Die Goldgeier
von Colorado
Western von U. H. Wilken Sie kamen immer nachts, wenn der Wind die Schreie der toten See...
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Die Goldgeier
von Colorado
Western von U. H. Wilken Sie kamen immer nachts, wenn der Wind die Schreie der toten Seelen über die zerklüfteten Berge trug. Sie starrten immer wieder in das Tal der Goldsucher und beobachteten mit kalten Augen die ruhenden und die wachenden Männer. Und sie verschwanden immer wieder lautlos wie gespenstische Schatten. Jetzt kamen sie zum erstenmal am hellichten Tag, und sie trugen den Mord im Herzen... Brian Badford und die anderen Männer ahnten nicht, daß sich der Tod ihrem Tal näherte. »Los, kriech schon rein, schwarze Saatkrähe!« fauchte Badford den Neger an. »Oder ich mach' dich lang, verdammter Nigger!« Schlotternd stand der Neger vor dem dunkel gähnenden Felsloch. Zu seinen Füßen lag das herausgeschlagene Geröll. Der Schweißgeruch der weißen Männer wehte herüber. Angst war in den Augen des Negers – Angst vor dem Reich der Dämonen. »Sam Angst haben, Mastah!« flüsterte er. »Sam braver, guter Nigger, aber großer Feigling.« »Halt's Maul! Du kriechst jetzt ins Loch, schwarzhäutiger Halunke!« Mit häßlich grauem Gesicht stand der Negersklave in der Sonne. Noch hing der Gesteinsstaub im Tal, noch war das Echo
der Sprengung zu hören. Die verwitterten Felsen könnten jeden Augenblick das Loch in der zerklüfteten steilen Talwand verschütten. Wütend kam Brian Badford heran und schlug dem Neger die Faust in den Nacken, trat ihm in die Kniekehlen und stieß ihn brutal vorwärts. Zitternd kroch der Neger in das Dunkel hinein. Über ihm grollte es dumpf in den Felsmassen, als tobte in der Ferne ein Unwetter. Sand rieselte aus den Felsspalten. Kleine Steine fielen auf seinen Rücken. Die Zähne schlugen klappernd aufeinander. Angst entstellte das Gesicht. Draußen schrie Badford. Auch die anderen Männer wollten wissen, ob der Neger Goldadern im Gestein erkennen konnte. Sie bekamen keine Antwort. Sam kauerte zwischen den Felsbrocken und preßte die Hände zu einem Gebet zusammen. Tränen rannen über das dunkle Gesicht... Das Loch in der Felswand war wie ein Schlund zur Hölle. Keiner der weißen Männer wagte sich hinein, aber sie alle hatten den wehrlosen Neger dazu gezwungen. Sein Leben war ihnen nichts wert. Wieder hörte Sam dieses dumpfe Grollen über sich. Er schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. In diesen Sekunden peitschten mörderische Schüsse durch das Tal und riefen ein röhrendes Echo wach. Blei klatschte gegen Felsen, Kugeln jaulten bösartig umher. Draußen vor dem Felsloch zuckten die Goldsucher zusammen. Entsetzt stierte Sam hinaus. Vor ihm im grellen Sonnenschein bäumten sich die Goldsucher auf. Deutlich sah Sam, wie Blei die Gesichter zerriß, wie Kugeln die Körper schüttelten, wie es überall rot vom Blut wurde. Leblos sanken die Männer zu Boden. Zuckend fiel Brian Badford auf den heißen Boden. Die Hände krallten sich in den Gesteinsstaub hinein. Das bärtige Gesicht wurde grau wie kalte Asche und schien zu vereisen. Schwach bewegte er die Lippen und stierte in die Höhle hinein, als könnte er Sam erkennen.
Der Knall der Schüsse verhallte und verlor sich in den fernen Tälern. Totenstille trat ein. Wie Bündel lagen die Goldsucher unter der heißen Sonne. Sam konnte nicht schreien; die Todesangst krallte die knochigen Hände um seinen Hals und würgte ihn. Der ganze Körper bebte wie im wilden Fieber. Irgendwo am Talrand wurden Gewehre durchgeladen. Brian Badfords Augenlider flatterten. Er öffnete die Augen und glotzte in das dunkle Loch hinein. »Sam...« Seine Stimme war nur mehr ein Hauch, ein Stöhnen um Hilfe. Und Sam, der Neger, hörte ihn. Er sah, wie das Gesicht des Weißen immer grauer wurde, wie der Tod den Körper zu besiegen begann – und er wollte Badford helfen. Er hatte vergessen, wie schlimm Badford ihn geschlagen und gequält, mißhandelt und erniedrigt hatte. »Ich kommen, Mastah«, stöhnte Sam. »Ich ganz fix sein. Mastah warten, ich gleich bei ihm sein...« Im Tal brüllten die Maultiere der Goldsucher. Hufschlag wurde laut. Pferde stampften über die Pfannen der Goldsucher hinweg. Eisen klirrten über die Felsen. »Sam!« wimmerte Badford. »Hilf mir doch, Sam! Bitte, hilf mir!« Er hatte Sam wie ein Tier behandelt. Sam war sein Sklave. Er hatte ihn ausgepeitscht und getreten, als wäre Sam weniger wert als ein Hund. Jetzt flehte er seinen Sklaven an, und Sam war viel zu gut, um die Bitte eines Sterbenden ablehnen zu können. Doch die fremden Reiter kamen schnell heran. Als Sam loskriechen wollte, tauchten sie unterhalb der Goldsuchercamps auf, trieben die keuchenden Pferde über das Lager hinweg und warfen sich aus dem Sattel. Sam konnte nicht mehr helfen. Lähmende Angst erstickte jeden Willen. Er war nicht imstande, sich zu bewegen.
Die Fremden hielten noch immer die Gewehre feuerbereit. Lauernd kamen sie heran. Ihre Schatten wischten über den Felsboden. Derbe Stiefel stießen gegen Gestein. Alte, verschmutzte Hüte warfen Schatten auf die schweißnassen Gesichter. Zuckend rutschten die Hände des sterbenden Badford über den Boden. Noch immer starrte er zu Sam in die Höhle. Er bewegte die Lippen, doch er hatte schon nicht mehr die Kraft, um rufen und sprechen zu können. Langsam gingen die Feinden von einem toten Goldsucher zum anderen. Der Neger rührte sich nicht. Er hatte keine Waffe. Er besaß nur sein Leben. »He, Deadlock!« tönte die heisere Stimme eines Fremden zu Sam herein. »Da lebt noch einer!« »Ja, Buckeye hat recht, Deadlock!« rief ein anderer. »Da vor dem Loch liegt er!« Sam krümmte sich zusammen. Er hob die flatternden Hände an und preßte sie an das Gesicht. Die Fingernägel gruben sich in die schwarze Haut hinein. Die Fremden kamen näher. Deutlich konnte er jetzt die zynischen Gesichter erkennen. In den Augen der Fremden war ein furchtbarer Ausdruck von grenzenloser Brutalität erkennbar geworden. Sie erreichten Brian Badford und blickten auf ihn. Einer riß Badford herum und warf ihn auf den Rücken. Sie grinsten teuflisch. Badford hatte die Augen halb geöffnet. Der schwere Atem floh über die blutleeren Lippen. Er wollte sprechen, doch er konnte es nicht mehr. Mehrere Gewehre waren auf ihn gerichtet. Das Metall gleißte in der Sonne. Helle Reflexe zuckten in die dunkle Höhle hinein und blendeten Sam. »Wir wollen nur euer Gold«, sagte einer der Fremden mitleidlos. »Wir haben euch lange genug beobachtet.« Dann schossen sie. Brian Badford lag tot in der Sonne... Lachen folgte den
Schüssen und hallte durch das Tal. Das Echo verzerrte das Gelächter: Skrupellos durchwühlten die Fremden die Taschen der Goldsucher, rissen das Gepäck auseinander, öffneten die blechernen Wasserflaschen, fluchten und suchten. Tote Augen stierten zu Sam hinüber. Der Wind spielte in den Haaren der Toten. Sam sah und hörte die Fremden. Sie würden auch ihn umbringen, wenn sie ihn entdeckten. Tränen verschleierten seinen Blick. Er war ein großer und starker Neger, doch er hatte das Gemüt eines Kindes. Über ihm arbeiteten die Felsmassen. Wieder rieselte feiner Sand aus den Felsspalten hervor und in seinen Nacken. Er schloß die Augen und betete stumm um sein Leben. Draußen wurden die Flüche lauter. Noch immer nicht hatten die Fremden das Gold gefunden. Plötzlich kamen zwei Fremde heran und verharrten dicht vor dem dunklen Loch. »Sie müssen es erst vor kurzem herausgesprengt haben«, sagte einer. »Wir haben die Explosion gehört.« »Da kriecht doch kein Mensch hinein, Shannon! Oder bist du lebensmüde? Hörst du, wie die Felsen knacken?« »Aber vielleicht haben sie das Gold in dieses Loch geworfen!« ächzte der andere. »Wir müssen es riskieren! Nimm dein Lasso. Ich werde mich festbinden. Wenn was passiert, dann ziehst du mich raus.« Die Gier nach dem Gold war größer als die Furcht, von den Gesteinsmassen erschlagen zu werden. Sam sah, wie der eine das Lasso vom Pferd holte und es um seinen Komplicen schlang. Dann ließ der Bandit sich nieder und kroch näher. Deutlich vernahm Sam die rasselnden Atemzüge. Die Angst ließ ihn zurückweichen. Er schob sich noch tiefer in die Dunkelheit hinein. Vor ihm keuchte der Bandit. Jetzt
hatte er den Eingang erreicht und schob sich auf allen vieren über das Geröll hinweg. Hart stieß Sam gegen die Felswand und konnte nicht mehr weiter. Flach lag er am Boden und wagte nicht, sich zu bewegen. Er hielt den Atem an und stierte zur dunklen Gestalt, die sich vor dem hellen Ausgang abzeichnete. »Siehst du was?« krächzte der Bandit draußen. »Nein, noch nicht.« Dumpf klang die Stimme in der Felsenhöhle. Tastend griff der Bandit umher. Dabei kroch er weiter. Behutsam räumte er das Gestein beiseite. Heiseres Flüstern kam über seine Lippen. Die Worte waren nicht zu verstehen. Sam hatte ihn dicht vor sich. Er brauchte sich nur um ein paar Yard zu bewegen, dann könnte er den Banditen berühren. Doch er blieb wie tot liegen und hielt den Atem an. Wie die Saugnäpfe eines Untiers griffen die Hände des Banditen im Dunkeln umher und suchten. Die Fingerkuppen der rechten Hand berührten Sams Schulter ganz schwach. Sofort wich Sam lautlos um wenige Zentimeter zurück. Wieder griff der Bandit umher. Geistesgegenwärtig hob Sam einen Felsbrocken hoch und legte ihn vor sich nieder. Das Keuchen des Banditen übertönte das leise Geräusch. Dicht vor Sams Gesicht krallte sich die Hand um den Felsbrocken, löste sich davon, wischte umher. Die Felsmassen rumorten. Sand fiel herunter. Fluchend kroch der Bandit zurück und verließ das dunkle Loch. »Nichts«, krächzte er. Sam atmete auf und sah, wie die Banditen weitersuchten. Einer von ihnen stieß mit den derben Stiefeln die kalte Asche der Feuerstelle auseinander und schrie plötzlich auf, winkte heftig und beugte sich hinunter. Wie verrückt scharrte er mit bloßen Händen. Die anderen Banditen hasteten zu ihm, halfen ihm – und dann holten sie unter dem Sand die Lederbeutel mit dem Gold hervor.
»Diese Kerle lassen sich immer mehr einfallen, um ihr Gold zu verstecken!« knurrte einer der Halunken. »Jetzt vergraben sie es und machen darüber ein Feuer! Wie hast du es nur gefunden?« »Ich wollte mir die Zigarre anmachen und suchte nach der Glut.« »Jetzt kannst du dir tausend der besten Zigarren kaufen!« Lachen tönte herüber, schallte durch das Tal des Todes. Die Sattelpferde schnaubten dumpf. Gebißketten klirrten. Vor dem Felsloch öffneten die Banditen die Lederbeutel und holten die Nuggets hervor. Sam hatte von diesem Gold gewußt, doch er hatte nicht gesehen, wo das Gold vergraben worden war. Seit über einem Jahr hatte er mit Brian Badford und den anderen umherziehen müssen, hatte geschuftet und jede dreckige Arbeit verrichtet. Und er wußte nicht, daß im fernen Osten der Krieg ausgebrochen war, daß die Nordstaaten um die Befreiung der Negersklaven zu kämpfen begonnen hatten. Zweibeinige Bestien lagerten draußen. Er mußte in der kleinen Höhle bleiben und konnte nur hoffen, daß die Felsmassen ihn nicht begruben. Immer wieder mußte er die Zähne zusammenbeißen, damit das Klappern ihn nicht verriet. Die Stimmen der unmenschlichen Banditen wehten herüber. Er verstand manches Wort, und während die Halunken über den Proviant der Goldsucher herfielen, betete er lautlos um sein Leben. Am Talrand bewegten sich die Laubbäume im Wind. Buntes Laub trieb über den Talhang. Massive Douglasfichten warfen weite Schatten ins Tal. Der Tag neigte sich seinem Ende zu. In der Ferne dröhnte eine Explosion. Überall in den Bergtälern von Colorado wurde nach Gold gesucht. Zigtausend Menschen waren wie ein Schwarm Schmeißfliegen über das weite zerklüftete Land hergefallen.
Sand fiel auf Sam. Kleine Steine rollten über seinen Rücken. Plötzlich brachen die Fremden auf. Sie zogen die Pferde und Maultiere aus seinem Blickfeld. Dann hörte er Hufschlag. Es wurde still im Tal. Überall lagen die Toten und blickten in den Abendhimmel. Blutrot sank die Sonne. Fahles Mondlicht erhellte das Tal. Wimmernd strich der Wind über die Felsen und leblosen Männer hinweg. Sam kroch langsam nach vorn. Auf einmal hörte er Hufgetrappel. Sofort lag er still, und die Angst kam wieder. Der Hufschlag war verstummt... *** Schlank und sehnig saß er im Sattel. Die dunklen Augen weiteten sich sekundenlang beim Anblick der Toten. Er atmete pfeifend aus und spürte den kalten Schauer im Rücken. »Mein Gott...!« Mehr sagte er nicht. Mit der Rechten zog er die Volcanic Rifle aus dem Gewehrschuh hervor und lud durch. Er schluckte schwer und der Kehlkopf trat stark hervor. Im Wind flatterte das schwarze Haar. Die derbe Cowboykleidung war mit einer dicken Staubschicht behaftet. Lucky war nach Colorado gekommen. Er kam von den Blaugrasebenen von Kansas; er war über die endlosen Savannen gezogen, um seinen Traum vom goldenen Reichtum wahrwerden zu lassen. Langsam ritt er weiter und lenkte das Pferd in das Tal hinunter. Aaskrähen flatterten aus dem Geäst der Bäume und flogen heiser krächzend über das Tal hinweg. Bleich und groß stand der Mond über den dunklen Bergen. Kalt war der Wind in dieser Nacht. In den Augen der Toten spiegelte sich das Sternenlicht. Die Gesichter waren eingefallen und grau.
Keiner der Toten hatte eine Waffe bei sich. Im Camp war alles durcheinandergewühlt worden. Horchend verhielt Lucky. Kein menschlicher Laut drang an sein Ohr. Er hörte nur den Wind. Steif saß er ab und blieb neben dem Pferd stehen. Die Toten konnten ihm nicht sagen, was geschehen war – doch er erahnte es. Am Boden lagen drei Nuggets, daneben lag eine Lederschnur. Vor dem dunklen Loch in der Felswand lag ein Lasso. Mit dem Gewehr im Anschlag ging er umher. Der Sand rieb unter seinen Cowboystiefeln. Die kleinen Radsporen klingelten leise wie fernes Kirchengeläut. Jetzt stand er still. Sekundenlang dachte er an das, was hinter ihm lag und zur Vergangenheit gehörte. Er hatte sich zwei Zähne von einem Brasada-Rindvieh ausschlagen lassen, hatte Old Woman, dem Ranchkoch wegen des miesen, mistigen Scheißfraßes hart in den Hintern getreten und war davongejagt worden. Er hatte alles verloren, nur nicht das Pferd und die Waffen – und nicht sein wildes Herz, seine Sehnsucht und seine Träume. Zum erstenmal war er in Colorado. Er hatte die phantastischsten Märchen über Goldfunde gehört. Es sollte Männer geben, die das Gold nur aufgesammelt hätten, um steinreich zu werden. Nun stand er vor den Toten, denen das Gold zum tödlichen Verhängnis geworden war. Das war die Wirklichkeit, das war kein Traum. Plötzlich zuckte er zusammen und lauschte. Hohles Klappern war zu hören. Im dunklen Loch fielen Steine. Dann war es wieder still. »Ist da jemand?« fragte Lucky mit belegter Stimme. Er bekam keine Antwort. Langsam stapfte er hin und her. Am Talrand schrien die
Aaskrähen. Kalte Winde berührten Luckys Gesicht. Trotzdem schwitzte er. Wieder hörte er Zähnegeklapper. Suchend sah er umher. Gebeugt trat er an die Höhle heran und versuchte, hineinzusehen. Irgend etwas Blankes war im Halbdunkel erkennbar. Die Augen eines Menschen... Die Felsmassen stöhnten wie sterbende Tiere. Die Talwand erkaltete in der Nacht. Das Gestein arbeitete stärker als vorher. Plötzlich zersprang die Felsenwand. Ein Riß wanderte empor. Steine fielen in das Tal. Luckys Pferd scheute zurück. »Hilfe!« flehte jemand. »Ich nicht sterben wollen!« Lucky zögerte keine Sekunde. Todesmutig kroch er über den Geröllhaufen und streckte die Hand in die Dunkelheit hinein. »Komm! Pack meine Hand! Ich zieh' dich raus!« Er spürte eine Berührung, dann sah er, wie ein Neger hervorkroch. Er riß ihn am Arm mit sich. Beide stolperten über das Geröll, rannten an den Toten vorbei, durch das kleine Camp. Hinter ihnen polterten die Felsmassen hernieder. Dichter Staub schlug in das Tal hinein. Sie hetzten zum Pferd, liefen weiter und blieben endlich am jenseitigen Talhang stehen. Die Höhle brach zusammen. Alles wurde verschüttet. Die Gesteinsmassen begruben die toten Goldsucher. Sam sank auf die Knie und stöhnte. Er betete und schluchzte wie ein kleiner Junge. Erschüttert sah Lucky auf den Neger. »Komm!« schrie er und stieß ihn an. »Wir müssen verschwinden, Schneemann! Sonst holt uns der Teufel!« Sie hasteten weiter. Lucky zog sein Pferd hinter sich her und hielt das Gewehr. Keuchend verließen sie das Tal. Unter den Bäumen ließen sie sich fallen und rangen nach Luft. »Was stierst du mich so an?« keuchte Lucky. »Ich tu dir
nichts. Oder glaubst du, ich wäre einer der Halunken, die die Männer erschossen haben?« Sam richtete den Oberkörper auf, kniete vor Lucky und zitterte. Graue Flecken bedeckten sein dunkles Gesicht. Die tiefbraunen Augen schimmerten und schillerten vor Tränen. »Bitte, Sam nichts tun, Mastah! Sam guter Nigger, Sam für Mastah alles tun.« »He, was redest du da, Junge?« flüsterte Lucky betroffen. »Ich brauche keinen Sklaven! Ich hab' verdammt viel gegen Sklaverei! Die großkotzigen Plantagenbesitzer lassen euch wie Vieh für sich schuften und drücken sich die fetten Ärsche platt beim Sitzen! Da soll ich noch für sie sein? Du bist wohl verrückt!« »Mastah, bitte nicht so reden!« stöhnte Sam. »Sam guter Sklave. Sam für Mastah alles tun und immer gut sein, Mastah nicht Sam so quälen.« Lucky schluckte schwer und schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht quälen, Sam! Bei Gott, ich will dich auch nicht als Sklave haben! Du glaubst mir nicht. Ich verstehe. Du hast Angst, ich könnte dich belügen und würde dich dann doch als Sklave behalten. Nein, Amigo, du irrst dich. Ich begreife langsam. Unten im Tal liegt dein Herr, wie? Der Kerl, der dich als Sklave gekauft hatte. Aber er kann dich nicht mehr auspeitschen, Sam! Er ist nämlich mausetot, er macht keinen Mucks mehr. Du bist frei, Sam!« Sam senkte den Blick. Sein krauses Haar glänzte im Sternenlicht, das durch die Baumkronen sickerte. Schweiß rann über die Haut. Der Körper zitterte wie bei einem Schüttelfrost. Im Tal dröhnte es noch immer. »In Ordnung«, sagte Lucky auf einmal. »Ich kaufe dich! Du bist mein Sklave! Und du kommst mit mir, hast du verstanden?« »Ja, Mastah.« »Dann sind wir uns ja einig. Und jetzt sagst du mir, was im
Tal geschehen ist.« Stockend sprach der Neger. Lucky hatte sich in die Welt des Farbigen hineinversetzt. Sam konnte einfach nicht so schnell ein freier Mensch sein. »Du hast die Halunken also gesehen?« »Ja, alle, Mastah. Sie sehr schlimm und böse ausgesehen haben. Sam furchtbar Angst gehabt.« »Wir müssen von hier verschwinden. Du wirst mich begleiten, Sam. Komm, steig auf das Pferd.« »Sam immer laufen, Mastah.« »Dann wird Sam jetzt reiten, verdammt! Mein Pferd trägt uns beide. Wir reiten nach Fairplay. Ich hab' einen Mann getroffen, der hat mir gesagt, daß um Fairplay viel Gold gefunden worden ist.« »Mastah nicht wissen? Dieses Fairplay ein Pfuhl der Hölle sein!« Lucky lächelte grimmig. »Dann ist es genau richtig für mich! Auf geht es, Sam!« Sie ritten durch die Nacht. Auf fernen Höhenzügen flackerten die Feuer der Goldsucher. In den weiten Tälern geisterte Feuerschein umher. Maultierkarawanen zogen auf schmalen Pfaden durch die Bergwildnis. *** Fairplay war wirklich ein Höllenpfuhl. Regendunst hing über der Ansammlung von Zelten und Bretterbuden. Monoton fiel der Regen auf die Zeltplanen. Über den Wäldern hingen graue Schwaden. Mühsam stampfte das Pferd durch den aufgeweichten Boden. Lucky lenkte es an gefällten Bäumen vorbei und am Weg entlang. Vor den Zelten zügelte er das Pferd. Stimmen schallten durch Fairplay. Betrunkene torkelten aus einem großen Zelt, stolperten und klatschten in den Bodenbrei hinein.
Maultiere trotteten durch die Lichtbahnen. Männer stapften umher. Zwischen den Zelten prügelten sich mehrere Gestalten, bissen und traten um sich und brüllten wie verrückt. Vor einem Zelt holte ein Mann mit einer Latte aus und knallte einem anderen, der herauskam, das Holz mitten vor das Gesicht. Hysterisches Kreischen tönte aus dem Saloonzelt. Zwei Mädchen rollten hervor, landeten im Schlamm und rissen sich die Haare gegenseitig aus. Männer kamen heran und lachten. Wetten wurden abgeschlossen. Rufe sollten die Mädchen anstacheln. Schreiend, fluchend und fauchend wälzten sie sich im Schlamm. Lucky grinste breit. »Schön, was, Sam?« »Oh, Mastah!« seufzte Sam. Drei Männer gerieten aneinander, prügelten sich und rissen eines der Zelte ein. Ein dürrer Mann watete durch den Morast, fiel hin und grinste blöde. Herdrauch wehte über Zelte und Bretterbuden hinweg. Alkoholdunst hing im Tal und wurde von der Nebeldecke heruntergedrückt. In einem der Zelte wurde plötzlich geschossen. Ein starkgeschminktes Mädchen flüchtete hervor und schrie gellend, daß der Mann es umbringen wollte. Keiner glaubte dem Mädchen, niemand half. »Yeah«, dehnte Lucky, »das ist ein richtig schönes und munteres Nest, Sam! Alle sind beisammen. Fehlt nur noch der Teufel!« »Mastah nicht so reden, bitte!« flüsterte Sam. »Der Teufel schon hier! Sam haben Angst.« Naß und fröstelnd saßen sie auf dem Pferd. Lucky lachte kurz auf und trieb das Pferd an das Saloonzelt heran. Sie saßen abseits der Straße ab und verharrten. Hinter der Zeltplane rumorte es. Die Schatten der Männer wanderten über die Zeltwand. »Bleib hier, Sam, paß auf das Pferd auf!«
Lucky stapfte um das große Zelt und wollte nach vorn. Plötzlich hörte er hinter der Plane deutliche Stimmen. »Scher dich zum Teufel! Du verdammter Mistkerl zwingst mich nicht mehr, vor diesen Besoffenen zu tanzen! Damit ist es aus! Lieber suche ich selber nach Gold!« »Du tust, was ich dir sage, Kitty, sonst läufst du morgen mit einem verbeulten Gesicht herum!« »Versuch ja nicht, mich zu schlagen, sonst bringe ich dich um!« fauchte die Frau. »Rühr mich nicht an! Verschwinde, betrüg die Kerle doch weiter mit deinem Pokerspiel! Ich will nach Osten zurück. Du bringst mich nicht mehr davon ab!« »Aber Baby, sei doch vernünftig! Wir beide haben eine Menge hier verdient, und die Quelle ist noch lange nicht versiegt. Wenn die Narren besoffen sind, dann merken sie nicht, wie ich sie ausnehme. Und du lenkst sie ab, wenn du tanzt! Wir sind doch Partner, Kitty!« »Nein, nicht mehr! Nimm die Finger weg! Ich warne dich!« »Du drohst mir, du Luder? Verflucht, leg den Revolver weg!« »Einen Schritt weiter, und dieser Smith and Wesson wird losgehen!« »Mach keinen Quatsch! Du liebst mich doch, Kitty!« »Nein, ich hasse dich! Ich hasse dieses Fairplay und ganz Colorado! Laß mich los, du verdammter Kerl! Loslassen! Oh, ich...« Ein Schuß krachte. Schwer und schlaff fiel ein Körper gegen die Zeltplane. Lucky sah, wie der Körper abwärts rutschte und wie der Schatten verschwand. Stimmen brüllten weiter. Niemand kümmerte sich darum, was geschehen war. Dann erkannte er den Schatten einer Frau. Sie beugte sich offensichtlich über den Mann am Boden. Sekunden später wurde ein Messer in die Plane gestoßen. Dicht vor Lucky wurde die Plane aufgeschlitzt. Er wich zur Seite und sah durch den Schlitz in das Zelt.
