Die »Spindrift« war vom Weg abgekommen. Auf ei nem routinemäßigen Flug von Los Angeles nach London hatten unbekannte E...
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Die »Spindrift« war vom Weg abgekommen. Auf ei nem routinemäßigen Flug von Los Angeles nach London hatten unbekannte Energien sie aus dem Raum-Zeit-Gefüge gerissen und in eine Parallelwelt versetzt. Alles war ähnlich wie auf der Erde, nur auf unheimliche Weise ins Riesenhafte verzerrt. Die Insel, auf der sie gelandet waren, barg ungeahnte Gefahren. Rieseninsekten bildeten eine Bedrohung für die Men schen. Was wie ein subtropisches Paradies ausgese hen hatte, wurde zu einer Hölle voll unglaublicher Monstren.
Ferner liegen vor in der Reihe der
Ullstein Bücher:
Science-Fiction-Stories 1 (2760)
Science-Fiction-Stories 2 (2773)
Science-Fiction-Stories 3 (2782)
Science-Fiction-Stories 4 (2791)
Science-Fiction-Stories 5 (2804)
Science-Fiction-Stories 6 (2818)
Science-Fiction-Stories 7 (2833)
Science-Fiction-Stories 8 (2845)
Science-Fiction-Stories 9 (2853)
Science-Fiction-Stories 10 (2860)
Science-Fiction-Stories 11 (2873)
Science-Fiction-Stories 12 (2877)
Science-Fiction-Stories 13 (2883)
Science-Fiction-Stories 14 (2889)
Science-Fiction-Stories 15 (2894)
Science-Fiction-Stories 16 (2899)
Science-Fiction-Stories 17 (2905)
Science-Fiction-Stories 18 (2916)
Science-Fiction-Romane:
Jeff Sutton:
Die tausend Augen des Krado 1 (2812)
Sprungbrett ins Weltall (2865)
Samuel R. Delaney:
Sklaven der Flamme (2828)
Cyril Judd:
Die Rebellion des Schützen Cade (2839)
Eric Frank Russell:
Planet der Verbannten (2849)
Gedanken-Vampire (2906)
Larry Maddock:
Gefangener in Raum und Zeit (2857)
Bart Somers:
Zeitbombe Galaxis (2872)
Welten am Abgrund (2893)
Manly W. Wellman:
Insel der Tyrannen (2876)
Invasion von der Eiswelt (2898)
Robert Moore Williams:
Zukunft in falschen Händen (2882)
H. Beam Piper: NULL-ABC (2888)
Ullstein Buch Nr. 2917 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE HOT SPOT Übersetzung von Heinz Nagel Erstmals in deutscher Sprache Umschlagillustration: Jeff Jones/ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1969 by Kent Productions 20th Century Fox Film Corporation Übersetzung © 1972 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1972 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3-548-02917-5
Murray Leinster
Die Irrfahrten
der ›Spindrift‹
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
1
Als das Mondlicht auf dem silbernen Rumpf der Spindrift von zwei Monden stammte, nicht von einem, als das Schiff schon vor sechs Tagen auf dem Flugha fen von London hätte landen sollen nach einem ein undvierzig Minuten dauernden Flug von Los Ange les, als die Sterne über ihr fremd waren und das Meer darunter namenlos, weil kein Mensch je darauf gese gelt war – als alles das eintraf und Steve Burton die Spindrift in hastiger Flucht von der wütenden Stadt der Riesen wegsteuerte – nun – da begannen die Menschen an Bord der Spindrift Pläne für die Zukunft zu machen. Zumindest glaubten sie das. Im Licht der Instrumententafel spiegelten sich Ste ves kantige Züge. Zu seiner Rechten, auf dem Platz des Copiloten, arbeitete Dan Ericson an der Funkan lage. Er suchte das ganze elektromagnetische Spek trum nach Geräuschen, Signalen oder Stimmen ab. Aber er hörte nichts. Die Bewohner dieses Planeten hatten kein Radio. Es vertrug sich nicht mit etwas, das für sie wesentlich wichtiger war. Es gab andere, größere Dinge, die sich nicht mitein ander vertrugen. Diese Welt und die Erde waren auf seltsame Weise verwandt, und es gab erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den Lebewesen beider Planeten.
Es gab Vögel, Tiere und Bäume auf jedem Planeten, die genaue Gegenstücke voneinander waren, wenn eines nicht gewesen wäre: die Größe. Man mußte annehmen, daß irgendeine seltsame Kongruenz zwischen den bei den bestand, so daß die Entwicklung auf beiden Welten parallel verlaufen war. Aber da blieb der Größenunter schied, und der bereitete Ärger. Die Spindrift jagte durch die Nacht. Sie war dazu konstruiert, mit der Geschwindigkeit eines Meteors am Rande der Erdatmosphäre zu fliegen. Jetzt schoß sie unter Sternen dahin, die keinen Namen hatten, über einem Meer, das keinen Namen hatte, auf einem schönen, aber fremdartigen Planeten. Hinter ihr war die benommene und zugleich wütende Bevölkerung einer Stadt zurückgeblieben. Die Spindrift war hier al les andere als beliebt. Die Bewohner des Planeten verstanden das kleine Suborbitalschiff nicht ganz. Und selbst wenn sie mehr darüber gewußt hätten, hätten sie vieles nicht geglaubt. Und die Leute von der Spindrift wußten nicht sehr viel über diese Welt und das, was sie wußten, war nicht angenehm. Steve beobachtete sein Instrumentenbrett und blickte gelegentlich zu den vorderen Luken hinaus. Neben ihm überwachte Dan die Radiofrequenzen von den Mikrowellen über die Kurzwellen hinauf bis zu den meilenlangen Schwingungen des alten Marconi radio. Und dann schaltete er ab.
»Fertig?« fragte Steve. Dan hängte den Kopfhörer an den Haken und sag te mürrisch: »Nichts zu machen. Keine Kurzwellen und keine Langwellen. Nichts!« »Das war zu erwarten«, sagte Steve. »Kümmere dich mal eine Weile nicht um das Radio und sieh zum Fenster hinaus. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange bis wir die Inseln erreichen. Dann wird sich die Be völkerung verändern. Du solltest darauf achten.« Dan gehorchte. Weit, weit unter dem Schiff gab es ganz vertraute Wolkenformationen. Sie glühten schwach im Licht der Zwillingsmonde dieser Welt. Sie bewegten sich schnell auf das rasende Schiff zu und entschwanden hinter seinem Heck, fünfunddrei ßigtausend Meter darunter. »Warum denn?« fragte Dan und starrte zur Luke hinaus. »Wenn da Inseln sind«, sagte Steve, »sind sie ent weder bewohnt oder nicht. Wenn sie bewohnt sind, dann gibt es bestimmt Lichter, die uns das verraten und damit warnen. Wenn es keine Lichter gibt, lan den wir.« »Warum?« »Weil wir nicht ewig fliegen können«, sagte Steve trocken. Damit hatte er natürlich recht. Das Antriebsaggre gat der Spindrift war für Raumschiffe entwickelt wor
den, die es noch nicht gab. Die Ladung in ihren Ag gregaten erlaubte es ihr, acht Stunden mit Höchstge schwindigkeit und in Reiseflughöhe zu fliegen. Dann mußte sie landen, um die Energieeinheiten wieder aus dem Mikromeiler, den sie mit sich trug, aufzula den. Eines war paradox: je langsamer das Schiff flog, desto mehr Energie verlangten die Aggregate. Und über der Stadt der Riesen, die jetzt reichliche zwei tausend Kilometer hinter ihnen lag, hatten sie viel Energie verbraucht. »Ich versteh' das nicht«, sagte Dan und runzelte die Stirn. »Das ist doch noch nicht alles. Du hast doch be stimmt irgendeine Idee –« »Etwas hat uns gepackt«, sagte Steve geduldig, »als wir von Los Angeles nach London flogen. Die Wis senschaftler hätten das zweifellos als Raumfalte be zeichnet. Bloß daß ich nicht weiß, was eine Raumfalte ist. Und die Wissenschaftler wissen es auch nicht, aber ich weiß, das etwas, das man so bezeichnen kann, uns gepackt hat. Ich weiß auch, daß es uns hier abgeworfen hat und zwar gegen alle Regeln der Ver nunft und auch gegen alle Regeln, die Professor Al bert Einstein aufgestellt hat.« Dan murrte bloß und lehnte sich dann an die Luke, um wieder hinauszusehen. Er entspannte sich. »Und dann fanden wir uns auf dieser Welt«, sagte Steve mit der gleichen übertriebenen Geduld, mit der
er begonnen hatte. »Übrigens einer sehr vertrauten Welt. Nur daß all die alten vertrauten Gegenstände hier riesenhaft groß sind. Es gibt Riesenbäume, Rie senblätter, Riesensträucher, Riesenhunde und -katzen und schließlich auch Riesenmenschen. Sie sind un möglich; aber trotzdem gibt es sie. Für uns sind es nicht nur Riesen, sondern Ungeheuer. Wir verstehen sie nicht. Sie sind – schreckenerregend. Stimmt's?« »Ich kann einfach nicht an sie glauben«, sagte Dan, »selbst wenn ich einen sehe. Ich würde sie nicht ein mal dann mögen, wenn sie freundlich wären – aber das sind sie ganz entschieden nicht.« »Stimmt«, pflichtete Steve ihm bei. »Aber sie haben auch allen Grund, uns nicht zu mögen. Ihre normale Reaktion auf Dinge oder Lebewesen unserer Größe ist genauso wie unsere normale Reaktion auf Ratten oder Mäuse – töten oder in Käfige stecken, je nach dem wie einem gerade zumute ist. Außerdem benut zen wir Radio. Das haben wir jedenfalls getan. Und die Leute hier mögen Radio nicht. Es scheint irgend wie ihr System der Energieübertragung von einem ih rer Monde zu stören. Wenn man Radio benutzt, hat man keine Energie. Wenn man Energie haben will, benutzt man kein Radio. Stimmt's? Als wir also ver suchten, über Radio mit ihnen in Verbindung zu tre ten, machten wir uns unbeliebt. Also versuchten sie uns zu vernichten. Erinnerst du dich?«
»Und wir haben uns gewehrt«, fuhr er dann fort. »Unglücklicherweise haben wir sie damit noch mehr verärgert. Schade – wenn es schon Riesen sein mußten, warum waren sie dann nicht wenigstens Wilde. Wilde hätten nichts gegen Dinge einzuwenden, die ihre Kraftübertragung stören. Aber diese Riesen schon. Die sitzen jetzt in der Patsche. In der gleichen Patsche, in der die Erde säße, wenn plötzlich ein winziges Schiff mit Ratten oder Mäusen bemannt auftauchte und die Elektrizitätsversorgung der ganzen Welt abschalten könnte – und es auch tat. Wir sind einfach unbeliebt, aber es ist nicht unsere Schuld.« »Das hilft uns bestimmt weiter«, feixte Dan. »Da schau! Findest du nicht, daß die Wolken sich dort vorne verändern?« Steve folgte seinem Blick. Weit vor ihnen gab es eine Turbulenz in der tieferen Wolkenschicht. Die Lufttem peratur über einer Insel ist immer anders als die über dem freien Meer. Aus der Flughöhe der Spindrift war keine Insel sichtbar, aber die Wolken am Horizont deu teten auf eine Differenz in der Oberflächentemperatur. Steve nickte. Nur der schwache Schein der Instru mentenbeleuchtung erhellte die Kabine. »Wir werden mal nachsehen.« Eine Weile herrschte Schweigen. Und dann senkte sich die Spindrift in weitem Bogen auf die Turbulenz zone hinunter.
»Und wenn wir landen?« sagte Dan. »Was dann?« »Wir versuchen, die Riesen davon zu überzeugen, daß sie uns losgeworden sind«, erklärte Steve, »– daß wir aufgetaucht sind, Unheil angerichtet haben und wieder verschwunden sind. Wenn sie keine weiteren Anzeichen unserer Anwesenheit finden, kommen sie vielleicht zu dem Schluß, daß wir anderswohin geflo gen sind. Und dann fühlen wir uns wohler und sie auch.« Dan überlegte. »Du meinst also, sie können uns nicht über ihren Horizont hinaus verfolgen? Du meinst nicht, daß sie so etwas wie Radar haben?« »Doch so etwas haben sie bestimmt«, sagte Steve. »Aber es könnte sein, daß es auf Sichtweite be schränkt ist, und dann stört es uns nicht. Aber jetzt, da wir einmal hier sind, werden sie sich bestimmt darum bemühen, ihr Radar zu verbessern.« »Du meinst sie haben keine Flugzeuge, um uns damit zu verfolgen?« »Die Luft ist hier nicht dichter als auf der Erde, und die Schwerkraft ist die gleiche. Mit Tragflächen wird man also die gleiche Anzahl von Kilo pro Quadrat meter heben können. Wie groß müßte denn ein Flug zeug sein, um auch nur einen Riesen zu tragen?« Dan überlegte. Dann nickte er. »Sie haben keine Flugzeuge. Und?« »Wenn wir eine unbewohnte Insel finden, landen
wir darauf. Wir benutzen unser Radio nicht – schließ lich gibt es hier ohnehin bloß Riesen, die zuhören könnten – und wenn wir weder unseren Antrieb ein setzen noch elektrische Geräte benutzen, dann muß es für sie doch den Anschein haben als wären wir verschwunden.« »Und was dann?« »Dann werden wir schon sehen, was geschieht«, meinte Steve grimmig. »Wenn sich etwas Nützliches ergibt, soll es uns nur recht sein. Wenn etwas für uns Schädliches auftaucht, versuchen wir ihm zu entge hen. Und wenn nichts geschieht, dann sorgen wir da für, daß etwas geschieht.« Die Spindrift flog weiter. Sie senkte sich nur sehr langsam, aber ihre Geschwindigkeit war wirklich sehr hoch. Die Wolkenmassen schienen ihr entgegen zusteigen, aber in Wirklichkeit waren sie im Ver gleich zu der Maschine beinahe bewegungslos. »Steve, diesmal glaube ich dir einfach nicht«, mein te Dan. »Du hast genausowenig einen Plan wie ich. Du bluffst nur!« Steve zuckte die Achseln. Und jetzt glitt die Tür zur Steuerkabine auf und Betty Hamilton, die Stewardeß, meinte mit strahlender Miene: »Alle fühlen sich sehr ermutigt. Sie sind alle mehr oder weniger der glei chen Meinung. Nachdem wir uns gezeigt haben und es den Riesen nicht gelungen ist, uns zu vernichten,
sind alle ziemlich sicher, daß wir einen Handel mit ihnen abschließen können, um allein gelassen zu werden. Vielleicht können sie uns sogar helfen, wie der zur Erde zurückzufinden!« Steve gab keine Antwort. Ein paar Sekunden starrte er zur vorderen Luke hinaus, wo die Wolkenschleier jetzt immer dichter wurden und begannen, das kleine Schiff einzuhüllen. Und dann sagte er vorsichtig: »Ich würde diese Hoffnung nicht zu sehr unterstützen, Bet ty. Aufgeschobene Hoffnung ist schlimm genug. Zu nichtegemachte Hoffnungen wären noch schlimmer. Wir haben das Schlimmste noch nicht hinter uns.« »Aber – aber –« Die Wolken hüllten den Bug der Spindrift ein. Eini ge Sekunden lang war sie völlig von schwarzgrauen Nebeln umgeben. Und dann hatten sie die Wand hin ter sich gebracht, und dünne Nebelschwaden wallten auf. Als sie wieder klar sehen konnten lag eine Insel unter ihnen. Die Meereswogen schimmerten im Mondlicht. Die Insel selbst zeigte keinerlei Landmarken. Natürlich hat te sie Konturen. Man sah weiße Streifen, die das Land vom Meer abgrenzten – die Strände. Sogar ein schwa ches Leuchten war sichtbar, wo die Brandung sich im weißen Sand brach. Aber die Landfläche der Insel war völlig schwarz. Vermutlich Wald oder Dschungel. »Wir werden uns weiter über unsere Pläne unter
halten, nachdem wir gelandet sind, Betty«, erklärte Steve. »Sorge jetzt dafür, daß die Passagiere sich an schnallen. Und bestätige nur bloß ihre Hoffnungen oder Vermutungen nicht. Wir sind natürlich noch nicht tot. Aber versuche ihren Optimismus in ver nünftige Bahnen zu lenken.« Betty schien bestürzt und unglücklich. »Bedeutet das, daß keine Hoffnung besteht, daß wir nach Hause kommen?« Dan ließ sie nicht weiterreden. »Hoffnung besteht genug«, sagte er beruhigend. »Aber vorher gibt es ei ne Menge Probleme. Die Zukunft ist für uns wie ein großes Weihnachtspaket. Wir müssen zuerst die Schnur aufschneiden und es aus dem Papier wickeln, ehe wir wissen, was darin steckt. Aber irgend etwas wird schon kommen!« Bettys Augen ließen Steves Gesicht nicht los. »Steve –« »Mehr kann ich jetzt auch nicht sagen«, sagte er ungeduldig. »Kümmere dich um die Passagiere, Bet ty.« Sie machte den Mund auf und wollte offenbar noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Dann schob sie die Tür auf und schloß sie wieder hin ter sich. »Mir hat sie auch nicht geglaubt«, sagte Dan, »ob wohl ich besser lügen kann als du, Steve.«
Dann grinste er als die Spindrift im Tiefflug über die Insel hinwegzog, vor und zurück, wieder vor. Die Insel bestand von einem Ufer bis zum andern aus Wald oder Dschungel. Es gab ganz bestimmt nir gends ein Licht. Und dann erklärte Steve plötzlich: »Wir landen.« »In dem Wald unter uns?« fragte Dan. »Wo denn sonst?« »Nun, es gibt ja auch Strände«, sagte Dan. Aber Steve schüttelte den Kopf. »Die Riesen haben bestimmt irgendeine Art von Radar. Vielleicht nicht besonders weit fortentwickelt, aber das kommt schon noch. Wir wollen nicht einmal unsere Antriebsaggregate benutzen, bis die Riesen ganz sicher sind, daß wir verschwunden sind. Viel leicht haben sie jetzt keine Möglichkeit, uns zu ent decken, aber wir dürfen diese Riesen nicht unter schätzen! Wenn sie ein planetenweites Energiever sorgunssystem haben, das von Radiowellen gestört werden kann, werden sie ganz bestimmt auch klug genug sein, um uns irgendwie aufzufinden und zu vernichten. Aber wenn wir zwischen den Bäumen landen und uns völlig ruhig verhalten, werden sie schließlich und endlich aufhören, nach uns zu su chen.« Jetzt war Dan an der Reihe mit den Achseln zu zucken. Er kannte Steve lang genug, um zu wissen,
wann er mit fragen aufhören mußte. Steve hatte et was vor. Wahrscheinlich war sein Plan noch nicht weit genug gediehen, als daß man darüber reden konnte. Dan wandte jetzt seine Aufmerksamkeit dem Höhenmesser zu. In Wirklichkeit handelte es sich um ein Vertikalradar, das ihren Abstand von festem Bo den als leuchtende Linie anzeigte. Aber jetzt war die se Linie von den Bäumen etwas verzerrt. Und doch flog Steve immer wieder vor und zurück, wobei er den Baumwipfeln immer näher kam. Er suchte eine Lichtung, und wenn es nur eine Lücke wäre, die ein einziger umgestürzter Baum hinterlassen hatte. Und dann schien er in dem scheinbar undurch dringlichen Blättergewirr so etwas gefunden zu ha ben. Er sprach ins Mikrophon der Kabinenlautspre cher: »Sicherheitsgurte«, stieß er hervor, »festschnallen. Wir landen. Es kann etwas holprig werden.« Er zog den Bug der Spindrift in die Höhe und senk te das Schiff dann mit unendlicher Sorgfalt. Der Hö henmesser arbeitete mit erstaunlicher Präzision. Die Spindrift sank tiefer, versuchte, zur Seite auszubre chen, aber Steve reagierte sofort, zog sie wieder in die Höhe und senkte sie dann erneut mit der gleichen Sorgfalt in die Tiefe. Jetzt gab es einen spürbaren Ruck. Irgend etwas krachte, dann herrschte Stille. Die Spindrift war zum Stillstand gekommen.
Dan legte den Schalter der Außenmikrophone um. Geräusche waren zu hören. Da war das gleiche tiefe Brummen wie bei der ersten Landung der Spindrift auf diesem Planeten. Einige der Geräusche, die sie hörten, stammten von Nachtinsekten, die auf der Er de schrille summende Laute von sich geben. Hier wa ren das Bariton- oder Baßstimmen wegen der unge heuren Größe der Insekten. Und dann ein tiefes Pol tern – vielleicht das Quäken riesiger Frösche. Und hinter all dem ein weit entferntes Brüllen und Tosen, das ihnen vertraut schien. Das war die Brandung. »Ich möchte lieber die Landelichter nicht einschal ten«, sagte Steve grimmig, »aber vielleicht kommt genug Mondlicht durch, um uns zu zeigen, was draußen vorgeht.« Das war äußerste Vorsicht, aber deutete auch an, worauf Steve vorbereitet war. Die Spindrift hatte mehr als zweitausend Kilometer zwischen sich und die Stadt der Riesen gelegt, der sie entkommen war. Sie hatte diese Entfernung mit suborbitaler Geschwin digkeit zurückgelegt, der Geschwindigkeit, die ihr die Reise von Los Angeles nach London, vom Start bis zur Landung in einundvierzig Minuten erlaubt hätte. Damit hatten die Riesen der Stadt sicherlich nicht genügend Zeit gehabt, um ihre Lauschposten zu alarmieren, selbst wenn es solche Lauschposten gab. Also war mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
daß niemand die Spindrift auf ihrem Flug beobachtet hatte. Aber Steve gehörte eben zu den Leuten, die immer mit dem Schlimmsten rechnen, selbst wenn sie die Hoffnung dabei nicht aufgeben. Und das brachte er jetzt auch zum Ausdruck. »Es sollte eigentlich alles in Ordnung sein«, meinte er, »aber es gibt da eine alte Regel – was schiefgehen kann, geht gewöhnlich auch schief.« »Was haben wir jetzt vor?« wollte Dan wissen. Steve gab keine Antwort. Die Spindrift stand auf ih rem Heck. Das Laubwerk über ihr war unglaublich dicht, abgesehen von einer Stelle, wo ein riesenhafter Baum vor noch nicht allzulanger Zeit umgestürzt war. Dadurch konnten sie jetzt ein Stück Himmel se hen. Dort waren Sterne. Sonst kam weder Mond schein noch das Licht der Sterne durch das dicke Blattwerk der Palmen und der anderen Bäume, die diesen Dschungel bildeten. Steve und Dan starrten von ihren Pilotensesseln hin aus. Sie befanden sich immer noch in horizontaler Lage, weil das Schiff auf seinem Heck stand. Undeutlich sa hen sie die riesenhaften Baumstämme, zwischen denen die Spindrift gelandet war. Etwas zur Seite konnten sie den umgestürzten Riesenbaum erkennen, dessen Fall für diese Lichtung verantwortlich war. »Wir gehen jetzt in Horizontallage«, sprach Steve ins Mikrophon. »Bitte noch nicht abschnallen.«
Er senkte das Schiff langsam aus der Vertikalstel lung, die für Start und Landung bestimmt war ab. Der Bug ging langsam herunter. Einmal schien es ir gendwo hängenzubleiben. Aber dann ließ der Wider stand nach. Das Schiff kam zum Stillstand. Der Boden war noch nicht ganz eben, so als wären sie gerade um das Umkippen herumgekommen. »Morgen früh sehen wir uns die Landebeine und den Meiler an, um sicherzugehen, daß wir jederzeit wieder starten können«, meinte Steve. Dan nickte und lockerte seinen Gurt. »Gehen wir hinaus?« »Noch nicht«, sagte Steve. »Als wir das erstemal auf dieser Welt landeten haben wir das getan, aber inzwischen haben wir ja einiges dazugelernt.« Er saß reglos da und lauschte. Immer noch hallte der Lärm von draußen aus ihren Lautsprechern. Es waren völlig ungewöhnliche Laute. Da gab es zum Beispiel orgelartige Tonfolgen, die vielleicht riesigen Nachtvögeln entstammten. Dann ein Quietschen und Pfeifen. Schließlich klopfende Töne. Aber dafür gab es bis jetzt noch keine Erklärung. Etwas rannte über die Spindrift hinweg. Es konnte kein Insekt sein, nicht einmal ein riesenhaftes. Insekten haben Chitinpanzer und ihre Füße geben andere Laute von sich, wenn sie über Metall laufen. Das hier war etwas anderes. »Was ist das für ein Lärm?« wollte Dan wissen.
»Das weiß ich genau so wenig wie du«, sagte Steve. Aber er lauschte weiter. Und dann trat er an die Luke. Aber da war nichts zu sehen. Einmal glaubte er eine Bewegung zu erkennen, aber dann war da wie der nur der dunkle Dschungel. »Morgen früh werden wir es herausfinden«, sagte er ungeduldig. »Für den Augenblick bleibst du hier sitzen und horchst. Ich werde jetzt versuchen, unsere Passagiere etwas zu beruhigen und ihnen übertriebe ne Hoffnungen auszureden. Und morgen, wenn wir das Tageslicht haben, können wir uns ja etwas umse hen.« Er stand auf und ging auf die Tür zu. Er mußte sich dabei etwas zur Seite lehnen, um die Neigung des Bodens auszugleichen. »Schalte die Energieeinheiten auf Laden«, befahl er. »Ich bin gleich wieder da.« Er ging hinaus. Dan legte gehorsam den Schalter um und veranlaßte damit den Mikroatommeiler des Schiffes, die Energieeinheiten neu aufzuladen. Diese Einheiten konnten mehr Energie speichern als das gleiche Gewicht an Treibstoff ausmachte. Mit ihren Energieeinheiten und dem Mikromeiler gemeinsam konnte die Spindrift die Geschwindigkeit eines Satelli ten erreichen. Auf dem Boden konnte sie die Energie einheiten aus dem Meiler wieder aufladen. Ein einzi ger Barren Atomtreibstoff erlaubte es ihr, riesige Ent
fernungen – wenn auch nicht astronomische Distan zen – zurückzulegen, wenn man den Treibstoff ab wechselnd zum Aufladen und zum Antrieb benutzte. Aber periodisches Wiederaufladen war nötig. Dan blickte auf die Skala, die ihm die Energievorrä te anzeigte. Gar nicht schlecht. Bis zum Sonnenauf gang sollte die Spindrift in der Lage sein, weitere acht Stunden zu fliegen – und das entsprach mindestens drei kompletten Umkreisungen dieses Planeten. Viel leicht sogar vier. Er nickte sich selbst zu. Dann hörte er wieder diese klopfenden Geräusche. Sie schienen vom Heck nach vorne zu verlaufen. Dann verstummten sie. Und jetzt begannen sie wieder am Heck. Es war gespenstisch. Dan konnte einfach nicht ergründen, was diese Ge räusche verursachte. Mit gefurchter Stirn lauschte er. Steve hatte inzwischen die Passagierkabine betre ten. Er begrüßte die Passagiere mit jener gleichmütig selbstverständlichen Art, die so beruhigend wirkte. Jetzt waren da fünf Passagiere, obwohl das Schiff Los Angeles nur mit vier verlassen hatte. Sie blickten ihn erwartungsvoll an. Da war Wilson, ein bedeutender Geschäftsmann, dessen Hauptinteresse der Astrono mie galt. Dann war da Valerie Scott, sie sah aus als wäre sie soeben aus dem Kosmetiksalon gekommen und trug teure Sportkleidung. Irgendwie sah man ihr an, daß sie sich unter keinen Umständen vom Schick
sal unterkriegen lassen würde. Dann Fitzhugh mit je nem angespannten Blick, der ihm offenbar bereits zur zweiten Natur geworden war. Er hatte gerade ein er schütterndes Erlebnis mit einer Atomenergieeinheit hinter sich, die beinahe zwei Stunden am Rande der Detonation gestanden hatte, bis es ihm gelungen war, sie zu demontieren. Eigentlich hätte er ruhen sollen. Seine Nerven waren völlig verbraucht, aber er mühte sich unendlich, sie unter Kontrolle zu halten. Und dann war da der vierzehnjährige Barry mit seinem kleinen Hund Chipper. Für einen Jungen seines Al ters war all das natürlich ein herrliches Abenteuer. Und dann war da Marjorie. Vor Monaten hatte sie in Kapstadt ein Schiff für den weniger als zweistündigen Flug nach Seattle be stiegen. Das Suborbitalschiff, in dem sie sich befand, war genauso verschwunden wie es bei der Spindrift schien, aber das lag Monate zurück und niemand hat te damals daran gedacht, daß eine Raumfalte die Ur sache sein konnte. Steve und die anderen hatten sie in einem Vogelkäfig gefunden, den ein Riese in seinem Schuppen aufbewahrt hatte und sie daraus befreit. Damals hatten sie noch nicht so viel über diese Welt gewußt wie sie inzwischen in Erfahrung gebracht hat ten. Einige Bruchstücke ihrer Berichte beschäftigten Steve immer noch, weil er wußte, daß sie vielleicht die Lösung des Rätsels bargen, das sie umgab.
Steve nickte den Passagieren zu. »Wir sind gelan det«, verkündete er, »und zwar auf einer unbewohn ten Insel, vermutlich in den Tropen dieses Planeten. Wir sind etwa zweitausend Kilometer von der Stadt der Riesen entfernt. Ich glaube nicht, daß die Riesen wissen, wo wir uns befinden. Hoffentlich gelingt es uns, sie davon zu überzeugen, daß wir diesen Plane ten für immer verlassen haben. Wenn uns das gelingt, können wir uns weitere Schritte überlegen. Für den Augenblick scheint es mir, daß wir – einmal abgese hen von unserem Problem, den Rückweg zur Erde zu finden – ganz mit uns zufrieden sein können. Wir ha ben Atomtreibstoff für Monate oder selbst einen noch längeren Zeitraum, wenn wir ihn sparsam einsetzen. Wir haben Lebensmittel für einige Mahlzeiten vorrä tig und sollten hier weitere Nahrung finden. Heute Nacht besteht unser einziger Plan darin, den Morgen abzuwarten. Und morgen bleibt uns vielleicht nichts anders übrig als wieder auf den Abend zu warten. Aber irgendwann wird sich unsere Situation ändern und wir müssen darauf vorbereitet sein. Irgendwel che Fragen?« Barry meldete sich etwas zögernd zu Wort. »Ich möchte Chipper gerne hinauslassen.« »Nicht im Dunkeln«, sagte Steve. »Und nicht bei Nacht. Wenn du den Lärm draußen gehört hättest, würdest du gar nicht fragen.«
Fitzhugh meinte beunruhigt: »Da draußen läuft etwas herum. Ich höre das Klopfen an der Schiffswand. Haben Sie eine Ahnung, was das ist und ob es etwas bedeutet?« »Ich habe keine Ahnung«, gab Steve zu. »Aber ich möchte die Landescheinwerfer nicht einschalten, so lange wir nicht wissen wo wir sind. Wir müssen si cher sein, daß die Riesen uns nicht entdecken.« Jetzt begann das Klopfen am Heck der Spindrift wieder. Fitzhugh zuckte zusammen. Das Klopfen bewegte sich über den Schiffsrumpf nach vorn, bis es beinahe die Luken in der Steuerkanzel erreicht hatte. Dann verstummte es. Schweigen. Wieder begann es am Heck und bewegte sich nach vorn. Schweigen. Und es begann erneut am Heck und bewegte sich über die ganze Schiffslänge. Fitzhugh hielt den Atem an. »Wir könnten die Kabine verdunkeln«, sagte er eindringlich, »und dann die Schutzschilde von den Luken zurückziehen. Vielleicht sehen wir nichts, aber vielleicht sehen wir auch was. Auf alle Fälle könnten wir in Erfahrung bringen, ob dieses Klopfen Gefahr bedeutet!« Steve zuckte die Achseln und ging in die Steuer kanzel zurück. Dort schaltete er die Instrumentenbe leuchtung und die Kabinenlampen ab. Er wartete, bis die Augen der Passagiere sich an die Finsternis ge
wöhnt hatten. Jetzt schaltete er auch noch die Au ßenmikrophone ab. Das Höllenkonzert von draußen verstummte, aber das Klopfen hielt an. »Ich öffne jetzt die Lukenverkleidung«, sprach er durch die Tür zur Passagierkabine. Er drückte den Knopf und ging schnell zurück, um auch mit hinauszusehen. Die Fenster waren rund und bestanden aus dickem Glas, um dem Innendruck in fünfunddreißigtausend Meter Höhe standzuhalten. Neben jedem Sitz gab es eine Luke. Die meisten Sitze waren leer. Die Passagie re, Dan und Betty hatten je eine Luke. Zuerst konnten sie draußen nur Dunkelheit erkennen; nur durch die Lücke in den Blättern kam eine schwache Lichtspur. Sobald sie die Lautsprecher ausgeschaltet hatten war es ruhig geworden. Jetzt war nur noch das Klopfen zu hören, sowie der Atem der Passagiere. Das Klopfen schien aufgehört zu haben. Eine volle Minute lang war nichts zu hören. Und dann begann es wieder. Am Heck des Schiffes. Es bewegte sich nach vorn. Nichts war zu sehen. Selbst dann nicht als das Klopfen unmittelbar über den Luken war. Das ei genartige Geräusch bewegte sich über den Ausgang des Schiffes hinweg. Es kam zum Stillstand. Wieder Schweigen. Und dann sagte Fitzhugh unruhig: »Was ist geschehen? Ich habe nichts gesehen! Ist das Ding unsichtbar?«
Es hatte den Anschein. Die Stille lastete schwer auf ihnen. Und dann sagte Valerie plötzlich mit hysterisch klingender Stimme: »Ich habe gar keine Angst! Gar keine! Gar keine!« Sie fummelte an irgend etwas herum. Das Tappen – das Klopfen – begann wieder am Heck. Valery fum melte immer noch herum. Dann hatte sie ihr Feuer zeug angeknipst und hielt eine Zigarette. Das Feuer zeug zitterte und dann schob sich etwas Dunkles, Schreckliches auf die Stelle zu, wo das winzige Flämmchen zuckte. Valerie versuchte, gegen diese fremde Macht anzukämpfen, die sie erschrecken wollte. Und ihre einzige Waffe war ein winziges, drei Zentimeter langes Flämmchen. Das Ding, das sich jetzt in dem schwachen Lichtschein abzeichnete, mochte gerade aus der Hölle gekommen sein. Es schob sich näher, preßte sich gegen das Lukenglas, kaum einen halben Meter von der Flamme entfernt und höchstens einen Meter vor Valeries aschfahlem Gesicht. Die Augen des Dings waren schierer Wahn sinn. Seine freiliegenden Fänge waren ungeheuerlich. Es war grau; es war scheußlich; es war fleischgewor dener dämonischer Haß. Es geiferte Wildheit, Mord lust und Schrecken. Es starrte die Flamme an. Wider liche Fühler zuckten und kratzen am Glas der Luke. »Ich habe keine Angst!« stieß Valerie halberstickt
hervor. »Überhaupt keine Angst! Ganz bestimmt nicht!« Steve machte eine ärgerliche Handbewegung und drückte den Knopf, um die Luken wieder zu ver schließen. Er drückte hart nieder als könnte das den Vorgang beschleunigen und beim Schließen erfaßte eines der Lukenschilder das Monstrum draußen, aber nicht schnell und nicht kräftig genug. Das Ding kämpfte gegen den Metallschieber an, der es beinahe erfaßt hätte. Bei dem Lärm, den dieser Kampf verur sachte, hätte einem übel werden können. Schließlich riß das Ding sich los und der Schieber fügte sich an Ort und Stelle. Valerie gab unartikulierte Laute von sich. Vernünf tig betrachtet hatte sie zwar allen Grund erschreckt, nicht aber ängstlich zu sein. Das Lukenglas war dick. Es war unzerbrechlich. Und außerdem war es nur ei ne Spinne. Ihre scheußlichen haarigen Beine durch maßen zwar beinahe zwei Meter, aber auf dieser Welt war das ganz normal.
2
Einige Jahrhunderte später kam die Morgendämme rung. Zuerst graues Licht. Dann rosafarbenes Licht. Schließlich schimmerten die riesigen Palmenblätter, gute hundert Meter hoch, im normalen gelben Son nenschein. Die Sichtluken waren jetzt wieder offen, und die Passagiere konnten alles sehen, was es zu se hen gab. Aber nicht viel davon gab ihnen Aufschluß über ihre Umgebung. Die Spindrift stand, nicht ganz eben, aber auch nicht unerträglich schief. Ein Wald aus offenbar tropischer und offenbar riesiger Vegeta tion umgab sie. Die Palmen hier hatten die Größe von Sequoias auf der Erde. Wenn es Kokospalmen waren – und das waren es – würde es für einen Mann un möglich sein, eine einzige Kokosnuß vom Boden auf zuheben. Zunächst einmal würde sie hundert Pfund wiegen und ihre Größe würde genauso hinderlich sein wie ihr Gewicht. Doch diese Tatsache ergab sich erst später. Im er sten Morgenlicht untersuchten Steve und Dan wich tigere Dinge. Die Spindrift lag wie erwartet, deutlich zur Seite abgekippt, in einer Art Lichtung, die der Sturz einer einzigen riesigen Palme erzeugt hatte. Der Sturz war erst vor kurzem gewesen, denn noch wuchs nichts grünes in dem Loch, das die ausgeris
senen Wurzeln erzeugt hatten. Stattdessen konnte man Steine verschiedener Größe in der Höhle erken nen. Das kleine Schiff war nur um Meter einer Bruch landung entgangen. Ein Teil seiner Landestützen ruh te auf weichem Grund. Es war zur Seite gekippt und beinahe umgefallen. Nur noch ein paar Grad mehr und sie wäre gestürzt und ihre Landestützen hätten jeden Kontakt mit dem Boden verloren. Sie dann wieder zurückzuwälzen und senkrecht aufzustellen wäre für Besatzung und Passagiere unmöglich gewe sen. Aber darauf achteten die beiden in der Steuerkan zel im Augenblick kaum. Steve blickte grimmig auf eine weiße Bahn, die an ungewöhnlich grobes Segel tuch erinnerte und die straff wie ein Trampolin an verschiedenen Haltepunkten verankert war. Und ei ner dieser Haltepunkte war die Spindrift. »Was zum Teufel ist das?« fragte Dan. »Etwas Unangenehmes«, erklärte Dan. »Etwas sehr Unangenehmes sogar.« Sein Gesichtsausdruck war nicht gerade freundlich. Er suchte ihren Landeplatz aufmerksam ab. Da war der umgestürzte Baumstamm, da war das Loch, das er gerissen hatte. Und in dem Loch Steine mit Erde vermischt. Auf dieser Welt würde man diese Steine wahrscheinlich Kiesel nennen. Aber auf der Erde würden sie zwischen drei und zehn Pfund wiegen. In
einiger Entfernung, vielleicht hundert Meter weiter an dem Baumstamm entlang sah er die Krone der mächtigen Palmblätter, die sich früher einmal stolz der Sonne entgegengereckt hatten. Jetzt waren sie braun – tot, aber noch nicht verrottet. Er ging zur anderen, etwas hochgekippten Kabi nenseite. Er sah die mächtigen Stämme weiterer Bäume. Wie Säulen im Schiff einer riesigen Kathedra le erstreckten sie sich weit in die Ferne. Dan starrte immer noch das weiße Gewebe an. Als Steve zurückkam wiederholte er: »Was zum Teufel ist das?« »Ich hab's doch schon gesagt«, meinte Steve mit ei nem schiefen Grinsen. »Etwas Unangenehmes.« Es schien keine besondere Bedeutung zu haben, aber als Steve wieder in die Passagierkabine zurück gehen wollte zeigte sich die Bedeutung des Gewebes. Etwas glitzerndes kleines mit durchsichtigen schla genden Flügeln kam hinter einem zehn Meter dicken Baumstamm hervor und kollidierte mit dem Gewebe. Das Fliegende Etwas mochte dreißig Zentimeter lang sein und einige Pfund wiegen, aber als es mit dem Gewebe zusammenstieß gab das Zeug wie Plastik nach. Es sah so aus als sollte das Insekt abprallen. Aber das tat es nicht. Das weiße dehnbare Material war eine Falle. Jeder seiner hunderte von groben Fä den war mit einem klebstoffartigen Vogelleim über
zogen und die Fäden hafteten an jedem Gegenstand, der sie berührte. Das unglückliche Fluginsekt berühr te das Gewebe und wurde eingefangen. Binnen Se kunden war das, was eben noch ein munteres flie gendes Etwas gewesen war ein zuckendes, kämpfen des, unrettbar verlorenes Opfer einer unglaublichen Falle. Binnen Minuten waren seine Beine zusammen geklebt und seine Flügel festgehalten. Und dann war es hilflos, gerade noch fähig, nutzlos um sich zu schlagen, wobei es aber kaum die Fläche erschütterte, die es eingefangen hatte. Sein Verderben war vollständig, lange ehe der Er zeuger des Netzes aus irgendeinem unsichtbaren Versteck auftauchte. Das war das Ding, das in der Nacht zuvor durch die Luke gespäht hatte. Jetzt kam es zielbewußt auf sein Opfer zu und musterte es. Dann betastete es das dem Unheil geweihte Insekt vorsichtig. Und bei dieser Berührung stach es zu. Das verspritzte Gift versetzte das gefangene Insekt in wil de Todeszuckungen. Beinahe – aber nur beinahe! – hätte es sich befreit. Und dann war es plötzlich tot. Und dann verspeiste es das Ding. Es war kein an genehmer Anblick. »Das ist eine Spinne, Dan«, sagte Steve, als ginge ihn das Ganze nichts an. »Auf der Erde fegen Haus frauen solche Spinnweben aus den Ecken. Das weiße Zeug ist ein Spinnennetz – bloß etwas groß geraten.
