Der Drakhon-Zyklus! Es gibt nur noch wenig Hoffnung für die von einer kosmischen Kollision bedrohte Milchstraße. Um das...
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Der Drakhon-Zyklus! Es gibt nur noch wenig Hoffnung für die von einer kosmischen Kollision bedrohte Milchstraße. Um das Unmögliche doch noch im letzten Augenblick möglich zu machen, fliegt Ren Dhark in die Galaxis Drakhon. Aber dort wird sein Raumschiff POINT OF von den aggressiven Nomaden in eine Wurmlochfalle gelockt und verschwindet spurlos... Dies Buchausgabe präsentiert die endgültige Fortschreibung des Klassikers nach Motiven von Kurt Brand. Es gibt noch viel zu entdecken im Dschungel der Sterne – steigen Sie ein und fliegen Sie mit!
Ren Dhark Der Drakhon-Zyklus Band 4
Die Herren von Drakhon
HJB
1. Auflage HJB Verlag & Shop e.K. Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Bestellungen und Abonnements: 0 26 31-35 48 32 0 26 31-35 61 00 Fax: 0 26 31-35 61 02 www.ren-dhark.de © REN DHARK: Brand Erben Herausgeber: Hajo F. Breuer Titelbild und Illustrationen: Swen Papenbrock Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH © 2000 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930515-28-8
Vorwort Für alles im Leben gibt es einen Ausgleich. Wirklich für alles. Weil ein Termin nicht gehalten wurde, mußten wir den vorliegenden Band ohne die gewohnten und von uns allen auch geliebten Illustrationen in den Innenseiten drucken. Hätten wir auf die Bilder noch gewartet, wäre der pünktliche Erscheinungstermin nicht mehr zu realisieren gewesen. Und wie ich schon an anderer Stelle dargelegt habe, ist dieser pünktliche Erscheinungstermin ein Glaubensbekenntnis für mich. Auch wenn ich mir mit dieser Einstellung nicht nur Freunde gemacht habe... Aber wie oben schon gesagt: Für alles im Leben gibt es einen Ausgleich. Und weil das so ist, haben unsere Autoren für dieses Buch so viel Stoff geliefert, daß es fast für zwei gereicht hätte. Und zwar guten Stoff, von dem ich nur ungern etwas weggekürzt oder auf den nächsten Band verschoben hätte. Also habe ich mal wieder etwas mit dem Computer gespielt, um mehr Material als üblich auf die Seite zu packen – und freute mich dann tierisch, daß ich wegen der fehlenden Illustrationen drei Seiten mehr zu Verfügung hatte. So kam ich gerade noch hin mit dem Platz. Trotzdem sollen REN DHARK-Bücher ohne Innenillustrationen nicht die Regel werden. Wir arbeiten schon an einer neuen Lösung. »Arbeit« ist das Stichwort: Wir werkeln natürlich immer an neuen Ideen, um unser Angebot für den echten REN DHARKFan attraktiver zu machen. Für die Modebewußten unter Ihnen gibt es jetzt die POINT OF auch als Anstecknadel – natürlich in Unitall-blau. Nähere Informationen dazu im Internet und auf den letzten Seiten dieses Buches. Apropos Internet: Gibt es eigentlich noch einen REN DHARK-Leser, der einen Computer mit Internetzugang besitzt
und noch nicht Abonnent der HJB-News ist? Dann wird es aber Zeit! Denn unter www.hjb-shop.de/hjb-news.htm gibt's die neusten Informationen aus der Welt der Science Fiction im Abonnement – kostenlos und frei Haus, versteht sich. Denn von kostenlosem Service für unsere Leser (Sie!) halten wir viel. Deswegen haben wir auch eine neue Internetseite eingerichtet, auf der Sie die Erstveröffentlichung eines SFRomans von REN DHARK-Autor Conrad Shepherd kostenlos lesen und natürlich auch ausdrucken können. Klicken Sie einfach mal www.syndic.de an und verfolgen Sie die ersten Kapitel einer neuen deutschen SF-Serie, die es nicht nötig hat, sich vor dem Zeitgeist zu verbeugen, sondern lieber durch knallharte Action überzeugt. SY.N.D.I.C. – das heißt keine Kompromisse und SF, so wie sie mal war (und eigentlich immer noch sein sollte). Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen die Autoren zu nennen, die das vorliegende Buch nach einem Exposé von Hajo F. Breuer verfaßten: Werner K. Giesa, Uwe Helmut Grave, Conrad Shepherd und Manfred Weinland. Lassen Sie sich von ihrem spannenden Werk entführen zu den Herren von Drakhon... Giesenkirchen, im Oktober 2000 Hajo F.
Breuer
Prolog Die galaktische Katastrophe, die Ende des Jahres 2057 die Milchstraße heimsuchte, hat sämtliche technischen Errungenschaften der Mysterious, die nicht von einem Intervallfeld geschützt waren, in nutzlosen Schrott verwandelt. Darüber hinaus hatten die Völker der Milchstraße alle unter den Folgen der Energiefront aus dem Hyperraum zu leiden, ob sie nun Mysterious-Technik benutzten oder nicht. Bewußtlosigkeit, Kurzschlüsse und Unfälle forderten allen technisch entwickelten Zivilisationen einen hohen Blutzoll ab. Allein auf der Erde fanden mehr als 50 Millionen Menschen den Tod. Ren Dhark vermutet einen Zusammenhang zwischen dieser Katastrophe, den verheerenden Strahlenstürmen in der Galaxis und der unerklärlichen Entdeckung der Galaxis Drakhon, die mit der Milchstraße zu kollidieren droht. Weil offenbar auch die Grakos, jene geheimnisvollen Schattenwesen, die so unerbittliche Feinde aller anderen intelligenten Lebensformen zu sein scheinen, unter den Folgen der kosmischen Katastrophe leiden und ihre Angriffe eingestellt haben, bricht Ren Dhark mit seinen Getreuen zu einer Expedition nach Drakhon auf. Da die Erde nach dem Ausfall ihrer meisten SKreuzer auf kein Raumschiff verzichten kann, steht für die Expedition nur ein einziges Schiff zur Verfügung: die POINT OF. Ausgerüstet mit von den Nogk konstruierten Parafeldabschirmern steuert das terranische Flaggschiff noch einmal den Planeten Salteria an, auf dem die letzten Salter Zuflucht bei den paramental enorm starken Shirs gefunden hatten. Diesen gewaltigen Kolossen war es offenbar gelungen, die Erinnerungen und Sinneseindrücke der Terraner beim ersten Aufenthalt auf ihrer Welt fast nach Belieben zu
manipulieren. Beim Einflug nach Drakhon macht die Funk-Z der POINT OF eine erstaunliche Entdeckung: In der fremden Galaxis, die beim ersten Besuch funktechnisch »tot« war, wimmelt es nun von Kommunikationssignalen im Hyperraum. Offenbar hatte auch in dieser Sterneninsel ein kosmischer Blitz zugeschlagen, der die hier lebenden Völker aber früher außer Gefecht gesetzt haben mußte als die Bewohner der Milchstraße... Diesmal gelingt es Ren Dhark, einen offeneren Kontakt mit den Shirs herzustellen als bei seinem ersten Besuch. Doch während er es langsam schafft, das Vertrauen der Para-Riesen zu erringen, wird ihr Planet von kreuzförmigen Raumschiffen angegriffen. Unter Dan Rikers Kommando stellt sich die POINT OF den Aggressoren entgegen. Offenbar ist der Ringraumer den Angreifern hoch überlegen. Doch dann gelingt es ihnen, das Schiff in eine Falle zu locken: Die POINT OF wird in ein Wurmloch gerissen und verschwindet spurlos. Ren Dhark und die Shirs sind den Nomaden ausgeliefert...
1. Sechs Kreuzraumer der Nomaden waren auf Salteria, der Welt der Shirs, gelandet! Über das große Holobild wurde Ren Dhark Zeuge des Geschehens. Dieses Holographiefeld, an einer der Wände des riesigen Wohnraums entstanden, zeigte ihm und dem Ratsherrn, was die Ortungssysteme der Shirs feststellten. Es war keine echte Bildübertragung, sondern eine Computersimulation, die in Falschfarbendarstellung mit leuchtenden Objekten den Planeten und seine Umgebung zeigte und taktische Daten einblendete. So hatte Dhark verfolgen können, wie die POINT OF versuchte, die Kreuzraumer an ihrem Angriff auf Salteria zu hindern, aber seine Warnung vor einer tückischen Falle hatte sein Raumschiff zu spät erreicht. Die POINT OF war von einem blitzschnell aufgebauten künstlichen Wurmloch verschluckt worden! Sie existierte nicht mehr im Doppelsonnensystem der Shirs. Existierte sie überhaupt noch? War sie von unfaßbaren Hyperenergien im Bereich des Wurmlochs vernichtet worden – oder nur an einen anderen Ort im Universum geschleudert? Oder vielleicht sogar in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum? Das Verschwinden der POINT OF hatte Ren wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht getroffen. All die vertrauten Freunde und Kameraden an Bord... was war mit ihnen geschehen? Lebten sie noch, oder waren Arc Doorn, Manu Tschobe, Dro Cimc und die beiden Cyborgs die einzigen Humanoiden, die von der Drakhon-Expedition noch übriggeblieben waren? Damit nicht genug: Es gab für Salteria jetzt keine brauchbare Verteidigung mehr. Die Energiebomben, welche die Shirs den ursprünglich vierzehn angreifenden Raumern
entgegengejagt hatten, ließen sich in Planetennähe nicht mehr einsetzen. Ren wandte den Kopf und sah den Ratsherrn der Shirs an. Die Frage Was nun? blieb unausgesprochen. Vermutlich wußte auch der Shir keine Antwort, dieses riesige Geschöpf mit den erstaunlichen Parafähigkeiten, wie sie für seine Spezies normal waren. Der dicke, lange Körper des Shir, sehr viel größer als der eines Elefanten, war von grünem und gelbem Fell bedeckt, das gemustert war wie bei einem Zebra. Er besaß sechs dicke Stempelbeine, mit denen er sich völlig lautlos bewegen konnte. Der Kopf, an dem man vergeblich den Mund suchte, war schauderhaft flach und sah aus wie das kantige Blatt eines Spatens. An der oberen Kante des Spatenblatt-Kopfes saßen drei Ohren, die jeweils über einen halben Meter groß waren und deren Ränder gelb leuchteten. Fünf tellergroße Augen reihten sich von Kante zu Kante des Kopfes. Untereinander verständigten sich die Shirs telepathisch. Aber sie hatten die Sprache der Terraner gelernt und benötigten für die Unterhaltung mit Ren Dhark und den anderen keinen Translator. Da der Tel Dro Cimc schon bei seinem ersten Aufenthalt in der POINT OF in einem hypnotischen Lernverfahren das Angloter gelernt hatte, gab es auch für ihn keine Kommunikationsprobleme. Das ratekische Gerät, das Dhark vorsichtshalber mitgenommen hatte, als er noch davon ausgehen mußte, nur er selbst sei in der Lage, sich mit den Shirs zu unterhalten, weil niemand außer ihm die Sprache der Mysterious beherrschte, wurde nicht benötigt und erwies sich nun als nutzloser Ballast auf der Transport-A-Gravplatte. Nach dem anfänglich recht abweisendem Verhalten der Shirs war die aus fünf Terranern, einem Tel und vier Robotern bestehende Delegation gebeten worden, den Shirs in ihre unterirdische Welt zu folgen. Die kegelförmigen Kampfroboter aus der Fertigung von Wallis Industries schwebten auf ihren Prallfeldern. Jeder der Menschen, auch die Cyborgs Lati
Oshuta und Bram Sass, trugen die nogkschen Stirnreifen, die einen halbwegs wirksamen Schutz gegen die enormen Hypnokräfte der Shirs darstellten. Zusätzlich hatten die Cyborgs von Anfang an auf ihr Zweites System geschaltet. Durch einen imposanten Tunnel von mehr als fünfzig Metern Durchmesser waren sie abwärts in einen Berg hineingeführt worden. Der Cyborg Bram Sass hatte die Schritte mitgezählt und ausgerechnet, daß sie sich etwa fünfzig Meter unter dem Boden der Schlucht und gut drei Kilometer tief im Inneren des Berges befanden. Allerdings hatte die Feinortung der POINT OF etwas später einen völlig anderen Wert ergeben. Hatte Ren Dhark beim Betreten der unterirdischen Anlage damit gerechnet, von blauem Licht empfangen zu werden, wie es für die Mysterious typisch war, umgab sie statt dessen eine geheimnisvoll golden schimmernde Helligkeit. Auch die Wände des Tunnels waren nicht blauviolett wie Unitall, sondern eher grüngrau. In der unterirdischen Anlage reihten sich Häuser aneinander und säumten breite Straßen, in denen sich nur wenige Shirs bewegten. Dabei war deutlich zu unterscheiden, was Wohnund Industrieanlagen waren. Die Menschen hatten mit dem »Rat der Shirs« gesprochen, der ihnen vorwarf, Krieg gegen die Galaxis Drakhon zu führen. Dieses Mißverständnis hatte erst ausgeräumt werden können, als Ren Dhark gegen den Rat seiner Gefährten das Risiko einging, den nogkschen Stirnreif abzulegen und den Shirs Einblick in seine Gedankenwelt zu gewähren. Danach war zumindest diese Angelegenheit geklärt, nur half das den Besuchern aus der Milchstraße nicht sehr viel weiter, weil immer noch zu viele Fragen unbeantwortet blieben. Die Shirs wiesen ihren Gästen Unterkünfte zu, die sie in aller Eile mit ihren Parakräften für die Bedürfnisse der Terraner eingerichtet hatten. Einer der Ratsherren begleitete Dhark und machte es sich bei diesem gleich gemütlich. Sein Name bestand aus einer Lautfolge, die von menschlichen Stimmorganen praktisch nicht nachzuvollziehen
war. Der Shir erklärte dazu, daß sein Volk an sich überhaupt keine Namen nach menschlichem Verständnis verwendete – außer beim Kontakt mit Nicht-Shirs. »Aber wenn du auf die Fellzeichnung achtest, die bei jedem von uns anders ist«, hatte der Ratsherr erläutert, »wirst du die Unterschiede erkennen. Unsere Namen, die ihr nicht aussprechen könnt, basieren zum Teil auf den Farbmustern.« Deshalb trugen die Shirs auch keine Kleidung. Die hätte ihnen die gegenseitige Identifizierung nur unnötig erschwert. Allerdings fragte sich Dhark, weshalb die Shirs sich mit ihren unglaublichen paranormalen Fähigkeiten nicht gleich auch telepathische Begriffe als Namen gaben... Aber das war jetzt nicht sein Problem. Sondern der Angriff der Nomaden auf Salteria! Mit der vorher zur Schau gestellten Gemütlichkeit des Ratsherrn war es jetzt vorbei. Erregt war der Shir von seiner Liege aufgesprungen und starrte wie Ren Dhark auf den großen Holo-Schirm, der die landenden Raumer zeigte. Sie waren kreuzförmig konstruiert. Die Balkenlänge betrug jeweils etwa 200 Meter, der quadratische Querschnitt dieser Arme rund 30 Meter. An den Enden der Kreuzbalken befanden sich die Waffensysteme – energetische Impulsgeschütze, die den Intervallfeldern der POINT OF kaum gefährlich werden konnten, und Werfer für Torpedos mit enorm hoher Sprengkraft und automatischen Zielsuchköpfen. Diese Torpedos erreichten nach einer gut zehnminütigen Beschleunigungsphase ihre Endgeschwindigkeit von 0,8 Licht und waren damit relativ leicht auszumanövrieren. Die POINT OF, von der Ren diese Daten zugefunkt bekommen hatte, war ohne größere Probleme mit ihnen fertiggeworden. Nur nicht mit der verdammten Wurmlochfalle, die die Kreuzraumer ihr gestellt hatten... Hing diese mit der »anderen Antriebsart« zusammen, die Dan Riker, in Rens Abwesenheit Kommandant des Ringraumers, vermutet hatte? Offenbar waren die Kreuzraumer in der Lage, künstliche Wurmlöcher zu erzeugen und sie zur
überlichtschnellen Fortbewegung zu benutzen... Dharks Vipho sprach an. »Drakhons verspätetes Weihnachtsgeschenk an uns und die Shirs«, kommentierte der Arzt und Funkspezialist Manu Tschobe spöttisch. »Was machen wir jetzt? Spielen wir Verstecken, wie diese Superelefanten es vor Monaten mit uns gemacht haben?« Ren warf einen Blick auf die Bildwiedergabe des Viphos. Er sah, daß Arc Doorn, Dro Cimc und die Cyborgs sich um Tschobe versammelt hatten. Offenbar konnten sie das Geschehen per Holo-Schirm ebenso verfolgen wie Dhark und der Shir-Ratsherr. Den sah der Commander jetzt fragend an. »Shir, warum setzt ihr jetzt nicht eure Parakräfte ein, um die Nomaden zum Verlassen des Planeten zu zwingen? Warum gaukelt ihr ihnen nicht vor, daß es hier für sie nichts zu holen gibt, so wie ihr uns bei unserem ersten Besuch in die Irre geführt habt?« Sie hatten den Menschen sogar vorgetäuscht, die aussterbenden Salter seien tatsächlich die Mysterious! Und auf irgendeine rätselhafte Weise hatten sie mit ihrem phänomenalen Para-Können sogar mitbekommen, was auf Terra geschah, und dabei Kontakt mit Ren Dhark gehabt, den dieser immerhin hatte wahrnehmen können! »Terranischer Gast, der fremd in unseren Sternenräumen ist«, begann der Shir weitschweifig, »laß dir sagen, daß nicht nur wir über Parakräfte verfügen, sondern alle uns bekannten Völker dieser Galaxis. Bei jedem zeigen sie sich in anderer Form, und die Parafähigkeit der Nomaden besteht darin, immun gegen die Manipulationskräfte meines und anderer Völker zu sein! Das hilft ihnen zwar nicht gegen alle anderen, aber...« »Gegen wen nicht?« hakte Dhark rasch nach. Aber der Shir ging nicht darauf ein. »Dhark...« meldete Tschobe sich wieder. »Sie schleusen Bodentruppen aus!« Ren konnte es auf dem Holo-Schirm sehen. Plötzlich
veränderte sich dessen Wiedergabe. Statt der taktischen Simulation gab es jetzt ein »echtes« Bild. Es zeigte die Stelle, an der die Kreuzraumer gelandet waren – unmittelbar am Anfang der Schlucht, durch die die Terraner und der Tel zum in den Berg führenden Tor geleitet worden waren. Die Szene wurde herangezoomt. Vor und unter den Raumschiffen wimmelte es innerhalb kurzer Zeit wie in einem Ameisenhaufen. Fahrzeuge wurden ausgeschleust, und angesichts der Truppen konnte Dhark sich eines erheblichen Unbehagens nicht erwehren. Waren die Giants mit ihren furchterregenden Raubtierköpfen, von denen keiner dem anderen glich, schon unheimlich gewesen, zeigten die Nomaden ein geradezu erschreckendes Aussehen! Hatte der Shir-Ratsherr Rens Erschrecken bemerkt? Zoomte er deshalb die Fremden noch näher, noch deutlicher heran? Lebensgroß sah Ren jetzt einige von ihnen in der Holographie vor sich. Die Nomaden waren etwa menschengroß und sahen entfernt aus wie nackte, aufrechtgehende Hunde. Ihre Haut schimmerte schwarz. Die Köpfe zeigten individuell unterscheidbare Merkmale, aber allen gemein waren das extrem kräftig ausgeprägte Gebiß und der bösartig-tückisch wirkende Ausdruck von flacher Stirnpartie, spitz aufragenden Ohren und blutrot unterlaufenen Augen. Daß hier menschliches Empfinden von Schönheit oder Häßlichkeit schon beim Betrachten für Vorurteile sorgte, konnte Rens Unbehagen nicht mindern. Sein Unterbewußtsein rebellierte und signalisierte ihm: Feind! Das Fehlen von Fell und das ständige Sabbern der Nomaden verstärkten diesen Eindruck zusätzlich. Aus den Ärmeln ihrer Kampfanzüge ragten vierfingrige Gliedmaßen hervor. Was die weit geschnittenen Kampfanzüge kaschierten, verrieten diese Hände, die eigentlich Pranken waren: Die Nomaden mußten über eine enorme Körperkraft verfügen.
Der Shir hatte wohl Dharks Gedanken wahrgenommen, und unwillkürlich griff der Commander nach seinem Stirnreif, um festzustellen, daß der verrutscht war. Rasch korrigierte er das wieder. Zugleich vernahm er die Worte des Ratsherrn: »Dein Eindruck ist richtig, Terraner Ren Dhark. Diese Wesen sind böse und aggressiv. Gewalt ist ihr Alltag, und der Einsatz körperlicher Kraft ist für sie der höchste aller Werte. Sie sind sehr stark, weil sie eine Normschwerkraft von 1,3 g eurer Rechnung gewohnt sind. Sie leben um zu kämpfen, zu töten und zu plündern.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Aber vielleicht haben wir Glück, und sie überfallen nur unsere Stadt, verschonen die anderen. Daß sie alle hier gelandet sind, deutet darauf hin – möglicherweise haben sie die anderen nicht geortet.« Tschobe, der über Vipho mitgehört hatte, warf ein: »Nicht, daß uns das viel helfen würde, Dhark – gerade hat mir der Shir, der bei uns ist, mitgeteilt, daß die Nomaden keinen von uns am Leben lassen werden. Sie kommen, töten, plündern und verschwinden wieder mit ihrer Beute.« Welchen Sinn hat das? fragte sich Dhark. Es konnte doch nicht der Lebensinhalt eines ganzen Volkes sein, destruktiv zu agieren! Gaukelten ihnen die Shirs wieder einmal etwas vor? Diesmal mit Worten, weil die Terraner sich gegen die Parakräfte erfolgreich abschirmten? Ren sah, wie einige Rudel – einige Gruppen! korrigierte er sich sofort, weil er sich trotz des bösartigen Aussehens der Nomaden nicht dazu erniedrigen wollte, sie mit einem solchen Begriff als Tiere abzuqualifizieren – die Bodenfahrzeuge bestiegen. Nur Sekunden später nahmen diese Fahrt auf. Der Strom von Kämpfern und Material aus den Raumern schien kein Ende finden zu wollen. Immer mehr Hundeköpfige bevölkerten das Areal vor den Kreuzschiffen. Ren war nicht mehr in der Lage, ihre Anzahl abzuschätzen.
»Rund sechshundert«, teilte Lati Oshuta mit, als der Strom endlich versiegte. Sein Cyborg-Programmgehirn hatte eine Hochrechnung vorgenommen und war zu diesem erschreckenden Ergebnis gekommen. Sechshundert Nomaden – eine übermächtige, unbesiegbare Armee gegenüber einer Handvoll Menschen und gegenüber den Shirs, die sich friedliebend gaben und sich von Kampfhandlungen bisher distanziert hatten. (Nur konnte Ren andererseits nicht vergessen, wie viele Bombensonden sie den Nomaden entgegengeschickt hatten, um ihre Schiffe aus dem Weltraum zu fegen.) Aber war Selbstverteidigung nicht auch für friedliebende Wesen legitim? Sollten sie sich etwa abschlachten lassen, nur weil sie selbst den Kampf verabscheuten? Und diese Abscheu glaubte Ren Dhark plötzlich zu erkennen, als er »seinen« Ratsherrn ansah. Der zeigte eine solche innere Unruhe, daß Dhark sie fast körperlich spürte. Er brauchte kein Xenopsychologe zu sein, um die Angst des riesenhaften Wesens wahrzunehmen. Die Energiebomben, welche die Shirs den Nomaden entgegengeschickt hatten, waren etwas anderes als ein direkter Nahkampf! Dhark kannte diesen Effekt. Es ist einfacher, in einem geschützten Bunker auf den Feuerknopf für die Raketen zu drücken, als dem Gegner Auge in Auge gegenüberzustehen. Ihn unmittelbar vor sich sterben zu sehen. Am Bildschirm kann der Tod etwas Pervers-Ästhetisches haben, sieht auf jeden Fall harmloser aus. Er hob die Brauen und verzog das Gesicht. »Ich schätze, wir stecken ziemlich tief in dieser Sache drin und kommen so schnell nicht wieder 'raus, schon gar nicht ohne die POINT OF. Also werden wir die Nomaden höflich bitten, auf ihren Angriff zu verzichten.« *
»Sie sind wirklich immer für einen kleinen Scherz zu haben, nicht?« fragte Wer Dro Cimc gespielt heiter. »Sicher werden die Hundsköpfe nicht weniger höflich erwidern, daß die Shirs bitte freundlicherweise auf ihre Gegenwehr verzichten sollten.« Er lachte gekünstelt. »Nicht nur die Shirs, Wer«, gab Dhark zurück. »Wir auch. Wir sind mitgegangen, also werden wir auch mitgefangen und mitgehangen – wie ein altes terranisches Sprichwort sagt.« »Viele alte terranische Sprichwörter sind so deprimierend«, klagte der Tel. »Sie meinen es also ernst, Commander? Wir sollen gegen die Hundsköpfe kämpfen?« »Ich werde jedenfalls nicht zusehen, wie dieses Kriegervolk hereinstürmt und uns alle, Terraner, Tel und Shirs, massakriert.« »Die POINT OF haben sie ja schon erledigt«, vermerkte Arc Doorn, der sich kurz in den Bereich der Bilderfassung beugte. »Zahlen wir es ihnen heim!« »Sie vergessen zwei Dinge, Doorn«, knurrte Tschobe. »Zum einen hat jeder von uns ein eigenes Vipho, warum zur Hölle glaubt also jeder, mein Gerät für diese Unterhaltung benutzen zu müssen? Schon mal was von Konferenzschaltung gehört? Zweitens sind wir für diesen Kampf ja absolut in der Übermacht. Es ist diesen Nomaden gegenüber geradezu unfair, daß wir unsagbar zahlreichen krieg- und siegerprobten terranischen Helden mit unseren gefährlichen leichten Handstrahlern über nur sechshundert fast hilflose Opfer... äh, Gegner mit lausigen schweren Waffen und mobilen Geschützen herfallen und sie lässig im Vorbeigehen massakrieren.« »Spinnt der jetzt?« brummte Doorn im Hintergrund, in den er sich wieder zurückgezogen hatte. Ren ahnte, was in dem Afrikaner vorging. Der stets besonnene Tschobe stand unter erhöhtem Streß. Die POINT OF, ihre einzige Möglichkeit zur Heimkehr, war nicht mehr verfügbar und vielleicht vernichtet worden. Die Shirs besaßen angeblich Raumschiffe, nur waren die garantiert seit
Jahrhunderten oder länger nicht mehr benutzt worden und funktionierten vielleicht längst nicht mehr. Abgesehen davon war es fraglich, ob sie den langen Weg zurück in terranische Gefilde schafften. Die POINT OF war ein technisches Wunderwerk und allein durch den Sternensog jedem Transitionsantrieb überlegen – zumindest hier in Drakhon, wo die maximale Sprungweite von Transitionsraumern nur ein paar Lichtstunden betrug. Sie waren also abgeschnitten und auf sich allein gestellt – wieder einmal. Erinnerungen an Hope wurden wach, an die Deportation durch den Diktator Rocco in die Wildnis eines lebensfeindlichen Dschungelkontinents, dabei immer wieder gejagt von den Schergen Roccos, dem plötzlich klargeworden war, daß Leute wie Dhark, Riker, Doorn, Tschobe und andere sich nicht so einfach unterkriegen ließen. Dann das Höhlensystem der Mysterious, der Angriff von Roccos Truppen, die verzweifelte Flucht, die mörderischen Kämpfe ums nackte Überleben... Das alles mochte in Manu Tschobe jetzt wieder erwacht sein, so wie auch Ren Dhark unwillkürlich daran denken mußte. Aber damals, in den Höhlen der Mysterious, waren sie ein paar Dutzend Leute gewesen, die Seite an Seite kämpften. Hier waren sie nur eine Handvoll. Die Shirs zählten nicht! Die schlotterten doch vor Angst, wie nicht nur Ren an »seinem« Ratsherrn sah! Und den knüpfte der Commander sich jetzt vor. Er deutete auf den Holo-Schirm. »Lageplan«, forderte er kühl. »Wir müssen wissen, wie wir diese Anlage am besten verteidigen können. Wo können wir die Nomaden am einfachsten stoppen? Wie gehen sie für gewöhnlich vor? Wie schnell können...« Im nächsten Moment wurde ihm klar, daß der Ratsherr seine Fragen gar nicht richtig mitbekommen hatte. Er schien für einen Moment in mentalem Kontakt mit seinen Artgenossen gestanden zu haben. »Drei von uns sind tot«, berichtete er.
* Es stimmte. Schneller als erwartet waren die ersten Nomaden am Zugang zur unterirdischen Welt eingetroffen und waren mit der Tarnung des Tores blitzschnell fertiggeworden. Ren vermutete, daß diese Tarnung zum Teil auf Para-Ebene bestand, die auf die Nomaden natürlich nicht wirkte, wenn er den Worten des Ratsherrn glauben durfte. Deshalb hatten sie das Tor mühelos orten oder sogar sehen können. Und jetzt waren sie bereits im Tunnel! Drei Shirs, die ihnen eher zufällig über den Weg liefen, hatten sie gleich niedergeschossen, und jetzt stießen sie weiter vor. Und es kamen immer mehr Nomaden, die in den schräg abwärts führenden Schacht vordrangen. Einige ihrer gepanzerten Bodenfahrzeuge nahmen sie gleich mit hinein. Die größeren Kampfmaschinen blieben draußen zurück. Darin sah Dhark plötzlich eine Chance! »Gibt es eine Möglichkeit, das Tor über einen anderen Weg zu erreichen?« wollte er vom Ratsherrn wissen. »Was hast du vor, Terraner?« fragte dieser matt zurück. Der Tod seiner Artgenossen machte ihm zu schaffen. Diese Shirs waren dem Commander ein Phänomen. Auf der einen Seite schossen sie mit erbarmungslosen Vernichtungswaffen auf Angreifer, solange diese sich im Weltraum befanden, auf der anderen Seite ertrugen sie den Tod ihrer Artgenossen nicht. Fremder Tod ist leichter Tod, dachte Ren etwas bestürzt. »Gibt es einen anderen Weg zum Tor?« drängte er und bedauerte, daß der Shir so riesig vor ihm aufragte. Einen Menschen hätte er packen und durchrütteln oder sogar ohrfeigen können, um ihn aus seinem trübsinnigen Zustand zu reißen. Aber was sollte er mit diesem Giganten anfangen? Ihm mit dem Blaster in den Huf eines seiner sechs Beine schießen? »Ja«, bequemte sich der Ratsherr endlich zu einer Antwort. »Ein Versorgungsschacht. Er verläuft parallel zum Gang. In
ihm befinden sich Energieanlagen, die für die Beleuchtung, die Sauerstoffzufuhr und die Schwerkraftregelung zuständig sind.« »Schwerkraftregelung?« staunte Dhark, der sich immerhin noch vorstellen konnte, daß ein dermaßen weit in die Tiefe führender Korridor künstlich belüftet werden mußte. Aber Schwerkraftregelung? Davon hatte er, als sie den Tunnel durchschritten, herzlich wenig gespürt. In ihm herrschte die gleiche Schwerkraft wie an jedem anderen Punkt des Planeten. »Schau mich an«, verlangte der Ratsherr, und es klang irgendwie spöttisch. »Was siehst du, Terraner?« »Einen Shir.« »Du siehst eine beachtliche Körpermasse, die bewegt werden will. Der Tunnel führt von hier aus bergauf. Warum sollen wir uns mehr Mühe machen als nötig?« Unwillkürlich grinste der Commander. Die Vorstellung, einen angestrengt schnaufenden und keuchenden Shir aufwärts stapfen zu sehen, entbehrte tatsächlich nicht einer gewissen Komik. Er selbst hatte sich schon auf dem Weg nach unten seine Gedanken dazu gemacht und überlegt, auf dem Rückweg die A-Gravplatte des Translators zusätzlich mit dem Gewicht der Menschen zu belasten, statt mit eigener Muskelkraft nach oben zu marschieren... Rasch wurde er wieder ernst. »Wie groß ist dieser Versorgungsschacht?« Der Shir hatte begriffen! »Groß genug für Terraner...« »Und für Roboter?« »Groß genug für Roboter...« »Okay!« entschied der Commander. Er sprach wieder in sein Vipho. »Sass, Oshuta! Haben Sie mitgehört?« »Aye, Commander«, bestätigte Bram Sass. »Lassen Sie sich von Ihrem Shir einweisen. Stoßen Sie mit den Robotern bis zum Tor vor. Schnellstens! Wenn Sie vorgestern gegen Mittag eintreffen, ist das effektiver als in zehn Minuten. Versuchen Sie, die vor dem Tor parkenden größeren Bodenfahrzeuge zu vernichten. Oder noch besser ein
in den Tunnel eindringendes Gerät. Der Zugang muß auf diese Weise verschlossen werden, egal wie Sie das schaffen! Je weniger Nomaden eindringen können, um so besser ist es!« »Verstanden«, sagte Sass. »Wir machen Ladenschluß. Und wenn wir den Höhleneingang zum Einsturz bringen müssen.« Der Ratsherr neben Ren Dhark machte sich bemerkbar. »Es wird nicht funktionieren«, behauptete er. Dhark winkte heftig ab. »Ich liebe deinen Optimismus, Ratsherr«, sagte er.
2. Sein glatter Körper glänzte wie ein eingeölter Babypopo. Ganz langsam drehte er ihn ein Stück nach rechts und betrachtete sich dabei ausgiebig im Spiegel. Anschließend bewegte er seinen rotbraunen Leib zwecks weiterer Begutachtung linksherum. »Unheimlich, nicht wahr?« flüsterte Han Hanson, der als Ingenieur bei Wallis Industries angestellt war, seinem sechzigjährigen Freund George zu. »In jeder großen Arbeitspause zieht er sich in den Waschraum zurück und bewundert seinen Körper.« »Bewundert seinen Körper?« wiederholte der kanadische Wissenschaftler George Lautrec mit leicht spöttischem Unterton. »Das kann unmöglich dein Ernst sein, Han.« Der fünfzigjährige Ingenieur seufzte. »Ich weiß, ich weiß, diese Formulierung hört sich ziemlich lächerlich an, aber eine bessere fällt mir nicht ein. Selbst wenn es völlig unmöglich erscheint, bin ich überzeugt, daß Narziß eitel ist.« »Narziß?« »Den Spitznamen haben meine Jungs ihm verpaßt. In der griechischen Mythologie war Narziß ein schöner Jüngling, der die Liebe der Nymphe Echo verschmähte und dafür von der Liebesgöttin Aphrodite hart bestraft wurde. Sie zwang ihn, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben.« »Ja, ja, ich kenne die Geschichte«, unterbrach George seinen Freund. »Weil das Spiegelbild für den Jüngling unerreichbar war, verzehrte er sich vor Sehnsucht, bis er sich schließlich in die nach ihm benannte Narzisse verwandelte. Aber die Legende handelt von einem Menschen, Han, nicht von einer Konservenbüchse.« Während er das Wort »Konservenbüchse« aussprach, deutete er auf die kegelförmige glänzende Maschine vor dem
Spiegel. Abrupt hörte der Arbeitsroboter auf, sich zu drehen. Die kleinen blinkenden Leuchten am oberen Teil seines Metallkörpers, die ein Teil seines Wahrnehmungssystems waren, verloschen schlagartig, als hätte sie ein plötzlicher Windzug ausgepustet. »Jetzt hast du ihn gekränkt«, meinte Han Hanson. »Gekränkt?« George Lautrec schnappte nach Luft wie ein Karpfen, der am Silvestertag aus der Badewanne gefischt wurde. »Man kann eine Maschine nicht beleidigen. Roboter haben keine Gefühle, sie sind weder beleidigt noch eitel, kapiert?« Sobald George sich auch nur leicht erregte, liefen seine Wangen puterrot an. Sein mit den Koteletten verbundener grauer Schnurrbart ähnelte dann einer gemalten krummen Linie auf rotem, leicht zerknittertem Papier. Der Kanadier war ein ausgewiesener Könner auf vielen Gebieten und zählte zu den engsten Mitarbeitern des skurrilen jungen Universalgenies Robert Saam. Sein Chef Terence Wallis wies ihm aber auch andere Aufgaben zu, wenn Saam ihn nicht benötigte. Unter anderem wurde George als »Mann für besondere Fälle« eingesetzt, sobald in den diversen Fertigungshallen außergewöhnliche Probleme auftraten. Für den reibungslosen Ablauf bei der Produktion der kegelförmigen Roboter, mit denen Wallis Industries gerade gigantische Summen verdiente, war Han Hanson zuständig. Zusammen mit einer Handvoll Männer, die er locker als »meine Jungs« bezeichnete, sorgte er dafür, daß es in den großen Hallen niemals zu einem unplanmäßigen Stillstand kam. Weiteres Personal benötigte er nicht, denn die Arbeiter an den Bändern waren Roboter des selben Vielzwecktyps, der hier produziert wurde. Aus wartungstechnischen Gründen mußten die Fertigungsbänder einmal am Tag angehalten werden. Die Arbeitsroboter blieben während dieser Pause an ihren Plätzen – bis auf einen, und dieser eine bereitete Han Kopfzerbrechen. »Macht er dir irgendwelche Schwierigkeiten?« erkundigte
sich George. »Verweigert er deine Befehle?« Han schüttelte den Kopf. »Nein, er gehorcht wie jeder andere Roboter. Es ist lediglich sein seltsames, geradezu beängstigendes Verhalten, das mich stört.« »Dafür gibt es sicherlich eine logische Erklärung«, war der Wissenschaftler überzeugt und wandte sich dem Roboter zu, der mittels Prallfeld dreißig Zentimeter über dem Fußboden des Waschraums schwebte. »Sechs Neun Sechs U – warum betrachtest du dich jeden Tag im Spiegel?« Einige der Lämpchen blinkten kurz auf, als der Arbeitsroboter mit metallischer Stimme antwortete. »Ich nutze die Pause, um zu überprüfen, ob meine Extremitäten gänzlich eingefahren sind. Zudem teste ich die exakte Funktion meiner Betriebslampen.« »Das kannst du auch ohne Spiegel«, hielt Han Hanson ihm vor. »Richtig, doch der zusätzliche Einsatz meiner Optik führt zu einem exakteren Ergebnis.« »Ich glaube ihm kein Wort«, sagte Han ärgerlich zu George. »Er lügt, wenn er den Mund aufmacht!« »Ich verfüge über keinen Mund«, merkte der Roboter tonlos an, »lediglich über ein suprasensorisch gesteuertes Kommunikationssystem.« »Jetzt wird er auch noch frech!« regte sich der Ingenieur auf und funkelte den zwei Meter hohen Kegel böse an. »Nimm dich ja in acht, Bursche!« Der Kanadier konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Beruhige dich, Han. Merkst du nicht, daß du dich mit einer seelenlosen Maschine herumstreitest? Sechs Neun Sechs U kann gar nicht lügen, er ist darauf programmiert, stets die Wahrheit zu sagen.« »Bestimmt hat er seine Programmierung irgendwie ausgetrickst.« »Tricksen kann er ebenfalls nicht und schon gar nicht frech werden. Du interpretierst sein Verhalten mit menschlichen Charakterzügen, die ein Roboter aber nun mal nicht besitzt. Ich
persönlich finde sein Benehmen nicht sonderlich ungewöhnlich, schließe allerdings eine unbedeutende technische Störung nicht ganz aus. Soll ich ihn in meiner Werkstatt durchchecken?« »Eine gute Idee«, pflichtete Han Hanson ihm bei. »Und laß dir dabei bitte viel Zeit. Den freien Platz am Fertigungsband nimmt ein Ersatzroboter ein, davon habe ich schließlich jede Menge.« Kurz darauf verließ George zusammen mit »Narziß« die Halle. Gemächlich schritt der Wissenschaftler über den weitflächigen Betriebshof. Der über zwei Meter große Kegel, der neben ihm herschwebte, paßte seine Geschwindigkeit der des Menschen an. George hatte nicht vor, den Roboter sofort an die entsprechenden Prüfgeräte anzuschließen und gegebenenfalls teilweise auseinanderzunehmen. Diese langweilige Tätigkeit wollte er auf später verschieben, in der Hoffnung, daß Robert Saam ihm eine interessantere Aufgabe zuteilte. In den vergangenen vierzehn Tagen hatte George diverse Erfindungen Saams in einen ganz speziellen Forschungsraumer eingebaut. Das war Arbeit nach seinem Geschmack! Im Gegensatz zur Reparatur eines leicht verstörten Maschinenmenschen. Lautrec bog um eine Ecke und stieß mit einem Riesenkerl zusammen. Der kanadische Wissenschaftler hatte das Gefühl, mit einer Mauer zu kollidieren... * »Ein paar Wochen Urlaub sind eine feine Sache«, sagte Jane Hooker, während sie sich im warmen Sand ausstreckte. »Sonne. Strand. Auch fürs leibliche Wohl ist gesorgt.« Rundum zufrieden fühlte sie sich, und ihrem Ehemann Art ging es genauso. Tagelang nur faul herumliegen, das hatten sich die beiden schon lange gewünscht. Selten genug war es ihnen vergönnt, sich diesen Wunsch zu erfüllen, darum waren sie fest entschlossen, sich von nichts und niemandem beim
Faulenzen stören zu lassen. Zur reinen Erholung hielten sie sich auf Hawaii auf, aus keinem anderen Grund. Ukulelenklänge wollten sie hören. Eis lecken bis zum Umfallen. Rumcocktails trinken. Kühle Meeresbrisen und warme Sommernächte genießen... Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Vor dieser Volksweisheit hatten bereits frühere Generationen kapitulieren müssen. Art und Jane Hooker bildeten da keine Ausnahme. »Laufen wir am Strand entlang um die Wette?« fragte Jane, ohne auch nur einen Zeh zu bewegen. »Gelegentliche sportliche Aktivitäten sollen angeblich gesund sein.« »Tagsüber sollte man jede überflüssige Bewegung vermeiden, insbesondere bei Hitze«, antwortete Art, der neben ihr lag und seinen breitkrempigen Strohhut tief über die Augen gezogen hatte. »Unter gar keinen Umständen darf der Körper ins Schwitzen kommen.« »Mach mir nichts vor. Lediglich deine Furcht, haushoch gegen mich zu verlieren, hält dich davon ab, die Wette anzunehmen. Ein unsportlicher Schlaffi wie du hat doch nicht die geringste Chance gegen eine gut durchtrainierte Frau wie mich.« »Hör schon auf, ich lasse mich nicht provozieren. Eher stürzt das Meer über mir zusammen, als daß ich mich dazu aufraffe, mit dir wie ein Verrückter über den Strand zu rennen.« Wasser, so kalt wie Alaska-Eis, klatschte Art mitten ins unrasierte Gesicht. Unversehens, ohne jede Vorwarnung. Mit einem wüsten Fluch auf den Lippen richtete er sich auf. Der Strohhut rutschte ihm vom Kopf und fiel in den Sand. Jane hatte sich ebenfalls aufgerichtet. Sie hielt einen leeren Pappbecher in der Hand. »Seltsam, seltsam«, sagte sie mit spitzbübischem Lächeln. »Eben war der Becher noch voll, jetzt ist er plötzlich leer. Erstaunlich, wie schnell Mineralwasser mit zerstoßenem Eis verdunstet.«
»Na warte!« schimpfte ihr Mann und streckte die Hand nach ihr aus. Geschickt entzog sich die gertenschlanke Frau seinem Griff, sprang gekonnt auf die Füße und lief davon. Art ging kurz in Sprinterposition, dann spurtete er los, um Jane einzuholen. Aus einiger Entfernung schaute ein etwa vierzigjähriger Mann durch seine Horngestellbrille hinter ihnen her. Er trug keine Badekleidung, sondern einen mausgrauen Anzug mit schlichter Krawatte. Alles in allem sah er aus wie ein typischer Regierungsbeamter in mittlerer Position – was voll und ganz auf ihn zutraf. Der Beamte zog zwei Fotografien aus seiner Jackentasche und verglich sie mit dem großen hageren Kerl und jener bildschönen, für seinen Geschmack etwas zu herben Frau. Mit zufriedener Miene steckte er die Fotos wieder ein. »Bingo«, murmelte er. »Das sind sie.« Ein feiner Herr, das hatte sein seliger Vater ihn gelehrt, rannte nur, wenn er auf der Flucht war. Daher kam er erst gar nicht auf den Gedanken, den Hookers zu folgen. Früher oder später würden sie zu ihrem Sonnenschirm zurückkehren, schließlich lagen dort noch all ihre Badesachen. Der Mann von der Regierung ließ sich auf Janes feuchter Stranddecke nieder und wartete geduldig auf die Rückkehr des verspielten Urlauberpärchens. Um die amüsierten Blicke, die er aufgrund seiner in dieser Umgebung höchst unpassenden Kleidung erntete, kümmerte er sich nicht. Noch am Morgen hatte er an seinem Schreibtisch in Alamo Gordo gesessen und Formulare ausgefüllt. Ein Stockwerk höher, im Büro von Dharks Stellvertreter Henner Trawisheim, hatte eine Besprechung stattgefunden. Worüber genau hinter verschlossener Tür verhandelt worden war, wußte der kleine Beamte nicht, »die da oben« machten ja aus jeder Bagatelle gleich ein Staatsgeheimnis. Das Ergebnis jener Unterredung jedenfalls war der Grund für seine Transmitterreise nach Hawaii.
* Am Anfang stand die Idee. Sie stammte, wie so oft, von Robert Saam. Der unermüdliche Erfinder hatte einen Sensor für das Hyperraumfeld entwickelt, das die Grakos und ihre Schattenstationen umgab. Damit rüsteten Chris Shanton und er auf dem Gelände von Wallis Industries eine vollautomatische Sonde aus, die von einem Magnetfeldwerfer ins Weltall transportiert wurde, wo sie sich dann mit eigenem Impuls- und Transitionsantrieb in jede beliebige Richtung weiterbewegen konnte. Aus dem Prototyp war eine Serienfertigung geworden. Mittlerweile wurden täglich 980 dieser Sonden produziert und losgeschickt. Überall in der Galaxis suchten sie nach der Heimatwelt der Grakos. Der Nachteil des Programms: Die Datenmengen, die die Sonden über ihre eingebauten Mini-ToSender laufend zur Erde sandten, waren derart umfangreich, daß man sie kaum bearbeiten konnte. »Die Vorteile überwiegen jedoch«, sagte Henner Trawisheim zu seinen beiden Gesprächspartnern, die er gleich nach Dienstbeginn in sein Büro gebeten hatte. »Nach der Auswertung der ersten Meßergebnisse bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß der Einsatz der neuen militärischen Suchsonden zumindest wirtschaftlich von Erfolg gekrönt sein dürfte.« »Das wird unseren Finanzminister freuen«, knurrte Marschall Bulton. »Lamont macht dem Militär ständig Vorhaltungen, zuviel Geld zu verschwenden.« »Das ist halt sein Job«, merkte Bernd Eylers gelassen an. »Auch der GSO liegt er dauernd in den Ohren, aber darum kümmere ich mich schon lange nicht mehr. Was haben die Sonden Wertvolles im All entdeckt? Fliegende Juwelen?« »So etwas Ähnliches«, erwiderte Trawisheim. »Die eingebauten Meßgeräte der Sonden, die wir in Richtung des galaktischen Zentrums ausgeschickt haben, sind im 12.364
Lichtjahre entfernten Sonnensystem NGK 1324/58 auf einen Asteroidengürtel mit extremer Schwerkraft gestoßen, was auf wertvolle Schwermetalle hindeutet.« »Und wenn schon«, winkte Ted Bulton ab. »Die Regierung verfügt nicht über genügend Raumschiffe, um das System zu erkunden. Jeder halbwegs intakte Raumer wird für wichtigere Zwecke gebraucht.« »Das ist mir durchaus bewußt, Marschall. Darum werde ich ein privates Unternehmen mit der Erkundung und der Beschaffung von Gesteinsproben beauftragen.« »Das halte ich für einen Fehler«, warf Eylers ein. »Solche Aufgaben sind Regierungssache.« Marschall Bulton stimmte ihm zu. »Die ganze Angelegenheit sollte vorerst geheim bleiben. Nehmen wir mal an, es gibt dort tatsächlich was zu holen, beispielsweise Tofirit, und nehmen wir weiterhin an, andere Sternenzivilisationen bekommen davon Wind... das könnte leicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen.« »Oder zu zivilisierten kaufmännischen Verhandlungen«, gab sich Trawisheim optimistisch, glaubte aber selbst nicht so recht daran. »Es schadet nichts, neue wirtschaftliche Kontakte mit fremden Völkern zu knüpfen.« »Verhandlungen?« entgegnete Bulton. »Meinen Sie wirklich, die Rateken würden sich mit uns auf Diskussionen einlassen? Oder die sogenannten Schwarzen Weißen, die Tel? Von den Grakos will ich gar nicht erst reden. Sobald auch nur ein Wort durchsickert, platzt unser Vorhaben.« »Keine Menschenseele hätte ein Interesse daran, Fremdvölker über unsere Pläne zu unterrichten«, meinte Dharks Stellvertreter. »Abgesehen natürlich von den Robonen, die keine Gelegenheit auslassen, uns verhaßten ›Verdammten‹ eins reinzuwürgen. Aus diesem Grund kommt nur ein Unternehmer in Frage, auf dessen Verschwiegenheit und Loyalität ich mich felsenfest verlassen kann. Genauer gesagt sind es zwei Unternehmer – ein Unternehmerpaar, zwei unermüdliche Vagabunden des Alls, die sich mit dem Abbau
von Schwermetallen bestens auskennen.« »Art und Jane Hooker!« entfuhr es dem GSO-Chef. »So ist es«, bestätigte Henner Trawisheim. »Sie wollen lediglich zwei Personen zu diesem Asteroidengürtel schicken?« fragte Bulton fassungslos. »Unmöglich. Allein für die Raumschiffsbesatzung benötigen wir...« »... nur einen einzigen Mann«, ergänzte Trawisheim den angefangenen Satz. »Oder eine einzige Frau. Notfalls wäre auch ein hochintelligentes Kind in der Lage, die SEARCHER allein durchs Weltall zu steuern.« »SEARCHER?« wunderte sich der Marschall. »Von dem Raumschiff habe ich noch nie zuvor gehört. Zur Terranischen Flotte gehört es jedenfalls nicht.« »Es handelt sich dabei um ein altes diskusförmiges Frachtschiff aus den Zeiten vor der Giant-Invasion«, erklärte ihm der zweite Mann auf Terra. »Es wurde vollständig überholt und mit einem Transitionstriebwerk aus Giant-Beständen auf ziemlich neuen Stand gebracht. Art und Jane Hooker haben es günstig erworben und mit modernster kostspieliger Technik ausgestattet. Zusätzlich wurde es mit diversen SaamErfindungen versehen, die er selbst vermutlich als ›nützliche Spielereien‹ bezeichnen würde.« »Robert Saam hat den Hookers beim Ausrüsten ihres Raumschiffs geholfen?« staunte Bulton. »Nicht persönlich, derartige Arbeiten sind ihm zu profan«, antwortete Trawisheim. »Er hat einen seiner engsten Mitarbeiter freigestellt, den Kanadier Lautrec. Die Rechnung, die Wallis Industries den Hookers für diese ›kleine Gefälligkeit‹ präsentieren wird, dürfte es in sich haben. Nichtsdestotrotz gönnen sie sich derzeit einen dreiwöchigen Hawaii-Urlaub.« »Demnach sind sie nicht sofort verfügbar«, konstatierte Bulton. »Die beiden werden ihren Urlaub unseretwegen bestimmt nicht abbrechen.« »Wir werden sie dazu zwingen«, sagte Trawisheim
schmunzelnd. »Mit Geld. Eine ordentliche Finanzspritze kommt denen sicherlich gerade recht.« »Übertreiben Sie es nicht«, warnte Eylers ihn, »sonst haben sie gleich wieder den Finanzminister auf dem Hals.« »Anständige Arbeit verdient anständige Bezahlung«, erwiderte Trawisheim. »Falls die Mission erfolgreich verläuft, kriegt die Regierung ihre Investition millionenfach zurück – das müßte sogar einen Erbsenzähler wie Lamont überzeugen. Noch heute schicke ich einen Beamten nach Hawaii, um den Hookers den Regierungsauftrag zu überbringen. Ich habe mir bereits einen Boten ausgeguckt.« »Ein Mitwisser mehr«, unkte Marschall Bulton. »Keine Sorge, Croft erfährt gerade mal das Nötigste. Außerdem ist er ein langweiliger, aber absolut zuverlässiger Mann. Den genauen Inhalt der versiegelten Nachricht, die er Art und Jane übergibt, kennt er nicht. Sobald sie ihm ihre Bedingungen genannt haben, kehrt er zur Berichterstattung nach Alamo Gordo zurück. Die ganze Sache wird von mir zur reinen Routine heruntergespielt, ein unwichtiger Handlangerdienst, für den Croft bestenfalls einen feuchtwarmen Händedruck oder ein anerkennendes Schulterklopfen erntet. Anschließend setzt er sich wieder an seinen Schreibtisch und geht seiner Alltagsarbeit nach.« * Lance Croft sehnte sich nach seinem bequemen Schreibtischsessel. Unruhig bewegte er seinen Allerwertesten auf der Stranddecke hin und her. Wo waren die Hookers bloß abgeblieben? Wann holten sie sich endlich ihre Handtücher, Sonnencremes und Bademäntel? An Bademäntel oder sonstige Kleidungsstücke verschwendeten Art und Jane augenblicklich keinen Gedanken. Sie hatten sich in einer verschwiegenen Bucht von Bikini und Badehose befreit. Sandkörner klebten überall an ihrer Haut. Art streichelte und küßte seine Frau zärtlich an Körperstellen, die
außer ihm kein Mann auf der Welt berühren durfte. Dabei ließ er sich viel Zeit, denn wenn man etwas gescheit machen wollte, durfte man sich nicht zu sehr beeilen. * George Lautrec erkannte den hünenhaften Mann, mit dem er zusammengestoßen war – es war Jon Vassago, Leiter der Wallis-Sicherheitstruppe sowie persönlicher Leibwächter und bester Freund von Terence Wallis. Jon hatte kaum etwas gespürt. Er war hart im Nehmen und hatte, so erzählte man sich, Muskeln aus Eisen. In seiner rechten Hand hielt er einen runden Gegenstand. »Eine neue Nahkampfwaffe?« fragte George. Vassago nickte. »Eine Erfindung von Saam, noch in der Testphase. Damit kann ich einem Gegner auf fünfzehn Meter Entfernung den Paraschocker aus der Hand schlagen oder eine leichte Verletzung zufügen. Treffe ich daneben, kehrt die Scheibe wie ein Bumerang zu mir zurück. Das Werfen klappt bereits ganz gut, nur mit dem Fangen hapert's. Doch das wird schon noch, alles eine Frage des Trainings.« George besah sich den Diskus genauer. »Sieht aus wie eine Miniaturausgabe der SEARCHER. Allerdings dürfte die Technik im Inneren dieser Scheibe wesentlich unkomplizierter sein als die des Hookerschen Forschungsraumers.« Vassago zuckte nur mit den Schultern. In technischen Dingen war er ziemlich unbewandert. Es genügte ihm, eine Waffe perfekt bedienen zu können – wie und warum sie funktionierte, war ihm egal. »Seit wann sind Sie aus Santa Barbara zurück?« erkundigte er sich bei Lautrec. »Seit gestern«, antwortete der Kanadier und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Roboters. »Ich hatte auf eine neue Herausforderung gehofft, statt dessen befasse ich mich mit funktionsgestörten Konservenbüchsen. Bin ich Wissenschaftler oder Klempner? In meiner Werkstatt warten
noch zwei von der Sorte auf ihre Durchsicht: Sieben Sieben Sieben H und Zwo Vier Acht G. Den Siebenhundertsiebenundsiebziger hat man darauf programmiert, Journalisten und Besuchergruppen über das Gelände von Wallis Industries zu führen. Damit er keine Betriebsgeheimnisse preisgeben kann, wurde ihm lediglich ein eingeschränktes Auskunftsprogramm eingebaut. Stellt ihm jemand eine unzulässige Frage, reagiert er darauf mit: ›Kein Kommentar‹.« »Aha, und jetzt hat er wohl Firmengeheimnisse ausgeplaudert«, schlußfolgerte Jon Vassago. »Ich an Ihrer Stelle würde diesen heimtückischen Verräter sofort einschmelzen lassen, mitsamt seinen technischen Innereien.« Heimtücke? George zuckte leicht zusammen. Nicht genug, daß ihn Han Hanson mit derart unqualifizierten Bemerkungen nervte, nun fing Vassago auch noch an. Manche Menschen wollten einfach nicht begreifen, daß Roboter gefühllose Maschinen waren, ohne niederträchtige Gefühle. »Sieben Sieben Sieben H hat niemandem etwas verraten, er erweitert nur laufend seinen vorgegebenen Führungstext. Oftmals verwendet er menschliche Redewendungen und Zitate, die er irgendwo aufgeschnappt und selbständig gespeichert hat. Seine Vorträge sind recht originell, geraten ihm aber mitunter viel zu lang. Trockene wissenschaftliche Erklärungen werden von ihm phantasievoll ausgeschmückt – womit ich nicht gesagt haben will, er besäße Phantasie.« »Verstehe, er ist ein Schwätzer«, brachte Jon es auf den Punkt. »Und welche Macke hat der andere?« »Roboter haben keine Macken«, entgegnete Lautrec ärgerlich. »Maschinen leiden nicht unter Geistes-, sondern unter Funktionsstörungen, klar? Zwo Vier Acht G gehört zur Betriebsfeuerwehr. Im Wachraum gibt es einen Rundfunkempfänger, der auf einen Musikkanal ausgerichtet wurde. Einige Melodien scheinen den Roboter regelrecht zu faszinieren. Er hört dann besonders aufmerksam zu und wirkt dabei wie erstarrt, hat man mir berichtet. Seinen menschlichen
Kollegen ist das suspekt, sie befürchten, sich im Notfall nicht auf ihn verlassen zu können. Ich hingegen würde mein Leben eher einem Roboter anvertrauen als einem Menschen. Maschinen kennen keine Angst, und sie neigen nicht zu fatalen Fehleinschätzungen, sind also geradezu prädestiniert für gefährliche Rettungsaktionen. Ein Roboter ist der beste Leibwächter, den man sich wünschen kann. Oh, entschuldigen Sie bitte, war nicht so gemeint.« »Schon gut, ich sorge mich nicht um meinen Posten«, erwiderte der Hüne gelassen. »Wallis würde nie auf den Gedanken kommen, mich durch einen Roboter zu ersetzen. Möglich, daß eine Maschine leistungsfähiger ist, aber ein guter Freund ist zuverlässiger und loyaler. Terence und ich werden noch Seite an Seite kämpfen, wenn wir steinalt und gebrechlich sind. – Was haben Sie mit den durchgeknallten Kegeln vor? Werden sie verschrottet?« »Nur wenn sich eine Reparatur als kostspieliger erweisen sollte. Am liebsten würde ich das Problem jemand anderem zuschieben. Doch wer reißt sich schon um drei Arbeitsroboter mit leichter Fehlprogrammierung?« * Unablässig schaute Croft auf seine Armbanduhr. Schweiß perlte von seiner Stirn. Man schrieb den Monat Januar 2058. Daheim in Alamo Gordo war es momentan recht kühl, auf Hawaii hingegen schwitzte man wie in einer Riesensauna. Als Croft nach drei Stunden Wartezeit versucht war, seine Krawatte ein wenig zu lockern, erblickte er das Ehepaar in der Ferne. Gemächlichen Schrittes kamen beide Hand in Hand näher. Jane trug einen kleinen Lederbeutel mit Schlaufe am Handgelenk. Sie hatte ihn in der Bucht gefunden, im Sand. Der geheimnisvolle Inhalt gab Art und ihr Rätsel auf. Im Beutel befand sich ein merkwürdig geformtes, grün schimmerndes Metallstück mit einer puzzleähnlichen Aussparung.
»Sicherlich existiert noch ein zweites Teilstück«, vermutete Jane Hooker. »Setzt man beide zusammen, ergibt sich daraus ein sinnvolles Gebilde – oder auch nicht.« »Was hast du damit vor?« erkundigte sich ihr Mann. »Du solltest den Beutel beim hiesigen Fundbüro abgeben.« Sie war dagegen. »Das bedeutet nur unnötigen Papierkrieg. Der zuständige Mitarbeiter wüßte wahrscheinlich nicht einmal, was er in sein Formular einzutragen hat. Fundsache: ein Lederbeutel mit... tja, mit was? Für dieses bizarre Ding gibt es keine Bezeichnung.« »Unit«, schlug Art vor. »Unit? Was heißt das?« »Unit ist meine ganz persönliche Abkürzung für ›undefinierbarer Inhalt‹ – He, da hockt jemand auf unserem Platz!« Croft erhob sich aus seiner unbequemen Sitzlage, reichte den Eheleuten die Hand und stellte sich vor. Endlich hatte die Warterei ein Ende. Bald darauf saß er schon wieder auf seinen fünf Buchstaben und wartete. Der Korbsessel in der Halle des Strandhotels gab bei jeder Bewegung knirschende Laute von sich, weshalb Croft bemüht war, möglichst stillzusitzen. * Zu früheren Zeiten hatte es genügt, Hotelgästen einen Fernsehapparat aufs Zimmer zu stellen. Heutzutage war bereits jeder kleine Dorfgasthof mit Suprasensoren ausgerüstet. Ferien ohne »Supra« hätten die meisten Urlauber als unnötige Strapaze empfunden, er gehörte zum Alltagsleben wie ein guter Freund. Art und Jane saßen auf ihrem Hotelzimmer vor dem Bildschirm und hörten sich an, was Henner Trawisheim ihnen mitzuteilen hatte. Art schüttelte mürrisch den Kopf. Erst als der Satz fiel »Wir akzeptieren beinahe jedes Honorar«, hielt er inne.
»Was für ein Zufall«, bemerkte er grinsend. »Das ist beinahe haargenau die Summe, die ich verlangen wollte.« »Ihre Mission unterliegt vorerst der Geheimhaltung«, sagte Trawisheim zum Abschluß seiner Ausführungen. Dann wurde die Aufnahme ausgeblendet. »Ihre Mission unterliegt vorerst der Geheimhaltung«, wiederholte Jane, während sie die Micro-CD aus dem Suprasensor nahm, und fügte scherzend hinzu: »Wir wissen, daß Ihre Chance gleich Null ist. Sollten Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter gefangen oder getötet werden, müssen wir leugnen, Sie zu kennen. Diese CD wird sich innerhalb der nächsten drei Sekunden selbst vernichten.« Art kannte den Monolog, er war Bestandteil einer ziemlich angestaubten Agentenserie aus dem vorigen Jahrhundert. Derartige Raritäten gab es nur noch auf speziellen Nostalgiekanälen zu sehen. Von einer Selbstvernichtung der Trawisheim-CD konnte nicht die Rede sein, das mußte Jane schon selber übernehmen. Wenig später teilten die Hookers dem Überbringer der Nachricht mit, daß sie den Auftrag annehmen würden. Croft war lediglich bekannt, daß die beiden Prospektoren irgendwo im All nach Bodenschätzen suchen sollten, wie es ihr Beruf war. Weitere Einzelheiten kannte er nicht, sie interessierten ihn auch nicht. Lediglich die Höhe des Honorars mußte er noch in Erfahrung bringen. »Wenn ich Ihnen die Summe nenne, fallen Ihnen die Ohren ab«, kündigte Art Hooker an. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Jane das Wort. »Wir fordern ein Prozent vom Abbaugewinn. Richten Sie das Ihrem Chef aus.« Art schaute sie erschrocken an und nahm sie rasch beiseite. »Bist du verrückt geworden?« flüsterte er. »Wir gehen leer aus, falls das System keine abbauwürdigen Rohstoffe bietet.« »Und falls doch?« konterte sie. »Dann machen wir ein kleines Vermögen.« Sämtliche Versuche ihres Mannes, sie umzustimmen,
schlugen fehl. Er sah seine Felle davonschwimmen und stieß einen Riesenseufzer aus. »Wie du willst«, gab er nach und wandte sich dem Beamten zu. »Sagen Sie Trawisheim, daß wir zusätzlich drei der neuen kegelförmigen Roboter verlangen, sozusagen als Antrittshonorar. Es kann nichts schaden, einen Teil der Arbeit von Maschinen erledigen zu lassen. Er soll es aber nicht wagen, mir ausgesonderte Militärroboter zu liefern. Ich bestehe auf Qualitätsware, sprich: Arbeitsroboter von Wallis Industries.« Croft notierte sich alles gewissenhaft und erkundigte sich dann: »Wohin soll die Lieferung erfolgen?« »Raumhafen Santa Barbara. Dort steht derzeit unsere SEARCHER.« * Lamont und Trawisheim lieferten sich ein hartes Wortgefecht. Dharks Stellvertreter verteidigte vehement seine Entscheidung, die Hookers mit der Erkundung des Systems NGK 1324/58 zu beauftragen. Der Weltfinanzminister wehrte sich gegen diese seiner Meinung nach überflüssige Ausgabe mit Händen und Füßen, bildlich gesprochen. Zu einer friedlichen Einigung kam es erst nach Crofts Rückkehr. Zu Lamonts grenzenloser Erleichterung verlangten Art und Jane Hooker kein festes Honorar, sondern eine einprozentige Beteiligung am fiktiven Abbaugewinn. Ihr Risiko, leer auszugehen, war hoch – ein Prozent von Null war leider ebenfalls Null. Ein kleiner Wermutstropfen blieb zunächst noch übrig: Arts Forderung nach drei Arbeitsrobotern. Aber auch dieses Blatt wendete sich zu Lamonts Gunsten. Es gelang seinen Mitarbeitern, drei besonders preisgünstige Exemplare aus der Produktion von Wallis Industries zu erwerben. Zufrieden rieb sich Lamont die Hände. Er fühlte sich wie der Gewinner eines Wettlaufs, der sämtliche Kandidaten weit
hinter sich gelassen hatte. * Der Flugdozer des Ehepaares Hooker war auf Terra so etwas wie eine Legende. Die große, wendige Maschine ähnelte einer Mischung aus Helikopter und Planierraupe, diente den beiden Prospektoren manchmal aber auch als Tauchfahrzeug, mit dem man sogar auf dem Meeresgrund fahren konnte. Im Inneren der SEARCHER hatte der Flugdozer ausreichend Platz. Der Durchmesser des diskusförmigen Frachters betrug 120 Meter, die Höhe 40 Meter. Er war in drei Deckbereiche unterteilt: oben Unterkünfte und Frachträume, unten der Maschinenraum, die Dozergarage sowie weitere Frachträume, in der Mitte die Zentrale, von der aus nicht nur die Steuerung, sondern auch die Waffensysteme des Schiffes zu kontrollieren waren. Äußerlich machte die SEARCHER nicht viel her (darin glich sie ihren Besitzern), doch technisch war das Schiff tipptopp in Schuß. Es war mit einer leichten Bewaffnung für Notwehrfälle ausgerüstet. Ein suprasensorgesteuertes Koordinationssystem konnte die leichten Geschütze so koordinieren, daß sie in der Wirkung einem viel schwereren gleichkamen. »Dampfhammer« hatte Robert Saam dieses außergewöhnliche Verteidigungssystem getauft, an dessen Perfektionierung er nicht unwesentlich beteiligt war. Die notwendigen technischen Eingriffe hatten George und Art gemeinsam durchgeführt. Nicht nur gegen Angriffe von draußen war das Schiff gerüstet. Falls es dem Feind gelang, an Bord zu kommen, erwartete ihn dort eine ganz spezielle Saam-Überraschung. Per Knopfdruck am zentralen Schaltpult öffneten sich mehrere versteckte Düsen, die ein äußerst wirkungsvolles Betäubungsgas verströmten, das bis in den letzten Winkel des Raumers kroch. Gleichzeitig wurde die Zentrale hermetisch abgeriegelt, bis das Gas verflogen war.
Sechzehn strategisch im oberen und unteren Deck verteilte Mini-Impulswerfer eigneten sich ebenfalls hervorragend zur Bekämpfung ungebetener Eindringlinge. Sie wurden von einer handlichen Fernbedienung gelenkt, die Jane Hooker bei sich trug. Die gebündelten Impulsstrahlen konnten als Dauerfeuer oder in Salven abgeschossen werden. SEARCHER – Sucher. Gab es einen passenderen Namen für dieses Raumschiff? Ein Raumschiff, das zwei unermüdlichen Weltraumforschern gehörte, zwei freiberuflichen Idealisten auf unentwegter Suche nach Bodenschätzen – und nach Abenteuern. Eine Suche, die mit Nervenkitzel und Abwechslung verbunden war, was der Ehe der beiden erst die richtige Würze verlieh. Art und Jane überprüften sämtliche technischen Einrichtungen an Bord gewissenhaft. Jeder Fehler im System konnte ihren Tod im All bedeuten. Ihren Privatbereich hatten sie sich so gut es ging gemütlich hergerichtet. Auch sonst machte das Raumschiff einen halbwegs wohnlichen Eindruck, darauf legte Jane größten Wert. Schließlich würden sie darin künftig ihr halbes Leben verbringen, vorausgesetzt, die SEARCHER gab nicht schon während ihres ersten Einsatzes den Geist auf. Als die drei angeforderten Arbeitsroboter an Bord kamen, meldete sich Janes Hang zur Ästhetik aufs neue. Nach einer kurzen Inaugenscheinnahme wies sie jedem Roboter einen festen Standplatz innerhalb der Zentrale zu. Verband man das Robottrio mit einer imaginären Linie, entstand ein gleichschenkliges Dreieck. »Wenn sie stillstehen, sehen sie wie ganz normale Geräte aus«, bemerkte Jane. »Logisch, es sind schließlich Geräte«, entgegnete ihr Ehemann, »ganz gleich, ob sie stehen oder sich bewegen.« »Du weißt schon, was ich meine. In bewegungslosem Zustand wirken sie wie ein Bestandteil unserer Bordtechnik. Kein Fremder käme auf den Gedanken, es könnte sich dabei um Roboter handeln. Den da finde ich übrigens besonders
ansprechend.« Sie deutete auf eine der kegelförmigen Allzweckmaschinen. »Er unterscheidet sich irgendwie von den beiden anderen.« »Findest du?« erwiderte Art schulterzuckend. »Für mich sehen sie alle gleich aus.« Als wolle er ihm das Gegenteil beweisen, schaltete sich der betreffende Roboter ein, hob ein Stück vom Boden ab und drehte sich einmal um sich selbst. Dann senkte er sich wieder herab, und seine Lämpchen verlöschten. Art und Jane schauten sich verblüfft an. »Was war denn das?« fragte Art kopfschüttelnd. »Offensichtlich hat er sich über mein Kompliment gefreut«, meinte Jane. »Vielleicht ist Sechs Neun Sechs U ja gar kein Er, sondern eine Sie.« »Eine Robotfrau?« »Wäre doch möglich. Für unsere führenden Fachleute ist es sicherlich kein Problem, einen Roboter mit weiblichen Charaktersimulationen auszustatten.« »Nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll«, sagte Art Hooker. »Einem Roboter geschlechtliche Eigenschaften zu verpassen, ist so überflüssig wie ein Kropf. Die Bezeichnung für ein Maschinenwesen lautet weder ›Sie‹ noch ›Er‹ – sondern ›Es‹.« Ein zweiter Kegel aktivierte sich selbst und mischte sich in die Unterhaltung ein. »Würde diese Bezeichnung im alltäglichen Sprachgebrauch Verwendung finden, müßte es heißen: das Roboter. Man sagt aber: der Roboter. Daraus zu schließen, Roboter seien männlichen Geschlechts, halte ich jedoch für grundfalsch. Geschlechtertrennung scheint allgemein eine komplizierte Angelegenheit zu sein. Da ist die Rede vom Kind im Manne oder davon, daß ein Mann ohne Frau wie ein Baum ohne Laub und Zweige sei. Möchten Sie dieses Thema noch vertiefen? Dann rufen Sie bitte mein Konversationsprogramm MO-26162 auf. Danke fürs Zuhören.« Art war das Verhalten der beiden Roboter nicht ganz
geheuer. »Irgendwas stimmt mit denen nicht. Möglicherweise sind sie funktionsgestört. Vielleicht wäre es besser, wir lassen sie hier.« »Nein, dann müßten wir alle Arbeit an Bord allein bewältigen«, widersprach Jane. »Mit Robothilfe verläuft der Flug weniger anstrengend. Mir machen die paar unbedeutenden Normabweichungen nichts aus, solange die Kegel meine Anweisungen befolgen. Im übrigen scheint der dritte völlig intakt zu sein, er hat noch keinen Mucks von sich gegeben, wie es sich für eine Maschine im Ruhezustand gehört.« »Wie du meinst«, erwiderte Art und begab sich ohne weitere Debatte ans voluminöse Schaltpult. Er kannte seine Ehefrau gut genug, um zu wissen, wann es Sinn machte, mit ihr über einen Streitpunkt zu diskutieren und wann nicht. Nachdem er die von der Sonde ermittelten Koordinaten eingegeben hatte, bereitete er gemeinsam mit Jane den Start vor. * Mit der letzten Transition hätte Art Hooker die SEARCHER bis an den Rand des Zielsystems bringen können, doch aus Sicherheitsgründen kam er ein knappes Lichtjahr davor heraus. »Seit wann bist du derart übervorsichtig?« fragte ihn seine Frau, während sie ein wirkungsvolles Medikament gegen die Nachwirkungen des Sprunges einnahm. »Seit wir ein funkelnagelneues Raumschiff besitzen«, antwortete er im Spaß und schluckte ebenfalls eine Pille. »Kratzer auf der Außenhülle regen mich immer so furchtbar auf.« Er nahm einige Messungen vor und wurde von Minute zu Minute ernster. Auch Janes Miene verdüsterte sich. Bis hierhin hatten es beide geschafft, sich wenigstens einen Teil ihrer unbeschwerten Urlaubslaune zu erhalten. Nun verflog sie allmählich. Art überprüfte die Meßergebnisse mehrmals.
»Das riecht nach Ärger«, murmelte er. »Die gemessenen Energieausbrüche im System NGK 1324/58 deuten zu 94% auf einen Kampf hin. Zum Glück sind wir nicht direkt dorthin transitiert, sonst wären wir jetzt ganz hinten im Zimmer.« »Ganz hinten im Zimmer?« »Weg vom Fenster.« Art versuchte, Verbindung mit Terra aufzunehmen. Doch starke Magnetfeldschwankungen machten einmal mehr jeden Funkverkehr unmöglich. Jane und er waren auf sich allein gestellt. Ohne zu zögern beorderte er Roboter Zwo Vier Acht G an seine Seite. Für das, was er vorhatte, benötigte er jede Unterstützung. Jane kannte ihren Mann gut genug, um seine Gedanken zu erraten. »Du willst in den Ortungsschatten der fremden Sonne springen. Ist das nicht viel zu riskant? Sollten wir nicht wenigstens warten, bis sich die Energiespeicher vollständig wiederaufgeladen haben?« »Unsere Distanz zu der Sonne ist vergleichsweise kurz, die vorhandene Energie reicht aus für den Sprung«, erwiderte Art. »Wenn wir uns nicht beeilen, ortet uns womöglich eine der kämpfenden Parteien und greift uns an. Das Risiko will ich nicht eingehen. Komm, setz dich zu mir ans Schaltpult, Jane, wir leiten gemeinsam die Transition ein.« Er verteilte die Aufgabenbereiche. Der Roboter bekam Anweisung, die Belastung des Schutzschirms zu überwachen. »Wir betrauen die beiden anderen Roboter ebenfalls mit Überwachungsaufgaben«, schlug Jane vor. Art schüttelte den Kopf. »Nicht, bevor ich herausgefunden habe, was mit denen los ist. Dieser hier scheint der einzige ohne Fehler zu sein. Die ganze Zeit über stand er still an seinem Platz, wie es ihm befohlen wurde.« Nachdem er sämtliche Koordinaten eingegeben hatte, nahm er sich noch die Zeit für eine gründliche Überprüfung derselben. Eine verschobene Kommastelle genügte bereits, um das Raumschiff an der falschen Stelle auftauchen zu lassen –
zum Beispiel mitten in der Sonne. Die Transition wurde fehlerfrei ausgeführt. Allerdings hatte Art Hooker die Rechnung ohne den Nullfaktor gemacht, jenen imponderablen Faktor, der selbst die exaktesten Kalküle auf Null setzte, indem er sie entgegen aller Logik einfach ignorierte. Obwohl Art bei seinen Berechnungen die Anziehungskraft der fremden Sonne berücksichtigt hatte, wurde die SEARCHER mit aller Macht von ihr angezogen. Im Prinzip war das völlig unmöglich, aber es geschah trotzdem. Der Nullfaktor hatte seine eigenen physikalischen Gesetze, sowohl in der Raumfahrt als auch im täglichen Leben. Daran gemessen war »Murphys Gesetz« Kinderkram. Es besagte, daß alles, was schiefgehen konnte, garantiert auch schiefgehen würde. Faktor Null ging noch einen Schritt weiter und verursachte Fehlschläge sogar dann, wenn ein Mißlingen im Grunde genommen völlig ausgeschlossen war. »Mit voller Schubkraft dagegenhalten!« schrie der Prospektor, was völlig unnötig war, denn Jane hatte sofort reagiert und die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet. Beiden blieb keine Zeit, etwas gegen die Transitionsnachwirkungen einzunehmen. Tapfer kämpften sie dagegen an, während sie versuchten, das Schiff aus der Gefahrenzone zu bekommen. Es wurde immer heißer an Bord, trotz des eingeschalteten Schutzschirms. Schweiß tropfte von Arts Stirn aufs Schaltpult. Auch Jane sah aus, als wäre sie gerade einer Sauna entstiegen. Daß der Schutzschirm kurz vor dem Zusammenbruch stand, nahmen die Hookers erst wahr, als eine Warnsirene losging. »Mehr Energie auf den Schirm!« ordnete Art an. »Verdammt noch mal, Zwo Vier Acht G! Worauf wartest du?« Der Roboter reagierte nicht. Bewegungslos stand er am Pult. Wie erstarrt lauschte er der Alarmsirene. Das Heulen, das in einem fort anschwoll und wieder abklang, schien ihn irgendwie zu faszinieren.
3. Die beiden Cyborgs hatten schon beim Verlassen der POINT OF auf ihr Zweites System geschaltet. Das zeigte sich der Dauerbelastung nach wie vor gewachsen. Kurz sprachen Sass und Oshuta sich ab und gaben den Kampfrobotern entsprechende Befehle. Bram Sass und Lati Oshuta gehörten zur ersten Serie der Cyborgs, die im Brana-Tal unter Echri Ezbals Leitung entwickelt worden waren, und Oshuta war es jetzt, der Sass gegenüber einen Kritikpunkt äußerte: »Eine Option fehlt uns und auch der neuesten Serie immer noch – die direkte Kommunikation unserer Programmgehirne! Wenn die – über Hyperfunk oder wie auch immer – vernetzt werden könnten, wären wir nicht auf externe Geräte zur Kommunikation angewiesen wie beispielsweise Viphos, die im Einsatz verlorengehen oder zerstört werden können... und wir könnten auch den Robs Befehle erteilen, ohne sie umständlich ansprechen oder extern anfunken zu müssen!« »Ein Problem der körperinternen Energieversorgung«, erkannte Sass sofort die Schwachstelle des Konzepts. »Hyperfunk bedarf einer Menge Energie, die unser Stoffwechsel allein nicht einmal aufbringen könnte, wenn wir täglich mehr an Nahrung zu uns nehmen würden als unser eigenes Körpergewicht an Masse besitzt...« »Darüber sollen sich Ezbals Magier die Köpfe zerbrechen«, gab Oshuta zurück, um gleich noch eins drauf zusetzen: »Außerdem schwebt mir die Möglichkeit vor, über Funk in andere Rechnersysteme einzudringen und Informationen abzusaugen, die wir verwenden könnten. Dann hätten wir jetzt schon einen kompletten Stadtplan dieser unterirdischen Welt und brauchten die Shirs nach nichts zu fragen.« »Oder wir könnten uns in die Bordcomputer der Gegner
einklinken und versuchen, sie zu überlasten oder zu verschalten«, fuhr Sass fort, »nur – was unterscheidet uns dann noch von Robotern?« »Kreativität und die Möglichkeit, über die Rückschaltphase die Situation dennoch auf emotionaler Basis zu beurteilen, aber vor allem, zurückschalten zu können auf Normal und damit auch als Mensch leben und empfinden zu können und nicht nur als Programmgehirn mit organischer Vollkörperprothese!« Während sie sich unterhielten, jagten sie durch den Versorgungsschacht. Ihnen voran flogen die Roboter auf ihren Prallfeldern. Der Gang war gerade groß genug, um den Kampfmaschinen Platz zu lassen; manchmal blieben nur Zentimeter Raum an den Seiten oder an der Schachtdecke, wenn Leitungen oder für die Tunnelversorgung nötige Geräte zu weit ins Ganginnere reichten. Menschen hätten Probleme gehabt, die Robotkonstruktionen im nötigen Tempo hindurchzusteuern. Die Suprasensoren der Robots erledigten das souverän. Es kam nicht einmal zu einer Verzögerung. Hinter ihnen rannten die beiden Cyborgs. Im Versorgungsschacht gab es im Gegensatz zum Tunnel keine variable Schwerkraftregelung. Dennoch gerieten die beiden Cyborgs nicht in Schweiß oder Atemnot. Ihr Zweites System steuerte den Organismus und stellte genügend Kraft zur Verfügung, um diese gewaltige Leistung zu ermöglichen. »Diese Wallis-Robs sind so gut wie die der Mysterious«, erkannte Bram Sass. »Fast so gut, weil sie keine Intervallfelder um sich herum erzeugen können und keine M-Bewaffnung aufweisen. Aber die für die Navigation nutzbare Rechnerleistung ist enorm.« Nicht nur die, sondern auch die Ortung, durch die die Robs sich orientierten. Plötzlich war trotzdem Schluß. Abrupt stoppten die vier Roboter. Hinter ihnen auch die Cyborgs.
»Durchgang versperrt«, meldete der vorderste Robot. Es gab ein Hindernis, das wenige Zentimeter zu weit in das Schachtinnere ragte. »Zerstören«, entschied Sass. Sein Programmgehirn hatte ihm verraten, daß der Zeitverlust durch eine Umkehr gefährlicher wäre als mögliche Folgen einer Beschädigung. Seit zwei Minuten waren sie in diesem Schacht unterwegs, der wie der Tunnel eine Gesamtlänge von drei Kilometern haben mußte. Daß die POINT OF eine Strecke von 15 Kilometern angemessen hatte, war von den Shirs dahingehend erklärt worden, daß sie über die Möglichkeit verfügten, Entfernungen innerhalb ihrer Städte anzupassen. Effektiv betrug die Distanz zum Tor tatsächlich 15 Kilometer, und der Aufenthaltsort der Terraner lag den untrüglichen Meßwerten der POINT OF-Peilung zufolge auch nicht in der Tiefe, sondern in Bergeshöhe im Felsinneren, aber das war für die Cyborgs irrelevant. Sie hatten sich an das zu halten, was sie selbst registrierten. Und das war eine verkürzte Entfernung und ein anderer Richtungsvektor, wie auch immer die Shirs das zustande bringen mochten. Zwei Minuten bedeuteten bei der bisherigen Lauf- und Fluggeschwindigkeit, daß sie sich höchstens noch sechshundert Meter vom Tor befinden konnten. Mit ziemlicher Sicherheit waren die ersten Nomaden im Haupttunnel längst an ihnen vorbei. Deshalb blieb Sass keine andere Option, als den Versorgungsschacht mit Gewalt zu erweitern. Der vorderste Rob feuerte, um das Hindernis zu beseitigen. Im gleichen Moment brüllte eine ungeheure Explosion auf. Das, was einige Zentimeter zu weit in den Schacht geragt hatte, war eine abgeschirmte Hochenergieleitung! Die Zerstörung führte zu einem Kurzschluß mit höchst explosivem Charakter. Vier Wallis-Robots und zwei Cyborgs zeigten sich davon unbeeindruckt. Die Optiken der Robs schalteten sekundenlang ab, um nicht durch die supergrelle Lichtflut überlastet und
ausgebrannt zu werden. Eine Hundertstel Sekunde vor der Explosion nahmen Sass und Oshuta ein gefährliches Knistern im beschossenen Objekt wahr, und ihre Programmgehirne errechneten die hundertprozentige Wahrscheinlichkeit einer elektrischen Entladung. Phanten! befahlen die beiden Programmgehirne, in die Köpfe implantierte, kaum bohnengroße Kapseln, ihren beiden Trägern. Nicht einmal eine Zehntelsekunde später waren Sass und Oshuta biologisch gesehen tot. In ihren Körpern befand sich eine genau dosierte Menge von modifizierten Viren, die vom Planeten Bittan im 404-System stammten. Ein Steuergerät löste eine Reizspannung zwischen 0,003 und 0,047 Volt aus, das diese Viren, auch als PhantAdhesive bezeichnet, aktivierte. Die Viren traten im gleichen Augenblick ins Medium und banden sämtliche Flüssigkeiten des Körpers. Für eine Dauer von maximal neun Tagen und sechs Stunden war dieser Phantzustand risikolos durchzuhalten. Wurde die Frist überschritten, vermehrten sich die Viren spontan in ungeheurem Tempo und lösten unheilbaren Krebs aus, der den Phant-Träger innerhalb kürzester Zeit tötete. In der Praxis hatte es sich bisher noch nie als nötig erwiesen, daß ein Cyborg länger als einige Stunden phantete. Sollte es aber doch einmal erforderlich sein, dann... Im Phantzustand konnte die ungeheure Lichtflut der Entladung den Cyborg-Augen nicht gefährlich werden. Der Explosionsdruck schon eher, aber den fingen die vier Wallis-Robots mit ihren kegelförmigen Körpern ab. Dennoch kam ein Teil des Impulses durch, der die Robots auf ihren Schwebefeldern gegeneinander stieß und meterweit zurücktrieb. Vor ihnen sank ein Glutball wieder in sich zusammen, in dem Material unbekannter Art zusammengeschmolzen oder verdampft war und jetzt brannte. »Schadensanalyse!« forderte Oshuta.
Selbst sein Cyborg-Gehör konnte die Meldung des Robots aus der aufbrandenden Geräuschkulisse nicht mehr herausfiltern. Der vorderste Wallis-Roboter feuerte mit schwerstem Blasterkaliber auf ein für die Cyborgs noch nicht erkennbares Ziel! Er schoß zurück, weil er angegriffen wurde! * »Folge mir!« bat der Shir-Ratsherr. Ohne sich um Ren Dharks Reaktion zu kümmern, marschierte er auf seinen sechs Stempelbeinen los und verließ das dem Commander zugewiesene Quartier. Gleichzeitig erlosch die riesige Holo-Projektion. Was blieb Dhark übrig, als dem Shir zu folgen? Der führte ihn in ein anderes Gebäude der unterirdischen Stadt und in einen gewaltig dimensionierten Kontrollraum, der Ren an die Koordinierungszentrale der Ast-Stationen auf Cent Field erinnerte. Allerdings waren dort die Plätze vor den großen Kontrollschirmen, über die Bilder von allen Asteroidenkampfforts eingespielt werden konnten, die zum Verteidigungssystem um Terra gehörten, für Menschen dimensioniert und nicht für mehr als elefantengroße Geschöpfe. Sieben von ihnen hatten sich auf Konturliegen vor den Überwachungsschirmen und Schaltpulten niedergelassen. Dharks Ratsherr war der achte, der einen der Plätze einnahm. Dro Cimc, Arc Doorn und Manu Tschobe befanden sich ebenfalls schon hier. Daß auch sie in den Kontrollraum geführt worden waren, überraschte Dhark nicht, der sich nur darüber wunderte, daß die drei ihn darüber nicht per Vipho informiert hatten. Im nächsten Moment fiel ihm ein, daß er selbst den Gefährten auch keine Mitteilung über seinen Standortwechsel hatte zukommen lassen. Er schätzte den Kreisdurchmesser des Kontrollraums auf gut
150 Meter. Riesige Holo-Bildschirme an den Wänden zeigten noch deutlicher als die Projektion in seiner Unterkunft das Geschehen auf Salteria und im Inneren des Tunnels. Zeigten das Vorrücken der Nomaden, aber auch deren Versuche, andere Wege als nur den Tunnel zu beschreiten, um ins Innere des Berges zu gelangen. Dro Cimc sah den Commander kopfschüttelnd an. »So ein gewaltiger technischer Aufwand, und die werden nicht mit einer Handvoll Nomadenraumer fertig?« raunte er Dhark zu. »Besitzen sie denn keine planetaren Abwehrstellungen? Oder wenigstens einige Waffenstationen in der Nähe ihrer Städte, um die zu schützen?« »Stellen Sie die Frage nicht mir, sondern den Shirs«, empfahl Dhark trocken. »Wir besitzen keine bodengebundenen Abwehrstellungen und Waffenstationen«, erwiderte einer der Shirs daraufhin. »Noch niemals war so etwas nötig.« »Wunderbar! Prachtvoll!« stieß der Tel hervor, als Wer der Flotte gewohnt, in militärischen Bahnen zu denken. »Die Gefahr durch marodierende Nomaden bestand ja für die ganze Galaxis Drakhon noch nie und erst recht nicht für diesen Planeten, wie? Oder habe ich vorhin bei den Erklärungen vielleicht doch eine winzige Kleinigkeit falsch verstanden?« Den ätzenden Sarkasmus mußten selbst die Shirs verstehen. Sie antworteten nicht darauf. Auch nicht, als Cimc fortfuhr: »Begreife einer diese Leute! Da ziehen diese Plünderer von Stern zu Stern, überfallen einen Planeten nach dem anderen, und keiner macht sich auf, sie zu stoppen! Dabei wäre es doch bestimmt kein Problem, sich zusammenzuschließen und diese Räuberhorden in ihre Schranken zu verweisen! Eine Abfangflotte von fünftausend, sechstausend Raumern, die gefährdeten Planeten rasch zu Hilfe kommt und diese Raumpiraten...« »Wir Shirs sind an bewaffneten Konflikten nicht interessiert!« unterbrach ihn einer der Ratsherren. »Schon gar nicht in solch gigantischen Dimensionen!«
Dro Cimc hatte sich bei seiner Zahlennennung garantiert nichts gedacht. Für ihn war es normal, bei Raumerflotten im Tausender-Bereich zu denken. Mit Kleinigkeiten hatte sich das Telin-Imperium noch nie abgegeben, und da die Tel die meisten ihrer Schiffe mit Robotern besetzten, denen sie lediglich einen organischen Kommandanten gönnten, konnten sie auch ohne Rücksicht auf Personalprobleme gigantisch aufrüsten. Woher sie die finanziellen Ressourcen nahmen, wagte Dhark nicht einmal zu ahnen. Der Wer fauchte den Ratsherrn an: »Aber sicher. Ihr seid ein schrecklich friedliebendes Volk! Deshalb habt ihr ja auch solche Superwaffen wie die Energiebomben...« »Cimc, das führt doch zu nichts«, versuchte Dhark den zornigen Tel zu bremsen. »Außerdem haben wir diese Diskussion als erledigt abgehakt! Wir müssen mit dem zurechtkommen, was wir haben.« Cimc wandte sich ab. »Narren«, murmelte er. Für ihn war es völlig unverständlich, daß jemand nicht dafür sorgte, seinen Lebensbereich gegen Angriffe abzusichern. Spätestens seit auf Cromar, der Hauptwelt des Telin-Reiches, der Kluis die Macht übernommen hatte, war für die Tel der Angriff die beste Verteidigung gewesen. Deshalb hatten sie auch von Anfang an aggressiv reagiert, als erstmals Terraner an die Grenzen ihres Machtbereichs gelangten. Die weißen Affen, wie sie anfangs genannt wurden, und bei vielen Tel war dieser abwertende Begriff immer noch geläufig. Wieviel harmloser klang da doch die terranische Bezeichnung Schwarze Weiße für die Tel, die zwar in Abstufungen dunkle bis schwarze Haut besaßen, aber keinerlei negroide Merkmale aufwiesen! Die Schwarzen Weißen sahen in den Terranern Rivalen, die es niederzuhalten galt, und hatten deshalb sofort zugeschlagen. Dro Cimc war dann der erste gewesen, der seine Vorbehalte und Vorurteile gegen die weißen Affen niederzwang und sie als das akzeptierte, was sie waren: denkende und fühlende, intelligente Wesen wie die Tel selbst.
