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Siegrid FuĖs Franz Fazekas
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Siegrid FuĖs Franz Fazekas
Diagnose Multiple Sklerose Unser gemeinsamer Weg zu Lebensqualität mit MS
Prof. Dr. Siegrid Fuchs Prof. Dr. Franz Fazekas Medizinische Universität, Universitätsklinik für Neurologie, Graz, Österreich
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2009 Springer-Verlag/Wien · Printed in Austria Springer Wien New York ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Der Abdruck der in diesem Werk veröffentlichten Kunstwerke erfolgte nach Absprache mit, und im Einverständnis zwischen, Autoren und Urhebern. Umschlagbild: iStockphoto/Piggyback/Izabela Habur Satz: PTP-Berlin, Protago-TE X-Production GmbH, 10781 Berlin, Deutschland www.ptp-berlin.eu Druck: Holzhausen Druck und Medien GmbH, 1140 Wien, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 12190805 Mit 6 (teilweise farbigen) Abbildungen Bibliograĺsche Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograĺe; detaillierte bibliograĺsche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN
978-3-211-79272-8 SpringerWienNewYork
Geleitwort
Es gibt Fachbücher zur Multiplen Sklerose, in denen die Krankheit, sozusagen als Abstraktum erklärt wird – diese sind wichtig für die Fachleute, die sich mit Patientinnen und Patienten, die an dieser Krankheit leiden, beschäftigen und sie betreuen. Darin liest man über das, was den vielen Betroffenen gemeinsam ist, von Forschungsergebnissen, Therapiestudien, von Geschichtlichem: Erreichtem und Anzustrebendem. Es gibt auch eine Vielzahl von Ratgebern, in denen Betroffene selbst zu Worte kommen und aus der Erst-PersonPerspektive berichten, was es heißt, mit dieser Krankheit leben zu müssen. Das vorliegende Buch der bekannten Multiple Sklerose Experten Siegrid Fuchs und Franz Fazekas aus Graz ĺndet eine glückliche Mischung von beiden Perspektiven, indem die wissenschaftlichen Kenntnisse sorgfältig dargestellt und kritisch hinterfragt werden, immer aber auch Betroffene zu Worte kommen, die mit ihren schriftlichen Darstellungen und eindrücklichen Bildern anderen PatientInnen Mut machen, indem sie eine wichtige „Trotz-Haltung“ aus eigener und deshalb glaubwürdiger Erfahrung demonstrieren. Für Ärztinnen und Ärzte ist eine Übersetzungsarbeit immer unumgänglich und besonders anspruchsvoll, die darin besteht, Ergebnisse aus der Forschung, die an einer großen Zahl von PatientInnen oder aus Laborversuchen gewonnen wurden, richtig zu beurteilen und zu gewichten und dann im Einzelgespräch den Betroffenen und ihren Angehörigen so zu vermitteln, dass diese sie auch verstehen und in ihrem oft schwierigen Alltag anwenden können. Die Tragfähigkeit einer guten Arzt-PatientInnen Beziehung, die sich bei einer chronischen Krankheit wie der Multiplen Sklerose immer über Jahre und Jahrzehnte
Geleitwort
V
erstreckt, ergibt sich gerade aus diesem immer wieder notwendigen Perspektivenwechsel: dass der Arzt/die Ärztin die Forschungsergebnisse kennt, die Therapie nach etablierten und erweiterbaren Kriterien gewichtet und anwendet, aber immer auch aus großer Erfahrung Berichte von Betroffenen in die Ratschläge und Handlungen einbezieht. Das vorliegende Buch ist eine ausgezeichnete Anleitung und Grundlage dafür. Es ist ihm eine weite Verbreitung bei MS-Betroffenen und ihren Angehörigen zu wünschen, besonders aber auch bei den sie betreuenden ÄrztInnen und TherapeutInnen!
Prof. Jürg Kesselring Präsident der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft Ehem. Präsident von ECTRIMS und des International Medical and Scientiĺc Board der Multiple Sclerosis International Federation (MSIF)
VI
Geleitwort
Geleitwort
Dieses Buch ist ein Begleiter für das Leben mit Multipler Sklerose von der Diagnose bis zu den verschiedenen Krankheitsstadien. Der MS Betroffene kann sich in den unterschiedlichen Porträts der Erkrankungen wieder ĺnden. So entsteht das Gefühl, nicht allein mit der Krankheit zu sein. Das Erkennen – ich bin nicht allein betroffen, viele wie ich sind es auch – ist tröstlich. Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung und den Umgang mit der Erkrankung im täglichen Leben vermittelt das Buch auf ganz einzigartige liebevolle und authentische Weise. Seelische Verletzungen und körperliche Veränderungen durch die Erkrankung lernt der Leser zu verstehen und an ihrer Überwindung mitzuwirken. Über die Hilfe zur Akzeptanz der Erkrankung mit ihren Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hinaus vermitteln die Autoren hochkompetentes Fachwissen zu medizinischen Fragen. Der informierte MS Kranke kann mit diesem Wissen aktiv an den therapeutischen Entscheidungsprozessen mitwirken. Dieses Buch ist nicht nur für MS Erkrankte selbst und deren Umfeld zu empfehlen, sondern ist auch für medizinisches Fachpersonal eine Basis für den verständnisvollen Umgang mit MS Kranken. Ich beglückwünsche die Autoren zu diesem ganz besonders lebensnahen Ratgeber.
Prof. Dr. med. Judith Haas
Geleitwort
VII
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser! Sie halten ein Buch in Händen, das als Ratgeber für MS-Betroffene geschrieben wurde. Der ursprüngliche Plan war, mit diesem Buch sachliche Informationen über MS zu vermitteln, Betroffene sollten dafür kleine Beiträge mit einer Schilderung ihrer Seite der Problematik liefern. Schon nach Einlangen der ersten Rückmeldungen war für uns klar, dass die von den MS-Betroffenen gelieferten Beiträge so großartig sind, dass die Sachinformation – obwohl durchaus auch wichtig – in der Bedeutung und auch in der Übermittlung einer Hilfestellung für Betroffene qualitativ gar nicht mithalten kann. Letztendlich ist ein Buch entstanden, das von Betreuungspersonen, aber vor allem auch von selbst Betroffenen für andere MS-Betroffene geschaffen wurde, zur Hilfestellung bei Sachfragen, aber auch als Ausdruck von Solidarität, Verständnis und – da ja auch selbst Betroffene dies übermitteln – von tiefem und echtem Mitgefühl für Menschen mit MS. Das Endprodukt ist für uns ein Beispiel dessen, was im Leben mit MS entstehen sollte: ein gemeinsamer Weg, den Menschen mit MS mit ihren behandelnden und betreuenden Personen gehen, um die Erkrankung zu bewältigen, in ihr Leben zu integrieren und – auch bei Beeinträchtigung durch diese chronische Erkrankung – trotzdem eine selbstbestimmte und positive Lebensform zu ĺnden. Natürlich entsprechen diese Geschichten, Gedanken und Bilder nicht unbedingt allen MS-Patientinnen und -Patienten. Menschen, die Werke schaffen können, wie wir sie in diesem Buch zeigen dürfen, sind außergewöhnlich. Es kommen ohne Zweifel zu einem großen Teil auch ausgewählte Personen zu Wort, die sich entsprechend intensiv mit der Krankheit auseinandergesetzt haben. Aber auch einfach im Alltag angesprochene Patientinnen und Patienten lieferten auf zwei Fragen („Was haben Sie von Ihrer MS-Erkrankung gelernt?“ und „Was würden Sie anderen MS-Betroffenen als Ratschlag übermitteln wollen?“) durchwegs nachdenkliche, philosophische und weise Beiträge.
Vorwort
IX
Wir würden uns wünschen, dass dieses Buch von vielen, die mit MS zu tun haben, gelesen wird, von selbst Betroffenen, aber auch von Angehörigen, Behandlungs- und Betreuungspersonen. Es sollte aber auch bei gesunden Menschen Interesse ĺnden, auch wenn sie sich mit Krankheit und Behinderung bisher wenig beschäftigen mussten. Denn die Beiträge der Betroffenen liefern unschätzbare Gedankenanstöße und öffnen den Blick für menschliche Größe und Mut in der Lebensbewältigung. Wir möchten dieses Buch jedenfalls allen Menschen mit MS widmen, mit einer tiefen Verbeugung und in großem Respekt vor der Kraft, die sie im Umgang mit ihrer Erkrankung beweisen.
Siegrid Fuchs und Franz Fazekas
X
Vorwort
InhaltsverzeiĖnis Danksagung
XIII
Multiple Sklerose: Variationen einer Lebensgeschichte
1
Kapitel 1: Ich habe MS – wie kann mir ein Buch helfen?
5
Kapitel 2: Was stellt man sich unter MS vor?
11
Kapitel 3: MS im Wandel der Zeit
17
Kapitel 4: Warum habe gerade ich MS?
29
Kapitel 5: Was erwartet mich mit der Diagnose MS?
39
Kapitel 6: Stimmt meine Diagnose überhaupt?
61
Kapitel 7: Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
87
Kapitel 8: Kann man MS überhaupt behandeln?
101
Kapitel 9: Hilfe, ich habe schon wieder einen Schub!
127
Kapitel 10: Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
135
Kapitel 11: Sind sanfte Methoden nicht viel besser?
147
Kapitel 12: Was kann ich selber tun, um meinen Zustand zu bessern?
157
Kapitel 13: Was können andere für mich tun?
173
Kapitel 14: Wer will mich denn noch mit meiner Krankheit?
191
Kapitel 15: Ich wünsche mir ein Kind, darf ich das mit MS?
205
Kleines MS Wörterbuch
215
Abkürzungen
221
Index
223
Inhaltsverzeichnis
XI
Herzlichen Dank allen Patientinnen und Patienten der Multiple Sklerose Ambulanz der Neurologischen Universitätsklinik Graz für alles, was wir im Lauf vieler Jahre von ihnen lernen durften, für die vielen Gedanken und die guten Beispiele in der Lebensbewältigung, die sie uns als Anregung für dieses Buch gegeben haben. Wir bedanken uns auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns stets durch ihre engagierte Arbeit unterstützen. Ein besonderer Dank gilt aber allen MS-Patientinnen und -Patienten, die für dieses Buch mit ihren Bildern, Geschichten und Gedanken zur MS einen aktiven Beitrag geleistet haben.
Siegrid Fuchs und Franz Fazekas
Danksagung
XIII
Multiple Sklerose: Variationen einer LebensgesĖiĖte MS verändert das Leben der Menschen, die davon betroffen sind, ganz massiv. Aber auch die Menschen mit MS können verändern, können beeinĻussen, können ihr Schicksal in die Hände nehmen. Nicht alles ist dabei lenkbar, aber einige doch sehr bedeutende Möglichkeiten stehen offen. Wir dürfen das so locker behaupten, denn diese Information haben wir von unseren Patientinnen und Patienten erhalten, die uns durch ihr Beispiel, durch ihre Lebensführung und ihr Verhalten gezeigt haben, wie man Chancen nützen und Probleme zum Besseren wenden kann. Bevor MS-Betroffene in diesem Buch selbst mit ihren (wahren!) Erfahrungen zu Wort kommen, dürfen wir in einer kleinen erfundenen Geschichte einige der möglichen Varianten beschreiben, wie sich ein Leben mit MS entwickeln kann. Diese soll helfen, die vielen Informationen der folgenden Kapitel dieses Ratgebers zu veranschaulichen.
Die GesĖiĖten der ANNA M. Anna M. war 24 Jahre alt, jung und übermütig, voller Pläne und Wünsche an die Zukunft. Sie studierte Psychologie und Pädagogik, war sportlich aktiv in der Freizeit als Skaterin, Läuferin und Bergsteigerin, hatte einen großen Kreis von Freundinnen und Freunden und liebte es, abends durch die Diskotheken zu ziehen. Nach Anstrengungen und durchfeierten Nächten nahm sie die Einschränkung ihrer Sehkraft zuerst gar nicht richtig zur Kenntnis, erst als die Symptome andauerten und sich auch nach einigen Tagen nicht besserten, suchte sie ihre Hausärztin auf. Nach einigen Untersuchungen wurde die Diagnose „Opticusneuritis“ gestellt. Die Veränderungen in der MRT ließen auf eine Erstmanifestation von MS schließen.
Die Geschichten der ANNA M.
1
FortsetzungsmögliĖkeiten der GesĖiĖte 10 Jahre später Variante 1 Anna M. hat Glück. Sie hatte unter der Diagnose einer möglichen MS einige Zeit gelitten, dann aber zeigte sich nach und nach, dass sich in ihrem Leben nichts änderte. Es kamen keine weiteren Symptome, das Studium wurde fortgesetzt und beendet. Anna M. fand einen Job, der ihre Vorstellungen erfüllte. Ihre Freizeitaktivitäten setzte sie zum großen Teil fort, das Nachtleben änderte sich bei Gründung einer Familie. Anna M. hat inzwischen zwei Kinder und kaum Beschwerden. Sie ist sich über das Risiko einer weiteren Beschwerdesymptomatik im Klaren, lebt aber ansonsten ohne Beeinträchtigung durch die Krankheit.
Variante 2 Anna M. hat Glück. Es kommen keine weiteren Symptome von MS hinzu, die MRT Veränderungen sind nicht mehr geworden. Trotzdem ist Anna M. mit ihrem Leben nicht zufrieden. Sie hat aus Angst vor neuen Beschwerden alle sportlichen Betätigungen aufgegeben. Vom Freundeskreis fühlte sie sich unverstanden, sie hatte den Eindruck von zu geringer Rücksicht auf ihre Krankheit. Letztlich haben sich die Bekanntschaften zerstreut, und es sind keine neuen hinzugekommen. Das Studium schien Anna M. zu anstrengend, sie hat es abgebrochen, Beschäftigung konnte sie keine ĺnden. Die Eltern versuchen nach Kräften, Anna M. zu unterstützen, sie fühlt sich dadurch aber zu sehr bevormundet, und es kommt häuĺg zu Streitereien. Anna M. kann sich gut bewegen, hat keine Ausfälle durch die MS, ihr Leben ist aber trotzdem nicht so, wie sie es sich gewünscht hat.
Variante 3 Anna M. hat Glück. Die MS ist zwar leider nicht ganz ohne Symptome geblieben, beeinträchtigt sie aber nur wenig. Das Studium konnte sie beenden, der Job in der Kinderbetreuung forderte allerdings zu
2
Multiple Sklerose: Variationen einer Lebensgeschichte
viel körperlichen Einsatz, den sie durch ihre Gangstörung nicht mehr leisten konnte. Anna M. suchte sich nach sorgfältiger Überlegung eine neue Herausforderung und machte eine Zusatzausbildung, die eine leitende Tätigkeit ermöglichte und vom Bürosessel aus durchgeführt werden kann. Die sportlichen Aktivitäten mussten zwar vermindert werden, aber Anna M. geht nach wie vor regelmäßig mit Walking Sticks auf die Laufstrecke und wandert gerne. Der Freundeskreis hat sich verändert, ist kleiner geworden. Aber Anna M. genießt die Kontakte mit Menschen, die vertraut und innig mit ihr umgehen und lange und intensive Gespräche lieben.
Variante 4 Anna M. hat Glück. Die MS ist zwar leider nicht ganz ohne Symptome geblieben, beeinträchtigt sie aber nur wenig. Trotzdem leidet sie sehr unter Beschwerden unterschiedlicher Art. Sie hat ihre Aktivitäten aufgegeben, Sport war anstrengend geworden. Nun hat sie allerdings einiges an Gewicht zugelegt. Das wiederum verursacht gemeinsam mit der Gangstörung Schmerzen in den Gelenken. Anna M. nimmt mehrere Schmerzmittel, ohne dadurch Besserung zu empĺnden. Medikamente und Inaktivität verstärken die ohnehin vorhandene Müdigkeit, Stuhlprobleme sind durch diese Umstände immer akuter geworden, sogar eine Operation wegen eines Darmverschlusses war schon notwendig gewesen. Die vielen Krankenstände haben letztlich zur Pensionierung geführt. Anna M.s Gedanken und Gespräche kreisen inzwischen hauptsächlich um ihre Beschwerden, die Besuche von Freundinnen und Freunden werden immer seltener.
Variante 5 Anna M. hat leider keinen guten MS-Verlauf. Schon bald nach der Sehnerventzündung folgten weitere Schübe, schon nach wenigen Jahren traten Gangstörungen auf, die zunehmend schlechter wurden und Anna M. in den Rollstuhl zwangen. Die beruĻiche Laufbahn wurde durch die Behinderung abgebrochen, Anna M. zog sich zurück. Aus Enttäuschung über die Lebensent-
Fortsetzungsmöglichkeiten der Geschichte 10 Jahre später
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wicklung wurde sie immer verbitterter. Freundinnen und Freunde versuchten für einige Zeit noch, sie an Unternehmungen zu beteiligen, gaben aber nach vielfachen Zurückweisungen auch auf. Anna M. ist, obwohl jung an Jahren, einsam und von der aktiven Welt abgeschnitten.
Variante 6 Anna M. hat leider keinen guten MS-Verlauf. Schon bald nach der Sehnerventzündung folgten weitere Schübe, schon nach wenigen Jahren traten Gangstörungen auf, die zunehmend schlechter wurden und Anna M. in den Rollstuhl zwangen. Anna M. brauchte einige Zeit, um diese Entwicklung zu verkraften. Letztlich aber siegte ihre immer positive und fröhliche Lebenseinstellung, und sie versuchte, trotz ihrer Behinderung lebhaft an der Welt Anteil zu nehmen. BeruĻich war nur noch eine Beschäftigung ohne körperlichen Einsatz möglich. Anna M. konnte aber einen Job in der telefonischen Beratung ĺnden, der ihre Qualiĺkation und Ausbildung gut nützt. Sport ist leider nicht möglich. Anna M. hat aber ihre Freude an der Literatur entdeckt. Es gibt kaum ein neu erschienenes Buch, das sie nicht schon nach kurzer Zeit ausĺndig macht und gelesen hat. Das ergibt eine Fülle von Gesprächsthemen mit dem Freundeskreis, in dem Anna durch ihr Wissen und auch durch ihre Geduld als Zuhörerin besondere Beliebtheit und Anerkennung genießt. Anna M. hat sich ihr Leben so nicht gewünscht und vorgestellt, andererseits aber viele Entwicklungen gefunden, die sie freuen und die ihr Leben erfüllen und fröhlich machen.
Möge dieses Buch eine Hilfe für alle Menschen mit MS sein, um für sich jeweils die beste Variante aus den vorhandenen Umständen zu entwickeln!
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Multiple Sklerose: Variationen einer Lebensgeschichte
I. E., weibliĖ „MS und iĖ“ Der Zeitpunkt, als ich erfuhr, dass ich an ,,Multipler Sklerose, Erstmanifestation“ erkrankt sei, war eigentlich nur mehr der Abschluss einer Zeit voll Grübelns, Nachdenkens, Hoffens und Selbstmotivation angesichts der Tatsache, dass sich in meinem Leben jetzt alles verändern würde ... ,,Krank zu sein“ war für mich im ersten Moment sehr schwer zu akzeptieren, da ich ein Mensch bin, der sich selbst sehr gut kennt und für den Krankheit ein ,,Handicap“ in unserer Gesellschaft darstellt. Nach einem anfänglichen seelischen Tief begann ich, Ursachenforschung zu betreiben, und wurde in vielen Punkten meines Lebens fündig – denn irgendwann spielt die Seele eines Menschen einfach nicht mehr mit und beginnt, sich zu wehren ... Daraufhin habe ich Bücher zum Thema MS gelesen, mich im Internet auf den MS-Seiten schlau gemacht und mich mit direkt und indirekt Betroffenen unterhalten – denn Information schützt und beruhigt (bis zu einem gewissen Grad!). Die Möglichkeit, in unserer heutigen Leistungsgesellschaft endlich einmal ,,schwach sein zu dürfen“ bzw. das Recht zu haben, einmal ,,nicht perfekt funktionieren zu müssen“, war für mich persönlich eine äußerst beruhigende Nebenerscheinung meines Krankheitsbildes. Seit der Diagnose Multiple Sklerose hat sich nach außen hin eigentlich in meinem Alltag so gut wie nichts verändert – meine Umgebung (sowohl privat als auch beruĻich) behandelt mich gleich wie eh und je (vielleicht nur ein bisschen behutsamer als vorher) … Gott sei Dank! Nur in meinem Inneren hat sich einiges verändert: – Ich versuche, mir genügend Ruhephasen zuzugestehen. – Ich bin nicht mehr die Erste, die HIER schreit, wenn es darum geht, mal wieder etwas für andere zu tun. – Ich versuche, meine seelischen Probleme mittels Therapie und Entspannungstechniken zu bearbeiten. – Ich tue mein Bestes, um STRESS zu vermeiden. – Ich gönne mir jeden Tag eine Kleinigkeit, die mir Freude bereitet.
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1. IĖ habe MS –
wie kann mir ein BuĖ helfen? 1.1 Kann ein BuĖ überhaupt in der Bewältigung einer Krankheit helfen? Die Frage ist völlig berechtigt, denn die Information, dass man an einer Erkrankung leidet, speziell an einer Erkrankung wie MS, die chronisch ist, für den Rest des Lebens vorhanden bleiben wird und wahrscheinlich auch eine Reihe von Einschränkungen und Problemen zur Folge hat, stürzt die Betroffenen zuerst einmal in ein tiefes Loch von Trauer und VerzweiĻung. Man wünscht, dass sich die Situation einfach aufklärt und als Irrtum herausstellt, dass die Befunde falsch waren und zu korrigieren sind. Man möchte alles noch einmal überprüfen, noch einmal besprechen, was von den Ergebnissen zu halten ist, sucht eine Expertin/einen Experten auf, um vielleicht doch eine andere Auskunft zu erhalten.
Kann ein BuĖ daran etwas ändern? Wenn die Diagnose aber dann doch als richtig akzeptiert werden muss, besteht zuerst wohl vor allem der Wunsch nach menschlicher Nähe, nach Trost und Zuspruch. Man möchte von den Angehörigen umsorgt werden, sich aussprechen können, angehört werden und sich verstanden fühlen.
Kann ein BuĖ das ersetzen? In Bezug auf die Erkrankung ist abgesehen von der Diagnosestellung eine Reihe von Informationen zu verarbeiten. Mögliche Verläufe und Symptome der MS sind zu erfahren, die Frage der Behandlungsmaßnahmen ist zu klären. Man sollte plötzlich Entscheidungen treffen über Therapien, von denen man bisher keine Ahnung hatte, die aber immerhin langzeitige und intensive Auswirkungen haben und auch noch mit verschiedenen Nebenwirkungen und Unannehmlichkeiten verbunden sind.
Kann ein Buch überhaupt in der Bewältigung einer Krankheit helfen?
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Kann ein BuĖ das erleiĖtern? Natürlich ist ein Buch, das als Ratgeber dienen soll, kein Ersatz für die liebevolle Unterstützung durch Angehörige oder für die fachkundige ärztliche Betreuung. Ausreichende Beratung sollte auch ohne Verwendung dieses Buches gegeben sein. Trotzdem gibt es eine Reihe von wichtigen Funktionen, die ein Ratgeber über MS erfüllen kann.
1.2 WelĖe Unterstützung bietet ein BuĖ als Ratgeber? MS ist eine chronische Erkrankung, in deren „Begleitung“ die Betroffenen eine lange Zeit ihres Lebens verbringen. Es entsteht sozusagen eine langjährige „Partnerschaft“ mit der Erkrankung. Um diese möglichst positiv leben zu können, ist es wichtig, viel über die Krankheit zu wissen, sie schon am Beginn so gut wie möglich kennenzulernen. MS ist ohne Zweifel auch mit vielen Unsicherheiten behaftet. Ganz kann man dieses Problem nicht aus der Welt räumen, aber sorgfältige Information ist wohl das beste Mittel, um Unsicherheiten in die richtige Perspektive zu rücken. Das hilft jedenfalls, um zumindest unnotwendige Ängste zu vermeiden. Wichtig ist auch, dass man sich mit der Hilfe eines Buches in Ruhe und mit eigenem Tempo mit den verschiedenen Themen und Fragen beschäftigen kann. Es ist auch möglich, unklare Kapitel langsamer und mehrfach zu lesen und besonders brennende Fragen intensiver und gründlicher zu erarbeiten. In den Aufklärungsgesprächen über MS werden die wichtigsten Fragen zur Krankheit besprochen und geklärt. Trotzdem bleiben immer wieder Fragen offen. Mit diesem Ratgeber steht eine Zusammenfassung der wesentlichsten Aspekte der Erkrankung und gleichzeitig ein Buch über den Umgang mit MS zur Verfügung. Es werden aber auch Themen angesprochen, die aus unterschiedlichen Gründen bei den Gesprächen im Rahmen der medizinischen Betreuung seltener diskutiert werden. Damit sollte letztendlich auch für schon gut vorinformierte Personen eine Erweiterung ihres Wissens über MS möglich sein.
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Ich habe MS – wie kann mir ein Buch helfen?
Dieser Ratgeber kann natürlich auch von Interesse sein, wenn man sich einfach über die Erkrankung selbst informieren möchte. Immer wieder wird ja von MS gesprochen und berichtet. Dabei sind die Sichtweisen und Schlussfolgerungen allerdings oft recht unterschiedlich. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich unser Wissen um die Erkrankung sowie unsere Möglichkeiten der Diagnose und Behandlung enorm erweitert. Wie MS heute zu sehen ist, können Sie hier nachlesen. Als letzten, aber wahrscheinlich wichtigsten Beitrag enthält dieses Buch aber auch Geschichten, Meinungen, Ratschläge und Bilder, beigesteuert von Frauen und Männern mit MS. In vielen Gesprächen hat sich immer wieder herauskristallisiert, dass die intensivste Hilfe und Unterstützung zur Bewältigung der Erkrankung von selbst Betroffenen kommt. Jene Personen, die bereit waren, Ihre Erfahrungen und Gefühle im Umgang mit MS schriftlich und bildnerisch zu Papier zu bringen, wollen damit anderen Betroffenen zur Seite stehen. Dafür gebührt ihnen nicht nur unser aller Dank, sondern auch ein großes Maß an Bewunderung! Sie haben sich ihre Erkrankung MS nicht ausgesucht, stehen aber vor der Aufgabe, ihr Leben mit ihrer „Partnerin MS“ gestalten zu müssen. Je besser Sie über die Erkrankung Bescheid wissen, umso vertrauter und dadurch sicherer werden Sie damit umgehen können. Dieses Buch soll Ihnen die dafür notwendigen Informationen liefern. Es will Sie aber auch mit den guten Wünschen aller, die daran gearbeitet haben, besonders aber mit der Solidarität der MS-Betroffenen, die für Sie Beiträge verfasst haben, begleiten.
Information über MS ist wichtig! Die Beschäftigung mit der Erkrankung und das Erwerben von Wissen erleichtern den Umgang und die Bewältigung. Nicht nur medizinisch ausgebildete Menschen, sondern auch andere MS-Betroffene können bei der Problembewältigung helfen.
Welche Unterstützung bietet ein Buch als Ratgeber?
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„ohne Titel“ Dieses Bild ist eine Spiegelung meines Lebens nach der Diagnose MS. Die Farbe Rot symbolisiert für mich Emotion und Wut, aber auch Feuer, Kraft und Leidenschaft. Das große Fragezeichen zeigt die vielen unklaren Fragen und Probleme, die sich durch die Krankheit ergeben, die Ungewissheit der Zukunft bei MS. Auch die Vergangenheit ist emotional nicht abgeschlossen (sonst wäre es vielleicht nicht so gekommen). Trotz des Fragezeichens steht der Lebensbaum fest verwurzelt und voller Kraft. Das ist mir wichtig, weil ich mir meinen Optimismus und meine Kraft hart erkämpft habe und mir das auch nicht nehmen lassen werde.
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Ich habe MS – wie kann mir ein Buch helfen?
K. R., weibliĖ „Die GesiĖter der MS“ „Welche „Gesichter“ habe ich bislang schon gesehen? Waren es „nur“ die guten, da es ein guter Verlauf ist? Wie viele Gesichter werde ich noch sehen? Wieso kann sich diese Krankheit immer wieder anders zeigen? Was soll/kann/muss ich tun, damit sie mir in Zukunft ein „freundliches“ Gesicht zeigt? Ich sehe in der Krankheit die „große Unbekannte“. Sie kommt, ohne eingeladen worden zu sein, und zeigt sich oder auch nicht. Wäre sie personiĺziert, würde ich sie als feige, hinterhältig, egoistisch und gemein beschreiben. Sie macht mich wütend, denn es ist nun mal nicht in Ordnung, einfach unangemeldet und derart präpotent in mein Leben zu platzen. Es gibt Momente, in denen ich versuche, sie so gut ich kann einfach nur anzunehmen. Womöglich verhält sie sich zurückhaltender, wenn ich mich ihr gegenüber netter verhalte?“
I. E., weibliĖ „Mein Bild von MS“ „MS ist eine Krankheit – und Krankheit verbindet jeder Mensch mit etwas Negativem. Ich sehe das Ganze als eine persönliche Herausforderung an mich selbst, wie sehr ich dazu fähig bin, das Beste aus dieser Situation zu machen ... MS ist die Chance, mir selbst zu beweisen, dass ich fähig bin, nicht alles zu kontrollieren und trotz alledem positiv meinen Weg zu gehen, komme, was wolle ...“
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2. Was stellt man siĖ unter MS vor? MS – die Krankheit mit den 1000 GesiĖtern Multiple Sklerose: Multipel bedeutet „mehrfach“, Sklerose bezeichnet eine Verhärtung. Die Bezeichnung beschreibt damit sich verhärtet anfühlende Veränderungen, die bei Obduktionen im Gehirn MS-Betroffener an vielen Stellen („mehrfach“) gefunden werden. Die Verhärtungen selbst sind Ausdruck einer Narbenbildung im Gehirn, das an diesen Stellen durch eine lokale Entzündung geschädigt worden ist. Enzephalomyelitis disseminata: Das ist ein anderer medizinischer Fachausdruck für MS, der sich aus folgenden Begriffen zusammensetzt: Enzephalon = das Gehirn Myelon = das Rückenmark -itis = entzündliche Veränderung des Gewebes disseminiert = verstreut
Ich stelle medizinischen Laien oft die Frage: „Was stellen Sie sich denn unter MS vor?“ Die Antworten auf diese Frage sind so vielfältig wie die Erkrankung selbst. Dazu einige Beispiele: „Das ist eine Krankheit mit Muskelschwund.“ „Das hat irgendwas mit Verkalkung zu tun.“ „Das ist was mit den Knochen.“ „Ich weiß nicht genau, was das ist, aber ich glaub man kommt damit in den Rollstuhl.“ „Ist das nicht die Krankheit, bei der man blöd wird?“ „Ich kann mir da gar nichts drunter vorstellen, aber es ist was sehr Schlimmes.“ „Also dazu fallen mir überhaupt nur M und S (= Matsch- und Schnee-) Reifen ein.“ Diese Antworten zeigen uns einerseits, dass das allgemeine Wissen über MS immer noch recht spärlich ist, andererseits auch, dass mit
MS – die Krankheit mit den 1000 Gesichtern
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diesem Begriff sehr viele negative und mit Ängsten besetzte Vorstellungen verbunden werden. Das Bild, das sich Menschen von MS machen, hat oft nicht wirklich mit der Krankheit MS zu tun. Ein Teil dieser Gedankenverbindungen leitet sich vermutlich vom Begriff „Multiple Sklerose“ ab. Sklerose (= Verhärtung) wird ja auch für die Veränderungen von Blutgefäßen im Rahmen von Verkalkungen verwendet, sodass die gedankliche Verbindung zur „Arteriosklerose“ (= Gefäßverkalkung) naheliegt. Andere Vorstellungen hängen mit Symptomen zusammen, die bei unterschiedlichen Erkrankungen auftreten können, sich aber nicht unbedingt speziĺsch mit MS in Verbindung bringen lassen. Aber auch die „richtigen“ Vorstellungen von der Erkrankung in der Bevölkerung sind sehr unterschiedlich. Dies entspricht durchaus auch dem Charakter der MS, deren Symptome sehr verschiedenartig sein können und bei der es sehr leichte Verläufe genauso wie solche mit schwerer Behinderung gibt. Diese Tatsache hat ja letztendlich auch zur Bezeichnung „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ geführt. Was aus den meisten Aussagen über Vorstellungen von MS aber auch hervorgeht, ist, dass die Krankheit einen „schlechten Ruf“ hat. Schon die Bezeichnung verursacht ein unangenehmes Gefühl, löst Ängste aus und ist mit der Vorstellung verbunden, dass es sich jedenfalls um „etwas Schlimmes“ handelt. Das ist natürlich nicht ganz falsch, denn eine Krankheit ist in jedem Fall nicht mit Freude und Glück in Verbindung zu bringen. Trotzdem muss man im Fall von MS diese Empĺndungen genauer unter die Lupe nehmen, denn MS ist eigentlich besser als ihr Ruf. Die allgemein bekannten Vorstellungen von MS entstehen nämlich in erster Linie dadurch, dass nur bei einem schweren Verlauf die Erkrankung durch die Verursachung einer sichtbaren Behinderung für außenstehende beobachtende Personen erkennbar wird. Das sind dann diejenigen MS-Fälle, mit denen man die Erkrankung gedanklich in Verbindung bringt und an deren Erscheinungsbild man sich erinnert, wenn der Begriff MS genannt wird. Die leichten MS-Verläufe sind bei Beobachtung ja nicht erkennbar. MS-Betroffene mit solchen Verläufen bewegen und verhalten sich wie gesunde Menschen. Sie können deshalb auch nicht durch einfaches Betrachten einer Er-
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Was stellt man sich unter MS vor?
krankung zugeordnet werden und prägen deshalb natürlich auch nicht das Bild der Erkrankung. Es ist daher wichtig, sich mit der Krankheit MS, ihren Symptomen und Verläufen sehr genau zu beschäftigen. Den vielen Gesichtern von MS sollte man besser in die Augen sehen, denn das schützt davor, dass diffuse Vorstellungen und kursierende Volksmeinungen falsche Ängste auslösen.
MS ist eine Erkrankung mit vielen unterschiedlichen Verläufen. Die allgemeine Vorstellung von MS ist durch die schlechten Verläufe geprägt, häujg ist MS aber viel besser als ihr Ruf!
MS – die Krankheit mit den 1000 Gesichtern
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„MS – Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ Die vielen Gesichter von MS sind nicht sichtbar, sie sind eigentlich auch nicht vorstellbar. Das erkrankte Gehirn wird durch die beiden Vierecke symbolisiert entsprechend der linken und rechten Gehirnhälfte. Diese Regionen sind düster als Symbol für das fehlende Wohlbeĺnden. Die Umgebung ist unruhig und durcheinander. Trotzdem zeigt die helle Farbgebung die eigene positive Einstellung zur Erkrankung.
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Was stellt man sich unter MS vor?
S. S., weibliĖ „Ich rate anderen MS Betroffenen, bei einem Schub nicht in Panik zu verfallen. Es gibt Hilfe, man kann an MS nicht sterben. Man sollte das Leben genau jetzt, als MS Betroffene, umso mehr LEBEN! Man soll einfach das tun, wozu man Lust hat (natürlich wenn es möglich ist). Man soll sich sehr wohl mit der Krankheit auseinandersetzen, aber sich damit nicht wahnsinnig machen.“
B. B., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, dass man viel mehr aushalten kann, als man früher gedacht hätte und trotzdem noch sehr viel Spaß am Leben haben kann!“
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3. MS im Wandel der Zeit 3.1 Die GesĖiĖte der MS MS ist inzwischen seit etwa 200 Jahren bekannt, ob die Krankheit davor nicht beschrieben wurde oder wirklich nicht existierte, wissen wir nicht. Schon immer waren Menschen mit MS sehr aufmerksame und bewusste Patientinnen und Patienten, darum verwundert es auch nicht, dass die erste Beschreibung der Erkrankung von einem MS-Betroffenen stammt. Sir Augustus d’Esté lebte 1794 bis 1848, er war ein außerehelich geborener Enkel König Georgs III von England und beschrieb in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sehr genau seine Beschwerden und die Entwicklung seiner Erkrankung. Von medizinischer Seite wurde die Krankheit maßgeblich durch die Beschreibungen von Jean-Martin Charcot (1825–1893) bekannt gemacht, der am Spital „La Salpêtrière“ in Paris unterrichtete. Er beschrieb als typische Symptome ein ausgeprägtes Zittern, Sprachund Gangstörungen und stellte auch den Verlust der Markscheiden (= Nervenhüllen) als wesentliche Veränderungen in Gehirn und Rückenmark fest. Heute wissen wir, dass Charcot ohne Zweifel eher schlechte und rasch fortschreitende Verläufe von MS vor Augen hatte. Das ist nachvollziehbar und gilt auch für die folgenden Jahrzehnte, für die sich bei fehlender sonstiger Abklärungsmöglichkeit ja nur die „typischen“ und rein klinisch diagnostizierbaren Fälle klar als MS zuordnen ließen. Damit entstand bis zu unserer Zeit ein Bild der Erkrankung, das durch die schwer behinderte Person im Rollstuhl geprägt war. Gefördert wurde diese Vorstellung noch von den Medien, die bei Berichten über MS gerne auf diese „eindrucksvolle“ Darstellung zurückgreifen. Erst in den letzten Jahren entstand eine Korrektur dieses einseitigen Bildes, nicht nur bedingt durch das Wissen über unterschiedlich schwere Verläufe, sondern auch auf Betreiben der MS-Betroffenen mit gutartigen Verläufen. Diese fühlen sich durch das Klischee der „MS, die unweigerlich im Rollstuhl endet“, nicht nur nicht verstanden, sondern verbinden mit dieser Darstellung und ihrer „Öffentlichkeitswirkung“ auch die durchaus berechtigte Sorge um ihre beruĻi-
Die Geschichte der MS
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che und gesellschaftliche Integration. Tatsächlich ist der Verlauf der Erkrankung bei zumindest 15–30 % der Betroffenen sehr gutartig, d. h., es kommt auch noch nach vielen Jahren zu keiner wesentlichen Behinderung. Natürlich haben auch die verbesserten Diagnosemethoden den Anteil gutartiger Krankheitsverläufe ansteigen lassen, da ja inzwischen wesentlich früher und bereits bei geringen klinischen Symptomen die Diagnose MS gestellt werden kann. So werden heute sicher vermehrt auch Erkrankungsfälle erfasst, die früher vielleicht nie als MS diagnostiziert worden wären. Die modernen Behandlungsmöglichkeiten stellen natürlich ebenfalls einen Faktor dar, der hilft, den Erkrankungsverlauf günstig zu beeinĻussen.
Die Vorstellung von MS hat sich auch im Lauf der Zeit geändert. Durch vermehrtes medizinisches Wissen und neue Diagnosemöglichkeiten werden zunehmend auch leichte Verläufe als MS erkannt. Dadurch entsteht langsam ein neues Bild der Erkrankung in der Öffentlichkeit.
3.2 GesĖleĖterverteilung bei MS MS gilt heute fast schon als „Frauenkrankheit“, da sie Frauen doppelt bis dreimal so häuĺg wie Männer betrifft. Auch diese Geschlechtsbetonung ist einem zeitlichen Wandel unterlegen. Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert wurde MS sogar häuĺger bei Männern beobachtet. In einer Fallserie von annähernd 2 000 Patientinnen und Patienten wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ein häuĺgeres Vorkommen bei Männern im Verhältnis 3:2 berichtet. Um 1940 scheint sich die Zahl der an MS erkrankten Männer und Frauen oder auch deren Erfassung in Studien schon geändert zu haben, sodass die amerikanische National MS Society berichtete, dass Männer und Frauen gleich häuĺg an MS erkranken. Eine größere Erkrankungshäuĺgkeit bei Frauen ĺndet sich in Untersuchungen ab 1950 bis 1970, allerdings immer noch mit relativ geringem Unterschied von 1,4 Frauen gegenüber einem Mann.
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MS im Wandel der Zeit
In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Verteilung von Frauen zu Männern allerdings bereits mit 2:1 angegeben, für manche Regionen wurde sogar ein noch höherer Anteil von Frauen berichtet. Zuletzt hat eine große kanadische Studie diese Entwicklung im Detail analysiert. Bevölkerungsbasiert und eingeteilt nach dem Geburtsjahr, wurden über 27 000 MS-Fälle in den Geburtsjahren von 1931 bis 1980 erfasst , davon waren 19 417 Frauen und 7 657 Männer, im Durchschnitt 480 Fälle pro Geburtsjahr. Es fand sich dabei ein signiĺkanter und fortschreitender Anstieg der weiblichen Betroffenen innerhalb der 50 untersuchten Jahre, wobei Frauen in Kanada zuletzt sogar 3,2-mal häuĺger als Männer an MS erkrankten. Ein seit Januar 2002 installiertes deutsches MS-Register lässt in unseren Breiten noch ein Geschlechter-Verhältnis von 2:1 mit also doppelt so häuĺg betroffenen Frauen annehmen. Eine Ausnahme stellt die primär fortschreitende MS dar. Von dieser Erkrankungsform sind nach wie vor tendenziell sogar Männer etwas häuĺger betroffen als Frauen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine französische Studie, in der ein Anstieg der MS-Fälle über 10 Jahre beschrieben wird. Dabei bleibt die Zahl der betroffenen Männer gleich, die Zahl der betroffenen Frauen steigt aber an. Die Ursachen für diese Verschiebung im Betroffensein der Geschlechter sind noch weitgehend unklar. Es ist wohl ein Zusammenwirken vieler Faktoren wie etwa geänderte UmwelteinĻüsse und Lebensgewohnheiten anzunehmen.
MS betrifft Frauen derzeit mehr als doppelt so häujg wie Männer. Dieses Verhältnis scheint sich im Lauf der Zeit verändert zu haben, der Anteil der betroffenen Frauen wird größer.
Geschlechterverteilung bei MS
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3.3 Entwiėlung der Diagnosemethoden Krankheitsschübe prägen noch immer maßgeblich den Verlauf der Erkrankung. Während aber früher angenommen wurde, dass die Erkrankung zwischen dem raschen Auftreten neuer Symptome ruht, weiß man heute, dass diese schubförmigen Verschlechterungen eigentlich nur die Spitze des Eisbergs der Krankheitsaktivität darstellen. Diese und andere wesentliche Erkenntnisse der Abläufe bei MS verdanken wir der Einführung der Magnetresonanztomograĺe (MRT). Es ist erst etwas mehr als 25 Jahre her dass Young und Mitarbeiter erste MRT-Bilder von MS-Veränderungen veröffentlichten. Bald darauf wurde klar, dass die mittels MRT erkennbare Krankheitsaktivität etwa 5- bis 10-mal größer ist als klinisch vermutet, d. h., während es zu einem klinisch erkennbaren Krankheitsschub kommt treten in der MRT im Durchschnitt etwa 5–10 neue Läsionen (= veränderte Stellen im Gehirngewebe) auf. Interessanterweise ist die Korrelation zwischen dem Auftreten neuer Läsionen und tatsächlichen Krankheitsschüben aber nur sehr begrenzt. Mit zunehmender Erfahrung wurde auch klar, dass die Form und Verteilung von MS-Läsionen relativ charakteristisch ist, wenn es auch durchaus Überschneidungen mit sogenannten „zufälligen“, meist durch das Lebensalter bedingten Signalveränderungen des Gehirns geben kann. Einen weiteren großen Fortschritt bedeutete die Einführung der kontrastmittelunterstützten MRT. Durch Verabreichung von Substanzen, welche im Falle einer akuten Entzündung die durchlässig gewordene Blut-Hirn-Schranke passieren, können aktive, d. h. frisch aufgetretene MS-Herde ganz speziĺsch nachgewiesen werden. Diese direkten Einblicke in das Krankheitsgeschehen haben in weiterer Folge dazu geführt, dass MRT-Befunde nicht nur einen festen Stellenwert in der Diagnose der MS gefunden haben – vor allem was die frühe Diagnose betrifft –, sondern auch ein wesentliches Instrument für die Beurteilung der Wirksamkeit neuer Behandlungsansätze im Rahmen von Therapiestudien geworden sind. Neuere MRT-Techniken wie die diffusionsgewichtete MRT haben schließlich aufgezeigt, dass MS vermutlich auch mit diffusen Veränderungen des Gehirngewebes verbunden sein dürfte.
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MS im Wandel der Zeit
Die Magnetresonanztomograje (= MRT = Kernspintomograje) bietet uns nicht nur eine wesentlich verbesserte Möglichkeit der Diagnosestellung, sondern hat uns auch wichtige Einblicke in die Natur der Erkrankung ermöglicht und zeigt, dass die Erkrankung auch ohne klinischen „Schub“ aktiv sein kann.
3.4 Entwiėlungen in der Therapie Für viele Jahrzehnte galt MS als eine Erkrankung, deren Therapie der göttlichen Obsorge überlassen werden musste. Therapeutische Versuche unterschiedlichster und teils abenteuerlicher Art wurden unternommen, kontrollierte Untersuchungen zur tatsächlichen Wirkung von Therapien waren nicht vorhanden. Im Jahre 1986 wurden von der National Multiple Sclerosis Society der USA die damals angewendeten Therapien der MS gesammelt und bewertet. Diese Sammlung enthält 148 unterschiedliche Therapieverfahren, welche von der Fiebertherapie über Gabe von Lebertran, Schlangengift, Pferdeserum und Quecksilber bis zur Implantation von Schweinehirn (EinpĻanzung von Teilen eines Schweinehirns unter die Bauchdecke), von harmlosen und einfach unwirksamen bis zu höchst gefährlichen Methoden reichen. In kontrollierter Form und nach heutigen Vorstellungen untersucht war keine dieser Therapien. Auch Interferone werden in dieser Sammlung schon erwähnt, allerdings mit dem Hinweis, dass noch keine ausreichende Beurteilung möglich ist. Erste kontrollierte Studien über die Wirksamkeit von Interferonen bei MS waren zu dieser Zeit bereits in Planung. Der vermutlich eindrucksvollste Wandel in der Therapie der MS war aber nicht die Tatsache, dass 1993 schließlich die erste Studie publiziert wurde, die über die Wirksamkeit von Interferon-ß bei MS berichtete, sondern der geänderte Umgang mit der Durchführung und der Beurteilung der Ergebnisse von Studien allgemein. Zunehmend wurden hohe Anforderungen an das „Design“, d. h. an die Planung, Durchführung und Auswertung von Medikamentenstudien gestellt. Wir verlangen heute, dass „harte“ Daten aus mehreren Studien zu Wirkung und Nebenwirkungen einer Behandlungsmethode vorliegen, bevor sie breiter angewendet wird. Der Einsatz thera-
Entwicklungen in der Therapie
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peutischer Maßnahmen ohne entsprechenden Beweis ihrer Wirksamkeit ist heute nicht mehr denkbar. Trotz dieser AuĻagen hat sich mittlerweile eine Reihe von Therapien als wirksam etabliert. MS ist damit von einem unabänderlichen Schicksal zu einer behandelbaren Erkrankung geworden, mit der die Betroffenen berechtigt hoffen können, dass sie ein selbstbestimmtes Leben mit Erfüllung persönlicher Wünsche und Ziele führen können.
MS ist zwar immer noch nicht heilbar, wir können sie aber mittlerweile durchaus gut behandeln. Grundsätzlich sollen dabei nur Therapien zur Anwendung kommen, deren Wirkung in Studien auch sorgfältig belegt werden konnte.
3.5 Umgang mit MS-Betroěenen im Wandel der Zeit MS-Betroffene sind bedingt durch das Auftreten der Erkrankung zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr meist junge, aktive, intelligente und Ļexible Menschen. Über viele Jahrzehnte wurde das aber völlig ignoriert und MS-Betroffene wurden auf die Eigenschaft „MSkrank“ beschränkt. Diese Einschätzung und das Gefühl der therapeutischen HilĻosigkeit hatten zur Folge, dass die Erkrankung zwar von ärztlicher Seite erkannt, die Diagnose den Betroffenen in der Regel aber nicht vollinhaltlich mitgeteilt wurde. Die Begründung dafür war die (allerdings entmündigende) Annahme, dass MS-Betroffene diese Information mit all ihren Konsequenzen wohl kaum ertragen könnten. Aufklärung über das Vorliegen einer MS war also nicht nur nicht üblich, sondern wurde manchmal sogar als „Kunstfehler“ bezeichnet. In jedem Fall wurde empfohlen, wenigstens den Begriff „Multiple Sklerose“ nicht zu verwenden. Diese Praxis änderte sich durch die Gesetzgebung, die ja zur Aufklärung verpĻichtet, nur bedingt. Erst die Einführung von wirksamen Medikamenten und die damit einhergehende Chance, den Erkrankungsverlauf schon früh zu beeinĻussen, hat ein Umdenken bewirkt. Gleichzeitig hat eine Reihe von Untersuchungen auch belegt, dass
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MS im Wandel der Zeit
die meisten Betroffenen eine umfassende und einfühlsame Aufklärung über das Vorliegen von MS der Ungewissheit einer unklaren, unbestimmten Diagnosestellung eindeutig vorziehen. Durch den inzwischen sehr raschen und einfachen Zugang zu qualitativ sehr unterschiedlichen Informationen aus dem Internet hat sich die Notwendigkeit der ausführlichen und kompetenten Wissensweitergabe an MS-Betroffene noch weiter intensiviert.
Über das Vorliegen von MS und die damit verbundenen Konsequenzen ausführlich informiert zu werden ist nicht nur ein Recht, sondern wird von den meisten Betroffenen auch als erleichternd empfunden. Die fortbestehende Unsicherheit ist durch das Verschweigen der Diagnose viel schwerer zu ertragen und verhindert die notwendige Auseinandersetzung mit der Krankheit.
3.6 Der Umgang mit der Erkrankung im Wandel der Zeit Mit der Diagnosestellung wurde früher natürlich auch eine lange Reihe von Verboten als Konsequenz der Erkrankung vermittelt. MS-Betroffenen wurde verboten, Kinder zu bekommen, Reisen zu machen oder Sport zu betreiben. Impfungen wurden als gefährlich abgelehnt und Alkohol und Nikotin untersagt. Zu den meisten dieser Verbote gibt es heute, unterstützt von entsprechenden Studienergebnissen, klare Aussagen. Dass Schwangerschaft MS nicht verschlechtert, wurde inzwischen mehrfach belegt, auch die genetischen Bedingungen sind gut bekannt und einschätzbar. Ein Verbot einer Schwangerschaft bei MS würde heute daher wohl niemand mehr aussprechen. Auch das eventuelle Risiko durch eine Impfung ist zumindest für die gängigen Impfungen einschätzbar, und es sind stabile Empfehlungen möglich. Rauchen allerdings ist nach wie vor zu untersagen. Dabei ist mittlerweile nicht nur der allgemeine die Gesundheit gefährdende Aspekt zu beachten, sondern es mehren sich auch die Hinweise, dass Rauchen MS schwerer verlaufen lassen könnte.
Der Umgang mit der Erkrankung im Wandel der Zeit
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Zur Frage sportlicher Aktivität hat sich die Einstellung vermutlich in der gesamten Medizin verändert. Es wird nicht mehr „zu Tode geschont“, sondern der Wert von Bewegung und Training generell hoch angesetzt. Auch für MS-Betroffene wird inzwischen nicht mehr von Sport abgeraten, sondern die Wichtigkeit von Trainingsaktivitäten klar empfohlen.