Bretter stützten die Plane. In einem kleinen Raum, der durch mehrere Planen vom Saloonraum abgetrennt worden war, stand eine junge rothaarige Frau, fast noch ein Mädchen. Sie war blaß unter der Schminke und ließ das Messer fallen, griff zum kleinen Smith and Wesson und barg die Waffe unter dem Kleid. Dann packte sie den leblosen Mann und versuchte, ihn aus dem Zelt zu zerren. In diesem Moment sah sie Lucky draußen stehen, sein schmales braungebranntes Gesicht, die schwarzen Haare, die durchnäßte Kleidung. Sie erstarrte, ließ den Mann los und blickte Lucky seltsam an. »Ich hab' alles mitgekriegt«, sagte er. »Er wollte Sie wohl fertigmachen, Miß Kitty.« »Du kennst mich?« flüsterte sie. »Nein, nur deinen Namen.« Lucky beugte sich vor und blickte auf den Mann am Boden. Der Kerl sah aus wie ein Kartenhai – und er war es auch gewesen. »Er muß hier weg!« stöhnte die Camplady. »Wenn die anderen Spieler ihn hier finden, dann werde ich sie nicht mehr los, dann machen sie mich zu ihrer Königin, wie sie das nennen. Denn ich hab' einen Konkurrenten von ihnen erledigt. Himmel, ich wollte es gar nicht! Der Schuß ging plötzlich los. Ich muß von hier verschwinden!« »Langsam, Kitty, nur keine Panik. Du kennst diesen Mann gut?« »Viel zu gut! Er hat mich nach Fairplay geschleppt. Ich blöde Gans hab' ihm auch noch geglaubt. Er sprach immer nur vom Reichwerden, von Gold und Geldmachen. Jetzt braucht er nichts mehr.« »Yeah, das sehe ich, Lady.« Lucky betrachtete sie forschend. Sie war kein übler Mensch. In den Goldgräbercamps hier in Colorado herrschten andere Gesetze. Wer nicht hart war, ging unter. »Well«, sagte er nach kurzem
Zögern, »wir bringen ihn weg, Miß. He, Sam, komm her!« Sam kam, und sie hoben den Mann hoch und trugen ihn nach hinten. Unter den tropfnassen Bäumen legten sie ihn zu Boden. Kitty kam hinterher und breitete eine zerschlissene alte Decke über ihn aus. »Er tut mir eigentlich leid«, flüsterte sie. »Er war in Ordnung, als ich ihn im Osten kennenlernte. Aber hier wurde er verrückt nach Gold. Er konnte gar nicht genug an sich reißen. Seine Gewinne hat er irgendwo versteckt. Die werden wir niemals finden, und ich will auch nicht danach suchen.« Sie sah Lucky an und riß sich gewaltsam zusammen. »Ist der Nigger dein Sklave?« »Sam ist ein freier Mann, Miß«, entgegnete Lucky frostig. »Und du wirst ihn nicht Nigger nennen.« »He«, hauchte sie, »du bist ja noch nicht verdorben! Was für ein Mensch bist du? Kommst du aus einer anderen Welt? Seit wann bist du hier? Das kann noch nicht lange sein, Cowboy!« »Stimmt.« »Dachte ich es mir doch! Du siehst aus wie Milch und Honig gegenüber den anderen Männern. Die sind schon versoffen und heruntergekommen, die glauben nicht mehr an Gott und die Welt. Aber du?« Lucky verzog das Gesicht. »Ich könnte einen Whisky brauchen, Lady. Hier ist es ein bißchen naß. Liegt wohl am Wetter.« Sie zögerte, nickte dann und ging ihnen voraus. Sie betraten das Zelt durch die aufgeschlitzte Plane und wärmten sich die Hände an der Lampe. »Sam, paß auf unser Pferd auf.« »Ja , Mastah.« Während Sam durch den Schlitz hinaussah, füllte Kitty die Blechbecher und stieß mit Lucky an. Sie hatte sich wieder gefaßt und konnte sogar lächeln. »Dein farbiger Freund tut wohl alles für dich, Cowboy.«
»Ja, Miß. Er ist treu und ehrlich. Wenn ich noch länger mit ihm zusammen bin, dann muß ich mich bald schämen, ein Weißer zu sein. Man braucht ja nur die Weißen hier in Fairplay anzusehen.« »Vergiß, was du hier gesehen hast, Cowboy«, sagte sie dunkel. »Es war Notwehr. Ich wollte ihn nicht töten. Jeden Tag und jede Nacht sterben Männer in Fairplay und in den anderen Goldsuchercamps. Niemand fragt nach ihnen. Alle denken nur an Gold.« »Ich auch.« »Dann such nicht in Fairplay, Cowboy! Es gibt noch andere Camps. Hier ist alles abgesucht worden.« »Du weißt, wo es bessere Plätze gibt?« »Ja, Cowboy. Und ich denke, daß du mich mitnimmst.« »Ich hab' nur ein Pferd.« »Laß deinen schwarzen Freund hier.« »Nein. Besorg dir ein Pferd oder ein Maultier. Du wirst uns oben am Talrand finden.« Er trank den Becher leer, nickte ihr zu und verließ mit Sam das Zelt. Grübelnd zog er das Pferd hinter sich her. Sie stiegen den Hang empor und erreichten die schützenden Felsen. Ernst blickte er auf die Lichter, Zelte und Buden von Fairplay hinunter. Trübe fiel der Lichtschein durch den Dunst. »Mastah sehr vorsichtig sein«, raunte Sam. »Weiße Frau einen Mann getötet.« »Ja, Sam«, murmelte Lucky. »Sie sagt nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht will sie uns aufs Kreuz legen. Du wirst sie nicht aus den Augen lassen, Amigo.« »Was sein Amigo?« »Freund.« Lucky lächelte flüchtig. »Bleib hier beim Pferd. Ich geh' noch einmal zurück.« Schon stieg er um die Felsen und Bäume abwärts und erreichte das Camp. Dick klebte die nasse Erde an seinen Stiefeln. Niemand achtete auf ihn. Er gelangte an das
Saloonzelt und sah durch die aufgeschlitzte Plane. Das Mädchen Kitty war verschwunden. »So ein Mist«, flüsterte er vor sich hin. »Wo ist die Lady?« Er wäre davongegangen, wenn das Gold nicht so sehr lockte. Er hätte diese Kitty vergessen. Aber sie wußte angeblich von ertragreichen Goldstellen und Claims. Vielleicht hatte sie wirklich von den betrunkenen Gästen viel erfahren. Eine Frau allein könnte niemals nach Gold schürfen. Sie kam nicht zurück. Schließlich verließ er das Camp. Als er sich Sam näherte, sah er Kitty zwischen den Felsen stehen, eingehüllt in einen Mantel. Neben ihr stampfte ein Pferd. Sie lächelte. Ihr Gesicht war naß vom Regen. »Verschwinden wir, Cowboy!« »Woher weißt du, daß ich Cowboy war?« »Das sehe ich euch Männern an. Hier in Fairplay und überall suchen ehemalige Kaufleute, Schiffer, Händler, Soldaten und Büromenschen nach Gold.« Sie sah auf seine Zahnlücke. »Auch ehemalige Zahnärzte sind hier, Bankiers – und natürlich die Abenteurer und Spieler.« Lucky grinste breit. »Und ein Cowboy wie ich.« Sie stiegen auf die Pferde und ritten in das nächste Tal hinunter. Dort wühlten und schufteten Männer, rissen die Erdnarbe auf, schlugen Gestein auseinander, bohrten Sprenglöcher in die Felsen, scharrten, hackten und schaufelten. Kitty hatte es eilig. Sie ritt voraus. Der lange Männermantel hing naß über ihre Beine. Der Regen durchweichte ihren Hut. Manchmal fluchte sie laut. Oft blickte sie zurück, als befürchtete sie, verfolgt zu werden. Am nächsten Morgen ließ der Regen nach. Die Sonne erwärmte das Land. Überall dampfte es.
Kitty zerrte ein Stück Papier unter dem Mantel hervor und betrachtete die Skizze. Wortlos ritt sie weiter. Am Nachmittag durchquerten sie einen namenlosen Fluß und erreichten eine kleine Hütte. »Vielleicht ist sie bewohnt!« flüsterte Kitty. »Sieh mal nach, Cowboy!« Er nickte, saß ab und nahm das Gewehr. Geduckt lief er um die mannshohen Sträucher und hastete an die Hütte heran. Vorsichtig schob er sich zur Tür und hielt das Gewehr schußbereit, trat die Tür auf und starrte hinein. Die Hütte war unbewohnt. Es roch nach Aas. Auf dem Tisch lag ein Fleischrest. Das Schlaflager war verlassen. Überall lag Abfall herum. Lucky ging hinaus und winkte. Sam und Kitty kamen herangeritten, saßen ab und blickten umher. Während Sam die Zügel hielt, ging Kitty in die Hütte, sah sich um und flüchtete ins Freie. »Du mußt das Fleisch herausholen, Cowboy. Himmel, das ist ein Gestank! Mir wird schlecht dabei.« »Ich das tun, Mastah«, sagte Sam und ging in die Hütte. Lucky sah ihm nach und kehrte Kitty den Rücken. Er ahnte nichts Böses. Er drehte sich auch nicht um, als das Mädchen sich ihm näherte. Urplötzlich verspürte er einen harten und heftigen Schlag am Kopf und brach besinnungslos zusammen. Das Mädchen stopfte ihm einen Fetzen der zerrissenen Skizze in die Tasche, stieß die Patronen aus dem Colt, schob ihm die leere Waffe in die Halfter zurück und entlud auch sein Gewehr, legte es zurück und ging zu den Pferden. Schon sprang sie auf Luckys Pferd und trieb das andere davon. Im Galopp jagte sie an der Hütte vorbei und in die dunkle Bergfalte hinein. Sam stürzte aus der Hütte und schrie auf. Sofort lief er zu Lucky und kniete bei ihm nieder. Besorgt strich er über Luckys Gesicht.
»Mastah« rief er immer wieder, »Mastah Lucky!« Stöhnend kam Lucky zu sich. Nur allmählich fand er in die Wirklichkeit zurück. Er sah Sams breites dunkles Gesicht, die Augen, die ihm besorgt und angsterfüllt anblickten – und er spürte den Schmerz im Kopf. »Was... ist geschehen, Sam?« »Weiße Frau Mastah niedergeschlagen! Sie weggeritten ganz schnell. Sie Mastahs Pferd genommen.« Lucky setzte sich aufrecht, tastete über die Kopfschwellung hinweg und richtete sich dann schwankend auf. »So ein Biest!« flüsterte er gepreßt. »Warum hat sie das getan?« »Sam nicht wissen.« »Dieses Luder!« Er würgte und schüttelte den Kopf. Nur allmählich wich die Benommenheit von ihm. Nachdenklich stierte er in die Bergfalte hinein. »Sie wollte unbedingt Fairplay verlassen, Sam. Wahrscheinlich, weil sie den Spieler erschossen hat. Sie traut uns nicht. Aber warum hat sie mein Pferd genommen? Es ist doch längst nicht so kräftig wie das andere! Sie hat uns das ausgeruhte Pferd dagelassen!« »Sie vielleicht es sehr eilig gehabt und darum Pferd gewechselt, Mastah.« »Ja, du kannst damit recht haben, Sam. Sollen wir ihr folgen? Zu zweit auf einem Pferd holen wir sie niemals ein, und das weiß sie auch. Ich verdammter Idiot! Ich hab' geahnt, daß mit diesem Weib nicht alles in Ordnung sein kann.« Er fluchte vor sich hin und ballte die Hände zusammen. Schweigend wartete Sam neben dem Pferd. Lucky verstummte, schob den Zeigefinger in seine Zahnlücke hinein und machte ein dummes Gesicht. »Hol mich der Henker«, sagte er undeutlich, »aber diese Kitty soll uns nicht entwischen, Sam! Irgendwo und irgendwann kriegen wir sie wieder.« »Mastah diese Frau vergessen«, meinte Sam dumpf. »Sie
nichts Gutes in Augen.« »Du magst sie nicht. Ich kann das verstehen. Sie hat Nigger zu dir gesagt. Aber du hast recht, sie verheimlicht uns was! Los, brechen wir auf, bevor die Spur verweht.« Nur langsam kamen sie voran. Die Bergfalte war bereits verlassen. Die Spur führte tiefer in die Wildnis hinein »Das muß man ihr lassen«, ächzte Lucky. »Sie reitet allein, Mut hat sie!« *** Das Feuer flackerte zu ihren Füßen. Still saßen Lucky und Sam am Feuer und sahen in die Flammen. Leise knackte das Holz. Der Nachtwind wisperte in den Sträuchern und Bäumen. Sam legte Holz nach. Geheimnisvolle Laute unterbrachen die nächtliche Stille. Aus dem Wald der Laubbäume strömte der Geruch von feuchtem Moos herüber. Es roch nach Blättern und Farnkraut. Vom Sturm entwurzelte Bäume hatten zu faulen begonnen. Fröstelnd hob Lucky die Schultern an, richtete sich auf und trat unter den Bäumen hervor. Weit reichte der Blick über Täler und Hügel hinweg und nach den fernen Bergkuppen, wo der ewige Schnee im Mondlicht weiß glänzte. Im hohen Norden lagen die Wälder von Dakota, lag das Land der Indianer. Ein Hauch von Wehmut und Sehnsucht erfaßte ihn. Er war zu einem Rastlosen geworden. Im Traum hatte er das weiche Gesicht eines unbekannten Mädchens gesehen, und obwohl er wußte, daß sich Träume niemals erfüllen, suchte er nach diesem Gesicht. Er wurde sich nicht darüber klar, daß die Natur in ihm immer drängender wurde. Schnee auf den Bergen, Gras in den Tälern – und goldgierige Menschen im Schatten des Pikes Peak, in den Bergflüssen und in den natürlichen Höhlen und Grotten des einstigen Indianergebiets. Immer wieder brachte der Nachtwind die dumpfen
Geräusche ferner Explosionen herüber. Für die Goldsucher gab es keine Nacht und keinen Tag. Der Goldrausch war zum Fieber geworden, das sich bösartig ausgebreitet hatte. Langsam kehrte Lucky zum Feuer zurück und ließ sich nieder. Zusammengesunken hockte der Neger neben ihm. Die großen Hände ruhten auf den angezogenen Beinen. Das schwarze Gesicht verriet die Leiden, die er hatte durchmachen müssen, zeugte von der unmenschlichen Sklaverei, von der Unterdrückung und der Schinderei. »Heißt du nur Sam?« »Nein, Mastah. Sam Washington. Mein Vater mich so genannt nach Mr. Präsident von damals. Er immer gesagt, daß Name mich freimachen werden.« »Dein Vater war ein kluger Mann, Sam. Du bist jetzt frei.« In den Augen des Negers erschien für mehrere Atemzüge lang ein weicher Ausdruck, und Lucky hatte das Gefühl, in die treuen Augen eines dankbaren Hundes zu sehen. Aber dieser Sam war kein Hund, er war ein Mensch und ein Mann, der so fühlen und empfinden konnte wie er selber, der nur eines nicht tun konnte: die Farbe seiner Haut zu ändern und weiß zu werden. »Danke, Mastah«, flüsterte er. »Du ein guter Herr.« »Verflucht! Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du nicht mein Sklave bist, Schneeball! Ich will, daß du mein Freund wirst, ich bitte dich sogar darum!« »Weißer Mann an Sam immer denken. Mastah nicht Sam helfen können. Sam ein Nigger sein, elender, dreckiger Nigger, stinkender Schweinehund, wie Mastah Badford immer gesagt haben.« Lucky seufzte schwer und grub die Hand unter die Jacke. »Also, gut, Sam, ich schreib' es auf, daß du frei bist. Verdammt, ich hab' doch irgendwo noch Papier. Vielleicht in der Satteltasche. Ich...« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Dieses Mädchen hat ja mein Pferd. Ich kann dir nichts
schreiben, Sam.« Er zog das Papier hervor und wollte es in das Feuer werfen, als er bemerkte, daß es ein Stück von einer Skizze war. In seinem Gesicht zuckte es. Hart traten die Muskelstränge unter der braungebrannten Haut hervor. »Sam, das ist eine kleine Karte mit Linien und Kreuzen...« »Sam nichts davon verstehen, Mastah.« »Ich verstehe auch nichts, Sam! Wie kommt dieser Papierfetzen in meine Tasche?« Es war still am Feuer. Lucky überlegte fieberhaft. Drohend schoben sich mehrere Gewehrläufe durch das Geäst der Sträucher. Lautlose Schatten waren aufgetaucht. Der Cowboy und der Neger merkten nichts von der Gefahr. Lucky hatte zu sehr an Sams Zukunft als freier Mann gedacht und nicht auf die Umgebung geachtet. Ihm war das leise, kaum hörbare Geräusch herantastender Schritte völlig entgangen. Kaltfunkelnde Augen beobachteten sie beide. Schaurig heulten die Bergwölfe den Mond an. Das Heulen versickerte mit einem Gekläff im Dunkel der Täler. Unsichtbar hing die Knochenhand des Todes über Lucky und Sam und konnte zu jeder Sekunde vernichtend zupacken. Die Zähne des Negers schlugen plötzlich aufeinander. Sam zitterte, als hätte ihn ein eiskalter Wind getroffen und wollte seine Körperwärme auslöschen. Die dunklen Augen quollen hervor... Lucky hob den Blick und sah das völlig veränderte und entstellte Gesicht des Negers, erkannte die grenzenlose Furcht in den Augen und ließ den Papierfetzen los. Steif bewegte er die rechte Hand nach rechts hinab, wo die Volcanic lag, krampfte die Hand um die Waffe und starrte dabei über das Feuer hinweg. »An deiner Stelle würde ich das nicht tun«, hörte er eine frostig klingende und heisere Stimme voller Kälte und Drohung. »Du wärst sofort ein toter Mann, du verdammter Dreckskerl!«
Sam schlotterte und stöhnte. Sein Leben lang hatte er die Weißen fürchten müssen, war ausgepeitscht und mißhandelt worden. Diese Furcht würde noch lange in ihm steckenbleiben. Die Augen glänzten wie dicke Knöpfe im flackernden Feuerschein. Zweige knackten. Blätter raschelten. Sporen klirrten hinter den Büschen und Bäumen. Ein Windstoß kam heran und ließ das Feuer fauchen. Steif löste Lucky die Rechte vom Gewehr. Sein Blick schnellte umher, doch er erkannte, daß jeder Widerstand sinnlos war. Er und Sam würden im Gewehrfeuer zusammenbrechen und sterben. In diesem Moment hörte er hinter sich Schritte. Einer der Männer kam näher und verharrte genau hinter ihm. Das kalte Eisen eines Gewehrlaufs stieß in seinen Nacken hinein und drückte auf den Wirbelknochen. Vor Schmerz biß er die Zähne zusammen. Der Mann hinter ihm brauchte nur abzudrücken, und Lucky wäre von einer Sekunde zur anderen ein toter Mann. Er würde den Schuß wahrscheinlich nicht mehr spüren können, so schnell würde alles geschehen. Sam stöhnte vor Angst. Sein Gesicht war grau wie Asche. Die breiten Schultern zuckten, der Körper bebte, die Hände krallten sich in die Hosenbeine. Jetzt sah Lucky drei Fremde, die zwischen den Strauchgruppen hervorbrachen. Sie trugen zerschlissene Kleidung, waren von einem scharfen Ritt durchschwitzt und machten einen hungrigen Eindruck. Haß und Feindschaft waren in den Augen zu erkennen. Ihr Grinsen verriet Niederträchtigkeit und Triumph. Vier Fremde waren gekommen... Sam war nicht bewaffnet. Lucky allein hätte sowieso keine Chance. Düsteres Schweigen herrschte. Die Fremden betrachteten Lucky und Sam kalt und zynisch. Sie ähnelten in diesem Augenblick Viehschlachtern, die ein besonders fleischiges Tier abstechen wollten. Schwach
zuckte es in den Gesichtern. Die Augen glühten im Widerschein des Feuers. Der Mann hinter Lucky nahm das Gewehr nicht zurück. Langsam kam einer der drei Fremden um das Feuer herum und nahm Luckys Gewehr an sich. Er zerrte auch den Colt aus Luckys Halfter. Plötzlich grinste er breit, betrachtete die Waffen und schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch nicht!« sagte er mit reibender Stimme. »Die Waffen sind nicht geladen, Madley!« Der Fremde hinter Lucky atmete hörbar ein. »Was?« dehnte er. »Nicht geladen? Und wir haben uns wie Indsmen angeschlichen!« Der Gewehrdruck in Luckys Nacken ließ nach. Jetzt konnte Lucky den Mann erkennen. Es war ein bärtiger großer Mann mit einem narbigen Gesicht. Düster starrte er Lucky an. »Du bist verdammt leichtsinnig gewesen, Dreckskerl«, sagte er mit vernichtender Kälte. »Wenn ein Kerl mit ungeladener Waffe hier durch die Gegend von Colorado streift, dann muß er verrückt sein.« Lucky schluckte würgend. Selbst mit dem größten Mut könnte er diese Fremden nicht überwältigen. »Davon weiß ich nichts«, flüsterte er. »Irgendwer muß meine Waffen entladen haben und...« Er verstummte und bekam einen starren Blick. »Die Lady!« stöhnte er auf. »Was ist mit der Lady, he?« knurrte der narbengesichtige Fremde. »Du sprichst von Kitty, wie?« »Ja!« krächzte Lucky. »So ein Biest!« »Mach uns nichts vor, Hundesohn. Du hast unseren Freund umgelegt – und du hast dich feige aus dem Staub gemacht! Wir haben unseren Freund am Talhang gefunden. Er lag unter einer Decke im Regendunst. Sein Geld ist weg – und auch der Plan.« »Ich hab' damit nichts zu tun!« »Das sollen wir dir glauben?« Der Fremde lachte höhnisch
auf. »Ich möchte nicht in deiner Haut stecken! Du wirst nämlich nicht mehr den Sonnenaufgang erleben. Dies ist deine letzte Nacht.« »Ihr könnt mich doch nicht einfach umlegen!« »O doch, das können wir – und wir tun es sogar! Du hast Massachusett umgebracht und beraubt. Wir werden das Geld schon noch finden! Durchsucht die Satteltaschen!« Seine Gefährten senkten die Waffen. Zwei von ihnen stapften zum Pferd. Einer drehte sich um und sagte mit klammer Stimme: »Madley, das hier ist Massachusetts Pferd!« Der Anführer namens Madley knirschte mit den Zähnen und machte zwei Schritte. Drohend verharrte er neben dem Feuer und hielt das Gewehr auf Lucky gerichtet. »Das ist der erste Beweis, du Dreckskerl. Ich will dir sagen, was alles in Fairplay geschehen ist. Du kamst dahinter, daß Massachusett viel Geld beim Pokern eingenommen hatte. Da hast du dir überlegt, wie du an sein Geld herankommen könntest. Dann hast du ihm irgendwo im Camp aufgelauert und ihn erschossen. Und dann hast du dir sein Pferd genommen. So und nicht anders ist es gewesen.« Die Fremden durchsuchten die Satteltaschen und fanden ein paar Dinge, die dem Kartenhai Massachusett gehört hatten. Plötzlich entdeckte einer der Fremden den Papierfetzen neben dem Feuer und hob ihn auf. »Madley!« flüsterte er. »Sieh dir das an! Das ist ein Stück von der Skizze! Massachusett hat davon gesprochen – von einer Skizze, die er einem Goldsucher abgenommen hatte...« »Das kann eine andere Skizze sein«, murmelte Madley. »Nein, Madley. Hier unten steht noch ›London Claim‹ drauf! Massachusett hat den Namen erwähnt. Ich erinnere mich noch genau daran!« Das narbige Gesicht des Anführers wurde zu einer Fratze der Bösartigkeit. »Du kannst uns nicht belügen, Hundesohn!« stieß er drohend hervor. »Ich möchte nur wissen, wo das Girl
geblieben ist, diese Kitty! Sie war Massachusetts Freundin!« Lucky biß sich beinahe die Unterlippe blutig, so wütend war er. »Sie hat uns reingelegt!« flüsterte er, und dann sagte er, wie alles geschehen war. »Niedergeschlagen hat sie mich! Hier, seht euch die Schwellung am Kopf an! Und sie hat auch meine Waffen entladen! Ich sollte nicht mehr schießen können, ich sollte draufgehen und umgelegt werden! Sie hat genau gewußt, daß ihr uns folgen werdet. Ich verdammter Narr! Wahrscheinlich hätte sie jeden anderen auch in diese Falle gelockt. Aber ich war fremd in Fairplay und genau der richtige Mann für sie! Besser konnte sie es gar nicht treffen. Sie hat Massachusett, den Spieler, erschossen – mit 'nem Smith and Wesson!« Die Fremden stierten ihn nachdenklich an. »Alles könnte so gewesen sein«, sagte Madley schleppend, »aber auch ganz anders. Vielleicht habt ihr Kitty umgebracht und irgendwo verscharrt. Vielleicht hält sie sich auch irgendwo verborgen, und ihr macht gemeinsame Sache mit ihr.« »Aber sie war doch Massachusetts Freundin, Madley!« knurrte einer der Männer. »Er spricht nicht die Wahrheit!« sagte ein anderer wütend. Madley bewegte den Mund, rieb die Zähne aufeinander und schien angestrengt nachzudenken. »Ja, wir sollten nicht alles glauben, Freunde«, murmelte er schließlich. »Massachusett wollte die Kitty heiraten, irgendwann. Los, macht diese Burschen lang!« Lucky und Sam wurden mit den Gewehren zusammengeschlagen. Als sie zu sich kamen, lagen sie am Boden, an Händen und Beinen gefesselt. Die Fremden rissen sie hoch und warfen sie mit dem Rücken gegen zwei Baumstämme. Dann bekamen Lucky und Sam ihre Fausthiebe zu spüren. Grausam hart schlugen die Männer zu. Immer wieder rammten sie die Fäuste in Luckys und Sams Magen,
zwischen die Rippen und in den Unterleib. Es waren grausame Schläge. Sam stöhnte manchmal, doch er schrie nicht. Er mußte die härtesten Schläge gewohnt sein und ertrug die Schmerzen, ohne zu jammern und zu flehen. Es schien so, als würden die Schläge vor ihm abprallen. Lucky erlebte die Hölle. Sie schlugen ihm den Mund blutig, wuchteten die Fäuste immer wieder in seinen Körper hinein und ließen endlich keuchend von ihm ab. Halb bewußtlos lag er vor ihnen am Baum. »Die Wahrheit!« fauchte Madley wütend. »Mach endlich das Maul auf, oder ich lasse dich totschlagen!« Er würde es tun. Diese vier Fremden waren zu allem entschlossen. Stöhnend hob Lucky den Kopf an und stierte in die schweißnassen Gesichter der Fremden. »Ihr schlachtet das falsche Schwein«, hauchte er undeutlich. »Wir haben den Spieler nicht umgebracht!« »Aber wir haben eure Stiefelabdrücke am Hang gesehen! Ihr habt Massachusetts Pferd und etwas von der Skizze! Wo ist das andere Stück von diesem Plan, he?« »Das hat Kitty!« »Du bist verrückt. Das soll ich dir glauben?« »Ja, es ist... die Wahrheit«, röchelte Lucky. Madley grinste zynisch und bewegte die Hand – und wieder traten die Komplicen an Lucky heran und schlugen zu. Lucky wurde ohnmächtig. »Jetzt nehmt euch noch einmal den Nigger vor!« befahl Madley. »Von mir aus schlagt ihn tot, wenn er nicht das dreckige Maul aufmacht!« Kalt pfiff der Nachtwind über den Lagerplatz. Irgendwo wieherten Pferde. Sam wurde grausam geschlagen und gequält. Die Fremden waren schlimmer als Tiere. Allmählich kam Lucky zu sich. Mit geschwollenen Augen