Die großen Holo-Schirme zeigten, wie plötzlich zwei der Nomadenschiffe wieder starteten. »Was haben die denn vor?« fragte Tschobe. »Wollen die jetzt auch andere Shir-Städte überfallen?« Aber die beiden Raumer flogen nicht davon. Sie nahmen nur erhöhte Positionen ein und entfernten sich dabei um einige Kilometer vom Landeplatz. Augenblicke später eröffneten sie aus ihren Strahlgeschützen das Feuer gegen den Berg! * Die beiden Cyborgs verstärkten ihre Akustik-Rezeptoren und filterten das Heulen und Brüllen der Strahlwaffen aus. Der Robot hatte seine Meldung zu wiederholen. Während er auf Ziele feuerte, welche die Cyborgs nicht sehen konnten, berichtete der Kegelroboter, daß die Explosion einen Wanddurchbruch geschaffen hatte, nur führte der nicht in den Haupttunnel, sondern in einen Nebenstollen, der im Winkel von 30 Grad den Berg durchzog. Und in dem steckten Nomaden, die sich überrascht sahen und sofort das Feuer eröffnet hatten. Der vorderste Robot schoß unverzüglich zurück. Seine Programmierung schrieb ihm vor, auf einen Angriff mit radikalen Mitteln zu reagieren. Er setzte Blasterstrahlen ein. Wallis Industries hat diesen Kampfrobotern keine Tötungshemmung programmiert! erkannte Lati Oshutas Cyborg-Programmgehirn und ließ ihn den Befehl geben: »Umschalten auf Paralyse!« Der Roboter gehorchte. Er feuerte jetzt mit Schockwaffen auf die Nomaden. Nur dachten die ihrerseits nicht daran, Rücksicht zu nehmen. Sie verwendeten nach wie vor ihre tödlichen Impulsstrahler. Aber die Energiebahnen zersprühten in grellen Funkenkaskaden am Prallschirm der vordersten terranischen Kampfmaschine, die jetzt langsam vorwärts schwebte, in den
schrägen Stollen hinein. Der zweite Robot folgte und feuerte ebenfalls aus seinen Schockwaffen, sobald er freies Schußfeld bekam. Bram Sass aktivierte sein Vipho und rief Ren Dhark an. Er wollte wissen, was das für ein Quergang war und warum man ihn und Oshuta nicht darüber informiert hatte. Aber die Verbindung kam nicht zustande. Stärkste Störungen überlagerten sämtliche Frequenzen, mit denen das Vipho arbeiten konnte. »Stop!« befahl Oshuta unterdessen den beiden vorrückenden Kampfmaschinen. »Nur sichern, nicht angreifen. – Bram, ich rücke mit den beiden anderen Robots weiter vor und versuche den Tunneleingang dichtzumachen!« Bram Sass nickte nur. Einer Antwort hätte es lediglich im Protestfall bedurft, aber sein Programmgehirn sagte ihm dasselbe, was Oshuta als erforderlich erkannt hatte. Im nächsten Moment war der Japaner mit den beiden anderen Robotern wieder unterwegs! * Grelle Strahlbahnen flammten aus den Enden der Kreuzbalken und zersprühten einige Dutzend Meter vor dem Bergmassiv in lodernden Energiekaskaden. Die HoloDarstellung schaltete um von Direktsicht auf Simulation, weil das sprühende Feuerwerk keine Details mehr erkennen ließ. »Ups«, machte Arc Doorn. Alles sah danach aus, als prallten die Strahlbahnen von einem Energieschirm ab! An zwei Stellen versuchten die Kreuzraumer diese Energieschirme aufzubrechen. Ihre Impulsstrahlen kamen aber nicht durch. »Schlapper Kinderkram«, knurrte Doorn, der sich an die Meldung der POINT OF erinnerte. Die Intervallfeldbelastung beim Strahlangriff der Nomadenraumer war dermaßen niedrig gewesen, daß selbst die relativ schwachen Schutzschirme nach
Amphi- oder Giant-Prinzip, welche in terranischen Eigenbauten verwendet wurden, mühelos standgehalten hätten. »Klasse, wie die ihre Energie sinnlos verschwenden, finden Sie nicht auch, Cimc?« Der zuckte zusammen. Er wußte zwar, daß es im internen Kreis um Commander Ren Dhark nicht üblich war, einander mit dem Dienstrang anzureden, dennoch verdroß ihn die Respektlosigkeit dieses subalternen Technikers ein wenig, der ihm noch dazu ganz vertraulich die Hand auf die Schulter gelegt hatte. »Woran erkennen Sie das, Mister Doorn?« fragte er distanziert. »Na, an den Belastungsanzeigen der Schirme...«, und Doorn deutete ganz selbstverständlich auf eine Reihe pulsierender Farbflecken auf einigen Displays, mit denen nicht nur Cimc nichts anzufangen wußte. Aber der Sibirier mit seinem geradezu phänomenalen Einfühlungsvermögen in fremde Technologien hatte intuitiv erkannt, was diese Farbflecken bedeuteten. Ren Dhark interessierte etwas ganz anderes. »Warum versuchen die Nomaden ausgerechnet an diesen beiden Stellen, Löcher in den Berg zu schießen?« »Vielleicht, weil sich dahinter ein lohnendes Ziel befindet?« vermutete Tschobe. »Aber sie dringen doch schon durch das Tor und den Tunnel ein! Wenn sie die Stadt erreichen, haben sie doch von hier unten schon Zugriffsmöglichkeiten auf alles, was sie erreichen wollen!« »Es ist ihre übliche Vorgehensweise«, erklärte einer der Shirs. »Sie verlassen sich niemals darauf, nur einen Weg benutzen zu können.« »Aber sie müssen doch begreifen, daß sie den Schutzschirm nicht knacken können«, gab Tschobe zu bedenken, dem plötzlich etwas anderes einfiel: »Wenn um den Berg herum ein Schutzschirm erzeugt werden kann, wieso, beim Sumpfzahn der Panzerhornschrexe, können diese beiden Raumer mit ihren
Strahlgeschützen den Berg nicht erreichen, aber nur ein paar Kilometer weiter die Bodentruppen lässig durch Tor und Tunnel einmarschieren?« »Wir sind nur in der Lage, begrenzt wirksame Schutzschirme zu erzeugen«, erklärte einer der Shirs. »Wir errichten sie dort, wo die Nomaden versuchen, ihre Schiffswaffen einzusetzen. Aber wir wissen auch, daß die Nomaden unsere Schirme durchbrechen können.« »Aber nicht mit diesen Spielzeugkanönchen!« behauptete Doorn und wandte sich Tschobe zu. »Was war das eben für ein komisches Viehzeug, das Sie erwähnten? Kann man das essen, dieses... dieses Panzerdingsbums? Was ist das überhaupt?« Tschobe zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, gestand er. »Mit so einem Biest soll sich im vorigen Jahrhundert ein westeuropäischer Parapsychologe herumgeprügelt haben, nur gibt es keinen einzigen Beweis für die Existenz dieses Fabelviechs. Vermutlich ist es ebenso mythologisch wie Drachen und Hexen und ähnliches.« Dro Cimc hob die Brauen. »Möglicherweise eine auf Terra notgelandete Kreatur? Schade, daß Sie keine Details über diese Spezies besitzen. Vielleicht kennen wir Tel sie?« »Kaum«, murmelte der Afrikaner. »Trotz fehlender Beweise soll das Biest auch in der Mythologie der Helleber vorkommen, einem kleinen regionalen Terraner-Volksstamm.« »Oh«, machte Cimc. Aber damit meinte er nicht nur Tschobes Erklärung. Der Bildschirm zeigte, daß die Nomaden ihre Taktik änderten. Sie feuerten Torpedos auf die Schutzschirme ab! * Als eine Feuerpause eintrat, versuchte Sass erneut, Viphoverbindung mit Ren Dhark zu bekommen. Diesmal funktionierte es, aber die Verbindung war äußerst schlecht, und der Cyborg mußte fast schreien, um sich dem
Commander verständlich zu machen. Umgekehrt konnte er trotz des starken Rauschens Dharks Stimme deutlich verstehen, weil sein Gehör die Störungen ausfiltern konnte. »Commander, wir sind hier auf einen schräg in den Berg führenden Gang gestoßen, der eine Abzweigung vom Tunnel sein muß! Warum wissen wir nichts davon, und warum interessieren sich die Nomaden so sehr dafür, daß sie uns an der Durchbruchstelle unter Feuer nehmen?« »Keine Ahnung! Aber ich frage die Shirs danach, Sass!« Sein Zweites System ließ nicht zu, daß der Cyborg verständnislos den Kopf schüttelte, weil er doch gerade das nonverbal erbeten hatte. Warum mußte Dhark Zeit verlieren und die Bestätigung der unausgesprochenen Bitte artikulieren, statt sich sofort an die Shirs zu wenden? Zwei Minuten vergingen. Dann meldete Dhark sich wieder. »Sass, dieser Stollen führt zu einem Lager mit offenbar wertvollen Edelmetallen. Sieht so aus, als wüßten die Nomaden davon und wollten...« Abrupt riß die Verbindung ab. Nur noch Rauschen kam durch. Es war sinnlos, es noch einmal zu versuchen. Denn die Nomaden schlugen zu. Sie wollten jetzt den Störfaktor Roboter endgültig beseitigen und setzten schwere Waffen ein! * Lati Oshuta setzte mit seinen beiden Robotern den Weg fort. Nach nur einer halben Minute erreichten sie das Ende des Versorgungsschachtes. Rechtwinklig knickte er ab, um nach nur zwei Metern an einem Trennschott zu enden. Oshuta fragte sich, wie der andere Gang, der vom Tunnel abzweigte, den Versorgungsschacht berühren konnte, bei dieser Nähe. Und eine Biegung gab es hüben wie drüben nicht. Hing es damit zusammen, daß die Shirs Entfernungen manipulieren konnten? Unwichtig!
Vor ihnen befanden sich Risiko und Gefahr! Der Japaner wurde zum Schlangenmenschen, als er sich an den beiden Robots vorbeizwängte, um an das Trennschott zu kommen. Sein Programmgehirn analysierte den Öffnungsmechanismus und stellte fest, daß die Schaltung, die das Schott geschlossen hielt, es aber blitzartig komplett öffnen konnte, auszutricksen war. Er trickste sie aus. Er gab dem hinter ihm schwebenden Roboter den entsprechenden Befehl. Der fuhr einen Werkzeugarm aus, über den er elektrische Impulse direkt in den Chip lenken konnte, der sich hinter der vernachlässigbar dünnen Abdeckung befand. Die war verblüffenderweise aus Metall und nicht aus Kunststoff. Von Gewichtseinsparung hatten die Shirs wohl noch nie etwas gehört, aber sie zeigten durch das verwendete Material vielleicht auch nur ihre Naturverbundenheit. Oshuta kam es gerade recht. Er hatte dem Robot den Code übermittelt, welchen Rhythmus seiner Impulsüberladung der verwenden sollte. Die elektrischen Reize wurden vom Metall an den Chip weitergeleitet, der mit Minimalstrom arbeitete und schon beim ersten Impuls völlig überladen wurde. Er verschmorte – und das Schott blieb geschlossen! Oshuta faßte mit beiden Händen zu, preßte Finger und Handballen gegen die Metallplatte und versuchte sie zu bewegen. Die Verriegelung mußte sich gelöst haben, denn Widerstand spürte der Cyborg erst nach etwa einem halbe Millimeter. Er sah nach rechts und links. Dort sprang die Wandabschlußverkleidung vor und umschloß den Schottrand. Nach rechts oder links ließ sich also nichts schieben, aber nach oben war Platz. Risiko! warnte Oshutas Programmgehirn. Der Warnung hätte es nicht bedurft. Auch als normaler Mensch hätte er gewußt, daß er im gleichen Moment, in dem er das Schott nach oben drückte, ein leichtes Ziel abgab. Dabei
konnten ihm auch die Roboter keine Hilfe sein. Die konnten das Schott nicht nach oben drücken, weil ihre Greifwerkzeuge keine Möglichkeit hatten, sich daran zu verankern. Und ihre Elektromagneten waren für diese Metallfläche mit ihrer enormen Masse zu schwach. Oshutas Handflächen dagegen hafteten besser! »Robots, sofort breitgefächertes Schockerfeuer in beide Tunnelrichtungen, wenn ich das Schott soweit offen habe, daß ihr hindurchkönnt!« befahl er. Die beiden Kampfmaschinen bestätigten. Es störte auch nicht, wenn er dabei zufällig einen Schockstrahl abbekam. Solange er sein Zweites System aktiviert hatte, konnte ihn die paralysierende Energie nicht beeinträchtigen. Phant seit einer Minute 18 Sekunden, informierte ihn sein Programmgehirn. Er stemmte sich gegen das Schott und versuchte, es hochzudrücken. Aber es bewegte sich um keinen Millimeter, doch als Oshuta plötzlich einen nur leichten Druck in die Gegenrichtung ausübte, verschwand es wie ein Fallbeil im Boden! Der Zugang zum Tunnel war frei! Oshuta zählte gut dreißig Nomaden und ein leichtes Schwebefahrzeug. Die Hundeköpfigen mit ihren furchterregenden Gebissen bekamen nicht schnell genug mit, daß sie den Gegner plötzlich direkt neben sich hatten. Oshuta ließ sich zur Seite fallen, in den Tunnel hinein, und die beiden Robots glitten auf den Prallfeldern an ihm vorbei, drehten sich und feuerten aus ihren schweren Paraschockern auf alles, was sich bewegte! Reihenweise brachen Nomaden zusammen, die nicht mehr zu ihren Waffen greifen konnten, weil sie bei weitem nicht so reaktionsschnell waren wie terranische Kampfmaschinen. Oshuta riß den schweren Zweihandstrahler nach vorn, den er am Tragegurt auf den Rücken geschnallt hatte. Jetzt setzte er den Blaster ein und gab einen Schuß auf die Stelle des
Schwebefahrzeugs ab, hinter der er den A-Grav-Antrieb vermutete. Der flog in einer grellen, lauten Explosion auseinander, schleuderte dabei das Schwebegerät einige Meter hoch und ließ es wieder zu Boden krachen. Den Nomaden, der am Steuerpult gesessen hatte, wirbelte es zwischen seine unter Schockerbeschuß zusammenbrechenden Kameraden. Oshuta rollte sich auf dem Boden herum, registrierte weiteres technisches Gerät, das durch den etwa fünfzig Meter durchmessenden Tunnel schwebte, und schoß wieder. Augenblicke später schwebte das technische Gerät nicht mehr, sondern war nur noch auseinanderberstender Schrott, dessen herumfliegende Trümmer den Strom der heranmarschierenden Nomaden aufhielt. Die duckten sich, flüchteten vor den glühenden, wild umherwirbelnden Teilen und mußten sich mit der veränderten Situation erst zurechtfinden. Plötzlich bekam Oshuta selbst Feuer. Die Nomaden zeigten sich nicht von der humanen Seite. Sie benutzen keine Schockwaffen, sondern deckten den Cyborg mit Impulsstrahlen ein. Er mußte sich blitzartig in den Versorgungsschacht zurückziehen. Derweil mischten die beiden Roboter die Nomaden weiter auf. Deren Strahlschüsse wurden von den Schutzschirmen der Robots abgefangen. Das golden schimmernde Kunstlicht im Tunnel wurde längst von grellen, zuckenden Blitzen überlagert, die Lichtschauer in allen Farben des Spektrums erzeugten. Phant seit zwei Minuten zwei Sekunden, verriet das Programmgehirn, analysierte aber auch die Situation und kam zu dem Schluß, daß ein eventueller Rückzug nicht zu sichern war, da das Trennschott nicht wieder geschlossen werden konnte. Es ließ sich nicht mehr aus dem Boden hochfahren. Damit wurde der Versorgungsschacht zu einer tödlichen Falle, wenn die Nomaden auf die Idee kamen, Sprengwaffen einzusetzen. Für Oshuta blieb nur noch der Weg vorwärts.
Den Tunnelzugang blockieren! Aber jetzt hatten die Nomaden überwunden und gerieten in Wut!
ihre Überraschung
* Im Kontrollraum war auch der letzte Shir von seinem Platz aufgesprungen. Erregt stampften die riesigen Wesen vor der Bildübertragung hin und her. »Sie tauschen Informationen aus«, sagte Manu Tschobe, »an denen sie uns nicht teilhaben lassen wollen.« Ren Dhark sah ihn nachdenklich an. Konnte Tschobe die telepathischen Schwingungen fühlen, die zwischen den riesigen Sechsbeinern wehten? Er besaß schwach ausgeprägte Parakräfte, die sich bislang aber eher in Richtung Hypnose und Suggestion manifestiert hatten. Und eigentlich mußte der Stirnreif nicht nur verhindern, daß die Shirs Menschen beeinflußten, sondern auch umgekehrt Tschobes Para-Gabe blockieren. Die Bildwiedergabe zeigte, wie die Nomaden Torpedos abfeuerten. In kurzen Abständen jagten sie ein Geschoß nach dem anderen auf die Energieschirme der Shirs zu. Dhark war froh, daß das Szenario keine optische Direktübertragung mehr war, sondern vom Computer bearbeitet. Die gleißende Lichtflut, die der Holo-Schirm sonst in den Kontrollraum gebracht hätte, wäre für menschliche Augen extrem schädigend gewesen. Die Torpedos explodierten an den Schirmen. Bei jedem Einschlag zitterte der Boden des Kontrollraums unter den Füßen der Menschen. Und das fünfzehn Kilometer tief im Felsmassiv! Bram Sass fragte über Vipho nach einem Querstollen, der vom Tunnel abzweigte. Dhark gab die Frage an die Shirs weiter. Die ließen sich endlich aus ihrer Aufregung reißen, und einer teilte dem Commander mit, was der an den Cyborg weitergab, ehe die permanent von Störungen überlagerte
Viphoverbindung wieder abriß. »Edelmetalle«, murmelte Ren. »Woher wissen die Nomaden so genau darüber Bescheid? Es kann doch nicht nur daran liegen, daß die Shirs Salteria ihnen gegenüber nicht tarnen können! Wenn die Ortungen der Kreuzraumer so lausig sind wie ihre Waffen, können sie nicht feststellen, was hier im Berg gelagert wird.« »Lausig, Dhark?« Arc Doorn lachte böse auf. »Schauen Sie sich die Schirmfeldbelastung an! Noch ein paar Torpedotreffer, und die Schirme brechen zusammen! Mit jedem Einschlag wird die Abwehr schwächer.« »Diesen Straßenkötern muß doch bald die Munition ausgehen!« entfuhr es Dro Cimc. »Die können doch nicht unbegrenzt viele Torpedos im Schiff lagern! Bei deren Sprengkraft wäre das unverantwortlich!« »No risk, no fun«, spottete Arc Doorn und erntete einen verständnislosen Blick des Tel. Den sprach Dhark mit schneidender Schärfe an: »Straßenköter, Cimc? So wie wir die weißen Affen sind? Gerade von Ihnen hätte ich eine solche Bemerkung nicht erwartet!« »Diese Hundsköpfe morden grundlos und haben Ihr wundervolles Raumschiff vernichtet!« hielt der Tel ihm entgegen. »Dhark, ich verstehe nicht, wie Sie diesen räuberischen und skrupellosen Ungeheuern so tolerant gegenüberstehen können!« »Als mein wundervolles Raumschiff Ihre R-Flotte vernichtete, haben Sie uns Terraner nicht mehr als weiße Affen bezeichnet!« konterte Ren. »Wenn Sie jetzt so denken, verstehe ich Ihre damalige Toleranz nicht!« »Es war Respekt, nicht Toleranz«, sagte Cimc. »Respekt vor einem Gegner, der allein gegen Tausende von Raumschiffen siegte und der selbst dann nicht aufgab, als wir ihm das Ree an Bord schickten.« »Streitet euch nur weiter über Formen der politischen Korrektheit«, merkte Arc Doorn an. »Passiert ja draußen nichts
Wichtiges mehr. Die Nomaden haben nur gerade einen der Schutzschirme geknackt und verwenden jetzt wieder ihre Impulsgeschütze als Bohrer...«
4. Art wischte sich die Schweißperlen aus dem Gesicht. Sie stammten nicht nur von der ungeheuren Hitze der Sonne, es war auch Angstschweiß mit dabei. Jane erging es nicht anders. Sie hatte bereits mit ihrem Leben abgeschlossen – nicht zum ersten Mal, seit sie auf der Welt war. Glücklicherweise war es ihrem Mann im letzten Moment gelungen, den äußeren Schutzschirm zu stabilisieren, sonst wären beide bei lebendigem Leib geröstet worden. Die Alarmsirene schwieg abrupt. Fast gleichzeitig fiel die unerklärliche Starre von Roboter Zwo Vier Acht G ab. Er erkundigte sich nach weiteren Befehlen, als wäre nichts geschehen. Art schickte ihn zurück an seinen Standplatz. Der Gegenschub zeigte endlich Wirkung. Für einen Augenblick stand die SEARCHER bewegungslos im All, dann trat sie den Rückzug an und entfernte sich von der Sonne. Die Hookers atmeten erleichtert auf. Gerettet... wenn auch nur knapp! In sicherem Abstand »verankerte« Art das Schiff im All. Der Platz war gut gewählt. Von diesem Standort aus konnte er es riskieren, die Sensoren auf die fremden Raumschiffe auszurichten, ohne Gefahr zu laufen, selbst geortet zu werden. Perfekter Sichtkontakt ließ sich aufgrund des ungünstigen Blickwinkels nicht herstellen, die Bildschirme zeigten nur Teilausschnitte des Gefechts. Das Meßergebnis war erschreckend genug. Bei den beiden Raumern, die sich im System NGK 1324/58 ein gnadenloses Gefecht lieferten, handelte es sich um ein kugelförmiges Aufklärungsschiff der Tel von etwa 30 Metern Durchmesser und eine 25-Meter-Röhrenkonstruktion, die von einem Halbraumfeld umgeben war.
»Ohne jeden Zweifel ein Raumschiff der Schatten«, sagte Art, mehr zu sich selbst als zu seiner Frau. Schatten – Grakos! Die unsichtbare Pest des Weltalls! Stets tauchten sie dort auf, wo man am wenigsten mit ihnen rechnete. Wenn man ihre Anwesenheit wahrnahm, war es meist schon zu spät, dann war man bereits so gut wie tot. Die Besatzung des Tel-Aufklärers ergab sich nicht in ihr Schicksal. Mit allen Mitteln setzten sich die Schwarzen Weißen zur Wehr – gegen einen Feind, der nahezu unbezwingbar war. »Greifen wir ein?« fragte Jane. »Mit unserer leichten Bewaffnung?« erwiderte ihr Mann. »Das käme einem Selbstmord gleich. Ehrlich gesagt, ich überlege, ob wir wieder abdrehen und so schnell wie möglich verschwinden sollten. Wo man auf ein Raumschiff der Grakos stößt, ist meistens auch eine Schattenstation in der Nähe.« »Beide Schiffe verfügen über keine schweren Geschütze«, stellte Jane fest. »Ich vermute mal, daß sich hier lediglich zwei Aufklärungseinheiten bekriegen. Gäbe es in greifbarer Nähe eine Station, hätten die Grakos längst Hilfe angefordert.« »Vermutlich legen die Magnetfeldschwankungen ihr Kommunikationssystem ebenso lahm wie unseren Funkverkehr.« »Vermutlich, und die Tel werden von den Störungen genauso behindert wie wir. Ich begreife allerdings nicht, warum sie vor diesem übermächtigen Gegner nicht die Flucht ergreifen. Was ist so wichtig, daß sie dafür ihr Leben aufs Spiel setzen?« In der Tat kämpften beide Parteien mit einer Verbissenheit gegeneinander, die für Kundschafter ungewöhnlich war. Keines der Schiffe machte den Versuch zu fliehen. Sowohl für die Grakos als auch für die Tel schien es nur Sieg oder Tod zu geben. Ein Gefecht ohne Kompromisse. Art und Jane beauftragten einen Roboter mit der weiteren Beobachtung des Kampfgeschehens, soweit das von ihrem Standort aus möglich war. Anschließend begannen sie mit der
Analyse des unbekannten Sonnensystems. Planeten gab es im näheren Umfeld nicht, nur mehrere Asteroidengürtel. Das Fehlen von Planeten führten die Hookers schon bald auf den von der Sonne gesehen dritten Gürtel zurück. Er war extrem groß und dichtgepackt, manche Asteroiden hatten eine Ausdehnung bis zu fünfzig Kilometern. Die ungeheuren Gravitationswerte deuteten darauf hin, daß die Asteroiden aus beinahe reinem Tofirit bestanden. »Die mächtigen Schwerkraftfelder des dritten Asteroidengürtels haben offenbar im gesamten Sonnensystem eine Planetenbildung verhindert«, konstatierte Art nach Auswertung der Meßergebnisse. Jane nickte. »Jetzt wissen wir, weshalb die Schatten und die Tel versuchen, sich gegenseitig umzubringen. Das gewaltige Tofiritvorkommen bedeutet unschätzbare Macht für jede Sternenzivilisation, die es ausbeutet. Die Eroberer der gigantischen Lagerstätte wären in der Lage, das faktische Tofiritmonopol der Terraner zu brechen. Gelingt es den Grakos, die Tel daran zu hindern, ihrem Volk diese ungeheuerliche Entdeckung mitzuteilen, gehört ihnen das Tofirit allein – und umgekehrt. Daß ein dritter Kandidat mit im Spiel ist, ahnen sie Gott sei Dank nicht, sonst würden sie sofort auf uns losgehen.« »Terra braucht das Tofiritmonopol dringend zum Überleben«, sagte Art mit nachdenklicher Miene. »Auch wir wären sämtliche Finanzprobleme auf einen Schlag los«, entgegnete Jane, und in ihrer Iris blitzte es für Sekundenbruchteile auf. »Mir fällt gerade siedendheiß ein, daß uns ein Prozent des Abbaugewinns zusteht.« »Na, dann schlage ich vor, wir fliegen umgehend hin und holen unseren Anteil an Bord«, bemerkte Art sarkastisch. Das war natürlich unmöglich – nicht nur technisch gesehen, auch wegen der damit verbundenen Gefahr. Das Gefecht der beiden Aufklärer fand nämlich mitten im dritten Asteroidengürtel statt.
Plötzlich erschütterten mehrere Explosionen das namenlose Sonnensystem. * Für wenige Augenblicke sah sich die Besatzung der SEARCHER außerstande, das Innere des dritten Asteroidengürtels anzumessen. Was dort in jenen Sekunden geschah, blieb Arts und Janes Phantasie überlassen. Nachdem die Auswirkungen der Explosionen abgeklungen waren und wieder exakte Meßergebnisse hereinkamen, waren beide Aufklärungsschiffe spurlos verschwunden. »Berichte mir über die letzten Minuten des Kampfgeschehens«, forderte Art den Roboter auf, den er mit der ständigen Beobachtung des Gefechts beauftragt hatte. »Möglichst präzise, wenn ich bitten darf.« Die letzte Anmerkung hätte er sich besser verkniffen. Sieben Sieben Sieben H überschüttete ihn mit einem mechanischen Redeschwall, der sich gewaschen hatte. Wortreich beschrieb er jedes taktische Wende- und Ausweichmanöver. Keinen Fehlschuß, keine ins Leere verlaufene Kriegslist ließ er aus. Bei der anschaulichen Darstellung einzelner Treffer erging er sich in besonderer Sorgfalt. »Was das Ende des Kampfes betrifft, muß ich mich zum Teil auf Spekulationen beschränken. Beide Raumer rasten frontal aufeinander zu und feuerten eine Strahlensalve nach der anderen ab, ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, hätte einer von ihnen ausweichen müssen. Fast auf die Sekunde genau schlugen zwei Treffer gleichzeitig ein. Die Schiffe wurden von tödlichen Strahlenenergiefeldern eingehüllt. Weitere Explosionen folgten. Der Röhrenraumer wurde vermutlich an den Rand des Asteroidengürtels geschleudert. Das Kugelschiff müßte sich noch in der Nähe des Kampfplatzes befinden. Danke fürs Zuhören.«
»Für eine Maschine redet er viel zuviel«, sagte Art kopfschüttelnd zu Jane. »Möglicherweise ist sein Kommunikationsprogramm beschädigt.« »Oder er ist in erster Linie ein Unterhaltungsgerät«, entgegnete sie. »Vielleicht hat man ihn ursprünglich für künstlerische Auftritte eingesetzt und beim Weiterverkauf vergessen, die entsprechende Programmierung zu ändern.« »Weiterverkauf? Du meinst, Trawisheim hat uns gebrauchte Ware angedreht?« »Wie auch immer, es ist ein Leichtes, ihn zum Schweigen zu bringen. Sieben Sieben Sieben H, sobald du das Kodewort ›Astronom‹ vernimmst, bist du still und rührst dich nicht vom Fleck, verstanden? Für euch gilt dasselbe, Zwo Vier Acht G und Sechs Neun Sechs U. Erst beim Kodewort ›Kosmos‹ dürft ihr euch wieder rühren. Und nun begib dich zurück auf deinen zugewiesenen Platz, Sieben Sieben Sieben H.« Widerspruchslos verließ der Roboter die Steuerkonsole. Art setzte die SEARCHER in Bewegung auf den Punkt zu, an dem das Tel-Schiff zuletzt geortet worden war. Viel Hoffnung, die Schwarzen Weißen lebend aufzufinden, hatte er nicht. Die Verstrahlung innerhalb des Tofiritgürtels verhieß nichts Gutes. Wahrscheinlich hatte keiner der Gegner den Kampf überlebt. »Der ganze Ring ist reichlich instabil«, stellte Art fest. »Warum klumpen sich die schweren Brocken nicht zu einem Planeten zusammen?« »Zusammenklumpen« war zwar keine fachwissenschaftliche Bezeichnung, aber Jane wußte auch so, was er meinte. Ihr Mann bekam die Antwort auf seine Frage schneller als ihm lieb war. Zwei Tofiritasteroiden jagten mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu – und die SEARCHER mittendrin! »Festhalten, Jane!« rief Art. »Jetzt geht's los!« Er war ein erfahrener Pilot. Als er erkannte, daß es für die Einleitung einer Notbremsung viel zu spät war, erhöhte er die Geschwindigkeit des Raumschiffs.
Jane ließ sich auf einen Sitz fallen und schnallte sich an. Sorge, daß es im Raumer bei Überlastung der Andruckneutralisatoren zu unkontrollierten Bewegungen kommen könnte, machte sie sich nicht, sämtliche Gegenstände und Apparaturen waren festgezurrt oder festgeschraubt. Und die Roboter waren mit einer speziellen Magnetvorrichtung ausgestattet. Wie drei große goldene Fliegen klebten sie an ihrem zugewiesenen Standort. Außerdem sollten die Andruckneutralisatoren theoretisch in der Lage sein, jedes Beschleunigungsmoment innerhalb des Schiffes zu neutralisieren. Gemessen an der Größe der beiden Asteroiden konnte man die SEARCHER mit einem Insekt vergleichen. Ein lästiges Insekt, das gnadenlos zerquetscht werden würde, falls es sich nicht rechtzeitig davonmachte. Die Wucht des Zusammenpralls würde den Schutzschirm knacken wie eine Nuß. Arts Vorsichtsmaßnahme erwies sich als unnötig. Beim Durchflug waren die beiden Asteroiden noch so weit entfernt, daß er sie unbeschadet passieren konnte. Die Kollision hinter der SEARCHER verlief anders als erwartet. Die Asteroiden prallten zwar mit großer Wucht zusammen, jagten aber aufgrund ihrer extremen Dichte gleich wieder unbeschadet auseinander – so wie zwei Tischtennisbälle, die kollidieren. Jane Hooker befürchtete, mindestens einer der beiden wertvollen Tofiritbrocken könnte aus dem Asteroidengürtel hinausgeschleudert werden. Das wurde jedoch durch das Schwerkraftfeld des Gürtels erfolgreich verhindert, wie eine nachträgliche Simulation des Suprasensors ergab. »Beruhigend, zu wissen, daß sich unser Vermögen nicht übers ganze Weltall verstreuen kann«, bemerkte Jane. »Dieser Ring ist sozusagen sein eigener Tresor, aus dem kommt nichts weg.« »Du hast wahrlich die Ruhe weg«, erwiderte Art. »Kaum schweben wir nicht mehr in Lebensgefahr, denkst du gleich wieder ans Geld.«
»Wann denn sonst?« entgegnete sie lakonisch. »Wären wir zwischen den Asteroiden zermalmt worden, hätte sich das Thema von selbst erledigt.« Sie war halt ein pragmatisch veranlagter Mensch. In Wahrheit war Art stolz auf seine Frau. Nur ihrer mutigen Entscheidung, auf ein festes Honorar zu verzichten und ein Prozent des Abbaugewinns zu verlangen, hatte er es zu verdanken, daß sie jetzt ein vermögendes Paar waren. Zeit ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit hatten sie mit den unterschiedlichsten finanziellen Schwierigkeiten fertig werden müssen, wie die meisten Freiberufler. Das gehörte nun endgültig der Vergangenheit an – wenn sie es schafften, Terra die Schürfrechte in diesem Torfiritgürtel zu sichern. Eigentlich machte sich Art nichts aus Geld und Besitz. Am Tag seines Ablebens – und dieser Tag kam früher oder später für jeden – konnte er ohnehin nichts davon mitnehmen. Doch bis es soweit war, wollte er ein freies, unabhängiges Leben führen, und dabei war Geld nun mal ein nützlicher Partner. In Zukunft würde er ausschließlich für handverlesene Auftraggeber tätig werden, nahm er sich vor. Nie wieder würde er sich von jemandem herumkommandieren lassen. Über ihm standen jetzt nur noch seine Frau, die Steuerbehörde und der liebe Gott – genau in dieser Reihenfolge. Jane holte ihn von seinem geistigen Höhenflug zurück in die Wirklichkeit. »Paß auf!« rief sie und deutete auf den Bildschirm. »Dort kommt der nächste Asteroid auf uns zu!« Art hatte das Schiff unter Kontrolle. Geschickt lenkte er es an dem Riesenbrocken vorbei. Zu dramatischen Szenen an Bord kam es nicht, denn diesmal war er vorbereitet. Die Gravitationsverhältnisse in dieser Zone waren extrem. Ein einzelner Brocken reinen Tofirits hatte bei einem Durchmesser von rund 40 Kilometern etwa die gleiche Masse wie der Planet Erde. Und es gab Millionen solcher Brocken in diesem Teil des Weltalls. »Wie lange der Tofiritgürtel wohl schon existiert?« fragte
sich Jane, während sie mit den Ortungsstrahlen das All nach weiteren drohenden Gefahren absuchte. »Wann ist er entstanden? Wann ist Tofirit überhaupt entstanden – und vor allem: wie?« »Möglicherweise handelt es sich um eine Art Abfallprodukt eines Kollapsars«, beteiligte sich Art an ihrer Überlegung. »Ein faszinierender Gedanke, nicht wahr? Erloschene Sterne mit mehr als drei Sonnenmassen brechen zu einem Schwarzen Loch zusammen und reißen immer mehr Masse in diesen Schlund ohne Wiederkehr, wo sie natürlich unfaßbar stark komprimiert wird. Was sonst noch in einem Schwarzen Loch vorgeht, entzieht sich vermutlich unserer Vorstellungskraft. Bleiben Materie und Energie darin gefangen? Oder brechen sie irgendwo durch das Gefüge von Zeit und Raum und treten an anderer Stelle in veränderter Form wieder aus? Vielleicht als Quasar... oder auch in einem ganz anderen Universum. Könnte es nicht sein, daß Tofirit das Endprodukt der Schwarzen Löcher einer ganz anderen Schöpfung ist, die wie auch immer einen Durchbruch in unsere Daseinsebene geschaffen haben? Mit dieser Theorie sollten sich unsere Wissenschaftler ruhig mal näher befassen. Bisher weiß die Menschheit über Tofirit nur sehr wenig. Felsenfest steht lediglich der Name des Terraners, der es einst als erster entdeckt hat und nach dem es benannt wurde: Achmed Tofir.« Er grinste. »Falls meine Abfalltheorie zutrifft, sind wir gerade im Begriff, aus Dreck Geld zu machen.« »Achmed Tofir«, wiederholte Jane. »Was hältst du davon, wenn wir die Sonne dieses Systems ›Achmed‹ taufen?« »Klingt allemal besser als NGK 1324/58«, stimmte Art zu. In diesem Moment erfaßten die Sensoren den abgeschossenen Tel-Raumer. Das Wrack befand sich auf einem 48 Kilometer langen und 33 Kilometer dicken Asteroiden aus reinem Tofirit. Dank seiner extremen Masse wies der Asteroid fast Erdschwerkraft auf. Art flog näher heran und holte das Aufklärungsschiff auf
den mittleren der drei runden Bildschirme. Es war größtenteils zerstört, dennoch konnte er Spuren von Leben anmessen. * Am Wrack des Tel-Raumers herrschte Stille. Gespenstische Totenstille. Etwas, das wie ein Urzeitungeheuer wirkte, näherte sich langsam dem waidwunden Schiff. Im Inneren des luftdichten Kettenfahrzeugs saß Art Hooker. Er trug einen Raumanzug, hatte den Helm aber noch nicht geschlossen. Mit seiner Frau, die aus Sicherheitsgründen an Bord der gelandeten SEARCHER geblieben war, stand er in ständigem Funkkontakt. Falls ihm irgend etwas zustieß, konnte sie mit dem Raumschiff eingreifen. Art umrundete mit dem Flugdozer das Wrack und hielt Ausschau nach einer Einstiegsluke oder einer Lücke in der Außenhülle des Raumschiffs, die er mit Hilfe des kolossalen Bohrers, der vorn am Dozer angebracht war, hätte vergrößern können. Auf halber Höhe stieß er auf einen mächtigen Riß in der Seitenwand, der nichts Gutes verhieß. Der Riß zog sich quer durchs gesamte Schiff und teilte es in zwei Hälften. »Ich verlasse jetzt den Dozer und steige aus«, teilte er Jane mit und klappte seinen Helm herunter. Per Helmfunk konnte er sich weiterhin mit ihr verständigen. »Paß auf dich auf«, ermahnte ihn seine Frau. »Ich möchte nicht, daß dir was zustößt – ausgerechnet jetzt, wo wir das große Los gezogen haben.« »Ich bin vorsichtig«, versprach er und fügte hinzu: »Und bewaffnet!« Für den Fall der Fälle hatte er einen Paraschocker bei sich. »Du hättest zu deinem Schutz einen der Roboter mitnehmen sollen«, sagte Jane. »Ach ja?« entgegnete er. »Wen denn? Den Quatschkopf? Oder den, der jedesmal ein Stück in die Höhe schwebt und eine kokette Drehung macht, sobald man ihn länger anschaut? Nicht
zu vergessen den kleinen Feigling, der vor Angst zur Salzsäule erstarrt, kaum daß es brenzlig wird.« »Roboter kennen keine Angst. Sein Funktionsproblem muß woanders liegen. Ich hatte den Eindruck, daß seine Starre mit dem Sirenengeheul zusammenhing. Vielleicht versetzen ihn bestimmte Tonfolgen in eine Art elektronische Verzückung.« »Ein musikalischer Roboter, auch das noch! Was hört er wohl am liebsten? Das Surren von Paraschockern? Das Zischen tödlicher Energiestrahlen? Ich kann keinen Helfer gebrauchen, der in Krisensituationen plötzlich und unerwartet ausfällt.« Art verließ den Flugdozer und begab sich ins Innere des TelSchiffs, in der rechten Hand den Schocker, in der linken eine batteriebetriebene helle Lampe. Er verzichtete auf eine genauere Inspizierung des Raumers, schließlich war er nicht hier, um die Geheimnisse fremder Technik zu ergründen, sondern um Leben zu retten. Für acht Besatzungsmitglieder kam jede Hilfe zu spät. Zwei fand Art leblos in der Bordzentrale, die übrigen lagen verstreut in den Zwischengängen. Es war ein Bild des Entsetzens. Einigen Tel fehlten Arme oder Beine, andere waren fast vollständig zerfetzt. Im Maschinenraum und in der Waffensteuerung entdeckte Art Hooker die einzigen Überlebenden, drei Tel-Soldaten in Raumanzügen mit geschlossenen Helmen. Den Rangabzeichen nach handelte es sich um niedere Dienstgrade. Art kam der Ausdruck »Kanonenfutter« in den Sinn. Auch terranische Patrouillenschiffe waren oftmals mit nur einem Offizier besetzt, der die alleinige Befehlsgewalt an Bord innehatte. Im Verlauf eines Gefechts konnte er jeden einfachen Soldaten in den Tod schicken, ohne daß man ihn dafür vor ein Kriegsgericht stellen würde. Für den Fall eines Sieges hingegen würde man ihn mit einem Orden behängen. Die Tel machten keine Anstalten, den Eindringling anzugreifen. Ihre Handfeuerwaffen, die wesentlich leichter waren als die terranischen Blaster, aber genauso wirkungsvoll, steckten in
Gürtelhalftern. Lediglich einer von ihnen war in der Lage, das Schiff auf eigenen Beinen zu verlassen. Die beiden anderen waren leicht verletzt und mußten gestützt werden. Für den Transport mehrerer Personen war der Flugdozer ungeeignet. Der gesunde Tel erklärte sich bereit, außen auf der Ladefläche Platz zu nehmen. Art war einverstanden. Beide Männer trugen Helme und verständigten sich mittels Handzeichen. Bald darauf setzte sich der Dozer in Bewegung. Seine massigen Ketten holperten übers Tofiritgestein. An besonders unebenen Stellen setzte Art die mächtigen Greifarme des Fahrzeugs zur Abstützung ein. Der Tel mußte sich gut festhalten, um nicht von der Ladefläche zu rutschen. Kurz bevor das außergewöhnliche Fahrzeug hinter einer Erhebung verschwand, zog der Tel ein kleines Gerät aus seiner Gürteltasche und richtete es auf das Wrack. Dann betätigte er einen Knopf. Sekundenbruchteile danach gab es eine gewaltige Explosion. Trümmerteile wurden hochgeschleudert und fielen wieder herab. Ein Maschinenteil schlug direkt neben dem Dozer auf. »Himmel und Wolkenbruch!« fluchte Art. »Da haben die Tel und ich aber ein Riesenschwein gehabt! Merkwürdig, im Raumer deutete nichts darauf hin, daß er jeden Moment explodiert.« Jane antwortete nichts. Daß ihr Mann das fremde Raumschiff rechtzeitig verlassen hatte, erschien ihr wie ein Wunder. Hätte er sich nur ein paar Minuten länger darin aufgehalten, wäre sie jetzt allein. * Noch war die SEARCHER nicht gestartet. Fest und sicher stand sie auf dem Asteroiden. Ihre hydraulischen Stützen hielten sie in waagerechter Lage. Die überlebenden Tel befanden sich an Bord. Sie hatten ihre
Raumanzüge inzwischen ausgezogen und die Waffen abgelegt. Die Verletzten hatten sich merklich erholt. Jane hatte ihre kleinen Blessuren behandelt und ihnen Verbände angelegt. Einer ihrer Patienten bedankte sich bei ihr dafür mit einem strahlenden Lächeln. Sein Blick ging ihr durch und durch. TelMänner waren zweifelsohne überaus attraktiv, wie sie unschwer feststellen konnte. Jane schämte sich ihrer Gedanken nicht. Eine Tel-Frau hätte auf ihren Ehemann mit Sicherheit die gleiche Wirkung ausgeübt. In der SEARCHER-Zentrale gab es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten mit Außerirdischen. Ein leistungsstarker Translator dolmetschte bei Bedarf jeden Satz und übertrug die Übersetzung auf mehrere Lautsprecher. Da die Tel die terranische Sprache beherrschten, war es nicht nötig, das Gerät einzuschalten. Jedes Volk hatte sein eigenes Begrüßungsritual. Art konnte und wollte sich nicht alle merken. Frei nach der Devise »Wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen« verzichtete er bei Begegnungen mit Bewohnern auswärtiger Planeten grundsätzlich aufs Händeschütteln, Schulterklopfen oder ähnliches. Somit vermied er peinliche Mißverständnisse. »Art und Jane Hooker«, stellte er sich und seine Frau kurz und knapp vor und behauptete: »Wir sind Schrottsammler.« Innerhalb des Sol-Systems bewegte sich haufenweise Weltraummüll in den Schwerkraftfeldern der Planeten und ihrer Monde, eine Goldgrube für Schiffseigner, die ihre Mitarbeiter gleich scharenweise hinaus ins All schickten. Zudem gab es jede Menge freiberufliche Partikuliere, die sich mit dem Schrott – unbrauchbare Satelliten, zerschossene und intakte, aber aufgegebene Raumschiffe aller Klassen – eine goldene Nase verdienen wollten. Dennoch lief Arts Lüge ins Leere. Die Tel waren zu intelligent, um darauf hereinzufallen. »Mein Name ist Crea Noont«, sagte der Tel, der auf der Ladefläche mitgefahren war. »Meine Kameraden heißen Las Rrent und Gen Pekk. Was hat Sie nach hierher verschlagen, Art
Hooker?« »Der Zufall führte uns in diese Gegend. Beinahe wären wir mitten in eure Schlacht mit den Grakos geraten. Das Magnetfeld der Sonne bot uns Schutz, sonst wäre es uns womöglich genauso ergangen wie euch. Heute scheint eh mein Glückstag zu sein. Kaum hatten wir euren abgestürzten Raumer verlassen, explodierte er auch schon.« Crea griff in seine Gürteltasche und holte die Fernbedienung hervor, mit der er die Sprengung des Wracks ausgelöst hatte. »Nicht der Absturz hat die Explosion verursacht, sondern dieser Fernzünder«, erklärte er dem verblüfften Prospektor. »Das Telin-Imperium sieht es nicht gern, wenn unsere Raumer fremden Mächten in die Hände fallen. Notfalls hätten wir uns mitsamt dem Schiff in die Luft gesprengt, wären wir nicht mehr herausgekommen. – Glauben Sie wirklich, ich nehme Ihnen den Schrottsammler ab, Art Hooker? Ich weiß, wie terranische Müllsammelschiffe aussehen, und daß sie fast ausschließlich in Ihrem Heimatsystem tätig sind. Hier gibt es nichts zu holen – abgesehen natürlich von dem wertvollen Material, das ihr Terraner Tofirit nennt.« Er bückte sich, hob die Waffengürtel auf und warf sie Las und Gen zu. Bevor Art und Jane reagieren konnten, hatte man zwei Tel-Blaster auf sie gerichtet. Crea hielt jetzt ebenfalls eine Waffe in der Hand. »Dankt ihr uns so für eure Lebensrettung?« beschwerte sich Jane. »Gastfreundschaft scheint für die Tel ein Fremdwort zu sein.« »Ganz im Gegenteil«, widersprach Crea ihr. »Wir haben auf Cromar strenge Regeln, was das anbetrifft. Doch man muß Prioritäten setzen. Die phantastische Entdeckung, die wir hier gemacht haben, rechtfertigt den Bruch der Gesetze terranischer und telscher Gastfreundschaft.« Kegelroboter waren vielseitig einsetzbar. Je nach Programmierung kämpften sie im All gegen terranische Feinde, arbeiteten sie in Fabriken und Labors, bewachten sie wichtige Projekte, oder sie kümmerten sich um Reisende an
Transmitterstationen. Menschen zu beschützen hatte bei allen Robotern absoluten Vorrang. Das galt insbesondere für die Unversehrtheit ihrer Besitzer. Als die Tel mit ihren Blastern auf die Hookers zielten, machten sich die drei Arbeitsmaschinen von Wallis Industries bereit zum Eingreifen. Jane erkannte die Absicht der Roboter und gab ihnen rasch den Codebefehl: »Astronom.« Sofort zogen sie ihre Gliedmaßen ein und verharrten starr auf ihrem Platz. Gen hatte eine Bewegung wahrgenommen und drehte sich rasch um. Unruhig bewegte er seine Schußwaffe hin und her. »Nervös?« spottete Art, um ihn abzulenken. »Keine Angst, außer uns ist niemand sonst an Bord.« »Ich habe keine Angst, ich bin nur wachsam«, erwiderte der Tel ärgerlich. »Irgend etwas stimmt hier nicht.« »Unterzieht das Schiff einer gründlichen Untersuchung«, sagte Crea Noont. »Ich halte die beiden solange in Schach.« Für Art klang das wie ein Vorschlag, nicht wie eine Anweisung. Das bestätigte seine Einschätzung von Bord des Tel-Raumers. Offensichtlich hatten alle drei denselben niedrigen Dienstgrad, so daß keiner dem anderen Befehle erteilen konnte. Las Rrent und Gen Pekk trennten sich. Einer suchte in den oberen Decks nach weiteren Besatzungsmitgliedern, der andere unten im Maschinenraum. Mit Crea allein wären Art und Jane leicht fertig geworden. Doch bevor sie ihn überwältigten, wollten sie von ihm wissen, wie es den Tel gelungen war, das kolossale Tofiritlager im All ausfindig zu machen und ob man auf Cromar bereits darüber Bescheid wußte. »Das Telin-System liegt näher am galaktischen Zentrum als unser Sol-System«, sagte Art zu ihm. »Deswegen sind die Tel stärker von den Auswirkungen der galaktischen Katastrophe betroffen. Ich kann gut verstehen, daß euer Volk daher das Tofirit unter allen Umständen in seinen Besitz bringen will. Aber es gibt gewisse Regeln bei der Verständigung zwischen
fremden Nationen, wenn sie in Frieden miteinander auskommen wollen. Niemand darf sich etwas aneignen, das jemand anderem gehört, Crea Noont. Terra hat den Tofiritgürtel längst in seinen Besitz genommen. Zahlreiche Transportraumer mit Tausenden von Arbeitern sind bereits nach hierher unterwegs, um mit dem Abbau zu beginnen. Der Konvoi wird von Militärschiffen begleitet. Ihr seid nur zu dritt und habt keine Chance gegen die Übermacht.« Crea durchschaute ihn aufs neue. »Sie lügen, Art Hooker«, warf er ihm unverhohlen vor. »Ihr Schiff wurde ausgeschickt, um nähere Informationen über das unbekannte System einzuholen, nicht wahr? Doch aufgrund der massiven Magnetfeldstörungen sahen Sie sich bisher außerstande, Terra von Ihrem bedeutsamen Fund zu berichten. Uns erging es ähnlich. Wir wollten abwarten, bis der Funkverkehr wieder möglich war. Plötzlich wurden wir von dem Schattenraumer angegriffen – vermutlich ebenfalls ein Aufklärer. Hoffentlich haben wir ihn vollständig vernichtet, mitsamt seiner blutgierigen Besatzung. Wenn auch nur ein verdammter Grako überlebt hat, und es gelingt ihm, Hilfe herbeizufunken, verläßt keiner von uns dieses System lebend.« »Das Tofirit gehört Terra«, hielt Art hartnäckig an seinem Bluff fest. »Es gehört dem, der es zuerst entdeckt hat«, entgegnete Crea unbeeindruckt. »Wir werden Krieg führen gegen jeden, der uns unser Recht streitig macht.« Krieg – dieses häßliche Wort jagte Jane eine Gänsehaut über den Rücken. Ihr Mann war offenbar alles andere als ein Diplomat. Warum versuchte er nicht, sich friedlich mit dem Tel zu einigen? »Können die Tel beweisen, daß sie vor uns auf das Tofiritvorkommen gestoßen sind?« ließ Art nicht locker. »Wie habt ihr es überhaupt entdeckt?« »Wir befanden uns in der Nähe auf einem Patrouillenflug«, antwortete Crea Noont, »als wir überraschend Hyperfunksignale auffingen.«
Als hätte ich es nicht geahnt! dachte Art Hooker und stieß einen leisen Seufzer aus. Die Suchsonden können nicht nur von Terra aus angepeilt werden. Wer weiß, wie viele von den Dingern die Grakos bereits entdeckt und abgeschossen haben. Er hielt den Plan, auf diese Weise nach Spuren der Schatten zu suchen, ohnehin für reine Zeitverschwendung. »Die aufgefangenen Hyperfunksignale haben wir Terraner ausgesendet«, machte er dem Tel unmißverständlich klar. »Also sind wir die Erstentdecker.« »Aber die Tel werden als erste mit dem Abbau und der Verwertung beginnen«, sagte Crea. »Sobald wir die Steuerung eures scheibenförmigen Raumschiffs ergründet haben, machen wir uns auf die Suche nach dem Wrack der Schatten, um es total zu vernichten. Anschließend fliegen wir alle nach Telin – mit euch als unseren Gästen.« Welcher kranke Wirrkopf hat eigentlich als erster damit angefangen, Geiseln und Gefangene beschönigend als Gäste zu bezeichnen? fragte sich Art, der diese verlogene Formulierung schlichtweg zum Kotzen fand. Sieben Sieben Sieben H stand am nächsten bei Crea. Art sprach den Roboter an und nannte das Kodewort »Kosmos«. »Was soll das?« fragte der Tel mißtrauisch. »Für wen ist dieser Zahlen-Buchstaben-Kode bestimmt? Ich warne Sie, Hooker! Versuchen Sie nicht, mich auszutricksen, sonst machte ich kurzen Prozeß mit Ihnen! Aus und Schluß, klar?« »Schluß?« vernahm er hinter sich eine metallene Stimme. »Es ist erst Schluß, wenn die dicke Frau gesungen hat. So wie in der Oper.« Zwei Robotfangarme hielten ihn fest. Art eilte hinzu und entwaffnete den überraschten Tel, der die Kegel für technische Installationen gehalten hatte. »Das mit der Oper war selbstverständlich nur ein Scherz von mir, zur Auflockerung der angespannten Situation. Danke fürs Zuhören.« »Du sollst den Mann gefangennehmen, Sieben Sieben Sieben H, nicht totquatschen«, ermahnte Art den Roboter.
»Halt ihn fest, bis ich dir Befehl gebe, ihn loszulassen.« Auch Jane blieb nicht untätig. Sie betätigte den Schalter zur hermetischen Abriegelung der Zentrale. Anschließend ließ sie das Betäubungsgas ausströmen. Da es sich um ein schnellwirkendes Gas handelte, konnte bereits eineinhalb Minuten später die Entlüftung eingeleitet werden. Jane schickte Sechs Neun Sechs U in den Maschinenraum, um den bewußtlosen Tel aufzusammeln und in die Zentrale zu bringen. Zwo Vier Acht G befahl sie, sich nach oben zu begeben. »Geh lieber mit«, riet Art ihr. »Der bringt's fertig und hört in unseren Privaträumen stundenlang Musik, anstatt seine Aufgabe zu erledigen.« Obwohl Jane es für überflüssig hielt, den Roboter zu begleiten, befolgte sie den Rat ihres Mannes. Per AGravschacht schwebten sie und ihr metallener Beschützer aufs obere Deck. Dort erlebte Jane eine Überraschung. Las Rrent, der Tel mit dem verzaubernden Lächeln, war putzmunter. Wieso hatte ihn das Gas nicht betäubt? Diesmal lächelte Las nicht. Er richtete seinen Blaster auf sie und machte eine energische Kopfbewegung zum Roboter hin. Jane gab Zwo Vier Acht G den Befehl, stehenzubleiben. * Im Asteroidenstützpunkt des Krant-Systems erhielt Pakk Raff über Hyperfunk die Meldung, ein besonders kampfkräftiges Raumschiff sei unterwegs und müsse unverzüglich geschreddert werden. Priff Dozz glaubte, ihn warnen zu müssen. »Es ist zu gefährlich, Pakk! Sieh dir die Daten an! Das Ringschiff ist in der Lage, sich mit einem von der Ausdehnung her begrenzten künstlichen Weltraum zu umgeben, in dem vermutlich völlig andere Naturgesetze gelten als die, die wir kennen! Seine Bewaffnung ist ungeheuer stark!
Pakk, lies doch den Bericht! Dieses fremde Schiff hat innerhalb kürzester Zeit mehrere unserer Raumer vernichtet, ohne sich dabei groß anstrengen zu müssen! Wenn wir zulassen, daß es hierherkommt, kann das zu einer Katastrophe führen!« »Ist das alles, Priff?« erkundigte sich der Rudelführer kalt. »Ich habe den mitgefunkten Bericht gelesen! Um so wichtiger ist es, dieses ungemein gefährliche Schiff sofort zu zerlegen! Dem Schredderfeld kann es auch mit seinem künstlichen MiniWeltraum nichts entgegensetzen!« »Da wäre ich mir nicht so sicher«, murmelte Priff Dozz. »Was wissen wir denn schon darüber? Nur das, was uns akustisch und schriftlich übermittelt wurde, und das ist nicht gerade viel! Pakk, lenke es sofort in die Sonne! Niemand weiß, über welche technischen Möglichkeiten es noch verfügt, die bisher nicht erkannt wurden! Wir wissen ja nicht einmal, woher es stammt!« »Eben deshalb werde ich es nicht in die Sonne lenken. Es wird zerlegt. Dann erfahren wir mehr über die Technik, und das bietet uns sicher ganz neue Chancen! Wenn wir das Prinzip der Waffen und auch des Mini-Weltraums studieren und nachbauen, können wir der ganzen Galaxis unsere Bedingungen diktieren! Man wird uns hofieren und anbeten, nur um uns diese Technik abkaufen zu können, und wir werden sie uns sehr teuer bezahlen lassen!« Speichel troff zwischen seinen Lefzen hervor und benetzte den Boden, als er seinem Berater warnend das kräftige Gebiß zeigte. Diesmal war er nicht gewillt, Priff Dozz' Rat anzunehmen. Pakk Raff war der Befehlshaber dieser Verwertungsstation, und er sah die einmalige Chance, Macht, Einfluß und Reichtum mit einem Schlag unendlich zu vergrößern. Dieses fremde Raumschiff bot ihm die Möglichkeit dazu. Priff Dozz wußte, wann es Zeit war, zu schweigen und sich zurückzuziehen. Leise knurrend verließ er den Raum. »Und es ist doch ein Fehler«, murmelte er leise, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. »Narr, der du bist, Raff...«
Nur durfte der niemals hören, wie Priff Dozz über ihn dachte, sonst wäre Dozz seines Lebens nicht mehr sicher. Pakk Raff hatte ihn gefördert und zu dem gemacht, was er jetzt war, aber er konnte Dozz ebenso schnell wieder vernichten, wie er ihn aufgebaut hatte. Er brauchte ihm bloß die Kehle durchzubeißen... Dozz schlich mißmutig durch die Korridore der Asteroidenstation. Das Krant-System besaß keine Planeten, sondern nur einen mächtigen Asteroidengürtel. Auf einigen dicht beieinanderliegenden größeren Asteroiden, die mit Fesselfeldern stabilisiert worden waren, hatten die Nomaden einen großen Stützpunkt errichtet. Das Zentrum bildete ein von Kraftwerken auf allen diesen Verbundasteroiden gespeistes Schredderfeld, ein glutrot leuchtendes, kugelförmiges Energiegebilde von etwa 1 km* Durchmesser. In diesem besonders strukturierten Feld zerlegten die Nomaden eroberte Raumschiffe in ihre einzelnen Bestandteile. Kein Schiff konnte dem Schredderfeld entkommen, und die Nomaden interessierten sich dabei auch nicht besonders dafür, ob sich während des Zerlegungsprozesses noch lebende Besatzungsangehörige in den Raumern befanden. Die hatten schon beim Übergang vom Wurmloch zum Schredderfeld Pech. Zwischen den Asteroiden trieben etliche Raumschiffswracks, die noch auf ihre Zerlegung warteten, denn die Nomaden verwerteten nicht nur eroberte beziehungsweise gestohlene Raumschiffe, sie waren auch die Schrotthändler der Galaxis Drakhon. Und Pakk Raff wollte sich nun mit dem Ringraumerschrott eine goldene Schnauze verdienen! Dieser Wahnsinnige! dachte Priff Dozz. Er wird uns alle in den Untergang stürzen! Wenn ihn die Gier packt, kennt er kein Maß... *
umgerechnet auf terranische Maßeinheiten
Raff war nicht nur der Kommandant dieser Schredderstation, sondern auch der oberste Rudelführer der Nomaden. Er war etwa 25 Standardjahre alt – nach der in Drakhon unbekannten terranischen Zeitrechnung entsprach das ungefähr 30 Erdenjahren – narbenbedeckt und selbst für einen Nomaden besonders stark und rücksichtslos. Er war machtbewußt und verschlagen, aber eigentlich sehr dumm. Nur seine Körper- und Kampfkraft hatte ihn zum obersten aller Nomaden gemacht, und das wußte er selbst nur zu gut, weshalb er sich seinen Berater Priff Dozz hielt. Raff verachtete Dozz ob dessen körperlicher Schwäche und haßte ihn wegen seiner Intelligenz. Aber er brauchte ihn, und deshalb behielt er seine Mordgedanken für sich. Pakk Raff beanspruchte gleich drei der schönsten Nomadenfrauen für sich; große, schlanke, muskulöse Schönheiten mit blitzend weißen Gebissen. Diese Frauen waren – obwohl in der Regel kleiner als die Männer – immer noch größer als Priff Dozz. Der mußte das voller Neid mit ansehen. Mehr blieb ihm nicht übrig. Pakk Raffs Berater war er heute längst schon nur noch wider Willen. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an. Dozz war jetzt nach terranischen Maßstäben Anfang 30, für einen Nomaden sehr klein, übergewichtig und schwächlich. Weil er vor jedem anderen Nomaden kuschte, stand er eigentlich in der Hierarchie ganz unten. Als Berater Pakk Raffs allerdings hatte er einen relativ hohen sozialen Stand und wurde von niemand anderem herausgefordert, weil alle Pakk Raff fürchteten. Priff Dozz hatte nur eine Frau, die noch kleiner war als er, im Gegensatz zu den üblichen Verhaltensmustern seines Volkes zu Hause aber das Sagen hatte – normalerweise wurden Frauen als persönlicher Besitz gesehen und von den Männern auch so gehalten. Aber Priff Dozz kuschte vor seiner Frau – lechzte jedoch heimlich nach jener von Pakk Raffs drei Frauen, die er für die schönste hielt. Dozz war hochintelligent und der eigentliche
Entscheidungsträger im Reich der Nomaden. Er wußte aber, daß er alle Entscheidungen Pakk Raff schmackhaft machen mußte, damit der sie als seine eigenen ausgeben konnte. Gegen Pakk Raffs Willen hatte Priff Dozz noch nie eine Anordnung getroffen, auch wenn es ihm aus besserer Einsicht heraus manchmal äußerst schwerfiel. Nebenbei war Dozz heimlicher Anführer einer Untergrundgruppe, die das Rudelsystem bei den Nomaden abschaffen und durch eine Art Demokratie ersetzen wollte, die schließlich zur Herrschaft der Schwächeren, aber Klügeren führen mußte. Allerdings waren diese Untergrundleute samt und sonders reine Theoretiker und Schwächlinge wie Priff Dozz und würden es mit ihrem konspirativen Debattierklub wohl niemals schaffen, die Gesellschaftsstruktur der Nomaden zu ändern und die Herrschaft der Starken abzuschaffen. Dieser Einsicht jedoch verschloß sich Dozz trotz all seiner Intelligenz. Die Nomaden waren ein Volk von Plünderern, die einige Planeten als Stützpunkte und Sklavenwelten erobert hatten, aber fast immer in ihren Raumschiffen lebten. Wenn sie sich nicht gerade auf einem Raubzug befanden, betätigten sie sich auch als Schrottverwerter. Ihre Ursprungswelt Karr war vor über 800 Erdenjahren von den Rahim vernichtet worden, schon lange vor der Großen Veränderung. Seitdem breiteten sie sich wie eine Seuche über Drakhon aus und wurden praktisch von allen Völkern gehaßt. Seit damals auch bezeichneten sie sich selbst nur noch als Nomaden. Ihr alter Name Karrorr war mit ihrer Heimatwelt untergegangen. Wer diesen Namen zu verwenden wagte, galt als Träumer und Weichling – Attribute, die in der Rudelgesellschaft der Nomaden tödlich sein konnten. Das Rudelprinzip dieses Volkes war einzigartig unter den bekannten zivilisierten Rassen. Wer eine Führungsposition einnehmen wollte, mußte sich nach oben »durchbeißen« – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn bei den Kämpfen untereinander waren Waffen tabu. Fast alle Nomaden hatten Narben von den Bissen aus solchen Rangordnungskämpfen. Ehemalige Führer, die wegen ihres Alters ihre Positionen nicht
mehr verteidigen konnten, wurden als Berater gebraucht, mußten sich aber dem neuen Führer bedingungslos unterordnen. Wenn ein Mann einen anderen tötete, war das legal, solange keine Waffen, Gifte oder andere »unehrlichen« Hilfsmittel im Spiel waren. Einen anderen totzubeißen war kein Verbrechen, sondern ein Verdienst. Allerdings durften solche Kämpfe nur vor Zeugen stattfinden, wenn sie legal sein sollten, denn wenn der unterlegene Gegner ein Signal der Aufgabe gab – was allerdings nicht immer vorkam, weil das als Zeichen von Schwäche galt – dann mußte der Kampf beendet werden. Priff Dozz hätte in einem solchen Kampf niemals auch nur den Hauch einer Chance gehabt. Daher mußte er, auch wenn es ihm nicht gefiel, Pakk Raff dankbar sein, daß dieser ihn zu seinem Berater gemacht hatte, statt diese Aufgabe einem der Alten zu übertragen. Wenn Raff doch wenigstens öfter auf ihn hören würde! Priff Dozz war sicher, daß Raffs Entscheidung, das Ringschiff tatsächlich zu schreddern, wie es in dem Hyperfunkspruch gefordert worden war, in einer Katastrophe münden würde. * Die POINT OF existierte noch! Dem Wurmloch, das sich jäh vor dem Ringraumer öffnete, hatte sie nicht mehr ausweichen können. Die Ortung hatte dieses stellare Phänomen zu spät erfaßt – zu spät sogar für die Gedankensteuerung, die es nicht mehr geschafft hatte, die Kontrolle zu übernehmen. Dan Riker, in Dharks Abwesenheit Kommandant der POINT OF, war fassungslos. Zum ersten Mal hatte die Gedankensteuerung versagt, ohne daß der Checkmaster sich komplett abgeschaltet hatte! So etwas war noch nie zuvor geschehen. Aber war nicht in Drakhon überhaupt alles anders als in der
heimatlichen Milchstraße? Die POINT OF jagte in das Wurmloch hinein – und wurde wie durch einen gigantischen Tunnel geschleust. »Raus hier!« entfuhr es Riker. Seine Hände spielten mit den Steuerschaltern des Kontrollpults und brachten sie in andere Positionen. Aber stets glitten sie von selbst wieder in ihre ursprüngliche Stellung zurück. Sternensog einzuschalten, den überlichtschnellen Antrieb des Ringraumers, der einzig wirklich wirksam war, um sich in Drakhon rasch genug von Stern zu Stern zu bewegen, war unmöglich! Eine Transition, deren Reichweite in dieser Galaxis auf nur wenige Lichttage begrenzt war, ließ sich ebensowenig einleiten. »Verstehe ich nicht!« knurrte Riker wütend. »Wenn nichts geht, warum sind dann die Steuerschalter nicht blockiert?« Hen Falluta, der Erste Offizier des Ringraumers, zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann der Checkmaster uns ja an seinen kryptischen Weisheiten teilhaben lassen...« Er verließ seinen Ko-Sitz und ging zum Bordgehirn der POINT OF hinüber, das unten wie auch auf der die Zentrale umlaufenden Galerie je ein Zugriffsterminal besaß. Den dort diensttuenden Offizier bat er, beiseite zu treten und gab selbst eine Kombination von Fragen ein. Kopfschüttelnd und ungeduldig verfolgte Riker die Aktion. Er fragte sich, warum Falluta sich nicht direkt an die Gedankensteuerung wandte. Aber nach all den Jahren, die der Mann nun schon Dienst auf dem Flaggschiff der Terranischen Flotte tat, schien ihm diese halbtelepathische Verständigungsmöglichkeit immer noch etwas unheimlich zu sein. Dhark und Riker dagegen hatten sich damals sehr schnell daran gewöhnt... Dan beschloß, das Verfahren abzukürzen, und wandte sich selbst sofort an die Gedankensteuerung. Es besteht keine Gefahr für das Schiff und seine Besatzung,
machte die lautlose Stimme sich prompt in seinem Kopf bemerkbar. Augenblicke später kam Falluta vom Checkmaster zurück. »Der behauptet, es bestehe keine Gefahr...« Trotzdem wollte Riker die POINT OF keinen Spielball fremder Mächte bleiben lassen. Er suchte nach einer Möglichkeit, aus diesem Wurmloch auszubrechen, das sie mit einer ungeheuren, aber nicht meßbaren Geschwindigkeit vom Shir-System fortzerrte. Es mußte doch einen Weg geben, aus diesem Tunnel, der aus einer Art Raum-Zeitverzerrung bestand, auszubrechen! »Modulatives Hy-Kon-Verfahren...?« überlegte er und versuchte sich an die Schaltung zu erinnern, die Ren ihm damals beigebracht hatte. Das Hy-Kon war die wohl stärkste Waffe, die von den Mysterious jemals entwickelt worden war. Erfaßte Objekte wurden in den Hyperraum geschleudert. Ob sie dabei zerstört wurden oder für alle Zeiten im fünfdimensionalen Raum verblieben, weil ihrer durch Fremdeinwirkung erzwungenen »Transition« kein Rematerialisierungskode mitgegeben wurde, war ungeklärt. Aber es gab die Möglichkeit, mit dem »modulativen« Verfahren den Ringraumer selbst aus seinem Raum-ZeitGefüge zu reißen und in ein anderes Universum zu versetzen. Die POINT OF wurde dabei nicht zerstört, und sie bekam auch die Möglichkeit, erneut zu wechseln, nur war Riker nicht hundertprozentig klar, wie er mit diesem radikalen Verfahren ein ganz bestimmtes Universum erreichen sollte. Konnte ihm der Checkmaster dabei helfen? Nein! Der hatte sich bisher noch in jedem anderen Kontinuum abgeschaltet, war dort offenbar nicht funktionsfähig. Das war sogar logisch, wenn man den Angaben der Salter Glauben schenken durfte, die behauptet hatten, der Checkmaster sei im Hyperraum stationiert und könne nur deshalb über eine so gigantische Rechnerkapazität verfügen, aber zugleich war sein Handikap, daß der
Hyperfunktransmitter, der sich angeblich hinter der Checkmaster-Konsole verbarg, aus anderen Universen heraus keinen Kontakt mehr zum Checkmaster herstellen konnte. Wenn die Angaben der Salter stimmten... Aber die hatten doch schon gelogen, als sie behaupteten, mit den Mysterious identisch zu sein. Mußte dann nicht auch ihre technische Erklärung eine Lüge sein, damals unterstützt von den immensen Parakräften der Shirs? Ich versuch's! dachte Riker und führte die Kombinationsschaltung durch – wollte sie durchführen. Aber diesmal ließen die Steuerschalter sich nicht bewegen! Diesmal waren sie blockiert! Der Einsatz des modulativen Hy-Kon-Verfahrens innerhalb dieses Raum-Zeitphänomens zerstört das Schiff! warnte die Gedankensteuerung. Riker riß die Finger zurück und rief in die Sprechrillen der Bordverständigung: »Waffensteuerungen! Feuer auf die Tunnelwandung des Wurmlochs! Mix-3 einsetzen!« Im nächsten Moment strahlte der Ringraumer aus allen Antennen Mix-3 ab! Ein irrlichterndes Farbenspiel entstand. Aber die Kampfstrahlen der POINT OF erreichten die »Wände« des Wurmlochs nicht. Sie verblaßten, lange bevor sie den Übergangsbereich zum Normalraum erreichten. So, als wäre ihre Reichweite zu gering, als verlören sich die Randzonen des Wurmlochs in der Unendlichkeit. »Grappa...« Tino Grappa, der junge Mailänder, dem man nachsagte, mit seinen Ortungen »verheiratet« zu sein, konnte nichts melden. Seine Instrumente zeigten keine brauchbaren Werte an. Innerhalb des Wurmlochs spielten alle Ortungen verrückt. Falluta hatte sich wieder auf seinem Ko-Sitz eingefunden. »Riker«, sagte er leise. »Mit unseren Intervallfeldern können wir doch feste Materie durchdringen. Könnten wir nicht auch aus diesem Wurmloch hinausfliegen, diese diffuse Randsphäre durchdringen?«
Dan betrachtete nachdenklich die Wiedergabe in der 2,68 Meter durchmessende Bildkugel, die über dem drei Meter langen Instrumentenpult schwebte. Sie zeigte den endlos langen Schlauch des Wurmloch-Tunnels, in dessen Mitte der Ringraumer einem unbekannten Ziel entgegenraste. Wo genau sich die Ränder befanden, war nicht klar erkennbar; der Abstand zur POINT OF wechselte in jeder Richtung ständig und in keinem berechenbaren Rhythmus. »Versuchen Sie's«, schlug Riker vor. Falluta runzelte die Stirn. Als er sah, daß Riker sich zurücklehnte, übernahm er die Steuerung. Die Flächenprojektoren im inneren Ringbereich, die den Brennkreis des Sub-Licht-Effekts oder den Brennpunkt des Sternensogs erzeugten, wurden teilweise umgeschaltet. Die POINT OF schwang herum. Kurzzeitig kam Andruck durch, als Falluta die POINT OF fast quer zur Flugrichtung mit Maximalwerten beschleunigte. Blitzschnell verengte sich der Brennkreis, um fast zum Punkt zu verschmelzen. Das Schiff raste auf die Wandung des Wurmloch-Tunnels zu. Aus der Bordverständigung brüllte Miles Congollon, der Chief, noch lauter als die 23 M-Konverter und das Triebwerk im Maschinenraum: »Riker, wollen Sie das Schiff auseinanderfliegen lassen?« »Nicht Riker, ich«, rief Falluta zurück, der nur kurz von den Steuerschaltern zurückgezuckt war, jetzt aber das Risiko einging, noch mehr Energie auf die Flächenprojektoren zu schalten. Congollon tobte. Was er an Flüchen und Beschimpfungen von sich gab, hätte auf jedem anderen Schiff der TF ausgereicht, ihn sofort vom Dienst zu suspendieren und unter Arrest zu stellen. In der POINT OF jedoch herrschte ein anderer Umgangston – rauh, aber herzlich. Falluta schaltete ab. Unwillkürlich nickte Dan Riker. Er hatte dem sonst eher ruhigen und zurückhaltenden Eins-O ein solches Verhalten
überhaupt nicht zugetraut. Falluta scherte sich den Teufel um Congollons Proteste, ging das Risiko ein, die POINT OF überzubelasten! »Sternensog«, stieß Falluta hervor und schaltete um. Die Geräuschkulisse im Schiff veränderte sich nicht, aber die Anzeigen der Instrumente verrieten, daß die POINT OF in diesem Moment auf überlichtschnellen Querflug gegangen war. Bloß veränderte sich in der Bildkugel nichts! Trotz aller Anstrengungen jagte der Ringraumer weiter durch das Wurmloch, ohne den Randbereichen näher zu kommen! »Distanz, Grappa?« wollte Riker trotzdem wissen. »Nach wie vor nicht eindeutig zu erfassen! Grenzen verfließen. Sieht so aus, als kämen wir nicht 'raus!« Der nächste Protest kam aus der Astroabteilung. Kontinuumsexperte H. C. Vandekamp fauchte Riker an: »Was zum Teufel machen Sie da? Sie bringen unsere kompletten Testreihen durcheinander! Wie sollen wir vernünftige Daten vom Wurmloch aufnehmen, wenn Sie mit Ihren verdammten Triebwerksemissionen und dem Herumgeballere ständig dazwischenpfuschen?« Der Monitor zeigte, wie hinter ihm die Astrophysiker Pal Hertog und Hu Dao By gestikulierten und wild aufeinander einredeten. Im gleichen Moment schaltete Falluta den Antrieb wieder ab. »Zufrieden, Vandekamp?« rief er in die Sprechrillen der Bordverständigung. »Oh«, kam es zurück. Falluta schaltete auch die Verbindung zur Astrophysik ab. Er ließ sich an die Lehne seines Sitzes zurückfallen und sah Riker an. »Das war's... keinen Millimeter haben wir geschafft...« Und ohne eigenen Antrieb jagte die POINT OF weiter durch das Wurmloch einem unbekannten Ziel entgegen!
Auszubrechen war sinnlos. Wohin wurden sie gebracht? Wie weit waren sie schon von Salteria entfernt? Ein Lichtjahr? Tausend Lichtjahre? Eine Million oder noch weiter? Niemand konnte sagen, wie schnell der Transport innerhalb eines Wurmlochs vonstatten ging und über welche Distanzen sich diese bizarren RaumZeitphänomene erstrecken konnten. Der Traum von SFAutoren des vergangenen Jahrhunderts zeigte sich hier verwirklicht; der Flug durch eine »Abkürzung« durch eine künstlich erzeugte Krümmung des Raumes. War das nicht eine logische technische Entwicklung, wenn Transitionen in Drakhon nur über relativ kurze Distanzen möglich waren? Mit Sprüngen durch den Hyperraum mußte ein Schiff doch wochenlang unterwegs sein, um das nächste Sonnensystem zu erreichen, weil zwischen den Transitionen immer wieder Pausen eingelegt werden mußten, um die Triebwerke nicht zu überlasten. Zudem war in diesem Fall der Energieverbrauch viel zu hoch. Der Sternensog der POINT OF, mit dem sie im Schutz der Transitionsbremse Intervallfeld überlichtschnell flog, ohne dabei das Raum-Zeit-Gefüge zu verlassen, schien in Drakhon unbekannt zu sein. Niemand schien diesen technischen Trick der Mysterious nachvollzogen zu haben, so wie er auch in der heimatlichen Milchstraße ein Monopol der Geheimnisvollen geblieben war. Also hatten sich die Raumfahrer Drakhons etwas anderes einfallen lassen müssen... »Zeit?« fragte Riker leise. »Zehn Minuten etwa... Moment, und elf Sekunden...« So genau hatte Dan es gar nicht wissen wollen. Und im nächsten Moment war alles anders! Von einer Sekunde zur anderen spie das Wurmloch sie aus! Aber nicht in den leeren Raum! Sondern in... »Verdammt, was ist das?« kam Grappas Schrei über die Bordverständigung. »Zentrale, ausweichen, sofort
Nottransition...« Dazu kam es nicht mehr, wie auch Grappa nicht mehr dazu kam, Ortungsdaten zum Kontrollpult im Leitstand zu überspielen. Nicht einmal die Gedankensteuerung war schnell genug! Die POINT OF brüllte auf! Im Maschinenraum wurden 23 M-Konverter superpromptkritisch, als die Andruckabsorber sämtliche verfügbare Energie anforderten! Im Schiff gingen die Lichter aus! Die Bildkugel erlosch! Die Anzeigen der Instrumente ebenfalls. Dafür kam Andruck durch, der trotz maximaler Energieanforderung der Absorber nicht mehr vollständig ausgeglichen werden konnte! Riker und Falluta flogen aus ihren Sitzen. Ein Offizier wurde über das Geländer der Galerie geschleudert. Sein gellender Aufschrei erstarb, als er dumpf auf den Unitallboden prallte. War die POINT OF gegen eine massive Wand geflogen? Aber die Intervalle... Standen die noch? Da war der Andruckschock vorbei. Die 23 Konverter wurden in ihrer Leistung wieder heruntergeschaltet, ehe sie in einer ungesteuerten Reaktion implodieren konnten. Elektrik und Elektronik funktionierten wieder. Das Licht kam wieder. Die Intervallfelder standen noch! Aber die Belastungsanzeige wies 20 % aus! »Medo!« rief Riker in die Bordverständigung. »Notfall in der Zentrale! Schwere Sturzverletzung!« »Da auch?« keuchte Doc Hanfstik. »Alles der Reihe nach...« Falluta und zwei andere Besatzungsmitglieder eilten zu dem von der Galerie gestürzten Offizier, um Erste Hilfe zu leisten. Riker rief die Daten ab. Die POINT OF war mit noch arbeitendem Sternensog überlichtschnell aus dem Wurmloch gekommen und innerhalb
von nicht ganz drei Sekunden zum Stillstand abgebremst worden! Aber was hatte sie so radikal gestoppt, daß sie alle an Bord zur Tapete geworden wären, wenn sie sich nicht in der POINT OF mit ihrer Supertechnik befunden hätten, sondern in einem Kugelraumer der Giants oder auch in einem Nogk-Schiff? »Grappa...« »Ich arbeite dran!« rief der junge Mailänder. »Aber hexen kann ich nicht!« Die Bildkugel, die wieder über dem Kontrollpult schwebte, zeigte glühendes Rot. Wo befand sich die POINT OF? War sie in ein anderes Kontinuum geschleudert worden? Nein. Der Checkmaster arbeitete noch. In einem anderen Raum-Zeit-Gefüge hätte er seine Tätigkeit wie immer eingestellt. Aber wohin hatte es sie nun verschlagen? * Pakk Raff beorderte Priff Dozz zu sich. Es dauerte etwas, bis sein Berater wieder bei ihm auftauchte. Entsprechend ungehalten war der oberste Rudelführer. Er deutete auf den großen Bildschirm. »Hast du dafür eine Erklärung, Priff?« Dozz starrte das ringförmige Raumschiff an. Fast andächtig, wie es dem Rudelführer schien. »Nach so endlos langer Zeit...«, murmelte Dozz schließlich. »Was soll das heißen?« knurrte Raff, dem der Speichel wieder aus der Hundeschnauze troff. »Vor vielen Generationen sollen solche Schiffe durch unsere Galaxis geflogen sein, aber dann nie wieder... und jetzt sehen wir einen solchen Raumer vor uns! Ich wußte nicht, daß es eines dieser Schiffe ist, das uns als so gefährlich angekündigt wurde, aber«, und er drehte sich zu Pakk Raff herum und fuhr fort: »Hör auf mich, Pakk! Es war ein Fehler,
das Schiff hierherzuholen! Es ist zu gefährlich! Es wird uns...« »Was wird es uns?« »Es wird unser Untergang«, sagte Dozz und fühlte sich plötzlich unendlich müde, weil ihm klargeworden war, daß Pakk Raff in diesem Fall nicht auf seinen Berater hören würde. »Unsinn!« bellte Raff. »Aber ich erwarte eine Erklärung dafür, daß das Schredderfeld diesen Raumer nicht bereits in seine Bestandteile zerlegt!« »Diese Erklärung kann ich dir nicht liefern«, seufzte Priff Dozz. »Aber sieh doch – dieses eigenartige Flimmern um das Schiff! Was könnte das sein...?« Seine Stimme war zum Selbstgespräch abgesunken. Er trat an die Bildschirmsteuerung heran, schob einen anderen Nomaden beiseite und manipulierte die Einstellungen. Die Bildwiedergabe veränderte sich. Sie zeigte das Schredderfeld jetzt in einer anderen Farbaufschlüsselung, die auch den Ringraumer verändert darstellte. Dozz rief das Verlaufsprotokoll ab. Demnach war das Ringschiff direkt aus dem Wurmloch in das Schredderfeld gejagt und abgestoppt worden – wie es sein mußte. Aber im Moment des Übertritts waren energetische Emissionen angemessen worden, die auf einen unbekannten Antrieb hinwiesen. Die Zeitspanne war zu kurz, um die Emissionen analysieren zu können. Aber sie lagen im Hyperbereich. Ein Überlichtantrieb des Raumers hatte gearbeitet, wahrscheinlich schon im Wurmloch. Was es für ein Antrieb war, auf welchem Prinzip er beruhte, das war nicht zu erfassen. Auf keinen Fall war es ein Transitionstriebwerk. Aber es ähnelte auch in nichts den Wurmlochgeneratoren, mit denen sich die Völker Drakhons behalfen, seit die Transitionstriebwerke nur noch winzige Hopser ermöglichten. Und da war noch etwas. »Siehst du es jetzt, Pakk?« fragte Dozz, dessen Wissen nicht ausreichte, das Flirren um das Ringschiff zu analysieren. Zwei ineinanderragende Kugeln, jede für sich etwa 16- oder 17mal so groß wie der Ringdurchmesser des Raumers – und in dem
ellipsoiden Bereich, in welchem diese Kugeln sich überschnitten, befand sich das Ringschiff. »Schutzschirme?« fragte Pakk Raff. »Aber die müßten längst erloschen sein! Das Feld saugt Energie als erstes ab, um unnötige explosive Reaktionen beim Schreddern zu vermeiden...« Eben, dachte Dozz. »Es muß etwas anderes sein. Könnte es sein, daß das Raumschiff sich nach wie vor in seinem eigenen Miniaturuniversum befindet?« »Wie soll das möglich sein?« knurrte Raff. Dozz legte die Ohren an. »Das müßten die Physiker beantworten können. Wir sollten sie fragen.« »Aber schnell!« knurrte Raff. »Ich will sofort wissen, warum der Schreddervorgang diesmal nicht stattfindet!« Weil es eines jener Schiffe ist, dachte Dozz fast verzweifelt. Warum bei den Sternengöttern hatte Pakk Raff nicht auf seinen Berater gehört und hörte auch jetzt noch nicht auf ihn? Wenn es nach Dozz ginge, würde er das Ringschiff sofort aus dem Schredderfeld stoßen und in die Sonne Krant schleudern lassen. Aber Raffs Gier stand der Vernunft im Wege. Und sie würde eine Katastrophe auslösen. Priff Dozz hatte panische Furcht vor den technischen Möglichkeiten dieses Raumers, der sogar dem Schredderfeld widerstand! * Im Ortungsraum der POINT OF arbeiteten Tino Grappa und sein Assistent Yell fieberhaft daran, Informationen über ihre Umgebung zu erhalten. Aber die Scans zeigten nur ein rotes Glühen, das sich nicht analysieren ließ, bis Yell auf die Idee kam, Bifer einzusetzen. Grappa schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Los, Yell, machen sie schon! Vielleicht klappt das ja...« Wer dachte schon an die »neue« Technik der POINT OF, die erst seit kurzem bekannt war? Durch die Mentcaps, die Ren
Dhark aus Erron-3, dem Galaktischen Archiv der Mysterious, mitgebracht hatte, waren diese technischen Möglichkeiten des Ringraumers zwar bekannt, aber einfach noch viel zu ungewohnt, und außer ein paar Menschen um Dhark herum wußte niemand etwas über die Existenz von Erron-3, das im blaßblauen Universum verankert war! Dhark hatte es geheimgehalten, und allen in der POINT OF bis auf eine kleine Gruppe von Vertrauten, zu denen auch Dan Riker und Arc Doorn gehörten, die Erinnerung an das Archiv genommen. Ein Archiv, das ohnehin nie mehr betreten werden konnte, weil nach dem weißen Hyperraumblitz, der die Galaxis durchrast hatte, sämtliche nicht durch Intervallfelder geschützte M-Technik ein für allemal ausgefallen war. Und der einzige Zugang zum blaßblauen Universum und damit zu Erron-3 war der Materiesender auf Planet 1 im Zwitt-System in der Sternenbrücke. Doch in der Sternenbrücke war nichts durch Intervallfelder geschützt gewesen, als der Blitz kam. Und nichts hatte rasch genug reagieren können, weil es einen Checkmaster nur in der POINT OF gab und in keiner anderen technischen Einrichtung der Mysterious. Nur ein Checkmaster hätte schnell genug die Intervallfelder hochfahren können... Nichts dergleichen war geschehen.* Erron-3 war für immer verloren. Aber nicht das Wissen um vorher unbekannte technische Möglichkeiten der POINT OF, nur konnte niemand ahnen, ob es da nicht noch viel mehr gab, an das nicht einmal Ren Dhark in Erron-3 hatte denken können, um entsprechende Mentcaps anzufordern, die das nötige Wissen enthielten und es an die Menschen weitergeben konnten. In dieser Hinsicht hatten selbst die letzten Salter noch mit Überraschungen aufwarten können. Und jetzt setzte Yell Bifer ein. *
siehe REN DHARK-Sonderband 10: »Ex«
Dieses Ortungssystem der POINT OF durchdrang das glühende Rot. »Ach du Sch...ande«, stöhnte Yell auf, als er begriff, was die Instrumente ihm verrieten. »Grappa, können Sie mir verraten, aus wie vielen Einzelteilen ein Mensch besteht?« Der sah ihn aus großen Augen an. »Weshalb?« »Weil dieses verdammte Rot alles, was sich in seinem Wirkungsbereich befindet, zerlegt – einzelne Teile voneinander trennt!« »Aber doch kein Unitall, und das schützt uns! Dazu die Intervallfelder...« »Grappa, haben Sie vergessen, wie leicht ein RennSchneider verklebte Unitallsegmente voneinander löst?« erinnerte Yell. Düster fuhr er fort: »Wenn es stimmt, was der Commander vermutet, daß Drakhon so etwas wie die Fluchtburg der Mysterious ist, müssen wir doch damit rechnen, mit M-Technik konfrontiert zu werden! Wir haben's doch schon in unserer Milchstraße erlebt, wo unsere Freunde, die Schwarzen Weißen, uns auf der Jagd nach M-Technik bittere Konkurrenz machen...« »Machten, Yell, nicht machen, weil es mit Sicherheit kaum noch funktionsfähige M-Technologie gibt«, korrigierte Grappa. »Können wir dieses Zerstörungsfeld mit Bifer analysieren?« »Auch mit Bifer nicht«, stöhnte Yell. »Dieses Feld, in dem wir uns befinden, hat eine völlig fremdartige Struktur, die mit nichts vergleichbar ist, was wir aus der Milchstraße kennen. Da«, und er wies auf einen Monitor, der endlose Datenketten wiedergab. Yell hatte sie abgerufen. »Jeder Vergleich negativ! So was kennen nicht mal die Mysterious...« »Die seit tausend Jahren verschollen sind!« konterte Grappa. »Und wenn dieses Feld auch ihnen fremd ist, kann es keine MTechnologie sein. Also sind wir sicher...« Er unterbrach sich. »Oh, verdammt...« Die beiden Intervallfelder! Nach wie vor lag ihre Belastung bei 20 Prozent. Aber – sie schrumpften...!
