Innovation (West, 1999, S. 13; David Hussey in Hindle, 2000, S. 116). Information wird erst durch Kreativität zu Innovation (DeBono Little, 1997, S. 27).
Abbildung 11.1: Von der Intuition zur Innovation Hindle (2000, S. 116) nennt zwei verschiedene Ausgangspunkte des Innovationsmanagements: 1. jene von Clayton Christensen, dass Innovation besonders in stark kreativ geprägten Umgebungen entsteht, d.h. vor allem in kleinen Unternehmen und 2. dass jede noch so große Unternehmung durch Struktur-, System- oder Prozessänderungen geplant innovativ sein kann. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf beide Aspekte (in GU und MU) und deren Unterscheidung. Im Zuge der Geschichte kann man beobachten, dass Innovationen meist auf einen äußeren Bedarf zurückzuführen waren und seltener den Bedarf erst schufen. Oftmals waren die Erfindungen bereits vorhanden und mussten erst auf eine aufnahmefähige Umwelt treffen, bevor sie anerkannt wurden. Generell waren interne und externe Ungleichgewich3
„...Grundlage von Innovationen sind Methoden und Kreativität“ (Müller, 1997, S.8).
11.2. BEDEUTUNG UND ARTEN DER INNOVATION
105
te zwischen Angebot und Nachfrage der Motor von Fortschritt und damit Innovationen. (Müller, 1997, S. 42) Steigender (oftmals globaler) Wettbewerb und ein sich rasch wandelndes Umfeld veranlassen Unternehmen dazu, beständig nach neuen Innovationsmöglichkeiten zu suchen und sich den Veränderungen anzupassen, da die bestehenden Strukturen und Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Innovationen entstehen daher häufig aus den Herausforderungen der Umwelt (West, 1999, S. 17). Peter Drucker beschreibt in seinem Buch „Innovation and Entrepreneurship, Practice and Principles“ sieben verschiedene Arenen, in denen innovative Möglichkeiten entstehen können (in Hindle, 2000, S. 117; Drucker, 2002; Drucker, 1998): 1. unerwarteter Erfolg („the unexpected“) 2. Inkonsistenzen zwischen Erwartungen und tatsächlicher Realität 3. inadäquate Unternehmensprozesse 4. überraschende Veränderungen der Industrie oder der Marktstruktur 5. demographischer Wandel 6. Wahrnehmungsveränderungen und Modeerscheinungen durch Wirtschaftsveränderungen 7. Aufmerksamkeitsveränderungen durch neues Wissen Eine Definition von Innovationen lautet, dass sie „im Rahmen einer Tätigkeit, eines Arbeitsteams oder eines Unternehmens die gezielte Einführung und Anwendung von Ideen, Arbeitsprozessen, Produkten oder Vorgängen ist, die neu für diese Tätigkeit, dieses Arbeitsteam oder Unternehmen sind und die der Tätigkeit, dem Arbeitsteam oder dem Unternehmen zugute kommen sollen“ (West, 1999, S. 14). Im Gegensatz dazu besteht auch die Auffassung, dass Innovation manchmal ungeplant geschehen kann und so zu Chancen und Möglichkeiten verhilft (West, 1999, S. 14). Damit verbunden ist die Debatte der Unterscheidung zwischen Erfinden (durch Nachdenken bisher noch nicht Dagewesenes hervorbringen) oder Entdecken (erkennen und/oder auffinden durch planmäßiges Suchen nach etwas Bestehendem, jedoch außerhalb des normalen Wahrnehmungsbereiches) (Müller, 1997, S. 49).
11.2
Bedeutung und Arten der Innovation
Innovationen sind eine treibende Kraft für die Wirtschaftsentwicklung (Fueglistaller et al., 2008, S. 20). „Wirtschaftliches Wachstum findet nicht aufgrund von Verbesserungen in den
106
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
Bereichen Technologie, Produktivität oder Ressourcen statt, sondern weil Entrepreneure/innen 1. Technologien, Organisationen und Prozesse verbessern, 2. innovativer und produktiver werden und 3. andere Unternehmen aus dem Wettbewerb drängen“ (Fueglistaller et al., 2008, S. 20). Die Daten und Fakten verdeutlichen, dass Innovation einen wichtigen Stellenwert hat: in der EU27 sind 40% der Unternehmen innovativ tätig (Eurostat, 2007). Innovation besitzt auch deshalb große Bedeutung, weil Investoren diese in der Regel mit Prämien – „Innovationsprämien“ – vergüten (Jonash und Sommerlatte, 2000, S. 10). Investoren sind bereit, für Organisationen mit einer Innovationsausrichtung mehr zu zahlen, als für vergleichbare Unternehmen mit weniger Innovationspotenzial. Die Gründe sehen Jonash und Sommerlatte (2000, S. 10) in der höheren Nachhaltigkeit, welche durch Innovation geschaffen wird, errungen durch Wettbewerbsvorteile und generelle Vorteilen für Shareholder und Stakeholder. So geht aus einer von Arthur D. Little durchgeführten Studie hervor (in Jonash und Sommerlatte, 2000, S. 11), dass 90% der befragten Unternehmen eine Steigung der Bedeutung von Innovation sehen. 95% der Anlageberater an der Wall Street bestätigen, dass innovationsfreudigere Unternehmen einen höheren Aktienkurs verzeichnen. Auch Czarnitzki und Kraft (2004) beschreiben in ihrer Studie, dass die innovative Tätigkeit, z.B. in Form eines guten Patentwesens, zu einer höheren Profitabilität führt. In einer weiteren Befragung von 700 Unternehmen wurde ermittelt, dass 84% der Befragten Innovation als ein wichtiges strategisches Ziel ihres Unternehmens ansehen. 49% haben dafür die nötigen Methoden zur Steigerung der Innovationsleistung eingeführt. Diese sind allerdings noch unzureichend wirksam (Jonash und Sommerlatte, 2000, S. 12). Aichner et al. (in Bildungswerk, 2000, S. 11) differenzieren vier unterschiedliche Arten von Innovationen (vgl. auch OECD und Eurostat, 2005):4 1. Produktinnovation 2. Prozessinnovation bzw. Verfahrensinnovation (vgl. Thom, 1983, S. 6) 3. Strukturinnovation 4. Sozialinnovation5 „Die Prozessinnovationen betreffen die Veränderungen (Optimierung oder auch völlige Neugestaltung) aller Leistungserstellungsprozesse von der Produktidee bis hin zur Kundenbetreuung“ (Aichner et al. in Bildungswerk, 2000, S. 11). Die innovativen organisationalen Strukturen bzw. die Aufbauorganisation stellen den Rahmen für Innovationen 4 Es gibt auch andere Einteilungen von Innovationen. Im Sinne von Schumpeter (1964; in Aretz, 1999, S. 18) kann man z.B. in Produktinnovation, Verfahrensinnovation, neue Absatzmärkte, neue Beschaffungsmärkte und neue Organisation der Industrie differenzieren. 5 Trux et al. (1988, S. 371) differenzieren in einen Primärbereich (Produkte und Märkte), Sekundärbereich (Ressourcen), Tertiärbereich (Führungssystem), Quartärbereich (Unternehmenspolitik).
11.2. BEDEUTUNG UND ARTEN DER INNOVATION
107
dar. Sozialinnovationen betreffen neue Formen des Umgangs zwischen Menschen, wie z.B. Kommunikations- und Kooperationsformen. Die Produktinnovation ist das sichtbare Ergebnis der drei zuvor genannten Innovationstypen. Die Produkt- und Prozessinnovation sind für die Umsetzung von Ideen nötig, während die Struktur- und Sozialinnovation die Voraussetzung für die Entwicklung von Ideen darstellen. Nach Aichner et al. (in Bildungswerk, 2000, S. 13) sind Innovationen „qualitativ neuartige Produkte, Verfahren und Vorgehensweisen, die eine Organisation erstmalig in den Markt oder intern einführt“ und es muss damit „ein wirtschaftlicher und/oder sozialer Nutzen verbunden sein“ der auch risikobehaftet sein kann6 . Nach West (1999, S. 11) und Kotzbauer (1992, S. 9) ist der Begriff überdies relational und subjektiv zu verstehen, d.h. es geht um die Neuartigkeit innerhalb einer Organisation und schließt die Imitation von in anderen Organisation bereits Vorhandenem nicht aus. Innovationen definieren sich auch dann als Innovation, wenn sie neu für eine Person, Gruppe oder eine Organisation sind (Hauschildt, 1997; West, 1999, S. 14). Kotzbauer (1992, S. 10) versucht den Neuheitsbegriff in der Literatur zu gliedern. So unterscheidet er die Hersteller- oder Abnehmersichtweise auf der einen Seite, und die Bezugsebene auf Mikro- oder Makroebene auf der anderen Seite. Die Einteilung ist in der Tabelle 11.1 ersichtlich (Kotzbauer, 1992, S. 10).
Tabelle 11.1: Neuheitsbegriffe der Innovation Der individuelle und subjektive Neuheitsbegriff auf Abnehmerseite ist allerdings für die Diskussion der Produktinnovation nicht zielführend, da in diesem Sinne jedes Produkt neu ist, sobald eine Person zum ersten Mal damit in Verbindung gerät. Erfolgversprechender ist die perzipitierte Marktneuheit (IV), d.h. inwieweit Abnehmer auf einer Makroebene in ihrer Gesamtheit ein Produkt als neu empfinden. Diese Sichtweise ist für Hersteller von 6 Innovation hat auch immer etwas mit „Lernen“ zu tun, siehe z.B. organisationales Lernen und Lernende Organisation (Aretz, 1999, S. 51)
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
108
großem Interesse. Aus Herstellersicht lässt sich ebenfalls eine Untergliederung treffen. So kann auf der Mikroebene ein Produkt für den Betrieb neu sein, auch wenn Konkurrenten/innen und andere Unternehmen dieses bereits in ihrem Sortiment haben (I). Stellt das Produkt eine grundsätzliche Neuerung dar, so spricht man von einer technischen Neuheit (II) und grenzt dies somit von einer Imitation, wie es bei der Betriebsneuheit (I) der Fall ist, ab. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Herstellerseite und konzentriert sich auf technische Neuheiten, d.h. den „physischen Veränderungsumfang“ im Vergleich mit Vorgängerprodukten (S. 11 Kotzbauer, 1992). Der Innovationsbegriff kann weiterführend durch vier Dimensionen bestimmt werden: 1. Inhaltliche Dimension (was ist neu?): (a) Tatsache – Damit eine Innovation als solche gelten kann, muss sie entweder innerbetrieblich oder marktwirtschaftlich genutzt werden. In der Literatur werden unter anderem verschiedene Arten von Innovationen und Innovationstypen differenziert: i. diskontinuierliche „Durchsetzung neuer Kombinationen“ (Schumpeter in Hauschildt, 1997, S. 7) ii. Expertenmeinung zur technischen Erfindungshöhe (Patentamt) iii. Nachfrage- oder Angebotsstimulation (’demand pull’ oder ’technology push’)7 iv. Zweck-Mittel-Beziehung: 1. Mittelinduzierte Innovation (neue Mittel zur Erfüllung vorhandener oder neuer Zwecke) oder 2. zweckinduzierte Innovation (neuer Zweck wird mit vorhandenen oder neuen Mitteln befriedigt) oder eigentliche Innovationen (neue Zwecke mit neuen Mitteln). v. Produktinnovation vs. Prozessinnovation vi. Funktionale Zugehörigkeit (technisch, organisational, geschäftsbezogen) vii. Soziale Innovationen (b) Grad: Der Grad versucht, die Neuartigkeit zu messen (z.B. anhand von technologischer Ungewißheit und Unverfahrenheit, Technologie-Kosten, Geschäftliche Unerfahrenheit oder dem technischen Neuheitsgrad vs. dem Neuheitsgrad aus Abnehmersicht). 2. Subjektive Dimension (neu für wen?): Wahrnehmung bestimmt Innovation: „Innovation ist demnach das, was für innovativ gehalten wird. Innovativ wird das, was als innovativ dargestellt und angeboten werden kann.“ (Hauschildt, 1997, S. 16). Auf unterster Ebene bezieht sich die Neuheit auf ein Individuum, vor allem auf einen Experten/eine Expertin. Diese Betrachtung ist jedoch unzureichend. Deshalb wird die 7
Diese Unterscheidung hat sich nicht bewährt (Hauschildt, 1997, S. 8).
11.2. BEDEUTUNG UND ARTEN DER INNOVATION
109
nächsthöhere Ebene herangezogen, jene des Systems und des Unternehmens, in dem die Führungsinstanzen im Mittelpunkt stehen. Damit werden jene Individuen angesprochen, die die Macht haben, Innovationen durchzusetzen („engster betriebswirtschaftlicher Innovationsbegriff“). Wenn man diese Sichtweise weiter ausbreitet, so muss man relevante Umwelten wie Konkurrenten/innen und Lieferanten/innen, also direkte Stakeholder, miteinbeziehen („industrieökonimischer Innovationsbegriff“). Es steht somit die Branche oder eine „technologisch und absatzwirtschaftlich vergleichbare Gruppe von Unternehmen“ im Interessensfeld (Hauschildt, 1997, S. 18). Bezieht man den nationalen Raum mit ein, („national-ökonomische Auffassung“) so geht es um die Neuerung auf nationaler Ebene. Dieser wird unter anderem durch die Patentierungspraxis geprägt. Die letzte Stufe bezieht sich auf Neuerungen, die erstmals in der Geschichte der Menschheit auftreten. 3. Prozessuale Dimension (wo beginnt bzw. endet die Neuerung?): Der Prozess der Innovation wird von Hauschildt (1997, S. 19f) in sieben Phasen unterteilt: Idee – Entdeckung/Beobachtung – Forschung – Entwicklung – Erfindung – Einführung – Laufende Verwertung. Innovation definiert sich demnach nach den durchlaufenen Phasen, wobei auf jeden Fall die Einführung erreicht werden muss. 4. Normative Dimension (ist neu gleich erfolgreich?): Einer Innovation wird unterstellt, dass sie eine Verbesserung gegenüber dem Status-Quo erreicht. Dies schlägt sich in einem eindeutig dargestellten Zielsystem und/oder dem erwarteten Innovationserfolg nieder. Überdies wird in Basisinnovationen und inkrementale Innovationen unterschieden (Aretz, 1999, S. 87). „Als Basisinnovation gelten alle revolutionierenden, richtungsändernden Neuerungen, die grundlegende Veränderungen innerhalb des bisher Üblichen bewirken“ (Aretz, 1999, S. 87). Inkrementale Innovationen stellen im Gegensatz dazu Variationen dar, die Bestehendes nicht grundlegend verändern. Um wettbewerbsfähig zu bleiben ist es wichtig, permament innovativ zu sein. Little (1997, S. 31) unterscheidet fünf Phasen der Innovation: 1. Einführung neuer Produktionsmethoden 2. Herstellung eines neuen Gutes oder die qualitative Verbesserung eines bestehenden Gutes 3. Erschließung neuer Absatzmärkte 4. Eroberung neuer Bezugsquellen 5. Durchführung einer Neuorganisation
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
110
Der Autor folgert überdies, dass „ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung (...) nur auf einem völlig neuen Sockel von Ressourcen- und Fähigkeitskombinationen erfolgen [kann] – auf der Basis eines visionären Paradigmas von neuen Produkten, Leistungen und Märkten“ (Little, 1997, S. 36).
11.3
Innovation und Unternehmensgröße
Viele Autoren/innen befassen sich mit Vor- und Nachteilen von kleinen und großen Unternehmen in Bezug auf ihren Innovationserfolg (vgl. Cooper, 1964; Aretz, 1999; Geschka, 1997; OECD und Eurostat, 2005). Aretz (1999, S. 21) fasst die Vor- und Nachteile von (K)MU in Bezug auf Innovation zusammen. Vorteile sieht Aretz (1999)8 • in der schnelleren Reaktion, Implementierung und reibungslosen Integration von Innovationen in das Unternehmen. • in den kurzen Entwicklungszeiten auf Grund des Wettbewerbsdruckes. • im hohen Engagement und der visionärer Unterstützung durch den Geschäftsführer/die Geschäftsführerin, welche zu einer erhöhten Motivation führen. • in den Kostenvorteile durch die Einsparung von Overhead-Kosten. • in der sofortigen Nutzung von Möglichkeiten, da diese nicht wirtschaftlich „aufgehoben“ werden können. • in der großen Kundenorientierung und Differenzierung. • und in einer Konzentration auf einen „erkannten Bedarf“ und den damit verbunden, hohen Erfolgsraten. (K)MU besitzen in Bezug auf Innovation aber auch etliche Nachteile: so behindert der Ressourcenmangel meist die erfolgreiche Planung und vor allem Implementierung von Innovationen, zusätzlich gibt es Schwierigkeiten bei der Finanzierung, strukturelle Probleme9 , Managementschwächen, Informationsdefizite und eine Aversion gegenüber externer Hilfe, wie z.B. Beratung. (K)MU fehlen oft die Möglichkeiten systematischer F&E-Arbeit. Vielmehr sind sie meist auf die Nutzung vorliegender F&E-Ergebnisse, Lizenznahme, Kooperation, Gemeinschaftsforschung oder Beratung angewiesen (Geschka, 1997, S. 195). 8
Vgl. auch Geschka (1997, S. 192ff). Hierunter fallen eine unzureichende Informationsversorgung z.B. mit Fördermöglichkeiten, sequentielles Arbeiten, geringe Finanzierungsmöglichkeiten aufgrund der Rechtsform und Größe, personelle Mängel von Spezialisten/innen für die Forschung und Entwicklung, fehlende technische Mindestauststattung für die erforderliche Forschung, Diskontinuitäten in der Innovationstätigkeit welche zu bruchstückhaften Erfahrungen führen, etc. (Geschka in Aretz, 1999, S. 22). 9
11.4. INNOVATION IN DER EMPIRISCHEN STUDIE
111
Hammer (1992, S. 33) weist hingegen in einem kritischen Diskurs auf die „Nicht-Kreativität“ von Großunternehmen hin. Schoen (1969, S. 165) folgert, dass GU unregelmäßiger große Innovationen aufweisen als kleinere Unternehmen, da sowohl radikale als auch kleinere Projekte gegenseitig um die Aufmerksamkeit des Managements kämpfen, und somit potenzielle Innovationen leichter übersehen werden. Cooper (1964, S. 75) meint sogar, dass kleine Unternehmen Innovationen grundsätzlich kostengünstiger herstellen können als Große. Gründe sind z.B. die beteiligten Personen oder Kommunikations- und Koordinationsaufwände. Andererseits besitzen GU eine große Anzahl an Mitarbeitern/innen, und weisen damit eine breitere Kompetenzbasis und Spezialisierungsvorteile auf (Cooper, 1964, S. 82).
11.4
Innovation in der empirischen Studie
Österreich – als Ausgangsbasis der Innovationsstudie – eignet sich als Studienbasis gut, da das Land eine hohe Innovationsperformance aufweist (Bundesministerium, 2008, S. 9). Das Analyseobjekt der Empiriestudie ist jeweils eine ergriffene Chance10 in ausgewählten MU und GU. Das Hauptaugenmerk liegt daher auf den SFA-Prozessen von Innovationen (als Ergebnisse ergriffener Chancen). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf Produktinnovationen. Diese Eingrenzung auf neuartige Produkte11 ermöglicht es, ein konkretes Analyseobjekt zu identifizieren, was eine Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen herstellt. Unterschiede zwischen Prozessoder Produktinnovation werden damit ausgeschlossen. Innovative Produkte sind überdies einfacher identifizierbar, da diese im Markt auftreten, Prozessinnovationen hingegen oftmals nur unternehmensintern angewendet und kommuniziert werden. Chancen sind (wie Risiken) wichtige Phänomene für Unternehmen, welche besondere Aufmerksamkeit genießen und deshalb als spannende Analyseobjekte angesehen werden (Jackson und Dutton, 1988, S. 376). Jackson und Dutton (1988, S. 370) sprechen von einem „threat bias“ der Manager/innen. Dies bedeutet, dass Manager/innen sich eher jenen Themen und ’issues’ zuwenden, die ein Risiko darstellen (vgl. Kiesler und Sproull, 1982)12 , als jenen, die eine Möglichkeit (Chance) bieten. „Chancen (insbesondere auch langfristiger Art) werden tendenziell zu Gunsten der Lösung kurzfristiger Probleme vernachlässigt (’Gresham’s law of planning’: Kurzfristige Probleme vertreiben langfristige Planung).“ 10 Die Grundannahme ist, dass Personen eher gewillt sind, über positive Errungenschaften zu berichten als über Risiken. Dies mindert die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit keineswegs, da kein Vergleich zwischen Risiken und Chancen gezogen wird. 11 Die Neuheit bezieht sich stets auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitabschnitt. Die Eigenschaften der Neuheit gehen mit der Zeit verloren (Kotzbauer, 1992, S. 11). Auch Innovationen verändern sich im Zeitablauf und können radikalen Änderungen unterliegen (Kline and Rosenberg (1986, S. 283) in Fagerberg et al., 2007, S. 5). Es geht um eine ex-post Betrachtung von Innovationen zu einem vergangenen Zeitpunkt, die heute diesen Neuheitsgrad nicht notwendigerweise aufweisen (vgl. Abbildung 12.1). 12 Da „crises are occasions for managers to demonstrate competence“ (Kiesler und Sproull, 1982, S. 562).
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
112
(Rieser, 1980, S. 122f). In der vorliegenden Arbeit soll nicht der Unterschied zwischen Risiko und Chance untersucht werden (dies wurde schon vielfach vorgenommen (vgl. Jackson und Dutton (1988); Dutton und Jackson (1987); Thomas und McDaniel (1990)), sondern der Prozess der SFA im allgemeinen. In dieser Arbeit wird der Schwerpunkt im Rahmen der qualitativen Untersuchung auf Chancen gelegt, da diese nach theoretischen und praktischen Ausführungen oft übersehen werden, jedoch für den Erfolg unabdingbar sind: „Während Gefahren mit der Zeit immer „drohender“ werden und normalerweise irgendwann (wenn auch zu spät) erkannt werden, haben es Gelegenheiten an sich, daß sie mit der Zeit wieder verschwinden. Es ist deshalb sinnvoll, das Problem der Frühaufklärung in erster Linie am Beispiel der Gelegenheiten zu diskutieren.“ (Kirsch und Trux, 1979, S. 50). Chancen (wie Risiken) haben gemeinsame Charakteristika: hohe Priorität, Bedeutsamkeit, Wichtigkeit, Gewinn oder Verlust, direkter Wettbewerb mit anderen, schwere Entscheidung, Druck zu handeln, (schnelle und dringende) Aktion. All diese Eigenschaften zeichnen ebenso Innovationen aus. Chancen im Speziellen weisen zusätzlich noch drei Dimensionen auf: ein positiver Grundton, ein Gewinn und Kontrollierbarkeit (Jackson und Dutton, 1988). Deshalb wählt die Verfasserin der Arbeit solche Produktinnovationen aus, die einen Erfolg ermöglichten. Leitner (2003, S. 337) stellt einen direkten Bezug zwischen Innovation und Erfolg her. In seiner Studie über fünfzig erfolgreiche Produktinnovationen in Österreich beschreibt er das gemeinsame Merkmal des direkten oder indirekten technologischen und kommerziellen Erfolgs. Der Erfolg manifestierte sich in unterschiedlichster Weise, z.B. in finanzieller Hinsicht, Unternehmensentwicklung, Kompetenzaufbau, Marktentwicklung, Beschäftigungszuwachs, Lerneffekten, usw.. Von der Einführung neuer Produkte verspricht man sich eine verbesserte Wettbewerbsposition, Wachstum und eine Verbesserung der Rendite, welche in Situationen gesättigter Käufermärkte und verkürzter Produktlebenszyklen überlebensnotwendig werden (Kotzbauer, 1992, S. 1). Nach Hauschildt (1997) gestalten sich die vier Dimensionen der Innovation für die Arbeit wie folgt: • Inhaltliche Dimension: Es wird von einer marktwirtschaftlichen Nutzung im Gegensatz zu einer innerbetrieblichen ausgegangen. Weiters fokussiert sich die Arbeit auf Produktinnovationen. • Subjektive Dimension: Um die Frage beantworten zu können, für wen die Innovation neu ist, wird auf die Branche Bezug genommen. Damit bezieht man relevante Umweltbedingungen wie Konkurrenten/innen und Lieferanten/innen, also direkte Stakeholder, mit ein („industrieökonimischer Innovationsbegriff“) (Hauschildt, 1997, S. 18). • Prozessuale Dimension: Die Innovation muss in den Markt eingeführt worden sein,
11.4. INNOVATION IN DER EMPIRISCHEN STUDIE
113
also zumindest bis zur Phase der Einführung bestanden haben.13 • Normative Dimension: Die ergriffene Chance soll zu einer Verbesserung des StatusQuo beigetragen haben, vor allem im Hinblick auf Wachstumsziele und Gewinnverbesserungen. Als Operationalisierung von Innovationen werden bestehende Kontakte und Innovationspreise wie der „Staatspreis für Innovation“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit oder die Innovationspreise der Bundesländer14 herangezogen. Diese Preise bedienen sich ähnlicher Bewertungskriterien wie die in dieser Arbeit ausgewählten15 .
Zudem unterstellt die Literatur einer rationalen Vorgehensweise bei Produktinnovationen eine höhere Erfolgschance: „The literature suggests that successful new product introduction often results from a program of very carefully planned and conceived strategies.“ (Peterson, 1988, S. 26). Zur besseren Verständlichkeit bzw. auch im Hinblick auf die zu generierenden Hypothesen und deren Aussagekraft, werden die Innovationsprojekte der untersuchten Unternehmen nachfolgend näher charakterisiert.
11.4.1
Dauer
Der Startzeitpunkt der speziellen Produktinnovationen in zehn der zwölf untersuchten Unternehmen reicht von 1980 bis 2007 und ist somit sehr breit angelegt16 . 13
Die davor liegenden Phasen (= SFA-Prozess) sind Hauptbestandteil der Arbeit. Z.B. Staatspreis des Landes OÖ, der im Jahr 2008 zum 15. Mal in den Kategorien Kleinunternehmen (bis 49 Beschäftigte und 10 Mio. € Bilanzsumme), mittlere Unternehmen (bis 249 Beschäftigte und 43 Mio. € Bilanzsumme) und Großunternehmen (ab 250 Beschäftigte oder 43 Mio. € Bilanzsumme) mit Sitz in Oberösterreich von einer Jury aus Universitätsprofessoren und Praktikern (z.B. Universitätsrektor Linz, MAN Nutzfahrzeuge Österreich AG, Rat für Forschung und Technologie, WKO Oberösterreich, Technologiebeauftragte,...) vergeben wird. Die Entwicklung muss überwiegend in Oberösterreich vollzogen worden und die Umsetzung überwiegend abgeschlossen sein. Die Kriterien sind u.a. die Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg, volkswirtschaftliche Aspekte und spezielle unternehmerische Leistungen (siehe www.tmg.at) (Rumetshofer, 2008). 15 Der Österreichische Staatspreis für Innovation wird seit 1979 jährlich durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vergeben. Dabei wählt eine Jury aus Professoren und Praktikern (z.B. Industriellenvereinigung, Patentamt, Wirtschaftskammer, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Nationalbank, Forschungsförderungsgesellschaft,...) ein Vorzeigeunternehmen, welches sich durch folgende Kriterien auszeichnet: Innovation eines Produktes, Verfahrens oder einer Dienstleistung (Originalität, Raffinesse bzw. Neuheit des Projekts, Innovationsgrad), Unternehmerische Leistung (unternehmerisches Risiko, Entwicklungskosten der Innovation,...) und die Auswirkungen der Innovation auf den Nutzen für Kunden/innen, Allgemeinheit, Ökologie und Umwelt, Marktchancen sowie Kooperationen und volkswirtschaftliche Effekte) (siehe http://www.bmwa.gv.at oder www.staatspreis.at). Somit inkludiert der Staatspreis unter anderem wichtige Faktoren, wie Produktinnovationen, deren Auswirkungen auf den Markt (die Umsetzung der Innovaton sollte weitgehend abgeschlossen sein bzw. erste Erfahrungen über deren Auswirkung gemacht worden sein) oder deren Neuheit. 16 Zwei Unternehmen konnten kein spezielles Innovationsprojekt nennen und bezogen sich auf allgemeine Abläufe. 14
KAPITEL 11. ANALYSEOBJEKT
114 Unternehmen MU1 MU2 MU3 MU4 MU5 GU2 GU3 GU5 GU6 GU7
Start - Ende 2005 1998-2000, 2003-2004 ca. 2008 (Idee vor 10 Jahren) 2005 erste Idee - 2007 am Markt Ende 2006/Anfang 2007 1980 erste Ausführung, 2005 neu 2003 - 2004/2005 Vorprodukt Idee vor 10 Jahren ca. 2005/2006 1995/1996
Tabelle 11.2: Anfänge und Dauer der Innovationsprojekte Auch die Dauer der Projekte ist unterschiedlich, und reicht von 25 Jahren bis zu einem halben Jahr. Wichtig ist, dass eine sehr breite Streuung und Unterschiedlichkeit angestrebt und bei der Auswahl auch erreicht wurde. Tabelle 11.2 enthält eine nicht vollständige Liste17 der Innovationsprojektanfäge bzw. -enden.
11.4.2
Einzigartigkeit
Dieser Punkt behandelt den Umstand, ob die konkrete Produktinnovation, für das Unternehmen einzigartig war oder sich von anderen Produktinnovationen im Unternehmen vom Prozess her nicht wesentlich unterschied. Zum größten Teil weichen die konkreten Innovationen – vom Ablauf her
Tabelle 11.3: Unterscheidung zu anderen Innovationen 17
– nicht von den anderen Innovationen der Unternehmen ab (siehe Tabelle 11.3). Dies ist für die Vergleichbarkeit und die Hypothesenbildung von großer Bedeutung.18
Vollständigkeit ist nicht unbedingt nötig, es soll nur die Verschiedenheit aufgezeigt werden. Zwei Unternehmen trafen keine eindeutige Aussage, bei drei Unternehmen unterschied sich der Prozess. Bei der ELEKTRONIK-M-GMBH waren die Innovationen in der Vergangenheit gleich, die in der Arbeit analysierte, spezielle Produktinnovation stieß jedoch ein Umdenken an und unterschied sich sehr von anderen vorgelagerten Innovationen. Diese neue Einstellung erwies sich als erfolgreich. In der METALLWAREN-M-GMBH nimmt das Produkt selbst eine Sonderstellung ein. In der FAHRZEUG-GAG ist nach Aussagen des Unternehmens der Entwicklungsprozess ähnlich, nur war er etwas komplexer. Grundsätzlich können jedoch die Ergebnisse für die Hypothesenbildung herangezogen werden. 18
Kapitel 12 Empirisches Vorgehen In einem kurzen Überblick sollen die weiteren Grundbausteine der Empirie dargelegt werden: die eingesetzten Forschungsinstrumente (Leitfadeninterview), die Datenauswertung und die Ziele der Empirie (Hypothesengenerierung und Ableitung eines theoretischen Modells). Ausgangspunkt der Empirie ist die Betrachtung einer bereits erfolgreich durchgeführten und im Markt eingesetzten Chance und der Rückblick auf den davor ablaufenden SFA-Prozess (vgl. Abbildung auf dieser Seite).
Abbildung 12.1: Betrachtungspunkt der Empirie
12.1
Forschungsinstrumente
Um zu Daten für die Fallstudienuntersuchung zu gelangen, gibt es nach Yin (2003b, S. 83ff) sechs grundlegende Quellen: Dokumente, Material aus Archiven, Interviews, Beobachtungen, teilnehmende Beobachtung und physische Artifakte. Die vorliegende Untersuchung bedient sich zweier Instrumente, des qualitativen semi-strukturierten bzw. fokussierten (Experten)interviews1 (Leidfadeninterview) mit Einzelpersonen und der Dokumentenanalyse (wie z.B. von Zeitungsartikeln, Firmenhomepages,...). Die Interviewten 1 „One of the most important sources of case study information is the interview“ (Yin, 2003b, S. 89); vgl. auch Flick et al. (2008) und Atteslander (2006).
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 12. EMPIRISCHES VORGEHEN
116
werden in dieser Methode mittels Leitfragen befragt, die Auswertung dient der Hypothesenentwicklung (Atteslander, 2006, S. 131f)2 .
12.2
Befragungssubjekte
Für den Erstkontakt diente in einer ersten Runde der Kreis der oberen Führungskräfte. „...social and individual cognition are useful for understanding behaviour of (top-level) decision-makers“ (Dutton, 1993, S. 340), die eine wichtige Position im SFA-Prozess einnehmen (Chattopadhyay et al., 2001, S. 937; Kuvaas, 2002, S. 986). Denn zum Beispiel „strategic issue diagnosis [als ein Teilaspekt der SFA] takes place at the top levels of the organization, i.e. it is a critical activity that takes place within the dominant coalition“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 280). Auch Stubbart (1989, S. 341) stellt fest, „even a ’balanced’ view of managerial cognition identifies several tasks in strategy formulation which pose real cognition problems for managers, such as environmental scanning and integrating information from SWOT...“. Hambrick und Mason (1984, S. 193) sprechen von „upper echelons“ und betonen, dass die Organisation eine Reflektion ihrer Topmanager/innen darstellt. Sie beziehen sich dabei vor allem auf die individuellen Charakteristika der oberen Führungskräfte. „Organizational outcomes – both strategies and effectiveness – are viewed as reflections of the values and cognitive bases of powerful actors in the organization.“ (Hambrick und Mason, 1984, S. 193). „If we want to understand why organizations do the things they do, or why they perform the way they do, we must consider the biases and dispositions of their most powerful actors – their top executives.“ (Hambrick, 2007, S. 334). Thomas und McDaniel (1990, S. 288) betonen ebenfalls in ihrer Studie dass „CEO’s interpretation of a strategic issue would systematically influence strategic action at the organizational level“. Sie (1990, S. 290) erwähnen im Sinne von Aguilar (1967), dass Organisationsmitglieder unter der Vizepräsidentenebene weder über strategische Themen, die die ganze Organisation betreffen, informiert, noch in diese miteinbezogen werden. Daher eignet sich die obere Führungsebene für die empirische Untersuchung, da sich diese hauptsächlich mit der SFA auseinandersetzt und den besten und breitesten Überblick über das Unternehmen hat. Erste Ansprechpersonen waren demnach Gründer/innen, Eigentümer/innen, Manager/innen des Unternehmens. Diese vermittelten die Innovatoren/innen, oder Personen, die mit der Innovation in engem Kontakt standen (Methode des „snowball samplings“ (Bryman und Bell, 2003, S. 105)). Um Fehler und Verzerrungen bei den Interviews zu ver2 Eine Kombination verschiedener Instrumenten erweist sich hinsichtlich der gewonnenen Theorie und den aufgestellten Hypothesen als robust (Eisenhardt, 1989a, S. 538) (vgl. „multiple sources of evidence“ (Yin, 2003b, S. 83), „triangulation“ (Lamnek, 2005, S. 147; Yin, 2003b, S. 97)). Interviews ermöglichen es z.B., fehlende Dokumente auszugleichen. Interviewaussagen können hingegen mit Dokumenten und Zeitungsberichten abgegeglichen und relativiert werde – somit werden Fehler eingegrenzt (vgl. für Vorund Nachteile Yin, 2003b, S. 86).
12.2. BEFRAGUNGSSUBJEKTE
117
meiden, stammen die Informationen aus verschiedenen Bereichen und Funktionen bzw. Unternehmen (verschiedene Hierarchiestufen, funktionale Bereiche,...) (Eisenhardt und Graebner, 2007, S. 28).
Interviewpartner/innen Leitung / FK
Projektleitung
Innovator
Mitarbeiter
GF Technik
Technik
MU5 GU1
MU4
Berater/ Vermittler Entwicklung
Service Senior Vice President
Vertrieb
GU3
GU2
Sonstiges
Technik
MU3
MU2
MU1
Spitze / GF
GU5 GU6b
Technik Entwicklung
GU7
Technik
GU6a
GU4
Qualitäts− management
Technik
Projekt− koordinator
Tabelle 12.1: Interviewpartner/innen Wie Tabelle 12.13 zeigt, haben die Personen auch unterschiedliche Funktionen in den Unternehmen und stehen auf verschiedensten Hierarchiestufen (von der Führungsspitze über verschiedene Managementbereiche wie Vertriebsleitung, Serviceleitung, Qualitätsmangementleitung, Entwicklungsleitung oder Technische Leitung4 bis hin zum Projektleiter/zur Projektleiterin und Innovator/in). Die Innovatoren5 sind auf allen Stufen zu finden. 3
GF steht für Geschäftsführer/in, FK für Führungskraft. Dies resultiert aus den unterschiedlichen organisatorischen Bennungen der Unternehmensbereiche in den Unternehmen. 5 Bei den zwölf untersuchten Fällen wurden ausschließlich Männer als Innovatoren aktiv. Die Gründe 4
KAPITEL 12. EMPIRISCHES VORGEHEN
118
12.3
Datenauswertung und Ziele der empirischen Befragung
Froschauer und Lueger (2003, S. 111) schlagen drei Interpretationsverfahren zur Analyse von Fallstudien vor: die Feinstrukturanalyse, die Systemanalyse und die Themenanalyse. Für diese Arbeit eignet sich vor allem die Themenanalyse auf Grund der vorliegenden Datenmenge und Inhalte (Forschungsfrage). Sie eignet sich zur Hintergrundanalyse eines sozialen Systems besonders, und kann darüber hinaus Themen bzw. deren Verknüpfung herausfiltern (Froschauer und Lueger, 2003, S. 111). So ermöglicht sie es, „einen Überblick über Themen zu verschaffen, diese in ihren Kernaussagen zusammenzufassen und den Kontext ihres Auftretens zu erkunden“ (Froschauer und Lueger, 2003, S. 158). Grundsätzlich wird ausgehend von Transkriptionen eine Einzelfallanalyse durchgeführt (im Sinne von Themensichtung (Lamnek, 2005, S. 405)), gefolgt von vergleichenden Analysen zwischen den Fallstudien (generalisierende Analyse, d.h. Gemeinsamkeiten und Unterschiede) und der Ableitung von Themengebieten (Lamnek, 2005, S. 402ff). Die Auswertung ist – den Denkanstößen von Eisenhardt (1989a); Yin (2003b); Flick et al. (2008) folgend – immer eine Verbindung zwischen Theorie und empirischen Ergebnissen. Dies spiegelt sich auch in der weiteren Ableitung von Hypothesen und Testhypothesen wider. In die Themenanalyse fließt eine komparative Analyse ein (Wiedemann, 1995, S. 441), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Themen und ihrer Struktur hervorzuheben und die verschiedenen Sichtweisen herauszufinden. Wichtig ist festzustellen, ob Unterschiede begründbar sind. Aufbauend auf der Einzelfallstudienanalyse, wird daher in der Suche nach „cross-case patterns“ Eisenhardt (1989a, S. 540) bzw. „cross-case synthesis“ (Yin, 2003b, S. 133) der Vergleich zwischen den Fallstudien durchgeführt. Bei diesem Vergleich wird versucht – zur Verhinderung von Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfehlern – die vorliegenden und gewonnenen Daten aus verschiedensten Ansichten zu beleuchten. In der vorliegenden Arbeit ist dies die Unterscheidung in Mittel- und Großunternehmen. D.h. die in den Einzelfallstudien festgehaltenen Themenbereiche werden untereinander verglichen und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede herausgehoben. Endergebnis sind die aus der Empirie gewonnenen Hypothesen. Als Ergänzung der komparativen Analyse dient die Methode der „logischen Modelle“ (Yin, 2003b, S. 127). Nach ihr werden empirisch festgestellte Themen mit der Theorie aus der Literatur verglichen. Dies entspricht einem „pattern matching“, welches empirische Muster mit den vorhergesagten Mustern (= Testaussagen und die Kategorien bzw. Themengebiete) vergleicht (Yin, 2003b, S. 116). Dadurch werden die Literaturergebnisse intensiv mit den empirischen Resultaten verflochten (Eisenhardt, 1989a, S. 533): „An dafür können vielfältig sein (technische Berufe,...). Auffallend ist, dass nur eine Frau in der Stichprobe (als Befragte) enthalten war. Als Innovator/in wurden nur jene Personen in der Tabelle vermerkt, die auch nachweislich die erfolgreiche Produktinnovationsidee hatten. Innovatoren konnten sowohl in MU als auch in GU interviewt werden.
12.3. DATENAUSWERTUNG UND ZIELE
119
essential feature of theory building is comparison with the extant literature, theory, or hypotheses with the extant literature. This involves asking what is this similar to, what does it contradict, and why.“ (Eisenhardt, 1989a, S. 544). Das Ergebnis dieses Abschnittes sind sogenannte Testhypothesen, d.h. Hypothesen die nicht rein aus der Empirie, sondern aus dem Vergleich mit der Theorie abgeleitet werden (vgl. Abbildung 12.2). Das Endergebnis ist ein Prozessmodell, das alle Einsichten aus Empirie und Literatur verbindet.
Abbildung 12.2: Auswertungsverfahren
12.3.1
Hypothesengenerierung
„Im Unterschied zur quantitativen Auffassung ist die Hypothesengenerierung in der qualitativen Sozialfoschung ein konstitutives Element des Forschungsprozesses.“ (Lamnek, 2005, S. 89) In dieser Arbeit werden, wie bereits erwähnt, Fallstudien – als qualitative Forschungsmethodik – zur Generierung von Hypothesen herangezogen (Eisenhardt, 1989a, S. 545; Lamnek, 2005, S. 305; Libby, 1985; Hempel, 1974): „Obgleich auch in der qualitativen Methodologie die Tatsache theoriegeleiteter Wahrnehmung nicht in Frage gestellt wird, lehnt man hier überwiegend die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen ab.“ (Werner Meinefeld
120
KAPITEL 12. EMPIRISCHES VORGEHEN
in Flick et al., 2008, S. 266). Lamnek (2005, S. 53ff) gelingt zwar keine klare Unterscheidung zwischen den Begriffen Hypothesen, Theorien und Gesetzen, aber er versucht die Begriffe voneinander abzugrenzen. „Allgemein bezeichnet man diejenigen Aussagen als „Hypothesen“, die einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen postulieren“ definiert Lamnek (2005, S. 53) den Begriff der Hypothese6 . Sarris und Reiß (2005, S. 46) folgern: „Unter einer „Hypothese“ versteht man eine in spezielle Aussageform gekleidete Fragestellung. In ihrer Aussageform beinhaltet sie bestenfalls einen vorläufigen Lösungsentwurf für das in Frage stehende Problem und gibt somit auch eine vorläufige „Antwort“ auf die Fragestellung. Die Hypothese ist dementsprechend eine präzisierte Vermutung.“ 7 . So weisen Hypothesen dann gute Qualität auf, wenn sie testbar und falsifizierbar, präzise und theorierelevant sind (Sarris und Reiß, 2005, S. 56). Theorien umfassen mehrere Hypothesen. Ein Gesetz entsteht aus mehrmals in der Praxis geprüften Hypothesen (Lamnek, 2005, S. 54).
Abbildung 12.3: Hypothesendefinition
Die Hypothesen in dieser Arbeit sind bewusst gegenstandsbezogen, d.h. auf ein Analysefeld bezogen. Im vorliegenden Fall sind dies die befragten und untersuchten österreichischen Produktionsunternehmen im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Produktinnovation. Diese Begrenzung ist nötig, um später – mit Hilfe anderer Theorien – zu einer „grounded theory“ zu gelangen (Wiedemann, 1995, S. 440; Andreas Böhm in Flick et al., 2008, S. 475ff; Lamnek, 2005, S. 100ff). 6 Die Formulierung einer Hypothese spiegelt sich z.B. in „wenn-dann“ oder „ je-desto“-Aussagen wider (Lamnek, 2005, S. 53). 7 Vgl. auch typische Fehler bei der Hypothesengenerierung (Sarris und Reiß, 2005, S. 49).
12.3. DATENAUSWERTUNG UND ZIELE
12.3.2
121
Prozessmodell
Aus dem erworbenen Wissen, den erarbeiteten Themengebieten sowie den abgeleiteten Hypothesen und Testhypothesen wird zusammenfassend ein Prozessmodell abgeleitet (Eisenhardt, 1989a, S. 545)8 . Hilfreich ist die Verflechtung von Theorie und empirischen Ergebnissen, denn „the central idea is that researchers constantly compare theory and data.“ (Eisenhardt, 1989a, S. 541). Bei der Untersuchung wird auf andere Wissensbereiche zurückgegriffen, um vorhandene Lücken schließen und Theorien bilden zu können (Übertragung aus verwandten Gegenstandsbereichen (Schnell et al., 2005, S. 9)).
8 Z.B. durch „theoretisches Kodieren, d.h. die Integration der Kategorien zu einem Modell...“ (Wiedemann, 1995, S. 443).
Kapitel 13 Zusammenfassung Das vorangegangene Kapitel fasst die wichtigsten Merkmale des empirischen Designs zusammen. Als Forschungsinstrument dienten zum einen offene Leitfadeninterviews und zum anderen Dokumentenanalysen. Als Untersuchungsobjekte wurden die zu befragenden Unternehmen klar im Hinblick auf quantitative und qualitative Merkmale abgegrenzt. Das wichtigste quantitative Auswahlkriterium war die Betriebsgröße, d.h. die Mitarbeiteranzahl sowie die Umsatzzahlen. Dieses Kriterium ermöglicht die Einteilung in GU und MU und richtet sich an der Forschungsfrage aus. Verschiedene Einsichten aus der Literatur zu Größenunterschieden von Unternehmen und deren Auswirkungen auf Prozesse rundeten die Diskussion ab. Die Meinungen der Experten/innen und Forscher/innen divergierten dabei stark. So ergab sich einerseits aus den Literaturstudien, dass sich GU grundsätzlich einer rationaleren Prozessart bedienen und MU sich mehr auf intuitive Vorgehensweisen stützen. Andere Studien zeigten, dass die Unternehmensgröße Unterschiede in der Ausgestaltung von Unternehmen mit sich bringt. Die Aussagen, ob diese Einflüsse Auswirkung auf den SFA-Prozess haben, waren widersprüchlich. Mit Hilfe von zusätzlichen qualitativen Merkmalen wurden die Fallstudien näher charakterisiert und deren Eigenheiten hervorgehoben (z.B. Branchenzugehörigkeit, Unternehmensführungsart, Rechtsform, Unternehmensalter,..). Anschließend erfolgte eine kurze Charakterisierung der Befragungssubjekte, d.h. jener Unternehmensmitglieder, die in der Empirie interviewt wurden. Es wurden solche Unternehmen ausgewählt, die im Hinblick auf qualitative Merkmale sowie die Befragungssubjekte die größtmögliche Differenz aufwiesen. Dies führte zu umfassenden Einsichten in die Thematik der SFA. Als letztes wichtiges Konstrukt wurde das Analyseobjekt selbst definiert, in diesem Fall erfolgreich erkannte und ergriffene Chancen in den Ausgestaltungen von Produktinnovationen. Gerade Produktinnovationen eignen sich für die Untersuchung sehr gut. Innovationen lassen sich zum einen mit der SFA verknüpfen und zum anderen auf GU und MU ausweiten. Aus der Betrachtung der Untersuchungs- und Analyseobjekte geht hervor, dass bei allen Unternehmen eine starke Innovationsausrichtung vorhanden ist (und nicht nur auf eine einzige Produktinnovation beschränkt ist). Zum anderen inkludiert die Thematik der Pro-
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123 duktinnovationen interessante Aspekte in Bezug auf Intuition (z.B. durch Kreativität). Eine Themenanalyse wertet das im Feld erhobene Material aus und entwickelt die Einsichten zu Hypothesen und einem umfassenden Prozessmodell weiter. Diese nähere Beleuchtung der Unternehmen ist für die folgenden Auswertungen von Bedeutung. Sie werden in den jeweiligen Abschnitten aufgegriffen.
Teil IV Die Phasen und Prozessarten des SFA-Prozesses
Kapitel 14 Theoretische Charakterisierung der Prozessabläufe Jedes einzelne Unternehmen zeichnet sich durch individuelle SFA-Prozesse aus. Zuerst wird in der Arbeit geklärt, was die Einzelphasen und deren individuelle Ausprägungen im Prozessmodell bedeuten und wie sie theoretisch ausgestaltet sein können. Danach folgt die praktische Eingliederung der Unternehmen und ihre Begründung. In der ersten Phase Activation kann theoretisch zwischen dem intutiven Scanning und rationalen Monitoring unterschieden werden. Der darauf folgende Assessmentschritt unterscheidete die intuitive ’strategic issue diagnosis’ (= SID) und die analytische ’strategic issue analysis’ (= SIA). Die Phase Action differenziert implizite und intuitive von analytischen und rationalen Lernprozessen (vgl. Abbildung 14.1).
Abbildung 14.1: Charakterisierung der Prozessabläufe
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14.1. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A1
14.1
129
Rationalität versus Intuition in der Phase ACTIVATION
„Environmental scanning in those models [objective or perceived model] sends managers „out“ to collect facts and to amass an inventory of information. ... The interpretive perspective, on the other hand, defines a strategist’s task as an imaginative one, a creative one, an art.“ (Smircich und Stubbart, 1985, S. 730) Wie bereits erwähnt, stehen die beiden Begriffe Scanning und Monitoring im Mittelpunkt der Activation-Phase (eine „intelligence activity“ wie Wally und Baum (1994, S. 933) dies nennen). Sie stellen zwei Arten der Informationsaufnahme dar und sollen die Unsicherheit reduzieren und schwache Signale aufspüren (Seidl, 2004, S. 154; Hayes und Allinson, 1994, S. 53; Elenkov, 1997, S. 288; Daft und Noe, 2001, S. 129; Jain, 1984): „Because Scanning influences the subsequent perceptions and actions that enable organizational adaptation and is necessary in establishing goals and primary strategies, it is an indispensable activity in the strategic management process.“ (May et al., 2000, S. 403). Scanning wird oftmals als Überbegriff für beide Vorgänge verwendet und fasst Umweltbeobachtung im Allgemeinen zusammen. Die Trennung von Scanning und Monitoring ist allerdings nötig, da sie sich durch spezielle und sehr gegensätzliche Charakteristika auszeichnen. So zeigt sich in den Folgeausführungen, dass Scanning sich mehr der Intuition bedient („automatic scanning“ (Kiesler und Sproull, 1982, S. 555)) und Monitoring auf rationalere Prozesse zurückgreift („directed search“ (Kiesler und Sproull, 1982, S. 555))1 : „Scanning not only concerns seeking information to address a specific question (for example, ’How big is this market?’), but also includes doing a broad sweep of the horizon to look for signs of change and opportunities (’Where are the new markets?’)“ (Auster und Wei Choo, 1993, S. 194).
14.1.1
Das „intuitive“ Scanning: beobachten und orten2
„Environmental scanning is important because organizations operate as open systems that depend upon their environments for resources and legitimacy.“ (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 187) „It is possible...that organizations are systematically stupid.“ (Feldman und March, 1981, S. 174) Schöpfer des Scanningbegriffes war Aguilar (1967) mit seinem Werk „Scanning the business environment“. Die Hauptaufgabe des Scannings sieht er dabei in der ungerichteten, informalen (Lauzen, 1995, S. 190; Segev, 1977, S. 5) ad-hoc Beobachtung bzw. dem Abtasten 1
Vgl. Weigand und Buchner (2000, S. 17). „The difficulty of predicting multiple areas of change seems to preclude the use of a limited formal forecasting technique, and suggests instead the necessity of a broad, informal process of scanning.“ (Dory und Lord, 1970, S. 22) 2
130
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
(Hambrick, 1981b, S. 299) (bzw. Aufmerksamkeit (Simon, 1986, S. 178) und Sensitivität (Camillus und Datta, 1991, S. 73)) und Rastern (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 175) der (sozio-ökonomischen) Umwelt. Ihr Ziel ist es, Trends in noch nicht erkannten und/oder bereits beobachteten Umweltbereichen zu ermitteln („dynamische Umweltanalyse“ (vgl. Hammer, 1992, S. 254) oder „360-Grad-Radar“ (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 175)). „...scanning is the first link in the chain of perceptions and actions that permit an organization to adapt to its environment“ (Jennings und Lumpkin, 1992, S. 791)3 . Der Hauptzweck des Scanning-Schrittes ist die schnelle Informationssuche (Thomas et al., 1993, S. 240; Dutton et al., 1983, S. 309). Sie soll helfen, früh auf Informationen oder Hinweise zu stoßen, die im Laufe der Zeit, oder durch Kumulation, Hinweise auf zukünftige Veränderungen, d.h. Chancen oder Bedrohungen, geben (Jackson und Dutton, 1988, S. 1988): „such a device [screening procedure] should be intuitively simple and appealing...as well as capable of being performed relatively quickly.“ (Thomas, 1982, S. 227). Beim Scanning sind für die Suche keine Indikatoren vorhanden, es kann sogar unbewusst stattfinden (Kiesler und Sproull, 1982, S. 555)4 . Die Quellen der Informationen5 sind somit unspezifisch und erfordern eine weit gerichtete Suche, auch ohne Anhaltspunkte und außerhalb der vorher definierten Beobachtungsbereiche, um schwache Signale aufzufangen (Camillus und Datta, 1991, S. 69)6 . Scanning wird mit einer Mikrobetrachtung gleichgesetzt, d.h. bezieht sich auf die individuelle Wahrnehmung von Individuen: „How do individual managers get information about their environment“ (Stubbart, 1982, S. 140) und wird als passiv bezeichnet (Day und Schoemaker, 2007, S. 21). Reinhardt (1984, S. 29) folgert demnach, dass Scanning sehr individuell ist, sich an den individuellen Interessen von Einzelpersonen anlehnt und eher kurzfristig ausgerichtet ist. In der Literatur wird angemerkt, dass diese Art der Informationssuche noch wenig Beachtung gefunden hat (Kiesler und Sproull, 1982, S. 555). Wurden Informationen durch Scanning ermittelt, schließt sich im linearen Modell der nächste Schritt des Monitorings an. Denn „ein wahrgenommenes Signal ist ... noch lange nicht ein erfaßtes“ (Müller, 1981, S. 170). Wie jedoch später diskutiert wird, muss der Prozess nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge und mit der gleichen Intensität ablaufen. 3 Aguilar (1967) bezog die Suche hauptsächlich auf die externe Umwelt. Auch Fahey und King (1977, S. 61) betonten die äußere Beobachtung der generellen Umwelt und der Aufgabenumwelt des Unternehmens. Wie allerdings Thomas et al. (1993, S. 241) anführen, ist es ebenso wichtig, die interne Organisationsumwelt zu kennen, um Veränderungen abschätzen zu können (Garg et al., 2003; Day und Schoemaker, 2005; McGee und Sawyerr, 2003). 4 Scanning zeichnet sich überdies durch eine informale Aufmerksamkeit aus (Lyles, 1987, S. 264). 5 Simon (1986, S. 171f) unterscheidet in vier wesentliche Informationsquellen: 1. verbale Informationen aus Gesprächen mit Stakeholdern oder Experten/innen, 2. schriftliche Informationen, 3. Spionage im Sinne von Konkurrentenbeobachtungen und 4. Prognoserechnungen im Rahmen von Management-InformationsSystemen. Die Art und Bestimmung der Informationsquellen obliegt der Akzeptanz im Top-Management, dem Ausmaß der Umweltturbulenz, der Branchengröße, den informellen Informationskanälen, usw.. 6 Müller (1981, S. 169) schlägt die Medienanalyse als ein Instrument zur Erkennung vor, die allerdings durch den häufig fehlenden Konkretisierungsgrad für Unternehmen alleine nicht anwendbar ist.
14.1. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A1
14.1.2
131
Das rationale Monitoring: konkretisieren und dokumentieren
Monitoring bedeutet eine vertiefte, dauerhaftere, formale (Lauzen, 1995, S. 190; Segev, 1977, S. 12) und gerichtete Suche über die bereits im Scanning ermittelten Trends. D.h. es gibt schon gewisse Ziele oder Vorstellungen über die zu beobachteten Bereiche (Kiesler und Sproull, 1982, S. 555). Diese Art der Suche wird als Makrosicht verstanden, d.h. „what organizational units and systems gather environmental data and how is it used“ (Stubbart, 1982, S. 140). Es ist im Gegensatz zum Scanning aktiv, d.h. auf eine spezielle Frage ausgerichtet (Day und Schoemaker, 2007, S. 21). Das Monitoring ist systematischer, fokussierter und strukturierter. Die Informationsstruktur des schwachen Signales aus dem Scanning soll erhöht werden (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 176). Simon (1986, S. 179) weist darauf hin, dass Signale aus dem Monitoring leichter zu interpretieren sind, da diese aus einem eindeutigen Beobachtungsfeld stammen und keine ungewisse Einzelsignale wie beim Scanning darstellen. Oft wird Monitoring durch Organisationseinheiten und speziell beauftragte Personen oder Funktionen (Fahey und King, 1977, S. 70; Stubbart, 1982, S. 139; Engledow und Lenz, 1985, S. 94f) durchgeführt und methodisch7 unterstützt. Segev (1977, S. 12) verspricht durch die kontinuierliche und systematische Suche eine größere Erfolgschance bei der Aufdeckung „blinder Flecken“. Lauzen (1995, S. 187) folgert, dass Organisationen mit formalen Monitoringsystemen eine größere Anzahl an ’issues’ für kürzere Zeitperioden beobachten als Organisationen mit informalen Systemen. Ein wichtiger zweiter Schritt ist die Erfassung und Dokumentation, d.h. Speicherung der schwachen Signale („Signaldokumentation“) für die spätere Verdichtung der Daten und das Herausfinden von Zusammenhängen („Assoziationsfähigkeit“) (Müller, 1981, S. 171)8 . Es wird grob geprüft, ob neu erfasste Signale bestehende Signale verstärken (Hammer, 1992, S. 254). Durch den Rückgriff auf bereits dokumentierte Erkenntnisse kann Zeit gewonnen werden. Überdies ermöglicht die Dokumentation eine Überwachung (Simon, 1986, S. 207) und es kann zu einem späteren Zeitpunkt auf bereits verworfene Aspekte zurückgeblickt werden (Recyclingfunktion).
14.1.3
Scanning vs. Monitoring
Filterfunktionen kommen beim zweiten Schritt des Monitorings eher zum Tragen als beim Scanning, um nicht vorschnell wichtige aber noch unstrukturierte Signale auszuschließen (Müller, 1981, S. 173). Die Anforderungen an Instrumente und beteiligte Personen un7 8
Für weitere Ausführungen vgl. Klein und Newman (1980), Aaker (1983) oder Jain (1984, S. 125). Hierbei können unter anderem die Informationen verschiedenen Umweltbereichen zugeordnet werden.
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
132
terscheiden sich ebenfalls zwischen Scanning und Monitoring. So fasst Wilson (19839 in Liebl, 1991, S. 13) zusammen: „Monitoring requires meticulous aggregation and analysis of details, while scanning puts a high premium on intuition, ’sixth sense’, and pattern recognition“. Beim Scanning sollen schwache Signale „erfühlt“ werden. Daher stehen hier Intuition und ein ganzheitlicher Zugang im Vordergrund (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 176). Das Monitoring hingegen verlangt ein analytisches Vorgehen, um in den Folgeschritten den Chancen- oder Bedrohungscharakter feststellen zu können. Ressourcen, persönliche Fähigkeiten sowie finanzielle und persönliche Einsatzbereitschaft bestimmen das Ausmaß und den Einsatz von Scanning und Monitoring. Wiedmann (1984, S. 49) und Camillus und Datta (1991) sprechen sich für eine Kombination der gerichteten und ungerichteten Suche aus. Die ungerichtete Suche erfasst Informationen aus bislang nicht berücksichtigten Gebieten. Bei der gerichteten Suche ist der Vorgang formalisiert und standardisiert. Die Kombination beider Vorgänge versucht, möglichst viele Stellen zu beachten (d.h. Einbeziehung aller Mitarbeiter/innen), verschiedenste Methoden und Modelle zum Einsatz zu bringen, wahrgenommene Signale und Änderungen von mehreren Seiten aus zu betrachten (d.h. verschiedenste Meinungen und Quellen zuzulassen) und Experimente und Offenheit zu erlauben (Wiedmann, 1984, S. 49f)10 .
14.2
Rationalität versus Intuition in der Phase ASSESSMENT „...the hard facts go only so far, and then human judgment is needed to
interpret the findings and determine their relevance for the future.“ (Barnes Jr., 1984, S. 129) „Information alone is not sufficient; the process of interpretation must also be sound because it is the interpretation of a certain piece of information that leads decision makers to classify it as a signal rather than noise.“ (Lampel und Shapira, 2001, S. 601) Die zweite Phase des SFA-Prozesses umfasst Bewertungs- und Interpretationsvorgänge. Die Interpretation von wahrgenommenen Signalen und Themenbereichen basiert auf den jeweiligen Erfahrungen der Interpretierenden. Je nach Fachgebiet, Alter und Unternehmenszugehörigkeit werden die Themen anders benannt und interpretiert (Lyles, 1987, S. 266). Themen wie Sensibilität und Verständnis für Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge 9 Wilson, I.: The Benefits of Environmental Analysis; in Albert, K. J.: The Strategic Management Handbook, New York, 1983. 10 Wiedmann (1984, S. 50) spricht in diesem Zusammenhang von einem systematischen Lernprozess.
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
133
nehmen in der zweiten Phase einen hohen Stellenwert ein und können den Verlauf des SFA-Prozesses maßgeblich beeinflussen. In der Literatur finden sich zwei Strömungen: die intuitive (oder automatische) ’strategic issue diagnosis’ (SID) und die rationale (aktive) ’strategic issue analysis’ (SIA)(Dutton, 1993, S. 340 ). Diese beiden Strömungen unterscheiden sich im Ausmaß der Informationsverarbeitungskapazität. Die intuitive Ausrichtung benötigt weniger Verarbeitungskapazitäten. Sie ermöglicht es, kurze, wirksame und ressourcenschonende Rezepte anzuwenden. Hilfreich sind Kategorisierungen (Stubbart, 1989), d.h. bereits bestehende Kategorien aus der Vergangenheit werden – wie ein Rezept – zur Diagnose eines neuen ’issues’ herangezogen. Die rationale Ausprägung richtet sich auf eine bewusste, intendierte und aufwändigere Informationssuche und -analyse. Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 93) treffen eine ähnliche Unterscheidung wie Dutton (1993). Sie gruppieren die bestehende Literatur in zwei Lager: in den intuitiven T-OAnsatz (’threat-opportunity-approach’) und den analytischen F-U-Ansatz (’feasibilityurgency-approach’). Der T-O-Ansatz basiert – ähnlich wie die SID – auf der sozialen Kategorisierungstheorie11 . Er zeichnet sich durch ein automatisches und affektives Vorgehen aus. Der F-U-Ansatz basiert auf der sozialen Konstruktionstheorie12 und hat aktive und bewusste Charakteristika. Alle vier Ansätze werden im Folgenden kurz vorgestellt.
14.2.1
Der SID-Ansatz „Diagnosis need not be a formal, explicit routine.“ (Mintzberg et al., 1976,
S. 254) Autoren/innen beschäftigen sich im Zusammenhang mit der zweiten Phase des SFAProzesses mit der Thematik der „strategic issue diagnosis“ (Dutton et al., 1983; Dutton, 1993; Dutton und Duncan, 1987). Unter strategic issue diagnosis (SID) verstehen Dutton et al. (1983, S. 308) „those actitivities and processes by which data and stimuli are translated into focused issues (i.e. attention organizing acts [= triggering]) and the issues explored (i.e. acts of interpretation).“ „Strategic issue diagnosis describes the individual-level, cognitive process through which decision-makers form interpretations about organizational events, developments and trends“ und die Auswirkungen auf die folgenden Aktivitäten (Dutton, 1993, S. 339; Dutton et al., 1989, S. 380). Damit wird wiederum dem rationalen Entscheiden – mit seinem aktiven, bewussten und intendierten Verhalten – eine Absage erteilt. Der Prozess ähnelt einem generellen Entscheidungsvorgehen, allerdings wird in diesem Zusammenhang der Terminus des ’issues’ betont. Der Grund dafür ist, dass der Prozess noch keinen Status einer Entscheidungssituation aufweist, vor allem auf Grund der 11 12
„social categorization theory“ (Julian et al., 2008) „social construction theory“ (Julian et al., 2008)
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
134
Charakteristika schwacher Signale. Entscheidungsalternativen müssen sich nämlich erst bilden. Die SID ist emergent, dynamisch und subjektiv (Dutton und Duncan, 1987, S. 280) und beruht auf Interpretationen und Einschätzungen. Die Informationen und Daten der schwachen Signale müssen zuerst mit Bedeutung gefüllt werden. In dieser Phase findet auch das „framing“, das „labeling“ (Thomas und McDaniel, 1990) oder die Kategorisierung (Stubbart, 1989, S. 332; vgl. Cantor et al. (1982); Rosch und Mervis (1975); Tversky und Hemenway (1983); Mervis und Rosch (1981)) des ’issues’ statt, also die Einschätzung, ob es sich um eine Chance oder um eine Bedrohung handelt (Dutton et al., 1983, S. 308). SID ermöglicht es schlussendlich, die betroffenen Personen von ihren kognitiven, informationsbedingten und ideologischen Limitierungen zu befreien. Außerdem bestimmt dieser Prozess, welche Personen in weiterer Folge involviert werden, welche Rollen diese spielen, welche Ressourcen und welches Ausmaß an Ressourcen benötigt werden und wie die Reaktion darauf gestaltet werden wird (Dutton, 1993, S. 339; Snow, 1976). 14.2.1.1
SID-Faktoren
Dutton et al. (1983, S. 310) strukturieren die Inhalte und den Prozess der SID übersichtlich in einem Input-, Prozess- und Outputmodell (siehe Tabelle 14.2). Deshalb wird ihr Modell kurz vorgestellt.
Abbildung 14.2: SID-Prozessmodell
14.2.1.1.1
Input
Die Inputfaktoren sind oftmals konfliktäre und widersprüchliche Signale, und bedingen deshalb eine Interpretation. Individuen verwenden existierende interpretierende Schemata (Augoustinos et al., 2006, S. 68ff) oder erfinden neue, wie kognitive Landkarten, politische Interessen oder spezifische Charakteristika der ’issues’, um schwache Signale in neue Informationen zu verwandeln (Dutton et al., 1983, S. 310). Kognitive Landkarten sind „a representation of concepts and beliefs held by individuals.... They provide the lens through which individuals view the world.“ (Dutton et al., 1983, S. 310). Sie
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
135
bestehen einerseits aus Konzepten, die es Individuen ermöglichen, Daten zu kategorisieren und zu aggregieren. Andererseits beinhalten diese Landkarten das Verständnis von Ursache-Wirkungszusammenhängen, welche Konzepte miteinander verbinden und deren Beziehungen beschreiben. Kognitive Landkarten sind in der SID unumgänglich, da sie einen ordnenden und fokussierenden Einfluss ausüben. „The interpretive lens of a cognitive map selects certain aspects of an issue as important, ignores others, and links them to certain actions or consequences“ (Dutton et al., 1983, S. 311). Werden Individuen deshalb mit den gleichen Sachverhalten und Informationen konfrontiert, so interpretieren sie diese auf Grund ihrer kognitiven Landkarten sehr unterschiedlich (vgl. Abschnitt „Interne Einflusspersonen“ auf Seite 219). Als zweites Inputelement nennen die Autoren/innen politische Interessen als Möglichkeit von Individuen, ihre Meinung äußern zu können, andere Personen zu beeinflussen bzw. zu manipulieren und Ressourcen beabsichtigt zuzuweisen. Auch andere Autoren/innen weisen auf politische Aspekte in der Assessmentphase hin (Bansal, 2003, S. 514). Dazu zählen interne Interessenslagen und Machtverteilungen, welche ebenfalls den Prozess der SFA beeinflussen (Liebl, 1991, S. 22). Unter politischen Prozessen subsumiert Scholl (1992b, S. 1993) Machtaufbau, Machtstrategien, Konflikte und divergierende Interessen. In der Literatur ist oftmals von „issue selling“ (Dutton et al., 1997; Dutton und Ashford, 1993)13 die Rede. Dies inkludiert Überzeugungs- und Beeinflussungsaktivitäten in Hinblick auf strategische ’issues’ und Themen (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ auf Seite 248). „...issue selling is a critical process in the early stages of decision making (i.e., in issue identification)“ (Dutton et al., 1997, S. 408). Eine Hauptrolle spielen dabei die mittleren Manager/innen, indem sie Informationen in einer gewissen Art und Weise an das Top-Management herantragen und filtern (Informationskapazität des Top-Managements) (Dutton et al., 1997). Der Hintergrundgedanke ist, dass nur jene Themen (und damit auch schwache Signale) Beachtung finden, die in die „Organisationsagenda“ aufgenommen werden (Bansal, 2003, S. 511). Die Agenda beinhaltet jene Themen, die eine kollektive und koordinierte Aufmerksamkeit durch das Top-Management erhalten, legitimiert werden und damit Ressourcen zugewiesen bekommen (Bansal, 2003, S. 517). Somit versuchen Individuen, die für sie wichtigen Themen optimal zu verpacken und zum richtigen Zeitpunkt durch die richtigen Personen an die Unternehmensspitze zu verkaufen. Oftmals werden die Unternehmenskultur, die Unternehmensziele und -pläne zu den politischen Variablen im SFA-Prozess gezählt (Bansal, 2003, S. 510). Als letztes Inputelement nennen Dutton et al. (1983, S. 311) die Charakteristiken der ’issues’. Je nach Ausgestaltung der ’issues’ kann der Informationsbedarf oder die Motivation der Entscheidungsträger beeinflusst werden. So macht es einen großen Unterschied, ob Informationen erhältlich und konsistent sind oder nicht. Sind beide Voraussetzungen 13 Maitlis (2005, S. 22) spricht von „sensegiving efforts of others“, d.h. die Beeinflussung von z.B. Führungskräften durch andere Mitarbeiter/innen.
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
136
nicht gegeben, so ist die Entscheidungssituation von großer Unsicherheit geprägt und erfordert eine erhöhte Informationssuche und eine geringe Partizipationsrate (Dutton et al., 1983, S. 311).
14.2.1.1.2
Prozess
Unter den Prozesscharakteristiken verstehen Dutton et al. (1983, S. 312) jene Prozesse, die Entscheidungsträger bei der Behandlung bzw. Diagnose von strategischen ’issues’ anwenden. Dazu zählen „recursiveness“, „retroductivity“ und „heterarchy“, wobei sich die ersten beiden Charakteristika auf das Individuum beziehen und letzteres die Interaktion in einer Gruppe beschreibt. ’Recursiveness’ ist der dynamische Prozess der Interpretation und Uminterpretation von Meinungen und Ansichten. Erste Eindrücke verändern sich im Zeitablauf, wenn neue Informationen gefiltert und aufgenommen werden. Bestehendes wird verworfen oder verformt. Interpretationen und Informationssuche sind interaktiv und beeinflussen sich gegenseitig. Daher folgt, dass „the process of data interpretaton is not as systematic, sequential and unidirectional as might be inferred from purely rational, analytical descriptions of decision making“ (Dutton et al., 1983, S. 312). Um die wahrgenommenen Daten zu verstehen, bedient sich das Individuum deduktiver und induktiver Denkmodelle (’retroductivity’ bezeichnet demnach den Mix dieser beiden). Es bildet Hypothesen, von denen Ergebnisse abgeleitet werden (= deduktiv). Zudem ermöglichen diese Denkmodelle es dem Individuum, Ergebnisse aus einer vagen und undefinierten Datenmenge abzuleiten (= induktiv) um Zusammenhänge offen zu legen. ’Heterarchy’ verdeutlicht, dass ’issues’ bzw. schwache Signale nicht nur von einem Individuum diagnostiziert werden, sondern durch verschiedenste kognitive Landkarten und Weltverständnisse, politische Interessen und ’issue’-Charakteristika geprägt sind. Dies bedeutet, dass die unterschiedlichsten Interpretationen und Uminterpretationen in Organisationen stattfinden. ’Heterarchy’ verdeutlicht die Kollision zwischen den verschiedenen Meinungen und Interpretationen. An dieser Stelle lassen sich Überlegungen zur Wahrnehmungsbeschränkung und erfassbaren Wirklichkeit eingegliedern. Simon (1986, S. 137) bezeichnet Wahrnehmung als Grundlage des „Erkennens“, denn sie dient dazu, sich in einer neuen Umgebung schnell zurechtzufinden und das Wichtige herauszufiltern. Wahrnehmung14 von ’issues’ geschieht durch Interpretationsprozesse und den Einsatz von Schemata15 und – wie bereits erwähnt – kognitiven Landkarten („cognitive maps“ (Stubbart, 1989, S. 330)). Vor allem in einer turbulenten Umwelt, in der es um den Prozess des „evaluating uncertainty“ (Barnes Jr., 1984, S. 129) geht, werden diese kognitiven Muster (z.B. Heuristiken) eingesetzt, welche ungewisse und ungewollte Aus14
Vgl. auch Luhmann, 2005. D.h. Datenstrukturen im Gedächtnis, welche das Wissen über Konzepte speichern (Dutton und Jackson, 1987, S. 78). 15
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
137
wirkungen haben können16 . Somit werden in weiterer Folge einige wichtige Informationsmuster, -strategien und -verzerrungen im gesamten Frühaufklärungsprozess zusammengefasst (weitere Ausführungen vgl. Simon, 1986, S. 137ff; Hogarth und Makridakis, 1981, S. 117ff): • Activation: – Selektive Wahrnehmung ∗ Selektion, d.h. die Aufnahme von einem kleinen Teil der bestehenden Reize (in Zusammenhang mit der Art und Intensität des Signals und unbefriedigten Bedürfnissen (Rieser, 1980, S. 118)) und damit der Wahl der bestehenden schwachen Signale (Dutton und Jackson, 1987, S. 77). ∗ Generell der Einfluss von Erwartungen und Erfahrungen auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung, welche als Wahrnehmungsfilter – im Sinne eines „inneren Modells“ (Rieser, 1980, S. 128) – wirken17 . ∗ Adaptionen, d.h. Ignorieren bzw. Ausfiltern von gleichbleibenden Reizen, wie bei Hintergrundgeräuschen. ∗ Die Unternehmenskultur und die strategische Grundhaltung und Ausrichtung des Unternehmens beeinflussen ebenso den Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess (offensive vs. defensive Grundhaltung). – Datenpräsentation (Hogarth und Makridakis, 1981, S. 118) ∗ Ordnungseffekte, d.h. manchmal wird das erste Signal gegenüber den folgenden überbewertet, andererseits kann das letzte wahrgenommene Signal die höchste Bedeutung bekommen. ∗ Art der Daten (quantitativ vs. qualitativ). • Assessment: – Bedeutungsordnungen, d.h. die Einordnung und Kategorisierung (Augoustinos et al., 2006, S. 29) von neuen Eindrücken in bestehende Erfahrungen, welche durch persönliche Interessen und Einstellungen geprägt ist. Damit werden den wahrgenommenen Informationen Bedeutungsinhalte gegeben, die Komplexität reduziert (Dutton und Jackson, 1987, S. 78) und Probleme gelöst (Stubbart, 1989, S. 332). Als Kategorien werden kognitive Gruppierungen von Objekten oder Ereignissen, die ähnliche Charakteristika aufweisen, bezeichnet (Thomas et al., 1993, S. 241). Kategorien werden durch die Vergabe von sprachlichen Bezeichnungen („labels“ wie Chance oder Bedrohung) gebildet (Bansal, 2003). 16 Barnes Jr. (1984) und Schwenk (1984) fassen die möglichen Fehler bzw. Heuristiken in Gruppen „ judgemental bias“ und „overconfidence“ zusammen. 17 Fromm (1967 in Simon, 1986, S. 145) unterscheidet dabei in die Filter „Sprache, Logik und Tabus“.
138
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG Diese „labels“ bestimmen die folgende Wahrnehmung, die Informationsverarbeitungsprozesse, die Kommunikation und die daraus resultierenden Aktionen (Dutton und Jackson, 1987, S. 77). – Verdichtungen, um den Informationsüberschuss vorzeitig an die begrenzte Informationskapazität anzupassen. Aufgaben der Verdichtung sieht Liebl (1991, S. 14ff) in der Prognose und Bestimmung des zukünftigen Verlaufes der einzelnen Trends („alternative Zukünfte“) und der Suche von Zusammenhängen zwischen den Trends. Endresultat ist die Schaffung von Trendlandschaften („patterns“, „issue mapping“, „cross-impact-Verfahren“ (vgl. Simon, 1986, S. 131)), also die Erkennung von Systemzusammenhängen, Auswirkungen und die Aggregation einer großen Menge an Informationen (für nähere Details siehe Liebl, 1991, S. 15f)18 . – Priorisierung, d.h. es wird den einzelnen Tatbeständen eine Wichtigkeitskomponente zugeteilt (Simon, 1986, S. 183). – Umgestaltungen der eingehenden Informationen, z.B. durch Kontrastverstärkungen, Umdeutungen, Gewichtungen,... – Aufgrund des geringen Konkretisierungs- und Kenntnisgrades werden beim Auftauchen neuerer Informationen ältere Informationen modifiziert, ins Gegenteil uminterpretiert oder bekommen eine neue Bedeutung. „Für die Interpretationsaufgabe ergibt sich daraus, daß die zeitliche Reihenfolge, in der die Daten bzw. Informationen in den Analyseprozeß Eingang finden, die Wahrnehmung der an diesem Prozeß beteiligten Individuen und dadurch auch die nachfolgenden Suchprozesse maßgeblich beeinflußt.“ (Liebl, 1991, S. 22). Es kann aber auch zu einem „confirmatory bias“ kommen. Dies bedeutet, dass die ursprüngliche Bedeutung an Wichtigkeit zunimmt, auch wenn neue und gegenläufige Informationen auftreten (Dutton und Jackson, 1987, S. 81). – Matching, d.h. neuartige Signale, für die keine Interpretation oder Lösung aus der Erfahrung vorliegen, werden vernachlässigt (Rieser, 1980, S. 120). – Diskontierung, d.h. zeitlich nahe Signale werden zeitlich entfernten Signalen vorgezogen und haben eine erhöhte Bedeutung. Das Denken und Handeln in der Gegenwart wird zu Lasten der Zukunft überbetont (Rieser, 1980, S. 119). – Heuristiken: Einsatz von Heuristiken um den Aufwand zu reduzieren, wie z.B. Gewohnheiten, „rules of thumb“, „anchoring“, „law of small numbers“ (d.h. von kleinen Gruppen wird auf die Grundgesamtheit geschlossen), usw.
18 Krystek und Müller-Stewens (1993, S. 188f) bieten Details für die Erfassung von Trendmeldungen an, möglich durch die Speicherung in PC-Systemen und der Verdichtung (ein sehr Software-betonter Blickwinkel).
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
139
• Action: – Illusion of control, d.h. das Individuum glaubt, Kontrolle über eine unsichere Situation zu haben, z.B. mit Hilfe von Planungsmethoden und Vorhersagemechanismen. – Wishful thinking: Die Erwartung eines spezifischen Ergebnisses beeinflusst die nachgeschaltete Bewertung der Situation. – Hindsight bias: Unerklärbare Geschehnisse der Vergangenheit sind in der Gegenwart nicht überraschend und erklärbar. – Erinnerungsfehler: Gedächtnislücken werden durch „logisches“ Denken geschlossen. Dieser Vorgang reproduziert nicht immer das wirklich Vorgefallene. – Attributionstheorie: Erfolg wird dem eigenen Verhalten und Handeln gutgeschrieben, Misserfolg den Umweltfaktoren. Besonders die Interpretations- und Kategorisierungsphase spielt im SFA-Prozess eine große Rolle, da sie unweigerlich Informationen betitelt, einsortiert und demnach auch Chancen oder Bedrohungen zuordnet (siehe Abschnitt „Der ’T-O-approach’“ 14.2.2).
14.2.1.1.3
Output
Zuletzt führen Dutton et al. (1983, S. 315) die Ergebnisvariablen, d.h. Outputvariablen, auf individueller und organisationaler Ebene an: „assumptions“, „cause-effect understandings“, „predictive judgements“ und „language and labels“. Da Individuen Daten interpretieren, bilden sie Vermutungen (= ’assumptions’) in Bezug auf die Daten heraus. „...assumptions may be defined as premises, conditions, events or attributes that are or must be taken as ’given’ or true by any individual or group in exploring an issue“ (Dutton et al., 1983, S. 315). Vermutungen bilden somit die wahrgenommene und akzeptierte Weltansicht der Individuen ab, abgeleitet aus den kognitiven Landkarten und politischen Aktionen. Handelt es sich um ein sehr unstrukturiertes und komplexes Thema, bestehen mehr Vermutungen als bei einem klaren und sicheren ’issue’. ’Cause-effect understandings’ bezeichnet die Verknüpfungen und Zusammenhänge von Konzepten und Ereignissen, d.h. sie sind kognitive Landkarten in Bezug auf ein spezielles ’issue’. ’Assumptions’ und ’cause-effect understandings’ leiten Folgeaktionen und Interpretationen der Individuen. Beide Ergebnisvariablen finden ihren Ausdruck in ’predictive judgements’, d.h. Bewertungen eines ’issues’ hinsichtlich dessen zukünftiger Entwicklung (Auswirkungen, Eintrittszeitpunkt,...). Dutton et al. (1983, S. 316) führen ’language and labels’ als Ergebnis des SID-Prozesses ein. Diese Benennungen reflektieren das Verständnis des ’issues’ aus Sicht der Individuen und haben eine wichtige Symbolfunktion (Liebl, 1991, S.
140
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
21)19 . Thomas und McDaniel (1990, S. 289) führen die quantitative Informationsmenge auf, die Organisationsmitglieder in einer speziellen Situation suchen und benutzen. Je höher diese Informationsmenge, umso besser verstehen die Mitglieder die Situation. Auch die Benennung (’labeling’) des Sachverhalts hat symbolische Aussagekraft und wirkt sich auf das Verhalten, die Kommunikation und schließlich auf die Reaktion aus (Thomas und McDaniel, 1990, S. 288) (vgl. Abschnitt „Kommunikation“ auf Seite 254). So sind z.B. die Aktivitäten bei der Informationssuche, die Menge der Alternativstrategien, die personellen Kompetenzen und die Ressourcenzuweisungen (personell und materiell) stark davon abhängig, ob ein ’issue’ als Chance oder Bedrohung wahrgenommen wird (Liebl, 1991, S. 22). „The intervening process between labeling of an environmental event and the responses of an organization is long and complex. It encompasses cognitive and affective responses, individual behaviours, and social interactions. Interpretations of new information and diagnosis of old information follow from cognitive assumptions and motivations set when an issue is first diagnosed by decision makers.“ (Dutton und Jackson, 1987, S. 85). Individuen in Organisationen schreiben auftretenden schwachen Signalen oder ’issues’ implizit Bedeutung zu und treffen somit eine Wahl aus der Fülle der vorhandenen objektiven Themen und Signale („issue sorting“) (Dutton et al., 1989, S. 379f). Dutton et al. (1989) haben in einer Literaturstudie und anschließenden empirischen Untersuchung die Dimensionen von ’issues’ (also die inhaltliche Komponente) untersucht, die Entscheidungsträger (oder sogenannte „issue jugglers“) diesen zuordnen und damit deren Handlungen beeinflussen. Sie unterschieden dabei in analytische (z.B. Bedrohung, Chance oder Krise) und inhaltliche Charakteristika (Typ, z.B. ökonomisch, ökologisch,...), Aktionen auf ’issues’ (z.B. Kontrollierbarkeit, Durchführbarkeit) und Dimensionen der Ursachen von ’issues’ (z.B. Initiator/in des ’issues’). Jene Dimensionen, die einen rationalen Zugang postulieren, wie z.B. der Zeitdruck oder ökonomische Argumente (wie Kostenaspekte), wurden in der Literatur am häufigsten genannt (Dutton et al., 1989, S. 384). Auf der anderen Seite finden sich jedoch emotionalere Aspekte wie die Benennung als Chance oder Bedrohung wieder. Die Autoren/innen zeigen in ihren Empiriestudien das Fehlen der in der Literatur benannten rationalen Dimensionen auf: „The absence of ... these dimensions in the present study brings into question the role of economic rationality as a basis for issue identification. Caution thus appears to be warranted when assuming that decision-makers sort issues on rational criteria“ (Dutton et al., 1989, S. 390). Diese Untersuchung zeigte, dass die in der Theorie überbetonte rationale Seite sich in der Praxis nur mäßig widerspiegelt.
19 Symbole sind Reize, die für den Menschen eine erlernte Bedeutung und einen Wert besitzen (Crott, 1979, S. 26).
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
14.2.2
141
Der ’T-O-approach’
Strategische ’issues’ werden in diesem Ansatz entweder als Bedrohung oder Chance kategorisiert und beeinflussen damit die Folgereaktionen (Stubbart, 1989, S. 332). Der TO-Ansatz konzentriert sich auf automatische und affektive Prozesse (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 441), wie Interpretationen, Kategorien, kognitive „Abkürzungen“ und emotionale Einschätzungen20 . Er zeichnet sich somit durch seine Schnelligkeit und einen sparsamen (kognitiven) Ressourcenverbrauch aus (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 94). 14.2.2.1
Chance und Bedrohung (bzw. Gefahr oder Risiko)21
„...es werden Chancen verpaßt, die heute zu nutzen sind, um den Erfolg von morgen zu gewährleisten.“ (Wiedmann, 1984, S. 103) Grundsätzlich gibt es in der Literatur einige Versuche, Chancen und Bedrohungen zu definieren (Simon, 1986, S. 151). Wie bereits erwähnt, weisen schwache Signale beim ersten Erkennen kein eindeutig erkennbares Chancen- oder Bedrohungespotenzial auf. Erst im weiteren Verlauf des Frühaufklärungsprozesses wird die jeweilige Ausprägung spürbar. Oftmals kann man erst im Nachhinein feststellen, ob es sich um eine Chance oder eine Bedrohung gehandelt hat22 . Trotzdem argumentiert Simon (1986, S. 152), dass Chancen und Risiken unterschiedlich wahrgenommen werden. So verstärken sich Risiken im Zeitablauf und werden spürbar – sie lassen sich leichter dramatisieren und bekommen einen höheren Aufmerksamkeitsgrad; verpasste Chancen hingegen müssen nicht unbedingt auf das Unternehmen einwirken. Die interne Unternehmenswelt – durch ihre Ideologie und Struktur (und Stärken und Schwächen) – weist den ’issues’ einen Bedrohungs- oder Chancencharakter zu (Dutton und Jackson, 1987, S. 77). Überdies werden die beiden Konstrukte oftmals anhand anderer Kriterien erfasst. Stärken werden mit Hilfe historischer Kriterien wie Erfahrung, Budgets usw. festgemacht, während Schwächen nur durch normative Kriterien ermittelt werden (z.B. Meinungen von Außenstehenden, Literatur,...). Überdies können Chancen schwerer aufgefunden werden, da diese meist in völlig neuen Beobachtungsbereichen zu finden sind, während Risiken in bestehenden Bereichen auftauchen23 . Chance und Bedrohung haben jeweils einzigartige Charakteristika (entnommen aus der Literatur, vgl. Jackson und Dutton, 1988; Thomas und McDaniel, 1990; Dutton und Jackson, 1987). Chancen weisen einen klaren positiven Ton auf, während Bedrohungen mit negativen Merkmalen in Verbindung gebracht werden. Dieser Aspekt hat natürlich 20 ...wie „heiß“ oder „kalt“ ein spezielles ’issue’ ist (Dutton und Jackson, 1987, S. 79; Julian und OforiDankwa, 2008, S. 94). 21 In der Literatur wird je nach Autor/in noch in die Kategorie „Probleme“ unterschieden (Thomas und McDaniel, 1990, S. 288; Lyles, 1987). 22 Deshalb wird in der Empirie eine ex-post Betrachtung eingenommen, um im Nachhinein defininiv eine Chance definieren zu können und den dazugehörigen Prozess zu analysieren. 23 Simon (1986, S. 152) weist darauf hin, dass Chancen daher eher im innovativen und intuitiven Bereich angesiedelt sind, während Bedrohungen sich der Analytik bedienen.
