Ren Dhark Drakhon Band 24 Die geheimen Herrscher l. Feuer auf der Panoramaanzeige, Feuer, wenn er aus dem Gleiter blickt...
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Ren Dhark Drakhon Band 24 Die geheimen Herrscher l. Feuer auf der Panoramaanzeige, Feuer, wenn er aus dem Gleiter blickte, Feuer in allen Meldungen aus der Kommunikationseinheit. Es brannte überall, der ganze Planet brannte, die gesamte Galaxis, so wollte es ihm scheinen, und er selbst brannte auch, sein Him jedenfalls, sein Herz, sein Blut war es tatsächlich schon vorbei? Ja, vorbei, es war tatsächlich schon vorbei... Am Horizont sah er den Goldenen Hochverehrten des Tores aus einem Flammenmeer ragen, aus einem Flammenwald, aus einer Flammenwelt. Der Bordrechner meldete zwei Raumer der Loyalisten in den äußersten Schichten der Stratosphäre, und kurz darauf hüllte Feuer den Gleiter ein. Der Navigator kreischte, der Kopilot brüllte, der Waffentechniker murmelte Sätze, die klangen wie ein uraltes Gebet. Er selbst riß alle sechs Arm hoch, um seinen Schädel zu schützen, eine vollkommen absurde Geste. War es falsch zu kämpfen? War es ein Fehler gewesen, sich aufzulehnen gegen die Verehrtesten der Verehrten? Hatte er sein Leben verwirkt? Exakt diese Fragen schössen ihm durch das Him, als es über ihm knallte, als die Frontkuppel des Gleiters sich in viele Fragmente auflöste und durch die Flammenwand davonwirbelte. Seine Fühler bogen sich nach unten, sein Magen sackte ihm in den Unterleib, und sein Körper bohrte sich bis in den Federkern des Kommandantensitzes. Das Gebrüll des Kopiloten verlor sich wie ein verhallendes Echo im Nichts. Flammen, Hitze, Atemlosigkeit dann schoß er aus dem Feuer dem Himmel entgegen. Seine Rettungseinheit brannte, als sie den Zenit ihrer Beschleunigungsparabel erreichte. Dort verharrte sie für Bruchteile eines Herzschlages, dann ging es abwärts. Heiße Luft rauschte, Bremsmodule zischten, und jetzt richteten seine 9 Fühler sich steil auf, seine brennenden Glieder flogen dem brennenden Himmel entgegen, und sein Magen preßte seine Lunge zusammen und verstopfte ihm die Kehle. Die Kauscheren drückten ihm von innen gegen die Facettenaugen, als würde ihm jemand die Schädelbasis von unten mit einem Spitzholz aufbohren, er zog die Schultern hoch, preßte Kinn und Scheren auf die Brustplatte und bangte dem Aufschlag entgegen und endlich brach er samt Kommandantensessel in das Wipfeldach des Waldes ein. Sein Glück vermutlich, denn Zweige, Geäst und Lianen bremsten seinen Sturz ab. Sein Gurt löste sich, der Sessel blieb in der Baumkrone hängen, er selbst schlug im nassen Waldboden auf. Er richtete sich auf, riß den zertrümmerten Helm vom Schädel, blickte an sich hinunter: Sein Kampfanzug hing ihm in Fetzen vom Leib, einer seiner rechten Arme brannte. Da standen Sumpfpflanzen, da brodelte Morast, da spiegelte ein brennender Himmel sich im Wasser er stürzte sich hinein. Das Feuer erlosch, doch als er auftauchte, war der untere seiner rechten Arme nicht wesentlich mehr als ein krummes Stück Asche, gerade noch zusammengehalten von kochendem Schaum und schmelzendem Gewebe seines Anzuges. Der Schmerz aber ließ seine Neuronen rotieren, und das Entsetzen wollte seinen Verstand überfluten. Er schaffte es, sich gegen Schmerz und Panik zu stemmen nicht umsonst war er Flottenkommandant und tastete nach der Klinge an seiner Hüfte. Er spürte sie, er umklammerte sie, er riß sie aus der Scheide, und er trieb sie in das verkohlte Gewebe dessen, was von seinem unteren rechten Arm übriggeblieben war. Wieder und wieder stach er zu, hieb er, säbelte er in seinen Chitinpanzer, in sein Fleisch bis das verbrannte Glied von ihm abfiel. Doch das erlebte er nur noch wie im Traum.
Der brennende Himmel erlosch. Die brennende Welt, die seine Heimat war, verkroch sich unter eine düstere Decke des Vergessens, sein Bewußtsein versank in dumpfem Schmerz, in Gleichgültigkeit und schließlich in Nichts. 10 In letzter Zeit hatten sie nicht viel zu lachen gehabt auf der POINT OF, während des Rückflugs nach Terra Nostra jedoch herrschte eine lockere Stimmung in der Kommandozentrale; eine geradezu ausgelassene Stimmung sogar. Scherze flogen hin und her, Geplauder und Gelächter, wohin man hörte, entspannte Mienen, wohin man sah. Der Commander versuchte sich anstecken zu lassen. Er saß in seinem Sessel im Kommandostand, behielt Armaturen, Anzeigen, Kontrolleuchten und die Bildkugel im Auge, drückte hin und wieder auf den Empfänger in seinem rechten Ohr, um auf die knappen Meldungen des Checkmasters zu lauschen, und versuchte zugleich der Unterhaltung der Besatzung in der Kommandozentrale zu folgen. Manchmal lächelte er, und manchmal traf sich dann sein Blick mit dem des Ersten Offiziers, oder mit dem Doorns oder Tschobes oder Amy Stewarts. Ihre Blicke erhaschte er häufiger als die der anderen, und wenn seine Augen für kurze Zeit in ihren ruhten, gelang es Ren Dhark tatsächlich, sich von der guten Stimmung seiner Mannschaft anstecken zu lassen. Vorübergehend; solange eben, bis der Hauptgrund der allgemeinen Hochstimmung sich wieder in sein Bewußtsein schob, und dessen dunkle Seite ihn mit schlimmen Vorahnungen bedrückte. Die Laderäume aller vierundfünfzig Schiffe der Forschungsflotte waren gefüllt mit dem wertvollsten Metall, das die Galaxis Om zur Zeit zu bieten hatte: mit Tofirit. Das war der Hauptgrund für die gute Stimmung an Bord. In absehbarer Zeit würde dieses Tofirit eine gewaltige Kriegsflotte mit Energie versorgen, und das große Sterben würde beginnen. Das war die dunkle Seite des Metalls. Und zugleich der Grund für Ren Dharks düstere Vorahnungen. Der Commander gehörte nun mal nicht zu den Menschen, die sie perfekt beherrschten, die Kunst der Verdrängung. Dazu trug er einfach zuviel Verantwortung. So erschien es ihm nicht einmal unpassend, daß eigenartiges, buntes Licht für ein zunehmendes Farbspiel in der Zentrale sorgte. Das Hologramm über dem Kommandostand wurde immer prächti 11 ger. Als wäre die Bildkugel eine riesige Lampe, die jemand allmählich auf Farbbetrieb umschaltete. In Wahrheit füllte die Gaswolke Gardas die Darstellung inzwischen fast vollständig aus. Am oberen Rand ein paar Sterne, am unteren ein Kugelhaufen mittlerer Helligkeit 2,74 Millionen Lichtjahre entfernt und inmitten der galaktischen Wolke der eine oder andere besonders helle Farbtupfer, schillernd und schön wie verglühende Reste bengalischen Feuers. Ansonsten aber schien sich ein bunter Farbenschauer über den Kosmos gelegt zu haben. »Kommunikationszentrum an Zentrale«, sagte ein Männergesicht auf einem kleinen Bildschirm über der Instrumentenkonsole. »Kodierte Nachricht von Terra Nostra. Über Hyperfunk, Moment noch...« Es war das Gesicht von Elis Yogan, dem zweiten Funker. »So, hier die Dechiffrierung: Die Römer melden feindliche Einheiten, ZyzzktRaumer. Sie patrouillieren im gesamten Bereich um die Wolke.« Noch keine acht Minuten waren vergangen, seit die Flotte der 54 Forschungsschiffe aus dem Hyperraum vor der Gaswolke aufgetaucht war. Die römischen Kommandeure hatten Befehl gegeben, das Intervallfeld zu aktivieren. Mit SLEAntrieb nahm die Flotte Kurs auf das Ziel. Es war nahe, das Ziel, relativ nahe jedenfalls:
Terra Nostra, der Planet der Neurömer. Noch 193 Lichtjahre entfernt kreiste er verborgen im Zentrum der schützenden Wolke mit elf anderen Planeten um seine Sonne ein Stützpunkt in der Fremde, die letzte Bastion des Widerstandes gegen die Zyzzkt, ein Stück Zuhause fast für Ren Dhark und seine Expeditionsflotte aus der Milchstraße. »Dhark an Funkzentrale, Verbindung mit den Akademiepräsidenten, bitte.« Die Präsidenten der wissenschaftlichen Akademie von Terra Nostra, Socrates Laetus und Marcus Gurges Nauta, waren zugleich die Kommandeure der Forschungsexpedition. Sekunden nach der Bestätigung aus der Funkzentrale erschien das sorgenfaltige Gesicht von Socrates Laetus auf einem der kleinen Monitore über der Instrumentenkonsole. Nur eine Maske, dieses Gesicht, und Dhark war der einzige auf der POINT OF, der das wußte. »Commander Dhark? Sie haben die Nachricht von Terra Nostra erhalten, schätze ich.« 12 »Ja. Die Insekten bilden einen Sperrgürtel um Gardas, wie es scheint. Weiß man auf Ihrem Heimatplaneten, wie viele ZyzzktRaumer sich in der Umgebung der Gaswolke sammeln?« »Nein, wir sind auf die Befunde unserer Femortung angewiesen. Demnach haben wir es im Augenblick mit etwa 8900 feindlichen Ringraumem zu tun. Einiges spricht dafür, daß in jeder Minute weitere Einheiten aus dem Hyperraum auftauchen.« »Stehen Sie in Kontakt mit Terra Nostra?« »Sicher, Commander Dhark. Wir haben unsere Position durchgegeben und die erfreuliche Fracht angemeldet, die wir mitbringen. Chiffriert, vorsichtshalber.« Eigentlich nicht nötig, denn Richtfunkverkehr durch den Hyperraum ToFunk war abhörsicher. Aber Ren Dhark hätte in dieser Situation auch nur kodierte Botschaften durch den Hyperraum geschickt. Konnte man denn wirklich sicher sein, ob nicht die Zyzzkt inzwischen technische Mittel entwickelt hatten, das Unmögliche möglich zu machen? »Wir werden in Kürze ins Zentrum der künstlichen Gaswolke einfliegen«, sagte Laetus. »Halten Sie sich bereit, Commander.« »In Ordnung, Socrates Laetus«. Das Gesicht des Römers des scheinbaren Römers verblaßte, der kleine Monitor wurde grau. »Und sagen Sie Ihren Leuten zu Hause, sie müssen uns nicht unbedingt einen Empfang mit militärischen Ehren bereiten«, krähte Manu Tschobe durch die ganze Zentrale. Seine Zähne schimmerten im Halbdunkeln, und das Weiße seiner Augäpfel glänzte in seinem schwarzen Gesicht. »Wenn der Konsul persönlich uns die Pfoten drückt und ein paar schöne Mädchen mitbringt, die uns eine Hymne vortragen und was Leckeres zu trinken anbieten, wären wir schon ganz zufrieden.« Arc Doorn schlug sich auf die Schenkel, ein paar Männer lachten. Amy drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger, und der Commander fand, daß sie schöne Hände hatte. Die Funkzentrale bestätigte glücklicherweise das Ende des Funkkontakts, denn die Neurömer, auf militärische Disziplin und Etikette bedacht, platzten nicht gerade vor Humor. Laetus und Nauta sind keine Römer, rief der Commander sich ins Gedächtnis, es sind Worgun in Menschengestalt... Hatten 13 Worgun Humor? Hatte er Gisol schon einmal lachen gesehen? Der Commander dachte nach, aber ihm fiel keine Situation ein, in der Gisol sich humorvoll gezeigt hätte. Nein, Gisol, der Schlächter, und Lachen unvorstellbar! Über die Gedankensteuerung meldete sich der Checkmaster. »Die Femortung erfaßt insgesamt 9148 feindliche Einheiten, dreizehn patrouillieren in aktueller Flugrichtung...« Ren Dhark runzelte die Stirn. Das waren mehr feindliche Ringraumer, als die Femortung des römischen Flaggschiffes registriert hatte. Dreizehn Koordinaten gab der Rechner durch, zeitgleich erschienen die Zahlen auf einer kleinen Anzeige des Navigationsrechners über der Instrumentenkonsole. Auf dem Hologramm der Bildkugel sah der Commander dreizehn hellrote Punkte blinken. Vier der auf
diese Weise visualisierten ZyzzktRaumer waren weniger als zwei Lichtjahre entfernt, einer davon sogar weniger als 20 000 Astronomische Einheiten. In Sekundenschnelle machte die Nachricht die Runde. Das Geplauder in der Kommandozentrale ebbte ab, bald lag konzentrierter Ernst auf den Gesichtern. Eine Viertelstunde später meldete der Checkmaster schon über 10 000 Ringraumer der Zyzzkt in der Umgebung der Gaswolke, die Distanz zur Forschungsflotte schwankte zwischen 19 000 Astronomischen Einheiten und 428 Lichtjahren. An keiner Stelle wagten die Zyzzkt in die Gaswolke einzudringen. Natürlich nicht: Sie scheuten das Sicherheitsfeld. Etwa 2100 Jahre zuvor hatten die Worgun selbst diese geniale Energieabschirmung rund um Gardas installiert. Sie bescherte den insektoiden Organismen der Zyzzkt den Gehirntod, sobald sie mehr als sieben Astronomische Einheiten in die Randbezirke der 370 Lichtjahre durchmessenden Wolke eindrangen. Eine wirkungsvolle Defensivwaffe solange die insektoiden Intelligenzen keine Abwehrtechnik dagegen entwickelten. Eines Tages würde ihnen das gelingen, vielleicht schon bald. Ren Dhark war überzeugt davon. Und dann würden sie auf Zehntausende von OvoidRingraumern stoßen, die jetzt noch als elektronische Blaupause in irgendwelchen Datenbanken auf Terra Nostra ruhten, die aber dank des Tofirits in den Laderäumen der 14 Forschungsflotte in kürzester Zeit vom Band laufen würden. Mit Millionen Neurömern, die eher bereit waren zu sterben als ihr Sonnensystem aufzugeben. Der Commander starrte in die Bildkugel. Die buntleuchtende Gaswolke füllte sie nun fast vollständig aus. Sollte diese Wolke tatsächlich zu einem kosmischen Massengrab werden? Nein, das durfte nicht geschehen! Niemals. Dharks Entschluß stand fest: Er mußte ins Herz der Finsternis vorstoßen, zum Zentralplaneten der Zyzzkt; er mußte. Eine andere Chance für Frieden sah er nicht. Die Meldungen aus der Ortungszentrale rissen nicht ab, die Anzahl der feindlichen Schiffe stieg kontinuierlich an. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die 54 Ringraumer der Forschungsflotte entdeckt werden würden. Ren Dhark wartete auf den Befehl aus dem Flaggschiff. Endlich kam er. »Marcus Gurges Nauta an die vereinigte Forschungsflotte von Gisol, Terra, Simon dem Wächter und Terra Nostra.« Der Checkmaster übertrug die Nachricht über Bordfunk. »Wir gehen in 47 Sekunden auf Sternensog. Ziel: Terra Nostra. Bestätigen Sie bitte. Ende.« Ein Funksignal erreichte über ToFunk sämtliche Raumer der Forschungsflotte, und sofort gingen die Bestätigungen der Flotteneinheiten ein, nacheinander, der Checkmaster ließ keine aus. Als die Stimme des Worgun Gisol von der EPOY und die elektronische Stimme Simons, des Wächters, von der NOREEN WELEAN im Bordfunk ertönten, verständigten sich der Commander der Planeten und Hen Falluta, sein Erster Offizier, mit einem kurzen Blick. »Bestätigen«, gab Ren Dhark an die Adresse der Funkzentrale durch, und Falluta rief: »Volle Energie auf die Abschirmer! Sternensog hochfahren! Wir legen los, Ladys und Gentlemen! An den Insektenschiffen vorbei und mitten hinein in das bunte Vergnügen.« Es wurde still in der Kommandozentrale, der Checkmaster leierte einen Countdown herunter, bei Null glühte das Hologramm auf, und einen Atemzug später schien die POINT OF mitten hinein in das bunte Glühen von Gardas zu stürzen. 15 Mit militärischen Ehren empfing man sie nicht, doch vier Tage nach der Landung auf dem Raumhafen der Neurömer gab der Konsul ein Essen in seiner Privatvilla; »zu Ehren der Akademiepräsidenten und der verbündeten Kommandeure«, wie es in der offiziellen Einladung hieß. Auf dem Raumhafen von Terra Nostra wurde noch immer die wertvolle Fracht der Forschungsflotte gelöscht: Traktorstrahlen beförderten das Tofirit über
Rohrschächte in die gewaltigen, unterirdischen Fabrikhallen der Neurömer. Vor achtzig Stunden war dort unten die Produktion der neuen OvoidRingraumer angelaufen. Vor der Eingangshalle seiner Prachtvilla empfingen Pompeius Julius Agricola, seine Tochter, seine Frau und seine Leibgarde die »verbündeten Kommandeure«: Ren Dhark ging an Gisols rechter Seite, und Simon, der Wächter, an seiner linken. Der Worgun wie meist in der Gestalt eines Menschen namens Jim Smith und mit dessen bleichem, nichtssagendem Gesicht. Der Commander der Planeten kam in Begleitung von Manu Tschobe, Arc Doorn und der Cyborgs Amy Stewart und Lad Oshuta; seiner persönlichen Leibgarde sozusagen. Hände wurden geschüttelt, Höflichkeiten und freundliche Blicke ausgetauscht, und danach ging es hinein ins Atrium. Dort standen bereits an die hundertfünfzig Menschen. Sie plauderten und hielten sich an Weinkelchen fest, die Männer vorwiegend in weißen Festtogen, die Frauen in lindgrünen, grauen oder pinkfarbenen Faltenkleidem mit übergeworfenen Stolen; gold oder silberfarben zumeist. Am Rande des Bassins sah Ren Dhark eine Menschentraube um zwei grauhaarige Männer stehen die beiden Akademiepräsidenten waren also bereits anwesend. Das Stimmengewirr verebbte, als der Konsul die Neuankömmlinge ins Atrium führte. Ein Posaunenchor intonierte eine der neurömischen Hymnen, bei deren Klang die Männer stets die Schultern hochzogen die Brust herausdrückten. Doorn spitzte die Lippen, und Tschobe senkte den Blick. Beide fanden diese Musik nervtötend. Die Hymne verklang, und der Konsul kündigte seine drei weiteren Ehrengäste persönlich an, stellte sogar den schwarzen Arzt, 16 den Sibirier und die Cyborgs mit Namen vor. Der Commander war beeindruckt. Wein wurde gereicht, Senatoren und Gattinnen traten vor allem zu Gisol, aber auch zu Ren Dhark und seinen Begleitern, Konversation war angesagt. Im Bassin, inmitten farbenprächtiger Wasserblüten, schwamm still ein tiefblaues Vogelpaar, das Tschobe ein wenig an die terranischen Schwäne erinnerte. Allein Simon, der Wächter, hielt sich abseits und im Hintergrund. Aus irgendeinem Grund hatte er den Weinpokal nicht abgelehnt, und irgendwie sah es witzig aus, wie der rotschimmemde und gesichtslose Metallkörper neben dem Portal verharrte und den Pokal in der Metallfaust seines rechtwinklig abgespreizten Metallarms von sich weghielt, als wäre er mit ätzender Säure gefüllt; irgendwie aber auch rührend. »Kann er so etwas wie Verlegenheit empfinden?« flüsterte der Commander Amy ins Ohr. »Natürlich, er kann doch auch lieben.« Amy neigte nicht zu vielen Worten. Eine von vielen Stärken, die Dhark an ihr schätzte. Kurz darauf ein Tusch des Posaunenchors, zwei Flügelportale zum Garten wurden auf gestoßen, die Gäste strömten hinaus und verteilten sich an die gedeckten Rundtische, die zwischen den Säulen des großzügigen Peristyls aufgestellt waren. Der Säulen gang rahmte einen Rasen von mindestens zweihundertfünfzig Quadratmetern ein. Auch auf ihm standen Tische: rechteckige Tafeln an seinem Rand vor den Säulen des Peristyls und eine große runde in seinem Zentrum. Hohe Tische übrigens, und nirgends entdeckte Ren Dhark Liegen ausschließlich geflochtene Sessel standen an den Tischen und der Tafel. Bei einem Gastmahl im Hause des Konsuls pflegte man nicht zu liegen, wie es schien. Der Commander erinnerte sich dunkel, von Manlius gehört zu haben, daß sich diese Sitte nur in den Villen gewisser Künstler und Bohemiens erhalten habe. Volle Obstschalen, rote und gelbe Blumen, Weinkrüge und pokale standen auf den Tischen. Hausangestellte schleppten die ersten Tabletts voller dampfender Speisen in den Garten. »Sir Bauer läßt sich nicht lumpen, alle Achtung...« raunte Arc Doorn. Respektlos, wie er war, nannte er 17
den Konsul wegen seines Familiennamens Sir Bauer. Ein strenger Blick Amy Stewarts brachte ihn zum Schweigen. Während die Gäste ganz unbefangen die Tische zwischen den Säulen und am Rande des Rasens bevölkerten, nahm an der runden Tafel im Zentrum des Gartens zunächst niemand Platz bis Agricola einzelne Gäste mit Namen aufrief und ihnen einen der Ehrenplätze an seiner Tafel anbot; die Ehrengäste selbstverständlich als erste. Zuletzt nahmen er selbst und seine Familie Platz. Statt sich zu setzen, sprach Simon mit einem Angehörigen der Leibgarde. Der Commander verstand nicht, wovon die Rede war, doch kurze Zeit später schleppten zwei Männer eine schmale Steinbank herbei. Jemand nahm den Sessel von Simons Platz, und die Gardisten stellten statt dessen die Steinbank an die Tafel. So konnte der tonnenschwere Wächter Platz nehmen, ohne ein Möbelstück zu zerstören. Ren Dhark fand sich an der linken Seite des Konsuls wieder. Links von ihm selbst saß Julius Martius, der Raummarschall der römischen Flotte. Die Akademiepräsidenten gegenüber rahmten die schöne Gattin des Konsuls ein. Manlius, den Verbindungsoffizier der Römer an Bord der POINT OF, entdeckte Dhark an der Ehrentafel neben Marius Antonius, dem Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Akademie von Nova Roma. Doorn und Tschobe hockten neben Senatoren, deren Namen dem Commander entfallen waren; Doorn mit mürrischer Miene und Tschobe etwas steif. Einer, dessen Namen Ren Dhark wohl nie vergessen würde, schien es sich zur Aufgabe zu machen, Amy Stewart zu unterhalten: Senator Marcus Cethegus Sulla. Schließlich war er der erste Neurömer, dem Dhark begegnet war. Fünf Monate zuvor, im April des Jahres 2059, hatte der Volkstribun die Besatzung POINT OF auf Terra Nostra willkommen geheißen. Kein Grund allerdings mit Amy zu flirten, fand Dhark. Während des Essens drehten sich die Gespräche um Unverfängliches und die schönen Dinge des Lebens um den Wein, den milden Herbst auf Terra Nostra, die Rezepte für das marinierte Geflügel, das neben vielen anderen Fleischsorten serviert wurde. Der Commander selbst leitete das Thema ein, das allen unter den Nä 18 geln brannte. Er berichtete von dem atemberaubenden Projekt, durch das Marcus Nauta und Socrates Laetus die Zehntausende von Tonnen Tofirit gewonnen hatten. Der weißblonde Terraner zeigte sich nicht nur beeindruckt, er war es auch. Bis an sein Lebensende würde Dhark die schrecklichschönen Bilder mit sich herumtragen: Der aus seinem Sonnensystem herausgeschleuderte Glutplanet, die gewaltigen Sonneneruptionen, der Sprung des öden Planeten zum Schwarzen Loch, seine Auflösung und die Materiespirale, in der er schließlich hinter dem Ereignishorizont verschwand. Und dann die gigantische Fontäne unvorstellbarer Materiemassen darunter Tofirit, Tofirit und noch einmal Tofirit. Das Dessert wurde serviert, die Männer und Frauen hingen an Dharks Lippen, und jetzt stand es im Raum, das Wort, schwer wie das Metall selbst: Tofirit. Es lastete im Schweigen, das für ein paar Sekunden entstand, als Ren Dhark seine Schilderung beendete. Manu Tschobe war der erste, der die Eiscreme vor sich in Augenschein nahm, bald hörte man das Klappern seines Löffels. Schließlich räusperte der Raummarschall sich. »Damit können wir zehntausend Ovoidraumer ein Jahr lang betreiben«, sagte er. Pompeius Julius Agricola nickte langsam. »Oder vierzigtausend Raumer drei Monate lang.« Nicht die Spur von Genugtuung in der Stimme des Konsuls; geschweige denn Triumph. »Vierzigtausend Schiffe drei Monate lang? Das ist gut.« Jim Smith alias Gisol ballte beide Fäuste. »Das ist sehr gut. Wie viele Schiffe laufen täglich von den Bändern Ihrer Werften?« »Sechshundertdreißig sind geplant.« Socrates Laetus blickte auf seinen Chronometer. »Inzwischen dürften also zweitausendfünfhundert neue OvoidRingraumer in den Hangars unter dem Raumhafen stehen. Hinzu kommen weit über zehntausend Schiffe älterer Baureihen, die erst durch das von Ihnen mitgebrachte Tofirit einsatzbereit geworden sind.«
»Sie ahnen ja nicht, welche Erleichterung uns das neue Schwerstmetall verschafft.« Der Konsul wandte sich an Ren Dhark. »Immer neue ZyzzktVerbände tauchen in der Umgebung von Gardas auf. Sie führen etwas im Schilde. Wir fürchten, ihr nächster Angriff könnte den Generatoren für das Schutzfeld gel 19 ten.« Als wären seine Worte nur für Dhark bestimmt, sprach er leise, doch sogar an der gegenüberliegenden Seite der Tafel verstummten die Gespräche, und die Blicke wanderten zu Julius Pompeius. Einige Frauen wirkten auf einmal seltsam bleich. »Sie sehen, Commander Dhark«, ergriff Martius wieder das Wort, »wir können gar nicht rasch genug produzieren.« »Wir lassen die neuen Schiffe mit Kompaktfeldschirmen terranischer Bauart ausrüsten«, sagte Marcus Nauta, der zweite Akademiepräsident. »Und mit Wuchtkanonen. Vier an der Ober, vier an der Unterseite.« »Wuchtkanonen?« Ren Dhark runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Ich halte HyKon für die wirksamere Waffe im Kampf gegen die Wimmelwilden.« »Sicher, Commander«, nickte Laetus. »Aber die modifizierten Gravitationsgeneratoren an Bord der neusten Ringraumer erhöhen bei einem Angriff mit HyKon die Schiffsmasse. Nur ein HyKon Feld mit signifikant erhöhter Energieleistung ist noch in der Lage, das angegriffene Objekt in den Hyperraum zu reißen. Sowohl der HyKonBeschuß als auch die Abwehr eines HyKonAngriffes sind mittlerweile derart energieintensiv, daß der Einsatz der Waffe während einer Massenschlacht sich kaum noch lohnt.« Da saßen sie, die beiden Worgun; als Römer getarnt und an den Schalthebeln der Macht des römischen Kolonialplaneten. Saßen an der Festtafel eines Gastmahls, das unter anderem zu ihren Ehren ausgerichtet wurde, und taten, was sie bereits seit so vielen Jahrhunderten taten: Sie steuerten Geschichte und Entwicklung auf Terra Nostra. Marcus Gurges Nauta alias Margun hielt seinem Blick stand, und Dhark wäre jede Wette eingegangen, daß der Worgun seine Gedanken kannte. »Sie sehen, Commander Dhark«, schaltete er sich ein, »gegen jede Waffe entwickelt irgend jemand irgendwann eine entsprechende Abwehrtechnik. Der Feind, mit dem wir es zu tun haben, sowieso. Gegen die Wuchtkanone jedoch, so primitiv diese Waffe vom Prinzip her auch sein mag, ist eine Defensivwaffe bislang nicht einmal theoretisch in Sicht.« Das überzeugte schließlich auch den kritischen Geist des Commanders. 20 »Wir bieten Ihnen an. Ihre Schiffe entsprechend umzurüsten«, sagte Martins, der römische Flottenmarschall, an Simon, Dhark und Gisol gewandt. »Es ist eine Angelegenheit weniger Stunden. Unsere Werftroboter holen die alten Gravitationsaggregate mit Intervallfeldem aus Ihren Schiffen und bringen die neuen Schwerkrafterzeuger mit Intervallfeldem hinein. Keine Hexerei.« Gisol lehnte ab. Er hatte seine Schiffe schon vor Jahren mit selbstentwickelten Gravitationsaggregaten aufgerüstet. Simon und der Commander jedoch waren einverstanden. »Na also.« Jim Smith Gisol gelang ein besonders grimmiges Menschengesicht. »Dann können sie also kommen, die verfluchten Mordkäfer!« Er schlug mit der Faust auf die Tafel, daß der Löffel in seiner Eisschale klirrte. »Wir werden in Gardas eine Hölle veranstalten, in der sie verbrennen! Es wird ein großes Schlachtfest werden.« Er griff nach seinem Löffel und beugte sich über sein Dessert. Im gleichen Augenblick begann der Posaunenchor zu spielen. An vielen Tischen erhoben sich Männer und Frauen und stimmten eine Art Festhymne an. Auch an der Ehrentafel stand einer nach dem anderen auf, und wer das Lied kannte, sang mit. »Ja, ein großes Sterben wird es geben.« Ren Dhark sprach mit belegter Stimme. »Und nicht nur auf Seiten der Zyzzkt, da sollten wir uns nichts vormachen.« Wegen der Musik und des
lauten Gesangs konnten nur seine direkten Nachbarn ihn verstehen. »Ich will es verhindern,
ich will es wenigstens versuchen.«
Der Konsul und der Raummarschall sahen ihn von der Seite an. »Haben sie einen Plan,
Commander Dhark?« wollte Martins wissen.
Dhark zuckte mit den Schultern. »Plan? Das ist vielleicht zuviel gesagt. Aber lassen Sie mich
noch eine Nacht darüber schlafen...«
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2. Die Polizisten eröffneten sofort das Feuer. Der erfahrene, mitunter ein wenig pragmatische Leutnant Streu Temo und sein halb so alter, ehrgeiziger Assistent Kor Parm zerlöcherten mit ihren Strahlensalven jedoch nur die Luft. Der gepflegte Hinterhof, auf dem sich eben noch einer oder mehrere unbekannte Angreifer aufgehalten hatten, war leer. Der Heckenschütze hatte sich direkt nach dem hinterhältigen Schuß auf den Zuhälter zurückgezogen. Die telsche Prostituierte Reem und der türkische Geheimagent Ömer Giray waren in Deckung gegangen. Sie kniete hinter ihrem Sofa, er stand im Türrahmen. Auf dem Teppich lag der verschrumpelte Leichnam des Luden. Eine auf den meisten Planeten verbotene Spezialwaffe hatte seine Körperflüssigkeit zum Verdampfen gebracht und ihm das Leben ausgehaucht noch bevor er seine Aussage hatte machen können. Reem war am Ende ihrer Kraft. »Warum Lubag?« fragte sie leise, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Er hätte nichts gesagt er hat eh so gut wie nichts gewußt.« »Der Anschlag hat dir gegolten«, entgegnete Ömer. »Hätte nicht gedacht, daß die Mitarbeiter des SFT so schlecht zielen. Wahrscheinlich hat man wieder irgendwelche zweitklassigen Handlanger eingesetzt, Möchtegemagenten ohne Gehirn, jederzeit bereit, für Geld über Leichen zu gehen.« Reem konnte sich denken, worauf sich seine Bemerkung bezog: auf die beiden Mörder des Geheimdienstchefs Bor Frikk, die sie und ihre Freundin Berol unter Druck gesetzt hatten zwei gewissenlose Schläger, charakterlich auf allerunterstem Niveau. Ömer war überzeugt, daß die beiden keine offiziellen Mitarbeiter 22 des SFT, des Schutzverbandes gegen die Feinde Telins, waren. Nicht nur die Galaktische Sicherheitsorganisation auf Terra, auch der Geheimdienst auf Cromar, dem Hauptplaneten des TelinImperiums, legte bei der Auswahl seiner Agenten hohe Maßstäbe an. Tumbe Schläger hatten normalerweise keine Chance. Gefragt waren Männer und Frauen mit technischwissenschaftlichen Kenntnissen und guter Allgemeinbildung. Frikks Mörder paßten nicht in diese Kategorie, dafür waren sie nicht intelligent genug. Ihren Mangel an Verstand kaschierten sie mit Rücksichtslosigkeit und Abgefeimtheit. »Wie sieht es aus an der Front?« fragte Ömer die telschen Kriminalbeamten, die mit gezückten Handfeuerwaffen links und rechts am offenen Fenster standen. »Verdächtig ruhig«, meinte Kor Parm. »Wollen Sie zu uns rüberkommen und nach draußen schauen?« »Kann ich mir gerade noch verkneifen«, erwiderte der vierunddreißigjährige terranische Agent. »Ich wäre allerdings bereit, mich auf dem Hof umzusehen, vorausgesetzt. Sie geben mir meine Waffen zurück.« »Ihre Waffen?« entgegnete Streu Temo, der am linken Ohr einen kleinen rechteckigen Ohrring trug. »Die Strahler gehören zwei unserer Streifenbeamten, schon vergessen? Ich bin sicher, die beiden würden sich liebend gern mit Ihnen über den Überfall unterhalten unter sechs Augen.« Fünf! widersprach Giray im stillen.
Sein linkes Auge war eine künstliche Nachbildung, vollgestopft mit Mikroelektronik und vielseitig einsetzbar, unter anderem als Kamera und Minischocker. Hinter seinem linken Ohr befand sich ein Datenchip für Speicherzwecke. Die Energie dafür wurde auf biologischem Weg aus Onaers Körper gewonnen. Er war nach Cromar gekommen, um mehr über die Hersteller des Sensoriums herauszufinden, eines brillenähnlichen Unterhaltungsgeräts, das sowohl für die Menschen als auch für die Tel eine Suchtgefahr darstellte und mittlerweile überall im terranischen Regierungsbereich und im TelinImperium verboten war. Teigeheimdienstchef Bor Frikk hatte ihn bei seinen Recherchen unter 23 stützen wollen. Jetzt war Bor tot und nach Giray wurde cromarweit gefahndet, da man ihn für seinen Mörder hielt. Rein äußerlich waren die Tel den Menschen ähnlich, allerdings hatten sie eine dunkle Hautfarbe, ohne negroide Züge, weshalb man sie auf Terra als Schwarze Weiße bezeichnete, was als Kompliment an ihre ästhetische Schönheit gemeint war, keinesfalls als Abwertung. Der wichtigste charakterliche Unterschied zu den Menschen war die asketische Lebensweise der Tel. Sie waren beileibe keine Kinder von Traurigkeit, ließen sich aber weniger gehen und bewahrten nach außen hin immer Format. Entscheidungen der Regierung — ein allwissender Rechner (Kluis), drei hohe Beamte (Vank) und acht ihnen unterstellte, geachtete Regierungsmitglieder (Vankko) wurden nur selten vom Volk in Frage gestellt. Daß es Ömer gelungen war, zwei telsche Kripobeamte auf seine Seite zu ziehen, hatte drei Gründe: Ömers Dreistigkeit. (»Ich bin der, nach dem gefahndet wird.«) Ömers Überzeugungskraft. (»Wir drei sollten uns zusammentun. Meinethalben könnt ihr hinterher gern den Ruhm einstreichen. Mir kommt es nur darauf an, meinen Namen reinzuwaschen.«). Ömers Fingerspitzengefühl. (»So ist es recht. Der SFT schnippt mit dem Finger, und die Kriminalpolizei muß springen.«) Zwischen der Polizei und dem Geheimdienst der Tel gab es so etwas wie eine interne Rivalität. Zwar zogen beide am selben Strick, doch der SFT ließ keine Gelegenheit aus, allzu übereifrige Kripobeamte niederzumachen und die wichtigsten Fälle zur Staatssache zu erklären. Giray, der sich aufgrund seiner vielfältigen CromarEinsätze längst zu einem gewieften Telkenner entwickelt hatte, wußte davon und spielte nun beide Behörden geschickt gegeneinander aus. Streu Temo schickte Kor Parm nach draußen und blieb selbst bei Ömer Giray, um ihn und die Prostituierte zu bewachen. Während Parm den Hof absuchte, gestand Reem dem verbliebenen Beamten, daß man Berol und sie auf Qiray und Frikk angesetzt hatte, und sie schilderte ihm die Ereignisse in der Absteige »Rubin«. Als sie geendet hatte, kam Kor Parm wieder herein und meldete 24 seinem Vorgesetzten, daß keine unmittelbare Gefahr mehr bestand. »Reem hat die Version seiner Geschichte weitgehend bestätigt«, informierte ihn Temo. »Könnte abgesprochen sein oder aber beide sagen die Wahrheit. Was meinen Sie?« »Ich denke, wir sollten zunächst ihre Freundin befragen, bevor wir uns eine Meinung bilden«, erwiderte Parm. »Wie war doch gleich ihr Name?« »Sie heißt Berol«, antwortete Reem. »In ihrer Wohnung werden wir sie vermutlich nicht antreffen, doch sie weiß nicht, daß ich ihr Geheimversteck kenne. Wann immer sie in Schwierigkeiten ist, zieht sie sich dorthin zurück.« »Wohin?« hakte Kor Parm nach. »Was liegt für drin mich, wenn ich euch zu ihr führe?« stellte Reem ihm die Gegenfrage. »Du stellst hier keine Bedingungen, klar?« schnauzte Temos Assistent sie an. »Laut deiner eigenen Aussage seid ihr indirekt mitschuldig am Tod des Geheimdienstchefs, deine Freundin
und du. Euretwegen wäre beinahe ein Unschuldiger verhaftet und abgeurteilt worden. Dafür werdet ihr euch vor Gericht verantworten müssen.« »Falls es überhaupt zu einem Prozeß kommt«, warf Ömer ein. »Die Hintermänner des Anschlags werden sicherlich alles daransetzen, die Verhandlung zu sabotieren. Im Klartext: Man wird versuchen, Berol und Reem zu töten, um sie an der Zeugenaussage zu hindern.« »Beide kriegen bis zur Verhandlung Polizeischutz«, versicherte ihm Streu Temo. »Wenn sie geständig sind und dazu beitragen, Frikks Mörder zu schnappen, wird man sie mit Sicherheit in keines der Arbeitslager für Schwerverbrecher stecken, sondern in eine unserer Umerziehungsstätten.« »Dort wären sie vor der Rache ihrer Verfolger niemals sicher«, entgegnete Ömer. »Gibt es auf Cromar denn keine Kronzeugenregelung?« Temo und Parm schauten sich ratlos an. »Bei uns auf Terra bekämpfen wir Bandenkriminalität sehr erfolgreich, indem wir einzelne Gangmitglieder zu Aussagen gegen 25 ihre Anführer bewegen«, erklärte ihnen Giray. »Als Lohn für ihre Kooperationsbereitschaft erhalten sie einen neuen Namen und werden an einen Ort gebracht, an dem sie vor Racheakten sicher sind.« »Als Lohn?« entrüstete sich Parm. »Ihr belohnt Verbrecher für ihre Untaten? So etwas käme auf Cromar nicht in Frage. Reumütige und aussagewillige Täter, die wieder ins bürgerliche Leben zurück möchten, gibt es natürlich auch bei uns. Aber wir machen es ihnen nicht zu leicht. Zunächst müssen sie für ihre Taten büßen und ein staatliches Umerziehungsprogramm durchlaufen. Während dieser Maßnahme schützen wir sie so gut es geht vor der Rache ihrer ehemaligen Bosse und Komplizen.« »So gut es geht?« unterbrach Ömer ihn. »Was heißt das?« »Es gibt schon mal den einen oder anderen unerklärlichen Unfall in den Strafgefangenenstätten«, räumte Streu Temo ein und zupfte nervös an seinem rechteckigen Ohrschmuck. »Das gehört halt zum Lebensrisiko eines Verbrechers. Niemand wird gezwungen, vom ehrlichen Weg abzuweichen.« »Unter diesen Umständen ziehe ich meine Aussage zurück«, machte Reem ihm klar und deutete auf Ömer. »Er hat Bor Frikk getötet, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Berol und ich haben nichts damit zu schaffen; wir sind lediglich unserem ehrbaren Beruf nachgegangen. Die beiden großen Unbekannten existieren überhaupt nicht.« Polizeichef Bru Kowal schnaubte vor Wut wie ein Rohachs. Gerade hatte er erfahren, daß Tun Argop zum vorläufigen SFTLeiter ernannt worden war. Ausgerechnet Argop! Kowal und er waren zusammen aufgewachsen. Schon als Kinder hatten sie sich nicht ausstehen können. Später hatten sich ihre Wege getrennt. Argop hatte Karriere beim Geheimdienst gemacht, Kowal bei der Polizei. Je höher Tun Argop beim Schutzverband gegen die Feinde Telins aufstieg, um so mehr steckte er seine Nase in Polizeiangelegenheiten, die ihn nach Kowals Ansicht nicht das geringste angin 26 gen. Umgekehrt blockierte Bru Kowal jedwede Zusammenarbeit mit dem SFT, selbst dann, wenn ein Fall zweifelsfrei dem Bereich der Staatssicherheit zuzuordnen war. Somit war die gewohnte Rivalität zwischen Geheimdienst und Polizei in Kowals Bezirk ganz besonders ausgeprägt einem Bezirk, der nicht weit von der »Akademie für kulturelle Bildung« (Tarnbezeichnung des SFTGebäudes) entfernt lag. Argop hatte sich inzwischen zum stellvertretenden Geheimdienstchef hochgearbeitet. Ob er auf normalem Wege Frikks Nachfolge hätte antreten können, war mehr als fraglich, denn er war aufgrund einiger ungeklärter Gerüchte ins Gerede gekommen. Zweifel an seiner Integrität waren lautgeworden.
Von einem Tag auf den anderen schien das alles plötzlich vergessen zu sein. Bor Frikk war tot, und der SFT brauchte dringend einen neuen Leiter, der die Fäden in der Hand hielt. Dadurch rückte Tun Argop zunächst einmal nach, so wollte es die Staatsordnung und an staatliche Regeln hielt man sich auf Cromar strikt. Natürlich waren Bor Frikk die privaten Reibereien zwischen seinem Stellvertreter und dem örtlichen Polizeichef nicht entgangen. Mehr als einmal hatte er schlichtend eingegriffen. Jetzt war der Schlichter tot und Kowal befürchtete das Schlimmste. Argop würde keine Gelegenheit auslassen, ihn zu schikanieren. Es sei denn... ... es sei denn, ich komme ihm zuvor, dachte Bru. Falls es mir gelingt, ihm einen kräftigen Schuß vor den Bug verpassen, so zielgenau, daß sein Schiff total aus dem Kurs gerät, enthebt man ihn vielleicht seines Postens. Nicht nur auf der Erde, auch auf anderen Planeten schlug das Leben manchmal seltsame Kapriolen. Kowal hatte seine geheimsten Gedanken noch nicht vollständig zum Abschluß gebracht, da läutete sein Vipho. Der Polizeichef meldete sich mit mürrischer Miene, hörte lange und aufmerksam zu und sein Gesicht erhellte sich nach und nach... »Selbstverständlich kann ich den beiden Frauen umfassenden Schutz und eine neue Identität garantieren«, antwortete er seinem Gesprächspartner, nachdem dieser seine ausführliche Schilderung 27 beendet hatte. »Das TelinImperium umfaßt weit über dreizehntausend Planeten. Auf einem davon, weit entfernt von Cromar, werden sie ein neues Zuhause finden. Wir bauen ihnen dort eine berufliche Zukunft auf, so daß sie nie mehr anzuschaffen brauchen. Vorher müssen sie allerdings die beiden Männer identifizieren, die sie auf Giray und Frikk angesetzt haben. Sollte sich herausstellen, daß die Schurken für den SFT arbeiten, kann Tun Argop gleich wieder seinen Schreibtisch räumen. Andernfalls werde ich die ganze Angelegenheit öffentlich machen.« Er konnte es kaum erwarten, ein Druckmittel gegen seinen Lieblingsfeind in die Hände zu bekommen. »Wie soll das mit der Identifizierung vonstatten gehen?« ertönte es aus dem Vipho. »Wenn Frikks Mörder wirklich dem SFT angehören, werden sie kaum in der normalen Verbrecherkartei zu finden sein.« »Richtig. Ebendeshalb werden Sie in Ihrer internen SFTKartei nach Ihnen suchen, Streu Terno. Soweit ich informiert bin, ist darin auch eine erhebliche Anzahl von gedungenen Spitzeln und Schlägern aufgelistet, die nur hin und wieder für den Geheimdienst tätig sind.« Terno verschlug es fast die Sprache. »Sie... Sie wissen davon, Bru Kowal?« Der Polizeichef lächelte. »Mir entgeht so schnell nichts. Haben Sie wirklich geglaubt, mir würde es nicht auffallen, daß Sie sich laufend auf illegalem Wege Zugriff zur Mitarbeiterkartei des SFT verschaffen? Wüßte Argop davon, würde er sämtliche Suprasensoren auf Ihrem Revier und bei Ihnen daheim beschlagnahmen lassen. Den auf meinem Schreibtisch vermutlich auch.« »Das würde ihm nichts nutzen«, erwiderte der erfahrene Beamte. »Der Datenträger befindet sich in einem sicheren Versteck. Die Daten werden übrigens fortwährend aktualisiert so lange, bis der Geheimdienst mitkriegt, daß die Kartei von irgendwoher angezapft wird.« »Dann lassen Sie sich mal nicht erwischen. Dieses Gespräch hat übrigens nie stattgefunden, klar?« »Welches Gespräch?« fragte Streu Terno und brach die Verbindung ab. 28 Unter dem Geleitschutz von Kor Parm, Streu Terno und Ömer Giray wurde Reem zum Polizeigleiter gebracht. Niemand trug Fesseln. Zwar betrachteten die Kripobeamten Ömer weiterhin als ihren Gefangenen, doch falls sie erneut angegriffen wurden, konnte er ihnen vielleicht noch von Nutzen sein und sei es nur als Schutzschild.
Unbehelligt gelangten alle vier zum Gleiter und stiegen ein. Parm hatte ihn in einer Seitenstraße abgestellt, in unmittelbarer Nähe eines schmalen Gäßchens, aus zwei Gründen. Erstens sollte der Gleiter von der heimkehrenden Reem nicht sofort entdeckt werden. Und zweitens... Kurz darauf startete der Gleiter durch und flog in Richtung Polizeistation. Wenig später nahm ein unbekannter Gleiterpilot die Verfolgung auf, in sicherem Abstand. Streu Terno aktivierte sein Vipho und bestellte ein Schwebetaxi. Er und die anderen befanden sich nicht im Polizeigleiter, sondern am hinteren Ausgang der schmalen Gasse, welche sie zweitens vorsorglich als Fluchtweg ausersehen hatten. Terno hatte im Gleiter lediglich die Steuerung programmiert, war dann zusammen mit seinen Begleitern wieder ausgestiegen und unbemerkt in der Gasse verschwunden. Auf diese Weise hatte man die Heckenschützen abgeschüttelt, wenigstens für kurze Zeit. »Sie sind ein kluger Kopf«, lobte Reem den älteren Polizeibeamten und fügte, mit einem amüsierten Blick auf seinen Ohrring hinzu: »Von Männern, die Körperschmuck tragen, hatte ich noch nie eine sonderlich hohe Meinung das wird sich ab heute ändern.« Ihre Beschuldigungen hatte sie inzwischen wieder zurückgezogen und Ömers Aussage erneut bestätigt. Sie war sicher, daß Berol unter den gegebenen Umständen ebenfalls ein Geständnis ablegen würde. 29 Berols Versteck war ein kleines möbliertes Zimmer im Kellergeschoß eines mehrstöckigen Mietshauses, angemietet auf einen fremden Namen. Der Raum war separat über eine windschiefe, baufällige Hintertreppe zu erreichen. Ihre offizielle Wohnung lag im selben Haus unter dem Dach. »Letzte Nacht haben die beiden Schläger dort oben stundenlang auf mich gewartet«, berichtete sie ihrer Freundin Reem, Ömer und den Polizeibeamten. »Hätten sie gewußt, daß ich mich ganz in ihrer Nähe aufhalte, wäre ich inzwischen tot so wie Lubag.« Da man Reem und ihr Zeugenschutz zugesichert hatte, legte sie ein volles Geständnis ab, ohne ihre eigene Rolle in dem Intrigenspiel zu beschönigen. Beide Frauen waren zwar mit Drohungen zur Mitarbeit gezwungen worden, hatten aber auch Geld dafür genommen. Ihr Auftrag hatte gelautet, den Geheimdienstchef und seinen terranischen Freund mit Hilfe des Sensoriums und verbotenen Chips süchtig zu machen. Sie hatten versagt. Damit war ihr Schicksal besiegelt. Reem war noch vor dem Mord an Frikk geflohen und hatte erst aus den Nachrichten davon erfahren. Berol hingegen hatte den tödlichen Vorfall als »Hörspiel« miterlebt, verborgen im Zimmer nebenan. Ihre wahren Auftraggeber kannten Reem und Berol nicht, nur deren Mittelsmänner, die beide unter Decknamen aufgetreten waren. Die Prostituierten erklärten sich bereit, sich auf dem Polizeirevier die »Verbrecherkartei« anzuschauen. (Streu Temo verschwieg ihnen wohlweislich, daß es sich in Wahrheit um die Mitarbeiterkartei des SFT handelte.) »Hätte ich im Eifer des Gefechts nicht versäumt, Aufnahmen von den beiden zu machen, könnten wir sie schneller identifizieren«, murmelte Ömer, der sich für diesen Fehler hätte ohrfeigen können. »Alles ist so schnell gegangen, daß ich überhaupt nicht auf den Gedanken kam, wenigstens einen von ihnen zu fotografieren.« »Sie hatten im >Rubin< eine Kamera mit dabei?« wunderte sich Streu Temo. »Ich frage Sie lieber nicht, was Sie damit vorhatten, sonst gerät das Polizeiprotokoll zu pikant.« Über Amibandfunk bestellte er einen gepanzerten Polizeigleiter, 30 der die Gruppe hier abholen und ins Präsidium bringen sollte. Doch der Feind schlief nicht... In der Gegend, in welcher Berol wohnte, gab es zahlreiche mehrstöckige Mietshäuser von unterschiedlicher Höhe. Dazwischen lagen breite Straßenschluchten und Parks. Cromar war
wie eine einzige riesige Stadt, die allerdings fortwährend ihr Aussehen wechselte, je nachdem, in welcher Gegend man sich aufhielt. Der gepanzerte Gleiter landete direkt vor Berols Haus. Man erwartete die Gruppe am Hauptausgang. Alles sollte schnell und möglichst unauffällig vonstatten gehen, bevor neugierige Passanten auf die Aktion aufmerksam wurden. Statt durch die Tür kamen die beiden Polizeibeamten mit ihren Begleitern um die Hausecke gerannt. Sie hatten die Hintertreppe benutzt und waren ums Haus herumgelaufen. »Einstieg öffnen!« befahl Kor Parm per Armbandfunk. Der Telroboter, der den Panzergleiter flog und von einem echten Tel kaum zu unterscheiden war, befolgte die Anordnung auf der Stelle. Sein Kopilot, ebenfalls ein Roboter, sprang mit der Waffe in der Hand aus dem Gleiter und sicherte die Umgebung. Drei Sekunden danach explodierte er mit einem ohrenbetäubenden Knall. Von einem gegenüberliegenden Hausdach war eine Minirakete auf den Roboter abgefeuert worden, kaum daß dessen Füße den Boden berührt hatten. Rundum gingen zahllose Fenster zu Bruch. Passanten flohen in Panik. Ömer und die beiden Polizisten ließen sich reaktionsschnell fallen und rissen die Prostituierten mit sich. Sie wurden vom Dach aus unter Beschuß genommen. »Zurück hinters Haus!« rief Terno. .. Er packte Berol am Arm, sprang auf und riß sie mit sich hoch. Ömer tat das gleiche mit Reem. Parm gab den Flüchtenden Feuerschutz. Er war ein verdammt guter Schütze. Einer der Attentäter, der am Dachrand auf dem Bauch lag, wurde an der Schulter getroffen. Mit 31 einem Aufschrei kam er auf die Beine und suchte eine neue Dekkung. Einen Augenblick später war er hinter einer Brüstung verschwunden. Ömer hatte im Laufen kurz zurückgeblickt und den Vorfall beobachtet mit beiden Augen. Reem und er hatten die schützende Hausecke fast erreicht, da traf Reem ein tödlicher Energiestrahl in den Rücken. Parm und Temo deckten den Heckenschützen sofort mit mehreren Strahlensalven ein und zwangen ihn, sich weiter nach hinten zurückzuziehen. Dadurch waren sie kurzzeitig abgelenkt und achteten nicht auf den Mann hinter der Brüstung. Der an der Schulter verletzte Attentäter nutzte die Gelegenheit für einen gezielten Todesschuß auf Berol. Kor reagierte blitzschnell, schwenkte seine Waffe herum und verpaßte ihm einen Streifschuß am Arm. Der Getroffene duckte sich und brachte sich im Schutz der Brüstung in Sicherheit. Auch dieser Zwischenfall wurde von Ömer zwei, drei Sekunden lang beobachtet. Die Meuchelmörder hatten ihr Ziel erreicht. Sie verschwanden so unbemerkt, wie sie gekommen waren in einem wartenden Fluchtgleiter mit Pilot. Ömer beugte sich über Reem. Ihr war nicht mehr zu helfen. Auch Berols Leben hatte in dieser Straße geendet. »Diesmal waren zweifellos Profis am Werk«, bemerkte der GSOAgent verbittert. »Der SFT lernt offenbar aus seinen Fehlem.« »Ich kann und will nicht glauben, daß unser Geheimdienst dahintersteckt«, entgegnete Streu Temo. »Wenn man nicht einmal mehr der Regierung vertrauen kann, wem denn dann?« Giray äußerte sich nicht dazu. Auf Terra war die Regierungshörigkeit nicht so ausgeprägt wie auf Cromar. Im Gegenteil, augenblicklich machte die Bevölkerung den Politikern gehörig Druck. Der Roboter löschte die brennenden Überreste seines »Kameraden« und beseitigte sie anschließend. Die Männer trugen die beiden Leichen in den Gleiter. Mittlerweile hatten sich zahllose Hausbewohner auf der Straße eingefunden. Man verlangte eine Erklärung. Parm forderte über Funk mehrere Poüzeischweber und ein Spu 32
rensicherungsteam an. Die Streifenbeamten würden sämtliche Aussagen und Schadenersatzansprüche aufnehmen sowie Verletzte in die nächste Klinik transportieren, während ihre Kripokollegen das Dach nach Täterhinweisen absuchten. Für Terno, Parm und Giray gab es hier nichts mehr zu tun. Sie bestiegen den Panzergleiter und flogen davon. »Ja, ja, danke für die Information. Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich habe eh nichts anderes erwartet. Ich weiß, daß Sie in Ihrem Team nur Profis beschäftigen, aber unsere Gegner sind leider auch nicht ohne.« Streu Terno, der sich in seiner Revierstube aufhielt, schaltete die Verbindung zum Leiter der Spurensicherung ab und nahm direkten Funkkontakt mit dem Büro des Polizeichefs auf. »Zu meinem größten Bedauern verlief die Suche nach den Hekkenschützen bislang ergebnislos«, unterrichtete er Bru Kowal über den aktuellen Stand der Ermittlungen. »Wir wissen nicht einmal genau, wie viele es waren; ich schätze zwei oder drei. Auf dem Dach war nicht der kleinste Hinweis auf die Identität der Täter zu finden. Wir können dem Geheimdienst somit keine Beteiligung an dem Überfall nachweisen und am Mord an Bor Frikk schon gar nicht. Fest steht bisher nur, daß Ömer Giray nichts damit zu tun hat. Sollen wir ihn aus der Haft entlassen?« Die Bezeichnung »Haft« war mehr als übertrieben. Ömer saß nebenan in Parms Büro und genoß ein telsches Kaltgetränk. Als Terno hereinkam, sah er ihm gleich an, daß endgültig alles ausgestanden war. »Der Polizeichef hat Ihre offizielle Entlassung angeordnet«, teilte der Beamte dem GSOAgenten mit. »Die Fahndung nach Ihnen wurde selbstverständlich eingestellt. In den Medien wird derzeit eine Richtigstellung verbreitet, damit Sie von niemandem mehr behelligt werden. Sie können sich also auf Cromar wieder frei bewegen, Giray. Bru Kowal ließ mich allerdings wissen, daß er gegen Ihre frühzeitige Abreise nichts einzuwenden hätte. Sie hätten uns genug Ärger gemacht, sagte er. Hätten Sie Ihre An 33 schuldigungen gegen den SFT beweisen können, wäre er sicherlich besserer Laune. Er und der neue Geheimdienstchef Tun Argop können sich nämlich nicht ausstehen.« Ömer atmete auf. Endlich wurde er nicht mehr wie ein Tier gehetzt. »Ich sehe keinen Anlaß für eine überstürzte Abreise«, sagte er zu Parm und Temo. »Vielleicht werde ich ja noch gebraucht. Zwar sieht augenblicklich alles nach einer Niederlage aus, aber noch ist Polen nicht verloren. Verfügen Sie über einen tragbaren Datenkonverter?« Die Beamten sahen ihn verblüfft an. »Ein Konverter«, wiederholte Ömer langsam. »Das ist ein Gerät zum Umformen von Frequenzen.« »Wir wissen, was ein Datenkonverter ist«, erwiderte Kor Parm. »Aber was ist ein Polen?« Ömer grinste. Er war dreisprachig auf gewachsen türkisch, deutsch, angloter und kannte daher die verschiedensten Sprichwörter und Aussprüche. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Cromar und der Erde waren verhältnismäßig frisch; es würde wohl noch Jahrzehnte dauern, bis man sich hier an terranische Redewendungen und geflügelte Worte gewöhnt hatte. Wenig später hielt Ömer einen kleinen Datenkonverter an sein linkes Ohr, hinter welchem sich der Datenchip befand. Drahtlos überspielte er einen Teil der enthaltenen Daten. Anschließend wurde der Konverter an Parms Suprasensor gekoppelt. Auf dem Bildschirm erschien das leicht schmerzverzerrte, aber trotzdem gut erkennbare Gesicht eines Mannes, den Kor sofort wiedererkannte. »Das ist der Kerl, den ich auf dem Dach an der Schulter und am Arm erwischt habe!« rief er. »Leider konnte ich in der Hektik nicht besser zielen.« Zwei weitere Bilder waren auf dem Schirm zu sehen. Sie zeigten denselben Attentäter, wie er auf Berol schoß und dann selbst angeschossen wurde. Seine Waffe hielt er trotz alledem fest im Griff.
Die freie Hand preßte er auf die Schulterwunde, damit kein Blut auf den Boden tropfte.
Offensichtlich hatte man ihn darauf gedrillt,
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auch unter größten Schmerzen keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.
»Womit haben Sie die Aufnahmen gemacht?« fragte Parm.
»Wir Geheimagenten haben so unsere kleinen Geheimnisse«, antwortete Giray ausweichend.
»Sowohl auf Cromar als auch auf Terra.«
Diesmal hatte er es nicht versäumt, einen der Angreifer mit seinem künstlichen Auge
abzulichten.
»Nun brauchten wir noch die Verbrecherkartei zum Abgleichen«, konstatierte er. »Besser
wäre natürlich die Mitarbeiterkartei des SFT, doch soweit ich informiert bin, hat die Polizei
darauf leider keinen Zugriff.«
»Das ist richtig«, bestätigte ihm Kor Parm.
»Das ist falsch«, widersprach ihm Streu Temo und nahm seinen rechteckigen Ohrschmuck ab.
»Nicht nur die Menschen haben es faustdick hinter den Ohren. So lautet doch ein anderes
terranisches Idiom, oder?«
»Korrekt interpretiert«, entgegnete Ömer schmunzelnd. »Ich merke schon, die Kooperation
zwischen unseren beiden Völkern macht sich allmählich bemerkbar. Lassen Sie mich raten:
Im Ohrring befindet sich ein Datenträger.«
»Wieder falsch«, erklärte Temo. »Der Ohrring ist der Datenträger.«
Ömer erinnerte sich an eine kurzzeitige Modeerscheinung auf der Erde. Seinerzeit galt es als
schick, Schmuck in Form von winzigen Disketten und CD zu tragen, als Ohrring, Brosche
und sogar aufgereiht als Kette.
»Bedeutet das etwa. Sie verfügen über eine Mitarbeiterkartei des Geheimdienstes?« fragte
Kor Parm erschrocken. »Wer weiß davon?«
»Nur der Polizeichef und ich«, gab Temo ihm wahrheitsgemäß Auskunft. »Und jetzt Ömer
Giray und Sie. Wenn Sie weiterhin Karriere machen wollen. Kor Parm, dann rate ich Ihnen,
Stillschweigen zu bewahren. Bru Kowal würde Ihnen eine Indiskretion in dieser Sache sehr
übelnehmen. Andererseits erweist er sich bestimmt als überaus dankbar, wenn ich eines Tages
meinen Posten zur Verfügung stelle. Haben wir uns verstanden?«
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»Voll und ganz«, erwiderte Parm rasch. »Ihr Ohrring ist nichts weiter als ein ganz normales
Schmuckstück.«
»Wenn ich etwas an Ihnen zu schätzen weiß, dann ist es Ihre schnelle Auffassungsgabe«,
entgegnete Temo und legte die MiniDisk in den Computer ein.
Wenig später stand zweifelsfrei fest, daß der Mann auf dem Foto dem SFT angehörte. Sein
Name war Erl Yobo, und er arbeitete seit mehreren Jahren für den Geheimdienst der Tel.
»Die Frage ist, ob uns das wirklich weiterbringt«, bemerkte Ömer Giray. »Frikks Nachfolger
wird mit Sicherheit abstreiten, davon gewußt zu haben. Vielleicht läßt er Yobo verhaften,
möglicherweise rollt auch noch der Kopf irgendeines Abteilungsleiters...«
»So leicht kann er sich nicht herausreden«, unterbrach ihn Streu Temo. »Erl Yobo gehört
nicht irgendeiner SFTUnterabteilung an sondern dem Stab von Tun Argop.«
Bru Kowal empfing Temo, Parm und Giray in seinem Büro. Streu Temo erstattete ihm
Bericht und legte ihm Ömers Aufnahmen vor.
»Jetzt habe ich dich. Tun Argop!« entfuhr es dem Polizeichef. »Noch heute wirst du mir im
Vemehmungsraum Rede und Antwort stehen.«
Er schaute Streu Temo an.
»Sehr wahrscheinlich wurde die Polizei bereits von Spitzeln des SFT unterwandert. Anders
kann ich mir nicht erklären, daß die Attentäter noch vor Eintreffen des Panzergleiters auf dem
Dach Stellung beziehen konnten. Wir werden Argop so lange verhören, bis er jeden einzelnen
Komplizen preisgibt.«
»Soll ich ihn über Funk aufs Revier bestellen?« erkundigte sich Kor Parm. »Nein, er würde eh nicht kommen«, antwortet Kowal. »Wir verhaften Argop und Yobo in der Zentrale des Geheimdienstes. Außerdem kann es nichts schaden, dort eine gründliche Hausdurchsuchung durchzuführen, zwecks Beweissicherung.« 36 »Unmöglich«, meinte Streu Temo. »Man wird uns erst gar nicht hereinlassen.« »Ich habe auch nicht die Absicht, durchs Tor zu gehen.« »Sie, Bru Kowal?« staunte Temo. »Heißt das. Sie kommen mit?« »Selbstverständlich«, sagte der Polizeichef entschlossen. »Ich werde die Aktion leiten.« »Halten Sie das für klug?« fragte ihn der erfahrene Polizeibeamte skeptisch. »Mal angenommen, es geht irgendwas schief, und der Einsatz läuft aus dem Ruder. Dann wird man Sie direkt zur Verantwortung ziehen. Ich schlage daher vor, Sie überwachen das ganze von Ihrem Büro aus, und ich halte Sie ständig auf dem laufenden. Und falls etwas Unvorhergesehenes passiert, nehme ich die Alleinschuld auf mich. Auf einen im Dienst gealterten Polizisten kann dieser Bezirk gut und gern verzichten, nicht aber auf seinen obersten Chef.« »Sie haben recht«, räumte Bru Kowal ein. »Hochgestellte Persönlichkeiten wie Tun Argop und ich bleiben stets im Hintergrund und überlassen anderen die Drecksarbeit. Meistens bin ich ganz froh darüber, doch es gibt Tage, an denen ich das zutiefst bedaure und mich frage, ob ich seinerzeit lieber hätte im Streifendienst bleiben sollen.« »Darf ich eine Bitte äußern?« warf Ömer Giray ein. »Schon gewährt«, antwortete ihm der Polizeichef. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie bei der Hausdurchsuchung beim SFT mit dabei sind. Immerhin sind Sie sozusagen der Auslöser dafür.« »Das mit der Einsatzbeteiligung wäre meine zweite Frage gewesen«, entgegnete Ömer. »In erster Linie wollte ich um ein neues Paar Schuhe bitten. Meine wurden während der Flucht durch den TuranPark ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Lauferei heute morgen gab ihnen den Rest. Mittlerweile fühle ich mich, als würde ich rechts barfuß gehen.« 37 3. Eine Stimme zirpte seinen Namen. Eine Hand strich über seine Facettenaugen. Etwas drückte schmerzhaft an der Stelle, an der die Reste seines rechten, unteren Arms endeten. Eine Lichtquelle leuchtete jenseits der Nacht, die sein Hirn beherrschte. Er sah sie nicht, er ahnte sie aber. Und wieder die Hand diesmal auf seiner Brust und wieder die Stimme: »Pnurrsk! Pnurrsk! Kommandant Pnurrsk! Können Sie mich hören, Kommandant...?« Ja, da war etwas, da rief etwas, da berührte etwas einen Körper; einen Körper, der eventuell mit seinem identisch sein könnte. Eventuell... Möglicherweise ruhte er aber längst im Totenreich, endlich im Totenreich. Endlich dort angelangt, wo man alleinsein konnte, wo Platz genug war, einen Tag lang zu laufen, ohne einem Angehörigen des eigenen Volkes zu begegnen; wo keine Sorge um die Brut mehr drückte, wo nicht mehr gestorben und getötet werden mußte; wo Frieden herrschte. Frieden... »Kommandant Pnurrsk!« Oh, diese lästige Stimme! »Können Sie mich hören, Kommandant Pnurrsk? Dann richten Sie die Fühler auf, bitte, Kommandant, bitte, bitte...!« So dringend klang diese lästige Stimme, so flehend und besorgt, daß die Illusion von Frieden und Totenreich zerstob. Krieg, Feinde, die Kolonien, die Tyrannen man brauchte ihn, ja ihn! Er fuhr hoch, starrte auf den durchsichtigen Sprühverband am Stumpf seines rechten unteren Armes. »Kommandant Pnurrsk! Pnurrsk! Kommandant! Kommandant! Endlich...!«
Er hob den Schädel da standen sie vor seinem Lager, fünf, sechs Offiziere, nein, acht waren es. Die Hälfte davon Söhne von ihm. Vor ihm der Subkommandant, mit dem er den Aufstand er 38 sonnen, geplant und angezettelt hatte. Wie hieß er gleich? Gwerstn, genau. Die Erinnerung überschwemmte sein Bewußtsein: Brennende Wälder, brennender Himmel, brennende Städte, der Goldene Hochverehrte des Tores inmitten eines Flammenmeeres. Pnurrsk schüttelte Kauscheren und Fühler. Er lebte noch, nicht zu ändern. »Was ist los?« »Bis auf drei haben sie sämtliche Stützpunkte zurückerobert«, sagte Gwerstn. »Auf Planet IX und XIV haben sie die Kolonien der Aufständischen zerstört.« »Und hier?« »Unsere Städte brennen, unsere Stützpunkte sind umzingelt, in der Hauptstadt erwartet man eine Großoffensive, kein Ringraumerkommandant ist mehr auf unserer Seite. Bald werden neue Verbände der Loy allsten ins Sonnensystem eindringen. Der Goldene Hochverehrte des Tores, Pnurrsk solange die Loyalisten ihn kontrollieren, haben wir keine Chance.« »Natürlich nicht.« Mit den restlichen drei Händen faßte Pnurrsk nach seinem Schädel und tastete ihn ab. »Wir haben sowieso keine Chance mehr, es ist vorbei.« Der andere packte ihn an den Schulter und schüttelte ihn. »Es ist nicht vorbei, Kommandant!« Eine Unverschämtheit, er sollte ihn degradieren. »Wenn wir nicht aufgeben, ist es nicht vorbei!« »Laßt uns in Würde sterben...« Er versuchte die Arme des Subkommandanten zur Seite zu drücken. Vergeblich. »Laß mich doch...!« »Nein, Kommandant Pnurrsk! Wir müssen den Goldenen Hochverehrten des Tores erobern! Nur wenn wir dort die geheimen Dateien finden und veröffentlichen, können wir den Kampf in die Galaxis hineintragen!« Unbeirrt hielt der andere ihn fest. »Das Gerücht, du seist gefallen, demoralisiert unsere Kämpfer! Unsere Truppen in der Hauptstadt warten auf ein Lebenszeichen von dir! Unsere Truppen an der Front warten auf ein Lebenszeichen von dir!« Wie hartnäckig, dieser Gwerstn, wie unangenehm hartnäckig. »Laß mich, Subkommandant! Es ist vorbei, wir sind verloren...« »Nein, nein, nein...!« Wie ein Chor stimmten die anderen Offi 39 ziere in den Widerspruch ein. »Gib unseren Kämpfern das Zeichen, auf das sie warten, dann werden sie die Hauptstadt gegen die Loyalisten verteidigen und die feindliche Front am Goldenen zerschlagen! Es ist nicht vorbei, Kommandant Pnurrsk! Nicht, wenn wir den Goldenen Hochverehrten des Tores haben, nicht wenn wir das Tor kontrollieren, nicht wenn wir die Daten finden! Wir haben eine Chance...!« Sein Widerstand bröckelte bereits. Dennoch lehnte er sich noch einmal auf. »Laßt mich doch endlich, laßt mich...« Ein Schott öffnete sich, Frauen betraten den Raum. Durch den offenen Eingang sah er Körbe und Behälter im angrenzenden Raum. Jetzt erst realisierte er, wo er sich befand: im Lagerraum einer Gemüsefarm, irgendwo in den Wäldern nördlich der Hauptstadt und südlich der Transmitterstatue. Immer mehr Frauen drängten durch das Schott. Mindestens zwölf von ihnen hatte er in letzter Zeit persönlich begattet. Sie sammelten sich um sein Lager. Er zog die Beine an, wich bis zur Wand zurück, fühlte sich belästigt. Sie aber öffneten ihre Gewänder, fixierten ihn dabei aus glänzenden Facetten. Er hielt den Atem an: Jede trug mindestens ein Dutzend befruchteter Eier im Flaum ihrer Taille und in den Flankentaschen ihres Unterleibes, mindestens ein Dutzend...! »Tausende von Gründen, nicht aufzugeben, Kommandant!« Oh, dieser lästige Subkommandant! »Unsere Kinder sollen auf einem freien Nttssl aufwachsen, Pnurrsk, bedenke! Sie werden ein neues Reich aufbauen, eine freie Galaxis! Bedenke, Kommandant,
bedenke...!« Pnurrsk starrte auf die Eier, starrte in die Gesichter der Weiber, sah in die Facettenaugen der Offiziere. Zuletzt blieb er an der Miene Subkommandant Gwerstns hängen. Dessen Kauscheren zuckten, und seine Fühler bebten. Ein tapferer Kämpfer im Grunde. Ja, ein guter Offizier, einer der besten, genau betrachtet. Und hatte er nicht recht? »Unsere Kinder... ein freier Nttssl... ein neues Reich... freie Galaxis...« Der Flottenkommandant senkte den Schädel. »Läuft die Waffenproduktion in der Hauptstadt noch?« »Auf Hochtouren, Kommandant.« 40 »Also gut, aber es wird ein Todeskommando.« »Das wissen wir, und es macht uns nichts aus.« »Sorgt zunächst für Funkverbindung mit der Hauptstadt und mit der Front. Ich werde eine Ansprache halten. Danach brauche ich dreihundert Freiwillige. Zweihundertfünfzig davon werden sterben! Mindestens Zweihundertfünfzig...« Sie trafen sich in der Zentrale der NOREEN WELEAN. Warum dort, wußte Simon nicht. Gisol hatte darum gebeten, und der Terraner war einverstanden gewesen. Vielleicht verlangte es den Worgun nach einem neutralen Ort? Oder nein: Er, Simon, war der letzte Wächter der Worgun, und sein Schiff war kein neutraler Ort. Suchte Gisol also Beistand? Und wenn, in welcher Sache? Simon hatte die Fragen ein paar Mal durchgerechnet. Er fand keine befriedigende Antwort. Hinzu kam noch die Tageszeit: Beide meldeten sich mitten in der Nacht, und beide kamen sie über den Transmitter an Bord, eine Stunde bevor die Sonne von Terra Nostra aufging. Die beiden Vertrauten unter seinen Robotern kamen zu ähnlichen Ergebnissen in ihren Analysen: Hugo glaubte, der Worgun suche einen Ort, an dem er Unterstützung erhoffte, weil er die Karten in einer heiklen Angelegenheit auf den Tisch legen wollte, und Joker glaubte, der Terraner suche einen neutralen Ort, an dem man seine Pläne so objektiv wie möglich beurteilen würde. Und beide glaubten, daß weder Gisol noch der Commander in dieser Nacht geschlafen hatten. Der Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN glaubte gar nichts. Er hielt sich grundsätzlich an die Fakten, und das war gut so. Die Fakten eine Stunde vor dem Aufgang der Sonne waren folgende: Amy Steward und Lati Oshuta lehnten vor dem Ringtransmitter über der Brüstung der Galeriebalustrade und blickten auf die Kommandozentrale herunter; der Commander der Planeten und Gisol saßen sich gegenüber in den Sesseln des Kopiloten und des Navigators vor der Steuerkonsole; Simon selbst saß auf seinem Spezialsessel; in Höhe der holographischen Bildkugel schwebten 41 Hugo und Joker sie mochten weiter nichts als spindelförmige Roboter sein, aber sie waren neugierig wie die Kinder und die Bildkugel über der Konsole zeigte den farbenprächtigen Nachthimmel über Terra Nostra. »Ich weiß, was du vorhast, Terraner«, sagte der Worgun mit dem glatten Gesicht eines Menschenmannes. »Du willst einen dieser verbotenen Planeten ansteuern, du willst dort einen dieser verfluchten Goldenen aktivieren, und du willst durch dessen Transmitter gehen und so die verfluchte Zentralwelt der verfluchten Zyzzkt erreichen.« »Stimmt fast«, sagte der Commander der Planeten. Simon erhöhte die Sensibilität seiner akustischen Sensoren. Hätte ein Herz in seiner Tofiritbrust geschlagen, seine Frequenz hätte sich beschleunigt.
»Eine sehr gute Idee im Prinzip«, fuhr der Worgun fort. »Aber hör mir zu, Ren, das bringt nichts.« Für ein paar Sekunden wurden die Lippen Jim Smiths zu grauen Strichen. Unter der bleichen Haut seiner Schläfen traten violette Adern hervor. »Ich muß dir ein Geständnis machen.« »Rede, Geheimnisvoller, ich höre.« »Du erinnerst dich an diesen unheimlichen Planeten mit den verlassenen ZyzzktSiedlungen?« »Ja.« »Und du erinnerst dich auch an die Sporen, die wir dort fanden?« »Richtig. Sporen, die Chitin auflösten, Sporen, die alles insektoide Leben des Planeten ausgelöscht hatten.« »Unglaublich!« entfuhr es Simons Sprachmodul. »Das ist ja genial. ..!« Er hatte noch nichts von diesen Sporen gehört. »Genau.« Die kalten Augen des Worgun richteten sich auf den Wächter. »Ich fand sie auch genial, diese Sporen.« Wäre Simon auf Sauerstoff und Atmung angewiesen gewesen, hätte ihm in diesem Moment der Atem gestockt. Der Commander schwieg. Vermutlich ging es ihm wie Simon, vermutlich fiel es auch ihm wie Schuppen von den Augen. Den folgenden Satz des Worgun jedenfalls hätte der Wächter vorhersagen können. Er lautete: »Ich habe eine Kultur dieser Sporen mit einer Sonde durch den Transmitter 42 eines Goldenen zur Zentralwelt der Zyzzkt geschickt.« »Bitte?« Die Gestalt des weißblonden Mannes straffte sich, seine Gesichtshaut verlor an Farbe, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was sagst du da?« »Du verstehst schon richtig, Terraner.« Der Worgun beugte sich nach vom, stützte sich auf die Instrumentenkonsole auf, sein Blick wich dem des Commanders nicht aus. »Ich habe eine große Kultur dieser Sporen durch den Transmitter geschickt. Es geschah auf dem Planeten, auf dem die Zyzzkt Jagd auf ihresgleichen machten.«* »Wo wir DNS eines Worgun in einem toten Jäger fanden?« fragte Amy Steward von der Galerie herunter. »Korrekt.« Gisol alias Jim Smith nickte. Keine Gefühlsregung konnte Simon auf seiner Miene erkennen. »Auf genau diesem Planeten gelang es mir, eine Sonde mit den Sporen durch das Transmitterfeld des Goldenen zu steuern. Ich gehe davon aus, daß die Sporen ihr Ziel erreicht, sich kräftig vermehrt und ihre Arbeit erledigt haben. Ich glaube nicht, daß auf dem Zentralplaneten der Zyzzkt auch nur ein Insektoide überlebt hat.« Gisol sagte das sehr ruhig. Simon meinte sogar, ein Lächeln in seinen Augen zu erkennen. Die Prozessoren in seinem gesichtslosen Tofiritschädel arbeiteten auf Hochtouren. »Das ist großartig«, resümierte er. »Etwas Besseres konnte nicht geschehen. Vorausgesetzt, der erwähnte Transmitter führt tatsächlich zur Zentralwelt der Wimmelwilden.« Ren Dhark stieß sich ab. Sein Sessel machte eine halbe Drehung, so daß er dem Worgun den Rücken zuwandte. Simon erschrak über die plötzliche Härte in seinem Gesicht. Sekunden saß der Commander völlig reglos, bis er sich mit einer heftigen Bewegung aus dem Sessel stieß. »Großartig? Sony, Simon, aber ich sehe das anders.« Er begann um den Kommandostand herumzulaufen. »Ist euch klar, wie viele Leben diese >großartige< Aktion ausgelöscht hat? Und wie viele Massaker diese >großartige< Tat nach sich ziehen wird? Die Zyzzkt werden auf Rache brennen und Siehe DrakhonZyklus Band 22, »Die Sage der Goldenen« 43 ihren Zorn an den nächstbesten Planeten und ihren Bewohnern austoben.« »Seit wann benötigen sie dazu einen Anlaß?« fragte Gisol kühl. »Bist du mit geschlossenen Augen durch Orn geflogen, Commander der Planeten?«
Der Terraner blieb stehen, blickte den Worgun an. Sekundenlang fixierten sie einander. Simon glaubte die Luft zwischen beiden knistern zu hören. Auf der Bildkugel verblaßten die Farben des Nachthimmels. »Ich hab dir nichts vorzuwerfen, Gisol«, sagte Dhark leise. »Welches Gesetz verpflichtet dich, besser zu sein als die Peiniger deiner Rasse? Dein Kampf währt schon länger als ein Menschenleben. Andere hätte er zerrüttet oder wahnsinnig gemacht, dich machte er hart und unbarmherzig. Ich bin nicht sicher, was ein solch einsamer Kampf mit mir gemacht hätte.« Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und setzte seinen Weg um die Kommandokonsole fort. Die Cyborgs, Gisol und Simon verfolgten ihn mit den Augen. Gleich würde er reden, gleich würden sie wissen, wie ihre Zukunft aussah. »Nicht alle Zyzzkt dürfte dein Geschenk vernichtet haben, verehrter Gisol«, sagte Ren Dhark, ohne den Blick zu heben, ohne seinen Rundgang zu unterbrechen. »Ihren mutmaßlichen Tyrannen, falls es sich dabei tatsächlich um mutierte Worgun in Insektengestalt handeln sollte, werden die Sporen kaum geschadet haben. Ich will mit ihnen verhandeln. Auf der Zentralwelt der Wimmelwilden wird Chaos ohne Ende herrschen, wenn deine Morgengabe angekommen ist. Geheimnisvoller.« Sarkasmus lag in seiner Stimme, aber sofort wurde er wieder sachlich. »Die Wahrscheinlichkeit ist groß, die Mutanten in Verhandlungslaune zu treffen. Ein Grund mehr, so rasch wie möglich zu handeln.« Endlich blieb er stehen, sah hinauf zu Simon und Gisol. »Wir nehmen unsere und deine Schiffe, Gisol.« Er wandte sich an den letzten Wächter der Worgun. »Hätte uns das Schicksal einander nicht über den Weg geführt, Simon, könnte mein Plan nicht funktionieren. Du aber bist im Besitz des Codes, mit dem man die Transmitter der Goldenen aktivieren kann. Das stimmt doch, oder?« 44 Simon aktivierte seine Kunststimme. »So ist es, Commander. Der Transmittercode befindet sich dreifach gesichert in der Datenbank der NOREEN WELEAN.« »Gut. Und wirst du uns mit der NOREEN WELEAN begleiten, Simon?« Simon wußte plötzlich, worauf es hinauslaufen würde. »Gisols Weg ist mein Weg.« »Dann hört weiter«, fuhr der Commander fort. »Wir bitten die Römer um elf Schiffe. Eines müßte unbemannt zu steuern sein. Dazu unsere und deine Schiffe, Gisol, und die NOREEN WELEAN. Mit dieser Flotte fliegen wir einen der verbotenen Planeten an. Dort schicken wir den unbemannten Ringraumer durch den Transmitter des Goldenen. Über ToFunk wird er uns den Weg weisen. Sie werden sich unseren Frieden diktieren lassen, oder wir geben der neuen römischen Rotte die Koordinaten durch, und sie sterben.« Er blickte von einem zum anderen. Sein weißblondes Haar schimmerte im düsteren Kunstlicht der Kommandozentrale. Entschlossenheit und Härte spiegelte sich auf seiner Miene. Die Frage stand in seinen Augen zu lesen. Simon begriff: Es ging dem Commander auch um ein politisches Zeichen. Die Worgun, die Neurömer, die Terraner jede Partei mit zehn Schiffen. »Ich bin dabei«, schnarrte er. »Sie werden sterben?« Der Worgun stieß ein bitteres Lachen aus. »Es wird sehr schwer, meine Freunde! Keiner von euch hat genug Phantasie, sich auszumalen, wie schwer es werden wird! Aber ich bin einverstanden.« Gisols Menschenfinger trommelten auf der Armlehne seines Sessels herum. »Vernünftiger Plan.« »Fragt sich nur, wie wir ihn den Römern verkaufen«, sagte Amy Stewart von der Galerie herab. Der Raummarschall empfing sie drei Stunden nach Sonnenaufgang. Vor seiner Villa warteten etwa dreißig Männer und Frauen auf eine Audienz, als Gisol, Simon, Dhark und seine Cyborgs dort eintrafen: Veteranen in Rollstühlen oder auf Krücken, Krieger 45
witwen mit ihren Kindern, ältere Frauen, die lange nichts von ihren Söhnen gehört hatten, blutjunge Männer, die sich freiwillig zur römischen Raumflotte melden wollten. Es war dem Commander der Planeten unangenehm, von Martius9 Adjutanten ins Atrium gewunken zu werden, obwohl er und seine Gefährten noch lange nicht an der Reihe waren. Gisol erriet die Gedanken seines terranischen Freundes. »Es geht auch um das Leben dieser Römer«, sagte er mit Blick auf die Wartenden. Rechts des geräumigen Atriums, etwa drei Meter vom Bassin entfernt, zierten zwei Fresken die lange Wand. Auf einem war der Spiralnebel einer Galaxis zu sehen, und Ren Dhark wußte sofort, daß es die heimatliche Milchstraße war. Auf dem anderen Fresko war eine antike Stadt abgebildet. Ihre Gebäude standen auf sieben Hügeln. Zwischen den Fresken gab es eine Tür. Ihre beiden Flügel stieß der Adjutant auf und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Hinter der Tür befand sich die Kanzlei des Raummarschalls. Martius saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern in einem der Sessel einer Sitzgruppe. Auf einem niedrigen Marmortisch stand das Modell eines OvoidRingraumers. Der Flottenmarschall begrüßte sie mit einem Lächeln und deutete auf die freien Ledersessel. Sie nahmen Platz. »Sie haben noch einmal über Ihren Plan geschlafen und nun eine Entscheidung getroffen, Commander Dhark«, sagte er. »Habe ich recht?« Dhark bejahte. Er erläuterte sein Vorhaben: Zweiunddreißig Schiffe, Kurs auf einen verbotenen Planeten, ein unbemanntes Schiff, das durch das Transmitterfeld eines Goldenen fliegt, und so weiter... »Wenn Sie diesen Krieg ohne Blutvergießen beenden wollen, rennen Sie bei mir offene Türen ein«, sagte der römische Oberbefehlshaber. »Ihr Plan ist gefährlich, aber er ist gut, sehr gut. Ich sehe kein Problem, ihn dem Senat schmackhaft zu machen. Schließlich rechnen alle in absehbarer Zeit mit einem Großangriff der Zyzzkt. Was könnte uns da Besseres passieren als ein unverhoffter Frieden?« Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme über der Brust und 46 sah Dhark nachdenklich an. »Und Sie verfügen tatsächlich über den Code, um diese Riesentransmitter zu aktivieren?« »Simon besitzt ihn.« »Sind Sie denn sicher, daß man über die Transmitter zur Zentralwelt der Wimmelwilden gelangt?« »Nicht hundertprozentig, zugegeben«, räumte Ren Dhark ein. »Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch.« ^94,7 Prozent nach meinen Berechnungen«, schaltete Gisol sich ein. »Der ToRichtfunk des Robotraumers wird uns den Weg weisen, und sollte er uns wider Erwarten nicht zum Heimatplaneten der Zyzzkt lotsen, dann doch immerhin zu einem Ort, an dem wir entscheidende Informationen erhalten, um das Geheimnis der ZentralweltKoordinaten endgültig zu lüften. Daran zweifele ich keinen Augenblick.« Martius blickte von einem zum anderen. Er nickte langsam, es war schwer einzuschätzen, was hinter seiner hohen Stirn vor sich ging. »Nicht, daß Sie mich falsch verstehen, meine Herren: An den Frieden glaube ich erst, wenn er eingetreten ist. Darum registriere ich jeden neuen Ringraumer, der in den unterirdischen Werften vom Band läuft, mit Erleichterung. Die Zyzzkt wissen nichts von unserer sprudelnden Tofiritquelle. Sollte es ihnen irgendwann gelingen, unseren Sicherheitsschirm zu zerstören und in die Gaswolke einzudringen, werden sie sich unverhofft mit einer dreifachen Übermacht konfrontiert sehen, die noch dazu im Vollbetriebsmodus operieren kann. Vorausgesetzt, diese größte anzunehmende Katastrophe geschieht nicht schon morgen oder übermorgen. Doch wenn ihre Mission eine solche Konfrontation verhindern kann, Commander Dhark und Gisol um so besser. Ich werde eine Sondersitzung des Senats beantragen. Dann kann ich der Regierung Ihren Plan vielleicht
schon morgen vortragen. Was genau brauchen Sie von uns?« Er zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche, aktivierte es und legte es auf den Tisch. »Sie erlauben, daß ich Notizen mache.« »Zehn fabrikneue OvoidRingraumer, einschließlich Besatzung und Ausrüstung, und ein Aufklärungsschiff, das von einem Rechner gesteuert werden kann...« 47 Die fünf jungen Neurömer spritzten aus ihren Sitzen und standen stramm, als der Mann mit dem weißblonden Haar in der Bildkugel über der Instrumentenkonsole erschien. Also bemühte auch Gisol sich schließlich aus seinem Sessel. Er tat es den fünf Römern zuliebe, deren Namen er sich eingeprägt hatte, und die ihn aus irgendeinem Grunde als ihr Vorbild betrachteten. »... vor sechs Tagen hat der Hohe Senat von Terra Nostra über den Plan des Kommandountemehmens beraten, zu dem wir heute starten werden...« Auf dem Hologramm der Bildkugel sah man Ren Dhark vor dem Hintergrund seines Kommandostandes auf der POINT OF. Seine Ansprache galt der terranischen Besatzung seiner eigenen zehn Schiffe sowie der römischen Besatzung auf den zehn Schiffen Gisols. Sie galt auch Simon, dem Wächter, selbstverständlich auch ihm. Und eigentlich galt sie auch der Besatzung von zehn neuen OvoidRingraumem der Flotte von Terra Nostra, aber der Hyperkalkulator der EPOY meldete lediglich 21 Schiffe auf dem Startfeld des Raumhafens von Nova Roma. »... vor vier Tagen hat der Hohe Senat einstimmig beschlossen, einen Vorstoß zum Zentralplaneten der Zyzzkt zu wagen. Der Konsul und die militärische Führung von Terra Nostra haben mir das Kommando der Mission Herz. der Dunkelheit anvertraut...« Aus den Augenwinkeln beobachtete der Worgun in Menschengestalt die fünf jungen Offiziere rund um den Kommandostand: Ihre Augen glänzten, ihre Mienen spiegelten die Entschlossenheit von Männern wider, die ein Ziel hatten und bereit waren, über ihre Grenzen zu gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Gisol wußte, daß die 54 Römer auf seinen anderen neun Schiffen diese fünf hier beneideten, weil sie in seiner Nähe Dienst tun durften. Die Römer verehrten ihn, ohne Zweifel. Gisol fragte sich, warum ihm diese Tatsache nicht schmeichelte. »... der Countdown läuft, in genau neununddreißig Minuten und zwölf Sekunden starten wir zu einer Mission, von der wir alle uns die Wende im galaktischen Krieg von Om erhoffen. Wir fliegen ins Herz der Finsternis. Ich will nicht verschweigen...« 48 Der Terraner unterbrach sich, und gleichzeitig tönte die künstliche Stimme des Hyperkalkulators aus den Bordlautsprechem über der Ringgalerie. »Elf Schiffe im Anflug aus Vektor sieben Strich zwei, Flughöhe 3369 Meter, Geschwindigkeit...« Während der Zentralrechner die restlichen Daten durchgab, verblaßte die Bildkugel und baute sich sofort wieder auf. Gisol stützte sich auf die Instrumentenkonsole und spähte in das Hologramm. Da flogen sie heran: Zehn OvoidRingraumer der neusten Produktionsserie und ein etwas älteres Schiff mit unwesentlich geringerem Durchmesser. »Vergrößern«, murmelte Gisol. Die Bildkugelansicht veränderte sich ohne nennenswerten Zeitverlust: Der anfliegende Pulk löste sich auf, bis das Hologramm zwei einzelne Schiffe einfing. Die neuen Ringraumer hatten einen um zehn Meter größeren Ringdurchmesser, durchmaßen also einhundertneunzig Meter. Darüber hinaus besaßen ihre Rümpfe im Querschnitt keine Kreisform wie etwa die EPOY oder die POINT OF, sondern eine ovale, wobei die spitzen Pole der Ellipsen auf der Vertikalachse lagen. In der Waagerechten durchmaßen die Rümpfe weiterhin dreißig Meter, in der Senkrechten hingegen vierzig. Von den zehn neuen Räumern unterschied sich der ältere Robotraumer außer in Größe und Form vor allem dadurch, daß er kaum Sonnenlicht reflektierte. Seine Oberfläche war im Laufe vieler Dienstjahre stumpf geworden.
