G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1241
Devil’s Town Es begann in El Paso. Ich hatte zwei Tage und drei N...
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G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1241
Devil’s Town Es begann in El Paso. Ich hatte zwei Tage und drei Nächte beim Poker gesessen und mich gegen vier hartgesottene Spieler zu behaupten versucht. Das war mir gelungen. Allerdings betrug mein Gewinn nur ganze einhundertsiebzehn Dollar, obwohl es stets um hohe Einsätze ging. Einer von uns verlor über siebentausend Dollar, ein anderer mehr als fünftausend. Der dritte Mann gewann kaum mehr als ich, und der große Gewinner war kein Mann, sondern eine Frau. Ja, eine Frau hatte uns »rasiert«. Sie hatte uns zwei Tage und drei Nächte lang gezeigt, was Poker ist…
Dieser Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 668 und im Western-Bestseller als Band 1385.
Als draußen die Sonne schien, sagte uns der Barmann nach der dritten Nacht Bescheid. Er brachte uns einen Topf Kaffee und die nötigen Tassen. Als wir den heißen Kaffee schlürften, betrachteten wir vier Männer die Frau. Ja, sie war mehr reizvoll als schön. Sie besaß nämlich keine sterile Schönheit, sondern wirkte eigenwillig, hatte jene Ausstrahlung, die auf Männer wie ein Zauber wirkt. Ihr Haar glänzte immer noch wie das Gefieder eines Raben. Dazu leuchteten ihre Augen grün. Und auf der Nase waren ein paar Sommersprossen. Ihr Mund war voll und konnte eine Menge ausdrücken – wenn sie das wollte. Er konnte aber auch herb und verschlossen wirken. Wenn sie ihr Pokergesicht aufsetzte, war nichts an ihr zu erkennen. Alles blieb tief in ihrem Kern verborgen. Und dennoch spürten wir alle, dass sie voller Feuer war. Ihr Name war Elsa Bannack, und wir alle hatten schon von ihr gehört. Sie war als Spielerin im ganzen Südwesten bekannt unter dem Namen Full-Hand-Elsa. Und irgendwo trug sie einen kleinen Colt-Derringer und einen Dolch. Auch das war unter uns Spielern dieses Landes bekannt. Sie lächelte uns über den Tassenrand an. »Gentlemen, es war mir ein Vergnügen«, sagte sie mit ihrer etwas kehligen Stimme, die jedem Mann irgendwie unter die Haut ging oder ein Prickeln in ihm erzeugte. Unsere zwei großen Verlierer grinsten bitter und etwas verkrampft. Wir zwei anderen Mitspieler grinsten ein wenig enttäuscht, aber eigentlich dennoch zufrieden.
Denn sie hatte uns nicht rasieren können. Außerdem hatten wir ihre Gesellschaft genossen. Und wir hatten eine Menge gelernt von ihr, obwohl wir alle hartgesottene Pokerspieler waren – oder es zu sein glaubten. Als sie sich erhob, standen auch wir auf. Sie sah mich an und sagte: »Wir wohnen im selben Hotel, nicht wahr? Gehen wir zusammen? Oder sehnen Sie sich noch nicht nach einem Bett?« Ich grinste, ging halb um den Tisch herum und bot ihr meinen Arm. Ihren Spielgewinn hatte sie bereits in einer beutelartigen Tasche untergebracht. Sie nahm meinen Arm. Und dann verließen wir das Hinterzimmer des El Paso Saloons. Draußen saugten wir die frische Morgenluft ein. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als ich und sah von der Seite her zu mir empor. »Bleiben Sie in El Paso?«, fragte sie. »Sie nicht?«, fragte ich zurück. Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »In San Angelo wurde wieder Gold gefunden. Das alte Spanierdorf wurde über Nacht zu einem neuen Babylon. Wo Gold gefunden wird, ist ein Paradies für Spieler.« »Viel Glück«, murmelte ich. Sie sah immer noch schräg zu mir empor. In ihren grünen Augen erkannte ich das Angebot. Ich spürte, ich brauchte ihr nur zu sagen, dass ich gerne mitkommen würde, schon wären wir uns einig gewesen. Aber ich sagte es nicht. Denn ich wollte in keine wilde Goldgräber- und Minenstadt. Ich wusste, ich würde dort auf alte Bekannte treffen. Auf all meinen
Wegen hatte ich mir Feinde gemacht. Eigentlich war ich auch schon zu lange in El Paso gewesen. Ein Mann mit Schatten auf seiner Fährte durfte nicht zu lange an einem Ort verweilen. Und so dachte ich daran, mir zwei Helfer anzuwerben und wieder in die Einsamkeit zu gehen, um Wildpferde zu jagen. Wir hatten unser Hotel erreicht. Der Hausbursche fegte den zur Veranda ausgebauten Plankenstieg. Er sah mich an und fragte: »Mister, sind Sie Lot Shannon?« Ich nickte und hielt an, immer noch Arm in Arm mit Elsa Bannack. Der Hausbursche stützte sich auf den Besenstiel und sagte: »Da hat gestern jemand nach Ihnen gefragt – ein Halbblut, vielleicht auch ein Dreiviertelapache. Er hatte schon alle anderen Hotels und Pensionen abgeklappert. Aber Sie waren ja spurlos verschwunden.« »Im Hinterzimmer des El Paso Saloons«, sagte ich. »Und wo ist der Mann jetzt?« »Wahrscheinlich schlief er im Mietstall«, erwiderte der Hausbursche. »Der hatte keinen Cent in der Tasche. Aber er wollte wiederkommen, weil ich ihm sagte, dass Sie Ihre Siebensachen noch auf dem Zimmer hätten. Ja, er wollte wiederkommen. He, da kommt er ja!« Der Hausbursche deutete an mir vorbei die Straße hinauf. Ich sah den Mann kommen. Und ich erkannte ihn wieder. Es war Juan Coronado, ein Halbblut. Sein Vater war ein Apache, seine Mutter eine stolze spanische Adlige, die man einst aus einem Wagenzug geraubt hatte. Er trug den Namen seiner Mutter.
Und damals, als ich fortritt von daheim, da blieb er bei meinem jüngeren Bruder Bac, weil dieser noch zu jung war, um allein bleiben zu können. Elsa Bannack nahm ihren Arm aus meinem. Ich zog meinen Hut und verbeugte mich. »Bitte entschuldigen Sie mich, Elsa«, sagte ich und grinste. »Ich würde wirklich gerne in ein Bett gehen, und ich wette, Sie erraten sogar, in welches.« »Das ist leicht zu erraten«, erwiderte sie. »Wir haben uns lange genug am Spieltisch gegenüber gesessen. Ich lernte, Ihre Gedanken zu erraten. Und auch jetzt sehe ich klar Ihre Wünsche im Hintergrund Ihrer Augen. Denn ich lebe davon, die Wünsche und Gedanken der Männer erraten zu können. Vielleicht später einmal.« Sie verschwand im Hotel. Oha, sie war ehrlich! Wenn sie einen Mann haben wollte, dann zierte sie sich nicht. Denn sie war eine Raubkatze. Ja, ich hatte Chancen bei ihr. Das hatte ich schon bald gespürt. Möglicherweise hatte sie auch schon von mir und meinem schnellen Colt gehört. Und da sie gewiss mehr als zwanzigtausend Dollar bei sich trug, brauchte sie Schutz. So mochte das alles einen Sinn ergeben. Ich sah Juan Coronado entgegen. Und ich wusste, es musste etwas mit unserem »Kleinen« passiert sein, mit Bac. Juan Coronado war älter geworden. Ich begriff in diesem Moment, dass fast sechs Jahre vergangen waren seit jenem Tag, da ich nach einem Revolverkampf von daheim fortritt. Sechs Jahre… Juan Coronado hielt vor mir an. Wir reichten uns die Hände.