Am frühen Morgen sieht man solche Netze auf der Erde auf Hecken und Büschen. Man sieht sie erst dann, wenn Tau auf ihnen liegt. In den Größen, die es auf der Erde gibt, findet man sie ganz hübsch. Wir wollen einmal sehen, was es für uns bedeutet.« Er verließ die Steuerkanzel und begab sich zum Ausgang. Wenn man dort auf einen Knopf drückte öffnete sich die Außenwand des Schiffes und die Landetreppe schob sich vor und eine Treppe verband das Schiff mit dem Boden, eine Treppe, die sogar ein Geländer hatte. Steve griff nach dem Kopf. »Halt!« protestierte Dan. »Das Ding könnte herein kommen.« »Das ist jetzt beschäftigt«, sagte Steve. Er drückte. Die motorgetriebene Treppe regte sich. Ein sum mendes Geräusch war zu hören. Und dann wurde ein scharrendes Geräusch daraus. Ein schmaler Spalt zeigte sich, wo gerade noch die Schiffswand mit der Tür verbunden gewesen war. Aber das war alles. Klebrige Fäden, hunderte an der Zahl, hüllten den Rumpf der Spindrift ein und klebten zu beiden Seiten der Tür am Metall. Der Türmechanismus war nicht in der Lage, solchen Widerstand zu überwinden. Das Drehmoment reichte nicht aus, um gleichzeitig so vie le Fäden abzureißen. Die Konstrukteure des Schiffes hatten mit einer solchen Notwendigkeit nicht gerech net.
Steve polte den Motor um. Die Tür schloß sich fest. Dan murmelte halblaut vor sich hin. Der Gedanke, daß ein Spinnennetz den Ausgang der Spindrift un brauchbar machte, erschütterte ihn. Steve ging in die Steuerkapsel zurück und schaltete die Funkanlage ein. Aus dem dicken Lautsprecher kam ein pfeifendes, auf- und ablaufendes Geräusch. Auf und ab und auf und ab. Es war ein eigenartiger Ton, der sich nur in der Höhe veränderte, sonst aber mit Musik nichts gemeinsam hatte. Steve lauschte ei ne Weile, und sein Gesicht verzog sich dabei zu ei nem schiefen Lächeln. »Dumm sind sie nicht diese Riesen«, meinte er dann. »Die nehmen uns sehr ernst. Normalerweise benutzen die kein Radio, aber sie wissen, was es ist und was man damit anfangen kann. Es verträgt sich nicht mit ihrem Energiesystem, das die Monde dieses Planeten als Energiequelle be nutzen. Deshalb gebrauchen sie es auch normaler weise nicht. Aber wir benötigen Radio. Um mit uns Verbindung aufzunehmen, müssen sie es also auch gebrauchen. Ich vermute daher, daß sie eine Wellenform gefunden haben, von der sie wollen, daß wir sie auch gebrauchen. Das ist für die bestimmt nicht an genehm, aber erträglich. Jetzt fordern sie uns auf, mit ihnen zu verhandeln. Ich glaube das ist die Antwort!« Er schaltete die Funkanlage ab und musterte die Instrumente vor sich. »Falls sie sich mit uns anfreun
den wollen«, meinte Dan. »Aber wie sollen wir denn verhandeln?« Steve zuckte die Achseln. »Wenn wir auf der Erde wären und ein Raumschiff, dessen Besatzung aus winzigen Zwergen besteht, landete und uns eine Menge Schaden zufügte – würden wir uns mit denen anfreunden wollen? Oder würden wir jeden Trick, den wir uns vorstellen können benutzen, um sie zu vernichten – darunter auch den Trick, daß wir so tun als wollten wir uns mit ihnen anfreunden? Wir wür den verhandeln bis wir sie aufgespürt hätten und dann – pfft!« Dans Ausdruck verdüsterte sich. Es traf zu, daß die Spindrift für die Bewohner dieser Welt gleichzeitig ge fährlich und widerwärtig erscheinen mußte. Und ab gesehen von ihrer kolossalen Größe waren die Riesen durchaus menschenähnlich und das wiederum be deutete, daß sie neben der Intelligenz der menschli chen Rasse zweifellos auch ihre weniger wünschens werten Eigenschaften besaß. Die Spindrift konnte auf jeder bekannten Radiofrequenz senden, begonnen bei Mikrowellen bis zu jenen extrem langen Wellen, die sich nur mehr über Leitungen übertragen lassen. Ei nige der Frequenzen, die die Spindrift gebrauchte und besonders jene, die für Hilferufe und normalen Funkverkehr benutzt wurden, störten das Energiesy stem der Riesen. Steve verglich jetzt das Auftauchen
der Spindrift hier mit dem Erscheinen eines winzigen fremden Flugschiffes auf der Erde, wobei die frem den Besucher in der Lage waren, die gesamte Elektri zitätsversorgung des Planeten zum Erliegen zu brin gen. Die Menschheit der Erde würde bestimmt nicht darauf erpicht sein, sich mit solchen Geschöpfen an zufreunden. Die Menschen würden sie töten wollen. Es bestand kein Grund zu der Annahme, daß die Rie sen anders darüber dachten. Steve legte jetzt den Finger auf den Knopf, mit dem das Fahrwerk des Schiffes betätigt wurde. »Jetzt kannst du uns die Daumen drücken oder be ten, je nachdem, was dir nützlicher scheint«, sagte er grimmig. »Los geht's!« Er drückte auf den Knopf. Ein leichtes Summen wurde hörbar. Das war der Motor, der den Bug der Spindrift dem Himmel entgegenheben sollte, damit das Schiff starten konnte. Das war der gleiche Motor, der das Schiff in horizontale Lage versetzte, nachdem die Landung erfolgt war. Die Spindrift regte sich. Ihr Bug hob sich. Sie war aber schon etwas zur Seite geneigt. Der Bug hob sich weiter. Die Neigung nahm zu. Dan starrte zu einer Seitenluke hinaus. Das weiße Gewebe spannte sich noch mehr an. Der Bug hob sich einen halben Meter, einen ganzen ... neigte sich ...
»Halt!« schrie Dan. »Halt!« »Schon gut«, sagte Steve grimmig. Er hatte den Motor bereits gestoppt. Jetzt fuhr er sehr vorsichtig in die andere Richtung. Der Bug der Spindrift senkte sich wieder. Schweiß stand Dan auf der Stirn. »Wir wären gekippt«, sagte er mit zitternder Stim me. »Dieses weiße Zeug hat uns festgehalten! Noch einen halben Meter, höchstens einen ganzen, und das Schiff wäre umgekippt! Dann hätten wir nie mehr starten können!« »Ja«, pflichtete Steve ihm sehr leise bei. »Ich habe es bemerkt.« Ein paar Augenblicke saß er reglos da und blickte zur Seitenluke hinaus. Die Spinne hatte ihr Mahl be endet. Für ein Monstrum ihrer Größe war es ohnehin nur ein kleiner Imbiß gewesen. Jetzt entfernte sie sich von dem leergesogenen zusammengeschrumpften Kadaver. Und dann war sie plötzlich verschwunden. Steve stand auf und ging in das Passagierabteil. Dan folgte ihm unmittelbar. Er war sehr besorgt. Barry sah Steve mit großen runden Augen an. Er war vierzehn Jahre alt und hielt seinen kleinen Hund Chipper im Arm. Für ihn war alles das, was gesche hen war, seit irgend etwas die Spindrift von der Erde geführt hatte, ein Abenteuer. Ja noch mehr, es war ein Science Fiction Abenteuer. Und alle Abenteuerge
schichten endeten gut. Deshalb rechnete er voll Ver trauen damit, daß auch dieses Abenteuer gutgehen würde. »Könnten wir dieses Netz anzünden, Sir?« fragte er etwas verlegen. »Wenn das geht, dann –« »Spinnweben brennen nicht«, sagte Steve. »Sie ver schmoren bloß.« Er ging weiter, bis er vor Betty stand, die ihn besorgt ansah. »Ich hätte gern ein Steakmesser, Betty«, sagte er. »Ein scharfes. Wir müs sen dieses Netz loswerden. Und dazu müssen wir die Spinne töten. Und wenn der Lärm im Funkgerät et was zu bedeuten hat, so müssen wir uns beeilen. Ein Steakmesser bitte.« Betty gehorchte. Ihre Hände zitterten. Die Steak messer der Spindrift hatten eine vielleicht zehn Zen timeter lange Klinge. Es sah ganz und gar nicht wie ein Instrument aus, das man verlangte, um zunächst eine Riesenspinne damit zu töten, dann ein mächtiges Spinnennetz zu beseitigen und schließlich die Spin drift wieder in Flugposition zu bringen. Aber Betty reichte ihm das Messer. Er bückte sich und schob den Bodenbelag beiseite. Dann hob er eine Bodenplatte zwischen den Passa giersitzen hoch. Das Gepäck der Passagiere befand sich in einem Raum des Schiffes, den man normaler weise von außen öffnete. Aber es gab auch vom Schiffsinneren aus einen Zugang. Er stieg in den Ge
päckraum hinunter und schob dort die Koffer, sowie Frachtstücke herum. Schließlich erreichte er die Luke, die nach draußen führte. »Schließt den Boden wieder ab«, befahl er. Bettys Gesicht war ganz weiß. Sie brachte keinen Ton heraus. »Aber Steve!« herrschte Dan ihn an. »Das kannst du doch nicht machen!« Steve sah ihn finster an. »Dann sollen wir wohl un tätig warten?« Und dann sagte Barry eifrig: »Ich weiß schon, was er tut! Das ist eine Netzspinne. Und Netzspinnen ver lassen nie ihr Netz. Nie!« Fitzhugh schob die Bodenplatte wieder zurecht. Sei ne Miene war finster, aber irgendwie hatte man den Eindruck, daß er sich über sich selbst ärgerte. Vielleicht hatte er das Gefühl, daß er sich Steve anschließen sollte und verachtete sich selbst, weil er es nicht tat. Eine Weile herrschte Schweigen. Dann war unten Steves Hantieren zu hören. Er öffnete die Bodenluke. Ein weiteres metallisches Klirren als sie aufging. Wieder Schweigen. Dann erneut Klirren. Er hatte das Schiff verlassen und die Tür wieder hinter sich ver schlossen. Betty stöhnte. Und Valerie Scott sagte mit erstaunlich entschlossener Stimme. »Er hat keine Angst!« Marjorie sagte mit schwankender Stimme: »Die – Spinne kümmert sich nicht um ihn. Er ist draußen.«
Sofort drängten auch die anderen an die Luken. Sie sahen Steve reglos neben dem Schiff stehen, auf der Seite, die dem Spinnennetz gegenüberlag. Steve schien sich umzusehen. Man hatte den Eindruck, daß er völlig ruhig war. Aber er war es nicht. Er war das Risiko eingegan gen, daß eine halbvergessene Erinnerung zutraf. An scheinend erinnerte er sich daran, daß Netzspinnen ihre Netze nie zur Jagd verlassen, genauso wie Springspinnen überhaupt keine Netze weben. Das war eine völlig losgelöste, halbvergessene Erinnerung gewesen. Wir alle wissen solche Dinge und sind uns ihrer nicht bewußt, bis uns plötzlich irgend etwas darauf aufmerksam macht. Steve hatte sich darauf verlassen, weil er gar keine andere Wahl hatte. In dem Netz war etwas für diese Spinnenart ganz typisches. Ein Rohr, ein seidener Tunnel, der vom Rand des Netzes in ein luxuriöses, mit Seide ausge schlagenes Boudoir führte, in das die Spinne sich zwischen ihren Morden zurückzog. Das Netz selbst war während der Nacht gesponnen worden. Die meisten Netze werden in der Dunkelheit gewoben. Aber genaugenommen konnte man das gar kein Gewebe nennen. Während der Finsternis, nach dem die Spindrift gelandet war, hatte die Spinne sich über der für ihre Falle ausgewählten Fläche immer wieder hin- und herbewegt. Und dabei hatte sie einen
Faden ihres klebrigen Gewebes abgesondert. Und je der neue Faden hatte sich mit den bereits abgesonder ten verbunden. Als der Tag anbrach lag da eine filzar tige Decke aus Fäden, auf denen nur die Spinne sich frei bewegen konnte. Hunderte von Einzelfäden ver banden das Netz mit der Spindrift. Aber da war auch der Tunnel und die luxuriöse Kammer, in der die Spinne rastete. Wenn Beute in die Falle ging, verrie ten die Zuckungen des todgeweihten Opfers der Spinne von ihrem Fang. Und als Steve aus dem Gepäckraum der Spindrift hinunterkletterte, hatte er sich in atemberaubender Nähe der Spinne befunden. Jetzt wartete die Bestie darauf, daß ihr Frühstück sich ihr darbot. Und wenn Steve sie passieren wollte, mußte er nur wenige Zen timeter von dem Ungeheuer entfernt vorbeikriechen. Er kam heraus und passierte das Schreckenswesen, das letzte Nacht Valerie angestarrt hatte, in geringer Entfernung. Es regte sich nicht. Aber als Steve an ihm vorbeikroch wurde ihm vor Erleichterung beinahe übel. Als er dann unter dem Rumpf der Spindrift stand, merkte er, daß er schwitzte. Aber jetzt war kei ne Zeit für Gefühle. Er musterte seine Umgebung mit unendlicher Sorgfalt. Der Wald bestand in erster Li nie aus Palmen, worunter sich einige andere Bäume mischten. Das ferne Dröhnen der Brandung schien hier irgendwie leiser. Er konnte eine scheinbar endlo
se Strecke zwischen den Baumstämmen dahinblicken ohne den Himmel zu sehen. Den sah er nur unmittel bar über sich. Es gab Geräusche von Insekten, die völ lig unnatürlich wirkten, aber sie kamen aus ganz ver schiedenen Richtungen. Jetzt entfernte er sich vom Schiff. Er machte einen weiten Bogen um den hochgekippten Bug und mu sterte jeden Fußbreit seiner Umgebung. Irgendwie ärgerte es ihn, daß er dabei den Anschein erwecken mußte, in Panik zu handeln. Er ging zehn Meter weit und sah sich im Kreise um, dann wieder zehn Meter und erneut schweiften seine Blicke im Kreise. Er er kannte sehr wohl, daß er damit die Zeit der Gefahr vergrößerte, aber wenn er andererseits seine Vor sichtsmaßregeln verringerte, so wäre das noch törich ter gewesen. Schließlich erreichte er die Stelle, wo die Wurzeln des umgestürzten Baumes über dem kleinen Krater ragten, der bei dem Sturz entstanden war. Er stieg in die neugebildete Höhle hinunter. Dort mischten sich Steine mit Erde. Er hatte sie aus dem Inneren des Schiffes gesehen. Dennoch empfand er erneut die Notwendigkeit zur Eile, erkannte aber gleichzeitig wie unklug das wäre. Als er wieder aus der Grube kletterte, hatte er ein halbes Dutzend Steine, die für seine Zwecke mehr oder weniger geeignet waren. Es gab einen vier
Pfund schweren rechteckigen Felsbrocken und zwei, die etwa sechs Pfund wogen – eindeutig länger als dick – und andere, die zwischen sechs und acht Pfund wiegen mochten. Er trug die kleinsten in der Tasche, die anderen unter dem Arm. Sie konnten ihm nur als Wurfgeschosse dienen und nichts, das groß genug war, um ihn anzugreifen, würde von einem dieser Steine getötet werden, selbst wenn er traf. Dennoch kam er sich selbst mit so unbe friedigenden Waffen weniger hilflos vor. Er ging weiter. Schließlich erreichte er ein Gewirr von Palmblättern, die sich einmal über dem jetzt ge stürzten Stamm im Winde bewegt haben mochten. Er machte sich an die Arbeit. Mit dem Steakmesser säbelte er ein Stück Palmblatt von seiner Mittelrippe ab, die an dieser Stelle viel leicht vier Zentimeter durchmaß. Sie war leicht und elastisch. Und dennoch einigermaßen kräftig. Mit dem Steakmesser schlitzte er sie auf. Dann riß er sich einen Fetzen Stoff aus dem Jackett, wählte mit einiger Überlegung einen Stein und schob ihn dann in die Spalte. Dort band er ihn mit dem Stoffetzen fest. Jetzt hatte er eine Steinaxt. Er machte vier davon. Die Spindrift war vielleicht das höchstentwickelte Produkt menschlicher Wissenschaft auf der Erde. Sie wurde von Atomkraft betrieben, konnte eine Kreis bahn um die Erde beschreiben und ihre Passagiere
schneller und weiter befördern – wenn man einmal von Raumfalten absah – als irgendein anderes irdi sches Transportmittel. Aber ein Spinnennetz und eine zu weiche Lande fläche hatten sie hilflos gemacht. Die einzige Hoff nung, wieder in den Himmel aufzusteigen, lag in den ungemein primitiven Steinäxten, die Steve angefertigt hatte. Bestimmt gab es viele Höhlenbewohner, die bessere angefertigt hatten. Er ging wieder zum Schiff zurück. Und dabei ent deckte er etwas, das ihm bisher überhaupt nicht auf gefallen war. Als er seinen Weg musterte sah er jetzt eine Ansammlung von Abfall, in die er beinahe hi neingerannt wäre. Der Abfall bestand aus zerbroche nen und willkürlich verstreuten Waffen und Panzern. Da waren Brustplatten, Kürasse, Lanzen, Schwerter und andere grausame Vernichtungsgeräte. Speerspit zen, ungeheuer lange Dolche – es gab wirklich keine Art mittelalterlicher Handwaffen oder Panzerplatten, die in dieser Sammlung nicht vertreten war. Nur daß keines dieser Stücke aus Metall gefertigt und keines für Menschen bestimmt war. Es waren grellbunte Waffen und Rüstungen, die aus Chitin anstatt aus Stahl bestanden. Es waren die Waffen und Panzer rie siger Insekten. Es waren die Brustplatten von Käfern und die tödlichen Stichwaffen von Geschöpfen von der Größe eines Rhinozeros. Und doch waren all die
Geschöpfe, die solch tödliche Waffen getragen und benutzt hatten, eines nach dem anderen von etwas noch viel schrecklicherem getötet und verschlungen worden. Jetzt sah Steve eine Bodenspalte. Das heißt es war keine Spalte, es war ein Kreis. Der Kreis wirkte bei nahe wie eine geschlossene Falltür. Es war auch eine Falltüre, die ein Wesen, das sich darunter versteckte, mit Klauen oder Pfoten, einen Spalt offenhielt. Durch die Spalte konnte es heraussehen. Steve glaubte einen Augenblick glitzernde Augen durch die Spalte zu se hen und erstarrte instinktiv. Die runde Klappe bedeckte die Mündung eines Tunnels, der zu der Festung eines unterirdischen Scheusals führte. Der Bewohner der Höhle war der schiere Schrecken, der mit wahnsinnigen Augen in die Welt hinausspähte. Wenn etwas in die Nähe kam – Es kam etwas nahe. Es war ein Käfer. Für diesen Pla neten nicht sonderlich groß. Er summte ein munteres, fröhliches Lied vor sich hin, während er durch den Wald dahinstapfte. Der Käfer mochte einen Meter fünfzig lang sein. Irgendwie machte er einen freundli chen, lieben Eindruck. Er mochte zweihundert Pfund wiegen. Während er so dahinstapfte, flog etwas sin gendes, etwas glitzerndes Nettes über ihm dahin und verschwand hinter den Baumstämmen. Und dann
tauchte etwas Absurdes auf, hielt sich am Boden mit zahlreichen Füßen fest, stemmte den Rücken in die Hö he, um eine hintere Gruppe nachzuziehen und sie hin ter den vorderen wieder auf den Boden zu setzen, wor auf diese sich erhoben und erneut nach vorne tasteten. Auf diese alles andere als vernünftige Art und Weise arbeitete es sich über den Dschungelboden dahin. Auf der Erde wäre es ein Regenwurm gewesen, vielleicht fünf Zentimeter lang. Hier maß das Geschöpf zwei Me ter. Aber Steves Blicke kehrten zu der Falltür zurück. Er hörte das tiefe Baßlied des dahinmarschierenden Kä fers. Jetzt hatte er die Stelle erreicht, wo die Überreste von hundert Morden lagen. Ungestört marschierte er weiter. Überall sah er die halbvertrockneten Leichen. Aber ihm bedeuteten sie nichts. Zweifellos war der Kä fer in der Lage, Dinge zu erkennen, seine Nahrung zum Beispiel. Aber ein Erinnerungsvermögen besaß er nicht. Die Leichen warnten ihn nicht vor Gefahr. Er ignorierte sie. Er trampelte munter weiter, obwohl ringsum tausend Spuren ihn vor dem Verderben warn ten. Die Falltür flog zurück und etwas Kolossales Schwarzes, Achtbeiniges sprang heraus. Es stürzte sich auf den plumpen Käfer. Einen Augenblick herrschte ein Wirbel von Beinen und Leibern. Der Kä fer kämpfte. Verzweifelt kämpfte er. Und gleichzeitig stieß er erneut seinen tiefen Schrei aus.
Und dann war der Tumult zu Ende. Der Käfer war tot. Der schwarzleibige Ameisenbär kauerte über sei nem jüngsten Opfer und begann bereits, es aufzufres sen. Steve setzte seinen Weg zur Spindrift fort. Er war noch vorsichtiger als zuvor. Er würde bestimmt nicht ungewarnt an einer Ansammlung leerer Chitinhüllen vorbeigehen, sollte er jemals wieder solch einen Ab fallhaufen sehen. Als Mensch war er in der Lage, logische Schlüsse zu ziehen. Allem Anschein nach waren Insekten dazu nicht in der Lage. Und außerdem schienen sie alles zu ignorieren, das sich nicht bewegte. Daraus konnte man schließen, daß sie vermutlich alles bemerkten, das sich sichtbar bewegte. Wenn ein Mann daher stillstand und sich etwas anderes Auffälliges beweg te, so bestand die Möglichkeit, daß das Insekt den Menschen ignorierte und sich auf den Gegenstand stürzte. Da gab es noch andere Dinge, an die Steve sich er innerte. So zum Beispiel daß Schlupfwespen kleine Spinnen fangen und als Nahrung benutzen. Und dann gab es eine Wespenart, deren Name ihm jetzt gerade nicht einfiel, die nur Honigbienen töteten. Es schien charakteristisch für Insekten zu sein, daß sie nur eine bestimmte Art von Nahrung suchten. Es gab Ausnahmen, aber die meisten Insekten würden Men
schen ignorieren, weil sie andere Nahrung gewohnt waren. Aber Spinnen sind keine Insekten. Sie haben acht Beine anstatt sechs. Sie atmen mit Lapplungen anstatt mit Luftlöchern. Und sie haben kein Exoskelett aus Chitin, wie das bei Insekten der Fall ist. Wenn eine Spinne daher groß genug ist, würde sie zweifellos einen Menschen angreifen und töten. Und verschlingen. Steve erreichte die Spindrift. Sie stand noch so da wie er sie verlassen hatte; immer noch sichtbar zur Seite geneigt. Da war immer noch das große weiße Tuch aus Spinnennetz, gespannt wie ein Trommelfell am Schiff verankert. Nichts hatte sich verändert, aber an den Luken sah er jetzt Gesichter. Die Passagiere und die Mannschaft der Spindrift hatten nach ihm Ausschau gehalten. Jetzt freuten sie sich, daß er zu rückkehrte. Steve ertappte sich dabei, wie er grimmig blickte. Es ist eine der Lasten eines Anführers – und An führer haben fast nur Lasten zu tragen – daß man mögliche Gefahren klarer als andere sehen muß und dennoch Zuversicht zeigen muß, wenn man sie auch nicht empfindet. Steve schnitt eine Grimasse als die Gestalten hinter den Luken winkten. Sie wußten nicht, was er vor sich sah. Das augenblickliche unmittelbare Problem des
Spinnennetzes war das einzige, an das sie im Augen blick dachten. Aber Steve hatte ganz andere Sorgen. Die Landung hier war ihm als ideale Lösung er schienen, um Zeit zu gewinnen. Auf diesem Planeten gab es eine Rasse von Riesen. Und das war schlimm. Und die Rasse war zivilisiert, was die Sache noch schlimmer machte. Sie hatte allen Grund, die Ver nichtung der Spindrift und die Tötung ihrer Mann schaft und ihrer Passagiere zu wünschen. Und sie verfügte über Waffen, gegen die sich die Spindrift nur zufällig gefeit gezeigt hatte. Und jetzt war die Spin drift gelandet, um sich zu verstecken, aber sie war in einer Gegend gelandet, wo es zahllose gefährliche In sekten gab, die man nicht verscheuchen konnte, son dern die man töten mußte. Und auf dem Schiff gab es keine Waffen, wenn man von einem Revolver mit sechs Patronen absah. Jetzt waren Steinäxte hinzuge kommen, aber andere Waffen, die man gegen Insek ten einsetzen konnte, gab es nicht. An Bord befand sich Nahrung für einen sehr kurzen Zeitraum und keinerlei Werkzeuge, mit denen man die Lage zu ih rem Vorteil verändern konnte, weder in bezug auf Waffen noch in bezug auf sonst etwas. Aber die Leute in dem Suborbitalschiff winkten Steve freudig zu, weil er mit primitiven Steinäxten zurückkam, die er mit Stoffetzen aus seiner Jacke zu sammengebunden hatte. Und jetzt mußte er ein Ding
töten, das der reine Schrecken war und das geduldig darauf wartete, daß er oder irgendein anderes Lebe wesen sein Netz berührte. Und er hatte keine andere Wahl. Er biß die Zähne zusammen und trat an den Rand des Gewebes. Es war kräftiger als das gröbste Segel tuch. Es war ein Gewebe vielleicht zehn mal zwanzig Meter groß, mit unregelmäßigen Umrissen, abgese hen von der Seite, an der es an das Schiff grenzte. Und wenn man es berührte, konnte man es nicht mehr loslassen. Steve schauderte vor dem Gedanken zurück, daß er sein Leben und wahrscheinlich auch das der anderen jetzt auf die zweifelhafte Annahme setzen mußte, daß eine Netzspinne ihr Netz nie verläßt. Er hatte das ir gendwann einmal gelesen. Barry hatte gesagt, daß es stimmte. Ein Junge in Barrys Alter weiß gewöhnlich Dinge, die ihn interessieren – also nicht notwendi gerweise das, was in seinen Schulbüchern steht – mit erstaunlicher Präzision. Es ermutigte Steve, daß Barry eine undeutliche Erinnerung bestätigen konnte. Er legte die vier Steinäxte und den Schaft für eine weitere, die er noch nicht fertiggestellt hatte auf den Boden. Dann zog er den Rest seines Uniformrockes aus. Zu den Sichtluken des Schiffes sah er gar nicht hinüber. Stattdessen nahm er den leeren Axtstiel und versuchte, das Netz damit zu betasten. Aber er betastete es nicht,
sondern berührte es und damit wurde es sofort von dem unglaublich klebrigen Vogelleim angezogen. Er versuchte, den Stiel wegzuziehen. Das Netz streckte sich, ließ den Axtstiel aber nicht los. Steve versuchte dagegen anzukämpfen. Und dann sah er wie sich unter der Spindrift etwas bewegte. Indem er an dem Axtstiel zerrte, benahm er sich genauso wie irgendein Lebewe sen, das in das Netz geraten war und in seiner Hysterie zu entkommen versuchte. Und jetzt nahte die Spinne, um das Opfer zu verspeisen, das freundlicherweise seine Gefangennahme verkündet hatte. Die Spinne kam aus ihrem Tunnel. Ihre pelzbesetz ten Beine waren zwei Meter voneinander entfernt. Ihr grauer haariger widerlicher Leib hatte die Größe ei nes Zwanzigliterkanisters. Ihr Gesicht – sie hatte ein Gesicht – war das eines Dämons aus der Hölle. Da waren Facettenaugen und beinahe normale. Da wa ren zuckende Fühler rings um eine Öffnung, die ein Mund hätte sein sollen. Da war Wildheit, Wahnsinn und geifernder Schrecken. Wieder zerrte Steve an dem Stiel. Er warf seine Uniformjacke auf das Netz über die Stelle, wo der Axtstiel festgehalten wurde. Damit wurde die Ähn lichkeit mit einer zappelnden Beute noch größer. Die Jacke wurde sofort von dem Klebstoff erfaßt und selbst Steve mußte zugeben, daß das Ganze wirklich wie ein ins Netz gegangenes Insekt wirkte.
Die Spinne rückte näher. Ihre acht Beine schienen sich jedes unabhängig vom andern zu bewegen. Der Schritt einer Spinne ist irgendwie noch scheußlicher als der richtiger Insekten. Jedes der Beine scheint ein Wesen für sich zu sein. Sie sind in einer widerwärti gen Art und Weise mit Pelz bewachsen. Die Spinne hatte Steves Jacke erreicht. Sie schien größer als er selbst zu sein, obwohl das eine Illusion war. Um Steve kümmerte sich die Spinne überhaupt nicht. Nur zwei Meter von ihm entfernt stach sie ihr vermeintliches Opfer. Und Steve ließ den Axtstiel los und hob eine vollständige Steinaxt auf. Und dann schlug er mit einer Wildheit zu, die der der Spinne nahekam.