Die kleine Flotte rauschte heran, flog zwei weite Schleifen über dem Raumhafen und sank dann in immer enger werdenden Spiralen herab. Simons NOREEN WELEAN und die zwanzig anderen Schiffe bildeten eine Gerade von 9,78 Kilometern Länge. Knapp sieben Minuten nach der Meldung des Hyperkalkulators setzte der erste Ovoidraumer auf dem Flugfeld neben der RHEYDT auf, und hielt dabei den Abstand ein, der die bereits wartenden Schiffe voneinander trennte, nämlich exakt dreihundert Meter. Im genau gleichen Abstand und im Dreißigsekundenintervall landeten danach die anderen zehn neurömischen Raumer. Aus der Satellitenperspektive mußte es aussehen, als würde eine vollkommen gerade und fünfzehn Kilometer lange Kette aus Ringen auf dem Raumhafen liegen. 49 »Flottenkommandant Manlius meldet zehn OvoidRingraumer und einen Aufklärer mit Autosteuerung einsatz und startbereit.« Ren Dhark bestätigte, und nacheinander gingen die Meldungen der neun anderen Kommandeure ein. Unter ihnen Nuntius und Aulus, die damit bereits zum zweiten Mal an einer von Dhark befehligten Expedition teilnahmen. Jedes Schiff der Neurömer wurde von einer sechsköpfigen Besatzung gesteuert. Zum Schluß meldete eine elektronische Stimme den automatischen Aufklärer einsatzbereit. »Willkommen in der vereinigten Flotte, meine Herren.« Wieder baute das Hologramm Dharks Konterfei auf. »Wie ich sehe, beherrschen Sie Ihre Schiffe perfekt, gratuliere. Der Countdown läuft, noch siebzehn Minuten und vierundfünfzig Sekunden bis zum Start. Ich war gerade dabei, die Eckdaten von Herz der Dunkelheit zu erläutern. Es ist eine gefährliche Mission, und ich kann nicht garantieren, daß wir ohne Verluste zurückkehren werden. Sobald wir Gardas verlassen haben, werden wir transitieren, um die feindlichen Patrouillen in unmittelbarer Nähe der Wolke hinter uns zu lassen. Danach nehmen wir Kurs auf den nächstliegenden verbotenen Planeten. Die Zyzzkt nennen ihn Virm. Er kreist mit drei Gasriesen um einen weißen Zwerg, der in den Sternkarten Terra Nostras die Bezeichnung Leukos IX/VII trägt. Auf dem Zielplaneten wird unser Aufklärer den Transmitter des Goldenen passieren. Sein ToRichtstrahl wird uns durch die Galaxis Om bis zur ZyzzktZentralwelt leiten, wie einst Ariadnes Faden Theseus den Weg aus dem Labyrinth des Minotaurus wies...« Amy Stewart hatte ihm diese Metapher aus den Datenbanken der POINT OF gefischt. Ren Dhark wußte inzwischen, daß die Neurömer eine Schwäche für die Sagen des klassischen Altertums hatten. Nach der Rede des Commanders änderte sich das Hologramm, und Gisol erkannte einen Römer in der Bildkugel: Manlius, der Verbindungsoffizier zwischen Römern und Terranem. Jetzt allerdings wandte er sich als Flottenkommandant an die Männer auf seinen und Gisols Schiffen. Er begrüßte den Einsatzplan und betonte noch einmal, daß der Senat dem Terraner Ren Dhark das Kommando über den gesamten Einsatz gegeben hatte. Anschließend ertönte ein Posaunenchor, und die Römer stimmten eine ihrer 50 Hymnen an. Gisol beobachtete, wie jeder der jungen Offiziere in seinem Kommandostand seine Hand auf die Brust legte und die Augen schloß. In dieser Haltung sangen sie ein martialisches Lied, das von der Liebe zu Terra Nostra handelte und dem unbedingten Willen, dieser Liebe jedes Opfer zu bringen. Gisol senkte den Blick. Hart war er geworden in all den Jahrhunderten, in all den Kämpfen, ja, Dhark hatte recht. Dieser Augenblick aber der Gesang, die Posaunen, die bewegten Gesichter der jungen Burschen — dieser Augenblick griff ihm ans Herz. Die letzten Minuten vor dem Start herrschte Schweigen auf der EPOY. Nur Gajus Julius tat Dienst an der Seite des Rebellen. Die vier anderen Römer hatten frei und würden das Schiff später in zwei weiteren Schichten übernehmen. Gisol wies den Hyperkalkulator an, das
Flugfeld zu visualisieren und sich dann um den Start zu kümmern. In der Bildkugel erstreckte sich auf einmal die unübersehbare Reihe der Ringraumer. Und endlich der Start. Die Flotte erhob sich. Wie an einem unsichtbaren Stab aufgereiht schwebte sie in den Morgenhimmel Terra Nostras. Mit SLEAntrieb und in einem Winkel von neunzig Grad zur Bahnebene des Planeten nahmen die Schiffe Kurs auf die Grenze des Systems. In der Bildkugel leuchteten hier und da die für Gardas so typischen Gaswirbel. Außer der Sonne Terra Nostras war kein einziger Stern zu sehen. Koordiniert von der POINT OF gingen die Schiffe auf Stemensog. Gisol kommunizierte stumm mit dem Hyperkalkulator. Schon bald funkelte die Bildkugel von der Stemenpracht Oms, wie man sie in diesem Spiralarm der Galaxis fand. Die Gaswolke Gardas lag hinter ihnen. »Voller Tamschutz«, wies Gisol den Hyperkalkulator an. Daten strömten auf den Worgun ein: von den anderen Schiffen, aus dem Lautsprecher des Hyperkalkulators, von den Römern vor der Femortung und in der Navigationszentrale. »Vierzehntausendzweihundertdreißig ZyzzktRaumer patrouillieren in unmittelbarer Nähe der Wolke«, meldete Gajus Julius. »Vorwiegend in Dreierverbänden. Die Femortung erfaßt eine gewaltige Flotte Fremdraumer in Vektor siebzehn Strich drei Strich zweihundertelf. Es handelt sich 51 um mindestens dreißigtausend Ringraumer, sie manövrieren im Energiesparmodus.« »Entfernung?« »Neunhundertachtundsiebzig Lichtjahre«. »Kontakt zur POINT OF.« Gajus Julius bestätigte. Zwei Sekunden später erschien Ren Dharks Gesicht in der Bildkugel. »Ihr wißt schon Bescheid?« fragte Gisol. Der Commander nickte. »An die neununddreißigtausend Einheiten der Zyzzkt.« »Sollten sie ein Mittel gegen das Schutzfeld gefunden haben, brauchen sie nur in den Vollbetriebsmodus schalten und stehen in weniger als zehn Stunden am Himmel über Terra Nostra.« »Gegen die neuen Schiffe der Römer dürften sie chancenlos bleiben.« »Vierzigtausend, Ren! Auf Terra Nostra braucht man noch ein paar Tage, bis der zwanzigtausendste Ovoidraumer vom Band geht. Dann sprich von mir aus von einer Chance!« »Du bist und bleibst ein Pessimist, Gisol, aber du hast recht: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir transitieren in acht Minuten.« Acht Minuten später flackerte die Bildkugel. Als sich das Hologramm wieder aufbaute, glitzerte in einer Entfernung von siebzehn Astronomischen Einheiten eine weiße Sonne vor dem Hintergrund eines Ornschen Spiralarmes: Leukos IX/VII, das Muttergestirn des verbotenen Planeten Virrn. 52 4. Von außen ähnelte die Zentrale des Schutzverbandes gegen die Feinde Telins einem Universitätsgebäude allerdings waren die Lehrstätten der Tel nicht von hohen, alarmgesicherten Zäunen umgeben, an den Eingangstoren standen keine Wachen, und auf dem Gelände patrouillierten keine bewaffneten Roboter. Rund um die Zentrale erstreckte sich nach allen Seiten hin eine mächtige Rasenfläche, bepflanzt mit einzeln stehenden sattgrünen Buschgruppen und bunten Blumen. Wer jedoch glaubte, sich im Schutz der Büsche unbemerkt ans Gebäude heranschleichen zu können, irrte sich gewaltig. Registrierten die Alarmsensoren eine unbefugte Person im Garten, öffnete sich die Erde, und das gesamte Buschwerk verschwand in der Tiefe. Auch die Blumenbeete hatten es in sich...
Das Zentralgebäude verfügte über zehn Etagen. Vier oben und sechs unter der Erde. Im unteren Teil wurden geheime Laborexperimente durchgeführt, neue Waffen für die Agenten entwickelt und derzeit junge Anwärter für Spezialtruppen ausgebildet. Im oberen Teil hatten die festen Mitarbeiter des SFT ihre Büros. Die Unterkünfte und Aufenthaltsräume der Auszubildenden und der organischen Wachtposten befanden sich ebenfalls oberhalb des Erdreichs, während die Wartungs und Werkstätten für die Wachroboter in den Tiefgeschossen lagen. Die medizinische Abteilung war oben untergebracht. Als sich eine Flotte von Polizeigleitern dem SFTGelände näherte, wurde in sämtlichen Etagen gelber Alarm ausgelöst. Die Blumenbeete spalteten sich in der Mitte und zeigten, was in ihnen steckte genauer gesagt: unter ihnen. Aus großen runden Öffnungen erhoben sich schwere Strahlengeschütze und nahmen die Gleiter ins Visier. 53 »Soll ich Feuerbefehl geben?« fragte der zuständige Wachleiter per Funk bei seinem Befehlshaber an. »Oder schalten wir den Schutzschirm ein?« »Weder noch«, lautete die Antwort. »Tun Argop hat Anweisung gegeben, die Gleiter unbehelligt landen zu lassen. Schließlich handelt es sich um keinen feindlichen Angriff, sondern um einen unangemeldeten Besuch der Polizei.« »Besuch?« sagte der Wachleiter. »Ich würde das eher als unerlaubtes Eindringen bezeichnen. Weiß man schon, wer dafür verantwortlich ist?« »Streu Temo«, erwiderte sein Vorgesetzter. »Er hat sich auf unsere Funkanfrage hin zu erkennen gegeben. Temo sitzt im ersten Gleiter, zusammen mit seinem Assistenten und einem terranischen Agenten. Falls den dreien etwas zustößt, riskieren wir nicht nur Ärger mit dem hiesigen Polizeichef, sondern auch einen diplomatischen Zwischenfall mit Terra. Fahren Sie die Geschütze wieder ein.« Der Befehl wurde ausgeführt. Bald war der Garten wieder von einem Blumenmeer überzogen. Die kleine Polizeiflotte kam auf Sichtweite heran. Gegenüber dem SFT hatte der Kluis seinen Sitz. Die Piloten gaben acht, den dortigen Luftraum nicht zu verletzen, um die automatischen Sicherungsanlagen nicht zu aktivieren. Wenig später landeten vier Mannschaftsgleiter mit je fünfzig Polizisten an Bord vor und hinter dem SFTGebäude. Die mit Kampfanzügen bekleideten Insassen stiegen aus und umzingelten die Geheimdienstzentrale. Sie waren mit Handfeuerwaffen ausgestattet, die sie vorerst allerdings im Holster steckenließen. Gesteuert wurden die Gleitet von Polizeirobotem, die ebenfalls Waffen trugen. Sie hielten sich innerhalb der Gleiter kampfbereit. Im Garten befanden sich nur einige SFTWachleute und ihr Wachleiter. Sie unternahmen zunächst nichts gegen die Übermacht. Lediglich die Wachroboter ergriffen ihre Waffen, würden aber ohne ausdrücklichen Befehl niemanden angreifen. Der Befehlshaber des Sicherungsteams, Mur Rokil, kam nach draußen. Er wartete ab, bis Temo und seine beiden Begleiter ihren Gleiter 54 verlassen hatten, und ging dann mit freundlicher Miene auf sie zu. »Willkommen, Streu Temo, Kor Parm«, begrüßte er die Beamten, die er von früheren Begegnungen her kannte. »Wie Sie uns bereits über Funk wissen ließen, möchten Sie eine Hausdurchsuchung vornehmen. War es wirklich nötig, gleich halb Cromar mitzubringen? Auch beim SFT halten wir regelmäßig Manöver ab, doch ich kann mich nicht erinnern, daß wir zu Übungszwecken jemals ein fremdes Gelände besetzt hätten.« »Dies ist keine Übung«, machte Terno ihm klar. »Mir ist durchaus bekannt, daß Ihre Zentrale größer und verwinkelter ist, als es von außen den Anschein hat. Je mehr Männer ich bei der Durchsuchung einsetze, um so schneller sind wir fertig. Im übrigen muß ich noch eine Verhaftung vornehmen, vielleicht sogar mehrere, da kann ein bißchen Verstärkung nichts schaden.«
»Ein bißchen?« erwiderte Rokil mit spöttischem Unterton. »Sie müssen furchtbare Angst vor uns haben, wenn Sie so viele bewaffnete Leute mitbringen. Zu schade, daß der ganze Aufwand völlig unnütz ist. Ich darf lediglich Sie und Ihren Assistenten hereinlassen. Tun Argop wird sich Ihre Bitte anhören und dann entscheiden, ob er Ihnen eine begrenzte Hausdurchsuchung gestattet natürlich nur unter meiner Aufsicht. Daß Sie nicht jede Etage betreten dürfen, versteht sich von selbst, schließlich ist das hier die Geheimdienstzentrale und kein öffentliches Amüsierlokal.« Er warf Giray einen mißbilligenden Seitenblick zu. »Auch Sie kommen mit. Zwar haben wir aus den Nachrichten erfahren, daß Sie allem Anschein nach nicht der Mörder von Bor Frikk sind, dennoch möchte unser Geheimdienstleiter Sie persönlich vernehmen.« Ömer trug inzwischen frische Kleidung und ein neues Paar Schuhe. Seine dunkle Tarnfärbung war mittlerweile fast gänzlich verblaßt. »Allmählich reicht es mir mit Ihrem arroganten Gehabe!« fuhr Terno Rokil unbeherrscht an. »Giray ist beweiskräftig entlastet worden und somit ein freier Mann. Die wahren Mörder laufen noch frei herum, und aller Wahrscheinlichkeit nach gehören sie dem Geheimdienst an deshalb ist die Durchsuchung der SFTZentrale unbedingt vonnöten. Polizeichef Bru Kowal höchstper 55 sönlich hat diese Maßnahme angeordnet. Kein Bürger von Cromar hat das Recht, die Polizei bei ihren Ermittlungen zu behindern, das gilt auch für Tun Argop.« »Sie vergessen offenbar, daß der SFT über zahlreiche Sonderrechte verfügt«, entgegnete Mur Rokil gelassen. »Wir stehen über dem Bürger und über der Polizei.« »Niemand, der unter Mordverdacht steht, kann sich über die Polizei stellen«, machte Streu Temo ihm klar. »Selbst der SFT darf sich die Gesetze des TelinImperiums nicht zurechtbiegen, wie es ihm beliebt.« »Tun Argop steht unter Mordverdacht?« fragte Rokil ungläubig. »Zumindest ist er im Fall des ermordeten Bor Frikk ein wichtiger Zeuge«, wich Temo einer klaren Antwort geschickt aus ohne hundertprozentigen Beweis stand es ihm nicht zu, den Geheimdienstleiter zu beschuldigen. »Erst nach seiner Aussage werde ich entscheiden, ob er den Verdächtigen zuzuordnen ist oder nicht.« »Dann sollten Sie schleunigst mit ihm reden, damit er den Irrtum aufklären kann«, meinte Mur Rokil. »Kommen Sie herein. Ihre Männer rühren sich in der Zwischenzeit nicht vom Fleck. Sollten sie versuchen, die Zentrale zu stürmen, gibt es hier draußen ein Blutbad.« »Machen Sie sich nicht lächerlich«, erwiderte Kor Parm geringschätzig. »Das Verhältnis steht zweihundert zu zwanzig.« »Sind Sie davon überzeugt?« fragte ihn der Sicherheitschef. Er betätigte ein kleines Gerät, das er die ganze Zeit über unauffällig in der Hand gehalten hatte, und sandte ein geheimes Signal aus. Plötzlich öffneten sich im ganzen Gebäude auf allen Seiten sämtliche Fenster. Mit Karabinern ausgestattete Männer lehnten sich hinaus und nahmen die Polizisten im Garten ins Visier. Auch die Türen gingen auf. An jedem Eingang postierte sich ein bewaffneter Vierertrupp. Das war noch nicht alles. Erneut teilten sich die Blumenbeete wie das Rote Meer. Diesmal tauchten leichte, manuell zu bedienende Strahlengeschütze aus den großen runden Bodenöffnungen auf. An jedem doppelläufigen Geschütz stand ein junger Agent. »Die meisten von ihnen befinden sich gerade in der Ausbil 56 dung«, räumte Rokil offen ein. »Doch Ihre Männer geben derart leichte Ziele ab, Streu Temo, daß sie kaum zu verfehlen sein dürften.«
Die beiden Polizeihundertschaften hielten Ausschau nach Dekkung. Weit und breit gab es so gut wie keinen Schutz, abgesehen von den Büschen und Buschreihen und die verschwanden plötzlich wie weggezaubert im Boden. »Gehen wir hinein, meine Herren«, schlug Rokil vor und setzte sein unverschämtestes Grinsen auf. »Oder ziehen Sie es vor, einen Kleinkrieg anzufangen?« Ömer sah sich gründlich um, schaute so vielen SFTAgenten wie möglich ins Gesicht. Die beiden Schläger, denen er in der Absteige »Rubin« gegenübergestanden hatte, konnte er jedoch nirgends entdecken. Auch in Temos illegaler Kartei war er nicht fündig geworden. Das bestätigte seinen Verdacht, daß es sich bei ihnen lediglich um Handlanger oder gedungene Killer handelte. Wo waren sie abgeblieben? Zuletzt war Ömer mit einem von ihnen nahe der terranischen Botschaft zusammengeprallt, seitdem hatte er nichts mehr von den beiden gesehen oder gehört. Hielten sie sich im Zentralgebäude auf? Oder hatten sie sich längst auf einem anderen Planeten in Sicherheit gebracht? Denkbar war auch, daß der SFT sie inzwischen beseitigt hatte, damit sie der Polizei keine Hinweise auf ihre Auftraggeber geben konnten. Ömer folgte Temo, Parm und Rokil ins Haus. Der Mann von der Sicherheit begleitete die »Gäste« bis ins Büro des neuen Geheimdienstleiters und ließ sie dann mit ihm allein. Tun Argop kam gleich zur Sache. »Wie ich hörte, möchten Sie in unserer Zentrale eine Hausdurchsuchung vornehmen. Streu Terno. Sie werden sicherlich verstehen, daß ich so etwas nur in eingeschränktem Maße zulassen darf, aus Gründen der Staatssicherheit. Und selbst eine begrenzte Durchsuchung werde ich Ihnen nur erlauben, wenn Sie mir plausibel erklären können, warum Sie diese Maßnahme für unbedingt notwendig halten.« 57 Damit hatte er den Polizeiermittler von vornherein zum Bittsteller degradiert. Temo ließ sich das nicht bieten. »Ich brauche Ihre Erlaubnis nicht. Tun Argop! Die Gesetze des Imperiums...« »Hier bin ich das Gesetz!« fuhr Argop ihm über den Mund. »Ohne eine vernünftige Begründung werde ich Ihnen nicht gestatten, auch nur einen einzigen Raum zu betreten.« »Warum nicht?« warf Kor Parm ein. »Was haben Sie zu verbergen? Wir suchen den Mörder Ihres Vorgängers. Das sollte auch in Ihrem Interesse sein.« »Selbstverständlich bin ich daran interessiert, Frikks Mörder beziehungsweise dessen Auftraggeber zu fassen. Bislang dachten wir, Giray habe Bor Frikk auf dem Gewissen, deshalb wurde seitens des SFT mit Hochdruck nach ihm gefahndet. Mittlerweile hat sich ja seine Unschuld erwiesen, wenn man den verwaschenen Darstellungen in den Medien glauben darf. Wieso wurde nichts Konkretes veröffentlicht?« »Weil die Ermittlungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind«, antwortete Temo. »In erster Linie war es mir wichtig, Giray in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Über Einzelheiten unserer Untersuchungen informieren wir das Volk erst, wenn wir Frikks wahren Mörder präsentieren können.« »Und den suchen Sie ausgerechnet hier bei uns?« entrüstete sich Argop. Parm tauschte mit seinem Vorgesetzten einen kurzen Blick aus und legte dann die von Ömer geschossenen Fotos auf Argops Schreibtisch. Der Geheimdienstleiter schaute sich die Aufnahmen mit versteinerter Miene an. Für einen Moment sah es so aus, als ob ihn die Bilder ein wenig aus der Fassung bringen würden, doch er bekam sich schnell wieder in den Griff. »Kennen Sie diesen Mann?« fragte Temo ihn scharf. Nur einen Augenblick lang zögerte Tun Argop mit der Antwort. Dann sagte er mit fester Stimme: »Das ist Erl Yobo, ehemaliger Agent des SFT.«
»Ehemalig?« fragte Temo nach. »Wollen Sie behaupten, er arbeitet nicht mehr für Sie?
Soweit ich weiß, gehört er Ihrem persönlichen Stab an.«
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»Gehörte«, verbesserte ihn Argop nachdrücklich. »Sie sind erstaunlich gut informiert, doch
offenbar kennen Sie nur die halbe Wahrheit. Durch Zufall fand ich heraus, daß Yobo in
schmutzige Geschäfte verwickelt war. Noch bevor ich ihn dazu vernehmen konnte, tauchte er
unter. Nähere Details darf ich Ihnen leider nicht nennen, um den guten Ruf, den der
Geheimdienst in der Bevölkerung genießt, nicht in den Schmutz zu ziehen. Es muß Ihnen
genügen, Streu Terno, wenn ich Ihnen versichere, daß Yobos kriminelle Machenschaften
nichts, aber auch rein gar nichts mit dem SFT zu tun haben. Er ist keiner mehr von uns. Allem
Anschein nach hat er sich einer staatsfeindlichen Verschwörergruppe angeschlossen, deren
Anführer auf unseren Fahndungslisten ganz oben stehen.«
Ömer Giray schüttelte innerlich den Kopf. Tun Argop log und das nicht mal besonders gut.
In diesem Augenblick läutete Stren Temos tragbares Dienstvipho. Der Polizeibeamte staunte
nicht schlecht: Der Anruf kam direkt aus dem Vank.
»Gibt es hier einen abhörsicheren Raum, in den ich mich zurückziehen kann?« fragte Temo
den Geheimdienstleiter.
»Alle unsere Räume sind abhörsicher«, behauptete Tun Argop. »Sie können mein
Ruhezimmer nebenan benutzen.«
Temo begab sich in den Nebenraum und aktivierte das Vipho. Sein Erstaunen wurde noch
größer, als er sah, daß es TradoTräger Gen Punfk höchstpersönlich war, der mit ihm sprechen
wollte.
Bei seiner Rückkehr in Argops Büro wirkte Temo etwas blaß, trotz seiner dunklen Hautfarbe.
»Gen Punfk hat mir den Befehl erteilt, mit allen meinen Leuten das Gelände des SFT auf der
Stelle zu verlassen und mich künftig nicht mehr in Geheimdienstangelegenheiten
einzumischen«, teilte er den anderen mit. »Kommen Sie, Giray, Parm, wir gehen.«
»Wie bitte?« entfuhr es Ömer. »Das kann unmöglich Ihr Ernst sein! Jede Wette, Erl Yobo hält
sich hier irgendwo versteckt.«
»Das spielt keine Rolle mehr, ich bin raus aus den Ermittlungen«, machte ihm der
Kripobeamte deutlich. »Sämtliche Akten
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gehen an den SFT, der die Suche nach Frikks Mördern ohne uns fortsetzen wird.«
Ömer wollte erneut protestieren, doch Kor Parm hielt ihn davon ab.
»Der Befehl eines Vank ist für jeden Tel wie ein göttliches Gebot«, sagte er zu ihm.
»Niemand darf sich dem widersetzen.«
»Darf ich wenigstens erfahren, wie der Vank seine obskure Anweisung begründet hat?«
entgegnete Ömer ärgerlich.
»Gar nicht«, antwortete ihm Streu Terno. »Braucht er auch nicht. Was Gen Punfk anordnet,
wird ohne Wenn und Aber ausgeführt. Hätte er mir befohlen. Sie zu töten, würden Sie dieses
Büro nicht mehr lebend verlassen.«
»... und dann hat er seine Männer vom SFTGelände abgezogen und sämtliche Ermittlungen
eingestellt. Mir legte er nahe, möglichst bald abzureisen, zu meiner eigenen Sicherheit. Ich
hatte auch keinen Grund mehr, länger bei den Tel zu bleiben. Ohne meinen Freund Bor Frikk
und ohne die Hilfe der Kripo konnte ich unmöglich weiterermitteln schon gar nicht im
geheimen. Aufgrund der planetenweiten Fahndung kennt dort inzwischen jedes telsche Kind
mein Gesicht.«
Ömer Giray hielt sich im Büro von Bernd Eylers auf, dem Leiter der Galaktischen
Sicherheitsorganisation. Gleich nach seiner Rückkehr zur Erde hatte er ihn aufgesucht und
ihm ausführlich Bericht erstattet.
»Schade, daß ich nie erfahren werde, was aus den beiden Galgenvögeln geworden ist, die Bor
Frikk und mich im >Rubin< bedroht haben«, fügte er abschließend hinzu. »Wenn es auf
Cromar so was wie eine göttliche Gerechtigkeit gibt, verfaulen ihre Knochen irgendwo in einem verborgenen Grab, das ihnen ihre gewissenlosen Auftraggeber bereitet haben. Manchmal mache ich mir Vorwürfe, und ich frage mich, ob ich Frikks Tod nicht hätte verhindern können. War es wirklich richtig, aus dem Zimmer zu fliehen und ihn mit zwei bewaffneten Männern alleinzulassen? Ich habe einfach keine andere Lösung gesehen. Die Situation war so 60 verworren wie die Gedanken, die mir dabei zusammenhanglos durch den Kopf jagten. Zeitweise wünschte ich mir, es hätte sich >nur< um einen Raubüberfall gehandelt damit wäre ich sicherlich besser fertiggeworden. Bor mußte sterben, weil er mir bei meinen Ermittlungen helfen wollte. Sein Tod war völlig umsonst, denn ich habe nichts von Belang herausgefunden.« Eylers war Realist, kein Träumer oder Wunschdenker. Entsprechend nüchtern fiel auch sein knappes Fazit aus. »Keiner Ihrer bisherigen Aufenthalte auf Cromar war umsonst, Ömer. Sie haben jede Menge kleiner, für sich allein eigentlich unbedeutender Informationen zu einem Gesamtbild zusammengefügt, aus dem hervorgeht, daß der SFT tief in der Sensoriumsaffäre drinsteckt. Mehr noch: Allerhöchste Kreise scheinen in die Sache verwickelt zu sein, bis hinauf in den Vank. Das ist besorgniserregend, aber wir haben derzeit keine Möglichkeit, gegen die Betreffenden vorzugehen.« Damit hatte er alles gesagt, was es von seiner Seite aus zu sagen gab. Eylers war noch nie ein großer Redner gewesen. Ömer Giray nickte zustimmend. Seine Einschätzung der Lage war noch kürzer und klang fast schon poetisch: »Es dräut Gefahr am Horizont.« 61 5. Sie schwiegen. Ihre Fühler vibrierten. Ihre Facettenaugen waren feucht. Einigen lief das Rachensekret über die Kauscheren und tropfte auf den rotbraunen Rumpf schütz, und manchmal mischte sich metallenes Scharren in den Kampflärm und das Stimmengewirr aus der Empfängerbox; immer dann nämlich, wenn einer der Freiwilligen sich das Sekret vom elastischen Leichtmetallmmpfschutz wischte. Zu viert kauerten sie in den Liegeschalen des Steuersegments; einer seiner Söhne vor der Steuerkonsole; er selbst, Pnurrsk, auf dem Sitz des Kopiloten. Weitere neun Freiwillige saßen im Ladesegment des TZC (Anmerkung: Abkürzung für TIrrotZyrrecChinttk. Aus der Verkehrssprache der Zyzzkt übersetzt: Luftbodenpanzer), unter ihnen vier weitere Söhne Pnurrsks. Auch die Kämpfer im Hecksegment wiesen alle Symptome äußerster Anspannung auf, auch sie verfolgten die Stimmen aus dem Funkmodul. Das Zirpen, Fauchen und Zischen ebbte ab, eine einzelne Stimme trat in den Vordergrund: Subkommandant Gwerstns Stimme. Sein in den Rumpf schütz integrierter Sender war aktiviert. »Phase eins der Mission Goldenes Tor abgeschlossen, Verluste etwa vierzehn Prozent, Phase zwei beginnt.« Irgend jemand seufzte, irgend jemand zischte, und einige Freiwillige machten ihrer Erleichterung Luft, indem sie die Fühler oder Kauscheren aneinander rieben. »Still«, zischte Pnurrsk. Der Angriff auf einen schon seit Tagen auf dem Raumhafen der Hauptstadt liegenden Ringraumer war also gelungen. Angeschossen und schwerbeschädigt konnte das Schiff weder starten noch seine schweren Waffen aktivieren. Mit seinen leichten Strahlgeschützen hatte die loyalistische Besatzung die Umgebung des 62 Raumhafens in Schutt und Asche gelegt. Mit hundertzwanzig Freiwilligen hatte Gwerstn das Wrack erobert. Das bedeutete erstens: Der Beschuß der Stadt vom Raumhafen aus hatte
endlich ein Ende, zweitens standen ihnen jetzt mindestens zwanzig Flash zur Verfügung, und drittens konnte Phase zwei des Todeskommandos beginnen: Die Enterung eines der feindlichen Ringraumer im Orbit durch den Ringtransmitter des eroberten Schiffes. »Transmitter funktionstüchtig«, meldete Gwerstn. »Ich gehe jetzt mit der zweiten Truppe.« Dann Stille. Eine entscheidende Phase der Mission begann. Wieder warteten sie, wieder zitterten ihnen Fühler und Kauscheren vor Erregung. Einen der angreifenden Ringraumer hatte Pnurrsk einst selbst kommandiert er kannte dessen Transmittercode. »So könnte es gehen«, hatte Gwerstn gesagt. »Das könnte der Weg sein.« Und nun ging er ihn. Im Hologramm schwankten Bäume, vibrierten Laubdächer, bogen sich Famfelder und Domengestrüpp. Ein Gewittersturm zerzauste das ausgedehnte Waldgebiet zwischen der Hauptstadt und dem Goldenen Hochverehrten des Tores. Mit rötlichen Lichtpunkten markierte der Bordrechner die Stellen, an denen die Ortung die anderen zehn TZC erfaßte. Eine der rotgrün gescheckten Maschinen konnte Pnurrsk keine siebzig Meter entfernt am Ufer eines Tümpels erkennen: Das Kommandosegment glich einer langgestreckten Kuppel, das Transportsegment einer halben, zum Heck hin stumpf zulaufenden Spindel. Ein Kombinationspanzer für Transporte und Kampfoperationen auf feindlichem Gelände. Das Gerät konnte sowohl im Flug als auch im Rollmodus gesteuert werden. Es war mit zwei schweren Strahlgeschützen ausgerüstet. Elf dieser Neuentwicklungen hatten Gwerstns Kämpfer in der Hauptstadtwerft sichergestellt. Auf jedem TZC warteten dreizehn Freiwillige auf den Befehl, Kurs auf den Goldenen Hochverehrten des Tores zu nehmen. Der Himmel war dunkel von Rauch und Gewitterwolken, die sonst weithin sichtbare Gestalt des Goldenen verbarg sich hinter Dunst, Qualm und Feuer. Die Front verlief etwa fünfundvierzig Kilometer entfernt in den Randgebieten des Waldes. Die Loyalisten verteidigten das offene Feld rings um den Goldenen. Mit Ro 63 botergeschützen, Flash und den Waffenarmen der Transmitterstatue. Alles hing jetzt von Gwerstn und seinem Stoßtmpp ab. Endlich meldete sich der Subkommandant. Alle streckten die Fühler aus und stemmten sich halb aus ihren Liegeschalen, als seine Stimme aus dem Empfänger zirpte. »Wir haben das Schiff! Wir kommen! Phase drei beginnt!« Jubel im Steuersegment, Jubel hinten im Ladesegment. Auf allen TZC würde die Kampfmoral jetzt steigen. Pnurrsk schöpfte zum ersten Mal Hoffnung. Er gab Befehl zum Aufbruch. Die elf Kombipanzer pflügten durch den Wald. Auf dem niedrigsten Energiemodus steuerten sie die Front an, den Flugmodus hatte Pnurrsk streng verboten. Auch Funkverbindung, Waffenaktivitäten und Femortung waren untersagt so spät wie möglich sollte der Gegner den kleinen Verband entdecken. Erst wenn Gwerstn mit dem eroberten Schiff über der Front auftauchte, würde Pnurrsk seine Panzer aus dem Wald starten lassen. Kurze Zeit später ging das vereinbarte Funksignal ein. Pnurrsk gab den Befehl, in den Flugmodus zu schalten. Nacheinander stiegen die TZC aus dem Wald und beschleunigten. Ihr Pulk zerfiel, bis sie im Abstand von mehreren Kilometern flogen, einige dicht über dem Wald, andere in den oberen Schichten der Atmosphäre Nttssis. Nur so rechnete Pnurrsk sich eine Chance aus, daß wenigstens einer von ihnen sein Ziel erreichte. Rasend schnell rückten Waldrand, Front, der Goldene Hochverehrte des Tores und sein gigantisches Feld heran. Bald konnte Pnurrsk den eroberten Ringraumer im Hologramm erkennen. Er flog über dem Feld des Goldenen und feuerte aus Nadelstrahlantennen auf die Roboterkanonen, die Panzer und die Infanterie der Loy allsten. Aus den Waffenarmen des Goldenen Hochverehrten des Tores sirrten Nadelstrahlen in das Intervallfeld des Schiffes. Es lief alles nach Plan: Das eroberte Schiff band die Feuerkraft des Goldenen, lenkte die Bewegung der feindlichen Bodentruppen auf sich. »Phase vier der Mission Goldenes Tor
beginnt«, funkte Pnurrsk. »Viel Glück.« Er meinte nicht nur Gwerstn, er meinte die Besatzungen seiner TZCs, er meinte sich selbst. Eine Wand aus Feuer und Qualm stand über der Region, wo der Wald an das Feld des Goldenen grenzte. Pnurrsk ließ die Ortung 64 aktivieren. Wracks brennender Geschütze und Panzer markierte der Rechner auf der topographischen Karte in der Bildkugel, Dutzende, Hunderte! Gwerstns Waffenoffiziere leisteten gute Arbeit. Und jetzt erreichte der erste TZC das Feld des Goldenen! Und im nächsten Augenblick blähte sich eine Glutkugel an seiner Stelle auf. Ein Robotergeschütz hatte ihn geortet und als feindliches Objekt identifiziert. Plötzlich schwirrten Flash durch das Hologramm sieben, acht, ja neun Maschinen meldete der Rechner! Ein TZC, der noch höher flog als der des Flottenkommandanten, eröffnete das Feuer, ein weiterer aus einer Position knapp über dem Boden. An drei Flash leuchteten die Intervalle auf, einer verglühte in einer rot aufleuchtenden Feuerkugel. »Nicht schießen!« zischte Pnurrsk in sein Mikro. Die Flash drehten eine Spirale, gingen in den Sturzflug über und griffen mehrere Robotergeschützbatterien an, die massives Sperrfeuer unweit des Goldenen entfachten. Und wie zur Bestätigung meldete sich das eroberte Schiff: »Ihr beschießt unsere Einheiten, Flottenkommandant!« Gwerstns Stimme überschlug sich vor Erregung. »Feuer einstellen! Feuer einstellen!« Pnurrsks TZC raste in knapp drei Kilometer Höhe dem Goldenen Hochverehrten des Tores entgegen. »Irrtum erkannt«, gab Pnurrsk zurück. Flash des eroberten Ringraumers hatten in den Kampf eingegriffen. »Wir schaffen es!« funkte Pnurrsk. »Wir schaffen es!« Ein weiterer TZC ging verloren, und gleich darauf noch einer und noch einer. Gwerstns Ringraumer und seine Flash schalteten die Robotergeschütze aus, das Sperrfeuer ließ nach. Doch bald wurden die ersten Einheiten des TZCVerbandes von den Waffenarmen des Goldenen unter Feuer genommen. Eine Glutkugel nach der anderen blähte sich auf. Vier Einheiten erreichten schließlich das nördliche Sockelschott. Der Code war nicht das Problem den kannte Pnurrsk als ehemaliger Flottenkommandant selbstverständlich doch als sie in den Sockel hineinflogen, erwartete sie die loyalistische Besatzung des Goldenen, Pnurrsk wußte, daß mindestens sechs seiner Söhne zu ihr gehörten. Alle Verteidiger kämpften, als hätte man ihnen befohlen, ihr Leben zu opfern... 65 Die Verbindung steht. Hugos Stimme meldete sich in Simons Tofiritschädel. Der Hyperkalkulator des Robotraumers hat bestätigt. Er ist jetzt bereit, die Daten aufzunehmen. Gut, dachte Simon. Und an die Adresse seines Hyperkalkulators: Daten komprimieren, auf weitere Anweisung warten. Er richtete seine Optik auf die Bildkugel: Weiße Feuerschlieren waberten durch das Hologramm, Sonnenwind und Eruptionen. Seit drei Tagen hielt sich die Flotte im Schutz der Korona von Leukos IX/VII auf. Grelles Gleißen warf gespenstisches Lichtspiel aus der Bildkugel in das Gewölbe der Kommandozentrale. Manchmal sah es aus, als würden die Wände an einigen Stellen durchsichtig werden, und manchmal, als würden grellweiße Wolken über sie wandern. Simon störte weder das Lichtspiel noch blendete ihn die Wiedergabe des Hologramms. Auf den terranischen und römischen Schiffen dagegen würden sie vermutlich die Helligkeit der Bildkugel heruntergeschaltet haben. »NOREEN WELEAN an POINT OF, ich bin soweit. Kommen.« Über ToFunk stand er mit dem Flaggschiff in Verbindung. »Verstanden«, kam es zurück. Inzwischen erkannte Simon die vielen Besatzungsmitglieder der POINT OF an ihren Stimmen. Diese hier gehörte Glenn Morris, dem Ersten Funker des Flaggschiffs. »Befehl vom Commander: Daten überspielen. Ende.« Der Commander war kein Risiko eingegangen: Aus der Dekkung der Sonnenkorona von Leukos IX/VII hatte er drei Flash unter dem Kommando Dan Rikers in das Sonnensystem
geschickt. Das Späherkommando untersuchte die beiden Gasriesen und den verbotenen Planeten Virm aus einer Entfernung von jeweils hunderttausend Kilometern. Drei Tage Zeit nahm sich der Commander, um alle Daten gewissenhaft auszuwerten. Ergebnis: Auf den Gasriesen gab es weder Kolonien noch irgendwelche Roboterstationen. Auch Satelliten oder Sonden wurden nicht geortet. Virm bot das gleiche Bild wie alle bisher bekannten verbotenen Planeten: idyllische Parklandschaften, ausgedehnte Wälder, ein paar über den gesamten Planeten verteilte, riesige Palastanlagen und ein 66 acht Kilometer hoher goldener Zyzzkt, mit einem Schädel, an dem sich anstelle eines Gesichts eine glatte Fläche wölbte. Erst als Ren Dhark gewiß sein konnte, mit keiner bösen Überraschung rechnen zu müssen, leitete er die heiße Phase der Mission Herz der Dunkelheit ein Simon war jetzt am Zug. Die Daten an den Aufklärungsraumer senden, befahl der letzte Wächter der Worgun seinem Hyperkalkulator. Die Bestätigung kam sofort, durch Simons Kopf rauschten Listen mit Ziffern, Buchstaben und Zeichen der worgunschen Mathematik, seine Optik beobachtete den grünen Lichtbalken auf dem Kontrollschirm rasch wuchs er bis zum Anschlag. Der Transmittercode bestand aus einem hochkomplexen Datenpaket, doch für die Hyperkalkulatoren der NOREEN WELEAN und des Roboteraufklärers war die Übertragung eine Sache von drei Sekunden. Der Hyperkalkulator des Aufklärers hat den Code erfolgreich gespeichert, raunte Hugos Stimme in Simons Kopf. Was uns betrifft, kann es los gehen. Simon gab die Erfolgsmeldung an die POINT OF weiter. Danach richtete er seine Optik wieder auf die Bildkugel. An einer Stelle rissen die Energieschwaden auf, und er konnte die knapp drei Millionen Kilometer entfernte Plasmakugel des Zentralgestims sehen. Leukos IX/VII sah aus wie ein kochender Schneeball. Beiläufig nur registrierte Simon die Zahlenkolonnen in seinem Schädel. Der Hyperkalkulator sendete die neueste Datenaktualisierung: Außentemperatur, Geschwindigkeit des Elektronenwinds, Gammastrahlung und so weiter. Viel mehr interessierten ihn die einunddreißig in violettem Licht eingeblendeten Koordinaten an verschiedenen Stellen der Bildkugel: die Positionen der anderen Ringraumer. Ein Zahlenwert war heikot unterlegt die POINT OF ein anderer blinkte: der Roboteraufklärer. Er bewegte sich. Das automatische Schiff nimmt Fahrt auf, ließ Hugo sich in Simons Schädel vernehmen. Ich sehe es. »Commander an alle«, tönte Dharks Stimme aus dem Bordlautsprecher. Zeitgleich baute das Hologramm die Ansicht seines Oberkörpers und seines Gesichtes auf. »Das Aufklärungsschiff nimmt Kurs auf Virm. Sein Hyperkalkulator wird die goldene Sta 67 tue ansteuern und den Transmittercode senden. Wir folgen dem Aufklärer in achtundzwanzig Sekunden. In einem Abstand von hundertzwanzigtausend Kilometern geht die gesamte Flotte in die Umlaufbahn des Planeten.« Simon bestätigte, Gisol bestätigte, die römischen und terranischen Kommandanten bestätigten. »Tarnschutz aktivieren, noch sieben Sekunden«, sagte der Commander, bevor sein Bild verblaßte. Lichtwogen, Blitze und Energienebel zuckten und schwebten wieder durch das Hologramm. SLEAntrieb, dachte Simon an die Adresse seines Hyperkalkulators. Wie die gesamte Flotte verließ auch die NOREEN WELEAN ihre Deckung in der Korona von Leukos IX/VIL Zwei Stunden später drang der Aufklärer in die Atmosphäre von Virrn ein. Simon steuerte sein Schiff zusammen mit den anderen einunddreißig Einheiten in die angewiesene Umlaufbahn. Der Commander schickte eine Mikrosonde auf den Kurs des Aufklärers. Von der POINT OF aus flog sie in die Planetenatmosphäre hinein. Zehn Minuten vergingen, dann lieferte die Bildkugel jedes Schiffes die ersten Bilder von Virrn.
Simon konzentrierte seine Optik auf das Hologramm. Eine glühende Aura umgab den Robotraumer, die Reibungshitze verhüllte ihn noch. Zahlenkolonnen auf den Nebenschirmen und in Simons Schädel aktualisierten seine Geschwindigkeit, seine Flughöhe und seinen Kurs im Sekundentakt. Der Aufklärer flog im Energiesparmodus und selbstverständlich mit deaktivierten Waffensystemen. Niemand sollte Gründe finden, ihn anzugreifen. Endlich durchstieß die Sonde eine Wolkendecke, die chaotische Oberflächenstruktur des Planeten differenzierte sich in identifizierbare Einzelheiten. Simon erkannte Flüsse, Wälder, Küstenstreifen, einen Ozean, Inseln, wieder einen Küstenstreifen, eine hellbraune Ebene mit schnurgeraden Rändern, und schließlich tauchte am Horizont die Statue auf. Der Robotraumer rückte in das optische Feld der Sonde. Er drosselte noch immer seine Geschwindigkeit, keine Reibungshitze glühte mehr an seiner Oberfläche. Schnell wuchs die Statue, schon konnte Simon den goldenen Insektenkörper erkennen und die sechs Gliedmaßen unterscheiden. Die Schultern und den gesichts 68 losen Schädel verhüllte die Wolkendecke. Die Gigantstatue ruhte auf einem zweitausend Meter hohen Sockel und war selbst sechs Kilometer hoch. Er hat den Transmittercode abgesetzt, hörte Simon die Stimme seines Spindelroboters in seinem Kopf raunen. Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten: »Commander an alle: Der Aufklärer hat den Code gefunkt. Die nächsten Sekunden bringen die Entscheidung, halten Sie sich bereit!« Simon beobachtete Aufklärer und Gigantstatue. Der Robotraumer flog jetzt mit minimaler Geschwindigkeit in Kopfhöhe des Goldenen, nicht einmal zwanzig Kilometer trennten Schiff und ZyzzktFigur mehr. Und dann bewegte sich das obere Armpaar der Statue. Es funktioniert, dachte Hugo in Simons Kopf, der Transmitter reagiert auf den Code. Simon blieb mißtrauisch. Konzentriert verarbeitete sein zentrales Steuersystem jede Bewegung des Goldenen. Während das obere Armpaar sich in den Himmel streckte und spreizte, blieb das untere Armpaar die Waffenarme reglos. Er aktiviert seine Waffenarme nicht, dachte Hugo in Simons Kopf, er baut ganz. friedlich das Transmitterfeld auf... Alle erhoben sich von ihren Sesseln, alle standen sie um die Steuerkonsole der Kommandobrücke, alle beobachteten sie das Hologramm in der Bildkugel. Ein atemberaubendes Schauspiel bot sich ihnen dar, keiner sprach ein Wort. Die Insektenstatue spreizte ihre oberen Goldarme himmelwärts bis in die Wolken, weiße Lichtwellen blitzten zwischen rechten und linken Greifklauen hin und her, die Wolkendecke verfärbte sich gelblich und riß auf, und auf einmal flimmerte ein Energiefeld zwischen den abgespreizten Armen. Es tauchte das obere Drittel des Goldkolosses in gleißende Helligkeit. Die Wolken verflüchtigten sich und gaben den gesichtslosen Schädel der Figur frei. »Er hat das Transmitterfeld aufgebaut«, murmelte Manu Tschobe. »Kaum zu glauben...« »Demnach identifiziert er Schiffe, die über den Code verfügen, 69 automatisch als ZyzzktRaumer.« Amy Stewart dachte laut. »Oder zumindest als Ringraumer von Verbündeten.« »Eine ziemlich gewagte Schlußfolgerung«, sagte Hen Falluta. Der Erste Offizier stützte sich mit den Fäusten auf die Konsole und beäugte das Hologramm aus schmalen Lidern. »Ich glaube das erst, wenn der Aufklärer durch ist.« »Warten wir doch einfach ab.« Mit vor der Brust verschränkten Armen und ausdrucksloser Miene stand der Commander zwischen seinem Sessel und der Konsole. Seine Kaumuskulatur pulsierte, als der Roboteraufklärer den Außenbereich des Transmitterfeldes erreichte. Grelle Blitze zuckten um seinen Ringkörper, ein Netzschleier aus weißem Licht hüllte ihn ein, nur die Konturen eines Ringes sah man noch im Hologramm. Das Roboterschiff erreichte die Position über dem Goldschädel der Statue, und jetzt lösten sich auch die letzten Ringkonturen auf, der Netzschleier aus weißem Licht surrte zusammen,
verdichtete sich, verharrte für Bruchteile von Sekunden als gleißende Kugel über dem
Insektenschädel und inmitten des Energiefeldes und fiel schließlich in sich zusammen.
»Er ist durch!« Arc Doorn schlug mit der Faust in die Handfläche.
»Geschafft! Wir haben es geschafft! Er ist durch!« Sie klopften einander auf die Schultern,
ballten die Fäuste wie im Triumph.
»Auf Ihre Plätze, Ladys und Gentlemen!« rief der Commander. Er selbst saß längst wieder in
seinem Sessel. »Dhark an Funkzentrale!«
»Hört.«
»Aufgepaßt, Morris! Der Hyperkalkulator des Aufklärers muß sich jeden Moment über
ToRichtfunk melden!«
»Wir sind ganz Ohr!« kam es zurück.
Mit den Fäusten auf die Konsole gestützt beobachtete der Erste Offizier noch immer das
Hologramm. »Kann mir einer erklären, warum das Transmitterfeld noch aktiviert ist?«
Ren Dhark hob den Blick, schaute ins Hologramm: Zwischen den ausgestreckten oberen
Goldarmen der Statue flirrte das Energiefeld mit gleicher Intensität wie vor fast einer Minute
schon. Blauer und türkisfarbener Schimmer mischte sich in das Geflim
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mer, der goldene Schädel des Kolosses verdunkelte sich.
»Was zum Teufel geht da ab?!« knurrte Doorn. Seine Finger flogen schon über die Tastatur
seines Arbeitsplatzes. Er aktivierte die Meßinstrumente der Mikrosonde.
»EPOY an POINT OF«, tönte Gisols Stimme aus den Boxen über der Galerie. »Etwas kommt
aus dem Transmitterfeld! Dabei müßte es längst deaktiviert sein!«
»Etwas?« Dhark beugte sich nach vom. »Du meinst, ein Objekt materialisiert sich? Ich kann
nichts erkennen!« Der Kopf des Goldenen glühte rötlich, rötliche Streifen zogen sich über
seinen Hals bis auf seine Brust.
»Materialisiert ist der falsche Ausdruck«, kam es von der EPOY. »Eher würde ich von
>fließen< sprechen. Ja, Energie strömt aus dem Transmitter...«
»Commander an Funkzentrale! Warum höre ich nichts?« Dhark wurde lauter.
»Weil wir nichts hören, Sir.« Morris' Stimme vibrierte.
»Das gibt es doch überhaupt nicht...!« Ren Dhark verstummte was er auf der Bildkugel sehen
mußte, verschlug ihm die Sprache:
Schädel und Schultern der Statue glühten in grellem Rot, der Schädel verformte sich...
»Eine mir unbekannte Energieform strömt aus dem Transmitter!« Erneut Gisols Stimme.
»Eine Art Hyperenergie...«
Wieder erhob sich einer nach dem anderen von seinem Sitz, wieder starrten sie die Bildkugel
an, dieses Mal ungläubig und fassungslos. »Seht euch das an«, murmelte Manu Tschobe.
»Das Ding brennt...«
»Setzen Sie sich mit der POINT OF in Verbindung, Livius.« Gisol ließ die Bildkugel nicht
aus den Augen. Der Kopf der Statue schmolz buchstäblich ab. »Bitten Sie um direkten
Zugang zu den Daten der Mikrosonde. Ich brauche genau Ergebnisse.« Der neue Mann an
Gisols Seite bestätigte. Die fünf Römer hatten ihren Wachplan so ausgearbeitet, daß jeder
einmal zusammen mit dem berühmten Rebellen Dienst tat.
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Die Blicke des Worgun flogen zwischen der Bildkugel und den ersten Meßdaten des
Hyperkalkulators hin und her, als würde er seinen Augen nicht trauen. Türkisfarbene
Flammen schlugen aus dem Energiefeld zwischen den Goldarmen. Geschmolzenes Gold floß
am Oberkörper der Statue hinunter, hier und da löste sich das brennende Metall, schoß aus
dem Energiefeld und stürzte über Tausende von Metern in die Tiefe. Da, wo das glutflüssige
Gold im Sockel und am Boden aufschlug, loderten Flammen.
»Haben Sie die Aufnahme aktiviert?« wandte Gisol sich an den Römer.
»Die Szene wird aufgenommen, das Bildmaterial inklusive sämtlicher Daten in den gewünschten Verzeichnissen Ihrer Datenbank gespeichert, Kommandant Gisol.« »Gut. Was sagen uns die Taster?« »Im Zentrum des Transmitterfeldes messe ich über vierzehntausend Grad Celsius, die Temperatur steigt kontinuierlich. Ich messe außerdem ein starkes Magnetfeld, nicht nur im Brandzentrum, sondern auch an den neuen Brandherden im Sockel und im ihn umgebenden Feld.« Gisol war ratlos. Ein solches Phänomen kannte er nicht. »Die Daten aus der Mikrosonde gehen ein, Kommandant!« rief Livius. Eine weitere kleine Anzeige auf der Konsole leuchtete auf, die Verbindung mit der Sonde stand. Zahlenreihen liefen über den Monitor: chemische Analysen, Angaben über Temperaturen, Dichte, Strahlungsarten, Magnetfeldstärken und so weiter. »Verbindung mit der POINT OF! Ich muß den Commander sprechen!« Gisol starrte in die Bildkugel. Schultern und Brust des Goldkolosses glühten rötlich, türkisfarbene und weiße Flammen hüllten die Oberarme und den Unterleib ein. In immer größeren Massen flutete die fremde Energie aus dem Transmitter, der Brand fraß sich durch die goldene Statue, verflüssigte das Edelmetall, brachte es zum Sieden. Flammen hüllten den Sockel des Goldenen ein, rötlicher Qualm stieg an seinen Unterschenkeln hinauf. »Was sagst du dazu, Gisol?« meldete Ren Dharks Stimme sich aus den Energiefeldem der Schallerzeuger. »Energie aus dem Hyperraum. Frag mich nicht, was für eine Art von Energie. Wir können hier starke Magnetfelder messen, das 72 spricht für Unmengen zerfallender Myonen.« Gisol fixierte die Anzeige mit den aktuellsten Daten aus der Mikrosonde. »Dazu immens beschleunigte Elektronen und Protonenströme. Die Myonen sind negativ geladen, das deutet auf Antimaterie hin...« »Ich verbinde dich mit unseren Astrophysikern«, sagte Dhark, Gisols Blick heftete sich wieder auf das Hologramm. Mit bloßem Auge konnte man jetzt erkennen, wie die energetischen Prozesse sich beschleunigten. Der linke, untere Arm der Statue hob sich langsam, verbog sich schließlich und löste sich vom brennenden Koloß. Einen Schweif aus Feuer und Rauch hinter sich herziehend rauschte er in die Tiefe. Der Aufschlag sprengte einen Krater in die glatte Ebene rings um den Sockel. Aus ihm schoß eine gewaltige Fontäne aus Gestein, geschmolzenem Gold, Erde und Feuer. »Hier spricht die astronomische Abteilung der PODMT OF«, tönte eine Männerstimme aus den Boxen. »Mein Name ist Spence Claus Bentheim, ich bin Astrophysiker. Wir stehen hier auf dem Schlauch, Mr. Smith. Wenn Sie mich fragen, bringt die Energie aus dem Transmitter sämtliche Atome zum Rotieren, mit denen sie in Berührung kommt. Habön Sie die schweren Elektronen bemerkt?« »Die Myonen, natürlich«, sagte Gisol. »Eine Kettenreaktion, wenn Sie mich fragen. Haben Sie auch die Gammastrahlung gemessen? Ähnelt einer nuklearen Kernreaktion, das Spektakel da unten...« Gisol konzentrierte sich auf die Daten von der Sonde. Tatsächlich gab es da unten signifikante Gammastrahlung; und einen wahren Orkan atomarer Teilchen. »... als würde das verdammte Zeug aus dem Transmitter alle Materie, die es kontaminiert, in ihren Urzustand zurückführen. Mit ein bißchen Glück können wir hier gleich den Big Bang in natura studieren. Maßstab eins zu was weiß ich wieviel. Was meinen Sie, Kollege Smith...« Bentheim verstummte plötzlich, und Gisol hob den Blick: Die verbliebenen drei Arme der Statue rasten in die Tiefe. Es sah aus, als würden brennende Raumschiffe abstürzen. Die Einschläge sprengten Massen von Fels und Gold und Staub aus dem Boden
74 und dem Sockel, ein Wirbel aus Geröll, Rauch und Feuer stieg in den Himmel, verhüllte die Statue bis zu den Knöcheln, bis zu den Knien, bis an die Hüften. »Das Transmitterfeld ist zusammengebrochen...!« schrie Livius. »Ich kann es nicht mehr messen!« Gisol spähte in die Bildkugel tatsächlich: Keine Spur mehr von einem Transmitterfeld, der Augenschein bestätigte die Meßdaten. »Die Statue brennt weiterhin«, meldete der Römer, und wie zur Bestätigung mischte sich Bentheim von der POINT OF aus ein: »Elektronen und Protonenwinde nehmen zu, dort unten verwandeln sich Gestein und Metall in einen Molekülbrei, und der Molekülbrei in eine Atomsuppe...!« Gisols Augen suchten die Anzeige mit den Daten der Sonde. Es stimmte: Auch Gamma und Magnetfeldfeldstrahlung nahmen kontinuierlich zu, der Anteil der negativ geladenen Myonen sogar beunruhigend schnell. Schweigend beobachteten Gisol und der Römer das energetische Schauspiel in der Bildkugel. Das weitete sich zu einem apokalyptischen Drama aus: Schneller als zuvor das Gold brachte die exotische Energie das Gestein der weiten Ebene rund um die Statue zum Glühen und zum Sieden. Die ersten Flammen erreichten den Wald. Die Statue zerfloß wie eine Kerze im Feuer, Ströme kochenden Goldes ergossen sich in die Flammen, die aus dem Gelände um den Sockel schlugen, und fachten sie noch heftiger an. »Commander an alle Einheiten.« Ren Dharks Stimme erfüllte das Gewölbe des Kommandostandes. »Immer noch kein Richtfunksignal von unserem Aufklärer. Wir müssen davon ausgehen, daß er verloren und unsere Mission gescheitert ist. Manu Tschobe vertritt die These, daß der Brand auf dem Planeten von selbst aufhört, sobald die Fremdenergie sich verbraucht hat. Bitte lassen Sie diese These von Ihren Hyperkalkulatoren durchrechnen.« Gisol brauchte nicht lange rechnen. »Die These erscheint mir, gelinde gesagt, ein wenig blauäugig zu sein. Nach meinen Daten transformiert die Fremdenergie sämtliche Materie, die sie dort unten erwischt, in Energie ihrer Art, meiner Meinung nach in Hyperenergie. Das heißt: Der Energienachschub hört nicht auf, bis der 75 Weltenbrand dort unten keinen Zündstoff in Form von Materie mehr hat.« Schweigen auf allen Frequenzen. Das Schaubild mit den Sondendaten erlosch. Die Bildkugel verblaßte und baute sofort ein neues Hologramm auf. Es zeigte den von seiner weißen Sonne angestrahlten Planeten Virm. An einer Stelle glühte die Atmosphäre rötlich. »Kontakt mit der Mikrosonde abgerissen«, meldete die Funkzentrale der POINT OF. Alle einunddreißig Schiffe richteten ihre Teleskope und Ortungsgeräte auf den Planeten. Nach zwei Stunden erwies es sich, daß Gisol recht behalten würde: Der energetische Prozeß auf Virm verlor sich keineswegs im Nichts, ganz im Gegenteil: In jeder Minute schien sich die Geschwindigkeit, mit der er voranschritt, zu vervielfachen. Bald war die Atmosphäre der verlorenen Welt bis auf wenige glutrote Stellen tief schwarz. »Commander an alle: Wir verlassen das System mit SLEAntrieb.« Während die Flotte die Gasriesen hinter sich ließ, beobachtete Gisol Virm und seine Sonne. Gewaltige Eruptionen schössen aus der Oberfläche von Leukos IX/VII. Die Navigatoren sämtlicher Schiffe meldeten Veränderungen in den Gravitationsfeldern der Gasriesen. Als Virm schließlich in einer gewaltigen Explosion verpuffte, rissen die freiwerdenden Gravitationskräfte den inneren der beiden Gasplaneten aus seiner Umlaufbahn... 76 6. Einen Tag und eine halbe Nacht lang kämpfte Pnurrsks Stoßtrupp um die Kontrolle über den Goldenen. Mit zweiundfünfzig Freiwilligen drang der Flottenkommandant in den Sockel ein. Alle wesentlichen Generatoren, der Zentralrechner und die Energieund Transmitterzentrale waren darin untergebracht.
Mit einunddreißig Kämpfern eroberte er Stunden danach die Energie und Transmitterzentrale. Als die loyalistische Besatzung der Waffenleitstelle sich ergab, lebten noch vierundzwanzig Mann seines Kommandos, und als endlich das letzte Schott unter ihrer Kontrolle war, kommandierte Pnurrsk noch siebzehn Kämpfer. Genug, um den Goldenen Hochverehrten des Tores zu kontrollieren und wenigstens vorübergehend zu halten. Zunächst nahmen sie die vier Ringraumer im Orbit unter Beschuß, die in den letzten Tagen zusammen mit dem eroberten Schiff durch den Transmitter in das heimatliche Sonnensystem gekommen waren. Die Waffenarme des Goldenen Hochverehrten des Tores verfügten über die Feuerkraft von mindestens sieben Ringraumern. Hinzu kam die Kampfkapazität des Ringraumers, den Gwerstns Kommando inzwischen kontrollierte. Gemeinsam schafften sie es, die Flotte der LoyalistenRaumer hinter den Horizont zu zwingen. Das wiederum verschaffte den Truppen in der Hauptstadt neuen Spielraum. Außerhalb der Reichweite von Ringraumerwaffen warfen sie die loyalistischen Truppen bis an die Stadtgrenzen zurück. Die geheimen Waffenfabriken steigerten ihre Produktion. Die Umgebung des Goldenen Hochverehrten des Tores war auf einmal frei von feindlichen Verbänden, die Front um mehr als hundertachtzig Kilometer nach Norden gerückt. Kurz: Am Morgen nach der Eroberung des Goldenen standen alle Zeichen auf Sieg. Noch im Morgengrauen setzte der Hauptstadtkommandeur einen 77 Verband aus siebzehn Flash und dreiundzwanzig TZC in Bewegung. Gegen Mittag sollten die Entsatztruppen das Südschott des Goldenen Hochverehrten des Tores erreichen und die Besatzung verstärken. Pnurrsk selbst plante, das Kommando über das eroberte Schiff zu übernehmen. Fünf Stunden noch bis dahin. Der Flottenkommandant nutzte die Zeit, um die Datenbanken durchzuforsten. Er wußte genau, wonach er zu suchen hatte. Einer der überlebenden Offiziere war ein Enkel von Pnurrsk. Er hatte zwei Jahre lang als Kommandant Dienst in der Energiezentrale des Goldenen Hochverehrten des Tores getan. Die Datenbanken der Zentrale waren ihm vertraut. Dennoch dauerte es drei Stunden, bis sie auf Dateien stießen, die Pnurrsk allein durch ihre Unauffälligkeit ins Auge stachen. Sie waren als Entwürfe für Gemüsefarmen deklariert und stammten aus dem letzten Jahr, wenn man dem Datum der Dateiinformation glauben wollte. In den letzten sechs Jahren waren keine neuen Gemüsefarmen geplant worden. Sie versuchten, die Blaupausen zu öffnen, und siehe da: Der Zentralrechner verlangte einen Zugangscode. Sie knackten den Code, und siehe da: Die Gemüsefannentwürfe waren verschlüsselt. Inzwischen hatte sich der Fund herumgesprochen. Die Hälfte der Waffenleitstandsbelegschaft versammelte sich um Pnurrsk und den ehemaligen Kommandanten des Goldenen Hochverehrten des Tores. Einer der Kämpfer war Funkspezialist, ein zweiter Historiker und ein Enkel Pnurrsks. Beide entschlüsselten die angeblich so aktuellen Entwürfe, und sie stellten sich als eine jahrtausendealte, reichbebilderte Chronik heraus. Die Kämpfer beugten sich über den Sichtschirm, blätterten, betrachteten, staunten. Schier unglaubliche Fakten mutete ihnen der Fund zu. Bald begannen ihre Fühler zu vibrieren, und einige stimmten ein Gezirpe an, als würde man ihnen die Hinterleiber zertreten. »Das hier ist eine galaktische Sprengladung«, sagte Pnurrsk und seine Stimme zitterte vor Erregung. »Das hier wird eine neue Zeitepoche in der Galaxis Om einleiten...« »Wir werden angegriffen!« Der Hilfeschrei aus der Energiezentrale riß sie in die Gegenwart zurück. »Ringraumer über Nttssl! Fünfundsiebzig neue Ringraumer über Nttssl! Sie greifen an!« 78 »Kopier das!« befahl Pnurrsk seinem Enkel, dem ehemaligen Kommandanten des Goldenen. Er selbst hastete in die Waffenzentrale. Das Hologramm zeigte eine Flotte von fünfzig Ringraumem, deren Intervallfelder in der Atmosphäre von Nttssl aufglühten. Fast gleichzeitig eröffneten sie das Feuer und griffen den Gol' denen Hochverehrten des Tores und Gwerstns
Schiff mit Mix4 an. Die Schutzsysteme der Statue wurden bis an ihre Grenzen belastet, merkwürdigerweise aber auch nicht darüber. Es war, als wollten die Angreifer die Energiekapazitäten des Goldenen nur binden, ihn auf diese Weise neutralisieren, ihn aber keineswegs zerstören. Den ehemaligen Flottenkommandanten wunderte das nicht im geringsten. »Gwerstn!« Pnurrsk Kauscheren rieben gegeneinander. »Sie haben es auf Gwerstns Schiff abgesehen!« Im Hologramm sah man die Umrisse des eroberten Ringraumers hinter einem Vorhang aus Feuer. Gwerstn hatte längst das Intervallum aktiviert und versuchte im Boden zu versinken, um unter der Planetenoberfläche zu entkommen. Doch dem Beschuß von fünfzig Angreifem hielt das Intervallfeld nicht stand. Es brach zusammen. Der schon halb im Boden steckende Raumer wurde aus dem Zwischenkontinuum gerissen, seine bereits im Feld versunkene Hälfte materialisierte gleichsam unterirdisch. Riesige Platten des künstlichen Feldes brachen aus dem Boden, richteten sich am Rand des Ringraumers und aneinander auf. Das Schiff zerbrach unter dem Druck des Gesteins, seine Trümmer explodierten unter dem Beschuß der Angreifer. Kurz darauf meldete die Energiezentrale feindliche Bodenverbände aus allen Himmelsrichtungen. Von fern hörte Pnurrsk eine dumpfe Detonation. Ihm war, als würde der Boden unter seinen Füßen erzittern. »Das Nordschott ist explodiert!« meldete die Energiezentrale. »Mindestens siebzig Eindringlinge!« Panik jagte Pnurrsk das heiße Blut durch Schädel und Hinterleib. »Die Dateien! Wir müssen Sie retten!« Er riß das Mikro unter seine Kauscheren. »Kommandant an Energiezentrale! Konzentriert alle verfügbare Energie auf den Funk! Wir jagen einen Hilferuf durch den Hyperraum!« »Wer soll uns denn hören!?« schnarrte der Funkspezialist. »Wer, 79 Flottenkommandant, wer?! Da ist niemand!« »O doch!« zischte Pnurrsk. »Da ist jemand! Tu, was ich dir sage! Alle anderen werfen sich den Eindringlingen entgegen!« Er diktierte der Funkzentrale den Wortlaut des Notrufes und sprang danach zurück in die Transmitterabteilung, wo der ehemalige Kommandant des Goldenen Hochverehrten des Tores vor den Kontrollen saß und sich anschickte, die Geheimdatei mit der Uraltchronik zu kopieren. »Warte noch!« rief Pnurrsk ihm zu. »Warte, bis sie den Notruf abgesetzt haben! Sie benötigen sämtliche Energiereserven...!« Die Beleuchtung flackerte, Schneegestöber auf dem Sichtschirm des Rechners, und dann die Meldung. »Notruf abgesetzt!« »Jetzt!« rief Pnurrsk. »Jetzt die Daten...!« Wieder flackerte die Beleuchtung, der Sichtschirm erlosch, es wurde dunkel, vollständig dunkel. »Sie haben das Hauptaggregat deaktiviert«, flüsterte eine Stimme aus der Finsternis... Siebenundzwanzig Astronomische Einheiten von Leukos IX/VII entfernt kamen Manlius, Gisol und Simon über Ringtransmitter an Bord der POINT OF. Sie saßen um die Steuerkonsole des Kommandostandes unter der Bildkugel und hielten Kriegsrat. Ren Dhark wirkte nicht nur niedergeschlagen, er war es auch. »Die Mission Herz der Dunkelheit ist gescheitert«, eröffnete er die Kommandeurskonferenz. »Nun geht es darum, mit kühlem Kopf die nötigen Schlüsse zu ziehen und dann zu entscheiden, wie wir weitermachen.« »Die Wimmelwilden müssen die Gefahr eines Angriffs über die Giganttransmitter einkalkuliert haben«, sagte Gisol. »Die Wimmelwilden oder ihre Herren«, korrigierte Manlius. »Wer auch immer dahintersteckt: Den Weg über die Transmitter hat er wirkungsvoll blockiert. Nach Einschätzung meiner Astrophysiker wird es Jahrtausende dauern, bis das System von Leukos IX/VII wieder zur Ruhe kommt.« Niemand widersprach dem Römer. Aus der eigenen Astronomi 80
schen Abteilung wußte der Commander, daß der Gasriese vermutlich eine neue Umlaufbahn finden würde. Auf Grund seiner letzten Berechnungen prognostizierte Bentheim etwa dreizehn Jahrtausende, bis dieser Prozeß abgeschlossen sein würde. Was allerdings geschah, wenn der Planet dann einen erheblichen Teil seiner Masse einbüßte, wagte Bentheim nicht vorauszusagen. »Es beunruhigt mich, wie kaltblütig und wie gezielt sie mit Hyperenergie operieren.« Der Worgun untertrieb bewußt: Es beunruhigte ihn nicht, es entsetzte ihn. »Wir könnten natürlich versuchen, die Koordinaten des Zentralplaneten aus den Datenbanken der EPOY zu rekonstruieren. Immerhin waren wir schon einmal in ihrem Sonnensystem.« Eine Reise, an die Ren Dhark sich nicht gern erinnerte. Er wußte heute nicht mehr zu sagen, wie sie es damals geschafft hatten, ihr nacktes Leben und die schwerbeschädigte EPOY zu retten. »Ich rate dringend davon ab«, ließ sich Simons Sprachmodul vernehmen. »Mit einunddreißig Schiffen ins Herz der Finsternis vorzustoßen, wäre wider alle Vernunft.« »Du vergißt, daß es dort mit großer Wahrscheinlichkeit kein insektoides Leben mehr gibt, Wächter«, widersprach der Worgun in Menschengestalt. »Außerdem sind wir in der vorzüglichen Lage, zehn kampfstarke OvoidRingraumer aus den Werften von Terra Nostra zu unserer Flotte zählen zu dürfen...« »Ich möchte ausdrücklich zu Protokoll geben, daß ich diesen Vorschlag für halsbrecherisch halte!« brauste Manlius auf. »Ich lehne ihn ab!« Gisol winkte mit ärgerlicher Geste ab, und Dhark schüttelte müde den Kopf. »Nein, wir sollten zurück nach Gardas fliegen und eine Großoffensive vorbereiten...« »Hyperfunkimpuls eingegangen!« Glenn Morris9 Stimme dröhnte aus den Bordlautsprechem. Er sprach schnell und ziemlich laut für seine Verhältnisse. »Ein extrem starker Impuls auf offener Frequenz! Die Botschaft muß ja von einem Spiralarm Oms zum anderen hallen!« Ren Dhark sprang auf. »Der Aufklärer? Hat der Aufklärer sich doch noch gemeldet?!« Die anderen von Simon abgesehen sa 81 ßen jetzt kerzengerade auf den Kanten ihrer Sessel. »Nein«, kam es aus der Funkzentrale. »Eine Nachricht in der offiziellen Verkehrssprache der Zyzzkt.« »Auf offener Frequenz? Unverschlüsselt?« Gisol schnitt eine skeptische Miene. »Ausgeschlossen!« »Der Hyperfunkimpuls ist wirklich unglaublich intensiv...!« Der Erste Funkoffizier konnte sich kaum beruhigen. »Er muß über einen jener Gigantsender abgestrahlt worden sein, wie wir ihn von Babylon her kennen!« »Schicken Sie uns den Text auf die Monitore, Morris!« Dhark wandte sich an Gisol. »Dein Job, Erhabener!« Der Worgun beugte sich über eines der Anzeigefelder, auf dem der Hyperfunkimpuls die Gestalt eines Textes angenommen hatte. »Tatsächlich, die Sprache der Wimmelwilden, sogar ihre Koordinaten haben sie in die Galaxis hinausposaunt...« »Lesen Sie die Botschaft bitte vor«, forderte Manlius ihn auf. Gisols Lider verengten sich, er schürzte die Lippen und stieß ein bitteres Lachen aus. »Eine Falle, eine billige Falle!« »Bei allen Göttern Oms, lies endlich!« rief der Commander. »Also gut. >An die Regierung von Terra Nostra, an Gisol den Schlächter, und an alle freien Intelligenzen, die den Glauben an Frieden und Freiheit in Om noch nicht aufgegeben haben... <« Er hob den Blick von der Anzeige, blickte erst dem Römer, dann dem Commander ins Gesicht. Dhark bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung weiterzulesen. Mit dunkler Stimme fuhr Gisol fort. >»Millionen von Zyzzkt auf dem Planeten Nttssl und seinen Kolonien rütteln am Joch der Tyrannen. Die Freiheit leuchtete für wenige Tage am Horizont auf, wie der
untergehende Abendstem. Und er sinkt tatsächlich, der Stern der Hoffnung. Mit hundertfacher Überlegenheit wollen sie uns zurück unter ihre Fersen zwingen. Ohne eure Hilfe werden wir untergehen... <« Der Worgun räusperte sich, hob kurz den Blick, um seinen terranischen Verbündeten zu mustern, las dann mit belegter Stimme weiter: »>Ich wiederhole: Ohne Eure Hilfe werden wir untergehen. Und mit uns das Geheimnis der Tyrannen von Orn.<« Manlius war bleich vor Erregung. Die Kaumuskeln des Commanders pulsierten. Manu Tschobe, Arc Doorn, Amy Stewart und 82 der Erste Kommandant hatten sich erhoben und waren nähergetreten. Keiner sprach ein Wort, für lange Sekunden herrschte Schweigen. Gisol brach es als erster. »Glaubt mir, es ist eine Falle...« Die Diskussion führte zu nichts: Gisol und Simon hielten die Botschaft für einen Köder, Ren Dhark und Manlius drängten darauf, die angegebenen Koordinaten anzufliegen. Sie konnten sich nicht einigen. Der Commander aber wollte nicht noch mehr Zeit verlieren kurzerhand nahm er über ToRichtfunk Kontakt mit Terra Nostra auf, bat den Konsul und den Raummarschall um Unterstützung seiner Position und um mindestens fünftausend OvoidRingraumer als Geleitschutz. Die Nachrichten aus der Gaswolke klangen jedoch mehr als beunruhigend. Martins ließ sich von seinem Flaggschiff aus zu allen mit Römern besetzten Schiffen der kleinen Flotte schalten. Er unterrichtete Dhark, Gisol, den Wächter Simon und seine Kommandanten über bedrohliche Vorstöße der Zyzzkt in die Außenbezirke der Gaswolke. »Während fünfzigtausend Ringraumer der Zyzzkt in großen Verbänden wenige Astronomische Einheiten von der Wolke entfernt patrouillieren, sind viertausend feindliche Ringraumer in die Wolke eingedrungen...« »Was sagen Sie da. Raummarschall?« So fest umklammerte Manlius die Armlehnen seines Sitzes, daß seine Fingerknöchel weiß unter der Haut hervortraten. »ZyzzktEinheiten manövrieren innerhalb der Wolke?!« »Es sind vermutlich Schiffe ohne Besatzung; neuentwickelte Modelle, wenn unsere ersten Analysen korrekt sind. Ihre Hyperkalkulatoren steuern sie, und es ist nicht schwer auszumachen, was die ZyzzktRechner suchen: Sie wollen die XeFlash aufspüren, auf denen wir die Generatoren installiert haben, die das Schutzfeld aufrechterhalten. Offenbar versuchen sie, eine Einflugschneise durch die Wolke freizuschießen.« »Das ist... das wäre eine Katastrophe«, flüsterte Manlius. 83 »Noch ist nichts verloren«, beschwichtigte der Raummarschall von Terra Nostra. »Wir verfügen inzwischen über annähernd fünfundzwanzigtausend fabrikneue Ovoidraumer. Aber ich kann auf keine einzige Einheit verzichten, wir müssen die Robotraumer ausschalten, bevor sie unser Schutzfeld ernsthaft gefährden. Das müssen Sie verstehen, Commander Dhark, ich kann Ihnen keine Verstärkung schicken.« Der Commander versuchte seine Enttäuschung hinunterzuschlucken. »Gisol und Simon halten das Funksignal für eine Falle«, sagte er mit tonloser Stimme. »Diesem Standpunkt können weder der Konsul noch ich uns anschließen«, entgegnete Martius. »Bedenken Sie die Parallelität der Ereignisse, verehrter Gisol.« Er wandte sich direkt an den Worgun. »Nach unserer Einschätzung greifen die Zyzzkt nicht zufällig ausgerechnet in diesen Stunden an. Sie wollen verhindern, daß wir den Rebellen zur Hilfe kommen.« Eine Zeitlang schwieg die Stimme aus dem Bordlautsprecher. »Sie kommandieren einen autonomen Verband, Commander Dhark«, sagte der Raummarschall schließlich. »Sie müssen selbst entscheiden, was Sie tun. Viel Glück!« Die Verbindung brach ab. Ren Dhark fixierte den Worgun. »Was sagst du. Geheimnisvoller?«
»Du bist der Commander.« Der Unwille in seiner Stimme war unüberhörbar, aber ein
Widerspruch klang anders.
»Und du?« wandte Ren Dhark sich an die Tofiritgestalt des letzten Wächters der Worgun.
»Gisols Weg ist mein Weg.«
»Also gut.« Der Commander erhob die Stimme. »Geben Sie die Koordinaten dieses Planeten
an sämtliche Einheiten durch, Morris. Wir werden den ZyzzktRebellen helfen...«
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7. In zwei TZC gelang ihnen die Flucht. Pnurrsks Enkel, der ehemalige Kommandant der Basis im Goldenen Hochverehrten des Tores, und der Funkspezialist flogen voraus. Aus irgendeinem Grund nahm Pnurrsk den zweiten noch intakten Panzer und flog allein. Die Umgebung des Sockels war ein Hunderte von Quadratkilometern weites Schlachtfeld. Tief über dem Boden fliegend manövrierten sie die TZC durch Krater und zwischen ausgebrannten Robotergeschützen und riesigen Trümmerteilen des eroberten Schiffes hindurch nach Süden. Irgendwo dort verlief jetzt die Front, und zwar mitten im Wald und keine achtzig Kilometer entfernt von der Hauptstadt. Pnurrsk steuerte einen Zickzackkurs und achtete darauf, genügend Distanz zu dem vorausfliegenden Fahrzeug zu halten. Das rettete ihm das Leben, denn plötzlich fiel der Schatten eines Ringraumers auf das Trümmerfeld. Pnurrsk drehte eine Schleife, drosselte die Geschwindigkeit und bohrte sein Gefährt unter zwei Gesteinsblöcke, die sich Eisschollen gleich aneinander aufgebäumt hatten. Dort verließ er den Panzer, rannte in der Deckung von schwarzen Gesteinsbrocken und Trümmerteilen zum Wrack eines Robotergeschützes. Ein paar hundert Meter entfernt bohrte sich ein nadelfeiner, rosafarbener Strahl in den ersten TZC. In Sekundenschnelle löste sich das schwere Gerät in seine Atome auf und verglühte. Und mit ihm die beiden Gefährten; die letzten Facettenaugen, außer seinen, die jene geheime Datei gelesen, die letzten Hirne, außer seinem, die das Ungeheuerliche gespeichert hatten. Kurz darauf zischten Nadelstrahlen aus der Unterseite des über dem Schlachtfeld stehenden Ringraumers auch in die Gesteinsplat 85 ten, unter denen Pnurrsk seinen TZC versteckt hatte. Seine Atome vermischten sich mit denen des Gesteins. Der Ringraumer stieg in den Himmel. Den einsamen Pnurrsk hatte die Ortung nicht erfaßt. Er war allein. Allein mit dem schrecklichen Geheimnis; der letzte Zeuge praktisch, denn im Sockel des Goldenen Hochverehrten des Tores hatten die Loyalisten jeden getötet, der sich ihnen in den Weg stellte. Den Rest des Tages und die Hälfte der folgenden Nacht verbrachte er im Geschützwrack. Manchmal blähten sich im Süden Glutkuppeln auf, manchmal hörte er das Donnern von Explosionen, manchmal rollten gepanzerte Verbände und feindliche Geschützbatterien vorbei. Mitten in der Nacht machte Pnurrsk sich auf den Weg Richtung Wald. Das Geheimnis war es, das ihn vorantrieb. Es ging nicht um ihn. Was bedeutete sein Leben noch, was sein Name und sein Rang? Nichts gemessen an der Tragweite der Information, die er in seinem Gehirn mit sich trug. Er mußte sein Gehirn, er mußte das darin gespeicherte Geheimnis retten. Er war der letzte Zeuge, er hatte die Pflicht zu überleben. Kurz vor Sonnenaufgang erreichte er den Wald. In der Deckung des Unterholzes wagte er es, sein im Rumpf schütz integriertes Funkgerät zu aktivieren. Zunächst hörte er einfach nur den Funkverkehr der aufständischen Truppen ab. Die Front hatte sich tief in den Wald zurückgezogen, nur noch dreiundfünfzig Kilometer trennte sie inzwischen von der Hauptstadt. Dort arbeitete man noch immer in den unterirdischen Fabriken am neuen Waffensystem und produzierte TZC in geheimen Werften. Doch drei Ringraumer der
Loyalisten kreisten mit aktivierten Waffensystemen zehn Kilometer über der Stadt in der Stratosphäre. Ein Ultimatum war an den Hauptstadtkommandanten gegangen: Kapitulation bis spätestens Sonnenuntergang, oder die Hauptstadt würde sich im Laufe der kommenden Nacht in einen einzigen Krater verwandeln. In einen einzigen Krater... Pnurrsk setzte einen kodierten Funkspruch ab. Gegen Mittag nahm ein Flash der Aufständischen ihn an Bord. 86 »EPOY an POINT OF.« Livius Primus stand mit verschränkten Armen neben seinem Kopilotensessel vor der Steuerkonsole. Gisols Hyperkalkulator hatte seine Datenbanken durchforstet und den Planeten identifiziert. »POINT OF hört«, sagte Fallutas Stimme aus den Boxen. »Wir sind gespannt.« Der Worgun selbst saß in Gestalt Jim Smiths in seinem Kommandantensessel. Er wirkte irgendwie unbeteiligt und betrachtete die Bildkugel aus halbgeschlossenen Augen. Ein Lichtschleier voller Sterne funkelte im Hologramm und vor seinem Hintergrund die farbigen Positionsmarkierungen der anderen dreißig Einheiten. Mit aktivierten Intervallfeldem und im Stemensogmodus steuerte die Flotte die Koordinaten an, die der galaktische Notruf durchgegeben hatte. Siebenhundertzwanzig Lichtjahre lagen bereits hinter ihr. »Der Planet gehört zu einer Sonne namens Bolar«, sagte Livius Primus. »Jedenfalls nennen alte WorgunStemkarten sie so. Entfernung von unserer aktuellen Position: zweitausendsiebenhundertdrei Lichtjahre...« Der Worgun hatte seinem Subkommandanten den Auftrag gegeben, den Commander zu informieren. Ren Dhark würde das Signal schon richtig verstehen: Vernunft und Befehl geboten zwar, das Sonnensystem Bolar anzufliegen, Erfahrung und Gefühl aber verboten es Gisol zugleich, einem Notruf irgendwelcher Zyzzkt Folge zu leisten, und säßen sie noch so tief in der Kloake. Irgendwie würden sie es schon verdient haben. »... einundzwanzig Planeten kreisen um Bolar, der Notruf kam von Planet vier, einer Sauerstoffwelt von der Größe Terra Nostras.« Livius Primus war von eher kleiner, dafür aber bulliger Gestalt, ein ausgesprochenes Muskelpaket. Sein breites Kinn war bartlos, und er trug sein rotbraunes Haar auffällig kurzgeschoren. »Die Worgun nannten den Planeten Bolar IV, bei den Wimmelwilden heißt er Nttssl.« Der junge Neurömer stieß einen Zischlaut aus. »Wie bitte war der Name?« kam es von der POINT OF. Ein &7 amüsierter Unterton schwang in Fallutas Stimme mit. Gisol vermutete, daß es ihm Spaß machte, dem Römer noch einmal dabei zuzuhören, wie er sich die Zunge abbrach. Doch Livius Primus mochte grobschlächtig aussehen, auf den Mund gefallen war er nicht. »Die Lautsprache der Zyzzkt zu verstehen erfordert schon eine ungewöhnliche Sprachbegabung«, sagte er. »Für Sie buchstabiere ich am besten...« Während er seelenruhig die sechs Buchstaben durchgab, sah er Gisol an und grinste. Der Worgun grinste zurück. Menschliche Mimik war ihm sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. »Kennst du das Sonnensystem?« Diesmal war es die Stimme des Commanders selbst, die aus den Boxen über der Galerie tönte. »Ja, Ren.« Gisol schaltete sich nun doch ein. »Ich kenne es aus alten Chroniken. Mein Volk hatte dort einst eine Forschungsstation errichtet, zweitausendzweihundert Erdenjahre her. Die Ureinwohner von Bolar IV, katzenartige Intelligenzen, waren damals auf einem ähnlichen Entwicklungsstand wie eure Rasse in der irdischen Epoche, die ihr Neolithikum nennt, wenn ich mir die Bezeichnung korrekt eingeprägt habe. Ein hoffnungsvolles Völkchen, meine Ahnen förderten sie nach Kräften. Im Jahre 950 eurer Zeitrechnung kam eine ZyzzktFlotte, zerstörte unsere Forschungsstation und rottete die Katzenartigen aus.« »Danke«, kam es tonlos von der POINT OF. Salustus und Publius beobachteten ihren Kommandanten verstohlen.
Die übrigen Römer an Bord hatten es sich nicht nehmen lassen, den Anflug der EPOY auf die Welt der Zyzzkt in der Kommandozentrale mitzuerleben. Für sie war der WorgunRebell ein Idol. In ihrer Kindheit hatten sie reißerisch aufgemachte Berichte über seine tollkühnen Unternehmungen geradezu verschlungen. Gisol tat so, als bemerkte er das nicht. Er ließ sich noch tiefer in seinen Sessel sinken. Oft, wenn er murmelnd oder stumm die Lippen bewegte, weil er gedanklich mit seinem Hyperkalkulator kommunizierte, staunten sie den Worgun einfach nur an. »Intervallum ausschalten, fertigmachen zur Transition.« Fallutas Stimme aus den Boxen. »Wir werden Nutshell mit zwei Hyperraumsprüngen erreichen. Das geht schneller.« 88 B »Nutshell?« Livius Primus zog die Brauen hoch. »Auch nicht schlecht.« Gisol zuckte mit den Schultern. Bewegungslos und mit halb geschlossenen Augen hing er in seinem Sessel. Mit halbem Ohr hörte er die Befehle vom Flaggschiff, mit halber Aufmerksamkeit registrierte er die unaufdringlichen Angaben seines Hyperkalkulators. Die letzte ruhige Stunde vor einer neuen Begegnung mit den Wimmelwilden. Die Erinnerung an die untergegangene Forschungsstation und an die Katzenartigen steigerte seine Motivation nicht gerade. Mochten auf Nttssl oder Nutshell von ihm aus auch ein paar Zyzzkt in der Klemme stecken, so waren es doch Nachkommen von gnadenlosen Eroberem, die da um Hilfe riefen. Hatten nicht ihre Urahnen jene Katzenartigen in die ewige Nacht des Vergessens gestoßen? 0 doch, das hatten sie, und vor und nach ihnen viele andere Rassen und Völker. Und wer wußte schon, ob seinem eigenen Volk, den Worgun, nicht das gleiche Schicksal blühte. Morgen, oder übermorgen oder in fünfhundert Jahren. »Man nennt mich Gisol, den Schlächter«, murmelte Mr. Jim Smith. »Und nicht Gisol, den Samariter...« Livius, der noch immer neben ihm stand, blickte zu ihm herab; halb erstaunt, halb verwirrt. Auch der Hyperkalkulator reagierte: Kein Kommentar,.. Die Bildkugel flackerte, kurz darauf leuchteten neue Stemkonstellationen in ihr. Wieder Anweisungen von der POINT OF, wieder Bestätigungen. Die Bildkugel flackerte emeut, und als sie jetzt aufleuchtete und un vertraute Sternbilder darstellte, riß Publius Cornelius" Stimme den Worgun aus seinen Grübeleien. »Wir sind da. Erhabener«, sagte er. »Exakte Transition der äußerste Planet von Bolar ist nur eine halbe Astronomische Einheit entfernt.« Palluta ordnete Intervallum und vollen Tamschutz an. Mit Sternensogantrieb raste die Flotte in das System hinein. Nun kamen Befehle, Bestätigungen und Positionsmeldungen im Zehnsekundentakt, und nun gehörte die ungeteilte Aufmerksamkeit des Worgun wieder dem Hier und Jetzt. Schnell kreuzten die einunddreißig Schiffe die Umlaufbahnen der Planeten XX und XIX, die NOREEN WELEAN und einige der OvoidRingraumer orteten starke energetische Prozesse auf Planet XV und IX. Bei beiden 89 Planeten handelte es sich um riesige Eiswelten, so daß eine natürliche Erklärung für die Energieausbrüche nicht unbedingt auf der Hand lag. Ren Dhark schickte die RHEYDT zu der einen und die CASTRA NOVESIA zu der anderen Welt. Beide zogen zu diesem Zeitpunkt jenseits des Zentralgestims ihre Bahn. Wenige Millionen Kilometer entfernt von der Bahn des siebten Planeten ordnete Hen Falluta Unterlichtgeschwindigkeit an. Gisol ließ sich die einzelnen Phasen des Bremsmanövers von seinem Hyperkalkulator melden. Er selbst mußte nicht eingreifen: Die Römer auf seinen Schiffen machten ihre Arbeit gut. Kurze Zeit später meldeten die Ortungsoffiziere einiger Schiffe Objekte im Orbit des vierten Planeten. Ringraumer der Zyzzkt, wie sich rasch herausstellte, neunundsiebzig Einheiten genau. Sie operierten im Energiesparmodus. Falluta ordnete an, im Vollbetriebsmodus zu bleiben und schickte drei OvoidRingraumer voraus, um die Lage zu erkunden. Die
Hauptarmada passierte mittlerweile die Umlaufbahn des sechsten Planeten und drosselte kontinuierlich die Geschwindigkeit. Eine Flut neuer Informationen erreichte die EPOY. »Die ZyzzktRaumer umkreisen Nutshell in einem Abstand von tausendeinhundertneunzig Kilometern«, meldete die Vorhut. »Alle sind gefechtsbereit, aber nur drei oder vier stoßen hin und wieder in die Außenschichten der Atmosphäre und feuern mit Nadelstrahlen auf Ziele an der Planetenoberfläche.« Die RHEYDT sandte erste Bilder von der Nordhalbkugel des Planeten XV. Statt Sternkonstellationen und einem ständig größer scheinenden Zentralgestim sahen Gisol und die römischen Offiziere nun einen gewaltigen Rauchpilz in der Bildkugel. Inmitten einer Eislandschaft stieg er aus einer Feuersbrunst, die in einer Hunderte von Kilometern durchmessenden Kuppel wütete. Ein Teil der Kuppel war zerstört, ein anderer Teil rußgeschwärzt. »Ein Biotop.« Gisol dachte laut. »Wahrscheinlich Kolonien der Zyzzkt von Nttssl. Vermutlich haben sie dort Bodenschätze ausgebeutet.« Wer auch immer in der Kunstatmosphäre dieser Kuppeln gelebt und gearbeitet hatte jetzt war er tot. Jedenfalls konnte die RHEYDT weder Funksignale noch den für die Zyzzkt charakteristischen IDCode anpeilen. Rund um das Biotop schmolz das Eis, 90 stieg Dampf von kochendem Wasser auf. Ähnliche Bilder funkte die RHEYDT vom Äquator und von der Südhalbkugel des Planeten, und später auch die CASTRA NOVESIA vom Planeten IX. Fünfundsiebzig Prozent der Kolonien auf beiden Eisriesen brannten oder rauchten nur noch inmitten gewaltiger Seen aus geschmolzenem Eis. »Commander an alle.« Die vertraute Stimme Ren Dharks meldete sich. Gisol horchte auf, nun wurde es emst. »Sie sehen die Bilder, Sie kennen die Meßergebnisse und die Fakten. In diesem Sonnensystem herrscht Krieg. Jede Einheit bleibt im Vollbetriebsmodus, für jede Einheit gilt: Alarmstufe rot und höchste Gefechtsbereitschaft. Ich werde jetzt versuchen, mit den Absendern des Notrufs Kontakt aufzunehmen.« Noch veränderte kein Schiff der ZyzzktFlotte seinen Kurs, noch hatten die Ringraumer im Orbit von Nutshell die einunddreißig Eindringlinge nicht geortet. Das würde sich möglicherweise rasch ändern sobald die POINT OF ihren Funkspruch ausgestrahlt hatte. Sekunden später war Dharks Botschaft auch im KommandoStand der EPOY zu hören. Sie begann mit dem in die Worgunsprache übersetzten Wortlaut des aufgefangenen Notrufs: An die Regierung von Terra Nostra, an Gisol den Schlächter, und an alle freien Intelligenzen, die den Glauben an Frieden und Freiheit in Orn noch nicht aufgegeben haben... An dieser Stelle unterbrach Ren Dhark die Wiederholung und sagte: »Sollte derjenige, der diesen Notruf abgesetzt hat, mich hören, bitte ich um die Ergänzung im Originalwortlaut und auf Worgun, damit ich sicher sein kann, von den Absendern empfangen zu werden...« »Zwanzig Ringraumer verlassen den Orbit von Nutshell!« meldete Salustus Aedilus. »Das war klar.« Gisol schlug mit der Faust in die linke Handfläche. »Das war auch Dhark klar. Kurs?« »Noch schwer zu sagen. Erhabener, Moment...« Die Finger des Jungen Offiziers flogen über die Tastaturen vor seinen vielen Anzeigen. Der Hyperkalkulator kam ihm zuvor: Zwanzig Ringraumer 91 der Zyzzkt im Energiesparmodus nehmen Kurs auf EPOY und Flotte... Eine Meldung ähnlichen Wortlautes ging nur einen Herzschlag später vom Flaggschiff aus ein. »Verbindung mit der POINT OF!« verlangte der Worgun. Prompt baute das Hologramm Dharks Konterfei auf. Der Commander saß nicht, er stand vor der Instrumentenkonsole seiner Brücke. »Vorschlag, Ren!« sagte Gisol. »Überlaß die Raumer der Wimmelwilden mir und Manlius. Im Vollbetriebsmodus und zusammen mit den Ovoidschiffen kann ich ihnen die Stirn bieten!