starrte er trübe zu Sam hinüber. Blut sickerte aus der aufgeschlagenen Augenbraue. Er konnte nicht deutlich sehen. Ein roter Blutfilm lag auf seinem Auge. Er hörte Sam stöhnen, hörte die dumpfen Schläge und das Keuchen der Fremden – und er sah undeutlich das dunkle Gesicht des Negers. Es war schrecklich zugerichtet. Die Fremden traten Sam zwischen die Beine und quälten ihn entsetzlich. »Aufhören!« röchelte Lucky. »Nicht mehr... schlagen! Ihr bringt... ihn... ja um!« Madley gab den Komplicen einen Wink. Sie ließen von Sam ab und rieben sich die Handknöchel. Sam erschlaffte und sackte zurück. »Du willst endlich reden?« fauchte Madley. »Dann rede!« »Ich weiß nichts!« Madley verzerrte das Gesicht. Als die Komplicen sich wieder Lucky nähern wollten, hielt er sie zurück. »Wir machen morgen weiter. Die beiden müssen sich erst etwas erholen. Sie werden reden, ganz bestimmt. Werft sie auf das Pferd. Wir reiten weiter.« Die Fremden rissen Lucky und Sam hoch und schleiften sie zum Pferd. Rücksichtslos warfen sie die beiden jungen Männer bäuchlings auf das Pferd, dann holten sie ihre Pferde. Sie ließen das Feuer brennen, saßen auf und ritten an. Für Lucky und Sam wurde der Ritt zur Qual. Ihre gefesselten Arme hingen hinunter. Sie konnten nicht den Kopf anheben. Unter ihnen stampften die Hufe und zog der Boden vorbei. Trotz der höllischen Schmerzen und des furchtbaren Drucks im Schädel versuchte Lucky, einen klaren Gedanken zu fassen. Diese Fremden waren die Freunde des Spielers Massachusetts, den die rothaarige Kitty erschossen hatte. Während er, Lucky, nach Kitty gesucht hatte, hatte sie das
Pferd des Spielers geholt, hatte sie den Plan gefunden und war zu Sam geritten, der am Talrand gewartet hatte. Kitty war ein durchtriebenes Luder. Skrupellos hatte sie Luckys Unerfahrenheit ausgenutzt und ihn in diese Falle gelockt. Nur sie hatte alles arrangiert. Sie war genauso goldgierig wie all die Männer in Colorado. Für Gold ließ sie Männer sterben. Kitty – ein Name, den Lucky niemals vergessen würde. Die Fremden zogen das Pferd mit Lucky und Sam hinter sich her und sprachen kein Wort miteinander. Es war spät in der Nacht, als sie plötzlich die Pferde zügelten und zu Boden blickten. »Das ist die Spur eines Pferdes, Madley!« krächzte einer von ihnen. »Ja«, sagte Madley gedehnt, »und ich frage mich, was ein einzelner Reiter in dieser Gegend zu suchen hat!« »Kitty!« stöhnte Lucky. »Das ist diese Kitty!« Sie starrten ihn an, schwiegen und ritten auf der Spur weiter. Im Morgengrauen hielten sie an, saßen ab und zogen Lucky und Sam vom Pferd. Einer von ihnen machte ein kleines Feuer. Es war kalt an diesem Morgen. In den Niederungen wehten die Nebelschwaden feucht um die Bäume. Die Luft roch nach dem herbstlichen Laub. Der Winter war zu ahnen. Zerschunden lagen Lucky und der Neger am kalten Boden. Die Fremden hockten sich an das wärmende Feuer. Einer kochte Kaffee. Schon nach kurzer Zeit erhob Madley sich und blickte dorthin, wo die Spur zwischen den zerklüfteten grauen Felsen verschwand. Sein Narbengesicht war wie aus Stein. Er witterte in den Wind. Die Komplicen tranken den heißen schwarzen Kaffee und warfen düstere Blicke zu den Gefangenen hinüber. Nach dem Frühstück würden sie wieder Lucky und Sam schlagen und quälen wollen. Lucky hatte sie kennengelernt. Er täuschte sich nicht. Das waren nicht Männer, die einen Freund rächen wollten. Im
Grunde genommen ließ sie das Schicksal des Spielers Massachusett völlig kalt. Ihnen ging es nur um sein Geld und um den Plan, den er einem Mitspieler abgenommen hatte, als dieser betrunken gewesen war. Sie waren zweibeinige Goldhyänen, nichts anderes. Banditen, die nach dem Gold trachteten und dabei kein Menschenleben verschonen würden. Sie würden ihn und Sam wirklich totschlagen. Langsam drehte Lucky den Kopf herum und sah zu Sam hinüber. Erschüttert sah er, wie Sam kraftlos und wie ausgeblutet am Boden lag. Die Fremden hatten den Neger noch viel grausamer zugerichtet – doch Sam hatte geschwiegen wie ein Grab. Das Feuer flackerte unruhig im Morgenwind. Madley setzte sich wieder, hielt den Blechbecher in beiden Händen und schlürfte geräuschvoll. Die Pferde standen zwischen den Felsen. Die Sträucher raschelten. Das erste Tageslicht erhellte den bleigrauen Himmel. Langsam tauchten die Bergkuppen aus dem Dunst auf. In der Ferne schimmerte Schnee... Lucky begann, diese Kitty zu hassen und zu verfluchen. Er und Sam hatten auf eigene Faust nach Gold suchen wollen. Kitty hatte sie beide in ihre schmutzigen Pläne eingespannt und wollte sie beide jetzt opfern. Ihr war es egal, was aus ihnen wurde. Auch eine Frau konnte skrupellos sein. Das war für Lucky eine völlig neue Erkenntnis. Er hatte immer geglaubt, daß Frauen weiche, sinnliche und liebevolle Wesen wären, daß sie zu keiner Skrupellosigkeit fähig sein würden. Eigentlich hatte er sich darüber niemals Gedanken gemacht. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß jede Frau sanft behandelt werden mußte, daß nichts Böses von ihr ausging. Hier in den Bergen am Pikes Peak war es anders. Hier
verluderten die Mädchen aus dem Osten und wurden zu Huren. Hier gierten sie wie die Männer nach Geld und Gold, liebten, töteten und siechten an Krankheiten dahin. Lucky hatte sich verändert. Er war nicht mehr der Cowboy von gestern. Die ersten scharfen Falten hatten sich in seinem zerschlagenen Gesicht eingeprägt. Gewaltsam hatten die Fremden ihn gewandelt. Ihre Fußtritte und Schläge schmerzten noch immer. Er spürte jeden Knochen im Leib. Am schlimmsten waren die Schmerzen im Unterleib. Auch Sam litt sehr darunter. Für die Fremden war er ein dreckiger Nigger, kein Mensch. In Luckys Augen flackerte es auf. Haß... Die Wunde über dem Auge war blutverkrustet. Die Stirn war angeschwollen, die Lippen waren furchtbar dick geworden. Er konnte kaum sprechen. Drüben, hinter dem Feuer, lagen sein Colt und seine Volcanic. Der Schweißgeruch der Pferde wehte herüber. Kein Laut kam aus der Wildnis. Immer wieder grübelte Lucky darüber nach, wie er und Sam diesen Fremden entrinnen könnten. Es war aussichtslos. Madleys Stimme riß ihn aus den Gedanken. »Wir lassen sie nicht frei. Sie wissen zuviel über uns.« Einer der Komplicen beugte sich vor und grinste teuflisch. »Überlaß sie mir, Madley. Ich mach' das schon.« »Ich will keinen Schuß, verstehst du, Sanders?« »Verstehe.« Sanders rieb die knochigen Hände. Er zog die eckigen Schultern an und beugte sich noch weiter vor. Heimtückisch funkelten die Augen. »Also mit dem Messer, Madley?« »Ja.« »Jetzt sofort?« »Nein. Erst sollen sie noch reden!« Lucky hatte jedes Wort gehört, so leise auch gesprochen
worden war. Ob sie reden würden oder nicht, der Tod stand ihnen bevor. Diese Fremden würden sie beide gnadenlos umbringen. Sie schwiegen, tranken den Kaffee, saßen still am Feuer und blickten in die Flammen. Plötzlich tönte ein leiser Ruf durch die Stille des Morgens. Es war die Stimme einer Frau... »Cowboy? Ich bin es – Kitty! Komm her, Cowboy...!« *** Madley und seine Komplicen zuckten heftig zusammen und saßen sekundenlang völlig steif am Feuer. Zuckend hob Sam den Kopf. Die Augenlider flatterten. Schweres Stöhnen kam über seine dicken Lippen. Lucky rollte sich auf die Seite und stierte zwischen die Felslücken. Er konnte Kitty nicht sehen. Sie mußte mindestens zweihundert Yard vom Rastpaltz entfernt sein. Wieder rief sie: »Cowboy! Ich weiß, daß du dort bist! Ich muß mit dir reden! Es hat doch keinen Sinn, daß du mir folgst! Wir müssen wieder gemeinsam reiten. Es tut mir leid, Cowboy.« Die Banditen bewegten sich. Sie griffen nach den Coltrevolvern und richteten sich am Feuer auf, standen horchend im Wind und starrten dorthin, woher die Stimme der Saloonlady gekommen war. »Madley«, raunte einer der Banditen, »ich glaub', er hat die Wahrheit gesagt!« »Ja«, flüsterte Madley dumpf. »Aber es ist zu spät für ihn und den Nigger. Sie wissen zuviel. Sanders, du erledigst die beiden, verstanden?« Sanders nickte kalt. Wieder rief Kitty, diesmal drängend und bittend: »Sei nicht so stur, Cowboy! Ich hab' es doch nicht so gemeint. Jetzt hab' ich über alles nachgedacht. Es war schlecht von mir. Ich bereue
es. Komm doch endlich! Ich muß mit dir allein sprechen, laß den Neger zurück!« Sanders kam zu Lucky, zog das Messer und kniete nieder. »Wenn du schreist, dann stech' ich dich ab!« drohte er. Madley gab den beiden Komplicen einen Wink. Sie bewegten sich lautlos über den Rastplatz und schlichen zwischen die Felsen. »Cowboy, komm doch!« Kittys Stimme klang seltsam. Ihre Stimme hatte sich verändert. Lucky hörte es heraus, doch er wußte nicht, was er davon halten sollte. Wenn er Kitty jetzt warnte, würde Sanders sofort zustoßen. Plötzlich kam Madley zurück. »Knebel die beiden!« fauchte er. »Komm mit!« Brutal stieß Sanders sein zerrissenes Halstuch in Luckys und Sams Mund, schob das Messer in die Scheide zurück und griff zum Gewehr. Geduckt folgte er Madley und den anderen. Die Banditen schienen Kitty zu mißtrauen. Sie wollten Kitty umstellen und nicht entkommen lassen. Lucky und Sam war nur ein wenig Zeit geschenkt. Stöhnend rollte Lucky an das Feuer heran und streckte die gefesselten Hände in die Flammen hinein. Der Hanfstrick begann zu glühen. Mühsam wälzte Sam sich heran, stierte in die Flammen und biß die starken Zähne zusammen. Dann hielt er auch die Hände in das Feuer. Die Hitze umgab ihre Hände. Der Schmerz war furchtbar, doch die Stricke glühten... Kitty rief nicht mehr. Tiefe Stille lastete über den Tälern und Bergen. Brandblasen bildeten sich auf den Händen. Die Haut schwoll an. Sam röchelte. Lucky konnte es nicht mehr aushalten, er warf sich auf den Bauch und stieß die Hände in den kalten Sand, um sie zu kühlen.
Niemals würde er Sams Gesichtsausdruck vergessen. Der Neger ertrug die furchtbaren Schmerzen. Der Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht. Die Gesichtsmuskeln zuckten. Ein Ausdruck des Irrsinns flackerte in den hervorquellenden dunklen Augen. Mit einem Ruck riß Sam die Handfesseln auseinander... Plötzlich krachten Schüsse. Kugeln jaulten umher. Männer brüllten. Zweige brachen. Querschläger fauchten über den Lagerplatz. Die Pferde scheuten und keilten aus. Sam löste Luckys Handfesseln. Beide zerrten an den Fußfesseln. Ihre Hände waren so schwer verbrannt, daß jede Bewegung furchtbar schmerzte – und dennoch schafften sie es, waren frei, taumelten am Feuer vorbei. Auf einmal hörten sie, wie jemand herangehastet kam, wie er keuchte und die Zweige der Sträucher zerbrach. Stiefel polterten über den Felsboden. Sporen rasselten heftig. Alles hörte sich so an, als würde ein Irrer heranstürmen. Wieder fielen Schüsse. Ein gellender Schrei der Wut übertönte die Schüsse und brach jäh ab. Lucky packte seine Volcanic. Er konnte damit nicht schießen. Es ging um das Leben. Er rannte zurück, am Feuer vorbei, hielt das Gewehr am Lauf und zitterte vor Schmerzen Da kam Sanders zwischen den Felsen und Sträuchern hervor. Das Gesicht war entstellt. Die Jacke über der Schulter war von einer Kugel zerfetzt worden. Blut sickerte hervor. Er hielt den Colt in der Hand und schrie auf, als er Lucky sah, wollte abdrücken... »Da hast du es!« schrie Lucky entnervt und wuchtete den Kolben in das Gesicht des Todfeindes hinein. Sanders stürzte nach hinten weg und blieb liegen. Geduckt rannten sie zu den Pferden. Sam kletterte auf eines der Banditen. Lucky warf sich auf das Pferd des Spielers.
Schon jagten sie davon und verschwanden hinter Bäumen und Felsen. Abseits des Lagerplatzes rissen sie die Pferde herum und horchten. Die Schüsse waren verhallt. Reiter jagten näher. Pferde wieherten schrill und von Sporenstößen gepeinigt. Hart klirrten die Hufeisen über den Felsboden. Dann krachte ein Schuß. Lucky konnte nicht sehen, daß andere Fremde gekommen waren, daß sie Sanders erbarmungslos erschossen hatten. Heisere Stimmen tönten herüber. Immer wieder hörte Lucky den Namen Madley. Er war anscheinend entkommen. Ein Schauer fegte über seinen Rücken hinweg. Flackern war in den Augen. Unruhig blickte er Sam an. »Wir müssen verschwinden, Sam!« Langsam ritten sie weiter, um kein Geräusch zu machen. Hinter ihnen brüllten die Männer. Suchend ritten Fremde umher. Lucky stierte zurück. Sie konnten ihre Spuren nicht verwischen – sie mußten felsiges Gelände erreichen, um den Fremden entkommen zu können. Er besaß seine Waffen, doch sie waren nicht geladen. Er könnte sich auch mit einem Knüppel verteidigen, das wäre dasselbe. Als sie weit genug entfernt waren, trieben sie die Pferde in einen Galopp hinein. Schon wenig später, als Lucky zurücksah, entdeckte er die Verfolger. Es waren mehrere Männer und ein rothaariges Mädchen... *** »Streck die Hände vor, Sam, ich werde sie verbinden.« Sam blickte auf seine Hände. Sein Körper zitterte wie bei einem Schüttelfrost. Langsam hob er den Blick an und schluckte würgend. »Mastah nicht verbinden die Hände von Sam Washington«, sagte er dunkel. »Das noch niemals ein Weißer getan.«
»Dann bin ich eben der erste Weiße, Sam«, knurrte Lucky und verbiß die Schmerzen. »Anschließend wirst du mir die Hände verbinden. Wir haben Glück gehabt, daß in der Satteltasche des Halunken Verbandszeug war.« Beide hockten in der Wildnis. Tief unter ihnen klaffte ein Tal. Bizarr stießen die Felsen in den Abendhimmel. Das rote Sonnenlicht lag auf den Gesichtern der jungen Männer. Sorgfältig legte Lucky den Verband an und ließ sich dann von Sam verbinden. Es war der Anfang einer Freundschaft zwischen dem Weißen und dem Neger. Sie beide sprachen nicht darüber. Sie lächelten auf einmal, und Sam schloß die Augen und atmete tief ein. In Gedanken war er auf den Baumwollfeldern des Südens und erlebte noch einmal die düsteren Tage der Sklaverei. Er machte noch einmal die langen und höllischen Zeiten durch, da Brian Badford ihn wie ein Tier behandelt hatte. Und er hatte auf einmal die stille Angst, daß sich das alles wiederholen könnte. »Mastah sein sehr gut zu Sam.« »Hör auf mit dem Mastah, Sam! Ich bin Lucky. In Kansas haben sie mich zum Teufel gejagt. Schlitzohr und Hundesohn haben sie zu mir gesagt. Ich bin nach Colorado gekommen, um nach Gold zu suchen. Und ich habe dich getroffen. Wir beide suchen nach Gold. Aber wir haben ein paar Halunken auf unserer Spur. Diese Kerle haben Madley und die anderen umgelegt. Vielleicht konnte Madley auch entkommen, das weiß ich nicht. Aber ich weiß ganz genau, daß diese Kitty die Halunken in die Falle gelockt hat! Verstehst du das, Sam?« »Nein...« »Ich verstehe es selber kaum. Also, Sam, Kitty kam dahinter, daß der Spieler Massachusett einen Haufen Geld oder Goldnuggets gewonnen hatte und einen Plan besaß, eine Skizze, die viel wert sein muß. Sie geriet mit Massachusett in Streit. Das hatten wir gehört. Sie erschoß Massachusett und
beraubte ihn. Weil sie wußte, daß Massachusett Freunde hatte, eben diesen Madley und dessen Komplicen, mußte sie die Spur auf uns lenken. Darum schlug sie mich vor der alten Hütte nieder, gab mir ein Stück vom Plan und ließ Massachusetts Pferd zurück. Madley sollte uns fertigmachen. Dann sollten Madley und die anderen in die Falle gelockt werden.« Lucky atmete pfeifend aus und horchte. Kein Laut scheuchte sie hoch. Langsam sprach er weiter: »Kitty arbeitet mit anderen Halunken zusammen. Sie hat es faustdick hinter den Ohren. Sie wußte genau, daß Madley uns erwischt hatte, aber sie tat so, als wären wir beide in der Nähe, und Madley fiel darauf herein.« »Ja«, hauchte Sam mit einer weichen kindlichen Stimme, »ich jetzt alles verstehen.« »In Ordnung, Sam. Wir werden uns jedenfalls davonmachen, Amigo. Ich will diese Kitty niemals wiedersehen.« Es sollte anders kommen, aber das konnte Lucky an diesem Abend nicht wissen. Stunden später brachen sie auf und ritten ziellos durch die Nacht. Schließlich erreichten sie einen Höhenzug und trieben die Pferde empor. Mit letzter Kraft trugen die Pferde die Männer auf die windige Höhe. Hier rutschten Lucky und Sam von den Pferden. Sie mußten auf ein Feuer verzichten. In die Pferdedecken gehüllt, hockten sie reglos am Boden. Von den Douglasfichten fielen Nadeln auf sie herunter. Ewiges Rauschen war in den Bäumen. Übermüdet schliefen sie ein. Sie konnten einfach nicht länger wachbleiben: Seit vielen Stunden hatten sie nicht geschlafen. Schlaff lagen sie im zuckenden Mondlicht. Die Pferde fraßen und schnaubten manchmal. Die tödliche Gefahr war wieder einmal unterwegs zu ihnen.
Noch deutete nichts daraufhin. Alles war ruhig und friedlich. Die Stille dieses trügerischen Friedens verlieh den beiden Männern einen tiefen und festen Schlaf. Ein neuer Tag begann. Sie erwachten und bewegten vorsichtig die Hände. Im Dunst verschwammen die Konturen der Bäume und Felsen. Der Wind drang durch ihre Kleidung. Fröstelnd erhoben sie sich. Weit und breit war niemand zu sehen. Wenig später saßen sie wieder im Sattel und verwischten die Spuren. Der Hufschlag verklang. Lange war es still. Schon schien die Sonne heiß auf die Wildnis, als Hufgetrappel die Stille zerstörte. Zwischen dem tiefhängenden Geäst der Bäume kam Madley hervorgeritten. Das Gesicht war verstaubt und schweißnaß. Die Jacke hing in Fetzen von den Schultern. Die Narben im Gesicht glühten rot. Er stierte umher, bewegte den Unterkiefer und fluchte undeutlich. Noch immer war zu erkennen, wo Lucky und Sam übernachtet hatten. Wieder einmal spielte ein teuflischer Zufall Schicksal. Dieses Land war unendlich weit – und dennoch stieß Madley wie gerufen auf die Spur der beiden jungen Männer. Er war in derselben Richtung wie sie geflohen. Auch für ihn gab es nur einen Weg, um sich in Sicherheit zu bringen. Er mußte dorthin, wo das Bergland am zerklüftetsten war, wo es tausend Schlupfwinkel gab, wo sich eine ganze Armee verbergen könnte. An einem Lasso hinter seinem Pferd hing ein Strauch. Als er wieder anritt, rutschte der Strauch über seine Spur und verwischte sie. Langsam ritt Madley über den Platz und folgte der Spur. Immer wieder mußte er anhalten und danach suchen. Manchmal war es nur ein geknickter Zweig von einem Strauch, ein Büschel Pferdehaare oder ein halbverwehter Hufabdruck, der den Weg der beiden Reiter verriet.
Madley mußte jeden Menschen hassen. Er war bewaffnet, und er würde die Waffen auch benutzen. Wie ein Schatten folgte er Lucky und Sam. *** Lichter glühten im Tal. Die Feuer waren wie rote Punkte in der Nacht. Der Lichtschein wanderte über die Talhänge. Unten, kaum zu erkennen, standen die Zelte der Goldsucher. Reglos standen Lucky und Sam über dem Tal und hielten die Pferde am Zügel. Nachdenklich blickte Lucky auf das Goldgräbercamp. »Sie alle suchen«, murmelte er. »Sie schuften und vergessen alles andere. Sie hungern, belauern sich und denken nur an Gold.« Sam schwieg und nickte. Der Rauch der Lagerfeuer wehte über den Talhang empor. Verworrene Stimmen tönten herauf. Maultiere zerrten Karren durch das Tal. Durch die Wolkenlücken fiel bleiches Mondlicht. Dort unten herrschte die Goldgier. Lucky schnaufte und schüttelte den Kopf. »Langsam verliere ich den Spaß daran, Sam. Es lohnt sich wohl nicht, nach Gold zu suchen. Es suchen zu viele Kerle danach. Reiten wir weiter. Vielleicht ist es in einem der anderen Täler ruhiger.« Sie zogen die Pferde hinter sich her und machten sich an den Abstieg. Steine rollten vor ihnen abwärts. Die Geräusche hinter ihnen im Tal wurden leiser und waren dann nicht mehr zu hören. Vor ihnen breiteten sich mehrere Täler aus. Es dauerte lange, bis sie unten waren. Langsam ritten sie durch das Tal und blickten suchend umher. Im Sternenlicht erreichten sie ein Seitental. In der Ferne zog eine Maultierkarawane über einen Bergrücken und hob sich schwarz und unheimlich vor dem
Nachthimmel ab. Im Tal vor ihnen war es still. Sie ahnten nicht, daß Madley ihnen folgte, daß dieser narbengesichtige Mann glaubte, daß sie beide mit Kitty und den Banditen paktierten. Der Nachtwind stieß in ihr Gesicht. Dunkel lagen die Hänge vor ihnen. Aus trockenem Gras ragte das Skelett eines Büffels hervor. Die Knochen des mächtigen Tieres waren von vielen Sommern gebleicht. Indianerland. Die Weißen hatten alles an sich gerissen, tobten umher und veränderten das Gesicht der Landschaft. Die Pferde trotteten langsam durch das Tal. Auf einmal roch Lucky Herdrauch. Suchend blickte er umher. Alles verwischte in der Nacht. Nahezu reglos standen die Fichten am Hang. Grau und blank schimmerten die Felsklippen. Gesteinsschotter lag beiderseits des Tals. Vor den Reitern glänzte hell das Wasser eines kleinen seichten Flusses. Überall ragten Steine aus dem Flußbett. Birken, Zedern und Bergerlen wuchsen am Wasser. Sie lenkten die Pferde an den kleinen Fluß heran und ließen sie saufen. Urplötzlich peitschte ein Schuß herüber. Die Kugel schrammte über Sams Kopf hinweg. Bewußtlos kippte der Neger vom Pferd. Mit einem Hechtsprung schnellte Lucky aus dem Sattel und zwischen die Erlen. Hart prallte er auf, warf sich herum und kroch zwischen das zähe Bärengras. Still lag er da, horchte und hörte, wie ein Gewehr durchgeladen wurde. Er konnte nicht zurückschießen. Langsam schob er sich durch das Gras und blieb im Schatten der Bäume. Das Echo des Schusses verhallte im Tal. Sekundenlang vernahm er eine helle Stimme. Die Worte konnte er nicht verstehen. Dann war es totenstill. Er atmete gepreßt und blickte umher, richtete den
Oberkörper vorsichtig auf und spähte über das wogende Gras hinweg. Wieder krachte ein Schuß. Fluchend warf er sich hin. »Nicht schießen, verdammt!« schrie er wütend. »Wir wollten nur die Gäule tränken!« Er bekam keine Antwort. Das grelle Mündungsfeuer war drüben neben den Felsen aufgeflammt. Dort kauerte der Schütze und wartete darauf, daß Lucky sich eine Blöße gab. »Verdammte Scheiße!« ächzte Lucky und kroch zurück. »Sam, alter Junge, was ist mit dir?« Sam lag halb im Wasser. Der schwere Körper bewegte sich nicht. Ein dünner roter Faden von Blut löste sich wolkenartig im Wasser auf. Mühsam kroch Lucky zu Sam und kniete im Wasser. Vorsichtig hob er Sams Gesicht aus dem Fluß und zog ihn auf einen flachen Felsen. Die Pferde standen nur wenige Meter von ihnen entfernt. Der Kolben der Volcanic ragte aus dem Scabbard hervor. Rastlos plätscherte das Wasser dahin. Sam stöhnte dumpf und kam zu sich. Lucky lächelte verzerrt. »Still, Sam, bleib liegen!« Sam schwieg und würgte. Mit verengten Augen blickte Lucky umher. Flammender Zorn erfüllte ihn. Er war wütend auf den Schützen und packte einen faustgroßen Stein. Das Gras bewegte sich im wispernden Wind. Die Schatten der Bäume flirrten über die Männer hinweg. Irgendwo knackte es trocken. Auf allen vieren entfernte Lucky sich, verließ den Fluß und kroch in den Schatten. Noch immer hielt er den Stein und war entschlossen, ihn als Wurfwaffe zu benutzen. Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Er sah nichts.