* Priff Dozz konnte aufatmen. Man hatte ihm erklärt, daß der Schreddervorgang bei diesem Ringschiff durchaus stattfand – stattfinden würde, nur viel langsamer als gewohnt. »Das unbekannte Schutzfeld, das den Raumer umgibt, verlangsamt den Prozeß, kann ihn aber nicht aufhalten. Das Schutzfeld wird in kurzer Zeit abgesaugt sein, worauf der Zerlegungsvorgang das Raumschiff erfaßt. Ungewöhnlich ist der Widerstand, den diese unbekannte Energieform unserem Schredderfeld leistet. Die dafür verantwortlichen Komponenten des Schiffes bedürfen einer eingehenden Untersuchung.« Dozz gab diese Information an Pakk Raff weiter. Der hechelte zufrieden und wollte lediglich wissen, wie lange es noch dauerte, bis das fremde Schutzfeld vollständig abgebaut war. Dozz rechnete es ihm anhand der Unterlagen vor, die der befragte Physiker ihm auf seinen Monitor überspielt hatte. Ob der Rudelführer diese Berechnung verstand, blieb offen. Ihn interessierte ohnehin nur das Ergebnis. Er war zufrieden. Priff Dozz war es nicht. Allein die Tatsache, daß eine solche Verlangsamung überhaupt stattfand, flößte ihm Furcht ein, und in einem unbeobachteten Moment ließ er seiner Frau die Aufforderung zukommen, sich zum schleunigen Verlassen der Asteroidenstation bereitzuhalten. Vielleicht würden sie vor dem Ringschiff fliehen müssen! Aber würde ihnen Pakk Raff in seiner Gier diese Möglichkeit lassen? Würde er nicht weiter an seiner Absicht festhalten, dieses gefährliche, überlegene Schiff auszuschlachten, obgleich es den Informationen zufolge schon bei einer Auseinandersetzung mit einer ganzen Flotte der Nomaden verheerend unter dieser gewütet hatte? Noch einmal versuchte er Pakk Raff seine Bedenken zu vermitteln. Aber der Rudelführer ignorierte die Warnung
erneut. »Du hast mir doch gerade selbst erklärt, daß der Auflösungsvorgang nur verlangsamt wird, aber dennoch stattfindet! Wir werden also nur etwas Geduld haben müssen!« Geduld, ja... wenn es nach Priff Dozz ging, konnte er auf den Tod gern noch lange warten. Aber mit Sicherheit ging es nicht nach ihm. * Die Lage in der POINT OF begann sich einigermaßen zu stabilisieren. Die Besatzungsmitglieder, die bei dem abrupten Bremsmanöver verletzt worden waren, wurden medizinisch versorgt. Die Nachricht, daß die Intervallfelder schrumpften, löste dagegen Bestürzung aus. »Was passiert, wenn der Schrumpfungsprozeß das Unitall der Schiffszelle erreicht?« fragte Leon Bebir, der Zweite Offizier, der eigentlich immer noch Freiwache hatte, aber trotzdem in die Zentrale gekommen war – eine Stunde früher, als es der Dienstplan zuließ. »Wird dann auch die POINT OF schrumpfen?« »Fragen Sie mich, wann Finanzminister Lamont die nächste Steuererhöhung für Terra ankündigt – das kann ich Ihnen sicher leichter beantworten«, gab Dan Riker mißmutig zurück. »Solange wir nicht wissen, was das für ein rotglühendes Feld ist, in dem wir uns befinden, können wir nur spekulieren. Grappa murmelte was von Zersetzen oder Zerlegen, aber...« »Das muß doch herauszufinden sein!« Was schneller herauszufinden war, teilte der Checkmaster auf Anfrage mit: wie lange es dauerte, bis das Intervallfeld von der fremden Energie restlos aufgelöst sein würde. »Verdammt, was ist das für eine Technik, die sogar mit der der Mysterious fertig wird?« stöhnte Hen Falluta. »Warum können wir die nicht erfassen?« Kontinuumsexperte H. C. Vandekamp und Astrophysiker
Hu Dao By tauchten in der Ortungszentrale auf. Vandekamp, der nicht zur ständigen Besatzung der POINT OF gehörte, wollte einen Vortrag halten, aber Hu stoppte ihn. »Verwirren Sie Grappa und Yell nicht! Sagen Sie einfach nur, was wir tun sollen, und ich übersetze das aus dem Fachchinesisch in eine Sprache, die jeder halbwegs vernünftige Mensch versteht...« Hu tat mehr. Er, der auch Mentcaps aus Erron-3 geschluckt hatte, ohne zu ahnen, woher sein umfassendes »neues« Wissen kam, komplimentierte Yell einfach aus dessen Sitz und schaltete die Hauptfunktionen zu sich herüber. »Grappa, können Sie Vandekamp und mir assistieren?« Yell fühlte sich nicht zurückgesetzt. Er wußte, daß Grappa besser und schneller war als er selbst und schaute zu. Hu fragte: »Mit welchem System haben Sie denn hier gerade gearbeitet?« »Mit Bifer...« »Kenne ich nicht«, gestand Hu. »Können Sie in Bifer folgende Filter und Trenngitter benutzen...?« Und er rasselte Begriffe der Mysterious herunter, mit denen die ihre speziellen Komponenten benannt hatten. »Moment... langsam, Mister Hu!« Der Koreaner ließ sich Zeit. Er spielte mit den Schaltungen, und Grappa unterstützte ihn. Vandekamp mischte sich immer wieder unterstützend ein. »So«, brummte Hu nach einer Weile. »Jetzt müßten wir ein klares Bild bekommen! Da...« Und wie klar das Bild war! Das Feld um sie herum war nicht mehr rot, sondern zeigte jetzt transparent alles, was sich außerhalb befand, nur in seiner inneren Struktur wollte es sich immer noch nicht analysieren lassen. Aber laut Vandekamp mußte es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Intervallum der Mysterious haben, allerdings in einer aggressiven Form. »Vergleichen Sie es mit einem Stück Stahl, Mister Riker«, schlug Vandekamp vor, als er versuchte, dem Kommandanten der POINT OF das Phänomen zu erklären. »Die Mysterious
haben daraus einen Pflug geschmiedet, diese Fremden dagegen ein Fallbeil...« Yell, der inzwischen seinen Platz wieder eingenommen hatte, verdrehte bei diesem Vergleich die Augen, sagte aber nichts. Hu Dao By grinste. »Schwerter zu Pflugscharen«, zitierte er eine alte Pazifistenforderung. Vandekamp sah ihn böse an. »An eine Ähnlichkeit mit dem Intervallum kann ich nicht glauben, Kollege Vandekamp«, behauptete der Koreaner. »Schauen Sie sich doch die Werte an, die wir gemessen haben. Das ist ein bislang einmaliges Phänomen und ein Sonderfall, bei dem ich nicht mal sicher bin, ob er in unserer Milchstraße Bestand haben könnte. Hier in Drakhon gelten offenbar andere Naturgesetze, die eine solche Energiesphäre ermöglichen, wie ja auch Transitionen nur begrenzt möglich sind...« »Sie sind kein Kontinuumsfachmann, sondern Astrophysiker, Kollege Hu«, unterbrach ihn Vandekamp. »Ich habe mich seit Jahren intensiv mit dem Intervallum befaßt und...« Dan Riker interessierte sich nicht mehr für den Expertenstreit. Für ihn war nur das Ergebnis der Analyse von Belang. Über die Gedankensteuerung hatte er die Bildkugel umgestellt. Sie zeigte das rote Feld jetzt transparent und jenseits seiner Grenzen eine Reihe von Asteroiden, die durch Fesselfelder miteinander verbunden waren. Auf diesen Asteroiden gab es Stationen, die Riker unwillkürlich an die Ast-Stationen im Sol-System erinnerten, die aber sichtlich andere Funktionen erfüllten. Im Zentrum befand sich das rote Feld, das seine Energie per drahtloser Übertragung von Kraftwerken auf allen Verbundasteroiden erhielt. Riker beugte sich leicht zu den Sprechrillen der Bordverständigung vor. »Waffensteuerungen! Können Sie die Feldgeneratoren auf den Asteroiden erfassen?« »Erfaßt!« meldete Bud Clifton aus der WS-West wieder mal einen Hauch schneller als sein Kollege Jean Rochard aus der
WS-Ost, dessen Bestätigung gleich darauf kam. »Beschießen Sie die Anlagen mit Nadelstrahl!« ordnete Riker an. Falluta schnappte hörbar nach Luft. »Haben Sie ein Problem, Hen?« fragte Riker. »Der Commander hätte...«, setzte Falluta an, aber Riker schnitt ihm das Wort ab. »Ich bin nicht der Commander, und ich sehe, daß wir angegriffen wurden und uns in einer kritischen Lage befinden. Ich werde den Teufel tun, die Rücksichtnahme zu übertreiben! Clifton, Rochard – Feuer!« Aus ihren 45 Strahlantennen, die über die ganze Schiffsfläche verteilt und in der Unitallzelle des Ringraumers dreh- und schwenkbar gelagert waren, um sie auf jedes Ziel exakt ausrichten zu können, gab die POINT OF Dauerfeuer auf die Asteroidenstationen! Die blaßroten, überlichtschnellen Energiefinger leuchteten auf. Mit einem verblüffenden Effekt! Die Nadelstrahlen waren lahme Schleicher. Normalerweise hyperschnell, erreichten sie jetzt nicht einmal einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit! »Das gibt's doch gar nicht!« keuchte Leon Bebir, der wie die anderen in der Bildkugel sah, wie unglaublich langsam die Nadelstrahlen sich durch das fremde Energiefeld bewegten. Offenbar wurden sie durch das Feld gehemmt! Der Checkmaster errechnete, daß die Strahlen sich nur mit rund 18 km/h durch die zähe Suppe aus fremdartiger Energie bewegten. Um den Rand der Sphäre zu erreichen, würden sie etwa 90 Sekunden brauchen. Rings um die nach allen Seiten abgeschossenen Nadelstrahlen bildeten sich Röhren in der intervallfeldzersetzenden roten Sphäre, innerhalb derer das Energiefeld keinen Einfluß mehr auf den Nadelstrahl hatte. 90 Sekunden... aber die wurden für die Menschen in der POINT OF zu einer kleinen Ewigkeit und mußten dem Gegner doch jede Menge Zeit für Gegenmaßnahmen lassen!
Wann schlugen die Nomaden zurück?
5. Die Höhle war feucht, kalt, zugig und ungemütlich, und Savina Greene verstand erneut Scholfs Beweggründe nicht, diesen unwirtlichen Ort als Treffpunkt ausgewählt zu haben, 500 m unterhalb des Gipfels des Indrapura auf der Insel Sumatra. Aber es lag wohl ein Sinn dahinter. Ein Sinn, den Scholf nicht zu offenbaren brauchte. Er wählte diese Art der dezentralisierten Treffs an meist sehr entlegenen Orten mit Bedacht, um von vornherein jede Möglichkeit auszuschließen, daß die Behörden Wind davon bekamen und die aktiven Zellen der letzten Robonen auf der Erde zerschlagen konnten. Jetzt sah er auf, als sie in die Höhle kam. Er blinzelte und betrachtete Savina Greene mehrere Sekunden lang aus seinen eigentümlich glitzernden Augen. Dann deutete er auf den für sie freigehaltenen Platz in der Runde. Weitere Begrüßungsformalitäten gab es keine. Scholf hielt sie für bloße Atemvergeudung und, bei der Natur ihrer Vereinigung, für bourgeoise Heuchelei. Würdig einzig den Terranern, die für ihn, den wahren Menschen, nur die Verdammten waren. Scholf eröffnete ohne Umschweife die Besprechung. Die Diskussion ihrer Situation, obwohl mit unterschiedlicher Leidenschaft geführt, erbrachte nichts Neues. Die Lage wurde immer schwieriger. Nach den umfangreichen Abwehrmaßnahmen, die die Erde nach dem Abzug der All-Hüter – die verfluchten Terraner sprachen vom Ende der Giant-Diktatur! – getroffen hatten, und der Errichtung des nogkschen Abwehrschirmes um die Erde war der Nachschub aus der Heimat zum Erliegen gekommen. Die Verbindung zu Allon Sawall war abgerissen.
Sie sahen sich auf sich alleine gestellt! Und das konnte noch Jahre so weitergehen... »Ich weiß, daß konträre Auffassungen existieren«, sagte Scholf eben, »aber im Gegensatz zu einigen von euch weiß ich auch, daß wir nicht stark genug sind, die streng bewachten Schutzfeldgeneratorstationen zu zerstören, um den NogkSchirm zu deaktivieren...« Der Nogk-Schirm, dachte Savina mit einem tiefsitzenden Gefühl von Zorn. Solange der aktiviert blieb, war die Gruppe um Scholf ganz allein auf sich gestellt, ohne auf Unterstützung durch das übrige Robonenvolk hoffen zu können, dessen momentaner Aufenthaltsort in der Galaxis auch ihnen unbekannt war. Durch die abschirmende Wirkung des nogkschen Schirmes war kein Kontakt zur neuen Heimatwelt herzustellen. Sie verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich statt dessen wieder auf die Diskussion. »... das Schutzfeld zu zerstören ist wegen der damit verbundenen Strahlengefahr auch gar nicht sinnvoll«, fuhr Scholf fort. »Was also unternehmen wir?« fragte Kolschinski; der derbknochige Robone stand der Sektion in Moskau vor. »Wir werden als Alternativplan unsere Aktivitäten in Asien noch mehr steigern.« Kolschinski machte eine vage Handbewegung. »Wie?« »Wir werden die nationalistisch-seperatistischen Bewegungen hier stärker als bisher fördern und manipulieren. Zwei Gründe sprechen dafür: Einmal die relative Wirtschaftskraft Asiens, und zweitens die weite Verbreitung des Islam, der genug religiöse Fanatiker hervorbringt, die sich für unsere Zwecke einspannen lassen sollten.« »Ich sehe, was Sie damit sagen wollen. Aber wie wollen wir das bewerkstelligen?« »Religion«, sagte Savina plötzlich. Der abrupte Themenwechsel verwirrte die anderen. Nur Scholf lächelte; er wußte, worauf Savina Greene
hinauswollte. Moboto aus der Region Kapstadt beugte sich vor und sagte mit nur schwach verhülltem Sarkasmus: »Die Religion, Savina, soll die Lösung unseres fundamentalen Problems sein? Meinen Sie, wir sollten zu Allah beten?« Zum ersten Mal trat ein leicht gereizter Ausdruck in Savina Greenes Gesicht. »Sie sind ein intelligenter Mann, Ngo, das weiß ich. Das wissen wir alle. Wir bringen Ihnen auch alle Respekt entgegen. Aber diese Bemerkung ist unserer Sache nicht würdig. Also seien Sie so freundlich und hören Sie mir bitte ernsthaft zu.« Ngo Moboto war beschämt. Er sagte nichts, nickte nur und akzeptierte den Tadel. »Also, die Religion ist die Lösung«, fuhr Savina fort. »Genauer gesagt, der Islam in all seinen Formen und Spielarten. Er ist nicht mit dem heute praktizierten Christentum, dem Judentum oder dem Buddhismus gleichzusetzen, da er sich in einem fundamentalen Punkt von diesen Religionen unterscheidet: Er verlangt von seinen Gläubigen absoluten Gehorsam, nicht nur im Hinblick auf die Lehre, sondern auch im Bezug auf die Bestimmungen, die jede Tages- und Nachtstunde der Gläubigen regeln. Der Islam ist eine aggressive, expansive und ununterbrochen expandierende Religion. Auch dadurch hebt er sich von den übrigen Weltreligionen ab... das Wort ›Islam‹ bedeutet ja auch ›Hingabe‹. Bislang stand seiner weltumspannenden Ausbreitung nur die Uneinigkeit zwischen den islamischen Staaten im Wege.« »Ansonsten wäre seine Macht unermeßlich«, sagte Scholf, als Savina schwieg. Moboto hob die Hand. »Ich könnte mir nichts Bedrohlicheres vorstellen. Was würde dann aus uns?« »Gewiß hat eine derartige Vorstellung etwas Bedrohliches – aber die Bedrohung kann kontrolliert werden.« »Von wem?« wollte Kolschinski wissen. »Von uns natürlich – von wem sonst? Sie haben nach einer
einfachen Lösung gefragt, und ich biete Ihnen diese...« Scholf schwieg einen Augenblick, dann legte er seinen Gefolgsleuten seinen Plan vor. Ein Plan, der auf lange Sicht eine Abspaltung des asiatischen Großraums von der Weltregierung vorsah, der dann als eigenständiger Staat von den Robonen mit ihm an der Spitze kontrolliert werden würde. »... wir wären dann der vergiftete Stachel im schwärenden Fleisch der Verdammten, an dem sie langsam aber sicher zugrunde gehen. Unsere Chance, dieses zu bewerkstelligen, war nie größer als im Augenblick, da die finanziell marode Weltregierung an vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen hat, um das Desaster, das Allahs weißer Blitz über sie gebracht hat, in den Griff zu bekommen.« »Dem steht aber einiges im Weg«, warf Moboto ein. »Vor allem der riesige Kredit, mit dem Wallis Industries der Weltregierung zur Konsolidierung der Probleme speziell im asiatischen Raum aus der finanziellen Klemme geholfen hat.« »Dieses Problem wird sich bald in Wohlgefallen auflösen«, versicherte Scholf. »Ich habe bereits unserer in Nordamerika operierenden Agenteneinheit den Befehl erteilt, Wallis zu ermorden. Nichts und niemand wird uns aufhalten. – Und nun gehen Sie. Ihre Instruktionen über das, was Sie zu tun haben, finden Sie wie immer in Ihren Suprasensoren.« Scholf stand auf und machte Savina Greene ein Handzeichen, zurückzubleiben. Er wartete, bis alle anderen die Höhle verlassen hatten, ehe er sie zu sich winkte. Zusammen gingen sie ins Freie. Von den anderen war schon nichts mehr zu sehen. In einiger Entfernung wartete Nui Chan auf einem Felsen sitzend darauf, Savina sicher wieder zu ihrem Jett zu bringen. »Wie weit ist die Sache in Singapur gediehen?« fragte Scholf. »Nguyen ist dabei, die Kandidaten zu präparieren, die in das Wrack der MEDUSA eindringen werden, um uns mit dem zu versorgen, was uns in die Lage versetzt, Wallis Industries ein für alle Mal vom Erdboden zu tilgen.«
»Gut«, sagte Scholf. »Ich erwarte Vollzug innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden. Geben Sie auf sich acht, Savina.« Er nickte ihr zu und entfernte sich dann quer zum Berg zwischen den Felsen. Savina sah ihm nicht nach, sondern machte sich an den Abstieg zu ihrem Jett. Zehn Minuten später hörte sie das Geräusch einer anderen Maschine, die sich schnell in nordöstlicher Richtung entfernte. * Er erwachte – und sofort griff die Angst nach Wu-Li wie die Pranke eines Raubtieres. Mühsam stützte er sich auf einen Ellbogen und begann unendlich erleichtert aufzuatmen, als er sich in der vertrauten Umgebung seines Apartments wiederfand. Also hatte er die fürchterlichen Dinge nur geträumt. Langsam nur klärte sich sein Geist; die Schimären der Nacht zogen sich zurück, lösten sich in Nichts auf. Benommen richtete er sich vom Bett auf, setzte die Füße auf den Boden und sah sich um, als müsse er sich jede Einzelheit genausten einprägen. Nichts hatte sich verändert. Tageslicht fiel durch die Spalten der Jalousien. Schmale Streifen von Licht und Schatten erstreckten sich über den Fußboden. Von draußen drang aus der Tiefe das Geräusch der Riesenmetropole Singapur mit ihrer überbordenden, hektischen Betriebsamkeit herauf. Ein unsicheres Lachen löste sich aus seiner Kehle. »Ein Traum«, murmelte er. »Nur ein Traum... aber was für einer!« Er atmete geräuschvoll ein und aus; wieder einmal war er den klauenbewehrten Monstern seiner Phantasie entronnen. Aus verquollenen Augen blickte Lao Wu-Li auf sein Chrono. Schon verdammt spät! Er würde sich wieder anstellen müssen im Health-Center.
Er griff nach der Schachtel auf dem Tischchen neben dem Bett und rauchte eine Zigarette. Seine Finger zitterten nervös, und das Gefühl einer unerklärlichen Angst in seinem Innern wurde stärker und stärker und drohte ihn zu lähmen. Er war ein qualifizierter Programmierer für Flugsicherungssysteme, und sein Leben war, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, bisher ziemlich komplikationslos verlaufen. Eine dieser Ausnahmen war jener Tag vor acht Wochen gewesen, an dem der 400-mKugelraumer MEDUSA auf den ehemals blühenden Vorort Tschoa Tschu Kang der Wirtschaftsmetropole Singapur stürzte und ihn in eine radioaktive Wüste verwandelte. Die Firma, in der Lao gearbeitet hatte, war beim Einschlag zerstört worden, und dabei starben sämtliche Mitarbeiter, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe an ihren Arbeitsplätzen aufgehalten hatten. Er selbst hatte in einem Keller überlebt, in den er und einige andere hatten rechtzeitig flüchten können. Seitdem war nichts mehr wie vorher. Aufgrund der fehlenden Rettungskräfte waren nur die schwer verseuchten Opfer dieser Absturzkatastrophe von den Hilfstrupps entseucht worden. Er hingegen mußte wie all die anderen nur leicht verstrahlten Bürger aus eigener Tasche dafür aufkommen, um sich von Privatfirmen wie dem Health-Center entseuchen zu lassen, die unmittelbar nach dem Desaster wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden geschossen waren. Seine Ersparnisse waren inzwischen aufgebraucht, und er lebte von dem, was die Regierung den noch lebenden Opfern an Unterstützung gewährte. Plötzlich schmeckte ihm die Zigarette nicht mehr. Er zerstampfte den Rest in der schreiend blauen Keramikschale, die ihm einmal ein Mädchen geschenkt hatte – als äußeres Zeichen ihrer Zuneigung. Wu-Li hatte es längst vergessen. Schließlich stand er auf und schlurfte mit unsicheren Schritten ins Bad. In seinem Magen schien ein harter Klumpen zu liegen, der ihm die Luft nahm. Er zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das kalte Wasser war wie ein Schock.
Trotzdem, erst als er zu frieren begann, drehte er ab und frottierte sich trocken. Dann wagte er einen Blick in den großen Spiegel. Er erschrak vor sich selbst. Ein hageres Gesicht mit Augen, die dunkel umrandet waren vor Schmerz und beginnender Hoffnungslosigkeit, mit einer Schürfwunde auf dem linken Backenknochen, die er sich bei einem Sturz, an den er sich nicht einmal mehr erinnern konnte, zugezogen hatte, sah ihn an. Sein Blick wanderte nach unten – und sein Herz begann zu hämmern. Kalter Schweiß brach aus seinen Poren, als er die harten Knoten entdeckte, die seinen Bauch bedeckten. Sie zeichneten sich deutlich unter der Haut ab. Und sie waren gestern noch nicht dagewesen! Seine Kehle wurde trocken. Hatte es ihn letztendlich doch erwischt? Er ging zur Toilette, hob den Deckel, entleerte seine Blase – und bekam den zweiten Schock an diesem Morgen: Er hatte Blut im Urin! Lao spürte, wie sein Verstand zu streiken begann. Er kannte die Symptome! Sie waren von der Gesundheitsbehörde nach dem Absturz der MEDUSA über alle Vipho- und Audiokanäle verbreitet worden. Die Zeichen waren eindeutig. Wieder glitten seine Hände über den Leib... Die Geschwülste waren noch da! Sein Körper glühte vor innerer Hitze, dennoch fröstelte er. Er war verstrahlt! Die Knoten im Bauchbereich waren die ersten sichtbaren Anzeichen beginnender Krebsgeschwüre. Lao spürte einen bitteren Geschmack im Mund, als er sich bewußt wurde, daß dies der Anfang vom Ende war. Wie lange würde es dauern, um zu sterben? Die quälenden Gedanken von sich abschüttelnd, erhob er sich etwas mühsam vom Bett und zog sich an. Als er in seine rechte Jackentasche griff, streiften seine
Finger ein zusammengefaltetes Stück Papier. Er nahm es heraus und las den Text. SIND SIE UNZUFRIEDEN MIT IHRER MEDIZINISCHEN VERSORGUNG? FÜHLEN SIE SICH IM STICH GELASSEN VON DEN BEHÖRDEN? HABEN SIE KEIN VERTRAUEN MEHR ZU JENEN, DIE DAS ARMAGEDDON VON TSCHOA TSCHU KANG EIGENTLICH VERURSACHT HABEN? DANN KOMMEN SIE ZU UNS – WIR SIND ALS EINZIGE IN DER LAGE, IHNEN WIRKLICH ZU HELFEN! KOMMEN SIE VORBEI ODER RUFEN SIE AN. HILFSGEMEINSCHAFT DER MOSLEMBRUDERSCHAFT VON SINGAPUR In der linken unteren Ecke stand eine Adresse, an die man sich wenden konnte. Er konnte nicht sagen, wer ihm den Wisch zugesteckt hatte, glaubte sich aber daran zu erinnern, daß es bei seinem letzten Besuch im Singapur Memorial gewesen war, als er, in der endlosen Schlange wartend, wieder mal seinen Unmut über die schleppende Behandlung geäußert hatte. Wu-Li knüllte den Wisch zusammen und wollte ihn in den Müllschlucker werfen. Doch dann entschied er sich anders. Er glättete ihn provisorisch und steckte ihn ein. Es erschien ihm wie ein Fingerzeig. Sein Vertrauen in die örtlichen Behörden war sowieso auf dem Tiefpunkt, und die Krankenhäuser waren noch immer ständig überfüllt. Es konnte nicht schaden, bei der angegebenen Adresse mal vorbeizuschauen. Er schluckte eine ganze Handvoll der Medikamente, die ihm von den Ärzten ausgehändigt worden waren, und stürmte zwei Gläser Wasser hinterher. Dann wartete er, bis die Wirkung einsetzte. Nachdem er sicher war, nicht gleich wieder beim ersten Schritt erneut in Ohnmacht zu fallen, verließ er sein Apartment.
Ohne die Tür hinter sich abzuschließen, ging er zum Mittelschacht und trat in die Minusphase des A-Gravlifts. * An diesem Morgen wirkte der Himmel über Singapur anders als sonst, das Sonnenlicht irgendwie greller, schärfer. Lao nahm die Rohrbahn bis in die Außenbezirke. Über die Gleitbänder kam er ins Freie und stand fast unmittelbar vor seinem Ziel. Wie der Moslem im TEMPEL DER BRUDERSCHAFT gesagt hatte: Es war unmöglich, die Klinik zu übersehen. Eine kompromißlos moderne Konstruktion mit grünen Glaswänden. Sein Blick wanderte an dem mehrstöckigen Bauwerk empor und wieder zurück zum Eingang. PROGRESS SYNC las er dort in Weiß auf schwarzem Grund. Im Bereich vor dem Eingang standen ein paar wuchtige Bodenschweber mit schwarzen Seitenscheiben, manche auch gänzlich geschlossen. Der Fahrerbereich war besetzt von gleichmütig blickenden Männern in dunklen Coveralls, wie sie Wu-Li auch von den Leuten des privaten Sicherheitsdienstes her kannte, die Kang Aero-Tec vor ungebetenen Gästen bewahrten... bewahrt hatten! Inzwischen existierten auch sie nicht mehr. Hinweggefegt vom Einschlag der MEDUSA. Nur, was bewachten diese Leute hier? Daß PROGRESS SYNC unter der Leitung eines ehemaligen malaiischen Wunderheilers und jetzigen Robonen stand, wußte nur die Führung der Moslembruderschaft von Singapur und die Gruppe um Scholf. Die junge Dame am Empfang in der Halle bat ihn, noch einen Moment Platz zu nehmen. Wenig später erschien ein Mann vom Objektschutz und führte ihn einen Korridor entlang. In einem der ersten Räume saß eine ältere Chinesin inmitten von elektronischen Geräten. »Er soll zu Doktor Phuong«, erklärte Wu-Lis Begleiter. »Gut«, sagte die Frau. »Schauen Sie dort hinüber!«
Wu-Li schaute in die angegebene Richtung. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie einen Kontakt betätigte. Ein Bildlaser scante sein Gesicht. »Nennen Sie Ihren Namen laut und deutlich für unser Stimmenarchiv.« »Lao Wu-Li«, sagte er. »Danke.« Die Frau schob ihm ein Formular zu. »Unterschreiben Sie hier! Verzichterklärung.« »Verzicht? Worauf?« »Routine. Wollen Sie zu Doktor Phuong, ja oder nein?« Wu-Li unterschrieb. Warum sollte er mit ihr streiten. Und – hatte er überhaupt eine Wahl? Entweder man half ihm hier, oder er würde in absehbarer Zeit sterben. »Danke«, sagte die Frau noch einmal und vertiefte sich wieder in die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Wu-Li folgte dem Mann zu einem A-Gravlift. Auf dem Weg durch den Gang warf er einen Blick auf die Inschriften an den Türen: FORSCH.-ABT.: MASSENAKTIONEN ABTEILUNG II – L/R TESTPRINZIP: BIOSYSTEME Wu-Li sagte: »Was sind das für Behandlungen, die Sie hier machen?« »Alle möglichen«, antwortete der Mann lapidar. Im zweiten Stock winkte er Wu-Li in ein Zimmer. Eine medizinisch-technische Mitarbeiterin, umgeben von einer Reihe Hightech-Geräten, sah auf, als sie eintraten. »Mr. Wu-Li? Doktor Phuong erwartet Sie.« Sie drückte einen Knopf. »Sie können gleich hinein.« Es war der seltsamste Behandlungsraum, den Wu-Li je betreten hatte. Die Regale an den Wänden ringsum waren vollgepackt mit einem Sammelsurium der unterschiedlichsten Präparate, die von hochmodernen Laserschnitten bestimmter Körperteile über in transparenten Konservierungscontainern eingelegten Embryos bis hin zu getrockneten und zu Bündel geschnürten Pflanzen reichten. Der Schreibtisch war beladen
mit einem unordentlichen Haufen loser Blätter, Bücher und Zeitschriften. Bei seinem Eintreten hob Doktor Phuong, eine hagere, blasse Gestalt, den Kopf. »Mr. Wu-Li?« »Ja«, sagte Wu-Li. Es traf ihn wie ein Schock, zu sehen, wie alt der Mann war. Er hatte tiefe Falten im Gesicht und schütteres, weißes Haar. Und er war Malaie. »Ich bin Doktor Nguyen Phuong. Setzen Sie sich doch!« Wu-Li setzte sich auf den einzige freien Stuhl im Raum. »Sie kommen also wegen einer Behandlung gegen rStrahlung«, sagte der Arzt. »Ja, ich...« »Gut, gut! Sie scheinen mir ein kräftiger junger Mann zu sein, der die Prozedur überstehen wird.« »Ist es denn...?« »Keine Behandlung ist ohne ein Risiko«, sagte Phuong leichthin. »Aber bei Ihnen sehe ich kaum Schwierigkeiten. Progress Sync arbeitet auf vielen Gebieten an vorderster Front. Wir leisten geradezu Pionierarbeit.« »Ich verstehe«, sagte Wu-Li; er verstand überhaupt nichts. Die ersten Zweifel begannen sich bereits in ihm zu regen, ob er richtig gehandelt hatte, sich hierher zu begeben. »Wenn ich richtig informiert bin«, fuhr der Doktor mit einem suchenden Blick auf seinen Schreibtisch fort, »dann sind Sie... eh... wo ist es denn nur... ach da... Sie waren Programmierer für Flugsicherungssysteme bei Aero-Tec draußen in Kang.« »Das ist richtig«, sagte Lao. Woher mochte Doktor Phuong das wissen? Was hatte er da vor sich auf seinem Tisch liegen? »Sie sind ausgebildeter Pilot?« »Auch. Das ergab sich zwangsläufig durch meine Arbeit...« »Fein, fein. Ausgezeichnet.« Ausgezeichnet wofür? »Ich verstehe nicht...« »Wundern Sie sich nicht, daß wir soviel wissen«, winkte der
malaiische Arzt ab. »Aber gleich nachdem Sie unsere Nummer angerufen hatten, haben wir Ihre Unterlagen vom Singapur Memorial angefordert. Ihr Fragebogen zur Anamnese war ziemlich vollständig.« Ach so. »Und Sie, Doktor Phuong. Sie haben Erfahrung mit der Behandlung von atomar kontaminierten Patienten?« »Gewissermaßen ja.« »Warum diese Einschränkung?« fragte Wu-Li mit einem Stirnrunzeln. »Ich befürchte, ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.« »Nun, ich bin eigentlich Biophysiker und beschäftige mich überwiegend mit den stereochemischen Wechselwirkungen allosterischer Enzyme«, gestand Dr. Phuong mit dem zufriedenen Lächeln eines satten Katers, der eben eine fette Maus in seine Krallen bekommen hatte. »Sehr interessant, kann ich Ihnen sagen.« Wu-Li hatte plötzlich das Gefühl, im falschen Film zu sitzen. »Welche Enzyme sagten Sie?« Hinter Wu-Li öffnete sich die Tür, jemand trat ein. »Enzyme, die den Tryptophan-Metabolismus beeinflussen. Sie wissen schon, Wirkung auf Schilddrüse, Gehirn, Nieren, eben die multiplen Wechselwirkungen zwischen organischen Systemen und chemischen Verbindungen. In den meisten Fällen aber handelt es sich um Beeinflussung des Nervensystems. Können Sie mir folgen?« »Ich denke schon«, sagte Wu-Li, der in Wirklichkeit absolut nichts verstand. Er verstand nur, daß sich der Besuch bei diesem Arzt zu einem Schlag ins Wasser auswuchs. »Sind Sie sicher, Mister Wu-Li, daß Sie verstehen? Nun, dann werden wir uns mal um Ihre Dekontaminierung kümmern...« Doktor Phuong nahm eine Injektionspistole aus der Schreibtischschublade und kam auf den Programmierer zu. Wu-Li starrte ihn an und sagte: »Bedaure.«
»Was heißt das?« »Ich glaube, ich bin nicht mehr an einer Behandlung interessiert.« »Ich rate Ihnen dringend, es sich zu überlegen.« Wu-Li schüttelte den Kopf. »Nein.« Er machte Anstalten, aufzustehen. Aber bevor er wußte, was mit ihm geschah, hatten ihn die kräftigen Wachmänner gepackt und hielten ihn fest. Einer zerrte seine Jacke über die Schultern und rollte den Ärmel hoch. Wu-Li setzte sich zur Wehr. »Das können Sie mit mir...«, Phuong setzte die Pistole an, »... nicht machen!« und zog ab. Ein zischendes Geräusch und ein leichter Schmerz. »Jetzt wird er sich gleich viel wohler fühlen«, sagte Doktor Nguyen Phuong. Die Wachen zogen ihn aus dem Stuhl hoch. Aber davon bekam Wu-Li schon nichts mehr mit. Mit einem letzten Blick auf das faunisch grinsende Gesicht des Arztes führten ihn die Männer nach draußen. * Er schlug die Augen auf. Es war dunkel. Durch das offene Fenster sah er den Mond verschwommen durch den Nebel blinken. Lao hustete und sah sich prüfend um. Er lag auf einer AGravcouch, allein im Zimmer. Der Fernseher lief, wie ständig in den letzten Wochen. Langsam setzte er sich auf. Jemand hatte eine Decke über ihn gebreitet. Sie fiel hinunter, und er spürte die kühle Nachtluft. Er stand auf. Er hatte erwartet, daß seine Beine wacklig sein würden. Aber er war ganz ruhig. Er fühlte sich sogar ausgesprochen wohl, hatte das Empfinden, völlig wach und munter zu sein. Ein äußerst
merkwürdiges Gefühl, von einer Intensität, die schon fast wieder beängstigend war. So wohl hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Seine Blicke wanderten durch das Zimmer; im Dunkel der Nacht kam es ihm unbekannt und fremd vor. Doch dann stutzte er. Er war in seiner eigenen Wohnung! »Komisch«, sagte er halblaut. Aber warum auch nicht? Er ging vom Wohnraum zum Schlafzimmer, immer noch nicht ganz überzeugt. Es war leer, das Bett unberührt. Mit einem merkwürdigen Gefühl ging Lao in den Wohnraum zurück. Wie spät mochte es sein? Sein Blick fiel auf den aktiven Schirm. Der Zeit- und Datums-Graph blinkte: Mittwoch, 9. Januar 2058, drei Uhr nachts. Aber er hatte die Klinik Doktor Phuongs am Montag aufgesucht. Am Vormittag des siebten. Das konnte doch nur bedeuten... Er rieb sich verdutzt die Augen. War es wirklich schon zwei Tage her? Wie war das möglich? Die Anzeige stimmte; der Sekundenzeiger sprang unerbittlich weiter. Also keine Fata Morgana. Er wanderte durch seine Wohnung, unfähig zu begreifen. Was hatte er in diesen knapp zwei Tagen getan? Hier gelegen und geschlafen? Doch immer wenn er glaubte, einer Lösung näher zu kommen, verschwand der Gedanke, als hätte er nie existiert. »Verdammt!« sagte er ärgerlich. Etwas stimmte hier doch nicht! Zwei Tage! Plötzlich änderte sich das Bild auf dem Viphoschirm. Er starrte auf einen liebenswürdigen, weißhaarigen alten Herrn in einem lindgrünen Arztmantel. »Guten Abend, Lao«, sagte der Mann. »Ich bin dein Arzt, Doktor Phuong. Wie fühlst du dich?« Es war, als habe jemand einen Schalter in Wu-Li betätigt. »Ausgezeichnet, Doktor. Ausgezeichnet. Wie neugeboren!« »Es wird dich freuen zu hören«, sagte Doktor Phuong mit
einem gütigen Lächeln, »daß die Behandlung ein voller Erfolg geworden ist. Ja, ich möchte sagen, ein uneingeschränkter Erfolg.« Wu-Li fühlte, wie Freude kribbelnd in ihm aufstieg. »Das ist ja wunderbar«, sagte er. »Allerdings bereitet uns die Frage der Wirkungsdauer noch einiges Kopfzerbrechen...« Oje, dachte Wu-Li, plötzlich sehr besorgt. »... was zur Folge hat, daß du wohl noch einige Male in unserer Klinik erscheinen mußt. Aber wir dürfen dann zumindest hoffen, daß es uns gelingen wird, dich von deiner Krankheit völlig genesen zu lassen und dir auf Lebenszeit völlige Gesundheit zu schenken.« Auf Lebenszeit? Ein nahezu unbändiges Gefühl der Dankbarkeit ergriff Lao. »Lao? Was ich fragen wollte – es ist wegen Operation MEDUSA.« »Ach, ja?« »Du hast doch wohl nicht vergessen, daß du morgen mit deinen Freunden in die MEDUSA willst, oder?« Lao blinzelte, für einen Augenblick war sein Kopf völlig leer, ehe ein Schwall von Erinnerungen diese Leere ausfüllte und er wußte, was er in wenigen Stunden zu tun hatte. Der Auftrag lautete, aus dem Wrack der MEDUSA etwas ganz bestimmtes zu bergen... »Ist alles in Ordnung, Lao?« »Doch, doch, Doktor, alles in Ordnung.« »Wir sehen uns also morgen?« »Um wieviel Uhr?« »Neun Uhr.« »Gut!« sagte Lao. »Nimm nichts mit, du wirst von uns mit allem Nötigen versorgt!« »Mache ich«, sagte er. Das Bild des Doktors verschwand vom Schirm, aber nicht aus Laos Kopf. Lao hatte ein merkwürdiges Gefühl. Ein ganz merkwürdiges
Gefühl. So als ob jemand Macht über ihn hätte. * Das ausgebrannte Wrack der MEDUSA, jener skurrile Berg aus Metalltrümmern, lag inmitten des mehrere Hektar großen Ruinenfeldes und bot unter dem prasselnden Regen den Anblick eines riesigen Fremdweltungetüms. Soldaten der ABC-Einheiten der TF arbeiteten in schweren r-Schutzanzügen am Wrack an der Entfernung und Entsorgung des radioaktiven Materials. Mehrere Entseuchungsfahrzeuge waren mit einer mobilen Leitzentrale zu einer Wagenburg zusammengestellt. Die Bergungsarbeiten waren bereits wochenlang im Gang; man kam nur sehr schleppend voran. Die starke r-Strahlung ließ kein kontinuierliches Arbeiten über einen längeren Zeitraum zu. Corporal Mahun saß scheinbar gelangweilt im Innern der Leitzentrale in seinem Drehsessel und betrachtete in Abständen die Phalanx der Monitore, die ihm die Bilder aus dem Innern der MEDUSA übertrugen, so wie sie die Helmkameras der dort arbeitenden Soldaten lieferten. Er hatte die Augen halb geschlossen, und für einen zufälligen Beobachter mußte es scheinen, als sei er kurz davor, einzuschlafen. Dieser Eindruck täuschte. Mahun ahnte nichts Böses, als hinter ihm die Tür zum Kontrollraum aufglitt. Wind und Regen peitschten herein. »Tür zu, verdammt!« rief Corporal Mahun, ließ aber die Monitore nicht aus den Augen. »Wer ist da?« Keine Antwort. Plötzlich spürte Mahun eine unnatürliche Beklemmung. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Er fuhr mitsamt dem Drehsessel herum. Hinter ihm stand eine Gestalt in einem transparenten Plastikoverall mit über den Kopf gezogener, rundum geschlossener Haube. Luft bekam sie durch die perforierte Membrane vor dem Mund. Das Wasser rann vom Plastik und sammelte sich als Pfütze zu seinen Füßen.
»Was zum Teufel...«, begann Mahun; zu mehr kam er nicht. Der Fremde hob mit einer schnellen Bewegung eine kurzläufige MPi und drückte ab. Die Einschläge trafen den Corporal in die Brust und schüttelten ihn durch. Er war bereits tot, als sein Körper aus dem Sessel rutschte. Und so hörte er auch nicht, daß draußen vor dem Wrack der MEDUSA plötzlich wie auf einen geheimen Befehl hin Maschinenwaffen zu bellen begannen. Laute Rufe klangen auf. Als der Mörder sich umdrehte und nach draußen ging, sah er seine Kameraden über die freie Fläche auf die MEDUSA zustürmen, dorthin, wo die Dekontaminationsfahrzeuge standen, dicht vor dem klaffenden Eingang in die radioaktive Hölle des Wracks. Wieder fielen Schüsse, die kaum Erwiderung fanden; die nur mit Handfeuerwaffen ausgestatteten Soldaten hatten den MPis der Angreifer nichts entgegenzusetzen. Es war eine blutige Schießerei – und es ging verdammt schnell. Viele der Soldaten hatten sich hinter einem der Dekontaminierungslaster verschanzt und boten erbitterten Widerstand. Aber nur so lange, bis einer der in Plastik gehüllten Angreifer das kurze Rohr eines Projektilwerfers auf das Fahrzeug richtete. Ein Flammenstoß. Die Rakete zischte über das Ruinenfeld – und schlug mit voller Wucht in das Laborfahrzeug ein. Der Truck sprang senkrecht in die Luft, als der Sprengsatz des Projektils detonierte. Der Treibstoff in den Tanks explodierte einen Sekundenbruchteil später. Brennender Feuerregen ging nieder. Es war glatter Massenmord. Zerfetzte Körper lagen herum, Flammen stiegen auf, und die Schreie der Verwundeten gellten durch die Luft, während Soldaten in kopfloser Panik umherliefen, um dem Verderben aus der Luft zu entrinnen... Befehle gellten durch die Luft. Die wenigen überlebenden Soldaten wichen der Übermacht der Angreifer und verschanzten sich im Innern des Wracks... *
Während die Kämpfe noch andauerten, drangen Lao Wu-Li und fünf seiner Gefährten bereits in das Wrack der MEDUSA ein. Sie waren die Auserwählten, hatten einen genau umrissenen Auftrag, den sie ohne Rücksicht auf die Unversehrtheit ihrer Person ausführen sollten. Lao warf einen letzten Blick zurück, dann machte er ein Handzeichen und wandte sich der von den Dekontaminierungsteams angebrachten kurzen Steigleiter zu, über die sie in das Schiffswrack einsteigen konnten. Die Geister der Elemente waren mit ihnen, stellte er fest. Der heulende Wind und das Prasseln des Regens schluckten die Kampfgeräusche; der dichte Wasservorhang verbarg die Geschehnisse vor den Augen anderer. Außerdem: Kaum ein Mensch war bei diesem Sauwetter zu Fuß unterwegs. Und schon gar nicht hier in dieser radioaktiven Wüste. Entschlossen setzte Lao den Fuß auf die unterste Sprosse und zog sich der Einstiegsöffnung entgegen, einem Nebenschott in der Außenhülle des Schiffswracks. Fuß vor Fuß setzend, wie ein Automat, drang Lao mit seinem Gefolge ein. Irgendwo im Innern seines Kopfes lief ein Film ab, der ihm einen Aufriß des 400-m-Kreuzers vermittelte. Lao wunderte sich nicht darüber. Es war einfach so. Wäre er bei klarem Verstand und unbeeinflußt von Doktor Phuongs Drogenbehandlung gewesen, hätte er erkannt, daß dieses Wissen das Ergebnis einer hypnotischen Behandlung war. Aber sein Verstand war ausgeschaltet. Das Innere der MEDUSA glich einem Alptraum von Metalltrümmern. Verbogen und verdreht, geschwärzt und blauviolett ausgeglüht von infernalischen Feuern, die die Sektionen zu einer Hölle gemacht haben mußten. Einer Hölle, der die Besatzung im letzten Augenblick entkommen war.* In den Außenbezirken bedeckte ein gelblicher Film die Trümmer, *
vgl. Drakhon-Zyklus Band 2, »Die galaktische Katastrophe«
teilweise zu merkwürdigen Gebilden erstarrt. Verfestigter Löschschaum, der aber nur die regulären Feuer erstickte. Die radioaktiven Brände glühten weiter... Die MEDUSA war um alle Achsen rollend aus dem Himmel gestürzt, verlassen von der Besatzung, die in allerletzter Sekunde vom Schrottsammler JUMPING LADY des alten Hideaki Nischihato und seinem Enkel übernommen worden war. Sie rollte auch noch weiter, als sie in die Atmosphäre eintrat, während die vom Hauptsuprasensor unabhängigen Notfallautomatiken versuchten, das Schiff zu stabilisieren und eventuell doch noch abzufangen. Aber alles, was sie bewirkten, war, daß die MEDUSA das Rollen einstellte und ohne weitere Rotation aufschlug. Unglücklicherweise waren es die im unteren Drittel gelegenen Maschinendecks mit ihren Hauptkonverterbänken, die als erste in Kontakt mit dem Erdboden beziehungsweise dem Vergnügungspark des Vororts Tschoa Tschu Kang kamen. Die MEDUSA grub sich fast bis zum Schiffsäquator in den Boden ein, wobei die untere Hälfte so zusammengedrückt und gestaucht wurde, daß Boden und Decken der Decks mitunter nur Zentimeter von einander entfernt waren und alles zerquetscht hatten, was sich zwischen ihnen befunden hatte. Der Luftdruck des Aufschlags machte alles im Umkreis von fünf Kilometern zu einer Trümmerwüste. Das austretende radioaktive Material der Meiler und Konverter ließ die Menschen sterben wie die Fliegen und verseuchte im weiten Umkreis alles mit tödlicher r-Strahlung. Und inmitten dieser Trümmerwüste erhob sich der Rest der MEDUSA wie ein halbierter Fußball... Lao blieb mit seinem »Strahlenschutzanzug« an einem vorstehenden Teil hängen und riß ihn auf; es störte ihn nicht. Teilweise lagen hier noch die Schläuche der Löschtrupps herum, leere Tanks der schweren Handlöscher, Rettungsgeräte, die den Geist aufgegeben hatten oder so stark verstrahlt waren, daß es nicht lohnte, sie zu dekontaminieren und wiederzuverwenden. Der Gang war niedrig, seine Proportionen verformt,
zusammengestaucht, verdreht. Hallende Geräusche erklangen, wenn sich Spannungen in einem Bauteil verringerten oder durch Druckverschiebungen verstärkten. Manche der Gänge waren von der unvorstellbaren kinetischen Energie so ineinandergefaltet worden, daß man sich in ihnen nur kriechend bewegen konnte. Ihren hypnotischen Befehlen folgend bewegte sich die Gruppe um Lao so rasch, wie es die Verhältnisse ermöglichten, durch das Wrack nach oben. Ihr Ziel – die besonders gesicherten und gepanzerten Munitionskammern in der Nähe der Waffenstationen, also relativ nahe der Außenhülle. * »Verdammt, Wuh!« zischte Leutnant Sapara, »versuchen Sie es mit Kontrastverstärkung.« »Das habe ich doch gleich als erstes getan, Sir. Aber hier drin gibt's einfach zu viele Störungen. Außerdem ist zuviel Schrott um uns herum, durch den die Signale müssen. Ich kriege einfach keine Verbindung. Aus was besteht dieser Haufen überhaupt?« Leutnant Sapara, Nachrichtentechniker Su-Li Wuh und Corporal Daphne Tsche-Ung kauerten hinter den Überresten eines ausgedehnten Stahlgeflechts, in dem die Container des Zeugmeisters der MEDUSA untergebracht waren. Die drei Soldaten waren die einzigen Armeeangehörigen mit Kampfausbildung, die das von Lao Wu-Li und seinen Gefährten verursachte Massaker überlebt hatten. »Was weiß ich«, knurrte der Leutnant verbissen. »Bin kein Raumschiffsexperte.« »Mist«, sagte Wuh inbrünstig und konnte seine Enttäuschung nicht beherrschen, als er an seinen Instrumenten herumfingerte. »Wenn ich noch länger herumprobiere, wird die Energiezelle schneller leer als ich rülpsen kann.« Der Leutnant runzelte unter dem Klarsichthelm seines r-
Strahlenanzug die Stirn. »Versuchen Sie's weiter, Wuh«, gab er ihm zu verstehen. Seine Stimme klang rauh in den Lautsprechern des Helmes. »Wir müssen das MilCom-Headquarter Singapur darüber informieren, was hier abgelaufen ist. Daß Zombies in Plastikplanen herumlaufen und sich den Teufel darum scheren, daß ihre Chromosomen längst durch den Schornstein sind und sie höchstens noch ein paar Stunden zu leben haben bei der hohen r-Strahlung. Verdammte Zombies. Und wozu das Ganze?« »Keine Ahnung, Sir«, erklärte Daphne Tsche-Ung wahrheitsgemäß, obwohl Leutnant Saparas Bemerkung nur eine rhetorische Frage war. »Sie hat auch keiner gefragt, Soldat!« schnappte der Leutnant, dessen Nerven blank lagen wie frisch geschmirgelte Kupferkontakte. »Ich woll...« Corporal Tsche-Ung unterbrach sich und kam halb aus ihrer Deckung hoch. Den Blaster wie auf dem Schießstand im Beidhand-Anschlag zielte sie und feuerte eine Fünfschußfolge auf die beiden Gestalten in ihren lächerlichen »Strahlenschutzanzügen« aus Plastikfolie. Die »Zombies« fielen um. Daphne Tsche-Ung hatte sich schon wieder hinter die Deckung gekauert und wartete den Geschoßhagel ab, der aus den MPis der anderen Angreifer durch den Raum jaulte und in die verbeulten Wände schlug. Querschläger surrten und prallten mit lautem Twäng! von den Metallwänden ab. Funken sprühten. »Leutnant! Dort!« Tsche-Ung deutete mit dem Lauf der Waffe zur Seite. »Schon gesehen, Soldat.« Sapara rollte sich hinter dem Gitterelement zur Seite, kam auf den Knien hoch, den leichten Blaster im Anschlag. Wie auf dem Schießstand auf laufende Ziele schwenkte er den Lauf hin und her. Für einen Augenblick bewunderte Tsche-Ung seine Kaltblütigkeit, dann beeilte sie sich, zwei der Zombies – insgeheim hatte sie die Diktion ihres
Vorgesetzten übernommen – die von der Seite herankommen wollten, zu erledigen. »Yep...!« schrie sie triumphierend. Es war eindeutig: Corporal Daphne Tsche-Ung, eine kleine Schwarzhaarige, genoß es, Männer umzunieten. Sieben Sekunden später geschah zweierlei: Eine Granate explodierte, die Tsche-Ung zwischen die Angreifer geworfen hatte, und Corporal Wuh stieß einen triumphierenden Schrei aus. »Ich hab' Verbindung, Sir!« »Wurde auch Zeit, Corporal. Los, Mann, sagen Sie denen da draußen, daß wir von schwerbewaffneten Terroristen überfallen worden sind...!« * Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Gruppe um Lao Wu-Li durch ein Tohuwabohu von durchtrennten und zerrissenen Energieleitern und Glasfasersträngen zur nächsten Ebene hochgekämpft. Auf der Ebene arbeiteten drei Männer des Bergungs- und Dekontaminierungskommandos und hatten noch gar nicht mitbekommen, was um und in der MEDUSA vorging. Erstaunt sahen sie durch ihre Klarsichthelme auf die Gruppe, die in ihren Plastikanzügen wie Touristen auf einer Sightseeing-Tour durch das geborstene und von Feuern heimgesuchte Innere stapfte. Fehlten nur die klickenden Kameras. Einer legte den Laserschweißbrenner zur Seite und richtete sich auf, als die sechs Gestalten näherkamen. »He, was soll der Scheiß...«, begann er. Neben Lao hob einer der Männer, von denen er nicht mal den Namen wußte, wortlos die kurznasige Maschinenpistole und erschoß den Fragesteller mit einem Feuerstoß. Ehe die anderen beiden registrierten, was hier ablief, waren auch sie schon tot. Ohne anzuhalten stapften die Männer weiter. Kurz darauf hatten sie den breiten, relativ intakten Korridor
erreicht, der sich ringförmig entlang der Innenwandungen des TF-Raumers erstreckte, und auf dem die Munitionszuführung zu den Abschußrampen der Raumtorpedos erfolgte. Auch die Waffenstationen mit den schweren Strahlgeschützen waren über diesen Weg zu erreichen. Dieser Teil der MEDUSA war besonders stark gepanzert und entsprechend verstärkt, weshalb er weit weniger beschädigt und zusammengestaucht war als das übrige Raumschiff. Ein plötzliches Geräusch hallte durch den Korridor mit seiner halbrund gewölbten Decke. Lao und seine Gefährten verharrten sekundenlang – aber der Laut wiederholte sich nicht. Sie setzten sich wieder in Bewegung. Als auf der Innenseite des Korridors eine Reihe von schweren Panzerschotts auftauchten, deren Beschriftung und Ziffernkodes signalisierten, daß sich dahinter die Waffen- und Munitionskammern der MEDUSA befanden, waren sie am Ziel. Jedes zweite Schott trug die unübersehbaren Warnhinweise, daß sich dahinter nukleares Material verbarg. Die Schließmechanismen der Panzerkammern hatten den Aufprall nicht unbeschadet überstanden, waren meist aus den Scharnieren gesprungen und standen mehr oder weniger offen. Sie sahen sich an, noch immer fiel kein Wort zwischen ihnen. Lao nickte – und im nächsten Moment standen sie bereits in der Kammer. Ihre Blicke fielen auf eine Reihe von Metallköchern, in denen die Sprengköpfe der Raumtorpedos geschützt gelagert wurden. Auf den Seiten der stumpfnasigen, etwa einen Meter langen und 50 Zentimeter durchmessenden Metallzylinder stand in Angloter CAUTION – NUCLEAR WARHEADS. Sie sahen sich an, und zum ersten Mal sagte Lao etwas – etwas für ihn ganz Untypisches. Er sagte: »Bingo!« Ohne zu zögern griff sich jeder der sechs Männer einen der Schutzköcher. Der Rückweg gestaltete sich so unproblematisch wie das Eindringen in die MEDUSA. Er dauerte nur länger.
Schwitzend unter den Plastikoveralls und keuchend vor Anstrengung wegen der Last auf ihren Schultern eilten sie mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Labyrinth der verformten Decks und Zugänge wieder nach unten zum Ausgang. So, als folgten sie dem Faden der Ariadne. Nur daß dieser sich in ihrem Kopf abspulte. Je näher sie dem Ausstieg kamen, um so mehr wurde erkennbar, daß sich die Situation vor der MEDUSA grundlegend geändert haben mußte. Infernalischer Kampflärm war vernehmbar: Das Bellen automatischer Waffen, schrilles Pfeifen von Raketenprojektilen, das häßliche Zischen von Impulsblastern. Dumpfe Erschütterungen von Explosionen ließen das Innere der MEDUSA erbeben. Was sie nicht wußten: Eine Antiterroreinheit der Armee war sofort nach der Mayday-Meldung Leutnant Saparas ausgerückt und hatte Stellung um das Wrack bezogen. Schnell, hart und ohne Rücksichtnahme säuberten die Kampfspezialisten der TF das Areal von den Terroristen, die sich verzweifelt wehrten und aus allen Rohren feuerten, quittiert vom Feuerhagel aus den Waffen der Soldaten... Der Vormarsch der Elitetruppe war nicht aufzuhalten. Gefangene gab es keine. Sobald die Terroristen sahen, daß es aussichtslos war, erschossen sie sich selbst. Lao und seine Kumpane stolperten ins Freie, als die letzten Schüsse verklangen – und sahen sich einer Phalanx von gepanzerten Armeesoldaten gegenüber. »HALT! STEHENBLEIBEN!« hallte ihnen eine elektronisch verstärkte Stimme entgegen. »WIDERSTAND IST ZWECKLOS! LEGEN SIE DIE HÄNDE ÜBER DEN KOPF...« Schon beim ersten Ton waren Lao und seine Komplizen auseinandergespritzt, suchten Deckung hinter Trümmerresten zu finden, wobei sie, in der freien Hand die MPis haltend, wild zu feuern begannen. Die auf den Fahrzeugdächern postierten Scharfschützen der Armee beendeten ihr Leben auf eine gnädigere Weise, als es die massiven radioaktiven
Verbrennungen getan hätten. * Der Oberst, der die Antiterroreinheit anführte, betrachtete auf dem Hauptschirm des Schwebepanzers, den er sich als Befehlszentrale ausgesucht hatte, was sich draußen vor der MEDUSA abspielte. Vorsichtig näherten sich die in rStrahlenpanzer gehüllten Männer seiner Einheit den toten Terroristen. Sie stießen auf keinerlei Gegenwehr. »Wie sieht's aus, Major?« bellte der Oberst in das Vipho. Auf einem Nebenmonitor sah ihn sein Untergebener hinter dem Klarsichthelm seines Schutzanzuges an. »Kampfzone klar und gesäubert, Sir!« meldete er vorschriftsmäßig. »Keiner von den sechs entkommen, die wir gezählt haben?« Major Pearce zögerte. »Major!« Die Stimme des Oberst nahm einen gefährlichen Unterton an. »Nun ja, Sir. Wir können nur fünf Tote zählen. Der sechste Terrorist muß mitsamt dem Sprengkopf in den Ruinen entkommen sein. Ist vermutlich in den Untergrund abgetaucht...« Die Meldung vom Überfall auf die MEDUSA und vom Diebstahl eines atomaren Sprengkopfes erreichte Cent Field und Alamo Gordo via Central Command auf dem üblichen, streng verschlüsselten Weg und flatterte schließlich als Ausdruck auf den Tisch von Henner Trawisheim, dem Vertreter Ren Dharks. Der las die Mitteilung, runzelte die Stirn. Diese Meldung verursachte Schwierigkeiten, soviel konnte er schon jetzt übersehen. Geistesabwesend trank er vom frisch aufgebrühten Kaffee. Laut fluchend stellte er die Tasse zurück und sprang auf. Er hatte sich den Mund verbrannt. Mit einem Schluck Wasser aus
der Karaffe versuchte er den Schmerz zu betäuben. Seine Finger schlossen einen Kontakt auf seinem Schreibtisch. »Nona, rufen Sie eine Dringlichkeitssitzung mit den Stabschefs von Terra Command ein!«
6. Im Maschinenraum hob Sechs Neun Sechs U den bewußtlosen Gen Pekk auf und brachte ihn in die Zentrale. Art Hooker wartete ungeduldig auf die Rückkehr seiner Frau. Allmählich fing er an, sich Sorgen zu machen. Seine Sorge war durchaus berechtigt. Jane Hooker schwebte in tödlicher Gefahr. Las Rrent hatte sie als Geisel genommen. Bisher hatte der zu allem entschlossene Tel noch kein Wort mit ihr gesprochen. Offensichtlich dachte er nach. Er fragte sich, was aus seinen beiden Kameraden geworden war. Hatte man Crea Noont und Gen Pekk betäubt und überwältigt? Oder hatten sie – so wie er – das Zischen des Gasangriffs rechtzeitig vernommen und den Atem angehalten? In dieser Sekunde schoß ein Impulsstrahl von schräg oben herab und traf zwischen seinen Füßen auf. Obwohl der Strahl sofort wieder erlosch, machte Las erschrocken einen Satz nach hinten. Verwirrt blickte er Jane an. Auch sie sprach keinen Ton, aber die Fernbedienung in ihrer linken Hand sagte mehr als tausend Worte. Ihr Zeigefinger schwebte über einer der vielen Tasten. Unentschieden. Eine Pattsituation, die weder ihr noch ihrem Gegner behagte. Zwo Vier Acht G erfaßte seine Chance und handelte selbständig, ganz im Sinne seiner neuen Besitzerin. Während der Tel noch überlegte, wie er sich nun verhalten sollte, zischte der Roboter heran und entriß ihm den Blaster. Jane atmete erleichtert auf. Ihr Bluff hatte funktioniert. Mit der ferngesteuerten Impulswaffe konnte sie nur unzureichend umgehen, es fehlte ihr am nötigen Training. Zwar wußte sie, wo die sechzehn Schußvorrichtungen verborgen waren und wie man sie auslöste, doch mit dem
Zielen haperte es. Bisher war sie lediglich imstande, die ungefähre Richtung anzupeilen – Treffer waren noch reine Glückssache. Hätte Jane trotzdem versucht, den Tel mit einem Schuß zu entwaffnen, wäre er dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwer verletzt oder gar getötet worden. Darauf wollte sie es nicht ankommen lassen. Noch nicht. Art und Jane sperrten ihre drei Gefangenen in einen leeren Lagerraum, wo sie keinen Schaden anrichten konnten. In der Zentrale hatten die drei Robotkegel inzwischen wieder ihre Standplätze eingenommen. Art sprach ihnen ein Lob aus. »Ihr habt eure Sache gutgemacht. Künftig werde ich nicht mehr an euren Fähigkeiten zweifeln und will versuchen, eure kleinen Unzulänglichkeiten zu tolerieren. Ganz gleich, welche Nummer ihr tragt, für mich ist jeder von euch die Nummer eins.« Sechs Neun Sechs U schien über das Lob erfreut zu sein und kokettierte wie gehabt. Zwo Vier Acht G verhielt sich passiv. Sieben Sieben Sieben H konnte sich eine Äußerung nicht verkneifen. »Apropos Nummer eins«, ertönte es aus seinem eingebauten Akustikgenerator. »Wie findet man heraus, wer der beste in einem bestimmten Berufszweig ist? Ganz einfach: Man fragt mehrere Angehörige des betreffenden Berufsstandes nach der Nummer eins und der Nummer zwei auf ihrem Gebiet. Selbstverständlich wird sich jeder selbst als die führende Kapazität bezeichnen und irgendeinen Kollegen erwähnen, den er für den zweitbesten hält. Derjenige, dessen Name als Nummer zwei am meisten genannt wurde, ist dann die wahre Nummer eins. Danke fürs Zuhören.« »Ich muß von allen guten Geistern verlassen sein«, bemerkte Art, während er sich zu seiner Frau in die Zentrale begab. »Es ist widersinnig, Roboter zu loben. Ein Lob macht sie weder stolz noch spornt es sie an.« Die Zentrale – dort befanden sich die wichtigsten
Schaltvorrichtungen der SEARCHER, sozusagen die Schalthebel der Macht. Von hier aus konnte eine Einzelperson das Schiff allein steuern, allerdings ging es zu zweit oder mit Robothilfe wesentlich leichter. Jane leitete den Start ein. »Was machen wir mit unseren Gefangenen?« fragte sie ihren Mann. Art zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Auf gar keinen Fall dürfen sie zu früh freikommen, da sonst Cromar vom Achmed-System erfährt, bevor es für Terra gesichert werden kann. Ich denke, wir nehmen sie als unsere ›Gäste‹ mit zurück nach Terra. Soll sich doch Trawisheim überlegen, wie mit den dreien zu verfahren ist. Doch momentan haben wir Wichtigeres zu erledigen.« Jane nickte. Die Suche nach dem Schattenschiff hatte Vorrang. Die Aufklärerbesatzung mußte daran gehindert werden, Kontakt mit ihrer unbekannten Basis aufzunehmen. Notfalls mit Gewalt. Grakos kannten kein Erbarmen, daher durften sie auch keines erwarten. * Der Flug durch den Asteroidengürtel gestaltete sich brandgefährlich. Immer wieder kam es zu riskanten Konfrontationen mit mächtigen Tofiritasteroiden, die von anderen abprallten und unkontrolliert kreuz und quer durch das Gebiet des Ringes schwebten, zum Teil mit enormer Geschwindigkeit. Jane und Art führten mehrere geschickte Ausweichmanöver durch, wobei sie sich perfekt ergänzten. Einer allein wäre trotz der außergewöhnlichen Technik, mit der die SEARCHER ausgestattet war, vermutlich heillos überfordert gewesen. Auf einem TF-Schiff hätte man die Hookers aufgrund ihrer lockeren Ausdrucksweise längst aus der Steuerzentrale gewiesen. Da die Eheleute jedoch unter sich waren, konnten sie
reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. »Achtung! Objekt von backbord!« »Größe?« »Zirka vier Kilometer Durchmesser!« »Der dicke Brummer, der von unten kommt, ist fast doppelt so groß.« »Der Teufel soll ihn holen! Steilflug?« »Genau. Ab nach oben mit der Scheibe!« Während sie miteinander kommunizierten, stellte Art blitzschnelle Berechnungen an und leitete sie nicht minder schnell an Jane weiter, die mit voller Konzentration an der Hauptsteuerung saß. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Noch bevor die SEARCHER die Richtung änderte, wußten die Hookers auf den Bruchteil einer Hundertstel Sekunde genau, an welchem Punkt im All die beiden »dicken Brummer« aufeinandertreffen würden. Als unter ihnen der Zusammenprall stattfand, hatten sie sich und ihr diskusförmiges Raumschiff in Sicherheit gebracht. Lediglich ein leichtes Beben ging durch den Raumer. Die Kollision der ungeheuren Massen erschütterte die Struktur des Gravitationsfeldes. Die Asteroiden prallten praktisch unbeschädigt voneinander ab. Ihre neuen Flugbahnen hatte Art längst errechnet, sie kreuzten sich nicht mit derjenigen der SEARCHER. Nur eine kurze Atempause war Art und Jane vergönnt, kaum zehn Herzschläge lang. »Achtung! Alles Gute kommt von oben! Objekt nähert sich dem Raumschiff mit einer Geschwindigkeit von...« Bei der nächsten Pause tauschten die Eheleute ihre Positionen. Jetzt übernahm Art Hooker die Hauptsteuerung. Er hatte Glück, für eine geraume Weile blieb es ruhig. Ruhig und diszipliniert ging es auch auf dem unteren Deck zu, wo man die drei Tel eingesperrt hatte. Sie saßen auf dem harten Fußboden und warteten in stoischer Gelassenheit ab, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Schon ein leichter Zusammenstoß mit einem
Tofiritasteroiden konnte lebensgefährliche Folgen für sie haben. Man hatte sie nach versteckten Waffen durchsucht und ihnen obendrein die Raumanzüge abgenommen. Ein Riß in der Außenhülle des Raumers würde somit ihren sicheren Tod bedeuten. Dennoch zeigten sie keine Anzeichen von Furcht. Die Suche nach dem Grakoschiff dauerte Stunden. Mittlerweile hatte sich die SEARCHER mehrere hundert Kilometer vom ehemaligen Schlachtfeld entfernt. Allmählich machten sich bei den Hookers unausweichliche Erschöpfungszustände bemerkbar. Ihre Konzentration ließ nach, was bei diesem Höllenflug böse enden konnte. »Wir landen auf dem nächstbesten Asteroiden und schlafen abwechselnd«, entschied Jane. »Wir schlafen beide«, widersprach Art. »Das spart Zeit.« »Und wer hält Wache? Die Schatten könnten uns plötzlich angreifen, oder es gelingt den Tel, aus dem Lagerraum auszubrechen.« »Wozu haben wir die Roboter an Bord genommen? Die drei haben mein vollstes Vertrauen. Einer von ihnen hat dir schließlich das Leben gerettet, das rechne ich ihm hoch an.« ... das Leben gerettet, wiederholte Jane in Gedanken. Hätte der Tel wirklich auf sie geschossen? Oder hatte er die gleichen Skrupel wie sie? Immerhin hatte Las Rrent während ihres schweigsamen Duells nicht sofort abgedrückt, sondern gezögert – was ihm letztlich zum Verhängnis geworden war. Verfügte er doch über eine menschliche Seite? Vom Äußeren her waren die Tel den Menschen sehr ähnlich. Charakterlich gab es jedoch manchen Unterschied. Das Volk der Tel war straffer durchorganisiert. Für das Wohl der Gemeinschaft mußte man Opfer bringen – wenn es verlangt wurde, das eigene Leben. Individualisten waren verpönt und wurden mit Umstürzlern gleichgesetzt. Niederlagen galten als Schande. Ein Tel hatte immer und überall als Sieger hervorzugehen, Versagen wurde nicht toleriert. Jane kam zu dem Schluß, daß einiges davon auch auf die
Menschen zutraf, sie wußten es nur besser zu verbergen. »So nachdenklich?« fragte Art seine Frau. »Tausend Dollar für deine Gedanken.« »Du hast keine tausend Dollar«, erwiderte Jane trocken. Mit Hinblick auf die zu erwartenden Abbautantiemen ergänzte sie lächelnd: »Noch nicht.« Art Hooker tastete einen gut zwei Kilometer durchmessenden Asteroiden ab, den er für eine Landung ausersehen hatte. Die Schwerkraft darauf betrug nur 0,1 g, also ein Zehntel dessen, was man auf der Erde gewohnt war. Im Achmed-System stellten solche niedrigen Werte eher die Ausnahme dar. Da die Hookers nicht vorhatten, ihr Schiff zu verlassen, konnte ihnen die Schwerkraft draußen egal sein. Plötzlich zuckte Art zusammen. Die Sensoren hatten etwas erfaßt, das ihn seine Müdigkeit vergessen ließ. »Wir haben ihn«, sagte er tonlos. »Wen?« fragte Jane und gähnte. »Den idealen Schlafplatz?« »Den beschädigten Raumer der Grakos«, antwortete Art mit düsterer Miene und holte das Wrack auf den runden Bildschirm. In der Zentrale der SEARCHER gab es oberhalb des halbkreisförmigen Schaltpults insgesamt drei Bildschirme. Sie waren rund und hatten jeweils einen Durchmesser von drei Metern. Schaltete man sie ein, zeigten alle zunächst das gleiche Bild. Die Spezialkameras für den rechten und den linken Schirm waren beweglich, so daß man die nähere Umgebung eines Objekts erfassen konnte, ohne das Objekt selbst aus dem Blickfeld zu verlieren. Kein geringerer als Robert Saam hatte dieses »3-D-Kino« (so lautete seine laxe Bezeichnung dafür) entwickelt und durch George Lautrec in das Schiff der Hookers einbauen lassen. Art näherte sich dem Grakoschiff nur mit äußerster Vorsicht. Noch trennten ihn viele Kilometer von der Asteroidenoberfläche. Er zögerte, konnte sich zu einer Landung nicht entschließen.
Obwohl seit der Raumschlacht inzwischen viel Zeit vergangen war, rauchte das Schattenwrack noch. Es war energetisch fast tot, nichts deutete auf Überlebende hin – bis auf das Hyperraumfeld, das es umgab. Jane war skeptisch. »Wenn die Grakos beim Absturz ums Leben gekommen sind, wieso ist dann das Hyperraumfeld noch intakt? Irgend jemand im Inneren des Wracks hält es aufrecht.« »Möglicherweise eine Automatik«, meinte Art. »Wir wissen so gut wie gar nichts über die Schattenraumer, daher sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen. Gäbe es dort unten Überlebende, hätten sie den Brand an Bord längst gelöscht.« »Das wiederum nenne ich eine voreilige Schlußfolgerung«, entgegnete Jane und suchte mit den beiden äußeren Kameras die Gegend um das Schattenschiff herum ab. »Vielleicht handelt es sich um keine echten Rauchschwaden, sie könnten künstlich erzeugt worden sein, mit einer Nebelgranate oder ähnlichem.« »Verstehe, du vermutest eine Falle. Die Grakos wollen uns glauben machen, daß sie wehrlos sind. In Wirklichkeit aber...« Wie die Wirklichkeit aussah, bekamen die beiden schlagartig zu spüren. Art hatte den Fehler gemacht, während seiner Unterhaltung mit Jane etwas näher an das Wrack heranzufliegen. Jetzt war die SEARCHER zu nahe dran! Die Schatten schlugen zu. Ein schwarzer Strahl, abgefeuert vom letzten funktionierenden Geschütz ihres Aufklärers, jagte lautlos heran. Ein Ausweichmanöver war nicht mehr möglich. Viel zu spät aktivierte Jane den Schutzschirm. Beim Flug durch den Asteroidengürtel war er die ganze Zeit über eingeschaltet gewesen, für den Fall einer unerwarteten Kollision. Später hatten sie ihn dann deaktiviert, um die Energiereserven zu schonen. Eine Fehlentscheidung, wie sich nun herausstellte. Treffer! Die SEARCHER stürzte hinunter auf den Asteroiden. Darauf hatten die Grakos gelauert. Endlich war ihre Stunde
gekommen – die Stunde der Rache. * In der Zentrale der SEARCHER herrschte hektisches Treiben. Der Diskusraumer der Hookers war beschädigt und drohte, auf dem Asteroiden zu zerschellen. Art, Jane und Sieben Sieben Sieben H versuchten, das Schiff wieder unter Kontrolle zu kriegen und den Sturz abzufangen oder wenigstens abzumildern. Doch der Antrieb gab kaum noch Leistung ab. Wie ein welkes Blatt im Herbstlaub, so taumelte die SEARCHER der tiefroten Oberfläche des Asteroiden entgegen. Crea Noont, Gen Pekk und Las Rrent konnten gar nichts unternehmen. Die drei gefangenen Tel waren der Situation hilflos ausgeliefert und durften nur auf eine ausreichende Flugerfahrung des Prospektorenehepaares hoffen. Ansonsten waren sie verloren. Allmählich verringerte sich die Absturzgeschwindigkeit. Alle Versuche, das trudelnde Raumschiff gänzlich unter Kontrolle zu bringen und wieder neu durchzustarten, schlugen weiterhin fehl. Es ging langsam, aber stetig abwärts. Die Kontrollanzeigen meldeten mehrere kleinere Brände auf dem Oberdeck. Gleichzeitig schaltete sich die Feuersirene ein. Zur Unterstützung der automatischen Löschanlage wurde Zwo Vier Acht G hinaufgeschickt. Um das Schrillen der Sirene kümmerte sich der Roboter nicht im geringsten, offensichtlich spielte sie nicht sein Lied. Sechs Neun Sechs U begleitete seinen musikalischen Robotkameraden nach oben, um die Beschädigungen zu begutachten. Anschließend sandte er per Bordfunk eine Schadensmeldung in die Zentrale. Art nahm sie entgegen. »Der Schuß hat oberhalb eines leeren Frachtraums einen Teil der Außenhülle aufgelöst«, sagte er kurz darauf zu Jane. »Dort gähnt jetzt ein ansehnlicher Riß. Die zu dem Raum führenden Schleusen wurden abgeriegelt. Ohne Raumanzug
können wir ihn nicht mehr betreten.« »Aufgelöst?« hakte Jane nach. »Geschmolzen meinst du wohl.« »Nach allem, was ich über den schwarzen Strahl der Grakos weiß, läßt er tatsächlich alles einfach verschwinden, was er berührt«, warf Art ein. »Also dürfte die Behauptung des Robs stimmen.« »Was ist das nur für eine Strahlenart? Wieso können wir sie überhaupt sehen? Ich meine, ein schwarzer Strahl müßte doch im Weltall so gut wie unsichtbar sein.« »Wir können die Grakos ja danach fragen, wenn wir unten angekommen sind«, bemerkte Art grimmig. Was hätte er auch anderes sagen sollen? Etwas Furchterregendes, Schwarzes war auf die SEARCHER zugekommen, etwas, das das Licht zu verschlucken schien, dabei aber auf mysteriöse Art selbst leuchtete. Dort, wo es mit dem Raumschiff in Berührung gekommen war, hatte es sämtliche Metall- und Plastikteile wie durch Geisterhand verschwinden lassen. Weitere Informationen über diese unheimliche Waffe besaß Art Hooker nicht. Er war sich auch nicht sicher, ob er mehr darüber wissen wollte. »Hätten sie besser gezielt, hätte sich die Hälfte des Diskusraumers in Nichts aufgelöst«, mutmaßte er. Jane ging ein Licht auf. »Sie wollten die SEARCHER gar nicht vernichten. Die Grakos hatten von vornherein die Absicht, den Raumer nur anzuschießen. Unser Schiff ist ihre einzige Fluchtmöglichkeit aus diesem abgeschiedenen System.« Der Aufprall auf dem Asteroiden war nicht besonders hart. Und er erfolgte nicht unerwartet. Die kleine Besatzung war bestens vorbereitet, so daß es zu keinen ernsthaften Verletzungen kam. Während ihr Mann und die Roboter das Raumschiff nach weiteren Schäden untersuchten, überzeugte sich Jane Hooker, daß die Gefangenen den Absturz unverletzt überstanden hatten. Außerdem brachte sie ihnen Speisen und Getränke.
Es ging ihnen den Umständen entsprechend. Sie spielten mit dem Gedanken eines Fluchtversuchs, doch Jane war auf der Hut und gab ihnen keine Gelegenheit, sie zu überwältigen. Dank Zwo Vier Acht G, dem ehemaligen Mitglied der Betriebsfeuerwehr von Wallis Industries, hatten sich die Flammen nicht ausgebreitet und waren inzwischen gelöscht. Weitere Beschädigungen hielten sich in vertretbaren Grenzen. Die SEARCHER war reparaturbedürftig, aber nicht gänzlich flugunfähig. Von ihrem unfreiwillig gewählten Landeplatz aus konnten die Hookers das Schattenschiff in der Ferne sehen. Sieben Sieben Sieben H erhielt den Auftrag, es zu beobachten. Der Roboter nahm am Schaltpult Aufstellung. Somit konnten sich Art und Jane erst einmal um die nötigsten Reparaturen kümmern. Jede Sekunde zählte. Je schneller die SEARCHER wieder im All war, um so größer war die Überlebenschance der gesamten Besatzung. * Beinahe geräuschlos glitten sie heran. Flirrende Umrisse, die fast eins waren mit dem Dämmerlicht, das auf dem Asteroiden herrschte. Man mußte schon sehr konzentriert hinsehen, wollte man sie nicht gleich wieder aus den Augen verlieren. Roboter hatten keine Augen. Ihre hochempfindsamen Sensoren konnte man ebensowenig täuschen wie die des Raumschiffs. Sieben Sieben Sieben H gab umgehend Alarm. »Es sind sechs«, teilte er den Hookers mit. »Nach dem Verlassen ihres Raumschiffwracks haben sie sich verteilt. Meiner Einschätzung nach wollen sie uns einkreisen.« Noch wurden alle sechs Grakos auf den Bildschirmen erfaßt. Aber je näher der Feind kam, um so schwieriger wurde es, ihn vollständig im Blick zu behalten. Die niedrige Schwerkraft ermöglichte den Schatten weite Sprünge, die von
den beweglichen Kameras nur mit Mühe verfolgt werden konnten. »Zeigen wir ihnen, daß es ihnen nichts nützt, uns aus verschiedenen Richtungen anzugreifen«, sagte Art und aktivierte die Waffensteuerung. Keine der Strahlenkanonen war beschädigt, jede war voll einsatzbereit. Art Hooker setzte sie ein – alle. Nach allen Seiten schossen ziellos Energiestrahlen aus den Bordgeschützen und verloren sich irgendwo im Nichts. Deckung gab es auf dem Asteroiden kaum. Dennoch wurde kein einziger Grako auch nur angekratzt. Mit schnellen Bewegungen wichen sie der tödlichen Bedrohung geschickt aus. »So triffst du nie«, befürchtete Jane. »Das waren keine gezielten Schüsse«, erklärte ihr Mann und schaltete die Geschütze aus. »Das war eine Warnung. Die Schatten haben sie offenbar begriffen, sie bleiben jetzt auf Distanz.« Die SEARCHER stand auf unebenem Untergrund. Zwar wurde sie von mehreren ausfahrbaren Stützen in der Waagerechten gehalten, doch eine davon war seit dem Absturz nicht mehr ganz intakt. Die nicht vollständig absorbierten Rückstoßkräfte der Impulssalven gaben ihr den Rest. Als Art und Jane ein leichtes Beben verspürten, war es zu spät zum Handeln. Die defekte Stütze knickte weg wie ein zerbrochenes Streichholz und riß eine zweite mit sich. Mit einem Ruck rutschte das Schiffsheck ab. Für Sekundenbruchteile fiel die künstliche Bordschwerkraft aus. Jane stand ohne festen Halt frei in der Zentrale. Sie spürte, wie ihr die Füße wegglitten und streckte hilfesuchend die Hand aus. Eine metallene Greifzange legte sich um ihr Handgelenk. Jane spürte die Berührung kaum, so sanft, fast schon zärtlich erfolgte der Zugriff des Roboters Sechs Neun Sechs U. Mit derselben Zange hätte er ihr problemlos die Hand abtrennen
oder ihr die Kehle durchschneiden können, doch darauf war er glücklicherweise nicht programmiert. Als sich das Beben gelegt hatte, stand die SEARCHER schief. Zum Schattenraumer hin ragte sie schräg in die Höhe, mit dem anderen Ende berührte sie fast den Boden. Art stieß einen wüsten Fluch aus. »Hölle und Teufel! In dieser Lage können wir uns nicht mehr in jede Richtung verteidigen!« Die Grakos erkannten das Manko und kamen sofort wieder näher. Art setzte erneut eins der Geschütze in Gang. Er steuerte es manuell vom Pult aus, ohne Saams Spezialschaltung zu aktivieren. Kurz hintereinander gab er mehrere Salven ab. Keine traf ins anvisierte Ziel. Auch der Einsatz weiterer Strahlenkanonen führte nicht zum Erfolg. Die Schatten hielten sich stets im toten Winkel der Bordgeschütze. Ihre Absicht war, den Diskusraumer zu umrunden und von der Heckseite her anzugreifen. »Ich muß sie aufhalten, bevor sie die SEARCHER erreichen«, merkte Art entschlossen an. »Angriff ist die beste Verteidigung.« »Soll... soll das heißen, du willst dich ihnen draußen stellen?« stammelte Jane. »Das lasse ich nicht zu.« »Wir haben keine Wahl. Ich greife sie mit den Robotern und dem Flugdozer an.« »Dann komme ich mit!« »Nein, du überwachst den Kampf von Bord aus. Beobachte das Geschehen am Bildschirm und behalte immer eine Hand an der manuellen Waffensteuerung. Sollte einer der verdammten Grakos versehentlich in deine Schußlinie geraten, sorgst du dafür, daß es sein letzter Fehler war.« * »Wenn man einen Fehler macht, sollte man dazu stehen«, sagte Han Hanson, Ingenieur bei Wallis Industries. »Jeder
Mensch kann sich mal irren. Fehler sind ein wichtiger Bestandteil des Lebens, vorausgesetzt, man lernt daraus. Wir haben unseren Fehler eingesehen, die Jungs und ich, und möchten ihn wiedergutmachen.« Sein Freund George Lautrec, der sich in seinem wissenschaftlichen Labor aufhielt, hatte für seine offenen Worte nur ein Schulterzucken übrig. »Starker Vortrag, Han, aber ich kann dir nicht helfen.« »Soll das heißen, du hast Narziß bereits geheilt?« fragte Han erschrocken. »Tu uns das nicht an. Wir mögen ihn so, wie er ist.« »Geheilt? Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal nachdenkst, bevor du den Mund aufmachst?« Der kanadische Wissenschaftler konnte es sich leisten, so mit seinem Freund zu reden, die beiden kannten sich schon ziemlich lange. »Eine Maschine wird nicht geheilt, sie wird repariert. Und man verleiht ihr keinen Namen, sondern versieht sie mit einer Bezeichnung, beispielsweise mit einem Zahlen-BuchstabenKode.« Er räusperte sich. »Von einer Ausnahme mal abgesehen.« Dabei dachte er wohl an Shantons »Wunderhund« Jimmy. »Sechs Neun Sechs U hat einen harmlosen Defekt«, fuhr George fort. »Darüber hättest du getrost hinwegsehen können, schließlich wurde sein Arbeitseinsatz dadurch in keiner Weise beeinträchtigt. Statt dessen hast du mir das leicht funktionsgestörte Gerät zur Reparatur aufgenötigt. Ursprünglich wollte ich es zusammen mit zwei anderen Robotern, die ebenfalls harmlose Funktionsstörungen aufwiesen, bis auf weiteres in einem Lagerraum abstellen. Doch dann erhielt Wallis Industries eine Anfrage von der Regierung, die dringend drei Arbeitsroboter benötigte. Liefertermin möglichst gestern.« »Ihr habt Narziß an die Regierung verkauft? Das hat mir gerade noch gefehlt. Meine Männer reißen mir den Kopf ab, wenn ich ohne ihn in die Halle zurückkomme. Anfangs waren sie froh, ihn endlich los zu sein, doch dann fingen sie an, ihn zu
vermissen. Narziß hatte so was... Menschliches an sich.« »Menschliches?« George fragte sich, warum alle Welt ständig auf seinen Nerven herumtrampelte. »Wir reden hier von einer Maschine, einem Gerät, einem Apparat, kurzum: ein Haufen Stahl mit Drähten und Chips, klar? Von dieser Sorte gibt es Tausende auf dem Industriegelände. Wenn euch der Platz vor dem Spiegel im Waschraum leer erscheint, stellt halt einen anderen Roboter dorthin.« »Das ist nicht dasselbe«, erwiderte Han Hanson mißmutig. »Selbst wenn wir ihn darauf programmieren würden, sich in regelmäßigen Abständen vor dem Spiegel zu betrachten, wäre es nur eine unzureichende Notlösung. Gibt es keine Möglichkeit, Narziß zurückzukaufen? Was stellt die Regierung überhaupt mit ihm an? Für Militäreinsätze ist er völlig ungeeignet.« »Jeder Roboter ist in der Lage, einen militärischen Einsatz durchzuführen«, widersprach George. »Bevor ich die drei Maschinen an die Verkaufsabteilung übergab, unterzog ich sie einer Überprüfung. Es wurden keine gravierenden Fehler festgestellt. Um ihren harmlosen Defekten auf die Spur zu kommen, hätte ich bis in die feinsten Verästelungen der Programmstruktur gehen müssen, doch das dauerte den Käufern zu lange. Sie handelten einen günstigen Preis aus und veranlaßten umgehend den Abtransport.« »Narziß ist ein Arbeiter, kein Soldat.«. »Was seine weitere Verwendung betrifft, verfüge ich nur über spärliche Informationen. Soviel ich weiß, soll Sechs Neun Sechs U auf einem Prospektorenraumer eingesetzt werden, zusammen mit Sieben Sieben Sieben H und Zwo Vier Acht G.« George verschwieg Han, daß auch Sieben Sieben Sieben H inzwischen wieder zurückgefordert wurde. Der neue Roboter, der von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bei Besucherführungen eingesetzt wurde, kam beim Publikum nicht halb so gut an. Verhandlungen mit der Regierung über einen eventuellen Rückkauf oder Umtausch liefen bereits.
»Vielleicht können wir Sechs Neun Sechs U gegen ein anderes Modell austauschen, wenn er aus dem All heimkehrt«, machte George seinem Freund vage Hoffnungen. »Falls er dann noch intakt ist«, entgegnete Han mutlos. »Was soll ihm schon groß zustoßen? Ich schätze, sein Aufgabenbereich besteht in erster Linie aus Hilfestellung bei Ausgrabungen sowie Analysen von Gesteinsproben. Auf einem Prospektorenraumschiff geht es so gemächlich zu wie in einem Seniorenheim.« * In der Zentrale der SEARCHER schloß Art Hooker den Waffenschrank auf. Jeder Roboter wurde mit einem Blaster ausgerüstet. Zwar war die SEARCHER kein Kriegsschiff, dennoch wäre es purer Leichtsinn gewesen, ohne ein gewisses Potential an Nahkampfwaffen ins Weltall aufzubrechen. Gefahren lauerten überall, meistens dort, wo man sie am wenigsten erwartete. Insgesamt gehörten vier Blaster zur Bordausrüstung. Den letzten wollte Art seiner Frau überlassen. Jane lehnte ab. »Du brauchst ihn nötiger als ich.« »Wozu? Im Inneren des Flugdozers könnte ich ihn sowieso nicht einsetzen. Der Dozer selbst ist meine Waffe.« »Und wenn er zerstört wird und du ihn verlassen mußt? Nimm den Blaster, dann fühle ich mich ruhiger. Hier an Bord kann mir nichts passieren. Mein Paraschocker, das Gas und die Automatikwaffen bieten mir ausreichend Schutz. Im übrigen stehen mir die Waffen der Tel zur Verfügung, mit denen komme ich schon zurecht.« Wenig später verließen Sechs Neun Sechs U, Sieben Sieben Sieben H und Zwo Vier Acht G über eine Ausstiegsrampe den Diskusraumer. Hinter ihnen rollte ein vorzeitliches Untier aus dem Raumschiff. Ein Untier auf Kettenrädern, mit zwei Greifarmen, einem scharfen Bohrer und einem eingeklappten Doppelrotor –
der Flugdozer. Art Hooker war der Beherrscher des metallenen Ungeheuers. Vom Führerhaus aus erteilte er ihm Befehle, die die furchterregende Maschine wie ein gehorsamer Sklave befolgte. Ein treuer Diener seines Herrn. Am Ursprungsmodell des Flugdozers hatten die Hookers immer mal wieder Veränderungen und Umbauten vorgenommen. Nicht nur die Einstiegsmöglichkeiten hatte man inzwischen verbessert, auch die Sitzgelegenheiten waren bequemer gestaltet worden. Deshalb konnte sich Art trotz des Raumanzugs verhältnismäßig frei bewegen. Vom Führerhaus ragte nur die Hälfte aus dem Dozer heraus, wie ein gläserner Ausguck. Man bestieg es von oben durch eine Luke. An der Vorderfront des Dozers gab es eine Vorrichtung zum Anbringen austauschbarer Werkzeuge. Damit konnte das Fahrzeug beispielsweise in einen Bagger oder in einen Schaufellader verwandelt werden. Derzeit war dort vorn ein riesiger Bohrer anmontiert, der sich selbst durch härtestes Gestein seinen Weg bahnte. Der Flugdozer war ein Arbeitsgerät, so friedfertig wie seine Besitzer. Diesmal jedoch mußte er sich als Kampfmaschine bewähren – gegen einen Gegner, der gefährlicher und heimtückischer war als eine im Wüstensand lauernde Klapperschlange. Sand gab es auf dem Tofiritasteroiden nicht. Der von feinen Rissen durchsetzte Boden, die breiten, tiefen Krater, die gezackten Hügel und scharfkantigen Unebenheiten spiegelten an manchen Stellen, als hätte man den Planetoiden gerade frisch gewischt. Dadurch war es noch schwerer, die Grakos auszumachen, jene unheimlichen Lichtgestalten, die über die Fähigkeit verfügten, gespenstische Helligkeit zu verströmen und sie gleichzeitig zu verschlucken. Wie war es möglich, Licht und Dunkel im selben Atemzug auszustoßen? Atmeten die Schatten überhaupt, oder bestanden sie nur aus purer Energie?
Art Hooker stellte sich einem Gegner zum Kampf, von dem er so gut wie gar nichts wußte. Die Roboter schwebten dem Flugdozer voran. Art beobachtete sie durch seinen mit gehärtetem Spezialglas versehenen Ausguck. Wieder kam ihm der Ausdruck »Kanonenfutter« in den Sinn. Ihm war nur zu bewußt, daß er die drei Kegel höchstwahrscheinlich in ihren sicheren Tod schickte. Tod? Art Hooker verwischte diesen seltsam anmutenden Gedanken. Was war ihm da bloß in den Sinn gekommen? Sterben konnte nur, was auch lebte. Nicht um die Roboter sollte er sich sorgen, sondern um sich selbst. Wie zur Bestätigung zischte ein feiner schwarzer Strahl dicht über den Dozer hinweg, abgefeuert von einer Handfeuerwaffe der Grakos. Aus welcher Richtung der Schuß gekommen war, konnte Art im nachhinein nicht mehr feststellen. Den Helm seines Raumanzugs hatte er geschlossen, denn außerhalb des Dozers gab es keine Atmosphäre. Schon eine leichte Beschädigung des Flugdozers würde ohne Anzug seinen Tod bedeuten. Die Schatten waren wie vom Erdboden verschluckt. Art ließ sich davon jedoch nicht täuschen. Er wußte, daß diese Meister der perfekten Tarnung nur auf eine günstige Angriffsgelegenheit lauerten. Wahrscheinlich waren sie ihm näher, als ihm lieb war. Das brachte ihn auf eine Idee. Dank leistungsstarker Sprechfunkgeräte standen Jane und er mit den Robotern in ständigem Kontakt. Sowohl vom Flugdozer als auch von der SEARCHER aus konnte man mit ihnen kommunizieren, getrennt oder mittels Konferenzschaltung. Sechs Neun Sechs U erhielt einen Befehl und blieb stehen. Die anderen Roboter setzten ihren Weg fort. Wachsam hielten sie nach den Grakos Ausschau, wobei sie sich gegenseitig
deckten. Art hielt den Flugdozer an. »Ich steige jetzt aus«, teilte er seiner Frau mit. Jane, die auf den Bildschirmen jede Bewegung draußen aufmerksam verfolgte, erschrak innerlich. »Bist du lebensmüde? Der Dozer bietet dir wenigstens ein bißchen Schutz. Wenn du aussteigst, ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert.« »Sechs Neun Sechs U paßt auf mich auf«, war Art überzeugt. »Er weiß, was zu tun ist. Mein Ausstieg soll die Grako-Bastarde aus ihren Verstecken locken. Sobald sich der erste von ihnen zeigt, schießt ihn der Roboter über den Haufen – und ich ziehe mich sofort wieder zurück in den Dozer.« »Das ist purer Leichtsinn!« hielt Jane ihm vor. »Stimmt«, bestätigte er kurz angebunden und öffnete die obere Ausstiegsluke. Zur Verteidigung nahm er den Blaster mit, den Jane ihm regelrecht aufgenötigt hatte. Jetzt war er froh über die Waffe. Die Grakos schlugen schneller zu, als Art gedacht hatte. Kaum hatten seine Füße Bodenkontakt, erblickte er aus dem Augenwinkel heraus einen Schatten, der hinter einem Kraterrand hervortrat und sofort das Feuer eröffnete. Die schwarzen Strahlen verfehlten den Prospektor nur äußerst knapp. Ein Schuß streifte seitlich den Flugdozer, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Sechs neun Sechs U reagierte postwendend. Er vollzog eine gleichermaßen elegante wie blitzschnelle Drehbewegung und richtete den Blaster auf Arts Angreifer. Ein Ladung todbringender Energie jagte auf den Krater zu. Art ging ebenfalls in die Offensive. Während der Roboter nur einen Greifarm benutzte, brauchte er beide Hände, um mit der schweren Waffe genau zu zielen. Ihr Gewicht war bei den Schwerkraftverhältnissen auf diesem Asteroiden zwar ohne Belang, nicht aber ihr gewaltiger Rückstoß. Der Blasterstrahl fauchte aus der Mündung und suchte sich seinen Weg ins Ziel. Beide Schüsse trafen.