»Er ist tot«, sagte er dann. »Sie haben ihn in San Angelo umgebracht.« In Juan Coronados Stimme war ein bitteres Knirschen. Und in seinen Augen erkannte ich, dass er Rache wollte. Ich stutzte, denn den Namen dieser Stadt San Angelo hatte ich vor einer Minute erst gehört. Elsa Bannack hatte ihn genannt. Und sie wollte dorthin, weil dort der Goldrush ausgebrochen war. Jetzt sagte mir Juan Coronado, dass man dort meinen Bruder umgebracht hatte. Er sah erschöpft aus. »Suchst du mich schon lange?« So fragte ich. Er nickte. »Fast schon ein halbes Jahr«, erwiderte er. »Du bist nirgends sehr lange, Lot.« »Das wurde mein Schicksal«, murmelte ich, und etwas von der Bitterkeit, die ich stets so gut in meinem Kern verborgen hielt, kam nun hoch. Ich begriff nun auch, dass mein kleiner Bruder Bac tot war. Und ich schluckte würgend und erinnerte mich an meine Jugend in den Bergen von Albuquerque. Ich sah auch wieder Bac vor meinen Augen. Alles war wieder da. Dann fragte ich: »Wann hast du zum letzten Male gegessen, Juan?« »Aaah, das ist schon lange her«, erwiderte er und grinste breit. »Aber jetzt bekomme ich sicherlich was.« Wir gingen hinein in das Hotel und setzten uns in den Speiseraum. Indes wir auf das Frühstück warteten, berichtete Juan Coronado alles mit wenigen Worten: »Wir brachten eine kleine Fleischherde nach San Angelo«, begann er. »Denn nachdem dort der Goldrush ausgebrochen war, wurde das Frischfleisch knapp. Und Steaks wog man fast mit Gold auf. Wir bekamen eine Menge Geld für unsere
Rinder und wollten eigentlich sofort wieder wegreiten. Denn San Angelo, dieser Name, der ja so viel wie ›Heiliger Engel‹ bedeutet, ist ein verdammter Bluff. Es gibt nicht wenige Leute dort, die dieses Miststück von einer Stadt ›Devil’s Town‹ nennen. Und das wäre der richtige Name. Des Teufels Stadt.« »Und wer ist der Teufel?« So fragte ich tonlos. »Barton Woodwade«, erwiderte er schlicht. »Hat er Bac getötet?« So fragte ich heiser. Juan grinste bitter und verächtlich zugleich, so als wäre meine Frage der totale Schwachsinn. »Der?«, dehnte er. »Der doch nicht. Der hat eine Menge Hurensöhne zur Hand, die das erledigen. Nein, der ist der Boss. Diese Stadt ist eine einzige Falle. Wahrscheinlich hätten sie uns mit dem Erlös ohnehin nicht davonreiten lassen. Aber wir hätten es wenigstens versuchen sollen. Stattdessen traf Bac auf Sue Martin. Sie ist nur eines der vielen Mädchen im El Dorado Palace. Bac sah sie und war hin. Es traf ihn wie ein Blitz. Verstehst du, Lot? Bac war hin und wollte nur noch eines: Sue Martin mitnehmen auf unsere Ranch in den Hügeln bei Albuquerque. Aber das ging nicht. Sue Martin hatte einen Vertrag mit dem El Dorado Palace. Und der Besitzer dieses Etablissements ist Barton Woodwade. Bac hätte Sue auch zu einem vernünftigen Preis freigekauft. Tausend Dollar hätte er hingelegt, fast den ganzen Erlös für unsere kleine Fleischherde. Aber Barton Woodwade wollte zehntausend Dollar. Das war ein Witz. Er machte sich nur einen Spaß mit Bac. Da versuchte Bac es auf andere Weise. Er wollte Sue Martin entführen. Ich wartete vor der Stadt mit den Pferden. Aber Bac und Sue kamen nicht. In der Stadt krachten Schüsse. Das war nichts Außergewöhnliches, denn in San
Angelo wird oft geschossen. Aber ich ahnte, dass diesmal…« Die Stimme versagte Juan. Er wischte sich über sein verwittertes Gesicht. Dann beendete er seinen Bericht und sagte: »Als ich in die Stadt kam, lag Bac noch im Staub. Und er war tot. Sue Martin aber machte drinnen in der Amüsierhalle schon wieder ihre Arbeit. Wirst du nach San Angelo gehen, Lot? Wirst du dir diesen Barton Woodwade vornehmen? Oder muss ich allein versuchen, ihn zu töten?« Juan Coronado war von Missionaren christlich erzogen worden, nachdem man seinen Vater bei einem Raubzug getötet und das Apachendorf wenig später überfallen und dort alles bis auf einige kleine Kinder erledigt hatte. Juan Coronado war ein Christ. Aber jetzt war er rachedurstig wie ein wilder Apache. Ich konnte ihn verstehen. Denn er und Bac mochten sich von Anfang an. Als Juan damals zu uns Shannons kam, war Bac noch ein kleiner Junge. Für Bac wurde Juan so etwas wie ein Onkel. Und vielleicht erlebte Juan mit Bac das, was er selbst als Kind nicht erleben konnte bei den Apachen. Ja, er wollte Rache. Und ich? Was wollte ich? Oha, ich hatte längst begriffen, dass Hass und Rachewünsche in die Hölle führen. Ich war auch der Meinung, dass mein Bruder Bac durch nichts mehr wieder lebendig gemacht werden konnte. Dass ich ein Revolvermann und Spieler wurde, hing mit Rache und Vergeltung zusammen. Wir Shannons standen in einer Fehde mit den Keenes. Nachdem ich damals als letzter erwachsener Shannon den letzten erwachsenen Keene getötet hatte im Duell, waren nur noch Kinder und Halbwüchsige übrig bei den feindlichen
Sippen. Ich ritt damals fort, um den Heranwachsenden einen Frieden zu ermöglichen. Denn so wollten es unsere zu Witwen gewordenen Mütter. Und dann wurden meine Wege rauchig. An all das dachte ich in diesen Sekunden, indes wir das Frühstück bekamen und Juan Coronado sofort zu essen begann. Sein Hunger musste gewaltig sein. Er hatte mich im allerletzten Moment gefunden. Andernfalls hätte er seine Suche abbrechen müssen. Juan Coronado starrte mich kauend an. Was würde ich tun? Ich hielt seinem Blick stand, schlürfte etwas Kaffee vom Tassenrand. Dann starrte ich zur Decke hinauf. Denn dort oben auf einem der Zimmer, da wusste ich die reizvolle Elsa Bannack. Sie wollte nach San Angelo. Ich sah wieder in Juans dunkle Augen. »Diese Stadt werde ich mir ansehen«, murmelte ich. »Und ich werde mir auch diesen Barton Woodwade und das Mädchen Sue ansehen. Was ich dann tun werde, weiß ich noch nicht, Juan. Wir werden nicht zusammen nach San Angelo gehen. Hast du ein Pferd?« »Nicht mehr«, sagte er. Ich nickte und schob ihm hundert Dollar über den Tisch. »Dann kauf dir eines und komm nach San Angelo. Ich fahre morgen mit der Postkutsche dorthin – als Begleiter der schönen Frau. Wenn wir uns in San Angelo begegnen, kennen wir uns nicht. Du wirst der Trumpf in meinem Ärmel sein, Juan.« »Si«, sagte er. Ich erhob mich und ging nach oben. Als ich an Elsa Bannacks Tür klopfte, öffnete sie.
Mitten in ihrem Zimmer stand eine emaillierte Badewanne voll duftendem Wasser. Elsa trug nur einen dünnen Morgenrock über dem nackten Körper. »Ich komme mit nach San Angelo«, sagte ich. »Man nennt diese Stadt auch Devil’s Town, und deshalb werden Sie etwas Schutz brauchen, Elsa.« »Sicher«, sagte sie lächelnd und trat ein wenig zurück, damit ich eintreten konnte. Ich zögerte nicht eine einzige Sekunde. *** Am nächsten Morgen wusste ich es genau. Sie war eine Frau, die nicht nur nehmen, sondern auch geben konnte. Sie war voller Feuer und Verlangen nach Zärtlichkeiten, und dennoch war sie eine zweibeinige Raubkatze. Wir kletterten am nächsten Morgen in die Postkutsche. El Paso war noch nicht richtig wach. Ein kühler Wind wehte. Mit uns stiegen andere Fahrgäste ein. Einige waren über die Grenze herübergekommen, also aus Mexiko. Elsa saß neben mir, lehnte sich ein wenig an mich. Ich spürte die Wärme ihres Körpers durch die Kleidung, und die Erinnerung an die vergangene Nacht erregte mich. Ja, wir waren ein Paar geworden. Es gab eine Anziehung zwischen uns. Vielleicht musste man es körperliche Abhängigkeit nennen. Denn Liebe, die etwas mit dem Herzen zu tun hatte, war es sicherlich nicht. Wahrscheinlich fanden wir nur heraus, dass der eine des andern Bedürfnisse stillen oder befriedigen konnte. Aber was war falsch daran?
Wir waren kaum drei Meilen aus El Paso heraus und fuhren durch eine enge Hügelkerbe, als Reiter vor uns auftauchten. Einige Schüsse krachten. Die Kutsche hielt mit einem Ruck. Und der Fahrer schrie: »Hoi, wir transportieren keine Geldkisten! Auch kein Gold oder Silber! Diesmal lohnt es sich nicht! Also lasst uns weiter!« Auch von hinten kamen Reiter, tauchten rechts und links neben der Kutsche auf. Der Reiter auf unserer Seite beugte sich aus dem Sattel und sah durch die Fenster herein. Er hatte sich sein Halstuch vor das Gesicht gebunden. Und er sagte: »Seid schlau! Wir könnten aus der Kutsche ein Sieb machen mit unseren Gewehren. Also bleibt schön friedlich. Wir wollen auch nicht von allen etwas. Wir sind nur am Spielgewinn der schönen FullHand-Elsa interessiert. Nun, Elsa, gibst du es freiwillig heraus?« Ich hörte Elsa neben mir seufzen. Aber die anderen Passagiere atmeten erleichtert auf. Eine Frau lachte sogar froh. Wir saßen dicht gedrängt in der neunsitzigen Kutsche. Jeder Platz war belegt. Ich aber wusste nun, warum Elsa mir diese Nacht ihre Gunst schenkte. Nun ging es ans Bezahlen. Dennoch hatte ich die Wahl. Wenn ich zuließ, dass man ihr das Geld nahm – und es mussten an die zwanzigtausend Dollar sein –, dann war es aus zwischen uns. Dann war ich in ihren Augen ein Versager. Dann war es so, als hätte sich eine Raubkatze mit einem Pinscher eingelassen, der ihrer nicht würdig war. Elsa sah schräg zu mir empor – fragend und abschätzend zugleich.
Ich grinste und sagte aus dem Mundwinkel: »Vertrau mir. Wirf die Tasche hinaus. Tu es!« Sie zögerte nur zwei Sekunden. Und ihre grünen Katzenaugen wurden zu schmalen Schlitzen. Ihre Nasenflügel vibrierten, so als prüfte sie eine bestimmte Witterung. Dann gehorchte sie. Sie nahm die Reisetasche, in der sich das viele Geld befand, unter der Bank hervor und hob sie hoch. Ich nahm ihr die Tasche ab und warf sie durch das Fenster dem neben der Kutsche haltenden Reiter zu. Der fing sie mit einer Hand. In der anderen Hand hielt er seinen schussbereiten Colt. Er stellte die Tasche vor sich auf den Sattelknauf und Oberschenkel, öffnete sie und sah hinein. Dann rief er laut genug. »In Ordnung, Jungs! Es hat geklappt! Wir haben das Geld der schönen Elsa! Reiten wir!« Sie ließen ihre Pferde anspringen. Ich aber kletterte aus der Kutsche und lief nach vorn. Der Fahrer und dessen Begleitmann saßen noch auf ihrem hohen Bock. Ihre Gewehre hatten sie zu Boden werfen müssen. Dafür hatten die Banditen vor der Kutsche gesorgt, indes ihr Sprecher durch das Fenster mit uns redete und das Geld in Empfang nahm. Der Fahrer rief: »He, Mann, was machen Sie da?« Er hatte guten Grund zu dieser Frage, denn ich war dabei, das rechte Führungspferd der sechsspännigen Kutsche auszuschirren. »Das sehen Sie doch«, knurrte ich über die Schulter zurück und hinauf. »Oder sind Sie vielleicht blind? Ich borge mir das Pferd! Und ich werde auch das Gewehr mitnehmen! Es ist doch geladen?« »Verdammt«, meldete sich nun der Begleitmann, »das ist ganz sicher geladen. Mit sieben Kugeln sogar!«
Ich hatte das Pferd nun losgeschirrt, und ich würde es ohne Zaumzeug und Sattel reiten müssen. Aber das konnte ich. Denn ich war schon oft auf Wildpferdjagd gewesen und hatte auch als Zureiter gearbeitet, wenn auf andere Weise kein Geld zu verdienen war. Ich konnte reiten wie ein Comanche. Ich holte mir das Gewehr, griff es vom Boden. Es war ein fast neuer Spencer-Karabiner. Lieber wäre mir eine Sharps gewesen, wegen der größeren Reichweite. Aber es musste auch so gehen. Ich schwang mich mit einem Comanchensprung in den Sattel, klemmte den Gaul zwischen meine langen Beine und griff wie ein Indianer in die Mähne. Und dann ritt ich den Hügel hinauf. Denn für mich war klar, dass die Banditen auf dem Wagenweg nach El Paso zurückritten und gewiss für einige Zeit über die Grenze verschwinden wollten. Über die Hügel aber konnte ich ihnen den Weg abschneiden. So einfach war das, weil sie gewiss nicht damit rechneten, dass ihnen ein Reiter auf einem ausgespannten Pferd ohne Zügel und Sattel folgen würde. Diese Narren waren sorglos, weil alles so gut geklappt hatte. *** Als ich über die Hügelkette kam; führte der Wagenweg unten an der Basis entlang. Nun kamen sie dahergeritten im ruhigen Trab. Sie grinsten und unterhielten sich laut. Wahrscheinlich schwelgten sie in der Erinnerung an den gelungenen
Coup und malten sich aus, was sie mit dem vielen Geld nun alles machen würden. Burschen ihrer Sorte brachten es fertig, sich für eine Woche ein ganzes Bordell zu mieten und darin die Paschas zu sein. Ich saß ab und kniete oben auf dem Hügelkamm hinter einem Stein nieder, auf den ich das Gewehr legen konnte. Die Entfernung war für einen Spencer ziemlich weit. Überdies bewegte sich das Ziel. Aber zum Glück war es windstill. Wenn das Visier und mein Auge richtig funktionierten, würde ich treffen. Der Reiter mit der Reisetasche, in der sich das Geld befand, ritt auf der mir zugewandten Seite der Vierergruppe. Ich war kein edler Ritter, obwohl es mir natürlich zuwider war, so aus dem Hinterhalt zu schießen. Doch sie waren zu viert und fast schon außer Schussweite. Ich durfte nichts mehr riskieren. Und so schoss ich, weil ich für Elsa das Geld zurückhaben wollte. Das Pferd brach mit dem Kerl zusammen und begrub ihn halb unter sich. Er begann zu schreien – und die drei anderen Kerle brüllten ebenfalls vor Wut und Schrecken zugleich. Dann wollte einer sich aus dem Sattel beugen, um an die Tasche zu kommen, welche neben dem Pferd am Boden lag. Ich schoss wieder und traf den Mann in den Oberarm. Er konnte sich jedoch noch im Sattel halten und ergriff die Flucht. Die beiden anderen folgten ihm. Sie gaben auf, da ja nur noch zwei von ihnen kampffähig waren. Ich erhob mich und brüllte ihnen nach: »Hoi, warum gebt ihr auf? Kommt und versucht es noch mal!« Aber sie versuchten es nicht.
