Edgar Tarbot
Die Braut des Satans Ihre Küsse waren tödlich
Bei der Berührung ihrer nackten Haut zuckte Athene King zu...
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Edgar Tarbot
Die Braut des Satans Ihre Küsse waren tödlich
Bei der Berührung ihrer nackten Haut zuckte Athene King zusammen. Eine Verzauberung ging von den kräftigen Händen ihres Verlobten aus. Es war immer das gleiche. Delmer Bonds Finger zogen, den Leistenfurchen am oberen Rand des Vlieses folgend, die Seiten des weichen warmen Dreiecks nach. Mehr und mehr entflammte die bildhübsche Athene, ein goldblondes Mädchen von vierundzwanzig Jahren, Künstlerin von Beruf. Sie malte und verkaufte ihre Bilder. Athene warf ihren Kopf auf dem Kissen hin und her. Sie stöhnte, gleichsam flehend. »Oh, Delmer. Delmer. Ich liebe dich.« »Ich liebe dich auch!« flüsterte Bond und fuhr fort, ihren makellosen Körper zu liebkosen. Sie befanden sich in Athenes geräumiger Atelierwohnung. Genau über dem Bett war das riesige Fenster, durch das ein dezenter Mond sein silbriges Licht sandte. Es roch nach Farbe und Terpentin. Und nach Delmers Schweiß. Nun öffnete Athene die tränenschimmernden Augen. Sie suchten Delmers Gesicht. Und plötzlich nahm sie dahinter eine Bewegung wahr. Eigentlich war es darüber. Ihr ganzer fiebernder Leib erkaltete in derselben Sekunde. Namenloses Grauen bemächtigte sich ihrer Seele. Benommen und verdattert starrte sie an Delmers Gesicht vorbei, hinauf zu jenem großen schrägen Atelierfenster. Ein grauenerregendes Antlitz war da soeben aufgetaucht.
Eine furchteinflößende Fratze. Die pergamentene Haut war leichenblaß. Um die haßglühenden Augen lagen dunkelgraue Ringe. Der Mund war zu einer erschreckend grausamen Linie geformt. Und der gesamte Kopf war von einer Art schwarzem Lederhelm umrahmt, den das Mondlicht silbern schimmern ließ. Delmer spürte mit einemmal instinktiv die Gefahr. Da stieß Athene einen furchtbar schrillen Schrei aus. Bond warf sich im Bett herum und blickte in die Richtung, in die seine Verlobte starrte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah auch er die schreckliche Fratze. Dann war sie verschwunden. Delmer Bond schnellte vital aus dem Bett. »Was hast du vor?« fragte Athene ihn mit schockgeweiteten Augen. Sie saß auf den Kissen und zitterte, als würde sie erbärmlich frieren. »Ich kauf mir die Figur!« knurrte Bond. »Ich habe Angst, Delmer.« »Brauchst du nicht zu haben.« »Wer kann das gewesen sein?« »Ich krieg’s raus!« Eine kühle Brise umfing ihn. Aber ihm war nicht kalt. Undeutlich sah er die Person. Sie stand am Ende des Daches, schien zwischen zwei hüfthohen Schornsteinen eingeklemmt zu sein, und es hatte den Anschein, als würde die Erscheinung auf ihn warten. Lag Absicht dahinter? Wollte die Person Bond aus dem Atelier seiner Verlobten locken? Über New York spannte sich der schwarze Samt einer späten Nacht. Die Person mit dem rätselhaften Lederhelm ließ ihn auf zwanzig Meter herankommen. Dann wandte sie sich hastig um und verschwand gleich darauf hinter einem der beiden Schornsteine. Atemlos erreichte Bond die Rauchfänge. Er entdeckte dahinter eine rostzerfressene alte Eisenleiter. Schuhe klapperten an den unzähligen Sprossen hinab. Ohne lange zu überlegen, folgte Bond der unheimlichen Erscheinung. Wieselflink turnte er die Leitersprossen hinunter. Schneller als die Gestalt, hinter der er her war. Er holte auf.
Das stachelte ihn zu einem noch größeren Tempo auf. Die Person hatte inzwischen das Ende der Leiter erreicht. Sie hob das leichenblasse Gesicht. Wie ein Totenkopf sah der Schädel aus. Die Wangen eingefallen. Die Augen in finsteren Höhlen liegend. Ein Totenkopf, mit einem schwarzen Lederhelm bedeckt. Nun verzog das seltsame Wesen den Mund zu einem diabolischen Grinsen. Es schien ihm viel daran zu liegen, daß Delmer Bond die Verfolgung nicht aufgab. Drei Sekunden verstrichen. Dann rannte die Erscheinung hastig die dunkle schmale Straße entlang und verschwand hinter der nächsten Hausecke. Bond sprang aus drei Meter Höhe auf die Straße. Seine Hände waren beim Klettern schmutzig geworden. Er wischte sie an den Jeans sauber. Er hatte gesehen, in welche Richtung die Erscheinung verschwunden war. Unverzüglich jagte er hinterher. Kurz vor der Ecke bremste er sein Tempo. Klug, wie er war, rechnete er damit, daß die Person hinter der Ecke auf ihn lauerte, um über ihn herzufallen, wenn er angedampft kam. Aber da war niemand. Eine noch schmalere Straße lag vor ihm. Schwarz wie der Eingang zur Hölle. Unheimlich still. Das ist die Stille des Todes! dachte Delmer Bond unwillkürlich. Vorsichtig setzte Bond seinen Fuß in diese gespenstische Straße. Er zwang seine Aufregung nieder. Er lief nun nicht mehr, sondern schlich mit geschmeidigen Bewegungen über den dunklen Asphalt. Sein scharfes Gehör versuchte die Person zu orten, hinter der er her war. Seine Augen waren zu schmalen Sicheln geworden. Aber er konnte keine Spur mehr von jener unheimlichen Erscheinung entdecken. Da die Straße wie ein Kanonenrohr war, gab es keine Möglichkeit, sich hier zu verstecken. Die Gestalt, die Bond verfolgte, mußte hier also bis ans Ende entlanggehuscht sein. Bis ans Ende! Was war dort?
Gegenüber von Shooter Island gab es eine große aufgelassene Werft. Und diese finstere Straße hier führte schnurgerade darauf zu. Folglich mußte sich die Person nun auf dem Werftgelände befinden. Bond beschleunigte seine Schritte sofort wieder. Er erreichte einen niedergerissenen Maschendrahtzaun. Feuchtkühl strich es ihm vom Wasser her über das schweißnasse Gesicht. Verrottete Kähne lagen weit über das Gelände verstreut herum. Mit den zum Teil aufgeplatzten Bäuchen nach oben. Vergessen. Unbrauchbar geworden. Dem Verfall preisgegeben. Ein mächtiger Frachter beherrschte die gespenstische Szene. Wie ein riesiges Untier lag er da. Zur Seite gekippt. Plötzlich vernahm er hart am Frachter ein verräterisches Knirschen. Er wandte sich sofort dahin. Obwohl er kein ängstlicher Typ war, spürte er nun doch, wie sich eine prickelnde Gänsehaut über seinen breiten Rücken zu spannen begann. Schnell wischte er sich den Schweiß von der glänzenden Stirn. Dann holte er mehrmals tief Luft, ehe er auf den schweren Schlagschatten des schrägliegenden Kahns zuschritt. Ein gewaltiges Leck mußte den Ausschlag dafür gegeben haben, daß der Frachter hier gelandet war. Durch dieses Leck konnten zwei Jeeps nebeneinander in den Schiffsrumpf einfahren. Bond schlich mit vibrierenden Sinnen an die gähnende Öffnung heran. Das Ganze sah aus wie das weit aufgerissene Maul eines hungrigen Teufels, das Bond nun mit Haut und Haaren verschlingen wollte. Als er mit der ausgestreckten Hand den rauhen Schiffsbauch berührte, vernahm er ganz in der Nähe ein leises, aufgeregtes Atmen. Er spannte alle Muskeln. Und er preßte die Kiefer entschlossen zusammen. Dann ballte er die Fäuste und knurrte. »Okay, du Horrorbiest! Da wären wir nun. Ganz nah beisammen. Ich schlage vor, du kommst jetzt ganz langsam aus dem Frachter raus, damit ich dich sehen kann!« Stille. »Nun?« fragte Bond in die klebrige Schwärze hinein. Keine Antwort. Nun war nicht mal mehr das Atmen zu hören.
»Ich zähle bis drei!« fauchte Bond. »Wenn du bis dann nicht herauskommst, komme ich hinein. Aber laß dir gesagt sein, ich schlage dir den Schädel ein, wenn ich reinkomme!« Atmen. Schneller. Nervöser. Merklich aufgewühlter. »Eins!« Ein Röcheln. »Zwei!« Das leise Geräusch, das dadurch erzeugt wird, wenn Stoff sich an Stoff reibt. Und ein kaum wahrnehmbares Knirschen. Die Gestalt kam. »Drei!« bellte Delmer Bond ungeduldig in die Dunkelheit hinein. Plötzlich war das Monster da. Mit einem scheußlichen Fauchen flog es ihm aus der unergründlichen Schwärze entgegen. Das pergamentene Totengesicht zuckte in blankem, loderndem Haß. Eine erschreckende Mordgier glühte in den schwarzen tiefliegenden Augen. Die Bestie fuhr Bond zischend an die Kehle. Es ging so ungemein schnell, daß er erst reagierte, als sich die eiskalten Finger bereits brutal um seinen Hals geschlossen hatten. Bond ließ seine rechte Faust nach vorn schießen. Er traf den Brustkorb des Angreifers. Da war etwas Weiches. Ein Busen. Er hatte es mit einer Frau zu tun. Sie hatte unglaubliche Kräfte. Ganz nahe war ihm ihr grauenerregendes Antlitz. Dieses Mädchen schien eine Braut des Satans zu sein. Mit dämonischen Kräften ausgestattet. Bond besann sich jener Judogriffe, mit denen man sich eines Würgers entledigen konnte. Doch keiner dieser Tricks hatte den gewünschten Erfolg. Vor Bonds Augen tanzten grellbunte Ringe. Ein fürchterliches Hämmern setzte in seinem Kopf ein. Seine Gedanken verschwammen. Er kämpfte mit der Verbissenheit eines Verlorenen um sein arg gefährdetes Leben. Die schwarze Nacht wollte sich über seinen Geist legen. Nur das nicht! schoß es Bond siedendheiß durch den Kopf. Er machte einen letzten Versuch, in den er alle Kraft legte, die er noch mobilisieren konnte. Er hob das fauchende, haßsprühende Mädchen mit
einem schnellen Ruck aus, warf sich mit ihr herum und fiel mit ihr zu Boden. Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte sich der Würgegriff. Bond bekam einige Milligramm Sauerstoff in die flatternden Lungenflügel. Sofort schmetterte er dem unheimlichen Mädchen seine Faust gegen den Punkt. Das Monstrum röchelte. Doch schon umklammerten wieder die eiskalten Finger Delmers Hals. Er erwischte den Rand ihres rätselhaften schwarzen Lederhelms. Seine Finger glitten darunter. Er mobilisierte alles, was noch in ihm steckte. Blitzschnell riß er dem Mädchen den Helm vom Schädel. Sie stieß in diesem Augenblick einen markerschütternden Schrei aus. Zuckend lockerte sich ihr Würgegriff. Mit angstverzerrtem Gesicht wollte sie sich dieses lederne Gebilde wieder auf den Schädel pressen. Bond quollen die Augen in grenzenloser Verblüffung aus den Höhlen. Kein Haar war auf dem Schädel des Mädchens. Eine schweißbedeckte Glatze sah er. Und rund um diese Glatze verlief eine knallrote Operationsnarbe. Doch dies allein machte das Maß des frostklirrenden Grauens noch nicht voll. Aus der Schwärze des Leders zitterten verschiedenfarbige Drähte hervor, die auf die blank rasierte Schädeldecke zustrebten und darin verschwanden. Kreischend versuchte das Mädchen den Helm wieder auf seinen glatten Schädel zu kriegen. Bond ließ das jedoch nicht zu. Im Gegenteil. Er setzte alle Anstrengungen darein, dem Mädchen diesen seltsamen Lederhelm vollends vom grauenerregenden Schädel zu reißen. Mit einem wilden Ruck gelang ihm das. Surrend hatten sich die Drähte gespannt. Dann waren sie aus der Schädeldecke geschnellt. Mit einem letzten schrillen Schrei, einem konvulsivischen Zucken, das jedoch nach wenigen Sekunden verebbte, starb das unheimliche Geschöpf. Ein Wesen, das einer Wahnvorstellung entsprungen zu sein schien. Ein Mädchen noch dazu. Obwohl die schaurige Gestalt erschlafft vor Delmer Bond lag, konnte er die Ungeheuerlichkeit nicht begreifen.
Athene King zündete sich die fünfte Marlboro an. Die Hand, die die Zigarette zum Mund führte, zitterte schrecklich. Sie lief ruhelos im Atelier auf und ab. Auf der Staffelei stand ein halbfertiges Bild, das sich in seiner Aussage an Dalis Werke lehnte. Es gab dafür bereits einen Käufer. Das Mädchen zog hastig an der Zigarette. Sie behielt den Rauch eine Weile in der Lunge, dann stieß sie ihn gehetzt aus, um gleich den nächsten Zug zu machen. Das Telefon schlug an. Athene zuckte mit einem heiseren Schrei erschrocken herum. Sie stieß die noch nicht zu Ende gerauchte Marlboro in den Aschenbecher und griff nach dem Hörer. »King!« meldete sie sich mit bebender Stimme. Furchtvoll, zögernd, hochgradig nervös. »Ich bin’s, Athene!« kam die vertraute Stimme von Delmer durch den Draht. Sie klang laut. Er war nicht weit weg von ihr. Das Mädchen entnahm seinem Ton, daß etwas Furchtbares passiert war. »O Gott, Delmer. Was ist geschehen?« »Diese Erscheinung… Das war ein Mädchen.« »Ein Mädchen?« »Ja, Athene.« »Wo ist sie? Hast du sie erwischt? Himmel, so rede doch, Delmer. Du weißt nicht, was ich hier leide, seit du weg bist.« »Ich habe sie auf der aufgelassenen Werft gestellt«, erzählte Bond. Und dann sprach er mit nüchternen Worten über sein schreckliches Erlebnis. »Wo bist du jetzt, Delmer?« »Am Rande der Werft ist ’ne Telefonbox.« »Ich komme sofort.« »Bleib lieber zu Hause. Das Mädchen ist kein schöner Anblick, Athene.« »Ich halte es keine Sekunde länger zu Hause aus, Delmer.« »Okay. Dann komm her. Ich erwarte dich.« »Ruf inzwischen die Polizei an. Hörst du? Du mußt die Polizei verständigen.« »Ja. Ja, das mach’ ich jetzt gleich«, erwiderte Delmer Bond nervös und hängte ein.
Alsbald herrschte ein hektisches Treiben auf der aufgelassenen Werft. Cops stiefelten über das Gelände, das mit kräftigen, batteriegespeisten Standscheinwerfern ausgeleuchtet war. Ein Leichenwagen stand neben dem Kastenwagen der Mordkommission, mehrere Patrolcars hatten ihre Rotlichter noch laufen. Neutrale Dienstwagen standen dazwischen. Der Leiter der Mordkommission war Captain Donald Kroeger. Sein rechter Arm und Stellvertreter war Lieutenant Derek Winters. Die beiden waren am besten mit Tag und Nacht zu vergleichen. Captain Kroeger und Lieutenant Winters waren kaum jemals einer Meinung. Captain Kroeger war Nichtraucher. Lieutenant Winters war Kettenraucher. Kroeger aß mit Vorliebe saftige Steaks. Winters war Vegetarier. Kroeger war begeisterter Sportler und hatte es zu einigen Auszeichnungen in mehreren Disziplinen gebracht. Winters war absoluter Antisportler. Kroeger war ein anerkannter Meisterschütze in der Polizeistaffel. Winters hingegen war ein strikter Waffenhasser, der seine Dienstpistole nur trug, weil er dazu verpflichtet war. Kroeger war schlank und beweglich. Winters war dicklich und schwerfällig. Wie gesagt, sie waren wie Tag und Nacht. Donald Kroeger wischte sich über das kantige Kinn. Dann zog er Athene King und Delmer Bond ein wenig zur Seite. Die beiden hatten ihm bereits einen kurzen Überblick gegeben. Lieutenant Winters gesellte sich mit seiner stinkenden Zigarette hinzu, die er zwischen zwei nikotinbraunen Fingern hielt. Kroeger winkte ihn ärgerlich fort. »Sehen Sie zu, daß der Fotograf keine Spuren zertrampelt, Lieutenant!« knurrte er abweisend. »Ich bin der Meinung, es wäre besser, wenn ich hier dabei wäre, Sir.« »Mann!« fauchte Kroeger gereizt. »Sie schieben ab morgen wieder Streifendienst, wenn Sie nicht auf der Stelle tun, was ich anordne.« Derek Winters ließ eine dicke Rauchwolke aus seinem harten Mund. Sie flog dem Captain genau ins Gesicht. Er entschuldigte sich dafür zwar, aber Kroeger wußte, daß das Absicht gewesen war.
»Eines Tages trenne ich mich von diesem penetrant aufsässigen Kerl, das weiß ich!« fauchte der Captain hinter dem weggehenden Lieutenant her. Er brauchte eine Weile, bis er sich beruhigt hatte. Mit kribbeligen Fingern holte er eine Tüte aus der Hosentasche. »Möchten Sie eine Lakritze haben?« fragte er Athene und ihren Verlobten. »Beruhigt ungemein.« Die beiden lehnten mit einem Kopfschütteln ab. Kroeger schob sich seufzend so ein schwarzes Ding zwischen die Zähne. »Ist besser als rauchen«, meinte er dazu. Dann sprach er Delmer Bond direkt an: »Sie und Miß King sind also verlobt?« »Ja, Captain«, sagte Delmer. »Schon lange?« »Seit einem halben Jahr.« »Wohnen Sie zusammen?« »Nein. Ich habe ein Apartment in Brooklyn. Parkside Avenue. Gegenüber dem Prospect Park, wenn Sie die Gegend kennen.« »Kenne ich«, nickte der Captain und schob die Lakritze zur anderen Backe hinüber. »Haben Sie keine Eltern mehr, Mr. Bond?« »Doch.« »Warum wohnen Sie nicht bei ihnen?« »Vielleicht bin ich einer von diesen verdorbenen, unverbesserlichen Jungen, die das Elternhaus nicht ausstehen können.« »Spaß beiseite«, sagte Kroeger ernst. »Gab’s mal Schwierigkeiten zu Hause?« »Jede Menge.« »Mit den Eltern?« »Eigentlich nur mit meinem Vater. Er heißt übrigens Leonard Bond…« Donald Kroeger klemmte seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger und zog daran, während er nachdenklich an Delmer vorbeischaute. »Leonard Bond!« wiederholte er gedehnt. »Warten Sie mal. Der Name kommt mir bekannt vor. Ist das nicht der bekannte Gehirnchirurg?« »Genau der. Alle Welt kennt ihn. Er ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Gehirnchirurgie. Er hat manchmal schon wahre Wunder vollbracht. Die Zeitungen und Illustrierten haben aus ihm eine Art Herrgott
gemacht. Vielleicht ist ihm das zu Kopf gestiegen. Jedenfalls ist er zu Hause ein richtiges Ekel. Ich kann nicht verstehen, wie meine Mutter und meine Schwester Jeannie es immer noch bei ihm aushalten können. Ich bin jedenfalls rechtzeitig abgehauen. Es wäre mir gegen den Strich gegangen, die Hand gegen meinen eigenen Vater zu erheben. Da ich fühlte, daß es eines Tages dazu kommen würde, räumte ich lieber rechtzeitig das Feld. Heute lebe ich nach dem Grundsatz: Komme selten, dann wirst du gelten. Und es hilft. Vater ist dann nicht ganz so unausstehlich wie sonst.« Captain Kroeger holte die Lakritze mit einem raschen Zungenschlag von links nach rechts. »Wollte Ihr Vater Sie nicht auch zum Gehirnchirurgen machen, Mr. Bond?« Delmer zuckte zusammen. Dem Captain entging das nicht. Das war anscheinend ein wunder Punkt bei dem Jungen. Mit spröder Stimme antwortete er: »Sie haben recht, Captain. Er hatte diesen Plan mit mir.« »Was ging daneben?« »Ich ging daneben. Ich bin nicht zum Arzt geboren. Ich kann kein Blut sehen. Ich meine, ich bin nicht zimperlich. Aber ich würde es niemals fertigbringen, einem Menschen den Schädel aufzuschneiden.« »Sie würden diesem Menschen damit aber helfen.« »Trotzdem könnte ich es nicht. Was soll ich tun? Jeder ist nun mal nicht zum Arzt geboren.« Kroeger nickte. »Da haben Sie recht. Was machen Sie beruflich?« »Ich arbeite als Kunstkritiker für eine kleine Zeitung. Dieser Job hat Athene und mich zusammengebracht. Seither könnte ich mir keinen anderen Beruf mehr denken.« Der Captain bat die beiden, noch mal in allen Einzelheiten zu erzählen, wie sich das Ereignis zugetragen hatte. Athene King war der Meinung, daß dieses unheimliche Mädchen mit einer ganz bestimmten Absicht am Atelierfenster aufgetaucht wäre. »Ich hatte das Gefühl – und dieses Gefühl verstärkt sich mehr und mehr, je länger ich darüber nachdenke –, daß dieses Mädchens Delmers wegen gekommen war.« »Kannten Sie dieses Mädchen denn, Mr. Bond?« fragte Kroeger den Jungen.
Dieser schüttelte den Kopf. »Wieso glaubten Sie dann, daß dieses Mädchen seinetwegen gekommen war, Miß King?« forschte der Captain. Athene hob die Schultern. »Mir war so, als würde sich der ganze Haß, der in ihren Augen lag, nur gegen Delmer richten.« Kroeger sagte zu Bond: »Sie erwähnten vorhin, dieses Mädchen wäre ungemein kräftig gewesen.« »Sie hätte mich erwürgt, wenn ich ihr diesen komischen Lederhelm nicht vom Schädel gerissen hätte.« »Damit haben Sie sie umgebracht.« »Was hätte ich denn machen sollen…« »Ich wollte Ihnen damit keinen Vorwurf machen, Mr. Bond. War nur eine reine Tatsachenfeststellung. Haben Sie schon mal über diese knallrote Operationsnarbe nachgedacht?« »Natürlich. Die ist noch nicht alt.« »Drähte in der Schädeldecke.« Kroeger schüttelte den Kopf. »Daran waren bestimmte Gehirnwindungen angeschlossen. Die Kollegen in unserem Labor werden sich die Haare raufen, das weiß ich jetzt schon. Warum auch nicht. Sie sollen sich auch mal ihr Geld verdienen. Ich frage mich, wo solche Operationen gemacht werden. Können Sie mir da weiterhelfen, Mr. Bond?« Delmer schüttelte heftig den Kopf. »Tut mir leid. Ich sagte Ihnen ja…« Donald Kroeger putzte sich nachdenklich die Nase. »Wahrscheinlich ist dieses Mädchen aus einer Anstalt entsprungen. Ich werde es Lieutenant Winters übertragen, herauszufinden, aus welcher.« Der Polizeiarzt kam. Ein müdes, schläfriges Männchen mit grauen Augen hinter einer dickglasigen Brille, mit dünnen, feinnervigen Händen und einem grauen Spitzbart, den er nun sorgenvoll streichelte. »Darf ich sagen, daß mir Ihr Gesicht nicht gefällt, Doc?« äußerte sich Captain Kroeger. »Ich habe leider kein anderes.« »Ich meine natürlich Ihre Miene.« »Ach so. Tja. Haben Sie sich die Tote schon angesehen?«
»Natürlich.« »Ich meine, genau angesehen.« »Ich habe sie so genau wie möglich angesehen. Und zwar mit den Augen eines Polizeibeamten. Nicht mit den Augen eines Arztes.« Der Doktor blies seine schmale Brust auf und schüttelte in höchstem Maße besorgt den Kopf. »Captain, Captain. Ich sage Ihnen, da hat jemand eine ganz große Schweinerei gemacht.« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Donald Kroeger gespannt. »Soll ich Ihnen sagen, wie ich die ganze Sache sehe?« »Ich bitte darum.« »Meiner Meinung nach gibt es in unserer Stadt einen wahnsinnigen Arzt. Er hat dieses Mädchen zu seinem menschlichen Versuchskaninchen gemacht!« Kroegers Augen weiteten sich. »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß dieses Mädchen nicht in einer Klinik operiert wurde!« Der Arzt schüttelte bestimmt den Kopf. »Keine Klinik würde so etwas machen, Captain. Ich sage Ihnen, da hat ein verdammt verbrecherischer Doktor seine verteufelte Hand im Spiel.« Kroeger meinte: »Wir werden gleich mal alle Vermißtenmeldungen durchgehen. Vielleicht kriegen wir so heraus, wer dieses Mädchen war. Und wenn wir erst mal das wissen, schaffen wir vielleicht auch den nächsten Schritt, der uns zu jenem Verrückten im Arztkittel führt, der für das Schicksal jenes toten Mädchens verantwortlich zu machen ist.« Grau und träge kroch der Morgen über die Stadt. Noch hatten die winkeligen Straßen und Haustornischen tiefschwarze Schatten, in denen man sich verbergen konnte. Aus einer solchen schwarzen Nische löste sich nun eine ruhelos gewordene Gestalt. Den Blick zum zweiten Stock hinaufgerichtet, stand der Mann steif da. Dort oben waren zwei Fenster beleuchtet, während alle anderen Fenster noch dunkel waren. Dort oben wohnte Paula Walker.