3
Gegen Mittag schließlich war die Spinne völlig tot. Ein halbes Dutzend Mal schien es als hätte sie ihren unangenehmen Geist aufgegeben. Und dann regte sich wieder eines ihrer widerlichen Beine. Aber end lich war sie tot. In dem widerwärtigen Kadaver wa ren keine Lebenszeichen mehr zu bemerken. Die Leu te von der Spindrift gingen den Geschäften nach, die ihrer Lage angemessen waren. Steve, Dan, Wilson und Fitzhugh mühten sich, ein festes Fundament unter die Landestützen des Schiffes zu bekommen. Sie fanden wie nicht anders zu erwar ten, Kokosnüsse. Sie durchmaßen etwa einen Meter und die Schläge von Steinäxten machten ihnen nichts aus. Da man sie nicht halten konnte, war es nicht möglich, sie zu tragen. Aber man konnte sie rollen, und es war auch möglich, die Spindrift etwas anzuhe ben, jetzt, da das Spinnennetz beseitigt war. Barry, vierzehn Jahre alt, arbeitete angestrengt mit einer rauchenden Fackel, um die letzten Spuren von dem klebrigen Zeug von der Schiffsaußenwand zu entfer nen. Eine Weile trug er Chipper unter dem Arm, aber Chipper japste immer wieder und versuchte sich zu befreien. Als man ihn schließlich losließ bellte er schrill und wollte nicht von dem Kadaver der Spinne
weichen, den man zur Seite geschafft hatte. Der Landeplatz war von Rauch eingehüllt. Zum größten Teil kam er von dem jetzt zusammengebro chenen Netz, das man mit trockenen Ästen und Zweigen zugedeckt hatte. Improvisierte Fackeln wie die, die Barry jetzt benutzte, waren gegen die Anker seile eingesetzt worden und hatten diese praktisch völlig beseitigt. Jetzt flackerte das Feuer nur mehr an einigen Stellen. Der bereits aufgestiegene Rauch war unter dem grünen Blätterdach verbreitet und dieses ragte immerhin in Wolkenkratzerhöhe über ihnen auf. Von dort trieb es langsam durch das Blattwerk. Am Ende würde es sich in den Passaten verteilen, die über die Insel hinwegzogen. Es bestand also keine Gefahr, daß der Rauch sie verriet. Die drei Mädchen hielten Ausschau nach irgend welchen Tieren, die sich vielleicht der Spindrift nä hern könnten; Betty an der Landetreppe, Marjorie von einer Sichtluke aus und Valerie, die unruhig aufund abschritt. Und Chipper bellte immer wieder den Spinnenkadaver an. Steve war ziemlich überzeugt, daß es nur wenige Spezies von Ungeheuern gab, auf die man achten muß te. Da waren zum Beispiel Spinnen. Vielleicht gab es auch Gottesanbeterinnen und Tausendfüßler. All die anderen, an die er sich erinnern konnte, hatten sich auf die Jagd spezialisiert und würden mit Menschen be
stimmt nichts zu tun haben wollen. Es schien eigenar tig, daß die meisten Ungeheuer sie überhaupt nicht be achteten. Aber so war es eben. Zumindest kam ihnen keines in die Nähe. Der Mittag verstrich, der frühe Nachmittag, und selbst Chipper wurde es müde etwas anzubellen, das nicht zurückbellte. Einmal gab es Ge räusche, die so klangen als wenn man mit einem Stock über einen Lattenzaun fährt. Das waren vermutlich Heuschrecken in mittlerer Entfernung. Und das Ge räusch, das wie das Poltern fernen Donners klang war vielleicht das Summen einer riesigen Hummel. Es gab eine ganze Anzahl unbeschreiblicher Laute – Schreie, Ächzen, Klappern. Die Lautstärke war je nach Entfer nung unterschiedlich. Aber immer mehr Stimmen ka men hinzu, bis man das Gefühl hatte, daß irgendwo ein schrecklicher Krawall herrschen mußte. Im Vergleich dazu schienen die deutlich unterscheidbaren näheren Rufe gleichsam auf Ruhe und Frieden zu schließen. Diese Situation hielt ziemlich lange an. Chipper be ruhigte sich, weil er des Bellens müde geworden war. Die Männer wälzten Kokosnüsse und verteilten sie unter dem Schiff. Die Mädchen hielten Wache; Marjo rie voll Entschlossenheit, Valerie mit einer Art stolzen Hochmut und Betty voll äußerster Angst. Die Arbeit ging weiter. Sie war mühsam und langweilig. Und dann stieß Betty plötzlich hervor: »Steve! Steve! Da ist etwas –«
Sie konnte ihren Satz nicht zu Ende sprechen. Ihre Kehle schien ihr den Dienst zu versagen, aber sie deu tete darauf mit zitternder Hand. Steve starrte in die Richtung, in die sie wies und bellte dann einen Befehl. Chipper fing sofort wieder zu kläffen an. Und auch die anderen schrien: »Ins Schiff! Hinein!« Das war Wilson. Und dann wieder ein Befehl von Steve: »Barry! Ins Schiff!« Betty sah wie Steve nach einer Steinaxt mit einem zwei Meter langen Stiel griff. Etwas flatterte daran. Ein Hemd. Wilson kam ebenfalls mit einer Steinaxt gerannt. Er packte Betty am Ellbogen, drehte sie her um und stieß sie die Landeleiter hinauf. Fitzhugh ra ste auf Valerie zu, die offenbar entschlossen schien zu beweisen, daß sie vor nichts Angst hatte, was diese Welt oder vielleicht auch die nächste gegen sie auf bieten konnte. Er stieß sie trotz ihrer Proteste auf die Leiter zu und hinauf. »Tür zumachen, wenn die Leiter oben ist«, befahl er. »Tür schließen! Wir wissen, was zu tun ist. Alles abschließen!« Und dann, wild: »Sie haben Angst! Ich auch! Schauen Sie, daß Sie hinaufkommen!« Und dann Barry. Der protestierte: »Mir fehlt doch nichts! Vielleicht kann ich helfen –« »Nein!« sagte Dan grimmig. Er stieß den Jungen mit dem wieder eingefangenen kleinen Hund in den
Armen vor sich her. »Mach' die Tür hinter dir zu!« Er drehte sich um als die Treppe langsam in die Höhe glitt, in der Mitte abknickte und sich schließlich zusammenfaltete. Langsam schob sich die Außen wand des Schiffs darüber. Jetzt war die Spindrift dicht. Vier Männer waren noch draußen, bewaffnet wie ihre Vorfahren aus der Steinzeit: mit Steinäxten. Sie sammelten sich um Steve, weil nur er wußte, aus welcher Richtung Gefahr drohte. Er schüttelte das Hemd, das er an seine Waffe gebunden hatte. Er hatte es aus seinem Gepäck geholt. »Wo ist es denn – und was ist es?« fragte Wilson wie immer mit ruhiger Stimme. »Betty hat dort hinüber gedeutet«, sagte Steve. »Es ist bestimmt nur eines, was auch immer es sein mag. Wir werden schon damit fertig werden.« Aber davon war er gar nicht überzeugt. Daß es sich nur um ein dem Menschen gefährliches Insekt han deln konnte, war natürlich richtig. Mordinsekten ja gen nicht in Paaren oder in Rudeln, wenn man einmal von Treiberameisen absieht und die marschieren in ganzen Heeren, die Millionen zählen. Um Ameisen konnte es sich aber nicht handeln, sonst hätte er sie gehört. Trotzdem ging er ein großes Risiko ein. Sie hätten alle in die Spindrift gehen können und abwar ten, bis das, was jetzt kam, wieder verschwunden war. Aber man mußte lernen, wie man mit solchen
Geschöpfen kämpfte. Und noch wichtiger war die Tatsache, daß der Mensch zwar ein rationales Lebe wesen ist, aber nicht immer rational handelt. Hier ging es auch um den Stolz der Männer von der Spin drift. Beinahe hätte eine Spinne ihr Schiff umgekippt. Etwas, das weit unter dem Menschen stand, bedrohte sie. Unter solchen Umständen konnte man nicht er warten, daß sie nur nach den Gesetzen der Vernunft handelten. Das Rollen der Brandung dröhnte immer noch zu ihnen herüber. Und von hier bis zum fernen Horizont waren die gleichen Schreie zu hören, die seit Sonnen aufgang die Luft erfüllten. Und dann raschelte etwas. Die vier Männer dreh ten sich herum. Nichts. Fitzhugh schwitzte. Wilson umfaßte den Stiel seiner Axt fester. Steve biß die Zähne zusammen. Dan gab unartikulierte knurrende Laute von sich. Dann wieder ein Rascheln, diesmal leiser. Und jetzt kam gleichgültig und langsam ein Ding in die Lichtung, auf der die Spindrift lag. Es wirkte ausgesprochen majestätisch. Natürlich war es von riesenhafter Größe. Ohne besondere Hast und ohne ausgeprägtes Ziel schlenderte es dahin. Der braungefleckte Leib des Dings reichte bis auf einein halb Meter an den Boden heran. Der Unterteil seines Körpers bestand aus dickem, langhaarigem schwar zen Samt. Es gab acht Beine, die von grauen und wei
ßen Streifen umgeben waren. Das Wesen hatte auch acht Augen, von denen vier zusammengesetzt waren und vier weitere kaum auffielen. Es hielt inne. Man hatte den Eindruck, daß es sich sehr vorsichtig be wegte, gerade als empfände es mütterliche Instinkte. Hinter ihm hing eine Kugel aus seidenen Fäden. Die Kugel durchmaß etwa eineinviertel Meter. Sie war mit klebrigen Seidenfäden am Leib der Spinne befe stigt. Bei jeder Bewegung des Monstrums hüpfte und zuckte die Kugel. Die Männer standen reglos da und beobachteten das Tier, und dann sagte Dan mit etwas gequetschter Stimme: »Ich habe so etwas schon gesehen – auf der Erde. Seine Eier sind in der Kugel.« Er war auf dem Lande aufgewachsen und Jungen vom Lande haben diese Spinnen überall gesehen, wie sie mit ihren Eierbällen herumlaufen. Im Sommer sind sie ziemlich häufig zu sehen. Zuerst leben sie in Löchern, in denen sie auf Beute lauern. Und nach der Paarungszeit verändern sie ihre Gewohnheiten. Die Löcher sind für die weiblichen Spinnen und ihre Ei erbeutel zu klein. Deshalb gehen die weiblichen Spinnen, bevor die Jungen ausschlüpfen, meistens spazieren. Während dieser Zeit halten die mütterli chen Instinkte die Spinnen aber nicht vom Jagen ab. Sie setzen vielmehr ihre Morde fort. Aber auf ihre Ei er achten sie sehr sorgfältig. Wenn das Gespinst mit
den Eiern sich aus irgendeinem Grunde löst, läßt sie sofort jede andere Tätigkeit sein, um es wieder zu be festigen. Auf der Erde ist dieses Verhalten lediglich interessant. Hier konnte es den Unterschied zwischen Tod und Leben bedeuten. Die Spinne drehte sich herum. Fitzhugh zuckte zu sammen und das war eine Bewegung von etwas, das vorher reglos gewesen war. Also ein Lebenszeichen. Die Spinne duckte sich. Fitzhugh erstarrte. Sein Ge sicht wurde grau. Und dann fuchtelte Steve mit seiner Axt herum, mit der Axt, an der ein Hemd befestigt war. Dieses Verhalten war wohlüberlegt. Sie hatten lange im Schiff darüber diskutiert, und jeder hatte aus seiner Erinnerung Wissenswertes beigetragen. Die Spinne wechselte ihr Ziel mitten im Sprung. Sie sprang auf das flatternde Hemd zu, zwei Meter von Steve entfernt. Und als sie landete, zuckte seine Stein axt auf das dünne Gelenk zwischen dem Thorax und dem Leib nieder. Die Spinne wurde in zwei Teile ge schlagen, und dann prasselten drei weitere Steinäxte wütend auf den Körperteil hernieder, an dem die Beine, die Brust, der Kopf und die Fänge waren. Wil son und Dan und plötzlich auch Fitzhugh schlugen wie wild mit ihren Äxten auf das scheußliche, immer noch lebende Untier ein. Steve hatte die Axtstiele lang gemacht. Die daran
befestigten Steine waren leicht genug, um damit zu schlagen zu können und doch schwer genug, um Schaden anzurichten. Die Spinne versuchte, sich zu wehren. Sie wirkte jetzt noch widerlicher, weil sie in zwei Stücke zerteilt war. Ihre Fänge zuckten und sie versuchte, sich auf ihre Peiniger zu stürzen. Ein Axt hieb verfehlte sein Ziel – den Kopf – und zerschmet terte stattdessen ein Bein. Die Spinne wehrte sich, und die vier Männer schlugen geradezu hysterisch auf sie ein. Wieder wurde ein Bein außer Gefecht ge setzt. Und jetzt ein drittes. Die Spinne brach zusammen und stieß schrille Lau te aus. Sie konnte nicht mehr stehen, versuchte sich aber auf den Beinstümpfen zu wehren. Den Männern drohte übel zu werden, aber sie schlugen weiter zu. Und schließlich war ihr Feind tot. Steve wurde beinahe schlecht. Eigenartigerweise schien es ihnen allen vieren ähnlich zu gehen – die Übelkeit überwog die Erleichterung, jetzt, da das Monstrum tot war. Sie wollten das Schreckenswesen gar nicht sehen, das sie hatten töten müssen. Sie emp fanden keinerlei Triumph. Wilson zerrte es weg. Er hakte dazu seine Axt in dem Kadaver fest. Dann warf er es in das Loch, das die Wurzeln der umgestürzten Palme gerissen hatten. Dann sah er sich um. »Hört mal zu«, sagte Dan. »Ich hab diese Biester
auf der Erde gesehen. Wenn ihr hierbleiben wollt, muß ich euch etwas sagen. Dieser – Ball ist die Eierta sche der Spinne. Als ich noch ein kleiner Junge war, habe ich eine Menge Spinnen mit solchen Taschen he rumlaufen sehen. Einmal bin ich auf eine getreten. Die Eiertasche ist geplatzt. Und dann sind Hunderte von kleinen Spinnen davongerannt.« Steve sah ihn an. »Vielleicht können wir es wegrollen«, sagte Dan. Er feuchtete sich die Lippen an. »Vielleicht. Vielleicht sind die Jungen noch nicht ausgeschlüpft. Aber wenn die ausgeschlüpft sind, dann sind sie größer als Ta ranteln zu Hause, und wir wissen nie, wann wir auf eine treten.« »Das ist aber nett«, meinte Steve ironisch. »Wirk lich nett.« Jetzt riß Wilson den Mund auf. »Ruhig«, sagte er dann. »Hört mal! Ich habe etwas gehört.« Sie lauschten. Da war der ferne Lärm sinnloser Stimmen. Das Dröhnen der Brandung. Und dann ganz andere Geräusche. Das Klirren, das entsteht, wenn Metall gegen Metall stößt. Und dann ein ganz deutliches Geräusch: eine schwere eiserne Kette, die durch eine Öse gezogen wird. Natürlich konnten sie nichts sehen. Das Geräusch kam von weither. Aber es war unverkennbar. Irgendwo in Hörweite war ein Schiff vor Anker gegangen. Es konnte gar nichts an
deres sein. Und das Schiff konnte nur den Riesen ge hören. »Das ist ja noch netter«, sagte Steve leise mit einer Spur von Bitterkeit. Er überlegte: »Vielleicht ist es ein Zufall«, sagte er grimmig. »Es kann aber auch sein, daß man in Erfah rung gebracht hat, wo wir uns aufhalten. Ich weiß nicht, wie sie uns so schnell entdeckt haben und ein Boot hierhergeschafft haben können, aber trotzdem kann es so sein. Ich bin allerdings nach wie vor der Meinung, daß es ein Zufall ist. Ich werde nachsehen und das in Erfahrung bringen.« Aber er ging noch nicht. »Du sorgst dafür, daß alle ins Schiff gehen, Dan«, sagte er. »Laß die Außenmikrophone eingeschaltet. Ich hole den Revolver aus der Kabine. Wenn du mich schießen hörst – das sollte laut genug sein – möchte ich, daß du den Start versuchst. Das sollte inzwischen möglich sein. Wenn es klappt, fliegst du hier weg. Nach Einbruch der Dunkelheit kommst du zurück und siehst dich nach einem kleinen Feuer um. Wenn die Riesen ein Feuer machen, ist es bestimmt riesig. Aber wenn ich eines mache, ist es von meiner Größe. Wenn du also diese Art von Feuer siehst, landest du daneben und holst mich ab. Aber sei vorsichtig. Es sollte mir nicht schwerfallen, den Riesen verborgen zu bleiben, selbst, wenn sie nach dem Schiff Aus
schau halten, weil ich für sie ziemlich klein bin. Aber sei trotzdem vorsichtig!« Er rannte die Landetreppe hinauf ehe Dan Ein spruch erheben konnte. Betty wartete drinnen auf ihn. Sie sagte verzweifelt: »Du wirst doch nicht –« »Doch«, erklärte er. »Wir können es uns nicht lei sten, unsere Schiffsmotore einzuschalten, solange wir noch eine andere Wahl haben. Vielleicht ist der Boden noch nicht fest genug. Also muß ich nachsehen.« »Aber Steve! Es geht doch nicht nur um die Riesen! Da sind doch auch die – Insekten!« »Ich habe sie getötet! Das hast du doch gesehen! Ich komme schon klar!« Er wollte sich an ihr vorbeischieben. Barry hatte ganz in der Nähe zu einer Luke hinausgesehen. Jetzt redete er dazwischen. »Da ist doch Chipper, Sir. Er bellt, wenn er Spinnen riecht! Sie haben es doch gese hen! Er kann den Geruch nicht leiden; er wird Sie un terwegs warnen!« Steve furchte die Stirn. Äußerlich betrachtet war Bettys Besorgnis keineswegs ungewöhnlich. Trotz dem wäre es ihm lieber gewesen, wenn Barry nicht zugesehen hätte. »Du meinst, er bellt ehe wir sie se hen? Du meinst, er könnte mich warnen?« »Ja, Sir«, sagte Barry voll Überzeugung. »Aber ich muß ihn führen. Wenn ich nicht dabei wäre, hätte er nichts anderes im Kopf als zu mir zurückzulaufen.«
Steve schüttelte den Kopf. Er lehnte den Vorschlag nicht ab, sondern tat so als hätte er ihn nicht gehört. Jetzt ging er in das Cockpit. Er holte den Revolver, der dort im Halfter hing. Das war die einzige Waffe an Bord der Spindrift, die nicht aus der Steinzeit stammte. Der Revolver gehörte zur Standardausrü stung für den Fall, daß jemand versuchte, das Schiff zu entführen, obwohl solche Versuche in diesen Ta gen ziemlich selten geworden waren. Er steckte die Waffe ein und ging zur Treppe. »Steve! Bitte!« sagte Betty schwach. »Ich komm' schon zurecht«, sagte er heiser. Und dann ging er die Treppe hinunter. Draußen kam Dan auf ihn zu. Steve hielt ihn an ehe er etwas sagen konnte. »Ich gehe. Du mußt hierbleiben und wenn nötig wegfliegen. So ist es eben!« Er stelzte mit seiner Steinaxt davon. Wilson und Fitzhugh starrten ihm nach. Oben am Himmel zog ein riesiger Schatten vorbei. Das war bestimmt ein Vogel, eines der riesigen fliegenden Wesen dieses Planeten. Steve schlenderte weiter. Es wäre unsinnig gewe sen, wenn mehr als einer gegangen wäre. Anderer seits konnten sie es sich auch nicht leisten, völlig auf diesen Erkundungsgang zu verzichten. Er hatte keine Zweifel daran, daß ein Schiff in der Nähe geankert
hatte. Das konnte ein Zufall sein, mußte sogar nach allen Grundsätzen der Vernunft einer sein. Schließ lich wußten nicht sämtliche Riesen dieser Welt, daß es die Spindrift gab. Es mußte Fischerboote und der gleichen geben, die keine Ahnung von den Schwie rigkeiten hatten, die das kleine Schiff verursacht hat te. Vielleicht handelte es sich um ein solches Fischer boot. Aber es mußte nicht so sein. Die Brandung schien jetzt lauter als zuvor. Und dann wurde es zwischen den Baumstämmen heller, gerade als hätte er bald den Waldrand erreicht. Ne ben dem monotonen Lärm der Insekten waren jetzt stampfende Geräusche zu hören. Er glaubte die Ge räusche zu erkennen. Jemand ließ ein Boot in das Wasser und warf das Ruder hinein, und dann stiegen Matrosen vom Deck eines größeren Schiffes hinunter. Für Steve waren das keineswegs angenehme Geräu sche. Dann hörte er wildes, geradezu hysterisches Bellen. Chipper. Das Bellen kam nicht von der Spindrift. Es kam aus größerer Nähe. Viel größerer Nähe. Und jetzt Barrys Stimme, die Chipper rief. Sie war ganz nahe. Sie war schrill und verzweifelt. Steve wirbelte herum und rannte den Weg zurück, den er gekommen war. Beim Laufen stieß er wütende Flüche aus. Barry war ihm gegen alle Vernunft und
gegen seine Befehle gefolgt. Höchstwahrscheinlich war er allein gekommen und – sicher war Barry be reits tot bis Steve ihn erreichte. Und Steves eigenes Leben und möglicherweise auch das aller anderen war wegen der verrückten Abenteuerlust dieses Vier zehnjährigen verloren. Trotzdem mußte Steve dem Jungen helfen. Ein Mann schrie. Fitzhugh. »Barry! Vorsicht!« Und dann hetzte Steve um einen mächtigen Baum stamm herum und sah den Jungen und den Mann in einen verzweifelten Kampf mit einer riesigen Scheuß lichkeit verwickelt, einem Ungeheuer mit einem aus vielen Segmenten bestehenden Leib und zahllosen Beinen. Das Ding rannte immer wieder in die eine und die andere Richtung und wurde von Axthieben der zwei Menschen zurückgetrieben. Fitzhugh kämpfte wie ein Irrer. Der kleine Chipper bellte hy sterisch und rannte immer wieder zu Barry, um auf gehoben und beschützt zu werden. Das Wesen, mit dem sie kämpften, war ein Tausendfüßler. Sein Ge genstück auf der Erde wurde in den Tropen immer hin bis zu fünfzehn Zentimeter lang. Aber der hier war fünf Meter lang. Seine Beine waren etwa dreißig Zentimeter lang und schützten den Leib wie eine Hecke vor den Schlägen der Angreifer. Aber sie wa ren viel gefährlicher als eine Hecke. Ein Tausendfüß ler braucht in einem Kampf sein Gesicht nicht, um
mit Fängen zuzubeißen. Seine Füße sind vergiftet. Sie greifen an der Seite nach den Opfern und halten sie fest, damit die vergifteten Klauen sie töten können. Fitzhughs Axt krachte jetzt auf den Schädel der Be stie herunter, dort, wo ihr Gehirn sein mußte. Seine Waffe traf ihr Ziel, aber das Ungeheuer schien davon kaum beeinträchtigt. Und jetzt wurde Fitzhugh gegen einen Baum stamm gepreßt und versuchte verzweifelt, den Tau senfüßler mit dem Axtstiel von sich fernzuhalten. Wenn der Stein sich löste, würde Fitzhugh tot sein und Barrys nutzlose Schläge richteten natürlich bei dem Angreifer keinen Schaden an. Für Steve gab es nur eine Möglichkeit, in Aktion zu treten. Er schlug am Schwanzende des wild zucken den schrecklichen Wesens auf die Beine ein. Ein Axtschlag und eines der hintersten Beine löste sich vom Körper. Wieder ein Schlag und das Bein auf der an deren Seite brach ab. Und je mehr Beine er abschlug, desto geringer wurde der Druck auf Fitzhugh. Wie ein Wilder schlug er zu. Die abgeschlagenen Beine sammelten sich. Jetzt lag schon ein ganzer Haufen in einander verworrener, steckenartiger, immer noch zuckender Gegenstände auf dem Boden. Trotzdem kämpfte der Tausenfüßler immer noch blindlings. Und dann zuckte er plötzlich nur noch auf dem Boden, und seine Beine zappelten einzeln. Steve
prügelte jetzt ganz grimmig und methodisch den letz ten Rest Leben aus ihm heraus und als er fertig war wütete er: »Ich hab' dir doch gesagt, daß du ins Schiff sollst! Ich hab' dir gesagt, du sollst dort bleiben! Das hier ist kein Spiel! Wenn wir drei getötet worden wä ren –« Und Barry protestierte: »Aber Chipper hat doch gewinselt und gekläfft, Sir! Wir dachten, es sei wieder eine Riesenspinne! Wir dachten, sie sei hinter Ihnen her! Also mußten Mr. Fitzhugh und ich doch zu Hilfe kommen!« Fitzhugh zitterte. Er wollte gerade etwas sagen als vom Wasser her andere Geräusche kamen. Diesmal war es ein rhythmisches seltsames Geräusch. Es waren Ruder, die in ihren Dollen klopften und zwar viel ent schiedener als die Ruder eines Bootes auf der Erde. Schweigen senkte sich über alle drei. Das Klopfen und Pochen in der Ferne hielt an. Jetzt war keine Zeit für Argumente. Steve sagte mürrisch: »Das sind Rie sen, die da kommen, und wir müssen herausfinden, was die vorhaben. Kommt!« Er eilte in Richtung der Geräusche. Bis zum Ufer waren es vielleicht vierhundert Meter. Die Bäume wurden immer niedriger, bis die Vegetation ganz aufhörte. Und dann war da plötzlich ein weißer Sandstrand. Korallensand. Wie wohl Korallen auf diesem Planeten aussehen mochten?
Die drei von der Spindrift blickten in die grelle Nachmittagssonne. Vor ihnen lag eine Bucht. Das Wasser war unend lich blau. Das gegenüberliegende Ufer war so weit entfernt, daß sie jeglichen Maßstabsbegriff dafür ver loren. Die Bäume dort drüben sahen ganz normal aus, ebenso wie eben Bäume auf der Erde aussahen. Man konnte die Brandung am gegenüberliegenden Ufer sehen und wenige Meter von Steve, Fitzhugh und Barry entfernt war ebenfalls Brandung. Die Brandung war nicht hoch. Die Wellen waren nicht schwerer als auf der Erde und die Winde dieses Pla neten waren nicht kräftiger. Von all den Dingen, die man beobachten und mit der Erde vergleichen konn te, blieben allein Wind, Wellen und Regentropfen gleich. Ein Boot näherte sich dem Ufer. Zwei Riesen ruder ten. Ein weiterer Riese saß am Heck und ein vierter am Bug. Die Ruder hatten die Größe von Fichten und das Boot selbst die Größe eines Tiefseeschleppers. Aber es war nur ein Beiboot für einen Schoner, der vielleicht eineinhalb Kilometer weit entfernt draußen vor Anker lag. Das große Schiff war riesig und wirkte irgendwie primitiv. Für die Augen der Erdenmen schen wirkte es klobig mit zu dicken Masten. Selbst das Steuerruder bestand aus Holz. Vermutlich waren die Planken einen halben Meter dick und selbst die
Takelage mußte aus schenkeldicken Tauen bestehen. Es lag vor Anker, und man konnte Gestalten an Deck sehen, die die Segel refften. Das Schiff schien nicht dazu qualifiziert zu sein, die Spindrift zu jagen. Trotz seiner Besorgnis rechnete Steve damit, daß das Schiff hier rein zufällig aufgetaucht war. Die Landung eines relativ kleinen Bootes – relativ klein – mit so wenigen Riesen schien nicht zu der Vorstellung einer technisch unterstützten Suche nach dem fremdartigen kleinen Fluggerät zu passen. »Wir verstecken uns am besten«, meinte Fitzhugh. »Wir könnten auf dem Sand tanzen«, sagte Steve, »und die würden nichts bemerken. Würden wir auf diese Entfernung Mäuse bemerken? Für die sind wir doch nicht größer, falls sie überhaupt in diese Rich tung sehen.« Schweigen. Das Boot war noch einige Meter ent fernt als es sich dem Strand näherte. Jetzt ging es auf Grund. Die vier Männer sprangen heraus und rann ten durch die Brandung. Sie waren riesenhaft. Sie wa ren kolossal. Erschütternd. Riesige Insekten und rie sige Vögel wirkten glaubwürdiger. In ihrer giganti schen Größe schienen es gleichsam neue Kreaturen zu sein. Man konnte ihre Existenz hinnehmen. Aber ein Mensch von der Größe eines sechsstöckigen Hau ses schien einfach unmöglich, selbst wenn man ihn vor sich hatte. So etwas gab es nicht! Das war unmög
lich! Das war das Erschreckende an ihnen. Steve hörte wie Fitzhugh den Atem anhielt. Und Barry machte bloß: »Puuh!« Und dann hob eine der riesigen Gestalten etwas – vermutlich eine Waffe – und zielte damit zum Him mel. Ein Krachen und ein ungewöhnlicher Lichtblitz. Es wirkte wie ein ganz normaler Blitz. Der Blitz reich te von der Waffe bis zum Gipfel eines hohen Baumes. Man sah ihn den Bruchteil einer Sekunde lang. Und dann verschwand er. Und etwas flatterte zwischen den Zweigen des Baumes zu Boden. Einer der Riesen hob es auf. Er warf es in das Boot. Dann schloß er sich seinen Gefährten an, und sie gingen in den Wald. »Er hat etwas geschossen«, meinte Steve nach einer Weile. »Einen Vogel. Jetzt suchen sie weitere Beute. Das sind Jäger. Ich glaube nicht, daß sie uns suchen. Außerdem geht die Sonne bald unter.« »Wir müssen – irgendwo anders hingehen«, sagte Fitzhugh unruhig. Seine Stimme schwankte. »Wir können nicht hierbleiben.« »Es kann unangenehm werden«, sagte Steve. »Falls sie uns suchen. Aber wenn sie keine Spezialgeräte haben, so glaube ich nicht, daß man sich ein Schiff dieser Art aussuchen würde, um es auf uns anzuset zen.« Er wandte sich um und blickte zu dem vor Anker liegenden Schiff hinaus. Eine riesige menschenähnli
che Gestalt bewegte sich auf dem Deck, die Gestalt hielt eine flatternde Leine, an der aufgeblähte Dinge hingen. Das war eine Wäscheleine, die man zum Trocknen aufhängte. Vermutlich war der Schoner nur zufällig hier vorbeigekommen, nicht um die Spindrift zu suchen. Und nachdem man die Segel gerefft hatte und Wäsche aufhängte, glaubte Steve annehmen zu dürfen, daß das Schiff mindestens über Nacht bleiben würde. Eine Jagdgruppe war an Land gegangen, um Vögel oder sonstiges Wild zum Abendessen zu schie ßen. Eine andere Erklärung schien es nicht zu geben. Und doch war Steve damit nicht zufrieden. Ver mutlich war das Ganze reiner Zufall, aber die Exi stenz der riesigen Insekten war schon unangenehm genug. Daß jetzt auch noch ein Schiff der Riesen vor Anker lag, würde ihnen weiteren Ärger bereiten. Und Steves gewöhnlich pessimistische Gedanken wurden noch pessimistischer. Er machte sich auf den Weg, und die beiden ande ren folgten ihm. Steve ging voran. Er furchte die Stirn. Alle Kreaturen dieser Welt verhielten sich ge nauso wie ihre Gegenstücke auf der Erde. Also sollte man annehmen, daß die Riesen auch wie Menschen dachten. Aber diese Riesen schienen nichts mit der Jagd auf das Schiff von der Erde zu tun zu haben, je ner Jagd, die inzwischen bestimmt immer weitere Kreise zog.
Die anderen folgten Steve. Aber das erforderte in diesem Wald große Vorsicht. Immer wieder sahen sie sich um und untersuchten gefährlich wirkende Stel len sorgfältig ehe sie passierten. Das bedeutete, daß sie nur ziemlich langsam von der Stelle kamen. Sie hatten etwa dreiviertel des Weges zurückgelegt als zu ihrer Linken ein schrecklicher Tumult losbrach. Zuerst war da ein knatterndes Geräusch so wie die Waffe es verursacht hatte, mit der einer der Riesen den Vogel geschossen hatte. Und unmittelbar danach brach die Hölle los. Irgend etwas brüllte auf und brach dann in einiger Entfernung durch das Unter holz. Wieder ein Knacken. Diesmal schrie etwas. Aber es war ein ungeheurer Schrei, wie eine Dampfpfeife, nur lauter. Wieder ein Knattern. Jetzt folgten weitere Schreie und dann brach irgend etwas Kolossales durch das Unterholz. Steve sah ein monströses Etwas, ungeheuer groß und haarig, mit Flanken wie Hauswände und Zähnen wie Baumstämme und dicken Beinen, die sich wie die Kolben einer Dampfmaschine bewegten. Das Mon strum war sechzig oder siebzig Meter von ihnen ent fernt, huschte vorbei und verschwand dann. Ein Rie se hinterher. Er trug eine zehn Meter lange Waffe. Im Rennen schrie er, ein ohrenbetäubendes Brüllen. Ein zweiter Riese schrie aus der Ferne zurück. Aber das fliehende Etwas war verschwunden. Die beiden letz
ten Riesen schienen es nicht so eilig wie die beiden ersten zu haben, folgten aber auch dem Tumult. Steve wurde übel. Die Jagd bewegte sich in Rich tung auf die Spindrift zu. Und die Verfolger schienen aufzuholen. Jetzt war wieder jenes Knattern zu hören und hin und wieder glaubten sie einen Blitz zucken zu sehen. Plötzlich war Schweigen. Die drei von der Spindrift lauschten. Und dann sagte Fitzhugh mit schwerer Stimme: »Das war ein Wildschwein, auf das sie geschossen haben. Es war so groß wie eine ganze Elefantenherde!« Und dann, etwas benommen: »Der Riese hätte uns sehen können!« Steve schluckte. »Kommt!« Er ging weiter und verzichtete jetzt auf die so not wendige Vorsicht. Nichts geschah. Ein Poltern wie ferner Donner war zu hören. Aber es handelte sich um artikulierten Donner. Das waren Stimmen. Die beiden etwas langsamen Riesen riefen einander etwas zu, dort vorne irgendwo zwischen den Bäumen. Jetzt riefen sie die anderen. Aus der Ferne waren deren Rufe zu hören. Steve schlug jetzt jede Vorsicht in den Wind und rannte, dicht gefolgt von Fitzhugh und Barry. Er schoß durch den Wald, der voll von Gefahren war – ohne auch nur darauf zu achten. Wieder hörte er die Riesen schreien. Es klang wie Befehle.
Chipper, den Barry auf dem Arm trug kläffte hy sterisch und Fitzhugh stöhnte: »Ein Netz!« Er mußte Steve am Arm packen, damit er ihm zu hörte. Und dann blieb er unmittelbar vor einem Spin nennetz stehen, das zwischen drei Bäumen gespannt war. Die Fäden, die es festhielten, hatten die Dicke von Tauen, und sie bildeten eine perfekte Spirale um die Ankertaue, die zu einer seidenen Plattform in der Mitte führten. Der Besitzer des Netzes wartete gedul dig auf dieser Plattform bis sein Netz von einem neu en Opfer in Schwingungen versetzt wurde. Die drei von der Spindrift machten einen Umweg um das Netz und hetzten verzweifelt weiter. Steves Erregung wirkte ansteckend. Aber trotz ihrer Eile schien es eine Unendlichkeit zu dauern, bis sie die Lücke im Blattwerk über sich sahen und wußten, daß das die Lichtung war, in der die Spindrift gelandet war. Und dann stieß Steve einen Schrei aus. Er sah wie zwei Riesen sich zwischen den Bäumen entfernten. Und einer von ihnen trug die Spindrift auf der Schulter.
4
Bei der Konstruktion der Spindrift hatte man jede er denkliche Vorsorge für jeden denkbaren Notfall ge troffen. Aber ihre Konstrukteure hatten nicht damit gerechnet, daß ein humanoider Riese, Lichtjahre von ihrem Heimatplaneten entfernt sie kapern würde. Insbesondere hatte man bestimmt nicht damit ge rechnet, daß ein solcher Riese sie auf seinen Schultern tragen würde, fünf Stockwerke über dem Erdboden durch einen Wald ungewöhnlich riesiger Bäume – während der Pilot und zwei der Passagiere auf dem Boden standen und ihr hilflos nachblickten. Wenn nö tig konnte sie Orbitalgeschwindigkeit erreichen. In einer Flughöhe von fünfunddreißigtausend Metern blieb der Innendruck konstant auf Meereshöhe. Aber entführt und auf den Schultern eines Riesen wegge schleppt zu werden – das war in der Konstruktion nicht vorgesehen. Also blickten Steve und Fitzhugh und Barry ver zweifelt nach wie die Riesen sich ihren Weg durch den Wald bahnten. Fitzhugh schauderte. Gerade ehe die Riesen ihren Blicken entschwanden öffnete sich eine Luke am Heck der Spindrift. Etwas flog heraus, fiel und prallte vom Boden ab. Die Luke schloß sich wieder. Steve war vor Wut beinahe geblendet. Betty
befand sich immer noch an Bord des entführten Schif fes. Er konnte weder mit seiner Steinaxt noch mit dem Revolver, den er mitgenommen hatte, um im Falle einer Gefahr ein Zeichen zu geben, die Auf merksamkeit des Riesen, der sie wegtrug auf sich zie hen. So stieß er bloß wütend hervor: »Die gehen zu ihrem Boot zurück. Wir müssen –« Und dann setzte Barry den kleinen Chipper ab und rannte los. Steve herrschte ihn an: »Komm sofort zurück!« Aber Barry rannte weiter und Chipper tanzte dabei um seine Füße. Er erreichte den Gegenstand, den man zu der Luke herausgeworfen hatte. Die Luke war für den Notfall vorgesehen, falls die normalen Notausgänge nicht benutzt werden konnten. Da sie sich am Rücken des Riesen befand, der die Spindrift trug, hatte der überhaupt nichts davon bemerkt. Jetzt untersuchte Barry den Gegenstand und mühte sich, ihn aufzuheben. Er schleppte ihn keuchend zu Steve. »Es ist ein – ein Gummifloß, Sir«, keuchte er. Er mußte es absetzen. Fitzhugh schauderte immer noch, und dann sagte er mit niedergeschlagener Stimme: »Wir können nichts machen, nichts!« Aber Steve knurrte plötzlich. Er beugte sich über das ungefüge Paket, das Barry kaum hatte tragen können. Ein leises, aber deutlich hörbares Pfeifen ging davon aus. Steve wühlte fieberhaft in dem zu
sammengefalteten Gummistoff herum. Und dann fand er das Notradio, das den gesetzlichen Vorschrif ten entsprechend in jedem Rettungsfloß sein mußte. »Hör zu pfeifen auf, Dan!« Das Geräusch verstummte. Jetzt war Dans Stimme, wenn auch recht undeutlich aus dem Lautsprecher zu hören. Die Anlage funktionierte. Dan sprach vom In neren des Schiffes aus. »Ich habe gepfiffen, weil ich hoffte, daß du es hören wür dest, Steve. Die Riesen hören das bestimmt nicht.« »Wissen die, daß ihr drinnen seid?« fragte Steve er regt. »Nein.« Eine Pause. Und dann berichtete Dan: »Sie sind jetzt alle beisammen. Sie reden über dieses Schiff. Sie sind Verstört. Sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Sie scheinen gar nicht auf die Idee zu kommen, daß etwas Lebendes darin sein könnte. Vermut lich halten sie uns entweder für eine Boje oder für eine Bombe.« »Hoffentlich halten sie es für eine Bombe«, sagte Steve grimmig. »Die riskieren bestimmt nicht, daß sie die Bombe auslösen, indem sie sie aufbrechen.« Wieder eine Pause. Diesmal dauerte sie ziemlich lange. Und dann Dans Stimme: »Die haben ein Wildschwein geschossen. Es ist unge heuer groß! Zwei von ihnen tragen das Wildschwein und einer die Spindrift.« Steve ließ seine Fingergelenke knacken.
»Wir gehen jetzt an die Stelle, wo sie mit dem Boot an Land gekommen sind. Hört auf zu senden. Sagt al len, daß sie sich nicht bewegen sollen. Keine Geräu sche. Vielleicht haben wir eine Chance, wenn sie zu dem Schluß kommen, daß die Spindrift eine Bombe ist. Vielleicht lassen sie euch am Ufer liegen. Aber – nein. Vergeßt das. Wir warten am Ufer.« Er drehte sich um und winkte den anderen, ihm zu folgen. Er trug das kleine Radio. Fitzhugh rollte schweigend das Gummifloß zusammen. Sie gingen erneut zum Strand. Die Katastrophe, die sie befallen hatte, beschäftigte sie so, daß sie nicht einmal das Klicken rings um sie hörten. An der Lan destelle der Spindrift arbeiteten jetzt Ameisen, die die Kadaver der beiden Spinnen zerlegten und weg schleppten, die sie mit Steinäxten getötet hatten. Die Ameisen waren zwanzig Zentimeter lang und umga ben ihre Beute in dicken Schwärmen. Der Boden war ganz schwarz. Und immer mehr kamen. Wieder Dans Stimme, vorsichtig, gleichmäßig: »Steve, ich hab gar nicht erst zu starten versucht, als die Riesen kamen. Die rannten nämlich und hätten das Schiff erreicht, ehe ich es in Startstellung bringen konnte. Ich hoffte, sie würden uns nicht sehen. Und wenn es sich be wegt hätte, dann hätten die vielleicht angenommen, es sei irgend etwas Lebendiges. Und dann hätten sie es zerschla gen.«
Das war richtig gedacht. Die Riesen waren größer, als das Schiff lang war. Sie hätten mit ein paar Fuß tritten die Bordwand eindrücken oder mit den Waf fen darauf schießen können, mit denen sie ein Wild schwein getötet hatten, das nicht viel kleiner als das Schiff war. Die Spindrift mußte auf die Riesen, die nichts von ihrer Existenz wußten, sehr fremdartig wirken. Wenn sie sich bewegt hätte, so hätten sie sie vielleicht für gefährlich gehalten. Nur indem sie sich ruhig ver hielt, konnte sie harmlos scheinen. Und nachdem ein Riese sie aufgenommen hatte, war es mehr denn je er forderlich, passiv zu scheinen. »Wenn sie je nach oben zeigt«, fügte Dan hinzu, »wer de ich einen Startversuch machen. Aber hier im Wald, wo die Baumstämme und Zweige im Weg sind –« »Vielleicht ergibt sich am Strand eine Gelegenheit«, sagte Steve. Das war eine schwache Hoffnung und beide wuß ten das. Steve und die anderen arbeiteten sich durch den Wald. Die Riesen waren irgendwo rechts von ihnen, aber nicht zu sehen. Plötzlich sagte Barry: »Ich halte Chipper die Schnauze zu, damit er nicht bellen kann, Sir. Aber sollte ich ihn nicht besser loslassen für den Fall, daß etwas –«
»Das ist gleichgültig«, sagte Steve bitter. Barry setz te den kleinen Hund ab. Sie gingen weiter. Eine Zeit lang rannte das kleine Tierchen zufrieden einmal hierhin, einmal dorthin, manchmal den anderen vor aus, manchmal hinterher. Sie legten vielleicht zwei Kilometer zurück, ehe sich etwas änderte. Barry be hielt Chipper besorgt im Auge und hielt mit den an deren Schritt. Fitzhugh schwitzte unter seiner Last, schauderte aber dennoch von Zeit zu Zeit. Steve konnte nicht gleichzeitig ihre Umgebung beobachten und gleichzeitig einen Ausweg aus ihrer hoffnungs losen Lage finden. Und dann sagte Barry beunruhigt: »Chipper verhält sich so komisch, Sir. So als würde er etwas riechen, das er nicht kennt.« Der kleine Chipper schien wirklich verängstigt. Er folgte jetzt ganz dicht hinter Barry, den Schwanz zwi schen die Beine eingezogen. Jetzt winselte er. Er kratzte an Barrys Bein, bettelte aufgehoben zu wer den. Barry sah sich verängstigt um. Und dann sagte er mit unsicherer Stimme: »Da vorne ist etwas, Sir. Ich weiß nicht, was es ist.« Steve spannte all seine Sinne an. Er blieb stehen. »Ganz ruhig verhalten!« befahl er. »Absolut ruhig!« Die drei waren wie erstarrt. Schweigen herrschte. Nichts geschah. Nichts, obwohl die Brandung immer noch dröhnte und aus allen Richtungen seltsame Rufe kamen. Sie warteten eine lange, lange Zeit. Riesige
Schatten huschten über das Blätterdach. Ihre Starre schien Stunden zu dauern. Und dann bewegte sich etwas. Ein Ding, das völlig still gestanden hatte, ent fernte sich langsam. Es war beinahe fünf Meter hoch. Es hätte einen langen und lächerlich dünnen Körper mit einem dicken Bauch. Oben auf seinem schlanken Leib gab es einen birnenförmigen Kopf. Das Ding hat te sechs Beine, aber das Wesen ging nur auf vieren davon. Die anderen beiden waren zusammengefaltet, denn diese beiden Beine waren mit sägeartigen Stoß dolchen versehen. Es hatte darauf gewartet, daß die Männer sich be wegten, denn Wesen wie diese hatten die Ange wohnheit, sich hoch aufzurecken und dann seine scheußlichen Waffen auszustrecken, eine Geste, die verblüffend an die erhobenen Hände eines Predigers erinnerte. Es sah dann so aus als segnete das Scheusal die unglückseligen Kreaturen, die es sahen – bis sie in Reichweite kamen und dann blitzten die sensenarti gen Klingen herunter und spießten die Opfer auf. Es hatte darauf gewartet, daß die drei Menschen – zwei Männer und ein Junge – näherkamen oder flohen. Aber sie standen wie erstarrt da. Sie hatten noch mehr Geduld als das Scheusal. Natürlich hätte es sie alle drei verspeist. Und dann hatte die Gottesanbeterin noch ei ne weitere absonderliche Eigenschaft. Die meisten In sekten töten ihre Beute, die sie dann auffressen. Die
Gottesanbeterin tut das nicht. Sie verspeist ihr Opfer, aber es stirbt erst während des Mahles. Diese Gottesanbeterin entfernte sich jetzt langsam und würdevoll. Selbst einem Riesen wäre sie als gro ßes Insekt erschienen, wenn auch nicht als gefährlich. Aber für Erdmenschen, die nur mit Steinäxten be waffnet waren, war das kein Gegner. Als das Scheusal sich entfernt hatte, konnten die drei weiterziehen. Fitzhugh war in Schweiß gebadet. Seine Zähne klapperten. Aber er versuchte gar nicht zu spre chen, und Steve drängte wortlos weiter. Barry folgte ihnen mit Chipper in den Armen. Barry war bleich. Sie erreichten die Bucht und den Strand, aber sie hatten viel Zeit verloren. Das Boot vom Schoner hatte den Strand bereits hinter sich gelassen, und die drei von der Spindrift konnten nur hilflos am Ufer stehen und zusehen, wie die riesenhaften Ruder sich rhyth misch bewegten und das gigantische Ruderboot auf den Wogen dahinzog. Den Vogel, den die Riesen unmittelbar nach der Landung geschossen hatten, konnten sie nicht sehen, wohl aber Teile eines haari gen Kadavers, der einmal ein Wildschwein gewesen war. Die Spindrift sahen sie auch. Ihre Heckfinnen ragten über die Bordwand des Ruderbootes hinaus. Man hatte das Schiff mit der Spitze nach unten ins Boot gelegt. Es war unvorstellbar, daß Dan aus dieser Lage heraus einen Startversuch machte.