Ich ritt hinunter zu der Tasche. Der Mann unter dem Pferd keuchte und wimmerte. »Meine Knochen – meine Knochen. Der Gaul hat mir alle Knochen gebrochen…« »Das ist dein Risiko, wenn du als Straßenräuber arbeitest«, erwiderte ich. »Ich hätte dich auch erschießen können – und kann das auch jetzt noch, nicht wahr? Deine lieben Freunde kommen gewiss nicht, um dir aus der Not zu helfen.« Ich ritt nach diesen Worten mit der Tasche davon. Als ich zurück zur Kutsche kam und Elsa vom Pferd die Tasche reichte, starrten sie mich alle an wie einen Geist. Nur Elsa nicht. Sie lächelte. Sie alle standen draußen neben der Kutsche. Der Fahrer nahm mir das Pferd ab. Ich reichte dem Begleitmann den Spencer-Karabiner. »Der schießt genau«, sagte ich. »Mann«, erwiderte er bitter, »beim nächsten Überfall schießen sie uns erst vom Bock oder jagen unsere Pferde davon. Die merken sich, dass sie zu sorglos waren. Sie haben es gut, weil Sie nicht immer wieder diese Strecke fahren müssen. Sie haben dieser Lady das Geld gerettet, aber uns taten Sie keinen Gefallen. Denn ab heute wird es härter auf dieser Strecke.« Ich erwiderte nichts. Was sollte ich ihm auch sagen? Ich verstand ihn gut. Wir kletterten in die Kutsche. Das Pferd war schnell wieder eingeschirrt. Und dann ging es weiter. Elsa lehnte wieder dicht an mir. Ich spürte ihren Körper. Und ich wusste, sie würde mir wieder gehören, immer wieder, solange ich sie beschützen konnte auf unseren Wegen.
Doch ich wollte ja nur bis San Angelo, wo mein Bruder umgebracht worden war. *** Es war schon fast Abend, als wir San Angelo erreichten. Der alte Glockenturm der ehemaligen Mission stand noch, auch ein paar Adobehäuser hatten die Zeit überlebt. Doch um die alten Bauten herum war dann die Stadt entstanden aus Zelten, Hütten, Schuppen, Häusern. Es gab Wagen, Pferde, Esel, Maultiere, Hunde und Menschen, Abfallhaufen, Blechbüchsen und all den anderen Dreck der Zivilisation. Der Creek, an dem der Ort lag und der die einzige Wasserstelle im weiten Umkreis war, war schmutzig und stank. Er trug die Abfälle der Stadt hinaus in die Wüste. Überall Durcheinander. Es wurde gehämmert, gesägt, geschrien. Hunde bellten und Pferde wieherten. Irgendwo dampfte eine Dampfmaschine, wahrscheinlich gehörte sie zu einer Erzmühle. Ich half Elsa aus der Postkutsche und trug ihre Geldtasche in der Rechten. Denn die Linke war meine Revolverhand. Ich spürte mit allen feinen Zeichen meines Instinktes, dass wir in ein übles Nest gekommen waren, und weil ich mich auskannte mit solchen Towns, wusste ich auch, dass es hier Beobachter gab, die jeden Neuankömmling genau abschätzten. Elsa sagte zum Postagenten: »Mister, wir lassen unser Gepäck erst mal bei Ihnen, bis wir eine Unterkunft gefunden haben. Es sind der Koffer und diese beiden Reisetaschen. Sie verwahren sie doch gut, ja?«
»Sicher, Ma’am«, erwiderte der Mann und kratzte sich dann hinter dem Ohr. Er betrachtete Elsa und versuchte sie einzuschätzen. Denn sie sah seriös aus, nicht wie ein Edelflittchen. Und dennoch witterte er in ihr die Abenteurerin. Er sagte: »Es wird schwer sein, eine erträgliche Unterkunft zu bekommen, Ma’am. San Angelo ist überfüllt. Und nach Sonnenuntergang platzt es aus allen Nähten. Oder haben Sie hier jemanden…« »Wir werden sehen«, sagte Elsa und setzte sich in Bewegung. Ich hielt mich an ihrer Seite, trug die Tasche mit dem Geld. Wir kamen etwa fünfzig Schritte weit, dann passierten wir den Eingang zu einem Saloon. Es war eine stinkende Spelunke. Ein klotzig wirkender Mann kam heraus, sah Elsa und stieß sofort einen Jubelruf aus. Er beachtete mich gar nicht, sondern griff Elsa am Arm und sagte lachend: »Süße, du kommst mir gerade richtig! Ich habe heute einen Grund zum Feiern. Komm herein, denn es wird lustig werden!« Er war schon angetrunken, doch nicht so sehr, dass man ihm Narrenfreiheit zubilligen konnte. Ich schwenkte herum, trat ihm vor die Schienbeine und holte meinen Colt heraus. Er verbeugte sich jaulend, denn solch einen Schienbeintritt hätte niemand ausgehalten – und weil es so einfach war, gab ich ihm was auf die Birne mit dem Colt. Er fiel krachend auf die Planken des Gehsteigs. Wir gingen weiter. Als wir das erste Hotel erreichten, versuchte es Elsa erst gar nicht. Wir gingen weiter in die Innenstadt hinein und erreichten die Plaza. Vielleicht hatte Elsa schon von der El Dorado Hall gehört.
Jedenfalls sahen wir nun das lange Gebäude, welches zwei Stockwerke hoch war. Es gab mehrere Eingänge, die zum Saloon, zur Tanzhalle oder zur Spielhalle führten. Die Tanzhalle nannte sich El Dorado Palace. Drinnen stimmten die Musiker schon ihre Instrumente. Elsa steuerte auf die Spielhalle zu. Wir traten ein. An der Tür empfing uns ein Hauspolizist. »Der Spielbetrieb beginnt erst nach Sonnenuntergang«, sagte er höflich. »Ich will zum Boss«, sagte Elsa ruhig. »Zu Mr. Woodwade?« »Ja, zu ihm. Wo geht’s lang?« Der Türwächter staunte nicht lange. Da er ein Türwächter war, besaß er auch Menschenkenntnis. Sonst wäre er nicht auf diesen Posten gestellt worden. »Lady«, sagte er, »wenn Sie einen Moment dort an der kleinen Bar warten und eine Erfrischung nehmen würden, werde ich Mr. Woodwade ausrichten lassen, dass eine wunderschöne Lady auf ihn wartet. Gut so? Oder darf ich einen Namen melden?« »Sicher. Lassen Sie ihm ausrichten, dass Full-HandElsa auf ihn wartet. Er hat schon von mir gehört, so wie ich von ihm. Also!« Wir gingen an die kleine Bar der Spielhalle, wo schon zwei Keeper Gläser putzten. Und kaum hatten wir einen Schluck von dem wirklich guten Whisky genommen, da kam Barton Woodwade, der Boss von San Angelo. So einfach war das. Elsa hatte genau gewusst, zu wem sie wollte. Und ich war ihr Beschützer. Verdammt, ich hätte sicherlich staunen sollen, weil alles so einfach und glatt zu laufen schien.
Elsa und ich, wir hatten nicht nur dasselbe Ziel, nämlich San Angelo, nein, wir wollten auch zum selben Mann. Sie musste längst schon gehört haben, dass er der Boss von San Angelo war. Ich hatte genügend Zeit, ihn zu betrachten und abzuschätzen. Denn vorerst interessierte er sich nur für Elsa, streifte mich lediglich mit einem kurzen Blick. Oha, er sah gut aus, so richtig bedeutend, prächtig, ganz und gar ein Mann, der unter tausend anderen auffällt. Aber wenn alles stimmte, was Juan Coronado mir erzählte, wenn dies hier die Stadt war, welche man Devil’s Town nannte, obwohl sie San Angelo hieß, dann war dieser Bursche der Teufel selbst. Ich hörte, indes all diese Gedanken und Gefühle in mir waren, Barton Woodwade zu Elsa sagen: »Hallo, Gambler Queen, es ist mehr als nur eine Ehre für mich, dass Sie in meine Spielhalle kommen. Ja, ich habe dann und wann von Ihnen gehört.« »Und ich von Ihnen, Barton Woodwade«, erwiderte sie. Er war blond und hatte schwarze Augen. Das war ein merkwürdiger Kontrast. Diese schwarzen Augen funkelten nun wie Lackknöpfe im Lampenschein. Sein hartlippiger Mund ließ weiße Zahnreihen blinken. Er wirkte sehr männlich, gewissermaßen wie ein prächtiges Raubtier. Ganz gewiss hatte er keine Mühe bei den Frauen. Der konnte jede bekommen. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Miss Elsa?« So fragte er wie ein alter Freund. Sie lächelte. Ich sah dieses Lächeln zwar nur von der Seite, aber ich wusste, dass es ein spöttisches und herausforderndes Lächeln war. Sie sagte: »Ich bin hergekommen, um dem Boss von San Angelo meine Reverenz zu erweisen. Ich weiß, was sich gehört.