Für mehrere Augenblicke nahm man am Krater eine geisterhafte Erscheinung wahr, die von Flammen und Funken umgeben zu sein schien. Nur andeutungsweise konnte man dahinter die Umrisse einer Gestalt erkennen. Während Art noch wie gebannt auf das unheimliche Schemen starrte, setzte Sechs Neun Sechs U einen weiteren Schuß hinterher. Wieder traf der tödliche Energiestrahl sein Ziel. Das Schattenwesen stürzte in den Krater. Dort flog es mit der Wucht einer thermodynamischen Sprengladung auseinander, ein endgültiger Vernichtungsvorgang, der von einem effektvollen Aufblitzen begleitet wurde. Das grelle Licht wurde für Sekunden regelrecht aus dem Krater hinausgeschleudert, als schaltete jemand dort unten eine riesige Taschenlampe ein und knipste sie kurz darauf wieder aus. Hätte Art direkt in den Blitz geschaut, wäre er für mehrere Stunden erblindet. Die schützenden Kraterwände bewahrten ihn glücklicherweise davor. Von nun an war er gewarnt. Wie er es Jane versprochen hatte, wollte er sich wieder in den Flugdozer begeben. Er hüpfte auf die Karosserie und öffnete die Luke. Von der anderen Seite her näherte sich ein zweiter Schatten. Mit einem gekonnten langen Satz, ermöglicht durch die geringe Schwerkraft, sprang der Grako auf die Ladefläche des Dozers. Fast gleichzeitig löste sich ein schwarzer Strahl aus seiner Waffe, die auf Arts Kopf gerichtet war. Art warf sich hin. Dabei rutschte ihm der Blaster aus der rechten Hand und fiel durch die geöffnete Luke nach drinnen. Der Strahl ging über Art hinweg. Sofort wollte der Grako eine zweite Ladung hinterherschicken, da mußte er sich selbst in Deckung begeben. Sechs Neun Sechs U nahm ihn unter Beschuß. Lautlos huschte – anders konnte man es nicht ausdrücken – der Schatten vom Dozer herunter und brachte sich dahinter in Sicherheit. Ein weiterer Grako griff ins Geschehen ein. Der Roboter bemerkte seine Anwesenheit erst, als es zu spät war. Ein
schwarzfunkelnder Schattenstrahl berührte seinen Greifarm und trennte ihn vom übrigen Robotkörper ab. Vom Arm blieb nichts weiter übrig als dunkler kristalliner Staub – und die am Boden liegende Greifhand, deren Metallfinger sich noch um den Blaster krallten. Für einen Moment rührte sich der Roboter nicht vom Fleck. Erschütterte es ihn, daß sein perfekt erschaffener Körper plötzlich einen Makel hatte? Art wollte durch die Luke mit den Beinen voran in den Flugdozer gleiten, doch er hatte einen Augenblick zu lang gezögert. Die beiden Grakos, die links und rechts seines außergewöhnlichen Fahrzeugs standen, nahmen ihn von zwei Seiten ins Visier. Doch da nahte Unterstützung. Sieben Sieben Sieben H und Zwo Vier Acht G befanden sich auf dem Rückweg zum Dozer. Allerdings war ihre Position noch zu ungünstig zum Eingreifen. * Jane Hooker wollte nicht länger tatenlos zuschauen. Von der manuellen Waffensteuerung aus aktivierte sie eins der beweglichen Bordgeschütze und jagte eine Strahlensalve in Richtung des Flugdozers. Ein Schreckschuß, der seine Wirkung nicht verfehlte. Die beiden Grakos, die eben noch auf Art gezielt hatten, wechselten rasch den Standort, um in den toten Winkel des Geschützes zu gelangen. Dafür benötigten sie nur knapp zwei Sekunden, doch die genügten Art bereits, um sich durch die Luke nach drinnen fallen zu lassen. Kein leichtes Unterfangen, wenn man einen Raumanzug trug. Er bekam seinen Blaster zu fassen... ... ebenso wie Sechs Neun Sechs U, der keinen einzigen Moment damit verschwendet hatte, seinem aufgelösten Arm »nachzutrauern«. Statt dessen hatte sich der Roboter mit enormer Geschwindigkeit ausgerechnet, wie seine Chancen
standen, den Blaster zurückzuerlangen. Das Eingreifen der SEARCHER hatte die Situation zu seinen Gunsten verändert. Mit dem ihm noch verbliebenen Greifarm hob der Arbeitsroboter seine verlorene Waffe auf und setzte sie gegen den Grako ein, der ihn angeschossen hatte. Bei einem Menschen hätte man in diesem Fall von Rache gesprochen, aber Sechs Neun Sechs U handelte nicht gefühlsmäßig, sondern berechnend. Er schoß kurzerhand auf den Schatten, der am nächsten bei ihm stand. Sein Schuß verletzte den Grako schwer. Das Schemenwesen flackerte wie eine Flamme im Wind, ein fortwährender Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit. Offensichtlich hatte es große Schmerzen. Art beobachtete die Situation durch den gläsernen Ausguck. Täuschte er sich oder vernahm er tatsächlich Schreie? Sie drangen nicht von draußen herein – konnten das gar nicht in dem Vakuum – vielmehr spielten sie sich in seinem Kopf ab. Es klang, als ertönten sie von weit, weit her. Der verletzte Grako bewegte sich vom Flugdozer weg – und lief in seiner Panik direkt in den Tod. Zwo Vier Acht G und Sieben Sieben Sieben H erlösten ihn mit mehreren Blastersalven von seinen Qualen. Art wußte, was gleich passieren würde und hielt sich schützend die Hände vor die Augen. Nach der erfolgten Thermoreaktion gab es einen haßerfüllten Mörder weniger auf dem Asteroiden. In derselben Sekunde erstarben die fast unhörbaren, grausigen Schmerzensschreie in Arts Kopf. Oder hatte er sich das alles nur eingebildet? Für »Narziß« kam jede Hilfe zu spät. Ihm setzte der Grako, den er kurz zuvor von der Ladefläche des Dozers vertrieben hatte, schwer zu. Ein nicht enden wollender schwarzer Strahl fraß Sechs Neun Sechs U regelrecht auf. Seine ihm noch verbliebenen Extremitäten, seine blinkenden Lampen, seine elektronischen Innereien... alles verschwand oder wurde pulverisiert. Seine Energien wurden regelrecht aufgesogen.
Der gespenstische Strahl brach erst ab, als sich von oben eine riesige Greifklaue auf den Grako herabsenkte und ihn an sechs Stellen gleichzeitig durchbohrte. Einer der beiden hydraulischen Greifer des Flugdozers hatte ihn gepackt und ließ nicht locker. Art war fest entschlossen, jedes Quentchen Leben aus dem Schatten herauszupressen. Als die Thermoexplosion erfolgte, kauerte der Prospektor in der untersten Ecke seiner Kabine, zusammengerollt wie ein Embryo. Außer ein paar Prellungen bekam er nichts ab, obwohl der Dozer stark beschädigt wurde. Die Greifklaue zerfetzte wie brüchiges Papier. Die linke Seitenwand des Dozers riß auf. Auch ein Teil des Schaltpults wurde in Mitleidenschaft gezogen. Art war hart im Nehmen. Sein Flugdozer ebenfalls. Beide waren angeschlagen, aber nicht besiegt. Der Kampf gegen die Pest des Weltalls ging weiter. Sechs Neun Sechs U war nicht mehr zu retten. Der Strahl hatte ihn total zerstört. Was von ihm noch übrig war, hatte nicht einmal mehr Schrottwert. »Kehr um!« bat Jane ihren Mann inständig über Funk. »Drei Grakos habt ihr getötet. Die übrigen werden sich in ihr Schiffswrack zurückziehen...« »... um uns bei nächstbester Gelegenheit erneut aus dem Hinterhalt anzugreifen«, vollendete Art den Satz. »Nein, ich werde beenden, was ich angefangen habe!« Sieben Sieben Sieben H hörte das Gespräch mit. »Eine Gefährdung, die man nicht konsequent mit Stumpf und Stiel beseitigt, stellt nach wie vor eine Bedrohung dar«, mischte er sich ein. »In der Geschichte der Menschheit gab es Tyrannen, die fortwährend fremde Völker drangsalierten und sie rücksichtslos auszurotten versuchten. Dabei schreckten sie nicht einmal vor Massenmord in den eigenen Reihen zurück. Die Mörder nur halbherzig zu bekämpfen, entpuppte sich stets als schwere Fehlentscheidung, die weitere blutige Opfer forderte.« »Die Geschichte der Menschheit ist mir scheißegal!« schrie
Jane unbeherrscht ins Mikro. »Mich interessiert einzig und allein mein Mann! Ich möchte ihn heil und gesund hier an Bord wiedersehen! Aber das begreifst du ja nicht, du seelenloses Sabbelgerät!« Ohne jede erkennbare Regung registrierte der auf Höflichkeit programmierte Roboter, daß seine Einmischung unerwünscht war und schaltete sein Kommunikationsprogramm vorübergehend ab. »Danke fürs Zuhören.« »Er mag ein Schwätzer sein, aber er hat recht«, machte Art seiner Frau klar. »Wenn wir überleben wollen, müssen wir die Grakos erledigen, solange wir noch die Oberhand haben. Ich glaube nicht, daß sie sich zurückziehen werden. Bestimmt beobachten sie mich schon die ganze Zeit über und warten auf ihre Chance.« Jane schwieg. Auch sie wußte, daß die Todesgefahr erst gebannt war, wenn der letzte Schatten auf dem Asteroiden sein haßerfülltes Leben ausgehaucht hatte – aber sie wollte es nicht wahrhaben. Kriegerische Auseinandersetzungen waren ihr zutiefst zuwider. Art startete den Antrieb und aktivierte die Getriebeautomatik. Eigentlich glaubte er nicht so recht daran, daß der Dozer noch fahrtüchtig war, doch versuchen wollte er es wenigstens. Aus der Bewegung ließen sich die drei noch verbliebenen Grakos leichter aufspüren. Ruckelnd und krachend kam das beschädigte Gerät in Fahrt. Die Ketten knirschten, doch sie rollten. Art Hooker stieß einen Freudenschrei aus. Jetzt ist er komplett verrückt geworden, dachte Jane – und sie betete, daß ihm nichts zustieß. Grakos richteten sich nicht nach Gebeten. Kaum rollte der Dozer über die nächste Kuppe, wurde auf ihn geschossen. Ein Schatten, der sich hinter einer Bodenerhebung verborgen hielt, hatte beinahe freie Schußbahn. Zwei schwarze Strahlbahnen verfehlten ihr Ziel, die dritte kam bereits bedrohlich nah.
»Allmählich schießt sich diese verdammte Filzlaus ein«, unterrichtete Art seine Frau, die er ständig auf dem laufenden hielt. »Ich gehe ein Stück vom Kurs ab.« Der Dozer rumpelte über die Kuppe in die Tiefe. Gerade noch rechtzeitig, denn der nächste Schuß hätte unweigerlich das Führerhaus aufgelöst. So streifte der Strahl nur die Luke und beschädigte sie leicht. Feiner Metallstaub rieselte auf Arts Steuerpult. Er informierte die Roboter über den Standort des Schützen und gab den Befehl, ihn anzugreifen. Die beiden übrigen Grakos hatte er noch nicht ausfindig machen können, dennoch war er überzeugt, daß sie sich ganz in der Nähe aufhielten. Sieben Sieben Sieben H und Zwo Vier Acht G lieferten sich ein heißes Feuergefecht mit dem Schatten, der sich hinter einer Bodenerhebung verschanzte. Art kurvte unweit vom Kampfplatz herum. Der Grako bemerkte ihn und wollte erneut auf den Dozer schießen, doch die Roboter gaben ihrem neuen Besitzer Feuerschutz. »Gut so, haltet ihn auf Trab«, murmelte er und setzte das Kettenfahrzeug erneut in Gang. Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit fuhr er von der Seite her über den holprigen Boden auf den schemenhaften Schützen zu. Es gelang dem Grako, einen schwarzen Strahl in Arts ungefähre Richtung abzufeuern, doch aufgrund des ständigen Roboterbeschusses konnte er nur ungenau zielen. Art schaltete den Bohrer ein, der mit hoher Drehzahl zu rotieren anfing, immer schneller und noch schneller. Der Grako wußte, was ihm bevorstand, wenn er noch länger am selben Fleck blieb. Als er aus seiner Deckung aufsprang, ging er ein hohes Risiko ein, doch es war seine letzte Chance. Er richtete seinen Strahler auf Zwo Vier Acht G und betätigte den Auslöser. Von der SEARCHER aus überblickte Jane das komplette Kampfgeschehen. Mit den Kameras machte sie die beiden noch fehlenden Schatten ausfindig. Im Schutz eines schmalen Grabens schlichen sie sich hinterrücks an die Roboter heran.
Janes Warnung kam zu spät. Zwo Vier Acht G wurde zeitgleich von vorn und von hinten von einem Schattenstrahl erfaßt – vom Graben und von der Bodenerhebung aus. Sieben Sieben Sieben H konnte ihm nicht helfen, er mußte sich gegen den dritten Grako wehren, der aus dem Graben heraus auf ihn schoß. Die Energien von Sechs Neun Sechs U waren von der unheimlichen, zerstörerischen Kraft des schwarzen Strahls aufgesogen worden. Bei Zwo Vier Acht G verhielt es sich umgekehrt, seine Energiespeicher luden sich mehr und mehr auf. Der Roboter glühte, schmolz in sich zusammen... Kurz vor der Überladung war seine ursprüngliche Form kaum noch erkennbar. Zwo Vier Acht G war technisch so gut wie tot, es fehlte nur noch der Gnadenstoß. Der Dozer hatte den Grako an der Bodenerhebung erreicht. Art rammte den Bohrer mitten hinein in das nebulöse, wabernde Etwas, woraufhin der schwarze Strahl sofort erlosch. Die Explosion des Roboters konnte er dennoch nicht mehr verhindern. Es zerriß Zwo Vier Acht G mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Die Grakos duckten sich im Graben vor den herumfliegenden Metallteilen. Sieben Sieben Sieben H hatte keine Möglichkeit, in Deckung zu gehen, ihn erwischte die Detonation ungeschützt. Seine Extremitäten wurden ihm abgerissen, sein Kegelkörper verformte sich und wurde von der Wucht der Explosion weggeschleudert. Hart schlug er auf einem Hügel auf und blieb reglos liegen. Einem der Grakos genügte das noch nicht, er sprang aus dem Graben, legte seine furchtbare Waffe auf ihn an und feuerte eine Strahlensalve ab. Auch Art bekam die Auswirkungen der Sprengkraft zu spüren. Der Flugdozer wurde von der Detonationswelle zur Seite gedrückt, geriet aus der Spur und zog sich an einem Felsbrocken weitere Beschädigungen zu. Der Grako, den der Bohrer aufgespießt hatte, war von
flackernden Flammen umhüllt. Jeden Augenblick konnte auch er detonieren. Art legte keinen Wert darauf, die Thermoreaktion aus nächster Nähe mitzuerleben. Mit beiden Händen drückte er den Hebel zum Auswechseln der vorderen Grabwerkzeuge herunter und betätigte einen Schaltknopf. Zu seiner Erleichterung funktionierte dieser Teil der Dozertechnik noch. Der Bohrer wurde ausgeklinkt und fiel mitsamt seiner lebendigen Last zu Boden. Art wendete sein Allzweckfahrzeug. Es ruckelte hin und her und machte einen furchtbaren Lärm, der sich trotz des Vakuums über die Karosserie bis zu Arts Gehörknöchelchen fortpflanzte, aber noch bewegte es sich. Als der sterbende Grako mit Blitz und Getöse zur Hölle fuhr und dabei die beiden Rotoren mit sich riß, schloß Art automatisch die Augen. So schnell wie noch möglich fuhr er in Richtung der SEARCHER. Die beiden noch verbliebenen Grakos nahmen die Verfolgung auf... Jane beobachtete, wie ihr Mann auf einen Krater zuhielt. Sah er nicht den drohenden Abgrund? Alle Versuche, mit ihm in Verbindung zu treten, schlugen fehl. Die Funkanlage im Dozer war offenbar ausgefallen. Da sich die Schatten weiterhin im toten Winkel der Bordgeschütze hielten, blieb Jane Hooker keine Wahl. Wenn sie ihren Mann retten wollte, brauchte sie Verstärkung.
7. Die Bildübertragung zeigte, wie die Impulsstrahlen der Kreuzraumer sich in das Bergmassiv hineinfraßen. Nachdem der Schutzschirm unter den Torpedotreffern zusammengebrochen war, ging das erstaunlich schnell voran. »Warum versuchen die Shirs nicht, den Schirm wieder aufzubauen?« murmelte Dro Cimc. »Diese Passivität ist doch selbstmörderisch!« »Vielleicht sind sie wirklich so friedfertig, wie sie uns erzählen, dann fehlt ihnen die Kampferfahrung«, kommentierte Doorn. »Wir sind nicht in der Lage, sie aufzuhalten«, teilte der Ratsherr mit, der sich bislang um Ren Dhark gekümmert hatte. »Sie werden unsere Depots berauben und jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellt.« »Und die Cyborgs haben mehr als genug mit den Eindringlingen am Haupteingang zu tun«, brummte Tschobe. »Zum Teufel, wenn wir wenigstens ein paar Flash hätten, könnten wir den Nomaden eine Menge Feuer unter den Hintern machen und ihnen zeigen, wie Chappi in die Dose kommt...« Dhark hob die Brauen. Diese burschikose Ausdrucksweise kannte er von dem Mediziner und Funkspezialisten noch gar nicht. »Depots«, sagte Doorn nachdenklich. »Haben die Salter tatsächlich so ärmlich gelebt, wie es uns beim ersten Besuch vorgegaukelt wurde, oder gibt es noch Hinterlassenschaften von ihnen?« Er richtete die Frage direkt an die Shirs. Dhark hielt sekundenlang die Luft an. Daran hatte er noch gar nicht gedacht! Auch wenn die Salter nicht die Mysterious waren, hatten sie trotzdem einen hohen technologischen Standard besessen!
Der Shir, der bisher Dharks Ansprechpartner gewesen war, wandte sich an Doorn, ließ seinen Kopf dabei aber auch zum Commander pendeln. »Es gibt viele Hinterlassenschaften. Und ich hoffe, daß die Nomaden davon nichts wissen. Ihre Macht würde gewaltig anwachsen und sie noch unbesiegbarer machen, als sie es jetzt schon sind.« »Unbesiegbarer als unbesiegbar geht nicht«, warf Dro Cimc ein. »Es ist ein absoluter Begriff.« Der Ratsherr ging nicht darauf ein. »Wenn ihr mich begleitet, führe ich euch zu einem der Depots. Vielleicht könnt ihr mit den Hinterlassenschaften etwas anfangen.« Natürlich begleiteten sie ihn! Diese Chance, zumindest mehr zu sehen und zu erfahren, als man ihnen bisher gezeigt hatte, wollte sich niemand entgehen lassen. Und in dem Kontrollraum konnten sie ohnehin nichts anderes tun als beobachten. Der Shir-Ratsherr führte die Menschengruppe zu einer Magnetbahn, die alle zu einem Lagerkomplex brachte. Ren Dhark schüttelte den Kopf; immer wieder überraschten ihn die Details dieser unterirdischen Welt. Mal mußte man sich endlos lange Strecken zu Fuß bewegen, dann wieder gab es für diese relativ kurze Strecke eine Bahn, und wo genau im Inneren des Bergmassivs sich dieses Depot befand, wagte Dhark schon längst nicht mehr zu schätzen. Der Ratsherr führte sie zu einem gepanzerten Tor, das den dahinterliegenden Raum wie einen Tresor absperrte. Nur der Ratsherr selbst war in der Lage, dieses Tor zu öffnen. Allmählich begriffen die Gefährten, daß dieser Shir eine Sonderstellung in seinem Volk einnehmen mußte. War er vielleicht so etwas wie ein Regierungsoder Geheimdienstchef? Langsam glitt das Tor auf und gab den Blick auf das frei, was dahinter lag. Arc Doorns Kinnlade klappte herunter. Tschobe stöhnte nur auf, und der Tel bekam Augen so groß
wie Flakscheinwerfer. Langsam betrat Ren Dhark die gigantische Halle. Er war fassungslos! * Bram Sass, der Ladiner, dessen Hormonspiegel sich durch einen Organfehler auch in kritischen Situationen nicht veränderte, ließ die Nomaden angreifen. Sein Programmgehirn verriet ihm, daß die Wallis-Robots diesem Angriff standhielten. Nebenbei teilte es ihm routinemäßig wieder mit, wie lange sein Phantzustand bereits anhielt. Die Nomaden versuchten die Schutzschirme der Roboter zu durchschlagen und setzten dafür jetzt Bordwaffen ihrer Transporter ein. Schutzschirmbelastung steigt, warnte das Programmgehirn. Nähert sich dem zulässigen Maximum. Also waren die Waffen der Nomaden doch nicht ganz so wirkungslos, wie es seit dem Raumgefecht zwischen ihren Schiffen und der POINT OF schien. Sass wurde klar, daß er vorsichtig agieren mußte, wenn er diesen Durchbruch verteidigen wollte. Die Wallis-Roboter feuerten zurück. Wieder benutzten sie ihre Blaster, um die Schwebefahrzeuge der Nomaden auszuschalten, und schossen direkt auf die eingebauten Waffen. Eine Hölle aus Feuer und Funken begann im Tunnel zu toben. Innerhalb weniger Sekunden erreichte die Hitze um Bram Sass herum Werte, die ein normaler Mensch nicht ertragen hätte. 83° Celsius! Rechts und links heulten Blasterstrahlen der Nomaden in den Versorgungsschacht, vernichteten Wandverkleidungen, erweiterten die Öffnung. Schmelz- und Verdampfungsprozesse trieben die Temperatur weiter hinauf, allerdings wartete Sass vergeblich darauf, daß auch r-Strahlung freigesetzt wurde. Mit radioaktivem Material schienen sich die Shirs bei der Einrichtung ihrer unterirdischen Welt nicht abgegeben zu
haben. Auch die Impulsblaster der Nomaden lösten keine atomaren Zerfallsprozesse aus. Aber plötzlich flog einer der Roboter in einer grellen Explosion auseinander! Unmittelbar vor Bram Sass, der trotz seiner CyborgReaktionsschnelligkeit keine Chance mehr hatte. Für ihn ging die Welt unter! * »Ich glaube das einfach nicht«, stöhnte Arc Doorn und trat neben Ren Dhark, der einige Schritte in das gewaltige Gewölbe gemacht hatte. Von der Größe her erinnerte es an den Industriedom von Deluge auf Hope, aber hier standen keine Maschinengiganten hintereinandergereiht, sondern... Die gigantische Felsenhöhle unterteilte sich in mehrere Hallen, die an der Frontseite offen waren. In diesen Hallen parkten drei Ringraumschiffe vom S-Kreuzertyp! Die Raumer standen auf ihren je 45 Auslegerpaaren. Nicht so wie damals in der Ringraumerhöhle von Deluge die POINT OF, dachte Ren Dhark unwillkürlich. Die POINT OF hatte mit ihrem Ringkörper unmittelbar auf dem Boden gelegen. Sie war noch nicht völlig fertiggestellt gewesen; diese Arbeit hatten erst die Terraner beendet. Aber hier wie damals standen die Schleusen einladend offen... In den anderen Hallen gab es jede Menge Waffen aller Größen. Das Spektrum reichte von schier endlos langen Regalen mit Handstrahlern und Gewehren bis zu Hallen mit Panzerfahrzeugen und schweren Geschützen auf Selbstfahrlafetten. Arc Doorn fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ob die Ringraumer noch funktionieren?« überlegte er mit leuchtenden Augen. »Feststellen!« ordnete Dhark an, der Doorns Hoffnung teilte. Wenn sie es fertigbrachten, auch nur einen dieser SKreuzer in Betrieb zu nehmen, hatten die Nomaden keine
Chance mehr. Diese Raumer, von den Mysterious ausschließlich als Robotschiffe eingesetzt, waren zwar nicht ganz so gut wie die POINT OF, aber ihr Intervallschutz und ihre Bewaffnung reichten völlig aus. Sofern sie die Schiffe steuern konnten. Aber inzwischen kannten sie ja die kleinen und gemeinen Tricks, um die Schiffe übergeordneten Kontrollzentralen zu entziehen... Fast im Laufschritt stürmten sie in den vordersten Ringraumer, dessen Hauptschleuse zwar groß genug war, auch einen Shir hereinzulassen, nur war danach für diese Giganten Schluß, weil ihre riesigen Körper nicht mehr durch die Korridore der Raumer paßten. »Schluß auch für uns«, kommentierte Arc Doorn ernüchtert und deutete auf eine Schalteinheit neben dem inneren Schleusenschott. »Hier müßte violettes Licht die Betriebsbereitschaft signalisieren... nichts! Aus, tot!« »Vielleicht ein kleiner Defekt...?« hoffte Dro Cimc. »Auch die Technik der Geheimnisvollen ist ja nicht völlig fehlerfrei.« Aber es war kein kleiner Defekt. Der Ringraumer war technisch tot. Es war nicht anders als bei den S-Kreuzern der Terranischen Flotte, die vom weißen Blitz getroffen und ausgeschaltet worden waren wie praktisch jede andere M-Technik auch – sofern sie nicht im Augenblick der Katastrophe zufällig von Intervallfeldern geschützt worden war. »Verdammt«, murmelte Doorn. »Wär' ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein...« In den beiden anderen S-Kreuzern brauchten sie erst gar nicht mehr nachzusehen. Und auch in den Hallen mit den Waffen, Geschützen und Panzerfahrzeugen lag alles komplett still, was auf M-Technik beruhte. Keine Chance, irgend etwas davon zu reaktivieren... Der Shir-Ratsherr lieferte die Erklärung. »Nichts von dieser Technologie, die von den Saltern aus uns nicht ganz verständlichen Gründen hier gesammelt wurde, funktioniert mehr seit dem kosmischen Blitz, der in dieser
Galaxis zuschlug, kurz bevor ihr Terraner mit eurer POINT OF zum ersten Mal nach Drakhon kamt.« Seiner Erklärung zufolge hatten hier alle Völker noch in einer Art Koma gelegen, als Ren Dhark auftauchte. Nur die mental superstarken Shirs hatten sich bereits wieder von dem Schock erholt, die Salter entsprechend konditioniert, die anderen Völker aber noch nicht erreichen können und deshalb die unerwünschten Besucher aus der anderen Galaxis »abgewimmelt«. Mittlerweile war genug Zeit vergangen, daß sich wohl alle Völker wieder mehr oder weniger von dem Schock erholt hatten – aber die M-Technologie war hier nun ebenso wenig brauchbar wie in der Milchstraße. »Das war's dann wohl«, murmelte Dro Cimc. Er versuchte, unbeteiligt zu erscheinen, aber Ren Dhark kannte ihn inzwischen gut genug, um zu sehen, wie niedergeschlagen der Tel war. Hatte er gehofft, nicht nur die Nomaden zurückschlagen zu können, sondern mit einem der S-Kreuzer und der Hilfe seiner terranischen Freunde auch zurück in die Heimatgalaxis zu gelangen? Mit absoluter Sicherheit... »Was wollen wir hier noch?« fragte Manu Tschobe resigniert. »Warum hat der Shir uns hierhergebracht, wenn ohnehin nichts funktioniert? Wenn er nicht so viel größer wäre als ich, würde ich ihm jetzt einen Tritt in den...« »Er wird es uns erklären«, unterbrach Dhark ihn, und es war zugleich die Aufforderung an den Ratsherrn, Auskunft zu erteilen. Auch wenn die Shirs eine ganz andere Mentalität als die Terraner und Tel besaßen, konnte der Commander sich nicht vorstellen, daß angesichts der enormen Bedrohung diese mehr als elefantengroßen Geschöpfe ihre Zeit an Nebensächlichkeiten verschwendeten. Der Shir wies mit einer seiner Extremitäten auf die nächste Halle. »Seht das Offensichtliche«, teilte er mit. *
Lati Oshuta ignorierte die Warnungen seines Programmgehirns. Über die schwache Rückschaltphase ließ er emotionale Überlegungen in die Entscheidungsfindung einfließen und kam zu dem Schluß, ein Risiko eingehen zu müssen, vor dem sein Logikbereich ihn warnte. Er maß die Distanz zum Tunneleingang und gab dann seinen beiden Robotern eine Reihe präziser Befehle. Die beiden Wallis-Robs berührten einander und koppelten ihre Schutzschirme, deren Kapazität dadurch erhöht wurde. Der Cyborg ließ sich ebenfalls von diesem Schutzfeld einschließen. Wieder warnte das Programmgehirn vor dem Risiko. Aber die endgültige Entscheidung traf nicht der Cyborg, sondern der Mensch Oshuta. Er kannte die Leistungskenndaten der beiden Maschinenkonstruktionen und hoffte, die Nomaden mit seiner Aktion überraschen zu können. Er gab das Startsignal! Von einem Moment zum anderen wurden die Antriebe der Roboter aktiv und dabei umgeschaltet, so daß ihre Energieentfaltung zwar weiterhin das Schweben zuließ, aber beide Roboter mit dem sich an ihnen festhaltenden Cyborg immens beschleunigten. Flucht nach vorn! Hinein in das wilde Strahlfeuer der Nomaden – und hindurch! Genau in eine Gruppe von Hundeköpfigen hinein, die mit diesem Ausbruch nicht im Mindesten gerechnet hatten und vor Schreck das Schießen vergaßen! Die beiden mit Karosseriekontakt nebeneinanderfliegenden Kegelroboter fegten die Nomaden mit ihren Schutzschirmen einfach beiseite! Durch! Von diesem Moment an befand sich Oshuta zwischen zwei Fronten, aber so schnell, wie die beiden Roboter flogen, konnten die Nomaden gar nicht reagieren. Als sie begriffen,
daß ihre schon sicher in der Falle geglaubten Opfer gerade an ihnen vorbeigerast waren, hatte der Cyborg bereits den Tunneleingang erreicht. Sein Cyborg-Zustand erlaubte Oshuta keinen Freudenschrei, als er unmittelbar vor sich drei Transporter sah, die gerade in den Tunnel einfliegen wollten. Feuer auf alle drei zugleich! Zwei Roboter nahmen sich die beiden ersten Maschinen vor und der Cyborg die dritte. Blitzschnell hatte Oshutas Programmgehirn errechnet, auf welche Schwebefahrzeuge die Wallis-Robots feuern würden, und der Japaner schoß mit dem schweren Zweihandblaster auf das dritte Objekt. Das flog sogar noch eine Zehntelsekunde früher auseinander als die beiden anderen. Oshuta fühlte keinen Triumph, schneller gewesen zu sein als die beiden Robots, aber er sah, wie das feurige Inferno den Tunneleingang verschloß und teilweise zum Einsturz brachte. Hier kam kein Nomade mehr durch! Im nächsten Augenblick mußte Oshuta diesen frommen Wunsch ins Reich der Legenden verbannen. Waren die Nomaden im Tunnelinneren auch völlig konfus, so reagierten ihre Kameraden draußen in den Raumschiffen um so schneller. »Waffenenergie wird erhöht«, meldete einer der Roboter. Sie schießen den Tunnel wieder auf, erkannte das Cyborggehirn und zwang Oshuta damit, in Deckung zu gehen, weil er eine solche Energieentfaltung auch im Phantzustand nicht überstehen würde. »Toter Winkel erfaßt!« meldete der Rob wieder. »Rettung ausführen!« kam blitzschnell Oshutas Befehl. Da kam der Feuerschlag aus einem der Raumschiffgeschütze! Aber einen winzigen Augenblick vorher hatten beide Robs ihre Antriebe wieder auf maximalen Gegenschub geschaltet. Sie konnten gerade noch verhindern, daß sie mit dem Japaner in die rettende Nische knallten und sich und ihn dabei
plattschlugen. Neben ihnen tobte sich die Urgewalt einer kleinen Sonne aus und verdampfte Trümmer, die den Zugang zum Tunnel erschwerten oder versperrten. Die Hitzeentwicklung konnten die Roboter mit ihrem Verbundschutzschirm nur zum Teil abwehren; für den Cyborg ein Alarmzeichen, weil ihm klar wurde, daß die Energievorräte der Maschinen sich rapide erschöpften. War die Schutzschirmbelastung tatsächlich so extrem hoch? Plötzlich sah Oshuta seine Chance. Sein Programmgehirn warnte erneut, und über die Rückschaltphase verriet ihm sein Unterbewußtsein, daß er völlig verrückt sein mußte. Dennoch schaffte er es, sich über die Warnungen hinwegzusetzen und anzugreifen. Kaum feuerte der Raumer nicht mehr, stürmte Oshuta zwischen seinen beiden Robotern hervor und hetzte nach draußen! Sichtkontakt mit den Nomaden! Die glaubten kaum, was sie sahen, aber ein paar Dutzend rissen trotzdem ihre Waffen hoch, um sie auf Lati Oshuta zu richten. Den brachte jeder Sprung gleich fünf, sechs Meter weit, aber blitzschnell ließ er sich jetzt fallen, rollte sich zur Seite ab, weil sein Programmgehirn ihm verriet, daß er die optimale Position erreicht hatte, und noch aus dieser Bewegung heraus richtete er zielsicher den Zweihandblaster auf eine der Strahlantennen des Raumers über ihm, die noch unter Aktivenergie stand, und feuerte! Es kam zu einer Hochenergieüberladung. Das Waffensystem des Raumers wurde kurzgeschlossen! Unwahrscheinlich grell blitzte es auf. Energieentladung zu stark! erkannte das Programmgehirn. Als Cyborg nahm Oshuta es emotionslos hin, daß diese Explosion ihn töten würde. Die Rückschaltphase wurde automatisch blockiert. Er konnte nicht als Mensch sterben, sondern nur als Cyborg.
Und vor ihm entstand explosionsartig eine künstliche Sonne, deren sich aufblähender Glutball alles verschlang! * »Das ist keine M-Technologie«, murmelte Arc Doorn verblüfft. Regelrecht geblendet durch die drei S-Kreuzer, hatten sie alle den anderen Hallen mit ihren Sammlungen wenig Beachtung geschenkt. Aber jetzt... »Und wenn's keine Technik der Rakes ist, muß sie funktionieren!« entfuhr es Dro Cimc, der unwillkürlich den Namen verwendete, den die Tel den Mysterious gegeben hatten. »Die Salter haben sehr viel an Technik gesammelt, von vielen unterschiedlichen Völkern«, teilte der Ratsherr mit. Ren Dhark dachte an Babylon! Auf diesem Planeten, der jetzt von Terra besiedelt werden sollte, hatten die Mysterious eine riesige Sammlung angelegt – aber keine Sammlung technischer Gegenstände, sondern eine Sammlung präparierter Intelligenzwesen Tausender verschiedener Spezies. Die wenigsten davon waren den Terranern bekannt, aber diesen Sammeltrieb schienen die Salter hier ähnlich perfektioniert zu haben. »Hier paßt doch nichts zusammen«, knurrte Doorn, und Ren glaubte ihm aufs Wort, als der Sibirier behauptete, auf Anhieb allein in einer der Hallen technische Relikte von mindestens einem Dutzend verschiedener Völker unterscheiden zu können. Dabei fragte er sich, warum ihm Doorns Fähigkeit, sich in ihm völlig fremde Technik einfühlen zu können, immer noch nicht unheimlich wurde – denn gerade in diesem Fall war es schon bizarr. »Und keiner dieser Technologien sind wir bisher begegnet«, brummte Doorn und brachte es fertig, dem Ratsherrn einen Knuff ans Bein zu versetzen und die Aufmerksamkeit des Shirs auf diese Weise auf sich zu lenken. »Stammen diese Gegenstände aus Drakhon oder auch aus unserer Milchstraße?«
»Sie stammen ausschließlich aus eurer Galaxis«, verriet der Ratsherr und ließ nicht erkennen, ob Doorns Berührung ihm unangenehm war. »Dann haben wir ja noch viel zu entdecken«, befürchtete Tschobe. Ren Dhark war schon weitergegangen. Über eine Distanz von mehreren hundert Metern rief er den anderen zu: »Das hier kennen wir aber!« Eine dem letzten S-Kreuzer gegenüberliegende Halle beherbergte Waffentechnik der Rateken! Die kannte Ren, weil er sie im Flaggschiff des Singu kennengelernt hatte, als der Terra anflog, um so arrogant wie erfolglos die terranische Waffe gegen das Nor-ex einzufordern. Nachdem einige Flash dieses Flaggschiff in einen Schrottklumpen verwandelt hatten, wurden der Singu und seine Mannschaft von einem terranischen Raumer und ohne die »Waffe« zur Zentralwelt der Rateken zurückgebracht. Ratekische Waffentechnik war brutal und wirkungsvoll! Und sie war bedienbar! »Besser als nichts«, grinste Doorn und rieb sich die Hände. »Dhark, Tschobe, Cimc – was halten Sie von einem Schnellkurs in der Handhabung dieser netten Spielzeuge, damit wir unsere Cyborgs ein wenig unterstützen können?« Wer Dro Cimc sprach für alle. »Worauf warten Sie noch, Doorn?« * Bram Sass hatte die Explosion des Roboters überlebt. Emotionslos registrierte sein Programmgehirn, daß seine rechte Körperhälfte schwerste Verbrennungen erlitten hatte. Sass mußte im Phantzustand bleiben, bis die schwere Verletzung behandelt werden konnte. Sein Leistungsvermögen als Cyborg wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Als Mensch hätte er sich längst nicht mehr auf den Beinen gehalten.
Das Programmgehirn legte die Rückschaltphase vorübergehend still. Solange diese Blockade anhielt, konnte Sass weder seinen Phantzustand aufheben noch vom Zweiten System auf Normal zurückschalten. Er blieb Cyborg, aber das Programmgehirn achtete darauf, daß die Maximaldauer des Phantens nicht überschritten wurde. Noch bestand dafür keine Gefahr. Aber wenn nach Ablauf der Frist keine schnelle Behandlungsmöglichkeit gegeben war, drohte Sass ein recht unangenehmes Sterben. Der Ladiner ging mit dem verbliebenen Robot sofort wieder zum Gegenangriff über. Solange er vom Commander keine andere Anweisung erhielt, galt es, die Nomaden am Vorstoß zu dem Edelmetallager zu hindern. Die Hundeartigen aber bekamen jetzt wieder Auftrieb, nachdem sie es geschafft hatten, einen der Roboter zu vernichten, und versuchten, ihr Erfolgserlebnis zu wiederholen. Es war Sass völlig klar, daß er sie nicht mehr lange aufhalten konnte. Als Mensch hätte er in diesem Moment vielleicht kapituliert. Als Cyborg kämpfte er weiter. Nicht für die Shirs. Sondern gegen die Invasion der Nomaden. * Arc Doorn machte Tempo! Drei ratekische Schwebepanzer hatte er ausgewählt, die offensichtlich älteren Baujahrs waren, nur gab es keine moderneren Konstruktionen; so wie die Mysterious vor tausend Jahren aus der Galaxis verschwunden waren, schienen auch die Salter in ihrem Sammeleifer nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge gewesen zu sein – was durchaus zu ihrer Lügenlegende paßte, mit den Mysterious identisch zu sein. Dhark, Tschobe und Cimc bedienten jeweils einen der ratekischen Kampfpanzer. Es fiel ihnen nicht schwer,
Steuerung und Waffensysteme zu begreifen; selbst ohne Arc Doorns hilfreich-spekulative Erklärungen zu diversen Schaltern hätte es keine Probleme gegeben. Doorn selbst kümmerte sich um Raketenwerfer und Munitionsnachschub. Wie selbstverständlich begann er den Shirs, die sich in den letzten Minuten hinzugesellt hatten, Anweisungen zu geben. Diese riesigen Wesen waren zwar nicht in der Lage, die für sie spielzeughaft kleinen Waffen zu bedienen, weil ihre Extremitäten sich dazu einfach nicht eigneten, aber sie konnten für Munitionsnachschub sorgen, und den organisierte Arc Doorn jetzt. Die Shirs wiesen den Terranern den kürzesten Weg dorthin, wo die Nomaden angriffen – wieder eine völlig andere Route. Was die unterirdischen Straßen anging, folgte deren System einer Logik, die den Menschen absolut fremd war. Ren Dhark dachte an die beiden Cyborgs, die sich schon längere Zeit nicht mehr gemeldet hatten. Existierten sie überhaupt noch? Und kam der Entsatz durch die ratekischen Kampfgeräte nicht längst zu spät?
8. »Was – was ist das für ein Phänomen?« hechelte Pakk Raff entsetzt. In der Bildwiedergabe konnte er verfolgen, wie die blaßroten Strahlen des Ringraumschiffs durch das Schredderfeld drangen – langsam, aber unaufhaltsam. Rings um die Strahlen begannen sich seltsame Röhren zu bilden, innerhalb derer das Feld keinen Einfluß mehr auf diese Strahlen hatte. Das zumindest sagten die Meßwerte aus, welche von den Nomaden an den Ortungsinstrumenten ausgewertet wurden. »Das ist der Tod!« behauptete Priff Dozz. »Pakk, wir müssen verschwinden! Schnell!« Es war offensichtlich, was geschehen mußte, aber der Rudelführer schien es nicht wahrhaben zu wollen. »Raus hier!« heulte Dozz. »Alle! Schnell! Wir müssen diese Anlage verlassen, solange wir es noch können! Wer hierbleibt, ist verloren!« Er rannte schon los. Mochten sie, allen voran Pakk Raff, ihn einmal mehr einen Feigling und Schwächling nennen – damit wurde er fertig. Aber er wollte überleben, und diesmal wartete er nicht ab, bis der Rudelführer sich bequemte, seinen Rat zu beherzigen. Andere Nomaden in der Überwachungszentrale wurden unruhig – und begriffen plötzlich ebenfalls, in welcher Gefahr sie sich plötzlich befanden! Nur gaben sie sich nicht die Blöße, wie Priff Dozz feige davonzulaufen, sondern warteten auf die Anweisung Pakk Raffs. Der zögerte. Flucht war so gut wie undenkbar für einen Nomaden! Aber gerade noch im allerletzten Moment begriff er, wie wenig sie dem Ringraumer entgegenzusetzen hatten! Die, welche jenes Schiff durch ein Wurmloch hierhergeschickt
hatten, statt es gleich selbst zu vernichten, hatten ihm hier ein Schleichhasen-Ei ins Nest gelegt! »Station evakuieren!« bellte Raff und überlegte dabei weniger, wie eine solche Aktion am schnellsten durchgeführt werden konnte, sondern mehr, wie er die im Shir-System operierenden Nomaden hierfür zur Rechenschaft ziehen konnte. Gleichzeitig rannte er los, folgte Priff Dozz. Er sah gerade noch, wie die blaßroten Energiestrahlen des Raumers aus dem Schredderfeld austraten und – ... den Weltuntergang auslösten! * Gebannt verfolgten die Menschen in der Zentrale der POINT OF, wie die Nadelstrahlen sich durch das unerklärliche Hemmfeld bohrten. Leon Bebir begann die Sekunden zu zählen. Wann schlugen die anderen zurück? Die mußten doch mitbekommen haben, daß der Ringraumer sich wehrte. Als Erzeuger dieses Kraftfeldes, dieser rotglühenden Sphäre, mußten sie Möglichkeiten besitzen, festzustellen, was sich in seinem Inneren abspielte! Clifton und Rochard gaben immer noch Dauerfeuer aus allen Antennen. Dabei gingen sie das Risiko eines Energiestaus ein, weil die Energie, welche die POINT OF einsetzte, sich im Bereich der drehbar in der Unitallzelle gelagerten Strahlantennen selbst »überholte«. Die überschüssige Energie, in den Waffenantennen selbst noch überlichtschnell, staute sich auf und wurde vom Unitall aufgefangen und teilweise absorbiert. Die Bildkugel zeigte unheilvolles Aufglühen überall dort, wo die Nadelstrahlen emittiert wurden, und dieses Glühen wurde von Sekunde zu Sekunde stärker und bedrohlicher in seinem Aussehen. Dennoch nahmen weder die beiden Chefs der
Waffensteuerungen noch ihre Untergebenen die Finger von den Feuerschaltern. Daß die Gedankensteuerung des Ringraumers nicht eingriff und die Kontrolle übernahm, um die Waffen abzuschalten, war der Beweis dafür, daß dem Schiff keine unmittelbare Gefahr drohte. Unitall wurde unter Strahlbeschuß so kompakt, daß es jede hochenergetische Strahlung in 16 cm Tiefe zum Stillstand brachte. Die Ausnahme stellte Nadelstrahlbeschuß über mehr als 210 Sekunden Dauer dar. In seiner Zerfallswirkung übertraf Unitall dann jede nukleare Bombe. »Bud, nach 200 Sekunden Feuer einstellen«, riet Jean Rochard über die Bordverständigung seinem Kollegen in der WS-West. Wenn sie es bis dahin nicht geschafft hatten, mit den lahmen Schleichern, zu denen die Nadelstrahlen geworden waren, jenseits des Kraftfelds etwas auszurichten, wurde es für die POINT OF doch noch riskant! »Nach 205 Sekunden«, schlug Bud Clifton vor. Wie lange gab die POINT OF schon Dauerfeuer? 80 Sekunden... 85... »Durch!« schrie Clifton auf. »Durch!« schrie in der Zentrale auch Leon Bebir. Die Bildkugel zeigte es ihnen allen! Jenseits des Feldes waren die Nadelstrahlen von einem Moment zum anderen wieder überlichtschnell und schienen durch die plötzliche »Streckung« trotzdem keinen Kraftverlust zu erleiden! Im gleichen Moment, in dem sie das Feld verließen, schlugen sie auch schon im Ziel ein! Energiestationen flogen auseinander! Stationen, Kraftwerke, die über keine Energieschirme verfügten, weil bei den Nomaden wohl niemand je auf die Idee gekommen war, daß ein Schiff im Inneren dieses roten Feldes sich noch wehren könnte! Und für die Verteidigung nach außen hatten sie bestimmt andere Möglichkeiten! Von einem Moment zum anderen brach das rote Zerstörungsfeld zusammen, als schlagartig fast die Hälfte der Kraftwerke ausfiel, die es mit der erforderlichen Energie
beschickten. Im gleichen Moment gab es auch keine stetige Intervallfeldbelastung mehr, und beide Intervalle zeigten sich nicht mehr in ihrer geschrumpften Form, sondern wieder mit voller Ausdehnung! Überlichtschnell wurden die Nadelstrahlen direkt von den Antennen ausgesandt und entfesselten ein Inferno. Beide Waffensteuerungen gaben immer noch Dauerfeuer in alle Richtungen. Fanden immer wieder neue Ziele. »Riker«, glaubte Hen Falluta warnen zu müssen. »Wir sind keine Vandalen...« Aber Dan Riker erteilte keinen Befehl zur Feuereinstellung. Er ließ weiterschießen. »Ortung wieder klar!« meldete Grappa. »Wir befinden uns in einem Asteroidenfeld, dessen Körper miteinander verbunden sind und...« »... und das ständig kleiner wird«, rief Yell sarkastisch dazwischen. »Wenn wir noch lange weiterfeuern...« Grappa überspielte die Daten in die Zentrale. Gleichzeitig sahen die Menschen dort die Umgebung der POINT OF erstmals völlig klar in der Bildkugel, sahen eine Menge unterschiedlicher Raumschiffe zwischen den Asteroiden, und auch eine Flotte von zehn Kreuzraumern, die jetzt Fahrt aufnahmen. »Energieerzeuger in den Kreuzraumern werden auf Maximalleistung hochgefahren!« meldete Grappa. »Machen Waffensysteme feuerklar!« »Und die anderen Schiffe?« »Sind technisch tot... Schrott, wenn Sie mich fragen!« meldete Grappa nicht gerade vorschriftsmäßig. »Die sind wohl zum Abwracken hier...« »Riker«, mahnte Falluta wieder, während draußen im All auf den Asteroiden ein Kraftwerk nach dem anderen auseinanderflog und einer der Himmelskörper bereits in Energie umgewandelt worden war. »Wir sind keine Grakos...« Jetzt rief auch Bud Clifton durch. »Soll Nadelstrahlfeuer fortgesetzt werden?«
»Lassen Sie etwa drei Kraftwerke unbeschädigt, für eine Notversorgung der Stationen! Falls die Kreuzraumer auf uns schießen, schießen Sie zurück! Diese Burschen sollen einen nachhaltigen Eindruck von unserer Stärke bekommen und sich gründlich überlegen, ob sie noch einmal einen Angriff auf uns riskieren!« Da schossen »diese Burschen« schon. Grell blitzten die Strahlbahnen auf, die wirkungslos an den Intervallfeldern der POINT OF zersprühten und nicht einmal für nennenswerte Belastung sorgten. »Riker!« Falluta schüttelte den Kopf. »Sie sind der Kommandant, aber treiben Sie es nicht zu weit! Wie stark wir sind, wissen sie längst. Jetzt verteidigen sie sich nur noch! Müssen wir wirklich ein Massaker veranstalten?« Im gleichen Moment konzentrierten die beiden Waffensteuerungen ihr Feuerpotential auf die angreifenden Kreuzraumer. Deren Schutzschirme hatten den Nadelstrahlen nicht sehr viel entgegen zusetzen. Zwischen den Asteroiden ging plötzlich eine Minisonne auf, die so blitzschnell wieder verlosch, wie sie erstrahlt war – eines der Nomadenschiffe war in einem spontanen Vorgang in Energie umgewandelt worden. »Wir sind in Drakhon auf uns allein gestellt! Sie müssen lernen, uns in Ruhe zu lassen – hier und jetzt! Dann lassen wir sie auch in Ruhe...« »Da sterben intelligente Wesen!« hielt ihm jetzt auch Bebir vor. Zwei weitere Kreuzraumer scherten brennend aus dem Kurs. Die anderen verschossen jetzt Torpedos, nachdem sie feststellten, daß ihre Impulsstrahlen nur wenig Wirkung zeigten. Mehrere der Geschosse irrten ab und trafen Asteroidenstationen. »Intelligent genug, um keine Rücksicht auf ihre eigenen Artgenossen und ihre eigenen Ressourcen zu nehmen«, konterte Riker. »Und intelligent genug, um uns und die Shirs ohne jeden Versuch einer Verhandlung anzugreifen mit allem, was sie haben!« Er betätigte einige der Steuerschalter. Die
POINT OF nahm Fahrt auf, um aus diesem Hexenkessel auszubrechen. Die Kreuzraumer gingen auf größere Distanz, feuerten aber immer noch aus allen Geschützen. »Die geben nicht auf«, murmelte Riker. »Sie aber auch nicht!« »Mister Falluta, wenn Sie meine Entscheidungen weiterhin in Frage stellen, dürfen Sie das außerhalb der Zentrale tun! Bebir, da Sie nun schon mal verfrüht hier sind, können Sie Ihren Dienst auch gleich antreten. Sie lösen den Ersten Offizier Falluta ab!« Der straffte sich. »Ich übergebe an Zweiten Offizier Bebir!« schnarrte er. »Und ich protestiere gegen Ihr Vorgehen, Kommandant.« »Zur Kenntnis genommen!« Falluta erhob sich. Bebir schaltete alles auf seinen Platz herüber. »Kreuzraumer drehen ab!« meldete Grappa. »Geben jetzt mehr Energie auf Schutzschirme als auf Waffensysteme.« »Na also«, kommentierte Riker. »Feuer einstellen!« Die POINT OF schoß nicht mehr. Riker stoppte den Ringraumer ab. »Funk-Z! Rufen Sie die Nomaden! Anfragen, ob die Stationen und die beschädigten Kreuzraumer Hilfe benötigen!« Aus dem Funkraum kam Glenn Morris' Stöhnen. »Riker, wir kennen doch die Sprache dieser Leute überhaupt nicht! Aus dem wenigen, was wir von ihrem Funkverkehr auffangen konnten, können wir keine Übersetzungen basteln, und selbst wenn wir den ratekischen Translator hierhätten, müßte auch der kapitulieren!« »Benutzen Sie den Checkmaster als Übersetzer und senden Sie die Anfrage in der Sprache der Mysterious!« ordnete Riker an. »Die wird man hier ja wohl verstehen!« »Oder auch nicht«, murmelte Falluta, der ein paar Schritte zurückgetreten war, die Zentrale aber noch nicht verlassen hatte. »Wer versteht sie denn in unserer Milchstraße? Ren Dhark, aber sonst...?«
Riker wandte sich um. »Sie haben recht. Aber versuchen können wir's doch mal, oder?« Aber er glaubte selbst nicht wirklich an einen Erfolg. Außerdem – nachdem die Nomaden grundlos Salteria angegriffen und die POINT OF durch diese Wurmlochfalle gejagt hatten, um sie hier in ein Zerstörungsfeld zu schicken, war er auch nicht besonders daran interessiert, ihnen jetzt auch noch zu helfen. Vielleicht interpretierten sie das Angebot ja auch als eine Aufforderung zur Kapitulation... Jedenfalls hatten sie hoffentlich ihre Lektion gelernt! * Priff Dozz rannte um sein Leben! Panische Angst trieb ihn an, auf diesem Asteroiden den Tod zu finden, wenn das Ringschiff seine Waffen außerhalb des Schredderfeldes wirksam werden ließ! Es war einfach unfaßbar, daß der Raumer immer noch aktiv war. Was war das nur für eine Technik? Hatten die Herren Drakhons diesen Raumer geschickt, um die Nomaden einmal mehr zu attackieren? Während er durch die Korridore lief, hörte er, wie Pakk Raff Evakuierungsbefehle bellte, die von den überall installierten Lautsprechern übertragen wurden. Wenigstens daran denkt dieser blöde Hund, dachte Dozz und näherte sich dem Hangar eines Kleinraumers, der dort für den Fall der Fälle bereit stand. Die Lautsprecher übertrugen aber nicht nur Raffs Befehle, sondern plötzlich auch Krachen und Donnern. Irgendwo auf den Asteroiden fanden Explosionen statt. Das Ringschiff! Seine Kampfstrahlen fanden ihre Ziele, richteten Zerstörungen an! Einzelheiten wollte Priff Dozz lieber erst gar nicht wissen. Er wollte nur weg von hier, wollte überleben.
An seine Frau dachte er nur kurz, um so mehr aber an die schönste von Raffs drei Frauen, und er fragte sich, ob die Hübschen rasch genug evakuiert werden konnten. Er selbst hatte seine Partnerin ja schon darauf hingewiesen, daß sie sich für eine Flucht bereithalten sollte. Und wenn sie es nicht schaffte, war das zwar bedauerlich, aber... Raffs Schöne gefiel ihm doch viel besser! Die mußte es schaffen, lebend davonzukommen, und wenn es bei dieser Flucht Pakk Raff auch noch persönlich erwischte, war das wunderbar, denn ein Toter konnte keinen Anspruch mehr auf seine Frauen erheben, und Dozz bekam endlich eine Chance, sich seiner heimlich Verehrten nähern zu dürfen, ohne bei Raff in Ungnade zu fallen. Allmählich geriet der übergewichtige Dozz außer Atem. Er kam nur noch langsam voran. Die heulenden Sirenen gingen ihm auf die Nerven. Endlich erreichte er den Kleinraumer, ein ellipsoides, etwa dreißig Meter messendes Objekt mit angeflanschten Zusatzmanövriertriebwerken und Flügeln, die ihm das Fliegen in Atmosphären erleichterten. Die Schleuse stand weit offen, nur war die Rampe nicht ausgefahren, aber Dozz nahm sich nicht die Zeit, darauf zu warten, sondern zog sich in einer letzten gewaltigen Anstrengung ins Schleuseninnere hinauf. Er keuchte, rang um Atem. Er verfluchte seine körperliche Schwäche. Was nützte ihm sein Intellekt, wenn es auf Körperkraft ankam, um zu überleben? Das Ringschiff konnte er mit seiner Denkfähigkeit nicht austricksen. Priff Dozz merkte kaum, daß er zu Boden gesunken war. Erst als zum Sirenengeheul noch erneute Aufforderungen zum sofortigen Verlassen der Station kamen, raffte er sich wieder auf. Er hörte schnelle Schritte. Pakk Raff kam! Und Pakk Raff sprach im Laufen in sein Armbandkommunikationsgerät. Lautsprecher übertrugen seine
Worte in jeden Raum der Station und zu jedem anderen Asteroiden, der noch existierte. Dozz taumelte voran. Durch das Innenschott in den kleinen Steuerraum, der nur wenig Platz bot, weil fast alles im Schiff vom Wurmlochgenerator in Anspruch genommen wurde. In der Steuerkanzel waren die Bildschirme aktiv. Im gleichen Moment, in dem jemand das Kleinraumschiff betrat, schaltete die Zentrale sich automatisch in Bereitschaft. Die Schirme zeigten ein Inferno! Kompromißlos zerstörte der Ringraumer ein Kraftwerk nach dem anderen! Die Stationen auf den Asteroiden flogen auseinander, verglühten im Strahlfeuer. Das Schredderfeld existierte längst nicht mehr. Warum verschwand der Kommandant des Ringschiffs nicht einfach? Er hatte doch erreicht, was er wollte, sein Schiff war frei! Dennoch ließ er weiterfeuern! Er vernichtete die gesamte Anlage im Krant-System! Wann war die Hauptstation an der Reihe? Jeden Moment konnten auch hier die ersten Strahltreffer die völlig ungeschützte Konstruktion beschädigen oder vernichten. Weg hier! durchzuckte es Dozz. Er ließ sich in den Pilotensitz fallen. Schleuse zu! Start! Aber Pakk Raff war noch draußen. Raff, der auf den Kleinraumer zurannte, um ebenfalls mit ihm die Flucht zu ergreifen! Ins Schwarze Loch mit Pakk Raff! Der kosmische Blitz soll ihn treffen! dachte Dozz in verzweifelter Wut, weil jede Sekunde, die verstrich, die Erfolgschancen der Flucht verringerten. Dozz war drauf und dran, ohne Raff zu starten. Er wollte überleben! Und wenn Raff jetzt in den Hypo-Ionen-Partikeln des startenden Raumers verglühte, hatte er es sogar noch schneller hinter sich, als wenn er in den zerblasterten Trümmern der Station starb. Zudem konnte Dozz dann versuchen, Raffs
Frau... Und er startete doch nicht ohne Pakk Raff. Was sollte er ohne den obersten Rudelführer anfangen? Der war sein Gönner und hatte ihm erst diese hohe Stellung als Berater mit allen dazugehörigen Privilegien verschafft. Jeder andere würde Dozz spielend leicht niederbeißen und ihn ans letzte Ende der langen Kette stellen oder sogar töten. Priff Dozz wollte Macht, er klebte daran, weil er sonst nichts hatte, aber diese Macht besaß er nur, solange Pakk Raff Rudelführer war und seine schützenden Pranken über ihn halten konnte. Wenn Dozz überleben wollte, mußte auch Raff überleben. Da hechelte Raff herein! Endlich, dachte Dozz erleichtert und hieb auf die Schalter, die beide Schleusenschotts zuknallen ließen. Notverriegelung! Und zugleich Blitzstart, aber Dozz wartete nicht, bis die Automatik des Hangars den Startvorgang erkannte und das große Schott öffnete, sondern öffnete es selbst, indem er die Bugwaffen des Kleinraumers auslöste. Der Zwillingsimpulsblaster schmolz das Hangarschott und fegte die Teile durch den Lichtdruck hinaus in den freien Raum. Gleichzeitig katapultierte das Triebwerk den Kleinraumer nach draußen. Ein paar Herzschläge lang kam Andruck durch, der Raff gegen die Wand der Steuerkanzel schleuderte, in die er gerade stürmte, und Dozz wurde in die Lehne des Pilotensitzes gepreßt. Dann normalisierte sich alles wieder. Raff sprang in den Ko-Sitz und überließ Dozz weiterhin die Steuerung. Aber er benutzte den Funk. Die zehn Raumer der Wachflotte erhielten Befehl, das Ringschiff anzugreifen und zu zerstören. Das hätten wir billiger haben können, wenn du Narr auf mich gehört und das Schiff gleich in die Sonne abgestrahlt hättest! dachte Dozz bitter, aber er wagte nicht, seine Gedanken in Worte zu kleiden. Er sah die Wut in Raffs Gesicht und wußte, wie leicht es dem fallen würde, seinem Berater die
Kehle durchzubeißen – unabhängig davon, ob es hier Zeugen für einen Kampf gab oder nicht. »Was ist mit den anderen?« fragte er statt dessen. »Die Stationsbesatzung, die Kraftwerksmannschaften...« »Die müssen zusehen, wie sie sich durchschlagen!« knurrte Raff. »Wer überlebt, überlebt. Wer stirbt, stirbt. Ich hasse diese Fremden in ihrem Ringschiff!« Priff Dozz keuchte auf, als ihm ein verrückter Gedanke kam. »Pakk, hast du schon einmal daran gedacht, daß wir es mit Robotern zu tun haben könnten?« * »Keine Antwort«, meldete Glenn Morris nach fünf Minuten. »Sie reagieren nicht auf unseren Anruf.« Dafür flüchteten sie. Als erstes Objekt hatte Tino Grappa einen Kleinraumer gemeldet, der recht spektakulär startete, indem er das Hangarschott der großen Kugelstation einfach von innen aufschoß. Den Daten zufolge bestand dieser Raumer fast nur aus Antrieb und Waffen. »Die Privatjacht des Chefhalunken«, vermutete Grappa. Danach lösten sich in mehr oder weniger größeren Abständen andere, relativ kleine Raumschiffe von der Hauptstation, obgleich die kein direktes Angriffsziel der POINT OF dargestellt hatte. Bei den größtenteils zerstörten Kraftwerksasteroiden gab es kaum noch Bewegung. »Verfolgen wir den Kleinraumer?« fragte Leon Bebir. Riker schüttelte den Kopf. »Wozu? Die Jungs haben ihren Denkzettel gekriegt. Wenn wir jetzt noch eins draufsetzen würden, wären wir tatsächlich wie die Grakos. Ich hoffe, diese Nomaden werden es sich künftig zweimal überlegen, ob sie uns angreifen oder nicht.« »Oder sie schicken uns die gesamte Flotte auf den Hals, über die sie verfügen«, meldete sich Hen Falluta aus dem
Hintergrund, der seinen Mund trotz des Verweises nicht halten wollte. »Und dann könnten viele Hunde des Hasen Tod sein.« Riker drehte seinen Sessel und sah Falluta an. »Vielleicht haben Sie recht, Hen. Wir kennen sie nicht, wir wissen nichts über ihren Einfluß, ihre Stärke. Wir können nur hoffen, daß wir sie eingeschüchtert haben. Deshalb habe ich gleich zu Anfang das große Kaliber eingesetzt. Damit sie uns nicht beim nächsten Mal hundert oder zweihundert Schiffe auf den Hals hetzen – falls sie über so viele Schiffe verfügen.« »Und wenn sie tausend oder zweitausend Raumer schicken? Oder zwanzigtausend, wie damals die Robotflotte der Mysterious über Terra?« »Dann haben wir Pech und vermutlich anschließend keine Sorgen mehr«, brummte Riker. Der Erste Offizier erwiderte nichts. Über die Bordverständigung meldete sich die Astroabteilung. Jens Lionels Abbild erschien auf dem Monitor; im Hintergrund wuselte der dürre Ken Wask in seiner typischen Hektik herum und redete auf Lionel ein, ungeachtet der Tatsache, daß der gerade mit der Zentrale sprach. »Wir haben die stellare Position dieses Systems errechnet«, teilte der Chefastronom der POINT OF mit. »Ich gebe die Koordinaten zum Checkmaster durch. Dieses Wurmloch hat uns etwa fünf Lichtjahre weit gebracht, mehr nicht.« »Ziemlich langsame Transportmethode«, ereiferte sich Ken Wask im Hintergrund. »Wie lange haben wir für die fünf Lichtjahre gebraucht? Zehn Minuten, nicht?« »Langsam?« mischte sich noch eine Stimme aus dem Hintergrund ein – Jerome Sheffield, kaffeesüchtig und dafür bekannt, daß er mehr Zeit darauf verwendete, einen Weg zu finden, um seine Arbeit mit minimalem Aufwand zum maximalen Erfolg zu bringen als für die Arbeit selbst. »Wenn wir die Strecke mit dem Sternensog fliegen, Kollege, brauchen wir allein für Beschleunigung und Abbremsen mehr Zeit als für den Flug an sich! Nur Transitionen sind schneller...« »Die hier aber nur ein paar Lichttage weit führen, und der
Teufel soll die verrückten Verhältnisse in diesem Raumsektor holen!« knurrte Wask, der nicht nur Astronom, sondern auch Astrophysiker war und ebenso wie Lionel, Hu, Vandekamp und die anderen immer noch rätselte, womit sie es in Drakhon, wo einige Naturgesetze nicht mehr zu gelten schienen, wirklich zu tun hatten. »Über Details einigen Sie sich bitte intern«, kommentierte Dan Riker und schaltete ab. »Fünf Lichtjahre – das ist ja nicht sehr weit. Dann wollen wir mal...« Nur fünfzig Jahre vorher wäre eine solche Distanz noch unüberbrückbar gewesen, aber seit der Erfindung des TimeEffekts, der Verschiebungen im Raum über maximal 1,7 Lichtjahre ermöglichte, hatten Lichtjahrentfernungen ihren Schrecken verloren. Und seit man den Transitionsantrieb der Giants nachbaute oder mit Ringraumern der Mysterious flog, spielten auch Lichtjahrzehntausende keine bedeutende Rolle mehr. Riker ließ den Checkmaster die Flugdaten berechnen. Dann nahm die POINT OF Fahrt auf. Sie ließ das Chaos hinter sich zurück. * Das Kleinraumschiff mit Priff Dozz und Pakk Raff entfernte sich rasend schnell von den brennenden Asteroiden. Verbittert registrierte Raff, daß die Kreuzraumer sich nach einem ebenso kurzen wie verlustreichen Gefecht zurückzogen und das Feld dem Feind überließen. Daß er selbst ebenfalls floh, sah er nicht als Feigheit, sondern als bittere Notwendigkeit an – er mußte den Nomaden als oberster Rudelführer erhalten bleiben! Daß die anderen ebenfalls zu überleben versuchten, war eine andere Sache. Aber dann nahm das Ringschiff Fahrt auf, nachdem es unverständliche Funksignale gesendet hatte. Der Raumer verzichtete auf weitere Zerstörungen und darauf, seinen Sieg
auszukosten. Er verschwand einfach! Raff verstand das nicht. Aber er verzichtete darauf, seinem Berater einen Erklärungsversuch abzufordern. Denn er ging davon aus, daß auch Priff Dozz nicht viel mehr begriff als er selbst. Pakk Raff wußte nur eines: Er haßte die Fremden, die dieses Raumschiff flogen, für die Demütigung, die sie ihm mit der Zerstörung der Schredderanlage zugefügt hatten. Gleichgültig, ob sie Roboter oder Organische waren. Er haßte sie aus tiefstem Nomadenherzen.
9. Lati Oshuta öffnete die Augen wieder und wunderte sich, warum er nicht tot war. War nicht gerade vor ihm einer der Raumer explodiert? Aber er selbst war ungeschoren davongekommen! Ringsum tobte das Chaos. Trümmer, Feuer, Schreie, Maschinenlärm. Rauch und Feuer. Sichtweite nur ein paar Meter, aber als Cyborg brauchte er sich nicht auf das eingeengte Spektrum zu beschränken, in dem menschliche Augen sahen. Er durchblickte Qualm und Flammen, checkte seine Umgebung. Warum er noch lebte, konnte ihm der Logikbereich seines Programmgehirns nicht verraten. Gespeichert war nur, daß er durch einen Strahlschuß das Waffensystem eines Kreuzraumers überladen und damit die Explosion erzeugt hatte. Da mußte verdammt viel kurzgeschlossen und durch Überladung gezündet worden sein im Nomadenschiff, um diese Zerstörung einzuleiten. Der Cyborg errechnete, daß er einen zweiten Treffer dieser Art nicht erzielen konnte. Der Strahler, den er mit seinem Schuß getroffen hatte, mußte gerade in jenem Moment feuerklar gewesen sein. Eine Hundertstelsekunde vorher oder nachher hätte das Ergebnis entschieden harmloser ausgesehen. Die Explosion muß die Nomaden demoralisieren, entschied er und ging dabei von terranischer Mentalität aus. Die der Hundeköpfigen war aber völlig anders! Das zeigte sich nur eine Minute später. Wo Terraner geschockt gewesen wären, reagierten die Nomaden hyperaggressiv! Zwei Raumschiffe zugleich eröffneten das Feuer. Dabei interessierte die Schützen nicht, ob sie die Trümmer ihres eigenen Raumers zerschmetterten oder eigene Überlebende
verdampften, die sich noch zwischen ihnen und dem Tunneleingang befanden. Die Impulsstrahlen heulten aus den Schiffsgeschützen und verwandelten alles, was nach der Explosion noch nicht brannte, in eine flammende Hölle. Oshuta konnte nur den Kopf einziehen und abwarten, bis es vorbei war. Jeder Versuch, aufzuspringen und zu flüchten, wäre sein Tod gewesen. Er hatte beinahe unwahrscheinliches Glück. Er lag hinter einem riesigen Trümmerstück, das ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte – er wäre darunter zerstampft worden, hätte es ihn getroffen. Das Stück wurde von einem Strahlschuß der Nomaden getroffen und schmolz zusammen, und Oshuta mußte sich flach über den Boden davonrollen, um von der sich ausbreitenden glutflüssigen Masse nicht erreicht und verbrannt zu werden, aber er schaffte es, zu entkommen und stellte fest, daß die Bordwaffen der Nomaden nicht besonders gut waren. Ein Giant-Raumer hätte allein mit dem Tremble-Schock weit größere Zerstörungen angerichtet, und selbst die Amphis besaßen wirkungsvollere Waffen. Ich muß zurück in den Tunnel! Hier draußen bin ich nicht sicher! erkannte der Cyborg. Aber vor dem Tunneleingang gab es nur noch glühende Lava, durch Strahlbeschuß aufgeheizt. Da war kein Durchkommen mehr möglich. Und die Wallis-Roboter konnten ihn nicht abholen; sie boten zu große Ziele und würden sofort abgeschossen werden. Denn so schlecht waren die Schiffsgeschütze der Nomaden nun auch wieder nicht, daß sie die Schutzschirme der Robots nicht problemlos hätten durchschlagen können. Wenigstens hinderte die glutflüssige Masse auch die Nomaden daran, den Tunnel zu betreten. Das Ziel war erreicht, der Zugang zum Tunnel blockiert. Vorerst. Aber Oshuta befand sich auf verlorenem Posten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Feind ihn erwischte. Auch der letzte Raumer war jetzt gestartet, und über sein Zweites System
registrierte der Cyborg die Ortungsimpulse, mit denen die Nomaden arbeiteten. Sie würden ihn finden. Der Berechnung seines Programmgehirns zufolge innerhalb der nächsten 17 Minuten. Das war genau die Zeitspanne, die ihm noch zum Leben blieb – aber nicht zur Flucht, weil er nicht mehr entkommen konnte! Als Cyborg nahm er es hin; die Emotion Furcht war dem Zweiten System unbekannt. Lati Oshuta wartete auf sein Ende. * Die ratekischen Panzerfahrzeuge rückten vor. Dhark, Tschobe und Cimc kamen mit den Maschinen zurecht, während Doorn sich um den Munitionsnachschub kümmerte. Ren Dhark hatte sich, als er das unterirdische Reich der Shirs betrat, nicht vorgestellt, in welcher Geschwindigkeit er mit dem Kampfpanzer die Strecke in der entgegengesetzten Richtung wieder zurücklegen würde, aber schon bald traf er auf die ersten Nomaden, die ohne Vorwarnung das Feuer eröffneten. Strahlschüsse aus schweren Impulswaffen trafen seinen Panzer, ließen Flammenbahnen über die Außenhülle jagen. Die Metallkeramikmischung erhitzte sich rasch, ließ aber – noch – keinen Treffer durch. Neben Dharks Panzer dröhnte und blitzte es auf. Cimc verschoß Bodenraketen, die zwischen den Nomaden detonierten, ihre Transportschweber beschädigten und zum Absturz brachten. Innerhalb weniger Augenblicke war dieser Teil des Tunnels eine bizarre Hölle aus Explosionen und Rauchschwaden. Wie gefährlich die Nomaden waren, begriff Ren erst, als Tschobe aus seinem Panzer aussteigen mußte. Die Hundeköpfigen hatten ihn manövrierunfähig geschossen, und nachdem er nicht mehr ausweichen konnte, war er hochgradig
gefährdet! Dhark und der Tel schirmten Tschobes Schrottpanzer kurzfristig ab, so daß der Afrikaner Gelegenheit bekam, auszusteigen. Er fand bei Wer Dro Cimc Platz. Währenddessen mußte Dharks Panzer einige Treffer hinnehmen. Endlich schaffte es Arc Doorn, ferngesteuerte Raketenwerferlafetten herbeizuführen, die ihre Geschosse den Nomaden entgegenjagten. Welcher Technik die Werfer entstammten, blieb ungeklärt. Über Funk stand Ren mit den Shirs in Kontakt. Die unterrichteten ihn, daß der Tunneleingang verschlossen zu sein schien, Nomaden aber immer noch den Seitenstollen berannten, der zum Edelmetallager führte, und daß sie inzwischen mit Schiffskanonen einen weiteren Gang in den Fels vorantrieben, zu einem weiteren für sie lohnenden Ziel. Was mit den Cyborgs war, konnten die Shirs allerdings auch nicht verraten. Cimc rückte mit seinem Panzer vor, und Doorns ferngesteuerte Raketenwerfer, voll aufmunitioniert, jagten Schuß auf Schuß durch den Tunnel, um den Weg zu bereiten. In halbwegs sicherem Abstand folgten Shirs mit Munitionsnachschub, aber wenn nachgeladen werden mußte, war es jedesmal an den Rateken-Panzern, für Deckung und Schutz zu sorgen. »Diese Giga-Elefanten sind für den Kampf tatsächlich keinen Schuß Pulver wert«, behauptete Doorn über Vipho. »Die begreifen nicht mal, daß sie den Kopf einziehen müssen, wenn sie unter Beschuß geraten... kein Wunder, daß es gleich zu Anfang Tote gab!« Friedfertige Shirs... Offenbar war doch etwas an dieser Selbsteinschätzung der Riesen dran. Dhark fragte sich, ob die Salter, falls sie auf diesem Planeten geblieben wären, eine bessere Verteidigung hätten organisieren können. Und wenn die M-Technik noch funktioniert hätte... Die drei S-Kreuzer...
Aber M-Technik spielte keine Rolle mehr. Plötzlich lagen ihnen Trümmer eines nomadischen Transporters im Weg. Direkt dahinter gab es eine Öffnung im Tunnel, aus der Blasterfeuer loderte. Der Seitenkorridor, von dem Sass gesprochen hatte! Die beiden Panzerfahrzeuge rückten vor. Cimc zwang seine Maschine in diesen Seiteneingang, um die Front von hinten aufzurollen. »Wir kümmern uns um Sass!« funkte Tschobe. Ren rückte mit seiner Kampfmaschine weiter vor. An ihm vorbei heulten immer wieder die Raketen, die Doorn von den Automaten abfeuern ließ. Längst war mit Normalsicht nichts mehr zu erkennen, und die Nomaden wichen tatsächlich immer weiter zurück, gaben längst erobert geglaubtes Territorium auf, um zu überleben. Der Tunnelkrieg war mit ihren eigenen Waffen nicht zu gewinnen. Der Commander ahnte, daß das nicht lange so bleiben würde. * Bram Sass stellte plötzliche Verwirrung unter seinen Gegnern fest. Von einem Moment zum anderen ließ deren Angriffswut nach, und das gerade in dem Moment, wo sein zweiter Roboter in einer grellen Explosion verging. Dieser Abschuß hätte die Nomaden doch eigentlich weiter beflügeln müssen! Statt dessen schossen sie nicht mehr in Richtung des Cyborgs, gerieten regelrecht in Panik. Da erkannte Sass hinter den Gegnern ein großes gepanzertes Fahrzeug, dessen Konstruktion ihm unbekannt war, aber die Hundeköpfigen schienen es auch nicht zu kennen, denn einige von ihnen versuchten, darauf zu schießen. Andere ließen sich einfach fallen und spielten toter Mann. Unterstützung! erkannte Sass' Programmgehirn. »Sind Sie das, Dhark?« fragte er über Vipho an. »Oder einer Ihrer
Leute?« »Tschobe«, meldete sich der Afrikaner. Derweil rollte der Panzer einfach weiter. Nomaden, die sich totgestellt hatten, sprangen wieder auf, um nicht unter der Kampfmaschine zerdrückt zu werden, und schafften es, am Panzer vorbei zu flüchten. Aber als einige von ihnen dann auf die Idee kamen, von der Rückseite her auf die Maschine zu feuern, mußten sie feststellen, daß ratekische Konstrukteure auch damit gerechnet hatten. Schockwaffen, die auch nach rückwärts feuern konnten, streckten die Hundeköpfigen reihenweise nieder. Der Panzer stoppte. Eine Luke wurde geöffnet. Bram Sass kletterte hindurch und sah Tschobe und den Tel. »Wo ist Dhark?« »Weiter geradeaus, und wir machen hier gleich den Seitengang dicht«, erklärte Dro Cimc. Tschobe starrte den Cyborg etwas entsetzt an. »Ihr Götter und Götterchen – Sass, Sie sehen ja furchtbar aus! Schalten Sie bloß nicht vom Zweiten System zurück auf Normal! Haben Sie gephantet?« »Ja.« »Dann bleiben Sie vorerst dabei, bis wir Sie behandeln können.« Mit fahlgrauem Gesicht begutachtete der eigentlich schwarzhäutige Arzt die Brandverletzungen des Cyborgs, verzichtete aber auf jede weitere Bemerkung. Sass wußte wahrscheinlich selbst, daß er als Mensch längst tot wäre. In dem schmalen Schacht konnte Dro Cimc den Panzer nicht wenden, sondern ließ ihn jetzt einfach rückwärts rollen. Nur ein paar Sekunden lang zögerte er, als er auf einem Monitor Nomaden sah, die paralysiert im Weg lagen. An ihnen vorbeizufahren, war unmöglich. Soldatenschicksal. Der Tel stoppte den Ratekenpanzer nicht ab. *
Ren Dhark rückte weiter vor, unterstützt von Doorns ferngesteuerten Raketenwerfern. Die Nomaden mußten sich zurückziehen, wenn sie überleben wollten. Was tue ich hier eigentlich, verdammt noch mal? dachte der Commander. Er war doch immer darauf bedacht gewesen, möglichst Frieden zu bewahren, und hier mußte er Krieg führen – einen Krieg, den er nicht wollte, der ihn auch nichts anging, in den er aber hineingezogen worden war, weil der Gegner mit Sicherheit keinen Unterschied zwischen Terranern und Shirs machen würde. Dhark fuhr geradewegs in ein feuriges Chaos hinein. Trümmer versperrten den Weg nach draußen, aber auch den in den Tunnel hinein, und von dem Cyborg war nichts zu sehen, aber die beiden Wallis-Roboter konnten den Panzer nicht als Freund identifizieren und begannen plötzlich, ihn zu beschießen. »Verdammt, Oshuta!« schrie Dhark in sein Vipho. »Wo sind Sie? Stoppen Sie die Robots!« Ein paar Sekunden lang geschah überhaupt nichts. Dann klang die Stimme des Japaners auf. »Commander, ich bin draußen! Was ist mit den Robotern?« Dhark erklärte es ihm. »Ich kann die Maschinen nicht mehr erreichen, Commander«, bedauerte der Japaner, »und die reagieren nur auf akustische Befehle, so wie sie gerade programmiert sind... aber hier draußen beginnt jetzt ohnehin der Anfang vom Ende. Dhark, wenn ich das richtig sehe, werden die Kreuzraumer gleich keine Impulsstrahlen mehr verschießen, sondern Torpedos, wie sie es gemacht haben, um hier und anderswo Schutzschirme aufzubrechen, nur gibt' s so was hier am Tunneleingang ja nicht mehr... hauen Sie ab, Dhark, ziehen Sie sich zurück! Sonst ist Ihr Skelett in ein paar Minuten Holzkohle!« Daß Cyborgs, die auf ihr Zweites System geschaltet hatten, Witze machen konnten, war auch Ren Dhark neu. »Oshuta...« »Ich meine es ernst, Commander! Rückzug! Hier ist gleich
alles vorbei... den Shirs können wir nicht mehr helfen, aber Sie können versuchen, irgendwie zu überleben! Sayonara, Dharksan...« Oshuta hatte abgeschaltet! Dhark schüttelte den Kopf. Die Nomaden wollten Torpedos in den Tunnel schießen? Das war doch Irrsinn! Sie mußten doch wissen, daß sie damit auch die eigenen Leute töteten! Warum nahmen sie darauf keine Rücksicht? Aber wenn Oshuta es sagte, mußte es stimmen. Die Sensoren seines Zweiten Systems mußten erfaßt haben, welche Waffen die Raumer einsetzen würden. Trotzdem wollte er Oshuta nicht einfach im Stich lassen. Verdammt, es mußte doch eine Möglichkeit geben, an den eigenen Robotern vorbei nach draußen zu kommen und den Japaner aufzunehmen! Aber wie sollte er das schaffen? * Sternensog jagte die POINT OF ihrem Ziel entgegen. Für fünf Lichtjahre Distanz benötigte der Ringraumer nicht ganz drei Stunden – die meiste Zeit ging für Beschleunigung und Abbremsen drauf. Wieder einmal konnten die Terraner nur den Kopf darüber schütteln, daß in Drakhon der eigentlich »schnellere« Transitionsantrieb nur einige Lichttage weit reichte, und Kontinuumsexperte H. C. Vandekamp vermutete intervallfeldähnliche Strukturen, weil das Intervallfeld als »Transitionsbremse« galt. »Als wenn wir nicht schon genug Rätsel zu lösen hätten!« knurrte Pal Hertog verstimmt. »Dabei wissen wir immer noch nicht hundertprozentig, ob Drakhons Kollision mit unserer Milchstraße tatsächlich für die Magnetfeldstörungen verantwortlich ist oder nicht... und jetzt gibt's dafür hier in Drakhon keine magnetischen Stürme, aber leider auch keine Transitionsreichweite – verdammt noch mal, welche Probleme liefert uns Dhark als nächstes frei Haus?«
In der Zentrale der POINT OF war das nächste Problem bereits bekannt. Es trug den Namen »Nomadeninvasion auf Salteria«. Riker und Bebir teilten sich die Schiffsführung. Inzwischen war Fallutas Schicht endgültig zu Ende, aber so wie Bebir früher aufgetaucht war, konnte der Erste Offizier jetzt nicht einfach gehen. Rikers Verweis war Schnee von gestern; auch wenn Falluta das radikale Vorgehen des nominellen terranischen Flottenchefs nicht billigte, war ihm doch klar, daß Riker als Kommandant Widerspruch in der von Falluta geäußerten Form nicht hatte dulden dürfen. Riker hingegen verstand auch Fallutas Motivation. Man war sich gegenseitig nicht gram. An Bord der POINT OF galten eben andere Maßstäbe als in den übrigen Raumern der TF. Der Ringraumer stieß ins Doppelsonnensystem der Shirs vor. Planet 4, Tarrol, die Medo-Welt der Salter, blieb unbeachtet. Ziel war Planet 3, Salteria. »Bodenkämpfe«, meldete Grappa. »Der Zugang zum Höhlensystem der Shirs wird umkämpft. Riker – die Kreuzraumer machen Torpedos scharf, mit denen sie auf den Tunneleingang feuern wollen!« »Morris, Verbindung mit Commander Dhark herstellen!« verlangte Leon Bebir derweil. Die Verbindung kam zustande. Mit wenigen Worten informierte Dhark die Gefährten in der POINT OF über die jüngsten Geschehnisse. Daß er heilfroh darüber war, sie alle lebend wiedersehen zu können, verriet er nicht, aber man konnte es in der Bildübertragung seinem müden Gesicht mit den trotzdem hell strahlenden Augen ansehen. »Wir regeln das«, versicherte Dan. »Und dann kommen wir euch holen!« Falluta hüstelte. Riker zuckte mit den Schultern. »Tun Sie was gegen Ihren Hustenreiz, Hen, denn wir regeln das jetzt genau so wie vor ein
paar Stunden in der Asteroidenstation der Nomaden!« * Die POINT OF räumte auf! Zwei Kreuzraumer flogen in grellem Aufblitzen auseinander, ein dritter stürzte ab und wurde zum nicht mehr manövrier- und kampffähigen Wrack, das für alle Zeiten auf Salteria bleiben würde. Die drei anderen Raumer ergriffen die Flucht. Riker verfolgte sie nicht. Auf Salteria gab es genug zu tun. Die Bodentruppen der Nomaden kämpften nur noch verbissener und rücksichtsloser, als sie feststellen mußten, daß sie keine Rückendeckung mehr hatten. Sie nahmen auf sich selbst keine Rücksicht mehr. »Fanatiker«, stieß Falluta entsetzt hervor. »Warum tun sie das? Sie müssen doch begreifen, daß sie keine Chance haben! Selbst wenn sie die Depots der Shirs erreichen – sie können ihre Beute ohne Raumschiffe doch nicht mehr abtransportieren!« »Wie Sie schon sagten, Hen – Fanatiker«, erwiderte Riker. »Verstehen will und werde ich die wohl niemals. Aber können Sie sich vorstellen, was mich prachtvoll amüsiert und den Nomaden den Schock für's Leben bereitet hat? – Nein? Sie haben uns in ihre Wurmlochfalle gelockt und gehofft, uns erledigt zu haben, nur sind wir plötzlich in alter Frische wieder hier und mischen sie auf, und inzwischen dürften sie per Hyperfunk bestätigt bekommen haben, was sie eben noch nur vermuten konnten, nämlich daß wir Kleinholz aus ihrer Falle gemacht haben...« »Was werden wir jetzt tun?« fragte Falluta. »Roboter einsetzen. Kein Risiko mehr für unsere Leute. Wofür haben wir schließlich die Blechkameraden an Bord? Die sollen alles paralysieren, was nach Nomade aussieht, und dann mögen die Shirs entscheiden, was mit den Gefangenen
geschieht.« * Eine halbe Hundertschaft der Kampfroboter wurde ausgeschleust. Die Nomaden wehrten sich zäh und verbissen und schafften es, fast ein Dutzend der Maschinen zu vernichten. Aber ihr Kampfeswille war gebrochen. Was sie alle noch mehr demoralisierte als die Rückkehr der POINT OF, war, daß sie von ihren eigenen Leuten im Stich gelassen worden waren. Viele von ihnen kämpften bis zum Tod, zwangen die Robots förmlich, sie zu töten. Sie waren der Überzeugung, sonst ihre Ehre zu verlieren, wie sich bei anschließenden Verhören herausstellte. Die überlebenden Nomaden wurden gefangengenommen und von den Shirs eingesperrt. Was aus ihnen wurde – wer konnte es wissen? Ren Dhark war einigermaßen sicher, daß die Gefangenen von den Shirs anständig behandelt werden würden. Wer den letzten eines sterbenden Volkes, den Saltern, Asyl und aktive Hilfe bot, der konnte nicht bösartig sein. Einen halben Tag später wurde der Rat der Shirs einberufen. Die Sechsbeiner dankten den Terranern für ihre tatkräftige Hilfe. »Ihr habt uns uneigennützig vor den Plünderern geschützt«, stellte der Ratsherr fest, mit dem Dhark von Anfang an in Kontakt gewesen war und den er anhand seiner Fellzeichnung mittlerweile unter hundert anderen herausfinden konnte. »Wie können wir uns erkenntlich zeigen?« »Indem ihr uns Informationen über die großen technikbasierten Zivilisationen von Drakhon gebt«, forderte Dhark. Er bekam die Auskunft, daß es neben den Shirs und den Nomaden durchaus noch eine ganze Reihe kleinerer Völker gab, die den Flug zu den Sternen beherrschten, sowie drei bekannte größere Sternenreiche: die der Sofiden, der Galoaner und der Markomanen. Auf die Nachfrage, ob es denn keine
wirklich dominante Rasse gäbe, erhielten die Terraner nur ausweichende Antworten. Es gäbe Gerüchte über ein mächtiges Volk, deutete Rens Ratsherr an, das ob seiner Überlegenheit die wahren Herren von Drakhon stellen würde, aber niemand wisse etwas genaueres darüber. Mehr verriet keiner der Shirs – bis auf den Namen dieser Geheimnisvollen, die von den Völkern Drakhons »Rahim« genannt wurden. Aber sie besaßen Sternenkarten. Damit ausgerüstet kehrten die Menschen an Bord der POINT OF zurück. Während das Schiff für den Start vorbereitet wurde, besprachen sich Dhark und Riker in der Kabine des Commanders. Mit Rikers Vorgehen im Krant-System war Dhark durchaus nicht einverstanden, aber es ging um wichtigere Dinge als um die Frage, wie man mit den Nomaden umzugehen hatte. Ren Dhark ging nicht mehr aus dem Kopf, was sein Ratsherr fast beiläufig erwähnt hatte. Ein mächtiges, geheimnisvolles Volk, das niemand kannte – war Drakhon die neue Heimat der wahren Mysterious?
10. Ein dünner, sich allmählich auflösender Schleier trübte Art Hookers Blick. Denn der Dozer quietschte und ratterte schlimmer denn je. Es war zwar längst alle Luft aus der Kabine entwichen, aber der Schall übertrug sich über Direktkontakt aus dem Dozer auf seinen Raumanzug und von dort auf die darin befindliche Luft. Das beschädigte Fahrzeug rumpelte auf eine Hügelkette zu. Zwischen zwei Hügeln entdeckte Art eine breite Lücke und fuhr hindurch. Daß hinter der vermeintlichen Abkürzung ein Krater lag, bemerkte er erst, als der Flugdozer nach vorn kippte. Zu spät, um eine Vollbremsung einzuleiten. Gott sei Dank war der Krater nicht sonderlich tief. Zwar gab der relativ sanfte Aufprall dem Dozer den Rest, doch sein Insasse überstand den Absturz lebend – mit diversen Prellungen und Schrammen. Allerdings wurde Art Hooker bewußtlos. Als er kurz darauf (Sekunden? Minuten?) erwachte, stellte er erleichtert fest, daß der Raumanzug keinen Riß aufwies. Das gab ihm innerlich Auftrieb. Solange er Sauerstoff zum Atmen hatte, würde er kämpfen. Das war leichter gedacht als getan. Zu seinem Pech konnte der Prospektor sich so gut wie gar nicht bewegen. Er war im größtenteils zerquetschten Flugdozer eingeklemmt. Ohne Hilfe von außen würde er sich nicht befreien können. Seine rechte Hand tastete nach dem Blaster, den er neben sich auf dem Sitz abgelegt hatte. Die Waffe befand sich weder in seiner Griffnähe noch in seinem Blickfeld. Entweder war sie beim Absturz hinausgeschleudert worden, oder sie klemmte – so wie er selbst – irgendwo in diesem Schrottberg fest. Wie lange würde es wohl dauern, bis die Grakos ihn
fanden? Art schwitzte höllisch. Zunächst glaubte er, daß es an seiner Todesangst lag. Doch dann erkannte er die Wahrheit, und seine Angst verstärkte sich noch. Das Antriebsteil des Dozers glühte unheilverkündend. Bis zur Explosion war es nur noch eine Frage der Zeit. »Schlimmer kann es nicht mehr kommen«, murmelte der Prospektor. Irrtum. Am oberen Kraterrand tauchten die beiden überlebenden Schatten auf. Art bewegte sich keinen Millimeter, was ihm in seiner prekären Lage nicht sonderlich schwerfiel. Er hoffte, daß die Grakos ihn für tot hielten. Doch der gewissenlose Feind wollte auf Nummer Sicher gehen. Zwei Schattenstrahler wurden auf den Dozer angelegt, um alles zu vernichten, was von ihm noch übrig war. Der Mensch im Inneren des Fahrzeugs hatte für die Grakos den gleichen Wert wie das verbogene Metall um ihn herum – gar keinen. Art Hooker konnte die Schatten durch einen klaffenden Riß im Führerhaus beobachten. Anstelle eines Gebetes sprach er im Angesicht des Todes eine wüste Verwünschung aus. Statt Gnade für seine Seele zu erflehen, begehrte er aus tiefstem Herzen, die Grakos möge auf der Stelle der Schlag treffen. Manchmal gingen Flüche in Erfüllung. Art blieb fast das Herz stehen, als er sah, daß die Schatten hinterrücks von gleißenden Blasterstrahlen durchbohrt wurden. So überraschend, daß es zu keiner Gegenwehr mehr kam. Das Lodern und Flackern ihrer Schemenkörper kündigte ihren bevorstehenden Tod an. Noch im Sterben drehten sie sich zu ihren Mördern um... ... und plötzlich waren sie verschwunden. Unter Ausnutzung der geringen Schwerkraft hatten sie einen gewaltigen Satz nach vorn gemacht. Zwei grelle Blitze fluteten über den Kraterrand. Dann war es wieder dunkel.