Der Umgang mit MS sowie die vermittelten Informationen und Empfehlungen unterliegen einem ständigen Prozess der Veränderung. Neue Methoden und Erkenntnisse haben zu einem offeneren Umgang mit der Erkrankung und mit den MS-Betroffenen geführt. Viele „traditionell“ ausgesprochene Verbote haben ihre Berechtigung verloren.
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„ohne Titel“ Auf den ersten Blick scheint manchmal etwas nicht so gut zu sein, aber bei genauerem Betrachten ändert sich dieses Bild und verwandelt sich in etwas Positives. Zuerst scheint der Mann traurig zu sein, aber eigentlich ist er es dann doch nicht. Die Dinge sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen.
Der Umgang mit der Erkrankung im Wandel der Zeit
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M. W., männliĖ „Es gibt eine Reihe von Botschaften, die ich anderen MS-Betroffenen übermitteln möchte: Lebt „bewusst“! D.h., genießt die Zeit, in der ihr gesund seid und habt Geduld, wenn ihr „krank“ seid. Meine Lebenserfahrung ist, wenn eine Tür zufällt, gehen andere Türen dadurch auf. Alles im Leben hat einen Sinn! In der Krise können wir diesen jedoch vielleicht noch nicht erkennen, aber nach Monaten/Jahren erkennt man den Sinn. Achtet auf eure physische, aber auch auf eure psychische Gesundheit. Bedenkt, dass eure Familie und Liebsten genauso psychisch sehr herausgefordert sind. Sprecht viel miteinander und sucht euch eventuell Hilfe von außen, wenn es zu belastend wird.“
N. N., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, dass ich die Krankheit annehmen muss, aber kein Selbstmitleid entwickeln darf. Ich will jeden Tag so genießen, wie er kommt. Ich versuche, auf mich selbst zu hören. Was andere sagen, ist mir nicht wichtig. Ich habe gelernt, mich zu wehren, wenn andere mit der Krankheit nicht umgehen können, und um Hilfe zu bitten, wenn es notwendig ist.“
A.W., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, dass MS jeden treffen kann, aber man muss das Schicksal annehmen und lernen, damit zu leben. Ich halte es für wichtig, dass man Vertrauenspersonen hat oder Freunde, auch andere Erkrankte, um Probleme zu besprechen. Man darf sich nie fragen „Warum ich?“, sonst wird man depressiv. Es ist wichtig, trotz MS das Leben zu genießen und alles zu tun, was noch möglich ist, z. B. Wandern, Radfahren und andere Sportarten. Ich versuche auch, nicht immer an MS zu denken ...“
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4. Warum habe gerade iĖ MS? 4.1 PhilosophisĖes zur Frage: „Warum iĖ?“ Wahrscheinlich hat sich jede(r) MS-Betroffene nach der Information über die Erkrankung diese Frage schon gestellt: „Warum gerade ich???“ Bei längerer Überlegung ĺnden sich durchaus auch noch gute Gründe, die Erkrankung als „Ungerechtigkeit“ zu empĺnden. Warum nicht der Nachbar, der im Tag 30 Zigaretten raucht und 2 Liter Wein trinkt, warum nicht die Freundin, die immer nur ungesunde Dinge isst und ihren Tag ohne jede Bewegung vor dem Fernseher verbringt, warum nicht der Leistungssportler, der seinem Körper regelmäßig Überlastungen zumutet, warum nicht die gestresste Managerin …? Viele Betroffene verstehen die Welt nicht mehr und fragen sich: „Ich lebe doch gesund, treibe vernünftig Sport, belaste mich nicht übermäßig, trinke nur wenig Alkohol, in meiner Familie waren auch immer alle gesund. Außerdem bin ich auch noch ein guter Mensch, habe niemandem etwas Böses getan, warum also um Himmels willen ausgerechnet ich?“ Es ist auch absolut verständlich, dass ein junger Mensch, dem mitgeteilt wird, dass er an einer chronischen und möglicherweise behindernden Erkrankung leidet, mit dem Schicksal hadert und nicht einsehen kann, dass ausgerechnet er von einer Erkrankung betroffen sein soll. Zudem tritt MS ja in einem Lebensalter auf, in dem Gesundheit noch als ein ganz selbstverständlich vorhandenes Gut betrachtet wird. Natürlich ist es nicht möglich, diese Frage „Warum gerade ich?“ wirklich zu beantworten, außer vielleicht mit der philosophischen Betrachtung einer unserer Patientinnen, die dazu Folgendes gesagt hat: „Die erste Frage, die man sich stellt, ist: Warum ich? Ich habe mir darauf geantwortet: Warum eigentlich jemand anderer?“ Wie das Schicksal wirklich „auswählt“, wer eine Erkrankung bekommt und wer nicht, wird nie zu klären sein. Ganz sicher wissen wir aber, dass der Ausbruch von MS nicht durch eigenes Verhalten verursacht wird und jedenfalls niemand am Auftreten einer MS „Schuld trägt“. Weder die betroffene Person selbst noch die Menschen im
Philosophisches zur Frage: „Warum ich?“
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Umfeld, selbst dann nicht, wenn Beziehungen belastet sind und als „stressig“ empfunden werden. Einige Faktoren („Risikofaktoren“), die zum Ausbrechen von MS führen können, sind bekannt. Man geht derzeit davon aus, dass ein Zusammenspiel von genetischen (= vererbten) Anlagen, immunologischen (= die Körperabwehr betreffenden) Faktoren sowie UmwelteinĻüssen für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich ist.
Warum gerade ein bestimmter Mensch an MS erkrankt, ist nicht bekannt, ganz sicher aber hat niemand am Entstehen der MS „selbst Schuld“. Vermutlich ist eine Kombination verschiedener Faktoren für die Auslösung der Erkrankung verantwortlich. Zu einer bestimmten vererbten Situation als Voraussetzung kommen zusätzliche Faktoren wie Besonderheiten unseres Abwehrsystems und Einküsse der Umwelt.
4.2 Vererbung (Genetik) MS ist keine klassische Erbkrankheit. Man geht davon aus, dass bei den Betroffenen durch die Kombination von verschiedenen vererbten Risikofaktoren eine erhöhte „Anfälligkeit“ gegenüber der Erkrankung besteht und damit die Entstehung von MS begünstigt wird. Diese genetische Disposition reicht aber für das Ausbrechen einer MS allein nicht aus, es müssen noch andere Faktoren (z. B. Umweltfaktoren) vorhanden sein, um wirklich zur Erkrankung zu führen. Welche Faktoren dies genau sind, wissen wir leider immer noch nicht. Wahrscheinlich sind sie auch von Fall zu Fall etwas unterschiedlich. Eine effektive Vererbung der MS von einem Elternteil auf die Nachkommen erfolgt nicht. MS-Betroffene geben an ihre Kinder aber ein etwas höheres Risiko weiter, bei entsprechenden Umständen auch selbst an MS zu erkranken. Dabei dürfte es von Bedeutung sein, welcher Elternteil erkrankt ist. Einige Untersuchungen lassen annehmen, dass das Risiko, MS zu entwickeln höher ist, wenn die Erkrankung vom Vater auf das Kind übertragen wird.
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Warum habe gerade ich MS?
Dieser sogenannte „Carter-Effekt“ ist schon von anderen Erkrankungen bekannt. Aufgrund der offensichtlich geringeren Bereitschaft von Männern, MS zu entwickeln, kann man spekulieren, dass bei ihnen eine größere Zahl von Risikofaktoren vorhanden sein muss, die dann erst die Krankheit auslösen. Nimmt man an, dass dies auch eine größere Zahl vererbbarer Risikofaktoren sein könnte, so ist ein dadurch bedingtes höheres Erkrankungsrisiko für die Nachkommenschaft gut vorstellbar. Die Unterschiede in der Weitergabe des Krankheitsrisikos zwischen MS-Müttern und -Vätern sind aber insgesamt nicht sehr groß. Ganz allgemein liegen familiäre MS-Fälle in etwa 5–10 % vor. Während in Mitteleuropa das durchschnittliche Risiko, eine MS zu entwickeln, bei etwa 0,2 % liegt, steigt es bei einem erkrankten Elternteil auf 3–5 %. Tritt MS bei einem eineiigen Zwilling auf, so hat der andere aber bereits ein Erkrankungsrisiko von 35 %. Eine Erkrankung wird also umso wahrscheinlicher, je mehr das eigene Erbgut dem eines/ einer MS-Betroffenen gleicht.
MS ist keine Erbkrankheit, aber es gibt eine erblich bedingte Disposition, die manche Menschen eher für die Krankheit empfänglich macht. Deshalb gibt es auch manchmal in einer Familie mehrere MS-Fälle.
4.3 Umweltfaktoren MS kommt nicht in allen Regionen der Welt in gleicher Häuĺgkeit vor. So erkranken im Norden der USA mehr Menschen an MS als im Süden, in Australien ist es genau umgekehrt. Ingesamt scheint die Erkrankungsrate mit der Entfernung vom Äquator zu steigen – am häuĺgsten ist Multiple Sklerose in Skandinavien und Nordamerika anzutreffen. In Europa liegt ein Nord-Süd-Gefälle vor. Eher selten ist MS hingegen in Japan sowie in den meisten Ländern Asiens und Afrikas. Menschen weißer Hautfarbe scheinen ein höheres MS-Risiko zu besitzen als Personen mit anderer Hautfarbe. Durch Studien zur Migration (Bevölkerungswanderung) konnte gezeigt werden, dass das Risiko, an MS zu erkranken, bei Auswande-
Umweltfaktoren
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rung nach dem 15. Lebensjahr dem des Herkunftslandes, vor dem 15. Lebensjahr dem des Einwanderungslandes entspricht. Dazu ein Beispiel: Wenn eine 10-jährige Chinesin mit ihren Eltern nach Kanada auswandert, ist sie dem höheren Risiko ihrer neuen Heimat ausgesetzt. Für ihre Eltern hingegen ändert sich das Risiko aufgrund deren Alters nicht mehr. Sie behalten das geringe Risiko, an MS zu erkranken, welches in ihrem Herkunftsland China gegeben ist. Diese Beobachtungen unterstützen die Annahme, dass Umweltfaktoren auf die Entstehung der Erkrankung EinĻuss nehmen – und dass diese (noch unbekannten) Faktoren die Krankheitsanfälligkeit bereits in jungen Jahren festlegen, auch wenn sich die Erkrankung selbst unter Umständen erst viel später bemerkbar macht. Bislang wurden zahlreiche Erreger – vorwiegend Viren, aber auch Bakterien – mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht, ein bestimmter „MS-Erreger“ konnte aber noch nicht ausĺndig gemacht werden. Auch andere Faktoren wie Sonnenexposition, Klima, Hygienestandards, Ernährungsgewohnheiten und Lebensstil könnten eine Rolle in der Entstehung der Erkrankung spielen.
Umweltfaktoren spielen bei der Entstehung von MS eine Rolle. Es ist allerdings nicht bekannt, welche Faktoren letztendlich MS auslösen können. Bei Übersiedlung in ein anderes Land besteht für Personen, die vor dem 15. Lebensjahr auswandern, das Risiko des Einwanderungslandes, danach das des ursprünglichen Heimatlandes.
4.4 Abwehrsystem (Immunologie) Bei MS kommt es im Zentralnervensystem, d. h. im Gehirn und im Rückenmark, zum Auftreten verstreut (disseminiert) gelegener Entzündungsherde. Diese gehen mit einer Zerstörung der schützenden Umhüllung (Myelin) der Nerven- oder Leitungsfasern einher, was zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Unterbrechung der Weiterleitung (Übertragung) von Impulsen der Nervenzellen führt. Bei ausge-
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Warum habe gerade ich MS?
prägterer Entzündung kommt es offensichtlich häuĺg auch zu einer Zerstörung von Abschnitten der Leitungsfasern (Axone) selbst. Dies ist insofern bedeutsam, als unser Körper die komplette Unterbrechung von Leitungsfasern (Axonen) der Nervenzellen nicht mehr korrigieren kann. Schäden der Umhüllung hingegen können mit Abklingen der Entzündung mehr oder weniger gut repariert werden. Man bezeichnet diesen Vorgang auch als Remyelinisierung. Er führt zur Wiederherstellung der Weiterleitung von Impulsen der zu den jeweiligen Fasern gehörenden Nervenzellen, die damit auch wieder zu funktionieren beginnen. Auslöser für die entzündliche Reaktion sind vermutlich gegen eigenes Gewebe gerichtete Abwehrzellen, sogenannte autoreaktive T-Zellen. Die T-Zellen sind Lymphozyten (eine Untergruppe der „weißen“ Blutkörperchen), die ihre Bezeichnung von der immunologischen Prägung im Thymus (hinter dem Brustbein gelegene Drüse) ableiten. Sie sind auch bei gesunden Personen Bestandteil des Immunsystems und dienen grundsätzlich der Abwehr und Beseitigung körperfremder Erreger und Zellen. Man nimmt nun an, dass derartige T-Zellen bei gewisser Prädisposition durch die Auseinandersetzung mit bestimmten äußeren Faktoren (möglicherweise Virusinfekte) so aktiviert werden, dass sie auch körpereigene Substanzen (wie etwa die Umhüllung der Nervenfasern) als „fremd“ einschätzen. In der Regel verhindert eine Barriere, nämlich die sogenannte BlutHirn-Schranke, dass Lymphozyten in größerem Ausmaß vom Blut in das Gehirn oder Rückenmark eindringen. Ist diese Schranke jedoch durchlässig (wie vermutlich manchmal im Rahmen von Infekten), so können die falsch programmierten T-Zellen zu den vermeintlichen Fremdkörpern im Zentralnervensystem gelangen, welche sie sodann über die Auslösung einer Entzündungsreaktion zu zerstören versuchen, obwohl es sich eigentlich um körpereigenes Gewebe handelt. Dabei bedienen sie sich auch einer Reihe anderer Zellen und Substanzen wie etwa der Zytokine. Obwohl diese Entzündungsreaktion als auslösend für die Entstehung von MS-Veränderungen betrachtet wird, kommt ihr nach neueren Erkenntnissen auch eine positive Rolle zu. Sie ist nämlich offensichtlich auch für Impulse verantwortlich, welche die Reparatur, d. h. den
Abwehrsystem (Immunologie)
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Wiederaufbau der Nervenhüllen anstoßen. Parallel dazu ist unser Körper selbst bemüht, die Entzündung wieder zum Abklingen zu bringen, indem er über sogenannte „Rückkoppelungsmechanismen“ eine Verschiebung der immunologischen Abläufe einleitet.
Ein Faktor für die Entstehung von MS liegt in der körpereigenen Abwehr. Durch einen Auslöser (eventuell einen Virusinfekt) wird es möglich, dass fälschlich gegen körpereigenes Gewebe aktivierte Abwehrzellen in das Gehirn oder das Rückenmark eindringen und dort durch Bildung von Abwehrstoffen die Nervenhüllen und Nervenfasern, also das eigene Gewebe, schädigen.
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Warum habe gerade ich MS?
„Chaos im Kopf“ Dieses Bild spiegelt die Situation der Konfrontation mit der Krankheit. Ich wollte dafür viele bunte Farben verwenden, einerseits weil so viele Gedanken einströmen, andererseits auch, weil die Emotionen ja nicht nur negativ sind. Das Bild zeigt die chaotische Situation, die Gedanken, die sich nicht sortieren lassen, negative und positive bunt durcheinander. Insgesamt ist für mich das Gefühl mit dem Bild aber nicht negativ, eher wie ein Abenteuer. Man muss das Bild nicht von einer bestimmten Seite betrachten. Man kann es drehen, wie man will – es bleibt immer Chaos.
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„Synapsen“ Das ist ein Versuch, die vielen Funktionen von Nerven und deren Verbindungen durch bunte Farben darzustellen. Mein Gefühl zu diesem Bild ist positiv, die Synapsen stehen auch in Verbindung, sie können also funktionieren. Synapsen sind Verbindungsstellen. Dieses Bild soll deshalb auch die Interaktion von Innenwelt und Außenwelt darstellen. Ich selbst bin Teil eines Ablaufes, meine MS-Erkrankung ist ein Teil von mir. Kommunikation ĺndet von innen nach außen und von außen nach innen statt.
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I. E., weibliĖ „Die GesiĖter der MS“ „X Facetten, x Varianten … für Betroffene deĺnitiv keine schöne Aussicht! Allein der Gedanke, dass man eine Krankheit bekommen hat, führt schon zu unbewussten Ängsten und dann noch eine Krankheit, die sich in unbeschreiblich vielen Formen darstellt.“
E. S., weibliĖ „Ich rate anderen MS Betroffenen, einen gesunden Egoismus an den Tag zu legen. Man sollte jeden Tag genießen und nicht immer ängstlich nach vorne blicken. Es gibt immer Menschen, die ein schlimmeres Schicksal zu erwarten haben. Ich rate zu OPTIMISMUS und LEBENSFREUDE!“
A. E., weibliĖ 1 „Von meiner MS habe ich gelernt, meine Grenzen besser zu akzeptieren, meinen Tag so einzuteilen, dass ich immer Pausen machen kann. Ich habe auch gelernt, das Leben mehr zu genießen, auch Kleinigkeiten zu beachten. Ich bemühe mich dabei, ausgeglichen zu sein, so gut es halt geht.“
M. A., 45 Jahre, weibliĖ Frau M. A. leidet seit vielen Jahren an MS. Die Verlaufsform ihrer Erkrankung ist leider ungünstig, die Patientin weist eine Gangstörung auf, die sich langsam fortschreitend entwickelt hat und inzwischen auch einen Rollstuhl nötig macht. Frau M. A. ist in einem sehr qualiĺzierten Beruf tätig, der Kontakte zu Kundinnen und Kunden und auch Vorträge und Präsentationen nötig macht. Diese Tätigkeit war für Frau M. A. sehr erfüllend und ein wichtiger Lebensinhalt. Die Erhaltung der Arbeit war auch immer zentrales Thema aller Maßnahmen. Frau M. A. geht einen sehr persönlichen und eigenwilligen Weg im Umgang mit der Erkrankung. Es war ihr besonders wichtig, dass ihre Erkrankung kein Thema in ihrer täglichen Arbeit werden soll. Sie hat deshalb
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die Diagnose nie mit Personen im Umfeld besprochen und sorgfältig ein Bekanntwerden der Erkrankung vermieden, obwohl inzwischen die Gehbehinderung durchaus sichtbar ist. Frau M. A. geht nicht nur eigene Wege in der Krankheitsbewältigung, sondern auch im Umgang mit uns. Sie schreibt uns immer wieder Mails, die zwar eventuell kurze Fragen zur Erkrankung enthalten, zusätzlich aber, manchmal auch ausschließlich, freundliche und aufbauende Sprüche und Bilder beinhalten und unseren Alltag aufhellen. Es ist ihr sichtlich wichtig, die eigene Stärke und positive Einstellung zu vermitteln und an ihre Umwelt weiterzugeben. Und es steht außer Frage, dass sie in ihrem bewundernswerten Lebensweg auch sehr viel an Mut, Kraft und Beispiel gebendem Verhalten vermitteln kann. Da viele der an uns geschickten Gedanken so schön sind, dass es schade wäre, sie nicht weiter zu geben, folgen hier einige Beispiele: „Das Unmögliche ist oft nur das nicht Versuchte.“ „Gewohnheiten sind zuerst Spinnweben, dann Drähte.“ (Fernöstliche Weisheit) „Türen werden nicht nur zugeschlagen, es gehen auch Türen auf. Nur macht das weniger Lärm.“ (Hans Derendinger) „Gras wächst nicht schneller, indem man daran zieht.“ „Nicht weil es so schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es so schwer.“ „Der eine sieht nur Bäume, Probleme dicht an dicht. Der andere Zwischenräume und das Licht.“ „Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer Acht lässt.“ (Albert Schweitzer)
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5. Was erwartet miĖ mit der Diagnose MS? 5.1 Prognose Die häuĺgste und sicher auch drängendste Frage nach der Aufklärung über die Diagnose MS ist: „Was erwartet mich jetzt mit dieser Diagnose?“ Es ist nur allzu verständlich, dass junge Menschen, die über eine Erkrankung aufgeklärt werden, in erster Linie wissen wollen, wie es mit ihnen, ihrem Leben, ihren Plänen weitergeht. Sie wollen natürlich wissen, wie die Prognose ihrer Erkrankung aussieht und in welchen Bereichen man die Erkrankung berücksichtigen wird müssen oder eventuell sie auch schon vorbeugend in die Lebensplanung einbeziehen kann. Für uns ist diese Frage immer ein besonders belastender Punkt in der Aufklärung. Einerseits ist uns die Bedeutung der Antwort bewusst, andererseits aber auch, dass die Frage nicht wirklich genau und verlässlich beantwortet werden kann. Nur wenige Hinweise auf den individuellen Krankheitsverlauf sind uns derzeit zugänglich. Es ergibt sich damit eine KonĻiktsituation sowohl für Betroffene als auch für die informierenden Ärztinnen und Ärzte. Für die Betroffenen wird ihr Wissensdrang nur unvollständig befriedigt, Unsicherheiten und Ängste können nicht ganz verhindert werden. Aber auch für die informierenden Ärztinnen und Ärzte ist dieser Teil der Aufklärung eine schwierige Hürde, da man ja bei aller Mühe, sorgfältige und gründliche Auskunft zu geben, bei dieser Frage nur wenig wirklich stabile Informationen liefern kann. Der zu erwartende Verlauf einer MS kann im Einzelfall nicht vorausgesagt werden. MS ist eine sehr variable Erkrankung. Es gibt MSVerläufe, die extrem gutartig sind und sich in einem Menschenleben nur einmal oder nur mit wenigen Krankheitsschüben manifestieren. Auch sogenannte „klinisch stumme MS-Fälle“ existieren. Das sind „MS-Fälle“ (unter Anführungszeichen, da in diesen Fällen die Diagnose MS nicht den Richtlinien entsprechend möglich ist), bei denen ein Leben lang kein Symptom einer MS aufgetreten ist, nach dem Tod – aufgrund anderer Ursache – in der Obduktion aber überraschenderweise Veränderungen im Gehirn festgestellt werden, die einer MS entsprechen. Auch bei MRT-Untersuchungen des Gehirns
Prognose
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aufgrund unspeziĺscher Beschwerden, wie etwa chronischer Kopfschmerzen, ĺnden wir bei Personen ohne vorhergegangene Symptome gelegentlich Veränderungen, wie sie bei MS beobachtet werden. MS verläuft zumindest zu Beginn überwiegend schubförmig (85– 90 %), d. h., es treten etwa alle 1–2 Jahre durch einen sogenannten Krankheitsschub neue Symptome auf oder bereits bestehende nehmen massiv und über einen längeren Zeitraum an Intensität zu. Mit der Zeit kann sich dadurch eine mehr oder weniger starke Beeinträchtigung verschiedener Körperfunktionen und somit eine Behinderung ergeben. Allerdings lässt allein die Zahl der Schübe noch keine Prognose über den Grad der Behinderung zu. Die Schübe können nämlich verschiedenste (und unterschiedlich behindernde) Symptome verursachen, sie können unterschiedlich schwer ausfallen und sich auch noch besser oder schlechter rückbilden, sodass auch bei gleicher Anzahl von Schüben ein völlig unterschiedliches Ausmaß der bleibenden Behinderung resultieren kann. Ein Teil der MS-Verläufe weist – entweder von Beginn an oder erst nach anfänglichen Schüben – einen fortschreitenden Verlauf auf. Das bedeutet, dass eine Behinderung (meist eine Störung des Gehens) langsam zunehmend schlechter wird. Auch bei den fortschreitenden Verläufen ist das Tempo des Fortschreitens von Fall zu Fall anders. So kann ein fortschreitender Krankheitsverlauf in seiner Ausprägung durchaus nur zu langsamer Verschlechterung führen. Allerdings kommen auch sehr rasche und in kurzer Zeit intensiv behindernde Verläufe vor, diese sind aber in der Minderheit.
MS ist eine sehr unterschiedlich verlaufende Erkrankung. Die Prognose, d. h. die Vorhersage des Verlaufes der MS, ist im Einzelfall nur schwer zu treffen.
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Was erwartet mich mit der Diagnose MS?
5.2 Verlauf von MS Auch wenn die Krankheitsverläufe der Betroffenen untereinander verschieden sind und die Beschwerdesymptomatik und deren Ausprägung variiert, kann man doch eine Einteilung in bestimmte Verlaufstypen der MS vornehmen. Diese Einteilung bezieht sich dabei vorwiegend auf das Vorhandensein oder Fehlen von Krankheitsschüben.
5.2.1 Der akute SĖub Da MS vor allem als schubförmig verlaufende Erkrankung bekannt ist, neigt man leicht dazu, alle bei MS-Patientinnen und -Patienten auftretenden Symptome und Probleme als „Schub“ zu bezeichnen. Aus derartigen Feststellungen entstehen aber natürlich auch Konsequenzen bezüglich der Behandlung. Es ist daher wichtig, sich mit der Frage „Was ist ein Schub?“ sehr sorgfältig zu beschäftigen. Dazu vorerst einmal die im medizinischen Gebrauch verwendete Deĺnition eines Schubes:
Als Schub bezeichnet man einen objektiv erfassbaren fokalen neurologischen Ausfall, der neu aufgetreten ist oder gravierend zugenommen hat und für die Dauer von mindestens 24 (48) Stunden bestehen bleibt.
Das bedeutet also, dass ein Schub nur dann vorliegt, wenn ein Symptom vorhanden ist, das man auch bei einer neurologischen Untersuchung feststellen kann, wie etwa eine neu aufgetretene Sehverschlechterung an einem Auge, eine Lähmung oder eine genau abgrenzbare Verminderung der Sensibilität. Außerdem muss dieses Symptom mindestens einen Tag angehalten haben, um die Deĺnition für das Vorliegen eines Schubes zu erfüllen. Viele Patientinnen und Patienten sind am Beginn der Erkrankung besorgt und ängstlich und fragen: „Kann ich einen Schub übersehen?“ Das ist, wenn man die Deĺnition genau betrachtet, nicht möglich. Die Schubsymptome müssen nicht nur für die betroffene Person,
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sondern auch für die Neurologin/den Neurologen erkennbar sein. Außerdem benötigen Ļüchtige Symptome sicher keine akute Behandlung. Selbst ein tatsächlicher Krankheitsschub muss nicht immer behandelt werden. Eine Entscheidung darüber ist sicher auch von der Schwere der Ausfallssymptomatik abhängig zu machen (siehe Kapitel Schubtherapie). Wie bei allen Menschen können auch bei MS-Betroffenen eine Vielzahl von Beschwerden auftreten, die mit der Erkrankung selbst nichts zu tun haben müssen. Dazu gehören etwa Kopfschmerzen, Kreuzschmerzen, Herzjagen, Infekte und vieles mehr. MS kann ja schließlich nicht vor anderen Erkrankungen schützen. Es ist wichtig, diese Symptome dann auch nicht der MS zuzuschieben, denn eine eventuell notwendige speziĺsche Behandlung anderer Probleme könnte sonst fälschlicherweise unterbleiben. Einer unserer Patienten hat zu diesem Thema geäußert: „Ich sag schon gar nie mehr, dass ich MS habe, denn sonst ist immer die MS an allem Schuld!“ Das trifft das Problem der nötigen „Abgrenzung“ von Symptomen sehr gut, soll allerdings nicht als Ratschlag verstanden werden. Wichtig ist aber, dass man auch für sich selbst daran denkt, dass nicht immer die MS als alleinige Ursache für alle Beschwerden verantwortlich sein muss. Ein Schub entwickelt sich im Allgemeinen nicht schnell. Die Symptome beginnen meist in geringer Ausprägung und werden erst innerhalb von Stunden bis zu mehreren Tagen schlechter. Schwerer ist es, das Ende eines Schubes zu deĺnieren, da ja unvollständige Rückbildungen möglich sind und Ausfallserscheinungen auch bestehen bleiben können. Mit Besserungen ist im Allgemeinen innerhalb von einigen Tagen bis zu einem Monat zu rechnen. Eine Rückbildung der Schubsymptome ist allerdings nach 2 Monaten immer noch in 85 % der Fälle möglich, danach erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Restsymptome bestehen bleiben. Andererseits wird selbst nach 3 Monaten noch in 30 %, nach 6 Monaten immerhin noch in 10 % der Fälle eine vollständige Rückbildung berichtet. Unabhängig von diesen in der Literatur angegebenen Zahlen verspüren MS-Betroffene oft auch nach noch längeren Zeitintervallen eine Verbesserung ehemaliger Schubsymptome. Die Deĺnition eines neuerlichen Krankheitsschubes setzt auch voraus, dass zur letzten vorhergegangenen Verschlechterung ein zeitli-
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cher Abstand von mindestens einem Monat gegeben ist. Dies erscheint deshalb notwendig, weil es oft eine gewisse Zeit dauert, bis sich in einer aktiven Phase der Erkrankung das Immunsystem wieder stabilisiert. Symptome, die während dieser Zeit auftreten, sind damit noch Ausdruck des gleichen Krankheitsgeschehens.
5.2.2 Was ist ein SĖub und was niĖt? MS macht nicht nur im Schub Beschwerden. Oft kommt es auch zum Auftreten oder zur Verschlechterung von Symptomen, ohne dass die Deĺnition eines Schubes erfüllt ist. Auch diese Beschwerden können natürlich mit MS in Zusammenhang stehen. Es ist zum Beispiel möglich, dass sich MS-Symptome durch verschiedene Umstände graduell verschlechtern wie etwa durch Hitzebelastung, körperliche Anstrengung oder Infekte. Diese Zunahme der Beschwerden, welche durch äußere Umstände bedingt ist, wird als Fluktuation eingestuft und nicht als Schub bezeichnet. Fluktuationen im Krankheitsverlauf sollten auch nicht wie ein Schub behandelt werden. Eine kurz dauernde Symptomverstärkung durch Erhöhung der Körpertemperatur (wie etwa bei körperlicher Anstrengung) ist mit der Temperaturempĺndlichkeit entmarkter (und auch remyelinisierter) Nervenfasern und einer dadurch bedingten weiteren Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit begründbar. Die dabei auftretende vorübergehende Verschlechterung von Symptomen wird nach ihrem Beschreiber auch als Uhthoff-Phänomen bezeichnet und ist recht häuĺg bei MS-Betroffenen zu beobachten. Ähnliche Probleme treten oft auch bei Infekten auf, vor allem wenn die Körpertemperatur durch Fieber erhöht ist. Parallel zur Dauer des Infektes können solche Verschlechterungen auch länger anhalten und dann wie ein Schub imponieren. Man spricht in solchen Fällen von einem Pseudoschub. Die Verschlechterung von MS-Symptomen bei Infekten kann sehr stark ausgeprägt sein und auch das Gesamtbeĺnden betreffen. Bei Personen mit ausgeprägter Behinderung kann es unter Umständen sogar zu einer völligen Bewegungsunfähigkeit kommen.
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Dejnitionen: Akuter Schub: Neue oder deutlich verschlechterte Symptome durch klinische Aktivität der MS (mindestens 1 Tag). Fluktuation: Kurz andauerndes Auftreten von Symptomen, die meist schon einmal in der Vorgeschichte infolge von Umwelteinküssen/Infekten vorhanden waren. Uhthoff-Phänomen: Kurzzeitige Symptomverschlechterung z. B. durch Erhöhung der Körpertemperatur. (Auch das Uhthoff-Phänomen ist eine Fluktuation.) Pseudoschub: Länger dauernde Verschlechterung von Symptomen z. B. im Rahmen von Infekten.
5.2.3 Das klinisĖ isolierte Syndrom (= clinically isolated syndrome = CIS = mögliĖe MS) Der Begriff des klinisch isolierten Syndroms (CIS) ist derzeit nicht ganz exakt deĺniert und wird unterschiedlich angewendet. Jedenfalls ist damit die erste Manifestation einer (möglichen) MS gemeint. Diese kann sich in Symptomen äußern, die nur von einem einzelnen Entzündungsherd im Gehirn oder Rückenmark ausgehen. Für diese Situation wurde der Begriff CIS ursprünglich verwendet. Es ist aber auch möglich, dass bei der ersten MS-Manifestation die Symptome schon auf den Befall mehrerer Stellen im Gehirn hinweisen. Auch für diese Situationen wurde die Bezeichnung später erweiternd angewendet. Jedenfalls ist es gerechtfertigt, die Bezeichnung generell für die erste Manifestation einer MS einzusetzen. Das entspricht der Bezeichnung „mögliche MS“ nach den McDonald-Kriterien (siehe Kapitel Diagnose).
5.2.4 Der sĖubförmige Verlauf der MS Von einer schubförmigen MS spricht man, wenn der Krankheitsverlauf nur durch das wechselnde Auftreten von Krankheitsschüben und ihre nachfolgende vollständige oder teilweise Rückbildung gekennzeichnet ist. Dazwischen sind immer wieder unterschiedlich lange Phasen ohne neue Beschwerden eingestreut. In etwa 85–90 % beginnt die MS mit einem schubförmigen Verlauf.
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Innerhalb dieses Verlaufstyps besteht aber eine sehr hohe Variabilität. Sie ergibt sich einerseits aus der stark unterschiedlichen Zahl an Schüben, die bei den Betroffenen auftreten. Noch stärkere Unterschiede in den einzelnen Verläufen sind andererseits aber dadurch bedingt, dass die Symptome des Schubes – je nachdem, an welcher Stelle im Zentralnervensystem die Entzündung auftritt – sehr verschieden sind. Natürlich kann auch die Ausprägung der einzelnen Schübe aufgrund unterschiedlicher Intensität der Entzündung extrem variieren. Außerdem können sich die Schubsymptome in manchen Fällen wieder vollständig zurückbilden, in anderen Fällen bleiben aber Restsymptome bestehen. Über durchschnittliche Schubzahlen pro Jahr (= „Schubrate“) werden unterschiedliche Angaben gemacht, die nicht nur die Variabilität der Erkrankung reĻektieren, sondern auch in unterschiedlichen Methoden und Deĺnitionen begründet sind. So reichen die Einschätzungen etwa von 0,2 bis 1,15 Schüben/Jahr, wobei es individuell natürlich starke Abweichungen (zumindest über gewisse Krankheitsperioden) gibt. Zu Beginn der Erkrankung dürfte die Schubrate generell am höchsten sein und sinkt dann allmählich ab. Allerdings werden dann vermutlich chronische Krankheitsprozesse für die Zunahme von Behinderung immer wichtiger. Für einen Teil der MS-Betroffenen wird die Erkrankung immer nur durch Schübe charakterisiert bleiben. Bei anderen tritt nach mehreren Jahren (im Mittel 10–15 Jahre) eine zusätzliche allmähliche Verschlechterung gewisser Beschwerden zu den durch wiederholte Krankheitsschübe ausgelösten Symptomen hinzu – es tritt ein fortschreitender (= progredienter) Verlauf (siehe nächster Punkt) ein. In seltenen Fällen besteht diese Kombination schon von Anfang der Erkrankung an – man spricht dann von einem schubförmig-progredienten Verlauf.
5.2.5 Der fortsĖreitende (= progrediente) Verlauf der MS Bei einem Teil der Erkrankten entwickelt sich die MS langsam fortschreitend. Das bedeutet, dass sich Symptome – meist Gangstörungen – entweder schon von Beginn an oder nach einem oder mehreren Schüben kontinuierlich verschlechtern.
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Der primär progrediente Verlaufstyp der MS ist schon von Beginn der Erkrankung an nur durch eine allmähliche Zunahme der Krankheitssymptome charakterisiert. Diese Verschlechterung erfolgt vorwiegend kontinuierlich, dazwischen können aber auch immer wieder unregelmäßig eingestreute Phasen der Stabilisierung (d. h. gleichbleibender Beschwerden) liegen. Ein primär progredienter Verlauf wird bei etwa 10–15 % der MS-Fälle beobachtet. Von sekundär progredientem Verlaufstyp der MS spricht man, wenn auf einen anfänglich schubförmigen Verlauf eine langsam fortschreitende Verschlechterung folgt. Dies tritt nur in einem Teil der zuerst schubförmigen Krankheitsverläufe ein. Dabei kann die Erkrankung nur mehr durch ein stetiges Fortschreiten der Symptomverschlechterung charakterisiert sein, aber auch weiter zusätzliche schubförmige Verschlechterungen aufweisen. Schon im Versuch, speziĺsche Krankheitsverläufe der MS zu beschreiben, zeigt sich, dass es nicht immer einfach sein kann, den Verlaufstyp richtig einzuschätzen. Deshalb ist es durchaus keine Seltenheit, dass die Zuordnung zu einem bestimmten Verlaufstyp aus der Vorgeschichte von Betroffenen nicht immer eindeutig erfolgen kann und erst die weitere Beobachtung Klarheit liefern muss. Gleichermaßen ist zu akzeptieren, dass das individuelle Erkrankungsmuster durchaus dynamischen Veränderungen unterworfen sein kann. Die Unterscheidung der verschiedenen Verlaufsformen ist aber jedenfalls deshalb wichtig, da für verschiedene MS-Verläufe und in verschiedenen Stadien der Erkrankung auch unterschiedliche Behandlungsprinzipien gelten (siehe Kapitel Therapie).
MS-Verläufe sind sehr unterschiedlich. Grob kann in schubförmige und fortschreitende Verläufe eingeteilt werden, aber auch innerhalb dieser Verläufe können die Symptome und die Ausprägung der Krankheit ganz verschieden sein.
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5.3 Symptome der MS MS ist charakterisiert durch die zeitliche und örtliche Dissemination (Verteilung) der Krankheitssymptome. Das bedeutet, dass Symptome der Erkrankung zu unterschiedlichen Zeiten auftreten, wie es schon im Kapitel über Verläufe besprochen wurde. Aber auch „örtlich“ können die MS-Veränderungen verstreut an jeder Stelle des zentralen Nervensystems auftreten. Das hat natürlich zur Folge, dass prinzipiell jedes Symptom, das durch eine Schädigung im Zentralnervensystem verursacht werden kann, bei MS auch möglich ist. Aus diesem Grund sind die bei MS auftretenden Symptome auch so vielfältig. Die Art der bei einer Patientin/einem Patienten zu erwartenden Symptome ist nicht vorhersehbar. Es ist auch nicht möglich, aus bereits bestehenden Symptomen Rückschlüsse zu ziehen, wie die Symptome beim nächsten Schub aussehen werden. Es gibt kaum Symptome, die absolut speziĺsch für MS sind, wenn auch einzelne Symptome häuĺger als andere beobachtet werden. In der Folge werden einige der typischen Symptome von MS aufgezählt und beschrieben. Es muss beachtet werden, dass diese Aufzählung nur die häuĺgeren Symptome beinhaltet und nicht vollständig ist.
5.3.1 Sehnerventzündung Der Sehnerv ist in seiner Struktur ein Teil des Gehirns und kann deshalb bei MS auch betroffen sein. Entzündungen des Sehnervs (= Opticusneuritis = Retrobulbärneuritis) treten bei MS häuĺg auf (bei 60– 70 % der Fälle) und sind sehr oft auch das erste Symptom der Erkrankung. Bei wiederholten Sehnerventzündungen können natürlich im Wechsel beide Augen befallen sein, ein gleichzeitiges Auftreten der Entzündung beider Sehnerven ist bei MS selten. Die Beschwerden beginnen meist mit Schmerzen im oder um das Auge, welche sich typischerweise bei Blickbewegungen verstärken. Innerhalb von wenigen Tagen kommt es dann zu einer zunehmenden Beeinträchtigung des Sehvermögens auf einem Auge, welche als ein Nebel- oder Schleiersehen empfunden wird. Die Einschränkung der Sehkraft erreicht unterschiedliche Ausmaße, eine vollständige und
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bleibende Erblindung eines Auges ist aber absolute Ausnahme. Oft kommt es durch eine Sehnerventzündung auch zu einer Einschränkung des Farbensehens. Erhöhte Lichtempĺndlichkeit oder auch das Sehen von Lichtblitzen wird gelegentlich angegeben. Wie bei MS-Symptomen üblich, bilden sich die Sehstörungen meist zumindest teilweise wieder zurück. Ausgeprägte Einschränkungen der Sehkraft bleiben nur selten bestehen, häuĺg aber resultieren bleibende Ļeckförmige Ausfälle des Gesichtsfeldes (= Skotome) oder eine Verminderung des Farbensehens.
5.3.2 Störungen der Augenbewegung Das Auge wird von mehreren Muskeln bewegt. Diese Bewegungen müssen auch noch so koordiniert werden, dass beide Augen immer auf den gleichen Punkt gerichtet sind. Ist das nicht der Fall, liefert jedes Auge ein anderes Bild an das Gehirn, wir sehen deshalb ein Doppelbild. Störungen der koordinierten Bewegung der Augen sind ein häuĺges Symptom von MS. Wie die Doppelbilder auftreten, ist dabei abhängig davon, welche Funktion gestört ist. Häuĺg werden nebeneinanderstehende Doppelbilder beobachtet, seltener sind sie schräg übereinanderstehend. Auch beim Blick nach unten (wenn man z. B. eine Stiege nach unten geht) fallen manchmal Doppelbilder auf. Oft werden bei Störungen der Augenbewegung auch Kopfschmerzen oder Schwindel beschrieben, die als Folge der Sehstörung entstehen können. Auch Zuckungen der Augen (= Nystagmus) treten häuĺg auf. Diese können als Folge der Lähmung eines Augenmuskels beim Versuch der Blickwendung auftreten, aber auch Zeichen einer Schädigung von Hirnstamm oder Kleinhirn sein. Meist besteht ein sogenannter Blickrichtungsnystagmus, d. h., dass bei Bewegung des Auges nach den Seiten oder nach oben und unten unwillkürliche Zuckungen des Auges zu beobachten sind. Meist wird das von den Betroffenen gar nicht bemerkt oder äußert sich auch nur in vermeintlicher Sehunschärfe. Bei starker Ausprägung des Nystagmus können aber sogar Trugwahrnehmungen entstehen, so als würden sich die Bilder hin und her bewegen.
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5.3.3 Gefühlsstörungen Die Empĺndungen für Berührung der HautoberĻäche, aber auch für Schmerz und Temperatur und für das Erkennen der Lage des Körpers im Raum werden von den peripheren Nerven über das Rückenmark zum Gehirn geleitet. Auf diesem langen Weg können an verschiedensten Stellen Störungen auftreten. Entsprechend häuĺg kommen Gefühlsstörungen bei MS vor. Die Art der Symptome ist auch hier völlig bunt und unterschiedlich. An jeder Stelle des Körpers kann die Empĺndung gestört sein, unterschiedliche Verteilungsmuster sind möglich. So kann die Störung des Empĺndens an den Füßen beginnen und sich aufsteigend ausbreiten, es kann eine Verteilung „handschuh- und sockenförmig“ vorliegen oder auch eine Körperseite oder ein Bein oder auch nur einzelne Flecken der Haut betroffen sein. Die Störung kann die „OberĻächensensibilität“, also das Empĺnden auf der Haut, vermindern. Es fühlt sich dann die Haut an wie „eingeschlafen“. Es können aber auch Missempĺndungen auftreten, die als ein Gefühl von Ameisenlaufen, Kribbeln, Brennen oder Spannungsgefühl beschrieben werden. Ein gürtelförmiger Druck um den Körper wird oft bei Rückenmarksentzündungen im Rahmen von MS angegeben. Als Missempĺndung wird oft auch das Gefühl von Hitze oder Kälte auf der Haut beschrieben. Auch kann Berührung als schmerzhaft empfunden werden oder ein elektrisierendes Gefühl auslösen. Unabhängig von Kälte- oder Hitzemissempĺndungen kann auch das Erkennen von Temperaturreizen (d. h. von Wärme oder Kälte) eingeschränkt sein. Ein häuĺges MS-Symptom ist das sogenannte Lhermitte-Phänomen. Es kommt dabei zu einem im Rücken abwärts, d. h. an der Wirbelsäule entlang verlaufenden plötzlich einschießenden elektrisierenden Gefühl bzw. einer Missempĺndung, die meist durch Beugen des Kopfes ausgelöst wird. Gefühlsstörungen betreffen aber auch die sogenannte „Tiefensensibilität“. Darunter versteht man den Vibrationssinn (Erkennen des Vibrierens einer Stimmgabel) und den Lagesinn (Erkennen der Stellung von Armen und Beinen im Raum). Der Vibrationssinn ist sehr häuĺg eingeschränkt, ohne dass daraus wesentliche Beschwerden erwachsen. Eine Einschränkung des Lagesinns allerdings führt zu ausge-
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prägten Störungen der Bewegungskoordination. Das bedeutet, dass eine Ungeschicklichkeit an Beinen, Armen oder Händen auftritt oder eine Beeinträchtigung des Steh- und Gehvermögens mit Unsicherheit und wackeligem Gang (Seemannsgang) entsteht.
5.3.4 Lähmungen Die Bezeichnung „Lähmung“ wird im Laienbereich für viele Symptome verwendet (z. B. auch für Gefühlsstörungen). In der Medizin ist damit aber das Auftreten von Kraftabschwächung in Armen oder Beinen oder auch nur in einzelnen Muskelgruppen gemeint. Der Gedanke an eine Lähmung verursacht bei den meisten Menschen große Angst und ist auch bei Auftreten von MS das am meisten gefürchtete Symptom. Das ist berechtigt und verständlich, denn die Einschränkung der Kraft bedeutet natürlich auch eine Beeinträchtigung der Lebensabläufe, sei es bei sportlicher Betätigung, sei es im Beruf bei Ansprüchen an die Kraftleistung oder bei der Notwendigkeit, Gegenstände oder auch nur den eigenen Körper zu bewegen. Lähmungen im Rahmen von MS sind die Folge einer Schädigung bzw. Unterbrechung der motorischen (für die Leitung der Information an den Muskel verantwortlichen) Nervenfasern. Diese verlaufen im Zentralnervensystem in der sogenannten „Pyramidenbahn“, die von der für Bewegungsauslösung zuständigen Region in der Hirnrinde durch das Gehirn zieht, in der „Pyramidenbahnkreuzung“ im Hirnstamm die Seite wechselt und über das Rückenmark weiter abwärts zu jenen Nervenzellen zieht, die dann ihre Fasern im motorischen Anteil der Nerven zu den Muskeln schicken. MS-Entzündungsherde können also über eine weite Strecke die Pyramidenbahn schädigen und damit motorische Störungen verursachen. Im leichtesten Fall kommt es zu Änderungen der ReĻexlage, d. h., die MuskeleigenreĻexe werden lebhafter und sogenannte pathologische ReĻexe treten auf. Der bekannteste pathologische ReĻex ist der Babinski-ReĻex. Man bestreicht dafür mit dem Stiel des ReĻexhammers die Fußsohle an der Außenseite bis zum Zehenballen. Das führt im Erkrankungsfall zu einem Strecken der großen Zehe und zu einem Spreizen der übrigen Zehen. (Im Normalfall werden alle Zehen gebeugt.)
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Bei stärkerer Beeinträchtigung der Pyramidenbahn ist die Kraftleistung eines Armes oder Beines, häuĺg auch beider Beine, abgeschwächt. Die Arme sind seltener und meist auch weniger schwer betroffen als die Beine. (Prozentangaben zur Häuĺgkeit schwanken für die Arme um 30 %, für die Beine um 70 %.) Das beruht vermutlich einfach darauf, dass die zu den Beinen führenden Bahnen länger sind als jene zu den Armen und deshalb das Risiko einer Schädigung steigt. Lähmungen bei MS sind spastisch. Da die „Spastizität“ (Erhöhung der Muskelspannung bei zentraler Lähmung) eines der quälenden Probleme bei MS sein kann, soll das noch genauer erklärt werden. Die Muskulatur des Menschen weist auch in Ruhe eine gewisse Spannung auf. Fällt die Regulierung dieser Grundspannung durch eine Schädigung der Pyramidenbahn aus, steigt die Spannung des Muskels an. Der Muskel wird hart, neigt zu Krämpfen, ein Gefühl der Steiĺgkeit wird empfunden. Je nach Ausmaß kann die Bewegungsfähigkeit dabei voll erhalten sein. Die Spastizität kann sich zuerst nur bei Belastung wie bei längerem Gehen in rascherer Ermüdbarkeit äußern. Das Hüpfen auf einem Bein oder das Laufen kann dadurch erschwert oder gar nicht mehr möglich sein. Bei stärkerer Ausprägung kommt es zu einer Einschränkung der noch möglichen Gehstrecke, die Beine können nur schlecht gehoben werden oder, in sehr stark ausgeprägten Fällen, nicht einmal mehr auf der Unterlage verschoben werden. So hochgradige Lähmungen sind zum Glück eher die Ausnahme. Sehr oft allerdings besteht eine Spastizität der Beine, die in Ruhe noch keine Symptome verursacht, beim Gehen aber zu steifen, wie „hölzern“ wirkenden Bewegungen führt und dadurch eine Einschränkung der Gehstrecke in unterschiedlichem Ausmaß bedingt. Eine Abgrenzung zwischen den Effekten der Spastizität und jenen der begleitenden Lähmung ist oft nicht exakt möglich. Eine starke Spastizität äußert sich jedenfalls darin, dass die betroffenen Gliedmaßen auch passiv – also von anderen – nur wie gegen einen Widerstand und oft nur stark eingeschränkt bewegt werden können. Diese Unbeweglichkeit begünstigt in schwersten Fällen natürlich auch Gelenksversteifungen und Kontrakturen. Auch spontane Spasmen der Muskulatur (häuĺger der Beuge- als der Streckmuskeln) können als Folge der Schädigung des motori-
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schen Nervensystems auftreten. Es kommt dabei zu ruckartigen Bewegungen, meist in Hüft- und Kniegelenken. Diese Bewegungen sind krampfartig und schmerzhaft. Sie können spontan entstehen, oft sind sie aber auch durch meist mechanische Reize – wie etwa bestimmte Haltungen oder den Versuch einer Bewegung – ausgelöst.