Natürlich möchte ich einen Spieltisch dieser Halle mieten. Und eine Unterkunft brauche ich für mich und meinen Begleiter. Das ist Lot Shannon.« Bei den letzten Worten deutete sie auf mich. Und nun sah Barton Woodwade mich an. Seine schwarzen Augen glitzerten, und sein Instinkt tastete an mir. Ich spürte es genau, fast wie eine körperliche Berührung. »Shannon? Shannon, Shannon? Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte er. Hinter ihm standen zwei Männer, die seine Leibwächter waren. Sie hatten mich die ganze Zeit beobachtet. Einer trat nun neben Woodwade und sagte: »Es gab mal hier einen Shannon. Das war der wilde Junge, der mit Sue Martin abhauen wollte.« »Aaah, ja, jetzt weiß ich es wieder.« Woodwade sah mich wieder glitzernd an. »Wir hatten schon mal einen Shannon in der Stadt«, sagte er. »Könnte der etwa ein Verwandter von Ihnen sein, mein Freund?« Ich lächelte scheinbar arglos und hob die Schultern, ließ sie wieder sinken. »Wahrscheinlich gibt es viele Shannons«, erwiderte ich. »Es ist nun mal ein irischer Name, den es auf der alten grünen Insel häufig gibt. Ich wüsste nicht, dass ich Verwandte hätte in diesem Land. Was war mit diesem Shannon?« »Ja, was war mit ihm?« Woodwade fragte es zur Seite gewandt, wo sein schrägäugiger Leibwächter stand. Und dieser Mann lächelte, wobei er zwei Zahnreihen zeigte, deren Zähne merkwürdig klein waren, so als wären es Kinderzähne.
»Er ist tot«, erwiderte er. »Den hat vor mehr als einem halben Jahr jemand erschossen, ich glaube, es geschah wegen eines Mädchens.« Barton Woodwade sah mich wieder an. Er sagte nichts mehr zu mir, schätzte mich ab. Ich hätte seinem funkelnden Blick standhalten können, aber ich tat es nicht. Ich wusste, er würde sonst meine Feindschaft spüren mit untrüglicher Sicherheit. Auch sollte er mich möglichst unterschätzen. Nachdem er mich eine Weile betrachtet hatte und ich schließlich meinen Blick vor ihm senkte, was wie ein Zeichen der Unterwerfung für ihn war, wandte er sich wieder an Elsa und fragte trocken: »Ist er Ihr Beschützer, Elsa? Oder ist er mehr? Ich meine, ist er auch Ihr Liebhaber?« Es war zuletzt eine brutale Frage. Und wenn sie auch mit höflicher Stimme gestellt wurde, so war sie dennoch beleidigend. Aber Elsa lächelte. »Wir sind ein Paar«, erwiderte sie. Woodwade nickte und starrte einen Moment auf die Reisetasche in meiner Rechten. Er konnte sich denken, dass sie mit Geld gefüllt war, mit Spielkapital. Jeder wirklich große Spieler brauchte eine Menge Spielkapital. Sonst konnte er schnell aus dem Spiel gestoßen werden, weil er mitbieten musste, um mit guten Karten im Spiel bleiben zu können. »Sie können diese Tasche bei mir im Tresor unterstellen, Elsa«, sagte er schließlich, »denn dies hier ist eine böse Stadt. Vielleicht ist dieser Shannon nicht in der Lage, Ihren Schatz zu bewachen.« »Doch«, Elsa nickte, »das ist er. Wie ist es nun mit einem Spieltisch und einer Unterkunft in dieser überfüllten Stadt?«
Barton Woodwade grinste. Er wandte sich an den schrägäugigen Revolvermann neben sich. »Also, Fargo«, sagte er, »wir nehmen Al Johnson den Spieltisch weg. Johnson kann nicht mehr gewinnen. Er ist fertig mit den Nerven, verbraucht. Und schon zweimal hat er es mit Falschspiel versucht und wurde dabei ertappt. Es gab zweimal unnötiges Blutvergießen in meiner Halle. Das ist dumm! Schmeißt ihn raus! Auch aus dem Hotel! Er soll die Stadt verlassen. Miss Elsa tritt an seine Stelle.« Er sah Elsa wieder an. »Ich bekomme fünfzig Prozent Ihres Gewinns«, sagte er. »Und ich bin sicher, dass Sie jede Nacht mit großem Gewinn abschließen. Gut so?« Elsa nickte. Fargo, der Revolvermann, sah uns an. »Gehen wir«, sagte er knapp. Wir folgten ihm zum Angelo Hotel. Es war das größte und gewiss auch nobelste in der wilden Stadt und lag schräg gegenüber auf der anderen Seite der Plaza. Der Portier sagte nichts, als wir eintraten. Fargo ging mit uns wortlos die Treppe hinauf. Oben verhielt er vor der dritten Tür links, drehte den Knopf und stieß die Tür auf. Sie war nicht abgeriegelt oder verschlossen. Vor dem Spiegel im Zimmer stand ein Mann, der die typische Kleidung eines Berufsspielers trug – also einen schwarzen Anzug mit einem weißen, gefältelten Hemd und einer Brokatweste, über der sich eine dicke goldene Uhrkette spannte. Der Mann war feist und schwammig. Hängebacken gaben seinem Gesicht etwas Kraftloses. Aber seine Augen waren wie die eines Wiesels.
»Ah, Les Fargo«, sprach er überrascht mit einer Baritonstimme, die wie die eines ausgebildeten Sängers klang. »Was gibt’s, mein Freund?« »Sie sind fertig hier, Johnson«, sagte Fargo. »Erledigt! Denn Sie taugen nichts mehr als Spieler. Wir mussten wegen Ihnen schon zwei Mitspieler erschießen, die Sie beim falschen Kartengeben erwischten. Das ist schlecht für die El-Dorado-Spielhalle. Von uns aus können Sie betrügen. Nur dürfen Sie sich nicht erwischen lassen. Raus hier! Und raus aus der Stadt! Verstanden?« Al Johnson, der glücklos gewordene Spieler, stand einige Sekunden lang still und regungslos da. Sein schwammiges Gesicht färbte sich dunkelrot und dann bläulich. Er schnappte nach Luft, und es war klar, dass er etwas mit dem Herzen haben musste. Er litt wahrscheinlich an Bluthochdruck, war also ein kranker Mann. Aber mit einem glücklosen Spieler – und sei er noch so krank –, gab es hier kein Mitleid. Er riss sich unter dem Kinn das Hemd auf, achtete nicht darauf, dass seine Brillantnadel aus der Seidenkrawatte fiel. Er bekam plötzlich in seiner Not einen Wutanfall. Offenbar fühlte er sich so sehr am Ende, dass er sich abreagieren musste, koste es, was es wolle. Und so brachte er plötzlich wie durch Zauberei einen kleinen Revolver unter der Jacke hervor. Das Ding musste in einem Sprungfederholster gesteckt haben, welches auf Armdruck funktionierte. Aber er war nicht schnell genug. Noch bevor er die Mündung auf Les Fargo richten konnte, schoss der wolfsäugige Revolvermann. Die Kugel
machte über der Magenpartie ein Loch in die Brokatweste. Der Spieler Al Johnson aber schoss vor sich in den Navajo-Teppich und fiel dann auf die Knie. Er hielt sich ächzend mit beiden Händen die Magenpartie, legte sich langsam auf die Seite und atmete aus. Al Johnson war tot. Elsa hatte einen Spieltisch. Und wir würden das Zimmer übernehmen. Verdammt, San Angelo war wirklich des Teufels Stadt. Ich wusste es nun genau. Devil’s Town war der richtige Name. *** Auf der Straße war Betrieb. Denn sie alle, die tagsüber auf ihren Claims oder in den Minen schufteten, waren in die Stadt gekommen, um nach etwas zu suchen, das ihr hartes Leben ein wenig angenehmer machte. Auch mein kleiner Bruder hatte zu ihnen gehört. Ja, auch Bac hatte danach gesucht, und ein Tingeltangelmädchen, welches Sue Martin hieß, schien die Verkörperung seiner Wünsche gewesen zu sein. Ich stand draußen vor der Spielhalle und lehnte an der Hauswand. Indes meine Finger eine Zigarette drehten und ich mir das Ding schließlich ansteckte, sah ich dem Leben und Treiben zu. Und gewiss witterte ich mit all meinen Instinkten wie ein Wolf, der in ein unbekanntes Revier kam. Ich wusste, dass ich Verbindung zu dieser Sue Martin aufnehmen musste, wollte ich noch mehr über den Tod meines Bruders erfahren. Doch wenn das zu schnell geschah, würden Woodwade und dessen Townwölfe dies
gewiss bald erfahren und wissen, dass nicht zufällig ein zweiter Shannon nach San Angelo gekommen war. Nein, ich durfte nicht nach Sue Martin fragen, mich ihr auch nicht nähern. Sie war das Mädchen, mit welchem mein Bruder von hier weg wollte und weswegen er schließlich getötet wurde. Es wäre auch falsch gewesen, unter einem anderen Namen hier aufzutreten. Denn es gab hier gewiss Männer, die mich kannten, die mich da und dort schon gesehen hatten. Ich hatte überall schon gespielt und dann und wann auch mit dem Revolver gekämpft. Nun, ich setzte mich also in Bewegung, um unser Gepäck von der Postagentur zu holen. Auch ich brauchte dringend frische Wäsche und ein sauberes Hemd. Und so ließ ich mich im Strom der Passanten treiben. Die Saloons und Spielhallen reihten sich aneinander. In die Quergassen wiesen Schilder den Weg zu den Häusern mit roten Laternen davor. Dicht bei der Postagentur fand ich einen Jungen, der mir tragen half, sodass ich nur eine der Reisetaschen selbst tragen musste. Mein Instinkt sagte mir, dass ich hier stets meine Revolverhand frei haben sollte. Immer wenn ich an Barton Woodwade dachte, verspürte ich ein warnendes Gefühl in mir. Mein Instinkt gab mir dann stets Warnsignale, und ich wusste, dass mich mein Instinkt noch niemals getäuscht hatte. Wenn Barton Woodwade etwas mit Elsa vorhatte, wenn er sie haben wollte, ja, wenn er auch nur mit ihr zu spielen beabsichtigte, nun, dann war ich im Wege. Und er würde auch herausfinden wollen, was ich als Elsas Beschützer taugte. Als ich mit dem Gepäck in unser Zimmer trat, saß Elsa in der Badewanne.