Abgesehen von einer Lichtquelle, mit der Art Hooker fast Körperkontakt hatte. Das immer stärker glühende Antriebsteil seines zerstörten Flugdozers verhieß nichts Gutes. Im Funkgerät knisterte und knackte es. Versuchte Jane, die Verbindung zum Dozer wieder aufzubauen? Gerade wollte Art ihr etwas zurufen, da vernahm er leise gesprochene Worte aus dem Gerät. Er mußte sehr genau hinhören, um jeden Satz zu verstehen. Die Stimme klang unendlich traurig. * Jane beobachtete, wie ihr Mann auf den Krater zuhielt. Die Funkanlage im Dozer war unwiederbringlich zusammengebrochen. Ihr blieb keine andere Wahl. Wollte sie ihren Mann retten, brauchte sie Verstärkung. Über den A-Gravschacht begab sie sich ein Deck tiefer. Sie öffnete den Lagerraum, in dem die Schwarzen Weißen eingesperrt waren, und forderte sie auf, ihr in die Zentrale zu folgen. Jane war mit einem Paraschocker bewaffnet, der auf Betäubung eingestellt war. Die Waffe reichte aus, um die drei Tel auf Distanz zu halten. Jane öffnete einen Wandschrank. Darin hingen die telschen Raumanzüge. Die Tel-Blaster lagen gleich daneben in einem Regal. »Ihr bekommt eure Anzüge und Waffen zurück«, teilte sie den überraschten Männern mit, schränkte aber sogleich ein: »Unter einer Bedingung.« »Welche?« fragte Crea Noont, der sich gern als Wortführer aufspielte. »Wenn Sie glauben, das Volk der Tel verzichtet freiwillig auf den Tofirit-Abbau in diesem System...« »Wir teilen«, unterbrach Jane ihn ungeduldig; für lange Diskussionen war jetzt keine Zeit. »Kein schlechter Gedanke«, meinte Las Rrent. »Teilung des Tofirits zwischen Terra und Telin. Aber wie bringen wir das
unseren Regierungen bei?« »Mit Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick«, war Jane überzeugt. »Ren Dhark, der Commander der Planeten, hat mit Sicherheit kein Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Ihrem Volk – und umgekehrt dürfte es nicht anders sein. Ein sinnloser Krieg würde auf beiden Seiten zu schweren Verlusten führen und dieses abgeschiedene System für lange Zeit verseuchen. Davon hätte dann keiner etwas. Besser wäre es, Tel und Terraner arbeiten beim Abbau friedlich Hand in Hand.« »Niemand begnügt sich mit der Hälfte, wenn er das Ganze haben kann«, warf Crea ein. »Offenbar befinden Sie sich in Bedrängnis, Jane Hooker.« »Richtig«, gab sie offen zu. »Genauer gesagt ist es mein Mann, der dringend Hilfe braucht. Er hat sich draußen mit sechs Grakos angelegt und dabei alle Roboter verloren. Vier Grakos haben inzwischen ihr Leben gelassen. Die beiden letzten sitzen ihm jetzt im Nacken. Mein Mann ist vom Bildschirm verschwunden. Ich befürchte, er ist in einen Krater gestürzt. Wenn die Grakos ihn entdecken, werden sie seine hilflose Lage ausnutzen.« »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, entschied Las Rrent. »Geben Sie uns unsere Waffen und Anzüge.« »Versprechen Sie mir, meinem Mann zu helfen?« fragte Jane die drei Tel eindringlich. »Sie haben unser Ehrenwort«, versicherte ihr Gen Pekk. Ohne sich weiter um ihren Paraschocker zu kümmern, nahm er seinen Anzug aus dem Schrank und schnallte sich die Waffe um. Die anderen folgten seinem Beispiel. Jane legte den Paraschocker beiseite. Crea Noont nahm ihn an sich und grinste sie breit an. »Das war ein Fehler, Jane Hooker. Wir übernehmen Ihr Schiff und fliegen damit nach Cromar.« »Sie haben mir Ihr Wort gegeben, meinem Mann gegen die Grakos beizustehen, wenn ich Ihnen die Freiheit schenke«, erwiderte die Prospektorin.
»Haben Sie uns beigestanden, als uns das Schattenschiff im All unter Feuer nahm?« sagte Gen Pekk. »Art Hooker wird sich selbst helfen müssen. Wir lassen ihn und die Grakos auf dem Asteroiden zurück. Sie können mit uns mitkommen oder hierbleiben und zusammen mit ihm sterben. Es ist Ihre Entscheidung.« »Wenn mein Mann und ich nicht von hier wegkommen, bleiben Sie ebenfalls da«, machte Jane ihm deutlich. »Ohne uns bewegt sich die SEARCHER keinen Zentimeter weit.« »Lächerlich«, entgegnete Crea Noont. »Unsere Technik ist der terranischen weit überlegen. Die Tel sind eine hochintelligente, lernfähige Rasse. Fremde Sprachen bereiten uns keine Probleme. Für fremde Raumschiffe gilt dasselbe. Die Steuerung dieses Raumers zu erforschen und die entsprechenden Kodes zu entschlüsseln, dürfte uns nur unwesentliche Schwierigkeiten machen.« »Na, dann entschlüsseln Sie mal schön, Sie Intelligenzbestie«, zischte Jane ihn an und warf ihm einen kleinen Gegenstand zu, den sie sich schon vor der Befreiung der Tel zurechtgelegt hatte. »Ohne dieses Verbindungsteil schaffen Sie es niemals, die SEARCHER durch den gefährlichen Asteroidengürtel zu lenken. Es dient zur Überprüfung der Datenübermittlung. Bevor Sie losfliegen, müssen Sie es unbedingt einbauen, sonst laufen Sie beim Flug durchs All Gefahr, daß die Angaben auf der Datenskala des Bordcomputers fehlerhaft sind. Schon eine geringe Abweichung genügt, und das Raumschiff wird von den umherschwebenden Asteroiden wie ein winziges Insekt zerdrückt.« Ratlos betrachteten die Tel das seltsam geformte Metallstück. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, gestand Gen Pekk ein. »Könnte eine Art Leiter sein, die Brücke zwischen zwei voneinander abhängigen Steuerungseinheiten. Wo haben Sie es ausgebaut?« »Glauben Sie wirklich, das verrate ich Ihnen?« stellte Jane
ihm die Gegenfrage. »Wir werden es herausfinden«, war sich Crea Noont sicher. »Selbst wenn, es wird Ihnen nichts nützen. Sehen Sie sich das Teil genau an, es ist nur die Hälfte eines Ganzen. Die andere Hälfte hat mein Mann bei sich. Er wollte sichergehen, daß ich nicht ohne ihn den Asteroiden verlasse.« »Ihr Lebenspartner mißtraut Ihnen?« wunderte sich Las Rrent. »Wir Menschen mißtrauen uns fortwährend«, erklärte ihm Jane, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Manche Paare schließen vor der Ehe sogar schriftliche Verträge ab für den Fall einer Trennung.« »Sie lügt«, meinte Crea. »Meiner Einschätzung nach ist dieses Ding irgendein überflüssiges Maschinenteil ohne wichtige Funktion.« Er machte Anstalten, es auf dem Boden zu zerschmettern. »Wenn Sie das tun, verläßt keiner von uns dieses System lebend«, warnte Jane ihn. Sie erbleichte gekonnt. Las nahm seinem Kameraden das Metallstück aus der Hand. Er wollte kein unnötiges Risiko eingehen. »Laßt uns nach draußen gehen und Art Hooker helfen, wie wir es versprochen haben«, schlug er vor. Crea Noont nahm ihn beiseite. »Du willst das Tofirit mit Ihnen teilen?« flüsterte er ihm verständnislos zu. »Dafür wird man dich auf Cromar zur Rechenschaft ziehen.« »Wir geben nur zum Schein nach«, antwortete Las Rrent so leise, daß Jane kein Wort verstehen konnte. »Sobald sich das fehlende Teil in unserem Besitz befindet oder wir ganz sicher sind, daß alles gelogen war, brechen wir nach Telin auf. Ob mit oder ohne die beiden, das entscheiden wir später.« Crea erklärt sich einverstanden. »Es ist ohnehin besser, die Grakos vor unserem Aufbruch endgültig zu erledigen. Ansonsten werden sie mit allen Mitteln versuchen, unseren Start massiv zu behindern. Und möglicherweise gelingt es ihnen sogar noch, ihre eigenen Leute herbeizurufen.« Er wandte sich Jane zu. »Geben Sie uns Ihr Wort, das
Tofirit auch dann mit dem Volk der Tel zu teilen, wenn wir drei von dieser Mission nicht mehr lebend zurückkehren?« Jane nickte. »Mein Ehrenwort.« Wenig später verließen drei Tel in ihren Raumanzügen die SEARCHER. Dank der Bordbildschirme wußten sie, wohin sie sich zu wenden hatten. Die Grakos hielten sich am Rand eines breiten Kraters auf. Scheinbar rechneten sie nicht mit weiteren Angreifern, anders konnten sich Crea, Las und Gen die Arglosigkeit der beiden Schatten nicht erklären. Auf einen Kampf ließen sich die Tel erst gar nicht ein. Gen Pekk und Crea Noont gingen näher heran und streckten den unberechenbaren Feind mit gezielten Blasterschüssen von hinten nieder. Las Rrent blieb zur Sicherung ein Stück zurück, mit der schußbereiten Waffe in der Hand. Der Ausgang der gnadenlosen Hinrichtung verlief jedoch anders, als die Tel es sich gedacht hatten. Noch im Todeskampf drehten sich die Grakos um... ... und machten einen gewaltigen Satz nach vorn. Las konnte nichts dagegen unternehmen. Von seinem Standort sah es aus, als würden die beiden gespenstischen Schemen mitten in seine Kameraden hineinspringen. Als die Thermoreaktionen erfolgten, warf er sich hinter einen schützenden Felsen. Starke Gefühlsregungen kamen bei den Tel selten vor. Empfindungen wie Trauer, Freude oder Neid wurden als störend angesehen. Zorn und Ehrgeiz in Maßen betrachtete man als sinnvoll, vorausgesetzt, beides bewegte sich in kontrollierten Bahnen. Trotzdem ging der Tod seiner Kameraden nicht spurlos an Las Rrent vorüber. Den letzten Überlebenden des TelAufklärers überkam ein starkes Gefühl der Einsamkeit. Er verspürte das Bedürfnis nach Trost. Las trat an den Rand des Kraters und blickte in die Tiefe. Als er den zertrümmerten Flugdozer sah, stand für ihn fest, daß Art Hooker seine Vermessenheit, sich allein – unter
Zuhilfenahme von Maschinen – mit sechs Grakos anzulegen, teuer bezahlt hatte. Diesen Sturz konnte er unmöglich überlebt haben. Der Gedanke, Jane Hooker eine Todesnachricht überbringen zu müssen, behagte dem Tel überhaupt nicht. In gewisser Weise fühlte er sich zu ihr hingezogen. Er mochte starke, seelisch gefestigte Frauen. Möglicherweise konnte er ihr den Schmerz ersparen. Vielleicht war Art Hooker nur verletzt. Um das herauszufinden, hätte Las in den Krater hinuntersteigen müssen. Angesichts des rotglühenden Schimmers, der über dem Fahrzeugwrack lag, verzichtete er lieber darauf. Was ging ihn dieser unwichtige Mensch an? Kein Tel riskierte seine Haut für einen Angehörigen einer unterprivilegierten Rasse. Doch dann fiel ihm etwas ein... * Art Hooker mußte schon sehr angestrengt hinhören, um die fiepende Stimme, die aus der defekten Funkanlage drang, verstehen zu können. Die Sätze machten für ihn keinen Sinn, sie standen in keinerlei Zusammenhang miteinander. »Besuche bereiten immer Freude, wenn nicht beim Kommen, denn beim Gehen. Arm und reich, der Tod macht alle gleich. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Tadeln können alle Toren, aber besser machen nicht. Nicht die Waffe ist es, die tötet, sondern die Person, die dahintersteht.« Erst der Abschlußsatz gab Art einen Hinweis auf den Redner: »Danke fürs Zuhören.« Dann erstarb die Stimme auf immer und ewig. »Sieben Sieben Sieben H, du alter Schwätzer«, murmelte Art. »Mußt du immer das letzte Wort haben?« Keiner der Roboter hatte das Gemetzel auf dem Asteroiden überstanden. Wenn die SEARCHER wieder Richtung Heimat abflog, würden ihre spärlichen Überreste hier zurückbleiben, ein Haufen Schrott, genau wie der Flugdozer oder das Wrack
der Grakos. Art rief sich ins Bewußtsein, daß auch er das AchmedSystem nicht mehr verlassen würde, wenn nicht noch ein Wunder passierte. Seine Gebeine würden sich nach der Explosion des Dozers im ganzen Krater verstreuen. »Kein sehr anheimelndes Grab – aber wesentlich origineller als ein Sarg aus Holz.« Im Angesicht des nahenden Todes packte ihn der Galgenhumor. Art nahm eine Gestalt im Krater wahr. Er konnte sie durch die zerbrochenen Fenster des Führerhauses sehen. War Jane gekommen, um ihn zu retten? »Hau ab!« rief er ihr zu. »Der Dozer geht jeden Moment hoch!« »Ich weiß, Art Hooker, ich weiß«, antwortete ihm eine männliche Stimme. Erst jetzt erkannte Art, daß es sich bei der Gestalt um einen der drei Tel handelte. Offenbar hatten sie sich befreien können. »Jane«, kam es kaum hörbar über Arts Lippen. »Sie werden sie nach Telin verschleppen.« Las Rrent richtete seinen Tel-Blaster auf ihn. Was hatte er vor? Wollte er ihm einen Gnadenschuß verpassen, oder nur ganz sicher gehen, daß er nicht mehr lebend aus dem Fahrzeug herauskam? »Der Teufel soll dich holen!« schrie Art ihn an. »Hoffentlich explodiert der verdammte Dozer, bevor du dich in Sicherheit bringen kannst!« »Das hoffe ich nicht«, entgegnete der Tel gelassen und betätigte den Blaster. Nicht die Waffe ist es, die tötet, sondern die Person, die dahintersteht. Der letzte Satz aus dem erloschenen Kommunikationssystem des Roboters Sieben Sieben Sieben H ging Art unweigerlich durch den Kopf, als Las Rrent begann, ihn mit Hilfe des Blaster aus dem Flugdozer herauszuschneiden. Der Tel benutzte seine Waffe als Werkzeug, indem er ein paar verdrehte Streben durchtrennte
und Art dadurch mehr Bewegungsfreiheit verschaffte. Schon nach kurzer Zeit konnte der Prospektor das zerstörte Fahrzeug aus eigener Kraft verlassen. Jetzt hieß es, die Beine in die Hand nehmen. Las und Art rannten zum Kraterrand. Der Tel deutete auf die Stelle, an der er heruntergeklettert war. Der Aufstieg ließ sich dank der geringen Schwerkraft leicht bewältigen, wenn man von den störenden Raumanzügen absah. Las Rrent war sportlich bestens in Form. Er ließ dem weniger durchtrainierten Menschen den Vortritt. Ein tödlicher Fehler! Kaum hatte sich Art über den Kraterrand gezogen, krachte es in der Tiefe. Der Krater bebte. Der Flugdozer wurde von der Detonation in zahllose Einzelteile zerlegt, die an den Kraterwänden zerschmetterten. Art lag noch auf dem Bauch, als er sich umdrehte und dem Tel die Hand entgegenstreckte. Las Rrent machte keine Anstalten, sie zu ergreifen, er rührte sich nicht vom Fleck. Aus weiten Augen blickte er den Mann am Hang fassungslos an. Fast hätte ich es geschafft! Dieser unausgesprochene Satz stand in seinem Gesicht geschrieben. Las' Finger lösten sich vom rissigen Gestein. Es gab keine Rettung mehr für ihn. Ein scharfer Splitter, ein winziges, umherfliegendes Stück des Flugdozers hatte ihm den Raumanzug aufgerissen. Lautlos stürzte der Tel in den dunklen Krater. Den Aufschlag spürte er nicht mehr. * Jane war überglücklich, als sie ihren Ehemann aufs Raumschiff zutaumeln sah. Sie bereitete die Anti-r-Dusche vor und legte Verbandmaterial und Schmerzmittel bereit für den Fall, daß es Verletzungen zu versorgen gab. Auf die Mithilfe der Roboter
konnte sie nicht mehr zurückgreifen. Von nun an mußte die Hookers wieder jede Kleinigkeit auf dem Schiff allein erledigen. Zu Janes Erstaunen hatte Art sein gefährliches Abenteuer halbwegs unversehrt überstanden. Später, in der Zentrale, berichtete er, was sich im Krater abgespielt hatte. »Wir hatten verdammt viel Glück«, faßte er die Ereignisse der vergangenen Stunden zusammen. »Es ist nahezu ein Wunder, daß es uns nicht wie den Tel und den Grakos ergangen ist. Nie zuvor hat ein Lebewesen dieses Sonnensystem betreten – und dann wird es von drei verschiedenen Völkern zur selben Zeit aufgesucht. Doch nur eines kann davon profitieren.« »Wie kommst du darauf, daß vor uns noch niemand hier war?« fragte Jane verwundert. »Das Tofirit wurde nicht abgebaut«, antwortete Art. »Niemand hat bislang die Zugänge zum Asteroidengürtel militärisch abgeriegelt.« »Na und? Vielleicht gibt es Planeten, die keinen Bedarf an Tofirit haben.« »Schwer vorstellbar. Jedes Volk, mit dem Terra in Kontakt steht, hat seine eigene Entwicklungsgeschichte, doch die wirtschaftlichen Probleme sind fast überall die gleichen. Telin beispielsweise brauchte das Tofirit genauso dringend wie wir.« »Sie bekommen es ja auch«, warf Jane ein. »Zumindest die Hälfte.« Für einen Augenblick war Art sprachlos. Seine Frau unterrichtete ihn über ihre Abmachung mit den Tel. Art winkte ab. »Und wenn schon. Die drei Tel sind tot. Weitere Zeugen für eure Vereinbarung gibt es nicht, damit wäre sie hinfällig.« »Hinfällig?« regte Jane sich auf. »Wenn ich mit jemandem einen Kontrakt schließe, halte ich mich daran, verstanden? Ich habe den Tel mein Ehrenwort gegeben, daß unsere Absprache auch nach ihrem Tod Gültigkeit hat. Ein Ehrenwort bricht man nicht.«
»Ich kenne Politiker, die sehen das anders«, entgegnete Art Hooker. »Mach dich nicht über mich lustig!« fauchte Jane ihn an. »Ich werde nicht gegen meine Überzeugung handeln.« »Nun mal langsam«, redete ihr Mann beruhigend auf sie ein. »Verträge, die unter Druck geschlossen wurden, sind in meinen Augen nichts wert. Die Tel haben deine Notlage ausgenutzt, um dir ihre Bedingungen zu diktieren. Ich nenne das Erpressung.« »Der Vorschlag, das Tofirit zwischen Terra und Telin aufzuteilen, stammte von mir.« »Weil du keinen anderen Ausweg gesehen hast. Im übrigen liegt die Entscheidung über die Teilung des Tofirits bei der terranischen Regierung, nicht bei uns. Wir beide sind nur ein unscheinbares Lichtlein irgendwo am Horizont, ohne jeden Einfluß, ohne jedes Mitspracherecht.« »Das werden wir ja sehen!« erwiderte Jane ärgerlich. »Wenn ich bei Dhark oder Trawisheim kein Gehör finde, pfeife ich was auf die Geheimhaltung und wende mich an die Medien. Ein Sensationsreporter wie Bert Stranger läßt sich die Story mit der gebrochenen Vereinbarung bestimmt nicht entgehen. Nach der Veröffentlichung dürfte es nicht lange dauern, bis die Tel davon Wind bekommen. Die diplomatischen Verwicklungen hat sich Terra dann selbst zuzuschreiben.« »Bist du verrückt geworden?« schnauzte Art sie unbeherrscht an. »Danach darfst du dich nirgendwo mehr blicken lassen. Wo immer du auftauchst, wird man dich eine Nestbeschmutzerin nennen.« »Besser eine Nestbeschmutzerin als eine Wortbrecherin«, sagte Jane trotzig. »In diesem unbewohnten System sind wir beide so etwas wie terranische Botschafter. Wenn wir eine Abmachung treffen, ist sie auch gültig.« Art nannte sie ein eigensinniges Frauenzimmer, sie ihn einen sturen Bock. Um die Situation zu entschärfen, beschlossen beide, zunächst einmal etwas Schlaf nachzuholen.
Zum Weiterstreiten waren sie zu erschöpft. Nach ein paar Stunden Erholungsphase wirkten die Eheleute schon etwas entspannter. Mit den Worten »Ich habe nachgedacht« brachte Art das Thema »Tofirit-Teilung« am Frühstückstisch erneut ins Gespräch. »Terras Interessen wiegen schwer – aber nicht so schwer wie der Gewissenskonflikt, den das gebrochene Ehrenwort in dir auslöst, Jane. Was schert mich Dhark oder der Rest der Welt? Du bist mir wichtiger, darum werde ich dich in jeder Hinsicht unterstützen. Wir setzen gemeinsam eine Einigung zwischen beiden Völkern durch. Irgendwie schaffen wir das schon. Vielleicht ist der Commander der Planeten einsichtiger als wir glauben.« »Und falls nicht?« gab seine Frau zu bedenken. »Dann stürzen wir die Regierung in eine schwere politische Krise. Die Opposition lauert doch bloß darauf, daß Dhark einen Fehler macht, der ihm das Genick bricht. Auch ich habe nachgedacht. Vorhin habe ich zu überzogen reagiert. Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, es ist am besten, wir verschweigen diesen unseligen Pakt. Er bleibt unser Geheimnis – und das der drei Tel, die es mit ins Grab genommen haben.« »Und was ist mit deinem Gewissen?« »Das beruhigt sich schon wieder. Ich habe dir noch nicht alles erzählt. Crea Noont, Gen Pekk und Las Rrent gaben mir ebenfalls ihr Ehrenwort. Sie versprachen mir, dir da draußen zu helfen. Kaum hatten sie jedoch ihre Blaster zurück, brachen sie ihr Wort. Sie wollten die Steuerung ergründen, die SEARCHER reparieren und nach Telin aufbrechen. Mir ließen sie nur die Wahl, mitzukommen oder auf dem Asteroiden zurückzubleiben.« »Wofür hättest du dich entschieden?« Jane schwieg, biß sich auf die Lippe. Art nahm ihr das Schweigen nicht übel. Es gab Fragen, die man besser nicht stellte. »Wie hast du sie dazu gekriegt, mir trotzdem gegen die Grakos beizustehen?« wollte er wissen.
Sie zeigte ihm das grün schimmernde Metallteil, mit dem sie die Tel ausgeblufft hatte. »Ich habe behauptet, dies sei ein zur Steuerung gehöriges Verbindungsstück, ohne das sie es nie schaffen würden, den Asteroidengürtel zu durchqueren. Außerdem redete ich ihnen ein, du würdest die zweite Hälfte davon bei dir tragen.« Art erkannte den seltsamen Gegenstand wieder. »Unit! Das Ding haben wir auf Hawaii im Sand gefunden, in der kleinen verschwiegenen Bucht. Wo ist der Lederbeutel, in dem es steckte?« »Er liegt im Wandschrank«, antwortete Jane. »Die Tel hätten mir wohl kaum abgekauft, daß wir Einzelteile unserer Steuerung in Schnürsäckchen aufbewahren.« Art seufzte. »Und ich hatte geglaubt, Las Rrent hätte mich aus einem Anfall von Menschlichkeit heraus aus dem Flugdozer befreit. Wahrscheinlich hätte er mich im Krater verrecken lassen, wäre ihm nicht im letzten Moment noch eingefallen, daß er ohne die zweite Hälfte niemals von hier wegkommen würde.« »Wer weiß, vielleicht hatte er ja tatsächlich ein gutes Herz. Wir werden es nie erfahren. So wie wir wahrscheinlich nie erfahren, wer den Lederbeutel mitsamt seinem bizarren Inhalt am Strand verloren hat.« * »Wir finden es niemals wieder!« Böse funkelte die zwanzigjährige Wyona Lewis ihren gleichaltrigen Verlobten an. »Hättest du nicht besser darauf aufpassen können?« Am liebsten hätte sie ein Schimpfwort gebraucht, doch ihre gute Erziehung verbot ihr das. »Ich... ich verstehe nicht, wie das passieren konnte«, stammelte Björn Hestaach hilflos. Auch er kam aus gutem Hause. »Ich habe das Amulett in einem Lederbeutel aufbewahrt und ständig bei mir getragen, mit einer Schlaufe um mein Handgelenk gewickelt. Der Beutel ist vermutlich
herunterrutscht und in den Sand gefallen.« Beide bewohnten ein Strandhaus auf Hawaii. Ihre Eltern hatten es für sie gemietet, damit sie hier gemeinsam den Winter verbringen und die bevorstehende Hochzeit organisieren konnten. Heute hatte die fortwährende Suche nach dem verlorenen Lederbeutel das zerstrittene Paar in eine verschwiegene Bucht geführt. Eine Bucht, die sie noch in guter Erinnerung hatten. Vor einiger Zeit hatten sie hier wildromantische Stunden verlebt. Wütend riß Wyona ihre Kette vom Hals und warf sie ihrem Verlobten vor die Füße, mitsamt dem grünlichen, bizarr geformten Metallteil, das daran hing. »Das kannst du dir sonstwohin stecken! Ohne die zweite Hälfte ist es nichts mehr wert!« »Genaugenommen ist es sowieso nichts wert«, versuchte Björn, sie zu beschwichtigen, wobei er sich auf gefährlichem Eis bewegte. »Du hast es an der Kunstschule angefertigt, als eine Art Gesellenstück. Ein zweiteiliges Amulett für Liebende – was für eine hervorragende, wenn auch nicht ganz neue Idee. Ich war überglücklich, eine Hälfte davon als Zeichen deiner ewigen Zuneigung geschenkt zu bekommen, und es tut mir furchtbar leid, daß ich das halbe Amulett verloren habe, aber...« »Aber? Überlege dir gut, was du jetzt sagst!« Björn holte tief Luft. »Aber nüchtern betrachtet ist es doch nichts weiter als ein Stück Metall. Unsere Liebe sollte nicht an einem billigen toten Gegenstand zerbrechen.« »Billiger toter Gegenstand?« Wyona war total außer sich. »Du redest von einem Kunstwerk, dessen Wert man nicht in Zahlen messen kann! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viel Mühe mich die Anfertigung des Amuletts gekostet hat? Mit deinen ungeschickten Fingern hättest du so etwas niemals zustande gebracht. Ein Liebesamulett hat eine symbolische Bedeutung, ähnlich wie ein Ehering.« »Ein Ring ist auch nichts weiter als ein rundes Stück
Metall«, erwiderte Björn ärgerlich. »Ich wünschte, dein Herz würde mehr an mir hängen als an irgendwelchem Plunder. Wie soll das nur werden, wenn wir erst mal verheiratet sind? Muß ich dich bei jedem Fehler, der mir unterläuft, kniefällig um Verzeihung bitten und dir als Wiedergutmachung ein Collier oder einen Pelzmantel kaufen?« Plunder – das war das Reizwort, das den Topf zum Überkochen brachte. »Ich lasse nicht zu, daß du auf meinen Gefühlen herumtrampelst!« schrie Wyona ihn an. »Noch heute fahre ich nach Hause!« »Mach doch, was du willst!« schrie er zurück und hob die zerrissene Kette mitsamt der Amuletthälfte auf. »Hier, vergiß nicht dein ungeheuer wichtiges Kunstbrimborium! Ich habe es dir nie gesagt, aber für mich sieht das Ding aus wie ein zusammengeschmolzener Aschenbecher aus Blech, den jemand aus Versehen in der Mitte zerbrochen hat!« Wyona beruhigte sich wieder. Sie nahm das Amulett zur Hand und begutachtete es mit sachverständigem Blick. »Du hast recht«, gab sie offen zu. »Das Werk ist mir völlig mißlungen.« Björns Kinnlade klappte herunter. »Du gibst mir recht? Einfach so?« »Klar doch. Wenn wir heiraten wollen, sollten wir allmählich aufhören, uns wegen jeder Kleinigkeit zu streiten.« »Kleinigkeit? Eben noch war der Verlust meiner Amuletthälfte für dich das Wichtigste auf der Welt.« »Wir Frauen ändern halt öfter unsere Meinung«, entgegnete Wyona und warf die Kette mitsamt Amulett in hohem Bogen ins Meer. Im stillen dachte sie: Und wir verstehen es meisterhaft, euch Männer immer wieder aufs neue zu verwirren. Björn Hestaach war in der Tat verstört. Er hatte sich auf einen längeren Streit eingestellt, ja, sogar auf den Bruch der gemeinsamen Beziehung. Und plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.
Allmählich fragte er sich, ob er einer so temperamentvollen Frau wie Wyona überhaupt gewachsen war. Nach der Heirat würde sie ihn tagtäglich mit dem größten Vergnügen um den kleinen Finger wickeln. Besser, ich gebe ihr rechtzeitig den Laufpaß, überlegte er. Wenn sie nur nicht so süß in ihrem Strandbikini aussehen würde... * »Ein gebrochenes Ehrenwort hebt das andere auf«, sinnierte Art Hooker beim Frühstück im Privatquartier der SEARCHER. »Und du meinst wirklich, du kannst damit leben?« Jane nickte. »Ich bin nicht päpstlicher als der Papst. Die Tel wollten mich austricksen und haben den kürzeren gezogen. Ihr Pech. Über den unseligen Pakt mit ihnen decken wir den Mantel des Schweigens. Das sehe ich als meine Pflicht gegenüber der Menschheit an.« »Der Pflicht gehorchend, nicht dem eignen Triebe«, merkte Art poetisch an. »Willst du Sieben Sieben Sieben H ersetzen?« fragte Jane ihn augenzwinkernd. »Er bevorzugte solche Redewendungen.« »Ich weiß«, entgegnete Art und dachte dabei an die letzten schwachen Signale, die er von dem Roboter aufgefangen hatte. Irgendwie vermißte er die drei Maschinen. Immerhin hatten sie zur Besatzung gehört. »Wir reparieren das Raumschiff und starten so schnell wie möglich«, entschied er und erhob sich von seinem Sitzplatz. »Vor dem Start müssen wir noch einige Tofiritproben einsammeln«, erinnerte Jane ihn. Er schüttelte den Kopf. »Nicht hier. Über dieser Einöde schwebt der Hauch des Todes. Das Wrack der Grakos, die Leichen der Tel – das alles möchte ich weit, weit hinter mir lassen und diesen Asteroiden nie mehr betreten. Die Proben besorgen wir uns auf irgendeinem benachbarten Himmelskörper.«
Es fiel den Hookers nicht schwer, einen Asteroiden ausfindig zu machen, auf dem es von losen Gesteinsbrocken nur so wimmelte. Das Einsammeln derselbigen gestaltete sich allerdings als Knochenarbeit – ohne den Dozer. Art und Jane fühlten sich, als hätten sie einen guten Freund verloren. »Erinnerst du dich noch an unseren Flug auf der GALAXIS?« sagte Jane, als sich beide zu einer kurzen Verschnaufpause auf einem flachen Felsen niederließen. Sie trugen ihre Raumanzüge und verständigten sich per Helmfunk. »Wie könnte ich das je vergessen?« erwiderte ihr Mann. »Wir mußten den Flugdozer auseinandernehmen und in mehreren Teilen an Bord schmuggeln. Wäre man uns auf die Schliche gekommen, hätte man uns von der Auswandererliste gestrichen. Dann wären wir auf der Erde geblieben und zwei von vielen Giant-Opfern geworden. Auf Hope war man letztlich froh, daß es den Dozer gab, er leistete allen nützliche Dienste. Mitunter wären wir ohne ihn ganz schön aufgeschmissen gewesen.« »So kommt immer eins zum anderen«, bemerkte Jane. »Man trifft eine Entscheidung und beeinflußt damit nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch das seiner Mitmenschen.« »Kann schon sein. Manch einer vertritt allerdings die Theorie, daß alles, was wir tun und lassen, vorbestimmt ist – niedergeschrieben im großen Buch des Lebens. Demnach entscheiden nicht wir, welchen Weg wir einschlagen, sondern der Autor des Buches.« »Dem sollte man mal gehörig auf die Finger klopfen! Unser Flugdozer hätte der Menschheit noch viele Jahrzehnte von Nutzen sein können. Was fällt dem erbärmlichen Schreiberling ein, ihn einfach aus der laufenden Handlung herauszuschreiben? Hätte er damit nicht wenigstens warten können, bis wir die Tofiritproben an Bord gebracht haben?« »Vielleicht hatte der arme Kerl keine andere Wahl«, meinte Art. »Über jedem Autor steht ein Redakteur, über jedem
Redakteur ein Verleger...« »Und du glaubst wirklich, diese Typen zerbrechen sich alle den Kopf über uns?« Art lachte. »Nein, das glaube ich nicht. Es war nur so ein Gedankengang, eine spaßige These, nichts weiter. Komm, es gibt noch viel zu tun.« »Leider«, seufzte Jane Hooker. »Wenn wir nur endlich fertig wären!« Die hohe Schwerkraft auf diesem Asteroiden machte ihr zu schaffen. Jeder Schritt war mit großer Anstrengung verbunden, vom Gewicht der Steine ganz zu schweigen. Warum hatte sie sich nur überreden lassen, hier zu landen? Auf dem anderen Asteroiden mit seiner geringen Schwerkraft wäre ihr die Arbeit viel leichter gefallen. Über Beiboote verfügte die SEARCHER nicht, so sehr hatte man sich auf den Flugdozer verlassen. Lediglich eine Rettungskapsel für Notfälle stand zur Verfügung, in einer Schleuse auf dem Oberdeck, völlig ungeeignet zum Transportieren von Gesteinsbrocken. Art und Jane blieb nichts anderes übrig, als die Proben in rollenden Behältern zum Schiff zu schieben, eine Tätigkeit, die sie in ihren Anzügen ordentlich zum Schwitzen brachte. Auch die schwierigste Arbeit fand einmal ein Ende. Nachdem der Diskusraumer genügend Gesteinsproben an Bord hatte, ausreichend für jede denkbare Analyse terranischer Geologen, starteten die Hookers in Richtung Heimat. Sie verzichteten darauf, ihre Ankunft über Funk anzukündigen. Noch einmal sollte kein fremdes Volk Gelegenheit bekommen, ein terranisches Funksignal anzupeilen und dadurch auf den Tofiritgürtel zu stoßen. Die gebrochenen Außenstützen hatten sie inzwischen notdürftig repariert, dennoch beschlich sie beim Landen und Starten ein mulmiges Gefühl. Auf Terra würden sie das Ganze fachmännisch in Ordnung bringen lassen. Natürlich hätten sie dort die Reparatur auch selbst erledigen können, aber angesichts ihres zu erwartenden Anteils am Abbau des
Edelmetalls konnten sie es sich leisten, andere für sich arbeiten zu lassen. »Was meinst du?« fragte Jane ihren Mann in der Zentrale. »Wird uns der Reichtum verändern?« »Ganz bestimmt nicht«, antwortete Art in voller Überzeugung. »Wir bleiben, was wir sind: freie, unabhängige Vagabunden des Weltalls. Diese Einstellung hat uns bisher immer Glück gebracht. Apropos Glück: Hinter uns liegt ein Abenteuer, das wir ohne ein gütiges Geschick nie überlebt hätten. Wir sollten unserem Schicksal dankbar sein.« Jane deutete auf das grün schimmernde Metallstück, das sie inzwischen an einer Schnur um den Hals trug. »Dieses merkwürdige Ding hat nicht unerheblich zum guten Ausgang unserer abenteuerlichen Erlebnisse beigetragen. Ich behalte es als Talisman.« »Unit – ein Glücksbringer, von dem wir nicht einmal wissen, was er eigentlich darstellen soll und wozu er nützlich ist.« »Ist doch egal. Hauptsache, die Tel sind darauf hereingefallen. Damit hat mein Talisman bereits seinen Nutzen erfüllt.« »Wenn das so ist, kannst du ihn ja wegwerfen«, meinte Art Hooker. »Abwarten, vielleicht brauchen wir ihn eines Tages noch einmal«, entgegnete Jane Hooker. »Wir wissen nie, was uns draußen im All so alles erwartet.« Bisher wußten sie nicht einmal, was sie bei ihrer Heimkehr nach Terra noch erwartete.
11. Drakhon mutierte in der Vorstellung der Expeditionsteilnehmer immer mehr zur Galaxis der Rätsel, zur Galaxis der Unmöglichkeiten. Salteria lag hinter ihnen, vor ihnen aber lag das absolut Unbekannte – auch wenn die Shirs den Menschen von Terra zuletzt erstaunlich bereitwillig einen schwer entwirrbaren Wust von Informationen zur Lage in Drakhon überlassen hatten. Beklemmender hatte Ren Dhark die Nacht zwischen den Sternen selten empfunden. Er atmete tief ein und aus, spürte den vielleicht nicht nur imaginären Druck, der sich einem eisernen Ring gleich um seine Brust gespannt hatte. Gefahr von Drakhon! Das Checkmaster-Orakel geisterte als mit dem Feuer fremder Sonnen geschriebenes Menetekel durch sein Hirn. Gefahr von Drakhon! Präziser war der ominöse Superrechner der Mysterious nicht geworden. Aber wann hatte er je mit unproblematischen Aussagen aufgewartet? Ren Dharks Gedanken wollten, wie so oft, wenn er sich von der Bürde der Verantwortung erdrückt fühlte, in längst Vergangenes flüchten. Zehn Jahre zuvor hätte er nicht einmal zu träumen gewagt, eine andere Sterneninsel als die heimatliche Milchstraße zu besuchen. Der von Menschen entwickelte Time-Antrieb – der erste überlichtschnelle Raumschiffantrieb überhaupt – hätte die Überbrückung solcher Großdistanzen nicht erlaubt. Aber dann war alles anders gekommen: der Fehlsprung der GALAXIS... die Strandung der Kolonisten auf Hope... der frühe Tod seines Vaters Sam Dhark, der die Kolonisten eigentlich zum Deneb hätte bringen sollen... die erste Begegnung mit fremden Intelligenzen, Amphis, Synties, Nogk... Ren Dhark riß sich gewaltsam aus den Schwelgereien. Die
Kämpfe gegen Giants und G'Loorn waren gestern gewesen. Drakhon aber war heute. Drakhon war eine Gefahr, wie sie größer kaum vorstellbar schien, denn bereits jetzt hatten Sterne dieser Spiralgalaxis begonnen, mit Sternen der heimatlichen Milchstraße zu kollidieren! Und Drakhon, daran gab es mittlerweile kaum noch einen Zweifel, war auch schuld an den verheerenden Magnetstürmen und Hyperraumorkanen, die bereits ganze Gebiete der Milchstraßen verödet hatten. Ihre Stärke nahm stetig zu, und niemand konnte sicher sagen, ob die Maßnahmen, die man im Sol-System dagegen getroffen hatte, im Ernstfall auch wirklich greifen würden. Möglicherweise – und daran wollte niemand gern denken, am allerwenigsten Dhark – würde es irgendwann nötig sein, das Sol-System und die Urheimat der Menschen aufzugeben. Irgendwann... Niemals! Das darf niemals geschehen! Dhark ballte die Fäuste. Er war allein in seiner Kabine. Die Besprechung mit Dan Riker und Wer Dro Cimc, dem Tel, war vor einer knappen Stunde zu Ende gegangen. Auf dem irdischen Kalender schrieb man den 31. Dezember 2057. Silvester also. Es war kurz vor Mitternacht, und überall im Schiff bereiteten sich die Menschen darauf vor, das neue Jahr fern der Heimat zu begrüßen. Ren Dhark hatte ihnen versprochen, an dem kleinen Umtrunk, der in der Bordkantine stattfinden sollte, teilzunehmen. Die Mannschaft erwartete eine Ansprache, aber er wußte nicht, ob er die richtigen Worte finden würde. Sie waren doch nur ein verschwindend kleines Schiff in einer ganzen Galaxis voll potentieller Feinde! Es grenzte an Größenwahn und Realitätsverlust, sich einzubilden, mit diesem Schiff etwas stoppen zu können, was eine Naturgewalt sein mußte. Keine intelligente Rasse im ganzen Kosmos konnte eine Galaxis einfach irgendwohin zaubern, geschweige denn wieder zum Verschwinden bringen.
Was bilden wir uns nur ein, das Verhängnis abwenden zu wollen? Wir werden fremde Völker treffen, und einige werden uns freundschaftlich entgegentreten, so wie die Shirs es nach Anlaufschwierigkeiten taten, andere werden uns bis aufs Blut bekämpfen – wie die Nomaden, die Salteria überfielen. Aber wir werden niemals aufhalten können, was beide Galaxien in den Untergang treibt! Ren Dhark hieb mit der Faust auf den Tisch, an dem er saß, daß es schepperte. Die Tasse, noch randvoll mit einem Tee, der längst kalt geworden war, fiel um, ihr Inhalt ergoß sich über Tisch und Teppichboden. Dhark fluchte, machte aber keine Anstalten, die Schweinerei zu beseitigen. Kopfschüttelnd erhob er sich aus seinem Sessel. Nein. Gottverdammt, nein! Dies war kein Naturereignis! Wer wollte mit Fug und Recht behaupten, daß es keine intelligente Spezies geben konnte, die Sterne oder ganze Milchstraßen bewegen, von einer Position zu einer anderen versetzen konnte?! Immerhin hatten die Mysterious Sonnensysteme bewegt! Er hielt inne, atmete schneller. Er mußte Realist bleiben, auch wenn es schwerfiel. Nicht einmal die Mysterious wären in der Lage gewesen, ein solches Gigaprojekt zu verwirklichen... ... wären sie nicht? Allmächtiger, worin verrenne ich mich da? Ich kann doch jetzt nicht aufgeben! Wir müssen versuchen, das Rätsel zu lösen. Nicht nur unsere Existenz hängt davon ab, letztlich sind alle Milchstraßenvölker davon betroffen. Die Amphis, die Vonnock Fanjuur nannte... Vonnock. Dhark öffnete die Fäuste, fuhr sich mit der Handfläche über das wie taube Gesicht. Jahreswechsel 2057/58. Zeit, Bilanz zu ziehen und sich klarzumachen, was in den vergangenen zwölf Monaten tatsächlich alles geschehen war. Aber, Himmel, er wollte nicht Bilanz ziehen. Er wollte nach
vorn blicken, sich den neuen Herausforderungen stellen! Unruhig begann er, in der Kabine auf und ab zu gehen. Er fragte sich, ob er der einzige Entscheidungsträger war, der sich diese ganz persönliche Krise gönnte. Was war mit Dan? Wurde er von ähnlichen Selbstzweifeln geplagt? Normalerweise sprachen sie über solche Dinge miteinander und legten beide die Karten offen auf den Tisch. Aber Dhark versuchte momentan lieber allein, damit klarzukommen. Vielleicht ging es Dan ähnlich; außerdem hatte er ja noch Anja, seine Frau. Dhark blieb stehen und zwang sich, seine Umgebung bewußt wahrzunehmen. Er war an Bord der POINT OF. Die POINT OF war ein Unikat. Kein anderer Ringraumer der Mysterious verfügte über einen Checkmaster. Oder Gul-Transmitter. Oder... oder... oder... Er vermied den Gedanken an Vonnock, den Fanjuur, der ihnen auf Terra bewiesen hatte, daß selbst die S-Kreuzer der Mysterious, von denen man angenommen hatte, all ihre Geheimnisse zu kennen, noch über geheime Reserven verfügten, die der Wächter scheinbar mühelos aktiviert hatte. Aber die POINT OF war von zwei Genies erbaut worden, Margun und Sola, die S-Kreuzer waren Fließbandprodukte! Und selbst hier in Drakhon bewies der Ringraumer, daß er etwas ganz Besonderes war. Die Transitionsbremse, wie Monty Bell den bislang ungeklärten Umstand getauft hatte, daß Transitionen hier nur über maximal Lichttagdistanz möglich waren, konnte die POINT OF nicht aufhalten. Ihr Sternensog funktionierte unvermindert. Und die Auseinandersetzung mit den Nomaden hatte angedeutet, daß die Drakhon-Völker über Vergleichbares nicht verfügten. Dafür besitzen sie Wurmlochantriebe, von denen wir nicht einmal träumen können! Genug! Dhark hatte es endgültig satt, zurückzuschauen.
Der Wunsch, die Kabine zu verlassen und bei einem Glas Champagner mit Freunden Ablenkung zu suchen, wurde übermächtig. Sie hatten Kurs auf das Wanar-System genommen. Dort lebten den Shirs zufolge die Galoaner. Die Galoaner repräsentierten einen von drei großen Machtblöcken, die sich nach Kenntnis der Shirs in Drakhon etabliert hatten. Daneben sollte es noch das Sternenreich der Sofiden und das der Markomanen geben. Momentan waren das alles nur Namen, die erst mit Fleisch und Blut gefüllt werden mußten. Aber Dhark wollte sie kennenlernen, wollte notfalls mit allen drei Mächten in diplomatischen Kontakt treten, um sein Ziel, eine Katastrophe aufzuhalten, die nicht mehr abwendbar schien, vielleicht doch noch zu erreichen. Aber alle Mächte, gehörten dazu nicht auch die Rahim? Die angeblich wahren Herren Drakhons, die aber kein heute noch Lebender je zu Gesicht bekommen zu haben schien, und die allein schon dadurch eine frappierende Parallele zu den Mysterious aufwiesen...? Eine Antwort auf diese Frage, das wußte Dhark, würde ihm zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand geben können. Nachdenklich verließ er seine Kabine und machte sich auf den Weg zu der Feier, für die er im Grunde gar nicht aufgelegt war. * Stündlich gingen neue, besorgniserregende Meldungen aus den Schiffsabteilungen ein, die für die Erforschung des äußeren Weltraums zuständig waren. Ren Dhark beraumte eine Besprechung im Konferenzraum an, zu der er nur Dan Riker und Dro Cimc geladen hatte. Im gedämpften Licht ließen sie zu dritt das Sterngefunkel der fremden Milchstraße auf sich wirken. Eine Monitorwand machte es sichtbar. »Kann man da nicht melancholisch werden?« fragte Ren
Dhark. »Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wo wir uns befinden. In einer Umgebung, die gar nicht existieren dürfte! Wir sind in der Lage, Lichtjahrmilliarden weit in die Tiefen des Alls zu blicken. Von dort erreicht uns das Licht unzählbarer Galaxien. Aber Drakhon, obwohl der Milchstraße näher gelegen als jede andere Galaxis, ist von dort aus unsichtbar. Dafür gibt es keine Erklärung. Keine logische jedenfalls.« Dro Cimc hatte Dhark aussprechen lassen. Nun fragte er: »Was ist Gänsehaut? Ich höre das Wort zum ersten Mal.« Dan Riker lachte auf. »Das ist nicht Ihr Ernst, Wer!« »Ich scherze nie.« Riker nickte nachdenklich. »Da muß ich Ihnen allerdings recht geben. Gänsehaut... bei Gelegenheit suche ich Ihnen ein Bild von einer terranischen Gans heraus – es muß allerdings eine gerupfte sein, damit sie den Begriff Gänsehaut verstehen können...« Ren Dhark beendete das sich anbahnende Geplänkel, indem er seinen Sessel von der Monitorwand wegdrehte und sich aufrecht hinsetzte. Dro Cimc, der Dan Riker ärgerlich anstarrte, sagte: »Wir sind unterwegs zu den Galoanern. Aber ist es wirklich klug, schon jetzt den Kontakt zu einem weiteren Drakhon-Volk zu suchen? Wir sind gerade erst beim vorsichtigen Herantasten an die hiesigen Verhältnisse. Ich hielte es für besser, wenn wir uns zunächst noch im Hintergrund bewegten und nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf uns zögen – das haben wir mit der Parteinahme für die Shirs auf Salteria bereits zu Genüge getan.« »Ich glaube nicht«, widersprach Dhark, »daß die Nomaden mit ihrer Niederlage im Shir-System hausieren gehen. Es würde ihrem zweifelhaften Ruf, ein starkes Volk zu sein, mehr schaden als nützen. Ansonsten haben Sie recht: Ich suche den Kontakt zu einem weiteren Drakhon-Volk. Und meine Wahl fiel nicht von ungefähr auf die Galoaner. Es wurde mir sogar geraten, mich an sie zu wenden. Sie sollen nicht nur
hochzivilisiert, sondern auch friedliebend sein. Eine seltene Mischung, wie wir alle wissen.« Selbst Dan Riker wiegte verblüfft und zweifelnd den Kopf. »Geraten?« fragte er. »Wann und von wem? Von den Shirs?« Dro Cimc schwieg. Aber auch er wartete gespannt auf die Antwort. »In der Tat«, sagte Dhark. »Wann hast du dich allein mit ihnen beratschlagt?« »Spielt das eine Rolle?« Dhark wies hinter sich zu dem Sternengewühl. »Die Frage ist doch: Warum sind wir hier? Warum haben wir die Gefahren dieser Expedition auf uns genommen?« »Es gibt viele Gründe«, vertrat Dro Cimc mit düsterer Stimme seinen und den Standpunkt seines Volkes. »In erster Linie geht es darum, unseren Lebensbereich vor Schaden zu bewahren, der seinen Ausgangspunkt in dieser Galaxis haben könnte. Möglicherweise müssen wir aber auch alles über Drakhon erfahren, weil hier in ferner Zukunft einmal auch unsere Heimat liegt.« »Unsere Heimat?« wiederholte Dan Riker und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. »Das ist hoffentlich nicht Ihr Ernst, Wer!« Der Tel bekräftigte: »Mein völliger Ernst. Wer in diesem Raum hält es noch für ausgeschlossen, daß die Milchstraße eines Tages unbewohnbar sein wird – eines nicht mehr allzu fernen Tages?« »Sie malen rabenschwarz, Wer«, übte sich nun auch Ren Dhark in Zweckoptimismus. »Die Hyperraumstürme und Schwankungen des galaktischen Magnetfelds haben in letzter Zeit nicht spürbar zugenommen. Zudem sehe ich einen Zusammenhang zwischen dieser wie aus dem Nichts aufgetauchten Galaxis und den schweren Störungen des RaumZeit-Gefüges, die wir in der Milchstraße zu verzeichnen haben. Meine Hoffnung ist die, daß wir mit wachsendem Wissen über die Herkunft Drakhons und die Kräfte, die hier wirksam wurden – oder noch werden – eine Möglichkeit finden, die
Störquellen abzustellen.« »Bis heute wußte ich nicht, daß Sie ein solcher Traumtänzer sind, Dhark.« »Wäre ich nie meinen Träumen gefolgt«, konterte dieser, »säßen wir heute nicht hier zusammen.« »Wie Sie meinen.« Dhark nickte. Er sah, daß auch Dan Riker noch eine Erwiderung auf der Zunge lag, aber er wollte wieder zum Kernthema ihrer Zusammenkunft zurückkommen. »Ich habe die Astroabteilung gebeten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Regeln zu ermitteln, nach denen die Physik in dieser Sternenballung funktioniert. Ich halte dies für die wichtigste Voraussetzung, um sich auf die hiesigen Verhältnisse einstellen zu können. Wir sollten schnellstmöglich aus der Position des Reagierenden in die des Agierenden wechseln. Dazu ist ein grundlegendes Verständnis für unsere Umgebung nötig. – Irgend jemand anderer Meinung?« Niemand erhob Einwände. »Was erwarten wir uns von den Galoanern?« fragte Dro Cimc lediglich. »Eine Spur zu den Rahim?« Ren Dhark lächelte nachdenklich. »Ich betrachte die Rahim als den Schlüssel«, räumte er ein. »Sie scheinen die heimlichen Herren von Drakhon zu sein. Wenn wir sie finden, erhalten wir höchstwahrscheinlich die Antwort auf alle relevanten Fragen. Wenn wir sie von unserer Friedfertigkeit und unseren lauteren Absichten überzeugen können, dürfte sich auch die Gefahr erledigt haben, die uns laut Checkmaster-Orakel aus dieser Galaxis droht.« »Du vergißt dabei nur ein paar unwesentliche Kleinigkeiten«, seufzte Dan Riker. »Erstens: Wer sagt uns, daß die Rahim friedliebende Geschöpfe sind? Die bisherigen Erkenntnisse sprechen eher dagegen. Und zweitens: Wie sollen wir diplomatischen Kontakt zu einem Volk aufnehmen, das offenbar vom Mysterious-Syndrom befallen ist?« »Mysterious-Syndrom?« fragte Dro Cimc.
»Sie scheinen genauso spurlos verschwunden zu sein wie die Mysterious«, erinnerte Riker. »Nicht einmal die Shirs, die ich als gut informiert einschätze, scheinen Koordinaten zu besitzen, an denen man Rahim treffen kann!« Dhark starrte an seinem Freund vorbei auf den Tel, dessen Blick plötzlich leer und der auch sonst völlig in sich gekehrt wirkte. »Was ist mit Ihnen, Wer? Ist Ihnen nicht gut?« Dro Cimc erwachte wie aus einer kurzen, aber intensiven Trance. Seine Hände klatschten schallend auf die Tischplatte. Dazu schüttelte er den Kopf, als müßte er sich von einem immer noch vorhandenen Schleier befreien. »Wer...« Dhark wollte aufstehen, den Tisch umrunden und zu dem Schwarzen Weißen treten. Aber der Tel wehrte mit entschiedener Geste ab und fragte mit einer Stimme, in der Verblüffung über sich selbst mitschwang: »Warum?« »Was meinen Sie mit Warum?« fragte Riker, der auch vom Tisch abgerückt war, um sich zu erheben, nun aber sitzenblieb. Dro Cimcs Blick wurde übergangslos wieder klar. »Warum hat uns nie interessiert, was die Salter noch außer Waffen auf Salteria gehortet haben...? Vielleicht kannten sie die Rahim – besser jedenfalls, als die Shirs es vorgeben zu tun. Vielleicht hätte sich das vorsichtige Herantasten an Wissen bereits erübrigt, wenn wir die Archive der Salter gefunden und durchforstet hätten... wir unglaublichen Narren!« Selbst Ren Dhark starrte ihn einen Augenblick lang perplex an. Ihm schwante, daß Dro Cimc recht hatte. Nicht nur, was die Möglichkeit anging, daß die Salter Wissen über die geheimnisvollen Rahim besessen haben könnten – auch was das immer noch vorhandene Mißtrauen des Tel den Shirs gegenüber anging. Warum haben wir nicht besser nachgeschaut?, fragte auch er sich, von Dro Cimc regelrecht auf das unlogische Verhalten gestoßen, das sie auf Salteria an den Tag gelegt hatten. Die einzige Antwort mußte lauten: Weil die Shirs sie wieder einmal manipuliert hatten. Weil sie hatten verhindern wollen,
daß Terraner die Archive der Salter entdeckten – und auswerteten! Was aber konnte man dann überhaupt noch auf die Informationen geben, mit denen die Speicherbänke der POINT OF von den Shirs gefüttert worden waren...? * Etwa zur gleichen Zeit befand sich der Astrophysiker Monty Bell in einem heftigen Disput mit seinem jungen Kollegen Alaska Mearn. Die Astroabteilung war voll besetzt. Die meisten hier hätten lieber gefeiert, aber unter den gegebenen Umständen war dies nicht möglich. Vorstoß ins Unbekannte. Der Ringraumer durchpflügte die Wellen des fremden Sternenmeeres mit Sternensog-Geschwindigkeit. Sternensog. Keine andere bekannte raumfahrende Rasse schien diese Antriebsart zu kennen. Für Ringraumerbesatzungen war sie zu etwas Alltäglichem geworden. Normalerweise. Seit dem Einflug in die Galaxis Drakhon war Sternensog wieder etwas Besonderes. Weil er, im Gegensatz zu Transitionen, nach wie vor reibungslos funktionierte. »... keinerlei Indizien!« schimpfte Bell, der Enddreißiger, gerade mit dem überschäumenden Temperament des besten Mannesalters. »Der Hyperraum muß in Drakhon genauso beschaffen sein wie in unserer Heimatgalaxis. Er ist ein übergeordnetes Kontinuum, Mearn. Ob wir von der Milchstraße aus in ihn vorstoßen oder von hier aus, macht keinen Unterschied. Das Medium ist das gleiche!« »Und warum sind dann in dieser Spiralgalaxis Transitionen nur mit gebremstem Schaum möglich?« nahm Mearn, ein schlaksiger Bursche, zehn Jahre jünger als Bell, kein Blatt vor den Mund. »Gebremster Schaum... wenn ich das schon höre!« Bell, der
die dunklen Monate der Giant-Herrschaft auf Terra von Anfang bis Ende miterlebt hatte und auch heute noch manchmal von Alpträumen heimgesucht wurde, schüttelte den Kopf. »Für die Transitionsbremse muß es eine andere Erklärung geben. Und sie liegt hier – in unserem vierdimensionalen Raum. Nicht in höherdimensionalen Regionen, die sich unserer Verstandeskraft ohnehin weitgehend entziehen.« Mearn grinste plötzlich ungeniert. »Ihrer Verstandeskraft vielleicht«, versetzte er. »Aber es gibt durchaus Kapazitäten wie beispielsweise H. C. Vandekamp, dessen wissenschaftliche Abhandlungen ich gelesen habe und für den das Kontinuum, durch das Schiffe transitieren, offenbar kein Buch mit sieben Siegeln ist!« »Dann eben mit sechs«, konterte Bell. »Wie bitte?« Bell machte eine wegwerfende Geste. »Vergessen Sie's. Es sollte ein Witz sein. Aber mit Ihnen kann man ja nicht mal scherzen!« »Spielen Sie nicht die beleidigte Leberwurst.« »Leberwurst? Mein lieber Junge...« er betonte das Wort fast genüßlich, »... für mich zählt nur eins: Der Commander erwartet wissenschaftlich fundierte Erklärungen für die Phänomene, denen wir uns seit dem Einflug in diese Sternenballung zunehmend ausgesetzt sehen. Alles, was Sie bislang zu bieten haben, sind an den Haaren herbeigezogene, abstruse Spekulationen. Bringen Sie mir einen einzigen Beweis für Ihre abenteuerlichen Behauptungen, und ich leiste umgehend Abbitte. Aber vorher...« »Sie waren schon immer ein Ignorant, der nur den eigenen Thesen vertraut.« »Wenn das Ihre Meinung ist...« Mearn schwieg kurz, dann sagte er in einlenkendem Ton: »Man erzählt sich, Sie seien früher einmal anders gewesen. Risikofreudiger...« Bell legte die Stirn in Falten. »Was soll das jetzt wieder heißen? Sie reden, als wäre ich ein alter Mann!«
»Weil Sie sich benehmen wie ein alter Mann.« Bell schüttelte den Kopf. »Ob Sie es glauben oder nicht, ich mag Ihr Ungestüm, Mearn. Aber ich würde es lieben, wenn Sie es mit etwas mehr wissenschaftlicher Disziplin verbinden würden.« Damit hatte er den Kollegen dort, wo er ihn hinhaben wollte. Wutentbrannt wandte sich Mearn dem Terminal zu, das ihm eine Direktverbindung zum Checkmaster öffnete. »Er will Beweise? Dann soll er sie bekommen!« Monty Bell hörte sich den Schwur noch an, dann widmete er sich wieder den eigenen Forschungen. Wer das Schmunzeln auf seinen Lippen sah, mußte sich ernsthaft fragen, ob dies noch der gleiche Mann war, der sich eben bis aufs Messer mit seinem jungen Kollegen gestritten hatte. * Pjetr Wonzeff bahnte sich seinen Weg durch die Feiernden, die sich in der kleinen Messe der POINT OF eingefunden hatten. Dabei kam er an einer verspiegelten Wandfläche vorbei und wurde mit sich selbst konfrontiert. Er war mit dem, was er sah, einverstanden: schlank, hochgeschossen, verwegener Kurzhaarschnitt, markante Züge, die von einem Dreitagebart noch aufgewertet wurden, und eisgraue Augen. Kenner terranischer Kultur hätten in diesem Gesicht typische Hinweise auf seine ukrainische Abstammung erkannt. Aber im Grunde war es gleichgültig, wo auf der guten alten Erde er geboren und aufgewachsen war. Wonzeff fühlte sich als Mensch. Und wollte auch als solcher akzeptiert werden. Womit er keine Schwierigkeiten hatte. Er galt als Sonnyboy, einer, der immer das Beste auch aus verfahrenen Situationen machte. Und ganz nebenbei war er einer der erfahrensten Flashpiloten, der schon auf Einsätze im Col-System zurückblicken konnte.
Worauf er aber am meisten stolz war, war eigentlich eine Bagatelle. Für ihn selbst jedoch nicht: Er hatte damals den Raumschiffsnamen geprägt, der auch heute noch für die POINT OF Gültigkeit besaß, auch wenn sich das Kürzel durchgesetzt hatte. POINT OF INTERROGATION – Fragezeichen – hatte er das Rätselschiff seinerzeit in der Ringraumerhöhle auf Hope genannt. Und gestern wie heute war dies der treffendste Name, den man sich für das Erbe der Mysterious denken konnte. POINT OF INTERROGATION. Wonzeff schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich lag es am Datum, das prädestiniert war für melancholische Anwandlungen. Wonzeff riß sich von seinem Spiegelbild los und merkte erst jetzt, daß er stehengeblieben war. Lachende Gesichter, wohin er blickte. Aber viele, vermutete er, redeten sich die Fröhlichkeit, die sie vorgaben, nur ein. Es gab keinen Grund zum Feiern. Keinen wirklichen. Dies war nicht Terra, wo jetzt auch Sektkorken knallten und Feuerwerk die Nacht in Farben sprengte. Dies war eine gnadenlose Fremde, in der jederzeit etwas unvorstellbar Schreckliches geschehen konnte. Bislang waren sie mit eher vertrauten Gefahren konfrontiert worden: Der Kampf gegen die Kreuzschiffsbesatzungen zum Beispiel. Auseinandersetzungen wie diese hatte es auch früher schon zuhauf gegeben. Damit konnte man umgehen. Auch mit dem möglichen Tod hatte sich Wonzeff unzählige Male auseinandergesetzt. Das hatte er im Griff, meistens jedenfalls. Aber hier in Drakhon hatte er außerdem das permanente Gefühl, daß sie nichtsahnend einer Bedrohung entgegenflogen, wie sie bislang ohne Beispiel war. Ein Feind, ein Gegner, wie man ihn noch nie getroffen hatte... Die Rahim? Er war sicher, daß er nicht der einzige war, dem dieser Name im Kopf herumspukte.
Beinahe widerstrebend setzte er sich wieder in Bewegung. Das leere Glas stellte er auf einem Regal ab. Als er die Messe verließ, nahm es niemand weiter zur Kenntnis. Die anwesenden Freunde und Bekannte waren mit anderem beschäftigt. Erst kürzlich hatte Wonzeff ein Gespräch zwischen zwei Mitgliedern aus Miles Congollons Team belauscht, in dem eine junge Frau die POINT OF als »fliegenden Sarkophag« bezeichnet hatte. Ein Vergleich wie er abwegiger nicht sein konnte. Wonzeff hatte sich eingemischt und gefragt, wie sie denn darauf komme. Sie hatte es nicht begründen können, aber er vermutete, daß die besondere Lage, in der sie sich befanden, zur allgemeinen Verunsicherung beitrug. Der Vorstoß in die inneren Weiten Drakhons war etwas völlig Neues, Ungewohntes. Es war einfach ein Unterschied zu wissen, sich noch durch die eigene Galaxis zu bewegen oder sie verlassen zu haben. Eine Durchsage riß ihn aus seinen trüben Gedanken: »An alle Flashpiloten: Begeben Sie sich unverzüglich ins Depot zu Ihren Maschinen!« tönte es aus seinem Armbandvipho und synchron aus einer nahen Komm-Säule. »Ich wiederhole: Begeben Sie sich sofort in die Flash! Dies ist keine Übung, sondern eine reale Gefechtssituation! Melden Sie sich unverzüglich...« * Im eisigen Weltraum tobte ein Gewitter, wie es schlimmer nicht auf einem Urweltplaneten hätte wüten können. Die Blitze, die die Nacht spalteten, waren jedoch nicht gezackt, nicht krumm, sondern pfeilgerade in ihrer verheerenden Wucht, mit der sie auf das wehrlos scheinende Opfer einprasselten. Ren Dhark starrte in die holographische Bildkugel über dem Instrumentenpult, vor dem er neben Dan Riker Platz genommen hatte. Hen Falluta, der 1. Offizier, hatte neben Tino Grappa am
Ortungstisch Platz genommen. Leon Bebir, der 2. Offizier, stand beim Checkmaster und wartete nervös darauf, daß dieser eine Folie ausspuckte. Vor einer Stunde war Dhark in die Kommandozentrale gestürmt. Vor einer Stunde hatte ihn sein Freund Dan wissen lassen, daß sie einen Notspruch aufgefangen hatten, der offenbar galoanischen Ursprungs war. Bis zum Wanar-System waren es noch rund 1.200 Lichtjahre, die Grenze des galoanischen Hoheitsgebiets war jedoch fast erreicht. Der ratekische Translator, der mit Daten der Shirs gefüttert worden war, hatte den Spruch, der mit Gewißheit nicht an die Antennen der POINT OF adressiert war, mühelos entschlüsselt. Demnach funkte ein nichtmilitärisches Schiff, vermutlich ein Frachter, SOS. Der Eigenname lautete MAANGSCHAR. Offenbar wurde das Schiff Opfer offener Piraterie innerhalb galoanischen Raumes. Sein Gegner: wohlbekannt selbst für die Besatzung der POINT OF. Nomaden. Ein riesiges Kreuzschiff hatte die MAANGSCHAR unter starkes Feuer genommen und zur Kapitulation aufgefordert. Der Text des Notspruchs hatte sich innerhalb der letzten halben Stunde verändert, war noch dramatischer geworden. Den Nomaden war es mühelos gelungen, die Schilde des Handelsraumers, der nach eigener Aussage über keinerlei Offensivbewaffnung verfügte, zum Zusammenbruch zu bringen. Danach war gezielt die Triebwerkssektion ausgeschaltet worden, eine Rettung aus eigener Kraft somit nicht mehr möglich. Und nun... nun präsentierte sich den Männern und Frauen in der Kommandozentrale der sofort herbeigeeilten POINT OF die aktuelle Situation: Das havarierte Schiff der Galoaner, das die Bildkugel klar wiedergab, war von zylindrischer Form, etwa zweihundert Meter lang und siebzig Meter im Durchmesser. Es wurde umschwärmt von etlichen kleinen Raumjets der Hundeartigen, deren Mutterschiff sich vornehm
zurückhielt und in einer Entfernung von zehntausend Kilometern zu stehen schien. In Wirklichkeit standen weder das Kreuzschiff noch der Galoaner noch die herbeigeeilte POINT OF. Sie hatten sich in Tempo und Kurs nur einander angeglichen. Und die POINT OF wurde für Jäger und Opfer erst ortbar, als sie von Sternensog auf Sie zurückschaltete. Zuvor war sie bestenfalls ein Phantom gewesen. »Sie sind schon dabei, den Handelsraumer zu entern!« rief Dan Riker. »Wenn wir uns nicht beeilen...« »Sind die Flash startklar?« unterbrach ihn Dhark. »Natürlich. Die Piloten sitzen seit einer halben Stunde in ihren Sardinenbüchsen.« »Falluta?« »Die Fernortung in direkter Kopplung mit dem Checkmaster wurde soeben beendet. Gegenwärtig lassen sich in einem Radius von fünfzig Lichtjahren keinerlei Schwerkraftverwerfungen anmessen. Es befindet sich auch kein weiteres Schiff in unmittelbarer Nähe. Wir scheinen ganz unter uns zu sein mit den beiden Boliden da draußen.« Dhark nickte grimmig. »Na, dann machen wir uns bei den Hündchen noch unbeliebter, als wir es sowieso schon sind.« Er nahm eine Schaltung am Bordsprech vor. »Morris?« wandte er sich an die Funk-Z. »Senden Sie zwei unterschiedliche Sprüche raus. Einen an die Nomaden, in dem sie aufgefordert werden, den Angriff sofort einzustellen, andernfalls sie mit einem Vergeltungsschlag rechnen müssen. Und einen an die Galoaner, in dem wir ihnen jede erdenkliche Hilfe zusichern!« »Verstanden!« In der Bildkugel veränderte sich die Lage auch in den nächsten Minuten in keinster Weise zu Gunsten der MAANGSCHAR und ihrer Besatzung. Erste Raumjets hatten in Lecknähe an die Hülle angedockt. Das Enterkommando machte keine Anstalten, den Rückzug anzutreten. Im Gegenteil, die Aktion schien noch forciert zu
werden. Dazu paßte die Meldung von Cheffunker Glenn Morris: »Keine Reaktion auf unseren Spruch, weder von den Nomaden noch von den Galoanern. Aber auch der Notruf hat seit ein paar Minuten ausgesetzt. Möglicherweise wurde der Schiffssender zerstört.« »Wie steht es mit Funkverkehr zwischen dem Mutterschiff und seinen Booten?« »Rege, Sir.« »Konnte er entschlüsselt werden?« »Bislang nicht. Die Informationen der Shirs genügen nur bei unverschlüsselten Sendungen. Wir brauchten den aktuellen Code, um...« »Schon verstanden. Setzen Sie die Bemühungen fort, unterrichten Sie mich, sobald sich etwas Neues ergibt.« Morris bestätigte. Dhark setzte sich kerzengerade hin und umfaßte die Armlehnen seines Sitzes, der sich den Körperkonturen perfekt anpaßte. »Dann wollen wir unseren Lieblingsfeinden mal klarmachen, wie ernst wir es meinen... Bebir?« Der 2. Offizier kam mit einer Folie angerannt. Dhark las sie sorgfältig, bevor er sich erneut dem Bordsprech zuwandte: »Clifton? Rochard?« Aus den Waffensektionen WS-West und WS-Ost kam die Bestätigung uneingeschränkter Einsatzbereitschaft. »Der Checkmaster hat die Feldstärke des feindlichen Schutzschirms ermittelt. Die Daten überspielt Bebir gerade auf Ihre Instrumente. Ich möchte, daß Sie den Schild mit einem gebündelten, genau dosierten Nadelstrahl zum Kollabieren bringen. Wie lange, glauben Sie, werden Sie dafür brauchen?« »Wie schnell hätten Sie es denn gern, Commander?« kam eine für Bud Clifton typische Gegenfrage. »Zwei Minuten bei Dauerbeschuß.« »Hundertzwanzig Sekunden? In dieser Zeit könnten wir eine Armada von Kreuzschiffen knacken!«
Das war grenzenlose Übertreibung, die Dhark jedoch gern verzieh. »Zwei Minuten sind gewollt hoch angesetzt. Kann ich mich darauf verlassen?« »Wie immer, Sir!« mischte sich Jean Rochard ein. »Sagen Sie nur, wann wir loslegen sollen.« Dhark führte ein Gespräch mit dem Flashdepot, bevor er sich in die Waffensteuerungen zurückmeldete. »Jetzt! Feuer frei!« In der gleichen Sekunden verließen sämtliche Flash, mit Ausnahme von Dharks 002, das Depot, durchstießen im Schutz ihrer Intervallfelder die Unitallhülle der POINT OF und ebenso die unsichtbare Grenze des Doppelintervallums, das den Ringraumer schützte.
12. Der Raum war groß, was sich aber kaum bemerkbar machte. Überall standen Monitore herum, machten sich die Schirme der Standviphos breit, die Kuben der Suprasensoren. Das Hightech-Interieur schuf den Eindruck einer bedrückenden Enge. Bernd Eylers besaß zwar ein eigenes Büro, das mit sachlicher Zweckmäßigkeit und in jener großzügigen Architektur eingerichtet war, welche die meisten Einrichtungen der Galaktischen Sicherheitsorganisation auszeichnete. Aber da war er in den seltensten Fällen zu finden. Meist hielt er sich in der Operationszentrale auf. Dort fühlte er sich direkt am Puls der Geschehnisse, wenn er nicht – was häufig genug vorkam, zu häufig nach Ren Dharks und Henner Trawisheims Meinung – persönlich Einsätze vor Ort leitete und koordinierte. Im Augenblick saß er vor dem großen Schirm einer Computerkonsole, die direkt mit dem riesigen NexusSuprasensor in Cent Field verbunden war, und studierte die Texte, die auf die Fläche projiziert wurden. Seine Stirn furchte sich, während er las. Immer neue Zeilen erschienen auf dem Schirm – konzentrierte Zusammenfassungen von Einsätzen der einzelnen GSO-Teams auf der ganzen Welt. Das Vipho summte. »Was gibt's?« fragte er, ungehalten über die Störung. Seine Stimme aktivierte den Sichtschirm. Auf der Bildfläche erschien das Gesicht einer Technikerin der Nachtschicht. Eylers hüstelte und strich sich die Haare glatt – es war ein verteufelt hübsches Gesicht, mit faszinierenden grünen Augen. »Mr. Trawisheim möchte Sie sprechen, Sir.« »Stellen Sie durch, Kindchen – ich sitze bereits«, wurde Bernd Eylers wieder einmal verdammt sarkastisch.
Die Hübsche verschwand vom Viphoschirm. An ihre Stelle erschien Henner Trawisheim. Den musterte Eylers mit bissiger Freundlichkeit. »Sie sind genau das, was mir nach einem arbeitsreichen Tag fehlt!« knurrte er Ren Dharks Stellvertreter an. Trawisheim grinste kühl zurück. »Sie werden lachen, Bernd, aber das glaube ich Ihnen sogar. Was hat Sie denn so fertiggemacht? Sehen ja ziemlich ramponiert aus... halt! Sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten...« »Den Teufel werde ich!« Bernd Eylers unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung. Er sah demonstrativ auf die Uhr; es war weit nach Mitternacht. »Nun sagen Sie schon, wo es brennt, Henner!« »Noch schwelt es nur«, erwiderte Dharks Stellvertreter, »kann sich aber in kürzester Zeit zu einem höllischen Brand ausweiten. Erinnern Sie sich an den Absturz der MEDUSA in Singapur vor etwa acht Wochen?« »Natürlich«, bestätigte Eylers und präzisierte: »Schlimme Sache. Damals wurde ein ganzer Vorort ausradiert. Tschoa Tschu Kang. Richtig?« Trawisheim nickte. »Mit den Folgen dieser Katastrophe schlägt sich Singapur noch immer herum – wie übrigens unzählige andere Orte und Städte auf der Erde mit ähnlichen.« Er schwieg einen Moment und kaute auf der Innenseite seiner Wange herum. Schließlich fuhr er fort: »Aber offenbar gibt es keine noch so große Katastrophe, als daß nicht irgendjemand einen Vorteil daraus ziehen könnte.« Eylers' Brauen ruckten in die Höhe. »Ich höre...« »Vor kurzem drang eine Art Selbstmordkommando in das rverseuchte Wrack der MEDUSA ein und entwendete aus den Munitionskammern des Schiffes insgesamt sechs der Atomsprengköpfe für Raumtorpedos...« »Um Himmels willen!« entfuhr es Bernd Eylers. Trawisheim nickte zur Reaktion des GSO-Chefs.
»Glücklicherweise gelang es, fast alle Terroristen auszuschalten – bis auf einen, der den Sperrkordon durchbrechen und flüchten konnte. Leider verschwand mit ihm auch ein funktionstüchtiger Atomsprengkopf! Seitdem rotieren die Sicherheitskräfte Singapurs.« »Singapur also«, murmelte Eylers. »So ist es. Wer könnte dahinterstecken?« Trawisheim war eindeutig nervös und von Unruhe gepackt. Der GSO-Chef sagte: »Singapur macht uns schon länger Sorgen, vor allem Dingen aber die radikal-islamische Bruderschaft unter ihrem Mullah Noro Mansor, der ein für allemal mit der Kontroverse um die Vorherrschaft der Weltregierung unter Führung des Commanders der Planeten aufräumen möchten.« »Das dürfte schwierig werden«, bemerkte Henner Trawisheim. »Derartige Bestrebungen hat es in Asien schon früher gegeben, wie Sie wissen, Bernd. Sie scheiterten bislang alle.« »Schon, aber diesmal scheint es sich um mehr als nur eine Gruppe fanatisch-moralisierender Moslems zu handeln. Es betrifft nach den Erkenntnissen unserer Büros in Singapur auch Teile der Bevölkerung. Die Mitglieder der Moslembruderschaft unter Führung ihres Mullahs Mansor kommen aus allen sozialen Schichten. Die Organisation hat mehrere prominente Namen im Briefkopf – Anwälte, Richter, Manager, sogar Priester anderer Konfessionen.« Trawisheim stieß eine Verwünschung hervor. Die Reaktion erstaunte Eylers, der den geistigen Cyborg als kühlen, überlegenden Pragmatiker kannte. Erregt preßte er hervor: »Das bedeutet Krieg.« »Schwer vorstellbar«, erwiderte Eylers. »Dafür ist die Bruderschaft zu schlecht gerüstet. Es sei denn...« Eylers' Stirn furchte sich, »die Bruderschaft besäße atomare Waffen.« Eine kurze, bedeutungsschwere Pause entstand. »Das ist der springende Punkt.« Um Trawisheims Mund legte sich ein besorgter Zug. »Genau die gleichen
Schlußfolgerungen haben mir auch die Stabschefs von Terra Command unterbreitet. Aber bevor ich – auf Bitten der Sektion Singapur selbstverständlich – eine Armee in Marsch setze und die Situation mit Sicherheit zur Eskalation treibe, werden Sie sich erst einmal um den verschwunden Atomsprengkopf kümmern. Verstehen Sie?« »Ist das ein Befehl, Henner?« Eylers rieb sich das Kinn; eine Rasur schien auch wieder mal fällig zu sein. »Wenn Sie so wollen«, sagte Trawisheim mit seiner ruhigen, beherrschten Stimme. »Finden Sie den oder die Auftraggeber dieses Selbstmordkommandos – und vor allen Dingen den Aufenthaltsort des Atomsprengkopfes.« Bernd Eylers malträtierte schon wieder sein Kinn. Er nickte. »Was ist mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen?« »Das Dossier mit den Recherchen ist in einer Minute in Ihrem Suprasensor.« »Okay!« Eylers gähnte ungeniert. »Mann!« wunderte sich Trawisheim süffisant. »Womit schlagen Sie sich eigentlich Ihre Nächte um die Ohren?« »Mit der Beantwortung dum... ähm, diffiziler Fragen natürlich«, gab der Chef des Galaktischen Geheimdienstes schlagfertig zurück und schaltete grinsend ab. Die Informationen, die in seinem Suprasensor landeten und von ihm aufgerufen wurden, waren nicht sehr detailliert. Trotzdem trieben sie Bernd Eylers den Schweiß auf die gefurchte Stirn. Während er das eben Gelesene verdaute, zündete er sich eine Zigarette an und starrte auf den Bildschirm. »Ist nicht gerade viel, was Sie mir da anbieten, Henner«, murmelte er. Plötzlich schmeckte ihm die Zigarette nicht mehr. Er zerstampfte sie im Ascher. *
Ein unangenehm lauter Summton durchschnitt die Stille. Jos Aachten van Haag schreckte aus dem Schlaf auf. Eine Verwünschung murmelnd, wälzte er sich auf die andere Seite und aktivierte das Vipho. Während er darauf wartete, daß sich das verwirrende Muster auf dem Bildschirm stabilisierte, blickte der GSO-Agent mürrisch auf sein Chrono. Die Leuchtziffern verschwammen vor seinen Augen. »Mist!« Er fixierte sie scharf, um sie festzuhalten. 3.44 Uhr Er hatte nicht mehr als drei Stunden geschlafen. »Sie!« knurrte er gereizt, als Eylers' Gesicht auf dem Schirm stand. »Sie schlafen wohl nie, was?« »Klar doch – während der Arbeit.« »Schlechter Witz, Chef, zu einer ganz schlechten Zeit.« Jos Aachten van Haag gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen. »Tut mir ja leid, daß ich Sie geweckt habe...« »Da es seit Jahren üblich ist«, unterbrach ihn van Haag müde, »uns bemitleidenswerte Agenten mitten aus allen Beschäftigungen herauszureißen, auch nichtdienstlichen, um einen neuen Auftrag loszuwerden, nehme ich Ihnen das nicht ab. Manchmal frage ich mich, ob Sie sich nicht im klaren darüber sind, daß auch Mitglieder der GSO hin und wieder eine Handvoll Schlaf benötigen. Und außerdem...« Bernd Eylers schnappte: »Dafür, daß Sie angeblich hundemüde sind, Jos, bilden Sie erstaunlich lange Sätze. Aber kommen wir zur Sache.« »Würde ich auch empfehlen...« Zwei Minuten lang berichtete Eylers in seiner knappen, zeitsparenden Redeweise über das Trawisheim und ihm am Herzen liegenden Problem. »Moment!« unterbrach van Haag seinen Chef. »Wieso wir von der GSO? Das ist bestenfalls eine Arbeit für unsere Kollegen vom Terra Command-Sicherheitsdienst.«
Bernd Eylers, der Mann mit dem kantigem Gesicht, runzelte die Stirn. Seine Augen glitzerten. »Die haben Unterstützung durch uns angefordert...« »Wie üblich«, warf Jos Aachten van Haag sarkastisch ein. Eylers hüstelte verweisend. »Keine Kollegenschelte, Jos«, bedeutete er seinem Agenten. »Denken Sie, was ich denke, Chef?« »Ausnahmsweise sind wir einmal einer Meinung – ja.« »Wir sollten die Brüder im Auge behalten«, schlug Jos vor. »Nicht nur im Auge. Wir werden uns sogar intensiv darum kümmern. Das übernehmen aber schon andere.« Er schwieg einen Moment, und als er fortfuhr, wurde Jos Aachten van Haag klar, daß sein Chef bereits mit der ihn auszeichnenden Weitsicht das meiste schon in die Wege geleitet hatte. »Sie, Jos, werden sich ausschließlich um den Verbleib des Atomsprengkopfes kümmern. Wenn sich mein Verdacht bestätigt und die Moslembruderschaft hinter dem Diebstahl steckt, gehen wir mit Sicherheit ungemütlichen Zeiten entgegen. Klären Sie das Umfeld.« Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Nehmen Sie den Transmitter. Es zählt jede Minute. »Wie üblich«, konstatierte Jos Aachten van Haag mit undurchdringlicher Miene. »Irgendwelche Auflagen?« »Keine, Jos.«. »Hätte ich auch nicht akzeptiert«, brummelte der Agent und schaltete ab. Nachdenklich starrte er in die Dunkelheit. Mit Schlafen war nichts mehr. Besser, er blieb auf und bereitete sich auf seinen Trip nach Singapur vor. Er warf die Decke von sich und kleidete sich an – in Gedanken schon auf der anderen Seite der Erde. * Für einen anderen GSO-Agenten begann in dem Moment, als seine Maschine aufsetzte, eines der aufregendsten und gefährlichsten Unternehmen seit langem.
Im gleißenden Licht der frühen Winternachmittagssonne rollte der silberglänzende Interkont-Jett vor die langgestreckte Hallenfront. Die überdachte Gangway fuhr heran. Der Mund des Gliederbalgens saugte sich wie der Rüssel eines xingschen Sandwurms an den Rumpf der Maschine, und die Stimme des Piloten forderte die Passagiere mit der üblichen Höflichkeitsfloskel auf, den Clipper zu verlassen. Der mittelgroße Mann nahm seine Tasche auf und verließ als einer der letzten die Maschine. Hinter ihm lagen Besprechungen und das Sichten von Informationen und Dossiers mit seinem Chef Bernd Eylers – und vor ihm lag ein Einsatz, der es offenbar in sich hatte. Der Mann war Ömer Giray, etwas über dreißig Jahre alt, türkischer Abstammung und Agent der GSO, der Galaktischen Sicherheitsorganisation, von der übelmeinende Zeitgenossen behaupteten, daß sie die Erde im Würgegriff habe. Sein langes, schwarzes Haar trug er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er hatte eine ausdrucksvolle Nase und Augen, um die ein wachsamer Zug lag. Sie blickten meist eine Spur ironisch – wie eben jetzt, als er angelegentlich die Fesseln einer jungen Dame betrachtete, die fünf Meter vor ihm über die Gangway ging. Ömer Giray zögerte kurz am Ende der Rolltreppe und musterte die Vorübergehenden, die die weitläufige Halle des ehemaligen Kennedy Airports und heutigem Sam Dhark Jettports bevölkerten. Links lagen die langen Reihen der öffentlichen Viphoboxen, die Ladenketten der Shops, Erfrischungsräume, Cafés. Rechts die Schalter der Fluggesellschaften. In etwa zwanzig Metern Entfernung stand ein Mann mit einer winzigen Viphokamera vor dem linken Auge und machte einen Schwenk, indem er sich um sich selbst drehte. Ein babylonisches Sprachengewirr herrschte. Musik aus vielen Lautsprechern verschmolz mit den Durchsagen in Angloter und den vielen Landessprachen. Der GSO-Agent warf einen langen Blick über das heillose Durcheinander der gewaltigen, lichterfüllten Halle, ehe er seine Schritte zum Ausgang lenkte.