5.3.5 Störungen der Koordination Bewegungen der Arme und Beine müssen koordiniert ablaufen, d. h. gezielt, geordnet, nicht zu heftig und vor allem treffsicher. Der Körper muss beim Gehen aufrecht und gerade gehalten werden, die Schritte sollen exakt gesetzt werden und ein schwungvolles und abgerundetes Gangbild ergeben. Das alles ist – auch bei gesunden Menschen – nicht immer einfach. Wir alle kennen Störungen der Koordination bei Menschen unter AlkoholeinĻuss, die dann breitbeinig gehen, nach der Seite schwanken, anecken oder nicht mehr mit dem Schlüssel in das passende Schlüsselloch treffen. Bei MS sind derartige Störungen durch Schädigungen des Kleinhirns oder des Rückenmarkes (der „Hinterstränge“, in denen vorwiegend Vibrationsempĺndungen, Druck und Lagesinn geleitet werden) möglich und treten im Verlauf der Erkrankung häuĺg (70–80 %) auf. Schon der Vergleich der Störungen mit jenen, die wir durch AlkoholeinĻuss kennen, macht uns auf ein zusätzliches Problem aufmerksam. Viele MS-Betroffene haben Schwierigkeiten, sich mit ihrer Erkrankung öffentlich zu „präsentieren“. Koordinationsstörungen, speziell jene, die zu Gangunsicherheiten führen, werden von anderen Menschen oft falsch eingeordnet. Der Mensch mit dieser Störung wird für „betrunken“ gehalten. Das führt zu zusätzlichen Schwierigkeiten im sozialen Umfeld und im Umgang mit der Krankheit. Einer unserer Patienten hat dieses Problem für sich ganz pragmatisch gelöst und erzählt: „Ich nehme außerhalb des Hauses immer einen Stock. Ich brauche ihn zwar eigentlich nicht, aber mit dem Stock hält man mich wenigstens nicht für betrunken.“ Störungen der Koordination äußern sich ganz unterschiedlich. Von vielen MS-Betroffenen wird Schwindel berichtet. Das ist allerdings ein Symptom, von dem wir wohl nur selten behaupten dürfen, dass MS die Ursache dafür ist. Schwindel ist schon als Bezeichnung eher
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diffus, es sind oft ganz verschiedenartige Zustände damit gemeint. Auch kann Schwindel natürlich als Symptom bei sehr vielen Erkrankungen auftreten. Von der Blutdruckschwankung (nach oben oder unten) über die falsch korrigierte Brille bis zu Infekten oder Herzkrankheiten über noch unzählige andere Möglichkeiten kann Schwindel verursacht werden. Selbst bei völliger Gesundheit ist Schwindel ganz leicht auslösbar, es genügt eine Fahrt mit einem Ringelspiel im Vergnügungspark oder auch der Versuch, einen Wiener Walzer zu tanzen. Auch MS kann durch Entzündungsherde im Gleichgewichtssystem zu Schwindel führen. Dabei handelt es sich meist um einen Drehschwindel, der verbunden ist mit Übelkeit und Erbrechen. Die Unterscheidung zu Erkrankungen des Gleichgewichtsorganes im Innenohr ist schwierig. Liegen MS-Veränderungen im Kleinhirn vor, kann dies zu unkoordinierten Bewegungen der Arme und Beine führen. Die Bewegungen werden dadurch unrhythmisch, gegenläuĺges Bewegen (wie beim Umrühren, Schrauben) kann nicht mehr rasch und rund durchgeführt werden, Gegenstände werden beim Greifen nicht richtig getroffen. Die Bewegungsabläufe erscheinen ungeschickt, unregelmäßig und ausfahrend. Betrifft diese Störung die Beine, so entstehen entsprechende Folgen für das Gehen. Der Gang wird dann wackelig und unsicher. Durch breitbeiniges Gehen wird versucht, die Unsicherheit zu kompensieren, es kommt zur „Gangataxie“ (= breitbeiniger „Seemannsgang“). Störungen des Gehens können sowohl durch eine Schädigung im Kleinhirn als auch durch MS-Herde im Rückenmark verursacht sein. Auch ein Zittern – meist der Hände – ist bei MS möglich. Dieses ist im Allgemeinen beim ausgestreckten Halten der Hände am deutlichsten und eher grobschlägig. Als charakteristisch für MS gilt der sogenannte Intentionstremor. Dabei kommt es zu ausfahrenden und ungezielten Bewegungen, je mehr sich die Hand (oder auch der Fuß) dem Ziel nähert. Diese Störungen sind Ausdruck einer Schädigung des Kleinhirns. Durch Störungen der Koordination kann auch die Funktion des Sprechens gestört sein. Auch das ist durch Kleinhirnveränderungen begründet. Es kommt dann zu Veränderungen in der Sprachmelodie. Die Sprache klingt abgehackt („skandierend“), Wörter innerhalb ei-
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nes Satzes werden in unterschiedlicher Lautstärke ausgesprochen. Bestehen MS-Veränderungen im Hirnstamm, wo die Zungen- und Schlundbewegungen und das Schlucken gesteuert werden, so kann es auch zu einer undeutlichen, schlecht artikulierten und „verwaschenen“ Sprache kommen. Diese Störung ist meist auch mit Schwierigkeiten beim Schlucken verbunden. Die Störung der Koordination kann auch das Auge betreffen und zu „abgehackten“ Blickfolgebewegungen führen. Ein Nystagmus kann auftreten (siehe Störungen der Augenbewegung).
5.3.6 Vegetative Störungen Mit „vegetativ“ bezeichnet man jenen Anteil des Nervensystems, der die Funktion der inneren Organe steuert. Dieses Nervensystem ist „autonom“, das bedeutet, dass seine Funktion nicht bewusst und durch den Willen beeinĻusst werden kann. Unser Gehirn sorgt dafür, dass Herz, Darm, Gefäße und Nieren ihre Aufgaben erfüllen, ohne dass wir daran denken müssen. Die Natur sichert diese Funktionen gut ab, deshalb führen Erkrankungen wie MS auch nur extrem selten zu Störungen der Herz- und Kreislaufsituation oder der Funktion von Darm und Nieren. Wohl aber kann die Funktion der Entleerung von Blase und Darm beeinträchtigt werden. Speziell die Störung der Blasenfunktion ist ein häuĺges Symptom von MS. Oft sind Blasenprobleme schon zu Beginn der Erkrankung vorhanden, manchmal sogar schon vor dem Auftreten anderer Symptome. Im Verlauf der MS kommt es sogar bei bis zu etwa 80 % der MSBetroffenen zu Blasenstörungen, die häuĺg auch als dauerndes Problem bestehen bleiben. Die Ursachen der Blasenentleerungsstörung liegen in einer Schädigung der Nervenversorgung der Blasenfunktion, sind also keine Erkrankung der Harnblase selbst, sondern ein Problem der „Steuerung“ ihrer Funktion. Der Ort der Störung kann dabei sowohl im Gehirn als auch – häuĺger – im Rückenmark liegen. Durch die unterschiedlichen Lokalisationen im zentralen Nervensystem, die für das Entstehen der Blasenstörungen bei MS verantwortlich sein können, kommt es auch zu unterschiedlichen Mustern von Entleerungsstörungen der Harnblase.
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5.3.7 Störung der Fähigkeit, den Harn zu halten Die Gesamtheit der Muskulatur der Blasenwand nennt man „Detrusor“, das ist der Muskel, der durch sein Zusammenziehen den Harn aus der Blase presst. Durch Ausfall der Steuerungsfunktion kann es zu überschießendem Zusammenziehen dieser Muskelgruppe kommen, wodurch ein „imperativer Harndrang“ (plötzlicher Drang, Harn zu lassen, auch wenn nur geringe Menge Harn in der Blase ist) oder eine „Dranginkontinenz“ (plötzlicher oder dauernder Drang mit ungewolltem Abgang von Harn) entsteht.
5.3.8 Störung der Fähigkeit, den Harn zu entleeren Häuĺg liegt zwar eine verstärkte Aktivität der Blasenwandmuskulatur vor, die zu einem raschen Harndrang bei geringer Blasenfüllung führt, trotzdem kann aber die Blase nicht vollständig entleert werden, da sich gleichzeitig der innere Schließmuskel der Blase zusammenzieht. Es kommt dann zu Startproblemen beim Harnlassen, zu Unterbrechungen des Harnstrahles und zur unvollständigen Entleerung der Blase. Dieses gestörte Zusammenspiel der einzelnen Blasenmuskeln nennt man „Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie“. Das besondere Problem dieser häuĺgen Störung ist die Bildung von Restharn (Zurückbleiben von Harn in der Blase) und das damit verbundene Risiko von Blasenentzündungen. Der Blasenmuskel kann sich aber auch überdehnen und erschlaffen, dies führt zu ausgeprägter Restharnbildung. In seltenen Fällen und eher bei fortgeschrittenen Verläufen kann durch einen völligen Funktionsausfall des Rückenmarks die Blasenfunktion vollkommen ausfallen, es wird kein Harndrang empfunden, die Blase ist schlaff und kann sich nicht entleeren. In diesen Fällen entsteht eine „Überlaufblase“, d. h. der Harn rinnt weitgehend unkontrolliert aus der überfüllten Harnblase und kann auch in die oberen Harnwege zurückĻießen.
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5.3.9 Störungen der Darmfunktion und Stuhlentleerung Störungen der Stuhlentleerung sind ein seltenes Problem bei MS. In Ausnahmefällen kann die Kontrolle des Schließmuskels ausfallen, was zur Folge hat, dass unwillkürlich Stuhl abgeht. Ein häuĺgeres Problem ist aber die „Verstopfung“. Dieses Symptom kann – in seltenen und fortgeschrittenen Fällen – mit einer Störung der Darmbewegung und auch durch Schwäche der Bauchwandmuskulatur mit eingeschränkter Fähigkeit zur Aktivierung der Bauchpresse begründet sein. Viel häuĺger aber entsteht Verstopfung „sekundär“, also nicht direkt durch MS bedingt. Die Darmtätigkeit wird ja auch durch körperliche Aktivität, die bei MS oft vermindert ist oder ganz fehlt, beschleunigt. Auch unzureichende Trinkmengen (eventuell aufgrund von Problemen mit der Harnblase) und falsche Ernährung können eine Störung der Darmfunktion begünstigen.
5.3.10 Störungen der Sexualfunktion Die Sexualfunktion kann natürlich nicht ganz einfach nur auf die vegetative Funktion reduziert werden. Seelische Probleme sind dabei sicher mit zu beachten. Trotzdem ist es wichtig zu wissen, dass rein körperlich bedingte Störungen der Sexualfunktion bei MS vorhanden sein können. Über die Häuĺgkeit sollte man besser keine Angaben wagen, denn diese Störungen werden sehr oft nicht besprochen und sind in Untersuchungen schlecht erfasst. Man kann aber durchaus davon ausgehen, dass sexuelle Störungen bei MS häuĺg vorkommen und sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Bei Männern erscheint das Problem einfacher erfassbar, da ja die reine Funktion der Potenz, also das Versteifen des männlichen Gliedes, im Fall einer Störung relativ gut beurteilbar ist. Aber auch die Fähigkeit zum Samenerguss unterliegt der vegetativen Steuerung und kann genauso wie die Fähigkeit, einen sexuellen Höhepunkt zu erleben, beeinträchtigt sein. Unabhängig von den direkten Störungen der vegetativen Funktionen sind natürlich auch andere Symptome wie Spastizität, Lähmungen oder Störungen der Blasenfunktion in diesem Rahmen mit zu bedenken und können zu zusätzlichen Beeinträchtigungen führen. Liegen
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Störungen der Sensibilität im Beckenbereich vor, so können natürlich auch diese eine Einschränkung des sexuellen Empĺndens zur Folge haben.
5.3.11 SĖmerzen Obwohl Schmerzen nicht das Bild der MS prägen, gibt es doch eine Reihe von möglichen Ursachen für die Entstehung von Schmerzen bei MS. Wir unterscheiden nach Ursachen in • Schmerzen, die unmittelbar durch die MS entstehen, • Schmerzen, die als Folge der Erkrankung entstehen. Zur ersten Kategorie zählen die schon erwähnten Schmerzen, die bei Sehnerventzündungen auftreten können. Aber auch Gefühlsstörungen können schmerzhaft sein und brennende Missempĺndungen verursachen. Abhängig von der Lage im Rückenmark können MSHerde in der Nähe der sensiblen Nervenwurzeln zu Schmerzen führen. Eine sehr bekannte Erkrankung ist die Trigeminusneuralgie, bei der es zu anfallsartigen, rasch einschießenden, heftigen Schmerzen einer Gesichtsseite kommt. Bei MS sind solche Neuralgien als Symptom der Erkrankung – verursacht durch MS-Herde im Hirnstamm – möglich. Die von MS verursachten spastischen Lähmungen verursachen häuĺg heftige Schmerzen, nicht nur durch das Symptom an sich, sondern oft zusätzlich auch durch daraus resultierende Gelenkbeschwerden im Rahmen der Gangstörung. Zu den sekundär im Rahmen der Erkrankung auftretenden Schmerzen gehören etwa auch Wirbelsäulenbeschwerden. Solche treten natürlich auch bei nicht MS-Betroffenen auf, im Fall von MS können sie aber durch lähmungsbedingte Fehlhaltungen oder aber z. B. durch eine ataktische Gangstörung ausgelöst oder verstärkt werden. Gerade im Fall von Schmerzen ist es besonders wichtig, sich immer vor Augen zu halten, dass nicht jedes Symptom, das bei Menschen mit MS auftritt, auch wirklich durch MS verursacht ist. Es wäre falsch und letztendlich auch gefährlich, Schmerzen ohne weitere Untersuchung einfach einer bekannten MS zuzuschreiben. Gerade das
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Symptom Schmerz muss immer Anlass für eine weitere Abklärung und Suche nach eventuellen anderen Ursachen sein.
MS verursacht viele unterschiedliche Symptome. Eine lange Reihe von Beschwerden und Erkrankungen kann auch als Folge von MS auftreten. Trotzdem ist es wichtig, neue Symptome immer kritisch zu betrachten und untersuchen zu lassen, denn MS ist nicht immer an allen Symptomen Schuld.
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D. W., weibliĖ „Schlimm waren diese Tage, in denen mir gesagt wurde, dass ich „wahrscheinlich“ MS hätte. Für mich ist es wichtig zu wissen, dass ich es mit Sicherheit habe, denn mit dieser Ungewissheit kann man wohl verständlicherweise kaum umgehen. Das Gute und gleichzeitig Schlechte ist, dass man nicht weiß, wie, wann, was in seinem Körper passieren wird.“
J. N., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, zufrieden und dankbar für den aktuellen guten Gesundheitszustand zu sein aber auch mit Kampfgeist und realistischer Einschätzung in die Zukunft zu schauen. Meine Lebenseinstellung ist gelassener geworden, und ich kann Gesundheit und Glück viel intensiver wertschätzen.“
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6. Stimmt meine Diagnose überhaupt? Aus verständlichen Gründen folgen auf die Diagnosestellung und Mitteilung, man sei an MS erkrankt, oft erst einmal Zweifel. Die Überlegung „Stimmt das alles überhaupt?“ ist vonseiten der plötzlich Betroffenen betrachtet vollkommen verständlich. Zum einen hat man keine klaren – und wenn, dann höchstens bedrohliche – Vorstellungen, was das bedeuten könnte, zum anderen gibt es ja keinen einsichtigen Grund, warum gerade einen selbst diese Erkrankung getroffen haben sollte. Prinzipiell ist es ja auch durchaus sinnvoll und richtig, folgenschwere Behauptungen zu hinterfragen und auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Von medizinischer Seite ist einzuräumen, dass die Diagnose MS speziell am Beginn der Erkrankung nicht ganz einfach zu stellen ist. Dies liegt vor allem daran, dass wir unter MS jedenfalls eine Erkrankung mit wiederholtem Auftreten von Krankeitssymptomen verstehen. Für die Diagnosestellung wird deshalb auch mehrfaches Auftreten von Symptomen, also das Merkmal der „zeitlichen Dissemination“, verlangt. Die Information über den zeitlichen Verlauf haben wir bei erstmaliger Manifestation der Erkrankung aber nicht zur Verfügung. Ein weiteres Charakteristikum der MS ist das Auftreten von Krankheitsveränderungen (Läsionen) an unterschiedlichen Stellen von Gehirn und Rückenmark. Auch dieses Merkmal der „örtlichen Dissemination“ ist zu Beginn mit der neurologischen Untersuchung allein nicht immer nachzuweisen. Gleichzeitig müssen auch eine Reihe anderer Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ein MS-ähnliches Bild hervorrufen können. Es ist daher durchaus normal, dass der Zeitraum bis zur endgültigen Diagnose MS auch mehrere Monate und länger dauern kann. Vor Verfügbarkeit der Magnetresonanztomograĺe (MRT) musste man jedenfalls bis zum Eintreten eines zweiten Krankheitsschubes warten. Eine gewisse Unsicherheit über die endgültige Diagnose beim erstmaligen Auftreten von Krankheitssymptomen sollte also kein Anlass für Zweifel sein. In dieser Phase können über die mögliche weitere Entwicklung tatsächlich nur Vermutungen angestellt werden. Aller-
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dings ist es notwendig, mit der betreuenden Ärztin / dem betreuenden Arzt gemeinsam einen genauen Plan bezüglich des weiteren Vorgehens festzulegen. Zweifel können sich aber natürlich durchaus aus dem Umfang und den Ergebnissen der Abklärung ergeben. Es ist wichtig, diese Zweifel jedenfalls anzusprechen und – soweit möglich – auszuräumen. Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst von großer Bedeutung. Erst die Sicherheit in Bezug auf die Diagnose erlaubt einem, auf die Erkrankung aktiv zuzugehen. Genauso wichtig ist diese Überzeugtheit auch für Behandlerin und Behandler, ist die exakte Diagnosestellung doch die Grundlage für jede Beratung und Aufklärung und letztendlich auch für Entscheidungen in Hinblick auf das eventuelle therapeutische Vorgehen. Um eine allgemeine Vorstellung über das diagnostische Vorgehen bei möglichen Symptomen der MS zu bekommen, wird nachfolgend ein üblicher Abklärungsweg beschrieben. Dieser setzt sich meist aus klinischer Untersuchung, bildgebender Abklärung mit Kernspintomograĺe, Lumbalpunktion und fallweise auch elektrophysiologischer Untersuchung zusammen.
Zweifel an der Diagnose MS sind am Beginn der Erkrankung natürlich und auch die Triebfeder für entsprechend genaue Untersuchungen. Eine gründliche Abklärung ist Grundlage aller weiteren Entscheidungen.
6.1 KlinisĖe UntersuĖung Ausgangspunkt jeder Diagnosestellung ist die Erfassung der Krankengeschichte. Nicht nur um eine neue Patientin / einen neuen Patienten kennenzulernen, sondern auch, um möglichst genau alle bisherigen Symptome zu erfassen, geht jedem weiteren Handeln ein ausführliches Gespräch über alle bisherigen Ereignisse und Beschwerden voran.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Für beide Seiten ist es manchmal schwierig, vorangegangene Beschwerden zu erheben bzw. zu erinnern. Auch können manche Ereignisse in der Rückschau nicht mehr so genau eingestuft und z. B. der Deĺnition eines MS-Schubes zugeordnet werden. Trotzdem ist es gut und richtig, Mühe darauf zu verwenden, die Vorgeschichte sorgfältig zu erheben. Nicht nur hilft es uns, den bisherigen Verlauf in unsere Einschätzung aufzunehmen, sondern es ist auch eine ideale Gelegenheit, miteinander vertraut zu werden und eine gemeinsame Gesprächsbasis zu entwickeln. Manchmal stellt sich in diesem Gespräch sogar heraus, dass MS eine „alte Bekannte“ ist, die schon seit vielen Jahren das Leben begleitet hat, aber eben noch nie namentlich benannt wurde, weil die Beschwerden mit vielerlei Begründungen beiseitegeschoben wurden. Oft wird es auch als erleichternd empfunden, wenn erinnerte Beschwerden endlich zugeordnet werden können und eine gewisse „Ordnung“ in die Vorgeschichte gebracht wird. So schilderte eine Patientin ihren Zustand vor der Abklärung mit den Worten: „Ich war klarerweise in einer seelischen Katastrophensituation durch diese Ungewissheit!“ Die Anamnese bringt natürlich noch keine völlige Klarheit, aber sie ist eine erste Gelegenheit, sich in einer neuen Situation einzuordnen. Nach der Anamnese folgt die neurologische Untersuchung. Diese dient dem Zweck, vorhandene Funktionsausfälle zu erfassen, d. h. festzustellen, inwieweit die empfundenen Beschwerden und Symptome mit erkennbaren Störungen des Nervensystems verbunden sind. Das neurologische Störungsmuster erlaubt oft auch erste Rückschlüsse auf den Ort oder die Orte der Schädigung. Gleichzeitig wird mit der neurologischen Untersuchung auch die Schwere der Funktionsstörung erfasst. Um den Untersuchungsbefund möglichst einheitlich zu gestalten, gut vergleichbar zu machen und wichtigen Krankheitsmerkmalen besonderes Augenmerk zu schenken, werden zur Dokumentation der Untersuchung oft krankheitsspeziĺsche Skalen verwendet. Für MS ist heute üblicherweise die sogenannte Kurtzke-Skala in Verwendung. Sie wird im Englischen als Expanded Disability Status Scale (= EDSS) bezeichnet. Diese erfasst das Ausmaß der Störungen in sogenannten funktionellen Systemen – wie das Sehen, Spüren oder die Motorik – und nimmt eine Gesamtbewertung der Behinderung nach einer Skala von 0 bis 10 vor. Dabei bedeutet 0 das
Klinische Untersuchung
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völlige Fehlen von Deĺziten, es steigt der Wert in der Skala mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung. Tabelle 6.1: Die Kurtzke-Skala (Nach Kurtzke J. F.: Rating neurologic impairment in multiple sclerosis: an expanded disability Status scale [EDSS]) Die Angaben der Grade beziehen sich auf die Untersuchung der funktionellen Systeme (FS)
66
0.0
Normale neurologische Untersuchung (Grad 0 in allen funktionellen Systemen)
1.0
Keine Behinderung, minimale Abnormität in einem funktionellen System (d. h. Grad l)
1.5
Keine Behinderung, minimale Abnormität in mehr als einem funktionellen System (mehr als einmal Grad l)
2.0
Minimale Behinderung in einem funktionellen System (ein FS Grad 2, andere 0 oder l)
2.5
Minimale Behinderung in zwei funktionellen Systemen (zwei FS Grad 2, andere 0 oder l)
3.0
Mäßiggrade Behinderung in einem funktionellen System (ein FS Grad 3, andere 0 oder l) oder leichte Behinderung in drei oder vier FS (3 oder 4 FS Grad 2, andere 0 oder l), aber voll gehfähig
3.5
Voll gehfähig, aber mit mäßiger Behinderung in einem funktionellen System (Grad 3) und ein oder zwei FS Grad 2; oder zwei FS Grad 3; oder fünf FS Grad 2 (andere 0 oder l)
4.0
Gehfähig ohne Hilfe und Rast für mindestens 500 m. Aktiv während ca. 12 Stunden pro Tag trotz relativ schwerer Behinderung (ein funktionelles System Grad 4, übrige 0 oder l)
4.5
Gehfähig ohne Hilfe und Rast für mindestens 300 m. Ganztägig arbeitsfähig. Gewisse Einschränkung der Aktivität, benötigt minimale Hilfe, relativ schwere Behinderung (ein FS Grad 4, übrige 0 oder l)
5.0
Gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 200 m. Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivität zu beeinträchtigen (z. B. ganztägig zu arbeiten ohne besondere Vorkehrungen). (Ein FS Grad 5, übrige 0 oder l; oder Kombination niedrigerer Grade, die aber über die Stufe 4.0 geltenden Angaben hinausgehen)
5.5
Gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 100 m. Behinderung schwer genug, um normale tägliche Aktivität unmöglich zu machen (FS-Äquivalente wie Stufe 5.0)
6.0
Bedarf zeitweise oder auf einer Seite konstant der Unterstützung (Krücke, Stock, Schiene), um etwa 100 m ohne Rast zu gehen (FSÄquivalente: Kombinationen von mehr als zwei FS Grad 3 plus)
Stimmt meine Diagnose überhaupt?
6.5
Benötigt konstant beidseits Hilfsmittel (Krücke, Stock, Schiene), um etwa 20 m ohne Rast zu gehen (FS-Äquivalente wie 6.0)
7.0
Unfähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen. Weitgehend an den Rollstuhl gebunden. Bewegt den Rollstuhl selbst und transferiert ohne Hilfe (FS-Äquivalente: Kombinationen von mehr als zwei FS Grad 4 plus, selten Pyramidenbahn Grad 5 allein)
7.5
Unfähig, mehr als ein paar Schritte zu tun. An den Rollstuhl gebunden. Benötigt Hilfe für Transfer. Bewegt Rollstuhl selbst, aber vermag nicht den ganzen Tag im Rollstuhl zu verbringen. Benötigt eventuell motorisierten Rollstuhl (FS-Äquivalente wie 7.0)
8.0
Weitgehend an Bett oder Rollstuhl gebunden; pĻegt sich weitgehend selbstständig. Meist guter Gebrauch der Arme (FS-Äquivalente: Kombinationen meist von Grad 4 plus in mehreren Systemen)
8.5
Weitgehend ans Bett gebunden, auch während des Tages. Einiger nützlicher Gebrauch der Arme, einige SelbstpĻege möglich (FS-Äquivalente wie 8.0)
9.0
HilĻose Person im Bett. Kann essen und kommunizieren (FS-Äquivalente sind Kombinationen, meist Grad 4 plus)
9.5
Gänzlich hilĻose Person. Unfähig zu essen, zu schlucken oder zu kommunizieren (FS-Äquivalente sind Kombinationen von fast durchwegs Grad 4 plus)
10
Tod infolge MS
MS ist bei allen vorhandenen technischen Möglichkeiten noch immer eine vorwiegend klinisch gestellte Diagnose. Deshalb muss man dem Anamnesegespräch und der Untersuchung große Bedeutung beimessen
Die Anamnese und die neurologische Untersuchung dienen zur Erstellung einer Verdachtsdiagnose, d. h. zur Entwicklung erster Annahmen über den Ort, die Art und die Ursache der vorliegenden Störung. Erst aufgrund dieser Vermutungen können weitere diagnostische Hilfsuntersuchungen gezielt und efĺzient eingesetzt werden. Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose MS sind heute im Wesentlichen drei Methoden hilfreich. Das ist zum Ersten die Abbildung des Gehirns und eventuell auch des Rückenmarks mittels Kernspinto-
Klinische Untersuchung
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mograke (= Magnetresonanztomograke – MRT). Zum Zweiten kann mittels Lumbalpunktion sogenannter Liquor cerebrospinalis (= Nervenwasser) gewonnen werden, dessen Untersuchung den immunologischen Entzündungsprozess an sich belegen hilft. Zum Dritten ist es möglich, mittels elektrophysiologischer Untersuchungen einen zusätzlichen Hinweis auf Beteiligung der Sehnerven am Krankheitsprozess zu erhalten. Dies ist klinisch oft nicht ausreichend festzustellen und bei MS häuĺg anzutreffen. Neben dem Nachweis MS-typischer Veränderungen dienen die MRT und die Untersuchung des Liquor cerebrospinalis vor allem auch dem Ausschluss anderer Erkrankungen. Zu diesem Zweck erfolgen auch die Bestimmung verschiedenster Blutwerte sowie eventuelle andere zusätzliche Untersuchungen.
6.2 Kernspintomograęe (= Magnetresonanztomograęe – MRT) Mittels Kernspintomograĺe oder MRT ist es heute möglich, MS-Entzündungsherde (auch als MS-Läsionen bezeichnet) und ihre Folgen direkt im Gehirn und Rückenmark abzubilden. Durch MS verursachte Schädigungsbezirke unterscheiden sich nämlich vom gesunden Nervengewebe im elektromagnetischen Signal, welches bei der Bilderstellung abgegeben wird. Diese Signalunterschiede wiederum werden im Bild in Form unterschiedlicher Helligkeit dargestellt. Man muss allerdings wissen, dass MS-Herde kein speziĺsches Signalverhalten (oder Helligkeit) zeigen. Herdförmige Veränderungen im Gehirn, die auf anderen Formen der Gewebsschädigung beruhen, imponieren teilweise sehr ähnlich. Dazu zählen etwa Schäden, wie sie infolge von Durchblutungsstörungen oder auch nur als Ausdruck des Alterungsprozesses zu beobachten sind, gehäuft aber auch bei Migräne und bei Vorliegen von Risikofaktoren für Gefäßschädigungen auftreten. MS-Läsionen sind meist nur in der Form und Lage der Veränderungen speziĺsch zu erkennen. Deshalb ist es wichtig, die MRT-Charakterstika von MS-Herden genau zu kennen. Dies erfordert viel speziĺsches Wissen und Erfahrung. Der MRT-Befund ist auch nur im Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik ausreichend zu bewerten.
68
Stimmt meine Diagnose überhaupt?
6.2.1 Die DurĖführung der MRT-UntersuĖung Die Kernspintomograĺe (MRT) nutzt die elektromagnetische Anregung von Wasserstoffprotonen und deren Signalantwort im Radiofrequenzbereich, um unterschiedliche Gewebstypen in Bildern darzustellen. Mit dieser Technik können insbesondere Unterschiede im Wassergehalt der Gewebe mit hoher Empĺndlichkeit dargestellt werden, wie sie etwa durch eine Entzündung, aber auch andere Schädigungsmechanismen im Gehirn ausgelöst werden. Die MRT-Untersuchung benutzt keine Röntgenstrahlung, benötigt aber ein starkes und stabiles Magnetfeld, welches die Wasserstoffprotonen im Körper einheitlich ausrichtet. Dieses wird durch einen großen Magneten erzeugt, welcher die Öffnung des Gerätes („Scanners“) umgibt. Der Untersuchungsraum muss außerdem von äußeren elektromagnetischen EinĻüssen weitgehend abgeschirmt werden und ist daher nach Art eines Faraday’schen Käĺgs konstruiert. Aufgrund des starken Magnetfeldes dürfen die untersuchten Personen und das Bedienungspersonal beim Betreten des Untersuchungsraums keine metallischen Gegenstände an sich haben. Um dies zu gewährleisten und auch Effekte von Wäscheschnallen, -klammern oder speziellen Fasergemischen zu vermeiden, die nicht nur die Untersuchungsqualität negativ beeinĻussen, sondern durch Erwärmung auch zu Schäden führen können, werden Patientinnen und Patienten üblicherweise gebeten, sich bis auf einen Slip zu entkleiden und für die Untersuchung einen Baumwollmantel anzuziehen. Aufgrund der möglichen Gefährdung durch das Magnetfeld und die elektromagnetischen Wellen sind manche Personen auch von MRTUntersuchungen ausgenommen. Dies gilt etwa für Menschen mit Herzschrittmachern, anderen elektromagnetischen Implantaten, bestimmten Prothesen und bei Metallsplittern im Körper. Ansonsten sind bisher keine schädigenden EinĻüsse durch das Magnetfeld oder die elektromagnetischen Wellen im Rahmen von MRT-Untersuchungen bekannt. Die Dauer einer MRT-Untersuchung ist je nach Fragestellung und untersuchter Körperregion unterschiedlich. Allein die Untersuchung des Gehirns wegen vermuteter MS benötigt etwa 25–40 Minuten. Die Untersuchung des Rückenmarkes benötigt ebenso lang. Wäh-
Kernspintomograje
69
rend dieser Zeit ist es wichtig, möglichst ruhig in dem meist röhrenförmigen Gerät zu liegen. Die Röhrenform wird von den Geräteherstellern bevorzugt, um ein möglichst homogenes Magnetfeld zu erreichen. Diese Geräteform kann bei Angst vor engen Räumen allerdings auch zu Beklemmungsgefühlen führen. Dann ist es gut, dies möglichst schon vor der Untersuchung den anwesenden Ärztinnen/Ärzten oder radiologisch-technischen Assistentinnen/Assistenten mitzuteilen. Oft genügt es schon, wenn man die Augen während der ganzen Untersuchung geschlossen hält, um das Beklemmungsgefühl zu vermeiden. In den meisten übrigen Fällen hilft ein leichtes Beruhigungsmittel. Während des Untersuchungsvorgangs ist schließlich ein mehr oder weniger starkes Klopfen zu hören, welches durch das Aufeinanderprallen von Metallteilen im Gerät während der elektromagnetischen Anregung ausgelöst wird. Das Klopfen ändert sich deshalb auch mit der jeweiligen Art der Untersuchungstechnik. Zum Schutz vor dieser Lärmbelästigung werden üblicherweise Ohrenstöpsel angeboten. Die MRT-Untersuchung kann noch durch die intravenöse Verabreichung von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln erweitert werden. Speziell bei MS dient dies dem Nachweis frischer entzündlicher Lä-
Abb. 6.1: MR-Gerät Zur Durchführung der Magnetresonanztomograĺe (MRT; auch Kernspintomograĺe) ist ein starkes Magnetfeld notwendig. Die untersuchte Person muss deshalb möglichst ruhig in einem großen ringförmigen Magneten liegen, der den Eindruck einer Röhre vermittelt. Neben dem Assistenten steht ein Gerät zur intravenösen Injektion von Kontrastmittel.
70
Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Abb. 6.2: MRT des Kopfes mit mehreren MS-Läsionen Bei der MRT-Untersuchung wird das Gehirngewebe mit unterschiedlichen elektromagnetischen Impulsen angeregt. Dies führt zu unterschiedlichen Kontrasten innerhalb der normalen Strukturen des Gehirns und auch im Vergleich zu krankhaften Veränderungen. Die Abbildung zeigt vier verschiedene Schnittbilder, welche von der gleichen Stelle im Kopf einer MS-Patientin mittels unterschiedlicher Untersuchungstechniken angefertigt wurden. a) sogenanntes protonengewichtetes Bild: Die Hirnrinde stellt sich relativ hell dar (weißer Pfeil). Die Flüssigkeit (Nervenwasser = Liquor cerebrospinalis) innerhalb und um das Gehirn erscheint grau (schwarzer Pfeil). Der offene weiße Pfeil zeigt auf mehrere MS-Läsionen. Auf den anderen Bildern stellen sich die gleichen Strukturen und Veränderungen jeweils etwas anders dar. b) T2-Gewichtung, c) T1-Gewichtung, d) FLAIR (Ļuid attenuated inversion recovery)-Aufnahme. Informationen ergeben sich somit nicht nur aus Kontrasten in einem Bild, sondern auch aus dem Vergleich der Ergebnisse unterschiedlicher Aufnahmetechniken.
Kernspintomograje
71
Abb. 6.3: MRT des Rückenmarks mit akutem Entzündungsherd Darstellung eines MS-Herdes im Rückenmark. a (T2-Gewichtung) und b (Untersuchung nach Kontrastmittel) zeigen einen Längsschnitt durch die Wirbelsäule. Diese ist mit einem offenen weißen Pfeil markiert. Die Läsion ist mit einem soliden weißen Pfeil gekennzeichnet. Es handelt sich um einen akuten Entzündungsherd, weil die Läsion auch in b (nach Kontrastmittel) hell ist. c und d sind Querschnittbilder durch den Körper und zeigen die genaue Lage der Läsion im Rückenmark (Pfeil).
sionen. Das Kontrastmittel hilft so bei der zeitlichen Zuordnung von Gehirnveränderungen und bei der Einschätzung der Aktivität des Krankheitsprozesses. Nebenwirkungen durch das Kontrastmittel sind insgesamt kaum zu befürchten. So kann es – allerdings viel seltener als bei den sonst üblichen jodhältigen Kontrastmitteln – vereinzelt zu allergischen Reaktionen kommen. In letzter Zeit wurde bei Patientinnen und Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion und nach hohen Kontrastmittelmengen in wenigen Fällen auch das Auftreten einer retroperitonealen Fibrose (Bindegewebswucherung im hinteren Bauchraum) berichtet. Diese Risikokonstellation wird auf MS-Patientinnen und -Patienten allerdings wohl fast nie zutreffen.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
6.2.2 Was sagt der MRT Befund? Die Befundung der MRT erfordert viel Erfahrung und sorgfältige Kenntnis – nicht nur der MRT-Bilder, sondern auch der Krankheit MS. Deshalb ist es wichtig, dass die Bilder auch vom behandelnden Neurologen/von der behandelnden Neurologin gesehen werden, um sich gemeinsam mit den klinischen Informationen „ein Bild“ machen zu können. Für die Diagnose MS liefert uns die MRT extrem wichtige Hinweise. Einerseits können wir damit MS-typische Veränderungen nachweisen, andererseits auch andere Krankheitsbilder ausschließen. Bei der Abgrenzung zwischen MS-Läsionen von Schädigungsarealen aufgrund anderer Ursachen wird besonderes Augenmerk auf die Lokalisation und das Verteilungsmuster der Veränderungen gelegt, da die MS an bestimmten Stellen im Gehirn besonders gern Entzündungsherde entstehen lässt. Auch die Form und Größe der Veränderungen lassen Rückschlüsse auf die Ursache der Schädigung zu. Die Verteilung (Lage) und Zahl der nachweisbaren Herde im Gehirn wird deshalb auch für Diagnosekriterien herangezogen, insbesondere wenn es gilt, den Nachweis der sogenannten „räumlichen Dissemination“ (Verteilung der Erkrankungsmanifestationen an unterschiedlichen Stellen im Zentralnervensystem) zu erbringen. Durch Gabe von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln ist es, wie oben angeführt, möglich, aktive Läsionen, d. h. frische MS-Entzündungsherde nachzuweisen. Ein neuer Herd nimmt für die Dauer von 2 bis 6 Wochen Kontrastmittel auf. Zu beachten ist, dass ein Kontrastmittel aufnehmender Herd bei MRT-Untersuchungen von MS-Betroffenen durchaus nicht selten einen zufälligen Befund darstellt. Die MRT kann MS nämlich nicht nur sichtbar machen, sie zeigt uns teilweise sogar deutlich mehr, als wir bei der neurologischen Untersuchung sehen. Man kann davon ausgehen, dass bei schubförmiger MS die Häuĺgkeit des Neuauftretens von Herden in der MRT etwa 5- bis 10mal höher ist, als dies klinisch bemerkt wird. Andererseits ist das Auftreten aktiver Herde nur sehr lose mit der Entwicklung eines neuen Schubes assoziiert. Die Diagnose eines MS-Schubes erfolgt also jedenfalls klinisch und nicht mittels MRT. Aufgrund der hohen Sensitivität im Nachweis von MS-Läsionen kann die MRT natürlich auch sehr wirkungsvoll zur Beurteilung der zeitli-
Kernspintomograje
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chen Entwicklung der Krankheit eingesetzt werden. Dies ist einerseits durch den Nachweis neuer Herde, andererseits auch durch den Beleg einer akuten, d. h. Kontrastmittel aufnehmenden Läsion möglich. Damit man nicht Gefahr läuft, einen einmaligen länger dauernden entzündlichen Prozess fälschlich als mehrfaches Ereignis einzuschätzen, müssen allerdings gewisse Zeitabstände zu einem abgelaufenen klinischen Symptom bzw. in Beziehung auf eine vorherige MRT-Voruntersuchung eingehalten werden, um die derzeit vorgeschlagenen Kriterien (siehe Diagnosekriterien) für eine MRT-bewiesene Dissemination der Erkrankung in der Zeit einzuhalten.
6.2.3 Grenzen der Kernspintomograęe Obwohl die MRT für die MS-Diagnostik immens großen Wert hat, muss man auch die Grenzen der Methode kennen. Es muss vor allem bedacht werden, dass das Ausmaß der Veränderungen in der MRT nicht ganz einfach als Messinstrument für den Schweregrad der Erkrankung herangezogen werden kann. Es gibt MS-Patientinnen und -Patienten mit geringen MRT-Veränderungen, aber schweren klinischen Symptomen. Umgekehrt kommen aber auch Fälle vor, die in der MRT sehr ausgeprägte MS-Veränderungen zeigen, die Betroffenen bemerken aber trotzdem nur wenige oder sogar keine Symptome. Es ist also nicht möglich, einfach abzuleiten: viele MRT-Veränderungen = schwere MS. Lediglich vom Beginn der Erkrankung wissen wir mit einiger Sicherheit, dass ein größeres Ausmaß von MRT-Veränderungen die Wahrscheinlichkeit eines langfristig schwereren Krankheitsverlaufes und damit einer zukünftig stärkeren Behinderung durch MS erhöht. Wie schon erwähnt, ist die MRT auch keine Methode zur Diagnose eines akuten Schubes. Das ist einfach zu verstehen, da ja die Deĺnition des Schubes schon fordert, dass entsprechende klinische Symptome vorliegen müssen. Interessanterweise ist es auch trotz der hohen Sensitivität der MRT gar nicht immer möglich, eine zum akuten Schub „passende“ Läsion in Gehirn oder Rückenmark, d. h. an der zur Symptomatik passenden Stelle, darzustellen. Auf den häuĺgen Nachweis Kontrastmittel aufnehmender und damit akuter Herde
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Tabelle 6.2: Vorteile und Grenzen der MRT Vorteile der MRT
Grenzen der MRT
Einfache Durchführung
Nicht zur „Schubdiagnose“ geeignet
Kein Risiko (keine „Strahlenbelastung“)
Nur bedingt zur Aussage über den Schweregrad der MS einzusetzen
Verlässliche differentialdiagnostische Untersuchungsmethode
Risiko von „Überdiagnose“ muss bedacht werden
Gute Darstellung des Rückenmarkes Information über Ausmaß der Veränderung im ZNS Information über Aktivität der Krankheit
in der MRT ohne Zusammenhang mit einem klinischen Schub wurde schon hingewiesen.
6.3 Lumbalpunktion Bei der Lumbalpunktion wird im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule eingestochen und die Nadel in den Duralsack (= Hülle aus Hirnhäuten, die Rückenmark und das umspülende Nervenwasser umgibt) eingeführt. Dadurch ist es möglich, das Gehirn und Rückenmark umspülende Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) durch die Nadel abtropfen zu lassen. Diese Untersuchung ist in der Bevölkerung gefürchtet und wird oft als „schrecklich“ und „furchtbar schmerzhaft“ beschrieben. Auch wird irrtümlich angenommen, dass dabei das Rückenmark angestochen wird und Lähmungen die Folge sein könnten. Tatsächlich ist die Lumbalpunktion wesentlich weniger schlimm als ihr Ruf und weitgehend ungefährlich. Die Lumbalpunktion wird meist im Sitzen mit gebeugtem Rücken durchgeführt. Der Einstich erfolgt im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, also an einer Stelle, wo kein Rückenmark, sondern nur mehr die Nervenwurzeln vorhanden sind. Diese weichen beim Eindringen der Nadel in den Duralsack aus, es kann daher maximal zu einem momentanen Brennen durch die Berührung kommen. Der
Lumbalpunktion
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Stich durch die Haut wird meist nur wenig gespürt, da in diesem Bereich die Nervendichte gering ist. Die Tatsache, dass man nicht zuschauen kann, was hinter dem Rücken passiert, wird als unangenehm beschrieben. Die durchführenden Ärztinnen und Ärzte erklären deshalb während der Untersuchung jeden Schritt des Vorgehens. Zum Abtropfen des Nervenwassers muss man noch für einige Sekunden ruhig sitzen bleiben, dann wird die Nadel wieder entfernt. Vereinzelt können in den Tagen nach der Lumbalpunktion Kopfschmerzen auftreten, die sich durch Ļaches Liegen, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und mit koffeinhaltigen Tabletten meist rasch beherrschen lassen. Die Durchführung einer Lumbalpunktion zur Untersuchung des Nervenwassers wird zur Diagnosestellung am Beginn der Erkrankung empfohlen. Wiederholungen der Untersuchung im Verlauf der Erkrankung sind nur in Ausnahmefällen bei Unklarheiten der Diagnose nötig. Die nachfolgende Analyse des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis) untersucht das Vorliegen von Entzündungszellen, dient dem Nachweis einer eventuellen Immunantwort des Zentralnervensystems in Form von Produktion speziĺscher Eiweiße und erlaubt, gewisse Erreger anderer Krankheiten auszuschließen. Typisch für MS ist eine geringe Zahl von Entzündungszellen, eine leichte Eiweißerhöhung sowie insbesondere das Vorliegen oligoklonaler Immunglobulin G (IgG)-Banden. Die mittels elektrophoretischer Auftrennung nachweisbaren oligoklonalen Banden ĺnden sich im Liquor von MSBetroffenen als Folge einer gesteigerten Immunglobulinproduktion bestimmter B-Lymphozyten (Abwehrzellen des Immunsystems) und sind bei länger bestehender MS fast immer nachzuweisen. Bei klinischer Erstmanifestation ist mit einer geringeren Nachweishäuĺgkeit zu rechnen. Umgekehrt ist das Vorliegen oligoklonaler Banden für eine MS auch nicht absolut beweisend und ĺndet sich auch bei anderen chronisch entzündlichen Prozessen des Zentralnervensystems.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Abb. 6.4: Lumbalpunktion Die Lumbalpunktion dient der Entnahme von Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) durch einen Einstich im Bereich der Lendenwirbelsäule. Daher auch der manchmal verwendete Ausdruck „Kreuzstich“. Die untersuchte Person sitzt mit gebeugtem Rücken und wird von vorne gestützt und gehalten. Der Einstich erfolgt nach Desinfektion in Höhe der unteren Lendenwirbelsäule. Das Nervenwasser kann durch die Nadel abtropfen und wird in Röhrchen gesammelt.
6.4 Evozierte Potenziale Mit elektrophysiologischen Untersuchungen lassen sich Störungen im Verlauf bestimmter Leitungsbahnen von Gehirn und Rückenmark nachweisen. Wollen wir etwa beurteilen, ob der Sehnerv intakt ist, so können wir einen Sehreiz setzen und messen, wann und wie stark dieser Reiz in der entsprechenden Gehirnregion ankommt. Die Reizantwort stellt ein evoziertes (hervorgerufenes) elektrisches Potenzial dar. Braucht die Reizweiterleitung länger als normal, ist eine Schädigung in diesem Bahnsystem anzunehmen. Natürlich ist dies eine
Evozierte Potenziale
77
sehr vereinfachte Darstellung, da für stabile Auswertungen eine mehrfache Messwiederholung notwendig ist und auch verschiedene andere EinĻussfaktoren Berücksichtigung ĺnden müssen. Außerdem ist mit der Feststellung der Leitungsverzögerung auch noch nicht geklärt, was diese letztendlich hervorgerufen hat. Evozierte Potenziale können somit in verschiedenen Systemen generiert werden. Bekannt sind besonders die visuell (durch Sehreize) oder akustisch (durch Laute) oder somatosensorisch (durch Empĺndungen auf der Haut) hervorgerufenen Potenziale. Für die MS-Diagnostik haben nur mehr die visuell (durch Sehreize) hervorgerufenen Potenziale Bedeutung. Bei einer akuten Sehnerventzündung ist die Amplitude der Reizantwort stark vermindert bis nicht mehr nachweisbar. Nach Abheilung kann sich die Amplitude normalisieren, die Latenz der Reizantwort bleibt jedoch zumeist verzögert. Aus diesem Grund kann eine abgelaufene Sehnerventzündung auch noch nach Jahren erkannt werden, und es kann ein solcher Befund zur objektiven Feststellung einer abgelaufenen Entzündung beitragen. Damit können wir – auch wenn kein entsprechendes klinisches Symptom vorhanden ist –
Abb. 6.5: Visuell evozierte Potentiale Mittels Untersuchung der visuell evozierten Potenziale kann die Funktion des Sehnervs (Nervus opticus) beurteilt werden. Der visuelle Reiz (Sehreiz) wird über einen Bildschirm vermittelt, der ein alternierendes Muster heller und dunkler Felder in Form eines Schachbrettes zeigt. Die dadurch ausgelösten (evozierten) elektrischen Potenziale werden mit Elektroden über dem Kopf abgegriffen. Beurteilt werden vor allem die Dauer bis zu einer Reizantwort sowie deren Intensität.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
eventuell eine zusätzliche von MS betroffene Stelle nachweisen und damit den Beleg der örtlichen Disseminierung unterstützen. Das Vermessen der visuell evozierten Potenziale ist dazu völlig ungefährlich und schmerzlos.
6.5 Diagnosekriterien Wie schon aus den vorhergegangenen Ausführungen ersichtlich, ist die Diagnose MS nicht einfach aufgrund einer einzigen Information oder aus einem Bild zu stellen. Um der Komplexität dieser Aufgabe Rechnung zu tragen und ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten, hat man sich in den vergangenen Jahren sehr um die Entwicklung international anerkannter Diagnosekriterien bemüht. An der Entwicklung der derzeit gültigen Richtlinien federführend beteiligt war der englische MS-Forscher Ian McDonald, nach dem diese Kriterien auch heute noch benannt sind. Die McDonald-Kriterien deĺnieren, in welcher Form die im Kapitel über die Diagnosemethoden angeführten Informationen und Untersuchungsergebnisse für die Diagnosestellung gewertet werden. Wie schon mehrfach erklärt, wird von diesen Kriterien die Erfüllung der „örtlichen und zeitlichen Dissemination“ gefordert. Das heißt, dass die Symptome von MS sowohl an verschiedenen Stellen im Zentralnervensystem als auch zu verschiedenen Zeiten aufgetreten sein müssen.
6.5.1 Was ist örtliĖe und zeitliĖe Dissemination im klinisĖen BereiĖ? Örtliche Dissemination bedeutet, dass aufgrund objektivierter klinischer Symptome von zumindest zwei Schädigungsorten in Gehirn oder Rückenmark ausgegangen werden kann. Zeitliche Dissemination heißt, dass klinisch objektivierte Symptome zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten (der Mindestabstand zwischen den Ereignissen beträgt einen Monat) aufgetreten sein müssen.
Diagnosekriterien
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Tabelle 6.3: Kriterien für eine Bestätigung der örtlichen Dissemination in der MRT 3 der 4 folgenden Kriterien müssen erfüllt sein Mindestens 1 Kontrastmittel aufnehmende Läsion oder mindestens 9 T2Läsionen Mindestens 1 Läsion in der hinteren Schädelgrube Mindestens 1 Läsion direkt unter der Hirnrinde Mindestens 3 Läsionen direkt an die Hirnhöhlen angrenzend
Abb. 6.6: MRT mit Nachweis der örtlichen Dissemination Die Bilder zeigen die Charakteristika von MS-Läsionen, welche zur Beurteilung der „örtlichen Dissemination“ herangezogen werden: a) das linke Bild zeigt zumindest 9 Veränderungen (helle Flecken), das rechte einen Herd mit Aufnahme von Kontrastmittel (Pfeil). Eine dieser Voraussetzungen sollte erfüllt sein. Weitere Voraussetzungen sind: b) mindestens eine Läsion im Hirnstamm (Pfeil) oder Kleinhirn. Wie das rechte Kontrastmittel-Bild zeigt, ist dies eine frische Veränderung. c) mindestens ein Herd angrenzend an die Hirnrinde (= juxtakortikal) (Pfeile). d) mindesten 3 Herde (hier als helle rundliche Flecken imponierend), welche an die Hohlräume (Ventrikel) des Gehirns angrenzen.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
6.5.2 Was ist örtliĖe und zeitliĖe Dissemination in der MRT? Auch für die Diagnoseunterstützung mittels MRT gilt, dass örtliche und zeitliche Dissemination belegt werden müssen. Örtliche Dissemination wird dabei nach den Barkhof-Kriterien eingestuft. Als „positiver“ – also bestätigender – Befund wird gewertet, wenn 3 dieser 4 Kriterien erfüllt sind. Die zeitliche Dissemination in der MRT gilt dann als erfüllt, wenn bei einer Kontrolluntersuchung nach frühestens 3 Monaten eine neue Kontrastmittel aufnehmende Läsion aufgetreten ist oder sich im Vergleich zu einer Ausgangsuntersuchung wenigstens ein Monat nach dem Akutereignis der Hinweis auf mindestens eine neue T2-Läsion ĺndet.
6.5.3 Was ist ein positiver Liquorbefund? Die Untersuchung des Nervenwassers liefert uns einige Informationen speziell auch zur Differentialdiagnose. Für die Einstufung nach den McDonald-Kriterien zählt aber vorwiegend der Nachweis „oligoklonaler Banden“. Erfüllen die vorliegenden Befunde die McDonald-Kriterien, ergibt sich die Diagnose „Multiple Sklerose“. Ist nur ein Kriterium (entweder die örtliche oder die zeitliche Dissemination) erfüllt – und sind andere
Tabelle 6.4: MRT-Kriterien zum Nachweis der „zeitlichen Dissemination“ von MS-Läsionen Zeitlich disseminiertes Auftreten von Läsionen kann mittels MRT folgendermaßen dokumentiert werden: 1. durch Nachweis einer Kontrastmittel aufnehmenden Läsion zumindest 3 Monate nach dem Beginn der ersten klinischen Attacke, außer in einer Region, die mit diesem Ereignis korrespondiert 2. durch den Nachweis des Auftretens einer neuen T2-Läsion im Vergleich zu einer MRT-Voruntersuchung, welche mindestens 30 Tage nach dem Beginn der ersten klinischen Attacke durchgeführt wurde
Diagnosekriterien
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Tabelle 6.5: McDonald-Kriterien zur Diagnose von MS Möglichkeiten der Ergänzung klinischer Hinweise auf die Diagnose einer schubförmigen MS durch Hilfsuntersuchungen Klinische Präsentation
Notwendige zusätzliche Information zur Diagnose einer MS
ł 2 Attacken (Schübe), objektiver Hinweis auf ł 2 Läsionen im ZNS
Keine
ł 2 Attacken, objektiver klinischer Hinweis auf 1 ZNS-Läsion
• MRT-Nachweis der örtlichen Dissemination von MS-typischen Läsionen oder • ł 2 MS-typische Läsionen und positiver Liquorbefund oder • weitere klinische Attacke
1 Attacke, objektiver klinischer Hinweis auf ł 2 Läsionen
• MRT-Nachweis einer zeitlichen Disseminaton oder • zweite klinische Attacke
1 Attacke, objektiver klinischer Hinweis auf 1 ZNS-Läsion
• MRT-Nachweis der örtlichen Dissemination von MS-typischen Läsionen und • ł 2 MS-typische Läsionen und positiver Liquorbefund
Ursachen weitestgehend ausgeschlossen –, kann man von einer „möglichen Multiplen Sklerose“ sprechen. Die McDonald-Kriterien beziehen somit erstmals klinische Informationen, MRT und den Befund der Lumbalpunktion in die Bewertung ein. Wie die einzelnen Befunde verwendet werden, ist aus der zusammenfassenden Tabelle ersichtlich.