Wir könnten sogar die Kräfte der gesamten ZyzzktFlotte binden! Und du hättest den Rücken
frei, mit deinen Schiffen und der NOREEN WELEAN Nutshell anzufliegen und mit den
Aufständischen Kontakt aufzunehmen!«
Schweigen. Ren Dharks Miene war hart und undurchdringlich. Gisol aber wußte genau, was
der Commander jetzt dachte. Sollte er. Und endlich kam die Antwort: »Einverstanden!«
»... sollte derjenige, der diesen Notruf abgesetzt hat, mich hören, bitte ich um die Ergänzung
im Originalwortlaut und auf Worgun, damit ich sicher sein kann, von den Absendern
empfangen zu werden. Bitte melden Sie sich. Ich wiederhole...«
In der Energiezentrale der unterirdischen Waffenfabrik standen sie um das Funkmodul:
Pnurrsk, der Hauptstadtkommandant, der Fabrikkommandant und dreizehn Kämpfer ihrer
Leibgarde, unter ihnen zwei Söhne und vier Enkel Pnurrsks. Keiner traute seinen Ohren.
»... bitte ich um die Ergänzung im Originalwortlaut und auf Worgun, damit ich sicher sein
kann...«
»Sie haben unseren Notruf empfangen!« Pnurrsks Fühler vibrierten. Sein Armstumpf
schmerzte. »Sie sind tatsächlich gekommen!«
»... bitte melden Sie sich. Ich wiederhole...«
»Wer ist das?« fragte der Hauptstadtkommandant. Er war ein Sohn des gefallenen Gwerstns.
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»Spricht, wie diese Glatthäuter von Terra Nostra sprechen«, sagte der Funker.
»Antworte, sofort!« zirpte der Hauptstadtkommandant. Er wandte sich an Pnurrsk. »Den
Wortlaut des Notrufs, wiederhole ihn, Flottenkommandant Pnurrsk!«
Pnurrsk hob abwehrend seine drei Arme. »Töricht wäre das! Töricht und tödlich! In drei
Stunden läuft das Ultimatum aus! Wenn wir von hier aus funken, peilen uns die Schiffe im
Orbit an, und die Hauptstadt versinkt schon in drei Minuten in Feuer und Asche!«
»Pnurrsk hat recht«, sagte der Fabrikkommandant. »Sprich in den Aufnahmemodus,
Flottenkommandant! Wir kopieren deine Botschaft, schicken drei TZC in die Wälder und
lassen sie von unterschiedlichen Positionen aus abstrahlen!«
Pnurrsk war einverstanden. Er setzte sich an den Rechner und begann seine Nachricht an die
Retter in ein Mikrofon zu sprechen.
Der Code der Überwachungszentrale im militärischen Hauptquartier blinkte auf einem der
Sichtschirme. Der Hauptstadtkommandant drückte auf einen Knopf. »Hauptquartier an
Energiezentrale. Einunddreißig Einheiten unbekannter Herkunft nahem sich dem Zentrum des
Sonnensystems. Zwanzig Schiffe der Zentralmacht haben die Umlaufbahn von Nttssl
verlassen...«
Wenig später brachte der Transportstrahllift drei TZC samt einer Aufzeichnung von Pnurrsks
Botschaft an die Oberfläche. Über rauchende Trümmerfelder, an Geschützbatterien und
gepanzerten Einheiten vorbei flogen sie in verschiedene Richtungen davon.
Für sich wählte Pnurrsk ganz bewußt einen der flachen Bodengleiter aus, wie man ihn in der
Hauptstadt für Ziviltransporte benutzte.
Die Fahrzeuge waren unbewaffnet. Die loyalistischen Geschütze würden den Gleiter nicht als
militärisches Ziel identifizieren, und den Fremden würde er Friedlichkeit signalisieren.
Zusammen mit dem Hauptstadtkommandanten und sechs Kämpfern ihrer Leibgarde Pnurrsks
Söhne und Enkelsöhne stiegen sie in den Bodengleiter. Während sie im Transportfeld nach
oben schwebten, gab das Hauptquartier die neusten Befunde der Ortung durch. »Eine
Raumschlacht tobt in der Nähe des fünften Planeten. Weitere
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vierzig feindliche Einheiten verlassen die Umlaufbahn und nehmen Kurs auf das
Kampfgebiet.« Pnurrsk schöpfte Hoffnung.
Keine Antwort, nichts. Angespannte Stille herrschte in der Kommandozentrale der POINT
OF. Ren Dhark hörte seine Atemzüge, rechts von sich vernahm er Hen Fallutas Atemzüge,
links von sich Amy Stewarts Atemzüge. Aber er hörte keine Antwort von Nutshell.
»Entweder haben sie die Nachricht nicht empfangen, oder sie können sie nicht empfangen,
weil sie tot sind.« Manu Tschobe hob ratlos die Achseln.
»Wiederholen«, sagte Ren Dhark an die Adresse der Funkzentrale. »Spulen Sie meinen
Spruch einfach ab, Moiris, wieder und wieder, solange bis wir Antwort kriegen.«
Der Erste Offizier hob die Brauen. »Und wenn wir keine Antwort bekommen?« Der Zweifel
stand Hen Falluta ins Gesicht geschrieben. Deutlicher als Dhark es im Moment wissen wollte.
Er reagierte nicht. Das Hologramm in der Bildkugel zeigte eine von weißen Schwaden
marmorierte türkisfarbene Kugel: Nutshell. In eine der kleinen Anzeigen auf der Konsole
spielte der Checkmaster Entfemungswerte ein: 21 345 km, 21 325 km, 21 305 km,..
»Die EPOY meldet ersten Gefechtskontakt«, kam es aus der Funkzentrale. »Noch keine
Antwort von Nutshell.«
Die Flotte um die POINT OF drosselte kontinuierlich ihre Geschwindigkeit. »Weitere
fünfundvierzig feindliche Einheiten verlassen die Umlaufbahn«, meldete die Ortungszentrale.
»Ziel:
EPOY und Rotte.«
»Jetzt kriegt er, was er will«, sagte Amy Stewart. Ren Dhark wußte, von wem sie sprach,
jeder in der Kommandozentrale wußte es. In der Mannschaft hatte man nicht darüber
gesprochen, aber Dhark glaubte die Gedanken seiner Leute lesen zu können, während der
Worgun seine Strategie vorgeschlagen hatte. Seine Strategie war in Ordnung, sicher, hinter ihr
aber steckte mehr als nur nüchternes, militärisches Kalkül. Hinter ihr steckte ein Programm.
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Mit wenigen Worten ließ es sich etwa so zusammenfassen: Ich rette keine Zyzzkt, ich
vernichte sie. Man hätte es auch einfach Rache nennen können.
Insofern hatte Amy vollkommen recht: Nun hatte der Worgun, was er wollte.
Daß Gisol, der Schlächter, es bald mit weiteren 45 Ringraumem der Zyzzkt zu tun bekommen
würde, beunruhigte den Commander nicht besonders: Im Vollbetriebsmodus würden die
zwanzig Schiffe den Wimmelwilden überlegen sein; zumal die Hälfte der Flotte aus
fabrikneuen OvoidRingraumem bestand. Und auch Gisols Schiffe waren von ihm, einem der
besten Ingenieure der Worgun, kontinuierlich weiterentwickelt worden und jedem
Serienschiff der Zyzzkt haushoch überlegen.
In vollem Tarnschutz drangen die NOREEN WELEAN, die POINT OF und die anderen neun
terranischen Schiffe in die Ausläufer der NutshellAtmosphäre ein. »Bring uns Bilder«,
forderte Dhark den Checkmaster auf.
Per Reizstrahl tastete der Rechner die Planetenoberfläche ab. In der Bildkugel visualisierte er
die Daten. Rauchschwaden und Feuer zog durch das Hologramm, Flash über brennenden
Städten waren zu sehen, automatische Geschütze in einem verkohlten Wald, Infanterietruppen
in endlosen Kolonnen zwischen einer ausgedehnten Fabrikanlage und einem brennenden
Raumhafen.
»Krieg«, sagte Dhark mit tonloser Stimme. »Dort unten tobt ein planetenweiter Krieg.« Sonst
sagte keiner ein Wort. Die Gesichter der Männer und Frauen in der Kommandozentrale
wurden seltsam ausdruckslos, während die Variationen der Hölle von NutsheU durch die
Bildkugel glitten. Und dann tauchte ein goldschimmemdes Objekt am Horizont auf, wurde
größer, wurde vor allem länger, wuchs und wuchs.
»Ein Goldener«, sagte Amy. »Ein goldener Zyzzkt ohne Gesicht.«
Nach den Angaben des Checkmasters lag die Position der Statue etwa viertausend Kilometer
unter der POINT OF und war noch zwölftausenddreihundert Kilometer entfernt.
Der Reizstrahl brachte unzählige Flugpanzer und Geschütze in die Bildkugel, die in
unmittelbarer Nähe des Goldenen operierten.
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Die Geschütze feuerten auf angreifende Flash und gepanzerte Gleiter. Hier und da stürmten
Bodentruppen aus einem Wald. Aus dem Wald selbst sah man Rauchpilze aufsteigen,
Gebäudekomplexe brannten, rauchende Krater gähnten, und einige hundert Kilometer südlich des Goldenen begann die Grenze einer Stadt, die selbst wiederum einige hundert Kilometer durchmaß. Auch aus ihr stiegen Rauchpilze auf. Straßenzüge, Flughäfen, Wohnturmanlagen, ganze Viertel lagen in Trümmern oder brannten. Irgendwo im Wald zwischen der Statue und der Stadt mußte die Front verlaufen. »NOREEN WELEAN anPOINT OF«, kam es aus den Bordlautsprechem. »Wir können nicht in die Kämpfe eingreifen, solange wir nicht wissen, wo die Aufständischen und wo die Truppen der regulären ZyzzktRegierung stehen.« Simon sprach nur aus, was alle dachten. »Commander an Funkzentrale. Was ist los, Morris? Noch immer keine Antwort?« »Nein, Chef...« Schrilles Pfeifen würgte die Stimme des Ersten Punkoffiziers ab. Jäh ging ein Ruck durch das Schiff, die Bilder des Hologramms lösten sich in einer Feuerwand auf. Beschleunigungsdruck preßte die Besatzung tief in ihre Sessel, und wer leichtsinnig genug gewesen war zu stehen, wurde über den Boden der Kommandozentrale gegen irgendeinen Sockel, irgendeine Wand geschleudert. »Angriff mit Nadelstrahlen!« schrie jemand. Die POINT OF vibrierte, als würden gigantische Fäuste auf ihr herumtrommeln, die Innenbeleuchtung flackerte, für bange Augenblicke konnte niemand Atem holen, so hoch war der Beschleunigungsdruck. Und dann, genauso unerwartet, wie der Schrecken nach der Besatzung gegriffen hatte, war es wieder vorbei. Die Beleuchtung brannte ruhig, das Hologramm zeigte eine Waldfläche, aus der ein Rauchpilz stieg, das Intervallum stand, als hätte es nie gewankt. »Beschuß mit superstarken Nadelstrahlen«, meldete die Ortungsabteilung. »Die Belastung des Intervallfeldes betrug für 0,24 Sekunden über neunundneunzig Prozent! Hätte der Checkmaster uns nicht aus dem Schußfeld hinter den Horizont gerissen...« Der 96 Offizier verzichtete darauf auszusprechen, was sowieso alle dachten. Aus den Boxen über der Galerie leierte der Checkmaster ein paar Daten herunter, die seine Rettungstat bestätigten, irgend jemand murmelte »Dankeschön«, und Manu Tschobe stöhnte: »Ich geb' Ihnen einen aus, Mr. Checkmaster, sobald wir wieder zu Hause sind.« Wieder meldete Simon der Wächter sich von der NOREEN WELEAN. »Der Goldene hat euch angegriffen, das Intervallum wäre fast zusammengebrochen.« »Ich weiß«, sagte Ren Dhark. Seine Stimme klang belegt. Eine Nachricht von der EPOY meldete den Abschuß zweier ZyzzktRingraumer durch OvoidEinheiten. Gisol, der Schlächter, machte keinen Hehl aus seinem Triumph. »Sämtliche Feindeinheiten verlassen gerade den Orbit von Nttssl und nehmen Kurs auf uns! Dir habt freie Bahn, macht was draus!« Dhark lag eine spitze Entgegnung auf der Zunge, und Doorn fragte: »Freie Bahn? Ist der Goldene auch schon auf dem Weg ins Weltall zu Master Gisol?« »Sie antworten!« Glenn Morris' erregte Stimme tönte aus der FunkZ. »Die Rebellen antworten! Ich stelle die Botschaft durch...!« In den Schallerzeugem rauschte es, eine schwerverständliche, von Knack, Zisch und Reibelauten durchsetzte Stimme sprach Worgun: »...am Joch der Tyrannen. Die Freiheit leuchtete für wenige Tage am Horizont auf, wie der untergehende Abendstem. Und er sinkt tatsächlich, der Stern der Hoffnung. Mit hundertfacher Überlegenheit wollen sie uns zurück unter ihre Fersen zwingen. Ohne Eure Hilfe werden wir untergehen...« »Legen sie mich auf dieselbe Frequenz, Morris«, flüsterte der Commander. Postwendend kam die Bestätigung. »Hier spricht der Kommandant der vereinigten römischterranischen Vorhut.« Er übertrieb bewußt, und bewußt unterschlug er die WorgunSchiffe. »Mein Name ist Ren Dhark, wir können Sie hören. Schildern Sie Ihre Situation und geben Sie Ihre genaue Position wieder!«
»... werden wir untergehen. Und mit uns das Geheimnis der Tyrannen von Om. An die Regierung von Terra Nostra, an Gisol den 97 Schlächter, und an alle freien Intelligenzen, die den Glauben an Frieden...« Amy Stewart begriff als Erste. »Eine Konservenbotschaft. Sie funken eine Aufzeichnung.« »Könnte taktische Gründe haben«, sagte Hen Falluta. Mitten im Satz brach die Nachricht aus dem Kriegsgebiet ab. Dhark neigte den Kopf auf die Schulter und lauschte. Falluta und Amy standen auf und blickten zur nächstbesten Box, als könnten sie durch die schwarze Verblendung hinunter auf Nutshell sehen. »Die freien Zyzzkt von Nttssl danken Commander Dhark und der vereinigten Raumflotte von Terra Nostra!« Wieder die knackende, schabende Stimme. »Hier spricht Flottenkommandant Pnurrsk! Unsere Situation: Unsere Hauptfrontlinie verläuft südlich des Goldenen Hochverehrten des Tores, sie weicht stündlich ein Stück tiefer in den Wald zurück und hat bald die letzte Stadt erreicht, die wir noch halten unsere Hauptstadt. Die Loyalisten haben uns ein Ultimatum gestellt, das in Kürze abläuft. Danach wird die Hauptstadt vernichtet...« Offenbar war es ein militärischer Führer der Rebellen, der da mitten aus der Hölle die Aussichtslosigkeit seiner Lage schilderte. Zum Schluß gab er die Koordinaten seiner Position durch. »Wir kommen zu Ihnen hinunter«, sagte der Commander. »NOREEN WELEAN an POINT OF!« Simon der Wächter nahm Kontakt auf. »Verzeihen Sie, Commander Dhark. Lassen Sie mich auf Nttssl landen. Ich bin der letzte Wächter der Worgun, und ich habe den Auftrag, das Schicksal der Erhabenen aufklären und ihnen beizustehen. Halten Sie mit Ihren Schiffen den Goldenen in Schach, ich werde mit der NOREEN WELEAN landen.« Ren Dhark dachte nach. Dem Wächter seine Bitte abschlagen? Nein. Auf die persönliche Begegnung mit den Rebellen verzichten? Noch einmal nein! »Kompromiß, Simon«, sagte er schließlich. »Ich komme an Bord deines Schiffes, und wir gehen zusammen.« 98 8. Es war, als wehte ein kühler Wind durch die Kommandozentrale der EPOY: Keiner hob seine Stimme, keiner gestikulierte heftiger als sonst, keiner benagte seine Unterlippe oder ließ sich zu ähnlichem Ausdruck übermäßiger Anspannung hinreißen. Dabei tobte außerhalb des Schiffs außerhalb seines Intervallums ein mörderisches Inferno. Doch ruhig und mit festen Stimmen meldeten die römischen Offiziere, was zu vermelden ihre Pflicht war: Salustus die Koordinaten feindlicher Schiffe, Publius die aktuellsten Kursberechnungen der angreifenden Schiffe, Gajus Julius die neusten Nachrichten von der POINT OF, und Quadratus die Treffer und die jeweils abgefeuerten Waffensysteme. Livius Primus, der Vizekommandant, gab seine Befehle mit fester Stimme durch: Kurskorrekturen, Feuerbefehle, Auswahl der Waffen. Vielleicht lag es tatsächlich einzig und allein an Gisol, vielleicht strahlte seine Kälte, seine unglaubliche Gelassenheit, ja seine scheinbare Gleichgültigkeit in diesen Augenblicken auf die anderen aus. Er hing mit halb geschlossenen Augen in seinem Sitz, kommunizierte mit seinem Hyperkalkulator und bewegte hin und wieder stumm die Lippen dabei. Das Hologramm in der Bildkugel zeigte immer aufs neue aufglühende Stellen im Intervallum, zeigte das Wirrwarr hin und hersirrender Nadelstrahlen, zeigte silbrigblau fluoreszierende Strahlenfelder, wenn eine Mix4Ladung wieder den Schutzschirm eines ZyzzktRaumer traf. Quadratus und die Waffenoffiziere zweier OvoidRingraumer legten sofort mit Nadelstrahl und Wuchtkanonen nach das Intervallum des Angegriffenen zerbrach, der feindliche Ringraumer verglühte in einer gewaltigen 99 Explosion; der siebte bereits, seit die Zyzzkt das Feuer eröffnet hatten.
»Commander Dhark ist mit drei Begleitern über Transmitter an Bord der NOREEN WELEAN gegangen«, meldete Gajus Julius. »Das Wächterschiff löst sich aus dem Verband, es setzt zum Landeanflug auf Nutshell an!« Gisol nahm es zur Kenntnis, wie man die hereinbrechende Nacht oder die leichte Übelkeit nach einer Transition oder sonst etwas Unvermeidliches zur Kenntnis nimmt. »Dreizehn Einheiten aus Vektor fünf Strich siebzehn Strich alpha«, meldete Salustus. »Entfernung: 1,76 Astronomische Einheiten!« Die letzten ZyzzktSchiffe verließen den Orbit des Planeten Nttssl, um in die Schlacht einzugreifen. Das nun registrierte Gisol mit grimmiger Zufriedenheit. Der Weg für Dhark war frei. Gegen die Geschütztürme auf der Planetenoberfläche und gegen die Waffenarme des Goldenen würde man sich auf der POINT OF schon etwas einf allen lassen. »Angriff mit HyKon!« meldeten Gajus Julius und Publius Cornelius fast zeitgleich. Schwerkraftgenerator hochfahren, wies Gisol den Hyperkalkulator an, und im gleichen Moment gab Livius Primus dem Rechner den identischen Befehl: »Masse erhöhen!« Auch andere Schiffe seines Zwanzigerverbandes meldeten Beschuß mit HyKon, römische Ovoidraumer genauso wie Gisols mit römischen Offizieren besetzte WorgunRaumer. Die Stunde der Schwerkraftgeneratoren schlug: Die angegriffenen Schiffe erhöhten ihre Massen, die sowieso schon im Energiesparmodus operierenden Angreifer der Zyzzkt büßten durch ihren HyKonAngriff wertvolle Energie ein, die sie für die Aufrechterhaltung ihrer Intervallfelder benötigten, und die Wuchtkanonen und Nadelstrahlen der kleinen Hotte um die EPOY hatten leichtes Spiel: Bevor der letzte ZyzzktVerband von Nttssl aus zu den Angreifem stieß, innerhalb von knapp vierzig Minuten also, schössen die Römer auf diese Weise noch einmal dreizehn ZyzzktRingraumer ab. Die verbliebenen gut fünfzig Angreifer änderten ihre Strategie: Sie teilten sich in drei Gruppen, versuchten einzelne Worgun oder Ovoidraumer aus dem Verband zu drängen und deren Schutzsystem sturmreif zu schießen. Gisol reagierte prompt: Er teilte sei 100 nen Verband in vier Geschwader mit jeweils fünf Schiffen und sorgte dafür, daß jedes abgedrängte Schiff von den anderen vier Schiffen seines Geschwaders verteidigt wurde. Er befahl, in erster Linie Mix4, Nadelstrahl und Wuchtkanonen einzusetzen, und auf HyKon sofort mit Massenerhöhung zu reagieren. Ein überflüssiger Befehl, vermutete er die Römer hätten möglicherweise ohne sein Eingreifen dieselbe Strategie gewählt. Wie dem auch gewesen sein mochte die Jungoffiziere von Terra Nostra bewährten sich in jeder Phase des Kampfes, und bald waren sie es, die einzelne ZyzzktRaumer abdrängten, jagten und vernichteten. Was für ein Segen, diese Leute, dachte der Worgun. Was für ein Glück, daß meine Vorfahren ihre Vorfahren von der Erde nach Orn geholt und auf Terra Nostra angesiedelt haben. Simon befahl seinem Hyperkalkulator die Frontlinie von Westen her anzusteuern; und zwar auf einem Kurs, der in Relation zum Goldenen und seinen Waffenarmen knapp unterhalb des Horizonts verlief. Ansonsten überließ er dem Rechner die Navigation, schließlich hatte der Hyperkalkulator selbst die Stelle angepeilt, von der aus der Funkspruch durchgegeben wurde. Mit den Koordinaten der Rebellen war wenig anzufangen. Sie bezogen sich auf ein planetenintemes Koordinatensystem, mit dem weder Simon noch sein Rechner etwas anfangen konnten, solange sie über keine Referenzwerte verfügten. »POINT OF an Commander«, erklang Rikers Stimme aus den Boxen. »Verband geht in vereinbarte Umlaufbahn.« »Danke«, funkte Ren Dhark zurück. Er hatte seinem Freund Dan Riker den Befehl über die zehn terranischen Schiffe anvertraut. In einer Entfernung von fünftausend Kilometern umkreiste die kleine Flotte Nutshell; jederzeit bereit einzugreifen, falls die NOREEN
WELEAN Feuerschutz brauchen sollte. »Wir geben Bescheid, sobald wir das Schiff
verlassen. Ich bitte um regelmäßigen Bericht über Gisols Kampf.«
»In Ordnung, Ren. Im Augenblick stehen die Dinge gut für uns.
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Zwischen dem fünften und dem sechsten Planeten explodieren die ZyzzktRingraumer im
Zehnminutentakt. Die Wimmelwilden formieren ihre restlichen fünfundfünfzig Schiffe gerade
neu. Ende.«
»Das sind ja gute Nachrichten«, sagte Amy Stewart. Gemeinsam mit den Cyborgs Mark
Carrell und Jes Yello hatte sie den Commander auf die NOREEN WELEAN begleitet.
»Um so bedrohlicher sieht es hier unten für die Aufständischen aus.« Ren Dhark beobachtete
abwechselnd die Anzeigen mit den Navigations und Ortungsdaten und das Hologramm in der
Bildkugel. Darin zeigte Simons Hyperkalkulator den Nordrand der Hauptstadt. Den
Kontrollen nach trennten noch fast fünfzig Kilometer den Ringraumer und die Stadt, der Blick
in die Bildkugel vermittelte den Eindruck, über zerstörte Straßenzüge und brennende
Lagerhallen zu fliegen. Die Front der Rebellen schien zu bröckeln, nur noch wenige
Kilometer vom nördlichen Stadtrand entfernt hielten vollautomatische Geschützbatterien und
tief im Unterholz operierende Schwebepanzer, Mannschaftsgleiter und Flash dem Feuer der
Angreifer stand.
»Eine Frage der Zeit, bis die Angreifer die ersten Ruinen im Norden erreichen«, sagte Simons
Kunststimme. »An den anderen Stadträndern sieht es nur unwesentlich besser aus.«
»Bald haben sie die Stadt im Würgegriff«, sagte Yello. »Wenn unser worgunscher
Verbündeter seinen Job nicht furchtbar gründlich macht und ein paar ZyzzktSchiffe
zurückkehren, ist es um sie geschehen.«
Furchtbar gründlich... Die Worte jagten dem Commander einen kalten Schauer über den
Nacken. »Nein«, widersprach er. »Wir sind schließlich auch noch da.« Er deutete auf eine
Anzeige. »Was peilt die Ortung da für ein starkes Energiefeld an?«
Simon kommunizierte stumm mit seinem Hyperkalkulator. Keine zwei Sekunden später
lieferte das Hologramm die Ansicht eines ausgedehnten und flachen Gebäudekomplexes. Ein
roter Lichtpunkt blinkte über den teilweise zerstörten Dächern. »Die Quelle des
Energieimpulses. Der Hyperkalkulator geht von einer unterirdischen Waffenfabrik aus. Sie
scheint aktiv zu sein.«
Zwanzig Kilometer vom mutmaßlichen Treffpunkt entfernt mel
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dete Hugo einen Flashverband. »Vierundzwanzig ZyzzktEinheiten im Anflug auf die
Waffenfabrik«, schnarrte seine monotone Kunststimme. »Zwölf scheren aus, nehmen Kurs
auf die NOREEN WELEAN.«
»Rebellen oder Loy allsten?« wollte Dhark wissen. Der Spindelroboter blieb stumm.
Sekunden später beantworteten die Flash selbst seine Frage: Zwölf von ihnen griffen die
NOREEN WELEAN mit Nadelstrahlen an, die andere Hälfte eröffnete das Feuer auf die
Fabrik. Das Intervallum des Ringraumers hielt dem Angriff ohne Probleme stand, selbst als
aus Hunderten von Kilometern Entfernung einige Robotergeschütze plötzlich Nadelstrahlen
auf Simons Schiff abfeuerten. Der Schutzschirm der Fabrik jedoch drohte jeden Moment
zusammenzubrechen.
»Feuer erwidern«, befahl Simon. »Mix4 und Nadelstrahlen.« Die Intervallfelder der Angreifer
glühten auf. Sieben Flash explodierten, die restlichen fünf suchten das Weite. Der
Hyperkalkulator vernichtete vier Robotergeschütze und nahm schließlich das
Flashgeschwader über der Stadt unter Feuer. Fünf von ihnen hielten dem hochenergetischen
Beschuß nicht einmal zwei Minuten lang stand, drei explodierten im Sperrfeuer aus
Geschütztürmen innerhalb der Fabrikanlage, die restlichen vier flohen. Aus Bodenschächten
im Fabrikgelände stiegen Flugpanzer auf und verfolgten sie.
»Ein großer Bodengleiter!« schnarrte die Kunststimme Hugos. Das Hologramm der Fabrikanlage löste sich auf, jetzt sah man einen Flußlauf, dichten Wald an beiden Ufern, ein flaches, gewölbtes Fahrzeug auf einer Brücke. »Achtfache ZyzzktIDKennung meldet der Hyperkalkulator, einen Energiestatus, der auf Waffensysteme schließen läßt, kann er nicht anpeilen. Nadelstrahlen, Mix4, beides?« »Gar nichts«, sagte Simon und reagierte damit auf eine entsprechende Geste des Commanders. Sie beobachteten, wie der Gleiter das andere Ufer erreichte. Dort stoppte er. Im Bug öffnete sich ein Schott, nacheinander kletterten acht Zyzzkt aus dem Gleiter. Sie ^gen die typischen, rostroten Schutzanzüge, die lediglich ihren dreiteiligen Körper verhüllten, nicht jedoch ihre sechs Glieder und Are Insektenschädel. »Unbewaffnet«, schnarrte Hugo. 103 »Entfernung zur Position, von der aus der Funkspruch gesendet wurde?« fragte Simon. »Acht Kilometer.« »Entfernung von uns?« »Elf Kilometer.« »Sie müßten uns schon sehen können.« Dhark erhob sich. »Steigen wir aus.« »Intervallum aufrechterhalten«, wies Simon seine spindelförmigen Assistenten an. »Eventuelles Feuer erwidern, Verteidiger in der Hauptstadt gegebenenfalls unterstützen, drei Flash startklar machen.« Die sechs Kämpfer der Leibgarde stellten sich schützend vor Pnurrsk und den Hauptstadtkommandanten, als die Flash am anderen Ufer landeten. Drei glatthäutige Humanoide stiegen aus. Sie trugen Waffen, hatten sie jedoch über ihre Schultern gehängt. Ihnen folgte ein dritter Glatthäuter, er fiel Pnurrsk wegen seines fast weißen Schädelpelzes auf. Zuletzt verließ ein rötlicher Roboter den dritten Flash. »Ein Wächter der Worgun!« zischte Gwerstns Sohn. Der Hauptstadtkommandant und Pnurrsks Söhne und Enkelsöhne rieben nervös ihre Kauscheren aneinander, einigen zitterten die Fühler. »Was sollen wir tun?« zirpte der älteste von Pnurrsks Söhnen. »Wir gehen ihnen entgegen.« Pnurrsk blieb vollkommen ruhig. »In der gleichen Kopfzahl, in der sie uns entgegenkommen.« Die Humanoiden um den WorgunWächter betraten die Brücke. »Also los!« zischte der Hauptstadtkommandant. »Drei von euch zurück in den Gleiter. »Sollten wir angegriffen werden, holt ihr uns von der Brücke.« »Kämpfer Terra Nostras greifen keine Unbewaffneten an.« Pnurrsk schritt auf die Brücke zu. »Zyzzkt schon«, sagte Gwerstns Sohn ohne den geringsten Anflug von Zynismus. »Es könnte jederzeit ein Stoßtrupp der Loy allsten hier auftauchen.« Drei Leibgardisten stiegen wieder in den Bodengleiter. Pnurrsk, 104 der Hauptstadtkommandant und die anderen drei Leibgardisten betraten die Brücke, Pnurrsks Sprößlinge gingen voraus. In der Mitte der Brücke trafen sich beide Gruppen. Die Leibgardisten wichen zur Seite, Pnurrsk trat vor. Sie begrüßten die Glatthäuter und den Wächter mit einer Verbeugung ihrer Köpfe. Auf Worgun sprach der Flottenkommandant die massive Gestalt des Wächters an. »Commander Ren Dhark, nehme ich an.« Ohne ein Antwort abzuwarten, stellte er Gwerstns Sohn und nach ihm sich selbst vor. »Ich bin Flottenkommandant Pnurrsk, wir danken Ihnen für Ihr Eingreifen.« Er wählte jedes Wort mit Bedacht und sprach so langsam und deutlich wie er konnte, damit der Wächter und die Neurömer ihn ja verstanden. »Unser Aufstand brach bereits zusammen, unser Kampfgeist drohte zu ermatten, unsere Hauptstadt war den Schiffskanonen der Loyalisten preisgegeben doch Sie haben uns gerettet. Wir sind Ihnen für immer zu Dank verpflichtet.« Er deutete eine Verbeugung in Richtung der Glatthäuter an. »Richten Sie das bitte Ihrer Regierung auf Terra Nostra aus. Ich selbst habe den Notruf über
den galaktischen Sender des Goldenen Hochverehrten des Tores abgesetzt. Leider haben die Loyalisten ihn zurückerobert...« Der Glatthäuter mit dem weißen Schädelpelz trat einen Schritt vor. »Warum haben Sie sich gegen Ihre Regierung aufgelehnt, Kommandant Pnurrsk?« Es irritierte Pnurrsk, daß der Humanoide und nicht der Wächter das Wort ergriff. Letzteren hielt er noch immer für den befehlshabenden Kommandanten der Entsatzflotte. Sein Blick wanderte zwischen dem Wächter und dem Glatthäuter hin und her. »Er ist Commander Ren Dhark, nicht ich.« Der Wächter wies auf den Humanoiden neben sich. »Commander Ren Dhark und seine Begleiter stammen auch nicht von Terra Nostra, sondern aus einer fernen Galaxis von einem Planeten namens Terra. Allerdings sind auch zehn Schiffe von Terra Nostra unter Commander Ren Dharks Kommando Ihrem Hilferuf gefolgt.« Pnurrsk war überrascht. »Daß müssen Sie uns genauer erklären, sobald wir die Situation hier wieder unter Kontrolle haben, Commander Dhark«, sagte er mit einer Verbeugung in Richtung des 105 Weißpelzes. »Wir haben unsere Regierung abgesetzt und einen freien Planeten Nttssl ausgerufen, als wir in einem alten Hauptstadtarchiv Hinweise auf einen gigantischen Betrug an den Völkern der Zyzzkt entdeckten. Nach diesem Hinweis sind es fremde Diktatoren, die unsere Rasse knechten und ausbeuten. Die Daten sind beschädigt und ihre Quelle zweifelhaft. Sie wiesen auf genauere Daten innerhalb des Goldenen Hochverehrten des Tores hin, und tatsächlich gelang es mir mit einem Stoßtrupp, den Goldenen zu erobern und die Daten zu finden.« Beschwörend hob er seine drei Arme. »In den Datenbanken des Goldenen Hochverehrten des Tores liegt der Beweis für die Tyrannei und den Betrug an meiner Rasse. Deswegen müssen wir ihn zurückerobern, ohne ihn zu zerstören. In geheimen Fabriken arbeiten wir an Waffen, mit denen wir seine Waffen und Transmitterarme neutralisieren können. Leider ist die Produktion noch nicht abgeschlossen. Darum bitte ich Sie dringend um einen Angriff auf den Goldenen Hochverehrten des Tores, Commander Ren Dhark. Mit Ihren Schiffen könnten sie die Waffenarme zerschießen, ohne ihn zu zerstören. Dann könnte ich ihn mit meinen Truppen zurückerobern und die Beweise sichern.« Noch eitimal neigte er den Schädel vor dem Humanoiden. »Ich bitte Sie um einen Nadelstrahlangriff auf die Arme des Goldenen Hochverehrten des Tores. Unser Sieg wäre das Fundament für eine freie Galaxis Om...« »Sie stellen das Feuer ein!« meldete Salustus Aedilus. »Sie bilden eine Kreisformation und nehmen Kurs auf Planet VI!« »Hinterher!« Zum ersten Mal nach minutenlangem Schweigen ergriff Gisol wieder das Wort. »Mix4 und Nadelstrahlen! Zwingt sie, ihren Intervallschutz aufrechtzuerhalten! Wer nahe genug dran ist, setzt Wuchtkanonen ein!« Nacheinander gingen die Bestätigungen ein. Die Rotte nahm die Verfolgung auf. Achtunddreißig ZyzzktRingraumer flohen vor zehn WorgunRingraumem und zehn römischen Ovoidraumem. Einundvierzig Abschüssen standen null Verluste gegenüber. Gisol war zufrieden. 106 Mit SLEAntrieb rasten die Zyzzkt auf den Wüstenplaneten ohne Atmosphäre und auf seine Trabanten zu. Den Weg ins Innere Sonnensystem und damit in die Korona des Zentralgestirns hatte Gisols Flotte den Zyzzkt abgeschnitten. Knapp dreizehn Millionen Kilometer vor Planet VI lösten sie ihre Kreisformation auf und flogen in vier Verbänden den Planeten und seine drei Monde an. Das Manöver erlaubte drei Ovoidraumem in eine für Wuchtkanonen günstige Schußposition zu gelangen. Wieder explodierten zwei ZyzzktSchiffe.
»Je fünf Einheiten übernehmen einen feindlichen Verband«, befahl Gisol. »Laßt sie nicht transitieren!« Die Zyzzkt schienen nicht die Absicht zu haben, durch den Hyperraum zu verschwinden. Sie drosselten ihre Geschwindigkeit sogar ganz erheblich. Der Hyperkalkulator baute das Hologramm des Wüstenplaneten in der Bildkugel auf. Zwei seiner Monde waren deutlich zu erkennen. »Entfernung zu Trabant I: 1,7 Millionen Kilometer«, meldete Publius Cornelius. »Einer der ZyzzktVerbände hält auf ihn zu.« »Das ist doch selbstmörderisch!« Der Worgun ballte die Fäuste. »Warum versuchen sie nicht zu transitieren? Ein Drittel von ihnen könnte entkommen! Was haben sie vor?« »Vielleicht wollen sie sich im Inneren der Trabanten und des Planeten verstecken«, sagte Livius Primus. »Sie wissen selbst, über welche Feuerkraft die Goldenen verfügen, Plottenkommandant Pnurrsk.« Dem Angehörigen einer feindseligen Rasse Auge in Auge gegenüberzustehen und mit ihm zu verhandeln war eine neue Erfahrung. Dharks Verstand war hellwach, eine starke Erregung hatte ihn ergriffen. »Ich kann dieses Risiko für meine Besatzungen und meine Schiffe nur eingehen, wenn ich genau weiß, daß die Daten, von denen Sie sprechen, diesen Preis wert sind.« Die Fühler des Insektoiden zitterten feinschlägig, seine Facettenäugen waren feucht. Er hatte einen seiner vier Arme verloren. 107 Der Verband um den Stumpf sah schmutzig aus. »Was genau also sollen die Daten aus dem Goldenen beweisen?« Der Zyzzkt schwieg ein Zeitlang. Ob er mit sich kämpfte? Und warum beäugte er Simon, den Wächter, ständig? In der Feme verhallte der Donner des Explosionslärms. Ren Dhark spürte sie körperlich, die Spannung, die plötzlich in der Luft lag. »Sie sollen es erfahren.« Der Insektoide namens Pnurrsk trat noch einen halben Schritt näher, wieder richteten seine Facettenaugen sich kurz auf den roten Tofiritkörper des Wächters. »Es gibt eine Herrscherkaste auf dem Zentralplaneten unserer Rasse. Ihre Angehörigen sind größer und schwerer als durchschnittliche Zyzzkt.« Ren Dhark nickte. Der Rebellenführer erzählte ihm nichts Neues. Er hatte selbst schon einen Angehörigen dieser sogenannten Herrscherkaste gesehen. Und nicht nur das: Er hatte sein Erbgut untersuchen lassen. »Es sind aber keine Zyzzkt«, fuhr Pnurrsk fort. »Es sind mutierte Worgun, die Zyzzktgestalt angenommen haben. Angeblich sind sie unsterblich. Andere behaupten, sie würden Tausende von Jahren leben, könnten aber dafür ihre Gestalt nicht mehr wandeln.« Dhark hörte, wie einer der Cyborgs hinter ihm die Luft scharf durch die Nase einsog. Er selbst fixierte den Zyzzkt aus schmalen Augen. »Sind Sie sicher, daß Sie das beweisen können. Flottenkommandant Pnurrsk?« »O ja, das bin ich. Und mehr noch könnte ich beweisen, wenn wir die Datenbank des Goldenen erobern. Ich könnte beweisen, daß diese Mutanten sich vor langer, langer Zeit aus dem WorgunImperium abgesetzt und eine Reihe von Planeten erobert haben, die wir heute > verbotene Welten< nennen. Ich könnte beweisen, daß sie die eingeborenen Völker ausrotteten bis sie auf unserem Heimatplaneten landeten.« »Und warum sollten die angeblichen Mutanten ausgerechnet Dir Volk verschont haben?« mischte Simons Sprachmodul sich ein. Ren Dhark machte sich klar, wie ungeheuerlich diese Behauptungen für einen Wächter der Worgun klingen mußten. »Weil sie unsere Fruchtbarkeit erkannten. Weil sie unsere Fruchtbarkeit ausnutzten, um sich Milliarden und Abermilliarden 108
Kriegsknechte zu züchten. Auch das könnte ich beweisen, wenn Sie mir helfen, den Goldenen zu erobern!« Die Fühler des Flottenkommandanten vibrierten jetzt regelrecht, und nicht nur seine: Auch die seiner Begleiter. Zwei rieben ihre Kauscheren aneinander, was sich gefährlich und gräßlich anhörte, aber vermutlich nur Ausdruck größter Erregung war. »Sie haben uns ihren tyrannischen Gesetzen unterworfen. Eines schreibt den Tod für jeden Zyzzkt vor, der Empfängnisverhütung betreibt, ob weiblich oder männlich, oder der gar eine Brut oder auch nur ein Ei zerstört, und sei es aus Versehen. Auf diese Weise haben sie uns unter ungeheuren Vermehrungs und Expansionsdruck gesetzt. Sie haben uns mißbraucht, die ganze Galaxis zu überschwemmen und für sie zu erobern, und sie wollen uns weiterhin mißbrauchen, um sich das ganze bekannte Universum zu unterwerfen. Das alles könnte ich beweisen, wenn wir den Goldenen Hochverehrten des Tores erobern. Und ich könnte diese Beweise in ganz Om bekanntmachen, und glauben Sie mir, Commander Dhark: Eine ZyzzktKolonie nach der anderen, ein Flottenkommandeur nach dem anderen würde den Worgunmutanten den Gehorsam aufkündigen! Doch je mehr Zeit wir verlieren, desto unwahrscheinlicher wird dieser Fall eintreten!« Pnurrsk deutete eine Vemeigung an und trat einen Schritt zurück. Ren Dhark begriff, daß er eine Entscheidung zu treffen hatte hier und jetzt. Ein Ja mußte ausgesprochen werden oder ein Nein. Der Wächter, der die ganze Zeit über reglos wie ein Roboter verharrt hatte, drehte plötzlich den Kopf. »Ich habe Hugo und den Hyperkalkulator mithören lassen. Beide berechnen die Wahrheitswahrscheinlichkeit dieser Aussagen mit fünfzig Prozent.« Der Commander hielt es für wesentlich wahrscheinlicher, daß Pnurrsk die Wahrheit sagte, aber er zog es vor, dem Wächter diese Einschätzung zu verschweigen. »In Ordnung, Flottenkommandant Pnurrsk. Ich will die Beweise mit eigenen Augen sehen. Wir werden die Waffenarme des Goldenen angreifen. Sammeln Sie Ihre Truppen und bereiten sie den Sturm auf die Statue vor...« 109 Alle Augen in der Kommandozentrale der POINT OF ächteten sich auf die Bildkugel. Das Hologramm von Ren Dhark baute sich darin auf. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, Dan«, sagte er. In Stichworten gab er die Aussagen des Rebellenführers wieder. »Pnurrsk zieht seine Truppen für den Sturm auf den Goldenen zusammen. Sie schlagen los, sobald wir seine Waffenarme vernichtet haben. Kommt zu uns herunter, landet neben der NOREEN WELEAN im Wald. Wir befinden uns hier unterhalb des Horizontes, den die Waffenarme des Goldenen noch erreichen können.« »Und dann?« fragte Riker. »Die verdammten Denkmäler sind hochgefährlich, das weißt du.« »Ich weiß es. Wir knacken die Statue in einer Art Schichtbetrieb.« Dharks Miene verzog sich zu einem grimmigen und zugleich bitteren Grinsen. »Immer zwei oder drei von uns steigen über den Horizont, beschießen die Waffenarme mit Nadelstrahlen und Wuchtkanonen, bis die Intervallfelder kurz vor der Überlastung stehen. Dann geht es zurück unter den Horizont, und die nächste Schicht steigt auf und schießt, bis ihr Intervallum Alarm schreit, und so weiter. Solange, bis der Intervallschutz des Goldenen zusammenbricht. Dann sind seine Arme fällig.« »Verstehe«, brummte Riker. Die Skepsis stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Versuchen wir's halt.« Nacheinander scherten die Ringraumer aus der Umlaufbahn, drangen in die Atmosphäre von Nutshell ein und landeten neben der NOREEN WELEAN auf einer Linie, die für den Goldenen unterhalb seines Schußhorizontes lag. Die POINT OF und die NOREEN WELEAN stiegen als erste in den Himmel und eröffneten das Nadelstrahlfeuer auf den Koloß ohne Gesicht... Gajus Julius informierte den Worgun über den Funkverkehr zwischen der NOREEN WELEAN und der POINT OF; und Salustus Aedilus, den Gisol beauftragt hat, den Kampf
um den Goldenen mit seinen Ortungsgeräten zu verfolgen, hielt ihn auf dem laufenden. Seit zehn Minuten stiegen auf Nutshell Dharks Schiffe ab 110 wechselnd auf und ab, griffen die ZyzzktStatue an oder regenerierten ihre Schutzsysteme. »Eine hervorragende Strategie«, kommentierte Livius Primus den Schlachtplan des terranischen Commanders. »Nicht schlecht«, entgegnete Gisol trocken. »Wenn er den Goldenen damit kleinkriegt, laß ich mich vielleicht von Ihrer Begeisterung anstecken, Subkommandant. Zunächst aber kümmern wir uns um die verfluchten Wimmelwilden, schlage ich vor.« Dreizehn weitere ZyzzktEinheiten hatten sie inzwischen abgeschossen. Die restlichen dreiundzwanzig Ringraumer waren im Intervallschutz ins Innere des Wüstenplaneten und seiner Trabanten geflogen. Je zwei Ovoidraumer verfolgten sie, und je drei Schiffe aus Gisols Rotte umkreisten den Planeten und seine drei Monde. Die EPOY flog mit zwei Ovoidraumem im Orbit der Wüstenwelt. Die Ortungsoffiziere der römischen Schiffe gaben ihm regelmäßig die Positionen der Feindverbände und ihrer beiden Verfolger unter der Planetenoberfläche durch. »Was führt ihr im Schilde?« dachte Gisol laut. Sie warten an/Verstärkung, meldete der Hyperkalkulator ungefragt. »Es ist ganz und gar untypisch für die Zyzzkt«, sagte Livius. »Sie kämpfen bis zum letzten Schiff, oder sie fliehen und kommen mit Verstärkung wieder, aber sie verstecken sich nicht. Es ist irgendwie irrational.« Gisol antwortete nicht. Der junge Offizier sagte ihm nichts Neues. »Was passiert auf Nutshell?« fragte er beiläufig. »In der Gegend um den Goldenen werden ungeheure Energien entfesselt«, antwortete Salustus. »Die Statue scheint ihre gesamte Feuerkraft aufzubieten.« »Kommandant an Funkzentrale. Haben Sie Nachrichten von der POINT OF?« »Die Transmitterstation steht seit siebzehn Minuten unter Dauerbeschuß«, sagte Gajus Julius. »Aus ihren Waffenarmen setzt sie der Flotte des Commanders gewaltig zu.« »Dachte ich mir's doch...« Der Worgun ballte die Menschenfäuste und schnitt eine grimmige Miene. »Gajus Julius an Kommandant: Funkimpuls aus dem Hyperraum!« Und im nächsten Augenblick meldete sich der Ortungs 111 Offizier einer der Ovoidschiffe aus der Umlaufbahn. »Die ZyzzktRaumer im Planeteninneren beschleunigen!« sagte er. »Sie versuchen einen Ausbruch.« Von allen Schiffen gingen plötzlich gleichlautende Nachrichten ein. Nur wenige Sekunden später rasten die ZyzzktRaumer fast gleichzeitig aus dem Planeten und aus den drei Monden, und vor allem auf gleichem Kurs. Die zwanzig Schiffe unter Gisols Kommando eröffneten das Feuer aus Mix4, Nadelstrahlen und Wuchtkanonen. Die Schutzfelder zweier ZyzzktEinheiten brachen zusammen. Nadelstrahlen bohrten sich in ihre ungeschützten Ringkörper, Geschosse aus Wuchtkanonen durchschlugen ihre Außenwände. Vergeblich flogen sie noch ein paar Ausweichmanöver, bevor sie zerbrachen und explodierten. Einundzwanzig ZyzzktEinheiten gelang es mit SLE, Kurs auf das Zentralgestim zu nehmen und damit auf Nutshell. »Sie dürfen uns auf keinen Fall entkommen!« Die Gelassenheit fiel von Gisol ab. Mit beiden Fäusten schlug er auf die Armlehnen seines Sessels. »Irgend jemand hat ihnen einen Befehl gefunkt! Wir müssen sie aufhalten, sonst fallen sie den Terranem in den Rücken!« Der Worgun ließ seine Flotte die Verfolgung aufnehmen. Einigen Schiffen wollte er den Befehl geben zu transitieren und über den Hyperraum an den Flüchtlingen vorbeizuspringen, um ihnen so den Weg abzuschneiden. Doch plötzlich drosselten die ZyzzktRaumer ihre Geschwindigkeit, formierten sich auf einer vertikalen Ebene zu einer dichten Formation, so
daß kaum hundert Kilometer die einzelnen Einheiten trennten. Sie flogen eine enge Schleife und gingen auf Konfrontationskurs. Wieder entbrannte eine heftige Raumschlacht. »Selbstmörder!« fauchte Gisol. »Bei allen Göttern Oms warum tun sie das?!« Die Ringraumer der Zyzzkt waren hoffnungslos unterlegen einmal manövrierten sie im Energiesparmodus, und zum anderen machten einige Einheiten wieder den Fehler, HyKon einzusetzen. Es wurde eine kurze Schlacht: Ein ZyzzktRaumer nach dem anderen explodierte. Zuletzt bäumten sich noch sieben Einheiten gegen das Unvermeidliche auf. Erst als Salustus Aedilus einen einzelnen Ringraumer schon zwölf Millionen Kilometer entfernt und mit Kurs auf NutsheU ortete, begriff Gisol die Taktik der Zyzzkt: 112 Zwanzig Einheiten hatten sich geopfert, um einer den Weg zum Zentralgestim zu ermöglichen. Oder zum Planeten Nutshell? »Verfolgt ihn, er darf nicht transitieren!« befahl der Worgun. »Wieder ein Funkimpuls aus dem Hyperraum!« meldete Gajus Julius aus der Kommunikationszentrale. »Diesmal an unsere Adresse!« »Laß hören!« verlangte der Worgun. Keine Reaktion. »Was ist los, Gajus? Wann gedenkst du mir den Funkspruch in die Zentrale zu schicken?« »Es ist eine Botschaft vom Planeten Epoy«, sagte der Römer aus der Funkzentrale mit eigenartig belegter Stimme... »Runter!« brüllte Janos Szardak. »Runter mit dem Kahn!« Die Außenansicht erlosch, die meisten Kontrolleuchten blinkten rot oder überhaupt nicht mehr, die Innenbeleuchtung flackerte und brach zusammen, der Kontakt mit der Waffenzentrale und dem Funkoffizier riß ab. »Belastung 99,98 Prozent«, schnarrte die monotone Kunststimme des Hyperkalkulators. Endlich sank die RHEYDT wieder unter den Horizont und aus dem Schußfeld des goldenen Zyzzkt. Die Lichter flammten auf, eine rot blinkende Anzeige nach der anderen verwandelte sich auf der Instrumentenkonsole wieder in beruhigendes, grünes Leuchten. Schließlich zeigte auch die Außenansicht wieder ein Bild: Drei Ringraumer stiegen in den Himmel und eröffneten das Feuer auf den Koloß aus Gold. »War verdammt knapp, würde ich sagen.« Janos Szardak fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. »Ein einzelnes Schiff aus Vektor siebzehn Strich achtunddreißig Strich gamma«, meldete der leitende Offizier an den Ortungsgeräten. »Entfernung 0,013 Astronomische Einheiten. Könnte ein Ringraumer aus Gisols Flotte sein.« »Funkt die EPOY an und verschafft euch Gewißheit«, sagte Szardak. »Mein Bedarf an Überraschungen ist fürs erste gedeckt.« »Commander an alle Schiffe«, tönte plötzlich Ren Dharks Stimme aus den Boxen. »Das Intervallum des Goldenen bricht zusam 113 men! Alle steigen über den Horizont! Beschuß mit Nadelstrahlen! Denken Sie daran: Nur das untere Armpaar, nur die Waffenarme!« Jubel brach aus in der Zentrale der RHEYDT. Männer und Frauen umarmten einander oder schlugen sich auf die Schultern. Die RHEYDT hob als letztes Schiff vom Boden ab, sie brauchte fast neunzig Sekunden, um ihr Intervallum wieder zu stabilisieren. Dann aber reihte sie sich unter die neun Schwesterschiffe ein, die gemeinsam mit der NOREEN WELEAN und der POINT OF am Himmel standen und die Waffenarme des Goldenen beschossen. Wie gebannt starrten Dan Riker und seine Leute in der Kommandozentrale des Flaggschiffs in die Bildkugel. Das untere Armpaar des Goldenen glühte bereits, eines der Glieder löste sich vom Rumpf, schoß kilometerweit nach unten und schlug im Schlachtfeld am Fuß des Sockels
ein. Wieder brandete Jubel in der Zentrale auf. Minuten später stürzte auch der zweite Waffenarm nach unten. »Er ist erledigt!« brüllte Riker. »Er kann nicht mehr feuern!« »Commander an alle Schiffe!« Das war Dharks Stimme. »Gratuliere! Der Weg ist frei, die Rebellen können stürmen. Verteilen Sie sich in einem Radius von neunzig Kilometern rund um den Goldenen und schießen sie auf alles, was sich Pnurrsk und seiner Truppe in den Weg stellen will!« Jedem Ringraumer wurden Koordinaten zugeteilt. Als Dan Riker die POINT OF in Stellung gebracht hatte, sah er in der Bildkugel, wie die goldene Statue ihr noch verbliebenes oberes Armpaar bewegte. Langsam breitete sie die Hände aus. »Commander an alle!« Der nächste Befehl von der NOREEN WELEAN. »Er versucht das Transmitterfeld aufzubauen. Wir können die Arme nicht unter Feuer nehmen, ohne Pnurrsk zu gefährden. Er befindet sich bereits im Anflug auf den Sockel. Doch was immer dort vom den Hyperraum verläßt wir greifen es an!« 114 Zweiundfünfzig Maschinen rasten über das Schlachtfeld vor dem Goldenen Hochverehrten des Tores. TZC, Flash und Flugeleiter älterer Baureihen. Die Hälfte nahm unter dem Kommando des Hauptstadtkommandanten von Westen her Kurs auf das Südschott, die andere Hälfte unter Pnurrsks Kommando von Osten her auf das Nordschott. Pnurrsk hatte seinen Piloten und Kämpfern keine Zeit gelassen, die Zerstörung der Waffenarme zu bejubeln. Die fast einen Kilometer langen Goldglieder hatten zwei gewaltige Krater in das Steinfeld zu beiden Seiten des Sockels geschlagen. Flammen loderten aus ihnen, und über den Flammen sammelte sich schwarzer Qualm. Pnurrsk befahl seinen Maschinen, über die Flammen zu steigen und im Schutz des Qualms die Nordseite des Sockels anzusteuern. Sein TZC ging in den Steigflug. Elfhundert Meter mußten sie steigen, bis sie die höchsten Flammen überfliegen und in den Qualm eintauchen konnten. »Der Goldene Hochverehrte des Tores aktiviert sein Transmitterfeld...!« Von sechs verschiedenen Flash und TZC ging die Nachricht fast gleichzeitig ein. »Flottenkommandant an alle«, funkte Pnurrsk. »Die Zentralmacht schickt neue Ringraumer. Entweder wird Commander Dhark mit ihnen fertig oder nicht. Wir konzentrieren uns einzig und allein auf die Eroberung des Goldenen. Schaffen wir das und sichern wir die Dateien mit der alten Chronik, haben wir den ersten Schritt in die Freiheit der Zyzzktvölker getan. Schaffen wir es nicht, ist sowieso alles verloren. Es geht nicht um euch, es geht um euer Volk und um Om. Ende.« Eine Maschine nach der anderen jagte aus der Qualmwolke und ging sofort in den Sinkflug. Drei Geschützbatterien achtzig Kilometer nördlich des Kraters eröffneten das Feuer. Pnurrsk befahl zehn Flash und sechs TZC, die mobilen Roboterstationen anzugreifen. Er selbst flog mit zwei Flash, vier Gleitern und vier TZC das Nordschott an. Er machte seiner Erleichterung durch schrilles Zirpen Luft, als er 8^, daß die Sockelwand auf einer Länge von hundertfünfzig und ^s in eine Höhe von sechzig Metern in den Krater abgerutscht war. Es gab kein Nordschott mehr, es gab nur ein riesiges, unregelmäßig geformtes Loch, und hinter dem Loch lagen die äußeren 115 Segmente des Sockels schutzlos jedem Angreifer preisgegeben. Sie flogen hinein, stießen auf nur schwachen Widerstand. Erst im Zentrum des Sockels gab Pnurrsk Befehl, die Maschinen zu verlassen. Mit siebenundsiebzig Kämpfern stürmte er die Energiezentrale. Mit Todesverachtung und unter großen Verlusten überrannten sie die Besatzung. Pnurrsk ließ die Energiezentrale sichern. Drei Spezialisten assistierten ihm, als er die geheime Datei aus den Tiefen der Datenbank lud. »Kopieren«, wies er seine Leute an. »Macht drei Kopien davon, und dann verschwinden wir wieder...« »Nachricht vom Hauptstadtkommandanten«, meldete ihm ein Funker. »Er hat das Südschott erobert.«
»Gut.« Zum ersten Mal seit langem gestattete Pnurrsk sich so etwas wie Zuversicht. »... und er hat gesehen, wie ein Ringraumer der Loy allsten in das Transmitterfeld geflogen ist.« Danach ging alles sehr schnell: Zuerst stieg die Innentemperatur innerhalb kürzester Zeit um sechzig Grad an, dann flackerten sämtliche Lichter, danach stürzte der Rechner ab, und schließlich wurde es stockdunkel... »...es ist unglaublich! Es ist einfach unglaublich!« Bentheims Gesicht im Hologramm der NOREEN WELEAN war hochrot. »Als würde ein schwarzes Loch sämtliche Sterne auskotzen, die es je verschluckt hat! Die gleiche Hölle wie aufVirm!« »Danke für den Bericht, Spence!« sagte der Commander. Das Gesicht des Astrophysikers löste sich auf, eine zerfließende, glühende Gestalt in einem Meer aus rötlichen und türkisfarbenen Flammen füllte die Bildkugel aus. Bis zur Goldbrust hüllte das Feuer aus dem Hyperraum den Goldenen bereits ein. »Er irrt sich«, orgelte Simons Sprachmodul. »Es ist nicht die gleiche Hölle wie auf Virm. Es ist schlimmer, viel schlimmer!« »POINT OF an NOREEN WELEAN! Wir sollten verschwinden, Ren!« Dan Rikers Stimme überschlug sich fast. »Die Flammen ra 116 sen wie eine Springflut über den Planeten, sie haben schon die Hauptstadt erreicht!« »Das Schiff ist mit aktiviertem Intervallum in das Transmitterfeld gerast.« Simons Sprachmodul war nicht in der Lage, das Entsetzen widerzuspiegeln, das in seinem halbsynthetischen Him tobte. Er hätte schreien mögen. »Dadurch hat es tausend mal mehr Energie aus dem Hyperraum gerissen als der Robotraumer auf Virm. Darin stimme ich mit Hugo und meinem Hyperkalkulator überein.« »Mein Gott, mein Gott...« Neben dem schwebendem Spindelroboter stand Amy vor der Bildkugel und preßte die gefalteten Hände gegen Kinn und Unterlippe. Ihre Gesichtshaut war aschfahl. »Auf Nutshell leben Milliarden! Können wir denn niemanden retten...?« Dhark, Yello und Carrell antworteten nicht. Dafür schnarrte die Kunststimme Hugos aus seinen Tonschlitzen. »Empfehle dringend Rückzug von diesem Planeten. Die Energiewellen und ihre Ausbreitung widerstehen selbst meiner Rechenkapazität.« Das Hologramm war ein einziges Flammenmeer, die Gestalt des Goldenen längst geschmolzen, wohin der optische Reizstrahl auch tastete: ein einziges Flammenmeer. »Commander an alle«, funkte Ren Dhark. »Wir starten. Sobald die Atmosphäre unter uns liegt, nehmen wir Kurs auf Gisols Flotte.« Wie die zehn terranischen Schiffe auch, nahm die NOREEN WELEAN Fahrt auf. Simon konzentrierte sich auf die Datenpakete seines Hyperkalkulators. Datenlisten rauschten durch sein halbsynthetisches Him. »Gammastrahlung, überschwere Teilchen, unglaubliche Magnetfelder«, schnarrte es aus seinem Sprachmodul. »Riker hat recht: Das Feuer rast wie eine Flutwelle um den Planeten, als wäre ein Komet auf Nutshell eingeschlagen...« »So viele Lebewesen...« Amy schlug die Hände vor die Augen. »So viele Milliarden...« Dhark stand wie festgefroren. Nur seine Kaumuskulatur arbeitete. Niemand achtete auf die Meldungen: Ein Ringraumer nach dem anderen verließ die kochende Atmosphäre Nutshells. »Vulkanausbrüche, Erdbeben... die fremde Energie verwandelt 117 alles in Feuer, was sie berührt.« Simon referierte die Informationen seines Hyperkalkulators. »Der Planet wird in den nächsten Minuten auseinanderbrechen.« Von der POINT OF aus meldete Bentheim plötzliche Sonneneruptionen. Sie gefährdeten bereits den innersten Planeten des Systems. Hugo bestätigte. »Der Richtfunkimpuls war ein Befehl aus dem Hyperraum«, sagte Simon. »Ihre Zentralmacht selbst hat ihnen befohlen, in den Transmitter zu fliegen...«
»Und Milliarden von Lebewesen zu vernichten«, flüsterte Amy.
»Sie opfern einen Planeten, sie töten sämtliche Bewohner nur um ihr Geheimnis zu wahren.«
Simon sank in seinen Spezialsessel. Als hätte er Kopfschmerzen, drückte er die Tofiritfäuste
gegen seine Metallschläfen.
»Um ihre Macht zu erhalten«, sagte Ren Dhark. Und dann:
»Commander an POINT OF.«
»Wir hören.«
»Informiere Gisol und Manlius, Dan. Und dann so schnell wie möglich raus aus dem
Sonnensystem. Wir kommen wieder rüber.«
»Verstanden. Wird auch höchste Zeit... nach Bentheims neusten Messungen gerät es schon
aus den Fugen.«
Ren Dhark ging zur Wendeltreppe, die hinauf zur Galerie und zum Eingang in den
Ringtransmitter führte. Amy und die beiden männlichen Cyborgs folgten ihm. »Eine
Nachricht von der EPOY, Commander Dhark«, schnarrte Hugo. In der Bildkugel baute sich
Gisols Konterfei auf. Schweigend und blaß hockte der Worgun im Kommandostand seines
Schiffes.
Dhark, schon auf halber Höhe der Wendeltreppe, wandte sich um.
Da der Worgun schwieg, ergriff er zuerst das Wort. »Das Sonnensystem wird instabil, wir
müssen verschwinden, mein Freund.«
Gisol nickte stumm.
»Machen euch die ZyzzktRaumer Schwierigkeiten?«
Gisol schüttelte stumm den Menschenkopf.
»Was ist passiert. Geheimnisvoller? Nun sprich schon!«
»Ich habe eine Nachricht vom Planeten Epoy bekommen; auf
118
&
einer speziellen Frequenz.« Jim Smith alias Gisol sprach, als hätte ungeheure Müdigkeit ihn
ergriffen. Jedes Wort schien ihm schwerzufallen. »Die Zyzzkt haben begonnen, die Worgun
zu ermorden...«
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9. Ren Dhark saß im Pilotensitz der POINT OF. Er stand immer noch unter dem Eindruck der Neuigkeiten, die Gisol ihm soeben übermittelt hatte. Die Zyzzkt haben mit dem Völkermord an den letzten Worgun begonnen, ging es Dhark durch den Kopf. Vielleicht ist es schon zu spät, wenn wir Epoy erreichen... Auf der Bildkugel in der Mitte der Zentrale waren andere Schiffe der sogenannten Flotte der 31 zu sehen. Gisols EPOY und Simons NOREEN WELEAN fielen Dhark besonders auf. Am weitesten entfernt war die BUDVA unter Kommandant Charlie Jana. Im Hintergrund leuchtete die Sonne des untergegangenen Planeten Nutshell. »Das gesamte System ist jetzt dabei zu kollabieren«, meldete Leutnant Tino Grappa, der Chef der Ortung. »Wir müssen hier schleunigst weg, sonst bekommen wir Probleme allererster Ordnung!« »Dazu werden wir es nicht kommen lassen«, sagte Dhark und stellte eine Verbindung zur FunkZ her. »Hier Leutnant Morris«, meldete sich der Erste Funkoffizier der POINT OF. »Schalten Sie eine Phase frei, die mich mit allen Einheiten verbindet.« »Phase ist freigeschaltet. Sie können sprechen.« Dharks Gesicht wirkte angespannt. »Dhark an alle. Wir werden das System umgehend verlassen und einen Sprung von drei Lichtjahren durchführen. Der Treffpunkt liegt im freien Raum. Die Koordinaten werden übermittelt. Danach entscheiden wir, wie es weitergeht.« Von allen 30 Schiffen erhielt Dhark ein einfaches Bestätigungssignal.
120 ^, Lediglich Gisol meldete sich von seiner EPOY aus zu Wort. »Ich bin dafür, daß wir umgehend nach Epoy fliegen«, sagte der Worgun. »Vielleicht gelingt es uns, das Schlimmste zu verhindern!« »Natürlich«, stimmte Dhark zu. »Aber ich möchte erst Kontakt mit Terra Nostra aufnehmen haben. Eventuell können wir Unterstützung bekommen.« »Die Zeit drängt, Ren.« »Trotzdem sollten wir überlegt handeln. Niemandem nützt es, wenn wir blindlings in unseren Untergang stürmen.« Dhark unterbrach die Verbindung. »Alles klar zur Transition«, erklärte Hen Falluta. Der Erste Offizier der POINT OF blickte angestrengt auf die Anzeigen seiner Konsole. »Sind die Koordinaten des Zielpunktes übermittelt?« erkundigte sich Dhark bei Glenn Morris in der FunkZ. »Daten übermittelt«, bestätigte der Erste Funker. »Dann nichts wie los«, murmelte Dhark. Er war mit dem Schiff über die Gedankensteuerung verbunden. Die POINT OF beschleunigte. Wenig später trat das Raumschiff in den Hyperraum ein. Ohne meßbaren Zeitverlust tauchte es an dem zuvor bestimmten Ort wieder in das Normaluniversum ein. Zielkoordinaten erreicht, meldete ihm der Checkmaster. Die anderen Schiffe der kleinen Flotte folgten. Mit geringfügiger Verzögerung von zumeist kaum mehr als ein paar Sekunden tauchten sämtliche Einheiten auf der Bildkugel auf. Innerhalb dieser Zeit verschwand auch das flaue Gefühl in der Magengegend, das Dhark als Folge eines Transitionssprungs nur allzu bekannt war. Er wandte sich erneut an Glenn Morris in der FunkZ. »Stellen Sie mir eine ToRichtfunkverbindung mit Terra Nostra her«, forderte er. »Sofort.« Einen Augenblick später stand die Verbindung. Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht von Admiral Martius. 121 Ein angestrengtes Lächeln umspielte die Lippen des neurömischen Befehlshabers. »Es freut mich, von Ihnen zu hören, Dhark«, sagte er. »Die Freude ist ganz meinerseits«, gab Dhark zurück. Er gab einen knappen Bericht über die Ereignisse, die zum Untergang von Nutshell geführt hatten, und kam anschließend auf die Situation auf Epoy zu sprechen. »Wir müssen damit rechnen, daß sich starke ZyzzktVerbände im ForuSystem befinden. Es wäre gut, wenn wir Unterstützung hätten, um die letzten Worgun vor dem Untergang zu bewahren.« »Sie wissen, wie sehr wir Neurömer von Terra Nostra die Worgun verehren. Schließlich verdanken wir ihnen viel. Aber im Moment, fürchte ich, ist eine Abordnung von Flotteneinheiten nicht möglich.« »Nicht wenigstens ein paar kampfstarke Einheiten? Schließlich läuft doch die Produktion der neuen Ovoidraumer auf Hochtouren.« »Das ist wahr«, bestätigte der römische Admiral, der in seiner schneeweißen Toga wie ein lebendiger Anachronismus wirkte. »Die Lage läßt es einfach nicht zu. Ich will Ihnen das näher erläutern. Unsere Flotte ist in Abwehrkämpfe mit zahlenmäßig weit überlegenen ZyzzktVerbänden verwickelt. Ich mache mir keine übertriebenen Sorgen. Schließlich wird Terra Nostra durch die Materiewolke Gardas vor den Invasoren wirksam geschützt. Aber zur
Zeit können wir andererseits diese Wolke auch unmöglich verlassen, ohne sofort angegriffen zu werden. Und die Zyzzkt sind hartnäckige Kämpfer... Doch wem sage ich das, Dhark.« Der Commander atmete tief durch. Er wechselte einen kurzen Blick mit Dan Riker und Hen Falluta. Manlius, der kommandierende Offizier der zehn römischen OvoidRingraumer der Flotte, war nach einem Transmitterdurchgang ebenfalls in der Zentrale anwesend. Der Neurömer schaltete sich jetzt in das Gespräch ein. Auch er trug eine schneeweiße Toga, an deren Spange sich ein Kommunikator befand. In der Hand hielt er ein Datenmodul für seine persönlichen Aufzeichnungen. All das hatte auf Dhark immer wie eine Mixtur aus verschiedenen Zeitaltem gewirkt. Und in 122 gewisser Weise war es das auch, hatten doch die Nachkommen der seinerzeit von Worgun nach Terra Nostra entführten 48. Legion des Römischen Imperiums in ihrer Kultur viele Elemente der Antike bewahrt, die auf der Erde längst verlorengegangen waren. »Legat Manlius hier«, sagte der Römer. »Ich bitte Sie zu bedenken, in welch ernster Lage sich die Worgun auf Epoy befinden müssen. Unsere Kräfte sind für ein Eingreifen vollkommen unzureichend.« »Es tut mir leid. Aber uns geht es im Moment nicht besser als Ihrem Flottenverband. Bedenken Sie die Ausdehnung der Wolke Gardas! Sie hat einen mittleren Durchmesser von über 370 Lichtjahren! Die Raumschlacht, die hier im Gang ist, hat selbst für unsere Verhältnisse gigantische Ausmaße. Wir brauchen zur Zeit jede Einheit, um die Zyzzkt abwehren und zurückschlagen zu können. Sobald es möglich ist, Einheiten zu entbehren, werden wir Ihnen Hilfe senden.« Dhark nickte niedergeschlagen. »An dieser Lage läßt sich im Moment wohl nichts ändern«, gestand er zu. »Es tut mir leid«, betonte Admiral Martius noch einmal. Der Befehlshaber der römischen Flotte wandte sich nun noch einmal ausdrücklich an den Commander der Planeten. »Dhark, Sie wissen, was es bedeuten würde, wenn Terra Nostra tatsächlich in ernsthafte Schwierigkeiten geriete. Gardas ist die letzte Bastion in der Galaxis Om, die die Zyzzkt nicht einnehmen konnten.« »Ja, ich weiß«, sagte Dhark. Sie verabschiedeten sich. Die Verbindung wurde unterbrochen. »Und was jetzt?« fragte Dan Riker an Dhark gewandt. Dhark zuckte die Achseln. Der weißblonde Terraner erhob sich aus dem Pilotensitz. »Ich denke, wir können unmöglich tatenlos zusehen, wie die Worgun von den Zyzzkt abgeschlachtet werden«, sagte er. »Also fliegen wir nach Epoy«, schloß Dan Riker. Dhark nickte. »Ja, aber nicht blindlings. Wir werden uns vorsichtig nahem und die Lage peilen.« »Einverstanden«, sagte Riker. »Vor allem auch im Hinblick dar^f, daß Gisol möglicherweise ganz eigene Interessen verfolgt.« 123 »Du meinst, daß seine Angaben falsch sind?« »Ich meine damit, daß es nicht das erste Mal wäre, daß er nicht ganz mit offenen Karten spielt und nicht nur eigenmächtig handelt, sondern auch versucht, unsere Entscheidungen in eine Richtung zu manipulieren, die ihm und seiner Sache nützt.« Dhark wußte, daß sein alter Freund und Weggefährte Riker die Wahrheit sagte. Zwar war Ren weit davon entfernt, Gisol zu mißtrauen, aber gesunde Skepsis war im Hinblick auf den Worgunrebellen durchaus angebracht. Das hatte die Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt.
Dhark rief die FunkZ.
Morris meldete sich.
»Stellen Sie Kontakt zu den anderen Schiffen her. Ich brauche eine Konferenzschaltung aller
Kommandanten.«
»In Ordnung, Sir! Ist schon so gut wie erledigt.«
Über die weitere Vorgehensweise war man sich schnell einig. Insbesondere Gisol begrüßte es,
daß der Weg der Flotte zum Heimatplaneten der Worgun führen sollte.
Er konnte kaum erwarten, endlich nach Epoy zurückzukehren.
In mehreren Transitionen näherte sich die Flotte der 31 Schiffe dem ForuSy stem mit der Welt
Epoy. Schließlich transitierte sie in einen Raumsektor, der nur wenige Lichtjahre von ihrem
Ziel entfernt war.
Alle Einheiten hatten den vollen Tamschutz aktiviert.
Die Abtaster der POINT OF und der anderen zum Verband gehörenden Schiffe arbeiteten auf
Hochtouren.
Tino Grappa meldete sich. »Es zeigen sich starke energetische Aktivitäten rund um Epoy.
Außerdem konnten wir Transitionen von Raumschiffen anmessen. Ich würde sagen, da findet
ein heftiges Gefecht statt, an dem mindestens hundert Einheiten beteiligt sein müssen.«
Manlius hob die Augenbrauen. »Wer kämpft da gegen wen?« fragte er.
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Römische Verbände soviel stand fest konnten es jedenfalls nicht sein.
»Wir gehen näher heran«, bestimmte Dhark.
Er übernahm jetzt die Position des Piloten Hen Falluta, der sie auf dem bisherigen Flug
innegehabt hatte. Mit aktiviertem Sternensog näherten sich die Raumschiffe. Die
Intervallfelder waren eingeschaltet.
Die Ortungssensoren lieferten Sekunde für Sekunde aktualisierte Daten. Grappa aktivierte
eine Projektion, die die Erkenntnisse veranschaulichte. Die Positionen der einzelnen
Raumschiffe waren zu sehen.
»Zwei Flotten von Ringraumem scheinen sich da gegenüberzustehen«, erklärte Grappa. »Eine
Gruppe von 50 Raumschiffen kämpft gegen eine Flotte von etwa 150 Einheiten.«
Dan Riker betrachtete nachdenklich die Projektion.
»Die kleinere Gruppe scheint den Planeten gegen die größere verteidigen zu wollen«, stellte
er fest.
»Sie haben kaum eine Chance«, mischte sich Manlius ein. »Die Übermacht ist zu groß.«
Die Schlacht schien mit äußerster Verbissenheit geführt zu werden. Mix4 und Nadelstrahlen
wurden ebenso eingesetzt wie HyKon. Die Anzeige der Bildkugel holte das Geschehen heran.
Ein greller Lichtpunkt blitzte auf. Es hatte eines der Verteidigerschiffe erwischt. Es war nach
intensivem Beschuß explodiert. Ein Blick auf die Anzeigen verriet, daß Trümmerteile durch
das AU geschleudert wurden.
Wer kämpft da gegen wen? fragte sich Ren Dhark.
Beide Gruppen verfügten jedenfalls über Ringraumer.
Tino Grappa lieferte wenig später ein weiteres interessantes Detail.
»Sir, die Verteidigerschiffe senden nicht das vorgeschriebene IDSignal der Zyzzkt aus«,
erklärte er. Dhark atmete schwer. »Dann sind sie entweder Narren oder...«
»Rebellen«, vollendete Dan Riker den Satz seines alten Freundes.
Die Übermacht der Angreifer war erdrückend.
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Zwar schafften es die Verteidiger, ihnen immer wieder Verluste zuzufügen. Aber es war nur
eine Frage der Zeit, wann die Waffen gestreckt werden mußten. Lange kann es nicht mehr
dauern, überlegte Dhark. Der Vormarsch der Angreifer ist kaum aufzuhalten.
Der Checkmaster, mit dem Dhark zur Zeit über die Gedankensteuerung verbunden war,
bestätigte die taktische Analyse des Commanders der Planeten.
Sämtliche Schiffe befanden sich im Vollbetriebsmodus. Die Verteidiger kämpften mit dem
Mut der Verzweiflung. Aber immer wieder wurden Schiffe aus ihren Reihen zerstört. Jeder
Verlust zählte für die zahlenmäßig weit Unterlegenen natürlich doppelt und dreifach.
»Was jetzt?« fragte Riker. »Greifen wir auf Seiten der Verteidiger ein, ohne zu wissen, um
wen es sich da in Wahrheit handelt?«
»Ich möchte eine Verbindung zur EPOY«, erklärte Dhark und wandte sich damit an Glenn
Morris von der FunkZ.
»Einen Augenblick.«
Der Augenblick verstrich, aber die Phase wurde nicht freigeschaltet.
»Was ist los?« fragte Dhark.
»Die EPOY hat einen offenen Kanal geschaltet und versucht, Kontakt mit den kämpfenden
Räumern aufzunehmen.«
»Was?« entfuhr es Dhark.
Innerlich verwünschte er den Worgun.
Die Tarnung der Flotte war damit hinfällig. Eine Botschaft in einem offenen Kanal! Fällt dir
wirklich nichts Besseres ein, Gisol? überlegte der Commander der Planeten.
»Was habe ich dir gesagt. Reu«, knurrte Riker. »Der Kerl neigt zu Eigenmächtigkeiten!«
Zähneknirschend mußte Dhark ihm recht geben.
Andererseits hatte Gisols Handlungsweise immer einen rational nachvollziehbaren Grund
gehabt, auch wenn Dhark die Vorgehensweisen des Worgunrebellen nicht gutheißen mochte.
Aber der lange Kampf gegen die Herrschaft der Zyzzkt hatte Gisol offenbar mit einer nicht zu
unterschätzenden Portion Haß geimpft. Haß, der sich ab und zu einfach Bahn brechen mußte.
Darüber hinaus waren natürlich hin und wieder auch schlichte
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Interessengegensätze zwischen dem Worgunrebellen und den Terranem zutage getreten. Im
großen und ganzen waren diese Interessen zwar deckungsgleich, aber es gab auch
Unterschiede.
»Was glaubst du, was er vorhat?« fragte Dan Riker an Dhark gewandt.
Der Commander der Planeten zuckte die Achseln.
»Hören wir es uns einfach mal an. Schließlich sendet Gisol ja über eine offene Phase.«
»Hier spricht Gisol, der Kommandant der EPOY. Wir orten Ringraumer ohne die
vorgeschriebene ZyzzktIdentifizierung und erbitten Kontakt«, meldete sich die Stimme des
Gestaltwandlers.
Die Antwort erfolgte prompt.
Für Ren Dhark und alle anderen Anwesenden in der Zentrale der POINT OF war sie eine
Überraschung.
»Hier spricht Maluk, Oberkommandierender der Verteidiger von Epoy...«
Ein guter alter Bekannter also! ging es Dhark durch den Kopf. Er hatte Maluk bei ihrem
letzten Aufenthalt auf Epoy kennengelernt, als er mit Gisol unterwegs gewesen war, um die
Lage auf dem Planeten zu erkunden. Maluk war einer der Köpfe des Widerstandes, den die
Worgun seit langem auf kleiner Flamme gegen die verhaßten Invasoren organisierten. Ren
Dhark erinnerte sich noch gut an die Versammlung der Widerständler, die er gemeinsam mit
Gisol besucht hatte und auf der die Gestaltwandler ihre verzweifelte Lage geschildert hatten.
Dhark hatte auch damals schon gespürt, daß der Worgun jemand out weitreichenden
Verbindungen war. Zumindest für die Verhältnisse eines eigentlich Unterprivilegierten und so
gut wie rechtlosen Worgun. Daß er jedoch zusammen mit seiner spärlichen Schar
Widerstandskämpfer offenbar in der Lage war, immerhin gut fünfzig Ringraumer aufzubieten,
erstaunte den Terraner.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Offenbar war der Widerstand weitaus besser organisiert als erwartet.
»Gisol! Wir brauchen dringend Hilfe«, erklärte Maluk. »Du siehst ja, wie es um uns steht! Früher oder später wird uns die überlegene Flottenstärke unserer Feinde erdrücken. Außerdem 127 sind die Worgun auf der Oberfläche in einer verzweifelten Lage. Die Zyzzkt haben damit begonnen, sie systematisch umzubringen und wir besitzen nicht genügend Kräfte, um dagegen etwas ausrichten zu können.« »Ich habe nicht vor, euch im Stich zu lassen«, kündigte Gisol an. Ren Dhark erinnerte sich an die Gespräche, die er damals mit Maluk geführt hatte. Der Widerstandskämpfer hatte immer wieder versucht, Dhark davon zu überzeugen, daß die Terraner unbedingt gemeinsam mit den Neurömem und den Widerstandskämpfern gegen die Zyzzkt vorgehen sollten. Schließlich stellten die Zyzzkt nach Maluks Darstellung eine Gefahr für das gesamte bewohnte Universum dar. Damals hatte Dhark noch gezögert, sich in die inneren Angelegenheit der Galaxis Om einzumischen, auch wenn sowohl Worgun als auch Neurömer seine volle Sympathie genossen. Inzwischen war genau jenes Szenario Wirklichkeit geworden, das Maluk und auch Gisol! von Anfang an angestrebt hatten. Tino Grappa meldete sich. »Unsere Ortung zeigt an, daß sich zehn Flash von der EPOY gelöst haben.« »Gisol verliert keine Sekunde«, stellte Riker fest. »Offenbar hat er wirklich vor, gegen die Zyzzkt zu kämpfen.« »Die Flash fliegen automatisch. Es befindet sich niemand an Bord«, ergänzte Grappa seine Angaben. Auch auf der Bildkugel waren jetzt Veränderungen erkennbar. Die EPOY und Gisols restliche Flotte von zehn Ringraumem lösten sich aus dem Verband der Flotte. Für Ren Dhark war sofort klar, daß sie Kampfformation eingenommen hatten und nun offenbar zum Angriff übergingen. »Gisols Ringraumer befinden sich im Vollbetriebsmodus. Intervallfelder sind aktiviert«, meldete Grappa. »Die Energiesignaturen lassen eine Aktivierung der Waffensysteme vermuten.« Dhark nickte düster. »So etwas hatte ich mir schon gedacht«, murmelte er. Leon Bebir, der Zweite Offizier der POINT OF, meldete sich zu Wort. »Jemand aktiviert einen der Transmitter... hier auf der Brücke der POINT OF!« stieß er hervor. 128 Alle Blicke waren auf den Transmitter gerichtet. Augenblicke später erschien Gisol. Er hatte seine menschliche Gestalt angenommen. Dhark erhob sich aus dem Pilotensitz. Er trat Gisol entgegen. »Ich habe das Kommando über meine zehn Schiffe an Livius Primus übergeben«, sagte Gisol, so als ob dies seine Vorgehensweise erklären konnte. »Was soll diese Eigenmächtigkeit?« fragte Dhark aufgebracht. »Primus ist ein fähiger Mann! Einer der talentiertesten Römer, die ich kennengelernt habe! Ich weiß nicht, was du dagegen einzuwenden hast.« »Ich habe etwas gegen Alleingänge einzuwenden, Gisol. Ich dachte, wir wären Verbündete. Das setzt allerdings gegenseitige Offenheit und die Einhaltung von Absprachen voraus.« Das täuschend menschenähnliche Gesicht des Gestaltwandlers wirkte genervt. In seinen langen Jahren unter Menschen hatte er sich die menschliche Mimik perfekt zu eigen gemacht. »Jetzt ist keine Zeit mehr für Spielchen«, erklärte er. »Es geht um das nackte Überleben der Worgun.« Er deutete auf die Bildkugel, die unter anderem den Planeten Epoy zeigte. »Dort
unten, auf der Oberfläche unserer Heimatwelt, findet eine verbrecherische Massenschlächterei statt. Unser Volk ist dabei nichts weiter als Schlachtvieh, das dahingemetzelt wird. Die Worgun haben keine Chance, und ich werde nicht zögern, alles zu tun, um die Mordpläne der Wimmelwilden zu durchkreuzen!« Gisol atmete tief durch. Sein Gesicht war rot angelaufen. Im nächsten Moment zerfloß es. Gisol verwandelte sich und nahm seine eigentliche Gestalt an. Er wurde zu einer riesenhaften, rund einhundert Kilogramm schweren Amöbe. Selten zuvor hatte Ren Dhark den Worgun derart emotional erlebt. Angesichts der Situation, in der sich sein Volk befand, war das Jedoch nur allzu verständlich. Es war bekannt, daß ein Worgun bei starker emotionaler Belastung die Kontrolle über seine körperliche Gestalt verlieren und in üie amöbenhafte Ursprungsform zurückfallen konnte. Aber Ren 129 Dhark glaubte Gisol inzwischen gut genug zu kennen, um eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wahrscheinlich will er uns seine Gefühle nicht in dieser offenen Weise zeigen, überlegte der Commander der Planeten. Zweifellos waren für menschliche Beobachter Gisols Emotionen sehr viel leichter einzuschätzen, wenn er seine JimSmithGestalt angenommen hatte. »Was ist?« fragte der Worgun schließlich, während auf der Bildkugel erkennbar war, daß sich Gisols zehn Schiffe inzwischen ins Kampf getümmel geworfen hatten. Energieblitze zuckten. Einer der ZyzzktRaumer explodierte unter intensivem Beschuß. Eine Kombination aus Mix4 und Nadelstrahlen zerstörte das Schiff der käferartigen Herren von Om. »Wollen wir abseits bleiben? Die Zyzzkt werden keinen Unterschied zwischen meinen Schiffen und der POINT OF machen«, gab Gisol seiner Überzeugung Ausdruck. Ren Dhark wußte, daß ihm gar keine Alternative blieb. Natürlich mußte den Worgun geholfen werden. Was ihn ärgerte, war die Tatsache, daß Gisol diese Entscheidung mehr oder minder erzwungen hatte. Dhark setzte sich wieder in den Pilotensitz. Er stellte eine Verbindung zur FunkZ her. Morris meldete sich. »Sir?« »Schalten Sie eine Phase frei, die mich mit sämtlichen Einheiten unserer Flotte verbindet.« »Schon geschehen«, sagte Morris einen Augenblick später. Dhark wandte sich an die Kommandanten der anderen Schiffe. »Wir nehmen Angriffsformation ein und unterstützen die Worgunrebellen«, bestimmte er. »Hoffen wir, daß das Morden bald ein Ende hat.« Die Raumschlacht war im vollen Gang. Mix4 und Nadelstrahlen waren die bevorzugten Waffen der ZyzzktRaumer, die mit eingeschaltetem Intervallum flogen. Durch das silbergraue, fluoreszierende Strahlenfeld, das durch Mix4 erzeugt wurde, konnten die Intervallfelder der WorgunVerteidiger aufgeweicht werden. 130 Ein anschließender Beschuß mit gezielten Nadelstrahlen führte häufig zum Erfolg. Ren Dhark und die anderen Anwesenden im Leitstand der POINT OF konnten beobachteten, wie innerhalb weniger Sekunden gleich mehrere Ringraumer der WorgunVerteidiger sich in Fusionsblitze verwandelten. Mit greller Lichterscheinung zerbarsten sie. Sofern überhaupt Trümmerteile zurückblieben, wurden sie weit auseinandergeschleudert. Manche von ihnen glühten kurz auf wie Sternschnuppen. Ungefähr 80 Schiffe zählten die Verteidiger zusammen mit Dharks Flotte sowie Gisols Schiffen. 80 Schiffe gegen 150 ZyzzktRaumer. Dharks Schiffe hatten dabei ebenso wie Gisols Einheiten den neu eingebauten Kompaktfeldschirm aktiviert. Die für die Römer neuen Wuchtkanonen kamen ebenfalls zum Einsatz.
Dhark gab den Befehl, den Verband weiter auseinanderzuziehen, um die Trefferwahrscheinlichkeit des Feindes zu verringern. Die POINT OF feuerte eine erste Salve mit ihren Strahlantennen ab. Für die anderen Raumer war dies das Signal, ebenfalls das Feuer zu eröffnen. Die ersten Treffer wurden gelandet. Mehrere ZyzzktRaumer explodierten. Es gab keine Überlebenden. Mühelos durchschlugen die Schüsse der Wuchtkanonen die Intervallfelder der Feindeinheiten. Projektile aus Tofirit mit inzwischen fünf Zentimetern Durchmesser wurden eingesetzt. In einem röhrenförmigen Feld wurde die Masse dieser Projektile aufgehoben. Ein elektromagnetischer Impuls beschleunigte sie verzögenmgsfrei auf Lichtgeschwindigkeit. Sobald ein solches Projektil aus dem Beschleunigungsfeld heraustrat, erhielt es seine Masse zurück. Die Geschwindigkeit wurde dabei beibehalten. Auf diese Weise wurden die mit der Wuchtkanone verschossenen Tofiritprojektile zu einer Waffe, die jegliche bekannte Panzerung durchschlagen konnte. Trafen sie nicht auf ein festes Hindernis (sondern etwa auf ein Intervallfeld), wandelten sie sich in Sekundenbruchtel^en in reine Energie um. Der Impuls war gewaltig zu gewaltig mr e11! durch Mix4 geschwächtes Intervallfeld , da eine fünf 131 Zentimeter durchmessende Kugel aus massivem Tofidt über eine Masse von mehr als 20 Tonnen verfügte. Die Ringraumer der Zyzzkt bekamen die Macht der neuen Waffenkombination jetzt grausam zu spüren. Mehrere ihrer Raumer zerbarsten unter dem Beschuß der gemischten Flotte. Gisols Schiffe bildeten die Vorhut. Livius Primus führte sie mitten in die Formation der Zyzzkt hinein und trieb einen regelrechten Keil in die Masse der angreifenden Ringraumer. Allerdings blieb deren zahlenmäßige Überlegenheit immer noch erdrückend. Die Angriffswelle der Insektoiden konnte durch die Unterstützung, die Dharks Rotte den Worgun bot, nicht wirklich gebrochen werden. Die anfangs recht hohen Verluste, die die Zyzzkt zu beklagen hatten, schienen ihr Flottenkommando in keiner Weise zu beeindrucken. Eine Erschütterung durchlief die POINT OF. Mehrere der ZyzzktRaumer griffen das Schiff an. Sie schienen erkannt zu haben, daß sich hier die Befehlszentrale befand. Leon Bebir, der Zweite Offizier, meldete sich zu Wort: »Die Angreifer versuchen, uns mit HyKon den Garaus zu machen.« »Schadensbericht«, forderte Ren Dhark. »Nur geringfügige Schwächung des Intervallums.« »Das heißt, daß die neuen Schwerkraftgeneratoren, die uns die Römer installiert haben, halten, was versprochen wurde«, sagte Dan Riker. Auch andernorts versuchten die Zyzzkt ihre bislang wirkungsvollste Waffe einzusetzen. Aber die HyKonAttacken der Insektoiden zeigten nur geringfügige Wirkungen, während auf der anderen Seite der Beschuß mit den Wuchtkanonen immer dann zum Erfolg führte, wenn das Feuer konzentriert und stark genug war, um die Intervallfelder des Gegners zu knacken. Immer wieder waren derartige Szenen auf der Bildkugel zu verfolgen. Die HyKonAngriffe der Zyzzkt verebbten. 132 Die Insektoiden merkten schnell, daß diese Waffe offenbar nur gegen die ursprünglichen Verteidiger wirksam war, nicht aber gegen jene neu hinzugekommene Unterstützerflotte, deren Herkunft den Zyzzkt zunächst rätselhaft erscheinen mußte. Die ZyzzktRaumer konzentrierten sich auf den Einsatz von Mix2 und Mix4 sowie gezieltem Nadelstrahlbeschuß, während HyKon nur gegen Maluks Schiffe eingesetzt wurde. Jedoch geschah auch das nur relativ selten.