Ein Mädchen, das man für Geld haben konnte. Ein hübsches Mädchen. Deshalb verdiente Paula sehr gut, und ihr Aussehen war auch daran schuld, daß sie bis zum Morgengrauen noch Kunden bei sich hatte. Ihretwegen war der Mann gekommen. Seine Wangen zuckten nervös. Er konnte es kaum noch erwarten, bis Paula allein war in dieser Wohnung dort oben im zweiten Stock… Paulas Kunde zog den Reißverschluß an seiner Hose nach oben. Er bleckte das kräftige Gebiß und leckte sich begeistert über die kurzen Lippen, die die Zähne nicht zu verdecken vermochten. Nun kämmte er sich rasch mit den Fingern, während Paula Walker in sündhaft schöner Nacktheit vor ihm stand und seinen Schlips band. Er strich noch mal sanft über ihr pralles Gesäß und kniff sie kichernd. »Himmlisch, Baby. Heute war’s wieder mal himmlisch!« »Freut mich, daß es dir gefallen hat«, erwiderte Paula müde. Sie schüttelte das lange schwarze Haar zurück. Die Finger des Mannes turnten an ihrer Wirbelsäule hoch. Sie lächelte erschöpft und meinte, er hätte für sein Geld wohl genug bekommen, nun müsse er gehen. »Okay, Baby. Ich gehe. Aber ich komme wieder.« »Wann?« »Nächste Woche?« »Wenn du möchtest.« »Und wie ich möchte«, grinste der Mann. Er beugte sich zu Paulas schweren Brüsten hinab und nahm die kegelförmige Spitze der einen sachte zwischen die Zähne, während er seine rauhe Zungenspitze darübergleiten ließ. »Junge, mach mich doch nicht wieder scharf!« lachte Paula und drückte ihn mit sanfter Gewalt von sich. »Geh jetzt.« Paula schob den Mann aus der Tür. Als Paulas Kunde auf die Straße trat, preßte sich der Mann gegenüber fest an die anthrazitene Dunkelheit, um nicht gesehen zu werden. Paulas Verehrer sprang in einen salbeigrünen Mustang und fuhr Augenblicke später los. Nun löste sich der Mann aus der Nische. Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße. Das Warten hatte ein Ende.
Nun durfte er handeln. Hastig betrat er das Haus, in dem Paula Walker wohnte. Er lauschte. Noch war es überall in den Wohnungen still. Noch schliefen alle, die hier wohnten. Außer Paula. Vorsichtig huschte der Mann die Treppe hoch. Zwischendurch blieb er mehrmals kurz stehen, um sich zu vergewissern, daß sich tatsächlich niemand um ihn kümmerte. Ein wenig außer Atem erreichte er die zweite Etage. Er zwang sich zur Ruhe, obwohl er ungemein aufgeregt war. Schnell holte er sein Taschentuch hervor. Er legte es über den Drehgriff, ehe er ihn berührte. So verschaffte er sich Einlaß in die Wohnung des ahnungslosen Mädchens. Sobald er die Tür aufgedrückt hatte, vernahm er das leise Rauschen des Wassers. Nun sah er das Mädchen. Sie war noch zu jung, um ihrem Lebenswandel schon Tribut zahlen zu müssen. Noch sah sie begehrenswert und knusprig aus. Noch brauchte sie keinen Gedanken ans Altern zu verschwenden. Wie der Körper eines frisch gefangenen Aals glänzte ihr nasser Leib. Der Mann blieb stehen und betrachtete dieses hervorragende Meisterwerk der Natur. Paula sah ihn nicht sofort. Als sie ihn dann aber erblickte, erschrak sie ein wenig, jedoch im selben Moment hatte sie ein vorwurfsvolles Lächeln für den Mann. Sie drehte den Wasserhahn ab und kam nackt aus dem Bad. Ohne jedes Schamgefühl blieb sie mit einer bedauernden Miene vor dem Mann stehen. »Mal hat selbst ein Mädchen wie ich genug davon!« sagte sie. »Mal muß doch Schluß sein.« »Ich mußte lange warten!« knurrte der Mann. »Das hat niemand von dir verlangt. Ich bin müde. Ich möchte mich aufs Ohr hauen. Bitte sei lieb und geh wieder. Komm wieder, wenn ich ausgeschlafen bin. Dann haben wir beide mehr davon. Sei ein Schatz. Mach die Tür von draußen zu, ja?« Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. Er starrte das Mädchen an. Aber es war nicht Gier, die in seinen Augen funkelte. Es war Wahnsinn.
Doch das ahnte das Mädchen nicht. »Du verlangst hundert Dollar dafür!« sagte der Mann. »Ja. Wenn ich’s mache.« Der Mann griff in die Tasche und legte wesentlich mehr Geld auf den Tisch. »Fünfhundert Dollar!« sagte er lauernd. Paula sog die Luft erstaunt ein. »Du weißt, wo ich meinen schwachen Punkt habe, Junge.« »Sonst noch Probleme?« »Jetzt nicht mehr. Soll ich uns schnell noch Kaffee machen – damit wir nicht einschlafen?« »Ich möchte, daß wir gleich anfangen!« sagte der Mann mit vibrierenden Nerven. Paula zuckte die nackten Schultern. »Okay. Du hast bezahlt.« »Setz dich aufs Sofa.« »Warum gehen wir nicht ins Schlafzimmer? Da haben wir’s bequemer.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Sofa!« sagte er in knappem Befehlston. »Wie du meinst«, erwiderte Paula und ließ sich auf das mit Blumen übersäte Sofa nieder. Die Arme verschränkte sie abwartend vor dem vollen nackten Busen. Der Mann fingerte aus seiner Westentasche eine kleine Silberkugel heraus, die an einer silbernen Kette hing. Er ließ die Kugel langsam hin und her pendeln. Und er starrte das Mädchen mit seinen glühenden Augen reglos an. Paula lachte spöttisch. »Kannst du mir verraten, was das werden soll? ’ne neue Art, Liebe zu machen vielleicht?« »Sieh auf die Kugel!« verlangte der Mann. »’n schönes Spielzeug.« »Sieh nur auf die Kugel. Und entspanne dich.« »Das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen.« »Entspanne dich. Werde ruhig. Versuche zu schlafen. Schlafe, Paula. Schlafe!« Es ging ziemlich schnell. Zuerst wurden Paulas Züge schlaff, dann wurden ihre Lider schwer.
Der Mann redete weiter murmelnd auf sie ein. Monoton. Unermüdlich. Schließlich war sie hypnotisiert. Er befahl ihr, die Augen zu öffnen. Sie tat es. Er befahl ihr, sich anzukleiden, und sie befolgte seinen Befehl mit mechanischen Bewegungen. Schnell zog sie ihr durchsichtiges Höschen an, darüber zog sie die hauchdünne Nylonstrumpfhose. Auf den Büstenhalter verzichtete sie. Ein milchweißes Unterkleid glitt über ihren makellosen Körper, dann kam der Rock, dessen Gurtband sie zuhakte, nachdem sie den Reißverschluß nach oben gezogen hatte. Ein Pulli folgte. Sie war fertig. Der Mann nickte zufrieden. »Komm jetzt!« befahl er der Hypnotisierten. »Ich brauche dich. Du darfst der Wissenschaft einen ungeheuer großen Dienst erweisen.« Sie verließen gemeinsam die Wohnung des Mädchens. Die fünfhundert Dollar hatte der Mann selbstverständlich wieder an sich genommen. Mit dem Taschentuch über der Hand knipste er das Licht aus. Dann ging er mit Paula die Treppe hinunter. Zwei Blocks weiter stand sein Wagen. Er befahl dem Mädchen, einzusteigen. Sie tat es willenlos. Er fuhr mit seinem Opfer davon… Die große antike Pendeluhr in Leonard Bonds Haus schlug achtmal. Und Bond schmetterte einmal seine kräftige Faust auf den Frühstückstisch. Seine Wangen liefen rot an. Er knirschte mit den Zähnen und starrte seine Frau April und seine Tochter Jeannie gereizt an. »Der Kaffee – kalt. Der Toast – verbrannt. Das Ei – zu weich! Herrgott noch mal, kann denn in diesem verdammten Haus niemand ein normales, eßbares Frühstück zubereiten?« April und Jeannie Bond warfen einander bedeutungsvolle Blicke zu. Das Familienoberhaupt hatte heute wieder mal seinen ganz besonders unleidlichen Tag. Mutter und Tochter verstanden einander. Es war besser, zu schweigen. Dann blickte er seine Frau und seine Tochter herausfordernd an. »Nun sagt schon, daß man es mit mir nicht aushalten kann. Sagt schon, daß ich ein Ekel bin, daß ich euch tyrannisiere, daß ihr mich widerlich
findet! Warum habt ihr nicht den Mut, es mir zu sagen? Ich sehe doch, daß ihr das denkt!« Jeannie war nahe daran, dem Vater mit heftigen Worten zu widersprechen. Sie hielt sich nur ihrer bedauernswerten Mutter wegen zurück. Nur ihrer Mutter wegen wohnte sie noch im elterlichen Haus, um ihr im täglichen Kampf gegen diesen Tyrannen beizustehen. Vielleicht hätte Jeannie diesmal nicht den Mund gehalten, wenn sie nicht in diesem Moment von etwas abgelenkt worden wäre. Sie hatte eine Bewegung hinter dem Glas der Terrassentür wahrgenommen. Bloß aus den Augenwinkeln, doch nun wandte sie ihren Blick direkt dorthin. In diesem Augenblick strich ihr etwas eiskalt über den Rücken. Sie hielt unwillkürlich die Luft an und hörte mit Schaudern in sich hinein, denn in ihrer Brust begann das Herz auf einmal verrückt zu spielen. Es schlug rasend schnell und hoch oben im Hals. Gebannt starrte das Mädchen zur Terrassentür. Hinter dem Glas war ein erschreckender Kopf zu sehen, dessen grauenerregende tiefliegende Augen ins Haus hereinstarrten. Die Haut, die den Kopf bedeckte, war seltsam pergamenten, und um den Schädel schloß sich ein schwarzer Lederhelm. Als erste bemerkte April Bond das große Entsetzen ihrer Tochter. »Um Himmels willen, Jeannie, was ist mit dir los? Du siehst auf einmal so sonderbar aus!« »Verrückt ist sie!« bellte Leonard Bond. »Wundert dich das? Schließlich ist sie deine Tochter!« »Dort, Ma!« ächzte Jeannie verstört. »An der Terrassentür!« Jeannies Eltern wandten sich um. An der Terrassentür war niemand und nichts zu sehen, denn die schaurige Erscheinung hatte sich um den Bruchteil einer Sekunde zuvor zurückgezogen. »Dort ist nichts!« knurrte Jeannies Vater. »Was hast du gesehen, Jeannie?« fragte April Bond. »Einen Kopf…«
»Bloß einen Kopf?« spottete Leonard Bond grinsend. »Ohne Körper? Etwa eines von diesen Pappmachédingern, wie man sie in der Geisterbahn antrifft?« »Ich konnte nur den Kopf sehen, Vater. Ein grauenvoller Kopf.« »Wenn nur du ihn sehen kannst, solltest du mal einen Psychoanalytiker konsultieren. Ich wüßte einen…« »Wenn sie sagt, daß sie dort draußen jemanden gesehen hat, dann ist an ihren Worten nicht zu zweifeln, Leonard!« stellte sich nun April Bond schützend vor ihre Tochter, die vor Zorn den Tränen nahe war. »Ist ja klar, daß du dich auf ihre Seite stellst!« erwiderte Bond gereizt. »Würdest du bitte mal nachsehen, wer sich auf unserer Terrasse herumtreibt, Leonard?« »Wie komme ich dazu, dem Hirngespinst meiner Tochter nachzujagen? Ich weiß ja nicht einmal genau, was sie gesehen hat.« »Sie sagt, sie hat einen Kopf gesehen.« »Ja. Das fand ich sehr komisch. Und weiter?« »Es sah aus wie ein Totenkopf!« stieß Jeannie, immer noch geschockt, hervor. »Leichenblaß. Mit schrecklichen Augen, die dich voll abgrundtiefem Haß angesehen haben, Ma.« April Bond erschrak. »Mich? Du meinst, diese Person ist meinetwegen dort draußen?« »Das kann ich nicht beschwören, Ma.« »Ist ja verrückt, das Ganze!« lachte Leonard Bond. »Dieser – Kopf«, fuhr Jeannie langsam und stockend fort, »war von einem schwarzen Lederhelm umhüllt…« Bond knallte zornig mit der flachen Hand auf den Tisch. »Jetzt habe ich von deinen Jungmädchenfantastereien aber genug, Jeannie!« brüllte er. »Was soll das Theater? Wozu spielst du uns diese Komödie vor?« »Es ist keine Komödie, Dad. Ich weiß, was ich gesehen habe!« erwiderte Jeannie nun ungewöhnlich scharf. Bond zog die Brauen zusammen. »Ich schlage vor, du gehst auf dein Zimmer, Jeannie!« »Nein, Dad. Ich gehe nicht.« »Sag mal, was nimmst du dir in meinem Hause heraus?!« schrie Bond mit hochrotem Gesicht. »Ich verlange, daß du glaubst, was ich sage!«
Leonard Bond schnellte hoch. »Das wird ja immer schöner. Seit wann hast du denn etwas zu verlangen?« Er nickte schnaubend. »Okay. Wenn ich schon mal stehe, kann ich ja nach draußen gehen und mich für euch beide zum Narren machen. Wenn ich dort draußen aber niemanden entdecken kann, dann wünsche ich, daß du dich ohne jede weitere Erklärung auf dein Zimmer zurückziehst, Jeannie! Ist das klar?« Das Mädchen schwieg trotzig. Bond stampfte mit schnellen Schritten auf die Terrassentür zu. Er warf den Riegel herum und stieß die Tür nach draußen auf. Dann begab er sich auf die mit Natursteinen belegte Terrasse hinaus. Er schaute nach links und nach rechts. Dann schüttelte er zornig den Kopf und kam mit schmal zusammengekniffenen Augen zurück. Ärgerlich starrte er seine Tochter an. »Nichts!« fauchte er. »Ich hatte nichts anderes erwartet.« Jeannie preßte die Lippen wütend zusammen. »Und ich habe doch diesen Kopf gesehen, Dad!« »Es reicht, Jeannie! Treibe diese ärgerliche Geschichte nicht auf die Spitze. Geh jetzt auf dein Zimmer.« Jeannie zögerte. »Nun, wird’s bald?« schrie Bond. Jeannie schaute ihre Mutter an. Und als diese mit verzweifelt geschlossenen Augen kaum merklich nickte, erhob sie sich vom Frühstückstisch und lief zornig aus dem Zimmer. »Diese heutige Jugend!« fauchte Bond gereizt. »Keinen Respekt haben diese jungen Dinger heutzutage mehr!« »Ich denke, Leonard, für heute habe ich mir genug anhören müssen!« »Ach! Die Dame meint, meine Launen nicht mehr ertragen zu können! Bitte! Bitte, du kannst ja gehen! Scher dich doch zum Teufel, wenn du ein Leben an meiner Seite so unerträglich findest!« April Bond schüttelte erschüttert den Kopf. »Du bist nicht ausgeschlafen, Leonard. Deshalb bist du heute besonders unleidlich.« »Ich bin nicht ausgeschlafen?« Leonard Bond war mit ein paar wilden Sätzen bei seiner Frau.
Er sog die Luft scharf ein und hob die Hand. »Wenn ein Mann seine Frau schlägt, Leonard, das ist doch wirklich das Letzte!« sagte April Bond eiskalt und furchtlos. Bond ließ die Hand sinken. »Du nimmst dir verdammt viel heraus, April!« keuchte er, den Blick gesenkt. »Delmer hatte recht, dieses Haus zu verlassen, Leonard. Es war das Klügste, was er tun konnte. Ich bin sicher, daß sich auch Jeannie nicht mehr allzulange deine Beleidigungen und Erniedrigungen gefallen lassen wird. Dann hast du nur noch mich für dein Gift. Ob dir das genügen wird?« Bond wandte sich mit einem Ruck um. Er knurrte irgend etwas Unverständliches und rannte dann aus dem Raum. Wenig später knallte er mit der Haustür. Dann brummte sein Wagen los. Er fuhr in die Klinik. Es war genug Geld vorhanden, um ein Dienstmädchen bezahlen zu können. Aber Leonard Bond wollte keine fremde Person in seinem Haus haben, deshalb machte April Bond alle Arbeit allein. Nachdem sie das Frühstücksgeschirr abgeräumt hatte, begab sie sich in die Küche, um das Geschirr im Spülautomaten unterzubringen. Jeannie war nicht wieder heruntergekommen. Sie befand sich immer noch in ihrem Zimmer, obwohl sie gehört haben mußte, daß ihr Vater inzwischen weggefahren war. April Bond mußte immerzu an die Erscheinung an der Terrassentür denken, von der Jeannie gesprochen hatte. Was für eine seltsame Person mochte das gewesen sein? Ein kurzes Poltern ließ Mrs. Bond erschrocken herumfahren. Wieder dachte sie an die Erscheinung. Ein wenig beunruhigt verließ sie die Küche. Sie stellte fest, daß die Tür zum Kellerabgang offen war. Gleichzeitig konnte sie sich aber ganz genau erinnern, daß diese Tür vorhin als sie daran vorbeigekommen war, geschlossen gewesen war. April Bond lauschte mit angehaltenem Atem. Sie lauschte nach oben. Hatte Jeannie ihr Zimmer verlassen? Hatte sie sich in den Keller begeben? Wenn ja, warum war sie dann nicht auf
einen Sprung in die Küche gekommen, wie sie es sonst immer tat, wenn sie sie dort hantieren hörte? Mrs. Bond ging bis zur Kellertür. Unten brannte kein Licht. Seltsam, dachte sie. Jeannie würde da nicht hinuntergehen, wenn kein Licht brannte. Jeannie hatte ein bißchen Angst vor der Dunkelheit. Unten war ein vages Geräusch zu vernehmen. Schritte vielleicht. April Bond griff sich nervös an den kalten Hals und fröstelte. »Jeannie?« rief sie hinunter. Nichts kam ihr aus der Dunkelheit entgegen. »Jeannie? Bist du dort unten?« Keine Antwort. Mrs. Bond griff nach dem Türknopf und wollte die Kellertür zuziehen. Sie versuchte sich einzureden, die Tür wäre von selbst aufgegangen, weil sie sie gestern schlecht geschlossen hatte. Doch sie wollte nicht daran glauben. Diese Tür war absichtlich aufgemacht worden. Als April Bond die Tür schon fast geschlossen hatte, hörte sie ein schleifendes Geräusch, das jedoch sogleich wieder verstummte. Die Frau drückte die Tür zurück. »Wer ist da?« fragte sie nervös. Dicke Hagelschloßen rollten durch ihre Adern. Sie brachte es aber nicht mehr fertig, die Kellertür einfach zuzumachen und die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie hätte die Geräusche nicht vergessen können. Sie mußte ihnen auf den Grund gehen. Schnell tastete sie nach dem Lichtschalter. Sie kippte ihn. Unten flammte Licht auf. Es war nicht so sehr Mut wie Neugier, die Mrs. Bond die Kellertreppe hinuntertrieb. »Ist da jemand?« fragte sie in die Diesigkeit hinein. Aber sie bekam auch jetzt keine Antwort. Trotzdem spürte sie mit einer geradezu erschreckenden Deutlichkeit, daß sie sich nicht allein im Keller befand. Das machte ihr natürlich Angst, und sie wollte sich umdrehen, die Treppe wieder hochlaufen und erst mal mit Jeannie darüber sprechen. Plötzlich ein Seufzen aus einem der schattigen Winkel des labyrinthartig angelegten Kellers.
Ein eiskalter Schauer lief der Frau den Rücken hinunter. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Schritte waren zu hören. Sie kamen näher. Gebannt wartete April Bond, unfähig, sich umzudrehen, zu fliehen. Ganz langsam tauchte die Gestalt aus dem Schatten auf. Jeannie hatte die Wahrheit gesagt. Da war die Erscheinung nun, von der sie gesprochen hatte. Ein schreckliches Gesicht war das, das Mrs. Bond nun angrinste. Der Frau fiel ein, daß Jeannie gesagt hatte, diese unheimliche Person hätte sie voll abgrundtiefem Haß angesehen. Es stimmte. In diesem glühenden Blick lag tatsächlich grauenerregender Haß. Die Erscheinung stand reglos vor April Bond. Sie trug Frauenkleider und jenen sonderbaren Lederhelm auf dem totenbleichen Kopf, den Jeannie ebenfalls erwähnt hatte. »Wer sind Sie?« fragte Mrs. Bond mit spröder Stimme. Ihre Nerven vibrierten. Sie hatte Angst vor dieser unheimlichen Gestalt, obwohl sie sich das nicht eingestehen wollte. »Wie kommen Sie in diesen Keller? Was haben Sie hier unten zu suchen?« Die seltsame Person erwiderte kein Wort. Sie verzog lediglich den dünnen Mund zu einem grausamen Grinsen. Langsam, ohne Eile, setzte sie sich in Bewegung. Mit eckigen Schritten kam sie auf Mrs. Bond zu. April Bond wollte vor dieser Schreckensgestalt zurückweichen, doch ihre Füße schienen im Kellerboden Wurzeln geschlagen zu haben. »Wer sind Sie?« preßte die entsetzte Frau noch einmal zitternd hervor. »Was wollen Sie?« Mehr brachte sie nicht heraus, denn von diesem Augenblick an versagte ihr die Stimme. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Der fürchterliche Blick dieses seltsamen Horrorwesens durchbohrte sie förmlich. Sie spürte eine wahnsinnige Angst in sich aufkeimen. Eine Angst, der sie nicht Herr werden konnte, die sie bei lebendigem Leibe auffraß, die wie eine hungrige Ratte in ihren Eingeweiden hockte und daran mit spitzen Zähnen herumnagte. Jetzt stand das Wesen knapp vor April Bond.
Die Frau konnte den heißen Atem der Unbekannten auf ihrem Gesicht fühlen. Die unheimliche Mörderin stieß nun einen bösartigen Fauchlaut aus und fuhr dem entsetzten Opfer dann mit beiden Händen blitzschnell an die heiße, pochende Kehle. Mrs. Bond krächzte verstört auf. Sie wankte zurück. Dabei entglitt sie den harten Fingern der schrecklichen Mörderin. Sie wollte diese einzige Gelegenheit zu einem gellenden Hilfeschrei nützen, doch ihre Stimmbänder brachten nicht den geringsten Laut zustande. Die grauenerregende Mörderin fiel zischend über April Bond her. April stieß die Fremde entsetzt von sich. Sie duckte sich, die Würgehände fegten über sie hinweg, sie schnellte herum und versuchte die Kellertreppe in panischer Furcht hochzuhasten. Drei Stufen schaffte sie. Plötzlich umschloß ein eiserner Griff ihr rechtes Fußgelenk. Sie verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Gesicht auf die Treppe. Ihr Nasenbein brach. Blut schoß aus der Nase. Sterne tanzten vor Aprils Augen, doch sie spürte keinen Schmerz. Die namenlose Todesangst ließ sie nichts fühlen, machte sie schmerzunempfindlich. Wütend über den Fluchtversuch riß die grausame Mörderin ihr Opfer die Stufen herunter. Mrs. Bond warf sich, auf dem Kellerboden liegend, herum, als sich das Horrorwesen erneut auf ihren Hals stürzte. Diesmal war es ihr nicht mehr möglich, sich dem alles entscheidenden Griff zu entziehen. Eiskalte Finger umklammerten mit unglaublicher Härte ihren Hals. An diesem Griff war etwas Endgültiges. Der war nicht mehr zu lösen. Er brachte den Tod. April Bond setzte sich gegen das gewaltsame Ende verzweifelt zur Wehr. Sie versuchte mit allen Mitteln freizukommen, doch sie war den Kräften der schaurigen Mörderin nicht gewachsen. Sehr schnell versiegte ihr zuckendes Leben unter dem unbarmherzigen Würgegriff jener schrecklichen Erscheinung…
Lieutenant Winters telefonierte mit dem Gerichtsmediziner und rauchte eine von seinen übelriechenden Zigaretten. Captain Kroeger saß mit gefletschten Zähnen am gegenüberstehenden Schreibtisch und registrierte mit wachsendem Zorn, wie sich der Zigarettenrauch zu ihm herüberstahl. Als Winters den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, knurrte der Captain: »Sagen Sie mal, Lieutenant, könnten Sie das Rauchen nicht etwas einschränken?« »Ich sehe keine Veranlassung…« »Verdammt, wir hocken hier in einem winzigen Raum, den Sie Tag für Tag bis zur Decke hinauf vollqualmen!« schrie Kroeger wütend. »Ich bin nicht der einzige, der hier drinnen raucht, Sir.« »Die anderen rauchen wenigstens nicht so ein verteufelt stinkendes Kraut!« »Sir, Sie sind zwar mein Vorgesetzter, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, zu bestimmen, welche Zigarettenmarke ich rauchen soll.« »Okay, Winters! Wenn Sie auf stur schalten, dann zahle ich Ihnen das mit gleicher Münze zurück! Sie kennen doch das Sprichwort: Wie man in den Wald ruft, so hallt es wieder. Dies hier ist mein Büro…« »Es ist auch das meine, Sir.« »Ja. Aber an der Tür steht mein Name, Winters! Nicht der Ihre. Also ist es in erster Linie mein Büro. Und ich verhänge über diesen Raum ab sofort ein generelles Rauchverbot. Haben Sie das mitgekriegt, Winters? Wenn Sie rauchen wollen, rauchen Sie von nun an draußen. Ich rate Ihnen, dieses Rauchverbot strikt einzuhalten, sonst werfe ich Sie – so wahr ich Donald Kroeger bin – mit diesen meinen Händen aus meinem Büro hinaus!« Winters zog eine Grimasse. »Darf ich diese eine Zigarette noch rauchen, oder gilt das Verbot bereits dafür.« »Rauchen Sie sie fertig!« knurrte Captain Kroeger. »Es ist Ihr letzter Glimmstengel, den Sie hier drinnen verpaffen.« Kroeger machte sich sofort an die Arbeit. Er malte ein gut lesbares Schildchen, das darauf hinwies, daß in diesem Raum das Rauchen untersagt sei. Und er nagelte es an gut sichtbarer Stelle an die Wand. Inzwischen war Derek Winters mit seiner letzten Zigarette fertig.