»Ich habe mich keinen übertriebenen Hoffnungen hingegeben«, sagte Steve leise. »Ich hoffe nur, im Versteck bleiben zu können. Aber das ist jetzt unmög lich. Wir müssen zum Schoner hinaus und in die Spindrift.« »Aber das ist doch unmöglich«, sagte Fitzhugh verzweifelt. »Nein«, widersprach Steve. »Die bleiben über Nacht hier. Sie haben ihre Segel gerefft und Wäsche aufgehängt. Sie sind aus irgendeinem Grund hierher gekommen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie ankern, bloß um einen Vogel zu schießen und ein Wildschwein für das Abendessen zu töten.« »Aber –« »Die werden hier über Nacht bleiben«, wiederholte Steve, »weil sie die Wäsche aufgehängt haben! Und wir haben unser Gummifloß. Wenn es dunkel wird, versuchen wir an Bord zu gehen. Ich werde versu chen Dan zu rufen.« Er zog das Funkgerät zu sich her und rief: »Ich rufe die Spindrift. Dan, hörst du mich?« Die Antwort kam sofort. »Ja, aber meinst du nicht, daß die Riesen uns auch empfangen können?« »Höchstwahrscheinlich«, pflichtete Steve ihm bei. »Aber dagegen können wir nichts machen. Die Riesen werden ohnehin hierherkommen. Wir müssen unsere Pläne also ändern.« Er hielt inne. Betty war in der
Spindrift. Er versuchte zu schlucken, schaffte es aber nicht. »Ich weiß nicht, was für eine Chance wir ha ben«, sagte er dann mit ausdrucksloser Stimme. »Aber wir müssen es einfach darauf ankommen las sen, daß Fitzhugh, Barry und ich mit Hilfe des Gum mifloßes, das ihr uns zurückgelassen habt, schaffen an Bord zu kommen. Und wenn uns das gelingt, müssen wir eben sehen wie es weitergeht.« Jetzt kam wieder Dans Stimme, sehr kontrolliert und ohne eine Spur von Erregung: »Das Schiff liegt auf der Seite, mit dem Bug nach unten im Ruderboot. Alle sind angeschnallt. Aus dieser Position können wir nicht starten. Und ich fürchte, daß wir auf dem Schoner noch schlimmer dran sind.« »Das werden wir sehen«, sagte Steve. »Jedenfalls liegt der Schoner vor Anker. Wir haben zumindest die Chance, daß wir alle in dem Gummifloß an Land gelangen. Wir müssen warten, aber das ergibt sich schon. Und die Spindrift starten wir auch, wir wissen nur noch nicht, wie.« Schweigen folgte. Steve war sich durchaus bewußt, welche Ironie in dem Gedanken lag, nur Besatzung und Passagiere des Schiffes an Land zu schaffen, wo sie unbewaffnet und praktisch hilflos einer ganzen Insel riesiger tödlicher Insekten gegenüberstanden. Aber Dan sagte nichts. »Daß die Riesen unsere Radiosendungen auffangen
können, ist jetzt schon gleichgültig. Wahrscheinlich ist das bereits passiert. Aber die haben keine Flug zeuge. Und ein Schiff bringen sie nicht so schnell hierher. Wir werden also zusehen, daß wir hier ver schwinden, ehe sie kommen.« Er schaltete das Funkgerät ab. Dann schnitt er eine Grimasse. Er wußte selbst, daß er sich etwas einrede te – daß er und Dan so taten, als könnten sie etwas zuwege bringen, was einfach unmöglich war. Es war absurd, sich noch Hoffnungen zu machen. Es grenzte an Wahnsinn, Pläne zu schmieden, die unglaubliches Glück erforderten, und die sie am Ende vielleicht in eine noch schlimmere Lage beförderten als die, in der sie sich jetzt schon befanden. Er wandte sich zu Fitzhugh und dem kleinen Barry um. Beide sahen ihn an, Barry voll Hoffnung, Fitz hugh ohne jede Hoffnung. »Nun denn«, sagte Steve. »Wir müssen uns über die Gezeiten informieren. Der Größe der Monde nach zu schließen dürften die Flutwellen nicht besonders hoch sein.« Er überlegte und fügte dann hinzu: »Wie lange es wohl noch bis zum Sonnenuntergang dau ert?« Er bekam keine Antwort, aber die Sonne näherte sich ganz offensichtlich dem Horizont, und der Himmel begann sich bereits zu verfärben. Steve machte sich an die Arbeit. Er sprach nicht
über seine Pläne und hatte auch in Wirklichkeit gar kein Programm – außer dem, sich auf jeden günstigen Umstand vorzubereiten, der sich vielleicht ergab. Das einzige, worauf er sich einrichten konnte, war an Land zu flüchten und die Spindrift aufzugeben. Aber das bedeutete praktisch nur, daß die ganze Gruppe ohne Lebensmittelvorräte und Unterschlupf auf die ser Insel gestrandet war und im günstigsten Falle die Chance hatte, so lange am Leben zu bleiben, bis sie von den Schreckenswesen verschlungen wurden. Zunächst mußte die Frage der Gezeiten geklärt werden – nämlich, ob die Flutwelle in die Bucht her ein- oder aus ihr hinausführte. Steve versuchte sich dadurch Klarheit darüber zu verschaffen, indem er kleine Holzstückchen ins Wasser warf und beobach tete, in welche Richtung sie sich bewegten. In einer halben Stunde wußte er es. Die Gezeiten würden ihm zugute kommen. Die Flut würde das Gummifloß nicht ins Meer hinauszerren. Inzwischen hatte das Ruderboot den Schoner er reicht. Dans Stimme kam aus dem Funkgerät. »Das Ruderboot ist an dem Schoner längsseits gegan gen«, berichtete er. »Den Vogel haben die nicht mitgenommen. Aber die Riesen, die uns verschleppt haben, erzählen jetzt den ande ren von uns. Irgendwie scheinen sie sich zu streiten. Ich glaube, daß einige uns über Bord werfen wollen, weil sie
Angst haben, wir könnten eine Bombe sein. Ziemlich üble Typen. Die streiten über uns, da bin ich ganz sicher.« »Nur weiter«, sagte Steve bitter. Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt draußen auf dem Meer vor sich ging. Die Reling würde sich heben und senken in gleichem Maß wie der Schoner auf den Wellen schwankte. Und das Ruderboot würde ähn lich, wenn auch nicht genau angepaßte Bewegungen vollführen. Riesen mit Bärten lehnten an der Reling und unterhielten sich in dröhnenden, polternden Stimmen miteinander und debattierten, ob die Spin drift vielleicht eine Boje war, die irgendwie in den Wald geschwemmt worden war. Oder vielleicht et was Gefährliches – oder gar wertvolle Beute? Geistesriesen waren diese Riesen nicht. Der Schoner war un gepflegt und bestimmt seit seinem Stapellauf nicht mehr lackiert worden. Und die gerefften Segel waren bestimmt nur teilweise gesichert. Zweifellos ein schlampiges Schiff. »Ich habe die Energieeinheiten auf volle Kraft geschal tet«, sagte Dan mit gleichmäßiger Stimme. »Wenn ich die geringste Chance habe, versuche ich zu starten. Ich glaube, die haben jetzt beschlossen, die Spin drift an Bord zu nehmen.« Steve war mehrere Meter entfernt. Er konnte den Schoner mit dem längsseits gegangenen Ruderboot sehen. Der Himmel verfärbte sich jetzt mehr und
mehr. Das vor Anker liegende Schiff war ebenfalls in einen rötlichen Schimmer gehüllt. Schatten krochen von den Bäumen über den weißen Sand. Auf dem Schoner regte sich nichts. »Ich dachte schon, die wollten uns von Hand zu Hand weitergeben«, sagte Dans Stimme, »aber jetzt bauen die einen Ladebaum für das Wildschwein auf!« Schweigen. Stille schien über der ganzen Welt zu liegen. Das Murmeln der fernen Brandung schien die Ruhe noch zu betonen. Das war die Zeit, wo die In sekten des Tages ihren sinnlosen Lärm eingestellt hat ten und die Nachtinsekten sich gerade darauf vorbe reiteten, ihrerseits Lärm zu machen. Das einzige Ge räusch, das man jetzt hören konnte, war die Bran dung und selbst die war leiser und langsamer ge worden. »Jetzt haben sie den Wildschweinkadaver an Bord«, sag te Dan. »Dabei hatte ich gehofft, daß sie uns hochheben. Wenn ein Riese die Spindrift auch nur einen Augenblick in die richtige Richtung gehalten hätte, hätte ich Vollgas ge geben, und dann wäre er erschrocken. Er hätte losgelassen. Aber jetzt haben die ein Seil um die Spindrift gelegt. Sie heben uns hoch ... sie heben –« Und kurz darauf sagte er: »Jetzt sind wir an Deck. Die haben uns einfach neben die Reling geworfen. Der Schoner schwankt etwas. Sie haben einen Keil unter uns geschoben, damit wir nicht über das
Deck rollen. Ein paar von den Brüdern sind immer noch argwöhnisch. Einer wollte mit dem Fuß nach uns treten, aber ein anderer hat ihn daran gehindert. Jetzt verlassen sie uns.« Wieder Schweigen. Der ganze Himmel war jetzt von einem rosaroten Schein überzogen. Die Nacht zog herauf. Vom Meer her zog eine Formation Seevö gel heran. Sie flatterten über den Wald und ent schwanden ihren Blicken. »Die schlachten jetzt das Schwein«, meldete Dans Stimme. »Das ist größer als der größte Elefant, den ich je gesehen habe. Nicht gerade ange nehm anzuschauen.« Steve konnte es sich vorstellen. Ein Tier, das die Riesen mit einem Ladebaum an Bord gehievt hatten, wo doch ein Riese die ganze Spindrift auf der Schulter getragen hatte. Es mußte sich wirklich um ein mon ströses Tier handeln. Vom Ufer aus konnte Steve se hen, wie auf dem Schiff jetzt Fackeln aufflammten. Einer der beiden Monde dieser Welt hob sich über den Horizont. Kurz darauf folgte ihm der zweite. Beide kletterten dem Zenit entgegen. Die Nacht brach jetzt schnell herein, so schnell wie sie in den Tropen immer kommt, sei es nun auf der Erde oder all den vielen anderen Welten, die die Menschen noch ken nenlernen sollten. Jetzt konnte man draußen auf See den Schoner und das Ruderboot nicht mehr sehen, nur mehr die Lichtpunkte der Fackeln und das Feuer.
Das Mondlicht war noch nicht stark genug als daß man etwas hätte sehen können. Steve und Fitzhugh und Barry – und der kleine Chipper – warteten fiebernd am Strand. Chipper hielt mit gespitzten Ohren Wache. Wieder Dans Stimme: »Ich weiß nicht, was jetzt geschieht! Die bereiten ein Boot vor, um es zu Wasser zu lassen. Insgesamt sehe ich ein Dutzend Riesen. Es sieht so aus, als wollten vier mit dem kleinen Boot und sechs mit dem großen wegrudern. Was für einen Grund haben die, um zu landen?« Steve gab keine Antwort. Der Schoner war be stimmt nicht auf der Suche nach der Spindrift gewe sen. Er wurde lediglich von Segeln angetrieben. Also benutzte man ihn sicher nur für ziemlich unwichtige Dinge. Und die Ruderboote, die man zum Landen benutzte, ließen das noch wahrscheinlicher erschei nen. Wieder Dans Stimme: »Das zweite Boot ist zu Wasser gelassen. Die Riesen klettern jetzt hinunter. Jetzt sind nur noch zwei an Bord.« An Land stand Chipper zitternd da und starrte in die Dunkelheit des Waldes. Jetzt sagte Dan: »Sie stoßen vor dem Schoner ab. Soweit ich sehen konnte sind sie nicht bewaffnet. An Bord sind nur noch zwei Rie sen. Sie haben Seile mitgenommen. Warum?«
Das war schwer zu erraten. Die Nacht wurde dunkler. Sterne tauchten auf, bildeten vertraute und doch irgendwie fremdartige Konstellationen. Einige waren unverändert, andere hatten sich durch die große Entfernung von der Erde verschoben. Chipper winselte. Steve sagte: »Wir wollen das Gummifloß aufblasen.« Er zog an der Schnur, und die formlose Gummi masse schwoll zischend an, und dann gab es plötzlich ein schnappendes Geräusch und das Ganze nahm die Form eines Schlauchbootes mit ebenem Boden und wulstigen Bordwänden an. Im Boden des kleineren Fahrzeugs gab es ein paar Aussparungen und Vertie fungen, in denen verschiedene Gegenstände verwahrt waren. Wieder winselte Chipper. Er zitterte. Im Dschungel kam etwas für sie unsichtbar stampfend näher. Steve stieß das Floß ins Wasser. »Kommt, einsteigen! Schnell!« sagte er. Sie wateten hinaus. Das Ding im Dschungel kam mit schweren Schritten näher. Steve hob Barry ins Floß. Fitzhugh kletterte hinein. Steve schob das Schlauchboot ein letztes Mal an und kletterte ihnen nach. Jetzt zog er Paddel aus den Bodentaschen und steckte sie zusammen. Mit einem davon paddelte er das Floß vom Ufer weg. Etwas riesenhaftes Dunkles tauchte am Strand auf. Es bewegte sich am Ufer ent
lang. Es war sehr, sehr groß. Steve paddelte und pad delte. Sie sahen, daß das Ding am Ufer unglaublich riesenhaft war. Aber ins Wasser ging es nicht. Was es war erfuhren sie nie. Aber der kleine Chipper hörte zu zittern auf und leckte Barry die Hände als wollte er unendliche Dankbarkeit ausdrücken, dafür, daß man ihn hierher in Sicherheit gebracht hatte und ihn nicht am Ufer zu rückgelassen hatte, wo dieses dunkle Ungeheuer aufund abging. »Seht doch das Paddel!« sagte Fitzhugh erschreckt. Aber Steve meinte nur kühl: »Wir müssen zu dem Schoner. Also muß ich auch paddeln.« Und dann sprach er ganz leise in das Funkgerät: »Dan, sind noch Riesen an Deck?« Dans Stimme kam von irgendwo aus dem Nichts: »Zwei. Es sind nur zwei zurückgeblieben. Sie blicken den Booten nach.« »Seht doch das Paddel!« sagte Fitzhugh erneut. Er war sehr erregt. »Es ist kaum zu übersehen«, sagte Steve. Er ruderte weiter. Und wo das Paddel das Wasser berührte, glühte es in einem eigenartig bläulichen phosphores zierenden Licht. Man konnte es weithin sehen. Das war das Glühen aller tropischen Meere, und es stach förmlich aus der Dunkelheit hervor. Natürlich verriet es weithin, daß sich hier etwas bewegte. Sobald das
Schlauchboot sich dem Schoner näherte, würde man es wegen dieses Glühens sofort bemerken. Fitzhughs Atem ging schwer. Aber Steve sagte sehr ruhig: »Fitzhugh, ich weiß, daß Ihnen das schwerfällt. Sie sind so etwas nicht gewöhnt. Aber wir haben auch einige Vorteile auf unserer Seite.« Barry hielt den kleinen Hund eng an sich gepreßt. Er sagte: »Ich möchte gern wissen was, Sir. Mir kommt das ziemlich schlimm vor.« »Für uns«, erklärte Steve ruhig, »scheinen die Rie sen die Größe von Bergen zu haben. Während wir ih nen wie Mäuse erscheinen.« Das war untertrieben. Ratten vielleicht. Nicht Mäu se. »Wenn du in deiner jetzigen Größe vom Schoner aus über die Reling ins Wasser blicktest und ein Floß mit leuchtendem Kielwasser sähest so wie dieses hier«, fügte Steve hinzu, »würdest du es sofort be merken. Es wäre groß genug, um deine Aufmerk samkeit zu erwecken, aber wenn es nur die Größe ei nes Holzstückes hätte, auf dem vielleicht drei Mäuse sitzen würdest du nicht darauf achten. Du würdest nie auf den Gedanken kommen, daß drei Mäuse im Wasser treiben. Du würdest wahrscheinlich anneh men, daß irgendein Fisch das Leuchten verursachte. Dort unten gibt es Fische. Sieh nur hin – man kann sie deutlich erkennen. Diese Lichtstreifen, die du siehst –
das sind Fische. Ein Riese könnte das Glühen, das wir verursachen sehen und einfach nicht darauf achten.« Er paddelte und paddelte. Die Monde stiegen hö her am Himmel. Und dann, nach einer Zeit, die ihnen unendlich lang vorkam, hörten sie wieder Dans Stimme aus dem Funkgerät: »Die beiden Riesen an Deck sind hinuntergegangen.« Steve paddelte unentwegt weiter. Das Schweigen änderte sich langsam. Zum Teil war die zunehmende Entfernung vom Ufer daran schuld. Die alten Geräu sche veränderten sich mit der Entfernung. Und ir gendwo schrie ein einsames Ungeheuer monoton dreimal nacheinander, hielt inne und wiederholte seinen Schrei dann wieder dreimal. Steve und die an deren erinnerte das Geräusch an ein Nebelhorn, viel leicht ein verwundetes Nebelhorn. Und dann war da ein Geräusch, das vielleicht von einer riesenhaften Eule verursacht wurde, aber so tief, daß es einem Zug in einem Tunnel ähnelte. Aber auf dem Floß, weit entfernt vom Ursprung all dieser ungewöhnlichen Laute machte das Ganze den Eindruck eigenartiger Stille, einer friedlichen Stille. Und dann wurden nur ein paar Meter von dem Floß entfernt die Wellen bewegt. Ein phosphoreszie render Fleck breitete sich aus. Beinahe hätte er die Wasseroberfläche durchbrochen, aber da tauchte er bereits wieder hinunter. Vor dem Gummifloß kam
dieses Etwas erneut zum Vorschein und diesmal durchbrach es die Wellen. Zunächst wirkte es riesig und formlos. Es war länger als die Spindrift und viel breiter. Ein paar Augenblicke schwamm es an der Oberfläche und dann tauchte ein Kopf auf. Es war der Kopf einer Schildkröte. Einer gigantischen Schildkrö te. Er glühte in der gleichen Vielfalt wie Steves Pad del. Der Kopf der Schildkröte war so groß wie der ei nes Schweines. Er wirkte uralt, unglaublich alt. Jetzt sah man auch die Flossen des Tieres. Sie glühten ebenso wie der Kopf. Und dann tauchte die Schild kröte wieder unter, und ein formloses ausgefranstes blaues Leuchten schwamm unter Wasser auf das fer ne Ufer zu. Und dann tauchte etwas anderes auf. Der Schoner. Er wirkte unmöglich hoch, finster und drohend. Seine dicken Masten schwankten vor den unzähligen Ster nen. Ein blaues Leuchten markierte die Wasserlinie des Schiffes, wo die Wellen vom Schwanken des Rumpfes bewegt wurden. Und alles, was darüber war, war ungeheuer, war kolossal. Steve paddelte verbissen. Jetzt wechselte er den Kurs. Er steuerte an dem Schoner entlang. Der Bug spriet ragte über ihm nach vorne. Und dann – Es gab einen gedämpften Aufprall. Das Floß stieß gegen etwas, nicht gegen den Rumpf des Schoners, sondern gegen die gespannte Ankerkette, die in die
Tiefen des Meeres hinunterführte. Steve hielt sich daran fest. Auch die anderen versuchten, sich an den einzelnen Kettengliedern festzuhalten, Gliedern, die einen viertel Meter dick und so lang wie ein ausge wachsener Mann waren. Steve vertäute das Floß. »Ich binde das Floß hier an«, sagte er leise, »dann klettern wir über die Ankerkette an Deck. Schaffst du das, Barry? Du kannst hier warten, wenn du willst.« »Ich komme mit, Sir«, sagte Barry atemlos. Sie klet terten. Es war nicht leicht, die Kette als Leiter zu be nutzen, wo doch jedes Glied im rechten Winkel zu den beiden angrenzenden stand. Auch die Dicke der Kettenglieder erschwerte ihnen das Klettern. Aber sie schafften es.
5
Es war niederdrückend. Im Dschungel, umgeben von den riesigen Bäumen, waren sie sich klein vorge kommen. Aber auch auf der Erde gibt es Bäume von ähnlicher Höhe, wenn auch selten. Hier waren die Decksplanken eineinhalb bis zwei Meter breit. Solche Planken gab es einfach nicht. Und wo sonst Taue ge wesen waren, gab es hier Kabel. Das war einfach nicht vorstellbar. Die Taue waren so ungeheuer, daß man sie kaum bewegen konnte. Das konnte man sich einfach nicht vorstellen. Die Seitenreling war mehr fach mannshoch, und man konnte nicht darüber hin wegsehen, weder ans Land, noch in die Bucht. Und die Geländer der offenen Luken ragten über ihre Köpfe. Die Schatten im Mondlicht, die die Masten und Sparren warfen, waren Dutzende von Metern breit, und wegen der beiden Monde warf alles einen doppelten Schatten. Im Wald konnte man sich noch mit der Vorstellung trösten, daß die Bäume eben riesengroß waren. Hier dagegen, umgeben von Gegenständen, deren Größe bekannt war, war der Mensch winzigklein. Sie fühl ten sich hier wirklich wie Mäuse oder Ratten, als sie vorsichtig auf das Deck des Schoners herunterspran gen.
Aber da war die Spindrift. Sie lag auf dem Deck, ein Gegenstand, der nicht hierhergehörte – vielleicht eine Boje. Sie wartete im Schatten der Reling, wartete dar auf, daß die Riesen sie untersuchten. Steve, Barry und Fitzhugh rannten über die Decksplanken auf das winzige Schiff zu. Die Luken waren verschlossen. Das Landegestell berührte den Boden nicht. Sie befand sich hier in genau der Lage, die sie im Dschungel so verzweifelt zu vermeiden ge sucht hatten. Sie lag auf der Seite. Man konnte sie nicht in Flugposition bringen, wenn das Landegestell nicht unten war. Sie konnte nicht starten, wenn ihr Bug nicht zum Himmel wies. »Dan«, sagte Steve in sein Funkgerät. Hier auf dem Schoner sprach er instinktiv leise. »Wir sind an Bord, ganz in eurer Nähe. Aber die Eingangsluke ist oben am Rumpf. Es wäre wahrscheinlich unklug, sie zu öffnen.« Dans Antwort kam sofort: »Ich glaube ihr könnt gar nichts ausrichten, wenn ihr hereinkommt. Und draußen könnt ihr auch nichts ausrich ten. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie wir starten sollen.« Die Welt unter ihren Füßen schien sich zu bewe gen. Steve taumelte. Barry mühte sich, nicht zu fallen. Fitzhugh stöhnte und hielt sich an etwas fest, das er nicht identifizieren konnte, das ihm aber Halt bot.
Der Schoner stampfte in den langen Wogen, die vom Meer hereinkamen. Jetzt schwankte der Schoner wieder zurück. Die Masten, die sich in einer Richtung vor dem Firmament bewegt hatten, würden sich jetzt wieder in der anderen Richtung bewegen. Die Spindrift rollte auf dem Deck des Schoners. Sie beschrieb etwa eine Vierteldrehung und kam dann an einem schweren Stück Holz zur Ruhe. In Wirklichkeit war das ein Belegnagel, den man hingelegt hatte, um eben dieses Rollen zu vermeiden. Aber man hatte ihn nicht befestigt. Bei jedem Rollen des Schoners stieß die Spindrift dagegen und schob ihn ein paar Zenti meter weiter. Und so konnte die Spindrift bei jedem Stampfen des Schoners etwas weiterrollen. Und am Ende würde sie Platz haben, um gegen die festen Ge genstände am Deck des Schoners zu prallen. Steve sah sich um. Das Deck war unordentlich und schmutzig. Es sah so aus, als würde es nie gereinigt, es sei denn, die See schlug darüber. Und die See hatte das in der Vergangenheit oft getan. An einem Luken deckel gab es eine Ansammlung von Gegenständen, die dabei liegengeblieben waren. Keiner hatte sich die Mühe gemacht, sie über Bord zu werfen. Steve ging darauf zu, kam dabei erneut ins Taumeln, als das Stampfen wieder begann. Trotzdem erreichte er den Haufen Abfall. Da wa ren undefinierbare Fetzen einer grünen trockenen
Masse. Vermutlich handelte es sich um ausgetrockne ten Seetang. Dann waren da Fischschuppen, einen halben Meter breit. Jemand hatte auf Deck einen Fisch gesäubert. Und außerdem gab es riesige Splitter, so als wäre einmal eine Holzkiste zerbrochen, und man hätte diese Fragmente liegenlassen. Er konnte das größte Stück bewegen und zerrte es über Deck und auf die Spindrift zu. Am Heck des Schiffes bewegte sich etwas schwar zes, Bösartiges, Steve erstarrte. Wieder bewegte das Ding sich. Es näherte sich – verstohlen der Stelle, an der Steve sich abmühte. Barry, der Chipper im Arm hielt, stand am Bug der Spindrift. Fitzhugh rieb sich über die Stirn. Eigenartigerweise hatte Fitzhugh mehr Angst als alle anderen seiner Leidensgenossen, aber er bemühte sich mannhaft, seine Angst zu unterdrük ken. Er hatte ein schreckliches Erlebnis in seinem Be ruf mitgemacht, das seine Nerven über Gebühr bean sprucht hatte. Das hatte zu einem Nervenzusammen bruch geführt, und er hätte sich erholen sollen. Zu dieser Erholung war es nie gekommen. Jetzt krallte sich seine Hand um Barrys Schulter. Er stöhnte und deutete zum Heck. Und dann arbeitete er sich auf Steve zu, in der Hand die einzige Waffe, die er besaß, eine Steinaxt. Chipper arbeitete wie wild, um sich aus Barrys Griff loszureißen. Der hielt ihn fest. Und Steve stand dem schwarzen Tier gegenüber,
das sich langsam und geschmeidig auf ihn zu beweg te. Aus einiger Entfernung betrachtet, paßte es in der Größe zu dem Schoner. Es war eine Schiffskatze, die man an Bord mitführte, um die Ratten zu beseitigen. Sie paßte genau ins Bild. Ihre Größe war ganz natür lich, solange man sie aus einiger Entfernung sah, aber je näher sie kam, desto mehr wuchs sie ins Giganti sche. Sie schien die Größe eines Elefanten zu haben. Immer näher kam sie Steve, der auf dem nackten Deck kauerte, als böte es ihm Deckung. Dabei war hier alles vom Mondlicht hell erleuchtet. Vergleichsweise wirkte Steve winzig. Er sah aus wie die Puppe eines kleinen Kindes, eine Puppe, die sich erstaunlicherweise bewegen konnte. Er hob das Holzstück, das er geschleppt hatte hoch und benutzte es als Schild. Die Katze würde zuerst das Holz und dann erst Steve erreichen, wenn sie sprang. Sie war inzwischen ganz nahe gekommen. Vom Ufer drangen Schreie und andere Geräusche herüber. Die Riesen taten dort irgend etwas oder rie fen einander zu. Hätte Steve es sehen können, so hät te er etwas ganz eigenartiges erblickt. Aber ihn be schäftigten jetzt andere Dinge. Er hatte seine Steinaxt nicht, weil er nicht damit gerechnet hatte, auf dem Schoner eine Katze vorzufinden. Er hatte geglaubt, auf dem Schiff der Riesen nicht von kolossalen Insek
ten bedroht zu werden – und mit einem Riesen zu kämpfen wäre so selbstmörderisch gewesen, daß es schon beinahe wieder lächerlich war. Aber Fitzhugh schien gar nichts Lächerliches dabei zu finden, gegen eine Schiffskatze von solch unglaublicher Größe und Wildheit zu kämpfen. Jetzt war er neben Steve angelangt. »Da bin ich«, stieß er gequält hervor. »Was machen wir jetzt?« »Was wir können«, antwortete Steve. Er griff in die Tasche und holte die einzige Waffe heraus, mit der die Spindrift ausgerüstet war. Das war ein Revolver und der war dazu bestimmt, wahnsin nige oder fanatische Passagiere davon abzuhalten, das Schiff zu entführen. Eine Katze von solch mon strösen Ausmaßen konnte man damit nicht töten. Nicht einmal ernsthafte Wunden konnte man ihr zu fügen. Nur Nadelstiche. Die Katze kam immer noch auf Steve zugekrochen und ihr Schwanz wippte von einer Seite zur anderen. Geduckt und an den Boden gepreßt, so wie ein Raub tier im Dschungel kam sie näher. Jetzt schickte sie sich zum Sprung an. Steve hob den Revolver auf. Er zielte sehr sorgfältig. Dann drückte er ab. Die Waffe bellte. Die Katze zuckte zu sammen und ging mit allen vieren gleichzeitig in die Höhe. Eine 38er Kugel konnte einem Riesenwesen keine schlimmere Wunde als eine Nadel im Fleisch
eines Tieres von irdischer Größe verursachen. Aber wenn man auf der Erde einer Katze in die empfindli che Nase schoß, so war das etwas völlig anderes. Die Katze floh quietschend, denn Katzen gehören zu den wenigen Fleischfressern, die ihre Beute im Stich las sen, wenn diese Beute sich wehrt. Einmal blieb sie stehen und wischte sich mit der Vorderpfote über die Nase, dann sprang sie in die Takelage und kletterte verängstigt dem Himmel entgegen. »Es könnte sein, daß wir mit diesem Schluß uns ei nen Riesen an den Hals gelockt haben«, sagte Steve. »Kommt!« Er rannte auf die Spindrift zu und zerrte Fitzhugh hinter sich her. Jetzt kam Barry um den Bug der Spindrift herumge rannt. »Ein Riese kommt an Deck«, stieß er hervor. Steve nickte. Man hatte wahrscheinlich den Revolver schuß unter Deck gehört, bestimmt aber nicht mit der Lautstärke, mit der die drei Menschen ihn empfun den hatten. Trotzdem kam ein Riese herauf, um nachzusehen. Eine Gestalt näherte sich von der Achterkabine des Schoners. Sie sahen den Riesen deutlich im Licht der Kabine. Er war ungepflegt, haarig und riesig. Das Haar fiel ihm in einer an ein Gewirr von Seilen erin nernden Masse über den Hals. Er hatte einen Bart, und das Kleidungsstück, das er anstelle eines Hem
des trug, war ausgefranst und beinahe bis zum Gürtel offen. Man konnte deutlich seinen haarigen Brustka sten sehen. Er blinzelte wegen der Finsternis. Dann sah er sich uninteressiert an Deck um und spähte dann zum Ufer hinüber. Er legte beide Hände an den Mund und brüllte. Eine schwache dröhnende Stimme antwortete. Der Riese grinste. Und dann sprach er mit polternder Stimme zu dem anderen Riesen an Bord. Er ging wieder hinunter, wobei er unwillkürlich die rollen den und stampfenden Bewegungen des Schoners ausglich. »Jetzt machen wir uns an die Arbeit«, erklärte Ste ve. Er ging wieder zu dem Holzsplitter zurück, den er wegen der Katze hatte fallen lassen und zerrte ihn zur Spindrift. Jetzt war wieder der Zeitpunkt gekommen, an dem das Suborbitalschiff zur Seite kippte und wie ein rollender Eimer gegen die Reling krachte. Steve zwängte den Holzsplitter so ein, daß er es aufhielt. Und das gelang auch. Und dann rannte er schnell zur anderen Seite und zerrte die Belegnadel ein kurzes Stück zurück. Als der Schoner wieder stampfte, rollte die Spindrift etwas weiter und kam erst dann zum Stillstand. Jetzt hetzte er wieder zu dem Holzsplitter an der Relingseite der Spindrift zu rück und so kam es, daß sie beim Rückrollen wieder eine kürzere Strecke zurücklegte. Steve benutzte die
Stampfbewegungen des Schoners, um die Spindrift von der Reling wegrollen zu lassen, auf eine Decks fläche zu, wo sie sich frei bewegen konnte. Damit wollte er sie unter Kontrolle bringen. Und jetzt lag sie mit dem ›Bauch‹ nach unten. »Dan«, sagte Steve, »sieh zu, ob du die Landebeine ausfahren kannst.« Und jetzt kam Dans Stimme und in ihr mischten sich Verzweiflung und Hoffnung: »Aber der Schoner stampft so, daß wir umkippen, wenn wir den Bug in Start position bringen!« »Ich weiß«, nickte Steve, »wir sind unserem Plan etwas voraus, aber wir mußten das riskieren.« Die Landebeine bewegten sich. Jetzt berührten sie das Deck. Damit wurde verhindert, daß die Spindrift weiterrollte, wenn der Schoner erneut stampfte. Und jetzt konnten sie bloß warten. In der Takelage des Schoners ächzte es. Hoch oben im Tauwerk kratz te sich die Schiffskatze immer noch an der Nase. In der Kabine waren die beiden Riesen und taten das, was auch immer zwei Riesen auf Ankerwache eben taten. An Land gingen die gelandeten Riesen den Ge schäften nach, deretwegen sie hierhergekommen wa ren. Sie warteten am Ufer. Inzwischen hatten sie Fak keln angezündet. Die Wellen brachen sich am Land und glühten in der Phosphoreszenz der tropischen
Brandung. Der Himmel war voll von Sternen und die Zwillingsmonde leuchteten hell. Und wo die Brecher schimmernd über den flachen Sand hetzten, kamen ebenfalls glühende riesige Gegenstände, schwerfällig heran. Das ganze Meer glühte natürlich, und zwar besonders hell an den Stellen, wo es sich am Ufer brach. Aber jetzt tauchten noch heller phosphoreszie rende Flächen auf. Eine davon erreichte das Ufer. Sie kam auf den Strand zu, wurde deutlich sichtbar. Langsam schob sich etwas wahrhaft monströses an Land. Es war beinahe genauso lang wie die Riesen groß waren. Es war breit, halb so breit wie lang, viel leicht sogar noch breiter. Langsam und träge schob es sich ans Ufer. Es war eine Meerschildkröte. Ihre Beine waren drei Meter dick. Ihr Hals noch dicker. Der Kopf war meh rere Meter lang und hatte einen Umfang von Dut zenden von Metern. Schwerfällig, träge und in ihren Bewegungen gleichsam erschöpft wirkend kroch sie über den Sand. Und weiter unten am Strand kroch ein zweites Monstrum aus der See. Es war genauso undenkbar riesig. Und jetzt tauchten unter den Wellen immer weitere leuchtende Flecken auf. Sie alle kamen mit derselben, scheinbar erschöpft wirkenden Trägheit ans Ufer. Fackeln flammten auf. Jetzt traten die Riesen in Ak
tion. Ebenso wie auf der Erde gab es auch in den Meeren dieses Planeten Seeschildkröten. Und ebenso wie auf der Erde kamen sie auch hier an bestimmten fernen Stränden zu sehr bestimmten Zeiten an Land, um tiefere Löcher in den Sand zu wühlen und dort ihren ledernen Eier abzulegen. Und ebenso wie auf der Erde gab es Menschen oder menschenähnliche Wesen, die sich diese Zeiten notierten und kamen, um die Schildkröten einzufangen, wenn sich dazu die Gelegenheit bot. Der Schoner war ein Schildkrötenfänger. Die Rie sen an Land trugen Fackeln. Sie hüllten die riesigen Tiere in Licht, so daß es ganz einfach war, sie einzu fangen. Die Riesen brauchten sie bloß auf den Rücken zu drehen. Jetzt konnten die Schildkröten sich nicht mehr wehren. Sie konnten nur versuchen, ihren Wi dersachern zu entfliehen, ehe man sie umkippte und damit völlig hilflos machte. Einige der Schildkröten wurden bereits gefangen, als sie mit der Brandung an Land gingen. Andere wurden dabei gestört, als sie die riesigen Höhlen aushoben, in denen sie ihre Eier ablegen wollten. Wenigstens zwei legten sie, gerade als die Riesen sie erreichten. Und dann war die ganze Welle von Meerschildkrö ten, die in dieser Nacht ihre Eier legen wollten an Land. Die meisten hatte man auf den Rücken gedreht
und jetzt lagen sie hilflos da und fuchtelten nutzlos mit ihren schwerfälligen Flossen herum und drehten nutzlos die Köpfe. Und dann begann der zweite Teil des Unterneh mens. Die Boote des Schoners waren an Land. Die Riesen schleppten ihre Opfer zu den Booten. Sie be luden eines, und es machte sich auf den Weg zum Schoner. Dann beluden sie das zweite und schoben es in die Bucht hinaus. Am Ufer lagen noch Schildkrö ten, in absurder Weise hilflose Monstren, dem Ver derben geweiht, weil sie ihre Lage nicht verändern konnten, weil sie auf dem Rücken lagen. Steve und die anderen sahen, wie die Boote mit der Beute herankamen. Sie hörten wie die Besatzung der Boote rief. Und die Riesen von der Ankerwache ka men herauf und ließen ein Seil hinunter, und dann kam eine hilflose Schildkröte, die man an einer Flosse festgebunden hatte über die Reling und wurde in eine bereits offenstehende Luke geworfen. Eine zweite Schildkröte schwebte hoch und stürzte in den Bauch des Schoners. Und dann waren unten im Frachtraum des Schoners ein Kratzen und Scharren zu hören. Ei nige der Schildkröten standen jetzt wieder auf ihren Beinen und krochen schwerfällig über ihre Leidens genossen, um einen Fluchtweg zu suchen. Aber es gab keinen. Die Boote fuhren wieder an Land. Die beiden zu
rückgebliebenen Wachen gingen hinunter. Langes, langes Warten und eine zweite Ladung schwerfällig zappelnder Gefangener. Die Spindrift lag unverändert an Deck. Sie war jetzt aufrecht in dem Sinne, daß ihr Kiel dem Deck am nächsten war, und daß ihre Lan destützen ausgefahren waren. Aber der Schoner stand nicht still. Er tanzte immer noch rhythmisch in den Wogen, die von irgendwoher kamen. Aber die Richtung veränderte sich immer wieder. Die Flut, schwach wie sie war, hatte doch eine Wirkung auf das vor Anker liegende Schiff. Wind gab es praktisch keinen. Der Schoner war nahezu parallel zum Ufer gelegen. Jetzt wies sein Bug ins Meer hinaus. Und er rollte auch nicht mehr von Seite zu Seite, sondern senkte sich rhythmisch in Richtung vom Bug zum Heck. Steve gab Barry das Funkgerät. »Bleib mit Dan in Verbindung«, befahl er. »Ich möchte das Floß nicht zurücklassen, sonst finden es die Riesen.« Er ging über Deck, schob sich durch die Klöse und kletterte über die Kette hinunter. Dort machte er das Schlauchboot los und wollte es gerade treiben lassen als ihm ein anderer Gedanke kam. Er wollte nicht, daß die Riesen irgend etwas über die Spindrift oder ihre Besatzung und Passagiere erfuhren. Er hatte ge hofft, sie überzeugen zu könne, daß das kleine Schiff
diesen Planeten verlassen hatte. Und wenn das mög lich gewesen wäre, hätte er das bestimmt auch getan! Aber er wollte nicht, daß die Riesen irgend etwas Si cheres erfuhren. Also stach er mit dem Taschenmes ser in das Schlauchboot und zerrte es, als die meiste Luft entwichen war, hinter sich die Kette hinauf, stopfte es durch die Klöse und kletterte dahinter her. Auf dem Weg zur Spindrift hatte er manchmal den Eindruck eine leicht ansteigende Rampe hinaufzuge hen. Einmal blieb er stehen, um ein herunterhängen des Seil zu beobachten. Es bewegte sich nahezu paral lel zu den Fugen in den Eckplanken. Das Schiff hob und senkte sich jetzt genau in der Richtung, die er sich gewünscht hatte, seit er die Spindrift wieder auf den Landebeinen stehen sah. Jetzt stand er neben Barry. »Sag Dan, daß er uns hineinlassen soll«, befahl er. »Es scheint, daß wir jetzt starten können.« Er zerrte das Gummifloß zur Ausstiegsluke der Spindrift. Die Luke öffnete sich. Die Landetreppe schob sich schwerfällig heraus, richtete sich gerade und berührte mit einem Ruck die Decksplanken. Ste ve drängte Fitzhugh einzusteigen. Dann Barry. Das formlose Schlauchboot hinter sich herzerrend, kletter te er selbst hinauf. Dan schüttelte ihm ziemlich über flüssigerweise die Hand. Dan hatte seine Sache natür lich nicht schlecht gemacht, war aber froh, Steve wie
der an Bord zu haben, so daß dieser das Kommando übernehmen konnte. Betty berührte Steves Arm. »Ich bin schrecklich froh, Steve!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht!« Und das war natürlich absurd, denn die Insassen der Spindrift hatten sich in einer mindestens ebenso gefährlichen Situation wie sie draußen befunden. »Wir werden jetzt versuchen zu starten«, sagte Ste ve. »Dann können wir reden.« Er ging in die Steuerkanzel, während die Treppe eingezogen wurde und die Ausstiegsluke sich schloß. Dann nahm er auf dem Sessel des Piloten Platz und musterte prüfend seine Instrumente. Dan nahm sei nen Platz ein und schaltete sein Funkgerät auf Emp fang. Ein schwankendes, pfeifendes Geräusch war zu hö ren. Auf und ab und auf und ab ging es. Es veränder te dauernd die Tonart, hatte aber keinerlei Ähnlich keit mit Musik. Steve hatte das Gefühl, daß das Ge räusch lauter geworden war als seinerzeit bei Son nenaufgang – vor vielen, vielen endlosen Stunden. »Schalt ab, Dan«, sagte er. »Wir müssen uns jetzt konzentrieren.« Er betätigte den Schalter für die Landestützen. Ein leises murmelndes Geräusch wurde hörbar. Das Schiff regte sich. Der Schoner kippte nach vorn, fiel wieder zurück, legte sich heckwärts und richtete sich
wieder auf. Das Schiff hob seinen Bug über die Reling des Schoners. Höher und höher. Es folgte den Bewe gungen des Schoners, legte sich aber nicht mehr zur Seite. Und dann drückte Steve plötzlich auf den Start knopf. Das Schiff fiel dem Himmel entgegen. »Jetzt«, sagte Steve nur wenige Sekunden später. »Jetzt liegt die Gefahr hinter uns!« Und damit beging er einen großen Irrtum. Von den beiden Riesen unter Deck gab es keine Re aktion, keinen Alarm. Die Spindrift fiel völlig ge räuschlos nach oben, wich geschickt der Takelage des Schoners aus und jagte leise, aber sehr schnell dem Himmel entgegen. Der Schoner blieb zurück, schrumpfte schnell auf die scheinbare Größe eines Spielzeugs zusammen. Die Bucht zog sich zusammen. Jetzt sah man die Insel bereits von einem Ende bis zum anderen, und die Brandung markierte die Gren ze zwischen Land und Meer. Die Spindrift schob sich durch einen Wolkenfetzen und dahinter schimmerten grell die Sterne des Him mels. Die Zwillingsmonde verströmten ihr bleiches Licht. Alles schien einwandfrei zu funktionieren. Al les schien genau so abzulaufen, wie Steve es sich wünschte. Immer weiter empor zog die Spindrift. Die Erleichterung, den Riesen des Schoners entkommen zu sein war so groß, daß niemand das schwache zi
schende Geräusch, das von irgendwoher kam, be merkte. Normalerweise war Steve, wie alle erfolgreichen Anführer bei jedem beliebigen Unternehmen, ein Pes simist. Er rechnete gewohnheitsmäßig damit, daß Unangenehmes geschah. Es war Teil seiner Pflicht als Anführer, solche Ereignisse vorherzusehen und sich auf sie vorzubereiten. Aber die Spindrift war soeben der schlimmsten aller denkbaren Katastrophen ent gangen. Er war ebenso erleichtert wie alle anderen. Das Schiff war in Sicherheit. Ihre Energieeinheiten waren voll geladen und unter ihnen lag der ganze Planet, den man nach einem geeigneten Zufluchtsort absuchen konnte. Also gab auch Steve sich ganz sei ner Erleichterung hin. Aber da war dieses leise Zischen. Niemand be merkte es. Es war auf die Lage zurückzuführen, in der die Spindrift sich soeben noch befunden hatte. Als Steve und Barry und Fitzhugh an Bord des Schoners gekommen waren, lag das Suborbitalschiff praktisch um hundertachtzig Grad verdreht auf dem Deck. Und bei jeder Roll- und Stampfbewegung des Scho ners in der Brandung rollte die Spindrift hin und zu rück. Und bei jedem Rollen stießen sie gegen die Re ling des Schiffes, rollte dann wieder zurück und stieß gegen eine riesige Belegnadel, die man hingelegt hat te, um zu vermeiden, daß sie weiterrollte. Steve hatte
die Belegnadel weggezerrt, so daß die Spindrift mit der Zeit wieder in die Normallage zurückgefunden hatte. Und dann waren sie gestartet. Anders war es nicht möglich gewesen. Aber die Stöße, die sie dabei erlitten hatte, waren ziemlich heftig gewesen. Sie hat ten einen Riß in der Bordwand erzeugt. Eine Schweißnaht war aufgegangen. Und als die Spindrift startete, war da ein Leck entstanden. Und durch das Leck war Luft entwichen. Und dann war ein Zischen daraus geworden, das keiner bemerkte. Und so ließ mit der Zeit der Luftdruck deutlich nach. Die Luft wurde so dünn, wie man sie in dreitausend Meter Höhe vorfindet. Und sie wurde immer noch dünner. Und noch etwas später atmeten die Insassen Luft, die genausowenig Substanz hatte wie man sie in fünftau send Meter Höhe hat. Sie spürten keinerlei Symptome von Sauerstoffmangel. Man spürt das nicht. Aber sie brauchten Sauerstoff – merkten es aber nicht. Es gab natürlich ein Instrument, das den Innen druck überwachte. Ein ganz einfaches Instrument – ein Barometer, das niedrigen Druck anzeigte und warnte, ehe es wirklich gefährlich wurde, ein Gerät, auf das normalerweise hundertprozentiger Verlaß war. Weder Steve noch Dan achteten üblicherweise darauf. Aber heute war es hängengeblieben. Es war kein schlimmer Defekt, aber die Luft im Schiffsinne ren war sehr dünn, ehe die Barometernadel sich löste
und wieder anzeigte. Und dann meldete es die Ge fahr. Ein auffälliges rotes Lichtblitze auf. Das war die Warnung. Eine Glocke schlug laut an. Erst jetzt erkannte Steve, daß er nicht ganz bei der Sache gewesen war. Die Glocke riß ihn aus seiner Apathie. Er blickte auf das Instrumentenbrett. Und im gleichen Augenblick war er hellwach. Das Baro meter zeigte an, daß die Luft im Schiff etwa einer Höhe von sechstausend Metern entsprach. Viele Leu te brauchen bereits bei fünftausend Meter Höhe zu sätzlichen Sauerstoff, um das Bewußtsein zu behal ten. Aber in sechstausend Meter Höhe kann niemand unbeschränkt bei Bewußtsein bleiben. »Dan!« stieß Steve hervor. »Luftleck!« Ein tiefer mühsamer Atemzug. »Dan!« Wieder ein tiefer Atem zug. Er riß das Schiff herum, so daß der Bug nach unten und das Heck nach oben zeigte. Es raste immer noch seinem Trägheitsmoment folgend nach oben, aber jetzt, da es das Heck in Fahrtrichtung hatte, war der Luftwiderstand größer. Das kleine Schiff zitterte und stampfte. Steve sah, daß Dan die Besinnung verloren hatte und jetzt von den Schlingerbewegungen des Schiffs herumgeworfen wurde. Aber er konnte ihm nicht hel fen. Er mußte jetzt seine ganze Kraft daran setzen,
das Schiff wieder in seine Gewalt zu bekommen und mußte das einzige tun, was einem in so dünner Luft zu tun übrigblieb. Er sog seine Lungen voll von dem dünnen Luftgemisch und mühte sich ab, die Luft stoßweise wieder abzugeben. Damit kann man den Luftdruck in seinen Lungen etwas erhöhen. Man muß sich allerdings seiner Lage völlig bewußt bleiben, denn normalerweise vergißt man das Atmen, wenn man wegen Sauerstoffmangel bewußtlos wird. Steve stöhnte, während die Spindrift wie wild schlingerte. Er mußte an Betty denken, die dort hinten in der Passagierkabine saß. Zweifellos wurde sie genauso wie Dan herumgeworfen. Sie war natürlich ange schnallt aber sicher ebenso bewußtlos wie Dan. Sie war in der gleichen Lebensgefahr. Und auch die an deren Passagiere wurden in ihren Anschnallgurten herumgeworfen. Das Taumeln, Schlingern und Stampfen des Schiffes hielt an. Eine ihm endlos erscheinende Zeit kämpfte Steve dagegen an. Es schien Jahre zu dauern bis die Bewe gungen etwas ruhiger wurden und er wußte, daß das Schiff wieder atembarer Luft entgegentauchte, der In sel zu, die sie nie mehr hatten sehen wollen. Das rote Licht des Sauerstoffalarms blitzte immer noch auf, und die Glocke schrillte, aber die Spindrift war jetzt in Sturzflug übergegangen und die Schwerkraft und ihr eigener Antrieb arbeiteten gemeinsam daran, sie wie
der zu Boden zu zwingen. Sie stürzte schneller als ein fallender Stein. Schließlich verstummte die Glocke und auch das rote Licht verblaßte, flammte noch einmal auf und verschwand dann. Luft kam durch das Leck ins Schiff. Zwölf bis fünfzehnhundert Meter über dem Boden riß Steve die Spindrift aus ihrem Sturzflug heraus. Das war nicht leicht. Wieder mußte er mit dem Steuer kämpfen. Er durfte jetzt nicht die Besinnung verlie ren. Und dann hatte er es geschafft. Sie fegte über die Baumgipfel der Insel dahin. Sie waren schrecklich nahe. Dan regte sich. Da war immer noch ein leises Zi schen zu hören. Luft strömte durch das Leck, aber ins Schiff und nicht hinaus. Und dann verstummte es ganz. Dan schlug die Augen auf. Benommen stieß er hervor: »Was – was ist geschehen, Steve? Vor einer Minute –« »Nimm das Steuer«, sagte Steve drängend. »Schaffst du das?« Dan fuhr sich mit der Hand über die Augen. Und dann stieß er hervor: »Klar! Mir fehlt nichts. Warum nicht?« »Übernimm«, sagte Steve. Er hatte bereits sein Gurtschloß gelöst und ver schwand in der Passagierkabine, wo Betty war. Dort hinten herrschte eigenartig benommene Ruhe.