Dhark ahnte, woran das lag. Es war der chronische Tofiritmangel in Om, der die Zyzzkt zum sparsamen Einsatz dieser sehr energieaufwendigen Waffe zwang. Trotzdem wurden immer wieder Schiffe von Maluks Verteidigerflotte in HyKonFelder gehüllt, die sie in den Hyperraum rissen, wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden. »Wir müssen unsere größeren Energiereserven ausnutzen«, sagte Gisol an Dhark gewandt. »Ziehen wir unsere Formation weiter auseinander. Jedes unserer Schiffe ist aufgrund seiner besseren Ausstattung mit Tofirit in der Lage, einen größeren Raumsektor für die Angreifer zu blockieren.« Dhark hatte diesen Gedanken auch schon gehabt. Es war ein gewisses Risiko bei dieser taktischen Vorgehensweise. Wenn es irgendwo einen Durchbruch gab, waren die Folgen verheerend. Andererseits war es wohl nur so möglich, die größere Zahl der angreifenden Raumschiffe auszugleichen. Der Faktor, der für den Ausgleich sorgte, war neben den Wuchtkanonen die größere Beweglichkeit. Dhark gab entsprechende Befehle an die anderen Einheiten weiter, deren Formation sich daraufhin weiter auseinanderzog. Auf der großen Bildkugel in der Zentrale der POINT OF war der Verlauf der Schlacht gut zu verfolgen. Hen Falluta, der die Position des Kopiloten eingenommen hatte, aktivierte eine Projektion, die eine schematische Darstellung des Geschehens zeigte. Deutlich erkennbar war der Planet Epoy, seine blauschimmemde Sonne Foru sowie die sich immer mehr auseinanderziehende Formation der Verteidiger. Die Schiffe bewegten sich mittels StemensogAntrieb und waren auf diese Weise in der Lage, sehr schnell zu manövrieren. Wo immer sich in einem Sektor eine zahlenmäßige 133 Überlegenheit der ZyzzktSchiffe einzustellen drohte, mußte rasch Unterstützung erfolgen. Die POINT OF kämpfte dabei in vorderster Front. Bei den Einheiten, die am nächsten zu Ren Dharks Schiff positioniert waren, handelte sich um die CALAIS unter dem Kommando von John Martell und die BUDVA, die von Captain Charlie Jana befehligt wurde. Ein paar ZyzzktRaumer wagten einen Vorstoß. Sie näherten sich rasch. »Feindeinheiten beschießen uns mit einer Kombination aus Mix2 und Mix4«, meldete Tino Grappa. Leichte Erschütterungen gingen durch die POINT OF. Offenbar hatten die Angreifer Treffer gelandet. »Stärke des Kompaktfeldschirms ist nur leicht reduziert«, sagte Leon Bebir. »Könnte bei weiterem Beschuß aber weiter absinken.« Ren Dhark flog ein Ausweichmanöver, so daß der Großteil des feindlichen Beschusses zunächst einmal ins Leere ging. Ein paar interplanetare Gesteinsbrocken und kleinere Asteroiden gerieten in die MixStrahlenfelder und glühten auf. Die CALAIS unter Kommandant John Martell kam der POINT OF zu Hilfe und nahm die herannahenden Ringraumer der Zyzzkt unter Feuer. Dasselbe galt für Charlie Janas BUDVA, die sich von der anderen Seite näherte. Einer der ZyzzktRaumer verlor an Fahrt und begann ins Trudeln zu geraten, nachdem er mehrere Treffer durch die Wuchtkanonen der BUDVA erhalten hatte. Das Intervallum des ZyzzktRaumers brach zusammen. Offenbar hatten Captain Janas Waffenoffiziere den Feldgenerator für das Intervallfeld getroffen. Konzentrierter Beschuß mit Nadelstrahlen und Wuchtprojektilen von der CALAIS ließen den ZyzzktRaumer wenig später explodieren.
Trümmerteile wurden durch das All geschleudert.
Auf der Bildkugel in der Zentrale der POINT OF wirkten sie wie Glühwürmchen.
Die anderen ZyzzktRaumer versuchten währenddessen durch
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zubrechen. Sie nahmen die POINT OF erneut unter Dauerfeuer.
»KFS auf unter siebzig Prozent«, meldete Leon Bebir.
»Es müßte doch möglich sein, den Kompaktfeldschirm neu zu konfigurieren und dadurch zu
stabilisieren«, mischte sich Gisol ein. Die Ungeduld war dem Worgun deutlich anzumerken.
»Bin schon dabei«, erklärte Leon Bebir. Der Sibirier behielt die Ruhe.
Am liebsten würde Gisol jetzt wohl selbst das Kommando führen, überlegte Ren Dhark.
Die Antennen der POINT OF feuerten Nadelstrahl und MixKombinationen auf einige
ZyzzktEinheiten, die durchzubrechen drohten. Der erste Feindraumer zerplatzte, der zweite
trudelte nach kurzem, intensivem Beschuß manövrierunfähig durch das All. Aber
ZyzzktRaumer Nummer drei und vier kamen durch.
Der Raumsektor, den jedes einzelne Verteidigerschiff und damit auch die POINT OF zu
kontrollieren hatte, war bei einem massierten Angriff einer zahlenmäßig überlegenen Gruppe
einfach zugroß.
»Wir wenden«, erklärte Ren Dhark.
Die POINT OF flog einen Halbkreis und setzte den beiden ZyzzktSchiffen nach.
Diese feuerten sofort in Richtung des Verfolgers.
Eine Mischung aus Mix und Nadelstrahlen traf die POINT OF. Aber das Intervallum konnte
den Großteil der Wirkung absorbieren, und der KFS tat ein übriges.
»Die Schiffe werden Epoy erreichen!« rief Gisol.
»Sie driften auseinander, um nicht so leicht getroffen werden zu können«, stellte Tino Grappa
fest.
»Beide Schiffe gleichzeitig anvisieren«, befahl Dhark. Er stellte eine Verbindung zur
Waffensteuerung her.
Dhark gab den Befehl, daß die Waffensteuerung West unter Bud Clifton sowie die
Waffensteuerung Ost unter Jean Rochard jeweils ^en der ZyzzktRaumer anvisierten.
Es blieben nur wenige Augenblicke Zeit, um die ZyzzktRaumer
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auszuschalten, denn danach waren sie zu weit auseinandergedriftet, als daß die POINT OF
sie noch beide gleichzeitig hätte bekämpfen können.
Das Dauerfeuer des terranischen Flaggschiffes zeigte Wirkung.
Mehrere Volltreffer überlasteten zunächst das Intervallfeld des nach links ausbrechenden
Raumers. Nahezu ungehindert schlugen die nächsten Treffer in die Außenhülle. Das
Intervallfeld brach zusammen. Bislang hatte es den Ringraumer in einer Art eigenem
Kontinuum gehalten, aus dem er nun herausfiel. Das Schiff bremste stark ab. Explosionen
brachen von innen durch den Schiffsrumpf, sprengten ganze Teile davon heraus. Offenbar
hatte die POINT OF einige Treffer in der Triebwerkssektion gelandet und dort für den
Ausbruch einer Kernreaktion gesorgt.
Augenblicke lang schwebte der ZyzzktRaumer im All, während sich die Explosionen von
Deck zu Deck weiterfraßen und immer größere Stücke aus der Außenhülle weggesprengt
wurden.
Sie hätten Zeit genug, zumindest einen Teil der Mannschaft mit Beibooten zu retten, ging es
Ren Dhark durch den Kopf. Aber sie tun es nicht.
Der Grund dafür lag auf der Hand.
Der einzelne galt nichts in der Kultur der Zyzzkt. Ihre Vermehrungsrate war so enorm, daß
auch größte Verluste relativ schnell wieder ausgeglichen werden konnten. Ihrer eigenen
Existenz als Individuum maßen die käferartigen Herren der Galaxis Om nicht viel Bedeutung
zu. Jeder von ihnen schien sich als ein kleines Teil in einem gewaltigen Räderwerk zu
empfinden, nicht als einzigartiges Wesen.
Doch dann lösten sich mehrere Flash von dem ZyzzktRaumer. Sie schössen auf die POINT
OF zu, die inzwischen den Kurs geändert hatte, um dem zweiten Feindschiff zu folgen, das
Epoy zu erreichen drohte.
»Seit wann denken die Zyzzkt an ihr persönliches Überleben?« fragte Gisol skeptisch,
während er den Kurs der Beiboote auf der Bildkugel verfolgte.
»Sie sind auf Kollisionskurs«, erklärte Tino Grappa. »Ihre Intervallfelder sind eingeschaltet.«
»Bin schon auf einem Ausweichkurs«, stellte Dhark klar.
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»Was haben die vor?« fragte Riker.
»Die Flash sind unbemannt«, erklärte Grappa.
»Kein Zweifel?« fragte Dhark.
»Nein.«
»Dann sind sie offenbar darauf programmiert, uns zu folgen. Sie machen jede
Ausweichbewegung mit.«
»Sie beabsichtigen, uns zu sprengen«, erkannte Gisol plötzlich. »Wenn sie statt Passagieren
eine starke Bombe an Bord haben, die innerhalb unseres Intervallums gezündet wird...« Der
Worgun sprach nicht weiter.
Jeder konnte sich die Katastrophe ausmalen.
Die POINT OF feuerte. Ein Flash nach dem anderen wurde getroffen. Eine Kombination von
Mix2 und Mix4 sorgte dafür, daß die Intervallfelder aufgeweicht wurden, ehe präziser
Beschuß durch die der Waffensteuerung West unter Jean Rochard unterstehenden
Nadelstrahler die Beiboote eines nach dem anderen vernichtete.
Nur zwei von ihnen kamen durch.
Einem wich Ren Dhark durch ein gewagtes Manöver im letzten Augenblick aus. Das Beiboot
schoß dicht an der POINT OF vorbei, schrammte sogar durch die Energiehülle des
Kompaktfeldschirms. Dadurch entstand eine elektromagnetische Entladung, die sich in einer
grellen Lichterscheinung zeigte. Der Bordrechner des Flash war aufgrund der freigewordenen
elektromagnetischen Abstrahlungen wohl unfreiwillig einer Art Formatierungsprozeß
unterworfen worden. Ziel und steuerlos trudelte das Beiboot durch das All. Die
Programmierung funktionierte ganz offensichtlich nicht mehr.
Aber das zweite Beiboot hatte seinen Kurs geändert und schoß erneut auf die POINT OF zu.
»Kollision in zehn Sekunden«, meldete Grappa. »Ausweichkurs nicht mehr möglich.«
Bud Clifton, Kommandant der Waffensteuerung West an Bord des Ringraumers, meldete sich
auf der Brücke bei Dhark. Sein gerötetes Gesicht erschien auf einem Nebenbildschirm.
»Dauerbeschuß durch Mix2 und Mix4 wird das Intervallfeld des Beibootes nicht schnell
genug aufweichen!«
Dhark atmete schwer.
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Die Gefahr, daß die POINT OF durch eine Detonation in Mitleidenschaft gezogen wurde,
war beträchtlich. Daher blieb nur noch eine Möglichkeit.
»Intervallfeld deaktivieren. Nottransition!« sagte Ren Dhark klar und deutlich, ohne
irgendeinen Anflug von Panik.
138
10. Die POINT OF verschwand im Hyperraum und führte einen Raumsprung von etwa einem halben Lichtjahr durch, während der Flash ins Leere stieß und direkt in das Feuer der herbeigeeilten BUDVA unter Captain Charlie Jana geriet. Das Intervallfeld des Beibootes war innerhalb kurzer Zeit so aufgeweicht, daß die Nadelstrahlen ungehindert ihr Ziel erreichen konnten.
Der ZyzzktRaumer wurde vernichtet.
Nicht einmal glühende Trümmerteile blieben übrig von ihm.
Die POINT OF war inzwischen an einen Punkt weit außerhalb der rund um Epoy tobenden
Raumschlacht gesprungen. Schließlich war eine Transition nur bei deaktiviertem Intervall
möglich, und so wurde Ren Dharks Flaggschiff allein vom Kompaktfeldschirm geschützt.
Im Stemensog, der einen Überlichtflug bei aktiviertem Intervall erlaubte, kehrte die POINT
OF zum Schlachtgeschehen zurück.
»Das war ganz schön knapp«, meinte Dan Riker.
»Aber eine taktisch meisterhafte Reaktion«, lobte Gisol.
Dhark lächelte matt.
»Ein Lob aus deinem Mund weiß ich wohl zu schätzen«, sagte er.
Auf der Bildkugel war unterdessen eine Explosion zu sehen. Ein weiteres der worgunischen
Verteidigerschiffe war vernichtet worden.
Zwei ZyzzktRaumem gelang dadurch der Durchbruch durch die weit auseinandergezogenen
Reihen der Rebellen. In enger Formation schnellten die ZyzzktSchiffe auf Epoy zu.
Das, was die POINT OF unter größtem Risiko verhindert hatte, War den Angreifem nun an
anderer Stelle gelungen.
Eines der Verteidigerschiffe brach im selben Moment aus der
139
läiMiKiftf^..
Abwehrformation aus und jagte mit eingeschaltetem StemensogAntrfeb und Intervallfeld auf
die beiden Angreifer zu, um ihnen den Weg abzuschneiden.
Tino Grappa holte das Geschehen in der Bildkugel näher heran.
»Sind die wahnsinnig?« murmelte Ren Dhark.
»Es sind Zyzzkt«, erwiderte Gisol voller Geringschätzung.
»Ich spreche nicht von den Zyzzkt, sondern von den Worgun, die sich auf Kollisionskurs
befinden.«
Tino Grappa meldete sich zu Wort. »Die Abtaster liefern ein paar Besonderheiten, was das
Intervallum des Rebellenschiffs angeht«, sagte er. »Scheint so, als hätten sie das Feld auf eine
ganz spezielle Weise moduliert, um...«
Grappa brach ab.
Die Angreifer hatten bereits die äußerste Schicht der Atmosphäre von Epoy gestreift, als das
WorgunSchiff ihren Weg kreuzte.
Es kam zur Kollision.
Das WorgunSchiff rammte zuerst einen, Sekunden später auch den zweiten ZyzzktRaumer.
Die Intervallfelder aller drei Schiffe reagierten zuerst mit einer grellen, blitzartigen
Leuchterscheinung, bevor es zu einer gewaltigen Detonation kam. Ein Feuerball verschlang
alle drei Raumer. Große Trümmerteile stürzten glühend in die Atmosphäre.
»Die Ortung zeigt einige schwere Einschläge von Trümmerteilen auf der Planetenoberfläche
an«, berichtete Tino Grappa etwas später.
»Sind besiedelte Gebiete betroffen?« fragte Gisol.
»Ja«, bestätige Grappa. »Die Trümmerteile haben große Verwüstungen angerichtet. Mehrere
Wohnpyramiden sind vollkommen zerstört worden. Ich messe außerdem hohe Werte an
harten Gammastrahlen.«
»Schlimmer als das Schicksal, daß die Zyzzkt diesen Worgun zugedacht haben, ist das, was
sie jetzt erleiden, auch nicht«, meinte Gisol düster.
Er hatte inzwischen wieder seine menschliche Gestalt angenom
140
men. An einer der im Leitstand befindlichen Konsolen verfolgte der Worgunrebell den
Verlauf der Schlacht.
Die POINT OF war im Moment aus der Schußlinie.
Aber das würde sich ändern, sobald der Ringraumer sich dem Kampfgeschehen wieder genähert hatte. Ren Dhark bemerkte zunächst eher beiläufig, daß drei WorgunSchiffe von einer ZyzzktÜbermacht aus dem Verband der Verteidiger herausgedrängt worden waren. Die Zyzzkt hatten die Abgedrängten eingekreist. Sie nahmen die Worgun unter intensiven Beschuß. Gisol hatte diese ganz am Rand der Schlacht stattfindende Entwicklung ebenfalls bemerkt. Niemand sprach es aus, aber die WorgunSchiffe standen kurz vor der Vernichtung. Sie verfügten weder über KFS noch über Wuchtkanonen, um sich zu wehren. Die sie umgebenden Intervallfelder sanken innerhalb kurzer Zeit auf weniger als fünfzig Prozent ihrer eigentlichen Feldstärke, und es gelang den Angreifem immer öfter, mit konzentrierten Nadelstrahlen empfindliche Treffer zu landen. Einige der in der Nähe befindlichen WorgunSchiffe eilten zu Hilfe. Eine unkoordinierte Aktion, die mehr Schaden anzurichten drohte, als daß sie den Bedrängten half. Die Gefahr eines Durchbruchs der Angreifer auf breiter Front rückte in bedrohliche Nähe. Schon bekam einer der zu Hilfe geeilten WorgunRaumer ein paar empfindliche Treffer, nachdem die von den Zyzzkt angewandte Kombination aus Mix2 und Mix4 für eine erhebliche Schwächung des Intervallums gesorgt hatte. Offenbar fehlte den Worgun einfach die taktischmilitärische Erfahrung. Ein Umstand, der sie blindlings in ihr Verderben fliegen ließ. Schon nutzten mehrere ZyzzktSchiffe die Situation aus und versuchten, einen Keil in die ausgedünnte Formation der Verteidiger zu schlagen. Ein dumpfes, vibrierendes Summen erfüllte auf einmal die POINT OP. Der Ringraumer beschleunigte. Dan Riker und Gisol sahen Ren Dhark fragend an. 141 »Der Checkmaster hat die Kontrolle über das Schiff übernommen«, stellte Dhark fest. Über die Gedankenkontrolle versuchte er, die künstliche Schiffsintelligenz zu einer Stellungnahme zu bewegen. Vergeblich. Der Checkmaster handelte einfach. Er ließ die POINT OF in den Krisensektor fliegen. Gleichzeitig bewegten sich auch acht weitere WorgunRingraumer. Die Art und Weise, in der sie sich formierten, war bemerkenswert koordiniert. »Ist es möglich, daß der Checkmaster auch die Kontrolle über einige Einheiten der Verteidigerflotte übernommen hat?« wunderte sich Hen Falluta. Der erste Offizier der POINT OF blickte ebenso erstaunt auf seine Konsole wie alle anderen im Leitstand des Ringraumers. »Immerhin versteht der Checkmaster offenbar weitaus mehr von koordinierter militärischer Vorgehensweise als die Worgunrebellen«, stellte Leon Bebir fest, der die Arme verschränkte und ebenso untätig wie die anderen Offiziere zusehen mußte, was geschah. Sie starrten allesamt auf die Bildkugel oder verfolgten, was sich auf den Anzeigen der Konsolen so tat. Die acht Ringraumer, die ebenfalls vom Checkmaster gesteuert zu werden schienen, griffen die ZyzzktVerbände, die die drei Verteidigerschiffe abgedrängt hatten, mit konzentriertem Feuer an. Dabei blieben die WorgunSchiffe in ständiger Bewegung. Offenbar sollten sie kein leicht erfaßbares Ziel bieten. Sie flogen eine komplizierte Wechselformation, bei der allerdings immer sichergestellt war, daß die Zyzzkt von verschiedenen Seiten beschossen werden konnten. Einige der ZyzzktSchiffe zogen sich zurück, nachdem ihre Intervallfelder bereits deutlich geschwächt worden waren. Dann traf die POINT OF am Ort des Geschehens ein.
Die Mannschaften in den Gefechtsleitständen hatten jetzt ebensowenig zu tun wie die Offiziere in der Zentrale. Sie konnten nur zusehen, wie die Waffen, die sonst von ihnen bedient wurden, nun unter der Regie des nach wie vor mysteriösen Bordrechners agierten. Es ist nicht das erste Mal, daß der Checkmaster eigenmächtig handelt, rief Ren Dhark sich in Erinnerung. 142 Die Tatsache, daß die Terraner letztlich nicht die volle Herrschaft über das Schiff hatten, beunruhigte ihn. Wer oder was hatte den Checkmaster dazu veranlaßt, einzugreifen? Lief hier irgendein jahrtausendealtes Programm ab, das möglicherweise von Margun und Sola, den legendären Erbauern der POINT OF eingespeist worden war? Ein heftiges Gefecht tobte. Die Rebellenschiffe verzichteten so gut wie völlig auf den Einsatz von Nadelstrahlen. Sie konzentrierten ihre gesamte Energie darauf, mit Hilfe der MixWaffen die Intervallfelder der Gegner zu schwächen. Als die POINT OF sich noch etwas weiter genähert hatte, stoben die Unterstützereinheiten blitzartig auseinander. Unmittelbar danach begann die POINT OF aus vollen Rohren zu schießen. Ihre extrem starken Nadelstrahlantennen kamen unablässig zum Einsatz. Eine Salve nach der anderen wurde in Richtung der ZyzzktSchiffe gefeuert, ohne daß ein Befehl dazu gegeben worden wäre oder die Mannschaften der Waffenleitstände unter Bud Clifton und Jean Rochard auch nur einen Finger krummgemacht hätten. Das erste ZyzzktSchiff explodierte unter dem gezielten Dauerfeuer der Nadelstrahlen. Lebenswichtige Sektoren des Schiffes waren getroffen worden. Mehrere kleinere Explosionen waren dem großen Knall vorausgegangen. Als wenig später das zweite ZyzzktSchiff in einer Feuerkugel verging, begannen die in der Nähe befindlichen ZyzzktEinheiten sich zurückzuziehen. Sie begriffen, daß sie es mit einem koordiniert handelnden und waffentechnisch überlegenen Gegner zu tun hatten. Mehrere Treffer aus Nadelstrahlbeschuß trafen die POINT OF, wurden aber vom Intervallfeld absorbiert. Die Zyzzkt zogen sich einige hunderttausend Kilometer zurück, um sich erneut zu formieren. Die von ihrem Verband abgetrennten Rebellenschiffe waren aus ihrer tödlichen Umklammerung befreit Worden und konnten wieder frei und unbedrängt manövrieren. Der Checkmaster wandte sich auf Gedankenbasis an Ren Dhark. Das Schiff steht dir wieder zur Verfügung, teilte der Bordrechner der POINT OF mit. Hen Fallutas Hände glitten ebenso wieder über die Tastatur seiner Kontrollen wie das auch bei Grappa oder den 143 Männern in den Waffenleitständen und der FunkZ der Fall war. »Scheint so, als hätten wir die Gewalt über das Schiff wiedererlangt«, stellte Hen Falluta fest. Dan Riker lachte heiser. »Wiedererlangt?« höhnte er. »Das ist wohl das falsche Wort. Sie wurde uns wiedergegeben.«. »Spielt das eine Rolle?« fragte Gisol. Dan Riker hob die Augenbrauen. »Und ob das eine Rolle spielt. Wir befinden uns auf einem Schiff, das uns Millionen Lichtjahre von der heimatlichen Milchstraße entfernt in eine Galaxis gebracht hat, in der ein furchtbarer Krieg tobt und...« »... du kannst es nicht ertragen, daß der Bordrechner ein paar in Bedrängnis geratenen Verbündeten unter die Arme gegriffen hat?« schnitt Gisol ihm das Wort ab. Ein harscher, unversöhnlicher Unterton lag in seiner Stimme. Sein Gesicht wirkte angespannt. Ren Dhark wandte sich an den Worgun. »Niemand kritisiert das Eingreifen an sich«, stellte Dhark klar. »Und die taktische und koordinatorische Leistung war meisterhaft. Aber es müßte doch auch dich interessieren,
weshalb der Checkmaster ganz offensichtlich für gewisse Zeit die Herrschaft über das Schiff
übernehmen konnte.«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Ren Dhark erhob sich von seinem Pilotensitz.
Er übergab diese Position wieder an Hen Falluta, während Bebir jetzt den Posten eines
Kopiloten übernahm.
Noch immer wurde gekämpft. Noch immer näherten sich weitere feindliche Schiffe der
Zyzzkt der POINT OF, die aber durch gezielten Beschuß in Schach und auf Abstand gehalten
werden konnten.
Morris, der diensthabende Offizier in der FunkZ, meldete sich. Seine Züge spiegelten deutlich
die Verwirrung wider, die der Funker empfand.
»Was gibt es, Morris?« fragte Ren Dhark.
»Sir, soeben erhielten wir eine Anfrage von Maluk.«
»Dann schalten Sie in Gottes Namen die Phase frei, damit ich mit ihm reden kann!« erwiderte
Dhark leicht gereizt. Morris kann nichts dafür, rief er sich ins Gedächtnis.
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»Die Anfrage wurde bereits beantwortet.«
»Dreimal dürfen wir raten, von wem«, meinte Dan Riker ziemlich spitz.
Dhark nickte. Der Checkmaster. Er hatte wohl auch hier seine Finger im Spiel. Die
entscheidende Frage ist, wer oder was dieses Verhalten der Künstlichen Bordintelligenz
ausgelöst hat, ging es dem Commander der Planeten durch den Kopf.
»Worum ging es bei dieser Anfrage?« wollte Dhark wissen.
»Maluk äußerte die Vermutung, daß es sich bei der POINT OF um die legendäre MASOL
handeln könnte. Das wurde vom Checkmaster bestätigt, der außerdem den gegenwärtigen
Namen des Schiffes übermittelte.«
Dhark atmete tief durch.
Er lehnte sich in seinem Schalensitz zurück.
»Ich danke Ihnen, Morris. Überprüfen Sie bitte sämtliche Kommunikationssignale, die das
Schiff seit unserem Auftauchen im ForuSystem empfangen hat. Seien Sie sehr gründlich
dabei.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, daß der Checkmaster aus eigenem Antrieb gehandelt hat«,
stellte Gisol fest.
Dhark wandte sich zu seinem worgunischen Verbündeten herum.
»Was ist hier soeben geschehen, Gisol?« sagte Dhark sehr ernst. »Ich finde, so langsam wäre
es an der Zeit, uns reinen Wein einzuschenken.«
Erneut meldete sich Morris von der FunkZ, so daß Gisol nicht in die Verlegenheit kam,
antworten zu müssen.
»Es ist noch einmal Maluk«, erklärte der Funker. »Diesmal möchte er mit Ihnen reden, Sir.«
»Ich kann es kaum erwarten«, murmelte Dhark.
Ein Transmitter in der Zentrale der POINT OF wurde selbsttätig aktiviert.
»Ich glaube, Maluk will nicht nur mit dir sprechen«, meinte Riker.
Dhark nickte nur.
145 Der Rebellenführer war offenbar per Transmitter auf dem Weg zur POINT OF.
Augenblicke später war er vollständig materialisiert.
Der Worgun hatte seine amöbenhafte Standardgestalt angenommen. Ein Umstand, der es für
einen Menschen immer etwas schwierig machte, die emotionale Verfassung des Gegenübers
einzuschätzen. Schließlich fehlten dazu sämtliche sichtbaren Ausdrucksformen, angefangen
vom Gesichtsausdruck bis hin zur Körpersprache. Aber da Maluk nicht wie Gisol Jahre auf
der Erde verbracht hatte, war er vermutlich auch kaum in der Lage, diese Ausdrucksformen
auch nur annähernd überzeugend zu imitieren, wie Gisol dies ganz bewußt tat.
Der Worgun bewegte sich auf Dhark und Gisol zu.
»Es freut mich, euch wiederzusehen«, sagte er. »Seit unserem letzten Zusammentreffen auf Epoy hat sich die Lage außerordentlich zugespitzt, wie ihr inzwischen erfahren habt.« »Das kann man wohl sagen!« stieß Gisol hervor. Maluk wandte sich nun ausdrücklich an Dhark. »Wir danken dir für euren Beistand, Terraner. Als du zuletzt auf Epoy weiltest, zweifeltest du noch, inwiefern ihr in diesen Konflikt eingreifen solltet... ich bin froh, daß du offenbar die richtige Entscheidung getroffen hast.« »Was ist geschehen?« fragte Dhark. »Woher habt ihr eure Ringraumer?« Maluk machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, forderte er. »Dein Schiff ist die legendäre MASOL, das Schiff der gemalen Konstrukteure MargunundSola...« »Das Schiff selbst hat es dir bereits bestätigt«, erwiderte Dhark sachlich. »Mir war das nach dem Abwehrmanöver zur Rettung unserer abgedrängten und vom Verband getrennten Freunde klar. Nur die künstliche Intelligenz der MASOL wäre dazu in der Lage gewesen, die Kontrolle über die anderen Schiffe einfach zu übernehmen und diese koordinierte Aktion durchzuführen.« »Es wäre nicht schlecht gewesen, wenn die MASOL auch die Kontrolle über sämtliche ZyzzktRaumer übernommen und sie zur 146 Selbstzerstörung gezwungen hätte«, meinte Gisol mit bitterem Unterton. »Du weißt, wie lange die Zeiten eines Margun oder eines Sola vorbei sind. Wir haben keine Ahnung, nach welchen Kriterien die Kl des Schiffes entscheidet und weshalb sie offenbar in der Lage ist, unsere Einheiten zu übernehmen, die der Zyzzkt aber nicht.« l Die einzigen, die diese Fragen beantworten könnten, wären wohl die Erbauer des Schiffes selbst, dachte Dhark. Technisch gesehen gab es nämlich keine Unterschiede zwischen den ZyzzktRaumem und jenen, die die Worgun benutzten. Außerdem war Dhark aufgefallen, daß die äußerlich sichtbaren Kennungen an der Außenhülle, die nur sichtbar wurden, wenn die Anzeige der Bildkugel eine Einheit sehr stark vergrößerte, denen der ZyzzktRaumer in jedem Detail entsprachen. Ob das Tarnung war oder die WorgunSchiffe aus den Beständen der Zyzzkt stammten, würde Maluk noch erklären müssen. »Vor zwei Tagen begannen die Zyzzkt, regelrecht Jagd auf uns Worgun zu machen. Die Bevölkerungen ganzer Wohnpyramiden wurden einfach dahingemetzelt. Ein systematischer Völkermord setzte ein, der mit vereinzelten Übergriffen nichts mehr zu tun hatte. Uns war klar, daß dies das Ende unseres Volkes bedeuten würde, wenn wir nichts unternahmen. Wir setzten einen Verzweiflungsplan in die Tat um, der nur für schwerste Notlagen gedacht war. Unserem Widerstandsnetz gelang es, insgesamt fünfzig Ringraumer zu erobern, die sich auf Epoy befanden. Vierzehn weitere Raumschiffe wurden bei dem Versuch, sie zu übernehmen, zerstört. Es kam dabei zu Kämpfen am Boden, die für beide Seiten äußerst verlustreich waren.« »Und warum seid ihr hier im Weltraum und überlaßt unser Volk der Vernichtung?« hakte Gisol nach. l Maluk blieb gelassen und sachlich. »Unsere ursprüngliche Absicht war es, die Ringraumer für den Bodenkampf einzusetzen und die Zyzzkt daran zu hindern, unsere Wohnpyramiden zu vernichten. Aber in dem Augenblick, als es uns gelang, die Schiffe in unsere Gewalt zu bringen, griffen sämtliche noch im Weltraum befindlichen ZyzzktRaumer, die sich in der Nähe des Systems befanden, den Planeten an.« 147 »Aber bedeutete das nicht ein erhebliches Risiko für die Angehörigen ihres eigenen Volkes?« fragte Dhark.
»Die Zyzzkt scheinen auf die Milliarden Siedler, Verwaltungsbeamte und Militärs auf Epoy keinerlei Rücksicht zu nehmen. Sie haben definitiv versucht, den gesamten Planeten zu zerstören.« Gisol alias Jim Smith ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesicht wirkte grimmig. »Das ist typisch für diese Käferbrut«, zischte er. »Die Vernichtung der letzten Worgun ist ihnen wichtiger als unzählige Leben von Zyzzkt.« »Der einzelne bedeutet ihnen nichts«, stellte Maluk fest. »Das gilt auch für die Angehörigen ihrer eigenen Spezies. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Raumschiffe dafür einzusetzen, die Attacke der ZyzzktSchiffe abzuwehren. Wie ihr gesehen habt, sind wir keine geübten Raumfahrer, die etwas von Kampftaktik verstehen, aber glücklicherweise seid ihr genau im richtigen Moment aufgetaucht.« »Die Schlacht kann unter diesen Umständen wohl kaum gewonnen werden«, sagte Gisol. »Wir hatten auf größere Hilfe gehofft«, sagte Maluk. Ein gewisser, unausgesprochener Vorwurf schwang in seinen Worten mit. »Aber die wird wohl nicht eintreffen.« »Ich hatte um Unterstützung durch weitere Kräfte der Menschen von Terra Nostra gebeten«, erklärte Dhark. »Leider vergeblich. Um Gardas tobt eine heftige Abwehrschlacht, in die die Zyzzkt einen Großteil ihrer Kräfte zu werfen scheinen.« »Vielleicht haben sie deswegen bislang nicht bereits eine noch viel erdrückendere Übermacht gegen unseren schwachen Verband aufbieten können«, vermutete Gisol. Er hat von unserem Verband gesprochen und damit Maluks Schiffe gemeint, erkannte Ren Dhark. Diese Formulierung zeigte, wem sich der Worgun im Zweifelsfall verbunden fühlte. Für diese Priorität hatte Dhark durchaus Verständnis. Was ihn störte, war der Hang zu eigenmächtigem Handeln, das der Rebell in letzter Zeit immer häufiger an den Tag legte. Maluk wandte sich an Ren Dhark. »Die MASOL ist die letzte Hoffnung für mein Volk«, sagte er sehr eynst. »Wir müssen mit ihr auf Epoy landen. Für weitere Er 148 klärungen ist jetzt keine Zeit aber andernfalls wären die Worgun dort endgültig verloren.« »Selbstverständlich kommen wir deiner Bitte nach«, sagte Gisol. Sein so menschliches Gesicht wandte sich in Dharks Richtung. »Oder gibt es irgendeinen schwerwiegenden Einwand dagegen?« Selbst wenn es ihn gäbe, so würden die beiden Worgun vermutlich ohnehin tun, was ihnen beliebt, ging es dem Commander der Planeten etwas ärgerlich durch den Kopf. Schließlich hatten sie auch ohne irgendeine Autorisation den Transmitter im Leitstand der POINT OF/MASOL benutzt. »Also gut«, stimmte Dhark nach kurzem Zögern zu. »Kursänderung. Wir landen auf Epoy. Morris?« »Ja, Sir?« meldete sich der Funkoffizier. »Senden Sie eine entsprechende Mitteilung an die anderen Schiffe.« »Jawohl.« Dhark wandte sich an die beiden Worgun. »Ich kann nur hoffen, daß die Lücke, die wir hier hinterlassen, nicht allzu groß ist. Sonst wird es kritisch.« »Das Überleben der Worgun hängt ohnehin an einem seidenen Faden«, erklärte Maluk. »Aber die Tatsache, daß unsere Seite im Besitz der MASOL ist, gibt uns vielleicht eine Chance.« Die POINT OF tauchte in die blauschimmemde Atmosphäre Epoy s ein. »An der Oberfläche sind zahlreiche Kämpfe zu verzeichnen«, sagte Grappa mit einem ernsten Blick auf die Ortungsanzeigen. »Die Zyzzkt scheinen tatsächlich wild entschlossen, die Worgun auszurotten.« »Und sie sind in der Übermacht«, stellte Gisol klar. »Fünf Milliarden dieser Bestien haben sich auf unserer Heimatwelt eingenistet. .. aber das wird sich bald ändern.«
Gisol wandte sich einer der Konsolen im Leitstand der POINT OP zu. Seine Finger glitten über die Tastatur des Kontrollpults. Er ließ sich die von Grappa gemeldeten Ergebnisse der Ortung mit 149 einer Projektion veranschaulichen und aktivierte zu diesem Zweck eine Sphäre. Danach gab es in allen von Worgun besiedelten Gebieten schwere Kämpfe. Jim Smith atmete schwer. Eine tiefe Furche hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Irgend etwas scheint anders zu verlaufen, als Gisol es erwartet hat, dachte Ren Dhark intuitiv. Es blieb allerdings keine Zeit, um der Sache weiter nachzugehen. »Landeposition?« fragte Hen Falluta an Dhark gewandt. Ehe einer der Worgun die Initiative ergreifen konnte, sagte der Commander der Planeten ruhig: »Wählen Sie eine der Zonen mit besonders hohen Energieentladungen aus. Ich möchte, daß wir uns ein Bild der Lage verschaffen.« »In Ordnung, Sir.« Die POINT OF sank tiefer. Auf der Bildkugel waren jetzt erste Eindrücke von der Situation auf der Planetenoberfläche zu sehen. Wohnpyramiden, die bis auf die Grundmauern zerstört waren. Tausende von toten Worgunkörpem aber mindestens ebenso viele tote Zyzzkt. Hier und da fanden sich Wracks von Kampf gleitem, die offenbar von Widerständlem zum Absturz gebracht worden waren. Noch bei ihrem letzten Besuch hatte die Oberfläche Epoys eher einer großen, von Besiedelung unterbrochenen Parklandschaft geähnelt. Jetzt war daraus ein Schlachtfeld geworden. Krater von mehreren hundert Metern Durchmesser wiesen auf den Einsatz von großkalibrigen Explosionsgeschossen hin. Die Vegetation war teilweise flächendeckend mit Energiestrahlen weggesengt worden. Nichts als Reste verkohlter organischer Substanz waren zurückgeblieben. Substanz, bei der wohl auch eine eingehende chemische Analyse kaum noch hätte feststellen können, ob es sich um die Asche von Pflanzen, Tieren oder ermordeten Worgun handelte. Gisols JimSmithGesicht wurde zu einer Maske blanken Hasses, als er diese Bilder sah. Die POINT OF jagte nun im Tiefflug über die Oberfläche von Epoy. 150 Einige Kampfgleiter der planetaren ZyzzktStreitkräfte kamen über den Horizont. Sie näherten sich rasch und eröffneten sofort das Feuer. Ihre im Vergleich zur Ausstattung eines Ringraumers schwachen Strahlwaffen vermochten die Intervallfelder nicht zu beeindrUkken. Die Energiestrahlen liefen einfach durch. Dhark gab den Befehl zum Gegenfeuer. Kurz nacheinander explodierten die ZyzzktGleiter unter dem gezielten Strahlenfeuer der POINT OF. Die Trümmerteile wurden zu Boden geschleudert. Hier und da flackerten noch kleinere Brände auf. Aber sie erloschen bald. Nicht einmal das Feuer fand angesichts der Verwüstungen, die die Zyzzkt hier angerichtet hatten, noch genug Nahrung. »Es wundert mich, daß überhaupt noch welche von diesen Käferbestien herumlaufen«, stieß Gisol hervor, der sich nicht einmal über den Abschuß der Kampfgleiter zu freuen schien. Irgend etwas beschäftigte ihn. Und das hatte zweifellos mit der Lage zu tun, die sie auf dem Planeten vorfanden. Wieder gingen seine Finger geradezu hektisch über die Eingaben seiner Konsole. Wie kommt er dazu, größere militärische Erfolge der Worgun zu erwarten? fragte sich Dhark ein wenig verwirrt. Schließlich waren die Worgun ihren ZyzzktGegnem haushoch unterlegen. Nicht nur der Anzahl nach, sondern auch waffentechnisch. Die wenigen bewaffneten Widerstandskämpfer standen letztlich auf verlorenem Posten, wenn sie keine Hilfe bekamen. Aber mit wirkungsvoller Unterstützung war solange nicht zu rechnen, wie rund um Epoy und
das gesamte System seiner blauen Sonne Foru eine furchtbare, gnadenlose Raumschlacht tobte, deren Ausgang mehr als ungewiß war. Eine Wohnpyramide tauchte am Horizont auf. Kurze Zeit später war erkennbar, daß rund um die Pyramide herum hart gekämpft wurde. Energieblitze zuckten. Kampf gleiter kreisten um das Gebäude und feuerten immer wieder ihre Strahlwaffen ab, während eine kleine Schar sich verzweifelt wehrender Worgun von den Baikonen der Pyramide aus versuchte, sich zu 151 verteidigen. Die Bewaffnung der Verteidiger war jener der Angreifer natürlich an Feuerkraft und technischem Niveau weit unterlegen. Von allen Seiten näherten sich Truppen der Insektoiden, sowohl zu Lande als auch in der Luft. Nicht mehr lange, und die Angreifer hatten sich zum Haupteingang der Pyramide vorgearbeitet, der bislang noch von den Worgun mit allen Mitteln zu halten versucht wurde. Dhark gab den Befehl, in das Gefecht einzugreifen. Sofort wurden die Feuerleitstände unter Bud Clifton und Jean Rochard aktiv. Vor allem Nadelstrahlfeuer wurde gezielt eingesetzt. Innerhalb weniger Augenblicke waren die in der Luft befindlichen Kampfgleiter der Zyzzkt zerstört. Ihre Gegenwehr war wirkungslos geblieben. Nur wenigen Einheiten gelang der Rückzug. Sie flogen davon. Am Boden fielen als erstes die Transportgleiter der Zyzzkt den Attacken der POINT OF zum Opfer. Ein heillos chaotischer Rückzug der Insektoiden setzte ein. Die meisten der käferartigen Angreifer wurde dabei entweder von den Bordwaffen der POINT OF oder dem Energiefeuer der WorgunVerteidiger getötet. Überall bedeckten die Körper getöteter Zyzzkt den Boden. »Wir landen«, bestimmte Dhark an Hen Falluta gerichtet. Der Erste Offizier der POINT OF ließ das Schiff auf den großen Vorplatz der Pyramide sinken. Die Teleskopbeine wurden ausgefahren. Sanft setzte der Ringraumer dort auf. »Es wundert mich, daß überhaupt noch so viele dieser Mißgeburten auf den Beinen sind«, sagte Gisol grimmig. »Eigentlich müßten sie längst tot sein...« »Was soll das heißen?« hakte Dhark nach. Gisol wandte den Kopf seines menschlichen Körpers. Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln. »Sicher wirst du bemerkt haben, daß die EPOY einige Flash ausgeschleust hat.« »Unbemannte Flash«, erwiderte Dhark. Der Worgun nickte. »Du wirst dich an die Pilzsporen erinnern, die wir auf einer namenlosen Welt fanden.« 152 r »Allerdings!« »Ich habe in meinem Labor an Bord der EPOY einige dieser Sporen vermehrt. Die Aufgabe der Flash war es, diese Sporen auf den Planeten zu bringen, um die Zyzzkt zu vernichten.« Dhark war fassungslos. »Du wolltest fünf Milliarden Zyzzkt umbringen?« »Hatten die Zyzzkt nicht mit meinem Volk dasselbe vor? Sieh dir an, wie es auf der Oberfläche von Epoy aussieht! Sieh dir an, wieviel die Käferbestien von ihren Genozidplänen bereits in die Tat umgesetzt haben und sage mir ins Gesicht, daß es nicht legitim wäre, diese Waffe gegen die Ungeheuer einzusetzen!« »Eine solche Vorgehensweise ist unmenschlich.« »Ich bin kein Mensch, Ren Dhark. Ich bin Worgun. Angehöriger eines Volkes, das mit einem Tentakel bereits in den Abgrund getreten ist und sieb nur noch mit Mühe überhaupt am Leben erhalten kann.« Jim Smith atmete tief durch. Angespanntes Schweigen herrschte in der Zentrale der POINT OF.
Einerseits konnte Ren Dhark die von äußerster Rücksichtslosigkeit und Härte geprägte
Vorgehensweise Gisols verstehen. Andererseits war dieses Vorgehen einer zivilisierten
Spezies unwürdig und grausam.
»Was unterscheidet uns denn von den Zyzzkt, wenn wir derartige Methoden anwenden?«
fragte Dhark.
»Der Unterschied ist, daß sie eine Wahl haben wir aber nicht.«
»So einfach ist das also für dich?«
»Wer hat gesagt, daß es einfach ist?« ereiferte sich Gisol. »Aber in einem Krieg wird man
immer auch durch die Mittel und Methoden seiner Gegner geprägt. Das ist nicht zu
vermeiden, Ren! Ob das einem Moralisten wie dir nun paßt oder nicht.« Er sprach zunächst
nicht weiter. Dhark sah ihn an. Gisol wich dem Blick des Commanders der Planeten nicht aus.
»Ich denke nicht, daß wir es uns leisten konnten, auf diese Waffe zu verzichten. Und wenn du
ehrlich bist, Ren, dann gibt mir die Situation, die wir hier vorgefunden haben, recht.«
»Nur, daß du die Sporen bereits auf den Weg geschickt hattest,
153
bevor du einen Fuß oder was auch immer auf den Planeten gesetzt hast.«
»Ich mußte es nicht erst mit eigenen Augen sehen«, verteidigte sich Gisol jetzt in wesentlich
sanfterem Tonfall. »Alle maßgeblichen Fakten lagen doch auf dem Tisch. Die reichten aus,
um sich die Situation lebhaft vorstellen zu können. Und glaube mir... ich kenne diese Bestien
viel besser als du. In den langen Jahrzehnten meines einsamen Kampfes habe ich Dinge
erlebt, über die zu sprechen selbst jemandem wie mir schwerfällt.«
Dhark nickte.
Auch wenn er Gisols Vorgehensweise nicht billigen konnte, so war jetzt nichts mehr daran zu
ändern. Die Sporen hatten ihren Weg auf den Planeten gefunden und würden dort ihre
mörderische Wirkung unter Beweis stellen. Es sei denn, da ist etwas nicht planmäßig
gelaufen, ging es dem Commander der Planeten durch den Kopf.
Die Tatsache, daß offenbar noch wesentlich mehr Zyzzkt am Leben waren, als Gisol
angenommen hatte, konnte unter Umständen ein Indiz dafür sein.
Grappas Stimme mischte sich in das Schweigen.
»Ich bekomme hier Daten herein, die darauf schließen lassen, daß die Zyzzkt eine neue
Vemichtungsoffensive starten. Mehrere Wohnpyramiden wurden mit Hilfe nuklearer
Sprengsätze einfach in die Luft gesprengt. Ich verzeichne einen starken Ausbruch von
Gammastrahlung in nordwestlicher Richtung...«
»Da siehst du es, Ren«, fühlte sich Gisol bestätigt. »Die Zyzzkt versuchen genau dasselbe mit
uns. Das ist ein Kampf auf Leben und Tod. Es geht nur darum, wer am Ende noch existiert.
Dein Mitleid ist vollkommen fehl am Platz, Ren.«
»Zumindest in einem Punkt gebe ich dir recht«, sagte Ren Dhark. »Hier ist ein Gemetzel im
Gang, das gestoppt werden muß.« Dhark wandte sich an den Zweiten Offizier Leo Bebir.
»Lassen Sie sämtliche Flash sofort starten. Sie sollen die Worgun bei ihrer Verteidigung
unterstützen.«
»Jawohl, Sir«, war Bebirs knappe Antwort.
»Grappa?« fragte Dhark.
»Ja?«
154
»Wir fliegen die POINT OF in eine Zone, die besonders hart umkämpft ist, damit die
Worgun Entlastung bekommen.«
Jetzt ergriff Maluk das Wort und widersprach dem Commander der Planeten.
»Ich würde vorschlagen, die POINT OF aus den direkten Kampfhandlungen soweit wie
möglich herauszuhalten.«
Dhark runzelte verwirrt die Stirn. »Um ehrlich zu sein, bin ich von deinem Anliegen etwas
überrascht«, mußte der Terraner gestehen.
»Die POINT OF könnte innerhalb kürzester Zeit dafür sorgen, daß sich die Lage an mehreren Krisenpunkten entspannt«, warf Gisol ein, der ebenso verwundert schien wie Dhark. »Ich verstehe dich nicht, Maluk. Wir können doch nicht unsere stärkste Einheit zurückhalten!« »Gisol...« »In jedem Augenblick sterben auf diesem Planeten Tausende von Worgun. Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, daß dich das kalt läßt, Maluk!« »Wie könnte es!« »Na also! Für taktische Spielchen ist jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt geht es ums Ganze!« »Hört mir zu«, forderte Maluk. Der amöbenhafte Körper des Worgun bildete dabei zwei längere Tentakel aus. Sie vollführten eine Bewegung, die an eine beschwörende Geste erinnerte. »Vor einigen Wochen fand ich per Zufall eine alte Kultstätte der Balduren. Dort gab es Hinweise auf ein sogenanntes Machtzentrum, das dazu dienen soll, den Worgun in höchster Not zu helfen.« »Die Legende einer religiösen Splittergruppe«, unterbrach Gisol. »Du weißt doch, daß die Hochphase der BaldurenReligion seit 800 000 Jahren vorbei ist und sich nur noch Außenseiter zum Glauben an die angeblichen Schöpfer der Worgun bekennen. Maluk, ich sage es nicht gern, aber das alles ist doch nur Lyrik für Verzweifelte. Was wir jedoch brauchen, sind Taten. Keine tröstenden Legenden!« »Ich bin überzeugt davon, daß mehr daran ist«, widersprach Maluk. »Es heißt, daß nur die legendäre MASOL Zugang zu diesem Machtzentrum hätte. Wenn die MASOL ihren Weg nicht zu 155 rück nach Epoy finde, habe sich das Volk der Worgun in den Augen seiner Schöpfer als unwürdig erwiesen und müßte endgültig sterben.« Dhark wandte sich an Gisol. »Ich möchte dich unter vier Augen sprechen«, sagte der Terraner. »Jetzt?« »Sofort!« 156 u. Dhark und Gisol verließen die Zentrale. Sie gingen in einen Konferenzraum. Gisols menschlicher Körper setzte sich in einen der zur Verfügung stehenden Schalensitze, wirkte aber nach wie vor angespannt. Dhark blieb stehen und verschränkte die Arme. Die Rücksichtslosigkeit des Worgun entsetzte ihn. »Für dich scheint der Zweck alle Mittel zu heiligen«, sagte Dhark. »Aber nicht für mich!« »Geht es um die Sporen?« fragte Gisol. »Ich übernehme die volle Verantwortung dafür und stehe dazu, daß ich sie auf Epoy freigesetzt habe. Vielleicht haben wir zu diesem Problem unterschiedliche Auffassungen, aber genauso wie ich deine Ansicht dazu respektiere, möchte ich, daß du die meine achtest.« »Darum geht es nicht«, erwiderte Dhark. »Im übrigen habe ich durchaus ein gewisses Verständnis für deine Handlungsweise.« »Worum geht es dann? Wir haben die Worgun vor dem Genozid zu bewahren und sollten keine Zeit verlieren.« Dhark atmete schwer. Er hob die Augenbrauen. Sein Blick musterte Gisol eindringlich. »Niemand auf Epoy wußte von dem Schiff Marguns und Solas!« stellte er fest. »Mag sein.« »Und wie konnte der Name dann hier bekannt werden?« »Ich habe nicht die geringste Ahnung, Ren.« »Wirklich nicht?«
»Du glaubst, daß ich dafür verantwortlich bin!«
»Wäre das so abwegig?«
»Bei meiner Ehre, Ren oder bei allem, was mir heilig ist, wie man bei euch auf Terra zu
sagen pflegt. Ich habe damit nichts zu tun.«
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Dhark zuckte die Achseln. »Ich werde dich jetzt nicht fragen, was dem Angehörigen einer
Spezies heilig sein könnte, die seit Jahrhunderttausenden auf jede Religion verzichtet!«
»Abgesehen von einigen Splittergruppen wie den BaldurenAnhängem.«
»Womit wir wieder beim Thema wären.«
»Ren, was spielt es für eine Rolle, woher der Name der MASOL hier bekannt ist?«
»Überlege, ob es irgendeine andere Verbindung geben könnte.«
»Wenn es dir so wichtig ist!«
»Wenn ich nicht nur mein Leben, sondern auch das vieler anderer riskiere, weiß ich gerne
Bescheid, anstatt blind in irgend etwas hineinzutappen.«
»Du hast keinen Grund, Maluk nicht zu vertrauen.«
»Sei ehrlich, Gisol. Auch du warst überrascht!«
Gisol zögerte.
»Ja«, gab er schließlich zu.
Beide schwiegen einige Augenblicke lang.
Dann nannte Ren Dhark einen Namen.
»Dalon!« stieß er hervor. »Er muß die Verbindung sein!«
»Der Bote der Worgunmutanten?« fragte Gisol zurück.
»Er wußte von dem Schiff.«
»Das stimmt. Aber dann müßte Dalon etwas mit dem Baldurenkult zu tun haben. Unmöglich
wäre das nicht, aber...«
Gisol sprach nicht weiter.
»Nicht gerade naheliegend, oder?« erriet Ren Dhark die Gedanken des Worgun.
Der zuckte mit den Schultern.
»Sagen wir so: ein Grund um zu stutzen.«
»Es gibt noch etwas anderes, was mich stutzen läßt.«
»Und das wäre?«
»Haben die Balduren wirklich Artefakte hinterlassen, die so gut erhalten sind, wie Maluk es
uns gerade weiszumachen versuchte?«
Gisol lächelte nachsichtig. »Kann es sein, daß du etwas übertrieben mißtrauisch bist?«
»Der letzte einigermaßen belegte Kontakt mit den Balduren fand vor einer Million Jahren
statt, als WorgunAstronomen einen Pla
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neten entdeckt zu haben glaubten, der sich wie ein Raumschiff bewegte...«
Gisol schwieg.
l Dharks Worte schienen jetzt auch ihn nachdenklich gemacht zu haben. »Von einem
regelrechten Kontakt können da wohl nur die gläubigen Anhänger des Baldurenkultes
sprechen«, meinte er. »Ich würde noch nicht einmal ein echtes Lebenszeichen darin sehen.«
»Und eine Million Terrajahre sind selbst für Worgun eine lange Zeit«, ergänzte Dhark. »Auf
jeden Fall sollten wir die Augen offenhalten.«
»Du denkst, daß irgend etwas faul ist?«
»Ich halte es zumindest nicht für ausgeschlossen.«
»Gehen wir zurück zu den anderen, Ren.«
Dhark nickte.
»Ich werde den Checkmaster kontaktieren. Vielleicht kann der mir weiterhelfen.«
Sämtliche Flash, die sich in den Doppelhangars der POINT OF befunden hatten, waren jetzt
im Einsatz. Sie waren völlig baugleich: röhrenförmig, etwa drei Meter lang, anderthalb Meter
durchmessend, wiesen sechs dünne Ausleger auf und verfügten über die gleiche Bewaffnung
wie das Mutterschiff.
Larry Fongheiser flog die Flash 027 über eine Hochebene.
In seinem Schlepptau befanden sich die Einheiten 025,026 und 028, die von den Piloten Ed
Marlette, Mike Doraner und Jack Stout geflogen wurden.
»Die Ortung zeigt Energiesignaturen, die auf Kämpfe hier ganz in der Nähe deuten«, meldete
Ray Dafner, Fongheisers Kopilot. »Wir müßten es gleich sehen können.«
Fongheiser starrte auf die Sichtsphäre vor ihm.
Sein Flash jagte mit SLE und eingeschaltetem Intervall durch ein paar schroffe Felsmassive
hindurch.
Dahinter tauchten die Trümmer einer Wohnpyramide auf. Es waren kaum mehr als die
Grundmauern des Bauwerkes übrig geblieben.
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»Starke Gammastrahlenwerte«, meldete Dafher. »Vereinzelt gibt es noch Bioimpulse von
überlebenden Worgun.«
Fongheiser schluckte.
Die kompromißlose, außerordentlich grausame Vorgehensweise der Zyzzkt erfüllte ihn mit
Wut. Den Überlebenden konnte nicht geholfen werden. Es gab keine Möglichkeit dazu. Die
meisten von ihnen würden auf Grund der hohen Strahlenwerte ohnehin in den nächsten
Stunden zugrunde gehen.
Die Wracks einiger abgeschossener ZyzzktGleiter zeigten, daß sich die Worgun nach Kräften
gewehrt hatten. Aber natürlich waren sie ihren Kontrahenten in jeder Beziehung unterlegen
gewesen vor allem natürlich, was die Ausstattung mit Waffen anging.
»Dies war kein Kampf«, stellte Fongheiser bitter fest.
»Ich würde es ein Gemetzel nennen«, meinte Dafner.
Eine Staffel von Kampfgleitem der Zyzzkt tauchte am Horizont auf. Schwere
Transporteinheiten befanden sich darunter. Offenbar fanden größere Truppenverlegungen
statt. Einige kleinere Einheiten eröffneten sofort das Feuer auf die Flash.
Energiestrahlen zuckten durch die Luft.
Fongheiser ging ebenso auf Ausweichkurs wie die anderen Flash. Im Intervallflug tauchte er
in den Boden ein, so daß sein Beiboot für Augenblicke nicht mehr zu sehen war.
Unter der Gleiterflotte tauchten die Flash dann wieder auf, stießen fast senkrecht nach oben
und feuerten konzentrierte Nadelstrahlen ab. Einer der großen Transporter sowie mehrere
kleinere Begleiteinheiten wurden getroffen. Die Trümmer flogen durcheinander, was den
Flash durch das Intervallum nichts anhaben konnte. Fongheiser lenkte seine 027 mit
eingeschaltetem Brennkreis mitten durch die Triebwerkssektion eines weiteren großen
Transporters, der daraufhin ebenfalls explodierte.
Erfolglos versuchten die kleineren Gleiter, die Flash mit ihren Strahlschüssen so zu treffen,
daß der Schutzschirm zusammenbrach.
Die Flash waren einfach zu schnell, die Piloten mit zuviel Erfahrung ausgestattet, als daß sie
sich so einfach ins Boxhom hätten jagen lassen.
»Hier Stout«, meldete sich Flash 026 über Funk. »Bislang hatten
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diese feigen Mörder keine richtigen Gegner, aber das wird sich jetzt wohl ändern!«
Die Kleinraumer jagten davon, flogen einen Ausweichkurs und hatten sich innerhalb weniger
Augenblicke bis zum Horizont entfernt.
Einige der kleineren Gleiter aus dem ZyzzktVerband nahmen die Verfolgung auf.
Außerdem wurden mehrere Lenkwaffen abgefeuert, die dem Wärmebild und der
Energiesignatur der Flash folgten.
Immer wieder blitzten Energiestrahlen hin und her. Die Gleiter der Zyzzkt zogen dabei jedoch
den kürzeren. Ein ums andere Mal gelang es den Flashbesatzungen, Gleiter durch gezielten
und konzentrierten Beschuß zum Absturz zu bringen. Manchmal jagten die getroffenen
Einheiten einfach mit voller Geschwindigkeit aber keineswegs im Intervallflug wie Flash! in
den Boden hinein, wo sie explodierten. Manche der ZyzzktGleiter detonierten auch bereits in
der Luft, wenn ihr Schutzschirm unter konzentriertem Beschuß zusammenbrach und es zu
einem Treffer im Bereich der Triebwerke kam.
Dafner meldete sich zu Wort: »Ich habe mich die ganze Zeit schon gewundert, weshalb es in
den Transportgleitem so wenig Bioimpulse von Zyzzkt gibt...«
»Und? Woran liegt das?« fragte Fongheiser mäßig interessiert zurück. »Dann bringen sie
wahrscheinlich Waffen und Geräte an einen Ort, an dem gekämpft wird.«
»Irrtum«, sagte Dafner.
»Wieso?«
»Diese Gleiter wurden zu etwas anderem umfunktioniert. Sie transportieren ein Gasgemisch,
das toxischer wirkt als alles, was du dir aus der irdischen Vergangenheit in dieser Hinsicht
vorstellen kannst!«
Pongheiser war nur mäßig überrascht.
»Die Zyzzkt wollen die Worgunbevölkerung Epoys tatsächlich ausrotten, und ich persönlich
habe nie daran gezweifelt, daß sie das mit aller Konsequenz durchzuziehen versuchen.«
»Drehen wir um und schalten auch die restlichen Transporter aus!« schlug Mike Doraner vor,
der Pilot von Flash 025.
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»Nichts dagegen!« gab Fongheiser zurück.
Die Flash stießen senkrecht in den Himmel empor, flogen einen Looping. Ihre Flugbahnen
strebten auseinander. Breitgefächerter Beschuß mit verschiedenen Energiestrahlen schaltete
die Lenkwaffen sowie die sie verfolgenden Gleiter der Zyzzkt aus.
Von mehreren Seiten näherten sich die Flash nun den Transportern.
Die kleineren Begleiteinheiten leisteten verzweifelte Gegenwehr, aber der größeren
Feuerkraft der Flash waren sie ebensowenig gewachsen wie deren Defensivbewaffnung.
Kurz hintereinander explodierten beide noch verbliebenen Transporter.
Die blauschimmemde Atmosphäre Epoys mischte sich mit Anteilen von Rot, Braun und
Schwarz. Rauch stieg in einer gewaltigen dunklen Säule empor.
»Na seht ihr, wir können's doch noch!« meinte Mike Doraner gutgelaunt.
Larry Fongheiser konnte diese Euphorie nicht teilen. Diesmal kamen wir rechtzeitig,
überlegte er, aber es befinden sich mit Sicherheit gerade jetzt noch Täusende weiterer
Transporter auf dem Weg zu den Wohnpyramiden der Worgun!
Gisol und Dhark kehrten in die Zentrale der POINT OF zurück. Gespannte Blicke ruhten auf
ihnen.
»Was ist?« fragte Maluk. »Wirst du meiner Bitte entsprechen? Die MASOL oder POINT OF,
wie ihr sie nennt darf auf keinen Fall dem Risiko der Zerstörung ausgeliefert werden.«
»Ich möchte zunächst dem Checkmaster ein paar Fragen stellen.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wie du weißt, drängt die Zeit.«
»Es wird nicht lange dauern.«
Ren Dhark trat über ein gedankliches Paßwort mit dem Checkmaster in Kontakt.
Insbesondere wollte der Commander wissen, ob der Bordrechner
162
über die bisher vorliegenden und sehr spärlichen Informationen hinaus irgendwelche
Erkenntnisse über die Balduren hatte.
Weiteres Datenmaterial ist nicht verfügbar, war die mehr als lapidare Antwort der SchiffsKI.
Das bedeutet, es gibt bislang nicht einmal einen klaren Beweis für die Existenz dieses Volkes,
stellte Ren Dhark fest. | Der Checkmaster bestätigte dies.
Den mir vorliegenden Daten nach trifft diese Feststellung zu, erklärte er.
»Und?« fragte Hen Falluta.
»Was die Balduren angeht, hat der Checkmaster keinerlei zusätzliche Informationen und kann
uns daher wohl nicht weiterhelfen.«
»Zu dumm.«
»Hier kommt eine Meldung von Larry Fongheiser herein«, sagte Morris, der Erste Funker.
»Geben Sie durch«, befahl Dhark.
Morris schaltete die Funkphase frei. Die Stimme des Flashpiloten klang auf. »Hier
Fongheiser. Wir sind in schwere Bodenkämpfe verwickelt. Die Zyzzkt beginnen damit,
großflächig Giftgas gegen die Worgun einzusetzen. Tausende sind schon erstickt. Offenbar
trauen sich die Worgun nicht, ihre IDDämpfer abzunehmen und die Gestalt kurzfristig so zu
ändern, daß sie nicht zu atmen brauchen. Jedenfalls geschieht das nur vereinzelt.«
»Geben Sie uns Ihre gegenwärtige Position durch, Fongheiser. Wir sind gleich bei Ihnen!«
kündigte Dhark an. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Angesichts dieser
Schreckensmeldungen gab es nun für ihn kein Halten mehr.
Es ging darum, die Leben möglichst vieler Worgun zu retten.
Auch Maluks Einwände konnten ihn davon nicht abbringen.
»Pongheiser hat die Positionsdaten übermittelt«, meldete unterdessen Hen Falluta.
»Worauf warten Sie dann noch? Starten Sie!« befahl Dhark.
»Ja, Sir!« bestätigte Falluta.
Ein dumpfes Summen dröhnte durch das Schiff, als der Brennkreis aktiviert wurde. Die
POINT OF hob vom Boden ab und zog üire Teleskopbeine ein.
163
Im Tiefflug schnellte sie auf die angegebene Position zu.
Maluk wirkte unruhig, zumindest soweit Ren Dhark die Körpersprache eines Worgun in
Amöbengestalt zu deuten vermochte.
Wenig später erreichte die POINT OF jene Koordinaten, die Fongheiser angegeben hatte.
Eine große Wohnpyramide tauchte hinter einer Anhöhe auf. Das Gelände um die Pyramide
herum war übersät mit toten Worgun und Zyzzkt. Viele von ihnen waren verkohlt und kaum
noch identifizierbar. Andere vor allem Worgunleichen wirkten äußerlich unverletzt. Sie
schienen dem Gas zum Opfer gefallen zu sein.
»Die Abtaster zeigen hohe Giftgaskonzentrationen an«, meldete Tino Grappa. »Für Menschen
ist hier ein Aufenthalt ohne Schutzanzug nicht möglich.«
Auf der Westseite der Wohnpyramide war ein heftiges Gefecht im Gang.
Strahlschüsse blitzten durch die bläulich schimmernde Luft. Schweres Blasterfeuer ging hin
und her.
Drei Flash von der POINT OF bekämpften eine Schar von Robotern aus der Luft.
Es handelte sich um Modelle des einst von den Worgun entWikkelten Typs, wie er
üblicherweise von den Zyzzkt eingesetzt wurde.
»Seht euch das an! Nicht einmal auf ihre eigenen Kämpfer haben die Massenvermehrer bei
dem Giftgasangriff Rücksicht genommen«, stellte Maluk grimmig fest.
Gisol schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht, daß die Zyzzkt an den Folgen des Giftgases gestorben sind«, sagte er.
Die Bildkugel vergrößerte sich. Zahlreiche Insektenleichen begannen bereits zu zerfallen und
hatten ihre Form schon fast verloren.
»Die Sporen«, murmelte Dhark.
»Ja«, bestätigte Gisol. »Aber den Robotern können die natürlich nichts anhaben.«
Die schweren Maschinen versuchten einerseits die Flash zu treffen, andererseits zielten sie
mit ihrem Blasterfeuer immer wieder auf bestimmte Stellen an der Außenwand der Pyramide.
164
»Sieht fast so aus, als versuchen die Roboter, Löcher in die Außenwand zu brennen«, stellte
Hen Falluta fest.
»Natürlich!« entfuhr es Maluk. »Sie wollen, daß das Gift ins Innere des Gebäudes dringen
kann.«
Die POINT OF setzte etwa hundert Meter abseits der Wohnpyramide auf der Oberfläche auf.
Die Teleskopbeine sorgten für einen stabilen Stand des Ringraumers. Für die Roboter war es
unmöglich, mit ihren vergleichsweise leichten Waffen Schaden an dem Ringraumer
anzurichten. Umgekehrt war ein Beschuß der Roboter mit den relativ groben Waffensystemen
der POINT OF nicht sonderlich effektiv.
Es wäre wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, ging es Ren Dhark durch den Kopf.
Er ließ über die FunkZ eine Verbindung zu Fongheiser herstellen.
»Hier Dhark. Wie schätzen Sie die Situation ein?« fragte er.
»Aus der Luft sind diese Kampfmaschinen schwer zu besiegen. Sie suchen immer wieder
Deckung. Ich weiß nicht, ob wir sie schnell genug erledigen können, um zu verhindern, daß
sie ihr Ziel erreichen und ein Loch in die Pyramidenwand gesprengt wird! Das wäre das Ende
von Tausenden Worgun!«
»Sie werden Unterstützung am Boden bekommen«, versprach Dhark.
»Es ist ein ziemlich großes Risiko, Männer dort hinauszuschikken«, gab Dan Riker zu
bedenken.
Dhark lächelte dünn.
»Daran habe ich auch nicht gedacht«, erwiderte er.
Riker hob die Augenbrauen. »Kampfroboter?«
»Ja. Ihnen kann das Giftgas der Zyzzkt nichts anhaben.«
Dhark gab den Befehl, zwei Dutzend Kampfroboter vom Kegeltyp auszuschleusen. Wenig
später erreichte Dhark ein Gespräch über eine schiff sinteme Interkomverbindung.
Auf einem Nebenbildschirm erschien das »Gesicht« eines Billigroboters aus
Großserienfertigung wenn man es denn so nennen
165
wollte. Die Optik in der Mitte des Kopfes blickte Dhark scheinbar an.
»Artus!« stieß Ren verwundert hervor.
»Ich muß dich sprechen.«
Dhark verdrehte die Augen. Das, was er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte, war eine
umständliche Diskussion mit Artus, dem Roboter mit Seele, wie er vielfach genannt worden
war. Ursprünglich war Artus ein einfacher, namenloser Billigbutler der Firma Wallis
Industries gewesen. Durch die Verknüpfung von 24 CyborgProgrammgehimen mit dem
eigenen Suprasensor war es bei Artus allerdings zum sogenannten TuringSprung gekommen.
Er hatte eine echte künstliche Intelligenz entwickelt und war eigenen Angaben nach zu
Emotionen fähig. Im Februar 2059 hatte er die vollen Bürgerrechte verliehen bekommen und
war seitdem juristisch gesehen eine voll geschäftsfähige Person mit allen dazugehörigen
Rechten und Pflichten.
Ren seufzte.
»Mach es kurz.«
»Ein Trupp Roboter passiert gerade die Luftschleuse. Ich nehme an, er wird eingesetzt, um
die Roboter der Zyzzkt zu bekämpfen, die gegenwärtig die Wohnpyramide beschießen.«
»Das ist richtig, Artus.«
»Ich weise ungern auf meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten hin, weil es mir oft als
Angeberei ausgelegt wird. Andererseits denke ich, daß in dieser Situation ein Hinweis darauf
durchaus angebracht ist, schließlich...«
»Artus, wir unterhalten uns ein anderes Mal«, brach Dhark den Dialog einfach ab.
»Moment!« beharrte der Roboter. Und noch ehe Dhark die Verbindung unterbrechen konnte,
war der geschwätzige, wenn auch seelenvolle Roboter zur Sache gekommen. »Ich bestehe
darauf, das Kommando über diese Operation zu übernehmen.«
Dhark überlegte einen Moment.
Noch ehe er antworten konnte, fuhr der wortgewandte Artus fort: »Du kannst mir das nicht verweigern, Dhark. Ich bin am besten für diese Aufgabe qualifiziert. Das nötige taktische Wissen habe ich längst in meine Datenspeicher geladen.« 166 »Okay«, stimmte Dhark zu. »Ich bin einverstanden. Unter einer Bedingung.« »Wie lautet diese Bedingung?« »Nach der hoffentlich erfolgreichen Beendigung dieser Aktion möchte ich nicht wieder über die Überlegenheit robotischer Intelligenz über die Fähigkeiten der Menschen belehrt werden.« »Wie schade«, bedauerte Artus. »Gerade diesen Beweis zu führen war eine meiner Intentionen.« »Das hatte ich mir schon gedacht.« Eine kurze Pause folgte. »Ich gebe dir das geforderte Versprechen«, erklärte Artus anschließend. »Wenn auch schweren Herzens.« Die wohlmodulierte Roboterstimme hatte dabei einen beinahe feierlichen Klang. Artus verließ die Schleuse und trat ins Freie. Das Gas, das die Umgebung verseuchte, war unsichtbar. Ob es auch geruchlos war, vermochte er nicht zu sagen. Über einen Geruchssinn verfügte er nicht. Einer der wenigen Nachteile, die ich gegenüber der Ausstattung eines durchschnittlich begabten Bewohners des Planeten Erde habe, überlegte der Roboter, während er den Blick seiner Optik schweifen ließ. Ich brauche unbedingt noch ein Gerät zur Gasanalyse. Ab und zu holte er verschiedene Punkte näher heran, um sie genauer betrachten zu können. Das Bildmaterial wurde aufgezeichnet und gegebenenfalls unter bestimmten Gesichtspunkten weiterverarbeitet. Mit den anderen an dieser Operation beteiligten Robotern war Artus über Funksignale direkt verbunden. Kommunikation war ein wichtiger Faktor im Gefecht. Zumindest hatte Artus das dem Datenmaterial entnommen, das er sich einverleibt hatte. Der Roboter zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß diese Behauptung auch der Wahrheit entsprach. Artus und seine Truppe von gut zwei Dutzend schweren Kampfrobotem umrundeten die Wohnpyramiden und gelangten ^hließlich auf jene Seite des großen Bauwerks, auf der nach wie 167 vor erbittert gekämpft wurde. Immer wieder konzentrierten die angreifenden Roboter ihre Attacken auf ganz bestimmte Punkte in der Außenwand der Pyramide. Hin und wieder wurden Explosivgeschosse abgefeuert. Sobald sie auf die Pyramidenwand auftrafen, detonierten sie und sprengten ganze Mauerstücke heraus. Aber noch gab es keine Öffnung. Er befahl den kegelförmigen Kampfrobotem, sich zu verteilen. Das Risiko eines Treffers sollte auf diese Weise minimiert werden. Einer der Flash jagte im Tiefflug über jene Punkte hinweg, an denen die feindlichen Kampfmaschinen in Stellung gegangen waren. Geschickt nutzten die Roboter der Zyzzkt die Deckung durch Vegetation und Bodenunebenheiten. Zwei der Roboter wurden durch Strahlentreffer des Flash ausgeschaltet. Die Antwort der ZyzzktRoboter am Boden ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Sie nahmen den ultraschnellen Flash sofort unter Beschuß. Ein Treffer erwischte ihn am Heck. Aber der Flash flog mit eingeschaltetem Intervall. Es absorbierte die Attacken der Kampfroboter. Der Flashpilot zog seine Maschine herum. »Keine Sorge, alles in Ordnung!« verkündete er etwas großspurig über Funk.
»Machen Sie keinen Unsinn, Scott!« rief Ren Dhark etwas irritiert ob der Sorglosigkeit, mit der der Mann vorging. »Nie und nimmer«, funkte Arly Scott zurück. »Wer mich abschießen will, muß erheblich früher aufstehen!« Artus erreichte in diesem Augenblick die Funkmeldung, daß die Außenwand der Pyramide jetzt an einer Stelle bedenklich zu brökkeln begann. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis die Angreifer den Durchbruch geschafft hatten und das Giftgas ungehindert ins Innere der Pyramide dringen konnte. Die Bewohner der Pyramide selbst waren nicht in der Lage, ihre Wohnstätte zu verteidigen. Einige von ihnen hatten es versucht und waren auf den Baikonen in Stellung gegangen. Sie hatten es allesamt mit dem Leben bezahlt. Ihre Körper waren 168 leblos in sich zusammengesunken. Bei manchen von ihnen wirkte es so, als säßen sie noch immer in ihren Stellungen. Vorwärts! funkte Artus den anderen Robotern. Er übermittelte ihnen ebenfalls per Funk die exakten Koordinaten jener Positionen, an die sie sich begeben sollten. Die Aktion erfolgte perfekt koordiniert. Die Roboter gingen in die Offensive. Sie stürmten wild um sich schießend aus ihren Deckungen hervor und ließen einen wahren Feuerregen auf die ZyzzktKampfmaschinen niedergehen. Explosivgeschosse wurden gezielt eingesetzt und blieben nicht ohne Wirkung. Mehrere der feindlichen Roboter wurden durch Detonationen zerrissen. Artus ließ die ihm unterstehenden Kampfroboter eine Halbkreisformation bilden. Die letzten noch funktionsfähigen Kampf maschinen der anderen Seite hatte sich auf einer nahen Anhöhe verschanzt. Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich eingegraben und fanden auf diese Weise Schutz. Ihr Ziel, ein Loch in die Außenwand der Wohnpyramide zu sprengen, hatten sie noch immer nicht aufgegeben. Immer wieder wurden femgesteuerte Miniraketen abgefeuert, die exakt dieselbe Stelle in der Wand treffen mußten. Mit breitgestreutem Strahlenfeuer versuchten Artus und seine Roboter die Geschosse abzulenken. Die Projektile wurden zwar nicht zerstört, aber die entstehenden elektromagnetischen Entladungen legten die Steuerung lahm. Mehr oder minder ziellos trudelten diese Explosivgeschosse dahin. Ihre Flugbahn wurde unberechenbar. Wo sie einschlugen, bildeten sich viele Meter durchmessende Krater. Aus der Luft gab es nach wie vor Unterstützung durch die Flash. Die Piloten Fongheiser, Doraner und Marlette flogen unermüdlich ^e Einsätze gegen die Kampfmaschinen der Zyzzkt. Allerdings mußten sie dabei höllisch auf der Hut sein. Vom Boden aus wurden sie immer wieder beschossen. Die Flash flogen mit eingeschaltetem Intervallum, was sie vor den Attacken schützte. Der gezielte Beschuß durch Artus5 Kampfroboter und die Flash führte schließlich zum Erfolg. Das Feuer von der Anhöhe aus erlosch. »Wie sieht es mit der Außenwand der Wohnpyramide aus?« er 169 kundigte sich der Roboter über Funk bei den Flashpiloten. Fongheiser gab ihm Auskunft. »Die Außenwand hat gehalten«, erklärte er. »Es können höchstens kleinere Gasmengen durch die entstandenen Risse gedrungen sein.« »Das ist gut«, sagte Artus. Der Beschuß von der Anhöhe aus war nun vollständig verebbt. Artus und seine Roboter kamen aus ihren Deckungen hervor und gingen auf den bisherigen Unterschlupf des Feindes zu. »Achtung, paß auf, Artus«, meldete sich jetzt Tino Grappa, der Ortungsoffizier der POINT OF. »Die Abtaster zeigen an, daß es noch leichte energetische Aktivitäten auf dem Hügel gibt.« »Meine Instrumente bestätigen dies«, meldete sich Fongheiser. »Ich danke für die
Warnung«, erwiderte Artus. »Aber vergeßt nicht, daß ich keineswegs so verletzlich bin wie eine organische Lebensform« Weder Grappa noch Fongheiser erwiderten darauf etwas. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um Artus' Ansicht von der Überlegenheit künstlicher Intelligenz zu diskutieren. Der Roboter mit Seele sah sich selbst als eine höhere Stufe der Evolution an. Ein Wesen, dem zwar die Erde, Planet seiner Erschaffer, sehr am Herzen lag, der sich seinen Bewohnern jedoch haushoch überlegen wähnte. Die Roboter von der POINT OF erreichten den Hügelkamm. Die Kampfmaschinen der Zyzzkt hatten sich teilweise bis zu einem Meter fünfzig tief in den Boden gegraben. Mit seinen eigenen Meßinstrumenten spürte Artus noch eine energetische Aktivität auf. Sie stammte von einem ZyzzktRoboter, der versucht hatte, seine Grube zu verlassen und sich jenseits des Hügels in Sicherheit zu bringen. Ein abgetrennter Greifarm zuckte noch hin und her. Artus empfand kein Mitleid, auch wenn er zu derartigen Emotionen durchaus in der Lage war. Selbst wenn der äußere Anschein dagegensprach, so empfand er diese Roboter einfach nicht als seinesgleichen. Sie sind Maschinen, dachte er. Ich nicht. 170 12. Ren Dhark kontaktierte per Funk die Bewohner der Pyramide. Unter den dortigen Worgun gab es viele Tote und Verletzte. Aber das waren Folgen der Kämpfe, die rund um das Bauwerk herum stattgefunden hatten. Giftgas war nicht ins Innere der Anlage eingedrungen. Dhark beschwor die Worgun, die Pyramide bis auf weiteres nicht zu verlassen. »Ich möchte mich gerne draußen umsehen«, sagte Gisol zu Dhark, als der Kontakt mit den Worgun in der Pyramide wieder unterbrochen war. »Meinetwegen. Aber nicht allein. Ein Trupp unserer Leute wird dich begleiten.« »Ich sehe im Moment keinerlei Gefahr mehr. Die ZyzzktRoboter haben sich zurückgezogen, und bislang scheinen die Bestien keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, diesen Ort zurückzuerobern.« »Früher oder später werden sie eine erneute Attacke versuchen«, war Maluk überzeugt. »Natürlich. Aber nicht im Moment.« Tino Grappa meldete sich zu Wort. »Wir haben jetzt eine komplette chemische Analyse der Giftsubstanz, die die Zyzzkt eingesetzt haben. Es handelt sich dabei offenbar um einen Stoff mit sehr komplexer Wirkungsweise. Danach ist zu vermuten, daß er für Zyzzkt keineswegs tödlich wirkt, während der Stoffwechsel der Worgun außerordentlich empfindlich auf diese Substanz reagiert.« »Was ist mit unserem Stoffwechsel?« hakte Dhark nach. »Wir würden genau wie die Worgun bereits bei geringsten Dosen sterben«, gab Grappa Auskunft. »Allerdings ist dieser Giftstoff 172 offenbar so beschaffen, daß er sich relativ rasch wieder zersetzt. Vermutlich ist das blaue Licht von Foru dafür verantwortlich. Unsere Wissenschaftler sind sich wohl noch nicht ganz einig darüber, welche Strahlungskomponente die Zersetzung letztlich bewirkt. Tatsache ist, daß die Giftkonzentration rapide absinkt.« Grappa wandte sich an Gisol und erklärte: »Warten Sie noch eine Viertelstunde, und Sie können ohne Schutzanzug hinaus.« »Das reicht gerade, um eine Einsatzgruppe zusammenzustellen«, meinte Dhark an Gisols Stelle. »Ja«, murmelte der Worgun leise. Seinem Gesicht war noch immer überdeutlich anzusehen, welche Gedanken ihn beherrschten: Wut und Rache. »Nehmen Sie einige Cyborgs mit«, riet Dhark. »Und vielleicht jemanden mit medizinischen Kenntnissen. Manu Tschobe zum Beispiel. Wenn die Zyzzkt gegen das Gift immun waren
und der Großteil der Toten nicht im Gefecht gefallen ist, läßt das eigentlich nur einen Schluß
zu.«
Gisol nickte.
Die Miene seines menschlichen Gesichts hellte sich etwas auf.
»Die Sporen!« stieß er dann hervor. »Ich hatte schon befürchtet, daß sie nicht wirken!«
Als die Toxizitätswerte der Atmosphäre es zuließen, ging Gisol mit seiner Gruppe ins Freie.
Ein Trupp von terranischen Raumsoldaten gehörte dazu. Er wurde von Leutnant Diego Hill
kommandiert. Außerdem waren noch der Biochemiker Leon Laudan und die Cyborgs Amy
Stewart und Lati Oshuta dabei.
Als die anderen bereits die Hauptschleuse der POINT OF verlassen hatten, folgte noch eine
weitere Person.
Manu Tschobe.
Der Afrikaner war Arzt, Bioniker und Funkspezialist. Aufgrund der Tatsache, daß er über die
schwach ausgeprägte parapsychische Begabung der Hypnosuggestion verfügte, hielt er seinen
Blick zumeist gesenkt und vermied es, seine Mitmenschen anzusehen.
173
Jemand, der ihn nicht gut genug kannte, konnte dies unter Umständen als abweisendes
Verhalten mißdeuten. Tschobe holte rasch auf.
Gisol führte die Gruppe an.
In der Umgebung rund um die Wohnpyramiden stand die von Artus angeführte
Robotereinheit auf ihrem Posten, während die Flash inzwischen zu einem anderen Einsatzort
geeilt waren, um die Worgun zu unterstützen.
Artus selbst ging der Gruppe entgegen.
»Ein bestialischer Gestank ist das«, meinte Leutnant Hill und verzog das Gesicht.
»Der Leichengeruch der zerfallenden ZyzzktKörper«, stellte Gisol grimmig fest. Tatsächlich
hatte sich bei den meisten toten Zyzzkt die physische Form teilweise aufgelöst. Die eigentlich
gegen jedweden Verwesungsprozeß extrem resistenten Exoskelette befanden sich offenbar in
einem sehr schnell voranschreitenden Verfallsprozeß. Ein Prozeß, der nur Folge der Infektion
mit den Pilzsporen sein konnte.
Leon Laudan nahm ein paar Proben, um das einwandfrei im Labor nachweisen zu können.
»Wir haben keinerlei Vergleichsdaten darüber, wie schnell sich diese Sporen ausbreiten«,
stellte Manu Tschobe an Gisol gerichtet fest.
Dieser verzog sein Gesicht zu einer Grimasse.
»Ich hoffe möglichst schnell!« gestand er.
Seinen Haß auf die Zyzzkt konnte er nicht einmal im Angesicht ihrer Toten verbergen. Er
machte auch gar nicht erst den Versuch.
Etwa zur gleichen Zeit meldete die FunkZ der POINT OF das Eintreffen einer Botschaft des
planetaren Militärkommandanten der Zyzzkt.
»Hören wir uns an, was er zu sagen hat«, meinte Dhark.
»Es würde mich schon sehr wundem, wenn das ein Friedensangebot wäre«, ergänzte Dan
Riker.
Ein Holoschirm wurde aktiviert.
174
Der obere Teil eines käferartigen Zyzzkt wurde sichtbar. Die Beißwerkzeuge rieben sich
aneinander und erzeugten dabei ein schabendes, schwer erträgliches Geräusch.
Dann folgten die ersten Laute in der harten, mit vielen scharfklingenden Knack und
Zischlauten durchsetzten Sprache der Zyzzkt.
»Hier spricht SrrwskTrrss, planetarer Militärbefehlshaber dieses Planeten, den die
niederträchtigen Worgun Epoy zu nennen pflegen«, übersetzte das Translatorprogramm des
Checkmasters. »Aber die Rache wird folgen, so wahr ich hier stehe. Noch triumphiert ihr. Noch freut ihr euch darüber, daß die Zyzzkt auf diesem Planeten dank des feigen Einsatzes biologischer Waffen dem Untergang geweiht sind.« SrrwskTrrss machte eine Pause. Seine Fühler vollführten einige Bewegungen, die Ren Dhark spontan als unkontrolliert einordnete, auch wenn er natürlich so gut wie keine Ahnung davon hatte, wie ein Zyzzkt sich normalerweise zu bewegen pflegte. Ihm fiel eine Stelle am Oberkörper auf. Eine bläuliche Verfärbung hatte sich dort anscheinend in den Chitinpanzer hineingefressen. Erste Folgen der Pikinfektion? fragte sich der Commander der Planeten. Im nächsten Augenblick gab der Kommandant selbst darauf eine Antwort. »Auch ich bin bereits ein vom Tode Gezeichneter. So wie alle anderen meiner Art, die sich zur Zeit auf der Oberfläche dieses vielfach verdichteten Materieklumpens befinden, der die panzerlosen Worgun hervorbrachte in ihrer Ursprungsgestalt nichts weiter als Abbilder des primitivsten Lebens, kurz nachdem es aus der Aminosäurenpfütze der planetaren Ursuppe kroch...« Wieder folgte eine Pause. Der Zyzzkt stieß einen röchelnden Laut hervor, den das Translatorprogramm nicht zu übertragen wußte. »Wirkt fast so, als hätte er Atemnot«, meinte Tino Grappa. Der Zyzzkt fuhr nach kurzer Pause fort. »Ihr habt es gewagt, euch gegen die Verehrten aufzulehnen. Ihr habt versucht, uns auszurotten, aber dafür wart ihr nicht schnell genug. Mag sein, daß für uns hier keine Hoffnung mehr besteht. 175 Euch aber werden wir mit in den Tod reißen. Jeder Worgun auf diesem Planeten soll dafür büßen. Keiner von ihnen wird übrigbleiben, sobald die Nacht anbricht...« Im ersten Moment überlegte Dhark, es vielleicht nur mit den haßerfüllten Wutausbrüchen eines Befehlshabers zu tun zu haben, der jede Hoffnung auf ein Überleben oder gar einen Sieg seiner Seite wohl oder übel hatte aufgeben müssen. Das Geschwätz eines Individuums, daß dem Tode näher war als dem Leben. Aber was dann kam, ließ allen, die sich in der Zentrale der POINT OF befanden, das Blut in den Adern gefrieren. Es waren keineswegs nur leere Drohungen, die der ZyzzktKommandant durch den Äther schleuderte. SrrwskTrrss hatte noch einen grauenhaften Trumpf in der Hinterhand, den der vom Tode Gezeichnete jetzt mit Genuß ausspielte. Selbst die Sprachbarriere und die Unzulänglichkeiten des Translatorprogramms filterten nichts von seinem Triumph heraus. »Der Tod wird die Worgun ereilen, sobald die Nacht hereinbricht. Im Orbit um Epoy befindet sich eine ausreichende Anzahl von Satelliten, die mit Giftgas gefüllt sind. Ich werde diese Satelliten koordiniert zünden und in die Atmosphäre stürzen lassen. Die Zündung erfolgt immer so, daß in der betreffenden Zeitzone gerade die Nacht hereinbricht. Das Gift zersetzt sich unter der blauen Strahlung Forus. Aber die Nacht ist lang genug, um allen Worgun den Tod zu bringen. Selbst durch die feinen Ritzen eurer Wohnpyramiden wird sich das Gift in dieser Zeit einschleichen. Niemand wird seinem Schicksal entgehen.« Der Zyzzkt rieb die Beißwerkzeuge aneinander und erzeugte dabei ein besonders schrilles und unangenehmes Geräusch. Seine vorderen Extremitäten klopften gegen den chitingepanzerten Oberkörper. Auch dieser Laut war außerordentlich durchdringend. Vielleicht ist das sein Pendant zu einem höhnischen Gelächter, überlegte Dhark. Die Verbindung wurde unterbrochen. Einige Augenblicke lang herrschte betretenes Schweigen.
»Leider haben wir keine Möglichkeiten, Milliarden Worgun zu evakuieren«, meinte Dhark.
»Aber wir könnten immerhin Wambotschaften per Funk an die zuerst betroffenen Gebiete
abstrahlen.«
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»Damit sie buchstäblich vor dem Einbruch der Nacht fliehen?« fragte Riker zweifelnd.
»Sie ahnungslos in den Tod gehen zu lassen ist noch viel grausamer, als sie auf eine
Ungewisse und chaotische Flucht zu schikken, auf der sie ebenfalls Opfer der Zyzzkt werden
können.« Dhark atmete tief durch. »Wir werden tun, was wir können aber niemand kann den
Worgun garantieren, daß es uns noch gelingt, diesen Wahnsinn zu stoppen!«
Schließlich ergriff Maluk das Wort.
»Ich weiß, wo sich die Satellitensteuerung befindet«, behauptete er.
Dhark hob erstaunt die Augenbrauen. Damit hatte er nicht gerechnet. »Die Verbindungen
eurer Widerstandsorganisation müssen ja wirklich weitreichend sein«, stellte der Terraner
fest.
»Wir wissen jedenfalls, wo sich die Kommandozentrale der Zyzzkt auf Epoy befindet. Dort
gibt es einen Großrechner, der die nötigen Kapazitäten hat, um eine derart koordinierte
Steuerung der Giftgassatelliten vorzunehmen.« Maluk trat an eine der Konsolen in der
Zentrale der POINT OF. Sein amöbenhafter Körper bildete ein Tentakel aus, das sich
wiederum vielfach verzweigte. Diese Pseudofinger glitten über das Terminal. Eine Projektion
wurde aktiviert. Sie zeigte eine Holographie des Planeten Epoy. Maluk sorgte dafür, daß eine
bestimmte Stelle rot markiert wurde. Sie lag an einem ausgedehnten See auf einer Hochebene.
»Hier liegt das Kommandozentrum. Es ist natürlich mit den größtmöglichen
Sicherheitsmaßnahmen geschützt, die man sich vorstellen kann. Die Anlagen erstrecken sich
angeblich viele Stockwerke tief in den Untergrund.«
»Die meisten Zyzzkt werden jetzt im Sterben liegen«, stellte Dan Riker fest.
Maluk zog sein Tentakel zurück und integrierte es wieder in den Körper.
»Das heißt nicht, daß wir nicht mehr mit Widerstand zu rechnen hätten«, sagte Maluk. »Sie
alle haben doch gehört, was dieser Kommandant uns gerade entgegengeschleudert hat. Die
Zyzzkt haben jetzt nichts mehr zu verlieren. Solange noch einer von ihnen ^ Leben ist,
werden sie uns mit letzter Kraft bekämpfen und da
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für sorgen, daß ihr Vemichtungsplan in die Tat umgesetzt wird.«
»Ich befürchte, da hast du recht, Maluk«, mußte Dhark zugeben.
Der Worgun fuhr fort: »Davon abgesehen müssen wir damit rechnen, daß die Anlage vor
allem durch robotische Verteidigungsvorrichtungen gesichert ist. Kampfroboter, wie sie uns
hier begegnet sind, dürften da noch zu den harmloseren Überraschungen zählen.«
»Und die Roboter der Zyzzkt werden durch die Sporen wohl kaum in Mitleidenschaft
gezogen«, mischte sich Dan Riker ein. Er wandte sich an seinen Freund. »Ich glaube, daß
Roboter die beste Chance hätten, bis zu diesem Superrechner vorzudringen, der die
Giftsatelliten steuert.«
Maluk war derselben Ansicht. »Immerhin wären sie nicht durch die Giftattacken zu stoppen,
mit denen wir nach wie vor rechnen müssen.«
»Die Zyzzkt haben uns ja offen angekündigt, was sie vorhaben«, sagte Falluta. »Wir müssen
damit rechnen, daß die ersten Attacken durch die Giftsatelliten bereits beginnen, bevor wir
den Rechner ausschalten können.«
»Schicken wir Artus«, riet Riker. »Ich habe die Aktion vorhin, bei der er das Kommando
führte, sehr genau beobachtet. Das war ein sehr gut koordinierter Einsatz. Und ich denke, es
ist allemal besser, jemanden mit dieser Mission zu betrauen, der eine Persönlichkeit besitzt,
als eine reine Maschine, die lediglich stur ihr Programm ausführt.«
Dieses Argument leuchtete Dhark ein. Er atmete tief durch.