»Was hat der Gerichtsmediziner gesagt?« erkundigte sich Captain Kroeger distanziert. »Er steht vor einem Rätsel.« »Inwiefern?« »Die Tote hatte einen geradezu jugendlichen Körper und dazu ein Gesicht, das einer Greisin glich. Außerdem fand er Spuren irgendeines Serums in ihrem Blut. Eine Flüssigkeit, die ihm absolut fremd ist.« »Und was ist mit ihrem Kopf gemacht worden?« wollte Captain Kroeger wissen. »Sicherlich kennen Sie die Versuche einiger Wissenschaftler, die diese mit Hunden, Katzen und Affen anstellen. Hierbei werden die verschiedenen Hirnabschnitte an Drähte angeschlossen, über die man jeden einzelnen Abschnitt gesondert mittels Impuls reizen kann. So kann man bei einem gesättigten Tier Hunger wecken. Das Tier beginnt zu fressen. Ein anderer Impuls weckt den Aggressionstrieb. Ein dritter läßt schreckliche Furcht aufkommen. Und so weiter…« Kroeger horchte auf. »Soll das etwa heißen, daß sich jemand gefunden hat, der solche Versuche nun an Menschen macht?« »Der Gerichtsmediziner meint ja, Sir.« »Das ist ja das Letzte!« knurrte Captain Kroeger kopfschüttelnd. »Ein Wahnsinniger! Unser Doc hatte recht. Da hat ein Verrückter seine Hand im Spiel.« Kroeger nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der daktyloskopischen Abteilung. »Kroeger hier!« sagte er aufgeregt. »Wie siehst’s bei euch aus?« »Sie rufen wegen der Fingerabdrücke an, die man dieser seltsamen Toten abgenommen hat?« »Können Sie mir einen anderen Grund nennen, weshalb ich Sie anrufen sollte?« fragte Donald Kroeger bissig. »Wir haben die Abdrücke noch nicht analysiert, Captain.« »Noch nicht?« schrie Kroeger zornig. »Sagt mal, schlaft ihr? Wenn ich von Ihnen nicht in längstens fünfzehn Minuten zurückgerufen werde, mache ich euch dort unten Feuer unterm Hintern, das können Sie schriftlich haben!« Kroeger schmiß den Hörer in die Gabel. Zwölf Minuten später wurde er aus der Printabteilung angerufen. »Na also!« knurrte Kroeger.
»Und nun darf ich um Ihren Bericht bitten.« »Bei der Toten handelt es sich um die zwanzigjährige Geheimprostituierte Clara Temple, Sir. Ein Glück, daß wir sie in der Kartei hatten. Ich schicke Ihnen gleich mal die Unterlagen hoch.« »Vielen Dank. Und…« »Ja?« »Nichts für ungut, daß ich vorhin so heftig war!« »Schon vergessen, Captain.« »Das ist fein«, sagte Kroeger und legte auf. Er bekam den Dreierstreifen, der Clara Tempels Profil von links und von rechts zeigte. Und es gab von diesem Jungmädchengesicht auch eine hübsche Vorderansicht. Clara hatte sich einige Diebstähle zuschulden kommen lassen, deshalb war sie von der Polizei im Register aufgenommen worden. Kroeger schüttelte den Kopf. »Nun sehen Sie sich dieses Gesicht mal an, Winters!« sagte er und schnippte die Karte, auf der die Fotos klebten, zum Lieutenant hinüber. Derek Winters warf einen kurzen Blick auf die Bilder und schüttelte dann ebenfalls den Kopf. »Das ist nicht das Mädchen, das wir in der vergangenen Nacht auf jenem aufgelassenen Werfgelände vorgefunden haben, Sir.« »Sie meinen, das war nicht mehr dieses Gesicht.« »Die Printspezialisten müssen sich irren, Sir.« »Die haben sich noch nie geirrt, Winters.« »Dann irrten sie sich eben heute zum erstenmal.« »Das will ich nicht glauben.« »Sie werden sich damit abfinden müssen«, erwiderte der Lieutenant stur, wie es nun mal seine Art war. Kroeger stieg auf keine hitzige Debatte ein. Für ihn stand fest, daß sich die Spezialisten der Daktyloskopie auch diesmal nicht geirrt hatten. Der Lieutenant würde das früher oder später auch noch einsehen. Der Captain notierte die Anschrift Clara Temples auf einem kleinen Zettel. Er hatte vor, sich in ihrer Wohnung umzusehen. Vielleicht brachte ihn das einen Schritt näher an jenen Verrückten Gehirnchirurgen heran, der für den schrecklichen Zustand dieses jungen Mädchens verantwortlich zu machen war.
Um zehn stellte Jeannie Bond den Plattenspieler ab. Sie hatte sich mehrere LPs von Ray Conniff angehört. Das machte sie immer, wenn sie deprimiert war, schlechte Laune hatte, oder einfach verärgert war. Inzwischen hatte sie sich wieder einigermaßen erholt. An jenes erschreckende Gesicht, das ihr an der Terrassentür aufgefallen war, verschwendete sie kaum noch einen Gedanken. Und auch an ihren Vater wollte sie nicht mehr denken. Nachdem sie die Schallplatten in den Schrank getan hatte, verließ sie ihr Zimmer. Sie lief die Holztreppe hinunter und suchte ihre Mutter in der Küche, wo sie sich normalerweise um diese Zeit aufhielt. Doch da war sie nicht. »Ma?« rief sie und ging durch das Haus. »Ma!« Es war ihr, als wäre sie allein. Eine seltsame Stille lastete über dem großen Gebäude. Eine Stille, die nur dann gestört wurde, wenn Jeannie sich bewegte. Eine unheimliche Stille! dachte das Mädchen mit einer unterschwelligen Furcht. Nun dachte sie doch wieder an diesen grauenerregenden Kopf, den sie kurz gesehen hatte. Und plötzlich fiel ihr ein, daß die Kellertür offengestanden hatte, als sie daran vorbeigegangen war. Nervös lief sie zurück. »Ma?« rief sie hinunter. Unten brannte zwar Licht, aber April Bond gab keine Antwort. Jeannie fühlte ein seltsames Prickeln im Nacken. Sie konnte es sich nicht erklären, wußte nicht, daß sich ihr sechster Sinn gemeldet hatte, der sie auf Schlimmes vorbereiten wollte. »Mutter?« Sie wußte nicht genau, was sie zwang, die Stufen hinunterzusteigen. Sie hatte irgendwie Angst vor dem Keller. Lächerliche Angst, wie sie meinte. Schließlich war das nicht irgendein Keller, sondern der ihres Elternhauses. Weshalb sie ihn fürchtete, vermochte sie nicht zu sagen. Vielleicht war es der dumpfe Geruch, der sich dort unten ausbreitete. Vielleicht war es das spärliche Licht, das die Gänge nur dürftig ausleuchtete. Jeannie
konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, wo sie ein kleines Mädchen mit dünnen Zöpfen gewesen war. Delmer hatte ihr immer Schauermärchen über diesen Keller erzählt. Vielleicht war er Schuld daran, daß sie sich von Kindheit an dort unten nicht wohlgefühlt hatte. Mit einer lästigen Gänsehaut auf dem Rücken stieg Jeannie nun die Stufen hinunter. Die Lippen fest entschlossen aufeinandergepreßt. Rechts von der Treppe, in einer kurzen Nische, entdeckte sie ihre Mutter. April Bond lag mit verrenkten Gliedern auf dem Boden. Ihre gebrochenen Augen starrten aus dem Jenseits herüber. Ihr Gesicht war in panischem Grauen verzerrt. Die Zunge quoll dick über die Unterlippe. Kleid und Schürze waren hochgerutscht. Beide Hände waren noch im Tod schrecklich verkrampft. Jeannie warf sich neben der toten Mutter auf die Knie und stieß einen langen, markerschütternden Schrei aus. Clara Temple hatte in der Caton Avenue 3334 gewohnt. Die Routine des Captain machte ihn darauf aufmerksam, daß Delmer Bond nur eine Straße von hier entfernt wohnte. Das Gebäude war nicht sehr hoch. Der Lift war alt und ächzte gefährlich, als Kroeger zum dritten Stock hinauffuhr. Oben angekommen, warf er das Scherengitter zur Seite. Es rasselte ohrenbetäubend laut. Kroeger erreichte eine salbeigrüne Tür. Er schloß mit dem Schlüssel auf, den man bei der Toten gefunden hatte. Der Captain schmunzelte. Bestimmt hätte Lieutenant Winters nicht mal diesen Beweis gelten lassen. Da die Tote nicht so aussah wie jenes Mädchen auf den Polizeifotos, konnte sie nicht Clara Temple sein. In der Wohnung roch es nach kaltem Rauch und verschiedenen Parfüms. Teppiche in jedem Raum. Die Wände mit teuren Tapeten ausgestattet. Moderne Möbel. Clara Temple schien nicht schlecht verdient zu haben. Im Schlafzimmer stand eine ungemein große, bequeme französische Liege, die den ganzen Raum beherrschte. An der Decke und an den Wänden gab es unzählige Spiegel, so angebracht, daß sich Kroeger
mindestens tausendmal sehen konnte. Ein Eisbärenfell lag vor dem offenen Kamin im Wohnzimmer, der niemals zum Heizen benützt wurde. Er war absolut sauber. Die Wohnung wurde zentral beheizt. Kroeger entdeckte mehrere schmale Radiatoren. Der offene Kamin war bloß dazu da, um wohlige Atmosphäre zu schaffen. Das tat er auch. Einen Raum weiter erlebte Donald Kroeger eine kleine Überraschung. Eine Bücherwand. Nicht etwa mit Romanen gefüllt, sondern mit Fachliteratur über Kybernetik und Ökologie. Für ein Freudenmädchen keine selbstverständliche Literatur. Hinter einer Reproduktion von Gauguin entdeckte der Captain einen kleinen Wandsafe. Den Schlüssel dazu fand er in der obersten Lade eines schmalen Fensterschreibtisches. Im Safe gab es neben Kontoauszügen und diversen Geschäftsbriefen, die von Baufirmen stammten und Kostenvoranschläge für die Aufstellung eines Fertigteilhauses waren, ein kleines rotes Büchlein. Sobald der Captain dieses Büchlein sah, wußte er, daß er danach gesucht hatte. Er blätterte, am Fenster stehend, darin. Clara war sehr gewissenhaft gewesen. Sie hatte alle ihre Freier schriftlich festgehalten, mit Anschrift und Telefonnummer. Kroeger ging die Namen der Reihe nach durch. Keiner war ihm bekannt. Als er den Namen Toschio Teneka las, lächelte er. Clara schien internationale Qualitäten gehabt zu haben, wenn sogar ein Japaner zu ihren Kunden gezählt hatte. Der Captain schob das wertvolle Büchlein in seine Tasche. Sie würden den Polizeicomputer damit füttern. Möglicherweise führte das zu einigen brauchbaren Hinweisen. Kroeger schnüffelte noch eine halbe Stunde weiter in der Wohnung herum. Dann ging er. Da ihm der Lift nicht sympathisch war, ging er zu Fuß hinunter. Ein kurzer schlauchartiger Korridor führte zum Haustor. Kroeger hatte das Tor schon fast erreicht, da gewahrte er hinter sich eine blitzschnelle Bewegung, die ihm sofort Gefahr signalisierte.
Er kreiselte herum. Ein Totschläger schien über ihm gehangen zu haben. Jetzt, wo er sich umgedreht hatte, sauste der Totschläger blitzschnell auf ihn herab. Der harte Gegenstand sauste ihm auf die Stirn. In seinem Kopf explodierte etwas, das ihm sämtliche Kräfte raubte. Ein schwarzes Laken senkte sich über seine Augen. Er wollte den schweren Treffer mit knirschenden Zähnen durchstehen, doch die Knie knickten ein. Er spürte noch, wie er zur Seite kippte, mit dem Schädel gegen die Wand knallte und mit dem Gesicht dann an dieser Wand nach unten rutschte. Dann spürte er für längere Zeit nichts mehr. Jeannie Bond erlitt neben der Leiche ihrer Mutter einen schweren Nervenzusammenbruch. Sie zitterte am ganzen Körper, weinte ununterbrochen und stieß zwischendurch immer wieder schmerzhaft klagende Laute aus. Ihr erschütterter Geist wollte nicht wahrhaben, daß April Bond nicht mehr lebte, daß sie offensichtlich erwürgt worden war, wie die Würgemale am schlanken Hals der Frau deutlich erkennen ließen. Erwürgt, während Jeannie sich oben in ihrem Zimmer befunden hatte, um Ray Conniff zu hören. Das verzweifelte Mädchen hatte den Kopf ihrer toten Mutter in ihren Schoß gebettet, tätschelte die schlaffen Wangen, als wollte sie eine Ohnmächtige aus ihrem tiefen Schlaf zurückholen. »Ma!« jammerte das erbärmlich zitternde Mädchen immer wieder. »Ma! Wach auf! Bitte, bitte wach auf! Komm zu dir, Ma! Es wird alles wieder gut! Ich bin ja bei dir! Komm schon, Ma! Schlag die Augen auf! Bitte, Ma!« Jeannies Tränen tropften auf das fahle Gesicht der Toten. Das Mädchen ahnte nicht, wie lange es versuchte, die Tote zu wecken. Irgendwann sah sie dann ein, daß alle Mühe vergeblich war. Als sie das begriff, rannte sie schreiend aus dem Keller, um Leonard Bond in der Klinik anzurufen. Der Korridor schaukelte furchtbar. Donald Kroeger hielt sich unwillkürlich am Boden fest, da er befürchtete, abzurutschen.
Seine Stirn schmerzte wahnsinnig. Ein ekelhaftes Flimmern lag über seinen Augen. Allmählich stellte sich die Erinnerung ein. Er setzte sich auf. Das Schaukeln nahm langsam ab. Noch benommen kam er auf die schwachen Beine. Tief Luft holend lehnte er an der Wand. Verwirrt rieb er sich die brennenden Augen. Was war geschehen? Er war überfallen worden. Solche Überfälle stehen in New York auf der Tagesordnung. Viele New Yorker gehen heute schon nicht mehr aus, ohne sich eine Zwanzig-Dollar-Note in die Jackettasche zu stecken, mit der sie sich ihre Schonung und ihre Sicherheit erkaufen, sobald sie von einem finsteren Burschen angehalten und um Geld gebeten werden. Kroegers Griff galt sofort seiner Brieftasche. Er zog sie heraus. Kein Cent fehlte. Auch die Schecks waren alle da. Weshalb war er dann überfallen worden? Nun durchstöberte er alle seine Taschen. Augenblicke später kannte er den Grund. Das kleine rote Büchlein mit den vielen Namen und Adressen war verschwunden. Das seltsame Mädchen huschte auf eine kleine Buschgruppe zu. Hastig wandte sich April Bonds Mörderin um. Der erschreckende Totenschädel wirkte im Licht der Sonne noch grauenvoller. Die in den tiefen Höhlen liegenden Augen vergewisserten sich eilig, ob niemand in der Nähe war. Ein zufriedenes Grinsen zuckte um die papierenen Lippen der Schauergestalt. Schnell drückten die kräftigen Hände einige Zweige beiseite. Das Mädchen mit dem ledernen Kopfschutz glitt geschmeidig an dem Blattwerk vorüber. Ein hüfthoher Erdwall. Künstlicher Rasen. Das Mädchen hob ihn hoch. Darunter befand sich ein schmaler Griff. Sie drehte ihn herum. Eine Tür öffnete sich. Ein schmaler Korridor. Betonwände zu beiden Seiten.
Das Mädchen schloß die Tür sorgfältig, ehe es seinen Weg fortsetzte. Mehrere Meter mußte sie mit gekrümmtem Rücken gehen. Doch dann wurde der Korridor höher und breiter. Sie richtete sich auf und eilte in einen nüchternen Raum, in dem außer fünf Betten nichts stand. Seufzend legte sich das schaurig anzusehende Mädchen auf eines der Betten. Sogleich flammte ein in die Decke eingelassenes Spotlight auf. Der Scheinwerfer stach brutal in ihre Augen. Sie ächzte, wollte die Augen schließen, doch da war etwas in ihrem brennenden Gehirn, ein anderslautender Befehl, der stärker war als ihr eigener Wille. Deshalb mußte sie die Augen offen halten und starr in den Punktscheinwerfer blicken. Das Rauschen eines eingeschalteten Lautsprechers. Dann ein kurzes Hüsteln. Dann eine harte, eiskalte Stimme: »Nun, Selma Jones, was hast du mir zu berichten?« Das Mädchen verzerrte sein grauenerregendes Gesicht zu einem diabolischen Grinsen. »Ich war da!« flüsterte sie. Ihre dünnen Lippen zitterten vor freudiger Erregung. »Du warst also bei diesem Haus!« »Ja«, sagte Selma Jones. »Was hast du dort gemacht?« »Ich habe mir Einlaß verschafft«, erzählte Selma begeistert. Ihre tiefliegenden Augen funkelten lebhaft. »Und weiter?« »Ich konnte mich im Keller verstecken.« »Weiter, Selma!« knurrte der Mann ungeduldig. »Sie kam die Kellertreppe herunter…« »Wer?« »April Bond. Sie sah mich, hatte Angst vor mir, fragte mich, wer ich sei…« »Hast du es ihr gesagt?« »Nein. Ich habe auf keine ihrer Fragen geantwortet. Sie war schrecklich verstört.«
Selma Jones kicherte schrill, wie im Wahnsinn, auf. »Sie wollte fortlaufen, aber das hat sie nicht geschafft. Ich packte sie am Bein und riß sie zurück. Und dann… Und dann…« Selma keuchte begeistert. »Und dann habe ich sie erwürgt!« Sie streckte die zuckenden Hände zum Scheinwerfer hoch. »Mit diesen Händen habe ich sie erwürgt. Oh, es war herrlich! Sie starb sehr langsam! Ich habe ihren Tod genossen. Es war ein überwältigendes Gefühl! Ich möchte es noch einmal erleben!« Der Mann lachte eiskalt. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Selma.« »Wann darf ich wieder töten?« »Bald. Ruh dich erst mal aus.« »Ich bin nicht müde.« »Du wirst es gleich werden.« »Ich will wieder töten.« »Du wirst jetzt schlafen, Selma Jones.« »Nein!« »Schlafe, Selma!« »Ich mag nicht!« »Schlafe!« »Ich… mag… doch… nicht…« Etwas in Selma war plötzlich abgeschaltet worden. Die Spannkraft, die vorhin noch ihren Körper gestrafft hatte, hatte von einer Sekunde zur anderen nachgelassen. Nun war sie müde, konnte die Augen nicht mehr offenhalten, schloß die Lider, gähnte und atmete rasselnd. Als der Scheinwerfer über ihr erlosch, schlief sie bereits mit tiefen, regelmäßigen Zügen. Das einzige, was in Captain Kroegers Gedächtnis trotz des Niederschlages haften geblieben war, war jener japanische Name, der ihm in Clara Temples Notizbuch aufgefallen war. Auch die Adresse hatte er behalten. Nun ließ Kroeger seinen Dienstwagen vor Toschio Tenekas Haus ausrollen. Es handelte sich um ein sehr schönes Gebäude im Tudorstil. Eine asphaltierte Zufahrt führte durch ein prachtvolles Rasengrundstück.
Es gab einen Swimmingpool, einen Tennisplatz und eine Minigolfanlage, die jedoch allesamt verwaist waren. Donald Kroeger faltete sich aus dem Fahrzeug. Er richtete seine Krawatte und läutete dann an der Tür. Ein wahrer Koloß öffnete ihm. Sein Pfannkuchengesicht war groß und rund. Die Schlitzaugen starrten den Captain feindselig an. Obwohl der Mann Japaner war, war er größer als Kroeger. Und er wog auch mindestens zweimal soviel wie der Captain. Schweiß glänzte auf seinem unfreundlichen, mißtrauischen Gesicht. Er trug einen gut sitzenden taubengrauen Anzug, unter dem sich ein riesiger Muskelberg verbarg. Das Haar war schwarz. Die Gesichtsfarbe hatte einen knappen Stich ins Gelbe. »Sie wünschen?« fragte der Japaner mit einer gutturalen Stimme. Sein Amerikanisch war schlecht. Daß er gezwungen war, sich Liebe zu kaufen, konnte Kroeger verstehen. Dieser Mann hatte absolut nichts Gewinnendes an sich. Er war vom Scheitel bis zur Sohle abstoßend. »Sind Sie Mr. Toschio Teneka?« fragte Donald Kroeger. »Nein.« »Wie bitte?« »Nein! Bin ich nicht. Ich bin Kakuei Kimura.« »Und wer ist Kakuei Kimura?« »Mr. Tenekas Butler«, erwiderte der Bulle mit stolzgeschwellter Brust. Kroeger nannte seinen Namen und wies sich aus. Die Feindseligkeit in Kimuras Augen blieb jedoch trotzdem. »Ich möchte Mr. Teneka sprechen. Ist er zu Hause?« »Ja, er ist zu Hause. Aber er hat keine Zeit.« »Hören Sie, mein lieber Mann, ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier. Ich habe ein Verbrechen aufzuklären. Und dazu ist es wichtig, daß ich mit Mr. Teneka spreche. Deshalb wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir nun nicht länger Schwierigkeiten machen würden!« »Ich sagte, Mr. Teneka hat keine Zeit!« »Ich bin nicht taub.« »Gehen Sie!« »Verdammt, muß ich erst amtlich werden, damit Sie mich zu Teneka lassen?« knurrte der Captain ungehalten.
Plötzlich war da jemand hinter dem Fleischkoloß. Ein Mädchen. Sie hatte brandrotes Haar. Es hing ihr über die Schultern herab bis exakt auf die Brustspitzen. Das dunkle Jadegrün ihrer schimmernden Augen kontrastierte höchst eigenwillig mit dem durchsichtigen Weiß ihrer zarten Haut. Ihr üppiger, voller Mund war sanft aufgeworfen. Sie trug eine schlichte Kreation aus Seide in der Farbe rosigen Sorbets. Das hemdartig geschnittene Jackett war vorn durchgeknöpft und zeichnete gezielt die Konturen ihrer hohen spitzen Brüste nach. Die maßgeschneiderte Hose saß bequem um ihre langen wohlgeformten Beine. Sie trug billige Silberohrringe, die hin und wieder blitzten. Kakuei Kimura spürte das Mädchen hinter sich und wandte sich ruppig um. »Was gibt’s, Kakuei?« fragte die Rothaarige. »Er will Mr. Teneka sprechen.« »Lassen Sie ihn eintreten.« »Er ist Polizist.« »Dann erst recht. Nun machen Sie schon. Bitten Sie den Gentleman herein!« Kimura wich nur ungern zur Seite. »Es ist gut«, sagte das Mädchen. »Sie dürfen sich zurückziehen, Kakuei.« Der Japaner nickte mit einer Trotzvisage. Er wandte sich um und verschwand hinter einer Mahagonitür. Nun kam das hübsche Mädchen auf den Captain zu. Ihr Blick war fragend. Er nannte noch einmal seinen Namen. »Sie dürfen ihm sein Benehmen nicht übelnehmen, Captain«, meinte das Mädchen und wies mit dem Kinn nach der Tür, hinter der Kakuei verschwunden war. »Er war bis vor fünf Jahren Sumoringer in Tokio. Eine anerkannte Größe soll er da gewesen sein. Eines Tages hatte er einen bedauerlichen Unfall während eines Kampfes. Seither ist er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Ich bin sicher, er meint diese zur Schau getragene Abneigung nicht so.« »Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen habe?« erkundigte sich Donald Kroeger.