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
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Auswirkungen auf den Prozess, der sich mit der Handhabung von ’issues’ befasst (Jackson und Dutton, 1988, S. 384). Interessant ist auch die Meinung von Fredrickson (1985, S. 823), dass Chancen intuitiv genutzt werden und Risiken rational: „People often assume that opportunities, with their favorable connotations, can simply be exploited.“ 14.2.2.2
Chance
„Eine Chance als solche zu erkennen ist der erste Schritt zur Innovation. Es scheint keineswegs ein leichter Schritt zu sein...“ (Schlicksupp, 1988, S. 30) Definitionen des Chancenbegriffs in der Literatur stellen sich oftmals als problematisch heraus. So wird der Begriff der Chance fälschlicherweise mit „Zielübererreichung“ in Zusammenhang gebracht (Simon, 1986, S. 151). Chancen haben jedoch eher etwas mit dem Erkennen von Erfolgsfaktoren24 und dem Aufbau und der Sicherung von Erfolgspotenzialen25 zu tun (Liebl, 1991, S. 44f). Sie stellen somit eine besondere Art von ’strategic issues’ dar. Eine Chance zeichnet sich durch folgende Punkte aus: • positive Assoziation • mögliches Gewinnen (und kein Verlust) • Entscheidung und Lösung sind wahrscheinlich • die Mittel um das ’issue’ zu lösen sind gegeben • die Autonomie, um das ’issue’ zu bearbeiten, ist vorhanden • die Wahlmöglichkeit, ob gehandelt werden soll ist für den Manager/die Managerin offen • der/die Verantwortliche fühlt sich für die Aufgabe qualifiziert. „For opportunity, feelings of control seem to derive from perceived autonomy about how to respond and freedom to choose whether to respond, access to resources or means for resolving the issue, and feelings of personal competence“ (Jackson und Dutton, 1988, S. 384)26 . 24 Erfolgsfaktoren werden als jene Faktoren defininiert, die „maßgeblich den Erfolg einer Geschäftseinheit oder eines Unternehmes am Markt bestimmen“ und konzentrieren sich nur auf strategisch relevante Aspekte (Liebl, 1991, S. 44). Die Problematik der Informationsüberlastung wird mit diesem Konzept umgangen. Die alleinige Konzentration auf Erfolgsfaktoren wird jedoch als nicht erfolgversprechend angesehen (z.B. geringe theoretische Fundierung und ad hoc Charakter; (Liebl, 1991, S. 44f)). Deshalb wird der Fokus in der vorliegenden Arbeit auf Chancen gelegt. 25 D.h. zukünftige Erfolgsmöglichkeiten, auch in Bezug zum Abgleich von Stärken und Schwächen bzw. Chancen und Risiken (Liebl, 1991, S. 46). 26 Selten sprechen Autoren/innen auch vom Begriff des Chancenmanagements (z.B. Schlicksupp, 1988, S. 123). Der Begriff und das Tätigkeitsfeld des Risikomanagements wird jedoch oftmals diskutiert.
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2 14.2.2.3
143
Bedrohung
Im Gegensatz dazu wird eine Bedrohung mit folgenden Eigenschaften in Zusammenhang gebracht: • möglicher Verlust (und kein Gewinn aus dem ’issue’) • persönlicher Verlust durch die Reaktion auf das ’issue’ • andere Personen hemmen die Aktionen und Manager/innen fühlen sich unterqualifiziert: „For threat, feelings of low control seem to derive from the perception that one’s actions will be constrained by others and feelings of low personal competence“ (Jackson und Dutton, 1988, S. 384). Entscheidungsträger erkennen und interpretieren Risiken und Chancen unterschiedlich. Auch kann das selbe ’issue’ für einen Manager/eine Managerin eher ein Risiko darstellen, für einen/eine andere/n eine Chance. Worin liegt nun die konkrete Verbindung mit der Intuition? Bei den Ausführungen zur Intuition sind einige wichtige Hinweise gefallen, um auf die in der Literatur angesprochene SID zurückschließen zu können. So spielen Emotionen eine große Rolle, ebenso wie der Prozess der Kategorisierung (holistische Assoziationen) (Dane und Pratt, 2007, S. 37ff). „A (...) characteristic of intuiting is that it involves a process in which environmental stimuli are matched with some deeply held (nonconscious) category, pattern, or feature.“ (Dane und Pratt, 2007, S. 37). Dieser Prozess der Interpretation bzw. Kategorisierung ist tief in der SID verwurzelt. Die besondere Ausprägung findet sie im T-O-Ansatz. Chancen und Risiken, die diesem Ansatz zu Grunde liegen, werden mit emotionalen Zuständen in Zusammenhang gebracht und mit kognitiven Produkten, wie Heuristiken oder Schemata, verschmolzen.
14.2.3
Kritik der intuitiven Ansätze im Assessment
Kritisch zu hinterfragen sind die angesprochenen Wahrnehmungs- und Interpretationsfehler der SID. In Anlehnung an Dutton et al. (1983) spielen kognitive Elemente nicht nur in der Phase der Diagnose und Evaluation eine entscheidende Rolle. Schwache Signale werden schon beim Erkennen nicht objektiv aufgenommen. Sie sind nicht eindeutig und damit selbsterklärend, da sie meist nicht aus starr abgrenzbaren Beobachtungsbereichen stammen und sich durch große Unsicherheit und ein niedriges Aggregationsniveau auszeichnen. Somit kann einem Signal nicht mehr nur eine Ursache zugeschrieben werden (Simon, 1986, S. 136). „Andererseits wird eine Beurteilbarkeit der Meldungen des Systems verlangt, also ein Bezug zu den bisherigen Orientierungsgrundlagen, sodaß Aufbereitungen, Interpretationen und Selektionen aufgrund von Erfahrungen, Einstellungen und Zukunftsperspektiven, zu Lageerfassung mehr Gewicht erhalten.“ (Simon, 1986, S.
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
144
136). Nach Khatri und Ng (2000, S. 61) ist Intuition trotzdem nicht per Definition fehlerhaft: „if intuitive synthesis suffers from biases or errors, so does rational anaylsis.“
14.2.4
Der SIA-Ansatz
Ansoff (1980, S. 133; 1975) prägte den Begriff der ’strategic issue analysis’ (vgl. King, 1982). Er subsumiert darunter die Analyse der Auswirkung (’impact’), die Reaktion auf signifikante Veränderungen und präsentiert unter anderem logische und rationale Modelle zur Evaluierung schwacher Signale (z.B. Forecasting-Methoden (Ansoff, 1975, S. 22)). Die SIA lässt sich in folgende Einzelschritte untergliedern: 1. Erforschung der Ursachen und Auslöser schwacher Signale, 2. Analyse der Zusammenhänge27 , 3. umfassende Bewertung und Evaluierung der bisherigen Informationen und 4. Prognose der Auswirkungen auf das Unternehmen (Ansoff, 1980, S. 133; Müller, 1981, S. 160; Hammer, 1992, S. 253).28 Die Ergebnisse dieser Schritte (die durch Sensorensysteme, Ursachenanalyse, Prognosesysteme usw. begleitet werden können), sind: • Die strategische Relevanz der Veränderung für das Unternehmen darstellen, d.h. die Wichtigkeit des betroffenen Bereiches durch die Veränderung festlegen (Simon, 1986, S. 193). • Das Ausmaß festlegen, welches sich durch die strategische Relevanz ableiten lässt. • Den Bedrohungs- oder Chancenaspekt durch bewusstes logisches Denken herausfinden (im Gegensatz zur intuitiven Vorgehensweise des SID Ansatzes): Die SIA befasst sich einerseits mit Unternehmenssignalen (Außenorientierung) und andererseits mit strategischen Vorteilen, also Stärken bzw. Schwächen des Unternehmens (Innenorientierung), um dessen Handlungsfähigkeit zu ermitteln (Glueck (1980 in Simon, 1986, S. 88)). Somit können Leistungs- und Chancendefizite festgestellt werden, die den Handlungsspielraum für Innovationen eröffnen (Tushman und O’Reilly, 27 Glueck (1980 in Simon, 1986, S. 85) definiert Analyse und Diagnose in einer etwas anderen Form. Diese sollen nur vollständigkeitshalber aufgeführt werden. Die Analyse dient als Feststellung der stattfindenden Änderungen und der Identifikation der Quellen jener Änderungen. Die anschließende Diagnose bewertet die durchgeführte Analyse und versucht, Handlungen abzuleiten, sowie den Chancen- oder Bedrohungscharakter festzustellen. 28 Dieser lineare Prozess kann allerdings oftmals nicht beibehalten werden bzw. überschneiden sich Teilbereiche und -tätigkeiten miteinander. Auch in der Literatur werden die Begriffe wie Analyse, Diagnose oder Bewertung bunt gemischt und unterschiedlich verwendet.
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
145
1997, S. 71ff). Leistungsdefizite werden durch die Gegenüberstellung von der aktuellen zur angestrebten Unternehmensleistung eruiert. Dies führt zur Darstellung von Problemkreisen. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist allerdings die Feststellung von Chancendefiziten. Diese Analyse ist vor allem für Unternehmen von Bedeutung, die sich in keiner momentanen Krise befinden und trotzdem durch den Blick in die Zukunft mögliche Chancen frühzeitig erkennen wollen. „Kreative Spannungen“ verhindern das Festhalten am Status quo und gewohnten Abläufen, welche zu sinkenden Unternehmensleistungen führen (Tushman und O’Reilly, 1997, S. 75). „Zusammenfassend kann jedes Verfahren für die Signaldiagnose als geeignet angesehen werden, welches die Zusammenhänge der Systemdynamik zu erhellen mag“ (Müller, 1981, S. 176). Auch diese Dimension schlägt sich auf die strategische Relevanz und das Ausmaß nieder. • Die Dringlichkeit, also die zeitliche Komponente29 konkretisieren. • Die Eintrittswahrscheinlichkeit herausfinden30 (vgl. Rieser, 1980, S. 38). Diese Dimensionen zeichnen sich durch hohe Aggregation und Abstraktion aus. Da Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen Relevanz, Ausmaß und Chancen/Gefahren-Charakter bestehen, und sie sich untereinander bedingen, spricht Simon (1986, S. 193) zusammenfassend von einer „Betroffenheit des Unternehmens“. Kombiniert man diese Betroffenheit mit der Dringlichkeit, so betont dies die Wichtigkeit der Diskontinuität bzw. des schwachen Signals für die Unternehmen. Um Auswirkungen auf das Unternehmen abschätzen zu können, bedient man sich in der Literatur verschiedenster Methoden (Liebl, 1991, S. 17). Zur SIA werden traditionelle analysezentrierte Programme gezählt (Wiedmann, 1984, S. 63), d.h. sie umfasst die systematische Auswertung von Informationen. Neben einer ersten groben und subjektiven Relevanzbeurteilung (Hammer, 1992, S. 253; Müller, 1981, S. 209ff) folgt eine „intersubjektive, nachvollziehbare Einstufung der Relevanz frühaufklärender Informationen“ (Hammer, 1992, S. 257f) durch verschiedenste Werkzeuge, wie z.B. Diskontinuitätenbefragungen31 , Portfolioanalysen (z.B. Wiedmann, 1984, S. 64) oder die Konstruktion von Chancen- und Risikozufallsbereichen32 . Dazu zählen auch die „cross-impact-Analyse“ 33 , der „eurequip 29 Sie ergibt sich somit aus der Entwicklungsgesschwindigkeit und der zeitlichen Entfernung des Signals (Simon, 1986, S. 194). 30 D.h. je höher die Auftrittswahrscheinlichkeit ist und je gravierender die Auswirkungen auf das Unternehmen, umso dringender ist das Signal für das Unternehmen. 31 Dies umfasst die Konkretisierung und Beurteilung des schwachen Signals mit Hilfe von Experten/innen und deren Intuition um ein relativ homogenes Bild zu erlangen (auch „probability-impact Anayse“ genanngt) (Liebl, 1991, S. 19). 32 Diese Methode ist ein mathematisch-statistisches Verfahren zur Feststellung und Darstellung von Bereichen. 33 Diese Methode versucht Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Ereignissen zu eruieren (vgl. für nähere Ausführungen Müller, 1981; Schlange und Jüttner, 1997).
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
146
matrix approach“ 34 und die Niederschrift der „Issue Agenda“ 35 (Liebl, 1991, S. 17). Einfachere Methoden sind z.B. Checklisten oder Gewinn-Kosten-Analysen (Sánchez und Pérez, 2004, S. 18). Ähnlich aufgebaut wie die SIA ist der F-U-Ansatz, der dem T-O- Ansatz gegenübersteht.
14.2.5
’F-U-approach’
Dieser Ansatz ist – wie die SIA – mit mehr Aufwand verbunden. Er charakterisiert einen bewussten und beabsichtigten Evaluierungsprozess und benötigt ein höheres Maß an analytischen Fähigkeiten (sowohl in der Suche und Analyse von Informationen und die Generierung von Alternativen). Er bedient sich zusätzlich mehrere Methoden (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 93). Damit ist auch eine feinere Einstufung der strategischen ’issues’ – nicht „nur“ in Chancen und Bedrohungen – verbunden (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 96). Dutton und Duncan (1987, S. 283) sprechen sich für eine Bewertung hinsichtlich der beiden Dimensionen „feasibility“ (Umsetzbarkeit) und „urgency“ (Dringlichkeit) aus. Die Beschäftigung und Bestimmung dieser beiden Dimensionen bedingt nach Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 96) eine bewusste Auseinandersetzung und eine große Informationsbasis. ’Feasibility’ beschäftigt sich mit dem Verstehen von Zusammenhängen, Alternativen und den Mitteln, um erfolgreiche Antwortreaktionen zu initiieren. ’Urgency’ hingegen bestimmt, wie schnell eine Antwortreaktion benötigt wird. Beide Dimensionen verlangen daher „rational consideration and executives’ mental models“ (Julian und OforiDankwa, 2008, S. 96). 14.2.5.1
’Urgency’
„Urgency captures the perceived importance of taking action on an issue“, d.h. die wahrgenommenen Kosten, die entstehen, wenn eine Bedrohung nicht behandelt oder eine Chance nicht genutzt wird. Die ’issues’ werden durch kausale Analysen ausfindig gemacht (Dutton und Duncan, 1987, S. 284). Umso größer und höher sich ’urgency’ gestaltet, um so eher wird eine Aktion gesetzt. Dieser Druck zu handeln entsteht nach Dutton und Duncan (1987, S. 283) durch die Forderungen der Stakeholder auf organisationaler Ebene und durch den persönlichen Druck der Entscheider/innen zu handeln. Dabei wird ’urgency’ durch das Bedrohungsausmaß des ’issues’ auf die Existenz der dominanten Koalition beschrieben. Die dahinter stehenden Dimensionen sind (Dutton und Duncan, 1987, S. 283f): • Zeitdruck, welcher durch Fristabläufe und gesetzte Endtermine, sowie die wahrgenommene Dauer und das Bestehen des ’issues’ entsteht (d.h. dauert ein ’issue’ über längere Zeit an, so wird es als dringender empfunden). 34 D.h. die Gegenüberstellung von Stärken und Schwächen den Chancen und Bedrohungen (Ansoff, 1980, S. 145). 35 Eine strategische Prioritätenliste.
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
147
• ’Visibility’, d.h. Sichtbarkeit (Öffentlichkeit) des ’issues’ für interne und externe Beobachter/innen und Gruppen (d.h. umso öffentlicher ein ’issue’ ist, desto dringender ist es). • ’Responsibility’, d.h. wie sehr sich Entscheider/innen für ein auftretendes ’issue’ verantwortlich fühlen. Dies resultiert aus dem Glauben der Entscheider/innen, dass die Organisation sich des ’issues’ annehmen muss, oder aus dem individuellen Verantwortungsbewusstsein des Entscheiders/der Entscheiderin. • Unbewusste Faktoren wie Medieninteresse, historische Begebenheiten wie Routinen,... „The output of the urgency assessment process is a subjective interpretation of the perceived need to change the organization in some way to resolve the apparent discrepancy“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 284), wie zum Beispiel die Ergreifung einer Innovationschance. 14.2.5.2
’Feasibility’
Als zweite Dimension nennen Dutton und Duncan (1987) „feasibility of taking action“, welche durch die Subdimensionen „perceived issue understanding“ und „perceived issue capability“ geformt wird. ’Perceived issue understanding’ ist die Möglichkeit der Entscheider/innen, die Mittel zur Behandlung des ’issues’, herauszufinden. ’Perceived issue capability’ bezieht sich auf die Einschätzung, ob die Mittel zur Behandlung des ’issues’ zugänglich und verfügbar sind. Beide Dimensionen sind unabhängig davon, ob bereits Alternativen oder Optionen zur Verfügung stehen, d.h. eig-
Abbildung 14.3: ’Feasibility’Matrix
nen sich besonders für die Charakteristika eines Strategischen Frühaufklärungskonzeptes. Spannt man die beiden Dimensionen in einer Matrix auf, dann ergibt sich das Bild in Abbildung 14.3. In der ersten Zelle (I) wissen Entscheider/innen weder um die Mittel, um das ’issue’ zu behandeln, noch sind diese vorhanden. Das ’issue’ stellt eine aussichtslose Situation dar und wird nach Dutton und Duncan (1987, S. 285) als Bedrohung interpretiert. In der zweiten Zelle (II) wissen die Entscheider/innen, wie sie das ’issue’ lösen können, verfügen allerdings nicht über die notwendigen Ressourcen. Sind die nötigen Ressourcen vorhanden, allerdings
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
148
nicht das Wissen, wie das ’issue’ behandelt werden soll, können Entscheider/innen ebenfalls nicht handeln (Zelle III) und interpretieren das ’issue’ als ungewiss und unklar. In der vierten Zelle (IV) wird das ’issue’ als umsetzbar – und daher als Chance – angesehen. D.h. je größer die Dimension ’feasibility’ ist, desto eher wird es zu einer Veränderung kommen. 14.2.5.3
’Feasibility’ und ’urgency’ Beide Dimensionen zusammengefasst ergeben das Ausmaß, in dem sich ein Unternehmung einer Veränderung unterzieht (von inkrementell in Zelle I und II bis radikal in Zelle IV, siehe Abbildung 14.4). Daraus ist ersichtlich, dass mit steigender ’feasibility’ und ’urgency’, kostenintensivere und risikoreichere Varianten der Veränderung (Zelle IV), wie z.B. Innovationen eingegangen werden: „these latter types of
Abbildung 14.4: ’FeasibilityUrgency’ Matrix
changes represent fundamental innovations to the organizations initiating them“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 286). Ginsberg
und Venkatraman (1995) zeigen in einer empirischen Studie überdies, dass hohe ’feasibility’ und ’urgency’ in Bezug auf eine technologische Neuerung zu einer Erhöhung der adaptiven Kompetenzen in einer Unternehmung führen und schließlich in Kollaborationen endet. 14.2.5.4
Kritik der rationalen Ansätze im Assessment
Die rationalen Ansätze werden – wie die intuitiven – in der Literatur kritisiert. King (1982) zeigt auf, dass für eine rationale Analyse bereits genaue Informationen vorhanden sein müssen. Ist dies nicht der Fall, kann das strategische Thema nicht in Einzelthemen aufgegliedert und näher analysiert werden. Das von King (1982, S. 47) angebotene Modell ermöglicht es, „to specify the issue clearly and to provide access to data concerning the various constituent elements of the issue.“ Camillus und Datta (1991, S. 67) hingegen unterstreichen den Einsatz von ’strategic issue management’, um schwache Signale in turbulenten Umwelten feststellen zu können. Die Argumentation der Autoren bezieht sich auf ein Definitionsverständigungsproblem. Einige von ihnen verstehen unter ’strategic issues’ alleine Themen, die auf das Unternehmen Druck ausüben und diese zum Handeln zwingen. Es ist der Blick weniger auf schwache Signale und das rechtzeitige Erkennen von Themen ausgerichtet, als vielmehr auf die Analyse von klaren Themen, also starken Signalen. Dies ist wiederum ein Indiz dafür, dass zwar das Gebiet ständig weiterentwickelt
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
149
wurde, aber die Begriffe unscharf verwendet werden. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb der SIA-Ansatz in der Anwendung von schwachen strategischen Signalen verstanden, nicht als Analyseinstrument von starken Signalen: „...issues are not always obvious or easily identifiable and analysing them, can therefore, prove to be an uphill task.“ (Camillus und Datta, 1991, S. 67). Dutton et al. (1989, S. 383) untersuchen in einer artikelübergreifenden Studie, welche ’issues’ in der Literatur behandelt werden. ’Issues’ können unter anderem eine analytische Dimension aufweisen. Allerdings konnten sie kaum solche ’issues’ vorfinden und resumieren: „The abscence....in the present study brings into question the role of economic rationality as a basis for issue identification. Caution thus appears to be warranted when assuming that decision-makers sort issues on rational criteria.“(Dutton et al., 1989, S. 390). Ansoff (1975, S. 21) argumentiert, dass Unternehmen auf Probleme stießen, da sie keine Vorhersage- oder Planungssysteme hatten. Er widerlegt sein Argument jedoch kurz darauf: „modern planning technology does not insure against surprises“. Überraschend ist jedoch, dass er im gleichen Artikel den Einsatz anderer Methoden und Werkzeuge vorschlägt: „such discontinuities can be anticipated by available forecasting techniques“ (Ansoff, 1975, S. 22). Die Frage ist daher, kann man die rationale Vorgehensweise kritisieren und kurz darauf selbst rationale Werkzeuge zur Verfügung stellen? Auch Eisenhardt (1989b, S. 556) kommt zu dem Schluss, dass schnelle Entscheidungen nicht unbedingt weniger Alternativen und Bewertungsvorgänge umfassen, sondern stellt sogar das Gegenteil fest. Sie führt dies darauf zurück, dass Alternativen isoliert kaum bewertet werden können, sondern erst im Vergleich miteinander eine bessere Bewertungsgrundlage liefern (Eisenhardt, 1989b, S. 558). Sind mehr Alternativen vorhanden, so kann auch schneller zwischen ihnen gewechselt werden, wenn z.B. negative Informationen betreffend einer Alternative auftauchen. Die Anzahl an Alternativen sagt auch nichts über die Tiefe der Bewertung aus, lässt somit keine Rückschlüsse auf die Entscheidungsschnelligkeit zu.
14.2.6
SID (und T-O-Ansatz) vs. SIA (und F-U-Ansatz)
Bestimmte Situationen verlangen eher die Anwendung einer intuitiven Vorgehensweise denn einer rationalen (Dutton, 1993). SID ist umso besser anwendbar, je • bekannter ein ’issue’ ist („issue familiarity“ 36 ) (Dutton, 1993, S. 343). Dies lässt Rückschlüsse auf Erfahrungen zu (vgl. Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229). 36
D.h. funktionaler Hintergrund einer Person, Stellung und Häufigkeit der Themenbehandlung.
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
150
• relevanter das ’issue’ für eine Person ist – da die Person z.B. involviert ist (Dutton, 1993, S. 344) (vgl. Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229). • stärker die positive oder negative Bewertung eines ’issue’ ausfällt (Dutton, 1993, S. 345). • größer der Zeitdruck ist (Dutton, 1993, S. 346). • größer die Informationsmenge ist (Dutton, 1993, S. 347). • größer die Spezialisierung und die Routinisierung ist (Dutton, 1993, S. 348). Der Einsatz von Intuition oder Rationalität ist somit situationsabhängig. Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 111) fassen die beiden Ansätze (T-O- und F-U- Ansatz) in Tabelle 14.1 prägnant zusammen:
Underlying Theory Primary Orientation SID Process Seminal Representations Component Concepts
Threat-opportunity Social categorization
Feasibility-urgency Social construction
More affective
More deliberate
Automatic Dutton und Jackson (1987) Jackson und Dutton (1988) Gain-loss Positive- negative Controllability
Active Dutton und Duncan (1987) Understanding-feasibility Capability-feasibility Importance-urgency Time pressure-urgency
Tabelle 14.1: T-O und F-U Frameworks Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 94) stellen fest, dass der T-O-Ansatz in der Literatur häufiger zur Anwendung kommt und daher den dominanten Ansatz in der Literatur darstellt (z.B. Chattopadhyay et al., 2001), während der F-U-Ansatz seit 1995 nur einmal in einer Forschungsarbeit (Ginsberg und Venkatraman, 1995) zitiert wurde. Trotzdem zeigte sich der F-U-Ansatz in dieser einen Betrachtung als gültiger Prädikator von Antwortreaktionen auf strategische ’issues’. Beide Autoren/innen plädieren für den vermehrten Einsatz dieses Ansatzes (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 440). In der Literatur wird die Kombination beider Prozesse – wie bereits an anderer Stelle näher ausgeführt – immer wieder betont. So kombinieren Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 109) beide Prozessarten im F-U-I-Prozess. „Models containing both active and automatic processing are likely to prove superior to those focusing on automatic processing alone“ (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 110). Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 111) haben beide Ansätze (in der Präzisierung des T-O und des F-U-Ansatzes) näher ausgeführt und gegenübergestellt. Sie erweitern die Gegensatzpaare und kombinieren beide Sichtweisen zu
14.2. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A2
151
einem F-U-I-Ansatz, der Komponenten des intuitiven und rationalen Verhaltens inkludiert (siehe erweiterte Tabelle 14.2). Abgeleitet haben die Autoren das Motivations-Modell von Vroom (1964) und seinem EIV-Modell, d.h. expectancy-instrumentality-valence-Modell (Erwartung, Instrumentalität und Valenz). Diese drei Komponenten umfassen sowohl bewusste als auch unbewusste Aspekte. ’Expectancy’ steht für die Erwartung, dass Anstrengungen zu einem bestimmten Erfolg führen, d.h. dass eine subjektiv wahrgenommene Eintretenswahrscheinlichkeit eines Ergebnisses vorliegt. ’Instrumentality’ bezeichnet die Wahrscheinlichkeit dass eine Leistung ein bestimmtes Ergebnis bewirkt. Zuletzt bemisst Valenz den Wert dieses Ergebnisses, d.h. wie wichtig oder wünschenswert die Folgen einer Leistung für das Individuum sind (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 99). Das Modell wurde nach Meinung von Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 99) bereits in vorhergegangenen Studien in der SID verwendet und sie merken an, dass „we propose that the EIV approach is particularly appropriate for integrating TO and FU“. Als besonderen Grund nennen sie die Kombination aus affektivem und automatischem sowie aktivem und bewusstem Verhalten innerhalb des Modells. Erwartung und Instrumentalität stellen somit individuelle Wahrscheinlichkeitsberechnungen mit bewussten Evaluationen dar, vermischt mit affektiven und subjektiven Gefühlen hinsichtlich eines speziellen Ergebnisses (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 100).
Underlying Theory Primary Orientation SID Process Seminal Representations Component Concepts
Threatopportunity Social categorization
Feasibilityurgency Social construction
More affective
More deliberate
Automatic
Active
Dutton und Jackson (1987) Jackson und Dutton (1988) Gain-loss Positive- negative Controllability
Dutton und Duncan (1987)
Understandingfeasibility Capability-feasibility Importance-urgency Time pressure-urgency
Favorabilityurgency-influence Motivation (EIV) theory Both affective/deliberate Both automatic/active Chen und Miller (1994)
Available-influence Anticipated gain-favorability
Tabelle 14.2: Erweiterung der T-O und F-U Frameworks Diese Kombination lässt sich auf den individuellen SFA-Prozess übertragen. So verbindet die Literatur meist beide Arten in der Phase Activation, betonen also zuerst ein Scanning mit anschließendem Monitoring (z.B. Welge und Al-Laham, 2003). Auch in der Assessmentphase kann zeitlich die SID mit intuitiven und affektiven Interpretationen vor den
KAPITEL 14. THEORETISCHE CHARAKTERISIERUNG
152
SIA- und Analyseprozess vorgeschaltet sein, bzw. passiert dies in der Praxis unbewusst. Es werden somit zumeist beide Arten – rational und intuitiv – in einer Mischform auftreten. Interessant ist nun allerdings, ob sich GU und MU in der Ausprägung unterscheiden und ob davon gelernt werden kann. Denn Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 109) stellten in ihrer Forschung eine Überlegenheit des F-U-Ansatzes über den T-O-Ansatz als Vorhersage von intendiertem und tatsächlichem Verhalten fest, obwohl zweiterer häufiger untersucht und in seiner Wichtigkeit betont wurde (Dutton, 1993). Sie betonen somit die Überlegenheit von aktivem und bewusstem Arbeiten über das Phänomen der Intuition. Überdies bieten sie eine Verknüpfung beider Prozesse an (der F-U-I-Ansatz) und schreiben diesem eine Vorrangstellung gegenüber dem F-U- und dem T-O-Ansatz zu (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 110). Sie resumieren: „These research findings have several important implications for theory and practice. First, our study suggests that SID researchers should not focus on automatic processing to the exclusion of more deliberate models and that research using FU-related approaches should be utilized to a greater degree by SID researchers. Second, our finding that TO and FU are correlated points to the need for SID researchers to engange in more integrative research. Third, (...) researchers and managers [should] begin to explore a broader, more integrative approach to SID based on motivation theory.“ (Julian und Ofori-Dankwa, 2008, S. 110).
14.3
Rationalität versus Intuition in der Phase ACTION
Wie bereits erwähnt, umfasst dieser Schritt das Gebiet der Lernprozesse (Daft und Weick, 1984, S. 286). Lernen wird in der Literatur unterschiedlich definiert, z.B. als Aneignung von Wissen, als Informationsverbreitung oder als Interpretation von Informationen (Huber, 1991, S. 88). Lernen involviert grundsätzlich das Aneignen von Neuem („exploration“) sowie die Anwendung des Gelernten („exploitation“) (Crossan et al., 1999, S. 523). Werden Chancen wahrgenommen und genutzt, entsteht daraus z.B. eine Produktinnovation, d.h. etwas Neues. Wird aus dieser Produktinnovation gelernt, z.B. aus Fehlern oder aus der Wahrnehmung von förderlichen Faktoren, so ist die zweite Ausgestaltung von Lernen angesprochen. Beide Arten treten im SFA-Prozess auf, wenn auch nicht nötigerweise als dritter, linearer und von den anderen abgetrennter Teilschritt. Lernen passiert zwischen und in den einzelnen Prozessphasen A1 und A2, ist jedoch aus Übersichtlichkeitsgründen separat dargestellt. Es wird angenommen, dass erst durch das Durchleben der ersten Prozessphasen auch aus ihnen gelernt werden kann, explizit oder implizit. Lernen ermöglicht Veränderung (Gioia und Chittipeddi, 1991). Unternehmen lernen, indem sie den SFA-Prozess durchlaufen und damit zu neuen Wahrnehmungsbereichen oder Interpretationen kommen (Fiol, 1994, S. 403), bzw. ihre Inter-
14.3. RATIONALITÄT VS. INTUITION IN A3
153
pretationsfehler explizit machen (Blanco und Lesca, 1998). Lernen geschieht dann, wenn Personen versuchen, die Verbindungen zwischen ihren Aktionen und den Resultaten und den Umwelteinflüssen zu verstehen (Lant und Milliken, 1992, S. 587) bzw. ihr Verhalten an Erfahrungen anzupassen (Martins und Kambil, 1999, S. 653). Vergangene Erfolge oder Misserfolge prägen die kognitiven Strukturen der Involvierten (Martins und Kambil, 1999, S. 653). Lernen impliziert damit ein Hinterfragen des Geschehenen und das Aufdecken von Verbesserungspotenzialen bzw. Erfolgsfaktoren. Lernen basiert auf Erfahrung (Thomas et al., 1997, S. 309). Auch die befragten Unternehmen streichen Veränderungspotenzial heraus. Lernen wird oft als bewusster und analytischer Prozess verstanden (Crossan et al., 1999, S. 526). Gegen diese Annahme argumentieren andere Autoren/innen, die den Prozess komplexer und unbewusster verstehen: „...learning need not be conscious or intentional...“ (Huber, 1991, S. 89). Es gibt zwei Arten von Wissen (implizites und explizites) und verschiedene Arten dieses zu vermitteln bzw. zu lernen (Nonaka, 1991; Nonaka und Takeuchi, 1997; Steinmann und Schreyögg, 2000), sei es durch das Studium von Dokumenten oder das eigene Erleben („learning-by-doing“). Das Resultat des Lernens muss nicht unmittelbar eine neue Verhaltensweise sein, sondern kann auch zu impliziten, neuen Einsichten führen. Auch Dane und Pratt (2007, S. 43) sehen Lernen als Möglichkeit an, „to developing the schemas that underlie accurate intuitive judgments.“. Lernen unterstützt damit die erfolgreiche Anwendung von intuitiven Prozessen. Dies wird unter anderem durch Wiederholung, Feedback und Dauerhaftigkeit verstärkt.
Kapitel 15 Die befragten Unternehmen im Prozessmodell Die Phase Activation befasst sich mit dem Erkennen des schwachen Signals. Daher werden in einem ersten Schritt die schwachen Signale der Unternehmen bzw. deren Quellen zusammengefasst. In den nächsten Kapiteln werden alle zwölf Unternehmen in das Prozessmodell eingegliedert. Um die Eingliederung zu verstehen, werden vorab die wichtigsten Kriterien kurz zusammengefasst. Dies ist wichtig, da die Ausführungen aus der Literatur – wie oben besprochen – oft nicht direkt auf die Unternehmen übertragen werden können bzw. die Informationen schwer erkennbar sind.
15.1
Verständnis von Rationalität und Intuition
In den folgenden Abschnitten wird das Rationalitäts- und Intuitionsverständnis der befragten Unternehmen genauer definiert. Diese Definitionen ermöglichen es, die jeweilige Ausprägung der Prozessart (Intuition vs. Rationalität) feststellen zu können. Abschließend wird aufgezeigt, wie sich die Unternehmen selbst subjektiv in Bezug auf Rationalität und Intuition einschätzen.
15.1.1
Das Rationalitätsverständnis der befragten Unternehmen
Die Rationalität wird in der vorliegenden Arbeit auf der Basis folgender Aspekte untersucht: • die in den Unternehmen eingesetzten formalen Methoden (vgl. Müller, 1981, S. 85; Dutton und Ottensmeyer, 1987, S. 356) und Programme • die institutionalisierten Abteilungen oder besetzten Funkionen (organisatorische Ausgestaltung)
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
155
• die rationalen Ausprägungen, wie Dokumentationen oder Verschriftlichung • die analytischen Vorgänge, wie Bewertungen (Formalisierung (Daft und Noe, 2001, S. 523; Wally und Baum, 1994, S. 938))1 . Die Abbildung auf dieser Seite verdeutlicht die Zusammenhänge und die hierarchischen Aufspaltungen der Begriffe Konzept, Modell, System, Methode, Technik oder Werkzeug (vgl. Seghezzi et al., 2007).
Abbildung 15.1: Rationalitätsdefinitionen Konzepte sind abstrakte Vorstellungen oder Denkgebäude, z.B. Total Quality Management oder Qualitätsverbesserung. Will man ein Konzept in der Realität einsetzten, so bedarf es eines Systems (= eines realen Gebildes, wie z.B. ISO Standards). Als Zwischenglied zwischen Konzept und System ist das Modell zwischengeschaltet: „Betriebswirtschaftliche Modelle bilden die Realität ab, gestatten jedoch in der Regel selten eine quantitative Umsetzung.“ (Seghezzi et al., 2007, S. 216). Der Begriff Technik fasst Prozesse und Verfahren zusammen, in denen Werkzeuge, Instrumente, Tools oder Methoden eingesetzt werden (Seghezzi et al., 2007, S. 318). Diese stellen die kleinste Einheit dar und sind konkret anzuwendende Hilfsmittel, wie zum Beispiel Brainstorming oder Strichlisten (Kamiske und Brauer, 2003, 2008). In der Arbeit werden grob Prozesse, die umfassender und komplexer sind (also Systeme im obigen Sinn), und Methoden, Instrumente, Tools und Werkzeuge, d.h. jene kleineren Einheiten, die sich in Systemen wiederfinden können, unterschieden. Die Begriffe für die kleinsten Einheiten werden synonym verwendet. In der Befragung wurde vor allem auf Systeme und Methoden Bezug genommen, die sich mit der Suche nach Informationen und Ideen, der Ideengenerierung, der Ideenbewertung und -analyse auseinandersetzen. Dies sind vor allem standardisierte Ideenfindungsprozesse, Produktentstehungsprozesse, institutionalisiertes Vorschlagswesen und kontinuierliche 1 D.h. systematische Prozeduren bzw. Methoden, die Informationen aufnehmen, bearbeiten, analysieren und bewerten und schließlich zu einem bewussten, logischen und analytischen Urteil führen (Dane und Pratt, 2007, S. 40).
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
156
Verbesserungsprozesse (KVP). Daneben findet man Rationalität in den standardisierten und organisatorischen Ausgestaltungen (z.B. von Innovationsabteilungen, Arbeitskreisen, Marketing- oder Monitoringabteilungen) (vgl. Quinn, 1967, S. 104). Methoden und Werkzeuge sind vielfältig: Ideen- und Wissensdatenbanken, Brainstorming und andere Kreativitätswerkzeuge, Workshops, Treffen und Besprechungen, Ideenspeicher, Bewertungsinstrumente, allgemeine Listen, Simulationen und Versuche, Umfragen, diverse Analysen und Berechnungen, Patentrecherchen, usw. (Gelbmann et al., 2003). Aber „it is possible, then, that prior findings have overemphasized individual rationality and control“ (Bansal, 2003, S. 510). Deshalb wird im nächsten Abschnitt darauf eingegangen, was bei den befragten Unternehmen unter Intuition verstanden wird.
15.1.2
Das Intuitionsverständnis der befragten Unternehmen
„In strategic planning, the hard facts go only so far, and then human judgement is needed to interpret the findings and determine their relevance for the future“ (Barnes Jr., 1984, S. 129) „Sensemaking [= environmental scanning and issue interpretation] allows people to deal with uncertainty and ambiguity by creating rational accounts of the world that enable action.“ (Maitlis, 2005, S. 21) Intuition in Unternehmen festzustellen fällt schwer und gelingt oftmals nur durch ein „Zwischen den Zeilen lesen“, da sich Intuition durch unbewusste Prozesse auszeichnet und die Nicht-Fähigkeit beinhaltet, Aktionen oder Entscheidungen zu begründen: „the outcome...can be difficult to articulate“ (Hodgkinson et al., 2008, S. 4; Hayashi, 2001, S. 60). Als Ausgangspunkt dient das Verständnis dieses Phänomens in den Unternehmen, d.h. wie benennen die befragten Unternehmen das Phänomen der Intuition? Welche Worte gebrauchen sie bzw. wie wird das schwer operationalisierbare Phänomen verstanden? In der Studie wurde erkennbar, dass die Befragten eine Vielzahl an Worten für das Phänomen Intuition verwendeten. Eine intuitive Ausprägung zeigte sich • in Prozessen, die sich keiner Methoden bedienten (KUNSTSTOFF-M-GMBH, ELEKTRO-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, SYSTEM-G-AG, TECHNIK-GGMBH, z.B. keine Dokumentation, keine Formulare,...). • in Prozessen, die keine Systematik aufweisen (KUNSTSTOFF-M-GMBH), bzw. in fehlenden Systemen (PAPIER-G-AG, TEXTIL-G-GMBHa, TEXTIL-G-GMBH, z.B. kein Ideenfindungsprozess). • in Worten – bei MU – wie „Spürsinn“ 2 , „(Vor-)Ahnung“ 3 , „Bauchgefühl“, „Psy2 „Ich weiß nicht, wer den ersten Walkman erfunden hat, aber irgendwer muss einmal drauf gekommen sein, dass der Mensch eigentlich während dem Gehen Musik hören will. Wie das dann technisch aussieht, das ist dann eine Sache von den Technikern.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 3 „Also solche Bedürfnisse über die keiner redet zu erahnen, das ist ja noch schwieriger.“
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
157
chologie“ 4 , „Bauchentscheidungen“, „Unterbewusstsein“ 5 , „Inspiration6 “, „Herantasten“ 7 , „rudimentäre, schnelle Bewertung“, „Emotionen“ 8 . Auch GU benutzten vielseitige Benennungen, wie z.B. „Glück“ (PAPIER-G-AG), „Bauchgefühl“ (MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBHa), „spontane Einfälle“ 9 , „Personenabhängigkeit“ (es „menschelt“ in PAPIER-G-AG, charismatische Firmenleiter in TEXTIL-G-GMBH), „Hausverstand“ (TECHNIK-G-GMBH), „Phantasie“ (TEXTIL-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH), „Gespür“ (TEXTIL-G-GMBH).
15.1.3
Subjektive Einschätzung der Unternehmen
Die erste subjektive Einschätzung legt dar, wie sich die Unternehmen selbst grundsätzlich zwischen Rationalität und Intuition sehen. Dabei werden noch nicht die drei Phasen (A1, A2, A3) berücksichtigt. • Obwohl das Unternehmen KUNSTSTOFF-M-GMBH zögernd berichtet, dass ein gewisser verstärkter Methodeneinsatz sinnvoll sein könnte10 , sieht es insgesamt Intuition als wichtiger an. Der Anteil an Intuition soll sogar noch erhöht werden11 . Methoden sind dem Unternehmen meist fremd und grundsätzlich nur rudimentär vorhanden12 . • Für die ELEKTRO-M-GMBH ist Intuition eher problembehaftet. Gewisse standar(METALLWAREN-M-GMBH) 4 „Grundsätzlich ist Produktentwicklung wirklich so von der Psychologie eigentlich bis zu ...es gibt da eigentlich nichts, was da nicht drinnen ist.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 5 „Aber das heißt für mich nichts anderes, dass man einen Zugang finden sollte bei der ganzen Idee, Problemlösungsfindung, zum Unterbewusstsein.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 6 „...wir können nicht wieder in ein Besprechungszimmer, in so ein gezwungenes...wir müssen einfach einmal uns von der Natur inspirieren lassen und irgendetwas anders machen. Das ist auch sehr gut angekommen, rein dass man weg und abschalten kann von dem Ganzen. Damit man zu diesen Ideen, die man braucht, kommt. Ich glaube, dass es auch nicht möglich ist, das habe ich auch bei den ganzen Meetings schon gesehen, man kreiert zwar sehr viel und wichtig ist dann, dass man dort dann auch weiterarbeitet, dass man das nicht in eine Schublade gibt, das haben wir auch gemacht, aber so richtig erzwingen kann man die Ideen nicht.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 7 „Manchmal ist gar nichts da, außer ein paar Werten und wie das dann mechanisch und optisch und elektrisch ausschaut ist ungewiss. Da versucht man sich halt dann heran zu tasten.“ (ELEKTRONIK-MGMBH) 8 „Also Emotion spielt bei dem Prozess eine Wahnsinnsrolle.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 9 „Und die guten Ideen kommen Ihnen, wenn ich da jetzt vielleicht aus der Tür hinaus gehe, oder wenn ich daheim die Suppe hinein löffle, oder wie auch immer.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH) 10 „...vielleicht wäre es oft sogar schneller also wir sind. Ich meine, Entscheidungen fallen bei uns rasch, aber Fortschritte oft langsam. Weil wir oft, weil wir auf so vielen Kirtagen tanzen.“ (KUNSTSTOFF-MGMBH) 11 „...zu wenig sollte man nicht haben, ich glaube eher mehr wie weniger. Also wir fahren gut damit. Und ich persönlich bin auch überzeugt dass dieses Gefühl eher besser ist.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) 12 Wenn Lösungen benötigt werden, setzt man sich zusammen und ortet die Möglichkeiten. „Nur im konkreten Fall wenn ich sage, jetzt brauchen wir Lösungen, dann setzten wir uns zusammen und dann tragen wir halt alles zusammen was irgendwie sinn- oder nicht sinnvoll ist und schauen ob etwas dabei ist.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH)
158
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN disierte Programme und zahlreiche Methoden kommen in der ELEKTRO-M-GMBH zum Einsatz. Sogar Pläne, Ziele und eine konkrete Struktur13 leiteten die spezielle Produktinnovation14 . • Die METALLWAREN-M-GMBH unterstreicht die Bedeutung und Wichtigkeit der Intuition in der ersten Phase der SFA, dem Sammeln von Ideen, und möchte den Prozentanteil an Intuition sogar noch erhöhen15 . Es wird allerdings betont, dass Rationalität in den folgenden Phasen unumgänglich ist. Rein intuitive Besprechungen – wenn es um Ideenfindung geht – werden als weniger gewinnbringend angesehen16 . So unterstützt das Unternehmen das intuitive, spontane, phantasievolle und freie Sammeln von Ideen. Das weitere Vorgehen ist jedoch von rationaleren Auseinandersetzungen mit den Ideen geprägt17 , z.B. mit der Kombination der Unternehmensstrategie oder Dokumentationsversuchen18 . • Die ELEKTRONIK-M-GMBH befürwortet eine gute Mischung zwischen Methodenarbeit (2/3) und Intuition (1/3). Das Unternehmen will einen vermehrten Methodeneinsatz und ein geplantes Vorgehen19 , allerdings in einem realistischen Rahmen. Auch eine Erhöhung des intuitiven Anteils ist denkbar20 . Deshalb stehen einfache
13 Zur Umsetzung der Idee wurde eine Struktur benötigt, um die wachsende Gruppe erfolgreich leiten zu können: „Und, die Gruppe war so groß, dass wir eine Struktur gebraucht haben.“ (ELEKTRO-M-GMBH) 14 Zielvereinbarungen legten das Ziel, nämlich bei einer Messe präsent zu sein, klar fest. 15 „Aber das mit dem Unterbewusstsein, da ist, meines Erachtens wäre da noch viel drinnen. Ich weiß auch noch nicht, wie ich das richtig handeln soll. Vor allem im Betrieb ist das unmöglich....Und, ich weiß nicht, ob da jetzt Joga helfen würde, aber es gäbe auch so viele Sachen, aber das muss man eigentlich finden.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 16 „Also die ersten Ideen, die da kreiert werden, unter Zeitdruck natürlich, ...diese Ergebnisse lassen sich fast alle vergleichen. Kommt überall fast das Gleiche heraus, egal ob man das eher mit der Verkaufsseite macht oder mit der Technikerseite...wenn man so ein Brainstorming mit Zeit macht. Wenn man dann wirklich nachdenkt, also wenn man dann die zweite Ebene macht und sagt, „ok, jetzt mustern wir alles aus und sagt, ok die fünf Vorschläge sind halbwegs umzusetzen und jetzt denken wir da noch einmal nach“ dann sage ich dann, dass ist die zweite Ebene wo man sagen kann, wenn man da jetzt drüber nachdenkt, da kommen dann schon bessere Vorschläge auch.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 17 D.h. diese Ideen näher zu überdenken und deren Umsetzugsmöglichkeit zu hinterfragen. Die Qualität dieser ersten Ideen sei immer identisch, egal von welchem Personenkreis und eher gering. Der zweite Schritt ist nötig, um zu realistischen Ideen zu gelangen. „Ich glaube dass man bei der Ideenfindung trotzdem zur Ruhe finden muss und dann eine Qualitätsidee ... zum Unterschied zu der Brainstorming-Idee bekommt. Aber da ist es trotzdem wichtig, dass man gezielt dann herangeht und dass man eine Strategie hat und sagt, wo will ich denn hin.“ (METALLWAREN-M-GMBH). „Und die Strategie zwingt einen dann dazu, ok und jetzt gehen wir das Thema an. Und dann denkt man intensiv über das Thema nach, weil sonst „zersprageln“ sich alle Ideen. Jeder denkt über irgendwas nach und es kommt unterm Strich eigentlich gar nichts heraus, als wie wenn alle gemeinsam sagen, ok, das haben wir als Thema und das braucht uns nicht heute einfallen oder morgen, aber das ist unsere Vision, das ist unsere Strategie, da suchen wir Lösungen.“ (METALLWAREN-M-GMBH). 18 In der METALLWAREN-M-GMBH war die Dokumentation der Strategie für die kommenden Jahre ausschlaggebend für die Ideenfindung. „Und so schlummert das dann immer im Kopf und dann haben wir unsere Strategie gemacht ...wo wir unsere nächsten 3-4 Jahre wieder einmal dokumentiert haben ...“ (METALLWAREN-M-GMBH) 19 Ziele, Strategien und Werte sind auch für die ELEKTRONIK-M-GMBH von Bedeutung: „Ja genau, da sind mehrere Pläne hinterlegt...“ (ELEKTRONIK-M-GMBH). 20 „Ja...vielleicht ist ein bisschen mehr Intuition gar nicht schlecht. Aber man muss halt schauen, dass das dann auch realistisch bleibt. Würde mal sagen, stützen die Methoden dann schon wieder einen, dass
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
159
und leicht handhabbare Methoden im Vordergrund. • Intuition und Rationalität befinden sich in der BAUTEIL-M-GMBH in Balance. Man ist mit diesem momentanen Gleichgewicht grundsätzlich zufrieden. Vor allem in den ersten Phasen des SFA-Prozesses nehmen nach Unternehmensaussage das Bauchgefühl, sowie Emotionen bedeutende Rollen ein. Diese werden in späteren Phasen von rationalen Herangehensweisen abgelöst.21 Das Unternehmen tendiert momentan sogar eher zur Rationalität22 . So bedient sich die BAUTEIL-M-GMBH einiger Methoden und Programme, hat einen klaren standardisierten Prozess und eigens dafür zuständige Verantwortlichkeiten für Produktinnovationen. Das Unternehmen betont zwar die Wichtigkeit von Schnelligkeit im Prozess, hat aber eine hohe rationale Ausrichtung (ist „versuchslastig“). Sitzungsdokumentationen sind wichtig. Ebenso versucht man, Objektivität in die Überlegungen miteinfließen zu lassen, um zu Lösungen zu gelangen. • Das Bauchgefühl wird im Unternehmen MASCHINENBAU-G-GMBH in Kombination mit einer rationalen Vorgehensweise (z.B. mit Kundengesprächen) gesehen23 . Die MASCHINENBAU-G-GMBH will den rationaleren Prozess stärken, d.h. die Ideenanzahl soll nicht vermehrt, sondern die bestehenden Ideen sollen vertieft werden24 . Es beschäftigt sich beständig mit dem Prozess und möglichen Verbesserungen. So will es sich in der Zukunft eine Wissensdatenbank – im Zusammenhang mit einer Customer Relationship – aufbauen bzw. Methoden für die erste Phase des Prozesses installieren. • Für die FAHRZEUG-G-AG spielen das Bauchgefühl und die Markttrends eine wichtige Rolle. Der allgemeine Trend geht jedoch Richtung Analytik und einer exakten wissenschaftlichen Bewertung. Intuition hat aber weiterhin einen gewissen Stellenwert. • Für die SYSTEM-G-AG war der Prozess eindeutig von Intuition geprägt (3/4 Inman das richtig bewerten kann.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH) 21 „Ich würde in der allerersten Phase mehr das Bauchgefühl gelten lassen und würde mich dann wieder analytisch zurückziehen und das Ganze ein bisschen runter brechen.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 22 „Nein, das passt schon. Ja ich meine, momentan laufen wir nicht schlecht mit dem Bauchgefühl und dem analytischen Ansatz, den wir haben, aber vielleicht müsste man den analytischen Ansatz dann noch einmal... Aber manchmal wäre es noch wünschenswert, dass man es noch einmal runter bricht, auf eine noch eine tiefere Ebene, aber das ist meistens dann ein Zeitproblem auch.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 23 „Das Bauchgefühl spielt eigentlich eine große Rolle. Wobei für mich ist Bauchgefühl hier jetzt bei der Verwendung schon zusammenhängend mit Bauchgefühl im Sinne, das entsteht durch Kundengespräche, das entsteht durch Beobachtung der Konkurrenz usw.... Das ist vielleicht...dieses Bauchgefühl ist vielleicht ein bisschen ein...determiniertes Gefühl.“ 24 „Es wäre manchmal gescheiter nicht alle Ideen seicht zu behandeln, sondern ein paar tiefer.... teilweise sind diese Ideen die da laufen schon das zweite und das dritte und das vierte Mal da. Und weil es damals eben seicht und beim zweiten Mal auch seicht behandelt wurden, kommen sie immer wieder. Und werden immer wieder seicht behandelt, statt dass man vielleicht einmal sagt, ok, das schauen wir uns jetzt nicht an, weil das haben wir uns eh schon 2-3 Mal angeschaut.“
160
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN tuition)25 . In der SYSTEM-G-AG existiert ganz am Beginn des Prozesses kein bewusst geplanter Methodeneinsatz. Dies hing von den handelnden Personen ab. Die SYSTEM-G-AG wendete bei der speziellen Produktinnovation zwar mehr Intuition an, wünscht sich in Zukunft mehr rationales Vorgehen bzw. eine Balance zwischen Rationalität und Intuition26 : „Also gerade in der jetzigen Zeit würden wir uns sowas nicht mehr leisten können. Ich sage jetzt einmal ein bisschen übertrieben, dass da jemand vor sich hinspinnt und vielleicht wird es etwas oder vielleicht wird es nichts.“ (SYSTEM-G-AG). Als Grund führte das Unternehmen die Wirtschaftskrise auf, welche eine rationalere Vorgehensweise bedingen würde. • Die PAPIER-G-AG wünscht sich einen standardisierten und rationaleren Prozess, der die momentan intuitive und sehr von Menschen abhängige Vorgehensweise ablöst. Dabei ist sich das Unternehmen bewusst, dass das Dilemma Freiheit vs. Regeln noch hohe Ansprüche stellt. Institutionalisierungen sind immer vom Menschen abhängig: die einen (Innovatoren/innen) benötigen Freiraum, andere Regeln. Ein Zuviel an Regeln kann blockierend wirken. • Für die TECHNIK-G-GMBH ist die Unterscheidung zwischen großen Projekten, die standardisiert ablaufen und kleinen Projekten, die intuitiver vonstatten gehen, wichtig. Eine Umorganisation in eine Matrixorganisation wurde durch das stete Wachstum nötig. Für das Unternehmen ist das kritische Hinterfragen und Reflektieren wichtig, denn dies brachte die konkrete Produktinnovation erst hervor. • Die TEXTIL-G-GMBH verbindet Intuition und Rationalität miteinander: „...ohne System geht es nicht, aber das System ersetzt nicht das Denken und die Phantasie“, „das [die intuitiven Vorschläge der Firmenleitung] geht dann oft ohne System“, „es gibt keine systemische Abfrage“ in Verbindung mit Kunden27 . Innovationen sind nach der TEXTIL-G-GMBH nicht ohne Bauchgefühl im Zusammenhang mit rationalen Methodeneinsatz, wie z.B. dem Bewerten, möglich. Das Unternehmen will auch weiterhin die Balance zwischen Intuition und Rationalität forcieren bzw. die Intuition mit Rationalität hinterlegen28 . • Für das Unternehmen ENTWICKLUNGS-G-GMBH ist es wichtig, Innovationen kritisch zu beleuchten und technische Lösungen zu finden. Der Prozess basiert da-
25 „Also wie gesagt, ganz am Anfang war ich nicht dabei, ich bin mir aber ziemlich sicher auf Grund der handelnden Personen, das waren einfach wirklich so innovative Hands-on Typen, ich bin mir sicher, dass da keinerlei Tools verwendet haben.“ (SYSTEM-G-AG) 26 „Also ein bisschen mehr Richtung 50:50 hätte ich mir gewünscht.“ (SYSTEM-G-AG) 27 ...„am Anfang hat man einmal so das Bauchgefühl, aus dem könnte doch etwas werden. Und damit man das Bauchgefühl dann quantifizieren kann, geht man zu Kunden. Kunden seines Vertrauens. Dass man sagt, „ich möchte mit Ihnen ganz offen reden“ usw usf. „Können Sie sich das vorstellen, was wäre der Nutzen daraus?“. Sie reden aber eher so, holen wir die Ideen vom Kunden ab...“ 28 „Bauchgefühl muss bestätigt werden. Das Bauchgefühl alleine reicht nicht aus.“
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
161
mit weniger auf Bauchgefühl. Es hat zwar seine Berechtigung, allerdings räumt das Unternehmen Rationalität eine wichtigere Position ein. Typen, Typologien und Typenbildung sind eine Methode der Auswertung. Sie ermöglichen es, weiterführende Hypothesen abzuleiten (Lamnek, 2005, S. 230). Typen verstehen sich als Objekte mit Kombinationen von Merkmalen, die sich innerhalb einer Typologie vergleichen lassen, und sich nach außen hin – zu anderen Typen – klar abgrenzen (Lamnek, 2005, S. 232). Die Merkmale der folgenden Typenbildung sind Intuition und Rationalität. Die Typenbildung resultierte aus den eigenen Einschätzungen der Unternehmen für deren momentane Situationen oder speziellen Produktinnovationen (vgl. Abbildung 15.2). Die Kreise und deren Umfang geben die Größe (anhand der Rangreihung) der Unternehmen wider.
Abbildung 15.2: Unternehmenstypen
• Intuitiv-Lebende Unternehmen: Die KUNSTSTOFF-M-GMBH ist extrem intuitiv, da sich das Unternehmen keines Ideenfindungsprozesses, kaum eines systematischen Prozesses und nur rudimentärer Methoden bedient29 . In der Vergangenheit wurde Intuition gelebt, und dieser für das Unternehmen erfolgreiche Weg soll auch in Zukunft weiter gegangen werden. • Balance-Unternehmen mit intuitiver Ausprägung: Die MASCHINENBAUG-GMBH und die FAHRZEUG-G-AG weisen zwar eine Balance zwischen Intuition 29 „...wir haben einen Ideenfindungsprozess – wenn Sie auf das hinaus wollen – den haben wir nicht. Brainstorming ... – das haben wir nicht. Nur im konkreten Fall wenn ich sage, jetzt brauchen wir Lösungen, dann setzten wir uns zusammen und dann tragen wir halt alles zusammen was irgendwie sinn- oder nicht sinnvoll ist und schauen, ob etwas dabei ist.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH)
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
162
und Rationalität auf, sie bekräftigen aber die größere Wichtigkeit der intuitiven Ausprägung im Prozess. • Balance-Unternehmen: Balance-Unternehmen leben die Balance und wollen diesen Ausgleich auch weiterhin beibehalten. Die TECHNIK-G-GMBH spricht sich weder eindeutig für Intuition noch für Rationalität aus. Es sieht den Einsatz situationsgebunden und von der Projektart abhängig, hat beide Prozesse parallel im Unternehmen. Auch die TEXTIL-G-GMBH tendiert zu einem Ausgleich zwischen Rationalität und Intuition. Die BAUTEIL-M-GMBH scheint zwar sehr rational ausgerichtet (auf Grund der teilweise komplexeren Methoden und des klaren Prozesses) spricht sich aber für eine Zweiteilung des Prozesses aus: am Beginn vermehrt Intuition, in späteren Phasen Rationalität. Das Gleiche gilt für die METALLWARENM-GMBH, welche zwar viele Methoden einsetzt, diese aber zumeist einfach sind. Intuition herrscht am Anfang vor, Rationalität bei den Folgeaktivitäten. • Balance-Unternehmen mit rationaler Ausprägung: Die ELEKTRONIKM-GMBH bekräftigt den Ausgleich zwischen Intuition und Rationalität, weiß um die Wichtigkeit von Intuition, will aber den Einsatz von einfachen Instrumenten bestärken. Es bekräftigt den größeren Einsatz von Rationalität bei der speziellen Produktinnovation. • Eher rationale Unternehmen: Diese vertreten eine fast rein rationale Ausrichtung. Sie sehen Intuition als problembehaftet und gefährlich an. Für die ELEKTROM-GMBH ist Intuition eigentlich nur sinnvoll mit der Anwendung von Rationalität. Auch als Unternehmen mittlerer Größe wendet es einige Methoden systematisch an bzw. bewertet sehr analytisch. Für die ENTWICKLUNGS-G-GMBH war und ist der rationale Prozess die einzig wirkliche und richtige Möglichkeit. Daneben weisen einige Unternehmen eine Entwicklungstendenz auf. Konkret handelt es sich um drei Veränderungen, wobei zwei Pfade ein Mehr an Rationalität begrüßen und nur ein Pfad Intuition bestärkt. Sechs Unternehmen wollen an ihrer Intuition-Rationalitätsausprägung etwas ändern, die andere Hälfte ist mit ihrer momentanen Vorgehensweise zufrieden. Die Pfade sind folgende (vgl. Abbildung 15.3): • Intuitive Balance-Unternehmen mit Entwicklung zur Rationalität: Unternehmen in dieser Kategorie sprechen sich zwar für eine Balance aus, befinden sich aber im Moment eher auf der intuitiven Seite. In Zukunft wollen sie ihre rationale Ausrichtung verstärken und so in Balance kommen. Die SYSTEM-G-AG schätzt zwar Intuition bzw. die Balance mit Rationalität als wichtig ein, will sich aber auf Grund der Umweltentwicklungen mehr der Rationalität besinnen. Das Gleiche gilt für die PAPIER-G-AG. Sie sieht den intuitiven Prozess als fehlerhaft an und will ihn durch einen standardisierten Prozess ersetzten, wie er in der Vergangenheit schon
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
163
einmal implementiert worden ist. Hinderlich ist hier jedoch die dagegen arbeitende Unternehmenskultur. • Balance-Unternehmen mit Entwicklung zur Rationalität: Diese Unternehmen balancieren beide Prozessarten, erkennen auch beide Arten in ihrer Wichtigkeit an, wollen allerdings in Zukunft die rationale Ausrichtung weiter verstärken und hervorheben (z.B. MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, BAUTEILM-GMBH). • Rationale Balance-Unternehmen mit Entwicklung zur Intuition: Die ELEKTRONIK-M-GMBH will vermehrt intuitive Elemente nutzen, z.B. durch den Einsatz einfacherer Methoden.
Abbildung 15.3: Unternehmenstypen und deren Entwicklungstendenz Aus den Unternehmenstypen ist ersichtlich, dass nur ein MU reine Intuition in den Vordergrund schiebt (Intuitiv-lebende Unternehmen), allerdings sich auch zwei GU vor allem für Intuition aussprechen (Balance-Unternehmen mit intuitiver Ausrichtung). Intuition taucht in den Unternehmen auf, weil einerseits die Unternehmenskultur diese fördert (bei der TECHNIK-G-GMBH wird das persönliche Gespräch den Methoden vorgezogen: „Kommunikation auf Augenhöhe, ohne irgend einem Formular“) und die vorhandenen Verhaltensweisen darauf unbewusst ausgelegt sind. Dies inkludiert die abweisende Haltung der Unternehmensmitglieder gegenüber „reinen“ Formalismen (MASCHINENBAU-G-GMBH, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBHb) und einem Methodenreichtum (bzw. zu komplexen Prozessen, MASCHINENBAU-G-GMBH). Man befürchetet Überadministration (TEXTIL-G-GMBHb), langweilige und komplizierte Tätigkeiten und einen unnötigen Aufwand. Ein wichtiger Faktor sind die handelnden Perso-
164
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
nen in den Unternehmen (vgl. Abschnitt „Interne Personen als treibende Kraft im Strategischen Frühaufklärungsprozess“ auf Seite 209). Möglicherweise überraschend ist, dass Intuition nicht nur vermehrt in MU auftritt und Rationalität vermehrt in GU. Obwohl an den Randpositionen diese Richtung aufscheint, ist doch durch den Gesamtblick ersichtlich, dass sich die Unterscheidung zwischen Intuition und Rationalität nicht alleine auf die Unternehmensgröße zurückführen lässt. Vergleicht man die Rationalitäts-Intuition-Ausprägungen mit dem Unternehmensalter, so kann Mohan-Neill (1995) und deren Annahme, dass ältere Unternehmen mehr Rationalität verwenden, nicht zugestimmt werden. Balance-Unternehmen finden sich in allen Unternehmensgrößen wieder, angefangen vom jüngsten (BAUTEIL-M-GMBH) Unternehmen, bis hin zum ältesten (TEXTIL-G-GMBH) Unternehmen. Die reine rationale Ausrichtung tritt sogar eher bei den jüngeren Unternehmen (ENTWICKLUNGS-G-GMBH, ELEKTRO-M-GMBH) auf. Eine eindeutige Schlussfolgerung kann daraus aber nicht gezogen werden. Es ist jedoch Vorsicht bei der Korrelation Unternehmensalter und -größe mit der Prozessart (rational vs. intuitiv) geboten. Viele Unternehmen, sowohl GU als auch MU, tendieren Richtung Balance zwischen Intuition und Rationalität. Entwicklungstendenzen führen größtenteils in die rationalere Sphäre – nur ein Unternehmen will Intuition verstärken. Auffallend ist bei den BalanceUnternehmen, dass in MU zwar die Einsicht besteht, dass beide Prozessarten wichtig sind – in der Anfangsphase und in der Endphase eines Projektes – und dass der getrennte Einsatz von Intuition und Rationalität unterstützt wird. D.h. am Beginn steht Intuition, später soll sie durch Rationalität abgelöst werden. In GU hingegen werden die beiden Prozessarten nebeneinander in unterschiedlichen Projekten gelebt, d.h. bestimmte Projekte werden eher intuitiv abgewickelt, andere rationaler. GU tendieren für die Zukunft eher in Richtung Rationalität. Diese subjektive Einschätzung war ein erster Hinweis auf die folgenden Analysen. Sie werden mit weiteren Details angereichert und spezifiziert.
15.1.4
Zusammenfassung
Wann gilt eine Phase als rational oder intuitiv? In der ersten SFA-Phase steht Scanning für die intuitive, ungerichtete Ausprägung der Informationssuche und ist erkennbar durch den Einsatz von Erfahrung, Gespür, wenigen formalen Methoden und Prozeduren, kaum oder unsystematischen Dokumentationsversuchen. Monitoring bezeichnet das formale Suchen mit Hilfe von Methoden und Werkzeugen (Lyles, 1987, S. 264), und damit die rationalere, gerichtete Ausprägung der Informationssuche. Es ist durch Methodeneinsatz, spezielle organisatorische Einheiten, geplante, formale Prozessabläufe und systematische Dokumentation erkennbar. Erfolgreich ist die kombinierte Anwendung von Scanning und Monitoring, abhängig von der Situation (liegen keine konkreten Informationen vor, wird
15.1. VERSTÄNDNIS VON RATIONALITÄT UND INTUITION
165
mit einem Scanning begonnen, ist schon vermehrte Gewissheit über das ’issue’ vorhanden, dann folgt Monitoring)30 . Der zweite Schritt des Assessments behandelt die Bedeutungsfüllung des ’issues’, das Kennen. Die Literatur unterscheidet dabei die von Intuition geprägte SID und die analytische SIA. Der Haupttenor der SID ist emergent, dynamisch und subjektiv und beruht auf Interpretation und Einschätzung. SIA bezieht sich demgegenüber auf eine bewusste, intendierte und aufwändigere Informationsanalyse. Diese Phase befasst sich vor allem mit Bewertungs- und Analyseprozessen. Wiederum zeigt ein hoher Einsatz von (vor allem komplexen) Methoden eine rationalere Ausrichtung. Aktivitäten des Überzeugens (’issue selling’) hingegen sind eher einer intuitiven Ausprägung zuzuordnen. Eine kombinierte Anwendung von SIA und SID gilt in der Literatur als erfolgversprechender als der einseitige Einsatz einer der beiden Ansätze. Als umfassender Schritt gilt die dritte Phase Action, die mit Lernprozessen in Verbindung gebracht wird. Die Thematik beschäftigt sich mit Ausführungen zu implizitem und explizitem Lernen. Hauptaugenmerk des expliziten Lernens liegt darauf, ob die befragten Unternehmen aus ihren speziellen Projekten gelernt haben, bewusst reflektieren und wissen, welche Verbesserungspotenziale bestehen bzw. wo sie kritische Erfolgsfaktoren beibehalten sollen. Werden jene Faktoren nicht explizit genannt, dann wird automatisch von einem impliziten Prozess ausgegangen. Dieser Schritt unterliegt einer gewissen Ungenauigkeit, da die Art des Lernens durch Interviews schwer feststellbar ist. Daher kann die folgende Einteilung nur als erster Schritt gelten und eröffnet weitere Forschungsmöglichkeiten. Wenn Unternehmen (bewusst oder unbewusst) einen SFA-Prozess durchlaufen, dann wenden sie rationale, intuitive oder kombinierte Prozessarten an. Die einzelnen Unternehmen werden in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben: die angewandten Methoden und Prozesse, die Rolle von rationalen Ausprägungen, wie Dokumentationen, Umgang mit verworfenen Ideen, Regelmäßigkeit und Ausführung der Bewertung, sowie die Bedeutung von Intuition und Rationalität31 .
30 Die METALLWAREN-M-GMBH unterscheidet z.B. in Workshops zur Ideenfindung und die Rolle von Freizeit im Prozess: „Also die ersten Ideen, die da [im Workshop] kreiert werden, unter Zeitdruck natürlich, ... [haben eine schlechte] Qualität ... diese Ergebnisse lassen sich fast alle vergleichen.“ Sondern: „Ich muss mit offenen Augen durchs Leben gehen und es sollte eigentlich nicht sein, dieses Arbeiten und das Private: jetzt gehe ich hinaus und mache meinen Schnitt. So funktioniert die Produktentwicklung nicht .... also dort wo man eigentlich alles runter fährt [d.h. von der Arbeit Abstand nimmt], hat man eigentlich die besten Ideen, z.B. beim Lift-fahren.“ (METALLWAREN-M-GMBH). 31 Rationales Vorgehen beinhaltet zu einem großen Anteil die Analyse und Abwägung der Informationen, also auch deren Bewertung. Deshalb wird in diesem Absatz das rationale Vorgehen des Bewertens näher betrachtet und in den Unternehmen analysiert. Bewerten die Unternehmen bzw. wie bewerten sie, d.h. ziehen sie Modelle, Instrumente oder Kriterien zu Hilfe oder basiert die Bewertung auf Erfahrung, Bauchgefühl und Intuition? Was wird bewertet und wie gut ist der Prozess?
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
166
15.2
Die Unternehmenspfade
Die Unternehmenspfade der jeweiligen Unternehmen werden im folgenden Abschnitt näher aufgezeigt, ausgehend von dem schwachen Signal bzw. der Quelle der Idee (Activation) über die Schritte des Bewertens (Assessment) und des Lernens daraus (Action). Vor allem bei den größeren Unternehmen sind institutionalisierte – und sich an den strategischen Frühaufklärungsprozess anschließende Prozesse (Stage-Gate-Prozess) – vorhanden. Deren Methoden überschneiden sich teilweise mit der SFA und können nicht streng abgeteilt werden. Jedes Unternehmen wird zu Beginn kurz beschrieben und die eingesetzten Methoden in den Phasen Activation und Assessment dargelegt32 .
15.2.1
KUNSTSTOFF-M-GMBH Aus der Selbsteinschätzung des Unternehmens ging hervor, dass es sich für sehr intuitiv hält
MU 1 A2
A3
R
A1
und – abgesehen von sehr einfachen Methoden – deren Einsatz ablehnt. Die folgenden Untersuchungen bestätigten diesen Eindruck. Bis auf
I+R
die erste Phase, in der eine Kombination aus analytischer Untersuchung und intuitiver Er-
I
fahrung eingesetzt wurde, gibt es keine standardisierten Bewertungsvorgänge oder bewussten Lernprozesse. Das Unternehmen wendete folgende Methoden in den Phasen A1 und A2 an: A1 Kundeneinbindung, 4x/Jahr Teamkreissitzungen mit dem Außendienst über Kundenwunsch und -bedarf, rudimentäre Trendforschung und -beobachtung, Literaturstudien, einfache Patentüberwachung, Eingabe ins Vorschlagswesen
A2 Einreichung im Geschäftsleitungsmeeting, Protokollmitschrift, Interpretation in der Gruppe
15.2.2
ELEKTRO-M-GMBH
Die ELEKTRO-M-GMBH schätzt sich selber als rationales Unternehmen ein und will diese Ausrichtung aufrechterhalten. Nach Aussagen des Unternehmens ist eine gewisse Struktur immer von Vorteil. Dies zeigt sich in allen Prozessphasen. Auch wenn das Unternehmen von kleinerer Größe ist, wendet es gezielte rationale Prozesse sowohl bei der Beobachtung als auch bei der Bedeutungsfüllung der Ideen an. Das Unternehmen konnte explizite Lernchancen aus dem speziellen Produktinnovationsprojekt bereits auf neue 32
Die Methoden der dritten Phase Action wurden aus den Interviews nicht exakt ermittelt.
15.2. DIE UNTERNEHMENSPFADE
167
Chancen anwenden und ist sich der möglichen Verbesserungspotenziale bewusst. In den beiden Phasen A1 und A2 kamen folgende Methoden zum Einsatz: A1 Kundenumfrage, Brainstorming, Besprechungen, Vertretertreffen, Kundenbesuche von Vertriebsmitarbeitern/innen
A2 Ableiten von Optionen, Wert- und Kostenanalyse, Diskussionen, Mitbewerberanalyse
MU 2 A2
A3
I
I+R
R
A1
15.2.3
METALLWAREN-M-GMBH Die METALLWAREN-M-GMBH glaubt ein Balance-Unternehmen zu
MU 3 A1
A2
A3
Innovationsman.
I+R
R
Produkt− entwicklungs− prozess
sein, tendiert aber zu einem verstärkten Einsatz von Rationalität in der Zukunft. In der ersten Phase der Wahrnehmung treffen die bewusste Behandlung der Strategie und die
I
Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse mit der intuitiven Kreativität des Innovators zusammen. Auch
beim Methodeneinsatz in der ersten Phase zeigt sich, dass zwar Werkzeuge von großer Bedeutung für die Phasen sind, eine Balance mit intuitiven Prozessen jedoch günstig ist. Das Gleiche gilt für die zweite Phase, in der einfache Methoden zur Anwendung kommen, um schnell und objektiv bewerten zu können. Die bewusste Auseinandersetzung einiger Personen im Unternehmen mit der Thematik der Ideenfindung weist explizites Lernen und Reflektieren auf. Die METALLWAREN-M-GMBH bediente sich in den Phasen A1 und A2 folgender Methoden: A1 Kundentreffen, Umfragen, Marktrecherche, Qualitätsgipfel, Brainstorming und Ideenfindungstreffen, Organisationseinheit „Zukunftswerkstätte“
A2 Checkliste, Diskussionen, Abtesten bei Kunden/innen und mit externen Instituten
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
168
15.2.4
ELEKTRONIK-M-GMBH Die ELEKTRONIK-M-GMBH setzt subjektiv mehr auf Rationalität als auf Intuition, kom-
MU 4 A2
A3
R
A1
biniert allerdings auch beide Prozessarten. Als einziges Unternehmen will es die intuitiven Prozesse weiter verstärken. In der Phase der Beob-
I
I+R
achtung setzt das Unternehmen auf eine Vielzahl von Methoden und Beobachtungsquellen. Tendenziell ist die erste Phase rational geprägt,
intuitive Komponenten, wie der kreative Hochschaukeleffekt von Gruppen oder das „Herantasten“ an Ideen werden vom Unternehmen allerdings auch genannt. Die selbe Ausprägung findet sich auch in der zweiten Phase wieder. So wird eine Vielzahl an Methoden angewendet. Diese müssen jedoch einfach und schnell sein. Obwohl Bewertungen vorgenommen werden, spielt das intuitive Gefühl eine dominante Rolle. Einige Verbesserungsvorschläge wurden genannt, Lerninhalte wurden in neuen Projekten bereits umgesetzt. Folgende Methoden wurden in den Phasen A1 und A2 eingesetzt: A1 Brainstorming, Lieferantenzusammenarbeit, Vorarbeit von Gremien (Arbeitskreisen, Verbänden, Universitäten,...), Recherchen im Internet, (Patent)Datenbanken, Sammeln im „Sternenhimmel“
A2 Interpretation mit externen Personen, Workshops für Bedeutungsfindung, Kundendialog, Excel-Sheet, FMEA, DoE (Design of Experiment) (= ’best-practice’-Beurteilung)
15.2.5
BAUTEIL-M-GMBH Die BAUTEIL-M-GMBH sieht sich als BalanceUnternehmen und will diese Ausrichtung auch
MU 5
I
I+R
R
A1
A2
A3
weiterhin aufrechterhalten. Obwohl sie angibt, dass vor allem in der ersten Phase intuitive Vorgänge nötig sind, spielten bei der speziellen Produktinnovation Messwerte und Daten aus anderen Produktklassen eine große Rolle. Da Ideen auch von sogenannten „Querdenkern“ im
Unternehmen entstehen können, bleibt unklar, ob diese Prozesse von Intuition oder Rationalität geprägt sind. Daher wird eine rationale Anfangsphase angenommen. In der zweiten Prozessphase wird zwar schnell, aber genau bewertet und analysiert. Das Unternehmen wünscht sich sogar noch mehr Zeit für analytische Methoden. Auffallend ist trotzdem,
15.2. DIE UNTERNEHMENSPFADE
169
dass das Unternehmen kreative und analytische Aufgaben unterscheidet und diese Tätigkeitsbereiche auf verschiedene Personen aufteilt. Der Pfad des Unternehmens zeigt in der zweiten Phase daher in Richtung Balance von Intuition und Rationalität. Bewusst gelernt hat das Unternehmen, dass sich ein Projektleiterwechsel negativ auf den Prozess auswirkt. Diese Erkenntnis wird es in den zukünftigen Projekten vorrangig berücksichtigen. Entgegen der Selbsteinschätzung ist das Unternehmen daher eher rational ausgerichtet als in Balance. Dabei wurde von folgenden eingesetzten Methoden berichtet: A1 Wissensaustausch mit anderen Unternehmen (auch Konkurrenten/innen), enger interner Dialog
A2 Analysen (technischer Daten), Brainstorming, Simulationen, Interpretation durch Berichtsdatenbanken oder Wissensdatenbanken, grobe analytische Programme, Online-Recherchen, Patentrecherchen
15.2.6
MASCHINENBAU-G-GMBH Die MASCHINENBAU-G-GMBH sieht sich als Balance-Unternehmen
GU 1 A1
A2
A3
I+R
R
Stage−Gate Prozess
I
kleine Projekte
mit einer zukünftiger rationaleren Ausrichtung. In der Anfangsphase gibt es zwei Prozesspfade im Unternehmen: einerseits eine rationale Ausrichtung durch die Geschäftsführung, andererseits eine intuitive
durch Mitarbeiter/innen im Unternehmen, die als Innovatoren/innen fungieren. Beide Entstehungspfade münden in einer rationalen Bewertung und einem institutionalisierten Prozess im Unternehmen. Das Unternehmen ist sich möglicher Verbesserungsschritte bewusst und wird diesbezüglich auch aktiv. Durch vermehrten Methodeneinsatz soll die rationale Ausprägung noch weiter verstärkt werden. Komplexe Projekte werden in einen Stage-Gate-Prozess eingespeist, kleinere Projekte individuell und mit vermehrter Intuition weitergetrieben. Das Unternehmen führte folgende Methoden an: A1 Marktbeobachtung, Internetrecherche, Kundenkontakt durch Vertrieb, Mitbewerberbeobachtung durch Markteting
A2 Standardisiertes Bewerten mit Punkteschlüssel, Innovationsabteilung als formaler Pusher
15.2.7
FAHRZEUG-G-AG
Wie die MASCHINENBAU-G-GMBH schätzt sich die FAHRZEUG-G-AG selbst als Balance-Unternehmen mit zukünftiger Tendenz Richtung Rationalität ein. Für das Wahrneh-
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
170
men von Markttrends oder Details aus dem Designbereich unterstellt das Unternehmen eine intuitive Richtung. Der Trend führt jedoch laut Ansicht des Unternehmens eher in die analytische Richtung. Da sich das Unternehmen vor allem auf die Analyse von bestehenden Vorschriften und Produkten in dafür institutionalisierten Gruppen stützt, ist von einer rationalen Anfangsphase auszugehen. Detaillierte Berechnungen und Bewertungen am Beginn der zweiten Phase führen den Trend
GU 2 A2
A3
R
A1
einer rationalen Ausrichtung weiter. Fortschritte werden regelmäßig überprüft und Feedback zu den Produktinnovationen eingeholt. Dies ist
I+R
wiederum ein rational geprägter Prozess. Entgegen der eigenen Einschätzung ist das Großun-
I
ternehmen damit durchgehend rational ausgerichtet. Es kamen diese Methoden zum Einsatz:
A1 Marktüberwachung durch Vertrieb, Kundendialog, Stammtische, Sitzungen, Patentrecherchen, Arbeitskreis, Ideenspeicher, Entwicklungsabteilung
A2 Bewertung durch Arbeitskreis und erweiterten Kreis
15.2.8
SYSTEM-G-AG Die SYSTEM-G-AG bewertet sich selber als GU 3
A1
A2
A3
Balance-Unternehmen mit momentan intuitiver Ausrichtung. Sie hat das Bestreben, die ratio-
R
nale Seite zu verstärken. Der intuitive Weg, der
I
I+R
bei dem Vorprodukt betrieben wurde, wird von einer rationalen Anfangsphase abgelöst. Das Unternehmen lernte aus den Fehlern und unalter
Prozess
tersuchte diese eingehend. Das Selbe gilt für den zweiten Schritt des Bewertens, der ebenfalls rational ausgeprägt ist. Das Unternehmen
bemängelt, durch Zeitprobleme noch immer zu wenig Methoden einsetzten zu können. Wie bereits erwähnt, wurden aus den Einsichten des Vorproduktes, wie auch aus der speziellen Produktinnovation, lehrreiche Schlüsse gezogen und bewusst genutzt. Entgegen der eigenen Einschätzung ist, wie die FAHRZEUG-G-AG, das Unternehmen SYSTEM-G-AG heute völlig rational ausgerichtet. Die Methoden waren: A1 Markt- und Kundenanalyse, Input von Abteilungen und Tochterorganisationstreffen, Kundendialog
15.2. DIE UNTERNEHMENSPFADE
171
A2 Analysen, Simulationen, Interpretation mit dem Kunden/der Kundin und anderen Abteilungen, Vorstudien, Bewertung nach bestimmten Kriterien
15.2.9
PAPIER-G-AG Die PAPIER-G-AG ist, wie die SYSTEM-G-AG, ein intuitives Ba-
GU 4 A1
A2
A3
R
Stage−Gate Prozess
lance-Unternehmen mit Tendenz zur Rationalitätsverstärkung. Obwohl sie vereinzelt Methoden für die Ideen-
I
I+R
findung im Unternehmen einsetzt, ist der Prozess sehr intuitiv. Es gab zwar schon erste Versuche für Sys-
teme im Unternehmen, um die Phasen Activation oder Assessments zu standardisieren, diese wurden allerdings nicht gelebt. Deshalb ist die Bewertung der Ideen von intuitiven und persönlichen Kriterien gekennzeichnet. Obwohl das Unternehmen bewusst die rationale Seite verstärken will, gibt es keine expliziten Lern- und Veränderungsprozesse daraus. Die dritte Phase ist damit auch intuitiv. An den SFA-Prozess schließt ein institutionalisierter Stage-Gate-Prozess an. Das Unternehmen ist im Moment damit keineswegs ein Balance-Unternehmen, sondern befindet sich auf der intuitiven Seite. Das Unternehmen erzählte von folgenden Methoden: A1 Kundeninformationen aus Verkauf und Marketing, Monitoring, Trendüberwachung, Marktforschung, Literaturrecherchen, Brainstorming, Treffen, „Grüne-Wiese-Freiraum“, Ideenbörse
A2 Ideendiskussion in installierten Treffen, rudimentäre Bewertung
15.2.10
TECHNIK-G-GMBH Die TECHNIK-G-GMBH sieht sich als Balance-Unternehmen und will
GU 5 A2
A3 Stage−Gate Prozess
I
I+R
R
A1
kleine Projekte
diese Ausrichtung beibehalten. Wie in der MASCHINENBAU-G-GMBH gibt es zwei verschiedene Startpunkte in der ersten Phase: eine durch den Geschäftsführer beauftragte Gruppe, die sich mit der Beobachtung eines Themenfeldes beschäftigt, und der kreative Einfall ei-
KAPITEL 15. DIE BEFRAGTEN UNTERNEHMEN
172
nes Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin. Diese Splittung erstreckt sich auch auf die zweite Phase. Für große Projekte stehen Methoden und Bewertungsverfahren zur Verfügung, für kleine Projekte überwiegt das Bauchgefühl. Das Unternehmen reflektiert bewusst mögliche Verbesserungen und Lernpotenziale. Bei kleinen Projekten treten implizite Bewertungsvorgänge, wie informelle Gespräche in den Vordergrund. Auch die anschließenden Prozesse passieren in beiden Ebenen: bei großen Projekten schließt ein Stage-Gate-Prozess an, bei kleinen Projekten gibt es keine Methoden oder standardisierten Verfahren. In der TECHNIK-G-GMBH sind beide Extrempositionen (rational, intuitiv) vorhanden. Je nach Situation wird der Prozess angepasst. Das Unternehmen bedient sich folgender Methoden: A1 Kundeninformationen aus Vertrieb und Repair-Bereich, Messen, Kongresse, Vorträge, persönliche Gespräche
A2 klare Struktur und Systeme bei großen Projekten, implizite Gespräche bei kleinen Projekten
15.2.11
TEXTIL-G-GMBH Die TEXTIL-G-GMBH sieht sich – wie die TECHNIK-G-GMBH – als Balance-Unt-
GU 6 A2
R
A1
A3
ernehmen, und will diese Richtung auch beibehalten. Die Phase Activation ist durch den kreativen Einsatz des Innovators/der Innova-
I+R
torin geprägt. Jeder Mitarbeiter/jede Mitarbeiterin hat im Unternehmen die Möglichkeit,
I
seine/ihre Ideen zu platzieren. Daneben existiert eine Vielzahl von Beobachtungswerkezeugen und -sytemen. Das Unternehmen kombi-
niert das intuitive Beobachten beim Kunden/bei Kundinnen mit standardisierten Abfragen. Dadurch ist die Anfangsphase sowohl intuitiv als auch rational geprägt. Obwohl Bewertungen nach Aussagen des Unternehmens meist subjektiv sind, hat das Unternehmen ein fixes Bewertungssystem mit Methoden installiert. Auch im dritten Schritt des Prozesses zeigt das Unternehmen eine rationale und bewusste Reflektion über Verbesserungsmöglichkeiten auf. Methoden werden ständig hinterfragt und man ist sich einer Lernkurve bewusst. Die Tendenz des Unternehmens reicht demnach eher zur Rationalität. Das Unternehmen nannte: A1 Informationen durch Verkauf, Kreativworkshops mit externen Partnern/innen, Beobachtungen von Messen, Zeitungen und Konferenzen, Ideenspeicher
A2 Mitbewerberbeobachtungen, Bewertungsmatrizen, Interpretation mit Kunden/innen, Portfoliobewertungen
15.2. DIE UNTERNEHMENSPFADE
15.2.12
ENTWICKLUNGS-G-GMBH Die ENTWICKLUNGS-G-GMBH bezeichnet sich selbst – wie die ELEKTRO-M-GMBH – als
GU 7 A2
I
I+R
R
A1
173
A3
rational. Das Aufspüren von Trends wird mit konkreten Zielvorstellungen über das Endprodukt kombiniert. Bauchgefühl hat – nach Aussage des Unternehmen – nur ganz zu Beginn bei den Ingenieuren/innen seine Berechtigung. Für die zweite Phase werden nur analytische Vorge-
hen angewendet. Das Unternehmen stützt sich auf Bewertungen und Analysen. Den kreativen Teil übernahm bei der speziellen Produktinnovation eine andere Unternehmung. Das Unternehmen ist sich möglicher Verbesserungen bewusst und versucht diese bei neuen Innovationen anzuwenden. Folgende Methoden wurden vom Unternehmensansprechpartner genannt: A1 Marktbeobachtung A2 Analysen, Dialog mit Partnern/innen, Bewertungen
Kapitel 16 Ergebnisse über die Phasen des Strategischen Frühaufklärungsprozesses Folgende Abschnitte legen die Ergebnisse über die Phasen und Prozessarten des SFAProzesses dar. Zuerst werden allgemeine Einsichten zum Strategischen Frühaufklärungsprozess in den Unternehmen angeführt. Dies inkludiert • die rationale Ausrichtung der Unternehmen, • das Fehlen eines SFA-Prozesses und • Erkenntnisse zu den einzelnen Phasen. Danach wird auf die eingesetzten Methoden sowie auf wichtige Personen im SFA-Prozess eingegangen. Strategische Frühaufklärungsprozesspfade sowie die Auswirkung der Unternehmensgröße runden dieses Kapitel ab.