»Wenn er Erfolg hat, wird Artus darin wieder mal einen Beweis für seine evolutionäre
Überlegenheit sehen«, sagte er.
»Diesen Triumph solltest du ihm dann auch gönnen, Ren«, meinte Dan Riker.
Dharks Reaktion bestand aus einem verhaltenen, etwas matten Lächeln.
Die Situation war einfach zu ernst.
Dhark stellte eine Verbindung zur FunkZ her.
»Hier Morris«, meldete sich der diensthabende Funker.
»Rufen Sie Artus her. Sofort.«
»In Ordnung, Sir.«
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Wenig später kehrte Artus an Bord der POINT OF zurück. Dhark, Maluk und Riker
empfingen ihn in einem der Konferenzräume.
Es handelte sich um einen recht kahlen, sehr funktionell eingerichteten Raum, dem jeder
Luxus fehlte.
In knappen Worten erläuterte Dhark dem Roboter, was seine Aufgabe war. Zusammen mit
neun weiteren Robotern sollte er mit fünf Flash die planetare Kommandozentrale der Zyzzkt
aufsuchen und die Zündung der Giftsatelliten zu verhindern versuchen.
»Traust du dir das zu, Artus?«
»Ich frage mich allen Ernstes, wie daran überhaupt jemand zweifeln kann«, ereiferte sich der
Angesprochene. »Ich weiß aber sehr wohl um die Risiken und behaupte, daß ich sie
objektiver einzuschätzen vermag als jeder andere hier an Bord, vom Checkmaster vielleicht
einmal abgesehen. Im übrigen grenzt die übertriebene Fürsorge, mit der ich hier behandelt
werde, bereits an Diskriminierung.«
»Diskriminierung?« fragte Dhark etwas verwirrt.
»Ich habe das Gefühl, als Person nicht ganz für voll genommen zu werden.«
»Artus, das ist nicht wahr!«
»Du selbst hast mir zwar die Urkunde überreicht, in der meine Bürgerrechte schriftlich fixiert
sind, aber ich muß sagen, daß dein Verhalten mir gegenüber dazu manchmal im Widerspruch
steht.«
Dhark wollte etwas erwidern, aber Dan Riker lag ganz offensichtlich daran, die Diskussion
abzukürzen.
»Wir wünschen dir viel Glück, Artus!«
»Und ich wünsche, daß meine Fähigkeiten endlich anerkannt werden. Manche hier an Bord
scheinen in mir noch immer einen Großserienroboter zu sehen. Aber ich darf versichern, daß
ich...« Er brach ab. In seiner Optik blinkte etwas auf. Dhark fragte sich, Was das zu bedeuten
hatte. Artus machte eine ruckartige Bewegung. Die Optik war jetzt auf Dhark gerichtet.
Zu behaupten, er hätte einen nachdenklichen Blick, wäre jetzt
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"wohl sicher unangebracht, überlegte der Commander der Planeten. Aber vielleicht hat er ja
gemerkt, daß er uns im Moment allen auf die Nerven geht.
Wenig später starteten fünf Flash aus den Hangars der POINT OF. Sie aktivierten ihre
Intervallfelder und durchdrangen die Außenhaut des Ringraumers. Jeder Flash war mit zwei
robotischen Piloten bemannt.
Von Artus abgesehen handelte es sich um die modernsten Kampfroboter vom Kegeltyp. Sie
trugen die Seriennummem B123 bis B131.
Die Flash jagten dem von Zyzzkt besiedelten Areal auf der Planetenoberfläche entgegen.
Gegenwärtig lag das Gebiet auf der Nachtseite Epoys.
Langsam aber sicher kroch die Dämmerungszone jedoch weiter über Epoys Oberfläche. Sie
näherte sich den überwiegend von den Worgun besiedelten Landstrichen.
Und mit der Nacht kam der Tod. Artus war sich bewußt, daß nur wenig Zeit blieb, um das Ziel der Mission zu erreichen. Die Suprasensorik des Roboters arbeitete auf Hochtouren. Alles, was es an Daten über die Zyzzktgebiete Epoys gab, war in seine internen Speicher geladen worden. Was er tatsächlich am Zielort vorfinden würde, wußte er natürlich nicht. Die Flash flogen über weite Gebiete, in denen die Spuren brutaler Kämpfe unübersehbar waren. Überall konnte man die Einschlagkrater gewaltiger Bomben sehen, die mit Lenkwaffen ins Ziel gebracht worden waren. Energiestrahlen hatten ganze Landstriche niedergebrannt. Die Kämpfe waren größtenteils abgeflaut. Nur noch vereinzelt waren Zyzzkt auf den Beinen. Hier und da gab es allerdings noch Einheiten von Kampfrobotem, die aktiv waren und sich mit Worgun Gefechte lieferten. Die Tatsache, daß mir das Kommando über diese Mission überlassen wurde, könnte ein Zeichen dafür sein, daß ich inzwi 180 schen doch in einem weit höheren Maß als Person akzeptiert werde, als ich bisher annahm, überlegte Artus. Zur gleichen Zeit traf in der Zentrale der POINT OF eine Meldung ein, die alle zutiefst schockierte. Das Gesicht von Kommandant John Martell erschien auf einem Bildschirm. »Was gibt es, John?« fragte Dhark. Er sah dem ernsten Gesicht des Kommandanten bereits an, daß es sich nur um eine schlechte Nachricht handeln konnte. »Ich habe die traurige Pflicht Ihnen mitzuteilen, daß die BUDVA unter dem Kommando von Kapitän Charlie Jana durch einen Angriff der Zyzzkt zerstört wurde.« Ren Dhark schluckte. Irgendwann hatte es ja dazu kommen müssen. Bislang war seine Flotte von Verlusten verschont geblieben, aber dieser Zustand hatte natürlich nicht ewig andauern können. Nicht wenn man sich auf einem Flug mitten durch ein galaktisches Kriegsgebiet befand. »Gibt es Überlebende?« hakte Dhark nach. Seine Stimme klang belegt. John Martell nickte leicht. »Ja, Sir. Die RHEYDT hat sie aufgenommen. Wir wissen aber noch nicht, wie viele.« »Verstehe.« »Ansonsten konnten wir bisher einen Durchbruch der Zyzzkt wirksam verhindern. Unsere Lage ist einigermaßen stabil, und wir tun unser Bestes.« »Das weiß ich, John«, versicherte Dhark. Die Verbindung wurde unterbrochen. Ren nahm mit Janos Szardak, dem Kommandanten der RHEYDT Kontakt auf und erfuhr, daß bisher 34 Besatzungsniitglieder der BUDVA gerettet werden konnten. Charlie Jana war nicht unter ihnen. Aber die Rettungsaktion lief noch weiter. Der Bergsee wirkte aus der Höhe wie ein dunkles Auge. Das Licht eines Mondes spiegelte sich in ihm. Am südwestlichen Ufer des Sees befand sich ein Kuppelbau. 181 »Diese Kuppel scheint den Daten unserer Abtaster nach der einzig sichtbare Teil der Kommandozentrale zu sein«, berichtete Artus5 Kopilot, der Kampfroboter mit der Serienbezeichnung B123. Alle an der Operation teilnehmenden Roboter waren durch Kommunikationskanäle so miteinander verbunden, daß alle Gespräche von der gesamten Gruppe mitgehört werden konnten. Schnelle, problemlose und vor allem in der Regel auch unmißverständliche Kommunikation.
Ein weiterer Vorteil, den der Roboter dem Menschen voraus hatte, wie Artus fand. »Was ist
mit Lebenszeichen von Zyzzkt?« fragte er.
»Bioimpulse der Insektoiden sind nur noch vereinzelt aufzuspüren. Dann aber auch nur sehr
schwach.«
»Scheint so, als wären sie entweder schon allesamt tot oder lägen im Sterben«, mutmaßte
Artus, der sich die entsprechenden Daten auf die Anzeige seiner Konsole geholt hatte.
»Das ist eine Spekulation«, stellte B123 fest.
»Natürlich. Strenggenommen hast du recht«, gestand Artus zu.
Er wußte aus Erfahrung, daß es vollkommen sinnlos war, mit Kampfrobotem dieses Typs ein
vernünftiges Gespräch führen zu wollen, das über den reinen Austausch von Informationen
hinausging. Dazu waren diese Maschinen einfach nicht in der Lage. Sie übermittelten Daten,
und der Empfänger hatte dann dafür zu sorgen, daß diese Daten einwandfrei weiterverarbeitet
wurden.
Für alles, was darüber hinausging, hatten die Roboter kein Verständnis.
Ganz anders Artus.
Er hatte den sogenannten Turing-Sprung hinter sich und eine eigene Persönlichkeit
entwickelt. Dazu gehörte auch die Fähigkeit, Emotionen zu empfinden. Auch wenn er des
öfteren mit den sozialen Gepflogenheiten der Menschen in Konflikt geriet oder Situationen
schlicht und einfach mißverstand, so fühlte er sich doch den Menschen näher als Maschinen
wie B123.
B127 meldete sich über Funk aus seinem Flash.
»Ich orte Richtfunksignale, die offenbar eine Verbindung zu den im Orbit befindlichen
Satelliten darstellen.«
»Entschlüsselung möglich?«
182
»Nicht mit unseren Rechnerkapazitäten. Ich schlage vor, die Signale an die POINT OF zu
überspielen.«
»Einverstanden«, meinte Artus.
Er war überrascht.
Ein erstaunlich kreativer Vorschlag für eine Maschine ohne Persönlichkeit. Aber wer konnte
schon exakt sagen, wo da die Grenze lag? Die Grenze zwischen dem Anschein von Kreativität
und tatsächlicher Intelligenz mit persönlicher Note.
»Ich empfehle eine Landung auf dem Vorplatz des Kuppelbaus«, sagte B123.
»Läßt sich die genaue Lage des Zentralrechners ungefähr lokalisieren?« fragte Artus.
»Negativ«, erwiderte der Kopilot.
Plötzlich blitzte etwas auf.
Eine grünlich §chünmemde Aura aus Licht umgab jetzt den Kuppelbau. Offenbar war ein
Schutzschirm aktiviert worden.
»Wir werden angegriffen«, sagte B123. »Aufgezeichnete Energiesignaturen deuten auf die
Inbetriebnahme verschiedener Waffensysteme.«
Im nächsten Moment schössen Energiestrahlen aus verschiedenen Öffnungen in der
Kuppeldecke heraus. Offenbar gab es ein automatisches Verteidigungssystem, daß die Anlage
schützte.
»An alle! Ausweichmanöver fliegen!« E Der Flash wurde zunächst von den Energiestrahlen
durchdrungen. Das Intervallum schützte das Kleinstraumschiff allerdings. Es befand sich in
einem anderen Kontinuum. Dieser Zustand bewahrte vor den Wirkungen der meisten
Waffensysteme und ermöglichte den Flug durch feste Materie.
»Intervallum wurde um 20 Prozent geschwächt«, erklärte B123 in seiner unnachahmlich
sturen Art.
Er ist ja nur so etwas wie die Illusion eines Begleiters, dachte Artus. Der Anschein von
Persönlichkeit und Leben. Andererseits HW ich auch einmal so ein seelenloses Ding, das
nicht viel mehr als ein hochkomplexes Werkzeug darstellte. Was hat letztlich den Unterschied
ausgemacht?
Ein unpassender Moment, um darüber nachzudenken.
183
Artus steuerte den Flash aus der Gefahrenzone.
»An alle! Es wird nicht gefeuert. Wir ziehen uns zurück und versuchen den Projektor des
Schutzschirms zu finden«, bestimmte der robotische Kommandant dieser Mission.
Von den anderen Flash kam eine Bestätigung nach der anderen.
»Feldgenerator ist lokalisiert«, meldete wenig später B124, nachdem die Flash einen Bogen
um den Kuppelbau geflogen und sich kurzzeitig außer Schußweite gebracht hatten.
»Die Daten sollen an alle Einheiten übermittelt werden«, befahl Artus.
B124 schien es für seine Pflicht zu halten, sich noch einmal zu Wort zu melden.
»Bei der Lokalisierung des Generators gibt es eine gewisse Unsicherheit, die bei 30 Prozent
liegt. Allerdings weisen die angemessenen Energiesignaturen eine Übereinstimmung mit...«
»Ist schon gut«, gab Artus zurück. Er war ziemlich genervt. »Konzentriertes Feuer auf den
Generator oder was immer es auch sein mag, was da angemessen wurde!«
Artus konnte nur hoffen, daß es nicht der Rechner war.
Schließlich wußte niemand, was für Teufeleien sich die Zyzzkt kurz vor ihrem endgültigen
Untergang noch ausgedacht hatten.
Möglicherweise war ein Programm installiert worden, das im Falle eines massiven Angriffs,
der die Zerstörung des Zentralrechners zur Folge haben konnte, dafür sorgte, daß die
Giftgassatelliten sofort scharfgeschaltet wurden.
In dieser Hinsicht war den Zyzzkt alles zuzutrauen.
Aber ein gewisses Risiko mußte man einfach eingehen.
Artus ahnte, daß er auf andere Weise hier nicht ans Ziel kam, so sehr er ansonsten auch
statistisch zuvor genau abgewogene Vorgehensweisen bevorzugte.
Eigentlich.
Manchmal war einfach nicht die Zeit dafür.
Die unter Artus5 Kommando stehenden Flash feuerten mit konzentrierten Nadelstrahlen auf
die Stelle, die B124 lokalisiert hatte. Sie lag auf der Nordseite der Kuppel, ein Bereich mit
deutlich erhöhter energetischer Aktivität.
Offenbar funktionierte das Abwehrsystem der Kuppel nicht
184
mehr ganz so, wie es hätte sein sollen.
Vielleicht war auch keiner der Erbauer je auf den Gedanken gekommen, daß die Anlage sich
vielleicht irgendwann einmal tatsächlich selbst verteidigen mußte.
An ZyzzktSoldaten hatte ja niemals in der Geschichte dieses Volkes ein Mangel bestanden.
Ihre enorme Vermehrungsrate sorgte dafür.
Der schimmernde Schutzschirm zerplatzte mit einer grellen Lichterscheinung. Die robotisch
gesteuerten Strahlgeschütze wurden anschließend durch gezielten Punktstrahl ausgeschaltet,
ohne größere Zerstörungen im Gebäudekomplex zu verursachen.
Schutzlos lag das Kommandozentrum der Zyzzkt vor ihnen.
»Unsere Ortungsgeräte werden durch Abstrahlungen aus der Tiefe der Kommandozentrale
teilweise außer Funktion gesetzt«, stellte B127 fest.
' »Nur der Verlaß auf die eigenen Fähigkeiten bringt einen weiter«, erklärte Artus.
Einen Menschen oder einen Roboter? ging es ihm anschließend durch den Kopf.
Vielleicht galt das für beide gleichermaßen.
Im Sturzflug steuerte Artus nun seinen Flash auf den Kuppelbau zu.
Die anderen Einheiten folgten ihm.
Im Intervallflug durchdrangen die Flash das Kuppeldach. Sie bremsten ab und flogen beinahe senkrecht in die Tiefe. »Ortungssysteme werden noch immer von Strahlungsfeldem gestört«, meldete B123. »Kann es sein, daß diese Felder ganz bewußt aktiviert wurden, um Eindringlingen den Zugang zum Zentralrechner zu erschweren?« war Artus' Vermutung. »Diese Hypothese hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit«, gab B123 zu. Offenbar war die Maschine nicht in der Lage, sich in die Situation eines Individuums hineinzuversetzen, das seinem Tod entge 185 gensah und nur ein einziges Ziel hatte: möglichst viele seiner Feinde mit ins Verderben zu reißen. Genau das war die Motivation der letzten Zyzzkt auf Epoy gewesen. Man muß wohl eine Seele haben, um so etwas zu begreifen, überlegte Artus. Wenn auch nicht notwendigerweise die Seele eines Zyzzkt... Die Abtaster zeigten einen großen Hohlraum in etwa fünfzig Metern Tiefe unter der Oberfläche an. Unter normalen Umständen hätte die Ortung das schon aus größerer Distanz anzeigen müssen, aber die Störfelder hatten dies wohl verhindert. Gleichzeitig war ganz in der Nähe dieses Hohlraums eine Energiesignatur anmeßbar. Sie war nur sehr schwach, und Artus hatte sofort den Eindruck, daß sie künstlich gedämpft wurde. Die Signatur selbst war typisch für komplexe Rechnersysteme der Zyzzkt, wie sie unter anderem in den Verwaltungszentren auf Epoy zu finden waren. Artus wies sämtliche Flash an, in den angemessenen Hohlraum zu fliegen und dort zu landen. Mit eingeschaltetem Breittikreis drangen die Zweimannraumschiffe durch die Decke einer gewaltigen Halle. Augenblicke später wurden die Intervallfelder abgeschaltet, und die Flash landeten in Formation auf dem Boden. Artus stieg als erster aus seinem Flash. Seine Roboter folgten kurz darauf. Ihre schußbereiten Blastermündungen richteten sich nach allen Seiten. Aber nirgends schien es noch jemanden zu geben, der dieses Machtzentrum der Zyzzkt verteidigte. Tote Insektoide lagen überall auf dem Boden. Manchen von ihnen war anzusehen, welchen Todeskampf sie durchgemacht hatten. Die Extremitäten waren verrenkt. Die Pilzsporen hatten ihre Chitinpanzer infiziert und zum Teil bereits aufgelöst. »Keinerlei Bioimpulse von Zyzzkt mehr meßbar!« meldete B129. »Irgendwelche Anweisungen?« Artus antwortete nicht sofort. Er blickte sich um. Mehrere Gänge führten sternförmig von der Halle weg. 186 l Artus hatte außer einem Blaster auch ein mobiles Ortungsmodul bei sich, das mit seiner Suprasensorik über eine Funkschnittstelle verbunden war. ; »Drei von euch bleiben hier und bewachen die Flash«, bestimmte Artus. »Die anderen folgen mir.« Artus versuchte herauszufinden, wo der Ursprung der Energiesignaturen lokalisiert werden konnte. »Es scheint tatsächlich ein massives Dämpfungsfeld zu existieren«, meinte Artus. Ein für menschliche Ohren kaum hörbares Geräusch ließ Artus den Roboterkopf mit der Optik nach rechts drehen. Die Decke war durchsetzt mit Leuchtelementen. Ein Muster aus Licht und Schatten entstand dadurch. Aus einer der Schattenzonen schnellte etwas hervor, kaum so groß wie eine Fingerkuppe. Eine Drohne.
Die Verteidigungsanlagen des Rechnerkomplexes waren offenbar noch intakt und darauf programmiert, Eindringlinge auszuschalten. Weder ein menschliches Auge noch das Wahrnehmungsvermögen eines Worgun hätten ausgereicht, um die Drohne rechtzeitig zu bemerken. Artus' Hochleistungsoptik hingegen nahm die Gefahr sofort wahr. Der Roboter riß den Lauf seines Blasters empor und feuerte mit breitgestreutem Energiestrahl auf das Objekt. Die Drohne schoß im selben Moment ebenfalls einen Energiestrahl ab. Er traf B129, dessen innere Suprasensorik sofort ausfiel. Scheppernd krachte der Blechkörper auf den harten Untergrund, während die Drohne zu Boden trudelte. Sie war offenbar noch aktiv, aber nicht mehr flugfähig. Ein Energiestrahl zischte aus ihr heraus, fegte über den Boden und sengte in einer Höhe von zwei Handbreit in die Wand hinein, ohne eine sichtbare Wirkung zu erzielen. Die Materialien, aus denen die Anlage erbaut war, schienen besonders widerstandsfähig zu sein. Aufgrund der Störfelder hatten die Ortungssysteme der Plash nur unzureichende Informationen über die chemische Zusammensetzung geliefert. Mit einem zweiten Schuß schaltete Artus die Drohne endgültig aus. 187 Sie würden auf der Hut sein müssen. Spätestens jetzt war das allen an der Mission beteiligten Kampfrobotem klar. Ihre Subroutinen wurden automatisch an neue Gegebenheiten und Gefahren angepaßt. Artus erhielt einen Wamimpuls. Er erreichte ihn direkt über Funk. Nicht ein einziges Wort mußte dafür gewechselt werden. Artus wirbelte herum. Seine Bewegungen waren jetzt von einer Schnelligkeit, die weit über das hinausging, was man normalerweise von einem Modell der Billigklasse gewohnt war. Dicht an Artus vorbei zischte ein Energiestrahl. Gerade noch rechtzeitig war er der Gefahr ausgewichen. Artus hob den Blaster. Seine Optik hatte den winzigen Feind längst anvisiert. Er feuerte einen Blasterstrahl ab, der breit genug gestreut war, um plötzlichen Ausweichmanövern zuvorzukommen. Die Drohne fiel zu Boden. Weitere dieser ferngelenkten Todesbringer drangen aus verschiedenen Öffnungen in der Hallendecke. Die terranische Kampfroboter hatten sich inzwischen auf die Bedrohung perfekt eingestellt. Sie registrierten bereits die Energiesignaturen und Funkwellen, die von den Drohnen zur Kommunikation mit dem Zentralrechner benutzt wurden, so daß die winzigen Gegner ausgeschaltet werden konnten, kaum daß sie aus ihren Löchern kamen. Per Funk wurden Warnsignale untereinander ausgetauscht. Die Roboter reagierten blitzschnell. Die letzten Abwehrdrohnen der Zyzzkt schafften es nicht einmal mehr, ihre Depots zu verlassen, geschweige denn einen Schuß abzugeben. Schließlich war Ruhe. Entweder hatte der Zentralrechner begriffen, daß diese Eindringlinge so nicht zu bekämpfen waren, oder die Drohnendepots waren schlicht und ergreifend leer. Wir müssen uns jetzt beeilen, erkannte Artus. Schließlich konnte niemand ahnen, was sich die Zyzzkt kurz vor ihrem Ende noch an 188 Boshaftigkeiten ausgedacht hatten. Artus bewegte sich an der Spitze des Trupps auf einen Ausgang zu, der in westliche Richtung führte. Ein zischendes Geräusch ertönte. Er blieb kurz stehen.
Den Anzeigen seines Ortungsmoduls nach veränderte sich die Zusammensetzung der Atmosphäre. ^H »Die Anlage wird mit Giftgas geflutet«, stellte Artus fest. B »Bestätigt«, sagte B123. 1— In Augenblicken wie diesen merkt man erst, wie angenehm die Gesellschaft von Menschen sein kann, ging es Artus durch die Suprasensorik. Nein, nicht Menschen! korrigierte er sich. Personen. Denn genau das war der Unterschied zwischen diesen Robotern und den Menschen an Bord der POINT OF, mit denen er tagtäglich Umgang hatte. Auch wenn er ihre sozialen Konventionen immer wieder falsch interpretierte und sich daher manchmal von einem Fettnäpfchen zum nächsten zu bewegen schien, so war er ihnen doch ähnlicher, als seine manchmal ziemlich platte Arroganz vermuten ließ. B127 meldete sich über eine interne Funkphase, die allen an diesem Einsatz beteiligten Robotern zugänglich war. Ich weise auf die Veränderung in der Atmosphärenzusammensetzung hin... Niemand von uns ist Sauerstoffatmer! stellte Artus fest. So kurz vor dem Ziel wollte er sich nicht von unwichtigen Information irritieren lassen. Du schätzt die Priorität dieser Information falsch ein, meinte B127. Bitte überprüfe die Anzeigen deines Ortungsmoduls und stelle einen Abgleich mit den Werten her, die ich aufgezeichnet habe. Artus wollte im ersten Moment über diese Aufforderung hinweggehen. Aber er stellte den Abgleich zwischen den Ortungsmodulen schließlich her. Ein Hochleistungsprodukt wie B127 sprach eine derartige Warnung schließlich nicht ohne Grund aus. Das Gißgas enthält eine Komponente, die die Schaltkreise unserer Suprasensorik zerstören könnte, stellte er überrascht fest. Aber den Berechnungen des Moduls nach dauert es eine Weile, bis sich diese chemische Komponente durch die Abdichtungen gefressen hat,.. 189 B127 stellte nüchtern fest: Wir dürften für unsere Mission noch etwa ein bis zwei Stunden Zeit haben. Dann werden die ersten von uns ausfallen. Sie bewegten sich den Korridor entlang. Das Giftgas inklusive seiner Zusatzkomponente, die offenbar genau auf einen Roboterangriff abgestellt war, hatte überall inzwischen eine Konzentration erreicht, die für jeden Menschen oder Worgun tödlich gewesen wäre. Menschen wären nicht in der Lage gewesen, diese Operation durchzuführen, dachte Artus. Ob ich es sein werde, muß sich erst noch zeigen, Am Ende des Korridors befand sich ein Schott. Artus und seine Roboter schnitten mit Blasterfeuer eine Öffnung in das metallische Material, die groß genug war, um hindurchzugelangen. B124 war der erste Roboter, der das zerstörte Schott passierte. Er peilte die Lage. Alles in Ordnung, funkte er an die anderen. Artus folgte B124. Schon bevor er den Raum betrat, der sich hinter dem Schott befand, hatte Artus einen optischen Eindruck von dem, was ihn erwartete. B124 hatte ihm einen Datenstrom seiner optischen Erfassung überspielt. Es handelte sich zweifellos um eine Zentrale. Die Signatur, von der wir denken, daß sie auf den Zentralrech' ner der Zyzzkt hindeutet, ist gegenüber dem zuerst angemessenen Signal um 800 Prozent stärker geworden, stellte B124 fest. »Offenbar befinden wir uns jetzt innerhalb des Dämpfungsfeldes, das unseren Ortungssystemen ein paar Probleme bereitet hat«, sagte Artus laut. Es war reine Gewohnheit, laut zu sprechen, keine Notwendigkeit zumindest nicht, solange er nur mit Robotern
kommunizierte. Aber der vorwiegende Umgang mit Menschen hatte den Roboter offensichtlich bereits stark geprägt. Die Kampfmaschinen stellten sich auf den bevorzugten Kom 190 muüikationskanal ihrer jeweiligen Partner automatisch ein. Daher sprach auch B124 jetzt wieder laut. »Dieser Rechner zeigt eine erhöhte energetische Aktivität. Die Werte steigen noch.« Kontrollampen und Anzeigen blinkten auf. Artus setzte sein Modul an eine der Konsolen. Er mußte versuchen, eine direkte Verbindung zum Rechner zu bekommen. Aber die Kl des Zentralrechners schien die Eindringlinge längst bemerkt zu haben. Ein paar Zisch und Knacklaute ertönten über einen Lautsprecher. Artus5 internes Translatorsystem stellte sofort fest, daß es sich um eine Botschaft in der Sprache der Zyzzkt handelte. , »Unbefugtes Betreten. Unbefugtes Betreten.« | Artus legte sein Modul an eine der Konsolen an. Er wollte in das interne System des Rechners hinein. »Kein Zugang! Kein Zugang!« reagierte die Lautsprecherstimme auf den ersten Versuch. Ein Blitz zischte plötzlich aus der Konsole heraus. Artus zuckte zusammen. Ein Stromschlag traf ihn. Automatisch reagierten seine internen Schutzmechanismen und isolierten seine Suprasensorik. Artus wurde von einem Abwehrkraftfeld erfaßt, das ihn mehrere Meter durch den Raum schleuderte. Unsanft kam er auf dem Boden auf. Augenblicke lang umgab ihn nichts als Schwärze. »Kein Zugang!« schnarrte die Lautsprecherstimme. Artus' Optik brauchte nur eine kurze Zeit, um sich zu rekonfigurieren. Der Roboter erhob sich wieder. »Ich empfange verstärkt Signale, die den verschlüsselten Punkbotschaften ähneln, die von hier aus zu den Satelliten gingen«, erklärte B123. »Das System wird offenbar hochgefahren«, stellte Artus fest. Vielleicht bedeutete dies, daß die posthumen Vernichtungspläne der Zyzzkt nun in ihre entscheidende Phase traten. Kaum eine halbe Stunde blieb noch, bevor der erste Giftgasangriff auf ein von Worgun bewohntes Gebiet erfolgen würde sobald der Abend in der betreffenden Region dämmerte. »Ich möchte mit der Kl dieses Zentralkomplexes Kontakt aufnehmen«, sagte Artus, nachdem er sich von dem Elektroschock ei 191 nigermaßen erholt hatte. Das Translatorprogramm sorgte dafür, daß diese Worte im Idiom der Zyzzkt gesprochen wurden, einer Sprache, die der Rechner normalerweise wiedererkennen mußte. »Wer spricht in der Sprache der Verehrten?« erkundigte sich die Lautsprecherstimme. »Mein Name ist Artus«, sagte der Roboter mit Seele. »Ich muß dir die Mitteilung machen, daß deine Erbauer tot sind. Es lebt kein einziger mehr von ihnen.« »Diese Tatsache ist bekannt«, erwiderte die Stimme des Zentralrechners. »Du sendest Signale in den Weltraum über Epoy«, stellte Artus fest. »Sind das Steuerimpulse für die Giftsatelliten, die Milliarden von Worgun vernichten sollen?« »Sie haben den Tod verdient, weil sie sich gegen die Verehrten auflehnten«, erwiderte der Zentralrechner. »Du mußt diesen Völkermord stoppen«, forderte Artus. »Du hast keinerlei Autorisation, das von mir zu fordern«, erwiderte die Kl. »Ihr seid gewaltsam hier eingedrungen, außerdem fehlt euch jede Zugangsberechtigung.« »Die Herrschaft der Zyzzkt über Epoy ist vorbei«, sagte Artus. »Ich bin darauf programmiert, unter allen Umständen den Befehlen zu folgen, die mir der planetare Oberbefehlshaber gab.«
»Es gibt nichts, was dich davon abhalten könnte?«
»Doch, einen Befehl von jemandem mit der Autorisation von SrrwskTrrs.«
»Aber SrrwskTrrs ist tot.«
»Darum wird es keine Änderung meiner Programmierung geben.«
Damit biß sich die Katze in den Schwanz. Artus fiel diese terranische Redensart über eine
präintelligente Spezies in diesem Moment ein, und sie erschien ihm äußerst passend.
Es hatte offenbar keinen Sinn, diese Kl umstimmen zu wollen. Die Alternative war, einfach
einen Sprengsatz zu legen und den Großrechner auszuschalten. Die Frage war allerdings
immer noch, was mit den Giftsatelliten geschah, wenn ihre Schaltzentrale ausfiel.
Vielleicht mrd dann alles noch viel schlimmer, dachte er. Aber
192
selbst wenn die Giftgassatelliten nach der Zerstörung ihres Befehlsimpulsgebers alle auf
einmal auf die Oberfläche Epoys stürzten, war dies dem Plan der Zyzzkt vorzuziehen. Die
Zahl der Opfer war dann vermutlich wesentlich geringer, weil das Gas in diesem Fall auch in
Gebieten abgeworfen wurde, in denen der Tag gerade erst begonnen hatte. Ein Funkspruch
von der POINT OF erreichte Artus. Es war Arc Doorn. Der geniale Sibirier, der sich intuitiv
in Fremdtechnologien einzufühlen vermochte. l »Ich habe eine erste Analyse der Signale
vorgenommen, die offenbar zwischen dem Zentralrechner und den Satelliten ausgetauscht
wurden«, erklärte Doorn.
»Was ist das Ergebnis dieser Analyse?« fragte Artus. , »Wir nehmen an, daß die Satelliten
selbst bei kleinen Operationen wie Kurskorrekturen und dergleichen auf Steuerimpulse vom
Boden angewiesen sind. Es ist daher unwahrscheinlich, daß die Satelliten nach einem Ausfall
der zentralen Suprasensorik oder einer Unterbrechung der Impulse noch in der Lage sind, den
Vernichtungsplan der Zyzzkt selbständig auszuführen.« »Das heißt, ohne den Zentralrechner
sind sie handlungsunfähig.« »Wahrscheinlich. Und ich nehme an, daß es in diesem Fall kein
Problem sein wird, die Giftgassatelliten zu einem späteren Zeitpunkt einen nach dem anderen
einzusammeln und unschädlich zu machen.«
Artus wandte sich an B123. »Sprengsatz anbringen«, ordnete er an.
Fünf Minuten blieben Artus und seinen Robotern, um die Zentrale zu verlassen, zu ihren
Flash zurückzukehren und sich in Sicherheit zu bringen. Die Zeit war bewußt knapp
bemessen. Dem Gegner sollten so wenig Chancen wie möglich gegeben werden, doch noch
zu triumphieren. Diese Kl hat einen eisernen Überlebenswillen, überlegte Artus.
Die Roboter erreichten ihre Zweimannboote und stiegen ein. Die Triebwerke wurden
gestartet. Intervallfelder aktiviert.
193
Bei dem Sprengsatz, den Artus und seine Roboter hinterlassen hatten, handelte es sich um ein
Fabrikat, das eine Kemfusionsreaktion auslöste. Nur noch Minuten, und der gesamte
unterirdische Zentralkomplex der Zyzzkt würde sich in ein atomares Inferno verwandeln.
Im Schutz ihrer Intervallfelder durchstießen die Flash in rascher Folge das Dach des
Kuppelbaus und stiegen fast senkrecht in den blauen Himmel Epoys.
Unter ihnen begann bereits das dumpfe Grollen der beginnenden Explosion. Noch auf der
anderen Seite des Planeten würden seismische Meßgeräte sie deutlich verzeichnen.
Kehren wir zurück, dachte Artus.
194
13. »Treffer!« meldete einer der Roboter im Leitstand der NOREEN WELEAN. Simon hatte diesem Roboter den Namen Hugo gegeben und pflegte sich ausgiebig mit ihm zu unterhalten. Er saß im Pilotensitz des Raumschiffes, das wie die anderen der Flotte an der Verteidigung Epoys beteiligt war. Immer heftiger stürmten die angreifenden ZyzzktRaumer gegen den ausgedünnten Verteidigungsring an.
Aber sie werden es nicht schaffen, dachte Simon, dieses menschliche Bewußtsein in einem Tofiritkörper, dessen Form er nach Belieben bestimmen konnte. Nach wie vor war es Simons Ziel, einen menschlichen Körper zurückzugewinnen, der dem vergleichbar war, den er verloren hatte. Aber bis dahin lag noch ein weiter Weg vor ihm, wie er ahnte. Auf der Bildkugel im Leitstand der NOREEN WELEAN waren die herannahenden Angreifer deutlich zu sehen. Feuer! befahl er. Dieser Befehl wurde per Funkkontakt sofort an die Roboter an den Waffensystemen sowie an die Schiffsrechner weitergeleitet. Eine Erschütterung durchlief Simons Schiff. Aber Intervallfelder und Außenhülle hielten der Attacke stand. Wir lassen sie nicht durchkommen, versprach Hugo. Niemals! Simon war in dieser Hinsicht sehr viel skeptischer als die Mitglieder seiner robotischen Mannschaft. Letztlich sitzen unsere Gegner am längeren Hebel, gab er zu bedenken. Schließlich können die Zyzzkt nahezu unerschöpfliche Reserven mobilisieren, während wir bald am Ende unserer Kräfte angelangt sind. Und das traf in mehrfacher Hinsicht zu. Erstens gab es natürlich unter den Schiffen der Verteidiger im 195 mer wieder Verluste. Sie wogen auf Grund der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners doppelt schwer, zumal sie nicht ersetzt werden konnten. Außerdem würden irgendwann die Energievorräte zur Neige gehen. Im Augenblick bestand keine Gefahr, daß die Zyzzkt die Schlacht für sich zu entscheiden vermochten. Aber die Zeit spielte für die Insektoiden. Selbst dann, wenn man voraussetzte, daß auch ihre Reserven offenbar nicht mehr unerschöpflich waren. Ein spindelförmiger Roboter namens Joker schwebte plötzlich einen halben Meter empor und drehte seine Hochleistungsoptik in Simons Richtung. »Simon, ich habe soeben eine enorme Strukturerschütterung gemessen«, stellte er fest. Es hatte lange gedauert, bis Simon diesem Roboter beigebracht hatte, ihn bei seinem Namen zu nennen. Zur Zeit begann Joker allerdings jede Mitteilung mit Simon, was auf die Dauer genauso nervend sein konnte wie das völlige Fehlen jedweder persönlichen Ansprache. Es sind eben letztlich doch nur sture Maschinen, dachte Simon, ohne daß einer der anwesenden Roboter dies mithören konnte. Der Anschein von Leben, Gesellschaft und Anteilnahme. Mehr nicht. Simon musterte den Spindelroboter einen Augenblick lang. Eine Strukturerschütterung? echote er. Trotz deiner Hochleistungssysteme sind deine Übertragungsraten an Information bei direkter Funkkommunikation erschrekkend gering, Simon, tadelte der Roboter. Ich rekonfiguriere gerade das Fernortungssy stem. Danach haben wir, so denke ich, ein klareres Bild über das, was da weit draußen vor sich geht. Eigentlich liegt es auf der Hand, stellte Simon fest. Die Zyzzkt wollen offenbar noch mehr Raumschiffe hierher schaffen. Joker bewegte sich wieder auf seine Konsole zu und verharrte in der Nähe der Anzeigen. Ein Teleskoparm wurde ausgefahren, sehr feingliedrige Metallfinger bedienten die Tastatur. Simon, die Rekonfiguration ist abgeschlossen, meldete er. Dieser ewige SIMON nervt mich, funkte der Angesprochene zurück. 196 Jokers Antwort blieb sachlich und nüchtern. Du hast mich ausdrücklich angewiesen, dich so anzusprechen. Mag sein, erwiderte Simon launig.
Joker erklärte: Die Zyzzkt wollen diese Schlacht offenbar um jeden Preis für sich entscheiden. Etwa tausend Raumschiffe befinden sich im Anflug auf das ForuSystem! Darunter auch eine Arkan-Station. B Simon war konsterniert. Er erhob sich, sing zu J Er erhob sich, ging zu Jokers Konsole und überprüfte die Angaben. Der spindelförmige Roboter hatte recht. Das darf nicht wahr sein, ging es Simon durch das Bewußtsein. Wir haben unter diesen Bedingungen wohl kaum eine Chance Epoy länger erfolgreich zu verteidigen, mischte sich jetzt Hugo mit einer glasklaren, sachlichen Analyse der Situation ein. Es versetzte Simon einen Stich. Aber der Roboter hatte zweifellos recht, so unangenehm es auch sein mochte, dies einzugestehen. »Ich muß mit Dhark und der POINT OF sprechen«, sagte der Wächter schließlich laut. Soll ich eine Verbindung herstellen? funkte ein Roboter, den Simon Monkey genannt hatte. Er besetzte zur Zeit die FunkZ der NOREEN WELEAN. Simon neigte leicht den pseudohumanoiden Kopf seines Tofiritkörpers. Eine Geste, die beinahe wie ein Nicken wirkte. Umgehend! bestätigte er per Funk. Artus und seine Roboter waren inzwischen ebenso an Bord der POINT OF zurückgekehrt wie Gisol und sein Trupp. Ren Dhark und die anderen Anwesenden im Leitstand des Ringraumers verfolgten gespannt die Ortungsanzeigen. Die nächtliche Dunkelzone auf Epoy hatte inzwischen die ersten von Worgun besiedelten Gebiete erreicht. Aber im Orbit tat sich nichts. Die Giftsatelliten der Zyzzkt hatten ihre Positionen nicht verändert. Zwischenzeitlich war an Bord der POINT OF erwogen worden, die Satelliten mit Hilfe eines gezielten Strahlbeschusses 197 aus dem Orbit zu holen. Aber schließlich hatte Dhark entschieden, daß das Risiko zu groß war. Die Satelliten waren durch anmeßbare Energieschirme geschützt. Ein Abschuß endete sehr wahrscheinlich mit einem Absturz. Das Giftgas hätte dann natürlich ganz im Sinne der Zyzzkt seinen Weg auf die Planetenoberfläche gefunden. »Scheint, als wäre deine Mission ein voller Erfolg gewesen«, wandte sich Dhark an Artus. »Ein Erfolg in mehrfacher Hinsicht«, nahm der Roboter diesen Faden auf. »Erstens wurde ein gigantischer Völkermord verhindert, und zweitens hat dieses Beispiel exemplarisch die Vorteile von robotisch gesteuerten Operationen gezeigt. Ich erwähne an dieser Stelle nur...« »Es war wohl ein Riesenfehler, den Blechmann zu loben«, wandte sich Amy Stewart leise an Dhark. Die attraktive Cyborg-Frau zwinkerte ihm dabei verschwörerisch zu. Dan Riker war da wesentlich deutlicher. »Wenn man gelobt wird, heißt das noch lange nicht, daß man gleich darauf als Angeber auftreten muß«, meinte er. »Es war nicht meine Absicht, eure für mich nach wie vor verwirrenden und unlogischen Sozialkonventionen zu verletzen, Riker. Ich hatte lediglich das Anliegen, die sachlichen Vorteile...« Diesmal war es eine Meldung von der FunkZ, die dem Roboter mit Seele das Wort abschnitt. »Hier Morris. Wir bekommen eine Nachricht der NOREEN WELEAN.« »Dann lassen Sie mal hören!« forderte Dhark. Auf einem Nebenbildschirm erschien der gesichtslose Kopf von Simons Tofiritkörper. »Hier Dhark. Was gibt es für Neuigkeiten bei euch da draußen? Hält die Abwehrfront um Epoy?« »Sie hält«, bestätigte Simon. »Es fragt sich nur, wie lange noch.« ^
Dhark hob die Augenbrauen.
»Was soll das heißen?«
In knappen Worten berichtete Simon von der gewaltigen Flotte, die sich im Anflug auf das
ForuSystem befand.
198
Tino Grappa meldete sich zu Wort. »Die Instrumente zeichnen \r gerade gewaltige
Strukturerschütterungen auf«, stieß er hervor.
»Unsere Instrumente zeigen dieselben Erschütterungen an«, erklärte Simon nach kurzer,
stummer Rücksprache mit dem spindelförmigen Roboter Joker. »Am Rand des Foru-Systems
sind über tausend Zyzzkt-Schiffe aus dem Hyperraum getreten. Darunter eine Arkan-Station.
In etwa zwanzig Minuten wird diese Flotte Epoy erreicht haben...«
»... und es ist vollkommen unmöglich, den Planeten gegen diese Übermacht zu verteidigen«,
vollendete Dhark den Satz seines Gegenübers.
, Die Lage war deprimierend.
E »Ich werde erneut mit Nova Roma Kontakt aufnehmen«, sagte Dhark vor sich hin.
Er wollte die Verbindung mit Simon schon unterbrechen, als dieser erklärte: »Das habe ich
bereits getan. Aber Admiral Martius braucht nach wie vor selbst jedes seiner Schiffe in der
Abwehrschlacht um Gardas. Er kann uns keine Unterstützung schicken!«
Dhark preßte die Lippen aufeinander. Die Situation schien aussichtslos.
Epoy war nicht zu halten.
Dharks Flotte von inzwischen nur noch 30 Schiffen konnte sich natürlich jederzeit durch eine
schnelle Transition aus der Gefahrenzone bringen.
Aber das hätte bedeutet, Milliarden von Worgun dem sicheren Untergang zu überlassen.
Auf jeden Fall war eine Evakuierung vollkommen undenkbar.
Lediglich ein Bruchteil der Worgunbevölkerung hätte vor der blinden Zerstörungswut der
Zyzzkt geschützt werden können.
Und was Maluks Verteidigerschiffe anging, so waren sie sicher um keinen Preis willens, sich
zurückzuziehen.
Auch wenn das ihren Tod bedeutete.
Simons Stimme drang in Dharks düstere Gedanken.
»Ich frage mich, woher die Zyzzkt auf einmal das ganze Tofirit haben! Sämtliche Einheiten
dieser Tausenderflotte fliegen im V ollbetriebsmodus, auch der ArkanRiese!« Er schüttelte
den gesichtslosen Kopf. Eine Geste, die trotz all seiner äußerlichen
199
Fremdartigkeit seinen menschlichen Kem verriet. »Die müssen jedes Gramm Tofiritstaub in
der ganzen Galaxis Om zusammengekratzt haben...«
Die Zyzzkt griffen nach Eintreffen der Verstärkung mit neuem Mut an. Auch die NOREEN
WELEAN wurde beschossen. Simon unterbrach die Verbindung, während auf der POINT OF
beraten wurde. Die Gesichter aller Anwesenden waren sehr angespannt.
»Wenn man die Sache realistisch betrachtet, haben wir nicht den Hauch einer Chance«, stellte
Dan Riker fest. »Aber andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, die Worgun einfach
sich selbst zu überlassen!«
Morris von der FunkZ meldete sich und wandte sich direkt an Ren Dhark.
»Sir, wir empfangen hier eine äußerst eigenartige Signalfolge. Ich kann mir darauf keinen
Reim machen, so etwas...«
Morris sprach nicht weiter.
Niemand sagte ein Wort...
Ein Rumoren ging plötzlich durch die POINT OF.
Offenbar waren die Triebwerke selbsttätig aktiv geworden.
»Der Checkmaster!« stieß Ren Dhark hervor.
Zweifellos hatte der nach wie vor mysteriöse Bordrechner der POINT OF erneut die Kontrolle
über das Schiff übernommen. Ren Dhark ging zur Steuerkonsole und aktivierte die
Gedankensteuerung.
Währenddessen hob die POINT OF bereits vom Boden ab.
Was soll das? fragten Dharks Gedanken.
Die Antwort des Checkmasters war knapp und nüchtern.
Ich habe die Kontrolle übernommen. Es ist kein Systemzugriff möglich.
Dhark sprach jetzt laut, damit die anderen in der Zentrale zumindest eine Hälfte des Dialogs
mitbekamen.
»Was ist der Grund dafür, daß du meine Zugriffsmöglichkeiten beschränkst?«
Es ist notwendig.
200
Weitere Auskünfte erhielt Dhark nicht, obwohl er noch mal nachhakte.
Der Checkmaster wiederholte lediglich seine lapidare Antwort.
Die Gedankensteuerung war komplett außer Kraft gesetzt.
Es hatte im Moment offenbar keinen Sinn, mit dem Bordrechner der POINT OF in Kontakt
treten zu wollen.
»Intervallum wurde aktiviert«, meldete Hen Falluta. | Die POINT OF setzte sich in
Bewegung. Sie erhob sich zunächst von der Oberfläche, flog anschließend einen Bogen und
drang dann mit eingeschaltetem Intervall in den Planeten ein. Das Intervallfeld umgab die
POINT OF wie eine Blase. Ein Kontinuum für sich.
Auf der Bildkugel war bald nichts mehr zu erkennen. | Die POINT OF flog durch das
Erdreich hindurch, drang schließlich ins heiße Magma vor.
Das Raumschiff beschleunigte, stieß in den aus Eisen bestehenden Planetenkem vor. Die
Temperaturen waren mörderisch, aber der unglaublich hohe Druck sorgte dafür, daß die
Eisenatome in ein festes Gitter gezwängt wurden.
Die POINT OF drang in den massiven Kem vor.
»Wir fliegen auf ein kugelförmiges Objekt zu, daß sich exakt im Zentrum von Epoy
befindet«, meldete Tino Grappa. »Durchmesser 15 km.«
»Was ist das für ein Objekt?« fragte Dhark.
»Es sieht aus wie eine... Station!«
Grappa aktivierte eine kleinere Sphäre, die ein dreidimensionales Abbild des kugelförmigen
Objekts zeigte.
Die POINT OF erreichte nach wenigen Augenblicken die Außenhülle der Kugelstation,
durchdrang sie und strebte weiter ins Zentrum.
Arc Doorn war zu Grappa an die Konsole getreten. »Das sieht nach technischen Anlagen
aus«, stellte der Sibirier fest.
Grappa schien derselben Ansicht zu sein.
Er nickte leicht.
»Offenbar richtet unser Brennkreis aber in diesen Anlagen keinerlei Schaden an.«
Die POINT OF gelangte in eine Halle von gigantischen Ausma
201 ßen. Die Teleskopbeine wurden ausgefahren. Das Raumschiff setzte sanft auf.
»Warum bringst du uns hierher. Checkmaster?« fragte Dhark.
Aber der Bordrechner reagierte nicht.
Ren Dhark versuchte, die Gedankensteuerung über die Angabe seines Gedankenpaßwortes zu
reaktivieren. Doch es erfolgte erneut keinerlei Reaktion.
Der Rechner selbst schien jedoch ungeahnte Aktivitäten zu entfalten.
»Da wird irgendein Datenstrom zwischen dem Checkmaster und den Aggregaten der Station
ausgetauscht«, stellte Arc Doorn fest.
Dhark starrte auf die Bildkugel. Die gesamte Halle, in der sich die POINT OF befand,
schimmerte golden. Arc Doorn ließ in einer Nebensphäre die Bildaufzeichnungen während
des Fluges noch einmal wiederholen.
»Hier scheint alles golden zu sein«, stellte er fest. »Auch die gigantischen Aggregate, durch
die wir quasi hindurchgeflogen sind.«
Dhark wandte sich an Gisol.
»Hast du irgendeine Ahnung, wo wir hier sind?«
»Nein«, war die Antwort des Worgun.
Maluk befand sich seiner Nähe. Er hatte nach wie vor die WorgunStandardgestalt inne und
wirkte im Moment sehr starr.
Dhark sprach ihn an.
»Was geschieht mit uns?« fragte der Commander der Planeten.
Maluk antwortete nicht.
Der Worgun wirkte wie gelähmt.
Dhark war plötzlich überzeugt davon, daß er mehr wußte. Mehr als alle anderen, die sich zur
Zeit im Leitstand der POINT OF befanden.
»Sämtliche Systeme der POINT OF sind zugänglich«, stellte Arc Doorn unterdessen fest.
»Allerdings gibt es eine sehr bedeutende Ausnahme, und die betrifft die Steuerung. Wir sitzen
hier also fest.«
Zumindest so lange, es dem oder denjenigen gefällt, die uns hier hergeholt haben! ging es Ren
Dhark durch den Kopf.
»Vielleicht sollten wir uns da draußen mal umsehen«, schlug Riker vor.
202
Aber Dhark war anderer Ansicht.
»Wir wissen nicht, was der Checkmaster vorhat. Wenn es ihm gefällt, uns plötzlich wieder
aus dieser goldenen Höhle heraus an die Oberfläche zu schießen, würde unser
Erkundungstrupp hier zurückbleiben.«
»Ein Überleben wäre jedenfalls möglich, wenn ich nach den Werten der Abtaster gehe«,
stellte Tino Grappa fest. »Erstaunlich, wie es jemand schaffen kann, mitten im Kern eines
Planeten lebensfreundliche Umweltbedingungen aufzubauen.«
»Zumindest, was die Atemluft angeht«, meinte Amy Stewart etwas bissig. »Oder hat jemand
von euch schon mal gehört, daß man dieses goldene Metall essen kann?«
»Alles eine Frage des Metabolismus«, knurrte Gisol düster.
Dhark fragte sich, ob der Worgun wirklich alles mit ihnen teilte, was er an Wissen über diese
Station vielleicht hatte.
Er wandte sich an Arc Doorn, der mit gerunzelter Stirn auf seine Konsole starrte. Der
rothaarige Sibirier strich sich mit einer fahrigen Handbewegung eine Strähne seiner langen
Haare aus dem Gesicht. Er wirkte sehr konzentriert.
Schließlich ließ er sich eine Interkomverbindung in den Maschinenraum schalten. Miles
Congollon meldete sich.
Der Chefingenieur der POINT OF machte ein ebenso ratloses Gesicht wie Doorn.
»Ich nehme an, wir brüten gerade über demselben Problem, Are«, meinte Congollon.
Doorn knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Seine Stimmung war ohnehin immer
etwas mürrisch. Jetzt galt das um so mehr, da er offenbar nicht so recht weiterkam.
»Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, wozu diese gewaltigen Aggregate
eigentlich dienen«, stieß Doorn hervor.
Beide Männer sowohl Congollon als auch Doorn verfügten über außergewöhnliche
Fähigkeiten, außerirdische Technologien zu erfassen. Aber in diesem Fall waren offenbar
selbst sie mit ihrem Latein am Ende.
Alles, was sie bislang in den Händen hatten, waren Spekulationen.
»Auf jeden Fall erfordert es enorme technische Fähigkeiten, eine
203 Station in den Kern eines Planeten hineinzubauen«, stellte Doorn fest. »Es gibt nämlich wirklich gemütlichere Orte im Universum.« »Der Bau und der Unterhalt einer derartigen Station erfordert vor allem immens viel Energie«, stellte Riker fest. Einige Zeit verging. Die Besatzung der POINT OF war damit beschäftigt, die Umgebung zumindest mit Hilfe von Geräten zu erforschen. Die seltsame Zwiesprache, die der Checkmaster mit dem Zentralrechner dieser Station zu führen schien, kam plötzlich zum Erliegen. Zumindest konnte die Ortung der POINT OF keinerlei Signalaustausch mehr feststellen. »Ich schätze, dann passiert gleich etwas«, vermutete Dhark. Er sollte recht behalten. Schon wenige Augenblicke später wurden die Triebwerke der POINT OF wieder aktiviert. Ein Intervallum legte sich wieder wie eine schützende Blase um das Schiff, bevor es vom goldenen Boden der großen Halle abhob. »Dieser Datenaustausch schien der einzige Zweck unseres Aufenthaltes hier in dieser Tiefe zu sein«, stellte Doorn fest. »Triebwerke sind nicht aktiviert!« meldete indessen Miles Congollon aus dem Maschinenraum. »Außerdem wurde das Intervallfeld, das uns im Moment umgibt, von außen gelegt und aktiviert.« »Sind Sie sich sicher?« hakte Dhark nach. »Hundertprozentig.« Eine unbekannte Kraft erfaßte die POINT OF und schleuderte sie förmlich empor. Im Schutz des Intervalls durchdrang sie die Decke der gewaltigen Halle. Das Raumschiff trudelte durch den Eisenkern hindurch, erreichte schließlich die Schichten aus flüssigem Magma. Tino Grappa meldete sich zu Wort. »Der Ort, den wir gerade verlassen haben, ist nicht mehr anmeßbar.« »Was?« entfuhr es Dhark. »Für Abtaster ist es so, als hätte er niemals existiert!« Checkmaster, was geht hier vor sich? unternahm Dhark einen 204 erneuten Versuch, mit dem Bordrechner wieder in Kontakt zu kommen. Aber es war vergeblich. Der Checkmaster schien Schweigen vorzuziehen. Dhark zermarterte sich das Him darüber, was er damit wohl bezwecken wollte. Die POINT OF erreichte schließlich die Oberfläche. 1 Durch den dichten, dunklen Boden stieg das Raumschiff empor. Anschließend setzte es auf dem weichen, grasbedeckten Untergrund auf. Die Teleskopbeine sorgten dafür, daß es sicheren Halt fand. Ich werde unser eigenes Intervallfeld nicht einschalten, meldete sich der Checkmaster auf Gedankenbasis bei Dhark. Zur Zeit besteht keinerlei Notwendigkeit, es w aktivieren. »Schön, daß du dich auch mal wieder meldest. Checkmaster«, sagte Dhark laut. Er war sich zunächst nicht sicher, ob nur er oder auch eine der anderen autorisierten Personen die Gedankenbotschaft erhalten hatte. Den Blicken der anderen nach traf letzteres zu. »Wo sind wir gerade gewesen?« fragte Dhark an den Bordrechner gerichtet. Ich bitte um eine präzisere Fragestellung, war die ausweichende Antwort des Checkmasters. Dhark versuchte gelassen zu bleiben. »Die goldene Station im Planetenkem von Epoy!« Es ist mir im Moment unmöglich, irgendwelche Angaben darüber zumachen. »Ich habe eher den Eindruck, du willst dazu keine Angaben machen.« Ich wurde nicht programmiert, um eher philosophische Fragen ^u beantworten. »Meine Frage hatte mit Philosophie nichts zu tun.«
Die Frage nach dem freien Willen ist die philosophische Frage schlechthin. Meine Theorie lautet: Es spielt keine Rolle, ob man aus freiem Willen oder unter Zwang handelt. Es kommt lediglich ^ufdas Ergebnis an. Bezogen auf deine Frage bedeutet dies, daß du von mir in keinem Fall eine Antwort bekommst. Es tut mir leid. 205 So kryptisch hatte Dhark den Checkmaster schon lange nicht mehr erlebt. »Wie kommt es, daß sich die Goldene Station ortungstechnisch nicht mehr anmessen ließ, kurz nachdem wir sie verlassen hatten?« Ich werde einen eingehenden Check sämtlicher Ortungssysteme veranlassen. Möglicherweise findet sich dann die Ursache. »Es gibt keinerlei Anlaß, eine Fehlfunktion der Ortungssysteme anzunehmen. Im übrigen weichst du meiner Frage aus.« Ich habe lediglich einen konstruktiven Vorschlag zur Problembehebung gemacht. Genau das ist meine Aufgabe. »Ich wiederhole meine Frage: Warum ist es nicht mehr möglich, die Station zu orten?« Die Vergangenheit ist nichts weiter als ein Konstrukt des gegenwärtigen Bewußtseins. »Wenn du damit andeuten willst, daß wir alle uns nur eingebildet haben, in dieser Station zu sein, werde ich das nicht akzeptieren.« Ärger keimte in Ren Dhark auf. »Ist es wirklich eine besondere Tamtechnologie, die diese Station abschirmt, oder werden die Daten in Wahrheit einwandfrei aufgezeichnet und du blockierst den Zugang?« Die Antwort darauf war Schweigen. »Der Checkmaster scheint im Moment nicht sehr kommunikativ zu sein«, stellte Dan Riker sarkastisch fest. »Unter den gegebenen Umständen bin ich ja schon froh, wenn er überhaupt wieder mit mir redet«, erwiderte Dhark. Er wandte den Blick in Richtung der Bildkugel. Der Anblick, der sich ihm und den anderen Anwesenden im Leitstand der POINT OF bot, war mindestens ebenso merkwürdig wie das Verhalten des Checkmasters. Selbst Gisol war sichtlich beeindruckt, wie seinem Gesicht deutlich anzumerken war. Nur am Rande nahm Dhark wahr, daß sich Maluks Worgungestalt verändert und ungefähr ein Dutzend Tentakel ausgebildet hatte, die sich der Bildkugel entgegenstreckten. 206 Die POINT OF befand sich auf einer grasbewachsenen Anhöhe, von der aus man einen guten Überblick über die Umgebung hatte. Ren Dhark und die anderen in der Steuerzentrale des Ringraumers starrten wie gebannt auf die Bildkugel. Eine Außenaufnahme ihrer jetzigen Umgebung war dort zu sehen. Eigentlich schimmerte das Licht der Sonne Foru blau. Aber jetzt war alles in einen goldfarbenen Glanz getaucht worden. »Ich glaube, ich muß mich langsam erst einmal kneifen«, war Rikers Kommentar. Unerwarteterweise meldete sich nun Maluk zu Wort. »Die Balduren sind zurückgekehrt!« rief er. »Unsere Schöpfer sind da! Im goldenen Glanz erstrahlen sie!« Dhark wandte sich an Gisol. »Was ist mit ihm?« »Offensichtlich ist er in einer Art religiösen Verzückung.« »Er ist BaldurenAnhänger!« »Tut mir leid, das wußte ich bis jetzt nicht«, behauptete Gisol. Nach kurzer Pause stellte er dann noch fest: »Dein Verdacht war berechtigt, Ren.« Maluk wandte sich an Dhark und Gisol. »Höret die frohe Botschaft! Sie ist wahrgeworden! Unser Elend hat ein Ende! Die Balduren werden ein neues, goldenes Zeitalter der Worgun begründen!« »Maluk! Komm zu dir!« forderte Gisol. »Wir sind gerettet! Wir sind gerettet!«
»Maluk!«
»Es hat keinen Sinn, Ren!« erklärte Gisol an den Commander der Planeten gewandt. »Er
scheint sich selbst in einen tranceartigen Zustand versetzt zu haben. Mit Argumenten wirst du
bei ihm im Moment kaum durchdringen!«
Dhark mußte Gisol in diesem Punkt recht geben.
Andererseits hätte Ren interessiert, was der Worgunrebell über die Vorgänge wußte, die im
Augenblick um sie herum abliefen.
Dhark richtete eine Gedankenanfrage an den Checkmaster.
War die Station im Kern von Epoy ein Bauwerk der Balduren?
Vieles ist möglich.
»Heißt das ja oder nein?« fragte Dhark. Unwillkürlich sprach er
207
laut, was dazu führte, daß sich einige Anwesende nach ihm umsahen.
Meinen Informationsstand zu den Balduren habe ich dir bereits mitgeteilt. Dem ist nichts
hinzuzufügen.
»In der Station befanden sich riesige Aggregate und offenbar auch dazugehörige
Rechnersysteme.«
Warum stellst du Fragen, auf die du doch längst eine sichere Antwort zu haben glaubst?
»Weil ich dachte, daß du unter anderem dazu programmiert bist, Fragen zu beantworten,
anstatt Rätsel zu stellen.«
Tu ich das?
»Ja.«
Ich habe aus meiner Sympathie für dich und die Menschheit nie einen Hehl gemacht. Ihr
ähnelt zwar nicht äußerlich, aber in der Struktur eurer Gedanken den Worgun. Jedenfalls
glaubte ich das bisher. Enttäusche mich nicht durch einen übertriebenen Hang zur Unlogik.
»Dann ist es tatsächlich möglich, dich zu enttäuschen? Soweit ich mich erinnere, hast du
immer abgestritten, Emotionen zu besitzen.«
Es war eine Metapher, um dir zu verdeutlichen, was ich meine. Nicht mehr. Sollte das
mißverständlich gewesen sein, nehme ich meine Aussage hiermit zurück.
Dhark preßte die Lippen aufeinander. Wie hatten es die Worgun nur mit derartig
geschwätzigen und gleichermaßen rebellischen Rechnern aushalten können? Andererseits war
dem Terraner durchaus bewußt, daß es für das seltsame Verhalten des Checkmasters Gründe
geben mußte. Es mußte da einen Faktor geben, der ihn zumindest teilweise blockierte. Dieser
Eindruck verfestigte sich immer stärker im Commander. Die Frage war nur, ob diese
Blockade im Checkmaster selbst begründet lag oder in äußeren Einflüssen.
»Es fand ein Datenaustausch mit der goldenen Station statt«, sagte Dhark. Der Checkmaster
reagierte darauf nicht weiter.
Dhark wartete einige Augenblicke ab.
Der Bordrechner der POINT OF schien seine Frage einfach ignorieren zu wollen.
208
»Ich möchte Zugang zu dem empfangenen Datenmaterial bekommen. Sofort. Du weißt, daß
ich dazu autorisiert bin.« Wieder folgte zunächst nur eine Pause.
Dann die unsinnige Aufforderung nach Angabe des gegenwärtigen Paßwortes, einer Art
Gedankenbild, das Dhark als zugangsberechtigt identifizierte. Aber dieses Paßwort war
bereits bei der letzten Aktivierung der Gedankensteuerung abgefragt worden.
Dhark wußte, daß es nichts brachte, sich zu sträuben. Er sandte dem Großrechner das
geforderte Gedankenbild. Die Erwiderung des Checkmasters ließ in Dhark dann die Frage
aufkommen, ob er außer zu Emotionen vielleicht sogar zum Sarkasmus fähig war.
Wer sagt dir, daß ich überhaupt Daten empfangen habe. Es könnte doch genauso gut das
Gegenteil der Fall gewesen sein.
»Was sagen die Meßergebnisse?« wandte sich Dhark inzwischen an Grappa.
»Widersprüchlich«, berichtete der Ortungsoffizier.
Arc Doorn und Manu Tschobe aktivierten an einer anderen Konsole eine kleine Sphäre, in
deren Projektionen die Daten der Ortung veranschaulicht wurden.
»Irgendeine Theorie?« fragte Dhark.
»Ein Kraftfeld scheint den gesamten Planeten in etwa 200 Kilometern Höhe zu umgeben«,
sagte Tschobe.
»Dieses goldene Etwas!« sagte Dhark.
Tschobe hielt den Blick gesenkt.
»Dieses Feld leuchtet offenbar aus sich selbst heraus und schirmt uns vollkommen vom Rest
des Universums ab.«
Arc Doorn meldete sich nun zu Wort und erläuterte: »Die Struktur dieser Energie ist
vollkommen unbekannt. So etwas habe ich noch nie gesehen!«
»Ich kann mir bislang auch keinen Reim darauf machen«, gestand Tschobe.
Dhark wandte sich an die FunkZ und wies Morris an, eine Verbindung zur NOREEN
WELEAN herzustellen.
209
Wenig später meldete sich der Erste Funker mit einer ernüchternden Feststellung.
»Das goldene Kraftfeld scheint jedweden Funkverkehr unmöglich zu machen«, erklärte er.
»Versuchen Sie es mit Hyperfunkfrequenzen«, wies Dhark ihn an.
»Schon geschehen. Auch das funktioniert nicht.«
Dhark atmete tief durch. Die Aussicht, auf der Oberfläche von Epoy festzusitzen, während
draußen im All eine geradezu gigantische Zyzzkt-Flotte im Anmarsch war, empfand er alles
andere als erfreulich.
Er wandte sich erneut an den Checkmaster.
»Gibt es in deinen Datenspeichern relevante Informationen zu dem goldenen Schirm?« fragte
er.
Negativ.
»Ich schlage einen Start vor. Wir werden ja sehen, wie das Schiff auf diese Energiebarriere
reagiert.«
Davon würde ich dringend abraten.
»Warum?«
Schwerwiegende Schäden am Schiff sind durchaus wahrscheinlich.
Manu Tschobe mischte sich nun ein. »Wir könnten eine unbemannte Sonde losschicken, um
diese goldene Schicht näher untersuchen zu lassen.«
Dhark nickte. »Gut. Bereiten Sie alles dafür vor.«
»In Ordnung.«
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Sonde startklar war und abgeschossen werden
konnte.
Auf einer Projektion neben der Bildkugel war erkennbar, welchen Kurs die Sonde nahm. Eine
leuchtende Markierung zeigte an, wo sie sich gerade befand. Auf einer Anzeige daneben
konnte man ablesen, welche Höhe sie jeweils erreicht hatte.
»Achtung, die Sonde hat gleich Kontakt zum Energieschirm«, meldete Grappa.
Bei exakt zweihundert Höhenkilometem verschwand die farbige Markierung plötzlich, die bis
dahin die Position der Sonde angezeigt hatte.
210
»Was ist geschehen?« fragte Dhark.
Die Gesichter von Arc Doorn und Manu Tschobe wirkten ziemlich ratlos.
| »Die Sonde ist... implodiert«, stellte Tschobe irritiert fest und ergänzte nach kurzer Pause:
»Es sieht fast so aus, als hätte sie einfach aufgehört zu existieren, sobald sie den Rand dieses
Kraftfeldes erreicht hatte.«
»Seht ihr denn nicht das Offensichtliche?« rief Maluk aus. »Die Balduren haben einen
Energiewall errichtet, um ihre Geschöpfe zu beschützen! Kein Zyzzkt wird ihnen etwas antun
können!« , Grenzenlose Euphorie hatte den Worgun erfaßt.
Aber niemand sonst in der Zentrale der POINT OF schien diese Begeisterung teilen zu
können.
Verzweiflung keimte in Ren Dhark auf.
Seine Flotte und die Worgun-Verteidiger hatten gegen die gigantische Übermacht, die am
Rande des Foru-Systems materialisiert war, nicht den Hauch einer Chance. Die POINT OF
hingegen war Gefangene einer unheimlichen Macht geworden, die sie einstweilen auf Epoy
festhielt. Dhark warf einen kurzen Blick auf das Chronometer. Die Verteidiger mußten längst
in erste Gefechte mit den Einheiten der Riesenflotte verwickelt worden sein.
Die Verluste mochte er sich gar nicht vorstellen.
»Im Moment sind wir zur Tatenlosigkeit verurteilt«, stellte Dan Riker fest und brachte die
gegenwärtige Situation damit auf den Punkt.
»Ja«, murmelte Dhark tonlos.
Und das war das Schlimmste.
Nichts tun zu können.
Gar nichts.
211
14. »Wenn Arc Doorn nicht bald eine Lösung findet, sehe ich schwarz.« Ein schöner Schlamassel! Abschätzend betrachtete Ren Dhark den golden schimmernden Himmel, der für die POINT OF zur Falle geworden war. Zwei Wochen umspannte das undurchdringliche Kraftfeld Epoy nun schon in einer Höhe von zweihundert Kilometern, ohne daß eine Veränderung eingetreten war. Dharks klügste wissenschaftliche Koryphäen waren keinen Schritt weitergekommen, selbst der sibirische Wunderknabe Doorn war zum ersten Mal völlig ratlos angesichts einer fremden Technologie. Es gab keinen TagNachtRhythmus mehr, sondern ein ständig gleichbleibendes goldenes Licht, das den Planeten in einen milden Schein tauchte. »Etwas Gutes hat die Sache«, erwiderte Gisol mit müde klingender Stimme. »Wir kommen zwar nicht raus, aber die Zyzzkt kommen auch nicht rein.« Der Commander nickte knapp, doch das war nur ein geringer Trost. Von sämtlichen Informationen abgeschnitten, fühlte er sich völlig hilflos. Was ging im ForuSystem vor sich? Die von der NOREEN WELEAN gemeldete Flotte der Zyzzkt ging ihm nicht aus dem Kopf, besonders die übermächtige Arkan-Station. Hoffentlich hatte Simon nicht den Fehler begangen, es mit ihr aufnehmen zu wollen. »Irgendwann wird sich dieses Feld von allein wieder abschalten«, gab er seiner Hoffnung Ausdruck. Dabei ließ sich nicht ausschließen, daß die Schutzvorrichtung auf einen längeren Zeitraum angelegt war. Die Worgun, und nur sie konnten das goldene Feld in der Vergangenheit konzipiert haben (oder handelte es sich doch um eine Hinterlassenschaft der sagenhaften Balduren?), gaben sich 212 nicht mit halben Sachen zufrieden. »Fragt sich nur, wann. Ich möchte nicht den Rest meines Lebens hier verbringen.« »Wir könnten einen gewaltsamen Durchbruch versuchen.« »Sinnlos!« Dhark war überzeugt, daß es keine Möglichkeit gab, das Energiefeld unbeschadet zu überwinden. »Denk an die verschwundene Sonde. Einem Ringraumer wird es nicht anders ergehen, und dieses Risiko gehe ich nicht ein.«
Die beiden Männer saßen Rücken an Rücken in einem Flash, der mit geringer Geschwindigkeit über die bis zum fernen Horizont reichenden Wohnpyramiden flog. Die Bilder, die sich ihm boten, erschütterten Ren. Viele der städtegroßen Bauwerke waren verwahrlost und heruntergekommen, an manchen Stellen wirkten sie baufällig. Zwar hatten die Zyzzkt sich darin breitgemacht, aber offenbar war ihnen der im Laufe der Jahre fortlaufende Zerfall gleichgültig gewesen. Sie hatten nichts dagegen getan. Und die unterdrückten Worgun waren dazu gar nicht in der Lage gewesen. Nur allmählich setzten jetzt die Aufräumarbeiten ein, und es würde wohl Jahre dauern, bis Epoy sich wieder einigermaßen von der Besatzungszeit erholt hätte. »Du bist so schweigsam, mein Freund.« Gisol verzog in menschlicher Manier das Gesicht zu einer gequälten Maske. »Mehrere Millionen tote Worgun«, brachte er matt hervor. Genaue Zahlen gab es bisher nicht, doch jeder einzelne davon schmerzte Gisol in der Seele. Dabei hätte alles noch viel schlimmer ausgehen können. Wäre es den Zyzzkt gelungen, ihr Vorhaben durchzusetzen, lebte heute kein einziger Gestaltwandler mehr auf dem Heimatplaneten Epoy. Doch ihr mörderischer Plan war gerade noch rechtzeitig vereitelt worden. Statt dessen waren die Insektoiden selbst besiegt und der Widerstand ihrer Roboter gebrochen worden. Der Checkmaster der POINT OF hatte nach Artus' erfolgreichem Vorstoß die endgültigen Schläge gegen die Maschinen koordiniert und sie vernichtet. Maluks Rebellen hatten zeitgleich mit einem entschlossenen Schlag die zyzzkthörige Worgunregierung aus Amt und Würden gejagt und einen Übergangsrat eingesetzt. Dennoch erwachten die Worgun nur langsam aus ihrer Lethargie. Es war ihnen kaum möglich, ihre Selbstverachtung abzulegen, 213 obwohl Gisol und die Rebellen Aufklärungsarbeit leisteten, wo es nur ging, und sich bemühten, den Gestaltwandlem die Wahrheit über das dunkle Zeitalter begreiflich zu machen. Doch es blieb ein langwieriger Prozeß, der sich nicht von heute auf morgen durchführen ließ. Viele Worgun sahen im Tod der Besatzer ein Verbrechen, obwohl sie andernfalls selbst gestorben wären. Sie wollten nicht einsehen, daß sie es nicht mit Verehrten zu tun hatten, sondern mit einem brutalen Volk von Unterdrückern, das über hunderte von Jahren hinweg die Geschichte in seinem Sinn geschrieben hatte. Gisol war für sie kein Freiheitskämpfer, sondern ein Völkermörder. Die Folgen der perfiden Demagogie der Insektoiden würden noch lange nachwirken. »Dafür ist dein Volk wieder frei«, sagte Dhark. Er wußte, daß das kein Trost war, doch die Tatsachen ließen sich nicht leugnen. Wäre es nicht zur radikalen Befreiung gekommen, wären die Worgun spätestens in wenigen Generationen vollständig ausgestorben, da sie sich in ihr Schicksal gefügt hatten und keine Nachkommen mehr zeugten. »Das hat es allein dir zu verdanken.« »Manches von dem Leid, das über es hereingebrochen ist, hat es ebenfalls mir zu verdanken«, winkte der Rebell ab. »Ohne meinen Kampf gegen die Zyzzkt wären viele Restriktionen vielleicht nicht so gravierend ausgefallen.« »Du weißt genau, daß das nicht stimmt. Die Zyzzkt hätten auch dann nicht anders gehandelt. Muß ich dich an die Pscheriden erinnern? Oder an die Geraden? Oder an die Tukonen? Oder an die anderen Völker, von denen du mir berichtet hast? Auch wer keinen Widerstand gegen die Zyzzkt geleistet hat, war zum Untergang verdammt. Allein dein Kampf hat bewirkt, daß deinem Volk dieses endgültige Schicksal erspart geblieben ist.« »Vielleicht.« Gisol deutete in die Feme und korrigierte den Kurs des Flash. Übergangslos wechselte er das Thema. »Dort vom ist es.« Wie ein Gebirgszug erhob sich vor ihnen eine gewaltige Wohnpyramide, deren oberes Drittel in den Wolkenbänken versunken war. Dhark spürte deutlich das Unbehagen, das seinen
worgunschen Freund befallen hatte. Da er wußte, unter welchen Umständen Gisol sein früheres Heim beim letzten Mal besucht hatte, 214 konnte er es gut nachvollziehen. Zerrüttete Vater-Sohn-Beziehungen auf Epoy unterschieden sich kaum von ähnlichen auf der Erde. Doch aufgrund der politischen Brisanz war im vorliegenden Fall alles noch viel schlimmer, und Kalum hatte seinen Nachkommen geradezu zum Teufel gejagt. »Lande auf diesem Ausläufer«, sagte Gisol und deutete zu einer halbkreisförmigen Plattform, die sich wie eine riesige graue Zunge aus dem Wohnkonglomerat schob und verlassen dalag. »Tiefer können wir mit dem Flash ohnehin nicht gehen.« Unwillkürlich nickte Ren, während er den Blick über das Panorama gleiten ließ. Die Bauweise der unüberschaubaren Wohnpyramiden hatte etwas Verwirrendes an sich. Die wenigsten von ihnen, zwischen denen es kleine Parkanlagen gab, waren als eigenständige Bauten zu erkennen, während der Großteil ineinander überging. Ohne einen ortskundigen Führer hätte er sich lediglich unter Zuhilfenahme der Instrumente orientieren können, andernfalls hätte er sich hoffnungslos verflogen. Er zog das Beiboot tiefer und setzte es auf dem tristen Untergrund auf. Als er ins Freie kletterte, verstärkte sich der Eindruck einer Gebirgswand, in der er auf halber Höhe hing. Er machte ein paar Schritte zum Rand des Landefelds und spähte in die Tiefe. Durch einen sich trichterförmig erweiternden Lichtschacht waren weit unten Bewegungen mehr zu erahnen als zu erkennen. Anscheinend hatten auch dort die Aufräumarbeiten eingesetzt. »Wage dich nicht zu weit vor«, hielt ihn Gisol zurück. »Früher waren Unfälle durch Rückhalte Vorrichtungen ausgeschlossen, aber heute...« Er ließ den Rest des Satzes offen, aber Dhark verstand auch so, was er meinte. Wenn die Architektur in manchen Bereichen schon so marode war, mochte es die Technik erst recht sein. Wenn Ren aus dieser Höhe abstürzte, blieb am Boden nichts mehr von ihm ^rig, was sich noch identifizieren ließ. Als er den Abgrund hinter sich ließ, betätigte Gisol eine Kon^tplatte, und der Zugang zu der Pyramide öffnete sich. Zumindest diese Einrichtung versah ihre Aufgabe also noch. »Soll ich hier warten oder dich begleiten?« »Sicher, komm mit.« 215 Plötzlich war der Worgun nicht mehr zu halten. Mit raschen Schritten stürmte er durch den vor ihnen liegenden Korridor, in dem vereinzelte Leuchtfelder in der Decke ansprangen. Die Lichtverhältnisse blieben trübe, denn die meisten Leuchten funktionierten nicht mehr, und in diesem Bereich fiel auch kein Licht von draußen ein. Doch Gisol hätte den Weg auch im Dunkeln gefunden. Die Stille war gespenstisch. Außer ihnen hielt sich offenbar niemand hier oben auf. »Ich verstehe das nicht«, sagte Gisol. »Es gibt so viele Wohneinheiten auf jeder Ebene, daß man immer auf jemanden trifft.« Ren Dhark warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Bei der Erinnerung an Gisols Schilderungen der Vergangenheit schien ihm klar, was geschehen war, aber anscheinend weigerte der Worgun sich, sich den Fakten zu stellen. Ren zögerte, ihn auf das Offensichtliche hinzuweisen, aber schließlich gab er sich einen Ruck. »Du hast mir erzählt, daß sich die Zyzzkt auch auf Epoy ausgebreitet haben. Sie haben deine Leute aus vielen eurer Städte vertrieben, um sie selbst in Besitz zu nehmen. Vielleicht trifft das auch auf diese hier zu.« »Unmöglich!« Gisol spie das Wort beinahe aus. Er beschleunigte seine Schritte, bis er die Peripherie eines Wohnblocks erreichte, von der Lauf Straßen abzweigten und mehrere Aufbauten in verschiedenen Richtungen miteinander verbanden. Ren konnte nur ahnen, wie viele tausend Worgun allein in diesem Bereich lebten.
Oder einst gelebt haben, korrigierte er sich gedanklich. Sieh den Fakten ins Auge, mein Freund. Doch Gisol dachte gar nicht daran. Er zeigte zu einem bestimmten Sektor und lief über die Wölbung einer der Straßen. Übergangslos mündete sie in einen großen Platz, von dem aus Ren bis zu den oberen Ebenen sehen konnte. Teilweise waren sie überbaut und zu gewaltigen Dachkonstruktionen verwoben, die Wind und Wetter abhielten. Nur an manchen Stellen schimmerten zwischen den Wolken Fetzen goldenen Himmels hindurch. 216 Die beiden Männer begegneten niemandem, als sie den Platz überquerten und zu einer gewölbten Kuppel kamen, die einen drei Meter breiten Einlaß besaß. Gisol streckte prüfend eine Hand in den dahinterliegenden Schacht. »Das Feld ist aktiv«, stellte er erleichtert fest und machte einen Schritt ins Leere. Für einen Moment hing er freischwebend in der Luft, dann wurde er gemächlich nach unten getragen. Dhark folgte ihm in das abwärts geschaltete Antigravfeld, das sie etwa fünfzig Meter weit trug, bis Gisol es wieder verließ. Immer noch in schwindelerregender Höhe folgten sie einem Korridor, der von seinen Abmessungen an eine Allee erinnerte. Statt Pracht herrschte allerdings auch hier Tristesse vor. In Ren wuchs die Überzeugung, daß in dieser Pyramidenstadt schon lange keine Worgun mehr lebten. Doch wo waren dann die Zyzzkt? Tot und von Robotern abtransportiert, dachte er, was eine verständliche Erklärung war. Man konnte die Leichen nicht in der Gegend herumliegen lassen, sonst wäre es rasch zu Epidemien gekommen. Als hätte er die Gedanken des Menschen gelesen, sagte Gisol plötzlich: »Gleich wissen wir mehr.« »Falls deine ehemalige Wohnung verlassen ist...« »Schon gut«, schnitt Gisol dem weißblonden Mann barsch das Wort ab. »Ich weiß, was du sagen willst. Dann weiß ich auch nicht, wie wir Kalum finden sollen.« Denn zweifellos hatten die Zyzzkt die Deportation der Worgun in andere Städte des Planeten nicht dokumentiert. Da auch das öffentliche Informationsnetz zusammengebrochen war, war die Nachforschung nach einer bestimmten Person weniger aussichtsreich als die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nach einer Weile blieb Gisol vor einer verschlossenen Tür stehen und betrachtete nachdenklich die daneben in die Wand eingelassene Platte für den Sichtkontakt. Matt glotzte sie ihn an, flankiert von einem mit Worgun-Lettern versehenen Tastenfeld. »Ist es hier?« fragte Dhark. »Hm«, machte Gisol einsilbig und nickte. Er hob eine Hand und preßte sie auf die Kontaktfläche. Die Sekunden verstrichen, aber nichts geschah, und er versuchte es erneut, wiederum erfolglos. »Br ist nicht zu Hause, aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.« 217 »Du willst dir mit Gewalt Zutritt verschaffen?« Anstelle einer Antwort drückte Gisol mehrere der Tasten, doch die Tür war zu keiner Reaktion zu bewegen. »Der Code ist ebenfalls geändert worden, aber dafür müssen nicht mal die Sabocaer verantwortlich sein. Das kann Kalum auch allein getan haben.« Dhark schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Sinnlos. Kalum lebt hier nicht mehr. Stell dich endlich den Tatsachen.« Gisol trat einen Schritt zurück. »Du hast recht, Ren, mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Ich dachte es mir gleich, denn es gibt keine Namenskennung mehr, die auf ihn hinweist. Auch ihn haben die verdammten Wimmelwilden gewaltsam umgesiedelt.«
Dhark konnte die Verzweiflung des Worgun-Rebellen beinahe körperlich spüren. Und er
verstand sie nur zu gut, als ihm unvermittelt zu Bewußtsein kam, wie schwer ihn der Verlust
seines eigenen Vaters damals getroffen hatte. Trotz aller Differenzen, die Gisol und sein Eiter
gehabt hatten, erging es ihm nun ebenso.
»Was willst du jetzt tun?« erkundigte sich Ren.
»Ich sagte es bereits, ich weiß es nicht. Ich kann nicht den ganzen Planeten absuchen, und es
gibt keine Archive oder öffentlichen Einrichtungen mehr, wo ich einen Hinweis auf Kalums
Verbleib finden könnte. Die früher oft geschmähte Bürokratie hatte doch etwas für sich.«
»Wir könnten zumindest einen Blick in eure Wohnung werfen. Vielleicht entdecken wir dort
etwas, das uns weiterhilft.«
»Wohl kaum.« Trotzdem zog Gisol seinen Kombistrahler und legte auf die elektronische
Verriegelung an. Der Duststrahl verwandelte die Materie in amorphen Staub und löste die
mechanische Blockierung. Mit einem Klicken sprang die Tür auf.
Abgestandene, schal schmeckende Luft schlug den beiden Männern entgegen, als sie ins
Innere der Wohneinheit traten. Sie lag am Rande der Pyramide, so daß auch ohne künstliche
Beleuchtung ausreichend Licht von draußen einfiel, um sich orientieren zu können. Gisol gab
einen erstickten Laut von sich und hielt weiterhin die Waffe erhoben. Dabei war
offensichtlich, daß sich schon lange kein lebendes Wesen mehr hier aufgehalten hatte.
Weder Worgun noch Zyzzkt.
Allerdings war auch nicht zu übersehen, welchem Volk der
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letzte Bewohner angehört hatte. Die asymmetrische, ihm teilweise unverständliche
Einrichtung würde Ren auf ewig fremd bleiben.
»Möbel der Massenvermehrer«, stieß Gisol angewidert aus und steckte seinen Strahler weg.
Er durchmaß den Raum und trat gegen ein bizarr aussehendes Möbelstück, das entfernt einer
Vitrine ähnelte. »Zu gegebener Zeit werde ich das Zeug fortschaffen lassen.«
Dhark beobachtete ihn, als er im angrenzenden Nebenraum verschwand, aber bereits nach
wenigen Sekunden wieder im Durchlaß erschien. »Das war einst mein Zimmer«, erklärte er.
»Aber von der ursprünglichen Einrichtung ist auch dort nichts verblieben. Die Sabocaer haben
alles auf den Kopf gestellt.«
»Nichts, was auf Kalum hinweist?«
Gisol schüttelte den Kopf. »Aber vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit. Mein
Geschwisterkind Lagon war beim >Amt für Freundschaft und tätige Reue< beschäftigt, wie
ich dir berichtet habe. Zwar haben wir uns schon vor vielen Jahren entzweit, aber wenn einer
etwas über Kalums Verbleib sagen kann, dann er.«
»Dann sollten wir ihn aufsuchen«, schlug Dhark vor. Dabei wußte er genau, daß sich auch
diese Option möglicherweise nicht mehr bot. Er kannte die Bedeutung dieses Amtes, das eng
mit den Besatzern zusammengearbeitet hatte. Natürlich war es von der Übergangsregierung
aufgelöst worden, und er hatte keine Ahnung, was aus den aktiven Kollaborateuren geworden
war.
Gisol schien die gleiche Überlegung zu hegen. »Eine geringe Chance, aber besser als keine.
Solange das Kraftfeld um Epoy existiert, bleibt uns Zeit, jedem Hinweis nachzugehen.«
Die beiden Männer fuhren alarmiert herum, als hinter ihnen ein Geräusch entstand. Wie von
selbst glitt der Kombistrahler in Gisols Hand zurück. »Nicht schießen!« zischte Dhark, als er
einen Worgun in seiner amorphen Naturgestalt sah, der bewegungslos "n Türrahmen stand.
»Wer bist du?« wandte Gisol sich an den fremden Worgun.