Und neben der Wanne auf dem Hocker lag nicht nur Seife, nein, dort befand sich auch griffbereit ihre kleine Waffe. Ich hatte geklopft und mich mit den Worten gemeldet: »Ich bin es, Elsa.« Nur deshalb hatte sie nicht nach der kurzläufigen Waffe gegriffen. Sie sagte: »Da wollte schon jemand rein. Ich hätte ihn fast erschossen.« Ich grinste, stieß hinter mir die Tür zu, stellte das Gepäck ab, welches ich schon unten dem Jungen abgenommen hatte, und schob den Riegel vor. »Jetzt kann keiner mehr herein«, sagte ich. Sie lächelte. »Du könntest mir den Rücken einseifen«, sagte sie. »Und es könnte dir wohl nicht schaden, wenn du nach mir baden würdest – oder?« »Nein, das könnte wirklich nicht schaden«, sagte ich und grinste. *** Als wir zum Essen ins Restaurant gingen, trug ich die Tasche mit dem vielen Geld. Es waren wirklich mehr als zwanzigtausend Dollar. Ich selbst besaß knapp dreitausend Dollar, aber die hatte ich in meinen Taschen verteilt, und zwanzig Zwanzig-Dollar-Stücke, also Doppeladler, trug ich in meinem Geldgürtel auf dem bloßen Leibe als eiserne Reserve. Als wir zu Abend aßen, stand die gefüllte Geldtasche unter dem Tisch zwischen meinen Füßen. Ich wusste, ich würde nun ständig über Elsas Geld wachen müssen wie ein Wolf über die Beute. Das Essen war sündhaft teuer. Aber hier in San Angelo war gewiss alles teuer. Und das lag nicht nur an den hohen Transportkosten durch
die wasserlose Wüste – nein, ich kannte solche Städte. Barton Woodwade war hier der Boss. Er kassierte gewiss von jedem Dollar, der hier im Umlauf war, seinen Anteil. Wir gingen nach dem Abendessen zur Spielhalle. Und wieder trug ich die Geldtasche in der Rechten und hielt die Linke bereit für meinen Colt. Wir betraten unbehelligt die Spielhalle. Einer der Hauspolizisten schien schon auf uns gewartet zu haben. Denn er führte uns zu jenem Spieltisch, den Elsa nun jede Nacht gegen fünfzig Prozent Gewinnbeteiligung als Arbeitsplatz haben würde. Es war ein runder Tisch in der Ecke. Wir setzten uns. Ich schob die Tasche wieder zwischen meine Füße unter den Tisch. Elsa öffnete eines der Kartenpäckchen und begann die Karten zu mischen. Ihre Hände waren geschmeidig, und ihre schlanken Finger wirkten sensibel. Ich verstand ja ebenfalls eine ganze Menge vom Kartenspiel, und ich sah, dass ihre Finger die »Sauberkeit« der Karten prüften. Barton Woodwade tauchte auf in Begleitung einiger Männer. Er grinste wie ein gelbhaariger Wolf und sagte: »Oha, Miss Elsa, hier sind einige Gentlemen, welche darauf brennen, sich mit der schönsten Frau des Landes beim Poker zu messen. Es sind Gentlemen, welche kein Limit kennen und für die das alles ein ästhetischer Genuss sein wird. Denn eine schöne Frau ist hier in unserer Stadt wie ein Stern in dunkler Nacht. Darf ich die Gentlemen vorstellen? Dies…« Er stellte die Männer nacheinander vor.
Es waren Minenbesitzer, drei an der Zahl, und ein Frachtzugboss. Wir saßen also zu sechst am Spieltisch. Und ich wusste, dass ich wahrscheinlich bald schon würde aufhören müssen, weil mein Spielkapital nicht groß genug war. Denn diese Kerle kannten kein Limit. Die konnten einen mittelmäßigen Spieler wie mich, der nur dreitausend Dollar Spielkapital besaß, in einer einzigen Runde aus dem Spiel bluffen. Aber ich war nicht verrückt genug, mein Geld an diese Kerle zu verlieren – nicht mal an Elsa. Ich spielte einige Runden, die ja noch dazu dienten, dass wir alle uns gegenseitig zu studieren versuchten – und als dann ein siebenter Mann zu unserem Tisch trat und höflich fragte, ob er nicht mitspielen dürfe, da erhob ich mich und überließ ihm meinen Platz. Ich tauschte mit Elsa einen Blick. Sie war jetzt inmitten der männlichen Spieler sicher. Auch ihre Tasche voll Geld würde jetzt niemand stehlen. Ich wollte mich umsehen. Und vielleicht konnte ich auch unauffällig diese Sue Martin finden, mit der mein Bruder aus dieser Stadt hatte flüchten wollen. *** In der El-Dorado-Tanzhalle lärmte die Musik, und zwei Dutzend Tanzmädchen wurden von Goldgräbern und Minenarbeitern herumgewirbelt. Manche dieser bärtigen Kerle stampften herum wie die Bären. Und die meisten stanken nach Schweiß, Schnaps, Tabak und unsauberen Kleidern.
Aber jeder Gast, der sich hier für zwei Dollar eine Tanzkarte kaufte, hatte das Recht auf zwei Tänze mit einem Mädchen. Keine durfte ihn abweisen. In der kurzen Pause zwischen den beiden Tänzen musste er seine Tänzerin an die Bar führen und etwas bestellen. Sie trank meist nur irgendein süßes und gefärbtes Wasser, er aber bekam einen Whisky. So war das also. Ich versuchte jene Sue Martin herauszufinden. Aber ich hatte ja keine Beschreibung von ihr. Welche von den zwei Dutzend Mädchen mochte es sein? Was mochte sie Besonderes haben, dass mein Bruder sich in sie verliebte und von hier wegbringen wollte? War sie blond, braunhaarig oder dunkel? Ich wusste, ich konnte es nur herausfinden, wenn ich nach ihr fragte. Und das wäre dumm gewesen. Denn wenn ein Shannon nach einem Mädchen fragte, wegen dem ein anderer Shannon getötet wurde, dann… Ich kam mit meinen Gedanken nicht weiter, denn jemand stieß mich heftig in den Rücken, sodass ich nach vorn stolperte. Der Stoß kam zu unerwartet. Und so stolperte ich bis zum Rand der Tanzfläche und prallte gegen ein Tanzpaar, welches sich heftig im Kreis drehte und durch mich aus dem Gleichgewicht geriet. Der Mann, ein riesiger Bursche, ließ sofort seine Partnerin los und wandte sich gegen mich. »Oh, du Pfeife, suchst du Streit mit mir?« So brüllte er und versuchte mir einen seiner noch lehmigen Goldgräberstiefel von unten herauf zwischen die Beine zu treten. Doch meine Reflexe waren so schnell wie die eines Wildkaters. Ich drehte meinen Unterleib zur Seite. Der Tritt ging ins Leere. Der brüllende Kerl taumelte an mir vorbei. Ich riss ihm mit meinem Fuß die Beine weg, und
als er zu fallen begann, da schlug ich ihm die verschränkten Hände ins Genick. Er krachte zu Boden. Und da lag er nun mit seinen mehr als zweihundert Pfund. Ich sah mich nach dem Kerl um, der mich gestoßen hatte. Es kamen mehrere Burschen dafür in Betracht, denn sie alle standen dicht gedrängt an der Tanzfläche oder zwischen den Tischen und warteten auf das Ende des Tanzes, um sich ein freigewordenes Mädchen schnappen zu können. Sie alle grinsten anerkennend, doch dann war auch schon der Tanz beendet. Und nun stürmten sie los. Es gab ein Gedränge. Sie traten auch über den am Boden liegenden Kerl hinweg. Nein, ich vermochte nicht herauszufinden, wer von ihnen mich gestoßen hatte, sodass ich mit dem riesigen Burschen zwangsläufig Streit bekommen musste. War es Zufall gewesen? Oder sollte ich Verdruss bekommen? Wenn Letzteres in Betracht kam, dann verschwendete Barton Woodwade keine Zeit. Dann wollte er unbedingt wissen, was ich taugte. Doch ich würde bald schon klarer sehen. Nachdem der erste Versuch fehlgeschlagen war, würde es einen zweiten Versuch geben. Woodwades Leute würden mich klein zu machen versuchen. Dann war Elsa ohne Schutz und würde sich Woodwades Schutz sichern müssen. So einfach war das in dieser Stadt. Es wäre besser gewesen für mich, ich wäre nicht als Elsas Begleiter hergekommen. Doch nun war es geschehen.
Ich machte, dass ich fortkam, damit ich diesen Kerl nicht noch mal umhauen musste. Als ich in den nebenan befindlichen Saloon trat, in den man von der Tanzhalle aus durch einen Durchgang gelangen konnte, da sah ich die durstigen Kehlen drei Reihen tief an der langen Bar stehen. Es gab auch hier einige Mädchen, und eines sah ich mit einem Begleiter nach oben gehen. Aha, so ist das hier, dachte ich. Und ich fragte mich, ob jene Sue Martin vielleicht zu diesen anderen Mädchen gehörte, nicht zu den Tanzgirls. Ich drängte mich zwischen die durstigen Kehlen an die Bar und bekam ein Bier und einen Whisky hingeschoben, denn dies war offenbar das Standardgetränk, welches jeder nehmen musste, weil es nichts anderes gab. Hinter der Bar standen zwei Goldwaagen, und die sechs Barkeeper wogen ständig die Goldprisen, mit denen hier zumeist statt mit Dollars gezahlt wurde. Die Barkeeper hatten allesamt sehr lange Fingernägel. Darunter blieb gewiss nicht nur Dreck haften, sondern auch Goldstaub. Hinter der Bar waren Spiegel, in denen man sich betrachten und auch den Raum hinter sich überblicken konnte. Plötzlich rief eine Stimme scharf durch das Stimmengewirr: »Hoi, du verdammter Pferdedieb, dreh dich um!« Es war schlagartig still in meiner Umgebung. Denn Pferdedieb, das war ein Wort, welches, wenn es so scharf und drohend gerufen wurde, das erste Zeichen von drohender Gewalttat war. Ich fühlte mich nicht gemeint, sah aber in den Spiegel.
Und der Kerl, welcher sechs Schritte hinter mir zwischen zwei Tischen stand, sah auf mich. Im Spiegel begegneten sich unsere Blicke. Ja, ich war gemeint. Jetzt wusste ich Bescheid. Die Sache mit dem Stoß in den Rücken gegen einen riesenhaften Tänzer, der mich nach Strich und Faden verprügeln sollte, hatte nicht geklappt. Es war die erste Probe gewesen sozusagen. Nun kam die zweite. Und die musste ich mit dem Colt bestehen. Denn da war ein Kerl mit zwei Revolvern an den Hüften. Und dieser Kerl beschuldigte mich des Pferdediebstahls. Barton Woodwade wollte genau wissen, wie gut ich als Elsas Beschützer war. Ich wandte mich nicht um, sah jedoch weiter in den Spiegel. Und in die entstandene Stille sagte ich: »Meinst du mich, mein Freund?« »Wen sonst«, knirschte der Bursche, »verdammt, wen sonst? Dich kann man doch wohl nicht verwechseln – oder? Vor einem halben Jahr hast du mir in Nogales das Pferd gestohlen. Du warst auf der Flucht und brauchtest einen frischen Gaul. Ich sah dich durch das Fenster des Store, in dem ich Einkäufe machte. Dreh dich um und kämpfe! Oder ich schieß dir mein Blei in den Rücken!« Er bluffte nicht. Mein Glück war, dass er den Auftrag zu einem fairen Duell hatte. Er sollte zeigen, wie schnell er mit dem Colt war. Wahrscheinlich war er schnell, hatte auch schon einen berüchtigten Namen. Ich wusste, dass es kein Ausweichen gab. Mit Worten war nichts mehr zu machen. Und so wandte ich mich langsam um.