»Ich bin Veronica Dobbs. Tenekas Verlobte. Toschio wird gleich erscheinen. Ich bin ebenfalls gerade erst hier angekommen. Er hat mich gebeten, ihn noch fünfzehn Minuten arbeiten zu lassen.« Sie gingen in ein rein amerikanisch eingerichtetes Wohnzimmer. Veronica Dobbs gab sich ganz als Hausherrin, bot dem Captain einen Bourbon an, und dieser lehnte nicht ab. Sie saßen sich dann in hellen Ledersesseln gegenüber. Kroeger nippte an seinem Drink. »Was ist Ihr Verlobter von Beruf?« fragte er, nachdem er den goldenen Saft geschluckt hatte. »Er ist Gebrauchsgrafiker. Er macht Schallplattencover für namhafte Plattenfirmen. Er entwirft Filmplakate und dergleichen mehr. Er ist ein Künstler. Wenn Sie Fragen haben, stellen Sie sie getrost. Vielleicht kann ich Ihnen darauf antworten.« Donald Kroeger schüttelte mit einem kleinen Lächeln den Kopf. Er wollte Teneka keine Schwierigkeiten bei seiner Verlobten bereiten, deshalb meinte er: »Vielen Dank, Miß Dobbs. Aber ich möchte doch lieber mit Mr. Teneka selbst darüber sprechen.« Veronica war deshalb nicht beleidigt. Sie hob gleichmütig die Schultern. »Wie Sie meinen, Captain Kroeger.« Eine Schiebetür rollte knarrend zur Seite. Teneka erschien. Er war ein elegant gekleideter junger Mann. Sein Gesicht strahlte ein typisch asiatisches Lächeln aus. Er hatte hellwache Augen und ein offenes Mienenspiel, hinter dem es keine Geheimnisse zu geben schien. Veronica ging zu ihm. Er küßte sie. Und sie stellte ihm Captain Kroeger, den Leiter der Mordkommission, vor. Toschio Tenekas schmale Asiatenaugen weiteten sich kaum merklich. Erstaunen machte sich in seinem Antlitz breit. »Mordkommission?« fragte er verwundert. »In meinem Haus?« Er lächelte. »Sind Sie sicher, Captain Kroeger, daß Sie sich nicht in der Adresse geirrt haben?« Donald Kroeger schüttelte den Kopf. »Ich bin richtig, Mr. Teneka.«
»Was kann ich für Sie tun?« »Wäre es möglich, Sie unter vier Augen zu sprechen?« »Weshalb? Ich habe vor Veronica keine Geheimnisse. Sie hat Ihnen doch gewiß schon gesagt, daß wir verlobt sind.« »Es wäre mir trotzdem lieber, wenn ich allein mit Ihnen reden könnte.« Der Japaner blickte sein rotgelocktes Mädchen an. Veronica lächelte. »Okay, Captain. Ich gehe einstweilen auf die Terrasse.« Als sie draußen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte sich Toschio Teneka zum Captain. »Warum so geheimnisvoll?« fragte er lächelnd. »Meine Verlobte muß ja beinahe glauben, ich hätte etwas zu verbergen.« Kroeger grinste. »Haben Sie das etwa nicht, Mr. Teneka?« Der Japaner wurde steif. »Was soll die Frage? Ich habe vor Veronica natürlich absolut nichts zu verbergen, Captain Kroeger. Ich fände es abscheulich, schon ein Verlöbnis mit Geheimnissen zu unterhöhlen.« »Das hört sich gut an.« »Das ist meine Überzeugung!« stellte der Japaner mit ernster Miene klar. »Darf ich nun erfahren, was Sie zu mir führt?« »Clara Temple«, erwiderte Captain Kroeger knapp. Tenekas Augen hellten sich auf. »Ach so! Daher weht also der Wind.« »Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Deshalb bat ich um die Unterredung unter vier Augen.« Teneka lächelte. »Sie hätten mir keineswegs Unannehmlichkeiten bereitet, Captain. Das mit Clara Temple war vor Veronicas Zeit. Seit ich Veronica kenne, habe ich Clara nicht mehr gesehen.« Das Lächeln verschwand. »Ist Clara etwas zugestoßen?« »Wieso fragen Sie das?« »Nun ja. Sie sind Leiter der Mordkommission…« Kroeger nickte. »Sie haben recht, Mr. Teneka. Clara ist etwas zugestoßen.« »Was?«
»Zuerst fiel sie einem wahnsinnigen Arzt in die Hände, der eine Mordmarionette aus ihr gemacht hat. Dann zog sie los, um einen jungen Mann namens Delmer Bond umzubringen. Ein Glück, daß es ihr nicht gelungen ist. Statt dessen verlor sie dabei selbst das Leben.« Tenekas Blick war erschrocken. »Das ist ja entsetzlich, Captain.« »Ist Ihnen der Name Delmer Bond bekannt?« »Nein.« Toschio Teneka schüttelte fassungslos den Kopf. »Verzeihen Sie, Captain, aber ich kann Ihre haarsträubende Geschichte einfach nicht glauben.« »Wieso nicht?« »Clara Temple war das sanfteste Mädchen, das Sie sich vorstellen können. Ich will mich nicht schützend vor ihren Charakter stellen, schließlich verkaufte sie fremden Männern ihren Körper. Aber ich muß sagen, daß sie von allen diesen Mädchen, die ich so kennengelernt habe, den besten Eindruck auf mich gemacht hat.« »Hat sie manchmal über andere Kunden gesprochen?« »Nein, nie.« »Dann können Sie auch nicht wissen, ob sich mal irgendein verkrachter Doktor um sie bemüht hat.« »Davon weiß ich leider nichts, Captain.« Kroeger hob die Schultern. »Dann will ich nicht länger stören. Sagen Sie Ihrer Verlobten, sie soll wieder hereinkommen. Ich bin fertig.« Zwei Tage später schloß sich jener sonderbare Mann, der sich Paula Walker geholt hatte, in einen kleinen nüchternen Laborraum ein. Nebenan befand sich ein Operationssaal mit Apparaten, die der Mann zum Teil selbst entwickelt hatte. Dort führte er auch diese grausigen Gehirnoperationen durch, die die entführten Mädchen zu seinen willenlosen Werkzeugen machten. Nun setzte sich der Mann vor einem breiten Schaltpult auf einen körpergerechten Sessel. Er kippte einen Hebel. Auf dem Monitor erschien jener Raum, in dem fünf Betten standen. Zwei Betten waren belegt. In dem einen lag Selma Jones. Im anderen lag Paula Walker. Auch sie war bereits operiert.
Auch sie trug bereits diesen schwarzen Lederhelm. Auch ihr einstmals hübsches Gesicht war zu einer grauenerregenden Fratze geworden. Das kam daher, weil jener Wahnsinnige seine Opfer mit seinem selbst erfundenen Strahlenapparat entstellte. Dieser Apparat gab den operierten Mädchen erstaunliche Kraftimpulse. Gleichzeitig entzog er ihrer Haut und ihrem Fleisch aber so viel Energie, daß ihre Gesichter bis auf den Schädelknochen abmagerten und die Haut zu gelblichem Pergament wurde. Ein paar Spritzen eines ebenfalls selbst entwickelten Serums brachten die operierten Mädchen binnen weniger Stunden auf die Beine. Von diesem Moment an taten sie nur noch das, was ihnen dieser Verrückte befahl. Begeistert starrte er auf den flimmernden Monitor. Selma Jones und Paula Walker lagen in ihren Betten auf dem Rücken und schliefen, weil ein elektrischer Impuls das von ihnen verlangte. Nun begann der Mann zu schalten. Selma Jones öffnete die Augen. Der Mann grinste. Sie reagierte wie eine Puppe. Er brachte mittels Knopfdruck auch in Paulas Körper Leben. Dann hieß er die beiden Mädchen aufstehen. Sie taten es. Er verlangte von ihnen, sie sollten sich ihrer Kleider entledigen. Sie kamen dieser Aufforderung sofort nach. Seltsam sahen sie aus. Ihre Körper waren noch jung und makellos. Nur ihre Gesichter waren von den Strahlen völlig zerstört. Der Mann befahl ihnen, zu tanzen. Sie drehten sich im Kreis. Ihre vollen Brüste tanzten im selben Rhythmus auf und ab. Ein weiterer Hebel weckte furchtbare Angstgefühle in den beiden Mädchen. Sie flohen in eine Ecke, schrien mit furchtverzerrten Gesichtern, streckten verstört die Hände von sich, als wollten sie eine schreckliche Gefahr von sich fernhalten. Der nächste Kipphebel mobilisierte ihren Aggressionstrieb. Sie fauchten. Sie zischten. In ihren Augen lag ein unbändiger Haß. Der Mann lachte. Er konnte mit seinen Püppchen stundenlang spielen. Sie taten immer nur das, was er ihnen eingab. Er fühlte sich wie ein Gott. Nun befahl er den beiden Mädchen, sich wieder anzukleiden, sich wieder in ihre Betten zu begeben. Sie kamen dieser Aufforderung
sogleich nach. Als sie lagen und still zur Decke starrten, sagte er ihnen, daß er sich noch mehr Mädchen holen würde. »Ich werde mir eine kleine Privatarmee zulegen!« verkündete der Wahnsinnige kichernd. »Eine Armee, die für mich durchs Feuer geht. Die nur meinen Befehlen gehorcht. Die tut, was ich verlange, ohne über den Sinn eines Befehls nachzudenken. Eine Armee mit dem reinsten Kadavergehorsam, den man sich vorstellen kann. Diese Armee wird mir helfen, meine revolutionären Ideen zu verwirklichen. Eines Tages wird die ganze Welt einsehen, daß ich ein Genie bin!« Der Mann leckte sich nervös über die Lippen. »Schlaft jetzt, Mädchen. Schlaft. Bald werdet ihr zu dritt sein.« Jetzt schaltete der Mann den Monitor ab. Die bedauernswerten Geschöpfe verschwanden. Der Verrückte verließ den Raum, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los, um sich ein neues Opfer zu suchen. Sarah Black strich die Straße entlang. Sie rauchte und schwang ihr Täschchen so, daß niemand mißverstehen konnte, worauf sie aus war. Sarah war mittelgroß und trug das strohfarbene Haar um den Kopf wie eine schimmernde Kappe, dazu einen superkurzen Rock, eine Bluse mit viel drinnen und kniehohe Kalblederstiefel, die ihr ein sportliches Aussehen verliehen. Zwei Betrunkene hatte sie bereits abgewimmelt. Nicht deshalb, weil sie betrunken gewesen waren, sondern weil sie ihr gestanden hatten, daß sie keinen Cent mehr in den Taschen hatten. An und für sich hatte das hübsche Mädchen einen festen Kundenstock, mit dem sie rechnen konnte. Wenn zwischendurch mal eine Pause war, dann begab sie sich in ihre Stammkneipe, um da mal ihre Angeln auszulegen, oder sie trippelte einmal kurz um den Block, um die Zeit zu nützen. Ein letzter Zug. Dann schnippte sie die Zigarette in die Gosse. Plötzlich war ihr, als beobachte sie jemand. Sie schaute sich um. Aber sie konnte niemanden sehen. Seufzend ging sie weiter. Blöder Abend heute! dachte sie ärgerlich. Die Langeweile machte sie allmählich sauer. Als sie hinter sich Schritte hörte, drehte sie sich nicht um, sondern ließ die Hüften auffordernd rotieren. Das wirkte immer.
Die Schritte kamen näher. Sarah lauschte gespannt nach hinten. Nun konnte sie den Mann bereits atmen hören. Dann war er bei ihr. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter. Sie drehte sich mit einem lasziven Lächeln herum. »Oh!« machte sie erstaunt. »Hallo, Süßer.« Der Mann war ihr bekannt. »Hast du ein bißchen Zeit für mich, Sarah?« »Ich habe sehr viel Zeit, Süßer.« »Fein.« »Zu den üblichen Bedingungen.« »Natürlich.« »Okay. Dann können wir schon gehen. Meine Wohnung ist gleich hier um die Ecke, wie du weißt.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht in deine Wohnung, Sarah!« »Nicht?« fragte das Mädchen, das sich bei dem Mann eingehängt hatte, erstaunt. »Warum denn auf einmal nicht? Dir war doch meine Wohnung bisher immer recht.« »Heute mag ich es mal anders haben.« »Und wie?« »In meinem Wagen.« »Mal auf die Obdachlosentour, wie?« kicherte das Girl. »Mir soll’s recht sein. Das kostet dich aber ’ne Erschwerniszulage. Weil’s im Auto für mich unbequem ist.« »Ich bezahle, was du verlangst.« »Weiß ich doch. Du bist noch einer von den ganz großen Gents. Jammerschade, daß Typen wie du allmählich aussterben.« Der Mann grinste. »Ja, Sarah. Das ist wirklich jammerschade. Wollen wir gehen?« »Wo steht dein Wagen?« »Gleich da hinten.« »Gut. Laß uns aufbrechen. Ich bin neugierig, ob du noch alles kannst, was ich dir beigebracht habe.« »Ich habe noch etwas dazugelernt, seit dem letztenmal.« »He! Du bist doch nicht etwa fremdgegangen!« kicherte Sarah Black amüsiert.
Der Mann steuerte mit ihr seinen Wagen an. Er vergewisserte sich, daß sie beim Einsteigen von niemandem beobachtet wurden. Schnell warf er den Wagenschlag zu. Dann ließ er den Motor kommen und fuhr den Long Island Expreßway zum Cunningham Park hoch. Dort fand er ein stilles Fleckchen, umgeben von schwarzen hohen Büschen, überdacht von dichtbelaubten Bäumen. Als er den Motor abstellte, griff das Mädchen nach dem Kipphebel, um den Sitz zur Liege zu machen. Er schaltete die Innenleuchte ein. »Ah, der Genießer will was sehen«, lachte Sarah. Sie schob gleich mal ihren kurzen Rock nach oben. »Prima Beine, was?« meinte sie. »Auf die kann ich wirklich stolz sein, findest du nicht?« »Doch, Sarah. Du bist ein schönes Mädchen!« sagte der Mann heiser. »Aufgeregt?« kicherte das Mädchen. »Ein wenig.« »Dann komm. Ich will dir Erleichterung verschaffen.« »Sofort.« »Worauf wartest du denn noch?« fragte Sarah Black. Sie hakte ihre Daumen in den Gummirand ihres winzigen Slips. »Was ist? Warum siehst du mich so komisch an? Möchtest du mir den Slip lieber selbst ausziehen? Okay. Nur ran. Ich habe nichts dagegen. Du kennst mich. Ich bin für jeden Spaß zu haben. Herrgott noch mal, wann wirst du endlich aufhören, mich so seltsam anzuglotzen? Davon krieg’ ich ja ’ne richtige Gänsehaut, Süßer. Du hast doch nicht etwa vor, mich zu hypnotisieren!« Der Mann griff in seine Westentasche. »Sieh mal, Sarah, was ich da habe«, sagte er. Und er zeigte ihr die kleine Silberkugel, die an einer Silberkette hing. Er ließ sie hin und her pendeln. »Schau sie an. Schau die Kugel an, Sarah.« »Wie kann ich das denn, wenn du sie nicht stillhältst.« »Versuche dich zu entspannen, Sarah!« knurrte der Mann. Sarah Black lachte. »Mann, die Tour ist neu. Aber dein Blick gefällt mir gar nicht, Süßer. Willst du mir Angst machen, oder was hast du vor?« »Sieh auf die Kugel, Sarah.« »Ich will nicht!«
»Schau nur die Kugel an!« »Verdammt, nein. Ich hab’ gleich den Kanal voll, Süßer. Entweder du kommst jetzt gleich zur Sache, oder aus uns beiden wird nichts!« Der Mann versuchte alle Tricks, um dem Mädchen seinen Willen aufzuzwingen, doch Sarahs Wille war ebenso stark wie der seine. Er kam mit seinen Hypnoseversuchen nicht an. Da wollte er sie mit einem schnellen Hieb bewußtlos schlagen. Auch das klappte nicht. Sarah gelang es, sich zurückzuwerfen. Der Hieb ging um Haaresbreite daneben. Nun stieß sie einen entsetzten Schrei aus. Ehe der Mann ein zweitesmal zuschlagen konnte, hatte sich Sarah auf den Türgriff geworfen, um den Wagenschlag aufzustoßen und nach draußen zu springen. Nun ließ der Mann die Maske fallen. In seinen Augen loderte der blanke Wahnsinn. Sarah warf sich in die Büsche. Der Verrückte schnellte ebenfalls aus dem Fahrzeug. »Bleib stehen!« schrie er hinter dem Mädchen zornig her. »Lauf nicht weg! Es hat keinen Sinn! Du entkommst mir nicht!« Sarah hörte nicht auf ihn. Sie dachte, sie wäre an einen Mädchenmörder geraten. Deshalb lief sie um ihr Leben. Wütend folgte ihr der Wahnsinnige. Zähneknirschend wuchtete er durch das Gezweige. Ästchen und Blätter klatschten ihm ins zornrote Gesicht. Sie darf nicht entkommen! hämmerte es in seinem Schädel. Sie muß mir gehören! Ich brauche sie! Selma und Paula warten auf sie. Sarah schnellte wieselflink über dicke Wurzeln, die aus dem feuchten Boden ragten. Mehrmals glitt sie aus, doch sie konnte sich immer wieder fangen, indem sie sich an den Stämmen der Bäume mit den Händen abstützte. Wie von Furien gehetzt jagte sie in die Dunkelheit hinein. Sie konnte kaum die Hand vor den Augen sehen, aber sie lief trotzdem, so schnell sie konnte. Hinter ihr raschelte es ungestüm. Das Stampfen schneller Schritte trieb ihr eine gräßliche Angst in die jungen Knochen. Sie durfte sich nicht einholen lassen.
Wenn der Mann sie erwischte, war es aus mit ihr, das fühlte sie. Was er genau mit ihr machen würde, wußte sie natürlich nicht. Er holte auf. Sarah bot alle Kräfte auf, die sie in ihrer quälenden Furcht mobilisieren konnte. Sie hatte das Gefühl, im Kreis zu rennen. Sie prallte mit den Schultern hin und wieder gegen Bäume. Das schmerzte zwar schrecklich, aber diese Schmerzen vermochten sie nicht zu stoppen. Weiter! schrie es in ihr. Weiter! Und sie lief, so schnell sie konnte. Aber der Mann hatte die längeren Beine, die größere Ausdauer, die bessere Kondition. Als er sie eingeholt hatte, schmetterte er ihr seine Faust in vollem Lauf ins Genick. Sie sauste nach vorn und ging zu Boden. Keuchend und heulend versuchte sie aufzuspringen, aber da war der Wahnsinnige schon auf ihr. Er drückte sie mit seinem Körper auf den Boden. Und er hämmerte mit seinen harten Fäusten so lange auf ihr zuckendes Gesicht ein, bis sie die Besinnung verlor. Dann warf er sie sich atemlos auf die Schulter und trug sie mit federnden Schritten zu seinem Wagen zurück. Zufriedenheit verzerrte sein Gesicht. Nun hatte er doch erreicht, was er wollte. Schnell drehte er den Zündschlüssel um. Der Anlasser mahlte kurz. Die Scheinwerfer flammten auf. Dann drückte der Mann den Rückwärtsgang hinein, ließ den Wagen einen Halbkreis beschreiben, erster Gang, Gas, zweiter Gang und so weiter. Und grinsend kehrte er mit seinem Opfer dorthin zurück, wo Selma Jones und Paula Walker auf Gesellschaft warteten. Als man April Bond zu Grabe trug, war der Himmel über dem Maple Grove Cemetery aschgrau. Viele Leute waren gekommen, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen, sich an ihrem Grab von ihr zu verabschieden. Schwarz gekleidet die engsten Familienangehörigen. Dunkel gekleidet jene, die der Toten in Freundschaft nahegestanden hatten.
Kollegen von Dr. Leonard Bond. Man kondolierte ihm mit ernster Miene, sprach seiner Tochter Jeannie und seinem Sohn Delmer das Beileid aus. Captain Kroeger und Lieutenant Winters hielten sich dezent im Hintergrund. Kroeger beobachtete die Trauergäste. Ernste Gesichter. Verhangen von echter Anteilnahme und wahrer Trauer. Nur Jeannies Gesicht war nicht zu sehen. Es war bloß ein verwischter weißer Fleck hinter einem schwarzen Schleier. Nach dem Trauerakt begaben sich Donald Kroeger und Derek Winters zum Friedhofstor. Somit mußten alle, die an der Beerdigung teilgenommen hatten, an ihnen vorbeikommen. Als Leonard Bond kam, stellte sich der Captain in den Weg. Der Chirurg hatte ihn zuvor nicht gesehen. Deshalb erschrak er nun. Und sein bleiches Antlitz nahm sofort einen abweisenden Ausdruck an. »Darf ich Ihnen in meinem sowie in Lieutenant Winters Namen unser aufrichtiges Beileid aussprechen, Dr. Bond?« Ein böses Funkeln in Bonds Augen. »Was wollen Sie?« fragte er forsch. »Tut mir leid, Sie damit belästigen zu müssen, aber der Tod Ihrer Frau macht es nötig, Ihnen ein paar Fragen zu stellen.« In Bonds Gesicht zuckte es entrüstet. »Wie können Sie es wagen, Captain Kroeger!« fauchte er gereizt. »Hier auf dem Friedhof… Meine geliebte Frau liegt noch nicht einmal unter der Erde…« »Sie ist ermordet worden!« sagte Kroeger eindringlich. »Ich bitte Sie, auf meinen geistigen und körperlichen Zustand Rücksicht zu nehmen!« »Je früher wir darüber reden, desto eher werden wir den Mörder Ihrer Frau fassen!« »Ich will davon nichts hören! Ich will meine Ruhe haben, Captain! Das ist doch wohl nicht zuviel verlangt!« »Selbstverständlich nicht, aber…« »Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel!« zischte Leonard Bond. Er machte eine wegwerfende Geste, machte einen Schritt zur Seite und verließ mit trotzig erhobenem Haupt den Friedhof.
»So hätten Sie ihn nicht behandeln dürfen«, meinte Lieutenant Winters kopfschüttelnd. Donald Kroeger zuckte gereizt herum. »Natürlich! Winters, der Besserwisser! Können Sie mir verraten, was ich falsch gemacht habe?« »Ich weiß nur, daß Sie es nicht richtig gemacht haben, Sir.« »Oh, mein Gott, mit Ihnen büße ich alle meine Sünden schon bei Lebzeiten ab!« seufzte Kroeger. Jeannie und Delmer Bond kamen auf sie zu. Athene King schritt neben ihrem Verlobten. Die drei blieben vor dem Captain stehen. »Mein Vater schien vorhin ziemlich heftig gewesen zu sein«, sagte Delmer ernst. »Er sagte, ich solle mich zum Teufel scheren«, meinte Donald Kroeger achselzuckend. »Was wollten Sie von ihm?« »Reden. Nur reden.« »Er leidet, Captain. Der Verlust seiner Frau – unserer Mutter – hat ihn tief erschüttert. Er scheint mehr an ihr gehangen zu haben, als Jeannie und ich angenommen haben.« »Ich werde mich später an ihn wenden, wenn er über den schlimmsten Schock hinweg ist.« »Tun Sie das, Captain. Wenn ich Ihnen solange nützlich sein kann…« »Vielleicht, Mr. Bond.« »Übrigens, Jeannie wird nicht bei Vater wohnen bleiben. Sie wird das Haus noch heute verlassen.« »Wohin werden Sie ziehen?« fragte Kroeger das Mädchen. Jeannie Bond putzte sich geräuschvoll die Nase. Dann sagte sie: »Delmer stellt mir sein Apartment zur Verfügung.« »Ja«, bestätigte der junge Bond. »Und ich ziehe zu Athene. Das ist die beste Lösung für uns alle. Mit Vater zu leben ist die Hölle. Mutter war eine wahre Märtyrerin. Jeannie soll unbeschwert leben können.« Delmer schüttelte den Kopf. »Was für ein komischer Kauz doch unser Vater ist. Er ist einer der besten Gehirnchirurgen, die es gibt. Aber privat ist er das größte Ekel, das Sie sich vorstellen können. Mir tut es beinahe leid, über meinen Vater so reden zu müssen. Aber es ist die Wahrheit, und die sollte man niemals verschweigen.«
Sie verließen als letzte den Friedhof. Als sie den Polizeiwagen erreicht hatten, blieben sie noch einmal stehen. Etwas schien Delmer Bond zu quälen. Sein jugendliches Gesicht bekam viele Falten. Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte zu seiner Schwester: »Sag dem Captain, was du beobachtet hast, Jeannie. Erzähl ihm, was du mir erzählt hast!« Jeannie schaute Kroeger durch den schwarzen Schleier traurig an. Sie sprach stockend von der erschreckenden Erscheinung, die sie an der Terrassentür erblickt hatte. Kroeger riß bestürzt die Augen auf. »Mädchen, damit rücken Sie erst jetzt heraus?« fragte er aufgeregt. »Warum haben Sie uns das nicht sofort gemeldet?« »Vater hat ihr verboten, mit jemandem darüber zu sprechen«, sagte Delmer Bond. Kroeger staunte. »Verboten?« fragte er ungläubig. »Er hat es ihr verboten?« »Ja, Captain!« sagte Jeannie leise. »Aber warum denn? Was für einen Grund hatte er, ein solches Verbot auszusprechen?« fragte der Captain aufgeregt. »Was für einen Grund hat er, uns das zu verheimlichen?« »Das, Captain Kroeger, müssen Sie ihn schon selbst fragen«, meinte Delmer Bond grimmig. Der Leiter der Mordkommission nickte mit entschlossener Miene. »Das werde ich. Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Bond.« Im Police Center teilte der Captain die Arbeit ein. »Sie, Winters, steigen jetzt mal in die Nuttenkreise hinab. Hören Sie sich eingehend um. Der kleinste Hinweis kann wichtig sein.« Lieutenant Winters rümpfte die dicke Nase. »Muß das denn sein?« »Ich hör’ wohl nicht richtig!« bellte der Captain sofort. »Können Sie mit dieser Aufgabe nicht irgendeinen Sergeant betrauen?« »Sie haben doch nicht etwa die Absicht, sich meinen Anweisungen zu widersetzen, Lieutenant?« »Natürlich nicht, Sir. Ich wollte lediglich vorschlagen…« »Abgelehnt!« knurrte Kroeger.