Statt einer Antwort kam der Gestaltwandler näher. »Ich kenne ^ch«, sagte er ungläubig. »Du
bist Gisol, der Rebell. Ich habe in den letzten Tagen eine Menge Berichte über dich gesehen,
die dich auch als... Jim Smith gezeigt haben.«
219 »Ich habe dich gefragt, wer du bist.« »Mein Name ist Garom«, sagte der Worgun. »Und du bist sicher auf der Suche nach deinem Eiter.« Dhark, der bemerkte, daß Garom keinen ID-Dämpfer trug, warf Gisol einen vielsagenden Blick zu. Er wünschte, alle Angehörigen von Gisols Volk hätten diese Eigeninitiative gezeigt. »Du kennst Kalum?« fragte der MysteriousRebell lauernd. »Ich wohnte früher ebenfalls auf dieser Ebene, aber dann habe ich mich in den Kellern versteckt, als die Zyzzkt die Stadt räumten«, sprudelten die Worte aus Garom heraus. »Sie haben die früheren Bewohner mit Transportern in andere Bereiche Epoys gebracht. Kalum war auch dabei. Aber ich wollte nicht schon wieder umgesiedelt werden, deshalb bin ich dorthin hinabgestiegen, wohin die Zyzzkt niemals kamen.« »Kannst du sagen, wohin man Kalum gebracht hat?« Garom produzierte ein Pseudopodium aus seinem Körper und machte ein paar hektische Bewegungen, die Dhark unverständlich blieben. »Ist dein Begleiter einer von diesen... Menschen, die dir gegen die Zyzzkt beigestanden haben?« Gisol bestätigte. »Er ist ihr Anführer und mein Freund.« Obwohl Garom keine menschlichen Augen ähnliche Wahmehmungsorgane formte, fühlte Ren sich intensiv gemustert. Er hatte das instinktive Gefühl, daß sich der Worgun vor ihm fürchtete. »Ich helfe meinem Freund Gisol dabei, seinen Muttervater zu finden.« Garom nannte einen Namen und ein paar weitere Angaben und zog sich eilig zurück. Dhark machte Anstalten, ihn zurückzuhalten, aber Gisol legte dem Terraner eine Hand auf die Schulter. »Laß ihn gehen. Ich kenne die Wohnpyramide, von der er gesprochen hat. Mit der Adresse dürfte es kein Problem sein, Kalum zu finden wenn die Information richtig ist.« Sie war richtig, wie sich herausstellte, als sich die Tür öffnete. Ein Worgun stand vor Ren Dhark, der Garom wie ein Ei dem anderen glich. Jedenfalls in seinen Augen. Bis auf einen kleinen, 220 aber bezeichnenden Unterschied, nämlich den auf den ersten Blick sichtbaren IDDämpfer. »Eiter«, sagte Gisol ergriffen. Seine Stimme zitterte dabei. »Ich freue mich, dich zu sehen.« Einige Sekunden herrschte Schweigen, bis Kalum endlich antwortete. »Ich habe befürchtet, daß du hierher kommst. Aber da du nun schon hier bist, komm herein.« Der Kommandant der POINT OF registrierte beiläufig, daß Kalum sein Kind trotz dessen menschlichem Erscheinungsbild sofort erkannt hatte, weil Worgun über ein Gesicht verfügten, das nur sie selbst wahrnahmen, das Angehörigen anderer Völker aber verborgen blieb. Daran konnten sie sich untereinander jederzeit erkennen. Auch wenn Dhark die Körpersprache des Worgun nicht lesen konnte, entging ihm nicht die frostige Atmosphäre, in der das Wiedersehen zwischen Muttervater und Nachkomme stattfand, zumindest von Kalums Seite aus. Er erinnerte sich an Gisols Schilderung der letzten Begegnung der beiden Gestaltwandler. Sie war alles andere als harmonisch verlaufen. Hinter Gisol betrat er Kalums neue Wohneinheit. Sie war viel kleiner als seine frühere Wohnung. Es handelte sich um ein winziges Einraumapartment, das mit Einrichtungsgegenständen vollgestopft war, die es noch kleiner erscheinen ließen, als es ohnehin schon war. Zudem wirkte es düster, weil es keine Fenster nach draußen besaß, sondern lediglich von Kunstlicht unzureichend beleuchtet wurde. »Warum besucht du mich?« fragte Kalum mit unterkühlter Stimme. »Ich hatte gehofft, dich niemals wiederzusehen.«
»Das behauptest du, aber ich glaube dir nicht«, erwiderte Gisol. »Tief in deinem Inneren sieht es anders aus. Zumindest teilst du meine Freude über unser Wiedersehen ein wenig, schließlich bist du noch immer mein Eiter.« »Ich habe dir bereits bei deinem letzten Besuch gesagt, daß ich das nicht mehr bin. Wie kann ich ein Kind haben, das der meistgesuchte Verbrecher der Galaxis ist?« »Gisol ist kein Verbrecher«, begehrte Dhark auf, erschüttert über die Kälte, die Kalum seinem Nachkommen entgegenbrachte. »Im 221 Gegenteil hat er gegen Unterdrücker gekämpft und stets im Sinne seines Volkes gehandelt.« »Nicht in meinem Sinn«, wehrte Kalum ab. »Und auch nicht im Sinne meiner Freunde und Bekannten. Er ist ein Geächteter, und das hat er selbst zu verantworten. Ich schäme mich für seine verbrecherischen Taten gegen die Verehrten. Für seine Morde!« »Nenn die Sabocaer nicht so!« Gisol griff nach Kalums ID-Dämpfer, um ihn abzureißen. »Den mußt du auch nicht mehr tragen, denn wir sind endlich wieder frei.« Mit einem entsetzten Aufschrei entwand sich Kalum dem Griff. »Du hast dich nicht verändert. Immer noch hetzt du gegen die Verehrten, die so viel Gutes für uns getan haben.« »Die Zyzzkt haben dem Volk der Worgun nichts Gutes getan, sondern es unterworfen und jahrhundertelang belogen und betrogen.« »Das ist Propaganda gegen die Verehrten«, beharrte Kalum auf der huldvollen Bezeichnung, die sich die Insektoiden selbstherrlich verliehen hatten. »Ich glaube kein Wort davon.« »Die Sabocaer waren diejenigen, die uns mit ihrer Propaganda alle ins Verderben gestürzt haben. Sie sind die Lügner, niemand sonst.« Kalum stieß einen schrillen Schrei aus, als er die verbotene Bezeichnung vernahm. »Die Worgun sind nicht das einzige Volk, das von den Zyzzkt vertrieben und zusammengepfercht wurde«, erklärte Dhark. »Sie haben ganz Om unterworfen und zahllose Völker unterworfen. Meist reichte ihnen aber nicht einmal das. Viele Zivilisationen haben sie in ihrem Expansionsdrang einfach vernichtet, vollständig ausgerottet. Wären sie jetzt nicht im letzten Moment aufgehalten worden, hätten sie sogar Epoy mit Giftgas entvölkert.« Er berichtete von dem dramatischen Konflikt um Pscherid und von all den Völkern, die von den Herren von Om vertrieben worden waren und sich im Heerzug der Heimatlosen zusammengeschlossen hatten. »Nein!« schrie Kalum, und er stolperte wie von Schlägen getrieben durch den kleinen Raum. »Ich begreife jetzt, daß Gisol sich mit Wesen umgibt, die genauso verdorben sind wie er selbst.« 222 »Du machst dir etwas vor, Eiter«, beschwor Gisol seinen Muttervater. »Denk einen Moment lang nach, dann erkennst du, daß wir keinen Grund haben, dich zu belügen. Besonders nicht Ren Dhark, der aus seiner eigenen Galaxis Nai nach Om gekommen ist, um uns zu helfen, uns von unserem Joch zu befreien.« Kalum torkelte gegen ein Möbelstück und verharrte regungslos davor. Abgehackte Geräusche entfuhren ihm. Trotz aller bisherigen Erkenntnisse hatte Ren nicht erwartet, daß die permanente Gehirnwäsche durch die Zyzzkt solch einen durchschlagenden Erfolg gehabt haben könnte. Kalum schien jegliches eigenständige Denken verloren zu haben. Einen größeren Gegensatz zu dem Freidenker und Rebellen Gisol konnte es nicht geben. »Wie geht es Lagon?« durchbrach Gisols Frage nach seinem Geschwisterkind Dharks Gedanken. Kalums Körper schien in sich zusammenzufallen. Seine Stimme hatte jegliche Kraft verloren, als er sagte: »Lagon lebt nicht mehr. Er konnte die Schande nicht ertragen, die wir mit der Schließung des Amts für Freundschaft und tätige Reue auf uns geladen haben.« »Was willst du damit sagen?«
»Die Scham über dieses zusätzliche Verbrechen an unseren Wohltätern war zuviel für ihn. Sie hat ihn getötet.« »Er hat... seinem Leben ein Ende bereitet?« Sämtliche Farbe wich aus dem Gesicht Jim Smiths, da Gisol seine Gemütsverfassung auch auf das Äußere der angenommenen Person transferierte. »Dieser Narr! Eigentlich habe ich nichts anderes von ihm erwartet. Wieder ist er den Weg des geringsten Widerstands gegangen, statt auch einmal an dich zu denken.« »Im Gegensatz zu dir hat er immer an mich gedacht.« »Wieso hat er dann zugelassen, daß die Sabocaer dich aus deiner Wohnung gebracht und in diese Absteige gesteckt haben?« »Ich habe den Verehrten meine Wohneinheit gern überlassen«, flüsterte Kalum. Jetzt schien er nicht einmal mehr die geächtete Bezeichnung zu bemerken. »Ich war es ihnen schuldig, und es war das mindeste, was ich tun konnte, um ihnen meinen Dank zu zeigen.« Eine harsche Zurechtweisung lag Ren Dhark auf der Zunge, weil 223 Kalum sogar für seine eigene Vertreibung noch eine Ausrede und Entschuldigung fand, aber er schwieg. Genaugenommen war das nicht seine Sache, sondern die seines Freundes. Doch auch Gisol hatte offenbar eingesehen, daß keines seiner Worte bei seinem Muttervater etwas ausrichten konnte. Schon gar nicht konnte er dessen Meinung ändern. Mit gesenktem Kopf ging er zur Tür, ohne sich noch einmal umzusehen. »Laß uns gehen, Ren«, sagte er nur. Draußen erwartete eine Überraschung in Form von blauem Himmel die beiden Männer. Das goldene Kraftfeld war endlich erloschen. 224 15. Auf dem Rückflug zur POINT OF beobachteten Ren Dhark und Gisol, wie im Zuge des Wiederaufbaus eine der über den ganzen Planeten verstreuten Skulpturen der Zyzzkt abgerissen wurde, die als Mahnmale für die angeblichen Untaten der Worgun gestanden hatten. Diese Tatsache konnte den verzweifelten Gisol aber ebensowenig über seine familiäre Tragödie hinwegtrösten wie Dharks aufmunternde Worte. Erst ein Funkspruch von der POINT OF ließ ihn aufhorchen. Hen Falluta war in der Phase. »Es gibt Neuigkeiten, Commander«, meldete er. »Tino Grappa hat, kaum daß das abschirmende Feld erloschen war, eine starke Flotte im Foru-System angemessen.« »Schiffe der Zyzzkt?« entfuhr es Gisol unwillkürlich. Immerhin hatten die Insektoiden genug Zeit gehabt, sich auf die veränderte Situation einzustellen und weitere Verstärkung zu schicken, die vor Ort nachschauen sollte, was vorgefallen war. »Dann würden wir kaum hier sitzen und in aller Ruhe unseren Kaffee genießen, den keiner so gut macht wie unser Charly«, antwortete der Erste Offizier in seiner zuweilen sarkastischen Art. »Es sind OvoidRingraumer aus neuester römischer Produktion, beinahe 10 000 Einheiten.« Erleichtert atmete Ren auf. »Ich vermute, daß Socrates Laetus und Marcus Gurges Nauta mit an Bord sind.« »Positiv, Sir. Und nicht nur das, sämtliche Schiffe der Zyzzkt sind verschwunden.« »Verschwunden? Geht es etwas genauer?« »Leider nicht, Sir. Wir konnten bisher nicht feststellen...« »Schon gut, Hen«, unterbrach Dhark seinen Ersten. Die Information, daß keine direkte Gefahr mehr drohte, reichte ihm fürs er 225
ste. »Wir sind gleich da.« In der Feme sah er bereits den unitallblau schimmernden Ring seines Flaggschiffs und unterbrach kurzerhand die Verbindung. »Ich freue mich darauf, Margun und Sola wiederzusehen«, bemerkte Gisol und schaffte es sogar, den Anflug eines zuversichtlichen Lächelns in seine Züge zu zaubern. Dhark warf ihm einen fragenden Blick zu. »Alles klar?« »Das nicht gerade, aber ich bin in Ordnung«, winkte der Gestaltwandler ab. »Ich lasse den Kopf nicht hängen, wir ihr so schön sagt. Schließlich haben wir noch eine Menge zu tun.« Ren drückte den Flash tiefer und schleuste ihn ein, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlugen. Gisol hatte recht, die römische Flotte brachte ganz neue Möglichkeiten mit sich. Er dachte an das legendäre Zentrum der Macht. Vielleicht ließ sich sogar ein galaxisweiter Krieg noch verhindern. Auch wenn sämtliche Zeichen auf Sturm standen, war er noch nicht bereit, diese Hoffnung zu begraben. Doch was war aus den anfliegenden Einheiten der Zyzzkt geworden, die Simon gemeldet hatte? Der Wächter hatte von tausend Schiffen und sogar einem Arkan-Riesen gesprochen. Plötzlich katoen Ren die Sekunden wie Ewigkeiten vor. Nachdem der Flash in seinem Depot verankert war, liefen die beiden Männer in die Kommandozentrale, wo der Kommandant schon sehnsüchtig erwartet wurde. Hektische Betriebsamkeit herrschte vor. Die Ortung arbeitete auf Hochtouren. »Die Römer haben das System und besonders Epoy abgeriegelt«, begrüßte Dan Riker die beiden Heimkehrer. »Was ist mit den Ringschiffen der Zyzzkt?« fragte Dhark. »Haben Sie sich zurückgezogen?« »Wir wissen es nicht, Sir«, ergriff der aus Mailand stammende Grappa das Wort. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir kein einziges davon mehr in der Ortung haben. Vielleicht sind sie von den Römern vernichtet worden.« »Erst nachdenken, dann reden«, erwiderte Riker spöttisch. »Weder gibt es Trümmer noch andere Anzeichen einer vorangegangenen Raumschlacht.« »Guter Einwand«, nahm Bebir die Zurechtweisung gelassen hin. 226 »Aber wahrscheinlich bekommen wir gleich eine Erklärung«, meldete sich Glenn Morris aus der FunkZ. »Ich habe Generalmajor Szardak von der RHEYDT in der Phase.« »Durchstellen!« ordnete Dhark an. Im nächsten Moment ertönte die Stimme des ehemaligen Kommandanten der TERRA. »Ich bin froh, daß wir endlich zu Ihnen durchkommen, Sir. Hier oben hat sich einiges getan. Sie erhalten einen ausführlichen Bericht.« »Keine Floskeln, Janos. Das Wichtigste zuerst: Wie viele Verluste gab es beim Untergang der BUDVA?« »Vierzehn Tote, Sir. Captain Jana und der Rest seiner Besatzung wurden von der RHEYDT aufgenommen.« Dem Commander der Planeten fiel ein Stein vom Herzen, denn insgeheim hatte er mit wesentlich mehr Toten gerechnet. »Alles weitere werden Sie mir persönlich berichten. Ich möchte Sie bitten, bei unseren Koordinaten zu landen und sich danach unverzüglich an Bord der POINT OF zu begeben. Ich möchte, daß Laetus und Nauta ebenfalls an unserer Besprechung teilnehmen.« »Ich stand in permanentem Kontakt mit ihnen. Sie sind an Bord der GISOL, dem neuen römischen Flaggschiff, das unter dem Kommando von Raummarschall Martius steht. Ich werde sie informieren.« »Dann laden Sie auch den Marschall ein, und Simon ebenfalls.« Dhark bedankte sich und trennte die Phase.
Erst da fiel ihm auf, daß die Blicke aller in der Kommandozentrale Versammelter auf den
Worgun gerichtet waren. Ihm war klar, weshalb.
»Das neueste römische Flaggschiff trägt deinen Namen«, sagte er zu Gisol. »Eine große Ehre,
aber keiner hat sie mehr verdient als du.«
Gisol deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich werde mich später darüber freuen«, erklärte
er. »Zu einem angemessenen Zeitpunkt.« Von dem niemand sagen konnte, wann der sein
würde.
227
Dhark betrachtete die beiden Römer, die wie üblich in ihre Togen gewandet waren. Nur Gisol
und er kannten inzwischen ihre wahre Identität. Niemand sonst ahnte, daß es sich bei ihnen in
Wahrheit um Margun und Sola, die Erbauer der POINT OF, handelte.
»Ohne unsere römischen Freunde würden wir immer noch hilflos im Raum kreuzen«, begann
Janos Szardak ohne Umschweife. »Ihnen ist zu verdanken, daß das Kraftfeld erloschen ist.«
»Wir haben in uralten Datenbanken, die uns die Worgun einst hinterließen, einen speziellen
Code gefunden, um den Schirm zu durchdringen«, fügte Nauta hinzu. »Offenbar war er noch
immer gültig, denn als wir ihn aussandten, kollabierte das Feld.«
»Das ist keine Erklärung für das Verschwinden der Zyzzkt«, warf Gisol ein.
»Sie wurden vernichtet.«
»Einfach so? Und wieso gibt es keine Trümmer?«
»Weil keine übrig blieben. Es ist, als hätten die Schiffe der Zyzzkt niemals existiert. Das
goldene Schirmfeld ist dafür verantwortlich.«
Nachdenklich rieb sich Ren übers Kinn. »Wie wäre es, wenn jemand mit dem Bericht von
vorne anfinge?« Er nickte Szardak aufmunternd zu. »Das letzte, was wir mitbekommen
haben, waren der Anflug der Zyzzkt-Flotte und die Vernichtung der BUDVA. Von da an
waren wir von den Ereignissen abgeschnitten.«
»Wir wurden von dem goldenen Feld ebenso überrascht wie Sie, Sir«, antwortete der
hochdekorierte Offizier der TF. »Zum Glück ging es den Zyzzkt nicht anders. Ihre Schiffe,
die um Epoy massiert waren, haben sich danach zurückgezogen und der anfliegenden Flotte
angeschlossen. Offenbar wußten sie nicht, was sie tun sollten.«
»Vorher haben wir sie beschäftigt«, fuhr Simon fort, dessen künstlicher Wächterkörper unter
der Deckenbeleuchtung des Konferenzraums rötlich schimmerte. »Aber gegen die gewaltige
Übermacht, die sich dem System näherte, konnten wir nichts ausrichten. Sie hätte uns in
kürzester Zeit aufgerieben, deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als aus dem Sonnensystem
in den Leerraum zu fliehen.«
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»Sie haben richtig gehandelt«, versicherte Dhark. »Wir haben vergeblich versucht, Kontakt
zur Planetenoberfläche herzustellen, aber der Schirm erwies sich als absolut undurchlässig.
Nicht einmal mit To-Richtfunk war etwas zu machen.«
»Nachdem wir das Foru-System verlassen hatten, haben wir in sicherer Entfernung Stellung
bezogen. Von dort aus haben wir die Aktivitäten der unterlichtschnell anfliegenden Zyzzkt
beobachtet«, übernahm wieder Janos Szardak das Wort. »Unsere römischen Verbündeten
haben ARKAN7 identifiziert. Wir haben verschiedene Planspiele zum Eingreifen
durchgeführt, weil wir fürchteten, daß es dem ArkanRaumer gelingen könnte, auf den
Planeten durchzubrechen und das Landekommando anzugreifen. Doch dazu kam es nicht.«
»Weil das goldene Feld die Wimmelwilden attackiert hat«, schloß Gisol.
»Ja, das stimmt. Dank der Fernortung bekamen wir mit, wie sich goldene Lanzen von
ungeheurer Intensität aus dem Planetenschirm lösten. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares
erlebt. Sie zerstörten zunächst die Arkan-Station und danach sämtliche Ringraumer der
Zyzzkt. Die Vernichtung war so umfassend, daß sie sich anschließend nicht mehr rekapitulieren ließ.« »Deshalb gibt es weder Trümmer noch Energierückstände uns bekannter Waffensysteme«, überlegte Dhark. »Bei den ehemaligen technischen Möglichkeiten der Worgun wundert mich nichts.« »Es war ein unheimlicher Anblick, Commander« bestätigte Simon. »Dieses Kraftfeld stellte ein perfektes Abwehrsystem dar. Ich frage mich nur, wieso es so gezielt gegen die Zyzzkt vorging.« »Wahrscheinlich hat ein Mechanismus die Biodaten der Zyzzkt registriert«, erklärte Gisol und berichtete von der Kugelstation im Planetenkem. »Allerdings ist er erst durch das Eindringen der POINT OF aktiv geworden. Ohne die Rückkehr der legendären MASOL hätte er nicht auf die Bedrohung reagiert, wie wir aus Maluks Ausführungen wissen.« »Aber wieso blieb der Schirm auch nach der Vernichtung der Zyzzkt weiterhin aktiv?« »Wir können nur spekulieren, wann er sich von selbst wieder abgeschaltet hätte. Oder wieso nur die Zyzzkt von der Vernichtung 229 betroffen waren. Sie sind ein ziemliches Risiko eingegangen, wieder ins ForuSystem zurückzukehren, Janos, denn Sie hatten keine Garantie, daß die Abwehrwaffen des Schirmfelds nicht auch gegen unsere Schiffe aktiv werden.« »Simon ließ sich nicht davon abhalten, die Probe aufs Exempel zu machen, Sir«, verteidigte sich Szardak. »Wir haben eine Weile abgewartet, bis wir sicher waren, daß keine weiteren Schiffe der Zyzzkt kommen«, erklärte der Wächter. Fasziniert registrierte Ren Dhark die geschmeidigen Bewegungen der annähernd unzerstörbaren Metallegierung des künstlichen Körpers. »Dann habe ich mit der NOREEN WELEAN einen Vorstoß gewagt, um die Sicherheitslage zu testen. Als ich nicht angegriffen wurde, konnten wir davon ausgehen, daß uns keine Gefahr droht. Daher kehrte der terranischrömischworgunsche Verband nach Epoy zurück.« In Janos Szardaks Augen funkelte es unzufrieden. »Trotzdem blieb die Lage alles andere als durchschaubar, zumal es auch in der Folgezeit nicht gelang, Kontakt durch den goldenen Schirm herzustellen. Zumindest so lange nicht, bis Martius' römische Flotte eintraf.« »Wir dachten, die Römer könnten keine Verstärkung schicken?« Ren blickte auf, als ihm urplötzlich bewußt wurde, was das bedeutete. Für die Ankunft der 10 000 römischen Neubauten konnte es nur einen Grund geben. »Die Kämpfe um Gardas sind also beendet?« »Mit den neuen Schiffen ist es gelungen, die Zyzzkt dort entscheidend zu schlagen.« Zum ersten Mal mischte sich Raummarschall Martins in das Gespräch ein. »Einige leisteten auch zuletzt noch Widerstand, aber dabei handelte es sich nicht um mehr als Rückzugsscharmützel der Insektoiden.« »Daraufhin wurde beschlossen, unverzüglich eine starke Flotte zur Unterstützung nach Epoy zu entsenden«, fuhr Nauta fort. »Weitere Schiffe wurden unter starkem Begleitschutz zu verschiedenen Schwarzen Löchern geschickt, um weiteres Ala-Metall zu Tofirit 230 produzieren. Künftig wird unser Kampf gegen die Zyzzkt nicht länger von Treibstoffmangel diktiert werden.« »Laetus und ich haben darauf bestanden, die Flotte nach Epoy zu begleiten, um uns mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß wir den richtigen Code gefunden haben.« »Andernfalls säßen wir jetzt nicht hier zusammen«, sagte Dhark grübelnd. Gedanklich war er bereits einen Schritt weiter. Die verborgene Station hatte ihnen schon einmal geholfen, vielleicht erwies sie sich auch ein zweites Mal als wichtige Hilfe. Er war überzeugt, daß dort noch eine Reihe von Geheimnissen darauf wartete, erkundet zu werden.
Besonders Arc Doorn war ganz heiß darauf, einen weiteren Vorstoß dorthin zu unternehmen,
um die gigantischen Aggregate, deren Sinn er nicht hatte entschlüsseln können, erneut unter
die Lupe zu nehmen.
Ren entschied sich, ihm die Gelegenheit dazu zu bieten. Sein Entschluß stand fest: »Wir
stoßen mit der POINT OF in den Planetenkem vor.«
Im Schutz seines Intervallums senkte sich der Ringraumer durch die feste Materie des
Planeten. Diesmal hatte der Checkmaster den künstlichen Zwischenraum errichtet, er war dem
Schiff also nicht wieder von unsichtbaren Kräften auf gezwungen worden. Ren Dhark hoffte
nur inständig, daß das Bordgehim nicht wieder auf die Idee zur Eigeninitiative kam, die es
nachher nicht erklären konnte.
Oder besser: nicht erklären wollte.
Martius hatte sich wieder an Bord der GISOL begeben, Laetus und Nauta waren geblieben,
weil sie sich von der verborgenen Station im Innern Epoys ebenfalls neue Erkenntnisse
versprachen.
Während die POINT OF durch die verschiedenen geologischen Schichten der Planetenkruste
drang, wurden zahlreiche Standardmessungen vorgenommen. Arc Doorn tigerte in der
Schiffszentrale auf und ab und ging allen Anwesenden mit seiner Ungeduld auf die Nerven.
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Tino Grappa, der unablässig an seinen Ortungseinrichtungen hantierte, schüttelte ungläubig
den Kopf.
»Probleme, Tino?« erkundigte sich Dhark.
»Kann man wohl sagen, Sir«, antwortete der Mailänder mit einem Gesichtsausdruck, der
seine Ratlosigkeit offen demonstrierte. »Ich versuche schon die ganze Zeit, die
Zentrumsstation auszumachen, aber sie läßt sich nicht lokalisieren.«
»Gibt es Probleme mit unseren Einrichtungen?«
»Negativ, alles im grünen Bereich. Die Orter erfassen nur nichts. Weder energetische
Emissionen, noch für einen Planetenkem ungewöhnliche Massenverhältnisse. Lediglich einen
glutflüssigen Kem, wie er zu erwarten ist.«
»Mit anderen Worten, die Orter funktionieren doch nicht«, konstatierte Arc Doorn mürrisch.
»Sie funktionieren einwandfrei, aber was sollen sie anzeigen, wenn es nichts anzuzeigen gibt?
Ich verstehe es ja selbst nicht, aber da ist nichts.«
»Unsinn!« polterte der Sibirier und stapfte zum Instrumentenpult. Unmittelbar davor blieb er
stehen und starrte in die Bildkugel, als könne er sie allein dadurch zum Leben erwecken, aber
natürlich zeigte auch sie unter der Erde nicht mehr als einen grob verwaschenen Hintergrund
aus Grau, der nichts hergab. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß die Station
verschwunden ist? Mal ist sie da und dann wieder nicht? Das ist doch unmöglich.«
Dhark war da anderer Meinung. Wenn es um die Worgun in ihrer Blütezeit oder gar die
mysteriösen Balduren ging, war nichts unmöglich. »Keinerlei Anzeichen für ein energetisches
Abschirmfeld?«
»Kein Jota an Emissionen, aber das besagt nichts. Wenn wir es wirklich mit einem
ausgeklügelten Tarnfeld zu tun haben, kann es so perfekt sein, daß es selbst für die beste
Energieortung unsichtbar bleibt.«
»Dann werden wir trotzdem darauf stoßen, sobald wir den Kem erreichen.« Dhark ging nicht
davon aus, daß das eine Gefahr für sein Schiff bedeutete, auch wenn er nicht wußte, wie
dieses hypothetische Feld strukturiert sein mochte. »Wir behalten den Kurs bei.«
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Arc Doorn zog ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, aber er sagte nichts, obwohl ihm offensichtlich ein Einwand auf der Zunge lag. Ren hatte den Eindruck, daß er nicht mehr an einen Erfolg der Expedition glaubte. Immer tiefer drang die POINT OF ins Planeteninnere vor, und in regelmäßigen Abständen gab Grappa eine kurze Negativmeldung ab. Mit jeder verstreichenden Minute wuchsen auch Dharks Zweifel. Beiläufig registrierte er, daß die beiden Römer eine geflüsterte Diskussion führten. ^k »Wir haben die Zielkoordinaten erreicht«, teilte der Mailänder ^— schließlich mit. »Wie ich bereits sagte, die Orter arbeiten korrekt. Die Station ist nicht hier.« ;|B|. »Dann haben wir uns verflogen«, behauptete Arc Doorn kurz angebunden. Auch wenn es zahlreiche Erklärungen für das Phänomen geben konnte, erschien diese Ren am unwahrscheinlichsten. »Kursabgleichung!« wandte er sich an den Checkmaster. »Stimmt unsere Position mit derjenigen überein, an die du uns bei unserem ersten Vorstoß gebracht hast?« »Position ist identisch«, räumte der Rechner auch den letzten Zweifel aus. »Die Route vom vorherigen Intervallflug war gespeichert und wurde exakt eingehalten.« »Hast du eine Erklärung für die Abwesenheit der Station?« »Negativ. Ich schließe aber aus, daß sie zerstört wurde. Aufgrund der vagen Erkenntnisse unseres ersten Besuchs läßt sich die Heftigkeit einer möglichen Explosion errechnen. Die Folgen wären bis an die Planetenoberfläche zu spüren gewesen und hätten den Ortem auf keinen Fall entgehen können.« »Mit anderen Worten, die Kiste hat auch keine Erklärung«, brachte es der Sibirier auf den Punkt. »Oder sie hat mal wieder ihre eigenen Gründe, uns gewisse Fakten vorzuenthalten.« Leider konnte Dhark diese Möglichkeit nicht ausschließen, aber instinktiv glaubte er diesmal nicht daran. Auch wenn der Checkmaster zuweilen eigenverantwortlich und auf den ersten Blick unverständlich agierte, log er nicht. ^Vielleicht haben wir eine Erklärung«, warf Laetus ein. »Wir 233 haben die Fakten eben diskutiert und sind zu einem möglichen Schluß gekommen.« Ren nickte. Also hatte er sich nicht getäuscht. »Dann laßt mal hören.« »Unser Wissen über die Balduren ist begrenzt, aber offenbar legen sie keinen großen Wert darauf, entdeckt zu werden. Bei ihrer Machtfülle verfügen sie zweifellos über die Mittel, sich zu verstecken. Wenn sie nicht gefunden werden wollen, dann werden sie auch nicht gefunden.« »Diese Befürchtung hatte ich schon während des Anflugs auf diese Position«, mischte sich Doorn ein. »Ich wollte aber nicht als Spielverderber dastehen, solange sich meine Ahnung nicht bestätigt. Leider ist das nun geschehen. Trotzdem bleibt die Frage, wie die Balduren das bewerkstelligt haben. Wenn sie denn tatsächlich dafür verantwortlich sind, und dafür haben wir bisher nicht mehr als Maluks Aussage.« »Wir sind der Meinung, daß wir seinen Worten Glauben schenken sollten. Dann könnte die Station in der Existenz verschoben sein.« »In der Existenz verschoben?« echote Dan Riker. »Darunter kann ich mir ehrlich gesagt nicht viel vorstellen.« »Ich aber schon«, behauptete Doorn. Seine langen roten Haare flogen vor und zurück, als er aufgeregt nickte. »Ich stelle mir das in gewisser Weise wie ein Intervallfeld vor. Was sich im Innern eines Intervallums befindet, gehört auch nicht mehr dem normalen RaumZeitgefüge an, sondern einem Zwischenkontinuum, zu dem wir auf andere Weise mit uns bekannten
Mitteln keinen Zutritt bekommen. Wir könnten es hier mit einer modifizierten Version dieses Felds zu tun haben.« »Zu diesem Ergebnis sind wir auch gekommen«, sagte Nauta. »Nur daß im vorliegenden Fall alles, was von dem Feld eingeschlossen ist, zudem gegen normaloptische Sicht wie auch gegen energetische oder andere Nachforschungen gefeit ist.« »Und damit völlig unsichtbar.« Der Gedanke schien dem sibirischen Technikgenie zu gefallen. »In der Existenz verschoben eine bessere Bezeichnung wäre mir vermutlich auch nicht eingefallen.« 234 »Sie halten das also auch für möglich, Are?« fragte der Kommandant der POINT OF. »Durchaus, Sir. Nur eines verstehe ich dabei nicht.« »Und das wäre?« »Daß ich nicht selbst darauf gekommen bin.« Dhark konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während Laetus den Sibirier mit einem demütigen Lächeln bedachte. »Sehen Sie es uns nach«, bat er, »daß wir diesmal schneller waren als Sie. Immerhin konnten Nauta und ich das Problem zusammen erörtern.« »Stimmt«, murmelte Doorn, während er sich in eine andere Ecke der Zentrale trollte. »Mit ein wenig Unterstützung von Chris Shanton oder dem jungen Robert Saam wäre ich eindeutiger Punktsieger geworden.« »Die Balduren werden ihre Gründe haben«, wurde Riker wieder ernst. »Allerdings verstehe ich sie nicht. Zwar sorgten sie sich anscheinend um Epoy und trafen entsprechende Vorkehrungen gegen eine mögliche Invasion der Zyzzkt, machten diese Gefahrenabwehr aber von der Präsenz der POINT OF abhängig. Wäre sie nicht gekommen, hätten die Balduren nichts zur Rettung des Planeten und seiner Bevölkerung getan.« »Diese Vorgehensweise ist uns ebenfalls ein Rätsel.« Nauta gab dem Commander und Gisol einen unauffälligen Wink und trat ein wenig abseits. Als er sicher war, daß niemand sonst von der Besatzung ihn hören konnte, sagte er: »Uns ist vor kurzem noch etwas anderes eingefallen, und zwar betrifft es den Code, der den goldenen Planetenschirm abschaltete. Wir haben ihn keineswegs in einer alten Datenbank gefunden.« »Aber warum diese Lüge?« »Um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Wir haben den Code damals von Dalon auf Deluge erhalten. Angeblich sollte er uns weiterhelfen, wenn wir jemals auf die goldenen Götter treffen.« Die goldenen Götter die Balduren. Allmählich begriff Ren. Mit der Wahrheit über die Geschehnisse auf Hope, die über tauend Jahre zurücklagen, hätten die beiden Akademiepräsidenten auch ihre wahre Identität offenlegen müssen. »Jedenfalls hat dieser Code gewirkt.« 235 »Ja, zu unserem Erstaunen, denn wir hatten selbst unsere Zweifel. Um die Wahrheit zu sagen, hatten wir ihn längst vergessen und erinnerten uns nur aufgrund des goldenen Schutzfelds daran. Dennoch bezweifelten wir, daß wir damit etwas gegen den Schirm würden ausrichten können.« »Denn wir selbst hatten ja nie Kontakt zu den Balduren, und das glaubten wir im Grunde genommen auch nicht von Dalon, dessen ganze Geschichte, mit der er uns damals konfrontierte, doch zu phantastisch klang. Doch offenbar haben wir uns in unserer Einschätzung getäuscht.« »Zumindest müssen wir sie überdenken. Aber einen Grund, warum die Zentrumsstation nur in Anwesenheit der MASOL eingriff, sehe ich immer noch nicht.« Noch weniger begreife ich, wieso sie sich jetzt vor dem Schiff versteckt, dachte Ren. Er kam zu dem Schluß, daß es nichts brachte, im Kem des Planeten auszuharren und auf ein Wunder zu warten, das womöglich niemals eintrat.
»Rückkehr an die Oberfläche!« ordnete er an. Dort wartete bereits ein aufgeregter Martius mit Neuigkeiten auf die POINT OF. »Im gesamten Imperium der Zyzzkt sind Kämpfe ausgebrochen«, verkündete der römische Marschall. »Aus zahlreichen Sektoren Oms kommen gleichlautende Meldungen unserer Spione und Aufklärungseinheiten.« Skeptisch hörte Ren Dhark sich die Neuigkeiten an. »Aber wieso? Gehen die Zyzzkt etwa aufeinander los?« »Die Hintergründe sind unklar, aber allem Anschein nach hat die Führungsstruktur der Zyzzkt nach unseren jüngsten Erfolgen einen gewaltigen Schlag bekommen. Offenbar herrscht ein ziemliches Durcheinander unter den verschiedenen Gruppierungen.« »Dann dürfen wir nicht länger zögern«, forderte Gisol, den die Aussage geradezu elektrisierte. Dhark konnte seine Aufregung mit Händen fassen. »Wenn die Meldungen stimmen, müssen wir die Unruhen zu unseren Gunsten 236 nutzen. Eine solche Gelegenheit kommt wahrscheinlich so schnell nicht wieder.« »Trotzdem dürfen wir nicht blind nach vom stürmen«, wehrte Martins ab. »Wir müssen genau überlegen, was wir tun, und besonnen handeln.« »Überlegen? Was gibt es da zu überlegen? Auf diesen Augenblick haben wir lange gewartet, deshalb müssen wir jetzt zuschlagen.« »Unmöglich. Terra Nostra ist noch nicht bereit für einen Frontalangriff. Dazu reichen unsere Kräfte nicht aus.« Demonstrativ drehte Gisol sich um. Verärgerung zeichnete sich in seinem Gesicht ab, und seine Lippen bebten. Er setzte zu einer harschen Antwort an, aber Ren Dhark kam ihm zuvor, um eine offene Konfrontation zu vermeiden. »Martins hat recht«, beruhigte er den ehemaligen Rebellen der Mysterious. »Die Raumschiffsproduktion in den Werften läuft auf Hochtouren, aber die in Dienst gestellten Raumer reichen noch lange nicht aus. Bis es soweit ist, ist ein Einsatz an neuralgischen Punkten sinnvoller. Wir dürfen unsere Kräfte nicht verzetteln. Wir müssen auf den richtigen Moment warten.« »Wenn ich in meinem Leben immer nach dieser Maxime gehandelt hätte, würde ich heute noch auf Chssrrt Sklavendienste für die Wimmelwilden verrichten. Ihr habt vielleicht alle Zeit des Universums, mein Volk aber nicht.« »Du läßt dich wieder einmal von deinem jugendlichen Hitzkopf leiten, von dem du mir erzählt hast. Wir können nicht blindlings nach Om hinausstürmen und einen Mehrfrontenkrieg führen. Soweit ist unsere Logistik noch nicht.« »Ganz meine Meinung«, pflichtete der römische Marschall Dhark bei. »Dank unserer inzwischen unbegrenzten Energie Vorräte und der täglichen Produktion von sechshundert Ringraumem neuster Bauart sind wir endlich in der Lage, Terra Nostra und Epoy wirkungsvoll zu verteidigen. Unsere beiden Welten sind die gefährdetsten Planeten in ganz Om, deshalb muß ihnen zunächst unser Hauptaugenmerk gelten. Nur noch auf Epoy gibt es Worgun in nennenswerter Zahl. Mit dieser Welt steht und fällt das Schicksal der Hohen!« 237 Gisol schwieg eine Weile, dann nickte er. »Es ist nur so, daß ich so lange auf die Freiheit gewartet habe, und nun, da sie endlich erreichbar scheint, soll ich noch länger warten. Ich habe mich so sehr ans Kämpfen gewöhnt, daß ich den Krieg beinahe herbeisehne.« Ren Dhark fuhr sich durch die weißblonden Haare. Da er über dieses Thema ganz anders dachte, übermannte ihn wieder die Hoffnung, den seit Jahrhunderten währenden Konflikt auf friedliche Weise zu beenden. Er wollte einfach nicht akzeptieren, daß Krieg die einzige Lösung mancher Probleme war.
Nicht für dieses, und auch nicht für andere. Jedenfalls nicht, solange er auch nur die vage Vorstellung einer Alternative hatte. »Wir sollten nicht alles auf die militärische Karte setzen«, beharrte er und betrachtete die Versammelten der Reihe nach. »Vielleicht gelingt es uns, den drohenden Krieg zu verhindern, der ganz Om erschüttern wird, wenn er erst ausbricht.« »Mit den Wimmelwilden kann man nicht verhandeln, das müßtest du allmählich wissen.« »Aber man kann es zumindest versuchen.« »Auch auf die Gefahr hin, hohe Verluste zu erleiden?« gab Martins zu bedenken. »Sie wissen, daß ich ebenfalls für eine friedliche Lösung bin, Commander Dhark, aber wie Gisol schätze ich unsere Aussichten auf Erfolg als äußerst gering ein.« »Ich sehe sie überhaupt nicht. Wenn du immer noch der Meinung bist, vernünftig mit den Zyzzkt reden zu können, hast du die Geschichte nicht verstanden, Ren. Oder du hast meine Schilderungen der Vergangenheit bereits wieder vergessen.« Gisol betrachtete seinen menschlichen Freund lange und nachdenklich, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Andererseits kenne ich dich inzwischen gut genug, um genau zu spüren, daß du einen bestimmten Plan hast.« Dhark nickte. »Ich schlage einen weiteren Flug ins Zentrum der Macht vor. Wenn wir auf diplomatischem Weg etwas erreichen können, dann dort.« »Unmöglich!« In Dan Rikers Gesicht zeichnete sich Unverständnis ab. »Mußt du unbedingt mal wieder mit dem Kopf durch die Wand? Vergiß nicht, daß die Zyzzkt uns bei unserem ersten 238 Vorstoß in ihren Kemsektor trotz unserer Tamfelder bemerkt haben. Ihren raffinierten Ortungsfeldem kann man nichts vormachen.« »Aber auch sie haben uns nicht davon abhalten können, in die innerste Kugelschale vorzudringen.« e »Trotzdem hätten ihre Schiffe uns beinahe erwischt.« l »Aber nur beinahe. Die Erfahrungen, die wir damals gewonnen haben, werden wir jetzt nutzen. Wir kennen den Aufbau des Zentrums der Macht und das Sicherungssystem und können uns darauf einstellen.« Dhark wandte sich an die Römer. »Was halten Sie davon?« »Wir dürfen Dan Rikers Einwände nicht überhören, und Gisol ist wohl der gleichen Meinung«, antwortete Laetus nach kurzem Nachdenken. »Ein weiterer Vorstoß in die Höhle des Löwen birgt ein großes Risiko in sich.« »Aber ein Risiko, das vertretbar ist angesichts der möglichen Verhinderung eines Kriegs, der ganz Om in seinen Strudel reißen wird«, widersprach Nauta. »Da kann ich dem Commander nur zustimmen.« »Aber diesmal gibt es keinen Alleingang, sondern wir starten mit einer schlagkräftigen Streitmacht.« »Was kein Problem ist«, gab sich Martius geschlagen. »Allerdings starten wir nicht mit der gesamten Rotte. 2000 Schiffe bleiben hier, um Epoy zu sichern. Wir können nicht ausschließen, daß hier schon bald wieder Zyzzkt auftauchen.« »Wenn es so ist, schließe ich mich ebenfalls der Mehrheit an«, verkündete Gisol. »Ich möchte nur nicht, daß Epoy ungeschützt zurückbleibt. Zur Zeit steht meine Welt einem Angriff sonst nämlich schutzlos gegenüber.« »Dan?« »Was fragst du mich, Ren? Du machst ja doch, was du willst.« Martius veranlaßte umgehend eine Aufteilung seiner Streitmacht. 8 000 neue römische Schiffe sollten mit den dreißig verbliebenen Schiffen von Ren Dharks Flotte ins Zentrum der Macht vorstoßen, während die restlichen an den Grenzen des Foru-Systems ausschwärmten und eine mehrfach gestaffelte Kugelschale um Epoy bildeten. 239
Es wurde entschieden, daß Gisol, Laetus und Nauta an Bord der POINT OF blieben, da allein sie mit ihrer besonderen historischen Bedeutung auf dem Zentralplaneten der Zyzzkt landen sollte. Neben diesem psychologischen Effekt für die römischen Kämpfer besaß ein einzeln operierendes Schiff zudem mehr Bewegungsfreiheit als eine Gruppe, selbst wenn die zentral gesteuert wurde. Dharks übrige Schiffe und Martins" 8000 Raumer sollten im Zielgebiet für die nötige Sicherheit sorgen und die Rückendeckung geben, die die POINT OF für einen erfolgreichen Durchbruch benötigte. Die Vorbereitungen waren rasch abgeschlossen, und wenige Stunden später setzte sich die Flotte in Marsch. 240 16. Die Schiffe rasten mit einem Überlichtfaktor im knapp zweistelligen Millionenbereich durch den Raum, mit einem Vektor, der auf einen Sektor nahe des galaktischen Zentrums von Om ausgerichtet war. Auf die Verbotene Zone zu, in der das Zentrum der Macht verborgen war, eine ausgedehnte Zone, die von konzentrisch angeordneten, kugelförmigen Feldern umgeben war, die jedes einfliegende Schiff registrierten. Auch der hochentwickelte römische Tamschutz half dagegen nicht. Das äußere Feld hatte einen Durchmesser von stattlichen dreihundert Lichtjahren, jede darin eingebettete Kugelschale war zwanzig Lichtjahre kleiner. »Negative Beschleunigung einleiten, sobald es innerhalb der Kugelschalen erforderlich wird«, wandte sich Ren Dhark an den Checkmaster, der die Flotte im Verbund steuerte. Obwohl es bei der Expedition weitgehend auf Schnelligkeit ankam und jede Sekunde zählte, durfte nicht zum zweiten Mal die gleiche Panne eintreten. Diesmal verließ er sich auf die Fähigkeiten des Rechners. Sobald sie in die innere Kugelschale eindrang, mußte die Flotte stark genug abgebremst sein, sollte es sie nicht zerreißen. Denn dort gab es ein Dämpfungsfeld, das Intervallfelder zusammenbrechen ließ und somit jeglichen Flug mit Stemensog unmöglich inachte. Die EPOY war übergangslos von einem Tempo von mehr als eine Million Überlicht in den Normalraum und auf Unterlichttempo zurückgerissen worden, was ihr beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Denn die kritische Grenze für diesen Rücksturz lag bei einem ÜL-Faktor von einer Million. »Die Zyzzkt werden uns wieder einen heißen Empfang bereiten. Mir reicht noch das KatzundMaus-Spiel von letztem Mal«, murmelte Arc Doorn vor sich hin. »Sobald wir die äußere Kugelschale erreichen, geht alles wieder von vom los.« 241 »Aber dieses Mal gibt es keinen wirren Zickzackkurs und keine Ausweichmanöver. Wir nutzen unsere Geschwindigkeit zum Durchstoßen«, widersprach Ren Dhark. »Wir müssen durch sein, bevor die Zyzzkt reagieren.« »Das haben wir beim letzten Mal auch versucht. Was daraus geworden ist, wissen wir alle.« »Genau, nämlich die Informationen, die wir jetzt benötigen, um erfolgreich zu sein«, hielt ihm Gisol entgegen. »Man soll sein Schicksal nicht zweimal auf die gleiche Weise herausfordern«, beschwerte sich der Sibirier. »Aber auf mich hört ja eh keiner.« »Wenn ich mich nicht sehr täusche«, mischte sich Nauta ein, »sind Ihre Einwände nichts als Phrasen. Um nichts in der Welt würden sie diesen Flug versäumen wollen.« »Insgeheim sind Sie sogar ein absoluter Befürworter«, stimmte Laetus zu. »Gestehen Sie ruhig, daß die Schlappe mit der Zentrumsstation von Epoy noch immer in Ihnen rumort.« Doorn verzog entsetzt das Gesicht. »Ich fasse es einfach nicht. Da reißt man sich den Hintern auf, und dann werden einem solche menschlichen Eifersüchteleien angedichtet. Über so etwas stehe ich doch. Ich verleihe lediglich meinen begründeten Befürchtungen um unser aller
Wohlergehen Ausdruck, und deren Berechtigung können weder Sie noch sämtliche größenwahnsinnigen Mysterious leugnen.« Gisol warf ihm einen protestierenden Blick zu. »Anwesende natürlich ausgeschlossen«, beeilte sich Doorn anzufügen. »Wenn Ihre Nerven plötzlich so empfindlich sind, empfehle ich einen starken Kaffee von Charly«, warf Hen Falluta sarkastisch ein. »Oder einen kräftigen Tropfen.« »Ich heiße doch nicht Shanton.« Dhark und der Erste Offizier grinsten, aber dann holte die Wirklichkeit die Männer wieder ein. Die Flotte jagte durch die äußere Kugelschale, und nur wenige Sekunden später zeigte die Passivortung das Resultat. Dutzende von Ringraumem der Zyzzkt rasten aus verschiedenen Richtungen auf die Stelle zu, an der die über 8000 Schiffe in den überwachten Bereich eingedrungen waren. 242 »Ich habe es ja gesagt«, stellte Doorn mit einem kurzen Blick auf die Anzeigen fest. »Aber immerhin, die Burschen laufen ins Leere.« Denn die Zyzzkt konnten die Flotte nicht orten. Ihre tastenden Strahlen wurden von den Ortungsschutzvorrichtungen nicht reflektiert, sondern umgelenkt. Sie wußten, daß sie ungebetene Besucher hatten, aber nicht, wohin die unterwegs waren. Und noch etwas anderes konnten sie nicht feststellen. »Hoffentlich glauben die Sabocaer möglichst lange, es wieder mit einem einzelnen Eindringling zu tun zu haben.« Gisols Blick ruhte auf der Bildkugel, wo von den Zyzzkt nichts zu sehen war. Doch die Passivortung gestattete keinen Zweifel, aber da waren die Eindringlinge längst auf dem Weg zur nächsten Kugelschale. »Damit ist es aus, sobald sie uns normaloptisch zu Gesicht bekommen.« Und das würde nicht lange dauern. Es bestätigten sich die Erfahrungen, die mit der EPOY gemacht worden waren. Bei jedem weiteren Flug durch ein Feld stieg die Anzahl der alarmierten Zyzzkt-Ringraumer. Gespannt verfolgte die Zentralebesatzung die Ereignisse. Immer noch war es zu keinem direkten Feindkontakt gekommen und kein einziger Schuß gefallen. Das wird sich ändern, dachte der Kommandant. Spätestens wenn wir innen sind. Der Sibirier sah das Unheil viel schneller auf sie zukommen. »Als hätten wir in ein Wespennest gestochen. Sie stellen sich auf unseren Kurs ein und erwarten uns.« Der Checkmaster hatte die drohende Gefahr ebenfalls erkannt und reagierte mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit, als er die Flotte einen Haken schlagen ließ. Ununterbrochen führte er Messungen und Analysen durch, damit nicht plötzlich eine Sonne oder gar ein Planetensystem in Flugrichtung stand, das womöglich Stützpunkte der Zyzzkt unterhielt oder gar besiedelt war. Die Tatsache, daß deren Ringschiffe bei einem von den Kugelfeldem ausgelösten Alarm immer so schnell zur Stelle waren, deutete auf zahllose Startbasen hin. Außerdem waren Scharen von Patrouillen u! dem stemenreichen Gebiet unterwegs. 243 »Wir werden beschossen!« »Zyzzkt! Wo kommen die denn her?« »Mittels Kurztransition aus dem Hyperraum. Nun haben wir den Salat«, stieß Doorn aus. »Gerade eben haben wir ein weiteres Feld durchstoßen, und diesmal haben sie verdammt schnell reagiert. Viel zu schnell für meinen Geschmack.« Damit war der Vorteil der Unsichtbarkeit dahin.
»Feuer frei!« gab Dhark den Waffensteuerungen durch. Die Sinnlosigkeit war ihm klar, obwohl sie seinem Befehl augenblicklich nachkamen. Bei der Geschwindigkeit der Flotte blieben die Zyzzkt in Sekunden unerreichbar zurück, doch es schadete nicht, ein wenig Verwirrung zu stiften. Abermals änderte der Checkmaster den Kurs für sämtliche Schiffe. Ren kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Wie viele Felder hatten sie bereits durchdrungen? Wie viele lagen noch vor ihnen? Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich. Das Bordgehim bremste dramatisch ab, um der Intervallbremse im zentralen Kugelsektor nicht in die Falle zu gehen. Mein Gott, ging es ihm durch den Sinn. Es ist fast soweit. In Gedanken bereitete er sich auf die letzte Etappe vor. Sie kam schneller, als er erwartete. »Die letzte Kugel!« erreichte ihn Gisols vor Anspannung bebende Stimme. Dessen Hände waren zu Fäusten verkrampft, an denen die Knöchel weiß hervortraten. Da halfen auch hundert Jahre Kampferfahrung nicht. »Dann also mal Butter bei die Fische« brummte Arc Doorn, auf einmal scheinbar wesentlich gelassener als alle anderen. Doch innerlich war er nicht weniger aufgewühlt. Nicht einmal die so sachlich wirkenden Römer konnten sich davon freisprechen. »Es ist wie immer mit Ihnen, Ren. Alles oder nichts. Irgendwann wird uns das Glück verlassen.« Aber nicht heute, dachte Dhark und war sich gleichzeitig darüber im klaren, daß sein Wille allein keinen Einfluß auf die Ereignisse hatte. Nicht bevor ich diesen elenden Krieg verhindert habe. Seine Augen richteten sich auf die Kontrollen. Es reichte noch nicht! Die Geschwindigkeit war immer noch zu hoch. Doch der Checkmaster beging keinen Fehler. Rasend schnell wurden die 244 eingeblendeten Zahlen kleiner, und dann unterschritten sie die magische Grenze von einer Million ÜL. Im Normalfall verlor der abrupte Übergang von Stemensog zu SLE unterhalb dieser imaginären Grenze seine Gefahr. »Wir stoßen durch!« krächzte irgendwer. »Jetzt!« 900000 facher Überlichtfaktor. Die Zahl brannte sich in Dharks Verstand. Geschafft! l Sie erlosch schlagartig wieder, als das Dämpfungsfeld des Kemsektors gnadenlos zuschlug. Sämtliche Intervalle kollabierten, die POINT OF und mit ihr die ganze Flotte wurde von titanischen Kräften übergangslos auf Unterlicht geschleudert. »Zahlreiche Transitionen!« Das war Tino Grappa. Diesmal verloren die Zyzzkt keine Sekunde. Verbundsteuerung aufheben! richtete Ren Dhark einen blitzschnellen Gedankenbefehl an den Checkmaster. Von allen Seiten stürzten sich die Insektoiden auf die Flotte. Obwohl sie in der Unterzahl waren, griffen sie mit allem an, was sie vorzuweisen hatten. Trotz der relativistischen Geschwindigkeit war binnen Sekundenfrist eine ausgewachsene Raumschlacht im Gange, und nun zeigte sich, über welchen Vorteil Dharks Flotte verfügte. »Auch die Intervalle der Zyzzkt-Schiffe funktionieren nicht«, stellte Arc Doorn fest. »Ein großer Pluspunkt für uns.« Denn die Raumer der Eindringlinge besaßen noch ihre Kompaktfeldschirme, die sich ebenfalls nicht so leicht knacken ließen. Martius zögerte keinen Augenblick. Die römischen Einheiten teilten sich auf und stellten sich dem Gegner. Noch waren sie in der Überzahl, und das nutzte der Raummarschall aus. Doch schon zeichnete sich ab, daß sich die quantitative Situation in den nächsten Minuten umdrehen würde. »Weitere Transitionen erfolgen. Zyzzkt bauen einen Sperrkordon in Flugrichtung auf.«
»Unsere früheren Erkenntnisse bestätigen sich. Achtzig Sonnensysteme liegen im Kemsektor.« Damit war die Dichte im unmittelbaren Zentrum der Macht am 245 größten. Verwaschene Lichtflecken, die mit aberwitziger Geschwindigkeit vorbeihuschten, tauchten vor der POINT OF auf und blieben gleich darauf wieder hinter ihr zurück. Die Meldungen in der Zentrale überschlugen sich, während die Bildkugel das Geschehen im Raum übertrug und gleichzeitig taktische Einspielungen vornahm, die die Gesamtlage anzeigten. »Von wo kommen die meisten Transitionen?« fragte Dhark. Vielleicht irrte er sich, und die Zyzzkt kamen anteilmäßig zu etwa gleichen Teilen aus sämtlichen umliegenden Sonnensystemen. Wenn sich allerdings herausstellte, daß sie überproportional stark von einem bestimmten System aus sprangen, handelte es sich dabei vermutlich um das eigentliche Zentralsystem. »Gibt es ein Schema in den Sprüngen?« »Schwer zu sagen bei all den Ortungsimpulsen«, antwortete Grappa. »Bei den Tausenden von Energieechos wird alles andere überlagert. Die Fernortung liefert kaum vernünftige Daten.« »Nicht auf die Emissionen achten.« Selbst in einem solchen Moment hielt es Doorn nicht an einer Stelle. Er tanzte vor dem Instrumentenpult hin und her. »Ich nehme mir mal die Aufrisse des Raum-Zeitgefüges vor, die bei Transition und Wiedereintritt entstehen. Die künstlich erzeugten Kontinuumsanomalien werden uns mehr verraten.« Die Bedienungsmannschaften der beiden Waffensteuerungen hatten unterdessen alle Hände voll zu tun. Die Antennen der POINT OF hämmerten Nadel und Dust ins Alls hinaus, wo die irrlichtemden Strahlenlanzen gierig nach ihren Zielen tasteten. Doch auch ohne Intervall brauchten sie eine Weile, um die Unitallpanzerung eines Raumschiffs zu knacken, wenn sie gezwungen waren, ihre Schlagkraft auf mehrere Ziele aufzuteilen. Als viel effektiver erwiesen sich die Wuchtkanonen, mit denen nur die POINT OF und die NOREEN WELEAN noch nicht ausgerüstet waren. Wo eine der auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Tofiritkugeln einen Volltreffer landete, zerriß es das Zielobjekt buchstäblich. Doch selbst bei Querschlägern war die Wirkung noch verheerend, weil das Tofirit dann in Energie umwandelt wurde, und zwar in gigantische Mengen, weil selbst kleinste Tofiritbrocken extrem viel Masse besaßen. 246 Ren Dhark hielt die POINT OF ein wenig abseits vom Kampfgeschehen, weil sie über keine Wuchtkanone verfügte, mit der sie die gleichen Erfolge erzielen konnte wie die Neuentwicklungen. Dennoch konnte sie den Kampfhandlungen nicht gänzlich aus dem Weg gehen, sondern mußte sich ihrer bläulich schimmernden Haut erwehren. Sie wurde kräftig durchgeschüttelt, als sie einen Treffer erhielt. Für zwei oder drei Sekunden badete sie im Licht rosaroter Nadelstrahlen, die sich zerfließend um den KFS legten, und wirkte wie ein mit Zuckerguß überzogener Gebäckkringel, dann setzte sich Rens Erfahrung als Pilot durch. Niemand konnte so gut mit dem Ringraumer umgehen wie er. Zuweilen hatte er das Gefühl, daß sein metallener Leib nur eine Verlängerung seines eigenen Körpers war. Lange bevor Yaar es schaffte, durch den Kompaktfeldschirm zu dringen und die Unitallhülle auch nur ansatzweise in Energie umzuwandeln, hatte er sie aus dem tödlichen Griff befreit und trieb sie mit einer Geschwindigkeit, die sich menschlichem Begriffsvermögen entzog, an der Peripherie der Hauptstreitmacht entlang. Und wer außer der Besatzung eines Raumschiffs konnte neunzig Prozent LG schon wirklich nachvollziehen? »Gute Arbeit, Alter«, kommentierte Dan Riker. »Aber allzu oft sollten wir uns so nicht erwischen lassen.« Was ohnehin nicht sehr wahrscheinlich war. Denn bei relativistischen Geschwindigkeiten war eine genaue Zielerfassung selbst mit Rechnerunterstützung eine Kunst für sich. Trotzdem
wurde Dhark mit einem Mal die ungewohnte Verletzbarkeit klar, der sein Schiff ausgesetzt war, als ihm der Sinn von Rikers Worten aufging. Sie alle waren daran gewöhnt, daß der schnittige Ringraumer vom verläßlichen Intervallfeld geschützt wurde. , Das sich jetzt aber nicht mehr aufbauen ließ. l Dafür aber der KFS. Doch dessen tatsächliche Leistungsfähigkeit und ob er überhaupt mit einem Intervallfeld konkurrieren , konnte mußte sich erst noch erweisen. l »Was machen Ihre Berechnungen, Are? Ich warte auf Ergebnisse.« »Ich auch, Ren«, antwortete der Sibirier in seiner zuweilen re 247 spektlos anmutenden Art, der Gisol nicht besonders viel abgewinnen konnte. »Ich tue, was ich kann, aber ein alter Mann ist nun mal kein DZug. Die zahlreichen Strukturaufrisse überlagern sich teilweise. Grappa hat recht, da draußen tobt das Chaos.« »Wenn es auf diese Weise nicht klappt, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«, drängte Nauta. »Unser Überraschungsmoment ist dahin, und es läßt sich absehen, wann wir umkehren müssen.« »Bis dahin bin ich dreimal fertig.« »Kriegen Sie das wirklich hin, Are?« erkundigte sich der Commander ungeduldig. Auch ihm entging nicht, daß seine Flotte inzwischen den gesamten Raumsektor aufgescheucht hatte. Längst wußte auch der letzte der Zyzzkt, was auf ihren ursprünglichen Herrschaftsbereich zukam. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, wenn es nicht klappt, aber dann muß ich das möglichst schnell wissen. Also?« »Sicher, aber ich brauche noch ein paar Minuten.« »Die kriegen Sie, mehr aber auch nicht.« Denn der Raum war inzwischen voll von Ringschiffen der Zyzzkt. Die Zahlenverhältnisse hatten sich eklatant umgekehrt. Auch wenn damit immer noch keine wirkliche Gefahr für die Flotte bestand, kam es doch zu vereinzelten Ausfällen, und jeder davon schmerzte Ren. Die ungleich reichere Blutemte hielt aber unter den Zyzzkt Einzug. Der Macht der Wuchtkanonen, die der in manchen Dingen naive und so unbekümmert wirkende Robert Saam quasi so nebenbei aus dem Ärmel seines schöpferischen Werks gezogen hatte, hatten sie nichts entgegenzusetzen. Doch sie dachten nicht daran, auch nur eine Lichtminute Raum preiszugeben. In Wellen warfen sie sich der Flotte entgegen, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben zu nehmen. »So etwas wie Selbsterhaltungstrieb scheinen die Zyzzkt nicht zu kennen«, überlegte Leon Bebir. »Das liegt an ihrem kollektiven Sozialsystem, scheint aber trotzdem nur auf den ersten Blick so«, widersprach Gisol. »Ich habe einige Zyzzkt persönlich kennengelernt. Wenn es ihnen an den Panzer geht, verhalten sie sich nicht anders als andere Lebewesen 248 auch. Sie wollen weiterleben, denn trotz allem verfügen sie über ein gewisses Maß an Individualität.« Was er besonders in der zyzkktischen Drogenhölle im Narm-System erfahren hatte. »Schwer zu glauben.« Wie um Bebirs Zweifel zu bestätigen, warfen sich die ungeschützten Ringe der Insektoiden den ihnen hoffnungslos überlegenen Wuchtkanonen entgegen. Wrackteile und zahllose ausglühende Unitallgerippe trieben im Raum, der erfüllt war von Strahlenbündeln und den dazwischen aufblitzenden Lichtpünktchen, wenn eine Ringröhre in einer heftigen Eruption verging. Die POINT OF huschte zwischen zwei Zyzzkt-Raumem hindurch, die unversehens zu ihren Flanken aus dem Hyperraum fielen. Dhark zwang sie in eine enge Kurve und vermied eine Kollision. Aufgrund der fehlenden Intervalle war selbst eine Kollision der Schiffe möglich. Bud Clifton und Jean Rochard in WSWest und WSOst lösten die Waffensysteme im gleichen Moment aus. Der Feuerschlag fiel so schnell und präzise über die Zyzzkt her, daß ihnen nicht
mal Zeit blieb, sich nach der Retransition zu orientieren. Dem konzentrierten Punktbeschuß aus jeweils zwanzig Antennen hielt auch das Unitall nicht stand. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, existierten sie schon nicht mehr, sondern trieben hinter der POINT OF als verwehende Gaswolken im Raum. »Bingo!« ertönte Arc Doorns Stimme. »Ich habe es. Aber die Sucherei hätte ich mir sparen können. Gesunder Menschenverstand hätte es nämlich auch getan.« »Ich will kein Rätselraten«, wies Ren den Sibirier zurecht. »Was haben Sie entdeckt?« •l »Daß das Zentrum der Macht seinen Namen nicht von ungefähr trägt. Es liegt tatsächlich im exakten Zentrum der Kugelschalen. Jedenfalls kamen aus dem dort angezeigten Planetensystem mehr Schiffe der Zyzzkt als aus allen anderen System zusammen. Damit dürfte die Sache ziemlich klar sein.« Das sah der Kommandant der POINT OF ebenso, und genaugenommen war es nur logisch. Hätte die Erde über eine ähnliche Warneinrichtung verfügt, wäre das menschliche Planetensystem der Mittelpunkt davon gewesen. 249 »Verbundsteuerung wieder aufnehmen«, instruierte er den Checkmaster. »Hältst du es für machbar, unsere gesamte Flotte per Transition auf einen Schlag zu den von Arc Doorn ermittelten Koordinaten zu bringen?« »Kein Problem«, antwortete das Bordgehim lapidar. Doorn grinste. »Da soll mir noch mal einer Überheblichkeit vorwerfen. Gegen diesen Kasten bin ich die Bescheidenheit in Person.« »Der Hyperkalkulator der MASOL ist nicht überheblich, sondern stützt sich auf Fakten«, versetzte Nauta trocken. »Ich etwa nicht?« »Schluß jetzt!« fuhr der Commander dazwischen. Transition einleiten! wandte er sich an die Gedankensteuerung. Und dann nichts wie weg von hier, Gut 8000 Raumschiffe sprangen gleichzeitig. Eine vertraut wirkende blaue Sonne prangte im Mittelpunkt des Systems. »Sprung erfolgreich durchgeführt«, meldete Hen Falluta. »Flotte hat Übergang vollständig mitgemacht. Die POINT OF steckt mittendrin.« Beeindruckt nahm Ren Dhark die veränderten Eindrücke in sich auf, die die Bildkugel lieferte. Eigentlich war seine Frage nur hypothetisch gewesen, aber der Checkmaster überraschte ihn immer wieder aufs neue. Obwohl er inzwischen einiges von dem Rechengehim gewöhnt war, stellte die koordinierte Transition einer solchen Anzahl von Raumschiffen eine Meisterleistung dar. Zudem hatte der Checkmaster die Flotte wieder zu einem zusammenhängenden Pulk geformt. »Dieser Kasten hat es wirklich drauf«, war Arc Doorn der gleichen Meinung. Dhark warf den beiden Römern einen kurzen Blick zu. Er konnte den Stolz über ihre Schöpfung aus ihren Gesichtern ablesen. »Die Sonne sieht aus wie Foru«, stieß Gisol fassungslos aus. »Wundert dich das wirklich?« fragte Dhark. »Nach dem, was 250 wir von Pnurrsk erfahren haben, war davon auszugehen. Wenn wir in diesem System auf abtrünnige Worgun treffen, die sich als Herrscher aufspielen, ist das doch klar. Bei der Auswahl eines Machtzentrums werden sie Wert auf die gleichen Bedingungen wie in der Heimat gelegt haben.« Gisol gab keine Antwort. Die Erkenntnis, daß es womöglich mutierte Worgun waren, die als Herrscherkaste hinter den Zyzzkt standen, konnte er nicht so rasch verarbeiten.
»Die Übereinstimmungen sind nicht nur äußerlich«, kam die Bestätigung von Dharks Worten aus der Astrophysik. »Wir haben es bei der Sonne mit exakt der gleichen Spektralklasse zu tun wie bei Foru. Insgesamt wird sie von 23 Planeten umlaufen, von denen einer eine Sauerstoffwelt von der Größe Epoys ist. Er hat auch annähernd den gleichen Abstand vom Zentralgestirn.« »Raumschiffstarts werden angemessen«, meldete Grappa plötzlich. »Das gesamte System verwandelt sich in einen Hexenkessel.« Wo eben noch scheinbare Ruhe geherrscht hatte, trat überbordende Aktivität ein. Die Kontrolleinrichtungen des Instrumentenpults erwachten zu hektischem Leben. Außer den Gasplaneten waren offenbar sämtliche Welten zu Flottenstützpunkten und Festungen ausgebaut. Überall starteten Ringraumer und jagten ins All hinaus. Ren Dhark reagierte sofort. »Verbundflug aufheben. Erhöhter Alarm für die Waffensteuerungen. Sämtliche Waffensysteme in Bereitschaft. Was ist mit der Sauerstoffwelt?« l »Keine Starts von dort.« Also handelte es sich möglicherweise um eine reine Wohnwelt. Über planetare Abwehrforts mochte sie dennoch verfügen. »Mit wie vielen Gegnern haben wir es zu tun?« »Noch keine genaue Angabe möglich. Es sind jetzt schon mehrere tausend Einheiten im Raum, aber es folgt ein unaufhörlicher Strom.« »Taktische Anzeige in der Bildkugel!« m Die sich aufbauende Darstellung bestätigte die Meldungen. Eine Flut von Symbolen stellte die Ringschiffe der Zyzzkt dar. Noch riß , der Strom nicht ab. Diesmal mobilisieren sie alles, dachte Ren. Sie werfen ihre letz' 251 ten Reserven in die Waagschale. Denn zweifellos war es noch nie zuvor einem Eindringling gelungen, bis in die Kernschale der verbotenen Zone vorzudringen. Auch Gisol war bei seinen früheren Exkursionen immer frühzeitig entdeckt und gejagt worden. Doch wieviel konnten die geheimen Herrscher noch aufbieten? »Funkspruch von der GISOL«, meldete Manu Tschobe. »Martius ist in der Phase.« »Herein damit!« »Wir halten der POINT OF den Rücken frei«, begann der Römer anstelle einer Begrüßung. »Was immer Sie tun wollen, Ren Dhark, tun Sie es jetzt.« »Keine weiteren Starts«, warf Grappa dazwischen. »Der Checkmaster zählt knapp 40 000 Ringschiffe der Zyzzkt.« Rens Gedanken überschlugen sich, das war eine Überzahl von fünf zu eins. Und die Zyzzkt würden alles daransetzen, ihn nicht zu nahe an die Sauerstoffwelt herankommen zu lassen. Er hegte keinen Zweifel, daß nur sie sein Ziel sein konnte. Wie sollte er es mit SLE erreichen? »Kommen Sie mit der starken Übermacht der Zyzzkt zurecht, Martins?« ; »Die sehe ich nur rechnerisch«, beruhigte ihn der Raummarschall. »Sowohl unsere Defensiv wie auch Offensivwaffen sind ihnen um ein Vielfaches überlegen.« Wie bereits vor der Transition kompensierte dieser Umstand die fünffache Übermacht der Insektoiden. Ren registrierte, daß die Kämpfe im Raum bereits begonnen hatten. »Da hol mich doch der Teufel!« fluchte Arc Doorn lautstark. »Diese hinterhältigen Kerle!« »Schiffe der Zyzzkt gehen in Intervallflug über«, übersetzte Falluta Doorns Ausbruch in eine für alle verständliche Sprache. »Intervalle hoch!« konterte Dhark in Gedankenschnelle und schaute zur taktischen Anzeige, wo sich die beschleunigten Flugmanöver der Insektoiden in hektischer Aktivität niederschlugen. Mühelos ließen sich die Intervallfelder aufbauen, also war das Dämpfungsfeld tatsächlich erloschen und die eben noch von Martius proklamierten Vorteile von einem Moment auf den anderen dahin. Denn auch die Unitallhüllen der Zyzzkt-Einheiten waren 252
wieder zusätzlich geschützt. Zwar konnten die Römer nach wie vor auf die Stärke der Wuchtkanonen bauen, aber auch deren Wirkung hatte sich dramatisch verringert. »Ich lasse den Angriff abbrechen«, kündigte Martius an. »Flotte geht in Defensivformation.« Der Anfang vom Ende, ging es Ren durch den Kopf. Eine zweite Chance erhalten wir nicht. So nah kommen wir nie wieder ran. »Wie beurteilen Sie Ihre Lage, Martius?« »Schwer zu sagen, denn die Zyzzkt stellen Ihre Taktik bereits um. Eine Zeitlang halten wir durch, aber jede Minute ist wertvoll. Wir halten die Position so lange wie möglich, aber wir können auf keinen Fall weiter vorstoßen. Letzten Endes wird uns nichts anderes übrig bleiben als der Rückzug.« Also zumindest eine kurze Galgenfrist. Dhark dachte an den Sauerstoffplaneten und die Tatsache, daß von dort kein einziges Ringschiff gestartet war. War dort die letzte Eingreifreserve stationiert? Oder gab es dort keine Schiffe? Ohne zu zögern traf er eine Entscheidung. »Wir nehmen unsere letzte Chance wahr. Die POINT OF fliegt den Sauerstoffplaneten an. Ich möchte Sie bitten, so lange wie möglich durchzuhalten, Martius.« »Wir tun, was wir können, Commander, aber ich kann Ihnen nicht viele Schiffe zur Unterstützung mitgeben.« Stumm schüttelte Ren den Kopf. Eine Eskorte hätte ohnehin nichts gebracht, denn auch ein Umschalten war sinnlos. Selbst mit Stemensog würde er nicht durchkommen. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Und sobald die POINT OF Kurs auf die Zentralwelt gesetzt hätte, würden die Zyzzkt mit all ihrer zahlenmäßigen Stärke über sie herfallen Es gab nur eine Alternative. »Keine Unterstützung, Martius«, erwiderte er. »Verschaffen Sie uns nur die Zeit, die wir brauchen.« Zielvektor auf die Sauerstoffwelt, schickte er einen stummen Befehl an die Gedankensteuerung. Intervall runter! Kurztransition! Und wieder sprang die POINT OF. 253 Ein harter Schlag traf die POINT OF und schüttelte sie durch, kaum daß sie am Rand der Atmosphäre aus dem Hyperraum fiel. Gleichzeitig war sie in waberndes Licht getaucht, das von der Planetenoberfläche nach ihr griff. Die Abwehrmechanismen handelten ohne Zeitverzögerung. Bevor irgendwer reagieren konnte, fuhr der Checkmaster die Intervalle hoch, doch ohne den eingeschalteten Kompaktfeldschirm wäre die POINT OF da bereits vernichtet gewesen, so massiv war der Feuerschlag. »Unzählige goldene Gigantstatuen«, stellte Arc Doorn fest. »Allesamt Zyzzkt und um die sechs Kilometer hoch.« Ren Dhark nahm die Ausführung des Sibiriers kommentarlos hin. Es waren die typischen planetaren Abwehrforts der Verteidiger, die er in dieser oder in humanoider Form inzwischen von zahlreichen Welten kannte. Natürlich hatte er sie auch hier erwartet. »Sind Schiffe der Zyzzkt in der Nähe?« fragte er, während er den Ringraumer durch die Atmosphäreschichten und der Planetenoberfläche entgegenjagte. »Negativ. Es werden auch keine Starts angemessen.« Wie ein Insekt im Netz der Spinne hing das Flaggschiff der Terranischen Flotte im Kreuzfeuer der Gigantstatuen. Das Intervallfeld wurde bereits bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit beansprucht. Mit zusammengepreßten Lippen, die zwei blutleeren, fahlen Strichen glichen, starrte Dhark auf die Anzeigen. Wenn das Intervallum sich verabschiedete, bohrte er sein Schiff geradewegs in die äußere Planetenkruste. Doch er dachte nicht daran, die Richtung zu ändern, denn den Erfassungsoptiken der Statuen konnte er damit nicht entrinnen. Den Rückzug in den Raum anzutreten kam ebenfalls nicht in Frage.
»Heilige Maria Mutter Gottes!« entführ es Doorn, als die POINT OF endlich die Oberfläche
des Planeten durchstieß und im Boden versank, wo sie vor weiterem Beschuß sicher war.
»Das war mal wieder knapp, knapper, am knappsten.«
»Kein Grund zur Panik«, beschwichtigte Laetus. »Für so etwas ist die MASOL konstruiert.«
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»Das glauben Sie doch selbst nicht«, wehrte Dan Riker mürrisch ab. »Manchmal kann ich die
Leier von der Überlegenheit der Mysterious nicht mehr hören. Selbst ihrem kleinen
Wunderwerk sind Grenzen gesetzt.«
Der Meinung konnte sich Dhark nur anschließen. Auch er fand, daß die beiden falschen
Römer bei all ihrer Genialität und ihren vollbrachten Leistungen zuweilen übertrieben, wenn
es um ihr technisches Meisterwerk ging. Aber das sagte er nicht, sondern richtete seine Worte
an die Ortung.
»Beim Anflug habe ich Wohnburgen der Zyzzkt gesehen. Wie viele davon konnten wir
anmessen?«
»Es liegen keine definitiven Zahlen vor, weil sie zu zahlreich sind«, wurde er enttäuscht. »Die
Wabenburgen sind über den gesamten Planeten verteilt. Die gesamte Oberfläche ist mit ihnen
bebaut. Lediglich um die goldenen Statuen herum finden sich freie Plätze von jeweils fünfzig
Kilometern Durchmesser.«
»Die Statuen stehen auch auf dem gesamten Planeten?«
»Es gibt keine Region, die frei von ihnen ist.«
Das half ihnen nicht weiter, denn es bedeutete, daß die POINT OF nirgendwo ungefährdet an
die Oberfläche zurückkehren konnte. Gleichgültig wo sie aus dem Untergrund auftauchte, sie
würde sofort wieder unter Beschuß geraten. Eine nähere Erkundung dieser Welt schied damit
von vornherein aus.
»Anscheinend sind wir in eine Sackgasse geraten«, überlegte Gisol. »Ich habe die
Gigantstatuen noch nirgendwo so flächendeckend erlebt wie hier.«
Dhark ebenfalls nicht. Wenn es wirklich noch eines Beweises fiir die herausragende
Bedeutung dieser Welt bedurft hätte, stellte das unüberwindliche Abwehrbollwerk dar.
»Was hast du vor, Ren? Wie ich dich kenne, wirst du auf keinen Fall umkehren.«
»Sicher nicht.« Aber es brachte auch nichts, sich zu verstecken. Früher oder später mußten sie
den Kopf wieder aus der Deckung nehmen. »Wir werden Kontakt zu den Herrschern
aufnehmen.«
»Damit verraten wir sämtlichen Zyzzkt-Schiffen im Sonnensystem unseren Standort.«
»Nicht unbedingt«, erhob Nauta die Stimme. »Natürlich dürfen
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wir nicht den normalen Funkverkehr benutzen, sondern Ultrakurzwellen. Aufgrund der
geringen Sendereichweite können sie im Weltraum nicht abgehört werden.«
»Gute Idee«, befand Laetus. »Vielleicht können wir die Herrscher zu Verhandlungen
bewegen.«
Ren nickte. Genau deswegen waren sie schließlich hergekommen. Mit einem unguten Gefühl
dachte er daran, daß draußen im Raum inzwischen eine ausgewachsene Raumschlacht tobte,
und er hatte keine Ahnung, wie lange Martius' Flotte ihre Position halten konnte und wie viele
Opfer die Römer dabei zu beklagen hatten. Er wies die FunkZ an, eine entsprechende Phase
einzurichten und nickte den beiden Römern aufmunternd zu.
Kurz darauf kam die Bestätigung von Walt Brugg. »Sie können sprechen. Wenn es in einem
Umkreis von maximal 150 Kilometern einen Empfänger gibt, kommen wir durch.«
»Wir rufen die Herren der Zyzzkt«, begann Nauta. »Wir kommen nicht in feindlicher Absicht, sondern um mit Ihnen zu reden. Wir bitten um Einstellung der Kampfhandlungen.« In der Zentrale der POINT OF herrschte gespannte Stille, aber außer einem kaum hörbaren Prasseln blieb der UKW-Empfänger stumm. Dhark schüttelte den Kopf, als er erkannte, daß Gisol drauf und dran war, das Wort zu ergreifen. Er kannte den Worgun lange genug, um befürchten zu müssen, daß der mit seiner impulsiven Art Nautas Vorstoß zunichte machte. Der Akademiepräsident wiederholte seine Worte. »Wir bieten Ihnen Verhandlungen statt Krieg an«, fuhr er fort und versicherte: »Wir können Ihr Dilemma verstehen. Sie sorgen sich nur um Ihre Sicherheit.« Wieder verstrichen die Sekunden, ohne daß eine Antwort kam. »Das bringt doch nichts.« Gisols Mimik drückte aus, daß er die Worte des Römers für Zeitverschwendung hielt. »Die denken gar nicht daran, uns zu antworten wenn sie die Nachricht überhaupt empfangen.« »Lassen wir ihnen noch ein wenig Zeit«, widersprach Dhark. Etwas anderes konnten sie ohnehin nicht tun. Doch auch seine Hoffnung schwand. »Ich rufe die Herren der Zyzzkt«, wagte Nauta einen weiteren 256 Versuch. »Wir wissen, daß in Ihrem Imperium interne Kämpfe ausgebrochen sind, die früher oder später auch in Ihren zentralen Machtbereich schwappen werden. Uns ist nicht an weiteren Kämpfen gelegen. Sie müssen uns glauben, daß wir uns mit Ihnen verständigen wollen.« Nichts geschah, und Dharks Hoffnung, daß die geheimnisvollen Worgunmutanten mit sich reden ließen, sank wie die seiner Weggefährten beinahe bis auf den Nullpunkt. Plötzlich trat Laetus vor. »Eine Möglichkeit gibt es noch«, sagte er und suchte den Blickkontakt zu seinem Kollegen. »Ich hatte gehofft, daß es nicht nötig sein wird, uns zu offenbaren, aber offenbar ist nun der Zeitpunkt gekommen.« Die Augenpaare sämtlicher in der Kommandozentrale Versammelter richteten sich auf ihn, weil niemand verstand, was er meinte. Nur Dhark und Gisol begriffen augenblicklich. Rens Vermutung bestätigte sich, als Laetus den Faden wieder aufnahm. E »Margun und Sola an Bord der MASOL rufen die Herren der Zyzzkt. Wir kommen, um mit Ihnen zu reden.« Schlagartig setzten Tumulte in der Zentrale der POINT OF ein. Margun und Sola] Unmöglich! Oder doch nicht? Alle riefen ungläubig durcheinander, als der Römer seine wahre Identität preisgab. An den überraschten Ausbrüchen erkannte er, daß der Commander sie bisher wirklich vor seiner Besatzung geheimgehalten hatte. »Bitte, meine Herren«, verschaffte sich Dhark Gehör. »Etwas mehr Disziplin. Wir haben immer noch eine offene Phase.« In der es nach wie vor teilnahmslos prasselte. Dafür trat in der Schiffszentrale wieder Ruhe ein, nur einige geflüsterte Debatten ließen sich nicht unterbinden. Jetzt oder nie, dachte Ren. Wenn die geheimen Herrscher sich auch nach dieser Offenbarung nicht meldeten, würden sie es überhaupt nicht mehr tun. Als er schon nicht mehr daran glaubte, wurde das statische Prasseln von einer ausdruckslosen Stimme durchbrochen. »Hier spricht Gangol vom Planeten Morpok. Wir schicken Ihnen einen Peilstrahl.« 257 17. Eine Erklärung folgte der anderen, während Ren Dhark die POINT OF zurück an die Oberfläche Morpoks steuerte, und nun wurde auch der Rest der Besatzung eingeweiht. Im allgemeinen waren Raumfahrer damit vertraut, sich blitzschnell auf eine neue Lage und veränderte Gegebenheiten einzustellen, weil häufig ihr Leben davon abhing. Doch die Wendung mit den beiden Römern war zu sensationell, als daß irgendwer sie auf die Schnelle verdaut hätte.
Die legendären Margun und Sola an Bord des Schiffs, das sie vor Generationen selbst entworfen hatten! Arc Doorn fand in der Kommandozentrale als erster die Sprache wieder. »Nun wundert mich nicht mehr, daß Laetus und Nauta... Verzeihung, daran muß man sich erst gewöhnen, daß also Margun und Sola sich an Bord immer irgendwie wie zu Hause benommen haben.« »Ich hoffe. Sie sehen uns das nach.« »Sicher wenn Sie mir dafür verraten, welche kleinen Geheimnisse die POINT OF noch für uns bereithält, auf die wir bisher noch nicht gestoßen sind. Da gibt es doch bestimmt noch welche.« Margun lächelte. »Die gibt es in der Tat, allerdings...« »Allerdings ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür, Are«, mischte sich Dhark ein. »Wir haben andere Sorgen. Auch wenn wir eine Feuerpause erwirkt haben, sind wir alles andere als in Sicherheit. Jedenfalls haben wir keinen Grund, in unserer Wachsamkeit nachzulassen.« Bis zum Horizont erstreckten sich die goldenen Statuen nämlich in alle Richtungen. Sie schössen nicht mehr, sondern streckten ihr^ Arme teilnahmslos zum Himmel, doch dieser Umstand konnte sich jederzeit wieder ändern. Der momentane Waffenstillstand war eine 258 fragile Angelegenheit, die beim kleinsten Fehlverhalten binnen Sekundenfrist wieder in Gewalt umschlagen konnte. Doorn murmelte etwas Unverständliches und widmete seine Neugier den Darstellungen in der Bildkugel. Der Planet, der vollständig mit den archaisch anmutenden Wabenburgen der Zyzzkt und ins Riesenhafte vergrößerten goldenen Abbildern der Insektoiden bedeckt war, präsentierte dazwischen immer wieder Waldstreifen und ausgedehnte grüne Oasen, die aber im Vergleich zur Bebauung klein und unscheinbar wirkten. Für Menschen besonders einladend erschien Morpok somit nicht. Die Peilung leitete die POINT OF in eine äquatomahe Zone des Planeten, und die Landmasse des großen Kontinents blieb hinter ihr zurück. Tiefblaues Wasser zog unter ihr dahin. »Anscheinend ist eine Insel unser Ziel«, bemerkte Hen Falluta. »Hervorragend«, knödelte Arc Doorn. »Wenn wir das hinter uns haben, bin ich ohnehin reif für die Insel.« Niemand achtete auf ihn. Dhark studierte die hereinkommenden Daten, als der Ringraumer dem Peilsignal folgend langsam tiefer ging. Es war tatsächlich eine Insel, allerdings eine von der Ausdehnung Grönlands. »Subtropisches Klima. Sieht fast aus wie auf der Erde.« Denn auf der Insel standen keine Wabenburgen der Insektoiden. Im Gegenteil war sie im Vergleich zum Rest des Planeten weitgehend naturbelassen. Neben Urwald gab es zahlreiche Parks, zwischen denen vereinzelte Schlösser dezent ins Landschaftsbild eingepaßt waren. »Da unten steht nur ein einziger Goldener«, las Gisol von den Anzeigen ab. »Von ihm geht das Peilsignal aus.« »Status seiner Waffen?« »Nicht besonders vertrauenerweckend. Die Ortung meldet hohe Energiewerte. Die Waffen sind auf Bereitschaft geschaltet, der Bursche kann also jederzeit zum Leben erwachen.« Das gefiel Dan Riker nicht besonders. »Bei solch einem freundlichen Willkommen bleibt das Intervallum vorläufig oben, und diesmal will ich keine Widerworte hören, Ren.« Immerhin war es beruhigend, es mit nur einer Riesenstatue zu tun zu haben. Trotz 259 ihrer Größe konnten die Waffensysteme der Goldenen vom Kontinent Ziele auf dieser Insel nicht erfassen.
»Schon gut.« Dhark flog eine weite Schleife und entdeckte Bewegungen am Fuß der Gigantstatue. Irgend etwas ging dort unten vor sich. »Ausschnittvergrößerung!« Gleich darauf erkannte er eine Gruppe von neun Gestalten, die dem anfliegenden Ringraumer entgegensahen. »Zyzzkt!« entfuhr es Falluta. »Jedenfalls auf den ersten Blick.« Aber auch nur auf den ersten Blick, dachte Ren. Die Wesen, die wie Zyzzkt erschienen, waren zu groß, und, wie die Massenortung feststellte, auch zu schwer. Zweifellos handelte es sich um die großen, 75 Kilogramm schweren Herrscher, die in Wahrheit mutierte Worgun waren. Sie standen einfach da und warteten darauf, daß die MASOL mit ihren legendären Erbauern Margun und Sola landete, waren dabei aber von einem starken Intervallfeld geschützt. Sie sind nicht wie wir! Was hatte diese Aussage des auf Gesst vor seinen Jägern geretteten Tzrrp Dhark damals zu denken gegeben. Heute verstand er sie um so besser. Er reduzierte die Fluggeschwindigkeit bis beinahe zum Stillstand und schaltete auf AGrav um. Auf dem dämpfenden Polster senkte die POINT OF sich auf das freie Feld vor dem Goldenen herab, wo sie schließlich zum Stillstand kam. »Waffensysteme der Statue noch immer aktiv?« »Positiv. Messungen ergeben permanente Einsatzbereitschaft.« »Sie melden sich wieder.« Manu Tschobe legte den einkommenden Spruch auf die Lautsprecher, so daß die gesamte Zentralebesatzung die Botschaft mithören konnte. Sie war kurz und bündig. »Wir erwarten Margun und Sola.« »Aber nicht allein«, warnte Gisol hinter vorgehaltener Hand, damit die abtrünnigen Worgun seine Bedenken nicht mitbekamen. »Das könnte eine Falle sein. Diesen Mutanten traue ich noch weniger als den Wimmelwilden.« Ren Dhark machte eine zustimmende Geste, denn auch ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, die beiden Römer ohne Unterstüt 260 zung zu den Worgunmutanten gehen zu lassen. Er brachte einen diesbezüglichen Einwand vor, und Margun nickte. »Wir bedanken uns für die Einladung«, sagte der Römer, »würden aber gern ein paar Begleiter mitnehmen, die ebenfalls neugierig auf Sie sind.« »Dagegen ist nichts einzuwenden. Bringt so viele Begleiter mit, wie ihr wünscht«, antwortete die tonlose Stimme. »Sobald ihr das Schiff verlaßt, schalten wir das Intervallfeld ab, damit ihr zu uns gelangen könnt. Als Zeichen eurer Aufrichtigkeit und zu unserer Sicherheit erwarten wir, daß die MASOL ihre Intervalle ebenfalls senkt, auch den zusätzlichen Schutzschirm, über den sie verfügt. Sobald ihr, Margun und Sola, bei uns seid, werden wir aus Sicherheitsgründen unser Feld wieder einschalten, was der MASOL natürlich gleichfalls zusteht.« »Wir sagten, daß wir um des Friedens Willen kommen, deshalb sind wir mit euren Bedingungen einverstanden.« »Dann ist es auch unnötig zu erwähnen, daß wir keine Waffen tragen und das gleiche von unseren Gästen erwarten.« Skeptisch verzog Gisol das Gesicht. »Das gefällt mir nicht, Ren. Wenn die Mutanten Margun und Sola unter ihrem Intervall haben, sind sie eindeutig im Vorteil. Dann können sie uns ihre Bedingungen diktieren.« »Deshalb werden die beiden auch nicht allein gehen. Du und ich werden das großzügige Angebot annehmen und unsere römischen Freunde begleiten.« »Leg noch ein paar Cyborgs drauf, und ich bin zufrieden.« »Das hatte ich ohnehin vor. Stewart, Sass, Oshuta, Burton und Cindar kommen mit. Einen besseren Schutz gibt es nicht. Gegen die Cyborgs können die Worgunmutanten nichts ausrichten.«
»Hoffentlich erweisen sich diese Vorsichtsmaßnahmen als unbegründet«, unkte Arc Doorn.
»Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Übrigens würde ich auch gern an dem kleinen
Ausflug teilnehmen, Commander.«
»Diesmal nicht«, wehrte Dhark ab. »Ihr technisches Genie ist ausnahmsweise einmal nicht
gefragt, Are. Statt dessen setzen wir auf Diplomatie, und wie ich Sie kenne...«
»... fürchten Sie, ich könne mit meiner direkten Art alles ka
261 puttmachen«, fuhr der Sibirier säuerlich fort. »Schon verstanden... Sir. Der Mohr hat seine
Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.«
»Nicht beleidigt sein, Are. Benachrichtigen Sie lieber die Cyborgs, damit die sich
bereitmachen.«
Fünf Minuten später brach die kleine Gruppe auf.
»Ein sinnloser Fußmarsch«, beschwerte sich Sola. »Wir hätten Flash nehmen sollen.«
»Die Anweisungen der Herrscher waren eindeutig. Wir wollen sie doch nicht verärgern.«
»Aber der Gestank ist kaum zu ertragen.« Sola rümpfte angewidert die Nase, während er über
den asphaltierten Untergrund schritt. Auch Ren Dhark hatte den Eindruck, kaum atmen zu
können. In seinem Magen rumorte es, und er mußte seinen Ekel niederkämpfen, als er an die
Ursache für den penetranten Gestank dachte.
Er rührte von den 23 Milliarden toter Zyzzkt her, die an Gisols Pilzsporen zugrunde gegangen
waren. Es war Verwesungsgeruch, der sich bleischwer über den gesamten Planeten gelegt
hatte. Morpok war eine Welt des Todes, in der allein die Worgunmutanten überlebt hatten.
Denn ihre Exoskelette sahen zwar aus wie Chitin, bestanden aber aus Worgungewebe, das für
die Sporen, die Gisol mittels Transmitter auf diese Welt befördert hatte, nicht anfällig war.*
Die unzähligen Wabenburgen an der Planetenoberfläche waren entvölkert und zu riesigen
Mausoleen geworden, in denen die sterblichen Überreste wahrscheinlich noch immer lagen.
Wer sollte sie auch abtransportieren? Und wohin?
Ren ertappte sich dabei, wie er sich nach Leichen umschaute, aber zumindest der weiträumige
Bereich um die goldene Statue war von ihnen freigeräumt worden. Falls es hier überhaupt
welche gegeben hatte, aber er vermutete eher, daß auf dieser Insel niemals
Angehörige der Insektoiden gelebt hatten. Die vereinzelten Schlösser und das Fehlen von
Wabenburgen deuteten darauf hin, daß das Eiland ausschließlich den geheimen Herrschern
der Zyzzkt vorbehalten war.
& »Ich lese deine Gedanken, mein Freund«, flüsterte Gisol an seiner Seite. »Die Geschichte
wiederholt sich. Ist es nicht das, was dir durch den Kopf geht?«
Unwillkürlich erinnerte sich der Commander der Planeten an Gisols nächtliche
Schilderungen. Dabei hatte er unter anderem zugegeben, schon einmal, wenn auch nur
aufgrund der Verkettung einer Vielzahl unglücklicher Umstände, 500 Milliarden Zyzzkt
umgebracht zu haben.* Ren schob den Gedanken beiseite, weil er ihn von dem ablenkte, was
vor ihm lag. Wenn es ihm und seinen Begleitern nicht gelang, auf diplomatischem Weg eine
Annäherung zu erzielen, würde Om möglicherweise in einem Meer aus Blut und Tränen mit
noch weitaus mehr Opfern versinken.
l »Ich sagte dir schon einmal, daß du zu diesem Thema keine befriedigende Antwort von mir
erhalten wirst.«
»Ist auch nicht nötig.« Gisol streckte einen Arm aus und deutete über sich. »Das Intervallfeld
hat sich wieder aufgebaut. Wenn unsere Gastgeber schlechte Laune haben, sitzen wir in der
Falle. Dann kann uns auch die POINT OF nicht herauspauken.«
Ganz wohl war auch Ren Dhark bei dem Gedanken nicht. »Wir müssen ihnen eben vertrauen.
Ich betrachte es schon als großen Erfolg, daß sie uns empfangen.« Und damit war das Ende
der Fahnenstange hoffentlich noch nicht erreicht.