Er hätte zwischen einigen anderen Verkehrsmitteln wählen können, aber er zog die Fahrt in einem Taxigleiter vor, weil er sich mit dem Fahrer unterhalten und die Stadt sehen konnte. »Frei, Mac?« erkundigte Giray sich, als er das erste in einer langen Reihe von CityCabs erreicht hatte. Der Fahrer, eine kleine, gedrungene Gestalt in der typischen Jacke aus Lederimitat, wälzte den kalten Zigarrenstummel in den anderen Mundwinkel, musterte den potentiellen Fahrgast durch das trotz der Kälte offenstehende Seitenfenster und knurrte zurück: »Sieht so aus, wie? Oder glauben Sie, ich stehe aus Jux hier?« Der GSO-Agent hob den Blick, betrachtete die kühn geschwungene und auf schlanke Masten montierte Trasse der CATs – geräuschlos dahingleitender Kabinenzüge, ferngesteuert vom Nexus der Bahn-Suprasensoren, die längst die ehemaligen New Yorker U-Bahnen abgelöst hatten – und schwang sich dann mit einem fatalistischen Grinsen in das in grellen Schockfarben lackierte Gefährt. Etwas quietschte protestierend laut. Kurzzeitig stank es nach durchgeschmorten Wicklungen. »Nur die Schockabsorber«, nuschelte der Fahrer als Antwort auf Ömers Frage. »Nichts Ernsthaftes.« »Sind Sie auch sicher, daß Ihr – ähm – Vehikel den Belastungen einer Fahrt gewachsen sein wird?« erkundigte sich Giray mit wohlmeinendem Spott. »Hmpf!« brummte der Fahrer und fädelte sich mit summendem Aggregat und einem halsbrecherischen Manöver in den fließenden Verkehr ein. »Wohin, Mister?« fragte er dann. »Kennen Sie sich in New York aus?« Der Fahrer drehte sich um und starrte Giray an, als hätte dieser verlangt, zum Mond gebracht zu werden. »Das will ich meinen, Mister.« Er schnaubte abfällig durch die Nase. »Bin im Big Apple aufgewachsen, falls Ihnen das was sagt. Kenne jeden Stein hier. Also, wohin?« »Wie kann man nur eine Stadt mit Millionen von
Einwohnern kennen?« wunderte sich Giray halblaut. »Doch was soll's. Bringen Sie mich zur Ecke 55ste Straße West und Sixth Avenue. Ins Villard.« Wie meist ging Ömer Giray mit dem Spesenkonto der Galaktischen Sicherheitsorganisation, das jedem Agenten zur Verfügung stand, großzügig um. Dazu gehörte, daß er sich, was seine Unterbringung anlangte, mitunter einen gewissen Luxus leistete, ohne darüber ein schlechtes Gewissen zu empfinden. Kaum im Apartment angelangt, nahm er das Vipho in Beschlag. Er wählte eine Nummer, die er zwar schon sehr lange nicht mehr angewählt hatte, von der er jedoch hoffte, daß sie noch immer stimmte. Die Hoffnung trog nicht. Die Verbindung kam innerhalb von drei Sekunden zustande. Eine mißmutige, argwöhnische Stimme meldete sich. »Ja?« fragte sie. »Wer ist da?« Die Bildübertragung ließ sein Gesprächsteilnehmer vorerst deaktiviert. »Ich bin es, Hajriza. Giray.« »Giray?« fragte die Stimme unverändert mißtrauisch. »Ja«, antwortete der GSO-Agent geduldig. Hajriza Musli, der bei Leuten, die seine Dienste in Anspruch nahmen, allgemein Hammer-Haj hieß, handelte mit allem Möglichen. Von Drogen bis hin zu verbotenen Waffen. Vor allem aber organisierte er für andere, die nicht selbst in Erscheinung treten wollten, heikle Aufträge. Er achtete im allgemeinen zwar immer sehr darauf, an wen er seine Dienstleistungen vermittelte, doch das bewahrte ihn nicht vor dem Verfolgungswahn, der in seinem Beruf üblich war. Giray fuhr fort: »Sie erinnern sich doch, Hajriza, nehme ich mal an. Ömer Giray. Ich bin derjenige, welcher...« Hajriza fiel ihm plötzlich ins Wort. »He, Mann, ja klar! Ich erinnere mich schon.« Der Schirm erhellte sich. Das Gesicht, das auf der
Bildscheibe des Vipho erschien, war breit, kräftig, von tiefen Falten gefurcht. Die Augen über der scharf gekrümmten Nase lagen im Schatten starker Jochbögen. Sie blickten mißtrauisch. »Was gibt es, Giray?« Der vollippige Mund des Mannes anatolischer Abstammung bewegte sich kaum beim Sprechen. »Nichts Besonderes«, sagte Ömer. »Zufällig brauchte ich eine bestimmte Auskunft und dachte, daß Sie mir vielleicht helfen könnten.« »Warum sollte ich?« »Sagen wir der alten Zeiten zuliebe?« schlug Ömer vor. »Mann, ich könnte Ihnen nicht die bescheidenste Frage beantworten – zumindest, wenn sie unser gemeinsames Interessengebiet betrifft.« »Aber genau darum geht es«, sagte Giray. »Sie haben doch sicher schon von der ›Brotherhood of Black Muslims‹ gehört? Sie soll ihr Domizil irgendwo in Harlem haben.« Hajriza blieb stumm. Und so fuhr Ömer fort: »Ich meine, sind bei denen neue Leute, die eben erst aufgetaucht sind, und die es bisher noch nicht gegeben hat?« »Oh, dann haben Sie also auch schon davon gehört«, sagte Musli plötzlich. Ömer lächelte verhalten. »Erst, wenn Sie mir etwas erzählen.« »Nun, Mann, da gibt es diese Brotherhood-Dingsda-Clique in Harlem. Ist nicht weit von der Bleeker Street entfernt. Da treiben sich allerhand neue Leute herum...« So schnell? Das klingt vielversprechend. »Und?« »Etwas ist merkwürdig – die Bruderschaft rekrutiert Anhänger. Will sich scheinbar vergrößern. Haben wahrscheinlich was vor. Man munkelt was von Überfällen auf Waffendepots oder so.« »Wer entscheidet, wer aufgenommen wird?« fragte Ömer. »Keine Ahnung, Mensch. Für die Straße zuständig ist ein gewisser Leroy Mathis...«
Ömer nickte. Das deckte sich mit seinen Informationen. »... soviel hab ich herausbekommen. Für den inneren Zirkel haben sie einen neuen Agitator, einen Einpeitscher, der die Mitglieder bei Laune hält. Ein gewisser Shandeep Shankar – kein Einheimischer... ist erst vor kurzem aufgetaucht. Angeblich Pakistani. Führt auch den Vorsitz beim Freitagsgebet in der Moschee.« »Woher wissen Sie, daß er den Verein leitet?« »Hat sich halt 'rumgesprochen, Mann. Aber seitdem stinkt manches dort.« »Wie meinen Sie das?« Hajriza stieß pfeifend die Luft aus. »Darüber rede ich nicht am Vipho. Ist mir zu heiß.« Er zögerte, dann fuhr er fort: »Sagen Sie, warum treffen wir uns nicht irgendwo, damit wir in Ruhe über alte Zeiten quatschen können?« »Einverstanden«, sagte Ömer Giray. »Wann und wo?« Ömer konnte sehen, wie Hajriza überlegte. Dann sagte er kurz angebunden: »Ich muß nachdenken. Bleiben Sie im Hotel. Lassen Sie Ihr Vipho auf Bereitschaft. Ich melde mich.« »In Ordnung«, versprach Ömer. »Auf bald.« »Kann's kaum erwarten, Mann...« Hajriza unterbrach abrupt die Verbindung. Giray lächelte in sich hinein: Hajriza Musli und seine Paranoia. Sekundenlang blieb er vor der dunklen Bildscheibe sitzen. »Warten wir also«, sagte er schließlich halblaut, erhob sich und trat an die Panoramascheibe, die auf den Central Park zeigte. Der Anblick, der sich ihm bot, war beeindruckend. Er konnte durch die blattlosen Baumkronen auf die Wege hinabsehen und die Spaziergänger beobachten. Wenn er den Blick hob, bot sich ihm ein schier atemberaubender Ausblick auf Manhattan. Von seinem Standpunkt aus konnte er das Empire State Building sehen, die ausgefallene Spitze des Chrysler-Sony-Buildings, die eigenwillige Sachlichkeit der beiden Türme des ehemaligen World Trade Centers, das nach
dem Ende der Giant-Herrschaft in Space Trade Center umbenannt worden war, die Triple Towers der Terra Bank und weiter draußen in der Bucht die Freiheitsstatue. Symbol menschlicher Freiheit. Auch – oder gerade! – in den Zeiten der furchtbaren Giant-Knechtschaft. Unter der unmenschlichen Diktatur der »All-Hüter« waren viele Städte auf der Erde entweder ganz oder doch zumindest in großen Teilen in Schutt und Asche gelegt worden. New York gehörte zu letzteren. Was von der Riesenmetropole am Hudson River an urbaner Substanz den verheerenden Kämpfen entgangen war, wurde nach dem Ende des Giant-Invasion wieder restauriert oder neu errichtet... Ömer riß sich von dem Anblick los. Er ging zum Bett, zog die Jacke aus, schnallte den Paraschocker ab – und der Bildschirm erwachte zum Leben. Ein stilisierter Hammerhai – Muslis Logo – schwamm um einen leuchtenden NACHRICHT FÜR ZIMMER NR. 472Schriftzug. »Abspielen!« sagte Ömer. Der Schriftzug veränderte sich. THE ICEHOUSE stand da zu lesen. Aber nur für einen Moment, dann verschwand die Nachricht vom Schirm und machte einer lärmenden Nachrichtensendung Platz. Acht Minuten verbrachte er mit Duschen, Rasieren und Umziehen. Einen Augenblick überlegte er, dann schlug er die Jacke zurück und befestigte fast widerstrebend den Paraschocker im Holster unter der linken Achsel. Obwohl wie alle GSO-Agenten im Nahkampf und Waffengebrauch bestens ausgebildet, war ihm an und für sich Gewaltanwendung ein Greuel, vor allem widerstrebte es ihm, eine Waffe zu benutzen. Aber da es nun einmal Vorschrift war, trug er den Paraschocker bei sich. Er vermutete zwar nicht, daß er die Waffe brauchen würde. Schließlich besaß er noch seine ganz persönliche Geheimwaffe Marke Brana-Tal. Trotzdem wollte er nicht ganz unvorbereitet sein. Minuten später eilte Ömer durch das Hotelfoyer nach draußen. Die Kälte war wie ein Schock; sein Atem
kondensierte zu weißen Wölkchen. Auf einen Wink hin löste sich ein Schwebertaxi aus der Schlange. Es dämmerte bereits, als Ömer an seinem Bestimmungsort ankam. Er stieg aus dem Taxi, bezahlte den Fahrer und rieb sich die klammen Finger. Wie kalt es um diese Jahreszeit in New York sein konnte – fast hatte er das schon vergessen. Er wartete, bis das Schwebertaxi verschwunden war, ehe er quer über die Straße zum THE ICEHOUSE ging, das von Peter Rønin betrieben wurde, einem Dänen grönländischer Abstammung, der diese kleine Bar in Anlehnung an den Geburtsort seiner Ahnen so genannt hatte. Nun, Ömer nahm an, daß der Besitzer noch immer Rønin hieß – andererseits war er seit langem nicht mehr hier in New York gewesen. Er stieß die Tür auf und ging hinein. Nichts hatte sich verändert. Noch immer saßen die Damen des horizontalen Gewerbes herum und warteten auf Kunden – meistens Journalisten aus den nahegelegenen TV-Studios von Terra-Press – und Rønin stand wie immer hinter dem Tresen. Ihre Blicke trafen sich. Peter Rønin nickte überrascht. »Ich will verdammt sein – Ömer Giray. Was zum Teufel führt Sie denn nach New York?« »Geschäfte«, erwiderte Giray unbestimmt und ließ dabei seine Blicke durch den Raum schweifen. Rønin wischte mit einem Lappen über die dunkel glänzende Theke. »Sie suchen wohl jemanden?« »Stimmt.« »Vielleicht Hajriza?« Ömer wandte sich mit zusammengezogenen Brauen Rønin zu. »Hat er Ihnen etwa gesagt, daß ich kommen würde?« Das wäre ja ganz gegen Hajrizas sonstige Gewohnheiten... Aber Rønin schüttelte schon den Kopf. »Ist nur 'ne – sagen wir mal begründete – Vermutung von mir. Er ist schließlich der einzige von Ihren alten Bekannten, die ich kenne, der jeden Abend hierherkommt. – Er sitzt übrigens dort hinten.« Er
deutete auf eine der Nischen im Hintergrund des Raumes. »Vielleicht ein echt dänisches Bier?« Ömer trank nur selten Alkohol; doch dieses Angebot konnte er nicht ausschlagen. »Warum nicht?« »Kommt sofort«, sagte Rønin und beugte sich zu den Fächern unter dem Tresen hinunter. Eine der nur wenige Hocker neben ihm sitzenden Prostituierten nahm Blickkontakt zu Giray auf, aber er schüttelte abwehrend den Kopf, noch ehe sie ihren Barhocker verlassen konnte. »Ein Tuborg, gut temperiert«, versicherte Rønin und stellte die Flasche und ein Glas vor Ömer hin. Als dieser nach seinem Geld greifen wollte, winkte Peter Rønin ab. »Geht aufs Haus.« »Danke«, sagte der GSO-Agent mit einem knappen Lächeln. »Ich schleiche mal rüber zu ihm.« Ömer ging quer durch die Bar zu dem Tisch in der Nische und setzte sich Hajriza gegenüber. Schweigend musterten sie sich. »Sie sehen gut aus, Giray«, sagte Musli schließlich. »Was man von Ihnen nicht behaupten kann, Hajriza«, antwortete der GSO-Agent unverblümt. »Was ist los mit Ihnen, um Allahs Willen?« »Das ist eine lange Geschichte. Und ich bin mir sicher, daß Sie sie nicht hören wollen. Vielleicht werde ich Sie Ihnen mal später erzählen.« Er nahm einen Schluck und setzte das Glas wieder auf den Tisch. Ömer zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich sie hören möchte«, antwortete er knapp, lehnte sich dann nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. »Sie wollten mir etwas über die merkwürdigen Dinge erzählen, die seit neustem in der Bruderschaft der Schwarzen Moslems ablaufen...« »Ach die. Naja, ich hab' Ihnen ja schon erzählt, daß die Brüder Mitglieder werben... ich bin mal hingefahren, war neugierig. Nein, keine Bange, ich bin nicht beitreten«,
versicherte Hajriza hastig, als er Ömers Blick bemerkte. »Ich bin zwar bekennender Moslem, gehöre aber nicht dem fanatisch-fundamentalistischen Flügel an. Aber das wissen Sie ja selbst, Ömer. Nein. Wollte mich nur mal umschauen. Ihre Moschee ist jedenfalls 'ne Wucht, fast schon mehr ein Tempel oder Palast. Die Nachricht darüber verbreitet sich schnell. Deshalb waren an diesem ›offenen Tag‹ schon viele Leute da, um sich die Moschee anzusehen und am Freitagsgebet teilzunehmen.« Rundum in der Bar wurde es laut; mit einem Schlag füllte sich die Bar mit Redakteuren, Journalisten, Skriptgirls und den blutjungen Schauspielerinnen der täglichen Viphosoaps von Terra Press. Es lag plötzlich so viel knisternde Erotik in der Luft, daß die käuflichen Damen es vorzogen, sich für eine Weile zurückzuziehen. »... als das Gebet zu Ende war und der Imam sich zurückzog, erschien mit einem Mal dieser neue Mullah, Sandeep Shankar, und begann seinerseits zu predigen. Dabei entfaltete sich hinter ihm ein riesiger Holoschirm, auf dem seine Worte noch einmal in großen Buchstaben abliefen, damit sie sich auch jeder einprägen konnte... oder vielleicht waren sie für die Hörgeschädigten. Was weiß ich. Doch plötzlich begann etwas Merkwürdiges. Etwas völlig Verrücktes. Ich hatte den Eindruck, als ob hinter den Worten noch ein weiterer Film ablief, der sich ausschließlich mit China, den asiatischen Staaten und dem Paradies Allahs befaßte. Nichts als zufriedene, glückliche Gläubige. Und dann war da noch so eine Geschichte über Wallis Industries, Ren Dhark und die Weltregierung, die die wahren Gläubigen davon abhielten, ein neues Islamisches Reich zu gründen und...« Hajriza brach ab, als er Ömers Gesichtsausdruck bemerkte. Auf Girays Miene spiegelte sich eine sonderbare Mischung aus Bestürzung, Entsetzen und Überraschung. »Dann ist es also wahr«, sagte er gedehnt. »Sie arbeiten mit Hsai nao.« Sein Gegenüber runzelte die Stirn. »Selbstverständlich ist es wahr. Warum sollte ich... was haben Sie gesagt, Ömer?«
»Das ist Chinesisch und umschreibt den Begriff ›Gehirnwäschen« »Das wußte ich nicht«, erklärte Hajriza. »Aber wenn Sie es sagen...« Lange Zeit sagte Ömer gar nichts. Der Anatolier sah ihn unschlüssig an und hoffte, keine Bemerkung gemacht zu haben, die ihm die Stimmung verdorben hatte. »Hören Sie«, sagte der GSO-Agent plötzlich; er beugte sich vor und sah Hajriza in die Augen. »Wie komme ich an diesen Mathis heran?« Hajriza verschluckte sich fast an seinem Bier. »Sie wollen was?!« »Ihn kontaktieren!« Hajriza hatte sich noch immer nicht gänzlich von seiner Überraschung erholt. Er kratzte sich das stoppelige Kinn und dachte kurz nach. Dann sagte er: »Dieser Mathis geht meist noch zum Essen ins Orcide, ehe er sich auf den Weg nach Hause macht.« »Na, das ist doch schon was«, sagte Ömer. Er nahm einen Schluck und überlegte. Und noch während er das Glas zurückstellte, hatte er einen Entschluß gefaßt. »Ich muß jetzt gehen«, sagte er und stand auf. »Danke für die Informationen.« Hajriza lächelte ihn schief von unten an und trank den Rest seines Biers aus. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Hören Sie, Freund der Familie. Was immer Sie vorhaben, ich will es nicht wissen. Aber wenn es das ist, was ich vermute, seien Sie vorsichtig.« »Ich verspreche es«, versicherte Ömer und wandte sich zum Gehen. Er winkte Peter Rønin zum Abschied zu, als er die Bar verließ. * Die GSO-Filiale Singapur hatte ihren Sitz im Westflügel der Regionalverwaltung. Sie nahm eine ganze Etage für sich in Anspruch. Jos Aachten van Haag gelangte über eine Reihe
grauer Korridore an sein Ziel. Er klopfte an und trat sofort ein, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten. Es war ein helles, freundliches Büro mit praktischer Einrichtung. Ein drahtiger Mann saß hinter einem Arbeitstisch und betrachtete einen Monitor. Jetzt deaktivierte er das Gerät und sah auf. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Hallo, Jos«, sagte er, »auch mal wieder im Lande?« »Tag, Ion«, erwiderte van Haag. Sie schüttelten sich die Hände. Jos und Ion Rhyner kannten sich schon eine Ewigkeit, wenn sie auch nur sehr sporadisch aufeinandertrafen – meist um einen Auftrag gemeinsam auszuführen. »Eylers hat dich schon angekündigt. Aber nimm doch Platz.« Jos setzte sich und verschränkte die Hände im Nacken. Er runzelte die Stirn, ohne daß er sich dessen bewußt war. »Was ist? Du siehst irgendwie erschöpft aus. Geht's dir nicht gut?« »Aber ja. Mir machen nur diese vielen Transmittersprünge zu schaffen.« »Das Gefühl kenne ich«, erwiderte der Leiter der GSOFiliale Singapur. »Ohne Zeitverzug rund um den Erdball zu springen oder lichtjahreweit zu anderen Planeten – dafür sind wir eigentlich nicht geschaffen. Ich... entschuldige einen Moment.« Im Hintergrund hatte sich eine Tür geöffnet – und Jos Aachten van Haag hielt den Atem an. Was da schnellen Schrittes auf sie zukam, war eine blendend aussehende junge Frau. Ihr schlanker Körper hatte Rundungen an den richtigen Stellen. Ihr Gesicht war blaß, schmal und intelligent. Ihr langes, rotes Haar hatte sie hochgesteckt. Lediglich ein paar vorwitzige Schläfenlöckchen milderten den Eindruck der Strenge. Sie legte Rhyner einen Ausdruck auf den Tisch. »Wie wir vermutet haben, Chef«, sagte sie mit heller
Stimme und schien Jos zu ignorieren. »Es existiert eine Verbindung dieses Nguyen Phuong und seiner Progress Sync mit dem Mullah der hiesigen fundamentalistischen Gruppierung.« »Irgendein Bezug zu unserem Fall?« fragte Jos scharf und beugte sich vor. »Könnte durchaus sein«, meinte Ion. »Ach, Jos! Das ist Agentin Luise Irtuzeata.« »Sehr erfreut«, sagte Jos, kam aus seinem Besucherstuhl hoch und reichte der GSO-Agentin die Hand zu Begrüßung. »Agent Jos Aachten van Haag – Sie können mich Jos nennen.« »Ahh«, dehnte sie mit einem entwaffnenden Lächeln. »Jos Aachten van Haag. Die persönliche Feuerwehr von Bernd Eylers. – Sie dürfen mich Luise nennen.« »Nachdem das jetzt hinreichend geklärt ist, können wir wohl weitermachen, oder?« meinte Ion Rhyner. »Also, du möchtest Angaben über den gestohlenen Atomsprengkopf.« Agentin Irtuzeata ließ sich auf einen Wink Rhyners im zweiten Besucherstuhl nieder. Daß Jos Aachten van Haag hier in Singapur auftauchte, schien sie nicht zu überraschen. Jos nickte. »Habt ihr eine Spur, wo er abgeblieben sein könnte?« »Nein«, bekannte Rhyner offen. »Nicht den Hauch eines Hinweises?« »Nicht die Bohne.« »Gibt es keine Informationen aus den üblichen Quellen?« »Diese Quellen scheinen plötzlich ausgetrocknet zu sein«, versetzte Agentin Irtuzeata. »Es ist eine ziemlich heiße Sache, Jos. Vielleicht haben die Leute Angst.« »Wie stehen die Chancen, daß der Atomsprengkopf außer Landes kommt?« fragte Jos. Die beiden anderen blickten ihn mit kaum verhohlener Überraschung an. Jos hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, in einen Privatklub geplatzt zu sein. »Das ist schwer zu sagen«, erklärte Rhyners zweifelnd. »Wir haben die Sicherheitskräfte der hiesigen Polizei und
Einheiten der Raummarine in Alarmbereitschaft versetzt. Die kontrollieren alle Jettports und Seehäfen. Wir haben im Umkreis von mehreren Meilen Straßensperren um Singapur errichtet. Aber ich glaube zu spät. Entweder ist der Atomsprengkopf schon außer Landes, oder sie haben ihn ganz in der Nähe versteckt. Die Fahndung läuft jedenfalls weiter.« »Wir gehen eigentlich davon aus«, erklärte van Haag und bezog in das ›wir‹ Bernd Eylers ein, »daß Noro Mansor und seine Gruppierung hinter der Aktion stehen. Aber wozu sie den Atomsprengkopf verwenden wollen, das ist uns noch schleierhaft. – Ich werde mich jedenfalls auf diesen Noro Mansor konzentrieren. Nach unseren Unterlagen hat der Mullah von Singapur zu viele Kontakte nach Amerika.« Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, dann verabschiedete sich Jos.
13. Das »Orcide« war der stadtbekannte Treffpunkt von Hehlern, Dealern und Schwarzhändlern aller Art. Und dabei war es völlig egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man die Bar im Herzen von Spanish Harlem aufsuchte – Abschaum und Verkommenheit gaben sich hier stets die Klinke in die Hand. Wer immer hier verkehrte, hatte irgendwie Dreck am Stecken. In der Bar wurden teure Drinks gemixt, dröhnten die neuesten Rhythmen aus den Lautsprechern, hüpften Oben-ohneKellnerinnen durch die Tischreihen. Es war bezeichnend, daß das Orcide das Lieblingslokal von Leroy Mathis war, obwohl er als bekennender Moslem Lokale wie dieses eigentlich meiden mußte wie der Scheïtan das Weihwasser. Auch an diesem späten Abend hatte er gegessen und sich ein paar Drinks genehmigt, ehe er das Lokal verließ, um sich auf den Heimweg zu machen. Die Straße war ziemlich belebt; Bodenfahrzeuge glitten über die Fahrbahn; in der Luft ein Strom Taxigleiter, dazwischen Schwebebusse; die Gehsteige waren von Passanten bevölkert. Und so nahm Leroy Mathis auch keine Notiz von dem Mann, der schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite vor einem Schnellimbiß stand. Der Mann war Anfang Dreißig, mittelgroß, kräftig und hatte einen dunklen Teint. Er wirkte unauffällig, weshalb er auch von Mathis nicht registriert wurde. Auch dann nicht, als der Mann sich anschickte, langsam die Straße zu überqueren. Der Black Muslim zündete sich eine Zigarette an und ging in Gedanken zu seinem Schweber, der im Hinterhof des Lokals zwischen anderen parkte. Peitschenlampen spendeten ein kärgliches Licht. Er überhörte das Geräusch und übersah den Schatten.
Sterne explodierten vor seinen Augen, als der Schwinger seine linke Gesichtshälfte traf. Der Schlag warf ihn zur Seite und halb auf die Maschinenhaube seines Schwebers. Völlig überrumpelt suchte Mathis nach einem Halt. Seine Füße glitten auf dem Eisfilm unter dem schmutzigen Schnee des Parkplatzes aus, und er krachte hart auf den Boden. Während er versuchte, seine Glieder unter den Körper zu ziehen, schüttelte er den Kopf, um seiner Benommenheit ledig zu werden. Er erhaschte einen flüchtigen, aber genügend klaren Blick auf seinen Gegner. Der Angreifer war ein fast zwei Meter großer Weißer, der eine Ringerfigur und die Behendigkeit eines Gepards besaß. Mathis' Versuch, sich auf seine in den Schulungscamps der Black Muslims erworbene Kampfsportausbildung zu besinnen, wurde durch einen Tritt in den Magen zunichte gemacht, der ihn auf den Rücken warf. Würgend und stöhnend wälzte er sich auf die Seite und übergab sich. Höhnisches Gelächter ertönte. »Bei dem Fraß, den du zu dir genommen hast, würde ich auch kotzen wollen, schwarzer Mann!« Verharschter Schnee knirschte unter den Füßen des Angreifers, als er sich erneut seinem Opfer näherte. Mathis, der auf der linken Seite lag, trat nach hinten aus gegen die Schienbeine seines Gegners, warf ihn aufs Gesicht und registrierte befriedigt den unterdrückten Wutschrei. Schwankend richtete er sich auf. Er spuckte und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Komm hoch, du weißer Hurensohn«, stieß er in kurzen, abgehackten Stößen hervor, »damit ich die Angst in deinen Augen sehe, wenn ich dich erschieße.« Seine Hand glitt unter den Mantel. Das kalte Rund eines Laufes bohrte sich von hinten in sein Genick. »Wenn du das tust« sagte eine Stimme, »verlierst du deinen Kopf!« Mathis' Hand hielt auf halbem Weg inne.
»Und jetzt schön langsam die Waffe heraus«, befahl der hinter ihm Stehende. »Mach schon! Her damit!« Der Black Muslim faßte sehr vorsichtig nach seiner Waffe, zog sie heraus. »Fallenlassen!« Es schepperte, als sie auf den Boden schlug; ein Fuß stieß sie außer Reichweite. Der hinter ihm stehende Gegner trat seitlich an ihm vorbei und zur Seite. Die großkalibrige Waffe blieb unverrückbar auf Leroy Mathis gerichtet. Dann tat der Unbekannte etwas Überraschendes: Er steckte die Waffe ein. Leroys Gedanken überschlugen sich. Wenn er etwas unternehmen wollte, sollte er es schnell tun... Doch dann erstarrte er ein zweites Mal. Ein dritter Gegner trat aus dem Schatten hinter einem Schweber hervor und gesellte sich zu den anderen. Er war ebenso kräftig wie die beiden anderen. Eigentlich machten sie nicht den Eindruck einer Straßengang, die schnell mal einen Passanten ausrauben wollte... Ein paar Herzschläge lang war Mathis noch immer erstaunt über die Frechheit, ihn mitten in einer belebten Gegend New Yorks zu überfallen. Trotzdem suchte er fieberhaft nach einer Möglichkeit, diesem zu allem entschlossenen Trio zu entkommen. Er beugte leicht die Knie, um seinen Schwerpunkt zu senken, und ballte die Fäuste, während sie gegen ihn vorrückten. Mathis glitt zur Seite – und lief geradewegs in einen Schwinger das ganz außenstehenden Angreifers hinein. Ein glühender Schmerz fuhr durch seinen Kiefer. Er taumelte. Fühlte sich von zwei Armen umklammert, die ihn an die Greifer eines Gabelstaplers erinnerten, während die anderen beiden auf ihn eindrangen. Und dann prasselte Schlag auf Schlag auf Kopf und Schultern des Black Muslims nieder, der sich verzweifelt mühte, aus der Umklammerung zu kommen. Schließlich gelang es ihm, einen Arm zu befreien. Ein Stoß mit dem
Ellbogen gegen die Schläfe des Ringers brach dessen Griff endlich auf. Die Silhouetten der beiden anderen im Gegenlicht der Straßenbeleuchtung versperrten ihm den Blick auf die Straße, aber er meinte, jemanden in seine Richtung laufen zu sehen. Mathis drehte sich auf dem linken Fuß, wandte seinen Gegnern den Rücken zu und trat aus. Er traf einen der Kerle in der Leistengegend. Ein heller Schmerzensschrei wurde hörbar. Der Black Muslim nutzte die Chance, um sich umzuwenden und dem Angreifer in seinem Rücken mit seiner Rechten zu begegnen. Er setzte zwei schnelle Schläge in den Solarplexus des Kerls. Hustend und würgend ging der Getroffene zu Boden. Währenddessen hatte er den dritten aus den Augen verloren. Als er sich wieder an ihn erinnerte, war es zu spät. Dem ersten Hieb mit einem kurzen Schlagstock konnte er noch halbwegs ausweichen. Aber er ging dabei in die Knie. Der nächste Schlag machte ihn fertig; er kam wie eine Explosion. Während Leroy Mathis verzweifelt gegen die Dunkelheit ankämpfte, die sich über seine Gedanken und die Schmerzen legte, hörte er verschiedene Stimmen sehr laut und deutlich. Jemand sagte keuchend und spuckend: »Hell and Devil! Der schwarze Hurensohn hätte mich fast fertiggemacht...« Eine andere antwortete: »Quatsch keine Opern!« Mathis spürte, wie die Ohnmacht ihn zu überwältigen drohte. Schnelle Schritte waren hörbar. Jemand rief: »Hee! Was geht da vor? Lassen Sie den Mann in Ruhe!« In der Nähe zischte eine Stimme: »Nichts wie weg!« Mündungsfeuer flammte auf. Das Zischen der Entladungen klang wie ein Haufen Schlangen. Hastige Schritte entfernten sich. Ein Motor wurde gestartet. Der Black Muslim lag im Zustand halber Bewußtlosigkeit auf dem Boden. Schneeflocken brannten auf der Haut seines Gesichtes. Das Gemurmel von Stimmen über ihm war wie Bienengesumm. Er öffnete die Augen, aber das grelle Licht
einer Lampe über ihm schmerzte so sehr, daß er sie sofort wieder schloß. Sein Kopf schmerzte entsetzlich. Eine ruhige Stimme über ihm sagte: »Was ist, Bruder? Geht's wieder?« »Ja«, sagte Leroy. »Machen Sie bloß endlich die verdammte Lampe aus. Sie blendet mich.« »Aber klar doch, Bruder«, sagte der Unbekannte und knipste die starke Lampe aus. Damit hatte er Mathis unausgesetzt angeleuchtet. »Schon besser«, brummte der und rappelte sich vom Boden auf. Vor seinen Augen verschwamm der Parkplatz. In seinen Ohren brauste das Blut. Er war völlig groggy und wünschte sich nichts sehnlicher, als im Bett zu liegen. Der, der ihn fortgesetzt »Bruder« nannte, sagte laut und aggressiv an die Neugierigen gewandt: »Gehen Sie weiter. Hier gibt's nichts zu gaffen.« Inzwischen klärte sich Mathis' Blick wieder. Er faßte den Mann, dem er vermutlich einiges zu verdanken hatte, genauer ins Auge. Er hatte einen mittelgroßen, sportlich-kräftigen Mann vor sich. Das lange, schwarze Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, der Gesamteindruck ließ auf mediterrane Abstammung schließen. »Diese Hundesöhne von giaurn«, stieß Mathis hervor und spuckte aus. »Fluche nicht, sondern lobe Allah«, sagte der Fremde emphatisch, »daß dir rechtzeitig Hilfe zuteil wurde. Aber ich verstehe dich, Bruder. Möge Allah, der Allbarmherzige, dieses ungläubige, gottlose Gesindel in die tiefsten Tiefen der Dschehenna stoßen!« »Möge Allah das tun!« bekräftigte der Black Muslim, noch ein wenig unsicher darüber, ob er tatsächlich einen Glaubensbruder vor sich hatte. Auf der Straße gingen Passanten vorbei, war das Gemurmel der Menge zu vernehmen. Offenbar war der Vorfall auf dem Parkplatz kaum aufgefallen.
In der Ferne waren die Töne einer Polizeisirene zu hören. Hatte doch jemand die Behörden alarmiert? Leroy Mathis hatte es auf einmal sehr eilig. In eine polizeiliche Untersuchung wollte er nicht verwickelt werden; er durfte jetzt auf gar keinen Fall die Aufmerksamkeit der Behörden auf die Bruderschaft lenken. Nicht bevor alles vorbei war. »Hör zu, Bruder«, sagte er nervös. »Keine Zeit mehr. Kann mich nicht mal richtig bedanken für deine Hilfe. Aber komm doch morgen bei dieser Adresse vorbei, dann reden wir!« Er reichte ihm eine Art Visitenkarte und verdrückte sich rasch in der Tiefe des Parkplatzes, an dessen Ende er sich gewandt über einen Maschendrahtzaun schwang und den Augen seines Retters entschwand. Seinen Schweber ließ er stehen. Das Sirenengeheul kam näher – und entfernte sich wieder. Ömer Giray überquerte die Straße, ging durch einen kleinen Park, der einen hell erleuchteten Gegensatz zu den düsteren Straßen bildete, und verschwand wenig später unter den glasüberdachten Passagen einer Mall in der quirlenden Menge, als hätte er nie existiert. Er nahm eines der Gleitbänder in die siebte Etage. Hier gab es ein gemütliches Bistro, dessen Betreiber aus Ankara stammte und der dafür bekannt war, einen vorzüglichen türkischen Mokka zu brauen. Ömer war sehr zufrieden mit sich. Sein Vorhaben, als Undercoveragent bei der Brotherhood of Black Muslims einzusteigen, ließ sich gut an. Inzwischen waren die drei Schläger – Agenten des New Yorker GSOBüros – sicher wieder zu ihrer Dienststelle zurückgekehrt. Er nahm die Karte zur Hand, die ihm der Black Muslim zugesteckt hatte. Es war die Adresse der Moschee! Ömer nickte bedächtig, während er seinen Mokka austrank. Von einer öffentlichen Viphozelle aus rief er in der GSOZentrale an, sprach kurz mit Bernd Eylers und informierte ihn über die nächsten Schritte, die er zu unternehmen gedachte. Dann ließ er sich von einem A-Gravschweber ins Hotel bringen.
* »Warum haben sie nicht längst das Feuer auf uns eröffnet?« rätselte Dan Riker an Ren Dharks Seite mißtrauisch. Dasselbe hatte sich Dhark auch gefragt. Eine mögliche Erklärung lieferte der pausenlos ins Geschehen involvierte Checkmaster. Demnach hatten die Nomaden unmittelbar nach Auftauchen der POINT OF sämtliche verfügbaren Energien des Mutterschiffs in die Schildgeneratoren geleitet. Die Ereignisse auf Salteria hatten sich offenbar herumgesprochen. Dies war der Versuch, dem übermächtigen fremden Ringschiff in noch nicht erprobter Weise die Stirn zu bieten. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, wie der Checkmaster ebenfalls längst ermittelt hatte. Der Synchronstrahl aus den Strahlantennen der POINT OF stand seit zwanzig Sekunden und zeigte bereits erste Wirkung! Das Kreuzschiff wurde von einem es umwabernden Energiekokon der normaloptischen Wahrnehmung entzogen. Die Messungen ergaben, daß die Schilde momentan zu fünfzig Prozent beansprucht waren und bereits ein langsamer Abbau zu verzeichnen war. Die Nomaden setzten wahrscheinlich ihre gnadenlose Vernichtung voraus, was Dhark aber gar nicht beabsichtigte. Er wollte sie nur ihres Gefahrenpotentials berauben. Die Auflösung der Schilde war dazu der erste Schritt. Inzwischen kümmerten sich die Flash um die ausgeschleusten Raumjets der Nomaden, von denen zur Zeit die eigentliche Bedrohung für die Galoaner ausging. Dhark hatte oft genug selbst in einem »Blitz« gegen feindliche Raumkräfte gekämpft. Er wußte, daß der Intervallschutz nicht gegen alle Eventualitäten half. Flashpiloten mußten die gesamte Klaviatur ihres Instrumentariums im Schlaf beherrschen. »Depot? Eine Liste der aktiv im Einsatz befindlichen Piloten
in die Bildkugel einblenden!« Dharks Befehl wurde unverzüglich entsprochen. Ein Auge auf den ebenfalls ablaufenden Countdown gerichtet, las er kurz darauf die angeforderten Namen: Rul Warren Mike Doraner Pjetr Wonzeff Arly Scott Hans Vultejus ... Obwohl die Situation keineswegs entschieden war, lehnte er sich entspannter in seinem Sitz zurück. Jeder der aufgelisteten Männer hatte sich in ungezählten Einsätzen bewährt. Für das Können eines jeden von ihnen hätte er seine Hand ins Feuer gelegt. Beinahe stolz sah er zu, wie das Gros der Flash Angriff um Angriff gegen die noch abseits des Galoaner-Schiffes operierenden Raumjets der Nomaden flog und sie mit StrichPunkt-Lähmstrahlen überschüttete. Die winzigen Kampfboote des Gegners besaßen keine Schutzfeldgeneratoren, die das Durchdringen der Paralyseenergie hätten verhindern können. Torkelnd verschwanden nach und nach alle in der Schwärze der Raumnacht. Zurück blieben nur drei Raumjets, die bereits an den Zylinderraumer der Galoaner angedockt hatten. Dhark beorderte Warren, Doraner und Wonzeff zu den Koordinaten: »Ausschalten, bevor sie Geiseln nehmen oder ein Blutbad anrichten!« Mehr brauchte er nicht zu sagen. Die POINT OF ihrerseits hätte den gesamten Zylinder der Galoaner mit Strich-Punkt bestreichen können – doch diese letzte Option behielt sich Dhark noch offen. Er suchte den Kontakt zu diesem in Drakhon ansässigen Volk und wollte nicht Stunden verlieren, bis die Narkosewirkung eines StrichPunkt-Beschusses wieder nachließ und die Opfer ansprechbar
waren. Außerdem wußte man so gut wie nichts über den Metabolismus der Galoaner. Es war zumindest denkbar, daß ihr Organismus irreparable Schäden durch die Paralysestrahlen erleiden würde. Alles schon mal dagewesen. Nein, bei ausgewiesenen Feinden brauchte man solche Rücksicht nicht walten zu lassen, bei potentiellen Freunden schon. Dhark hoffte, die Galoaner von der eigenen Friedfertigkeit überzeugen zu können, und deshalb war alles, was über chirurgisch präzise Eingriffe hinausging, tabu. Die erfahrenen Flashpiloten Warren, Doraner und Wonzeff handelten ganz selbstverständlich im Sinne dieser Prämisse. * Es war ein nach wie vor spannendes Gefühl, massive Hindernisse wie die gepanzerte Hülle eines Raumschiffs im Schutz des Miniweltraums zu durchdringen, der die Flash umgab. Das Intervallum baute ein eigenes, völlig autarkes Kontinuum innerhalb des Normalkosmos auf. Mittels eines sogenannten Reizstrahls war zwar weiterhin die Wahrnehmung des Einsteinuniversums möglich, und mittels der Bordgeschütze konnten auch »draußen« liegende Ziele ausgeschaltet werden, aber de facto waren die Insassen der Flash – genau wie die Besatzung der POINT OF – im Intervallflug nicht mehr Bestandteil der Raumzeit, in der sie geboren worden waren. Und die normalerweise auch kein Mensch je verließ. Wonzeff hatte keine Probleme damit, weil er aufgehört hatte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Jetzt zählte nur die Aufgabe, die er erhalten hatte. Einflug in den Zylinder! Lokalisierung des bereits eingedrungenen Gegners! Schutz der Besatzung! Und das Ganze im Zusammenspiel mit den beiden anderen
Flash... »007 ruft 014 und 022! Hier Warren. Habe noch keinen Sichtkontakt zum Feind. Befinde mich in einem Hangar, der große Zerstörungen aufweist. Wie ist die Lage bei euch?« »Auch noch keinen unserer Lieblinge zu Gesicht bekommen«, meldete sich Mike Doraner in seiner trockenen Art. »Hier herrscht ja auch eine Schlechtwetterfront, bei der man keinen Hund vor die Tür jagt.« »Shanton würde dir beipflichten«, gab nun auch Wonzeff seinen Kommentar ab. »Hätte er die Nomaden damals schon gekannt, sähe Jimmy heute wahrscheinlich wie eine Katze aus... bei mir auch noch keine Spur... Halt! Da ist etwas! Moment, ich synchronisiere die Außenwahrnehmung meines Flash mit der euren...« Den Kopf weit in den Nacken gebogen, analysierte Wonzeff, was die Deckenprojektion ihm vom Innern des Zylinderschiffes zeigte. Nach Aussage der inzwischen verstorbenen Salter waren die Flash Fahrzeuge gewesen, die fast ausschließlich von Robotern mit einem dritten Auge auf der Schädeldecke geflogen worden waren. Wonzeff kannte keinen Piloten, der dies wirklich glaubte. Fakt war: Menschen mußten sich ziemlich den Hals verrenken, wenn sie auf Sichtflug mit ihren »Blitzen« gingen. Noch widersprüchlicher war das Vorhandensein der sogenannten Gedankensteuerung, mittels der ein Flash durch nicht einmal ausgesprochene, nur gedachte Befehle gelenkt werden konnte. Wo blieb da die Logik, wenn die Maschinen von Maschinen geflogen worden waren? An einem Roboter bissen sich die fähigsten Telepathen die Zähne aus. Roboter dachten nicht und wären dementsprechend auch nicht in der Lage gewesen, mit der Gedankensteuerung auf diese Weise in Dialog zu treten... Aber hier ging es um M-Roboter, und letztlich war bei MSchöpfungen alles möglich. Immerhin hatten sie auch die Wächter erschaffen, Robotkörper, die mit den Bewußtseinen lebender Wesen beseelt worden waren. Vielleicht waren die
Flash ganz speziell auf wächterähnliche Paladine zugeschnitten gewesen – die Wächter selbst schieden ob ihrer gewaltigen Größe aus. Sie hätten in keinen Flash gepaßt. Überlegungen, die Wonzeff nur am Rande beschäftigten. Ganz hinten in seinem Hirn, das sich der aktuellen Situation stellte. Sein Flash 014 drang in Schleichfahrt tiefer ins Innere des Zylinderschiffs vor. Und näherte sich dabei einem abgestellten Fahrzeug, das genausowenig in das Galoanerschiff gehörte, wie der »Blitz«. Ein Raumjet der Nomaden parkte vor einem geschlossenen Schleusenschott. Wonzeff aktivierte Strich-Punkt und streute ihn über die Silhouette des Jets. Allerdings bezweifelte er, damit einen Erfolg erzielt zu haben, und im Näherkommen bestätigte sich, daß die Schleuse des Nomadenjägers ebenfalls offenstand. Demnach war die Besatzung bereits ausgestiegen. Wonzeffs eigener Fluch fiel mit dem von Warren zusammen, der die Situation über ein kleines Fenster mitbekam, das in seine eigene Außenübertragung eingeblendet war. Auch Doraner wußte auf diese Weise Bescheid. Sekunden später war auch die Umgebung der beiden anderen Flash in Wonzeffs Holo-Schirm integriert. Auch ohne Hinweise der anderen konnte nun jeder jederzeit Einblick in die Lage andernorts nehmen. »Die Bande ist schnell! Das bedeutet nichts Gutes«, knurrte Wonzeff und öffnete gleichzeitig den Kanal zur Kommandozentrale der POINT OF. Kein anderer als Dhark selbst nahm seinen kurzen Bericht entgegen. »Den Galoanern darf nichts geschehen!« erinnerte der Commander sie noch einmal daran, worum es ging. »Auch wenn das hier wie ein Scharmützel aussieht, es könnte der Scheidepunkt unseres Engagements in Drakhon sein. Wenn wir versagen, werden die Nomaden nichts unversucht lassen, uns
den Schwarzen Peter bei der galoanischen Regierung zuzuschieben. Ich traue ihnen zu, ein Blutbad anzurichten, nur um uns damit in der Zweiten Galaxis zu diskreditieren. Sollte sich abzeichnen, daß die Flash zu spät kommen, geben Sie sofortigen Bericht und verlassen Sie das Schiff. Dann müssen wir doch noch auf die rabiatere Methode zurückgreifen!« »Verstanden!« Dreimal kam die Bestätigung aus drei verschiedenen Kehlen. Derweil hatte Wonzeffs 014 das Schott zur inneren Sektion passiert. Der außerhalb des Intervallums befindliche Brennkreis verursachte Schäden, die sich jedoch nicht umgehen ließen und in keiner Relation zu dem standen, was den Galoanern von den Piraten drohte. Sekunden später sah Wonzeff den ersten Gegner. Der ihn ebenfalls sah. Und sofort unter Feuer nahm! Eine Energiekaskade verpuffte wirkungslos an der Überlappungskontur zweier Universen. Die Reizstrahlübertragung wurde davon nicht beeinträchtigt. Noch bevor der an einen aufrechtgehenden, mannsgroßen Hund erinnernde Nomade einen zweiten Schuß ansetzen konnte, streckte Wonzeff ihn nieder. Die Gedankensteuerung meldete lapidar: Strich-Punkt-Volltreffer. Ziel ausgeschaltet. Von Mike Doraner kam ein leises »Bravo!«, das Wonzeff bewußt überhörte. Den Spott darin auch. Sie alle wußten, daß es keine Leistung war, Angehörige der Entermannschaft auf diese Weise außer Gefecht zu setzen. Die Kunst würde sein, sie rechtzeitig aufzuspüren. Rechtzeitig genug jedenfalls, damit sie kein Unheil anrichten konnten, das nicht wiedergutzumachen wäre. Galoanerleben. Sie mußten um jeden Preis geschützt werden! »Bei mir wird's auch etwas turbulenter«, meldete Rul Warren. »Hach, jetzt ein Pfeifchen schmauchen... hier an Bord meines Babys ist es ja leider untersagt...«
»Immer noch nicht der alten Unart abgeschworen?« nahm sich Wonzeff die Zeit einzuwerfen. »Jeder von uns hat doch sein Laster. Ich stehe wenigstens dazu.« »Auch ein Standpunkt.« Ortung? Halten sich weitere Angreifer verborgen? Der Raum, in den die 014 vorgestoßen war, schien eine Art Knotenpunkt zu sein, von dem aus breite Korridore in verschiedene Richtungen verliefen. Versteckmöglichkeiten gab es in Form von Stützen und Verstrebungen, die senkrecht an den Gangwänden verliefen und den Piraten ausreichend Deckung hätten bieten können. Die Gedankensteuerung beschied die Anfrage negativ. Keine Anzeichen von Lebensimpulsen in unmittelbarer Nähe. Demnach schien der Nomade, auf den er getroffen war, eine Art Nachhut gebildet zu haben. Infrarotauswertung! Spuren ? Mehrere, antwortete die telepathische Kontrollinstanz des Flash. Sie führen allesamt in eine Richtung. Sichtbar machen! Augenblicklich nahm Wonzeff die Reststrahlung wahr, die von seinem Instrumentarium aufgespürt worden war. Insgesamt fünf Individuen hatten sich in den linker Hand befindlichen Korridor begeben. Dorthin folgte nun die 014, und Wonzeff registrierte fast beiläufig, daß die Schwerkraft an Bord des Zylinders lediglich 0,8 g betrug. Die Informationen der Shirs hatten keine Rückschlüsse auf das Aussehen der Galoaner gestattet. Wonzeff war gespannt auf deren Anatomie. 0,8 Gravos... waren die Galoaner kleine Riesen? Mit solchen hatten es Menschen schon des öfteren zu tun bekommen: den G'Loorn, den Giants, ja selbst den Amphis (an den Begriff »Fanjuur« mochte er sich nicht gewöhnen)... »Wenn wir nur einen Grundriß des Schiffes besäßen...« seufzte er.
Nicht nur was das anging, schienen ihnen die Nomaden einen Schritt voraus. Aber auch ohne ein solches Hilfsmittel ahnte Wonzeff, wohin sie sich gewandt hatten. Mitten ins logistische Zentrum des stählernen Zylinders! In dessen Kommandosektion! * Die Nomaden wollten sich nicht ohne Gegenwehr geschlagen geben. Auch nicht die auf dem Mutterschiff befindlichen. Ein weiterer Raumtorpedo detonierte an der unsichtbaren Schranke des Doppelintervallums. Es war gleichzeitig der letzte. Mehr ließ die POINT OF nicht mehr zu. Es reichte! »Schilde auf Null? Na dann: Nadelstrahl aus – ich aktiviere Strich-Punkt!« Bud Clifton war ganz in seinem Element. Gerade war vom 1. Offizier Falluta die Bestätigung gekommen, daß der Schutzschirm des Nomadenraumers zusammengebrochen sei. Und damit begann Phase zwei zur Unschädlichmachung der Piraten. Ein Fächer aus hochdosierten Lähmstrahlen brandete gegen die Hülle des Kreuzschiffes. Und sank durch den Stahl hindurch wie durch einen grobporigen Vorhang! Äußerlich war dem Koloß nicht anzumerken, ob die Paralysestrahlung tatsächlich Wirkung zeigte. Und ein Ruf aus der Funk-Z ließ Ren Dhark sogar kurzzeitig daran zweifeln. »Gegner hat einen Spruch abgesetzt!« »Verdammt!« Das war Riker auf dem Nebensitz. Riker wußte, warum er fluchte. »Damit haben wir bald wieder eine ganze Meute auf dem Hals!« Dhark nickte grimmig. »Aber müssen wir vor denen Angst haben oder die vor uns?«
»Ich wünschte, ich könnte glauben, daß diese Hunde vor irgend etwas Angst haben. Aber wir haben sie auf Salteria erlebt. Sie kämpfen wie tollwütig. Bis zum letzten Blutstropfen! Die werden aus der Niederlage nichts gelernt haben! Nicht das geringste!« Deswegen machte sich Dhark momentan die wenigsten Sorgen. Während der Widerstand an Bord des Piratenraumers erlosch, war die Gefahr auf dem Galoanerschiff noch keineswegs gebannt. »Wonzeff? Doraner? Warren? Bericht! Die anderen Flash: Einflug ins Kreuzschiff! Besetzen Sie sämtliche relevanten Stationen... Dan, du übernimmst die Koordination dort. Ich bleibe beim Zylinder am Ball...« Sie waren ein eingespieltes Team. Aber die Nomaden waren nur schwer ausrechenbar – wie sie auch hier wieder unter Beweis stellen sollten... * Shavis wußte, was ihnen bevorstand. Die Nomaden waren gefürchtet für ihre Grausamkeit, und ebenso dafür, niemals Überlebende zurückzulassen oder Gefangene zu machen. Obwohl – was letzteres anging, widersprachen sich die Gerüchte. Es gab auch Stimmen, die wissen wollten, daß die Nomaden die Besatzungen aufgebrachter Schiffe als Sklaven an die Betreiber illegaler Muun-Minen verschacherten. Muun-Kristalle waren das Kostbarste, was diese Galaxis hervorgebracht hatte, und sie füllten – Ironie des Schicksals – zur Zeit auch die Frachträume der MAANGSCHAR. Shavis hatte sich mit der zahlenmäßig geringen Besatzung seines Frachters sofort auf die Brücke zurückgezogen, nachdem sicher gewesen war, daß die Piraten beide Antriebe der MAANGSCHAR außer Kraft gesetzt hatten. Nicht einmal eine Nottransition war mehr möglich – aber die hätte das Ende ohnehin nur hinausgezögert, denn zweifellos funktionierte der Wurmlochgenerator des Nomadenschiffes
nach wie vor tadellos. Es wäre ihm folglich ein leichtes gewesen, sie einzuholen. Die MAANGSCHAR hatte einen Hilferuf durch den Hyperäther geschickt. Doch kurz darauf war auch die Sendeantenne vom gezielten Schuß eines Raumjägers ausgeschaltet worden. Die Nomaden gingen vor, wie sie es wahrscheinlich dutzendfach geübt hatten. Und dann... dann war auch noch die Außenübertragung zusammengebrochen – was Shavis als mindestens ebenso tragisch einstufte wie die Unfähigkeit zu fliehen oder weiter Hilfe herbeizurufen. Er bezweifelte, daß der Notspruch überhaupt ein galoanisches Schiff oder eine Basis erreicht hatte. Den Nomaden war zuzutrauen, daß sie ihn irgendwie abgefangen oder mit Störimpulsen überlagert hatten. Aber selbst wenn nicht – bis Hilfe aus dem Wanar-System oder einem der vorgeschobenen Posten des Reichs eintraf, würde sich kein lebender Galoaner mehr an Bord der MAANGSCHAR aufhalten. »Sie kommen!« Es war Nhoris, sein ältester Sohn, der Shavis Blick zum Panzerschott lenkte. Das zu glühen begonnen hatte. Die Galoaner scharten sich enger um ihren Kapitän. Shavis' Verzweiflung kulminierte. Er hatte Handwaffen ausgeteilt, aber diese Waffen muteten in den Händen der zierlich gebauten Galoaner wie Fremdkörper an. Von Natur aus verabscheuten sie Gewaltanwendung. Aber die Schöpfung war unbarmherzig gegen ihre Kinder – auch die Galoaner hatten, je weiter sie ins Sternenmeer vorgestoßen waren, immer schmerzhafter feststellen müssen, daß andere Intelligenzen ihre Auffassung von friedlicher Koexistenz nicht teilten. Allerorten herrschte das Gesetz des Dschungels: fressen oder gefressen werden. Galoa hatte sich zu arrangieren versucht. Seine militärischen Raumschiffe besaßen eine überragende Defensiv-, aber eine
vergleichsweise schwache Offensivbewaffnung. Die MAANGSCHAR allerdings war ein ziviler Frachtraumer. Ihre Schutzfelder dienten nur zur Abwehr von frei im Weltall treibender Materie. Schnell und perfekt hatten die Nomaden ihre Beute gestellt und mit einigen wenigen Torpedos sturmreif geschossen! Seither wartete die Besatzung im Kontrollraum des Frachters, abgeschnitten von der Außenwelt, auf das sichere Ende. Das sich jetzt in Gestalt eines langsam zerfallenden Schotts ankündigte! »Ich werde die Selbstvernichtung aktivieren«, eröffnete Shavis Mannschaft und Sohn mit fester Stimme. »Tretet zurück! Ich hätte es schon längst tun müssen! Den Nomaden sollen weder die Muun-Kristalle noch neue Sklaven in die Pranken fallen!« Noch während er sprach, hatte Shavis das Pult erreicht und sich mittels genetischem Fingerabdruck autorisiert, die Selbstvernichtungssequenz zu starten. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich beinahe im Rhythmus seines Herzschlags. Dank des Wulstes aus Sinnesorganen, der seinen Schädel umgab, vermochte er nach allen Richtungen gleichzeitig zu sehen – so daß er, obwohl er dem Schott den Rücken zuwandte, sofort wußte, daß die letzte Barriere zwischen ihnen und den raubtierhaften Nomaden fiel. Der Aufschrei der anderen, speziell seines Sohnes, tat ihm dennoch weh. Saugend zog er die Luft durch die kombinierte Mund- und Nasenöffnung an der Oberseite seines birnenförmigen Kopfes. Blut lief über die Innenfläche seiner viergliedrigen Hand – dort, wo er sie gegen den Dorn geschlagen hatte, der mit Analyseeinheit und Bordrechner gekoppelt war. Die kaum schmerzende Verletzung hatte genug Blut freigesetzt, um seine DNS binnen eines Augenblicks zu identifizieren. Danach hatte dem Countdown nichts mehr im Wege gestanden. Nur er selbst hätte die Maschinerie, die Galoaner und Nomaden verschlingen würde, noch stoppen
können. Doch er dachte nicht daran. Nein, die MAANGSCHAR würde nicht enden wie zahllose Schiffe anderer Völker vor ihr – im Schredderfeld der Nomaden. Körperlich und psychisch konnte er mit Kraft und Brutalität der Nomaden nicht konkurrieren. Er mußte auf seine Art kämpfen. »Vater, paß auf!« Shavis hatte längst gesehen, daß die auch körperlich fast unbezwingbar wirkenden Freibeuter ins Innere der letzten Zuflucht quollen. Sie feuerten ohne Vorwarnung auf die Deckungen, hinter die sich die Galoaner geworfen hatten, die nicht einmal halb so viel Gewicht und Muskelmasse aufweisen konnten wie die Nomaden. Weder Nhoris noch ein anderes Besatzungsmitglied hatte bislang einen einzigen Schuß abgegeben. Dafür sah Shavis jetzt in den tödlich glimmenden Abstrahlpol eines Destruktors. »Vater...!« Shavis war außerstande zu antworten oder etwas zu tun. Längst hatte er sich umgedreht, und nun tickte hinter ihm die Uhr, von der die Nomaden nichts ahnten. Shavis entschied, daß sie ihm leid tun konnten. Es waren bedauernswerte, irregeleitete Kreaturen, über die man sich hier und da erzählte, sie seien erst von dem Moment an zum Schrecken der Galaxis geworden, als ihnen selbst Unsagbares angetan worden war. Möglicherweise stimmte das. Galoaner hatten erstaunlich viel Verständnis für Verbrecher. Shavis bereitete sich auf das Sterben vor. Er breitete die Arme aus und ließ die Waffe fallen. Verächtliches Lachen der Nomaden bellte ihm entgegen. Sie begriffen nichts, nicht das geringste. Sie glaubten, er wolle sich ihnen ergeben, vielleicht sogar um Gnade winseln... Shavis widmete seine letzten Gedanken den Daheimgebliebenen. Dann winkte er die Mörder entschieden herbei und wies auf seine Brust.
Sie ließen sich nicht zweimal auffordern. Shavis glaubte, das verderbenbringende Licht bereits auf sich zulecken zu sehen – das Licht, dem nichts als traurige Dunkelheit folgen konnte. * Pjetr Wonzeff brach regelrecht in die Kommandozentrale des Galoanerschiffes ein, wobei er den Antrieb sofort nach dem Durchbruch deaktivierte, um keine Spur der Vernichtung hinter sich herzuziehen. Das Bild, das sich ihm bot, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen: Die Nomaden hatten offenbar sämtliche Angehörigen der Besatzung zusammengetrieben und die Waffen auf sie gerichtet. Alles sah nach einer bevorstehenden Exekution aus! Das Auftauchen der 014 lenkte die Piraten jedoch noch einmal ab. Wonzeff hatte den Eindruck, buchstäblich in letzter Sekunde erschienen zu sein. Nicht auszudenken, wenn er das Vorhaben der Hundeartigen nicht vereiteln konnte. Traumwandlerisch sicher fanden seine Finger den Auslöser der Bordwaffen. Strich-Punkt streckte einen Nomaden nieder, der sich unmittelbar vor einem aufrecht stehenden, unbewaffneten Galoaner aufgebaut hatte. Die anderen Besatzungsmitglieder hatten sich hinter Aufbauten der Zentrale gedrängt, was sie aber nicht retten würde, wenn... ... ja, wenn Wonzeff versagte. Die Galoaner. Wonzeff nahm ihr Erscheinungsbild in sich auf: Schuppenhaut, mannsgroß, aber zierlich im Körperbau. Dafür wirkten Brustkorb und Schädel überproportioniert. Der birnenförmige Kopf wurde in seinem unteren, verdickten Drittel von einem Wulst umlaufen. Dazu eine einzige Öffnung an der höchsten Stelle dieses Kopfes, die Mund oder Nase sein konnte – vielleicht sogar beides in einem.
Laut den Unterlagen der Shirs besaßen die Galoaner eine Parafähigkeit, die sie Mentalsaugen nannten. Angeblich konnten sie die Geisteskräfte anderer Lebewesen regelrecht absaugen und diese so hilflos machen. Daß sie ihr Talent im Kampf gegen die Nomaden nicht zum Einsatz brachten, ließ nur den Schluß zu, daß die Piraten nicht nur gegen die Parabeeinflussung der Shirs immun waren, sondern generell gegen jedwede PSI-Attacke. Wonzeff trug wie alle am Einsatz beteiligten Flashpiloten den Abschirmungsstirnreif. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Statt zu fächern, visierte er mit Unterstützung der Gedankensteuerung jeden Nomaden einzeln an und streckte ihn hochdosiert nieder. Die Gegenwehr der Piraten bestand aus vereinzelten Schüssen, die sie noch abfeuern konnten – glücklicherweise alle in Richtung des Einmann-Rettungskommandos, das ihnen die Suppe versalzte. * Ungläubig starrte Shavis auf das Phantom, das sich vor ihnen enttarnte. Eine Maschine, womöglich ein Roboter unbekannter Herkunft, dabei in seiner Grundkonstruktion durchaus den Schiffen seines eigenen Volkes ähnlich, kam zum Vorschein: zylinderförmig, die Enden abgestumpft... Nachdem der letzte Nomade zusammengebrochen war, erlosch das Energiefeld, von dem das eingedrungene Objekt umhüllt gewesen war, und an seiner Unterseite bildeten sich wie von Geisterhand mehrere dünne Stützen aus, auf die sich das Ding mit vollem Gewicht absenkte. Das Ding, das ihnen allen das Leben gerettet hatte! Woher kam der Spuk? Wer legte sich mit den Nomaden an, nur um ein paar Galoaner vor Hinrichtung oder Versklavung zu bewahren?
Shavis stand immer noch wie angewurzelt an der Stelle, wo er seine Waffe weggeworfen hatte. Nun trat Nhoris, sein Sohn, zu ihm, zitternd am ganzen Leib, der klassisch schön geformte Kopf wie ein zu schweres Gewicht hin- und herschwankend. »Vater...« Er kam nicht dazu, zu äußern, was ihm auf der Seele brannte. Eine Stimme, die künstlich moduliert klang und aus der Maschine zu dringen schien, sagte: »Wir kommen in Frieden und entbieten unseren Gruß!« So begann der denkwürdige Erstkontakt mit dem Volk der Terraner, das in einer anderen Galaxis beheimatet war, Lichtjahrzehntausende vom Wanar-System entfernt. Während Shavis der Stimme antwortete, machte er sich daran, die Selbstvernichtungssequenz der MAANGSCHAR zu deaktivieren. Es bestand kein Anlaß mehr, Schiff und Besatzung zu opfern, um dem fürchterlichen Schicksal von Sklaven der Nomaden zu entgehen. * Rul Warren und Mike Doraner hatten die restlichen Nomaden an Bord des Galoaner-Frachters gestellt und unschädlich gemacht. Das Hauptverdienst galt jedoch Pjetr Wonzeff, der durch sein beherztes Einschreiten Schlimmeres verhütet hatte. Ren Dhark übermittelte ihm seinen speziellen Dank, noch bevor er sich in seine 002 begab und selbst auf den Zylinderraumer übersetzte. Die Besatzung war auf sein Erscheinen vorbereitet. Der ratekische Translator war über Funk bereits mit dem Lautsprechersystem von Wonzeffs Flash gekoppelt gewesen und würde auch künftig als Dolmetscher zwischengeschaltet bleiben. Nur Minuten nach der völligen Niederschlagung des Nomadenangriffs landete die 002 in einem unbeschädigten
Hangar des Zweihundertmeterzylinders. Dhark wartete, bis die Flashsysteme die Flutung des Raumes mit einer auch für Menschen verträglichen, aber sehr dünnen Atmosphäre anzeigten. Da er einen M-Anzug trug, spielte dies eine vernachlässigbare Rolle. Wonzeff hatte den sensiblen Erstkontakt auf eigenen Wunsch Dhark überlassen. Ohne seinen Flash auch nur einmal verlassen zu haben, war er zur POINT OF zurückgeflogen. »Sie sind der Commander«, hatte er Dhark gegenüber als Begründung angegeben. Der schmunzelte, als er daran zurückdachte. Dann wurde er wieder ernst, weil er sich fragte, was geschehen würde, wenn seine engsten Weggefährten – und Wonzeff gehörte fraglos dazu – eines Tages nicht mehr heil von einem Einsatz zurückkämen. Wenn der Vorstoß in immer fernere Regionen des Alls irgendwann seinen Tribut auch unter Freunden fordern würde. Auf Terra waren Millionen Menschen im Zuge der Giant-Herrschaft gestorben. Und seit den Auseinandersetzungen mit anderen galaktischen Völkern waren generell viel zu viele Menschenleben zu beklagen. Aber Freunde zu verlieren war noch einmal etwas anderes. Er hatte es bei Olan gespürt – und bei den 107 Saltern, die mit Olan dem feigen Anschlag der Robonen zum Opfer gefallen waren. Obwohl sie einander erst kurze Zeit kannten, war der Uralte von Salteria Dhark schon wie ein Freund ans Herz gewachsen. Dem Sterbenden dabei zuzusehen, wie dieser sein Leben aushauchte, war beinahe über Ren Dharks Kräfte gegangen... Er wischte die Gedanken ans Sterben beiseite. Die Galoaner sollten nicht merken, was in ihm vorging. Sie waren noch einmal davongekommen – sie alle. Dhark hob die Hand zum traditionellen Gruß der Menschen von der Erde.
14. Das Krant-System war für die Nomaden zum Schauplatz eines Desasters geworden. Hier hatte sich die zweitbitterste Niederlage in ihrer Geschichte ereignet. Und gleichzeitig war es die schwerste persönliche Schlappe, die Rudelführer Pakk Raff je hatte hinnehmen müssen! Das ehemalige Schredderfeld aus glosender Hyperenergie existierte nicht mehr; so wenig wie die Feldgeneratoren, die es erzeugt hatten. Das fremde Ringschiff, durch das Wurmloch ins planetenlose Stützpunktsystem der Nomaden gelockt, hatte sich als waffentechnisch hoch überlegen entpuppt und sich die Opferrolle in keiner Phase der Auseinandersetzung aufzwingen lassen. Pakk Raff, der Rudelführer einer Spezies, die aufrechtgehenden Hunden ähnelte, wußte immer noch nicht, was genau geschehen war. Er wußte nur, daß seine Autorität in den vergangenen Stunden gelitten hatte. Denn das fremde Ringschiff hatte nicht nur im Krant-System für hohe Verluste unter den weithin als erbarmungslose Kämpfer gefürchteten Nomaden gesorgt, sondern auch knapp fünf Lichtjahre von hier entfernt auf der Heimatwelt der Shirs. Niemand wußte, woher das Ringschiff kam. Und welche Ziele es verfolgte. Aber seine Besatzung hatte sich auf die Seite der Shirs geschlagen. Die Shirs! Pakk Raff empfand für sie beinahe ebensoviel Verachtung – wenn auch nicht den gleichen Haß – wie für die Rahim. Die Rahim... Er schüttelte sich angewidert. Dann erhob er sich und verließ ohne Erklärung die Zentrale des Kreuzschiffes, von dem aus sämtliche Aktionen der verbliebenen Flotte
koordiniert wurden. Priff Dozz, sein Berater, wurde von ihm keines Blickes gewürdigt. Pakk Raff schäumte vor Wut. In dieser Verfassung, das wußte er, war er nicht ansprechbar für gute Ratschläge. Es stand zu befürchten, daß er sein Volk, von Rachegedanken geleitet, geradewegs in die nächste empfindliche Niederlage führen würde – vielleicht sogar in den völligen Untergang. Das durfte unter keinen Umständen geschehen. Also mußte er sich abreagieren, und bevor er wahllos einen seiner Untergebenen totbiß, zog er sich lieber kurz in den privaten Bereich des Schiffes zurück. Seine drei ausgesucht attraktiven Frauen waren erstaunt, ihn in dieser Situation, die eigentlich seine Anwesenheit auf der Brücke erfordert hätte, zu sehen. Zwei von ihnen töteten gerade die nächste Mahlzeit, um sie anschließend zuzubereiten. Diese Zubereitung diente eher dem Auge als dem Geschmack. Nomaden waren Rohverzehrer. Pakk Raff erklärte den Grund seines Erscheinens nicht. Wortlos begab er sich geradewegs in den ihm allein vorbehaltenen Ruheraum und verschloß ihn sorgfältig von innen. Dann begab er sich zu einem Tresorfach, das nur auf seine Mentalschwingung reagierte. Um sich zu autorisieren, mußte Pakk Raff einen Sondenstift gegen seine Stirn pressen. Augenblicke später schwang die dicke Panzertür auf. Im Innern lag ein einziger Gegenstand. Er sah aus wie ein betörend schöner Kristall, in dem sich das Raumlicht wie in einem Prisma brach. Pakk Raff nahm den Kristall heraus und begab sich damit zu einer speziellen Sitzgelegenheit, in deren Armlehne sich das Lesegerät befand. Pakk Raff setzte den Speicherkristall in die vorgesehene Mulde und lehnte sich zurück. Von nun an ging alles vollautomatisch. Haarfeine Fühler lösten sich aus dem Kopfteil der Rückenlehne und fanden selbsttätig die Nervenpunkte an Pakk Raffs Schädel, die nötig waren, um den Vorgang einzuleiten. Die Aktion war mit keinerlei Schmerz verbunden. Pakk Raff
schloß die Augen. Zuerst war nur Dunkelheit in ihm. Doch wenige Herzschläge später wurde sein Bewußtsein auch schon in die gewünschte Erinnerung hineingesaugt. Im Zeitraffer – in Wirklichkeit vergingen nur wenige Augenblicke – durchlebte er noch einmal die Empfindungen, die seinen Aufstieg zum obersten Rudelführer der Nomaden begleitet hatten. Er war sicher gewesen, sich gegen Doff Natt, seinen Vorgänger, durchzusetzen. Deshalb hatte er ein halbes Vermögen in den äußerst seltenen Speicherkristall investiert, der den entscheidenden Kampf in jeder Facette für die Ewigkeit festgehalten hatte. Pakk Raff war kein zweiter Fall bekannt, daß ein solcher Triumph schon einmal in dieser Weise konserviert worden wäre. Andererseits wußte auch niemand von seinem wertvollsten Besitz. Nicht einmal Priff Dozz, den Pakk Raff nur seiner Intelligenz und gleichzeitigen Loyalität wegen duldete, ansonsten aber verachtete. Alle schauten auf den mickrigen Berater hinab, davon war Pakk Raff überzeugt. Aber solange sich Dozz der Gunst ihres Anführers erfreute, hätte es niemand gewagt, sich öffentlich entsprechend zu äußern. Pakk Raff bleckte die Zähne in einem grimmigen Lächeln. Er hatte gelernt, sich auch mit Personen und Umständen zu arrangieren, die ihm nicht gefielen. Wenn sie der Festigung seines Herrschaftsanspruchs dienten. Und das tat Priff Dozz auf jeden Fall. Aber vielleicht würde er seinen Berater eines Tages opfern müssen. Spätestens dann, wenn ihm seine Treue zu diesem Schwächling selbst als Schwäche ausgelegt wurde. Pakk Raff war selbstbewußt genug, um sich zuzutrauen, die Nomaden auch ohne Priff Dozz anführen zu können. Mit Dozz allerdings, das war ihm ebenso klar, war dies bedeutend leichter. Dozz war der große Denker – er der skrupellose Lenker. So konnte es ruhig noch eine Weile bleiben. Wenigstens für eine Weile... So abrupt, wie er sich daraus gelöst hatte, fiel er wieder in die Realität und Gegenwart zurück. Aber das Durchleben
seines größten Sieges hatte ihn geistig erfrischt. Und emotional beruhigt. Wieder ganz Herr seiner Sinne, kehrte er in die Kommandozentrale seines Schiffes zurück, wo er von Priff Dozz argwöhnisch gemustert wurde. »Die Nervosität wächst«, zischte er Pakk Raff zu, kaum daß der wieder Platz genommen hatte. »Wir müssen gegenlenken, bevor...« »Hast du außer Geschwätz auch Ideen anzubieten?« unterbrach ihn Raff schroff. »Wenn wir dem fremden Schiff zu Leibe rücken wollen, und davon gehe ich aus«, antwortete Dozz mit gesenkter Stimme, »sollten wir unsere Kräfte massieren. Ziehen wir alle verfügbaren Schiffe zusammen. Die Fremden sind nur zu vernichten, wenn wir sie unter konzentrierten Beschuß nehmen.« »Du willst sie vernichten?« fragte Pakk Raff. »Du nicht?« Pakk Raff hatte seinen Berater selten so verblüfft gesehen. »Natürlich nicht«, knurrte er. »Besiegen und jede Person an Bord töten, durchaus. Nichts dagegen einzuwenden. Aber dem Schiff darf dabei nichts geschehen.« »Was hast du vor?« Das, dachte Raff, wirst du noch früh genug erfahren. Laut sagte er: »Ich bin einverstanden. Wähle einen geeigneten Treffpunkt aus, an dem wir uns zu einer schlagkräftigen Armada zusammenfinden. Gib einen chiffrierten Spruch an sämtliche verfügbaren Schiffe heraus, sich unverzüglich dorthin zu begeben.« »Was hast du vor?« fragte Priff Dozz noch einmal. Sie wurden unterbrochen. Der Funker meldete: »Soeben kommt ein Notspruch herein. Eines unserer Schiffe, das ein Schiff der Galoaner aufgebracht hat, wird nun selbst angegriffen!« »Von Galoanern?« fragte Pakk Raff geringschätzig. »Nein. Von einem ringförmigen Schiff, das mit unbekannten Waffen attackiert...«
In Pakk Raffs Augen schien es aufzuglühen. »Sind die Koordinaten exakt ermittelt?« schnappte er. Funk und Ortung bestätigten, während Priff Dozz ein besorgtes Gesicht machte. »Vielleicht«, sagte er in dem klagenden Ton, den er immer anschlug, wenn er Pakk Raff seine Unterwürfigkeit besonders bekunden wollte, »wäre es klüger, die Fremden einfach ziehen zu lassen. Sollen sie sich ruhig mit den Galoanern anlegen. Uns kann es nur recht sein, wenn sie sich auch mit anderen überwerfen.« »Das glaubst du doch selbst nicht«, blaffte Pakk Raff, »daß das geschieht! Die Fremden haben den Shirs geholfen. Sie werden auch auf Galoa nicht feindselig auftreten! Ich überlege noch, ob sie nur so gewieft oder tatsächlich so friedlich gesonnen sind, wie sie tun. Falls letzteres zutrifft, sind sie bei den Galoanern genau an der richtigen Adresse, das weißt du. Nein, es bleibt uns kaum erspart, die Drecksarbeit selbst zu erledigen.« * Jos Aachten van Haag verringerte die Geschwindigkeit, um einen mehrgliedrigen Hoverlaster vorbeizulassen, nahm die dunkle Brille aus der Hemdtasche und setzte sie auf. »Jetzt sehen Sie aus wie der Urenkel Corleones«, frotzelte Agentin Irtuzeata. Jos gab keine Antwort; was sollte er auch darauf antworten? Er kannte diesen Corleone nicht. Außerdem verwirrte ihn die junge Kollegin etwas, weshalb er sich lieber auf die Fahrt konzentrierte. Nach wenigen Minuten tauchte rechts der kuppelförmige Hochbau der Moschee auf, in der Noro Mansor zusammen mit anderen Gläubigen die Gebete des Imam verfolgt hatte, um anschließend seine obligatorische Predigt gegen die Verderbtheit der Ungläubigen zu halten, die nichts anderes als ein kaum verhüllter Aufruf zum Sturz der Weltregierung war. Jos bog in die Rampe ein, die auf den weitläufigen Platz
mündete, der voll von Gläubigen war, die eben die Moschee verließen. Langsam fuhr er weiter und umrundete das islamische Gebetshaus. Dann bremste er jäh. »Warum halten Sie, Jos?« »Dort!« Vor einem Nebeneingang zur Moschee stand ein schwerer schwarzer Bodenschweber auf seinem A-Gravkissen. Der Fahrer lehnte an der Bordwand. Noch während der GSO-Agent unschlüssig an seiner Unterlippe nagte, kamen drei Männer aus der Nebentür. Also doch! Der in der Mitte war eindeutig Nguyen Phuong, der malaiische Arzt und Wissenschaftler. Bei dem anderen handelte es sich um Noro Mansor, den Mullah von Singapur. Der dritte Mann war Jonny Lee, Mansors General, der in der Stunde X die Aufstände koordinieren und die Massen führen würde. Noro Mansor war offensichtlich wütend und redete gestikulierend auf Nguyen Phuong ein. Dann knallten die Türen. Gleich darauf zog der Schweber davon. Jos wartete einige Sekunden, dann folgte er dem schwarzen Gefährt, das die Auffahrt zur vierspurigen Hochstraße nahm, die ins Zentrum Singapurs führte. Er kannte ihr Ziel: Das Mansor-Building, Sitz der Zentrale der radikal-islamischen Bewegung in diesem Teil Asiens. Noro Mansor wurde von der GSO beschattet. Heute waren Jos und Agentin Irtuzeata an der Reihe. »Sie sagen ja gar nichts«, wandte er sich an seine Kollegin, während er etwas zurückfiel. Luise hob die Schultern, machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich weiß nicht – aber es hat den Anschein, als folge uns jemand. Jedenfalls würde ich an Ihrer Stelle den Van hinter uns im Auge behalten. Er hängt schon seit der Moschee an uns dran.«
Jos blickte in den Rückspiegel. »Wo ist er den jetzt?« Die Agentin setzte sich aufrecht hin. »Drei Wagen hinter uns.« »Behalten Sie ihn im Auge – ich konzentriere mich aufs Fahren.« Luise nahm die schwere Projektilwaffe aus dem Holster, montierte seelenruhig das Laserzielfernrohr und legte dann die wuchtige Waffe in ihren Schoß. »Noch immer hinter uns?« »Exakt drei Wagen.« »Da vorn kommt eine Viphobox. Ich fahr mal eben in die Parkbucht. Und Sie Luise, tun so, als ob Sie anrufen würden.« Jos Aachten van Haag betätigte den Richtungsanzeiger und lenkte den Schweber auf den Seitenstreifen. Während Agentin Irtuzeata ausstieg und mit wiegenden Hüften zu der transparenten Glocke der Viphobox stolzierte, blieb Jos hinter dem Steuer sitzen. Er zündete sich eine Zigarette an. »Er kommt«, sagte er ruhig. »Achtung!« Agentin Irtuzeata hörte ihn klar und deutlich über ihren Ohrempfänger. Jos nahm die Füße von den Pedalen, um notfalls sofort aus dem Schweber springen zu können, und legte die Hand auf den Kolben seiner Waffe. Dann kam der Van heran – und fuhr weiter. Auf dem Beifahrersitz lümmelte ein Mann, hielt sich mit der Rechten am Dach fest und blickte herüber. Es war zu erkennen: Sein ganzes Interesse galt dem aufregenden Geschöpf in der Viphobox. Jos mußte grinsen. »Kommen Sie wieder rein, Agentin Irtuzeata. Falscher Alarm. Wir sind schon zwei nette Verteidiger von Recht und Ordnung.« Jos steuerte zurück auf den Stadt-Highway. Und vier Kreuzungen weiter erkannten sie, daß es doch kein falscher
Alarm war. Aus einer Tankbucht schoß mit hoher Fahrt der Van heraus und setzte sich hinter ihren Schweber. »He!« rief Luise mit gepreßter Stimme. »Er ist wieder da!« Das Radfahrzeug kam mit überhöhter Geschwindigkeit näher. Jos wich nach rechts aus, damit der Schlitten genug Platz zum Überholen hatte. Er steuerte mit der Linken, in der rechten Hand hielt er seine Waffe zwischen den Sitzen verborgen. »Vorsicht!« Agentin Irtuzeata warf einen schnellen Blick über das Heck ihres Schwebers. Und in diesem Moment huschte links der Van an ihnen vorbei. Das Beifahrerfenster war heruntergefahren. Jos Aachten van Haag sträubten sich die Nackenhaare, als er genau in die klobige Mündung einer AutoMag blickte. »Runter!« brüllte er und trat mit aller Kraft auf die EMKBremse. Er riß das Steuer herum und scherte auf den Seitenstreifen aus. Dreck und Staubfontänen wirbelten hoch. Die beiden Agenten wurden in den Sitzen hin und her geworfen; die Rückhaltevorrichtung schnitt schmerzhaft in ihre Schultern, und die seitlichen Halterungen hätten auch besser gepolstert sein können. Dann war der Teufel los. Im offenen Fenster des Vans sah Jos einen orangeroten Feuerstrahl, und in gleicher Sekunde zerbarst die Frontscheibe ihres Schwebers unter dem Einschlag der Geschoßgarbe. Dann mußte er sich wieder ganz auf den Schweber konzentrieren, der ins Schleudern geriet. Die Bremse packte endlich. Jos lenkte zurück auf die Straße, trat auf das Beschleunigungspedal und versuchte, das Fahrzeug einigermaßen ruhig zu halten, um Luise das Zielen zu ermöglichen, die halb aufgestanden war, sich mit der Rechten am Rahmen der zersplitterten und rausgeflogenen Windschutzscheibe festhielt und mit der Linken feuerte. Links und rechts vom Van blitzte es auf, wo die Explosivprojektile in den Straßenbelag fuhren und detonierten. Aber der Fahrer des Vans war jetzt ebenfalls auf
den Seitenstreifen ausgewichen. Dreck flog den beiden GSOAgenten ins Gesicht und nahm ihnen jegliche Sicht. »Weichen Sie aus, Jos!« schrie Luise. »Ich kann nichts sehen!« Jos sah mit tränenden Augen, wie aus dem rasend schnell davonziehenden Van noch eine letzte Feuergarbe blitzte. Er fluchte und stemmte den Fuß auf die Bremskontakte. Dann stand der Schweber. Luise und er hechteten nach draußen, rannten nach vorne, zielten mit beiden Händen wie auf dem Schießstand – doch der Van war schon davongezogen, entschwand im dichten Verkehr. »Hat keinen Zweck«, brummte Jos, steckte die Waffe weg und kehrte zum Schweber zurück. »Fahren wir ins Büro...« * Die Moschee im New Yorker Stadtteil Harlem war bis auf den letzten Platz gefüllt. Vorwiegend von Schwarzen, aber ein nicht geringer Prozentsatz bestand auch aus Minderheiten wie Türken, Anatoliern, Maghrebinern und Gläubigen aus den arabischen Staaten. Unter ihnen war Ömer Giray, der der Einladung seines dankbaren »Bruders« Leroy Mathis zum Freitagsgebet gefolgt war. Unerwarteterweise wurde der Einlaß von bewaffneten Muslims kontrolliert; zum Glück hatte Ömer die Visitenkarte dabei, die ihm Mathis zugesteckt hatte, weshalb man ihn nach ein paar bangen Sekunden durchwinkte. Giray, von der Abstammung her Türke, in seinem weltanschaulichen Denken aber hundertprozentiger Bürger des 21. Jahrhunderts, der sich dem Dogma keiner Religion beugte, hatte schon eine Menge islamischer Gotteshäuser rund um den Erdball gesehen. Auch die Blaue Moschee in Istanbul, Schauplatz seines letzten großen Einsatzes als GSO-Agent (und fast sein ganz persönliches Armageddon, hatte er doch dabei beinahe den Tod gefunden). Aber diese Moschee, die über eineinhalb Stockwerke reichte, war mehr ein Versammlungsraum denn ein Gotteshaus. Zwischen den
Gebetsplätzen erhoben sich schlanke Säulen mit ornamentierten Kapitellen, die die rein funktionelle Strenge der Andachtsraumes etwas auflockerten und ihm mehr das Aussehen eines Atriums verliehen. Im Hintergrund ein flaches Podest, zu dem zwei Stufen hinaufführten. Der Platz des Imam beim Gebet – und gleichzeitig Agitationsbühne des Mullahs. Links und rechts in drei Metern Höhe erkannte Giray, der sich unauffällig umsah, geschickt plazierte Holoprojektoren. Der Imam hatte mit dem Rezitieren der Koransuren die Andacht beendet und entfernte sich nun. Dennoch gab es keinen Gläubigen, der Anstalten machte, die Moschee zu verlassen. Ömer wartete mit den anderen; Leroy Mathis konnte er nirgends entdecken. Hallend schlug eine Tür. Es klang wie ein Startschuß; wie der Auftakt zu einem Spektakel. Die leisen Unterhaltungen verstummten zu schwachem Murmeln, unterbrochen von gelegentlichem Räuspern. Erwartung machte sich breit. Gesichter wanden sich dem Podest zu, als der Mullah auftrat, Sandeep Shankar. Und damit er auch vom letzten Gläubigen in der hintersten Reihe gehört und vor allem gesehen werden konnte, entrollte sich über ihm der Holoschirm, von dem Hajriza gesprochen hatte. Shankar – Ömer tippte auf pakistanische Abstammung – ließ sich Zeit. Der verzögerte Beginn war ein alter Trick der rhetorischen Agitatoren und Massenverführer. Das Murmeln in der Moschee verstummte; die Anhänger der Brotherhood of Black Muslims gierten förmlich nach dem ersten Wort ihres Mullahs. »Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen...«, begann Shankar. »... willkommen, Brüder, die ihr die Auserwählten unseres Gottes seid...« Ein Stöhnen der Zustimmung erfüllte die Moschee. Ohne Zweifel ein gelungener Auftakt, stellte Ömer Giray fest und lauschte dem, was der Mullah zu verkünden hatte. Er
sprach von der Errichtung eines neuen Islamischen Reiches, von der Rückkehr zur guten alten Zeit vor der interstellaren Raumfahrt, die für ihn Schuld an all jenen Widrigkeiten hatte, die die Menschheit seit der verhängnisvollen Invasion der vom Scheïtan geschickten Giants überkommen hatten. Ständig von Beifallskundgebungen unterbrochen bezeichnete er die Kolonisierung fremder Planeten als widernatürliches Teufelswerk. Die Raumfahrtund Wirtschaftskonzerne brandmarkte er als willfährige Werkzeuge des Urbösen und seines Hohepriesters, Ren Dhark, das es auszurotten galt, wo immer man es antraf. Shankar machte seine Sache recht geschickt, wie alle erfolgreichen Agitatoren und Volksverhetzer. Zuerst das übliche: Verständnis für die ganz besonderen Sorgen, Nöte und Probleme der islamischen Glaubensgemeinschaft. Dazwischen geschickt eingeflochtene Komplimente an die Zuhörer, die Brotherhood of Black Muslims, die natürlich von Allah ausgewählte Menschen waren und daher auch eine entsprechende Bevorzugung im neuen Islamischen Reich verdienten... Beifallsstürme brandeten auf. Lautstark geäußerte Zustimmung erhob sich aus der Menge. Ömer war unter all den vielen Zuhörer wohl der einzige, der bei klarem Verstand war. Er verfolgte von einer merkwürdig unbeteiligten Warte aus die Wirkung, die Shankars kaum noch versteckt vorgebrachter Aufruf zum gewaltsamen Widerstand gegen die Weltregierung auf seine Zuhörer hatte. Doch dann horchte er auf. »... ist das eingetreten, wovor wir, die Vertreter des Allerbarmers auf Erden, seit Jahren gewarnt haben«, hörte er Shankar sagen. »Draußen im Weltall sammeln sich erneut die teuflischen Abgesandten des Scheïtans zum Angriff auf diese von Allah gesegnete Welt. Wie sonst sollen wir diesen Schutzschirm verstehen, hinter dem sich die Weltregierung versteckt? Niemand hat unsere mahnenden Worte ernst genommen, zum Wahren Glauben zurückzufinden. Obwohl wir nie nachließen in unserem Bemühen, den Verblendeten und
Kleingläubigen die Augen zu öffnen...« Ömer Giray furchte die Stirn. Er konnte sich täuschen, aber bei diesem Mullah gelangte er immer mehr zu der Überzeugung, einen Robonen vor sich zu haben. »... wer ist denn schuld an all dem? Die gottlosen Führer der großen Konzerne mit ihrer unermeßlichen Gier nach Profiten...« Er deutete mit einer anklagend erhobenen Hand auf den Holoschirm über sich, in dem jetzt einige der größten Wirtschaftskonzerne in einer Art Zeitraffer zu sehen waren. Der Beitrag war so raffiniert zusammengeschnitten und bearbeitet, daß sich, je länger man ihn betrachtete, nur ein einziger Konzern einprägte: die Wallis Industries mit dem Stammsitz in Pittsburgh. Mein Gott! dachte Ömer. Was haben die vor? »... aber bald wird ein Zeichen gesetzt werden... wird das Böse, das von dort ausgeht, in einem Feuersturm hinweggefegt werden, ausgelöscht vom Licht aus dem Osten...« Der Mullah endete, während frenetische Beifallsrufe minutenlang die Moschee erfüllten. Es dauerte lange, bis die Begeisterung der Black Muslims ein Ende fand und die Versammlung die ersten Auflösungstendenzen zeigte. Betont langsam machte sich auch Ömer auf den Weg nach draußen, ließ sich von der Menge schieben. Er war nur von einem Gedanken beseelt: Er mußte Bernd Eylers davon unterrichten, daß sich etwas über Wallis Industries zusammenzubrauen schien. * Eylers steuerte den Mietschweber selbst. Es war später Vormittag. Sein Chrono zeigte zwanzig Minuten vor zwölf. Vor dreißig Minuten war er mit dem Shuttle von Alamo Gordo kommend in Ephrata gelandet, hatte sich einen Schweber gemietet und sich auf den Weg nach Wallis Manor gemacht.
Der weißlackierte Schweber, an dessen Seiten in wuchtigen Blockversalien der Name der Autovermietung stand, bewegte sich schnell über die betonierte Piste. Eylers hatte keine Blicke für die romantische Winterlandschaft zu beiden Seiten der Straße. Nach zehn Minuten tauchte der hohe Zaun auf, der Terence Wallis' Anwesen vom umgebenden Land abschottete. Eylers bremste dicht vor dem Tor. Das Wachhäuschen war in einem freundlichen Rot gestrichen; die Gesichter der Männer waren weniger freundlich. Von beiden Seiten kamen sie, die Hände auf den Kolben der Waffen, auf den Schweber zu. Auf ihren Coveralls waren die Logos von Wallis Industries zu sehen. Eylers reichte seinen Ausweis zum Fenster hinaus. Er hatte vom Shuttle-Port in Ephrata bereits sein Kommen angekündigt. Deshalb winkte ihn der Wächter mit einer lässigen Bewegung durch, nachdem er einen flüchtigen Blick auf die Legitimation geworfen hatte. Weitere zehn Minuten später erreichte Bernd Eylers Terence Wallis' Landsitz im Lancaster County. Breit wuchs das Haupthaus der Anlage vor ihm auf. Ein schneeweißer Bau im Kolonialstil, von schlanken Säulen umstandene Terrassen und eine das ganze Haus umlaufende Veranda im Obergeschoß. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß das weiße Holz der Fassade massive Mauern und ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem verbarg. Hier hatte ein Milliardär seinen Kindheitstraum Wirklichkeit werden lassen. Eylers steuerte den Abstellplatz neben der Freitreppe an. Als er die Stufen zum Portal hinaufschritt, öffnete sich ein Flügel der schweren Tür, und ein Ding stieg herab, bei dessen Anblick Eylers sekundenlang überlegen mußte, ehe er erkannte, daß ihm ein humanoider Roboter entgegenkam. Ein über zwei Meter großes Stück Technik, das irgendwie unfertig aussah. Aber das lag daran, so erkannte Eylers, das die Konstruktion keine fließenden, abgerundeten Formen aufwies, sondern dürre Stahlbeine und -arme mit massiven Gelenken.
Der Körper war ein skelettartiger Torso mit einem tonnenförmigen Brustkorb. Der Kopf war ein fleischloser Schädel. Seine Schritte wurden von einem leisen, seufzenden Zischen begleitet, wie es eine fein abgestimmte Hydraulik von sich gab. Eylers wich unwillkürlich zur Seite, als der Roboter an ihm vorbeistapfte. Eine Stufe tiefer blieb er plötzlich stehen, wandte den in der Sonne wie poliert wirkenden Schädel in kleinen Rucken und richtete seine Aufnahmegeräte auf Eylers. Für Sekundenbruchteile trafen sich ihre Blicke. Die Musterung löste tiefes Unbehagen in dem Mann aus. Er runzelte die Stirn und suchte nach einer passenden Formulierung, aber da hatte sich der Roboter bereits abgewandt und setzte seinen Weg fort. Achselzuckend ging Eylers weiter, während sich sein Unbehagen seltsamerweise noch verstärkte. Er betrat die Halle. Sie war hoch. Die breite Treppe führte zu einer Galerie im Obergeschoß. Eylers erkannte die Umrisse dunkler Türen. Ein maritimes Schlachtengemälde von riesenhaften Ausmaßen nahm eine Wand ein. Vor diesem Bild standen bequeme Ledersessel. Jetzt öffnete sich eine Tür neben der Treppe, und Jon Vassago kam mit schnellen Schritten näher. »Willkommen auf Wallis Manor, Sir«, sagte der Leibwächter, Freund und Rechtsberater des Großindustriellen. »Ich darf vorausgehen.« »Sagen Sie, Jon, was war das eben dort draußen?« fragte Eylers und berichtete von seiner Begegnung der unheimlichen Art. »Einer von Saams vielen Spleens«, erwiderte der Kampfkoloß achselzuckend. Sie wandten sich der Treppe zu. Ihre Füße verursachten auf dem hochflorigen Belag kein Geräusch. »Hier herein, Sir!« Eylers sah sich einem großen, sehr großen Raum gegenüber, der den Eindruck machte, als ob er Wallis als Arbeitszimmer
diente. Die Außenwand bestand aus vom Boden bis zur Decke reichenden Fenstern, die auch als Schiebetüren dienten, durch die man nach draußen auf die Veranda gelangte. Schon vor der Tür hatte Eylers eine lautstark geführte Unterhaltung vernommen. Jetzt sah er den Grund. Wallis war nicht allein, sein Protegé Robert Saam war anwesend und mußte sich Vorhaltungen von seinem Gönner und Mäzen anhören, die darin gipfelten, zuviel Geld und Zeit für seine »Billigroboter« zu verbrauchen. Schmollend zog sich Saam in die Sitzecke zurück, während Wallis Bernd Eylers begrüßte und um Verständnis bat, daß er sich nicht gleich um ihn gekümmert habe. »Machen Sie sich keinen Kopf, Mr. Wallis«, winkte Eylers mit unbewegter Miene ab. »In jeder guten Eh... ähm, ja, also, ich meine, in jeder Zusammenarbeit kommt es mitunter zu Mißstimmungen.« »So wird es wohl sein«, erwiderte der Multimilliardär und deutete auf einen Sessel. »Nehmen Sie bitte Platz! Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen lassen?« Eylers lehnte dankend ab. »Ja, dann – Augenblick!« Wallis hob die Hand, als von draußen, das fauchende Geräusch eines landenden Flugtransporters erklang, der sich auf dem Vorplatz niedersenkte. »Was geht da vor, Jon?« Der Industriemagnat sah auf Vassago. Der hob die Schultern in einer Geste, die besagte, daß auch er keine Ahnung hatte. »Robbie...?« Robert Saam, das norwegische Technikgenie, das nichts so sehr verabscheute wie die Verniedlichung seines Vornamens, ließ sich zu einer Erklärung herab. »Meine Billigroboter, wie du dich auszudrücken pflegst, o großer Vorsitzender«, sagte er und eilte zum Fenster. »Was hast du denn nun schon wieder verbrochen, du unmöglicher Mensch?« knurrte Wallis und ging ebenfalls zur
Fensterwand. Eylers tat es ihm gleich. Die Aggregate des Transporters verstummten, die Rolltore glitten hoch und – Eylers zählte in Gedanken mit – sechzig humanoide Roboter von der Art, wie der GSO-Chef einem auf der Treppe begegnet war, entstiegen dem Transporter. Einem unhörbaren Befehl folgend, schwärmten sie über das Anwesen aus und begannen damit, den Schnee zu räumen, der rings um Wallis Manor über einen Meter hoch lag. »Ich glaub's einfach nicht«, murmelte Wallis. »Roboter als Gartenarbeiter!« »Solange sie nicht als rotweiß bemalte Weihnachtsmänner und ›Jingle Bells‹ trällernd auftreten, soll's mir egal sein«, versetzte Vassago, und die Enden seines riesigen Schnauzbartes zitterten verdächtig. »Es handelt sich um sogenannte Multi-Robots«, beeilte sich Robert Saam mit der Erklärung, nachdem sich Wallis drohend räusperte. »Betrachte sie als Geschenk für Wallis Manor. Sind sie nicht perfekt?« Kaum verhüllter Stolz sprach aus Saam. »Täusche ich mich, oder sind diese Burschen noch ein wenig schlanker geworden gegenüber der letzten Version?« »Du hast das bemerkt, Chef? Alle Achtung! Tatsächlich sind sie es. Ich habe so die Kosten gegenüber dem allerersten Prototyp noch einmal um die Hälfte senken können – soviel zu deiner Bemerkung, ich würde zuviel Geld für unsere mechanischen Helfer ausgeben.« »Und wie ist Ihnen das gelungen«, fragte Eylers, der langsam Respekt vor dem jungen Genie bekam. »Ich habe den Robotern durch eine Modifizierung bereits vorhandener Mikro-Suprasensoren zu einer sogenannten adaptiven Intelligenz verholfen: Von einem als Datenbank fungierenden Suprasensor – in diesem konkreten Fall befindet er sich im Transporter – holen sie sich die Informationen der Fähigkeiten, die sie für ihre jeweilige Aufgabe benötigen, und das innerhalb einer Zeitspanne, die im Bereich von Nanosekunden liegt. Weiter sind sie in der Lage, sich bei
Bedarf selbst neu zu programmieren, und kommen somit ohne großen, teuren Speicherplatz aus.« »Das heißt«, begann Vassago, »würde ich einem sagen: Brate mir ein T-Bone-Steak...« »Würde er sich sofort die entsprechenden Informationen aus der Datenbank holen, in die Küche gehen und Ihnen selbiges nach alter Texas-Manier zubereiten, Sie Vielfraß«, vollendete Saam grinsend. »Ich weiß natürlich, weshalb du diese Demonstration angezettelt hast, Robbie, aber über eine Aufstockung deines Budgets reden wir später«, sagte Terence Wallis. »Nehmen wir doch wieder Platz.« Als sie saßen, wandte sich Wallis an Eylers. »Wir wurden unterbrochen«, nahm er den Faden wieder auf. »Was kann ich also für Sie tun? Sie haben sich etwas unbestimmt ausgedrückt, als Sie Ihren Besuch ankündigten.« Eylers legte die Fingerspitzen zusammen. »Die Frage lautet, was Sie für sich tun können, Mr. Wallis.« »Ich verstehe nicht?« »Ich bin hier, um Sie zu warnen.« »Wie soll ich das verstehen?« In leidenschaftslosen Worten informierte Eylers den Großindustriellen darüber, daß mit großer Wahrscheinlichkeit ein Attentat auf sein Stammwerk in Pittsburgh durchgeführt werden sollte. »Wie und von wem?« »Über das Wie liegen noch keine gesicherten Ergebnisse vor, aber wir nehmen an, daß es mittels einer Atombombe geschehen wird.« Das Schweigen dauerte. Schließlich faßte sich Wallis. »Sie scherzen nicht?« »Ich wollte, es wäre ein Scherz.« Die Männer starrten sich an. Die kräftigen Finger des Multimilliardärs hatten die Kante des Schreibtisches gepackt, daß die Knöchel weiß hervortraten. Aus der geräuschlos arbeitenden Klimaanlage schien statt wohliger Wärme ein
eisiger Luftstrom zu kommen. Schließlich bat Wallis: »Erzählen Sie!« Eylers setzte ihn von dem Diebstahl des Atomsprengkopfes aus dem Wrack der MEDUSA in Kenntnis und davon, daß man an verantwortlicher Stelle lange gerätselt hatte, was dahinterstecken könnte. »... aber erst als ein in New York in die Brotherhood of Black Muslims eingeschleuster GSO-Agent uns Mitschnitte vom letzten Freitagsgebet übermittelte und wir diese vom Nexus-Suprasensor in Cent Field auswerten ließen, ergab sich ein Zusammenhang, fügten sich die ersten Teile des Puzzles zusammen.« »Und wann wird es geschehen?« »Das entzieht sich leider noch unserer Kenntnis«, bedauerte Eylers. »Bis wir mehr wissen, müssen wir uns in Geduld üben.« Und mit dem untrüglichen Instinkt ausgeprägter Intuition sagte er sich, daß diese Geduld auf keine lange Probe gestellt werden würde. Allerdings wußte er nicht, daß sich die Ereignisse innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden überstürzen sollten. * Zwei fremdartig, aber keineswegs bedrohlich aussehende Galoaner nahmen Ren Dhark – der auf einen Abschirmungsstirnreif verzichtete, dafür aber einen filmdünnen M-Anzug mit transparentem Helm trug, um den mangelnden Luftdruck und die dadurch viel zu dünne Atemluft auszugleichen – bei seinem Ausstieg aus dem Flash in Empfang. Mit knapp einsachtzig besaßen sie in etwa die Größe von Terranern, wirkten dabei aber völlig anders proportioniert und so zerbrechlich, als könnte ihnen der leiseste Luftstoß gefährlich werden. Sie trugen enganliegende, bronzefarbene Kombinationen, die sich aus unzähligen Plättchen zusammenzusetzen schienen – wie Schildpatt – und offenbar völlig ohne Rangsymbole auskamen. Sie betonten den nach
menschlicher Norm extrem ausgeprägten Brustkorb noch zusätzlich. Ein klein wenig fühlte sich Dhark vom Erscheinungsbild der Galoaner an die Karikaturen von Aliens erinnert, wie sie durch Terras Medienlandschaft gegeistert waren, lange bevor es zum ersten echten Kontakt mit Außerirdischen kam. Auch die Haut war, ähnlich der Kleidung, geschuppt und ließ eine enge Affinität zum Wasser ahnen. Sehorgane in vertrauter Ausprägung waren an den birnenförmigen Schädeln nicht auszumachen, dafür ein umlaufender »Wulst« aus gallertartiger, weißlicher Substanz. Einer der Galoaner stellte sich dem Terraner als Shavis und Kapitän des Frachters mit dem Eigennamen MAANGSCHAR vor, ehe er sich mit gemessenen Worten für das selbstlose Einschreiten der Terraner bedankte. Der via Helmfunk zugeschaltete ratekische Translator übersetzte seine Worte flüssig, so daß Dhark davon ausgehen durfte, daß auch seine eigenen Erklärungen sinngemäß korrekt übermittelt wurden. »Ganz selbstlos«, gestand er freimütig ein, »war es nicht. Wir befanden uns ohnehin auf dem Weg zu Ihrem Volk.« »Warum?« fragte der zweite Galoaner, der sich als Shavis' ältester Sohn Nhoris vorgestellt hatte. Shavis unterschied sich durch einen helleren Glanz seiner Schuppen und eine insgesamt etwas stabilere Statur von seinem Vater. Die Stimmen waren jedoch nahezu identisch – und was Dhark aus dem Translator entgegenscholl, ohnehin. »Wir sind eurer Spezies noch nie begegnet. Woher kommt ihr? Schiffe wie das eure sind hier völlig unbekannt.« Tatsächlich? dachte Dhark. Seit er von den Rahim gehört hatte, spukte ihm etwas anderes durch den Kopf. Von Wonzeff wußte er, daß die Galoaner während der Enteraktion völlig von der Außenwelt abgeschnitten waren. Inzwischen war der visuelle Kontakt nach draußen wieder hergestellt, und die Galoaner hatten sich einen Eindruck davon verschaffen können, welche Art Schiff ihnen zu Hilfe geeilt war. »Wir kommen«, antwortete Dhark bereitwillig, aber mit
einer gewissen Vorsicht, »aus einer anderen Galaxis, die wir Milchstraße nennen.« Beide Galoaner wirkten nicht einmal ansatzweise erstaunt. Shavis fragte lediglich: »Du sprichst von der Galaxis, die uns seit damals am nächsten liegt?« »Seit damals?« Die Wortwahl ließ Dhark aufhorchen. Shavis und Nhoris schwiegen. Vielleicht tauschten sie Blicke – aber wenn, war es für Dhark nicht erkennbar. Die mutmaßlichen Augenwülste lieferten keinerlei Indiz, mit dem er etwas hätte anfangen können. »Wir stehen in eurer Schuld«, sagte Shavis. »Warum habt ihr den weiten Weg zu uns auf euch genommen? Was wollt ihr von uns? Wenn mein Volk euch in irgendeiner Form helfen kann, wird es das tun – davon bin ich überzeugt. Aber ich allein kann darüber nicht befinden. Diese Entscheidung muß das Nareidum treffen.« »Das Nareidum?« »Der Bund der Weisen Toten.« Der Bund der Weisen Toten. Ren Dhark hatte selten eine makabrere Bezeichnung für ein Regierungsgremium gehört. Aber alle Versuche, Shavis oder Nhoris mehr Informationen darüber zu entlocken, scheiterten zunächst. Shavis erwies sich als geborener Diplomat. Er vertröstete seine unverhofft aufgetauchten Retter mit dem Hinweis, daß er dem Nareidum in nichts vorgreifen wolle. Dhark mußte sich damit zufriedengeben. Was schwerfiel, da auch seitens der Shirs nie von einem Nareidum die Rede gewesen war. Statt Shavis weiter zu bedrängen, bat Ren Dhark ihn lediglich um eine zügige Bestandsaufnahme der entstandenen Schäden. Es war ihm wichtig zu wissen, ob das Schiff mit eigenen Mitteln wieder fernflugtauglich gemacht werden konnte. Dhark hatte nicht vergessen, daß es dem Nomadenschiff noch gelungen war, einen Spruch abzusetzen, bevor die Besatzung in vollem Umfang hatte paralysiert werden können.