6.5.4 Diagnosestellung bei primär fortsĖreitender MS Ein spezielles Problem in der Anwendung der Diagnosekriterien stellt allerdings nach wie vor die primär fortschreitende MS dar. Da sich bei diesem Verlauf keine Schübe zeigen, wäre ja nach den Diagnosekriterien nie eine MS-Diagnose möglich. Deshalb wurden die Kriterien für diese Verläufe entsprechend angepasst.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Tabelle 6.6: Diagnose der primär fortschreitenden MS nach den McDonaldKriterien Klinische Präsentation
Notwendige zusätzliche Information zur Diagnose einer MS
Mindestens über ein Jahr Fortschreiten der Symptome
Zusätzliche Erfüllung von mindestens zwei der folgenden Kriterien: Positiver MRT-Befund im Gehirn Positiver MRT-Befund im Rückenmark Positiver Befund im Nervenwasser
6.6 Anwendung der McDonald-Kriterien Die Anwendung dieser Kriterien fällt ohne Zweifel auch neurologisch geschulten Personen nicht immer leicht. Um die Information verständlicher zu machen, folgen hier einige Beispiele. Beispiel 1: Frau E. P. erleidet im April 2004 eine Sehnerventzündung. Nach längerer Beschwerdefreiheit kommt es im Juni 2006 zu einer Schwäche und Gefühlsstörung in beiden Beinen. In den Untersuchungen bestätigt sich 2004 eine Einschränkung des Sehvermögens, 2006 werden eine Schwäche in den Beinen und eine Gefühlstörung bis Nabelhöhe in der neurologischen Untersuchung festgestellt. Die differentialdiagnostische Abklärung hat andere Ursachen ausgeschlossen und MS-Veränderungen in der MRT bestätigt. Für die Diagnosestellung sind schon klinisch die McDonald-Kriterien erfüllt, die Abklärung dient dem Ausschluss anderer Ursachen und nur der Bestätigung der Diagnose. Frau E. P. erhält die Diagnose „Multiple Sklerose“. Beispiel 2: Frau H. S. bemerkt im August 2007, dass sie Schwierigkeiten beim Schreiben hat, sie kann ihren rechten Arm nicht zielgerichtet bewegen, trifft Gegenstände beim Greifen nur schlecht und zittert dabei. In der Untersuchung besteht eine Störung der Koordination der Bewegung mit dem rechten Arm.
Anwendung der McDonald-Kriterien
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In der MRT werden viele Veränderungen gesehen, die einer MS entsprechen, mehrere davon nehmen auch Kontrastmittel auf. Die Abklärung ergibt auch keine anderen Ursachen für die bestehenden Beschwerden. Zu diesem Zeitpunkt ist klinisch die örtliche und zeitliche Dissemination nicht erfüllt (ein Schub, eine betroffene Stelle im ZNS), in der MRT ist die örtliche Dissemination erfüllt. Frau H. S. erhält die Diagnose „mögliche Multiple Sklerose/Erstmanifestation“. Mögliche Fortsetzungen: Frau H. S. bekommt im Dezember 2007 wiederum Beschwerden mit Doppelbildern und einer feststellbaren Augenmuskellähmung. Dadurch ist klinisch die örtliche und zeitliche Dissemination erfüllt und die Diagnose „Multiple Sklerose“ bestätigt. Oder: Frau H. S. bleibt zwar klinisch ohne Beschwerden. In einer Kontrolle der MRT im Februar 2008 zeigt sich aber eine Zunahme des Befundes mit mehreren neuen MS-Herden, zwei davon nehmen auch Kontrastmittel auf. Das erfüllt auch die Forderung der zeitlichen Dissemination in der MRT und sichert die Diagnose auf diesem Weg. Beispiel 3: Herr G. L. bemerkt im Oktober 2006 eine Steiĺgkeit der Beine. Die Beschwerden beginnen schleichend, sind am Anfang auch gar nicht besonders störend. Allerdings nehmen die Beschwerden zu, Herr G. L. kann nicht mehr laufen, ein paar Monate danach wird die leistbare Gehstrecke kürzer, und er kann im Dezember 2007 nur noch höchstens 500 Meter gehen. Die Untersuchung zeigt eine deutliche Erhöhung der Muskelspannung in den Beinen und eine Schwäche beider Beine. Die ReĻexe sind gesteigert und das Babinski-Zeichen ist positiv. In der Abklärung ĺnden sich wenige Herde in der MRT des Gehirns, die als nicht beweisend für MS betrachtet werden. In der MRT des Rückenmarks zeigen sich zwei rundliche Herde im Halsmark. Die Untersuchung des Nervenwassers ergibt deutliches Vorliegen von oligoklonalen Banden.
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
Herr G. L. erfüllt damit die Kriterien für das Vorliegen einer primär fortschreitenden MS klinisch und in den Ergebnissen der Hilfsuntersuchungen.
6.7 DiagnosesiĖerheit „Für mich ist es wichtig zu wissen, dass ich mit Sicherheit MS habe, denn mit dieser Ungewissheit kann man ja wohl verständlicherweise kaum umgehen.“ So hat es eine unserer Patientinnen einmal beschrieben. Sie hat recht. Man kann heute die Diagnosesicherheit bei MS guten Gewissens als hoch bezeichnen, obwohl es am Beginn der Erkrankung die Diagnose „mögliche MS“ gibt. Bei entsprechender Qualität und Einhaltung der Empfehlungen bieten die derzeitigen technischen Möglichkeiten tatsächlich ein hohes Maß an Sicherheit. Mit dieser Sicherheit kann man MS nicht nur nachweisen, sondern sie auch ausschließen. Zudem hat der normierte Einsatz von Hilfsuntersuchungen die Perioden der Unsicherheit für Betroffene weiter deutlich reduziert. Andererseits muss aufgrund der hohen Sensitivität der unterschiedlichen Methoden zweifellos auch darauf geachtet werden, dass eine MS-Diagnose nicht vorschnell gestellt wird. Die Wahrscheinlichkeit falsch positiver Befunde steigt immer dann, wenn die Vielschichtigkeit der klinischen Symptome und der paraklinischen Untersuchungsergebnisse zu wenig Beachtung ĺndet und differentialdiagnostische Überlegungen zu kurz kommen. Wichtig ist, dass alle Ergebnisse und Befunde in reproduzierbarer Weise und mit stabiler Qualität durchgeführt und in ihrer Wertigkeit auch besprochen werden. Die Komplexität der Diagnosestellung einer MS hat also ohne Zweifel enorm zugenommen und erfordert mittlerweile ein Spezialwissen, über das nur MS-erfahrene Neurologinnen und Neurologen verfügen.
Diagnosesicherheit
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„ohne Titel“ Die Krankheit MS ergießt sich und verteilt sich über den Körper. Man hat auch manchmal das Gefühl, als würde man aus dem Körper treten. Darf man die Krankheit in ihrem Fluss gewähren lassen oder soll man dagegen halten? Wie weit darf man es zulassen, dass die Krankheit über die eigene Person, aber auch über andere Personen Ļießt?
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Stimmt meine Diagnose überhaupt?
I. E., weibliĖ „MS und meine Umgebung“ „Als meine Diagnose „MS-Erstmanifestation“ so gut wie feststand, prallten eine Menge Emotionen von außen wie von innen auf mich ein ... Unsagbar viel Liebe, Zuneigung, Verständnis und Kummer wurden mir zuteil – meine Eltern waren am Boden zerstört, mein Freund sehr bestürzt, und vielen meiner Freundinnen und Freunde brach es fast das Herz, als sie von meiner Diagnose erfuhren ... Vor allem diese unsagbare Sorge von allen Seiten, machte mich zum Teil komplett sprachlos und hilĻos zugleich ... Jeder wollte für mich da sein und sich um mich kümmern, so gut er bzw. sie es konnte ... Viele Menschen freuen sich über so viel Anteilnahme. Ich für meinen Teil wollte lieber alleine sein, um erst mal einen Weg zu ĺnden, mich selbst zu schützen und mein Leben wieder unter Kontrolle zu bringen. ,,Stille und Zeit für mich alleine“ waren wichtige Aspekte in der ersten Zeit nachdem feststand, dass ich nun mit einer Krankheit den Rest meines Lebens verbringen würde. Meine Eltern und ich führten zahlreiche Gespräche, wie es weitergehen soll – Themen wie: Therapiemöglichkeiten, ĺnanzielle Engpässe, veränderte Lebenssituation … wurden auf Lösungsansätze überprüft. Jeder in meiner Umgebung begegnete mir offen, liebevoll und beschützend. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl zu wissen, dass ich nicht alleine bin in dieser Situation und dass immer jemand für mich da ist und mir helfen will. BeruĻich war ich mit einer einschneidenden Veränderung konfrontiert: – So gut es geht, Stress vermeiden ... – Sich schonen und nicht allzu sehr belasten ... – Dinge delegieren lernen und nicht immer alles selbst machen ... – Meinen Kollegen nicht mehr Arbeit aufbürden und trotzdem meine Leistung erbringen ... Gott sei Dank habe ich in meinem Job die Möglichkeit, nur halbtags im Büro zu arbeiten und danach zu Hause am Laptop weiter erreichbar zu sein. Was für ein Glück!“
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D. W., weibliĖ „MS und Ärztinnen und Ärzte“ „Es ist wichtig, einen interessierten, aufmerksamen, in seiner Meinung sicheren und einfühlsamen Arzt zu haben. Viel mehr sollte auf psychologische Grundlagen geachtet werden (z. B. den Patienten anschauen). Dass man als Mensch nicht alles wissen kann, ist klar, das sollte vielleicht öfter zugegeben werden. Wenn nicht, ist es auch egal, denn jeder selbstständig denkende Mensch weiß das ohnehin. Wir leben im 21. Jahrhundert und die Zeiten, in denen der Arzt von den Menschen als eine Art Gott betrachtet wurde, sind größtenteils vorbei (zumindest bei Menschen, welche mit ihrem Hirn noch andere Dinge tun können, als die Befehle anderer auszuführen). Außerdem wäre es gut, wenn zusätzlich zur normalen Therapie alternative Möglichkeiten angeboten werden würden.“
B. P., männliĖ „Anderen MS-Betroffenen möchte ich übermitteln, dass es sehr wichtig ist, ein mündiger Patient zu sein.“
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7. Mit wem soll iĖ spreĖen, wem kann iĖ vertrauen? Ja, das ist nun wirklich eine schwere Frage! Um das Problem zu verdeutlichen, dürfen wir vorerst wieder zwei Patientinnen zu Wort kommen lassen. „Jeder wollte sich um mich kümmern, so gut er bzw. sie es konnte. Viele Menschen freuen sich über so viel Anteilnahme. Ich für meinen Teil wollte lieber allein sein, um erst einmal einen Weg zu ĺnden, mich selbst zu schützen und mein Leben wieder unter Kontrolle zu bringen.“ „Ich war am Anfang so durcheinander, dass ich immer nur über das Problem MS reden wollte. Ich hab dauernd darüber diskutieren wollen, es ist mir gar nicht aus dem Kopf gegangen. Erst nach vielen Gesprächen mit meiner Familie und meinen Freundinnen bin ich wieder ruhiger geworden. Durch sie habe ich langsam gelernt, die MS an ihren Platz zu stellen.“ Das sind zwei Menschen mit ganz unterschiedlichen Wegen, an ein Problem heranzugehen und es zu bearbeiten. Es gibt aber noch viel mehr Möglichkeiten des Umganges mit der Krankheit. Letzten Endes muss jeder Mensch lernen, den eigenen Weg zu ĺnden, wie er oder sie eine Problemsituation am leichtesten bewältigt und wie Menschen ausgewählt werden, die dabei helfen können. Die Wege, die dabei beschritten werden, sind individuell ganz unterschiedlich. Nach der Einordnung in das persönliche Umfeld ergibt sich natürlich auch die Frage, wie MS nach außen vertreten werden kann und an wen Informationen weitergegeben werden sollen, aber auch umgekehrt, woher Informationen über die Krankheit zu bekommen sind. Dieses Kapitel wird sich mit Beziehungen und der Informationsübermittlung befassen. Das betrifft natürlich vorerst die Weitergabe der Diagnose an die Personen im persönlichen Umfeld. Eine wichtige neue Beziehung ist aber auch zu bewerten, nämlich jene zu den behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Zu guter Letzt soll auch noch auf verschiedene Informationsquellen und deren Verwendung eingegangen werden.
Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
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MS muss nicht nur in das persönliche Leben, sondern auch in das soziale Umfeld eingeordnet werden. Die Entscheidung darüber, welche Personen in welchem Ausmaß über MS informiert werden, trifft ausschließlich die MS-betroffene Person selbst.
7.1 MS und persönliĖes Umfeld MS bringt die betroffenen Menschen in eine Grenzsituation. Man muss sich damit auseinandersetzen, nicht mehr gesund zu sein. Die Kontrolle über unseren Körper, die wir zumindest immer geglaubt haben ausüben zu können, fällt plötzlich weg. Verschiedene Fähigkeiten sind plötzlich nicht mehr da. Es bauen sich Ängste auf, was nun noch kommen wird und wie das Leben überhaupt noch gestaltet werden kann. Die Unsicherheit des Lebens wird bewusst gemacht, noch verstärkt durch das Wissen, mit MS einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor zu haben. Die Mitteilung über das Vorliegen einer Erkrankung nimmt uns das Vertrauen in unseren Körper. Man muss den Körper erst neu kennen und mit der Krankheit akzeptieren lernen. Das ist seelische Schwerstarbeit. Das ist auch eine Erfahrung, die den Menschen verändert. Beziehungen zur Umwelt, sei es zur Familie oder zu Freundinnen und Freunden, geraten dadurch auf den Prüfstand. Nicht alle Beziehungen überstehen die seelischen Stürme, die durch eine solche Erfahrung verursacht werden. Oft ergeben sich dadurch aber auch geänderte und durchaus verbesserte Kontakte oder neue Freundschaften. Schon am Beginn ist es wichtig, sich selbst und die eigenen Gefühle in dieser Situation ernst zu nehmen und auf sich selbst sehr gut hören und achten zu lernen. In der Auswahl der Personen, mit denen man die Diagnose besprechen möchte, ist viel Sensibilität für die eigenen Bedürfnisse nötig. Ohne ein allgemeines Rezept daraus machen zu wollen, ist es meistens gut, eine enge Auswahl von Personen zu treffen, die man schon in der Anfangsphase ins Vertrauen ziehen will. Wie kann man aber beurteilen, wer dieses Vertrauen auch verdient? In erster Linie ist es sicher wichtig, auf die eigenen Gefühle zu achten. Bei wem fühle ich
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Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
mich wohl, bei wem habe ich das Gefühl von Zuwendung und den Eindruck, dass ich als Person angenommen und geliebt werde, unabhängig vom Zustand, in dem ich mich beĺnde, und auch wenn ich mich schlecht fühle. Abgesehen von dieser durch Gefühle getriebenen Beurteilung gibt es auch einige vielleicht besser fassbare Dinge, die zur Bewertung herangezogen werden können. Wichtig ist, dass die Vertrauensperson sehr gut zuhören kann und wirklich bereit ist, sich Zeit zu nehmen und auf geschilderte Probleme einzugehen. Wichtig ist aber auch, dass Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner wissen, dass sie nicht sofort für alle Fragen eine Lösung anbieten können, ja das gar nicht sollen. Viele Fragen, die sich stellen, können ja auch gar nicht sofort gelöst werden. Unterstützende Personen müssen vor allem bemüht sein zu helfen, dass die betroffene Person die für sie individuell richtige Lösung ĺndet. Es ist oft schwierig und leider meist nicht zielführend, wenn Angehörige, Freundinnen und Freunde schnell und vehement nur ihre Vorschläge und Lösungen anbieten, auch wenn das durchaus in sehr positiver Absicht erfolgt. MS-Betroffene müssen den eigenen Weg mit der Krankheit ĺnden. Unterstützung und Hilfe ist dabei willkommen, aber die endgültige Entscheidung über den weiteren Weg muss bei der betroffenen Person liegen. MS verlangt viel von den Betroffenen. Es ist notwendig, mit und trotz der Krankheit Stärke und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die größte Hilfe ist daher von jenen Personen im Umfeld zu erwarten, die zwar bereit sind, jede Unterstützung anzubieten, trotzdem aber die MS-Betroffenen in ihrer Stärke und Eigenverantwortung akzeptieren können. Gleichermaßen ergeben sich die besten Beziehungen mit jenen Menschen, die den „MS betroffenen Anteil“ von Menschen mit MS akzeptieren und im Bedarfsfall auch zur Hilfe bereit sind, die aber den „gesunden Anteil“ von Menschen mit MS genauso gut sehen und mit diesem auch anspruchsvoll und fröhlich weiter kommunizieren können. Sehr oft hören wir die Frage: „Wem muss ich denn von meiner Krankheit erzählen?“ Auch dazu gibt es natürlich sehr individuelle Lösungen. Manche Menschen mit MS wollen, dass jedenfalls alle Angehörigen und auch Freundinnen und Freunde informiert sind, andere
MS und persönliches Umfeld
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halten ihre Diagnose völlig geheim. Es gibt keine Regel, wer (außer den behandelnden Ärztinnen und Ärzten) von der Diagnose wissen muss. Es ist aber völlig klar und auch wichtig zu wissen, dass MSBetroffene sich jedenfalls selbst aussuchen können, mit wem und wann sie über ihre Erkrankung sprechen wollen.
Vertrauenspersonen sind wichtig. Hilfe ist am ehesten von jenen Personen zu erwarten, die die durch die Erkrankung bedingten Schwächen und auch die in der Persönlichkeit liegenden Stärken von MS-Betroffenen gleichermaßen akzeptieren können.
7.2 Auswahl und Beurteilung von Ärztinnen und Ärzten Eine neue Beziehung, die sich durch die Krankheit ergibt, ist jene zur betreuenden Ärztin/zum betreuenden Arzt. Das wird im Allgemeinen eine Person mit neurologischer Fachausbildung sein, meistens und bevorzugt natürlich eine Person mit Spezialisierung auf die Krankheit MS bzw. auf neuroimmunologische Erkrankungen. Meist gibt es natürlich schon seit der Kindheit auch eine Ärztin/einen Arzt in der Allgemeinpraxis als vertraute Bezugsperson. Medizinisch ist die Entscheidung, an wen man sich mit Fragen wenden kann, relativ einfach zu beantworten: Die mit MS zusammenhängenden Probleme (Aufklärung, Beratung und Entscheidung über Therapien, Diagnose von Schüben, MS-bezogene Fragen usw.) erledigt die MS-Spezialistin/der MS-Spezialist. Allgemeine Probleme (Behandlung von Infekten, alle allgemeinen medizinischen Probleme, Blutdruckkontrollen, Verschreibung von Medikamenten usw.) bleiben natürlich wie schon vorher in der Allgemeinpraxis. Üblicherweise stehen die Betreuungspersonen zumindest brieĻich und über Berichte miteinander in Kontakt. Die meisten MS-Betroffenen wollen über Befunde und Therapieentscheidungen gerne in einem MS-Zentrum bzw. von entsprechend spezialisierten niedergelassenen Neurologinnen und Neurologen beraten werden, dann aber eventuell auch noch mit der vertrauten Per-
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Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
son in der Allgemeinpraxis sprechen. Diese Einteilung ist auch sinnvoll und nützt alle Kompetenzen ideal. Schon schwieriger gestaltet sich die Frage: Bei wem bleibe ich in Behandlung? Es gibt ja doch meistens in der Umgebung mehrere Möglichkeiten. In einer Zeit hoher Mobilität werden auch längere Fahrten durchaus in Kauf genommen. Vom persönlichen Umfeld kommen auch früher oder später viele gut gemeinte Ratschläge: „Ich habe gehört, dass es in … einen Arzt gibt, der so großartig ist“, „…in Amerika gibt es eine neue Behandlung gegen MS“, „Wende dich doch einmal an die …, die hat meine Cousine so gut behandelt“. Je mehr Anregungen und Ratschläge von außen kommen, umso mehr fragt man sich dann halt auch, ob man alles richtig macht, ob wohl alle neuen Erkenntnisse angewendet werden oder nicht vielleicht doch die Therapie aus Übersee die Heilung gebracht hätte. Befolgt man allerdings alle guten Ratschläge, endet das über kurz oder lang in intensiver Reisetätigkeit, verursacht Zeitaufwand und Kosten und schafft die Erkrankung auch nicht aus der Welt. Worauf aber kann man achten, um sich über die Qualität einer Betreuung und Behandlung klar zu werden, wenn man von der Medizin selbst doch nichts versteht? Medizinische Maßnahmen zu beurteilen ist tatsächlich nicht so einfach. Andererseits kann eine andere Überlegung durchaus beruhigen: Medizin ist heute keine Geheimwissenschaft mehr, die in dunklen Kammern entwickelt und nur von Eingeweihten betrieben wird. Die modernen Medien machen es möglich, dass sich alle Informationen – auch medizinische – in kürzester Zeit rund um die Welt verbreiten. Es ist daher nicht möglich, dass es irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der ganz für sich allein ein Heilmittel gegen MS entwickelt und das als Einziger anwenden kann. Ärztinnen und Ärzte haben die VerpĻichtung, sich über den neuesten Stand der medizinischen Forschung zu informieren und diesem entsprechend zu behandeln. Man kann also davon ausgehen, dass neue Therapiemittel in spezialisierten Zentren auch zur Verfügung stehen. Andererseits muss aufgrund der Vielschichtigkeit der Erkrankung klar sein, dass die Wirksamkeit von Therapien gegen MS nur in Untersuchungen an einer großen Zahl von Patientinnen und Patienten belegt werden kann. Beobachtungen an wenigen Fällen reichen dazu aufgrund der
Auswahl und Beurteilung von Ärztinnen und Ärzten
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großen Unterschiede im spontanen Verlauf keinesfalls aus. Die Entwicklung und Untersuchung neuer Medikamente gegen MS erfolgt heute deshalb zumeist gleichzeitig in mehreren Ländern der Welt und bezieht unter strengen AuĻagen und Kontrollen zumindest mehrere Hundert Patientinnen und Patienten ein. Daraus resultierende Ergebnisse sind deshalb auch entsprechend überprüfbar und werden natürlich weltweit bekannt gemacht. Bei der Wahl der langfristigen ärztlichen Betreuerin/des ärztlichen Betreuers ist deshalb sorgfältig darauf zu achten, ob und wie medizinische Erkenntnisse kommuniziert und diskutiert werden. Es ist zu verlangen, dass über den jeweiligen Stand der Behandlungsmöglichkeiten (speziell der medikamentösen Therapien) genau und ausführlich informiert wird. Ärztinnen und Ärzte können sich heute dabei vielfach auch auf nationale und internationale Empfehlungen stützen. Fragen müssen ernst genommen und genau beantwortet werden, Vor- und Nachteile der jeweiligen Behandlung sind zu diskutieren. Inhaltlich sind die Antworten für Laien zugegebenermaßen schwer zu überprüfen, obwohl viele MS-Betroffene schon mit ausführlichem Wissen aus dem Internet vorbereitet sind. Der Umgang und die Art der Erklärungen aber kann in jedem Fall beurteilt werden. Vorsicht ist immer geboten, wenn in einem Therapiegespräch über MS zu viel versprochen wird. „Ich heile Sie“ ist ein Versprechen, das man derzeit in der MS nicht halten kann. Der Satz „Nur ich kann Ihnen helfen“ zeugt zumindest von Selbstüberschätzung und mangelnder Ehrlichkeit. Und sollte in einem Gespräch die Aussage fallen: „Schauen Sie da drüben die Frau im Rollstuhl an. Wenn Sie nicht machen, was ich Ihnen sage, dann schauen Sie auch bald so aus“, dann ist allerhöchste Vorsicht geboten und ein Wechsel der behandelnden Person ratsam. Eine gute Ärztin/ein guter Arzt nimmt auch Rücksicht darauf, dass MS eine Erkrankung ist, die langfristig das Leben begleitet. Deshalb sollen immer auch persönliche Einschätzungen und Motive im Gespräch berücksichtigt und in Entscheidungen miteinbezogen werden. Zu guter Letzt ist es in der Beziehung zur behandelnden Person natürlich auch von immenser Bedeutung, wie man sich im Umgang und in der Gesprächssituation fühlt. Die Kontakte zur Behandlungsperson sollen angenehm und nicht mit Angst verbunden sein. Es muss
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Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
Tabelle 7.1: Betreuungsqualität Fragen zur Beurteilung von Betreuungsqualität von Ärztinnen/Ärzten Werde ich ausführlich über Krankheit und Therapie informiert? Werden meine Fragen ernst genommen und sorgfältig beantwortet? Werden mir realistische Ziele gesetzt? Werde ich als Person und in meiner Entscheidungsfreiheit akzeptiert? Kann ich „locker“ und ohne Druck Fragen stellen? Fühle ich mich wertgeschätzt und angenommen? Fühle ich mich in der Untersuchungssituation wohl und angstfrei?
klar und „spürbar“ sein, dass Fragen willkommen sind und ernst und bemüht beantwortet werden. Einwände und Widerspruch müssen Platz haben und ohne Folgen respektiert werden, eventuelle KonĻikte müssen diskutiert werden können. Insgesamt klingt der Forderungskatalog an die Behandlungspersonen also ähnlich wie die Anliegen in der Paartherapie, und das ist auch richtig so. MS-Betroffene leiden an einer chronischen Erkrankung. Die Beziehung zur behandelnden Ärztin/zum behandelnden Arzt ist eine Partnerschaft, die über viele Jahre halten soll. Sie muss deshalb auch viele Forderungen, die an Partnerschaften zu stellen sind, erfüllen. Und nicht jede ärztliche Betreuungsperson kann und muss sofort die richtige sein.
7.3 Informationsquellen Über die Befunde und auch über die Krankheit MS informiert zu werden ist ein Recht. MS-Betroffene werden deshalb selbstverständlich von ihren Ärztinnen und Ärzten über die Erkrankung informiert. Trotzdem kommen natürlich auch Informationen aus vielen anderen Quellen auf MS-Betroffene zu, zum Teil weil sie selbst danach suchen, zum Teil aber auch ungefragt und oft sogar ungewollt.
Informationsquellen
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7.3.1 Information durĖ MensĖen im persönliĖen Umfeld Wir haben es schon im Kapitel Auswahl und Beurteilung von Ärztinnen und Ärzten erwähnt, dass Informationen oft auch von außen herangetragen werden. Das gilt natürlich nicht nur für Empfehlungen von Behandlungspersonen, sondern auch für alle anderen Gesundheitsbelange. Kaum spricht sich eine Erkrankung herum, kommen in Scharen Menschen, die genau wissen, was zu tun ist und ganz sicher den richtigen Weg für Verhalten, Behandlung und weitere Aktionen kennen. Generell ist zwar anzunehmen, dass diese Vorschläge gut gemeint sind und der Fürsorge und dem Wunsch zu helfen entspringen. Trotzdem ist eine gewisse Distanz und ein kritischer Umgang mit all diesen Ratschlägen nötig. Besonders wenn Vorschläge zur Behandlung oder Änderung von Therapien gemacht werden, sollte jedenfalls der Vorschlag medizinisch überprüft werden.
7.3.2 Informationen durĖ Selbsthilfegruppen Für MS existieren eine Reihe von Gruppen, in denen Betroffene sich mit dem Ziel der Selbsthilfe zu Gesprächen und gemeinsamen Unternehmungen zusammenschließen. Das ist gut und bringt viele Vorteile. Allerdings ist bei Ratschlägen aller Art auch in diesen Gruppen (wie im vorigen Kapitel erwähnt) kritischer Umgang wichtig. Ein uneingeschränkter Vorteil ist es, wenn MS-Betroffene – und im besten Fall solche, die im Verlauf und in der Ausprägung der Erkrankung etwa vergleichbar sind – miteinander Probleme im Umgang mit der Krankheit besprechen können. Einheitlich berichten alle Betroffenen, dass sie von anderen Menschen mit MS die meisten verwendbaren Tipps und Hilfestellungen bekommen haben und der Proĺt aus Gesprächen mit selbst Betroffenen immer der größte war. Der wichtigste Vorteil liegt dabei aber eher im persönlichen Kontakt von Einzelpersonen als im Gedankenaustausch mit einer größeren Gruppe, die durch die Mischung unterschiedlicher Verläufe und Ausprägungen der Erkrankung keinen vergleichbar gezielten Gesprächskontakt
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Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
ermöglicht. Ein zusätzlicher Vorteil der Selbsthilfegruppe ist andererseits, dass im Rahmen von Treffen oft auch Informationsveranstaltungen stattĺnden. Darüber hinaus verbinden gemeinsame Aktivitäten, diese werden oft als anregend und kurzweilig empfunden.
7.3.3 Informationen durĖ BüĖer und Internet Es wäre widersinnig, ein Buch über MS zu schreiben und nicht anzunehmen, dass das eine gute Informationsquelle ist. So hoffen wir nun doch ganz intensiv, dass es uns mit diesem Buch gelingt, Sie über MS zu informieren. Aber auch modernere Medien bieten eine Fülle von Informationen über MS an. Das Internet ist eine schnelle und ergiebige Möglichkeit, Informationen einzuholen. Auf verschiedenen Seiten sind sachliche und sehr gut verwendbare Artikel zu ĺnden. Gewisse Vorsicht ist aber natürlich auch im Internet geboten, vor allem wenn es um Kontakte in Chatrooms und um die Erteilung persönlicher Ratschläge geht. Für diesen Bereich ist, so wie für alle anderen persönlichen Kontakte, eine schon oben mehrfach empfohlene kritische Haltung anzuraten.
Informationsquellen
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„ohne Titel“ Für dieses Bild habe ich meine Gefühle spielen lassen. In meiner Gefühlswelt gibt es zwei Ebenen. Wenn es mir nicht gut geht, ist alles dunkel und düster. Wenn es mir aber gut geht, ist alles hell und fröhlich. Das ist die größere und wichtigere Ebene. Von außen kommen gute und schlechte EinĻüsse, sie treffen auf die eigene Gefühlswelt. Wichtig ist, selbst stark und standhaft zu sein. Die Gefühle, die man nach außen zeigt, werden „weggeblasen“, verteilen sich in der Umgebung. Auch hier symbolisiert die helle Farbgebung den Wunsch nach der positiven Ausstrahlung, das Bedürfnis, Positives nach außen abzugeben.
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Mit wem soll ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
„ohne Titel“ Stimmungen wechseln sehr stark. Manchmal fühlt man sich ganz obendrüber, dann aber auch wieder ganz untendurch. Dann besteht große Angst vor der Übermacht von MS. Bin ich erdrückt und ausgeliefert? Was kann ich der Krankheit entgegensetzen?
Informationsquellen
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M. F., weibliĖ „Ich möchte anderen Betroffenen sagen, dass ich glaube, dass alles einen Sinn hat im Leben. Auch ein Leben mit MS kann wunderbar sein, man muss aber selbst mitarbeiten, sich informieren und immer dazu lernen.“
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8. Kann man MS überhaupt behandeln? Ganz selbstverständlich mit „Ja“ kann man diese Frage wirklich nicht beantworten. Man kann heute MS natürlich behandeln. Es gibt eine lange Reihe von möglichen Therapien, noch viel mehr Behandlungsmöglichkeiten sind in Entwicklung. Trotzdem ist auch heute noch eine Heilung von MS nicht möglich. Die zur Verfügung stehenden Therapien können die Aktivität der Erkrankung vermindern, den Verlauf verbessernd beeinĻussen, aber sie können die Krankheit nicht ganz zur Rückbildung bringen. Abgesehen von dieser vorsichtigen Einschränkung, die diesem Kapitel vorangestellt werden muss, kann die Medizin in der MS-Therapie inzwischen aber ohne Zweifel sehr viel bieten. Speziell die letzten 15 Jahre haben unser Wissen und unsere Möglichkeiten einer Behandlung der MS fast explosionsartig gesteigert, und die Entwicklung scheint auch in diesem Tempo und in dieser Vehemenz weiter zu gehen.
MS ist heute gut behandelbar. Die Therapie dient aber nur der Verminderung der Aktivität der Erkrankung. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich.
8.1 Was bedeutet „evidenzbasierte Therapie“? Bevor man sich über einzelne Medikamente Gedanken macht, ist es wichtig zu wissen, wie eine Behandlung überhaupt so weit kommt, dass sie als „MS-Therapie“ verwendet werden darf. Stellen Sie sich vor, Sie hören von einem „Wunderheiler“, der von sich sagt: „Ich kann MS heilen.“ Sie haben gerade die Information bekommen, dass Sie MS haben und kommen guten Glaubens und in der Hoffnung auf Heilung zum Heiler. Dieser sagt Ihnen: „Sie haben MS, damit kommt man in den Rollstuhl. Wenn Sie nicht meine berühmten rosa Tabletten nehmen, können Sie in 5 Jahren nicht mehr gehen. Nur mein Medikament kann das verhindern, das ist Ihre
Was bedeutet „evidenzbasierte Therapie“?
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einzige Chance!“ Sie bezahlen gerne und dankbar den Preis für die rosa Tabletten. Für die weitere Entwicklung gibt es mehrere Möglichkeiten: Vielleicht ist Ihr MS-Verlauf spontan gutartig. Die rosa Tabletten (sie enthalten Traubenzucker und rote Lebensmittelfarbe) müssen gar keine Wirkung entfalten, es geht Ihnen gut. Sie sind weiterhin froh und dankbar, kaufen noch viele rosa Tabletten und erhalten regelmäßig die Versicherung, dass Sie ohne diese Behandlung schon im Rollstuhl wären. Wie die Erkrankung sich ohne rosa Tabletten entwickelt hätte, wissen Sie natürlich nicht. Vielleicht aber ist Ihr MS-Verlauf schlecht. Sie bekommen nach 3 Jahren einen schweren Schub und erleiden wirklich eine Verschlechterung der Gehfähigkeit. Sie kommen natürlich erbost zum Heiler und beschweren sich. Der erklärt Ihnen dann vermutlich: „Na ja, bei ganz schweren Verläufen wie bei Ihnen hilft es leider nicht!“ oder aber: „Ja, Ihre MS ist jetzt schlechter geworden, aber ohne meine Therapie wären Sie schon seit 2 Jahren im Rollstuhl!“ Bei vielen MS-Fällen (die ja auch sehr gut und ohne wesentliche Beschwerden verlaufen können) würde der Schwindel nie, bei anderen vielleicht nach vielen Jahren zu erkennen sein. In jedem Fall ist es schwierig, erfolgte Maßnahmen ganz einfach mit der Entwicklung zu begründen. Man kann eben auch sagen: „Ohne meine Behandlung wäre es Ihnen ja noch viel schlechter gegangen!“ Diese kleine Geschichte soll illustrieren, dass es gar nicht so einfach ist, die Wirkung von Medikamenten zu beurteilen. Besonders schwer ist das bei chronischen Erkrankungen, bei denen Wirkungen ja erst nach Jahren erkennbar sind. Noch schwerer ist das bei einer so vielgestaltigen Erkrankung wie MS.
Die Beurteilung von Therapieeffekten ist bei einer Erkrankung wie MS, die chronisch und im Verlauf sehr variabel ist, schwer. Deshalb ist für Therapien, die bei MS anerkannt eingesetzt werden dürfen, ein genauer Nachweis der Wirkung in klinischen Studien gefordert.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
In der Medizin gibt es für die Akzeptanz von Medikamentenwirkungen äußerst strenge Regeln. Um für ein Medikament eine Zulassung zur Therapie von MS zu bekommen, müssen verschiedene Bewertungen (detaillierte Medikamentenentwicklung) durchlaufen werden. Bevor überhaupt am Menschen getestet wird, erfolgen im Labor und oft auch in Tierversuchen die ersten Entwicklungsschritte. Dann erst beginnt die klinische Testung, die in vier „Phasen“ eingeteilt wird. In der ersten Phase werden mit gesunden Versuchspersonen die Verträglichkeit und Sicherheit der Behandlung bewertet und Daten zur Verteilung der Substanz im Körper erhoben. Über den Nutzen für die Therapie bestehen zu diesem Zeitpunkt erst vage Vermutungen. In der nächsten Phase erfolgt die erste Einstufung der Wirkung auf bestimmte Krankheiten in sogenannten „Pilotstudien“. Diese versuchen in noch relativ kleinen und streng deĺnierten Gruppen von Patientinnen und Patienten, erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit des Medikamentes zu erhalten. Dabei werden unterschiedliche Dosierungen des Wirkstoffes getestet, seine Verträglichkeit weiter überprüft und festgelegt, welche Beurteilungskriterien für nachfolgende größere klinische Studien sinnvoll erscheinen, um die Efĺzienz der Behandlung auch wirklich bewerten und beweisen zu können. Erst dann kommt das Medikament in Phase drei und wird damit in jener Form von Studien untersucht, die viele MS-Betroffene aus Angeboten oder auch aus aktiver Teilnahme kennen. Diese Studien werden an größeren Gruppen von Patientinnen und Patienten durchgeführt, um statistisch abgesichert den Effekt der Therapie zu beweisen. Sie haben auch das Ziel, für das untersuchte Medikament eine Zulassung (und in der Folge auch Finanzierung durch Krankenkassen) zur Anwendung bei einer bestimmten Erkrankung bzw. Indikation zu bekommen, und heißen daher auch Zulassungsstudien. Oft werden auch nach der Zulassung, d. h. in sogenannten Phasevier-Studien noch weitere Informationen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit eingeholt. Für die Durchführung all dieser Prüfschritte gelten strenge und genau kontrollierte Regelungen, die eine EinĻussnahme auf die Bewertung der Wirksamkeit möglichst ausschließen sollen. Besondere Beweiskraft haben deshalb „Placebo kontrollierte“ Studien. Dabei wird das Prüfmedikament gegen Placebo (= ein für alle Beteiligten äußerlich nicht unterscheidbares Scheinmedikament) verglichen. Dieser
Was bedeutet „evidenzbasierte Therapie“?
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Vergleich muss zudem immer „doppelblind“ durchgeführt werden, d. h. weder Patientin/Patient noch die Behandlungspersonen wissen, wer das zu prüfende und wer das Scheinmedikament bekommt. Die genaue Einhaltung aller Prüfregeln und die sorgfältige Durchführung der Studie werden in den beteiligten Zentren durch eigene Personen immer wieder genauestens überprüft. Nur wenn ein Medikament alle diese Untersuchungsschritte durchlaufen hat und dabei statistisch signiĺkante Wirkung belegen konnte, kann um die Zulassung für die Anwendung im Alltag angesucht werden.
Für die Anwendung von Therapien ist es verpkichtend, einen Nachweis der Wirksamkeit in kontrollierten Studien zu erbringen. Die Durchführung dieser Studien wird sorgfältig überwacht und unterliegt strengsten Regeln. Für die Teilnahme an einer Studie ist in jedem Fall schriftliches und mündliches Einverständnis der Patientinnen und Patienten nach genauester Aufklärung nötig. Es ist deshalb nie zu befürchten, als „Versuchskaninchen“ missbraucht zu werden.
Das bedeutet also, dass es in der Medizin nicht genügt, einfach zu sagen: „Ich heile!“ Die Pharmaĺrmen erbringen in Kooperation mit Ärztinnen und Ärzten diese oben angeführten Beweise für die Wirkung ihrer Medikamente. Ärztinnen und Ärzte haben jedenfalls die VerpĻichtung, über die Ergebnisse der Studien informiert zu sein und Medikamente „evidenzbasiert“, also der Beweislage in den Studien entsprechend, anzuwenden. Sie als MS-Betroffene(r) können und sollen fordern, dass Ihre Ärztin/ Ihr Arzt Sie über die vorliegende Evidenz der Wirkung eines Medikamentes informiert. Liegt für eine Behandlung kein entsprechender Nachweis von Wirkung vor oder ist diese nicht in entsprechend kontrollierter Form untersucht worden, muss speziell darauf hingewiesen werden und es sollte bei MS die Anwendung auch höchstens in Ausnahmefällen erfolgen.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
Tabelle 8.1: Beurteilung von Therapien in klinischen Studien Studienphase
Ziel der Beurteilung
Phase-I-Studie
Erste pharmakologische Einstufung am gesunden Menschen, dient vorwiegend der Beurteilung der Verträglichkeit und Sicherheit, der Untersuchung von Aufnahme und Verteilung des Medikaments durch den Körper, eventuell auch vorläuĺger Einstufung des therapeutischen Nutzens.
Phase-II-Studie
Erste Untersuchung der therapeutischen Efĺzienz an eng deĺnierten Gruppen von Patientinnen und Patienten, dient der Dosisĺndung und legt den Studienablauf und potenzielle Endpunkte für folgende Phase-III-Studien fest.
Phase-III-Studie
Eigentliche „Therapiestudien“, dienen der Bewertung und Sicherung des Therapieeffektes, weiterer Beurteilung der Nebenwirkungen an größeren Gruppen von erkrankten Personen mit dem Ziel der ofĺziellen Zulassung des Medikaments.
Phase-IV-Studie
Erfolgt nach Zulassung einer Therapie, untersucht neue oder veränderte Indikationen, neue Verabreichungsformen oder zusätzliche Patientinnen-/ Patientenpopulationen.
8.2 WelĖe MS-Therapien gibt es? Grob betrachtet kann man die Möglichkeiten der Behandlung von MS in mehrere Bereiche gliedern: 1. Therapie der MS im Intervall 2. Therapie des akuten Schubes 3. Symptomatische Therapien 4. Begleitende Maßnahmen Der nächste Abschnitt wird sich mit der Therapie im Intervall beschäftigen, die Punkte 2 bis 4 werden in den folgenden Kapiteln besprochen.
Welche MS-Therapien gibt es?
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8.3 Therapie der MS im Intervall Um die entzündliche Aktivität von MS zu vermindern, behandelt man MS vorbeugend mit Substanzen, die als immunmodulierend (die Immunantwort beeinĻussend) oder immunsuppressiv (die Immunantwort unterdrückend) bezeichnet werden. Diese Substanzen werden im „Intervall“ verabreicht und deshalb auch „Intervalltherapien“ genannt. Diese Bezeichnung ist allerdings nicht ganz exakt, denn Intervalltherapien werden von Beginn der Therapie an durchaus regelmäßig durchgeführt und auch im Fall eines Schubes nicht unterbrochen. Besser sollte für diese Formen der Behandlung die Bezeichnung „Langzeittherapien“ verwendet werden, was schon darauf hinweist, dass sie über lange Zeit fortgesetzt verabreicht werden. Die zur Verfügung stehenden Medikamente werden nun aufgezählt und in Bezug auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen beschrieben. Bitte beachten Sie, dass gerade in der Therapie der MS sehr viele Entwicklungen im Gange sind. Die verwendeten Medikamente und Einsatzgebiete entsprechen dem Stand des Wissens zum Zeitpunkt, als dieses Buch geschrieben wurde! Bitte beachten Sie auch, dass die Aufzählung von Nebenwirkungen nicht vollständig ist, sondern nur die wichtigsten Nebenwirkungen enthält. Eine vollständige Angabe der in Studien beobachteten eventuell nur sehr seltenen Nebenwirkungen steht in der Gebrauchsinformation der Medikamente. Die Einsatzgebiete und Entscheidungsgrundlagen für die Therapie werden dann in der Folge noch genauer besprochen.
8.3.1 Eingesetzte Medikamente Für die Indikation MS stehen derzeit folgende Präparate zur Verfügung: • Beta-Interferone • Glatirameracetat • Natalizumab • Azathioprin • Immunglobuline • Mitoxantron • Cyclophosphamid
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Kann man MS überhaupt behandeln?
8.3.1.1 Beta Interferone Interferone sind Eiweißstoffe, die im menschlichen Körper vorhanden sind und als Botenstoffe im Immunsystem dienen. Die Idee, das Immunsystem durch Gabe solcher Botenstoffe in seiner Informationsübertragung zu beeinĻussen, ist schon relativ alt. Als Therapie nutzbar wurden diese Substanzen aber erst, seitdem es möglich ist, diese Substanzen „recombinant“ herzustellen und damit in größerer Menge verfügbar zu machen. Gegen MS werden drei unterschiedliche Präparate verwendet, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden. Interferon-ß-1a ist in Avonex® und Rebif® enthalten, Interferon-ß-1b in Betaferon®. Alle diese Präparate werden mittels Injektion verabreicht. Einsatzgebiete Interferone sind vor allem in den früheren, durch Entzündung dominierten Phasen der MS einsetzbar, also nach Erstmanifestation und bei schubförmiger MS. Für Betaferon® ist auch eine Wirkung bei sekundär fortschreitenden Verläufen belegt. Nebenwirkungen Interferone sind seit vielen Jahren gut untersucht und inzwischen auch schon seit fast 15 Jahren gegen MS in der Routinetherapie im Einsatz. Sie gelten als gut verträgliche Medikamente und können auch über viele Jahre ohne wesentliche Probleme verabreicht werden. Trotzdem gibt es natürlich auch Nebenwirkungen. Durch die Verabreichung als Injektion kann es an der Stichstelle zu Hautreaktionen kommen. Dies sind Rötungen, manchmal Schwellungen und Schmerzen. In seltenen Fällen treten bei Verabreichung
Tabelle 8.2: Interferonpräparate Medikament
Dosis
Verabreichungsart
Avonex® (Interferon ß 1a)
6 Mio IE (30 g)
1 Mal pro Woche im. (in den Muskel)
Betaferon® (Interferon ß 1b)
8 Mio IE (250 g)
Jeden 2. Tag sc. (unter die Haut)
Rebif® (Interferon ß 1a)
6 Mio bzw. 12 Mio (22 g bzw. 44 g)
3 Mal pro Woche sc. (unter die Haut)
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unter die Haut schwerere Veränderungen wie Zerstörung von Hautgewebe an der Stichstelle oder Zugrundegehen der Fettschicht in diesem Bereich auf. Weiters können Interferone auch den ganzen Körper betreffende (= „systemische“) Nebenwirkungen verursachen. Diese äußern sich als Grippesymptome, machen also Symptome, wie wir sie von Infekten kennen. Es kommt zu Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Fieber. Die Grippesymptome treten meist ein bis drei Stunden nach der Spritze auf, bilden sich nach einigen Stunden wieder zurück und können auch mit Medikamenten unterdrückt werden. Auch Müdigkeit wird als Folge der Injektionen beschrieben, manchmal auch noch über den folgenden Tag anhaltend. Eine Verstärkung von vorhandener Spastizität ist in manchen Fällen – besonders bei der Behandlung fortschreitender Verläufe – ein Problem. Seelische Probleme wie Depressionen liegen bei MS häuĺg vor. In einzelnen Studien wurde eine höhere Rate von Selbstmordversuchen unter Interferontherapie beschrieben. Dies dürfte eher ein Zufall in diesen Studien sein und hat sich in der Folge auch nicht weiter bestätigt. Dass Depressionen durch Interferone ausgelöst werden können, ist zumindest sehr unwahrscheinlich. Trotzdem wird diese mögliche Nebenwirkung angeführt, und es werden Interferone bei Vorliegen schwerer Depressionen nicht verabreicht. In Laborkontrollen kann gelegentlich eine Verminderung der weißen Blutkörperchen oder ein Anstieg der Leberfermente festgestellt werden. Als selten werden Schilddrüsenfunktionsstörungen beschrieben. Diese Laborwerte werden deshalb unter der Behandlung kontrolliert. Bei einem Teil von Patientinnen und Patienten entwickeln sich durch die Gabe von Interferonen Antikörper, die die Wirkung der Therapie unterdrücken können. Die Häuĺgkeit der Entwicklung von Antikörpern ist von Präparat zu Präparat unterschiedlich. Sie werden bei Therapieversagen bestimmt und können eventuell eine Umstellung der Behandlung nötig machen.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
8.3.1.2 Glatirameracetat Glatirameracetat wurde eigentlich – wie es in der Medizin so oft vorkommt – zufällig entdeckt. Eigentlich sollten für Tierversuche Antikörper entwickelt werden, die in der Lage sind, Gehirnentzündungen auszulösen. Zu diesem Zweck wurden dem basischen Myelinprotein ähnliche Eiweißzusammensetzungen entwickelt. Keines davon konnte eine EAE (= experimentell allergische Enzephalitis, das im Tierversuch verwendete Modell für MS) auslösen. Wohl aber konnten mehrere dieser Substanzen, am besten davon das „Copolymer 1“ (daher auch die spätere Bezeichnung „COP 1“), die Entstehung von EAE verhindern. Auch Glatirameracetat ist inzwischen seit vielen Jahren untersucht und unter der Bezeichnung Copaxone® in Verwendung. Auch die Verabreichung dieser Substanz erfolgt subcutan, also unter die Haut, die Injektionen werden täglich gegeben. Einsatzgebiete Copaxone® wird bei schubförmiger MS eingesetzt, auch für Erstmanifestationen ist der Beweis der Wirksamkeit inzwischen erbracht. Nebenwirkungen Copaxone® ist gut verträglich und in der Langzeitverträglichkeit über viele Jahre bestätigt. Nebenwirkungen treten auch bei diesen Injektionen an der Stichstelle auf. Es kann zu Rötungen und Schwellungen kommen, auch Zerstörung des Unterhautfettgewebes kann in seltenen Fällen auftreten. Manchmal werden auch Schwellungen der Lymphknoten, besonders im Leistenbereich, bemerkt. Im Verlauf der Therapie kann es direkt nach der Injektion zu sogenannten „Flush“-Symptomen kommen. Das sind plötzliche Rötungen des Gesichtes, verbunden mit Schweißausbrüchen, Herzjagen, Atemnot, Engegefühl der Brust und Angstzuständen. Diese Beschwerden sind in ihrer Ausprägung dramatisch und werden als unangenehm beschrieben, sie dauern aber meist nur 10 bis 15 Minuten an, sind harmlos und bilden sich von selbst wieder zurück.