Plötzlich war ein anderes Geräusch hinter ihm. Er schnellte zurück und konnte wieder nichts entdecken. Er hatte nicht nur einen Gegner vor sich. Zwei bedrohten ihn. Er saß in der Klemme. Was er auch tun würde, sie waren ihm überlegen mit ihren Waffen. Da nützte ihm selbst der größte Mut nichts. Er durfte nicht verzweifelt handeln. Fieberhaft überlegte er. Plötzlich hörte er Sams Stimme herübertönen, sie klang dumpf, als käme sie aus dem Boden. »Ich ergebe mich! Ihr nicht schießen! Wir friedfertige Jungs.« »Sam«, ächzte Lucky. »Bist du verrückt geworden? Los, runter mit dir, Amigo! Willst du dich abschießen lassen?« »Nein«, antwortete Sam leise. »Ich sie ablenken. Du dann entkommen. Sam nur ein Nigger.« »Hol dich der Teufel mit deinem dummen Gerede!« Sam aber lächelte seltsam verloren. Blut lief über sein schwarzes Gesicht. An diesem zerschlagenen und geschwollenen Gesicht konnte Lucky ermessen, wie er selber aussah, nicht weniger schlimm als Sam. Als er sich aufrichten wollte, hörte er eine fremde, harte Stimme: »Nicht bewegen! Hier wird scharf geschossen!« Aus, dachte Lucky nur und blieb liegen. Stiefel mahlten durch den Flußsand. Drei mit Gewehren bewaffnete Männer tauchten auf. Das Metall blitzte im Sternenschein. Die alten derben Hüte warfen Schatten auf die Gesichter und machten sie unkenntlich. Matt schimmerten die weißen Zähne. Grimmiges, bissiges Lächeln lag auf den Gesichtern der Männer, die wie Farmer aussahen. »Jetzt kannst du aufstehen!« sagte einer der Männer zu Lucky. »Aber schön langsam, sonst hast du ein Loch im Bauch.« Sie duldeten keinen Widerspruch. Es waren harte Burschen. Einer von ihnen war viel älter als die beiden anderen.
Alle standen gebeugt, wie unter einer schweren Last, am Fluß. Die rauhen Hände hielten die Gewehre so fest und reglos, als säßen die Waffen in Schraubstöcken. Steif stand Lucky auf und hob die verbundenen Hände bis in Schulterhöhe an. Sam verharrte völlig reglos. Die Männer kamen näher. Einer zog Luckys Colt aus dem Halfter und blickte ihn überrascht an. »Der ist nicht geladen, Dad!« Der ältere Mann mit dem breiten rauhen Gesicht knurrte dumpf. »Dann ist er ein Dummkopf! Bringt sie zum Haus!« Seine beiden Söhne stießen Sam und Lucky die Gewehrläufe zwischen die Schulterblätter und zwangen sie, durch das Tal zu gehen. Er selber nahm die Pferde am Zügel und folgte ihnen. Lucky hatte etwas Zeit, die Männer zu betrachten. Der ältere Mann ging mit schweren, erdhaften Schritten. Er schien mit der Erde verwachsen zu sein. Das war der typische Schritt eines Siedlers, der es gewohnt war, auf den Feldern zu stehen. Die Söhne waren genauso knochig wie er. Auch sie hatten große Hände wie Schaufeln und breite Schultern. Sie sahen älter aus, als sie waren. Der blonde Mann war wohl kaum älter als Lucky, der schwarzhaarige mußte noch jünger sein. »Aufpassen, Jim!« sagte der Farmer zu seinem schwarzhaarigen Sohn, der Sam bewachte. »Unterschätz den Burschen nicht!« »Mach' ich, Dad.« Vor Lucky lag der Talhang, von Sträuchern überwuchert, baumbestückt und voller Felsen. Er sah Spitzhacken und Schaufeln liegen, Pfannen zum Goldwaschen und anderes Gerät. »Bring ihn zuerst rein, Dave!« knurrte der Farmer. Der blonde Mann hinter Lucky verstärkte den Druck. Lucky ging weiter. Suchend blickte er umher, konnte aber nirgendwo eine Hütte erkennen.
Plötzlich fiel trübes Talglicht aus dem Hang. Im herausfallenden Schein stand eine schlanke blonde Gestalt. Lucky blieb unwillkürlich stehen. Es war ein Mädchen. So jung wie er, schön und zierlich anzusehen. Ein wahr gewordener Traum... »Los, weiter!« befahl der junge Mann hinter ihm. »Was bleibst du stehen? Los, rein mit dir!« Lucky sah, wie das blonde Mädchen zurückwich. Erst jetzt erkannte er die Behausung dieser Menschen. Es war eine flache Hütte, mit Grasschollen bedeckt. Sogar die Tür war mit Gras verkleidet. Der Talhang führte mit dem Dach zusammen, beides bildete eine Fläche. Diese Behausung war erst zu erkennen, wenn man dicht vor ihr war. Selbst am hellen Tag würde jeder diese Hütte übersehen müssen. Er wurde hineingestoßen, stand in einem Raum mit Tisch, Hockern, Kisten und Schlaflagern. Feuer züngelte in einem Kamin aus Felssteinen. Der Rauch zog durch ein Loch ins Freie und verwehte über dem Talhang. Alles war sauber. Sogar ein Bild hing an der Wand und zeigte das Gesicht einer Frau. Unruhig sah das blonde Mädchen Lucky und Sam an. Draußen knarrte eine andere Tür. Der Farmer brachte die Pferde in den Stall neben der Hütte. Auch dieser Stall verbarg sich hinter den Grassoden. Mit schweren Schritten kam er herein und schloß die Hüttentür. »Was meint ihr?« knurrte er und sah die Söhne an. »Auch die Volcanic ist ohne Munition.« Die Söhne betrachteten ihre Gefangenen beim Licht der Kerzen. Rot züngelte der Feuerschein über die Wände aus Baumstämmen. Diese Menschen mußten schon eine ganze Zeitlang hier wohnen. »Er sieht wie ein Cowboy aus, Dad«, sagte der blonde Sohn. »Das war ich auch!« antwortete Lucky bitter. »Und ihr seid Farmer gewesen, bis der Goldrun ausbrach.«
»Halt's Maul«, fuhr der Siedler ihn rauh an. »Hier reden wir, savvy?« Mit wuchtigen Bewegungen ging er durch den Raum und verharrte neben seiner Tochter. »Jim?« murmelte er auffordernd. Der schwarzhaarige Sohn zuckte die Schultern. »Die beiden sehen schlimm zugerichtet aus, Dad. Sie wurden ganz schön hart bearbeitet.« »Ja«, brummte der Mann, »stimmt. Jetzt will ich von euch wissen, was ihr über diese Burschen denkt! Sind das Halunken oder nicht?« »Ein Weißer und ein Neger, Dad«, sagte der blonde Sohn, »das ist ungewöhnlich. Die Neger sind doch noch Sklaven im Süden!« »Also hältst du den Weißen für einen Sklaventreiber.« »Nein, Dad, das nicht. Jedenfalls sieht er nicht so aus.« Lucky und Sam schwiegen. Sie waren Zeuge der Gespräche dieser Menschen, die sich ein Bild von ihnen zu machen versuchten. Diese Familie war wie ein Clan, der Gericht über sie hielt. Immer wieder sah Lucky zum Mädchen hin. Die Nacht hatte ihn nicht getäuscht. Es war wirklich ein schönes Mädchen. »Jetzt bist du dran, Pennie.« Der Farmer legte den Arm um seine Tochter. »Sag uns, was du von den beiden denkst. Du weißt, daß sich viele Halunken hier herumtreiben. Alle wollen Gold finden, und wer nichts findet, der überfällt die anderen und beraubt sie.« Pennie zögerte. Als sie Luckys Blick auffing, sah sie zur Seite. »Sie sind keine Halunken, Dad«, flüsterte sie. »Ich glaube, wir können ihnen trauen.« »Dann weg mit den Gewehren, Jungs«, entschied der Mann. »Sollen sie für kurze Zeit unsere Gäste sein. Aber zuvor werden sie uns sagen, warum sie in unser Tal gekommen sind.« Lucky sprach schleppend. Keiner unterbrach ihn.
»Hört sich echt an« brummte der Mann schließlich. »Setzt euch! Pennie, mach uns etwas Kaffee. Ihr habt Glück, Fremde. Mein Sohn Dave war in Fairplay, er konnte noch etwas Kaffee ergattern.« »Wir – wir möchten nichts trinken«, sagte Lucky. »Hier wird getan, was ich will!« erwiderte der Siedler rauh. »Meine Tochter und meine Söhne tun alles für mich. Und ihr werdet den Kaffee trinken, verstanden? Sonst beleidigt ihr uns. Tut mir leid, daß wir auf euch geschossen hatten, aber hier wimmelt es von zweibeinigem Ungeziefer!« Sie setzten sich. Das Mädchen kochte Kaffee. Der schwarzhaarige Sohn Jim holte Verbandszeug hervor und tupfte Sams blutende Kopfwunde ab, dann verband er ihn. Sam bewegte sich nicht. Er saß wie ein Klotz auf dem Hocker. Wieder erlebte er, daß Weiße ihm halfen, daß er für sie nicht der dreckige Nigger des Südens war. Das waren Erkenntnisse, die seine Einstellung und sein Leben änderten. Und auf einmal lächelte er weich und zufrieden. »Danke, Sir«, flüsterte er. »Ich bin kein ›Sir‹«, entgegnete der schwarzhaarige junge Mann. »Ich bin Farmer, ein Yankee aus dem Norden und kein Sklavenhalter. Dazu sind wir zu stolz.« »Ja«, fügte sein Bruder hinzu, »wir tun alles mit eigenen Händen. Wir brauchen niemanden, der uns hilft, und wir wollen es auch nicht.« »Aber im Tal habe ich kein einziges Ackerfeld gesehen«, murmelte Lucky. »Nur eine Diggerausrüstung.« »Jeder hier in den Bergen sucht nach Gold, das ist kein Geheimnis«, sagte der Farmer und rieb sich die großen Hände. »Wenn wir unsere Äcker hier anlegen würden, kämen schon morgen die ersten Goldsucher in unser Tal und würden uns sogar die Saat aus dem Boden herausfressen. Ihr sucht also auch nach Gold.«
»Ja«, gab Lucky zu, »aber dann kamen die Halunken dazwischen. Wo kann man hier überhaupt noch Gold finden? Die Digger sind schon überall!« »Darauf kann ich nicht antworten. Dann müßte ich dir sagen, wo Gold liegt, aber ich wäre dann schon dort gewesen. Gold liegt überall. Manche suchen ihr Leben lang. Andere graben die Schaufel irgendwo in den Boden und finden Gold. Es sitzt unter bestimmten Sträuchern, in den Felsen und in der Erde.« »Also müssen wir suchen«, seufzte Lucky, »und wenn wir das Glück haben sollten, dann kämen die Banditen und würden uns das Gold wieder abjagen.« Vorsichtig löste er den Verband von den Händen. Die Brandblasen waren aufgegangen. Der Schmerz trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Wortlos füllte das Mädchen eine Schüssel mit kaltem Wasser und stellte sie auf den Tisch. »Das Wasser ist nicht gut für Brandblasen«, brummte der Farmer. »Es kühlt nur und spült den Schmutz von den Händen. Am besten wäre es, ihr würdet die Hände nicht verbinden, damit Luft rankommt. Dann heilen sie schneller.« Lucky und wenig später auch Sam legten die Hände in das Wasser. Die Kühle war wohltuend. Das Mädchen Pennie füllte die Blechbecher mit Kaffee. Lucky griff vorsichtig zum Becher und trank. Er sah, wie der Farmer zum Bild seiner Frau blickte und dann den Kopf wie zum Gebet senkte. »Dad!« Der blonde Sohn richtete sich jäh auf. Seine Stimme flackerte unruhig. »Ich hab' den Plan nicht mehr!« »Du wirst ihn in der Satteltasche haben, mein Junge. Sieh mal nach und übernimm dann gleich die erste Wache.« »Ja, Dad«, flüsterte der Sohn, griff zum Gewehr, und verließ die Hütte unter dem grasbedeckten Talhang. Die Lichter blakten und rußten. In der Hütte war es still. Lucky brach schließlich das Schweigen. »Es ist besser, wenn Sam und ich verschwinden, Mister. Wir
haben nicht viel Zeit. Und außerdem...« »Unsinn«, unterbrach der Mann ihn. »Wir haben euch eingeladen. Ruht euch hier aus. Morgen könnt ihr immer noch weiterreiten. Die Londons haben noch niemals Gäste hinausgeworfen.« In Luckys Augen flirrte es auf einmal. Er atmete pfeifend und versteifte sich. »Sie heißen London? Und Ihr Sohn war in Fairplay? Er vermißt einen Plan?« »Ja. Was ist damit, Cowboy?« »Großer Gott!« flüsterte Lucky. »Das kann nicht wahr sein, Sam! Der Fetzen vom Plan und der Name darauf – London Claim!« Sie wußten plötzlich, daß der Spieler Massachusett dem blonden Sohn dieses Farmers den Plan abgenommen hatte... »Was sollte nicht wahr sein?« Der Farmer starrte sie durchdringend an. »Los, redet schon!« Lucky antwortete. Das Mädchen Pennie, der Farmer und dessen Sohn Jim saßen wie versteinert am Tisch. Mühsam riß London sich zusammen und nickte Jim auffordernd zu. Daraufhin ging der Sohn hinaus und kam kurz darauf mit dem Bruder zurück. »Dave«, grollte London, »du hattest in Fairplay mit einem Kerl gepokert! Warum hast du uns nichts davon gesagt, Junge? Seit wann wird in dieser Familie etwas verschwiegen?« Reumütig senkte der Sohn den Blick. »Ich hatte getrunken, Dad. Darüber wollte ich nicht reden. Ja, ich war besoffen – aber ich hab' beim Pokern gewonnen, Dad!« »Der Plan ist weg, Dave!« »Ja, Dad. Ich verstehe das nicht.« »Aber ich, Dave! Du bist so besoffen gewesen, daß du nicht gemerkt hattest, wie dieser verdammte Spieler deine Taschen durchsucht hatte. Um dich zu täuschen, hatte er dir das Geld nicht abgenommen. Es ist ein Wunder, daß du noch lebst!«
Entsetzt blickte Dave London seinen Vater an. Das Gesicht wurde blaß. Schatten lagen unter den Augen. »Der Plan... ist gestohlen worden?« flüsterte er mühsam. »Ja, sonst wäre er ja wohl noch hier, oder...? Junge, das kann schlimm für uns werden! Die Goldfunde sind darauf eingezeichnet! Wir wollten unsere Claims anmelden, und jetzt befindet sich dieser Plan in den Händen von Banditen!« »Nein«, schrie Dave London erstickt auf, »dann kommen sie hierher!« »Das wird so sein...« Der Farmer preßte die Lippen zusammen und stierte in seinen Becher. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Wir müssen das Gold bergen und verstecken. Und dann müssen wir höllisch schnell von hier verschwinden!« »Oh, Dad! Ich wollte das nicht! Ich schwöre es dir, ich wollte es nicht!« stöhnte Dave London verzweifelt. »Was soll ich tun? Ich will es wiedergutmachen, Dad!« Ernst und gefaßt stand London im Raum. »Mein Name ist Twain London«, sagte er dunkel, »und meine Tochter und meine Söhne tragen meinen Namen. Ich und meine Kinder werden immer zusammenhalten, was auch geschieht. Vergiß Fairplay, Dave. Du lebst. Nur das ist wichtig.« Es klang etwas theatralisch, doch hinter diesen Worten verbarg sich ein aufrecht denkender Mann, der sich jederzeit für seine Kinder opfern würde. »Wir helfen Ihnen«, sagte Lucky sofort. »Sie können sich auf uns verlassen, Mr. London. Sam und ich werden schweigen.« »Es ist besser, wenn ihr sofort verschwindet.« London sprach ohne Zorn. »Meine Söhne und ich werden aufpassen! Wir lassen keinen einzigen Fremden in das Tal hinein. Geht, reitet davon.« Lucky erkannte, daß jeder Versuch, diesem Mann helfen zu wollen, scheitern würde. Die Londons wollten keine Hilfe. Sie
glaubten, allein stark genug zu sein. Und er zweifelte auch nicht daran, daß sie es verhindern würden, daß ein Fremder ins Tal käme. Notdürftig schlangen sie das Verbandszeug um die Hände, um die Wunden vor Schmutz zu schützen. Dann gingen sie hinaus. Die Söhne holten ihre Pferde: Als sie schon im Sattel saßen und ihre Waffen bekommen hatten, stapfte Twain London aus der Grassodenhütte hervor und reichte Lucky zwei schwere kleine Schachteln. »Ihr braucht sie bestimmt.« Lucky wußte sofort, daß es Munition für Colt und Gewehr war. Wortlos ritt er an. Sam folgte ihm. Sie durchquerten den seichten Fluß und verließen das Tal der Londons. Auf schmalen Pfaden ritten sie bergan. Hinter den Felsen am Talrand saß Lucky ab. Sam zögerte, dann rutschte er vom Pferd. »Wir bleiben hier, Sam. Wir müssen den Londons helfen. Die Banditen haben den Plan. Diese Kitty hat ihnen den Plan gegeben. Irgendwann werden sie hier auftauchen und versuchen, die Londons fertigzumachen. Twain London ist ein stolzer Mann, er will keine Hilfe – doch er ist zu stolz! Er weiß nicht, wie grausam und rücksichtslos diese Banditen sind!« Sie lagerten im Schutze der Felsen. Ihnen blieb zunächst nichts anderes zu tun, als abzuwarten. Der Nachtwind kühlte die Hände und trocknete die Wunden. Still lagen sie dann in ihre Decken gerollt am Boden. In der Ferne rumsten Explosionen. Weitab zogen Lichterketten von lodernden Fackeln durch die Nacht. Kein Coyote kläffte, kein Wolf heulte. Unten im Tal bargen die Londons ihr Gold und versteckten es. Sie rechneten mit einer Gefahr von außen. Sie ahnten nicht, daß die Gefahr schon in ihrem Tal war. Madley beobachtete sie.
*** Dave London wachte. Mit dem Gewehr in der Armbeuge, stapfte er durch das Tal und starrte umher. Vom kleinen Fluß wallte der Nebel herüber. Das Gras befeuchtete seine Stiefel. Er hörte die längst vertrauten Geräusche der Nacht. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. Die Londons hatten schon immer jede Nacht wachen müssen. In den Bergen von Colorado herrschten Habsucht und Haß, Goldgier und Heimtücke. Zu jeder Stunde waren die Londons bereit, ihr Tal zu verteidigen. Niemand sollte ihre Claims an sich reißen können. In jeder Nacht war es anders. Jetzt wußten sie, daß Banditen zu ihnen unterwegs waren. Die Halunken würden in jedem Camp nach dem London Claim fragen, und irgendwann würde irgendwer sie auf die richtige Spur schicken. Es war alles nur eine Frage der Zeit. In der mit Grasschollen getarnten Hütte lagen Twain London, sein Sohn Jim und seine Tochter Pennie wach. Sie konnten keinen Schlaf finden. Trübe flackerte ein Talglicht. Im Kamin glühte es rot. Pennies Haar schimmerte im Schein der Glut wie Kupfer. Wieder hörten sie draußen Daves Schritte. Er kam an der Hütte vorbei und entfernte sich. Die Nebelschwaden schlugen über ihm zusammen. Die Schritte erstickten im Dunst. Abseits der Hütte verharrte er und spürte die feuchte Kälte der Nacht. Gespenstisch erhoben sich die Sträucher, Bäume und Felsen im Tal. Alles war undeutlich und dunkel. Überall könnten Gegner sich verborgen halten. Plötzlich hörte er ein leises Geräusch. Gras raschelte. Er verengte die Augen, duckte sich und stierte umher. Die Nebel formten sich zu geisterhaften Gestalten und schwebten heran,
lösten sich vor ihm auf. Der dunkle Talhang sah aus wie eine riesige Meereswoge, die sich auf Dave London werfen wollte. Er mußte sich geirrt haben. Das Geräusch kam nicht wieder. Langsam ging er weiter. Vor ihm plätscherte das Wasser leise dahin. Murmelnd floß das Wasser um die Steine. Steif wandte Dave London sich ab. Immer wieder dachte er an Fairplay zurück und versuchte, sich an das Gesicht des Spielers zu erinnern, doch er war zu betrunken gewesen. Der Gedanke an den Plan ließ ihm keine Ruhe. Es gab Hunderte von Claims. Überall war Gold gefunden worden. Vielleicht würden die Banditen die Striche und Kreuze auf dem Plan nicht richtig deuten können. Dann würden sie dieses Tal auch nicht finden. Das war Daves Hoffnung. Langsam entfernte er sich wieder vom Fluß. Jäh erstarrte er. Hinter ihm hatte es trocken geknackt. Er ging in die Knie, drehte sich herum und blickte suchend zurück. Dabei packte er das Gewehr fest und entschlossen und hob es schußbereit an. Wieder knackte es. Dave lächelte verzerrt. Es war ein Zweig, der von einem der Bäume gefallen war. Schon in den Nächten zuvor hatte er manchmal dieses Geräusch gehört. Es war Herbst, und die Bäume verloren ihre Blätter; der Saft verließ die Zweige und Äste, und das Holz wurde trocken. Wenig später stand er am Talausgang und sah in der Ferne mehrere Feuer. Die Goldsucher dort waren nicht zu erkennen. Er kehrte um. Kalte Augen beobachteten ihn. Er fühlte sich unwohl. Irgend etwas lastete schwer auf seinen Schultern. Er biß die Zähne zusammen und horchte angestrengt. Gras und Blätter raschelten. Der Nebel lag wie eine dicke Decke im Tal. Die Hüttentür war geschlossen. Kein Lichtschein konnte herausfallen. Alles sah unheimlich aus, düster und erschreckend, doch Dave wußte ja, wie es am hellen
Tag aussah. Er kannte jeden Baum und Strauch und könnte selbst mit verbundenen Augen sicher den Weg durch das Tal finden. Sie hatten das Gold abseits der Hütte in den tiefen Felsspalten verborgen. Gestrüpp lag über dem Versteck. Langsam ging Dave am Talhang entlang. Die Felsen schälten sich aus dem Dunst hervor. Er sah das Versteck und trat dicht heran. Niemand würde dort Gold vermuten. Flüchtiges Lächeln huschte über Daves Gesicht. Schon jetzt waren sie reich. Doch ihr Vater wollte weitersuchen und das andere Gold noch schürfen und bergen. In Colorado mußte man schon Unsummen von Dollars für Lebensmittel bezahlen. Wer jetzt arm war, der mußte damit rechnen, vor die Hunde zu gehen. Dave wußte genau, was sein Vater dachte. Geld und Gold konnten schnell zerrinnen. Man konnte gar nicht genug davon haben. Es war nicht Raffsucht, die Twain London hier im Tal bleiben ließ. Er hatte sich vom Goldfieber nicht anstecken lassen. In kalter Ruhe barg er das Gold und geriet dabei nicht in den wilden Taumel, der schon so manchen Goldsucher gepackt hatte. In den Städten, die über Nacht aus dem Boden geschossen waren, gab es Männer, die Gold gefunden hatten und in Champagner badeten. Die Londons wollten vernünftig bleiben. Sie hatten sich nicht verraten. Doch es gab diesen Plan, und der befand sich in den Händen von Banditen. Jeden Tag und jede Nacht könnten die Banditen in dieses Tal kommen. Immer wieder starrte Dave nach den zerklüfteten Talrändern empor. Er sah die dunklen Fichten und den verschwommenen Talausgang und hörte den leise raunenden Wind. Gebeugt ging er weiter. Die Arme schmerzten vor Anspannung. Die Hände hatten sich um das Gewehr gekrampft. Madley kauerte neben dem Gestrüpp, das das Gold verbarg, und grinste tückisch und bösartig. Er sah, wie Dave London davonging, und als der
junge blonde Mann nicht mehr zu sehen war, zog er vorsichtig das Gestrüpp beiseite und glitt in die Felsspalte hinein. Sein Pferd stand weitab, hinter Bäumen verborgen, außerhalb des Tals. Es konnte ihn nicht verraten. Tastend bewegte er sich in die Felsspalte hinein. Wenig später stieß er gegen die kleinen Lederbeutel am Boden. Er hob einen der schweren Beutel hoch, zerrte den ledernen Knoten auf und griff hinein. Schmutzig graues Rohgold lag in seiner Hand... Das Fieber packte ihn. Er riß alle anderen Beutel auf, griff hinein und fand Gold. In seinen Augen flackerte es wie irre. Er lachte leise und dumpf auf und glotzte suchend umher. Dabei vergaß er Dave London. Fieberhaft überlegte er, wie er mit dem Gold verschwinden könnte. Er konnte nicht mit allem Gold das Tal verlassen. Er müßte wieder zurückkommen. Doch der junge London bewachte den Talausgang und beobachtete die Talhänge. Hastig schloß Madley die Beutel, dann stopfte er so viele Beutel unter die Jacke, wie er tragen konnte. Plötzlich stand Dave London vor der Felsspalte. Sofort erstarrte Madley. Der junge London hielt das Gewehr im Anschlag und lauschte. Nichts war zu hören. Unruhig biß Dave sich auf die Lippe, wich schließlich zurück und verschwand. Madley wartete noch. Der junge Mann war nicht zu sehen und zu hören. Nach Minuten, die Madley wie Ewigkeiten vorgekommen waren, verließ er die Felsspalte. Lautlos schlich er durch das Tal. Immer wieder suchte er nach Dave London. Nur matt schimmerte sein Gewehr; die Nebel hatten den Lauf leicht beschlagen. Der Wind bewegte
die Sträucher. Schwer drückten die Beutel gegen Madleys geschlossene Jacke. Seine Brust war mit Beuteln bedeckt. Er grinste verzerrt. Als armer Halunke war er in das Tal gekommen, als reicher Mann wollte er es verlassen. Der Talausgang lag vor ihm. Wie eine Ratte schlich er näher. Es waren nur noch ein paar hundert Yard bis zu seinem Pferd. Schon glaubte er, es geschafft zu haben – da stand Dave London vor ihm, hielt das Gewehr auf ihn gerichtet und sagte kein Wort. Sie starrten sich an. Jeder wußte, was in den nächsten Sekunden geschehen würde. Es gab keine Versöhnung, kein gutes Wort. Zwischen ihnen stand unsichtbar der Tod. Leise und gepreßt atmete Madley. Das narbige Gesicht schien zu vereisen. In den Augen glühte es unheilvoll auf. Er wußte, daß er alles auf eine Karte setzen und sein Leben riskieren mußte, wollte er dieses Tal verlassen. Der junge blonde Mann konnte unmöglich wissen, daß er bereits das Gold bei sich hatte. »Schieß doch!« flüsterte Madley mit zersprungener Stimme. »Aber das ist nicht so einfach, wie du glaubst! Hast du schon mal einen Mann erschossen? Du wirst sehen, wie die Kugel den Kopf zerreißt!« »Nicht bewegen!« warnte Dave. »Ich schieße in Ihre Brust! Was haben Sie hier gesucht, he? Antworten Sie!« »Ich bin nur zufällig hier«, log Madley. »Ich war zwei Halunken gefolgt. Sie haben meine Freunde umgebracht.« Daves Hände umkrampften die Waffe. Er bewegte das Gewehr und gab Madley zu verstehen, die Waffe fallen zu lassen. Madley neigte den Kopf. Er stierte Dave an und tat unschlüssig. Dann nickte er, als würde er alles tun, was von ihm verlangt wurde. Langsam senkte er das Gewehr und drehte
sich halb um. »Du bist wirklich ein sturer Hund, Junge!« ächzte er. »Was wirst du mit mir tun?« »Gehen Sie!« »Ich geh' ja schon!« Madley setzte sich in Bewegung. Dave forderte ihn auf, das Gewehr wegzuwerfen. Madley nickte langsam, warf sich jäh zur Seite und wirbelte herum. Dave schoß sofort. Madley zuckte zusammen und drückte ab. Laut krachten die Schüsse im Tal. Grollend antwortete das Echo. Stöhnend brach Dave zusammen. Madley rannte an ihm vorbei, schwankte dabei etwas und machte ein schmerzerfülltes Gesicht. Stimmen tönten durch die dunstige Nacht. Twain London und sein Sohn Jim rannten durch das Tal und hielten die Gewehre bereit. Im flackernden Lichtschein erschien das Mädchen Pennie in der Tür der Hütte. Keuchend hetzte Twain London durch den Nebel. Er entdeckte eine liegende Gestalt und schrie erstickt auf. Stöhnend warf er sich neben seinen Sohn Dave auf die Knie. Madley war verschwunden, hatte sein Pferd erreicht und zerrte sich in den Sattel. Langsam ritt er weg. Als er sich weit genug entfernt hatte, trieb er das Pferd hart an und jagte im Galopp durch die Nacht. Dave hatte die Augen geöffnet. Sie waren erschreckend trübe geworden. Die Hemdbrust färbte sich rot. Er atmete schwach und faßte mit zitternder Hand nach dem Arm seines Vaters. »Daddy«, stöhnte er, »ein Fremder – er stand... plötzlich hier... und schoß. Ich hab'... zurückgeschossen – nein, ich... schloß zuerst, aber... er fiel nicht um...« »Ja, mein Junge«, krächzte Twain London. »Sprich jetzt nicht. Ruh dich aus.Wir tragen dich in die Hütte.«
»Nein, Daddy«, Dave verzog mühsam das Gesicht. Es sollte ein Lächeln sein, es wurde eine Grimasse. »Ich... werde... sterben. Ich hab' die... ganze Schuld. Aber ihr – ihr müßt kämpfen. Gleich bin ich... bei Mam', Daddy...« Ein junger, erwachsener Mann sprach in den letzten Minuten seines Lebens wie ein kleiner Junge. Das war er auch im Angesicht des Todes. Seine Träume von der Zukunft erloschen, sein Lachen war für immer verweht, seine Gedanken an Reichtum und Glück erstarben. Er brauchte keine irdischen Reichtümer mehr. Ihm blieb nichts, noch nicht einmal das Leben. Und Twain London kamen die Tränen. Er sah nicht, wie der große Neger den Talhang heruntergehastet kam, wie Sam heranlief und stehenblieb. »Nicht... weinen, Daddy!« hauchte Dave. »Du hast es... immer gut gemeint mit mir. Ich danke dir – für alles, Daddy.« Seine Augen wurden leer. Der Blick verlor sich am Himmel. Stöhnend beugte Twain London sich über seinen Sohn und schloß ihm die Augen. Irgendwo am Talrand polterten die Hufe eines Pferdes entlang. Langsam hob Twain London seinen Sohn hoch und hielt ihn auf den Armen wie einst, als er noch ein Junge gewesen war. Kein Wort des Hasses kam über seine Lippen, kein Fluch. Er trug seinen Sohn davon, zurück zur Hütte, wo Pennie leise aufschrie. Jim London fuhr sich über die Augen und flüsterte undeutliche Worte. Sam stand ratlos da, er war selber hilflos, er wußte nicht, was er tun sollte. Als er die Hand auf Jims Schulter legen wollte, wich Jim zurück. Er wollte keinen Trost, keine guten Worte hören. Steif ging er davon. Sam senkte den Blick. Er hatte Jim mißverstanden, er glaubte, daß Jim nicht von einem Nigger berührt werden wollte.