16.1
Der Strategische Frühaufklärungsprozess in den Unternehmen
16.1.1
Rationale Ausrichtung der Unternehmen
Die untersuchten Unternehmen weisen sehr starke rationale Ausrichtungen im SFA-Prozess auf (siehe Abbildung 16.1). Stellt man diesen Positionierungen die subjektiven Einschätzungen durch die Unternehmen gegenüber, so erkennt man die teilweise sehr großen Unterschiede. Die Unternehmen schätzen sich selbst häufiger als Balance-Unternehmen ein, tatsächlich wird aber vermehrt eine rationale Richtung verfolgt. Da die analysierten Unternehmen ’best-practice’-Beispiele darstellen (erfolgreich umgesetzte Produktinnovationen), stimmt dies auch mit den Aussagen von Julian et al. (2008) überein, die behaupten, dass rationale Pfade erfolgversprechender sind.
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
16.1. SFA-PROZESS IN DEN UNTERNEHMEN
175
Abbildung 16.1: Subjektive Einschätzung versus reale Ausprägung
Die Ergebnisse könnten eher in Richtung Rationalität verzerrt sein, da sich rationale Merkmale (Methoden) leichter feststellen lassen als intuitive Aspekte. Da die grafische Darstellung eine Grobübersicht gibt, wird in den nächsten Abschnitten näher auf die einzelnen Unterschiede und Ausprägungen eingegangen.
16.1.2
Der Strategische Frühaufklärungsprozess
Konkrete institutionalisierte und formalisierte SFA-Prozesse bei Produktinnovationen konnten in den Unternehmen nicht festgestellt werden. Das heißt, es gibt keine speziellen Prozesse für die rechtzeitige Erkennung von Chancen, die unabhängig von anderen Prozeduren (wie z.B. dem Innovationsmanagement) existieren. Es gibt zwar eine große Vielzahl an Methoden und Prozessen, diese befassen sich aber eher mit allgemeinen Innovationszielen und -vorhaben, oder sie werden losgelöst von der Thematik einer strategische Frühaufklärung angewendet. Kaum anzutreffen sind – abgesehen von Brainstorming – Werkzeuge für die Ideenfindung in den Unternehmen. Im Zusammenhang mit Produktinnovationen wurde kein einziges Mal die Szenariotechnik oder die Delphimethode genannt, obwohl in der Literatur der SFA darauf oft Bezug genommen wird. Ist SFA in den Unternehmen nicht vorhanden, unterentwickelt oder in andere Systeme integriert? Möglicherweise ist die SFA in den Unternehmen nur auf Risiken ausgerichtet und kommt dort zum Einsatz. Dies war in der Befragung aber nicht von Interesse. Analysiert man die Unternehmen genauer, lässt sich trotzdem ein SFA-Prozess feststellen, der dem in der Arbeit entwickeltem Drei-Phasen-Modell entspricht. Um diesen Punkt näher zu diskutieren, wird auf andere Untersuchungen im Feld der SFA Bezug genommen. Zu diesen Studien ist kritisch anzumerken, dass sie bereits älter sind (1973 bis 1986), zum größten Teil nicht in Österreich durchgeführt wurden und sich mehrheitlich nur auf GU
176
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
beziehen. Obwohl keine direkten Schlüsse gezogen werden können, dienen die Untersuchungen dazu, die Thematik eines formalisierten SFA-Prozesses kritisch zu hinterfragen. Töpfer (1976, S. 297) zeigt in seiner Studie über Planungs- und Kontrollsysteme, dass 71,8% aller von ihm befragten 1527 großen Industrieunternehmen (meist über 1000 Beschäftigte) (1976, S. 258) in Deutschland ein Frühwarnsystem (durch Einsatz von Instrumenten wie der Delphi-Methode, der Szenario-Technik, der Trendextrapolation oder Kreativitätstechniken) operativer Art miteinbeziehen, „um unvorhergesehene, abweichende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen“. Auch Hahn und Taylor (1986, S. 271) zeigten den Entwicklungsstand von Systemen in der Unternehmenspraxis in Deutschland auf. Frühwarnsysteme sind demnach in ihrem Zweck und ihrer Bedeutung relativ unverändert geblieben. In den Vorgängerwerken (Hahn und Taylor, 1983) bewiesen die Autoren, dass nur ein kleiner Teil der Unternehmen über ein offizielles Früherkennungssystem (2. Generation) verfügt, und ein etwas größerer Anteil ein System der 1. Generation. Es ist klar feststellbar, dass sich die Unternehmen mit dem Thema beschäftigen. Die Daten dieser Studien sind jedoch wenig relevant, da sie sich lediglich auf die operative Frühaufklärung konzentrieren. Strategische Frühaufklärung kommt demnach überhaupt nicht zum Einsatz. Esser et al. (1984, S. 502) erhoben unter anderem Daten im Bezug auf die Handhabung von Überraschungen von 2400 Unternehmen der verarbeitenden Industrie mit mehr als 500 Beschäftigten in Deutschland. Die Autoren stellen fest, dass 67% der Unternehmen mit strategischer Planung eine Stärken-/Schwächenanalyse vornehmen, 45% nutzen eine solche ohne strategischer Planung (Esser et al., 1984, S. 528). Auch für Gefahren und Chancen aus den Bereichen technologische, ökonomische, politische und gesellschaftliche Umwelt wurden Daten für Unternehmen mit strategischer Planung und jener ohne strategischer Planung erhoben. Sie zeigen einen häufigeren Einsatz der Umweltanalyse bei Unternehmen mit strategischer Planung auf (Esser et al., 1984, S. 529). Zur Bewältigung plötzlicher Überraschungen nennen die Unternehmen Flexibilität, Vorkehrungen für das Krisenmanagement und rechtzeitiges Erkennen als Voraussetzung. Auch in dieser Untersuchung werden Themen wie Chancen und Gefahren und Flexibilität und rechtzeitiges Erkennen angesprochen und von Theoretikern und Praktikern gleich wichtig eingeschätzt. Vor allem Flexibilität wird für die Bewältigung von Wandel hoch angesehen (Esser et al., 1984, S. 530). Mögliche Reaktionen auf schwache Signale werden in der Studie dennoch nicht benannt (als zweiter Hauptbestandteil der SFA). Die Ergebnisse beziehen sich wiederum hauptsächlich auf die Thematik der Früherkennung. Simon (1986, S. 214ff) fasst in seinem Bericht Studien der SFA zusammen und präsentiert zusätzlich seine eigenen Ergebnisse. Simon (1986, S. 219ff) führte eine Untersuchung in Österreich durch, um den Verbreitungsgrad von Früherkennungssystemen in den 120 umsatzstärksten Unternehmen herauszufinden. Der Autor nimmt dabei wiederum hauptsächlich auf die Früherkennung und nicht auf die SFA Bezug. So verwenden die
16.1. SFA-PROZESS IN DEN UNTERNEHMEN
177
meisten Unternehmen systematisch Prognoserechnungen, Auswertungen von Lieferantenund Kundengesprächen und Fachzeitschriftauswertungen. Weniger systematisch kommen Kennzahlen von kritischen Umweltbereichen zum Einsatz, sowie Regierungs- und Sozialpartnerberichte. An letzter Stelle finden sich Gerüchte und Expertenbefragungen im Zuge von Szenarien und Delphi-Befragungen. Die Informationsgewinnung findet hauptsächlich traditionell, d.h. aus unternehmensnahen Bereichen, und wenig systematisch statt (Simon, 1986, S. 222). Jene Unternehmen, die sich einer strategischen Früherkennung bedienen, berücksichtigen zum größten Teil sowohl interne als auch externe Aspekte (57%) und Chancen und Risiken (45%). 13% beschränken sich auf den internen Fokus. Dafür gibt es keine Unternehmen, die sich ausschließlich mit externen Dimensionen befassen. Kein Unternehmen setzt einen vollständigen Informationsstand für die Durchführung einer Reaktion voraus. Immerhin genügt 17% ein Bewusstsein einer Änderung (ohne Eintrittszeitpunkt und genaue Auswirkungen) (Simon, 1986, S. 222). Als wichtigste Umweltbereiche führen mit 77% die Absatzmärkte die Skala an, gefolgt von 62% der technologischen Entwicklung und von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen, sowie Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die geringste Aufmerksamkeit wird gesellschaftlichen Entwicklungen zuteil. Schwierigkeiten bei der strategischen Früherkennung ergeben sich vor allem bei der Informationsbeschaffung und der Akzeptanz der Ergebnisse (Simon, 1986, S. 224). Als Träger der Früherkennung ergeben sich mit 66% die Unternehmensleitung, gefolgt von Controllern (26%) und Planungsstäben (19%). Unternehmen, die sich keiner strategischen Früherkennung bedienen, nennen als Gründe das bestehende und ausreichende Rechnungswesen, die Nichtverfügbarkeit von Informationen, die Variabilität von strategischen Determinanten sowie organisatorische Hindernisse (Simon, 1986, S. 225). Zusammenfassend finden die Unternehmen, dass eine Früherkennung nicht nötig sei (stabile Umwelt), nicht möglich sei (zu turbulente Umwelt) oder aus organisatorischen und personellen Gründen nicht durchgeführt werden könne. Unzufriedenheit mit der strategischen Früherkennung ergibt sich je (Simon, 1986, S. 227) • gefährlicher die strategische Zukunft ist. • weniger Expertenbefragungen geführt und Regierungs- und Sozialpartnerberichte ausgewertet werden. • schlechter das operative Betriebsergebnis ist. • größer das Sicherheitsbedürfnis zur Auslösung von Reaktionen ist. • systematischer die Auswertung von Fachzeitschriften und die Durchführung von Konkurrenz- und Prognoseanalysen geschieht. • weniger eine Synthese zwischen den Einzelelementen passiert. • stärker die Früherkennung auf die Erkennung von Risiken ausgelegt wird.
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
178
Als zusammenfassende Einsicht kategorisiert Simon (1986, S. 234ff) die befragten Unternehmen und schafft somit fünf Unternehmenstypen je nach Art der verwendeten strategischen Früherkennung (siehe Tabelle 16.1)1 . Auch meint der Autor eine Tendenz zur SFA (also der dritten Generation) wahrzunehmen.
Unt. ohne strat. Früherkennung
Anteil der untersuchten Unternehmen
Eigenschaften
8%
- keine strat. Früherkennung - weniger systematisches Informationsverhalten
Unternehmenstypen Unt. mit tra- Unt. mit ru- Unt. mit ditionellem dimentärer, umfassenInformations- behinderter der und strategistrategiReaktionsscher scher verhalten Perspektive Planungskultur in Käufermärkten 18 %
- unsystematische Früherkennungsaktivitäten - späte Reaktion auf Diskontinuitäten - kaum unternehmensferne Beobachtungen - Probleme bei der Umsetzung von FE-Systemen
25 %
- kein systematisches Informationsverhalten - intuitives Reagieren auf Diskontinuitäten - Schwierigkeiten bei der Umsetzung
45 %
- höchst entwickelte, systematische Informationsbeschaffung und -auswertung - hohe Konzentration auf Absatzmärkte
Unt. mit umfassender strategischer Planungskultur in Verkäufermärkten
4%
- höchst entwickelte, systematische Informationsbeschaffung und -auswertung - hohe Konzentration auf Beschaffungsmärkte
Tabelle 16.1: Unternehmenstypen Aus diesen Studien geht klar hervor, dass sich die Untersuchungen stark auf Frühwarnungsoder Früherkennungssysteme und deren Thematiken stützen, kaum aber auf die SFA. Wurden Studien durchgeführt, so zeigte sich, dass SFA nicht vorhanden ist bzw. sich nur 1 Müller (1984, S. 441ff) unterscheidet ebenso in verschiedenste Ausprägungen von Strategischer Frühaufklärung in Unternehmen. Auf Stufe 0 vernachlässigen die Unternehmen (un)bewusst alle Frühaufklärungsaufgaben. Ab Stufe 1 werden Frühaufklärungsaufgaben vermehrt angewandt. In Stufe 1 werden die Aufgaben in quantitativen und statistischen Auswertungen in einer Stabsabteilung wahrgenommen (operative SFA). Auf Stufe 2 behandelt die Stabsabteilung die Aktivitäten im Sinne einer systematischen Beobachtung (Trendanalyse). Die dritte Stufe erweitert die systematische Beobachtung um eine Partizipationskomponente – alle Beteiligten werden miteinbezogen.
16.1. SFA-PROZESS IN DEN UNTERNEHMEN
179
eine Möglichkeit des Ausbaus anzeigt. Überraschend ist, dass sich über fast 30 Jahre kaum etwas in diese Richtung entwickelt hat. Die Studien beziehen sich teils auf den deutschen Sprachraum, sind also für Österreich besser anwendbar als Studien aus dem angelsächsischen Raum. Nachteilig ist zu sehen, dass sie grundsätzlich nur bei GU durchgeführt worden sind. Da jedoch nicht einmal die GU eine Strategische Frühaufklärungsausrichtung aufweisen, kann davon ausgegangen werden, dass bei MU diese auch nicht bestand. Obwohl Methoden wie die Szenariotechnik oder Prognoseverfahren in den Studien festgestellt wurden, fehlt der Bezug auf entweder Chancen oder Risiken, d.h. es ist nicht klar, ob die Methoden für die Chancenerkennung oder eher für die Risikovermeidung eingesetzt wurden. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins einer bewussten SFA (ein System oder ein ausgereifter eigener Prozess) in den zwölf analysierten Unternehmen gering ist. Dies gilt vor allem in Bezug auf den positiven Aspekt der Frühaufklärung, nämlich die Chancenerkennung. Es können auch keine Aussagen über die Risikoerkennung gemacht werden2 . Chancen werden nur in bestehenden Innovationssystemen und -prozessen abgearbeitet. Die Methoden befassen sich eher mit Innovationsmanagement und weniger gezielt mit Strategischer Frühaufklärung (auch wenn dort die Methoden des Innovationsmanagements zum Einsatz kommen können). Wenn Unternehmen Chancen wahrnehmen und nutzen, dann erfolgt dies nicht durch einen institutionalisierten SFA-Prozess. Unbewusst werden jedoch in jedem Unternehmen die drei Phasen Activation, Assessment und Action durchlaufen.
16.1.3
Erkenntnisse zu den einzelnen Phasen
Die nachfolgenden Unterkapitel beschäftigen sich mit Einzelergebnissen aus den Phasen des SFA-Prozesses: den Auslösern der Produktinnovationen (Activation), den konkreten schwachen Signalen (Activation) und den Lernvorhaben (Action). Ausführungen zur Phase Assessment folgen im Kapitel „Die Methoden des Strategischen Frühaufklärungsprozesses“ 16.2. 16.1.3.1
Auslöser der Produktinnovationen (zu A1) „Ideen kommen ja von überall her.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH)
Die Auslöser in den Unternehmen lassen sich kategorisieren: so sind interne Faktoren, wie der Innovator/die Innovatorin, Vorüberlegungen und Erfahrungen sowie bestehende Produkte oder der Kontakt mit bereits existierenden Problemen ausschlaggebend (vgl. Abschnitt „Organisationscharakteristika“ auf Seite 273, „Innovator/in: Initiator/in des 2 In zwei Unternehmen ist definitiv ein Risikomanagement als Vorwarnsystem installiert. Dies resultiert aus der Studie einiger Dokumente.
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
180
SFA-Prozesses“ auf Seite 210, „Interne Personen und Funktionen mit Einfluss“ auf Seite 219 und „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229). In der Literatur werden darüber hinaus Inspiration, Imitation von Konkurrenzprodukten oder Probleme mit bestehenden Problemen genannt (Peterson, 1988, S. 26). Auslöser können auch extern liegen, d.h. schwache Signale werden von Kunden/innen in das Unternehmen getragen (Cooper, 2002, S. 187), bedingen sich aus Situations- oder Trendveränderungen oder resultieren aus Konkurrenzprodukten, fremden Industrien oder bestehenden Kontakten (vgl. Abschnitte „Umwelteinflüsse“ auf Seite 298 und Abschnitt „Externe Partnerschaften“ auf Seite 311). Die Auslöser in den Unternehmen sind demnach: • Innovator: In allen Unternehmen (bis auf ELEKTRO-M-GMBH, wo keine Einzelperson konkret genannt wurde) besitzt der Innovator bei den Anfängen der Innovation hohe Bedeutung. Er erkennt die Schwachstellen und Probleme, ist „Querdenker“ (TECHNIK-G-GMBH) und findet die Lösungen dafür bzw. ist derjenige, der hartnäckig und gegen jeden Widerstand an der Idee festhält, Personen überzeugt und Ideen schließlich zum Erfolg bringt. Die intensive Beschäftigung mit der Thematik zeichnet den Innovator aus. Er erkennt die Notwendigkeit eines Innovationsschubes (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator des SFA-Prozesses“ auf Seite 210 und „Interpersonale Prozesse im Unternehmen“ auf Seite 239). Eigene individuelle und persönliche Charakteristika zeichnen Innovatoren aus. • Unternehmensinterne und -externe Personen: Neben dem Innovator/der Innovatorin als Treiber/in und Initiator/in werden auch anderen Unternehmenspersonen (Geschäftsführung, Mitarbeiter/innen) im SFA-Prozess für die Chancenerkennung und -nützung als wichtig angesehen. In späteren Phasen treten häufig externe Personen in den Prozess mit ein (vgl. Abschnitt „Externe Partnerschaften“ auf Seite 209). • Vorüberlegungen/Bestehendes: Vorüberlegungen oder bestehende Probleme regen Gedanken über Neuerungen an (vgl. Nolan, 1985, S. 73) (vgl. Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229). • Konkurrenzprodukte/fremde Industrien/Kontakte: Konkurrenzprodukte, das Wissen aus anderen Branchen, bestehende Kontakte und Kooperationen lösen ebenso Produktinnovationen aus. • Situations-/Umweltveränderungen: Änderungen in Umwelt, Vorschriften, Gesetzen und Gesellschaft, aber auch Trendumbrüche drängen Unternehmen dazu, ihre bisherigen Produkte zu überdenken (vgl. Abschnitt „Umwelteinflüsse“ auf Seite 298).3 3 Z.B. Bestrebungen am Markt und Marktentwicklungen treiben die ELEKTRONIK-M-GMBH zu neuen Entwicklungen an: „Da haben wir Indikatoren vom Markt.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH). In der
16.1. SFA-PROZESS IN DEN UNTERNEHMEN
181
Es können – anders als bei Peterson (1988) – keine speziellen Unterschiede zwischen MU und GU festgestellt werden. Bei der Untersuchung dieses Autors stellte sich heraus, dass MU Inspiration verwenden, GU hingegen auf geplante Vorgehensweisen zurück greifen. Untersucht man die Auslöser der Produktinnovationen näher, so kann man schwache Signale oder deren Quellen identifizieren. 16.1.3.2
Schwache Signale (zu A1)
„Most technological innovations...are visible in theories, laboratories, and field trials long before they are operationally applied; and their effects are apparent before use becomes widespread.“ (Bright, 1970, S. 64) „The opportunity decision is often evoked by an idea.“ (Mintzberg et al., 1976, S. 253) In der empirischen Untersuchung stammen die schwachen Signale vor allem aus der Unternehmensumwelt (vgl. Schoen, 1969, S. 165), z.B. aus: • allgemeinen Trend- und Situationsänderungen innerhalb der Branche oder in anderen Branchen • Bedürfnisveränderungen und Wünsche der Kunden/innen • gesellschaftlichen Veränderungen • Gesetzes-, Vorschriftenänderungen • bestehenden Kontakten mit Externen • Technikentwicklungen • Marktindikatoren • der Stellung des Unternehmens am Markt • Aufgabenverschiebungen Diese schwachen Signale müssen von Personen im Unternehmen aufgenommen werden. So treffen sie im Unternehmen auf (vgl. Abbildung 16.2)4 : • das ständige Bestreben des Unternehmens und des Innovators/der Innovatorin nach besseren, einfacheren und sicheren Produktvarianten. SYSTEM-G-AG gibt es – angelehnt an die konkrete Produktinnovation – neue und konkrete Entwicklungen, wenn auch „ein bisschen schaumgebremst, auf Grund der wirtschaftlichen Situation.“ 4 „...the environment is viewed as a source of information, continually creating signals and messages to which organizations attend“ (Auster und Wei Choo, 1993, S. 195).
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
182
• die Beschäftigung des Innovators/der Innovatorin mit der Thematik. • die Vorerfahrungen und -überlegungen in den Unternehmen (z.B. über Produkte). • die Praxiserfahrung der Mitarbeiter/innen. • die Gewissheit und das Feststellen von Schwachstellen. • die Beschäftigung und die Analyse der Unternehmensstellung am Markt durch die Geschäftsleitung. • die genaue Kundenkenntnis der Mitarbeiter/innen. • offene und rege Dialoge mit Kunden/innen.
Abbildung 16.2: Umweltsignale werden im Unternehmen aufgegriffen Auch die Literatur verweist auf eine Vielzahl an schwachen Signalen (vgl. Sánchez und Pérez, 2004, S. 13). Dort werden interne und externe (Mintzberg et al., 1976, S. 253) Signale unterschieden. Als schwache Signale werden beispielsweise angegeben: Abweichungen von der geplanten Strategie, Mangel an talentierten Personen, Regierungsanweisungen, Veränderungen im Kundenkontakt, Kommunikationsverluste, Unzufriedenheit, Verbindlichkeit der Personen, usw.. Bright (1970) verweist auf Interessen, Probleme oder Phänomene, die schwache Signale hervorbringen können bzw. Faktoren im technologischen (z.B. Produktinformationen), ökonomischen, sozialen (z.B. Werte, Interessensgruppen) und politischen Umfeld (z.B. Regierungsmaßnahmen). Untersuchungen der WKO Oberösterreich im Jahr 20075 zeigen, dass nur wenige Methoden zum Aufspüren von innovativen Ideen den Unternehmen bekannt sind bzw. genutzt werden. Es wird in externe Ideenquellen 5 Vgl. Artikel vom 02.03.2007, Martina Goldberger, portal.wko.at/wk/format_detail.wk?AngID=1&StID=304829&DstID=0&BrID=46.
16.1. SFA-PROZESS IN DEN UNTERNEHMEN
183
(Kunden/innen, Datenbanken, Innovationsexperten/innen, Trendforscher/innen), interne Wissensquellen (Mitarbeiter/innen, systematisches Innovationsmanagement, institutionalisierte Teambesprechungen, Qualitätszirkel, Vorschlagswesen) und Kreativitätswerkzeuge (z.B. Brainstorming, Methoden-Trickkiste) unterschieden. Nach dieser Untersuchung setzen erfolgreiche Unternehmen regelmäßiger Methoden ein als weniger erfolgreiche. Eine Kombination der Innensicht (Innovator/in, Mitarbeiter/innen, Geschäftsführung,...) mit der Außensicht (Mitbewerber/innen, Kunden/innen, Umweltveränderungen,...) tritt hervor. Dies folgt genau den Ausführungen in Abschnitt 6.5 „Innensicht vs. Aussensicht der Strategischen Frühaufklärung“ . Von der Außenwelt dringen Signale in das Unternehmen ein bzw. werden dort aufgenommen: „Outside sources of knowledge are critical to the innovation process.“ (Hurry et al., 1992, S. 86). Ein Kundenwunsch, die Weiterentwicklung dieses Wunsches oder Kundenbedürfnisses sind oftmals Ausgangspunkte für Produktinnovationen in der ELEKTRO-M-GMBH, der METALLWAREN-M-GMBH, der ELEKTRONIK-M-GMBH, der BAUTEIL-M-GMBH, der MASCHINENBAU-G-GMBH, der FAHRZEUG-G-AG sowie der SYSTEM-G-AG, der PAPIER-G-AG und der TEXTIL-G-GMBH. Die wichtige Position des Kunden/der Kundin als Ausgangspunkt für die Chancenerkennung wird häufig erwähnt. Die MASCHINENBAU-G-GMBH betont, dass Chancen, die aus Kundenwünschen entstehen, grundsätzlich seltener sind als Ideen von Mitarbeitern/innen, sie sind allerdings auch lukrativer. Einige Unternehmen der Studie sind Auftragsfertiger oder im Sonderfertigungsbereich vorzufinden, wodurch die Stellung des Kunden/der Kundin noch einmal an Bedeutung gewinnt. Es ist wichtig für die Unternehmen, eine bereits bestehende Abnehmergruppe zu bedienen und diese nicht erst aufspüren zu müssen. Auch die Literatur bekräftigt die Wichtigkeit des Kunden/der Kundin (Bower und Gilbert, 2007, S. 77). Ein Basiselement ist die Bereitschaft des Unternehmens, innovativ sein zu wollen (BAUTEILM-GMBH), d.h. die von außen herangetragenen schwachen Signale müssen im Unternehmen Anklang finden. Oft ist der Wunsch selber das Signal. Häufiger versteckt sich jedoch hinter dem Wunsch das Signal und muss erkannt und interpretiert werden. Kunden/innen sind sich selber oft nicht sicher, was sie brauchen oder wollen, und wie dieser Wunsch erfüllt werden kann. Die METALLWAREN-M-GMBH gibt dies prägnant wieder: „In Wirklichkeit geht es um die Bedürfnisse. Man muss heute eigentlich als Produktentwickler...erkennen, was stört den [Kunden/innen] am Produkt“ und diskutieren, „ist es der Kundenwunsch oder ist er es nicht“. Es ist eine Frage der Wahrnehmungs- und Interpretationsgabe der Unternehmensmitglieder – allem voran die des Innovators/der Innovatorin – diese Aufgaben zu übernehmen und damit den SFA-Prozess anzustoßen. Das bedeutet, dass nicht nur Mitarbeiter/innen in speziell dafür eingerichteten Organisationseinheiten als Innovatoren/innen tätig werden können, sondern dass auch andere Personen aus unterschiedlichen Bereichen und in unterschiedlichen Position im Unternehmen diese Aufgabe übernehmen (vgl. Abschnitt „Befragungssubjekte“ 12.2).
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
184
Wenn schwache Signale, die aus der Unternehmensumwelt in das Unternehmen dringen, von Unternehmensmitgliedern erkannt und genutzt werden, dann wird ein Strategischer Frühaufklärungsprozess angestoßen.
16.1.3.3
Lernpotenziale (A3)
Steinmann und Schreyögg (2000, S. 463) sehen Lernen und organisationales Lernen als „erweiterte Theorie organisatorischen Wandels“ an, denn Lernen zeige eine Bewegung, eine Veränderung. • Die METALLWAREN-M-GMBH, die ELEKTRONIK-M-GMBH und die SYSTEMG-AG sprechen direkt die Thematik des Lernens in ihren Unternehmen an. So sind Gespräche, der Austausch und der kritische Diskurs in der METALLWAREN-MGMBH eine wichtige Reflexions- und Lernbasis. Auch die ELEKTRONIK-M-GMBH nimmt Fortschritte und Änderungen aus dem konkreten Innovationsprojekt mit und implementiert sie in Folgeprojekten (die Form „Lernen aus Erfahrung“ (MüllerStewens und Lechner, 2005, S. 469)). Die ELEKTRONIK-M-GMBH merkt jedoch auch an, dass es leichter ist, das Gelernte in neuen Situationen anzuwenden, als in alte Gegebenheiten zu integrieren. • Die SYSTEM-G-AG lernte aus den Fehlern des Vorgängermodells, welches vom Markt genommen werden musste („Lernen aus Erfahrung“). Auch die zweite Form des organisatorischen Lernens, das „Lernen durch Inkorporation neuer Wissensbestände“ (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 470) wird durch die Aufnahme neuer Mitarbeiter/innen mit neuem Wissen sowie durch das Eingehen von Partnerschaften in vielen Unternehmen durchgeführt. • Der Informationsaustausch mit der Umwelt stößt die dritte Lernform, das „vermittelte Lernen“ (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 469) an, das heißt es wird das Erfahrungswissen von anderen benutzt6 . • Alle Unternehmen, die als innovativ gelten und erfolgreich innovieren, benutzen die Lernart „Generierung neuen Wissens“. Dies bedeutet, dass vorhandenes Wissen durch interne Kommunikation und Austausch verknüpft wird. Oft entsteht daraus die neue Idee. Die befragten Unternehmen praktizieren diese Art des Lernen während des Innovationsprozesses durch das Einbeziehen vieler Experten/innen aus anderen Fachabteilungen und den Informationsaustausch mit Kunden/innen (Itami, 1992, S. 59). 6 Dies ist auch Ziel der vorliegenden Art, die versucht ’best-practice’-Beispiele für andere Unternehmen zugänglich zu machen.
16.2. METHODEN DES SFA-PROZESSES
16.2
185
Die Methoden des Strategischen Frühaufklärungsprozesses
Ein installierter SFA-Prozess besteht in den befragten Unternehmen nicht. Auch das Bewusstsein für eine SFA ist – soweit dies festgestellt werden konnte – wenig vorhanden. Die SFA von Chancen wird oft mit Innovationsmanagementthemen vermischt (z.B. Brainstorming). Daher finden sich Innovationswerkzeuge in der Befragung wieder. In diesem Kapitel werden die Methoden näher beschrieben.
16.2.1
Eingesetzte Methoden im Strategischen Frühaufklärungsprozess
Die Unternehmen unterscheiden sich in ihrem Methodeneinsatz sehr. Einen „one-best-way“ gibt es daher nicht. Es lassen sich die eingesetzten Methoden in Kategorien einordnen (vgl. Abbildung 16.3): Institutionalisiert
Aussenfokus
Komplex
Lose Einfach Innenfokus Persönlich Intuitiv Informal
Unpersönlich
Rational
Formal
Abbildung 16.3: Methodenklassen
• Aussenfokus vs. Innenfokus: Die eingesetzten Methoden haben einen unterschiedlichen Fokus – entweder richten sie sich auf Informationen außerhalb der Unternehmensgrenzen, oder sie konzentrieren sich auf Innenaspekte. So wird in der Phase A1 in der KUNSTSTOFF-M-GMBH der Außendienst miteinbezogen, in der
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
186
ELEKTRO-M-GMBH die Vertreter/innen, die METALLWAREN-M-GMBH recherchiert am Markt, die ELEKTRONIK-M-GMBH sucht die Verbindung mit den Lieferanten/innen, die BAUTEIL-M-GMBH jene mit anderen Unternehmen. Auch die Großunternehmen beziehen systematisch die Außenwelt ein, sowohl in A1 als auch in A2. Die Gegenpolarität bilden intere Treffen und Dialoge. Für A2 werden – zusätzlich zu internen Quellen – Methoden, die externe Informationen nutzen, hinzugezogen: „This ability [to perceive and experience events „richly“] requires expanding the number and diversity of interpretations of rare and unusual events as they happen.“ (Beck und Plowman, 2009, S. 909). • Unpersönlich vs. persönlich: Unter „persönlich“ versteht man hier die konkrete Einbeziehung von Personen, d.h. die Methode lebt durch die Involvierung von Menschen als Informationsgeber (z.B. die bewusste Befragung von Kunden/innen oder Vertretern/innen z.B. in der ELEKTRO-M-GMBH, der ELEKTRONIK-M-GMBH, usw.). Unpersönliche Methoden sind z.B. der Einsatz von Checklisten7 . • Formal vs. informal: Formale Vorgehensweisen beziehen sich auf geplante Treffen, nicht geplante zählen zu den informalen Vorgehensweisen. In der TECHNIKG-GMBH werden bei kleinen Projekten informale Gespräche sowohl in A1 als auch in A2 favorisiert. Die BAUTEIL-M-GMBH tauscht sich mit anderen Unternehmen informal über Telefon aus. Es gibt tendenziell Unterschiede bei den Unternehmen, ob ein sehr formaler Prozess mit standardisierten Methoden, oder ob ein eher inkrementeller Prozess verfolgt wird (z.B. TEXTIL-G-GMBH vs. KUNSTSTOFF-MGMBH). • Institutionalisiert vs. lose: Institutionalisierte Methoden reichen etwas weiter und schließen auch Organisationseinheiten mit ein. Lose Methoden hingegen zählen – wie informale Vorgehensweisen – zu den spontanen und nicht von der Unternehmung geplanten Prozessen. Institutionalisiert sind Datenbanken, wie Ideenspeicher oder Vorschlagswesen (KUNSTSTOFF-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-G-AG, TEXTIL-G-GMBH), die sich auf die Enddokumentationsprozesse in Phase A1 beziehen. Auch spezielle Organisationseinheiten übernehmen Beobachtungsaufgaben von A1 (METALLWAREN-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-G-AG) und Bewertungsaufgaben von A2 (MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG). Lose Vorgehensweisen werden z.B. in der TECHNIK-G-GMBH in beiden Phasen durch informale Treffen und Gespräche angewendet. Auch in der KUNSTSTOFF-M-GMBH werden Treffen in A2 dann abgehalten, wenn Probleme oder Fragen akut auftreten. 7 Es sind zwar auch Personen involviert, allerdings als Mittel und nicht als Ziel der Methode, wie z.B. bei der METALLWAREN-M-GMBH.
16.2. METHODEN DES SFA-PROZESSES
187
• Komplex vs. einfach: Diese Dimension bezieht sich auf die Komplexität der Methoden, z.B. den Zeitaufwand, den Ressourcenaufwand, usw.. Bei GU sind die Methoden tendenziell komplexer. So sind Umfragen, Monitoringaktivitäten oder Bewertungsvorgänge in diesen Unternehmen umfassender als in MU. • Rational vs. intuitiv: Diese Eigenschaftsdimension mit ihren Polaritäten wurde bereits ausführlich behandelt. Die folgende Abbildung auf dieser Seite versucht, die einzelnen Ausprägungen dieser Eigenschaftsdimension zuzuordnen.
Institutionalisiert
RATIONAL
Aussenfokus
Komplex
KOMBINATION INTUITIV
Lose Innenfokus Persönlich
Unpersönlich
Einfach
Informal
Formal
Abbildung 16.4: Methodenklassifizierung und rational vs. intuitiv Unterschiede im Methodeneinsatz gibt es auch in Abhängigkeit von den Phasen A1 und A2. Die befragten Unternehmen wenden ihre Methoden in diesen Phasen unterschiedlich an. So kommt Brainstorming oder die Patentrecherche sowohl in A1 als auch in A2 vor. Einmal werden die Methoden zur Wahrnehmung von schwachen Signalen verwendet, sie können aber auch zur Bewertung und Interpretation herangezogen werden (z.B. wenn neue Informationen gesucht werden sollen, um das schwache Signal mit Bedeutung zu füllen). Man kann die eingesetzten Methoden auch wie folgt gruppieren: • In Phase A1: – Beobachtungstechniken – Recherchetechniken – Kreativitätstechniken
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
188 – Analysetechniken
– Treffen, Kooperationen, Kontakt – Dialog/Diskussion intern – Dialog/Diskussion extern
• In Phase A2 zusätzlich (dafür keine Beobachtungstechniken):
– Bewertungstechniken – Niederschrift (Protokolle, Datenbanken,...)
Fasst man die Unternehmen zusammen, so ergeben sich folgende Bilder (vgl. Abbildung 16.5): Aus den obigen Abbildungen erkennt man, dass die untersuchten Unternehmen unterschiedliche Methoden in beiden Phasen anwenden. In A1 werden oft die Kunden/innen oder der Markt mit Methoden bearbeitet, es wird viel recherchiert. Dies reicht von einem fortwährenden einfachen Dialog mit den Kunden/innen bis zu umfassenden Marktbeobachtungen. Analysen kommen kaum zum Einsatz, Kreativitätstechniken etwas häufiger. Rückgespiegelt werden die Kundeninformationen über verschiedene Wege: Vertreter/innen, Außendienst, Verkauf oder Vertrieb usw.. Stark vertreten sind interne Dialoge oder Dialoe mit externen Personen. In A2 dominieren Diskussionen und Besprechungen, vor allem intern im Unternehmen. Bewertungstechniken, oft einfach und rudimentär, werden ebenso eingesetzt. Recherchetätigkeit bzw. Kreativitätstechniken treten vereinzelt auf, vor allem um die Bewertung auf eine objektive Basis zu stellen. Wenn Unternehmen einen SFA-Prozess (bewusst oder unbewusst) durchlaufen, dann wenden sie Methoden (in den Phasen A1 und A2) an. Entscheidend ist der tatsächliche Einsatz der verfügbaren Methoden. Denn obwohl manche Unternehmen diese implementiert haben, nutzen sie sie unter Umständen in konkreten Innovationsprozessen nicht. Daher ergeben sich Unterschiede zwischen den Unternehmenspfaden und den verfügbaren Methoden. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen zwar über verschiedenste Methoden verfügen kann, es jedoch trotzdem einen intuitiven Pfad aufweist.
16.2. METHODEN DES SFA-PROZESSES
189
Methodenkategorien Phase A1 Recherche Kreativität
Analyse
Kontakt
Dialog intern
Dialog extern
GU7
GU6
GU5
GU4
GU3
GU2
GU1
MU5
MU4
MU3
MU2
MU1
Beobachtung
Methodenkategorien Phase A2 Kreativität
Analyse
Bewertung
Kontakt
Dialog intern
Dialog extern
GU7
GU6
GU5
GU4
GU3
GU2
GU1
MU5
MU4
MU3
MU2
MU1
Recherche
Abbildung 16.5: Methodenkategorien A1 und A2
Niederschrift
190
16.2.2
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
Methodeneinsatz in MU vs. GU
Ohne Methoden und Instrumente geht es bei MU und GU nicht. Allerdings ist die Methodenvielfalt in MU eingeschränkt. Die eingesetzten Methoden sind einfach, kostengünstig und bringen schnell Ergebnisse8 . Jedes Unternehmen versucht, die für sich geeignetsten Methoden zu finden und einzusetzen. Oftmals können die Unternehmen den Methoden keine Namen geben, es wird „einfach gehandelt“. Eine Sonderstellung nimmt die KUNSTSTOFF-M-GMBH ein, das grundsätzlich Methoden ablehnt, oder es werden installierte Methoden nicht angenommen. Alle anderen MU bedienen sich des Brainstormings und verschiedenster Workshops, Meetings oder Besprechungen. Rudimentär kommt bei der ELEKTRO-M-GMBH und der METALLWAREN-M-GMBH noch eine externe Sicht durch Kundenumfragen oder Vertretertreffen hinzu. Einfache Instrumente wie Bewertungs- und Checklisten oder Ideensammlungswerkzeuge („Ideentopf“, „Sternenhimmel“; ELEKTRO-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIKM-GMBH) bzw. Analysen (ELEKTRO-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH) kommen zum Einsatz. Je kleiner das Unternehmen ist, umso weniger, einfacher und schneller anwendbar sind die Methoden während der Anfangsphasen von Innovationsprozessen. GU weisen – nicht überraschend – mehr Methoden auf als MU9 . Innerhalb eines Unternehmens werden viel mehr Methoden angewendet als in MU. Zwischen den GU bestehen größere Unterschiede beim Methodeneinsatz. Bei GU sind grundsätzlich vermehrt standardisierte Abläufe und Prozesse vorzufinden (MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-GAG, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH). Die MASCHINENBAUG-GMBH, die PAPIER-G-AG und die TECHNIK-G-GMBH (überraschenderweise auch die BAUTEIL-M-GMBH) benennen einen anschließenden, fest installierten Stage-GateProzess mit Methoden, wie Lasten- und Pflichtenheft (in der TECHNIK-G-GMBH schon mindestens zehn Jahre, in der MASCHINENBAU-G-GMBH ist der Prozess noch sehr neu)10 . Diese GU sind im Zusammenhang mit größeren Projekten sehr zufrieden mit den Abläufen11 . Die MASCHINENBAU-G-GMBH und die TECHNIK-G-GMBH sind sich jedoch bewusst, dass der oftmals komplexe und umfangreiche Stage-Gate-Prozess für kleinere Projekte nicht angewendet werden kann, da die Formalismen den kreativen Prozess stören bzw. abbrechen könnten. D.h., der Einsatz von Methoden, die Art und der Umfang, richtet sich stark nach den handelnden Personen und deren Einstellung gegenüber Methoden aus. Allerdings haben sowohl die MASCHINENBAU-G-GMBH als auch die 8 Vgl. „intutive Methoden“ bei Magiera (2009, S. 40), d.h. die in kurzer Zeit viele Ideen liefern und das Unterbewusstsein aktivieren. 9 Diffenbach (1983, S. 111) unterstützt mit seiner Studie diese Ergebnisse. 10 Die FAHRZEUG-G-AG weist einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess auf, auch die TEXTIL-GGMBH spricht von einem standardisierten Prozess. 11 Möglicherweise ist auch in der ENTWICKLUNGS-G-GMBH ein solcher Prozess installiert, jedenfalls kommen Lastenhefte zum Einsatz.
16.2. METHODEN DES SFA-PROZESSES
191
SYSTEM-G-AG und die PAPIER-G-AG keine konkreten Methoden und Instrumente für den SFA-Prozess, d.h. für die Ideenfindung selbst. Je größer das Unternehmen ist, • umso komplexer, vielfältiger und häufiger ist der Methodeneinsatz. • desto häufiger gibt es selbstständig verantwortliche Personen, Abteilungen oder eine BU (=Business Unit) für die Durchführung der Chancenerkennung und -nutzung. • umso eher trifft man auf fest installierte, nachgelagerte Prozesse (wie z.B. den StageGate-Prozess). In den analysierten Unternehmen werden zahlreiche Werkzeuge eingesetzt: Meetings und Workshops, klassische SWOT- und ROI-Analysen sowie Zeit- und Kostenpläne, Ideenspeichersysteme und Portfolios. Wenig bis gar nicht anzutreffen sind Trend- bzw. Prognosetätigkeiten und spezielle Werkzeuge im Zusammenhang mit der Strategischer Frühaufklärung.
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
192
16.3
Die Träger/innen der Phasen
Die folgenden Abschnitte zeigen auf, welche Personen die Hauptaufgaben in den einzelnen Phasen übernahmen (vgl. Tabelle 16.2). Zuerst wird ein Überblick über die Ergebnisse der empirischen Arbeit gegeben, dann runden Literaturerkenntnisse den Text ab12 .
Unt.
MU1
MU2 MU3 MU4
MU5
GU1
Activation
Innovator/in überzeugt Geschäftsführung Kunde/in tritt an das Unternehmen heran → Gruppe bearbeitet mit Kunde/in Innovator/in überzeugt Geschäftsführung → sucht verschiedene Kunden/innen Innovator/in überzeugt Gruppe Kunde/in tritt an das Unternehmen heran → Gruppe bearbeitet ODER Innovator/in überzeugt Geschäftsführung/Führungskraft Geschäftsführung beauftragt Gruppe ODER Innovator/in überzeugt Geschäftsführung
GU2
Innovator/in überzeugt Gruppe
GU3
Innovator/in überzeugt Geschäftsführung
GU4
Innovator/in + Geschäftsführung Geschäftsführung beauftragt Innovator/in und Gruppe ODER Innovator/in überzeugt Geschäftsführung Innovator/in überzeugt Geschäftsführung ODER Geschäftsführung beauftragt Gruppe
GU5
GU6
GU7
Innovator/in überzeugt Geschäftsführung
Assessment Geschäftsführrung bestimmt Projektleiter/in (Innovator/in) → Projektleiter/in sucht Gruppe und/oder externe Partner/in Gruppe sucht externe Partner/innen (Universität, Berater/in, Designer/in) Innovator/in überzeugt Gruppe und/oder externe Partner/innen Gruppe sucht Kunde/in und/oder Lieferant/in und überzeugt Mutterunternehmen Gruppe sucht externe Partner/innen (Experten/innen)
Gruppe + Kunde/in Gruppe + Kunde/in suchen externe Partner/innen (Unternehmen) Gruppe sucht externe Partner/innen (Lieferanten/innen, Universitäten, Fachhochschulen) Gruppe überzeugt Führungskraft Geschäftsführung sucht Gruppe + externe Partner/in (Experten/innen) ODER Innovator/in sucht Gruppe Gruppe bindet Innovator/in ein und sucht externe Partner/in Geschäftsführung beauftragt Gruppe → Gruppe sucht externe Partner/in (Unternehmen, Universität)
Tabelle 16.2: Handelnde Personen in den Phasen 12 Es wird lediglich ein Überblick geschaffen, Ausführungen zu wichtigen Themengebieten werden in weiteren Kapitel ausführlich erläutert. Bestimmte Personen in der dritten Phase Action konnten in der Befragung nicht eruiert werden.
16.3. TRÄGER/INNEN DER PHASEN
16.3.1
193
Activation
„What is needed is an approach to issue management that allows everyone in the organisation to contribute to the process.“ (Bronn und Bronn, 2002, S. 252) 16.3.1.1
Die Bedeutung der Personen in der Befragung
In der ersten Phase des SFA-Prozesses steht meist eine Einzelperson: der Innovator/die Innovatorin (KUNSTSTOFF-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-MGMBH, BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH) (vgl. Abbildung 16.6).
Abbildung 16.6: Personen im Activation • Bei den GU wird vereinzelt die Geschäftsführung als Initiator/in genannt (teilweise auch als Innovator) (MASCHINENBAU-G-GMBH, TECHNIK-G-GMBH, TEXTILG-GMBH), bei MU Kunden/innen, die an das Unternehmen mit konkreten Wünschen oder Vorstellungen herantreten (ELEKTRO-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH). • Bei fast allen Unternehmen beginnt der SFA-Prozess bei einer innovativen Einzelperson. Es kristallisieren sich gewisse Muster bei den handelnen Personen und den Prozessen heraus. • Sowohl bei den GU als auch bei den MU muss der Innovator/die Innovatorin die Geschäftsführung überzeugen (KUNSTSTOFF-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH,
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
194
BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, SYSTEM-G-AG, TEXTIL-GGMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH). Der Innovator/die Innovatorin bleibt demnach selten alleine, sondern benötigt die tatkräftige Unterstützung von einflussreichen Personen (meistens die Geschäftsführung oder die nächstobere Führungskraft). Dafür wendet er/sie den politischen Prozess des ’issue-sellings’ (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue-sellings’“ 19.2) an. Nur bei zwei Unternehmen (ELEKTRONIK-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG) überzeugte der Innovator eine interne Gruppe von seiner Idee. Ansonsten werden keine Überzeugungsprozesse eingesetzt. • Neben Überzeugungsprozessen gibt es noch Abläufe, in denen eine Person eine andere mit einer Tätigkeit beauftragt. D.h. oft beauftragt die Führungskraft eine interne Gruppe (MASCHINENBAU-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH). In der ELEKTRO-MGMBH und der BAUTEIL-M-GMBH beauftragte der Kunde von außen das Unternehmen mit der Ideensuche. Bei beiden Mittelunternehmen und der TECHNIK-GGMBH beauftragt das Unternehmen wiederum eine interne Gruppe, externe Personen oder den Innovator. Wenn eine Einzelperson ein schwaches Signal aufgreift, dann wird ein SFA-Prozess angestoßen. Wenn der SFA-Prozess in der Phase Activation erfolgreich weiter geführt wird, muss die Geschäftsführung überzeugt werden.
16.3.1.2
Die Bedeutung der Personen in der Literatur in der Phase Activation
Im ersten Feld des SFA-Prozesses werden in der Literatur die Aktivitäten des Scannings und Monitorings unterschieden und ihnen verschiedene Personen in den Unternehmen zugeordnet. Für das Scanning wird oft die Unternehmensleitung als zuständig gesehen (Engledow und Lenz, 1985, S. 94; Boyd und Fulk, 1996, S. 3; Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 189) oder das mittlere Management (Hambrick, 1981b, S. 299). Diese These aus der Literatur hat sich jedoch in Studien und in der durchgeführten Befragung nicht völlig bestätigt (Hambrick, 1981b, S. 300). Ungerichtete Beobachtungen kommen aus unterschiedlichen Hierarchiebenen – oft auch informal (Hambrick, 1981b) – im Sinne eines strategischen Radars (Narchal et al., 1987). Die Vorreiterrolle bei der Suche nach schwachen Signalen nimmt der Innovator/die Innovatorin ein, der/die in den Unternehmen unterschiedliche hierarchische Positionen bekleiden kann. Träger/innen der Informationsaufnahme und -verstärkung lassen sich nicht global bestimmen, argumentiert Simon (1986, S. 182), sondern sie hängen von den je-
16.3. TRÄGER/INNEN DER PHASEN
195
weiligen Unternehmensspezifika und auch den Prozessschritten13 ab. Die Intensität der Umweltbeobachtung richtet sich – nach Hambrick (1981b) – nicht nach der funktionalen Spezialisierung der Personen. Grundsätzlich plädiert die Literatur für ein Verantwortungsbewusstsein jedes Mitarbeiters/jeder Mitarbeiterin (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 7; Wiedmann, 1984, S. 53; Hartman et al., 1994, S. 37) bzw. auch eine bewusste Zuweisung von Verantwortung, z.B. im Sinne des Aufgabenbereiches eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin (Sánchez und Pérez, 2004, S. 12). So ist die Beobachtung nicht auf bestimmte funktionale oder hierarchische Bereiche im Unternehmen beschränkt (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 188). Da jede Person auf Basis ihres funktionalen Hintergrundes agiert, wird angenommen, dass eine breite Streuung im Unternehmen für die Erfassung schwacher Signale förderlich ist (Bourgeois III, 1985, S. 566)14 . Wiedmann (1984, S. 54) weist auf Nachteile für die Ausweitung der SFA auf Mitarbeiter/innen hin: Verzerrungseffekte durch politische oder persönliche Interessen (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 188), und die Partizipation jeder Person ist mit einem hohen Koordinations- und Ressourcenaufwand verbunden (z.B. in Berichts- und Informationssystemen, Anreizsystemen). Monitoring hingengen weist in der Literatur meist direkte Verantwortlichkeiten zu (YasaiArdekani und Nystrom, 1996, S. 188; Aaker, 1983, S. 79) und reduziert damit möglicherweise opportunistische Vorgehensweisen (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 188). Autoren/innen diskutieren, ob Monitoring auf eine eigene Abteilung delegiert werden sollte. Befürworter wollen die direkte Verantwortlichkeit, und damit bestimmte Personengruppen legitimieren (als „Sensorsystem“) (Aaker, 1983; Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996). Auch könnten geschulte Spezialisten/innen eingesetzt werden (Wiedmann, 1984, S. 56). Gegner dieses Ansatzes postulieren: „es müssen vielmehr breite Kreise innerhalb und außerhalb des Unternehmens dafür gewonnen werden“ (Simon, 1986, S. 182), im Sinne der Einbeziehung von anderen Stakeholdergruppen, wie Lieferanten/innen oder Kunden/innen (Wiedmann, 1984, S. 53). Trotzdem sollte es einen Hauptverantwortlichen/eine Hauptverantwortliche geben, der/die mit der Funktion assoziiert wird („Missionar“) (Krystek und Müller-Stewens, 1993, S. 7). Simon (1986, S. 182) spricht die Kombination der strategischen mit der operativen Ebene an, um eine überblicksmäßige Sichtweise mit marktnahen Informationen verknüpfen zu können und gegebenenfalls Unterstützung und Legitimität vom Top-Management zu erhalten. Mögliche Recyclingschritte legt Simon (1986, S. 183) in die Hand von Spezialisten/innen. 13 Simon (1986, S. 204f) diskutiert die Zusammensetzung der Beteiligten im analytischen Prozessschrit Prioritätenbetimmung, also Bewertung. So spricht sich der Autor, auf Grund der analytischen Aufgabe, für andere Personengruppen als in den eher intutitiv geprägten Tätigkeiten aus. Er bezieht somit die Controllingabteilung mit ein, Teilnehmer der strategischen Unternehmensplanung und die Unternehmensleitung. Auch die Weiterleitung, Verbreitung und Dokumentation liegt vorzugsweise in den Händen der Controllingabteilung. 14 Belohungssysteme, Zeremonien oder Ausbildungen wirken sich förderlich auf die Mitarbeit aus (Hartman et al., 1994, S. 45).
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
196
16.3.2
Assessment
Wiederum folgen zuerst die empirischen Ergebnisse. Diese werden folgend mit Literatureinsichten abgeglichen. 16.3.2.1
Die Bedeutung der Personen in der Befragung
Im Assessment steht nicht der Innovator/die Innovatorin, sondern die interne Gruppe im Vordergrund (vgl. Abbildung 16.7). Zusätzlich werden neben den Innovatoren/innen häufig externe Partner/innen oder Personen, selten die Führungskräfte miteinbezogen.
Abbildung 16.7: Personen im Assessment Überzeugungsprozesse nehmen im Gegensatz zum ersten Schritt Activation einen weniger wichtigen Stellenwert ein. Nur drei Unternehmen bedienen sich ihrer in dieser Phase des Prozesses15 . Häufiger anzutreffen sind Suchprozesse mit dem Ziel des Auffindens entsprechender Personen oder Personengruppen. Zielgruppen sind dabei oft externe Personen, wie Universitäten und Fachhochschulen, Experten/innen, Kunden/innen, Lieferanten/innen, Mitbewerber/innen oder Berater/innen. Entweder sucht die interne Gruppe (ELEKTROM-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG), die Geschäftsführung, die Führungskraft (BAUTEIL-M-GMBH, TECHNIK-G-GMBH) oder der Innovator selber (KUNSTSTOFF-M-GMBH, TEXTIL-G-GMBH). Vereinzelt stellt die 15 In der METALLWAREN-M-GMBH muss der Innovator die interne Gruppe bzw. externe Partner/innen überzeugen, in der ELEKTRONIK-M-GMBH überzeugt die interne Gruppe externe Partner/innen, in der PAPIER-G-AG die interne Gruppe die Führungskraft.
16.3. TRÄGER/INNEN DER PHASEN
197
Führungskraft (TECHNIK-G-GMBH) oder der Innovator (KUNSTSTOFF-M-GMBH, TECHNIK-G-GMBH) eine interne Gruppe zusammen. Selten anzutreffen sind Aufgabenzuteilungen (KUNSTSTOFF-M-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH). Nahezu alle Unternehmen beziehen externe Personen in den zweiten Prozess mit ein.16 Wenn der SFA-Prozess in der Phase Assessment erfolgreich weiter geführt wird, müssen unternehmensinterne Gruppen externe Personen(gruppen) suchen und miteinbeziehen.
16.3.2.2
Die Bedeutung der Personen in der Phase Assessment
„Many participants may play some part in scanning or data processing, but the point at which information converges and is interpreted for organization level action is assumed to be at the top manager level.“ (Daft und Weick, 1984, S. 285)
Daft und Weick (1984, S. 285) gehen davon aus, dass Interpretationen hauptsächlich in der Unternehmensspitze getätigt werden, da diese vor allem mit jenen Themen betraut sind, die das gesamte Unternehmen umfassen. Auch andere Autoren/innen unterstreichen die wichtige Position der Spitze im Prozess (Maitlis, 2005, S. 22; Dutton, 1993, S. 341; Kuvaas, 2002, S. 986): „...both strategy and information-processing structure are related to how chief executives label strategic situations.“ (Thomas und McDaniel, 1990, S. 286). Dies mag stimmen, wenn man die Spitze als letzte und entscheidende Instanz sieht. Interpretationen finden aber schon zuvor auf anderen Unternehmensebenen statt, da die Spitze nicht alle Informationen selber suchen und finden kann. Der Prozess Activation erstreckt sich auch auf andere Personen, die die Informationen weitergeben. Vor und während dieser Weitergabe kommt es bereits zu Interpretationen (durch den Prozess des ’issue sellings’ zum Beispiel (Maitlis, 2005, S. 22)): „organization members interpret their environment in and through interactions with others.“ (Maitlis, 2005, S. 21). Je wichtiger ein Thema angesehen wird, bzw. der Bereich, aus dem es stammt, umso mehr wird sich das Unternehmen bzw. werden sich die Personen damit beschäftigen (Ginsberg und Venkatraman, 1992, S. 40). Sieht die Führungspitze z.B. den technologischen Markt als sehr wichtig an, wird sie vermehrt in Produktinnovationen investieren. Auch außenstehende Parteien (Stakeholder) können auf den Prozess Einfluss haben17 . Dies unterstreicht die Ergebnisse der empirischen Befragung, die den externen Einflusspersonen eine große Wirkung zuschreiben. 16 Die PAPIER-G-AG ist das größte Unternehmen. Die Begründung für die geringe Einbeziehung von Externen liegt in der großen Wissens- und Kapazitätsbasis des Unternehmens. Es müssen daher kaum Kompetenzen von außen bezogen werden. 17 Das Alter der Personen, die Ausbildung sowie die Organisationserfahrung haben nach Thomas et al. (1993, S. 260) keine Auswirkung auf die Interpretationsphase.
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
198
16.4
Strategische Frühaufklärungsprozesspfade
Damit eine prozess- und methodenbezogene Charakterisierung von Unternehmen möglich ist, wurde in dieser Arbeit bereits der Begriff der Prozesspfade eingeführt. Jedes Unternehmen folgt demnach einem bestimmten Prozesspfad. Diese Pfade sind unternehmensindividuell. Es lassen sich jedoch Ähnlichkeiten – und damit Prozesspfadkategorien – bilden. In der folgenden Abbildung sind die aus der Stichprobe gefundenen Pfade dargestellt (vgl. Abbildung 16.8).
Pfadübersicht A2
A3
I
I+R
R
A1
Abbildung 16.8: Pfadübersicht Aus der Abbildung sind vier Pfadmuster erkennbar: rationale, intuitive, kombinierte und parallele Pfade18 .
16.4.1
Pfad 1: Rationale Pfade
Der rationale Pfad bewegt sich in mindestens zwei der drei Phasen in der rationalen Ebene (von Methoden unterstützt) (vgl. Abbildung 16.9). Die ELEKTRO-M-GMBH, die FAHRZEUG-G-AG und die SYSTEM-G-AG folgen in allen Phasen der rationalen Ausprägung. Die ENTWICKLUNGS-G-GMBH und die TEXTIL-G-GMBH beginnen zwar mit einer Kombination der rationalen und intuitiven Prozessart (Activation), folgen allerdings später der reinen rationalen Ausprägung19 . Bei der ELEKTRONIK-M-GMBH und der BAUTEIL-M-GMBH fließt in der zweiten Phase Assessment auch Intuition ein. Sowohl GU als auch MU folgen diesen Pfadmustern. Anhand einiger Literaturquellen führt 18
Vgl. eine ähnliche Vorgehensweise bei Nutt (1984). Die MASCHINENBAU-G-GMBH zählt auch zum rationalen Pfad, abgesehen von der parallel laufenden Anfangsphase, vgl. unten. 19
16.4. SFA-PROZESSPFADE
199
Typ 1 A1
A2
A3
I+R
R
1a
1b
1c
I
1a...MU2, GU2, GU3 1b...GU6, GU7 1c...MU4, MU5
Abbildung 16.9: Rationale Pfade die Verwendung von Plänen, Strategien und rationalen Methoden zu einer besseren Performance, sowohl in GU als auch in MU (vgl. Bracker et al., 1988; Bracker und Pearson, 1986).
16.4.2
Pfad 2: Intuitive Pfade Typ 2 A2
A3
I+R
R
A1
2b
I
2a 2a...GU5 2b...GU1
Abbildung 16.10: Intuitive Pfade Diese Pfade bewegen sich vermehrt in der intuitiven Ebene, d.h. in mindestens zwei der drei Phasen (vgl. Abbildung 16.10). Die PAPIER-G-AG folgt in allen drei Phasen der Intuition, die KUNSTSTOFF-M-GMBH wendet sich nach einem kombinierten Start von Intuition und Rationalität der Intuition zu. Interessant ist, dass gerade bei der PAPIERG-AG Bemühungen für eine völlig rationale Ausgestaltung getroffen worden sind und auch weiter im Unternehmen bestehen. Diese werden jedoch durch Hemmfaktoren auf eine intuitive Ausprägung verschoben. Wiederum findet sich diese Pfadart sowohl in MU als auch in GU wieder. Ausschlaggebend für Unternehmen dieser Pfadkategorie ist die starke Rolle des intuitiven
200
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
Innovators/der intuitiven Innovatorin (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator/in des SFAProzesses“ 18.1), bestimmte Personen die intuitive Vorgehensweisen (und damit Strukturen im Unternehmen) fördern oder die Unternehmenskultur und -strategie (vgl. Abschnitt „Organisationscharakteristika“ 20). In der Literatur finden sich zu dieser Problematik unter anderem Ausführungen zum Zeitmangel der Personen, welcher den Einsatz von Methoden verhindert. Die Akademiestudie von Linke (1998), durchgeführt von der kybernetika Gesellschaft für Unternehmensentwicklung mbH aus Linz, befragte 246 Führungskräfte verschiedener Branchen und Unternehmensgrößen aus Österreich und Deutschland zum Thema Innovationsfreude der Wirtschaft und dem Zeitaspekt bei Innovationen. 83% der befragten leitenden Mitarbeiter/innen erklärten, dass Führungskräfte sich selbst keine Zeit für die Ideenreifung nehmen und auch ihren Mitarbeitern/innen nicht geben (Linke, 1998, S. 3). Grund dafür ist einerseits der Zeitmangel, andererseits finden sich noch vier weitere Hindernisse: das fehlende Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter/innen (82%), die langsame Umsetzung der Ideen (82%), der Ressourcenmangel, der durch die Unternehmensspitze geschaffen wird (79%) und der zögerliche Einsatz von Kreativitätstechniken im Unternehmen (77%). Die Innovationshindernisse sieht die Studie in Organisationsschwächen, Führungsmängeln, persönlichen Problemen von Führungskräften und Widerstand gegen Veränderung. „Gleichbleibend zwischen 67% und 70% der Führungskräfte bemängeln die unklare Zielsetzung für innovative Produkte und Dienstleistungen durch die Auftraggeber. Das Fehlen von Möglichkeiten, sich in Projektgruppen fachübergreifend auszutauschen, wird moniert – ebenso, daß Vorgesetzte Ideen und Vorschläge von Mitarbeitern/innen nicht ausreichend honorieren. Die Umsetzung qualifizierter Neuerungen werde von Teilen des Managements hinausgezögert oder gar verhindert. Auch sei der Weg von der Einbringung einer Idee bis zur Erlaubnis für die Umsetzung zu kompliziert und abschreckend aufwendig. Mitarbeiter/innen hätten nicht genügend Kompetenzen und Freiräume, neue Ideen in die Praxis umzusetzen.“ (Linke, 1998, S. 4). Schwächen sind zusätzlich, dass „Quer-Denken“ und kritische Hinterfragung als Störung des gewohnten Ablaufs empfunden wird, die Projektgruppen falsch zusammengesetzt und innovative Gedanken nur bestimmten zuständigen Abteilungen erlaubt werden oder die Angst der Ideenbringer/innen (Mitarbeiter/innen) vor Ideendiebstahl (Linke, 1998, S. 8). Die Hindernisse für erfolgreiche Ideenerkennung liegen nach Aussagen der Befragten damit in den Unternehmen selbst.
16.4.3
Pfad 3: Kombinierte Pfade
Kombinierte Pfade werden wie folgt definiert: mindestens zwei der drei Phasen werden im überlappenden Bereich von Intuition und Rationalität durchlaufen. Nur ein Unternehmen (METALLWAREN-M-GMBH) versucht größtenteils die Prozessarten zu vereinen (vgl. Abbildung 16.11). Es stellt zwar rationale Lernüberlegungen an,
16.4. SFA-PROZESSPFADE
201
Typ 3 A2
A3
I
I+R
R
A1
3...MU3
Abbildung 16.11: Kombinierte Pfade in den Phasen Activation und Assessment bedient es sich aber der Rationalität und der Intuition.
16.4.4
Pfad 4: Parallele Pfade Typ 4 A1
A2 4a
R I+R
A3
4b
I
4a 4a...GU4 4b...MU1
Abbildung 16.12: Parallele Pfade Als parallele Pfade werden Situationen im Bereich der SFA bezeichnet, in denen praktisch zeitlich parallel sowohl intuitive als auch rationale Prozesse ablaufen. Dies ist in Situationen möglich, in denen gleichzeitig mehrere (kleinere oder größere) Innovationsprojekte abgewickelt werden. Da diese Prozesse in der Stichprobe lediglich bei GU vorgefunden wurden, könnten sie ein Pendant zu den kombinierten Pfaden in MU darstellen (vgl. Abbildung 16.12). Bei der TECHNIK-G-GMBH befindet sich der völlig rationale Prozess neben dem intuitiven Prozess wieder und wird situationsbedingt eingesetzt. Bei der MASCHINENBAU-G-
202
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
GMBH ist vor allem die Anfangsphase von rationalen und intuitiven Prozessen gekennzeichnet, die unabhängig von Statten gehen (und nicht wie bei den kombinierten Pfaden gemeinsam angewendet werden). Kombinierte oder parallele Pfade versuchen Intuition und Rationalität situationsabhängig einzusetzen. Wenn Unternehmen SFA anwenden, dann durchlaufen sie gewisse Prozesspfade oder kategorien (rational, intuitiv, parallel, kombiniert,...).
16.5
Strategische Frühaufklärungsprozessunterschiede – eine Frage der Unternehmensgröße?
Alle befragten MU und GU sind mit dem Phänomen Intuition vertraut, auch wenn die Benennung sehr unterschiedlich ausfällt. Besonders der Begriff „Bauchgefühl“ wird sowohl in MU als auch in GU zur Benennung des Wortes Intuition bzw. der Vorgehensweise benutzt. Aber auch Begriffe wie Glück, Phantasie oder Emotion werden – wenn auch selten – in diesem Zusammenhang angeführt. Grundsätzlich sind bei Großunternehmen (vielleicht auch im Zusammenhang mit der größeren Komplexität und Größe) teilweise ein intuitiver und rationaler Prozess parallel anzutreffen (MASCHINENBAU-G-GMBH, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH). Allerdings wird letzterer nur bei Projekttypen mit höherer Komplexität angewendet. Der intuitive Prozess wird auf Grund von Hemmfaktoren (wie der Unternehmenskultur oder dem Widerstand der Unternehmensmitglieder gegen Formalismen) anstatt des rationalen Prozesses gelebt. Aus den Analysen der Prozesspfade ergab sich, dass sowohl intuitive als auch rationale Prozesse in ihrer Reinform in MU und GU vorkommen. Die Ergebnisse für die einzelnen Phasen und Unternehmensgruppen MU und GU sind unterschiedlich (vgl. Abbildung 16.13). In der ersten Phase ist der hohe Anteil der intuitiven Prozesse in GU auffallend, während keine MU vertreten waren. In der Phase 2 finden sich die meisten GU in der rationalen Prozessart, die MU größtenteils im kombinierten Bereich. Nur für diese zweite Phase stimmen die Literaturaussagen über den Größeneinfluss auf den SFA-Prozess überein (vgl. Diskussion in Abschnitt „Größenunterschiede in der Literatur“ 10.1.2). In der dritte Phase nutzen sowohl die meisten GU als auch MU die rationale Prozessart20 . Nach der Literatur (Sánchez und Pérez, 2004, S. 22; Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 201) erklärt die Unternehmensgröße nicht, wie mit schwachen Signalen umgegangen wird (vgl. Abschnitt „Auswirkungen der Größe auf Unternehmensprozesse“ auf Seite 92). 20 Das Bild ist allerdings sehr subjektiv geprägt, da implizite Lernmuster oder -vorhaben nicht feststellbar waren bzw. dies auch schwer oder nicht eruierbar ist. Deshalb ist auch unklar, ob sich Unternehmen nicht eher im Mittelfeld, bei einer Kombination von rational und intuitiv befinden.
16.5. EINE FRAGE DER UNTERNEHMENSGRÖE?
203
Abbildung 16.13: Rational vs. intuitive Prozesse
Obwohl kein genauer Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Nützlichkeit von Methoden in der Empirie festgestellt werden kann, wird GU in der Literatur eine größere Anzahl an Umweltanalysemethoden (auch im Sinne von komplexen Methoden) und deren häufigere Anwendung in der Phase Activation nachgesagt (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 190; Smeltzer et al., 1988). Dies inkludiert auch die unterschiedliche Ausgestaltung von Organisationsstrukturen. „Organizational structure also affects environmental scanning. In the large firm either a specialized department or the sales and public relations divisions conduct environmental scanning. These specialized departments then transfer the information to the planning department. In the small firm, these functions may all be served by one person.“ (Smeltzer et al., 1988, S. 57). GU gewährleisten die Koordination der größeren Zahl von Umweltbereichen. Sie delegieren die Aktivitäten in der Phase Activation eher als MU an untere Ebenen, die im engeren Kontakt mit der Umwelt stehen. Damit investieren GU intensiver in Aktivitäten der Phase Activation (das Monitoring) (Thomas, 1980). Darüber hinaus ist die Führungsspitze in GU eher gewillt, die Ergebnisse der Suche zu berücksichtigen und zu benützen (Lenz und Engledow, 1986, S. 71). MU können auf Grund von Infrastrukturnachteilen die rationale und formale Suche weniger ausbauen (McGee und Sawyerr, 2003, S. 385) und greifen nach Literaturaussagen weniger auf rationale Aktivitäten zurück. MU wählen ressourcenärmere Strategien (d.h. Scanning) (Fahey und King, 1977). Die Unternehmensspitze in MU führt die Suche oft persönlich aus, informal und mit persönlichen Kontakten. Sie hat keine Möglichkeit, die Aktivität an Spezialisten/innen auszulagern (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 191). Formale Marktrecherchen und Marketingpläne werden in MU weniger ausgeübt als in
204
KAPITEL 16. ERGEBNISSE SFA-PHASEN
GU (Brush, 1992, S. 42). Informale Informationen, sowie „gut feeling“ sind in MU sehr wichtig. Persönliche Quellen wie Kunden/innen, Wettbewerber/innen und Wirtschaftskontakte werden von MU gegenüber unpersönliche Quellen bevorzugt (Brush, 1992, S. 50). Auffällig ist, dass Handelsmagazine am häufigsten benutzt werden, gefolgt von der informalen Datensuche, Telefon und Person-zu-Person-Networking (Brush, 1992, S. 50).21 In der zweiten Phase Assessment machen sich – laut Literatur – Größenunterschiede anhand von Ressourcen bemerkbar. Ressourcen beeinflussen nach Dutton und Duncan (1987) die Diagnose und nach Denison et al. (1996, S. 458) die Interpretation von ’issues’. Die Ergebnisse zwischen Ressourcen und dem SID- oder SIA-Ansatz sind widersprüchlich: Je mehr Ressourcen vorhanden sind, desto weniger wird ’urgency’ wahrgenommen. Dies führt zu weniger Veränderung. Gleichzeitig steigt die Machbarkeit (’feasibility’) und damit die Veränderung (Dutton und Duncan, 1987, S. 291). Sánchez und Pérez (2004, S. 19) finden keinen Unterschied hinsichtlich des Methodeneinsatzes zwischen kleinen und großen Unternehmen. Tendenziell folgt aber, dass bei einer größeren Ressourcenbasis wiederum mehr Methoden zum Einsatz kommen können (Thomas, 1980). Sind weniger Ressourcen vorhanden, wird eher die automatische SID angewendet (Dutton, 1993, S. 353; Fahey und King, 1977). Die gleichen Überlegungen lassen sich auch auf die dritte Phase Action übertragen. Diese Feststellungen in der Literatur sagen jedoch nicht aus, ob GU nicht ebenfalls intuitive Prozesse anwenden oder MU rationale Prozesse. Das Auftreten beider Prozessarten wird nicht von vornherein in beiden Unternehmenstypen ausgeschlossen. Deshalb widersprechen sich die Literatureinsichten mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchung. Dies deutet darauf hin, dass Größenunterschiede alleine für Unterschiede im SFA-Prozess nicht ausschlaggebend sind. Entgegen der Literatur wenden MU wie GU gleichermaßen rationale und/oder intuitive Prozesse an. Größenunterschiede alleine erklären nicht die unterschiedliche Ausprägung des SFAProzesses. Worin begründen sich aber die Unterschiede? Das nächste Kapitel beschäftigt sich eingehender mit dieser Frage und der Feststellung der Einflussfaktoren im SFA-Prozess.
21 Wichtig ist, dass erfolgreiche Unternehmen die Aktivitäten des ersten Schrittes an den Kontext anpassen (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 201).
Teil V Die Einflussfaktoren im SFA-Prozess
Kapitel 17 Die Einflussfaktoren im Überblick „Each diagnosis episode is closely related to the context in which it takes place, and in particular to the organization in which the episodes occur.“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 289) „...the organizational context may affect what dimensions are salient to decision-makers in distinguishing among issues.“ (Dutton et al., 1989, S. 392) Unternehmen erkennen und gehen unterschiedlich mit schwachen Signalen um (Greening und Gray, 1994, S. 468). Daher sind die SFA-Prozesse sowohl in der Literatur als auch in der Empirie von Unternehmen zu Unternehmen und von Untersuchung zu Untersuchung unterschiedlich ausgestaltet. Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich näher mit den Einflüssen auf den Strategischen Frühaufklärungsprozess, ermittelt aus der empirischen Untersuchung, und den Verknüpfungen zwischen der Literatur mit den in den Unternehmen gefundenen Tatbeständen. Im Folgenden wird jeweils ein Themenfeld, das in der Befragung besonders hervorgetreten ist, beschrieben, und anhand der Ergebnisse der Fallstudien konkretisiert. Diese Themenfelder, die sich auf die Ausgestaltung des SFA-Prozesses auswirken, sind: • Interne Personen • Interpersonale Prozesse • Organisationscharakteristika • Umwelteinflüsse Aus der Empirie werden die Hypothesen (in den eckig-hinterlegten Feldern) abgeleitet. Orientierung geben Literaturdefinitionen. Eine genauere Literaturanalyse folgt nach der Hypothesenableitung. Es werden Unterschiede oder Übereinstimmungen zwischen der Literatur und der Empirie festgehalten und daraus mögliche Testhypothesen (in den einfach-eckigen Feldern) weiterentwickelt, falls in der Literatur zusätzliche Einsichten gewonnen werden können.
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_17, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
207 Bisher waren die in dieser Arbeit behandelten Abläufe oftmals individuelle Bearbeitungsprozesse – im Sinne der individuellen Verhaltenswissenschaften (Reber, 1978; Corner et al., 1994). Rationalität und Intuition sind individuelle Prozessvorgänge (Crossan et al., 1999, S. 524), denen zufolge schwache Signale Informationen darstellen, die von Einzelpersonen wahrgenommen und verarbeitet werden. In den folgenden Abschnitten werden weitere Einflussfaktoren aus anderen Untersuchungsebenen aufgegriffen (z.B. Organisationsfaktoren) (Barnes Jr., 1984, S. 129; Hogarth und Makridakis, 1981, S. 116f; Semadeni-Batthyany, 2006; Schneider und De Meyer, 1991, S. 315; Dutton und Duncan, 1987, S. 289)1 (vgl. Abbildung 17.1).
Abbildung 17.1: Untersuchungsebene In Unternehmen liegen verschiedene Ebenen vor, die zum Gegenstand von Untersuchungen werden können. Häufig wird die Unterteilung in Individuum, Gruppe, Organisation und 1 Organisationen sind von individuellen Handlungen betroffen, da sie als Sammlung von Mitgliedern definiert werden können. So bemerkt Bansal (2003, S. 511): „organizations are interpretive systems that identify, understand, and interpret issues.“ Die Organisation wird im Sinne der Informationsbearbeitung aber nicht losgelöst als eigenständiges Element betrachtet, sondern als Zusammenfassung der individuellen Handlungen. Crossan und Sorrenti (1997, S. 161) halten in diesem Zusammenhang fest, dass Improvisation (als Art der Intuition) auf dem organisationalen Level hauptsächlich das Thema emergente versus intendierte Prozesse behandelt. Damit wird aus den individuellen Prozessen ein organisationaler Prozess geschaffen. Dutton et al. (1989, S. 393) sprechen von „links between cognition and individual or organizational action“. Auch Reber (1978, S. 85) unterscheidet verschiedene Ebenen: die soziale Umwelt (der Betrieb) mit Mikro- und Makro-Bereich (Gruppen- oder Organisationssoziologie-Forschung) und die Person mit kognitiven und motivationalen Ausprägungen. Sydow und Ortmann (2001, S. 8f) betonen zudem: „...mit der theoretischen Neuorientierung [sollte] verbunden sein, dass das Phänomen des strategischen Managements auf verschiedenen Analyseebenen bearbeitet werden kann.... Dabei ist hilfreich, wenn ein und derselbe Theorieansatz auf ... der Ebene von Individuum, Gruppe, Organisation, Netzwerk sowie wettbewerblichem und institutionellem Umfeld ... getragen werden kann.“
208
KAPITEL 17. DIE EINFLUSSFAKTOREN IM ÜBERBLICK
Umwelt vorgenommen. Diese Ebenen finden sich auch in den folgenden Ausführungen wieder (Thomas et al., 1997, 1994; Blanco und Lesca, 1998; Schneider und De Meyer, 1991; Denison et al., 1996), denn „the perceptions and interpretations are subject to influences at multiple levels of analysis, e.g. individual characteristics, group process, and environmental context.“ (Elenkov, 1997, S. 288). So behandelt • Kapitel 17 die individuelle Ebene2 • Kapitel 18 die Gruppenebene3 • Kapitel 19 die Organisationsebene • Kapitel 20 die Umweltebene4 . Schneider und De Meyer (1991, S. 314) argumentieren: „Further research is needed to specify the relationship between these variables, and to empirically demonstrate whether these variables – individual, group, organizational or cultural [environmental] – directly influence the response through interpretation“ (vgl. Abbildung auf dieser Seite).
Abbildung 17.2: Übersicht über die Einflussfaktoren im SFA-Prozess
2
Vgl. Abschnitt „Die Träger der Phasen“ auf Seite 192. So interpretieren Gruppen schwache Signale in einer speziellen Art und Weise („group think“Phänomene,...). 4 Vgl. Abschnitt „Die Träger der Phasen“ auf Seite 192 und „Schwache Signale“ auf Seite 181. 3
Kapitel 18 Interne Personen als treibende Kraft im Strategischen Frühaufklärungsprozess „As one moves from a simple to a complex environment, the information system used to support the planning process changes from nonperson-centered to person-centered.“ (Wagner III., 1978, S. 783) „Perhaps the most important elements of infrastructure are the skills and knowledge of the people who work in the business.“ (Gilmore und Camillus, 1996, S. 873) Ideen sind, wenn man die SFA- und die Innovationsliteratur zusammenfasst, das Ergebnis von schwachen Signalen einer Innovationen (also Chancen). Chancen folgen einem Lebenszyklus (abgeleitet von schwachen Signalen und ’strategic issues’) (Abbildung 18.1 (vgl. Liebl, 2003, S. 63)).
Kosten der Bewältigung
Aufmerksamkeit Handlungsspielraum Zeit
Abbildung 18.1: Lebenszyklus einer Chance Schwache Signale werden in Organisation aufgefangen, z.B. durch das implizite Wissen der Mitarbeiter/innen (Julien et al., 2004, S. 252). Im Sinne der ’Ressource-based-view’
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_18, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
210
im Strategischen Management stellen gewisse Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil dar (Johnson et al., 2008; Müller-Stewens und Lechner, 2005). Dazu zählt in erster Linie die Humanressource. Sie wird im vorliegenden Kapitel behandelt. Die Personen und deren Wissen und Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen sind für den SFA-Prozess wichtig (Barney, 1991; Heugens, 2006; Mosakowski, 1998; Sharma, 2000; Wally und Baum, 1994). Personen sind einerseits im Prozess des „sensemakings“ involviert (geben den ’issues’ Sinn) und andererseits im „sensegiving“ (vermitteln den Sinn an andere Personen) (Gioia und Chittipeddi, 1991, S. 434). Individuelle Unterschiede, wie Alter, Unternehmenszugehörigkeit, Erfahrung, funktionale Zugehörigkeit oder kognitive Strukturen1 können für die Handhabung der SFA ausschlaggebend sein (Jackson und Dutton, 1988, S. 386; Billings et al., 1980, S. 313; Schuler, 2007, S. 258; Daft und Noe, 2001, S. 89; Hitt und Tyler, 1991; Ireland et al., 1987; Ireland et al., 1987). So ist eine Fähigkeit („skills“) z.B. „a specific ability or proficiency deriving from practice or experience that allows organizations to perform certain tasks“ (Heugens, 2006, S. 366). Im folgenden Abschnitt werden Innovatoren/innen von Produktinnovationen behandelt, anschließend weitere relevante interne Personen, wie Eigentümer/innen, Geschäftsführer/innen oder Führungskräfte. Ein eigenes Kapitel behandelt das Thema ’Erfahrung’ in der SFA. Sie stellt einen kognitiven Erfolgsfaktor für SFA-Prozesse dar.
18.1
Innovator/in: Initiator/in des SFA-Prozesses (I) „Creative, integrated strategies seem to be products of single brains, perhaps
of single right hemispheres.“ (Mintzberg, 1976, S. 57) „...innovation owe(d) much to the efforts of individuals who used their organizational positions to acquire resources, establish collaborative processes and structures, and create strategic meaning for individual projects.“ (Dougherty und Hardy, 1996, S. 1134) Innovatoren/innen sind für das rechtzeitige Erkennen von schwachen Signalen einer Chance von zentraler Bedeutung. Oftmals wird in der Literatur auf den Begriff des „Entrepreneurs“/der „Entrepreneurin“ verwiesen (Carland et al., 1984; De Carolis und Saparito, 2006; Burger-Helmchen, 2007; Schoen, 1969; Kaish und Gilad, 1991), da dieser/diese neue Produkte und Methoden einführt und in weiterer Folge neue Märkte schafft. Innovatoren/innen besitzen spezielle Ressourcen: „Entrepreneurial resources are defined as the propensity of an individual to behave creatively, act with foresight, use intuition, and be alert to new opportunities“ (Mosakowski, 1998, S. 625). Entrepreneuren/innen unterscheiden sich grundsätzlich von anderen Personen, wie z.B. Managern/innen (z.B. 1 Unterteilt in kognitive (d.h. die mentale Kapazität eines Individuums Informationen wahrzunehmen und zu analysieren (Daft und Noe, 2001, S. 97)), emotionale und motivationale Unterschiede (Schuler, 2007, S. 259).
18.1. INNOVATOR/IN (I)
211
Zeitaufwand für die Informationssuche, unterschiedliche Informationsquellen, Interpretationsunterschiede) (Kaish und Gilad, 1991, S. 45). Sie ermöglichen (vgl. Mosakowski, 1998, S. 630) „entrepreneurial outcomes“ wie Produktinnovationen. Das Entdecken von Innovationen wird demnach durch individuelle Charakteristika bestimmter Personen gefördert (Dane und Pratt, 2004, S. A3). Die Innovatoren/innen gelten häufig als Initiatoren/innen der SFA-Prozesse2 .