Nur Chipper war nicht angeschnallt gewesen, aber Barry hatte ihn fest an sich gepreßt gehalten, bis er die Besinnung verlor. Chipper war herumgeworfen worden, aber er hatte ebenso wie Barry die Besin nung verloren, und sein geringes Gewicht hatte dazu beigetragen, daß er nicht verletzt worden war. Jetzt winselte er, bettelte Barry, ihn aufzuheben, ihn in Si cherheit zu bringen. Valerie starrte Steve böse an, als er eintrat. Wilson schob sich die Brille zurecht. Er war durcheinander, sagte aber nichts. Auch Fitzhugh war bereits wieder bei Bewußtsein. Doch Steve achtete auf keinen, er hatte jetzt nur Augen für Betty. Sie sah sei nen besorgten Gesichtsausdruck und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Er schluckte. Dann riß er sich zusammen und übernahm wieder das Komman do – über sich selbst, die Spindrift und ihre Insassen. »Ich muß Ihnen mitteilen«, sagte er, »daß wir in ei ne unangenehme Lage geraten sind. Unser Rumpf ist undicht geworden. Wir müssen in geringer Höhe fliegen, bis wir irgendwo landen, das Leck finden und es beseitigen können. Das ist dringend erforder lich.« »Wir – wir waren ohne Besinnung, nicht wahr?« fragte Fitzhugh mit eigenartiger Stimme. »Ja«, nickte Steve. »Anoxie. Das Anzeigegerät hat versagt, und so haben wir nicht bemerkt, daß die Luft zu dünn wurde. Als wir es schließlich feststellten,
sind wir sofort tiefer gegangen und alles war wieder in Ordnung.« Aber Fitzhugh ließ nicht locker: »Wir wären also gestorben, wenn man es nicht entdeckt hätte, oder?« »Möglich.« »Ich meine wir hätten sterben können, ohne es zu bemerken!« Steve nickte und Fitzhugh sagte eindringlich: »Dann braucht man vor dem Sterben gar keine Angst zu haben! Erstaunlich!« Steve zuckte die Achseln. Zwischen dem Sterben und dem Tod ist ein großer Unterschied. Die meisten Menschen sind in der Lage, dem Sterben mutig ent gegenzusehen, vermögen es aber nicht, an den Tod zu denken. Bei Fitzhugh war es genau umgekehrt. Steve sah wieder Betty an. Er war ungeheuer er leichtert, daß ihr nichts zugestoßen war. Als Steve wieder das Cockpit betrat hatte Dan zwar das Steuer in der Hand, war aber immer noch verblüfft. »Du hast gesagt, ich soll das Steuer übernehmen, aber nicht, was ich tun soll! Was hast du denn vor?« »Eine Landung«, sagte Steve. »Und dann Reparatu ren. Und dabei ist mir Himmelangst, daß die Riesen hier auftauchen, ehe wir wieder verschwinden kön nen. Und daß sie sich bis dahin ein paar neue Tricks ausgedacht haben.« »Wo landen wir?«
»Auf der Insel, die wir gerade verlassen haben«, erklärte Steve. »Mit dem Leck können wir nicht ge nügend hoch fliegen, ohne Luft zu verlieren. Und tief – und schnell – können wir auch nicht fliegen, sonst wird unser Rumpf zu heiß. Und außerdem verbrau chen wir auf diese Weise siebenmal so viel Energie. Also landen wir an einem Strand und sehen zu, was sich mit dem Leck machen läßt.« Er übernahm das Steuer. Dan nickte und lehnte sich zurück. Aber dann wandte er sich gleichsam in stinktiv wieder dem Funkgerät zu und suchte zum zehnten, vielleicht auch zum zwanzigsten Mal das elektromagnetische Spektrum ab. »Du bist ziemlich sicher, daß die Riesen etwas aus hecken, um uns fertigzumachen«, sagte er dann. »Allerdings«, räumte Steve ein. Er blickte zu den vorderen Luken hinaus auf die Insel, die sie vor so kurzer Zeit erst verlassen hatten. In ihrem Sturzflug hatte die Spindrift die Bucht und den Schoner der Riesen weit hinter sich gelassen. Au ßerdem war es Nacht. Sie flog in höchstens eintau send Meter Höhe und das ganze Meer war wie ein riesiger Spiegel, in dem sich die beiden Monde in all ihrer Helligkeit tausendfach brachen. Und dann gab es auch Wolken am Himmel, die im Mondlicht Schat ten auf die Wasserfläche warfen, die ebenfalls wie In seln aussahen.
Weit hinten am Horizont tauchte die wirkliche In sel auf. Dan suchte weithin nach Signalen. Ganz schwach und sehr entfernt waren Störungen zu hö ren, aber sonst nichts. Jetzt lag die Insel unmittelbar vor der Spindrift. Sie gingen tiefer und näherten sich dem Strand, der überall dort phosphoreszierend leuchtete, wo die Brandung sich an ihm brach. Steve schien zufrieden. Er ging noch tiefer und sah sich um. Und dann befahl er: »Bitte alles anschnallen! Wir landen.« Wenige Minuten später kippte er den Bug der Ma schine hoch und senkte sie dann langsam auf ihre Schwanzflossen. Sie kamen zum Stillstand. Vorsichtig ließ Steve den Bug nach vorn sinken, bis sie parallel zum Strand dalagen. Zu ihrer Rechten ragten mächti ge Bäume in den Himmel. Von irgendwo drängte die nicht endenwollende Brandung herein und lief sich auf dem weißen nassen Sand zu Tode. Steve stand auf. »Wir haben eine Menge Energie verbraucht«, stellte er fest. »Wir schalten jetzt die Energieeinheiten auf Laden, und ich sehe mir einmal den Rumpf von draußen an. Ich möchte wissen, wie übel unsere Lage ist.« »Wir gehen am besten beide hinaus«, sagte Dan und schnallte sich los. »Bleib sitzen«, befahl Steve verärgert. »Überleg' doch!« Er ging zur Schiebetür und blieb dort noch
einmal stehen. »Wir wollten die Riesen davon über zeugen, daß wir verschwunden waren. Nachdem wir jetzt das Funkgerät und unseren Antrieb mehrfach benutzt haben, haben uns die selbstverständlich geor tet und wissen ziemlich genau, wo wir sind.« »Aber wir sind doch weit von ihnen entfernt«, sag te Dan. »Was können sie uns denn hier anhaben?« »Versetz dich doch in ihre Lage«, meinte Steve spöttisch, »dann weißt du es selbst. Angenommen ein gefährliches fremdes Schiff wäre auf der Erde er schienen. Aus irgendeinem Grund – und die Riesen haben wirklich gute Gründe dafür – könnten wir kei ne Flugzeuge benutzen. Was würden wir also einset zen?« Dan blieb der Mund offenstehen, und dann fragte er mit geradezu schmerzverzerrtem Gesicht. »Rake ten?« »Das nehme ich auch an«, nickte Steve. »Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar. Bleib also hier und paß auf!« Er ging hinaus. Dan hörte wie der Motor der Lan deluke summte. Er schob sich die Treppe hinaus. Er hörte, wie Steve Wilson aufforderte, an der Tür ste henzubleiben und sie zu schließen, falls er nicht zu rückkommen könnte. Dan furchte die Stirn. Dann drehte er den Ab stimmknopf des Funkgeräts und suchte erneut ange
spannt sämtliche Wellenlängen ab, die das Gerät empfangen konnte. Unterdessen untersuchte Steve draußen auf dem Korallenstrand den vom Mondlicht beschienenen Rumpf der Spindrift. Zunächst war nirgends ein Schaden zu sehen. Man mußte auch genau hinsehen, um in der spiegelglatten Schiffswand etwas zu fin den. Und was er dann fand schien ganz unbedeu tend. Es gab eine fünf bis acht Zentimeter lange und vielleicht einen Zentimeter tiefe Delle. Die Schweiß naht zwischen zwei Platten war aufgesprungen und hatte das Leck erzeugt. Das schien ganz und gar nicht gefährlich, und doch war die Spindrift, solange sie hier lag, praktisch bewegungsunfähig. Genau die Ei genschaften, die sie brauchte, um den Riesen zu ent fliehen, falls sie sie entdeckten, fehlten ihr jetzt. Und das besonders Unangenehme war, daß es hundert Möglichkeiten gab, um das Leck zu dichten, bloß daß weder das Material noch die Werkzeuge da für zur Verfügung standen. Steve kalkulierte grim mig, daß dieser kleine Riß bedeutete, daß das Schiff jetzt nur mehr in geringer Höhe und mit geringer Ge schwindigkeit fliegen konnte und einen Aktionsradi us von höchstens zwei Stunden hatte anstatt der acht, die ihr normalerweise bei voller Ladung der Energie einheiten zur Verfügung standen. Er ging zur Landetreppe zurück und kletterte ins
Schiff. Dann betätigte er den Schalter, der die Treppe zusammenklappte, ins Schiff zurückzog und die Luke schloß. Nur Marjorie, Fitzhugh und Betty befanden sich in der Passagierkabine. Im Cockpit drängten sich Wilson, Valerie und Barry und lauschten gebannt den Geräuschen, die aus dem Funkgerät kamen. Schwa che Störtöne waren zu hören, sonst nichts. »Was geht hier vor?« wollte Steve wissen. »Eine Sendung der Riesen«, sagte Dan benommen. »Sie hat aufgehört, aber wir haben einen Teil davon aufgezeichnet. Wilson hatte einen Recorder in seinem Gepäck. Ich habe die Sendung empfangen und geru fen, daß jemand herkommen soll, um mitzuhören. Die Sendung wurde einige Male wiederholt. Und da zwischen waren Pausen. Wilson hat dann seinen Re corder geholt, und wir haben den größten Teil der letzten Sendung aufgenommen.« »Das möchte ich hören«, meinte Steve. Wilsons Recorder lehnte am Instrumentenbrett. Er schaltete das Gerät ein. Als Astronom pflegte er an seinem Fernrohr sitzend Beobachtungen zu diktieren, um seine Aufmerksamkeit nicht von seinem Beobach tungsobjekt abwenden zu müssen. Zuerst war nur ein Knattern zu hören. Und dann kamen tiefe, gutturale Baßlaute. Man konnte sich zunächst nicht vorstellen, daß es sich um Worte handeln sollte. Und doch schien es eine Stimme zu sein.
»Lassen Sie das Band schneller laufen«, befahl Ste ve, »vielleicht verstehen wir dann etwas.« Wilson gehorchte. Die Geräusche wurden höher. Und dann kamen normale Worte, immer noch sehr tief, aber verständlich. Sie dröhnten: »Mayday – y–y–y ... Spindrift – t–t–t– ruft alle Erd schiffe –e–e–e –« »Das ist deine Stimme, Dan«, sagte Steve völlig ausdruckslos. »Die haben vor langer Zeit einen unse rer Notrufe aufgenommen. Die können also mit Ra dio umgehen, wenn sie es auch normalerweise nicht benutzen. Ich fürchte, die haben sogar Radar! Wollen wir wetten?« Wilson meinte voll Hoffnung: »Vielleicht versu chen sie mit uns in Verbindung zu treten. Da ist na türlich das Sprachproblem, aber –« Barry platzte heraus: »Die wollen bloß, daß wir ih nen verraten, wo wir sind! Ich habe einmal eine Science-Fiction-Geschichte gelesen. Die wollen uns bloß veranlassen, daß wir Signale abgeben, die sie dann anpeilen können.« »Stimmt«, nickte Steve grimmig. »Beide Vermu tungen mögen zutreffen. Aber wir können uns ein fach nicht leisten, das Risiko einer Antwort einzuge hen. Wir müssen etwas gegen das Leck in unserer Schiffswand unternehmen. Und dann nehmen wir den Köder vielleicht an.« Er hielt inne. »Im Augen
blick müssen wir warten, bis es Tag wird. Jemand muß weiterhin den Funkverkehr überwachen. Wir anderen können versuchen, etwas Schlaf zu finden. Das ist jetzt dringend nötig.« Aber zuerst ging er noch in die Passagierkabine zu rück und versuchte abzuschätzen, wo sich das Leck befand. Er löste einen Teil der Wandvertäfelung und entfernte die Wärmeisolierung. Jetzt sah er die Delle und den Riß, die sie beinahe in fünftausend Meter Höhe über diesem Planeten zum Tod verurteilt hät ten. Von innen gesehen war die Delle natürlich keine Delle, sondern ein Wulst. Mit einem Hammer konnte man ihn glätten und den Riß beinahe schließen, aber eben nur beinahe. Man brauchte etwas mehr Werk zeug als eine Steinaxt, um diese Reparatur durchzu führen. Und Steinäxte waren die einzigen Werkzeu ge, die zur Verfügung standen. Steve ging wieder in das Cockpit zurück. Sein Vor schlag, etwas zu schlafen, wurde allgemein aufge nommen. Wilson war der erste, der in die Passagierkabine zurückging. Die anderen folgten ihm. Betty drehte sich unter der Türe noch einmal um, um Steve zuver sichtlich zuzulächeln. Dann ging sie weiter. Die ande ren folgten Steves Vorschlag. Das Ganze wirkte wie eine Disziplin. In Wirklichkeit aber war es Vertrauen.
Steve hatte – so schien es wenigstens – in allen Ent scheidungen, die er bisher getroffen hatte, recht ge habt. Man hatte sich angewöhnt, seine Entscheidun gen für richtig zu halten. Er fand das eher irritierend. Das legte die ganze Verantwortung auf seine Schultern. Das verlangte von ihm, daß er unfehlbar war. Und er selbst hatte gar nicht so viel Vertrauen zu sich selbst. Sehr bald herrschte Stille im Schiff. Niemand außer ihm schien sich Sorgen zu machen, und deshalb fiel diese ganze Last Steve allein zu. Er saß im Pilotensitz und versuchte sich zu entspannen, aber das war un möglich. Erneut überdachte er verzweifelt all das, was er über die Riesen wußte oder zu wissen glaubte. Er ertappte sich dabei, wie er alles in Zweifel zog, was er sicher zu wissen glaubte – so zum Beispiel, daß die Riesen ihre Energie von den Monden bezo gen, daß der Einsatz von Radio die Energieübertra gung störte ... all diese Dinge schienen ihm keines wegs sicher und dennoch hatten sie ihm bisher dabei geholfen, die Spindrift vor der Vernichtung zu bewah ren. Er hörte das leise Knacken der Störgeräusche als Dan immer wieder die Frequenzen absuchte. Abge sehen von diesem Geräusch herrschte beinahe völli ges Schweigen. Im Inneren des Schiffes war nichts zu hören, nur das schwache Rauschen der Brandung
kam durch die Außenhaut der Spindrift. Die Zeit ver strich und Steve schaffte es einfach nicht, sich auszu ruhen. Immer wieder überdachte er all die Ereignisse, die seit dem ungewollten Eintreffen der Spindrift in diesem Land der Riesen geschehen waren. Er unter suchte wieder und wieder alles, was sie erfahren hat ten, und all die Dinge, die sie vermuteten. Und dann erkannte er etwas. Er knirschte mit den Zähnen. »Was ist denn los?« fragte Dan. »Ich bin ein Narr!« sagte Steve bitter. »Mir ist plötz lich klargeworden, was die Riesen vorhaben und wie sie es anstellen wollen.« »Wie sie was anstellen wollen? Mit uns einen Han del zu machen?« »Kaum! Als wir unmittelbar nach der Landung herumtaumelten, haben sie ja auch nicht versucht, ei nen Handel zu machen. Sie haben einfach versucht, uns so schnell wie möglich umzubringen. Und jetzt, da wir mehr als tausend Meilen entfernt sind, mag zwar sein, daß sie ihre Methoden ändern, aber ihr Ziel ist sicher das gleiche geblieben. Wir sind gefähr lich! Verstehst du denn nicht?« Dan überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Wenn wir Radio benutzen«, sagte Steve ärgerlich, »und zwar irgendwo in der Nähe ihrer Energieanla gen, dann stören wir die. Und zwar ganz empfind
lich. Wenn sie versuchten, mit uns in Verbindung zu treten, so hat das genau die gleiche Wirkung. Sie bringen damit ihre ganze Zivilisation zum Stillstand! Aber es gibt Störgeräusche. Auf den Radiofrequen zen. Die müßten doch ihr Energiesystem ebenfalls stören – tun es aber nicht. Sie sind zu schwach. Zu schwach und zu weit entfernt! Und wir können sie auch nicht stören, wenn wir weit genug entfernt sind! Verstehst du? So weit von ihnen entfernt stören wir ihre Energiesysteme nicht. Aber wenn sie eine Rakete abschießen können, die uns anpeilt und vernichtet ... natürlich würden sie versuchen, uns hereinzulegen, uns zu einem Zusammentreffen mit ihnen zu veran lassen!« »Wir wissen doch gar nicht, ob sie Raketen haben«, wandte Dan ein. »Sie beziehen ihre Energie von ihren Monden«, sagte Steve mürrisch. »Also mußten sie doch auch Raketen haben, um erst einmal dort hinzugelangen. Die haben bestimmt auch Raketen bereitstehen, falls dort oben irgend etwas versagt. Ganz sicher! Viel leicht haben sie sogar Raketen mit Ersatzteilen auf Kreisbahn. Nein – du kannst dich darauf verlassen, daß es hier Raketen gibt!« Dan drehte immer noch an seinem Empfänger her um. »Und?« »Und sie werden eine Rakete schicken, die uns su
chen soll. Und sobald diese Rakete genügend weit von ihrem Energiesystem entfernt ist, kann sie auch Funksignale aussenden. Die Signale sind dann viel zu schwach, als daß es sie stören würde. Und das haben sie getan! Weit genug von ihrem Energiesystem ent fernt können sie auch Radar einsetzen! Und alles mögliche andere! Sie können keine Funksignale be nutzen, um ihre Rakete zu steuern, ebensowenig wie sie auch sonst keine Funksignale benutzen können – solange sie in der Nähe ihres Energiesystems sind! Aber in eine selbst angetriebene Rakete können sie einen Sender einbauen. Und das hast du gerade auf gezeichnet.« »Aber –« »Sie haben die Robot-Rakete so eingestellt, daß sie uns jagt und uns dazu bringt, Signale auszusenden, damit man uns anpeilen kann. Und dann, wenn sie genügend nahe ist, geht der Zünder los, und es gibt einen großen Knall. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Suchkopf der Rakete das Geräusch unseres An triebs orten kann, und aus dem Grund brauchen wir bloß zu starten, um ein Ziel für diese Robot-Rakete zu bilden. Und wir haben unseren Antrieb benutzt. Ich würde sagen, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Augenblick Raketen in der Nähe sind, die nur darauf warten, daß wir den Antrieb wieder einschal ten!«
»Daran hätte ich nicht gedacht«, gab Dan zu. »Was tun wir jetzt?« »Wir versuchen, unser Leck abzudichten«, sagte Steve grimmig. »Und dann überlegen wir uns, wie wir uns etwas zu essen beschaffen. Wir füllen ein paar Säcke mit Korallensand, und wir fragen Fitz hugh, ob er etwas tun kann, um unser Motorenge räusch, auf das die Suchraketen geeicht sind, etwas zu ändern.« Er stand auf und Dan hörte, wie er in die Passa gierkabine ging. Fitzhugh saß irgendwo dort. Steve blieb eine Weile hinten. Dan runzelte die Stirn und suchte weiter das elektromagnetische Spektrum ab. Und dann stand Steve auf und ging zu einem an deren Sessel in der Kabine. Auch an dieser Stelle blieb er nur kurz, und man hörte wie ein Tuch zerrissen wurde. Kurz darauf ging er zur Ausgangsluke und Dan hörte, wie die Treppe ausgefahren wurde. Steve ging hinaus. Dan sah zu den Luken hinaus. Unter ihm dehnte sich im Mondlicht der Strand. Er sah, wie Steve wei ßen Korallensand in einen seltsam geformten Sack schaufelte! Und dann wurde Dan klar, daß es sich bei dem Sack um einen Sitzbezug handelte. Jetzt füllte Steve bereits den zweiten Sack und dann schleppte er beide über die Treppe in die Spindrift hinein. Steve hatte gesagt, er wollte Korallensand haben. Aber Dan
konnte sich nicht vorstellen, wozu er ihn brauchte. Wieder ging Steve hinaus. Er hatte sich jetzt etwas vom Schiff entfernt und starrte zu dem Wald hinüber, der hier beinahe bis ans Meer reichte. Er trug eine Steinaxt. Die Monde standen jetzt ziemlich tief, aber die Nacht rings um die Spindrift war unverändert. Dan brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, daß die Morgendämmerung nahte. Steve hatte inzwischen den Dschungel betreten und Dan spürte, wie seine Kehle sich unwillkürlich zusammenzog. Aber es dauerte nicht lange bis Steve wieder zu rückkam. Er trug seine Steinaxt sehr vorsichtig und schien darauf bedacht zu sein, daß sie nichts berühr te. Der Axtkopf war mit einem weißen Zeug bedeckt, das man im Zwielicht nicht erkennen konnte. Steve kam schnell auf die Spindrift zu und eilte die Treppe hinauf. Unmittelbar danach schloß sich die Luke hinter ihm. Wieder ging er in die Passagierka bine. Kurz darauf waren laute Schläge und ein unwil liges Murmeln zu hören. Dan konnte seine Neugierde nicht länger unter drücken. Er ging zur Tür, um zu sehen, was vorging. Steve kniete an der Stelle, wo er die Rumpfwand frei gelegt hatte, die Rumpfwand, die Delle und den so kleinen und doch so wichtigen Riß. Steve schlug mit
einer zweiten Axt auf die Delle ein, während Betty die Axt mit dem weißen Kopf hielt. Das Zeug auf dem Axtkopf glitzerte seltsam. Während Dan zusah hämmerte Steve die Delle bei nahe flach. Fitzhugh arbeitete wie er feststellte an der freigelegten Antriebseinheit. Als Atomingenieur konnte er mit solchen Anlagen umgehen im Gegensatz zu Steve oder Dan. Aber er litt immer noch unter einem Erlebnis, das die meisten Menschen überhaupt nicht überstanden hätten. Vor Monaten hatte er zwei Stunden damit zugebracht, ei nen Atommeiler freizulegen, der jeden Augenblick detonieren konnte. Nachdem alles vorüber war hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten, dessen er sich heute noch schämte. Jetzt versuchte er, sein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Indem er am Meiler der Spindrift arbeitete, setzte er sich der großen Gefahr aus, erneut zusammenzubrechen, aber es mußte sein. Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der Stirn. Sein Atem ging unregelmäßig. Er keuchte. Aber seine Hände waren ganz ruhig. Dan konnte sich nicht vorstellen, welchen Sinn diese Arbeit gerade zu dem Zeitpunkt hatte, wo Steve mit ei nem Angriff der Riesen – oder ihrer Roboter – rechnete. Er ging wieder ins Cockpit zurück, blieb aber unter der Tür stehen, um sich nichts entgehen zu lassen.
Steve hatte jetzt mit dem Hämmern aufgehört. Die Platten waren beinahe glatt. Er streckte die Hand aus und Betty gab ihm die Steinaxt mit dem weißen Kopf. Dann ging sie wieder zum Heck des Schiffs zurück, wo sie normalerweise ihren Platz hatte und kam mit einem höchst unwahrscheinlichen Sortiment von Ge genständen zurück – einer Papiertasse mit Wasser, einem Stück Seife und einem Tischmesser. Dan wußte, daß er eigentlich ins Cockpit zurück sollte, aber seine Neugierde hielt ihn zurück. Das weiße Zeug an der Steinaxt war der Teil eines Spinnennetzes. Steve hatte das Ankerkabel eines rie sigen Spinnennetzes durchgebrannt. Er hielt das für ungefährlich, da Netzspinnen ihre Netze nicht verlas sen. Er hatte sich das klebrige Zeug um den Axtkopf gewickelt. Das Zeug war so klebrig, daß man es als Dichtmasse verwenden konnte. Jetzt preßte er es ge gen den Riß in der Schiffswand. Es blieb kleben. Es hätte übermenschlicher Kräfte bedurft, um es wieder loszureißen. Also schnitt er es mit einem angefeuchte ten und eingeseiften Tischmesser vom Axtkopf. Er preßte die Klebemasse fest und jetzt gab es kein Leck mehr. Und sobald das Schiff seine Reiseflughöhe er reicht hatte, würde der Kabinendruck die Klebemasse sogar noch fester gegen die Wand pressen. Die Repa ratur war vollendet. Fitzhugh arbeitete immer noch an der Verdrahtung
des Atommeilers. Der Atomtreibstoff, der genügend Energie lieferte, um das Schiff beinahe unendlich lan ge anzutreiben, war durchaus auch imstande, seine gesamte Energie im millionsten Teil einer Sekunde abzugeben. Dan sah ihm fasziniert zu. Eine einzige falsche Bewegung Fitzhughs und Dan würde das überhaupt nicht mehr bemerken. Niemand würde es bemerken. Ein einziger Fehler und die Spindrift und all ihre Insassen würden zu einer Wolke glühenden radioaktiven Glases werden. Dan sah benommen zu, wie Fitzhugh arbeitete. Fitzhugh stand unter einer solchen Spannung, daß es schien, als würde er jeden Augenblick in Stücke gehen. Und dann hörte Dan hinter sich ein Geräusch. Es kam vom Funkgerät. Der Empfänger war immer noch eingeschaltet. Er war auf eine Mikrowellenfrequenz abgestimmt. Jetzt kamen seltsame Geräusche aus dem Lautsprecher. Es waren Geräusche, die ganz tief an fingen, schnell schrill wurden, aufhörten und wieder von neuem begannen. Die Geräusche erinnerten an die Schreie von Fledermäusen – den Urvätern aller Radargeräte. Das Geräusch hielt an. Ein Radarstrahl hatte nach der Spindrift gesucht. Er hatte sie gefunden. Es schien als würden diese eigenartigen Geräusche schnell lau ter, als näherte sich das, was auch immer die Radar anlage trug mit hoher Geschwindigkeit.
Dan rannte zur Tür zurück und stieß die Meldung hervor. Steve blickte nur kurz auf und meinte kühl: »Wir können jetzt nicht starten. Machen Sie weiter Fitz hugh. Montieren Sie alles zusammen. Die haben uns entdeckt. Jetzt gibt's wieder Ärger.«
6
Die Morgendämmerung war schon lange vorüber. Im Westen gab es nicht mehr die geringsten Spuren der Dunkelheit. Der Himmel war beinahe ebenso blau wie das Meer und die gigantischen Bäume der Insel wuchsen bis dicht an den Strand heran. Ihre Zweige wedelten und gestikulierten in der Meerbrise. Wogen, die ihren Ursprung eine halbe Welt weit entfernt hat ten, trafen an den Gestaden der Insel ein und brachen sich weiß. Sie erfüllten die Luft mit Donner. Seevögel flatterten dem fernen Horizont zu. Irgendwo tauchte zwischen den Wogen ein weißer Geysir auf. Das wa ren Wale, die dort enorme Wasserstrahlen zum Himmel jagten als Zeichen dafür, daß sie aus unge ahnten Meerestiefen emporgestiegen waren. Dan saß wieder auf dem Platz des Co-Piloten. Der Lautsprecher der Funkanlage gab in genau festgelegten Intervallen seine Geräusche von sich. Radarstrahlen ta steten nach der Spindrift, prallten ab und kehrten zu ih rem Ursprung zurück, wo komplizierte elektronische Geräte sie analysierten, damit noch kompliziertere an dere Geräte das Ergebnis auswerten konnten. Steve kam ins Cockpit. Dan blickte ihn fragend an. »Fitzhugh ist praktisch fertig«, erklärte Steve. »Wir können in ein oder zwei Minuten starten.«
»Wir müssen auch starten«, sagte Dan. »Und zwar sofort.« Radarimpulse kamen aus dem Lautsprecher. Gleichmäßige rhythmische Geräusche mit der geistlo sen Präzision einer Maschine. »Das ist ein Roboter«, sagte Steve. »Wie gesagt, die haben sicher Raketen eingesetzt. Ich möchte anneh men, daß Robot-Raketen bereitliegen, die sie viel schneller in Einsatz bringen können als eine große Rakete, die einen Riesen tragen kann. Und die haben es eilig, uns zu beseitigen. Wir hören hier also einen Roboter, der seinem Stützpunkt meldet, daß er uns ausfindig gemacht hat. Er wird so lange melden bis er explodiert ist – mit uns.« Dann blickte er zur Tür und sagte: »Ja?« Wilson stand unter der Tür. »Fitzhugh ist fertig«, meldete er. »Und er ist zusammengebrochen.« Steve drückte auf den Knopf, um den Bug der Spindrift zu heben. »Gehen Sie zurück und machen Sie sich fertig, daß Sie einen Sandsack abwerfen können«, befahl er. »Ich rufe, wenn Sie ihn abwerfen sollen.« Der Bug hob sich als Wilson verschwand. Er mußte sich an den Sitzen festhalten, um bei der Neigung des Schiffes nicht umzufallen. »Jetzt müssen wir etwas riskieren«, sagte Steve. »Wir haben keine andere Wahl.«
Das Schiff stand noch nicht ganz aufrecht, als er den Antriebsknopf drückte. Aber sie hob sich, wenn auch nicht in vertikaler Richtung. Sie hob sich schräg und schoß daher in dem Augenblick, als sie sich vom Boden gelöst hatte am Strand entlang. Steve machte keine An stalten, das Schiff geradezurichten. Der Startplatz lag bereits einen Kilometer hinter ihnen als die Schwanz flossen erst drei Meter über dem Boden waren. Der Strand beschrieb jetzt einen Bogen, und so schossen sie über die Brandung hinaus. Einmal gab es einen Ruck als das Heck der Spindrift eine mächtige Wasserwand, die dem Ufer entgegenrollte, berührte. Steve schob den Knüppel vor, und die Spindrift machte einen Satz. Im Cockpit war immer noch das unnatürliche und inzwi schen sehr laut gewordene Geräusch der Radarimpulse zu hören. Die Funkanlage der Spindrift nahm sie auf. Aber von den Außenmikrophonen wurde jetzt auch ein pfeifendes Geräusch aufgenommen. Das war nicht ihr Fahrtgeräusch. Es war ein rollendes, polterndes Ge räusch, das immer lauter wurde. Steve versuchte, hin ter das Schiff zu sehen. Und da war in der Ferne ein weißer Rauchfleck. Der Rauchfleck kam der Spindrift immer näher. Jetzt war ein Faden daraus geworden. Und dann ein sich langsam ausdehnender Kegel und schließlich ein lan ger, langer Streifen, der in weiter Ferne ausfaserte und bis zum Horizont reichte.