»Wie sollen wir uns hinsichtlich der Gefangenen verhalten?« fragte Dhark den galoanischen Kapitän, während er an dessen Seite das havarierte Schiff besichtigte. Shavis selbst hatte angeboten, ihn auf seinem Inspektionsgang zu begleiten. Dhark betrachtete dies zwar als eklatanten Widerspruch zur vorherigen Vertröstung, aber das hinderte ihn nicht daran, das Angebot anzunehmen. So hatte er lediglich mit leiser Ironie angemerkt: »Wenn das Nareidum nichts dagegen hat...« Shavis hatte nichts darauf erwidert, den gelinden Spott wahrscheinlich nicht einmal registriert. Sein Sohn war bereits unmittelbar nach der Begrüßung auf die Brücke des Zylinderraumers zurückgekehrt, um von dort aus eine Schadensanalyse vorzunehmen und Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die von Dhark angebotene Unterstützung war abgelehnt worden. Die Galoaner wollten verständlicherweise versuchen, es zunächst aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu schaffen. Vermutlich fürchteten sie die Ausspähung technischer Geheimnisse. Dhark gestand sich ein, daß sich Menschen kaum weniger mißtrauisch verhalten hätten. Gerade als Shavis ihm einen unverhofften Blick in einen der gewaltigen Frachträume gestattete, kam die Nachricht, daß der Wurmlochantrieb mit verhältnismäßig geringem Aufwand reparabel sei und in Kürze wieder provisorisch zur Verfügung stehen würde. Beim Hyperfunk sah die Sache anders aus: Der Empfang blieb vorläufig gestört; eine Sendemöglichkeit über geringe Distanz war jedoch möglich. Dhark hatte der guten Nachricht nur mit halbem Ohr gelauscht. Sein Blick ruhte wie gebannt auf dem relativ kleinen Haufen von Kristallen, die das Galoanerschiff gebunkert hatte. »Ich nehme an, daß hier, auch wenn es nicht so scheinen mag, ein Vermögen lagert«, sagte er. Shavis entließ ein undefinierbares Geräusch durch die Mehrzwecköffnung auf seinem Kopf. »Das wertvollste Gut in
der ganzen Galaxis«, erklärte er, ohne dabei prahlerisch zu klingen. »Muun-Kristalle.« »Schmucksteine?« fragte Dhark. »Schmucksteine?« Wieder dieser undefinierbare Laut. Shavis schwieg kurz, als müßte er seine nächsten Worte genau abwägen – insbesondere, wieviel er dem Angehörigen einer fremden Spezies überhaupt verraten durfte – dann sagte er: »Sie sind die Grundlage, ohne die heute keine effiziente Raumfahrt mehr möglich wäre.« »Würden Sie mir das näher erläutern?« Wieder zögerte Shavis kurz. Dhark hatte den Eindruck, als müßte sich der Galoaner jedesmal selbst erst erinnern, was er dem neugierigen Terraner verdankte, ehe er sich aufraffen konnte, eine Idee mehr an Information preiszugeben. »Die Kristalle besitzen das einzigartige spezifische Merkmal, daß sie im Hyperbereich Resonanzschwingungen erzeugen können. Auf Grundlage dieser Schwingungen war es möglich, die heutigen Wurmlochantriebe zu entwickeln. Aber Muun-Kristalle sind rar. Ihre Fundorte liegen weit auseinander, der Abbau ist selbst mit modernsten Gerätschaften – Maschinen, Robotern – überaus schwierig. Muun-Kristalle sind ein sensibler Rohstoff. Die Schürfquote läge um ein Vielfaches höher, wenn Galoaner diese Arbeit selbst verrichten würden. Das gilt als erwiesen.« »Ich entnehme Ihren Worten, daß dies aber trotzdem nicht geschieht. Warum?« »Es verstößt gegen unsere Ethik. Die Arbeit in den MuunMinen hat schwerwiegende Nebenwirkungen. Die Strahlung der Kristalle kann ab einer gewissen Potenz lebensverkürzend auf Organismen wirken. Deshalb wurde ein Edikt erlassen, das lebende Arbeiter in den Minen verbietet.« »Und was ist mit der geballten Strahlung des hier lagernden Haufens?« fragte Dhark alarmiert. Shavis beruhigte ihn: »Jeder Kristall wird vor dem Verladen einer Versiegelungsprozedur unterzogen. Eine Art Lack, der ebenso einfach wieder abgewaschen wie aufgetragen werden
kann.« »Wie funktioniert diese Wurmlochantriebstechnik – in groben Grundzügen, ich will keine Geheimnisse hören.« »Die Muun-Generatoren sind in der Lage, mikroskopisch kleine, aber extrem starke künstliche Schwerkraftfelder zu projizieren, mittels derer sich der Weltraum kontrolliert falten läßt. Auf diese Weise kann man Tunnel – Abkürzungen durchs All – erzeugen, in die man einfliegt und so gewaltige Lichtjahrdistanzen in relativ kurzer Zeit überbrückt. Ich sagte relativ. Denn es ist nicht exakt vorherbestimmbar, wie lange eine Passage dauert. Es können Tage, mitunter nur Stunden, aber ebensogut Wochen vergehen, bis einen das künstliche Wurmloch wieder entweichen läßt. – Wie Sie sich denken können, entstehen daraus große Nachteile. Aber wir besitzen keine Alternative.« Shavis verstummte, als käme ihm erst jetzt etwas in den Sinn. Schließlich fragte er: »Über welchen Antrieb verfügen Sie? Geschlichen können Sie nicht sein, wenn Sie nach Galoa unterwegs waren.« Diesmal ließ sich auch Dhark Zeit, ehe er, sich um die Antwort drückend, erwiderte: »Darf ich mir diesen Generator einmal ansehen?« Bevor Shavis in weitere Gewissensbisse gestürzt wurde, traf eine weitere Nachricht ein. Sie war nicht an den galoanischen Kapitän gerichtet, sondern an Dhark, denn sie kam von der POINT OF. »Commander – wie wir befürchtet haben: Unsere Taster messen den allmählichen Aufbau enormer Schwerkraftverwerfungen in diesem Sektor an! Offenbar kündigt sich eine gewaltige Flotte von Schiffen an! Wir tippen, skeptisch wie wir sind, auf Nomaden...« »Sie können die Entstehung von Wurmlöchern voraussagen und auf dem Weg befindliche Schiffe anmessen, bevor sie aus der Verwerfung heraustreten?« staunte Shavis. »So ist es«, bestätigte Dhark, der in Gedanken bereits das Planspiel durchführte, wie sie auf den neuerlichen Feindkontakt reagieren sollten – eine ganze Flotte konnte auch
der POINT OF gefährlich werden. Die Intervallbelastbarkeit bezüglich der Hauptwaffe der Kreuzschiffe, ihrer Torpedos, war noch nicht ausgetestet. Kein unnötiges Risiko, ermahnte er sich selbst. »Sie nicht?« »Nein«, erwiderte der Galoaner. »Wir können der Spur eines durch ein Wurmloch gehenden Schiffes folgen. Aber das Auftauchen anmessen, bevor es stattfindet, ist uns trotz gewaltiger wissenschaftlicher Anstrengungen in dieser Richtung noch nicht möglich. Vielleicht –« Dhark ließ ihn nicht ausreden. »Später«, sagte er. »Kontakten Sie Ihren Sohn. Fragen Sie ihn, wie die Lage an Bord aussieht! Die Spanne zwischen dem Orten von Gravoverwerfungen und dem Auftauchen der Verursacher differiert stark. Sie können jeden Augenblick da sein, aber dann sollten wir weg sein! Notfalls müssen wir die MuunKristalle zur POINT OF schaffen und die MAANGSCHAR evakuieren!« Obwohl die galoanische Physiognomie immer noch undurchschaubar war, glaubte Dhark äußersten Unwillen über Shavis' »Gesicht« huschen zu sehen. Der Kranz, der die Augen ersetzte, schien sich leicht ins Dunkle hin zu verfärben. Die Schuppenhaut selbst rötete sich. Was die Frage in Dhark weckte, welche Farbe wohl das Blut eines Galoaners haben mochte. Er hoffte, das nicht so bald herausfinden zu müssen. Kurz darauf meldete Shavis' Ältester aus der Zentrale: »Notreparatur abgeschlossen! Wir können umgehend Kurs aufs Wanar-System nehmen!« Dhark hoffte, daß dies nicht nur Selbstüberschätzung oder Zweckoptimismus war. »Sie können es sich immer noch überlegen«, bot er Shavis an. »Wenn Sie einverstanden sind, kann Ihre Besatzung mit Hilfe unserer Boote in kürzester Frist auf unser Schiff gebracht werden. Ihre Fracht ebenso. Wir müssen kein Risiko eingehen...« »Wenn Nhoris sagt, daß wir startbereit sind, ist es kein Risiko«, beschied Shavis stolz. »Ich biete Ihnen meinerseits an,
den Flug nach Galoa an Bord meines Schiffes zu begleiten. Sie brauchen keine Bedenken zu haben.« Eine Weile schwankte Dhark hin und her, ob dies ein ernsthaftes Angebot des Galoaners war, oder ob Shavis ihm nur demonstrieren wollte, daß es Angebote gab, die man einfach ablehnen mußte. »Danke, aber wenn es Ihnen recht ist, sichern wir Ihren Rückzug und treffen etwas später im Wanar-System ein. Sie können ja schon mal Bescheid sagen, daß Gäste kommen. Gute Freunde...« * Der 200 Meter lange Zylinderraumer nahm Fahrt auf. Das künstliche Schwarze Loch, das die Muun-Generatoren erzeugten, war noch nicht aufgebaut. »Bis jetzt scheint alles reibungslos zu funktionieren«, murmelte Dan Riker. Die immer noch bewußtlosen Nomaden waren von der MAANGSCHAR aus auf das steuerlos dahindriftende Kreuzschiff verbracht worden; weder Galoaner noch Terraner hatten ein gesteigertes Interesse an Gefangenen. Auch sämtliche Flash befanden sich wieder in ihren Depots im Ringraumer; Ren Dhark war als letzter Pilot in die POINT OF zurückgekehrt. Nicht einmal eine halbe Stunde war das her. Via Bildkugel verfolgte er jetzt angespannt, wie der Zylinderraumer immer stärker beschleunigte. Shavis hatte verraten, daß Wurmloch-Schiffe notfalls auch »aus dem Stand« heraus in ein von ihnen generiertes Schwarzes Loch eintauchen konnten. Dadurch wurde die Reisezeit jedoch unvorteilhaft in die Länge gezogen. Die Gleichung für diese Art von Überlichtflug lautete: Je höher die Eintrittsgeschwindigkeit in ein Wurmloch war, desto rascher erfolgte der Austritt am Ende des »Tunnels«. »Status?« wandte sich Dhark an Tino Grappa.
»Noch kein Schiff in Sicht. Verwerfungen aber nach wie vor auf Energiemaximum!« »Und bei den Galoanern?« »Die Generatoren treten soeben in Kraft. Wurmloch wird aufgebaut. Geschwindigkeit der MAANGSCHAR bei 0,89 Licht.« Zylinder und Umgebung aufrastern! befahl Dhark an die Gedankensteuerung. Detailwiedergabe Schiff und Schwarzes Loch! Die Bildkugel gehorchte augenblicklich. Das Gebiet, durch das sich das Galoanerschiff mit Impulskraft bewegte, wurde hochvergrößert, ohne an Schärfe zu verlieren. Das künstliche Wurmloch war visuell nur durch die Effekte, die es erzeugte, erkennbar. Die unglaubliche Masse des winzigen Schwarzen Loches schien von einem gleißenden Kranz wabernden Lichts umgeben zu sein – wie eine Sonnenscheibe bei einer von der Erde aus beobachteten Totalfinsternis. Dann tauchte die MAANGSCHAR auch schon unter den Ereignishorizont. Womit sie aus dem Wahrnehmungsbereich der POINT OF verschwand. »Okay«, sagte Dhark. »Das jedenfalls hätten wir. Jetzt müssen wir nur noch –« »Objekteinbruch auf Blau 3/G!« brüllte Grappa von hinten. »Drei... neun... sechzehn Schiffe... es werden sekündlich mehr!« Umschalten! wies Dhark die Gedankensteuerung an. Betreffenden Sektor herausstellen. Schildstatus? Doppelintervallum steht! materialisierte die wesenlose Stimme in seinem Kopf. Gleichzeitig gab die Bildkugel den Raumsektor wieder, in dem eine ganze Armada von Kreuzschiffen offenbar aus einem einzigen, synchron geschalteten Wurmloch herauskatapultiert wurde! Die POINT OF hatte bereits vor dem Auftauchen der Feindflotte Fahrt aufgenommen.
Sie lag bei 0,67 LG. Aber die Nomaden kamen mit 0,94 LG an. Ihre Flugkurve war so optimal – was nur Zufall sein konnte, aber ein gefährlicher Zufall! – daß sie sich dem Ringraumer auf Kollisionskurs näherten! »Distanz?« »Rund dreizehn Millionen Kilometer!« »Verdammt!« Dreizehn Millionen Kilometer schmolzen in jeder Sekunde um mehrere hunderttausend zusammen, da die Nomaden fast auf Lichtgeschwindigkeit waren und die POINT OF ihnen auch nicht gerade langsam quasi entgegenflog! Es sah aus, als käme ein Schwarm von stählernen Kreuzen auf das Terra-Schiff zu. »Die Zahl steht jetzt fest und ändert sich auch nicht mehr«, meldete Tino Grappa. »Dreiundfünfzig! Keine Torpedos bislang. Zu gefährlich für sie selbst. Die Torpedos wären nur unwesentlich langsamer als die Kreuzschiffe. Sie würden sich selbst gefährden...« Wechsel auf Sternensog! befahl Dhark, kühl bis ins Herz. Falls jetzt ein Zögern seitens der Schiffstechnik kam... Aber alles ging glatt. Die POINT OF nahm das bereits unausweichlich scheinende Gefecht im letzten Moment doch nicht an. Sie fügte sich der reinen Vernunft und... verschwand. So zumindest mußte es den Nomaden von Drakhon erscheinen. Und genau so war es auch. * »Wir hatten sie schon fast! Wo sind sie hin? Bei den dunklen Göttern der Rahim – wie ist ihnen das gelungen?« Pakk Raff zürnte nur vordergründig. Insgeheim war ihm der neuerliche Beweis für die technische Überlegenheit des Ringschiffs beinahe willkommen. Es bestärkte ihn in einem seit dem Verlust des Schredderfeldes gärenden Beschluß.
»Das Schiff, das uns kontaktete«, meldete ein Mannschaftsmitglied, »gibt keine Antwort auf Anrufe. Wahrscheinlich sind alle tot.« »Höchst unwahrscheinlich«, konterte Priff Dozz. »Die Fremden werden sich vor den Galoanern keine Blöße gegeben haben. Entweder wurde die Besatzung verschleppt oder lediglich kampfunfähig gemacht. Sicher wissen die Fremden von den Shirs, welch friedliebendes Naturell die Galoaner besitzen. Was immer sie sich auf Galoa erwarten, sie werden es nur erhalten, wenn sie das Nareidum von ihrer eigenen ›gerechten Natur‹ überzeugen können...« »So spricht der Berater, den ich kenne und schätze«, lobte Pakk Raff für seine Verhältnisse beinahe überschwenglich. »Ortung: irgendeine Spur der Fremden?« »Nein. Nur der Kurs des Galoaners steht fest. Die Auswertung anhand der sich verflüchtigenden Gravofahnen ist abgeschlossen. Das Schiff kehrt ins Wanar-System zurück.« »Die Fremden werden allmählich zur fixen Idee für dich«, wagte Priff Dozz seinem Führer mit gesenkter Stimme ins Gewissen zu reden – so leise, daß es niemand anders hören konnte. Immerhin hing der kleine, dickliche Berater an seinem Leben. »Wir sollten unsere verbliebenen Schiffe nicht noch einmal in einem Abenteuer mit Ungewissem Ausgang riskieren. Der Ring ist verschwunden. Unsere Ortungsinstrumente sind nicht in der Lage, ihn noch wahrzunehmen. Wer weiß, welche Überraschungen diese Technik noch bereithält... laß uns ins Krant-System zurückkehren und uns vorläufig aufs Beobachten beschränken. Wir...« »Du hast recht«, stimmte Pakk Raff ihm unerwartet zu, »wir sollten keine Schiffe mehr riskieren. Wenn du mir verrätst, wie wir das schaffen und trotzdem in den Besitz des Schiffes gelangen, darfst du dir noch eine Frau aussuchen – unter allen, die unsere Schiffe beherbergen. Meine eigenen eingeschlossen.« Im Gegensatz zu den meisten Nomaden besaß Priff Dozz
nur eine einzige Gefährtin – die zudem noch inakzeptabler aussah als ihr Mann, dafür aber – was absolut unüblich war – in ihrer Gemeinschaft das Sagen hatte. Priff Dozz glotzte deshalb im ersten Moment regelrecht geschockt. »Ist das dein Ernst?« keuchte er schließlich. »Du willst das Schiff? Und du stellst mir...?!« »Beides ist mein vollster Ernst«, unterbrach ihn Pakk Raff. »Was ist, hast du eine Idee?« * Gierig reckten die Sissmos ihre Hälse der Hand entgegen, die sich furchtlos in den Energiekäfig schob – die Hand des einzigen Lebewesens, das nicht Gefahr lief, von den ausgehungerten Chamäleons des Mondes Xorr umgebracht zu werden. Korr Grutt liebte seine »Haustierchen«. Er liebte es, die Bestien zu streicheln, die er sich herangezogen hatte. Nicht einmal Pakk Raff ahnte von ihrer Existenz an Bord seines Führungsschiffes. Wahrscheinlich hätte es Korr Grutts sofortige Hinrichtung bedeutet, wäre sein Verstoß gegen die Gesetze der Nomaden publik geworden. Seine Verdienste der Vergangenheit hätten nicht mehr gezählt. Pakk Raff hätte ihn schon allein deswegen exekutieren lassen, um sein Gesicht vor den anderen zu wahren. Vielleicht hätte Korr Grutt ihn noch zum direkten Zweikampf herausfordern können – als allerletzte Möglichkeit, sein Leben zu retten und sich gleichzeitig zum neuen Rudelführer aufzuschwingen. Aber erstens war Pakk Raff schlau genug – was nicht zu verwechseln war mit Intelligenz; dafür war sein Lakai Priff Dozz zuständig – Mittel und Wege zu finden, sich gar nicht erst auf einen fairen Kampf mit seinem besten Agenten einlassen zu müssen. Und zweitens wollte Korr Grutt gar nicht Rudelführer werden. Der Oberste Nomade war zugleich derjenige mit der geringsten Lebenserwartung. Und Korr Grutt hatte sich in den Kopf gesetzt, alt zu werden, steinalt.
Noch nie hatte es ein Nomade geschafft, länger als fünf Standardjahre an der absoluten Macht zu bleiben; auch Pakk Raff, der in den Augen vieler als der unüberwindlichste Anführer in der Geschichte des Nomadenvolkes galt, herrschte erst seit etwas mehr als zwei Standardjahren. Vor ihm lag also noch eine lange Zeit der Bewährung, bevor er überhaupt daran denken konnte, den alten Rekord einzustellen oder gar zu überflügeln. Solchen Ehrgeiz besaß Korr Grutt nicht. Was nicht hieß, daß er keine Ziele hatte. Oder Herausforderungen scheute. Im Gegenteil: Er war auf seine Art mindestens so gefürchtet wie Pakk Raff, weil er ebenso skrupellos und erbarmungslos war wie dieser, darüber hinaus aber auch hochintelligent ohne die Unterstützung eines Beraters, wie ihn Pakk Raff sich leistete. Korr Grutt schnaubte verächtlich, als er an Priff Dozz, die Schande der Nomaden, dachte. Die Sissmos nahmen den scharfen Ton auf und zuckten noch aufgeregter. Ihre dünnen, von tausend Beinchen getragenen Körper waren vor Hunger so durchscheinend geworden, daß der Weg des darin zirkulierenden Gifts genau zu verfolgen war. Die Sissmos setzten jede verfügbare Körpersubstanz in den potentiellen Tod für das Opfer, nach dem sie gierten, um. Manchmal war es selbst Korr Grutt unbegreiflich, daß sie ihre tödlichen Zähnchen nicht in sein Fleisch schlugen – obwohl er den Grund kannte. Niemand wußte mehr über die Sissmos und ihre Verhaltensmuster als er. Sein unfreiwilliger Aufenthalt auf Xorr hatte ein ganzes Standardjahr gedauert, nachdem sein Raumjet abgestürzt und sämtliche Systeme, die es erlaubt hätten, sich wieder von dem urweltlich jungen Mond zu verabschieden oder Hilfe anzufordern, ausgefallen waren. Letztlich hatte er es aus eigener Kraft geschafft, aus eigenem Können. Doch die Reparatur war langwierig und das Überleben auf Xorr letztlich mehr Glück als eigenes Können
gewesen. Xorr hatte sich als ein Panoptikum von Ungeheuern jeder Größe, Form und Nahrungsvorliebe erwiesen. Die Sissmos hatte Korr Grutt eher zufällig entdeckt – oder vielmehr ihre Eigenart, die er sich seither zu Nutze machte. Um sie zu züchten. Um sie sich hörig zu machen. Er lächelte, was bei ihm einem Zähnefletschen gleichkam. Mit einer Zärtlichkeit, die vor allem jene Geschöpfe verblüfft hätte, die er meist im Auftrag des Rudelführers grausam getötet hatte, strich er über die kleinen, armlangen, dabei nur fingerdünnen Leiber. Die Haut der Sissmos war das Flexibelste, was Korr Grutt je erlebt hatte. Aber nichts im Vergleich zu der Fähigkeit, die die Chamäleons außerdem besaßen. Mit ihnen hätte er Pakk Raff und Dutzende von anderen mißliebigen Personen elegant beseitigen können. Der Grund, der ihn davon abhielt, war identisch mit dem, der ihn auch daran hinderte, sich selbst zum Rudelführer hochzukämpfen. Er wirkte lieber im Hintergrund, im Verborgenen, wo er nicht selbst Zielscheibe von Intrigen und ständigen Herausforderungen wurde. Sein gestählter Körper wies ungewöhnlich wenig Narben auf. Einen besseren Beweis für sein Abschreckungspotential auf andere Nomaden konnte es nicht geben. Korr Grutt hatte in seinem Leben nicht viele Kämpfe ausfechten müssen, aber die, um die er nicht herumgekommen war, hatte er ausnahmslos für sich entschieden. So brutal, daß es kaum noch jemanden gelüstete, sich an ihm zu versuchen. Bei seiner Flucht von Xorr hatte Korr Grutt Eier der Sissmos mitgenommen. Befruchtete Eier. Und einen bereits geschlüpften Sissmo, den er unter seiner Kleidung verborgen hielt. Die Sissmos liebten Wärme, und die fand Xorr, wie Korr Grutt ihn nach der Welt getauft hatte, auf der sie einander getroffen hatten, bei seinem Herrn. Wärme und Zuneigung. Und Futter.
Korr Grutt fletschte die Zähne noch stärker, als er sich erinnerte, wie er Xorr gefunden hatte. Ein einziges gesprenkeltes Ei hatte im Nest eines Sissmo-Weibchens gelegen. Am Tag des Fundes hatte Korr Grutt nicht einmal gewußt, was ein Sissmo war. Der Hunger hatte ihn auf die Suche nach Eßbarem getrieben, und das von seinem Besitzer verlassene Nest war ihm gerade recht gekommen. Nomaden liebten Eier, roh verzehrt. Zu diesem Zweck stachen sie sie in aller Regel an beiden Enden an und ließen sich den proteinreichen Glibber dann in den Rachen laufen. Oder saugten die Schale leer. In dem Moment aber, da Korr Grutt nach dem Festmahl hatte greifen wollen, war etwas Unerwartetes geschehen: In der braun gesprenkelten Schale waren Sprünge entstanden. Und schneller als der Nomade es erwartet hatte, wurde die Eihülle regelrecht von dem, was in ihr steckte, auseinandergesprengt. Zum Vorschein war ein neugeborener Sissmo gekommen, der sich sofort gegen Korr Grutt katapultiert – und an ihn geschmiegt hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Korr Grutt begriff, daß er es nicht mit einem Angriff zu tun hatte. Sondern mit einem Fall von Zutrauen und... ihn schauderte mitunter noch heute, wenn er es sich vor Augen hielt... Liebe. Xorr, der Sissmo, hatte Korr Grutt, dem Nomaden, Liebe entgegengebracht! Es gehörte zur Eigenart der Sissmo, daß sie das Wesen, dem sie nach dem Schlüpfen zuerst begegneten, automatisch als Mutter ansahen. Offenbar ließ ein brütendes Sissmo-Weibchen sein Nest nie allein; der männliche Sissmo sorgte im Regelfall für dessen Ernährung. Aber das hatte Korr Grutt erst sehr viel später und auch erst nach und nach herausgefunden. In Xorrs Fall mußte das Weibchen einem stärkeren Raubtier zum Opfer gefallen sein und der »Vater« hatte sich danach wahrscheinlich ganz zurückgezogen. Es paßte nicht in sein Verhaltensschema, selbst die Brutpflege zu übernehmen. So war Korr Grutt unerwartet zu einem Zögling gekommen,
dessen spezielle Talente – und Tücke – er jedoch erst erkannt hatte, als Xorr ihm eines Tages das Leben rettete. Bis dahin hatte er das raupenähnliche Geschöpf mit dem auf einem langen Hals sitzenden Dreiecksschädel und den unzähligen Beinchen, an denen sich Saugnäpfe und Krallen befanden, für völlig harmlos gehalten. Die Sissmos verließen sich ganz auf ihren Geruchssinn. Und Korr Grutts Geruch hatte sich Xorr für sein restliches Leben eingeprägt. Der Nomade zog seine Hand aus dem Käfig zurück. Die Lücke schloß sich sofort, da die Feldenergie die Eigenschaft hatte, nur von der Außenseite aus durchdrungen werden zu können. Xorr hatte einen eigenen Käfig. Und er sah auch völlig anders aus als seine Artgenossen, die Korr Grutt seit dem Schlüpfen hungern ließ. Xorr war nicht transparent. Seine Haut war dunkel, schwarzblau, und das einzig sichtbar Helle waren seine kleinen Augen, die jedes potentielle Opfer regelrecht sezierend, Korr Grutt aber einfach nur verklärt anstarrten, als er ihn aus seinem Käfig herausholte. Xorr wurde regelmäßig gefüttert, litt im Gegensatz zu seinen Artgenossen keine Entbehrungen. Die Schatten seiner Nahrung zierten den Boden des Käfigs. Schatten – mehr als das ließ ein Sissmo von seiner Beute nicht übrig. Wie üblich begann Korr Grutt ein Zwiegespräch mit seinem Liebling Xorr, das zwangsläufig ein Monolog wurde: »Weißt du noch, wie du mich vor dem Yalagg gerettet hast, der sich ins Wrack meines Jets schlich? Ich schlief, aber du hast aufgepaßt, mein Baby. Ich merkte nicht einmal etwas von dem Kampf – bis er entschieden war. Bis der Yalagg lärmend vor meiner Koje zusammenbrach... und du an seinem Hals gehangen hast. Da sah ich zum ersten Mal, wozu du fähig bist. Du hast ihn erst mit deinem Gift vollgepumpt, und dann... aber das weißt du ja alles selbst. Seither bist du der einzige Freund, den ich habe. Der einzige, auf den ich mich blindlings verlassen kann.« Korr Grutt spannte die Muskeln. Dann fuhr er fort, den treuherzig dreinblickenden Augen zu erzählen: »Pakk Raff ist
ein Schwächling. Er wird uns nicht mehr lange befehlen. Was er sich gegen die Fremden und ihr Ringschiff geleistet hat... das Volk ist unzufrieden. Aber noch wagt niemand, ihm offen die Schuld an den Verlusten anzukreiden, die wir erleiden mußten. Das Krant-System ist nicht mehr wiederzuerkennen... worauf wartet er noch? Ich wüßte, was ich zu tun hätte. Aber ich bin ja nicht an Priff Dozz' Stelle...« Häme troff aus seinen Worten. Xorr gab Laute des Wohlbehagens von sich. Erst gestern hatte er ein Insekt vertilgt und adaptiert, das Korr Grutt für ihn auf dem Bordbazar erstanden hatte. Die Säfte eines Sissmos kapitulierten auch nicht vor Chitinpanzern. Bis heute früh hatte die Adaption angehalten. Inzwischen besaß Xorr wieder seine originale Gestalt. Ein unüberhörbares Signal lenkte Korr Grutts Aufmerksamkeit, kaum daß er schwieg, zum Terminal der bordinternen Kommunikation. Rasch setzte er Xorr in den Käfig zurück und verdunkelte die Energiewände. Dann erst nahm er das Gespräch entgegen. Ein verschlagenes Gesicht, dem seinen durchaus ebenbürtig, erschien auf dem Monitor. »Pakk Raff – welche Ehre!« »Spar dir deinen Spott, Korr Grutt. Ich weiß, was du wirklich über mich denkst. Und der einzige Grund, weshalb du dafür noch nicht gebüßt hast, ist der, daß ich dich brauche... was das angeht, bist du übrigens nicht der einzige!« »Ich bin absolut loyal«, mimte Korr Grutt Betroffenheit. Seine Behauptung war weder gelogen noch die Wahrheit. Pakk Raff überging sie. »Ich habe einen Auftrag für dich. Einen mehr als wichtigen Auftrag.« »Worum geht es? Um die Fremden?« »Um die Fremden – tatsächlich. Du bist schlau.« Es klang wie eine kaum verhohlene Drohung, es mit der Schläue nur ja nicht zu übertreiben. »Priff Dozz wird dir alles Erforderliche erklären...«
15. »Wurde Agentin Irtuzeata etwa handgreiflich, Jos?« Die Augen Bernd Eylers' blitzten eindeutig spöttisch, als er diese Frage stellte. Jos Aachten van Haag verzog schmerzlich berührt das Gesicht. Die Vorkommnisse auf der Hochstraße waren fast vergessen. Nur hin und wieder stachen bei einer unbedachten Bewegung die Rippen. Und auf der rechten Wange war ein kleiner Riß, verursacht durch Krümel der zerschossenen Windschutzscheibe. »Ha, ha«, machte Jos mißmutig. »Ich lache später.« »Halten Sie doch endlich still!« kommandierte der junge Arzt aus der Bereitschaft des GSO-Büros. »Ich muß den Riß kleben. – So, fertig. Sie sind fast wieder neu, Agent van Haag.« »Danke«, brummte Jos und sprang von der Behandlungsliege. Sein Blick fiel auf den Schirm des Spezialviphos, auf dem Bernd Eylers im fernen Alamo Gordo noch immer auf seinen Bericht wartete. Agentin Luise Irtuzeata war es, die den Chef unterrichtete. »... wir sind«, sagte sie abschließend, »in das Feuer von Mansors Leibwächtern geraten. Offensichtlich hat man unsere Observation entdeckt und entsprechend reagiert.« Eylers runzelte die Stirn. Sich an Jos wendend, sagte er: »Sie haben also eindeutig diesen Nguyen Phuong zusammen mit den Führern der Moslembruderschaft gesehen, Jos?« »So ist es«, bedeutete ihm sein Agent. »Damit hat sich unser Verdacht bestätigt, daß auch in Singapur Scholf im Hintergrund die Fäden zieht und sich der Moslembruderschaft für seine Ziele bedient.« »Sie meinen, dieser Phuong ist...« »Ein nicht umgeschalteter Robone. Definitiv. Wir wissen,
daß er zur Zeit der Giant-Herrschaft mit hunderttausend anderen Menschen von der Erde verschleppt und nach Robon, in die Neue Welt, deportiert worden ist. Dort nahm er eine völlig neue Identität als Heiler an.« Jos kannte die dunkelsten Stunden Terras, als die Giants jenen geistigen Genozid an der Menschheit begangen. Das vielleicht schrecklichste Verbrechen, das die Galaxis bislang erlebt hatte. »Haben Ihre Leute etwas über den Verbleib des Atomsprengkopfes herausgefunden, Ion?« wandte sich Eylers erneut an den Leiter des GSO-Büros Singapur. »Nein«, bekannte der mißmutig. »Es gibt noch keine gesicherten Ergebnisse. Aber wir arbeiten daran.« »Wie reizend«, sagte Eylers mit unbewegter Miene, »daß wenigstens daran gearbeitet wird.« Ion Rhyner zuckte vor dieser implizierten Kritik zusammen, während Jos grinste. Das war der Bernd Eylers, wie er ihn kannte. Erst als das Schweigen ungemütlich zu werden drohte, räusperte sich Jos und sagte: »Ich werde mir nach Anbruch der Dunkelheit die Zentrale dieser Moslembrüder mal genauer vornehmen.« »Was haben Sie vor?« fragte Eylers und seine Augen blitzten mißtrauisch. »Auf alle Fälle nicht tatenlos herumsitzen und auf die göttliche Eingebung warten.« »Okay, Jos«, sagte Eylers, schwieg einen Moment und gestand dann: »Ich habe das Gefühl, daß wir auf eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes zusteuern.« »Ich komme mit«, sagte Luise Irtuzeata. Jos Aachten van Haag wehrte mit einer schroffen Handbewegung ab. »Nein, Mädchen.« »Sie geht mit!« bestimmte Bernd Eylers kategorisch und kehrte wieder den Boß heraus. »Allerdings bleibt sie im Hintergrund und koordiniert ein mobiles Antiterroreinsatzkommando – falls Sie um Hilfe schreien, Jos.«
»Sie sind der Chef«, seufzte Jos ergeben. »Eben.« Eylers nickte und klinkte sich aus der Übertragung aus. * Wenige Minuten vor Mitternacht. Jos ging noch einmal die Details mit Luise Irtuzeata durch. Sie führte die fünfunddreißig Männer der Sondereinheit an, schien aber nicht davon beeindruckt. Sie sah Jos an. »Wann rechnen Sie mit unserem Eingreifen?« »Am besten gar nicht«, erwiderte der. »Aber falls doch, dann nur, wenn ich um Hilfe rufe. Stichwort: Corleone. Okay?« Sie hob die wohlgeschwungenen Brauen, enthielt sich aber einer weitergehenden Bemerkung. »Okay.« »Die Funkstrecke steht?« Die Agentin klappte den dünnen Drahtbügel herunter, so daß sich das winzige, tropfenförmige Mikrophon in der Nähe ihres linken Mundwinkels befand, und klopfte mit zusammengelegten Zeige- und Mittelfinger gegen den Mikrofonbügel. »Russo?« »Ma'am?« kam Agent Russos Stimme aus dem Spezialvipho. »Sie haben Position bezogen?« Russo und die anderen Agenten hatten sich, verteilt auf fünf schwergepanzerte Einsatzschweber aus dem Fuhrpark der TF, auf den Dachlandeplätzen rund um die Moslemzentrale in Position begeben. »Wie vorgesehen. Wir warten auf das Signal.« »Gut. Ende!« Sie wandte sich an Jos. »Funkstrecke getestet. Funktioniert wunschgemäß.« Jos Aachten van Haag nickte. Er hatte nichts als absolute Professionalität erwartet. Er sah auf die Digitalanzeige seines
Chronos. »Es ist Zeit. Ich mache mich auf den Weg.« Sie sah ihn an und nickte. »Viel Glück!« * Jos blickte an der glatten Front des Mansor-Buildings empor. Ein Gebäude mit viel Glas und gerasterten Segmentflächen über einem Skelett aus Leichtstahl. Keine Schwierigkeit, sie zu erklettern. Schon gar nicht mit seinen Hilfsmitteln: einmalige Spezialgeräte, die es nur bei der GSO gab. Saughandschuhe und entsprechende Schuhe, die es einem Agenten ermöglichten, an jeder einigermaßen glatten Wand hoch- oder hinabzuklettern. Ein Antigravgerät hätte diese Aufgabe natürlich viel leichter erfüllt. Aber für moderne Alarmanlagen war es ein Kinderspiel, das spezifische Feld eines Antigravgenerators zu entdecken. Mittlerweile war es Mitternacht geworden. Unauffällig war Jos Aachten van Haag zweimal um das Mansor-Building gegangen. Jedesmal fand er die vier Eingänge zur Halle und zu den Lifts bewacht vor. Da die unteren zwei Drittel überwiegend an Firmen vermietet waren, war es unmöglich, zu dieser späten Stunde mit einer plausiblen Ausrede an den bulligen Sicherheitskräften vorbeizukommen. Er paßte einen günstigen Moment ab und sprang an der Fassade hoch. Augenblicklich fanden seinen Hände in den Spezialhandschuhen Halt. Für einen Moment pendelte sein Körper hin und her, dann preßten sich seine Fußsohlen gegen die Metallfläche – und Jos Aachten van Haag begann den Aufstieg. Innerhalb kürzester Zeit hatte er zehn Stockwerke hinter sich gebracht. Er riskierte dabei nichts – wenigstens fast nichts. Bei richtiger Handhabung waren Handschuhe und Schuhe narrensicher – wenn man wußte, wie man damit umzugehen hatte. Und das wurde jedem Agenten in den Trainingslagern beigebracht.
Dennoch: Die Kletterei schien schwieriger zu sein, als er es von solchen Übungen im Gedächtnis hatte. Bei jedem Geräusch von unten erstarrte Jos, den Körper gegen die glatte Fassade gepreßt wie eine Spinne. Aber er konnte niemand sehen, in dieser Höhe lag die Fassade schon im Dunkeln. Langsam begann der Wind an Jos zu zerren; eine zusätzliche Gefahr, der er sich ausgesetzt sah. In der Tiefe brauste der Verkehr. Eine Kakophonie an Hup- und Fahrgeräuschen drang herauf. Die sinnverwirrend gekrümmten Trassen der CATLinien wanden sich wie überdimensionale feurige Schlangen zwischen den Hochhäusern und Wolkenkratzern dahin. Jos blickte nach oben, löste eine Hand von der Fassade und griff über sich. Wie eine groteske Spinne schob er sich weiter hinauf. Mehr und mehr verkrampften sich seine Muskeln. Der nächtliche Wind pfiff ihm um die Ohren. Und dann hatte er mit einer unerwarteten Schwierigkeit zu kämpfen, die ihn fast zwang, aufzugeben. Die oberen vier Stockwerke, in denen die Privaträume Noro Mansars und die vermutete Zentrale der radikal-islamischen Moslembruderschaft lagen, standen wie die Brücke eines Ozeanriesen etwa sieben Meter über den eigentlichen Grundriß hinaus. Sieben Meter überhängender, metallverkleideter Fassade, die Jos mit dem Rücken nach unten hängend überwinden mußte. Er war am ganzen Körper in Schweiß gebadet, als er es endlich geschafft hatte und über die Kante wieder in die Senkrechte kam. Was jetzt folgte, war leicht und dennoch gefährlich. Hinter den hell erleuchteten Fenstern konnte jeden Augenblick jemand vorbeikommen und ihn entdecken. Zwischen den riesigen Glasscheiben befanden sich nur schmale Metallstege, kaum breiter als zwei Meter. Auf diesen schob sich der GSO-Agent weiter hinauf. Sein Ziel war das Dach. Schließlich zog sich Jos über den Abschlußsims und ließ sich auf die Dachfläche fallen. Er blieb mehrere Minuten lang liegen und ruhte sich aus, um seinen Atem zu beruhigen und die Spannung in seinen Beinen abklingen zu lassen. Währenddessen sah er sich um. In der
Mitte des Daches erhob sich die Landeplattform für Jetts und flugfähige Schweber. Die Begrenzungs- und Warnbefeuerung war ausgeschaltet. Trotzdem konnte Jos im Licht des aufgehenden Mondes die Tür des Aufganges sehen, über den man aufs Dach gelangte. Er zog seine Kletterausrüstung aus und verstaute sie in einem schwarzen Beutel, dem er zuvor seine normalen Schuhe entnommen hatte. Dann deponierte er den Beutel unter einer vorstehenden Platte am Gebäudesims. Er huschte über das Dach auf die Tür zu. Sie ließ sich widerstandslos aufdrücken. Er glitt die Stufen hinab. Wenn es stimmte, was ihm der Programmierer in Rhyners Abteilung erzählt hatte, und tatsächlich in den beiden oberen Etagen Mansors Privaträume lagen, gab es einen Zugang aus dem Treppenschacht zu diesen Räumen. Wie sonst gelangte Noro Mansor zu seinen Gleitern aufs Dach? Jos schlich die Treppe hinunter. Auf dem nächsten Absatz lehnte ein Wächter im schwarzgrünen Coverall und mit einer schußbereiten MP an der Wand und sah sich in einem Handvipho irgendeinen Film an. Er hatte keine Augen für das, was sich um ihn ereignete. Wie unprofessionell, dachte Jos und zog seinen Paraschocker. Der hellrote Punkt des Ziellasers tänzelte über die Wache. Jos schoß. Lautlos sank der Mann zu Boden. Sekunden später stand der Agent neben dem Posten. Er entlud die MP. Dann steckte er seinen Schocker wieder weg und setzte den Posten so in eine Ecke, daß es den Anschein hatte, als würde er immer noch den Film betrachten. Dabei horchte er gespannt auf Alarmzeichen. Stille. Jos schlich zur Tür, die der Mann bewacht hatte. Dahinter war es still. Sie war nicht verschlossen, wie er zu seinem Erstaunen bemerkte.
Langsam drückte er die Tür auf – und schloß sie geräuschlos wieder hinter sich. Er stand in einem kurzen Korridor. An seinem Ende war eine weitere Tür. Jos verharrte eine Sekunde still, horchte angestrengt und bewegte sich dann lautlos auf die Tür zu. Sicherheitsschloß! Er zog etwas aus seiner Tasche, das wie ein dicker Schreibstift mit drei Spitzen aussah. Er hielt das Gerät behutsam gegen das Schloß und drückte nacheinander jeden der drei Kontakte. Jedesmal glitt eine schmale, leicht gekrümmte Tofiritstahlfeder ins Schloß. Als alle drei in Stellung waren, drehte Jos das Gerät behutsam um und vernahm das leise Klicken, mit dem die Sperrvorrichtung zurückschnappte. Er zog seinen Spezialdietrich aus dem Schloß, ließ die Metallzungen wieder in ihre Führungen zurückgleiten und trat ein. Er war in einem schmalen Erker am Ende eines Saales, von dem er nur einen kleinen Teil überblicken konnte. Der Saal machte den Eindruck eines nüchternen Versammlungsraumes. Jos Aachten van Haag registrierte all diese Dinge hauptsächlich mit dem Unterbewußtsein, denn sein bewußtes Denken wurde vorrangig davon in Anspruch genommen, sich nicht überraschen zu lassen. Er schlich langsam in den Saal, der mit Teppichen ausgelegt war. Am anderen Ende führte eine kurze Treppe zu einer Galerie hinauf, von der ein Korridor abging. Der GSO-Agent verharrte sekundenlang und überlegte seine nächsten Schritte. Dann huschte er die Stufen zur Galerie hinauf, jeden Moment damit rechnend, daß sich der Lauf einer Waffe in seine Seite bohren oder ihn jemand anspringen würde. Nichts dergleichen geschah. Er hörte lediglich ein Vipho läuten. Es läutete weiter, bis jemand es zum Schweigen brachte. Jos holte tief Luft und wollte schon weiterlaufen, als er das Geräusch von Schritten hörte. Schnell verdrückte er sich in eine Nische zwischen zwei Vitrinen, die hier oben standen, und hielt den Atem an. Ein bewaffneter Moslemwächter im
grünschwarzen Coverall und einem Barett auf dem Schädel lief vorbei. Der Elektroschocker in seiner Linken und die schwere Waffe an seinem Gürtel waren nicht bloß Dekoration, soviel stand fest. Und wo einer war, konnten auch noch andere herumschwirren. Jos wartete noch ein paar Sekunden. Als er keine Schritte mehr hörte, setzte er seine Exkursion in diesem gefährlichen Terrain fort und bewegte sich rasch in den Korridor hinein. Vier Türen weiter, auf seiner Seite des breiten Korridors, fand er eine Tür mit der Aufschrift SUPRASENSOREN, die einen Spalt offenstand. Er schlüpfte hinein, lehnte die Tür hinter sich an, ohne sie jedoch zu schließen. Er befand sich in einem nur notdürftig erhellten, sehr großen Raum, der aussah wie eine Raumfahrt-Befehlszentrale, vollgestopft mit einer kompletten Großfunkanlage sowie einer Reihe von Suprasensoren samt den dazu gehörenden Peripheriegeräten. Mehrere Monitore flimmerten und blinkten. An der Wand darüber erkannte er eine Karte mit einem sinnverwirrenden Muster von Linien und verschiedenfarbigen Punkten. Es hatte den Anschein, als würde die gesamte Anlage leben und von allein funktionieren. Hinter diesem Raum, abgetrennt durch Glasscheiben, war ein viel größerer Raum. Vorsichtig ging Jos näher heran. Blickte in den Raum hinein – und erkannte das Triumvirat in einem luxuriös und verschwenderisch ausgestatteten Raum. Jos spitzte die Lippen zu einem tonlosen Pfiff. »Es ist die Gewißheit, recht gehabt zu haben, die einem das Leben so schön macht«, murmelte er. »... eingebildeter GSO-Agent«, wisperte Agentin Irtuzeatas Stimme tief in Jos' Ohr. Mit einem grimmigen Lächeln fingerte Jos eines der Kontaktmikros aus der Brusttasche seines Coveralls, den er unter der leichten Windbluse trug. Er preßte das nur knopfgroße, flache Scheibchen gegen das Fenster, an dem es selbsttätig haften blieb. Die von den Stimmen im Innern des
Raumes in Schwingungen versetzte Luft übertrug sich auf die Glasfläche und konnte von der Spezialwanze mühelos übertragen und hörbar gemacht werden. Die Agenten der GSO stellten in gewisser Hinsicht eine Legende dar. Sie arbeiteten unerkannt für die Öffentlichkeit und meist in völliger Anonymität. Jeder Agent verfügte über eine harte und umfassende Ausbildung sowie über eine technische Ausrüstung, die ihresgleichen auf ganzen Welt suchte. Das Beste, Teuerste und Modernste, das je die geheimen Labors der Galaktischen Sicherheitsorganisation verließ, war gerade gut genug für diese Spezialisten. Jos lauschte auf das, was aus dem winzigen Ohrhörer zu verstehen war. »... wann sagen Sie, ist der Pilot mit dem Jett gestartet?« Es war der Robone, der fragte. »... am frühen Abend.« Starten? Pilot? Schon nach den ersten Worten hatte Jos das im Chrono eingebaute, miniaturisierte Aufzeichnungsgerät aktiviert, das jedes aufgenommene Wort mitschnitt und gleichzeitig auf einer verschlüsselten Spezialfrequenz an Agentin Irtuzeata übermittelte. »... glauben Sie, er wird den Anweisungen folgen?« Das war jetzt Mansors Stimme. »Das will ich meinen.« Ein verhaltenes Lachen. »Er kann gar nicht anders, der hypnotische Befehl läßt ihm keine Wahl. Der Suprasensor enthält die Koordinaten Pittsburghs. Der Jett fliegt mit der Dunkelheit um die Erde. Unser Ortungsschutz läßt ihn unsichtbar für jeden Abfangjäger werden. In wenigen Stunden werden sich die Bewohner Pittsburghs wundern, weil in der Nacht die Sonne aufgeht. Aber sie haben kaum Zeit, sich an diesem Ereignis zu erfreuen, den Sekunden später werden sie, wird Pittsburgh nicht mehr existieren.« »Was ist mit dem Piloten, diesem Lao Wu-Li? Wird er nicht irgendwann einmal zu einem Sicherheitsrisiko werden?« »Kaum«, versicherte der Robone mit einem trüben Lachen.
»Er glaubt, er löst die Bombe über Pittsburgh aus. In Wirklichkeit wird sie automatisch gezündet – und Puff! sämtliche Spuren und Hinweise sind vernichtet, durch die man eventuell Rückschlüsse auf uns ziehen könnte.« »Brutal genial«, sagte der Mullah anerkennend. »... nicht wahr«, versetzte der Robone ungerührt. »Ich breche dann in den nächsten Tagen meine Zelte hier ab, alles weitere müssen Ihre Männer erledigen.« »Das werden sie«, sagte Noro Mansor. »Tod den kapitalistischen Ungläubigen...« »Ja, Tod den Verdammten!« Jos löste das Mikro von der Scheibe, verstaute alles wieder und entfernte sich in Richtung Tür. Er hatte genug gehört; es war höchste Zeit, zu den anderen zurückzukehren und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Wie hatte Phuong gesagt: In der Nacht wird eine Sonne über Pittsburgh aufgehen... Pittsburgh also, und nicht Alamo Gordo oder einer der anderen Metropolen der westlichen Hemisphäre. Was Scholf damit bezweckte, war offenkundig: das riesige Stammwerk von Wallis Industries mit einer Atombombe zu zerstören! Und mit ihr eine Millionenstadt ahnungsloser Bürger. Das Vorhaben war so perfide, daß Jos sich weigerte, an die ganze Tragweite des Vorhabens zu denken... Er öffnete geräuschlos die Tür, huschte hinaus – und einem Trupp Moslembrüder genau in die Arme. Jos reagierte in Sekundenbruchteilen, schnellte sich mit einem Sprung zur Seite und gebärdete sich wie ein Rasender. Zweien der Wächter schlug er die Köpfe zusammen, daß sie augenverdrehend zu Boden gingen. Aber schon stürmten die übrigen – fünf an der Zahl – auf ihn ein und traktierten ihn mit Faustschlägen und Stiefeltritten. Ein weiterer Wächter ging zu Boden, als ihn Jos mit einem plazierten Tritt im Kreuz traf. Aber da es so nicht weitergehen konnte, fand sich der GSOAgent plötzlich am Boden liegend wieder. Jemand
verwechselte seinen Kopf mit einem Ball und drosch mit einem Schlagstock auf ihn ein. Jos verlor das Bewußtsein. * Er erwachte auf dem Rücken liegend und von einem Stiefel auf der Schulter am Aufstehen gehindert. Ganz abgesehen davon, daß er augenblicklich sowieso nicht in der Lage war, eine grundlegend neue Variante in das alte Spiel zu bringen. Dann griffen grobe Hände nach ihm und stellten ihn auf die Beine. »Wen haben wir denn da?« knurrte ein Baß. »Wer bist du, Buddy?« »Der Weihnachtsmann«, schnappte van Haag und versuchte den Brechreiz zu unterdrücken; er blinzelte, aber sein Blick wollte sich nicht klären. »Aber, aber«, entrüstete sich der Baß. Ein Arm wie ein Kranausleger kam auf ihn zugeschossen, und der Schlag hätte ihm den Kopf von den Schultern gerissen, wäre Jos nicht mit einer gedankenschnellen Bewegung ausgewichen. So wurde er nur an der Seite getroffen, was aber reichte, ihn fast wieder ohnmächtig werden zu lassen. »Rüber mit ihm«, fauchte die tiefe Stimme, »der Mullah wird sich freuen.« »Darauf könnt ihr Gift nehmen«, versicherte Jos düster und spuckte Blut. Bei dem Schlag kurz zuvor hatte er sich auf die Lippen gebissen. Er wurde hochgerissen. Jemand stieß ihm ins Kreuz. »Worauf wartest du noch? Los!« * Noro Mansor stand vor der bis zur Decke reichenden Glasfront. Er war untersetzt, kräftig und trug einen schwarzen Seidenanzug von fast militärischem Zuschnitt. Er hatte die Hände auf dem Rücken, die Füße gespreizt und betrachtete die
funkelnde Skyline von Singapur. Der Malaien-Robone Nguyen Phuong und Jonny Lee, der Sicherheitschef des Mullahs, saßen linker Hand. Als die Wächter mit Jos eintraten, drehte Mullah Mansor sich langsam um. »Nun, Kulas?« fragte er. Seine Augen lagen tief, und ihr Glühen jagte jedem weniger selbstsicheren Mann als es Jos war, einen Schauer über den Rücken. Der Mullah schien wütend über die Störung zu sein, aber noch beherrschte er seinen Zorn. »Entschuldigen Sie, Sir«, brummte Kulas, der Baß. »Wir haben den da...«, er schlug Jos zwischen die Schulterblätter, »beobachtet, wie er aus dem Computerraum gekommen ist.« »Wo ist er herausgekommen?« fragte Mansor ungläubig. Jonny Lee war aufgesprungen und kam jetzt näher. Kulas deutete mit dem Daumen zur Trennwand, hinter der der Raum mit den Suprasensoren und der Großfunkanlage lag. »Von dort!« »Ungläubiger Hund«, fuhr Mansor Jos an. »Was hast du dort gesucht?« »Was wohl?« Jos zuckte mit den Schultern. Jonny Lee kam noch näher, fast auf Tuchfühlung. Erkennen schimmerte in seinen Augen. »Jos Aachten van Haag, stimmt' s?« »Gewonnen«, erwiderte Jos kaltschnäuzig. »Genau.« Lees Lächeln war von jener Kälte, die absolute Feindschaft erzeugte. Er wandte sich um und sagte zum Mullah gewandt nur ein Wort: »GSO!« Die Atmosphäre schien zu Eis zu erstarren. »Wie lange waren Sie in dem Raum?« wollte der Mullah wissen. Jos grinste – es wurde eine Grimasse durch die aufgeschlagenen Lippen. »Lange genug, um zu erfahren, was Sie«, er schloß den Robonen mit ein, »vorhaben.« »Und wenn schon«, sagte der Robone. »Sie werden keine Gelegenheit mehr haben, es weiterzuerzählen.«
Jonny Lee hatte längst reagiert; als Sicherheitschef wußte er, was die Anwesenheit des GSO-Agenten bedeutete. Irgendwo in den unteren Etagen lärmten jetzt Sirenen los und trieben die mohammedanischen Wächter aus ihren Bereitschaftsräumen. »Sind Sie da so sicher?« fragte Jos. Mansor schien ein wenig irritiert über die gelassene Reaktion des Gefangenen. »Was meint dieser ungläubige Hund?« wandte er sich an seinen Sicherheitschef. Der wurde unter seiner Bräune blaß, als ihm aufging, was Jos' Bemerkung bedeutete. »Er will damit sagen, daß jedes Wort, das hier gesprochen wird, aufgezeichnet und nach draußen weitergeleitet wird...« Jetzt war der Lärm nicht mehr zu überhören. Ein dumpfes Trampeln von Stiefeln einige Stockwerke tiefer; die Moslembrüder riegelten das Gebäude ab. Noro Mansor stieß wie ein Stier den Atem durch die Nase aus. Er wirbelte herum, entriß einem der Wächter die MP und legte auf Jos an. Der hielt den Atem an. Wenn jetzt nicht auf der Stelle ein mittleres Wunder geschieht, schoß es ihm durch den Kopf, bin ich schneller tot, als mir lieb sein wird. »Ich könnte jetzt Hilfe brauchen«, sagte er rauh; die Angst fraß an seiner Konzentration. Verdammt, wie hieß denn wieder das Kodewort!? »Zum Sterben braucht man keine Hilfe«, zischte Mansor in völliger Verkennung der Lage. »Jos Aachten van Haag...« »Corleone!« stieß Jos hervor. »Mein Name ist CORLEONE!« Der Mullah war über diesen unerwarteten Ausbruch so überrascht, daß er für einen Moment die Waffe sinken ließ. Jos wagte nicht, erleichtert auszuatmen. Sein Blick war auf Jonny Lee gefallen, dessen Augen sich verengten, während erste Anzeichen eines unbestimmten Argwohns auf seinem Gesicht erschienen... Exakt in dieser Sekunde barsten knallend die Panoramascheiben hinter dem Mullah; der Winddruck trieb
eine Wolke krümeligen Glases in den Raum. Zwei, drei Schweber dockten an der Fassade an, und ungefähr ein halbes Dutzend GSO-Agenten hechteten durch den Hagel der berstenden Scheiben in den Raum. Noch während sie abrollten, eröffneten sie das Feuer auf die mohammedanischen Wächter. Unverkennbar in ihren Coveralls. Jos duckte sich und schnellte sich zur Seite, rollte sich über den Teppichboden ab und tauchte an der Wand wieder auf. Das Donnern schwerer Paraschocker verwandelte den Raum in ein akustisches Inferno. Leuchtkörper zerbarsten knallend, Gestalten wirbelten durch die Luft. Jonny Lee kroch mit einer Waffe in der Hand über den Boden, schoß wild um sich und wurde im selben Sekundenbruchteil selbst einige Male getroffen. So plötzlich, wie das Inferno begonnen hatte, so war es auch zu Ende. Stille breitete sich aus. Lediglich tiefer im Gebäude wurde anscheinend noch gekämpft; die TF-Soldaten nahmen die einzelnen Stockwerke ein. Jos starrte wild um sich. »Wo ist Mansor?« Agentin Irtuzeata schob das Helmvisier hoch. Ihr verschwitztes Gesicht kam zum Vorschein. »Unter denen hier im Raum ist er nicht«, sagte sie. »Verdammt«, knurrte Jos, »er darf uns nicht entwischen...« Plötzlich sah er eine Bewegung im Hintergrund des großen Raumes; eine bislang verborgene Tür klaffte. Eine Gestalt verschwand darin. »Mansor!« schrie Jos. »Bleiben Sie stehen!« Er entriß einem GSO-Agenten die Waffe, riß den Arm hoch. Aus dem Blaster löste sich ein sonnenheißer Strahl und schlug neben der schmalen Tür in die Wand; doch Noro Mansor war schon dahinter verschwunden. Es sah ganz so aus, als würde er sich dem Zugriff der GSO entziehen können. Jos rannte los. Hinter der Tür fand er eine schmale Treppe, die offenbar in einer doppelten Wand eingebaut war und nach oben führte. Ein Fluchtweg für Notsituationen. Er hetzte keuchend die Stufen hoch, sein Hals brannte vom
hastigen Atmen. Von oben kam ein lautes Geräusch. Jemand hatte eine Tür geöffnet und wieder hinter sich ins Schloß geworfen. Sekunden später erreichte er die Tür. Sie war verschlossen. Von außen. »Hölle und Teufel!« fluchte Jos. Er zog den Blaster und setzte mit einem Schuß das Material rings um das Schloß in Brand. Dann trat er kräftig dagegen. Rauchende Trümmer flogen umher. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob ihm ein Feuerstoß aus einem Blaster oder einer AutoMag entgegenfliegen würde, stürzte Jos aufs Dach. Er hechtete sofort zur Seite und rollte über die Schulter ab. Der Wind heulte über das Dach, brach sich winselnd an den Stützen der Landeplattformen, die sich hier oben erhoben. Und dann mischte sich ein anderes Geräusch darunter, das eines startenden Schwebers. Auf der hinteren Plattform! Als Jos über die kurze Treppe nach oben stürzte, gewann das Aggregat an Touren. Die Cockpittür war noch offen, der Lauf einer MP lugte heraus. Jos schlug Haken wie ein Hase, während er auf Mansor zulief, der rücksichtslos die Maschine hochjagte und gleichzeitig schoß. Die Feuerstöße zerpflügten den Belag und jaulten als Querschläger durch die Luft. Am Rande seines Blickfeldes sah Jos, wie sich aus der Dunkelheit neben dem Gebäude ein Schweber der GSO über die Dachkante hob. »Mansor!« schrie Jos durch den Lärm. »Geben Sie auf. Es ist aussichtslos!« Noro Mansors Antwort bestand aus einem weiteren Feuerstoß, der knapp neben Jos die Karosserie eines Gleiters zersägte. »Mansor«, schrie Jos noch einmal. »Ergeben Sie sich!« Der Schweber hob ab. Jos blieb stehen. Sinnlos, noch weiter zu laufen. Der Schweber gewann an Höhe und drehte sich dabei um
seine Achse. Jos hob den Lauf des Blasters. Zielte. Wartete, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, bis die Maschine im Lupenfenster der Zieloptik auftauchte. Er korrigierte, zog ein bißchen mit und schoß. Dauerfeuer. Der blaßblaue Strahl aus dem Blaster zuckte in die Nacht hinauf, traf den Schweber und fraß sich ins Innere. Jos hatte mit Bedacht die Stelle anvisiert, hinter der das Hauptaggregat lag. Der Gleiter blähte sich kurzzeitig auf und brach dann etwa einhundert Meter über dem Dach auseinander. Brennende Trümmer regneten aus dem nächtlichen Himmel, der für kurze Zeit nur vom Schein der Explosion erhellt wurde. »Das war's«, sagte Agentin Luise Irtuzeata, die herangekommen war. »Es ist vorbei!« Jos sah sie nur von der Seite an. »Es ist nie vorbei...« Er steckte die Waffe ein und wandte sich dem Treppenschacht zu. »Kommen Sie, Luise«, forderte er sie auf. »Wir müssen Alamo Gordo informieren, was auf den nordamerikanischen Kontinent zukommt...«. * Daß in dem allgemeinen Trubel auch Nguyen Phuong spurlos verschwinden konnte, stellte sich erst später heraus. Zu diesem Zeitpunkt, auf der anderen Seite des Erdballs, befand sich Ömer Giray auf dem Weg zu einem Treffen mit Bernd Eylers, der sich per Transmitter von Alamo Gordo zur GSO-Niederlassung New York begeben hatte und ihn im »Cloister« zu treffen wünschte. Die Lichter hinter den Fenstern der CAT-Kabine zuckten in unregelmäßigen Zwischenräumen auf und erinnerten ihn an ein psychedelisches Mandala. Er hing ein wenig seinen Gedanken nach. So fadenscheinig seine Rolle als »Beschützer« dieses Leroy Mathis aus seiner Sicht auch war, hatte sie ihm doch eine Warte geschaffen, die ihm das Vertrauen des Black
Muslims gesichert hatte. Und was dieser ihm gegenüber ausgeplaudert hatte, war dazu angetan, sofort Kontakt mit Eylers aufzunehmen. Die Situation war schon übel. Was er aus Mathis' Reden herausgehört hatte, war, daß die Brotherhood of Black Muslims einen Überfall auf Wallis' Landsitz vorbereitete. Außerdem würde man »zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, wie der Black Muslim sich Ömer bei ihrem letzten Treffen nach dem Freitagsgebet gegenüber mehr oder weniger verklausuliert geäußert hatte. Und mit einem Mal gaben die Worte des Mullahs beim Freitagsgebet einen fürchterlichen Sinn: »... aber bald wird ein Zeichen gesetzt werden... wird das Böse, das von dort ausgeht, in einem Feuersturm hinweggefegt werden, ausgelöst vom Licht aus dem Osten...« Warum nur verband er mit dem »Licht aus dem Osten« eigentlich die Vorstellung von nuklearem Feuer? In der 159. Straße verließ Ömer die Rapidbahn und glitt in der Plusphase des A-Gravlifts bis hoch zur Aussichtsplattform des Museums. Es war ein sonniger, klarer, kalter Wintertag. Der morgendliche Nebel hatte sich verflüchtigt. Ömer hüllte sich eng in seinen Mantel und schlug den Weg zum Museum ein. Rechter Hand sah er die glasüberdachten Wohnblöcke des oberen Manhattan. Dahinter lagen längs des Hudson-Flusses die alten Technologieparks, die den Angriff der Giants überstanden hatten. Noch weiter hinten erhoben sich die sanft ansteigenden Hügel von Queens County im Dunst des Morgens. Das Museum, ein ehemaliges Kloster, bildete im überbordenden Trubel von Manhattan einen Ort der Stille und kontemplativer Meditation. Ömer betrat den Westflügel, und Bernd Eylers nickte ihm zu. »Gehen wir nach draußen«, sagte er. Er ging durch die Tür auf die Plattform. Ömer folgte ihm nach. Der GSO-Chef lehnte sich an die Steinbalustrade, sah auf den Hudson hinab. Ömer
stellte sich neben ihn und betrachte die Möwen, die behende über einer Antigravfähre kreisten. Ein Bild des Friedens. Unter anderen Voraussetzungen hätte Ömer den Tag durchaus als angenehm empfunden. »Ich höre«, sagte Eylers schließlich mit ruhiger, aber gespannter Stimme. »Es spitzt sich zu«, sagte Ömer. »Die Black Muslims werden vermutlich bereits morgen den Landsitz von Terence Wallis angreifen und ihn zu ermorden versuchen.« »Dann ist es also wahr«, murmelte der GSO-Chef. »Man will ein Zeichen setzten, und sucht sich dafür ein sehr, sehr prominentes Opfer aus.« »Weil man an Ren Dhark oder Henner Trawisheim nicht herankommt«, nickte Ömer und sah sich um. Auf der Aussichtsplattform war ein ständiges Kommen und Gehen; das Museum war ein Anziehungspunkt. Weit unten, wo der Park begann, lehnte ein Mann an einem Baum und betrachtete zwei Eichhörnchen, die an einem anderen Baumstamm hinauf und wieder herunter flitzten. Ömer blinzelte in einem bestimmten Rhythmus mit dem linken Auge – die Kontraktion des Augenmuskels aktivierte die Mikroelektronik des künstlichen Auges – und der Zoom holte den Tierfreund heran, als stünde er nur zwei Meter von ihnen beiden entfernt. Ein hochaufgeschossener Schwarzer. Trotz der Kälte trug er keine Kopfbedeckung. Ömer konnte sich irren, aber etwas an dem Mann erinnerte ihn an eine frühere Begegnung. Nur wo? Er kam nicht darauf. Außerdem warf der ›Tierfreund‹ jetzt den Eichhörnchen eine Handvoll Futter zu, drehte sich um und entfernte sich zur Flußseite hin. War wohl nichts! Ömer kehrte augenzwinkernd wieder zum normalen Sehen zurück. »... in der Zentrale hat man inzwischen die Bilder Ihres Cyborg-Auges ausgewertet«, ließ sich Bernd Eylers vernehmen. »Wie schon vermutet, ist Sandeep Shankar Robone. Er gehört zum engeren Führungskreis um Scholf und hatte überwiegend im Nahen Osten seinen Wirkungskreis.«
»Das bestätigt nur meine Vorahnung«, nickte Ömer. »Ich habe allerdings noch immer nicht herausgefunden, was Sandeep Shankars Andeutungen über das Licht aus dem Osten zu besagen hat....« Er hielt inne und sah einer Möwe zu, die pfeilschnell über den Spiegel des Hudson flitzte und sich dann mühelos in den Wind hochschraubte. Ömers Blicke folgten ihr fast sehnsüchtig. »Ich hätte eine Antwort auf Ihre Frage«, ließ sich Bernd Eylers vernehmen. »Van Haag hat sich aus Singapur gemeldet. Hinter dem ›Licht aus dem Osten‹ verbirgt sich der Atomsprengkopf, den Scholf von Terroristen aus der MEDUSA hat entwenden lassen. Damit will er Wallis' Stammwerk in Pittsburgh dem Erdboden gleichmachen.« »Beim Bart des Propheten!« entfuhr es Ömer Giray. In seinem Gesicht arbeitete es. »Dann wird sich meine kurze Gastrolle als angeblicher Muslim ja ihrem Ende zuneigen.« Er spürte trotz der immensen Anspannung, in die ihn Eylers Worte versetzt hatten, eine gewisse Erleichterung in sich aufwallen. »Ich nehme mal an, das Büro in Singapur und van Haag haben sich des Problems angenommen und es zur Zufriedenheit gelöst, nicht wahr?« »Wenn es nur so wäre. Leider nein.« Tiefe Sorge lag in Eylers' Stimme. »Der Atomsprengkopf befindet sich zu Zeit irgendwo im Luftraum zwischen Singapur und der Atlantikküste an Bord eines Jetts. Die TDF sowie alle anderen Dienststellen unternehmen jede nur erdenkliche Anstrengung, das Ding zu orten und – hoffentlich! – rechtzeitig abzufangen.« »Was kann ich dabei tun?« »Sie?« Eylers sah seinen Agenten an, als verstünde er dessen Frage nicht. »Sie kehren selbstverständlich in die Moschee zurück. Ihr Job ist es, den Zeitpunkt in Erfahrung zu bringen, an dem Wallis' Landsitz überfallen werden soll.« »Dachte ich's mir doch«, murmelte Ömer. »Wie?« Bernd Eylers sah ihn scharf an »Ich werde selbstverständlich tun, was in meiner Macht steht«, antwortete Ömer. »Mehr kann ich nicht versprechen.«
»Wer kann das schon?« Jetzt lächelte Bernd Eylers sogar. * Die Flotte aus 53 Nomadenschiffen näherte sich dem Wanar-System bis auf eine Distanz von zwölf Lichtjahren und tauchte dort unentdeckt in den Ortungsschatten einer roten Riesensonne, die von fünf Planeten und etlichen Monden umlaufen wurde. Korr Grutt bestieg einen Raumjet, der den höchsten Stand der Nomadentechnik widerspiegelte und dank Formgebung und speziellen Abschirmfeldern über Hypertastung kaum auszumachen war. Das ideale Fortbewegungsmittel für Spione. Bereits an Bord des Kleinstraumschiffs nahm Korr Grutt letzte Instruktionen aus dem Mund von Priff Dozz entgegen – was noch schwerer erträglich war als die längst gewohnte Arroganz des Rudelführers. Priff Dozz hatte nicht versäumt, Korr Grutt darüber in Kenntnis zu setzen, daß dieser Auftrag von ihm initiiert worden war. Zu seiner Verblüffung hatte Korr Grutt erfahren, daß es nicht darum ging, die Schwachstellen der Fremden herauszufinden, um sie zu vernichten, sondern um sich in den Besitz ihres Schiffes zu bringen. An der Art und Weise, wie Priff Dozz dem Agenten dies nahebrachte, war zu erkennen, daß der Berater des Rudelführers zwar den Plan unterstützte, aber nicht sonderlich glücklich damit war. »Du hättest sie auch lieber in die nächste Sonne geworfen, was? Samt ihrem Schiff!« »Es geht hier nicht um persönliche Vorlieben«, wurde er von Priff Dozz kühl abgekanzelt. »Es geht um den Willen des Führers. Hast du Zweifel, ihn umsetzen zu können?« »Und du?« höhnte Korr Grutt. »Würdest du es dir zutrauen?« Blut schien in die Augen des übergewichtigen Schwächlings
zu steigen. »Du weißt Bescheid«, beendete er die Verbindung. Gutgelaunt startete Korr Grutt den Antrieb des Jets, der über einen eigenen kleinen Wurmlochgenerator verfügte. Das Führungsschiff der Flotte blieb vor dem Hintergrund der gigantischen Sonnenkugel zurück – zurück blieb auch Xorr, dessen Käfig Korr Grutt mit einem Zeitschloß gesichert hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, daß er nicht von seinem Einsatz zurückkehren würde. In sieben Standardtagen würden sich die Energiewände auflösen und einen bis dahin völlig ausgehungerten Xorr in die Freiheit entlassen. Länger hatte Korr Grutt unter keinen Umständen vor, fernzubleiben. Das Führungsschiff bot überreichlich Nahrung für seinen Liebling – und Korr Grutt war es im Fall einer Nichtwiederkehr ziemlich gleichgültig, auf welche davon sich der Sissmo zuerst stürzen würde.