Einsam verharrte Sam im dunklen Tal. Schließlich ging er mit großen Schritten den Hang empor und zu seinem Pferd. Dort ließ er sich nieder, zog die Knie an und legte das schwarze Gesicht darauf. Unten in der Hütte herrschte Schweigen. Pennie und ihr Bruder Jim standen am Tisch. Ihr Vater hockte schwer auf der Kante des Lagers und sah in das tote Gesicht von Dave. Nach langen und schweren Minuten flüsterte er: »Das kann Gott nicht gewollt haben! Jim, nimm dein Gewehr, wir beide werden jetzt wachen...« Pennie weinte. Das Talglicht brannte ab und erlosch. Knarrend schwang die Tür auf. Bewaffnet traten Twain London und sein Sohn ins Freie. *** Das Pferd stand schweißnaß in der Senke. Madley kauerte am Boden und zerrte die Lederbeutel unter der Jacke hervor. Einer der Beutel war von einer Kugel durchschlagen worden. Nuggets fielen zu Boden. Fluchend zerrte Madley das Hemd auf und tastete über die Wunde, die genau über dem Herzen war. Er hatte unwahrscheinlich viel Glück gehabt. Das Gold hatte die Kugel an ihrer Durchschlagkraft gehindert, hatte sie aufgefangen. Sie steckte in der Brust und war zu fühlen. Mit rasselndem Atem richtete Madley sich auf und sammelte Holz. Flammen flackerten empor. Er zerrte sein Messer hervor und hielt die Klinge über die Flammen. Blut rann über die Brust. Doch diese Wunde würde Madley nicht umbringen. Das Blei hatte nur die Haut durchschlagen und steckte auf dem Brustkorb. Als die Klinge glühte, nahm Madley das Messer zurück, legte sich auf den Rücken und schob die Messerspitze in die Wunde, stöhnte und biß die Zähne zusammen. Sekunden später
schon hatte er das Stück Blei aus der Wunde geholt. Mühsam entfernte er Stoffetzen aus der Wunde, dann öffnete er eine Patrone, streute das Pulver auf die Wunde und zündete es an. Eine kleine Stichflamme zuckte hoch. Es roch nach verbranntem Fleisch und Pulver. Zitternd lag Madley im kalten Sand. Hinter den Bergzügen graute der Morgen. Er wollte weiter. Stöhnend kam er hoch und ging zum Pferd, holte Verbandszeug hervor und legte mühsam den Verband um den Oberkörper. In wenigen Tagen würde er kaum noch etwas von der Wunde spüren. Zynisches Lächeln zog über das Narbengesicht. Er war reich. Ein leises Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Geduckt hastete er zurück, packte das Gewehr und verschwand zwischen den Sträuchern oberhalb der Senke. Der Morgenwind wimmerte um die Felsen. Es war noch kalt an diesem frühen Morgen. Im Frühlicht sah alles grau und trist aus. Madley lauerte im Hinterhalt. Vielleicht war es irgendein Tier, das unterwegs nach einem Wasserloch war. Aber es konnte auch ein Mensch sein, der den Rauch seines Feuers gerochen hatte. Der Bandit war mißtrauisch und zum Töten entschlossen. Er wollte sich jeden Weg freischießen und für immer aus Colorado verschwinden. Unten in der Senke flackerte das Feuer, lagen die Beutel mit dem Gold, stand sein Sattelpferd. Auf einmal wurden Zweige bewegt. Madley richtete sofort das Gewehr auf den Strauch. Ein braungebranntes Gesicht erschien. Wirr hingen die schwarzen Haare in die Stirn. Schweiß lag wie ein Film auf dem Gesicht. Die dunkelbraunen Augen blickten suchend über die Senke hinweg.
»Bleib stehen!« fauchte Madley. Lucky fuhr zusammen und versteifte sich. Er sah, wie Madley hervorkam und das Gewehr auf ihn gerichtet hielt. Er hatte vielleicht nicht die kleinste Chance. Dennoch verlor er nicht die Nerven, stand still und blickte Madley entgegen. Der Bandit witterte wie ein Tier in den Wind. Grausamkeit war in seinem Blick. Er mußte einen höllischen Triumph empfinden. »So allein?« krächzte er. »Wo ist der Nigger, wo ist diese verdammte Kitty, wo sind die anderen, he?« Lucky hielt noch den Colt in der Hand. Jede Bewegung würde Madley sofort abdrücken lassen. »Ich weiß nicht, wo Kitty und die anderen sind«, antwortete er dunkel. »Ich hab' mit ihnen nichts zu tun.« »Das soll ich dir glauben? Hältst du mich für so saublöde?« »Nein.« Lucky schluckte trocken. »Ich hab' dich die ganze Zeit beobachtet, Madley! Du hast Gold! Aber ich wollte das Gold. Yeah, du bist schneller gewesen.« »Ich bin immer schneller. Die anderen hat es erwischt. Ich trau' dir nicht! Du bist ein ganz durchtriebener falscher Hund. Du hast genau gewußt, was der Fetzen von diesem Plan bedeutet. Aber du hattest zuviel Zeit verloren, zu lange gezögert. Das Gold gehört mir! Ich bin reich – und du bist gleich ein toter Mann!« »Hör doch zu, Madley: Wir könnten Partner werden!« Madley lachte kalt auf. »Ich brauche jetzt keinen Partner mehr! Ich habe dich quälen lassen. Das wirst du nie vergessen. Mach mir nichts vor. Du willst versuchen, mich reinzulegen!« Er bewegte das Gewehr, und Lucky mußte in die Senke gehen. Noch immer schmerzten seine Hände. Er hielt den Colt und blieb im kalten Sand stehen. Lauernd kam Madley näher. »Schmeiß den Colt weg!«
Lucky gehorchte. Madley hob den Colt auf und drückte ab. Der Hammer schlug in die leere Kammer hinein. Höhnisch lachte Madley vor sich hin, sah nicht auf die Waffe und warf sie achtlos zurück in den Sand. »Du wolltest mich mit dieser ungeladenen Waffe erledigen?« »Ich sagte es doch schon – ich wollte dein Partner werden!« antwortete Lucky gepreßt. »Sonst hätte ich die Leute im Tal gewarnt, und du hättest niemals entkommen können!« Der Bandit schien zu überlegen. Im narbigen Gesicht arbeitete es deutlich. Es schüttelte den Kopf und grinste gemein. »Jetzt, wo ich das Gold habe, willst du mit mir reiten? Ich bin doch kein blutiger Narr! Ich werde dich umlegen, wie ich den Blonden im Tal umgelegt habe!« In Luckys Augen war sekundenlang kaltes Flirren, das Madley jedoch nicht erkennen konnte. »Ist er tot?« »Natürlich ist er tot!« fauchte Madley. »Ich mache alles immer gründlich! Wo ist dein Pferd?« »Da drüben.« Lucky zeigte aus der Senke. Unwillkürlich drehte Madley sich halb herum, doch er hielt das Gewehr auch jetzt noch auf Lucky gerichtet. Blitzschnell hob Lucky den Colt auf. Das Knacken der Waffe ließ Madley herumschnellen. Der Colt war auf ihn angeschlagen. Luckys Gesicht war steinern geworden. »Wenn du mich schon umlegen willst, dann will ich mit dem Colt in der Hand sterben.« Madley stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus. »Du bist verrückt! Tot ist tot!« Lucky senkte die Hand mit dem Colt. Sein Gesicht war ausdruckslos. Er hatte sich auf ein höllisches Spiel mit dem Teufel eingelassen. Und Madley war darauf hereingefallen.
Ein Bandit wie Madley brauchte den Triumph, diese Minuten des Quälens seines Gegners, dieses Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein. Madley wollte diese Sekunden genießen. Darum hatte er auch nicht sofort auf Lucky geschossen – und Lucky hatte damit gerechnet. »Nein, Madley«, flüsterte er, »ich bin nicht verrückt. Ich weiß genau, was ich tue. Du läßt mir keine Chance. Du willst mich umbringen. Und dann willst du für immer verschwinden und wirst die Menschen vergessen, die du getötet hast.« »Du bist ein kluges Kind, Cowboy. Hast du keine Angst vor dem Sterben?« »Doch, Madley, große Angst sogar. Aber ich werde nicht sterben. Du wirst sterben, Madley...« Der Bandit glotzte ihn an und grinste entstellt. Er wollte antworten. Da zuckte ein Flammenblitz aus dem Colt hervor. Die Kugel traf Madley tödlich. Er stürzte auf den Rücken und kam nicht mehr dazu, abzudrücken. In kalter Ruhe drückte Lucky die Hülse aus der Coltkammer und schob zwei Patronen in die Trommel. Ohne Eile stapfte er zu Madley, während die Sonne aufging. »Pech, Madley«, sagte er frostig. »Es fehlte nur eine Patrone im Colt. Sie liegt oben hinter den Felsen. Yeah, es war ein Bluff, der für dich tödlich wurde.« Er blickte in das Narbengesicht, wandte sich ab und zerrte Madleys Pferd in die Mitte der Senke. Schnell verstaute er die Lederbeutel mit dem Gold in den Satteltaschen, dann zog er das Pferd aus der Senke und erreichte sein eigenes Sattelpferd. Wenig später ritt er davon. Jetzt war er reich. Er könnte nach Süden reiten, zurück nach Kansas oder Texas oder auch nach Osten. Vielleicht hätte er es sogar getan, wenn es nicht das Mädchen namens Pennie gegeben hätte. Er kam erst am Abend in das Tal zurück. Und er sah Pennie und ihren Bruder Jim vor der Hüttentür stehen. Gerade kam Twain London mit einer Schaufel zurück.
Am Talhang erhob sich Sam und winkte. Vor der Hütte hielt Lucky an. »Ich habe das Gold wieder«, sagte er. Twain London sah ihn überrascht und ungläubig an. Er vergaß für kurze Zeit, daß er soeben seinen Sohn beerdigt hatte. »Weißt du nicht, wieviel Gold du bei dir hast?« flüsterte er. »Es hätte dich steinreich gemacht!« Langsam glitt Lucky vom Pferd und zuckte die Achseln. »Das Gold gehört mir nicht.« »Das – das verstehe ich nicht«, ächzte London. »Alle Welt sucht nach Gold. Männer sterben unter Schüssen, verrecken in einstürzenden Goldminen, töten und berauben sich untereinander – und du kommst mit dem Gold zurück!« »Vielleich bin ich der größte Narr in Colorado«, erwiderte Lucky ernst lächelnd. »Aber ich will wenigstens ehrlich sein.« Twain London atmete schwer ein. In seinen Augen schimmerte es auf einmal feucht. »Kommt, gehen wir ins Haus. Und ruf deinen Freund her. Er wollte nicht zu uns ins Tal kommen.« »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Lucky langsam. »Es wäre besser, wenn wir alle sofort aufbrechen würden.« London sah zum Grab seines Sohnes hinüber. Die Falten in seinem zerfurchten Gesicht vertieften sich. Er begriff, daß er von diesem Tal Abschied nehmen mußte. Eines Tages würde das Grab seines Sohnes von Gras überwuchert sein. »Ja, Cowboy.« Er straffte sich. »Wir brechen auf.« *** Seit Tagen verbargen sie sich nun schon weit abseits des Tals in einem zerklüfteten Canyon. Sie hatten alles mitgenommen, was die Pferde hatten tragen können. Vor einer Höhle waren Decken aufgespannt worden, die die Kälte der
Nächte abhielten. In der Höhle glühte ein Feuer. Die Pferde und das Gold befanden sich im Hintergrund der Höhle. In dieser Nacht fiel zum erstenmal etwas Schnee. Weiße Flocken tanzten durch die Schlucht. Auf den verkrüppelten Fichten wurde es weiß. Kalt pfiff der Wind über die Felsen. Lucky stand draußen und lauschte dem Winseln des Windes. Er dachte an das Tal der Londons und an die Saloonlady Kitty. Langsam ging er in die Höhle zurück und blieb vor dem Feuer stehen. »Ich reite in das Tal zurück. Ich muß feststellen, ob die Banditen schon im Tal gewesen sind.« »Vergiß sie, Junge«, meinte Twain London ernst. »Für mich gibt es nur zwei Wege. Entweder ziehen wir noch vor Einbruch des Winters nach Central City, oder wir kehren bald in unser Tal zurück und überwintern dort.« »Das Tal kann zu einer tödlichen Falle werden!« warnte Lucky. »Ich werde mich dort umsehen.« Er ging zu seinem Pferd und hob den Sattel hoch. Schweigend kam Sam heran und sattelte auch sein Pferd. Plötzlich spürte Lucky eine Hand am Arm. Pennie stand neben ihm. Ihre blauen Augen glänzten im Feuerschein. »Sei vorsichtig, Lucky«, flüsterte sie. »Niemand hat dich dazu aufgefordert, für uns zu reiten. Du kannst tun, was du willst, aber wir wollen nicht, daß du dich für uns in Gefahr begibst. Mein Vater braucht nur noch etwas Zeit, dann wird er Daves Tod überwunden haben und entschlossen sein, den Kampf gegen das Gesindel aufzunehmen.« Lucky blickte in ihre Augen, auf ihr schönes Gesicht – und er war glücklich. »Wir kommen zurück, Pennie. Mach dir keine Sorgen.« »Ich mach' sie mir aber, Lucky! Ich habe Angst um euch.
Der Winter wird bald hereinbrechen. Viele Goldsucher sind jetzt unterwegs. Du mußt immer wachsam sein. Denk nicht so oft an uns.« Er atmete schwer. »Pennie«, murmelte er, »gute Pennie, ich muß dir was sagen. Ich weiß nur nicht, wie ich es sagen soll.« Weiches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Ich weiß es schon, Lucky. So was spürt man doch. Ja, auch ich fühle es. Ich glaube, man nennt es Liebe.« »Ja, Pennie. Ich liebe dich. Schon, als ich dich zum erstenmal sah, begann es damit.« »Ich flehe dich an, sei vorsichtig!« Er nickte und zog sein Pferd hinaus. Sam folgte ihm. Sie saßen auf und ritten durch den wirbelnden Schnee davon. Der kalte Wind orgelte durch den Canyon. Sie verließen die Schlucht und ritten durch die Täler. Fauchend schlug der Wind nach ihnen und fauchte über die Ebene. Schnee haftete an ihrer Kleidung. Sam fröstelte und zitterte. »Sam sich sehnen nach heißem Süden.« »Denk nicht an die Kälte, Sam.« Die Pferde trugen sie durch die Nacht. Sterne funkelten kalt und hell. Flockiger Schnee bedeckte Hügel und Berge. Die Wälder wurden weiß. Wie ein Leichentuch lag der Schnee über Colorado, über Gräbern, Wegen und Camps. Am Morgen fiel kein Schnee mehr. Die Sonne ließ den Schnee schmelzen. Der Wind brachte den Knall mehrerer Schüsse heran. Lucky und Sam konnten nicht feststellen, wo geschossen wurde. Sie bogen ab und näherten sich dem Tal der Londons. Vorsichtig lenkten sie die Pferde näher und verhielten hinter den Felsklippen. Unter ihnen lag das Tal. Der Fluß glitzerte in der Sonne. Nichts von Schnee war mehr zu sehen. Im Tal war es leer. Niemand schien hier gewesen zu sein.
Langsam ritten sie hinunter und zur Hütte. Unterwegs zog Lucky die Volcanic Rifle hervor, lud durch und hielt sie bereit. Vor der Hütte glitt er aus dem Sattel. Er zerrte die Tür auf und betrat die Hütte. Sam kam nach. In der Hütte war alles verwüstet worden. Hier hatten Männer gehaust, überall gesucht, alles durcheinandergeworfen, die Schlaflager zerstört, den Kamin auseinandergebrochen. Bitter sah Lucky umher. Sie wußten nicht, ob die Banditen hier gewesen waren. Doch sie vermuteten es. Reste von Tabak waren zu sehen, ein Stoffetzen, der von einer Frauenkleidung stammte. »Kitty«, flüsterte Lucky. »Sie muß hier gewesen sein mit ihren Komplicen, Sam!« Das breite Gesicht des Negers war grau und fleckig. Ihm war unheimlich zumute. Er wollte hinaus, stapfte schon über die Türschwelle, als Schüsse aufpeitschten. Aufbrüllend sprang er zurück. Blei klatschte in die Hütte. Fluchend schnellte Lucky zur Seite und entging den Schüssen. Er und Sam warfen sich neben die Tür gegen die Wand. »Die Pferde!« keuchte Lucky. Sam hielt Madleys Gewehr. Seine Zähne schlugen aufeinander. Er nickte und schoß hinaus. Geduckt hetzte Lucky ins Freie, packte die Zügel und riß die Pferde in die Hütte. Die Tiere wieherten und keilten aus. Der Tisch ging in Trümmer. Ein Topf wirbelte gegen die Wand. Blei jaulte über die Türschwelle. Dunkel verhüllte Gestalten waren im Tal. Sie sprangen hin und her. Lange zerfetzte Mäntel schlugen um die Körper. Fremde Männer, die brüllten und schossen. Sie schienen schwerfällig zu sein, doch das sah nur so aus. Verbissen arbeiteten sie sich näher und nutzten die Deckungen aus. Laut grollte das Echo. Lucky kniete nieder, schob sich hart an die offene Tür heran
und starrte hinaus. Die Fremden sahen aus wie Goldsucher. Sie trugen Handschuhe aus Wolle und einen Schal um den Kopf. Das waren keine Banditen. Schießend rückten sie heran. Wütend feuerte Lucky. Seine Schüsse fauchten über die Männer hinweg. Aufbrüllend warfen sie sich hin und waren kaum mehr zu sehen. »Zurück!« schrie Lucky. »Hier ist nichts zu holen!« Sie glaubten ihm nicht. Sie sprangen wieder auf und schossen. Ihre Schüsse bohrten sich in den Hang, blieben in den Grasschollen stecken. »Diese Idioten!« keuchte Lucky. »Sie wollen uns fertigmachen, Sam! Und weißt du, warum, he? Weil sie Hunger haben! Sie wollen unsere Pferde abknallen und unseren Proviant! Und dafür sind sie bereit, uns umzubringen!« Sam schlotterte. Es war nicht allein die Kälte, die ihn zittern ließ. Er sagte irgend etwas, doch die Schüsse übertönten seine Worte. »Wir müssen weg von hier!« krächzte Lucky. Doch die Goldsucher versperrten ihnen den Weg aus dem Tal. Sie hasteten durch das Tal. Die Mäntel schlugen gegen die Beine. Abgezehrt waren die Gesichter. Der Hunger war in den Augen. Obwohl diese Männer noch niemals zuvor Lucky und Sam gesehen hatten, wollten sie sie töten. Sie fragten nicht nach Gut und Böse. Der Hunger hatte sie tierisch und brutal gemacht. Lucky und Sam mußten auf sie schießen. Sie durften sie nicht verschonen. Es ging um das Leben. »Schieß doch, Sam!« brüllte Lucky. »Diese verfluchten Kerle wollen uns umlegen!« »Sam noch nie auf Weiße geschossen! Sam haben Angst davor! Sam nicht schießen dürfen. Er ein Nigger! Weiße
Männer ihn lynchen!« »Du hast noch immer Schiß vor diesen Weißen, Sam? Werde endlich ein Kerl! Du bist ein freier Mann! Gib es diesen Hundesöhnen, sonst werden sie dich totschlagen wie ein Stück Vieh!« Lucky übertrieb nicht. Diese Männer dort draußen waren zu allem entschlossen. Sie dachten nur an Essen, noch nicht einmal an ihr eigenes Leben, das durch Schüsse ausgelöscht werden könnte. Und sie rannten wie eine wilde Horde näher. Da schoß Lucky. Zwei, drei Männer fielen. Die anderen brüllten durcheinander, rotteten sich hinter einem Felsbrocken zusammen, schrien voller Haß und Wut. »Sam, komm her!« Zitternd kroch Sam dicht an die Tür heran und hob das Gewehr, preßte den Kolben an die Schulter und blickte mit geweiteten Augen hinaus in das Tal. Wieder kamen die Fremden hervor. »Jetzt, Sam!« rief Lucky. »Schieß endlich!« Zwei Gewehre jagten das Blei durch das Tal. Männer fielen. Andere krochen wie Tiere auf allen vieren näher und schossen zurück. Das Gebrüll und der Knall der Schüsse schlugen zusammen. Das Echo grollte und tobte durch das Tal, hin und her. Weitab vom Tal zügelten mehrere Männer und eine rothaarige Frau die Pferde und horchten. Die Schüsse verhallten. Es wurde totenstill im Tal der Londons. Lucky und Sam kauerten in der Hütte. Sie luden die Gewehre nach und starrten hinaus, Dunkle Flecken waren im Tal zu erkennen – leblose Männer, deren Hunger vorbei war. Der Himmel wurde grau, die Sonne verschwand. Es sah nach Neuschnee aus. Über dem kleinen Fluß stiegen die kalten Nebelschwaden empor. Die Temperaturen sanken.
Colorado erwartete den Winter... Alles im Tal wurde diesig. Alles verwischte und verschwamm im kalten Dunst. Geisterhafte Gestalten schlichen näher. Die Goldsucher verrieten sich nicht durch Schüsse. Sie wollten unbemerkt die Hütte am Hang erreichen. Diese Männer waren einst friedliebende Bürger im Osten gewesen, Kaufleute oder Angestellte, Männer, die in irgendeiner Gerberei gearbeitet hatten, die vielleicht als Flußschiffer auf dem Mississippi gelebt hatten, Barkeeper, Tramps oder Familienväter... Die Goldgier hatte sie nach Colorado zum Pikes Peak getrieben. Der Hunger hatte sie wild gemacht. Und der Winter hatte sie überrascht. Es gab keine Gnade. Die Menschlichkeit existierte nicht mehr. Luckys Gesicht war wie aus Stein. Das Grauen überkam ihn wieder. Er sehnte sich nach den Blaugrasebenen von Kansas, nach den Prärien von Texas, er dachte an Pennie, an die Zukunft – und er wußte, daß er töten mußte. Das war schrecklich für ihn und Sam. Er schwor sich, nicht länger nach Gold zu suchen. Er wollte nicht so werden wie diese Männer im Tal. Das ganze Gold von Colorado nützte ihnen gar nichts, wenn sie nichts zu essen hatten, wenn sie keine wärmenden Decken besaßen, wenn der Winter mit eisiger Kälte nach ihnen griff. Wer jetzt die Bergtäler verlassen wollte, der mußte sich beeilen, um noch vor dem Schneetreiben eine der großen Kistenholzstädte zu erreichen. Sam betete. Gebeugt kauerte er neben der Tür und hatte die Augen geschlossen. »Sam, paß auf!« Der Neger schreckte hoch und griff wieder zum Gewehr. Wie Ungeheuer tauchten die Fremden auf.