18.1.1
Innovatoren/innen in der Befragung
In den Gesprächen stellte sich heraus, dass der Innovator/die Innovatorin eine ganz entscheidende Position einnimmt3 . Er/sie zeichnet sich durch spezielle Eigenschaften aus4 . 18.1.1.1
Charakteristika von Innovatoren/innen
Innovatoren/innen werden oftmals mit Kreativität in Zusammenhang gebracht, die es ihnen ermöglicht, Chancen zu entdecken und wahrzunehmen. Allerdings existieren noch viele weitere Merkmale, die Innovatoren/innnen von anderen Unternehmensmitgliedern unterscheiden. Diese speziellen Eigenschaften sind unter anderem die Übernahme von Verantwortung und das stete Engagement, die Erfahrung und das Wissen, die Reflexion und Weitsicht, das Alter (lange Unternehmenszugehörigkeit), die Freiwilligkeit, eine positive Grundeinstellung, die Überzeugungsleistung, die Entscheidungsstärke, die Handlungsund Umsetzungsstärke und das Gespür. • Verantwortung und Engagement (Zuständigkeit, Eigeninitiative, Freiwilligkeit) für die Idee übernehmen: Innovationen benötigen Individuen, die sich einer Idee annehmen, diese initiieren und beständig engagiert weitertreiben. Ideen geistern oft lange in Köpfen herum, es bedarf allerdings einer Person, die die Idee aufgreift und Schritte setzt. Geprägt wird diese Stärke von dem Begriff „Innovationspusher“ (MASCHINENBAU-G-GMBH) bzw. „Förderer“ (MASCHINENBAUG-GMBH). Es muss eine Person geben, die „drauf bleibt“ (METALLWAREN-MGMBH), „nicht locker lässt“ (METALLWAREN-M-GMBH), „einen gewissen Willen“ (BAUTEIL-M-GMBH) oder „drive“ (BAUTEIL-M-GMBH) hat, auch wenn die Idee im ersten Moment nicht sofort von den anderen Mitarbeitern/innen positiv aufgenommen wird. Oft liegen Ideen brach oder werden immer wieder „neu 2
In der Studie konnten Gespräche mit insgesamt vier Innovatoren geführt werden. Davon sind zwei in MU und zwei in GU tätig. Bei den übrigen Unternehmen wurden die Auskünfte über die Innovatoren von den Interviewpartnern/innen eingeholt. 3 Mit Innovator/in ist in den nächsten Abschnitten immer der Initiator/die Initiatorin des SFAProzesses und damit der Ideenfindung gemeint. 4 In der Literatur sind dies unter anderem das Alter, die Karriereerfahrungen, die Erfahrungen in den Funktionen, die formale Bildung, der sozioökonomische Hintergrund und die finanzielle Position (Hambrick und Mason, 1984).
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
212
erfunden“ (PAPIER-G-AG): „...wenn man da nicht stark ist, vergisst man die Idee“ (METALLWAREN-M-GMBH)5 . Die freiwillige Beschäftigung (auch in der Freizeit) und das großes Interesse am Thema ’Ideenfindung’ fördern das Engagement. Die Freiwilligkeit des Innovators/der Innovatorin, sich mit einer Thematik zu beschäftigen, ist eine Grundvoraussetzung. Ziel des Innovators/der Innovatorin ist es, eine individuelle Stärke im speziellen Innovationsbereich zu schaffen. Die Bereitschaft zu Lernen muss gegeben sein. Dies inkludiert die regelmäßige und systematische Beschäftigung mit dem Thema. Nur so werden Fortschritte erlangt. I1: Wenn eine Person (Innovator/in) von sich aus ein schwaches Signal aufgreift, dann wird ein SFA-Prozess angestoßen. I2: Je engagierter der Innovator/die Innovatorin die Idee weiter vertritt und sich selbstständig und freiwillig mit der Thematik beschäftigt, umso eher kommt es zu einer Reaktion auf das schwache Signal.
• Erfahrung und Wissen: Eng mit dem oberen Punkt ist die Erfahrung und das damit erworbene Wissen verbunden. Auch die (Vor-)Erfahrung bestimmt einen erfolgreichen Innovator/in. So kann die Arbeit in anderen Unternehmen, an anderen Vorprodukten oder die Lebenserfahrung helfen, neue Ideen aufzuwerfen, Schwachstellen aufzudecken und Lernen zu ermöglichen. Auch die Praxiserfahrung, die sowohl in der Arbeitszeit wie auch in der Freizeit erworben werden kann, wird betont6 . Nähere Ausführungen finden sich im Kapitel auf Seite 229 „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“. I3: Je erfahrener der Innovator/die Innovatorin ist (durch die Arbeit in anderen Unternehmen, Projekten, Produkten, Lebens-, Praxiserfahrung,...) umso eher entdeckt er/sie schwache Signale, entwickelt Ideen und kann Chancen erkennen.
• Positive Einstellung: Erfolgreiche Innovatoren/innen in den befragten Unternehmen zeichnen sich durch eine sehr positive Einstellung (bis hin zur Begeisterung7 ) gegenüber ihren Ideen aus8 . Neben allen kritischen Stimmen versuchen Innovatoren/innen immer das Gute im schwachen Signal und der folgenden Idee zu sehen und diese Einstellung auch beizubehalten: „....mich interessiert es jetzt nicht, warum 5
„...man hat eine Idee und es springen nicht sofort alle auf. Und man wird dann selbst auch unsicher. Man kann auch einmal auf einer falschen Idee draufbleiben. Und dann hat man aber auch viel Zeit und alles vergessen.“ (METALLWAREN-M-GMBH). „Und da ist schon der Treiber, der der von der Idee überzeugt ist, manchmal alleine auf weiter Flur.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH). 6 SYSTEM-G-AG: „...ich kenne daher die ganzen Probleme aus der Praxis.“ 7 dem „spirit“ (TEXTIL-G-GMBH) 8 „Ein Projekt lebt und fällt – jetzt bin ich bei Innovation, bei Neuheiten usw. – wenn einer von der Idee begeistert ist und nicht nur einer, kann ein Team auch sein, aber wann die Begeisterung da ist.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH)
18.1. INNOVATOR/IN (I)
213
es nicht geht, sondern wie es geht“ (METALLWAREN-M-GMBH). Anstelle von Problemen treten Lösungen und Auswege in den Vordergrund. Dies ist vor allem wichtig, wenn es darum geht, Anhänger für die Idee zu gewinnen (vgl. Thema „Kommunikation“ in Abschnitt auf Seite 256 und „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ in Abschnitt auf Seite 248. I4: Je positiver die Grundeinstellung einer Person ist, umso eher entdeckt sie mögliche Chancen. • Alter und lange Unternehmenszugehörigkeit: Position und Lebensalter sind oft ausschlaggebend, ob ein Innovator/eine Innovatorin erfolgreich ist oder nicht (z.B. MASCHINENBAU-G-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH). Zum einen nehmen schon lange unternehmensangehörige Personen häufig höhere Positionen ein und haben damit mehr Handlungs- und Entscheidungsmacht. Dies bedeutet, sie können ihre Ideen besser vorantreiben. Zunehmendes Lebensalter erhöht auch die Erfahrung und das Wissen. Personen entdecken auf Grund ihres Vorwissens leichter schwache Signale. Diese Aussage bedeutet nicht, dass jüngere oder seit kürzerer Zeit beschäftigte Unternehmensmitglieder keine schwachen Signale aufnehmen können. Allerdings ist es für ältere Mitglieder leichter, zu überzeugen, da sie das Unternehmen kennen, und Mitstreiter/innen zu finden. Ältere Unternehmensmitglieder können die Reaktionen auf schwache Signale einfacher erzeugen. Das Thema des Alters inkludiert die Frage, inwieweit ältere Mitglieder als wertvoll für den Prozess angesehen werden9 . I5: Je älter eine Person ist, und je länger sie im Unternehmen arbeitet, umso leichter kann sie die Rolle des Innovators/der Innovatorin einnehmen und die Aufgaben im Rahmen der SFA bewältigen. • Überzeugungsleistung: Da Innovatoren/innen hoch engagiert und mit positiver Einstellung ihre Ideen verfolgen, ist es ein kritischer Punkt, wie gut sie andere für ihre Idee gewinnen und „mit Feuer und Flamme“ (MASCHINENBAU-G-GMBH) überzeugen können. Im ersten Schritt ist es ausschlaggebend, dass ein Innovator/eine Innovatorin beständig seine/ihre Idee verfolgt. Ab einem gewissen Punkt benötigt er/sie allerdings Mitwisser und unterstützende Personen, um die Idee weitertreiben zu können. Wichtig ist, dass die Ideen „für sich sprechen“ (TECHNIK-G-GMBH). Die Art und Weise der Überzeugungsarbeit bestimmt über den Erfolg des SFAProzesses10 . I6: Je überzeugter eine Person eine Idee an andere verkauft, umso eher verwandelt sich das schwache Signal in eine erfolgreich ergriffene Chance. 9 10
Vgl. Ausführungen im Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229. Vergleiche die Ausführungen zum Thema „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ auf Seite 248.
214
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN • Offenheit (Reflexion und Weitsicht): Das regelmäßige Reflektieren des Innovators/der Innovatorin ist ein weiterer wichtiger Faktor, der den SFA-Prozess beeinflusst. Innovatoren/innen wird die Gabe zugeschrieben, ein Thema aus der Vogelperspektive betrachten zu können. Dies setzt Offenheit voraus. Festgefahrene und standardisierte Prozesse werden hier hinterfragt, um neue Wege zu gehen. Durch diese Weitsicht können schwache Signale eher erkannt werden. Offenheit ermöglicht es dem Innovator/der Innovatorin, sich nicht nur auf das eigene funktionale Spezialgebiet zu konzentrieren, sondern auch andere Themengebiete zu berücksichtigen. Sie inkludiert das Zulassen von kritischen Stimmen und Diskussionen. Entsprechend dem Begriff „Innovationspusher“ ist es eine Stärke von Innovatoren/innen, sich bei anderen Personen Gehör zu verschaffen. Zudem ist es für sie nötig, die Ideen und Vorschläge anderer konstruktiv aufzunehmen. So merkt ein Innovator an: „Dafür ist es für mich auch wichtig, dass wir oft ... Gespräche führen und auch ... Diskussionen führen und dann muss ich schauen, dass keiner sagt, warum das nicht geht – weil der Nächste traut sich gar nicht mehr...“ (METALLWAREN-M-GMBH).
I7: Je offener Personen sind, umso eher erkennen sie Chancen (vgl. U2). • Kreativität („Freidenker/in“, „Querdenker/in“) und Gespür: Das kreative Schaffen, die Phantasie und Neugier sind eine weitere Stärke von Innovatoren/innen11 . Kreativität wird oft als Voraussetzung für Innovationen gesehen. Um kreativ zu sein, benötigt der Innovator/die Innovatorin Ruhepausen, um einerseits gezielt (und ohne Zwang) nach Lösungen zu suchen und um andererseits spontanen Einfällen Platz zu geben. Dazu sind auch das Gespür bzw. das Bauchgefühl wichtig: „Bei großen Innovationen ist das Gespür sehr wichtig.“ und „Man versucht zwar objektiv vorzugehen, aber grundsätzlich ist es dann bei wichtigen Entscheidungen immer subjektiv.“ (TEXTIL-G-GMBHb). I8: Je kreativer und sensibler Personen sind, desto eher erkennen sie schwache Signale. • Entscheidungsstärke (Mut zum Abbruch): Neben der positiven Einstellung und dem Engagement ist der Mut zum Abbruch eines innovativen Prozesses eine weitere Stärke von Innovatoren/innen: „....es gehört auch dazu, wenn ich über Innovationen spreche, dass ich die Härte habe und auch die Bereitschaft habe, wenn ich merke, das wird nichts, dass ich sage, aus, es war ein Versuch, jetzt ist es aus“ (MASCHINENBAU-G-GMBH). Dies ist implizit im Punkt ’Offenheit’ inkludiert. Die kritische Reflexion z.B. über den Verlauf des Projektes macht ersichtlich, wenn eine Idee nicht umsetzbar ist. 11 „Viele Ideen kommen von Personen, welche vor Ideen sprühen.“ (PAPIER-G-AG). „Das zeichnet auch einen guten und begeisterten Projektleiter aus: diese sind richtige Forscher, wollen Neues entdecken und stecken voller Tatendrang, haben also einen einzigartigen Charakter.“ (PAPIER-G-AG)
18.1. INNOVATOR/IN (I)
215
I9: Wenn Personen offen sind und die Befugnis dazu haben, dann werden fehlerhafte SFA-Prozesse rechtzeitig beendet. • Handlungsstärke: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stärke des Handelns und Umsetzens. Dieser Aspekt wird vor allem von sogenannten „Hands-on-Typen“ (SYSTEMG-AG), die wenig Tools und Methoden verwenden, sondern eher handeln denn planen repräsentiert. Sie wollen weniger mit standardisierten und institutionalisierten Systemen und Strukturen zu tun haben, sondern wollen intuitiver vorgehen: „...das sind eher dann die Werkler, die Umsetzer, der da nicht lang...bei dem ist das oberste Ziel so schnell wie möglich möchte ich wissen ob das jetzt geht oder nicht.“ (TECHNIK-G-GMBH). I10: Je handlungsorientierter Personen sind, desto eher können sie schwache Signale in erfolgreich genutzte Chancen umwandeln. Schuler (Sternberg, 1999 2007, S. 268) unterscheidet jedoch analytische, kreative und praktische Intelligenz. In den Gesprächen konnte kein Bezug zu intellektuellen Fähigkeiten (wie z.B. Bearbeitungsgeschwindigkeit, Merkfähigkeit, Einfallsreichtum, Verarbeitungskapazität,...) hergestellt werden. 18.1.1.2
Innovatoren/innen versus Nicht-Innovatoren/innen
„Intuition is not some mystical or magical thing. It is taking advantage of the way our brains are designed to be able to think about things subconsciously and to bring those things to the forefront when needed. A smart organization will recognize employees who have this skill.“ (Burke und Miller, 1999, S. 91) Aus der Erhebung geht eindeutig hervor, dass es große Unterschiede zwischen Innovatoren/innen und nicht innovativ tätigen Personen gibt: „Die einen haben mehr, die anderen weniger [Engagement, Ideen]. Dies sieht man auch bei der Zuteilung der Projekte, so haben manche nur eines, andere mehrere zur gleichen Zeit.“ (PAPIER-G-AG) und „...es gibt natürlich Leute, das ist nicht ihre Sache, dass sie da jetzt neue Ideen haben.... Es gibt einfach Leute die wollen so quasi wie man sagt, Dienst nach Vorschrift machen...“ (TECHNIK-G-GMBH). Ein eng damit verbundenes Dilemma stellt Freiwilligkeit – Zwang dar. Das Unternehmen PAPIER-G-AG beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Freiwilligkeit als gegeben vorausgesetzt werden kann, und wann institutionalisierte Regeln greifen sollen. „Auf Freiwilligkeit ist kein Verlass in diesem Bereich, auch nicht bei der Ideenfindung,“ behauptet die PAPIER-G-AG, „es muss meist immer ein gewisses MUSS aufgedrängt werden.“ Die Rolle von Regeln sei sehr personenspezifisch: „...wenn man da die falschen Leute hat, dann hilft alles nichts sozusagen.“ (TEXTIL-G-GMBH). Die einen benötigen Regeln, die anderen
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
216
den größtmöglichen Freiraum. Ein Übermaß oder ein Zuwenig an Regeln ist nachteilig. So können zu starke Regeln die Kreativität und die benötigte Freiheit der Innovatoren/innen blockieren. Aus den Gesprächen ging hervor, dass Innovatoren/innen gewisse Charakterzüge aufweisen: „Es sind die gleichen Charakterzüge und in dem Fall dann schon immer wieder die selben. Und das sind ... 10-15% der Entwickler, die dann wirklich solche Ideen haben oder auch solche radikale Innovationen stoßen...die auch Innovationen auf die Straße bringen oder gebären.“ (TECHNIK-G-GMBH) und es ist „...zum Schluss...auch Spirit von Menschen, die sagen „Hey, was könnte das Nächste sein?“. Die haben halt die Augen offen.“ (TEXTIL-G-GMBH). I11: Innovatoren/innen unterscheiden sich von anderen Personen (in den oben angeführten Eigenschaften wie z.B. Kreativität, Handlungsorientierung,...).
18.1.2
Innovatoren/innen in der Literatur
„Organizations will not respond to issues if there is no individual concern ...“ (Bansal, 2003, S 521). Auch entsprechend der Literatur ist es ausschlaggebend, dass am Anfang des SFA-Prozesses eine engagierte Person steht: „The acceptance and useful application [for example of technological forecasting] currently results largely from individual advocacy“ (Thurston, 1971, S. 101). In den meisten Fällen ist dies der Innovator/die Innovatorin, also jene Person, die die Idee vorgebracht hat12 . Innovatoren/innen zeichnen sich durch eine hohe Kreativität aus. Ihre Merkmals sind (nach Daft und Noe (2001, S. 116)): „open-mindedness, originality, playfulness, curiosity, persistence, and commitment.“ 13 Position und Führungsstellung regeln den Einfluss der Person im SFA-Prozess und die Möglichkeit, schwache Signale in Aktionen zu verwandeln (Thomas et al., 1994, S. 1255f). Es bleibt wichtig, den Innovator/die Innovatorin trotzdem in den Prozess miteinzubinden. Dougherty und Hardy (1996, S. 1134) kommen zu der wichtigen Erkenntnis, dass die innovativen Tätigkeiten dieser Personen sehr fragil und verletzbar sind, also besondere Aufmerksamkeit und Förderung verdienen, vor allem in Hinblick auf den Prozess des Überzeugens. I1, I2, I11 bestätigt: Ein wichtiges Element für die Initiierung des SFA-Prozesses stellt eine Einzelperson (oft der Innovator/die Innovatorin) dar. Schwache Signale können erfolgreicher in wahrgenommene Chancen umgewandelt werden, wenn der Innovator/die Innovatorin gleichzeitig die Entscheidungsbefugnis inne hat. 12 „Prototypes come out of the lab and if no one takes ownership of them, they are shelved, sold off through licenses, or snatched by other companies which then market them and profit from the originator’s inventive efforts“ (Day, 1994, S. 149). 13 Manchmal erweist es sich sogar als klüger, einem anderen Mitarbeiter/einer anderen Mitarbeiterin – als dem Ideenbringer – mit z.B. mehr Handlungsstärke oder Entscheidungsmacht das Projekt zu übertragen, damit es realisiert werden kann.
18.1. INNOVATOR/IN (I) 18.1.2.1
217
Charaktereigenschaften
Bei den Charaktereigenschaften der Innovatoren/innen werden sowohl kognitive als auch motivationale Eigenschaften angeführt.
18.1.2.1.1
Kognitive Eigenschaften
In der Literatur werden individuelle Unterschiede anhand von Kognitionsdifferenzierungen beschrieben. Gründe, warum das gleiche Thema von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert wird, sind zum Beispiel die kognitiven Schemata der Personen. Diese bilden sich aus (organisationalen) Erfahrungen, der Bildung und dem funktionalen Hintergrund (Thomas et al., 1994, S. 1255f; Wally und Baum, 1994, S. 935). Unterschiede resultieren beispielsweise in der Beachtung zukünftiger Entwicklungen (Gjesme, 1983b,a). I11 bestätigt: Innovatoren/innen unterscheiden sich von anderen Personen durch kognitive Eigenschaften. 18.1.2.1.2
Motivationale Eigenschaften
Bansal (2003, S. 517f) führt in seiner Studie motivationale Eigenschaften von Individuen an, d.h. individuelle Interessen und Anliegen („individual concern“). Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Eigenschaften einen erheblichen Einfluss haben. Ist ein Individuum an einem Thema interessiert, so erkennt es dieses leichter, interpretiert und benennt es bzw. baut Wissen darüber auf und handelt. Je eher Interessen und Entscheidungsfreiheit bestehen, umso umfangreicher wird darauf reagiert. I1, I2 bestätigt: Motivationale Eigenschaften (individuelles Interesse und Anliegen) erhöhen die Wahrnehmung von Chancen und deren Umsetzung. 18.1.2.2
Entscheidungsmacht
Wie bei den Charaktereigenschaften der Innovatoren/innen festgestellt wurde, ist die Eigeninitiative und die Übernahme von Verantwortung für ein schwaches Signale bzw. eine Idee wichtig, damit diese(s) auch umgesetzt wird. Die Durchsetzung des schwachen Signales, und der Reaktion darauf, hängt sehr eng mit der Hierarchiestufe des Innovators/der Innovatorin zusammen (Burke und Miller, 1999, S. 94). Ist der Innovator/die Innovatorin fähig, viele Entscheidungen zu treffen, auch im Sinne von Ressourcenzuweisung und Fortführung eines Projektes, werden Ideen eher durchgesetzt. Dies ist z.B. besonders dann der Fall, wenn der Innovator/die Innovatorin auch gleichzeitig Eigentümer/in oder Geschäftsführer/in ist. Innovatoren/innen befinden sich aber oft auch auf unteren Hierarchiestufen. Dann ist es essenziell, die richtigen Personen zu überzeugen.
218
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
I9 bestätigt: Die Entscheidungsmacht des Innovators/der Innovatorin erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion auf ein schwaches Signal. Krackhardt (1990) stellt sogar fest, dass alleine das Wissen über informale Netzwerke eine Machtbasis darstellen kann. Eine Person erlangt demnach Macht, wenn sie das Machtgefüge des Unternehmens kennt. Dies ist ein wichtiger Punkt für Innovatoren/innen, die sich nicht unbedingt auf einer hohen Hierarchiestufe befinden. Sie sollten jedoch über die formalen und informalen Machtstrukturen Bescheid wissen. Krackhardt (1990, S. 356) schreibt kleineren Unternehmen dabei einen Vorteil zu, da sich die Mitarbeiter/innen dort gut untereinander kennen und die Machtstrukturen besser einschätzen können, als dies bei größeren Unternehmen der Fall ist.
18.1.2.3
Innovatoren/innen und Intuition
Allinson et al. (2000), Hayes und Allinson (1994) und De Carolis und Saparito (2006) unterscheiden Personen oder Innovatoren/innen (Entrepreneure/innen) von Nicht-Entrepreneuren/innen aufgrund ihrer kognitiven Stile14 oder durch ihren hohen Grad an „imagination“ (Burger-Helmchen, 2007, S. 396)15 . Die Autoren/innen stellen in ihren Ausführungen Intuition bzw. auch Kreativität als Stärken der Innovatoren/innen in den Mittelpunkt (vgl. auch Olson, 1985; Raidl und Lubart, 2001). Dabei beziehen sich die Autoren/innen auf Intuition als „holistic hunch“ (vgl. Miller und Ireland, 2005, S. 22)16 . Intuition ist somit ein Personencharakteristikum (Dane und Pratt, 2004, S. A3). So sind jene Personen, die Ideen vorbringen, grundsätzlich intuitiver als andere (z.B. Manager/innen) (Allinson et al., 2000). Nach Studien haben Innovatoren/innen nur zu einem geringen Anteil ihre Ideen am Arbeitsplatz. Nach Lüthje (2003) werden circa 75% der Ideen außerhalb der Arbeit entwickelt. Magiera (2009, S. 11) zeigt eine Auflistung der Orte von Ideenentwicklungsprozessen (vgl. Abbildung 18.2). Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass nur rund 1% der Ideen durch Kreativitätstechniken, 3% in Firmenpausen, 4% am Arbeitsplatz, 6% bei interessanten Meetings, 9% bei Freizeitsport, in Clubs oder Vereinen, 10% bei langweiligen Meetings, 11% auf Geschäftsreisen oder der Fahrt zum Büro, 13% in den Ferien oder bei Reisen und sogar 14% zu Hause (beim Essen, Hobby oder Fernsehen) oder 28% der Ideen in der Natur entwickelt werden17 . Damit ergibt sich wiederum, dass Ideen nicht erzwungen und auf einen 14 „...cognitive style might be one of the variables that accounts for whether or not people are able to respond appropriately across a variety of situations.“ (Hayes und Allinson, 1994, S. 64) 15 Roberts (2003) geht sogar noch weiter und unterscheidet sehr intuitive technische Innovatoren/innen von weniger innovativen Personen aus anderen Fachbereichen. 16 Miller und Ireland (2005) unterscheiden zwei Teilaspekte der Intuition, Intuition als „holistic hunch“, d.h. neuen Einsichten und Verknüpfungen von Informationen oder „automated expertise“, d.h. die automatische Suche nach bereits gemachten Erfahrungen, die in Situationen, die bereits erlebt wurden, wieder hervorgeholt werden. Erstere Art der Intuition ist vor allem bei innovativ-ausgerichteten Unternehmen von Bedeutung, da sie neue Ideen fördert (Miller und Ireland, 2005, S. 22). 17 1% entfallen auf andere Faktoren.
18.2. INTERNE PERSONEN MIT EINFLUSS (IE)
219
Abbildung 18.2: Orte der Ideenentstehung Ort fokussiert werden können. Eine große Rolle bei der Chancenwahrnehmung spielen somit Auszeiten, Freiräume und Pausen vom operativen Tagesgeschäft. Damit wird auf die Aspekte wie Offenheit und Freiraum der Innovationstätigen verwiesen. I7, I8, I11 bestätigt: Innovatoren/innen haben ein höheres Gespür und eine höhere Kreativität als Nicht-Innovatoren/innen. Neu: Je intuitiver eine Person ist („holistic hunch), umso eher bringt sie neue Einsichten hervor, kombiniert Informationen neu und hat Ideen (erkennt somit schwache Signale).
18.2
Interne Personen und Funktionen mit Einfluss (IE) „Because knowledge and power span organizational levels, managers at each
level are likely to have an impact on strategy.“ (Bower und Gilbert, 2007, S. 76) Bei den Befragungen wurde von Unternehmensseite her häufig auf spezielle Unternehmensmitglieder, -funktionen, deren Rolle und Wichtigkeit im SFA-Prozess verwiesen, z.B. auf Eigentümer/innen, Geschäftsführung oder Führungskräfte (vgl. Abschnitt „Die Träger der Phasen“ 16.3).
18.2.1
Interne Personen und Funktionen mit Einfluss in der Befragung
Unternehmen sind komplexe Einheiten mit „entrepreneurial initiatives of front-line managers, integrating/brokering activities of middle managers, and the corporate context set up by top managers and its subsequent changes.“ (Noda und Bower, 1996, S. 188). Die Rolle dieser Personen und deren Einfluss in den SFA-Prozess werden im Folgenden diskutiert.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
220 18.2.1.1
Eigentümer/in
Eigentümer/innen18 eines Unternehmens haben neben Innovatoren/innen eine Vorrangstellung bei der Strategischer Frühaufklärung, denn sie haben die größte Entscheidungsgewalt19 . Sie entscheiden über Fortführung oder Abbruch der Produktinnovationsprojekte. Sie prägen mit ihren Vorstellungen ihre Unternehmen20 . Ideen der Eigentümern/innen werden meistens mit hohem Engagement vorangetrieben. Die Entscheidungsmacht eines Einzelnen kann sowohl eine Stärke21 als auch eine Schwäche sein. Dies begründet sich darauf, dass einzelne Personen in einem Fall – auf Grund ihrer Erfahrung, ihres Wissens und der Kenntnis der Situation – richtig entscheiden, oder aber in Unkenntnis auch Fehlentscheidungen treffen können. Sollen Ideen erfolgreich sein, so ist die Unterstützung der Eigentümer/innen einer der Hauptfaktoren für die Zielerreichung. Mitunter muss von Innovatoren/innen viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, wenn diese ihre Ideen an die Eigentümer/innen „verkaufen“ wollen. IE1: Je intensiver die Eigentümer/innen von schwachen Signalen und deren Chancengehalt für das Unternehmen überzeugt sind oder werden, umso eher wird ein SFA-Prozess angestoßen und die Chance erfolgreich realisiert.
18.2.1.2
Geschäftsführung
„Senior executives, divisional managers, and operational managers all play a role in deciding which opportunities a company will pursue and which it will pass by.“ (Bower und Gilbert, 2007, S. 74) Auch Geschäftsführungen beeinflussen ihre Unternehmen maßgeblich. Sie können weitreichende Entscheidungen rasch treffen und Handlungen setzen22 . Darüber hinaus besitzen Geschäftsführungen meist einen guten Überblick, führen die strategischen langfristigen Planungen durch, haben Vorerfahrungen, weisen großes Wissen auf und können somit Treiber von Ideen sein23 . Grundvoraussetzung für erfolgreiche SFA-Prozesse ist, dass die 18
Das Unternehmen kann selbstständig sein oder einer größeren Unternehmensgruppe angehören. „...wenn der [Eigentümer] sagt, das machen wir, dann machen wir das. Wenn er am nächsten Tag sagt, wir machen das nicht, dann ist es wieder aus.“ Aber so entstehen – so können Projekte entstehen. Ganz rasch oder einfach so wachsend aus einer Idee...“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH). 20 Ob z.B. das Unternehmen medienpräsent oder -scheu ist, technisch oder kaufmännisch ausgerichtet, es zum Einsatz eines/r Innovationsmanagers/einer Innovationsmanagerin kommt, usw.. 21 So ist auf Grund von Erfahrung und Intuition eine gewises Schnelligkeit in den Entscheidungen gegeben, was in Hinblick auf die Ideenfindung und den Wettbewerbsdruck sehr hiflreich ist. In diesem Gebiet sind rasche Handlungen oft ausschlaggebend. 22 Es „wird dann sozusagen von der Geschäftsführung her entschieden, welche Projekte laufen und welche nicht.“ bzw. ob sie beendet oder weitergeführt werden (KUNSTSTOFF-M-GMBH, MASCHINENBAUG-GMBH). 23 „Es gibt auch Firmenleiter, die sich das Recht herausnehmen zu sagen: das ist mir wichtig, ich glaube daran und ich werde es auch umsetzen“ (TEXTIL-G-GMBHa). 19
18.2. INTERNE PERSONEN MIT EINFLUSS (IE)
221
Beschäftigung mit Innovationen von der Unternehmensspitze (Eigentümer/innen als auch Top Management) ausreichend gewürdigt wird, und diese Einstellung auch entsprechend im Unternehmen kommuniziert wird („Philosophie der Firma“ der TEXTIL-G-GMBH, vgl. Ausführungen zur Unternehmenskultur). Ist die Geschäftsführung eines Unternehmens in Innovationsprojekte eingebunden, so erlangen diese Vorhaben große Bedeutung und werden – wie auch bei direkter Mitwirkung von Eigentümer/innen (manchmal auf Kosten anderer Projekte) – massiv vorangetrieben.24 Die Innovatoren/innen müssen ihre Geschäftsführungen ebenso überzeugen, wie dies bei den Eigentümern/innen der Fall ist25 . IE2: Je intensiver die Geschäftsführungen von schwachen Signalen und deren Chancengehalt für ihre Unternehmen überzeugt sind (bzw. sich selber mit der Thematik auseinandersetzen) oder werden, umso eher wird ein SFA-Prozess angestoßen und die Chance erfolgreich realisiert.
18.2.1.3
Führungskräfte
„The manager, not the computer, is now the real data bank of organizational information.“ (Mintzberg, 1972, S. 97) In den Befragungen wurden Führungskräfte ab der zweiten Ebene weniger oft als Eigentümer/innen und Geschäftsführer/innen konkret angesprochen, oftmals nur im Zusammenhang mit der Thematik des „Überzeugens“ (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ 19.2 auf Seite 248). Ihre Aufgabe wird eher in der Übermittlung der Fortschritte an die nächstobere Managementebene gesehen. Dies kommt besonders dann zum Tragen, wenn diese übermittelten Informationen für Entscheidungen benötigt werden. Auch wenn Führungskräfte keine häufigen Nennungen in der Stichprobe erfuhren, darf deren Wichtigkeit für den SFA-Prozess nicht unterschätzt werden. IE3: Führungskräfte spielen im Vergleich zu Geschäftsführung und Eigentümern/innen eine untergeordnete Rolle im SFA-Prozess.
18.2.1.4
Hauptunternehmensfunktionen
Neben der Unternehmensspitze und Innovatoren/innen werden Hauptfunktionen des Unternehmen als wichtige Einflussfaktoren auf den SFA-Prozess die genannt. Als Hauptunternehmensfunktionen gelten für die befragten Unternehmen Verkauf, Technik, Support 24 „...es war dann ungefähr ein Jahr Entwicklungszeit, was für diese Technologie sehr schnell war...“, vom Vorstand getrieben war („wir müssen jetzt wieder innovativ sein“) und hausintern Probleme geschaffen hat (SYSTEM-G-AG). 25 „Der der unbedingt überzeugt werden muss, ist der Geschäftsführer. Wenn der überzeugt ist, dann läuft es sowieso. Ansonsten, die Führungskräfte – also die Entscheidungsträger.“ (BAUTEIL-M-GMBH). „...letztendlich ist ja die Geschäftsführung der Auftraggeber und die wird es natürlich auch fördern“ (MASCHINENBAU-G-GMBH).
222
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
und Design. Vor allem die Abstimmung zwischen Verkauf und Technik – und der durch die Funktionen festgelegte Zielkonflikt26 – benötigt regen Austausch und Diskussion zwischen beiden. So ist zwar die Stimme vom Markt, die durch den Verkauf gefiltert wird, sehr wichtig, muss jedoch mit den Möglichkeiten der Technik und der Produktion abgeglichen werden. Schwache Signale und Chancen werden in beiden Unternehmensbereichen wahrgenommen, der Verkauf über die Kundenbedürfnisse und -wünsche, die Technik über Probleme bei Produkten oder Prozessen. Der Abgleich zwischen beiden schafft erst die Voraussetzung zur erfolgreichen Wahrnehmung und Realisierung von Chancen. IE4: Wenn schwache Signale zwischen Verkauf und Technik ausreichend kommuniziert werden, dann werden Chancen eher erkannt und realisiert. Eine Supportfunktion ist z.B. der technische Support als Nahtstelle zwischen Kunden/innen und Unternehmen. Diese Funktion bringt wesentliche Marktinformationen in das Unternehmen. Andere unterstützende Funktionen, die in der Befragung genannt wurden, sind Anlaufstellen im Unternehmen, wie z.B. technische Büros, die sich allgemein mit Infrastruktur und dergleichen auseinandersetzten. Oft sind sie mit sehr gut ausgebildeten Mitarbeitern/innen ausgestattet. Obwohl es nicht direkt zu ihren Aufgaben gehört, gewinnen Ideen aus diesem Bereich eine bedeutende Rolle. Die Beachtung dieser Funktionen ist interessant und bringt nach Aussage des Unternehmens TEXTIL-G-GMBH viele Vorteile, unter anderem eine Vielzahl an Ideen und Lösungen für bestehende Probleme. Deshalb ist es für den SFA-Prozess mitunter wichtig, periphäre Abteilungen miteinzubeziehen, d.h. Personen, die nicht unmittelbar mit Produktinnovationen betraut sind. Durch andere Sichtweisen und Kompetenzen können schwache Signale erkannt und Ideen konkret unterstützt werden. IE5: Wenn Supportfunktionen in einem Unternehmen in den SFA-Prozess einbezogen werden, dann werden zusätzliche schwache Signale erkannt. Produktdesignern wird im Innovationsmanagement bei der Überzeugungsarbeit (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ auf Seite 248) ebenfalls eine wichtige Rolle zugeschrieben. Designer zeichnen sich durch eine „grafische Kreativität“ aus, d.h. sie können Sachverhalte gut grafisch darstellen. So können sie Ideen in Bilder umsetzen, wozu Techniker häufig nicht so gut in der Lage sind. Damit sind Ideen und schwache Signale besser kommunizierbar. Voraussetzung dafür ist, dass die Ideenfinder die Designer überzeugen bzw. auch die Inhalte der schwachen Signale oder ihrer Ideen ausreichend übermitteln können. IE6: Wenn Designer zum SFA-Prozess hinzugezogen werden, dann werden schwache Signale besser kommuniziert. 26 So versucht jede Funktion ihr Ziel bestmöglich zu erreichen und den Weg dorthin zu gestalten und zu beeinflussen.
18.2. INTERNE PERSONEN MIT EINFLUSS (IE) 18.2.1.5
223
Spezielle Mitarbeiter/innen27
In den Interviews wurden auch Mitarbeiter/innen (Spezialisten) als Rollenträger genannt, die spezielle Funktionen innehaben oder Eigenschaften besitzen. Rollen sind jene Verhaltensmuster, die bestimmten Personen von außen angedacht und von ihnen erwartet werden (Daft und Noe, 2001, S. 240). Wichtig für SFA-Prozesse sind unter anderem die Rolle des Kritikers/der Kritikerin, des Vermittlers/der Vermittlerin und des Erfahrenen/der Erfahrenen. Voraussetzung ist, dass diese Rollen (d.h. Muster von Verhaltensweisen (Crott, 1979, S. 232)) im Unternehmen wertgeschätzt werden, und die Rollenträger/innen damit ihre Aufgaben konstruktiv ausführen können. • Kritiker/in: Mitarbeiter/innen mit einem kritischen Auge ermöglichen es, neue Sichtweisen auf Gewohnheiten zu werfen und Probleme, aber auch Chancen zu erkennen. Auch wenn sie manchmal unbeliebt sind – und hinderlich sein können (als sogenannte „Dickschädel“, ELEKTRO-M-GMBH) – werden sie von erfolgreichen Unternehmen als neutralisierende Meinungsinhaber/innen gerne miteinbezogen (BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, KUNSTSTOFF-M-GMBH). Sie nehmen schwache Signale wahr, widersprechen laufenden Meinungen und hinterfragen regelmäßig die aktuellen Projekte auf ihre Sinnhaftigkeit und ihren Fortschritt. Damit können wertvolle Veränderungen rechtzeitig vorgenommen werden. Kritiker/innen wenden die Methode der konstruktiven Kritik an, und sind somit keine notorischen „Nein-Sager“ oder Verweigerer. • Vermittler/in: Am Rande von SFA-Prozessen stehen Personen, die den Prozess begleitend mitgestalten bzw. eine Vermittler- und Beraterrolle im Unternehmen einnehmen (ELEKTRONIK-M-GMBH). Sie sind nicht direkt involviert und behalten den Überblick über den Prozess. Vermittler/innen nehmen wahr, wann der Prozess zusätzliche Personen benötigt oder sich andere Sachverhalte ergeben. • Erfahrene: Neben Vermittlern/innen und Kritikern/innen, werden auch ältere und erfahrene Personen gerne in den Prozess miteinbezogen. Dieser Punkt wurde bereits bei den Innovatoren/innen angesprochen. Es „...zählt die Meinung eines Experten, der schon viel gesehen hat, sprich die älteren Kollegen,... haben ein viel besseres Bauchgefühl als wie ein junger Kollege...“ (BAUTEIL-M-GMBH). So ist das Spannungsfeld „Jung versus Alt“ oft ein fruchtbarer Boden. Altbewährte Gewohnheiten werden erfolgreich weitergeführt, von neuen Einsichten – wenn nötig – aufgebrochen oder es werden neue Ideen von erfahrenen Mitarbeiter/innen relativiert (MASCHINENBAU-G-GMBH) (vgl. Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229). 27
Vgl. Sader (vgl. 2008, S. 81) und Crott (1979, S. 232ff).
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
224
IE7: Nehmen Personen bestimmte Rollen (Kritikern/innen, Vermittler/innen,...) wahr, dann werden Änderungen oder Fehlschläge früher erkannt und damit SFA-Prozesse erfolgreicher.
18.2.1.6
Personelle Veränderungen
Personale Veränderungen vollziehen sich in sehr kurzen Zeitspannen. Es werden hier nur die mit den SFA-Prozessen unmittelbar verbundenen personellen Veränderungen, nicht allgemeine Veränderungen im Personalmanagement der Unternehmen angesprochen. Die Veränderungen können sich auf Individuen beziehen, aber auch auf ganze Gruppen (vgl. Abschnitt „Gruppen“ auf Seite 239): „Bei der Mitgliedschaft darf nicht übersehen werden, dass sie keineswegs so stabil ist, wie häufig unterstellt. Organisationen führen aus verschiedenen Gründen den Arbeitsgruppen häufig neue Mitarbeiter/innen zu oder die Mitgliedschaften sind von vornherein zeitlich eng begrenzt.“ (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 534). Personelle Veränderungen wirken sich unterschiedlich auf die SFA-Prozesse aus. Einerseits richten sie Schaden an, da die Gruppenmitglieder eine gemeinsame Geschichte verbindet und diese sehr stark gestört wird. Andererseits kann z.B. die Hinzunahme eines neuen Mitarbeiters/einer neuen Mitarbeiterin den Prozess wieder neu antreiben28 . Veränderungen, aber auch Auswirkungen können in allen Phasen der SFA-Prozesse, sowohl bei der Wahrnehmung einer Chance, als auch bei der Bewertung und der Reaktion darauf, passieren. IE8: Personale Änderungen (z.B. Wechsel, Hinzunahme, Abgang von Personen) im SFAProzess wirken sich positiv oder negativ aus.
18.2.1.6.1
Wechsel
In der ELEKTRONIK-M-GMBH musste im Verlauf des Innovationsprozesses eine neue Personengruppe zusammengestellt und die Verantwortlichkeiten neu verteilt werden. In der BAUTEIL-M-GMBH kam es zu einem Projektleiterwechsel, der einen gravierenden Einfluss auf den weiteren Prozess hatte. Das Unternehmen bekennt, dass ein solch gravierender Wechsel nicht mehr wiederholt werden soll. Grund dafür ist der verlorene „drive“ oder Innovationsgeist – wie es die BAUTEIL-M-GMBH nennt–, hervorgerufen durch die Störung des Teams. Der Neuzugang, der die Gruppengeschichte nicht kannte, benötigte erst Zeit, sich einzuleben. Auch in der PAPIER-G-AG wurden durch einen Vorgesetztenwechsel die bereits eingeführten und bewährten Systeme nicht weitergeführt. Die Un28 „Und so ist das halt auch lange Zeit wirklich auf ein-zwei Mann dahin getümpelt und irgendwann ist dann einmal ein neuer Mitarbeiter dazu gekommen. Und hat dann auch wieder, ist von einem bisschen anderen Bereich gekommen, und hat da ganz andere Ideen eingebracht. Und dort ist irgendwo dann das entstanden...“ (TECHNIK-G-GMBH).
18.2. INTERNE PERSONEN MIT EINFLUSS (IE)
225
ternehmen betonten jedoch, dass durch personelle Wechsel Elan in Projekte eingebracht werden kann. So wurde in der TEXTIL-G-GMBH ein Projektleiterwechsel geplant und erfolgreich durchgeführt, abgestimmt auf die Projektphasen und die dabei benötigten Kompetenzen. So war nur am Anfang des Projektes ein problemlösungs- und handlungsorientierter Mitarbeiter gefragt. Nachdem das Projekt angelaufen war, konnte sich dieser Mitarbeiter anderen „schwierigen“ Projekten widmen. Seine Aufgaben wurden ohne negative Auswirkungen auf den SFA-Prozess auf andere Mitarbeiter übergeben29 . IE9: Wenn während des SFA-Prozesses ein ungeplanter Projektmitarbeiterwechsel (vor allem Gruppenleiter/innen) stattfindet, dann wirkt sich dies negativ auf die beteiligten Personen (Stress, Ärger, Frust, Scham) und auf den SFA-Prozess aus (materieller und zeitlicher Mehraufwand). IE10: Wenn ein begründeter und geplanter personaler Wechsel während dem SFA-Prozess vollzogen wird, dann wirkt sich dies positiv auf den Prozess aus (z.B. verschiedene Phasen benötigen unterschiedliche Kompetenzen).
18.2.1.6.2
Hinzunahme
Andere Unternehmen, wie die ELEKTRO-M-GMBH, ziehen im Verlauf der SFA-Prozesse zusätzliche Personen hinzu – hauptsächlich aus Kompetenz- und Wissensüberlegungen. So wurde die Verkaufsabteilung von einem Techniker ergänzt. In der METALLWAREN-MGMBH wurde zum ersten Mal eine zusätzliche Person mit dem komplexen Spezialgebiet des Patentwesens betraut. Ebenso wurden früh im Prozess unternehmensexterne Designer eingesetzt, um möglichst bald dem Verkauf Produktbilder präsentieren zu können. Die BAUTEIL-M-GMBH startet Brainstormingrunden in kleinen Gruppen und nimmt sukzessive Mitglieder hinzu, wenn neue Themenbereiche oder Problemstellungen auftauchen. Die FAHRZEUG-G-AG bezieht zeitweise andere Fachabteilungen ein. Auch in der TECHNIK-G-GMBH stieß ein neuer Mitarbeiter mit seinen Ansichten einen kreativen und innovativen Prozess an. In der SYSTEM-G-AG wurde ein externer Konsulent mit dem Prozess betraut. Auch die TEXTIL-G-GMBH holte sich immer wieder externe Hilfe für die Gruppen, z.B. die Marketingabteilung oder den Außendienst30 . Für nähere Ausführungen vgl. die Thematik „Heterogenität von Gruppen“ (Abschnitt „Gruppen“ auf Seite 239). IE11: Wenn bewusst neue Personen während des SFA-Prozesses in die Gruppe aufgenommen werden, dann wirkt sich das positiv auf den SFA-Prozess aus. 29 In der SYSTEM-G-AG kommt es zu allgemeinen Personenwechseln, die jedoch nicht näher spezifiziert wurden. 30 Von der BAUTEIL-M-GMBH, der FAHRZEUG-G-AG und der ENTWICKLUNGS-G-GMBH wurde jedoch betont, dass die Kernmanschaft stets die gleiche blieb.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
226 18.2.1.6.3
Abgang
In SFA-Prozessen kommt es neben Personenwechseln, der Hinzunahme von Personen auch zum Verlust von Mitarbeitern/innen (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). In SYSTEM-G-AG wurde der eingesetzte Konsulent langsam und geplant aus dem Projekt entlassen und seine Aufgaben internen Mitarbeitern/innen anvertraut. Der ungeplante und plötzliche Verlust von Mitarbeitern/innen ist hingegen vor allem kritisch im Bezug auf Wissens- und Kapazitätsverluste. Dies betrifft besonders den Verlust von implizitem Wissen (vgl. Abschnitt „Intangible Ressourcen“ auf Seite 289). Geplantes Ausscheiden, wie die Exklusion externer Spezialisten/innen, kann positiv für das Unternehmen sein, im Hinblick auf Geheimhaltung und Schutz von Wissen. IE12: Wenn ungeplant Personen während des SFA-Prozesses ausscheiden, dann wirkt sich dies negativ auf den SFA-Prozess aus (Wissens-, Kompetenz- und Kapazitätsverlust). IE13: Wenn geplant Personen während des SFA-Prozesses ausscheiden, dann wirkt sich dies positiv auf den SFA-Prozess aus (Geheimhaltung und Schutz von Wissen).
18.2.2
Interne Personen und Funktionen mit Einfluss in der Literatur
In der Literatur weist vor allem Magiera (2009, S. 12) auf verschiedene Impulsgeber für Produktinnovationen (und Chancen) hin. So stammen 29% der Impulse in seiner Studie aus Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, jeweils 12% aus Absatz- sowie Produktionsfunktionen, 10% von Konzernen und 3% vom Management31 . 18.2.2.1
Top Management
Trotzdem wird in der Literatur die Führungsebene (d.h. CEOs, die dominante Koalition) als Hauptgruppe der Verantwortlichen für den SFA-Prozess genannt32 . Unternehmenseigentümer/innen sowie die Geschäftsführung, also die Spitzen der Unternehmen, werden dabei unter dem Begriff „Top Management“ zusammengefasst. Es erlangt vor allem in der theoretischen Strömung der „upper echelons theory“ Bedeutung (Hambrick und Mason, 1984; Hambrick, 2007; Carpenter et al., 2004). Umso stärker das Top Management in Prozessen involviert ist, umso eher werden Themen und Signale wahrgenommen und führen zu Aktionen (Dutton und Ashford, 1993, S. 404; Schoen, 1969, S. 167; Cooper, 2002, S. 105f; Sharma et al., 1999, S. 102; (Dougherty und Hardy, 1996, S. 1123))33 . Ideen und 31 Die restlichen Prozent verteilen sich auf Kunden/innen, Lieferanten/innen, Berater/innen und sonstige Quellen, die jedoch im Abschnitt „Umwelteinflüsse“ behandelt werden (vgl. auf Seite 298). 32 So erklären z.B. Julian und Ofori-Dankwa (2008, S. 101), dass „CEOs represent exceptionalley wellinformed individuals given that they are often involved in the interpretation of strategic issues“. 33 Die Wahrnehmung und Interpretation der Führungsspitze und deren Commitment zu einem ’issue’ beeinflusst ebenfalls die wahrgenommen Möglichkeiten der Lösungen bzw. der Ressourcenzuweisung und
18.2. INTERNE PERSONEN MIT EINFLUSS (IE)
227
neuartige Konzepte werden eher umgesetzt, wenn mächtige Personen eingebunden sind (Lenz und Engledow, 1986, S. 82).34 Greening und Gray (1994, S. 479) verknüpfen die Involvierung der Unternehmensspitze mit der strukturellen Ausgestaltung des SFA-Prozesses und folgern: „Top management commitment to issues will be positively related to issues management structural development.“ Je mehr Zeit die Unternehmensspitze in ein Thema investiert, umso wichtiger wird es für das Unternehmen. Die Interpretationen orientieren sich an den Werten und kognitiven Eigenschaften des Top Managements (Hambrick und Mason, 1984, S. 193). Ihm wird der höchste Einfluss auf die Phasen Activation und Assessment nachgesagt (Thomas et al., 1993, S. 241). Damit einhergehend sind auch Fragen der Autorität in Unternehmen, d.h. welche Personen Entscheidungen treffen können („authorization routine“ (Mintzberg et al., 1976, S. 259)). IE1, IE2 bestätigt: Die Rolle des Top Managements ist im SFA-Prozess wichtig. Die Involvierung trägt zum Erfolg von Produktinnovationen bei. Sie ist aber von kognitiven Eigenschaften und den Einstellungen des Top Managements geprägt. 18.2.2.2
Führungskräfte
In der Literatur erlangen Führungskräfte („mittleres Management“) für SFA-Prozesse an Bedeutung: „...middle managers play a pivotal role in detecting new ideas and in mobilizing resources around these new ideas.“ (Dutton et al., 1997, S. 407). Das mittlere Management nimmt eine wichtigen Stelle beim Erfassen und der Interpretation von Signalen („sensemaking“) ein (Floyd und Wooldridge, 1994; Wooldridge und Floyd, 1990; Floyd und Wooldridge, 1992; Papadakis und Kaloghirou, 1999; Gioia und Chittipeddi, 1991; Beck und Plowman, 2009). Es nimmt neue Ideen und Signale auf und transportiert sie in der Hierarchie nach oben („linking pins“ (Floyd und Wooldridge, 1992, S. 154)). Es füllt schwache Signale mit Bedeutung (und überzeugt das Top Management)35 . Obwohl die Involvierung des mittleren Managements nach Westley (1990) sowohl negative als auch positive Konsequenzen für Innovationen haben kann, spricht sich die Literatur grundsätzlich für die Involvierung des mittleren Managements aus (z.B. als Informationsüberbringer, Treiber von bestimmten ’issues’ oder Förderer der Implementierung). Sie führt zu einer erhöhten Unternehmensperformance (Wooldridge und Floyd, 1990, S. 231)36 . Das mittlere Management erhält zunehmende Bedeutung, wenn Unternehmen dezentral und geografisch verteilt organisiert sind (Gioia und Chittipeddi, 1991, S. 523). demnach die Art des Veränderungsprozesses (Thomas und McDaniel, 1990, S. 288). 34 Unter machtvollen Personen wird auch die „dominante Koalition“ und deren Einfluss auf den SFAProzess verstanden (Lauzen, 1995, S. 191). 35 Vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ 19.2 auf Seite 248. 36 Floyd und Wooldridge (1992, S. 156) stellen fest, dass vor allem in Prospector-Unternehmen die Rolle vom mittleren Managern/innen wichtig ist.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
228
In diesen Fällen ist der Koordinierungsaufwand zwischen den Unternehmensfunktionen größer und das mittlere Management übernimmt diese Aufgabe. Manager/innen werden in der Literatur oftmals als „information-processing system“ angesehen (Mintzberg, 1972, S. 92), da sie mindestens die Hälfte ihrer Zeit dem Umgang mit Informationen widmen. Dabei stellen nach Mintzberg (1972, S. 93) die Manager/innen das Nervenzentrum im Unternehmen dar, also jene Einheit, bei der alle Informationen zusammenfließen und anschließend an andere Unternehmensmitglieder weitergeleitet („Disseminator“), nach außen abgegeben („Spokesman“) oder intern weiterentwickelt werden („Strategy Maker“). Die Devise, auch im Sinne einer SFA, ist dabei: „getting information rapidly appears to be more important to the manager than getting it absolutely right.“ (Mintzberg, 1972, S. 95). Dies spricht den Konflikt zwischen formalen Systemen (mit präzisen, aggregierten und historischen Informationen) und den persönlichen Informationen des Managers/der Managerin (spekulativ, aktuell) an (Mintzberg, 1972, S. 96). Obwohl in der Literatur die Wirkungskraft der Führungskräfte (bzw. des mittleren Managements) bei Innovationen hervorgehoben wird (vor allem im Sinne von Überzeugungsarbeit), wurden in den befragten Unternehmen diese Stellen weniger als treibende Kräfte angesprochen. Widerspricht teilweise IE3: Je stärker das mittlere Management (neben der Geschäftsführung und Eigentümer/innen) im SFA-Prozess involviert ist, umso erfolgreicher gestaltet sich der SFA-Prozess. 18.2.2.3
Produktinnovations-“champions“
Wie bereits erwähnt, werden Produktinnovationen zumeist von Einzelpersonen (auf unterschiedlichen Hierarchiestufen) vorangetrieben. In der Befragung wurden gewisse Hauptunternehmensfunktionen mit diesen Personen verbunden, wie die Technik und der Verkauf. Diese erhalten in der Literatur teilweise den Namen „champions“, d.h. Verfechter. Day (1994, S. 148, 154) kommt in ihrem Artikel zu dem Schluss, dass „bottom-up-“ wie auch „top-down-champions“ 37 Produktinnovationen in marktgetriebenen Unternehmen zum Erfolg verhelfen. • ’Bottom-up-champions’ wirken in der Hierarchie nach oben. Sie befinden sich häufig näher an Märkten und Technologien und halten zentrale Positionen der Kommunikation zu diesen Netzwerken (wie z.B. der Verkauf) (Day, 1994, S. 150). • ’Top-down-champions’ sind in Organisationen nahe an den Unternehmensspitzen und oftmals in zentralen Stellen angesiedelt. Es gilt, „principal champions from corporate headquarters, particularly from staff positions, will be negatively associated with innovativeness.“ 37 „Champions use their power and influence to help ventures navigate the complex socio-political maze inside their corporations.“ (Day, 1994, S. 150)
18.3. EXKURS: ERFAHRUNG (E)
229
’Champions’ in z.B. Tochtergesellschaften oder dezentralen BU ermöglichen mehr Innovation als ’champions’ in zentralen Stellen (Day, 1994, S. 151). Dies trat bei der Befragung besonders bei dem Unternehmen ELEKTRO-M-GMBH hervor, das sich aktiv gegen Ideen von zentralen Stellen stellt, da diesen mangelnde Umsetzungsfähigkeit und Nutzbarkeit nachgesagt werden. Eine Kombination und Einbeziehung beider ’champion’-Typen wird von Day (1994) aber als erfolgversprechender angesehen. Neu: Wenn „bottom-up-“ und „top-down-champions“ in marktgetriebenen Unternehmen gleichzeitig handeln, dann werden Chancen eher erkannt und genutzt. Die Partizipation des Top Managements ist vor allem bei kostenintensiven und radikalen Projekten, sowie Projekten wichtig, die kulturelle Abweichungen zum bisherigen Status Quo zum Thema haben: „if innovations will clearly be costly to develop, bottom-up champions often do not emerge because they recognize that such projects are beyond the scope of what they can hope to accomplish without significant and continuous support from the top.“ (Day, 1994, S. 152). Liegt eine solche Situation vor, dann ist ’top-down-championing’ von großer Bedeutung, dass also Personen mit Entscheidungsfreiheit und Positionsmacht die Innovationsprojekte übernehmen. Sie haben eine „dual-role championing“ Rolle. Dies bedeutet, dass sie in die Definition des Produktes involviert sind („product championing“), und dass sie als Coach oder Mentor Schlüsselentscheidungen beeinflussen („organizational sponsor“) (Day, 1994, S. 153). Damit weisen solche Personen eine perfekte Mischung von Wissen und Informationsbasis sowie hierarchische Macht auf. Sie besitzen die Kontrolle über die Ressourcen, die zur Umsetzung der Innovationen nötig ist. Diese Art von ’champions’ ist bei der TEXTIL-G-GMBH anzutreffen. Der Innovator in der TEXTIL-G-GMBH bekleidet eine hohe Position im Unternehmen und leitet Produktinnovationen, wenn sich diese in den Anfangsphasen als schwierig erweisen. Ist die schwierigste Phase überwunden, übergibt der Innovator das Projekt an eine andere Person und widmet sich dem nächsten Vorhaben. I9 bestätigt bzw. neu: Wenn Projekte in Unternehmen kritisch, radikal und schwerfällig sind, dann sind sie in den Händen von ’top-down-champions’ besser aufgehoben als bei ’bottom-up-champions’.
18.3
Exkurs: Die Rolle von Erfahrung (E)
Per Definition basiert Intuition auf den Erfahrungen einer Person. Diese Erfahrungen wirken bewusst oder unbewusst auf den SFA-Prozess ein. Erfahrung kann nach Eisenhardt (1989b, S. 559) zu schnelleren Aktionen führen und wird meist älteren Personen zugeschrieben. Die Thematik der Erfahrung wurde im Kapitel „Schwache Signale“ 16.1.3.2 bereist angeführt und soll näher beleuchtet werden.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
230
18.3.1
Erfahrung in der Befragung
(Vor-)erfahrungen in den befragten Unternehmen gründen sich beispielsweise auf: • vorgelagerte Produkte (ELEKTRO-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-GAG). • Ideen aus der Vergangenheit (METALLWAREN-M-GMBH, TECHNIK-G-GMBH ENTWIKKLUNGS-G-GMBH)38 . • persönliche Erfahrungen (BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-G-AG, TEXTIL-G-GMBH)39 und Praxiserfahrungen (FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG)40 . • Erfahrungen aus benachbarten Kompetenzfeldern (ELEKTRONIK-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG)41 und benachbarten Produkten (BAUTEIL-M-GMBH)42 . Einige Unternehmen nennen explizit die Vorteile von Erfahrung: die BAUTEIL-M-GMBH und die TEXTIL-G-GMBH betonen die Wichtigkeit des Sammelns von Erfahrung, die SYSTEM-G-AG streicht heraus, dass es essentiell ist, aus Erfahrungen zu lernen. Öfters schlummern Erfahrungen lange in den Köpfen der Mitarbeiter/innen, bevor sie kommuniziert werden. Erfahrung ist dabei mehr als die Sammlung bloßer Informationen. Sie ist vielmehr die direkte Beschäftigung (durch ’learning-by-doing’) im jeweiligen Interessensbereich. Das persönliche Erleben ist viel eindrucksvoller und leichter merkbar als das reine Studieren von z.B. Zeitungen oder Trendberichten. Durch die Arbeit in benachbarten Kompetenzfeldern oder an ähnlichen Produkten werden die Personen auf mögliche Chancen und schwache Signale aufmerksam. Vorgelagerte Produkte (Vorgängerprodukte) und deren Problemfelder zeigen neue Möglichkeiten und Verbesserungschancen auf. Die Erfahrung durch die Praxis fördert das Einschätzungsvermögen der Person, d.h. die schnellere Beurteilung, ob eine Idee sinnvoll und anwendbar ist oder nicht. Auch Erfahrungen aus der Vergangenheit können sinnvolle Chancen bieten und zu erfolgreichen Produkten weiterentwickelt werden. 38 „Die Idee, dass es in irgendeiner Art und Weise so gehen könnte, war da. Jedoch so diese, man würde dann sagen, die technische Absicherung, die war noch nicht gegeben.“ (TECHNIK-G-GMBH) 39 Z.B. vor allem durch Experten/innen, d.h. älteren Kollegen/innen (Lebensalter oder Firmenzugehörigkeit) und Lebenserfahrung oder aus der Freizeit. 40 „Und es ist sicherlich eine Stärke, dass dieser Bezug aus der Praxis da ist um hier nicht, ich sage jetzt einmal, Luftideen zu machen, sondern was einen praktischen Wert hat.“ (FAHRZEUG-G-AG). „[Ich] kenne daher die ganzen Probleme aus der Praxis.“ (SYSTEM-G-AG) 41 „Erstens passt es gut zu unserer Thematik ... und das hat gut zu unserem Know-how gepasst.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH). „...da spielt natürlich sehr viel Erfahrung mit,... – wo man Vergleichswerte heranziehen kann...“ (FAHRZEUG-G-AG) 42 „Und wir hatten da schon einige Erfahrung ... und wussten ungefähr, wie wir das umsetzen könnten.“ (BAUTEIL-M-GMBH)
18.3. EXKURS: ERFAHRUNG (E)
231
E1: Je größer die Erfahrung (aus benachtbarten Kompetenzfeldern, Produkten, Projekten) der beteiligten Personen im Unternehmen ist, desto eher werden Chancen wahrgenommen und richtig eingeschätzt.
18.3.2
Erfahrung in der Literatur
Erfahrung bezeichnet gesammeltes und (bewusstes oder unbewusstes) verfügbares Wissen. Erfahrung wird in den nächsten Abschnitten mit dem SFA-Prozess, Intuition und der Rolle von Experten in Zusammenhang gebracht.
18.3.2.1
Erfahrung und SFA-Prozess
Die Befragung zeigte, dass Erfahrung und Wissen für den SFA-Prozess wichtig sind (Hambrick und Mason, 1984, S. 199; Burke und Miller, 1999, S. 92; Crossan und Sorrenti, 1997, S. 169; Thomas et al., 1994, S. 1256; Hitt und Tyler, 1991). Erfahrung hilft, kognitive Strukturen weiter zu entwickeln, Prozesse fehlerfreier und schneller zu gestalten. Auf diese veränderten Strukturen kann in weiterer Folge mit weniger Ressourcenaufwand zurückgegriffen werden. Die Erfahrungen und die daraus geschaffenen Strukturen ermöglichen es den Personen, intuitiver zu reagieren (Martins und Kambil, 1999, S. 655). Hohe Erfahrung wird oft dem Innovator/der Innovatorin zugeschrieben (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator/in des SFA-Prozesses“ 18.1 auf Seite 210). I3 bestätigt: Innovatoren/innen greifen auf Erfahrungen zurück und nehmen schwache Signale rechtzeitig wahr. Erfahrungen beeinflussen die Wahrnehmung (Denison et al., 1996). Hat eine Person in einer speziellen Funktion viel Erfahrung gesammelt, dann ist sie eher mit schwachen Signalen aus dieser Thematik vertraut und wird diese häufiger wahrnehmen. Erfahrung wird oft mit besseren Ergebnissen, z.B. bei der Methodenanwendung, in Zusammenhang gebracht (Malaska, 1985, S. 345; Linneman und Klein, 1979, S. 88). Sie dient der besseren Wahrnehmung schwacher Signale (Denison et al., 1996, S. 453). Steigende Erfahrung führt nach Denison et al. (1996, S. 457) zu vermehrter Interpretation von Signalen als Chancen. E1 bestätigt: Erfahrung beeinflusst den SFA-Prozess positiv, und zwar durch die rechtzeitigere Wahrnehmung von Chancen und der passenderen Einschätzung ihrer Wirkungen. 18.3.2.2
Erfahrung und Intuition
Innovative Unternehmensmitarbeiter/innen und Senior Manager/innen unterscheiden sich von Managern/innen durch höhere Intuition. Nach Mintzberg (1976)43 nimmt Intuition 43
Vgl. auch Hodgkinson und Sadler-Smith (2003a, S. 262); Harper (1988, S. 14).
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
232
mit steigendem Alter44 und einer höheren Hierarchiestufe zu. Ältere und länger der Organisation zugehörige Unternehmensmitglieder sind nach Aussagen der Autoren/innen intuitiver als mittlere und junge Manager/innen: „The effective use of intuition has even been seen as critical in differentiating successful top executives and board members from lower-level managers and dysfunctional boards. Ralph Larsen, former chair and CEO of Johnson & Johnson, suggested: Very often, people will do a brilliant job through the middle management levels, where it’s very heavily quantitative in terms of the decisionmaking. But then they reach senior management, where the problems get more complex and ambiguous, and we discover that their judgment or intuition is not what it should be. And when that happens, it’s a problem; it’s a big problem.“ (Hayashi, 2001, S. 61 und Dane und Pratt, 2007, S. 33). In der Literatur wird oftmals festgestellt, dass höhere Hierarchiestufen (Senior Manager) auf Grund ihrer Verantwortung und der größeren Reichweiten ihrer Entscheidungen mehr Intuition benötigen (Hayashi, 2001, S. 60). Ältere Personen oder länger dem Unternehmen zugehörige Mitarbeiter/innen werden als intuitiver eingeschätzt. Ihren Aufgaben wird häufig ein höherer Einsatz an Intuition zugerechnet. Für sie ist es auf Grund ihrer Reputation leichter, ihre Entscheidungen durchzusetzten. Da gerade das Benennen eines schwachen Signales oder einer intuitiven Handlung schwer möglich ist, haben sie einen Vorteil gegenüber jüngeren Personen. I5 bestätigt: Ältere, oder dem Unternehmen länger zugehörige Personen können schwache Signale leichter umsetzen. Neu: Je länger eine Person im Unternehmen ist (damit zusammenhängend ist die Position auf einer höheren Hierarchieebene), umso mehr verfügt sie über Erfahrung im SFA-Prozess und kann diese durch ihre höhere Handlungsbefungnis einsetzen. Neu: Je älter eine Person ist, oder je länger sie dem Unternehmen angehört, umso eher verwendet sie intuitive Prozesse. Miller und Ireland (2005, S. 21) führen diese Art der Erfahrungsanwendung auf Intuition zurück („intuition as automated expertise“). Diese Art der Erfahrung entsteht, wenn über eine längere Zeit hinweg relevante Erfahrungen in einem bestimmten Bereich gesammelt werden: „experience or knowledge about the intrinsic substance of issues is needed if decision-makers are to fare well in issue-interpretation“ (Dutton et al., 1989, S. 391). Intuition bezeichnet somit den automatischen Zugang zu den gespeicherten Erfahrungen, wenn die Person in eine ähnliche Situation gelangt. Ein wichtiger Punkt dabei ist das Lernen aus Fehlern (Lyles, 1987, S. 266; Houghton und Neubaum, 1994, S. 371). Diese intuitive Erfahrungsanwendung ist vor allem in turbulenten Umwelten von Vorteil. Allinson et al. (2000) zeigen, dass technische Innovatoren/innen intuitiver agieren als ihre Kollegen/innen in anderen Bereichen (Roberts, 2003), da sie in ihrem Arbeitsfeld viel Wissen und Erfahrung vorweisen können. Besteht diese Art an Vorwissen nicht, kann es 44
Burke und Miller (1999, S. 94) betonen, dass ältere Personen sich vermehrt der Intuition bedienen.
18.3. EXKURS: ERFAHRUNG (E)
233
zu Missverständnissen bei der Suche, Klassifikation oder Interpretation kommen (Dutton et al., 1989, S. 391). Miller und Ireland (2005) argumentieren, dass diese Art der speziellen Intuition für Innovationen weniger wichtig ist als für Verbesserungen des Bestehenden. Diese rationale Erfahrungsanwendung ist speziell in stabileren Umwelten nützlich. Erfahrung ist für sowohl für Intuition als auch Rationalität von Vorteil. Hier ist es von Wichtigkeit, ob Erfahrung bewusst (und damit rational) eingesetzt wird (z.B. um Probleme bei Vorprodukten zu analysieren und somit ein Neuprodukt zu schaffen), oder ob sie unbewusst (und damit intuitiv) zum Einsatz kommt (z.B. Geistesblitz). Neu: Wenn das Unternehmen in einer turbulenten Umwelt agiert, dann ist der intuitive Einsatz von Erfahrung erfolgreicher („automated expertise“) (Erfindung von Neuem). Neu: Wenn das Unternehmen in einer stabilen Umwelt agiert, dann ist eine rationale (bewusste) Anwendung von Erfahrung erfolgreicher (Verbesserung von Bestehendem). Neu: Wenn intuitive und rationale Erfahrungsanwendung kombiniert werden, dann gestalten sich SFA-Prozesse erfolgreicher. Neu: Wenn im Unternehmen spezielle Erfahrungen vorliegen, dann ist dies für Verbesserungen von Bestehendem von Vorteil. Neu: Wenn im Unternehmen breite Erfahrungen vorliegen, dann ist dies für die Erfindung von Neuem von Vorteil. Neu: Wenn breite und spezielle Erfahrungen vorliegen, dann gestalten sich SFA-Prozesse erfolgreicher. Kiesler und Sproull (1982, S. 559) merken kritisch an, dass Erfahrungen auch unpassend oder fehlerhaft sein können. Sie (1982, S. 551) sehen vier Möglichkeiten, um die Wahrnehmung von schwachen Signalen zu verstärken: • von Erfahrungen lernen • Planung • Erhöhung der Informationsgeschwindigkeit • Erhöhung der Informationsweite. Allerdings haben alle diese Methoden laut den Autoren/innen Kiesler und Sproull (1982) ihre Grenzen. So können bereits gemachte Erfahrungen oder Pläne fehlerhaft sein. Die Informationsgeschwindigkeit vermindert nicht kognitive Fehler, sondern beschleunigt deren Auftreten. Die Erweiterung der Informationsquantität kann auf Grund der begrenzten Verarbeitungskapazität von Individuen zu vermehrter Fehlerhäufigkeit führen.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
234 18.3.2.3
Experten/innen(wissen)
„Innovation..., depends upon the individual and collective expertise of employees.“ (Leonard und Sensiper, 1998, S. 112) „...today more than 50 percent of the Gross Domestic Product in developed economies is knowledge-based...“ (Dess und Lumpkin, 2001, S. 22) Eng mit Erfahrung, Alter und Intuition hängt die Diskussion der Rolle von Experten/innen zusammen45 . Expertenwissen sind spezielle und spezifische Informationen, die relevant und einsetzbar sind und auf vergangenen Erfahrungen beruhen (Leonard und Sensiper, 1998, S. 113). Prietula und Simon (1989, S. 121) argumentieren: „Expertise is a mixture of analysis and intuition.“ Die Debatte geht allerdings noch tiefer. Expertentum wird als „Weisheit“ bezeichnet. Sie stellt eine Kombination von Intelligenz (z.B. Kreativität, Soziale Intelligenz), Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Offenheit) und Lebenserfahrung dar (Schuler, 2007, S. 270). Die erfolgreiche Anwendung von Intuition ist von den vorhandenen „Landkarten im Kopf“ der Anwender abhängig (Dane und Pratt, 2007, S. 42). In Studien stellte sich heraus, dass Experten/innen schlecht strukturierte Probleme schneller, vielfältiger, effizienter und effektiver lösen können als Anfänger (Day und Lord, 1992, S. 35; Eisenhardt, 1989b). Grund dafür ist, dass Experten/innen auf gut entwickelte Heuristiken bei der Lösung von Aufgaben zurückgreifen, also automatische und intuitive Vorgänge benutzen (Day und Lord, 1992, S. 43; „mature intuition“ vgl. Dane und Pratt, 2007, S. 42), die „tacit dimension“ von Wissen (Leonard und Sensiper, 1998, S. 113). Dieser unbewusste Einsatz von Wissen erleichtert die Problemlösung, -findung und -vorhersage: „Expert’s intuitive ability is also derived from their capacity to recognize salient environmental cues and rapidly match those cues to commonly occuring patterns, responding in ways that lead to effective problem solving and decision making.“ (Hodgkinson et al., 2008, S. 7). Anfänger demgegenüber folgen einem kontrollierteren und rationaleren Ansatz (Day und Lord, 1992, S. 45). Heuristiken entstehen durch Erfahrungen46 und schlagen sich z.B. bei der Kategorisierung von Themen nieder. Der Erfahrungsschatz wiederum lässt sich auf die Organisationstypen der Unternehmen zurückführen. Je dynamischer Organisation und Umwelt sind, umso mehr können Mitarbeiter/innen profitieren, effektiver Information aufnehmen und verarbeiten und ihre Erfahrungen in zukünftige Themen einfließen lassen. Neu: Je mehr Experten/innen im SFA-Prozess involviert sind, umso eher werden schwache Signale erkannt und umso intuitiver gestaltet sich der Prozess. 45 Vgl. Stubbart (1989, S. 339f); North und Pyke (1969, S. 78); Prietula und Simon (1989); Simon (1979). 46 „...experienced decision makers are able to project how the present will move into the future...“ (Hodgkinson et al., 2008, S. 7).
18.4. ZUSAMMENFASSUNG
235
Grundsätzlich wird dafür plädiert, dass Individuen angehalten sind, „experiential knowledge“ 47 , „reflective knowledge“ 48 und „integrative knowledge“ 49 aufzubauen (Heugens, 2006). Dies inkludiert die Beobachtung und Offenheit gegenüber Veränderungen und schwachen Signalen, die Reflexion darüber sowie die Anwendung des Wissens auf neuartige Bereiche (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator/in des SFA-Prozesses“ 18.1). Nicht nur Experten/innen, sondern jeder Mitarbeiter/jede Mitarbeiterin ist aufgerufen, sich diese Form von Wissen anzueignen, um in SFA-Prozessen erfolgreicher handeln zu können.
18.4
Zusammenfassung
Es bildeten sich gewisse Personen und deren Bedeutung im SFA-Prozess heraus. Innovatoren/innen sind die intuitiven Initiatoren/innen im SFA-Prozess. Die Geschäftsführung sowie die Eigentümer sind notwendige Unterstützer im Prozess und sichern die erfolgreiche Realisierung von Chancen. Erfahrung ist darüber hinaus ein wichtiges Personenmerkmal in der SFA.
18.4.1
Innovatoren als intuitive Initiatoren des SFA-Prozesses
Wie bereits im Abschnitt „Die Träger der Phasen“ 16.3 festgestellt wurde, beginnen die meisten SFA-Prozesse (Activation) – unabhängig von der Unternehmensgröße oder den Pfadkategorien – mit einer Einzelperson, dem Innovator/der Innovatorin. Aus den obigen Ausführungen zeigte sich, dass Innovatoren/innen spezielle Merkmale aufweisen, und häufig viel Erfahrung haben. Seine/ihre Antriebskraft ist wichtig für das Erkennen eines schwachen Signals und damit einer Chance50 . Die MASCHINENBAU-G-GMBH betont die Begeisterung (als Steigerung der positiven Einstellung) und deren Wichtigkeit für den Erfolg einer Idee51 . Wird der Innovator/die Innovatorin allerdings in seinen Handlungen gebremst oder blockiert, so kann dies auch den Todesstoß für die Idee bedeuten: „dann ist das Feuer erloschen und der greift das nie mehr an.“ (TECHNIK-G-GMBH). Als positive Charaktereigenschaften der Innovatoren/innen (auf den SFA-Prozess) werden häufig Verantwortung, Engagement, Eigeninitiative, Erfahrung, Wissen und Kreativität genannt. In allen befragten Unternehmen gibt es wenige Personen, die SFA im Sinne von Produktinnovationen aktiv vorantreiben. Innovatoren/innen sind selten. Meist sind Personen anzutreffen, die im Hintergrund agieren. 47 D.h. dem Wissen, welches durch Einbindung und Beobachtung von bestimmten Umweltthemen geschaffen wird. 48 D.h. dem Wissen, welches durch bereits gemachte Erfahrungen aufgebaut wurde, und bei wiederkehrenden ähnlichen Umweltthemen angewendet werden kann. 49 D.h. das Wissen von Erfahrungen wird auf neuartige Umweltereignisse angewandt. 50 Die Wahl ob ein Signal aufgegriffen wird hängt nach (Dutton und Ashford, 1993, S. 406) von dem „value that individuals attach to an issue and their beliefs that such efforts will be successful“ ab. 51 „Ein Projekt lebt und fällt,... wenn einer von der Idee begeistert ist“ (MASCHINENBAU-G-GMBH).
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
236
Die Literatur verweist in diesem Zusammenhang auf die stark intuitive Ausrichtung von Innovatoren/innen. In der Empirie ließen sich jedoch einige rationale Anfangspunkte von SFA-Prozessen feststellen. Dies bedeutet, dass für die erste Phase oftmals Methoden eingesetzt werden. Trotzdem müssen die Empirieergebnisse im Sinne der Literatur relativiert werden. Auch wenn Methoden, Systeme und Werkzeuge in den Unternehmen vorhanden sind, braucht es Personen, die das nötige Gespür aufweisen und Chancen erkennen (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ 16.1.3.2). Deshalb treten in der Praxis beide Prozessarten (Intuition und Rationalität) in Kombination auf. Warum nannten die Unternehmen trotzdem häufig rationale Prozesse? Grund dafür ist sicher, dass Intuition sehr unbewusst ist und oftmals nicht benannt werden kann. Rationale Methoden hingegen lassen sich schnell und einfach ermitteln.
18.4.2
Geschäftsführung und Eigentümer als notwendige Unterstützer
Um ein Umweltbewusstsein aufbauen zu können, benötigen Personen Wissen. Nach Heugens (2006, S. 369) bedingt dies z.B. den Kontakt zu sogenannten Partnern/innen oder Stakeholdern. Auch Dutton et al. (1983, S. 308) betonen: „strategic decisions are organizational phenomena – they require a variety of organizational members for their recognition, formulation, evaluation and implementation.“ So bezieht auch die SFA neben dem Innovator/der Innovatorin andere Teilnehmer in den Prozess mit ein – allen voran die Geschäftsführungen und die Eigentümer/innen. Auch wenn der Innovator/die Innovatorin für das Anstoßen des SFA-Prozesses wichtig ist, so ist die Einbeziehung der Geschäftsführung für die Weiterverfolgung der schwachen Signale noch in der Phase Activation ausschlaggebend (vgl. Tabelle 18.1). Sie sind sowohl in GU als auch in MU jene machtvolle Instanz, welche Projekte vorantreiben oder beenden kann. In GmbHs, egal ob GU oder MU, haben auch die Eigentümer/innen großen Einfluss auf Innovationsprojekte. Der Zielkonflikt zwischen Verkauf und Technik für den Innovationsprozess wird sowohl in MU als auch in GU angesprochen. Die Rolle von Support-Funktionen erlangt besonders in GU einen Stellenwert. Dies lässt sich auf die Größe und stärkere organisatorische Differenzierung (vgl. Pfohl, 1997a, S. 19f) zurückführen. Vereinzelt treten (sowohl in MU als auch in GU) Mitarbeiter/innen als Kritiker/innen, Vermittler/innen oder Erfahrene auf. In der Literatur wird behauptet, dass die Unternehmensspitzen in MU und GU die SFAProzesse unterschiedlich beeinflussen. An dieser Stelle ist es wichtig, festzustellen welche Aufgaben bzw. welche Wichtigkeit die Unternehmensspitzen in den SFA-Prozessen einnehmen, d.h. ob sie direkt involviert sind (eher bei MU als Eigentümer/in), oder ob sie Informationen nur indirekt zugespielt bekommen (eher bei GU). In Mittelbetrieben ist zwar mitunter hohes Fachwissen, jedoch geringere Managementqualität anzutreffen als
18.4. ZUSAMMENFASSUNG
237
Innovationsbeteiligte Geschäftsf. / FK
Hauptunternehmensfkt.
spez. Mitarbeiter
GU7
GU6
GU5
GU4
GU3
GU2
GU1
MU5
MU4
MU3
MU2
MU1
Eigentümer
Tabelle 18.1: Innovationsbeteiligte
dies in GU der Fall ist (Mayr, 1994, S. 145). Dies kann unter anderem die Wahrnehmung und Interpretation, sowie Informationsweitergabe beeinflussen. „In practice [in large organizations], most of the information received by top management has been put through multiple relay points, multiple filters, and multiple frames of reference. The result must be a picture of reality that is highly abstracted and highly distorted.“ (Kelley, 1965, S. 23). Die Rolle des Top Managements und dessen Einfluss auf den SFA-Prozess ist in GU und MU nach Aussagen der Literatur unterschiedlich. Die Intensität der Involvierung bringt unterschiedliche Vor- und Nachteile. Ist die Spitze direkt involviert, können Entscheidungen schneller getroffen werden, wenn sie von den Vorzügen der Idee überzeugt werden kann. Ist sie nicht direkt involviert, übernimmt möglicherweise eine mittlere Managementebene die Entscheidung. Umso mehr Ebenen im Unternehmen vertreten sind, und die Informationen weitergegeben werden müssen, umso verfälschter sind diese. In MU erhält die Unternehmensführung zeit- und realitätsnähere Informationen als dies in GU (auf Grund der Informationskanäle und Informationsweitergabe) möglich ist.
KAPITEL 18. INTERNE PERSONEN
238
Diese Ergebnisse über die Unternehmensgröße konnten in der Empirie nicht nachvollzogen werden. Das Selbe gilt für die Pfadkategorien: Unterschiede zwischen intuitiven, rationalen, kombinierten oder parallelen Pfaden begründen sich nicht explizit in den Geschäftsführungen. Die Charakteristika der Geschäftsführung bzw. der Eigentümer/innen können entsprechend den Literaturaussagen ausschlaggebend für den Verlauf von SFA-Prozessen sein. Je mehr die Unternehmensspitzen gestresst sind, desto eher werden sie kognitive Abkürzungen und damit Intuition verwenden. Ist mehr Zeit vorhanden, so können vermehrt Analysen und bewusste Bewertungsprozesse durchgeführt werden (Hambrick und Mason, 1984, S. 336).
18.4.3
Erfahrung als wichtiges Personenmerkmal
In der Literatur finden sich kurze Ausführungen über die Auswirkungen der Organisation auf die Erfahrungsbildung der Mitarbeiter/innen. Komplexere Unternehmensstrukturen führen nach Day und Lord (1992, S. 44) zu tieferen Erfahrungen, welche bessere Handlungen hervorbringen. Folgt man dieser Aussage, so ergibt sich, dass GU den Mitarbeitern/innen mehr Erfahrungsschatz bieten können als MU. GU sind meist diversifizierter und weisen mehr Wissensgebiete auf. Mitarbeiter/innen können unterschiedliche Erfahrungen sammeln, z.B. durch den Austausch mit Kollegen/innen oder in JobRotationsprogrammen. Für sie ist es leichter möglich, zusätzliches Wissen innerhalb des Unternehmens aufzubauen als für Mitarbeiter/innen in MU. Darüber hinaus ist es in GU leichter möglich, aus Vorprodukten und gemachter Fehlschläge zu lernen. Dies konnte in der SYSTEM-G-AG festgestellt werden. Große Investitionen würden in MU kaum getätigt werden. Damit verbundene und große Fehlschläge treten damit in dieser Unternehmenskategorie kaum oder nicht auf. Daher sind hier auch die daraus gewonnenen Erfahrungen weniger oder nicht vorhanden. Je größer der Erfahrungsschatz der beteiligten Personen ist, umso erfolgreicher sind SFAProzesse. Die Unterschiede aus der Literatur zu den Größenunterschieden der Unternehmen konnten – wie bei der Rolle der Geschäftsführungen – empirisch nicht festgestellt werden. Erfahrungen und deren Bedeutung sind – als Ergebnis der empirischen Untersuchungen – in allen Unternehmen wichtig, unabhängig von der Größe und der Rationalitätsoder Intuitionsausprägung.
Kapitel 19 Interpersonale Prozesse im Unternehmen „At times, a key organizational member may see a crisis and then have to cause others to share that perception before the organization will respond. This sequence of events would involve such interpersonal processes as persuasion, power, coalition formation, and bargaining.“ (Billings et al., 1980, S. 300) „...the development of strategy in organizations will be more effective if it is seen as predominantly a social rather than analytical process.“ (Eden, 1992, S. 799) Im SFA-Prozess tauschen sich eine Vielzahl von Personen aus. Damit sind Themen wie Interaktion, Kommunikation, Überzeugung oder Politik von Bedeutung. In Bezug auf die SFA spricht sich Liebl (2003, S. 67f) für die Auseinandersetzung mit Kommunikation aus, da diese den Grundbaustein für soziale Phänomene und Konstruktionen legt. So unterscheiden auch Mintzberg et al. (1976, S. 258) drei Prozessarten: „ judgement“ (im Sinne von Intuition), „analysis“ (im Sinne von Rationalität) und „bargaining“ (im Sinne von interpersonalen Prozessen).
19.1
Gruppen (G)
„...improvisation [intuition] is a complete interaction of an individual with his or her environment, and ...an integral part of the environment includes the other members of the group, and their inputs.“ (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 172) Der SFA-Prozess ist nicht nur von einzelnen Personen abhängig, sondern auch von der Interaktion zwischen verschiedenen Personen (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 171), denn z.B. „...while individual creativity is important [to innovation] exciting, and even crucial
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_19, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
240
to business, the creativity of groups is equally important.“ (Leonard und Sensiper, 1998, S. 112). Gruppen nehmen vor allem in der zweiten Phase Assessment eine wichtige Rolle im SFA-Prozess ein (vgl. Abschnitt „Die Träger der Phasen“ 16.3). Kollaboration ist eine wesentliche Erfolgsvariable bei Produktinnovationen (Dougherty, 1992). Eine Gruppe entsteht, wenn mindestens zwei (oder mehr) Personen über längere Zeit in einen direkten Kontakt treten („face-to-face“), gemeinsam („Wir-Gefühl“) auf ein bestimmtes Ziel (Aufgabe oder Projekt) hinarbeiten und Werkzeuge, Instrumente oder Verfahrensanweisungen anwenden (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 530; Antoni, 2004, S. 7; Sader, 2008, S. 39; Daft und Noe, 2001, S. 234). Arbeitsgruppen1 – als spezielle Form einer Gruppe – sind „durch eine gemeinsame Aufgabenstellung gekennzeichnet, die von den Gruppenmitgliedern bearbeitet wird und damit den Kristallisationspunkt der Gruppe bildet.“ (Antoni, 2004, S. 7). In der vorliegenden Arbeit wird der SFA-Prozess untersucht, der es Gruppen ermöglicht, neue Produkte am Markt erfolgreich einzuführen. Dies ist die Aufgabe dieser Gruppen. Daher wird in dieser Arbeit Gruppe als Arbeitsgruppe verstanden.