»Vertrauen?« Gisol sah seinen Freund an, als hätte der den Verstand verloren. »Macht ihr das mal, aber das ist etwas für dich, Margun und Sola. Die Cyborgs und ich werden hingegen um so mehr die Augen offenhalten und diesen nachgemachten Wimüielwilden auf die Fühler schauen.« Als sie die Herren über das Imperium der Zyzzkt erreichten, fühlte Ren sich erneut an die Begegnung auf Gesst erinnert. Die Wesen in den mattschwarzen Chitinpanzem waren viel größer als 263 normale Zyzzkt und vermittelten einen bedrohlichen Eindruck. »Wir heißen Sie noch einmal auf Morpok willkommen«, sagte einer von ihnen, ohne seinen Namen zu nennen. Er wollte sich an die beiden Römer wenden, doch dann blieb sein Blick an Gisol hängen. »Du bist ein Worgun«, stellte er fest. Worgun erkennen einander in jeder beliebigen Form, dachte Dhark, der sich unauffällig vergewisserte, daß die Beherrscher der Zyzzkt wie versprochen keine Waffen bei sich trugen. Eine Ausnahme in gewisser Hinsicht stellten lediglich ihre Mutanten dar. Sie waren weder für andere Worgun noch von anderen Mutanten als Angehörige der Gestaltwandler zu erkennen, konnten aber selbst die Identität normaler Worgun auf Anhieb feststellen. Ren spielte mit dem Gedanken, das aufkommende Gespräch an sich zu reißen, weil er nicht wußte, wie Gisol sich verhalten würde. Er, der schon bei direktem Kontakt mit Zyzzkt recht schnell die Fassung verlor, stand im Angesicht derer, die die Insektoiden zu ihrem Tun erst aufgestachelt hatten, zweifellos noch unter viel stärkerem Druck. Um so erstaunter war er, als sein Freund gelassen antwortete. »Mein Name ist Gisol. Ich bin sicher, daß ihr bereits von mir gehört habt.« »Gisol«, wiederholte der Mutant gedehnt. »Der Schlächter der Zyzzkt«, fügte ein anderer hinzu. »Nicht nur das. Ich war es auch, der die tödlichen Pilzsporen nach Morpok gesandt hat. Bei mir könnt ihr euch bedanken, daß ihr auf dieser Welt keine Vasallen mehr habt.« Der nachgebildete Zyzzkt machte eine abwertende Bewegung mit einer seiner Greifklauen. »Es gibt so viele von denen in Om, daß es auf ein paar Milliarden mehr oder weniger nicht ankommt. Wir können jederzeit beliebige Reserven anfordern, die an die Stelle der Toten treten.« Die Worte waren kalt wie Eis. Dhark konnte nicht entscheiden, ob die Übelkeit, die ihn übermannte, an dem Verwesungsgeruch oder der verächtlichen Aussage lag. Der Tod von Milliarden Intelligenzwesen, die sie erst in die Rolle der Unterdrücker gedrängt 264 hatten, war den Mutanten nicht nur gleichgültig, sie spotteten noch darüber. »Ich hielt die Wimmelwilden stets für die Geißel von Orn«, erklärte Gisol, und seine Stimme hatte ihre Gelassenheit verloren. Jetzt klang sie verbittert. »Und das tue ich immer noch. Doch sie sind harmlos gegen euch meine Brüder.« Er spie das letzte Wort wie einen Ruch aus. »Wir sind nicht deine Brüder.« Margun trat vor und erhob das Wort. »Ich dachte immer, wir Worgun seien alle Brüder. So wurde es mich schon in meiner Jugend gelehrt.« Sekundenlange Stille trat ein. Als der Mutant antwortete, schwang Hochachtung in seiner Stimme mit. »Margun?« Er musterte auch den anderen Römer aus seinen Facettenaugen. »Dann bist du Sola. Jedenfalls wenn wir eurer Behauptung Glauben schenken dürfen. Allerdings haben wir bisher keinen Beweis dafür erhalten, und einige in unseren Reihen zweifeln daran, daß ihr die Wahrheit sagt.« »Einen Beweis wollt ihr?« fragte Sola. »Der ist nicht schwer beizubringen.« Er berichtete in knappen Zügen von seiner und Marguns Begegnung mit Dalon, den die meisten Mutanten in
ihrem Leben zumindest einmal getroffen hatten, und ihrem weiteren Werdegang, der sie an die Spitze des neuen römischen Volks von Terra Nostra gebracht hatte. Die Details, die er nannte, konnte er unmöglich nur vom Hörensagen kennen, daher war klar, daß auch sie beide zu den beinahe unsterblichen mutierten Worgun gehörten. Dhark bemerkte, wie Unruhe die falschen Zyzzkt erfaßte, als sie begriffen, daß sie tatsächlich den legendären Erbauern der MASOL gegenüberstanden. Aufgeregt redeten sie aufeinander ein. »Wir haben in unseren Reihen stets einen Platz für euch reserviert gehalten, denn wir wußten immer, daß wir eines Tages aufeinandertreffen würden«, wandte sich der Wortführer der Mutanten schließlich wieder an die beiden Akademiepräsidenten. »Nun geschieht es endlich, und wir können euch dieses Angebot vorlegen.« Dhark beobachtete die Römer genau. Offenbar waren sie von 266 kommen überrascht und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. »Damit wir uns zu Mitschuldigen an euren Verbrechen machen?« fragte Sola schließlich. »Von welchen Verbrechen redest du?« Der Mutant klang ehrlich erstaunt. Er schien sich wirklich keiner Schuld bewußt zu sein. »Ich rede von der Unterwerfung einer ganzen Galaxis. Von der Vertreibung und Versklavung ungezählter Völker. Ich rede von galaxisweitem Massenmord, dem ihr einen unüberschaubaren Krieg folgen lassen wollt.« In den Facettenaugen blitzte es kurz auf, dann redeten die Mutanten erneut mit gedämpfter Lautstärke aufeinander ein. Dhark befürchtete, daß sie sich diese Vorwürfe nicht gefallen lassen würden, und suchte unauffällig Blickkontakt zu Amy Stewart. Gemeinsam mit den vier anderen Cyborgs stand sie ein paar Schritte abseits und verfolgte die Unterhaltung mit analytischer Nüchternheit. Amy s abwartende Körpersprache brachte ihn zu dem Schluß, daß weiterhin keine unmittelbare Gefahr drohte. Mit ihren geschärften Sinnen hätten die Cyborgs sonst längst etwas gemerkt und Alarm geschlagen. Er bedachte die junge Frau mit einem etwas zu langen Blick und konzentrierte seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Mutanten. »Was wir getan haben, waren keine Verbrechen«, erklärte deren Wortführer gerade. »Wir haben uns nur die Freiheit genommen, die uns früher verwehrt blieb.« »Freiheit?« echote Gisol verständnislos. »Was ist das für eine Freiheit, die ihr euch auf Kosten der Unterdrückung eures eigenen Volks nehmt? Und zahlreicher anderer Völker? Wovon redet ihr Überhaupt?« »Davon daß wir früher Ausgestoßene waren«, verteidigte sich der Mutant vehement. »Ausgestoßen von den Worgun und von alkn anderen. Als wir die fremde Gestalt angenommen haben, wurden wir nicht mehr als Worgun erkannt. Dabei haben wir nicht darum gebeten, daß uns dieses Schicksal ereilt. Es ist einfach so gekommen.« »Kein Worgun hätte euch jemals vertrieben«, widersprach Sola. ^Gleichgültig, in welcher Gestalt ihr auf Epoy gelebt hättet.« 267 »Niemand hat uns vertrieben. Wir sind freiwillig gegangen, um den Neid der anderen nicht ertragen zu müssen. Wir wenigen sind relativ unsterblich, einen besseren Grund für Neid und Mißgunst gibt es nicht. Wir konnten einfach nicht mehr unter anderen Worgun weiterleben.« »Ihr habt es wahrscheinlich nicht einmal versucht.« Der Mutant gab ein heiseres Lachen von sich. »So wie du und Margun. Auch ihr habt die Heimat verlassen, um euch unerkannt unter Fremden zu verstecken.«
Sola schwieg, und Dhark spürte seine Betroffenheit über den Vorwurf, der sich faktisch nicht so einfach von der Hand weisen ließ. »Aber wir haben niemanden unterworfen oder gar getötet«, verteidigte Margun die Handlungsweise der beiden Akademiepräsidenten. »Im Gegenteil haben wir mit unserem Wissen dazu beigetragen, die Römer in ihrer Entwicklung weiterzubringen.« »Aber nur aus Eigennutz. Ihr habt sie belogen, um euch unerkannt an ihre Spitze zu setzen. Ich sehe keinen Unterschied zu dem, was wir taten. Wir machen euch keinen Vorwurf, doch ihr dürft auch uns keinen machen. Unsere Entscheidung half uns, zum ersten Mal wirklich frei zu sei, und rein instinktiv gingt ihr den gleichen Weg.« »Frei?« mischte sich Ren Dhark ein. Er hatte genug gehört und lange genug geschwiegen, um sich ein Bild machen zu können. »Wenn es euch wirklich nur darum gegangen wäre, hättet ihr euch nicht gegen euer eigenes Volk wenden müssen.« Der Worgunmutant sah ihn aus seinen schimmernden Facettenaugen an. »Du kannst das nicht verstehen, denn du gehörst einem fremden Volk an. Dort hast du dich wahrscheinlich nie als Ausgestoßener gefühlt, so wie wir es taten. Die Worgun stellten eine Bedrohung für uns dar, die wir nicht ignorieren durften. Sie hätten unsere Herrschaft niemals akzeptiert, deshalb blieb uns keine andere Wahl, als Maßnahmen gegen sie zu ergreifen.« »Maßnahmen, welch verniedlichender Euphemismus«, murmelte Gisol. »Da kamen euch die Zyzzkt gerade recht. Eine stärkere Waffe als ihre natürliche Vermehrungsrate hättet ihr niemals finden können.« 268 »In der Tat spielte uns das Schicksal mit ihnen das ideale Werkzeug in die Hände. Sie waren willfährig und gehorsam. Ganz so, als hätten sie nur darauf gewartet, daß jemand kommt, der sich ihrer annimmt und ihren künftigen Weg bestimmt.« »Aber eines verstehe ich nicht. Früher habt ihr die Worgun verschont und euch erst vor ein paar Jahrhunderten gegen sie gestellt.« »Weil wir sie früher noch brauchten, denn allein aus ihren Reihen gingen weitere Mutanten hervor. Auch wenn wir relativ unsterblich sind, blieb unsere Zahl nicht konstant, denn gegen Gewalt oder Unfälle sind auch wir nicht gefeit. Daher brauchten wir die Worgun als Nachschublieferanten.« »Eine Situation, die sich irgendwann änderte«, schloß Dhark. »Ihr habt einen Weg gefunden, diese Abhängigkeit auszuschalten.« »Wir haben Verfahren entwickelt, die es uns ermöglichen, uns zu klonen, und konnten von da an unsere Zahl permanent erhalten oder gar vergrößern, wenn uns danach war. Das war vor etwa zweihundert Jahren. Damals begriffen wir, daß wir endgültig frei waren und die Worgun nicht länger benötigen. Vielmehr erkannten wir, daß sie eine Gefahr für uns darstellen, die wir um jeden Preis ausschalten mußten.« »Und das habt ihr getan«, flüsterte Gisol. Bebend stand der täuschend echt nachgebildete Mensch da. Er schwankte vor Erschütterung wie Schilfrohr im Wind. »Diese Schuld werdet ihr niemals wieder gutmachen können, gleichgültig wie alt das Universum auch wird.« Dhark konnte sich vorstellen, was in seinem Freund vor sich ging. Die Tatsache, daß nicht die Insektoiden die Worgun unterworfen hatten, sondern andere Worgun, war viel tragischer als alles andere. Auch wenn sie die Wahrheit durch Pnurrsk bereits kannten, hatte der Rebell der Mysterious bis zuletzt gezweifelt. Doch die Offenbarungen der Mutanten zerstörten sämtliche verbliebenen Hoffnungen Gisols, nicht bei Angehörigen seines eigenen Volks nach den Drahtziehern der Tragödie suchen zu müssen. »Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?« fragte Ren. »Die Zustände in Om ändern sich dramatisch. Ihr wißt, daß wir zu euch 269
gekommen sind, um endlich den Frieden zu erreichen. Die Kämpfe und die Unterdrückung müssen endlich enden, bevor es zu einem allesvemichtenden Krieg kommt.« Der Sprecher der Worgunmutanten ignorierte ihn. Bewegung kam in den übergroßen Zyzzktkörper, und Dhark registrierte die kaum merklichen Reaktionen der Cyborgs, die sich auf einen Angriff einstellten. Doch unmittelbar vor Margun und Sola blieb der Fremde stehen. »Ihr seid wie wir und gehört nicht zu den anderen«, sagte er. »Schließt euch uns an, uns, euren wahren Brüdern. Gemeinsam werden wir für alle Zeiten für Ruhe in Om sorgen.« Bei der Aufforderung krampften sich Dharks Eingeweide zusammen. Ihm war klar, von was für einer Art Ruhe der Mutant sprach. Von der Ruhe eines Friedhofs. Und Margun und Sola sollten die endgültigen Totengräber für die Galaxis sein. Gisol starrte die legendären Konstrukteure der POINT OF an. Seine Züge waren wie aus Stein gemeißelt angesichts der ungeheuerlichen Offerte der abtrünnigen Worgun. Auch Ren Dhark wunderte sich gewaltig, aber nach kurzem Überlegen begriff er, wieso die Mutanten Margun und Sola auf ihre Seite ziehen wollten. Sie fürchteten die geballte römische Schlagkraft, die hinter den beiden Männern stand, und versuchten sie auf diese Weise zu neutralisieren. »Wir sind gern bereit, in freundschaftliche Beziehungen zu euch zu treten«, formulierte Margun vorsichtig, um die Mutanten nicht offen zu brüskieren. »Denn nur auf Freundschaft und Vertrauen können ein künftiger Friede und das gleichberechtigte Miteinander aller Völker Oms basieren.« »Es gibt bereits einen Frieden«, konterte der Renegat. »Er wird bis in alle Ewigkeit bestehen, und nichts wird sich daran ändern.« »Es ist kein Friede. Jedenfalls nicht in den Augen der Völker Oms.« 270 »Wohl aber in unseren, und allein daraufkommt es an.« In diesem Moment begriff Dhark, daß den abtrünnigen Worgun nicht wirklich etwas an einer Verständigung lag. Zu diesem Treffen kam es allein aufgrund der jüngsten Rückschläge der Zyzzkt und der Hoffnung der Mutanten, Margun und Sola, in denen sie offenbar tatsächlich so etwas wie Geistesverwandte sahen, auf ihre Seite zu ziehen. »Wie stellt ihr euch das vor?« dachte Sola laut nach. »Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, daß wir uns eurer Politik der Unterwerfung anschließen? Welchen Wert haben wir für euch?« »Bisher hatten wir alles unter Kontrolle«, erklärte der Wortführer der Mutanten bereitwillig. »Es gab keine Probleme, die wir nicht in kurzer Zeit lösen konnten. Doch durch das Erstarken der Widerständler von Gardas beginnen sich die Machtverhältnisse zu verschieben, zumal sie über neuartige Waffensysteme verfügen und eine Methode entwickelt zu haben scheinen, AlaMetall in unbegrenzten Mengen herzustellen.« Daher wehte also der Wind. Die Herrscher der Zyzzkt hatten von den Möglichkeiten der Römer erfahren, das kostbare Superschwermetall zu produzieren. Die Kenntnis hatte ihre Begehrlichkeit geweckt, was Ren gut nachvollziehen konnte. Seit Jahrhunderten lebten sie mit dem Mangel an Tofirit, das sie dringend für den effektiven Betrieb ihrer Raumschiffe benötigten. Nun bot sich endlich eine Chance, an ausreichende Mengen davon zu kommen. Die Worte des Mutanten bestätigten seine Vermutung. »Wir empfangen euch auch nicht mit leeren Händen. Im Gegenzug für das Verfahren zur Erzeugung des Alas bieten wir jedem von euch eine eigene Galaxis, über die er herrschen kann.« Gisol ließ hörbar die Luft entweichen. »Eine davon soll wohl Nai sein«, flüsterte er, damit die Abtrünnigen seine Worte nicht hörten. »Ich habe dich immer gewarnt, Ren.« »Ich vertraue Margun und Sola«, gab Dhark in der gleichen Lautstärke zurück. »Sie sind unsere Freunde und Verbündeten und haben keinen Grund, sich auf einen solchen Kuhhandel einzulassen.« »Wir brauchen keine solche Macht«, wehrte Sola ab. »Niemand darf darüber verfügen, auch nicht ihr.«
271 »Ihr wollt auf eine ganze Galaxis verzichten?« Die Stimme des falschen Zyzzkt troff vor Überraschung. Anscheinend war ihm völlig unbegreiflich, wie jemand ein solch großzügiges Angebot ablehnen konnte. »Ihr solltet noch einmal darüber nachdenken, bevor ihr eine voreilige Entscheidung trefft.« »Da gibt es nichts zu überlegen«, bestätigte Margun die ablehnende Haltung seines Freundes und Kollegen. Unruhe kam in die Reihen der Mutanten. Wild redeten sie durcheinander, weil sie es nicht fassen konnten. Ren ließ sie nicht aus den Augen. Bei all dem, was sie in der Vergangenheit angerichtet hatten, verfügten sie dennoch über ein unerklärliches Maß an Naivität, die nicht zu machthungrigen Wesen paßte, die eine ganze Galaxis in die Knie gezwungen hatten. »Was scheren euch die niederen Völker Oms? Dir seid nicht wie sie, ihr seid wie wir. Auch ihr seid Worgunmutanten, die von niemandem anerkannt werden.« »Von mir sehr wohl«, beschied Gisol. »Und von den Menschen in Nai ebenfalls«, versetzte Dhark. »Wir urteilen nicht danach, in welcher Gestalt jemand auftritt. Auch nicht danach, wie hoch seine Lebenserwartung ist. Wir tun dies nicht bei Margun und Sola, und auch nicht bei euch. Ihr macht euch etwas vor, denn die Toleranz anderer Wesen ist viel größer, als ihr glaubt.« Sola neigte den Kopf und lächelte, doch die Mutanten konnten oder wollten Rens Worte nicht glauben. »Wir können diese Entscheidung nicht akzeptieren.« Von einem Moment auf den anderen kippte die Stimmung. Aggressivität und eine unverhohlene Drohung dominierten die Stimme ihres Sprechers. »Euch bleibt keine andere Wahl, als genau das zu tun.« »Das werden wir nicht. Wir sind es gewohnt, uns zu nehmen, was man uns nicht gibt.« Aha, dachte Ren. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Er stieß einen stummen Fluch aus. Statt in seinen Bestrebungen auch nur einen Schritt vorangekommen zu sein, drohte die Lage zu eskalieren. Das Gespräch hatte einen ganz anderen Verlauf genommen als 272 beabsichtigt, und es erschien ihm beinahe unmöglich, es zurück auf den richtigen Kurs zu bringen. Ein schleifendes Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Aus den Augenwinkeln erkannte er hektische Bewegungen. Bis eben verborgene Luken öffneten sich schneller, als Blicke folgen konnten. Wo gerade noch fester Untergrund gewesen war, prangten Schächte, aus denen Ströme von Zyzzkt-Herrschem quollen. Schwerbewaffnet! »Nichts unternehmen!« entschied er gedankenschnell, als er erkannte, daß die Cyborgs sich auf die Angreifer stürzen wollten. Doch gegen diese Übermacht hatten auch sie keine Chance. Nadelstrahlen aus Dutzenden schwerer Kombiwaffen, die von allen Seiten auf die Besucher gerichtet waren, würden Dharks Eskorte trotz der überlegenen körperlichen Eigenschaften in Sekundenschnelle atomisieren. In den Abstrahlmündungen der Waffen schimmerte es unheilverkündend. 273 18. Schwergewicht, Halbglatze, Bart, hochintelligent eingebauter Suprasensor, Kugellager und Saugnäpfe an den Pfoten, Energiestrahler in der ausfahrbaren Zunge anmutig, undurchschaubar, beherrscht zahlreiche asiatische Kampftechniken... eine Vielzahl von Attributen, die auf ein seltsam verformtes Superwesen schließen ließen, in Wahrheit aber zu drei Personen gehörten.
Genaugenommen handelte es sich um zwei Personen und eine Maschine, die allerdings bis zu einem gewissen Grad Persönlichkeit entwickelt hatte. An Roboterhund Jimmy, der einem Scotchterrier nachempfunden war, waren nicht nur die Füße und die Zunge bemerkenswert; er verfügte über diverse Zusatzgeräte, die er bei Bedarf selbst programmieren konnte. Zudem bildeten sich in seinen diffizilen Schaltkreisen immer wieder Subprogramme, die ihn weitgehend selbständig agieren ließen. Sein schwergewichtiger, bärtiger Konstrukteur Chris Shanton hatte bei der Errichtung eines bedeutsamen Teils der solaren Verteidigungsanlagen mitgewirkt: den Ast-Stationen. Mehrere hundert Asteroiden waren zu Abwehrfestungen ausgebaut und teilweise auf neue Umlaufbahnen gebracht worden. Ein Meisterstück der Technologie nicht das einzige, das der geniale Diplomingenieur im Lauf seines siebenundvierzigjährigen Lebens abgeliefert hatte. Kein Wunder, daß ihn die Regierung bei technischen Schwierigkeiten aller Art gern zur Beratung hinzuzog. Auch die zierliche, anmutige Chinesin Liao Morei füngierte des öfteren als Beraterin, obwohl sie sechzehn Jahre jünger und entsprechend unerfahrener als Shanton war. Sie arbeitete für Wallis Industries als Leiterin des Sicherheitsdienstes, wurde aber vom Firmeninhaber Terence Wallis meist für andere Zwecke eingesetzt. 274 Ihr aktueller Auftrag lautete, sich um Chris Shanton zu kümmern und ihn gegebenenfalls auf eine falsche Fährte zu locken. Shanton stand nämlich kurz davor, herauszufinden, wohin Wallis seinen Firmensitz demnächst zu verlegen beabsichtigte nicht nach Australien, wie er überall verlauten ließ, sondern nach Eden, einem in seinem Privatbesitz befindlichen Planeten im Kugelhaufen M 53, Sternbild Coma. Die Abreise sollte im Herbst stattfinden, nach der Wahl des neuen Commanders der Planeten. Das höchste Amt auf Erden wurde augenblicklich noch von Ren Dhark bekleidet. Doch das würde sich ändern, und auch deshalb wurde das achtzig Quadratkilometer große WallisStammwerk bei Pittsburgh, Pennsylvania, derzeit zu einer Art fliegender Stadt umgerüstet. Zu diesem Zweck zog man ein gänzlich neues Fundament unter das Gelände, bestehend aus einem außergewöhnlichen Verbundwerkstoff namens Carborit. Shanton hatte sich unbefugt in den Tunneln unter dem Werk herumgetrieben und wäre dem Geheimnis beinahe auf die Spur gekommen. Aber eben nur beinahe... Eigentlich hatte ihn lediglich der Zufall auf Terence Wallis' Aktivitäten aufmerksam gemacht. Bei der Entwicklung eines effektiveren und gleichzeitig billigeren terranischen Transmittemetzes war Chris aufgefallen, daß jemand den Markt für Transmitterteile praktisch leerkaufte. Daß Wallis Industries gerade dabei war, eine Transmitterstraße durchs All zu bauen, um den Handelsverkehr zwischen Eden und der Erde sowie den Tofiritabbau im Achmed-System zu erleichtem, ahnte der Dicke (wie ihn sein Roboterhund zuweilen nannte) bislang nicht. Noch nicht. Liao sollte dafür sorgen, daß es vorerst dabei blieb. Dummerweise hatte Shanton sie in den Tunneln niedergeschlagen. Nicht absichtlich, mehr aus Versehen, aus einem Reflex heraus, was sie ganz besonders ärgerte. Eine wendige Kampfsportexpertin wie sie schlug man nicht einfach so nieder, auch dann nicht, ^enn man vor Saft und Kraft kaum gehen konnte. Nun war es Shanton, der am Boden lag, auf einer menschenleeren Toilette des Raumhafens von Alamo Gordo. Liao Morei hatte . Aoi dort aufgelauert. Erst hatte sie den Roboterhund außer Ge 275
fecht gesetzt, dann sein Herrchen mit einem einzigen gezielten Schlag auf die Kinnspitze. Chris Shanton war hart im Nehmen. Schon nach wenigen Sekunden kam er wieder zu sich. Liao kniete auf ihm. Sie hatte es sich gemütlich gemacht wie auf einem besonders flauschigen Sofakissen. Perplex starrte er sie an. »Sie, Miß Moräne?« »Morei«, verbesserte sie ihn. »Liao, für meine Freunde.« »Sind wir denn Freunde?« fragte er. »Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie mir gerade einen harten Schlag verpaßt.« »Und wenn schon«, entgegnete die kleine Asiatin lächelnd. »Ein großer starker Bär wie du kann einiges vertragen. Wußtest du eigentlich, daß du bisher der einzige Mann bist, dem es gelungen ist, mich mit einem Schlag niederzustrecken? Das konnte ich schlecht auf mir sitzenlassen, deshalb habe ich hier auf dich gewartet, um es dir heimzuzahlen. Jetzt sind wir quitt.« »Heimtücke, dein Name ist Weib«, brummelte Chris. »Geh sofort runter von mir!« Liao beugte sich nach vom und gab dem überraschten Mann einen Kuß auf die Lippen. »Du bist zwar nicht mein Typ, doch du hast mich schwer beeindruckt«, hauchte sie. »Ich wollte dich nicht auf die Asteroiden verschwinden lassen, ohne dir das zu sagen.« »Du weißt, daß ich nach Ast1 reisen will?« fragte Shanton verblüfft. »Ist man denn bei Wallis Industries über jeden meiner Schritte informiert?« Jimmy fiel ihm ein. Der Hund war bei den Waschbecken plötzlich umgekippt. Shanton richtete sich auf, ohne Rücksichtnahme auf Liao, die auf seinem Bauch kniete und nun nach hinten fiel. Sie machte einen Überschlag und kam mit einem eleganten Sprung auf die Beine. Chris rappelte sich ebenfalls hoch, was allerdings weniger elegant wirkte. Er begab sich zu den Waschbecken und beugte sich besorgt über den reglosen, auf der Seite liegenden Robothund. Liao zückte ein kleines Gerät und betätigte eine Sensortaste. Daraufhin kam wieder »Leben« in Jimmy. Er sprang auf und ver 276 „ suchte sofort, seinen unbekannten Gegner ausfindig zu machen. il Wer oder was hatte seine Funktionen lahmgelegt? Seine Sensoren erfaßten das Gerät in Liaos Hand. Angriffslustig fuhr er seine Zungenwaffe aus. »Aktion abbrechen!« befahl ihm Shanton. Jimmy tat so, als wäre er taub. Der Miniapparat stellte eine Gefahr für ihn dar und mußte vernichtet werden mitsamt dessen Besitzerin, falls sie es darauf anlegte. »Fahr deine Zunge wieder ein, oder ich reiße sie dir ab und schmeiße sie in den nächsten Gully!« drohte Jimmys Erschaffer. Diesen Umgangsjargon verstand der Roboterhund, so war er es von seinem Herrn gewohnt. Gehorsam brach er den Angriff auf Liao ab. »Was ist das für ein Gerät?« wollte Shanton von ihr wissen. »Ein ganz spezieller Störsender, allerdings noch in der Testphase«, gab sie ihm Auskunft. »Mit menschlichen Angreifem werde ich meist spielend fertig. Moderne Kampfroboter bereiten mir allerdings gewaltige Probleme. Mit Hilfe einiger Wallis-Experten versuche ich daher, eine handliche Abwehrwaffe zu entwickeln, mit der man auf Tastendruck sämtliche Funktionen einer Kampfmaschine schlagartig abschalten kann. Leider klappt noch längst nicht alles wie gewünscht.« »Ach nein? Der Sender hat doch perfekt funktioniert.« »Bisher aber nur bei Jimmy, und der ist nicht repräsentativ. Es handelt sich bei ihm sozusagen um einen Ausnahmeroboter.« »Und darauf bin ich mächtig stolz«, warf der Robothund ein. »Nebenbei bemerkt: Auch du bist ein Ausnahmefall. Es gibt sicherlich nicht viele Frauen, die sich auf Herrentoiletten herumtreiben.«
»Sei nicht so frech!« ermahnte Chris ihn.
»Er hat ja recht«, entgegnete Liao lächelnd. »Höchste Zeit, daß ich von hier wegkomme.«
Sie begab sich zur geschlossenen Tür. Shanton und Jimmy folgten ihr.
277
»In diesem Teil des Raumflughafens gibt es außer mir garantiert noch andere >Bedürftige<«,
bemerkte Chris. »Wie hast du es geschafft, alle von hier fernzuhalten, Liao?«
Wortlos öffnete die Chinesin die Eingangstür zum Waschraum womit sich Shantons Frage
von allein beantwortete. Im Türrahmen stand der Reinigungsroboter und führte seltsame
Verrenkungen auf. Wild gestikulierte er mit seinen Metallarmen und beinen, wie bei einer
Turnübung. Es war unmöglich, an ihm vorbeizukommen.
»So benimmt er sich, seit ich den Störsender auf ihn gerichtet habe«, flüsterte Liao Chris zu.
»Obwohl der Roboter bedrohlich wirkt, stellt er keine wirkliche Gefahr dar; er ist nur ein
bißchen, na ja, durchgeknallt.«
Zahlreiche Männer hatten sich vor dem Zugang zu den Toiletten versammelt, aber keiner von
ihnen wagte es, an dem außer Kontrolle geratenen »Türwächter« vorbeizugehen.
Jemand rief lautstark nach dem Flughafensicherheitspersonal. Einer betonte laufend, daß er
einen wichtigen Termin habe, und ein anderer regte an, die nebenan gelegenen
Damenwaschräume zu stürmen.
Unauffällig richtete Liao das Gerät erneut auf den Arbeitsroboter. Innerhalb weniger
Sekunden stellte er seine merkwürdigen Aktivitäten ein und verhielt sich wieder normal. Er
drehte sich um und schickte sich an, seinen Verrichtungen nachzugehen und eine Gruppe
Männer drängte sich an ihm vorbei, um das gleiche zutun.
Ohne daß sie besonders beachtet wurden, gelangten Shanton, Morei und Jimmy nach draußen
in die Flughalle. Da Chris bis zum Abflug seiner Fähre noch etwas Zeit hatte, lud er Liao auf
einen Kaffee in die Raumhafen-Cafeteria ein.
Dort kam er erneut auf ihren Störsender zu sprechen.
»Die Anwendung dieses Gerätes ist viel zu gefährlich. Stell dir vor, du hättest es auf einen mit
Waffen ausgestatteten Kampfroboter gerichtet, und der hätte dann vor den Toiletten wild um
sich geschossen... hast du was dagegen, wenn ich es mal näher unter die Lupe nehme?
Vielleicht entdecke ich technische Möglichkeiten, auf die man bei Wallis Industries noch
nicht gestoßen ist.«
Liao Morei wußte, mit was für einem Allroundgenie sie hier am
278
Tisch saß und Tee und Kaffee trank. Deshalb hatte sie auch keine Bedenken, ihm das
Spezialgerät leihweise zu überlassen. Chris steckte es in seine Jackentasche und wechselte
sofort das Thema.
Shanton kam in der Cafeteria auf die weltweiten Lieferprobleme für Transmitterbauteile zu
sprechen, die ja der Grund für seinen Besuch bei Wallis Industries gewesen waren. Auch dort
hatte man ihm eine Lieferabsage erteilt, zumindest für dieses Jahr. Erst ab Januar 2060 würde
Terence Wallis die Regierung beliefern zum halben Preis, so hatte er es versprochen.
»Zahlt er bei derart günstigen Konditionen nicht drauf?« fragte er Liao. »Wie kann er
überhaupt so sicher sein, daß der Lieferengpaß im Januar beseitigt ist?«
»Weil er bis dahin sein Produktionsverfahren umgestellt hat«, behauptete die Gefragte. »Die
Werkshallen in Australien werden nach völlig neuen Gesichtspunkten gestaltet, so daß
schneller und billiger produziert werden kann. Mehr darf ich dir nicht darüber sagen, um die
laufenden, hochgeheimen Patentverfahren nicht zu gefährden.«
»Ja, ja, ich weiß, daß du deinem Brötchengeber gegenüber zur Loyalität verpflichtet bist«,
zeigte Shanton Verständnis. »Doch wem schadet schon ein klitzekleiner Hinweis?«
»Der Firma und mir. Mal angenommen, du würdest ein Buch schreiben...« »Keine schlechte Idee, obwohl meine Memoiren sicherlich kein Aas interessieren.« »... beispielsweise einen mehrteiligen Fortsetzungsroman. Nach Erscheinen der ersten Bände löchern dich einige Leser fortwährend, ihnen zu verraten, was im letzten Band geschrieben steht. Du aber hast dich dem Verlag gegenüber zum Stillschweigen verpflichtet. Wie würdest du dich entscheiden?« Shanton zuckte mit den Schultern. »Sicherlich würde ich keine Zeile verraten, ich pflege mein Wort immer zu halten. Andererseits könnte man den Lesern ja ein paar Tips geben, um sie noch neugieriger zu machen.« 279 »Dann mußt du aber höllisch achtgeben, daß du dabei nicht zu weit gehst. Verrätst du zuviel, setzt dir der Verleger den Stuhl vor die Tür und sucht sich einen verschwiegeneren Autor. Ich sitze lieber drinnen statt draußen, ich hänge nämlich an meiner Arbeit. Darum erfährst du von mir nichts.« Shanton leerte seine Tasse Kaffee mitsamt den dazugehörigen beiden Gläsern Cognac und erhob sich dann in voller Größe von seinem Platz. »Bist du mir jetzt böse?« fragte ihn Liao. Chris schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, aber meine Fähre wurde gerade aufgerufen. Danke, daß du mir die Zeit bis zum Abflug verkürzt hast. Ich trinke meinen Kaffee gern in angenehmer Gesellschaft. Sehen wir uns mal wieder?« Er rechnete damit, einen Korb zu kriegen, schließlich war er alles andere als ein Frauentyp. Zu seiner Überraschung schlug Liao ohne zu zögern das kommende Wochenende vor. Shanton hatte zwei Plätze in der Fähre gebucht, einen für sich, einen für Jimmy. Letzterer hatte in der Cafeteria die ganze Zeit über schweigend unter dem Tisch gehockt. Als sich das Gefährt in die Luft erhob, hielt er sich nicht mehr länger zurück. »Hast du schon mal in den Spiegel geguckt. Dicker? Du siehst aus wie ein verliebtes Flußpferd, das soeben vom nächtlichen Fruchtbarkeitstanz zurückgekehrt ist.« Ganz gegen seine Gewohnheit regte sich Chris nicht auf. »An deiner Stelle wäre ich etwas freundlicher zu mir«, sagte er ruhig. »Andernfalls schmeiße ich das Gerät, das ich mir von Liao geliehen habe, in den nächstbesten Schredder.« »Prima Idee«, meinte Jimmy. »Dann kann es mir wenigstens nicht mehr schaden.« »Glaubst du wirklich, es gibt davon nur dieses eine? Wallis' Techniker bauen die Dinger jederzeit problemlos nach. Deshalb werde ich das Gerät auf Ast1 total auseinandemehmen und mich auch mit deinem Innenleben ausgiebig beschäftigen. Wenn ich dich dann wieder zusammengesetzt habe, kann dich niemand mehr einfach so abschalten, verlaß dich darauf. Wallis Industries verfügt über eine Menge schlauer Köpfe, doch für jede Waffe, die irgend 280 wo gebaut wird, wird irgendwann eine Abwehrwaffe entwickelt. Und die Abwehrwaffe gegen die Abwehrwaffe.« »Das bin ich für dich? Eine Waffe? Sonst nichts?« Hätte Chris Shanton nicht genau gewußt, daß er eine Maschine konstruiert hatte, hätte er angenommen, Jimmy sei ernsthaft gekränkt. Doch das war unmöglich. Die vermeintliche Kränkung war nichts weiter als eine perfekte Simulation. Roboter kannten keine Gefühle. »Und ich dachte immer, ich sei dein Freund«, fügte der Hund beleidigt hinzu. »Wohl kaum«, entgegnete sein Erschaffer, der ebenfalls einen beleidigten Unterton an den Tag legte. »Ein Freund hätte mich niemals ein verliebtes Flußpferd genannt.« In den darauffolgenden Wochen nahm sich »das Flußpferd« immer mal wieder einen Tag oder wenigstens ein paar Stunden frei, um sich auf der Erde mit der bezauberndsten Chinesin von allen zu treffen. Anfangs ließ er seine vorlaute Hundekonstruktion jedesmal auf dem
Asteroiden zurück, doch nachdem Jimmy hoch und heilig versprochen hatte, sich zu benehmen, erlaubte er ihm, ihn zu begleiten. »Wehe, ich höre auch nur eine einzige Anzüglichkeit von dir!« warnte er den Roboterhund, während beide am späten Nachmittag durch die brechend volle Innenstadt von Pittsburgh spazierten. »Wenn du nichts Gescheites zu sagen hast, halte gefälligst den Mund, klar? Andernfalls bleibst du künftig wieder zu Hause.« »Zu Hause?« wiederholte die vierbeinige Maschine. »Du hast dich auf dem Asteroiden zwar halbwegs wohnlich eingerichtet, aber ein richtiges Zuhause ist das nicht. Ast1 ist lediglich unser Arbeitsplatz.« »Du hast recht«, pflichtete Chris seinem »Arbeitskollegen« bei. »Unruhige Geister wie du und ich wohnen nirgendwo wirklich ^vir lassen uns nur da und dort mal für eine Zeitlang nieder. Geregelter Feierabend, ein Häuschen im Grünen, eine Schar spielender Kinder im Garten... das ist nichts für meines Vaters Sohn. Viel 281 leicht fühle ich mich deshalb so sehr zu Liao hingezogen. Sie nimmt mich, wie ich bin, und erwartet nicht mehr von mir, als ich ihr zu geben bereit bin. Umgekehrt liebt auch sie ihre Unabhängigkeit über alles, und ich wäre der letzte, der von ihr verlangen würde, ihren Freiheitsdrang zu unterdrücken.« Mühevoll kämpfte sich Chris per Ellbogentaktik durch die Einkaufszonen im Stadtkern. Er hatte den Eindruck, daß sich an diesem sonnigen Tag sämtliche rund 370 000 Einwohner von Pittsburgh hier verabredet hatten plus die gleiche Anzahl von Touristen. »Weißt du überhaupt, wo wir hier sind?« fragte Jimmy ihn. »So ungefähr«, antwortete Shanton nachdenklich. »Ich suche ein ganz bestimmtes Lokal. Der Name ist mir entfallen, die Straßenbezeichnung leider auch doch ich weiß genau, wie der Eingangsbereich aussieht. Über der Tür hängt ein großer Anker. Ist hier allerdings keine Seltenheit, schließlich verfügt diese Stadt über einen bedeutenden Binnenhafen, den Endpunkt der Schifffahrt auf dem Ohio.« »Nun hört euch den dicken Spinner an!« vernahm er hinter sich eine laute männliche Stimme. »Der quatscht mit seinem Köter.« »He, ich habe daheim ein Meerschweinchen!« rief ein zweiter Mann. »Du könntest ihm deine komplette Lebensgeschichte erzählen, es ist ein guter Zuhörer.« Chris blieb stehen und drehte sich langsam um. Zwei offensichtlich angetrunkene, kräftig gebaute Kerle vom Typus »Axt im Walde« standen ihm gegenüber und schüttelten sich vor Lachen aus. Shanton mochte fröhliche Menschen, deshalb war er ihnen nicht böse. Die beiden sahen wie Brüder aus, hatten jedoch kraß unterschiedliche Haarfarben: blond und schwarz. »Hat dir dein Hund schon mal geantwortet?« fragte ihn der Blonde. »Hat er«, erwiderte der Ingenieur wahrheitsgemäß, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber ich bin nicht immer mit allem einverstanden, was er sagt. Erst kürzlich diskutierte ich mit ihm über JeanPaul Sartres philosophischliterarisches Gesamtwerk, wobei wir völlig unterschiedliche Ansichten vertraten, was die Sinnlehre der Existenz angeht. Meiner Ansicht nach interpretiert mein Hund 282 die 1943 erschienene Niederschrift >Das Sein und das Nichts < völlig falsch. Was meinst du dazu, Jimmy?« Shanton und seine geniale Konstruktion hatten sich schon des Öfteren in ähnlichen Situationen befunden. Normalerweise antwortete Jimmy irgend etwas Hochintelligentes und brachte damit die Spötter zum Schweigen. Diesmal reagierte er aber nur wie ein ganz normaler Hund mit einem herzhaften Kläffen. Der Blonde und der Schwarzhaarige sowie einige Neugierige, die stehengeblieben waren, brachen in herzhaftes Gelächter aus.
Shanton beugte sich zu Jimmy herab.
»Sag gefälligst was, du heimtückische Töle«, flüsterte er ihm zu. »Sonst bin ich blamiert bis
auf die Knochen.«
»Leider fällt mir gerade nichts Gescheites ein«, erwiderte Jimmy genauso leise. »Also halte
ich den Mund, wie du es mir befohlen hast.«
Ärgerlich ging Shanton weiter, tauchte in der Menge unter. Sein Roboter folgte ihm wie ein
gehorsames Hündchen und wenn er gekonnt hätte, hätte er sich eins gegrinst.
Chris spürte eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. Der Blonde war ihm
nachgegangen.
»He, das war doch nicht so gemeint«, entschuldigte er sich. »Ich heiße Geoffrey. Mein
Kumpel Josh und ich sind nicht mehr ganz allein. Wir haben einen kleinen Affen mit dabei,
verstehst du?«
»Und ob«, sagte Shanton naserümpfend. »Der Affe trägt deine Fahne tapfer voran. Höchste
Zeit, daß ihr irgendwo euren Rausch ausschlaft.«
»Spinnst du? Der Tag fängt doch gerade erst an. Du hast vorhin irgendwas von einem Gasthof
mit einem Anker geplappert. Wahrscheinlich meinst du >The Ship<. Wenn du Josh und mir
dort einen ausgibst, zeigen wir dir das Lokal.«
»Kein Problem, vorausgesetzt, man läßt euch beide herein«, entgegnete Chris versöhnlich.
»Das soll ein stinkvomehmer Schuppen sein.«
Liao Morei hatte ihm »The Ship« als Luxusrestaurant geschildert, mit kleinen Portionen und
großen Preisen. Wahrscheinlich Würde er dort die gesamte Speisekarte rauf und runter futtern
müs^n, um halbwegs satt zu werden.
283
Shanton, Geoffrey und Josh nahmen am einzigen noch freien Tisch im Gastraum Platz,
Jimmy darunter.
»Glück gehabt«, meinte Josh. »Meistens müssen wir stehen. Pauls Nobelgaststätte ist
ziemlich begehrt.«
Paul hieß der spindeldürre Wirt. Er stand hinter der Theke und trocknete mit einem
schmuddeligen Lappen, der prächtig mit seiner verschmutzten Schürze harmonierte, schlecht
gespülte Biergläser ab.
Chris Shanton liebte Faßbier über alles und hatte für die amerikanische Unsitte, in
Gasthäusern überwiegend Flaschenbier zu servieren, noch nie viel übriggehabt. Heute zog er
es allerdings vor, eine Flasche zu bestellen.
»Geschlossen bitte«, sagte er. »Ich öffne sie mir selbst hier am Tisch.«
»Ist wirklich nicht nötig«, erwiderte die nicht mehr ganz taufrische Serviererin. »Das erledige
ich gern für Sie, drüben an der Theke. Gehört zum Kundenservice.«
»Danke, verzichte«, lehnte Shanton nachdrücklich ab. »Ich möchte sicher sein, daß ich ein
frisches Bier bekomme, keine zusammengekippten Reste.«
Geoffrey und Josh bestellten sich Einliterkrüge und doppelte Schnäpse, auf Shantons Kosten.
Chris bezweifelte allmählich, daß sie ihn ins richtige Lokal geführt hatten. Zwar hing über der
Eingangstür von »The Ship« tatsächlich ein großer Anker, doch hier sah es völlig anders aus,
als Liao es beschrieben hatte.
Die Stühle und Tische der »Nobelgaststätte« hatten mit Sicherheit schon mal bessere Tage
gesehen und die Gäste auch.
Paul brachte die Getränke persönlich an den Tisch. Mit mürrischer Miene musterte er Shanton
von oben bis unten.
»Zwei Bier vom Faß, zwei Doppelte«, knurrte er. »Und eine geschlossene Flasche für den
Gast mit dem Hygienetick.«
Chris ließ sich nicht provozieren.
Schweigend langte er in seine Hosentasche, holte einen Kap284
seiheber hervor, öffnete die Flasche und leerte sie in einem Zug. »Genug amüsiert für heute«, sagte er, nachdem er die Flasche auf dem Tisch abgestellt hatte. »Was bin ich Ihnen schuldig?« »Du willst schon gehen?« wunderte sich Josh. »Jetzt, wo es anfängt, richtig gemütlich zu werden?« »Ist es Euer Hochwohlgeboren hier nicht fein genug?« fragte ihn der Wirt gereizt. Shanton wollte keinen Streit. »Hört mal, Jungs, prinzipiell habe ich nichts gegen verräucherte Kneipen mit Bierpfützen auf dem Tresen. Aber heute bin ich mit einer wunderschönen Frau verabredet, und ich glaube kaum, daß dies hier der richtige Ort für ein verträumtes Rendezvous ist. Wahrscheinlich habe ich mich in der Tür geirrt, und sie wollte sich anderswo mit mir treffen.« »Bierlachen auf meiner Theke?« entrüstete sich Paul. »Da hört sich doch wohl alles auf!« Mehrere Gäste wurden auf den Vorfall aufmerksam und unterbrachen ihre Gespräche. »Macht der Dicke Ärger, Paul?« rief irgend jemand von irgendwoher. »Soll ich mir ihn mal vornehmen?« »Mit dem werde ich schon allein fertig«, antwortete der Wirt. Shanton wollte wirklich keinen Streit. »Stimmt so«, sagte er und legte einen höheren Geldschein auf den Tisch. »Nichts für ungut, Leute, doch ich bin heute nicht so gut aufgelegt. Wir können uns ja ein andermal weiter unterhalten.« »Jetzt kriegt er's mit der Angst zu tun!« meldete sich der Irgendwer erneut zu Wort. Chris konnte den vorlauten Burschen, dessen Stimme wie ein Reibeisen klang, nicht sehen, er war von einem Stützbalken verdeckt. Es interessierte ihn auch gar nicht, wie er aussah. Der korpulente Ingenieur wollte nur schnell weg von hier. Josh hielt ihn am Ärmel fest. »Nicht so eilig. Wir würden deine Angebetete gern kennenlernen. Wie sieht sie denn aus? Plattfüße? X-Beine? Abstehende Ohren?« Chris ignorierte das Gelächter rundum und wandte sich zum Gehen. In diesem Augenblick betrat Liao Morei das Lokal. Sie drän285 gelte sich zu Shanton durch. Vor den Augen der erstaunten Gäste umklammerte sie seinen Nacken, zog sich an ihm hoch und gab ihm einen langen Kuß. »Das ist deine Verabredung?« staunte Geoffrey. »Eine asiatische Masseuse? Leihst du sie mir aus, wenn du mit ihr fertig bist?« Nein, Shanton wollte partout keinen Streit. Aber im Leben lief nicht immer alles so, wie man es gerne gehabt hättte. Liao Morei freute sich auf das Zusammensein mit ihrem neuen, außergewöhnlichen Freund. Zwar war es fürs Dinner noch ein bißchen früh, doch dafür war hinterher die Nacht um so länger. Sie hatte sich mit Chris Shanton im »The Anchor« verabredet, einem Restaurant der Extraklasse. Damit er nicht versehentlich ins falsche Lokal spazierte, hatte sie ihm gestern eine Aufnahme vom Eingangsbereich zukommen lassen. Der Anker über der Tür war unübersehbar. Liao war spät dran. Sie schlängelte sich durch die Menschenmassen und bog prompt in die falsche Seitenstraße ein. Der Zufall führte sie am »The Ship« vorüber, wo es offenbar lustig zuging. Durch die geöffneten Fenster drang Lachen nach draußen. Die Chinesin riskierte einen kurzen neugierigen Blick und sah Chris in der Gaststube. Ihre Augen wanderten zum Anker über der Tür, und sie ahnte, wie er dort hineingeraten war.
»Höchste Zeit, daß er wieder seinen Spürhund mit auf Reisen nimmt«, murmelte sie kopfschüttelnd und trat ein. Lachende Menschen sind freundliche Menschen. Eine Erkenntnis, die meistens zutraf. In diesem Fall leider nicht. Kurz nachdem Liao das verräucherte Lokal betreten hatte, mußte sie auch schon eine anzügliche Bemerkung über sich ergehen lassen. Sie kam nicht mehr dazu, den Mann dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Das übernahm bereits Shanton. Mit dem rechten Arm umschlang er Liao und hielt sie fest im Griff, mit der Linken schlug er zu. Sein Schwinger riß den betrunkenen Schwätzer nicht vom 286 I Stuhl sondern schleuderte ihn mitsamt Stuhl mehrere Meter durch die Gaststube. Der zweite Mann am Tisch sprang auf und stürzte sich wütend auf Shanton an dem noch immer Liao hing. Ohne Chris loszulassen, verpaßte sie dem Angreifer einen kräftigen Tritt in die Magengrube. Josh blieb schlagartig die Luft weg. Offenbar kannte er Liaos Leitspruch nicht: Erwarte das Unerwartete! Um sich fortzubewegen, benutzte Jimmy üblicherweise die Kugellager an seinen Pfoten. Damit konnte er eine hohe Geschwindigkeit erreichen. Ob er die Beine stillhielt oder nicht, war dabei unerheblich. Meist bewegte er sie leicht hin und her, um einem normalen Hund ähnlicher zu sehen. Gemächlich »trippelte« der Robothund auf Geoffrey zu, der am Boden lag und sich stöhnend und fluchend aus den Trümmern seines Stuhls befreite. »Hau ab. Drecksköter!« schimpfte er, als Jimmy anfing, ihn zu beschnuppem. »Wer so stinkt wie du, sollte mit solchen Kraftausdrücken vorsichtiger umgehen«, erwiderte der schwarze Terrier. »Du riechst, als hättest du eine ganze Woche lang in Schnaps gebadet.« Geoffreys Kinnlade klappte herunter. Jimmy riskierte einen Blick und stellte fest: »Schlechte Zähne hast du übrigens auch.« »Das... das Biest kann tatsächlich sprechen«, stammelte Geoffrey und stand auf. »Das ist unnatürlich!« Er hielt nach einer Waffe Ausschau. Auf einem der Tische stand ein schwerer Aschenbecher... »Hunde reden nicht!« vernahm man erneut die Reibeisenstimme des Irgendjemand. »Wahrscheinlich ist sein Besitzer Bauchredner. Oder er verbirgt einen Geheimsender in seinem Wanst.« Shanton langte es jetzt! Er ging um den Stützbalken herum, um dem geschwätzigen Kerl ordentlich die Meinung zu geigen. Liao kümmerte sich derweil um Josh, der in einem fort keuchte ^ie ein altes Dampfschiff. »Ruhig durchatmen«, riet sie ihm und klopfte ihm auf den Rükken. »Dann wird's schon wieder.« 287 In seinen Augen funkelte der Zorn. Am liebsten hätte er sich mit geballten Fäusten auf sie gestürzt. Wenn ihm nur nicht so schlecht wäre... Er spürte, wie sich zahlreiche Biere und Schnäpse den Weg nach oben bahnten und kämpfte verzweifelt dagegen an. Auch Geoffrey kämpfte allerdings nicht mit sich selbst, sondern gegen Jimmy. Er hatte den schweren Aschenbecher ergriffen und wollte damit auf den Hund einschlagen. Jimmy stoppte ihn mit einem Schockstrahl aus der Zunge. Bewußtlos brach sein Gegner zusammen. Der Ascher zerschellte am Boden. Chris Shanton und die Person mit der heiseren Stimme standen sich nun Auge in Auge gegenüber. Letztere lehnte lässig am Stützbalken, in der linken Hand eine Zigarette, in der rechten ein Bierglas.
»Was willst du von mir, Süßer?« fragte sie ihn mit breitem Lächeln. »Mich verprügeln oder
mich umarmen?«
Shanton verzichtete auf beides. Die etwa dreißigjährige Frau war zwar nicht unattraktiv, aber
ihre rauhe Stimme war einfach unerträglich. Im übrigen war er ja in Begleitung.
»Gehen wir?« fragte ihn Liao. »Oder wollen wir unser Kerzenlicht-Dinner hier einnehmen?«
»Kein Bedarf«, erwiderte Chris. »Die Küche ist bestimmt lausig.«
»Genau wie der Service!« merkte Jimmy lautstark an. »Man hat mir nicht einmal ein
Schälchen Wasser angeboten.«
Unbehelligt verließen alle drei das Lokal.
Josh kam zu Atem und Geoffrey allmählich wieder zu sich. Obwohl es draußen noch hell war,
sehnten sich beide nach einem Bett und einem langen, langen Schlaf.
Der Wirt ließ sie jedoch nicht gehen.
»Zunächst einmal unterhalten wir uns über meine Schadenersatzforderungen«, stellte er klar.
»Ein kaputter Stuhl, ein zerschmetterter Aschenbecher, ein paar Gläser sind zu Bruch
gegangen... Bargeld lacht, meine Herrn! Falls ihr nicht zahlen könnt, arbeitet ihr eure
Schulden heute nacht als Aushilfskellner ab.«
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äs Getuschel über das ungleiche Paar versiegte nicht. Zwar betraten Chris Shanton und Liao
Morei nie mehr das »The Ship«, doch auch anderswo fielen die beiden ungleichen Gestalten
auf wie einst Don Quichotte und Sancho Pansa.
Auf der Straße, in Geschäften und sogar auf Ast1 wurde über die beiden geflüstert; aus
»Sicherheitsgründen« allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Niemand auf dem Asteroiden
konnte es riskieren, von Shanton bei einem anzüglichen Grinsen erwischt zu werden.
Liaos erster Besuch dort fand Ende September 2059 statt. Chris zeigte ihr die gesamte
Anlage, einschließlich der Steuerräume, welche die Verbindung zu den übrigen AstStationen
herstellten. Die Sicherheits und Kampfexpertin war schwer beeindruckt.
Beide verbrachten einen schönen Abend in Shantons Appartement. Jimmy war ebenfalls
anwesend, wenn auch nicht die ganze Zeit über für gewisse intime Stunden wurde er
kurzerhand ausgesperrt.
»Hunde gehören nach draußen«, argumentierte Shanton, als Jimmy gegen diese Maßnahme
protestierte. »Andere Vierbeiner wären froh, würde man ihnen einen kompletten Asteroiden
zum Auslauf zur Verfügung stellen.«
»Andere Vierbeiner würden auf einem Asteroiden ersticken«, lautete Jimmys messerscharfes
Gegenargument.
Er fügte sich trotzdem. Den Liebenden zuliebe. Schließlich war ein Hund auch nur ein
Mensch.
»Also schön!« Liao Morei stieß einen Seufzer aus. »Was hast du auf dem Herzen?«
Chris Shanton spielte den Ahnungslosen. »Ich? Wie kommst du darauf, daß...?«
»Verkauf mich bitte nicht für dumm«, unterbrach ihn die Chinesin. »Ich merke dir doch an,
daß du mit mir über etwas reden
Möchtest. Aber du traust dich nicht. Komm schon, ich bin eine
289
gute Zuhörerin. Vorausgesetzt, du willst mir keinen Heiratsantrag machen.«
»Erwischt!« entgegnete Chris grinsend. »Ich habe den Ring in der Hosentasche versteckt.«
Er trug gar keine Hose. Liao und er saßen sich in Morgenmänteln am gedeckten Tisch
gegenüber. Meistens frühstückte der Ingenieur in der Kantine, zusammen mit den anderen auf
Ast1 stationierten Männern und Frauen. Diesmal hatte er sich Kaffee und Brötchen ausnahmsweise ins Apartment bringen lassen. Shantons Morgenmantel war ein »Zirkuszelt« aus reiner Baumwolle. Liao trug einen Mantel aus blauer Seide ein Geschenk ihres Verehrers, das er ihr heimlich gekauft hatte. Nur mit der Größe hatte er sich ein wenig verschätzt. Liao mußte die Ärmel hochkrempeln, um zu verhindern, daß sie ständig mit der Marmelade in Berührung kamen. »Na gut, ich sage dir, was mich gedanklich beschäftigt«, gab Chris nach. »Wie du weißt, haben dein Chef und ich ein längeres Gespräch über den leergefegten Markt für Transmitterteile geführt. Er stellte sich unwissend, faselte irgendwas von einem unbekannten Konsortium. Natürlich habe ich ihm kein Wort geglaubt. Von vornherein verdächtigte ich ihn, selbst hinter den Aufkäufen zu stecken. Geschickt zerstreute er meine Bedenken und versprach mir, Anfang kommenden Jahres die benötigten Komponenten für die Erweiterung des terranischen Transmittemetzes zu liefern.« Liao seufzte. »Du weißt genau, daß ich dir dazu nichts sagen darf. Akzeptiere das endlich!« »Dann interessiert es dich also nicht, was ich inzwischen herausgefunden habe?« fragte Shanton lauernd. Wallis' Sicherheitsbeauftragte horchte auf. »Du hast etwas herausgefunden?« Chris nickte. »Um meinen Regierungsauftrag zu erfüllen und das bestehende Transmittemetz zu erweitem, benötige ich nicht nur die entsprechenden Bauteile. Ich brauche auch fähige Mitarbeiter Techniker, Facharbeiter und so weiter. Seltsamerweise hat Wallis Industries jeden verfügbaren guten Mann mit Beschlag belegt. Seither quält mich die Frage: Wozu, bitte schön, engagiert Terence Wallis Fachleute zum Bau eines Transmittemetzes, wenn 290 es derzeit auf dem Markt kaum noch Bauteile für ein solches Projekt gibt?« »Vielleicht braucht er die Fachkräfte ja für irgendwas anderes,« erwiderte Liao, was allerdings wenig glaubwürdig klang. »Wallis Industries entwickelt ständig neue Projekte und arbeitet ausschließlich mit den Besten der Besten zusammen.« »Und wo sind die Besten der Besten abgeblieben?« entgegnete Chris. »Nur ein geringer Teil der terranischen Technikerelite arbeitet momentan im WI-Hauptwerk, woran auch immer. Der Rest von ihnen befindet sich definitiv nicht mehr auf der Erde. Trotz intensivster Nachforschungen ist es mir bislang leider nicht gelungen, zu ermitteln, wo Wallis die Verschwundenen versteckt hält. Sogar bei ihren Familienangehörigen stoße ich auf eine Mauer des Schweigens. Betätigt sich Terence Wallis neuerdings als Kidnapper? Versucht er auf diese Weise, seine Konkurrenten handlungsunfähig zu machen? Will er sich ein Monopol auf dem Gebiet der Transmittertechnologie verschaffen? Oder baut er tatsächlich im geheimen eine Transmitterstraße? An welchem Ort und zu welchem Zweck? Und inwiefern hängt das mit eurem geplanten Umzug nach Australien zusammen?« »Es steckt nichts Gesetzwidriges dahinter«, versicherte ihm Liao Morei. »Die von dir gesuchten Wissenschaftler und Techniker wurden nicht entführt, sie arbeiten freiwillig für WI. Der einzige Zwang, den Wallis auf sie ausübt, ist eine überdurchschnittliche Bezahlung, und das ist schließlich nicht verboten. Dafür wurden ihre Familien zum strengsten Stillschweigen verpflichtet. Die Angehörigen wissen eh nichts Genaues, da bis zum Abschluß des Geheimprojekts jegliche Kontaktaufnahme unterbunden wurde.« »Ein Geheimprojekt also doch! Ich habe ja geahnt, daß der alte Fuchs irgend etwas Großes plant. Henner Trawisheim ist übrigens der gleichen Ansicht, auch er traut dem guten Terence nicht über den Weg. Worum geht es bei dem Projekt? Heraus damit!« »Behältst du deine Informationen für dich?« »Selbstverständlich nicht. Mein Auftraggeber ist die Regierung. Trawisheim hat ein Recht darauf, alles zu erfahren.«
»Danke für deine Offenheit«, sagte Liao. »Ich will dir gegenüber genauso offen sein. Ja, Wallis plant einen großen Coup. Ja, ich 291 weiß, womm es dabei geht. Ja, er benötigt dafür eine Menge Spitzenleute. Nein, ich verrate dir nicht, wo und woran sie augenblicklich arbeiten.« »Aber wie soll ich im Januar mit dem Aufbau eines verbesserten Transmittemetzes beginnen, wenn ich keine geeigneten Fachkräfte zur Hand habe?« startete Shanton einen letzten Aushorchversuch. »Spätestens am Jahresende stehen sie dir beziehungsweise der Regierung wieder alle zur Verfügung«, versprach ihm die junge Asiatin. »Bis dahin haben sich sämtliche Fragen geklärt.« Das war es eigentlich nicht, was Chris hören wollte, aber er respektierte Liaos Loyalität zu ihrem Arbeitgeber, den sie niemals verraten würde. Damit stieg sie sogar noch in Shantons Achtung; er liebte verläßliche Menschen. 292 19. Es waren Hunderte von Herrschern, deren düstere Chitinpanzer einen undurchdringlichen Wall bildeten. Das Sonnenlicht schien von ihren Körperharnischen geschluckt zu werden wie von einem Schwarzen Loch, hinter dessen Ereignishorizont es für alle Ewigkeit verschwand. »Mordgesindel!« stieß Gisol aus. »Stemengezücht!« Gedankenverloren tastete er nach dem Strahler, den er zumeist bei sich trug. Doch wie der gesamte Außentrupp hatte er die Waffe an Bord der POINT OF zurückgelassen, andernfalls hätte er sie gegen jegliche Vernunft gezogen. »Beruhige dich«, raunte Ren Dhark ihm zu. »Denk daran, wen du vor dir hast. Es sind keine Zyzzkt.« Aber auch dem Commander selbst fiel es schwer, die Eindrücke der zahlreichen insektenhaften Wesen folgerichtig zu verarbeiten. Nur äußerlich waren sie Zyzzkt, vom Wesen her aber deren Herren. Abtrünnige Worgunmutanten und damit noch ungleich gefährlicher. »Wir können euch nicht gehen lassen«, ergriff ihr Sprecher das Wort. Nach seinen anfangs beinahe enthusiastischen Versuchen, Margun und Sola auf die Seite der Abtrünnigen zu ziehen, klang er jetzt gleichgültig. »Wenn ihr euch uns nicht anschließt, werdet ihr sterben, denn wir dürfen nicht riskieren, daß ihr euch gegen uns stellt.« »Wir stellen uns nicht gegen euch«, entgegnete Sola, aber auch er hatte die Hoffnung aufgegeben, die Mutanten umstimmen zu können. »Durch eure Entscheidung habt ihr das bereits getan. Nun ist es zu spät.« Der Herrscher hob seinen Klauenarm, und Ren sah das Ver 293 hängnis auf sich und seine Begleiter zukommen. In den Gesichtern der beiden Römer zeichnete sich Entsetzen ab, als Gisol einen Ausfallschritt machte und losspurtete. »Deckung!« schrie Dhark. Dabei war die gegen die feindliche Waffenphalanx sinnlos. Trotzdem warf er sich zu Boden und riß Margun und Sola mit sich, als die ersten Schüsse fielen und sirrende Energielanzen durch die Luft fuhren. War das das Ende? Wie unwirkliche Schattengestalten nahm er die übergroßen Zyzzkt wahr. Aus! dachte er und wartete auf einen finalen Schmerz, der so kurz war, daß er ihn kaum spüren würde, bevor er seinen letzten Atemzug tat.
Doch der Schuß kam nicht, und mit einem Satz sprang Dhark auf die Beine zurück. Er bekam gerade noch mit, wie die letzten Herrscher kraftlos zu Boden sanken, dann wirkte die Szene ringsum wie eingefroren. Die Worgunmutanten waren von einer unsichtbaren Kraft überwunden worden, kein einziger von ihnen stand mehr auf seinen dürren Insektenbeinen. Dafür aber die Cyborgs, die sich beim ersten Schuß ohne Rücksicht auf ihre eigene Existenz auf die Mutanten geworfen hatten. Schon war Amy Stewart an der Seite des Commanders. »Alles in Ordnung?« rief Dhark. »Irgendwer getroffen worden?« »Negativ, Sir«, meldete der in Tokio geborene Lati Oshuta, während er sich mit seinen Kameraden einige der Kombistrahler der Zyzzkt-Herrscher aneignete. »Was ist geschehen?« fragte der weibliche Cyborg irritiert. »Hat die POINT OF eingegriffen?« Dhark schüttelte den Kopf. Auch er begriff nicht, was vorgefallen war, aber die Waffen der POINT OF konnten dafür nicht verantwortlich sein. »Nein, natürlich nicht«, gab sich Stewart selbst eine Antwort. »Sie konnte das Intervallfeld nicht durchdringen. Ren, die beiden Akademiepräsidenten und Gisol sind ebenfalls betroffen.« »Sie sind nur bewußtlos, Sir«, verkündete Bram Sass. »Die Worgunmutanten ebenfalls.« Mit einem Satz war Ren bei Gisol. Erleichtert stellte er fest, daß seinem Freund außer der üblichen Gestalt nichts fehlte. Der Kör 294 per Jim Smiths war zu der amöbenhaften Ursprungsgestalt des Worgun zerflossen. Hier konnten sie nichts mehr ausrichten, also blieb ihnen nichts anderes übrig, als an Bord der POINT OF zurückzukehren. Die geplanten Friedensverhandlungen waren gescheitert, bevor sie überhaupt in Gang gekommen waren. Das sanft flimmernde Intervallfeld, das sich über den Versammlungsort spannte, bestand noch immer. Ein Rückweg zu Fuß schied also aus. Dhark wollte eben sein Flaggschiff rufen, als sich der Checkmaster bei ihm meldete. »Ich habe über dein Vipho alles mitverfolgt«, erklärte das Bordgehim. »Als mir keine Alternative zum Eingreifen blieb, habe ich ein neuronales Blockadefeld erzeugt, das über die planetaren Magnetfelder Morpoks weitergeleitet wurde.« »Also wirkt es weltweit.« »Sämtliche Herrscher auf ganz Morpok sind ausgeschaltet. Dan Riker schickt Flash, um den Außentrupp abzuholen.« Dhark unterbrach die Verbindung, als die zylindrischen Beiboote, die er eigentlich hatte herbeordern wollen, mit eingeschalteten Intervallen eintrafen. Sie konnte das Intervallfeld der Worgunmutanten nicht aufhalten. »Lad, Sie, Jan Burton und Ule Cindar nehmen Margun, Sola und Gisol mit. Auf direktem Weg zu Manu Tschobe mit ihnen. Ich möchte Sie bei der Besprechung dabeihaben.« »Verstanden, Sir.« Sofort machten sich die Cyborgs daran, die drei Bewußtlosen in die Flash zu schaffen. Für ihre außergewöhnlichen Kräfte waren die Worgun nicht mehr als leichtes Handgepäck. Nur der formlose Gisol war schwer zu handhaben, weil sein bewußtloser Körper über keine Knochen verfügte, die ihm Stabilität verliehen hätten. »Amy, Sie fliegen mit mir. Sass nimmt den verbleibenden Flash. Besonders gut ist unser Ausflug nicht verlaufen, daher erwarte ich Vorschläge von den Offizieren. Vielleicht kommt ja noch jemandem der zündende Gedanke, bevor wir hier erfolglos die Segel Zeichen müssen.« ' »Was ist mit den ausgeschalteten Mutanten?« »Die kommen so schnell nicht wieder zu sich, also können wir 295
uns später um sie kümmern. Bis sie aus ihrem Tiefschlaf erwachen, müssen wir allerdings
eine Lösung gefunden haben.« Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Der Alarm ertönte, als Ren Dhark auf dem Weg in die Krankenstation war, um von Manu
Tschobe einen ersten Bericht über den Zustand seiner Patienten zu erhalten. Dhark drehte um
und rannte in die Zentrale der POINT OF, wo ein aufgeregter Arc Doorn eine Reihe von
Messungen anstellte.
»Keine Zweifel möglich«, sagte er eben, ohne aufzuschauen. »Die verräterischen Emissionen
steigen exponential an.«
»Es wird auch Zeit, daß ihr zurückkommt«, empfing Dan Riker Dhark. »Als der Checkmaster
mal wieder eigenmächtig gehandelt hat, ahnte ich gleich, daß uns das Scherereien einbringt.«
»Ohne sein Eingreifen wäre das gesamte Außenteam tot«, beruhigte der Commander seinen
langjährigen Weggefährten. »Was ist passiert?«
»Bisher noch nichts«, vermerkte Doorn. »Aber das ändert sich gleich. Wir empfangen
leistungsstarke Energiespitzen. Die Statue baut ein Transmitterfeld auf. Weiß der Teufel, was
da wieder rauskommt. Ich tippe mal auf eine Rotte der Zyzzkt. Die lassen ihre Herrscher nicht
einfach im Stich.«
Natürlich nicht! Ren machte sich Vorwürfe, weil er einen solchen Fall nicht in Betracht
gezogen hatte. Zweifellos hatten die Worgunmutanten Sicherheitseinrichtungen installiert, die
in dem unwahrscheinlichen Fall, daß sie von einem potentiellen Gegner überwunden wurden,
in Aktion traten.
»Intervalle und KFS auf volle Kapazität!« ordnete er an. »Waffensteuerungen in
Bereitschaft!« Zerstören konnten sie den goldenen Riesenzyzzkt damit jedoch nicht mehr
rechtzeitig, dazu war er zu groß.
»Wir sollten hier verschwinden, Commander.«
Dhark zögerte. »Ich hätte gern ein paar der Herrscher an Bord geholt, damit wir uns später
noch einmal in Ruhe mit ihnen unterhalten können.«
296
»Zu spät. Das Feld baut sich auf.«
In diesem Moment kam eine Meldung von der FunkZ. »Wir haben einen Dringlichkeitsanruf
von der NOREEN WELEAN. Simon ist in der Phase. Ich stelle durch.«
»Commander, Sie müssen sofort von dem Planeten verschwinden«, meldete sich der Wächter.
»Starke Ringraumerverbände der Zyzzkt ziehen sich von der Schlacht zurück und nähern sich
Ihnen. Sie werden in wenigen Minuten da sein.«
»Dann sitzen wir zwischen zwei Fronten«, kommentierte der Sibirier. »Die werden uns jagen
wie die Hasen.«
»Wie meint Doorn das?« drang es aus der Phase.
»Das Transmitterfeld des Goldenen baut sich auf«, informierte Dhark den Wächter. »Wir
erwarten eine Flotte der Zyzzkt.«
»Sie reden von dem einzelnen Goldenen auf der Insel. Ich weiß, das habe ich bereits
angemessen. Den lassen Sie mal meine Sorge sein, Commander.«
»Wie meint der Bursche das? Was hat er vor?« '
»Keine Zeit mehr für Erklärungen, Commander. Ich kümmere mich um die Statue.«
»In Ordnung, Simon, aber gehen Sie kein zu großes Risiko ein.« Ein lächerlicher Ratschlag in
Anbetracht der Lage, in der sie sich befanden. Dhark warf sich in den Pilotensitz vor dem
Instrumentenpult. Mit der Routine ungezählter Einsätze flogen seine Finger wie von selbst
über die Bedienungselemente.
»Sicherheitsvorkehrungen treffen! Ich programmiere Alarm-Start.«
Seine manuellen Eingaben waren nicht nötig, denn die Gedankensteuerung hatte sein
Vorhaben längst registriert und leitete die entsprechend verkürzten Startsequenzen ein, die
wertvolle Sekunden brachten. Ein Vibrieren durchlief den Rumpf aus Unitall, als der AGrav die Trägheit der Ringröhre überwand und das Schiff der planetaren Schwerkraft entriß. Bevor irgendwer in der Komüiandozentrale sich darauf eingestellt hatte, hatte der Checkmaster bereits auf SLE umgeschaltet. Die Zyzzkt werden uns keine Gelegenheit für einen zweiten Besuch auf Morpok geben, schoß es Dhark durch den Kopf. Nach diesem Zwischenfall würden die Sicherheitsvorkehrungen und die 297 das Sonnensystem abschottenden Schiffe bis zur Unüberwindlichkeit verstärkt. Sollte etwa alles umsonst gewesen sein? Plötzlich war ein irrlichtemdes Gewitter um die POINT OF. Von zahlreichen Stellen des Planeten stiegen Energiestrahlen auf und tauchten den Ringraumer in einen fahlen Schein. »Massiver Schlag der Goldenen. Bei dieser Konzentration brauchen sie bloß ein paar Sekunden, um uns zu knacken.« Ausweichen, instruierte der Kommandant die Gedankensteuerung. Wenn das überhaupt möglich war. Die Ringröhre schüttelte sich, während eine Anzeige die steigenden Werte der Intervallbelastung präsentierte. Wir müssen raus aus dem Fokus der Strahlenbündel. Es vergingen nur Sekunden, doch für die Männer in der Zentrale schienen sie sich zu kosmischen Zeitspannen zu dehnen, dann war die POINT OF wieder frei. Mit unerhörten Werten raste sie durch die Atmosphäre des Planeten. »Einheiten der Zyzzkt voraus?« Zumindest in der Bildkugel waren keine zu sehen, aber das besagte nichts. Sie mochten plötzlich aus einer Richtung auftauchen, die gerade mal nicht in der optischen Überwachung war. In diesem Moment hätte Ren viel für eine Allsichtsphäre der Nogk gegeben. »Ortungsanzeigen?« »Negativ«, kam die prompte Antwort. »Ich korrigiere. Einzelnes Schiff aus 16Delta 412. Direkter Kollisionskurs.« Was nicht funktionierte. So konnten die Zyzzkt der POINT OF nicht beikommen, denn die Intervalle beider Schiffe würden sich durchdringen und einen Zusammenstoß verhindern. Zumindest wenn die Insektoiden nicht auf die aberwitzige Idee kamen, die Frequenzen anzugleichen. Dazu hätten sie die Feldfrequenz des fliehenden Ringschiffes aber kennen müssen. Ausgeschlossen? Leider nicht, dachte Dhark. So könnten sie uns aus dem Universum fegen. »Waffensteuerungen feuern nach eigenem Ermessen.« Ein Schatten raste mit Irrsinnswerten durch die Bildkugel, passierte die POINT OF und huschte wie eine Sternschnuppe Richtung Planetenoberfläche. »Energiekennung der NOREEN WELEAN«, meldete Tino Grappa. »Sie war das einzelne Schiff.« »Bei sämtlichen Klabautermännern des Stemenozeans!« entfuhr 298 es Arc Doorn. »Was hat Simon vor? Der will doch wohl nicht diesen Riesenkäfer rammen?« »Ortung bestätigt. NOREEN WELEAN befindet sich auf direktem Anflug auf den Goldenen. Dessen Transmitterfeld ist inzwischen vollständig etabliert.« »Ich brauche eine Phase zu Simon.« »Nichts zu machen, Sir. Simon meldet sich nicht.« »Weiter versuchen.« Dhark jagte den Ringraumer in den interplanetaren Raum hinaus, während in der Bildkugel der einsame goldene Zyzzkt zu sehen war. Dessen über Morpok verstreute Ebenbilder hatten das Feuer eingestellt. »NOREEN WELEAN erreicht den Goldenen und dringt in das Transmitterfeld ein. Jetzt verschwindet sie und...« Die Meldung brach ab, als auf der Wohninsel der Herrscher eine kleine Sonne entstand.
»Simon!« entfuhr es Ren. Er spürte, wie eine eisige Faust nach seinem Herzen griff. Hatte der Wächter sich geopfert? »Keine Sorge. Ich bin hier.« Überraschte Ausrufe wurden laut, als Simon unvermittelt in der Zentrale der POINT OF stand. »Ich habe den Ringtransmitter meines Schiffes benutzt, als es das Transmitterfeld des Goldenen erreichte.« Dhark starrte den goldroten Wächterkörper an, in dem der Geist eines Mannes von der Erde steckte. Simon hatte seinen Sprachmodus eingeschaltet, so daß seine Worte aus seinem gewölbten Brustkorb drangen. In knappen Worten erzählte er von dem bei den Tjuu gefundenen Steuercode, mit dem er die Transmitterfalle ausgelöst hatte. Die Ortung meldete starke seismische Aktivitäten auf Morpok. »Da unten ist die Hölle los, Sir. Der Planet zerbricht.« »Was hast du getan, Simon?« »Ich sagte es bereits. Allerdings habe ich eine Modifikation vorgenommen. In Zusammenarbeit mit dem Checkmaster habe ich den Steuercode so verändert, daß die Falle umgepolt wurde. Die gewaltige Zerstörungskraft wirkt diesmal nicht nach außen, sondern schlägt auf Morpok zurück. Das Resultat sehen Sie, meine Herren. Wegen der Herrscher der Zyzzkt brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie stellen keine Gefahr mehr dar.« 299 »Kalt wie eine Hundeschnauze«, bemerkte Doorn. »Trotzdem gäbe ich wer weiß was dmm, mal einen Blick in sein Inneres werfen zu können.« Auch Dhark kam mit der scheinbaren Gefühlskälte des Wächters nicht zurecht, der dem Leben eines Gegners nicht viel Bedeutung zuzumessen schien. In dieser Hinsicht ließ er sich mit Gisol vergleichen, aber Ren hatte seine Zweifel. Irgend etwas sagte ihm, daß Simon in Wahrheit ganz anders war, nämlich ein verletzbarer Mensch, der seine intensiven Gefühle tief im Inneren seines künstlichen Schutzpanzers vor der Welt verbarg. »Du hast dein Schiff dabei geopfert, Wächter.« »Leider gab es keine andere Möglichkeit, als die NOREEN WELEAN zu zerstören. Sonst hätte mein Plan nicht funktioniert.« Ren Dhark fiel nicht zum ersten Mal die Wärme auf, die der äußerlich so kalte Unitallkörper in seine Stimme legte, wenn er den Namen der terranischen Hochkommissarin für Agrarfragen aussprach, nach der er sein Schiff benannt hatte. Er hätte gern länger darüber nachgedacht, aber dafür blieb ihm keine Zeit. Denn draußen im All tobte immer noch die Raumschlacht um das Zentrum der Macht. Und von vom kamen die Zyzzkt und stürzten sich auf die POINT OF. »Zwei Dutzend Schiffe vor unserem Bug.« Zu viele, um sich auf einen Kampf einzulassen, den man überleben konnte. Längst hatte Ren Dhark den Ringraumer von SLE auf Stemensog gebracht. Er riß ihn aus seinem Kurs und jagte in den Leerraum zwischen den Sternensy stemen. Vielleicht interessierten die Zyzzkt sich nicht für einen einzelnen fliehenden Gegner, wenn sie erkannten, was mit der Zentralwelt geschehen war. Doch sie taten ihm nicht den Gefallen, sich um Morpok zu kümmern. »Sie teilen sich nicht mal auf«, stellte Dan Riker fest, wobei er sich davon überzeugte, daß es den Kernplaneten des Zentrums der Macht nicht mehr gab. Das energetische Inferno, das Simon entfesselt hatte, hatte ihm keine Chance gelassen. Morpok war im wahrsten Sinne des Wortes zerplatzt. Nur noch in die Unendlich 300 mit driftende Materiebrocken zeugten von seiner ehemaligen Existenz. »Denen ist klar, daß sie nichts mehr für ihre Herrscher tun können.« »Das haben sie aber schnell verdaut. Sie eröffnen das Feuer.«
Überlichtschnell huschten die rosaroten Nadelstrahlen durch die Schwärze des Alls und griffen nach der POINT OF, die einen Haken nach dem anderen schlug. Dhark warf all seine Erfahrung in die Waagschale, um sich nicht festnageln zu lassen. Immer wieder gelang es ihm, eine Lücke zwischen den Energiebahnen zu finden, durch die er schlüpfen konnte, aber die Verfolger ließen sich nicht abschütteln. »Die werden von blinder Wut getrieben. Eigentlich sollte man eine gewisse Verwirrung erwarten, aber die rasen ja geradezu.« »Ohne Unterstützung halten wir nicht mehr lange durch. Martius soll uns ein paar Schiffe schicken.« Ren war anderer Ansicht. Hier ging es nicht nur um sein Schiff und seine Besatzung, sondern um eine ganze Flotte, die gegen eine starke Übermacht stand. »Funkverbindung zu Raummarschall Martius herstellen. Wir müssen seine Römer aus dem Feuer holen.« »Starke Interferenzen auf sämtlichen Funkfrequenzen. Es wird ein paar Sekunden dauern, bis wir eine stabile Verbindung bekommen.« Die Antennen der POINT OF erwachten zum Leben und spien alles in den Raum, was das Schiff aufweisen konnte. Der Checkmaster koordinierte die Waffensysteme mit Dharks Flugmanövem, ohne einen Wirkungstreffer erzielen zu können. Es gab zu viele Ziele, die sich nicht gleichzeitig anvisieren ließen. »Phase ist offen«, kam endlich die Bestätigung, auf die Dhark wartete. »Was ist geschehen?« meldete sich der römische Befehlshaber. »Ich kann nur hoffen, daß Sie Erfolg hatten, Commander, denn wir können Ihnen keine weitere Zeit verschaffen. Wir haben einige Verluste und werden immer weiter zurückgedrängt.« »Ziehen Sie sich nach Gardas zurück. Marschall. Unsere Mission ist erledigt. Das Zentrum der Macht ist zerstört, die Herren der Zyzzkt sind tot.« 301 Sekundenlang herrschte ungläubiges Schweigen, dann hörte Dhark, wie im Hintergrund Jubel aufklang und Befehle durch die Kommandozentrale der GISOL gebellt wurden. Er konnte sich den Aufruhr vorstellen, der nach der Übermittlung seiner Meldung bei den Römern ausbrach. Mit einem solchen Erfolg hatten wahrscheinlich die wenigsten von ihnen gerechnet. Ein Schlag traf die POINT OF, als sie einen direkten Treffer einsteckte. Übernehmen und Ausweichmanöver fliegen, wies Ren die Gedankensteuerung an, die augenblicklich reagierte und eine Folge verwirrender Flugmanöver durchführte. Darauf vorbereiten, auf mein Kommando das Intervall zu senken und Transition einzuleiten. »Ist die MASOL in Sicherheit?« fragte Martius. »Über zwanzig Schiffe kleben wie Kletten an uns. Wir könnten etwas Unterstützung brauchen.« »Wir haben Sie in der Fernortung, Commander. Ich komme Ihnen mit einem starken Verbund per Transition entgegen. Der Rest der Flotte zieht sich zurück und lockt die Zyzzkt weg.« »Verstanden, Marschall. Wir erwarten Sie. Dhark, Ende.« Während die POINT OF fortwährende Kursänderungen beschrieb, machte Arc Doorn eine Entdeckung. »Die kugelförmig angeordneten Sicherheitsfelder um das Zentrum der Macht sind verschwunden. Sie müssen von Morpok aus gesteuert worden sein.« »Das hilft uns auch nicht, solange es uns nicht gelingt, unsere Verfolger abzuschütteln«, fuhr ihm Dan Riker in die Parade. »Die Zyzzkt brauchen jetzt kein Warnsystem mehr, die sehen uns nämlich auch so.« »Ich verstehe schon, was Sie meinen.« Mit hochrotem Kopf nickte der Sibirier dem Chef der Terranischen Flotte zu. »Ich wünschte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen.« Doch diesmal kamen die Römer.
»Gefügeerschütterung in Flugrichtung. Martius ist da. Das wird auch Zeit, denn eben haben wir wieder einen Volltreffer bekommen. Noch zwei oder drei von der Sorte, und die Intervalle verabschieden sich.« Stumm nahm Dhark die Ankunft der Verstärkung zur Kenntnis. 302 Er interessierte sich mehr für den hinter ihnen liegenden Raum, wo die Zyzzkt inzwischen aufgeholt hatten. Nah genug, um ihnen eine Überraschung zu bereiten. Daß er damit ein Risiko einging, ließ sich nicht vermeiden. Er hämmerte eine Zahlenkolonne in die Sensortasten der Steuerschaltung und beobachtete die winzigen Reflexe in der Bildkugel, hinter denen sich Martius 9 Ovoidraumer verbargen. Ren fuhr sich mit der Zungenspitze über die spröden Lippen und ballte die Hände zu Fäusten. »Intervall runter!« stieß er aus. Der Checkmaster reagierte prompt, und sofort prallten mehrere Energielanzen in den KFSSchirm des Ringraumers. Irgendwer gab einen unterdrückten Schrei von sich. »Sprung... jetzt!« Die POINT OF wurde aus dem normalen Raum-Zeitgefüge gerissen und befand sich für eine nicht meßbare Zeitspanne in einem übergeordneten Kontinuum, dann stürzte sie zurück. An der gleichen Stelle, an der sie zuvor gewesen war. Hektisch kontrollierte Dhark die Anzeigen. Alles war wie eben, bis auf eine Ausnahme. Die Zyzzkt waren nicht mehr im Kielwasser seines Schiffes, sondern vor ihm. »Sprung auf der Stelle.« Doorns Feststellung klang gequält. »Warum können Sie einen nicht einmal vorwamen, Ren? Ich sah uns schon im Technikerhimmel.« Der Commander sah auf, als Margun und Sola in die Zentrale gestürmt kamen, gefolgt von Gisol, der wieder seine gewohnte menschliche Gestalt angenommen hatte. »Genau rechtzeitig zum Finale, meine Herren.« Ren machte eine Handbewegung zur Bildkugel, wo zu sehen war, wie der starke römische Verband zwischen die konsternierten Zyzzkt-Einheiten fuhr und sie auseinandertrieb. Keine fünf Minuten später war alles vorbei. Die POINT OF war gerettet, und dem Rückflug nach Gardas stand nichts mehr im Wege. 303 20. Terence Wallis war nicht nur Besitzer des größten Industriekonglomerats der Erde, so ganz nebenbei war er auch noch der reichste Mann des Planeten. Der knapp Achtundvierzigj ährige war groß, schlank, sportlich, band sein Haar gern zum Pferdeschwanz und liebte elegante Anzüge; zu letzteren trug er manchmal allerdings grellbunte Westen, die so gar nicht zu seinem übrigen Outfit passen wollten. Auch der sechzigjährige, weißhaarige Sam Patterson, Besitzer des Medienkonzems TerraPress, verstand es normalerweise, sich anständig zu kleiden. Der dunkelbraune, flauschige Trainingsanzug, in den er sich an diesem heißen Nachmittag gehüllt hatte, stand ihm allerdings überhaupt nicht und war im übrigen viel zu warm. Patterson landete mit einem sportlichen Zweipersonengleiter auf Wallis' privatem Landsitz, einer Farm im Lancaster County, Pennsylvania. Der Multimilliardär kam ihm entgegen. Er hatte seine Jacke wegen der Hitze ausgezogen und trug überm Hemd nur die Weste, ein leuchtendes Etwas in »Kopfkissenbezughimmelblau«. »Hübscher Fellteppich«, konnte er sich eine Bemerkung zu Pattersons Sportkleidung nicht verkneifen. »Wenn man hinten an die Hose zwei Knopfaugen annäht und sie mit Stroh ausstopft, könnte man sie als Teddybär ans Kinderhilf swerk verschenken.« »Das Innenfutter deiner Weste ist absolute Spitze«, konterte Sam. »Aber warum trägst du es nach außen?« Beide Männer waren schon seit längerem freundschaftlich miteinander verbunden.
Wenig später saßen sie bei einem Glas Wein im robotergepflegten Farmhaus zusammen, in einer bequemen Sitzecke. Sämtliche Räumlichkeiten waren mit einer Klimaanlage ausgestattet. Weitere 304 Besucher hatte Wallis derzeit nicht, so daß er sich voll und ganz seinem Freund widmen konnte. Sam Patterson kam gleich zur Sache. »Ich habe mir dein Angebot reiflich überlegt, Terence. Ja, ich möchte mitkommen nach Eden. Schon allein aufgrund der Steuersituation wäre ich bereit, die komplette Terra-Press-Zentrale dorthin zu verlegen.« Terence Wallis wollte auf Eden erst gar keine Steuern einführen, und sämtliche staatlichen Leistungen würde der Wallis-Konzem finanzieren. Im Gegenzug behielt WI das wirtschaftliche Monopol. Andere Firmen durften sich dort nur ansiedeln, wenn sie bereit waren, Mehrheitsbeteiligungen von Wallis Industries zu akzeptieren. Wallis hatte Patterson angeboten, ihm den kompletten Aufbau einer Medienlandschaft zu finanzieren. Terra-Press brauchte lediglich das Fachwissen und die Lizenzen zu stellen und 51 Prozent der Firma an Wallis Industries abzutreten. Der Milliardär wollte mit dem Verlagschef auf dessen kühnen Entschluß anstoßen, doch Sam hatte noch ein Aber auf Lager. »Bevor ich endgültig zustimme, müssen wir über deinen Anteil an Terra-Press reden, Terence.« Sein Freund schüttelte den Kopf. »Schon bei unserem letzten Gespräch, Sam, habe ich dir klipp und klar gesagt, daß daran nicht gerüttelt wird. Du kannst zustimmen oder ablehnen aber verhandelt wird nicht.« »Ich will auch gar nicht verhandeln«, erwiderte Sam Patterson zu seiner Verblüffung. »Ich lehne deine Mehrheitsbeteiligung rundweg ab. Du kriegst weder einundfünfzig Prozent, noch zehn oder eins, nicht mal 0,000001 Prozent. Terra-Press gehört mir so wie dir Wallis Industries gehört. Komme ich etwa daher und verlange deine halbe Firma?« »Willst du auf meinem Planeten wohnen und arbeiten oder ich auf deinem?« stellte Wallis ihm eine Reihe von Gegenfragen. »Finanziere ich dir den Aufbau eines Medienuntemehmens oder umgekehrt? Verzichte ich auf Steuern und Sozialabgaben oder du?« »Die Aufbaufinanzierung ist verhandlungsfähig«, räumte Patterson ein. »Im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich bereit, einen 305 Teil der Kosten zu übernehmen. Hauptsache, du läßt deine Finger von Terra-Press.« »Das ist gegen unsere Abmachung!« »Langsam, langsam, bisher haben wir noch überhaupt keine Abmachung, zumindest keine feste. Und wenn du dich weiterhin stur stellst, wird es niemals zu einer Einigung kommen.« Wallis war kein Mann, der schnell aus dem Häuschen geriet. Doch Sams Dreistigkeit brachte ihn allmählich aus der Ruhe. »Du hast wirklich Nerven, mein Freund. Spazierst hier herein und erklärst mir, daß du unbedingt mit nach Eden möchtest und dann versuchst du, mir deine Bedingungen aufzunötigen. So läuft das nicht!« Terence Wallis war als energisch und durchsetzungsfähig bekannt, aber Patterson war ihm ein durchaus ebenbürtiger Gegner. »Ich will dir nichts aufnötigen«, antwortete er in ruhigem Ton. »Aber erstens teilt niemand gern seinen Privatbesitz, und zweitens verbindet sich kein wirklich unabhängiges Medium
freiwillig mit einem Großkonzern. Das wäre widersinnig! Wer zahlt, befiehlt das ist eine alte Weisheit. Ich werde es nicht zulassen, daß Wallis Industries mir meine Berichterstattung vorschreibt.« Diese Argumentation kam Terence Wallis mächtig bekannt vor. Ein ähnliches Gespräch hatte er bereits mit dem berühmten Terra-Press-Reporter Bert Stranger geführt der bislang noch nichts vom geplanten WI-Umzug nach Eden wußte. Wallis wollte ihn und Patterson unbedingt, denn er arbeitete nur ungern mit Leuten der zweiten Garnitur zusammen. Leider bereiteten ihm die beiden mehr Schwierigkeiten, als er gedacht hatte. Offenbar machte er irgend etwas verkehrt, obwohl er immer nur das Beste wollte, für andere und vor allem für sich selbst. Letzteres wurde ihm oft vorgeworfen. Doch war das wirklich so falsch? Dachte im Grunde genommen nicht jeder zuallererst an sich? Er, der sich als typischer Kapitalist sah, berücksichtigte immerhin, daß auch andere Leute Geld zum Leben brauchten. »Du beabsichtigst, politische Macht an Grundbesitz zu koppeln«, fuhr Sam Patterson fort. »Und du willst den Staat wie ein Unternehmen führen. Selbstverständlich kann sich ein so großer Konzern auch einen eigenen Medienbetrieb leisten. Aber dem 306 würde die wichtigste Funktion der Medien fehlen: die kritische Kontrolle. Zahllose Firmen und selbst Staaten, die geglaubt hatten, darauf verzichten zu können, gibt es heute nicht mehr, oder sie wurden von intelligenteren Unternehmern aufgekauft.« Terence Wallis hörte ihm aufmerksam zu. Er hatte seinen eigenen Willen, weiß Gott, doch er war nicht so dumm, sich für total perfekt zu halten. Jeder Mensch lernte in jeder Minute dazu aber nur den wirklich Intelligenten war dies auch bewußt. »Man muß sich als Konzerninhaber nicht jedes Gemeckere gleich zu Herzen nehmen«, sagte Sam. »Manche Mitarbeiter kritisieren nur deshalb dauernd am Führungsstil ihrer Chefs herum, weil sie es selbst im Leben zu nichts gebracht haben. Sie wissen und können grundsätzlich alles besser. In einem solchen Fall stellt man die Ohren lieber auf Durchzug, das schont die Nerven. Andererseits ist es ein schwerer Fehler, echte, konstruktive Kritik nicht zu beachten. Führungskräfte sollten gegebenenfalls auch zuhören können.« »Das kann ich«, war Wallis sich sicher. »Ich gestehe jedem meiner Mitarbeiter das Recht auf freie Meinungsäußerung zu und lege größten Wert auf ehrliche Kritik.« »Und wie viele deiner Mitarbeiter machen davon ernsthaft Gebrauch?« erwiderte Patterson skeptisch. »Arbeiter und Angestellte sind Menschen, die in jeder Minute ihres Lebens um ihren Job fürchten. Logischerweise stimmen sie in erster Linie das Liedchen an, das ihnen ihr Arbeit und Geldgeber vorsingt.« »Ich wäre auf Eden nicht dein Arbeitgeber, sondern lediglich Anteilseigner, Sam.« »Richtig, mit 51 Prozent Anteil. Somit hältst du die Fäden in der Hand. Ich will aber nicht deine Marionette sein, verstehst du? Was Eden braucht, sind freie, kritische Medien, die den Obrigkeiten nötigenfalls auch mal ihre Fehler unter die Nase reiben. Zeit meines Lebens habe ich größten Wert auf unabhängige, objektive Berichterstattung gelegt. Die wäre auf Eden nur gewährleistet, wenn nur TerraPress weiterhin zu 100 Prozent gehört.« Terence Wallis war ein Freund von offenen Worten. Im Grunde gab er Patterson recht, doch er hatte sich die Staatsgründung ganz anders vorgestellt. Sollte er davon wirklich ein Stück abrücken? 307 Der Abend, der mit teurem Wein begonnen hatte, endete mit noch teurerem Whisky Single Malt, logisch. Wallis und Patterson erwiesen sich als gleichermaßen trinkfest. Punkt Mittemacht stand der Deal: Sam Patterson mußte keinen Partner in seiner Firma akzeptieren und durfte trotzdem nach Eden kommen und die Steuer und Abgabenfreiheit dort genießen. Es wurde kein Grund und
Boden an TerraPress verkauft aber verpachtet. Für einen recht hohen, inflationsindexierten
Pachtzins durfte sich Patterson für neunundneunzig Jahre auf Eden niederlassen, auf einem
ihm zugeteilten Areal, das noch näher definiert werden mußte. Eine reine Formsache, genau
wie die Verträge, die erst nach der Wahl am 30. November ausgearbeitet werden sollten. Bis
dahin blieb »Projekt Eden« weiter geheim.