Das war schlimm genug. Aber soeben war ein zweiter weißer Rauchfleck aufgetaucht. Er war hinter dem ersten und etwas zur Seite. Und Augenblicke darauf ein dritter weißer Fleck, der sich ausdehnte. Der Kondensstreifen war genauso groß wie der der anderen. »Drei sind es«, sagte Steve. »Sehr schmeichelhaft! Aber ich bin nach wie vor der Meinung, daß sie nicht bemannt sind. Das sind Robot-Raketen. Wollen wir wetten?« »Sieht nicht gut aus oder?« meinte Dan. »Könnte schlimmer sein«, meinte Steve. »Kommt darauf an, wieviel Dampf sie draufgeben können. Wenn sie Riesen an Bord hätten wäre es bestimmt nicht viel. Aber ohne Riesen können sie nur die Ma növer fliegen, für die sie programmiert sind. Uner wartete Ereignisse werden sie also verwirren. Trotz dem sind sie lästig genug, um uns eine Weile zu be schäftigen.« Die Spindrift stieg jetzt mit der höchsten Geschwin digkeit, die innerhalb der Atmosphäre möglich war. Die drei fernen rauchenden Raketen kamen näher. Die vorderste war inzwischen so nahe gerückt, daß man ihre Metallspitze in der Sonne glitzern sehen konnte. »Ich wette, daß es Maschinen sind«, fügte Steve hinzu. »Die sind genauso leistungsfähig wie Men
schen – bloß denken können sie nicht. Das können Maschinen nie.« Die Spindrift hatte inzwischen die selbe Höhe wie die vorderste Rakete erreicht. Das Donnern der Rake tenmotoren war deutlich über die Außenmikrophone zu vernehmen. Und die eigenartigen Radargeräusche hatten jetzt auch geradezu betäubende Lautstärke angenommen. Die nächste Rakete zielte unmittelbar auf die Spindrift. Und ihr Kondensstreifen sah plötz lich wie ein Kreis aus, in dessen genauen Mittelpunkt sich eine Rakete befand. Das war der Beweis dafür, daß die Rakete auf das kleine Schiff zielte. Die Spin drift schoß in die Höhe. Die Rakete folgte ihr unver wandt. Steve wechselte den Kurs und die Rakete wechselte den ihren ebenfalls – zielte wieder gerade wegs auf die Spindrift. Steve kippte scharf nach links ab. Die Spitze der Rakete deutete nach wie vor auf das Schiff. »Es sind Roboter«, meinte Steve befriedigt. »Sie können nicht gut genug zielen, um uns vom Boden aus abzuschießen. Dazu gehören Zielgeräte, die es hier noch nicht gibt. Aber diese Biester hier können uns überholen und in die Luft jagen, wenn wir auf geradem Kurs weiterfliegen. Also werden wir uns einmal um diesen Vogel hier kümmern.« Die Spindrift hatte inzwischen etwa fünftausend Meter Höhe erreicht. Die Rakete flog auch nicht viel
höher. Steve beendete das Steigmanöver und überleg te. Die Rakete holte schnell auf. Zweimal änderte Ste ve noch den Kurs, und jedesmal folgte die Rakete ih nen exakt. Sie funktionierte genauso wie ein hitze empfindliches Boden-Luftgeschoß auf der Erde. Es war altbekannt, daß man Militärraketen so bauen konnte, daß sie die heißen Auspuffgase von Düsenjä gern anpeilten und trotz aller Ausweichmanöver am Ende in den Auspuffstrom ihres Opfers flogen, um dort zu explodieren. Diese Rakete war ganz offen sichtlich für diese Art von Operation programmiert – nur, daß sie einen Radarpeiler anstelle eines Wärme peilers hatte. Sobald sie eine bestimmte kritische Di stanz von der Spindrift erreicht hatte – eine kurze Di stanz – würde sie explodieren und gleichzeitig die Spindrift vernichten. Steve ließ die Spindrift jetzt nach unten abkippen. Er zog das Mikrophon zu sich heran und rief: »Loslassen Wilson! Abwerfen! Runter damit!« Und dann zu Dan gewandt: »Sieh nach, ob er einen Sand sack ausgeleert hat, Dan.« Verblüfft zwängte Dan sich aus seinem Sessel. Ehe er die Tür erreichte, hörte er Wilson rufen: »Abge worfen.« Er meldete das Steve. Der Sturzflug der Spindrift hielt an. Es schien als sei der Horizont ver schoben worden. Land, Meer und Luft schienen die Plätze getauscht zu haben. Aber da war der Sturzflug
zu Ende, und das Schiff zog wieder – wenn auch et was langsamer – in die Höhe. »Paß auf!« befahl Steve. »Jetzt werden wir gleich sehen, ob es geklappt hat.« Er blickte nach hinten. Dort war der dunkelgrüne Dschungel der Insel. Der Ozean reichte wie endlos nach allen Richtungen. Er sah die drei Raketen. Eine war jetzt bis auf fünfzehnhundert Meter an die Spin drift herangekommen. Aber da war noch etwas in der Luft. Wilson hatte einen Sack Korallensand aus dem Notausgang gekippt, aus dem selben Notausgang, aus dem früher einmal das Gummifloß geworfen worden war. Der Sand war ganz fein, praktisch Pul ver. Und es war Korallensand, also noch leichter und pulverähnlicher als die steinigen Sandfragmente, die man meist an den Meeresküsten der Erde findet. Das Pulver fiel natürlich und beim Fallen breitete es sich aus. Es wurde eine Schwade, eine staubig weiße, nach unten treibende Masse. Es dehnte sich aus und wurde dabei zu einer beinahe kugelförmigen Wolke. Jetzt hüllte er die vorderste Rakete ein, verbarg sie vor ihren Blicken, und im gleichen Augenblick verbarg sie natürlich auch die Spindrift den Fotozellen des Angrei fers. Und was mindestens ebenso wichtig war – es war eine Staubwolke, nicht Dampf. Und all die vielen Parti kel reflektierten ebenso wie ein fester Gegenstand. Und die Rakete war so programmiert, daß etwas Bestimm
tes geschah, wenn sie sich einem festen Gegenstand auf eine bestimmte Distanz näherte. Die jetzt nicht mehr sichtbare Rakete schoß in eine Masse pulverfeinen Korallensand hinein. Ihr Zünd mechanismus entschied, daß sie sich an dem Punkt befand, wo sie Selbstmord begehen mußte. Und das tat sie. Es gab einen ungeheuren Lichtblitz, der die Sonne dunkel erscheinen ließ. Die hinunterschwe bende weiße Wolke wurde zerfetzt und zerrissen. Und dann gab es, wo soeben noch eine Wolke gewe sen war nur noch dünnen Dunst. Und dann gab es auch ein paar zerfetzte formlose Fragmente der Rake te, die ins Meer abstürzten. »Ich wünschte, ich hätte mehr von dem Zeug mit gebracht«, meinte Steve. Er hielt nach der nächsten Rakete Ausschau. Sie war etwa achttausend Meter entfernt. Ihre Radarimpulse waren laut und mecha nisch exakt. Steve verringerte die Geschwindigkeit der Spindrift. »Warum fliegst du langsamer?« fragte Dan besorgt. »Außentemperatur«, sagte Steve. Die Anzeiger für die Außentemperatur deuteten auf einen erheblichen Temperaturanstieg. Wenn et was über Mach 1 fliegt, kann die Hitze ein ziemliches Problem werden, und die Spindrift war für den Flug in extremen Höhen, nicht bei extremen Temperaturen gebaut.
Und jetzt drehte Steve sie herum, um dem nächsten der beiden noch übriggebliebenen Geschosse entge genzutreten. Als Geschosse waren sie riesig. Sie waren länger als die Spindrift selbst. Als Gegenstände, die von Riesen produziert waren, hingegen waren sie weniger eindrucksvoll. Auf den Schwanzflossen stehend wür den sie nicht einmal die Größe eines Riesen erreichen. In dem Maße wie sie langsamer wurden, verringer te sich auch die unerwünschte Außentemperatur. Steve zog den Knüppel also wieder zu sich heran, und der Bug der Spindrift hob sich wieder. »Was wirst du jetzt tun?« wollte Dan wissen. »Ich möchte nicht, daß dieser Vogel sich vernach lässigt fühlt«, grinste Steve. »Er hat sich genauso eine Staubwolke verdient. Und Roboter können nicht ler nen. Sie müssen programmiert werden. Die nächste wird genauso reagieren wie die erste.« Und das stimmte auch. In sechstausend Meter Hö he ließ Steve Wilson den zweiten Sack mit Korallen sand leeren. Der Sand fiel, breitete sich aus, und die Spindrift ging in Sturzflug über. Die Staubkörner breiteten sich aus und verbargen die Rakete vor der Spindrift und die Spindrift vor der Rakete. Und dann reflektierten die Partikel, weil es sich um feste Körner handelte, die Signale, die sie er reichten. Aus der Sicht der Ausrüstung der Rakete reagierte die Staubwolke wie eine massive Wand.
Die Rakete explodierte. Das war keine neue Erfindung. Das war nur die Anwendung eines Tricks aus dem vorletzten Krieg, den man auf der Erde geführt hatte. Man hatte da mals Aluminiumfäden abgeworfen, um die Radarge räte und Aufschlagzünder zu täuschen. Und jetzt hat te Steve Korallenstaub abgeworfen und war dann mit seiner Spindrift in Sturzflug übergegangen, bis das Schiff, die Rakete und die künstliche Wolke mitein ander eine Gerade bildeten. Also schoß die Rakete auf ihrem Verfolgungskurs in die Staubwolke hinein und explodierte dort, weil ihre Instrumente den Unter schied zwischen der Spindrift und einem Sack Koral lensand nicht auszumachen vermochten. Als diese zweite Explosion stattfand wurde die Staubwolke zerfetzt. »Ich fürchte«, meinte Steve, »daß diese Explosionen den Sand zu sehr durcheinandergebracht haben als daß er noch einmal funktionieren würde. Aber Robo ter können nicht lernen und diese letzte Rakete ist ebenfalls ein Roboter. Also ...« Die dritte Rakete kam schnell näher. Siebentausend Meter hoch und von dicken weißen Dampfwolken begleitet. Einen Augenblick flogen die Rakete und die Spindrift den selben Kurs, aber die Rakete war viel schneller. Sie überholte die Spindrift und legte für je den Meter, den die Spindrift flog, eineinhalb zurück.
Also machte Steve sich die höhere Geschwindigkeit der Rakete zunutze. Er riß sein Schiff geschickt herum und zog unter der letzten Robot-Rakete durch. Die Rakete hatte jeden Manövriervorteil, den man sich vorstellen konnte – nur intelligent war sie nicht. Und genau darauf verließ sich Steve. Ohne die Spindrift aus dem ›Auge‹ zu lassen, kippte die Rakete im fünf undvierzig Grad-Winkel ab und folgte dem Erdschiff in selbstmörderischer Entschlossenheit. Höchstens eine Minute verstrich, bis die Rakete im neunzig-Grad-Winkel nach unten zeigte. Genau auf die Spindrift. Vertikal nach unten. Und sie schoß auf die Meeresoberfläche mit viel höherer Geschwindig keit als die Spindrift zu. Sie schoß nach unten. Und dann riß Steve die Spindrift aus dem Sturzflug heraus. Auf dem untersten Punkt der Flugparabel war das kleine Schiff höchstens noch fünfzehn Meter von der Wasseroberfläche entfernt. Aber das waghal sige Manöver gelang, und sie schossen nur wenige Meter über dem Meer dahin. Für die Rakete lagen die Umstände ganz anders. Sie war schneller – viel schneller. Und im Sturzflug nahm ihre Geschwindigkeit zu. Bei einem rein verti kalen Sturzflug kam zur Eigengeschwindigkeit die gesamte Anziehungskraft des Planeten. Sie war pro grammiert, um der Spindrift zu folgen. Das tat sie. Aber die Spindrift bog ab, und die Rakete konnte ihr
nur folgen, aber sie flog schneller als das Erdschiff und die Spindrift schaffte es gerade noch, den Sturz flug abzubrechen, ehe sie ins Meer stürzte. Das schaffte die Rakete nicht. Die Schockwelle bei der Explosion der Rakete ließ die Spindrift vom Bug bis zum Heck erzittern. Aber als Steve sich umsah, war keine Spur mehr von der Rakete zu sehen. Da gab es nur eine riesige Wolke aus Seewasser, das zu Gas oder Nebel zersprüht war, sonst nichts. »Ich frage mich bloß«, meinte Steve nachdenklich, während die Spindrift über das Meer dahinschoß, »ich frage mich bloß, wieviel oder was die Raketen ihrem Heimatstützpunkt gemeldet haben. Ich bezweifle, ob sie wirklich ein genaues Bild bekommen haben.« »Sie wissen, daß wir die Raketen zur Detonation gebracht haben«, sagte Dan, »aber was sollten sie sonst noch erfahren?« »Nun«, meinte Steve, »ich hoffe, daß sie eine Men ge irreführender Informationen aufgenommen haben. Fitzhugh hat einen Trick angewandt, der ihnen viel leicht einige Illusionen bereiten wird.« Damit wußte Dan nicht viel anzufangen. Aber er hatte jetzt unmittelbare Sorgen. »Was machen wir denn jetzt?« wollte er wissen. »Eines nach dem andern, Dan«, sagte Steve. »Und nach Reihenfolge der Wichtigkeit. Die Raketen waren
eine unmittelbare und eindeutige Gefahr. Wir muß ten alles andere aufschieben, bis das erledigt war. Das wäre jetzt geschafft. Was kommt nach deiner Mei nung als nächstes?« Das klang geradezu gleichgültig, eine Haltung, die nach einem so gefährlichen Angriff keineswegs ange bracht schien. Aber Dan selbst war genauso wenig benommen wie man hätte annehmen können. Eine der Eigenheiten der menschlichen Psychologie be steht darin, daß Dinge, die wir begreifen, uns nie ech ten Schrecken einjagen können. Zum Schrecken ge hört das Element des Unbekannten. Und ein großer Teil der Angst ist in Wirklichkeit nur Verwirrung. Wenn etwas gefährlich ist, wir es aber begreifen, er schreckt es uns bei weitem nicht so wie etwas völlig Unbegreifliches. Und sowohl Steve als auch Dan be griffen, was die Riesen vorgehabt hatten. Deshalb sagte Dan gereizt: »Ich wünschte, du würdest nicht in Rätseln sprechen!« »Ich bin einfach erleichtert«, sagte Steve. »Und mir fällt plötzlich ein, daß ich Hunger habe. Betty und die beiden anderen Mädchen haben uns bisher weisge macht, daß wir etwas zu essen bekommen werden. Aber inzwischen sind ihnen die Vorräte ausgegan gen. Was kommt also als nächstes?« Dan knurrte: »Schon kapiert.« »Das Schiff gehört dir«, sagte Steve. »Ich gehe jetzt
in die Kabine und sehe, ob ich Fitzhugh wieder auf die Beine bringe. Und du suchst dir einen Platz aus, wo wir landen und uns all das beschaffen können, was man für ein ordentliches Frühstück braucht.« »Ich würde eher sagen Mittagessen«, meinte Dan. »Noch dazu ein etwas verspätetes.« Steve ging hinaus, um sich um Fitzhugh zu küm mern. Dan starrte durch die Luken. Unter der Spin drift konnte er die saphirfarbene See sehen. Hier und da, links und rechts von ihnen und vor und hinter ih nen gab es kleine Wölkchen, die, so weit das Auge reichte, in gleicher Höhe zu hängen schienen. Eine In sel war auch in Sicht, aber die Spindrift war bereits zweimal dort gelandet. Es hatte wenig Sinn, es ein drittes Mal zu versuchen. Dan runzelte die Stirn. Er hielt die Spindrift auf Steigflug. Etwas fiel ihm ein, und er blickte auf die Skala, die den Innendruck anzeigte. Die Nadel stand ganz normal. Der Riß, der um ein Haar die Spindrift und ihre Mannschaft ins Jenseits befördert hätte, war offenbar dicht. Der Flicken aus klebrigem Spinnen gewebe, den Steve angebracht hatte, hatte seinen Zweck erfüllt. Wenn man von dieser einen Insel absah, schien das Universum offenbar ausschließlich aus Meer und Himmel und Wolkenmassen zu bestehen. Hier waren die Wolken unten flach und oben zugespitzt, un
glaubliche Gebilde aus reinstem Weiß. Wegen ihrer unmittelbaren Nähe schienen es lauter einzelne Wol ken zu sein, aber je höher die Spindrift stieg und je weiter Dan über den Horizont blicken konnte, desto mehr schienen die weißen Flecken aneinander zu hängen. Und am Rande des Horizonts, viele tausend Meter entfernt, schien es überhaupt keine Abstände mehr dazwischen zu geben. Wieder knurrte Dan und blickte erneut auf die Ska la für den Innendruck. Dann klopfte er sogar mit dem Finger dagegen. Sie zeigte den normalen Druck an, der auf Meereshöhe dieses Planeten herrschte. Er schaltete das Radiohöhenmesser ein. Die Skala zeigte an, daß die Spindrift zehntausend Meter Höhe erreicht hatte. Und dann zeigte die Skala dreizehntausend an. Später sogar zwanzigtausend. Und jenseits von acht zehn Kilometern würde ein Mensch ohne Druckan zug und außerhalb eines abgedichteten Schiffes wie der Spindrift sterben – nicht das Bewußtsein verlieren, sondern endgültig sterben. Und das binnen dreizehn Sekunden. Das Vakuum des interstellaren Weltraums könnte ihn auch nicht schneller töten. Dan steuerte die Spindrift in dreißigtausend Meter Höhe, die Flughöhe, für die sie gebaut war. Hier über dem Meer konnte sie mit der Geschwindigkeit eines Meteors fliegen, praktisch auf Kreisbahn. In dieser Höhe und bei dieser Geschwindigkeit konnte sie,
wenn einmal die richtige Geschwindigkeit erzielt war, sogar auf weiteren Antrieb verzichten. Und in dieser Höhe, weit entfernt, sah Dan einen Felszacken, der sich über das Weiß hob. Und auf diesen Gipfel richtete er seinen Kurs. Und dann drückte er die Spindrift wieder hinunter, unter das Wolkendach. Der untere Teil des Berges stand völlig frei da. Nur die Spitze war von Wolken verhüllt, abgesehen vom eigentlichen Gipfel, der über sie hinausragte. Da war also dieser riesenhafte Berg aus schwarzem Stein auf der einen Seite und ein mächtiges flaches Plateau auf der anderen. Und wo der Berg mit dem Meer zusammentraf waren riesige Wogen, die weißen Gischt hoch aufspritzen ließen. Dan sah sich um. Er steuerte die Spindrift in einem Bogen um den ganzen Berg herum und suchte die Ebene dahinter ab. Als er den zweiten Bogen flog, sah er, daß sie doch nicht so leer war. Da gab es zum Bei spiel einen Wasserlauf, der etwa auf halber Höhe des Berges als Quelle begann. Auf dem Weg über das Pla teau wurde ein beachtliches Flüßchen daraus. Weiter draußen würde man es wahrscheinlich sogar einen echten Fluß nennen. Und ganz in der Nähe gab es ei nen Hain von Bäumen. Und zwischen den Bäumen ein Gebäude. Das Haus eines Riesen. Auch Nebenge bäude. Eine Scheune. Das war gleichzeitig vielver sprechend und auch störend. Die Spindrift hatte ganz
entschieden keine Lust, mit Riesen zusammenzutref fen, aber auf einer Farm gab es bestimmt eine Menge Dinge, die die Spindrift dringend brauchte. Weizen zum Beispiel. Korn. Selbst Hafer und Gerste würden sehr nützlich und zweifellos nahrhaft sein. Aber es gab auch Nachteile. Die Spindrift war beinahe drei tausend Kilometer von der Riesenstadt entfernt, die sie so gut kannten. Aber das Leben der Riesen verlief vermutlich ganz ähnlich wie das der Menschen auf der Erde. Dan zögerte lange. Die Spindrift schwebte in der Nähe des Berges dahin. Schließlich zog er das Mikro phon zu sich heran. »Steve«, sagte er gereizt. »Ich habe einen Lande platz gefunden. Es scheint, daß wir hier Lebensmittel beschaffen können, aber erst wenn es Nacht gewor den ist.« Kurz darauf tauchte Steve an der Tür auf. »Da ist eine Farm«, erklärte Dan. »Wahrscheinlich gibt es hier auch einen Obstgarten und vermutlich Getreide. Nach Einbruch der Dunkelheit sollte es kei ne Schwierigkeiten machen, etwas zu Essen zu be schaffen.« Steve blickte lange zu den Luken hinaus. Dann sag te er: »Und wo landen wir?« Dan deutete auf einen kleinen, ziemlich ebenen Felsvorsprung an der Flanke des Berges. Die Büsche,
die rings um den Vorsprung standen, konnten ihnen als Deckung dienen. Und Büsche waren auf dieser Welt so hoch wie ausgewachsene Bäume auf der Er de. Steve überlegte, nickte dann und meinte: »Na schön. Ich hatte gedacht, Fitzhugh wäre schon genü gend wiederhergestellt, um mir bei meinem Plan zu helfen, aber –« Er zuckte die Achseln. »Nun ja. Er wird schon durchkommen.« »Er nützt sonst gar nichts. Aber meinetwegen. Ich werde landen. Das Mittagessen müssen wir eben aus fallen lassen.« »Kann schon sein«, räumte Steve ein. »Außerdem wissen wir nicht, welche Jahreszeit hier ist, also ha ben wir auch keine Ahnung, was gerade reif ist. Aber ich bin mit Fitzhugh beschäftigt. Ich glaube, er rea giert.« »Er nützt uns nichts«, wiederholte Dan. »Du hast gesagt, er würde uns helfen, die Riesen zu täuschen. Aber wir wollen sie gar nicht täuschen. Wir wollen jeden Kontakt mit ihnen abbrechen. Wir wollen ein Versteck ausfindig machen, das sie nicht finden kön nen! Und was soll uns das nützen?« Steve gab keine Antwort. Es gab auch keine. Als Schiffbrüchige auf einem fremden unfreundlichen Planeten gab es für sie nur das eine Ziel, den Rück weg zur Erde zu finden. Aber das schien nicht nur
unmöglich, sondern geradezu undenkbar. Ein Ver steck, so sicher es auch sein mochte, bot ihnen nicht die geringste Chance, aus dieser Welt zu entkommen und auf ihre eigene zurückzukehren. Es schien über haupt keine Chance zu geben, daß ihr einziger Wunsch sich erfüllte. Also konnten sie in Wirklichkeit keinerlei Hoffnung hegen und ohne Hoffnung hatten sie auch kein Ziel. Und ohne Ziel hatte es natürlich gar keinen Sinn, überhaupt am Leben zu bleiben. Diese Überlegung war Dan plötzlich gekommen. Er konnte das Steve sagen. Wenn er es ihm darlegte, so war das gleichsam ein Appell an ihn, ihm einen Grund zu geben, nicht völlig die Hoffnung auf zugeben. Aber Steve konnte auch nur sagen, daß man der Verzweiflung nicht nachgeben darf, weil es sich nicht gehörte. »Wir werden weitermachen«, sagte Steve aus druckslos, »weil uns vielleicht doch etwas unter kommt, mit dem wir etwas anfangen können. Ich weiß auch nicht, was es sein soll oder was es uns nüt zen würde, wenn wir es fänden, aber wir werden weiter danach suchen! Und ich verlasse mich auf dei ne Unterstützung.« Das war ein Standpunkt, den er mit niemand ande rem geteilt hätte. Aber es war einfach unvernünftig, ohne die geringste Hoffnung weiterzumachen. Und
so brummte Dan schließlich: »Allright. Dann bemühst du dich eben, die Riesen zu täuschen, wenn es auch nichts nützt, und ich bemühe mich darum, unserer kleinen Gruppe hier etwas Mut zu machen.« Steve ging wieder in die Passagierkabine zurück. Dort herrschte eine eigenartig gedämpfte Stimmung. Barry, der Junge, saß an einer Luke und blickte im mer wieder hinaus, um dann gleich wieder den klei nen Chipper, den er auf dem Schoß hielt, zu strei cheln. Betty Hamilton musterte die wenigen Lebens mittel in ihrer kleinen Kombüse, die normalerweise dazu dienten, den Passagieren auf einem Suborbital flug zwischen Los Angeles und London Erfrischun gen zu bieten. Sie versuchte, aus den geradezu mi kroskopischen Vorräten, ein Mahl zu zaubern. Marjorie starrte zu einer Luke hinaus, die Hände ineinander verschlungen, als wolle sie sie dadurch daran hindern, zu zittern. Valerie blickte gleichsam ablehnend auf die fremdartige Welt hinaus. Wilson stellte auf einigen Papierfetzen, die er aus den Ta schen gezogen hatte, Berechnungen an. Es war kaum vorstellbar, daß astronomische Beobachtungen den augenblicklichen Stand der Dinge verändern würden, aber er schien ganz in seine Arbeit versunken. Fitz hugh starrte wie blind zu der Luke neben seinem Sitz hinaus. Seine Hände krampften sich um die Armstüt zen seines Sessels. Er kämpfte offenbar verzweifelt
gegen seine erneut zerrütteten Nerven an. Beinahe hätte er seine Selbstkontrolle wiedergefunden, aber der Kampf mit den drei Raketen war zuviel für ihn gewesen. Er mühte sich immer noch, den Anschein von Ruhe zu erwecken. Aber es war nicht möglich. Er schämte sich. Es war eigenartig, daß dieses Gefühl totaler Nie dergeschlagenheit beinahe alle gleichzeitig erfaßt hat te – und zwar unmittelbar nach einem eindrucksvol len Sieg über die Robot-Raketen, bei denen es sich wahrscheinlich um die höchstentwickelten Waffen der Riesen handelte. Sie dachten nicht an unmittelbar bevorstehende Gefahr. Sie dachten an die Möglich keit, auf eine Zukunft zu hoffen. Zugegeben, sie hat ten drei riesige, radargesteuerte Mordwaffen vernich tet, und das war sehr beachtlich. Aber es war sinnlos. Sie waren nur dem unmittelbaren Tode entgangen. Und sie konnten nur einer steten Folge von Fluchtsi tuationen entgegenblicken und dem Wissen, daß sie irgendwann einmal nicht mehr entkommen würden. Und das würde ihr Ende sein. Rein logisch betrachtet hatten sie das Recht, alle Hoffnung aufzugeben. Das sollte ihnen sehr bald verdeutlicht werden. Aber es war klug, ob es nun vernünftig war oder nicht, weiterzukämpfen. Und auch das wurde ihnen schließlich klar.
7
Der Tag verstrich. Es war immer noch früh am Mor gen, als die Spindrift sich schließlich auf dem Berg kamm niederließ, den Dan aus der Luft entdeckt hat te. Dan und Steve wechselten sich im Cockpit ab und waren jederzeit bereit, den Bug des kleinen Schiffes zu heben und zu starten, sollte Gefahr auftauchen. Sie sorgten sich jetzt um den Zeitraum, der zwischen ei nem Alarm und dem Augenblick verstreichen würde, in dem das Schiff aufsteigen konnte. Es gab zwar Hilfsaggregate, die in einem Notfall das Schiff allein tragen konnten, aber sie beanspruchten so viel Ener gie, daß mit einer Überlastung des Meilers gerechnet werden mußte. Gegen Mittag räumte Steve widerwillig ein, daß bis jetzt keine Gefahr aufgetaucht war, so daß man sich daran machen konnte, die Umgebung zu erforschen. Diese Aufgabe übernahm er natürlich selbst. Er öffne te die Luke und ging mit einer Steinaxt bewaffnet hinaus. Er sah sich nach möglichen Gefahren um. Schließlich kam er zurück und bestätigte, daß eine gründlichere Untersuchung ihrer Umgebung inner halb bestimmter Grenzen mit einiger Wahrschein lichkeit gefahrlos verlaufen dürfte. Sie machten sich auf den Weg. Wilson trug eine
schwere Steinaxt und Barry eine etwas leichtere. Chipper umwedelte sie natürlich, wohin auch immer sie gingen. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten den kleinen Hund ziemlich aus dem Gleichgewicht ge bracht, so daß er sehr schreckhaft geworden war. Das machte ihn zu einem nützlichen Begleiter. Als sie hinausgingen, schloß Dan sich ihnen an und ging neben dem Schiff auf und ab. Niemand gab zu, daß sie alle Hoffnung aufgegeben hatten. Valerie und Betty mühten sich weiterhin, ihre knappen Vorräte zu strecken und daraus eine Mahlzeit für acht Personen zu bereiten. Fitzhugh schien sich wieder ganz in seine Neurose zurückgezogen zu haben. Seine Muskeln waren diesmal allerdings gespannt und nicht flach. Seine Hände waren geballt und zitterten nicht mehr. Seine Augen blickten nicht mehr wie gebannt auf ei nen Punkt, wie das vorher der Fall gewesen war. Er kämpfte verzweifelt darum, sein Selbstvertrauen zu rückzugewinnen. Marjorie runzelte etwas unsicher die Stirn, als bemühte sie sich, an etwas anderes als ihre verzweifelte Lage zu denken. Schließlich stand sie auf und ging ins Cockpit. Steve saß auf seinem Pi lotensessel und starrte auf die Instrumente. Er war unsicher. »Das ist doch ein Bauernhaus dort drüben, oder?« fragte Marjorie. »Sieht so aus«, nickte Steve.
»Und die Riesen sind so wie wir?« »Wenn man von der Größe absieht«, räumte Steve ein, »sehen sie wie wir aus, scheinen wie wir zu den ken und sind genauso Duplikate von uns wie alles hier ein Duplikat von irgend etwas auf der Erde ist.« »Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen«, sag te Marjorie wesentlich bestimmter als diese Feststel lung es eigentlich erforderte. »Wenn die Bauernhöfe hier genauso betrieben werden wie die zu Hause –« Steve wartete. »– dann sollte der Mais zwei Meter lange Kolben haben«, sagte Marjorie. »Aber ich glaube, ich könnte schneller als die meisten anderen Maiskolben, Weizen und solche Dinge finden. Und wenn es Hühner gibt – « »Dann würde ich annehmen«, führte Steve den Satz für sie zu Ende, »daß ein ganz gewöhnliches Huhn hier etwa zwanzig Kilo schwer sein sollte. Ich wäre nicht besonders scharf darauf, mich mit einem Huhn auf einen Ringkampf einzulassen, sofern wir hier nicht einen Einbrecheralarm auslösen wollen.« Marjorie holte tief Luft. »Jedenfalls«, meinte sie hartnäckig, »dürfte es mir am ehesten gelingen, Maiskolben, Weizen und vielleicht Hafer zu finden oder was es sonst hier auf Bauernhöfen gibt. Falls die Bauernhöfe hier so sind wie zu Hause.« »Worauf Sie hinauswollen«, sagte Steve, »ist mit
anderen Worten, daß Sie sich freiwillig zu der Grup pe melden wollen, die Getreide sucht. Aber das ist ge fährlich.« »Sie denken dabei an Ratten«, sagte sie plötzlich. »Dazu kann ich nur sagen, daß auf Bauernhöfen die Ratten normalerweise nicht halbverhungert sind. Also sind sie eigentlich gar nicht gefährlich. Jeder von uns könnte eine Ratte mit einem großen Stock vertreiben. Selbst die Katzen auf Bauernhöfen sind wohlgenährt. Sie dürften also auch nicht gefährlich sein.« »Mag schon sein«, nickte Steve. »Aber ich habe für Katzen nicht besonders viel übrig.« Marjorie wandte sich zur Tür. »Ich wollte nur sa gen, daß ich zu mehr nütze bin als mich füttern zu lassen, wenn das Essen knapp ist.« Sie ging hinaus. Steve nickte wie im Selbstge spräch. Es war eigenartig, daß alle Insassen der Spin drift – Fitzhugh einmal ausgenommen – sich jetzt tap fer bemühten, ihre Hoffnungslosigkeit vor den ande ren zu verbergen. Und es war noch eigenartiger, daß all diese Tapferkeit ihre Chancen trotzdem nicht ver bessern würde. Aber die Zeit verstrich und nichts geschah. Wilson und Barry hatten das Schiff kurz nach Mittag verlas sen. Um drei Uhr nachmittags kamen sie mit wahren Schätzen zurück. Barry hatte beide Arme voll jungen Farnkräutern. Es handelte sich um eine Art von Far
nen, wie sie an feuchten schattigen Stellen wachsen. Man findet sie häufig am Ufer von kleinen Flüßchen, und die jungen Schößlinge stechen aus dem Boden und rollen ihre Spitzen auseinander. Und die Spitzen sind eßbar. Sie schmecken so ähnlich wie Spargel wenn man sie kocht und in rohem Zustand geben sie einen ganz brauchbaren Salat ab. Barry hatte beide Arme voll von dem Zeug. Wilson trug eine noch schwerere Last. Pilze – ihre Stiele und Hüte waren von weißlicher Farbe. Die Hü te durchmaßen einen guten Meter. Falls sie eßbar wa ren, würden sie ihnen tagelang reichen. »Pilze!« triumphierte Wilson. »Champignons, um es genau zu sagen! Jetzt wird gespeist!« »Falls Sie sicher sind, daß man sie essen kann.« Steve war wie immer argwöhnisch. »Sehen Sie sich doch die Farbe an!« meinte Wilson selbstgefällig. »Weiß. Über und über weiß. Der Stiel fühlt sich wie Kork an und ist von weißer Farbe. Und die Lamellen sind am Stiel nicht angewachsen. Und ebenfalls weiß. Und nirgends am Stil ist ein Ring. Sie wachsen in einer Lichtung, wo das Gras ganz niedrig ist. Es sind Champignons!« Auch Marjorie war überzeugt. »Ja, das sind eßbare Pilze. Und was das beste ist, man kann sie trocknen und monatelang aufbewahren. Wir müssen sie schneiden und irgendwie zum Trocknen aufhängen.«
»Wenn Sie wissen wie man das macht, dann kön nen Sie das ja übernehmen«, sagte Steve. »Wir ma chen inzwischen etwas zu Essen.« Er konnte die Hochstimmung der anderen nicht teilen. Das war Glück – zumindest etwas zu essen. Aber für ihre Rückkehr zur Erde bestand noch nicht der leiseste Schimmer einer Hoffnung, und solange diese Möglichkeit nicht bestand, war es sinnlos, Nah rung zu finden und Raketen zu vernichten. Trotzdem mußten sie alle so tun, als hätte ihr Dasein einen Sinn. Dan kam ins Cockpit, als die anderen es gerade verließen. Er sagte mit schwerer Stimme: »Hier wird gepflügt. Und zwar in Richtung auf uns zu. Ein Ge spann mit zwei Pferden. Man sollte meinen, daß die Riesen Traktoren hätten!« »Wir hatten Ärger mit Riesen auf einem Schoner. Und andere Riesen machen Raketen. Bei uns zu Hau se gibt es doch auch Bauern. Warum nicht auch hier?« Dan knurrte bloß. »Diese Pferde!« stieß er hervor. »Ich habe ihnen zugesehen. Es ist schon schlimm ge nug, einen Riesen vor sich zu sehen, der so groß wie ein Bürohaus ist. Aber Pferde so groß wie Öltanker – und zwar große Öltanker – das ist einfach wider die Natur!« Steve sagte nichts. Dan gab jetzt seiner Niederge schlagenheit nach. Bis zu diesem Morgen war jeder
Atemzug, den die Leute von der Spindrift taten, gefähr lich gewesen. Und jetzt befanden sie sich – wenigstens für den Augenblick – wie es schien in Sicherheit. Für ein paar Stunden brauchte keiner sich auf unmittelbare Ge fahr einzurichten. Deshalb konnte man jetzt in die Zu kunft blicken und erkennen, wie absolut hoffnungslos ihre Lage war. Das half ihnen zwar auch nicht weiter, aber dagegen ließ sich nichts machen. Zwischen drei Uhr und sechs Uhr nachmittags gab es nur ein einziges Ereignis. Und das war das Essen: Pilze en Casserole. Betty servierte mit mürrischer Mie ne. Sie hatte Butter, Salz und Pfeffer zur Verfügung gehabt, nicht dagegen Majoran, Schnittlauch und Weißwein, was erst ein wahres Feinschmeckermahl ausgemacht hätte. Betty entschuldigte sich die ganze Zeit dafür, aber Steve meinte, sie würden über kurz oder lang schon zwei Meter langen Schnittlauch fin den, wenn sie Wert drauf legte. In diesem Sinne ver lief der Großteil der Unterhaltung. Auch die Farn spitzen schmeckten in ihrer Verkleidung als Spargel nicht schlecht. Aber es gab keinen, der auch nur einen Funken Hoffnung verspürte. Während des restlichen Tages mühten sich alle wieder ab, normales Verhalten an den Tag zu legen. Und als dann die Sonne hinter den Horizont sank und es Zeit wurde, sich auf den Abend vorzuberei ten, verbesserte sich die Stimmung etwas.
Fitzhugh war alles andere als ein anregender Ge fährte, aber zumindest nahm er jetzt an seiner Umge bung Anteil, bis Steve ihn wieder damit beauftragte, seine Arbeit am Antriebsaggregat fortzusetzen. Da mit war er beschäftigt gewesen, als am Morgen die Raketen aufgetaucht waren. Jetzt machte er weiter. Dan fragte, was das Ganze zu bedeuten hätte, aber Steve tat so als hätte er nicht gehört, und beantworte te eine Frage, die Wilson gestellt hatte. Wilson wollte die Sterne untersuchen. Er hatte ei nige Berechnungen angestellt und wollte diese jetzt überprüfen. Er ging hinaus. Dan begab sich wieder ins Cockpit zurück. Valerie und Marjorie streiften Sitzbezüge von den Passagiersesseln. Dann wurde es Nacht. Die Monde waren noch nicht aufgegangen, und die nächste Stunde würde der dunkelste Teil der Nacht sein. Jetzt bestand die beste Chance für die Spindrift, unbeobachtet etwas zu unternehmen. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang waren al le an Bord und angeschnallt. Der Bug des kleinen Schiffes hob sich und reckte sich den Sternen entge gen. Und dann schwebten sie durch die Nacht. Die Außenmikrophone trugen die nächtlichen Ge räusche ins Cockpit. Grillen zweifellos. Bestimmt auch Grashüpfer. Sonst gab es wenig, wenn man von gelegentlichen gedämpften Schlägen absah, wobei es
sich eigentlich gar nicht um Geräusche, sondern um die Flügelschläge riesiger Motten handelte, die un sichtbar unter den Sternen flatterten. »Wir hätten dieses Haus anpeilen sollen«, sagte Dan. »Es sollte doch Licht dort geben«, antwortete Steve. Und wie auf Kommando flackerten jetzt in der Ferne Lichter. Ganz plötzlich geschah das, nicht lang sam wie bei Öllampen, die man anzündet. Die Spin drift schwebte im Schrägflug über das Plateau. Zum Teil war es frisch gepflügt. Steve meinte beunruhigt: »Wir sollten jetzt eigentlich die Hilfsaggregate ein schalten und in Schwebeflug übergehen, aber ich möchte keine Energie verschwenden.« Im Licht der Sterne konnten sie deutlich den Unter schied zwischen dem gepflügten und dem unge pflügten Land erkennen. Es gab einen absolut dunk len Streifen – das kleine Flüßchen. Steve benutzte es als Wegweiser. Die Lichter in dem fernen Bauernhaus gingen aus und an, wenn die Zweige ihnen die Sicht versperrten. Und dann lagen Haus und Hof unter ihnen, un deutlich beleuchtet von dem Licht, das aus den Fen stern fiel. Die Gebäude waren deutlich zu erkennen, da sie rechteckige Form hatten. Das Haus selbst war eine angemessene Behausung für Wesen, die größer waren als die meisten Bäume, die es auf der Erde gab.
Die Stallungen waren kolossal. Dann gab es ein etwas kleineres, aber dennoch imposantes Gebilde, bei dem es sich um einen Kornschober handeln konnte, sowie eine längliche Silhouette, in der vermutlich Werkzeu ge aufbewahrt wurden. Und dann war da noch eine riesenhafte Struktur, die selbst das Wohnhaus hätte klein erscheinen lassen, wäre das nicht in sich gigan tisch gewesen. Dieses monströse Gebilde war die Scheune – und das größte Gebäude auf der Erde – ei ne riesige Halle, in der interplanetarische Raketen montiert wurden – hätte in den Heuboden dieser Scheune gepaßt und es wäre noch genügend Platz übriggeblieben. Steve ließ die Spindrift langsam tiefer sinken. Eine Tür öffnete sich im Hauptgebäude und ein schmaler Lichtstreifen fiel heraus. Steve bremste. Sie befanden sich jetzt zehn oder fünfzehn Meter über dem Gut ei nes Riesen, der durch die offene Tür trat. Das war nicht genug. Aber der Riese ging jetzt über den Hof und unter das Schuppendach. Fremdartig ächzende Geräusche ertönten. Und dann erkannte Steve, daß dieser Lärm in Wirklichkeit das Gackern von Hüh nern war. Der Riese tat irgend etwas in dem Schuppen. Wahrscheinlich sammelte er Eier. Jetzt ging er wieder zum Haus zurück. Der Lichtstreifen auf dem Boden verschwand, als die Tür sich hinter ihm schloß.
In dreißig Meter Höhe steuerte Steve die Spindrift vorsichtig um die Scheune herum. Die massiven Boh len, aus denen die Scheune bestand, kam näher und entfernten sich wieder. Immer tiefer sank die Spin drift. Dann setzte sie auf dem Boden auf. Steve warte te. Schließlich ließ er die Maschine in Ruhestellung absinken, so daß ihr Rumpf parallel zum Boden war. Die nächtlichen Geräusche hielten an. Man konnte sie im Schiffsinneren so deutlich hören, daß Steve glaubte, die einzelnen Sänger identifizieren zu kön nen. Und dann gab es weniger vertraute Geräusche. Halbersticktes Stampfen. Tierische Laute. Er spannte alle Muskeln an und ärgerte sich dann gleich darüber, daß er sich so verhielt. Das waren Pferde, die frei im Hof herumlaufen durften. In kurzer Zeit würde man sie in die Stallungen führen, wo Hafer und Heu auf sie warteten. »Ich mache mich jetzt auf den Weg«, sagte Steve plötzlich. Er stand auf. Dan protestierte sofort. Steve bestand darauf, alle Gefahren auf sich zu nehmen. Auf der Insel der Rieseninsekten war es genauso gewesen. Ebenso auf dem Schoner und dem kleinen Felsvorsprung, den die Spindrift soeben verlassen hatte. Es war höchste Zeit, daß er einmal eine solche Aufgabe übernahm. Nein – es ging einfach nicht an, daß Steve jedes Risiko auf sich nahm. Dan würde das nicht zulassen.