19.1.1
Gruppen in der Befragung
„Die Aufgaben der Zukunft können nicht von Einzelkämpfern gemeistert werden. Überall dort, wo es um neue Lösungen und Innovationen geht, schlägt die Stunde der kreativen und innovativen Teams.“ (Linke, 1998, S. 10) Bei Gruppen in den befragten Unternehmen sind folgende Themenbereiche von Interesse: • Bedeutung der Gruppe für das Unternehmen im Innovationsvorhaben (Wichtigkeit) • Heterogenität von Gruppen • Formale vs. informale Gruppen • Problemfelder, Konflikte 19.1.1.1
Wichtigkeit
Gruppen oder Teams, wie sie des öfteren in fast allen Gesprächen genannt wurden2 , nehmen bei SFA-Prozessen in den befragten Unternehmen durchwegs einen wichtigen Stel1
im Gegensatz zu sozioemotionalen Gruppen (vgl. Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 531). Häufigkeit der Nennung des Wortes „Team“ in den Gesprächen: in der KUNSTSTOFF-MGMBH 12x, ELEKTRO-M-GMBH 3x, METALLWAREN-M-GMBH 1x, ELEKTRONIK-M-GMBH 1x, MASCHINENBAU-G-GMBH 5x, FAHRZEUG-G-AG 8x, SYSTEM-G-AG 1x, TECHNIK-G-GMBH 5x, TEXTIL-G-GMBHa 7x, TEXTIL-G-GMBHb ca. 4x. In der PAPIER-G-AG wurde das Wort „Team“ selbst nicht bentutzt, dafür fiel das Wort „Gruppe“ mehrmals (dieses Gespräch wurde nicht transkripiert). In der ENTWICKLUNGS-G-GMBH wurde weder das Wort „Team“ noch „Gruppe“ explizit erwähnt jedoch im Zusammenhang davon gesprochen, in der BAUTEIL-M-GMBH wurde „Gruppe“ 7x erwähnt. 2
19.1. GRUPPEN (G)
241
lenwert ein. Entgegen der Aussagen der Literatur sind sie in beiden Unternehmenstypen, sowohl MU als auch GU, anzutreffen (Pfohl, 1997a, S. 19)3 . Ein Team ist eine „kleine, nach funktionalen Gesichtspunkten strukturierte Arbeitsgruppe mit einer spezifischen Zielsetzung und entsprechenden Arbeitsformen, relativ intensiven Interaktionen untereinander und einem mehr oder weniger starken Gemeinschaftsgeist“ (Antoni, 2004, S. 9) und ist somit eine spezielle Art der Gruppe mit stärkerer Kooperation und Zusammenarbeit. Eine genaue Abgrenzung ist allerdings nur schwer möglich (vgl. Antoni, 2004, S. 10). Da nicht festgestellt werden kann, ob die Unternehmen die Begriffe gezielt unterscheiden, werden beide Nennungen synonym verwendet. Einzelne Unternehmen bezeichnen sich explizit als besonders „teamorientiert“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) und streichen die Wichtigkeit der Teamarbeit heraus (ELEKTRO-MGMBH, TECHNIK-G-GMBH). Indirekt wird die Bedeutung von Gruppen in allen Unternehmen betont. Dies erkennt man auch daran, dass sie in allen Unternehmen zum Einsatz kommen. Die Gruppenaufgabe (Zweck für die Gruppenbildung und Ziel) bezieht sich im SFA-Prozess von Produktinnovationen vor allem auf die zweite Phase Assessment. Hier dominiert das Kennen des schwachen Signals. Hilfreich sind Workshops und Sitzungen, Arbeitskreise (FAHRZEUG-G-AG), Konzeptionsarbeiten (FAHRZEUG-G-AG), Bewertungen (FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-G-AG), Versuche und Berechnungen (BAUTEILM-GMBH). Gruppen werden jedoch auch in der ersten Phase eingesetzt, um Ideen gemeinsam zu entwickeln und zu suchen. Die Gruppenkohäsion und Einstimmigkeit bzw. das Commitment (TEXTIL-G-GMBH) in der Gruppe sind wesentliche Erfolgsfaktoren der Gruppenarbeit. Entscheidungen werden als gemeinsam getroffen angesehen und von allen vertreten4 . Oftmals haben nur Gruppen die Möglichkeit, gehört zu werden. Einzelne Personen überzeugen schwerer als Gruppen (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ auf Seite 248). So sind Gruppen häufig der ausschlaggebende Faktor dafür, dass Chancen genutzt werden. Funktionierende Gruppe leisten mehr als Einzelpersonen („Hochschaukeleffekt“ (METALLWARENM-GMBH). Die Bedeutung der „Gruppendynamik“ wird erwähnt (ELEKTRONIK-MGMBH)). Die TECHNIK-G-GMBH spricht von der Gruppe als „Keimzelle“ des Prozesses. G1: Wenn Gruppen mit der Bearbeitung von Produktinnovationen betraut sind, werden Chancen eher genutzt und umgesetzt. Manche Unternehmen heben Gruppen besonders hervor (z.B. ELEKTRONIK-M-GMBH, TECHNIK-G-GMBH)5 , während andere die Individuen in den Vordergrund stellen (z.B. 3 Der Autor unterstellt klein- und mittleren Unternehmen kaum Gruppenentscheidungen, GU dagegen schon. 4 „Aber es sind Ideen dann drinnen, wo sich dann alle committen dazu, wo alle sagen: jawohl, das war eine gemeinsame Entscheidung. Hinter der stehen wir alle“. (ELEKTRO-M-GMBH) 5 „...das würde ich so sehen, dass das nicht personenspezifisch ist, sondern dass das schon ein bisschen so eine Art Gruppendynamik hat.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
242
PAPIER-G-AG)6 . Somit ist die Wichtigkeit bzw. Bedeutung der Gruppen für die Unternehmen unterschiedlich. In manchen Unternehmen entstehen auf Grund der Gruppenorganisation Zielkonflikte. Die METALLWAREN-M-GMBH betont vor allem die Anpassung des Entlohnungssystems7 an die Zielvorstellungen des Unternehmens und die damit verbundenen Probleme8 . So erwartet das Unternehmen einerseits Gruppenarbeit für die Aufgaben des Frühaufklärungsprozesses (z.B. Gruppenideenfindungsprozesse), andererseits stellt es rein individuelle Belohnungen für die Leistungen zur Verfügung. Die Anreize zielen somit eher auf Einzelarbeiten und weniger auf Gruppenlösungen. Damit werden die für den SFA-Prozess wichtigen ’Hochschaukeleffekte’, differenzierte Wahrnehmungen von Chancen und deren Beurteilung deutlich reduziert, wenn nicht ausgeschaltet. G2: Wenn Unternehmen Gruppen offiziell und kohärent fördern (durch die Unternehmenskultur, Kommunikationskanäle, Methoden, Anreizsysteme,...), dann werden die Vorteile von Gruppen im SFA-Prozess gut genutzt (Konflikte vermieden oder gelöst).
19.1.1.2
Heterogenität
Als zielführend in der SFA wird die Mischung und Vielfalt der beteiligten Gruppenmitglieder angesehen. Denn „das Ergebnis von der Gruppe ist eigentlich...nur so gut, wie die Gruppe selbst“ (BAUTEIL-M-GMBH). Dies bezieht sich auf die Mischung von • Ideeneinbringern und passiv Innovierenden9 • engagierten und zurückhaltenden Personen10 • alten, erfahrenen und neuen Mitarbeitern/innen (damit zusammenhängend die Firmenzugehörigkeit: BAUTEIL-M-GMBH, TEXTIL-G-GMBH)11 • unternehmensinternen und externen Personen (z.B. Kunden/innen oder Lieferanten/innen; METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, PAPIER-GAG, ENTWICKLUNGS-G-GMBH) 6 Für die Umsetzung einer Produktinnvation ist nicht so sehr die Gruppe von Bedeutung, sondern die Überzeugungskraft und Unterstützung eines Einzelnen. (PAPIER-G-AG) 7 Bei der Einführung von Gruppenarbeit stellt sich häufig die konfliktträchtige Frage von Individualoder Gruppenentlohnungen. 8 Vgl. Bühner (1994); Schanz (1982); Reber (1982); Steinmann und Schreyögg (2000). 9 Z.B. jene Personen, die direkt die Idee einbringen und jene, die diese weitertragen und aufgreifen (TEXTIL-G-GMBHb). 10 „Da gibt es schon ein paar Leader, die da ein bisschen engagierter sind und andere ein bisschen rückhaltender.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH) 11 Nach Hambrick und Mason (1984, S. 198f) verhelfen jüngere Manger Organisationen zu mehr Produktinnovationen und damit zusammenhängend zu mehr Erfolg. Ältere Personen kennen die Organisation besser und haben einen tieferen Einblick. Sie wollen eher den Status Quo erhalten. Die Diskussion beider Parteien ermöglicht es, die flexiblen Ansichten der jüngeren Mitarbeiter/innen mit den realen Ansichten der älteren Mitarbeiter/innen zu vereinen (Eisenhardt, 1999, S. 68).
19.1. GRUPPEN (G)
243
• verschiedenen Kompetenzen und Disziplinen (bzw. Abteilungen, Fachbereiche und Organisationseinheiten) (KUNSTSTOFF-M-GMBH, ELEKTRO-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, PAPIER-GAG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH) • Geschlechtern (TEXTIL-G-GMBH) • Nationalitäten (TEXTIL-G-GMBH) In MASCHINENBAU-G-GMBH wird diese Mischung bewusst vom Unternehmen initiiert. Eine zentrale Unternehmensstelle sucht zufällig Personen aus dem ganzen Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen, die z.B. kurzzeitig bei Sitzungen teilnehmen. Kritische Stimmen bzw. Personen mit „Röntgenblick für Schwachstellen“ (KUNSTSTOFF-MGMBH) werden in einigen Unternehmen geschätzt und regelmäßig bewusst in Projekte miteinbezogen12 . Heterogenität wird mit der Vielzahl an Sichtweisen und Perspektiven gleichgesetzt, die durch den Dialog in der Gruppe zueinander finden. Da die Einzelpersonen in ihrem Fachgebiet und mit ihrem Hintergrundwissen Spezialisten/innen darstellten, und deshalb auch unterschiedliche Chancen bewerten und bearbeiten können, wirkt der SFA-Prozess in diesem Umfeld besser. G3: Je heterogener Gruppen im Assessment sind, umso eher werden Chancen erfolgreich umgesetzt.
19.1.1.3
Formale versus informale Gruppen
Informale Gruppen sind Gruppen, die in der Organisationsstruktur (Organigramm) nicht explizit aufscheinen (Daft und Noe, 2001, S. 237). Auffällig ist, dass Gruppen mit innovativen Aufgaben oft Teilnehmer aus nicht unmittelbar zugehörigen Abteilungen aufnehmen. So gibt es in der KUNSTSTOFF-M-GMBH keine fixe Gruppe, kein Forschungsteam, sondern der/die von der Geschäftsleitung beauftragte Projektleiter/in mit den am besten passenden Kompetenzen stellt sich selbst sein/ihr Team zusammen. Auch in der MASCHINENBAU-G-GMBH gibt es keine strikten Vorgaben bei der Gruppenwahl, sondern die Mitglieder sind relativ breit im Unternehmen verstreut. Es werden jene Personen gewählt, die die erforderlichen Kompetenzen am besten erfüllen, ungeachtet vom Funktionalbereich und von der formalen Position im Unternehmen. Besonders in der TECHNIKG-GMBH überlagern die persönlichen Beziehungen die formalen. Das Unternehmen ist sehr schlagkräftig. Davon hängt auch die Art der Kommunikation ab (siehe Abschnitt „Kommunikation“).13 12
Im Sinne eines selbsternannten „advocatus diaboli“ (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 555). „Und da war eine klare Erkenntnis, diese Innovationskultur basiert bei uns hauptsächlich auf dem persönlichen Gespräch. Das der Entwickler von diesem Fachbereich sich mit dem Entwickler von einem 13
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
244
G4: Wenn Unternehmen informale Gruppen durch ihre Unternehmenskultur fördern, dann sind diese im SFA-Prozess wirksamer als formale Gruppen.
19.1.1.4
Konfliktherde als Chancen
Die Gruppe und die damit verbundene Gruppendynamik14 sind ein Herd von Konflikten. Sie werden negativ assoziiert15 . Gleichzeitig stellen sie einen fruchtbaren Boden dar, denn aus Konflikten entstehen neue Chancen, Möglichkeiten und schlussendlich Produktinnovationen (BAUTEIL-M-GMBH). Darüber hinaus, wie beim „Hochschaukeleffekt“ bereits festgestellt, werden Ideen aufgegriffen und weiterverfolgt (TEXTIL-G-GMBHb). G5: Wenn Konflikte gelenkt werden, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Realisierung von Chancen.
19.1.2
Gruppen in der Literatur
„ ...relatively few people are capable of the level of versatility required by wicked problems, then one solution might be to combine talents in expert groups.“ (Miller, 1985, S. 29) Die Gruppenarbeit in Organisationsgruppen wird wichtiger (vgl. Schuler, 2007, S. 388). Vorzüge werden in der kollektiven Informationsbeschaffung und Lösungssuche gesehen (Verbeck, 2001, S. 37). Ursachen für die vermehrte Gruppenarbeit sind: • der erhöhte Kostendruck, der durch flexible Gruppenbildungen reduziert werden kann. • steigende Komplexität und Dynamik, die durch Gruppen besser bewältigt werden kann. • der Wunsch nach vermehrtem Kontakt mit Menschen. • der Trend zu Kooperationen. • die steigenden und sich rasch ändernden Anforderungen, die Flexibilität und Lernen erfordern. anderen Fachbereich bei einem Kaffee trifft und plaudert und sagt, hallo, ich habe die Idee, was hältst du davon. Also diese Kommunikation auf Augenhöhe, ohne irgend einem Formular oder so. So etwas [Formulare etc.] hat bei uns keine Chance. Das würde auch abgelehnt werden.“ (TECHNIK-G-GMBH) 14 Im Sinne von Entwicklungsprozessen von Gruppen, d.h. den Phasen des Formings, Stormings, Normings und Performings (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 560). 15 Für Gruppennachteile siehe auch Steinmann und Schreyögg (2000, S. 552ff) und Themen wie Risikoschub, Gruppendenken, Illusion der Unverwundbarkeit, Rationalisierung, Selbstzensur, usw..
19.1. GRUPPEN (G)
245
Vor allem bei innovativen Projekten wird in allen befragten Unternehmen in (Arbeits)Gruppen gearbeitet – ein Umstand, der auch auf andere Unternehmen übertragbar ist: „...es gibt kaum ein Unternehmen, das heute nicht Team- oder Gruppenarbeit einsetzen würde“ (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 529).
19.1.2.1
Gruppen und Intuition
Kreativität und Produktinnovationen entstehen durch soziale Interaktionen und die Verbreitung von „tacit knowledge“ (Leonard und Sensiper, 1998, S. 115; Crott, 1979, S. 94). Normalerweise können nicht alle Mitarbeiter/innen den kreativen Input für eine Produktinnovation erzeugen. Die Zusammenarbeit ermöglicht den Austausch zwischen vielen Mitarbeitern/innen, die damit zu kreativen Lösungen kommen können. Dies gelingt einerseits durch „Divergenz“ und andererseits durch „Konvergenz“ (Leonard und Sensiper, 1998). Divergenz bezieht sich auf das Zulassen von Vielfalt und die verschiedensten Meinungen im Prozess. Durch Konflikte oder Meinungsunterschiede entstehen kreative und neuartige Lösungen: „...just hearing a very different perspective challenges the mindset of those in the majority...“ (Leonard und Sensiper, 1998, S. 118). Eine Methode ist z.B. Brainstorming. Konvergenz bezeichnet die Integration der verschiedenen Meinungen und Ansichten durch Diskussionen. Gruppen fördern deshalb nicht nur die Lösung komplexer Aufgaben, indem sie die ’Personalressourcen’ aufteilen und mehr Methoden einsetzen. Sie fördern auch die Erkennung möglicher Chancen, indem intuitive Wahrnehmungen in einem breiterem Raum diskutiert und weiterentwickelt werden. Diese Vorgehensweise hat noch einen anderen Vorteil: wird das individuelle implizite Wissen im Verlauf verbreitet und erhebt es sich zum Systemwissen, so ist das Ausscheiden eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin nicht mit negativen Konsequenzen im Sinne eines Wissensverlustes für die Organisation verbunden. Damit sind die Ergebnisse der Empirie, nämlich die Wichtigkeit von Gruppen im SFAProzess, durch die Literatur bestätigt. Sowohl in der Literatur, als auch in der Empirie kommen Gruppen bereits in der Phase Activation, spätestens aber in der Phase Assessment, in den SFA-Prozessen zum Einsatz. G1 bestätigt: Gruppen sind wichtige Elemente im SFA-Prozess.
19.1.2.2
Heterogenität von Gruppen
Heterogene Gruppen repräsentieren auf Grund ihrer verschiedenen Meinungen, Erfahrungen und Wissensstände die aktuellen Situationen besser als homogene16 . Die Zusammen16 „The Planning People“ konzentrieren sich auf zukünftige Chancen, „The Manufacturing People“ auf Abläufe und Operationen, „The Field People“ auf Kundenwünsche und „The Technical People“ auf Technologien und Technologietrends. Diese Unterschiede bereichen SFA-Prozesse, können aber die Zusammenarbeit auch behindern. (vgl. Dougherty, 1992)
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
246
setzung und gemeinsame Identität der Gruppen ist für SFA-Prozesse ausschlaggebend (Thomas et al., 1994, S. 1257; Schweiger et al., 1986). Die Heterogenität von Gruppen spiegelt sich in den ’organizational beliefs’ wieder. „Organizational beliefs represent shared understandings about the relationships between objects, properties and ideas.“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 289). Sie werden vor allem in Interpretations- und Entscheidungssituationen zu einer determinierenden Variablen. Dabei spielt vor allem die Komplexität (Tiefe und Verschiedenartigkeit) und Übereinstimmungsausprägung der Verständnisse der Organisationsmitglieder eine große Rolle. Homogene Gruppen weisen meist einfache und unveränderte Verständnisse auf und kommen schnell zu einer gemeinsamen Entscheidungsbasis. Heterogene Gruppen gelangen demgegenüber sehr schwer zu einer gemeinsamen Meinung, auf Grund der verschiedenartigen Meinungen (Corner et al., 1994, S. 305) („belief differentiation“: Dutton und Duncan (1987, S. 290)). Homogene Gruppen sind zwar schneller in ihren Entscheidungen – ob dieser Umstand für die Wahrnehmung und Interpretation schwacher Signalen jedoch wirklich von großer Bedeutung ist, ist fraglich. Heterogene Gruppen vereinen nämlich ein Mehr an Meinungen und unterschiedlichen Beobachtungen, können dementsprechend mehr schwache Signale wahrnehmen und diese unterschiedlicher interpretieren. Auf der anderen Seite können sie nicht so schnell darauf reagieren. Daher ist die Frage der Gruppenzusammensetzung eine ’trade-off’ Überlegung zwischen Schnelligkeit der Reaktion und Weite der Aufmerksamkeit und Bewertung. Fakt ist, dass die Gruppenzusammensetzung die Phasen Activation und Assessement beeinflusst. Sie bestimmt, ob ein ’issue’ ausgelöst und als machbar („feasible“) interpretiert wird. G3 bestätigt: Heterogene Gruppen wirken sich positiv auf den SFA-Prozess aus. 19.1.2.3
Informale Gruppen
Das Phänomen der „informalen Gruppen“ tauchte in den Befragungen auf. Es stehen dabei anstatt organisatorischer Aufgabenzuteilungen an bestimmte Personen die persönlichen Wünsche und Sympathiegefühle für spezielle Gruppenmitglieder im Vordergrund (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 531). Diese Form der Gruppenbildung ist sehr wichtig17 . Bei sich selbst findenden Gruppen kann von einer höheren Kohäsion (d.h. Geschlossenheit und Festigkeit), Kommunikationsdichte und Zufriedenheit ausgegangen werden (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 537). Autoren/innen stellen fest, dass der Grad der Partizipation, Interaktion und Formalisierung hemmend oder fördernd auf den Prozess einwirken können (Thomas et al., 1994, S. 1257; Thomas und McDaniel, 1990, S. 290)18 . 17 „Und der sucht sich gezielt seine ah „Spezies“ – wie man so schön sagt – seine Artverwandten, mit denen er auf... einer Ebene ist. Und da entsteht dann ein, so quasi, ja eigentlich schon eine Keimzelle, ein Kern, der schon eingeschworen ist und da beflügelt ... irrsinnig die Kraft des Neuen. Die ist da und die treibt das Ganze...“ (TECHNIK-G-GMBH) 18 Hohe Partizipation und Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern und niedrige Formalisierung erleichtern den Informationsaustausch und die Informationsbearbeitungsprozesse (Thomas und McDaniel,
19.1. GRUPPEN (G)
247
G4 bestätigt: Vor allem informale Gruppen können wirksam in Unternehmen agieren und stark auf den SFA-Prozess einwirken. Allerdings muss eine informale Gruppe von den organisatorischen Rahmenbedingungen unterstützt werden. Gefährlich können informelle Gruppen nur dann werden, wenn sie mit den formalen Strukturen im Unternehmen in Widerspruch stehen und es so zu Konflikten kommt (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 531). Gruppen erschweren die Informationsbearbeitung, wenn politische Aspekte, Verzerrungen und negative Gruppeneffekte (z.B. Gruppenblindheit, interne Konkurrenz) gegeben sind (Thomas und McDaniel, 1990). G2 und G3 bestätigt: Informale Gruppen sind erfolgreicher, wenn sie von den organisatorischen Rahmenbedingungen, wie z.B. der Unternehmenskultur gefördert und unterstützt werden. 19.1.2.4
Gruppen als Konfliktherde
Aus den obigen Erkenntnissen leiten sich weitere Diskussionspunkte ab. Seidl (2004, S. 163) argumentiert: je höher die Partizipation (Thomas und McDaniel, 1990), desto besser funktioniert der SFA-Prozess. Erhöhte Heterogenität innerhalb der Gruppen führt zu mehr Wahrnehmung schwacher Signalen. Daher sollte vermehrt Partizipation erhöht werden. Die Aufgabenstellung19 oder die Organisationsumwelt haben, wie auch Belohnungs- und Bestrafungssysteme, direkten Einfluss auf die Art und den Umfang des Gruppenverhaltens. Kreativität oder Innovationen im SFA-Prozess bedürfen gewisser Anreize (Schanz, 1982, S. 7). Anreizsysteme, wie Entlohnung oder Beteiligungen20 haben Aktivierungs-, (Verhaltens)Steuerungs-, Informations- und Veränderungsfunktion. Sie müssen allerdings richtig gestaltet sein. Für die positive Wirkung ist zuerst Transparenz nötig21 . Ideenbörsen mit individuellen Belohnungen sprechen gegen den Hochschaukeleffekt zwischen Mitgliedern, der den Austausch und die Diskussion rund um Innovationen fördern soll. Gruppenbelohnungen sind in diesem Falle passender22 (wie z.B. in der METALLWARENM-GMBH). G4 und G5 bestätigt: Konkret und individuell angepasste Anreizsysteme können die Gruppenarbeit im SFA-Prozess verbessern und helfen, Zielkonflikte zu vermeiden und zu lösen. Der Einsatz von Gruppen im SFA-Prozess kann auch negative Auswirkungen haben (Thomas und McDaniel, 1990). Konflikte sind gleichzeitig aber auch immer Chancen (Eisenhardt, 1999, S. 68). In der Literatur gibt es Hinweise für die Lösung von Konflikten: das Hervorheben gemeinsamer Ziele (z.B. der erfolgreiche gemeinsame Verkauf und der Gewinn für die Firma), die direkte Konfrontation und Kommunikation zwischen den Gruppen, „ job rotation“ oder die Erhöhung der gemeinsamen Kontakte (Steinmann und 1990, S. 290). 19 Vgl. Reber (1982, S. 63ff). 20 Vgl. Bühner (1994, S. 323ff). 21 Vgl. Schanz (1982, S. 22). 22 Vgl. Steinmann und Schreyögg (2000, S. 743).
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
248 Schreyögg, 2000, S. 565). 19.1.2.5
Top-Management-Teams
In der Literatur werden eine spezielle Form der Gruppe und deren kognitive Eigenschaften mit der SFA in Zusammenhang gebracht: Top-Management-Teams. Diese Teams konnten in der Befragung nicht festgestellt werden. Die Informationsbearbeitungsstruktur und Zusammensetzung der Top-Management-Teams wird in der Literatur eingehend behandelt. „The way a top management team is structured to process information about strategic issues limits or enhances recognition of issue stimuli, impedes the search for data, and mutes causal relationships associated with an issue.“ (Thomas und McDaniel, 1990, S. 290). Die Führungsspitze wird mit einer Vielzahl von ’issues’ und schwachen Signalen konfrontiert, die es zu interpretieren gibt. Ergebnisse sind spezielle Aktionen (Thomas et al., 1994, S. 1252). „...many organizational issues...represent a forum through which the concerns of individuals and groups are expressed, negotiated, or protected.“ (Thomas et al., 1994, S. 1253). Unklar ist, ob eine große Heterogenität der Führungsspitze zu positiven oder negativen Ergebnissen führt (Simons et al., 1999; Miller et al., 1998). Grundsätzlich wird die positive Seite von Heterogenität hervorgehoben (Simons et al., 1999, S. 670). Neu: Top-Management-Teams beeinflussen den SFA-Prozess.
19.2
Der politische Prozess des ’issue sellings’ (IS)
„...issue selling is a critical process in the early stages of decision making (i.e., in issue identification).“ (Dutton et al., 1997, S. 408) Unter „politischem Prozess“ (vgl. „political process“)23 wird eine Folge von Aktionen zwischen gegensätzlichen Parteien verstanden. Verhandlungen und Diskussionen sind Methoden dieser Abläufe (Lyles, 1987, S. 267, 275; Thomas et al., 1994, S. 1254; Dutton und Jackson, 1987, S. 82; Mintzberg et al., 1976, S. 262; Eisenhardt, 1989b, S. 558ff; Lauzen, 1995, S. 191). Divergierende Meinungen, Interessen, Haltungen, Ressourcenverteilungen, Machtverhältnisse und Interpretationen führen zu politischen Prozessen (Thomas et al., 1994, S. 1254). Die Organisation wird dabei als: „pluralistic marketplace of ideas in which issues are „sold“ via the persuasive efforts of managers and „bought“ by top managers who set the firm’s strategic direction“ gesehen (Dutton et al., 2001, S. 716). Schon Noda und Bower (1996, S. 160) sprechen von politischen Prozessen: „Impetus is a largely sociopolitical process by which these strategic initiatives are continually championed by front-line managers, and are adopted and brokered by middle managers.“ Wurden 23 ’Sense giving’ wird in der Literatur auch „strategic conversation“ (Maitlis, 2005, S. 22) genannt. „Sensegiving is an interpretive process in which actors influence each other through persuasive or evocative language.“ (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 57)
19.2. ’ISSUE SELLING’ (IS)
249
strategische Signale erkannt, so ist der nächste Schritt, diese Signale anderen zu vermitteln, da der Entdecker dieser Signale meist nicht genug Entscheidungsfreiheit und -stärke hat, um die Ideen alleine durchzusetzen. Dafür ist es notwendig, die passiv Innovierenden zu überzeugen. Wie im Abschnitt „Die Träger der Phasen“ 16.3 festgestellt wurde, überzeugen meist Innovatoren/innen (vereinzelt interne Gruppen oder externe Personen) die Geschäftsführung oder Eigentümer/innen. Wie werden für die Umsetzung der Idee wichtige Personen ins Boot geholt24 ?
19.2.1
Der Prozess des ’issue sellings’ in der Befragung
„...zunächst einmal, wenn Sie wirklich eine innovative Idee haben, und da fällt mir sofort eine ein, sitzen alle in der zweiten Reihe. Und da ist schon der Treiber, der der von der Idee überzeugt ist, manchmal alleine auf weiter Flur. Und ich sag es jetzt so pointiert weiter, wenn es jetzt dann nicht funktioniert, ... dann sind alle in der zweiten Reihe, die da sagen, „na siehst du, ich habe es dir ja gleich gesagt“. Und wenn es funktioniert, sind plötzlich alle auch Väter dieser Idee.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH)
19.2.1.1
Stellenwert des Prozesses
Der Überzeugungsprozess bei Innovationsprojekten wird bei der Befragung oft genannt (in allen Unternehmen, ausgenommen ELEKTRO-M-GMBH). Bei den MU beschäftigt sich vor allem die METALLWAREN-M-GMBH eingehend mit diesem Aspekt. Hat z.B. der Innovator/die Innovatorin eine erfolgversprechende Idee, so muss er die Vorzüge dieser Idee anderen unterbreiten, Personen überzeugen und begeistern25 : „...man kann alleine Ideen genug haben. Aber man muss dann auch mehrere überzeugen. Es muss das Budget freigegeben werden...“ (METALLWAREN-M-GMBH). Diese Überzeugungsarbeit kann in vielfacher Weise vor sich gehen: so nutzt die METALLWAREN-M-GMBH einen visuellen Weg und versucht, anderen Personen die Ideen grafisch zu vermitteln26 . Oder es werden Methoden angewandt, die schnell Einschätzungen erlauben (z.B. Checklisten in der METALLWAREN-M-GMBH). Auch standardisierte Treffen werden durchgeführt, um Ideen zu präsentieren (TEXTIL-G-GMBH)27 . Die ELEKTRONIK-M-GMBH und die 24 „Genau! Wenn [man] eine Person nicht überzeugen kann, ist eine Innovation auch sehr schwer durchzusetzen.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 25 „Es war dann eigentlich nicht so schwierig, weil mit ein paar Sätzen hat man den Vorteil erklärt. Derjenige, der das Produkt braucht hat sofort kapiert.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 26 „Und inzwischen hat man sich, hab mir ich natürlich da weiter Gedanken gemacht und hab dann das...auf ein FlipChart hin gezeichnet und dann haben die gesagt, „Ok, dann können wir aufhören, das machts“. Und fertig. Das war eigentlich die Geburtsstunde.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 27 „Es ist so, dass immer im Zuge des Budgetierens für das nächste Jahr - auch für so eine grandiose Idee oder es ist eine Notwendigkeit des Marktes – da gibt es monatliche Sitzungen, wo der Stand der Projekte
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
250
TEXTIL-G-GMBH versuchen, Personen so früh wie möglich einzubeziehen, um Begeisterung für das Produkt und das Projekt zu schaffen: „Nur die Leute überzeugen, dass es so sein wird, ist sehr...ist ein bisschen eine Arbeit würde ich sagen.... Das kann man glaube ich nicht so direkt machen, man muss die einfach mit einbinden und ihnen Aufgaben mitgeben. ...ich glaube, es sind immer nur die skeptisch, die nicht direkt mit dabei sind.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH). Überzeugungsarbeit ist in der TEXTIL-G-GMBH notwendig, da die Strukturen komplex sind. So haben diversifizierte Geschäftsbereiche unterschiedliche Ziele, sollen aber z.B. im Verkauf eines Produktes miteinander arbeiten. Dies birgt Zielkonflikte in sich. Zum Überzeugungsprozess gehört auch das Bestätigen. Der Innovator/die Innovatorin sucht bei anderen die Bestätigung, dass seine Idee förderungswürdig ist. In der SYSTEMG-AG wird z.B. der technische Support miteinbezogen, da dieser den direkten Kundenkontakt hat28 , in der TECHNIK-G-GMBH sind es Kollegen/innen aus anderen Fachbereichen29 . Der politische Prozess des ’issue sellings’ bzw. die Suche nach Bestätigung ist für den SFA-Prozess wichtig, da die Ideenträger zur Durchsetzung ihrer Idee oft Unterstützung von anderen benötigen. IS1: Je mehr Anhänger der Innovator/in für seine/ihre Idee findet (durch den Prozess des ’issue sellings’), umso eher wird die wahrgenommene Chance erfolgreich realisiert.
19.2.1.2
Beteiligte
Der Prozess geht vom Innovator/der Innovatorin aus. Im ersten Schritt, Activation, muss der Geschäftsführer/die Geschäftsführerin, die übergeordnete Führungskraft oder der Eigentümer/die Eigentümerin überzeugt werden. Interessant ist, dass in der TECHNIK-GGMBH nicht klar ist, wer überzeugt werden muss (vgl. Abschnitt „Interne Einflusspersonen“ 18.2). IS2: Wenn der Geschäftsführer/die Geschäftsführerin oder die nächstobere Führungskraft überzeugt werden kann, werden schwache Signale weiter verfolgt, und die Chancen werden realisiert (vgl. IE1 und IE2). berichtet wird und dort ist auch die Möglichkeit zu sagen, „bitte, ich habe eine Riesen-coole-Idee und das würde uns kurzfristig extremen Umsatz bringen, oder was immer und da müssen wir etwas tun“. Und dann streuen wir ein Projekt ein.“ (TEXTIL-G-GMBHa) 28 „Aber, ich habe insbesondere ganz persönlich davon gelernt dass ich jede Idee, die auch mir im Kopf herum geistert oder die auch vom Kunden herangetragen wird, die lasse ich jetzt einfach beim technischen Support abfragen, der jeden Tag mit dem zu tun hat.“ (SYSTEM-G-AG) 29 „Und da war eine klare Erkenntnis, diese Innovationskultur basiert bei uns hauptsächlich auf dem persönlichen Gespräch. Das der Entwickler von diesem Fachbereich sich mit dem Entwickler von einem anderen Fachbereich bei einem Kaffee trifft und plaudert und sagt, hallo, ich habe die Idee, was hältst du davon. Also diese Kommunikation auf Augenhöhe, ohne irgend einem Formular oder so.“ (TECHNIK-GGMBH)
19.2. ’ISSUE SELLING’ (IS) 19.2.1.3
251
Förderliche Faktoren
Für den Überzeugungsprozess förderlich ist es, wenn eine Innovation schnell und einfach erkärt werden kann, und ihre Vorteile klar für sich sprechen: „It is there that matters become more complex and it revolves around the issue that whilst knowledge, experience and ’know-how’ may provide for potential political and cultural advantage, without an ability to deploy or express it appropriately and at the right time during interaction, it can be rendered useless.“ (Samra-Fredericks, 2003, S. 151). Wissen, Erfahrung und Know-how, kombiniert mit einer klaren Sprache, selbsterklärenden Bildern (Metaphern) und Kommunikationstaktiken helfen Innovatoren/innen, die Idee zu verkaufen30 (SamraFredericks, 2003, S. 151). Schwierigkeiten ergeben sich oft bei der Benennung des Themas: „...individuals acting on or attempting to sell hunches to other involved parties are often unable to say exactly why the hunch makes sense, commitment to the hunch by others may be problematic, certainly in the short run.“ (Miller und Ireland, 2005, S. 23). IS3: Wenn bestimmte Faktoren im Prozess des ’issue sellings’ berücksichtigt werden (z.B. eine klare Sprache, Bilder oder Kommunikationstaktiken), dann ist der SFA-Prozess erfolgreicher. [Gerade die Bennenung und Artikulierung des Themas gestaltet sich dabei aber oft als schwierig.]
19.2.2
Der Prozess des ’issue sellings’ in der Literatur
„That the attainment of one’s own purpose demands the co-operation of fellow workers is almost obvious.“ (Eden, 1992, S. 803) Der Prozess des Überzeugens hat in der Literatur einen wichtigen Stellenwert31 , unabhängig von der Unternehmensgröße (Dutton und Ashford, 1993; Kanter, 1982; Dutton et al., 2001, 2002; Day, 1994; Dutton et al., 1997; Engledow und Lenz, 1985). „Issue selling refers to individual’s behaviors that are directed toward affecting others’ attention to and understanding of isses“ (Dutton und Ashford, 1993, S. 398). Dabei bestimmt diese Phase bereits das Wahrnehmen eines Signals sowie dessen Interpretation. So werden Signale nur als strategisch angesehen, wenn sie mit einer gewissen Wichtigkeit von den Organisationsmitgliedern versehen werden (Dutton und Ashford, 1993, S. 403). Ziel ist es, andere ins Boot zu holen und eine starke Basis zu bilden (Dutton et al., 2001, S. 723). Haupttheorien stellen dabei die „impression management“- und die „upward influence“-Theorie dar. ’Impression management’ bezieht sich auf den sozialpsychologischen Vorgang von Individuen, ein positives Bild von sich selbst zu vermitteln (Dutton et al., 1997, S. 409). 30 „Die Ideen sprechen für sich...und diese Bereitschaft [zu helfen] ist dann auch da.“ (TECHNIK-GGMBH) 31 auch im Zusammenhang mit der Diffusionstheorie (Krampe und Müller, 1983, S. 291), d.h. der Weiterverbreitung einer Idee von Innovatoren/innen auf weitere Personen und Gruppen („Ansteckung“).
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
252
’Upward influence’ beschreibt den Tatbestand, dass Untergebene versuchen, Belohnungen und Aufmerksamkeit durch ihre Vorgesetzen zu erhalten. Das mittlere Management entscheidet entsprechend der situativen Organisationskontexte und der Top-Management Merkmale, ob es Themen anspricht und „verkauft“ (Dutton et al., 1997, S. 409). Je stärker ein ’issue’ vertreten wird, umso eher erreicht es auch die Aufmerksamkeit des Top Managements (Dutton und Ashford, 1993, S. 418). Dutton et al. (2001, S. 724) fordern, möglichst viele verschiedene Personen miteinzubeziehen, aus unterschiedlichen Ebenen innerhalb und außerhalb des Unternehmens. IS1 bestätigt: Der Prozess des ’issue sellings’ wird in der Literatur als sehr wichtig angesehen und führt zu einer Reaktion auf ein schwaches Signal. 19.2.2.1
Initiatoren/innen „...organizational actors’ sensegiving is triggered by the perception or anti-
cipation of a „sensemaking gap“.“ (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 77) Die Hauptinitiatoren/innen des ’issue sellings’ sehen viele Autoren/innen in der Führungsebene (Maitlis und Lawrence, 2007), und zwar im mittleren Management32 (Dutton und Ashford, 1993, S. 398; Kanter 1982) – weniger in der konkreten Rolle des Innovators/der Innovatorin. Ihre Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit des Top Managements auf die Themen zu lenken, diese mit wichtigen Informationen auszustatten, das Thema in einer bestimmten Weise zu präsentieren und Ressourcen zu mobilisieren (Bower und Gilbert, 2007, S. 76). Diesen Personen wird eine wichtige Rolle bei emergenten Strategien nachgesagt (Dutton und Ashford, 1993, S. 399). Maitlis und Lawrence (2007) fassen die Auslöser für ’issue selling’ bei Führungskräften zusammen: hoch ungewisse Themen und komplexe Umwelten (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 77). IS2 teilweise bestätigt bzw. neu: Wenn Innovatoren/innen oder jene Personen, die überzeugen wollen, vor allem das mittlere Management miteinbeziehen, dann trägt dies zum erfolgreicheren SFA-Prozess bei. Wendet man sich hingegen hin zur Diffusionstheorie (Krampe und Müller, 1983, S. 292), so werden auch andere Personen als Initiatoren/innen des ’issue sellings’ angesehen. Der Infektionsprozess aktiviert entsprechend der Theorie verschiedene Subjekte, angefangen von ersten Trägern bzw. Innovatoren/innen über frühe und späte Adaptoren/innen bis hin zu Schwerfälligen oder Nicht-Adaptoren/innen. Wie in der empirischen Untersuchung herausgefunden wurde, sind auch Innovatoren/innen für diesen Prozess wichtig. IS1 bestätigt: Innovatoren/innen sind – neben dem mittlerenen Management – auch Initiatoren/innen des ’issue selling’ Prozesses. 32 Den Führungskräften ist es möglich, den Prozess zu initiieren, wenn sie eine „issue-related expertise“ aufweisen und eine gute Organisationsperformance gegeben ist (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 73, 79).
19.2. ’ISSUE SELLING’ (IS) 19.2.2.2
253
Fördernde und hinderliche Faktoren im ’issue selling’33
Die Autoren/innen Dutton et al. (1997) und Maitlis und Lawrence (2007) stellen fest, dass sich jene Situationen, die den Prozess des ’issue sellings’ begünstigen, von jenen Situationen, die ’issue selling’ eher verhindern, in gewissen Merkmalen unterscheiden. Erfolgsfaktoren liegen demnach einerseits im Unternehmen selbst, dort vor allem 1. in den Einstellungen der zu Überzeugenden (z.B. die Zuhörbereitschaft der Unternehmensspitze, die Heterogenität des Top Managements34 (Levitt, 2002)) 2. im allgemeinen Unternehmenkontext (Unterstützung der Unternehmenkultur, Wandelausmaß bzw. Einstellung zum Wandel in der Organisation) 3. in der Art des zu propagierenden Themas (z.B. Komplexität des Themas (Levitt, 2002), oder ob bereits Wissen in dem Bereich des Signals vorhanden ist; (Dutton und Ashford, 1993, S. 413f)) 4. innerhalb des „Sellers“ liegende Charakteristika (z.B. Rang, Möglichkeit der Artikulation (Thurston, 1971, S. 102))35 sowie im Unternehmensfeld liegende Faktoren (Wettbewerbs- und ökonomischen Kräften), wie z.B. Stakeholder (Maitlis und Lawrence, 2007) oder Industriecharakteristika. ’Issue selling’ ereignet sich eher, wenn die Initiatore/innen glauben, dass ihre Einflussnahme erfolgreich ist, und ihnen das Thema persönlich am Herzen liegt (Dutton und Ashford, 1993, S. 407; Maitlis und Lawrence, 2007, S. 65). Zusätzlich fördernd (aber nicht immer möglich) ist es, wenn der Initiator/die Initiatorin des Prozesses bereits eine mögliche Lösung zum Signal anbieten kann (Dutton und Ashford, 1993, S. 410). Demhingegen verhindern (1) die Furcht vor negativen Konsequenzen, (2) Rationalisierungsmaßnahmen (downsizing), (3) Unsicherheit und (4) eine konservative Kultur den Prozess des ’issue sellings’. Besonders negativ wird der Prozess des „blockings“ bei Ideen in Gruppen angesehen, d.h. „the systematic discouragement of the ideas of a person in the group,... ...the imposition of some form of evaluative judgement on the actions of another by saying ’no’“ (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 171). Diese Enttäuschung durch andere Personen schwingt in einigen Unternehmen als negativer Einflussfaktor mit (z.B. METALLWAREN-M-GMBH, PAPIER-G-AG). IS3 teilweise bestätigt: Gewisse Faktoren fördern bzw. hindern den Einsatz von ’issue selling’ im SFA-Prozess. 33
Vgl. „triggers“ bei Maitlis und Lawrence (2007). Welches somit vermehrt unterschiedlichste Ansichten fördert und auch Neuartiges eher zulässt. 35 Die Vermittlung von verschiedenen Ansichten geschieht in der Praxis z.B. durch visuellen Analogien oder „sketching designs“ (Leonard und Sensiper, 1998, S. 118). Manager/innen beurteilen die Wichtigkeit einer Idee auch auf Basis der Art der Kommunikation, d.h. die Verwendung von Demonstrationen, Zeichnungen oder Prototypen. 34
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
254
’Issue sellers’ können ihre Wirkung durch eine klare Sprache36 , die Verwendung von Bildern und die Präsentation von Lösungen steigern.
19.3
Kommunikation (K)
„The ability of an organization to be cohesive depends on the structure and quality of its communication sytem.“ (Westley, 1990, S. 337) Kommunikation ist eine Voraussetzung, um in heterogenen Gruppen Ansichten austauschen („distributed cognition“ (Boland et al., 1994, S. 457)) oder um Überzeugungsarbeit leisten zu können: „Without debate, a team’s diversity may remain an untapped resource, existing but never used.“ (Simons et al., 1999, S. 564). Kommunikation ist „the process by which two or more people exchange information using a shared set of symbols“ (Daft und Noe, 2001, S. 304). Für die Teilschritte Activation, Assessment und Action des SFAProzesses ist Kommunikation das verbindende Element. Sie stößt Reflexionsprozesse an, löst festgefahrene Bilder in den Köpfen der Beteiligten und ermöglicht neue Ideen. Kommunikation bewirkt „kollektive Intuition“ (= Verständnis, um Chancen und Risiken früher zu sehen (Eisenhardt, 1999, S. 67)). In den folgenden Kapiteln wird Kommunikation nicht als allgemeines Phänomen (umfassender Wahrnehmungs-, Mitteilungs- und Erkennungsprozess) gesehen (vgl. Luhmann, 2002, S. 288ff; Luhmann, 2005, S. 63, 106; Watzlawick et al., 1990) sondern als verbale Kommunikation zwischen mindestens zwei Personen.
19.3.1
Kommunikation in der Befragung
„All social systems are networks held together by information.“ (Duncan, 1973, S. 276) Kommunikation hat im SFA-Prozess eine spezielle Bedeutung. So ist z.B. die Benennung des ’issues’ ein wichtiges Thema und wirkt sich auf Folgeaktionen aus. Das Alter der beteiligten Personen, Filterungsmechanismen sowie die Art der Kommunikation (informal vs. formal) wirken sich im SFA-Prozess aus. 19.3.1.1
Bedeutung der Kommunikation
In den meisten Unternehmen wird Kommunikation für die SFA-Prozesse als sehr bedeutend eingeschätzt. • Die TEXTIL-G-GMBH sieht Kommunikation als entscheidenden Einflussfaktor im Prozess an, beispielsweise bei der Behandlung verworfener Ideen. 36 „Language is not just a means of expressing thoughts, categories and concepts: it is also a vehicle for achieving practical effects.“ (Eden, 1992, S. 803)
19.3. KOMMUNIKATION (K)
255
• In der ELEKTRONIK-M-GMBH werden Ideen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgeworfen und besprochen (auch wenn es nie zu einem „Revival“ der bereits abgelegten Ideen gekommen ist). Auch in der ELEKTRO-M-GMBH wird ausführlich besprochen, warum Ideen abgelehnt werden. • In der METALLWAREN-M-GMBH ist die faire Diskussion besonders wichtig, d.h. jeder soll zu Wort kommen und auch gehört werden37 . Auffällig ist, dass in der METALLWAREN-M-GMBH viel über Bilder und Zeichnungen kommuniziert wird38 . • In der SYSTEM-G-AG wurde von vornherein das mit dem Projekt zusammenhängende Risiko offen kommuniziert39 . • In der TEXTIL-G-GMBH wird die Wichtigkeit der Innovationen durch Gespräche getragen. • Die TECHNIK-G-GMBH findet, dass der Austausch zwischen Kollegen/innen und das direkte Feedback beflügeln. • In der FAHRZEUG-G-AG wird laufend Marktfeedback gesammelt und diskutiert bzw. werden mit Designern viele Informationen ausgetauscht. Die Kommunikation „legitimiert“ die Durchführung eines SFA-Prozesses, z.B. indem seine Wichtigkeit offen beredet wird. Sie ermöglicht es weiters, die Informationen unter den Beteiligten zu verbreiten und zu teilen. Damit kann jedem das gleiche Wissen vermittelt werden, was wiederum den Ideenprozess beflügelt. Durch das Besprechen der Informationen mit anderen Unternehmensmitgliedern werden Anhänger gefunden, die sich für die Reaktion auf das schwache Signal einsetzen. K1: Je mehr im Unternehmen kommuniziert wird, desto eher werden schwache Signale diskutiert, deren Wichtigkeit passend eingeschätzt und geeignete Maßnahmen gesetzt. 37 „Ein wichtiger Punkt ist immer wieder, dass es einen geben muss, der drauf bleibt. Und da tut sich jetzt, wenn jetzt das ein jüngerer Mitarbeiter ist, der technischer Zeichner ist, schwerer das rüberzubringen, wie ich in meiner Position. Dafür ist es für mich auch wichtig, dass wir oft solche Gespräche führen und auch solche Diskussionen führen und dann muss ich schauen, dass man sagt, ok das wird jetzt nicht unter den Tisch geschoben, da bleiben wir jetzt drauf. Und es darf, und da schaue ich auch immer sehr stark drauf, keiner sagen, warum das nicht geht – weil der nächste traut sich das nächste gar nicht mehr sagen und weil es ihm auch noch nicht ausgereift vorkommt...“ (METALLWAREN-M-GMBH) 38 „Viele denken viel in Bildern. Wenn da jetzt jemand was erklärt, oft kann man das jetzt auch nicht aufzeichnen... Darum habe ich auch in meiner Zukunftswerkstatt den Designer dabei. ...Das heißt jetzt sind eigentlich ganz vorne die Designer dabei. Weil wir immer merken, wir müssen auch dem Verkauf frühzeitig ein Bild präsentieren.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 39 „... das war auch kommuniziert, es war ein ganz ein großes Risiko, dass das nicht so funktioniert. Also das war wirklich, dass waren dann ein paar ganz gute, mittlerweile patentierte Ideen, die das System zum laufen gebracht haben, und es war von Anfang an das ganz große Risiko, dass das nicht funktioniert.“ (SYSTEM-G-AG)
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
256 19.3.1.2
Sprachwahl (Benennung)
Ein wichtiger Baustein der Kommunikation ist die Wortwahl oder die Benennung des zu beredenden Themas. In interpersonalen Prozessen, „language is deemed to be THE dominant symbolic resource available for accomplishing social reality.“ (Samra-Fredericks, 2003, S. 144). Wie benennen/benannten die Unternehmen das spezielle Innovationsprojekt bzw. allgemein auftauchende Neuerungen? Vor allem die Begriffe Chance und Problem wurden in diesem Zusammenhang genannt. Die folgende Tabelle zeigt die genannte Schlagwörter der Unternehmen und die konkreten transkripierten Aussagen dazu (vgl. Tabelle 19.2). Schlagwort Aussage Chance Zeitdruck
„In irgend einer Form ist es eine Chance. Weil das treibt wieder an, dass man etwas tut. Das Tempo, in dem das Ganze gegangen ist, ist zu schnell. Also das ist schon schwierig, dass man sich da umstellt und dass man entsprechend schnell irgendwo reagiert darauf.“ (ELEKTRO-M-GMBH)
Chance
„Und das hat mir sehr wohl gezeigt, dass momentan die Krise auch wieder eine Chance ist.“ (METALLWAREN-M-GMBH)
Chance
„Ja, momentan werden wir eher die Chancen ergreifen, würde ich sagen, als das Risiko eindämmen.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
Chance
„Genau. Also wir haben es noch nie erlebt, dass wir keine neuen Chancen [haben]...“ (BAUTEIL-M-GMBH)
Chance
„Ja, das [Chance] ist ein bisschen so ein Schlagwort. Ah, ich will es nicht so direkt sagen. Vielleicht.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH)
Chance
„Aus meiner Sicht ist es eine Chance...aus meiner Sicht, ich bin sehr positiv gestimmt. Ja, also bei uns absolut.“ (SYSTEM-G-AG)
Chance
„Das als Chance zu sehen...“ (TECHNIK-G-GMBH)
Chance
„Absolut. Ich glaube für das muss man Innovationen platzieren [und sie als Chance sehen].... so ist die Philosophie der Firma.“ (TEXTIL-G-GMBHa)
Chance
„Na, aber Sie sehen schon, da gibt es jetzt ein Massenprodukt...Und wenn man diese Grenzbarriere wegbringt, dann sehen wir Chancen, dass man wesentlich größere und neuere Schritte wieder gehen kann, die man bisher nicht hat, an denen man bisher nicht hat vorbeikommen können.“ (ENTWICKLUNGS-G-GMBH)
Glück
„Wir hatten sehr großes Glück ... also mit dieser Produktinnovation haben wir 2005 begonnen und 2007 waren wir am Ende...da war gerade diese Kraftstoffkrise. Und 2008... da haben wir [die Innovation] ja schon vertrieben, ist dann die nächste Krise gekommen. Aber zu jeder Zeit hat [es] uns ... neue Aufträge gebracht.“ (BAUTEIL-M-GMBH)
19.3. KOMMUNIKATION (K)
257
Neues
„Also der Ehrgeiz, wieder etwas Neues zu bringen...“ (FAHRZEUG-G-AG)
Problem
„...der Kunde hat ein gewisses Problem, oder möchte irgend etwas machen und wir sagen dann, das ist etwas für uns oder das ist nichts für uns...da kommen sehr viele Innovationen rein. Wo eigentlich dann auch neue Produkte entstehen.“ (ELEKTRO-M-GMBH)
Problemorientierung Risiko
„Wir sind sehr problemorientiert, ja? Wenn wir ein Problem haben, versuchen wir das zu lösen.“ (BAUTEIL-M-GMBH) „Gehen auch sehr riskante Projekte an. Auch das war ein riskantes Projekt für uns eigentlich, weil es ganz neu war.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
Lenkbar
„Und so sucht man sich vielleicht aus diesem Sternenhimmel-Pot bestimmte Dinge aus, je nach dem wie man es auch lenken kann. Alle kann man ja nicht lenken, die kann man nehmen oder kann es lassen.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
Planung
„Ja, wir sehen natürlich immer unsere langfristige Planung, wenn wir Projekte brauchen, damit wir ein bestimmtes Wachstum zeigen können.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
Tabelle 19.2: Sprachwahl
Die Mehrzahl der Unternehmen (ELEKTRO-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, SYSTEMG-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH) benennt Veränderungen tendenziell eher als Chance als Problem. Nur wenige sprechen von Problemen (ELEKTRO-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH) oder Risiken (ELEKTRONIK-MGMBH). Nur ELEKTRONIK-M-GMBH bringt Planung oder Lenkung als erste Schlagworte mit Produktinnovationen in Zusammenhang. BAUTEIL-M-GMBH spricht sogar von Glück, also explizit von einem Zufall. Die positive Einstellung (positive Bezeichnungen) ist für die ’best-practice’-Unternehmen typisch. Dies hat bedeutende Auswirkung auf die Interpretation der schwachen Signale und damit auf den SFA-Prozess und die Produktinnovationen. K2: Je positiver schwache Signale oder Veränderungen kommuniziert werden, umso eher werden diese beachtet und als Chancen interpretiert (vgl. I4).
19.3.1.3
Ausprägung der Kommunikation
Diese Abschnitt enthält Fragen zum Alter der beteiligten Personen, die Sprachwahl und deren Auswirkungen auf den Prozess sowie die Rolle der formalen oder informalen Kommunikation.
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
258 19.3.1.3.1
Alter der beteiligten Personen
Unabhängig von der Unternehmensgröße ist die Diskussion zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern/innen ein Erfolgsfaktor, da dabei beide Seiten neue Einsichten gewinnen können. Dies schlägt sich – wie die Heterogenität von Gruppen – positiv auf das Erkennen bisher nicht wahrgenommener Signale nieder. Verschiedene Wissensstände ermöglichen zuerst die breitere Wahrnehmung eines schwachen Signales in unterschiedlichen Domänen und darauf folgend eine breitere Diskussion über die Auswirkung und Bedeutung der schwachen Signale40 . (Unternehmens)ältere Mitarbeiter/innen benutzen ein anderes Vokabular, sehen die Dinge anders, haben schon viele Erfahrungen, auf die sie zurückgreifen können. Jüngere Mitarbeiter/innen bringen neue Ideen ein. Diese werden von den älteren Mitarbeitern/innen auf ihre Wichtigkeit und Durchführbarkeit geprüft. K3: Je mehr ältere und jüngere Mitarbeiter/innen miteinander diskutieren, desto mehr schwache Signale werden erkannt, bewertet und genutzt (vgl. G3).
19.3.1.3.2
Filterung
Das Problem der Eigeninteressen und der Filterung von Informationen im Kommunikationsprozess durch die angewandten Methoden oder die involvierten Personen ist unabhängig von der Unternehmensgröße (METALLWAREN-M-GMBH, MASCHINENBAUG-GMBH, SYSTEM-G-AG, PAPIER-G-AG). Gewisse Methoden benutzen nur spezifische Informationen und generieren eingeengte Ergebnisse. Auch die beteiligten Personen geben die aufgenommenen Informationen gefiltert weiter. Werden Informationen über viele Ebenen transportiert, werden sie unter Umständen stark verfälscht und abgewandelt. Die Filterung hat auch positive Seiten, denn es fließen Erfahrungen der Kommunikationsträger mit ein. Auch können große Informationsmengen (die von Einzelpersonen kaum behandelt werden kann) damit eingegrenzt und handhabbar gemacht werden. K4: Kommunizieren viele Personen, dann werden Informationen gefiltert und damit schwache Signale ausgeblendet, falsch interpretiert und bewertet. Andererseits kann dieses Kommunikationsmuster auch zu günstigen Umdeutungen und zur Fokussierung auf wichtige Aspekte führen.
19.3.1.3.3
Formale und informale Kommunikation
Bei den Gruppen wurden bereits formale und informale Ausprägungen diskutiert (vgl. Abschnitt „Gruppen“ 19.1). Dies hat auch starken Einfluss auf die Art der Kommunikation. In der PAPIER-G-AG wird in Bezug auf Innovationsprojekte viel über informale 40 „Das kann zwar manchmal zu sehr harten Diskussionen führen, aber am Ende ist es eine sehr fruchtbare Diskussion.“ (BAUTEIL-M-GMBH)
19.3. KOMMUNIKATION (K)
259
Kommunikation nach der Arbeitszeit geregelt. Jene Synergiearbeit, die im normalen Tagesgeschäft nicht durchgeführt werden kann, wird aufgeholt. Damit löst die Kommunikation vorhandene Synergieprobleme (entstanden durch die Aufgliederung in BU und die „eigene Sprache“ in diesen Teilbereichen). K5: Wenn informale Kommunikation gefördert wird, dann werden Synergien im SFAProzess genutzt.
19.3.2
Kommunikation in der Literatur
Soziale Kommunikation ist ein Prozess, der zwischen mindestens zwei Personen stattfindet (Crott, 1979, S. 17), die gleichzeitig als Sender und Empfänger agieren. Papadakis und Kaloghirou (1999, S. 31) betonen die Wichtigkeit einer gut funktionierenden Kommunikation, um über verschiedenste Alternativen und Interpretationen zu reflektieren und innovative Denkanstöße anzuregen („constructive conflict“). Segev (1977, S. 12) unterstreicht die Wichtigkeit von Kommunikation und fordert, sie zwischen Gruppen und Personen zu verbessern, z.B. durch Weiterbildung oder Jobrotation. Seidl (2004, S. 165) behauptet sogar, dass strategische Diskontinuitäten und schwache Signale als Kommunikationsphänomene angesehen werden sollten. Auch die Ausführungen über Gruppen machen deutlich, dass es ohne Kommunikation zu keinen Gruppenarbeiten, und damit zu keinem Austausch über schwache Signale kommen kann. K1 bestätigt: Kommunikation ist wichtig im SFA-Prozess. Kommunikation ist der Literatur zufolge auch dann wichtig, wenn man die SFA als strategisches Informationssystem betrachtet, das sich Informationspathologien (Störungen, Verzerrungen) unterwerfen muss. 19.3.2.1
Strategisches Informationssystem
Mauthe (1988, S. 500) erfasst den Begriff und die Thematik der SFA von einem anderen Blickwinkel. So beschäftigt sich der Autor mit der Idee eines strategischen Informationssystemes, und erweitert dessen Funktionsweise dadurch, dass er eine verbesserte Handlungsfähigkeit des Gesamtunternehmens durch die Einbeziehung einer Strategischen Frühaufklärungsphilosophie erreicht. Mauthe (1988, S. 500) will somit Überraschungen und schwache Signale im Informationssystems des Unternehmens abbildbar machen, ohne jedoch einen „Information-Overload“ oder eine zu enge Sichtweise zu fördern. Diese Funktion der Offenheit nennt Mauthe (1988, S. 500) „responsiveness“. Ungewollte Filter oder Vergangenheitsabhängigkeiten sollen vermieden werden („path dependency“). Auch Seidl (2004, S. 154) argumentiert, dass die SFA durch einen optimierten Informationsprozess begünstigt werden kann. Blanco und Lesca (1998) definieren die drei Phasen des SFA-Prozesses als Informationsprozess. Das bedeutet auch die Umgehung klassischer
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
260
Informationspathologien (Müller, 1981, S. 79). Diese verhindern, dass schwache Signale nicht richtig wahrgenommen oder nicht an relevante Personen weitergeleitet werden (Seidl, 2004, S. 154). Das grundlegende Problem ist, dass die schwachen Signale oftmals nicht oder nicht richtig wahrgenommen werden („Aufklärungsversagen“ (Wilensky (1967) in Kirsch und Roventa, 1983, S. 227). Dieser Zustand prägte den Begriff der Informationspathologien (Kirsch und Roventa, 1983, S. 227), welche oftmals durch asymmetrische Anreiz- und Sanktionsmechanismen entstehen. Der Begriff bezeichnet Unstimmigkeiten bei der Aufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen (Scholl, 1992a, S. 902). Kirsch und Roventa (1983, S. 228) unterscheiden in • strukturelle (aus der Organisationsstruktur entstehend, z.B. Arbeitsweise, Führungsstile, Hierarchie,...) • psychologische (Theorie der kognitiven Dissonanz41 ) • doktrinenbedingte (Doktrine in der Unternehmenskultur) Informationspathologien. • Wiedmann (1984, S. 99) fügt noch eine vierte Dimension hinzu, nämlich jene der technologischen Informationspathologien, die aus den Techniken der Informationsgewinnung und -verabeitung und deren Verständnis und Logik resultiert (welche Daten werden als relevant oder als unwichtig angesehen, usw.). Scholl (1992a) hingegen nimmt eine andere Unterteilung vor, nämlich in aktorbezogene, interaktionsbezogene und wissensbezogene Informationspathologien. 19.3.2.1.1
Akteurbezogene Informationspathologien
Unter dieser Kategorie subsumiert Scholl (1992a, S. 903ff) Dysfunktionen bei der Informationsgewinnung und -nutzung. Der „Akteur“ kann ein Individuen, Gruppen aber auch Organisationen sein. Diese Informationspathologien treten auf, wenn • unzureichende Grundkenntnisse vorhanden sind und damit der Aufbau von validem Wissen gestört wird. Der schrittweise Aufbau von Wissen (Akkumulation) oder die Anpassung (Akkomodation) wird fehlerhaft. Zu dieser Art von Informationspathologien tendieren Unternehmen, die sich rasch ändernden Technologien nicht anpassen, da ihnen das nötige Basiswissen für deren Nutzung oder deren Bedeutung zunehmend fehlt. 41 Menschen tendieren dazu, neuartige Informationen zu ignorieren oder umzuinterpretieren, wenn diese nicht mit den Grundannahmen ihrer getroffenen Entscheidung zusammenpassen. Wiedmann (1984, S. 100) weist auch auf die Tendenz hin, dass Personen durch bestehende Vorurteile geleitet werden. Rieser (1980, S. 119ff) führt noch drei weitere Phänomene an: 1. Diskontierung (= zukünftige oder vergangene Phänomene erhalten weniger Bedeutungsgehalt und Wichtigkeit als gegenwärtige), 2. Matching (= neuartige Probleme, Ideen usw. werden im Gegensatz zu bekannten vernachlässigt), 3. Satisficing (= Informationen, die auf Chancen hinweisen, werden eher vernachlässigt).
19.3. KOMMUNIKATION (K)
261
• Betriebsblindheit vorherrscht. Die Akteure werden von ihrem Umfeld geprägt und interpretieren dieses immer auf Basis der traditionellen Prämissen. Abhilfe kann durch Ausbildung, Aufgabenwechsel und abteilungsübergreifende Teamarbeit geschaffen werden. • mangelnde Informationsnachfrage die Situation kennzeichnet. Diese resultiert aus ungenügenden Grundkenntnissen und Betriebsblindheit. Wissen Akteure nicht, welche Informationen sie brauchen, so können sie auch nicht danach suchen. • Informationsüberlastung besteht. Im Sinne Simons (1967) weisen Menschen eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität auf und können grundsätzlich nur sieben (plus minus zwei) Aspekte speichern (Miller, 1956). Aufgrund der vorhin angeführten unzureichenden Grundkenntnissen oder der Betriebsblindheit werden Akteure oftmals überlastet. Akteure können einen Ausweg finden, wenn sie geschult ihr Wissen bündeln und somit größere Mengen an Informationen abrufen und sortieren, und sich damit vermehrt auf strategisch orientierte Aufgaben konzentrieren können („kognitive oder integrative Komplexität“ (Scholl, 1992a, S. 904)). • selbstkonzept-bedingte Verzerrungen auftreten. Akteure tendieren dazu, ein eigenes Selbstverständnis aufzubauen, welches auf vergangenen Aktionen, Fähigkeiten und Interessen basiert und sich zu einem starren Selbstbild entwickelt. Wie im Feld der Betriebsblindheit werden andersartige Vorkommnisse und Informationen anhand dieses Selbstkonzeptes interpretiert, während konforme Informationen das Selbstgefühl stärken. Scholl (1992a, S. 905) bezieht sich unter anderem auf das Konzept des „non invented here“-Syndroms. Dieses besagt, dass Unternehmen Problemlösungen anderer Firmen zu ihren Ungunsten abwerten und nicht daraus lernen. Ein Umfeld, welches die Interessens- und Meinungsvielfalt fördert, kann diese Art der Verzerrung abschwächen. Kommunikation zwischen unterschiedlichen Parteien ermöglicht es, diese akteurbezogenen (und damit oftmals auf Einzelpersonen konzentrierten) Informationspathologien zu umgehen. Unzureichende Grundkenntnisse werden über den Austausch mit anderen Personen aufgebaut und erweitert, Betriebsblindheit oder selbstkonzept-bedingte Verzerrungen können durch einen Dialog aufgedeckt werden. Werden Informationen auf mehrere Personen aufgeteilt, kann der Informationsüberlastung entgegengewirkt werden. K4 bestätigt: Je mehr innerhalb eines Unternehmens im SFA-Prozess kommuniziert wird, umso eher können akteurbezogene Informationspathologien verhindert werden. 19.3.2.1.2
Interaktionsbezogene Informationspathologien
Im Gegensatz zu akteurbezogenen Informationspathologien beziehen sich interaktionsbezogene Informationspathologien auf die Wechselwirkung zwischen Parteien. Unterschied-
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
262
liche Ansichten decken Fehler, Lücken oder starre Prämissen auf. Kollektives Wissen wird vor individuelles Wissen gestellt. Diese Grundtendenz wird durch • eingeschränkten Meinungsaustausch bedroht. Es besteht eine Grundtendenz zwischen Akteuren, sich unter Gleichgesinnten auszutauschen, obwohl verschiedene Meinungen das Selbstbild und Weltverständnis bereichern würden. Finden sich andersartige Akteure zusammen, so verläuft die Interaktion oftmals nicht gewinnbringend und ausgleichend. • Harmoniebedürfnisse oder group think gestört, bei dem entgegengesetzte und widersprüchliche Meinungen zugunsten einer gleichen Meinung unterdrückt werden. • Unverständnis, „unterschiedliche Sprache“ und abweichende Weltbilder der Akteuren nicht erreicht. • macht- und hierarchiebedingte Verzerrungen gefährdet. Die Machtverteilung und Hierarchie verzerren oder behindern die Interaktion. Einerseits entsteht dies durch die verfälschte und beschönigte Weitergabe von Informationen von unten nach oben (um Sanktionen zu vermeiden), andererseits durch die verkürzte Weitergabe von oben nach unten (um Machtpositionen nicht zu gefährden)42 . • interessen- und konkurrenzbedingte Verzerrungen verfälscht. Politische Prozesse, die jeweils Interessen von Einzelnen oder Gruppen vertreten, führen zu Informationspathologien. • bürokratische Verzerrungen verändert. Dynamische Umwelten und ständige Veränderungen erfordern eine Flexibilität, die jedoch in bürokratischen Organisationen tendenziell nicht gegeben ist. Akteurbezogenen Informationspathologien beziehen sich auf Verzerrungen im intrapersonalen Bereich, interaktionsbezogene Informationspathologien auf interpersonale. Auch wenn Kommunikation den SFA-Prozess positiv unterstützt, müssen sich Unternehmen der möglichen Verzerrungen bewusst sein. Bürokratische Verzerrungen können z.B. durch einen informalen Kommunikationsaustausch abgeschwächt werden. K4 bestätigt: Je mehr kommuniziert wird, umso eher treten interaktionsbezogene Informationspathologien auf. 19.3.2.1.3
Wissensbezogene Informationspathologien
Die dritte Art von Informationspathologien bezieht sich auf die Verwertbarkeit von alltäglichem Wissen und die Art der Wissensproduktion. Die Thematik ’Wissen’ wird an 42 „...the subordinate tells the „boss“ things the subordinate knows the boss wants to hear.“ (Kelley, 1965, S. 24)
19.3. KOMMUNIKATION (K)
263
anderer Stelle ausführlicher behandelt (vgl. Abschnitt „ „Experten/innen(wissen)“ auf Seite 234). Wissen kann verstanden werden als • Abbild der Realität. Wissen wird hierbei als unumstößliche Realität mit den Charakteristika Eindeutigkeit und Beweisbarkeit gesehen. Diese Ansicht fördert das „Schwarz-Weiß-Denken“, wertet andere Ansichten ab und lässt kaum Neues zu. • Überbetonung von Fakten. Dieser Punkt verweist auf die oben angeführte Klassifikation der doktrinbedingten Informationspathologien von Kirsch und Roventa (1983) und betont Fakten stärker als Interpretationen (auch ’hard’ versus ’soft facts’). • Erfahrung und Erkenntnis. Die Unterteilung in implizites wie explizites Wissen und deren Unvereinheitlichung sowie Widersprüche führen oftmals zu Informationspathologien (Scholl, 1992a, S. 909). So lassen sich manche Akteure eher von explizitem Wissen leiten und geraten möglicherweise in Konflikt mit jenen Akteuren, die implizites Wissen und Intuition bevorzugen. • Denken und Handeln. Diese Ansicht vertritt die Prämisse, dass Wissen alleine nicht erfolgversprechend ist und Informationspathologien auch nicht grundlegend vermieden werden können. Es wird daher auf eine „Paralyse durch Analyse“ hingewiesen und das Handeln favorisiert (Scholl, 1992a, S. 910). Daher ist es für Unternehmen ratsam zu überprüfen, ob diese Informationspathologien, im konkreten Fall also Kultur, Struktur und Doktrine, mit der Ausrichtung des Strategischen Managements oder der SFA übereinstimmen oder nicht. Werden Informationspathologien vermieden oder behoben, kann eine systematische Frühaufklärung besser funktionieren. Dies gelingt z.B. durch den intensiven Austausch von verschiedensten Wissensträgern (in Bezug auf Alter, funktionalem Hintergrund,...). Damit wird auch die Hypothese, dass ein Dialog zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern/innen erfolgversprechend ist, unterstützt. K4 bestätigt: Je eher Informationspathologien vermieden werden, umso erfolgreicher ist ein SFA-Prozess. 19.3.2.2
Stimmung (Emotionen) „The corporation’s internal environment has also been the subject of interest
to decision makers („internal climate“).“ (Zentner, 1981, S. 43) Gefühle, Emotionen oder die Stimmung haben einen starken Einfluss auf die Gedanken, die Urteile, den Informationsprozess und das Verhalten von Personen (Forgas, 2002; Schwarz, 2000; Forgas, 2001): „The basic idea that affect may overwhelm and subvert rational processes has been echoed in many social and psychological theories throughout the ages...“.
264
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
Wie war die Stimmung am Anfang der Innovationsprojekte? Über diesen Punkt gaben nur wenige Unternehmen Auskunft. In der KUNSTSTOFF-M-GMBH war die Stimmung sehr positiv43 , auch in der ELEKTRO-M-GMBH war sie von Euphorie geprägt44 . In der ELEKTRONIK-M-GMBH war Skepsis vorhanden45 , auch die BAUTEIL-M-GMBH tendierte zu „gemischten Gefühlen“ 46 . In der MASCHINENBAU-G-GMBH dominierte die Zurückhaltung47 , die TEXTIL-G-GMBH war von guter Stimmung, Sorge, Respekt und Bedenken geprägt (Antagonismus zwischen der sofort euphorischen Technik und dem abwartenden Verkauf)48 . Dies bedeutet, dass die Stimmung in der KUNSTSTOFF-M-GMBH und der ELEKTROM-GMBH sehr positiv war, in der ELEKTRONIK-M-GMBH, der MASCHINENBAU-GGMBH und der TEXTIL-G-GMBH wurden Bedenken geäußert. Bei den anderen Unternehmen liegen keine Aussagen zu diesem Punkt vor. Die Stimmung in den befragten Unternehmen ist ein Indiz für die vorherrschenden Emotionen im Unternehmen. „Being emotional...is important“ (Hayashi, 2001, S. 62). Emotionen leiten Aktionen. Positiven Emotionen wird nachgesagt, bessere Arbeitsergebnisse zu schaffen (Staw et al., 1994), Intuition zu begleiten und Kreativität zu fördern (Forgas, 2002, S. 5)49 : „Decision making is far from a cold, analytic process.... Emotions and feelings play a crucial role by helping us to filter various possibilites quickly“ (Hayashi, 2001, S. 62). Die Untersuchung ergab keine durchgängigen Ergebnisse. Das Wissensgebiet eröffnet aber zukünftige Forschungsstränge. Positiv eingestellte Personen, die auch eine optimistischere Sprache benutzen, sind in Kooperationen erfolgreicher (Forgas, 2002, S. 15f). In der Überzeugungsarbeit resultierte eine positive Stimmung in eher intuitiven Argumenten, wie z.B. persönlichen und kreativen Anliegen. Negative Stimmungen führen eher zu wohlüberlegten, systematischen Aspekten (Forgas, 2002, S. 17) (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ 19.2). Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass eine positive 43 „Das ist z.B. etwas, das jeder sofort erkannt hat. Wenn das gelingt, dann sind wir wirklich vorne. Das war typisch, das hat jeder sofort erkannt.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) 44 „...sehr euphorisch.... Vom Verkauf, vom Verkauf...ja bis heute noch.“ (ELEKTRO-M-GMBH) 45 „...Teile waren sehr skeptisch, ob das jemals funktionieren wird...“ (ELEKTRONIK-M-GMBH) 46 „Wie es normal ist. Ein Teil identifiziert sich voll mit dem Problem, ein Teil ist komplett abwehrend. Also so wie man es halt auch wirklich kennt. Da bringt man die Gruppe halt einmal zusammen, dann gibt es einen Crash, und dann...“ (BAUTEIL-M-GMBH) 47 „Aber zunächst einmal, wenn Sie wirklich eine innovative Idee haben, und da fällt mir sofort eine ein, sitzen alle in der zweiten Reihe.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH) 48 „Nein, nein wir haben einen total klassen Spirit, was das betrifft. Ah, da ist eher die Frage, was geht sich noch aus. ...natürlich in diesem konkreten Fall war es schon so, dass der Entwickler ... ein bisschen die Freude, die Begeisterung gewinnen [musste]. Am Anfang hat er einen gesunden Respekt gehabt, fast eine Sorge, Bedenken.“ (TEXTIL-G-GMBHa) 49 „...people experiencing positive affect tend to employ less effortful and more superficial processing strategies, reach decisions more quickly, use less information, avoid demanding, systematic thinking, and are more confident about their decisions. In contrast, negative affect seemed to trigger a more effortful, analytical, and vigilant processing style.“ „People in a positive mood are more likely to adopt creative, open, constructive, and inclusive thinking styles, use broader categories, and perform well on secondary tasks.“ (Forgas, 2002, S. 5)
19.4. ZUSAMMENFASSUNG
265
Stimmung Verhandlungssituationen oder schwierige Aufgaben positiv unterstützen kann. Neu: Je positiver die Stimmung im Unternehmen ist, desto eher kommt Intuition zum Einsatz. Neu: Je negativer die Stimmung im Unternehmen ist, desto eher werden systematische Ansätze gewählt. Die Stimmung im Unternehmen während des Strategischen Frühaufklärungsprozesses gibt Auskunft über intuitive oder rationale Vorgehensweisen. Es kann keine Aussage getroffen werden, ob positive oder kritische Stimmungen zu Beginn erfolgversprechender sind.
19.4
Zusammenfassung
Dieser Abschnitt behandelt die wesentlichen Einsichten zu den Themen Gruppe, ’issue selling’ und Kommunikation. Wie bereits im Kapitel „Interne Personen und Funktionen mit Einfluss“ 18.2 werden die Unternehmen auf Unterschiede und Gleichheiten bezüglich Unternehmensgrößen und Pfadmuster untersucht.
19.4.1
Gruppen als Träger in der Phase Assessment
Gruppen kommen unabhängig von der Unternehmensgröße oder den Pfadmustern in allen Unternehmen vor, hauptsächlich in der zweiten Phase Assessment. In der ersten Phase Activation sind in der ELEKTRO-M-GMBH, der ELEKTRONIK-M-GMBH, der BAUTEILM-GMBH, der MASCHINENBAU-G-GMBH, der FAHRZEUG-G-AG, der TECHNIK-GGMBH und der TEXTIL-G-GMBH ebenfalls schon Gruppen vertreten. Auffällig ist, dass die meisten dieser Unternehmen (bis auf die SYSTEM-G-AG und die ENTWICKLUNGSG-GMBH) ein rationales Pfadmuster verfolgen oder ein solches in parallelen Pfaden aufweisen. Dieser Tatbestand bedarf jedoch weiterer Forschungsanstrengungen, da die Indizien in dem vorliegenden Fall nicht ausreichen, um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können. Der Grund dafür ist, dass in der zweiten Phase jedes Unternehmen Gruppen in den Prozess miteinbezieht, unabhängig davon, ob es grundsätzlich einem intuitiven oder rationalen Pfad folgt. 19.4.1.1
Struktur der Gruppen
In Unternehmen gibt es formale und informale Gruppen. Gruppen werden entweder erst nach Projektstart zusammengestellt, oder Projekte werden von fest in der Organisation verankerten Gruppen (mit gleichbleibenden Mitgliedern – wie z.B. Arbeitskreisen (FAHRZEUG-G-AG), Entwicklungs- und Forschungsgruppen (MASCHINENBAU-GGMBH) und Produktmanagementteams (FAHRZEUG-G-AG)) abgewickelt. Die zweite Art der Gruppenstruktur taucht in der Befragung nur bei Großunternehmen auf. Sicher-
266
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
lich sind die Größe und die Anzahl an verfügbaren Personen mit ihrer stärkeren Spezialisierung der Grund dafür. Dies heißt jedoch nicht, dass keine informelle Gruppen in den GU bestehen. Die Strukturen sind in GU möglicherweise ausgereifter. Ob eine stärkere Strukturierung von Vorteil ist oder nicht bleibt offen. Das Vorkommen formaler Gruppen schließt die Existenz informaler Gruppen nicht aus. Es ist möglich, dass bestehende formale Gruppen mit informalen Gruppen konkurrieren und in weiterer Folge unnötig Ressourcen durch z.B. Redundanzen und Parallelarbeiten verbraucht werden. 19.4.1.2
Vielfalt der Gruppenmitglieder
Nahezu einig sind sich die befragten Unternehmen, sowohl GU als auch MU, dass die Vielfalt der Gruppenmitglieder – vor allem in Hinsicht auf verschiedene Kompetenzen – positiv auf den SFA-Prozess einwirkt. GU zeichnen sich tendenziell durch eine größere Vielfalt an Mitarbeitern/innen und deren Kompetenzen aus (Miller et al., 1998, S. 43). Die Personen haben unterschiedliche Meinungen, Wissen und Erfahrungen. Die kulturelle Vielfalt wird nur in Großunternehmen angesprochen. Große Unternehmen haben somit durchaus einen Vorteil im Gegensatz zu MU in Bezug auf die Kompetenzvielfalt. Aus der Empirie ergab sich, dass vor allem in der zweiten Phase des Assessments weitere Personen hinzugezogen werden, um Kompetenzen auszuweiten. Viele MU dehnen ihren Fokus mit Hilfe externer Personen oder Partnerschaften aus. Erfolgreiche Unternehmen versuchen, die Vielfalt an Meinungen und Bewertungen zu vergrößern, egal ob intern (wie bei GU) oder extern (MU, als auch GU) (vgl. Abschnitt „Externe Partnerschaften“ 21.2). Geht man davon aus, dass Personen durch ihre Erfahrungen, ihre Bildung und ihr Wissensgebiet stark geprägt sind, so kann man daraus schließen, dass sie eher auf Chancen und schwache Signale aufmerksam werden, die sich in ihrem Fachgebiet ergeben. Darüber hinaus steht ihnen eher das Vokabular zur Verfügung, diese Chancen zu begreifen und anderen zu beschreiben (vgl. Abschnitt „Der politische Prozess des ’issue sellings’“ auf Seite 248). 19.4.1.3
Gruppengröße: Keimzelle mit variabler Ausdehnung
Die Gruppengröße unterscheidet sich in den einzelnen befragten Unternehmen, ebenso die Bewertung der optimalen Gruppengröße. Die Wahl der Gruppengröße ist ausschlaggebend für die Effektivität und den Output der Gruppenarbeit. Dies wird sowohl in der Literatur (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 557; Cooper, 2002, S. 104)50 als auch in den Gesprächen eindeutig dargelegt. Große Gruppen ermöglichen eine größere Vielfalt an Meinungen, kritischen Stimmen und Ideen51 , 50
Cooper (2002) spricht von fünf bis sieben Mitarbeitern/innen als ideale Gruppengrößenanzahl. Vor allem unter Einbeziehung von externen Gruppen und Personen. Dabei können Gruppen um das Doppelte bzw. mehr anwachsen, ein Unternehmen meldete 200 Beteiligte in einem konkreten Innovationsprojekt (METALLWAREN-M-GMBH). 51
19.4. ZUSAMMENFASSUNG
267
was vor allem bei der Ideenfindung von Vorteil sein kann (ELEKTRO-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH)52 . Auch bieten große Gruppen eine hohe Sicherheit bzw. ein hohes Sicherheitsgefühl (TEXTIL-G-GMBHa). Allerdings erhöht sich der Koordinations- und Zeitaufwand mit steigender Gruppengröße53 . Deshalb wird bei den befragten Unternehmen besonders auf kleine Gruppengrößen (das tragende Kernteam) geachtet54 . An der Peripherie werden (je nach Aufgabenstellung) rudimentär weitere Gruppenmitglieder zugelassen (z.B. die BAUTEIL-M-GMBH, die ENTWICKLUNGS-G-GMBH)55 . Abgesehen davon, dass Gruppenentscheidungen zu einem höheren Commitment führen, sind sie langsamer und benötigen grundsätzlich viel Zeit und Diskussion. Kleinere Gruppengröße führen zu einfacherer Koordination56 . Sie sind überschaubar. So berichten Unternehmen aus ihren eigenen Erfahrungen, dass kleine Gruppen für sie von Vorteil sind57 . Ganz besonders
Tabelle 19.3: Gruppengröße
52 „Es gibt so viele Technologien ah, man muss nur diese Bedürfnisse erkennen, die zu lösen sind. Und das kann man oft gar nicht alleine, dazu braucht es diese Diskussionen.“ (METALLWAREN-M-GMBH). Hier greift auch die Art des Projektes, je nach dem ob es ein großes Grundlagenprojekt ist, oder ein Innovationsprojekt kleinerer Natur. 53 Die Gruppenstruktur hat Einfluss auf die Effektivität des Outputs (vgl. Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 557f). Eine minimale Struktur (Gruppenleiter/in und Gruppenmitglieder) muss vorhanden sein, z.B. Teamleiter/in, Teambegleiter/in, Teamsprecher/in (z.B. FAHRZEUG-G-AG). Je größer die Gruppe wird, umso mehr ist in die Struktur zu investieren. So erweisen sich gewisse Erfahrungen und Kompetenzen (wie z.B. Experten/innen) in Projekten als durchaus sehr förderlich und sollten miteinbezogen werden (BAUTEIL-M-GMBH). 54 „So klein wie möglich“ ist dazu die Aussage von der TEXTIL-G-GMBHa. Die MASCHINENBAUG-GMBH verweist auf eine sehr klar defnierte kleine Gruppe, die „die ganze Power des Unternehmens“ benutzen kann: „Die sind, wenn ich es rein von einem Projektmanagement her sehe, sind dem Projekt zugeordnet nicht viele Mitarbeiter. Aber die Mitarbeiter haben die Möglichkeit sozusagen, die ganze Power des Unternehmens...zu verwenden.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH). 55 „Ein großes Team hat immer sehr viele kritische Blicke, die man sich immer wieder holen muss. Also, man darf die drei [Kernteam] nicht ganz alleine lassen, das finde ich nicht gut.“ (TEXTIL-GGMBHa). „Also das hat dann schon konzentrische Wellen, wenn man den Stein ins Wasser schmeißt...“ (FAHRZEUG-G-AG) 56 „Je kleiner die Gruppe ist, umso schneller ist irgend etwas fertig, weil da wird einfach eine Entscheidung getroffen und „ ja so machen wir es“ und anders wird diskutiert...“. (ELEKTRO-M-GMBH) 57 „Wir haben natürlich schon ein bisschen die Erfahrung gemacht und machen es eigentlich noch immer.
268
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
wichtig ist eine kleine Gruppengröße, wenn das Projekt geheim gehalten werden soll58 bzw. das Ziel sehr eng und klar ist (SYSTEM-G-AG) (vgl. Tabelle 19.3). Grundsätzlich werden kleinere unternehmensinterne Gruppen von zwei bis fünf Personen bevorzugt, um Überschaubarkeit und bessere Kommunikation bzw. Handlungsschnelligkeit gewährleisten zu können59 . Die Gruppengröße von fünf Personen wird auch von Schuler (2007, S. 394) in ihrer Effizienz bestätigt. Dabei gehören verschiedene Personen in den einzelnen Phasen zur Gruppe – je nachdem welche Kompetenzen benötigt werden. Die Gruppengröße kann im Lauf der Projekte auf zwanzig und mehr Personen anwachsen. Wichtig ist jedoch anzumerken, dass die Unternehmen eine Kerngruppe unterscheiden (die das Projekt hauptsächlich trägt) und periphäre Personen, die nur Teilaufgaben übernehmen (vgl. Abbildung 19.1).