Fürs erste genügte den beiden Geschäftspartnern ein ehrlicher Handschlag. Zwei Männer
zwei Worte.
Sam Patterson übernachtete im Gästebereich des Landhauses.
Als er am nächsten Morgen den sportlich geschnittenen Gleiter bestieg, goß es in Strömen.
So war man es von der herbstlichen Jahreszeit her gewohnt. Heiße Tage wie der gestrige
bildeten Anfang Oktober eher die Ausnahme.
Terence Wallis begleitete seinen Freund nach draußen mit Regenschirm.
»Vergiß bitte nicht, mit Bert Stranger zu reden«, bat er Sam am Gleiter. »Ich möchte ihn unter
allen Umständen auf Eden mit dabeihaben. Zwar hat er es abgelehnt, für mich zu arbeiten,
doch vielleicht überlegt er es sich anders, wenn er erst die volle Wahrheit kennt. Außerdem
liegt der Fall ja nun anders, und er bleibt auf jeden Fall in deinen Diensten.«
»Ich nehme ihn mir gelegentlich zur Brust«, versprach ihm Patterson.
»Aber bitte nicht zu früh, Sam. Warte mit eurem Gespräch bis nach der Wahl.«
308
»Keine Sorge, Terence, er wird von mir erst auf den letzten Drücker informiert, quasi als
Überraschungsknaller.«
Der Regen hatte Pattersons flauschigen, braunen Trainingsanzug total durchgeweicht.
»Hoffentlich kriegt man das in der Teppichreinigung wieder hin«, spöttelte Wallis. »Wer hat
dir das Fellding eigentlich aufgenötigt?«
»Kathy, die Tochter meiner Freundin Peggy. Kathy meint, im Trainingsanzug würde ich
wesentlich jünger aussehen. Den passenden Gleiter hat sie mir ebenfalls besorgt. Ihrer
Ansicht nach ist es meine heilige Verpflichtung, nach außen hin sportlich und fit zu wirken,
schon ihrer Mutter zuliebe, die ja zwanzig Jahre jünger ist als ich.«
»Wie alt ist Kathy?« wollte Terence wissen.
»Neunzehn.« .
»Verheiratet?«
»Nein, aber sie wohnt mit jemandem zusammen. Ich befürchte, der faule Bursche ist nicht gut
für sie. Er arbeitet nicht und läßt sich von ihr aushaken. Fast den ganzen Tag schläft er, und
wenn er mal wach ist, trinkt er die meiste Zeit. Kathy ist ihm völlig hörig. Wenn sie nicht
spurt, schreit er gleich los. Und das übelste: Er spielt!«
»Und warum setzt sie ihn nicht auf die Straße?« fragte Wallis fassungslos.
»Weil es strafbar ist, einen vier Monate alten Säugling auszusetzen«, antwortete Sam
Patterson augenzwinkemd. »Mach's gut, mein Freund wir sehen uns auf Eden.«
Kurz darauf verschwand sein Gleiter am Himmel.
Obwohl die meisten Schüsse immer wieder nach hinten losgingen, feuerte die
Fortschrittspartei unablässig auf die Partei für Demokratie. Je näher die Wahl rückte, um so
schärfer wurden die Angriffe.
Insbesondere die Spezialmunition »Commander Dhark treibt sich im All herum und schert
sich einen Dreck um die Probleme
309
der terranischen Bevölkerung« kam laufend zur Anwendung. Dabei hatte die PfD Ren Dhark
inzwischen als Kandidaten abgesetzt. Statt dessen hatte sich sein knapp
neununddreißigjähriger Stellvertreter Henner Trawisheim aufstellen lassen. Und trotzdem...
»... und trotzdem fallen immer mehr Wähler auf die Schmutzkampagnen der FP herein!« schimpfte der neunundzwanzigjährige Sensationsreporter Bert Stranger, während er in seinem Büro gleichzeitig zwei Wurfpfeile auf zwei Zielscheiben warf. Er hatte Fotos auf die Scheiben geklebt auf die eine das Bild des Endfünfzigers Antoine Dreyfuß, des aussichtsreichen Spitzenkandidaten der Fortschrittspartei, auf die andere eine Aufnahme von Dave Paley, dem fünfundfünfzigjährigen, zwielichtigen Generalsekretär jener Partei. Letzterer wirkte immer ein wenig verschlagen, ganz gleich, wie freundlich er sich gab. Dreyfuß hingegen war ein Nichts, aus dem Nichts geboren. Er sah nach nichts aus und hielt nichtssagende, schwammige Reden. Pfeil Nummer eins blieb mitten in Dreyfuß5 Nase stecken, ohne daß ihn das sonderlich veränderte. Pfeil Nummer zwei bohrte sich in Paleys rötlichen, sauber gestutzten Backenbart. Paley war der eigentliche Drahtzieher innerhalb der FP. Der »gute Antoine«, wie er ihn abfällig nannte, war lediglich sein Befehlsempfänger und Taschenträger. Es gab noch einen dritten im Bunde: Joseph Randolph Gordon Skittleman. Der sechsundvierzigjährige Geschäftsführer und Anteilseigner (75 Prozent) des Medienkonzems Intennedia gehörte keiner der beiden Parteien an. Dennoch rührte er unablässig die Werbetrommel für die Fortschrittspartei und schüttete Kübel von Dreck über die PfD, Dhark und Trawisheim aus. Stranger hatte daher von Anfang an vermutet, daß Skittleman die FP aus Machtgier mit illegalen Spendenzuwendungen massiv unterstützte. Mittlerweile war er sich ganz sicher, konnte aber nichts beweisen. Dabei hätte es Skittleman gar nicht nötig gehabt, immer höher und höher hinauszuwollen. Von der Position, die der dünne Mann mit dem straßenköterblonden, dauergewellten Haar bekleidete, konnten andere Menschen im Berufsleben nur träumen. Leider war sein ganzes Leben von Minderwertigkeitskomplexen geprägt. Das 310 drückte sich unter anderem in seiner unsicherkuschenden Haltung & und seinem Hang zu protzigen Auftritten mit billigen Mädchen aus. Dummdreist und skrupellos bahnte er sich seinen Weg nach oben. Offenbar strebte er politische Macht an. Bert Stranger konnte nichts dagegen unternehmen. Hilflos mußte er zusehen, wie die Umfragewerte der Partei für Demokratie von Tag zu Tag weiter in den Keller gingen, während ihre infamen Gegner mit gezielten Diskriminierungen wachsende Erfolge verzeichnen konnten. »Wann kapiert das Wahlvieh endlich, was hier gespielt wird?« schimpfte Bert und schleuderte einen weiteren Pfeil auf eine dritte Zielscheibe, die innen an der geschlossenen Tür hing mit Skittlemans aufgeklebtem Foto. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür und Sam Patterson trat ein. Geistesgegenwärtig schnappte er sich den heranfliegenden Pfeil von der Seite her und fing ihn auf. »Tolle Reaktion!« staunte Bert. »Insbesondere für...« »Vorsicht!« warnte Sam ihn. »Sagen Sie jetzt nur nicht: >... für einen Mann Ihres Alters.< Dann gibt es Ärger, klar?« »Insbesondere für einen Mann, der die letzten Jahre im Innendienst verbracht hat«, ergänzte Bert schlagfertig seinen Satz. Der kugelige, rothaarige Reporter konnte sich nicht vorstellen, jemals ausschließlich in der Redaktion zu arbeiten. Ein Abenteurer wie er gehörte an die Basis, nach draußen, direkt an die Brandherde dieser Welt. Patterson konnte das gut verstehen, er war früher nicht anders gewesen. Doch in einem großen Betrieb gab es nun mal ausführende und leitende Organe. Einer mußte den Laden schließlich am Laufen halten. »Ich habe eine gesonderte Redaktionskonferenz im Großraumbüro angesetzt«, informierte Sam seinen besten Mitarbeiter. »Die Kollegen sind schon gespannt auf Ihre aktuellen Ermittlungsergebnisse zur Verbindung zwischen der Fortschrittspartei und Intennedia. Die
Zeit drängt, der Wahltag nähert sich mit Riesenschritten; wir haben bereits Anfang November.« Stranger stieß einen Seufzer aus. »Ich befürchte, ich werde die Kollegenschaft enttäuschen müssen. Meine Recherchen sind 311 ziemlich ins Stocken geraten. Ich trete auf der Stelle, mir fehlt der letzte Beweis.« »Und Intermedia trommelt derweil auf allen Kanälen für Dreyfuß«, erwiderte Patterson zerknirscht. »Von Rechts wegen sollten wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Wir könnten verstärkt für Henner Trawisheim werben und gleichzeitig Halbwahrheiten über Antoine Dreyfuß in die Welt setzen. Aber dann wären wir um keinen Deut besser als Skittleman und seine Schweinebande. Deshalb werden wir weiterhin fair und neutral beachten. Die Wahrheit setzt sich am Ende immer durch.« Stranger bewunderte seinen Chef insgeheim für dessen konsequente Haltung. Patterson verfolgte eine klare Lebenslinie, von der er auch nicht abwich, wenn es brenzlig wurde. Es klopfte an die Tür. Bert öffnete. Draußen stand die Firmenbuchhalterin Elisabeth Deutschmann und bat ihn um eine Unterredung. »Er hat keine Zeit«, entschied Patterson. »Die Konferenz kann nicht warten.« »Kann sie doch«, widersprach ihm Stranger. »Vielleicht lohnt sich das Warten ja. Würden Sie uns bitte für einen Augenblick alleinlassen, Mister Patterson?« Der Eigentümer von Terra-Press mußte erst einmal schlucken. Was fiel Stranger ein, ihn wie einen kleinen Jungen hinauszuschicken? Ihn dem hier jeder Bleistiftanspitzer gehörte?! »Na schön, ich verschiebe die Konferenz um ein paar Minuten«, knurrte er. »Doch wenn es nicht wirklich wichtig ist, schmeiße ich Sie auf der Stelle raus, Stranger, kapiert?« »Kapiert«, antwortete Bert grinsend. »Wie gehabt.« Patterson hatte ihn schon mehrfach entlassen und wieder eingestellt. Wenig später waren Elisabeth und Bert allein. Stranger hatte die »graue Maus« aus der Buchhaltung vor längerer Zeit darum gebeten, ein paar Recherchen über eventuelle finanzielle Verbindungen zwischen der FP und Intermedia anzustellen. Und nicht nur sie. Elisabeth Deutschmann war eines von vielen Eisen, die er im Feuer gehabt hatte. Mittlerweile waren die meisten Flammen verloschen. Nur 'die 312 blasse Buchhalterin hatte sich an der Sache festgebissen. Stranger hatte sie fast schon vergessen. Anfangs war es auch ihr nicht gelungen, Hinweise auf finanzielle Abmachungen zu finden, die über das übliche Maß legaler Parteispenden hinausgingen. Inzwischen war sie jedoch fündig geworden. »Halten Sie sich fest!« begann die Leiterin der Buchhaltung ihre Ausführungen, die sie mit schriftlichen Unterlagen beweiskräftig untermauerte. »Haltet euch fest!« lautete Bert Strangers erster Satz, als er in die Redaktionskonferenz platzte. »Wir haben Skittleman & Co. am Wickel.« Genüßlich präsentierte der Journalist seinem Chef und seinen Kollegen Unterlagen und Fotos, die er von Elisabeth Deutschmann erhalten hatte. Daraus ging zweifelsfrei hervor, daß die Spitzenfunktionäre der FP auf wesentlich größerem Fuße lebten, als es ihnen ihre normalen Gehälter eigentlich erlauben würden. »Paleys Jett, Paleys Villa, Paleys Pferd, Paleys Yacht«, zahlte er auf und reichte die dazugehörigen Bilder herum. »Mit Dreyfuß und ein paar anderen einflußreichen Parteimitgliedern verhält es sich genauso. Teure Gleiter und Boote, Ferienhäuser in bester Lage, Golfklubmitgliedschaften...« »Schießen Sie da nicht ein wenig übers Ziel hinaus. Stranger?« unterbrach ihn Sam Patterson. »Sogar meine Putzfrau ist Mitglied in einem Golfklub. Villen muß man nicht unbedingt kaufen, man kann sie mieten, genau wie Ferienhäuser. Zudem kann man heutzutage alles
mögliche leasen: Schweber, Gleiter, Yachten, Musikanlagen... und die Mitgliedschaft in einem Reitklub kostet nicht die Welt. Immerhin verdienen unsere Politiker nicht schlecht.« »Sie verdienen sich in der Tat goldene Nasen meiner Meinung nach weitaus mehr als ihre Leistungen es wert sind«, erwiderte Stranger. »Doch Dreyfuß, Paley und Konsorten geben davon kaum etwas aus. Statt dessen sammeln sie den größten Teil ihrer Gehäl 313 ter auf ihren Konten an. Sie haben recht, Mister Patterson, es trifft zu, daß sie ihre Wohnhäuser, Fahrzeuge und alles sonstige lediglich gemietet haben aber für lächerlich geringe Mieten und Leasingbeträge, die für den Vermieter nicht einmal annähernd kostendeckend sind. Vielmehr handelt es sich dabei um symbolische Zahlungen, Kleingeld sozusagen.« »Das riecht verdammt nach Bestechung«, meinte eine jüngere Kollegin. Bert nickte. »Sehe ich auch so. Für manche Menschen ist es lediglich eine harmlose Ordnungswidrigkeit, wenn ein Politiker ab und zu mal die Hand aufhält. Meiner Meinung nach ist so etwas ein Verbrechen. Eine vom Volk gewählte unabhängige Regierung sollte ausschließlich die Interessen der Bevölkerung vertreten und nicht die Anordnungen derjenigen befolgen, die am meisten zahlen.« Unwillkürlich fiel ihm sein vertrauliches Gespräch mit Terence Wallis ein. Der Milliardär hatte ihn als Chefredakteur für ein neu zu gründendes, hauseigenes WallisMedienuntemehmen gewinnen wollen. Bert hatte ihm eine klare Absage erteilt. Seinerzeit war der Satz gefallen: Wer zahlt, befiehlt. Bezogen auf den FP-Bestechungsskandal trafen diese drei Worte zu wie die Faust aufs Auge. Was Bert nicht ahnte: Auch Sam Patterson dachte in diesem Augenblick an seine letzte Unterredung mit Wallis, in deren Verlauf er denselben Satz verwendet hatte. »Meine Frau wünscht sich schon lange eine Villa mit Swimmingpool«, bemerkte ein kahlköpfiger Redakteur mittleren Alters. »Könnte man den großzügigen Vermieter mal kennenlernen?« »Kein Problem«, entgegnete Stranger. »Die Villen, Yachten und so weiter gehören einer Stiftung, die ihren Sitz in Südamerika hat.« »Bißchen weit weg«, murmelte der Kahle. »Wart's ab«, sagte Bert und fuhr mit seinen Ausführungen fort. »Die betreffenden FPPolitiker verwenden zur Begleichung ihrer diversen Clubmitgliedsbeiträge und sonstiger Rechnungen fast ausschließlich Kreditkarten, die auf die Stiftung laufen. Auf diese Weise haben sie so gut wie keine persönlichen Ausgaben.« »Das nenne ich mal eine waschechte Bestechung!« staunte Saiü 314 Patterson. »Paley und seine habgierigen Parteifreunde finanzieren sich beinahe ihren gesamten Lebensunterhalt über illegale Gelder. Damit gehören ihre Seelen praktisch dem >ehrenwerten Spenden. Falls sie nicht tun, was er von ihnen verlangt, dreht er kurzerhand den Geldhahn zu und kündigt die Mietverträge.« Bert Stranger schaute zum glatzköpfigen Redakteur. »Um den Gründungsstifter kennenzulernen, brauchst du nicht weit zu gehen, mein Lieber. Es ist kein Geringerer als Joe R. G. Skittleman. Damit die Stiftung nicht mit Intermedia in Verbindung gebracht werden
kann, finanziert Skittleman das Ganze aus seinem Privatvermögen.«
Einer der Anwesenden stieß einen leisen Pfiff aus. »Junge, Junge, wenn der so weitermacht,
ist er bald pleite.«
»Schräge Vögel wie Skittleman haben doch immer Geld«, erwiderte Klatschtante Claire alias
KC, die bekannteste Klatschkolumnistin von Terra-Press. »Intermedia wirft bestimmt
Riesengewinne ab. Und wer weiß, was für krumme Geschäfte er sonst noch am Laufen hat.
Joseph Randolph Gordon hat einflußreiche Freunde in hohen Positionen und vielleicht sogar
in der Unterwelt. Die sogenannte feine Gesellschaft ist mitunter gar nicht so fein, wie sie tut.
Wenn man da mal ein bißchen herumstochert...«
»Wir sollten doch die Kirche im Dorf lassen«, sagte Patterson. »Anstatt uns in wilde
Spekulationen zu versteigen, halten wir uns lieber an die Fakten die sind schon ergiebig
genug. Unsere Rechtsabteilung wird die Unterlagen umgehend überprüfen. Auf den ersten
Blick scheint die Beweiskette wasserdicht zu sein. Gleich morgen früh setzt TerraPress in
allen Sendern und Zeitungen eine Kampagne in Gang, die sich gewaschen hat. Das
übernehmen Sie, Stranger. Skittleman wird sich in diesem Herbst warm anziehen müssen. Für
seine halbseidenen Freunde aus der Politik gilt das gleiche. Frau Deutschmann ist wirklich
eine erstaunliche, patente Frau, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Ich werde sie für ihre
detektivischen Bemühungen mit einer Beförderung belohnen.«
»Geht nicht«, entgegnete Stranger. »Sie leitet bereits die Buchhaltung.«
»Dann versetze ich sie auf einen besseren Posten.«
315
»Geht nicht. Sie fühlt sich dort überaus wohl und macht ihre Arbeit gem.«
»Dann beschenke ich sie mit einem Präsentkorb voller Süßigkeiten.«
»Geht nicht. Beim Geschmack von Marzipan wird ihr übel, und von Schokolade bekommt sie
Ausschlag.«
»Sekt?«
»Sie trinkt nicht.«
»Offensichtlich haben Sie eine sehr lange und sehr intime Unterhaltung mit ihr geführt«,
stellte der TerraPressLeiter verwundert fest.
»Goldrichtig«, bestätigte Stranger. »Wir saßen bei einem Automatenkaffee in der Kantine
zusammen, und ich mußte ihr haarklein alles über meine Freundin Veronique erzählen.
Elisabeth ist ganz begierig auf privaten Tratsch. Erst nachdem sie mich wie eine Tomate
ausgequetscht hatte, erklärte sie sich bereit, ihre Kontakte spielen zu lassen und für mich
Nachforschungen zu betreiben.«
Klatschtante Claire horchte auf. »Sie tratscht gern? Dann habe ich das richtige Geschenk für
sie! Es kostet Sie nicht die Welt, Mister Patterson, und bereitet ihr bestimmt große Freude.«
Die drei schwarzgekleideten, hochgewachsenen Gestalten, die nachmittags die
Redaktionsräume von TerraPress betraten, verhießen nichts Gutes. Mit düsterer Miene
erkundigten sie sich nach Bert Stranger.
Man wies ihnen den Weg zu seinem Büro.
Stranger verfügte über drei Schreibtische. Einer stand im Großraumbüro, zwei weitere in
seinem eigenen. Als die unheimlichen Besucher eintraten, waren beide Schreibtische besetzt.
Am ersten saß Bert, am zweiten ein unscheinbares Männlein, das mit fahriger Miene die
Tastatur von Strangers Suprasensor malträtierte.
»Mein Name ist Mader«, stellte sich einer der drei Besucher vor und legte eine Visitenkarte
auf Berts Tisch. »Das sind meine beiden Kollegen Anderson und Leandros. Wir sind die
Rechtsanwälte
316
»n Mister Skittleman, Mister Paley und Mister Dreyfuß. Wir sind angemeldet.«
»Ich weiß«, erwiderte Stranger und deutete auf eine dreiteilige Sitzgruppe. »Nehmen Sie bitte
Platz.«
Zwei weitere Visitenkarten machten Bekanntschaft mit Strangers Schreibtischplatte.
»Wir möchten mit Ihnen allein reden«, forderte Anderson, nachdem er sich gesetzt hatte.
»Bitte schicken Sie Ihren Sekretär hinaus.«
»In meinem Büro bestimme ich, wer bleibt und wer nicht«, machte Stranger ihm klar. »Es kann nichts schaden, wenn bei dieser sicherlich unerfreulichen Unterredung ein neutraler Zeuge anwesend ist.« Das Männlein schien überhaupt nicht zuzuhören. Es hatte aufgehört zu tippen und schaute mit nachdenklicher Miene auf den Bildschirm, der für die drei Anwälte nicht einsichtig war. »Wie Sie meinen«, entgegnete Leandros mit säuerlicher Miene. »Wir wurden beauftragt, Klage wegen Verleumdung und Ehrverletzung gegen Sie einzureichen. Man erwartet von Ihnen, daß Sie sich öffentlich für Ihre Schmierenkampagne entschuldigen. Im übrigen werden Sie uns drei Erklärungen unterzeichnen, in welchen Sie sich verpflichten, künftig weitere Lügenattacken gegen unsere jeweiligen Mandanten zu unterlassen.« Mader stand auf und wollte Stranger die vorbereiteten Schriftstücke überreichen. »Legen Sie den Papierkram auf dem Schreibtisch nebenan ab«, wies Bert ihn desinteressiert an. »Vielleicht lese ich es später.« »Sie verkennen offenbar Ihre Situation«, erwiderte Mader scharf, kam aber der Aufforderung nach. »Unsere Mandanten lassen nicht mit sich spaßen. Seit Tagen verbreitet TerraPress gemeine Lügen über den Generalsekretär der Fortschrittspartei und deren aussichtsreichen Kandidaten für das Amt des Commanders der Planeten. Den beiden ehrenwerten Herrschaften Bestechlichkeit zu unterstellen, stellt eine schwere Beleidigung dar und die ist laut Paragraph 222 Absatz 11 strafbar.« Der Unscheinbare wandte sich vom Suprasensor-Bildschirm ab und nahm die auf seinem Schreibtisch befindlichen Niederschrif317 ten der Anwälte zur Hand. Er studierte sie aufmerksam. Sein stupider Gesichtsausdruck ließ allerdings darauf schließen, daß er nur wenig damit anfangen konnte. »Auch der Intermedia-Geschäftsführer fühlt sich aufs übelste verleumdet«, ergriff Anderson das Wort. »Er bereitet zur Zeit eine Gegenkampagne vor, um die Sache richtigzustellen.« »Da bin ich aber gespannt«, entgegnete Stranger gelassen. »Meine Beweise sind hieb und stichfest. Skittleman kann nur das tun, was er immer tut, nämlich heiße Luft in den Orbit blasen.« »Sind Sie sich eigentlich bewußt, mit wem Sie sich anlegen?« fragte ihn Leandros. »Skittleman und Paley gehören zu den wichtigsten Männern unseres Staates und können Ihnen einen Haufen Ärger bereiten. Ziehen Sie Ihre unwahren Behauptungen zurück, Stranger, und unterschreiben Sie die Erklärungen. Nur so kommen Sie noch mit einem blauen Auge davon.« »Sorry, aber Drohungen wirken bei mir nicht«, sagte Bert grinsend. »Dagegen habe ich mich vorige Woche impfen lassen.« »Sam Patterson hält seine schützende Hand über Sie, nur deshalb leisten Sie sich solche Frechheiten«, giftete Mader ihn an. »Aber wenn wir Sie erst einmal vor Gericht in die Mangel nehmen, wird er Ihnen nicht mehr helfen können weil er nämlich neben Ihnen auf der Anklagebank sitzt. Sie, Stranger, sind der Initiator der feigen Verleumdungskampagne. Und Patterson ist der Hauptverantwortliche, weil er als Chef von TerraPress die feindseligen öffentlichen Attacken gegen unsere unbescholtenen Mandanten zugelassen hat. Deshalb wird auch er nicht ungeschoren davonkommen.« »Es wird weder eine Klage noch eine Gerichtsverhandlung geben«, war Stranger überzeugt. »Skittleman ist zwar nicht der Hellste, doch er weiß, wann er auf verlorenem Posten kämpft. Und was Paley und Dreyfuß angeht, so wird er sie spätestens nach der Wahl fallenlassen, weil sie ihm dann nicht mehr von Nutzen sind. Hoffentlich sind die beiden ohne ihn überhaupt noch lebensfähig, schließlich hat er sie sich gehalten wie zwei Meerschweinchen.« Mader schaute seine beiden Begleiter an.
»Ich denke, wir haben hier nichts mehr verloren, meine Herren. Wie nicht anders zu erwarten, ist mit Mister Stranger nicht zu re 318 den. Hoffen wir, daß sich Mister Patterson als vernünftiger und kooperativer erweist.« »Er läßt Ihnen schöne Grüße ausrichten«, entgegnete Bert Stranger. »Auf seinem Schreibtisch stapelt sich die Arbeit, deshalb bittet er Sie, ihn heute nicht zu belästigen.« »Das könnte ihm so passen«, knurrte Anderson. »Wo ist sein Büro?« »Schon mal was von Hausfriedensbruch gehört?« meldete sich überraschend das Männlein am Suprasensor zu Wort. »Paragraph 123 des terranischen Bürgergesetzes stellt Personen unter Strafe, die in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen eindringen beziehungsweise ohne Befugnis darin verweilen und sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht umgehend entfemen.« Mader, Anderson und Leandros schauten den vermeintlichen Sekretär verblüfft an. »... regelt der elfte Absatz von Paragraph 222 nicht die Strafbarkeit der schweren Beleidigung, vielmehr befaßt er sich mit dem Tatbestand der einfachen Beleidigung. Genaugenommen gibt es beides nicht, denn die auf Terra und unseren Kolonialplaneten gültige Gesetzgebung kennt nur den Begriff der Beleidigung im allgemeinen unter Juristen auch als Formalbeleidigung bekannt. Bei einer Formalbeleidigung kann es sich sowohl um eine bloße Beschimpfung als auch um eine grobe Mißachtung handeln. Im juristischen Sinne ist eine schwere Beleidigung nichts anderes als eine üble Nachrede, die laut Absatz zwölf unter Strafe gestellt wird. Zitat: >Wer beleidigende Äußerungen ungeprüft weitergibt, wird bestraft, insofern er nicht die Richtigkeit seiner Behauptungen nachweisen kann.< Der Hinweis, man habe die Informationen von Dritten erhalten, schützt nicht vor einer Verurteilung, denn bloße, ehrverletzende Gerüchte darf man nicht ungestraft weiterverbreiten.« Das unscheinbare Männlein, das an Strangers Nachbarschreibtisch saß, holte kurz Atem. 319 Mader nutzte die günstige Gelegenheit für einen Einwand. »Beleidigung oder nicht das ist doch Haarspalterei. Dann hat sich Mister Stranger halt der üblen Nachrede schuldig gemacht, und die ist strafbar. Er hätte die ihm zugespielten Informationen eingehender prüfen sollen, dann säße er jetzt nicht in der Patsche.« »Ich sitze nicht in der Patsche!« protestierte der Journalist. »Gemeinsam mit Sam Patterson und unserer Rechtsabteilung habe ich jedes Detail gewissenhaft überprüft. In keiner einzigen Meldung, in keinem einzigen Artikel wurde auch nur der Hauch einer Lüge verbreitet. Sämtliche veröffentlichten Angaben sind wahr. Üble Nachrede daß ich nicht lache!« »Es wird keine Klage wegen übler Nachrede eingereicht, sondern wegen Verleumdung«, stellte Anderson klar. »Diese juristisch völlig korrekte Bezeichnung verwenden wir auch in den vorliegenden drei Schriftstücken.« Stranger schaute das Männlein ratlos an. »Nachrede? Verleumdung? Wo liegt da der Unterschied?« »In der Höhe der Strafzumessung«, erhielt er zur Antwort. »Wer nachweislich um die Unrichtigkeit eines verbreiteten Gerüchts weiß, begeht im Sinne des Gesetzes eine Verleumdung. Davor muß der Bürger geschützt werden. Die Schwierigkeit liegt in der Beweisführung. Wie soll man einem Verleumder nachweisen, daß ihm die Unwahrheit zum Zeitpunkt der Verbreitung der Falschmeldung bewußt war?« »Heißt das, ich muß mir ernsthaft Sorgen machen?« hakte Stranger nach. »Nicht, wenn Sie stets nur die volle Wahrheit verbreitet haben. Einen Bestechungsskandal aufzudecken ist nicht straf, sondern ehrbar.« Mit zufriedener Miene wandte sich Bert den drei Anwälten zu und gab ihnen ihre Schriftstücke zurück. »Sie haben es gehört ich bin ehr, nicht ruchbar. Bitte gehen Sie jetzt, und nehmen Sie Ihre Pamphlete mit.«
Leandros nahm die mühevoll aufgesetzten Niederschriften mit entrüsteter Miene entgegen.
»Ihr sittenwidriges Verhalten wird Ihnen noch leid tun!« drohte er.
320
»Solch ein Verhalten liegt in unserem Fall nicht vor«, belehrte ihn das Männlein.
»Sittenwidrigkeit führt laut Paragraph 138 Absatz 77 zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts,
wenn sich jemand unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder der
erheblichen Willensschwäche eines anderen geschäftliche Vorteile oder Vermögensvorteile
verschafft, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur erbrachten Leistung stehen. Darf ich
fragen, Mister Mader, Mister Anderson, Mister Leandros, in welcher Zwangslage sich Ihre
Mandanten zum Zeitpunkt der Abwicklung ihrer geschäftlichen Vereinbarung mit Mister
Stranger befanden, um was für eine geschäftliche Vereinbarung es sich in praxi handelt und
welche Art von Leistung... ?«
Rumms!
Mader, der als letzter hinausgegangen war, hatte die Bürotür laut und vernehmlich ins Schloß
fallen lassen.
»Habe ich was Falsches gesagt?« fragte der Unscheinbare verdattert.
Bert klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Aber nein, Sie waren großartig!«
»Der Mann ist wirklich großartig!« sagte Sam Patterson zu Terence Wallis am Vipho.
»Stranger hatte eine Kameraverbindung zu meinem Büro geschaltet, um es mir zu
ermöglichen, zuzuschauen und mitzuhören. Am liebsten hätte ich laut losgelacht, so komisch
war die ganze Situation. Wie er die drei Winkeladvokaten in ihre Schranken verwiesen hat,
mit tonloser Stimme, völlig emotionslos, das war nicht zu überbieten. Und so ganz nebenher
besserte er zwei orthographische Fehler in den Schriftstücken aus mit Rotstift, wie ein Lehrer
bei seinen Schülern.«
»Ich habe dir doch gesagt, er ist unbezahlbar«, entgegnete Wallis amüsiert. »Deshalb steht er
ja auch in meinen Diensten. Vor Gericht hat er schon so manchem gegnerischen Anwalt den
letzten Nerv getötet ohne große Anstrengung, nur mit seiner unnachahmlichen Art des
Auftretens.«
Patterson hatte im Verlauf eines privaten Telefonats mit Wallis
321
erwähnt, daß Mader, Anderson und Leandros ihr Erscheinen in der Redaktion angekündigt
hatten. Daraufhin hatte Wallis ihm seinen besten Anwalt zur Verfügung gestellt. Zwar
verfügte Terra-Press über eine ausgezeichnete Rechtsabteilung, doch S am hatte sich letztlich
überreden lassen.
»Nur gut, daß ich auf dich gehört habe«, bedankte er sich jetzt am Vipho. »Die Schau, die
dein Hausjurist hingelegt hat, war durch und durch gelungen. Seine fahrigen
Fingerbewegungen an der Tastatur, der stupide Ausdruck in seinen Augen, seine farblose
Kleidung, die einschläfernde Stimme... sogar als er sich von Stranger und mir verabschiedet
hat, behielt er seine Rolle bei.«
»Wieso Rolle?« fragte Terence Wallis. »Er hat euch nichts vorgespielt. A. B. C. D. E.
Fortrose benimmt sich immer so.«
322
21. »Es ist an der Zeit, Abschied zu nehmen, mein Freund«, sagte der Gestaltwandler, der sich wie üblich als Jim Smith präsentierte. Sein Alter Ego war ihm längst zur zweiten Natur geworden, die er auch künftig und fern der Erde nicht aufzugeben gedachte.
»Aber sicher nicht für immer«, erwiderte Ren Dhark. »Wir liegen doch nur ein paar Galaxien weit voneinander entfernt.« Nur ein paar Galaxien weit. Seine eigenen Worte brachten ihn zum Lachen. Als er vor zehn Jahren sein Raumfahrerpatent erhalten hatte, wären sie ihm wie Größenwahn vorgekommen, doch inzwischen hatte er sich schon fast daran gewöhnt, in Galaxien außerhalb der Milchstraße zu operieren. Wie im Zuge der Globalisierung die Erde einst scheinbar kleiner geworden war, war es nach dem Wegfall des Exspects dieser Bereich des Weltalls. Von Terranem gesteuerte Raumschiffe waren in der Lage, die Nachbargalaxien viele tausend Mal schneller zu erreichen, als es das Licht vermochte. Der »Blick in die Vergangenheit«, von dem Astronomen des zwanzigsten Jahrhunderts so gern gesprochen hatten, hatte dadurch eine ganz neue Dimension erlangt. »Du magst recht haben. Der Kreis schließt sich jedenfalls«, erinnerte sich Gisol. »Hier hat alles angefangen, und für dich und die Menschen endet es hier.« Ren Dhark nickte stumm, als er neben dem Worgun durch die großzügig angelegte Parkanlage schlenderte, die die römische Akademie umgab. Im April 2059 hatten sie Terra Nostra zum ersten Mal betreten, und nun schrieb man daheim, auf der Erde, Anfang November. Etwas mehr als ein halbes Jahr war also vergangen, seit die Orn-Expedition ins Innere der Gaswolke Gardas vorgestoßen war. Es 323 fiel ihm schwer zu glauben, was in dieser Zeit alles geschehen war. »Es scheint mir eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit wir Laetus und Nauta kennengelernt haben«, sagte er. »Damals traten wir uns beinahe wie Gegner gegenüber, und heute sind wir Freunde. Die Dinge haben sich geändert.« »Das tun sie immer.« Gisol wirkte schwermütig angesichts des bevorstehenden Abschieds. »Laß dir das von einem alten Mann gesagt sein.« »Alter Mann? Nur weil du ein paar hundert Jahre mehr auf dem Buckel hast als ich? Hör bloß auf, du Worgun-Jungspund.« »Ihr seid beide alte Männer«, kicherte Juanita vergnügt, die seit Gisols Rückkehr nach Terra Nostra nicht einen Schritt von dessen Seite gewichen war. »Zwar kenne ich noch viel ältere Männer von der Erde, aber im Vergleich zu mir seid ihr beide echt alt.« »Da muß wohl etwas dran sein«, sinnierte Dhark. Als Dreißigjähriger hatte er in der Tat schon viel mehr erlebt als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben. »Womit wir wieder bei den Veränderungen sind. Du bist fest entschlossen, mit dem Mädchen bei den Römern zu bleiben?« »Ich gehöre hierher, das wissen wir beide, und Juanita fühlt sich auf Terra Nostra wohl. Sie kann hier eine Menge lernen. Auf der Erde kennt sie niemanden, aber hier hat sie bereits eine Reihe von Freundschaften geschlossen. Sie hat hier alle Möglichkeiten, die ihr in den Slums, aus denen sie stammt, verwehrt geblieben wären.« Die unbekümmerte und fröhliche Art von Gisols Ziehtochter bestätigte dessen Worte. Längst hatte sie sich in der anfangs für sie fremden Welt eingelebt. »Zu Hause gab es nicht so viele Blumen, da gab es nur Schmutz und Abfall«, plapperte sie vergnügt und sprang zwischen den Beeten umher. »Hier darf ich so viele Blumen abpflücken, wie ich will, und niemand schimpft deswegen. Ich will nie mehr von hier weg.« »Dagegen kann wohl niemand etwas einwenden«, sagte Dhark, als sie einen langgezogenen, flachen Gebäudetrakt betraten, der im Sonnenlicht badete. Musik begleitete sie, während sie durch einen 324 in Marmor gehaltenen Korridor gingen, der in einen festlich geschmückten Saal führte. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß eine ausgelassene Stimmung herrschte. Neben zahlreichen Römern von Terra Nostra war die gesamte Besatzung der POINT OF zugegen
und sprach den mannigfaltigen Speisen und erlesenen Weinen reichlich zu. In Gruppen und Grüppchen standen Menschen und Römer zusammen und unterhielten sich angeregt. Auch der Wächter Simon hatte sich unter die Menge gemischt. Dan Riker kam den Neuankömmlingen mit einem Glas Wein entgegen und prostete Gisol zu. »Da seid ihr ja endlich, Ren. Doorn hat bereits Wetten angeboten, daß ihr beide stillschweigend an Bord der POINT OF und der EPOY gegangen wärt, um die Zyzzkt vor Gardas auf eigene Faust endgültig zu vertreiben.« »Vor Gardas parrouillieren keine Wimmelwilden mehr«, korrigierte ihn der Worgun. »Dann eben im Rest von Om. Ihr kennt doch unseren guten Are. Wenn der sich etwas in seinen Dickschädel gesetzt hat, bekommt man es nicht so schnell wieder raus.« Gisol lächelte. »Aber er weiß ebensogut wie der Rest von euch, daß der Krieg in Om nicht eure Sache ist. Damit kommen wir allein klar, und ich bin zuversichtlich, daß wir ihn in absehbarer Zeit beenden können. Die Allianz aus Römern, Worgun und zahlreichen anderen Völkern, die es endlich wagen, sich gegen die Unterdrücker zu erheben, ist auf einem guten Weg.« »Dennoch bedaure ich noch immer, daß es uns auf Morpok nicht gelungen ist, den Krieg zu verhindern.« »Wir sollten nicht in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft. Immerhin verbringen wir dort den größten Teil unseres Lebens.« Riker starrte in sein Weinglas und runzelte fragend die Stirn. »Hat dieser früher so steife Rebell der Mysterious das jetzt wirklich gesagt, oder habe ich schon zuviel von diesem edlen Tropfen genossen? Ach egal, jedenfalls hat er recht. Das hier ist unsere Abschiedsfeier, und die sollten wir genießen. Unsere Gastgeber haben sich alle Mühe gegeben, und wir wollen sie doch nicht enttäuschen.« 325 Als hätten sie auf dieses Stichwort gewartet, gesellten sich Laetus und Nauta zu ihnen. Margun und Sola, dachte Ren, auch wenn die Römer das nicht wußten. Das Geheimnis der Erbsenatoren blieb weiterhin gewahrt. Er hatte seine Leute von der POINT OF dazu vergattert. Stillschweigen über die wahre Identität der Akademiepräsidenten zu bewahren. Wenn Margun und Sola der Meinung waren, sie eines Tages lüften zu müssen, sollten sie das selbst tun. »Ohne unsere Freunde von der Erde würden wir uns wahrscheinlich immer noch verstecken«, sagte Laetus, der einen unscheinbaren Datenspeicher in der Hand hielt. »Nur den Daten über das Schwarze Loch haben wir es zu verdanken, daß wir endlich so mobil sind, wie wir es immer erhofft haben.« »Was ist das?« fragte Dhark, als der Römer ihm den Datenspeicher reichte. »Ein bescheidenes Zeichen unserer Dankbarkeit«, antwortete Nauta. »Das mindeste, was wir tun können. Der Speicher enthält uraltes Worgun-Wissen.« »Papperlapapp, Ren«, kam Gisol dem Commander zuvor, ehe der sich bedanken konnte. »Was wir euch zu verdanken haben, läßt sich nicht in Worte fassen.« »Auch nicht der Verlust der BUDVA und Ihrer Kameraden, die für die Freiheit Oms gestorben sind«, pflichtete Laetus bei. »Für ein Leben kann es keinen Ersatz geben, zumindest aber für Ihr verlorenes Schiff. Auf dem Landefeld steht bei Ihren Schiffen ein neuer OvoidRingraumer bereit, den wir Sie bitten anzunehmen. Wir waren so frei, ihn im Gedenken an Ihren Verlust auf den Namen BUDVA II zu taufen. Wenn Sie ihn mit Ihren übrigen Schiffen koppeln und an die Spitze der Formation setzen, wird das Ihre Geschwindigkeit beträchtlich erhöhen.« Ren nickte. Die neuen Freunde aus einer anderen Galaxis machten ihm den Abschied wirklich nicht leicht. Er rang nach Worten, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. In seinem Hals
steckte ein Kloß, der ihm den Atem raubte. Nur nicht die Übersicht verlieren, befahl er sich,
als er bemerkte, daß er drauf und dran war, in Melancholie zu ertrinken. Er konnte sich nicht
erinnern, schon einmal ähnlich gefühlt zu haben.
326
»Sind wir Männer oder Mädchen? Wir könnten jetzt gemeinsam eine Runde heulen«,
überspielte Dan Riker die Situation mit einem Augenzwinkern und schwenkte sein
inzwischen leeres Weinglas. »Wir könnten uns aber auch gemeinsam an diesem wunderbaren
Tropfen vergehen.«
»Ich bin ein Mädchen«, warf Juanita mit einem strahlenden Lächeln ein. »Ihr seid Männer,
Mister Riker. Auch wenn ich die Frage nicht verstehe, denn es gibt doch nichts zu heulen.«
Als ringsum Gelächter einsetzte, verstand sie die Welt nicht mehr.
»Mach dir nichts draus«, sagte Gisol, hob sie mit einem Ruck in die Höhe und setzte sie auf
seine Schultern. »Manchmal sind kleine Mädchen wie du viel vernünftiger als wir alten
Männer.«
»Ist mir schon klar. Und wenn ich erst mal groß bin, werde ich noch viel vernünftiger sein als
ihr alle zusammen.«
»Apropos vernünftig«, fiel Dhark etwas ein. »Was ist eigentlich aus der Millionenflotte der
Zyzzkt geworden, mit der die Insektoiden nach Nai auswandern wollten?«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Commander. Die haben wir lahmgelegt. Zu einer
Invasion anderer Galaxien durch die Zyzzkt wird es niemals kommen.«
»Der Checkmaster weigert sich übrigens beharrlich, uns zu verraten, wie er auf Morpok auf
die Idee mit dem neuronalen Blockadefeld gekommen ist, das die Worgunmutanten
ausgeschaltet hat«, beschwerte sich Dan Riker. »Diese Kiste wird sich auch niemals ändern.«
»Das Feld haben Nauta und ich entworfen und in die MASOL eingebaut vor eintausend
Jahren auf Kaso«, flüsterte Margun so leise, daß ihn sonst niemand hören konnte. »Sollten Sie
es irgendwann wieder einmal brauchen, sprechen Sie den Autonomrechner darauf an. Er wird
es ihnen sicher gern zur Verfügung stellen, auch Wenn er manchmal ein wenig... eigen ist.«
»Eigen? Das ist viel zu milde ausgedrückt.« Dan Riker spielte unmer noch mit seinem leeren
Glas. »Eine Apparatur, die nicht mal Arc Doorn durchschaut, kann nur spinnen.«
»Sehen Sie es uns nach«, bat Laetus ebenso leise wie sein Kollege. »Aber wenn jemand die
Schuld daran trägt, dann nicht der
327
Autonomrechner, sondern mein Freund und ich. Schließlich steckt eine Menge von uns als
seinen Erbauern in ihm, und zweifellos haben wir ihn mit ein paar unserer persönlichen
kleinen Eigenheiten versehen.«
»Dann dürfen wird uns in Zukunft auf weitere Überraschungen gefaßt machen, so weit es den
Checkmaster betrifft?« fragte Dhark.
»Durchaus, Commander, durchaus. Immerhin ist er ein Stück von uns.«
»Ich frage gar nicht weiter, denn ich bin sicher. Sie werden uns ohnehin nicht mehr sagen.«
Die beiden Akademiepräsidenten setzten ein beinahe synchrones Lächeln auf und neigten die
Köpfe. Als Nauta wieder aufblickte, sagte er: »Eines kann ich aber durchaus verraten. Von
dem Wein, der Mister Riker so zusagt, lagern noch einige Fässer in unseren Kellern.«
Der Rest des Abends und der darauffolgenden Nacht verging in einer Mischung aus
Sentimentalität und rauschender Atmosphäre. Erst als der nächste Morgen graute, kehrte in
den prächtigen römischen Hallen allmählich Ruhe ein.
Das Kapitel Orn war abgeschlossen.
Jedenfalls dachte das Ren Dhark.
Wohltuende Stille lag in der Kommandozentrale der POINT OF, wo in letzter Zeit nur Lärm
und Hektik regiert hatten.
Ren Dhark sog die beinahe vergessen geglaubte Atmosphäre in sich auf wie eine milde
Frühlingsbrise, die Balsam war für Nerven und Seele.
Er hatte sich nach einer Nacht wie dieser gesehnt, und nun, da sie endlich gekommen war,
hielt er sie fast für einen Traum, aus dem er jeden Moment aufwachen konnte.
Strahlend und funkelnd blieb Orn hinter den gekoppelten Raumschiffen zurück, als sie im
intergalaktischen Leerraum zwischen den Galaxien beständig beschleunigten.
Die Römer hatten nicht zuviel versprochen, was die Möglichkei
328
;n der BüDVA II anging, und Ren war dankbar für jede Stunde, die sie dadurch früher in der
Milchstraße ankommen würden.
Im heimatlichen Sonnensystem und vor allen Dingen auf der Erde.
»Du bist so still«, durchbrach Dan Riker, der neben dem Commander der Planeten saß, die
Stille. »Woran denkst du?«
»Daran, daß es Blödsinn ist, daß wir uns beide die Nacht um die Ohren schlagen.« Dhark
winkte lachend ab. »Ich bin erleichtert, daß wir rechtzeitig vor den Wahlen wieder daheim
sind. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht damit gerechnet.«
»Früh genug jedenfalls, daß du noch in den Wahlkampf eingreifen kannst. Auch wenn nicht
mehr viel Zeit bleibt, wirst du die Wähler schon überzeugen. Schließlich hast du einmal mehr
die Galaxis gerettet. Bei der Vorstellung einer Invasion der Milchstraße durch die Zyzzkt
dreht sich mir noch immer der Magen um.«
»Mir geht es nicht anders.« Dharks Gedanken kehrten zurück zu den neuen Freunden, die sie
durch die Orn-Expedition gewonnen hatten. So sehr er sich auf die Heimat freute, so sehr
vermißte er sie bereits.
Das ist der Lauf der Dinge, sagte er sich. Das ganze Leben war eine Aneinanderreihung
flüchtiger oder intensiver Bekanntschaften aus denen aber zum Glück hin und wieder auch
mehr wurde.
»Glaubst du, daß die Worgun und die Römer die Zyzzkt endgültig besiegen werden?«
»Bei Leuten wie Martius und Gisol zweifle ich nicht daran. Ei
?s Tages werden wir es erfahren, verlaß dich drauf.«
»Na ja, nicht jede Galaxis, in die es uns verschlägt, verschwindet wie Drakhon. Das wäre ja
auch noch schöner. Die Menschen auf der Erde könnten sonst auf die Idee kommen, daß wir
uns diese Geschichten nur ausdenken, und zum Münchhausen eigne ich mich nicht besonders
gut.«
Die alten Freunde lachten gemeinsam, als sich die Ortung meldete. l »Was gibt es denn?«
seufzte Dhark schicksalsergeben.
»Wir erfassen ein Flugobjekt, das mit hoher Überlichtgeschwinligkeit aus dem Leerraum
kommt und Orn anfliegt.«
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»Kommt vor«, antwortete Riker anstelle des Kommandanten. »Und was ist daran so
ungewöhnlich?«
Langsam richtete sich Dhark in seinem Sitz auf. So gern er auf unvorhergesehene
Zwischenfälle verzichtet hätte, hatte er mit einem Mal das untrügliche Gespür, es nicht mit
einem herkömmlichen Raumschiff zu tun zu haben. In dem Fall hätte die Ortung nämlich kein
besonderes Aufheben darum gemacht.
»Das Objekt besitzt die Größe eines Planeten und wird eindeutig gesteuert, wie eine
Kurskorrektur bestätigt.«
»Klingt ziemlich geheimnisvoll. Ich möchte einen Blick darauf werfen.«
»Was wahrscheinlich keine so gute Idee ist«, warf Dan Riker ein und verdrehte theatralisch
die Augen. »Aber wir sind ja nicht zum Spaß hier draußen.«
In der Bildkugel wurde das unbekannte Objekt sichtbar. Es war tatsächlich so groß wie ein
mittlerer Planet, aber das war nicht das auffälligste daran.
»Du liebe Güte«, entfuhr es dem Chef der TF ungläubig. »Hast du so etwas schon mal
gesehen?«
Der weißblonde Mann schüttelte den Kopf, während er das faszinierende Objekt betrachtete.
Es war tatsächlich ein Planet, aber einer, der golden leuchtete, und sein Ziel war unzweifelhaft
Om. Anscheinend hatte irgendeine Macht des Universums etwas dagegen, daß der amtierende
Commander der Planeten die Erde rechtzeitig genug erreichte, um sein Amt bei den
bevorstehenden Wahlen verteidigen zu können.
Kurs ändern, instruierte Ren Dhark die Gedankensteuerung. Schiffsverband auf Abfangkurs
bringen.
Statt Richtung Milchstraße ging es zurück nach Om.
Zurück in eine Galaxis, die weit entfernt vom Frieden war.
330
22. Samstag, 29. November 2059 13 Uhr in Alamo Gordo (12 Uhr Pazifische Zeitzone) Büro von Sam Patterson Die Umfragewerte der Fortschrittspartei waren rapide gesunken. Davon profitierten die übrigen Parteien, allen voran die Partei für Demokratie. Bald hatte kaum noch jemand Zweifel daran, daß Trawisheim die Wahl gewinnen würde. Mit Beginn des Wahltages wurden keine Unifragen mehr durchgeführt. Auch Hochrechnungen waren verboten um eine Beeinflussung der Wähler zu verhindern, die noch nicht ihre Stimme abgegeben hatten. »Theoretisch könnte sich das Volk die Stimmabgabe schenken«, meinte Bert Stranger. »Der Sieger steht sowieso fest.« l »Sehe ich genauso«, entgegnete Sam Patterson. »Das wird die . % stinklangweiligste Wahl in der Geschichte der Menschheit.« Bert grinste. »Leider können wir auf eine umfangreiche Berichterstattung kaum verzichten. Die Konkurrenz schläft nicht. InterI1 media wird seine besten Leute in die Parteizentralen und in die Wahlzentrale schicken und die ganze Sache zu einem >Wahlkrimi< hochspielen. Sobald dann das Ergebnis offiziell feststeht, folgt das übliche Lamento der Politiker. Die Sieger triumphieren und behaupten, das hätten sie von vornherein gewußt, keine Sekunde hätten sie an ihrem Sieg gezweifelt und die Verlierer führen ihre Niederlage auf unfaire Intrigen ihrer Parteigegner zurück und erklären sich zu den eigentlichen Gewinnern.« Patterson nickte. »Sinnloses Blabia, über das jeder Anfänger berichten kann. Ich werde Louis Carton beauftragen, ein Team für die Wahlberichterstattung zusammenzustellen.« 331 »Wie bitte?« entfuhr es Stranger verwundert. »Aber ich habe bereits ein Team zusammengestellt, unter meiner Leitung.« »Die Besten der Besten, wie ich Sie kenne.« »Logisch, die Elite von Terra-Press ist gerade gut genug für mich. Immerhin wird das Wahlgeschehen über sämtliche Kanäle ausgestrahlt, bis ins hinterletzte Mauseloch unseres Planeten. Rund um die Erde dauert der Wahltag 36 Stunden, die ersten Wähler haben also ihre Stimmen bereits abgegeben. Wenn morgen um kurz nach achtzehn Uhr amerikanischer Westküstenzeit das Wahlergebnis bekanntgegeben wird, sitzen wahrscheinlich tausend Prozent der terranischen Bevölkerung vor ihren Bildschirmen. Ein historischer Augenblick und den soll ich an Louis Carton abtreten?«
Sam nickte noch einmal. »So ist es. Haben Sie damit Probleme, Bert? Eben noch waren Sie
mit mir einer Meinung, daß es sich kaum lohnt, darüber zu berichten.«
Bert war irritiert, fast schon ein wenig entsetzt. Seine Wortwahl war dementsprechend.
»Sie verarschen mich, oder?«
Patterson demonstrierte ihm, daß sein Kopf nicht nur zum zustimmenden Nicken geeignet war
er schüttelte ihn.
»Nein, ich verarsche Sie nicht. Sie werden sich definitiv von der Wahl fernhalten.«
»Ich soll zu Hause vor dem Holoschirm hocken, Däumchen drehen und tatenlos zusehen, wie
Louis Carton die Früchte erntet, die ich gesät habe?« fragte Bert ärgerlich.
Wieder schüttelte Sam den Kopf. »Bei dem Gehalt, das Sie beziehen, kann ich es mir nicht
leisten. Ihnen eine Ruhepause daheim auf dem Sofa zu gönnen. Sie werden sich in
Pennsylvania an der frischen Luft aufhalten, gemeinsam mit Ihrem Team. Das
Wahlgeschehen können Sie über die Monitore im Übertragungsgleiter sowie über tragbare
Empfänger mitverfolgen.«
»Sie haben sicherlich einen plausiblen Grund dafür, oder?«
»Den habe ich, aber Sie erfahren ihn erst im letzten Augenblick.«
»Wozu die Geheimniskrämerei? Haben Sie kein Vertrauen mehr zu mir? Habe ich Ihnen
irgend etwas getan?«
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Patterson schmunzelte. »Im Gegenteil. In letzter Zeit sind Sie geradezu zu Hochform
aufgelaufen. Dafür werden Sie nun von mir elohnt.«
Sonntag, 30. November 2059
16 Uhr in Pennsylvania (13 Uhr Pazifische Zeitzone)
Vor dem Werksgelände von Wallis Industries
Das Wetter war so, wie man es sich am letzten Novembertag äblicherweise vorstellte: feucht
und diesig. Keine gute Voraussetzung für ein Reporterteam, das im wahrsten Sinne des
Wortes im tegen stand.
»Nieselschauer, Windböen, schwarze Wolkenballungen, Donnergrollen aus der Feme wie
soll man unter derart ungünstigen Bedingungen gute Aufnahmen machen?« beschwerte sich
Pinto, einer der Kameramänner.
»Ist was anders, als im geheizten Ballsaal geschniegelte Tanz»aare zu filmen, wie?« hänselte
ihn Bert Stranger.
Rhanui war es eigentlich gewohnt, Klatschtante Claire auf ihren Bxkursionen durch die feine
und weniger feine Gesellschaft zu begleiten. Da KC aber aus privaten Gründen verhindert
war, hatte Stranger den fähigen »Kameravirtuosen« sofort mit Beschlag belegt.
Nicht nur ihn. Rund um das achtzig Quadratkilometer große Umzäunte Gelände des Wallis-
Industries-Hauptwerks hatte er unluffällig TonbildHolokameras postiert wie Patterson ihn
angewiesen hatte.
Die Kameraleute standen in sicherer Entfernung überall dort, wo üan sie vom Werksgelände
aus nicht wahrnehmen konnte, denn ie wollten keinen Ärger mit den Wachleuten bekommen.
Wer binen Unterstand gefunden hatte, selbst wenn es nur ein Baum l^ar, konnte sich glücklich
schätzen. Die weniger Glücklichen "standen im Freien, getarnt von Büschen oder hohem
Gras. Mitgebrachte Tarnplanen boten in erster Linie den teuren Geräten Schutz die Menschen
durften ruhig ein bißchen naß werden.
Der Übertragungsgleiter, der auch Transportzwecken diente,
333
stand am Rande eines Wäldchens. Für die Überwachung der eingebauten Hauptsendeanlage
genügte ein Mann Lex Leroy, der einzige, der im Trockenen saß.
Wer über einen tragbaren Empfänger verfügte, verfolgte draußen die Wahlberichterstattung
mit.
Louis Carton gestaltete seine Gespräche möglichst unterhaltsam, entpuppte sich aber auch als hartnäckiger Fragesteller. Bei Interviews mit besonders redegewandten Politikern hakte er jedesmal so lange nach, bis ihnen die handelsüblichen Phrasen ausgingen und sie aus dem Bauch heraus antworteten. Gescheiter wurden die Antworten dadurch allerdings auch nicht. »Der Sturm, den die PfD gesät hat, wird sich gegen sie wenden!« sagte FP-Generalsekretär Dave Paley theatralisch. »Das wird den Verleumdern eine Lehre sein!« Große Worte für einen Mann, der sogar einen Psychologen engagiert hatte, um Henner Trawisheim und Ren Dhark in Femsehtalkshows durch den Kakao zu ziehen. Weder Dreyfuß noch Paley hatten je offiziell Klage gegen TerraPress eingereicht auf Anraten von Skittleman. Der Intermedia-Chef wollte nicht noch mehr schlechte Publicity riskieren. Auch bei seiner großspurig angekündigten Gegenkampagne war nicht mehr herausgekommen als ein heiseres Bellen. Trawisheim stand ebenfalls unter Spannung, doch nach außen hin mimte er den Gelassenen. »Falls ich gewinne, habe ich mein politisches Ziel erreicht«, verkündete er vor laufenden Mikrophonen mit breitem Lächeln. »Und falls ich verliere, habe ich künftig weniger Arbeit.« Die Kandidaten der kleineren Parteien kamen nur selten in den Genuß von Befragungen, man kümmerte sich kaum um ihre Meinung. Unverdientermaßen, denn einige von ihnen waren überaus engagiert. »Die Henriette-Moll-Partei hat ein schlüssiges Konzept zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vorgelegt«, erklärte Henriette Moll einer jungen Intermedia-Journalistin. »Man sollte damit aufhören, den Arbeitslosen ständig weiszumachen, neue Arbeitsplätze ließen sich aus dem Hut zaubern, solange man nur die richtige Partei wählt. Wenn keine Arbeit da ist, ist keine Arbeit da, das muß end 334 lich offen und ehrlich ausgesprochen werden.« Die Journalistin bedankte sich für das Gespräch. »Und wo war nun das schlüssige Konzept?« fragte Pinto Rhanui in Pennsylvania am tragbaren Bild und Tonempfänger. Bert Stranger, der neben ihm hinter einem niedrigen, grasbewachsenen Erdwall hockte, zuckte nur mit den Schultern und schlug den Kragen seines Regenmantels hoch. Am liebsten hätte er sich zum Gleiter begeben und hineingesetzt. Aber er wollte möglichst nah dran sein, wenn es losging. Es? dachte er. Verflucht und zugenäht, vorauf warten mr alle hier eigentlich? Mehr als ein paar vage Andeutungen hatte er Patterson nicht entlocken können. Von einem »faszinierenden Ereignis, das in dieser Form nie wieder stattfinden wird« hatte sein Boß gesprochen. Momentan ereignete sich auf dem Werksgelände rein gar nichts. Außer den Wachen war kein Mensch zu sehen, und aus den Hallen drang kein Laut. Offensichtlich wurde an diesem Abend hier nicht gearbeitet, was Stranger verwunderte. »Terence Wallis hat heute weltweit geschlossen, damit seine Mitarbeiter wählen gehen können«, informierte ihn KCs philippinischer Kameramann. Bert tippte sich an die Stirn. »Und dafür kriegen die den ganzen Tag frei? Seit wann zählt Wallis zum Club der selbstlosen Menschenfreunde? Dahinter steckt garantiert etwas ganz anderes.« Plötzlich fiel ihm etwas auf, das ihm bislang total entgangen war obwohl es einem nahezu ins Auge sprang. Umgehend setzte er sich mit den anderen Beobachtungsposten in Verbindung. Sein Verdacht bestätigte sich. Von überallher gingen die gleichen Meldungen ein. , 17 Uhr in Pennsylvania (14 Uhr Pazifische Zeitzone) l Ein Restaurant in der Innenstadt von Pittsburgh l i »Und ihr wollt wirklich nicht mitkommen, um das grandiose
eignis hautnah mitzuerleben?« 335 Terence Wallis schaute erst Art und dann Jane Hooker fragend an. Beide hatten sein Angebot, in seinem Ikosaederraumer mitzufliegen, abgelehnt. Umgekehrt lehnten es Wallis, Robert Saam, George Lautrec, Saram Ramoya und Regina Lindenberg ab, mit den Hookers auf der SEARCHER mitzureisen, obwohl deren diskusförmiges Schiff viel eher am Ziel sein würde; außerdem waren die Kabinen weitaus geräumiger und bequemer. Das norwegische Universalgenie, der kanadische Allroundwissenschaftler, der indonesische Funk und Ortungsspezialist und die Schweizer Biologin hatten Carborit gemeinsam entwickelt jenen neuartigen Verbundstoff, der das Stammwerk von Wallis Industries komplett aus dem Erdreich lösen und ins Weltall befördern sollte. Nicht in irgendeine Umlaufbahn, sondern auf die Reise von Terra nach Eden. Unterhalb des Hauptwerks hatte man ein gänzlich neues Fundament eingezogen: eine riesige, aus einzelnen Elementen zusammengefügte Carboritplatte. Gewaltige Antigravaggregate würden die Platte in die Höhe erheben, ein Prallschirm würde das Werksgelände luftdicht einschließen und mächtige Impulstriebwerke würden es ermöglichen, die »fliegende Stadt« im All auf Transitionstempo zu beschleunigen. Zusätzliche Energieerzeuger wurden nicht gebraucht, da für den Flug nach Eden die Produktion unterbrochen worden war, so daß man die vorhandenen Kraftwerke auf dem Gelände nutzen konnte. Ein überarbeiteter Verwaltungsbeamter hatte routinemäßig eine Öffnung des planetenweiten Schutzschirmes über dem Werk veranlaßt, weil laut den umfangreichen Antragsunterlagen ein neuer Raumschiffstyp von Wallis Industries auf Probeflug gehen sollte. Um die allgemeine Aufmerksamkeit von der Hauptzentrale bei Pittsburgh/Pennsylvania abzulenken, hatte Terence Wallis weltweit alle seine Werke schließen lassen angeblich, um seinen Mitarbeitern den Wahlgang zu ermöglichen. Sein Plan war aufgegangen. Außer Stranger und seinem Team beobachtete niemand das Stammwerksgelände, und über deren Anwesenheit war Wallis bestens informiert. (Er hatte schließlich ausgezeichnete Kontakte in die Chefetage von TerraPress!) 336 Menschen durften sich nicht innerhalb der fliegenden Anlage aufhalten, da die Transitionen bei einem relativ niedrigen Tempo l erfolgten und der Schock bei einer solchen Masse für Normalsterbliche unerträglich wäre. Deshalb ging der Flug automatisch vonstatten, mit Robotern als Sicherheitsbegleitem. Zudem sollte ein Carborit-Ikosaeder den Flug begleiten, dessen Besatzung notfalls über eine spezielle Funkfernsteuerung Korrekturen vomehimen konnte. Wallis, Saam, Lautrec, Ramoya und Lindenberg gehörten der Ikosaederbesatzung an. Ob sie den wochenlangen Flug bis zum Schluß mitmachen würden, stand noch in den Sternen. In der ersten Phase würden sie »ihr Baby« jedenfalls nicht aus den Augen beziehungsweise Sensoren lassen. Vielleicht orderten sie ja später ein anderes Raumschiff und stiegen um, eine Aktion, die heutzutage keine große Sache mehr war. Art und Jane Hooker hatten nicht das geringste Interesse, im Weltall neben der »WIGroßstadt« herzuschleichen. Sie wollten •mit ihrem eigenen Raumer nach Eden vorausfliegen, sich dort ein Jwenig erholen und zu gegebener Zeit die sorgsam vorbereitete Ankunft und Landung des Werks beobachten. Maximal 5000 Lichtjahre konnte die SEARCHER bei jeder Transition überwinden. Um eine Materialüberlastung zu verhindern und Energie zu sparen, führten die Hookers bei ihren Flügen zwischen Eden und Terra üblicherweise nur 3000erSprünge aus, ungefähr alle sechs Stunden. Somit brauchten sie für eine Strecke ^irka fünf Tage. Den Eheleuten gehörten als Anteilseigner nicht nur 2,5 Prozent von Wallis Star Mining, einer Tochtergesellschaft von Wallis Industries, die für den Tofiritabbau im Achmed-System zuständig War, sie konnten auch 2,5 Prozent von Eden für sich beanspruchen. Als
Erstentdecker des Planeten hatten sie sich ein »Filetstückchen« ausgewählt, einen malerischen Inselkontinent, den sie Aloha getauft hatten. Dort war mittlerweile das neue Zuhause der beiden Weltallvagabunden, die auf der Erde nie so richtig heimisch geworden waren jedenfalls hatten sie sich nie für einen festen Wohnsitz entscheiden können und die meiste Zeit über auf ihren r verschiedenen Raumschiffen gelebt. 337 Daß Terence Wallis von »meinem Planeten« sprach, wenn er Eden erwähnte, obwohl ihm genaugenommen nur 97,5 % gehörten, störte Art und Jane nicht der schwer und einflußreiche Unternehmer hatte halt so seine Eigenarten. Verglichen mit den nervtötenden, ständig unzufriedenen Auftraggebern, für die sie früher tätig gewesen waren, hatten sie mit ihm das große Los gezogen. Außer Terence Wallis, den Hookers, Robert Saam und seinem »Dreierdreamteam« sowie neuerdings Sam Patterson kannten nur noch zwei Personen den neuen Standort von Wallis Industries: Liao Morei und Alexander Basil Christian David Edward Fortrose. Beide waren auch über die geplante Staatsgründung informiert. Fortrose und Liao blieben zunächst auf der Erde zurück. Wallis wollte nach und nach die kleineren Werke und Tochtergesellschaften auf Terra auflösen und mit Transportschiffen nach Eden verbringen, möglichst mit sämtlichen festen Mitarbeitern. Ein eingespieltes Organisatorenteam sollte sich darum kümmern überwacht von Fortrose, dem Ansprechpartner für Rechtsfragen, und der WallisSicherheitsbeauftragten Morei. Die beiden waren zu dem Treffen im Restaurant nicht erschienen. Fortrose fand es nicht sonderlich interessant, zuzusehen, wie sich eine Fabrik in die Lüfte erhob, und Liao wollte sich das furiose Schauspiel lieber gemeinsam mit Chris Shanton (der noch nichts von seinem Glück wußte) am Bildschirm anschauen. Wallis schaute auf die Uhr. »In ungefähr sieben Stunden befinden wir uns am Himmel über Pittsburgh im Ikosaeder, dem besten Logenplatz, den man sich denken kann. Mein lieber Schwan, bin ich aufgeregt! Ich kann es kaum erwarten, mitzuerleben, wie sich mein Lebenswerk in die Lüfte erhebt und ins Weltall entschwindet. Das einzige, was mir Sorgen bereitet, sind die Erschütterungen beim Start. Wenn ein Areal von achtzig Quadratkilometern aus dem Erdreich gerissen wird...« »Wie oft soll ich es dir noch sagen?« unterbrach ihn sein Schützling Saam genervt. »Nichts wird gerissen das komplette Gelände löst sich ganz, ganz sanft aus dem Boden, ohne daß Erdbeben oder Einsturzgefahr besteht. Die Roboter, Arbeiter und Ingenieure 338 haben alles perfekt vorbereitet. Eventuell gefährdete Bereiche wurden gesichert und abgestützt, es kann also gar nichts passieren. Theoretisch könntest du dich direkt neben dem Werk aufhalten, Bewährend es hochsteigt, du würdest so gut wie keine Erschütterung merken, abgesehen vielleicht von ein paar leichten Vibrationen unter den Schuhsohlen.« »Und warum sollte ich den Wachleuten Anweisung erteilen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen gewissen Mindestabstand zum Werksgelände einzuhalten?« fragte Lautrec. »Sie haben sich darüber sehr gewundert, schließlich wissen sie noch gar nicht, was heute abend auf sie zukommt.« »Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, wiegelte der junge Norweger ab. »Warum seid ihr eigentlich so pessimistisch? Wovor fürchtet [ihr euch als nächstes? Davor, daß die Werkshallen beim Start umkippen?« »Die Hallen könnten umkippen?« fragte Wallis entsetzt. »Daran |habe ich überhaupt noch nicht gedacht!« Von dieser Sekunde an dachte er in einem fort daran.
18 Uhr in Pennsylvania (15 Uhr Pazifische Zeitzone) Vor dem Werksgelände von Wallis Industries »Ich hasse diese verdammten Herbstabende!« fluchte Isaac Stein, der seit vielen Jahren nachts bei Wallis Industries Wache lachob. »In lauen Sommernächten ist unsere Arbeit das reinste Preizeitvergnügen, doch zu dieser Jahreszeit wünsche ich mir jeiesmal, ich hätte was Anständiges gelernt.« »Ich habe was Anständiges gelernt«, entgegnete sein Kollege ^ene Pulgrimm. »Hat mir nicht viel genutzt. In diesen schlechten Zeiten muß man nehmen, was man kriegen kann. Na ja, im Grunde genommen geht es uns gar nicht mal so übel. Wir werden anständig behandelt, gut bezahlt... wenn nur dieses Mistwetter nicht wäre!« Wem sagst du das? erwiderte Bert Stranger in Gedanken. Ohne Rücksicht auf seine Kleidung robbte er auf dem Bauch 339 durch Gras und Matsch, hob ab und zu den Kopf und hielt Ausschau nach einer unbewachten Lücke in der nahezu nahtlosen Abriegelung des Werksgeländes. Da es bereits dunkel war, verwendete er ein Nachtsichtgerät. Die Wachen verfügten ebenfalls über solche Geräte, die sie allerdings nur einsetzten, wenn es etwas Verdächtiges zu erkunden gab. Solange Bert nicht ihre Aufmerksamkeit erregte, war er im Schutz der Dunkelheit verhältnismäßig sicher. Ihm war aufgefallen, daß der Werkschutz nur außerhalb des umzäunten, menschenleeren Geländes patrouillierte. Seine Teamkollegen hatten die gleichen Beobachtungen gemacht, wie sich auf Nachfrage herausgestellt hatte. Was hatte Terence Wallis zu verbergen, daß er nicht einmal seine eigenen Leute ins Werk ließ? Bert war fest entschlossen, das Rätsel zu lösen. Es mußte ihm gelingen, sich unbemerkt aufs Werksgelände zu schleichen. Dort, davon war er überzeugt, würde er sicherlich einen Hinweis finden. »Warten Sie in sicherer Entfernung ab, und tun Sie nichts Unüberlegtes«, hatte Sam Patterson ihn gewarnt. Genau die richtigen Worte, um Bert neugierig zu machen und ihn zu Höchstleistungen anzuspornen. Hätte Stranger geahnt, wie ernst Patterson seine Warnung gemeint hatte, wäre er sofort umgekehrt... »Hast du eine Ahnung, warum wir heute nacht nur vor der Umzäunung Wache schieben dürfen?« fragte Pulgrimm. »Und weshalb sollen wir uns eine Viertelstunde vor neun Uhr so weit wie möglich von der äußeren Eingrenzung zurückziehen?« Stein hob die Schultern. »Es hieß, jeder, der sich nach neun auf dem Gelände oder zu nahe am Gelände aufhält, würde in Lebensgefahr schweben. Mehr weiß ich leider auch nicht. Bislang bin ich immer gut damit gefahren, dem Boß zu vertrauen und keine überflüssigen Fragen zu stellen. Wallis weiß schon, was er tut.« »Hoffentlich. In letzter Zeit benimmt er sich reichlich merkwürdig und geheimnisvoll. Egal, mir kann es nur recht sein. Ich suche mir gegen neun Uhr ein trockenes Plätzchen, stöpsele meinen Ohrhörer ein und verfolge die letzten Minuten der Wahl mit. Bin schon gespannt auf das Ergebnis.« »Du hast einen versteckten Rundfunkempfänger dabei? Laß dich 340 damit nur nicht erwischen. Man erwartet von uns, daß wir uns voll und ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren. Jede Ablenkung ist strikt verboten. Äh, läßt du mich nachher mithören?« Auch Bert war ein Mithörer er hatte das Gespräch der beiden aufmerksam verfolgt. Jetzt wußte er, wie er aufs Gelände kam. Er brauchte nur abzuwarten, bis sich die gesamte Wachmannschaft weiter nach hinten zurückzog.
Dann war der Weg für ihn frei. 19 Uhr in Mexiko (17 Uhr Pazifische Zeitzone) Eine Luxushotelsuite in MexikoStadt »Wieso siehst du dauernd auf die Uhr?« fragte Chris Shanton brummig. »Fährt dein Bus gleich?« Er lag nackt und gewaltig, wie Gott ihn erschaffen hatte in einem überdimensionalen Hotelbett. Neben ihm räkelte sich die ebenfalls unbekleidete Liao. »In einer Stunde wird das Wahlergebnis bekanntgegeben«, antwortete sie. »Das möchte ich um keinen Preis versäumen.« Außer der zierlichen Chinesin schien alles in diesem Zimmer Übergröße zu haben. Die Fenstervorhänge, der Schreibtisch, die Sessel alles Größe XXL. Am dominantesten war jedoch der Holofemseher, dessen Bildträger sich über eine ganze Wand erstreckte. »Ehrlich gesagt, mich interessiert die Wahl nicht die Bohne«, | sagte Shanton. »Ich schwelge hier in Luxus, an der Seite einer [ wunderschönen Frau und soll mir diesen herrlichen Abend mit Politikergeschwafel verderben?« »Hast du dich noch gar nicht gefragt, wieso ich ausgerechnet diese spezielle Suite für unser Beisammensein ausgesucht habe?« fragte ihn Liao Morei lächelnd. »Mit einem Femseher von der E Größe einer Holokinoleinwand?« Shanton grinste. »Verstehe, das ist die Heiratssuite. Hier schauen sich die Paare in der Hochzeitsnacht schmuddelige Filmlchen an. Hast du welche mitgebracht?« 341 »Männer!« seufzte Liao. »Ich habe eine Riesenüberraschung für dich. Um Punkt acht Uhr schalten wir den Apparat ein und warten das Wahlergebnis ab.« »Tolle Überraschung«, entgegnete Chris mißgelaunt. »Trawisheim, Paley und Dreyfuß in Großformat das habe ich mir schon immer gewünscht.« »Mein Fall sind die auch nicht«, erwiderte die Asiatin. »Doch dank meines Chefs und seiner guten Freundschaft zu Sam Patterson weiß ich, daß die Wahlberichterstattung heute abend nur das Beiprogramm sein wird. Die Hauptsache wird im Anschluß übertragen.« »Du machst mich neugierig wie so oft.« »Nur noch eine knappe Stunde, und deine Neugier wird befriedigt, versprochen. Heute erhältst du die Antwort auf alle deine Fragen im Zusammenhang mit Wallis Industries. Ich schlage vor, du holst inzwischen Jimmy herauf. Ihm wird das ganze sicherlich genauso viel Freude bereiten wie dir.« »Jimmy ist eine Maschine«, stellte Shanton klar. »Er kann keine Freude empfinden und auch sonst nichts. Roboter sind gefühllose Gegenstände wie Blumenvasen oder Aschenbecher.« »Und weshalb hast du ihn vorhin unten an der Rezeption gelassen, statt ihn wie eine Vase einfach in die Ecke zu stellen?« »Weil ich mit dir ungestört sein wollte. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn der Köter dauernd auf der Bettkante hockt und uns anstarrt.« Je mehr er sich bemühte, Jimmy als einen ganz gewöhnlichen Roboter zu betrachten, um so weniger gelang ihm das. Der Hund war für ihn nicht nur ein Gegenstand oder ein außergewöhnliches Haustier er war sein Freund. Allerdings würde er das niemals zugeben, nicht gegenüber Jimmy, auch nicht gegenüber Liao und schon gar nicht gegenüber sieb selbst. 342 21 Uhr in Pennsylvania (18 Uhr Pazifische Zeitzone) Ein kleines Theater am Rande von Pittsburgh Elisabeth Deutschmann war sich durchaus bewußt, daß man sie hinter vorgehaltener Hand als »graue Maus« bezeichnete. Sie war selbstbewußt genug, großzügig darüber hinwegzusehen. Es gab nichts, daß sie an ihrem Leben auszusetzen hatte oder zu ändern beabsichtigte.
Auch Klatschtante Claire, von der es hieß, nicht einmal der Personalabteilung von TerraPress sei ihr Nachname bekannt (was natürlich kompletter Unsinn war), hatte ihr Leben voll im Griff. Sie wußte, daß sie keine Schönheit war und den Leuten mit ihren bohrenden Fragen manchmal gehörig auf den Wecker fiel. Na und? Wer sie nicht nehmen wollte wie sie war, konnte ihr den Buckel runterrutschen. Beide Frauen hatten sich schnell miteinander angefreundet — gleich am ersten Tag ihres Kennenlemens, als Claire in Elisabeths Büro gekommen war, um ihr Pattersons Geschenk zu überreichen: zwei Freikarten für einen Theaterklassiker, der leider nur noch selten gespielt wurde. »Obwohl Terra über ein weltumspannendes Netz mit Kulturinformationen aller Art verfügt, war es nicht leicht, einen Spielort ausfindig zu machen«, hatte Claire seinerzeit zu der Buchhalterin gesagt. »Es gibt kaum noch Intendanten und Regisseure, die sich an das Stück herantrauen. Selbst an geeigneten Schauspielern inangelt es mittlerweile. Insbesondere die beiden Hauptrollen lassen sich nur schwer besetzen.« Es war nicht die Rede von einem dramatischen Schauspiel im Stil von »Hamlet«, »Othello« oder »Nathan, der Weise« sondern von einem simplen Schwank mit dem Titel »Gossip in the Staircase« (Tratsch im Treppenhaus). Unterhaltsames für die Bühne in Szene zu setzen gestaltete sich mitunter schwieriger als die Inszenierung kulturell bedeutsamerer Werke. Elisabeth hatte Claire vor Freude umarmt und sie spontan eingeladen, sie zu begleiten. Der Rüg nach Pittsburgh, wo das Stück derzeit an einem kleinen 343 Theater aufgeführt wurde, war natürlich im Geschenk mit Inbegriffen, ebenso ein feudales Nachtmenü. Um einundzwanzig Uhr schaute KC auf ihre Uhr. »Noch etwa fünf Minuten«, flüsterte sie ihrer neuen Freundin im dunklen Zuschauerraum zu. »Bis zur Pause?« fragte Elisabeth Deutschmann. »Bis zur Verkündung des Wahlergebnisses«, entgegnete Claire. Obwohl sie so leise wie möglich sprach, zischelte ihr Hintermann ungehalten: »Pssst!« Offensichtlich interessierte sich nicht ein einziger der hier Anwesenden für die Wahl was auch auf Elisabeth zutraf. Da alle Wahlstimmen weltweit von Suprasensoren erfaßt wurden, würde es nur knappe fünf Minuten dauern, bis das Ergebnis vorlag. Außerhalb des Theaters wurde es weltweit verkündet. Etwa ein bis zwei Minuten danach vernahm KC ein dumpfes Grollen, das immer lauter wurde und allmählich in ein leichtes Beben überging. Die Unruhe im Zuschauersaal hielt sich in Grenzen. Hier und da wurde gemurmelt, aber niemand stand auf und lief in Panik hinaus. Auch auf der Bühne spürte man die Vibrationen, doch die Schauspieler erwiesen sich als Profis und spielten kurzerhand weiter. The show must go on. 20 Uhr 05 in Mexiko (18 Uhr 05 Pazifische Zeitzone) Eine Luxushotelsuite in MexikoStadt Als Chris Shanton mit Jimmy in die Suite zurückkehrte, erblickte er Strangers Kollegen Louis Carton in voller Lebensgröße. Die Holodarstellung war so perfekt, daß er für einen Moment glaubte, der Reporter würde mitten im Zimmer stehen. »Und wegen dem Knilch weckst du mich aus meinem Schönheitsschlaf hinter der Rezeption?« beschwerte sich der Robothund. »Wenn das die ganze Überraschung ist, will ich lieber wieder zurück.« 344 »Sei still, Mistvieh!« ermahnte ihn Shanton in seiner bekannt liebenswürdigen Art. »Ich will hören, wie die Wahl ausgegangen ist.« »Somit hat die Partei für Demokratie mit 46 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit im Parlament«, verkündete Louis Carton. »Henner Trawisheim ist der neue Commander der
Planeten. Im Klartext: Ren Dhark ist nicht mehr im Amt und weiß noch gar nichts von seinem Glück.« Der Journalist legte eine Kunstpause ein, während abwechselnd Archivfotos von Trawisheim und Dhark eingeblendet wurden. | »Normalerweise würden wir jetzt ausführliche Interviews mit den Wahlsiegem und Wahlverlierem führen«, fuhr Carton fort. »Doch da es Wichtigeres zu berichten gibt, verschiebt TerraPress die Gespräche ausnahmsweise. Wer dennoch nicht darauf verzichten möchte, dem empfehle ich umzuschalten auf die Sender von Intermedia, dem Garanten für tödliche Langeweile. Wir hingegen wohnen gleich live einem Riesenereignis bei, das sämtliche Wahlen des Universums in den Schatten stellt.« Louis Carton wußte selbst nicht, warum er die Liveübertragung plötzlich an Strangers Übertragungsgleiter abgeben sollte. Sam 'Patterson persönlich hatte ihn per Vipho von seinem Büro aus kontaktiert und ihm die Anweisung gegeben, ein »Riesenereignis« anzukündigen. l Sekunden später erschien das Gesicht eines verdatterten stoppelbärtigen Mannes auf dem großen Schirm in der Hotelsuite und auch sonst überall auf Terra. Verdutzt stammelte er irgend etwas | Unverständliches und schaltete sich weg. Und dann kam es endlich, endlich, endlich zu dem angekündigen bombastischen Ereignis, das weltweit ausgestrahlt wurde. Chris Shanton fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Was hat das zu bedeuten?« stammelte er. »Wo fliegt das Ding (hin?« »Ins Paradies«, antwortete ihm Liao. »Es wird dort einsam sein ohne dich.« 345 21 Uhr 06 in Pennsylvania (18 Uhr 06 Pazifische Zeitzone) Hoch über dem Werksgelände von Wallis Industries Terence Wallis starrte auf den blinkenden Sensorschalter, den er soeben in der Zentrale des ersten weltalltauglichen Carborit-Ikosaeders bedient hatte. »Was ist nun?« fragte er ungeduldig. »Wieso tut sich nichts? Mittlerweile warte ich fast zehn Minuten.« »Zehn Sekunden«, widersprach ihm Robert Saam. »Die mir wie zehn Minuten vorkommen!« erwiderte Wallis gereizt. »Wann geht's endlich los?« »Sobald das Blinken aufhört«, antwortete ihm Lautrec und in derselben Sekunde blinkte es nicht mehr. In seiner sprichwörtlichen Bescheidenheit hatte Wallis das Raumschiff TERENCE getauft. Es war mit allen nur erdenklichen technischen Neuerungen ausgerüstet die den Milliardär augenblicklich allerdings herzlich wenig interessierten. Er hatte nur Augen für den Hauptbildschirm, der sein Stammwerk in voller Größe zeigte. Auf mehreren Nebenbildschirmen war es von verschiedenen Seiten zu sehen. Allmählich kam Bewegung in die Sache, zunächst allerdings nur unterhalb des Geländes, das sich vibrierend aus der Erde zu lösen begann. Irgendwo in der Tiefe knickten Abstützungen um wie Streichhölzer, brachen Tunnel in sich zusammen. Das war nicht sonderlich katastrophal, da sich weder Menschen noch teures Robotermaterial an den Einsturzstellen befanden und das Tunnelsystem ohnehin nicht mehr gebraucht wurde. Von oben sah man noch nichts. Terence Wallis und Robert Saam und sein Team schauten gespannt auf die Monitore. Lediglich die Kontrollen zeigten an, daß sich unter dem Werk etwas tat. »Warum rührt es sich nicht vom Fleck?« fragte Wallis nervös. »Es müßte längst zu uns heraufschweben.« »Alles läuft ab wie geplant«, beruhigte ihn George Lautrec. »Der Start erfolgt vollautomatisch, sobald sich der Energieschirm aufgebaut hat.« Wie aufs Stichwort funkte und blitzte es über dem Gelände, ob
346 wohl das Gewitter, das sich am Nachmittag grollend angekündigt hatte, längst weitergezogen war. i Sekunden später versiegte der Funkenstrom wieder. l »Das war's dann wohl!« regte sich Wallis auf. »Aus und vorbei!« »Richtig, es ist vorbei«, bestätigte ihm Saram Ramoya gelassen. »Der unsichtbare Prallschirm steht.« Kaum hatte er ausgesprochen, erhob sich das gewaltige Gelände mit viel Getöse langsam in die Höhe. Rundum erzitterte der Boden. | »Die Erde bebt!« rief Wallis entsetzt und deutete auf die KonI trollanzeigen. »Hast du nicht behauptet, so etwas könne nicht passieren, Robbie? Wir werden die halbe Umgebung zerstören! Start abbrechen, sofort!« »Vergiß es, für einen Abbruch ist es längst zu spät«, behauptete „Robert Saam, obwohl es technisch durchaus machbar gewesen |wäre. »Im übrigen handelt es sich nur um ein leichtes Beben, das höchstens ein paar Kilometer weit zu spüren ist. Es wird nichts passieren, glaube mir. Schlimmstenfalls fällt irgendwo in Pitts|burgh ein Teller aus dem Küchenregal.« Regina Lindenberg hatte ihren Chef noch nie so aufgeregt erlebt. Wie zufällig stellte sie sich ganz dicht neben ihn, so daß er vollen Ausblick in ihren tiefen Ausschnitt hatte. »Entspannen Sie sich, und schauen Sie genau hin«, sprach sie ihn mit sanfter Stimme an und deutete auf den Hauptbildschirm. »Dieser historische Moment kommt nie wieder. Genießen Sie ihn.« | Das riesige, unbeleuchtete Werksgelände schwebte gemächlich | zum Nachthimmel empör, mitsamt den leeren Häusern, Hallen, Straßen, Plätzen sowie den Schwebem, Gleitern, Produktionsmaschinen, Robotern... Mehrere Bodenscheinwerfer gingen an und tauchten die »fliegende Stadt« von allen Seiten in helles Licht. Hoffentlich hat sich kein neugieriger Wachmann aufs Gelände ^geschlichen, dachte George Lautrec. Er würde den Flug nicht ^überleben. Wallis wirkte jetzt wie erstarrt. Von seiner Nervosität war nichts i 347 mehr zu spüren. Von einem Augenblick auf den anderen war er wieder die Ruhe selbst. »Faszinierend«, murmelte er. »Was für ein malerisches Bild! Es gehört auf die Titelseite eines Buches.« 21 Uhr 06 in Pennsylvania (18 Uhr 06 Pazifische Zeitzone) Vor dem Werksgelände von Wallis Industries Bert Stranger wußte immer, wann er verloren hatte. Wie schon so oft hatte er sich auch diesmal viel zu weit vorgewagt. Nun war sein Weg zu Ende, es gab keine Umkehr mehr. Der Lauf der Waffe, die sich in seinen Nacken bohrte, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß es nur noch vorwärts ging, weg vom WallisWerksgelände, auf das er sich hatte schleichen wollen. Leider hatten ihn zwei Wachen bemerkt und umgehend festgenommen. Jetzt gingen sie hinter ihm her, bedrohten ihn mit einer Handfeuerwaffe und ließen ihm nicht die geringste Chance zu entkommen. »Ich war schon so nah dran«, knurrte er unwillig. »Es waren nur noch ein paar Meter bis zur Umzäunung.« »Pech gehabt. Stranger«, bemerkte Rene Pulgrimm, der ihn von seinen Berichterstattungen her kannte. »Sie haben sich ihre Kleidung beim Anschleichen umsonst eingesaut. Was wollten Sie eigentlich im Werk?« »Herumspionieren, was sonst?« antwortete Isaac Stein an Berts Stelle. »Ist schließlich sein Job.«
Plötzlich erzitterte der Boden unter ihren Füßen. Isaac stürzte, und Pulgrimm ließ erschrocken die Waffe sinken. Bert nutzt seine Chance. Er wirbelte herum und schlug dem Wachmann die Waffe aus der Hand. Anschließend beförderte er sie mit einem schnellen Tritt in die hintere Walachei. Sekunden später konnten sich auch Stranger und der zweite Wachmann nicht mehr auf den Beinen halten. Bert fiel nach vom, rollte sich geschickt ab und rappelte sich gleich wieder auf. Eine blitzschnelle Entscheidung war vonnöten. Sollte er zurück 348 zum Werk laufen oder zum verborgenen Übertragungsgleiter? ? Der Weg zum Gleiter war küzer. Bert rannte los. Als er sich im Laufen umdrehte, um nachzusehen, ob er verfolgt wurde, traf ihn fast der Schlag. Hinter ihm hob sich das gewaltige Stammwerk von Wallis Industries in die Höhe, so als habe es plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Abrupt blieb er stehen. Lex Leroy, der Mann im Übertragungsgleiter, war nicht minder verwirrt als Bert Stranger. Obwohl dies niemand vom Außenteam beantragt hatte, hatte die Sendezentrale von TerraPress überraschend eine Liveschaltung vorgenommen. Verdutzt blickte der stoppelbärtige Techniker in die Bordkamera. Für mehrere Sekunden war er rund um den Globus in Großaufnahme zu sehen. Glücklicherweise besann sich Lex doch noch auf seinen Job und schaltete auf die Außenkameras um, die ums Gelände verteilt waren. Sein Gesicht verschwand überall von den Schirmen und , machte Platz für einen weitaus fesselnderen Anblick. | Auf der ganzen Welt konnte man nun mit ansehen, wie sich das gesamte Werksgelände gleich einer riesigen fliegenden Stadt aus der Erde erhob und majestätisch zum Nachthimmel emporstieg. Pinto Rhanui und seine Kamerakollegen leisteten ganze Profiarbeit. Die aufsteigende »Stadt« wurde von allen Seiten mit Schein, wertem ausgeleuchtet und gefilmt,'aus verschiedenen Perspektiven. Auch den geheimnisvollen Ikosaeder, der reglos zwischen den Wolken stand, vergaßen sie nicht. Lediglich Bert Stranger verhielt sich nicht wie ein Vollprofi. Wie festgewurzelt blieb er an Ort und Stelle stehen und stierte das schwebende Werk an wie das achte Weltwunder. Eine außen am Übertragungsgleiter angebrachte Kamera erfaßte ihn und präsentierte den amüsierten Zuschauem Terras fassungslosesten Reporter in verdreckter Kleidung. Endlich löste sich Stranger aus seiner Erstarrung. In einem Blitzsprint erreichte er den Gleiter, stieg ein und übernahm ab sofort die Führung. Wortgewandt kommentierte er den Flug des Werkes in allen aufregenden Einzelheiten, während Leroy dafür sorgte, daß im l richtigen Moment die richtigen Kameras zugeschaltet wurden. 349 Damit Bert optisch besser rüberkam, hatte Lex ihm sein Sakko geliehen. »Weiter so, Jungs«, murmelte Sam Patterson, der zigarrerauchend in seinem Büro saß und das Geschehen am Holoschirm mitverfolgte. »Ich bin stolz auf euch.« Als das schwebende Werk ungefähr die Mitte zwischen Himmel und Erde erreicht hatte, schien es für eine Weile stillzustehen, wie ein mächtiger Adler, der seine Beute fixierte und jeden Moment pfeilschnell herabstoßen würde. Dieser Eindruck, den eine besonders gelungene Großaufnahme vermittelte, täuschte jedoch. Für Wallis Industries gab es nur einen Weg, und der führte unaufhaltsam nach oben. Stranger ließ sich nicht anmerken, daß er eigentlich keine so rechte Ahnung hatte von dem, was sich hier abspielte. Er redete wie ein Weltmeister und hielt selbst dann nicht inne, als das Werk und der Ikosaeder nur noch winzige Punkte zwischen dunklen Wolken waren.
Erst nachdem sich die Punkte gänzlich aufgelöst hatten, präsentierten die Kameraleute ihren Zuschauem Wallis' Hinterlassenschaft: ein gigantisches, achtzig Quadratkilometer großes, gähnendes Loch.