Steve verließ das Cockpit ohne zu antworten. Für ihn war die Sache ganz klar: es mußte jemand zu rückbleiben, der in der Lage war, die Spindrift zu steuern. Folglich durften er und Dan das Schiff nicht gleichzeitig verlassen. Aber Dan protestierte immer noch. Wenn jemand riskiert werden durfte, so war er, Dan, das. Steve hatte Entscheidungen getroffen, an die er nicht einmal gedacht hätte. Er hatte in all den Gefahren, die sie bisher bestanden hatten, ihre Si cherheit garantiert. Dans Stimme wurde immer lauter. Die Führerrolle in der Lage, in der die Spindrift sich befand, war keine Frage von Verträgen oder Klauseln. Steve traf die Entscheidungen, weil er der selbstverständliche An führer der sieben anderen war, aber Dan war bereit, es eher zur Meuterei kommen zu lassen als zuzulas sen, daß Steve sich ständig in Gefahr begab. Einen angemessenen Anteil davon – seinetwegen. Dan konnte sich sogar damit abfinden, daß ein Problem, in dem es auf besonderes Wissen oder besondere Fer tigkeiten ankam, Steve zukam. Aber hier ging es le diglich um eine Scheune! Hier dürfte es überhaupt keine Gefahren geben. Steve sollte nicht darauf beste hen – Das Argument taugte nicht besonders viel. Wenn hier keine Gefahr bestand, so machte es ja nichts aus, wenn Steve die Maiskolben oder den Weizen oder
was sonst sie finden mochten, holte. Und doch be stand Dan darauf, die Gefahr mit ihm zu teilen, wäh rend er gleichzeitig hoch und heilig beteuerte, daß es überhaupt keine Gefahr gab. Die anderen schlossen sich seinem Protest an. Und dann brachte Wilson das einzig vernünftige Argument. Wenn keine Gefahr besteht, können wir ebensogut alle gemeinsam gehen. Dann bringen wir alles, was wir brauchen auf einmal zurück. Und wenn auch nur etwas Gefahr bestehen sollte, so wird die dadurch ge ringer, wenn wir nur einen Ausflug unternehmen und nicht gleich mehrere. Wenn echte Gefahr vor liegt, mit der man sich auseinandersetzen kann, so schaffen wir alle miteinander das bestimmt leichter als einer allein. »Ich gehe!« erklärte Valerie sofort. Ein Durcheinander erhob sich. Marjorie ging ent schlossen zu der Stelle, wo die Steinäxte abgestellt worden waren. Sie zogen sie heraus. Betty ver schwand einen Augenblick und kam dann mit Ga beln und Steakmessern aus ihrer Kochnische zurück. Es gehörte wirklich viel Selbstvertrauen dazu, das als Waffen zu bezeichnen. Steve sah Bettys Gesichtsaus druck. Es gab kein Argument auf der ganzen Welt, das sie daran hindern konnte, mitzugehen, wenn all die anderen gingen. Barry grinste erregt. Er erklärte all den Erwachsenen – die ihm überhaupt nicht zu
hörten – daß Chipper schon auf Gefahren achten und sie warnen würde. Es war wirklich eigenartig, daß alle mit ungeheurer Gefahr rechneten, wo sie doch nur dem Riesen etwas Mais stehlen wollten – so wenig, daß er es wahr scheinlich nie bemerken und vermutlich überhaupt nicht messen konnte. Kurz darauf drücke Dan auf den Knopf der Außen tür und sah zu, wie die Treppe sich hinausschob. Alle drängten sich um ihn. Steve konnte ihren Protesten nur beschränkten Widerstand entgegensetzen. Schließlich konnte auf dem Hof eines Riesen-Bauern keine echte Gefahr bestehen. Er gab sich geschlagen und führte sie die Lande treppe hinunter. Im Osten gingen gerade die beiden Monde auf. Man konnte jetzt die Farmgebäude deut lich erkennen. »Das hier ist die Scheunendecke«, meinte er und deutete darauf. »Wir bleiben natürlich zusammen, aber die Scheune ist der größte Bau hier, und wenn einer von uns von den anderen getrennt werden soll te, treffen wir uns wieder an dieser Ecke – weil hier auch die Spindrift liegt.« Er führte sie zu der Ecke und darum herum. Hier gab es einen Zaun. – In der Ecke war ein kleines Gat ter angebracht. Davor lagen weite Felder. Unmittel bar neben dem Gatter stand ein riesenhafter Pflug,
den man nach der Tagesarbeit zurückgebracht hatte, ihn aber für das Pensum des nächsten Tages bereitge stellt hatte. Sie gingen unter dem Zaun hindurch, oh ne sich bücken zu müssen. Jetzt fiel das Mondlicht auf die Pferde. Sie waren so riesig, daß einem angst und bange wurde. Aber sie verhielten sich genauso wie Pferde sich immer ver halten, wenn ihre Umgebung sie in Frieden läßt. Sie fraßen Gras und unterhielten sich miteinander – so wie Pferde das immer tun, mit einem kurzen Schnau ben oder einem Blähen der Nüstern. Sie fühlten sich ganz wohl. Marjorie achtete gar nicht auf sie. »Das Korn ist im Kornspeicher«, erklärte sie sachverständig. »Dort ge hen wir hin.« Sie übernahm die Führung. Steve kam das zwar etwas eigenartig vor, aber er folgte ihr. Die anderen kamen dicht dahinter. Der Geruch des Bauernhofs er zeugte Heimweh in ihnen, selbst auf diesem fremden Planeten, dessen zivilisierte Rasse entschlossen war, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, sofern sie je davon gehört hatten – um sie zu vernichten. Irgendwo in der Ferne war ein dumpfes Murmeln zu hören. Das war die Brandung, die gegen die unte ren Ausläufer des Berges schlug. Dann gab es hier nächtliche Geschöpfe, die in Bariton und Baß sangen, statt Sopran. Dann waren da auch die lauten eigenar
tigen Geräusche wie sie entstehen, wenn der Wind durch Laubbäume bläst und die Blätter aneinander rascheln. Sie passierten den Kornschober an seiner rechten Seite und gingen auf den Scheuneneingang zu. Dann sahen sie die riesige Öffnung in der Mitte, von der aus der Heuboden gefüllt wurde. Valerie stolperte. Sie war auf irgendeinen Gegen stand getreten. Sie hätte stürzen können, aber Fitz hugh hielt sie am Ellbogen fest und bewahrte sie vor dem Sturz. Eigentlich war sie erstaunt, daß er mitge kommen war. Als sie wieder fest auf den Füßen stand, bückte sie sich und fand einen massiven, etwa fünfzehn Zentimeter langen, fünf Zentimeter dicken und acht Zentimeter breiten Gegenstand. Es war ein Korn aus einem Maiskolben. Sie gab es weiter. Marjo rie sagte: »Oh, natürlich! Es ist heruntergefallen. In dem Maisschober bewahren die bloß einzelne Körner auf. Die Kolben liegen bestimmt etwas weiter vorn.« Sie gingen weiter. Nichts wies auf drohende Gefahr hin. Falls es hier einen Hofhund gab, so residierte der entweder im Haus oder war irgendwo unterwegs. Je denfalls unterbrach kein Bellen die nächtliche Stille. Alles schien ganz normal, so als wären sie irgendwo auf der Erde. Und sie wollten ja auch nur deshalb ein paar Körner stehlen, weil es nicht möglich war, wel che zu kaufen oder darum zu bitten.
Marjorie blieb stehen und die anderen taten es ihr gleich. »Das hier ist der eigentliche Kornspeicher«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wir hätten eine Taschenlampe mitbringen sollen.« »Das haben wir auch«, sagte Steve. Er holte sie aus der Tasche. Sie standen vor der halboffenen Tür eines Gebildes, das wie eine riesen hafte Taverne wirkte. Eine Stange, etwa von der Län ge und der Dicke einer Telefonstange hielt die Tür of fen. Wahrscheinlich hatte man das getan, damit die Feuchtigkeit entweichen konnte. Marjorie stand auf Zehenspitzen da, um über die Türschwelle hinweg zusehen. Dann nahm sie die Taschenlampe und such te ihre Umgebung damit ab. Es war ein Kornspeicher, sonst nichts. Aber es gab keine Kästen. Säcke zum Bersten voll lagerten an den Wänden, jeder gefüllt, vernäht und bereit, irgendwo hingeschafft zu wer den. Der ganz besondere Geruch von Korn in Säcken schien all die anderen Gerüche des Bauernhofes zu überlagern. Dan kletterte. Jetzt hatte er die Türschwelle be zwungen – ein zwei Meter dickes Brett. Er griff hin unter. »Wer ist der nächste?« Das war Barry. Er zog ihn mit einer Hand in die Höhe, während die andere Chipper umfaßte. Dann
kam Betty. Valerie mit ihrer Steinaxt. Wilson, eben falls mit einer Axt. Selbst Fitzhugh verzichtete einen Augenblick darauf, die Zähne zusammenzubeißen. Einen Augenblick klapperten sie allerdings, ver stummten dann aber. Jetzt standen sie alle auf der Türschwelle und als sie kurz die Taschenlampe einschalteten sahen sie, daß der Boden innen auch nicht tiefer lag als der draußen. Einer nach dem anderen ließen sie sich hin unter. Steve war der letzte und er blickte noch einmal zur Farm hinüber, um zu sehen, ob der Riese viel leicht noch einmal herauskam. Das Farmhaus war von immenser Größe. Aber nur hinter zwei Fenstern brannte Licht. Alles schien sicher. Steve sprang auf den strohbedeckten Boden des Lagers herunter. Mar jorie sah sich nocheinmal mit Hilfe der Taschenlampe um. Die Wände bestanden aus weiß gestrichenen Bohlen, soweit sie nicht von Getreidesäcken verbor gen waren. Der ganze Raum war riesengroß. Hinten grenzte er an die Scheune an. Steve nahm die Taschenlampe und sagte leise: »Ei gentlich sollte keine Gefahr bestehen, aber wir wollen wirklich nicht das geringste Risiko eingehen. Wir können uns nicht leisten, daß hier jemand Alarm schlägt.« Er hielt das Glas der Taschenlampe so umfaßt, daß nur ein schmaler Lichtstreifen durch seine Finger fiel.
Die riesigen Getreidesäcke waren aus schwerem braunen Rupfen zusammengenäht. Der Getreidege ruch war sehr stark. Die Säcke unmittelbar vor ihnen enthielten Weizen. Er rief leise nach Wilson. Der kam näher, und Steve schnitt einen kleinen Schlitz in den ihm am nächsten liegenden Sack. Die Weizenkörner hatten etwa die Größe von Walnüssen. Sie flossen in einem stetigen Strom in den Sitzbezug, den sie zu diesem Zweck mitgebracht hatten. Steve ging weiter. Er füllte Bettys Sack mit Mais, wobei jedes einzelne Korn etwa die Größe eines Ziegelsteins, aber ein we sentlich geringeres Gewicht hatte. Weizen für Fitz hugh, Mais für Barry. Und dann für Dan und Valerie noch einmal Weizen. Im Haus schlug eine Türe. Steve knipste sofort sei ne Taschenlampe aus, aber er hatte ohnehin nur einen winzigen Lichtfleck sichtbar werden lassen. »Verschwindet!« befahl er. »Die Säcke mitnehmen. Am besten verstecken Sie sich unter den großen Säk ken. Aber schnell!« Aber er machte kein Licht, um ihnen die Flucht zu erleichtern. Schweigen. Stille. Chipper gab einen Laut von sich, aber Barry legte ihm sofort die Hand über die Schnauze. Draußen waren jetzt stampfende Ge räusche zu hören, dann ein Klatschen und das tiefe Dröhnen der Stimme eines Riesen. Wieder ein Klat schen. Steve schluckte. Und dann wurde ihm klar,
was vor sich ging. Der Riese war wieder aus dem Haus gekommen. Er trieb die beiden Pferde in ihre Boxen und klatschte ihm dabei auf die Flanken, um seinen Befehlen Nachdruck zu verleihen. Aus dem dumpfen Stampfen wurde jetzt ganz deutlich das scharrende Klappern von Hufen auf einem Bretter boden. Die Pferde gingen in ihre Boxen. Die Stalltür knallte zu. Noch einmal Klappern, dann Stille. Die Pferde hatten ihre Abendmahlzeit aus Heu und Hafer gefunden. Sie begannen friedlich zu fressen. Und dann hörte er die Schritte des Riesen. Sie gin gen nicht auf das Farmhaus zu. Sie kamen zur Scheu ne. Sie kamen zum Kornschober. Und Steve spürte, wie ihm eisige Schauder über den Rücken liefen. Und dann tauchte die schreckenerregende Silhou ette des Riesen vor der Tür auf, völlig schwarz vor ei nem sternenübersäten Himmel. Seine Hand hob sich und griff nach der Stange, die die Größe eines Tele fonmast hatte – die die Tür aufgespreizt hatte. Er stieß sie zur Seite. Jetzt konnte man die Tür schließen. Und er schloß sie. Dann versperrte er sie von au ßen. Er ging weg und die Leute von der Spindrift wa ren eingeschlossen – gefangen – in der Falle.
8
Das Mondlicht schimmerte auf dem Rumpf der Spin drift. Sie lag da und wartete auf die Rückkehr ihrer Insassen. Sie lag auf dem Boden, flach wie auf der Startpiste eines Raumhafens. Und ebenso wie auf ei nem Raumhafen war die Aufstiegsluke geöffnet und die Landetreppe ausgefahren. Das eine war unklug, das andere nötig, aber in ihrem Innern waren Geräu sche zu hören, die sich nicht erklären ließen. Die Ge räusche stammten von den Außenmikrophonen des Schiffes. Es handelte sich um die normalen Nachge räusche dieser Welt. Das übliche Zirpen und Summen und die Laute der Nachtvögel. Aber da war auch ein völlig neues Geräusch, das nur sehr empfindliche Mikrophone aufnehmen konnten. Die Maschinentöne kamen aus einer zu weiten Ent fernung, als daß man sie normalerweise bemerkt hät te. Wären sie noch aus etwas größerer Entfernung ge kommen, so hätten die Mikrophone sie nicht ent deckt. Und etwas näher, dann hätten sie die Auf merksamkeit eines Menschen geweckt. Aber jetzt handelte es sich nur um ein schwaches Murmeln. Es war das Geräusch motorbetriebener Fahrzeuge in weiter Ferne, die sich über eine primitive Straße dem Farmhaus näherten. Beinahe ein Dutzend Fahrzeuge
waren es. Und da es Fahrzeuge von Riesen waren, waren sie gigantisch. Sie rumpelten und polterten, und die Riesen, die in ihnen saßen, machten alles an dere als eine bequeme Fahrt mit. Die Waffen, die sie trugen, und insbesondere die riesigen Dynamos auf jeder Kombination aus Zugmaschine und Anhänger waren festgezurrt, um während der Fahrt keine Schäden zu erleiden. Die Fahrzeugkolonne näherte sich dem Farmhaus. Sie folgte einem Kabel, das an Masten befestigt war und zu der Farm führt. Die Riesengestalt auf dem Fahrersitz horchte immer wieder auf die Töne, die aus Lautsprechern kamen. Natürlich nicht Lautspre chern mit einem Radioprogramm. Aber das Energie übertragungssystem der Riesen gestattete es, auch gleichzeitig Nachrichten und das, was auf dieser Welt für Musik gehalten wurde, zu übertragen. Sie benutz ten die Stromkabel als Träger für Hochfrequenzströ me – aber nicht für Radiofrequenzen. Demzufolge konnten die Fahrzeuge per Induktion die Sprechsi gnale in Stromkabeln aufnehmen. Und das hatte zu dieser Expedition geführt. Die Kolonne war zu dem Farmhaus unterwegs, wo die Leute von der Spindrift gelandet waren. Sie hatten erfahren, daß etwas ge fährliches, tödliches dort gelandet sei und vernichtet werden mußte. Vom Standpunkt der Riesen aus be trachtet war das auch ganz richtig.
Wo die Spindrift lag hätten menschliche Ohren das Motorengeräusch nicht wahrgenommen. Wohl aber die Mikrophone des Schiffes. Aber sie waren noch weit entfernt. Steve und seine Begleiter hatten natürlich von dieser Expedition keine Ahnung. Sie befanden sich im Augenblick in einer unmittelbaren Gefahr. Kaum hatte sich nämlich die Haustür hinter dem Besitzer der Farm geschlossen, als sie in dem Korn schober, in dem sie praktisch gefangen waren, ein Geräusch vernahmen. Ein Geräusch, das auf eine Be wegung deutete. Und dann stieß irgendwo eine Stimme einen klagenden Laut aus, der so schauerlich klang, daß ihnen das Blut in den Adern zu gerinnen drohte. Wenn man in völliger Dunkelheit hört, wie ein Tier sich bewegt und stöhnt, ist das zumindest beunruhigend. Die Leute von der Spindrift waren gefangen, und ein unbekanntes Tier teilte ihr Gefängnis mit ihnen. Und dieses Tier gab Geräusche von sich, die darauf hindeuteten, daß es gefährlich war. Sie waren sehr ruhig und still. Der Geruch von Säcken und Getreide und Staub lag in der Luft. Das unsichtbare Tier gab knurrende Laute von sich. Und dann sagte Dan: »Wenn dieses Biest sich an uns heranmacht –« »Es bleibt an seinem Platz«, sagte Steve. »Ich möch te lieber annehmen, daß wir uns an das Tier heran machen.«
Jemand klapperte mit den Zähnen. Fitzhugh. Und dann flüsterte Barry: »Chipper weiß, wo es ist. Er möchte es anbellen.« »Laß ihn nicht«, sagte Steve. Wieder Schweigen. Dunkelheit und die halberstick ten Nachtlaute. Jetzt hörten sie Hufschläge auf dem Holzboden der Pferdeboxen. Draußen vor dem Korn schober schien absolute Ruhe zu herrschen, aber das unsichtbare Tier im Inneren gab andauernd Geräu sche von sich. Jetzt etwas, das wie das Blöken eines Schafes klang. Ein Rascheln. Aber alle natürlichen Laute auf diesem Planeten waren mehrere Oktaven tiefer als vergleichbare Töne auf der Erde. Das wurde Steve plötzlich klar, und er versuchte, herauszufin den, um was für ein Tier es sich handeln könnte. »Ich glaube«, sagte er leise, »daß wir uns ein wenig umsehen sollten. Das müssen wir riskieren.« Er knipste wieder seine Taschenlampe an, wobei er den Lichtkegel fast völlig abschirmte und nur einen schmalen Lichtstreifen zwischen seinen Fingern auf den Boden fallen ließ. »Ich glaube, es ist dort drüben, Sir«, sagte Barry atemlos. »Chipper sieht immer wieder dort hinüber als wollte er gleich losbellen.« »Dann wollen wir –« Er hielt inne, bewegte die Finger etwas auseinan der, um einen breiteren Lichtstreifen zu bekommen.
Etwa fünfzehn Meter von der Stelle entfernt, wo die Erdmenschen sich instinktiv zusammengedrängt hatten – gute fünfzehn Meter entfernt, und vielleicht einen halben Meter über ihnen hing etwas in der Luft. Als der Lichtstrahl es traf, zuckte es unwillkürlich zu sammen. Es war ein pelzbedecktes Wesen. Es schien dick. Es hatte einen langen dünnen Schwanz. Es hing an einer Schnur ähnlich dem Material, aus dem die Säcke bestanden und war nach den Maßstäben dieser Welt ein kleines Tier. Aber es war drei Meter lang, wobei der Schwanz noch gar nicht mitgerechnet war. Es hatte eine spitze Nase, scharfe Zähne und kleine verstörte Knopfaugen. Jetzt schlug es um sich. Die Schnur, die es festhielt, war eine Schlinge, die zu ei nem Ring in der Nähe der Decke führte und von dort zu einem Stapel Säcken. Die Schlinge hielt das Tier an einem der Hinterbeine fest. Es war eine Ratte von un gewöhnlich kolossaler Größe. Sie hatte sich in einer Falle gefangen, wie man sie normalerweise auf Waldwegen aufstellt. Dort biegt man einen jungen Strauch herunter, damit er die Schlinge und alles, was sich damit fängt in die Höhe reißen kann. Hier hatte man diese Falle im Inneren einer Scheune anstatt im Wald aufgestellt und benutzte anstelle des Strauches ein Gewicht und einen eisernen Ring. Aber es war ei ne ganz gewöhnliche Falle. Die Ratte hing an dem ei nen Fuß, den sie in der Schlinge hatte, wenigstens
fünf Meter über dem Boden. Sie war völlig hilflos und schlug verzweifelt um sich, aber das führte of fenbar zu nichts. »Darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu ma chen«, sagte Steve gleichmütig. »Aber wir müssen ei nen Ausweg aus diesem Bau finden!« Er begann, nach Bodenspalten oder Astlöchern zu suchen, die ihnen vielleicht die Flucht ermöglichen könnten. Sie brauchten natürlich nur das Äquivalent eines Mauselochs oder eines Rattenganges. Aber der Kornschober war solide und kräftig gebaut. Das Bal kenwerk war kolossal. Die Wände waren Planken, zwei Meter breit und beinahe dreißig Zentimeter dick. Die Decke bildete natürlich gleichzeitig den Fußboden des Heuschobers darüber. Aber es gab keine Öffnungen, keine Spalten, keine Fehler in der Wand. Dieser riesige Farmer mußte sein Haus gut in Schuß halten. Hätte Steve diese Farm und ihre Gebäude bei Tageslicht beobachten können, so hätte er erkannt, daß hier nichts reparaturbedürftig war. Diese Farm wurde von einem lebenden Koloß, der zugleich ein Pedant und ein Muster an Ord nungsliebe war, bewirtschaftet. Es gab keine Flucht aus dem Kornschober. Steves Su che wurde verzweifelt. Jetzt setzte er seine Taschen lampe ganz offen ein und untersuchte nicht nur die Bretter bis hinunter zu den massiven Fundamenten,
sondern auch die Wände. Es war völlig aussichtslos, diese Kornsäcke zu bewegen, um hinter ihnen etwas zu suchen, was es wahrscheinlich ohnehin nicht gab. Die Leute von der Spindrift waren ganz einfach gefangen und das war noch ärgerlicher, weil es sich um einen rei nen Zufall handelte. Man hatte sie nicht überlistet, war nicht schneller oder tüchtiger als sie gewesen. Sie hat ten einfach nicht aufgepaßt. Nein nicht einmal das, das Schicksal hatte sie in die Falle gelockt. Und dann sagte Fitzhugh plötzlich. »Wenn es hell wird und ein Riese hinter die Scheune geht, wird er die Spindrift sehen.« Steve gab keine Antwort. Aber er wußte sehr wohl, daß heute gepflügt worden war und daß der Pflug draußen bereitstand, um morgen wieder benutzt zu werden. Man würde sie sehen, daran bestand kein Zweifel. »Wenn die das Schiff sehen«, sagte Fitzhugh, »dann erkennen sie es sofort an den Luken und Trep pen, daß es etwas Ungewöhnliches ist. Sie werden so fort wissen, daß es von Leuten wie von uns benutzt wurde. Und dann werden sie anfangen, nach uns zu suchen. Vielleicht mit Hunden. Riesigen Hunden.« Steve schaltete die Taschenlampe aus. Er war der Anführer dieser Gruppe. Ihr Schicksal lag in seiner Hand. Er war dafür verantwortlich. Er ballte die Fäu ste und versuchte, sich eine Lösung für diese unmög
liche Lage auszudenken. Die Ratte zappelte in ihrer Schlinge. In ihrer Todesangst stieß sie einen Schrei aus, der ihre Verzweiflung, ihre Angst und zugleich ihre Auflehnung gegen das scheinbar unvermeidbare Schicksal ausdrückte. Jetzt meldete Barry sich vorsichtig zu Wort. »Ich habe da einmal eine Science-Fiction-Geschichte gele sen – –« Dann hielt er inne. Steves Aufforderung klang nicht gerade einladend und alles andere als herzlich: »Nur 'raus damit.« Das klang recht pessimistisch. Und dann, ironisch: »Sag es uns nur, Barry. Mach ei nen Vorschlag, was wir tun sollen.« Die Ratte in ihrer Schlinge schien zu wimmern. Und Steve bohrte jetzt: »Also los, Barry! Was hast du in dieser Science-Fiction-Geschichte gelesen?« Der Junge war jetzt etwas verlegen. »Eigentlich – eigentlich war es gar keine Geschichte, Sir. Ich dachte nur, daß es uns gar nichts hilft, daß die Ratte gefan gen ist. Und außerdem leidet sie. Das hilft uns auch nichts. Also –« Er verstummte. Und jetzt bewegte Steve sich plötz lich in der Dunkelheit. Er atmete tief. Und dann mein te er: »Das könnte eine Chance sein, Barry. Die Aus sichten stehen etwa eine Million zu eins, aber eine andere Chance haben wir nicht. Also los. Du hast daran gedacht. Willst du die Ratte befreien?«
»Sie tut mir einfach leid, wie sie so da hängt«, sagte Barry etwas verstört. »Wenn Sie natürlich glauben, daß es – gefährlich ...« »Ich mach dir Licht«, sagte Steve. Er knipste seine Taschenlampe wieder an. Betty nahm den zitternden kleinen Hund, um ihn zu halten, bis Barry zurück kam. Steve leuchtete dem Jungen mit der Taschen lampe. Barry kletterte mühsam zwischen zwei gefüll ten, enorm großen Getreidesäcken hindurch, bis er die Stelle erreicht hatte, wo ein riesiges eisernes Ge wicht lag, das an der Schnur befestigt war, die die Ratte in die Höhe gerissen hatte. Keuchend säbelte Barry mit seinem Taschenmesser an der Schnur her um. Und dann riß plötzlich die letzte Faser ab, und die Ratte fiel auf den Boden. Offenbar benommen blieb sie dort liegen. Wieder benutzte Steve seine Taschenlampe, um Barry den Weg zu zeigen. Die Ratte lag immer noch auf dem Boden und ihre Knopfaugen blinzelten. Jetzt war Barry zurückgekehrt. »Ich sollte, glaube ich, das Seil noch einmal abschneiden, Sir«, sagte er ängstlich, »sonst bleibt sie noch einmal irgendwo hängen, wäh rend sie zu fliehen versucht.« Steve sagte nichts, sondern bewegte nur den Licht kegel seiner Lampe. Barry näherte sich der Ratte. Die Ratte beobachtete ihn verängstigt. Barry schnitt das Seil noch einmal, ganz dicht bei dem Fuß, um den
immer noch die Schlinge lag, ab. Dann ging er zu rück, um Chipper von Betty entgegenzunehmen. »Ich denke, das ist recht dumm von mir«, sagte er, wie um sich zu entschuldigen, »aber sie hing dort an einem Bein und das war bestimmt – ziemlich schlimm.« Steve beobachtete die Ratte. Und dann begann sie plötzlich sich verängstigt zu regen. Sie stand auf. Der Fuß, an dem immer noch die Schlinge hing, schien kraftlos zu sein. Das kurze Stück Schnur störte die Ratte, aber dennoch sah sie sich um und strebte dann einer der Wände entgegen, wo die Kornsäcke bis zur Decke reichten. Sie hinkte jetzt noch auffälliger als zuvor. Die Schlinge fiel ab. Die Ratte blieb stehen, vielleicht erstaunt. Und dann – immer noch hinkend – kroch sie in ein Loch, das hinter einem vollgestopf ten Kornsack verborgen war. Dort mußte es also eine Art von Tunnel geben. Die Ratte ging hinein und ver schwand. »So«, sagte Steve beinahe grimmig, »jetzt wollen wir nachsehen, ob dieses Biest uns einen Ausweg ge zeigt hat. Jedenfalls hat es uns gezeigt, wo wir uns verstecken können. Aber ich würde lieber zum Schiff zurückgehen.« Er kroch hinter der Ratte in den Tunnel. Die Ta schenlampe nahm er mit. Jetzt herrschte wieder völlige Nacht im Inneren des
Kornschobers. Betty lauschte gebannt auf irgendeinen Laut oder ein Signal von Steve, aber sie hörte nichts, wenigstens nichts von ihm. Aber weil sie so ange spannt lauschte, hörte sie etwas anderes. Ein Poltern in der Ferne. Das war unverkennbar das Geräusch von Maschinen, von Motoren, von riesigen Lastwa gen und Anhängern. Es konnte gar nichts anderes sein – das waren riesige Fahrzeuge, die auf einer nicht asphaltierten Straße dahinpolterten und sich dem Farmhaus näherten. Betty schauderte. Und Wilson sagte: »Das Ge räusch gefällt mir gar nicht. Steve sagte, die Riesen könnten das Motorengeräusch der Spindrift aufneh men. Auf die Weise haben sie uns geortet und ihre Jagdraketen nach uns geschickt. Vielleicht haben sie dasselbe Antriebsgeräusch auf dem Weg zu dieser Farm geortet. Vielleicht kommen sie hierher.« »Es ist nicht dasselbe Antriebsgeräusch«, sagte Fitzhugh. Schweigen – wenn man von jenem fernen Murmeln absah. Sieben Leute saßen in absoluter Dunkelheit in einem Raum, der größer als eine Konzerthalle war. Es gab nichts, was sie tun konnten, bloß dasitzen und warten, bis sie erfuhren, was Steve entdeckt hatte. Da war dieses ferne Grollen, das Unheil bedeuten konn te, selbst wenn sie in ihrem Versteck blieben und eine Zeitlang nicht gefangen wurden. Denn wenn Riesen
unterwegs waren, und man die Spindrift nach ihrem Motorengeräusch geortet hatte, würden sie sie auch finden. Und dann würde es acht Eingeborene des Planeten Erde geben, die nur von einem Tag zum an deren auf Überleben rechnen durften, in dauerndem Wettstreit mit den Ratten hier. Und zweifellos gab es auch irgendwo Katzen. Das war die einzige plausible Zukunft, die sie sich vorstellen konnten. So saßen sie in der Finsternis und warteten. Dann kam Steve zurück. Sie sahen den Lichtkegel seiner Taschenlampe in dem Tunnel, den die beiden Kornsäcke bildeten. Er kam heraus und sie sahen, wie er sich die Kleider abbürstete. »Das ist ein Rattenloch«, sagte er kurz. »Es führt unter den Bodenbalken ins Freie. Wir können hinaus. Bringt das Korn mit.« Er schickte Dan voraus, der auf allen vieren krie chen mußte. Eine Wand des Rattenlochs bestand aus den glatten Unterseiten der Planken. Die andere Wand war ein riesenhafter Kornsack, der gleichzeitig auch das Dach bildete. Der Boden, auf dem sie da hinkrochen, war weich und pulvrig. Es handelte sich hier um eine unterirdische Passage für Ratten, die sie noch oft benutzen konnten. Wenn bloß der Geruch nicht gewesen wäre – ein schwerer, irgendwie ekeler regender Geruch. Einer hinter dem anderen krochen sie hinter Dan
her. Sie schleppten ihre Säcke, die früher einmal Sitz bezüge gewesen waren, hinter sich her. Dan wartete mit der Taschenlampe, um sie, einmal an den Stütz balken angekommen, auf den richtigen Weg zu wei sen. Der Tunnel wurde jetzt breiter, er war nicht mehr nur ein Rattenloch, sondern eine Höhle, in der Ratten lebten. Hier war der Geruch überwältigend. Und plötzlich sahen sie Sterne. Einer nach dem an deren verließen sie das Rattenloch. Wilson ging als letzter hinaus. Das ferne murmelnde Geräusch war jetzt viel näher gekommen. Man konnte es ein halb unterdrücktes Dröhnen nennen. Es bestand kein Zweifel, daß sich Fahrzeuge nähr ten, Fahrzeuge, die unmittelbar auf diese Farm zu kamen. Betty trat neben Steve. »Glaubst du, daß sie unseretwegen hierherkom men?« »Ja, wegen der Spindrift«, sagte Steve. »Aber ich nehme an, sie halten das Schiff für eine ferngesteuerte Robotersonde. Hoffentlich glauben sie, daß irgendwo dort oben ein Raumschiff normaler Größe ist, das die Spindrift mit einer Forschungsaufgabe herunterge schickt hat.« »Aber das –« »Das wäre eine sehr gute Theorie für die Riesen«, meinte er. »Ich wollte die ja davon überzeugen, daß wir den Planeten verlassen haben. Aber das hat nicht
geklappt. Wir mußten die Funkanlage benutzen. Und sie konnten unser Antriebsgeräusch orten. Aber ver mutlich ist es ganz gut, daß unser Plan fehlgeschla gen ist.« Hinten an der Scheune entlang gingen sie auf die Spindrift zu. Das Poltern der Fahrzeuge wurde immer lauter. »Aber wenn du das nicht wolltest –« »Wir haben sie nicht davon überzeugen können, daß wir weggegangen sind. Deshalb werde ich jetzt versuchen, ihnen einzureden, daß wir Zuwachs be kommen haben. Und zwar eine beachtliche Zahl von Schwesterschiffen oder Schwesterrobotern oder was auch immer es sein mag. Das sollte ihnen Angst ein jagen. Wir allein sind ihnen schon gefährlich genug. Falls sie glauben, daß noch ein halbes Dutzend dazu gekommen ist, beschließen sie vielleicht doch noch, sich mit uns zu arrangieren. Vielleicht können wir ei nen Kompromiß schließen.« »Und das –« Betty zögerte, »und das bedeutet, daß du dir noch immer keine Hoffnung machst, daß wir je nach Hause zurückkehren.« »Nicht, solange wir hier herumgetrieben werden«, meinte er. »Wenn wir Zeit zum Nachdenken haben – ja dann vielleicht.« Er hielt inne. Sie hatten inzwischen die Landetrep pe der Spindrift erreicht. Dan ging hinauf. Valerie
folgte ihm. Der nächste auf der Treppe war Barry, er hielt Chipper unter dem Arm, und in der anderen Hand einen großen Sack Getreide. Diese drei waren bereits im Schiff als Barry Chipper hinunterließ, um seinen Kornsack wegzustellen. Chipper fing sofort hysterisch zu bellen an, schnappte und knurrte nach allen Seiten. Er war erschreckt. Er japste und schrie geradezu in einem Anflug von Panik. Dann schoß er rückwärts gegen Barrys Beine, drehte sich herum und kratze, flehte Barry an, ihn wieder aufzunehmen. Und die ganze Zeit hörte er nicht auf zu heulen. Dan schaltete die Kabinenbeleuchtung ein. Etwas Riesenhaftes füllte praktisch den Mittelgang zwischen den beiden Sitzreihen. Es war unglaublich haarig. Sein stacheliger Pelz reichte gut fünfzig Zen timeter über seinen Körper. An einem Ende hatte das Wesen eineinhalb Meter hohe Stacheln. Sie sahen eher wie das Wasserspiel eines Springbrunnens aus. Der Pelz hatte einzelne Farbstreifen. Dieses Geschöpf füllte den Mittelgang über zwei Drittel der Länge der Passagierabteilung aus. Der Besucher war eine Rau pe, und sie machte keinerlei drohende Bewegungen. Das tun Raupen nicht. Sie achtete überhaupt nicht auf das Licht oder den Tumult, den Chipper verursachte. Steve hatte inzwi schen die Tür erreicht und starrte wie benommen den Eindringling an. Er brauchte ein paar Minuten, bis er
erkannte, was die Raupe tat. Sie hatte das Alter der Metamorphose erreicht. Und in der Spindrift hatte sie eine geeignete Umhüllung gefunden, in deren inne ren sie zur Motte oder zum Schmetterling werden konnte, ohne irgendeiner Gefahr ausgesetzt zu sein. Jetzt spann sie sich gerade in einen Kokon um den Mittelgang der Spindrift und hatte dazu zwei Drittel des Mittelganges mit Beschlag belegt. Natürlich wür de dieser Besucher, sobald er sich einmal in seinen Kokon eingehüllt hatte, und auch später während des Metamorphoseschlafes, harmlos sein. Deshalb über wachte Steve das Beladen der Kornsäcke, damit ir gendwelche Manöver des kleinen Schiffes sie nicht von den Regalen warfen. Dann zog er schließlich die Landetreppe ein und schloß die Luke. Er war sicht lich gespannt und Dan spürte das auch. »Was ist denn?« »Wenn diese Lastwagen hinter der Spindrift her sind«, sagte Steve, »und ausgerechnet hierherkom men, um nachzusehen, haben sie verdammt gute Or tungsgeräte. Und jetzt wird es plötzlich ruhig. Viel leicht geht's jetzt los.« Er zögerte und sein Finger schwebte über dem Startknopf. »Was ist denn?« fragte Dan. »Die Brüder sind schwer auf Draht«, sagte Steve gereizt. »Diese Raketen waren perfekt gezielt und
hätten uns mit Sicherheit getroffen. Sie müssen unser Motorengeräusch über Hunderte von Kilometern aufnehmen. Wahrscheinlich unsere Funksendungen beinahe so weit. Wenn ich den Schiffsmeiler einschal te könnte sogar sein, daß sie den Schaltimpuls wahr nehmen.« »Du klingst aber sehr pessimistisch.« »Irgend jemand muß doch pessimistisch sein. Los geht's!« Er drückte auf den Knopf, der den Bug der Spindrift dem Himmel entgegenheben sollte. Das kleine Schiff ruckte, und sein Bug fing an sich zu heben. Und dann brach der Teufel los.