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8.3.1.3 Natalizumab ®
Natalizumab, als Tysabri im Handel, ist die neueste Substanz in der Behandlung von MS. Tysabri® ist ein monoklonaler Antikörper, der in der Lage ist zu verhindern, dass weiße Blutkörperchen sich an der Gefäßwand festhalten. Damit kann verhindert werden, dass die Blutkörperchen in das Zentralnervensystem einwandern, um dort das Gewebe anzugreifen. Für Tysabri® gibt es vorerst noch keine Langzeiterfahrungen, das Medikament wurde in Studien untersucht und ist seit 2006 im Handel verfügbar, die Informationen beschränken sich deshalb derzeit erst auf wenige Jahre klinischer Erfahrung. Im Gegensatz zu den bisherigen Therapien kann Tysabri® als Infusion gegeben werden, man verabreicht 300 mg der Substanz in monatlichen Abständen. Einsatzgebiete Natalizumab wird derzeit ausschließlich als Monotherapie bei aktiver schubförmiger MS und vorwiegend bei unzureichender Wirksamkeit von Interferon-ß und Glatirameracetat verabreicht. Nebenwirkungen Die Verträglichkeit von Tysabri ist an und für sich sehr gut. In einer der Studien wurde ein etwas häuĺgeres Auftreten von Müdigkeit berichtet, andere Nebenwirkungen wie z. B. Infekte oder Kopfschmerzen traten nicht häuĺger auf als unter Behandlung mit Placebo (= Scheinmedikament). Infusionsbedingte Reaktionen wurden unter Tysabri® häuĺger beobachtet, wobei sich diese meist in einer Überempĺndlichkeit im Sinn von Kopfschmerzen oder Hautreaktionen äußerten. Schwere allergische Reaktionen traten nur sehr selten auf und waren in allen Fällen mit Therapie beherrschbar. Probleme ergeben sich bei dieser Therapie durch das vermutliche Risiko des Auftretens einer PML (= progressive multifokale Leukenzephalopathie; das ist eine Virusinfektion des Gehirns, die jedenfalls zu schweren Ausfallserscheinungen, in vielen Fällen sogar zum Tod führen kann). Nach Therapie mit Tysabri® wurde PML bisher bei drei Fällen beobachtet. Zwei davon wurden in einer MS-Studie mit Natalizumab und
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Interferon in Kombination behandelt, einer in einer Studie zur Behandlung von Morbus Crohn (einer entzündlichen Darmerkrankung). Alle Fälle waren mit verschiedenen anderen die Immunantwort unterdrückenden Medikamenten vorbehandelt. Die Behandlung mit Tysabri® ist derzeit zugelassen, steht aber unter genauer Dokumentation und Kontrolle und ist, wegen des beschriebenen Risikos einer PML, derzeit auf Fälle mit sehr aktivem Verlauf beschränkt. Inzwischen stehen etwa 40 000 Personen unter Therapie mit Tysabri®. Bei 2 weiteren Fällen wurde mittlerweile das Auftreten einer PML berichtet.
8.3.1.4 Azathioprin ®
Azathioprin ist unter der Bezeichnung Imurek im Handel und ist das am längsten verwendete MS-Medikament. Trotzdem liegen über Imurek® keine Studien vor, die mit denen über Interferone oder Glatirameracetat im Aufbau vergleichbar sind. Deshalb ist der Nachweis einer Wirkung von Imurek® auf MS nicht in der heute geforderten Qualität erbracht. Ein eventueller zukünftiger Einsatz in Kombination mit Interferonen wird noch untersucht. Imurek® unterdrückt global die Immunantwort. Man verabreicht es als Tablette in einer Dosierung von 2 bis 3 mg pro Kilo Körpergewicht und Tag. Einsatzgebiete Da Imurek nur schlecht in seiner Wirkung untersucht ist, wird es lediglich in 2. Wahl, vorwiegend für fortschreitende oder schubförmig progrediente Verläufe, eingesetzt. ®
Nebenwirkungen Entsprechend der Tatsache, dass Imurek® die Immunantwort unterdrückt, ergeben sich auch größere Risiken und Nebenwirkungen. Probleme durch Übelkeit und Erbrechen werden beschrieben, auch vermehrte Infektanfälligkeit ist möglich, Haarausfall oder -verminderung ist nur selten. Eine Verminderung der Zahl der weißen Blutkörperchen ist üblich und zum Teil auch erwünschter Therapieeffekt. Das Blutbild muss natürlich genauso wie die Leberfermente kontrolliert werden. Das Risiko des Auftretens von bösartigen Tumorerkrankungen muss unter Therapie mit Imurek® prinzipiell in Betracht gezogen werden.
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Im Fall einer Schwangerschaft kann Imurek® den wachsenden Fötus schädigen. Deshalb ist Empfängnisverhütung unter der Behandlung absolut notwendig.
8.3.1.5 Intravenöse Immunglobuline Auch Immunglobuline sind körpereigene Substanzen. Sie werden aus Blut von Spenderinnen und Spendern gewonnen und sind deshalb manchmal auch nur erschwert verfügbar. Bei MS werden sie unter der Annahme, dass eine Verabreichung in höherer Dosis durch einen Rückkopplungsmechanismus zur Unterdrückung der Immunantwort führen könnte, verabreicht. Die Behandlung mit Immunglobulinen wird von MS-Betroffenen durchaus geschätzt, da die Gabe durch eine Infusion einmal im Monat erfolgt und sehr gut verträglich ist. Es muss aber bedacht werden, dass die Nachweislage für die Wirkung der Therapie, verglichen mit Interferonen und Glatirameracetat, schlecht ist. Einsatzgebiete Immunglobuline sind in ihrem Wirkungsnachweis widersprüchlich. Deshalb ist derzeit nur ein Einsatz in 2. Wahl und nur bei schubförmigen Verläufen gerechtfertigt. Nebenwirkungen Die Behandlung mit Immunglobulinen ist nur von wenigen Nebenwirkungen belastet. Geringe Reaktionen nach der Infusion mit Kälteschauern, Hautreaktionen oder Temperaturerhöhungen sind möglich. Allergische Reaktionen können vorkommen. Bei sehr hoher Dosierung muss auch das Risiko von Blutgerinnseln oder eine Nierenschädigung bedacht werden. Da Immunglobuline aus menschlichem Blut gewonnen werden, ist immer wieder das Risiko einer Infektionsübertragung in Diskussion. Dies ist in letzter Konsequenz auch nicht ausschließbar. Allerdings sind die im Handel verfügbaren Präparate extrem sorgfältigen Kontrollen und Herstellungsvorschriften unterworfen, sodass ein eventuell verbleibendes Infektionsrisiko sicher nur minimal sein kann.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
8.3.1.6 Mitoxantron Mitoxantron ist eine Substanz, die die Immunantwort unterdrückt (Immunsuppression). Es ist als Novantron® oder Ebexantron® verfügbar. Erfahrungen mit Mitoxantron existieren in der Medizin über viele Jahre, auch in der MS-Therapie wurde das Medikament schon seit längerer Zeit verwendet und in Studien untersucht. Wirkung und auch Risiken der Therapie sind daher gut einschätzbar. Die Durchführung der Therapie ist angenehm. Nach dem derzeit verwendeten Therapieschema aus der MIMS-Studie wird im Abstand von drei Monaten eine Infusion durchgeführt und dabei eine Dosis von 12 mg pro m2 KörperoberĻäche verabreicht. Bei Stabilisierung des Verlaufes wird in der Folge meist auf eine Dosis von 5 mg pro m2 KörperoberĻäche reduziert. Einsatzgebiete Mitoxantron ist in der Wirkung gut belegt, aber mit Nebenwirkungen belastet. Ein Einsatz für sekundär fortschreitende Verläufe ist in 1. Wahl akzeptabel, für sehr aktive schubförmige Verläufe kann das Medikament eventuell in 2. Wahl und bei Unwirksamkeit von Interferonen überlegt werden. Nebenwirkungen Mitoxantron ist als immunsuppressive Therapie sicherlich mit höheren Risiken und Nebenwirkungen belastet. Direkte Reaktionen auf die Infusion mit Übelkeit und Erbrechen sind möglich. Haarverminderung ist häuĺg, völliger Haarausfall aber nur sehr selten. Höhere Anfälligkeit für Infekte kann im Zuge der Behandlung auftreten. Natürlich ist auch unter Mitoxantron sorgfältig auf Empfängnisverhütung zu achten. Unregelmäßigkeiten oder Ausbleiben der Monatsblutungen bei Frauen werden beschrieben. Auch Mitoxantron ist mit dem Risiko des Auftretens bösartiger Erkrankungen belastet. Speziell Erkrankungen des blutbildenden Systems (Leukämien) wurden in zunehmender Häuĺgkeit beschrieben. Deshalb werden inzwischen nicht nur unter der Behandlung, sondern auch für einen Zeitraum von 5 Jahren nach Absetzen der Therapie Kontrollen des Blutbildes empfohlen. Ein weiteres Risiko der Therapie mit Mitoxantron stellt eine mögliche Schädigung des Herzmuskels dar. Dieses Risiko ist Dosis abhängig.
Therapie der MS im Intervall
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Es muss aber die im Lauf des ganzen Lebens verabreichte Gesamtdosis dafür errechnet werden. Das bedeutet auch, dass die Behandlung nur für begrenzte Zeit bis zum Erreichen dieser Dosis durchgeführt werden kann.
8.3.1.7 Cyclophosphamid Cyclophosphamid, bekannt unter dem Arzneimittelnamen Endoxan®, wurde als immunsuppressive Substanz immer wieder in seiner Wirkung auf MS diskutiert und untersucht. Auch Endoxan® wird als Infusion verabreicht. Schon in der Dosierung ergeben sich aber Probleme, da viele unterschiedliche Varianten untersucht wurden und nach wie vor kein einheitliches Therapieschema vorliegt. Einsatzgebiete Die Nachweislage ist widersprüchlich, Nebenwirkungen sind ausgeprägt, deshalb wird Endoxan® nur in Ausnahmefällen bei sekundär fortschreitenden Verläufen eingesetzt. Nebenwirkungen Endoxan® ist mit den schon geschilderten Nebenwirkungen von immunsuppressiven Substanzen belastet, wobei insgesamt die Belastung durch Nebenwirkungen bei dieser Substanz eher als hoch eingeschätzt werden muss. Je nach verwendeter Dosis ist unter dieser Therapie auch völliger Haarausfall möglich. An zusätzlichen Komplikationen treten unter Endoxan® auch blutige Blasenentzündungen häuĺg auf und erfordern vorbeugende Therapie. Die Kontrollen entsprechen denen bei anderen immunsuppressiven Behandlungen.
8.4 Einsatzgebiete der MS-Therapien In der Folge werden die Behandlungssituationen besprochen, die eine Therapie der MS mit den oben beschriebenen Medikamenten ermöglichen. Folgende Therapiesituationen werden im Hinblick auf die Indikation der Medikamente besprochen:
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Einsatzgebiete der MS-Therapien
• Therapie nach MS-Erstschub • Therapie der schubförmigen MS • Therapie der aktiven schubförmigen MS • Therapie der progredienten MS
8.4.1 Therapie naĖ MS-ErstsĖub Die Einleitung einer Langzeittherapie bei Erstmanifestation der MS stellt ein spezielles Problem dar, da zu diesem Zeitpunkt ja eigentlich noch keine deĺnitive MS-Diagnose gestellt wird. Wie im Kapitel Stimmt meine Diagnose überhaupt? dargestellt wurde, spricht man zu diesem Zeitpunkt ja noch von „möglicher MS“ oder „klinisch isoliertem Syndrom“ (= clinically isolated syndrome = CIS). Eine typische klinische Präsentation, verbunden mit dem Nachweis unterstützender Befunde in der MRT und Liquoruntersuchung und dem sorgfältigen Ausschluss anderer möglicher Ursachen, lässt aber zumindest die Feststellung der Erstmanifestation einer möglichen MS mit sehr hoher Sicherheit zu. Trotzdem ist aber gerade zu diesem Zeitpunkt eine Therapieeinleitung zu befürworten, da in dieser frühen Phase der Erkrankung die entzündliche Komponente besonders im Vordergrund steht. Das ist jene Phase der Erkrankung, die auf die derzeit verwendeten Behandlungen besonders gut anspricht. Auch die Tatsache, dass die Erkrankung ohne entsprechende klinische Symptomatik fortschreiten kann, lässt eine frühe Behandlung sinnvoll erscheinen. Die Überlegung, die die Entscheidung für die Einleitung einer Therapie trotzdem nicht so einfach erscheinen lässt, liegt einerseits im unvorhersehbaren Verlauf der Erkrankung, andererseits in der Belastung durch Nebenwirkungen. Dass der Verlauf von MS nicht vorhersehbar ist, wurde schon mehrfach erwähnt. Speziell bei der ersten Manifestation liegen noch kaum Bewertungskriterien vor, wie sich die Erkrankung langfristig verhalten wird. Deshalb besteht natürlich auch das Risiko, eine Person mit sehr gutem MS-Verlauf der Belastung einer Therapie auszusetzen. Das Problem, dass auch kein deĺniertes Ende der Behandlung klar angegeben werden kann, erschwert die Entscheidung oft noch weiter.
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Auch die Überlegung der möglichen Nebenwirkungen macht ein Abwägen von Vor- und Nachteilen notwendig. Nach erster Manifestation ist die „Kosten-Nutzen-Rechnung“ natürlich besonders schwer zu erstellen. Nebenwirkungen können gut benannt werden, der Nutzen kann aber äußerst schlecht angegeben werden, da zu diesem Zeitpunkt das Risiko des Fortschreitens der Erkrankung noch besonders schlecht eingeschätzt werden kann. Auch die Ergebnisse von Studien und die ofĺzielle Zulassung der Medikamente unterstützen diesen vorsichtigen Ansatz in der Anwendung von Therapien nach erster MS-Manifestation. Es gilt deshalb derzeit als Regel für die Einstellung nach erstem Schub, dass jene Fälle behandelt werden, die ein besonderes Risiko haben, eine deĺnitive MS bzw. einen schwereren Verlauf zu entwickeln. Entsprechend den Ergebnissen in Studien sind das einerseits Fälle mit höherer Aktivität in der MRT (mindestens 9 T2-Läsionen und mindestens eine Kontrastmittel aufnehmende Läsion). Andererseits stellen erste Manifestationen mit einer sehr ausgeprägten Symptomatik (schon beim ersten Schub Zeichen von Befall mehrerer Stellen des Gehirns und Rückenmarks und schwere Ausfallssymptome) Risikofälle dar und sind für Therapie nach erster Manifestation geeignet. Ist die Entscheidung über die Eignung zur Therapie nach Erstmanifestation getroffen, stehen uns dafür mehrere Medikamente zur Verfügung. Sowohl für Beta Interferone als auch für Glatirameracetat liegen inzwischen Belege der Wirkung nach erster MS-Manifestation vor. Auch in darauf folgenden Langzeitbeobachtungen über mehrere Jahre hat sich diese Wirkung für die Interferone weiter bestätigt. Glatirameracetat wurde in dieser Indikation erst kürzlich untersucht, sodass dafür Langzeitergebnisse noch ausstehen.
Schon nach erster Manifestation von MS ist vorbeugende Langzeittherapie in ausgewählten Fällen möglich. Derzeit werden „Risikofälle“ sofort behandelt. Das sind jene Fälle, die entweder einen ersten Schub mit sehr ausgeprägter Symptomatik erlitten haben oder in der MRT deutliche Veränderungen aufweisen.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
8.4.2 Therapie der sĖubförmigen MS Die Wirksamkeit einer Langzeittherapie der schubförmigen MS ist mittlerweile gut und umfassend belegt und kann sich auf klare Richtlinien stützen. Mit Rücksicht auf die Varianz der Verläufe ist auch bei schubförmiger MS deĺniert, für welche Fälle Therapie angezeigt ist. Derzeit wird die Langzeittherapie für MS-Patientinnen und -Patienten mit ein bis zwei Schüben pro Jahr empfohlen. Viele Studien belegen die Wirksamkeit von Interferonen und Glatirameracetat auf schubförmige MS. Dabei ist zu beachten, dass „Wirksamkeit“ nicht einer Heilung entspricht, sondern bedeutet, dass die Aktivität der Erkrankung geringer wird. Das Ausmaß der Besserung beträgt etwa 30–40 % gegenüber den mit Scheinmedikament behandelten Gruppen. Zu erwarten ist dadurch eine Reduktion der Zahl der Schübe und des Ausmaßes der Schübe. Das Fortschreiten der bleibenden Behinderung kann verlangsamt werden. Besonders deutlich ließ sich die Wirkung der Medikamente in der MRT nachweisen. Eine Abnahme der Krankheitsaktivität zwischen 50–80 % ließ sich in der Verlaufskontrolle der MRT-Untersuchungen zeigen. Obwohl die Wirkung der Therapien gut belegt ist, wird nicht jede Patientin/jeder Patient mit MS auch wirklich behandelt. Die Indikationen für den Einsatz sind genau deĺniert und müssen auch sorgfältig eingehalten werden, da das ja auch Bedingung für die Finanzierung der – durchwegs teuren – Therapien durch die Krankenkassen ist.
8.4.3 Therapie der aktiven sĖubförmigen MS Trotz guter Möglichkeiten in der Behandlung der schubförmigen MS ergibt es sich immer wieder, dass die Erkrankung auch unter Therapie aktiv bleibt und weiter schubförmige Verschlechterungen aufweist. Es besteht dann die Möglichkeit, das Präparat zu wechseln. Führt eine derartige Änderung weiter zu keinem Effekt, steht uns inzwischen mit Tysabri® eine Erweiterung der Therapiemöglichkeiten zur Verfügung.
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Tabelle 8.3: Europäische Therapieindikationen bei MS
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Avonex®
„Behandlung gehfähiger Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS), die durch mindestens zwei wiederkehrende Attacken neurologischer Funktionsstörungen (Schübe) während der letzten drei Jahre gekennzeichnet ist ohne Hinweise auf ein kontinuierliches Fortschreiten der Erkrankung zwischen den Schüben. Ist auch zur Behandlung von Patienten nach einem einmaligen demyelinisierenden Ereignis mit entzündlichem Prozess indiziert, wenn dieses demyelinisierende Ereignis eine intravenöse Kortikosteroidtherapie rechtfertigt, alternative Diagnosen ausgeschlossen wurden und ein hohes Risiko für die Entwicklung einer klinisch manifesten MS besteht. Abzusetzen bei Patienten, die eine progrediente Form der MS entwickeln.“
Betaferon®
„Patienten mit erstmaligem demyelinisierendem Ereignis mit aktivem entzündlichen Prozess, wenn dieses Ereignis schwer genug ist, um eine intravenöse Kortikosteroidtherapie zu rechtfertigen, wenn mögliche Differentialdiagnosen ausgeschlossen wurden und wenn bei diesen Patienten der Beurteilung zufolge ein hohes Risiko für das Auftreten einer klinisch gesicherten Multiplen Sklerose besteht. Patienten mit schubförmig verlaufender Multipler Sklerose, die in den letzten zwei Jahren zwei oder mehr Schübe durchgemacht haben. Patienten mit sekundär progredient verlaufender Multipler Sklerose, die sich in einem akuten Krankheitsstadium beĺnden, d. h. klinische Schübe erfahren.“
Rebif®
„… wird zur Behandlung von schubförmiger Multipler Sklerose verwendet. In klinischen Studien wurde dies durch zwei oder mehr akute Schübe innerhalb der vorausgegangenen zwei Jahre charakterisiert.“
Copaxone®
„… ist zur Reduktion der Schubfrequenz bei ambulanten Patienten (d. h. solchen, die ohne Hilfe gehfähig sind) mit schubweise verlaufender, remittierender Multipler Sklerose (MS) angezeigt, bei denen mindestens zwei Schübe mit neurologischen Funktionsstörungen während der letzten zwei Jahre aufgetreten sind. Copaxone® ist nicht bei primär progredienter MS angezeigt.“
Kann man MS überhaupt behandeln?
Diese Substanz, ein sogenannter monoklonaler Antikörper, hat sich in zwei großen Studien als extrem wirksam in der Behandlung von schubförmiger MS herausgestellt. Die Zahl der Schübe ließ sich durch Tysabri® um etwa 70 % reduzieren, die Kontrastmittel aufnehmenden Läsionen in der MRT gar um über 90 %. Da unter Therapie mit Tysabri® das Risiko von PML (siehe Natalizumab, Nebenwirkungen) bedacht werden muss, ist diese Behandlung derzeit nur für ganz genau deĺnierte Indikationen zugelassen. Geeignet für die Behandlung mit Tysabri® sind Personen mit „aktiver schubförmiger MS“. Was man darunter versteht, wurde von der europäischen Zulassungsbehörde so festgelegt: Bedingt durch die Regelungen der Zulassungsbehörden, die von den zuständigen Krankenkassen auch als Bedingung für die Finanzierung gefordert werden, und natürlich auch in Anbetracht der vorliegenden Risiken werden diese Indikationen in der Verschreibung genau eingehalten. Ein Einsatz von Tysabri® ist also nur für Fälle möglich und zu empfehlen, die diesen Indikationen wirklich genau entsprechen. Kombinationen mit anderen MS-Therapien (außer Cortison im Schub) sind derzeit nicht möglich. Auch der Einsatz bei fortschreitenden Verläufen, für den es ja auch keine Untersuchungen in Studien gibt, ist nicht möglich. Mit sehr viel Vorsicht wird Tysabri® auch dann verwendet, wenn eine Person schon in der Vorgeschichte verschiedene Medikamente bekommen hat, die die Immunantwort unterdrücken. Die Fälle von PML Tabelle 8.4: Europäische Zulassungsindikationen für Tysabri® • Patientinnen und Patienten, die nicht auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus einer Interferon-ß-Therapie angesprochen haben. Bei den Patientinnen und Patienten sollte es während der Therapie im vergangenen Jahr zu mindestens einem Schub gekommen sein, und sie sollten mindestens neun T2-hyperintense Läsionen oder mindestens eine Gadolinium anreichernde Läsion aufweisen. • Patientinnen und Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierender MS, deĺniert durch 2 oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr, und mit 1 oder mehr Gadolinium anreichernden Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signiĺkanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einer früheren, in jüngerer Zeit angefertigten MRT.
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sind nämlich vorwiegend bei Menschen aufgetreten, die zuvor schon mit mehreren anderen Substanzen behandelt worden waren. Eine Verminderung der „Immunkompetenz“, also der Fähigkeit, Infekte abzuwehren, ist auch eine der Kontraindikationen der Therapie.
Mit Tysabri® steht uns eine sehr efjziente Möglichkeit der Therapie von MS zur Verfügung. Aus Risikogründen ist der Einsatz dieser Therapie derzeit ausschließlich auf sehr aktive MS-Verläufe beschränkt.
8.4.4 Therapie der progredienten MS Für Erstmanifestationen und schubförmige MS stehen uns, wie schon aus der Länge des Kapitels ersichtlich, doch schon einige Möglichkeiten in der Behandlung zur Verfügung. Viel schlechter ist die Situation für die fortschreitende MS. Das ist aus der Entstehung der Erkrankung zum Teil durchaus verständlich und erklärbar. Die Wirkung der immunmodulierenden Therapie der MS richtet sich ja vorwiegend gegen den entzündlichen Mechanismus der Erkrankung, der in erster Linie die frühe Phase von MS kennzeichnet. Das bedingt, dass für progrediente Verläufe schon von vornherein weniger Wirkung erwartet werden kann. Für uns alle, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für alle, die betreuend und behandelnd in der MS arbeiten, ist diese Tatsache ein schmerzliches Problem. Gerade für die fortschreitenden Verläufe, die im Allgemeinen schwerer betroffen sind und unter massiveren Einschränkungen leiden, wäre eine wirksame Behandlung ja viel nötiger und wird – von allen Beteiligten – viel brennender gewünscht. Trotzdem müssen wir leider akzeptieren, dass in diesem Bereich unsere Möglichkeiten noch wesentlich mehr Einschränkungen unterliegen als bei schubförmiger MS. Dass diese Information schwer verständlich und verkraftbar ist, steht außer Frage. Die Ergebnisse von Studien zeigen uns, dass für primär progrediente Verläufe (PPMS) keine Wirkung von Immuntherapien belegt werden
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kann. Für sekundär progrediente Verläufe sind die Ergebnisse günstiger, aber auch hier noch widersprüchlich. Prinzipiell ist Interferon für fortschreitende Verläufe untersucht und als wirksam belegt. So fand eine europäische Studie mit IF ß 1b an über 700 Patientinnen und Patienten mit EDSS œ 6,5 signiĺkante Besserungen unter Therapie. In der Placebogruppe kam es bei 54 % der Patientinnen und Patienten zu einer Verschlechterung (bestätigt über 3 Monate) gegenüber 45 % in der mit IF ß 1b behandelten Gruppe. Diese Ergebnisse zeigen auch schon, dass zwar eine Wirkung der Behandlung feststellbar war, diese aber keineswegs ein besonders hohes Ausmaß hat, sondern nur einer geringen Verzögerung des Verlaufes entspricht. Dazu kommt noch, dass auch andere Studien diese Ergebnisse nicht bestätigten und damit die Nachweislage auch widersprüchlich ist. Auch für Mitoxantron ist Wirkung bei sekundär fortschreitenden Verläufen belegt und in einer größeren und gut kontrollierten Studie bestätigt, sodass dieses Medikament bei erwiesener Aktivität der Erkrankung eingesetzt werden kann. Sicherlich ist bei den bekannten Nebenwirkungen der Medikation (siehe Mitoxantron, Nebenwirkungen) die Indikation zur Behandlung mit größter Sorgfalt zu überlegen und auch entsprechend genau zu kontrollieren. Ein besonderes Problem stellen nach wie vor die primär fortschreitenden Verläufe von MS dar. Für diese Verlaufsformen konnte mit allen bisher untersuchten Medikamenten keine Wirkung belegt werden. Dies liegt vermutlich daran, dass die primär fortschreitenden Verläufe sich auch im zugrunde liegenden Mechanismus von den schubförmigen Verläufen unterscheiden.
Die Möglichkeit der Behandlung von fortschreitenden MS-Fällen ist wesentlich schlechter als bei schubförmiger MS. Nur wenige Mittel zeigen Effekte, das Ausmaß der erzielten Wirkung ist nicht extrem gut. Für primär fortschreitende Verläufe steht uns derzeit keine Therapie zur Verfügung, die diese Verläufe beeinkussen kann.
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„MS und ich in der ersten Zeit nach der Diagnosestellung“ Das Bild beschreibt meine Gefühlslage im ersten halben Jahr nach der Diagnose „mögliche Multiple Sklerose“, die sich ein Jahr später durch einen zweiten Schub als tatsächliche MS bestätigt hat.
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Kann man MS überhaupt behandeln?
Die MS habe ich v. a. in den ersten Monaten als „dunklen“ Anteil meines Körpers und als Bedrohung empfunden, was durch den unteren Teil des Bildes ausgedrückt wird. Die Spitzen, die fast pĻanzenähnlich emporwachsen, zeigen einerseits meine Unsicherheit im Umgang mit der Krankheit, meine Zukunftsängste, die sich anfangs wirklich wie Spitzen durch meine Seele, meine Gedanken bohrten. Andererseits symbolisieren diese Spitzen auch die Spritzen im Zuge der Basistherapie und die Überwindung, die mich die Anwendung gekostet hat (und mich noch immer kostet). Zudem habe ich schwarze Linien an unterschiedlichen Stellen im Bild platziert, um zu zeigen, wie sich die Krankheit durch mein Leben zieht und einmal stärker, einmal schwächer bemerkbar gemacht hat. Diese Linien durchziehen auch die blumenartigen Gebilde, die Ausdruck meiner damals wieder aufkeimenden Lebensfreude sind – gedacht in dem Sinne, dass, auch wenn es mir relativ gut gegangen ist, trotzdem die Angst vor einem neuen Schub ständig wie ein Damoklesschwert über mir geschwebt ist. Vor allem in der roten Blume mit dem schwarzen Kern kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck: ein schönes Erlebnis, z.B. eine Feier mit Freunden, und dennoch war die MS als Unsicherheitsfaktor ständig präsent. Die Spiralen sind bildhafter Ausdruck meiner Gedanken und Sorgen (daher auch in diesem bräunlichen Ton gehalten), die mich vor allem in den ersten Monaten nicht losließen und einmal intensiver, einmal oberĻächlicher auftraten. Der leicht grüne Hintergrund spricht für sich selbst. Trotz der Schmerzen, quälenden Gedanken, der Unsicherheit war von Beginn die Hoffnung da, rechtzeitig entgegensteuern zu können, mir trotzdem zumindest die meisten meiner Ziele, Träume und Wünsche erfüllen zu können und einfach ein normales Leben mit allen Freuden und schönen Seiten wie auch den Widrigkeiten und Problemen abseits der Krankheit leben zu können. Ich habe von Anfang an an die Fortschritte in der Forschung geglaubt, die uns MS-Kranken, wenn schon keine vollständige Heilung, so dennoch zumindest so etwas wie ein Stoppen des Fortschreitens der Krankheit bieten könnte.
Einsatzgebiete der MS-Therapien
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I. N., weibliĖ Anderen MS-Betroffenen möchte ich übermitteln, dass man niemals aufgeben darf und immer weiterkämpfen muss, auch wenn die Beeinträchtigungen zunehmen sollten. Die positive Lebenseinstellung darf man nie verlieren.
M. W., männliĖ „Es gibt Zeiten, in denen ich „krank“ bin (z. B., wenn ich einen Schub mit deutlicher Verschlechterung habe), dann gönne ich mir Zeit und konzentriere mich ganz auf die Genesung. Diese Zeit ist physisch und psychisch sehr herausfordernd für mich. Ich akzeptiere diese Phasen in meinem Leben, weil ich sie nicht ändern kann. Im Großteil meiner Lebenszeit bin ich aber „gesund“. Da sammle ich Kraft durch Tätigkeiten, die mir Spaß machen (wie Arbeit, Sport, Unternehmungen mit Freunden, Familie und Lebenspartnerin). Ich weiß natürlich, dass MS eine Erkrankung ist, dennoch fühle ich mich meistens „gesund“.“
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9. Hilfe, iĖ habe sĖon wieder einen SĖub! Zumindest zu Beginn ist MS vorwiegend durch auftretende Krankheitsschübe geprägt. Sie sind es, die immer wieder an die Erkrankung denken lassen – insbesondere wenn man sonst beschwerdefrei ist. Unter dem Motto „keine Schübe – keine Erkrankung“ versuchen viele MS-Betroffene sich deshalb auch mit der Einstellung aufzubauen: „Ich bekomme nie wieder einen Schub!“ Prinzipiell ist eine solche positive Haltung auch richtig. Trotzdem ist es weise, den Gedanken an einen neuerlichen Schub nicht ganz aus der Vorstellungswelt zu verbannen, um bei einer Verschlechterung dann auch gewappnet zu sein. Ein Schub kommt ja meistens sozusagen aus heiterem Himmel. Wenn er auch noch auf die Überzeugung „Nie mehr Schub“ trifft, stellt er dadurch einen Überfall von hinten dar. Der Umgang mit der Krankheitsverschlechterung wird dann noch schwieriger. Besser und auch realistischer ist es, sich zu sagen: „Ein neuer Schub ist möglich. Ich werde alles tun, was ich kann, um ihn zu verhindern. Wenn er aber kommen sollte, dann werde ich damit zurechtkommen und daran arbeiten, dass ich wieder alle meine Fähigkeiten zurückbekomme!“ Da die Frage, wann überhaupt ein Schub vorliegt (siehe Der akute Schub), so häuĺg gestellt wird und auch mit einer Reihe von Ängsten und Unsicherheiten verbunden ist, dürfen wir hier die Deĺnition des Schubes wiederholen: Als Schub bezeichnet man einen objektiv erfassbaren fokalen neurologischen Ausfall, der neu aufgetreten ist oder gravierend zugenommen hat und für die Dauer von mindestens 24 (48) Stunden bestehen bleibt. Es ist wichtig, sich auch seelisch für den eventuell nötigen Kampf gegen einen neuen Schub zu wappnen und für sich Vertrauen aufzubauen, dass man mit neuen Symptomen auch fertig werden wird.
Hilfe, ich habe schon wieder einen Schub!
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9.1 Was kann einen SĖub auslösen? Ehrlicherweise muss man zugeben, dass wir nicht wissen, wodurch ein Schub letztlich ausgelöst wird. Immer wieder wird Stress als Ursache angeführt, Infekte werden diskutiert, auch persönliche Belastungen werden verantwortlich gemacht. Für alle diese angenommenen Faktoren („Auslösefaktoren“) gibt es keinen Beweis, dass sie wirklich Schübe verursachen. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass direkt vor Beginn des Schubes ein ursächlich verantwortliches Ereignis gefunden werden kann, da wir wissen, dass sich kommende Schübe schon Monate vorher in den entsprechenden Hirnregionen abzeichnen.
9.2 Was ist bei einem akuten SĖub zu tun? Zuerst einmal ist es wichtig zu wissen, dass kein Anlass zu Panik und Notfallsmaßnahmen besteht. Schübe entwickeln sich im Allgemeinen langsam. Oft beginnt der Schub mit ganz geringfügigen Beschwerden, die man selbst nicht so richtig zuordnen kann. Erst innerhalb von meist einigen Tagen steigern sich die Symptome und sind letztlich natürlich auch gut und eindeutig erkennbar als Schub zuzuordnen. Bei schweren Schubsymptomen steht es außer Frage, dass man rasch das MS-Zentrum kontaktieren wird, um sich behandeln zu lassen. Bei leichteren Symptomen ist die Entscheidung nicht immer so schnell und klar möglich. In diesen Situationen ist es gut und richtig, sich klar zu machen, dass ja schon die Deĺnition des Schubes eine Zeitkomponente enthält. Eine Beobachtungszeit von ein bis zwei Tagen ist deshalb kein Problem und macht die Diagnose auch verlässlicher. Versäumnisse sind dadurch nicht zu befürchten.
9.3 Wie viel SĖonung brauĖt der SĖub? Ganz generell kann man sagen, dass Schonung bei MS ein eher problematisches Verhalten ist. Im Fall eines akuten Schubes ergeben sich von diesem Prinzip aber insofern Ausnahmen, als bei schweren
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Hilfe, ich habe schon wieder einen Schub!
Schüben schon rein der körperliche Zustand intensives Training unmöglich macht. Auch bei leichteren Schüben ist zu berücksichtigen, dass – ähnlich wie bei Infekten – zu diesem Zeitpunkt die Belastbarkeit schlechter ist als zu Normalzeiten. Bei laufender Behandlung mit Cortison ist auch noch zu beachten, dass man sich während der Therapie nach Möglichkeit keinen Infektionsrisiken aussetzen soll und zumindest Menschenansammlungen – besonders in Schnupfenzeiten – vermieden werden sollten. Übliche Alltagstätigkeiten und leichtere Belastungen sind aber jedenfalls auch während eines Schubes erlaubt. Extreme Schonung oder gar Bettruhe ist nicht nötig.
9.4 Die Therapie des akuten SĖubes Zu diesem Thema ist als erstes die Frage zu klären, bei welchen Schüben eine Behandlung erfolgen soll. Wir wissen, dass MS auch ohne Vorliegen eines Schubes oft aktiv ist. Das ist aus MRT-Befunden gut bekannt und belegt. Es wäre kaum möglich –, und wegen der wahrscheinlichen Nebenwirkungen auch gar nicht sinnvoll – all diese Aktivitäten der Erkrankung mit Cortison zu behandeln. Liegt ein deĺnierter Schub mit entsprechender klinischer Symptomatik vor, richtet sich die Entscheidung zur Therapie vorwiegend nach dem Schweregrad des Schubes. Besteht eine deutlich ausgeprägte und behindernde Symptomatik, ist diese Entscheidung einfach zu treffen und so bald wie möglich mit der Behandlung zu beginnen. Bestehen nur geringe Symptome, ist die Entscheidung zur Therapie mit Cortison umfassender zu diskutieren. Die vorliegenden Daten lassen annehmen, dass eine Schubbehandlung mit Cortison nur die Rückbildung der Symptome beschleunigt, den Grad der Rückbildung aber nicht wesentlich beeinĻusst. Unter dem Aspekt möglicher Nebenwirkungen ist daher zumindest nicht jeder leichtere Schub zu behandeln. Andererseits wird man sicher dort großzügiger sein, wo Schübe insgesamt nicht sehr häuĺg auftreten oder die Symptome zwar nicht schwer sind, aber subjektiv als sehr belastend empfunden werden. In jedem Fall wird die Entscheidung über eine eventuelle Cortisonbehandlung gemeinsam mit der Patientin/dem Patienten getroffen und die individuelle Belastung durch den Schub – oder auch durch Skepsis gegenüber der Behandlung mit Corti-
Die Therapie des akuten Schubes
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son – in die Entscheidungsĺndung einbezogen. Es ist deshalb wichtig, dass Patientinnen und Patienten auch ihre persönliche Seite in die Diskussion mit der Ärztin/dem Arzt einzubringen versuchen. Da sich die Nebenwirkungen von Cortison bei häuĺger Anwendung summieren, ist größere Vorsicht vor allem dann geboten, wenn schon oft Cortisonbehandlungen durchgeführt wurden. Cortison ist auch nicht geeignet, um das Übergehen in einen fortschreitenden Krankheitsverlauf zu verhindern und bei Symptomen einer fortschreitenden MS auch nicht mehr wirksam. Die MRT kann eine Entscheidung zur Schubtherapie wohl unterstützen, als Methode zur Diagnose des Schubes ist sie ungeeignet. Finden sich allerdings bei eventuell nur geringer oder unklarer klinischer Symptomatik ausgeprägte neue Veränderungen in der MRT, wird die Entscheidung zur Therapie mit Cortison dadurch sicher unterstützt. Bevor mit Cortison behandelt wird, sind auch noch Umstände auszuschließen, die das Nebenwirkungsrisiko einer solchen Therapie erhöhen. So ist das Vorliegen einer Infektion (die ja auch Ursache von Symptomen sein kann) auszuschließen. Infekte können auch durch die Cortisonbehandlung angefacht und verschlechtert werden. Eine Zuckerkrankheit oder hoher Blutdruck können durch Cortison ebenfalls verschlechtert werden. Auch dafür sind Kontrollen nötig. Ist die Entscheidung zur Therapie mit Cortison getroffen, so wird empfohlen, diese als Stoßtherapie vorzunehmen. Dabei werden täglich 1 g (meist) Methylprednisolon über eine Kurzinfusion für die Dauer von drei bis fünf Tagen verabreicht. Danach ist die Behandlung im Allgemeinen beendet. Manchmal wird noch empfohlen das Cortisonpräprat in absteigender Dosierung „ausschleichend“ abzusetzen. Klare Vorteile scheint dies aber nicht zu bringen.
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Hilfe, ich habe schon wieder einen Schub!
Tabelle 9.1: Nebenwirkungen von Cortison Sofort auftretende Nebenwirkungen
Langzeitprobleme
• Blutdruckanstieg • Blutzuckererhöhung • Infektanfälligkeit • Magenschädigung (Achtung bei vorher bestehenden Magengeschwüren!) • Wasseransammlung im Gewebe (Gewichtszunahme) • Unruhegefühl • Schlafstörungen
• Knochenentkalkung (Gefahr von Knochenbrüchen!) • Entwicklung von Zuckerkrankheit • Depressionen • Hormonelle Störungen (Entwicklung von Cushing-Syndrom)
Die Entscheidung zur Behandlung mit Cortison ist sehr sorgfältig zu treffen. Die Diagnose des Schubes ist genau zu bewerten und gegen andere Ursachen für Symptomverschlechterung abzugrenzen. Risiken und Nebenwirkungen der Therapie müssen bedacht werden. Die Entscheidung wird gemeinsam mit den Betroffenen gefällt, und es wird nicht „über den Kopf der MS-Betroffenen hinweg“ für oder gegen eine Therapie entschieden.
9.5 Und wenn die Behandlung niĖt hilĞ? Ist ein Schub sehr schwer oder sehr hartnäckig, so kann in einzelnen Fällen die Behandlung mit Cortison nach etwa zwei Wochen wiederholt werden, eventuell wird dann auch mit verdoppelter Dosis behandelt. In Einzelfällen, d. h. bei Bestehenbleiben schwerer Ausfälle, kann auch die Durchführung einer Plasmapherese, also einer Art von Blutwäsche, notwendig und zielführend sein (Rückbildungswahrscheinlichkeit siehe Der akute Schub).
Und wenn die Behandlung nicht hilft?
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„Reifungsprozess“ Man lernt ja ein Leben lang, aber in der Situation nach Mitteilung der Diagnose MS macht man einen beonders intensiven Reifungsprozess durch. Dieses Bild konnte nur so, wie es ist, entstehen. Das Malen hat mich befreit und mir in der Bewältigung der Erkrankung geholfen. Nach dem Malen dieses Bildes war ich gelassener und offener und habe nicht mehr mit meinem Schicksal gehadert. Die Betrachtung des Bildes beginnt links unten. Dort ist alles eckig, dunkel, auch durcheinander. Dieser Teil symbolisiert die Zeit nach der Diagnosemitteilung. Ich war im Streit mit mir selbst. Nach rechts ist die Stimmung wechselhaft für die Zeit des Prozesses, wieder mit mir umgehen zu lernen. Nach rechts oben wird das Bild wieder weicher, runder und wärmer. Das zeigt die Entwicklungsphase, in der ich gelernt habe, mich mit meinem neuen Ich und der Diagnose zu arrangieren. Ich bin inzwischen lockerer, nicht mehr so hart mit mir selbst. Das sehe ich als wichtige Erfahrung, die ich durch die Krankheit gemacht habe.
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N. N., weibliĖ „Es ist wichtig, auf sich selbst zu hören und herauszuĺnden, was einem selbst gut tut.“
K. W., männliĖ 1 Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, Geduld zu haben.
S. K., weibliĖ 1 Die wichtigste Botschaft an andere MS-Betroffene ist, niemals aufzugeben.
B. M., 38 Jahre, männliĖ Herr B. M. erlitt seinen ersten MS-Schub mit 32 Jahren. Es handelte sich um eine Sehnerventzündung, die zum Glück gut ausheilte und Herrn B. M. keine Einschränkung verursachte. Nach etwa zwei Jahren kam es zu einer Gefühlsstörung des rechten Armes, auch diese Beschwerden bildeten sich vollständig zurück. Trotz der eigentlich günstigen Situation mit guter Symptomrückbildung und seltener Manifestation der Erkrankung reagierte Herr B. M. auf die Krankheit und auf die neue Lebenssituation mit einer Depression. Er brauchte viel Zeit, um die neue Situation zu akzeptieren, und konnte erst nach antidepressiver Behandlung und langer Problembearbeitung seinen neuen Weg im Leben ĺnden. Alle Mühen und Behandlungen hatten anfänglich aber nur einen mäßig bessernden Effekt. Herr B. M. selbst fand letztlich aber die Methode, die ihm wirklich geholfen hat. Er erfüllte sich einen lang gehegten Wunsch und kam – im wörtlichen Sinn – „auf den Hund“. In Begleitung seines Vierbeiners begann er, lange Spaziergänge zu machen, die der Hund ja benötigte. Das hatte nicht nur besten Trainingseffekt, sondern auch den Vorteil, dass Herr B. M. sein Übergewicht rasch und effektiv reduzieren konnte. Gleichzeitig mit der Gewichtsreduktion stieg die Stimmung, das allgemeine Körpergefühl besserte sich deutlich.
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Herr B. M. ist heute nicht nur vonseiten seiner MS in gutem Zustand und bisher ohne weiteren Schub, sondern auch mit seinem Leben zufrieden. BeruĻich und in der Freizeit ist er hochaktiv und voller Pläne für Weiterbildung und neue Aktivitäten – alle natürlich in Begleitung seines vierbeinigen Freundes.
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10. Die Symptome der MS quälen miĖ, was soll iĖ tun? Neben den Behandlungen, die der Eindämmung von Schüben dienen oder vorbeugend die Aktivität der Erkrankung unterdrücken sollen, steht natürlich auch eine Reihe von Therapien zur Verfügung, die zur Besserung einzelner Symptome eingesetzt werden können. Wie intensiv und welche Methoden der Symptombehandlung genützt werden müssen und genützt werden wollen, ist individuell sehr verschieden. Dies hängt sowohl von der Art der bestehenden Probleme wie auch von der persönlichen Einstellung ab. Da es sich zumeist um längerfristige Maßnahmen handelt, ist nicht medikamentösen Strategien so lange wie möglich der Vorzug zu geben bzw. sind diese zumindest unterstützend einzusetzen. Medikamente sollten vorzugsweise erst bei Versagen anderer Methoden zur Anwendung kommen. Vorauszuschicken ist auch, dass für die Überwindung mancher störender Symptome durchaus eine gewisse Geduld notwendig ist. Manchmal erfordert es ständige Übung, um mit einem Problem fertig zu werden. Das gilt etwa für Lähmungen und Koordinationsstörungen, die auch außerhalb physiotherapeutischer Betreuung von „normalem“ Training sehr intensiv proĺtieren. Manchmal ist ein Sammeln von Erfahrungen hilfreich, z. B. wenn man langsam lernt, wie der eigene Körper auf verschiedene Maßnahmen zur Beseitigung der Darmträgheit am besten reagiert. Nachfolgend sollen einige Möglichkeiten angesprochen werden, die bei oft belastenden MS-Symptomen zum Einsatz kommen können. Da medikamentöse Therapien ohnehin eine gezielte Verschreibung erfordern, wird für diesen Bereich nur auf Substanzgruppen eingegangen.
MS erfordert oft auch eine Behandlung einzelner Symptome. Um die Zahl der benötigten Medikamente niedrig zu halten, sind nach Möglichkeit nicht medikamentöse Maßnahmen zu bevorzugen.
Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
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10.1 Probleme mit der Blase Wie schon im Kapitel Symptome der MS, Vegetative Störungen beschrieben wurde, gibt es bei MS sehr unterschiedliche Störungen der Blasenfunktion. Gemeinsam ist diesen Störungen, dass sie für die Betroffenen quälend und beeinträchtigend sind und dazu noch eine seelische Belastung verursachen, da ja gesellschaftlich betrachtet Störungen der Ausscheidungsfunktionen auch mit Peinlichkeit und dem Gefühl der Scham verbunden sind.
10.1.1 Dranginkontinenz Bei Vorliegen von imperativem Harndrang und Dranginkontinenz liegt das resultierende Problem oft im sozialen Bereich, da aus Angst vor plötzlichem Harndrang und eventuellen „Unfällen“ kaum mehr das Haus verlassen wird. Hilfreich kann dabei eine Änderung der Einteilung der Trinkmenge sein. Vor Unternehmungen außer Haus kann die Menge reduziert werden, allerdings mit dem Plan, die Trinkmenge später nachzuholen. Eine Verminderung der Flüssigkeitsaufnahme generell muss vermieden werden, um Infekten der Harnblase vorzubeugen. Auch regelmäßige vorbeugende Blasenentleerung erleichtert die Situation außer Haus und vermeidet die schwierige Situation der raschen Toilettensuche. Einlagen und Spezialhosen können das Gefühl der Sicherheit außer Haus weiter unterstützen. In Ausnahmefällen, speziell bei ausgeprägten Problemen durch häuĺgen nächtlichen Harndrang, kann die Entleerung der Blase bzw. die Dranginkontinenz auch medikamentös beeinĻusst werden. Dafür ist – wie generell vor Behandlung einer Blasenfunktionsstörung – eine urologische Untersuchung nötig. Auch während der Behandlung ist zu beachten, dass die Verminderung des Harndranges nicht zur Folge haben darf, dass die Blase nur mehr unvollständig entleert wird.
10.1.2 Harnentleerungsstörung Mit noch mehr negativen Folgen verbunden ist das Problem, die Harnblase nicht vollständig entleeren zu können. Dies führt zur Bildung von Restharn oder gar Rückstau von Harn bis zur Niere. Oft kommt es dadurch zu Infekten der Harnwege. Diesen muss nach
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Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
Kräften vorgebeugt werden, da sie eine allgemeine Entzündungsreaktion hervorrufen und speziell die Niere schädigen können. Zur Förderung der Entleerung der Harnblase wird häuĺg ein Stimulieren der Bauchdecke eingesetzt, was das Auspressen des Harns unterstützen kann. Bleibt trotzdem regelmäßig Harn in der Blase zurück, ist die Ableitung mit Einmalkatheter nötig, eventuell (in selteneren Fällen) muss auch eine dauerhafte Ableitung über einen Katheter vorgenommen werden, der in der Harnröhre oder durch die Bauchdecke über dem Schambein positioniert ist. Auch medikamentös kann die Entleerung in eingeschränktem Ausmaß unterstützt werden. Generell ist bei allen Störungen der Blasenfunktion vor allem auf die Vermeidung und gegebenenfalls ausreichende Behandlung von Entzündungen der Blase zu achten. In jedem Fall hilfreich ist, wie schon erwähnt, ein regelmäßiges „Spülen“ der Blase. Über den Tag verteilt, muss ausreichend Flüssigkeit (bei Personen mit gesunder Herzfunktion 2 bis 3 Liter pro Tag) getrunken werden, und die Blase ist auch wieder regelmäßig zu entleeren. Auch Ansäuerung des Harns beugt Entzündungen vor. Dies kann schon durch entsprechende Ernährung unterstützt werden (wenig Zucker, viel Obst und Zitrusfrüchte), Vitamin C ist hilfreich, Preiselbeersaft wird empfohlen.
Blasenstörungen sind ein häujges Problem bei MS. Besonders wichtig ist es, durch ausreichendes Trinken die Blase zu spülen, um Infekten vorzubeugen.
10.2 Darmfunktionsstörungen Störungen der Darmfunktion im Sinn von „Verstopfung“ sind ein häuĺges Problem. Das gilt nicht nur für MS-Betroffene, sondern auch für einen großen Teil der gesunden Bevölkerung, für Frauen häuĺger als für Männer. In den meisten Fällen ist MS auch nur indirekt die Ursache der Störung. Empfehlungen zur Besserung von Verstopfung gibt es viele. In den meisten Fällen ist auch hier zu versuchen, das Problem durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten und der Ernährung in den Griff
Darmfunktionsstörungen
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zu bekommen und nicht sofort zu Abführmitteln zu greifen. Die erste Maßnahme wurde schon im vorherigen Absatz angesprochen. Mangel an Flüssigkeit begünstigt nicht nur Harnwegsinfekte, sondern führt auch zu Problemen der Stuhlentleerung. Durch geringe Trinkmengen wird der Stuhl fest und die Entleerung erschwert. Also gilt auch für die Darmprobleme: viel und regelmäßig trinken! Ein zusätzlicher „Trick“ ist schon eine halbe Stunde vor dem Frühstück ein Glas lauwarmes Wasser zu trinken, um die Darmtätigkeit in Gang zu bringen. Die Ernährung beeinĻusst die Darmtätigkeit natürlich ebenfalls ganz besonders. Zu beachten ist, dass ausreichend Obst und Gemüse, und da vor allem „ballaststoffreiche“ Sorten, konsumiert werden. Ein Zusatz von Trockenfrüchten (auch hier die Kombination mit viel Flüssigkeit beachten!) und Müsli mit Vollkorngetreideprodukten ist oft hilfreich. Die Darmträgheit ist oft auch Teil einer „Trägheit“ des ganzen Körpers. Das gilt für Gesunde genauso wie für MS-Betroffene. Diese haben es allerdings nicht immer so leicht, mehr Bewegung zu machen, vor allem wenn ihre Mobilität durch die Erkrankung eingeschränkt ist. Trotzdem ist es wichtig, sich um möglichst viel Bewegung zu bemühen: Schon ein wenig mehr, kann auch den Darm wieder in Gang bringen! Natürlich sind medikamentöse Maßnahmen zur Behandlung der Verstopfung ebenfalls möglich, sie sollten aber an letzter Stelle der versuchten Strategien stehen. Auch das gegenteilige Problem, nämlich die Unfähigkeit den Stuhl ausreichend zu halten, kann ein Problem MS-Betroffener sein und ist jedenfalls durch die Krankheit begründet. Für diese Störung gibt es leider nur wenige Hilfsmittel. Intensives Training der Beckenbodenmuskulatur kann die Situation verbessern. Vorbeugend und zur Sicherheit ist die Verwendung von Einlagen und Spezialbekleidung ratsam.