Schüsse krachten. Lucky und Sam feuerten. Die Fremden hetzten auseinander. Plötzlich peitschten zwei Gewehre das Blei in das Tal. Zwei Reiter tauchten im Dunst auf und schossen. Twain London und sein Sohn Jim waren gekommen. Sie trieben die letzten Fremden aus dem Tal und jagten heran. Auf keuchenden Pferden hielten sie vor der Hütte. »Cowboy!« krächzte London besorgt. Sie verließen die Hütte. »Seid ihr verletzt?« wollte London wissen. »Ist alles in Ordnung, Jungs?« »Ja, Mr. London. – Wo ist Pennie?« »Sie ist im Canyon geblieben. Dort ist sie in Sicherheit. Wir müssen von hier verschwinden. Die Schüsse sind bestimmt auch in den anderen Tälern gehört worden.« Lucky nickte. Sie holten die Pferde aus der Hütte und warfen sich in den Sattel. Gemeinsam ritten sie aus dem Tal. Zwischen den Felsen am Talrand zügelten sie die Pferde. Die Goldsucher waren verschwunden. Die Toten lagen im Tal. Der Wind war gestorben. Kein Laut unterbrach die furchtbare Stille nach den lauten Schüssen. Wie ein riesiges offenes Grab lag das Tal vor den Reitern. Plötzlich sagte Twain London: »Ich reite noch mal hinunter. Ich will zu Daves Grab...« »Tun Sie es nicht, Mr. London!« flüsterte Lucky. »Wer weiß, wer unterwegs nach diesem Tal ist!« Doch London schüttelte den Kopf. »Vielleicht verstehst du mich nicht, Cowboy. Dort unten liegt mein Sohn. Zwei Fuß kalter Erde liegen auf ihm. Er soll meine Stimme hören. Zum letztenmal...« »Pennie ist allein, Mr. London! Wir müssen weg von hier!« »Reitet schon«, antwortete London leise und lächelte flüchtig und todernst. »Ich komm' nach.«
»Dad«, raunte sein Sohn Jim, »ich komm' mit dir.« »Nein, Jim, du reitest mit zurück. Ich möchte allein sein.« Lucky betrachtete den Mann. Twain London blickte in weite Fernen. Dieser brave Mann wollte wirklich allein sein. Vielleicht wollte er sogar weinen und seinen Schmerz am Grab des Sohnes zeigen können. »Komm, Jim«, sagte Lucky leise, »wir reiten zurück zu Pennie.« Sie ließen Twain London allein zurück und entfernten sich immer mehr vom Tal. Die Pferde stampften über die Anhöhen und durch die Täler. Die Reiter sprachen kein Wort miteinander. Twain London war allein. Er lauschte, doch der Hufschlag war schon nicht mehr zu hören. Mit grauen, trüben Augen sah er in das Tal und ritt abwärts. *** Totenstille empfing ihn. Das Pferd trug ihn an den leblosen Goldsuchern vorbei und zur Hütte. Steif saß er ab und betrat die Hütte. Hier hatte er mit seiner Familie lange gelebt. Sie hatten Gold gefunden, sie waren reich – doch Twain London fühlte sich ärmer als je zuvor. Denn er hatte einen seiner Söhne verloren. Niemals würde er diesen Verlust überwinden können. In der stillen Einsamkeit kamen ihm die Tränen. Schwer sackte er auf einen Hocker nieder und schluchzte vor sich hin. Tränen rannen über das Gesicht des Mannes und fingen sich in den tiefen Furchen. Dunkel war es in der Hütte. Und dennoch sah London dorthin, wo das Bild seiner Frau war... Er sprach zu ihr, als stünde sie vor ihm. Er erzählte ihr von seinen Gedanken, von seiner Liebe zu ihr, von seiner
Einsamkeit seit ihrem Tode. Schwer erhob er sich und nahm das Bild in die rauhe Rechte. Das Leben ging für ihn weiter. Er hatte keinem seine Tränen zeigen wollen. Und er war jetzt bereit dazu, den seelischen Schmerz in sich hineinzufressen. Langsam legte er das Bild zurück und schloß die Augen. »Ich schaff' es schon, Elly. Mach dir keine Sorgen um uns drei.« Mit erdhaften Schritten verließ er die Hütte und ging durch den Dunst des Tales. Vor dem Grab des Sohnes blieb er stehen. Er stierte auf die Erde, und das Gesicht des Sohnes schien vor ihm aus der Erde hervorzukommen. Dave lächelte, wie immer. Seine Gesichtszüge waren so seltsam verschwommen. Es war eine Vision, die Twain London hatte... Und die ganze erbarmungslose Wirklichkeit riß ihn aus seinen schweren Gedanken und hoffnungslosen Träumen. Er spürte plötzlich die Nähe der Menschen. Steif drehte er sich am Grab herum und erblickte mehrere Fremde und eine rothaarige Frau. Sie alle trugen lange Wintermäntel und starrten ihn schweigend an. Ihre Blicke durchbohrten ihn, als wollten sie seine Seele ergründen. Die Männer hielten Waffen in den Händen. Die noch junge Frau zeigte kein Gefühl. »Was wollt ihr?« fragte London dumpf und mühsam. »Habt ihr noch immer nicht genug? Ich steh' hier am Grab meines Sohnes!« Er hielt sie für Goldsucher. Doch es waren Banditen... »Wo ist das Gold?« Der Fremde mit dem Raubvogelgesicht beugte sich etwas vor. »Wir wissen, daß du in diesem Tal Gold gefunden hast!« London schwankte. »Nein«, stöhnte er. »Es gibt hier kein Gold!«
»Er lügt, Deadlock«, sagte die rothaarige Frau kalt. »Zeig ihm den Plan, damit er weiß, daß er uns nicht belügen kann.« »Das ist ein guter Gedanke von dir, Kitty«, antwortete der Mann namens Deadlock mit dunkler Stimme und lächelte eisig. Mit der linken Hand holte er die Skizze hervor. »Wir sind schon einmal hier gewesen. Du heißt London!« Londons Augen flackerten und verrieten ihn. Er wollte sich beherrschen, wollte nichts zeigen, doch die Banditen wußten bereits, daß er London war. »Dieser Plan ist ziemlich genau«, meinte Deadlock mit einem lauernden Unterton. »Wir haben schon dort gesucht, wo die Kreuze auf dieser Karte sind, aber nichts gefunden. Sag uns, wo das Gold ist, und wir lassen dich laufen.« Twain London hatte die Namen Deadlock und Kitty gehört. Diese Namen hatte Lucky schon mehrmals erwähnt. Von Sam hatte er die Namen von drei Banditen erfahren. Jetzt wußte London, daß es kein Entrinnen gab. »Das Gold ist geraubt worden.« »O nein, London, das glauben wir dir nicht! So dumm sind wir nicht. Du hast es irgendwo versteckt. Und du bist nicht allein. Hier im Tal liegen mehrere Tote. Die kannst du allein unmöglich geschafft haben. Versuch also nicht, uns was vorzumachen!« »Ich habe es weggeschafft!« schrie London mit brüchiger Stimme. »Ihr Halunken bekommt es niemals! Auch nicht über meine Leiche!« In den Augen der rothaarigen Kitty flammte es wütend und dennoch kalt auf. Ihre Stimme hatte nichts fraulich Sanftes mehr. »London, du wirst uns das Versteck zeigen! Es wird kalt in Colorado! Ich will aus diesen Bergen heraus! Denk an dein Leben! Sag uns die Wahrheit, und du wirst lebend aus den Bergen herauskommen.« Twain London schwieg.
Wütend packten sie ihn, rissen ihn zu Boden und traten ihn. Sie quälten ihn vor dem Grab seines Sohnes und schleiften ihn schließlich in die Hütte. Halb bewußtlos lag er vor ihren Stiefeln. Und wieder sagte die Frau: »Hör gut zu, London! Ich habe schon lange auf diese Chance gewartet. Ich bin zu meinen Freunden geritten mit dieser Skizze hier, und wir haben mit der Suche begonnen. Jetzt sind wir hier, und wir wissen, daß das Gold hier ist! Du wirst uns sagen, wo wir es finden!« Ganz leer war Twain Londons Gesicht geworden. Die grausamen Schläge und Tritte hatten ihn zerschunden. Dennoch war auf einmal keine Angst in seinen Augen. Er sah ins Leere – und vielleicht dachte er an Pennie und Jim, die mit dem Gold ein neues Leben beginnen könnten. »Mach das Maul auf!« schrie Kitty wütend und schrill. »Verfluchter Hund, antworte!« Sie war maßlos in ihrer Gier. Ihr Haß war wie der Atem der Hölle. Sie war keine Frau mehr... Und Twain London bewegte die Lippen. Seine Stimme war wie ein Windhauch, und die Banditen beugten sich über ihn, gierten nach seinen Worten, glaubten nun, das Versteck des Goldes zu erfahren. Sie hörten nichts vom Gold. »Eines Tages«, flüsterte Twain London, »werdet ihr alle sterben. Ihr werdet einen wilden Tod haben...« Eiskalt wehte es durch die Hütte. Draußen fiel Schnee. Von den Bergen wimmerte der Wind wieder herüber. Schnee wirbelte auf die Sattelpferde. In der Hütte flackerte Licht auf. Schlimme Flüche tönten hervor. Twain London schrie nicht. Eine halbe Stunde verging. Plötzlich krachte in der Hütte ein Schuß. Die Banditen kamen hervor. Sie stiegen auf die Pferde und ritten suchend umher. Am Talrand entdeckten sie im Windschatten der Felsen Hufspuren.
Hier war der Schnee noch nicht auf die Spur gefallen. Verhüllt stand die rothaarige Kitty abwartend vor der Hütte... *** Pennie kam Lucky entgegengelaufen. Sie war anders als sonst, sie hielt sich nicht mehr zurück und zeigte ihm ihre Liebe offen. Er schlang die Arme um Pennie und zog sie sanft an sich. Der Schnee fiel auf Pennies blondes Haar. »Wo ist Dad, Lucky?« flüsterte sie und blickte umher. »Warum ist er nicht mit euch gekommen?« »Er wollte noch zum Grab, Pennie.« »Armer Daddy – er quält sich. Er wird nicht damit fertig.« Lucky zog sie in die Höhle. Dort am Feuer hockte bereites Jim und rieb sich die klammen Hände über den Flammen. Sam brachte die Pferde in die Höhle und rieb sie notdürftig ab. Keiner der Männer sagte Pennie, was im Tal geschehen war. Sie brauchte es nicht zu wissen. Still saß sie neben Lucky. Auf einmal lehnte sie sich an ihn und sah in das Feuer. »Ich hatte immer geglaubt, daß das Gold uns glücklich machen würde«, sagte sie leise seufzend. »Aber dem ist nicht so. Es ist nur ein Traum. Mein Gott, was habe ich nicht alles geträumt! Von schönen Kleidern, von einem richtigen Bett und einem Haus mit einem Blumengarten ringsum.« »Das kann alles wahr werden, Pennie«, meinte Lucky und lächelte flüchtig. »Bald kannst du dir alles kaufen. Wir müssen nur rechtzeitig aufbrechen und vor den Blizzards die Berge verlassen haben. Wenn dein Vater hier ist, dann machen wir uns auf den Weg.« »Dad will nach Central City, hat er einmal gesagt. Weißt du, was es dort geben soll? Richtige Kristalleuchter! Und ein
Opernhaus! Es soll eine tolle Stadt sein. Mit vielen Geschäften, Bars und Saloons, mit einer City Hall und einer Kirche!« »Wir werden das alles sehen, Pennie«, versprach er und legte das Kinn auf ihren Kopf. »Wenn du möchtest, werden wir in Central City heiraten. Aber du heiratest einen armen Hund, Pennie.« »Was macht das schon, Lucky! Du könntest der ärmste Mann in Colorado sein, ich würde dir immer mein Jawort geben.« Sie lächelten vor sich hin und sahen ins Feuer, und beide träumten mit offenen Augen. Sam setzte sich ihnen gegenüber und warf Holz in die Glut. Er rückte dicht an das Feuer heran und hob den Blick nicht. Doch er war auf einmal sehr ruhig. Die Liebe der beiden jungen Menschen war wohltuend und befreiend für ihn. Menschen, die sich liebten, taten wohl nichts Böses. Sam hatte Freunde gefunden. Niemals hatte er die Weißen gehaßt. Dazu war auch seine Angst vor ihnen viel zu groß gewesen. Brian Badford hatte ihn unzählige Male geschlagen und ausgepeitscht, nur um seinen Zorn auf irgend etwas abzureagieren. Jim London fand keine Ruhe. Er richtete sich auf und ging hinaus. Schnee traf sein Gesicht, hing an den dunklen Augenwimpern, klebte an seiner Kleidung. Er sah durch den Canyon. Überall tanzte Schnee vom grauen Himmel. Noch war dieser Schnee leicht, er würde bald wieder schmelzen. Unruhig wartete Jim auf seinen Vater. Doch Twain London kam nicht. Stunden waren vergangen. Jim war rastlos, er konnte nicht in der Höhle warten, er ging hin und her, und schließlich ging er entschlossen zu seinem Pferd und zog die Sattelgurte stramm. »Wohin willst du, Jim?« »Ich reite Vater entgegen, Pennie.« »Soll nicht einer von uns mitkommen, Jim?« fragte Lucky.
»Das wäre wohl besser.« »Nein, laß nur, Lucky. Ich bin schon oft allein in den Bergen unterwegs gewesen. Bleib du bei Pennie.« Er wollte auch nicht, daß Sam ihn begleitete. Hastig zog er das Pferd aus der Höhle, schwang sich in den Sattel und ritt durch den Canyon. Schnee hüllte ihn ein, dämpfte den Hufschlag und schluckte ihn. Mit verkniffenen Augen starrte er voraus. Lucky bereitete alles für den Aufbruch vor. Er rollte die Decken zusammen und schnürte alles auf den Pferden fest. Sorgsam verstaute er den Proviant und blickte dann auf die Lederbeutel mit dem Gold, die sie tief in der Höhle niedergelegt hatten. Es war eigenartig, aber wahr – er trachtete nicht mehr nach Gold. Er empfand nichts beim Anblick dieser Goldbeutel, obwohl sie ein Vermögen waren. Dieses Gold gehörte den Londons und sollte ihnen immer gehören, das war Luckys Wunsch. Und er dachte dabei nicht an Pennie, die ihn durch die Heirat zum reichen Mann machen würde. Er ließ es liegen. Twain London sollte entscheiden, wo das Gold verstaut wurde. Schweigend saßen sie zu dritt wieder am Feuer. »Warum warten wir nicht den nächsten Tag ab, Lucky?« Pennie hörte, wie der Wind eisig durch die Schlucht jaulte. »Bei Nacht ist es doch noch viel kälter.« »Wir haben nicht mehr viel Zeit, Pennie. Jeden Tag kann es mit den Blizzards losgehen. Dann sind alle Wege und Täler verschneit.« »Du hast recht. Im letzten Winter war es auch sehr schlimm. Wir waren wochenlang eingeschneit. Aber in der Hütte war es warm.« Sie schmiegte sich an Lucky und atmete ruhig, als schliefe sie. Die Zeit verging. Lucky horchte immer wieder auf. Eigentlich müßten Pennies Vater und Bruder zu dieser Zeit
zurück sein. Eine schlimme Ahnung trieb ihn jäh auf die Beine. Er zog die völlig verstörte Pennie hoch und sagte dumpf zu Sam: »Wir müssen weg von hier, Sam! Am Schluchtausgang stehen dichte Fichten. Dort wirst du mit Pennie bleiben. Ich muß Jim folgen!« »Ja, Boß?« sagte Sam. Pennie klammerte sich an Luckys Armen fest. »Warum, Lucky? Um Gottes willen, was ist denn geschehen?« »Nichts, Pennie – noch nicht! Komm schon, frag nicht. Das Gold können wir immer noch holen! Wir dürfen keine Zeit verlieren!« Pennie kam nicht zur Besinnung, alles überstürzte sich jetzt. Lucky zog sie ins Freie und hob sie auf das Pferd. Schon ritten er und Sam mit dem Mädchen durch die Schlucht. Sie nahmen die andere Richtung und erreichten das kleine Waldgebiet. Der Wind jaulte um die Bäume herum. Schnaubend und prustend stampften die Pferde um die Bäume herum. Je tiefer die Reiter in den Wald kamen, um so ruhiger und geschützter wurde es. Schließlich hielt Lucky in einer tiefen Mulde an. Der Schnee wurde von den Bäumen aufgehalten. In der Mulde lag dichtes Laub von den nahen Laubbäumen. Ein Raunen war in den Fichten. »Sam, du bleibst mit Pennie hier! Was auch passiert, Sam!« »Ja«, sagte Sam dumpf. Lucky atmete aus. Sein Atem war weißer Dampf in der Kälte. Er sah Pennie an und versuchte zu lächeln, wollte ihr Mut machen, doch das Lächeln mißlang. Dann ritt er davon. Der Schnee hatte ihre Spuren bereits verdeckt. Im Canyon riß Lucky am Zügel und lauschte. Leise und schwach tönten Schüsse herüber! Irgendwo im treibenden Schnee schrie jemand mit heiserer
Stimme, wilder Stimme, und ein Pferd wieherte schmerzerfüllt und schrill. Dann fielen Schüsse vorn im Canyon. Todesmutig trieb Lucky das Pferd an und jagte zurück. Die Hufe schlitterten durch den glatten Schnee, knallten über Gestein hinweg und trappelten an der dunklen Höhle vorbei. Wieder peitschten Gewehrschüsse. Das schrille Wiehern des Pferdes brach ab. Lucky konnte nicht sehen, wie der Reiter stürzte, wie sich das tote Pferd überschlug, wie der schwere Körper zwischen die Felsen knallte. Er sah nicht, wie Jim hochkam, wie er torkelnd durch den Canyon irrte, vom tanzenden Schnee umgeben – und er sah nicht die erbarmungslosen Verfolger hinter Jim am Eingang der Schlucht auftauchen. Verzweifelt schleppte Jim sich vorwärts, ruderte mit den Armen, stierte durch die Schlucht. Die Verfolger rissen die Pferde zurück, sahen ihn nicht mehr. Blindlings abgefeuerte Schüsse fauchten über Jim hinweg. Querschläger kamen aus dem wirbelnden Schnee. Wieder zuckte Jim zusammen, wieder war er getroffen worden. Stöhnend torkelte er an den steilen Felswänden entlang. Blut tropfte in den Schnee. Alles vor seinen Augen war weiß. Er wollte schreien, doch er brachte keinen Ton hervor. Das Gesicht verzerrte sich zur Fratze des Schmerzes und der Todesangst. Am Schluchteingang lauerten die erbarmungslosen Verfolger und stierten durch den Canyon. Ihre Pferde keuchten und atmeten pfeifend wie ein Blasebalg. Schweiß tropfte, Speichelflocken wehten zu Boden. Jim London konnte kaum noch weiter. Die Stiefel schleiften durch den Schnee. Plötzlich sah er die dunklen Umrisse eines Reiters vor sich. Er streckte die Hand zuckend aus, wollte schreien, verlor das Gleichgewicht und fiel schwer hin, rollte auf den Rücken und blickte in den grauen Himmel.
Auf einmal war ein Gesicht über ihm. »Jim!« stöhnte Lucky. »Komm, ich helfe dir, ich bring' dich in Sicherheit!« »Zu... spät«, röchelte Jim. »Dad... ist tot! Die Banditen... haben ihn... erschossen...« Lucky versteifte sich. Eisige Kälte war in ihm. Er sah, wie Jim sich quälte, wie das Leben aus ihm wich. »Guter Jim!« krächzte er. »Was soll ich tun? Sag es mir, Jim !« Lucky war verzweifelt. Er wußte wirklich nicht, was er in diesen Sekunden tun sollte. Erschüttert starrte er in das schmale Gesicht des jungen Mannes und krümmte sich wie unter einem Hieb zusammen. »Bring... Pennie... in Sicherheit...« Der Körper bäumte sich auf. Die Augen wurden starr und leer. Schlaff sank Jim zurück. Schnee fiel auf sein lebloses Gesicht. Pferde wieherten im Canyon. Reiter kamen näher. Heisere Stimmen voller Wut und Haß tönten durch den wirbelnden Schnee. Ein letztes Mal sah Lucky auf das Gesicht des jungen London, und er hätte gern aufgeschrien vor Wut, doch kein Ton kam über seine Lippen. Er richtete sich auf, stand wie frierend im Schnee und blickte zurück. Noch waren die Verfolger nicht zu erkennen. Geduckt rannte er zu seinem Pferd und riß sich in den nassen Sattel. Hart trieb er das Pferd an die zerklüftete Felswand heran und verhielt hinter Felsen. Dann kamen sie. Mehrere Reiter, die lange Wettermäntel trugen, die gespenstisch aussahen, grau und unheimlich. Der tanzende Schnee verzerrte die Konturen. Mündungsfeuer flammten orangefarben auf. Schüsse peitschten durch die Schlucht. Plötzlich rissen die Banditen die Pferde zurück. Sie hatten Jim entdeckt. Drei von ihnen warfen sich von den Pferden und liefen zum Toten hinüber, beugten sich über ihn. Die anderen
wartete im Sattel. »Ist er tot?« hörte Lucky eine helle, schrille Stimme. »Ja!« kam die heisere Antwort. »Tot! Aber er war nicht allein, Kitty! Hier ist die Spur eines Pferdes!« »Komm zurück, Buckeye! Wir müssen weiter!« schrie Kitty. »Das Gold muß hier irgendwo im Canyon sein!« Lucky stöhnte, Blut sickerte aus den zerbissenen Lippen. Sein Gesicht war zerklüftet wie eine bizarre Landschaft. In den dunklen Augen glühte es unheilvoll. Er riß die Volcanic hoch. Das Schneetreiben hüllte die Verfolger ein. Er sah, wie drei der Banditen zu ihren Pferden zurückhasteten, wie die Reiter immer undeutlicher wurden. Es ging um Pennie, Sam und ihn. Um ihr Leben. Und Lucky feuerte mitten in das Reiterrudel hinein. Er konnte nicht sehen, wen er traf. Er konnte noch nicht einmal erkennen, ob er überhaupt traf. Die Reiter schrien, die Pferde wieherten – und alle verschwanden im Schneetreiben. Wieder schoß Lucky, jagte die Schüsse hinterher, dorthin, wo er die Banditen vermutete. Zwischen den Schüssen ertönte ein lauter wilder Schrei. Ein reiterloses Pferd polterte vorbei. Dann krachten viele Schüsse, und Blei orgelte über Lucky hinweg. Wieder rannte ein Pferd ohne Reiter durch den Canyon. Lucky riß sein Pferd herum und jagte los. Er fand die Spur des reiterlosen Pferdes und blieb auf dieser Spur. Hinter ihm schrien die Banditen, fielen Schüsse, zuckten die Mündungsfeuer durch den Canyon. Tot und einsam blieb Jim zurück. In seiner Nähe schossen die Banditen, schrie die rothaarige Kitty. Diese Frau wollte das Gold besitzen, und sie scheute vor nichts zurück, auch nicht vor der größten Grausamkeit. Lucky schoß nicht. Er wollte sich nicht verraten. Die Halunken sollten glauben, daß er noch hinter den Felsen steckte. Jetzt sah er das eine Pferd im Canyon stehen. Er ritt vorbei,
lenkte sein Pferd zur anderen Seite der Schlucht und zog es herum. Dann schlug er mit dem Gewehr auf das Pferd des Banditen ein und trieb es zurück, den Halunken entgegen. Die Schüsse würden das Pferd erschrecken, es würde umkehren und wieder Spuren hinterlassen – und genau das wollte Lucky erreichen. Überall sollten Spuren sein. Schon saß er ab, zog sein Pferd hart an der Felswand entlang, wohin der Schnee nicht gefallen war. Auf dem harten Felsboden hinterließen die Hufe keine Eindrücke. Überall tanzte der Schnee im Canyon. Immer wieder brüllen die Gewehre auf. Er verfluchte die rothaarige Kitty und verdammte die Banditen. Jetzt hatte er die Gewißheit. Kitty war eine Banditenbraut. Sie paktierte mit den mörderischen Halunken, die schon viele Goldgräber ermordet und beraubt hatten. Sie hätten auch Sam Washington umgebracht, wenn sie ihn in der Höhle entdeckt hätten. Er hatte keine Zeit, zurückzulaufen, um das Gold zu bergen. Er mußte so schnell wie möglich den Canyon verlassen und unter den Bäumen verschwinden. Endlich erreichte er das Waldstück und verschwand. Hinter ihm fiel der Schnee auf die Spur. Ein Pferd wieherte kläglich im Canyon. Die Schüsse waren verstummt. Die Bäume waren weiß. Tief hingen die Zweige hinunter. Flocken tanzten durch das Geäst. Langsam stapfte Lucky vorwärts. Er zerrte das Pferd heftig hinter sich her und erreichte die Mulde. Keuchend stand er vor Sam und Pennie. »Wir müssen sofort weiter!« ächzte er. »Fragt jetzt nicht! Die Banditen haben den Canyon entdeckt. Sie werden jetzt überall suchen. Wir müssen noch während des Schneetreibens verschwinden. Der Schnee wird unsere Spuren verdecken. Los, macht schon, beeilt euch!« Pennie rührte sich nicht. Mit großen, geweiteten Augen sah
sie Lucky an. Sie wollte etwas sagen, doch sie konnte es nicht. Sie wollte aufschreien, aber ihr fehlte der Atem dazu. Ganz plötzlich wußte sie, daß ihr Vater und ihr Bruder niemals zurückkommen würden. Daß beide tot waren. Und diese Erkenntnis ließ sie ohnmächtig werden. Schlaff lag sie in der Mulde. Lucky zog sie hoch, hob sie auf das Pferd und schnürte sie fest. Er hüllte sie mit einer wärmenden Decke ein und befestigte die Zügelenden ihres Pferdes an seinem Sattel. Sam stand wie gelähmt in der Mulde. »Tot?« röchelte er. »Sein alle tot?« »Ja, Sam, tot! Steig aufs Pferd! Wir müssen weg von hier! Das Gold ist verloren. Aber Pennie lebt, und wir müssen sie retten, Sam! Wir müssen weit weg! Es wird Winter in den Bergen!« Wenig später ritten sie durch den Wald und verließen den Schutz der Bäume weitab vom Schluchtausgang. Fauchend schlug der Wind nach ihnen. Schneetreiben hüllte sie ein. Sie hinterließen eine dunkle Spur, doch schon fiel Schnee darauf. Sie rasteten nicht. Das weite Bergland lag unter einer Schneedecke. Schneebeladen standen die Fichten an den Hängen der Berge. Der Himmel war tief und grau. Der Wind trieb den Schnee vor sich her. Drei Menschen flüchteten durch die weiße Wildnis. Ein weiter Weg lag vor ihnen. Überall lauerten Gefahren. Habsucht, Goldgier und Heimtücke hausten in den Tälern. Und der Hunger erfaßte die Tausende von Goldsuchern... Schnee löschte die Spur der drei Pferde aus... *** Laut und heiser schrie ein Bandit durch den Canyon.