»Sie tun haargenau das, was ich sage! Wenn Ihnen Ihr Job bei mir nicht gefällt, steht es Ihnen frei, sich über mich beim Attorney zu beschweren, aber ich rate Ihnen, sich diesen Schritt gut zu überlegen, denn wenn Sie sich beschwert haben, wird Ihr Los doppelt oder dreifach schwer sein, solange Sie sich in meiner Abteilung befinden!« Derek Winters holte wutentbrannt seine Zigaretten aus der Tasche. Kroeger wies auf sein handgemaltes Schild und brüllte: »Raus, Lieutenant! Sonst mache ich Ihnen Beine!« Vorläufig packte Jeannie Bond nur die nötigsten Sachen in ihren Koffer. Sie hatte das schwarze Kleid abgelegt, trug nun ein einfaches graues. Delmer hatte Athene nach Hause gefahren. Er hatte versprochen, herzukommen und Jeannie abzuholen. Leonard Bond stand mit geballten Fäusten in der Tür. Er war kreidebleich. Und er roch nach Whisky. »Ich verbiete dir, zu gehen, Jeannie!« fauchte er zornig. Jeannie zuckte die Achseln. »Du weißt genau, daß du mir nichts verbieten kannst, Dad.« »Ich bin dein Vater!« brüllte Bond. »Leider. Ja.« »Sag das noch mal, und ich schlage dir…« »Damit erreichst du bei mir gar nichts, Dad!« erwiderte Jeannie fest. Bond ließ die hochgehobene Faust langsam sinken. »Als dein Vater kann ich sagen, daß du dieses Haus nicht verlassen darfst, Jeannie. Und du hast, als meine Tochter, zu gehorchen, verdammt noch mal!« »Über dieses Alter bin ich hinaus. Ich darf tun und lassen, was ich will! Nicht einmal du kannst mich daran hindern, Dad. Du am allerwenigsten!« Bond bebte vor Zorn. »Du hast mir gegenüber Pflichten!« »Welche?« »Du darfst mich nicht allein lassen!« »Warum nicht?« »Weil ich nicht allein sein will!«
»Das ist mir neu. Früher hast du Mutter bei jeder Gelegenheit gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren. Und zu mir hast du das auch gesagt. Hast du das etwa schon vergessen? Das kannst du doch noch nicht vergessen haben.« »Das war doch nur im Zorn dahergeredet! Das war niemals ernstgemeint.« »Ach. Jetzt auf einmal. Mutter und ich haben das aber sehr ernst genommen. Und du hast uns niemals wissen lassen, wie du das wirklich gemeint hast!« Die verkrampften Fäuste öffneten sich. »Ich werde mich ändern«, sagte Leonard Bond sanft, fast flehend. »Du hättest dich beizeiten um einen anderen Ton bemühen müssen, Dad. Jetzt ist es dazu zu spät. Ich glaube dir deine Versprechungen nicht mehr. Du hast schon zuviel versprochen und nichts gehalten.« »Ich werde mich künftighin besser beherrschen, Jeannie. Ich verspreche es dir. Sieh mal, ich kann nicht allein in diesem Haus wohnen. Ich brauche einen Menschen um mich. Ich würde an der Einsamkeit zugrunde gehen. Das kannst du doch nicht wollen. Ich bin doch trotz allem dein Vater, Jeannie. Wir haben doch manchmal auch schöne Stunden erlebt. Du darfst sie nicht vergessen, mein kleines Baby. Vielleicht ist mir der Ruhm zu Kopf gestiegen. Vielleicht habe ich auch bloß zuviel gearbeitet. Ich weiß nicht, was mich so sehr verändert hat, aber ich will dir hoch und heilig versprechen, daß ich alles daransetzen werde, um von nun an gut mit dir auszukommen. Ich werde es schaffen. Ich bin ganz sicher, daß es mir gelingen wird. Laß mich nicht allein, mein Mädchen. Ich habe jetzt nur noch dich und sonst niemanden mehr. Du hast doch ein gutes Herz. Hab doch auch ein Herz für deinen armen einsamen Vater…« Reden! dachte Jeannie aufgewühlt. Reden hat er immer schon gut gekonnt. Damit hat er Ma immer eingewickelt. Aber ich falle darauf nicht herein. Ich nicht! Und während sie dies dachte, fühlte sie, wie sie ihm glauben wollte, wie sie Mitleid mit ihm bekam, wie sie versuchte, ihn zu verstehen. Sind einsame Menschen denn nicht zu bedauern? Jeannie spürte, wie ihre Seele zerrissen wurde. Einmal wollte sie fort von hier. Dann wieder wollte sie bleiben. Wegen Dad. Sie wußte, daß er zu jener Kategorie von Menschen gehörte, die an der Einsamkeit zugrunde gehen.
Sollte sie daran Schuld sein, wenn er vor die Hunde ging? Durfte sie ihm das antun? Sie war nahe daran, umzufallen, den Koffer wieder auszuräumen, all die Dinge, die sie bereits eingepackt hatte, wieder an ihren angestammten Platz zu bringen. Da kam Delmer die Treppe hochgelaufen. »Na, Schwester! Fertig?« fragte er. Leonard Bond fuhr gereizt herum. So daß er mit dem Auftauchen seines Sohnes alle Chancen verspielt hatte. »Ja«, seufzte Jeannie ratlos. »Ja, Delmer. Ich bin fertig.« Sie klappte den Koffer zu und meinte zu Leonard Bond: »Tut mir leid, Dad.« Bond warf den Kopf hochmütig zurück. Tränen schimmerten in seinen Augen. Er lachte schrill. »Auf solche Kinder kann ein Vater stolz sein!« »So wie wir auf einen solchen Vater stolz sein können!« gab Delmer trocken zurück. Er nahm Jeannies Koffer und trug ihn zum Wagen. Das Mädchen folgte ihm. An der Tür wandte sie sich noch einmal um. »Lebe wohl, Vater!« sagte sie unendlich traurig. Sie war nicht froh, daß alles so gekommen war, aber sie konnte es nicht ändern. Als sie die Tür geschlossen hatte, hämmerte Leonard Bond mit den Fäusten wie verrückt gegen die Wand. »Ja! Ja!« plärrte er mit Schaum auf den Lippen. »Geht nur! Verlaßt mich nur! Aber ich schwöre euch, das werdet ihr bereuen! Alle beide! Alle beide!« Dann sank er zu Boden und weinte wie ein kleiner Junge. Donald Kroeger schob sich gerade eine Lakritze zwischen die Zähne, als Derek Winters – zwei Tage nachdem er den Auftrag bekommen hatte, sich in Nuttenkreisen umzuhören –, das Büro des Captain betrat. Mißgelaunt ließ sich der Lieutenant auf seinen Stuhl fallen. Er rieb sich die dicklichen Backen und dann auch die müden Augen. »Dieses Milieu kotzt mich an!« sagte er ehrlich angewidert. »Zwei Tage lang war ich nur vom Abschaum der Gesellschaft umgeben.« »Es waren trotz allem Menschen«, erwiderte Kroeger.
»Menschen!« wiederholte Winters. Es klang abwertend und verächtlich. »Was für Menschen! Das übelste vom Üblen. Ich habe mich in den miesesten Kaschemmen herumgetrieben.« »Die Welt ist nun mal nicht ausschließlich von Grafen und Fürsten bevölkert, Winters.« »Das habe ich gemerkt. Darf ich ausnahmsweise hier drinnen rauchen, Captain?« Kroeger staunte. Sieh an, dachte er bei ich. Er hat auch Manieren. »Ausnahmsweise«, nickte der Captain. »Vielen Dank.« Winters brannte sich eines von seinen stinkenden Stäbchen an, doch diesmal verzieh der Captain es ihm. Der Lieutenant rauchte mit einer gewissen Gier. »Waren Sie erfolgreich, Lieutenant?« erkundigte sich Kroeger nach einer Weile. »Ich glaube schon.« »Lassen Sie hören.« »Es kam mir zu Ohren, daß drei Mädchen auf die gleiche Art wie Clara Temple verschwunden sind.« »Wie heißen diese Mädchen?« »Selma Jones, Paula Walker und Sarah Black. Sie verschwanden sozusagen über Nacht. Seither sind sie nicht mehr aufgetaucht. Niemand hat von ihnen ein Lebenszeichen bekommen.« Kroeger kniff verbittert die Augen zusammen. »Eines Tages werden diese Mädchen wieder auftauchen, Winters. Ich wollte, ich wäre in allem so sicher wie in diesem einen Punkt. Sie werden ein grauenerregendes Gesicht haben und einen ledernen Helm auf dem kahlrasierten Kopf tragen. Einen Helm, in dem sich eine winzige Empfangsanlage befindet, die an das Gehirn der bedauernswerten Mädchen angeschlossen ist und Impulse daran weitergibt, die ein Wahnsinniger sendet.« Kroeger verschaffte sich die nötigen Haussuchungsbefehle. Dann schickte er einen Trupp los, der sich nacheinander in Selma Jones’, Paula Walkers und Sarah Blacks Wohnung umsah.
Die Männer kamen mit einem reichhaltigen Namens- und Adressenmaterial ins Police Center zurück. Es wäre zu mühselig gewesen, alles das ohne Zuhilfenahme des Computers durchzuackern. Deshalb fütterten die Spezialisten ihren Blechkameraden mit allen Einzelheiten, die sie erhalten hatten. Man durfte gespannt sein, wie der Computer darauf reagierte… Es begann mit einem leisen, allmählich anschwellenden Brausen. Es kam aus der Stille der Nacht heraus und verkündete Unheil. Veronica Dobbs schlug die Decke zurück und glitt aus ihrem Bett. Das Brausen füllte ihr Schlafzimmer bis zur Decke. Mit einemmal fror sie. Sie rieb sich die nackten Oberarme und schaute sich verwirrt um. Alles erschien ihr auf eine unerklärliche Weise unwirklich. Eine seltsame Angst bemächtigte sich ihrer Seele. Schnell bückte sie sich, ergriff den Saum ihres durchscheinenden Nachthemdchens und riß es blitzartig nach oben, über den Kopf und warf es fort. Sie trat vor den großen Schrankspiegel und betrachtete ihren makellosen nackten Körper. Die Brüste waren schwer und voll. Die Taille war schmal, die Hüften schwellend, der Bauch flach und die Schenkel wiesen kein Gramm Fett auf. Sie hatte keine Ahnung, was sie veranlaßte, sich anzukleiden. Sie kam dieser geisterhaften Aufforderung mechanisch nach. Mit einer gewissen Hast sprang sie in ihren cremefarbenen Slip. Die innere Unruhe wuchs. Schweiß brach aus ihren Poren. Ein wildes Hämmern setzte in ihrem Puls ein. Sie fühlte sich aus dem Schlafzimmer gestoßen. Von unsichtbaren Händen. Das Kleid, das sie trug, als sie auf die Straße trat, schmiegte sich vorteilhaft an ihren jungen, geschmeidigen Körper. Eine kühle Brise versuchte sie hochzuheben und fortzutragen. Sie schaute sich um. Da strich ihr etwas eiskalt über den schlanken Nacken. Sie sah fünfzehn bis zwanzig grauenerregende Gestalten, die langsam herangekrochen kamen. Dem Mädchen stockte der Atem. Was für gräßliche Monster waren das? Haarlose Gestalten. Mit Gesichtern, die von Lepra zerfressen schienen. Der Pesthauch des Todes
stieg von ihnen auf. Sie waren in löchrige Lumpen gehüllt. Ihre Hände waren auf eine makabre Weise skelettiert. Einige dieser Scheusale rissen ihre ekelerregenden Mäuler auf. Grüner Speichel troff von der blutroten Zunge. Er klatschte hörbar auf den Asphalt, über den sich die dürren Beine der unheimlichen Gestalten schoben. Nun kicherten sie. Es klang seltsam hallend, als würde dieses Kichern tief unten in der Hölle ausgestoßen, aus der sie zu kommen schienen. Veronica Dobbs stand wie angewurzelt da. Die Armee des Satans rückten ihr immer näher. Das Mädchen machte während der nächsten Sekunden Schreckliches mit. Die Bestien schienen es auf ihr Blut abgesehen zu haben. Ihr Herz schlug bis in die Kehle. Sie wollte schreien, wollte jemanden zu Hilfe rufen, doch ihre Stimmbänder schienen gerissen zu sein. Als diese blutgierigen Ungeheuer auf wenige Schritte an sie herangekommen waren, löste sich die Lähmung aus ihrem schlotternden Körper. Sie schnellte augenblicklich herum und lief, so rasch sie konnte, die Straße entlang. Die grauenerregenden Scheusale blieben zurück. Veronica Dobbs erreichte atemlos einen kleinen Park. Ihr brandrotes Haar wehte während des Laufens wie eine Fahne hinter ihr her. Erschöpft zog sie sich in die Dunkelheit der Anlage zurück. Mehrmals schaute sie sich um. Es hatte den Anschein, als wäre es ihr gelungen, diese Greuelwesen, deren Herkunft sie sich nicht erklären konnte, abzuhängen. Hinter einer dunklen Buschgruppe erstreckte sich ein kleiner Kinderspielplatz. Hier gab es Wippen, Schaukeln, Klettertürme und dergleichen mehr. Fröstelnd durchquerte das zitternde Mädchen den Park. Da sprang sie das Grauen zum zweitenmal an. Diesmal heftiger als beim erstenmal. Sie warf sich herum und sah sich jener gräßlichen Horde noch einmal gegenüber, der sie entkommen zu sein glaubte. Die widerwärtigen Gestalten hockten auf den Wippen, bevölkerten die Klettertürme, hingen an den Schaukeln.
Wie grauenvoll entstellte Kinder sahen sie aus. Veronica prallte vor ihnen entsetzt zurück. Nun sprang ein tödliches Feuer in ihren Augen an. Sie federten von den Geräten herunter und kamen lauernd auf das Mädchen zu. Es dauerte nur eine Sekunde, da hatten diese schrecklichen Bestien das entsetzte Mädchen umringt. Nun griffen sie mit ihren abscheulich skelettierten Händen nach Veronicas Kleid. Sie versuchte sich von den Horrorgestalten loszureißen. Unzählige widerwärtige Hände hielten sie am Kleid fest. Sie warf sich von den Monstern fort. Ihr schönes neues Kleid zerriß an vielen Stellen. Es hing in traurigen flatternden Fetzen an ihrem brennenden, bebenden Körper. Immer mehr Schweiß brach aus Veronicas Poren. Sie hatte schreckliche Angst vor diesen häßlichen Teufeln. Einige stieß sie angewidert von sich, die anderen betasteten voll wahnsinniger Gier ihre nackten Brüste. Einige versuchten sie mit ihren spitzen Nagezähnen zu beißen. Keuchend brachte sich das verzweifelte Mädchen vor ihren blitzenden Zähnen in Sicherheit. Es gelang ihr, diesen schaurigen Kreis von Spukgestalten zu durchbrechen. Die Monster folgten ihr mit gierig nach ihr ausgestreckten Händen. Etwas ließ sie straucheln. Sie knallte auf den Boden. Die ganze scheußliche Höllenbrut warf sich geifernd auf sie… Der Schmerz eines brutalen Bisses ließ sie bestürzt hochfahren. Sie war schweißüberströmt. Um sie lag eine greifbare Finsternis. Alles, was sie soeben erlebt und mitgemacht hatte, war bloß ein Alptraum gewesen. Sie dankte dem Himmel, daß es lediglich ein Traum gewesen war. Sie hoffte, niemals in Wirklichkeit solch schrecklichen Ängsten ausgesetzt zu sein. Sie hätte das nicht überlebt. Die Furcht hätte sie wahrscheinlich umgebracht. Stille rings um sie. Eine befreiende, wohltuende Stille nach all den Scheußlichkeiten jenes Alptraums, der ihr so echt erschienen war, als wäre ihr das alles wirklich widerfahren. Klatschnaß war ihr Nachthemd.
Sie befand sich in Toschios Haus. In seinem Schlafzimmer. Auch in dieser Beziehung hatte sie ihr Traum getäuscht. Er hatte ihr vorgegaukelt, sie wäre allein zu Hause. Der Platz neben ihr war noch leer. Veronica blickte auf das Leuchtzifferblatt des elektrischen Weckers, der auf dem Nachttisch stand. Es war elf Uhr nachts. Wo war Toschio? Arbeitete er etwa immer noch? Ein bißchen weich in den Knien durchquerte sie das geräumige Schlafzimmer. Von hier gelangte man durch eine Glastür auf die Terrasse hinaus und von da in den Garten. Die andere Tür, jene, die Veronica jetzt benützte, führte zuerst ins Wohnzimmer und dann in Toschio Tenekas Arbeitszimmer. Sobald sie ins Wohnzimmer trat, sah sie den schmalen Lichtbalken unter der Tür, die in Toschios Arbeitszimmer führte. Er arbeitete also noch. Zuerst wollte Veronica ihren Verlobten nicht stören. Doch im Unterbewußtsein hatte sie immer noch Angst. Vielleicht fürchtete sie, der Traum könnte Wirklichkeit werden. Vielleicht hatte sie Angst, sie könnte da weiterträumen, wo sie glücklicherweise hochgeschreckt war. Sie huschte zur Tür und lauschte. Nichts war zu hören. Nichts, was darauf schließen ließ, daß jemand hinter dieser Tür arbeitete. Veronica klopfte trotzdem. »Ja?« kam es von drinnen. Das Mädchen drückte die Tür erleichtert auf. Toschio saß an seinem Schreibtisch, mit Feder und Tusche, über eine halbfertige Reinzeichnung gebeugt. Nun hob er verwundert den Kopf. »Veronica…« »Es ist elf, Toschio.« »Ich weiß«, erwiderte der Japaner und fuhr sich über die müden Augen. »Warum gehst du nicht schlafen?« »Du weißt, daß ich meinen Termin nicht einhalten könnte, wenn ich zu Bett ginge, Veronica.« »Du machst dich kaputt, Toschio.« »Kannst du nicht für uns beide schlafen?«
Das Mädchen ging zu ihm. Er legte seinen Kopf seufzend in das Tal zwischen ihren festen Brüsten. Sie strich zärtlich über sein Haar. Er spürte, daß sie schweißnaß war und schaute sie besorgt an. »Ist etwas nicht in Ordnung, Veronica?« »Doch. Doch, jetzt ist wieder alles in Ordnung. Ich habe furchtbar schlecht geträumt. Ich bin davon aufgewacht, habe gesehen, daß du immer noch nicht zu Bett gegangen bist, machte mir Sorgen…« Er hob den Kopf. Sie küßte ihn. Er sagte: »Du bist ein Schatz, Veronica.« »Komm ins Bett, Toschio.« »Ich kann nicht.« »Ich habe Angst, allein ins Bett zugehen.« »Unsinn. Es kann dir doch nichts geschehen. Du bist in meinem Haus gut aufgehoben.« Teneka schmunzelte. »Außerdem wacht Kakuei Kimura über deinen Engelsschlaf.« Veronicas Brauen zogen sich zusammen. »Denkst du, das beruhigt mich? Er ist doch nicht ganz sauber im Oberstübchen.« »Er ist harmlos.« »Das kann sich doch mal ändern.« »Kakuei würde niemals etwas anfassen, was ich verehre, Veronica. Er sieht in mir eine Art Gott in seiner Einfältigkeit.« Der Japaner erhob sich. Er nahm seine Verlobte um die schmale Mitte. Ihr warmer Körper war fast nackt. Das zarte Hemdchen zählte nicht. »Komm«, flüsterte Teneka zärtlich. »Komm. Ich bringe dich wieder ins Schlafzimmer. Und ich verspreche dir, so bald wie möglich nachzukommen.« Zum Schlafzimmerfenster, das halb offenstand, fiel trübes Mondlicht herein. Er zersetzte Veronicas Hemdchen und übergoß ihren wohlgerundeten Körper mit seinem Schein. Das Mädchen setzte sich aufs Bett. Teneka küßte sie leidenschaftlich. Plötzlich zog er ihr Nightie mit Schwung über ihren Kopf und warf es irgendwohin. Er starrte begeistert auf die harmonische Schönheit ihrer milchweißen Brüste mit den tiefkorallenroten Spitzen und versuchte sich die Trockenheit aus der Kehle zu räuspern.
Mit einem einladenden, zärtlichen Lächeln schlang Veronica ihre nackten Arme um seinen kräftigen, muskulösen Nacken. Ihr Atem ging nun schneller. Ein heißes Verlangen brannte in ihren halbgeschlossenen Augen. Sie wollte Toschio nicht mehr freigeben, wollte ihn nicht in sein Arbeitszimmer zurückkehren lassen. Nicht jetzt. Nicht nach diesem Traum. Nicht, wenn sie so auf Touren gekommen war. Er wußte, daß er sie zutiefst beleidigt hätte, wenn er sich jetzt aus ihrer heißen Umklammerung gewunden hätte, um die Arbeit ihr vorzuziehen. Deshalb blieb er, denn auch er hatte an ihrer brennenden Leidenschaft Feuer gefangen. »Toschio!« flüsterte sie zärtlich. »Toschio!« Und er nahm sie in seine kräftigen Arme, liebkoste inbrünstig ihren hüllenlosen Körper, genoß den berauschenden Duft ihres französischen Parfüms, das von Esterel stammte, und knetete ihren festen Busen mit großer Hingabe. Veronica kämpfte nicht gegen sein Ungestüm an. Sie kostete die Wonnen in vollem Umfang aus. Wonnen, die sich durch eine sie ganz durchfließende Mattigkeit, ein vages Bewußtsein ihres Körpers, den Wunsch nach völliger Gelöstheit, nach Sich-Öffnen, nach Erfülltsein ankündigten. All das bereitete ihr ein herrliches Wohlbehagen, wie sie es ähnlich bei einem Sonnenbad auf einem einsamen heißen Strand empfand. Nun begannen allmählich ihre Lippen zu glänzen und ihre Brüste zu schwellen. Ihre auf den leisesten Kontakt reagierenden Beine streckten sich… Doch plötzlich war mitten in dieser himmlischen Harmonie etwas Störendes. Etwas, das Veronica erschreckte. Das ihre brennenden Gefühle brutal löschte wie Eiswasser irgendwelche hochlodernde Flammen. Teneka spürte ihre Erstarrung sofort. Er richtete sich atemlos auf. »Was ist los mit dir?« fragte er. Veronica gab keine Antwort. Sie lauschte nach draußen. In den Garten. »Was hast du?« fragte Teneka. »Hast du nichts gehört, Toschio?«
»Nein. Was war denn?« »Ich hörte jemanden kichern.« »Wo?« »Draußen. Draußen im Garten.« »Wer sollte um elf Uhr nachts draußen in meinem Garten kichern.« »Bitte nimm ernst, was ich sage!« verlangte Veronica Dobbs. »Wie kann ich das denn?« »Es war das Lachen eines Mädchens, Toschio.« »Hat es sich wiederholt?« »Nein.« »Na, siehst du. Du hast es dir bloß eingebildet.« Veronica stieß ihren Verlobten ärgerlich zurück. Nun war die erotische Spannung von ihnen gewichen. Glasklare Nüchternheit füllte den Raum. Das Mädchen streifte schnell sein Nachthemd über und fischte sich dann noch den Schlafrock, der am Fußende des Bettes lag. Nachdem sie den Bindegürtel vorne zu einer großen Schlaufe drapiert hatte, lauschte sie erneut nach draußen. Und wieder holte sie dieses leise Kichern. Diesmal sogar näher. Nun hatte es auch Teneka vernommen. Er schaute seine Verlobte erstaunt an. »Du hast recht, Veronica. Bitte verzeih mir. Da ist wirklich jemand in meinem Garten.« »Sag’ ich doch.« »Ich seh’ mal nach!« sagte Toschio Teneka entschlossen. Er schnellte vom Bett hoch. Veronica wollte nach seinem Arm fassen, ihn nicht fortlassen, doch sie erwischte ihn nicht, griff ins Leere. Deshalb stieß sie aufgeregt hervor: »Geh nicht hinaus, Toschio. Ich habe Angst. Angst um dich und um uns beide. Bleib bei mir.« Ihr Blick war flehend. Ihre Wangen waren bleich. Die Furcht hatte kleine grauen Flecken darauf gemalt. »Ich bin gleich wieder da!« zischte Teneka. »Sei um Himmels willen vorsichtig!« Teneka grinste. »Denkst du, ich fürchte mich vor einem Mädchen?« »Wer weiß, was für ein Mädchen das ist!« »Das werden wir gleich erfahren!« knurrte Toschio Teneka entschlossen. Er begab sich zur Terrassentür und blickte erst mal nach draußen. Eine herrliche bleierne Nacht lag vor den Fenstern des Hauses.
Wolken flogen vom Atlantik herüber. In einer Stunde konnte es Regen geben, doch noch behaupteten sich Mond und Sterne am Himmel. Der Japaner – er lebte seit sieben Jahren hier in New York, hatte wohlhabende Eltern in Tokio, die er einmal jährlich besuchte – entschloß sich Kimura auf Trab zu bringen. Er wollte, daß der kräftige Sumo-Bär mit ihm in den Garten ging, um ebenfalls nach dem rechten zu sehen. Schnell verließ er das Schlafzimmer. Er hämmerte drei Türen weiter gegen das Mahagoniholz. »Kakuei!« rief er. Ein Brummen drinnen. Unwillig. »Kakuei! Wach auf!« Ein Ächzen. »Wach auf, und komm heraus!« Ein Husten. Dann knarrte das Bett. Ein Räuspern. Dann Schritte. Und dann klappte die Tür auf. Das Pfannkuchengesicht des ehemaligen Sumoringers war total zerknittert. »Was – was ist los?« fragte Kimura benommen auf japanisch. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst die Sprache dieses Landes sprechen!« herrschte ihn Teneka ärgerlich an. »Was ist los?« fragte Kimura nun auf amerikanisch. »Da treibt sich jemand in meinem Garten herum und kichert. Wir beide sehen nach, wer das ist!« Kimura nickte. Er streifte seinen Pyjama schnell ab, schlüpfte in Hemd und Hosen und ging mit Teneka. Sie verließen das Haus. Ein säuselnder Wind war aufgekommen. Er peitschte hoch oben die Wolken über den Himmel. Sie versammelten sich über New York. In der Ferne zuckten ab und zu grelle Blitze auf. »Ich schlage vor, wir umrunden einmal das Haus!« sagte Teneka. »Ich gehe so, und du gehst in die andere Richtung. Halte die Augen offen, Kakuei! Und bring mir alles, was du entdeckst, hast du verstanden?« »Ja, Mr. Teneka. Ja, ja. Ich habe verstanden.« Der Koloß wandte sich um und stapfte über den satten Rasen davon. Toschio Teneka ging in die entgegengesetzte Richtung. Kakuei Kimura schlich in weitem Bogen um das Haus. Er ahnte nicht, daß er beobachtet wurde.
Hinter einem Ginsterstrauch raschelte es unvermittelt. Kimura schrieb das dem Wind zu. Da er sich aber vorgenommen hatte, gründlich vorzugehen, strebte er auf diesen raschelnden Strauch zu, um ihn sich aus der Nähe anzusehen. Oben schoben sich dicke Wolken vor den Mond und machten aus der Nacht eine pechschwarze Finsternis. Kimura seufzte und bedauerte, daß er seine Taschenlampe nicht mit nach draußen genommen hatte, die ihm nun hervorragende Dienste geleistet hätte. Der einfältige Kerl erreichte den schemenhaften Strauch. Er blieb schwer atmend davor stehen. Furcht war etwas, das er nicht kannte. Man konnte ihn einfach nicht schrecken, ihm mit nichts Angst machen. Das gehörte mit zu seiner Debilität. Es war ihm nicht möglich, Gefahren zu erkennen, abzuschätzen. Deshalb wußte er auch nicht, wann es Zeit war, umzukehren, sich in Sicherheit zu bringen. Tolpatschig machte der ehemalige Sumoringer zwei weitere Schritte auf den Ginsterstrauch zu. Er glaubte, zwischen den Zweigen etwas schimmern zu sehen. Das bleiche Oval eines Gesichts. Ja, nicht nur eines, sondern gleich drei solche Gesichter glaubte er zu erkennen. Mit einer schnellen Bewegung drückte er die Zweige auseinander. Die drei grauenerregenden Mädchen standen dichtgedrängt beisammen. Ihre gräßlichen Totenschädelvisagen waren dem Japaner zugewandt. Ein mörderisches Funkeln füllte ihre Augen. Sie zischten wie Schlangen, kurz vor dem tödlichen Angriff. Alle drei trugen diese schwarzen Lederhelme, den auch Clara Temple getragen hatte. Kimura stand erstaunt vor ihnen. Als sie sich in Bewegung setzten, nahm er das zur Kenntnis, aber er wich keinen Schritt zurück. Sie kamen in feindseliger Haltung auf ihn zu. Ihm kam keinen Moment der Gedanke, daß sie ihm etwas antun würden, daß diese Feuer in ihren dunklen, tiefliegenden Augen Mordlust verkündete. Erst als sie sich fauchend auf ihn warfen, als sie an ihm hochschnellten, ihn am Hals packten, ihn zu Fall brachten, kam ihm zum erstenmal die Idee, daß ihm diese Mädchen das Leben nehmen wollten.