9
Es gibt keine besondere Dienstvorschrift, die anzu wenden ist, wenn ein fremdes Raumschiff unerwartet auf einem Planeten landet. Das wäre nämlich auf dem Planeten, den die Riesen bewohnten, geschehen, und die Riesen mußten erst eine für diesen Fall geeignete Taktik entwickeln. Und dabei mußten sie einiges Lehrgeld bezahlen. Am Anfang schien es ganz ein fach. Das Antriebssystem und die Funkanlage der Spindrift störten, wenn sie in Betrieb waren, das Ener gieverteilungssystem der Riesen. Also beschloß man, den Eindringling zu vernichten. Aber in der Praktik ergaben sich dann Probleme. Sie hatten einige Versuche unternommen, aber bis zur Stunde war ihre beste Idee die gewesen, RobotRaketen einzusetzen. Aber diese Idee hatte nichts ge bracht. Sie bauten Raketen, die für völlig andere Zwecke bestimmt waren um und schickten sie der Spindrift nach, um sie aufzuspüren und zu vernich ten. Sie fanden sie. Und nach einer kurzen Begegnung flog die Spindrift unversehrt vom Schauplatz des Zu sammentreffens weg und die Raketen nicht. So ging es also nicht. Also mußten sich die Riesen etwas besseres einfal len lassen. In dem Gehirntrust, den man eigens für
diesen Zweck gebildet hatte, gab es auch einen Psy chologen. Er sah die ganze Situation natürlich aus seiner Sicht. »Die Fremden, die dieses fremde Schiff steuern«, stellte er mit würdiger Miene fest, »sind offenbar ebenso intelligent wie wir. Diese Wesen aus dem Weltraum verfügen ebenfalls über eine hochentwik kelte Technik. Sie haben die brillantesten Anstren gungen unserer Techniker durchschaut und abge wehrt. Offenbar gelingt es uns nicht, sie zu überlisten. Deshalb besteht die Möglichkeit, diese Fremden zu besiegen darin, sie sich selbst besiegen zu lassen. Wir wollen uns also einen Trick ausdenken, den die Fremden sofort durchschauen. Eine so offenkundig dumme Falle, daß die Fremden nicht daran glauben. Dann funktioniert sie vielleicht.« Das war sehr plausibel und würde praktisch über haupt nichts kosten. Und die einzige Vorbereitung bestand darin, daß die Anweisungen niedergeschrie ben und verteilt wurden. Jeder konnte es versuchen, überall und ohne die geringste Vorbereitung. Seit der Vernichtung der Raketen wußte man im merhin, wo sich die Spindrift befand und hatte sie seitdem ununterbrochen weiterverfolgt. Deshalb wurde die ihrer letzten Position am nächsten liegende Stadt aufgefordert zu handeln, und sie reagierte auch sofort. Eine Kolonne von einem halben Dutzend die
selgetriebener Lastwagen und Anhänger wurde zu sammengestellt. Scheinbar wurde eine Art provisori scher Miliz aufgestellt. Sie bestand aus hundert Sport lern, mit den Waffen, die sie normalerweise zur Jagd benutzten. Diese Bürgermiliz erhielt ihre Anweisun gen von den Behörden und wurde dann in Marsch gesetzt. Das führte dazu, daß kurz nach der Landung der Spindrift neben einer Scheune, die die mehrfache Größe eines Lagerhauses auf der Erde hatte, eine Ex pedition in Bewegung gesetzt wurde, um sie zu ver nichten. Ihr Start von dem Felsvorsprung und ihre Landung in der Nähe des Farmgebäudes wurde den Milizriesen gemeldet, als die Lastwagen sich gerade in Bewegung setzen wollten. Als Steve widerstrebend zuließ, daß sämtliche In sassen des Schiffes ihn auf der Suche nach Korn be gleiteten, war die Kolonne bereits auf dem Weg. Auf der Straße gab es hunderte von Schlaglöchern. Die Fahrzeuge waren monströs. Ihre Dieselmotoren dröhnten, brüllten und krachten. Man konnte sie mei lenweit hören. Das war nicht besonders klug, da sie es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Spindrift aufzufin den und zu bekämpfen. Natürlich wußten sie nicht, daß das kleine Schiff unbewaffnet war. Als die Leute von der Spindrift im Hof vor der Scheune waren und Fitzhugh ein Maiskorn, etwa von
der Größe eines Ziegelsteins aufhob, erzeugten die Motoren der Lastwagen einen Höllenlärm, den man eigentlich in der Farm hätte hören sollen. Als der Farmer seine Pferde in ihre Boxen brachte, hätte man die Motoren leicht hören können, wenn man nur dar auf geachtet hätte; und als schließlich die Erdenmen schen in dem Kornschober eingesperrt waren, war der Lärm nicht mehr zu überhören. Aber als die Ko lonne bei der Farm eintraf und der Tumult am laute sten war, befanden sich die Leute von der Spindrift unter der Erde und krochen auf Händen und Knien durch einen Tunnel, den riesige Ratten gegraben hat ten. Also bemerkten sie gar nicht, mit welcher Dummheit man vorging, um ihnen eine Falle zu stel len. Aber die Idee des Psychologen war zum Teil rich tig. Wenn ein Problem sich nicht mit Hilfe der Intelli genz lösen läßt, dann geht es manchmal mit Hilfe der Dummheit. Als sie das Schiff wieder erreicht hatten, kam keiner der Leute der Spindrift auf die Idee, be sonders besorgt zu sein. Es war möglich, daß die Lastwagen ihretwegen hierhergekommen waren, aber sie wirkten einfach nicht gefährlich. Auf diese Weise würde man die Spindrift nie finden. Das war dumm. Der Besitzer der Farm teilte diese Meinung. Er hat te das Haus wieder verlassen und versuchte in Erfah
rung zu bringen, was diese außergewöhnliche nächt liche Invasion zu bedeuten hatte. Der Anführer der Expedition erklärte es ihm. Es gab ein Schiff aus dem Weltraum. Und dieses Schiff war hier. Man würde es finden, selbst wenn das bedeutete, daß man sämtliche Farmgebäude Brett für Brett auseinandernahm. Und das war natürlich noch dümmer. Der Farmer prote stierte erregt. Es bestand überhaupt kein Anlaß, sein Haus zu zerstören. Das war sinnlos! Das – Und in genau diesem Augenblick drückte Steve ei nen Knopf und der Bug der Spindrift hob sich. Nie mand sah die Bewegung, aber im Lande der Riesen benutzte man keine Elektromotoren, weil sie manch mal Funken abgaben. Und der Motor des Startgerüsts funkte. Damit konnte man an den Instrumenten in den Lastwagen ablesen, daß die Spindrift sich in der unmittelbaren Umgebung befand und irgend etwas unternahm. Und damit begann sofort jeder der Milizriesen, nach einem Ziel Ausschau zu halten, auf das man schießen konnte. Und sie fanden auch eines. Die Handwaffen der Riesen glichen den Waffen der Erde nur zum Teil. Es wurden keine chemischen Ex plosivstoffe benutzt. Ein Riese neben einem der Wa gen riß seinen Karabiner an die Schulter. Er drückte ab. Ein sauberer gerader, grell leuchtender Strahl stand plötzlich zwischen der Waffe und seinem Ziel.
Und dieses Ziel schien das Scheunendach zu sein. Und genau in der Mitte dieser Feuerröhre blitzte ein noch hellerer flackernder Funke. Das Ganze wirkte wie ein absolut gerader Blitzstrahl. Er verschwand und gleich darauf trat ein zweiter Blitzstrahl an seine Stelle. Die Waffe konnte ebenso schnell feuern wie der Riese den Abzug betätigen konnte. Jetzt schossen auch andere. Jeder einzelne Riese schoß auf das, was er für den nicht besonders gut be schriebenen Gegenstand hielt, den sie hier finden und vernichten sollten. Jeder Riese suchte sich sein eige nes Ziel, weil das fremde Schiff – die Spindrift – so schnell und so vollständig wie möglich vernichtet werden mußte. Sechs Lastwagen, die mit fünfzig Rie sen besetzt waren, wurden der Mittelpunkt eines wahren Feuerwerks aus Blitzen. Auf der Scheune flackerte es, auf dem Geräteschuppen, der Kornkrip pe und dem Hühnerhaus. Das Ganze wirkte wie ein Feuerwerk, nur daß die Flammen phosphoreszierten und wie aus dem Nichts entstanden und eben soschnell wieder verschwanden. Und jedesmal – wirklich jedesmal – gab es einen winzigen flackern den, unerträglich hellen Funken, der im Inneren des Blitzes auf sein Ziel zuraste, um dieses Ziel zu zer schmettern. Flammen und Rauch erhoben sich an all den Stel len, die die Riesen sich als Ziel ausgesucht hatten. An
der Scheune gab es zwei Punkte, wo die Flammen weiterloderten. Der Getreideschober hatte Aufmerk samkeit erweckt, und ein Riese feuerte immer wieder darauf. Dann feuerten auch andere auf das gleiche Ziel nach der Theorie, daß ein Ziel, das einer gefun den hatte, auch den anderen gut anstand. Der Getrei deschober brannte in lodernden Flammen. Der ganze Hof war von dem Flammenschein grell erleuchtet. Und dazwischen blitzen immer wieder die Waffen der Riesen auf. Der offizielle Anführer der Milizgruppe bellte Be fehle, das Feuer einzustellen. Aber man gehorchte nicht, bis der Farmer selbst, vor Wut brüllend über den Hof rannte. Rings um ihn zuckten Schüsse. Aber selbst in ihrer Erregung wußten die Riesen, daß sie nicht auf ihresgleichen schießen durften. Sie waren hier, um ein kleines Raumfahrzeug zu vernichten, das aus dem Nichts aufgetaucht war und die ganze Welt der Riesen bedrohte. Die ganze Aktion war genauso dumm, wie der Psychologe es gesagt hatte. Der Far mer hatte jetzt seine Scheune erreicht. Sie brannte be reits an einer Stelle, und an einer zweiten flackerten die ersten Flämmchen auf. Er riß die Stalltür auf und rannte hinein. Dann trieb er seine beiden Pferde vor sich heraus. Und plötzlich hörten die Schüsse auf. Plötzlich gab es kein Licht mehr, abgesehen von den hoch züngelnden Flammen des Kornschobers, die
jetzt die Vorräte selbst erfaßt hatten und damit noch mehr Nahrung bekommen hatten. Die beiden kleinen Brände auf der Scheune waren im Vergleich dazu unbedeutend. Der wütende Farmer holte ein paar Eimer mit Was ser aus dem Brunnen und schüttete sie auf die gefähr lichsten Flammen. Er achtete jetzt überhaupt nicht mehr auf die fremden Eindringlinge, die einfach sein Land mit Beschlag belegt hatten. Ringsum herrschte Schweigen. Die Riesen, die gekommen waren, um die Spindrift zu vernichten, schämten sich, und es gab einfach keine Entschuldigung für ihre Hysterie. Aber so etwas passiert auch auf der Erde. Und dann kam zuerst einer, dann noch einer und dann eine ganze Anzahl von ihnen, um dem Farmer beim Löschen zu helfen. Die Suche nach der Spindrift war praktisch eingestellt. Aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich aus Dummheit – hatten sie jegliches Interesse daran verloren. Aber sie hätten die Spindrift ohnehin nicht gefun den. Als der ganze Hof von den Flammen erleuchtet war und gleichzeitig dreißig bis sechzig Blitze in der Minute zuckten, nutzte Steve die Verwirrung der Ex pedition aus. Er drückte erneut auf den Knopf, der die Landestützen betätigt. Diesmal bemerkte nie mand etwas. Der Bug des Schiffes hob sich dem Himmel entgegen, und immer noch achtete niemand
darauf. Er drückte den Antriebsknopf. Niemand be merkte etwas. Die Spindrift schoß in einem eleganten Bogen in den Himmel, ohne gesehen zu werden. Immer höher flog das Schiff, all das Durcheinander hinter sich lassend. Siebentausend Meter. Zehntau send. Dreizehn. Und dann hatten sie schließlich eine Höhe von vierundzwanzigtausend Metern erreicht. Dan klopfte unauffällig gegen die Skala, die den In nendruck anzeigte. Der Wert war ganz normal. Steve jagte die Spindrift zuerst in dreißig, dann in dreiund dreißig und schließlich in siebenunddreißigtausend Meter Höhe. »Fliegst du zur Erde zurück, Steve?« fragte Dan ironisch. »Nein«, sagte Steve. Und dann schaltete er die Ka binenlautsprecher ein. »Fitzhugh! Kommen Sie in freiem Fall mit dem Motorengeräusch zurecht?« Fitzhugh murmelte etwas. Dann sagte er: »Dazu werde ich Licht brauchen.« »Das sollen Sie haben«, versprach Steve. »Es ist gleich soweit.« Das Schiff stieg immer noch, beschleunigte sogar. Dan ließ kein Auge vom Höhenanzeiger. Jetzt zeigte das Instrument eine Höhe, für die das Schiff einfach nicht konstruiert war, einen Wert, der weit über allem lag, was sie bisher erreicht hatten. Er rutschte unruhig auf seinem Sessel herum.
»Was soll das, Steve?« »Ich werde die Riesen hereinlegen – hoffe ich«, meinte Steve grimmig. Und dann sprach er ins Mi krophon: »Wir bekommen jetzt gleich Schwerelosig keit! Sind alle angeschnallt? Fitzhugh sind Sie so weit?« Dan hörte die Antwort. Steve schaltete den Antrieb der Spindrift ab. Jetzt hatten sie keinerlei Gewichtsempfinden mehr. Das Gefühl machte einen benom men, man hatte den Eindruck, ins Endlose zu fallen. Dan schluckte. Und dann fragte er: »Aber was soll das Ganze? Du weißt doch, daß wir für Weltraumflug nicht ausgerüstet sind. Wir haben weder das Schiff noch den Treibstoff noch die Luft noch die Lebens mittel dazu. Und außerdem würden wir nicht lange genug leben, um irgendwohin zu kommen. Und du kannst dich darauf verlassen, daß die die ganze Zeit unser Antriebsgeräusch angepeilt haben. Die wissen, wo die Spindrift ist!« »Das glaube ich nicht«, widersprach Steve trocken. »Die fragen sich jetzt, wohin die Spindrift verschwun den ist und wo das hier herkommt. Für sie ist das überhaupt nicht die Spindrift. Das ist ein völlig ande res Schiff. Vielleicht sollten wir uns einen neuen Na men dafür einfallen lassen.« Dan machte eine abschätzige Handbewegung. »Na schön. Meinetwegen. Was soll das bedeuten? Was ist
geschehen? Wie hast du es gemacht und was für ei nen Sinn hat das Ganze?« Steve zuckte die Achseln. Die Geste hatte über haupt keinen Sinn. »Fitzhugh hat es gemacht. Ich wollte, daß er das Antriebsgeräusch dämpft, damit man uns nicht an peilen kann. Das konnte er nicht, aber er konnte das Geräusch verändern. Das Schiff klingt jetzt völlig an ders. Es klingt wie ein Schwesterschiff, das von ir gendwoher aufgetaucht ist. Fitzhugh hat es so einge richtet, daß wir je nach Bedarf wie sechs oder sieben verschiedene Schiffe klingen können?« »Aber wir steigen –« »Nur für den Augenblick«, erklärte Steve. »Wir flie gen jetzt im freien Fall. Für die Riesen sind wir ver schwunden. Sie hören uns nicht mehr. Und während die Energie abgeschaltet ist, wird Fitzhugh unser Moto rengeräusch wieder verändern. Wenn wir wieder lan den und ich den Antrieb erneut einschalte – nun, dann wird es so klingen als wären wir ein drittes Schiff, weil unser Antriebsgeräusch dann wieder anders klingt.« Dan blieb der Mund offen stehen. Und dann fing er zu lachen an. »Du bringst mich noch um«, stöhnte er. »Steve – langsam macht mir das hier richtigen Spaß! Aber sag mal – wo wir jetzt doch eine ganze Flotte sind – was hast du mit uns vor? Hilft uns das viel leicht zur Erde zurückzukehren?«
»Wahrscheinlich nicht«, räumte Steve ein. »Ich weiß nicht, was passieren wird, aber jedenfalls muß ten wir etwas unternehmen, sonst wäre es unange nehm geworden.« Die Spindrift schwebte immer noch nach oben. Alle Wolken lagen jetzt kilometerweit unter ihr und der Planet war nur im Licht seiner beiden Monde sicht bar. Die Sterne am Firmament wirkten ungewöhnlich hell. Die Spindrift flog außerhalb der meßbaren Atmo sphäre, so wie ein fliegender Fisch, der aus seinem Element auftaucht, aber wieder dorthin zurückkehren muß. In der Passagierkabine arbeitete Fitzhugh im mer noch an den Stromkreisen des Antriebsmecha nismus. Damit hatte er das Motorengeräusch verän dert. Und dann rief er plötzlich: »Wir klingen jetzt wie ein Vetter der Spindrift.« Steve war überrascht. Das war das erste Mal, daß Fitzhugh so etwas wie einen persönlichen Stand punkt vertrat. Er war sogar in der Lage, einen Witz zu machen – wenn auch keinen besonders guten, aber immerhin einen Witz. Das deutete darauf hin, daß Fitzhugh anfing, die Welt, die ihn umgab, wieder mit vernünftigem Abstand zu betrachten – etwas, wozu ein Neurotiker unter keinen Umständen fähig ist. Aber es war bestimmt nicht gut, dazu jetzt einen Kommentar abzugeben.
»Nach unserem Radarhöhenmesser sind wir jetzt sechzig Kilometer hoch«, erklärte Steve. »Wir haben beinahe die Orbitalgeschwindigkeit erreicht und flie gen auf einem Kurs, den die Riesen bestimmt nicht ausrechnen können. Und da sie jetzt unser Antriebs geräusch nicht anpeilen können, da die Motoren aus geschaltet sind, wissen sie auch nicht, wo wir sind. Wenn wir jetzt wieder in die Atmosphäre eintauchen, wird unser Antrieb wie der eines völlig anderen Schiffes klingen, das plötzlich auftaucht. So wie die Spindrift plötzlich auftauchte als wir hierher verschla gen wurden. Und wenn wir uns hinter diesem verän derten Motorengeräusch verstecken –« Wilson unterbrach ihn. »Könnten wir jetzt die Ka binenlampen wieder ausschalten. Ich möchte etwas überprüfen. Das geht sogar ohne Teleskop.« »Kommen Sie nach vorn.« Das war eine Einladung. »Sie können zu den Bugluken hinaussehen. Die sind größer.« Er hörte, wie Wilson sich durch die gewichtslose Kabine nach vorn zog. Er hielt sich dabei an der Oberseite der Passagiersessel fest. Dann murmelte er halblaut vor sich hin als er – gewichtslos – gegen den steifen Pelz der Raupe im Mittelgang stieß. Dieses Geschöpf hatte nicht aufgehört, sich in einen Kokon einzuspinnen als die Schwerkraft verschwand. Die Raupe spann in aller Ruhe weiter.
Wilson erreichte das Cockpit und schwebte zur Hälfte hinein. Dann versuchte er nach oben zu blik ken. »Ja«, sagte er. »Das ist es! Nicht sehr hell, aber das ist unsere Sonne. Die Erde kann ich natürlich nicht sehen, aber sie kreist um diesen ziemlich schwachen gelben Stern.« »Um welchen denn?« fragte Dan niedergeschlagen. »Ich hätte wirklich nie damit gerechnet, daß ich ein mal jemanden bitten müßte, mir die Sonne zu zei gen!« Wilson zeigte sie ihm, aber in Wirklichkeit interes sierten ihn seine Beobachtungen, die er anstellen wollte, viel mehr. Er starrte nach rechts, nach links und nach oben und unten, wobei die riesige, nebel bedeckte Masse des Planeten wenigstens die Hälfte der Sonnen und Sterne des Kosmos verdeckte. Und dann zuckte er plötzlich zusammen. Er hatte etwas gesehen. Seine Augen wurden starr und sein Atem ging kaum mehr. Seine Augen verließen einen bestimmten Punkt, kehrten aber gleich wieder dort hin zurück. Sie suchten das ganze Firmament ab und hefteten sich dann wieder auf jenen einen Punkt. Zeit verstrich, in der er immer abwesender wurde, gleich zeitig aber auch erregter. Und dann meinte Steve: »Sie bemerken vielleicht, Wilson, daß am Horizont Sterne aufgehen, teils vor
uns, teils hinter uns. Das bedeutet, daß wir uns auf dem Weg nach unten befinden. Der Höhenmesser zeigt jetzt fünfundvierzig Kilometer Höhe an anstatt sechzig. Ich muß ziemlich bald den Antrieb einschal ten, sonst bieten wir unseren Gastgebern dort unten noch ein Feuerwerk, wenn wir wie ein Meteor ver glühen.« Wilson trat von der Luke zurück. Er schien ganz in Gedanken versunken. »Ja schon gut. Ich habe gesehen, was ich gesucht habe.« Jetzt meldete sich Bettys Stimme aus der Kabine. »Steve, wenn wir landen, dann sieh zu, daß Felsen in der Nähe sind. Geht das? Ich habe mit Marjorie ge sprochen, und wir glauben, daß wir mit richtigen Steinen den Weizen zu so etwas ähnlichem wie Mehl zermahlen können. Wir schälen dann jedes Korn und kochen es dann oder lassen es quellen. Wir glauben, daß wir auf die Weise Brot machen können.« »Ich werd' sehen, ob das mit den Felsen geht«, ver sprach Steve. Und dann fragte er Wilson: »Haben Sie alles, was Sie brauchen?« Wilson war ganz durcheinander. »Ich hätte gerne etwas Papier, um Berechnungen anstellen zu können. Ich hatte bloß ein paar Briefe in der Tasche. Ich muß etwas ausrechnen.« »Betty hat bestimmt einen Quittungsblock«, sagte
Steve. »Da können Sie ja die Rückseite benutzen. Und jetzt gehen Sie bitte wieder an Ihren Platz zurück. Ich glaube, daß wir jetzt gleich die Dämmerungszone überfliegen und dann werden wir ja sehen, was es unten gibt. Und ich möchte unsere Energieaggregate aufladen, falls es noch einmal Schwierigkeiten gibt. Kurz gesagt, ich möchte wieder landen.« Wilson schwebte und kroch in die Kabine zurück. Diesmal wich er voll Bedacht der Raupe aus. Und dann empfanden alle wieder ein schwaches Ge wichtsgefühl. Es nahm zu. Und in dem Maße, wie Steve die Beschleunigung der Bremsdüsen erhöhte, um das Schiff auf die Landung vorzubereiten, desto deutlicher wurde dieses Gefühl. Es herrschte heller Sonnenschein. Ein kleines Feuer brannte, um das Marjorie sich kümmerte. Valerie schälte Weizenkörner aus der Schale und reichte sie Betty, die sie zwischen zwei Steinen zuerst aufknack te und dann zu Pulver rieb. Barry, der Chipper an der Leine führte, patrouillierte den Landeplatz ab, um rechtzeitig unerwünschte Besucher zu sehen. Die vier Männer von der Besatzung der Spindrift mühten sich mit der nahezu möglichen Aufgabe ab, den fertigge stellten Kokon der Raupe aus dem Schiff zu schaffen. Selbstverständlich mit der Raupe drin. Aber sie woll te sich einfach nicht bewegen. Schließlich schafften sie
es doch. Sie schleppten sie über die Treppe hinunter und warfen sie ins Freie. Dann standen sie keuchend daneben. »Einfacher wäre gewesen«, meinte Fitzhugh, »sie in Stücke zu schneiden und in Stücken herauszuholen.« Dan schüttelte den Kopf. »Dann hätten wir noch einmal saubermachen müs sen«, meinte er. »Außerdem sind mir all die niederen Tiere jetzt sehr sympathisch, nachdem uns diese Ratte den Ausweg aus der Scheune gezeigt hat.« Steves Augen wanderten zu Barry. Dann ging er zu dem Jungen. »Barry«, sagte er leise, »ich habe bisher nicht daran gedacht, etwas über diese Geschichte mit der Ratte zu sagen. Du wärst nicht auf die Idee ge kommen, die Ratte freizulassen, damit wir einen Nutzen daraus ziehen. Und ich bin erst darauf ge kommen, daß wir sie freilassen sollten, als mir einfiel, sie könnte vielleicht einen Ausgang wissen, den wir allein nicht finden. Wir mußten beide zusammenar beiten, um eine Lösung zu finden, aber in erster Linie gebührt dir das Lob.« Barry war das peinlich. »Ich glaube es war Glück, Sir«, sagte er verlegen. »Nicht ganz«, widersprach Steve. »Du hast jetzt schon ein paarmal Ideen gehabt, oder dich an Ge schichten erinnert, die du einmal gelesen hast. Das war sehr nützlich für uns. Aber du warst immer recht
schüchtern, wenn es darum ging, deine Ideen vorzu tragen. Von jetzt an möchte ich dich ausdrücklich darum bitten, deine Ideen ohne Zögern vorzubrin gen. Geht das klar?« Barrys Augen leuchteten. »Ich will ihnen etwas sa gen, Sir«, sagte er eifrig. »Ich hatte eine ganz verrück te Idee –« Er fing an, seine Idee darzulegen. Sie war nicht be sonders gut. Eigentlich war sie sogar lächerlich. Sie beruhte auf einem ziemlich gründlichen Mißver ständnis eines ganz elementaren physikalischen Ge setzes. Steve war es etwas peinlich, Barry seinen Feh ler erklären zu müssen. Und dann hörte er Wilson im Hintergrund sagen: »Tut mir leid, ich möchte da eine mathematische Formel ausarbeiten. Das muß ich auf dem Papier tun. Im Kopf schaffe ich das nicht. Bitte!« Er wedelte mit einem Bündel Rechnungsformula ren herum. In der anderen Hand hielt er einen Blei stift. Dan protestierte: »Ich wollte doch bloß fragen, ob diese Raupe ihren Enkeln von unserem Abenteuer erzählen wird, wenn es Raupen sind oder ob sie war ten wird, bis sie aus ihren Kokons herauskommen?« Dann grinste er Steve zu. Steve grinste zurück. Unter ihnen waren lange Straßenzüge, Plätze und Straßenlampen, die aus dieser Höhe wie Perlen
schnüre wirkten. Die Spindrift kreuzte über dieser Stadt der Riesen. Es war eine Stadt, die sie noch nie zuvor gesehen hatten, eine sehr große Stadt. Die Stra ßenlampen schienen von einem Horizont bis zum anderen zu reichen und die ganze Ebene zu bedek ken. Es gab Verkehr auf den Straßen. Und dann gab es eine relativ kleine Fläche, in der es zahlreiche Lich ter gab, die keine Straßenlampen waren. Diese Lichter hatten verschiedene Farben. Einige von ihnen blink ten dauernd. Andere schienen Symbole wie die Buch staben eines Alphabets zu bilden. Vermutlich war das die Innenstadt. Im Cockpit sagte Steve über die Schulter: »Radio verwenden die nicht, also haben sie bestimmt auch kein Fernsehen. Stell dir einmal vor, was das für ein Leben sein muß, wenn man die Nachrichten nur lesen kann – und nicht einmal Filme hat!« Fitzhugh zuckte die Achseln. Er schien von Stunde zu Stunde normaler zu werden. Aber irgendwie kam er mit Steve am besten zurecht. »Die scheinen uns gar nicht zu bemerken«, sagte Steve mit veränderter Stimme. »Wir werden um et was Aufmerksamkeit bitten.« Er schaltete die Landescheinwerfer der Spindrift ein. Zwei grelle Scheinwerferbündel stachen in den Nachthimmel. Die Spindrift schwebte gemächlich über der riesigen Metropole. Aus ihrer Höhe konnte
man sich kaum vorstellen, daß die Menschenmengen, die sich auf den Straßen dort unten drängen mußten – insbesondere dort, wo die vielfarbigen Lichter mit einander wetteiferten – man konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß diese Punkte in den Straßen Rie sen waren und nicht Menschen von der üblichen Größe. »Wenn ich vielleicht um etwas Aufmerksam keit bitten dürfte«, sagte Steve zu der gleichgültigen Stadt. Er drehte die Landescheinwerfer nach unten. Sie strichen über die Dächer und Rasenflächen und sie waren so hell, daß sie trotz der grellen Leuchtschrif ten bemerkt wurden. Die Menschenmassen schienen zu erstarren. Sie blickten nach oben. Und dann schienen sie sich aufzulösen. Es gab kei ne gleichmäßige Bewegung. Aber die Massen wurden kleiner. In wenigen Minuten waren die Straßen der Innenstadt leer. In anderen Gegenden war die Verän derung nicht so auffällig aber ähnlich. Fahrzeuge wurden abgestellt. Vermutlich verließen sie ihre Be sitzer, um irgendwo Deckung zu finden. »Wir scheinen ihnen Angst zu machen«, meinte Steve befriedigt. »Jedenfalls haben sie von uns gehört und wollen mit uns nichts zu tun haben.« Wieder steuerte er die Spindrift über die Innenstadt. Nichts geschah.
»Wir können ebensogut weiterfliegen«, meinte Ste ve befriedigt. »Jetzt haben wir heute schon vier Städte gesehen. Hoffentlich fällt denen auf, daß unser An triebsgeräusch hier anders ist als in anderen Städten. Ich glaube, daß die ein recht gutes Informationssy stem haben. Inzwischen sollte dort unten allgemein bekannt sein, daß ein viertes Raumschiff aus dem Nichts über dieser Stadt aufgetaucht ist. Sieben Raumschiffe – sechs neue neben den ursprünglichen – sollten Respekt erwecken. Und ich glaube, diesen Respekt bekommen wir auch.« Und dann fügte er hinzu: »Aber wir sollten uns besser auf den Weg ma chen. Es gibt noch weitere Städte auf unserem Pro gramm.« Er schaltete die Landescheinwerfer ab und zog den Steuerknüppel an sich heran, so daß die Spindrift nach oben schoß. Jetzt schien wieder die Sonne. Rings um sie ragten Berggipfel in den Himmel. Wilson saß ganz allein da, kritzelte, überlegte, strich dann wieder Teile eines ma thematischen Ausdrucks aus und fügte andere Glieder, die er einem Notizzettel entnahm, hinzu. Steve kam von dem kleinen Lagerfeuer, um das sich die drei Mäd chen kümmerten. Er trat neben Wilson. Er hielt ein Stück eines Blattes in der Hand. Das ganze Blatt wäre zu groß gewesen, um es als Teller zu benutzen.
»Das ist das Mittagessen«, sagte Steve, »oder das Frühstück oder was Sie es sonst nennen wollen. Das ist so etwas ähnliches wie Brot, und der Hecht, den wir in dem Fluß dort unten gefangen hatten, hatte Fi lets, die appetitanregend riechen. Hören Sie mit Ih rem Zahlenkram auf Wilson und nehmen Sie eine halbwegs zivilisierte Mahlzeit zu sich.« Aber Wilson schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht essen.« Seine Stimme klang eigenartig. »Ich verstehe nicht, wie überhaupt jemand etwas essen kann.« »Haben Sie schlechte Neuigkeiten für uns?« fragte Steve. »Neuigkeiten vielleicht nicht«, sagte Wilson, und seine Haltung wirkte wie eine eigenartige Mischung aus Zurückhaltung und Erregung. »Ich habe einige Berechnungen angestellt.« »Das haben wir auch bemerkt.« »Ich habe darüber nachgedacht«, meinte Wilson zögernd, »wie eigenartig es doch ist, daß alles auf diesem Planeten und auf der Erde sich so ähnlich ist.« Steve reichte ihm das Blatt. »Nur zu.« »Es ... hat geheißen ... dieser Planet und die Erde seien irgendwie aufeinander abgestimmt, schwingen auf gleicher Ebene sozusagen wie zwei Stimmgabeln, die denselben Ton erzeugen.« »Ja, daran erinnere ich mich«, sagte Steve. »Indem sie aufeinander abgestimmt sind, haben sie
auch die gleiche Art lebender Wesen entwickelt. Aber das würde nicht erklären, warum diese Lebewesen von so verschiedener Größe sind.« »Da war doch auch die Rede von Oktaven«, meinte Steve. »So wie ich es verstehe sind alle A's auf einem gut gestimmten Klavier in Resonanz miteinander. Sie sind die selbe Note, aber Oktaven voneinander ent fernt. Wir und die Riesen sind dieselbe Art von Le bewesen, aber unterscheiden uns sehr deutlich in un serer Größe. All das ist mir nicht neu. Können wir mit dem Rest nicht warten, bis ich auch etwas zu essen habe?« Er ging weg, und Wilson überprüfte noch einmal die Symbole seiner Gleichung. Als Steve zurückkam, hatte er den Mund voll. »Ich bin ganz Ohr. Nur zu.« »Dann ist da noch die Raumfalte«, sagte Wilson. »Meine Berechnungen beruhen zwar hauptsächlich auf Vermutungen, aber sie scheinen mit den Tatsa chen in Einklang zu stehen.« »Als wir auf der Erde waren wußte keiner, was ei ne Raumfalte war«, erinnerte ihn Steve. »Sie hatten auch nicht die Beobachtungsmöglich keiten, die wir hatten.« Wilson fuhr mit dem Finger unter seinen Kragen als würgte er ihn. »Wir hatten hier Beobachtungsmöglichkeiten, die bis jetzt noch keiner auf der Erde hatte.«
»Ja, wir sind zum Beispiel in wenigen Stunden elf Lichtjahre weit getragen worden«, nickte Steve. »Ja. Ich muß Ihnen durchaus rechtgeben. Wir haben, ob wir wollten oder nicht, Dinge gesehen, von denen die Erde keinen Schimmer hat.« »Ich habe darüber nachgedacht, daß eine Raumfal te nur zwei Planeten, die bereits miteinander in Reso nanz sind, verbinden kann – und auch das nur sehr kurze Zeit.« Wilsons Stimme zitterte erregt. »Das wä re genauso, als wenn man behauptete, daß zwei Stimmgabeln nur dann aufeinander ansprechen kön nen, wenn sie denselben Ton abgeben – ob diese Töne nun Oktaven voneinander entfernt sind oder nicht.« Steve hatte genießerisch gekaut. Jetzt hielt er inne. »Das klingt ja gerade so, als hätten Sie etwas sehr Wichtiges zu sagen«, meinte er. »Heraus damit.« »Vor zwei – nein vor drei Nächten, als der Stern, der die Sonne dieses Planeten ist, genau über uns stand, habe ich mir die anderen Sterne angesehen.« Steve nickte. Wilson fuhr fort: »Ich bin schon an Orten gewesen, wo es so aussah, als verschöben sich die Sterne in ihren Positionen. Ganz schwach, aber es sah so aus als bewegten sie sich. Und diese Beobach tung brachte die Astronomen zu der Theorie der Raumfalte, einfach weil sie keinen anderen Namen dafür hatten.« »Aber –«
»Warten Sie«, sagte Wilson. »Vorgestern nacht ha be ich das gleiche wieder gesehen. Die Bewegung war ausgeprägter. Und das hat mich auf eine Idee ge bracht.« Steve schüttelte den Kopf. Aber er war ganz Ohr. »Und als wir vor ein paar Stunden auf der anderen Seite des Planeten waren, war das die Nachtseite. Sie sagten dort, die Riesen würden die Spindrift als Raumschiff Nummer sechs ansehen – da konnte ich einige qualitative Beobachtungen anstellen, die zu meiner Theorie paßten. Ich – ich habe die Berechnun gen gerade fertiggestellt.« Er schien Atemschwierigkeiten zu haben. »Die – die Raumfalte kommt zurück. Sie baut sich auf. Sie wird die Erde und diesen Planeten miteinan der verbinden – auf kurze Zeit. Und dann wird sie zurückschnappen und sich vielleicht irgendwo an ders wieder aufbauen. Aber etwa eine halbe Stunde lang wird sie im Mittelpunkt dieses Planeten – so wie man ihn von der Erde aus sehen würde – ihre maxi male Stärke erreichen. Das bedeutet einen bestimm ten Punkt auf diesem Planeten. Und – und –« Seine Stimme krächzte jetzt geradezu. »Und wir könnten hinfliegen. Wir können mitten in die Raum falte hineinfliegen. Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich bin nicht sicher. Aber ich würde mit dem größten Vergnügen mein Leben riskieren, wenn die
anderen auch damit einverstanden sind. Wir sollten versuchen, uns von der nächsten Raumfalte zur Erde zurücktreiben zu lassen.« Steve wäre beinahe an dem Bissen, den er im Mund hatte, erstickt. Er hustete und hustete. Dan kam her über und schlug ihm auf den Rücken. »Was ist denn los? Eine Gräte?« Und dann sah er Wilsons erregten Gesichtsaus druck. »Was ist denn?« Jetzt konnte Steve wieder sprechen. »Wir gehen nach Hause«, sagte Steve. »Vielleicht! Wir wollen un sere Sachen einladen und starten. Wir sind mit einer Raumfalte verabredet.« Und dann fügte er hinzu: »Aber es gibt ein großes ›vielleicht‹ an der Sache. Ein sehr großes ›vielleicht‹. Vielleicht das größte, das es je gegeben hat. Aber wir werden ja sehen!« Die Spindrift passierte den Sonnenuntergang, der nach Westen zog, während das Schiff nach Osten flog. Jetzt umgab sie Dunkelheit. Im Schiff herrschte eine eigenartig erregte Stimmung. Valerie trug eine ablehnende Miene zur Schau als wollte sie damit zei gen, daß keine vorstellbare Bösartigkeit des Schick sals ihr Angst machen konnte. Marjorie legte ge mischte Gefühle an den Tag, und man wußte nicht recht, ob sie jetzt zuversichtlich oder verängstigt war. Barry machte sich sichtlich Sorgen. Schließlich ging er zu Steve und teilte ihm vertraulich mit: »Ich mache
mir über Chipper Sorgen, Sir. Vielleicht gelingt es mir nicht, ihn nach England zu schmuggeln. Ich habe ge hört, die lassen keine Hunde ins Land. Deshalb wollte ich ihn durch den Zoll schmuggeln. Glauben Sie, ich schaffe das?« »Wenn wir zurückkehren«, wandte Steve ein, »würden wir so berühmt sein, daß eine Weile keiner von uns mehr ein Privatleben haben wird. Ich glaube nicht, daß du die leiseste Chance hast. Aber du brauchst ihn nicht einzuschmuggeln. Wenn du ihn in eine Quarantänestation gibst, kannst du ihn jeden Tag besuchen und alles ist ganz legal und einfach.« Und dann fügte er hinzu: »Ich kann die Sache mit der Quarantäne arrangieren. Ich kümmere mich darum.« Barrys Augen leuchteten. »Vielen Dank, Sir«, strahlte er. Fitzhugh war in Gedanken versunken. Insgesamt hatte man den Eindruck, als genösse er sein wieder hergestelltes Selbstvertrauen. Wenn man ihn so an sah, hätte niemand in ihm einen Neurotiker vermutet. Auch Dan wirkte sehr zuversichtlich. Für ihn war das, was ihnen bevorstand, gar nicht besonders wa gemutig. Es war einfach ein kompliziertes Flugmanö ver und damit würden er und Steve schon fertigwer den. Wilson war bleich. Er sah nicht nervös aus. Er wirkte angespannt als hielte er einen Schatz neuer
wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Hand und wartete nur darauf, diese Erkenntnisse an einen Ort zu bringen, wo sie anerkannt und ausgewertet wer den konnten. Und Steve steuerte die Spindrift. Die Zeit verstrich. Wilson blickte zum Fenster hin aus. Einige Male ging er auf die andere Seite, um auch dort hinauszusehen. Und als sie nur noch eine Stunde von ihrem Rendezvous mit der Raumfalte entfernt waren, kam Dan aus dem Cockpit zurück. Er tippte Wilson auf die Schulter. »Haben Sie etwas gesehen?« »Ja«, sagte Wilson ruhig. »Die Sterne in einem ganz kleinen Bereich in der Nähe der Lyra sahen gerade so aus, als bewegten sie sich. Hier am Rande des Feldes, wo wir sind, sollten die Symptome auch nur ganz schwach sein. Aber ich kann nichts versprechen!« Dan zuckte die Achseln. Er ging wieder nach vorn. Die Spindrift raste durch die Nacht. Sie flogen in einer Höhe von dreitausend Meter und daher langsamer als üblich, obwohl das zusätzlichen Energieverbrauch bedeutete. Aber Wilson hatte geraten, langsam zu fliegen, bis sie sich in der Mitte der von ihnen vermu teten maximalen Intensitätsverteilung der Raumfalte befanden. Kurz bevor sie ihren Bestimmungsort erreichten, schaltete Dan das Funkgerät ein. Er machte sich keine
Sorgen, aber er war erregt. Im Lautsprecher knackte es. Das waren Störgeräusche. Er wollte schon abschalten als neue Töne aus dem Lautsprecher kamen. Es waren unterschiedliche Töne von verschiedener Länge, und alle von ihnen so tief, daß sie an Donner erinnerten. Das erinnerte an die Geräusche, die sie vor dem Raketenan griff gehört hatten, jene Geräusche, die sie dazu hatten veranlassen sollen, ihre Position zu verraten. Aber diesmal war es anders. Steve lauschte. Plötz lich begriff er, was die Geräusche bedeuteten. Das war Dans Stimme. Man hatte sie aufgezeichnet und langsamer ablaufen lassen, so daß die Riesen sie hö ren konnten. Und jetzt ließ man sie wieder schneller laufen, um sie zu senden. Aber man ließ sie nicht schnell genug laufen. Wir rufen – alle Erdschiffe – wir rufen – alle Erdschiffe. Spindrift ruft. Steve wandte den Kopf. »Ist dir klar, Dan, daß sie den gesamten Energie verbrauch auf ihrem Planeten einstellen mußten, um das zu senden? Eine Spindrift war schon schlimm ge nug. Sechs oder sieben ist zuviel. Jetzt wollen sie wirklich einen Handel mit uns machen. Vielleicht meinen sie es sogar ehrlich. Angst genug haben sie. Willst du ihnen Antwort geben?« Dan tat so als spuckte er auf den Boden. Steve nick te und sprach ins Mikrophon:
»Wilson? Mir scheint, wir haben unser Ziel erreicht. Stimmt's?« »Wir sind ganz nahe«, sagte Wilson. »Der Himmel spannt sich hier richtig. Nur zu!« Die Spindrift bog ab und schoß gerade nach oben. Der Himmel schien sich buchstäblich zu spannen. Die Sterne zuckten und pulsierten, ohne aber ihre Relati on zueinander zu verändern. Natürlich bewegten sie sich nicht. Das schien nur so. Das Schiff befand sich jetzt in dreißigtausend Me tern Höhe. Vierzigtausend. Fünfundvierzig – sechs undvierzig – fünfzig. Ein Störgeräusch hallte durch das Cockpit, daß sie schon glaubten, die Lautspre chermembrane sei gesprungen. Und dann verloschen die Sterne, zuerst am Horizont und dann langsam auch über ihnen. Steves Aufgabe als Anführer war es, pessimistisch zu sein. Aber jetzt gestattete er sich einen Funken Hoffnung. Das war eine Raumfalte. Das genaue Ge genstück jener, die die Spindrift aus dem Luftmantel der Erde gerissen hatte. Und jetzt trug sie sie zurück. Vielleicht.