Abbildung 19.1: Fixe Keimzelle und flexible Ausdehnung So kann der Beteiligtenkreis eines Projektes auch auf 200 Personen (METALLWAREN-MGMBH) anwachsen. Vor allem große Unternehmen (MASCHINENBAU-G-GMBH, SYSTEM-G-AG, TEXTIL-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH) tendieren dazu, den Gruppenkern sehr klein zu halten, und gegebenenfalls den Gruppenkreis auszuweiten. Die KUNSTSTOFF-M-GMBH und die BAUTEIL-M-GMBH sprechen sich hingegen für die Effektivität von großen Gruppen aus (ca. 15 Personen). So hätte sich die SYSTEM-G-AG sogar noch eine größere Gruppe (aus Tochterorganisationen und anderen Ländern oder Unternehmensbereichen) gewünscht60 – allerdings erst in einer späteren Projektphase. Je mehr Mitarbeiter in so einem Projekt sind, desto träger wird das Ganze.“ (MASCHINENBAU-GGMBH) 58 „Und auch ich würde sagen zu einem Großteil deswegen nicht zu breit gestreut das Ganze, dass auch wirklich keine Informationen an den Mitbewerb geht. Also das war eine sehr ... kleine Gruppe.“ (SYSTEM-G-AG) 59 Kleineren Gruppen wird wiederum eine höhere Kohäsion nachgesagt, vor allem wenn sie unmittelbar voneinander abhängig sind, wie es bei unternehmensinternen – im Gegensatz zu unternehmensexternen – Gruppen eher der Fall ist (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 537). Kleinere Gruppen weisen auch eine größere Zufriedenheit auf (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 557). 60 „Vor allem wenn man es noch auf andere Abteilungen erweitert hätte, wäre es sicher geschickt gewesen,
19.4. ZUSAMMENFASSUNG
269
Dies bedeutet, dass ein kleiner Personenkreis beständig das Projekt weiter trägt und dafür Verantwortung übernimmt. Damit ist der Erfolg des Projektes gesichert. Dieses Kernteam ist gut eingespielt, hat den besten Überblick über das Projekt und die tiefsten Einsichten in dessen Ausgestaltung. Nachteilig ist, dass bei Projekten, gerade bei komplexen Produktinnovationen, mehr Kompetenzen benötigt werden, die nicht unbedingt in der Kerngruppe vorhanden sind. Um jedoch die Nachteile einer großen Gruppe zu überwinden (wie den steigenden Kommunikationsbedarf oder den Konfliktzuwachs) werden zusätzlich nötige Gruppenmitglieder nur temporär in die Gruppe miteinbezogen. Diese werden z.B. mit rein sachlichen Aufgaben betraut, müssen jedoch nicht mit formellen Aspekten oder der Projektplanung belangt werden. Auch ist es eher möglich, das Projekt geheim zu halten und nach außen abzuschirmen. Flexible Strukturen ermöglichen die Kombination der Vor- und Nachteile großer und kleiner Gruppen. Sie werden von den meisten Unternehmen angewendet, unabhängig von den Unternehmensgrößen oder Pfadkategorien.
19.4.2
’Issue selling’ als wichtige Überzeugungsarbeit
Neben internen Unternehmensmitgliedern nehmen in der Literatur auch Stakeholder einen wichtigen Stellenwert im Prozess des „issue sellings“ ein (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 58). Vor allem wenn Stakeholder das nötige Wissen im Bereich des ’issues’ halten, Legitimität genießen, und eine Möglichkeit der Einflussnahme sehen, starten sie selbst den Prozess des ’issue sellings’ (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 68, 77). Stakeholder engagieren sich jedoch nur in Ausnahmefällen („bounded resposibility“) (Maitlis und Lawrence, 2007, S. 76), vor allem dann, wenn sie eine Kluft zwischen dem Führungsverhalten in der Organisation und ihren Interessen sehen. GU werden häufig als breiter vernetzt bzw. medienpräsenter angesehen (sind Marktführer in einem eher größerem Segment und haben stärker ausgeprägtes Marketing). MU sind oftmals Nischenproduzenten61 . Daher haben GU eine größere Anzahl an Stakeholdern als MU und sind den von ihnen ausgehenden politischen Prozessen eher ausgesetzt. Dies ist einerseits als sehr positiv zu sehen, da sich mehr Personen mit der Erkennung von schwachen Signalen auseinandersetzen und diese Erkenntnisse auch in das Unternehmen kommunizieren. Andererseits kann dieser Einfluss von außen sich aber auch nachteilig auswirken.
die Dinge von mehreren Seiten zu sehen. D.h. wir waren dann auch schon so eingefahren, dass wir eigentlich nicht mehr links und rechts geschaut haben. Jeder hat nur mehr geschaut, das muss jetzt funktionieren.“ (SYSTEM-G-AG) 61 Z.B.: So will die KUNSTSTOFF-M-GMBH keine Medienpräsenz: „...nur nicht auffallen.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH); FAHRZEUG-G-AG hat einen hohen Bekanntheitsgrad auf der ganzen Welt, eine Marktpräsenz und einen weitverbreiteten Ruf. Auch die SYSTEM-G-AG hat ein ausgereiftes Marketing.
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
270
19.4.3
Kommunikationsverhalten
Der Abschnitt Kommunikationsverhalten enthält Details zu speziellen Kommunikationsausprägungen: die Handhabung von Offenheit vs. Geheimhaltung, die räumliche Nähe oder die Rolle von Schnittstellen. 19.4.3.1
Offenheit vs. Geheimhaltung
Wie kommunizieren die Parteien in den Unternehmen miteinander, offen oder eher geheim? „Too much visibility early in the process can inhibit innovativeness for many ventures...creating pressures for quick results, and inviting potential critics to have their say before crucial problems can be identified, much less resolved.“ (Day, 1994, S. 151). Welches Unternehmen setzt Geheimhaltungsvereinbarungen ein? Gerade diese scheinen bei Innovationen von großer Bedeutung zu sein, um Imitatoren/innen abzuschrecken (vgl. Tabelle 19.5).
Unt.
Ausprägung
MU1
Für die KUNSTSTOFF-M-GMBH sind Geheimhaltungsvereinbarungen nach außen (mit Partnern, Lieferanten/innen,...) Standard. Innerhalb des Unternehmens wird auf Grund der kleinen Größe sehr offen kommuniziert, unterstützt vom internen Kommunikationssystem.
MU2
Bei der ELEKTRO-M-GMBH war die interne Kommunikation sehr offen, allerdings nur darüber, dass es eine Entwicklung gibt und nicht zu den näheren Details zum Inhalt dieser Entwicklung.
MU3
Die METALLWAREN-M-GMBH unterstützt die interne Kommunikation und sichert sich nach außen durch Geheimhaltungsvereinbarungen ab.
MU4
In der ELEKTRONIK-M-GMBH wurde im Unternehmen ebenfalls sehr offen kommuniziert, nach außen hin wurden die Kernelemente gut abgeschützt, nur unterstützende Tätigkeiten wurden abgegeben.
MU5
Auch die BAUTEIL-M-GMBH differenziert zwischen externer Geheimhaltung und interner Offenheit. Bei der Offenheit der Diskussion mit Kunden/innen differenziert das Unternehmen BAUTEIL-M-GMBH je nach Aufgabenstellung.
GU1
In der MASCHINENBAU-G-GMBH ergibt sich ein diversifiziertes Bild, mit einer starken Ausrichtung auf Geheimhaltung: in Bezug auf Patentanmeldungen erfolgte im Verlauf der Zeit ein Umdenken. Patente sollen vor Imitation schützen. Implizit ist die Anmeldung aber eine Offenlegung. Hat das Unternehmen in der Vergangenheit vieles angemeldet, so ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Auch Mitarbeiter/innen in Projekten sind zu strikter Geheimhaltung verpflichtet. Besonders interessant ist die Geheimhaltungsfrage bei Kundenprojekten, bei denen der Kunde eine einzigartige Lösung präsentiert haben möchte, die nur für ihn gilt. Für das Unternehmen jedoch ist es zwangsläufig notwendig, die neuen Erkenntnisse auch auf andere Kundengruppen ausdehen zu können.
GU2
In der FAHRZEUG-G-AG werden die Inhalte in einem engen Kreis diskutiert.
GU3
Auch die SYSTEM-G-AG kommuniziert sehr geheim und in kleinen Kreisen, sowohl im Unternehmen als auch nach außen hin, ersichtlich durch die Marketingmaßnahmen. Grund dafür sieht das Unternehmen in dem rasch klaren Ziel und dem Schutz vor Imitation. Nach außen hin schützt man sich mit Geheimhaltungsvereinbarungen und einem eingeschränkten Kontakt. Im Nachhinein reflektiert das Unternehmen allerdings kritisch diese sehr eingeschränkte Kommunikation und Offenheit. So gesteht es ein, dass ein vermehrtes Miteinbeziehen von weiteren Personenkreisen durchaus sinnvoll gewesen wäre.
19.4. ZUSAMMENFASSUNG
271
GU4
Die Kommunikation ist in den ersten Phasen in der PAPIER-G-AG sehr eingeschränkt und findet größtenteils nur intern statt. Grund dafür ist vor allem der „Wissensklau“, d.h. das Abwandern von firmeninternem Wissen, was besonders im asiatischen Markt zu einem Problem geworden ist. Man behilft sich dadurch, dass externe Mitarbeiter nur eingeschränkten Einblick in das eigene Projekt haben. Auch im späteren Verlauf schließt man die Umwelt eher aus und die Kommunikationsart ist durch Geheimhaltungsvereinbarungen gekennzeichnet. Jedoch intern, in den jeweiligen Sparten, wird eine offene Kommunikation bevorzugt, die z.B. persönliche und informelle Kommunikation im Werksrestaurant. Fördern möchte man die noch unterrepräsentierte spartenübergreifende Kommunikation, z.B. durch Mischmeetings, an denen spartenfremde Personen als Experten/innen oder Beobachter/innen teilnehmen können. Die Kultur prägt diese gelebte Vorgehensweise, d.h. Gespräche werden zugelassen.
GU5
In der TECHNIK-G-GMBH ist die Kommunikation sehr offen und wird durch die Werte auch unterstützt.
GU6
In der TEXTIL-G-GMBH ist die Kommunikation im Unternehmen grundsätzlich offen, gerade am Beginn einer Innovation wird die Idee trotzdem sehr geheim gehalten und der Austausch beschränkt sich hauptsächlich auf die Projektgruppe. Es wird eher nach „oben“ reported und über das Projekt geredet als in die Breite. Dies gilt vor allem dann, wenn spezielle Kundenwünsche vorliegen, die mit Geheimhaltungsvereinbarungen bearbeitet werden müssen. Allerdings wird durchaus auch der rege Austausch mit Externen (hauptsächlich Kunden) gesucht (Entwickler/in und Produktleiter/in gehen direkt zum Kunden/zur Kundin bzw. werden Kundenanfragen sehr schnell bearbeitet).
GU7
-
Tabelle 19.5: Offenheit vs. Geheimhaltung Bei allen MU wird zwischen einem internen offenen Gesprächsklima und einer externen Abschirmung unterschieden. Es wird stark darauf geachtet, dass nicht zu viel außerhalb der Unternehmensgrenzen dringt. Dieser Tatbestand wird auch durch die Literatur unterstützt, da sich die innovativen Unternehmen sonst in eine Imitationsgefahr begeben. Grund für die interne Offenheit ist sicherlich, dass eine interne Geheimhaltung fast unmöglich ist. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von jener in GU. Bei den GU ergibt sich ein relativ einheitliches Bild. Fast alle Unternehmen bevorzugen eine eingeschränkte interne Kommunikation. Gerade das soll innovative Ideen schützen. Ausnahmen werden nur bei speziellen Kundenprojekten gemacht, allerdings werden die Kunden/innen auch nur punktuell miteinbezogen und informiert. Alleine die TECHNIKG-GMBH wirkt sehr offen (unklar ist jedoch, ob diese Haltung sowohl nach außen als auch nach innen gilt). Die SYSTEM-G-AG würde in Zukunft sogar eine offenere Kommunikation auch nach außen bevorzugen, die PAPIER-G-AG möchte die interne Kommunikation zwischen den Sparten verstärken. Im Unterschied zu einigen MU zeigt sich, dass bei GU auch intern Kommunikationseinschränkungen gegeben sind. Der Literatur folgend ist Offenheit im SFA-Prozess wünschenswert (Sharma et al., 1999, S. 103). 19.4.3.2
Räumliche Nähe und Schnittstellen
Ein wesentlicher Punkt, der vor allem bei MU hervortritt, ist die räumliche Nähe der beteiligten Gruppenmitglieder. Nach Schuler (2007, S. 390) erhöht die räumliche Nähe, sowie die unmittelbare direkte Kommunikation, eine enge Gruppenbildung. Führungskräfte und Mitarbeiter/innen aus unterschiedlichsten Abteilungen (z.B. Produktion und
272
KAPITEL 19. INTERPERSONALE PROZESSE
Verkäufer) befinden sich in der BAUTEIL-M-GMBH in räumlicher Nähe und können somit Ideen, Gedanken und Auffälligkeiten sofort besprechen und sich austauschen: „Wir brauchen ja nicht große Wege gehen...“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) und „Also wir – in der Entwicklung – sitzen alle zusammen...“ (BAUTEIL-M-GMBH). Ein steter reger Austausch fördert die Ideengenerierung und den SFA-Prozess62 . Die Synergien in MU werden gut genutzt und die Schnittstellen gepflegt. Die räumliche Nähe, und damit die vermehrte Diskussion zwischen verschiedenen Fachgebieten, wirkt positiv auf die Kommunikation in MU (z.B. „sehr fruchtbarer Boden“ in der BAUTEIL-M-GMBH). Auch dies spricht für die informale Kommunikation. Leonard und Sensiper (1998, S. 124) folgern, dass zeitliche und räumliche Distanz Austauschprozesse erschweren. Demgegenüber stehen Kommunikationsschwierigkeiten bzw. Synergieverluste bei GU (Schnittstellenproblematik), da die physische Nähe, wie sie in MU oftmals vorhanden ist, kaum oder gar nicht gegeben ist. GU sind „sehr aufgegliedert“. Ab einer gewissen Unternehmensgröße sind mündliche Mitteilungen nur mehr in sehr geringem Umfang möglich (z.B. wenn ein neuer Mitarbeiter/eine neue Mitarbeiterin in das Unternehmen eintritt). Grund sind dafür organisatorische Ausgestaltungen, z.B. die Gliederung in Business Unit63 . Die Schnittstellenproblematik entsteht durch das starke Wachstum der Unternehmen und die fehlende Ausgestaltung der Systeme (PAPIER-G-AG) oder ungenügende Anpassungen (MASCHINENBAU-G-GMBH). Hier könnte nur informale Kommunikation in nicht formalisierten Treffen helfen. Dies bedingt allerdings die Eigeninitiative der Mitarbeiter/innen. So wird z.B. in der PAPIER-G-AG die Kantine intensiv zum Informationsaustausch genützt. Werden Synergien und Schnittstellen optimal gehandhabt, können Wissen und Kompetenzen von Mitarbeiter/innen in GU fächerübergreifend erfolgreich eingesetzt werden – viel stärker, als dies in MU (auf Grund der kleinen Ressourcenbasis) möglich ist.
62 „Wenn die Entwicklung 50 Leute hat, dann weiß – wenn jeder will – weiß er was jeder andere macht. Dann ist einfach das Niveau der Information ziemlich gleich. Wenn das jetzt 250-300 Leute sind, da kann ich nicht mehr davon ausgehen, dass jeder weiß, was der andere macht oder an welche Technologien der andere gerade arbeitet.“ (TECHNIK-G-GMBH) 63 Eine Business Unit (BU) oder strategische Geschäftseinheit (SGE) (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 165ff) ist meist ein internes Abbild eines Marktsegmentes bzw. eines strategischen Geschäftsfelds – SGF (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 159ff)). Eine SGE kann auch mehrere Marktsegmente vereinen. SGEs haben eigentständige Marktaufgaben mit externen Wettbewerbern und eigenverantwortlicher Erfolgstätigkeit (Hahn, 1999, S. 405; Thompson und Strickland, 1994, S. 102). Kommunikations- und Verständigungsschwierigkeiten ergeben sich oft durch diese Selbstständigkeit und die eigene Sprache, die sich in den BUs institutionalisiert. Auch in der TEXTIL-G-GMBH kommt es zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Geschäftsbereichen.
Kapitel 20 Organisationscharakteristika (O) „Decision makers’ interpretations and formal adaptive response choices are informed by organizational context.“ (Ford und Baucus, 1987, S. 373) „...organizational characteristics, as perceived by the organization’s managers, affect the environmental interpretation process.“ (Milliken, 1990, S. 59) In einigen Abschnitten (vgl. Abschnitt „Größenunterschiede in der Literatur“ 10.1.2) wurde bereits auf die Unternehmensgröße als Einflussfaktor auf den SFA-Prozess eingegangen. Die Aussagen in der Literatur dazu sind widersprüchlich. Auch die empirische Untersuchung zeigte, dass Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten des SFA-Prozesses nicht alleine auf Größenunterschiede zurückgeführt werden können. Andere Organisationsausprägungen, wie Strategie- oder Kulturaspekte werden in den nächsten Abschnitten näher behandelt (vgl. Sharma et al. (1999, S. 101)).
20.1
Organisationscharakteristika in der Befragung
„...interpretation of strategic issues appears to be influenced by organizational context.“ (Denison et al., 1996, S. 453) Die befragten Unternehmen wiesen auf spezielle Organisationsvariablen und deren Auswirkung auf den SFA-Prozess hin: intangible Ressourcen, Strukturen, Ziele, Strategie, Vision, Kultur und Werte.
20.1.1
Wesentliche Organisationsvariablen
Als wesentliche Organisationsvariablen, neben den Unternehmensgrößenunterschieden1 , kristallisierten sich in der Befragung folgende Einflussparameter heraus: 1
Vgl. dazu Abschnitt „Untersuchungsobjekte“ 10.
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_20, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
274
• spezielle Ressourcen2 • Strukturmerkmale3 • Besitzverhältnisse und Rechtsform • Strategie und Ziele4 • Kultur, Philosophie und Werte5 20.1.1.1
Intangible Ressourcen
Die Bedeutung der Ressourcen für die Ausgestaltung der SFA-Prozesse wurde von vielen Unternehmen genannt. Besonderes Interesse liegt dabei auf den intangiblen Ressourcen (vgl. z.B. Johnson et al., 2005, S. 117), wie Information, Wissen oder der Ruf des Unternehmens (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 460ff; Hamel und Prahalad, 1996, S. 241). In der PAPIER-G-AG tritt vor allem die Problematik des impliziten Wissens und dessen Erhalts hervor. So merkt der Interviewpartner des Unternehmens an, dass das Wissen oft ungewollt abwandert bzw. beim Ausscheiden eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin für immer verloren geht. Auch die MASCHINENBAU-G-GMBH und die TECHNIK-GGMBH betonen, dass das Wissen und die Erfahrung der älteren Mitarbeiter wesentlich ist und diese verhindern, dass das „Rad immer wieder neu erfunden“ werden muss. Intangibles Wissen ist vor allem in Bezug auf den SFA-Prozess wichtig, schlägt es sich doch in Kreativität, Ideenerkennung oder intuitiven Prozessen nieder (vgl. Abschnitt „Exkurs: Die Rolle von Erfahrung“ auf Seite 229 und „Intuitiver Prozess“ auf Seite 73). Ist viel an implizitem Wissen vorhanden, wirkt dies positiv auf die Chancenerkennung und -nutzung. O1: Wenn implizite Ressourcen (z.B. Wissen oder Erfahrung) vorhanden sind, dann werden schwache Signale eher erkannt und Chancen realisiert.
20.1.1.2
Strukturen6
Struktur (nach der Einteilung von Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 444ff) hat „realorganisatorische Implikationen“ und beeinflusst Merkmale wie z.B. Strategien7 . Struktu2 genannt von: KUNSTSTOFF-M-GMBH, ELEKTRO-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, SYSTEM-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-GGMBHb 3 genannt von: ELEKTRONIK-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBHa, TEXTIL-G-GMBHb 4 genannt von: ELEKTRONIK-M-GMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, SYSTEM-G-AG, PAPIERG-AG, TECHNIK-G-GMBH 5 genannt von: ELEKTRONIK-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, SYSTEM-G-AG, PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBHa, TEXTIL-G-GMBHb 6 Siehe Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 453 ) für einen Klassifikationsrahmen. 7 Vgl. Diskussionen zu „structure follows strategy“ oder „strategy follows structure“ (Keats und O’Neill, 2001).
20.1. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER BEFRAGUNG
275
ren sind „Systeme von geltenden Regeln“ (Kieser und Kubicec (1992, S. 22) und Schuler, 2007, S. 532). Bei Strukturfragen spielt die Organisierung eine Rolle, d.h. Formalisierung, Dezentralisierung und Zentralisierung8 . Beispiele dazu sind die FAHRZEUG-G-AG (internationale Verbreitung) oder die TECHNIK-G-GMBH (Strukturierung anhand der MatrixOrganisation). 20.1.1.2.1
Ablauforganisation
Bei den befragten Unternehmen liegen Unterschiede bei der Organisation von Abläufen vor (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 444), z.B. bei Entscheidungen. Die METALLWARENM-GMBH merkt an, dass Entscheidungswege in GU transparenter (weil hierarchisch – wie in der TECHNIK-G-GMBH) und effizienter gestaltet sind, als dies bei Mittelunternehmen der Fall ist. In MU, so die Aussage, müssen verschiedenste Personen mitentscheiden, was die Handlungen hinauszögert. Entscheidungen, Ziele, Erwartungen und Bedürfnisse aller Unternehmensangehörigen finden in MU eher Eingang in die Unternehmensstrategie als bei GU. Dem gegenüber steht die Aussagen von der KUNSTSTOFF-M-GMBH, die die Eigentümerführung lobten, da dadurch schnell Entscheidungen getroffen und diese sofort umgesetzt werden können. Projekte entstehen ganz rasch und aus einer Idee wachsend. Bürokratie (und damit auch Kommunikationsverluste) kann durch die oftmals einfachere Struktur vermieden werden. Diese klare Struktur in MU hat weitere Vorteile, wie Schnelligkeit und Flexibilität. (In der Literatur ist die Delegation in MU durch die geringere Anzahl an Mitarbeitern/innen beschränkt9 .) 20.1.1.2.2
Aufbauorganisation
Auch die Aufbauorganisation, z.B. in Form der horizontalen Differenzierung, charakterisiert Unternehmen (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 445). So wirken klassische Einliniensysteme (wie z.B. bei PAPIER-G-AG) mit ihren schnellen Entscheidungen anders als Matrixorganisationen (z.B. TECHNIK-G-GMBH), auch im Hinblick auf den SFAProzess. Matrixorganisationen unterstützen z.B. die Vision der Technologieführerschaft, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen zwischen Freiraum und Regelwerk schaffen (TECHNIK-G-GMBH). Mitarbeiter/innen sind konkret einem Fachbereich zugeordnet und gewinnen dadurch Sicherheit und einen „Heimathafen“, während sie gleichzeitig in temporären Projekten systemübergreifend zusammenarbeiten, ohne jedoch nach einem Projekt plötzlich „ohne Arbeit“ zu sein. Andererseits ist die komplexere Struktur durch Zeitverzögerungen geprägt. Ein Spartensystem mit Ausrichtung auf den Markt, wie in 8 Vgl. Steinmann und Schreyögg (2000, S. 406ff) im Sinne des Dualproblems der Organisationsgestaltung oder Formen der organisatorischen Arbeitsteilung. 9 Vgl. Vor- und Nachteile der Strukturtypen unter anderem in Hill et al. (1994, S. 212fft); Thompson und Strickland (1994, S. 106) und Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 446ff).
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
276
PAPIER-G-AG, hat wiederum andere Prozesse zur Folge. Es ermöglicht z.B. die Nähe zu Kunden/innen und fördert damit die Entdeckung von schwachen Signalen. Komplexere Systeme finden sich eher in GU. Aus der Befragung lassen sich jedoch keine einheitlichen Aussagen dazu treffen. 20.1.1.2.3
Flexibilität vs. Stabilität
Die vorherigen Ausführungen führen zum Dilemma Flexibilität vs. der Stabilität. Die größere Flexibilität und Schnelligkeit von MU ist vorteilhaft (KUNSTSTOFF-M-GMBH)10 . So spricht Mintzberg (1981, S. 107) von kleinen Organisationen mit organischen und flexiblen Strukturen, die auf Grund der geringeren Formalisierung, Kommunikations- und Informationswege, Koordinationsmechanismen (Greiner, 1998, S. 56) und der wenig strikt standardisierten Abläufe und Regeln viel schneller auf Veränderungen reagieren können. Große Unternehmen zeigen demgegenüber bürokratische Ausgestaltungen, hohe Legitimität und damit Stabilität. Bürokratie kann Innovationen verhindern, da längere Kommunikationswege und Kontrollwege hemmend wirken und zu ’inertia’ führen (Verlust an Flexibilität) (Day, 1994, S. 155; Chattopadhyay et al., 2001, S. 944). GU weisen oft gut geplante, formalisierte Prozesse und Methoden auf, die durch stabile Phasen und wiederholte Praxis entstanden sind. Tauchen vertraute Themen auf, können diese schneller erkannt und mit bewährten Abläufen und Methoden abgearbeitet werden. Greiner (1998, S. 58) spricht in seinem Wachstumsmodell die Kreativität bei kleinen Unternehmen an, die in der Folge durch Phasen der Kontrolle, Steuerung und Koordination abgelöst wird. Vermehrte Formalisierung (durch Wachstum) bringt Effizienzvorteile und ist oft wegen der Größe der Unternehmen nötig, wirkt sich allerdings nachteilig auf die Flexibilität aus (Gefahr der Trägheit) (Lauzen, 1995, S. 192). Flexibilität stellt bei Produktinnovationen bzw. bei der Chancenerkennung einen kritischen Erfolgsfaktor dar. 20.1.1.2.4
Zentralisierung vs. Dezentralisierung
Der Zentralisierungsgrad beschreibt die Konzentration bzw. Verteilung der Macht oder der Entscheidungsbefugnis in einem Unternehmen (Wally und Baum, 1994, S. 937; Blau, 1970). Dieser Organisationsaspekt spricht zwei Themengebiete an, jene der Schnittstellen und jene der Führungsfragen. Erhöhte Dezentralisierung benötigt höhere Schnittstellenkoordination. Der Zentralisierungsgrad schlägt sich auch auf die Art der Unternehmensführung nieder (Wally und Baum, 1994, S. 937) (vgl. Abschnitt „Besitzverhältnisse und Rechtsform“ auf Seite 278). In GU liegen eher Entwicklungen hin zur Dezentralisierung vor. Ist in kleinen Unternehmen der Eigentümer/die Eigentümerin meist die Spitze des Unternehmens und koordiniert die Abläufe durch direkte Führung (Zentralisierung) (Mintzberg, 1981, 10
Es bestehen möglicherweise keine Bürokratienachteile (Day, 1994, S. 155).
20.1. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER BEFRAGUNG
277
S. 107), bilden sich in großen Unternehmen oftmals Sparten bzw. Divisionen, die mit einer vermehrten Delegation an mittlere Führungskräfte verbunden ist (Dezentralisierung) (Greiner, 1998, S. 60 – Phase der Delegation). Damit geht auch die steigende Spezialisierung der Arbeiten einher (Mintzberg, 1981, S. 107; Greiner, 1998, S. 60). „The larger an organization, the more elaborate its structure; that is, the more specialized its jobs and units and the more developed its administrative components.“ (Mintzberg, 1979, S. 343). Ein Vorteil der Zentralisierung ist die direkte Involvierung der obersten Führungskraft in alle strategisch relevanten Tatbestände, und damit die vollständigere Informationsbasis und schnellere Reaktionsbereitschaft (hohe Effektivität bei zentralen Strukturen; (Crott, 1979, S. 98)). Dies kann andererseits zu einer Überflutung mit operativen Informationen führen. Dezentralisierung führt zur Aufteilung von Information und Macht, und schwächt damit unter Umständen die oberste Führungsebene. „A major organization structure question with regard to environmental forecasting and scanning is the appropriate division of such activities between corporate headquarter staff and divisional management.“ (Fahey et al., 1981, S. 36). Grundsätzliche Überlegungen zur Struktur und zum verbindenden Prozessschritt der Informationsweitergabe finden sich bei Rieser (1980, S. 140ff). Je größer ein Unternehmen, umso dezentraler ist die Struktur und umso mehr vereinzelte Entscheidungsinstanzen gibt es. In GU wird die Weitergabe auf Basis von Regeln („routing-rules“, d.h. wer darf mit wem über was reden und „filtering-rules“, d.h. Regeln über die Auswahl, Verdichtung und Auswertung von Informationen) stärker reguliert, standardisiert und organisiert. Verzögerungen und Verzerrungen können dabei die Folge sein. Je mehr Stufen eine Information überqueren muss um zum Entscheidungsträger zu gelangen, desto mehr Verzerrungen und Verdichtungen werden vorgenommen (Rieser, 1980, S. 142). „Informationen mit Chancencharakter werden tendenziell nur soweit weitergegeben, als der Einzelne glaubt, mit der Weitergabe seine persönlichen Ziele besser verwirklichen zu können.“ (Rieser, 1980, S. 143). Wettbewerbsdenken innerhalb der Unternehmen kann zu einer Reduktion der Kommunikation führen. Um diesen Verzögerungen und Verzerrungen vorzubeugen und die Kommunikation zu optimieren, wird versucht, die Abläufe zu standardisieren und zu legitimieren, und zwar mittels (scheinbar) nachvollziehbarer Analysen. Im Gegensatz dazu bedienen sich MU auf Grund ihrer kleinereren und lockereren Strukturen wenigerer Formalismen. Die Kommunikation verläuft größtenteils informal, situationsbezogen und als Ergebniss bestimmter, konkreter, wahrgenommener Ereignisse. Der Geschäftsführer/die Geschäftsführerin ist stark und direkt in das Tagesgeschäft einbezogen, nutzt mehr ihre Erfahrungen denn analytische Methoden und Auswertungsmechanismen. Dies führt laut Literatur zur Annahme, dass GU vermehrt Rationalität und MU mehr Intuition anwenden. Dies konnte in der Empirie nicht nachgewiesen werden. Trotzdem entsteht folgende Annahme:
278
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
O2: Strukturen (Ablauforganisation, Aufbauorganisation, Flexibilität/Stabilität, Dezentralisierung/Zentralisierung) beeinflussen den SFA-Prozess.
20.1.1.3
Besitzverhältnisse und Rechtsform
Die befragten Unternehmen sehen den „Entrepreneurial spirit“ durch den Eigentümer/die Eigentümerin, sowie die unmittelbare Teilnahme am Betriebsgeschehen als Vorteil von MU. Inhabergeführte Unternehmen sind stark von den Wahrnehmungen und Interpretationen der Eigentümerpersönlichkeiten geprägt und von diesen abhängig (Kropfberger, 1986). Dies lässt sich jedoch nicht nur auf MU beziehen, da einige GU auch in Familienbesitz sind (Mosakowski, 1998, S. 633). Aus der Empirie geht nicht hervor, ob sich AG oder GmbH grundlegend in ihren SFAProzessen unterscheiden. Das Selbe gilt für die Art der Besitzverhältnisse oder der Unternehmensführung (vgl. Abschnitt „Untersuchungsobjekte“ 10). O3: Die Rechtsform wirkt sich nicht auf den SFA-Prozess aus. O4: Die Besitzverhältnisse wirken sich nicht auf den SFA-Prozess aus. Wichtiger sind die Einstellungen der leitenden Personen zum SFA-Prozess und dessen Ausgestaltung. Diese wirken sich mittelbar oder unmittelbar auf die Wahrnehmung von schwachen Signalen, deren Interpretation und die Reaktion darauf aus. Dies ist bereits in der starken Involvierung der Geschäftsführung in der ersten Phase sichtbar. O5: Die Einstellungen der leitenden Personen wirken sich auf den SFA-Prozess aus.
20.1.1.4
Ziele, Strategie, Vision
Auch Strategien11 , Ziele12 und Visionen13 wurden von den Interviewpartner der beteiligten Unternehmen als Einflussfaktoren auf den SFA-Prozess genannt: „...ich würde das nicht an der Größe festmachen. Es gibt kleine Unternehmen, die Innovation ganz groß hinschreiben und es gibt große, die versäumen es. Das ist eine Frage, was ist die Philosophie der Firma, was ist die Strategie der Firma. Wie steht der Vorstand dahinter.“ (TEXTIL-G-GMBHa). Bei allen Unternehmen – wie bereits angesprochen – steht das Anstreben oder die Verteidigung der Innovations- und Technologieführerschaft im Mittelpunkt. Der Hauptfokus liegt oft auf den Kunden/innen bzw. der Bedürfniserfüllung dieser Zielgruppe. Dazu folgend einige Beispiele: 11
Vgl. Strategiedefinitionen z.B. in Mintzberg et al. (1998); Hax (1998). Ziele sind konkrete Beschreibungen dafür, was Personen oder Unternehmen erreichen wollen (Senge et al., 1994, S. 351). 13 Die Vision ist „ein Bild der Zukunft, die man gestalten möchte“ (Senge et al., 1994, S. 349) (vom lateinischen Wort „videre“, d.h. sehen) und dient der Orientierung und Zielsetzung. 12
20.1. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER BEFRAGUNG
279
• KUNSTSTOFF-M-GMBH will Technologieführer sein. Das Unternehmen hat einige Leitsätze: 1. will in Österreich Marktführer sein und benötigt dafür einen Vorsprung. 2. die Projekte müssen zum Markt und zur Firmengröße passen14 . 3. will kein Billiganbieter sein15 . Daher baut das Unternehmen auf seinen fortwährenden Innovationsvorsprung. Dabei wählt es bewusst einen Weg mit geringer Medienpräsenz. Alleine durch den Innovationspreis ist es in die Medien und die Öffentlichkeit gelangt: „Aber nur nicht auffallen“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) ist die Devise. Vor allem der vorherige Geschäftsführer vertrat diese Ansicht. Der neue Inhaber löst die starre Medienscheuheit etwas auf, „...aber trotzdem, wir sind nicht medienpräsent“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH). • ELEKTRO-M-GMBH änderte seine Ausrichtung gegenüber Projekten: waren sie früher von Kunden/innen getrieben und auftragsbezogen, so versucht das Unternehmen heute, den Standard selber vorzugeben und Innovationen vom Unternehmen heraus zu betreiben. Das Unternehmen ist Auftragsfertiger mit kleinen Losgrößen (Serienfertiger), „d.h. jedes Gerät, das bei uns im Haus gefertigt wird, ist einem Kunden zugeordnet.“ • METALLWAREN-M-GMBH versucht stetig, sich zu verbessern und einen Abgleich zwischen der Unternehmensstrategie und den Produkten zu finden, sowie die Alleinstellung am Markt beizubehalten. „Ich glaube, dass es eine Strategie ist, dass man sagt wo will ich hin,... sonst zersprageln wir uns in 1000 Ideen und keine denkt man fertig und das bringt nichts. Das muss man dann mit dem zu tun haben, wo auch die Firma in Sachen Strategie hingeht. Weil ein bisschen eine Alleinstellung sollte trotzdem dahinter stehen...“ (METALLWAREN-M-GMBH). • BAUTEIL-M-GMBH sieht sich als Nischenproduzent (damit mit kleinen Losgrößen) und bezeichnet dies auch als strategische Position des Unternehmens: „D.h. wir schauen speziell auf solche Sachen die einerseits technisch innovativ aber auch technisch schwer umsetzbar sind, weil wir gerade da mit dem Unternehmen relativ stark sind.“ (BAUTEIL-M-GMBH). Das bedeutet, dass das Unternehmen stark auf Innovation setzt. • MASCHINENBAU-G-GMBH ist im Sondermaschinenbau tätig und Auftragsfertiger, d.h. es orientiert sich an Kundenprojekten. MASCHINENBAU-G-GMBH ist Marktführer. Das Unternehmen hat eine sehr aktive innovative Ausgestaltung: „D.h. man ist sich einerseits schon sehr der Marktführerposition bewusst und sagt, «wir 14 „Wenn wir drauf kommen, das ist uns zu groß...dann greifen wir es nicht an. Oder es stellt sich heraus, dass wohl eine gute Idee ist aber der Markt zu...so nischenhaft, dass die Mindestgröße nicht erreichbar ist.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH) 15 „Also mit billig kann man nichts machen. Kann man sich nichts leisten, auch keine Flops...“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH)
280
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O) müssen aktiv an die Sache gehen...». Prinzipiell ist es so, dadurch dass wir in unserem Corebereich, also in unserem Kernbereich Marktführer sind, dass wir hier nicht reagieren, sondern agieren.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH). • FAHRZEUG-G-AG fertigt Sondermaße, versucht jedoch, so weit als möglich zu standardisieren. Auch dieses Unternehmen ist grundsätzlich Auftragsfertiger, produziert jedoch in mittelgroßen Serien. Prestigeprojekte werden nur ungern angenommen. Image, die Qualität sowie der hohe Stellenwert von Lieferanten/innen sind Schlüsselfaktoren und führten bisher zu großem Wachstum. • SYSTEM-G-AG strebt immer Verbesserungen an, mit einer starken Marktausrichtung und befindet sich im Hochpreissegment. • PAPIER-G-AG ist stark am Markt ausgerichtet und agiert sehr kundenorientiert.
Erkennbar sind zum einen die starken Marktausrichtungen, und damit die Konzentration auf Kunden/innen. Gerade Kunden/innen stoßen oft den SFA-Prozess an (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ 16.1.3.2 und „Umwelteinflüsse“ 21.1). Andererseits erfährt die Chancenerkennung in den betrachteten Unternehmen hohe Wichtigkeit, weil diese Unternehmen – unabhängig von der Unternehmensgröße und Branche – die Markt-16 , Technologie- oder Innovationsführerschaft17 innehaben, verteidigen oder anstreben. Die explizite oder implizite Unterstützung der SFA durch die Unternehmensstrategie, die Ziele oder die Visionen der Unternehmen trägt stark zum Erfolg der Chancenerkennungsprozesse bei. O6: Wenn der SFA-Prozess und dessen Aktivitäten direkt oder indirekt von der Unternehmensstrategie unterstützt werden (Markt-, Technologie-, Innovationsführerschaft), dann werden schwache Signale rechtzeitig erkannt und Chancen genutzt. Die oben angegebenen strategischen Ausrichtungen werden in den untersuchten Unternehmen entweder explizit in den Leitbildern, den Zielen und Visionen verankert oder implizit vorgelebt18 . So wird in der TECHNIK-G-GMBH die Technologieführerschaft im Unternehmensleitbild (Vision) beschrieben. Die SYSTEM-G-AG betont die Wichtigkeit einer durchgängig etablierten Marke und der damit verbundenen Werbemaßnahmen19 . Diese Leitbilder „gelten als die Bibel“, das „Gesetz“ für die Unternehmen (SYSTEM-GAG, TECHNIK-G-GMBH). Entscheidungen werden auf dieses Leitbild bezogen und sind damit legitimiert. Neue Mitarbeiter/innen werden bereits am Beginn mit diesem Leitbild 16
durch Bekanntheitsgrad oder Reputation „Ahm, da laufen bei uns immer die – wie soll man sagen – so wirklich innovative Projekte so nacheinander ab, oder teilweise parallel, gezielt. Dass man sich am Markt wieder neu positioniert, mit einem neuen Produkt wieder, mit mehr Innovation wieder auftritt.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 18 Im Unternehmen SYSTEM-G-AG z.B. werden die Innovationen gut unterstützt, auch wenn ein gewisses Risiko für einen Fehlschlag besteht, d.h. man ist sehr positiv gegenüber Innovationen im Unternehmen eingestellt. 19 Vgl. Zusammenhänge zwischen Strategie und Marketing in Walker et al. (1995); Kuß (2001); Meffert (2003). 17
20.1. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER BEFRAGUNG
281
vertraut gemacht: „Heuer werden es auch wieder mindestens 20 Neue, und alleine wenn ich dann jedes Jahr – wenn 50 Personen dazu kommen, diese 50 Personen auf diesen Geist, auf diesen Flow einzuschwören, das ist/wird sicher eine Herausforderung.“ (TECHNIKG-GMBH). O7: Wenn die Unternehmensstrategie (ausgerichtet auf Markt-, Technologie-, Innovationsführerschaft) von der Unternehmensspitze nach außen (durch Marke) oder nach innen (durch Vision, Leitbild) gelebt wird, dann werden schwache Signale rechtzeitig erkannt und Chancen genutzt. Auch externe Ziele, vorgegeben durch Muttergesellschaften oder Konzerne, verändern den Fokus der Unternehmen (z.B. in ELEKTRONIK-M-GMBH). Klar festgelegte Ziele sind förderliche Faktoren im SFA-Prozess (SYSTEM-G-AG) und ermöglichen ein rasches und gut orientiertes Handeln. Diese externen Ziele können sich positiv, aber auch negativ auf den SFA-Prozess auswirken. Eine wichtige Leistung der Unternehmen ist es, diese Ziele im Sinne der eigenen Ausrichtung zu übersetzen und anzupassen. 20.1.1.5
Kultur und Werte
Neben Ressourcen und Strategien bestimmt auch die Kultur, was gelebt wird und was nicht. BAUTEIL-M-GMBH nennt z.B. die Philosophie des Unternehmens als wichtigen Einflussfaktor auf den SFA-Prozess. Eine wesentliche Organisationsvariable ist somit die Einstellung und Vorbildwirkung des Top Managements. Es macht einen grundlegenden Unterschied, ob die Unternehmensspitze Innovation als „lästiges Anhängsel“ oder als Grundziel des Unternehmens ansieht. Es folgen einige Beispiele aus der Befragung: • In der KUNSTSTOFF-M-GMBH wird Innovation als sehr wichtig angesehen: „Das ist allen bewusst, vom Außendienst bis zur Geschäftsleitung. Das weiß jeder, dass das unsere Überlebenschance ist. Und das ist sozusagen, ja, ein Selbsterhaltungstrieb.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH). • In der PAPIER-G-AG richtet sich vieles nach dem Vorgesetzten (Vorbild), z.B. die organisatorische Ausgestaltung bzw. die Implementierung von Systemen. Das Unternehmen spricht sich für seine einzigartige Philosophie – die Innovationsführerschaft – aus. So ist es vom Unternehmen her erwünscht, Ideen zu sammeln und Zeit dafür einzusetzen. • Die TECHNIK-G-GMBH betont die Wichtigkeit einer gewachsenen Unternehmenskultur. Der Bereich „Entwicklung“ besitzt einen hohen Stellenwert im Unternehmen. • Auch in der TEXTIL-G-GMBH wird die Entwicklung (und die damit verbundenen Kosten) als notwendig und positiv angesehen. Sie hat damit in diesem Unternehmen ihre Existenzberechtigung.
282
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
Die Unternehmen sprechen im Zusammenhang mit dem SFA-Prozess häufig ihre Unternehmensphilosophien und deren Ausprägung im Unternehmen an. Ob deren Inhalte auch tatsächlich gelebt werden, hängt von der Unternehmenskultur ab. Diese beeinflusst die SFA-Prozesse stark. Daher sind zur Installation von SFA-Prozessen passende Unternehmenskulturen notwendig. O8: Wenn das Unternehmen eine Innovationskultur hat, dann führt dies zu erfolgreicheren SFA-Prozessen. Unternehmenskulturen definieren, wie in Unternehmen prinzipiell gehandelt werden soll, unter anderem auch, wie SFA-Prozesse ablaufen sollen. Sie können sehr positiv auf diese Prozesse einwirken und eventuell vorhandene Prozessschwächen (wie Kommunikationsbarrieren, Implementierungsschwächen,...) abschwächen: • In der PAPIER-G-AG wird der offene und informelle Austausch gefördert. Dies ermöglicht es, auf Grund der Unternehmensgröße, bestehende Kommunikationsbarrieren zu überbrücken. • Die TECHNIK-G-GMBH arbeitt derzeit an einem Strategiepapier mit der zentralen Frage „warum sind wir so, wie wir sind?“. Es sollen die implizite Innovationskultur und deren Werte verschriftlicht, analysiert und bewusst gemacht werden. In der TECHNIK-G-GMBH beruht die Innovationskultur auf persönlichen Gesprächen in Augenhöhe, ohne formelle Rahmenbedingungen. • Die TEXTIL-G-GMBH spricht von „spirit“ oder „Geist“ des Unternehmens: „Aber zum Schluss ist es auch Spirit, Spirit der Firma, von Menschen, die sagen „Hey, was könnte das Nächste sein?““ (TEXTIL-G-GMBHa). Es bedarf im Unternehmen Personen, die diesen ’spirit’ leben20 . Die Ausführungen zeigen, dass Kulturaspekte die formalen Richtlinien positiv ergänzen können. Vor allem Innovationen und kreative Ideen entstehen aus dem informellen und ungezwungenen Austausch zwischen den Parteien. In den Aussagen stecken ebenso Hinweise auf eine rationale oder intuitive Ausprägung der SFA-Prozesse, je nachdem welche Art von den Unternehmen als legitim angesehen werden. Es stellt sich heraus, dass in manchen Unternehmen neben der eher rationalen und formellen Prozessart Intuition (bewusst oder unbewusst) gefördert wird. O9: Die Unternehmenskultur hat Einfluss auf die Ausgestaltung des SFA-Prozesses (Pfadkategorien: rational/intuitiv). Unternehmenskulturen werden durch Werte ausgedrückt. Eine kurze Analyse der Werte der befragten Unternehmen gibt einen Einblick in das Wertegeflecht dieser Organisationen 20 „Die haben...die Augen offen.... ... wenn ich nicht Leute habe, die an eine Firma glauben, die mithelfen wollen, dass aus einer Firma etwas wird und wissen, da gehört Innovation dazu, dann kann ich super hinten bewerten und super Prozesse haben und es hilft nichts.“ (TEXTIL-G-GMBHa)
20.1. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER BEFRAGUNG
283
(die Schlagwörter befinden sich in Tabelle auf dieser Seite). Nicht überraschend, weisen viele Unternehmen Innovation in ihrem Leitbild aus, wobei Innovation selber oft nicht explizit als Wert niedergeschrieben ist. In allen Unternehmen taucht der Kunde/die Kundin in den Werten auf, z.B. in Hinblick auf Kundenorientierung oder die Beibehaltung oder Herstellung von Kundenzufriedenheit (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ auf Seite 181). Häufig finden sich auch die Mitarbeiter/innen im Wertebündel wieder. Sie sollen Selbstverantwortung übernehmen, sich durch hohe Kompetenz und Innovationskraft auszeichnen und durch Weiterbildung gefördert werden, langjährige Erfahrung aufweisen und über Talent, Kreativität und Engagement verfügen (vgl. Abschnitt „Interne Personen und Funktionen mit Einfluss“ auf Seite 219). Gängiges Thema ist die Umwelt und – damit zusammenhängend – der respektvolle Umfang mit Produkten. Immer häufiger wird das Schaffen langlebiger und nachhaltiger Produkte als Ziel genannt. Dies inkludiert auch den Wert der Qualität, welcher in fast allen Unternehmen vorzufinden ist.
Unt. Schlagworte MU1 Innovation, Umwelt (Verantwortung, Langlebigkeit), Qualität (Selbstverantwortung der Mitarbeiter), Sicherheit, Markt- und Kundenanforderungserfüllung, Kundenzufriedenheit MU2 Qualität, Selbstverantwortung der Mitarbeiter MU3 Kundenzufriedenheit, Qualität, Innovation, Umwelt, Verständnis zwischen den Altersgruppen (Arbeitsklima), soziales Engagement MU4 Kunden, Innovation, Qualität, Kontinuität, Partnerschaft mit Geschäftpartnern, hohe Kompetenz und Innovationskraft der Mitarbeiter, Sicherheit, Umwelt, Individualität MU5 GU1 Kundenorientierung, Innovation, Tradition, Flexibilität, Individualität, Synergien in F&E, Qualität, langjährige Erfahrung GU2 Qualität, Umweltschutz, Arbeitssicherheit, offene Dialoge, Eigenverantwortung der Mitarbeiter, Verantwortung gegenüber Kunden-Mitarbeitern-Gesellschaft-Umwelt, Langlebigkeit, Nachhaltigkeit, Qualität, Talent-Kreativität-Engagement der Mitarbeiter, positives Arbeitsund Betriebsklima, Mitarbeiter-Weiterentwicklung, individuelle Lösungen GU3 Team, Network, Vertrauen und Mut, Lösungen, Kunden, Qualität, Innovation GU4 Nachhaltigkeit, freundliche Arbeitsbedinungen, Umwelt, Qualität, faire Ressourcenverteilung-soziale Gerechtigkeit, Mitarbeiter GU5 Vertrauen, Loyalität, Ehrlichkeit, Offenheit, Innovation GU6 Zusammenarbeit, Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Nachhaltigkeit, Qualität, Freude am Erfolg, Respekt und Wertschätzung, wertschätzende Kommunikation und respektvoller Umgang, Mitarbeiter-Netzwerk, Know-how, Qualität, Innovation, Selbstständigkeit, Dynamik, Verlässlichkeit, Internationalität, Lieferanten/innen als Partner GU7 Kundenorientierung, Pioniergeist, Verantwortung, Problemlösungskompetenz, Unabhängigkeit, Netzwerk, Umwelt, Teams Tabelle 20.1: Wertegeflecht
284
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
In folgenden Teilaspekte unterscheiden sich jedoch die Unternehmen: Besonders sticht der Wert der „Wertschätzung zwischen den Altersgruppen“ in der METALLWARENM-GMBH hervor. Dieser Wert schafft das Verständnis zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern/innen (vgl. Abschnitt „Interne Personen und Funktionen mit Einfluss“ auf Seite 219). Die ELEKTRONIK-M-GMBH weist auf die Zusammenarbeit und Kooperation mit externen Unternehmen und Partnern/innen in (vgl. Abschnitt „Externe Partnerschaften“ auf Seite 311) oder das Netzwerk (vgl. Abschnitt „Umwelteinflüsse“ 21.1) hin. Der offene Dialog bzw. die Zusammenarbeit in Teams wird in der FAHRZEUG-G-AG, der TEXTIL-G-GMBH und der ENTWICKLUNGS-G-GMBH genannt (vgl. Abschnitte „Gruppen“ auf Seite 239 und „Kommunikation“ auf Seite 254). Die TEXTIL-G-GMBH nennt Lieferanten/innen bei seinen Werten. Die Befragungen zeigten einige zentrale Werte im Zusammenhang mit Produktinnovationen: Offenheit, Neugier und Vertrauen21 (PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTILG-GMBHa, TEXTIL-G-GMBHb). Darunter wird die Offenheit des Unternehmens gegenüber Neuem und dem kreativen Forschen sowie die Offenheit und Neugier der Individuen verstanden. Dafür werden von Unternehmensseite Freiräume bereitgestellt (TECHNIKG-GMBH). Oftmals ist ausschlaggebend, inwieweit die Themen bzw. Signale mit der vorherrschenden Unternehmenskultur zusammenhängen (Bansal, 2003, S. 520). Wenn also von einer SFA-kongruenten Unternehmenskultur gesprochen wird, dann inkludiert das unter anderem die Ausrichtung auf Werte wie Offenheit, Neugier und Freiraum (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator/in des SFA-Prozesses“ auf Seite 210). Dies impliziert nicht nur das Bestehen der Werte, z.B. in einer Niederschrift (dem Leitbild), sondern auch das Leben dieser Werte. O10: Wenn die SFA-kongruenten Werte (Offenheit, Neugier oder Freiraum) im Unternehmen gelebt werden, dann können Chancen rechtzeitig wahrgenommen und genutzt werden. Die Unternehmenskultur oder -philosophie, sowie die daraus abgeleiteten expliziten Regeln und Werte beeinflussen den Stellenwert der SFA im Unternehmen sowie dessen Ausgestaltung maßgeblich, d.h. wie Signale wahrgenommen und interpretiert werden und wie sich Lernprozesse gestalten (die drei Phasen des SFA-Prozesses). Daneben treten Unternehmensgrößenkriterien weit in den Hintergrund. O11: Kulturaspekte beeinflussen den SFA-Prozess stärker als die Größenunterschiede der Unternehmen. Werte verändern sich im Zeitablauf (Rosenstiel und Kardorff, 1990, S. 135; 144). So sind in der Gesellschaft gewisse Trends erkennbar, z.B. die Erhöhung des Wertes „Freizeit“ oder die stärkere Betonung der Selbstverwirklichung (Rosenstiel und Kardorff, 1990, S. 21 Im Sinne einer Fehlerkultur, d.h. Fehler sind erlaubt. Dies ist in Hinblick auf Innovationen sehr wichtig, um Ideen zeitnah umzusetzen und auf ihr Erfolgspotenzial zu überprüfen. Somit wird das Rad nicht immer wieder neu erfunden.
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR
285
135). In Unternehmen sind zwei Wege möglich, um den oftmals von außen angetriebenen Wertewandel zu gestalten: der passive Weg, z.B. durch Information und Kommunikation oder die Einstellung neuer und jüngerer Mitarbeiter/innen und der aktive Weg, d.h. die bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur, z.B. durch Anpassung der Personalpolitik, der Techniken und der Managementphilosophie (Rosenstiel und Kardorff, 1990, S. 147ff). In der SYSTEM-G-AG wird konkret die Veränderung der Firmenkultur angesprochen, indem dem Kunden/der Kundin genauer zugehört wird und begrenzte Ressourcen besser verwaltet werden – Themen, die vorher in der Kultur nicht gelebt wurden. Auch die TECHNIK-G-GMBH spricht Kultur- und Werteveränderungen an. So wird konkret an der Externalisierung der implizit gelebten Kultur gearbeitet. Anstoß ist das rasante Wachstum des Unternehmens22 und das Ziel, die erfolgreichen Werte auch in der Zukunft beibehalten zu können.
20.2
Organisationscharakteristika in der Literatur
„...it may be far more important to examine organizational level variables, such as culture, structure, or technology, that make some dimensions salient to individual decision-makers, while making others obscure or irrelevant... ...models of strategic issue diagnosis should include these contextual influences.“ (Dutton et al., 1989, S. 392) Der Organisationskontext – als institutioneller Ansatz (Sharma, 2000, S. 681) – wirkt auf den SFA-Prozess ein23 (Dutton und Duncan, 1987; Crossan und Sorrenti, 1997; Aretz, 1999): it „must account for how organizational goals, values, and resources factor into how decison-makers imbude issues with meaning“ (Dutton et al., 1989, S. 392). Bower (1970) betont z.B. den stukturellen Kontext: „...it shapes the purposive manager’s definition of business problems by directing, delimiting and coloring his focus and perception; it determines the priorities which the various demands on him are given. Structural context has this role because it is the principal way in which the purposive manager learns about the goals of the corporation.“ Auch Meyer (1982, S. 521) und Chattopadhyay et al. (2001, S. 938) unterscheiden Unternehmen und ihre Reaktionen bezüglich der Struktur, der Routinen, der Ideologie (Kultur) und der Ressourcen. 22 „Annahme war, bis 2018, wo man dann Mitarbeiteranzahl 4-5-600 Personen sein kann. Und dahin zu überlegen, wie muss die Entwicklung aufgestellt sein, organisatorisch und auch von der Personalkultur, von den Prozessen, von den Methoden, von den Nahtstellen, Vereinbarungen, Innovation-Technologie, wie muss das aussehen, welche Werte brauchen wir da, damit wir dann noch so erfolgreich sind wie jetzt. Und damit wir uns das bewahren können.“ (TECHNIK-G-GMBH) 23 „...organizational factors affect how strategic issues are diagnosed“ (Dutton und Duncan, 1987, S. 289) und damit den SFA-Prozess (vgl. Crossan und Sorrenti, 1997, S. 173). Yasai-Ardekani und Nystrom (1996, S. 187) weisen z.B. darauf hin, dass Beobachtungsdesigns, also Scanning oder Monitoring, mit dem vorliegen Kontext für eine erfolgreiche Durchführung abgestimmt sein müssen.
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
286
O1, O2, O6, O9 bestätigt: Organisationale Faktoren (Strategie, Struktur, Kultur, Ressourcen,...) beeinflussen den SFA-Prozess.
20.2.1
Bedeutung der Organisationsvariablen auf den SFA-Prozess
Die Auswirkung von Strukturen, Besitzverhältnissen, Ressourcen, Strategien, Zielen, Visionen, Kulturen, Identitäten und Werten werden in den folgenden Abschnitten anhand von Literatureinsichten behandelt. 20.2.1.1
Struktur24
Ausgangspunkt für die Organisationsvariablen stellen Strukturen, als „zentrales Instrument der Unternehmenssteuerung“, dar (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 401). Aretz (1999, S. 44) versteht ein Unternehmen als Interaktion zwischen Akteuren, die bewusst oder unbewusst Struktur produzieren oder reproduzieren und damit Systeme durch Praktiken, Codes und Handlungsprinzipien schaffen, die diese von der Umwelt abgrenzen. Strukturen ermöglichen es, die Umweltkomplexität zu systematisieren und zu reduzieren, indem Umweltinformationen „gefiltert, interpretiert und in spezifischer Form weiterverarbeitet werden“ (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 401). Die Organisationsstruktur bezeichnet „eine durch Regeln geschaffene Ordnung eines sozialen Systems“(Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 403). Merkmale einer Organisationsstrukur beziehen sich unter anderem auf Alter und Größe der Organisation, Entwicklungsstadium, Rechtsform, Eigentumsverhältnisse, Leistungsprogramm uvw.. Strukturen beeinflussen den SFA-Prozess (Aretz, 1999, S. 45): „Daß auch die Organisationsstruktur eine entscheidende Rolle spielt, sei als weiterer Aspekt genannt. Es ist bekannt, wie rein funktionale Organisationen (besonders in Großunternehmen) jeden Versuch der Innovation mit ihrer Bürokratie und ihrem Ressortegoismus im Keim ersticken können. Auch die Profit-Center-Organisation kann zu solchen Effekten führen.“ (Trux et al., 1988, S. 330). O2 bestätigt: Strukturen beeinflussen den SFA-Prozess. 20.2.1.1.1
Struktur und Umwelt
Viele Quellen zeigen auf, dass für komplexe und unsichere Umwelten organische Unternehmensstrukturen von Vorteil sind, in stabilen Umwelten hingegen mechanische Unternehmensstrukture25 (in Bourgeois III et al., 1978, S. 508). Allerdings entwickeln Bourgeois III 24 Der kausale Zusammenhang zwischen Struktur und Unternehmensgröße wird nicht untersucht. Er widerspricht sich in der Literartur, vgl. z.B. Kimberly (1976). 25 Diese Argumentation bezieht sich auch auf Ausführungen im Sinne der natürlichen Selektion, vgl. Keats und O’Neill (2001, S. 529), d.h. Organisationen werden bezüglich ihres Auftrittes in der Umwelt bewertet. Dies bezieht sich auch auf Alter und Größe der Organisation. Die Autoren beschreiben die Nachteile mit „liability of newness“, „liability of smallness“, „liability of adolescence“, „liability of aging“. Dies bedeutet, dass junge Organisationen angreifbar sind und eine höhere Fehlerrate aufweisen. Größere
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR
287
et al. (1978) eine gegenteilige Hypothese, nämlich dass unsichere Umwelten mechanistische Ausprägungen in Unternehmen erzeugen (Bourgeois III et al., 1978, S. 508). Nicht nur die Umwelt kann auf die Organisation einwirken, genau die gegenteilige Einflussrichtung ist ebenfalls möglich, d.h. die Organisation erschafft sich ihre Umwelt (vgl. die Diskussion der ’enacted environment’ in Abschnitt „Umweltverständnis“ auf Seite 65). Diese Fragen waren nicht unmittelbar Thema der vorliegenden Arbeit und werden hier nicht weiter verfolgt. Unabhängig von dieser Diskussion kann festgehalten werden, dass „there is a compelling argument for reciprocal causation between environmental uncertainty and organizational structure.“ (Bourgeois III et al., 1978, S. 513) (vgl. Ausführungen im Abschnitt „Einflüsse aus der Umwelt“ auf Seite 298). Neu: Die Umwelt wirkt sich auf die Unternehmen und ihre Strukturen aus und umgekehrt. Dies hat Einfluss auf die SFA-Prozesse. Die Einflüsse auf Produktinnovationen können positiv oder negativ sein.
20.2.1.1.2
Struktur und Strategie
Struktur steht nicht nur in einer Wechselwirkung mit Umweltfaktoren, sondern auch innerhalb des Unternehmens, z.B. mit Strategieaspekten. Die Struktur- und Strategiedebatte wurde ausführlich in der Literatur behandelt, sehr oft mit der Frage: folgt Strategie der Struktur oder umgekehrt? (vgl. z.B. Keats und O’Neill, 2001). Meyer (1982, S. 528) kommt zu dem Schluss, dass innovative Unternehmen mit weit gesteckten Grenzen und großer Aufmerksamkeit gegenüber ihrer Umwelt Signale besser erkennen als andere Unternehmen. Die strategische Ausrichtung hin zu Technologie- oder Innovationsführerschaft – wie sie auch in der Befragung häufig beschrieben wurde – begünstigt bestimmte Strukturausrichtungen, vor allem hin zu erhöhter Flexibilität. Damit lenken die gewählten Unternehmensstrategien, Ziele und Visionen, die SFA-Prozesse. Formalisierte Arbeit und zentrale Entscheidungen wirken der SFA entgegen (Meyer, 1982, S. 528). Neu (bzw. O6, O7): Wenn ein Unternehmen SFA betreibt, dann wirken Struktur und Strategie wechselseitig auf den Prozess ein. Neu (bzw. O6, O7): Je kongruenter die Strategie und die Struktur auf Innovation ausgerichtet ist, umso rechtzeitiger können schwache Signal erkannt und genutzt werden.
Unternehmen haben mehr Legitimität, weshalb die Umwelt eher diese Unternehmen bevorzugt. ’Liability of adolescence’ bezieht sich auf das ’Icarus paradoxon’ (Miller, 1992) oder ’strategic drift’ (Johnson et al., 2008). D.h. Unternehmen übersehen durch ihre Ressourcenbasis, sich stetig weiter zu entwickeln. Letzteres bezieht ’intertia“ mit ein und die Tendenz der Unternehmen, den Status Quo zu erhalten.
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
288 20.2.1.2
Besitzverhältnisse und Rechtsform
Wie Pfohl (1997a, S. 19ff) und Kahle (1992, S. 1414) sehen auch die befragten Unternehmen den „Entrepreneurial spirit“ 26 durch den Eigentümer/die Eigentümerin, sowie die unmittelbare Teilnahme am Betriebsgeschehen als Vorteil von MU27 . Inhabergeführte Unternehmen sind stark von den Wahrnehmungen und Interpretationen der Eigentümerpersönlichkeiten geprägt und von diesenabhängig (Kropfberger, 1986) (vgl. Abschnitt „Untersuchungsobjekte“ 10)28 . Ist das Unternehmen in Besitz einer Familie bzw. sind die Eigentümer/innen stark präsent, dann steuern diese den SFA-Prozess maßgeblich. Befindet sich das Unternehmen im Streubesitz (AG), wirken Geschäftsleitung und Manager/innen stärker auf das Unternehmen ein. Hauptaktionäre (und Muttergesellschaften) üben einen starken Einfluss auf die Gestaltung von SFA-Prozessen aus. O3 und O4 widerlegt, O5 bestätigt: Je nachdem ob das Unternehmen in Familienbesitz oder als AG in Streubesitz ist, die Eigentümer/innen stark präsent sind oder das Unternehmen in den Händen einer größeren Gruppe ist, dann beeinflussen andere Personen und deren Zugang zur SFA den SFA-Prozess. 20.2.1.3
Ressourcen
„...institutional, resource dependence, and resource-based factors affect(ed) organizational cognition.“ (Julian et al., 2008, S. 975) „....an organization’s resource dependencies may be a significant determinant of how environmental changes are interpreted...“ (Milliken, 1990, S. 59) Eine wichtige Unterscheidung in der Literatur zwischen GU und MU ist die Quantität (und Qualität) der Ressourcenbasis. Ressourcen und deren Verfügbarkeit beeinflussen den SFA-Prozess. Neben der Wichtigkeit, die die Mitarbeiter/innen schwachen Signalen zuschreiben, üben auch Zeit- und Ressourcenüberlegungen bzw. -engpässe Druck auf die Prozesse der Signalerkennung und -nutzung aus (Pineda et al., 1998, S. 61). Allgemein definiert Barney (1991, S. 101) eine Ressource als „all assets, capabilities, organizational processes, firm attributes, information, knowledge etc. controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve its efficiency and effectiveness (...). In language of traditional strategic analysis, firm resources are strengths 26 Füglistaller (2008, S. 29) definiert Entrepreneure/innen als jene Personen, die ständig auf der Suche nach Chancen sind und hohe Risikobereitschaft sowie Wachstumsorientierung aufweisen („entrepreneurial spirit“). 27 „With individual entrepreneurial resources, decision initiation and ratification will be combined and conducted by the possessors of these resources.“ (Mosakowski, 1998, S. 633) 28 Wie jede Stärke kann auch dieses Charakteristikum zu einer Schwäche werden („Icarus Paradoxon“; Miller, 1992). Die Konzentration auf eine Person kann möglicherweise zu einem engen Fokus und damit auch zu Überlastungen führen, bzw. es können Dinge übersehen werden. Die Führungsspitze kann im Extremfall unabkömmlich sein.
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR
289
that firms can use to conceive of and implement their strategies.” Nach Müller-Stewens und Lechner (2005) bedarf es einer Vielzahl an Ressourcen, damit ein Unternehmen Wert schöpfen kann. Die Autoren differenzieren dabei vier grundsätzliche Ressourcenarten: • Hardware (Maschinen, Rohstoffe, Gebäude,. . . ) • Kapital • Mitarbeiter/innen • Software (Managementsysteme, Systeme, Strukturen, Prozeduren, Kompetenzen, Informationen, Wissen, Werte, Einstellungen, Interessen,. . . )29 (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 437).30 Fast alle Unternehmen (bis auf die ENTWICKLUNGS-G-GMBH) nennen alle vier Ressourcenarten als Organisationsvariablen: Mitarbeiter/innen und Software (im Sinne von Systemen und Strukturen bzw. Kompetenzen) werden häufig angeführt, gefolgt von Kapital. Die Thematik der Ressource hängt eng mit der Unternehmensgröße zusammen: steigt die Unternehmensgröße, so steigt grundsätzlich auch der Ressourcenanteil. Konnte ein Unternehmen durch erfolgreiche Entwicklung einen Ressourcenpolster aufbauen, ist es den Managern/innen möglich, strategische Entscheidungen hinauszuzögen und mit bereitstehenden Ressourcen zu verharmlosen („fat cat syndrome“, „illusion of invulnerability“; (Dutton und Duncan, 1987, S. 290f)). Besitzt ein Unternehmen hingegen eine schmale Ressourcenbasis, so werden Alternativen nicht wahrgenommen bzw. können Aktionen nicht gesetzt werden („resource shortage“; (Dutton und Duncan, 1987, S. 291)). Die Thematik der Ressourcen im Zusammenhang mit der SFA ist vor allem in Hinblick auf intangible Ressourcen bzw. sogenannte ’slack ressources’ interessant.
20.2.1.3.1
Intangible Ressourcen (Wissen)
Intangible Ressourcen (vgl. z.B. Johnson et al., 2005, S. 117; (Hall, 1993, S. 607)), wie Information, Wissen oder der Ruf des Unternehmens (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 460ff; Hamel und Prahalad, 1996, S. 241; Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 465) sind im SFA-Prozess wichtig. Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 463) nennen intangibles Wisse „der Organisation nicht zugängliches, individuelles Wissen“. Die PAPIER-G-AG merkt an, dass das Wissen oft ungewollt abwandert bzw. beim Ausscheiden eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin für immer verloren geht. Hier spielt die Frage der Wissenslokalisierung eine Rolle (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 462) (Wissen definieren und orten). 29
Strukturen und Systeme werden in dieser Arbeit aus den Ressourcen ausgegliedert. Andere Autoren/innen unterteilen in physisch/technische, finanzielle, „menschlich/humane“ Ressourcen und intellektuelles Kapital (Johnson et al., 2005, S. 118). 30
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
290
Die beiden Autoren Nonaka und Takeuchi (1997, S. 69) unterscheiden grundsätzlich zwei Wissensarten: „explizites“ und „implizites“ Wissen (auch „tacit knowledge“ (Nonaka, 1991, S. 98)). Ersteres beschreibt objektives Wissen, und beinhaltet Verstandswissen (Geist), sequentielles Wissen und digitales Wissen (d.h. Theorie). Implizites Wissen hat einen subjektiven Charakter und enthält Komponenten wie Erfahrungswissen, gleichzeitiges Wissen oder analoges Wissen (d.h. Praxis). „Implizites Wissen ist persönlich, kontextspezifisch und daher nur schwer kommunizierbar. Explizites Wissen hingegen lässt sich in formaler, systemischer Sprache weitergeben.“(Nonaka und Takeuchi, 1997, S. 72). Wichtig ist, das wertvolle implizite Wissen auch an andere weiterzugeben und explizit und verständlich, also „lernbar“, zu machen. Dabei wird zwischen vier verschiedenen Formen der Wissensweitergabe unterschieden (Nonaka, 1991, S. 98f):
• Sozialisation (von implizit zu implizit) • Externalisation (von implizit zu explizit) • Kombination (von explizit zu explizit) • Internalisation (von explizit zu implizit)31 .
Jede der vier Formen ist alleine nur ein Teil der Wissensbeschaffung und -weitergabe. Durch das Zusammenwirken der zwei Wissensarten entsteht ein effektives Instrument für Innovationen und Lernen. Das Zusammenwirken von implizitem und explizitem Wissen ermöglicht die Schaffung von Neuerfindungen. Zusätzlich überlegen die Autoren ein „Kontinuum zunehmender Kollektivität“ in das Modell zu integrieren (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 473). Dies bedeutet, dass die Generierung neuen Wissens beim Individuum beginnt, dann die Gruppe betrifft, schließlich auf die gesamte Organisation übergreift und sogar Organisationskollektive oder Netzwerke beinhalten kann. Idealtypisch ist also der „Ausgangspunkt der Spiralprozesse [. . . ] das implizite Wissen eines Organisationsmitgliedes, Endpunkt die kollektive Internalisierung“ (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 473). Das Vorhandensein von implizitem Wissen, dessen Aufbau, Ausbreitung und Erhalt sind essentiell im SFA-Prozess. Es ermöglicht kreative Vorgänge, Innovationen und den Einsatz von Intuition. Je mehr von dieser Ressource vorhanden ist, umso eher und schneller können Chancen wahrgenommen und genutzt werden (Eisenhardt, 1989b). O1 bestätigt: Implizites Wissen wirkt positiv auf den SFA-Prozess ein. 31
Vgl. das Beispiel der „Brotbackmaschine“ in Nonaka und Takeuchi (1997).
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR 20.2.1.3.2
291
’Slack resources’32
Neben allgemeinen Ressourcenkategorien bietet die besondere Form von „slack resources“ 33 einen anderen Erklärungsansatz für Einflüsse auf den SFA-Prozess und das Verhalten der Unternehmensmitglieder (Bourgeois III, 1981, S. 29). „Slack resources are important in providing organizations capabilities to act in ways that are not possible for other organizations poorer in resources.“ (Chattopadhyay et al., 2001, S. 940). Sie stellt eine „ability to adapt to dramatic shifts or discontiuities in the environment“ (Bourgeois III, 1981, S. 29) dar. Weiters ermöglicht diese Ressourcenart, mit Neuem zu experimentieren: „to experiment with new postures“ (z.B. Produktinnovationen) (Bourgeois III, 1981, S. 31). ’Slack ressources’ sind jene Ressourcen, die ungebraucht im Unternehmen liegen und als Puffer oder Polster bei z.B. großen Umbrüchen dienen können (Sharma, 2000, S. 685). Zusätzlich öffnen sie die Türen für Experimente und kreatives Denken (Bourgeois III, 1981, S. 35). D.h. ’slack resources’ ermöglichen es, dass sich Unternehmen der Umwelt anpassen („spare resources“) und gleichzeitig aktiv Wandel zu initiieren (z.B. Innovation). Somit helfen sie über schlechte Zeiten hinweg und nutzen gute Zeiten aus (Bourgeois III, 1981, S. 30). Sie dienen z.B. dazu, den nötigen Freiraum für Innovatoren/innen zu schafffen (vgl. Abschnitt „Innovator/in: Initiator/in des SFA-Prozesses“ auf Seite 210) oder die Ideen für die Innovationen vor größeren Investitionen durch Experimente und Prototypen zu testen. Dies fördert beide Prozessarten: rational (Experimente, Methoden,...) und intuitiv (Kreativität, Freiraum,...). Neu: Wenn ’slack resources’ im Unternehmen vorhanden sind, dann können Experimente (Rationalität) und kreatives Denken (Intuition) gefördert werden, welche den SFA-Prozess positiv beeinflussen. ’Slack ressourcen’ ermöglichen es, kleine Schwankungen auszugleichen und schnell reagieren zu können. Sie stehen somit auch für größere Flexibilität (Chattopadhyay et al., 2001, S. 942). Sie können jedoch auch nötige Veränderungen verdecken und hinauszögern. Nohria und Gulati (1996) greifen die Thematik der Vor- und Nachteile dieser Ressourcenart auf. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine umgekehrte U-Beziehung zwischen ’slack resources’ und Innovation besteht: zu viel davon reduziert die Disziplin bei der Durchführung von Innovationsprojekten und wirkt sich negativ aus, zu wenig verhindert das Experimentieren. Damit ist eine mittlere ’slack resource’-Basis am erfolgreichsten, obwohl unklar ist, wie diese gemessen oder an das Unternehmen angepasst werden kann. Bourgeois III (1981, S. 31ff) weist dem Konzept der ’slack resources’ vier grundsätzliche Aufgaben zu: 32
Definitionen vgl. Bourgeois III (1981, S. 30). „Organizational slack is that cushion of actual or potential resources which allows an organization to adapt successfully to internal pressures for adjustment or to external pressures for change in policy, as well as to initiate changes in strategy with respect to the external environment.“(Bourgeois III, 1981, S. 30) 33
292
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
1. Anreiz bzw. Beeinflussung, um Personen im System zu halten 2. Ressource mit Konfliktlösungspotenzial 3. Puffer im Arbeitsprozess 4. Unterstützer von speziellen Strategien und kreativem Verhalten
20.2.1.4
Strategie, Ziele und Vision
Nach Bower (1970), Burgelman (1983) und Noda und Bower (1996) spielen sowohl strukturelle wie auch strategische Aspekte eine wichtige Rolle auf organisationaler Ebene. „The prevailing strategy of an organization will cause certain variables or their relationships to go unnoticed, to be ignored, or to be emphasized by top management.“ (Thomas et al., 1993, S. 290). Im Sinne der Unternehmensklassifikation von Miles und Snow (1986) weisen ’Prospectors’ andere Charakteristika und Verhaltensweisen auf als ’Defenders’. Die Strategie stellt – den Literaturaussagen folgend – einen Rahmen dar, der Signale filtert und das Verständnis der Umwelt und der ’strategic issues’ leitet. Auch Snow (1976, S. 252) weist darauf hin, dass die Unternehmensstrategie die Wahrnehmung von Personen beeinflusst – und somit den SFA-Prozess: „...the perceptions of individual managers are ’filtered’ through the organization’s strategy for responding to the environment.“ Strategiekonforme Signale werden eher aufgenommen als strategiekonfliktäre (Thomas und McDaniel, 1990, S. 292). Strategien beeinflussen die Aufmerksamkeit der Personen im Sinne der Beobachtung sowie der Interpretation (vgl. Abschnitt „Struktur und Strategie“ auf Seite 287). Auch in der Literatur wird dies bestätigt (Ginsberg und Venkatraman, 1992, S. 40; Gioia und Thomas, 1996, S. 371; Chattopadhyay et al., 2001, S. 940). Die Unternehmensstrategie (z.B. die Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens (Thomas et al., 1994, S. 1259)) legt unter anderem die Tiefe der Beobachtung fest, den Beobachtungsbereich, und die Bedeutung der Informationen für das Unternehmen. Die Strategietypen von Miles und Snow (1986) kann man mit dem SFA-Prozess verbinden. Das Hauptaugenmerk liegt auf den beiden Typen ’Prospector’ und ’Defender’ und dem unternehmerischen Problem (neben der technischen und administrativen Frage). ’Prospector’ sind stark auf das Finden und Ausnutzen von Neuem (sowohl bei Märkten als auch bei Produkten wollen sie Erstanbieter sein) ausgerichtet, während ’Defender’ versuchen, Bestehendes beizubehalten und effizienter zu nutzen. ’Prospector’-Unternehmen agieren in einem breiten Tätigkeitsfeld und befassen sich mit kontinuierlicher Entwicklung und dem teilweise nötigen Rückzug. ’Defender’ hingegen versuchen Entwicklungen außerhalb der Unternehmensgrenzen zu ignorieren bzw. sehen ihre Position und die Umwelt als stabil an. ’Prospectors’ (’domain offense’) weisen im Gegensatz zu ’Defender’ (’domain defense’)
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR
293
mehr Diversität und Komplexität (in der Umwelt und der Unternehmung) auf, behandeln somit auch mehr ’issues’ und schwache Signale. Hambrick (1982, S. 167) stellt keine Beobachtungsunterschiede zwischen ’Prospector’und ’Defender’-Unternehmen fest, d.h. keine Unterschiede in der Quantität ihrer Scanningaktivitäten. Unterschiede sieht Hambrick (1982, S. 167) jedoch im Umgang mit diesen Informationen. ’Prospector’-Unternehmen sehen in der Studie von Thomas und McDaniel (1990, S. 292) ’issues’ als kontrollierbarer an. Meyer (1982, S. 528) unterscheidet bei der Strategie in Unternehmen mit einer engen Domäne und Unternehmen, die offen und diversifiziert verschiedene Bereiche beobachten. Nach Meyer (1982, S. 528) haben diese diversifizierten Unternehmen (wie ’Prospector’-Unternehmen) eher spezialisierte Subeinheiten, die sich auf Umweltbereiche konzentrieren und damit vermehrt Methoden anwenden. Konservative Strategien (im Sinne von ’Defender’) z.B. veranlassen ein Unternehmen dazu, engere Umweltbereiche zu erfassen und damit schwache Signale zu übersehen (Meyer, 1982). Unternehmen mit ’entrepreneurial’ Strategien hingegen nehmen viele detaillierte Signale wahr, da auf Grund der Strategieausrichtung bereits eine geringe Anzahl an Umweltsektoren genau betrachtet werden. Diversifizierte Unternehmen rüsten sich gut gegen unvorhersehbare Umweltumbrüche, da eine breite Basis beobachtet wird. Neu (bzw. O6, O7): Je diversifizierter die Strategien im Unternehmen sind (entrepreneurial, Prospector), desto früher werden schwache Signale wahrgenommen. Je konservativer (Defender) die Strategien im Unternehmen sind, desto später werden schwache Signale erkannt. Alle befragten Unternehmen weisen eine starke Innovationsbereitschaft. Sie lassen sich in das Schema des ’Prospector’-Unternehmens einteilen (Miles und Snow, 1986)34 . Ein wichtiges Kriterium ist – sowohl in GU als auch in MU – die Frage der Sonderanfertigungen und Speziallösungen für Kunden/innen. So basieren die meisten Innovationen auf Kundenaufträgen. Eng damit zusammenhängend sind Nischenaspekte. In mehreren Studien konnte belegt werden, dass Klein- und Mittelunternehmen in Deutschland in ca. zwei Drittel bis drei Viertel aller Fälle eine Nischenstrategie verfolgen (Pfohl, 2006, S. 102). Es wird angenommen, dass aufgrund der ähnlichen Struktur der Unternehmenslandschaft in Österreich diese Tendenz ebenfalls vorherrscht. Durch die Beschränkung auf bestimmte Abnehmergruppen, eine enge Produktlinie oder einen regionalen Markt innerhalb einer Branche kann sich das Unternehmen spezialisieren. Deshalb wird die Nischenstrategie auch Spezialisierungsstrategie genannt. Diese beruht auf der Annahme, dass es einem Unternehmen besser möglich ist, ein begrenztes strategisches Ziel zu erreichen als die Konkurrenz, welche versucht den gesamten Markt abzudecken. Der Nischenaspekt ist nicht auf (K)MU beschränkt, sondern lässt sich auch auf GU ausdehnen. Die Vorteile der Nischenstrategie bestehen darin, dass gezielt auf die Bedürfnis34 Es wird, wie bereits oben angemerkt, nur auf das unternehmerische Problem Bezug genommen und weniger auf technische oder administrative Aspekte der Typologie eingegangen.
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
294
se eines Marktsegmentes eingegangen werde kann. Eine Differenzierung zur Konkurrenz erfolgt über die hohe Einzelkundenorientierung. Dabei werden neue Leistungen angeboten, und eine hohe Flexibilität im Bezug auf spezifische Kundenwünsche wird angestrebt (Lynch, 2000, S. 61). Gerade für MU (in Hinblick auf ihre begrenzte Ressourcenbasis) ist die Nischenstrategie vorteilhaft. Der Vorteil gegenüber größeren Konkurrenten/innen liegt in der Möglichkeit, spezielle Angebote für die Nische zu erbringen, welche aus KnowHow Gründen oder aufgrund eines zu geringen Absatzpotenzials für die großen Anbieter unattraktiv erscheinen. Aufgrund der geringen Anzahl der Anbieter in Nischen wird es möglich, eine relativ starke Position in Verbindung mit hohem Marktanteil aufzubauen (Pfohl, 2006, S. 102f)35 . Aber auch GU nutzen die Vorteile von Speziallösungen für Kunden/innen, um z.B. die geringere Preissensivität der Nachfrager auszunutzen (Berndt et al., 2005, S. 200f). Da die Nische spezielle Leistungen für die Nachfragenden anbietet, sind diese bereit, höhere Preise zu bezahlen, wodurch sich für die Unternehmen höhere Gewinnpotenziale ergeben. Nischenstrategien wirken sich positiv auf das Erkennen von Chancen aus. Unternehmen können sich besser an Kundenbedürfnissen ausrichten. Durch einen engeren Fokus werden gleichzeitig Entwicklungen in anderen Bereichen übersehen. Dies spricht gegen eine Nischenstrategie. Allerdings ging aus der Empirie hervor, dass eine wichtige – wenn nicht die wichtigste – Quelle schwacher Signale der Fokus auf Kunden/innen ist und die Konzentration für österreichische Produktionsunternehmen für den SFA-Prozess essentiell ist (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ auf Seite 181). Neu: Wenn Unternehmen eine Nischenstrategie verfolgen, dann nehmen sie eher schwache Signale wahr und nutzen diese. 20.2.1.5
Kultur, Philosophie, Identität und Werte „Research suggests that intuition flourishes only if it is valued in an orga-
nization.“ (Burke und Miller, 1999, S. 96) „Organizations will not respond to issues ... if there is no congruence with organizational values.“ (Bansal, 2003, S 521) „...at the organizational level of analysis,... values are more relevant.“ (Bansal, 2003, S. 519) Ein nächster Block widmet sich der Kultur (die nach Hall (1993, S. 616) eine implizite Ressource eines Unternehmens ist), der Philosophie und den Werten von Unternehmen (der Unternehmenskultur). Autoren/innen (z.B. Dutton und Duncan, 1987, S. 289; Bansal, 2003, S. 519; Dutton und Jackson, 1987, S. 77; Sharma et al., 1999, S. 102), die sich 35 Für weitere Vorteile siehe z.B. Berndt et al. (2005, S. 200f); Danner (2003, S. 76) bzw. für Nachteile Danner (2003, S. 77); Uhe (2002, S. 35); Hungenberg (2004, S. 229f).
20.2. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA IN DER LITERATUR
295
mit ’strategic issue management’ oder Produktinnovationen (Dougherty, 1992, S. 179) und Strategischer Frühaufklärung beschäftigen, benennen Überzeugungen, Unternehmensidentität und Werte als wichtige Variablen im Prozess. Kultur ist nach Schein (1996, S. 229) „shared norms, values, and assumptions – in how organizations function“ 36 . Unternehmenskultur „ist die Gesamtheit der tradierten, wandelbaren, zeitspezifischen, jedoch über Symbole erfahrbaren und erlernbaren Wertvorstellungen, Denkhaltungen und Normen, die das Verhalten aller Mitarbeiter/innen und das Erscheinungsbild der Unternehmung (Corporate Identity) prägen“ (Krulis-Randa, 1990, S. 4) und ist ein „Verhaltensmuster von Werten und Normen“ (Krulis-Randa, 1990, S. 11). Johnson et al. (2005, S. 200) definieren Kultur anhand eines Schalenmodells. Im innersten Kern befindet sich das Paradigma (’taken-for-granted-assumption’), welches durch Verhalten (’behaviours’), Meinungen und Überzeugungen (’beliefs’), und im äußersten Ring durch Werte (’values’) zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Abbildung 20.1). Auch Rosenstiel und Kardorff (1990, S. 131) legen die Werte in den Mittelpunkt des Begriffes Unternehmenskultur und begreifen sie „auf hohem Abstraktionsniveau“. Werte können in konkreten Situationen zu „handlungsleitenden gegenstandsbezogenen Einstellungen“ werden (Rosenstiel und Kardorff, 1990, S. 132).
Abbildung 20.1: Schalenmodell der Kultur Unternehmenskultur (oder kurz in dieser Arbeit Kultur) beeinflusst Unternehmensstruktur, Identität und Strategie und damit alle Phasen des SFA-Prozesses: wie und welche Themen erkannt werden, wie sie interpretiert und analysiert werden und zu welchen Aktionen die Unternehmung schließlich gelangt (Dutton et al., 1997; Thomas et al., 1994; Bansal, 2003; Cooper, 2002): „The similarity between strategy and culture arises from 36 „Organizational culture is the pattern of basic assumptions that a given group has invented, discovered, or developed in learning to cope with its problems of external adaptation and internal integration, and that have worked well enough to be considered valid, and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems“ (Schein, 1984, S. 3).