Als ich ihn ansah, schnappte er nach seinem rechten Colt. Ich wurde mir gar nicht bewusst, dass ich zog, denn es war ein wilder Reflex des Überlebenwollens. So etwa, wie man den Kopf wegzieht, wenn von oben ein Stein niederfällt und man dies erst im letzten Moment gewahr wird, so zog ich die Waffe und schoss. Ja, ich schlug ihn. Er hatte keine Chance. Er war kein besonders schneller Revolvermann, nur ein Revolverschwinger, welcher bisher Glück gehabt hatte. Bitterkeit stieg in mir hoch. Barton Woodwade hatte die Idee gehabt, mich zu testen und meine Klasse als Elsas Beschützer feststellen zu lassen. Nun wusste er Bescheid. Doch einer seiner Handlanger war tot. Das machte Barton Woodwade gewiss nichts aus. Für ihn waren solche ehrgeizigen Burschen nur Figuren in diesem Spiel. Ich hielt den rauchenden Colt noch in der Hand, blickte mich um im Lampenschein des Saloons. Ein Mann im eleganten Anzug – wahrscheinlich der Manager des Saloons – trat auf mich zu. »Es war ein fairer Kampf«, sagte er. »Und die Gründe interessieren hier niemanden. Ich denke, er wird genügend Geld in den Taschen haben, dass wegen seiner Beerdigung niemandem Unkosten entstehen. Tragt ihn raus!« Seine letzten Worte galten zwei der Rauswerfer oder Hauspolizisten. Sie trugen ihn hinaus. Der Manager nickte mir zu. »Das war Pecos«, sagte er. »Der hat hier schon zwei Männer getötet. Und deshalb überschätzte er sich wohl ein wenig. Sie hatten keine andere Wahl.«
Ich ging hinaus. Draußen ließ ich mich im Strom der vielen Passanten treiben. Ich sah mir San Angelo bei Nacht an. Vielleicht kam es sehr darauf an – und das schon bald –, dass ich ortskundig war. Ich würde mir die Stadt auch noch bei Tage ansehen müssen, sodass ich jeden Winkel kannte. Es war schon Mitternacht, als ich in die El Dorado Player Hall zurückging. An Elsas Tisch wurde immer noch gespielt, ja, das Spiel war offenbar erst richtig auf Touren gekommen. Ich tauschte einen Blick mit Elsa und wusste, dass alles in Ordnung war. Eine Weile blieb ich an die Wand gelehnt stehen und sah zu. Ja, es war ein großes Spiel in Gang gekommen. Die Zeit des Abtastens und Sondierens war vorbei. Elsa beachtete mich nicht mehr. Sie war ganz und gar auf das Spiel und ihre männlichen Mitspieler konzentriert. Man spielte nicht mit Chips, sondern setzte Bargeld ein. Die Geldscheinhaufen waren ziemlich gleich. Das Spiel war also noch ausgeglichen. Ich fragte mich, was Barton Woodwade sagen würde, wenn Elsa in dieser ersten Nacht keinen Gewinn machte und ihm deshalb keine Einnahmen brachte, weil er ja die Hälfte ihres Gewinns für den Spieltisch bekommen sollte. Würde er ihr den Tisch wieder wegnehmen, so wie er ihn auch dem fetten Spieler Al Johnson hatte wegnehmen lassen von Les Fargo, dem wolfsäugigen Revolvermann?
Er hatte ihr diese hartgesottenen Spieler an den Tisch gebracht. Hoffte er, dass diese Pokerspieler der Sonderklasse Elsa erledigten? Wenn er Elsa haben wollte, weil er ein Mann war, der stets der Meinung war, dass das Beste gerade gut genug für ihn sei, dann musste er sie von sich abhängig machen. Und er musste mich von ihrer Seite drängen. Ich verließ die Nähe des Pokertisches und begann durch die Spielhalle zu schlendern. Da und dort riskierte ich ein paar Dollars beim Roulette, am Black-Jack- und Faro-Tisch. Am Monte-Tisch gewann ich fünfzig Dollar. Und weil ich dreimal die angekündigte Sieben am Würfeltisch bekam, brachte das hundertfünfzig Dollar ein. Wieder ging ich hinüber in die Tanzhalle und fragte mich, welches der Mädchen wohl jene Sue Martin sein konnte, mit der mein Bruder flüchten wollte. In mir war immer noch die Bitterkeit. Ich hatte einen Revolverschwinger getötet, und ich wusste, ich würde diesen Kampf noch oft erleben und immer wieder in meinen Träumen das Gesicht des Getöteten erblicken. Ich hasste Barton Woodwade jetzt nicht nur, weil er meinen Bruder töten ließ. Nein, jetzt kam noch der Zorn wegen der beiden mir aufgezwungenen Kämpfe hinzu. Wieder stellte ich mich an den Rand der Tanzfläche zwischen andere Zuschauer, welche darauf warteten, dass der Tanz vorbei war und die Mädchen für andere Tänzer frei wurden. Ja, ich lauerte darauf, dass mich wieder jemand stoßen würde. Aber es geschah nichts. Als ich mich abwandte, sah ich den wolfsäugigen Revolvermann Les Fargo. Er hatte hinter mir gestanden.
Seine Augen glitzerten. Er strömte Gefährlichkeit aus, aber er zeigte lächelnd seine kleinen Zähne, die wie die Zähne eines Kindes waren und so gar nicht zu seinem hartlippigen Mund und seinen Wolfsaugen passten. Vielleicht war dieser Mann auch sonst voller Gegensätze. Er sagte: »Mr. Woodwade möchte Sie sprechen. Kommen Sie.« Ich folgte ihm. Denn Ähnliches hatte ich erwartet, wenn auch nicht so schnell. Doch Barton Woodwade ließ nichts anbrennen. Er machte stets große Schritte und kannte keinen Aufschub, kein Zögern. Er hatte mich testen lassen. Nun war er offenbar zu einem Entschluss gekommen. Sein Büro sah aus wie das Arbeitszimmer eines Gelehrten, mit vielen Büchern, einem Globus, Landkarten, spanischen Möbeln und Bildern von edlen Pferden. Dieses Zimmer hätte auch dem Präsidenten unserer Nation genügt. Er saß auf der Schreibtischecke, hielt ein halb gefülltes Glas in der Hand und schlenkerte mit einem Bein. Les Fargo schloss hinter uns die Tür, nachdem er mir den Vortritt ließ. Er ging hinüber in die Ecke und setzte sich dort auf eine Sessellehne. Seinen Colt trug er links wie ich, und er saß mit dem rechten Schenkel auf der Lehne. Oha, er war bereit für alles. Trotz seiner scheinbar so lässigen und abwartenden Haltung war er wachsam wie ein lauernder Wolf. Ich lehnte mich neben der Tür an die Wand und verschränkte meine Unterarme vor der Brust. Ja, ich wartete.
Woodwade betrachtete mich schweigend. Ich wusste, dass er mich noch einmal abschätzte. Sein feiner Instinkt tastete erneut an mir herum. Ich vermied feindliche Gedanken. Auch sah ich ihm nicht in die Augen, jedenfalls nur für kurze Momente. Nach einer Weile nickte er mir zu. »Machen wir es kurz«, sagte er dann und leerte das Glas. Ich nickte wortlos. »Dies ist meine Stadt«, setzte er seine Rede fort. »Mir gehört hier alles. Zumindest habe ich alles unter Kontrolle. Mein Wille ist hier in San Angelo Gesetz.« »Und Sie haben mich durch einen Schläger und durch einen Revolverschwinger ausprobieren lassen«, sagte ich kühl. Er nickte. Dann sprach er ausdruckslos: »Shannon, diese Elsa Bannack ist die erste Frau von großem Format, welche jemals nach San Angelo kam. So eine Frau wird auch niemals wieder herkommen. Denn es gibt zu wenige davon. Deshalb will ich sie. Denn ich bin der Boss. Du wirst dich also von ihr trennen müssen. Wie schon gesagt: Mein Wille ist hier das Gesetz. Hast du das verstanden?« Er sprach wie ein Boss zu mir, ganz und gar, als wäre ich schon einer seiner Handlanger. Und ich war ohnehin angefüllt mit Bitterkeit. Ich war im ersten Moment drauf und dran, die ganze Sache jetzt und hier zu einem Ende zu bringen. Doch da waren auch schon die Warnsignale meines Instinkts in mir. Ich sah zu Les Fargo hinüber. Ja, der lauerte. Und er war dreimal gefährlicher als der wilde Bursche mit den beiden Colts, den ich vorhin erschießen musste.