Darmverstopfung ist meist nicht direkt durch MS verursacht. Viel Flüssigkeit, Umstellung der Ernährung und so viel Bewegung wie möglich sind anzuraten.
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Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
10.3 Depressionen MS ist eine belastende Erkrankung. Aus Untersuchungen zur Lebensqualität wissen wir, dass MS-Betroffene auch im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen besonders viel an Belastungen und Einschränkungen erleiden. Dazu kommt noch, dass die Tatsache einer MS ja leider nicht vor anderen Problemen schützt und die Notwendigkeit einer Bewältigung familiärer, beruĻicher und sonstiger Probleme oft zusätzlich zur Bewältigung der Krankheit anfällt. Dies ist auch deshalb nicht verwunderlich, da sich die Erkrankung und dadurch verursachte Beeinträchtigungen natürlich auf viele Lebensbereiche zusätzlich negativ auswirken können. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass eine große Zahl von MS-Betroffenen zumindest zeitweise unter Depressionen leidet, wie etwa dann, wenn die Problemberge einfach zu hoch zu werden drohen. Welche Maßnahmen dann erforderlich sind, ist abhängig vom Ausmaß der Stimmungsveränderung. In der Medizin wird gelehrt, dass die Verschreibung von Psychopharmaka, also von seelisch beeinĻussenden Medikamenten, sehr zurückhaltend gehandhabt werden soll. Das ist auch richtig. In der Behandlung von MS ist aber über eine kleine Ausnahme durchaus zu diskutieren. In vielen Gesprächen mit Betroffenen haben wir eine Information immer wieder und eindrucksvoll vermittelt bekommen, nämlich dass durch Einnahme von antidepressiven Medikamenten eine wirkliche Besserung in Problemsituationen erzielt wurde. Dies gilt nicht nur für schwere Depressionen, sondern etwa auch für das seelische „Loch“ nach der Erstaufklärung und in der Bewältigung der Erkrankung. Es ist also durchaus zu empfehlen, mit der Einnahme von antidepressiven Medikamenten etwas großzügiger umzugehen und bei Stimmungsproblemen, wie sie ja schon am Beginn oft vorhanden sind, auch medikamentöse Hilfe in Anspruch zu nehmen. Unabhängig von dieser Möglichkeit sind natürlich alle anderen Maßnahmen, die die Stimmung und Lebensfreude positiv beeinĻussen können, auch zu nützen. Das beginnt damit, dass man sich ganz bewusst täglich eine kleine Freude gönnt. Natürlich spricht auch nichts gegen „große Freuden“ oder auch Änderungen im Lebensstil oder in der Lebensplanung, die dazu beitragen können. Gar nicht so
Depressionen
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wenige unserer Patientinnen und Patienten haben die Diagnose zum Anlass genommen, anstehende Probleme in ihrem Leben, die schon über längere Zeit als Belastung betrachtet wurden, nun wirklich in Angriff zu nehmen und ihr Leben sehr einschneidend – und durchwegs zum Positiven – zu ändern. Wichtig ist es auch, sich immer wieder die positiven Seiten des Lebens und der eigenen Person bewusst zu machen, sich über den „gesunden Teil“ des eigenen Körpers und die funktionierenden Bereiche des Lebens Gedanken zu machen und von der „schwarzen“ Seite der Betrachtung weg zu kommen. Dass die Familie und Partnerschaften wichtig sind, ist allgemein bekannt. Besonders in Zeiten der Depression ist es wichtig, die Beziehung zu Angehörigen und Freunden möglichst intakt zu halten. Auch intensive Gespräche mit Personen des Vertrauens sind wichtig und können Hilfe und Unterstützung bringen. Bei den Kontrollterminen im MS-Zentrum ist es jedenfalls ratsam, auch auf anstehende seelische Probleme hinzuweisen und über Möglichkeiten des Umganges damit und eine eventuelle Behandlung zu diskutieren. So bringt eine psychotherapeutische Betreuung oft wertvolle zusätzliche Unterstützung in der Bewältigung der Erkrankung. Diese Hilfe in Anspruch zu nehmen ist vernünftig und richtig. Bei Auswahl der Therapeutin/des Therapeuten ist zu beachten, dass eine Person mit zusätzlicher medizinischer Ausbildung, oder noch günstiger mit spezieller Erfahrung in der MS, meist besser geeignet ist zu helfen als eine Person mit ausschließlich psychotherapeutischer Ausbildung.
Depression ist eine häujge und verständliche Reaktion auf MS. Hilfe und Unterstützung durch Antidepressiva, wohlmeinende Menschen im Umfeld und MS-erfahrene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollten guten Gewissens in Anspruch genommen werden.
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Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
10.4 Müdigkeit (Fatigue) Zu den häuĺgen Symptomen von MS zählt die Müdigkeit. Nun ist Müdigkeit ja an sich häuĺg und kommt natürlich auch bei Gesunden vor. Die spezielle MS-Müdigkeit davon zu unterscheiden ist auch wirklich nicht ganz einfach. Sie hat allerdings ganz spezielle Merkmale. Gemeint ist mit dieser Bezeichnung nämlich eine verstärkte, kaum unterdrückbare Tagesmüdigkeit, für die sich eigentlich keine ausreichende Begründung durch fehlende Nachtruhe oder eine vorhergegangene besondere Anstrengung ĺnden lässt. Über Müdigkeit bei MS zu sprechen ist auch deshalb wichtig, weil dieses Symptom nicht nur von den Betroffenen als starke Belastung empfunden wird, sondern auch in vielen Fällen den Tagesablauf so stark einschränkt, dass dies oft sogar der Grund für eine Pensionierung sein kann. Beim Versuch, die MS-Müdigkeit zu verbessern, ist eine Reihe von Aspekten zu bedenken. Natürlich ist der Nachtschlaf bei MS nicht selten gestört, sei es durch Blasenprobleme, sei es durch Spastizität oder auch weil in der Nacht seelische oder sonstige Probleme gewälzt werden. Dies ist auch der erste Angriffspunkt der Behandlung. Alles, was zur Verbesserung des nächtlichen Schlafes dient, kann auch die Tagesmüdigkeit bessern. Als weiterer wichtiger Punkt im Umgang mit der Müdigkeit ist sicher die Tageseinteilung zu nennen. Pausen sind bei der Arbeit oft durchaus möglich und einteilbar – und schon nach einer Rast von einer halben Stunde kann die Tätigkeit oft ganz ohne Probleme wieder fortgesetzt werden. Auch Entspannungstechniken können unterstützend sein. Die Methode der „Power Naps“, also eines kurzen Schlafes für etwa 10 Minuten, muss zwar erlernt werden, kann aber die Frische für die nächsten Aufgaben wiedergeben. Einzelne Faktoren wirken sich bekanntermaßen verschlechternd auf die Tagesmüdigkeit aus. Dazu gehören zum Beispiel Hitze, aber auch Tabak- und Alkoholkonsum. Soweit diese vermieden werden können, ist das natürlich der einfachste Weg. Bei Hitze kann eine kalte Dusche oder zumindest das Eintauchen der Arme oder Beine in kaltes Wasser zu Besserung führen. Auch mit Medikamenten kann versucht werden, die MS-Müdigkeit in den Griff zu bekommen, ihre Wirkung wird aber sehr unterschiedlich
Müdigkeit (Fatigue)
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beurteilt. Jedenfalls ist auch hier die medikamentöse Therapie erst als letzte Möglichkeit zu versuchen.
Müdigkeit ist ein belastendes MS-Symptom und hat absolut nichts mit „Faulheit“ zu tun! Rücksicht auf dieses Symptom durch entsprechende Einteilung des Tagesablaufes ist wichtig.
10.5 SĖmerzen Das Symptom Schmerz ist nicht an bestimmte Erkrankungen gebunden. Deshalb ist jeweils zuerst die Ursache zu klären, bevor dagegen Maßnahmen ergriffen werden. Auch bei Vorliegen einer MS sind andere Schmerz auslösende Möglichkeiten immer wieder auszuschließen, um eine notwendige gezielte Behandlung nicht zu übersehen. Bei den unterschiedlichen durch MS verursachten Schmerzzuständen sollte man die Behandlung ebenfalls an der Art und Ursache der Beschwerden orientieren. Bei einschießenden Schmerzen wie etwa der Trigeminusneuralgie helfen Medikamente, die auch gegen Anfallsleiden eingesetzt werden. Gleiches gilt für Schmerzzustände durch veränderte Gefühlswahrnehmung. Auch Psychopharmaka werden oft erfolgreich eingesetzt, weil sie die Schmerzwahrnehmung im Gehirn günstig beeinĻussen können. In jedem Fall ist gezielten Maßnahmen gegenüber einer breiten Anwendung von „Schmerzmitteln“ der Vorzug zu geben. Dazu gehören auch eine entsprechende Planung und Kontrolle der Schmerztherapien, um Gewöhnungseffekte der Behandlungen zu vermeiden.
Schmerzen bei MS können direkt oder indirekt durch die Erkrankung entstehen. Die Behandlung muss meist medikamentös erfolgen. Die Gefahr der Gewöhnung ist zu beachten.
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Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
10.6 Spastizität Die Lähmungen bei MS sind „spastisch“, sind also von einer erhöhten Spannung der Muskulatur begleitet. Dies führt einerseits zu Einschränkungen der Beweglichkeit und oft zu gravierenden Gangproblemen, andererseits häuĺg auch zu Schmerzen. Deshalb ist die Behandlung der Spastizität auch ein sehr wichtiges Anliegen in der Symptombehandlung von MS. Auf nicht medikamentösem Weg ist mittels Physiotherapie häuĺg eine Milderung der Spastizität zu erzielen. Dabei muss allerdings mit passiven Methoden gearbeitet werden, da aktive Bewegung die Spastizität leider verschlechtert. Gute Erfolge können mit Kältebehandlungen erreicht werden. Diese werden sowohl mit Kühlwesten als auch mit Eiskammern oder -bädern durchgeführt. Auch kalte Duschen oder Abreibungen mit Eiswürfeln können manchmal schon Erleichterungen bringen, im Gegenzug ist es natürlich auch ratsam, Hitzebelastungen zu vermeiden. Auch mit mechanischen Hilfsmitteln wie speziellen Schienen zur Reduktion der Spastizität kann versucht werden, die Gehfähigkeit zu verbessern. Medikamentös steht eine Reihe von Präparaten zur Reduktion der Spastizität zur Verfügung. Zu beachten ist, dass alle diese Medikamente müde machen. Das ist sowohl prinzipiell beim Einsatz als auch in der Dosierung zu beachten. Die optimale Dosis ist also gemeinsam mit der Patientin/dem Patienten zu suchen. Nach niedriger Anfangsdosierung wird diese langsam bis zum Erzielen eines ausreichenden Behandlungseffektes gesteigert. Häuĺg sind auch nach längerer Einnahme Anpassungen der Dosis nach oben oder unten nötig. Medikamente gegen Spastizität wirken auf unterschiedliche Art, deshalb kann bei fehlender Wirksamkeit auch eine Umstellung des Präparates sinnvoll sein. Ein „Zaubermittel“, das die Spastizität abschafft, gibt es allerdings leider nicht. Manchmal können wir auf die Spastizität auch gar nicht ganz verzichten. Bei ausgeprägter Kraftabschwächung der Muskulatur kann eine bestehende Spastizität durch ihre stabilisierende Wirkung gerade noch eine gewisse Gehfähigkeit ermöglichen und darf daher in diesen Fällen nicht zu intensiv
Spastizität
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reduziert werden, will man keinen vollständigen Mobilitätsverlust in Kauf nehmen. Bei sehr ausgeprägter und quälender Spastizität sind in manchen Fällen allerdings durchaus auch eingreifendere Maßnahmen nötig. Diese können sowohl im Einspritzen von Botulinumtoxin als auch im EinpĻanzen einer Medikamentenpumpe in den Wirbelkanal bestehen, welche dann kontinuierlich ein den Muskel entspannendes Mittel abgibt.
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Die Symptome der MS quälen mich, was soll ich tun?
HF, männliĖ „Seit der Information über meine Erkrankung rege ich mich über so genannte Nebensächlichkeiten des Lebens nicht mehr so sehr auf (z. B. Warten in einer Einkaufsschlange, Benutzung des „falschen“, langsameren Fahrstreifens beim Auto fahren). Ich habe das Streben nach dem Optimum für manche Aufgabenstellungen (z. B. beruĻicher Aufstieg, Gehaltserhöhung, Arbeitseinsatz) aufgegeben, weil ich erkannt habe, dass es zumindest für mich kein Optimum gibt. Jeder ĺndet seinen Meister, das heißt, dass es in der Regel immer irgendwo auf dieser Welt etwas Besseres/einen Besseren gibt. Zufriedenheit erreichte ich mit dieser Art des Lebens nur kurzfristig. Schon nach kurzer Zeit strebte ich schon wieder nach Optimierungen und die Tretmühle begann sich wiederum zu drehen (Vergleich mit einem Hamster im Laufrad). Erst durch meine Erkrankung hielt ich geistig inne. Dabei wurde mir dieser Endloskreislauf bewusst und ich stellte mir die „Sinnfrage“. Ich überlegte mir Möglichkeiten der Veränderung meines bisherigen Lebens um den eingeschlagenen Weg in eine gewünschte, neue Richtung zu korrigieren. Durch das Streben nach Geld, gesellschaftlicher Anerkennung respektive Akzeptanz kamen bestimmte Wünsche einfach nicht über das geistige Planungsstadium hinaus. Ich erledigte Aufgaben, weil es die Umwelt von mir erwartete. Ob ich eigentlich wollte, fragte ich mich selten und andere fragten mich schon gar nicht. Seit der Erkrankung nahm ich mir mehr Zeit für Aufgaben, die ich schon immer erledigen wollte aber aus „Zeitmangel“ immer verschob. Ich begann mich an Personen zu orientieren, denen das Schicksal noch „viel übler als mir mitgespielt“ hat. Eine verstärkte Zufriedenheit mit meinem anderen, neuen Leben ist die Folge dieser Lebensumstellung; der Auslöser für diese Entwicklung war MS. Meine OberĻächlichkeit in für mich eigentlich wichtigen Bereichen (z. B. PĻege von Freundschaften) sowie die Endlichkeit meiner Verweildauer auf dieser Welt und meine Verwundbarkeit wurden mir durch MS viel stärker bewusst. Ich kann mich seit dem Wissen um meine Erkrankung über Kleinigkeiten wie Verbesserungen nach einem Schub ehrlich freuen. Für nicht an MS erkrankte Personen sind diese aufgezählten Tätigkeiten normal und ist meine Freude vielleicht sogar lächerlich. Meine Partnerin schuf mir gesündere Rahmenbedingungen des täglichen Lebens wie etwa gezielte Abstimmung der Ernährung auf MS, sie achtete gemeinsam mit mir auf eher geregelten Schlaf, animierte mich zu mehr Zeit für sportliche Betätigung sowie generellen Ruhezeiten nach
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Anstrengungen. Diese Entwicklung trug sehr zur Verbesserung meiner Lebensqualität bei. Abschließend möchte ich von einer nach der Erkrankung angeeigneten Fähigkeit erzählen: Da ich mir einbildete, mein Merkvermögen würde sich verschlechtern und dies würde durch MS hervorgerufen werden, kaufte ich mir das Buch von Tony Buzan „Nichts Vergessen!“. Ich las nicht nur angeregt seine Zeilen, sondern übte auch die dort angeführten Aufgabenstellungen des täglichen Lebens. Lange danach wurde mir von kompetenter Stelle versichert, dass mein nachlassendes Merkvermögen keinesfalls mit MS in Verbindung steht. Wahrscheinlich hätte ich ohne MS dieses Buch nicht so früh erstanden und meine nachlassende Merkfähigkeit zur Kenntnis genommen. Obwohl ich die Krankheit Multiple Sklerose an sich bis heute nicht akzeptieren konnte, habe ich mich doch, durch die Verwirklichung vorher ungenützter Chancen, mit ihr arrangiert.“
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11. Sind sanĞe Methoden niĖt viel besser? Häuĺg wird in der Aufklärung schon die Frage gestellt: „Ist es nicht besser, MS mit natürlichen Methoden zu bekämpfen? Gibt es nicht sanfte Methoden der Behandlung statt der chemischen Keule? Ist das nicht viel vernünftiger?“ Ja, kann man da nur sagen, sanfte Methoden sind, wie der Name uns schon vermittelt, jedenfalls etwas Gutes. Mit dem Begriff „sanft“ verbinden wir ja eigentlich nur Angenehmes, wir wollen mit unserem Körper freundlich und sanft umgehen, also können Methoden, die „sanft“ sind, jedenfalls auch nur gut sein. Im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen stellen sich da aber doch einige Fragen. Schwierig ist es schon zu erkennen, was eigentlich gemeint ist, wenn man von „sanften Heilmethoden“, „alternativer Medizin“ oder „komplementären Methoden“ spricht. Welche Methoden verbergen sich also hinter diesen Ausdrücken? Die nächste Frage ist, wie sich die Wirkungen alternativer Methoden auch belegen und nachweisen lassen bzw. ob sie wirklich wirken und ob diese Wirkungen dann vorteilhaft sind – oder nicht eventuell sogar schaden. Die Tatsache, dass ein Mittel als „natürlich“ oder „pĻanzlich“ bezeichnet wird, bedeutet ja nicht automatisch, dass es wirkt. Genauso wenig kann man deshalb davon ausgehen, dass es zumindest sicher nicht schadet. Sokrates wurde schließlich auch mit einem „Schierlingsbecher“ vergiftet, ohne Zweifel ein rein pĻanzliches Produkt. Zu guter Letzt wird sich natürlich auch die Frage einer Kosten-Nutzen-Rechnung stellen. Alternative Heilmethoden werden ja von den Kassen derzeit nicht übernommen. Die manchmal durchaus respektablen Kosten müssen also vom eigenen Budget bewältigt werden. Zweifellos muss man feststellen, dass die Schulmedizin derzeit noch nicht in der Lage ist, MS zu heilen. Es ist deshalb verständlich und akzeptabel, sich zu überlegen, ob es nicht auch andere oder sogar bessere Möglichkeiten gibt, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Auch der Wunsch, selbst aktiv zu sein und nach Therapien zu suchen, ist verständlich und eine gesunde Methode, mit einer Erkran-
Sind sanfte Methoden nicht viel besser?
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kung umzugehen. Der Wunsch, mit Nebenwirkungen beladene Therapien zu vermeiden und eine gut verträgliche und sanfte, die Fähigkeiten des Körpers zur Selbstheilung berücksichtigende Methode zu ĺnden, ist nachfühlbar und ein erstrebenswertes Ziel. In den Gesprächen über MS wird dementsprechend natürlich sehr oft die Frage gestellt, ob es nicht alternative Therapien gibt oder auch unterstützend zusätzlich andere Methoden angewendet werden können. Deshalb soll hier der Versuch gemacht werden, auch zu „anderen“ Methoden als jenen der Schulmedizin eine überblicksmäßige Stellungnahme abzugeben. Zuerst soll zu diesem Zweck aber deĺniert werden, von welchen Methoden wir dabei sprechen.
11.1 Komplementäre Therapien Es handelt sich hier um Therapien, die zusätzlich zur konventionellen Medizin angewendet werden. Das bedeutet, dass die von der Schulmedizin verschriebenen Präparate natürlich akzeptiert und auch weiter verabreicht werden. Durch komplementäre Methoden soll aber eine zusätzliche Behandlung der Grunderkrankung oder auch eine Besserung von Symptomen erzielt werden.
11.1.1 Komplementäre kausale Behandlung der MS Für einzelne Methoden existiert die Vorstellung, dass sie über eine BeeinĻussung des Immunsystems zur Besserung der MS beitragen. So wird zum Beispiel von der TCM (Traditionellen Chinesischen Medizin), die MS ja als „Schleimerkrankung“ betrachtet, eine Behandlung mit unterschiedlichen Kräutern, Akupunktur und durch Änderung von Ernährung und Lebensstil empfohlen. Auf ähnlichen Prinzipien fußen die indischen Ayurveda-Methoden. Generell – bis auf widersprüchliche Aussagen zur Akupunktur – ist dadurch auch zumindest keine verschlechternde Wirkung zu befürchten und eine zusätzliche Anwendung wird keinen Schaden bringen. Auch mit homöopathischen Mitteln wird unter der Annahme einer BeeinĻussung der Immunlage eine Modiĺzierung von MS-Verläufen in Betracht gezogen. Nachweise für eine derartige Wirkung liegen – wie allerdings generell für die Wirkung von Homöopathie – nicht vor.
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Sind sanfte Methoden nicht viel besser?
Die kraniosakrale Therapie wird unter der Annahme empfohlen, dass durch verschiedene mechanische Maßnahmen (z. B. Massagen) eine Verbesserung der Zirkulation des Nervenwassers erreicht werden kann. Durch die verbesserte Zirkulation des Liquors soll es letztlich zu einer Stärkung des Immunsystems kommen, was wiederum die MS positiv beeinĻussen sollte. Belege für diese Annahmen gibt es nicht, ein Schaden ist aber auch nicht anzunehmen. Enzyme und langkettige Fettsäuren wurden für einige Zeit von einzelnen Personen vehement zur Behandlung von MS empfohlen. Es liegen mittlerweile dazu sogar größere Studien vor, die aber keine Wirkung belegen konnten. Nahrungsergänzung wird unter der Überlegung einer Stärkung der Abwehrkräfte mit Vitaminen und Spurenelementen empfohlen. Sowohl Enzyme als auch Fettsäuren und Nahrungsergänzungen sind ohne Risiko verwendbar, allerdings ist eine Wirkung auf MS nicht nachgewiesen und eine heilende oder bessernde Wirkung auch nicht zu erwarten.
11.1.2 Komplementäre Behandlung von MS-Symptomen Die Beurteilung von Therapieeffekten zur Behandlung von einzelnen Symptomen ist wesentlich einfacher, da man ja selbst durch ein Besserungsgefühl den Effekt spüren und beurteilen kann. Zu komplementären Therapien von MS-Symptomen zählen natürlich im weiteren Sinn alle physiotherapeutischen Methoden und auch alle Maßnahmen, die durch Änderung des Lebensstils Symptome erleichtern können. Alle diese Methoden werden natürlich auch in der Schulmedizin betrieben und unterstützt. Eine lange Reihe von Methoden wird zur Symptombehandlung auch komplementär angeboten. Das reicht von Methoden der Entspannung (Yoga, Hypnose) und verschiedenen Arten von Behandlung über Bewegung und Körperwahrnehmung (Tai-Chi, Feldenkrais, Biofeedback) und Massagemethoden (Shiatsu) bis zu den unterschiedlichsten Diätempfehlungen. Natürlich werden homöopathische Medikamente und die Methoden der TCM auch für die Behandlung einzelner Symptome angeboten. Generell sind die komplementären Methoden der Behandlung von Symptomen als unproblematisch anzusehen und haben den Vorteil,
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dass man bei fehlender Wirksamkeit oder dem Gefühl einer Verschlechterung auch selbst reagieren und die Behandlung beenden kann.
11.2 Alternative Therapien Mit „alternativ“ ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass die Auffassung von Gesundheit und Krankheit anders ist, als dies in der konventionellen und wissenschaftlich orientierten Medizin der Fall ist. Oft haben solche Methoden ihren Ursprung in philosophischen Lehren oder in einer Religion. Alternative Methoden erheben im Allgemeinen den Anspruch, dass ihre Maßnahmen und Lehren streng einzuhalten sind. In manchen Fällen wird die Schulmedizin zusätzlich zumindest akzeptiert, „streng alternative“ Methoden lehnen die Schulmedizin völlig ab. Ohne einzelne Methoden aufzuzählen, ist es ratsam, eine eventuell angestrebte alternative Methode selbst sorgfältig zu bewerten und auch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu besprechen, und sei es nur, um das Risiko der Maßnahme einzuschätzen. Generell ist Vorsicht geraten, wenn absolute Ausschließlichkeit einer Methode oder verpĻichtende Bindung an eine Gruppe gefordert wird. Wird der Vorschlag, die Methode erst mit einer Vertrauensperson im MS-Zentrum zu besprechen, abgelehnt oder gar verboten, sollte das unbedingt Anlass zu größter Vorsicht und Zurückhaltung sein! Auch das Versprechen, mit einer bestimmten Methode „Heilung“ zu ĺnden, ist jedenfalls mit großer Skepsis zu betrachten.
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Die zusätzliche Verwendung von Heilmethoden aus dem „paramedizinischen Bereich“ ist vielen Patientinnen und Patienten ein Anliegen. Komplementäre Methoden sind meist unproblematisch und können zusätzlich angewendet werden. Streng alternative Maßnahmen, die eine völlige Abkehr von der Schulmedizin anordnen, sind abzulehnen. Die Besprechung einer geplanten Maßnahme mit den Behandlungspersonen im MS-Zentrum ist wichtig. Da paramedizinische Methoden meist selbst jnanziert werden müssen, ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung nötig und die Frage: „Kann/Will ich mir diese Methode auch leisten?“
11.3 Die „böse“ pharmazeutisĖe Industrie Oft liegt der Grund für den Wunsch nach alternativen Behandlungen gar nicht so sehr darin, dass die angestrebten Methoden als so gut empfunden werden, sondern in einem intensiven Misstrauen gegenüber der pharmazeutischen Industrie. Dieser wird ja in der allgemeinen Volksmeinung nichts Gutes zugetraut, man verbindet den Begriff gedanklich oft mit übler Geschäftemacherei, mit unlauteren Methoden zur Gewinnung von Erkenntnissen und damit, dass das Leid kranker Menschen ausgenutzt wird, um selbst ĺnanziellen Gewinn zu erzielen. Richtig daran ist, dass die Pharmaindustrie mit den Produkten, die sie vertreibt, Geschäfte machen muss und natürlich auch will. Es handelt sich schließlich um einen Industriezweig, der den üblichen Bedingungen der Marktwirtschaft unterliegt. Um zu bestehen, den vielen Angestellten weiter Arbeit zu geben und die Firmen zu erhalten, ist es notwendig, geschäftlich erfolgreich zu sein und die hergestellten Produkte auch zu vermarkten. Richtig ist weiters, dass die Medikamente, die derzeit in den Handel kommen, für immens hohe Summen verkauft werden. Die Überlegung, dass solche Preise nicht gerechtfertigt sein könnten, sozusagen „Wucherpreise“ sind, drängt sich auf. Trotzdem ist es nötig, diese verankerten Meinungen kritisch zu betrachten.
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Wir fordern von Medikamenten: • Belegtes und verlässliches Wissen über die Wirkung • Hohe Sicherheit in Bezug auf Nebenwirkungen • Langzeiterfahrungen • Hohen Komfort in der Anwendung Diese Liste könnte noch fortgesetzt werden. Um alle oben angeführten Informationen zu bekommen, muss eine Substanz allerdings über viele Jahre entwickelt werden und eine Anzahl von Studien durchlaufen, die dazu dienen, jede nur mögliche Information über ein Medikament einzuholen (siehe: Was ist evidenzbasierte Therapie?). Auch vonseiten der Behörden werden die AuĻagen für die Einführung eines neuen Medikamentes immer umfangreicher und aufwendiger. Diese Umstände bedingen, dass der Entwicklungsprozess neuer Medikamente enorme ĺnanzielle Investitionen notwendig macht. All diese Kosten sind schließlich im Preis des „Endproduktes“ enthalten. Der große Aufwand und die hohen Kosten, welche mit der Prüfung der Wirksamkeit von Medikamenten verbunden sind, bedingen auch, dass derartige Untersuchungen aus rein wissenschaftlichem Interesse gar nicht mehr möglich sind. Die öffentliche Hand oder wissenschaftliche Förderinstitutionen sind zumindest in Mitteleuropa bisher keinesfalls bereit, ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen, um etwa die Wirksamkeit unterschiedlicher (und auch billigerer) Medikamente, unabhängig von einer Unterstützung durch die pharmazeutische Industrie, vergleichend zu überprüfen. Betrachtet man den Beitrag pharmazeutischer Unternehmen speziell auf dem Gebiet der MS, so muss man anerkennen, dass sie eine führende Rolle bei der Entwicklung wirksamer Therapien eingenommen und damit auch viele andere Aktivitäten in Gang gesetzt haben, die sich positiv für Betroffene auswirken. So hat insbesondere die Verfügbarkeit wirksamer Therapien einen unglaublich intensiven Aufschwung in der Erforschung der Erkrankung allgemein ausgelöst, indem ein großer Teil der verdienten Summen auch wieder in Forschung und Entwicklung investiert wurde. Auch die Entwicklung und Umsetzung von Qualitätsstandards in der Betreuung von MS-Betroffenen war letztlich eine Folge dieser Entwicklung.
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Pharmajrmen verkaufen Medikamente, die – speziell bei MS – hohe Preise haben. Die Firmen erfüllen dafür aber auch hohe Anforderungen, die an die Zulassung eines Medikamentes geknüpft sind. Von den Bemühungen um neue Therapiemöglichkeiten projtiert die gesamte MS-Forschung und letztlich natürlich auch die MS-Betroffenen.
Die „böse“ pharmazeutische Industrie
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S. K., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, dass es wichtig ist, Sport zu betreiben und positiv zu denken.“
M. J., weibliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, geduldig zu sein, aber auch Gesundheit mehr zu schätzen und auf körperliche Grenzen besser zu achten. Auch Toleranz im Umgang mit anderen, speziell mit behinderten Menschen, habe ich von meiner Erkrankung gelernt.“
M. T., weibliĖ „Mir ist gesunde Ernährung wichtig, wenig Stress und positives Denken. Man darf sich nie aufgeben, die Lebensweise und die Lebenseinstellung kann man ändern. Über die Krankheit muss man sich gut informieren.“
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12. Was kann iĖ selber tun, um meinen Zustand zu bessern? MS-Betroffene sind meist jung und zeichnen sich offenbar durch hohe Eigenverantwortlichkeit aus, wenn sie sich erstmals mit der Erkrankung auseinandersetzen müssen. Denn in den meisten Aufklärungsgesprächen wird an mich die Frage gestellt: „Was kann ich unabhängig von medikamentösen Maßnahmen denn selbst tun, um meine Gesundheit positiv zu beeinĻussen?“ Diese Frage spricht nicht nur für die Absicht sehr bewusst und aktiv mit der Erkrankung umzugehen, sondern bedeutet eigentlich schon einen Schritt in diese Richtung – und bringt uns damit auch zum nächsten Punkt.
12.1 SeelisĖe Beiträge zur Krankheitsbewältigung Es ist sehr fraglich, ob wir diesen Teil des Buches selbst schreiben dürfen, denn die Inhalte und Gedanken, die hier wiedergegeben sind, kommen zum größten Teil von MS-Betroffenen. Wir fassen eigentlich nur all die Ratschläge zusammen, die uns MS-Betroffene im Lauf der Jahre zu diesem Thema mitgeteilt haben. Vorweggenommen: Der Umgang mit der Erkrankung, die Fähigkeit, die Krankheit in den Alltag einzubauen und einen positiven Weg damit zu ĺnden, ist sicher die Grundvoraussetzung eines guten Lebens mit und trotz MS. Ein Ratschlag, der sich in allen Beiträgen von Betroffenen ĺndet, ist: „Positiv denken!“ Der erste Schritt, mit MS umzugehen, besteht zweifellos darin, die Erkrankung zu akzeptieren. Wichtig ist aber, zu unterscheiden: Akzeptieren bedeutet nicht resignieren! Wir haben am Beginn dieses Buches von der „Partnerin MS“ gesprochen. Ausgesucht hat man sich diese Partnerin zwar nicht, aber man muss für den Rest des Lebens mit ihr ein Arrangement ĺnden. Das geht nicht durch ständiges Kämpfen gegen MS, das geht nicht durch ständiges Hadern mit dem Schicksal. Das geht aber auch nicht durch Resignation und das
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Abgeben aller Verantwortung an die MS, und das geht schon gar nicht durch Selbstmitleid. Wichtig in dieser Situation ist es, sich aufzurichten und eine neue Deĺnition für sich zu ĺnden, eine Deĺnition, in der die „Partnerin MS“ ihren Platz bekommt. Dieser Platz ist aber nicht in der Führungsebene! Auch das ist eine wichtige Weichenstellung schon am Beginn der Erkrankung. MS bleibt ein Teil des Lebens von MS-Betroffenen, manchmal mehr, manchmal zum Glück weniger wichtig im Alltag, aber in jedem Fall ein Teil, der nicht allein bestimmend für das weitere Leben ist. Es gibt nur wenige MS-Fälle, die wirklich so schwer sind, dass sich das Leben ausschließlich um Krankheit und Behinderung zu drehen beginnt. In den meisten Fällen kann und soll die Gestaltung des Lebens den persönlichen Wünschen und Plänen folgen, auf die MS einen möglichst kleinen EinĻuss ausüben soll. Oft hilft es sich selbst klarzumachen: „Nur ein kleiner Teil von mir ist krank, der größte Teil von mir ist gesund und will ein schönes Leben führen!“ MS ist ein Anlass, sich selbst neu kennenzulernen. Gesunde Menschen können es sich – zumindest für eine Zeit lang – leisten, schlampig mit sich zu sein, auf Bedürfnisse des Körpers nicht zu hören oder Unklarheiten in der Lebensplanung und Organisation zuzulassen. MS ist ein guter Grund, sich selbst genau zu beobachten, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Die besten „MS-Lebenswege“ sind jene, bei denen MS Anlass war zu einer Bilanz und Neuordnung des Lebens. Das kann in kleinen Bereichen der Fall sein wie bei der Deĺnition der Belastbarkeit. („Ich darf auch einmal schwach sein, ich muss nicht immer perfekt funktionieren.“) Das kann auch in der Kommunikation mit der Umwelt sein. („Ich möchte meine Gesamtbelastung reduzieren. Mein Beruf ist mir wichtig, aber bei der Hausarbeit kann ich manche Bereiche abgeben und von meinen Angehörigen mehr Unterstützung erwarten.“) Das kann aber auch ganze Lebensbereiche betreffen. („Ich wollte mich schon immer beruĻich neu orientieren, jetzt habe ich beschlossen, mein Leben zu ändern.“) Wichtig dabei ist, die eigene Person und ihre Bedürfnisse ehrlich und gründlich zu betrachten, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen aber auch hohe Achtung und Wert zuzubilligen und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
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MS fordert oft Opfer. Es ist notwendig, für sich zu klären, was man eher bereit ist zu opfern und welche Aktivitäten und Belange so wichtig sind, dass sie jedenfalls weiter bestehen bleiben sollen. Ziel der Bewältigung ist es, einen Weg zu ĺnden, der MS in ihren Auswirkungen als Notwendigkeit akzeptiert, aber die Erkrankung nicht als alleiniges Lenkinstrument im Leben betrachtet und ausreichend Raum für das Erfüllen und Ausleben eigener Lebenswünsche offenlässt. Das Resultat aller Bemühungen sollte ein gutes Gefühl für und mit der eigenen Persönlichkeit sein, unter Akzeptanz der Tatsache, dass diese Person an MS leidet. Es ist nicht einfach, mit MS zu leben. Nach allem, was wir aus Untersuchungen zur Lebensqualität wissen, ist es sogar schwieriger als mit anderen chronischen Erkrankungen. Deshalb ist es auch absolut richtig und begründbar und darf nie vergessen werden, dass Menschen mit MS stolz darauf sein dürfen, dass sie diese Aufgabe bewältigen und in der Lage sind, mit MS zurechtzukommen und einen neuen, an die Tatsache der Erkrankung angepassten Lebensweg zu ĺnden. Wir dürfen an dieser Stelle noch einmal den schönen Satz eines unserer Patienten zitieren: „Jeder Mensch ist besonders in seiner Persönlichkeit. Aber ich habe MS, und das macht mich einmalig!“
Zur Bewältigung der Erkrankung ist es wichtig, sie zu akzeptieren und mit der neuen Lebenssituation umgehen zu lernen. MS wird ein Teil des weiteren Lebens sein, aber sie soll das Leben nicht allein bestimmen und lenken dürfen. Menschen, die in der Lage sind, mit MS zu leben und ihr Schicksal mit der Erkrankung zu bewältigen, haben guten Grund, auf sich und auf diese Leistung stolz zu sein!
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12.2 Ernährung bei MS Ernährung ist ein wichtiger Teil des Lebens, deshalb werden wir eigentlich in jeder MS-Erstinformation gefragt, ob man die Krankheit mit Ernährung beeinĻussen könne und ob es eine bestimmte „MSDiät“ gäbe. Natürlich kann man mit Ernährung verschiedenste Körperfunktionen beeinĻussen, auch wenn man MS damit nicht heilen kann. Deshalb ist es wichtig, über dieses Thema zu sprechen. Allerdings möchten wir es, bevor wir uns mit Details befassen, erweitern: Nicht die Ernährung ist wichtig, sondern das Essen ist wichtig.
12.2.1 WelĖe Bedürfnisse können wir mit Essen befriedigen? Natürlich dient Essen der Ernährung des Körpers, also der Aufnahme von Nahrung, um Energie zu liefern, um den Körper gesund und funktionsfähig zu erhalten. Aber unabhängig davon dient Essen auch dem Genuss. Die Freude an einer Mahlzeit ist ein „Fest für die Sinne“, wir freuen uns am schön gedeckten Tisch, wir riechen die Speisen schon, bevor wir sie sehen, wir freuen uns am Geschmack unserer Lieblingsspeisen. Und wir haben Spaß beim Essen. Nicht nur weil es gut schmeckt, nicht nur weil eine gelungene Speisenfolge Genuss verschafft, sondern auch weil wir bei einer guten Mahlzeit entspannen können, es uns mit unseren Angehörigen oder auch im größeren Kreis gemütlich machen und beim Essen miteinander reden, Gedanken austauschen und die Gemeinsamkeit genießen können. Essen ist ein wichtiger Faktor, um die Lebensfreude zu steigern! Essen bedeutet also viel mehr als nur Aufnahme von Nahrung – und jede Maßnahme, die wir in Bezug auf unsere Ernährung setzen, sollte das berücksichtigen.
Ernährung soll gesund sein, genauso wichtig ist es aber, dass die Nahrung mit Genuss und Freude aufgenommen wird und die Lebensfreude fördert.
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12.2.2 Gibt es eine MS-Diät? Diese Frage ist leicht zu beantworten. Ja, es gibt nicht nur eine, sondern viele Diäten, die von verschiedensten Seiten bei MS empfohlen werden. Wir möchten deshalb die Fragestellung verändern in: „Ist es sinnvoll, zur Behandlung von MS eine Diät einzuhalten?“ Auch das ist einfach zu beantworten. MS ist eine Erkrankung, die durch eine Diät sicher nicht geheilt und – obwohl das von manchen Vertretern von Diätempfehlungen behauptet wird – durch spezielle Ernährung vermutlich auch nicht in ihrem Verlauf beeinĻusst werden kann. Deshalb ist eine strenge Diät, wie immer sie aufgebaut sein mag, nicht zwingend zu empfehlen. Aber auch wenn keine Heilung von MS durch Einhalten von Diät möglich ist, kann man doch verschiedene Empfehlungen abgeben, wie eine Ernährung bei MS gestaltet sein kann. Dazu verabschieden wir uns schon am Beginn von der Bezeichnung Diät, denn das klingt nach Verzicht und Haferschleim und ist schon deshalb schwer einzuhalten. Guten Gewissens empfehlen kann man aber, alle Richtlinien zu befolgen, wie sie für „gesunde Ernährung“ gelten.
12.2.3 Was wollen wir mit gesunder Kost erreiĖen? Mehrere Ziele können prinzipiell mit einer Anpassung der Ernährung verfolgt werden: • Eventuelle BeeinĻussung der Krankheit durch Zufuhr von Speisen, die Entzündungen unterdrücken. • Stabilisierung des Allgemeinzustandes durch gesunde Kost. • Besserung einzelner Zusatzbeschwerden (z. B. Stuhlverstopfung). Ob MS durch entsprechende Ernährung beeinĻusst werden kann, ist unklar und darf zumindest nicht als erwiesen betrachtet werden. Ganz sicher aber kann man durch gesunde Ernährung den Allgemeinzustand und das Wohlbeĺnden bessern. Eine dementsprechende Gestaltung der Ernährung ist deshalb ganz sicher ratsam. Viele unserer Patientinnen und Patienten berichten auch, dass sie ihre Ernährungsgewohnheiten völlig erneuert haben und sich damit wesentlich besser und vor allem ĺtter fühlen. Besserung der Tagesmüdigkeit und der allgemeinen Belastbarkeit werden als Erfolg berichtet, aber auch geringere Infektanfälligkeit und natürlich sehr oft
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eine Besserung der Darmträgheit sowie zumeist eine (durchaus erwünschte!) Gewichtsabnahme. Einer unserer Patienten berichtete uns, regelmäßig nach dem Genuss von Nüssen eine Besserung der Spastik zu bemerken. Wir haben diese Erkenntnis nicht durch eine Studie belegt, aber in diesem Fall spricht nichts gegen einen Selbstversuch!
12.2.4 UngesäĴigte FeĴsäuren Ungesättigte Fettsäuren werden auch als „essenzielle“ Fettsäuren bezeichnet, das bedeutet, dass sie dem Körper zugeführt werden müssen, weil sie nicht im Körper produziert werden können. Man nahm früher an, dass Omega-3-Fettsäuren Entzündungen hemmen, Omega-6-Fettsäuren, aus denen Arachidonsäure im Körper gebildet wird, wurden als eher entzündungsfördernd eingestuft. Für beide Fettsäuren existieren einzelne Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen über ihre Auswirkung auf MS. Keine der beiden Fettsäuren dürfte in größerem Ausmaß bei MS nutzen oder schaden. Ein therapeutischer Einsatz ist somit derzeit nicht zu begründen. Ungesättigte Fettsäuren über die Nahrung zuzuführen ist aber jedenfalls günstig, da sie gesichert positive Auswirkungen auf Gefäßerkrankungen haben und z. B. Schlaganfällen oder Herzinfarkten vorbeugen können. Ein zusätzlicher günstiger Effekt auf MS ist eventuell denkbar, aber nicht bewiesen. Enthalten sind Omega-3-Fettsäuren in Ölen (Walnussöl, Leinöl, Weizenkeimöl, Olivenöl, Kürbiskernöl), aber auch in PĻanzenmargarine und in vielen Meeresĺschen. Eine Aufnahme über die Nahrung (etwa 3 bis 4 Esslöffel pro Tag) kann ohne Bedenken empfohlen werden, eine Überdosierung ist auf diesem Weg nicht möglich.
12.2.5 Vitamine Auch Vitamine kann der Körper nicht selbst bilden, sie müssen also mit der Nahrung zugeführt werden. Vitamine haben eine Reihe von wichtigen Funktionen und müssen in bestimmten Mindestmengen regelmäßig aufgenommen werden. Für MS wurde ein Mangel an Vitamin C und D als ursächlich diskutiert, beides ist aber nicht bewiesen. Die B-Vitamine, die für die Funk-
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tionen von Nerven bedeutend sind, wurden oft vorbeugend verabreicht. Für alle Vitamine gibt es bisher keinen Beleg einer positiven Wirkung auf MS. Trotzdem ist natürlich auf eine ausreichende Vitaminzufuhr zu achten. Eine gezielte Einnahme von bestimmten Vitaminen oder auch die Verwendung von vielfach im Handel angebotenen Nahrungsergänzungsmitteln ist in der Sinnhaftigkeit sehr umstritten. Überdosierungen sind für die wasserlöslichen Vitamine (B und C) unwahrscheinlich, da sie bei Überschuss im Harn ausgeschieden werden. Durch Vitamin C sind in hoher Dosis Durchfälle und Nierensteine möglich. Die fettlöslichen Vitamine (A, D, E, K) allerdings sollten nicht zu hoch dosiert und nur unter ärztlicher Kontrolle verabreicht werden. Vernünftiger erscheint es den Vitaminbedarf durch eine ausgewogene Ernährung zu decken. Die Zufuhr von Vitaminen in der Nahrung ist auch eine Garantie dafür, dass Überdosierungen sicher nicht möglich sind und gleichzeitig auch ausreichend Spurenelemente aufgenommen werden. Wichtige Zusatztipps: Vitamin C ist hitzeempĺndlich und wird bei hohen Temperaturen zerstört. Nicht kochen! Vitamin C ist wasserlöslich, Salat nicht für längere Zeit „einweichen“. Vitamine gehen bei längerer Lagerung und durch Lichtexposition zugrunde. Vitamin D braucht Sonneneinwirkung für seine Aufnahme. Tabelle 12.1: Vorkommen von Vitaminen in Nahrungsmitteln Vitamin C
Zitrusfrüchte, Beeren, Kartoffeln, Tomaten, Kiwi, Paprika, Petersilie, Hagebutten
Vitamin A
Eier, Milchprodukte, Karotten, Marillen, Pĺrsiche, Spinat
Vitamin B 1
Reis, Hefe, Vollkornweizen, Erdnüsse, Erbsen, Milch, Mais
Vitamin B 6
Bananen, Kohl, Hefe, Paprika, Weizenkeime
Vitamin D
Milchprodukte, Meeresĺsche, Lebertran
Vitamin E
Spinat, Weizenkeime, Sojabohnen, Eier, Vollkornweizen, Nüsse, Öle, Margarine
Vitamin K
Blattsalate, Sojabohnen
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Fettlösliche Vitamine werden besser aufgenommen, wenn sie in Verbindung mit Ölen gegessen werden. Öl zum Salat geben, aber auch dem Karottensaft zusetzen.
12.2.6 Spurenelemente Spurenelemente sind Stoffe, die im Körper in sehr geringer Konzentration vorkommen und mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. MS ist keine Mangelerkrankung, deshalb ist auch nicht anzunehmen, dass durch Zusatz von Spurenelementen eine BeeinĻussung des Verlaufes der Erkrankung möglich ist. Da einzelne Spurenelemente aber bei der Aufnahme von Fettsäuren und auch im Immunsystem eine Rolle spielen können, werden Wirkungen auf MS immer wieder diskutiert. Auch hier liegt aber kein Beleg einer den Krankheitsverlauf beeinĻussenden Wirkung vor. Auch für Spurenelemente gilt als Prinzip, dass die Aufnahme in erster Linie durch eine ausgewogene, frische und gesunde Ernährung erfolgen sollte. Ist die Nahrung entsprechend sorgfältig ausgewählt, so kann man annehmen, dass Zusätze im Sinn von sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln nicht nötig sind. Es ist auch für keines der Spurenelemente eine gesicherte Wirkung auf MS nachgewiesen. Wirkungsweisen und Zusammenhänge von Spurenelementen mit MS sind unklar. Zink wurde in früheren Zeiten – ungeprüft – sogar therapeutisch eingesetzt. Dem Selen wurde – analog zu vielen anderen Erkrankungen – ebenfalls eine Rolle in der Entstehung von MS zugeschrieben. In tierexperimentellen Untersuchungen wurde durch Zufuhr von Zink und auch Selen jedenfalls eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung beobachtet. Kontrollierte Untersuchungen an größeren Gruppen von MS-Patientinnen und -Patienten existieren nicht. Die Zufuhr von Spurenelementen sollte dem üblichen Tagesbedarf des Menschen entsprechen. Von einer Zufuhr in größerer Menge mit dem Ziel einer Behandlung von MS muss ohne Zweifel abgeraten werden, da Überdosierungen durchaus auch zu Schäden und Nebenwirkungen führen können.
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Was kann ich selber tun, um meinen Zustand zu bessern?
Tabelle 12.2: Spurenelemente in Nahrungsmitteln Eisen
Fleisch, grünes Gemüse
Magnesium
Gemüse
Fluor
Walnüsse, Sojabohnen, Fisch, Vollkornprodukte, Tee
Kupfer
Leber, Eigelb, Vollkornprodukte, Nüsse, Bananen, Knoblauch
Selen
Reis, Knoblauch, Kürbiskerne, Fisch, Hafer, Kokosnüsse, GeĻügel, Steinpilze
Zink
RindĻeisch, Erbsen, Getreide, Nüsse, Bohnen, Milchprodukte
Selbst wenn MS durch bestimmte Nahrungsmittel nicht im Verlauf beeinkusst werden kann, so ist es doch möglich, mit gesunder Ernährung den Allgemeinzustand und das Wohlbejnden zu verbessern. Bestimmte Symptome (z. B. Stuhlverstopfung) können durch Ernährung gut beeinkusst werden. Es ist wichtig, die Ernährung so zu gestalten, dass Übergewicht vermieden wird. Jede Ernährungsumstellung sollte beachten, dass Essen ein wichtiger Faktor in der Erhaltung der Lebensqualität ist. Freude und Genuss darf deshalb bei der Auswahl der Nahrung nie zu kurz kommen!
Damit die Sache nicht nur theoretisch bleibt, folgt hier ein praktisches Beispiel: Bunter MS-Salat für zwei Personen: Eine Handvoll gemischte Blattsalate 2 Tomaten 1 gelber Paprika 1 Stück Salatgurke 2 Selleriestangen 3 EL Walnusskerne
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Dressing: 2 EL Balsamico-Essig 2 EL Mangosaft 2 EL Walnussöl 1 TL süßer Senf 3 Zweige Thymian Salz, Pfeffer Salat und Gemüse waschen, trockenschleudern und zerkleinern. Für das Dressing Zutaten mischen und aufschlagen, über Salat und Gemüse verteilen. Grob gehackte Walnusskerne darüberstreuen. Variante: Nach Geschmack mit Sardellen oder Käse belegen.
12.3 Sport und Bewegung Eine der häuĺgsten Fragen bei MS-Aufklärungen ist: „Darf ich Sport betreiben oder soll ich mich schonen?“ Wir haben alle schon in der Kindheit gelernt, dass Erkrankung bedeutet, sich ins Bett zu legen, möglichst wenig Bewegung zu machen und in Ruhe Tee trinkend auf die Besserung zu warten. Für eine Erkrankung wie MS gelten diese Prinzipien ohne Zweifel nicht. Aktivität, Bewegung und regelmäßiges Training ist für Menschen mit MS extrem wichtig. Wir wissen inzwischen, dass Training sicher und belegbar bessernde Effekte auf MS hat. Und nicht nur das: Bewegung bewirkt im Grunde genommen eine Besserung aller gesundheitlichen Belange. Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden seltener, Zuckerkrankheit kann vermieden werden, Infekten wird vorgebeugt und sogar Krebserkrankungen sind bei Menschen, die sich regelmäßig bewegen, seltener. Man kann deshalb gar nicht genug betonen, welch immens große Bedeutung regelmäßiges Training für alle Menschen hat, natürlich auch ganz speziell im Fall von MS. Gezieltes Training dient nicht nur dem Erhalt vorhandener Fähigkeiten, sondern verbessert auch die Belastbarkeit. Den meisten Menschen macht Bewegung darüber hinaus Spaß und steigert ihre Lebensqualität. Denken Sie daran: Training ist für jeden Menschen wichtig! Gesunde Menschen können durch entsprechendes Training eventuell sportli-
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che Höchstleistungen vollbringen. Aber auch wenn die Möglichkeit, einen Achttausender zu besteigen für Sie in weiter Ferne liegt – eine Verbesserung der Leistung ist immer von Vorteil. Auch eine nur gering erweiterte Gehstrecke ist bereits ein toller Erfolg, und die Leistung, dies erkämpft zu haben, ist zumindest genauso hoch zu bewerten wie ein Gipfelsieg. Als einzige Ausnahme kann gelten, dass ein akuter MS-Schub schon durch die damit verbundene Symptomatik, aber auch durch die Cortisonbehandlung Anlass zur vorübergehenden Schonung und Einschränkung der Aktivitäten sein kann. Für alle anderen Zeiten gilt: aktiv bleiben, bewegen, trainieren!