296
KAPITEL 20. ORGANISATIONSCHARAKTERISTIKA (O)
the function of imposing both order and meaning to collected bits of data and actions.“ (Saxby et al., 2002, S. 31)37 . In der Literatur werden partizipative Kulturen, die Zusammen- und Teamarbeit unterstützen, als für Innovationen sehr hilfreich erachtet (Kanter, 1982, S. 158; Sánchez und Pérez, 2004, S. 21). Ein wesentliches Ergebnis der Kultur ist das Unternehmensklima (Dane und Pratt, 2004, S. A3), z.B. das Vertrauen (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 172). Viele Schnittstellen, freier Informationsaustausch und vermehrter Austausch zwischen den Funktionen sind Kulturfaktoren, die Kreativität unterstützen (Kanter, 1982, S. 161). Wird z.B. Innovation nicht als Wert gesehen, so sind Tätigkeiten zur Innovationsfindung nicht legitimiert, und keine Person fühlt sich dafür verantwortlich (Dougherty und Hardy, 1996, S. 1141). Die Unternehmenskultur kann die SFA und den Prozess sinnstiftend unterstützen und vorantreiben. Förderlich ist dabei, die Wichtigkeit von Innovation im gesamten Unternehmen zu kommunizieren und zu verbreiten. O8, O10 bestätigt: Ist die Kultur auf Innovation ausgerichtet (fördert Partizipation, Vertrauen, freien Informationsaustausch,...), dann werden Chancen rechtzeitig erkannt und genutzt. O8 bestätigt: Die kongruente Kommunikation der auf Innovation ausgerichteten Unternehmenskultur ermöglicht es, rechtzeitig Chancen zu erkennen und zu nutzen. Eine starke Unternehmenskultur kann zwar sinnstiftend und antreibend wirken, eine zu starke Fokussierung darauf könnte aber Veränderungen hinauszögern oder verhindern („strategic drift“; Johnson et al., 2008, S. 179ff)38 .
20.3
Zusammenfassung
Im Abschnitt „Vor- und Nachteile in GU und MU“ auf Seite 90 wurden die Stärken und die Schwächen der MU jenen von GU gegenübergestellt. Dabei wurden einige Einflüsse in der Empirie gefunden, die in MU und in GU gleich wirken. Dazu gehört z.B. die Führungsspitze, welche in MU einen großen Einfluss durch einen möglichen ’entrepreneurial spirit’ ausübt. Diese Wirkung wurde in GU ebenfalls vorgefunden, abhängig von den Einflusspersonen und nicht nötigerweise von der Größe (vgl. Abschnitt „Besitzverhältnisse und Rechtsform“ auf Seite 278). Das Gleiche gilt für den Familienaspekt, der nicht nur in MU sondern auch in GU vorkommt. Auch Nischenstrategien werden nicht nur alleine in MU angewendet, sondern auch in GU praktiziert. Kultur- oder Strategieaspekte sind demnach nicht unbedingt unternehmensgrößenabhängig. Größenunterschiede bewirken somit nicht alleine die Unterschiede in den Prozesspfaden. 37 „...ideally, an organization’s strategy explicitly values innovation, openly welcomes initiative, and clearly rewards those who successfully resolve problems.“ (Dougherty und Hardy, 1996, S. 1124) 38 Mögliche Unternehmenskulturen bzw. -strategien könnten verschiedene SFA-Prozesstypen schaffen, z.B. in der Ausprägung von Scanning-Aktivitäten (vgl. Saxby et al. (2002, S. 32)).
20.3. ZUSAMMENFASSUNG
297
Auch bei den anderen Organisationscharakteristika wurden mehr Gleichheiten als Unterschiede zwischen den Unternehmen festgestellt. Die Art der Spezialisierung und die Kultur des Unternehmens beeinflussen die Interpretationen (Assessment). Meyer (1982, S. 515) kommt zu dem Ergebnis, dass Kultur und Strategie bessere Indikatoren für Umbrüche und die Anpassung in Organisationen sind als Struktur oder Ressourcen – wie dies auch die Befragung ergab. Kultur beeinflusst den Prozess, z.B. wie Signale wahrgenommen und später interpretiert werden (Meyer, 1982, S. 530). So bemerkt der Autor z.B.: „The cases suggest that foresight hinges on strategy.“ (Meyer, 1982, S. 528). Festzuhalten gilt, dass strukturelle und kulturelle Ausgestaltungen einen wesentlichen Einfluss auf den Prozess haben, egal ob in MU oder GU. In einigen GU wird die Organisationskultur als förderlicher Faktor gesehen, die formelle Barrieren und Strukturen (z.B. durch die Wichtigkeit des persönlichen Gesprächs) überbrückt und die Ideenfindung begünstigt. Damit stehen Kulturaspekte über Struktureinflüssen. Die Kultur bestimmt, was gelebt wird und was nicht, d.h. ob z.B. formelle Systeme eine Chance haben oder nicht.
Kapitel 21 Einflüsse aus der Umwelt In den folgenden Abschnitten werden die Einflussfaktoren, die außerhalb des Unternehmens liegen, diskutiert. Dazu zählen auch die externen Partnerschaften (vgl. Abschnitt „Externe Partnerschaften“ auf Seite 311). Umwelt kann dabei unterschiedlich definiert werden (Lenz und Engledow, 1986) (vgl. Abschnitt „Umweltverständnis“ 8.3).
21.1
Umwelteinflüsse (U)
Umwelteinflüsse wurden bereits im Abschnitt „Schwache Signale“ 16.1.3.2 kurz behandelt. Schwache Signale – als Vorboten von Chancen – dringen bei den befragten Unternehmen von außen in das Unternehmen ein und werden dort erkannt. Das folgende Kapitel führt die Diskussion weiter.
21.1.1
Umwelteinflüsse in der Befragung
Umweltinformationen gelangen in die befragten Unternehmen. Erleichtert wird dies durch verschiedenen Ursachen in den Unternehmen selbst. So plädieren Day und Schoemaker (2007) zuerst für eine interne Suche nach Signalen, bevor die Suche außerhalb der Unternehmensgrenzen fortgesetzt wird.
21.1.1.1
Informationsquellen
Woher nehmen Unternehmen die Informationen, die zu ihren Ideen führen bzw. schwache Signale transportieren? Informationen können intern (z.B. durch die Abteilungen Marketing, Patentwesen, Service, Verkauf, F&E, Einkauf, Produktion oder durch interne Ideenbanken oder ein betriebliches Vorschlagswesen,...) oder extern (z.B. von der Konkurrenz, von anderen Industrien, von Lieferanten/innen oder Endkunden/innen, vom Handel oder Mittelsmännern, von Beratern/innen oder Experten/innen,...) liegen (Magiera,
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_21, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U)
299
2009; Wentz, 2008). So stellt IBM 2006 in einer Studie über 765 CEOs fest, dass Mitarbeiter/innen, Businesss Partner/innen und Kunden/innen die bedeutensten Informationsquellen darstellen (in Wentz, 2008, S. 133). Informationsquellen sind in den befragten Unternehmen1 : • Personen bzw. Personengruppen • Methoden • sonstige Quellen 21.1.1.1.1
Personen und Personengruppen
In GU und MU werden Kunden/innen, der Verkauf/Vertrieb, Lieferanten/innen, externen Spezialisten/innen und Konkurrenten/innen als Informationsbringer angegeben. Kunden/innen werden dabei am häufigsten genannt (in insgesamt elf der zwölf Unternehmen)2 , 1
Die folgende Auflistung erfolgt in absteigender Anzahl der Nennungen. In der KUNSTSTOFF-M-GMBH werden „Teamkreissitzungen“ vier Mal im Jahr unternommen, um herauszufinden „was wollen unsere Kunden wirklich oder wo gibt es Entwicklungen, die wir im Haus hier übersehen hätten. – Was ist echt aktueller Bedarf bei Kunden.“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH). Kunden/innen sehen oft das Angebot von Mitbewerbern/innen, hören von vielen Entwicklungen oder äußern konkret Wünsche („so etwas sollte es geben“). Das Unternehmen KUNSTSTOFF-M-GMBH nennt diesen Bereich sogar „ein bisschen so Trendforschung - wohin geht’s“. (KUNSTSTOFF-M-GMBH). Deshalb fragt das Unternehmen gezielt den Außendienst, der dazu angehalten ist, „ein helles, offenes Ohr zu haben“ (KUNSTSTOFF-M-GMBH), Kunden werden auch direkt befragt. In der ELEKTRO-M-GMBH sowie in der METALLWAREN-M-GMBH versucht man über Befragungen, die Bedürfnisse der Kunden/innen bzw. deren Problemfelder zu entdecken. Es gelangen Wünsche über den Kundendienst oder über Reklamationen in das Unternehmen: „... da sind es Probleme, aber die muss man sich sehr wohl anhorchen, weil die, also ich sage immer, wenn alle Probleme gelöst sind, dann ist meistens ein Produkt fertig. Und auch da drüber hinaus braucht man noch das Echo von Kunden/von der Kundin um es noch zu verbessern, weil dass man vom Serienstart schon alles perfekt hat, das geht schon fast nicht mehr, alleine schon aus dem Zeitdruck heraus.“ (METALLWAREN-M-GMBH). Bei der ELEKTRONIK-M-GMBH werden die Kunden/innen intensiv in die Entwicklung miteinbezogen, in der BAUTEIL-M-GMBH fließen Informationen vom Kunden/von der Kundin ebenfalls in die Projekte – in eingeschränkter Form – ein. In der SYSTEM-G-AG sind Kundeninformationen wesentlich für eine Produktinnovation. Produkte werden in der SYSTEM-G-AG immer am Kundenbedürfnis und -nutzen ausgerichtet. Kundenaufträge ermöglichen oft erst die Entwicklung einer Innovation in SYSTEM-G-AG. Die PAPIER-G-AG erhält einerseits über den Bereich Sales und Marketing, andererseits über den Kundenservice – der einen direkten Kontakt zum Kunden/zur Kundin hat – Kundeninformationen. In der TECHNIK-G-GMBH sind es vor allem die Anwendungstechniker vom Vertrieb, die direkt beim Kunden/bei der Kundin die Produkte servicieren. Diese haben einen engen Kontakt zwischen Kunden/in und Entwicklung, nehmen also eine wichtige Nahtstelle ein. Auch in der MASCHINENBAU-G-GMBH haben Kundeninformationen einen wesentlichen Stellenwert. In der MASCHINENBAU-G-GMBH wird dem Kunden/der Kundin permanent ein offenes Ohr geschenkt, um „aktiv die Nummer 1 am Markt“ zu sein. In der MASCHINENBAU-G-GMBH spiegeln die Außenmonteure wichtige Kundeninformationen in das Unternehmen: „Im Geschäftsbereich Service sind auch die Außenmonteure. Die also sozusagen beim Kunden/bei der Kundin dann die Anlage aufstellen und in Betrieb nehmen usw. Und von dort kommt ja nicht nur sehr viel Wissen über die eigene Anlage, sondern was sie auch beim Kunden sehen.“ (MASCHINENBAU-G-GMBH). Diese fließen in eine Wissensdatenbank, ein Customer Relationshipmanagement (CRM), ein. Kundennähe ist ein wichtiges Schlagwort in FAHRZEUG-G-AG: „Hören, was wird gebraucht... Über das Produkt so Bescheid wissen, dass sie eben beim Kunden das transportieren, was wir darstellen – nämlich ein gewisses Vertrauen.“ (FAHRZEUG-G-AG). In der ENTWICKLUNGS-G-GMBH werden Projekte immer mit Kunden/innen im Hintergrund geführt, um eine Absatzmöglichkeit fixiert zu haben. 2
300
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
gefolgt von acht Unternehmen, die Konkurrenzinformationen bearbeiten3 . Der Verkauf bzw. der Vertrieb wird in fünf Unternehmen angeführt4 . Dieser Bereich zeichnet sich durch die enge Verbindung mit den Kunden/innen aus und wird oft als Sprachrohr der Kunden/innen benutzt. Externe Spezialisten/innen werden von insgesamt vier Unternehmen genannt5 . Zwei Unternehmen benennen Lieferanten/innen6 . Unternehmen, die diese Informationsquellen gekonnt in den SFA-Prozess inkludieren, erhöhen die Chancen, schwache Signale zu erkennen. Vor allem Kunden/innen ermöglichen es, Produktinnovationen anzustoßen (vgl. die Ausführungen zu externen Partnerschaften und EP1, EP2 und EP3). U1: Wenn Informationen (vor allem von Kunden/innen, gefolgt von Konkurrenzinformationen, Verkauf/Vertrieb, externen Spezialisten/innen, Lieferanten/innen) in Unternehmen beachtet werden, dann erhöht sich die Wahrnehmung von Chancen (vgl. EP1, EP2, EP3).
3 In der MASCHINENBAU-G-GMBH, der FAHRZEUG-G-AG, der SYSTEM-G-AG, der TECHNIKG-GMBH werden Informationen von Konkurrenten/innen näher betrachtet und gesammelt. In der TECHNIK-G-GMBH wird das Wissen über die Konkurrenz gespeichert und aufbewahrt. In der MASCHINENBAU-G-GMBH wird der Mitbewerb über eine Markteingabteilung beobachtet. Mitbewerber/innen beschleunigen die Marktveränderungen und -entwicklungen in der SYSTEM-G-AG durch neuste Technologien. Die KUNSTSTOFF-M-GMBH, die ELEKTRO-M-GMBH, die METALLWAREN-MGMBH sowie die BAUTEIL-M-GMBH beziehen Informationen von der Konkurrenz. In der ELEKTROM-GMBH wird der Mitbewerb auf die bestehenden Produkte hin überprüft und genau untersucht. Das Unternehmen kennt auch die Imitatoren sehr genau. Das Gleiche gilt für die METALLWAREN-M-GMBH. Für dieses Unternehmen stellt der Mitbewerb eine große Bedrohung dar, da dieser kompetente Mitarbeiter/innen aus dem Unternehmen abzieht und für sich gewinnt. 4 So sind Kundenanfragen in der ELEKTRO-M-GMBH eine wichtige Informationsquelle, momentan nicht verwertbare Anfragen werden im Unternehmen gespeichert. Bei Vertretertreffen (alle 3-4 Jahre) kommen aus 32 Ländern deren Vertreter/innen und diskutieren Neues innerhalb von 2-3 Tagen. Es findet ein Austausch statt: „Dass man einfach einmal fragt, was könntet ihr euch vorstellen, wo habt ihr Anfragen, die ihr nicht behandeln könnt, wo gibt es einen Kunden, wo man was machen kann.“ (ELEKTRO-M-GMBH). Die METALLWAREN-M-GMBH will den Verkäufern eine Denkweise mitgeben, nämlich für Kundenbedürfnisse offen zu sein und diese dem Unternehmen mitzuteilen. Die Sparte in der TECHNIK-G-GMBH holt vom Vertrieb Marktinformationen ab. Diese Beziehung ist durch sehr enge Kontakte geprägt. Die Verbindung direkt zum Kunden/zur Kundin besteht nicht, der Kontakt bezieht sich auf eine Zwischenstelle (Service, Repair, oder Anwendungstechniker vom Vertrieb). Auch in der FAHRZEUG-G-AG werden Marktanforderungen (von der Konkurrenz oder den Kunden/innen) vom Vertrieb abgeholt. Daneben existiert in der TECHNIK-G-GMBH ein Vertriebsmarketing, das sich mit Marktanalysen auseinandersetzt. Vom Verkauf werden in der TEXTIL-G-GMBH im Laufe des Jahres Ideen abgeholt. 5 Die ELEKTRO-M-GMBH und die ELEKTRONIK-M-GMBH sprechen die Wichtigkeit von „Externen“ an, wie z.B. Designer. Die METALLWAREN-M-GMBH benennt ebenfalls die Wichtigkeit von Spezialisten/innen. Die ELEKTRONIK-M-GMBH bedient sich des Wissens und der Meinungen von Instituten, Gremien („die halt ein bisschen Vorarbeit leisten“), Arbeitskreisen und Zentralverbänden. In der FAHRZEUG-G-AG werden auch externe Experten/innen zur Informationsaufnahme hinzugezogen. 6 In der FAHRZEUG-G-AG ist der Lieferant/die Lieferantin von Bedeutung, seine/ihre finanzielle Bonität und Stabilität. Die ELEKTRONIK-M-GMBH ist sehr abhängig von den Lieferanten/innen und nutzt vertrauenswürdige Beziehungen, um zu Informationen zu gelangen
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U) 21.1.1.1.2
301
Methoden
Die Unternehmen beziehen ihre Informationen ebenso aus Methoden, wie z.B. Patenten7 , Umfragen und Analysen8 , Datenbanken9 , Messen10 oder Treffen11 . Der Einsatz solcher Instrumente und Methoden erhöht die Wahrnehmung von strategischen Signalen. Wichtig ist dabei die Frage, inwieweit die Informationen aus den Methoden relevant sind. D.h. die Methoden werden mit den Zielen des Unternehmens abgeglichen. U2: Wenn bestimmte Methoden eingesetzt werden (Patente, Umfragen, Analysen, Datenbanken, Messen, Treffen), dann werden schwache Signale rechtzeitig erkannt.
21.1.1.1.3
Sonstige Quellen
Daneben existieren vereinzelt noch andere Informationsquellen, wie Literaturquellen12 , Internet13 und Berichte14 . 7 Die KUNSTSTOFF-M-GMBH weist eine von der Literatur gespeiste Patentüberwachung über die Mitarbeiter/innen und Patentklassen auf. Auch die ELEKTRONIK-M-GMBH, die BAUTEIL-M-GMBH und die FAHRZEUG-G-AG führen Patentrecherchen durch. 8 Die ELEKTRO-M-GMBH bedient sich der Methode einer Umfrage durch eine Universität, um die wichtigsten Kriterien der Kunden/innen bei einem Produkt ausfindig zu machen. Auch die METALLWAREN-M-GMBH versucht durch Umfragen bestehende Probleme bzw. Wünsche bei den Kunden/innen ausfindig zu machen. Marktbefragungen dienen der FAHRZEUG-G-AG dazu, herauszufinden, was der Kunde/die Kundin benötigt und braucht. In der SYSTEM-G-AG, der PAPIER-G-AG, der TECHNIK-G-GMBH und der TEXTIL-G-GMBH werden unter anderem Marktanalysen durchgeführt, auch wenn in der TEXTIL-G-GMBH die Analysen noch verstärkt werden können. Monitoring, Beobachtung und Trendanalysen werden nur konkret von der MASCHINENBAU-G-GMBH und der PAPIER-G-AG genannt. In der PAPIER-G-AG kümmert sich eine spezielle Abteilung um diese, in der MASCHINENBAU-G-GMBH nimmt sich die Geschäftsführung dieser Aufgabe an. 9 In Datenbanken werden Informationen zusammengeführt, gesammelt, aufbereitet und herausgegriffen (METALLWAREN-M-GMBH). Die ELEKTRONIK-M-GMBH bedient sich ebenfalls der Informationssuche in Datenbanken und auch im Internet. Die BAUTEIL-M-GMBH spricht von einer Berichtsdatenbank und einer Wissensdatenbank. 10 Messen sind eine gute Möglichkeit, Neues zu sehen und auch neue Ideen zu kreieren (METALLWAREN-M-GMBH). Messen, Kongresse und Fachvorträge speisen das Unternehmen TECHNIK-G-GMBH. Messen bzw. Konferenzen fördern ebenso die Informationsfindung in der TEXTILG-GMBH. 11 In der KUNSTSTOFF-M-GMBH gibt es Teamkreissitzungen mit dem Außendienst, in der ELEKTRO-M-GMBH Vertretertreffen, bei der METALLWAREN-M-GMBH werden Treffen mit Spezialisten/innen einberaumt, um zu Informationen zu gelangen oder es kommt zu „Qualitätsgipfeln“ (METALLWAREN-M-GMBH). Die SYSTEM-G-AG bedient sich regelmäßiger Meetings mit ihren Tochterorganisationen. 12 Auch die Literatur wird von manchen Unternehmen zu Rate gezogen und versorgt die Unternehmen mit neuen Möglichkeiten und Methoden – bei der KUNSTSTOFF-M-GMBH z.B. wurde eine Patentüberwachung nach Vorschlägen der Literatur eingeführt. 13 Informationsrecherchen geschehen in MASCHINENBAU-G-GMBH sporadisch über moderne Medien wie das Internet. 14 Zeitungen, Berichte und Journale bringen neue Informationen in das Unternehmen, so auch in der TEXTIL-G-GMBH: „Der andere liest eine Zeitung. Das ist eben Teil der Stellenbeschreibung des F&E Leiters Journale zu sichten, entsprechend Projektideen, das ist Teil der Stellenbeschreibung der Produktmanager.“ (TEXTIL-G-GMBHa). Ein paar gängige Journale werden in der TEXTIL-G-GMBH aus Komplexitätsgründen aufgeteilt und jenen Personen zugeschickt, die daraus einen Nutzen ziehen können. Die FAHRZEUG-G-AG bezieht einen Teil der Informationen aus internationalen Vorschriften und Bestimmung.
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
302
U3: Wenn Literaturquellen, das Internet oder Berichte gesichtet werden, dann können schwache Signale rechtzeitig erkannt werden. Interessant sind die Ausführungen der Unternehmen über Strategie und Netzwerke. So erleichtert eine festgelegte Strategie die Suche nach einer Idee bzw. das Finden einer Lösung zu einem Problem, da diese die Aufmerksamkeit bündelt und lenkt (METALLWAREN-MGMBH). Über Netzwerke kann Wissen von anderen Branchen oder Informationsquellen genutzt werden: „Weil oft kriegt man die Idee von anderen Branchen“ (METALLWARENM-GMBH); „es ist sehr sehr wichtig in der Entwicklung von Technik, dass man ein sehr breites Netzwerk an Leuten hat. ...da kommen wir zur Vernetzung der Unternehmen eigentlich. Auch wenn sie konkurrieren.“ (BAUTEIL-M-GMBH)15 . U4: Wenn eine Strategie die Suche leitet oder Netzwerke zum Einsatz kommen, dann erhöht sich die Wahrnehmung schwacher Signale.
21.1.1.2
Umweltveränderungen
Umweltänderungen wirken stark auf den SFA-Prozess in den Unternehmen ein. Die Unternehmen richten sich nach Veränderungen neu aus. Oft ergeben sich daraus neue Möglichkeiten und Chancen. Erfolgreiche Unternehmen beziehen somit die Umwelt eng ein. Wie agieren die Unternehmen allgemein auf Veränderungen, welchen Stellenwert hat für sie der Markt? Der Markt nimmt bei allen Unternehmen einen wichtigen Stellenwert ein, wenn auch in unterschiedlichster Weise. Dies veranschaulichen die Ausführungen der Unternehmen zum Thema Wirtschaftskrise und darüber, was diese Veränderungen im Unternehmen bewirken. Der wichtigste Einflussfaktor – bei fast allen Unternehmen in der Aufgabenumwelt – ist der Kunde/die Kundin. Auch der Technologiesektor findet – wie bei Produktionsunternehmen mit Innovationsausrichtung natürlich – stark Eingang in die Unternehmen, vor allem die technische Machbarkeit und der technische Fortschritt. Trends im sozialen Feld wirken auf einige Unternehmen ein, wie z.B. Gesellschaftsänderungen, Paradigmenwechsel, Bedürfnisveränderungen usw. Selten werden Ökologie und Themen wie Nachhaltigkeit bzw. Umweltbewusstsein hervorgehoben. Gleiches gilt für das politische und legale Umfeld. 15 „...es laufen aus meiner Sicht zwei Ebenen ab von Informationsaustausch. Den, den man nicht haben darf, der läuft eh nicht. ...was sehr wohl stattfindet, ist ein persönlicher Wissensaustausch. Also ich habe sehr viele Kollegen, die ich anrufen kann, quer über Europa, und wo man einfach, wo wir uns austauschen. Ja, so nicht Plattformen, so offizielle, aber so persönliche Dinger, wo man wen anrufen kann und einmal. Es geht ja meistens nur um den Austausch von Erfahrung.“ (BAUTEIL-M-GMBH)
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U)
303
U5: Je stärker ökonomische Faktoren (vor allem Kunden/innen, Konkurrenten/innen) in den SFA-Prozess miteinbezogen werden, desto eher können relevante schwache Signale erkannt werden (vgl. EP2). U6: Wenn Unternehmen SFA durchführen, dann beziehen sie ökonomische, technologische und soziale (weniger ökologische, politische oder legale) Umfelder in ihre Betrachtungen mit ein.
21.1.2
Umwelteinflüsse in der Literatur
Die Befragung zeigte unterschiedlichste Bereiche auf, aus denen Unternehmen ihre Informationen und damit auch ihre schwachen Signale beziehen. Wie bereits im Teil „Innensicht vs. Aussensicht der Strategischen Frühaufklärung“ 6.5 festgehalten, wird grob in die allgemeine externe Umwelt und in die Aufgabenumwelt unterschieden. 21.1.2.1
Allgemeine Umwelt
Die allgemeine Umwelt enthält die PESTEL-Komponenten16 (Johnson et al., 2008). Die Veränderungen und damit Einflusswirkung auf die Unternehmen sind besonders bei der SFA relevant. Aus der allgemeinen Umwelt und deren Veränderungen lassen sich schwache Single erkennen, und daraus Chancen nutzen und Produktinnovationen realisieren. Dies zeigt eine kurze Zusammenfassung einiger Literaturquellen. So beschäftigt sich Kast (1980, S. 31) z.B. mit dem sozialen Feld, wie z.B. Bevölkerungscharakteristika, Wachstumsraten, Beschäftigungsdaten, Demographie, Familienstrukturen, subjektives Wohlbefinden, usw. und plädiert für mehr Methoden und Techniken, um diese erfassen zu können. North und Pyke (1969) widmen sich wie viele andere Autoren/innen der technischen Umwelt (ein besonders wichtiger Bereich bei Produktinnovationen). Die SFA ist dabei nicht nur notwendig um Innovationen zu ermöglichen, sondern auch „’helping’ the future to happen“ (North und Pyke, 1969, S. 69), d.h. sie zu beeinflussen und z.B. einen Standard zu schaffen. Judge und Douglas (1998) und Hutchinson (1992) befassen sich näher mit der ökologischen Komponente der allgemeinen Umwelt und folgern: „the natural environment sometimes offers significant new business opportunities“ (Judge und Douglas, 1998, S. 244). Johnson und Kuehn (1987, S. 55) wenden sich dem ökonomischen, technologischen, marktabhängigen, politischen und wachstumsbedingten Informationen bei kleinen Unternehmen zu. Julien und Raymond (1999, S. 282) befassen sich z.B. mit technologischen Suchaktivitäten. Fahey und King (1977, S. 71) untersuchen den Stellenwert der Umweltkomponenten in Unternehmen und stellen fest, dass vor allem die Gesetzgebung bzw. wirtschaftliche Belange bei ihrer Studie eine hohe Priorität einnehmen. Das technologische Feld wurde in 16 D.h. die politische, ökonomische, soziale (gesellschaftlich/demographisch), technische, ökologische, legale Umwelt (Nagel, 1994).
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
304
deren Studie weniger wichtig eingeschätzt. Bei Smeltzer et al. (1988) ist vor allem das Marktumfeld bedeutend, besonderes für kleinere Unternehmen. Das Marktumfeld, gefolgt vom technologischen Umfeld, ist auch bei Jain (1984, S. 119), Kefalas und Schoderbeck (1973, S. 69f) und Auster und Wei Choo (1993, S. 202) wichtig17 . Die Ergebnisse in der Literatur sind jedoch uneinheitlich und unklar. U5, U6 unklar: Die PESTEL- Komponenten wirken stark auf den SFA-Prozess ein. Der Stellenwert der einzelnen PESTEL Komponenten ist in der Literatur unklar.
21.1.2.2
Aufgabenumwelt
Nagel (1994, S. 203) spricht die Ausrichtung der SFA auf die Bestimmungsgrößen des Wettbewerbes (fünf Wettbewerbskräfte von Porter) an. So schreiben Ginsberg und Venkatraman (1992, S. 37): „investment in new technology is largely the outcome of the interpretations produced by strategic issue diagnosis...a firm’s strategic posture plays an important role in shaping managers’ interpretations of technological innovation as a strategic issue.“ D.h. Innovation ist ein Produkt der Strategischen Frühaufklärung. Der Wettbewerb und dessen Interpretation durch das Unternehmen stellen einen wichtigen Informationsfaktor dar. Darüber hinaus wird die Wichtigkeit von Stakeholdern an verschiedenen Stellen in der Literatur angesprochen (Dutton und Duncan, 1987, S. 282). Akteure aus der Aufgabenumwelt bzw. Veränderungen in dieser Umwelt sind wiederum Quelle für schwache Signale. Die Impulse für Ideen wurden in der Literatur vielfach untersucht. Magiera (2009, S. 12) weist darauf hin, dass der Großteil der Impulse von Kunden/innen stammt (30%), gefolgt von Tagungen, Messen oder Ausstellungen (21%), Konkurrenten/innen (18%), Lieferanten/innen (12%), aus den eigenen Unternehmen kommen (11%) oder durch Forschungsstellen angestoßen wurden (8%). Konsumenten sind in der Literatur und in der Befragung die bedeutenste Quelle für MU, aber auch für GU (Hartman et al., 1994, S. 45; Gilbert, 2003). Wichtig ist die Ausrichtung des Unternehmens gegenüber dieser Gruppe, d.h. ob es eine Marktperspektive ist (das Ziel des Unternehmens ist es, Konsumenten zu generieren und an diese die Unternehmensprodukte zu verkaufen) oder eine Kundenperspektive (d.h. die Produkte des Unternehmens an die Kundenbedürfnisse anzupassen) (Hartman et al., 1994, S. 45; Cooper, 2002, S. 90f). Danach folgen Informationen über Konkurrenten/innen. Die gleiche Wichtigkeit von Konsumenten, Wettbewerbern und ökonomischen Sektoren bestätigen Daft et al. (1988, S. 135). Günther (1991, in Nagel (1994, S. 211)) erkennt hingegen in seinen Studien, dass Lieferanten/innen und Kunden/innen als Informationsquelle oft vernachlässigt werden. Die Ergebnisse der Studien sind somit teilweise widersprüchlich. Auch die Untersuchungsbereiche sind eingeschränkt und unter17 Mohan-Neill (1995, S. 10) kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass kleinere und jüngere Unternehmen weniger über das Markofeld informiert sind als ältere und größere Firmen.
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U)
305
schiedlich18 . Zusammenfassend ist wichtig, dass die Aufgabenumwelt stark auf den SFA-Prozess einwirkt und dass Konkurrenten/innen, Kunden/innen und Lieferanten/innen wichtige Informationsträger für schwache Signale darstellen. U5 unklar: Die Aufgabenumwelt (Konkurrenten/innen, Kunden/innen, Lieferanten/innen) wirkt stark auf den SFA-Prozess ein. Der Stellenwert der einzelnen Komponenten der Aufgabenumwelt ist in der Literatur unklar. Die Ergebnisse aus den vorangegangenen Abschnitten über die allgemeine Umwelt und die Aufgabenumwelt werden im nächsten Kapitel über Informationsquellen noch einmal übersichtlich dargestellt. Die aufgeführten Quellen können Unternehmen Hinweise dahingehend geben, wo schwache Signale entstehen und wie sie erkannt werden können. 21.1.2.3
Informationsquellen19
„Salespeople are in constant touch with customers, development teams hear gossip at trade shows, retail sales clerks register complaints and requests for new items, and finance people are aware of competitors’ capital needs.“ (Day und Schoemaker, 2007, S. 22) In der Literatur finden sich unzählige Quellen für schwache Signale. Einige dieser Quellen wurden in den Befragungen genannt20 : • Außendienstinformationen über Kundenwünsche • Marketinginformationen und -analysen über Wettbewerber • Forschungsergebnisse über neue Werkstoffe, Produktionsverfahren,... • Publikationen, Fachtagungen, Analysen und Befragungen von Fachverbänden, Universitäten, Marktforschungsinstituten (Camillus und Datta, 1991, S. 73) • Branchen- und Konjunkturdaten, Handels- und Steuerverhandlungen (Day und Schoemaker, 2007, S. 26) • Online-Datenbanken (Camillus und Datta, 1991, S. 73) und Diskussionsforen (Day und Schoemaker, 2007, S. 23) 18
Es bestehen Studien zur Aufgabenumwelt und der allgemeinen Umwelt, diese liefern jedoch sehr unterschiedliche Ergebnisse. Nach Garg et al. (2003, S. 729) sollen sich innovative Unternehmen vor allem auf die Wettbewerber/innen, die Kunden/innen und das technologische Umfeld konzentrieren. Nach Floyd und Wooldridge (1994, S. 52) entstehen Ideen vor allem im Kontakt mit Kunden/innen, Lieferanten/innen und Technologien. 19 Vgl. Nagel (1994, S. 206);Zentner (1981); Aaker (1983, S. 78). 20 Vgl. Narchal et al. (1987, S. 102); Julien und Raymond (1999, S. 292); Hartman et al., 1994, S. 40; Day und Schoemaker, 2007.
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
306
• tägliche Informationen aus sämtlichen Medien (Day und Schoemaker, 2007, S. 25) • Berater/innen und Experten/innen (Zentner, 1981, S. 50; Camillus und Datta, 1991, S. 73) • Netzwerke (Zentner, 1981, S. 49) • Stakeholder (Camillus und Datta, 1991, S. 73) • Mitarbeiter/innen in „boundary-spanning“ Rollen (Camillus und Datta, 1991, S. 73) • Daten über Beschwerden, Komplementärprodukte, Konvergenz und allgemeine soziale Trends bzw. Trends in anderen Ländern (Day und Schoemaker, 2007, S. 23ff) • Zusammenarbeit mit Kunden/innen („lead users“) (Day und Schoemaker, 2007, S. 23) • Informationen über kulturelle Ikonen, Lobbyisten und politische Führer (Day und Schoemaker, 2007, S. 26) Unabdingbar für die Benützung der Information aus diesen Quellen, und damit der Erkennung von schwachen Signalen, ist die Glaubwürdigkeit der Quelle (Chan, 1979, S. 172) bzw. die Qualität der Informationen (Auster und Wei Choo, 1993, S. 194). U1, U2, U3 bestätigt: Schwache Signale können aus einer Vielzahl von Quellen stammen. Neu: Je glaubwürdiger die Informationsquelle ist, umso eher trägt sie zum Erkennen schwacher Signale bei. Speziell der Netzwerkgedanke wird in dieser Arbeit weiter aufgegriffen und im nächsten Abschnitt näher erläutert. Er stellt eine Möglichkeit dar, die unterschiedlichsten Informationsquellen optimal für den SFA-Prozess zu nützen. 21.1.2.4
Art der Informationsaufnahme
Aguilar (1967) unterscheidet verschiedene Arten von Informationsquellen: persönliche (d.h. direkter menschlicher Kontakt) und unpersönliche (d.h. schriftlich, z.B. Berichte, Zeitungen, Studienergebnisse), externe (z.B. direkter Kontakt mit Politikern, Diskussionen mit Managern/innen von anderen Unternehmen, Teilnahme an Treffen) und interne (z.B. Diskussionen mit firmeninternen Managern/innen oder Mitarbeitern/innen, Memos, Berichte). Persönliche Kommunikation enthält sehr viel Inhalt und ermöglicht die Wahrnehmung von schwachen Signalen (Elenkov, 1997, S. 294). In unsicheren und turbulenten Umwelten sind Informationen aus persönlichen, informalen und externen Quellen in verbaler Form (damit oft weich und spekulativ) (Mintzberg, 1976, S. 54) (May et al., 2000, S. 407; Elenkov, 1997, S. 294; Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 189; Mintzberg, 1976, S.
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U)
307
53; Daft et al., 1988, S. 136; Smeltzer et al., 1988) besonders gewinnbringend für die Erkennung schwacher Signale. Die Verarbeitung der Informationen lässt sich am besten durch „’synthesize’ rather than ’analyze’“ beschreiben (Mintzberg, 1976, S. 54). Neu: Wenn persönliche Quellen in einer informalen und verbalen Kommunikation genützt werden können, dann ist die Wahrnehmung von Chancen höher. Die Art der Informationsaufnahme steht auch im Zusammenhang mit der Umweltkomplexität und -unsicherheit. Es gibt nach Wagner III. (1978) vier Wege der Informationsaufnahme: „analysis“ 21 , „reports“ 22 , „introspection“ 23 und „interaction“ 24 . In einfachen Umwelten werden nichtpersönliche Informationssysteme mit wenig Kreativitätsinput vorgezogen, bei komplexen Umwelten werden realitätsnahe Prozesse, die Kreativität fördern und sich auf Personen beziehen, benutzt. Wenn Unternehmensmitglieder eine unsichere Umwelt wahrnehmen, so sollte der Zugang zu persönlichen Informationsquellen gesucht werden. Die Informationsaufnahme darf dabei auch auf kreative Methoden oder Prozesse zurückgreifen (z.B. Erfahrungswerte, Intuition,...) und sollte sich nicht rein auf klassische Informationssysteme beziehen. Neu: Je unsicherer die Unternehmensumwelt wahrgenommen wird, umso besser eignen sich kreative und personennahe Informationsaufnahmeprozesse für die Erkennung von Chancen. 21.1.2.5
Netzwerkgedanke
„Top managers should help create issue networks, expanding the interest in an issue by enlarging the number of involved organizations.“ (Nolan, 1985, S. 72) Netzwerke können nach Hall (1993, S. 616) als eine implizite Ressource eines Unternehmens angesehen werden. Der Netzwerkgedanke wird nur von der METALLWAREN-MGMBH angesprochen und umfasst eine „Strategie der Kooperation“ (Wiedmann, 1984, S. 60). Es geht darum, viele Personen in den Prozess der SFA miteinzubeziehen und durch Netzwerke schwache Signale aufzuspüren. Müller (1981, S. 164ff) weist auf die Netzwerktheorie hin, welche die „Erfassung und Beschreibung der Verbindungen zwischen den Unternehmens-Akteuren...innerhalb der relevanten Umwelt und in der Unternehmung selbst“ zum Inhalt hat. Soziale Kontakte bzw. Netzwerke werden oft als Erfolgsfaktor (neben kognitiven Eigenschaften) von Entrepreneuren/innen gehandhabt (De Carolis und Saparito, 2006). Netzwerke ermöglichen es, schwache Signale zu erkennen, auch von neuen Gebieten, die dem Unternehmen möglicherweise nicht vertraut sind. Der Grund dafür liegt in der komplexen Umwelt, die kaum durch ein Einzelunternehmen erfasst werden kann. 21
Durch die formale Manipulation von Informationsmodellen. D.h. formale Informationssysteme. 23 D.h. die persönlichen Informationen eines Individuums wie Erfahrung, Bildung,... 24 D.h. dem Austausch zwischen zwei Individuen. 22
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
308
Daher liegt „the locus of innovation...in networks of learning, rather than in individual firms.“ (Powell et al., 1996, S. 116). U4 bestätigt: Wenn Unternehmen Netzwerke nutzen, dann sind sie im SFA-Prozess erfolgreicher. Neu: Je größer die Netzwerke, umso mehr schwache Signale werden entdeckt. Die bessere Chancenerkennung anhand der erhöhten Quantität an Netzwerkpartnern/innen gilt auch für die Anzahl der „weak ties“ (Granovetter, 1983)25 (im Gegensatz zu „strong ties“ 26 ) in einem Netzwerk (Singh et al., 1999, S. G2). ’Weak ties’, z.B. Universitäten, Forschungszentren und erfahrene Berater (Julien et al., 2004, S. 267) sind besonders geeignet um auf neue Ideen zu stoßen (Granovetter, 1983, S. 215). Eine Eurostat Untersuchung zeigt, dass diese Netzwerke in der EU27 wenig benutzt werden (Eurostat, 2007). ’Weak ties’ wird nachgesagt, schwache Signale ausfindig zu machen und zur Ideengenerierung beizutragen, da diese von gewohnten Wegen abschweifen (Julien et al., 2004). Je öfter Unternehmen ’weak ties’ konsultieren, umso innovativer sind sie (Julien et al., 2004, S. 255). Daher soll der Ausbau von ’weak ties’ im Unternehmen begünstigt werden. Verstärkter Kontakt, z.B. zu Universitäten und Forschungszentren, Involvierung in Personalaustauschprogrammen, Seminare und Kooperationsprojekte sind von Vorteil27 . Neu: Je stärker ’weak ties’ in Netzwerke ausgebaut sind, umso besser ist die Identifikation schwacher Signale. Die Wichtigkeit von Netzwerken wird auch durch sogenannte „Cluster“ (auch politisch) hervorgehoben (Clement und Welbich-Macek, 2007). Cluster verstehen sich zusammenfassend als als Verbund von Unternehmen, häufig KMU, die sich in eine enge Kooperation begeben (kurz: Netzwerke oder Stärkefelder mit regionalem Bezug) (Clement und Welbich-Macek, 2007, S. 4). Es können durch Cluster gemeinsame Infrastrukturen geschaffen werden, die gleichzeitig Innovationen fördern. Österreich verfügt über eine internationale bemerkenswerte Clusterdichte28 . 21.1.2.6
Unsicherheit29
Die Umwelt, deren Ausgestaltung und die Wahrnehmung und Bewertung dieser Faktoren durch die Unternehmensmitglieder haben Einfluss auf die Phasen des SFA-Prozesses (Matthews und Scott, 1995, S. 34; Lauzen, 1995, S: 189; Downey et al., 1975; Downey und Slocum, 1975; Jauch und Kraft, 1986; Huber et al., 1975): „...top executives facing 25 Entstanden aus dem soziologischen Ansatz des sozialen Gruppenverhaltens. ’Weak ties’ sind demnach wenig gepflegte Kontakte mit geringer emotionaler Involvierung und Vertrauen (Julien et al., 2004, S. 253). 26 Mit Freunden oder nahen Ansprechpartnern/innen (Julien et al., 2004, S. 253). 27 Netzwerke sind dabei nicht nur als reine Umweltkomponenten zu sehen die sich außerhalb eines Untenehmens befinden. Netzwerke finden auch zwischen Personen oder Gruppen innerhalb der Unternehmen statt (vgl. Granovetter, 1983). 28 Nähere Details zu den Clustern und deren Ausprägungen vgl. Clement und Welbich-Macek (2007). 29 Vgl. Definitionen von Unsicherheit bei Duncan (1973, S. 274); Jauch und Kraft (1986, S. 779).
21.1. UMWELTEINFLÜSSE (U)
309
the same objective stimuli often perceive their organizations as facing differently defined environments.“ So kann die gleiche Umwelt in den Augen der Betrachter/innen stabil, turbulent, kompetitiv, komplex, einfach, innovativ, chancenreich,... sein. Je nach Wahrnehmung und Bewertung gestalten sich die Reaktionen. Unsicherheit ist charakteristisch für die subjektive und kognitive Wahrnehmung der Umwelt eines jeden Akteurs und dessen Umgang mit den Komponenten dieser Umwelt. Der konkrete Einfluss der Unsicherheit auf das Unternehmen ist jedoch widersprüchlich (Boulton et al., 1982). Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich z.B. in der Phase Activation (Fredrickson und Mitchell, 1984). Lauzen (1995, S. 200), Yasai-Ardekani und Nystrom (1996, S. 189), Blandin und Brown (1977 in Boyd und Fulk (1996, S. 4)) und Daft et al. (1988, S. 123) argumentieren, dass bei steigender Umweltkomplexität die Anwendung (formaler) Suchaktivitäten steigt bzw. vermehrte Suche zu einem besseren Erfolg führt (Daft et al., 1988; Auster und Wei Choo, 1993), da ’issues’ und schwache Signale früher entdeckt werden können. Boyd und Fulk (1996, S. 2, 7) kommen jedoch zu dem Schluss, dass steigende Umweltkomplexität die Suche hemmt, da die aufzuwendenden Ressourcen in diese Suchaktivitäten nicht gerne investiert werden. Anstelle von Methoden tritt Intuition. Dies gilt vor allem für kleinere Unternehmen, die weniger Ressourcen zur Verfügung haben (Matthews und Scott, 1995, S. 37). Bei GU hingegen argumentieren Matthews und Scott (1995, S. 45), dass sich turbulente Umwelten in erhöhten Planungsaktivitäten niederschlagen. Fredrickson und Mitchell (1984, S. 419) kommen zu dem Schluss, dass sich rationale Planungstätigkeiten in unsicheren Umwelten auch negativ auf die Unternehmensperformance auswirken können30 . Deshalb ist unsicher, ob formale und rationale Aktivitäten in turbulenten Umwelten erhöht oder gesenkt werden sollen. McGee und Sawyerr (2003) untersuchen in ihrer Studie den Zusammenhang zwischen wahrgenommener strategischer Unsicherheit und der Informationssuche von Unternehmen. Vermehrte Suche führt in ihrer Studie zu höherer wahrgenommener Unsicherheit. Deshalb ist die Ausgestaltung des SFA-Prozesses ungewiss. Für die vorliegende Arbeit ergeben sich folgende Einsichten: Unsicherheit oder eine turbulente Umwelt ist von sich aus nicht negativ zu sehen, sondern kann die Aufmerksamkeit auf schwache Signale erhöhen (Bourgeois III, 1985, S. 570). Bourgeois III (1985, S. 551) folgert, dass eine höhere Kongruenz zwischen der wahrgenommenen und der tatsächliche Umweltunsicherheit die Performance eines Unternehmens steigert. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, was die reale und tatsächliche Umweltunsicherheit ist und wie diese festgestellt werden kann. Der Zusammenhang und die Einstellung gegenüber der Umweltunsicherheit ist allerdings für die SFA von Bedeutung, und lässt sich auch auf diese übertragen. Je offener und sensibler die Mitarbeiter/innen gegenüber der Umwelt und vor allem gegenüber Veränderungen sind, umso eher erkennen sie schwache Signale und Umbrüche und können rechtzeitig darauf reagieren (vgl. Abschnitt „Innovator/in: 30
In einer stabilen Umwelt wäre diese Kausalbeziehung jedoch positiv (Frederickson, 1984).
310
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
Initiator/in des SFA-Prozesses“ 18.1). Dies bezieht sich – wie in der Befragung festgehalten – auf das Erkennen gegenwärtiger und zukünftiger Veränderungen. Die Umweltsuche (durch Scanning und Monitoring) versucht diesen Abgleich und diese Weitsicht zu schaffen. Allerdings bleiben auch hier kognitive Verzerrungen und individuelle Interpretationen nicht ohne Wirkung (Assessment). Abgesehen von der negativen Sicht der Wahrnehmungsverzerrungen sind individuelle Auffassungsgaben und Interpretationsschemata für die SFA bedeutend. Sie ermöglichen es mehr schwache Signale aufzunehmen. Durch Kommunikation mit anderen und vermehrte Informationen können diese Verzerrungen weiter eingeschränkt werden. Aktivitäten der Phase Activation können somit (nach Yasai-Ardekani und Nystrom (1996, S. 189)) Unsicherheit reduzieren, wenn neben der Suche auch noch Interpretationen nachfolgen. Das Erkennen von schwachen Signalen bezieht sich aber auch auf vergangene Umbrüche und dem Lernen daraus (sozusagen den dritten Schritt der Frühaufklärung, Action). Der (wahrgenommenen) Unsicherheit folgen Handlungen. U2 unsicher bzw. neu: Je besser ein Unternehmen die tatsächliche Unsicherheit der Umwelt wahrnehmen kann (Offenheit und Weitsicht), umso erfolgreicher kann es darauf reagieren (vgl. I7). Khandwalla (1972) unterbreitet Hypothesen, wie sich Unsicherheit, Komplexität oder Feindseligkeit der Umwelt im Unternehmen auswirken31 . Unsicherheit führt z.B. zu steigender Partizipation, offener Kommunikation, strukturellen Schutzmaßnahmen (wie vertikale Integration) oder zu einem vermehrten Einsatz von Werkzeugen (wie Forecasting). Darüber hinaus stehen Unsicherheit und Komplexität für den Einsatz hochentwickelter Systeme (wie Kontroll- und Informationssystemen), strukturelle Integration oder Differenzierung. Feindseligkeit hingegen bringt z.B. vermehrte Zentralisation, Routinisierung und Rationalisierung mit sich. Damit unterstreichen diese Ausführungen, dass die wahrgenommene Unsicherheit zu verschiedenen Aktionen im Unternehmen führen. Verschieden deshalb, weil einerseits Unsicherheit unterschiedlich stark wahrgenommen wird und verschiedene individuelle Ausprägungen erfährt, andererseits, weil differenzierte Reaktionen möglich sind, von personellen Veränderungen über strukturelle Änderungen bis hin zu Methodenvariationen. Neu: Wenn das Unternehmen Unsicherheit subjektiv wahrnimmt und interpretiert, dann folgen individuell unterschiedliche Reaktionen darauf. Die Wahrnehmung der Umwelt bzw. der Unsicherheit schlägt sich auch in den Phasen des SFA-Prozesses nieder. Milliken (1987) unterscheidet in drei Arten der Unsicherheit: „state 31 Auch Dutton und Webster (1988, S. 664) ziehen Schlussfolgerungen. Nehmen Mitarbeiter/innen und Entscheidungsträger hohe Unsicherheitsniveaus wahr, dann reagieren sie nach der Literatur in folgender Weise: 1. Unischerheit dämpft ein breites und unterschiedlich ausgeprägtes Interesse an dem Thema; 2. Individuen handeln opportunistisch, d.h. widmen sich eher lösbaren Themen als unlösbaren.
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
311
uncertainty“ 32 , „effect uncertainty“ 33 oder „response uncertainty“ 34 . Jede Art der Unsicherheit resultiert aus einer anderen Art fehlender Informationen. Im ersten Fall fehlt das Wissen über die Natur der Umwelt. Im Zweitem ist unbekannt, wie sich Veränderungen auf die Organisation auswirken und bei der dritten Art fehlen der Organisation die Informationen zu Antwortmöglichkeiten und -alternativen auf Umweltveränderungen. Diese Unterscheidung zieht verschiedene Aktionen der Akteure nach sich. So kommt Scanning oder Monitoring (Activation) zum Einsatz, wenn „state uncertainty“ vorherrscht (Milliken, 1990, S. 43)35 . Interpretationen (Assessment) befassen sich mit „effect uncertainty“, d.h. Akteure müssen die Auswirkungen von ’issues’ mit Bedeutung füllen, z.B. als Chance oder Bedrohung benennen (Milliken, 1990, S. 44). „Response uncertainty“ befasst sich mit Lerninhalten (Action). Neu: Wenn Unternehmen Unsicherheit wahrnehmen, dann folgen daraus die Schritte Activation, Assessment und Action, abhängig von der Art der Unsicherheit („state“, „effect“ und „response uncertainty“). Förderlich für Aktivitäten der Phase Activation sind z.B. der Stellenwert dieser Aktivitäten für das Unternehmen sowie die wahrgenommene strategische Variabilität der Umwelt, d.h. wie dynamisch die Umwelt gesehen wird und welcher Wert diesen Änderungen beigemessen wird (Boyd und Fulk, 1996, S. 5f). Daher können Unternehmen die Suchaktivitäten erhöhen, indem sie bestimmten Themen vermehrte Wichtigkeit beimessen (Boyd und Fulk, 1996, S. 14).
21.2
Externe Partnerschaften (EP) „...new technologies are both a stimulus to and the focus of a variety of
cooperative efforts that seek to reduce the inherent uncertainties associated with novel products or markets.“ (Powell et al., 1996, S. 117) Nicht nur interne Personen haben Einfluss auf das Unternehmen, auch externen Personen werden im SFA-Prozess – vor allem im Assessment – hinzugezogen (Dutton und Jackson, 1987, S. 83) (vgl. Abschnitt „Die Träger der Phasen“ 16.3). Eine Untersuchung von Eurostat zeigt, dass 2002-2004 26% aller innovativen Unternehmen in der EU27 bezüglich ihrer Innovation kooperierten. In Österreich gingen von 53% innovativer Unternehmen 17% Ko32 D.h. ein Teil der Umwelt wird als unvorhersehbar angesehen, die Person weiß nicht, wie die Umweltkomponenten sich verändern oder zusammenhängen, die Zukunft ist unsicher. Diese Art ist „perceived uncertainty“. 33 D.h. der Betroffene kann nicht voraussagen, welchen Einfluss Umweltveränderungen auf die Organisation haben kann, d.h. die Unsicherheit von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. 34 D.h. dem Betroffenen fehlt das Wissen über Antwortmöglichkeiten und Alternativen sowie deren Auswirkungen. 35 Nach Yasai-Ardekani und Nystrom (1996); Daft et al. (1988) erhöht sich die Scanningaktivität bei erhöhter Umweltunsicherheit.
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
312
operationen ein. Die häufigsten Partner/innen in der EU27 sind Lieferanten/innen und Kunden/innen, weniger Universitäten oder Forschungseinrichtungen (Eurostat, 2007).
21.2.1
Externe Partnerschaften in der Befragung
Nahezu jedes Unternehmen weist in der empirischen Untersuchung darauf hin, dass die spezielle Produktinnovation mit Hilfe von Externen durchgeführt wurde, oftmals in partnerschaftlicher Zusammenarbeit36 . Auch generell tendieren die Unternehmen zu Partnerschaften (z.B. die ELEKTRONIK-M-GMBH, die SYSTEM-G-AG, die ENTWICKLUNGSG-GMBH). Dabei wurden unterschiedliche Arten von Partnern/innen angesprochen, Vorteile und Probleme angeführt und die Intensität der Zusammenarbeit beschrieben. Ohne Partner/innen, so scheint es, sind SFA-Prozesse schwer durchführbar. 21.2.1.1
Art der Partner/innen
Partner waren Konkurrenzunternehmen, andere Unternehmen, Kunden/innen (sowohl intermediäre Kunden als auch Endkunden/innen), Experten/innen (von Beratung bis zu Designunterstützung), Universitäten und externe Institute sowie Lieferanten/innen (vgl. Tabelle 21.1). Vor allem Kunden/innen sind wichtige externe Einflussfaktoren, da sie Ideen anstoßen und in der Entwicklung mitverfolgen. So werden die Vorstellungen der Kunden/innen mit den Möglichkeiten des Unternehmens angepasst und ein Produkt für den Markt entwickelt – ein Erfolgsfaktor bei Produktinnovationen37 . Kunden/innen sind demnach wichtige Quellen für schwache Signale (vgl. Abschnitt „Schwache Signale“ 16.1.3.2). Ein erfolgversprechender Weg ist die Hinwendung zu ’lead usern’ bzw. Workshops mit ’lead usern’ aus verschiedenen Bereichen. Der Erfahrungsaustausch wird stark gefördert, Ideen aus nahen oder weit entfernten Gebieten werden auf die ursprüngliche Innovation übertragen. Bei Produktionsunternehmen spielen Intermediäre (als Kunden/innen) eine wesentliche Rolle. Ihre Überzeugungskraft und Filterung (zu Gunsten oder Ungunsten des Unternehmens) gegenüber den Endkunden/innen kann über den Erfolg einer Produktinnovation entscheiden. EP1: Wenn Unternehmen schwache Signale erkennen und Chancen ergreifen, dann ziehen sie eine Reihe externer Partnern/innen (Kunden/innen, Experten/innen, Lieferanten/innen, Universitäten, externe Institute, Intermediäre) hinzu – vor allem in der Phase Assessment (vgl. U1). 36 Die PAPIER-G-AG berichtet von keinem Einfluss von Externen. Grund dafür ist sicherlich die Größe des Unternehmens. 37 „Da war der Kunde ganz intensiv dahinter, wobei wir als Techniker natürlich die Lösungen gebracht haben.“ (ELEKTRO-M-GMBH). „Normalerweise ist immer ein Kunde dahinter...“, der dann auch ein bestimmtes Budget bereitstellt (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). „Denn das schönste Produkt nützt nichts, wenn es der Kunde nicht haben möchte“ (MASCHINENBAU-G-GMBH).
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
313
Beteiligte Partner/innen Kunden
Lieferanten
Experten
Universitäten&Institute
keine
GU7
GU6
GU5
GU4
GU3
GU2
GU1
MU5
MU4
MU3
MU2
MU1
Unternehmen
Tabelle 21.1: Beteiligte Partner/innen EP2: Wenn Kunden/innen in den SFA-Prozess involviert werden, dann werden schwache Signale eher erkannt und Chancen ergriffen (vgl. U1, U5).
21.2.1.2
Grund der Zusammenarbeit
Partnerschaften in SFA-Prozessen dienen sowohl der Erkennung schwacher Signale (bei Kunden/innen,...) als auch der Bewertung. Als Grund der Zusammenarbeit werden freiwillig gewählte und gesuchte Partnerschaften für den Kompetenz-, Wissens-, Ressourcenoder Informationsaufbau genannt (Quinn et al., 2005, S. 82). Die Stärken der beiden Parntner werden vereint, um mögliche Schwächen zu verringern. So dienen den innovierenden Unternehmen • andere Unternehmen, um zwei oder mehr Kompetenzen zu vereinen (METALLWARENM-GMBH), Kapazitäten bzw. Ressourcen auszuschöpfen (KUNSTSTOFF-M-GMBH) bzw. Arbeiten auszulagern (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). • Kunden/innen, um Ideen abzufragen (ELEKTRO-M-GMBH, SYSTEM-G-AG), gemeinsam ein Produkt zu entwickeln (ELEKTRO-M-GMBH), Sonderlösungen zu
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
314
garantieren (MASCHINENBAU-G-GMBH) oder finanzielle Unterstützung zu bekommen (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). • Lieferanten/innen, um Ideen zu generieren, Möglichkeiten abzufragen und Komponenten auszulagern (METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, SYSTEM-G-AG). • Experten/innen, um Ideen abzuprüfen (ELEKTRONIK-M-GMBH), zu bewerten (SYSTEM-G-AG) und andere Meinungen/Ideen zu sammeln (ELEKTRONIK-MGMBH). • Berater/innen, um richtige Prozesse und Methoden zu wählen und anzuwenden (METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRO-M-GMBH, SYSTEM-G-AG) oder Ideen umzusetzen (ELEKTRO-M-GMBH). • Designer/innen, Designstrategien und Designkompetenzen zu erhalten (METALLWAREN-M-GMBH, SYSTEM-G-AG). • Universitäten, um spezialisiertes Fachwissen, Untersuchungsergebnisse oder Infrastruktur zu erhalten (ELEKTRO-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH, SYSTEM-G-AG). EP3: Wenn externe Partner/innen in den SFA-Prozess einbezogen werden, dann fördert dies die Wahrnehmung schwacher Signalen sowie die Reaktionen darauf.
21.2.1.3
Intensität der Zusammenarbeit
Die Intensität der Zusammenarbeit ist sehr unterschiedlich. So reicht das Spektrum von starker, zwischen den Interessensparteien gleich aufgeteilter Zusammenarbeit über den gesamten Prozess hinweg bis hin zur punktuellen Einbeziehung bestimmter Personen in speziellen Prozessphasen (vgl. Tabelle 21.2 und Abbildung 21.1): 1. eine einmalige „Zusammenarbeit“ (Miteinbeziehen und Befragung von externen Experten/innen (ELEKTRONIK-M-GMBH), Workshops (METALLWAREN-M-GMBH, TEXTIL-G-GMBH), Erhebung des Kundenwunsches- bzw. auftrages (BAUTEILM-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH), Rücksprache mit Lieferanten/innen und Experten/innen (FAHRZEUG-G-AG)). 2. kurz- bis mittelfristige Zusammenarbeit über mehrere Male (gemeinsames Erarbeiten einer Checkliste mit einem Berater (METALLWAREN-M-GMBH, TEXTIL-GGMBH), punktuelles Einbeziehen von Lieferanten/innen oder Kunden/innen (ELEKTRONIK-M-GMBH, SYSTEM-G-AG)).
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
315
1 einmalig kurz− bis mittelfristig mittelfristig in speziellen Phasen mittelfristig in regem Austausch lange in regem Austausch sehr lange
6
Abbildung 21.1: Zusammenarbeitsintensitäten 3. mittelfristige Zusammenarbeit in einer speziellen Prozessphase (Umsetzung einer Idee mithilfe eines Designers (ELEKTRO-M-GMBH, SYSTEM-G-AG), Abstimmung und Ideengenerierung mit Lieferanten/innen (METALLWAREN-M-GMBH, SYSTEMG-AG), Entwicklung einer Teilkomponente mit einer Universität (ELEKTRONIKM-GMBH, SYSTEM-G-AG), Einbeziehen des Kunden/der Kundin in den Startphasen – Dialog mit Kunden/innen (MASCHINENBAU-G-GMBH), Einbeziehen des Kunden/der Kundin in der Bauphase (FAHRZEUG-G-AG), ästhetische Gestaltung mit Designern (FAHRZEUG-G-AG)). 4. mittelfristige Zusammenarbeit mit regem Austausch (Detailausarbeitung mit Universitäten und Forschungseinrichtungen (ELEKTRO-M-GMBH, ENTWICKLUNGSG-GMBH), Prozessbegleitung durch einen Berater (SYSTEM-G-AG)). 5. lange Zusammenarbeit mit regem Austausch (Produkt mit Kunden/innen oder anderen Unternehmen entwickeln (ELEKTRO-M-GMBH, METALLWAREN-M-GMBH, KUNSTSTOFF-M-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH, FAHRZEUG-G-AG)). 6. sehr lange Zusammenarbeit (Zusammenarbeit mit einem Designbüro über viele Jahre zur Entwicklung einer Designstrategie (METALLWAREN-M-GMBH)). Die Befragung zeigt, dass Kooperationen oftmals als sehr wichtig38 bzw. notwendig betrachtet werden. Sie sollen bei zukünftigen Projekten wieder bzw. verstärkt angewendet werden. Allerdings werden Kooperationen auch als problematisch gesehen. Die Art der 38 „Man kann nicht alles selber machen“ (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). Man benötigt „unbedingt“ Parnter (TEXTIL-G-GMBHa).
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
316
Intensität der Zusammenarbeit 2
3
4
5
6
keine
GU7
GU6
GU5
GU4
GU3
GU2
GU1
MU5
MU4
MU3
MU2
MU1
1
Tabelle 21.2: Intensität der Zusammenarbeit der Unternehmen Zusammenarbeit und die Intensitäten sind bei den befragten Unternehmen sehr unterschiedlich: formale Lizenzverträge (KUNSTSTOFF-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG), Koproduktionen (Johnson et al., 2005, S. 356) und lose einmalige oder kurzfristige Zusammenarbeiten. Auch die Kommunikationsintensität, die Regelmäßigkeit der Treffen oder des Austausches und die Übergabe von Verantwortung von Wissen an Externe sind unterschiedlich. Es gibt wenige Unterschiede zwischen GU und MU. Sehr lange Zusammenarbeiten (über mehrere Jahre hinweg) sind kaum üblich, mittelfristige und längere Kooperationen mit regem Austausch eher selten. Externe werden eher punktuell und sehr kurz oder in speziellen Prozessphasen miteinbezogen. Dies zeigt sich bei der näheren Analyse der Kooperationen und der Übergabe der Kompetenzen in den vorliegenden Fällen (vgl. Tabelle 21.3). Die ENTWICKLUNGS-G-GMBH ist ein Extremfall, da das Unternehmen die gesamte Entwicklung zu einem anderen Unternehmen auslagerte, um Zugang zu passenden Kompetenzen zu erhalten. Die KUNSTSTOFF-M-GMBH benutzte einen Konkurrenten, der die Hauptentwicklung übernahm. Die Idee an sich kam jedoch von den Unternehmen selber. Auch die METALLWAREN-M-GMBH setzte auf eine sehr gute und lange Zusam-
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
317
menarbeit mit einem Designbüro, gab jedoch nur einen Teil ihrer Tätigkeit ab. Anders war es z.B. in der ELEKTRONIK-M-GMBH, der BAUTEIL-M-GMBH oder der SYSTEMG-AG, die zwar Externe zu Rate zogen, jedoch die Entwicklung und Kernkompetenzen im Unternehmen beließen (abgesichert teilweise durch Geheimhaltungsvereinbarungen). EP4: Wenn Unternehmen SFA-Prozesse durchführen, dann ziehen sie externe Partner/innen punktuell und gezielt zum Prozess hinzu. EP5: Wenn notwendige Ressourcen für die Durchführung des SFA-Prozesses fehlen (sowohl bei der Wahrnehmung, als auch bei der Reaktion auf das schwache Signal), dann werden längere Kooperationen eingegangen. Allerdings werden die mit den Kooperationen verbundenen Nachteile von den Unternehmen benannt, wie z.B. der „Eigensinn“ des Parntners/der Partnerin, das hohe Konfliktpotenzial, Spannungen und Barrieren, gefährliche Abhängigkeiten, Vertrauensfragen, die Gefahr des einseitigen Abflusses von Know-how und der erhöhte Steuerungs- und Koordinationsaufwand (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 293). Die Notwendigkeit zur Kooperation sehen die Unternehmen in der Aufstockung ihrer knappen Ressourcen und damit der Eröffnung neuer Möglichkeiten, die alleine nicht realisierbar wären (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 294). Die Motive sind somit Ressourcen-, Zeit-, Kosten- und Marktfragen (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 294) und Spezialisierungsgründe (Johnson et al., 2005, S. 353).
Tabelle 21.3: Abgabe von Kompetenz
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
318
21.2.2
Externe Partnerschaften in der Lite-
ratur „Despite their desire to maintain autonomy, organizations cannot internally generate all the resources required for survival.“ (Carter, 1990, S. 315) Anpassungen, z.B. an Produktinnovationen, können entlang von zwei Achsen geschehen, entweder durch interne Aktionen oder durch Kooperationen mit anderen (Carter, 1990, S. 309) (vgl. Abbildung 21.2). intern
interne Entwicklung
interne + externe Entwicklung
externe Entwicklung extern
Abbildung 21.2: Externe Partnerschaften Externe Partnerschaften und Kooperationen werden neben internen Entwicklungen als Notwendigkeit für Innovationsentwicklungen angesehen (Powell et al., 1996, S. 119f). Die Erfahrung mit Kooperationen ermöglicht den Unternehmen, ihre Netzwerke auszudehnen und damit immer zentraler im Netzwerk zu werden. Das Ergebnis ist der Zugang zu vielen wertvollen Informationen (Powell et al., 1996, S. 138).
21.2.2.1
Eignung externer Partnerschaften
Produktentwicklungen werden nach Johnson et al. (2005, S. 344) als strategische Entwicklungen bezeichnet. Die strategischen Entwicklungen lehnen sich an Ansoff (1957) und seine Wachstumsmatrix an (vgl. Bickhoff (2008); Wulf (2007); Richardson und Evans (2007); Kotler und Bliemel (2001); Kußmaul (2008); Heinen (1984)). Dabei kann sich das Unternehmen einer internen Entwicklung bedienen und gänzlich aus eigener Kraft entwickeln (z.B. durch Kompetenzerweiterungen – Auswahl neuer Mitarbeiter/innen), Akquisitionen oder Fusionen mit anderen Unternehmen begehen (externe Entwicklung) oder als Mischform eine interne und externen Entwicklung durch Allianzen und Kooperationen suchen
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
319
(Johnson et al., 2005, S. 348ff; Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 286ff; Wulf, 2007, S. 21; Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 426; Dutton und Jackson, 1987, S. 83). Interne Aktionen verstärken die Unabhängigkeit der Organisation, externe Aktionen ermöglichen eine Risikoaufteilung zwischen Organisationen (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 428). Der Literatur nach werden Unternehmen zuerst interne Möglichkeiten in Betracht ziehen, bevor sie sich externen Partnerschaften zuwendenden, da diese günstiger sind und mehr Kontrolle beim Unternehmen verbleibt (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 429; Carter, 1990, S. 314). So sieht die FAHRZEUG-G-AG es als Stärke, dass die gesamte Entwicklung und Produktion eines Innovationsproduktes im Unternehmen selbst passiert39 . Darüber hinaus gehen Unternehmen eher zuerst Partnerschaften in den bestehenden Branchen und Unternehmensbereichen ein, bevor sie über die Grenzen in neue Domänen vorstoßen (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 429). Je höher die Dringlichkeit („urgency“) und Umsetzbarkeit („feasibilty“) von Chancen eingeschätzt werden, umso eher werden Partnerschaften eingegangen. In der vorliegenden Studie sind externe Partnerschaften sehr wichtig und kommen teilweise schon in der Phase Activation zum Einsatz. Eine Tendenz weist jedoch darauf hin, dass die befragten Unternehmen zuerst versuchen, die Idee und damit die Wahrnehmung der Chance intern zu regeln, und erst bei der Reaktion darauf externe Hilfe holen. Die rein interne Entwicklung wurde zwar einige Male betont, allerdings waren bei allen Unternehmen externe Einflüsse und Kooperationen in verschiedenen Intensitäten vorhanden. Dieses Ergebnis findet sich auch bei Carter (1990, S. 327) wieder. Dies lässt sich auf die Schwäche der internen Entwicklung zurückführen, welche darin besteht, dass oftmals ein langer Zeitraum benötigt wird und somit „Innovationspotenzial“ verloren gehen kann (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 287). Darüber hinaus sind die erforderlichen Kompetenzen nicht immer in den Unternehmen vorhanden. Vor allem bei MU sind häufig auch die nötigen Investitionen nicht möglich. Die Unternehmen in der Untersuchung bedienten sich vorwiegend der dritten Variante der Zusammenarbeitsintensität: der Kooperation mit externen Einflusspersonen. Dabei wird die Kooperation nicht nur im klassischen Sinne als Zusammenschluss zwischen zweier oder dreier Unternehmen gesehen, sondern auch auf andere externe Einflusspersonen wie Kunden/innen, Lieferanten/innen oder Experten/innen und auf kurz- bis mittelfristige Zusammenarbeiten erweitert. Dies ergibt relativ hohe Abhängigkeiten. Die Kooperation zeichnet sich durch die Schnelligkeit aus, mit der Entwicklungszeiten verkürzt werden können. Fähigkeiten können zu einem leistungsstarken Ganzen verbunden werden und das Risiko wird aufgeteilt (dies ist vor allem bei MU von Interesse) (Müller-Stewens und Lechner, 2005, S. 293). Die Notwendigkeit einer Kooperation findet sich auch in folgendem Argument wieder, das besagt, dass andere Unternehmen oder Externe ein Teil der Unternehmensumwelt sind. Der Austausch mit der 39 „Und es gibt halt einfach ein kompletteres Ganzes, das auch zuverlässiger ist und wofür wir auch über die 15 Jahre der Lebensdauer die komplette Nachsorge bei den Ersatzteilen und dem Kundendienst gewährleisten können.“ (FAHRZEUG-G-AG).
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
320
Umwelt ist, per Definition eines offenen Systems, für das Überleben oder die Anpassung der Unternehmung notwendig. Daher ist das Einbeziehen einiger Umweltparteien in Kooperationen eine logische Schlussfolgerung daraus (Carter, 1990). Kooperationen werden somit als Austauschbeziehung mit Umweltkomponenten verstanden. Gerade die Umwelt ist in der SFA – wie an anderer Stelle bereits festgestellt wurde – von großer Bedeutung. EP4 teilweise bestätigt: Unternehmen ziehen interne Entwicklungen den externen Auslagerungen vor. EP5 bestätigt: Ist die interne Entwicklungskapazität nicht vorhanden, so werden Kooperationen eingegangen. 21.2.2.2
Thema des Vertrauens40
Der Haupterfolgsfaktor bei längeren Zusammenarbeiten ist das Vertrauen: „Trust is probably the most important ingredient of success and a major reason for failure if it is absent“, sowohl im Hinblick auf das Vertrauen in die Kompetenzen des anderen („competence based trust“) als auch in den Charakter und die Motive des Partners/der Partnerin („character based trust“) (Johnson et al., 2005, S. 357). Dabei bemängelten die befragten Unternehmen vor allem das Kompetenz-Vertrauen in ihre Partnerschaften. Die Problematik des Vertrauens zu den jeweiligen Partnern/innen resultiert unter anderem aus sequentiellen oder reziproken Interdependenzen des Innovationsprozesses (Steinmann und Schreyögg, 2000, S. 565). D.h. Vorleistungen bestimmen die Leistungsqualität der nachfolgenden Einheit, oder die Arbeitsprozesse bedingen sich abwechselnd und gegenseitig. Der Einfluss bzw. der Druck, den man auf Externe ausüben kann, ist im Vergleich zum Druck innerhalb des Unternehmens kleiner. Ein anderer Problempunkt ist die Schwierigkeit, unterschiedliches Know-how auf eine gemeinsame Basis zu stellen. Die Anforderungen des Unternehmens können daher oft mit den externen Partnern/innen nicht erfüllt werden. Diese divergierenden Interessen führen zu Problemen in der Zusammenarbeit. Eine Lösung ergibt sich mit Blick auf die Spieltheorie. Sie beschäftigt sich mit der Entscheidung, ob in einer Spielsituation (z.B. einer Partnerschaft), kooperativ oder nicht kooperativ zu agieren (Reber, 1973; Axelrod, 2000; Crott, 1979). So erhöht die Kommunikation (bei „kooperativen Spielen“, die einen Austausch zwischen den Parteien erlauben) die Wahl der kollektiven Strategien (Reber, 1973, S. 80; Crott, 1979, S. 145). Das Ausspielen von Macht in Form von z.B. Drohungen ist zweischneidig. Es kann zu besseren Kooperationen führen, jedoch nur, wenn der ausgesprochenen Drohung auch Taten folgen, Drohungen überhaupt möglich sind und mit den Drohungen die Vertrauensbasis nicht von vornherein zerstört wird (Reber, 1973; Swingle, 1970). Eine Steigerung des Vertrauens ist grundsätzlich bei einem mehrmahligen Spielen gegeben (Crott, 1979, S. 127; Williamson, 1993, S. 466), bei der mit Vergeltungsschlägen bei nicht-kooperativem Verhalten gerechnet 40
Vgl. z.B. auch Williamson (1993); Sabel (1993).
21.2. EXTERNE PARTNERSCHAFTEN (EP)
321
werden muss (im Sinne z.B. von „Tit for Tat“ (Axelrod, 2000)). Deshalb ist das Anstreben einer längeren Kooperation durchaus nützlich (wie die METALLWAREN-M-GMBH und die ELEKTRONIK-M-GMBH dies auch anführen)41 . Der Output wird mit längeren Kooperationen standardisiert (z.B. das Schaffen einer Marke durch ein durchgängiges Design). Darüber hinaus kann die gewonnene Vertrauensbasis zu späteren Zeitpunkten für ein andere Projekte sehr nützlich sein42 . Diese Strategie, das Eingehen längerer Beziehungen, widerspricht den kurzen und punktuellen Partnerschaften der befragten Unternehmen. Neu: Je länger eine Beziehung besteht und je intensiver kommuniziert wird, umso fruchtbarer gestaltet sich die externe Partnerschaft und wirkt sich positiv auf den SFA-Prozess aus. 21.2.2.3
Gestaltung der Partnerschaft
Ein wichtiger Aspekt bei den externen Einflusspersonen ist die Gestaltung und Handhabung der Beziehung (Powell et al., 1996, S. 142). Manchmal müssen Externe ungewollt in den Prozess miteinbezogen werden, z.B. Lieferanten/innen, da das nötige Know-how und bestimmte Produkte im Unternehmen selbst nicht vorhanden sind. Andererseits suchen vor allem MU – entsprechend der Literatur – nach Partnern/innen oder Experten/innen, da sie von außen vergleichsweise einfach Wissen, Informationen und Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, und ohne die Partnerschaft das Produkt nicht oder nicht in der vorliegenden Form herstellen könnten. Die negative Abhängigkeit lässt sich jedoch durch ein kontrolliertes Einbeziehen des externen Partners/der externen Partnerin verbessern und kann sogar Chancen bieten. Nicht alle Externen können gleich berücksichtigt werden, eine Priorisierung ist nötig. Diesen Ansatz vertritt auch das Stakeholdermanagement (Freeman und McVea, 2001; Carroll und Buchholtz, 2003; Schreyögg, 1999; Post et al., 1999): d.h. die Interessen der Anspruchsgruppen im Unternehmen zu berücksichtigen. Anspruchsgruppen sind: primäre Stakeholder (Investoren/innen, Shareholder, Mitarbeiter/innen, Manager/innen, Kunden/innen, Lieferanten/innen, Partner/innen,....) und sekundäre Stakeholder (Regierung, soziale Gruppen und Vereine, Medien, Wettbewerber/innen, Handelsgesellschaften,...), deren Ansprüche sich durch unterschiedliche Legitimität, Macht und Dringlichkeit auszeichnen und eine Priorisierung benötigen (Carroll und Buchholtz, 2003, S. 71ff). Durch die bewusste Planung der Partnerschaften, d.h. durch eine Priorisierung der Partner/innen und die Festlegung, mit welcher Intensität diese in den Prozess miteinbezogen werden sollen, können die nötigen Ressourcen gewinnbringend in das Unternehmen inklu41 „...wir sollten den richtigen Partner finden und das muss ein gegenseitiges Hochschaukeln sein. Die sind nicht nur in der Startphase dabei sondern eigentlich bis zur Markteinführung.“ (METALLWARENM-GMBH) 42 „Wir haben schon Kontakte gehabt und durch die intensive Zusammenarbeit sind wir eben auf solche Marktfelder gestoßen.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH)
322
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
diert werden. Dies bringt Vorteile bei der Entdeckung schwacher Signale, falls das Unternehmen dort Unterstützung braucht. Wesentlicher ist jedoch der Beitrag in den späteren Phasen des SFA-Prozesses, bei der Reaktion auf das schwache Signal. Nötiges Spezialwissen wird durch Partner schnell in das Unternehmen eingespeist. Sind die Partnerschaften gut geplant und gefestigt, dann werden negative Auswirkungen (wie Wissensabfluss) verhindert. Das ist vor allem bei Produktinnovationen von großer Bedeutung. Neu: Wenn Partnerschaften und deren Intensität und Gestaltung intensiv geplant und durchdacht werden, dann wirkt sich das positiv auf den SFA-Prozess aus.
21.3
Zusammenfassung
In Bezug auf die Umwelteinflüsse konnte keine konkrete Unterscheidung zwischen GU und MU getroffen werden. Das Selbe gilt für externe Partner/innen. Beide Bereiche sind für die Unternehmen wichtig. Die Umwelt fließt im SFA-Prozess somit unmittelbar in die Phasen ein: in der Phase Activation durch die Aufnahme schwacher Signalen aus der Umwelt, in der Phase Assessment durch die Einbeziehung unternehmensexterner Personen. In der Literatur werden, in Bezug auf die Informationsquellen von Unternehmen, Aussagen zu mittleren und größeren Unternehmen und Unterschiede zwischen den Gruppen angeführt. Auch wenn diese in der Empirie nicht festgestellt werden konnten, so sind die Einsichten interessant und werden vollständigkeitshalber kurz angeführt.
21.3.1
Umgang mit Informationen
Die folgenden beiden Abschnitte behandeln die Frage, wie mittlere und große Unternehmen mit Informationen umgehen. Sie berücksichtigen die Unterschiede in der Handhabung von Informationen zwischen den beiden Unternehmenstypen. 21.3.1.1
Umgang mit Informationen in mittleren Unternehmen
Kleinere Unternehmen wenden relativ mehr Zeit für die Informationssuche auf als größere Unternehmen – allerdings abhängig vom Interessens- und Beobachtungsbereich (Johnson und Kuehn, 1987, S. 56; Pineda et al., 1998, S. 63). Sie befassen sich aber mit einem engeren Ausschnitt der Umwelt als GU (Johnson und Kuehn, 1987, S. 60), da sie keine Unterstützung von funktionalen Spezialisten/innen erhalten und/oder nur ungenügendes Spezialknow-how vorhanden ist (Pineda et al., 1998, S. 60). MU können damit nicht schnell auf spezielle Quellen zurückgreifen, sondern müssen selbst eine tiefere Suche vornehmen. Unterstützend kommt allerdings jene Tatsache hinzu, dass MU häufig in den konkreten und eingeschränkten Suchfeldern selbst tätig sind und damit einen tieferen Einblick haben (Pineda et al., 1998, S. 62). Die Informationssuche ist stark von der Führungsspitze und deren Interessensbereich geprägt (Johnson und Kuehn, 1987, S. 57), da diese zusätzlich
21.3. ZUSAMMENFASSUNG
323
einen hohen „internal locus of control“ aufweist, d.h. sich selber eher vertraut als externen Quellen (Pineda et al., 1998, S. 68). Das Hauptaugenmerk legen MU in der Literatur auf ökonomische Informationen, gefolgt von technologischen und weniger auf Informationen aus dem politischen Umfeld. Marktinformationen (wie z.B. demographische Daten, Kundenprobleme, Produkte, neue Wettbewerber von Kunden/innen und Lieferanten/innen, seltener von Konkurrenten/innen oder externen Beratern/innen (Hartman et al., 1994, S. 37))43 sowie Informationen über Wachstumsmöglichkeiten werden eher von MU aufgenommen (da sie als verständlicher gelten) als von GU. Sie bringen damit den Unternehmen zeitnähere und realistischere Bilder der jeweiligen Situationen (Johnson und Kuehn, 1987, S. 58; Smeltzer et al., 1988). MU wird die Stärke nachgesagt, für die Frühaufklärung besser verwendbare Informationen zu generieren. Zeitnähere Informationen ermöglichen es, rechtzeitig schwache Signale zu erkennen. Da in MU die Informationskanäle generell einfacher und kürzer sind (Pfohl, 1997a, S. 20), gelangen diese Informationen schneller zu jenen Personen, die den SFA-Prozess einleiten (Innovatoren/innen) oder unterstützen (z.B. Geschäftsführung). Ob MU vermehrt interne oder externe Informationen aufnehmen, ist in den Studien umstritten. Bei Johnson und Kuehn (1987) ist überwiegt die externe Informationsaufnahme44 , bei Pineda et al. (1998) die interne. Hauptsächlich werden in MU verbale, persönliche Informationen geschätzt, im Gegensatz zu schriftlichen Dokumenten (Johnson und Kuehn, 1987, S. 59; Pineda et al., 1998, S. 60; Hartman et al., 1994, S. 37; Smeltzer et al., 1988). Ressourcen- und Zeitbeschränkungen, sowie die persönliche Wichtigkeit von Themen, beherrschen die Art und Weise der Informationssuche. Es wird auf die eigene Erfahrung und das eigene Know-how („high internal locus of control“, d.h. Vertrauen in sich selbst), Inspiration und auf leicht zugängliche Informationen („readily available informations sources“ (Pineda et al., 1998, S. 61)) zurückgegriffen (Hinweis auf „bounded rationality“). Dies ermöglicht zwar einen schnellen Informationsaufbau, die Quellen sind jedoch stark auf persönliche Kontakte (Freunde, Familie,...) eingeschränkt und somit sehr subjektiv. Damit können die Informationen stark verzerrt sein. Andererseits ermöglicht gerade der verbale Informationsaustausch die Vermittlung von subjektiven Informationen und schwachen und schwer zugänglichen Signalen. Die eigene Erfahrung und der Einsatz von Inspiration bringen kreative Prozesse in Gang, die für die Signalerkennung von hoher Bedeutung sind.
43 Julien und Raymond (1999, S. 290) sehen für kleinere und mittlere Unternehmen zuerst Marktund Industrieinformationen (Kunden/innen, Lieferanten/innen,...) als wichtigeste Quelle an, gefolgt von menschlichen Kontakten (Mitarbeitern/innen) und geschriebenen Informationen wie Broschüren oder Kataloge. Informale Methoden dominieren bei MU über formalen Methoden (Julien und Raymond, 1999, S. 290). 44 „...managers of small businesses have enjoyed a special reputation as „gifted readers“ of business and economic conditions.“ (Johnson und Kuehn, 1987, S. 54).
324 21.3.1.2
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT Umgang mit Informationen in großen Unternehmen
In der Befragung tritt hervor, dass GU neben jenen Quellen, die auch MU nannten, noch zusätzliche Informationskanäle nutzen, z.B. spezielle Abteilungen45 . Dass GU mehr Umweltbereichen und -einflüssen (damit Informationen) ausgesetzt sind, findet sich auch in der Literatur wieder. GU wurden oft durch Diversifikationen groß, die zu einer größeren Anzahl an Produktdomänen und Umweltfeldern führten. Daher bedienen sich GU multipler und heterogener Marktbereiche (Yasai-Ardekani und Nystrom, 1996, S. 190). Darüber hinaus haben GU eine stärkere Basis an Ressourcen, z.B. in Form von Spezialisten/innen, die sich mit gewissen Themen auseinandersetzen (Pineda et al., 1998, S. 60). Je größer das Unternehmen, umso mehr Kontakte weist es nach außen und innen auf (Day und Schoemaker, 2007, S. 22). GU wird unterstellt, vermehrt von Stakeholdern beeinflusst zu werden, da sie für die Umwelt sichtbarer sind (Julian et al., 2008, S. 975). Uneinig ist sich die Literatur, welche Informationsquellen eher von GU verwendet werden und welche Form diese Informationen aufweisen. Johnson und Kuehn (1987, S. 57, 60) kommen zu dem Ergebnis, dass GU den Hauptteil ihrer Aufmerksamkeit für Technologiedaten und politische Informationen verwenden, da diese schwieriger erhältlich und zu interpretieren sind als marktbasierende Informationen. GU können durch den Einsatz von Spezialisten/innen solche Informationen besser verarbeiten (Pineda et al., 1998, S. 62). Das bedeutet, dass Innovatoren/innen die Informationen über Informationskanäle zugespielt bekommen und nicht selbst an ihrer Erfassung beteiligt sind. Gleichzeitig wird damit die Anzahl der erkannten Chancen verringert. Technologie- und Politikdaten können für die SFA relevant sein. Inwieweit die intensive Beschäftigung jedoch für eine bessere Chancenerkennung relevant ist, ist unklar. Keegan (1974) untersuchte Informationsquellen bei multinationalen Unternehmen. Innerhalb der Kategorien „menschlich“, „aktenmäßig“ und „physischen Artefakten“ war Erstere die bedeutenste Quelle von Informationen, und dort vor allem Personen aus dem äußeren Organisationsumfeld (von Banken, Anwälten/innen, anderen Spezialisten/innen, Wettbewerbern/innen, Kunden/innen, Lieferanten/innen). Bei Johnson und Kuehn (1987, S. 57, 126) beziehen GU ihre Informationen vorrangig aus Printmedien oder Gruppentreffen, durch formale und unpersönliche Informationskanäle. Bei Keegan (1974, S. 418) wiederum werden informale Scanning-Aktivitäten von den GU im Gegensatz zum speziellen Monitoring bevorzugt, bzw. konnten formale Methoden kaum aufgefunden werden. Deshalb 45 In der PAPIER-G-AG werden Informationen über das Qualitätsmanagement, welches sich mit ökologischen Fragestellungen und Nachhaltigkeit beschäftigt, bearbeitet. Darüber hinaus bringt auch der Bereich R&D, der vor allem in der Grundlagenforschung tätig ist, neues Wissen in das Unternehmen. Es gibt einen eigenen New Business Development Bereich. Diese Abteilung beschäftigt sich vor allem mit dem Monitoring der Umwelt, erstellt Marktforschungsberichte, analysiert Trends und sucht Literatur und Suchdienste ab. Sie stellt auch eine Schnittstelle zu den anderen Einheiten dar. In der SYSTEM-G-AG sind der technische Support und das Service wichtig, da sie jeden Tag engen Kontakt zu den Kunden/innen haben. Die FAHRZEUG-G-AG bedient sich einer speziellen Einheit, eines „Arbeitskreises Innovation“, der Informationen sammelt und verwertet. Servicecenter aus der ganzen Welt speisen Informationen ein.