Es war nicht sicher, dass ich Les Fargo im Zweikampf töten und dabei selbst am Leben bleiben konnte – nein, es war nicht sicher. Woodwade aber hatte auf dem Schreibtisch einen Colt in Reichweite liegen. Nein, ich konnte nichts riskieren. Und so seufzte ich knirschend. »Also stecke ich hier wohl in einer Falle?« So fragte ich schließlich. Und ich fügte, als sie beide grinsten, heiser hinzu: »Doch so einfach werden Sie es nicht mit mir haben.« »Das weiß ich.« Er grinste. »Und deshalb biete ich Ihnen einen Job an.« Er sprach nun wieder höflich. Seine Stimme hatte nicht mehr den Befehlston eines Bosses. »Wissen Sie«, sagte er, »wenn ich diese Stadt weiter unter Kontrolle behalten will, dann brauche ich erstklassige Männer, die dafür sorgen, dass die Hammelherde ohne Leithammel bleibt. So einfach ist das. Sie werden hier ein gutes Leben haben. Alles hier ist frei für Sie – auch die Mädchen – alles.« »Und wie sieht’s mit dem Baren aus?« So fragte ich. Er grinste. »Sie sind nur ein mittelmäßiger Spieler, aber ein erstklassiger Revolvermann. Les Fargo wird mir in einer Woche sagen, was Sie wert sind. Das hängt von Ihnen ab. Da Sie hier als einer meiner Leute alles frei haben, egal wohin Sie auch gehen und was Sie auch haben wollen – mag es ein Whisky, eine Zigarre, ein Mädchen, ein Sattel oder ein Pferd sein –, brauchen Sie keinen Vorschuss. Doch Sie holen sofort Ihre Siebensachen aus dem Hotelzimmer und meiden Elsa Bannacks Nähe. Sie können in jedes andere Hotel ziehen und dort jeden Gast aus jedem Zimmer werfen, um
Platz für sich selbst zu machen. Aber mit Elsa liegen Sie ab sofort nicht mehr im Bett. Verstanden?« Ich biss die Zähne zusammen und nickte. Dabei durchfuhr es mich heiß. Verdammt, was war er für ein Wilder. Der nahm einem Mann die Frau weg und machte ihn dennoch zu seinem Handlanger, setzte ihn auf seine Lohnliste. Er musste doch damit rechnen, dass ich ihn hasste. Denn was er mir antat, war eine Demütigung. Fühlte er sich so sicher wie ein Dompteur in einem Zirkus, der daran gewöhnt war, wilde Raubtiere zu dressieren und zu beherrschen? Oder verließ er sich ganz und gar auf Les Fargo? Ich wusste, ich würde ihn erst noch eingehend studieren müssen, bevor ich ihn ergründen und beurteilen konnte. Ich musste überhaupt sehr viel mehr über ihn, seine ganze Bande und San Angelo wissen. Auch das Mädchen Sue Martin musste ich finden. Mein Bruder hatte sie von hier fortbringen wollen. Das war ihm nicht geglückt. Er musste dafür sterben. Nun würde ich es versuchen. Das war ich ihm schuldig. Es gab eine ganze Menge für mich zu tun hier. Und so nickte ich. »Na gut«, sagte ich, »ich bin Ihr Mann. Und dieser Gent gibt mir die Befehle?« Ich deutete auf Les Fargo. »Er besitzt mein volles Vertrauen und ist mein Stellvertreter«, erwiderte Woodwade. Er erhob sich von der Schreibtischecke, dehnte ein wenig seinen geschmeidigen Körper. Ich schätzte ihn ab. Er war so groß wie ich, wog jedoch gewiss wenigstens fünf Kilo mehr, war also schwergewichtig ohne ein Gramm zu viel Fleisch am Körper. Fargo erhob sich von der Sessellehne.
»Dann gehen wir jetzt«, sagte er. Ich folgte ihm hinaus. Wir gingen geradewegs ins Hotel. Und indes ich dort meine wenigen Siebensachen packte, wanderte Les Fargo im Zimmer umher und witterte fast schnüffelnd. Offenbar genoss er den Duft einer schönen Frau. Plötzlich fragte er: »Wie ist sie im Bett? Gierig? Ist sie eine Frau, der es gleich ist, mit welchem Mann sie sich vergnügt? Gehört sie zu jener Sorte, die sich einen Liebhaber hält wie einen Pudel?« Ich sah ihn an und erkannte in seinen gelben Wolfsaugen das gierige Funkeln. Verdammt, dachte ich, der neidet seinem Boss wahrscheinlich so ein Weib. Ich grinste ihn an. Dann sagte ich: »Nein, sie lässt sich nicht mit jedem Mann ein. Mit der wird es Woodwade nicht leicht haben. Wenn sie ihn nicht mag – was weiß ich, warum –, dann kann er bei ihr nicht landen.« »Oha, die wird ihn schon mögen«, grinste er zurück. »Der macht sie so klein wie eine Schnecke, wenn’s sein muss. Aber sie wird zu klug sein, um sich erst von ihm zerbrechen zu lassen. Ja, dazu wird sie zu schlau sein. Ich wette, sie wird ihm vormachen, dass sie nur darauf gewartet hat, einem Mann wie ihm zu begegnen, damit er sie achtet und respektiert wie eine Lady. Na gut, gehen wir! Suchen wir ein Quartier für Sie, Shannon. Haben Sie besondere Wünsche?« In seiner Stimme war eine Mischung von Spott, Verachtung, Herablassung und Schadenfreude. Er war also ein Mann, der andere unter sich brauchte, um das Gefühl zu spüren, ein Großer zu sein. Aber Barton Woodwade war sein Boss. Und Woodwade würde Elsa bekommen.
In dieser Stadt hatte Elsa keine Chance mehr. Warum war sie hergekommen? Das fragte ich mich immer wieder. Hatte sie wirklich nicht gewusst, dass diese Stadt eine Falle für sie werden konnte? Und hatte sie geglaubt, dass ich groß genug sei, sie beschützen zu können? Wenn das so war, dann war sie verdammt leichtsinnig gewesen. Ich nahm meine Reisetasche. Und dann gingen wir. »Also, haben Sie besondere Wünsche?« So fragte Les Fargo zum zweiten Mal. Draußen vor dem Hotel gesellte sich ein junge Bursche zu uns. »Das ist Kid Hardin«, sagte Les Fargo leichthin. Ich hatte den Namen schon in Nogales und El Paso gehört. Kid Hardin hatte in Laredo seinen ersten Revolverkampf gemacht und dabei einen der ganz großen Revolverhelden erschossen. Nun erzählte man sich, dass er schon eine Menge Kerben am Revolverkolben hätte. Er war ein blonder, hübscher Junge. Aber er strömte die Gefährlichkeit einer Viper aus. Les Fargo fragte: »Na, Kid, warst du bei der süßen Jenny, bevor sie Kunden empfing und mit dem Geldverdienen begann? Hast du sie vernascht?« Aber Kid Hardin gab keine Antwort. Er grinste nur stolz, so als hätte er eine ganz besondere Tat vollbracht. Wir gelangten vor das Golden Hope Hotel. »Hier ist es ebenso gut wie überall sonst«, sagte Les Fargo. »Und Shannon hat offenbar keine besonderen Wünsche.« ***
Es war schon zwei Stunden nach Mitternacht, als ich allein war in meinem neuen Quartier. Das Bett war frisch bezogen. Im Wasserkrug befand sich frisches Wasser. Ich hatte die Lampe gelöscht und saß am offenen Fenster auf der Fensterbank, ließ die jetzt einigermaßen frische Nachtluft ins Zimmer. Denn ich wusste, ich würde nicht schlafen können. Ich musste nachdenken. Drüben in der Spielhalle saß Elsa Bannack, die ich im Stich lassen musste. Irgendwie glaubte ich, dass sie wahrscheinlich damit gerechnet hatte, nachdem uns die hiesigen Verhältnisse klar geworden waren. Denn ich konnte mich unmöglich mit Barton Woodwade auf einen Krieg einlassen, bevor ich in San Angelo nicht besser Bescheid wusste. Ich blickte hinunter auf die Straße, hörte das Lärmen und Summen der Stadt. Und wenn ich mich weit genug aus dem Fenster beugte, konnte ich die El Dorado Hall auf der anderen Seite der Plaza sehen. Dort saß Elsa und spielte mit hartgesottenen Pokerspielern. Wie würde sie diese erste Nacht hier in des Devil’s Town überstehen? Ich wollte mich ins Zimmer zurückziehen, da hörte ich das Schluchzen und Weinen. Ich beugte mich aus dem Fenster und lauschte nach rechts. Und da wurde mir klar, dass im Nebenzimmer ein Mädchen oder eine Frau weinte. Verdammt, gab es denn hier in dieser Stadt überhaupt keine freundlichen und guten Dinge? ***
Ich erwachte am nächsten Vormittag, erhob mich und steckte meinen Kopf in die gefüllte Waschschüssel. Dann betrachtete ich mich im Spiegel. Sollte ich mich rasieren? Ich beschloss, mir einen Bart wachsen zu lassen. Vielleicht würden alte Bekannte mich dann hier in dieser Stadt nicht erkennen. Denn ich würde bald Feinde genug hier haben. Da sollten nicht noch welche aus meiner Vergangenheit hinzukommen. Als ich zum späten Frühstück hinunterging, sah ich das Mädchen in der Ecke allein am Tisch sitzen. Sie rührte in der Kaffeetasse und starrte zum Fenster hinaus, so als wäre dort draußen eine Welt, in welche sie sich nicht hineinwagte. Ich setzte mich an den Nebentisch, und ich wusste, dass sie es war, welche ich hatte weinen hören. Ihre Augen waren noch gerötet. Sie sah mich vorsichtig an, so als könnte sie niemandem mehr auf dieser Welt vertrauen. Die Bedienung brachte mir das Frühstück. Und obwohl ich doch eine Menge eigener Probleme hatte, sagte ich kauend und zwischendurch vom Rand der heißen Tasse den Kaffee schlürfend: »Ich habe Sie weinen gehört, Nachbarin. Es ließ sich nicht vermeiden.« Ich lächelte aufmunternd. »Schwester, in dieser Stadt kommt man mit Weinen nicht weiter. Hier wird jedes Huhn erbarmungslos gerupft. Also muss man kein Huhn sein, sondern eine schlaue Katze. Und man muss seinen Preis zahlen, um zu gewinnen. Es gibt nirgendwo etwas umsonst, verstanden?« Sie sah mich erschrocken und staunend zugleich an. Dann musste sie hart und würgend schlucken.