12.3.1 WelĖe Sportarten und wie viel Training sind günstig? Es gibt keine speziellen Sportarten, die für MS empfohlen werden. Günstig sind jedenfalls alle Ausdauersportarten wie Laufen, Walken (auch Nordic Walking), Bergwandern, Schwimmen und Radfahren. Welche Sportarten man auswählt, ist sicher in erster Linie von persönlichen Vorlieben abhängig. Es ist auch wichtig, einen Sport zu betreiben, der Spaß macht, denn nur dann wird er auch regelmäßig durchgeführt werden. Nordic Walking hat den Vorteil, dass die Absicherung durch zwei Stöcke eine Ausübung auch Patientinnen und Patienten mit Gangunsicherheit ermöglicht und selbst längere Strecken mit dieser Unterstützung bewältigt werden können. Auch für Bergwanderungen sind Wanderstöcke oder Nordic-Walking-Stöcke oft vorteilhaft. Schwimmen ist ein angenehmer und beliebter Sport. Die Bewegung im kühlen Wasser hat den zusätzlichen Vorteil, dass Spastik dadurch gebessert und freiere und angenehmere Beweglichkeit erzielt wird. Nach Möglichkeit ist es sicher besser und auch lustiger, das Training im Freien zu absolvieren, Geräte im Raum wie z. B. ein Crosstrainer können aber als Ersatz bei schlechten Wetterbedingungen dienen. Sehr oft wird als Grund für mangelndes Training angeführt, dass Anstrengung zu einem Schub führt. Das ist nicht zu befürchten. Training
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löst sicher keinen Schub aus. Was aber wohl vorkommen kann, ist eine kurzfristige Verschlechterung von bereits vorhandenen oder vorhergegangenen Symptomen. Ein solches Ereignis wird als Uhthoff-Phänomen bezeichnet. Die Verschlechterung dauert meist nur einige Minuten an, bildet sich von selbst wieder zurück und ist harmlos. Sie ist in erster Linie auf die Zunahme der Körpertemperatur im Rahmen der Anstrengung zurückzuführen. Es ist kein Problem, sich beim Training auch spürbar zu belasten. Eine Leistungssteigerung wird auch bei sportlichem Training durch Forderung erzielt. Das heißt nun nicht, dass man die Belastung so weit steigern soll, dass man die nächsten drei Tage gepĻegt werden muss. Wichtig ist auch, mit geringer Anforderung zu beginnen, Pulskontrolle ist dabei sinnvoll. Immer soll auch der Gedanke präsent bleiben, dass Sport Spaß machen und nicht in Quälerei ausarten soll. Eine vernünftig dosierte Belastung ist aber durchaus akzeptabel. MS macht müde. Das ist oft ein Grund, dass sportliche Aktivität gar nicht erst begonnen wird. Es ist wichtig, trotz dieser Einschränkung mit körperlichem Training zu beginnen, meist wird die Müdigkeit dadurch besser und nicht schlechter. Kommt es beim Training eventuell schon nach kurzer Zeit zu Erschöpfung und Mattigkeit, so ist eine Unterbrechung sinnvoll, um nach einer Pause wieder fortsetzen zu können.
12.3.2 Physiotherapie Bei entsprechender Ausfallssymptomatik wird häuĺg Physiotherapie empfohlen, welche ambulant oder in einem Rehabilitationszentrum erfolgen kann. Diese Maßnahme ist sinnvoll und führt oft zu deutlichen Verbesserungen. Regelmäßige Physiotherapie ist für MS-Betroffene ein wichtiger Bestandteil der Therapie, nicht nur bei fortgeschrittener Symptomatik, sondern auch, um durch Einüben von Bewegungsmustern schon frühzeitig für eventuelle spätere Probleme gewappnet zu sein. Allerdings soll und kann die Physiotherapie den Sport und eigenes Training nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Eine optimale Methode wäre, sich in der Therapie Übungen für zu Hause zeigen zu lassen und diese auch selbstständig, ergänzend zum eigenen Training weiter durchzuführen.
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Sportliche Aktivität ist von immens großer Bedeutung und sollte unbedingt regelmäßig durchgeführt werden. Das kann den Allgemeinzustand bessern, erhält aber auch die körperliche Fitness und die Beweglichkeit. Müdigkeit sollte nicht als Begründung für das Unterlassen von Sport gelten, da durch körperliche Aktivität sogar eine Verbesserung der Müdigkeit möglich ist. Bei der Auswahl der Sportart ist zu beachten, dass nur Aktivitäten, die Spaß machen, auch längerfristig weiterbetrieben werden.
12.4 Eigene Beiträge zur medikamentösen LangzeiĴherapie der MS Schon wieder ein eigener Beitrag? MS stellt sowieso schon genug Ansprüche an die Betroffenen, und nun soll man auch noch zur medikamentösen Therapie selbst etwas beitragen? Ja, es ist notwendig, auch zur MS-Behandlung mit Medikamenten seinen eigenen Beitrag zu leisten. Den Verlauf der MS können wir derzeit nur durch die langzeitige Verabreichung von immunmodulierenden oder immunsuppressiven Medikamenten wirksam beeinĻussen. Es macht also keinen Sinn, diese in gewisser Hinsicht vorbeugende Behandlung nach zwei Monaten wieder abzusetzen, wir müssen sie stattdessen über viele Jahre fortführen. Das ist für die Wirkung der Therapie wichtig. Als Problem kommt dazu, dass die derzeit für diesen Zweck verfügbaren Medikamente in Injektionsform vorliegen und üblicherweise von den Betroffenen selbst regelmäßig in den eigenen Körper gespritzt werden müssen. Dass unter diesen Umständen alle Betroffenen einen großen und schwierigen Beitrag zur Therapie liefern müssen, steht somit außer Frage. Die Aufgabe der Betroffenen ist nämlich, ihre „Compliance“, d. h. also ihre „Therapietreue“ aufrechtzuerhalten und ihre eigene Behandlung trotz aller Belastungen stets regelmäßig und sorgfältig vorzunehmen. Das ist keine einfache Aufgabe. Von den zugelassenen MS-Langzeittherapien wissen wir, dass sie wirken und insgesamt über viele Jahre gut vertragen werden. Nachteile sind zweifellos, dass sie eben leider nicht ganz ohne Nebenwir-
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kungen sind und dass man sie selbst spritzen muss – mit allen Ängsten und Problemen, die damit verbunden sind. Ein noch größeres Problem ist oft ein psychologisches. Zum einen besteht die Wirkung dieser Medikamente in der Vorbeugung – und wird damit natürlich nicht direkt gespürt, zum anderen erinnert die regelmäßige Therapie ständig an die Krankheit, von der man sich damit auch bei Beschwerdefreiheit eigentlich gedanklich nie ganz entfernen kann. Unter diesen Umständen über viele Jahre die Treue zu diesen Therapien aufrechtzuerhalten, ist schon ein schwieriges Kunststück! Trotzdem ist gerade diese Verlässlichkeit und langzeitige Regelmäßigkeit in der Durchführung der Therapie wichtig für den Effekt. Probleme, sei es mit der Handhabung der Medikamente oder durch Nebenwirkungen, können meist im Kontakt mit dem MS-Zentrum gelöst oder zumindest gebessert werden. Durchhalten und weiteres regelmäßiges Verabreichen der Medikation ist ein wichtiger Beitrag in der Bewältigung der Erkrankung. Um die Motivation nicht sinken zu lassen, ist es wichtig, sich immer vor Augen zu halten: Der Lohn für diesen Aufwand ist die Chance eines leichteren Verlaufes der Erkrankung.
MS-Therapien sind über lange Zeit durchzuführen. Die „Therapietreue“ ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Behandlung. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Behandlung ist ein wichtiger Beitrag zum Erfolg! Die Wirkung der Behandlung ist nicht „spürbar“, da sie ja in der Verhinderung weiterer Verschlechterung besteht. Trotzdem ist es wichtig, sich immer wieder selbst zu motivieren, eine begonnene Therapie sorgfältig fortzuführen.
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Was kann ich selber tun, um meinen Zustand zu bessern?
H. W., 25 Jahre, männliĖ Herr H. W. gehört zu den Menschen, deren MS sich sehr früh manifestierte. Zur Zeit seiner ersten Symptomatik war Herr H. W. 17 Jahre alt. Es bestand eine ausgeprägte Sehnerventzündung, die zu vollständigem Verlust der Sehkraft führte und sich nur sehr langsam besserte. Zu dieser Zeit fanden sich in der MRT sehr viele Veränderungen, die alle Kontrastmittelaufnahme zeigten und damit die Möglichkeit einer ADEM (akute Form einer Entmarkungserkrankung) in Betracht ziehen ließen. Herr H. W. war zu dieser Zeit – seinem Alter auch entsprechend – keineswegs geduldig, weder mit sich noch mit seiner Umwelt und schon gar nicht mit seiner Erkrankung. Nicht nur im Umgang, sondern auch optisch bot er das Bild einer vehementen Krise. Es war nicht einfach, mit ihm einen halbwegs verträglichen Weg der Verständigung zu ĺnden und mit seiner Forderung der sofortigen Rückbildung der Symptomatik (die nicht erfüllbar war) leidlich zurechtzukommen. Auch die Begleitung seiner Mutter brachte eher noch weitere Verschlechterungen, da die Beziehung von Mutter und Sohn zueinander sehr gespannt und problematisch war und noch weitere Aggressionen in die Behandlungssituation brachte. Herr H. W. hatte es nicht leicht in der anfänglichen Krankheitsbewältigung. Sein jugendliches Alter und die schwierigen Umstände boten ihm ja keinerlei Werkzeuge in der Problembewältigung. Dazu kam, dass nach drei Monaten und letztlich ganz guter Rückbildung der ursprünglichen Sehstörung schon der nächste Schub sich mit einer Gangstörung manifestierte und damit die Diagnose einer MS zu stellen war. Das brachte die nächste Krisensituation, da Herr H. W. ja nun auch noch lernen musste, mit dem Gedanken einer chronischen, bleibenden Erkrankung umzugehen. Lange Gespräche und Erklärungen dienten vorwiegend der sachlichen Information. Mit Besserung der Symptomatik nach dem zweiten Schub konnte zumindest Klarheit über Diagnose und weiteres Vorgehen geschaffen werden. Herr H. W. entschied sich auch für die Einleitung einer Langzeittherapie und kam damit ganz gut zurecht. Bei einer der folgenden Kontrollen nach etwa einem Jahr kam Herr H. W. in völlig verändertem Zustand zur Untersuchung. Er war nicht nur rechtlich, sondern auch in seiner ganzen Erscheinung erwachsen geworden, allerdings in außergewöhnlich kurzer Zeit und mit frappierender Gründlichkeit. Schon äußerlich war Herr H. W. kaum wieder zu erkennen. Er präsentierte sich im Anzug mit Krawatte, farblich perfekt abgestimmt, mit neu-
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em Haarschnitt und sorgfältig rasiert. Verhalten und Umgangsformen zeigten den Schliff eines gerade absolvierten Managementkurses. Aber nicht nur das: Herr H. W. hatte auch seinen Namen geändert, einen beruĻichen Neustart begonnen und kam auch ohne Begleitung der Mutter. Auf die Änderungen angesprochen, erklärte er die Situation so: „In meinem Leben gab es so viele Dinge, die schrecklich waren. Ich habe Abstand gebraucht und habe mich von meiner Familie völlig distanziert. Um das auszudrücken, wollte ich auch den Namen nicht mehr weitertragen. Ich habe mir gedacht, jetzt sind so viele neue Probleme da, da kann ich es dann auch gleich ganz gründlich machen. BeruĻich hab ich auch was anderes begonnen. Das alte Outĺt hat mir halt nicht mehr gepasst.“ Die Entwicklung gibt Herrn H. W. übrigens recht. Es geht ihm schon seit mittlerweile mehreren Jahren gut.
E. F., weibliĖ „MS und iĖ“ „In der Familie bzw. Partnerschaft schafft Krankheit eine plötzliche Ausnahmesituation, alle sind erschrocken, jeder reagiert auf seine Weise und hat seine eigenen Vorstellungen, aber insgeheim wünscht sich jeder, dass es bald wieder so läuft wie vorher. Nur wie macht man das bei einer chronischen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose? Einer Erkrankung mit 1000 Gesichtern, die den vorgestellten Lebensweg plötzlich mit Hindernissen versieht? Wie Gespenster kreisen diese Gesichter in Gedanken um mich herum. Manche berühren mich, die meisten jedoch nicht! Ich versuche ihnen auszuweichen, es gelingt mir, aber ein paar unbarmherzige Ļiegen direkt auf mich zu, als könnten sie nur mich treffen wollen! Das müssen also meine Gesichter sein! Wie lange habe ich die Kraft, auszuweichen oder Treffer einzustecken? Sie zu ignorieren macht sie schneller und unberechenbarer und auch unausweichlicher. Sie lassen sich auch nicht zerstören oder vertreiben. Sie zu ertragen soll aber auch keiner Einladung gleichkommen, auf mich loszugehen. Wie viel entgegen halten, wie viel ertragen, wie wichtig nehmen? Wie viele dieser Gesichter sind für mich bestimmt? Anfänglich wollte ich diese Fragen für mich alleine beantworten, das war ein großer Fehler, weil er nur die Unsicherheit schürt. In dieser Situation braucht man Menschen, denen man diese Fragen stellen kann und die diese mit ehrlichem Interesse mittragen. Ich fand diese Menschen erstaunlich leicht, als ich sie offen ansprach. Auf diese Weise hat mir meine Erkrankung viele neue und alte „Begleiter“ mit auf den Weg
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gegeben, die mir dieses Maß an Verständnis entgegenbringen, das ich mir vorstelle. Dieser Zustand ist aber kein selbstverständlich dauerhafter, denn weite Teile des Weges muss man alleine gehen, aber mit dem Bewusstsein, dass jemand da ist, der zumindest in Gedanken mitgeht, sind diese großen Wegstücke erträglich. Ich kann niemanden auf meinem Weg hinter mir herzerren! Meine Begleiter fand ich vor allem im Freundeskreis, aber auch am Arbeitsplatz. In der Familie ist es am schwierigsten. Wie weit soll, muss bzw. darf es das Leben der Kinder beeinĻussen? Was kann, muss, darf man dem Partner zumuten? Fragen, die, so glaube ich, nur tagtäglich gelöst werden können und müssen, denn schließlich geht auch das Leben der anderen weiter und hat auch seine Turbulenzen, die wiederum mich als „Mitträger“ und „Begleiter“ zur Verantwortung ziehen, und das ist gut so, denn Ablenkung ist meiner Meinung nach die beste Therapie. Meine Erkenntnis ist also die, dass man viel erträgt, wenn man das Gefühl hat, nicht alleine zu sein. Aber Phasen des Alleinseins bzw. des Alleingelassenfühlens gehören dazu! Als Patient ist man hier anfänglich ziemlich rücksichtslos, jedoch gilt es zu lernen, damit möglichst gut zurechtzukommen. Eine nicht immer leichte Aufgabe, da sie ein Leben lang zu bewältigen ist. Es ist und bleibt meine Erkrankung! MS ist viel Arbeit für alle Beteiligten, aber keine unlösbare Aufgabe, solange man das Gefühl des Handelns hat. Und handeln kann ich nur, wenn ich auch die Verantwortung für mein Tun trage. Im Falle einer Erkrankung möchte man diese Verantwortung schnell an seine behandelnden Ärzte abgeben, aber das geht nicht! Die Therapieentscheidungen können nur gemeinsam getroffen werden und die Verantwortung für den Erfolg gemeinsam getragen werden. Nur zu Beginn hat man als Patient zu wenig Wissen, um adäquat mitreden zu können. Eine gute ärztliche Aufklärung und Motivation zum Selbstbewusstsein ist hier immens wichtig, aber sicherlich nicht einfach, denn es bedarf einer großen Menschenkenntnis, um bei jedem einzelnen Patienten die richtigen Worte zu ĺnden. Hier ist Geduld und Nachsicht auf allen Seiten gefragt, auch auf der Patientenseite, denn ein Kennenlernen und Bemühen um gegenseitiges Verständnis braucht Zeit. Nur dann kann eine Behandlung zum Erfolg führen. Selbst mit dem Wissen um die heikle Kommunikation mit Patienten, ĺel es mir anfänglich schwer, mich in Geduld zu üben. Im Nachhinein betrachtet, weiß ich jetzt, dass in dieser Zeit der Arzt bzw. Therapeut den Grundstein zu einer guten Kommunikation legen muss, denn als Patient ist man zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, zu sehr ist man auf sich konzentriert. Ich sehe mich als Physiotherapeutin und MS Patientin in einer mehr als besonderen Lage, die zwar viele Vorteile hat, aber für mich auch nicht
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ganz unproblematisch ist. Der Umgang mit meinem Körper ist ein sehr hellhöriger, ich bin extrem motiviert, für meinen Körper das Beste zu tun und mir jegliches Wissen darüber anzueignen. Nur wurde ich dabei Opfer des Glaubens, alles an meinem Körper beherrschen zu können und neige dazu, wenn es nicht so ist, ziemlich grantig auf mich selber zu sein, sodass ich mir durchaus mitunter die Frage stelle, ob es nicht besser wäre, weniger zu wissen, oder doch nicht? Hier muss ich offensichtlich aus meinen Erfahrungen lernen, um nicht an den hohen Ansprüchen an meine eigene Körperkompetenz zu scheitern. Ich stehe eigentlich noch am Anfang meiner Erkrankung, sodass ich mir noch viele Fragen stellen werde, die meinen Umgang mit der MS betreffen werden. Und ich glaube auch, dass ich zweifeln werde, ob es die richtigen Entscheidungen sind, die ich getroffen habe, treffe und treffen werde, doch hoffe ich auch, dass diese Zweifel nur ein kurzes Innehalten bedeuten und keine Behinderung auf meinem weiteren Lebensweg. Am wichtigsten für mein weiteres Leben wird aber sein, dass ich das richtige Maß an Selbsteinschätzung und Selbstverantwortung mit dem ebenfalls richtigen Maß der Annahme an Unterstützung und Hilfestellung derer, die mich begleiten, in Verbindung zu setzen imstande bin, um damit im weitesten Sinne ein zufriedenes Leben zu leben. Insgeheim möchte doch jeder wissen, wie die Zukunft sein wird, und sei es nur, damit es in der Gegenwart leichter fällt sich einzubilden, dass man weiß was man tut - ein Satz, der mich schon begleitet hat, als ich von meinen Gespenstern noch nichts wusste!“
D. W., weibliĖ „MS und FreundsĖaĞen“ „Bei meinem Freundeskreis hat sich nichts geändert, denn nur falsche Freunde kümmern sich nicht mehr um einen, wenn es einem schlecht geht. Und so kann sich jeder glücklich schätzen, der seine falschen „Freunde“ mit Hilfe einer Krankheit los wird…“
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13. Was können andere für miĖ tun? Es ist eine verständliche Reaktion, dass man bei der Mitteilung, an einer langfristigen Erkrankung zu leiden, zuerst einmal darüber nachdenkt, ob die Menschen im Umfeld nun nicht gefordert sind, betreuend einzuspringen und die Gestaltung der weiteren Entwicklung mit zu übernehmen. Auch von Angehörigen, Freundinnen und Freunden wird diese Frage natürlich oft kommen: „Was kann ich für dich tun?“ Natürlich können Menschen, die uns nahestehen, im Fall von Problemen sehr viel für uns tun, aber trotzdem müssen wir diese Frage anders formulieren oder, besser gesagt, erweitern in: „Was sollen andere für mich tun?“ oder vielleicht noch genauer: „Was will ich, dass andere für mich tun?“ Im Fall eines Infektes, einer Grippe zum Beispiel, ist es sehr schön, einmal für ein paar Tage alles hängen zu lassen, sich ins Bett zu legen und bedient und verwöhnt zu werden. Nach einer Woche PĻege ist man dann meist ganz froh, wieder ohne Hilfe den Haushalt zu versorgen und zu den beruĻichen und persönlichen Aufgaben zurückkehren zu können. MS dauert nun aber nicht nur eine Woche, sondern bleibt für den Rest des Lebens bestehen. Das bedeutet, dass man für die Zukunft die gesamte Lebensführung mit dieser Tatsache vereinbaren muss. Es ist also nicht möglich – und von fast allen Menschen auch nicht erwünscht –, alle Aufgaben an andere abzugeben und sich nur noch versorgen zu lassen. Darum ist es notwendig, sich im Fall von MS ganz grundlegend neu Gedanken zu machen, was man selbst übernehmen kann und will, welche Aufgaben selbst durchgeführt werden können und in welchen Bereichen es gewünscht wird oder nötig ist, einzelne Belange an andere abzugeben oder Unterstützung zu erbitten. Extrem wichtig ist es aber auch, nicht nur den eigenen Umgang mit der Erkrankung zu regeln und eine neue „Standortbestimmung“ zu machen, sondern diese dann auch an die Menschen in der Umgebung zu vermitteln. Auch die Angehörigen müssen ja mit der neuen Situation umgehen lernen. Es ist also notwendig, diese neue „Person mit MS“ in ihren Wünschen und Bedürfnissen auch erkennbar zu machen.
Was können andere für mich tun?
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MS erfordert eine neue Standortbestimmung. Bedürfnisse und Aufgabenverteilung müssen neu überlegt, an die Tatsache der Erkrankung angepasst und mit den Menschen im Umfeld vereinbart werden.
13.1 MS und Familie Eine Person mit MS beeinĻusst die ganze Familie. Eine unserer Patientinnen spricht vom „Gespenst MS“, das in der Familie immer da ist, auch wenn man nicht davon redet und es nicht sieht. Ein EinĻuss auf andere Mitglieder der Familie durch die Krankheit ist jedenfalls gegeben, die Gestaltung dieses EinĻusses ist aber den einzelnen Personen überlassen. Es sind zwei große Aufgabengebiete, die sich im Umgang mit MS in der Familie ergeben: 1. Gespräche zur Krankheitsbewältigung 2. Verteilung von Familienaufgaben
13.1.1 GespräĖe zur Krankheitsbewältigung Prinzipiell entscheidet natürlich die von MS betroffene Person, wie viel an Information die Familie zum Thema MS erhalten soll und wieweit Gespräche stattĺnden sollen. Die Wünsche diesbezüglich sind durchaus verschieden. Manche wollen möglichst wenig Gespräch, fühlen sich durch „MS-Diskussionen“ sogar überfordert und wollen sich eher zurückziehen, andere wieder genießen die Gespräche und die dadurch vermittelte Zuwendung. Unabhängig davon, wie jemand persönlich die Wirkung von Gesprächen empĺndet, ist es im Umgang mit der Krankheit aber ein wichtiger Faktor, dass die Angehörigen über die Krankheit an sich informiert sind. Noch wichtiger ist es, den Familienangehörigen eigene Wünsche im Umgang mit der Krankheit zu vermitteln, deutlich zu machen, wo Unterstützung erwünscht und hilfreich ist, wo sie vielleicht aber als übertrieben und unnötig oder gar „entmündigend“ empfunden wird und deshalb unterlassen werden sollte. So viel Of-
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fenheit und Klärung von Gefühlen und Standpunkten ist nicht leicht und gelingt auch gesunden Personen nicht immer so gut. Deshalb ist es auch wichtig, mit sich und den Angehörigen Geduld aufzubringen, bis sich der neue Weg mit MS in der Familie als für alle erkennbar und funktionierend abzeichnet.
Innerhalb der Familie ergibt sich durch MS eine geänderte Situation. Nicht nur die von MS betroffenen Personen, sondern auch die anderen Familienmitglieder müssen mit der neuen Situation umgehen lernen. Das erfordert von allen Beteiligten Geduld und Einsatz.
13.1.1.1 Eltern-Kind-Beziehung Mit der Partnerin oder dem Partner zu sprechen ist im Allgemeinen noch recht einfach. Die Vermittlung der Diagnose an Kinder ist ein viel größeres Problem. Kinder haben eine sehr enge Gefühlsbeziehung zu ihren Eltern. Man kann deshalb davon ausgehen, dass Kinder es spüren, wenn etwas in der Familie aus den Fugen gerät, was bei der Diagnose einer MS sicher der Fall ist. Deshalb ist es letztlich – auch wenn man Probleme von den Kindern fernhalten will – nicht vermeidbar, die Tatsache der Erkrankung mitzuteilen. Es ist in jedem Fall besser, über die Krankheit zu sprechen, als das Kind mit einer nicht erklärten, aber gefühlten Problematik allein zu lassen. Das führt dazu, dass das Kind seiner Fantasie und seinen Ängsten ausgeliefert wird, und die sind oft schlimmer als die Wirklichkeit. Die Tatsache der Erkrankung und einzelne Symptome können Kindern gut erklärt werden, auch dass Müdigkeit manche Aktivitäten beeinĻusst, ist für Kinder gut erfassbar. Dass der betroffene Elternteil manchmal ins Krankenhaus zur Untersuchung muss, können Kinder gut verstehen. Eine Begleitung zur Untersuchung kann hilfreich sein und ist im Allgemeinen auch organisatorisch kein Problem. Wichtig ist, Kindern ihrem Alter entsprechend zu erklären, dass die Krankheit zwar vorhanden bleibt und auch manche Einschränkungen verursachen kann, dass ihre Mutter oder ihr Vater aber weiter für sie da sein wird. (Kinder sind sehr direkt. Es wird vielleicht auch pas-
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sieren, dass Ihr Kind fragt: „Stirbst du jetzt an der MS?“ – Sie können beruhigt und wahrheitsgetreu mit „Nein!“ antworten.) Dass die Behandlung der Erkrankung durch Medikamente erfolgt, ist für Kinder meist sogar interessant. Manche unserer Patientinnen erzählen, dass ihre Kinder fasziniert beim Spritzen zusehen. Dass Hilfe durch Behandlung möglich ist, sollte den Kindern erklärt werden. Aber es ist auch wichtig, dass sie vermittelt bekommen, dass sie nicht für einen eventuellen schlechten Zustand der Mutter / des Vaters verantwortlich sind. („Du musst immer lieb sein, damit es Mama / Papa auch gut geht“, wäre besonders schlecht!) Eine schöne Möglichkeit, Kinder (und natürlich auch alle anderen Familienmitglieder) in den Umgang mit der Krankheit einzubeziehen, ergibt sich in der Lebensführung. Gesunde Ernährung und Sport sind für alle Menschen, gesunde wie kranke, alte wie junge, vorteilhaft. Deshalb ist es gut möglich und besonders schön, die Umstellung auf eine bewusst gesunde Lebensführung gemeinsam mit der Familie zu betreiben und das den Kindern auch als Prinzip und gutes Beispiel für ihr Leben zu vermitteln.
Mit Kindern sollte man in einer ihrem Alter entsprechenden Form über die Erkrankung sprechen. Kindern sollte nie das Gefühl vermittelt werden, dass sie für den Zustand der Mutter oder des Vaters verantwortlich sind. In Konzepte zur Lebensumstellung unter Beachtung gesunder Ernährung und regelmäßiger Bewegung können Kinder (und alle anderen Familienmitglieder) gut einbezogen werden.
13.1.1.2 Kind-Eltern-Beziehung MS tritt oft schon in sehr jugendlichem Alter auf und trifft deshalb auch auf Personen, die gerade in ihrer an sich schon schwierigsten Entwicklungsphase, nämlich in der Pubertät, sind. Für Kinder und Jugendliche mit MS ergeben sich dadurch extrem schwierige Situationen, da ja das gesamte Leben in dieser Entwicklungsphase massiven Wandlungen und überbordenden Gefühlsschwankungen unterliegt. Alle Betreuungspersonen sind also in dieser Situation besonders gefordert.
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Am schwersten trifft diese Konstellation natürlich die Eltern, die nicht nur dem pubertären Ablösungsprozess, sondern auch noch dem Problem des erkrankten Kindes gegenüberstehen. Alle Eltern, die wir in einer solchen Situation erlebt haben, waren ganz besonders bemüht und sorgfältig auf Unterstützung ihres Kindes bedacht. Es ist in dieser Situation besonders schmerzhaft, wenn man dem geliebten Kind eine Reihe von guten – meist auch durchaus richtigen – Ratschlägen geben möchte, diese aber im Rahmen der Lebensentwicklungsphase nicht angenommen, manchmal sogar aggressiv abgelehnt werden. Leider müssen Eltern das oft akzeptieren lernen, denn die Pubertätsentwicklung ĺndet statt und lässt sich durch MS nicht aufhalten, und das ist eigentlich auch ein „gesunder“ und richtiger Prozess. Jugendliche, die früh MS entwickeln, machen eine zu rasante Entwicklung zum erwachsenen Menschen durch. Das kürzt leider die unbeschwerte Zeit der Jugend ab und lässt manche pubertäre Eskapaden nicht mehr stattĺnden. Die betroffenen Jugendlichen lernen aber oft sehr schnell, ĺnden sich mit ihrer Krankheit sowie deren Organisation und Bewältigung erstaunlich gut zurecht und werden zu sehr vernünftigen und lebenstüchtigen Erwachsenen. Für die Eltern dieser Jugendlichen ist es gut zu wissen, dass sie in dieser Situation für ihr Kind wichtig sind. Sie müssen liebend, vorsichtig beratend und bereit sein, zur Verfügung zu stehen, auch wenn es in manchen Augenblicken nicht immer gewünscht wird. Die Jugendlichen müssen von ihren Eltern auch vermittelt bekommen, dass diese bereit sind, sie loszulassen, dass sie ihre Entwicklung zum erwachsenen Menschen machen dürfen, auch unter geänderten Umständen und mit der Diagnose MS.
Der Umgang mit jugendlichen MS-Betroffenen ist für Eltern und Betreuungspersonen besonders schwierig. Wichtig ist, dass Eltern vermitteln, zur Unterstützung zur Verfügung zu stehen, dass aber trotzdem der Loslösungsprozess aus der Eltern-Kind-Beziehung weiter stattjnden darf.
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13.1.2 Verteilung von Familienaufgaben Ja, müssen/sollen nun die anderen für ein von MS betroffenes Familienmitglied sorgen? Unsere Patientinnen und Patienten würden wahrscheinlich im Chor antworten: „Nein, sollen sie nicht.“ Natürlich gibt es Ausnahmefälle. Eine sehr schwer von MS betroffene Person kann pĻegebedürftig werden und Hilfe brauchen. Es gibt Ausfallserscheinungen durch MS, die eine Unterstützung und Versorgung nötig machen. Trotzdem gilt als Regel (und als Wunsch der Betroffenen): Was durch eigene Fähigkeit möglich ist, wird auch selbst erledigt. Das Übernehmen von Aufgaben innerhalb der Familie und vor allem für die Versorgung der eigenen Person ist wichtig, nicht nur für das Funktionieren des Familienlebens, sondern auch für das eigene Selbstwertgefühl. Eigenverantwortlichkeit in allen Bereichen ist ein hoher Wert. Es ist manchmal anstrengend, sich für die Erhaltung dieses Wertes einzusetzen, aber lohnend ist es immer. Das heißt nun natürlich nicht, dass man sich über Aufgabenverteilung in der Familie keine Gedanken machen soll. Eine unserer Patientinnen schreibt, dass sie seit der Diagnose nicht mehr das Gefühl hat immer „Hier!“ schreien zu müssen, wenn Aufgaben verteilt werden. Gerade Frauen neigen ja oft dazu, sich aufzuopfern und alle Tätigkeiten zu übernehmen, ohne lange zu fragen. Es ist ganz sicher gut und richtig und sehr oft notwendig, die Erkrankung nun als Anregung zu sehen, Aufgaben auch an den Rest der Familie abzugeben und für eine gleichmäßigere Verteilung der Belastung zu sorgen.
Eigenverantwortlichkeit ist wichtig. In diesem Bereich gilt: Alles, was man selbst machen kann, soll auch nicht abgegeben werden. Die Aufgabenverteilung in der Familie soll berücksichtigen, dass alle Mitglieder ihren Anteil übernehmen. MS macht nachdenklich und kann auch dazu führen, dass die Verteilung der Verpkichtungen neu überdacht wird.
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Was können andere für mich tun?
13.2 MS und Freundeskreis Auch die Beziehungen im Freundeskreis erfahren durch eine Diagnosestellung MS oft eine Neuordnung. Eine Erkrankung zu haben stellt die Beziehungen im Umfeld auf den Prüfstand. Diejenigen, die Tiefgang haben und eine echte seelische Verbindung beinhalten, proĺtieren, werden noch inniger und bekommen eine neue und zusätzliche Qualität. Diejenigen, die oberĻächlich sind und an Vorteilen und Gewinn orientiert waren, gehen zugrunde. Manchmal führt die Entwicklung durch MS zu schmerzhaften Trennungen, aber auch neue und intensivere Bindungen können entstehen, oder bisher oberĻächliche Beziehungen können sich in eine ganz andere und bessere Richtung entwickeln.
13.2.1 Wie viel Platz darf denn nun MS in einer FreundsĖaĞ einnehmen? Am Beginn der Erkrankung und nach Erhalt der Diagnose wird sicher jede(r) MS-Betroffene Halt und Unterstützung benötigen und bei den Freundinnen und Freunden nach Gesprächen und seelischem Beistand suchen. Nach einer Verarbeitungsphase ist es aber wichtig, dass sich auch die Beziehungen im Freundeskreis wieder in eine „normale“ Richtung entwickeln. Freundschaften entstehen ja, weil man in einem anderen Menschen Eigenschaften und Verhaltensweisen ĺndet, die ansprechend sind, interessante Gespräche ermöglichen oder weil man in der Lage ist, gemeinsam Spaß zu haben und lachen zu können. Diese Inhalte sollen – auch wenn ein Freund/eine Freundin an MS leidet – in der Beziehung wieder ihren Platz einnehmen dürfen. MS darf nicht zum alleinigen Inhalt der freundschaftlichen Beziehung werden. Der Freundeskreis wird in einer Persönlichkeit immer diese Eigenschaften und Verhaltensweisen suchen, die die Basis zur Freundschaft gelegt haben. Freundinnen und Freunde werden eine Entwicklung der Persönlichkeit durch MS vermutlich bewundern und sicher auch unterstützen, wollen aber auch mit der Person, die sie kennen und schätzen gelernt haben, weiter kommunizieren. MS darf sich zu einem Teil einer Freundschaft entwickeln, aber auch hier steht der Krankheit nicht die Führungsrolle zu!
MS und Freundeskreis
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Der Freundeskreis kann sich durch MS ändern. Nicht alle Beziehungen halten der Belastung durch eine Krankheit stand, manche können dadurch aber sogar noch besser werden. Es ist wichtig, die persönliche Bindung zu Freundinnen und Freunden zu pkegen, MS soll dabei nicht andere Inhalte verdrängen dürfen.
13.3 MS und die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz Es besteht keine VerpĻichtung, die Diagnose MS am Arbeitsplatz mitzuteilen. Kolleginnen und Kollegen gegenüber kann die Diagnose natürlich weitergegeben werden, wenn eine entsprechend persönliche Beziehung vorliegt, notwendig ist dies aber nicht. Rücksichten am Arbeitsplatz sind erfreulich, wenn die jeweiligen Verhältnisse und Beziehungen das ermöglichen, eine VerpĻichtung dazu besteht aber für niemanden. Im Allgemeinen ist es daher ratsam, die Diagnose von der Kollegenschaft und vom Arbeitsplatz eher fernzuhalten, die eigene Leistung aufrechtzuerhalten und so wenig Nachsicht wie möglich einzufordern. Auch der Erhalt der beruĻichen Tätigkeit ist ein wichtiger Faktor in der Erlangung von hoher Lebensqualität. Dieser Gedanke kann vielleicht die Motivation fördern, wenn das Durchhalten im beruĻichen Bereich manchmal mühsam und belastend wird.
13.4 Unterstützung durĖ Selbsthilfegruppen Wie für viele andere chronische Erkrankungen haben sich auch für MS eine Reihe von unterstützenden Gesellschaften und Selbsthilfegruppen entwickelt. Die Aufgabe der MS-Gesellschaften besteht in der Aufklärung der Betroffenen in verschiedenen rechtlichen und organisatorischen Fragen und in der Information über Entwicklungen im medizinischen Bereich, oft werden auch spezielle Zeitungen herausgegeben. Manche Gesellschaften bieten auch Transportdienste und soziale oder
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psychische Betreuung an und unterstützen die wissenschaftliche Forschung. Die MS-Gesellschaften vertreten auch die Anliegen der Betroffenen in der Öffentlichkeit und können sich als „Stimme“ der MS-Betroffenen in den Medien oder auch gegenüber dem Gesetzgeber äußern und die Interessen der an MS Erkrankten vertreten. Selbsthilfeclubs sind Organisationen, die von den Betroffenen selbst aufgebaut und organisiert sind, und dienen vor allem der Kommunikation und der Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Sie werden teilweise von den MS-Gesellschaften ausgehend als Clubs geführt, teilweise auch unabhängig davon als eigene Vereine. Auch ohne organisatorische Grundlage entstehen oft Gruppen von Betroffenen, die sich als Interessengemeinschaften zusammenĺnden, um miteinander zu plaudern, Tipps auszutauschen und manchmal auch um gemeinsam Unternehmungen zu organisieren oder Sport zu betreiben. Prinzipiell ist die Kommunikation von Betroffenen untereinander extrem wichtig. Es wird auch übereinstimmend berichtet, dass alle Ratschläge, die von selbst Betroffenen kommen, als extrem hilfreich empfunden werden. Die unterschiedlichen Verläufe der Erkrankung bedingen aber, dass Menschen mit der gleichen Diagnose „MS“ durchaus sehr unterschiedliche Fragen und Bedürfnisse haben können. Deshalb ist es meist günstig, wenn sich Personen mit ähnlichen Krankheitsproblemen und Verläufen zusammenĺnden, weil sich dann auch ihre Interessen und Gestaltungswünsche eher gleichen.
Unterstützung durch Selbsthilfegruppen
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„Die Überlegenheit der verborgenen Kraft“ Das Bild wurde 2002 gemalt. Es zeigt die eigene Situation von MS-Betroffenen im Spiegelbild der anderen (gesunden) Menschen. Gesunde Menschen stehen fest am Boden. Die MS-Betroffenen hingegen stehen unsicher auf den Beinen und im Leben. Man hat das Gefühl, als wären auch Menschen mit MS „mitten drin“, trotzdem gibt es einen Abstand zu anderen Menschen, man kapselt sich ab. MS-Betroffene gehen ihren eigenen Weg, auf ihre eigene Art. Die positive Haltung zur Krankheit soll auch hier durch die helle Farbgebung im Hintergrund gezeigt werden. Vielleicht wird die Krankheit ja eines Tages besiegt?
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„Einmaligkeit“ Dieses Bild ist eine Selbstdarstellung. Jeder MS-Betroffene ist ein „Unikat“. MS ist ein Teil meiner Persönlichkeit und macht mich einmalig. Die Darstellung der einzelnen Figur meint also nicht Einsamkeit, sondern Einmaligkeit durch MS. Die Figur scheint auf einen Berg zu steigen. Sie geht immer bergauf. Das ist anstrengend, sie lässt aber das Dunkel hinter sich.
Unterstützung durch Selbsthilfegruppen
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„ohne Titel“ Dieses Bild wurde von der 16-jährigen Tochter einer MS-Patientin gemalt. Gedanken von Frau E. F. dazu: Das Gespenst MS ist einfach immer da. Es ist nicht sichtbar, aber man kann es spüren. Es ist auch in der Familie immer spürbar, greifbar ist es aber nicht. Wie viel EinĻuss darf MS in der Familie haben?
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„Madhouse-Style“ Die Menschen im Umfeld reagieren unterschiedlich, wenn man die Diagnose „öffentlich macht“. Viele wollen sich kümmern, aber andere reagieren auch mit Gerüchten oder betrachten es als Smalltalk-Thema. In diesem Bild geht es darum, dass es manchmal wohl so ist, dass alle an einem zerren und fordern wollen. Man empĺndet ein Gefühl, als befände man sich selbst in einem Irrenhaus.
Unterstützung durch Selbsthilfegruppen
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A. G., männliĖ „Von meiner MS-Erkrankung habe ich gelernt, alles nicht so wichtig zu nehmen und Prioritäten neu festzulegen und wie wichtig es ist, wirkliche Freundschaften zu pĻegen.“
M. F., weibliĖ 2 „Ich habe gelernt, auf mich und meine Bedürfnisse besser zu schauen und den Mut aufzubringen, Rücksicht auf mich auch zu fordern. Außerdem nehme ich das Leben an, denke positiv und versuche, jeden Augenblick wahrzunehmen.“
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14. Wer will miĖ denn noĖ mit meiner Krankheit? Einige unserer Leserinnen und Leser werden vermutlich beim vorherigen Kapitel gedacht haben: „Schön wär’s, aber ich habe halt keine Familie; ich habe gedacht, dass ich in den nächsten Jahren einen Partner/eine Partnerin für mein Leben ĺnden werde. Aber nun habe ich MS und damit ist alles anders. Wer wird mich denn noch wollen mit meiner Krankheit?“ Es ist richtig, MS ändert das Leben. Mit der Belastung einer chronischen Krankheit in eine Partnerschaft zu gehen ist ganz sicher kein einfaches Problem, aber viele MS-Betroffene und ihre Partnerinnen und Partner haben gezeigt, dass es möglich ist, mit dieser Hypothek eine Partnerschaft nicht nur fortzusetzen, sondern auch zu beginnen und sie dann erfolgreich und mit gegenseitiger Unterstützung und Verständnis weiterzuleben. Sehr oft sind diese Partnerschaften, da sie ja viel seelische Arbeit auf der persönlichen Ebene und in der Beziehung erfordern, schließlich haltbarer als die Partnerschaften von gesunden Menschen, die sorglos und unbeschwert und manchmal eben achtlos mit Beziehungen umgehen.
14.1 Wann soll man das Thema MS anspreĖen? Prinzipiell ist davon auszugehen, dass der Partner/die Partnerin der Mensch ist, zu dem man von allen Menschen die innigste Beziehung hat. Deshalb ist es auch notwendige Voraussetzung, dass in der Partnerschaft Ehrlichkeit besteht und über die Krankheit gesprochen wird. Volle Information über MS ist natürlich auch für die Lebenspartnerin/den Lebenspartner notwendig. Eine Begleitung zum Aufklärungsgespräch im MS-Zentrum oder zu den Kontrollterminen wird – wenn das auch der Wunsch der erkrankten Person ist – natürlich gerne gesehen. Was aber, wenn man erst eine Bekanntschaft schließt, wenn MS schon festgestellt wurde? Wann soll man dann die Information über die Krankheit weitergeben?
Wann soll man das Thema MS ansprechen?
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Der richtige Zeitpunkt hängt vordergründig von der Entwicklung der Beziehung ab. Es ist nicht sinnvoll, am ersten Abend mit einem „Problemgespräch“ die gemeinsame Zeit zu beginnen. Zeichnet sich aber langsam Vertrautheit ab, wächst eine seelische Verbindung und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung auch längere Zeit halten könnte, dann ist ein Gespräch über die Erkrankung notwendig. Ganz auszuschließen ist das Risiko, dass eine junge Partnerschaft an dieser Mitteilung zerbricht, nicht. So schwer eine solche Zurückweisung im ersten Moment sein mag: Auf lange Sicht hätte diese Partnerschaft auch ohne das Problem MS keinen Bestand gehabt. Übersteht die Beziehung aber die Mitteilung einer chronischen Erkrankung, dann ist der erste Schritt zu einem gemeinsamen seelischen Wachstum und zu einer stabilen Beziehung getan.
14.2 MS und Sexualität Über Kommunikation in verschiedenster Form und in unterschiedlichsten Beziehungen wurde in diesem Buch schon viel und ausführlich geschrieben, deshalb soll die seelische Komponente in partnerschaftlichen Beziehungen hier nicht noch einmal behandelt werden. Was aber die Liebesbeziehung von anderen durchaus oft auch innigen Beziehungen unterscheidet, ist die zusätzliche Komponente der Sexualität. MS ist eine körperliche Erkrankung, die häuĺg auch mit Symptomen im vegetativen Bereich einhergeht. Dazu kommt, dass bei einer chronischen Erkrankung natürlich auch das gesamte Körpergefühl einer Beeinträchtigung unterliegen kann. Auch die Seele leidet unter der Situation, was sich letztlich als Gesamtheit in der Sexualität auswirken kann. In der Folge werden wir versuchen, die verschiedenen mit Sexualität zusammenhängenden Probleme zu besprechen.
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Wer will mich denn noch mit meiner Krankheit?
14.2.1 Darf iĖ überhaupt sexuell aktiv sein? Also gleich vorweg: Sexualität hat keinerlei negativen EinĻuss auf MS. Selbstverständlich können MS-Betroffene ganz normal sexuell aktiv sein, MS verschlechtert sich dadurch nicht. Es ist auch wichtig zu wissen, dass Sexualität ein menschliches Grundbedürfnis darstellt und selbstverständlich auch MS-Betroffene ein Recht haben, ihre Partnerschaft unter Einbeziehung der sexuellen Wünsche (natürlich unter Akzeptanz der Wünsche der Partnerin/ des Partners) zu leben. Ein erfülltes Sexualleben ist nicht nur ein elementares Bedürfnis des Menschen, es ist auch ein extrem wichtiger Faktor, um hohe Lebensqualität zu erreichen. Trotzdem ist eine Einschränkung der sexuellen Aktivität bei MS häuĺg, die Ursachen dafür sind vielfältig.
14.2.2 Muss iĖ sexuell aktiv sein? Diese Frage ist selbstverständlich auch berechtigt! Es ist in vielen Medien inzwischen durchaus ein Diskussionsthema, wie viel Sexualität der Mensch braucht, haben soll oder gar haben muss. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts ist ja die „Sexwelle“ über uns gekommen, es war eine Frage der Ehre, möglichst viele sexuelle Erlebnisse mit vielen wechselnden Partnerinnen und Partnern zu haben und in den ausgeübten Praktiken alle denkbaren Extreme auch versucht zu haben – und darüber zu erzählen. Inzwischen hat sich aus verschiedensten Gründen die gesellschaftliche Einstellung wieder fast umgekehrt. Wie immer aber die Einstellung der Gesellschaft sich wandelt: MSBetroffene müssen genau wissen, was sie wollen, wie sie es wollen und wie viel davon. Das gilt natürlich auch für die Sexualität. Es gibt keine Regel, wie oft man Sexualität haben muss und wie sie gestaltet werden muss. Es gibt auch keine Vorschrift, Sexualität leben zu müssen, wenn man es wirklich nicht will. Welchen Stellenwert Sexualität im individuellen Leben hat, ist eine sehr persönliche Entscheidung, die von den betroffenen Personen ausgeht, Vorschriften von außen sind dabei in keiner Weise zulässig. Auf eine kurze Formel gebracht, heißt das: Sie müssen wissen, was und wie viel Sie wollen und diese Vorstellung mit der Partnerin/dem
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Partner vereinbaren können. Wenn die Wünsche klar formuliert sind, darf man sich aber auch durch eventuelle MS-bedingte Hindernisse nicht abhalten lassen, sie auszuleben.
14.2.3 Die „Sexualitäts-Hindernisse“ bei MS Ein Teil der Beeinträchtigungen der Sexualität bei MS sind von geschlechtsspeziĺschen Funktionen abhängig, ein Teil aber durchaus bei Männern und Frauen gleichermaßen zutreffend. Für alle gilt auch: Sexualität ist bei MS oft nicht mehr einfach und spontan. Als (zweifelhafter!) Trost mag dienen, dass es auch bei sonst Gesunden eine lange Reihe von Störungen in diesem Bereich gibt und dass MSBetroffene mit dieser Problematik keineswegs allein sind. Ganz unerlässlich ist es, offen über Probleme und Wünsche sprechen zu lernen. Dafür kann man durchaus auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
14.2.3.1 Vom GesĖleĖt unabhängige Probleme 14.2.3.1.1 Verminderung der Libido Im Rahmen von MS kommt es häuĺg zu einer Verminderung der Libido, also des sexuellen Verlangens. Dieses Problem betrifft Männer und Frauen. Ob die Ursache dafür auf rein körperlicher Basis zu suchen ist oder in seelischen Problemen, ist im Allgemeinen nicht klar erfassbar. Natürlich nimmt im Lauf von langjährigen Beziehungen das sexuelle Verlangen auch bei gesunden Menschen ab. Belastungen aller Art kommen noch dazu – sei es der anstrengende Beruf, seien es die Kinder oder auch körperliche Probleme wie Schmerzen oder Blasenprobleme oder auch Spannungen in der Partnerschaft. Körperliche Symptome müssen – so gut das geht – vorher bewältigt und behandelt werden. Medikamente sind manchmal Ursache einer Beeinträchtigung (z. B. Beruhigungsmittel) und müssen eventuell gewechselt oder abgesetzt werden. Oft ist es nötig, ganz bewusst Situationen zu schaffen, die sexuellen Kontakt in Ruhe und unter angenehmen Bedingungen ermöglichen. Da Sexualität als wichtiger Wert für die Lebensqualität und den Bestand der Partnerschaft zu betrachten ist, muss das Problem auch
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mit der Partnerin/dem Partner angesprochen werden. Gemeinsam ist es oft möglich, eine neue Lösung zu ĺnden. 14.2.3.1.2 AĴraktivität MS zu haben verbessert das Selbstwertgefühl leider meist nicht. Für eine funktionierende Partnerschaft und Sexualität ist es aber wichtig, sich attraktiv und begehrenswert zu fühlen. Sich vor Augen zu führen, dass nur ein „kleiner Teil“ der Persönlichkeit an MS erkrankt ist, der ganze Rest aber wie eh und je für die Partnerin/den Partner begehrenswert ist, hilft manchmal. Für das eigene Gefühl begehrenswert zu sein kann und sollte man auch etwas tun. Dazu gehören die PĻege des Körpers und eine äußere Aufmachung, mit der man sich auch selbst schön fühlt – dies ist mit oder ohne MS notwendig. Der eigene Eindruck ist der wichtigste Maßstab. Je wohler und auch begehrenswerter man sich selbst fühlt, umso mehr geht dieses Gefühl auch auf andere Menschen über. Dass krankheitsbedingt Unterstützung in körperlichen Belangen nötig ist, kann bei MS nicht immer verhindert werden. Mit Blick auf die sexuelle Attraktivität ist es wichtig, die Partnerin/den Partner so gut es geht nicht in eine alleinige PĻegerolle kommen zu lassen, sondern den partnerschaftlichen Aspekt der Beziehung immer und ganz bewusst aufrechtzuhalten. 14.2.3.1.3 Müdigkeit Wenn man den Tagesablauf der meisten Menschen betrachtet, ist es gut vorstellbar, dass sie abends ins Bett fallen und sofort einschlafen. Müdigkeit ist aber auch noch ein leider häuĺges Symptom bei MS. Bei diesem doppelten Risiko ist es kein Wunder, dass MS-Betroffene abends erschöpft und müde sind. Der Sexualität ist das bekanntermaßen nicht zuträglich. Eine Reduktion der Belastungen ist sicher ein schönes Ziel, meist aber einfach nicht machbar. Kurze Ruhephasen sind schon eher möglich. Auch wenn es widersinnig erscheint, sich vor dem „Schlafengehen“ auszuruhen, der Sexualität kann es doch dienen. Auch die Einnahme von Medikamenten macht oft müde. Wenn ein Absetzen nicht möglich ist, kann eventuell eine Umstellung des Präparates sinnvoll sein. Eine einfache und sinnvolle Maßnahme ist oft auch die schlichte Änderung des Einnahmezeitpunktes.