21.3. ZUSAMMENFASSUNG
325
lassen sich keine spezifischen Testhypothesen daraus ableiten. Unklar ist auch, ob die Quellen von Informationen eher außerhalb oder innerhalb der Unternehmen liegen. Überraschend ist, dass wenige Informationen von unteren Managementebenen, z.B. von Personen die im ständigen Kontakt mit den Tagesaktivitäten stehen, kommen (Keegan, 1974, S. 415). Dokumente von außerhalb des Unternehmens werden bei Keegan (1974, S. 417) bedeutender eingestuft als interne Dokumente. Vorhandene Informationssysteme in den Unternehmen widmen sich vorrangig internen Informationen.
21.3.2
Netzwerke als Chancenerkennungswerkzeug
Wie bereits festgestellt wurde, erhöht sich die Chance schwache Signale wahrzunehmen, je größer das Netzwerk (d.h. die Anzahl der Kontakte) ist (Singh et al., 1999, S. G2). GU sind tendenziell diversifizierter aufgestellt, und für sie ist der Zugang zu größeren Netzwerken einfacher. Dies begünstigt das Einbeziehen einer Vielzahl verschiedener Einsichten (Singh et al., 1999; Wiedmann, 1984). In der Empirie wurden Netzwerke kaum genannt und explizit angeführt. ’Weak ties’ sind wichtig, sowohl in GU als auch in MU (Beise et al., 1995). Bei kleineren Unternehmen wird in Studien bestätigt46 : „entrepreneurs’ personal social networks ... [are] the „most significant resource of the firm““ (Singh et al., 1999, S. G1). Ziel ist es, zu einem Mehr an Informationen zu kommen, verschiedene Blickwinkel kennenzulernen und davon zu profitieren. MU wenden sich nach Julien et al. (2004) und Smeltzer et al. (1988) eher informalen persönlichen Quellen zu (Kunden/innen, Mitarbeitern/innen, Verkaufspersonal oder Lieferanten/innen, Freunden). Diese sind jedoch vorwiegend ’strong tie networks’. Der verstärkte Kontakt zu ’weak ties’ ist wünschenswert, da „they help....think beyond what is known, look beyond what they are used to doing, and spot new opportunities for technological innovation.“ (Julien et al., 2004, S. 254)47 . Der Ausbau dieser Netzwerke sollte konkret vorangetrieben werden. Zur Identifikation dienen zum einen komplexe rationale Methoden wie das Schneeball-System48 oder intuitive (und damit nicht „objektiv gültige“) Erfassungen des Netzwerkes auf Grund von Erfahrungen und heuristischen Verfahren (Müller, 1981, S. 166).
21.3.3
Externe Partnerschaften
Nahezu jedes Unternehmen zieht externe Partner/innen im SFA-Prozess hinzu. Auffallend wenig verschiedene oder überhaupt keine Partner/innen werden bei jenen Unternehmen 46 Singh et al. (1999, S. G3) dazu: „The findings show support for the importance of self-perceived altertness and social network characteristics to the opportunity recognition process“. 47 In der Befragung zeigte sich, dass jene ’weak ties’ sowohl in GU als auch in MU zum Einsatz kamen, vgl. Abschnitt „Externe Partnerschaften“ auf Seite 311. 48 Über Befragungen werden Kommunikationsbeziehungen erschöpfend aufgedeckt.
KAPITEL 21. EINFLÜSSE AUS DER UMWELT
326
hinzugezogen, die intuitive Pfade den rationalen vorziehen. Das Gleiche gilt für Unternehmen mit parallelen oder kombinierten Prozesspfaden. Rationale Unternehmen wenden sich einer Vielzahl an Partnern/innen zu. Bei der Intensität der Zusammenarbeit ergibt sich, dass die METALLWAREN-M-GMBH als kombinierter Pfadanwender intensive und lange Kooperationen bevorzugt, während intuitive Pfadanwender, wie die PAPIER-G-AG oder die KUNSTSTOFF-M-GMBH, keine oder nur einmalige Kooperationen eingehen. Rationale Unternehmen befinden sich im Mittelfeld der Intensitätsskala. Unterschiede auf Grund der Unternehmensgrößen gibt es kaum (bis auf die PAPIER-G-AG, die auf Grund der Größe keine Partnerschaften benötigt). Damit können Aussagen der Literatur, dass MU vermehrt auf externe Personen zurückgreifen und GU weniger (auf Grund von Ressourcenknappheit), nicht geteilt werden. Zwei Hauptstränge lassen sich jedoch ableiten: die Frage des Vertrauens und der Konkurrent/die Konkurrentin als Partner. Sie werden in den nächsten Abschnitten kurz dargelegt. 21.3.3.1
Vertrauensprobleme
Das Thema Vertrauen und „sich auf den Partner/die Partnerin verlassen“ wurde vermehrt von MU angesprochen (Lampel und Shapira, 2001, S. 600). Sobald Externe in den Prozess miteingezogen werden, ist man von ihnen und ihren Leistungen abhängig, und damit ist das Projekt nicht mehr zu 100% „prozesssicher“ (METALLWAREN-M-GMBH), bzw. es muss „viel Lehrgeld bezahlt werden“ (METALLWAREN-M-GMBH), d.h., es kommt zu Verzögerungen. So haben nach Aussage eines Unternehmens die Lieferanten/innen bzw. Designer/innen „keine Ahnung von der Technik“ (ELEKTRO-M-GMBH). Toleranz, Lernbereitschaft und Vertrauensvorschüsse sind gefragt49 . Hilfreich sind nach Aussagen der Unternehmen eine langjährige Zusammenarbeit bzw. Vorerfahrungen mit dem Partner/der Partnerin, in der diese bereits eingeschätzt werden konnten bzw. sich auch beide Parteien aneinander angepasst oder voneinander gelernt haben. Der regelmäßige Austausch, der durch modernste Medien unterstützt wird, und die Kompetenz- und Arbeitsteilung sind essentiell50 . So ist auch zukünftiges Zusammenarbeiten leichter herzustellen. Problematisch ist die Zusammenarbeit von Unternehmen in der gleichen oder in nahen Branchen, da keine völlige Vertrauensbasis geschaffen werden kann. Die Gefahr des Knowhow-Abflusses bzw. der Stärkung der Konkurrenz ist in diesen Fällen gegeben, die Zusammenarbeit wird gebremst und negativ beeinflusst. Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sehen die Unternehmen nur bei Standardprodukten, nicht jedoch bei Innovationen. Vertrauensprobleme können in allen Unternehmen existieren. Möglicherweise ist die Auswirkung dieser Probleme in MU stärker als in GU. MU sind meist Spezialisten/innen in 49 „...das Vertrauen zieht sich überall durch, die [eigenen Mitarbeiter/innen] müssten halt das Vertrauen haben, dass der Designer das richtig macht. Und wenn man langjährig mit den Designern zusammenarbeitet muss man auch irgendwann das Vertrauen haben.“ (METALLWAREN-M-GMBH) 50 „Und wir haben da Schrittetrennung. Also die Formensprache machen die Designer und die Technik dahinter die machen wir.“ (METALLWAREN-M-GMBH)
21.3. ZUSAMMENFASSUNG
327
einem Gebiet und stützen sich auf einen kleinen spezialisierten Marktteil. GU weisen tendenziell eine diversifizierte Struktur auf und es gelingt ihnen ein größerer Risikoausgleich. GU sind auch einflussreicher in ihren Partnerschaften, können mehr Druck ausüben als dies für MU der Fall ist. Daher wirken sich die Nachteile externer Partnerschaften bei GU nicht so stark aus wie bei MU. 21.3.3.2
Konkurrent/innen als Partner/innen
Widersprüchlich war die Aussage von zwei Unternehmen zur Rolle des Mitbewerbs bei der Entwicklung des Produktes. Eines sprach sich völlig gegen eine Partnerschaft mit einem Mitbewerber/einer Mitbewerberin aus, da es seine Alleinstellung bedroht sah und einen Abfluss von Know-how befürchtete. Das andere Unternehmen konnte nur auf Grund des Mitbewerbs das Produkt in einer Kooperation entwickeln. Dabei war der größere Konkurrent an das MU herangetreten. Beide Unternehmen haben sich auf eine friedliche Kooperation und Lizenzvergabe geeinigt, was für beide Seiten bisher von Vorteil war. Das MU konnte das Produkt in einem Maße entwickeln, wie es alleine auf Grund der Ressourcen nicht möglich gewesen wäre – das GU bekam eine innovative Lösung für ein eigenes Problem zur Verfügung gestellt. Konkurrenten/innen als Partner/innen können sich somit unterschiedlich in den Unternehmen auswirken. Einerseits kann eine Win-Win Situation für die kooperierenden Unternehmen geschaffen werden, unabhängig von den Unternehmensgrößen. MU profitieren von den zusätzlichen Kapazitäten und Ressourcen der GU, GU von Spezialwissen und -lösungen der MU. Tendenziell größer ist das Risiko allerdings in solchen Partnerschaften für MU, deren Kernkompetenz an eine/n möglicherweise größere/n Partner/in abfließen könnte. Partnerschaften zwischen Konkurrenten/innen mit unterschiedlichen Unternehmensgrößen sind demnach als problematisch zu betrachten.
Teil VI Schlussfolgerungen
Kapitel 22 Zusammenfassende Erkenntnisse Für die Strategische Frühaufklärung ergibt sich ein Prozessmodell, das sich nicht sonderlich zwischen GU und MU unterscheidet. Bevor das Gesamtmodell vorgestellt wird, werden einige wichtige Debatten kurz zusammengefasst. Der Strategische Frühaufklärungsprozess kann als Vorprozess des Strategischen Managementprozesses oder als erste Phase dieses Prozesse angesehen werden. Im Bereich der Chancenerkennung für Produktinnovationen ist der Strategische Frühaufklärungsprozess Innovationsmanagementprozessen, wie dem Stage-Gate-Prozess, vorgelagert (Cooper, 2002; Cooper et al., 2002b; Cooper, 2006; Cooper und Edgett, 2008; Cooper, 2009b). Systematischen Prozessen im Innovationsmanagement wird eine erhöhte Erfolgsquote, z.B. im Sinne von Produktinnovationen am Markt, unterstellt (Cooper, 1988, S. 240; Cooper, 1990; Cooper, 2000; Cooper und Kleinschmidt, 1993). Cooper (1988, S. 241) kommt zu dem Schluss, dass „the most pivotal activities – those where the differences between success and failure were the greatest – were the up-front or early activities in the new product process.“ Darüber hinaus findet der Autor einen engen Zusammenhang zwischen den Prozessen, d.h. der Qualität dieser Prozesse und dem Ergebnis, d.h. dem Erfolg (Cooper, 1988, S. 242). Diese Ergebnisse veranlassen den Autor, den Stage-Gate-Prozess zu definieren. Demnach durchlaufen Produktinnovation gewisse Phasen („stages“), die durch Tore („gates“) voneinander getrennt sind. Diese ’gates’ legen fest, ob der Prozess fortgeführt wird oder nicht (Cooper, 1988, S. 252; Cooper, 2009a, S. 13) (vgl. Abbildung 22.1). Ausschlaggebend sind dabei „gate keepers“, die die Entscheidung für einen Schritt zurück, einen Abbruch, die Weiterverfolgung oder für Veränderungen treffen (Cooper, 1990, S. 46). In diesen Prozessen ist die Einbindung von Kunden/innen – als Stimme des Marktes – wichtig, und zwar bereits in frühen Phasen (vgl. z.B. Cooper und Kleinschmidt, 1993, S. 21; Cooper und Edgett, 2008, S. 49)1 . Vorarbeiten sollte nach Cooper und Kleinschmidt 1 Methoden sind z.B. Kundenbesuche mit Tiefeninterviews, Konsumentenbeobachtungen vor Ort, ’Lead-user’-Analysen, Fokusgruppen über bestimmte Problemstellungen, Brainstorming mit Kunden/innen,... (Cooper und Edgett, 2008, S. 51; Cooper et al., 2002a).
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331
Abbildung 22.1: Stage-Gate-Prozess (1993, S. 22) hohe Beachtung geschenkt werden. Hier zeigen sich die Parallelen zum Strategischen Frühaufklärungsprozess. Cooper und Kleinschmidt (1993, S. 23) betonen darüber hinaus mehrmals die Wichtigkeit von übergreifenden Gruppen und die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen. Später fügen Cooper (2009b); Cooper et al. (2002a) dem Prozess eine vorgelagerte Phase hinzu, die Ideenfindung: „Ideas are everywhere, inside and outside of the company. The trouble is, they often lie fallow; no decisions are made on them, and no actions are taken.“ (Cooper et al., 2002a, S. 22). Diese Vorphase stellt wiederum ein systematisches Vorgehen zur Ideengenerierung dar. Der Autor beginnt dabei den Prozess mit dem Namen „open innovation“, um Ideen von außen in das Unternehmen zu lassen (Cooper, 2009b, S. 55). Diese erste Phase könnte man grob in den Strategischen Frühaufklärungsprozess eingliedern. Tendenziell unterstreichen die Arbeiten des Autors die Wichtigkeit der Strategischen Frühaufklärung. Ziel des Stage-Gate-Prozesses ist es, durch Phasen und Entscheidungsknoten die Anzahl der Ideen frühestmöglich zu reduzieren. Damit werden große Kostenund Ressourceneinsparungen geschaffen. Wird ein ausgebauter Strategischer Frühaufklärungsprozess vorgelagert, so ist die Reduktion der Ideen bereits zu Beginn des Prozesses möglich (vgl. Abbildung 22.2). Rückkoppelungsschleifen, vor allem in der Phase A3, optimieren den Prozess darüber hinaus und legen den Fokus auf die eine potenziell erfolgreiche Idee (vgl. Abbildung 22.3). Darin erkennt man das vermaschte Regelkreissystem zwischen dem Innovationsprozess und dem Strategischen Frühaufklärungsprozess und innerhalb des Strategischen Frühaufklärungsprozesses. Die folgenden Abschnitte behandeln die Intuition-Rationalitäts-Debatte, die förderlichen und hinderlichen Faktoren im SFA-Prozess, das abgeleitete Strategische FrühaufklärungsProzessmodell, die SFA als personelles oder strukturelles Thema und die Thematik der ’rare events’-Forschung.
332
KAPITEL 22. ZUSAMMENFASSENDE ERKENNTNISSE
A1
A2
A3
1
2
3
4
5
6
Erfolg
Ideenzahl eingeschränkt durch strategischen Frühaufklärungsprozess Ideenzahl eingeschränkt durch Stage−Gate Prozess Ideenzahl gesamt
Abbildung 22.2: Strategischer Frühaufklärungsprozess und Stage-Gate-Prozess
Abbildung 22.3: Vermaschte Rückkopplungsschleifen
Kapitel 23 Die Intuition-Rationalitäts-Debatte „Eine gute Strategie ist in gleichem Maße Kunst (Intuition, Kreativität) wie Wissenschaft (Analyse, Bewertung).“ (Rall und König, 2005, S. 15) In den Befragungen zeigte sich, dass sich die Strategische Frühaufklärungsprozeduren in den verschiedenen Unternehmen unterscheiden. Sie sind jedoch nicht nur von der Unternehmensgröße abhängig. Andere Aspekte, wie die Strategie oder die Kultur sind maßgeblicher für die Ausgestaltung des Prozesses.
23.1
Probleme der Intuition
Im Zusammenhang mit Intuition wurden Probleme in den befragten Unternehmen angesprochen, sodass z.B. Intuition alleine – ohne Informationen über das Unternehmen (die Strategie) oder die Kunden/innen – nicht hilfreich ist (ELEKTRO-M-GMBH, BAUTEILM-GMBH)1 . Sie kann sogar störend und hemmend sein, in dem Sinn, dass eingebrachte Ideen schnell von jedem subjektiv bewertet und durch eine „Laune“ eines Einzelnen wieder verworfen werden (METALLWAREN-M-GMBH, PAPIER-G-AG). Eine tiefere und systematischere Bewertung wäre von Unternehmensseite her wünschenswert (BAUTEILM-GMBH). In diesem Zusammenhang wird auch die Wichtigkeit von einfachen aber praktischen Instrumenten zur objektiveren Bewertung angesprochen, die z.B. auch die Bedürfnisse des Kunden/der Kundin miteinbeziehen (z.B. Checklisten, Zeichnungen zur besseren Präsentation von Ideen, ’best-pratice’-Beurteilung, d.h. einfache, gut an das Unternehmen angepasste, praktische und schnelle Methoden2 ). Das Gleiche gilt für Situationen, in denen 1 „Aber, ich kenne bei uns keine Innovation, wo einfach bei uns im Haus jemand gesagt hat, ich entwickle ein Produkt und dann schaue ich, ob ich es verkaufen kann. Ohne Kunden....da kann man sich schon verlaufen.“ (ELEKTRO-M-GMBH). „Man darf das [Emotionen] nicht unterschätzen. Es gibt dann sehr schnell Personen, die ihre Meinung haben und das durchsetzen wollen und wenn man das wirklich dann alles summa sumarum bewertet, kommen dann doch immer ganz andere Dinge raus, wie man eigentlich vorher erwartet hätte.“ (BAUTEIL-M-GMBH) 2 „...also wir nennen das DoE (Design of Experiments), d.h. wir probieren Dinge aus, bauen die auf, schauen uns die an, bevor wir das groß irgendwie theoretisch hinterfragen. So eine ’best-praxis’-
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KAPITEL 23. DIE INTUITION-RATIONALITÄTS-DEBATTE
334
das Sammeln von Informationen zu Gunsten der Intuition vernachlässigt wurde3 . Durch fehlende Dokumentation und Methoden werden Ideen bzw. das Wissen nicht protokolliert und gehen verloren (KUNSTSTOFF-M-GMBH, PAPIER-G-AG).
23.2
Der Prozessablauf: Intuition UND Rationalität
„However, problem solving based on experience seems to indicate that the manager is making an unconscious comparison between the current situation or problem and a similar occurrance from the past. The manager is unaware that he is performing a comparative analysis.“ (Rice Jr. und Hamilton, 1979, S. 8)
Chandler (1962) postuliert unter dem Mantel der Rationalität die vom strategischen Entscheider/von der strategischen Entscheiderin intendierten4 , bewussten und intelligenten Aktivitäten. Wie in den theoretischen Abschnitten diskutiert, wird nicht von einer „entweder-oder“ Haltung bei Intuition und Rationalität ausgegangen. Beide Prozessarten können gemischt miteinander auftreten5 . Es wird in der Literatur die rationale Vorgehensweise oftmals den GU zugewiesen, während man den (K)MU die intuitivere und automatischere Vorgehensweise (oftmals aus Ressourcenmangel) zuschreibt (Pfohl, 1997a, S. 19). Die Empirie zeigte ein teilweise anderes, viel differenzierteres Bild. Der Einsatz ist situationsabhängig. Wie werden Intuition oder Rationalität bei den befragten Unternehmen eingesetzt? Gibt es Zeiten und Situationen, für die die eine oder andere Methode von Vorteil ist? Burke und Miller (1999, S. 91) merken an: „Intuition may be beneficial in certain scenarios, and at times may be the primary decision approach available“. Intuition wird in der Literatur als Lösung für die Handhabung komplexer Probleme angesehen. Andere Autoren/innen vertreten die Meinung, dass Intuition alleine gefährlich ist (Miller und Ireland, 2005, S. 19; Bonabeau, 2003; Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a). Beurteilung. Das läuft sehr oft, ist zwar oft sehr rudimentär aber man kommt sehr schnell weiter.“ (ELEKTRONIK-M-GMBH) 3 „Aber wir haben in der Phase den Kunden nicht gefragt. Wir haben keinen Kunden gefragt und dann ist halt...was ist raus gekommen? Es war ein super Design und wir waren die Teuersten. Wir waren 30% teurer als was wir erwartet haben. Und haben halt dann so auf den Markt gehen müssen.“ (ELEKTROM-GMBH) 4 D.h. sie handeln begründet und nicht z.B. aus Gewohnheit oder Affekt (Stubbart, 1989, S. 330). 5 „Surely the ultimate skill, which increasingly needs to be fostered among individuals in contemporary work organizations, must be the ability to adapt the ways in which information is processed, switching back and forth from ’habits of mind’ to ’active thinking’, as appropriate to each particular situations.“ (Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 261)
23.3. „RICHTIGER“ EINSATZ VON INTUITION UND RATIONALITÄT
23.3
335
„Richtiger“ Einsatz von Intuition und Rationalität
„Executives who understand how to balance their use of intuition and analytic thinking may be better prepared to lead in this environment.“ (Burke und Miller, 1999, S. 91) In turbulenten Umwelten und bei schnellen Entscheidungen wird in der Literatur die Intuition als die Lösung angesehen (Hayashi, 2001, S. 61; Burke und Miller, 1999, S. 94; Shapiro und Spence, 1997, S. 63; Dane und Pratt, 2007, S. 46): „planning in complex environments... In contrast to some traditional analytical planning techniques it relies on qualitative data and demands subjective evaluations“ (Schlange und Jüttner, 1997, S. 784)6 . Auch bei Innovationen rückt sie in den Vordergrund (im Sinne eines „holistic hunch“; vgl. Miller und Ireland, 2005; Burke und Miller, 1999; Shapiro und Spence, 1997, S. 67). Die Wichtigkeit von Erfahrungen unterstützt diese Einsicht: „The instincts of smart executives and other professionals are incorporated into the process“ (Bonabeau, 2003, S. 123). Intuition ist nach Burke und Miller (1999, S. 96) dann sinnvoll, wenn Schnelligkeit im Vordergrund steht, der Prozess mit der Organisationskultur im Einklang stehen soll, Unsicherheit vorherrscht, quantitative Analysen eine Balance benötigen oder wichtige Informationen nicht vorhanden sind: „Because such scenarios have become increasingly common in today’s workplace, the ability to effectively engage one’s intuition is becoming more important.“ (Burke und Miller, 1999, S. 96). Intuition hat nach Burke und Miller (1999, S. 95) folgende Vorzüge: • sie beschleunigt die Prozesse, • führt zu besseren Ergebnissen, • vereinfacht die persönliche Entwicklung und • fördert die Kompatibilität zwischen Unternehmenskulturen. Der Einsatz von Intuition hängt von den Themenstellungen ab. Subjektive, verhaltensbedingte und politische Themen („ judgmental tasks“) können besser durch Intuition als durch rationale Methoden gelöst werden (Dane und Pratt, 2007, S. 45). Auch die Art der Umwelt hat Einfluss auf den Wirkungsgrad intuitiver Prozesse. In instabilen Umfeldern sind intuitive Prozesse von Vorteil, in stabilen wird rationalen Prozessen eine bessere Performance unterstellt (Khatri und Ng, 2000, S. 57). Der Einsatz von Intuition ist (wie in der Befragung ersichtlich) situationsgebunden. Intuition ist dann sinnvoll, wenn Schnelligkeit benötigt wird, die Organisationskultur diese 6 „Evidence suggests that individuals are likely to rely on intuitive thought processes when they face extreme time pressures. Therefore, intuition may play a significant role in the decisions of firefighters, military commanders, emergency room surgeons, and corporate executives operating under severe time constraints.“ (Dane und Pratt, 2007, S. 34; vgl. auch Burke und Miller, 1999 ; Hayashi, 2001)
KAPITEL 23. DIE INTUITION-RATIONALITÄTS-DEBATTE
336
Vorgehensweise unterstützt, mangelnde Informationen vorliegen, die Umwelt turbulent und das Thema subjektiv ist. Allerdings: „Intuition plays an important role in decision making, but it can be dangerously unreliable in complicated situations“ (Bonabeau, 2003, S. 116). Je mehr Optionen vertreten sind, je mehr Informationen vorhanden sind, und je unvorhergesehener die Umwelt ist, umso eher sollte – laut Literatur – auf Analyse und nicht auf Intuition zurückgegriffen werden. Grund dafür ist die steigende Fehlerhäufigkeit. „Intuition is a means not of assessing complexity but of ignoring it“ (Bonabeau, 2003, S. 118). Formalen Analysen werden bestimmte positive Aufgaben zugewiesen (Langley, 1989): sie generieren Informationen, sind ein Behelf um Ideen zu kommunizieren (zu überzeugen), geben Richtungen vor und fokussieren, haben symbolischen Wert (Feldman und March, 1981, S. 177f) (geben den ausführenden Parteien Legitimität, stehen für persönliche Kompetenzen und für rationales Vorgehen7 ) und wirken als Signal (Feldman und March, 1981)8 . Rationale Prozesse greifen eher, wenn mehr Optionen und Informationen vorhanden sind. Sie haben als Ziel, Informationen zu generieren, bestimmte Tatbestände zu kommunizieren, Richtung zu geben und Signalfunktion zu übernehmen.
23.4
Kombination der Prozessarten
„...we can easily examine and deal with parts of complex systems without necessarily understanding the system as a whole.“ (Klein und Newman, 1980, S. 35) Langley (1989, S. 609) kommt zu dem Schluss, dass rationale Prozesse mit sozialen Interaktionen im Zusammenhang stehen und nicht getrennt voneinander behandelt werden können. Dies hat sich auch in der Befragung herauskristallisiert. Prozesse, die rein auf Intuition oder Rationalität beruhen, werden sowohl in der Literatur als auch in der Befragung als nicht erfolgversprechend angesehen.
23.4.1
Intuition und Rationalität als bipolare Enden
Allinson und Hayes (1996, S. 122) erwähnen die Idee einer dominanten Ausprägung einer der beiden Gehirnhälften und unterscheiden somit in intuitivere und analytischere Personen. Sie weisen allerdings auch auf ein mögliches Kontinuum der Ausprägungen und 7 „The belief that more information characterizes better decisions engenders a belief that having information, in itself, is good and that a person or organization with more information is better than a person or organization with less.“ (Feldman und March, 1981, S. 178) 8 „In a society committed to intelligent choice, requests for information and the gathering of information will generally be rewarded by observers; less systematic procedures are common, but they tend to be less reliably rewarded.“ (Feldman und March, 1981, S. 180)
23.4. KOMBINATION DER PROZESSARTEN
337
damit auf verschiedene Mischtypen hin. Somit befinden sich Intuition und Rationalität als Pole an den Enden einer Skala. „Intuition...refers to immediate judgement based on feeling and the adoption of a global perspective. Analysis...refers to judgement based on mental reasoning and a focus on detail“ (Allinson und Hayes, 1996, S. 122). Nach dieser Unterteilung sind Intuition und Rationalität zwei Enden einer bipolaren Skala. Die Autoren bekräftigen diese Unterscheidung durch die Schaffung eines Messsystems names „cognitive style index“(Allinson und Hayes, 1996; Sadler-Smith et al., 2000; Hayes et al., 2003; Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003b,a; Hayes und Allinson, 1994) bzw. „Myers-Briggs Type Indicator“ (Schweiger, 1985), mit dem die individuelle Ausprägung bei Individuen feststellbar ist. Eine großangelegte Studie bestätigt die Nützlichkeit eines solchen Instruments, da „it provides ... an additional and conceptually distinct means of explaining individual differences at the workplace“ (Allinson und Hayes, 1996, S. 131). Auch Mintzberg (1976) geht davon aus, dass Menschen entweder mehr auf die linke oder die rechte Gehirnhälfte zurückgreifen. Er schließt daraus, dass Topführungskräfte eher eine stark dominierende rechte Gehirnhälfte aufweisen, während Planungskräfte im linken Bereich stärker ausgebildet sind. Mintzberg (1976, S. 57) betont weiterführend jedoch auch, dass eine Gehirnhälfte ohne die andere nicht bestehen kann. So vertreten andere Wissenschaftler, dass der Prozess komplexer (Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 245) ist und Individuen flexibel zwischen den beiden Arten wählen und jederzeit wechseln und umschalten können (Hodgkinson et al., 2008, S. 8), d.h. dass beide unabhängige kognitive Systeme darstellen (Hodgkinson und SadlerSmith, 2003a, S. 247). Um Strategisches Management erfolgreich zu beleuchten, fordern diese Autoren/innen, dass nicht nur auf die rein analytische Seite Bezug genommen wird, sondern auch die Kombination mit Intuition einfließen muss, denn „truly outstanding managers are no doubt the ones who can couple effective right-hemispheric processes ... with effective processes of the left....“(Mintzberg, 1976, S. 57) und „organizational effectiveness does not lie in that narrowminded concept called „rationality“; it lies in a blend of clearheaded logic and powerful intuition.“(Mintzberg, 1976, S. 58). Andererseits argumentieren Hodgkinson und Sadler-Smith (2003a, S. 262), dass „a potential danger of over-relying on intuition per se ... is that vitally important details may be overlooked.“
23.4.2
Intuition und Rationalität als parallele Prozesse
Andere Autoren/innen verbinden beide Prozessarten als parallel verlaufend, die für sich selbst und als Gegensatzpaar stehen (Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 247): „Attempts to conceptualize analysis and intuition as bipolar opposites along a single continuum are thus potentially flawed. Logically, if analytic and intuitive processing serve different purposes, both are required and both must be served by independent cognitive systems“.
338
KAPITEL 23. DIE INTUITION-RATIONALITÄTS-DEBATTE
Hodgkinson et al. (2008, S. 8) sprechen – um diese Debatte zu lösen – von einer „dualprocess conception“ der Intuition. Das heißt, sie unterscheiden zwischen zwei Arten der Informationsbearbeitung und sehen Intuition und Rationalität nicht als Gegensätze (Miller und Ireland, 2005, S. 21) (vgl. Abbildung 23.1).
Abbildung 23.1: Intuition versus Rationalität Stanovich und West (1998) befassen sich mit der Lücke zwischen normativen und deskriptiven Modellen und der Frage, warum Individuen von den normativen Modellen abweichen. Einen Erklärungsansatz finden sie in den individuellen Unterschieden (1998, S. 292), die „by two-process theories of reasoning“ erklärbar sind (Stanovich und West, 1998, S. 289). So stellen Dane und Pratt (2004, S. A1f) fest: „Evidence suggests that two distinct information processing systems – conscious and nonconscious – exist within the human mind. The conscious system of processing enables individuals to learn information deliberately, to develop ideas, and to engage in analyses in an attentive manner. (...) The nonconscious information processing system, by contrast, (...) involves judgments derived from automatic and relatively effortless processing of information.“ Dane und Pratt (2007, S. 35) sprechen von einem logischen und einem nichtlogischen Prozess. Beide Prozesstypen erhalten in der Literatur große Aufmerksamkeit und unterschiedlichste Betitelungen. So benennen Autoren/innen (Dane und Pratt, 2007; Hodgkinson et al., 2008; Dane und Pratt, 2004) den bewussten Prozess als rational, von Lernen geprägt, auf Regeln basierend, intendiert, „x-system“ 9 (Lieberman, 2007, S. 261), System2-Prozess (Schroyens et al., 2003)10 und „deliberate“ (kurz: rationaler Prozess) während 9
„X“ steht für das x in „reflexive“. „System 2 processing is contextually independent, rule-based, analytic and explicit in nature; hence, it is relatively slow and makes greater demands on cognitive resources than its System 1 counterpart.“ 10
23.4. KOMBINATION DER PROZESSARTEN
339
der unbewusste Prozess Namen wie automatisch, still (tacit), intuitiv, experimentell, natürlich, assoziativ, „c-system“ 11 (Lieberman, 2007, S. 261), System-1-Prozess12 und „auf Erfahrung beruhend“ erhält. Intuition wird mit letzterem, dem unbewussten Prozess, verbunden (Dane und Pratt, 2007, S. 36) (daher kurz: intuitiver Prozess)13 . Vor allem der intuitive Prozess erfreut sich in wissenschaftlichen Kreisen in den letzten Jahren (2007 und 2008) steigender Beliebtheit, welche sich in der Anzahl der publizierten Artikeln in bekannten Journals (z.B. Academy of Management Review, Academy of Management Executive, British Journal of Psychology,...) ausdrückt (Miller und Ireland, 2005, S. 20). Dane und Pratt (2007, S. 40) bringen die Debatte auf den Punkt: „... we believe that rational decision making is highly dissimilar to intuition.“ Manchmal produzieren sie Konflikte, welche als Konflikte zwischen Herz und Kopf bezeichnet werden (Hodgkinson et al., 2008, S. 9; Dane und Pratt, 2007, S. 39). Jene Informationen, die für analytische Entscheidungen nötig sind, können manchmal vorhanden sein, es gibt aber auch Zeiten, in denen die vorhandenen Informationen nicht für eine komplette Analyse ausreichen und Intuition den Prozess des Entscheidens fördert (Crossan und Sorrenti, 1997, S. 169), ihn allerdings nicht völlig ersetzt. Die bevorzugte und erfolgreichere Prozessart ist somit von der Situation abhängig (Allinson und Hayes, 1996, S. 132). Eine Kombination bzw. ein Wechseln zwischen den beiden Prozessarten wird als erfolgversprechend propagiert, da damit die Schwächen beider Konzepte, wie z.B. die Anfälligkeit kognitiver Fehler bei intuitiven Prozessen oder der Zeitaufwand bei rationalen Prozessen verhindert werden (Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 261; Hayes et al., 2003, S. 243; Hayes und Allinson, 1994, S. 64).
(Hodgkinson et al., 2008, S. 9). 11 „C“ steht für das c in „reflective“. 12 „System 1 processing is contextually dependent, associative, heuristic, tacit, intuitive and implicit/automatic in nature; hence, it is relatively undemanding in terms of its use of scarce cognitive resources.“ (Hodgkinson et al., 2008, S. 9). 13 „However, in making this case, we also stress that not all nonconscious operations are fundamental components of intuition itself.“ (Dane und Pratt, 2007, S. 36).
Kapitel 24 Förderliche und hinderliche Faktoren im Strategischen Frühaufklärungsprozess Bei der konkreten Frage, was die Unternehmen unbedingt beibehalten und beim nächsten Innovationsprozess wieder einsetzen wollen, waren die Antworten sehr unterschiedlich. Bei der KUNSTSTOFF-M-GMBH sowie der TEXTIL-G-GMBH und der ENTWICKLUNGS-G-GMBH stellte sich vor allem das Hinzuziehen eines Partners/einer Partnerin als (kritischer) Erfolgsfaktor heraus (Ressourcen- und Kompetenzfrage1 ). Bei der ELEKTRO-M-GMBH sind Methoden wie die Wertanalyse und die Kostenbegleitung wichtige und bewährte Faktoren, genau wie bei der TEXTIL-G-GMBH, die sich den Prozessen wie Bewertung, Verfolgung, Reporting usw. bedient. Bei der ELEKTRONIK-MGMBH stehen Erstversuche und das rationale Bewerten der Lösungsmöglichkeiten sowie das Sammeln von externe Informationen – um „neue Hinweise und frisches Blut“ zu bekommen – im Mittelpunkt, bei der BAUTEIL-M-GMBH ist es die Philosophie des Unternehmens, d.h. der enge Kundenkontakt, das kritische Hinterfragen des Kundenwunsches und die Schaffung von Nischen. Die SYSTEM-G-AG führt zusätzlich das konsequente Verfolgen eines konkreten (auch zeitlichen) Zieles als kritischen Punkt an.
24.1
Förderliche Faktoren im Prozess
Der folgende Abschnitt2 beleuchtet kurz jene förderlichen Faktoren im Strategischen Frühaufklärungsprozess, die von den Unternehmen als solche festgestellt wurden3 . 1
„Man kann nicht alles selber machen“ (ENTWICKLUNGS-G-GMBH). Die folgende Einteilung basiert rein auf Übersichtlichkeitsgründen und hat keine weitere tiefgehendere Bedeutung. 3 Dieser Abschnitt bzw. die Folgeabschnitte stellen eine grobe Zusammenfassung aus den obigen Analysen dar, d.h. es kann zu Wiederholungen kommen. 2
D. Lasinger, Die Leistung vor der Innovation, DOI 10.1007/978-3-8349-6600-1_24, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
24.1. FÖRDERLICHE FAKTOREN
24.1.1
341
Personen(gruppen) und deren Funktion
Nur in Großunternehmen werden gewisse Personen oder Personengruppen wie z.B. die/der Innovator/in (MASCHINENBAU-G-GMBH)4 , die Geschäftsführung (MASCHINENBAU-G-GMBH)5 , der formale Pusher (MASCHINENBAU-G-GMBH) oder Kunden (FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG)6 und Lieferanten/innen (FAHRZEUG-G-AG)7 auf die konkrete Frage nach förderlichen Faktoren genannt. Wie jedoch in den vorhergehenden Abschnitten beschrieben wurde, beschränkt sich diese Nennung nicht nur auf die angeführten Unternehmen und wurde bereits in den einzelnen Abschnitten ausreichend behandelt. Neu ist die Funktion der formalen Pusher, d.h. institutionalisierter Personen oder Abteilungen, die formale Ziele und Richtlinien kontrollieren und vorantreiben. Durch die Aufteilung in formale Pusher und Innovatoren/innen können Spezialisierungsvorteile erlangt werden, und beide Parteien können sich auf ihre Kernkompetenzen und deren Ausführung konzentrieren. So fokussieren sich die Innovatoren/innen oder innovativen Abteilungen auf kreative Aspekte während andere Abteilungen und Personen die formalen Arbeiten übernehmen.
24.1.2
„Weiche“ Faktoren
Auch Faktoren wie z.B. die Kultur (PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH)8 , die Reflexion (METALLWAREN-M-GMBH, ELEKTRONIK-M-GMBH, SYSTEM-G-AG)9 , die Erfahrung und das Wissen (FAHRZEUG-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-GGMBH)10 sowie die Kommunikation (PAPIER-G-AG, TECHNIK-G-GMBH, TEXTILG-GMBH)11 wurden genannt. Neben Kulturaspekten führten die KUNSTSTOFF-M-GMBH, die METALLWAREN-M-GMBH, die SYSTEM-G-AG und die PAPIER-G-AG zur Vervollständigung noch spezielle Leitmaxime an, die das Unternehmen führen. Dazu zählt für die KUNSTSTOFF-M-GMBH: 1. die Position des Marktführers, die erreicht bzw. aufrechterhalten werden soll, 2. der Innovationsvorsprung, um diese Führungsposition am Markt zu garantieren, 3. die kritische Abschätzung der Aufträge im Zusammenhang mit der Markt- und Firmengröße um die Nischenposition einzunehmen und 4. der Fokus auf Qualitätsführerschaft und nicht die Hinwendung zur Billigproduktion. Auch die METALLWAREN-M-GMBH pocht auf die Alleinstellungsposition durch Innovationen und die Schaffung von Trends. Ebenso betonen die SYSTEM-G-AG und PAPIER-G4
D.h. die Begeisterung, Neugier und Verantwortungsübernahme von Individuuen. als Auftraggeber und Unterstützer Kundennähe, Kenntnis des Kundenwunsches, Beratung und Unterstützung des Kunden/der Kundin, Gewinnung des Kunden/der Kundin 7 Und deren Bonität, Qualität und Stabilität. 8 Offenheit, Freiraum für Neues, Innovationskultur 9 Reflexion, „Spiegel vorhalten“ 10 Z.B. Kenntnis von Rahmenbedingungen wie Vorschriften, Wissensreichtum und -vielfalt, Erfahrungen aus Vorhergehendem. 11 Offenes, informelles, persönliches Gespräch. 5 6
342
KAPITEL 24. FÖRDERLICHE UND HINDERLICHE FAKTOREN
AG ihre Innovationsausrichtung. Damit verbunden ist das Transportieren dieser Einstellung nach außen, z.B. durch Marketingmaßnahmen (SYSTEM-G-AG). So ist die starke Konzentration und Verinnerlichung dieser Innovationsausrichtung ein förderlicher Faktor im Strategischen Frühaufklärungsprozess, der die angelehnten Prozesse damit legitimiert und unterstützt. Eher nebensächlich wurde die Rolle von Vertrauen (FAHRZEUG-GAG), die Wichtigkeit von Qualität (FAHRZEUG-G-AG) sowie der Mut zum Abbruch (MASCHINENBAU-G-GMBH) genannt.
24.1.3
„Harte“ Faktoren
Zu den „harten“ förderlichen Faktoren zählen, die Struktur (TECHNIK-G-GMBH)12 , die Planung (TEXTIL-G-GMBH)13 , die Ressourcen (METALLWAREN-M-GMBH)14 , die Teamarbeit (ELEKTRO-M-GMBH) und Visualisierung (METALLWAREN-MGMBH)15 . Daneben werden Synergien (ELEKTRONIK-M-GMBH, BAUTEIL-M-GMBH, TECHNIK-G-GMBH, TEXTIL-G-GMBH) besonders herausgehoben. Damit angesprochen wird der gute Austausch innerhalb des Unternehmens z.B. durch institutionalisierte Treffen oder die Struktur, aber auch die Nutzung von Erfahrungen für Folgeprojekte und andere Produkte. Bei Produktinnovationen kommt häufig das Design (ELEKTRO-MGMBH, METALLWAREN-M-GMBH, FAHRZEUG-G-AG, SYSTEM-G-AG)16 als förderlicher Faktor zur Sprache. Weiters werden die Vorteile einer internen Entwicklung und Fertigung genannt, um ein verlässliches Gesamtprodukt herstellen zu können (FAHRZEUG-G-AG) und das vorhandene Marktpotenzial, das durch das Produkt bedient werden kann (TEXTIL-G-GMBH).
24.2
Hinderliche Faktoren im Prozess
Neben förderlichen Faktoren wurden auch große Hindernisse für den Prozess geschildert. Diese werden noch einmal kurz zusammengefasst. 12
Die Matrixstruktur, die persönliche und schnelle Quersynergien ermöglicht. D.h. das Durchdenken der Innovation vom Anfang bis zum Schluss. wie Kosten- und Budgetfragen 15 Um z.B. ein früher Bild der Innovation präsentieren zu können, um andere wichtige Parteien überzeugen zu können. 16 Das Design bzw. die Formensprache dienen dazu, sich von der Konkurrenz abzuheben und Kunden/innen von dem Produkt zu überzeugen, d.h. es soll ansprechend sein und manches Mal sogar als Imageträger dienen. Das Design dient auch dazu, eine Marke nach außen zu transportieren. Die METALLWAREN-M-GMBH betont sogar, dass die Formensprache essentiell ist um eine Botschaft zu transportieren und dass die Ausreifung des Designs es für MU möglich macht, erfolgreich zu sein ohne auf ein großes Werbebudget zurückgreifen zu müssen. 13 14
24.2. HINDERLICHE FAKTOREN
24.2.1
343
Personen(gruppen) und deren Funktion
In MU und GU werden Personen oder Personengruppen bzw. gewissen Funktionen als Hindernisse genannt. So führt die ELEKTRO-M-GMBH die externe Gruppe der Lieferanten/innen oder Designer/innen an und dass die Kompetenzvergabe an diese ein gewisses Risiko birgt und den Ablauf hemmen kann (z.B. das Nichtverständnis der Designer für die technische Machbarkeit). Auch die TEXTIL-G-GMBH nennt die Abhängigkeit von Externen17 und damit zusammenhängend Verzögerungen im Prozessablauf. Die METALLWAREN-M-GMBH nennt den Verkauf als Stelle, die Entscheidungen hinauszögert oder verhindert, bei der ENTWICKLUNGS-G-GMBH ist es die Technik (technische Barrieren, Fehlen der technischen Machbarkeit). Einzelne Personen wie z.B. „Dickschädel“, die auf ihrer Meinung beharren (ELEKTRO-M-GMBH), Vorgesetzte und deren individuelle, gefilterte, intuitive und unvorhergesehene Entscheidungen (PAPIER-G-AG), das Ausscheiden oder das bewusste Ausschließen von speziellen Mitarbeitern/innen (oder ganzen Abteilungen) und damit der Verlust von Wissen und Know-how (PAPIER-G-AG) oder der konkrete Fall eines Projektleiterwechsels (BAUTEIL-M-GMBH) behindern, verhindern oder verzögern die Strategischen Frühaufklärungsprozesse.
24.2.2
„Weiche“ Faktoren
Die PAPIER-G-AG nennt die fehlende Freiwilligkeit bzw. das fehlende Bewusstsein als Hemmschuh im Strategischen Frühaufklärungsprozess. Alles müsste durch Regeln und ein gewisses „Muss“ den Personen aufgedrängt werden, ganz im Gegensatz zum kreativen und freidenkerischen Innovationsklima. Themen wie Macht, und damit verbunden die Machtausübung und Probleme mit Angst, spielen im Rahmen des Strategischen Frühaufklärungsprozessesebenfalls eine wesentliche hemmende Rolle. Auch die Überforderung – vor allem im Bereich der Informationen (z.B. die tägliche Mailflut) – stellt ein Problem im Prozess dar (PAPIER-G-AG). Von der PAPIER-G-AG wird die Problematik des „Wissensklaus“ angesprochen (oft im Zusammenhang mit dem asiatischen Raum) und damit die Einschränkung im Handeln des Unternehmens.
24.2.3
„Harte“ Faktoren
Bei den harten Faktoren wurden fehlende oder unzureichende Ressourcen (Kosten- und Finanzierungsfragen) am häufigsten genannt (ELEKTRO-M-GMBH, ELEKTRONIK-MGMBH, MASCHINENBAU-G-GMBH, ENTWICKLUNGS-G-GMBH), ebenso strukturelle Hindernisse, wie veraltete Institutionen und Abteilungen im Unternehmen (PAPIERG-AG), die Schnittstellenproblematik (PAPIER-G-AG), organisatorische Eingrenzungen 17
„Diese Leute, auf die man keinen Einfluss hat“ (TEXTIL-G-GMBHa).
KAPITEL 24. FÖRDERLICHE UND HINDERLICHE FAKTOREN
344
– vor allem im Hinblick auf die nötige Zeit zum Finden von Ideen –, die mangelnden organisatorischen Möglichkeiten (TEXTIL-G-GMBH), die zu strikten Arbeitszeiten (METALLWAREN-M-GMBH)18 , die nicht honorierten Leistungen in der Freizeit, der immerwährende Zeitdruck bei Innovationen (SYSTEM-G-AG, TEXTIL-G-GMBH) oder Verzögerungen, die durch das Lernen entstehen (TEXTIL-G-GMBH)19 . Auch Umwelthindernisse, wie die fehlende Absatzmenge (ENTWICKLUNGS-G-GMBH), die Wirtschaftskrise (MASCHINENBAU-G-GMBH), und damit verbunden die unsichere Zukunft (ENTWICKLUNGS-G-GMBH), sowie die fehlende Marktrelevanz von Vorgängerprodukten (durch das Fehlen von Vorstudien) (SYSTEM-G-AG) wurden genannt. Spezielle Hindernisse sind darüber hinaus • Die Problematik der Imitation (METALLWAREN-M-GMBH). • Das Risiko durch die völlige Konzentration auf ein Einzelprodukt und Verlust des Risikoausgleiches (METALLWAREN-M-GMBH). • Die eingeengten Arbeitsplatzverhältnisse (durch die Ausweitung der Produktion) und die damit verbundenen Zeitverluste (ELEKTRONIK-M-GMBH). • Die seichte Behandlung von immer wiederkehrenden Ideen (MASCHINENBAU-GGMBH), gefördert durch den raschen Mitarbeiterwechsel und die fehlende Dokumentation. Hindernisse aus der Vergangenheit (TECHNIK-G-GMBH) bzw. Probleme mit Vorgängerprodukten (SYSTEM-G-AG) spielten in den Prozessen der befragten Unternehmen ebenfalls eine Rolle. Wie jedoch die TEXTIL-G-GMBHa anmerkt: „Ja, man hat hin und wieder einmal Rückschläge, ...Ich würde sagen, sie sind ganz normal, die gehören dazu. Die machen es dann spannend.“
18 „Und da bin ich bei einem Punkt, dass eigentlich bei Produktentwicklung und Ideenfindung eines ganz stören ist, und zwar das strikte Arbeitszeitgesetz....Ich muss mit offenen Augen durchs Leben gehen und es sollte eigentlich nicht sein, dieses Arbeiten und das Private: jetzt gehe ich hinaus und mache meinen Schnitt. So funktioniert die Produktentwicklung nicht, weil das habe ich auch festgestellt, wenn man im Tagesgeschäft drinnen ist, da hat man keine Zeit für irgendwelche Lösungen...gut ich kann mich [im Unternehmen] nicht konzentrieren, 5x läutet das Telefon...., da gehe ich in der Nacht in die Firma, da schaffe ich das dann. Weil da habe ich meine Ruhe und kann mich konzentrieren.“ (METALLWARENM-GMBH) 19 „Man muss eine gewisse Lernkurve gehen. Es ist keine Verzögerung, sondern - wenn man sich wirklich in neues Gebiet hinein wagt, was wir getan haben, ist einfach eine gewisse Zeit notwendig um das Thema ordentlich zu bearbeiten.“ (TEXTIL-G-GMBHa)
Kapitel 25 Das Strategische Frühaufklärungs-Prozessmodell „Scanning is not a certain science. In fact it is more of an art than a science. It is necessary, therefore, that this vital task be undertaken by capable, creative individuals.“ (Jain, 1984, S. 127)
Der Strategische Frühaufklärungsprozess läuft in drei ineinandergreifenden Prozessphasen ab: Activation, Assessment und Action. Der letzte Schritt Action umfasst Lernprozesse im gesamten Prozess und bildet somit Rückkoppelungsschleifen zu den anderen Prozessphasen. Aus Übersichtlichkeitsgründen ist er als eigener Prozessschritt dargestellt (vgl. Abbildung 25.1). Jede Prozessphase kann intuitiv, rational oder als Kombination ausgestaltet sein. Erfolgreiche Produktionsunternehmen in Österreich unterscheiden sich dabei in der individuellen Ausgestaltung dieser Prozesspfade. Der Grund dafür kann auch in der Auswahl der Unternehmen liegen, da das Sample aus Unternehmen mit größtmöglicher Unterschiedlichkeit bestand, um umfassende Ergebnisse zu erhalten. Vier Prozesskategorien treten jedoch bei den zwölf befragten Unternehmen hervor: rationale Pfade, intuitive Pfade, kombinierte und parallele Pfade. Die Art des Pfades hängt nicht von der Unternehmensgröße ab. Ausschlaggebender sind die verfolgte Strategie (Markt-, Technologie- und Innovationsführerschaft, d.h. eine Prospector-Ausrichtung mit den Kunden/innen als Zielgruppe), die Kultur und die gelebten Werte (Innovationskultur, Offenheit,...), die vorhandenen intangiblen Ressourcen wie Wissen und Erfahrungen und der Einfluss der Machtpersonen im Unternehmen, wie die persönlichen Vorlieben der Eigentümer/in oder Geschäftsführung.
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346
KAPITEL 25. SFA-PROZESSMODELL
Abbildung 25.1: Das Strategische Frühaufklärungs-Prozessmodell
Ausgangspunkt eines Strategischen Frühaufklärungsprozesses ist die Leistung eines Einzelnen im Unternehmen, des Innovators/der Innovatorin, der/die sich durch spezifische Persönlichkeitseigenschaften auszeichnet. Dieser Person gelingt es durch Intuition (aufgebaut durch einen großen Erfahrungsschatz und eine gute Umwelt- und Unternehmenskenntnis), schwache Signale aus der Unternehmensumwelt wahrzunehmen und aufzugreifen. Diese Signale befinden sich zumeist im Marktumfeld, dem technologischen oder dem sozialen Umfeld, weniger im politischen oder ökologischen Bereich. Greift der Innovator/die Innovaotorin ein schwaches Signal auf, so ist es im nächsten Schritt für den Transfererfolg essentiell, die Geschäftsführung von der Bedeutung des schwachen Signals zu überzeugen. Umfassende Überzeugungsprozesse werden demnach schon in der ersten Phase Activation angewendet. Diese setzen sich auch in der zweiten Phase fort, wenn externe Personen und Partner/innen in das Assessment miteinbezogen werden. Der Hauptträger dieser Phase ist eine unternehmensinterne Gruppe, die das schwache Signal mit Bedeutung füllt. Diese Gruppen fungieren als Keimzelle im Unternehmen und weisen eine spezielle flexible Struktur aus: intern wird die Gruppe von einem fixen Gruppenkern (2-5 Personen) beständig
347 weitergeführt, und – wenn nötig – durch weitere Gruppenmitglieder flexibel ausgedehnt
10 %
70 %
Verweigerer/innen
Mitstreiter/innen
5%
Mitläufer/innen
Kritiker/innen
Innovatoren/innen
und auch wieder verengt. Alle Phasen werden von Kommunikations- und Lernprozessen begleitet. Dabei lassen sich in der Praxis in Organisationen verschiedene Verhaltensweisen der Beteiligten und Betroffenen erkennen. Die beobachteten Rollen sind in etwa normalverteilt, wie in der Abbildung 25.2 dargestellt1 :
10 %
5%
Abbildung 25.2: Verhaltensweisen von Betroffenen in Veränderungsvorhaben So ist ein kleiner Teil der Mitarbeiter/innen in Unternehmen innovativ ausgerichtet und findet selbst neue Ideen und Chancen. Ein größerer Teil übernimmt von den Innovatoren/innen rasch deren Ideen und kämpft engagiert für die Erreichung der Ziele. Der Großteil der Mitarbeiter/innen in Unternehmen verhält sich neutral bzw. verrichtet die Arbeit nach Vorschrift. Ein kleinerer Teil kann als Nachzügler eingestuft werden. Den Gegenpol zu den Innovatoren/innen bildet eine geringe Zahl destruktiver Zerstörern/innen. Crossan et al. (1999, S. 523) gliedern Lernprozesse in drei Ebenen, die Individual-, die Gruppen- und die Organisationsebene. Dasselbe Prinzip gilt für den Strategischen Frühaufklärungsprozess (vgl. Abbildung 25.3). Zusätzlich wird in der vorliegenden Arbeit die Umweltkomponente als vierte Komponente zugefügt. Die erste Phase Activation spielt sich hauptsächlich auf der individuellen Ebene (Innovator/in) ab. Einzelpersonen werden zusätzlich für die Überzeugungsarbeit hinzugezogen. Die zweite Phase Assessment (Suchprozesse) legt den Schwerpunkt auf den Gruppenaspekt, um externe Partner/innen hinzuzuziehen. In der dritten Phase Action (Lernen) spielt vor allem die Organisation eine große Rolle. Durch Lernprozesse werden Einsichten in Strukturen, Strategie, Regeln oder Kultur festgehalten. Diese Abläufe überlagert die Umwelt. Umwelteinflüsse gibt es sowohl in der ersten Phase bei der Erkennung von schwachen Signalen, als auch bei den externen Suchprozessen nach Partnern/innen im zweiten Schritt, wie auch bei den Lernprozessen im dritten Schritt, wenn z.B. Erfahrungen von 1 Vgl. Gespräch Lasinger, Manfred (September 2009) – Erfahrungswert aus zahlreichen Transformationsprojekten.
348
KAPITEL 25. SFA-PROZESSMODELL
Abbildung 25.3: Strategischer Frühaufklärungsprozess als Ebenenkonstrukt
anderen Branchen oder Mitbewerbern/innen in den Prozess einfließen. Die Autoren/innen Crossan et al. (1999) weisen den Ebenen verbindende soziale und psychologische Prozesse zu: „intuiting, interpreting, integrating, institutionalizing“ (Crossan et al., 1999, S. 523). Diese sind durch „feed-back“ und „feed-forward“ Lernverknüpfungen miteinander verbunden. ’Intuiting’ folgt dem Verständnis des Lernens als unbewusster Prozess durch das Feststellen von Unterschieden und Gleichheiten zwischen neu auftauchenden Informationen und bestehendem subjektiven Wissen bzw. Erfahrung („expert intuition“) und der Verknüpfung von neuen Möglichkeiten („entrepreneurial intuition“). Intuition ist nach Crossan et al. (1999, S. 527) der Beginn von neuem Lernen. Interpretation hingegen bezieht sich auch auf bewusste Prozesselemente des individuellen Lernprozesses durch die Schaffung kognitiver Landkarten und der ersten sozialen Involvierung anderer. Die Integration versucht die individuellen kognitiven Landkarten zu kollektiven Aktionen zu führen, z.B. durch Verhandlungen, Dialoge und Kommunikation. Hilfreich ist hier z.B. die Methode des „storytellings“ (Crossan et al., 1999, S. 529). Die Institutionalisierung fasst die Individual- und Gruppenaspekte zusammen und hebt sie auf organisationale Ebene, z.B. durch Systeme, Strukturen, Strategien oder Infrastruktur. Während die ersten drei Prozessarten flexibel sind (sich ständig ändern können), gehen Veränderungen der vierten Prozessphase nur punktuell vor sich (Crossan et al., 1999, S. 530). Die beiden ersten Prozessarten, ’intuiting’ und ’interpreting’, befinden sich auf der individuellen Ebene, ’interpreting’ und ’integrating’ auf der Gruppenebene und ’integrating’ und ’institutionalizing’ auf der Organisationsebene. Kombiniert man die Einsichten dieser Autoren/innen mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit, gelangt man zu folgenden Schlussfolgerungen: Intuition ist bei Crossan et al. (1999, S. 525) ein Prozess auf individueller Ebene, d.h. kann zwar im Gruppen- oder Organisationskontext entstehen, liegt aber immer in Einzelpersonen. Organisationen können per se selbst nicht intuitiv sein.
349 Sie können aber als solche typologisiert werden – wie in der vorliegenden Arbeit2 , wenn Personen vorwiegend intuitiv handeln bzw. von der Organisation dabei unterstützt werden. Wie festgestellt wurde, steht am Anfang des Strategische Frühaufklärungsprozesses immer einer Einzelperson mit intuitiver Ausprägung, die schwache Signale wahrnimmt. Im weiteren Verlauf werden andere Personen involviert, das schwache Signal wird zuerst auf Individual-, dann auf Gruppenebene interpretiert: „The development of language, principally through an interactive conversational process, is a basic interpretive process.“ (Crossan et al., 1999, S. 525). Auch wenn es oft schwer ist, unbewusste Intuitionen in Worte zu fassen, so sind z.B. Metaphern dabei hilfreich, Einsichten anderen verständlich zu machen. Dieser Gruppenprozess ist zwar nicht unbedingt nötig, wenn z.B. der Innovator/die Innovatorin genügend Macht und Ressourcen hat, und die Chance selber nutzen kann (z.B. in Einzelunternehmen), aber er ist tendenziell immer dann vorzufinden, wenn mehrere Personen an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Werden andere Personen hinzugezogen, ergibt sich unweigerlich der Prozess des ’integrating’, d.h. der Schaffung von einem gemeinsamen Verständnis und koordinierten Aktivitäten. Dieser Prozess inkludiert die Ausführungen zur Kommunikation und Koordinationen (wie externen Partnerschaften) sowie ’issue-selling’-Aktivitäten (vgl. Abschnitte „Kommunikation“ auf Seite 254, „Externe Partnerschaften“ auf Seite 311 und „Der politische Prozess des ’issue-sellings’“ auf Seite 248). Erweisen sich diese Aktivitäten als effektiv und effizient, so kommt es zu einer Institutionalisierung dieser Abläufe, z.B. in Regeln und Routinen, dem vierten Schritt bei Crossan et al. (1999). Durch diesen Prozessschritt verfestigen sich die Strategie, Vision, Werte oder Unternehmenskultur. Diese werden ausschließlich auf Organisationsebene sichtbar und wirken auch auf neu hinzutretende Mitglieder ein (und sind somit nicht von speziellen Personen oder Gruppen abhängig). Natürlich fließen die Organisations-, Gruppen- und Individualcharakteristika auch auf den ersten Prozess des ’intuiting’ ein, bestimmen also individuelle Prozesse. Je nachdem welche Struktur, Kultur, Gruppencharakteristika oder persönliche Charakteristika vorliegen, gestaltet sich der Prozess unterschiedlich. Organisationales Lernen im Sinne von Crossan et al. (1999, S. 532) versteht sich als dynamischer Prozess. Je stärker die Verknüpfungen und Schleifen zwischen den einzelnen Ebenen sind, umso erfolgreicher ist der Strategische Frühaufklärungsprozess. Neue Ideen, die durch Individuen aufgeworfen werden und durch Gruppen wandern, gelangen in die Organisationsebene. Jene Umstände, die bereits gelernt wurden und sich in Organisationscharakteristika wie Strategien oder Strukturen verfestigt haben, fließen wiederum auf Individual- und Gruppenebene zurück und beeinflussen die Wahrnehmung und Handlungen der Personen und Gruppen (vgl. Abbildung 25.4).
2 Vgl. Abschnitt „Die Phasen und Prozessarten des Strategischen Frühaufklärungsprozesses“ auf Seite 125.
350
KAPITEL 25. SFA-PROZESSMODELL
Abbildung 25.4: Organisationales Lernen als mehrschichtiger Prozess
Kapitel 26 Strategische Frühaufklärung: personelles oder strukturelles Thema? Die Ergebnisse der Studie sollen nun in ein höheres theoretisches Modell eingebaut werden. Wie erkennen Unternehmen rechtzeitig Chancen (aber auch Risiken)? Wie reagieren sie darauf? Im Mittelpunkt des Strategischen Frühaufklärungsprozesses stehen oft gewisse Personen. In der Literatur finden sich Ausführungen zu ’strategic thinking’ wieder. Hier werden Personen, die einerseits Probleme finden und lösen und andererseits Probleme schaffen für die es noch keine Lösung gibt, als Subjekte gesehen (Liedtka und Rosenblum, 1996, S. 151f). Probleme finden, lösen und schaffen sind Vorgänge, bei denen Intuition und Rationalität zum Einsatz kommen. Sie können überall in den Unternehmen stattfinden. Es bedarf dazu bestimmter Personen, die in speziellen Umgebungen auf bestimmte Art und Weise agieren: „Evidence that behavior settings play a substantial role in determining behavior has led to numerous attempts to characterize environments.“ (Tversky und Hemenway, 1983, S. 123). Der Strategische Frühaufklärungsprozess ist somit nicht ein rein personenbezogenes Thema, sondern bezieht auch Aspekte wie Strukturen, Strategien oder Kulturen mit ein. Verhalten wird von der Umwelt und von Persönlichkeitscharakteristika gelenkt (Wood und Bandura, 1989, S. 362). Auch Cooper (2002, S. 101) spricht die Wichtigkeit der Organisationsstruktur, im speziellen Kontext der Produktinnovationen an und seine Devise lautet: „Gestalten Sie aktiv die Organisation für die Produktinnovation“. Personen verhalten sich in einer gewissen Weise, beeinflussen somit Strukturen. Strukturen wiederum steuern implizit oder explizit das Verhalten der Personen. Das Verhältnis ist somit reziprok und beide Einflussfaktoren können nicht getrennt voneinander betrachtet werden (vgl. Abbildung 26.1)1 .
1
Dies führt zum „Henne oder Ei-Dilemma“ (was war vorher da?).
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352
KAPITEL 26. SFA: PERSONELLES ODER STRUKTURELLES THEMA?
Abbildung 26.1: Verhalten und Struktur Strukturen und Strategien begünstigen oder verhindern das (Innovations-)Verhalten von Gruppen oder Personen. Andererseits bestimmen die Persönlichkeitseigenschaften von Individuen den Anstoß Strategischer Frühaufklärungsprozesse. Ob diese überhaupt realisiert werden, hängt jedoch in hohem Maße von den vorliegenden Strukturen ab. Wie bereits festgestellt wurde, ist es günstig, wenn der Innovator/die Innovatorin sich selbst intensiv mit der Thematik auseinandersetzt. Ist es der Person z.B. möglich, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten um sich mit Ideen zu beschäftigen, dann wird der Strategische Frühaufklärungsprozess positiv beeinflusst. Nutzen Personen überdies explizit oder implizit individuelle Strategien, so ist dies für den Strategischen Frühaufklärungsprozess ebenso wichtig. So wurde in der METALLWAREN-M-GMBH erst mit der bewussten Auseinandersetzung der Produktstrategie die neuartige Idee geboren. Auch Cooper (2002, S. 178) plädiert dafür, dass hinter der Ideenfindung eine Strategie stehen sollte. Wesentlich ist, ob die Organisationsstrukturen die Durchführung eines Strategischen Frühaufklärungsprozesses erlauben, d.h. ob Ideen aufgenommen und gefördert werden. Vor allem erfolgversprechend ist es, wenn der Eigentümer/die Eigentümerin oder die Geschäftsführung selber die Idee aufwirft. Sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verfolgt und durchgesetzt. Besitzt die Person, welche das schwache Signale wahrnimmt, selbst Entscheidungsmacht, so begünstigt dies den Strategischen Frühaufklärungsprozess. Die Innovatoren in der vorliegenden Befragung waren daher auch oft Führungskräfte. Ist die Strategische Frühaufklärung Führungsaufgabe oder Aufgabe der Unternehmensspitze, wird sie erfolgreicher durchgeführt. Gleiches gilt für Gruppenprozesse. Gruppen sind erfolgreicher, wenn sie offiziell und stimmig durch die vorhandenen Strukturen (z.B. Kommunikationskanäle) Unterstützung finden. Im Unternehmen installierte Systeme begünstigen oder behindern ebenso den Strategischen Frühaufklärungsprozess. Dies gilt z.B. für Entlohnungssysteme, die konkret in der Befragung genannt wurden. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Abstimmung zwischen den Systemen und dem Verhalten, welches angestrebt wird. Werden Beobachtungs- und Bewertungsprozesse meist von einzelnen Individuen durchgeführt, so wirken Gruppenbelohnungen hemmend auf den Prozess. Sollen Gruppenprozesse vorangetrieben werden, um z.B. einen „Hochschaukeleffekt“ in der Gruppe auszunützen, sind Gruppenbelohnun-
353 gen günstiger als Einzelbelohnungen. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch Fragen der Zurechenbarkeit und der Transparenz, d.h. ob Einzelleistungen festgestellt und Gruppenbelohnungen gerecht verteilt werden können. Bestehende Methoden oder Abteilungen mit bestimmten Aufgaben (Monitoringfunktion) fördern den Strategischen Frühaufklärungsprozess, vorausgesetzt, die Ergebnisse werden weiter verarbeitet und genutzt. Dazu bedarf es der Individuen, die sich der Informationen annehmen. Wichtig ist, dass die „richtigen“ Informationen an die „richtigen“ Personen gelangen. Persönliche Suchstrategien fokussieren den Blick auf das Wesentliche und fördern die Wahrnehmung von schwachen Signalen. Aber auch Unternehmensstrategien legen gewisse Beobachtungsbereiche fest und vermindern die Informationsflut. Die gegenseitige Abhängigkeit bzw. Wechselwirkung zwischen Strukturen, Strategien und Verhalten gilt ebenso für den Wertebereich. Es ist bedeutsam, ob in einem Unternehmen Innovation an sich, oder das Schaffen von Freiraum für die Ideenfindung erwünscht ist oder nicht. Organisationscharakteristika und -ausgestaltungen beeinflussen somit den Strategischen Frühaufklärungsprozess. Die vorhandenen Unternehmensstrategien, implizite Ressourcen oder ’slack resources’, Unternehmenskulturen oder Strukturen wirken – wie bereits festgestellt wurde – auf den Prozess ein.
Kapitel 27 Lernen aus ’rare events’ Eine Verbindung zur Strategischen Frühaufklärung ergibt sich auch aus der Forschung von ’rare events’. ’Rare events’ sind Situationen, die für ein Unternehmen neu sind. Dies können z.B. Produktinnovationen sein (Lampel et al., 2009). Oft werden darunter aber unvorhersehbare Krisen oder Umbrüche verstanden, die schädlich auf das Unternehmen einwirken, wie z.B. die Wirtschaftskrise 2009. Lernen kann dabei in vier verschiedenen Arten eintreten: das Lernen über jene raren Ereignisse, das Lernen durch diese und das Lernen von diesen Situationen, entweder intendiert oder emergent (Lampel et al., 2009, S. 840ff). Die erste Art des Lernens ähnelt der Strategischen Frühaufklärung, d.h. beschäftigt sich mit der Frage, wie solche Ereignisse in Zukunft besser erkannt und behandelt werden können. Die zweite Lernart behandelt Aspekte, die im Durchleben eines ’rare events’ aufgebaut werden können und z.B. Fähigkeiten für den Umgang damit verbessern. Die letzte Art beschäftigt sich mit den unbewussten oder bewussten Lernprozessen, die nach einem ’rare event’ entstehen. Nach Madsen (2009) lernen Organisationen tendenziell aus ’rare events’, unabhängig davon, ob sie direkt ein ’rare event’ durchleben oder ob sie andere Unternehmen dabei beobachten. Dieses Forschungsergebnis ist allerdings fraglich. Blickt man in die Vergangenheit, so treten gewisse unvorhergesehene Ereignisse immer wieder auf. Die Betroffenen reagieren jedoch oftmals überrascht. Die Thematik der ’rare events’ wird als relativ neu beworben und als ein wachsendes Forschungsgebiet gesehen. Immer mehr Autoren/innen fokussieren sich auf diesen Forschungsbereich. Allerdings scheint dieser bei einer näheren Betrachtung auf ältere Forschungsstränge zurück zu greifen. Es gibt z.B. klare Verknüpfungen zur Diskontinuitätenforschung, die sich auf unvorhergesehene Umbrüche bezieht. Ebenso konzentriert sich die Strategische Frühaufklärung seit jeher auf die Thematik von neuartigen Ereignissen und den Umgang damit. So stoßen ’rare events’ gewisse Prozesse wie z.B. Interpretationen an (Christianson et al., 2009, S. 852; Beck und Plowman, 2009), die auch im Strategischen Frühaufklärungsprozess aufscheinen. Dennoch umfasst die Strategische Frühaufklärung mehr, denn sie bezieht neben Risiken (wie die ’rare event’-Forschung (z.B. Rerup, 2009)) eben auch Chancen mit ein.
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Teil VII Resumée und Ausblick
Kapitel 28 Kombination der Prozessarten Die gezielte Kombination von den beiden Prozessarten, Intuition und Rationalität1 , wird weitgehend in der Literatur unterstützt 2 , im Sinne von „strategic thinking“ 3 (Bronn und Bronn, 2002, S. 249) wie sie bei Experten/innen vorgefunden worden ist4 . Experten/innen befinden sich dabei überall im Unternehmen (Prietula und Simon, 1989, S. 123): „expertise is often found in lower level people who deal with customers (like the employee on the customer service hotline) and who are in positions where many activities meet (like the person in charge of the parts depot). Expertise often encompasses value beyond the job description, particularly where human dynamics play a role.“ Mintzberg (1987) gilt als Begründer der beiden Prozessarten emergent und intendiert bzw. bewusst. Er spricht vom Prozess des Planens und des „craftings“ Mintzberg (1987, S. 66). „Strategies can form as well as be formulated“ (Mintzberg, 1987, S. 68) und kann sich dabei beider Prozessarten bedienen, denn: „ „Organizations cannot afford to scan their environments, continuously searching for conditions that require actions....they realy on attention-directed standard operating procedures, and they question these procedures only when problems begin to mount.“ (Hedberg, 1981, S. 16 in Louis und Sutton, 1991, S. 63). 1 „Firms which are the most financially successful use a dynamic strategic planning process that combines key elements from both formalized and ad-hoc strategic planning.... Poorly-performing firms often adopt a reactive approach to opportunities or threats...“ (Dibrell et al., 2007, S. 21). „...intuition is not a process that operates independently of analysis; rather, the two processes are essential complementary components of effective decision-making systems.“ (Simon, 1989, S. 61) 2 Burke und Miller, 1999, S. 91, 94; Quinn, 1967, S. 91; Schlange und Jüttner, 1997, S. 778; Hogarth und Makridakis, 1981, S. 116; Dibrell et al., 2007; Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 263; Taggart und Valenzi, 1990; Crossan und Sorrenti, 1997, S. 170; Shapiro und Spence, 1997, S. 66; Harper, 1988, S. 16f; Blattberg und Hoch, 1990; Saffo, 2007, S. 124; Dess und Lumpkin, 2001, S. 13; Miller und Ireland, 2005, S. 24; King, 1981, S. 75; Dane und Pratt, 2007, S. 48; Grant, 2003, S. 494; Brews und Hunt, 1999; Taggart und Valenzi, 1990, S. 154; Hitt und Tyler, 1991; Olson, 1985; Simon, 1989, S. 61; Khatri und Ng, 2000, S. 58. 3 D.h. der Integration von Intuition mit formaler Analyse. Dies inkludiert das Verständnis der relevanten externen Umwelt, den internen Möglichkeiten und Zielen der Organisation, der Kompetenz der Vernetzung von verschiedenen anscheinend losen Ereignissen, dem Aufspüren von Chancen und das Sehen einer Vielzahl von Strategien und Lösungen. 4 „Innovative ideas come most often and most reliably from experts. Innovation comes from those employees with extensive job experience and knowledge, good intuition, and the ability (and desire) to see their jobs from several perspectives.“ (Prietula und Simon, 1989, S. 124)
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KAPITEL 28. KOMBINATION DER PROZESSARTEN
Wie Schachspieler müssen Unternehmen und deren Mitarbeiter/innen zwischen Intuition und Rationalität entscheiden und die richtige Balance finden5 : „Inevitably you reach a point when you’ve got to navigate by using your imagination and feelings rather than your intellect or logic. At that moment, you are playing with your gut.“ (Coutu, 2005, S. 51). Ziel ist es, die Nachteile beider Prozessarten geschickt durch die Vorteile auszutauschen (Blattberg und Hoch, 1990, S. 889f, 898). Die Fehler, welche Intuition durch kognitive Verzerrungen mit sich bringt, sollen durch Analytik verbessert werden. Die zeit- und ressourcenintensive Anwendung von rationalen Methoden wird durch intuitives Vorgehen geschwächt und es kann zu schnellen Reaktionen in turbulenten Umwelten kommen. In Studien wurde festgestellt, dass auf emotionale Themen stärker und schneller reagiert wird als auf reine „informative“ Themen (Ginsberg und Venkatraman, 1995, S. 441). Damit sind Manager/innen nicht mehr „forced to rely on their intuition and experience to a greater degree than may be desirable.“ (Heenan und Addleman, 1976, S. 32). Gefordert wird eine „cognitive flexiblity“ der Individuen (Hodgkinson und Sadler-Smith, 2003a, S. 261), um zwischen beiden Prozessarten gezielt wechseln zu können. D.h. es geht nicht darum zu folgern, welche Prozessart besser ist, sondern wie optimal zwischen beiden Arten gewechselt werden kann (Louis und Sutton, 1991). Diese Vorteilhaftigkeit besteht in der Erkenntnis des Individuums, wann ein Wechsel angebracht ist und wie dieser Wechsel von einer Prozessart in die nächste erfolgreich stattfindet (vgl. Abbildung 28.1 in Louis und Sutton (1991, S. 57))6 . Intuition
Wechsel zu Intuition
Wahrnehmung eines Wechsels
Wahrnehmung eines Wechsels
Wechsel zu Rationalität
Rationalität
Abbildung 28.1: Der Wechsel von Intuition zu Rationalität Fehler treten demnach nicht auf, wenn Intuition verwendet wird, sondern wenn Personen 5 Olson (1985) unterscheidet bei Entrepreneuren/innen z.B. in die erste kreative Phase der Ideenfindung und der folgenden analytischen Phase der Bewertung dieser Ideen, um z.B. festzustellen, ob sie am Markt erfolgreich positioniert werden können. 6 „There is a difference between possessing skills and being able to use them well and consistently under difficult circumstances. To be successful, one not only must possess the required skills, but also a resilient self-belief in one’s capabilities to exercise control over events to accomplish desired goals.“ (Wood und Bandura, 1989, S. 364)
359 den Wechsel zwischen den zwei Prozessarten nicht wahrnehmen (Louis und Sutton, 1991, S. 71). Der Grund für einen Wechsel von unbewussten Prozessen zu bewussten ist nach Louis und Sutton (1991, S. 60) das Auftreten einer ungewöhnlichen und neuen Situation, einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität (und damit Frust, Fehlschläge) oder eine geplante Anfrage von außen (z.B. etwas Neues zu probieren). Dies umfasst z.B. technischen Wandel oder den Eintritt von neuen Mitarbeitern/innen (’novelty’), Umweltbeobachtung (’deliberate request for active thinking’) und Jobverlust (’discrepancy’) (Louis und Sutton, 1991, S. 65). Den Wechsel von bewussten Stilen zu unbewussten haben die Autoren/innen nicht untersucht. Sicher ist, dass diese Stile bzw. der Wechsel zwischen den Stilen von Kulturaspekten, Gruppennormen, Ideologien oder dem Klima beeinflusst werden (Louis und Sutton, 1991, S. 62, 69; Meyer, 1982). Organisationen mit flexiblen Werten werden aller Voraussicht nach eher Neuheiten oder Diskrepanzen wahrnehmen. Sowohl in der Befragung als auch in der Literatur (z.B. Shapiro und Spence, 1997) wird oftmals auf eine sequenzielle Abfolge verwiesen, d.h. auf intuitive Gefühle folgen Analysen. Die umgekehrte Reihenfolge, d.h. Analysen werden durchgeführt und „in der Nacht überschlafen“ erhält demgegenüber keinen Zuspruch (Shapiro und Spence, 1997, S. 66). Tatsache ist, dass sich beide Prozessarten nicht trennen lassen: „It has been empirically demonstrated that what is learned implicitly slowly seeps into consciousness, thereby affecting analytical judgements. Similarly, it is likely that the basis for analytical judments are likely incorporated, at least at some extent, into inuitive judgments.“ (Shapiro und Spence, 1997, S. 66). Dies gilt für beide Unternehmenstypen, MU und GU: „Even though entrepreneurs perceive „gut feelings“ to be very important (Hills und Narayana 1989), they cannot afford to rely on that feeling in a vacuum. It has to have some link to the external environment. The methods of acquiring information may be unstructured and informal, but the information links to sources in the external environment are vital if the venture is to compete and survive in that environment.“ (Mohan-Neill, 1995, S. 19f).
Kapitel 29 Optionentheorie Möglicherweise können schwache Signale von Produktinnovationen als strategische Optionen im Sinne der „Option Theory“ (ursprünglich ein finanztheoretischer Ansatz) verstanden werden (Bowman und Hurry, 1993; Unknown, 2001; Burger-Helmchen, 2007). Optionen stellen dabei ein Vorzugsrecht auf eine Investmentmöglichkeit dar. Investoren wenden eine kleine Summe zum Kauf der Optionen auf und halten diese Option so lange (genannt „shadow option“ (Bowman und Hurry, 1993, S. 763)), bis eine Chance sichtbar und auch als solche erkannt wird, d.h. bis aus der Option eine sinnvolle Chance ensteht. Dann haben sie die Möglichkeit, diese Option für die Chance auszunützen oder davon abzulassen. Optionen im Sinne der Strategischen Frühaufklärung sind „real options“, d.h. eine nicht-finanzielle Anlage oder ein Wirtschaftsgut. Die „Option Chain“ (Burger-Helmchen, 2007, S. 392), d.h. jener Prozess, der sich mit Optionen beschäftigt, beginnt bei der Wahrnehmung einer Chance (’shadow option’) durch einen Entrepreneur/eine Entrepreneurin oder Innovator/die Innovatorin. Durch die Suche und Kombination von Ressourcen und Wissen entwickelt sich aus der ’shadow option’ eine ’real option’, die durch Managemententscheidungen und -handlungen z.B. zur Produktion eines neuen Gutes führt. Auch dieser Prozess ähnelt jenem der Strategischen Frühaufklärung. Organisationen sind erfolgreicher, wenn sie ein Bündel an Optionen („shadow options“ oder auch nach Burger-Helmchen (2007, S. 393) „Invention“) oder besser entwickelten Optionen („real options“, oder nach Burger-Helmchen (2007, S. 393) „Innovation“) halten (Bowman und Hurry, 1993, S. 766). Optionen können zum Beispiel technologische Innovationen darstellen. In diesem Zusammenhang stehen oft die „richtigen Zeitpunkte“ der Innovation. Haben Unternehmen bestimmte Innovationen in Perioden „vorentwickelt“, wissen aber noch nicht genau, wie sie diese einsetzen können, sind sie schneller beim Ergreifen einer Chance, wenn sich z.B. Umweltbedingungen verändern. Dies zeigt auch die Befragung, in der sich herauskristallisierte, dass Unternehmen meist keine Ideenarmut aufweisen, sondern viele Ideen in unterschiedlichster Form im Unternehmen existieren. Erfolgreiche Unternehmen können schneller auf diese Ideen zurückgreifen, wenn dies nötig ist.
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361 Darüber hinaus verknüpft Burger-Helmchen (2007, S. 389) die Fähigkeit und Kompetenz des Lernens mit der Option Theory und Produktinnovationen: „Creating new knowledge, the most important task of the firm, enables the firm to produce new goods, create a new organization or upgrade its efficiency. The learning mechanisms are the base of these capabilites and allow the firm to grasp new opportunities. Making good use of an opportunity that brings value to the firm is nowadays called the „real option“, so holding and being able to exercise this real option depends fundamentally on the competencies and learning acitivity of the firm.“ Lernen ist somit Voraussetzung für die Erkennung von Chancen und Möglichkeiten. Die Option Theory legt eine Innensicht auf die Strategische Frühaufklärung, im Sinne des Ressourcenorientierten Ansatzes.
Kapitel 30 Schnittstellen ausnutzen Strategische Frühaufklärungsprozesse nehmen oft an Schnittstellen ihren Anfang (vgl. Cooper, 2002, S. 102) („technology-market linking“ (Dougherty, 1992, S. 181)). Hier agieren sehr oft Innovatoren/innen. Der Innovator/die Innovatorin trifft auf andere Bereiche, Personen oder Informationen. Innovationen in den befragten Unternehmen entstehen zwar in den Entwicklungsabteilungen, öfter jedoch außerhalb dieser institutionalisierten Grenzen. Wesentlich ist dabei die Kommunikation über diese Schnittstellen, z.B. über Veränderungen, schwache Signale, Trends, Ideen usw.. Der Prozess wird durch informale Gespräche über Abteilungsgrenzen hinweg vorangetrieben, d.h. überquert Schnittstellen. Diese Schnittstellen können durchaus hohes Konfliktpotenzial innehaben. Dies bezieht sich z.B. auf den Diskurs zwischen älteren und jüngeren Personen, Personen unterschiedlicher Unternehmenszugehörigkeit, Mitarbeitern/innen aus unterschiedlichen Abteilungen, z.B. dem Verkauf und der Technik. Bereiche und Personen, die nicht direkt im Prozess involviert sind, werfen neue Ideen und Bewertungsprozesse auf. So kann der Strategische Frühaufklärungsprozess durch das Einbeziehen neuer Mitarbeitern/innen und bestehender Supportfunktionen im Unternehmen profitieren. Gerade Menschen in Supportfunktionen bringen oft ein gutes Basiswissen mit und beschäftigen sich zumeist mit allgemeinen technischen Problemen im Unternehmen. Ihr technisches Wissen und individuelles Interesse kann bei technologischen Innovationen gewinnbringend einfließen. Das Gleiche gilt für die Ausgestaltung von Gruppen: Heterogenität ist gefordert. Die Mischung aus innovativen mit weniger innovativen Personen bringt einen Ausgleich zwischen Kreativität, Risiko und Vorsicht. Unterschiedliche Kompetenzen und Verantwortungsbereiche, Geschlechter, Firmenzugehörigkeiten, Alter und persönliche Kulturen bereichern den Strategischen Frühaufklärungsprozess. Die für die Strategische Frühaufklärungsprozesse relevanten Schnittstellen befinden sich nicht nur innerhalb der Unternehmen, sondern auch an den Unternehmensaußengrenzen, z.B. zu Stakeholdern, Kunden/innen, Lieferanten/innen und Konkurrenten/innen. Diese sind sowohl bei der Erkennung von schwachen Signalen ausschlaggebend, als auch bei der Bewertung dieser Signale, d.h. bei der Frage welche Bedeutung und welchen Wert sie für das Unternehmen
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363 haben. Netzwerke begünstigen die Strategische Frühaufklärung. Möglicherweise begünstigen auch Konflikte die rechtzeitige Wahrnehmung von Chancen und schwachen Signalen. So folgern auch Schweiger et al. (1986, S. 66): „...programmed conflict is useful in improving the quality of strategic decisions.“. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der konstruktive Umgang mit Konflikten.
Kapitel 31 Ausblick An gewissen Stellen der Arbeit wurde bereits auf weitere Forschungsmöglichkeiten hingewiesen. Die vorliegende Untersuchung ist qualitativ und umfasst eine kleinere Stichprobe. Für weiterführende Forschungstätigkeiten ist es ratsam, die Hypothesen auf eine breite Basis zu stellen und quantitativ zu überprüfen. Dies gilt auch für die Pfadtypen aus Abschnitt IV „Die Phasen und Prozessarten des Strategischen Frühaufklärungsprozesses“. In der vorliegenden Arbeit wurden nicht alle 27 möglichen Pfade untersucht, sondern nur ausgewählte ’best-practice’-Beispiele. Weiterführende Untersuchungen könnten alle 27 theoretisch möglichen Pfade in Betracht ziehen. Der Fokus der Arbeit ist – aus Ressourcengründen – eingeschränkt und bezieht sich auf einen Teilbereich (Österreich, Produktionsunternehmen,...). So wurden keine internationalen Einflüsse berücksichtigt. Die vorliegenden Ergebnisse beziehen sich rein auf österreichische Produktionsunternehmen. Elenkov (1997, S. 289) und Schneider und De Meyer (1991) betonen aber z.B. den Einfluss der Nationalität und der Nationalkultur auf die Wahrnehmung und damit zusammenhängend auf den ersten Abschnitt des Strategischen Frühaufklärungsprozesses. Untersuchungen über Strategische Frühaufklärungsprozesse in verschiedenen Nationen könnten wertvolle Beiträge liefern. Zukünftige Vergleiche könnten auch mit dem Risiko-Aspekt des Strategischen Frühaufklärungsprozesses vollzogen werden. Risiken wurden von anderen Autoren/innen bereits betrachtet, sie könnten aber durch die neuesten Einsichten zu rationalen oder intuitiven Vorgehensweisen, Strukturunterschieden, strategischen Unterschieden usw. (wie in der vorliegenden Arbeit behandelt) angereichert werden. Interessant wäre es auch, die Ergebnisse hinsichtlich der Strategie und Kulturaspekte zu vertiefen, d.h. die Prozesspfade quantitativ mit Kulturaspekten zu hinterlegen. Dafür eignen sich Kulturerhebungen nach gewissen Kriterien, wie sie bereits vorliegen (vgl. z.B. Saxby et al., 2002).
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