Die anderen kamen herangelaufen und erreichten ihn. Sie
folgten ihm in die Höhle. Deadlock, der Bandit mit dem Raubvogelgesicht, kniete nieder und griff in einen der Lederbeutel hinein, holte das Rohgold hervor und stieß ein heiseres Lachen aus. »Hier, Kitty, das ist Gold!« rief er. »Wir haben es gefunden!« Die rothaarige Saloonlady kam im langen Wettermantel heran. Wollhandschuhe bedeckten ihre schlanken Hände. Sie hockte sich neben Deadlock nieder und starrte auf das Gold, das im Feuerschein matt schimmerte. »Ja, Deadlock – Gold!« flüsterte sie und bekam einen starren Blick. Triumph zerwühlte ihr Gesicht. Sie packte zu und stierte auf das Gold. »Wir sind jetzt reich, Deadlock, wir haben es geschafft!« Er nickte, nahm ihr das Gold ab und verstaute es wieder im Lederbeutel. In seinen Augen war kaltes Flirren. Er hielt den Kopf gesenkt und schien fieberhaft nachzudenken. Plötzlich sagte Kitty leise, so daß nur er es hören konnte: »Ja, ich weiß – wir sind zu viele. Aber wir wollten ja reich werden, Deadlock...« Er nickte kaum merklich, zwang sich zu einem zufriedenen Lächeln und richtete sich in der Höhle auf. »Buckeye, hol Holz heran, das Feuer geht sonst aus. Shannon, du holst die Pferde herein. Olsen, Johns, Meyer, ihr sucht nach Spuren! Beeilt euch! Wir müssen wissen, wohin sie reiten!« Die drei Banditen hasteten hinaus und warfen sich auf die Pferde. Buckeye stapfte aus der Höhle, um Holz heranzuschaffen, und Shannon kam wenig später mit ihren Pferden herein. »Wen hat es erwischt, Shannon?« fragte Deadlock kalt. »O'Rourke, Jenkins«, antwortete der flachsblonde Shannon mit zynischem Lächeln. »Du denkst an das Gold, nicht wahr?« »Ja«, gab Deadlock zu. »Warten wir, bis Buckeye hier ist.«
Der Bandit kam mit dem schneebedeckten Holz herein, schlug den Schnee ab und legte etwas Holz in die Glut. Langsam drehte er sich um und blickte Kitty und die Komplicen an. »He, ihr habt doch was!« sagte er gedehnt. Sie starrten den bärtigen und gedrungenen Komplicen lächelnd an und nickten. »Das Gold reicht für jeden von uns«, murmelte Deadlock. »Wir vier sind reich. Wenn wir es aber noch an die drei anderen verteilen, dann hat jeder von uns verdammt viel weniger. Und das gefällt mir nicht. So ist es doch, nicht wahr, Kitty?« Sie war eiskalt. Sie schien keine menschlich guten Gefühle mehr zu haben. Ihre Stimme klang hart und bissig. »Ich habe mich im dreckigen Saloonzelt von Fairplay lange genug geschunden! Ich hab' mich anfassen lassen von diesen betrunkenen Kerlen. Ich hab' getanzt und gesungen und dafür nur ein paar Dollar bekommen. Aber ich habe immer von viel Gold geträumt. Da kam Massachusett zu mir. Er war verknallt in mich, und er redete etwas zuviel. So kam ich dahinter, daß er einem Goldsucher einen Plan abgenommen hatte. Da entschloß ich mich, die Sache mit euch zu machen.« Sie trat an das Feuer heran und wärmte die klammen Hände. Horchend sah sie hinaus in den Canyon. Der Schnee tanzte an der Höhle vorbei. »In der Stadt können wir uns jeden Mann kaufen«, sprach sie weiter. »Für ein paar Dollar frißt uns jeder aus der Hand. Wir brauchen nicht viel auszugeben. Es gibt genug arme Kerle, die für Geld jeden umlegen, wenn wir es wollen. Wir brauchen Johns, Olsen und Meyer wirklich nicht...« »Die drei werden sich aber mit nichts nicht zufriedengeben!« sagte Buckeye lauernd. »Sie sollen auch was bekommen«, murmelte Deadlock. »Etwas, an dem sie nicht lange zu knabbern haben werden.« Heiseres Gelächter schallte aus der Höhle.
Draußen vor dem Canyon suchten die drei Komplicen nach Spuren, doch sie konnten nirgendwo mehr Hufeindrücke erkennen. Fluchend zogen sie die Pferde herum und ritten zurück in den Canyon. In der Höhle warteten die rothaarige Kitty und die drei Banditen Deadlock, Shannon und Buckeye. Die Lederbeutel mit dem Gold befanden sich bereits in den Satteltaschen ihrer Pferde. Fluchend kamen die Komplicen herein. »Nichts zu finden!« keuchte Olsen wütend. »Der Schnee liegt überall! Der Kerl, der auf uns geschossen hat, ist entkommen.« »Er wird uns also nicht finden, wenn wir jetzt losreiten?« erkundigte Deadlock sich mit sanft klingender Stimme. »Ja«, nickte Olsen. Suchend starrten sie umher. »Wo ist das Gold?« fragte Meyer kehlig. »Ich kann es nicht sehen!« Lässig deutete Kitty nach hinten. »Da hinten liegt es. Wir teilen es später auf. Setzt euch erst einmal hin. Wir haben Zeit.« »Sind wir jetzt endlich reich?« flüsterte Johns. »Ich meine – wirklich reich?« »Ja«, antwortete Deadlock lächelnd. »Wir haben es geschafft. Diesmal haben wir viel Gold erbeutet. Die Schinderei ist vorbei. Wir brauchen nicht mehr Goldgräbercamps zu überfallen. In ein paar Tagen sitzen wir in der Badewanne, schlafen im besten Hotel und essen die saftigsten Steaks in der Stadt. Wir beginnen ein völlig neues Leben, Johns.« Die Augen des Komplicen flackerten. Er schien auf einmal Fieber zu haben. Und er machte den Eindruck eines Kindes kurz vor der Bescherung. »Ich will es mal sehen, Deadlock!« »Dann seht es euch doch an, von mir aus!« Deadlock zuckte
die Schultern. »Wenn es euch beglückt, Freunde?« Olsen, Johns und Meyer stapften am Feuer vorbei und nach hinten. Suchend sahen sie umher, doch sie konnten die Lederbeutel nirgendwo erkennen. Fast gleichzeitig drehten sie sich herum. »Da ist nichts!« krächzte Olsen. »Stimmt«, sagte Deadlock kalt. Dann krachten Schüsse in der Höhle. Dicht vor den Pferden fielen die drei Komplicen leblos auf den harten Felsboden. Pulverrauch wallte über dem Feuer. Kaltblütig luden die Banditen die Waffen nach, schoben die Revolver in die Halfter zurück und grinsten sich an. »Das wär's,« sagte Kitty kalt. »Wir müssen jetzt aufbrechen«, sagte Deadlock dumpf. »Sonst bleiben wir noch im Schnee stecken.« Sie erhoben sich und holten aus den Taschen der toten Komplicen das Gold hervor, das sie bei früheren Überfällen bereits erbeutet hatten. Dann zogen sie die Pferde in den Canyon und nahmen auch die Pferde der Komplicen mit. Langsam ritten sie aus der Schlucht. *** Pennie saß erschöpft am Feuer. Tränen rannen über das blasse Gesicht. Sie zitterte wie im Fieber und blickte geistesabwesend in das Feuer. Die Douglasfichten schüttelten sich im Wind. Nur wenig Schnee fiel noch. Die Nacht war hell, kalt und bläulich. Die Pferde standen im Schutz von Bäumen und Felsen. Sie hatten die Reiter lange tragen müssen. Decken hüllten die Tiere ein. Frierend kauerte Sam am Feuer. Gebeugt saß Lucky neben Pennie. Sie alle wußten, daß sie nicht in den Canyon zurückreiten durften, daß das Gold verloren war. Pennie hatte alles verloren. Den Vater und die Brüder. Das
tödliche Verhängnis hatte in Fairplay begonnen, aber vielleicht wäre alles auch genauso geschehen, wäre ihr Bruder Dave nicht nach Fairplay geritten, hätte er sich nicht betrunken und hätte er nicht gepokert. Lucky liebte Pennie. Sie tat ihm sehr leid. Doch kein Wort könnte ihr helfen und den Frieden zurückgeben. Nur die Zeit könnte Pennie helfen, diese schlimmen, grauenvollen Stunden zu vergessen. Er legte den Arm um sie, doch sie reagierte nicht darauf. Starr sah sie ins Feuer, während die Tränen über das Gesicht liefen. Unheimliche Geräusche drangen nun durch die Nacht. Ein Wimmern und Schluchzen war zu hören. Sam bekam Angst. Die Zähne schlugen aufeinander. Er bewegte sich zitternd und lauschte in die Nacht hinaus. Es hörte sich an, als würde dort unten im Tal ein kleines Kind schreien und rufen. Der Aberglaube trieb Sam in die Angst hinein. Er glaubte, daß die Teufel auf die Erde gekommen wären, daß Untiere umherschlichen und sein Blut wollten. »Mastah!« stöhnte er. »Sie kommen!« »Nein, Sam, beruhige dich! Das ist der Wind in den Bergen! Dort unten wimmert kein Mensch. Es gibt keine Ungeheuer!« »Doch, Mastah, doch!« »Du machst mich verrückt, Sam! Zum Teufel, es gibt keine Hölle, keine Dämonen!« Die unheimlichen Geräusche versickerten im Tal. Sam erhob sich und blickte in die Tiefe. Schnee lag auf den Felsen. Plötzlich schrie Sam erstickt auf und zeigte in das Tal. Sofort sprang Lucky auf und lief zu ihm. Jetzt sah auch er die Gestalt im Tal. Ein Mann torkelte durch den Schnee, fiel immer wieder hin, kam hoch, machte ein paar Schritte und blieb schließlich liegen. »Mein Gott«, flüsterte Lucky, »das ist ein Goldsucher!«
Er packte Sam am Arm und zog ihn zum Feuer zurück. Sam sollte bei Pennie bleiben. Sekunden später ritt Lucky schon abwärts. Nicht ein einziger Flocken Schnee fiel mehr. Klirrende Kälte wehte über die Berge. Der Schnee knirschte unter den Hufen. Es dauerte lange, bis Lucky, die Gestalt im Tal erreicht hatte. Der Mann trug nur leichte Kleidung. Das Hemd war am Rücken voller Blut. Die Stiefel waren aus Schafsleder. »Aufstehen!« schrie Lucky. »Los, steh auf, sonst...« Er verstummte und ließ den Mann los. Der Unbekannte war erfroren. Oben am Talrand stand Sam und sah, wie Lucky auf das Pferd stieg und auf seiner Spur zurückritt. Nach einer halben Stunde hatte Lucky das Feuer wieder erreicht. Es war furchtbar kalt geworden. Der Atem war weißer Dampf. Die Haut wurde rissig und grau. »Wir müssen weiter!« sagte Lucky und stöhnte dumpf auf. »Der Mann ist tot! Unsere Pferde werden erfrieren, wenn sie nicht bewegt werden! Pennie, komm, steh auf! Pennie, komm schon! Bald haben wir es geschafft!« Sie antwortete nicht, saß auf und hielt sich am Sattelhorn fest. Lucky zog ihr Pferd hinter sich her. Sam ritt hinter Pennie einher. Mühsam arbeiteten die Pferde sich abwärts und durch den Schnee, dessen Decke hartgefroren war. Stundenlang waren sie unterwegs. Der Tag begann. Da hörten sie Schüsse. Vor ihnen öffnete sich ein weites Tal. Ein paar Hütten standen im Tal. Schreiend rannten viele Schafe umher. Mörderische Schüsse streckten die Tiere nieder. Wie Untiere kamen hungernde Goldsucher drüben den Talhang runter, schossen und schrien. Und zwischen den Schafen rannten Männer umher, schossen zurück und wurden von Kugeln getroffen. Die Goldsucher waren zu Bestien geworden. Wie ein Rudel
Wölfe fielen sie über die Schafzüchter her, die schon seit vielen Jahrzehnten in Colorado lebten und hier eine neue Heimat gefunden hatten. Gnadenlos wurden die Schafzüchter erschossen. Blindlings wurde in die Schafherde hineingeballert. Blei riß die Körper auf. Schafe wurden hochgeschleudert und verreckten elendig. Goldsucher warfen sich auf tote und lebende Tiere, rissen die Eingeweide hervor, begannen zu fressen... »Nein!« schrie Pennie gellend. »Nein!« Sie konnte es nicht verhindern. Auch Lucky und Sam konnten nichts für die Schafzüchter tun, für diese Basken, die einst aus dem fernen Spanien gekommen waren. Unten im Tal wütete der Tod... Sie ritten weiter. Hinter ihnen lagen tote Basken und Schafe, wüteten die Goldsucher, schlachteten die Tiere, rissen sie auseinander. Die Not der anderen Menschen ließ Pennie nicht mehr zu jeder Sekunde an ihre Brüder und ihren Vater denken. In Pennie erwachte die Kraft zum Überleben. Es war nichts anderes als Selbsterhaltungstrieb. Meile um Meile zogen sie weiter und näherten sich immer mehr der Stadt. In der letzten Nacht, als sie in der Wildnis lagerten, erlebte Pennie noch einmal, wie viehisch Menschen werden konnten. Sam wachte am Feuer. Pennie und Lucky lagen dicht daneben, in die Decken gerollt. Von den Fichten fielen Nadeln herunter. Plötzlich zuckte Sam zusammen. Er sah das Nordlicht kalt über den Bergen leuchten und hörte dumpfe Geräusche. Zitternd stand er auf und hob das Gewehr an. In der Nähe keuchte es seltsam. Sekundenlang war es still, dann war pfeifender Atem zu hören, dumpfes Stöhnen und knirschender Schnee. Die Geräusche rissen Lucky aus dem Schlaf. Er drehte sich heftig herum und griff zur Volcanic.
Durch die plötzliche Bewegung wurde auch Pennie geweckt. In diesen Sekunden brachen zwei Gestalten aus dem Unterholz hervor. Sie trugen zottelige Felle und ähnelten Teufelsgestalten. Aufschreiend zuckte Sam zurück, stolperte und fiel. Entsetzt wälzte er sich am Boden und schrie voller Angst. Die beiden Gestalten stürzten sich auf ihn. Sie waren wie Tiere. Sie hatten vielleicht gar keinen Hunger, doch der Wahnsinn war in ihren Augen. Sie mußten irgendwo hausen, in einem Erdloch wie Tiere. Und sie mußten schon mehrmals Menschen angefallen haben. Fauchend griffen sie nach Sam und versuchten ihn zu würgen. Lucky hob die Volcanic an und erschoß sie. Sie fielen und rollten den Hang abwärts. In einer Schneewolke verschwanden sie. So mancher Goldsucher war in diesen Bergen wahnsinnig geworden. Sam lag stöhnend am Boden. Pennie schluchzte. Lucky rannte über den Platz und blickte hinunter. Tief unten lagen die beiden toten Körper im Schnee. Und wieder flüchteten Lucky, Pennie und Sam, wieder waren sie unterwegs. Sie wollten dieser weißen Hölle entkommen. Sie sahen verlassene Zelte, erfrorene Männer, zerfallene Hütten. Sie zogen an Goldminen vorbei, wo alles Leben erloschen war, und sie sahen verendete Maultiere, dann Feuer in der Nacht und Männer, die noch immer nach Gold suchten und nicht merkten, daß der weiße Tod schon nach ihnen griff. Das war der Wahnsinn. Kaum einer dieser Goldsucher wollte aufgeben und seinen Claim verlassen. Keiner wollte dem anderen Platz machen. Vielleicht würde er in den nächsten Stunden auf Gold stoßen, vielleicht morgen. Sie vergaßen den Winter, gierten nach Gold und spürten erst den Hunger und die totale Erschöpfung, wenn
es schon zu spät war. Die Spuren der drei Reiter verloren sich abseits der Täler und Minen. Drei Menschen flüchteten nach Central City. Aber auch die skrupellosen Banditen waren unterwegs nach Central City, um dort ein neues Leben zu beginnen. Die letzte Tragödie begann... *** Central City. Lucky, Pennie und Sam erreichten diese Stadt am Abend. Sie sahen die vielen Häuser und Hütten, Zelte und Bruchbuden. Sie erblickten die vielen Lichter und Lagerfeuer, die Menschen, Fahrzeuge und Pferde auf den Straßen – und sie wußten, daß sie ihr Ziel erreicht hatten. Die Stadt der Träume eines jungen blonden Mädchens namens Pennie. Auf müden, erschöpften Pferden ritten sie zum erstbesten Mietstall. Es war ein großer Bretterstall, und der Wind pfiff durch die Fugen. Männer lagen im Stroh und auf nackter Erde. Pferde und Maultiere standen dichtgedrängt im Hintergrund. Zwei Männer arbeiteten im Stall und verlangten zehn Dollar von jedem, der hier einen Schlafplatz haben wollte. Lucky suchte in seinen Taschen und fand nichts. Die Komplicen des Banditen Madley hatten ihm den letzten Cent abgenommen. Sie mußten umkehren. Wieder ritten sie durch Central City. Diese Stadt war Hölle und Paradies in einem. Bitterste Armut lebte neben prunkvollem Reichtum. Am Straßenrand lagen sinnlos betrunkene Männer in harter Kälte. In hellen Saloons im Licht der Kronleuchter tanzten lachende Paare. Kutschen rollten über die Straßen. Bettler lauerten an jeder Straßenecke. Zerlumpte Gestalten irrten im Wahnsinn umher. Marktschreier boten ihre Waren an und hielten neben ihrer
Kasse Gewehr und Revolver bereit. Musik dröhnte aus den vielen Saloons. Herdrauch wehte über die Stadt hinweg. Zwischen den Hütten hielten Lucky, Pennie und Sam an. Sie suchten nach einem Platz für die Nacht. Sie sahen abgemagerte Männer unter Blech liegen, struppige Hunde ihren Schlächtern ausweichen und überall stinkender Abfall. Lucky stöhnte dumpf auf. »Komm, Pennie, hier bleiben wir nicht!« flüsterte er. »Wir werden nirgendwo einen guten Platz finden! Ich will nicht, daß du in dieser Stadt bleibst! Das lasse ich nicht zu.« Pennie sah ihn erschreckend ruhig an. Sie schien alles überstanden zu haben. »Aber wohin sollten wir reiten, Lucky?« flüsterte sie. »Zurück in die Berge? Nein, Lucky.« Verzweiflung machte sich in Lucky breit. In Kansas und Texas hatte es die Freiheit der Winde für ihn gegeben. Immer hatte er dort einen Schlafplatz für zwei Cent gefunden. Hier wurden zehn und mehr Dollar verlangt. Hier gab es kein gutes Wort unter den Menschen. Das Gold schrieb die Gesetze. Wer kein Gold besaß, der kam um. Sie gingen über die Höfe, suchten und blieben schließlich stehen. »Hast du noch was zu essen, Sam?« Sam sah Lucky an, wühlte dann in den Satteltaschen und schüttelte den Kopf. »Ich nichts haben, Mastah.« Lucky suchte selber, auch er fand nichts. Dann suchte er in Pennies Satteltaschen – und holte eine Handvoll Rohgold hervor! »Pennie! Das ist Gold!« Sie erinnerte sich. Es war das erste Gold, das sie damals gefunden hatten. Und sie lachte auf, und Lucky umarmte sie. Sie tanzten umher und vergaßen, was sie durchgemacht hatten. »Sam«, rief Lucky, »weißt du, wie lange das reichen wird? Einen Monat bestimmt. Bis dahin haben wir einen Job gefunden!«
Sie freuten sich, und Sam kamen die Tränen, als Pennie ihn, den Neger, umarmte und ihm sogar einen Kuß auf die schwarze Wange gab. Das Gold öffnete ihnen Tor und Tür. Sie bekamen ein Zimmer in einem Hotel. Sam sollte nicht hereingelassen werden, doch Lucky behauptete, daß Sam Gold gefunden hätte, daß er der reiche Mann wäre – und Sam durfte das Hotel betreten. Das Zimmer war klein, doch gemütlich. Das Bett war weich wie ein schöner Traum. Erschöpft sank Pennie auf das Bett. Sam legte sich auf den Boden. Lucky ging noch einmal, um für ihre Pferde zu sorgen. Er trat auf den Hinterhof hinaus und sah, wie zwei Männer gerade mit den Pferden verschwinden wollten. Da überkam ihn die Wut. Er stürzte sich auf die Männer und schlug mit dem Gewehr um sich. Er knallte ihnen den Kolben auf den Kopf und hielt erst inne, als sie bewußtlos vor ihm lagen. Keuchend zerrte er die Pferde zum nächsten Stall. Noch einmal überlegte er, grübelte er und starrte den Stallbesitzer an. In Central City brauchten sie kein Pferd. Immer bestand die Gefahr, daß ihnen die Pferde gestohlen werden würden. Er löste sie Satteltaschen und nickte. »Ich verkaufe sie, aber ich lass' mich nicht bescheißen, Mister! Dreihundert Dollar für jedes Pferd. Und für jeden Sattel hundert Dollar!« Der Stallbesitzer grinste. Er zahlte sofort und lachte vor sich hin. Verwundert sah Lucky ihm nach. Er hatte einen Haufen Geld, doch der Stallbesitzer tat so, als hätte er ein gutes Geschäft gemacht. Es war auch so! Hier im Norden war ein Pferd sehr kostbar und wertvoll. Lucky hätte fünfhundert Dollar verlangen können – und in wenigen Tagen vielleicht sogar tausend und mehr Dollar! Er kehrte in das Hotelzimmer zurück und schloß die Tür zu.