16. Der Planet wuchs der POINT OF in atemberaubendem Tempo entgegen. Und die freundlichen Worte des Willkommens, vom Translator übersetzt, schienen noch im hohen Raum der Kommandozentrale zu schweben: »Das Nareidum grüßt die Retter der MAANGSCHAR. Erweist ihm die Ehre und seid seine Gäste!« Zeitgleich mit dem Eingang dieses Spruchs hatte die Funk-Z gemeldet: »Wir werden von einer Hyperpeilung erfaßt, die offenbar Lotsenfunktion hat.« Ren Dhark hatte die Gedankensteuerung angewiesen, sich dem Leitstrahl anzuvertrauen. Längst hatte der Ringraumer von Sternensog auf Sle gewechselt. Quer durch das System waren sie auf den vierten Umläufer der G-Sonne Wanar zugejagt. Zwölf Planeten zählte die Astroabteilung insgesamt, was sich mit den Daten der Shirs deckte. Zwischen der vierten und der fünften Welt befand sich ein ausgedehnter Asteroidengürtel, ähnlich wie im heimischen Sol-System zwischen Mars und Jupiter. »Asteroiden!« hatte Dan Riker gestöhnt, obwohl sie in sicherem Abstand daran vorbeigelotst worden waren. »Von Asteroiden habe ich erst mal die Nase voll!« Und nun... Galoa! Der Heimatplanet eines als pazifistisch beschriebenen Volkes. Bislang deckte sich diese Aussage der Shirs mit dem eigenen Erleben. Dennoch gab es auch Skeptiker an Bord, die jedem Volk solange mißtrauten, bis es seine lautere Gesinnung zweifelsfrei nachgewiesen hatte. Ren Dhark gehörte nicht dazu. Er bildete sich ein, ein sicheres Gespür für Freund oder Feind entwickelt zu haben. Letztlich hatte er sich auch in den Shirs nicht getäuscht, obwohl sie es den Terranern reichlich schwergemacht hatten,
ihnen das Vertrauen entgegenzubringen, das sie verdienten. »Seht euch das an!« entfuhr es Riker vom Ko-Sitz, als die Bildkugel erste Details der Planetenoberfläche zeigte. »Die Gebirge erinnern an Mounts im Giant-System! Wer kann sich daran noch erinnern? – Aber hier scheinen die Berge noch höher in den Himmel zu wachsen...! Tino?« »Höchste Erhebung auf der uns zugewandten Seite: knapp 15.000 Meter«, reagierte Tino Grappa unverzüglich. »Doppelt so hoch wie das höchste Gebirge auf Terra«, staunte Riker. »Schwerkraft bei 0,8 g – exakt sind es 0,79868«, warf Hen Falluta ein. »Der Luftdruck in Meereshöhe entspricht dem auf der Erde in etwa siebentausend Metern Höhe, genau wie an Bord der MAANGSCHAR. Atmosphärenzusammensetzung ebenfalls identisch. Aufenthalt im Freien demnach nur im Raumanzug oder mit Kompressionsmasken möglich. In Gebirgsregionen ausschließlich im Anzug. Der Tag auf Galoa dauert etwa 19,6 Erdenstunden. Moment... wenn ein Tag hier dieser Stundenzahl entspricht, dann umläuft der Planet seine Sonne auf einer stark elliptischen Bahn in 403 hiesigen Tagen. Die Durchschnittstemperatur beträgt 12,94° Celsius. Das Klima ist gemäßigt.« »Deckt sich alles mit den Shirs-Daten.« Leon Bebir, der 2. Offizier, schien erleichtert darüber, nicht neuerlich von der auf Salteria heimischen Spezies genarrt worden zu sein. Offenkundig gehörte er sehr wohl zu den Skeptikern. Eine Stadt rückte ins Bild. Sie hatte gewisse Ähnlichkeit mit den Gebirgsschroffen, die das Gesicht des Planeten prägten: Das Straßenbild wurde von schlanken, bis zu einem Kilometer in den Himmel ragenden Türmen beherrscht. Dazwischen schlängelten sich Schienenwege, auf denen magnetbahnähnliche Fahrzeuge verkehrten. Flugzeuge befanden sich nicht in der Luft. Die Gebäude, auch die kleineren, zeichneten sich durch eine selten erlebte Farbenpracht aus. Auf dem Boden grenzten großzügig angelegte Blumenflächen die einzelnen Häuser und Konstrukte
voneinander ab. »Das sind ja wahre Blumenkinder«, meldete sich Bud Clifton unaufgefordert aus seinem Waffenleitstand, von wo aus er die selben Bilder sah wie die Zentralebesatzung. Nur war seine Bildkugel bedeutend kleiner. »Stänkern Sie nicht, Bud«, wies Ren Dhark ihn zurecht. »Sie sind wohl nur zufrieden, wenn sie den Finger am Drücker haben dürfen.« »Habe ich das je bestritten?« konterte Clifton mit entwaffnender Offenheit. »Aus was bestehen die Häuser?« fragte Riker. »Stein, Metall, Kunststoff?« »Semiorganisches Material«, fing Hen Falluta die Frage auf. »Scheint ein mineralisch-organischer Verbundstoff zu sein. Äußerst flexibel. Wahrscheinlich auch nötig bei der Bauhöhe... die Messungen ergeben geringe seismische Aktivität. Hin und wieder scheint es auf Galoa auch mal zu rumsen.« »Offenbar hat man sich darauf eingestellt«, nickte Dhark. »Was mögen das für Kuppelbauten sein, die die Stadt in regelmäßigem Abstand kreisförmig umgeben?« »Nicht eruierbar«, sagte Falluta. Und Bebir erklärte: »Energetisch tot. Was aber nichts heißen muß. Vielleicht wird die Energie nur bei Bedarf hochgefahren, und solange wir den Zweck nicht kennen...« Außerhalb des von den Kuppeln markierten Kreises lag eine Ebene, auf der Raumschiffe des bereits bekannten Typs parkten. Waagerecht auf Stützen stehende Zylinder unterschiedlicher Größe. Tino Grappa identifizierte die MAANGSCHAR. Sie gehörte mit ihren 200 Metern Länge und 60 Metern Dicke zu den größten Schiffen. Als die POINT OF auf einer freien Parzelle landete, meldete sich abermals ein Sprecher des Nareidums: »Ich entsende ein Fahrzeug, das euch zu mir bringen wird. Öffnet ein Hangartor. Ihr benötigt keine Atemhilfen für euren Besuch. Laßt mich wissen, was euch veranlaßt hat, das friedliebende Volk der Galoaner aufsuchen zu wollen.«
»Keine Atemhilfen?« protestierte Dan Riker. Auf seinem Kinn bildete sich ein hektischer Fleck. »Das können wir nicht riskieren!« »Es wäre äußerst unhöflich und dumm, gleich zu Anfang Mißtrauen zu demonstrieren«, widersprach Dhark. »Aber ich kann dich beruhigen. Du mußt nicht mitkommen. Nur Freiwillige sollen sich dem Risiko aussetzen.« »Ich werde aber mitkommen.« »Dann solltest du dich als würdiger Gast erweisen.« Riker brummte etwas Unverständliches, fügte sich aber. »Dann wirst du wahrscheinlich auch jede Art von Bewaffnung untersagen?« Dhark lächelte. »Natürlich, alter Freund.« Ren Dhark war aufgefallen, daß der Sprecher des Nareidums bei seinen Wortmeldungen offenbar nie für den ganzen »Bund der Weisen Toten« gesprochen hatte. »Ich entsende ein Fahrzeug...« – »Laßt mich wissen...« Möglicherweise handelte es sich lediglich um einen übersetzerischen Mangel. Aber Dhark, der es gewohnt war, auf Nuancen zu achten, hielt es auch durchaus für möglich, daß sie eine Überraschung erwartete. Ob eine gute oder schlechte, blieb abzuwarten. * Außer ihm und Dan Riker hatten noch Wer Dro Cimc, Arc Doorn und der Cyborg Holger Alsop das Fahrzeug betreten, das vor dem Schiff gelandet war. Der Pilot überraschte sie mit einer Schutzkleidung, die es ihm gestattete, die an Bord des Ringraumers herrschenden und auf Menschen abgestimmten Lebensbedingungen zu ertragen – die identisch mit denen an Bord des Shuttles waren. Der Galoaner grüßte hochachtungsvoll und bat sie gestenreich, Platz zu nehmen. »Unglaublich«, flüsterte Dan Riker seinem Freund zu. »Wir sind doch Gast auf dieser Welt und müßten uns ihnen
anpassen... oder sehe ich das falsch? Im Prinzip haben wir uns sogar selbst eingeladen...« Das Fahrzeug besaß die Form eines horizontal geteilten Zylinders. Die flache Seite zeigte zum Boden. Offenbar verfügte es über Antigrav, aber nach dem Abflug von der POINT OF steuerte es geradewegs auf eine Stelle am Rand des Raumhafens zu, die sich als Beginn oder Ende einer Schienenstrecke erwies, wie die Bildkugel sie beim Anflug gezeigt hatte. Der Pilot »fädelte« in die Schiene ein und folgte fortan ihrem genauen Verlauf über den Vegetationsstreifen hinweg Richtung Stadt. »Wohin werden wir gebracht?« wandte sich Dhark an den Piloten. Sein Armbandvipho war mit dem Translator an Bord des Ringraumers gekoppelt. Er hörte seine Frage auf Galoanisch jedoch sowohl aus dem Vipho als auch aus einem kleinen Gerät schallen, das der Pilot an einer Kette um den Hals trug. Offenbar handelte es sich um eine galoanische Übersetzungseinheit, die durch ihre kompakte, leichte Bauweise beeindruckte. »Zum Sitz des Nareidums«, antwortete der Pilot zunächst in unverständlichen, kehligen Lauten, dann klar verständlich aus dem Übersetzungsmodul und mit noch einer Verzögerung aus dem Armbandvipho heraus, in das Dhark den Befehl flüsterte: »Translator intern weiterlaufen lassen, für uns hier aber ausblenden. Verbindung weiter aufrechterhalten.« Er wollte, daß die POINT OF jederzeit über das Geschehen während der »Audienz« im Bilde war. Das Fahrzeug hielt auf den höchsten Turm der abendlich illuminierten Stadt zu. Die Schiene führte ungefähr in seiner Mitte in einen von einem schwachen Energievorhang gesicherten Raum. Der Pilot erklärte: »Der Vorhang hindert den erhöhten Atmosphärendruck am Entweichen.« Gleich beim Aussteigen stellte Dro Cimc fest: »Man hat auch die Schwerkraft auf dieser Ebene an unsere Bedürfnisse
angepaßt. Ich spüre keinen Unterschied zu den Gravitationsverhältnissen an Bord der POINT OF.« Eine einzelne Gestalt kam ihnen entgegen. Ein Galoaner in blendend weißer, kapuzenloser Kutte, die ganz anders als die Kleidung von Shavis und der übrigen Besatzung der MAANGSCHAR locker herabfiel und die Statur dadurch weitgehend verbarg. Dafür war der Galoaner barfüßig. Seine viergliedrigen Zehen besaßen keine Nägel, genau wie die Finger. Ren Dhark fühlte sich an einen Mönch erinnert. Auch die Atmosphäre in dem weitläufigen Empfangsbereich hatte etwas beklemmend Sakrales. Wurde die Regierung der Galoaner wie etwas Heiliges verehrt? Hatte sie einen religiösen Stempel, und wurde dadurch der Ausdruck »Bund der Weisen Toten« erklärlicher? Der Ankömmling grüßte mit einer Geste beider Hände, die er nach außen drehte. Auch er trug einen winzigen Zylinder wie ein Schmuckstück am Hals, aus dem eine warm modulierte Stimme erklärte: »Folgt mir bitte unverzüglich.« Als er sich umdrehte und ohne weitere Ansprache auf eine Tür zueilen wollte, hielt Dharks Stimme ihn noch einmal zurück: »Bist du ein Mitglied des Nareidums?«, Der Galoaner strauchelte regelrecht vor Verblüffung. Er drehte sich um und sagte etwas in heiserem Ton, das das Gerät vor seiner Brust mit: »Wie könnte ich? Ich lebe!« übersetzte. Dhark tauschte Blicke mit den anderen. Er sah überall dieselbe Ratlosigkeit. Auf dem ganzen Weg zur galoanischen Führungsspitze blieben die Lebensbedingungen auf terranische Norm zugeschnitten. Galoaner, die ihren Weg kreuzten, hielten sich respektvoll zurück, trugen aber allesamt technische Atemhilfen – ein Aufwand, den nach terranischem Verständnis eigentlich die Gäste hätten betreiben müssen. »Das wird mir langsam unheimlich«, äußerte sich auch Dan Riker entsprechend. »Wenn uns jetzt auch noch das Nareidum mit Druckreduzierern entgegentritt, dann...« Er ließ offen, was
dann sein würde. »Tote«, erwiderte Dhark leise, »atmen nicht. Deine Sorge ist grundlos.« »Ha, ha, ha.« »Ich meine es völlig ernst.« »Daß wir zu Toten geführt werden?« »Ich beginne, mir allem zu rechnen.« »Danke, du verstehst es wieder einmal, mich aufzumuntern.« Dhark lächelte, obwohl er innerlich angespannt war. Sie hatten Salteria verlassen, um einen Kontakt mit den Galoanern herbeizuführen. Mit ihrer Führungsschicht. Aber nun, da dieses Treffen nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, stand es plötzlich unter fast bizarren Vorzeichen. Warum hatten die Shirs das Nareidum unerwähnt gelassen? Möglicherweise hatte Shavis aber auch eine Art von »galoanischem Humor« bewiesen, als er vom »Bund der Weisen Toten« gesprochen hatte... Dhark hörte auf, darüber zu spekulieren, als sie durch eine breite Tür in einen riesigen, vor Farbenpracht sprühenden Saal geführt wurden. Der Raum war kreisrund, und in seiner Mitte erhob sich eine Kugel, die scheinbar frei in der Luft schwebte. Diese Kugel war aus glasartigem Material und transparent. Ihr Inneres war mit unbekannter Elektronik vollgestopft. Ihr galoanischer Führer blieb stehen und machte eine Armbewegung in Richtung der Kugel, um die herum Sitzgelegenheiten aufgestellt waren. »Nehmen Sie bitte Platz. Das Nareidum gewährt Ihnen genügend Zeit, Ihre Wünsche vorzutragen. Sie können sofort beginnen.« »Wann wird das Nareidum eintreffen?« fragte Wer Dro Cimc. Der Galoaner wirkte verständnislos. Dafür meldete sich eine Stimme aus der Kugel heraus: »Beginnt. Ich stehe zu eurer Verfügung. Habt keine Scheu.«
Ren Dhark war der erste, der sich zu einem der Plätze begab. Der erste auch, der begriffen hatte. Die Kugel war das Nareidum. Das Volk der Galoaner wurde dem Anschein nach von einem... ... Computer regiert!? »Wer ist euer Sprecher?« Alle Augen richteten sich auf Ren Dhark, der noch nie Probleme gehabt hatte, Verantwortung zu übernehmen. Er trat einen Schritt vor. »Dein Name?« »Ren Dhark.« »Du führst das Raumschiff, das nach Galoa kam?« Er bestätigte auch dies. »Mein Name ist Theris. Ich bin unser Sprecher.« Ren Dhark starrte auf die Kugel, die gut zehn Meter durchmaß. Die Technik, die darin untergebracht war, hatte zumindest in einer Hinsicht Ähnlichkeit mit der MysteriousTechnik: Sie war absolut unverständlich. Zumindest für ihn. Arc Doorn, der sich in seiner Gefolgschaft befand, mochte das anders sehen. »Euer Sprecher?« wiederholte Dhark fragend. Für einen Moment war er geneigt, an einen Irrtum zu glauben. War die Kugel nur eine übertrieben komplizierte Art, in Kommunikation mit dem wahren Nareidum zu treten, das vielleicht in einem entfernten Raum tagte? »Ich verstehe dein Problem«, sagte Theris. »Aber es ist kein Geheimnis: Du sprichst mit einem Toten – einem von vielen, die im Laufe der Zeit ins Nareidum aufgenommen wurden. Ich wurde ausgelobt, um mit euch zu sprechen.« Du sprichst mit einem Toten. »Wärst du so freundlich, uns das näher zu erklären?« fragte er. Das Nareidum verfügte offenbar über ein integriertes Übersetzungsprogramm. Seine Erwiderungen erreichten die Besucher in nahezu perfektem Angloter. »Ihr seid als Freunde eingestuft. Gern sollt ihr alles
erfahren, was nötig ist, um unsere Freundschaft auf ein gesundes Fundament zu stellen. – Wir Galoaner haben vor vielen Jahrhunderten entschieden, uns nicht länger von kurzlebigen und oftmals auch kurzsichtigen Politikern regieren zu lassen. Dazu muß man wissen, daß wir schon damals in der Lage waren, Sterbende zu retten – allerdings mit gewaltigem Aufwand.« »Was verstehst du unter ›retten‹, wenn ich fragen darf, Theris?« »Deine Frage zeigt mir, daß du schon verstanden hast. Der körperliche Tod ließ sich nicht aufhalten – hinauszögern, ja, aber mit erheblichen Einbußen der Lebensqualität. Fähige Köpfe entwickelten jedoch eine Technik, die verhindern kann, daß die Bewußtseinsinhalte, die Seelen sterbender Galoaner... nun, daß sie verlorengehen.« »Ihr könnt Seelen speichern?« entfuhr es Arc Doorn, der mit einer Ehrfurcht, wie Dhark es kaum je bei ihm erlebt hatte, zuhörte. Das Nareidum wandte sich an Ren Dhark: »Ist es üblich, daß auch ein Nicht-Sprecher Fragen stellt?« »Das ist bei uns üblich«, bestätigte Dhark. »Aber wir sind hier Gäste, und wir wollen uns nicht...« »Es ist kein Problem. Es muß nur geklärt sein. Der Ausdruck Seelenspeicher kommt der Wahrheit im übrigen sehr nahe. Aber es sind nur wenige Auserwählte, die Einlaß ins Nareidum finden. Galoaner, die über eine lange Lebensstrecke hinweg bewiesen haben, daß ihnen nichts anderes als das Gemeinwohl am Herzen liegt. Die aber auch außergewöhnliche geistige Fähigkeiten besitzen, womit ich nicht zwangsläufig eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz meine, nein, auch Weisheit, Kreativität, Phantasie... ihr versteht?« »Durchaus. Auch wir Menschen von Terra oder von Telin...« Dhark zeigte auf Dro Cimc »... bewerten Lebewesen nicht nur nach dem Grad ihrer Intelligenz oder Weisheit.« »Euer Wesen unterscheidet sich dennoch, wie uns schon euer Schiff zeigt, von dem der Galoaner. Ihr seid äußerst
wehrhaft. Selbst die Nomaden scheinen euch zu fürchten und – wenig entgegenzusetzen zu haben.« »Wir wissen uns zu wehren«, legte Ren Dhark Wert darauf, klarzustellen, »aber nur in Situationen, in denen entweder wir selbst oder schwächere andere bedroht werden.« »Das habt ihr eindrucksvoll im Fall der MAANGSCHAR bewiesen.« »Wenn ich dazu etwas anmerken darf?« »Jederzeit.« »Ist es nicht fahrlässig, ein Schiff mit einer derart wertvollen Fracht ohne entsprechende Eskorte reisen zu lassen?« »Wozu? Die Fracht an Bord war rechtmäßig erworben. Wir glaubten nicht daran, daß jemand es wagen würde, sich an ihr zu vergreifen«, hielt Theris, der Sprecher des Nareidums, dagegen. »Habt ihr überhaupt...« das Wort »Kriegsschiffe« lag ihm auf der Zunge, aber er verkniff es sich »... Schiffe mit einer Bewaffnung, die auch den Nomaden Respekt einflößen und sie von einem Angriff abhalten würde?« »Wenn du damit Schiffe meinst, die dem Kampf im Weltraum dienen... ja, wir besitzen welche. Auch wenn wir darauf nicht besonders stolz sind.« »Warum?« »Wir verabscheuen Gewalt in jeder Form. Offensivwaffen beziehen wir notgedrungen von anderen Völkern. Aber wir verlassen uns lieber auf wirksame Schutzsysteme. Aggressive Handlungen gegen andere Intelligenzen kommen für uns nicht in Frage. Kein Galoaner könnte dies mit seiner Ethik, mit seinem Gewissen vereinbaren.« »Ihr kennt keine Gewalt, keine Verbrechen? Wie viele Individuen zählt euer Volk?« »Über das gesamte Netzwerk verteilt etwa 500 Milliarden.« Eine enorme Zahl, die selbst Dhark und die anderen Zuhörer in Erstaunen versetzte. »Ihr nennt euer Reich Netzwerk?« warf Wer Dro Cimc ein. »Warum?«
»Weil es kein Reich ist. Es ist unser Lebensraum. Und weitestmöglich über HyCyber vernetzt.« »HyCyber?« »Wir besitzen eine fortschrittliche Kommunikationstechnik. Es begann mit der totalen Vernetzung Galoas, dann folgte der Rest des Wanar-Systems, und inzwischen ist jede unserer Kolonien angegliedert.« Obwohl das Thema faszinierte, kam Ren Dhark auf die Bevölkerungszahl zurück: »Bei 500 Milliarden Individuen muß es doch auch... Ausnahmen von der Regel geben. Galoaner, die nicht ganz so friedfertig sind.« »Das ist korrekt. Aber ihre Zahl ist gering.« »Wie verfahrt ihr mit ihnen?« »Sie werden geduldet, solange sie sich keines schwerwiegenden Verbrechens schuldig machen.« »Und wenn doch?« »Wir haben Gefängnisse.« Was immer Galoaner unter diesem Begriff verstehen mochten, so ganz weltfremd kamen sie den Besuchern nach diesem Eingeständnis nicht mehr vor. »Euer Interesse für die Eigenarten galoanischer Kultur ehrt uns, aber reine Neugier war gewiß nicht der Beweggrund, der euch zu uns führte.« Theris traf den Nagel auf den Kopf. Dhark nickte. »Wie euch Shavis sicher schon mitteilte, kommen wir aus eurer Nachbargalaxis, die wir Milchstraße nennen.« »Die neue Galaxis«, sagte Theris. Dhark spürte die Spannung in sich steigen. Nach dem eher an Smalltalk erinnernden Vorgeplauder, schien er plötzlich an einer Grenze angelangt zu sein, hinter der wichtige Antworten nur darauf warteten, daß die dazugehörigen Fragen gestellt wurden. »Unsere Milchstraße ächzt seit langem unter furchtbaren Strahlenstürmen, die mit einer Entartung des galaktischen Magnetfeldes zusammenzuhängen scheinen. Jedenfalls nahmen
wir das lange an. Erst vor relativ kurzer Zeit fanden wir die wahre Störquelle: Sie ist nach Meinung unserer Wissenschaftler identisch mit eurer Galaxis, die wir Drakhon nennen.« Das Nareidum schwieg. »Wir unterstellen keinem Volk in Drakhon, daß es für das Unheil verantwortlich ist, das uns heimsucht. Es ist die Sternenballung selbst, die wie aus dem Nichts in unser Gefüge eingebrochen zu sein scheint. Drakhon dürfte es nach unseren Erkenntnissen gar nicht geben. Diese Galaxis ist von unserer Milchstraße aus nicht einmal sichtbar – sie kann deshalb noch nicht lange genug an uns angrenzen, um dem Licht die nötige Zeit zu geben, bis in unsere Region vorzudringen. Könnt – und wollt – ihr uns verraten, welches Geheimnis Drakhon birgt? Selbst die Uhren der Physik laufen hier anders als dort, woher wir kommen. Unser Transitionsantrieb ist nur noch im absoluten Nahbereich einsatzfähig...« Er stockte kurz, dann fuhr er fort: »Es ist letztlich auch in eurem ureigenen Interesse, euer Wissen mit unserem zu ergänzen, denn wenn unser Milchstraßensystem von Titanenkräften zerrieben wird, bleibt das eure mit Sicherheit auch nicht unbehelligt. In den Randzonen beider Galaxien kommt es bereits zu ersten Tragödien, die euch nicht entgangen sein können.« »Wir ahnten schon, warum ihr gekommen seid«, sagte Theris. »Aber wir müssen euch enttäuschen: All die Fragen, die euch quälen, quälen auch uns. Seit genau 227 unserer Jahre.« »Was geschah vor 227 Jahren?« »Von einem Tag auf den anderen waren in ganz Drakhon plötzlich neue Sternbilder zu sehen. Und ab diesem Moment eigneten sich unsere stolzen Transitionsraumschiffe nur noch zu Schleichfahrten. Wie uns erging es auch allen anderen Völkern. Sie alle vertrauten auf diese Antriebstechnik, die dann urplötzlich und galaxisweit völlig ineffektiv wurde. Vom Prinzip her funktionierten Transitionen nach wie vor – nur ihre Reichweite war aus bis heute unbekannten Gründen plötzlich
auf Lichttage, manchmal nur Lichtstunden begrenzt. Die Völker waren wie gelähmt. Über das galoanische Netzwerk erreichte uns die Information, daß es auf sämtlichen besiedelten Welten der von uns erschlossenen Gebiete überall gleich aussah. An interstellare Raumfahrt war nicht mehr zu denken. Transitionsschiffe hätten Jahre gebraucht, um ein anderes Sternensystem zu erreichen.« Der Vertreter des Nareidums schwieg kurz. Dann fügte er hinzu: »Während der Hy-Funk und damit die Vernetzung weiterhin uneingeschränkt funktionierte, wurde auch in der Folge jegliche Materie ausgebremst, die den Hyperraum als Transportmedium nutzen wollte. Es war nicht mehr möglich, eine interstellare Entfernung in akzeptabler Zeit zurückzulegen.« »Damals entwickelte euer Volk den Wurmlochantrieb«, sagte Arc Doorn. »Es war eine wissenschaftliche Hochleistung, an der auch andere Völker beteiligt waren«, antwortete Theris. »Wir Galoaner allein hätten es nicht geschafft – nicht so schnell jedenfalls.« »Wer brachte seinen Erfindungsgeist noch mit ein?« fragte Dhark. »Die Sofiden, die Markomanen... oder gar die Rahim?« Es konnte Zufall sein, daß gerade in diesem Moment besonders viele Lichter im Innern der Kugel aufglommen – und sofort wieder verloschen. »Was wißt ihr über die einstigen Herren von Drakhon?« fragte Theris. Es klang unaufgeregt wie alles, was er bislang geäußert hatte, obwohl sein Sprachsystem durchaus zu Betonungen in der Lage war. »Wir wissen nichts«, gab Ren Dhark offen zu. »Aber wenn sie diese Galaxis beherrschten, kann es sein, daß sie wissen, was mit Drakhon geschah. Und wie es geschehen konnte, daß eine Galaxis der anderen Wolf wird.« Der anderen Wolf. Er begriff, daß er keine Metaphern verwenden durfte, an denen jedes Übersetzungsprogramm scheitern mußte. Aber statt einer Nachfrage zur genauen Bedeutung seiner Worte,
sagte Theris: »Niemand weiß, ob die Rahim überhaupt noch existieren. Sie zogen sich vor 600 Jahren von der galaktischen Bühne zurück. Seither wurde kein Mächtiger je wieder gesehen.« »Ein Volk, das eine Galaxis beherrschte, kann nicht einfach verschwinden!« Noch während er sprach, wurde Ren Dhark bewußt, daß genau das gleiche auch in der Milchstraße geschehen war. Vor tausend Jahren. War es möglich, daß... ... daß die Mysterious damals aus der Milchstraße nach Drakhon emigrierten... ... und bald darauf auch von hier wieder verschwanden? In die nächste Galaxis? In ein anderes Universum? Oder schlicht und tragisch in den Untergang...? »Wie lange herrschten die Rahim in Drakhon?« »Das weiß niemand.« »Eure Geschichte reicht nicht soweit zurück?« »Nicht mehr.« »Was soll das heißen?« »Alle Aufzeichnungen, die Wissen über die Rahim enthielten, gingen verloren. Was heute noch an Wissen existiert, wurde von Mund zu Mund, von Generation zu Generation weitergetragen. Und dementsprechend nebulös ist es in weiten Teilen.« »Wie kann Wissen verlorengehen? Bei einem so hochentwickelten Volk?« fragte Dro Cimc zweifelnd. »Eure Bibliotheken oder wie auch immer ihr die Orte nennt, an denen ihr Wissen hortet, sie können nicht alle niedergebrannt sein.« »Die Daten über die Rahim wurden gezielt entfernt«, sagte Theris. »Wir fanden nie heraus, wie dies in solch umfassender Weise geschehen konnte. Niemand, kein Volk heute wäre dazu fähig. Der Verdacht liegt nahe, daß die Rahim selbst die Spuren verwischten, die zu ihnen führen oder auch nur mehr über sie verraten könnten, als sie gestatten wollten. – Wir sind,
was das angeht, auch kein Einzelfall. Aus allen Archiven aller Völker wurde Rahim-spezifisches Wissen gelöscht.« »Und niemand hat je versucht, sie aufzusuchen und zur Rede zu stellen – auf friedliche Weise?« »Doch, das wurde versucht. Das Gebiet, von dem aus sie einst ihre Kontrolle über ganz Drakhon ausdehnten, befindet sich in einem entlegenen Seitenarm unserer Spiralgalaxis – auf der eurer Milchstraße abgewandten Seite. Schiffe, die dorthin entsandt wurden, kehrten jedoch entweder gar nicht zurück, oder sie brachten keine greifbaren Resultate. Nach ihrem Exodus fand nie mehr eine Begegnung zwischen Rahim und anderen Drakhon-Völkern statt. Entweder es gibt die Rahim nicht mehr, oder sie haben sich so gut verborgen, daß niemand sie je wieder finden und behelligen kann.« Und Ren Dhark rätselte: Können so viele Parallelen wie zwischen Rahim und Mysterious wirklich noch Zufall sein...? * Ömer Giray gelang es nicht, mit Leroy Mathis in Kontakt zu treten; der Black Muslim meldete sich nicht, trotz wiederholter Versuche, ihn über Vipho zu erreichen. Schließlich ging Ömer zum Mittagsgebet in die Moschee, in der schwachen Hoffnung, Mathis dort zu treffen. Die Hoffnung trog. Als der Imam das Gebet beendet hatte und die Gläubigen begannen, dem Ausgang zuzustreben, erhob sich Ömer unschlüssig. Ein unauffälliger Rundblick verriet ihm, daß von Mathis noch immer nichts zu sehen war. Zögernd ließ er sich von der Menge mittreiben. Der Ausgang kam näher. Er hatte ihn fast erreicht, als vor ihm eine gewisse Unruhe entstand. Dann geschah etwas Merkwürdiges: Ömer konnte sich täuschen, aber ihm schien es, als errichteten ein paar Gläubige, die seitlich herandrifteten, eine unauffällige Abschirmung zwischen ihm und den anderen Moscheebesuchern. Im gleichen Moment ahnte Ömer Giray
Unheil. Instinktiv wollte er sich abwenden und seitlich aus der Menge ausscheren – als eine Stimme neben ihm zischte: »Ruhig bleiben, giaur...!« Eine Hand wie eine Stahlklammer schloß sich um seinen Oberarm, hielt ihn zurück und drängte ihn quer durch die gläubigen Besucher. Ömer blickte zur Seite – und genau in das grinsende Gesicht eines riesigen Schwarzen. Noch drei seiner Gewichtsklasse bewegten sich im lockeren Halbkreis um Ömer, schirmten ihn völlig gegen alle anderen Besucher ab und vereitelten so jeden Versuch seitens der GSO-Agenten, sich zu befreien und zu flüchten. Sie trugen graugrüne Tarnanzüge unter ihren weit fallenden Djalabas – und in den Achselhalftern kurzschnauzige Mini-Uzis, nicht viel größer als schwere Revolver. »He, he, Bruder«, protestierte Ömer und versuchte nur halbherzig, sich aus dem Griff zu befreien. Schließlich hatte er gegen ihre Übermacht keine Chance, auch wollte er sich nicht den Arm brechen lassen. »Was soll das?« »Klappe halten!« Die Stimme war so kühl wie das Innere einer Kälteschlafkammer. »Vorwärts, dort hinein!« Der Mann deutete auf einen schmalen Durchgang im Hintergrund unter den Säulen. »Der Mullah will dich sehen.« Die Moschee der Brotherhood of Black Muslims befand sich in einem langgestreckten Gebäude, einer ehemaligen, mehrstöckigen Fabrik- oder Lagerhalle, die inmitten von heruntergekommen Mietskasernen und anderen Lagerhäusern stand. Sie nahm nur etwa ein Fünftel des Komplexes ein; was in den anderen Räumen und Stockwerken lag, konnte Ömer nur vermuten. Vermutlich Trainingsräume, Waffenlager und Werkstätten für Sprengsätze oder ähnliches. Jedenfalls durchquerten sie einige lange Korridore und leere Räume, ehe sie am Ziel waren. Als Giray flankiert von den Wächtern den Raum betrat, der dem Mullah von Harlem als Büro diente, sah er sich nicht nur Shankar gegenüber, sondern auch jenem Schwarzen, der vor kurzem noch im Park des Museums die Eichhörnchen gefüttert
hatte. Und jetzt fiel ihm auch ein, woher ihm dieser bekannt vorkam: Er war auch der fotografierende Tourist im Sam Dhark Jettport! Ömer war versucht, zu lachen; vermutlich hatte man ihn lückenlos observiert, seit er New York betreten hatte... Shankars Stimme zerschnitt die Stille. »Ah, Ömer Giray, Ritter ohne Furcht und Tadel, Angehöriger der größten Unrechtsorganisation auf Terra, der GSO!« sagte der Mann und lachte kalt. »Wie haben Sie es vor kurzem in Istanbul geschafft, Achmed Gezmec zu besiegen? – Sie sehen, wir wissen über Sie und über andere Agenten ziemlich gut Bescheid.« Ömer war sehr davon beeindruckt, daß der Robone so vortrefflich informiert war. Jetzt sagte er: »Früher oder später siegt die Gerechtigkeit immer über Unrecht, Terror und Gewalt.« Shankar applaudierte leicht. »Fein gesagt, Herr GSO-Agent. Aber die Gerechtigkeit ist immer die Gerechtigkeit des anderen«, zitierte er, wenn auch falsch. »Seit wann wissen Sie es?« fragte Ömer mit gelassener Stimme. »Was spielt das noch für eine Rolle?« versetzte Shankar. »Wir wissen es, das muß genügen.« Doch dann besann er sich anders. »Nun, wenn es Ihrem Seelenfrieden dient: Als wir von Mathis hörten, was ihm zugestoßen war in jener Nacht, kamen uns Zweifel über die Selbstlosigkeit jenes angeblichen ›edlen Ritters‹, der verdächtig viel Energie aufwand, Zugang zur Bruderschaft zu bekommen. Wir entschlossen uns, diesen selbstlosen Freund nicht mehr aus den Augen zu lassen. Mehr war nicht zu tun.« »Was haben Sie mit mir vor?« »Auch das spielt eigentlich keine Rolle...« – für mich schon, du kaltschnäuziger Hund, dachte Ömer – »... aber wir werden uns etwas für Sie überlegen. Seien Sie dessen versichert.« Er machte eine Handbewegung. »Schafft ihn weg!«
* Ein Summton durchbrach die Stille; der Mann erhob sich aus seiner hockenden Stellung, in der er seit Stunden reglos verharrte. Er wurde gerufen. Die nächsten Minuten würden über Weiterleben oder Tod entscheiden. Das Mitglied der Brotherhood of Black Muslim, das sich Leroy Mathis nannte, hatte auf dem rechten Oberarm eine Tätowierung, die sich rot von der schwarzen Haut abhob. Es war eines der »vierzehn Kleinode«, ein chinesisches Zeichen, das Zeichen »Schu«. Es bedeutete langes Leben. Leroy Mathis war sich nicht sicher, ob es ihm helfen würde. Er verließ das kahle Zimmer, dessen Boden lediglich mit einer Matte ausgelegt war. Draußen erwartete ihn ein Moslembruder, in einen Kampfcoverall gekleidet. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was ihn bewegte. Schweigend folgte Mathis ihm den langen, schwach erleuchteten Gang entlang; sie befanden sich im hinteren Teil der alten Fabrikanlage, die die Bruderschaft für ihre Zwecke hergerichtet hatte. Schallschluckendes Material verkleidete die Wände des Ganges. Ihre Stiefelsohlen verursachten rhythmische Geräusche auf dem blanken Boden. Mathis hatte noch immer Schwierigkeiten mit dem Gehen. Seine »Bestrafung« durch andere Moslembrüder hatte ihn schwer getroffen – nicht nur körperlich. Schließlich hielten sie vor dem Büro des Mullahs. Mathis' Begleiter klopfte ein Zeichen gegen die Türfüllung. Ein Summen ertönte, und die Flügel der Tür schoben sich seitwärts in die Wand. Mathis trat über die Schwelle, der Wächter blieb draußen. Sofort schloß sich die Tür wieder. Mit einem merkwürdig dumpfen Geräusch trafen die beiden Hälften aufeinander.
Unter der Lackschicht verbarg sich solider Panzerstahl. Der Mullah sah ihm entgegen. In der Mitte des Raumes lag auf einem kleinen Tischchen Mathis' persönliche Waffe. Deren Anblick ließ ihn hoffen. Sie konnte nur bedeuten, daß man Nachsicht zu üben bereit war. Sicher war er auserkoren, seine Loyalität, seine Ergebenheit der Bruderschaft gegenüber erneut unter Beweis zu stellen. Mathis trat näher. »Stehenbleiben!« ertönte die scharfe Stimme des Robonen in der Maske eines Mullahs. Mathis verharrte. »Ursprünglich hatte ich vor, dich unverzüglich töten zu lassen...« Leroy Mathis krümmte sich unwillkürlich zusammen. »... denn du warst es, der nicht erkannte, daß dieser Ungläubige ein Spitzel der Weltregierung war. – Schweig!« sagte die kalte Stimme des Mullahs, als Mathis zu einer Erwiderung ansetzte. »Ich will dir noch eine einzige Chance geben. Nutze sie gut!« »Was soll ich tun?« »Töte diesen GSO-Agenten, wenn du nicht selbst sterben willst. Du bekommst hiermit den Auftrag, diesen Giray bis zu unserer Rückkehr von Wallis Manor zu beseitigen. Er darf nicht überleben. Du verstehst?« Mathis gab zu erkennen, daß er verstanden habe. Er nahm die Waffe an sich und ging schnell hinaus. * Ömer Giray bekam einen Stoß in den Rücken und flog in den Raum. Erst die gegenüberliegende Wand stoppte seine Bewegung. Dort verharrte er auf Händen und Knien und atmete tief durch. Die Tür schlug hinter ihm zu. Sofort hüllte ihn Dunkelheit ein. Die Schritte der Moslembrüder entfernten sich. Die Dunkelheit wich nicht. Der Raum – oder Zelle? – war ohne Fenster.
Ömer tastete sich an der Wand entlang, bis er in eine Ecke kam. Dort hockte er sich nieder und harrte der Dinge. Die Schwärze um ihn herum irritierte ihn. Er schaltete sein künstliches Auge auf IR um – aus der Dunkelheit wurde ein düsteres Rot, in dem er kaum mehr erkennen konnte als zuvor. Lediglich die Umrisse der Tür hoben sich hervor: Wärme, die von draußen durch die Ritzen drang. Ömer hatte keine Ahnung, wie lange er in der Zelle zubrachte. Von draußen drangen kaum noch Geräusche herein. Hatte er zu Beginn seiner Haft noch jenen Lärm vernommen, der entsteht, wenn ein Aufbruch bevorsteht, so war dieser jetzt verstummt. Da man ihm sein Chrono abgenommen hatte, konnte er die verstrichene Zeit nur schätzen. Es mußte später Nachmittag sein. Schließlich hörte er wieder Schritte; Schritte einer einzelnen Person. Sie hallten seltsam hohl, als liefe derjenige, der sie erzeugte, durch ein leeres Gebäude. Vor seiner Tür hielten sie an. Er hörte, wie die elektronische Verriegelung zurückschnappte, und sah, wie die Tür zur Seite glitt. Helles Licht flammte auf und blendete ihn. Er schaltete von IR-Sicht wieder auf Normal um. Leroy Mathis stand vor ihm. In der Hand einen wuchtigen Strahler, dessen Mündung unverrückt auf ihn gerichtet war. Ömer sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Was soll das, Bruder?« »Wonach sieht's denn aus?« fragte der Moslem und betrachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. Ömer erkannte einige Schwellungen in seinem Gesicht. Außerdem hatte Mathis gehumpelt, als er hereinkam. »Als wolltest...«, er verbesserte sich, »... als solltest du mich umbringen, Bruder.« »Nenne mich nicht ›Bruder‹. – Und wenn es so wäre?« Ömer beschloß, ihn sanft anzugehen. »Hör zu«, sagte er, »ich kann mir denken, daß sie dir die Schuld geben. Ich hab' mich auch zu blöd benommen. Aber mich deshalb gleich
umzubringen... na, ich weiß nicht!« »Das ist nicht schwer...« Er unterbrach sich, als ihm klar wurde, was Ömer damit bezweckte. »Ich habe meine Befehle«, zischte er, und seine Wangenknochen traten hervor. »Entweder du oder ich. Der Mullah will die Sache erledigt sehen, sobald sie von Wallis Manor zurückkommen.« Er hob die Waffe etwas. »Schon gut«, sagte der GSO-Agent schnell. Also lief die Aktion bereits! Ömers Gedanken überstürzten sich. Er mußte an ein Vipho kommen, um Eylers zu warnen. Irgendwie muß ich ihn dazu bringen, näher heranzukommen – oder soll ich auf ihn zugehen? »Manchmal ist es besser, sich nicht an Befehle zu halten.« Leroy Mathis sah ihn lange kühl an. »Du bringst mich zum Weinen, Mann«, grunzte er schließlich. »Tu mir bloß keinen Gefallen.« »Hatte ich auch nicht vor«, sagte Ömer und machte einen Schritt auf ihn zu. »Aber was hältst du davon, wenn wir beide gemeinsam fliehen? Ich könnte dir eine neue Identität verschaffen. Oder du ziehst dich in die Kolonien zurück?« Wieder ein Schritt. »Vergiß es, Mann. Die würden mich überall finden...« Ömer setzte wieder einen Fuß vor. »He, bleib mir bloß vom Leib!« Mathis beging den Fehler, seinerseits einen Schritt vorzugehen, um Ömer die Mündung des Blasters auf die Brust zu setzen. So standen sie sich gegenüber. Auge in Auge. Der GSO-Mann blinzelte seinem Gegenüber freundlich zu – und wie vom Blitz getroffen stürzte der Moslem zu Boden. Der in Ömers Cyborg-Auge eingebaute Minischocker war eines der Wunderwerke terranischer Mikrofertigung. Die Energie für diese äußerlich von einem normalen Auge nicht zu unterscheidenden Waffe wurde auf biologischem Weg aus Girays Körper gewonnen. Sie reichte aus, um einen Gegner für
kurze Zeit zu betäuben. »Du hattest es in der Hand«, murmelte der GSO-Agent ohne Bedauern. Er nahm dem Moslem die Waffe aus den schlaffen Fingern und war in der nächsten Sekunde schon draußen auf dem Flur. Er mußte schnell handeln. Die Wirkung des Schockers hielt nicht lange an. Erst huschte er auf der Suche nach einem Vipho so geräuschlos wie möglich durch die Korridore und über Gänge, dann, als ihm aufging, daß Leroy Mathis und er vermutlich die einzigen waren, die in der Zentrale der Bruderschaft zurückgeblieben waren, rannte er ohne Rücksicht auf den Lärm, den er dabei verursachte. Im Vorübergehen warf er einen Blick in jedes unverschlossene Zimmer. Die meisten waren entweder Räume, die für Schulungen bestimmt waren, oder einfach Waffenmagazine und Schlafsäle für die Kämpfer der Moslembruderschaft. Und nirgends ein Viphoanschluß, der funktionierte. Vermutlich wurde die Kommunikation mit der Außenwelt über eine Zentrale gesteuert. Nur, wo lag die? Ich muß mich im Parterre umsehen, dachte Ömer. Er eilte die Treppe hinunter. Sie mündete in einen kurzen Korridor, von dem links und rechts weitere Gänge in die Seitenflügel abzweigten. Falls nötig, würde er auch die noch inspizieren, aber später. In der Mitte versperrte ihm eine weitere Flügeltür den Weg. Er legte die flachen Hände gegen die Füllung. Die Tür schwang lautlos auf. Ömer runzelte die Stirn; er war nicht vorbereitet auf das, was er zu sehen bekam. Vor ihm lag eine andere Welt. Bequeme Sitzgruppen, von Kübelpflanzen in verschiedene Bereiche unterteilt. Die linke Wand bestand aus verglasten Arbeitsbereichen, in denen das fahle Leuchten von Bildschirmen gegen das späte Nachmittagslicht ankämpfte, das von draußen durch das Eingangsportal zur Rechten in die Lobby fiel. Offenbar die Verwaltung der Moslembruderschaft.
Ob er hier ein funktionsfähiges Vipho finden würde? Plötzlich hörte er Lärm, der schnell näher kam. Jemand schien über die Korridore zu rasen. Türen knallten, eine Stimme stieß wüste Drohungen aus. Leroy Mathis war aus seiner schwachen Betäubung erwacht und suchte nach ihm. Blind vor Wut – und blind vor Angst. Denn wenn er Ömer nicht in die Finger bekam, um ihn zu liquidieren, konnte er sich gleich selbst erschießen. Die Drohung des Mullahs hing wie ein Damoklesschwert über ihm. Ömer, der keine Lust verspürte, sich von dem wie rasend gebärenden Moslembruder in einen Kampf verwickeln zu lassen, versteckte sich geschickt, als Mathis auf seiner vergeblichen Suche nach ihm in die Lobby stürmte. Dort verhielt er und starrte wild um sich. Dann fiel sein Blick auf die Eingangstür. Er grunzte und setzte sich in Bewegung. Was ihn dazu trieb, anzunehmen, sein Gefangener wäre durch die Tür ins Freie geflüchtet, würde für immer ein Geheimnis bleiben. Ihm hätten die Sicherheitsvorkehrungen der Zentrale eigentlich bekannt sein müssen. Jedenfalls stürmte er auf die Tür zu, riß sie auf – und verbrannte in dem Energiefeld, das den Eingang sicherte, wie eine Motte in der Flamme. Es blieb ihm nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen. Stinkende Rauchschwaden durchzogen den Raum. Ömer schluckte trocken, dann gewann wieder kühle Sachlichkeit die Oberhand. Letztendlich war Mathis auch nur ein Terrorist, der mit der gleichen Gelassenheit, mit der er sein Frühstücksei köpfte, jemand anderen erschoß oder auf eine andere, nicht weniger inhumane Weise vom Leben zum Tode beförderte. Aber wenn die Tür durch energetische Felder gesichert war, was war mit den Fenstern? Ömer schaltete sein Kunstauge auf den unsichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums um. »Bei der Urmutter der Intelligenz«, murmelte er verkniffen, »da ist kein Durchkommen.« Und er war sich sicher, daß sich
das System nur durch einen Funkbefehl von außen deaktivieren lassen würde. Sandeep Shankar und seine Black Muslims hatten an alles gedacht, ihre Burg gegen unbefugtes Eindringen abzuschirmen. Ömer ging zu dem verglasten Bereich auf der linken Seite. Der Zugang war nicht extra gesichert. Er warf einen Blick über die Konsolen, über die Reihen von Monitoren. Seine Mundwinkel zuckten, als er nur Bekanntes sah. Die übliche Kommunikationsperipherie eben. Ganz hinten allerdings befand sich eine separate Konsole, die Ömer den Schweiß auf die Stirn trieb. Soweit er es beurteilen konnte, wurde über sie der Energiefeldgenerator gesteuert. Aber das war es nicht, was ihn zum Schwitzen brachte – gekoppelt an den Generator war eine Selbstzerstörungsanlage, die sich automatisch aktivierte, sobald versucht wurde, den Generator ohne den richtigen Sicherheitskode von Hand abzuschalten. Ömer hütete sich, Hand an diese sensible Anlage zu legen. Er wandte sich der Kommunikationskonsole zu. Er ließ sich in dem Gliedersessel davor nieder, orientierte sich und aktivierte die Viphoanlage. Sofort leuchtete der Bildschirm auf. »Na also«, murmelte er höchst zufrieden, »wenn das kein gutes Ende ist!« Ein weiterer Tastendruck, und er war online. Ömer wählte die Nummer der GSO New York. Als sich die diensthabende Agentin meldete, sagte er: »Hier Agent Ömer Giray, Kodenummer...« Er rasselte die Zahl herunter. »Ich brauche etwas Hilfe, und zwar presto!« »Hilfe in welcher Größenordnung, Agent Giray?« »Ein halbes Hundert Infanteristen in voller Kampfausrüstung, die die hiesige Zentrale der Moslembruderschaft in Harlem auseinandernehmen« »Wenn's weiter nichts ist. Sonst noch was?« »Ja, zwei oder drei Spezialisten, die sich mit Selbstzerstörungsanlagen auskennen – und eine Verbindung mit Alamo Gordo...«
* Hen Falluta hatte schon längst aufgehört, sich über Befehle, die auf dem Mist des Commanders wuchsen, zu wundern. Über die Funkstrecke, welche die »Ausflügler« mit der POINT OF verband, erreichte ihn Ren Dharks Anweisung, unverzüglich in einen Orbit über Galoa zu starten. Der Grund hing mit einer Aussage des Nareidums zusammen, wonach vor umgerechnet rund 250 Erdenjahren »überall in Drakhon plötzlich fremde Sternbilder aufgetaucht« sein sollten. Leon Bebir, der gleichzeitig mit Falluta in Kenntnis gesetzt worden war, beauftragte die astronomische Abteilung unter Jens Lionel damit, herauszufinden, ob sich unter diesen fremden Sternbildern solche befanden, die man auf Terra kannte. Weniger später meldete sich ein völlig aufgelöster Jens Lionel über die Phase in der Kommandozentrale: »Das verstehe, wer will!« stöhnte er. »Fassen Sie sich, Lionel! Was haben Sie uns mitzuteilen?« versuchte Falluta auf ihn einzuwirken. »Reden Sie, der Commander hört mit!« »Die Behauptung der Galoaner ist korrekt«, sagte der Astronom mit trotzig vorgeschobener Unterlippe. »So wie Drakhon für uns fremd ist, muß vieles auch für sie fremd gewesen sein von dem, was ihren Himmel heute ausfüllt. Von unserem Orbit aus ist unsere heimatliche Milchstraße einwandfrei auszumachen. Auch sämtliche Galaxien-Cluster, die uns Menschen seit Beginn der Himmelsbeobachtung vertraut sind. Aber... und nun komme ich zu dem, was nicht zu verstehen ist, egal von welcher Seite man es betrachtet...« »Aber?«, drängte Falluta, der die Ungeduld des »Mithörers« Dhark förmlich im Nacken spürte. »... aber darüber hinaus zeigen unsere Instrumente auch jede Menge ferne Galaxien, die noch nie zuvor von Menschen gesichtet worden sind!« »Irrtum völlig ausgeschlossen?«, fragte Dhark über Funk.
Lionel bekam die Frage mit: »Ich schließe gar nichts mehr aus«, schnappte er hilflos. »Fakt ist: Diese für uns fremden Sternballungen in den Tiefen des Alls sind da. Und sie sind nicht etwa schwierig zu entdecken. Man hätte sie längst von der Milchstraße aus sichten müssen.« »Kann es sein, daß sie lediglich von uns bekannten Objekten verdeckt wurden?« fragte Dhark erneut nach. »Immerhin befinden wir uns bei Koordinaten, von denen aus noch nie eine Kartographierung vorgenommen wurde.« »Das ist alles in unseren Messungen berücksichtigt, Commander«, antwortete Lionel in einem Ton, als sei er gerade in seiner beruflichen Ehre gekränkt worden. »Wir haben natürlich entsprechende Simulationen durch den Checkmaster laufen lassen. Das Ergebnis ist über jeden Zweifel erhaben: Die Galaxien sind neu. Zumindest für uns. Ich schlage einen Informationsabgleich mit den Galoanern vor.« »Was verstehen Sie darunter?« »Sie stellen uns ihre Astro-Unterlagen zur Verfügung, ihre Himmelskarten also, und wir ihnen die unsrigen. Parallel zum Checkmaster können die Rechner der Galoaner ebenfalls nachprüfen, wo die Abweichungen sind. Prinzipiell läßt sich jetzt schon vermuten: Was die Galoaner als fremde Sterne klassifizieren, sind die uns bekannten – und die für uns fremden, dürften den Galoanern vertraut sein.« »Wissen Sie, was Sie damit behaupten?« »Ich kann nichts behaupten, weil mir der Vorgang als solcher selbst unmöglich scheint.« »Sie behaupten es aber – indirekt. Warum sprechen Sie es nicht aus?« »Tun Sie es, Sir.« »Wenn man ihrer These und der Konsequenz aus dieser neuen Entdeckung folgt, dann...« »Ja, Sir?« »... dann dürfte es kaum noch einen Zweifel geben, daß Drakhon von irgendwoher in unsere unmittelbare Nachbarschaft versetzt wurde. Entweder aus unbekannten
Regionen des Alls – oder aus einem ganz anderen Universum!« Jens Lionel schwieg kurz, dann sagte er: »Mir fiele noch eine dritte Möglichkeit ein.« »Und welche?« »Drakhon könnte aus dem uns bekannten Universum stammen, vielleicht sogar aus – kosmisch betrachtet – nächster Nähe, nur...« »Nur?« »... aus einer völlig anderen Zeit. Wobei ich dahingestellt lasse, ob tiefe Vergangenheit oder ferne Zukunft.«
17. Korr Grutt wußte alles über das System, an dessen Grenze das Wurmloch ihn ausspie; alles jedenfalls, was man als Nomade darüber wissen mußte. Zwölf Planeten umkreisten die kleine gelbe Sonne Wanar. Zwischen den Planetenbahnen vier und fünf existierte ein ausgeprägtes Asteroidenfeld, das allerdings nicht annähernd die Ausmaße besaß, wie sie im Krant-System zu finden waren. Unmittelbar nach dem Rücksturz aus dem Wurmloch fing das Ortungssystem des Raumjets Impulse auf, die auf ein anderes Raumschiff in nächster Nähe hinwiesen. Nächste Nähe hieß in diesem Fall wenige Lichtminuten. Korr Grutt hatte die mehrfach gestaffelten Tarnschirme seines Fahrzeugs bereits aktiviert, bevor er zum Heimatsystem der Galoaner gestartet war. Deshalb schloß er eine Entdeckung durch das Galoanerschiff aus. Selbst die Emissionen des Unterlichtantriebs wurden von Spezialfiltern absorbiert. Und ein winziges Boot wie das seine via Normaloptik aus dem Hintergrund der Unendlichkeit herauszulösen, war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Das Galoanerschiff entpuppte sich wie erwartet als Frachter, der offenbar auch gerade aus einem Wurmloch ausgetreten war. Was dieser Raumer transportierte, wußte Korr Grutt nicht. Es interessierte ihn auch nicht. Für ihn war er nur wichtig, um die nächste Etappe seines Auftrags erfolgreich zu absolvieren. Er begab sich in den Ortungsschatten des Galoanerschiffes und begleitete es unerkannt auf dem restlichen Weg quer durch das System. Selbst die ausgeklügelten Tastersysteme auf Galoa waren nicht in der Lage, den winzigen Raumjet aufzuspüren, als dieser »hinter« dem Zylinder auf der Nachtseite des Planeten niederging.
Unproblematischer als erwartet gelangte Korr Grutt so in die Nähe der galoanischen Hauptstadt, wo er abseits der dicht besiedelten Gebiete in einer einsamen Gebirgsregion landete. * Das nächtliche Firmament mit seinem Sternengefunkel gehörte zu Vhanas Lieblingsmotiven. Den Himmel zu kopieren, seine Sonnen auf ein schwarzes Tuch aus Liamalhaut zu sticken, war eine Beschäftigung, bei der sie nach einem hektischen Tag vollkommen entspannen konnte. Dann waren auch die Kinder zu Bett gegangen, und ihr Mann Lharon hatte vor dem Cy-Schirm Platz genommen, um sich über das aktuelle Weltgeschehen hier auf Galoa und den anderen Welten des Netzwerks zu informieren. In solchen Stunden senkte sich paradiesische Harmonie über das Haus. Lharon hatte ein Vermögen mit Muun-Kristallen gemacht und sich früh zur Ruhe gesetzt. Seither lebten sie zurückgezogen, aber luxuriös. Ihre Kinder wurden von CyLehrern unterrichtet und einer Cy-Sitterin erzogen; jedenfalls in all den Belangen, für die sich die Eltern selbst keine Zeit nehmen wollten. Den Grundstock und die Feinheiten. Bei allem, was dazwischen lag, mischten sich auch Vhana und Lharon ein. Vhana lächelte. Sie waren ein gutes Gespann. Und konnten es sich erlauben, viele Male im Jahr mitsamt ihren Kindern zu anderen, exotischen Welten des Netzwerks zu reisen. Das hielt ihre Beziehung dauerhaft jung, und auch die Heranwachsenden profitierten davon. Vhana hielt in ihrer Stickerei inne, als aus dem Haus ein Geräusch zu ihr drang. Sie saß auf der windgeschützten Terrasse, die eine grandiose Aussicht auf die Metropole bot, von der aus die Geschicke des Netzwerks gelenkt wurden. Ein moderner Raumhafen grenzte an die Hauptstadt. Von dort starteten und landeten auch nachts immer wieder Schiffe fast
lautlos. Gerade vorhin erst war ein Frachter von einem fernen Ziel zurückgekommen und in eine Landebucht eingewiesen worden. Vhana erinnerte sich, daß dies in ihrer eigenen Kindheit noch mit einem fürchterlichen Lärm verbunden gewesen war. Inzwischen gab es Gesetze, die die Nachtruhe garantierten, und Triebwerke, die kaum noch hörbar innerhalb von Planetenatmosphären arbeiteten. Sie wollte gerade ihre Stickerei fortsetzen, weil sie dachte, sich getäuscht zu haben, als sich das Geräusch wiederholte. Nicht eigentlich ein Geräusch, sondern ein Schrei. Lharon! Vhana war empört. Wenn ihr Mann schon eine Cy-Sendung konsumierte, dann mußte er wenigstens soviel Rücksicht nehmen, die Dämmfelder zu aktivieren. Wenn die Kinder durch seine Gedankenlosigkeit wach wurden, würde er sie beruhigen müssen! Sie legte ihr halbfertiges Werk beiseite. Im Aufstehen erklang der nächste Schrei. Und diesmal... diesmal hatte Vhana ein Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Das hatte nach Shira, ihrer Jüngsten geklungen! Geklungen, als wäre ihr mitten im Versuch eines Schreis die Kehle zerquetscht worden! Zerquetscht... Vhana schauderte vor ihrer eigenen Phantasie. Wie konnte sie nur auch nur an eine solche Tat denken? Es gab keine Verbrechen auf Galoa – nun, zumindest so gut wie keine. Natürlich gab es hin und wieder auch in ihrem Volk Irregeleitete, aber sie wurden meist schon bei der Geburt anhand ausgeklügelter Tests ermittelt und aufwendigen Therapien unterzogen. Pro Jahr gab es über das ganze Netzwerk verteilt höchstens zwei, drei wirklich tragische, schwerwiegende Zwischenfälle. Nein, wahrscheinlich steckte Lharon dahinter! Er besaß einen mitunter ziemlich skurrilen Sinn für Humor...
Vhana betrat das stufenförmig an die Bergflanke gebaute, weiträumig angelegte Haus durch die offene Terrassentür. Sofort glich sich die Beleuchtung ihren Erfordernissen an. Der Platz im Cy-Würfel war leer. War Lharon zu Bett gegangen, ohne Bescheid zu sagen? Das kam selten vor, aber es kam vor. Vhana seufzte leise und lenkte ihre Schritte zum gemeinsamen Schlafzimmer. Dabei kam sie an Shiras Zimmer vorbei. Die Tür war nur angelehnt, nicht geschlossen. Shira bestand darauf. Sie war in einem Alter, in dem sie geschlossene Räume als bedrohlich empfand. Vhana zögerte. Dann schob sie die Tür auf und sah zu dem ergonomischen Gespinst hinüber, in das sich Shira allabendlich kuschelte. Das Gespinst war ebenso verlassen wie Lharons Lieblingsplatz vor dem Cy! So sehr sie es sich auch wünschte, daß die schlagartig in ihr aufkeimenden Ängste grundlos waren, so machtvoll fühlte sie sich doch davon überrollt. Unter dem Schlafgespinst war ein sonderbarer schattenhafter Abdruck zu erkennen. Auf dem Boden. Er erinnerte in seiner Kontur an Shira, wie sie in einer Haltung dalag, die sie schon als Ungeborenes in Vhanas Leib geliebt hatte. Wer hatte das hingemalt? Und wie, womit? Vor allem aber: warum? Die Gedanken stoben nur noch durch Vhanas Hirn, waren kaum mehr festzuhalten. Plötzlich bemerkte sie, daß jemand hinter ihr stand. Sie wirbelte herum, während die Erleichterung tief in ihre Glieder sackte. »Shira!« Galoaner schliefen üblicherweise nackt, und dementsprechend präsentierte sich auch ihre siebenjährige Tochter. Erst beim näheren Hinsehen fiel Vhana der
veränderte, ja fürchterlich entseelte Gesichtsausdruck auf. Bevor sie Shira darauf ansprechen konnte, glitt etwas aus dem Gang heraus an ihrer Tochter vorbei ins Zimmer, das Vhana zunächst an eine Gaukelei ihrer Sinne glauben ließ. Keine Gestalt im eigentlichen Sinn, sondern eine Art Schatten, der dem Licht trotzte – ein Schatten, der dreidimensional war und dessen Oberfläche aussah, als schaute man durch ein Fenster, hinter dem nichts als rasend schnell dahinziehende, regenschwere Wolken zu erkennen waren. Ein Mahlstrom aus Grau. »Wer...?« setzte Vhana an, stockte dann und schrie: »Lharon...!« Ihr Mann antwortete nicht. Ihre Tochter stand wie versteinert da. Sekundenlang. Dann sank sie langsam auf die Knie, als hätte das Stehen sie viel zu viel Kraft gekostet, legte sich lang hin und begann, auf Vhana zuzukriechen. Sich zu ihr zu schlängeln. Vhana fühlte sich selbst wie versteinert. Fieberhaft überlegte sie, was es mit dem Schatten und dem beunruhigenden Verhalten ihrer Tochter auf sich haben konnte. In diesem Augenblick spürte sie ein kurzes Brennen im Bein. Sie schaute an sich herunter und sah... und sah...? Schwindel übermannte sie., Alle Kraft schien blitzartig aus ihr herausgezogen zu werden. Einer ihrer letzten Gedanken war: So muß sich jemand fühlen, dem seine Mentalenergie entzogen wird. Ganz genau so! Das Mentalsaugen war eine galoanische Gabe, die mehr Fluch als Segen über ihr Volk gebracht hatte und nur in absoluten Notfällen gegen eine andere Spezies eingesetzt wurde. Vhanas Blick hing immer noch an dem seltsamen, schlangenartigen (aber es hatte Beinchen – unzählig viele Beinchen!) Tier, das sich in ihrem Fleisch verbissen hatte. Sie wollte sich bücken und danach schlagen, aber selbst
dazu fehlte ihr schon die Kraft und Konzentration. Ihr Augenband registrierte Bewegung dort, wo der Schemen, der dreidimensionale Schatten ausgeharrt hatte: Er war kein Schatten mehr, sondern... Vhana brüllte innerlich auf, weil sie nun die absolute Gewißheit hatte, sterben zu müssen. ... ein Nomade! Dieses Bild nahm sie mit in das leidvolle Sterben, zu dem Korr Grutt sie durch seinen Sissmo verurteilt hatte. * Der Cy-Würfel war auf die anatomischen Besonderheiten eines Galoaners zugeschnitten. Dennoch fand Korr Grutt ihn nicht unbequem. Die Planetenschwerkraft auf Galoa war wesentlich geringer als an Bord der Nomadenschiffe. Das ließ ihn sich noch geschmeidiger bewegen als sonst. Einzig die unverzichtbare Atemmaske störte ein wenig die Befindlichkeit. Die für ihn zu dünne Luft wurde technisch aufbereitet und komprimiert. Den Tornister mit seinen Lieblingen hatte Korr Grutt vor dem Betreten des Würfels abgelegt. Die bereits zum Einsatz gekommenen Sissmos waren über das Haus verteilt und harrten in den Räumen aus, in denen sie ihre Opfer gefunden hatten. Sofort nach dem Biß hatten sie die Galoaner mit ihren Säften vollgepumpt. Während die Körper sich langsam zersetzt und von den Sissmos absorbiert worden waren, hatte der Rückfluß an Information eingesetzt. Beim ersten Mal auf Xorr war Korr Grutt noch restlos verblüfft gewesen, als er Zeuge wurde, wie ein Sissmo – sein Sissmo – eine Beute erst erledigt und dann kopiert hatte. Inzwischen war der Akt fast zur Routine geworden. Xorr. Kurz schweiften seine Gedanken zu dem Daheimgelassenen. Korr Grutt hatte sich angewöhnt, auf seine Einsätze nur die anonymen Sissmos mitzunehmen, um die er –
falls etwas schiefging – nicht weiter trauern mußte. Xorr war das einzige der Chamäleons, das ihm etwas bedeutete. Die anderen... nun, er hatte sie gezüchtet, das sagte schon alles. Der Cy-Würfel war leicht beherrschbar. Korr Grutt hatte schon vor Jahren in einem Intensivlehrgang alles nahegebracht bekommen, was mit der galoanischen Kultur zusammenhing. In regelmäßigen Abständen wurde dieses Wissen aktualisiert. Schon wenig später durchkämmte der Nomade sämtliche Holo-Kanäle der perfekt vernetzten Nachrichten- und Unterhaltungswelt, in die er sich eingeloggt hatte. Es dauerte nicht lange, bis er fand, was er suchte. Auf einem der Netzknotenpunkte des Cyberspace wurde ausführlich über die Landung eines Muun-Frachters auf dem größten Raumhafen von Galoa berichtet – und von den Fremden in ihrem Ringschiff, die den Frachter samt Besatzung vor den allseits gefürchteten und verachteten Nomaden gerettet hatten... * Korr Grutt hielt sich fast einen Tag lang in der Wohnung seiner Opfer auf. In dieser Zeit verschaffte er sich alle Informationen, die er brauchte, um das Wagnis, das er sich als Aufgabe gestellt hatte, in Angriff nehmen zu können. Mit Einbruch der Dunkelheit verließ er das Haus und bestieg den Flugschweber der Familie, die von den Sissmos ausgelöscht worden war. Inzwischen befanden sich wieder sämtliche Chamäleons im Einsatztornister des Agenten. Sie hatten ihre eigene Größe und Form wiedererlangt, ebenso wie ihre normalen Verhaltensmuster. Das absorbierte Körpergewebe ihrer Opfer existierte nur noch als hochkonzentrierte Substanz, von der sie eine Zeitlang zehren konnten. Allmählich würde diese Nährlösung wieder von dem Gift der Sissmos ersetzt werden. Bis sie zum Bersten mit der toxischen Flüssigkeit gefüllt waren, die sie ihrem nächsten Opfer beim Biß injizieren konnten. Womit der eigentümliche Akt der Ernährung von vorn
beginnen würde. Korr Grutt hatte sich unbemerkt in die planetare Satellitenüberwachung eingehackt und kannte inzwischen die exakte Position seines Zielobjekts. Das Ringschiff, auf das es Pakk Raff abgesehen hatte. Auf das Schiff, nicht die Besatzung, dachte der Agent der Nomaden launig. Mein Spielraum ist unbegrenzt, solange nur das Resultat stimmt. Der Schweber brachte ihn unauffällig bis in die innere Zone des Vegetationsstreifens zwischen Raumhafen und Hauptstadt. Alles verlief so komplikationslos, daß Korr Grutt kurz mit dem Gedanken spielte, bei dieser Gelegenheit auch gleich noch etwas mehr zu erledigen als das von ihm Geforderte. Wer wußte schon, wann sich je wieder eine solche Gelegenheit ergeben würde, tief ins Herz des galoanischen Netzwerks einzudringen? Wenn es ihm gelänge, die kuppelförmig rund um die Stadt verteilten Feldprojektoren zu manipulieren, hätte schon der Kamikazeeinsatz eines einzigen Jets genügt, die Galoaner ihrer Führungsspitze zu berauben... So verführerisch dieser Gedanke auch schien, Korr Grutt hatte alle die bisherigen Himmelfahrtskommandos nur überlebt, weil er im Einsatz absolute Disziplin walten ließ. Nein, entschied er. Das Ringschiff würde bereits seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit erfordern. Außerdem stellten die Galoaner keine Gefährdung für sein Volk dar, im Gegenteil: Wer wollte voraussagen, was aus dieser Spezies werden würde, die bislang über kein erwähnenswertes Aggressionspotential verfügte, sobald sie erst einer Demütigung ausgesetzt wurde, die beinahe dem gleichkam, was die Nomaden vor langer Zeit zu ihrem ruhelosen Dasein als Wanderer zwischen den Sternen verdammt hatte? Damals, als ihre Heimatwelt in Stücke zerfetzt worden war wie ein Wild von den Fängen eines gnadenlosen Raubtiers Es gab eine geheime Sehnsucht, einen übermächtigen, aber nie geäußerten tiefen Wunsch in Korr Grutts sonst so sehnsuchtsarmer Seele: Eines Tages wollte er wenigstens
einmal einem Rahim gegenüberstehen, um ihn stellvertretend für seine ganze Art dafür büßen zu lassen, was den Nomaden angetan worden war. Und für diesen Rahim, das hatte sich Korr Grutt unzählige Male geschworen, ohne zu ahnen, daß er damit Pakk Raffs Wunschträumen näher war, als es ihm gefallen hätte, würde er sich Martern ausdenken, die nicht vergleichbar mit dem schon äußerst qualvollen Sterben an einem Sissmobiß waren! Nicht einmal annähernd! Korr Grutt entstieg dem gestohlenen Gleiter und aktivierte sofort das lichtbrechende Tarnfeld, das ihm in der Abenddämmerung beinahe Unsichtbarkeit verlieh. Moderne Ortungssysteme konnten damit nur bedingt getäuscht werden, aber dort, wo der Nomade ihn einsetzte, erfüllte der Tarnmantel seinen Zweck. Bevor er sich von dem gestohlenen Fahrzeug entfernte, überprüfte er noch einmal seinen Tornister und den Gürtel, der gespickt war mit allen erdenklichen technischen Finessen. Nur das Beste vom Besten für Pakk Raffs honorigsten Agenten, dachte er selbstironisch. Dann rannte er geduckt auf den Energiezaun zu, der den Raumhafen Tag und Nacht sicherte. Ein Schatten unter Schatten. Und für jeden, der hier draußen seinen Weg kreuzte, der sichere Tod. * Der Jett bewegte sich ruhig, beinahe elegant, wie eine schwebende schwarze Möwe in einer Höhe von zwölf Kilometern durch die Nacht. Für menschliche Augen unsichtbar, auch Radar und selbst Hypertaster konnten ihn nicht entdecken; der Ortungsschutz aus dem Arsenal der Robonen verhinderte dies. Die geringe Helligkeit der sternklaren Nacht, die durch die Cockpitscheiben fiel, und der schwache Schein der
Instrumentenbeleuchtung erhellten das Innere der Kanzel nur fahl und indirekt. Aber Lao brauchte kein Licht. Der Jett steuerte sich automatisch, ohne daß er einzugreifen hatte. Der Bordsuprasensor hatte den Aufstieg berechnet, in Gang gesetzt und durchgeführt. Jetzt folgte die Maschine exakt dem vorprogrammierten Kurs. Eigentlich, so kam es Lao in den Sinn, war er nur an Bord, um in eventuellen Notfällen einzugreifen und die Bombe über dem Ziel auszulösen. Und selbst diesen Vorgang hätte man automatisieren können... der Gedanke verschwand so schnell aus Laos Kopf, wie ein Tropfen Wasser auf einem heißen Stein. Der Jett flog nicht schnell. Nicht schneller, als die Nacht brauchte, um den Erdball von Ost nach West zu überstreichen. Warum das so war, wußte Lao nicht. Es war ihm auch gleichgültig. So gleichgültig wie der Umstand, daß der Jett gerade die Andamanen-Inselgruppe überflog und sich auf Madras zubewegte. Der Jett mit seiner todbringenden Fracht wich nicht um Haaresbreite weder nach der einen noch nach der anderen Seite vom Kurs ab. Auch das interessierte Lao nicht. Manchmal hob er den Kopf und sah durch die Cockpitscheibe hinauf in die ewige Dunkelheit. Über dem Jett wölbte sich, ungestört vom diffusen Licht niedriger Atmosphärenschichten, das blauviolette Schwarz des Weltraums, übersät von Millionen Sternen. In einem anderen Leben hatte Lao Wu-Li oft von den Sternen geträumt. Davon, daß er mit einem Raumschiff die Weiten des Alls durchstreifen und paradiesische Planeten entdecken würde. Doch davon wußte er jetzt nichts mehr. Sein ganzes Sinnen und Trachten war darauf ausgerichtet, mit diesem Jett einen ganz bestimmten Punkt der Erde zu erreichen, der Pittsburgh hieß. Daß der Jett von sämtlichen Bodenstationen und
Überwachungssatelliten fieberhaft gesucht wurde – auch davon wußte Lao nichts. * Die Terra Defence Force kannte die ungefähre Flugrichtung des Jetts aus Malaysia. Sie wußte, daß er über den Atlantik kommen mußte, wenn er den Schutz der Nacht ausnutzen wollte. Also konzentrierte sich die TDF zu neunundneunzig Prozent auf die amerikanische Atlantikküste und machte dort die Nacht mit allen verfügbaren Kräften und Mitteln zum Tag. * Ungefähr über der Mitte des Atlantiks änderte der Suprasensor den Kurs des Jetts; Servomechaniken bewegten die Ruder, zwangen das Fluggerät in eine Abstiegsparabel, die exakt über Pittsburgh in einer Höhe von zwei Kilometern enden würde. Und dann wurde der Vogel mit seiner tödlichen Fracht doch noch gesichtet. Vor der Küste von Norfolk, Virginia, bekam eine Rotte TF-Jäger endlich Sichtkontakt, obwohl ihre Ortungsschirme nichts anzeigten. Aber der schwarze Umriß der Maschine zeigte sich deutlich in dem von altmodischen Flakscheinwerfern, die man sogar teilweise aus den Museen geholt hatte, und anderen Strahlern erzeugten Lichtermeer ab. Wie eine Meute Jagdfalken setzten sie sich in einer Klauenformation hinter den Jett und ließen ihn nicht mehr aus den Augen. Der Rottenführer versuchte alles, um die Maschine zur Landung zu bewegen. Er erhielt keine Antwort. Schließlich eröffnete man das Feuer – nur um zu erkennen, daß die Automatik des unbekannten Jetts imstande war, jeder Bordrakete auszuweichen. Und endlich erwachte Lao Wu-Li...
* Es war wie ein schlechter Traum. Ein Alptraum, der aus der Tiefe seines Verstandes in das verschwommene Dämmerlicht seines nur halbwachen und bereits sterbenden Geistes aufstieg. Staunend und erschrocken begann er zögernd zu registrieren, was um ihn herum im Gang war. Sein Gehirn konzentrierte sich auf die Navigationskonsole. Überall rote Lampen, blaßgrüne Linien auf aktiven Monitoren, und eine laute Stimme, die den Jett – ihn? – immer und immer wieder zur Landung aufforderte. »Ist ja gut«, murmelte er, »ich versuche es ja.« Ein Hustenanfall erschütterte ihn. Blut durchnäßte seinen Coverall. Blut, das ihm aus beiden Mundwinkeln quoll. Er wischte es mit der Hand ab und fuhr sich durchs Haar. Ganze Büschel davon blieben an seiner Hand kleben. Er stöhnte auf. Eine seltsame Müdigkeit erfaßte ihn. Es kam ihm vor, als begänne alles noch einmal von vorne: Der Besuch in der Klinik dieses Dr. Nguyen Phuong, seine Euphorie, als er feststellte, wie wohl er sich danach fühlte, die MEDUSA und der Diebstahl des Atomsprengkopfes... Atomsprengkopf? Lao wandte den Kopf. Da, unmittelbar hinter seinem Pilotensitz, inmitten der Kabine, ruhte der an den Enden abgerundete Zylinder in seiner Halterung... Aus dem Funk kamen wieder Stimmen. Um sie zum Schweigen zu bringen, begann er damit, den Autopiloten abzuschalten. Der Suprasensor verweigerte den Befehl. Laos Geist wurde immer klarer. Der Streß und das fortschreitende Sterben seines r-verseuchten Organismus verdrängten die Wirkung der Droge in seinem Blut. Mehr und mehr erkannte er, was man mit ihm gemacht hatte, daß er nur eine Marionette in den Händen anderer darstellte und zur ewigen Verdammnis verurteilt war, indem er millionenfachen Tod über eine Stadt in einem Land brachte, das er niemals in
seinem Leben als seinen Feind betrachtet hatte. Lao ertrank fast in dem Wahnsinn, den diese Gedanken in ihm heraufbeschworen – und dennoch arbeitete sein Verstand auf einer anderen Ebene weiter. Diese doppelte Funktionsfähigkeit seines Geistes war auf eine gewisse Weise tröstlich. Versöhnte ihn ein bißchen mit dem Schicksal. Er wußte, was er zu tun hatte. Die Automatik zu umgehen, das konnte er noch zuwege bringen. Er bearbeitete mit blutigen Fingern, an denen sich die Nägel bereits abzulösen begannen, die Konsole und schaffte es, den Autopiloten so zu manipulieren, daß er seinen vorprogrammierten Kurs aufgab – nur um sich sofort ein Alternativziel zu suchen: die nächste größere Stadt. Norfolk in Virginia! Gleichzeitig damit aktivierte sich der Zeitzünder der Atombombe, der eingebaut war, um bei einer Manipulation die Bombe dort hochzujagen, wo sie sich zum Ablauf des Zeitindex gerade befand. Eine Digitalanzeige sprang auf einen bestimmten Wert und begann dann lautlos im Sekundentakt rückwärts zu laufen. Lao stöhnte leise auf und rollte mit den Augen. Sein Verstand begann zu streiken. Ihm fiel auf, daß er anfing, seine Umgebung doppelt zu sehen. Plötzlich erfaßte ihn wieder diese entsetzliche Müdigkeit. Die Stimmen aus dem Funk hörten nicht auf zu reden. Gaben Anweisungen, Ratschläge, Befehle. Am liebsten hätte er alles ausgeschaltet, sie dadurch zum Schweigen gebracht. Er wollte nichts mehr hören. Zusammengesunken hockte er in seinem Pilotensitz und fühlte den Tod nahen. Die atomare Verseuchung fraß ihn innerlich auf, zerstörte wie eine Lohe das, was einmal ein Mensch gewesen war. Er spürte weder Verzweiflung noch Angst über seinen Tod, nur eine allumfassende Trauer. Doch weit entfernt in seinem Innern rief eine Stimme wie aus einem tiefen Brunnen, daß er noch etwas zu erledigen habe. Erst danach gab es Frieden. Er schrak in seinem Sitz zusammen, stand auf und arbeitete sich mühsam nach hinten. Blut drang ihm aus den Ohren, aus
den Augenwinkeln. Er spürte es nicht. Der Jett bewegte sich summend durch die Nacht; auf einem Monitor zeigte sich bereits das Lichtermeer Norfolks. Mechanisch begann Lao damit, die Verkleidung des kalt glänzenden Zylinders an der dafür vorgesehenen Stelle zu öffnen. Er war plötzlich sehr müde und schaffte es kaum, die Augen offen zu halten. Trotzdem sah er die beiden kritischen Massen, die, durch eine vergleichsweise kleine Explosion zusammengebracht, imstande waren, eine ganze Riesenstadt auszuradieren. Er griff mit beiden Händen hinein und entfernte die kleinere der beiden Plutoniummassen. Augenblicklich verschmorten unter der schrecklichen Strahlung seine Hände bis auf die Knochen. Während er noch mit einem irren Grinsen darauf starrte, sprang die Digitalanzeige des Zeitzünders auf Null. Über dem Flachwasser der Chesapeake Bay erschien ein blendender Feuerball, in dem der Jett mit Lao Wu-Li an Bord in kleine Fragmente zerrissen wurde. Ein Feuerregen fiel aus dem Himmel und erlosch im Wasser des Atlantiks. Explodiert war nur der konventionelle Sprengzünder der Atombombe. Die Trümmer des Jetts stürzten in das Flachwasser vor der Küste. Augenblicklich stiegen die r-Werte in mehreren hundert Metern Umkreis sprunghaft an. Denn das Plutonium der Bombe war zwar nicht zur Kettenreaktion gebracht worden, aber es handelte sich noch immer um einen der giftigsten Stoffe, den die Menschheit kannte. Die TF-Jäger kreisten über der Absturzstelle, bis die ersten Entseuchungstrupps eintrafen. Der Rest war Routine. Laos Opfer hatte eine atomare Katastrophe unfaßbaren Ausmaßes verhindert. * Wallis schüttelte den Kopf und sagte, nicht wirklich
ärgerlich: »Nun halte mal die Luft an, Robbie. Ich habe doch nur gemeint, daß du dich mehr auf die Fertigstellung des Prototypen des Ikosaederschiffes konzentrieren solltest, als deine Zeit und Energie – (und mein Geld!, aber das sagte er nicht laut) – darauf zu verwenden, deine Roboter zu vervollkommnen. Meinetwegen kannst du ja ruhig an ihnen weiterbasteln...« Eylers' Augenbrauen zuckten. Hatte er sich verhört, oder sagte Wallis tatsächlich »weiterbasteln«? »... aber Vorrang vor allem anderen hat Projekt Iko-1.« Saam und Wallis musterten sich schweigend. Im Moment schien es, als könne der eine den anderen nicht leiden. Schließlich holte Robert Saam tief Luft, um zu antworten. Eylers hörte nicht hin, tat, als ginge ihn das Ganze nichts an, was ja auch mehr oder weniger der Wahrheit entsprach, und sah zum Fenster. Die Dunkelheit war schnell hereingebrochen. Finstere Wolken hatten der Dämmerung ein jähes Ende bereitet. Wind kam auf, und seit etwa fünf Minuten schneite es. Er wollte sich wieder den Geschehnissen im Inneren des Arbeitszimmers zuwenden, als sein Spezialvipho sich meldete. »Mister Eylers!« Der GSO-Chef runzelte die Stirn. Er drehte sich ein wenig zur Seite und öffnete die Phase. »Eylers hier.« »Cowder, Nachrichtenzentrale...« »Ich kenne Sie, Cowder. Kommen Sie zur Sache!« unterbrach ihn Eylers ungeduldig. Gleichzeitig überkam ihn ein ungutes Gefühl. »Ich habe einen Ömer Giray auf der Phase. Er...« Eylers unterbrach ihn schon wieder. »Stellen Sie durch, Mann! Aber dalli!« Undeutlich vernahm er eine schnell geführte Unterhaltung am anderen Ende der Funkverbindung, dann blickte ihn Ömer Giray vom winzigen Karree der Bildfläche an. »Chef! Shankar ist mit der gesamten Bruderschaft auf den Weg nach Wallis Manor«, drang seine Stimme aus dem
winzigen Audiofeld. »Man will Wallis ermorden. Höchste Gefahr, ich habe bereits alle erforderlichen Stellen alarmiert. Eine Einheit der TF macht sich von Philadelphia aus auf dem Weg. Ich fürchte nur, sie wird Wallis Manor und die Moslembrüder nicht mehr rechtzeitig erreichen. Die islamischen Terroristen müßten jeden Moment eintreffen und...« »Danke, Ömer«, unterbrach ihn der GSO-Chef. »Wir versuchen, hier unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, bis Hilfe eintrifft. Ende.« Eylers hatte abgeschaltet. Wallis und Saam hatten ihren Disput beendet, und Jon Vassago war aufgesprungen. Alle starrten sie auf Eylers. »Probleme?« fragte der Industrielle und ließ sich von Eylers informieren. Dann erkundigte sich der GSO-Chef sachlich, ohne seine Nervosität zu zeigen: »Wie sichern Sie das Grundstück?« Er wußte, daß das Gelände um Wallis Manor mit den zahlreichen Bungalows, dem alten Farmhaus, den Tennis- und Golfplätzen, dem Reitstall und den vier Swimmingpools jeden verantwortungsbewußten Sicherheitschef vor nahezu unlösbare Aufgaben stellte. John Vassago antwortete an Wallis' Stelle. »Wir haben vierzig Mann zur Verfügung, davon sind ständig dreißig an den Grenzumzäunungen der drei Sperrkreise. Aber die eigentliche Überwachung erfolgt elektronisch. Sie ist lückenlos.« »Es gibt keine lückenlose elektronische Überwachung«, wehrte Eylers mechanisch ab. »Glauben Sie mir, ich weiß das. Läßt sich feststellen, was an den Sperrzäunen vorgeht?« »Sekunde!« Vassago hatte bereits nach dem ersten Satz eine Reihe Tasten an einer Konsole gedrückt. Die dazu korrespondierenden Monitore wurden hell. Und offenbarten das Desaster. Die am äußeren Perimeter angebrachten Überwachungskameras gaben ein total verzerrtes Bild wieder; etwas störte die visuelle Übertragung sehr nachhaltig. Dafür aber tönten aus der Audiophase abgehackte Wort- und
Tonfetzen. »... rufe die Zentrale! Sind angegriffen worden... ging alles rasend schnell... ich... Hört mich jemand?... Bestätigen...! Hört mich jemand...?« Eine explosionsartige Tonstörung ließ die Männer zusammenzucken. Dann kam gar nichts mehr aus der offenen Phase. Betroffen starrten sie sich sekundenlang an. »Sie sind bereits hier, mein Gott!« Wallis schluckte hart; ein Stückchen von seiner üblichen Gelassenheit brach von ihm ab. Vassago schaltete durch, von einem Sperrkreis zum anderen. Auch von da kam keine Reaktion. »Sie sind tatsächlich schon hier«, bestätigte er, und sein Gesicht bekam einen wilden Ausdruck. »Lichter aus!« schrie Eylers und zog seinen Blaster. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Von draußen hörte man das Brausen, mit dem mehrere Schweber auf den Vorplatz niedergingen. Robert Saam hatte sich eines Viphos bemächtigt und gab hastig einige Befehle; an wen, war nicht festzustellen. Dann ertönte das Hämmern schwerer Waffen. Von einem Augenblick zum anderen war um das Anwesen der Teufel los. An neuralgischen Punkten angebrachte Scheinwerfer tauchten den Vorplatz in kalkiges Licht; am Rande der Lichtbahnen rannten die verbliebenen Wächter ins Freie und erwiderten das Feuer. Sie wurden von den rasch heranstürmenden Moslembrüdern zurückgedrängt und im Kugelhagel und den Strahlbahnen der Blaster dezimiert. Heisere Stimmen brüllten Befehle. Die Scheinwerfer zerplatzten unter gezielten Schüssen. Es wurde wieder dunkel, was den Angriffen aber keinen Abbruch tat; offenbar trugen die Terroristen Nachtsichtgeräte. Krachend detonierten Einschläge von panzerbrechenden Projektilen in den Wänden. Das Portal erzitterte, hielt aber noch stand. »Um Himmels willen, was...?« Die Worte blieben Jon
Vassago im Halse stecken, als draußen in der Dunkelheit etwa hundert Meter entfernt ein Raketenwerfer abgefeuert wurde, und das Projektil mit grellem Schweif und lautem Zischen genau auf das Fenster zujagte, hinter dem sie sich verschanzt hatten. »Deckung!« brüllte Eylers und hechtete hinter einer schwere Couch, die an der linken Wand standen. Die Fenster waren stark genug, um Beschuß durch Maschinenwaffen auszuhalten, wie Eylers wußte, aber nicht stark genug, einer Rakete zu widerstehen. Die Rakete durchschlug das Fenster, das nach innen flog und den Raum dahinter mit Hunderttausenden kleiner und größerer Splitter übersäte, ehe sie detonierte. »Neiiin!« schrie Jon Vassago aus Leibeskräften, als er sah, daß sein Freund Terence Wallis fast deckungslos inmitten des Raumes stand. Mit einem verzweifelten Hechtsprung warf er sich auf ihn, riß ihn zu Boden und begrub ihn unter sich, seinen massigen Körper als lebenden Schutzschild verwendend. Eylers schloß krampfhaft die Augen vor dem Explosionsblitz, der dennoch Spuren auf seiner Netzhaut hinterließ. Die Couch kippte vor der Wucht der detonierenden Rakete um, wurde gegen die Wand gedrückt – und schützte so den GSO-Chef davor, ernsthaft Schaden zu nehmen. Ein scharfer Geruch nach Trylobit breitete sich aus. Rauch verdunkelte den Raum. Die Entlüftung sprang jaulend an und beförderte die Gase nach draußen. Eylers rappelte sich auf die Knie. Seine Augen suchten das Durcheinander zu durchdringen – als draußen im Schneetreiben eine grundlegende Änderung vorging. Das urweltliche Brüllen von unter Vollast arbeitenden Aggregaten erschütterte die Dunkelheit. Und im gleichen Augenblick wußte Eylers, worum es handelte: Der hinter dem Anwesen parkende Truppentransporter, mit dem Saams Robotereinheit angekommen war, erhob sich in die Luft über Wallis Manor. Gleichzeitig wurde es schlagartig taghell. Die extrem starken Landescheinwerfer glitten suchend über den Boden, rissen wie in Momentaufnahmen die Moslemterroristen
ins Blickfeld, die, ihrer Anonymität beraubt, nach Deckung Ausschau hielten. Aus den automatischen Geschütztürmen links und rechts des Cockpits zuckten blaßblaue Strahlen, fanden ihre Ziele, während die Geschoßgarben der Angreifer wirkungslos an den gepanzerten Flanken abprallten. »Wer ist da an Bord?« schrie Eylers durch den Lärm. »Wer steuert das Ding?« »Wer schon?« gab Saam ebenso lautstark zurück. »Einer meiner Roboter natürlich. Sie taugen nicht nur zum Schneeräumen oder Kochen; sie sind genauso gute Kampfkolosse. Fast unverwundbar! Ich brauchte nur das entsprechende Programm aus der Datenbank im Transporter abzurufen und zu überspielen...« »Erzählen Sie mir das später«, unterbrach ihn Eylers und hastete geduckt hinüber zu Wallis und Vassago. Der Industriemagnat hatte sich unter seinem Freund und Leibwächter hervorgearbeitet, hockte am Boden und hielt dessen Kopf in den Armen. Fassungslos starrte er Eylers entgegen. »Tun Sie etwas... um Himmels willen, helfen Sie ihm!« Eylers sah überall nur Blut – und mit dem eiskalten Schock plötzlicher Erkenntnis wurde er gewahr, daß er nichts mehr tun konnte. Daß niemand mehr etwas tun konnte. Der Anblick der gezackten Splitter, die sich in Jon Vassagos Rücken gebohrt und Lungen und Rückgrat perforiert hatten, ließen erkennen, daß keine Hoffnung mehr bestand. Er atmete noch, aber das Blut, das ihm aus dem Mund quoll, warf Blasen und war hellrot. Die Schatten einer tieferen Nacht als die, die draußen herrschte, zeichneten sich bereits auf seinem Gesicht ab. Eylers schüttelte langsam den Kopf. »Ihm ist nicht mehr zu helfen«, sagte er mit rauher Stimme. »Tut mir leid, Wallis.« Draußen verwandelte sich der Angriff der Brotherhood of Black Muslims in ein heilloses Chaos. Gegen die mit maschinenhafter Präzision vorrückenden humanoiden Roboter hatten die Terroristen nicht den Hauch einer Chance. Robert
Saam hatte nur Augen für seinen Chef und dessen sterbenden Schulfreund. Bernd Eylers konnte sich nicht dazu durchringen, Saam Anweisung zu geben, den Robotern Zurückhaltung aufzuerlegen. Wer an das Buch des Schicksals glaubt, muß auch hinnehmen, was das Buch für ihn bereithält. Und drinnen in dem verwüsteten Wohnzimmer starb Jon Vassago in Wallis' Armen, ohne noch einmal das Bewußtsein erlangt zu haben. * Korr Grutt überwand die Umzäunung des Raumhafens ohne Mühe. Einen zufällig des Wegs kommenden galoanischen Techniker, der auf einen Energiemeiler zuhielt, sprang Korr Grutt von hinten an und zwang dessen Kopf ruckartig zu einer vollen Umdrehung. Es gab keine Wirbelsäule, die so etwas tolerierte. Lautlos hauchte der Galoaner sein Leben aus und sank zu Boden, während der Nomade bereits weiterhastete. Hie und da brannten Lichter. Korr Grutt suchte die Schatten dazwischen. Sein Deflektorschirm verwandelte ihn in ein verzerrtes Schemen. Aber das nahm er selbst nicht wahr, und die es bemerkten, würde er daran zu hindern wissen, Alarm zu schlagen. Korr Grutt strotzte vor Selbstbewußtsein. Der Tornister mit den Sissmos schlug bei jeder Bewegung gegen seine Hüfte. Nicht mehr lange, und er würde sie freisetzen. Die Hungrigen zuerst. Er würde nur die am Leben lassen, die er brauchte, um das Schiff zu entführen... Das Schiff. Majestätisch stand es auf seiner Parzelle. Selbst Korr Grutt, mitnichten ein Schöngeist, fühlte sich von Formgebung und Ausstrahlung des riesigen Ringkörpers eingenommen. Was die Bilder aus dem Cy-Netz nicht hatten vermitteln können, schaffte das natürliche Auge. Allmählich begann Korr Grutt zu verstehen, daß Pakk Raff dieses Schiff zum Objekt seiner
vorrangigen Begierde erklärt hatte. Eine Rampe an dem Schiffskörper war heruntergeklappt. Sie wurde von zwei kegelförmigen, auf Prallfeldpolstern schwebenden Robotern bewacht. Korr Grutt entdeckte sie frühzeitig und analysierte mit Hilfe eines stiftartigen Wunderwerks sofidischer Technik aus sicherer Entfernung zunächst die Wahrnehmungssysteme der Roboter – dann manipulierte er sie nach Belieben, so daß er schon kurze Zeit später völlig unbehelligt über die Rampe ins Schiffsinnere vorstoßen konnte. Erfreut stellte er fest, daß im Inneren des Schiffes ein Luftdruck herrschte, der fast so hoch war wie der an Bord der heimatlichen Flotte. Ein schwaches Energiefeld verhinderte das Entweichen der komprimierten Luft durch die geöffnete Schleuse. Der Sensor seines Armband-Multifunktionsgerätes zeigte dem Nomaden, daß die Atmosphäre atembar war. Er nahm die Kompressionsmaske von der langen Schnauze und befestigte sie an seinem Gürtel * Mehr Schatten als Licht empfing den Agenten der Nomaden auch im Innern des fremden Schiffes. Der Übergang von der Nacht außerhalb der Ringzelle verlief deshalb kaum merklich. Der Deflektorschirm bot selbst hier noch einen gewissen optischen Schutz – zumindest konnte er bei einer plötzlichen Begegnung das Zünglein an der Waage ausmachen und das Überraschungsmoment für Korr Grutt ausschlagen lassen... Das Schiff wirkte für einen Nomaden beinahe steril in seiner Sauberkeit. Die Schwerkraft jedoch lag um einiges höher als auf Galoa – was Korr Grutts austrainiertem Körper, der an eine Normschwerkraft von umgerechnet 1,3 g gewöhnt war, jedoch keinerlei Beschwerden bereitete. Wesen, die in dieser Umgebung für Schwächlinge lebten, stellten keine echte Herausforderung für Korr Grutt dar.
Der Druck des Tornisters erinnerte den Agenten an Xorr. Je schneller er seinen Auftrag erfüllte, desto rascher würde er wieder bei seinem kleinen Liebling sein. Nicht nur jeder Nomade, auch jedes andere Lebewesen wäre erschrocken, hätte es Korr Grutts Mienenspiel beim Gedanken an den Sissmo beobachten können. Die Sehnsucht eines Monsters nach der Nähe eines anderen Monsters... Korr Grutt kannte die neuralgischen Punkte eines Schiffes, ganz gleich, welche Spezies es erbaut hatte. Folgerichtig suchte er nach dem Maschinenraum oder nach einem Terminal, über das er sich Zugriff auf die Datenbanken der Fremden verschaffen konnte. Schritte! Vor Korr Grutt bog sich der Korridor. Rasch verschwand er in einer Nische, die eine Hand an der mitgeführten Waffe, die andere am Verschluß des Tornisters. Die Schritte kamen näher. Eine einzelne Person. Dem Anschein nach eine Frau mit häßlichem hellem Haar und einem widerwärtig flachen, ekelhaft blassen Gesicht. Sie lief genau auf Korr Grutts Versteck zu. * Anja Riker fand keinen Schlaf. Dan hatte Dienst in der Zentrale, und sie war nicht in der Lage gewesen, allein Ruhe in ihrer geräumigen Kabine zu finden. Was war es, das sie vermißte? Die Geborgenheit, die Dan ihr vermittelte? Konnte sie etwa nicht mehr alleine sein? Kopfschüttelnd wanderte Anja durch die Gänge. Kaum jemand begegnete ihr. Das Licht war auf Nachtmodus geschaltet. Plötzlich war ihr, als würde sie von einem eisigen Hauch gestreift. Sie blieb stehen. Vor ihr lief niemand, und als sie hinter sich blickte, war der Gang auch dort leer.
Pure Einbildung. Kopfschüttelnd setzte sie sich wieder in Bewegung. * Korr Grutt zwang sich die Zurückhaltung förmlich auf. Er tötete gern – aber nur, wenn die Situation es tolerierte. Auf diesem unbekannten Terrain wollte er sich jedoch so lange wie möglich unerkannt bewegen. Jeder Zusammenstoß mit der Besatzung mußte deshalb – noch – vermieden werden. Ein unglücklicher Zufall konnte es wollen, daß gerade die, die Korr Grutt ausgeschaltet hatte, wenig später von jemandem gesucht wurden. Dann lief die Zeit, die ihm blieb, um das Schiff in seine Hände zu bringen, schneller ab als ihm lieb sein konnte. Nein. Er bezähmte sein Verlangen. Auch die Sissmos blieben im Tornister. Erst mußte er wenigstens in die Nähe der Kommandosektion kommen... Er wartete, bis die Gestalt, die kurz innegehalten hatte, weitergelaufen und um die nächste Biegung verschwunden war. Dann setzte er seinen Weg fort. Noch behender. Noch ehrgeiziger, Pakk Raff das Ringschiff auf einem Tablett zu servieren. Und vielleicht selbst mit dem Rudelführer hierher umzuziehen. Auf das neue Führungsschiff der Nomaden... * Noch bevor Korr Grutt seinem Ziel näherkam, warnte ihn neuerliches Schrittgeräusch. Er handelte wie schon einmal davor. Eine Nische, in die er sich zurückzog. Und wo er darauf wartete, daß auch dieses
Besatzungsmitglied an ihm vorbeilief. Auch diesmal blieb der Fremde stehen. Dem Äußeren nach gehörte er der männlichen Gattung an. Vorhin war es ein Weibchen gewesen. Wie können sie mich spüren? dachte Korr Grutt. Sind ihre Instinkte so ausgeprägt? Der Mann harrte ungewöhnlich lange aus. So, wie er stand, bot er dem Nomaden den Rücken. Ab einem gewissen Moment entschied der Agent, die mögliche Entdeckung doch lieber rigoros auszuschließen. Er benutzte weder Waffe noch Sissmo. Mit weit auseinanderklaffenden Kiefern warf er sich auf den Mann, der ihm sein Genick geradezu anbot. Korr Grutt meinte schon, das Geräusch splitternder Knochen zu hören. Er berührte den Fremden. Und biß zu. * Er wollte zubeißen. Doch genau im entscheidenden Moment wirbelte der Mann herum. Gleichzeitig tänzelte er zur Seite. Beide Bewegungen verliefen schneller als Korr Grutts Auge folgen konnte. Das nächste, was er spürte, war ein Schlag gegen die Brust, der ihn nach hinten taumeln und gegen die Korridorwand prallen ließ. Er heulte auf – weniger vor Schmerz als vor Scham über den mißlungenen Versuch, den Fremden schnell auszuschalten. Ich hätte mich nicht dazu hinreißen lassen dürfen. Abwarten. Ich hätte geduldiger sein müssen. Nun galt es, den Schaden zu begrenzen. Zu verhindern, daß der Fremde Alarm schlug. Die Gestalt wirkte beinahe so schwächlich wie ein Galoaner. Sie mochte beweglich sein, was sie ja bewiesen hatte, aber mit der entfesselten Wildheit eines gereizten
Nomaden konnte auch sie es nicht aufnehmen! Korr Grutt streifte den Tornister ab und zog gleichzeitig die Waffe. Der Fremde stand mehrere Schritte entfernt und starrte auf das, was sich ihm als bloßer Schemen darbot. Korr Grutt erachtete es sicher nicht als eine Frage der Ehre, daß er den Deflektor abschaltete. Er hatte nicht mehr vor, den Kampf Mann gegen Mann zu entscheiden. Die Waffe in seiner Faust würde den Ausschlag geben. Der Fremde sollte nur sehen, durch wen er starb. Korr Grutt drückte ab. Er sah den gleißenden Strahl an der gegenüberliegenden Wand zerplatzen. Der Fremde aber tauchte in einer unglaublichen Bewegungsabfolge neben ihm auf, hieb ihm die Waffe aus der Hand (Korr Grutts Unterarmknochen tat das, was das Genick des Fremden schon vorher hätte tun sollen: Er brach) und faßte, blitzartig mit beiden Händen nach der Schnauze des Nomaden. Korr Grutt wollte reagieren, wollte abwehren – aber er kam zu spät. Es krachte fürchterlich. Entsetzlich laut und von einem kaum noch zu übertreffenden Schmerz begleitet. Als er zu Boden sank, verschleierten Tränen seine Augen. Er versuchte, dem Fremden zu entrinnen, Waffe oder Tornister zu erreichen, aber er schaffte es nicht. Es überstieg seinen Verstand. Es überstieg sein Begreifen. Mit wem hatte er sich angelegt? Mit wem hatte sein Volk sich angelegt? Der immer noch wachsende Schmerz von dort, wo seine Kiefer aus den Gelenken gerissen worden waren, spülte ihn unerbittlich in eine Ohnmacht... ... aus der er mit Ekel über sich selbst erwachen würde. Eine einzige Minute hatte genügt, nicht nur seine
hochfliegenden Pläne zu durchkreuzen, sondern auch, um ihn zu einem gebrochenen Mann zu machen. * Alles war gesprochen, was es zu besprechen gab. Zumindest hatte Ren Dhark diesen Eindruck im Verlauf der langen Audienz beim Nareidum gewonnen. Die galoanische Führung – bestehend aus unsterblich gemachten Galoanerseelen – war bereitwillig auf alle Fragen und Ansuchen eingegangen. Inzwischen wußte man etwas mehr über den Zeitpunkt, zu dem Drakhon in Milchstraßennähe aufgetaucht sein mußte – vor rund 250 Erdenjahren – aber man wußte immer noch nicht das geringste darüber, wie es dazu hatte kommen können! Und wieder war der Begriff »Rahim« gefallen. Ren Dhark gelangte immer mehr zur Überzeugung, daß – wenn überhaupt – diese einstigen Herren Drakhons etwas über die unfaßbaren Ereignisse wissen konnten. Er hatte dem Nareidum erklärt, daß die POINT OF unverzüglich Weiterreisen würde. In jene ferne Region, in der Galoaner, Sofiden und andere Völker die Zuflucht der Rahim vermuteten, ohne je einen Beweis dafür gefunden zu haben. Auf der Rückfahrt zum Ringraumer fragte Dro Cimc, der bei den Gesprächen mit der galoanischen Führung stets bemüht gewesen war, auch die Interessen der Tel berücksichtigt zu finden: »Glaubt irgend jemand hier wirklich, daß die Rahim noch existieren? Jagen wir nicht einem Phantom nach? Wäre es nicht vernünftiger, zunächst noch bei den Sofiden und Markomanen vorzusprechen?« »Sie haben das Nareidum gehört. Ich hatte danach gefragt. Sein Sprecher verdeutlichte, daß keiner der aktuell eine Rolle in Drakhon spielenden Machtblöcke auch nur den Hauch einer Erklärung für den Umgebungswechsel dieser Galaxis hat. Und das Wissen über die Rahim hat schon zu schwinden begonnen, bevor Drakhon orts- und zeitversetzt wurde! – Nein, wenn,
dann sind die Rahim der einzig erkennbare Schlüssel zu einer Lösung! Wir werden unverzüglich starten und unsere Suche nach ihnen aufnehmen. Mit jedem Tag, den wir vergeuden, kann die Lage daheim weiter auf das Inferno zusteuern.« »Inferno?« lachte Dan Riker humorlos auf. »Apokalypse trifft wohl eher zu!« Schweigend legten sie die letzte Strecke zum Schiff zurück. Noch bevor sie es erreichten, kam eine Nachricht aus der POINT OF: »Wir haben einen Saboteur überwältigt. Lati Oshuta, um genau zu sein. Er begegnete ihm zufällig und konnte ihn dank seines Zweiten Systems und seiner einzigartigen asiatischen Kampftechnik unschädlich machen. Ein Nomade. Wir wissen nicht, wie er an Bord gelangen konnte, aber wir holen ihn gerade ins Bewußtsein zurück, um ihn verhören zu können...« * Dieser verdammte Versager! brodelte es in Pakk Raff, nachdem er die Drohung der Terraner auf sich hatte wirken lassen. Der vorgeführte Korr Grutt hatte ein Bild des Jammers geboten. Jämmerlicher sogar noch als Priff Dozz in seinen schlechtesten Zeiten hatte er in das Auge gestiert, das ihn schonungslos in all seiner Gebrochenheit dargestellt hatte – das Auge einer Kamera! »... warne Sie, uns noch einmal in die Quere zu kommen! Beim nächsten Mal werden wir gezielt auf die völlige Vernichtung der Nomaden hinarbeiten. Und das ist keine leere Drohung!« Ob es eine leere Drohung war, wollte Pakk Raff momentan überhaupt nicht zu hoffen wagen. Er schäumte vor Wut. Nicht nur wegen Korr Grutts Scheitern – am rasendsten machte ihn die Art und Weise, wie sein vermeintlich verläßlichster Agent auf Galoa vorgegangen war. Er hatte sich nicht auf seine eigenen Fähigkeiten beschränkt,
sondern irgendwelche Wesen eingesetzt. Kreaturen. Tiere... was auch immer. Die Reaktion der Terraner hatte auch daran keine Zweifel gelassen. Ich bringe ihn um! Wenn er mir je wieder vor die Zähne kommt, bringe ich ihn um! Wutschnaubend verließ Pakk Raff die Zentrale seines Schiffes und begab sich in die Pflegschaft seiner drei Frauen. Für die nächsten Stunden wurde er nicht mehr außerhalb seiner Kabine gesehen. * Da der gefangene Nomade dank seines zerstörten Kiefergelenks im Verhör kaum etwas Verwertbares ausplaudern konnte, übergab Ren Dhark ihn dem Gewahrsam der Galoaner. Sie sollten entscheiden, wie sie weiter mit ihm verfahren wollten. Etwa eine Stunde später wurde der Commander vom Nareidum gebeten, dessen Sitz noch einmal aufzusuchen. Allein diesmal, ohne Begleiter. Der Terraner sagte zu, streifte aber einen filmdünnen Raumanzug der Mysterious über und bestand darauf, daß diesmal der Gast sich Umstände machte. Es steckte keinerlei Berechnung dahinter, dennoch hatte er bei Erreichen des Nareidums das Gefühl, daß sein Verhalten positiv aufgenommen wurde. »Ich bin Mhoron, der heutige Sprecher«, stellte sich eine verändert klingende Stimme vor. »Wir bereuen nicht, euch bei uns aufgenommen zu haben, aber wir trauern um eine Familie und einen unserer Techniker, die das Opfer des Nomaden wurden, den ihr überwältigt habt.« Ren Dhark war ebenfalls betroffen, als er von den Schicksalen hörte, die auf Korr Grutts Konto gingen. »Wie starben sie?«, fragte er. »Die meisten durch ein uns unbekanntes Gift. Wahrscheinlich stammt es von den Geschöpfen, die in Korr Grutts Tornister sichergestellt wurden. Wir empfehlen euch,
euer Schiff genauestens zu inspizieren, um sicherzustellen, daß sich keine dieser Kreaturen unerkannt einnistet. Nach unserer Einschätzung gibt es gegen ihr Gift kein Heilmittel.« Noch vom Sitz des Nareidums aus gab Ren Dhark entsprechende Befehle. Die POINT OF wurde komplett überprüft, nach Hinweisen auf fremde DNS durchsucht. Das Ergebnis war negativ – also positiv für die Besatzung. »Euer Entschluß, Galoa zu verlassen, steht fest?«, fragte Mhoron. »Wir können euch nicht noch ein wenig zum Bleiben überreden?« »Unter anderen Vorzeichen wüßte ich nicht, wo meine Mannschaft und ich lieber ein paar Tage ausspannen würden. Es gibt noch so vieles, was wir uns gern anschauen und von der Philosophie der Galoaner lernen würden. Aber leider...« »Wohin werdet ihr von hier aus aufbrechen?« Ren Dhark zögerte nicht, es dem Sprecher zu sagen. Mhoron verlieh seiner Bestürzung Ausdruck. »Ihr habt vergessen, was wir euch über die Schiffe sagten, die in diese Region aufbrachen?« »Wir haben es nicht vergessen«, erwiderte Dhark. »Es wird uns Mahnung und Verpflichtung sein, uns noch vorsichtiger voranzutasten. Aber alles, was wir von euch erfuhren, bestärkt mich in der Überzeugung, daß, wenn es überhaupt ein Volk in Drakhon gibt, das weiß, woher eure Galaxis gekommen ist und wie sie in die bedrohliche Nähe unserer Milchstraße geriet, es die Rahim sind.« Die Rahim. Ein Volk, das sich selbst aus sämtlichen Annalen anderer Völker gelöscht hatte? Ein Volk, mächtiger als jedes andere Volk in Drakhon? Vor langer, langer Zeit zumindest schien dies ein Fakt gewesen zu sein. Und heute? Welche Gründe konnten Übermächtige wie die Rahim dazu bewegen, sich völlig aus dem galaktischen Geschehen, das sie bis dahin bestimmt hatten, zurückzuziehen?
Welchen Grund hat es für die Mysterious gegeben? schlug Dhark unwillkürlich den Bogen. Auch die Begegnung mit den Saltern hatte in dieses Dunkel kein Licht werfen können. Rahim – Mysterious... gab es mehr als nur zufällige Parallelen? Ren Dhark schauderte angesichts der Möglichkeit, daß ihn hier im fernen Drakhon doch wieder das alte Rätsel heimgesucht haben könnte. War es denkbar, daß die Rahim die Mysterious kannten? So gut wie sich selbst? Weil... Und Dhark sog tief den vitalisierenden Sauerstoff seines MAnzuges ein. ... sie die Mysterious waren... ?
REN DHARK Drakhon-Zyklus Band 5 Kampf um Iko 1 erscheint Ende März 2001