Sie würgten ihn. Sie bissen ihn. Sie kratzten ihn. Er vergaß zu schreien, versuchte sich von den wilden Teufelinnen loszureißen. Er setzte seine ganze Rohkraft ein. Aus tiefen Wunden quoll sein Blut. Er warf sich auf dem Boden keuchend hin und her. Er versuchte die Fäuste freizubekommen, wollte nach den häßlichen Fratzen dreschen, die ihn widerwärtig anglotzten. Da war plötzlich ein blitzendes Messer über ihm. Und in derselben Sekunde sauste die lange Klinge auf ihn herab… Toschio Teneka befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der anderen Seite des Hauses. Er hörte von alledem nichts, doch selbst wenn er sich in der Nähe befunden hätte, hätte er schon angestrengt lauschen müssen, um mitzubekommen, was diese drei grausamen Mädchen soeben getan hatten, denn sie verursachten, abgesehen von ihrem zeitweiligen Zischen und Fauchen, keinerlei Geräusch. Teneka kam an seinem Wagen vorbei. Er warf einen kurzen Blick hinein, erwartete nicht, da drinnen etwas zu entdecken. Ein gespenstisches Seufzen ließ ihn erschrocken herumfahren. Da war jedoch niemand. Noch einmal dieses unheimliche Seufzen. Nun wußte Teneka, daß es der Wind hervorrief, der sich hinter den hölzernen Fensterläden fing. Unangenehm berührt ging der Japaner weiter. Er schaute sich mehrmals unsicher um. Als er den geharkten Kiesweg überquerte, knirschten seine Schritte. Er griff weit aus, um so wenig Geräusche als möglich zu verursachen. Nun hatte er die Hälfte seines Weges zurückgelegt. Kimura hätte eigentlich in derselben Zeit die gleiche Strecke zurücklegen müssen. Das bedeutete, daß Teneka hier mit Kimura hätte zusammenstoßen müssen. Doch der Sumoringer tauchte nicht auf. Teneka suchte mit unruhigem Blick die dunkle Umgebung ab. »Kakuei!« flüsterte er. Stille. Das Rauschen und Rascheln von Zweigen und Blättern. Das Seufzen des Windes. Sonst nichts. »Kakuei!«
Toschios Sorge um den Koloß wuchs. Hatte er etwas entdeckt? Wenn ja, warum rief er ihn nicht? War ihm etwas zugestoßen? Teneka schüttelte unwillig den Kopf. Doch nicht Kimura. Dem konnte nichts passieren. Er war ein Bulle. Er verfügte über ungeheure Kräfte. Der konnte sich eines jeden Angreifers blitzschnell entledigen. Es sei denn… Teneka hielt den Atem an. Es sei denn, es handelte sich um mehrere Angreifer. Und noch dazu um bewaffnete Angreifer. Dem Japaner rollte eine Eislawine über den Rücken. Himmel nein! dachte er verstört. Nur das nicht! Veronica Dobbs lief ungemein nervös im Schlafzimmer auf und ab. Sie hatte beide Nachttischlampen eingeschaltet, weil sie in der Dunkelheit verrückt vor Angst geworden wäre. Sie hatte nicht den Mut, zum Fenster zu gehen und nach draußen zu blicken. An die Terrassentür wagte sie sich schon gar nicht. Hastig machte sie nach jeweils sechs Schritten kehrt und lief dorthin zurück, woher sie gerade gekommen war. Hin, her. Hin, her. Wie eine gereizte Tigerin. Die zitternden Hände hatte sie in die Taschen ihres geblümten Schlafrocks gegraben. Ihr brandrotes Haar klebte an ihrer feuchten Stirn. Sie meinte, Fieber zu haben, und trotzdem war ihr entsetzlich kalt. Wo nur Toschio und Kakuei so lange blieben. Einmal ums Haus zu laufen konnte doch nicht so lange dauern. Hatten sie dieses kichernde Mädchen etwa aufgestöbert. Wenn ja, wieso war dann nichts zu hören? Keine Stimmen. Kein Geschrei! Keine Protestrufe dieses Mädchens. Nur das unheimliche Säuseln des an Heftigkeit merklich zunehmenden Windes. Veronica hätte sich gern eine Zigarette angesteckt, um ihre aufgepeitschten Nerven zu beruhigen, aber in den Taschen des Schlafrocks fanden sich keine Stäbchen, und auch auf dem Nachttisch lagen keine. Sie hätte das Schlafzimmer verlassen müssen, denn ihre Handtasche lag draußen im Wohnzimmer. Doch das kam für sie nicht in Frage.
Lieber ohne Zigarette auskommen, als dieses Zimmer verlassen. Nervös ließ das Mädchen die kleine rosige Zunge über ihre bebenden Lippen huschen. Ihre flatternden Augen waren auf die Terrassentür gerichtet, durch die sie jeden Moment Toschio zurück erwartete. Mit einer beruhigenden Meldung. Es sei alles in Ordnung oder so. Plötzlich Schritte. Veronica blieb wie versteinert stehen. Toschio? Kam er endlich zurück? Sie war versucht, ihm entgegenzulaufen, doch die Terrassentür stellte für sie eine Art Grenze zwischen Gut und Böse dar. Zwischen Hell und Dunkel. Sie wollte dieser Grenze nicht zu nahe kommen, um sie nicht zu verletzen und dadurch Gefahr zu laufen, Unheil auf sich zu laden. Gespannt wartete sie. Die Schritte kamen näher. Jetzt hörte Veronica Dobbs ein seltsam rasselndes Atmen. Dann ein markerschütterndes Röcheln, ein Gurgeln, das so schaurig klang, daß das entsetzte Mädchen die Gänsehaut wachsen spürte. Da kam das personifizierte Grauen auf sie zu! Veronica Dobbs verlor darüber beinahe den Verstand. Schlotternd griff sie sich an die fahlen Wangen, während ihre schockgeweiteten Augen durch die offenstehende Terrassentür in die undurchdringliche Dunkelheit starrten. Ihre Schweißdrüsen arbeiteten fieberhaft. Ihr Herz raste wie verrückt in ihrer wogenden Brust. Die Aufregung machte sie schwindelig. Sie japste unwillkürlich nach Luft, hatte das entsetzliche Gefühl, ersticken zu müssen, zerrte mit einer wilden Geste den Ausschnitt ihres Schlafrocks auseinander, um einen befreienden Atemzug zu tun. Jetzt waren die Schritte ganz nahe. Die Dunkelheit spaltete sich. Veronica war so entsetzt, daß sie hart an den Rand einer Ohnmacht geriet. Alles war schlimmer geworden. Alles war um Vieles deutlicher zu hören. Das Röcheln. Das Gurgeln. Das rasselnde Atmen. Gleich nachdem sich die unergründliche Schwärze der Nacht geteilt hatte, spie die Finsternis einen grauenvoll zugerichteten Körper aus.
Diesmal war es kein Alptraum! Diesmal war es grausame Wirklichkeit. Und Veronica fühlte, wie sie der Schock umzubringen drohte. Sie wankte benommen. Sie schüttelte in hektischer, verstörter Abwehr immerzu den Kopf, streckte die Hände weit von sich, als wollte sie so das Näherkommen dieser Greuelgestalt verhindern. Es war Kakuei Kimura. Er war kaum wiederzuerkennen. Seine Kleider waren total zerfetzt. Sie waren von seinem dunkelroten Blut getränkt. Sein Körper war von unzähligen gräßlichen Wunden übersät. Mit blutverschmiertem, schmerzverzerrtem Gesicht und mit blutbesudelten Händen, die er flehend erhoben hatte, wankte er auf Veronica zu. Sein furchtbarer Anblick war einfach zuviel für das angstschlotternde Mädchen. Als der blutüberströmte Koloß mit einem markerschütternden Röcheln vor ihre Füße fiel, verlor sie die Kontrolle vollends über sich. Sie hörte ein wahnsinniges Mädchen gellend kreischen, wußte aber nicht mehr, daß sie selbst dieses wahnsinnige Mädchen war. Als Toschio Teneka seine Braut so entsetzlich schreien hörte, befürchtete er das Schlimmste. Er kreiselte auf den Absätzen herum und hetzte ins Haus zurück. Ein schauriges Bild des Grauens bot sich ihm. Kimura lag vor Veronicas Füßen. Er bewegte sich nicht mehr. Er hatte zu atmen aufgehört, war an den schweren Verletzungen, die ihm zugefügt worden waren, zugrunde gegangen. Veronica starrte den Leichnam mit angstgeweiteten Augen an und schrie ununterbrochen mit weit aufgerissenem Mund. Plötzlich ein Kichern. Auf der Terrasse. Teneka zuckte herum. Da sah er die drei Teufelinnen. Sie hatten ihre pergamentenen Fratzen zu einem irren, triumphierenden Grinsen verzerrt. Ihre glühenden Augen blickten begeistert auf den blutüberströmten Toten, der ihr erstes Opfer geworden war, und dem sie nun noch weitere Opfer folgen lassen wollten.
Schauderhaft grinsend standen sie auf der Terrasse. Umrahmt von einer bösartigen schwarzen Nacht. Eine von ihnen hielt ein langes Messer in der Hand, an dessen Klinge Kimuras Blut klebte. Veronica sah die drei fürchterlichen Gestalten mit ihren schwarzen Lederhelmen und verstärkte ihr Wahnsinnsgeschrei, das nun immer schriller, immer furchtvoller, immer durchdringender wurde. In Tenekas Kopf überstürzten sich die Gedanken. Eine schnelle Reaktion wäre vonnöten gewesen. Wenn diese drei schrecklichen Bestien erst mal im Schlafzimmer waren, gab es keine Rettung mehr. Sie hatten den kraftstrotzenden Kimura getötet. Mit Veronica und ihm würden sie bloß spielen. Entschlossen spannte er die Muskeln. Das Geschrei von Veronica, die schreckliche Spannung wurden ihm mit einemmal unerträglich. Er wuchtete sich nach vorn, auf die Terrassentür zu. Jetzt kam Leben in die drei Schreckgestalten. Sie wollten ihn angreifen. Er war jedoch flinker an der Tür als sie. Blitzschnell warf er die Tür zu und riß den Riegel keuchend herum. Die drei furchtbaren Mörderinnen waren ausgesperrt. Nun wandte sich Teneka hastig zu seiner immer noch schreienden Braut um. Erschrocken erkannte er, wie sie wankte, wie sie sich nur noch mühsam aufrecht hielt. Mit wenigen weiten Sätzen war er bei ihr. Gerade noch rechtzeitig, um sie aufzufangen. Er riß Veronica hoch und schleppte sie aus dem Schlafzimmer. Er rannte mit ihr durch das Haus. Inzwischen hatten die drei grauenerregenden Teufelinnen ein wütendes Geheul angestimmt. Nun schlugen sie das Glas der Tür ein. Es war Selma Jones, die mit sicherer Hand den Riegel fand. Sie zerrte ihn mit gefletschten Zähnen herum. Paula Walker und Sarah Black warfen sich knurrend gegen die Tür. Sie sprang auf. Die mordlüsternen Hexen rasten – Furien gleich – in das Schlafzimmer. Während Paula und Sarah über Kimuras Leichnam
hinwegsprangen, um zu verhindern, daß ihnen Teneka und das ohnmächtige Mädchen entkamen, stach Selma mit einem wahnsinnigen Kreischen mehrmals mit dem Messer auf den Toten ein. Sie beschmierte sich kichernd mit seinem Blut, sprang ihm auf die Brust, tanzte lachend darauf und rannte dann hinter ihren Mordgenossinnen her. Atemlos verließ Toschio Teneka sein Haus. Veronica hing schlaff und schwer in seinen Armen. Ihre Hände und Füße baumelten kraftlos und unkontrolliert hin und her. Dort stand der Wagen. Der Japaner hetzte darauf zu. Es war schwer, mit dem ohnmächtigen Mädchen im Arm die Tür zu öffnen. Ebenso schwer war es, das Mädchen im Fahrzeug unterzubringen. Teneka hörte schon, wie die grausamen Mörderinnen angerannt kamen. Er sprang in fiebernder Hast in den Wagen, verriegelte alle Türen von innen, schob zitternd den Startschlüssel ins Zündschloß. Da waren sie bereits heran. Sie sprangen auf die Motorhaube. Ihre gräßlichen Totenschädelfratzen leuchteten ihm voll abgrundtiefem Haß entgegen. Sie schrien und tobten. Sie versuchten die Frontscheibe einzuschlagen. Dumpf trommelten ihre bleichen Fäuste gegen das Glas. Der Anlasser orgelte auf. In der Aufregung gab Toschio Teneka viel zuviel Gas. Der Motor konnte soviel Gemisch auf einmal nicht verkraften. Er drohte abzusaufen. Die schrecklichen Monster rüttelten an den Türen. Sie schrien und fluchten. Sie kreischten und droschen mit ihren Fäusten auf das Wagendach. Wieder drehte Teneka den Zündschlüssel um. Wieder mahlte der Anlasser. Die Batterie war drei Jahre alt. Sie gab nicht mehr allzuviel her. Wenn der Motor beim nächsten Versuch immer noch nicht ansprang, war an Flucht nicht mehr zu denken. Selma Jones schmetterte den Knauf ihres Messers gegen das Glas.
Immer und immer wieder. Paula Walker rannte vom Wagen weg und kam mit einem faustgroßen Stein wieder. Die beiden anderen Scheusale begrüßten diesen Stein mit einem lauten, freudigen Geheul, denn damit war die Nuß zu knacken. Damit waren die Autofenster zu zertrümmern. Paula holte mit wutverzerrtem Gesicht aus. Teneka erschauerte. Er hatte noch einen Versuch, seinen Wagen in Gang zu bringen. Wenn ihm das nicht gelang, waren Veronica und er verloren. Trotz seiner übermächtigen Erregung, die ihn schüttelfrostartig am Genick gepackt hatte, versuchte er alles richtig und mit Gefühl zu machen. Paula schlug zu. Der Motor kam um den Bruchteil einer Sekunde früher. Als Paulas Faust die den Stein umschloß, herabsauste, machte der Wagen einen wilden Satz vorwärts. Der Hieb traf das Wagendach. Der Stein schmetterte eine tiefe Delle ins Blech. Das Fahrzeug schoß mit brüllendem Motor davon. Teneka hatte Mühe, es unter Kontrolle zu kriegen. Die drei Mörderinnen schwangen enttäuscht ihre Fäuste und schrien dem davonsausenden Wagen wüste Verwünschungen nach. Sie waren mächtig erzürnt, weil sie um diese beiden Opfer geprellt worden waren. Es gab nichts Schlimmeres für Leonard Bond als die Einsamkeit. Er fühlte, daß er damit nicht fertig werden würde. Deshalb suchte er Vergessen beim Alkohol. Er trank Bourbon und glotzte zu jenem chintzbezogenen Sessel hinüber, in dem April immer gesessen hatte. Die Konturen des Möbels verschwammen im Alkoholschleier. Für einen Moment glaubte Bond, April wieder dort sitzen zu sehen. Als er sich dann aber zusammenriß und genau schaute, sah er, daß der Sessel verwaist war und es für immer bleiben würde. Bond steckte sich mit unsicherer Hand eine Zigarette an. Er knetete seine Finger, griff dann wieder zur Flasche, trank. Dann schloß er benommen die Augen. Er legte die Hand über die Lider, hielt die Luft an, versuchte über sein Elend nachzudenken, doch
er war schon zu betrunken, um seinen Gedanken noch irgendwelche Richtungen zu geben. Sie lösten sich von seiner geistigen Befehlsgewalt und beschäftigten sich ausschließlich mit dem, was sie wollten. Es war fast zwölf. Trotzdem verspürte er keine Müdigkeit. Er wollte nicht zu Bett gehen. Er hätte ja doch nicht schlafen können. Nein, er wollte hier unten sitzen bleiben, weitertrinken und irgendwann dann kotzen, wenn er zuviel getrunken hatte. Als die Zigarette seinen gefühllosen, zitternden Fingern entfiel und in seinem Schoß landete, schnellte er fluchend hoch. Die Zigarette sprang auf den Teppich. Bond bückte sich nicht. Er trat die Glut einfach aus. Plötzlich hatte er die Umgebung des Wohnzimmers satt. So sehr satt, daß er keine Minute länger hier drinnen bleiben wollte. Er stürmte schnaufend aus dem Raum. Das Licht ließ er brennen. Im Vorbeigehen riß er sein Jackett vom Haken. Er warf es sich über die Schultern und schmetterte hinter sich die Haustür zu. Ziellos rannte er die Straße entlang. Er wollte nur mal laufen, um auf andere Gedanken zu kommen, um der stillen Einsamkeit, dieser Grabesruhe seines eigenen Hauses, zu entkommen. Aber war er hier draußen auf der finsteren, mitternächtlichen Straße nicht ebenso einsam wie zu Hause? Nein. Nein, es war eine andere Einsamkeit hier draußen. Sie war nicht ganz so unerträglich wie zwischen vier beengenden Wänden. Pfeifend rüttelte der Wind an den Fernsehantennen, die sich aus den Fenstern reckten, hinter denen Menschen schliefen, die Ruhe in sich hatten. Es roch nach Regen. Bond hob den Blick. Der Himmel war tintig. Irgendwo ein Blitz. Dann das unheilvolle Grollen eines anschwellenden Donners. Ein Auto bog um die Ecke. Die Scheinwerfer streiften den wankenden Chirurgen. Der Fahrer kümmerte sich jedoch nicht um ihn. Bond marschierte weiter. Er gelangte auf eine belebtere Straße.
Plötzlich merkte er, daß ihn seine Füße auf die Fahrbahn trugen. Schon flog seine Hand hoch. Jetzt erst begriff er, was er machte. Er hielt ein Yellow Cab an. Der Taxifahrer ließ ihn freundlich einsteigen. »Sehr vernünftig, Sir!« lobte der Mann. Sein Gesicht glich mit seinen zerfurchten Gipfeln und Kratern einer Wüstenlandschaft. Die leicht vorstehenden braungefleckten Augen saßen tief in den Augenhöhlen, unter buschigen schwarzen Brauen. »So behält man seinen Führerschein! Wenn man mal zuviel gebechert hat – was bei Gott ja keine Schande für einen echten Mann ist –, fährt man einfach mit dem Taxi und läßt den eigenen Wagen ausnahmsweise mal stehen.« »Ja, ja! Schon gut!« knurrte Leonard Bond mit schwerer Zunge. Er war nicht bereit, sich mit dem Fahrer zu unterhalten. »Wohin soll’s denn gehen, Sir?« »Police Headquarters. Centre Street 110!« erwiderte Bond mechanisch. Warum er gerade dorthin gebracht werden wollte, wußte er eigentlich nicht so recht. Die drei schrecklichen Mörderinnen liefen noch mal ins Haus zurück. Sie rissen dem toten Sumoringer die zerfetzten Kleider vom Körper und stellten mit ihm dann abscheuliche Dinge an. Schließlich verließen sie Tenekas Haus, um sich ein neues Opfer zu suchen. Sie blieben dicht beisammen. Grauenerregend sahen sie aus mit ihren furchtbaren Totenfratzen, mit ihrer pergamentenen Gesichtshaut, den mordlüsternen Augen, dem grausamen, schmallippigen Mund, der geifernd offenstand, während jener schwarze Lederhelm, aus dem sie diese bestialischen Mordimpulse erhielten, ihren Knochenkopf umschloß. Sie wählten dunkle menschenleere Straßen. Plötzlich hörten sie ein tackendes Geräusch. Sie blickten sich begeistert an. Selma Jones nickte den beiden anderen zu. »Kommt!« Sie faßte mit einem gierigen Griff nach den Armen von Paula und Sarah und zog sie mit sich hinter eine breite Plakatwand, hinter der sie sich auf die Lauer legen wollten, um auf jenen hilflosen Blinden zu warten, der sich da ahnungslos mit seinem metallenen Rohrstock die Straße entlangtastete.
»Verzeihen Sie, daß ich in einem solch schandbaren Zustand bei Ihnen aufkreuze, Captain Kroeger!« sagte Leonard Bond schleppend. »Anderseits muß ich zu bedenken geben, daß ich nüchtern niemals zu diesem Schritt bereit gewesen wäre.« Kroeger schob allein Nachtdienst. Lieutenant Derek Winters hatte frei. Das ganze kleine Büro gehörte in dieser Nacht dem Captain allein. Bond hatte sich in den Besuchersessel gelümmelt. Da an drei Seiten Lehnen waren, saß er verhältnismäßig sicher darin. »Was haben Sie gegen die Polizei, Dr. Bond?« fragte Donald Kroeger schmunzelnd. »Gar nichts. Eigentlich gar nichts. Sie ist mir im Grunde genommen völlig gleichgültig. Deshalb wäre ich auch niemals hierhergekommen, wenn mich der Bourbon nicht dazu verleitet hätte. Sie haben es ihm zu verdanken.« »Ist mir recht«, meinte Kroeger. »Hat mir der Bourbon irgend etwas zu sagen?« Bond schlug die Beine ungeschickt übereinander. Er kicherte. »Ich könnte Ihnen jetzt haargenau zerkleinern und verständlich erklären, was sich in meinem Gehirn abspielt. Darin bin ich Experte. Ich könnte Ihnen schildern, was der Alkohol zur Zeit in meinem Gehirn macht. Ich könnte mit Ihnen stundenlang über Hirnarteriographie, Hirnatrophie, Hirncontusion, Hirnmetastasen, Hirnschädigungen und dergleichen mehr sprechen. Aber deshalb bin ich nicht zu Ihnen gekommen. Das würde Sie um diese Zeit auch wohl kaum interessieren.« »Weshalb sind Sie gekommen, Dr. Bond?« »Nun, erst mal, um mich zu entschuldigen.« »Wofür?« »Ich war doch auf dem Friedhof ziemlich ruppig zu Ihnen.« »Das habe ich längst vergessen. Ich bin nicht nachtragend.« »Na fein. Dann können wir gleich zum nächsten Punkt übergehen«, meinte Leonard Bond und ließ seine Zunge kurz über die trockenen Lippen huschen. »Könnte ich einen Becher Wasser haben?« Der Captain nickte.
»Selbstverständlich.« Er erhob sich, nahm einen Papierbecher aus der Halterung und ließ aus dem großen Wasserbehälter, die in allen Büros aufgestellt waren, glasklares, erfrischendes Wasser laufen. Nachdem Bond mit gierigen Zügen getrunken hatte, warf er den zusammengeknüllten Becher neben den Papierkorb. »Da hinein hätte ich nicht einmal in nüchternem Zustand getroffen«, meinte er achselzuckend. »Lassen Sie nur«, erwiderte Kroeger gleichgültig. »Darum kümmere ich mich später.« Draußen zuckte wieder mal ein Blitz über den nächtlichen Himmel. Das Donnergrollen wurde von den geschlossenen Fenstern abgehalten, war nicht zu hören. »Nun, Dr. Bond…?« »Wie gesagt, ich habe mich auf dem Friedhof danebenbenommen, Captain. Ich möchte das irgendwie wiedergutmachen. Wenn Sie also irgendwelche Fragen an mich haben, ich bin bereit, sie Ihnen zu beantworten, so gut ich kann. Denken Sie aber nicht, ich wäre so sehr betrunken, daß ich nicht mehr Herr meiner Sinne wäre. Das bin ich sehr wohl noch. Was ich Ihnen auf Ihre Fragen eventuell antworte, das gilt, verstehen Sie? Dazu stehe ich dann auch, wenn mich der Bourbon wieder verlassen hat.« Kroeger war über diese Hilfsbereitschaft sehr erfreut. Er begann gleich mit einigen Fragen. Und Dr. Leonard Bond erstaunte ihn mit einigen recht verblüffenden Antworten… Erst ein Blitz. Dann ein knurrendes Donnern. Dann das regelmäßige Tack-tack-tack des herannahenden Blinden. Selma Jones starrte nervös auf ihre Hände. Sie waren von Kimuras Blut besudelt. Und sie waren leer. Wo war das Messer geblieben? Hatte sie es verloren? Das schreckliche Mädchen stieß ein enttäuschtes Fauchen aus. Endlich war der Blinde bis auf wenige Meter an das Versteck der drei gefährlichen Mörderinnen herangekommen. Erwartungsvoll duckten sich die scheußlichen Monster, deren grauenerregende Gesichter nichts Menschliches mehr aufwiesen. Der Blinde hatte den schmalen Kopf lauschend gehoben.