Er machte noch ein paar flache Schritte, legte noch Satteltaschen und Gewehr weg, dann ging er in die Knie, fiel auf die Seite und schlief ein. Unten auf der Straße wurde es nicht still. Menschen waren unterwegs. Nicht weit vom Hotel entfernt stand das Oper House, ein Koloß von Haus, dessen Granitmauern meterdick waren. Dort liefen Opern, Schauspiele und sogar Musicals über die Bühne. Pennie und die beiden jungen Männer sahen und hörten nichts mehr. Sie schliefen bis in den nächsten Tag hinein. Steif erhob Lucky sich und trat an das Fenster heran. Die Sonne schien, und der Schnee taute und schmolz in sich zusammen. Wasser rann von den Dächern. Noch einmal machte der Winter eine Atempause. Sie konnten mit Gold alles bezahlen. Wenig später saß Lucky unten im dichten Anbau des Hotels in der Badewanne und spielte mit dem Seifenschaum. Sauber und rasiert kehrte er auf das Zimmer zurück. Pennie war gegangen, um ebenfalls zu baden. »Du kannst ja jetzt gehen, Sam«, sagte Lucky lächelnd. »Aber seif dich nicht zu kräftig ein, sonst wirst du noch bleich wie ein Weißer, und das steht dir gar nicht.« Sam grinste und ging. Lucky beugte sich aus dem Fenster und beobachtete die Menschen. Central City kam niemals zur Ruhe. Unten rollten schwere Fahrzeuge entlang. Auf den Frachtwagen lagen Geräte und große, schwere Teile einer Steinmühle, die in acht Wochen den Missouri herauftransportiert worden war. So wildbewegt, laut und geschäftig diese Stadt auch war, sie war kalt. Sie lebte im Goldrausch und hatte kein Gefühl für menschliche Werte. Es gab bessere Städte. Lucky dachte an den Süden, an Kansas und Texas. Dort gab es noch Menschen. Nicht hier. Reiter kamen, Fußvolk bewegte sich über die Straßen und
Plätze. In den Saloons wurde gepokert, gewonnen und verloren. Schüsse krachten in der Stadt. Angeschossene Männer torkelten aus einem Saloon und stolperten in den Schneematsch. Lucky wandte sich ab, setzte sich auf das Bett und wartete. Als Pennie hereinkam, brachte er kein Wort hervor. Ihr blondes Haar leuchtete hell und sauber. Sie trug die Kleidung, die in der Satteltasche gewesen war. Das weiche Gesicht war makellos sauber. Sie war schön wie ein Engel. »Gehen wir essen, Lucky?« Ihre Frage verriet ihren Hunger, aber sie verriet auch, daß Pennie nicht aufgeben und sich nicht unterkriegen lassen wollte. »Ja«, sagte Lucky mit belegter Stimme. »Gerechter! Du siehst großartig aus, Pennie!« »Ich bin noch die alte Pennie, Lucky«, flüsterte sie. »Nichts hat sich geändert.« Er nickte nur und betrachtete sie immer wieder. Schließlich kam Sam, und zu dritt verließen sie das Hotel. Lucky trug die Satteltaschen mit dem Gold auf der Schulter und hielt sein Gewehr. In einem Etablissement fanden sie Platz und nahmen ein sündhaft teures Essen zu sich. Sogar Sam wurde bedient, denn er hatte einen Goldklumpen vor sich auf den Tisch liegen. Später gingen sie durch die Stadt. Lucky wollte Pennie ablenken, sie sollte vergessen, was geschehen war, und er versuchte alles, um ihr weiches Lächeln sehen zu können. Sie hörten die Leute vom Gold reden, von der Glory Hole, einer offenen Mine, die neunzig Meter tief und dreihundert Meter lang war und wo angeblich Gold und Erz entdeckt worden war. Sie sahen die City Hall und die Kirche, die vielen Geschäfte und das Teller House, wo der Besitzer Henry Teller berühmte Männer wie Grant, Sheridan und Sherman bewirten sollte. Später sollte dieser Henry Teller erster Senator des
Bundesstaates Colorado werden. Träumend sah Pennie auf die Kleider in den Geschäften. Sie kaufte sich nichts. Das Gold würde nicht für immer reichen. Sie dachten nicht mehr an die Banditen. *** Wieder war es Morgen geworden. Pennie strich Lucky über das Gesicht und spürte die Bartstoppeln. Er grinste und nickte. »Ich werde mich rasieren, Pennie. Und dann suche ich nach einem Job. Wir müssen uns über Wasser halten!« Wortlos verließ Sam das Hotelzimmer, um in der Schüssel Wasser zu holen. Es stieg die Treppe hinunter und trat auf den Gehsteig hinaus, weil an diesem Morgen die Tür zum Hinterhof noch geschlossen war. Sein Blick schweifte die Straße hinauf. Plötzlich zuckte er so heftig zusammen, daß die Schüssel auf den Plankenweg fiel. Sofort beugte er sich hinunter und griff nach der Blechschüssel. Dicht neben ihm stapften drei Männer in derben Stiefeln vorbei. Hart klirrten die Radsporen. Es waren dreckige grobe Stiefel, die Sam erschreckten. Er hatte die drei Männer wiedererkannt. Und er hörte wieder die mörderischen Schüsse im Tal, lag wieder in der Höhle und sah wieder, wie Brian Badford und die anderen Goldsucher zusammengeschossen wurden. Deadlock, Buckeye und Shannon gingen weiter. Sie sahen nicht zurück, trugen die Gewehre und schwere Satteltaschen auf den Schultern. Sie kümmerten sich nicht um Sam, denn sie kannten ihn nicht. Langsam hob Sam den Kopf an und starrte ihnen nach. Sie verließen den Gehsteig und überquerten die Straße. Mehrere Planwagen versperrten Sam die Sicht, und als die Wagen vorbeigerollt waren, konnte er die Banditen nirgendwo
mehr sehen. In wilder Panik rannte er in das Hotel zurück, hastete nach oben und stürzte keuchend in das Zimmer. »D-draußen!« stotterte er. »D-die Banditen! Deadlock und – und... Ich weiß die Namen nicht mehr, ich sie vergessen haben! Du schnell hinaussehen!« Er war völlig durcheinander. Schweiß lief über das schwarze Gesicht. Er zitterte heftig und atmete rasselnd. Lucky schnellte zum Fenster. Überall Menschen, eine namenlose Masse. »Wo denn, Sam?« schrie er. »Zeig sie mir!« Sam kam ans Fenster und schüttelte heftig den Kopf. »Ich sie nicht mehr sehen, sie weg, verschwunden, da drüben!« Lucky entspannte sich. Forschend spähte er über die Straße. Drüben lag der Golden Hill Saloon, ein Haus aus Brettern, wie es Hunderte davon im Westen gab. »Dann müssen sie im Saloon sein«, überlegte er ruhig. »Dann kann auch diese Kitty nicht weit sein.« Pennie saß blaß auf dem Bett. Sie fühlte sich elend, denn sie wußte nun, daß die Mörder ihres Bruders und ihres Vaters in Central City waren. »Pennie, du bleibst hier!« sagte Lucky dunkel. »Geh nicht aus dem Zimmer! Sam soll mir die Halunken zeigen!« Sie nickte schwach, kaum merklich, und schloß die Augen, als die Männer hinausgelaufen waren. Verworrene Stimmen tönten herauf, laute Geräusche, ferne Schüsse, Pferdegewieher und Männerflüche. Draußen gingen Lucky und Sam über die Straße. Viele Menschen waren um sie herum. Sie mußten den Wagen und den Reitern ausweichen und erreichten endlich den Gehsteig. Langsam näherten sie sich dem Golden Hill Saloon. Sie hörten die laute und schrille Musik, das Kreischen der Animiermädchen, das Gebrüll der Männer im Saloon, und sie
blieben neben der Tür stehen. Sam beugte sich vor und starrte hinein. »Kannst du sie sehen, Sam?« fragte Lucky dumpf. »Wo stecken die Dreckskerle?« »Sie an der Theke stehen! Drei Mann! Ich sie sehen, sie trinken und grinsen!« »Drei Mann? Es waren mehr als drei Mann im Canyon, Sam! Die anderen müssen irgendwo stecken. Wahrscheinlich haben sie sich getrennt. Ich muß auch diese Kitty finden. Dieses Luder hat die wilden Schießer auf die Londons gehetzt!« Sam richtete sich auf und nickte. Unruhe war in seinen Augen. »Wir sie jetzt suchen?« »Nein. Sie könnte uns sehen. Sie kennt uns beide zu gut, sie würde uns eine Falle stellen. Komm, wir gehen zu Pennie zurück. Heute abend werden wir diese Kitty suchen.« Lucky hatte in den Saloon geblickt. Jetzt wußte er, wie drei der Banditen aussahen. Er mußte sich gewaltsam beherrschen. Seine Schritte waren steif und hart. Im Hotel atmete er tief ein und entspannte sich. Ernst blickte er Sam an. »Die Banditen haben Pennies Gold, Sam. Das Gold gehört Pennie – und sie soll es zurückbekommen! Hier in Central City wird niemand uns helfen. Ich muß es allein erledigen.« »Sam schreckliche Angst haben um Mastah Lucky!« flüsterte der Neger. »Er beten für Mastah Lucky.« »Wenn es dir hilft, Sam?« Lucky konnte nicht lächeln. Langsam stieg er die Treppe empor... *** Abend in Central City... »Ich flehe dich an, Lucky, geht nicht auf die Straße!« hauchte Pennie und krampfte die schmalen Hände um Luckys
Arme. »Vergiß das Gold, vergiß diese Banditen! Wir können die Stadt verlassen und uns einem Wagentreck zum Colorado River anschließen! Ich will nicht, daß ihr geht.« »Wir wollen doch nur zum Sheriff, Pennie. Mach dir keine Sorgen. Frag Sam doch!« »Ja, Miß«, sagte Sam leise, »wir zum Sheriff gehen. Wir bald zurück und kleine Miß beschützen.« »Ihr beide seid die einzigen Menschen, die ich habe«, flüsterte Pennie und ließ Lucky los. »Ohne euch bin ich hier verloren. Ich liebe dich, Lucky, und dich, Sam, habe ich sehr gern. Ich könnte es niemals ertragen, wenn euch was zustoßen würde!« »Wir sind doch bald zurück, Pennie...« »Du machst mir was vor, Lucky, ich spüre es. Du willst für mich kämpfen und mein Gold zurückholen – aber es ist nicht mein Gold. Ich will es nicht mehr! An diesem Gold klebt Blut. Halunken haben das Gold berührt. Ich will arm sein, Lucky! Glaub es mir! Was nützt mir das ganze Gold, wenn du tot bist!« Lucky sagte kein Wort mehr. Er umarmte Pennie ganz fest, küßte ihre Stirn, ließ sie jäh los und ging aus dem Zimmer. Sie streckte die Hände nach ihm aus, doch sie mußte ihn gehen lassen. Und Sam senkte den Blick und folgte Lucky. Sofort hastete Pennie zum Fenster und beugte sich hinaus. Kalt war der Wind, der über die Dächer pfiff. Lichtbahnen fielen auf die Straße. Überall waren Menschen. Klaviere klimperten, Orchestrions lärmten, Männer lachten dröhnend in den Saloons. Wohin das Licht nicht reichte, war es dunkel – und Pennie sah, wie Lucky und Sam in der Dunkelheit verschwanden. Beide schritten langsam in eine Hofeinfahrt hinein. Hier verharrten sie. Lucky stierte ins Dunkel und überlegte. Er sprach leise auf Sam ein, und der Neger nickte. Sie verließen die Hofeinfahrt und näherten sich dem Golden
Hill Saloon. Zwei Betrunkene schwankten hervor. Mehrere Männer schoben sich hinein. Die Türflügel kamen nicht zum Stillstand. Ein ewiges Kommen und Gehen herrschte, und das nicht nur hier. Licht fiel aus den Fenstern. Im riesigen Saloon flackerten die Lampen. Dicker Tabaksqualm hüllte die Gäste und die auf der Bühne tanzenden Mädchen ein. Das Gestühl bestand aus Kisten und Fässern. An der vierzig Fuß langen Theke standen dichtgedrängt Männer. Lucky und Sam konnten nur den flachsblonden Shannon entdecken. Er saß an der Wand mit einem Mädchen. Seine Komplicen befanden sich offensichtlich nicht in diesem Saloon. »Weiter, Sam!« ächzte Lucky. Sie folgten dem Gehsteig. Männer kamen ihnen entgegen. Von Gold und neuen Funden war die Rede. Niemand sprach über die Versorgung, über Hunger und Nachschub. Mädchen in leichten Flitterkleidern standen im kalten Wind und lockten die Männer in ihre Häuser. Gestalten, krank und gebrechlich, kamen ihnen mit bleichen, eingefallenen und knochigen Gesichtern entgegen. Zwei Häuser weiter sahen sie einen Mann, der einen getöteten Hund auf dem gebeugten Rücken davonschleppte. Eine Kutsche rollte vorbei. Ladys lachten in der Kutsche, Männer mit schwarzen kostbaren Anzügen und Zylindern machten Scherze. Ein alter Mann saß im Dreck und stierte wie erblindet über die Straße. »Trennen wir uns, Sam. Du gehst hier entlang, ich drüben. Irgendwo müssen die anderen sein. Wir müssen dieses rothaarige Weib finden!« »Ja, Mastah.« Sie gingen auseinander. Keiner von ihnen wußte, daß sie niemals wieder zueinander sprechen würden, daß diese Trennung ein Abschied für immer und ewig war... Lucky überquerte die Straße. Sam folgte auf dieser Seite dem Gehsteig und blickte mit
seinen großen schwarzen Augen in das grelle Licht der Saloons und Bars, der Etablissements und Spielsaloons. Er verlor Lucky aus den Augen. Zu dieser Zeit betrat Lucky den düsteren Raum eines verkommenen und schmutzigen Saloons. Suchend blickte er umher. Da spürte er eine kalte knochige Hand am Arm und schnellte halb herum. Vor ihm am Kistenholztisch hockte ein bärtiger alter Mann mit einer Nickelbrille. Hunger hatte das Gesicht gezeichnet. Trübe flackerte das Talglicht und warf den zuckenden Schein auf das Gesicht des Mannes, der geglaubt hatte, in Colorado ein reicher Mann zu werden. Für ihn war es ein Irrweg ins Verderben geworden. »Junger Mann«, hüstelte er, »bitte, junger Mann! Bitte...!« Er deutete auf die Kiste neben sich und hustete flach. Die Lungenkrankheit höhlte ihn aus. »Ich habe keine Zeit, Mister.« »Ihr habt wohl niemals Zeit, ihr... jungen Männer«, stöhnte der Mann. »Ihr wollt... dem Tod davonlaufen, wie? Aber er holt auch euch ein. Das Sterben gehört zum Leben, junger Mann. Jeden Abend sinkt die Sonne. Ein Tag ist ein Menschenleben. Es geht dahin, und was übrigbleibt, ist Staub, der im Wind verweht. – Nun setzen Sie sich doch, junger Mann!« Lucky konnte diesem kranken Mann nicht die Bitte abschlagen. Er setzte sich und betrachtete das Gesicht, und erst jetzt sah er, daß dieser Mann irgendwann einmal und irgendwo im fernen Osten einer Beschäftigung nachgegangen sein mußte, die Klugheit erforderte. Aber der alte Mann sprach nicht über die Vergangenheit. Zitternd holte er ein Stück Papier hervor und glättete es auf dem Tisch. »Das ist mein Claim, junger Mann! Ich hab' Gold gefunden, viel Gold. Aber ich bin allein! Ich bin hungrig, ich muß was essen. Ich verkaufe Ihnen meinen Claim! Für hundert Dollar, junger Mann!«
Tief atmete Lucky ein. Dieser Mann war nicht reich. Er hatte umsonst nach Gold gesucht, aber seinen Claim eintragen lassen. Hier in Central City war das erste Minengesetz entstanden, das später für den ganzen Westen gelten sollte. Jeder mußte seinen Fund innerhalb von zehn Tagen angemeldet haben, sonst könnte ein anderer dort suchen. »Hundert Dollar, Mister?« »Ja, junger Mann!« Die Augen des alten Mannes tränten. Wie gebannt blickte er auf Luckys Mund und wartete auf die Antwort. Lucky betrachtete den Plan. Der Claim lag weit außerhalb der Stadt, in einem Gebiet, wo die Goldsucher nur durchgezogen waren. Ein Tal war eingezeichnet, Berge und Wälder, und die angebliche Fundstelle. Sie war wertlos. Doch Lucky konnte den Mann nicht sitzenlassen. Er brachte es nicht übers Herz. Und er schob den Plan unter die Jacke und gab ihm die hundert Dollar. Langsam erhob er sich und sah, wie der alte Mann davonhumpelte. »Gott möge es Ihnen danken, junger Mann! Gott segne Sie!« Mit einem Stück Papier in der Jacke und um hundert Dollar ärmer verließ Lucky den dunklen Saloon und suchte weiter. Sam war schon um viele Häuser weiter als Lucky. Er drückte sich an einem der hellen Fenster die Nase platt und sah in das helle Licht leuchtender Kristallampen. Samtüberzogene Tische waren zu sehen, Kerzenleuchter, Silbergeschirr, weiße Tischdecken auf den Eßtischen, rote Läufer am Boden und auf der Treppe, lachende und gutgekleidete Menschen und Musiker, die gedämpfte Musik machten. Unwillkürlich schluckte Sam. Flaschen mit französischen Weinen standen auf den Tischen. Überall hingen große Spiegel. Paare tanzten... Das war das andere Leben von Central City. Hier wurde gelacht, hier gesellten sich Reiche zu Reichen –
und draußen stand ein großer, kräftiger und armer Neger, dessen einziger Reichtum sein gutes Herz war. Die Musik verklang. Die Paare gingen auseinander. Feuerrotes langes Haar leuchtete im Licht der Kronleuchter. Ein schillerndes, kostbares Kleid umgab den Körper der schönen jungen Frau. Sie lachte, ihre Zähne blitzten, sie strich über den Arm ihres Tanzpartners – und auf einmal sah sie zum Fenster und erkannte das schwarze Gesicht... Ihr Lachen erstarb, ihr Lächeln verwischte – und in den Augen wurde es kalt. Sie ließ sich nichts anmerken, rauschte im langen Kleid aus dem Saloon und verschwand hinter der Mahagonitür. Sam stand wie festgenagelt draußen vor diesem Kristallpalast und versuchte mühsam, Ordnung in seine wirren Gedanken zu bringen. Er hatte Kitty wiedererkannt, doch sie sah jetzt völlig anders aus, sie hatte gelacht und getanzt, sie war nicht mehr das geldgierige Saloonmädchen von Fairplay. Und das ließ Sam zweifeln. Er wußte doch nicht so genau, ob es diese Kitty war. Leise klang Stimmungsmusik aus dem Palast. Auf der Straße abseits lachten betrunkene Männer und verschwanden schwankend in einem Saloon. Sam stand im Licht. Auf einmal roch er Parfüm. Es roch wie damals, als er auf der Plantage gearbeitet hatte, als die Kutsche mit den großen Ladys über die Felder gerollt war. Französisches Parfüm... Er drehte sich um. Vom hellen Licht geblendet, sah er über den Gehsteig. Eine Frau stand zwischen den Fenstern auf dem Plankenweg. Sie verharrte im Schatten. Der Wind bewegte das lange schöne Kleid. »Hallo, Sam!« Weich wehte die Stimme zu ihm. Er hörte ihr leises Lachen.
Das Haar flatterte lockig. Ein kostbarer Pelz verhüllte die bloßen Schultern. Die Brust schimmerte wie Marmor. Sie war ihm wie in einem Traum erschienen... Kitty! Sie lächelte und hob die Hand, als locke sie ihn, und er hörte wieder ihre Stimme: »Wo ist der Cowboy, Sam? Bist du ganz allein? Nun sag doch was, Sam! Mein Gott, ich hatte euch beide so sehr vermißt...« »Sie lügen!« stöhnte Sam. »Mastah Lucky auch in Central City sein. Wir wissen, daß Sie in Bergen gewesen mit Banditen. Sie Gold geraubt haben und brave Menschen erschossen. Sam alles weiß!« »Aber Sam! Wie kannst du nur so was sagen, Sam!« »Sam die Wahrheit kennen. Lady ein großer Teufel sein!« Ihr langes Kleid funkelte selbst im Schatten. Das leise Lachen klang gepreßt. Sie bewegte die Hand. Metall, mit Silber überzogen, glänzte. Aus dem Smith and Wesson blitzte es rot auf. Der Schuß krachte und wurde vom Lärm in der Stadt übertönt. Sam fiel gegen die Wand. Der Kopf stieß das Fenster ein. Glas klirrte auf den Gehsteig. Langsam sackte Sam in die Knie. Vor ihm flatterten rote Haare und ein langes kostbares Kleid. Die Frau eilte davon. Sams Stöhnen ging unter im Gebrüll der Männer im Saloon. Er kippte lang hin. Aus dem Kristallpalast kamen Menschen hervor und blickten auf den Neger. Er wollte sprechen. Doch er konnte nicht. Sein Blut rann auf die Planken. Die Hände zuckten flatternd umher. Um ihn herum standen die Menschen und taten nichts. Hinter ihnen drängte sich eine rothaarige Frau durch den Kreis der Menschen und blickte wie alle anderen auf Sam. Sam sah Kittys Gesicht, ihre Augen. Er wollte die Hand anheben und auf sie zeigen, doch der Tod war schneller. »Das ist nur ein Nigger«, sagte jemand. Kitty wich zurück und blickte über die Straße. Dort stand
plötzlich Buckeye, bärtig, gedrungen und reglos. Sie nickte ihm kaum merklich zu und verschwand hinter der Tür. Schnee fiel auf die Stadt. Die Männer und Frauen gingen in den hellen Raum zurück und ließen Sam einfach liegen. Niemand sah die schattenhaften Gestalten hinter den Häusern. Drei Männer bewegten sich hinter den Kristallpalast und drangen durch die Hintertür ein. Sie betraten ein lichterfülltes Zimmer voller Samt und Plüsch. Fransenlampen leuchteten. Vor der Anrichte stand Kitty und füllte vier Gläser mit schottischem Whisky. »Setzt euch«, sagte sie. Deadlock, Buckeye und Shannon setzten sich auf die lederne Couch und streckten die Beine aus. »Was ist denn los, Kitty?« fragte Deadlock gedehnt und kalt. »Draußen liegt ein Mann auf dem Gehsteig. Hast du ihn umgelegt?« »Ja, sonst hätte ich euch nicht kommen lassen!« antwortete sie gefühllos. »Der Tote ist ein Nigger und heißt Sam, und wo dieser Nigger ist, da ist auch der Cowboy, dieser Lucky! Ihr wißt, daß ich den Cowboy in die Falle lockte. Er sollte von Madley erschossen werden. Hier, trinkt erst einmal den Whisky.« Sie tranken schlürfend und blickten Kitty lauernd an. »Also sollen wir ihn suchen, wie?« murmelte Shannon. »Du hast es erraten! Sucht den Cowboy! Überall in der Stadt! Er weiß, daß wir das Gold haben. Der Nigger hat davon gesprochen. Ihr müßt ihn töten! Gebt niemals auf, auch nicht nach Monaten! Er darf uns nicht entkommen. Wir wollen als reiche Leute hier unseren Frieden haben. Es werden noch andere Zeiten kommen, voller Gesetze. Dann wird es in Central City einen Marshal und etliche Deputies geben. Und dann darf es keinen Cowboy geben, der alles zerstören könnte! Erledigt ihn!«
»Machen wir!« Sporenrasselnd verließen sie das Zimmer. Kitty war allein. Sie füllte wieder ihr Glas und trank. Langsam schritt sie im Zimmer auf und ab. Draußen vor Sam kniete Lucky. Musik erklang. Menschen lachten. Gläser klirrten hell. Champagner floß. Der Rauch guter Zigarren wehte über den Gehsteig. »Sam«, stöhnte Lucky, »guter alter Sam. Du hast mich nie im Stich gelassen. Ich tu's auch nicht.« Düster betrachtete er das Einschußloch. Aus der Nähe war auf Sam geschossen worden. Der Schuß mußte aus einer kleinen Waffe abgefeuert worden sein, aus einem Smith and Wesson vielleicht... Langsam hob er den Kopf an und starrte auf die hellen Fenster. Sein Gesicht war wie eine tote Landschaft. Er zog Sam hoch und trug ihn mühsam in den Windschatten des Hauses. Irgendwo auf dem Hinterhof rasselten Sporen davon. Behutsam setzte Lucky den Neger zu Boden. »Sie ist in diesem Haus, Sam, nicht wahr? Sie hat dich erschossen.« Weich strich er über das Gesicht des Negers und schloß ihm die Augen. Langsam richtete er sich auf und hielt die Volcanic. Mit flachen Schritten ging er über den Plankenweg und erreichte die Tür. Jäh verstummte die Musik. Alle Anwesenden starrten zur Tür. Dort stand todernst der Cowboy. Er sah so arm aus, daß man Mitleid mit ihm haben müßte. Er sagte kein Wort, blickte die Menschen an und ging durch den Salon. Die Läufer dämpften seine Schritte. Am Bartresen verharrte er und sah in die Augen des Keepers. »Ich suche eine reiche junge rothaarige Frau.« Seine Stimme hatte keinen Klang. Nicht ein einziges Wort war besonders betont worden. Der Keeper zeigte auf die Tür im Hintergrund. »Appartement neun.«
Lucky ging weiter, verließ den Salon und fand die Zimmertür. Voller Wucht trat er sie auf. Mit einem Sprung war er im Zimmer. Die Volcanic war auf Kitty gerichtet. Sie war totenblaß unter der Schminke. Vor Entsetzen konnte sie sich in den ersten Sekunden nicht bewegen. In Gestalt des Cowboys war der Tod zu ihr gekommen. Sie war schuld am Tod von Twain und Jim London – und eigentlich auch am Tod des jungen Dave London. Und sie hatte Sam erschossen! Im Haus war es totenstill. Im Salonraum ertönte keine Musik. Die reichen Leute standen still und wie gelähmt. Sie warteten... »Genug, Kitty!« Mehr sagte Lucky nicht. Ihr schönes Gesicht entstellte sich vor abgrundtiefem Haß, und ihre Angst schlug in wilde Wut und Raserei um. Sie schrie ihn an und griff zur Waffe. Er schlug zu, traf mit der Handkante ihr Handgelenk – und der Smith and Wesson flog über die Couch. Schreiend stürzte sie um den Tisch und packte die Lampe, warf sie zu ihm hin, doch er wich aus. Der gläserne Zylinder zerplatzte. Flammen leckten über den Boden und fraßen sich in den Teppich hinein. Wieder schleuderte die Frau eine Fransenlampe durch das Zimmer und stieß gellende Schreie aus. Da ging Lucky. Hart schloß er die Tür. Langsam, mit unbewegtem, steinernem Gesicht, schritt er zurück und durchquerte den Salon, trat auf den Gehsteig hinaus und erreichte Sam, hob ihn hoch und trug ihn über die Straße davon. Im Kristallpalast schrie gellend ein Mensch. Zu spät hatte Kitty die tödliche Gefahr erkannt. Um sie herum brannte es. Menschen stürzten aus dem Palast. Das Feuer griff nach Kittys Kleid. Sie schlug um sich, stolperte und fiel, rollte durch die
Flammen, röchelte, kroch zum Fenster, schlug es mit letzter Kraft auf – und der kalte Wind fauchte in das Zimmer und ließ die Flammen lodern. Weit abseits des brennenden Hauses drehte Lucky sich um und blickte zurück. »Sie ist tot, Sam.« Sam sollte sein Grab in diesen Bergen finden. Lucky hatte in dieser Nacht noch einen Wagen und ein Pferd gekauft. Pennie saß neben ihm auf dem niedrigen Kutschbock. Sie fuhren hinaus und verließen Central City. Hinter ihnen auf dem Wagen lag Sam. Alle drei waren in wärmende Decken gehüllt. Abseits der Stadt hielt Lucky an. Er fragte sich, wohin er fahren sollte, und ihm fiel der Claim des alten kranken Mannes ein. So lenkte er das Wagenpferd durch die Nacht. Im Morgengrauen erreichten sie den Claim. Noch immer fiel etwas Schnee. Weit hinten in der Ferne brannten mehrere Häuser. Das Feuer hatte übergegriffen. Im kalten Wind des Morgens begann Lucky zu graben. Mühsam stieß er die Schaufel in die gefrorene Erde, durchbrach die Schicht und hob die Erde heraus. Wartend stand Pennie neben dem Wagen. Sie sah, wie Lucky plötzlich innehielt. »Pennie!« stöhnte er. »Komm her, Pennie! Ich – ich kann es nicht glauben!« Sie ging zu ihm und sah es. Gold lag vor ihnen. Viel Gold. Es lag neben dem buschigen Strauch, dessen Wurzeln noch viel mehr Gold verbargen. »O mein Gott!« flüsterte Pennie und schwankte. »Das kann doch nicht wahr sein, Lucky. Aber es ist wahr! Der alte Mann, er hat wirklich Gold auf seinem Claim, und er weiß es nicht!« Sie wußten nicht, daß der alte Mann in der vergangenen Nacht mit zweiundzwanzig Dollar in der Tasche gestorben war – nach einem reichlichen und guten Essen und vielen Gläsern
Whisky... Lucky beerdigte Sam an einer anderen Stelle. Er wollte nach Central City zurückfahren und diesen seinen Claim auf seinen Namen umschreiben lassen. Und er wollte den alten Mann suchen und ihn glücklich machen. Während er zum Wagen ging, kniete Pennie noch am Grab. Da sah er drei Reiter durch das Tal kommen. Deadlock, Buckeye und Shannon. Sie hatten schon überall nach ihm gesucht. Jetzt ritten sie den Weg herauf. Pennie sah sie nicht. Zwischen ihren zarten Fingern zerrieb sie die Erde und ließ sie auf das Grab rieseln. Plötzlich hörte sie den Wagen anrollen. Sie sprang auf und hastete um die Felsen. Sie wollte Lucky nachrufen, doch sie konnte beim Anblick der drei Reiter kein Wort hervorbringen. Das Wagenpferd trottete wie von allein abwärts und zog den Wagen hinter sich her. Lucky lag flach hinten auf dem Wagen. Die Banditen hielten Gewehre in den Händen, starrten dem Wagen entgegen und trieben die Pferde vom Weg herunter, um den Wagen vorbeizulassen. Urplötzlich schnellte Lucky hinten auf der kleinen Wagenfläche halb hoch und feuerte mit seiner Volcanic. Drei Banditen stürzten von den durchgehenden Pferden und rollten den Hang abwärts. Verrenkt blieben sie liegen. Schneeflocken tanzten im Wind. Klirrende Kälte wehte über das Land. Das Pferd zog den Wagen wieder hoch. Lucky saß vorn und lenkte das Pferd. Neben Pennie hielt er an, stieg vom Wagen und schlang die Arme um Pennie. Ein neuer Tag begann. Sonne, Schnee und Kälte umgaben die beiden Menschen. Sie standen auf goldenem Boden. Wichtiger als alles Gold war ihnen die Liebe. Und Tage später stand ein Holzschild am Talhang. Darauf war zu lesen... Happy Lucky Claim
- ENDE -