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Unter dem Motto, gemeinschaftlich andere Lösungen zu ĺnden, ist natürlich auch zu überlegen, dass Sexualität keineswegs zwingend auf die Nacht beschränkt werden muss, wenn Partnerin und Partner andere Zeiten angenehmer und praktikabler ĺnden! 14.2.3.1.4 Blasen- und Darmprobleme MS beeinträchtigt Sexualität manchmal auch durch rein körperliche Umstände. Blasen- und Darmprobleme stellen sehr leicht eine solche Störung dar, die leider auch meist nicht vollständig behoben werden kann. Ein klärendes Gespräch mit der Partnerin/dem Partner muss deshalb sein, um Unsicherheiten während der sexuellen Aktivität vorzubeugen. Schlecht beherrschbarer Harndrang führt zur Angst, während des Sexualaktes plötzlich Harn lassen zu müssen oder unwillkürlich Harn zu verlieren. Ein vorheriger Gang zur Toilette bringt zumindest Besserung. Da die Angst vor dem Harnverlust oft das größere Problem ist und faktisch meist gar nichts passiert, ist es wichtig, sich auch selbst klarzumachen, dass die Partnerin/der Partner Bescheid weiß und dieses Risiko akzeptiert. Zur Absicherung eine Einlage ins Bett zu legen ist beruhigend. Wichtig ist auch sich klarzumachen: Das einzige Risiko ist, dass es wirklich einmal rinnt und nass wird. Sexualität ist an sich meist eine nasse Angelegenheit. Dieser Schaden kann danach ohne große Probleme wieder behoben werden. Schwieriger und unangenehmer ist das Risiko von unwillkürlichem Stuhlabgang. Hier hilft in erster Linie die Einteilung des Zeitpunktes, der nicht direkt nach dem Essen gewählt werden soll. 14.2.3.1.5 Gefühlsstörungen im GenitalbereiĖ Störungen des Gefühls an der KörperoberĻäche können bei MS auftreten. Das ist prinzipiell an jeder Stelle des Körpers möglich, auch im Bereich der Geschlechtsorgane. Durch vermindertes Empĺnden von Berührungen oder auch Veränderungen des Gefühls (Brennen, Kribbeln) ist natürlich auch eine Beeinträchtigung des sexuellen Empĺndens möglich. Dadurch wird die Freude an der Sexualität und eventuell sogar die Möglichkeit, einen Orgasmus zu erleben, beeinträchtigt.
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Der Umgang mit diesem Problem ist schwierig. Wichtig ist es, der Partnerin/dem Partner solche Veränderungen des Empĺndens mitzuteilen. Brennende Missempĺndungen sind ja unangenehm. Die Sexualpartnerin/der Sexualpartner weiß aber nicht, dass eine Gefühlsstörung die Ursache für ein „Zurückzucken“ als Reaktion auf eine Berührung ist, und fühlt sich emotional abgelehnt. Nach Klärung des Problems ist es eine Frage der Fantasie, eventuell alternative Möglichkeiten und Praktiken zu ĺnden, um eine in der Sensibilität veränderte Region zu umgehen. Ist sexuelle Anregung durch Berühren und Streicheln beeinträchtigt, so stehen auch andere anregende Möglichkeiten wie Bilder, Filme oder Bücher zur Verfügung. Es ist durchaus gerechtfertigt und sinnvoll, auch solche „Hilfsmittel“ zu nützen.
14.2.3.2 SpezięsĖe sexuelle Probleme der Frau mit MS Frauen neigen allgemein dazu, „funktionieren“ zu wollen, und haben den Wunsch, alle Anforderungen der Umgebung zu erfüllen. Durch MS im Selbstwertgefühl beeinträchtigte Frauen haben diesen Wunsch oft noch mehr als gesunde. Es ist aber für eine erfüllte und befriedigende Partnerschaft wichtig, die eigenen Wünsche auszuleben. Darum müssen Frauen mit MS sich auch sehr sorgfältig darüber klar werden, wie ihre Haltung zur Sexualität ist, ob sie entsprechend ihren eigenen Wünschen handeln oder nur versuchen, die (manchmal nicht einmal vorhandenen, sondern nur angenommenen) Forderungen des Partners zu erfüllen. Kompromisse gibt es natürlich auch in der sexuellen Partnerschaft, die Grenzen dafür sind aber bewusst und mit sehr viel Sorgfalt zu ziehen. Ein spezielles und durch MS mögliches Problem ist die „trockene Scheide“. Das bedeutet, dass die Scheide trotz sexueller Erregung nicht feucht wird – was das Eindringen des Penis erschwert –, sondern wenig Sekret produziert und relativ trocken bleibt. Dadurch entstehen Schmerzen beim Eindringen des Penis in die Scheide, der Geschlechtsakt wird zur Tortur und hinterlässt auch noch Schmerzen für die folgenden Tage. Der Partner sollte wissen, dass es sich dabei um ein MS-bedingtes und körperliches Problem handelt und nicht um mangelnde Erregung durch Ablehnung seiner Person oder seiner Aktivitäten. Lösbar ist diese Störung ganz ohne Schwierigkeiten. Man kann die fehlende
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Feuchtigkeit durch Gleitmittel ersetzen, die es im Handel (Apotheke, Drogerie) zu kaufen gibt. Diese Mittel sind unschädlich und gut verträglich und lösen das Problem der Trockenheit sofort und einfach. Das Problem der Blasenstörungen wurde schon oben besprochen. Für Frauen ist ein zusätzlicher Aspekt zu bedenken. Insgesamt neigen Frauen – schon aus anatomischen Gründen – oft zu Harnwegsinfekten. Bei MS, gefördert durch Funktionsstörungen der Blase, ist dieses Problem noch häuĺger und stellt auch im Hinblick auf sexuelle Kontakte eine Beeinträchtigung dar. Ist ein Harnwegsinfekt vorhanden, so ist es vernünftig und notwendig, sexuellen Kontakt zu unterlassen, bis der Infekt behandelt und ausgeheilt ist. Vorbeugend ist es sinnvoll, nicht nur vor dem Geschlechtsverkehr zur Toilette zu gehen, sondern auch danach. Eine dem Geschlechtsverkehr folgende Säuberung ist zwar der Romantik vielleicht nicht zuträglich, als Infektvorbeugung aber wichtig. Für Frauen mit einer Schwäche der Beine und einer damit einhergehenden Spastik steht der Sexualität manchmal ein sozusagen „mechanisches“ Hindernis entgegen. Die Beine können durch die Spastizität nicht gespreizt werden, der (konventionelle) Geschlechtsverkehr wird dadurch schwierig und, wenn es irgendwie doch geht, unangenehm und unbequem. Das einfachste Mittel dagegen ist, die Stellung zu ändern und in der sogenannten „Löffelchen“-Haltung von hinten in die Partnerin einzudringen. Dabei können die Beine gebeugt bleiben, die Seitenlage ist auch bei einer Schwäche der Beine bequem. Insgesamt ist es wichtig, für ein entspanntes sexuelles Erlebnis auch eine Haltung einzunehmen, die bequem und angenehm ist. Auch dabei sind der Fantasie keine Grenzen zu setzen, wenn es für Partnerin und Partner zu einer befriedigenden Sexualität führen kann.
14.2.3.3 SpezięsĖe sexuelle Probleme des Mannes mit MS Mit dem Funktionieren haben natürlich auch Männer ein Problem, allerdings betrifft es nicht das „Wollen“, sondern das „Können“. Die männliche Potenz ist gesellschaftlich betrachtet ein hoch angeschriebener Wert. Es ist für die männliche Ehre wichtig, als „potent“ zu gelten. Männer mit MS müssen sich von diesen Betrachtungsweisen oft verabschieden, denn MS kann auch die Potenz beeinträchtigen.
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Die gesellschaftliche Seite dieses Problems ist nicht so schwierig zu lösen. Männliche Diskussionen über sexuelle Erlebnisse und Ausdauerleistungen, wie sie im Freundeskreis ja oft begeistert betrieben werden, dürfen alle, die es wollen, mitmachen. Der Wahrheitsgehalt ist ja auch bei gesunden Männern nicht überprüfbar. Das eigentliche Problem ist aber natürlich die wirklich vorhandene Störung, die sogenannte „erektile Dysfunktion“. Das bedeutet, dass der Penis durch sexuelle Erregung nicht oder nur wenig steif wird oder nach kurz dauernder Erektion wieder in seiner Kraft nachlässt. Dadurch wird das Eindringen in die Scheide erschwert oder die Fortsetzung des Geschlechtsaktes – auch wenn es nicht zum Orgasmus gekommen ist – nicht mehr möglich. Wichtig sind zu diesem Thema vorerst zwei Informationen: • Es ist keine Schande, nicht potent zu sein, wie auch immer die Gesellschaft das betrachtet! Potenzstörungen bei MS sind ein Symptom der Erkrankung, nicht Zeichen von Schwäche oder mangelnder Männlichkeit. • Potenzstörungen bei MS sind nicht Zeichen fehlender Liebe zur Partnerin. Das müssen sowohl Männer mit MS als auch ihre Partnerinnen wissen. Die Potenz fehlt auch nicht, weil die Partnerin nicht sexuell begehrt wird oder nicht „schön genug“ ist. Das soll die Partnerin nicht nur wissen, das muss ihr auch immer wieder gesagt werden. 14.2.3.3.1 Was aber kann man dagegen tun? Die männliche Potenzstörung gehört zu den gut behandelbaren Symptomen von MS. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Potenz fördernden Medikamenten im Handel. Für junge Menschen sind diese Mittel auch meist sehr gut verträglich (bei älteren Menschen besteht das Risiko des Auftretens von Durchblutungsstörungen des Herzens oder Gehirns), speziell bei der durch MS verursachten Potenzstörung sind sie deshalb auch zu empfehlen. Die Verschreibung soll durch urologische Fachärztinnen und Fachärzte erfolgen, die auch noch weitere Möglichkeiten anbieten können, um das Potenzproblem zu behandeln und – meist erfolgreich – zu bessern. Es gibt aber auch andere Wege, mit einer Potenzstörung umzugehen. Der Geschlechtsakt ist ja nicht die einzige Möglichkeit, sexuell aktiv zu sein. Es gibt unabhängig von der Fähigkeit, mit dem Penis in
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die Scheide einzudringen, noch eine Fülle anderer Möglichkeiten, sich der Sexualpartnerin liebevoll zuzuwenden. Frauen genießen diese Varianten der Sexualität oft noch mehr als den eigentlichen Geschlechtsverkehr. Es ist also sicher sinnvoll, sich mit der Partnerin auch in anderer Weise sexuell zu beschäftigen. Das nimmt auch den seelischen Druck des Mannes, unbedingt „funktionieren“ zu müssen. Für die Partnerin ist auch wichtig zu wissen, dass ein schlaffer Penis zwar nicht in eine Scheide eindringen kann, sexuelle Lust aber nicht vom Ausmaß der Erektion abhängig ist. Auch ein schlaffer Penis kann also durchaus lustvolle Empĺndungen vermitteln. Man muss manchmal nur die Methoden auf die geänderte Situation einstellen.
Sexualität ist ein wichtiger Teil des Lebens und einer Partnerschaft und ein bedeutender Faktor zur Verbesserung der Lebensqualität. Störungen der Sexualität sind deshalb ein wichtiges Problem und ernst zu nehmen. Gespräche über Sexualität mit der Partnerin/dem Partner sind extrem wichtig. Probleme und Methoden sollen angesprochen und geklärt werden. MS verursacht organisch bedingte Störungen der Sexualfunktion bei Männern und Frauen. Medizinische Lösungen sind manchmal möglich, ärztliche Hilfe sollte angestrebt werden. Die Verwendung von Hilfsmitteln aller Art, damit Sexualität funktionieren und befriedigend erlebt werden kann, ist vernünftig und richtig.
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„Erleuchtung“ Irgendetwas bringt uns dazu, anders zu denken, begangene Wege zu verlassen und neue zu beschreiten. Manche Entwicklungen verändern das Leben und die Persönlichkeit und bringen mit sich, dass man neue Wege gehen will und neue Aufgaben ĺndet, an denen man wächst.
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B. P., männliĖ 2 „Von meiner MS-Erkrankung habe ich in erster Linie Demut gelernt.“
E. S., weibliĖ 2 „Ich habe von MS gelernt, alles langsamer und ruhiger anzugehen. Ich nehme mich selber wichtiger und gebe Arbeiten an meine Familie ab.“
E. B., 24 Jahre, weibliĖ Frau EB entwickelte die ersten Symptome in jugendlichem Alter. Sie war damals gerade in Vorbereitung ihrer Matura, eine sehr ordentliche und zielstrebige junge Frau, die sogar im Warteraum der Ambulanz mit mehreren Büchern und Stiften saß und konzentriert an ihren Schulunterlagen arbeitete. Der erste Schub – wie so oft eine Sehnerventzündung – war ausgeprägt und brachte eine deutliche Einschränkung der Sehfähigkeit mit sich. Unser Vorschlag einer Cortisontherapie wurde mit Skepsis aufgenommen. Der Grund für die Zurückhaltung war allerdings nicht eine Ablehnung der Therapie an sich, sondern eher des Zeitpunktes. Frau EB plante einen Besuch des „Life Balls“ gemeinsam mit ihrem Freund, den sie damals gerade erst kurz kannte. Partnerschaft und Ballbesuch waren so wichtig, dass Frau EB trotz unserer Bedenken und Besorgnis die Therapie verschob und trotz Sehstörung nach Wien zum Ball fuhr. Nach dem Ball meldete sie sich aber – ihrer Genauigkeit und Sorgfalt entsprechend – gleich zurück, wir behandelten die Sehnerventzündung und konnten Rückbildung erreichen. Schon nach wenigen Monaten kam es zum zweiten Schub, einer Schwäche der linken Halbseite. Nach neuerlicher Cortisontherapie und Rückbildung einigten wir uns auf eine Langzeitbehandlung mit Interferon. Frau EB war auch hier anfänglich skeptisch, da sie zwar nicht aktuell, aber doch in der Zukunft über Familiengründung mit ihrem „Traumpartner“ nachdachte und besorgt war, ob das wohl möglich sein würde. Wir besprachen eine Behandlung für die folgende Zeit, bis eine Schwangerschaft auch wirklich aktuell sein würde. Die Therapie wurde gut vertragen, die MS blieb ohne weiteren Schub. Frau EB konnte sich nach der Matura beruĻich etablieren. Sie pĻegte immer einen sehr offenen Umgang mit der Krankheit und schaffte es, eine Beschäftigung ihrer Vorstellung unter Mitteilung der Diagnose zu
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bekommen (keine einfache Aufgabe!) und für mehrere Jahre auch auszuüben. Vor etwa einem Jahr hat Frau EB ihren Freund, der immer noch ihr Traumpartner ist, geheiratet. Es war eine große und aufwändige Traumhochzeit, wie es sich unter solchen Umständen gehört. Die Therapie wurde, da ja nun wirklich eine Schwangerschaft in Planung war, abgesetzt. Frau EB erwartet derzeit ihr erstes Kind und ist in sehr gutem Zustand.
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15. IĖ wünsĖe mir ein Kind, darf iĖ das mit MS? MS tritt vorwiegend bei jungen Menschen auf, die zu diesem Zeitpunkt in der Phase ihrer Lebens- und Familienplanung sind. Die Erfüllung des Wunsches nach Kindern und einem entsprechenden Familienleben ist für die meisten Menschen ein sehr intensives Bedürfnis. Die Frage, ob man mit MS Kinder bekommen oder zeugen darf, wird deshalb sehr oft gestellt und ist ein wichtiger Inhalt des Aufklärungsgespräches. Früher wurde die Frage nach einer möglichen Schwangerschaft für Frauen rasch und einfach mit der Mitteilung beantwortet, dass Frauen mit MS eben keine Kinder bekommen dürften. Man hat einfach angenommen, dass eine Schwangerschaft den Krankheitsverlauf ungünstig beeinĻussen könnte und dass durch die Erkrankung eine ausreichende Betreuung der Kinder gefährdet wäre. Von Männern wurde nach einem EinĻuss von MS auf eventuelle Nachkommen kaum gefragt. In der Zwischenzeit gibt es mehr Wissen über MS und Schwangerschaft, und es sind darüber sehr differenzierte Informationen möglich. Aber auch von männlicher Seite haben sich die Interessen erweitert, und Fragen zu Zeugung und auch Vererbung sind häuĺg geworden.
15.1 Grundlegende Fragen zum KinderwunsĖ Prinzipiell ist die Frage, ob man Kinder bekommen möchte oder nicht, natürlich eine ganz persönliche. Männer und Frauen mit MS, die ja sehr verantwortungsvoll mit der Lebensplanung umgehen, stellen sich und uns sehr oft die Frage: „Wenn ich ein Kind in die Welt setze, werde ich es auch versorgen können, bis es erwachsen ist?“ In aller Ehrlichkeit müssen wir darauf antworten, dass wir das nicht wissen. MS ist eine chronische und in ihrem Verlauf nicht vorhersagbare Erkrankung. Es ist nicht völlig unmöglich, dass es bei solchen Umständen zu Problemen in der Versorgung von Kindern kommen kann. Allerdings muss man diese Aussage um die Erfahrung ergän-
Grundlegende Fragen zum Kinderwunsch
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zen, dass es in den meisten Fällen sowohl bei MS-betroffenen Vätern als auch Müttern mit der Erziehung der Kinder bestens funktioniert. Da man in der Planung aber immer versucht, allen Problemen vorbeugend zu begegnen, ist es sicher richtig, sich über Absicherungen Gedanken zu machen. Der nicht MS-betroffene Teil in der Partnerschaft muss damit rechnen, eventuell in der Arbeit mit und für Kinder mehr zur Verfügung stehen zu müssen, als das ursprünglich beabsichtigt war. Plant man partnerschaftlich eine Teilung „halbe-halbe“, so ist es natürlich auch zu überlegen, dass der gesunde Teil der Partnerschaft voll und ganz allein zur Versorgung herangezogen werden muss. Das sollte zumindest zeitweise auch möglich sein. Auch über „Ersatzbetreuungspersonen“ sollte man sich im Fall von MS schon frühzeitig Gedanken machen. Natürlich ist es auch bei vollkommen gesunden Eltern ratsam, dass gelegentlich Personen aus dem Umfeld die Betreuung und Beaufsichtigung des Nachwuchses übernehmen. Junge Eltern wollen ja eventuell einmal einen Abend oder ein paar Tage Urlaub allein verbringen. Ist aber eine MS bei einem Elternteil bekannt, dann weiß man schon im Voraus, dass Ausfallszeiten möglich sind, und kann schon frühzeitig im Familienund Freundeskreis ein „Fangnetz“ für schwierige Zeiten einplanen. Analog gilt natürlich auch für den Beruf, dass eine Beeinträchtigung durch MS und eventuelle vorzeitige Pensionierung nicht ausschließbar sind. Die ĺnanzielle Versorgung der Familie sollte deshalb durch beide Teile der Partnerschaft so gut wie möglich abgesichert werden. Eine ĺnanzielle Grundversorgung ist zwar staatlich organisiert im Allgemeinen gegeben, aber darauf möchte ja niemand angewiesen sein, solange es bessere Möglichkeiten gibt. Letztlich stellt sich natürlich auch die Frage: „Was tue ich meinen Kindern seelisch betrachtet mit meiner Erkrankung an?“ Leiden Kinder von MS-betroffenen Müttern und Vätern unter der Lebenssituation oder darf man ihnen das ruhig zumuten? Sicher ist es so, dass Kinder – könnten sie es sich aussuchen – schöne, verständnisvolle, gesunde und reiche Eltern wählen würden. Kinder haben es gern bequem und angenehm. Dass Kinder von Eltern, die all diese Kriterien bestens erfüllen, nicht immer edle und bewundernswerte Zeitgenossen werden, ist aber auch sattsam bekannt.
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Für Kinder aus MS-Familien wissen wir, dass sie unter der Erkrankung eines Elternteiles durchaus leiden, mit Depressionen und einer Reihe von seelischen Belastungen und Problemen reagieren können. Es ist aber auch bekannt, dass Kinder aus MS-Familien oft ein höheres Verantwortungsbewusstsein und reiferes Verhalten zeigen, dass sie eine moralisch hochstehende Einstellung und eine stabile und rücksichtsvolle Persönlichkeit entwickeln. Das hängt sicher in hohem Maß davon ab, wie in der Familie mit der Erkrankung umgegangen wird, wie die zwischenmenschlichen Kontakte gestaltet werden und wie den Kindern die Einstellung zu Krankheit und eventuell auch zu Behinderung vermittelt wird. Kinder können unter dieser Situation leiden, sie können aber auch davon proĺtieren und für ihr Leben hohe Werte mitnehmen. Nicht die Tatsache der Erkrankung, sondern die Art des Umganges damit ist dafür ausschlaggebend.
15.1.1 Kann man mit MS überhaupt Kinder bekommen? Die rein „technische“ Frage ist rasch und leicht beantwortet. MS ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Fruchtbarkeit leidet darunter keineswegs. Sexuelle Störungen wie Potenzprobleme sind möglich, davon abgesehen ist aber weder die weibliche Fruchtbarkeit und Empfängnisfähigkeit noch die männliche Zeugungsfähigkeit durch MS beeinĻusst. Auch hier wieder kurz ein Blick auf die Umkehrung dieser Frage. Ist eine Schwangerschaft nicht erwünscht, so spricht auch nichts gegen alle üblichen Maßnahmen zur Empfängnisverhütung.
15.2 MS und Vererbung Die Entscheidungsĺndung für Nachkommen enthält natürlich auch die Überlegung, ob MS auf dem Weg der Vererbung auch auf die Nachkommen übergeht. Klar und bekannt ist, dass MS keine Erbkrankheit ist. Es wird die Krankheit also nicht an die Kinder weitergegeben, wie wir das von anderen Leiden kennen. Trotzdem gibt es „familiäre Häufungen“, also das Auftreten mehrerer MS-Fälle in manchen Familien. Das be-
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ruht auf der Tatsache, dass eine „genetische Disposition“, eine höhere Bereitschaft für das Auftreten von MS, vererbt werden kann. Dass ein solcher Erbfaktor bei MS besteht, zeigt sich in Familienuntersuchungen. Familiäre MS-Fälle werden in 5–10 % berichtet. Das Risiko, MS zu entwickeln, liegt in der Allgemeinbevölkerung bei etwa 0,2 %; wenn ein Elternteil an MS erkrankt ist, steigt dieses Risiko auf etwa 3–5 %. Es entspricht bei adoptierten Kindern in MS-Familien der Durchschnittsbevölkerung, steigt aber mit zunehmendem Verwandtschaftsgrad an. Bei eineiigen Zwillingen liegt es schon bei 30 %. Früher wurde berichtet, dass das Risiko, MS zu bekommen, größer ist, wenn MS-Mütter Töchter bekommen. Nach neueren Berichten scheint die Vererbung der Disposition aber doch ausgeprägter von der väterlichen Seite zu erfolgen, während das Risiko der Weitergabe durch Frauen nur gering über dem der Durchschnittsbevölkerung liegt. Obwohl ein erblicher Faktor im Risiko der Entwicklung von MS besteht, ist die Vererbung nicht der einzige Auslösefaktor. Ohne zusätzliche Auslösefaktoren entsteht MS also auch bei Menschen, bei denen diese Disposition vorhanden ist, nicht. Deshalb kann es auch gut verantwortet werden, dass Menschen mit MS Kinder bekommen.
15.3 MS und SĖwangersĖaĞ Ist die männliche Beteiligung an der FortpĻanzung mit der Frage nach Planung, Zeugung und Vererbung erledigt, fängt sie für Frauen mit erfolgter Empfängnis erst richtig an. Für sie stellen sich nun einige weitere Fragen, nämlich: • Schadet meine MS in der Schwangerschaft dem Kind? • Schadet die Schwangerschaft mir, verschlechtert sich dadurch der Verlauf der MS? • Kann die Geburt normal verlaufen? • Darf ich mein Kind stillen? • Wie sieht es mit Therapien in der Schwangerschaft aus?
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Ich wünsche mir ein Kind, darf ich das mit MS?
Inzwischen kann die Medizin glücklicherweise auf eine Reihe von Studien zu all diesen Fragen verweisen und den größten Teil befriedigend beantworten. Eine Schädigung des wachsenden Kindes im Mutterleib ist durch MS nicht zu befürchten. Es gibt Berichte, dass Kinder von MS-Müttern häuĺger klein für das Entbindungsalter sind, ohne dass daraus allerdings eine Schädigung ableitbar wäre. Ein Schaden der Mutter durch die Schwangerschaft ist aus Studien auch nicht belegbar. Es wurde in einer großen europäischen Studie der Verlauf von Schwangerschaften bei MS untersucht. Es zeigte sich, dass die Zahl der Schübe in der Schwangerschaft, besonders im dritten Drittel, deutlich absinkt. Erst nach der Geburt werden Schübe häuĺger. Insgesamt fanden sich bei Frauen während und nach der Schwangerschaft nicht mehr Schübe als zu normalen Zeiten. Eine Verschlechterung des MS-Verlaufes durch die Schwangerschaft ist nicht zu befürchten. Der Verlauf einer Geburt ist durch MS nicht beeinträchtigt. MS-Mütter können ihre Kinder ganz normal zur Welt bringen. Ob die Geburt spontan abläuft oder durch einen operativen Eingriff erfolgt, ist nicht von der MS, sondern von der Situation der Gebärenden abhängig und kann sozusagen ohne Rücksicht auf die MS entschieden werden. Verschlechterungen durch eine Epiduralanästhesie, also die Verabreichung einer schmerzhemmenden Substanz durch einen „Kreuzstich“, wurden nicht beobachtet. Einige Studien berichten, dass bei MS häuĺger Geburten eingeleitet wurden oder dass operativ eingegriffen wurde. Das dürfte unter der Annahme, die MS-betroffene Mutter damit besser zu schonen, in den meisten Fällen allerdings eher Folge einer durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte geplanten Vorsichtsmaßnahme sein als Ausdruck der tatsächlichen medizinischen Notwendigkeit. Ist die Geburt vorbei und das Kind da, stellt sich die Frage der Ernährung. Diese erfolgt bei ganz jungen Säuglingen am besten und gesündesten durch Muttermilch. Dass diese Nahrung für das Kind am besten ist, ist allgemein bekannt und trifft auch auf Kinder von Müttern mit MS zu. Die Mütter selbst müssen durch das Stillen ebenfalls keine Verschlechterung der MS befürchten.
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15.3.1 Therapie der MS während der SĖwangersĖaĞ 15.3.1.1 Vorbeugende LangzeiĴherapien Die Therapieentwicklung der letzten Jahre hat mit sich gebracht, dass MS möglichst frühzeitig vorbeugend behandelt wird. Deshalb stellt sich natürlich bei Planung oder Eintreten einer Schwangerschaft die Frage, was mit der Behandlung nun weiter passieren soll. Die immunmodulierenden Langzeittherapien dürfen während der Schwangerschaft nicht fortgesetzt werden. Das beruht allerdings vorwiegend auf der Begründung, dass es nur wenig Erfahrung über eventuelle negative Auswirkungen auf das wachsende Kind gibt. Schäden sind nach allen bisherigen Berichten aber nicht zu befürchten. Da alle Medikamente derzeit als in der Schwangerschaft nicht erlaubt gelten, wird bei geplanter Schwangerschaft mit der Einleitung einer immunmodulatorischen Langzeittherapie zugewartet. Für Frauen unter laufender Therapie mit dem Wunsch, schwanger zu werden, stellt sich die Frage, wann diese Behandlung abgesetzt werden kann und soll. Idealerweise und entsprechend den Formulierungen in der Zulassung der Medikamente sollte die Beendigung der Behandlung vor Eintritt einer Schwangerschaft erfolgen. Da dieser Zeitpunkt aber nicht so einfach festzulegen ist und die Zeitspanne, in der nicht vorbeugend behandelt wird, möglichst kurz gehalten werden soll, wurde immer wieder überlegt, ob die Therapie nicht bis zum Eintreten der Schwangerschaft weitergeführt werden kann. Es gibt nur wenige Erfahrungen und natürlich keine kontrollierten Studien, die darüber Auskunft geben würden. Allerdings gibt es Mitteilungen über Patientinnen, die ungewollt während der Durchführung einer Therapiestudie schwanger wurden. Aus diesen Berichten geht ziemlich einhellig hervor, dass auch unter Therapie keine Schädigung der Kinder erfolgte. Der größte Teil der Schwangerschaften resultierte in Geburten von gesunden Kindern, die Zahl an Spontanaborten war bei den behandelten Patientinnen geringfügig höher. Fehlbildungen bei den Kindern wurden keine berichtet, die Zahlen sind aber für eine Beurteilung dieser Frage zu gering. Eine Begründung für einen Schwangerschaftsabbruch stellt das Eintreten einer Schwangerschaft unter immunmodulierender Therapie jedoch keineswegs dar.
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Da bei allen bisher gewonnenen Erfahrungen die Risiken unter Fortführung von Therapien nicht wesentlich anders als bei Schwangerschaften von gesunden Frauen waren, wird für einzelne Therapien auch schon eine Zulassung während der Schwangerschaft überlegt. Zu beachten ist natürlich auch noch, dass in der Schwangerschaft das Risiko eines Schubes geringer ist als zu „normalen“ Zeiten, die Schwangerschaft an und für sich also sozusagen schon eine Art von Schutz darstellt.
15.3.1.2 SĖubtherapie in der SĖwangersĖaĞ Akute Schübe sind in der Schwangerschaft insgesamt nur selten zu erwarten. Tritt trotzdem ein Schub auf, ist zuerst streng zu bewerten, ob der Schub wirklich so schwer ist, dass eine Therapie unbedingt nötig ist. Bei sehr schweren Schüben ist eine Therapie mit Cortison prinzipiell möglich und vertretbar. Cortison gilt in der Schwangerschaft als „relativ kontraindiziert“, das heißt, dass es nur unter spezieller Begründung und bei dringlicher Notwendigkeit verabreicht werden sollte. Diese Einschränkung beruht auf Berichten über mögliche negative Auswirkungen von Cortison auf Wachstum und Entwicklung des kindlichen Nervensystems. Da die hoch dosierte Cortisontherapie des akuten MS-Schubes nun in erster Linie helfen soll die Rückbildungsgeschwindigkeit der Behinderung durch diese Krankheitsattacke zu beschleunigen und das Ausmaß der Rückbildung selbst wahrscheinlich kaum beeinĻusst, ist es auch durchaus vertretbar, die Behandlung eines nicht deutlich behindernden Krankheitsschubes in der Schwangerschaft zu unterlassen. Im Fall sehr schwerer Schübe ist die Durchführung einer Cortisontherapie und eventuell die Durchführung einer Plasmapherese auch in der Schwangerschaft möglich und gerechtfertigt.
15.3.1.3 Vorbeugende Therapie naĖ der SĖwangersĖaĞ Da in der Zeit nach der Geburt das Risiko von Schüben ansteigt, wurden Möglichkeiten von vorbeugender Therapie in dieser Phase überlegt. Interferone und Glatirameracetat kommen zu diesem Zweck weniger in Betracht, da mit diesen Medikamenten nicht gestillt werden darf. Deshalb wurde die Wirkung von intravenös verabreichten Immunglobulinen gegen Ende der Schwangerschaft oder sofort nach der Geburt überlegt und untersucht. Die Ergebnisse
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zeigten geringe Hinweise, aber keine überzeugenden Belege einer Wirkung. Deshalb wird derzeit nur für Risikopatientinnen mit hoher Schubrate vor der Schwangerschaft, Krankheitsschüben während der Schwangerschaft oder mit bereits bestehender ausgeprägterer Behinderung sofort nach der Geburt eine Behandlung diskutiert. Ein routinemäßiger Einsatz von Immunglobulinen bei MS-Patientinnen nach der Entbindung scheint derzeit nicht gerechtfertigt, speziell da mit der Therapie ja auch eventuelle Nebenwirkungen wie z. B. ein erhöhtes Risiko von Venenthrombosen verbunden sein kann. Stillen ist unter Therapie mit intravenösen Immunglobulinen unproblematisch und kann ohne Probleme auch während dieser Behandlung empfohlen werden. Die Wiedereinleitung der üblichen Langzeitbehandlungen wie Betainterferone oder Glatirameracetat erfolgt erst nach Abschluss der Stillperiode.
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Kleines MS WörterbuĖ Ataxie Axon
Störung der Bewegungskoordination Nervenfaser
Babinski-ReĻex
krankhafter ReĻex, der bei Schädigung der Bewegungsbahnen auftritt (bei Bestreichen der Fußaußenkante streckt sich die große Zehe und spreizen sich die Zehen) Blut-Hirn-Schranke „Barriere“, die normalerweise verhindert, dass Zellen und größere Moleküle vom Blut in das Gehirn übertreten Bulbus Augapfel Cerebellum Cerebral Cerebrum Compliance Computertomographie
Demyelinisierung Diagnose Disseminiert Doppelblinde Studie
Duralsack
Dysästhesie
Kleinhirn im Bereich des Gehirns Gehirn (= Enzephalon) Bereitschaft, eine Therapie regelmäßig und der Verschreibung entsprechend fortzusetzen (= CT) Untersuchung, die unter Zuhilfenahme von Röntgenstrahlen Dichteunterschiede der Gewebe abbildet Abbau der Nervenscheide Ärztliche Feststellung einer bestimmten Erkrankung verstreut (Hauptwort: Dissemination) Medikamentenstudie, bei der weder die Patientin/der Patient, noch die behandelnden Personen wissen, wer das aktive und wer das Scheinmedikament erhält. Dies sichert eine möglichst unvoreingenommene Beurteilung der Wirksamkeit. Sack im Bereich der Lendenwirbelsäule, der die Nervenwurzeln und den Liquor cerebrospinalis enthält; dieser wird von den harten Hirnhäuten gebildet, die das Innere der Wirbelsäule auskleiden Missempĺndung
Kleines MS Wörterbuch
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Enzephalitis Enzephalomyelitis disseminata Enzephalon Epiduralanästhesie
Entzündung des Gehirns alternative Bezeichnung für Multiple Sklerose Gehirn (= Cerebrum) Ausschaltung des Schmerzempĺndens durch Injektion entsprechender Medikamente im Wirbelsäulenbereich (Kreuzstich) Erektile Dysfunktion Störung der Erektion Erektion Versteifung des männlichen Gliedes Evozierte Elektrophysiologische Untersuchungen Potentiale zur Darstellung der Integrität bestimmter Bahnsysteme des ZNS Extremitäten, Arme obere Extremitäten, Beine untere Fatigue
Fluktuation Frontal Fundus Genetische Disposition Gesichtsfeld
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Aus dem Französischen für Müdigkeit; wird verwendet als Bezeichnung für übersteigerte Tagesmüdigkeit und rasche Erschöpfbarkeit Wechsel der Intensität der Krankheitssymptome durch äußere Umstände im Stirnbereich Augenhintergrund
Gyrus
Erbliche Anlage für eine Erkrankung gesamter Bereich, den das Auge ohne Bewegung erfassen kann Gehirnwindung
Hypästhesie
verminderte Empĺndung
Immunologie Intentionstremor
Lehre von den Abwehrsystemen des Körpers unwillkürliches Zittern, meist der Hände, das bei zielgerichteten Bewegungen zunimmt
Kleines MS Wörterbuch
Kernspintomographie
Kurtzke-Skala
(= Magnetresonanztomographie = MRT) Untersuchung in einem statischen Magnetfeld; durch elektromagnetische Anregung von Wasserstoffprotonen werden Bilder erzeugt (= Expanded Disability Status Scale = EDSS) Skala zur Einschätzung der Behinderung bei MS
Läsion
Unspeziĺsche Bezeichnung für eine Schädigung oder Veränderung, wie sie in der MRT sichtbar ist. Gleichartig werden die Bezeichnungen „MS-Herd“, Entzündungsherd oder „MS-Plaque“ verwendet. Lhermitte-Zeichen einschießendes, „elektrisierendes“ Gefühl entlang der Wirbelsäule bei Beugung des Kopfes Libido sexuelles Verlangen Liquor „Nervenwasser“; jene Flüssigkeit, die Gehirn und cerebrospinalis Rückenmark zwischen den Hirnhäuten umgibt Lumbalpunktion Stich im Lendenwirbelbereich zur Entnahme von Liquor (= Nervenwasser) Lymphozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen und haben wichtige Abwehrfunktionen im Körper Migration Motorik MRT-Sequenz MuskeleigenreĻex
Myelin Myelitis Myelon
Bedeutet „Wanderung“; bezieht sich auf Veränderungen des Heimatlandes Gesamtheit aller Bewegungsvorgänge Abfolge von Anregungsimpulsen der Wasserstoffprotonen zur Bilderzeugung Kontraktion des Muskels bei Beklopfen (Dehnung) seiner Sehne; ist bei Lähmungen durch Schädigung der Pyramidenbahn gesteigert (=Nervenscheide) Isolierschicht um die Nervenfasern Entzündung des Rückenmarks Rückenmark
Nervenzelle
besteht aus Zellkörper und Nervenfaser, dient der Weiterleitung von Information im Nervensystem Nervus Opticus Sehnerv (ist ein Anteil des Gehirns) Nervus Trigeminus einer der Hirnnerven, welcher das Gesicht unter anderem mit Gefühlsempĺndung versorgt
Kleines MS Wörterbuch
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Neuralgie Nystagmus
Oligoklonale Banden Occipital Opticusneuritis
Eiweißprodukte (Immunglobuline) als Zeichen einer Abwehrreaktion des Immunsystems im ZNS im Hinterkopfbereich (= OPN = Neuritis nervi optici = Retrobulbärneuritis) Entzündung des Sehnerven
Paraklinische Untersuchungen
Hilfsuntersuchungen zur Diagnosestellung einer MS wie MRT, Lumbalpunktion und visuell evozierte Potentiale. Behandlungsansätze außerhalb der Schulmedizin Lähmung von Bewegungen im seitlichen Bereich des Kopfes Krankhaft verändert verbindet das ZNS mit den Organen des Körpers Behandlungsmethoden zur Wiederherstellung der normalen (physiologischen) Funktionen, insbesondere von Bewegungsabläufen Scheinmedikament; wird in Medikamentenstudien zum Wirksamkeitsvergleich verwendet „Fleck“, bezeichnet eine durch MS entzündlich veränderte Stelle im Gehirn, die sich als Fleck in der MRT darstellt (siehe dazu auch Läsion) Eine Art der Blutwäsche, unter anderem zur Entfernung von Antikörpern Lähmung mit völliger Bewegungsunfähigkeit besondere Neigung, eine Erkrankung zu erwerben Vorhersage der Krankheitsentwicklung fortschreitend Längerdauernde Symptomverschlechterung, die nicht durch einen Schub bedingt ist Medikamente, die das seelische Beĺnden beeinĻussen
Paramedizin Parese Parietal Pathologisch Peripheres Nervensystem Physiotherapie
Placebo Plaque
Plasmapherese Plegie Prädisposition Prognose Progredient Pseudoschub Psychopharmaka
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einschießende Schmerzen durch Nervenschädigung (z. B. Trigeminusneuralgie) Ruckartige, nicht-willkürliche Augenbewegungen; tritt bei Störungen im Gleichgewichtssystem sowie der Koordination der Augenbewegungen auf
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Pyramidenbahn
Bahnsystem, welches Bewegungsinformationen leitet. Der Name leitet sich von der Pyramidenform der Zellkörper dieses Bahnsystems ab.
Remyelinisierung Retrobulbär
Wiederaufbau der Nervenscheide hinter dem Augapfel
Schub
Akute (= „schubförmige“) Verschlechterung bei MS Fähigkeit zur Gefühlsempĺndung (z. B. für Berührung, Temperatur, Schmerz) langsame, „abgehackte“ Sprechweise mit Störung der Sprachmelodie Fleckförmiger Ausfall im Gesichtsfeld Spontane, oft schmerzhafte Kontraktionen der Muskulatur bei zentralen Lähmungen Erhöhung der Muskelspannung (= Muskeltonus) im Bereich des Rückenmarks Furche zwischen den Gehirnwindungen
Sensibilität Skandierende Sprache Skotom Spasmen Spastizität Spinal Sulcus T1-/T2Gewichtung
Tonus Tremor
Verwendung unterschiedlicher Eigenschaften der Wasserstoffprotonen zur Bilderzeugung im MRT. Daraus ergibt sich eine jeweils unterschiedliche Darstellung der Gewebe. Grundspannung der Muskulatur unwillkürliches Zittern, meist der Hände (s. a. Intentionstremor)
Uhthoff-Phänomen Zunahme von Symptomen durch Änderung der Leitfähigkeit vorgeschädigter Nervenbahnen Vegetatives Nervensystem Ventrikel Vertebral Visus
(= autonomes Nervensystem) steuert die unwillkürlichen Funktionen des Körpers (z. B. Herztätigkeit, Darmfunktion, Blasenfunktion) Höhlen im Gehirn (normal vorhanden), die mit Liquor gefüllt sind im Bereich der Wirbelsäule Sehkraft
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219
Zentralnervensystem Zytokine
220
(= ZNS) Gehirn und Rückenmark Botenstoffe des Immunsystems
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Abkürzungen ADEM
Akut disseminierte Enzephalomyelits (akute Form einer Entmarkungserkrankung, oft nach Impfungen oder Infekten, tritt gewöhnlich nur einmal auf)
CIS
Clinically Isolated Syndrome = Erstmanifestation von MS
EDSS
Expanded Disability Status Scale (Skala zur Erfassung der Behinderung durch MS)
FS
Funktionelle Systeme (einzelne Untersuchungsbereiche, wie z. B. Sehkraft, Kraftleistung der Arme und Beine usw.; diese FS werden auf Grund des Ergebnisses der neurologischen Untersuchung bewertet und zur Bestimmung des EDSS-Wertes herangezogen)
Gd
Gadolinium; wesentlicher Bestandteil von MRTKontrastmitteln; Kontrastmittelunterstützte MRTUntersuchungen werden oft mit Gd+ gekennzeichnet.
i. m.
intramuskulär = in einen Muskel (gespritzt)
i. v.
intravenös = in eine Vene (gespritzt)
IVIG
Intravenös verabreichte Immunglobuline
LP
Lumbalpunktion (Kreuzstich)
MER
MuskeleigenreĻexe
MRT
Magnetresonanztomographie = Kernspintomographie
MS
Multiple Sklerose
PML
Progressive multifokale Leukenzephalopathie
PPMS
Primary Progressive Multiple Sclerosis = Primär progrediente MS
Abkürzungen
221
222
RRMS
Relapsing Remitting Multiple Sclerosis = Schubförmige MS
s. c.
subkutan = unter die Haut (gespritzt)
SPMS
Secondary Progressive Multiple Sclerosis = Sekundär progrediente MS
VEP
visuell evozierte Potentiale
ZNS
Zentralnervensystem (= Gehirn und Rückenmark)
Abkürzungen
Index A Abklärungsweg 64 Abwehrsystem 34 Abwehrzellen 35 akuter Schub 43 Alkohol 25 allergische Reaktionen 112 Allgemeinpraxis 92 alternative Medizin 149 Ansäuerung des Harns 139 Antikörper 110 Arachidonsäure 164 Arbeitsplatz 184 Attraktivität 197 Aufklärung 25 Auslösefaktoren 130 ausschleichend 132 Axone 35 Azathioprin 108
B Babinski-Rekex 52 Beckenbodenmuskulatur 140 Belastbarkeit 160 Beta-Interferone 108 Bewegung 168 Bewältigung 7 Bewältigung der Erkrankung 161 Blasenentleerung 138 Blasenentzündung 57 Blasenstörungen 56 Blut-Hirn-Schranke 35 Botulinumtoxin 146
C Carter-Effekt 33 CIS 46 clinically isolated syndrome 46 Compliance 171 Cortison 131 Cortisonbehandlung 131 Cyclophosphamid 108
D Dejnition eines Schubes 43 Depressionen 110, 141 Diagnose 7, 41, 63
Diagnosekriterien 73, 79 Diagnosemethoden 22 Diagnosesicherheit 85 Dissemination 49 Diätempfehlungen 151 Doppelbild 50 doppelblind 106 Dranginkontinenz 57, 138 Duralsack 75
E Eigenverantwortlichkeit 182 Einsatzgebiete Therapien 116 elektrophysiologischen Untersuchungen 77 Empfängnisverhütung 115, 209 Entspannungstechniken 143 Entzündung 36 Enzephalomyelitis disseminata 13 Enzephalon 13 Epiduralanästhesie 211 erektile Dysfunktion 201 Erektion 201 Ernährung 162 Erreger 34 Erweiterung der Therapiemöglichkeiten 119 evidenzbasierte Therapie 103
F Familie 142, 178 Familienaufgaben 178, 182 Familienplanung 207 familiäre Häufungen 209 Farbensehen 50 Fehlbildungen 212 fortschreitende MS 42 fortschreitender Verlauf 47 Freundeskreis 183 Freundschaften 90 Fruchtbarkeit 209
G Gangataxie 55 Gangunsicherheiten 54
Index
223
Gedankenaustausch 96 Gefühlsstörungen 51 Gefährdung durch Magnetfeld 69 Gehstrecke 53, 169 genetische Disposition 32, 210 Genuss 162 Geschlechterverteilung 20 Gespräche zur Krankheitsbewältigung 178 Gesprächspartner 91 gesunde Kost 163 Gewöhnungseffekte 144 Glatirameracetat 108 Grippesymptome 110 gutartige MS 41
komplementäre Methoden 149 Konkikte 95 Kontakte 90 Kontrastmittel 22, 70 kontrollierte Studien 106 Koordination 54 Koordinationsstörungen 54 Kopfschmerzen 50 Krankengeschichte 64 Krankheitsbewältigung 159 Krankheitsrisiko 33 Krankheitsschübe 43, 129 Krankheitsverlauf 41 Kurtzke-Skala 65
H
L
Hautreaktionen 109 Heilung 103 Hilfsuntersuchungen 67, 68 Homöopathie 150
Laborkontrollen 110 Langzeittherapien 108 Lebensführung 177 Lebensfreude 141 Lebensgewohnheiten 21 Lebensplanung 41 Lebensqualität 141, 161, 168, 184, 195 Lebensstil 34, 151 Lebenswünsche 161 Lhermitte-Phänomen 51 Lähmung 52 Liebesbeziehung 194 Liquor cerebrospinalis 68, 75 Läsionen 22 Lumbalpunktion 68, 75 Lymphocyten 35
I im Gehirn 13 Immunglobuline 108 immunmodulierend 108 Immunologie 34 immunsuppressiv 108 immunsuppressive Therapie 115 Immunsystem 35 imperativer Harndrang 57, 138 Impfungen 25 Infekte der Harnblase 138 Infekte der Harnwege 138 Informationsübermittlung 89 Informationsquellen 89, 95 Informationsveranstaltungen 97 infusionsbedingte Reaktionen 112 Internet 97 Intervalltherapien 108
J Jean-Martin Charcot 19
K Kernspintomograje 68 Kinder 179 Kinder und Jugendliche mit MS 180 Kinderwunsch 207 Kleinhirn 54 klinisch isoliertes Syndrom 46 Kältebehandlungen 145 Kommunikation 160
224
Index
M Magnetresonanztomograje 22, 63, 68 McDonald-Kriterien 46, 79, 83 Müdigkeit 110, 143, 197 Medikamentenentwicklung 105 Medikamentenpumpe 146 mögliche Multiple Sklerose 46, 82 Migration 33 Missempjndungen 51 Mitoxantron 108 monoklonaler Antikörper 112 MRT Befund 73 MRT-Untersuchung 69 MS-Diät 162, 163 MS-Gesellschaften 184 MS-Lebenswege 160 MS-Spezialistin/MS-Spezialist 92 MS-Zentrum 92 Myelin 34 Myelon 13
N Nahrungsergänzung 151 Nahrungsergänzungsmittel 165 Natalizumab 108 natürliche Methoden 149 Nebenwirkungen 109 Nervenwasser 68 Nervenzellen 34 neurologische Untersuchung 65 nicht medikamentöse Strategien 137 Nikotin 25 Nystagmus 50
O oligoklonale Banden 76 Omega-3-Fettsäuren 164 Omega-6-Fettsäuren 164 Opticusneuritis 49 Örtliche Dissemination 63 Örtliche und zeitliche Dissemination 79
P paraklinische Untersuchungsergebnisse 85 Partnerschaften 142, 193 pharmazeutische Industrie 153 physiotherapeutische Methoden 151 Physiotherapie 145, 170 Pilotstudien 105 Placebo 105 Plasmapherese 133 PML 112 Potenz 58, 201 Prüfmedikament 105 primär fortschreitende MS 82 primär progrediente Verlaufstyp 48 Prognose 41 progredienter Verlauf 47 progressive multifokale Leukenzephalopathie 112 Pseudoschub 45 Psychopharmaka 141 psychotherapeutische Betreuung 142 Pubertätsentwicklung 181 Pyramidenbahn 52
Q Qualitätsstandards 154
R Rückbildung der Schubsymptome 44 Rückbildungen 44
Rekexe 52 regelmäßiges Training 168 Rehabilitationszentrum 170 Reisen 25 Remyelinisierung 35 Reparatur 35 Restharn 57, 138 Retrobulbärneuritis 49 Risikofaktoren 32 Risikofälle 118 Routinetherapie 109
S Schädigung des Herzmuskels 115 Schleiersehen 49 Schluckstörung 56 Schmerz 59, 144 Schonung 130 Schub 129 schubförmige MS 42 schubförmiger Verlauf 46 schubförmig-progredienter Verlauf 47 Schubrate 47 Schubzahlen 47 Schwangerschaft 25, 207, 210, 212 Schwangerschaftsabbruch 212 Schweregrad 131 Schwindel 50, 54 Sehnerventzündung 49 sekundär progredienter Verlaufstyp 48 Selbstheilung 150 Selbsthilfegruppen 96, 184 Selbstwertgefühl 182 Sexualfunktion 58 Sexualität 194 Sir Augustus d’Esté 19 Skotome 50 Spasmen der Muskulatur 53 Spastizität 53, 110, 145 Sport 25, 168 Sportarten 169 Sprechstörung 55 Spurenelemente 166 Stillen 211 Stoßtherapie 132 Störung der Darmfunktion 58 Stuhlentleerung 58 Symptombehandlung 137 Symptome 49
T Tageseinteilung 143 Tagesmüdigkeit 143 Temperaturempjndlichkeit 45
Index
225
Therapie 23, 103, 212 Therapie der aktiven schubförmigen MS 117 Therapie der progredienten MS 117 Therapie der schubförmigen MS 117 Therapie nach MS-Erstschub 117 Therapieänderung 119 Therapietreue 171 Trigeminusneuralgie 59 Trinkmenge 138 trockene Scheide 199
U Uhthoff-Phänomen 45, 170 Umdenken 24 Umwelteinküsse 21 Umweltfaktoren 33 Überlaufblase 57
V Vegetative Störungen 56 Verbote 26
226
Index
Vererbung 32, 209 Verlauf einer Geburt 211 Verlaufstypen 43 Veränderungen 13 Verschreibung 137 Verstopfung 139 Vertrauensperson 91 visuell evozierten Potenziale 79 Vitamine 164
W Wunderheiler 103
Z zeitliche Dissemination 63 Zeugungsfähigkeit 209 Zittern 55 Zulassungsstudien 105 Zweifel an Diagnose 63