Er horchte nach dem Tacken seines Taststockes. Nach der jeweiligen Klangfärbung der Geräusche vermochte sich der kleine dünne Mann recht gut zu orientieren. Es war eine reine Übungssache. Er sah zwar nicht, wo er sich befand, aber er wußte, daß er nun nicht mehr weit zu gehen hatte, dann war er zu Hause. Der kühle Wind und das in immer kürzeren Abständen kommende Donnergrollen beunruhigten ihn ein wenig. Er wollte noch vor dem Unwetter zu Hause sein. An vom Regen durchnäßten Kleidern hätte er keine Freude gehabt. Da die schneeweißen Augäpfel für seine sehenden Mitmenschen kein schöner Anblick waren, verbarg der Blinde sie hinter einer schwarzen Brille, die die Augenhöhlen auch seitlich abschirmte. Tack-tack-tack! Plötzlich vernahm er ein gefahrverheißendes, feindseliges Fauchen. Erschrocken blieb er stehen. Jemand kam auf ihn zu. Er vermutete, daß es drei Personen waren. Ein Kichern. Spöttisch. Ekelhaft. Erschreckend. Mädchen! dachte der Blinde. Drei Mädchen. Vielleicht betrunken. Heutzutage gibt es auch das schon. Und nun ziehen sie durch die Straßen, um irgend etwas Verrücktes anzustellen – wie einen Blinden zu verhöhnen. Der Mann wollte zur Seite weichen. Er fühlte, wie sie näher kamen. Sein Taststock berührte die eine. Sie riß ihm den Stock aus der Hand. Gleich darauf hörte er ihn knicken. Die anderen lachten darüber seltsam schrill. »Warum?« fragte der Blinde verstört. »Warum habt ihr das getan?« »Du brauchst deinen Stock nicht mehr!« fauchte Selma Jones dämonisch. Der Mann zuckte unwillkürlich zusammen. In dieser Stimme lag so viel Haß, so viel Zorn, so viel Mordlust, ja, auch Mordlust hatte er herausgehört. »Was wollt ihr? Wer seid ihr?« fragte der Blinde entsetzt. »Töten!« kicherte Paula Walker. »Wir werden dich töten!« »Ja!« bestätigte Sarah Black. »Wir werden dich töten!«
Toschio Teneka brachte seine Verlobte auf kürzestem Wege nach Hause. Sie war noch während der Fahrt wieder zu sich gekommen. Er hatte sie mit vielen Worten beschwichtigt, hatte versucht, ihr die schreckliche Angst zu nehmen, die sie immer noch beherrschte, hatte versucht, ihre grenzenlose Hysterie einigermaßen einzudämmen. Alles das war ihm geringfügig gelungen. Nun stand er neben dem Sofa, auf dem Veronica Dobbs mit kreidebleichen Wangen lag. Ihr Blick zeigte immer noch tiefe Erschütterung. Er streichelte sanft ihr Haar. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Veronica. Hier bist du in Sicherheit!« »Toschio! Was waren das für grauenvolle Wesen?« »Ich weiß es nicht.« »Sie – sie haben Kakuei umgebracht.« »Ja. Leider.« »Wie konnten wir ihnen entkommen?« Teneka erzählte es ihr. Dann sagte er: »Ich muß noch einmal zurück, Veronica. Kann ich dich allein lassen?« Das Mädchen riß entsetzt die Augen auf. »Du willst noch einmal zu diesen furchtbaren blutrünstigen Bestien zurückkehren? Willst du denn, daß sie auch dich umbringen, Toschio?« »Ich werde mich vorsehen.« »Das kannst du nicht. Kakuei war außergewöhnlich kräftig. Sie haben ihn trotzdem umgebracht. Sie würden auch dich töten. Nein, Toschio! Ich lasse dich nicht fort!« Veronica klammerte sich schluchzend an ihren Verlobten. »Ich muß noch mal zurück. Ich muß, Veronica.« »Weshalb denn?« »Wer weiß, was die in meinem Haus treiben! Sie könnten einen Brand legen. Sie könnten meine Entwürfe vernichten, an denen ich so lange gearbeitet habe. Ich muß zurück, Veronica. Sieh das doch ein.« »Ich will dich nicht verlieren, Toschio!« jammerte das Mädchen in wahnsinniger Angst. »Du mußt die Polizei anrufen. Du mußt den Mord melden!« »Das werde ich«, sagte Teneka, während er sich mit sanfter Gewalt aus der verkrampften Umklammerung des Mädchens löste.
»Ich verspreche dir, die Polizei anzurufen, sobald ich zu Hause bin.« »Ruf sie von hier an.« »Nein, Veronica. Erst will ich sehen, was diese Bestien sonst noch angestellt haben.« Teneka begab sich ins Bad. Er holte die Schlaftabletten aus dem Medikamentenschrank, löste zwei davon in Wasser auf, brachte seiner Verlobten das milchige Getränk und bat sie, es auf einmal auszutrinken. »Darauf wirst du traumlos schlafen!« versprach er ihr. »Und wenn du aufwachst, werde ich bereits wieder bei dir sein, und alles wird sich zum Guten gewendet haben.« Teneka brachte das leise protestierende Mädchen zu Bett. Voller Ungeduld wartete er darauf, daß sie einschlief. Sobald Veronica weg war, verließ der Japaner die Wohnung der Braut, um zu seinem Haus zurückzufahren. Der Blinde wandte sich verstört um. Da traf ihn ein kraftvoller Faustschlag an der linken Wange. Seines Gleichgewichts beraubt, fiel der Mann um. Die grausamen Mädchen warfen sich auf ihn. Der entsetzte Mann brüllte aus vollem Hals um Hilfe. Er trat mit den Beinen nach den gehässigen Angreiferinnen, die ihn kratzten, bissen und brutal schlugen. Sie zertrümmerten ihm mit ihren Fäusten die schwarze Brille. Sie schlugen ihm das Nasenbein kaputt. Sie schlugen ihm zwei Zähne ein. Er schrie. Sie drückten seine Kehle zu. Dann traten sie ihn mit Füßen, sprangen ihm auf den Bauch, packten ihn bei den Haaren und knallten seinen Kopf immer und immer wieder auf den Asphalt. Die schrecklichen Monster ließen nicht einmal von dem Bedauernswerten ab, als er das Bewußtsein verlor… Tipp Lansburg steuerte seinen giftgrünen Chevrolet Chevelle Malibu die nächtliche Straße entlang. Er schaute nach dem Mädchen, das neben ihm saß, und schmunzelte. »Wenn du artig bist, darfst du noch auf einen Milkshake mit zu mir nach Hause kommen.« Er blinzelte schelmisch.
Sie hat das Gesicht eines kleinen Mädchens, dachte er bei sich. Er hatte Trudy erst vor drei Stunden beim Tanz kennengelernt. »Okay«, sagte das Girl mit einer ungemein rauchigen, wohlklingenden Stimme. So klein ist sie gar nicht, korrigierte sich Tipp Lansburg in Gedanken. Er betrachtete sie wohlgefällig. Für die nächtliche Leere der Straße hatte er kaum ein Auge. Ihr Körper ist noch nicht voll entwickelt, dachte er. Er hat noch etwas Eckiges, noch nicht ganz Gelöstes. Vielleicht ist es aber auch nur die körnige Haut, die ihn so kindlich erscheinen läßt. Lansburg betrachtete ihre schönen, straffen, sehnigen Beine. Er legte seine Hand auf ihre feinnervigen Oberschenkel. Trudy hatte nichts gegen die Hand an diesem Platz. Sie war bereit, mehr in Kauf zu nehmen. Oben, in Tipps Wohnung, nach dem Milkshake. Plötzlich irritierte sie etwas. Bewegung am Straßenrand, direkt vor einer Plakatwand. »Sieh mal!« rief Trudy erschrocken aus. Auf dem Boden lag ein Körper. Drei Gestalten über ihm. Mädchen! »Was ist dort los?« fragte Trudy hastig. »Werden wir gleich sehen«, sagte Tipp Lansburg. Er wollte seiner Flamme imponieren. Deshalb trat er sofort auf die Bremse. An einem anderen Tag, mit einem anderen Mädchen, das er schon länger gekannt hätte, wäre er wohl mit einem Achselzucken weitergefahren. Diesmal aber hielt er an. Das rettete dem Blinden das Leben. Sobald der Malibu stillstand, jumpte Lansburg auf die Straße. Er spurtete los. »He!« brüllte er mit hochgeschwungenen Fäusten. »Laßt den Mann in Ruhe, ihr verrückten Weiber! Denkt ihr, ihr könnt euch alles erlauben?« Daß die Mädchen schwarze Lederhelme trugen, war ihm nicht entgangen. Er hielt das für eine Art Uniformierung. Er hatte noch nicht ihre Gesichter gesehen. Die sah er erst jetzt. Ein eiskaltes Grauen schnellte ihm auf die Brust, drohte ihn umzuwerfen, unter sich zu begraben.
»O nein!« stöhnte er, als er dieser bleichen Totenschädel ansichtig wurde. Er zweifelte an seinem Verstand. »Das darf’s doch nicht geben!« Mit diesen Worten war die schreckliche Tatsache jedoch nicht wegzuleugnen. Die grauenerregenden Teufelinnen ließen blitzschnell von dem Blinden ab. Ihre ganze Mordgier richtete sich nun gegen Tipp Lansburg. Er war nicht nur verdattert stehengeblieben. Er wich nun sogar vor diesen schrecklichen Scheusalen Schritt um Schritt zurück. Sie ließen ihn nicht entkommen. Als er sich umwandte und zu seinem Wagen zurückrennen wollte, stellten sie ihm ein Bein. Er fiel und sie traten ihn mit den Schuhen ins Gesicht. Verzweiflung wehrte er ihre brutalen Schläge ab. Sie packten ihn und versuchten ihm das Genick zu brechen. Als Trudy dieses entsetzliche Schauspiel sah, als sie sah, was diese ekelerregenden Bestien mit ihrem kräftigen Freund machten, drehte sie durch. Sie hatte mehr Angst, als sie verkraften konnte. Heulend warf sie sich hinter das Lenkrad. Sie gab mörderisch Gas. Der Malibu jagte mit jaulenden Pneus davon, schoß um die nächste Ecke, tanzte kreischend hin und her, fand nach einigen gefährlichen Schleuderbewegungen in seine Spur zurück und raste dröhnend durch die Stille der friedlichen Straße. Vier Straßen weiter entdeckte Trudy eine Telefonbox. Sie ließ den Chevrolet auf den Gehsteig jumpen. Beinahe hätte sie die Zelle umgefahren. Die Stoßstange zerschmetterte das Glas an der Tür. Trudy warf sich in die Zelle und wählte mit zittrigen Fingern den Polizeinotruf. Mit tränenerstickter Stimme, kaum zu verstehen, plärrte sie in die Membrane, was sie so schwer geschockt hatte. Der Mann am anderen Ende der Leitung versprach ihr, sofort einen Patrolcar loszuschicken. »Die sollen schnell machen!« keuchte Trudy verzweifelt. »Ganz schnell! Sonst ist Tipp verloren.«
Die Streifencops machten wirklich schnell. Sie trafen schon wenige Minuten später am Tatort ein. Eine Menge Leute schauten aus den Fenstern ihrer Wohnungen. Die Cops kümmerten sich um den ohnmächtigen Blinden und um seinen ebenfalls ohnmächtigen Retter. Ein Ambulanzwagen kam angejammert. Der Zustand des Blinden war bedenklich. Tipp Lansburg ging es von dem Moment an, wo er die Augen verstört öffnete und einen Haufen Menschen um sich herum sah, wieder gut. Er kam mühsam auf die Beine. Trudy weinte an seiner Brust. Er tröstete sie. Der Rettungsarzt wollte ihn mitnehmen, doch er weigerte sich. Also fuhren sie mit dem Blinden ab. »So!« sagte einer der beiden Patrolcops. »Und nun erzählen Sie uns mal ganz genau, was gelaufen ist.« Tipp Lansburg setzte sich zu ihnen in den Wagen und sprach von diesen grauenerregenden Hexen, die über den Blinden hergefallen waren und auch ihn zu töten versucht hatten. Er beschrieb ihre Gesichter mit einer geradezu peinlichen Genauigkeit. Die Cops konnten nicht umhin, ihn für verrückt anzusehen. Kein vernünftiger Mensch konnte diese Geschichte als wahr hinnehmen. Das war einfach nicht möglich. Die drei weiblichen Bestien hatten von Tipp Lansburg abgelassen, als Trudy mit seinem Wagen zurückgerast war. Trudy hätte diese erschreckenden Gestalten beinahe über den Haufen gefahren. Die Biester zogen sich fauchend zurück und verschwanden gleich darauf hinter der Plakatwand. Trudy hatte ihre Faust immer wieder auf die Hupe geknallt. Erstens, um diese Monster zu verjagen und zweitens, um alle Leute zu wecken, die in dieser Straße wohnten, um Hilfe zu erhalten, falls die Scheusale auch über sie herzufallen versuchten. Als nacheinander die Fenster hell geworden waren, hatte Selma Jones ihren teuflischen Freundinnen ein Zeichen gemacht, und sie waren in der schützenden Dunkelheit untergetaucht. Sie waren mit dem Verlauf des Überfalls nicht zufrieden.
»Wir hätten sie alle beide umbringen sollen!« knirschte Paula Walker verbittert. »Und das Mädchen dazu!« fauchte Sarah Black. »Ich weiß, wo wir ungestört töten können!« flüsterte Selma mit einem fanatischen Glühen in den Augen. »Wo?« fragte Paula. »Wo?« wollte auch Sarah wissen. »Kommt!« sagte Selma nur. »Diesmal wird es uns gelingen!« Nachdem alles gesagt worden war, was noch nicht ausgesprochen gewesen war, hatte sich Leonard Bond von Captain Kroeger verabschiedet. Er war mit dem Paternoster nach unten gefahren und hatte für die Heimfahrt wieder ein Taxi gechartert. Nun kletterte Bond aus dem Yellow Cab. »Wieviel?« fragte er den muffigen Fahrer, der die ganze Zeit nur an seinem Kautabak herumgebissen hatte. Der Mann nannte den Fahrpreis. Bond ließ sich genau herausgeben. Das machte den ärgerlichen Fahrer wütend. »Geizkragen!« maulte er und fuhr mit zornrotem Gesicht davon. Bond blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Da wundert der sich auch noch!« Bond wandte sich um und begab sich zum Haustor. Dort fingerte er die Schlüssel aus der Tasche, schloß auf und trat ein. Er fühlte sich besser, seit er mit Kroeger gesprochen hatte. Die Wirkung des Bourbon hatte nachgelassen. Er war wieder einigermaßen klar im Kopf. Im Wohnzimmer brannte immer noch das Licht. Bond schielte nach der Bourbonflasche, entschied sich dann aber gegen ihn. Er begab sich in die Küche und brühte sich einen Instantcoffee. Dazu aß er zwei Scheiben Weißbrot. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, spürte er ihre Nähe. Sie standen hinter den Vorhängen. Nun kamen sie hervor. Sie mußten bereits vor Bond hiergewesen sein, denn sie hatten sich in der Küche mit einem Fleischklopfer und zwei Tranchiermessern ausgerüstet.
Leonard Bond kippte beinahe um, als er die scheußlichen Geschöpfe auf sich zukommen sah. Eine furchtbare Todesahnung bemächtigte sich seiner. Mit einemmal wußte er, daß er diese seltsame, unheimliche Begegnung nicht überleben würde. Jeder Mensch stellt sich irgendwann mal die Frage, wie sein Ende wohl aussehen wird. Leonard Bonds Ende sah so aus. Aber er hatte es sich ganz anders vorgestellt. In einer instinktiven Reaktion versuchte der Chirurg die Wohnzimmertür zu erreichen, doch Selma Jones, die Anführerin der drei Bestien, schnitt ihm blitzschnell diesen Fluchtweg ab. Mit einem widerwärtigen Grinsen stand sie breitbeinig vor der Tür und erwartete Bond mit erhobenem Fleischklopfer und mordlüsternen Augen. Bond stürzte sich mit einem krächzenden Entsetzensschrei auf das gefährliche Mädchen. Selma kicherte schrill. »Komm nur, Bond! Komm nur!« kreischte sie. Und als er nahe genug herangekommen war, schlug sie unglaublich kraftvoll und hart mit dem Fleischklopfer, der aus Aluminium – mit Eisenkern – war, zu. Leonard Bond schnellte buchstäblich im letzten Augenblick bestürzt zur Seite. Der Klopfer sauste mit der gerippten Fläche haarscharf an seinem Kopf vorbei. Der Hieb hätte auf jeden Fall seine Schädeldecke zertrümmert. Leichenblaß starrte der Arzt die irrsinnigen Mädchen an. Ihre Gesichter erschreckten ihn zu Tode. Sie geiferten nach seinem Blut. Sie lechzten nach seinem Leben. Immer wieder stießen sie ein schrilles, widernatürliches Gelächter aus, das dem Mann kalte Schauer über den Rücken jagte. Obzwar Bond wußte, daß er verloren war, wollte er sich nicht kampflos in sein Schicksal fügen. Er war nicht gewillt, zu warten, bis sie ihn töteten. Er griff sie an, denn Angriff ist allemal die beste Verteidigung. Vielleicht hatte er noch irgendeine ganz winzige Chance, wenn er nicht einfach stillhielt und sich mit dem Fleischklopfer zusammendreschen und mit den Messern zerfleischen ließ.
Er knallte Paula Walker seine Faust mitten in die grauenerregende Visage hinein. Das Mädchen flog zurück und landete schreiend auf dem Rücken. Doch sie war sofort wieder auf den Beinen. Inzwischen versuchte Sarah Black, Bond mit ihrem Messer zu erwischen. Sie schlitzte ihm das Jackett auf, als er von ihr keuchend wegschnellte. Dabei übersah er aber Selma Jones. Mit aller Wucht ließ sie ihren Fleischklopfer wieder niedersausen. Bond konnte den Kopf noch hastig zur Seite nehmen, nicht aber die Schulter. Der Hieb zertrümmerte ihm das Schlüsselbein. Ein wahnsinniger Schmerz quälte Leonard Bond. Er knirschte mit den Zähnen, wankte, fühlte, daß er den linken Arm nicht mehr gebrauchen konnte. Schweiß trat auf seine Stirn. Kalter Angstschweiß. Sarah stach schon wieder zu. Selma kicherte, weil sie getroffen hatte. Bond setzte Sarah seinen Fuß in den Bauch. Sie schrie wütend auf und knallte gegen die Wand. Jetzt griff Paula an. Bond konnte sich nicht schnell genug umdrehen. Sie drückte ihm das lange Messer in den Rücken. Er brüllte entsetzt auf. Der Schmerz war nicht so schlimm wie die grausame Erkenntnis, daß dieser erste Stich sein Ende besiegelte. Nun drosch Selma erneut zu. Und Sarah kam, um dem Wankenden ebenfalls ihr Tranchiermesser zwischen die Rippen des Brustkorbes zu setzen. Blutend drehte er sich im Kreis. Sein Blick war erschüttert und verstört. Er wollte nicht sterben, flehte die grausamen Bestien händeringend an, ihm das Leben zu schenken, doch sie kannten keine Gnade. Je mehr er bettelte, desto lieber war es ihnen. Sie machten ihn mit bestialischen Angriffen systematisch fertig. Und als er röchelnd zu Boden fiel, schlug ihm Selma Jones noch das Gesicht zu Brei… Kroeger hatte Lieutenant Winters aus dem Bett geholt, weil er den Fall nicht allein zu Ende bringen wollte.
Nun standen sie fassungslos in jenem Operationsraum, in dem ein Wahnsinniger diese unverantwortlichen Gehirnoperationen vorgenommen hatte. Captain Kroeger entdeckte den Schlafraum, in dem fünf verwaiste Betten standen. An den kahlen Wänden hingen die Fotos von April, Leonard, Jeannie und Delmer Bond. Halbmeterhohe Vergrößerungen. »Captain!« rief Derek Winters von nebenan. »Hm?« »Sehen Sie mal.« »Was gibt’s?« Kroeger begab sich zum Lieutenant. Der wies auf das Schaltpult. »Damit wurden die Mädchen gesteuert!« sagte der Lieutenant. »Wieso wurden?« fragte der Captain. »Das Ding ist kaputt.« »Haben Sie daran herumgespielt?« »Nein. Aber ich habe diese Klappe hier aufgemacht…« »Und?« »Sämtliche Kabel wurden abgemacht. Und dann gab’s auch noch einen Kabelbrand.« »Also kann man hiermit nichts mehr anfangen.« »Ganz gewiß nicht, Sir.« »Scheiße!« knurrte der Captain. Er hatte in diesem Geheimkeller eine Menge Unterlagen gefunden und kannte sich hinlänglich aus. Er wußte, daß Selma Jones, Paula Walker und Sarah Black zu solchen entsetzlichen Marionetten umgebaut worden waren und daß sie nun irgendwo durch New York streiften, um ihren Aggressionstrieb mit einem Mord zu befriedigen. Plötzlich hob Winters die Hand. »Ein Wagen, Sir!« Kroeger nickte. Er hatte das Knirschen ebenfalls gehört. Nun vernahm er den Knall eines zugeworfenen Wagenschlages. Dann Schritte. Sie kamen ins Haus, klopften die Kellertreppe herunter. Donald Kroeger bedeutete dem Lieutenant, sich zu verbergen.
Er zog seinen Dienstrevolver. Winters, der Waffenhasser, ließ seine Knarre stecken. Sie warteten mit vibrierenden Nerven. Hier kam nun der Mann, hinter dem sie her waren, dem sie das Handwerk legen mußten, weil er das Hirn von gesunden Mädchen operiert hatte, weil er wahnsinnig war, weil er aus diesen bedauernswerten Mädchen furchtbar grausame Mordmaschinen gemacht hatte. Nur noch wenige Stufen hatte der Mann zu überwinden. Dann war er da. Er lief auf seinen Schaltkasten zu. Er schnippte aufgeregt daran herum, trommelte wütend mit den Fäusten darauf, riß die Klappe auf, die schon Derek Winters geöffnet hatte, und stieß einen ordinären Fluch aus, als er die Bescherung sah. »Kabelbrand!« sagte plötzlich Captain Kroeger hinter dem Mann. Toschio Teneka kreiselte erschrocken herum. Er glotzte die beiden Polizisten entgeistert an. »Dadurch sind die drei Mädchen Ihrer Kontrolle entglitten«, fuhr der Captain eiskalt fort. »Deshalb haben sie Kakuei Kimura auf grauenvolle Weise umgebracht. Ich wette, das war nicht eingeplant.« Der Japaner konnte das Auftauchen der beiden Polizisten einfach nicht begreifen. »Wie kommen Sie hierher, in mein Haus, in meinen Keller?!« stöhnte er erschüttert. »Erst mal brachte uns der Polizeicomputer auf Ihre Spur. Dieses Wunderding fand heraus, daß alle verschwundenen Mädchen einen gemeinsamen Bekannten gehabt hatten: Sie, Mr. Teneka. Doch das gab noch nicht den Ausschlag. Erst als Dr. Leonard Kroeger in meinem Büro auftauchte, und mir einige Antworten gab, die mich ziemlich verblüfften, wie ich gestehen muß, sah ich mit einemmal glasklar. Auch Leonard Bond kennt einen Mann namens Toschio Teneka. Sie haben die Fotos der Bond-Familie dort drinnen an die Wand geheftet. Ich weiß natürlich, warum, Mr. Teneka. Sie sind nicht immer Gebrauchsgrafiker gewesen. Sie haben wohlhabende Eltern in Tokio, die es Ihnen ermöglichten, nach Amerika zu gehen, um hier Chirurgie zu studieren. Sie belegten
dieses Fach bei Dr. Leonard Bond. Er sagte mir, daß Sie sein bester Schüler waren. Mit revolutionären Ideen. Ein Fanatiker, der es gewiß sehr weit gebracht hätte, wenn nicht das Rauschgift dazwischengekommen wäre. Sie begannen zu fixen. Dr. Bond kam Ihnen drauf. Und er betrieb es höchstpersönlich, daß Sie in hohem Bogen von der Universität flogen. Das war das Schlimmste, was einem Mann wie Ihnen passieren konnte, Teneka. Sie hatten sich wie kein anderer in Ihr Studium verbissen. Sie wollten eine anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der Gehirnchirurgie werden, und Bond ist der Meinung, daß Sie das Zeug dazu in sich gehabt hätten. Sie sprachen damals schon von Seren, die Sie zu entwickeln versuchten. Seren, die jene Menschen, die operiert wurden, binnen kurzem wieder auf die Beine stellen sollten. Sie sprachen von einem Strahlenapparat, den Sie entwickeln würden, um größere Erfolge bei diesen Operationen zu erzielen. Bond meinte, Sie hätten ausgezeichnete Ideen gehabt, die jedoch noch überarbeitet gehört hätten. Dazu kam es letztlich jedoch nicht mehr, denn Bond ließ Sie von der Uni feuern. Das verkrafteten Sie nicht. Aus dem Genie wurde ein Wahnsinniger. Ein Satan. Sie brachten den eisernen Willen auf, sich vom Rauschgift wieder loszureißen. Und sie entschlossen sich, heimlich weiterzustudieren, das habe ich aus Ihren Tagebuchaufzeichnungen. Sie machten Tierversuche, arbeiteten hier unten in diesem vom Geld Ihrer Eltern eingerichteten Labor mit einer wilden Verbissenheit. Sie wollten es denen schon zeigen, was in Ihnen steckte. Sie dachten, Sie brauchen die Universität nicht. Sie entwickelten diese Seren und jenen Strahlenapparat, der die Mädchen so entsetzlich entstellte, doch das war Ihnen egal. Ihr grenzenloser Haß richtete sich seit Ihrem schmählichen Abgang von der Universität gegen einen einzigen Mann: Leonard Bond. Sie haßten ihn wie sonst nichts auf der Welt. Und sie wollten ihm heimzahlen, was er Ihnen angetan hatte. Sie wollten seine ganze Familie ausrotten. Seine beiden Kinder, seine Frau und schließlich ihn. Deshalb hängen die Fotos nebenan an der Wand.
Ihre Mörderinnen sollten sie immer vor Augen haben, damit sie wußten, wen sie töten sollten. Sie schlossen ziemlich bald Ihre Tierversuche ab. Der nächste Schritt war zwangsläufig der Mensch. Da nahmen Sie diese Mädchen. Es sind bloß Nutten, schreiben Sie in Ihrem Tagebuch. Minderwertige Ware der Gesellschaft. Nutzlos. Erst wenn Sie sie in die Hände kriegen, werden sie zu wertvollen Menschen, erst dann bekommt ihr Leben einen Sinn. Sie haben es getan, Teneka. Verdammt, Sie haben sich diese Mädchen geholt und haben aus ihnen fürchterliche Wesen gemacht. Sie haben diese Mädchen nicht getötet, nein. Sie haben mit ihnen etwas viel Schlimmeres gemacht. Sie haben sie zu mordlüsternen Bestien verwandelt. Zu Satansgeschöpfen, die in dieser Nacht Ihrer Kontrolle entglitten sind. Wo sind Ihre Mädchen nun, Teneka? Wo?« Der Japaner fuhr sich zitternd über die Augen. Er hatte sich stumm angehört, was der Captain gesagt hatte, hatte kein einzigesmal widersprochen, denn das wäre unsinnig gewesen, wie er einsah. Der Captain wußte alles. Es hatte keinen Sinn, zu leugnen. Seufzend hob er die Schultern. »Ich weiß nicht, wohin sie gegangen sind, Captain.« Kroeger ließ sich erzählen, was in dieser Nacht in Tenekas Haus vorgefallen war. Der Japaner sprach mit stockenden Worten. »Mitkommen!« verlangte Donald Kroeger. Er winkte dem Japaner mit der Waffe. Sie gingen nach oben. »Ist es möglich, daß die Mädchen zu Leonard Bond unterwegs sind?« fragte Derek Winters im Wohnzimmer. »Ich bin fast sicher, daß sie bei ihm auftauchen werden«, erwiderte Teneka. Kroeger stürzte sich sofort auf das Telefon, um Bond zu warnen. Aber am anderen Ende ging niemand an den Apparat. Kroeger legte schwitzend auf. Er schaute Winters verwirrt an. »Ich glaube, der Anruf kam bereits zu spät.« Toschio Teneka grinste. »Dann hat er seine Strafe bekommen!«
»Mann, ich hätte Lust, Ihnen die Zähne einzuschlagen!« fauchte Kroeger zornig. Er drehte die Nummer der Mordkommission und schickte zwei Männer zu Bonds Haus. Außerdem ordnete er an, daß man sich um Kimuras Leiche kümmerte, die nebenan im Schlafzimmer lag. »Und nun noch mal zu Ihnen, Teneka. Ich nehme an, Ihre auf Haß programmierten Mörderinnen werden in Ihrem Sinn weitermachen.« »Kann sein«, sagte Teneka ungerührt. »Dann werden diese drei Bestien noch in dieser Nacht entweder bei Jeannie Bond oder bei Delmer Bond aufkreuzen?« »Das nehme ich an.« »Wir werden verhindern, daß Jeannie und Delmer sterben, nur weil sie zufällig Bond heißen!« fauchte Kroeger erhitzt. Teneka schaute den Captain spöttisch an. »Wie wollen Sie denn das verhindern?« »Das werden Sie gleich sehen!« »Die Mädchen gehorchen meinen Befehlen nicht mehr. Ich könnte sie nicht einmal dann zurückrufen, wenn ich es wollte. Sie haben ja gesehen, daß sie das Schaltpult kaputtgemacht haben. Dabei bekamen sie als letzten Impuls einen Mordbefehl mit. Und den führen sie nun aus. An Bond, an seinen Kindern, an jedem, der ihnen über den Weg läuft. Sie müssen sich diese drei Mädchen wie abgefeuerte Raketen vorstellen. Sie fliegen. Und nichts kann sie jetzt mehr von ihrer vorausbestimmten Bahn abbringen. Sie werden ihr Ziel erreichen, Captain. Und ich würde lügen, wenn ich sagte, daß mir das leid tut. Ich hasse alle Bonds. Es war mir eine Genugtuung, zu erfahren, daß April Bond ermordet wurde. Und es würde mich mit wonniger Freude erfüllen, zu hören, daß Leonard Bond und seine beiden verfluchten Kinder ebenfalls das Zeitliche gesegnet haben.« Der Japaner grinste. »Und nun, mein lieber Captain, tun Sie was dagegen!« »Das werde ich!« zischte Kroeger. Er schaute den Lieutenant an. »Lassen Sie diesen Verrückten nicht aus den Augen, Winters.« »Nein, Sir.« »Wo haben Sie Ihren Revolver?« »Hier, Sir.« »Dann nehmen Sie ihn gefälligst zur Hand, verdammt noch mal!« »Jawohl, Sir.« »Und schießen Sie, falls Teneka zu fliehen versucht.«
Der Japaner lächelte mitleidig. »Wozu fliehen? Das hätte nicht sehr viel Sinn. Früher oder später würden mich Ihre Kollegen doch erwischen, und dann wären wir wieder da, wo wir jetzt sind. Nein, Captain. Ich werde nicht fliehen. Ich habe erreicht, was ich erreichen wollte. Vermutlich lebt Leonard Bond schon nicht mehr. Und in Kürze wird es auch Jeannie und Delmer Bond an den Kragen gehen, wie es so schön heißt.« »Soweit sind wir noch nicht!« erwiderte Kroeger bissig. Dann wählte er Athene Kings Nummer. Nach dem vierten Klingelzeichen meldete sich die Malerin mit verschlafener Stimme. Der Captain ließ ihr keine Zeit, sich zu erholen. »Ich bin’s, Kroeger!« sagte er hastig. »Delmer Bond ist doch bei Ihnen, oder?« »Ja, Captain!« kam es verwirrt durch den Draht. »Geben Sie ihn mir, Mädchen. Es ist verflucht dringend. Es geht um Leben und Tod.« »O Gott…« Stille. Dann: »Hallo, Captain Kroeger!« Es war Delmer Bonds verschlafene Stimme. »Was haben Sie da eben gesagt? Athene ist total durcheinander.« »Hören Sie zu, ich spaße nicht. Es geht wirklich um Leben und Tod. Drei Mörderinnen haben es auf Jeannie und auf Sie abgesehen, Delmer.« »So wie schon einmal?« »Genau. Passen Sie jetzt genau auf, was ich sage, Mr. Bond. Packen Sie Ihre Siebensachen sofort zusammen und fahren Sie auf dem schnellsten Weg zu Ihrer Schwester. Sie ist doch allein in Ihrem Apartment, oder?« »Himmel, ja.« »Fahren Sie zu ihr, so schnell Sie können. Wenn es ein Strafmandat wegen Schnellfahrens geben sollte, würge ich es persönlich ab.« »Ist es wirklich so ernst, Captain?« »Ernster als ernst.« »Kommen Sie auch zu Jeannie?« »Natürlich. Was dachten Sie denn?«
Seit zehn Minuten war Delmer bei seiner Schwester. Jeannie hatte sich hastig angezogen. Nun saß sie zähneklappernd im Wohnzimmer und starrte mit furchtgeweiteten Augen auf die Wohnungstür. »Ob sie kommen werden, Delmer?« fragte Jeannie voll Angst. »Ob sie wirklich hierherkommen werden?« »Ich fürchte ja«, antwortete Bond, nicht minder aufgeregt. Jeannie blickte zitternd zum Telefon. Vorhin hatten sie versucht, Vater anzurufen, doch niemand hatte abgehoben. »Sie… sie haben Dad umgebracht!« stöhnte Jeannie. Delmer dachte dasselbe. Trotzdem schüttelte er nun den Kopf. »Das wissen wir nicht, Jeannie. Das kannst du nicht mit Sicherheit behaupten.« »Er hat nicht abgehoben.« »Vielleicht ’ne tote Leitung.« »Ausgerechnet heute?« »Vielleicht ist Dad ausgegangen.« »Nein, Delmer. Dad ist tot. Ich fühle es.« Draußen zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel. Dann folgte ein mörderischer Donner. Und nun öffneten die schweren Regenwolken ihre Schleusen. Der Wind peitschte die Tropfen schräg über die Stadt. Und plötzlich donnerte es wieder. Diesmal allerdings an der Wohnungstür. Jeannie schnellte kreischend hoch. Sie warf sich in die Arme des Bruders und schrie: »Delmer, Sie sind da! Sie sind da!« Die Mörderinnen warfen sich zum zweitenmal an die Tür. Es amüsierte sie. Sie kicherten. Jeannie preßte sich verstört an ihren Bruder. Ein Blitzen und Krachen vor dem Haus. Ein furchtbar dröhnendes Wummern an der Tür. »Delmer! Ich habe schreckliche Angst!« stöhnte das Mädchen. »Ich bin ja bei dir!« preßte Bond heiser hervor, obwohl er selbst wahnsinnige Angst hatte. »Wo bleibt nur der Captain so lange?« »Er muß jeden Moment hier eintreffen.«
»Wenn er nicht bald kommt, sind wir verloren!« »Unsinn, Jeannie. Du brauchst keine Angst zu haben. Wirklich nicht. Die kriegen die Tür nicht auf. Keine Sorge. Das schaffen Sie nicht. Diese Tür ist ungemein stabil. Außerdem sind zwei kräftige Schlösser dran. Glaub mir, deine Angst ist völlig unbegründet. Hier drinnen sind wir vor diesen verrückten Weibern sicher.« »Und wenn die Tür doch nicht standhält?« »Sie wird auf jeden Fall so lange halten, bis Kroeger eintrifft!« sagte Delmer Bond zuversichtlich. Aber er sprach damit nur seine innigste Hoffnung aus. Nun hämmerte etwas Hartes gegen das Holz der Tür. Es war Selma Jones mit ihrem Fleischklopfer. Damit schaffte sie die beiden Schlösser. Sie knackten aus dem Holz. Noch einmal warfen sich Paula und Sarah gegen die Tür. Mit einem lauten Knall flog sie auf. Explosionsartig. Jeannie kreischte wahnsinnig schrill auf. Kichernd kamen die Bestien auf das Geschwisterpaar zu. Selma Jones ließ den Fleischklopfer drohend auf und ab wippen. Sarah Black und Paula Walker hoben die langen Tranchiermesser. Überall klebte Leonhard Bonds Blut dran. »Delmer Bond und Jeannie Bond! Ihr werdet sterben!« zischte Selma Jones begeistert. Delmer stellte sich vor seine wimmernde Schwester. Nun riß er einen Stuhl hoch und schleuderte ihn blitzschnell nach dem ihm am nächsten stehenden häßlichen Mädchen. Es war Paula Walker. Sie fauchte wütend, als sie vom Stuhl getroffen und zurückgeworfen wurde. Ihre beiden Mordgenossinnen fingen sie auf. »Es hat keinen Zweck! Es hat überhaupt keinen Zweck!« lachte Selma. »Wir kriegen euch doch! So wie wir euren Vater gekriegt haben.« »Siehst du!« stöhnte Jeannie verzweifelt. »Ich hab’s gefühlt!« Der Regen klatschte gegen das Fenster. Plötzlich hatte Delmer Bond eine Idee. Er schnellte zur Seite und packte das Sofa. »Zum Fenster, Jeannie!« brüllte er. »Schnell zum Fenster! Mach es auf! Schnell! Schnell!«
Und während Jeannie das tat, riß Delmer das schwere Sofa keuchend hoch. Die grauenerregenden Bestien griffen sofort an. Bond warf das Sofa nach ihnen. Das Möbel riß Selma, Paula und Sarah um. Damit waren einige wenige kostbare Sekunden gewonnen. Bond wirbelte herum und lief zu seiner Schwester, die am offenen Fenster wartete. Er schob sie nach draußen. Ihre Füße fanden das nasse Eisen der Feuerleiter. Ein Blitz nach dem anderen zerfetzte die schwarze Nacht. Ein Donner nach dem anderen zertrümmerte die herrschende Stille. Monoton rauschte der Regen in die Straßenschlucht. Schon nach wenigen Sekunden war das Geschwisterpaar bis auf die Haut durchnäßt. Delmer trieb Jeannie zu größter Eile an. Sie hetzten die eisernen Stufen hinunter. Als sie zwei Etagen zurückgelegt hatten, erschienen oben die wütenden Mörderinnen, die ihre Opfer nicht entkommen lassen wollten. »Schneller!« keuchte Delmer Bond. Der Regen klatschte ihm mit dicken Tropfen ins Gesicht, als er nach oben blickte. Jeannie versuchte das Tempo zu forcieren. Dabei glitt sie von einer Stufe ab, verlor das Gleichgewicht, schrie erschrocken auf und kugelte den Rest der Stufen hinunter. Delmer erstarrte. Erst als Jeannie gegen eine rettende Querverstrebung knallte, hastete er weiter. Seine Schwester kämpfte sich benommen hoch. Selma, Paula und Sarah waren flinker und geschickter als Jeannie. Sie holten auf. Jeannie humpelte weiter. Sie preßte die Zähne fest zusammen. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. »Weiter!« drängte Delmer hinter ihr. »Weiter, Jeannie! Sie dürfen uns nicht einholen!« Endlich erreichten sie den Abschluß der Feuerleiter. Sie sprangen auf die Straße. Delmer ergriff die Hand seiner Schwester. »Komm!« keuchte er und rannte los. »Nicht so schnell!« stöhnte Jeannie. »Ich kann nicht so schnell laufen, Delmer!«
»Du mußt! Reiß dich zusammen! Du mußt!« Sie liefen durch tiefe Regenpfützen. Das Wasser, von ihren Schuhen aufgestampft, spritzte bis an ihre Hüften hoch. Schon schnellten die drei Teufelinnen von der Feuerleiter. Sie jagten unglaublich schnell durch den dichten Regen, hinter ihren Opfern her. Bond schaute sich um. Jeannie war am Ende ihrer Kräfte angelangt. Die Schwester den grausamen Mörderinnen zu überlassen und die Flucht allein fortzusetzen kam für ihn nicht in Frage. Er hatte schon einmal eine solche Bestie besiegt. Er würde es wieder versuchen… Kroeger drosch den Dienstwagen durch den grauen Regenvorhang. Die Pneus rauschten über die klatschnasse Straße. Die Scheibenwischer wurden mit den vom Himmel fallenden Wassermassen kaum fertig. Dicke schräge Striche schraffierten die Nacht. Die Scheinwerfer hatten Mühe, die herrschende Dunkelheit aufzuhellen. Als der Captain den Dienstwagen um die Ecke zog, schrie Derek Winters auf: »Sir! Dort vorn!« Kroeger nickte. Er hatte Delmer und Jeannie Bond bereits selbst entdeckt. Und er sah auch die drei lederbehelmten Furien, die hinter ihnen herjagten. Bond zog sich mit seiner Schwester in eine Sackgasse zurück. Sarah, Selma und Paula dachten, ihr Ziel nun erreicht zu haben. Hier gab es keinen Ausweg mehr für ihre Opfer. Captain Kroeger ließ den Dienstwagen an die schmale Sackstraße heransausen. Er trat im letzten Moment auf die Bremse. Das Fahrzeug schlitterte über den glitschigen Asphalt und kam hart am Gehsteigrand zum Stillstand. »Raus!« bellte Kroeger nach hinten. Er federte selbst aus dem Wagen und zog unverzüglich seine Pistole. Winters zerrte Toschio Teneka in den Regen. »Was sollen wir hier?« fragte der Japaner grinsend. »Müssen wir unbedingt zusehen, wenn Jeannie und Delmer Bond abgeschlachtet werden?«
»Sie werden Ihre drei Schauergestalten auf der Stelle zurückpfeifen, Teneka!« schnarrte Kroeger. »Das werde ich nicht tun.« »Ich will ja, daß diese beiden Bonds sterben.« Kroeger drückte dem Japaner wütend die Waffe an den Kopf. »Mann, wenn Sie jetzt nicht sofort tun, was ich von Ihnen verlange, blase ich Ihnen Ihr krankes Hirn aus dem Schädel!« »Das dürfen Sie nicht, Kroeger. Sie sind Polizist! Solche Methoden sind nicht erlaubt.« »Lassen Sie das meine Sorge sein, Teneka. Ich werde es verantworten, verlassen Sie sich drauf. Wenn ich Pech habe, komme ich schlimmstenfalls ins Gefängnis. Dann sind Sie aber bereits in der Hölle!« Teneka schaute dem Captain in die zwingenden Augen. Er war nicht sicher, ob Kroeger die Wahrheit sagte, oder ob er bloß bluffte. »Sie werden nicht schießen!« sagte er. Aber er war sich dessen nicht sicher. »Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen!« knurrte Kroeger. In der Tiefe der Sackgasse standen Jeannie und Delmer Bond. Die drei schrecklichen Mädchen kümmerten sich nicht um Kroeger und die anderen. Sie kannten nur ein Ziel: die Ermordung dieses angstschlotternden Geschwisterpaares. »Schnell, Teneka! Rufen Sie diese miese Brut zurück!« fauchte Kroeger. Der Japaner watete durch eine Lache. »Selma! Sarah! Paula!« rief er in das unheimliche Rauschen des Regens hinein. Nun rollte ein gewaltiger Donner über die angespannte Szene. Keiner der Anwesenden beachtete es, daß er bis auf die Knochen naß war. Kroeger zielte haargenau auf Tenekas Kopf, als dieser sich achselzuckend umwandte. »Sie gehorchen mir nicht mehr.« »Versuchen Sie’s noch mal.« »Das hat keinen Zweck.« »Gehen Sie näher ran.« »Ich kann ihnen nichts mehr befehlen, Captain!«
»Dann werde ich zuerst Sie erschießen und dann Ihre drei Schauerfiguren!« bellte Kroeger hart. Die drei wahnsinnigen Mädchen standen drei Meter vor Jeannie und Delmer. Der Regen rann über ihre Lederhelme und über ihre bleichen Totengesichter. »Captain!« brüllte Delmer in namenloser Angst. »Ich flehe Sie an, tun Sie was!« Derek Winters fingerte nun ebenfalls seinen Revolver heraus. Er schlich näher an die drei Monster heran. »Warten Sie noch!« rief ihm Kroeger zu. »Vielleicht geht es ohne Blutvergießen ab.« Der Lieutenant nickte, zielte auf Sarah und wartete. »Selma! Sarah! Paula!« rief Teneka herrisch. Da wirbelte Selma wütend herum. Sie starrte den Japaner gereizt an. »Laß uns in Ruhe! Du hast uns nichts mehr zu befehlen, hörst du? Wir machen, was wir wollen. Und wir wollen töten! Diese beiden da wollen wir töten. Geh weg! Laß uns in Frieden! Sonst bringen wir auch dich um.« »Na los, Teneka! Zeigen Sie diesen Bestien, wer ihr Herr ist!« spottete Kroeger. »Ihr kommt sofort hierher!« brüllte der Japaner die Mädchen an. »Scher dich zum Teufel, Teneka.« »Laßt die beiden in Ruhe!« »Verschwinde, Teneka!« »Ihr habt mir zu gehorchen! Dir habt zu tun, was ich von euch verlange, denn ich habe euch geschaffen! Ihr seid meine Geschöpfe!« schrie der Japaner und trommelte mit den Fäusten auf seine Brust. Da verlor Selma Jones die Geduld. Mit einemmal war es ihr egal, wen sie tötete. Wichtig war für sie nur, daß sie einen Mord beging. Mit einem irrsinnigen Gelächter ging sie auf Toschio Teneka zu. Sarah und Paula folgten ihr. Der Japaner meinte, die Mädchen immer noch in der Hand zu haben. Er holte seine Silberkugel aus der Westentasche und versuchte die näher kommenden Mädchen zu hypnotisieren. Sie lachten ihn aus. »Was willst du damit?« fragte Selma kichernd.
»Bleib stehen, Selma!« befahl der Japaner scharf. Er starrte ihr in die tiefliegenden Augen, doch seit der Operation sprach das Mädchen auf seine hypnotischen Künste nicht mehr an. Sie hob den vom Regen reingewaschenen Fleischklopfer grinsend hoch. Das mordgierige Feuer flammte nun nur noch für Teneka. »Bleib stehen, Selma!« preßte Teneka wütend hervor. »Ich will nicht!« fauchte die Mörderin. Mit einem schnellen Sprung war sie bei dem Japaner. Der wollte zurückweichen, aber seine Beine waren mit einemmal wie gelähmt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das gräßliche Antlitz, das er geschaffen hatte. »Halt!« schrie Captain Kroeger, als Selma mit dem Fleischklopfer zuschlagen wollte. »Er gehört mir!« kreischte das Mädchen gereizt. »Mir! Und ich werde ihn töten!« »Das wirst du nicht!« brüllte der Captain mit voller Lautstärke. Selma stieß einen gereizten Fluch aus. Und dann schlug sie doch zu. Kroeger zog im selben Moment den Stecher seiner Waffe durch. Brüllend löste sich der Schuß aus dem Lauf. Selmas Hieb traf den Schädel des Japaners. Dann erst riß sie die Kugel herum. Sie tanzte jaulend im Kreis, fiel nicht. Blut quoll aus ihrer Brust. Teneka kippte röchelnd nach hinten. Paula und Sarah warfen sich auf ihn und zerfleischten ihn mit ihren Messern. Die schwerverletzte Selma griff nun schrill schreiend Lieutenant Winters an. Einfach deshalb, weil er ihr am nächsten war. Winters feuerte in panischem Entsetzen, als er die Furie auf sich zurasen sah. Doch seine Kugel ging daneben. Er war ein miserabler Schütze. Und noch schlechter schoß er, wenn er aufgeregt war. Selma Jones spannte ihren Körper. Sie war fast bei ihm, als Kroeger in Combatstellung sprang und die Mörderin mit einer blitzschnellen Kugel stoppte. Das Mädchen erstarrte und fiel wie ein Klotz in eine dreckige Pfütze. Sarah Black und Paula Walker beweinten Selmas Tod nicht. Sie versuchten da weiterzumachen, wo Selma aufhören mußte.
Kroeger schoß Paula das Messer aus der Hand. Sie raste wutkreischend auf ihn zu. Er empfing sie mit einem gewaltigen Aufwärtshaken. Dann riß er sie blitzschnell herum und fetzte ihr den ledernen Helm vom Kopf. Sirrend spannten sich die Drähte. Paula stieß ein entsetztes Geheul aus. Ekelhaft leuchtete dem Captain die knallrote Narbe entgegen. Als die Drähte aus Paulas kahlem Kopf schnellten, war es aus mit ihr. Zuckend fiel sie zusammen. Sie starb in derselben Sekunde. Winters verfuhr mit Sarah Black in ähnlicher Weise. Der schaurige Spuk war mit einemmal vorbei. Vier Tote lagen in der kleinen Sackstraße. Und der Regen spülte ihr Blut gurgelnd in den Gully. Was nun kam, war für Kroeger und Winters eiskalte Routine. Delmer und Jeannie Bond wurden mit einem schweren Nervenschock ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Die vier Toten landeten vorübergehend im Leichenschauhaus. Kroeger brachte den Lieutenant nach Hause. »Sie sollten Schießen üben, Winters! Sie ballern verdammt schlecht. Statt dieses Mädchens, das sie angriff, hätten Sie beinahe Ihren großen Zeh getroffen.« Winters hob die Schultern und erwiderte müde: »Sie wissen, wie ich zu Waffen stehe, Sir.« »Diese Einstellung ist gewiß nicht die schlechteste, Lieutenant Winters. Doch wie sich gezeigt hat, ist es manchmal lebensnotwendig, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.« »Ich werd’s mir hinter die Ohren schreiben, Captain.« »Sie waren mir trotzdem eine große Hilfe, Lieutenant. Wissen Sie was? Ab morgen darf in meinem Büro wieder geraucht werden.« Winters schmunzelte. »Vielleicht sollte ich mir wirklich eine andere Zigarettenmarke zulegen.« »Das würde ich gewiß begrüßen.« Winters nickte zum Abschied. Dann sprang er in den Regen hinaus und verschwand kurz darauf in dem Haus, in dem er wohnte.
Am nächsten Tag um neun waren die beiden Polizisten schon wieder im Dienst. Schlaffe, fahle Wangen. Dunkelgraue Ringe unter den Augen. Urlaubsreif. Nachdem sie an ihrem ersten Bericht herumgefeilt hatten, forderten sie bei der Fahrbereitschaft einen Dienstwagen an. Damit fuhren sie zu Tenekas verwaistem Haus. Nun gingen sie mit Muße alle Aufzeichnungen durch, die der Japaner hinterlassen hatte. Sie stießen auf einige erschütternde Fakten. Das Telefon schlug an. »Kroeger!« meldete sich der Captain. »Oh!« rief ein Mädchen am anderen Ende des Drahtes. »Sollte ich mich so verwählt haben?« »Miß Dobbs?« fragte Donald Kroeger. »Ja.« »Von wo rufen Sie an?« »Von zu Hause. Ist Toschio nicht da?« »Ich muß mit Ihnen reden, Miß Dobbs.« »Über Toschio?« »Ja.« »Was ist mit ihm, Captain? Es ist doch hoffentlich… alles in Ordnung?« »Ich fahre gleich los«, sagte der Captain ausweichend, und ehe sie eine weitere Frage stellen konnte, legte er auf. Er trug dem Lieutenant auf, sich weiter in Tenekas Haus umzusehen. Dann ging er. Zwanzig Minuten später klingelte er bei Veronica Dobbs. Ihr Blick drückte große Besorgnis aus. Kroeger hatte es nicht fair gefunden, ihr mit schönen Worten zu kommen. Früher oder später mußte sie ja doch die ganze Wahrheit erfahren. Und Donald Kroeger war dafür, daß sie diese Wahrheit gleich jetzt erfuhr. Er bat sie, sich einen Whisky zu nehmen. Und dann begann er zu erzählen. Das Mädchen wurde von Minute zu Minute fahler. Was der Captain ihr zu sagen hatte, war haarsträubend. Sie hatte von alldem nicht die geringste Ahnung gehabt.
Sie hatte nichts von Tenekas Wahnsinnsplänen gewußt, die unter anderem eine Gehirnoperation an Kakuei Kimura und eine ebensolche an ihr vorgesehen hatten. »Gott, wie schrecklich!« preßte Veronica Dobbs erschüttert hervor, als der Captain geendet hatte. Ihre Stimme klang tränenerstickt. Sie blickte Kroeger fassungslos an. »Und mit solch einem Menschen war ich verlobt!« Kroeger nickte bewegt. »Ja, Miß Dobbs. Sie waren die Braut des Satans!«
-ENDE-