»O Mann«, sprach sie dann gewollt forsch und ganz so, als hätte sie sich nun wieder voll unter Kontrolle, »was wissen Sie von meinen Problemen? Sie haben gut reden.« Wir waren allein im Speiseraum des Hotels. Und so sagte ich, obwohl es sicherlich dumm war von mir: »Dann erzählen Sie mir doch mal was von Ihren Problemen. Auch ich habe eine Menge. Vielleicht können wir uns gegenseitig trösten.« Ich sagte die letzten Worte sarkastisch. Sie aber betrachtete mich nun sehr kritisch. Irgendwie gefiel sie mir. Oha, sie war längst nicht so schön und reizvoll wie Elsa Bannack, die Gambler Queen. Nein, sie war eigentlich nur ein hübsches Mädchen, braunhaarig und mit honigfarbenen Augen. Ganz gewiss waren ihr noch viele Dinge auf dieser miesen Welt fremd. Sie würde noch bitteres Lehrgeld zahlen müssen, besonders in dieser Stadt. Mir gefiel an ihr, dass sie versuchte, tapfer zu sein. Ja, das spürte ich. Sie war verdammt allein und wollte sich nicht unterkriegen lassen. Sie überlegte eine Weile. Dann fragte sie: »Kannten Sie Jerry Mahoun?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin noch nicht lange hier. Sollte ich ihn kennen?« »Vielleicht«, erwiderte sie. »Fast alle Goldsucher und Minenleute im Canyon kennen Jerry Mahouns Geschichte. Er besaß einen guten Claim, der mehr als fünfzig Dollar je Arbeitstag abwarf. Er hatte es geschafft und wäre eines Tages wohlhabend gewesen, nein, reich sogar! Er schrieb mir alles nach Socorro. Dort hatte ich einen kleinen Schneiderladen. Er schrieb mir, dass ich es nicht mehr nötig hätte, jetzt noch anderen Leuten die Hemden, Hosen oder Kleider zu flicken. Ich
sollte den Laden verschenken und zu ihm kommen. Denn er wäre auf dem besten Wege zum Reichtum. Wir würden gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft heiraten. Denn jetzt endlich könnte er mir was bieten und wäre kein Cowboy mehr.« Sie machte eine kleine Pause und forschte in meinem Gesicht. »Aber vielleicht interessiert Sie das alles gar nicht«, murmelte sie zweifelnd. »Doch«, erwiderte ich. »Erzählen Sie nur weiter!« Sie zögerte. Aber dann hob sie energisch ihr Kinn. »Als ich hier ankam«, sprach sie, »war Jerry Mahoun schon tot. Er hatte in der El-Dorado-Spielhalle seinen Claim verspielt und dann den Gewinner des Falschspiels bezichtigt. Der Spieler hat ihn erschossen. Ich konnte Jerry Mahoun nur noch an seinem Grab besuchen. Der Leichenbestatter, bei dem ich mir Jerry Mahouns wenige Sachen holte, verlangte fünfzig Dollar für den Sarg und den Totengräber. Ich hatte noch siebenunddreißig Dollar und gab sie ihm. Dieses Hotelzimmer hier mit Frühstück kostet jeden Tag drei Dollar. Ich habe jetzt schon einige Schulden und keinen Cent Reisegeld. Bis heute Mittag muss ich hier raus. Oh, ich habe Arbeit gesucht – überall! Doch für ein Mädchen wie mich gibt es in dieser Stadt keine ehrenwerte Arbeit, und selbst der alte Storehalter vom Tiptop Store griff mir schon am zweiten Tage unter die Röcke, als ich auf der Leiter stand, um eine Knopfschachtel ins Regal zu tun. In dieser Stadt gibt es keine redlichen Leute. Hier ist alles Dreck. Mr. Woodwade ließ mir ein Angebot machen. Ich kann als Animier- und Tanzmädchen in einem seiner Betriebe arbeiten. Und ich werde es ab heute Mittag tun müssen, wenn sie mich hier aus dem Hotel werfen und…«
Nun versagte ihr wieder die Stimme. Es würgte in ihrem Hals, und das konnte ich gut verstehen. Sie war verloren. Barton Woodwade brauchte Mädchen für seine Tingeltangels. Jedes Mädchen brachte ihm Dollars ein, und es gab gar nicht genug davon, besonders nicht solche hübschen und jungen wie dieses da. Sie saß in der Falle. Ich konnte alles, was ich hatte, darauf wetten, dass Woodwade den ergiebigen Claim ihres Verlobten besaß und von einem seiner Leute ausbeuten ließ und sie selbst auch noch ausbeuten wollte ohne Erbarmen. Sie kam hier nicht mehr weg. Und selbst wenn sie einen guten Burschen fand, so wie jene Sue Martin meinen Bruder, würde sie nicht mehr wegkommen. Dies hier war Devil’s Town. Hier saßen sie alle in der Falle, solange sich mit ihnen Profit machen ließ. Nun begann ich Woodwade zu hassen. Dieses arme Ding hier würde untergehen. Vielleicht war auch jene Sue Martin, in die sich mein Bruder verliebte, solch ein Mädchen gewesen. »Wie heißen Sie?« So fragte ich. »Linda, Linda Short«, erwiderte sie. Ich erhob mich, trat an ihren Tisch und legte ihr hundert Dollar hin. »Fahren Sie heim nach Socorro«, sagte ich. »Nehmen Sie die nächste Kutsche, sobald Sie hier hinausgeflogen sind. Und erzählen Sie niemandem, dass Sie Geld haben oder gar, von wem Sie es bekamen. Hauen Sie einfach ab von hier. Springen Sie erst im letzten Moment in die Kutsche. Und wenn Sie mich auf der Straße sehen sollten, dann tun Sie so, als kennten Sie mich nicht.« Ich ging hinaus.
Meinen Spielgewinn von gestern hatte ich also bestens angelegt. Ich konnte nur hoffen, dass diese Linda Short aus der Falle entkam – wenn nicht, dann vermochte ich ihr nicht zu helfen. Ich ging hinaus auf die Straße, ließ sie sprachlos zurück. Wahrscheinlich konnte Linda Short es nicht so schnell begreifen, dass ihr hier in dieser Stadt jemand selbstlos half. *** Ich schlenderte bis Mittag in der Stadt umher, sah mir jeden Winkel bei Tage an, aß irgendwo an einem Bratstand ein paar Bissen und meldete mich dann bei Les Fargo im El Dorado Palace. Auch Kid Hardin war schon da. Wir gingen hinaus auf die Straße, und ich war gespannt, was nun geschah. Draußen wandte sich Les Fargo an mich. »Vielleicht interessiert es dich noch«, sagte er, »was in der vergangenen Nacht mit der schönen Elsa geschah, mit der du leider nicht mehr ins Bett gehen kannst, weil der große Boss sie dir weggenommen hat, oha! Interessiert es dich also oder nicht?« »Doch – ein wenig schon«, sagte ich. »Sie spielt immer noch«, sagte Fargo. »Sie verlor ziemlich viel und will die Verluste wieder reinholen. Die Pokerrunde sitzt immer noch zusammen. Die schöne Elsa ist ziemlich verunsichert, weil du dich nicht mehr blicken ließest. Vielleicht hatte sie auch Angst, mit dem Rest ihres Spielkapitals über die Straße ins Hotel zu gehen. Es hätte ihr doch von wilden Burschen geraubt werden können, nicht wahr? Also blieb sie am Pokertisch
und versuchte sich zu behaupten. Vielleicht gewinnt sie mal wieder. Aber sie spielt mit wirklich harten Burschen, welche Woodwades gute Freunde sind. Er ist an ihren Minen und an der Frachtlinie beteiligt. Die schöne Elsa hat auf längere Sicht keine Chance. Sie ist so verdammt allein. Deshalb wird sie Woodwade sozusagen wie eine reife Frucht ins Bett fallen, hahaha!« In seinem Lachen war ein Klang von Neid. Und wahrscheinlich war es ein Trost für ihn, dass auch ich Elsa nicht mehr besaß, sondern an Woodwade hatte abtreten müssen. Dies alles erinnerte mich an das Verhalten von Wölfen. Dort paarte sich auch nur die beste Wölfin mit dem Leitwolf. Alle anderen Tiere durften sich nicht paaren. Aber verdammt, wir waren Menschen. Und für einen Mann war es demütigend, wenn ein anderer ihm die Frau wegnahm. Ich fühlte mich Elsa gegenüber schuldig, ganz und gar als ein Feigling. Sie musste mich jetzt verachten. Ich hatte sie im Stich gelassen, obwohl sie mir alles gegeben und ein Recht auf meine Treue hatte. Verdammt, ich hatte gekniffen, mich unterworfen wie ein zweitklassiger Rüde dem Leitwolf des Rudels. Les Fargo wusste, dass ich so fühlen musste. Und er genoss es grinsend. Es ließ ihn seinen eigenen Stellenwert leichter ertragen. Wir gingen zuerst in die Sattlerei. Der Sattler kam aus der Werkstatt nach vorn in den Laden und wirkte unterwürfig. Les Fargo sagte: »Er kann sich einen Sattel aussuchen, Drake. Dafür darfst du deine Preise wieder etwas erhöhen. Denn wir sorgen dafür, dass du ohne
Konkurrenz bleibst und das Monopol hast mit deinem Laden und der Werkstatt.« Er wandte sich an mich. »Na, dann such dir aus, was du brauchst.« Ich sah den Sattler an. Dieser wich meinem Blick aus. Denn er fürchtete sich. Er war ein Gefangener in dieser Stadt, so wie sie hier wahrscheinlich alle Gefangene waren. Ich konnte es nicht ändern – noch nicht. Und so suchte ich mir einen Sattel, Satteltaschen, ein Sattelfutteral für mein Gewehr, ein Lasso und einige andere Dinge aus, welche ein Reiter brauchte in diesem Land. »Lass den Jungen alles mit der Schubkarre zum Mietstall bringen«, verlangte Les Fargo. Und dann gingen wir. Unser Weg führte uns zum Mietstall, in dessen Corral sich mehr als drei Dutzend Pferde bewegten. Auch hier hatte ich die freie Wahl. Alles wiederholte sich wie zuvor in der Sattlerei. Als ich das Pferd zur Probe einige Runden im Hof laufen ließ, da sah ich etwas, was meine Stimmung ein wenig hob. Juan Coronado, der Freund und Partner meines Bruders, der mir die Nachricht seines Todes nach El Paso brachte, kam hereingeritten. Oha, er hatte sich mächtig beeilt, wahrscheinlich sogar unterwegs das Pferd getauscht gegen einen Aufpreis. Er war staubbedeckt. Sein Pferd hatte eine schmierige Schicht von Staub und Schweiß auf dem gescheckten Fell. Juan Coronado sah mich nur kurz und uninteressiert an. Nein, er machte keinen Fehler. Niemand konnte uns ansehen, dass wir uns kannten. Er wirkte auch sehr unscheinbar und nicht besonders beachtlich, ganz und
gar wie ein Bursche mexikanischer Abstammung, der auf dieser Welt nicht viel zu melden hatte. Aber ich war froh. Denn nun war ich nicht mehr allein. Da ich mit Elsa und der Postkutsche kam, er aber zwei Tage später zu Pferd, würde uns niemand miteinander in Verbindung bringen. Doch ich wusste, er würde mich jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. Ich hatte jetzt gewissermaßen einen Joker im Ärmel. Das war ein gutes Gefühl. Les Fargo und Kid Hardin verließen mit mir den Mietstallhof. Sie hatten mich nun ausgerüstet. Fargo sagte: »Es kommt manchmal vor, dass wir binnen einer Minute losreiten müssen, um irgendwo im Canyon nach dem Rechten zu sehen. Woodwade gehören viele Claims und Minen. Oder er ist an ihnen beteiligt. Es gibt immer wieder irgendwo Stunk. Na gut, jetzt kassieren wir zunächst mal die Stadt ab. Es wird Zeit.« Ich begriff schon bald, was er mit »kassieren wir die Stadt ab« gemeint hatte. Ja, wir kassierten wirklich ab. In jedem Saloon und Tingeltangel, in den Bordells und Hotels, Geschäften und sogar bei den Bratständen kassierten wir Geld. Es waren natürlich sehr unterschiedliche Beträge. Es kam auch darauf an, ob Woodwade der Besitzer oder nur der Teilhaber war – oder ob wir so genannte »Schutzgelder« eintrieben. Wir schleppten zum Schluss – es war inzwischen später Nachmittag geworden – zwei Säcke voller Geld und Goldstaubsäckchen. Woodwade presste diese Stadt aus wie eine reife Frucht. Er musste bereits ein gewaltiges Vermögen angehäuft haben.
Ja, es war seine Stadt. Er herrschte hier wie ein Teufel über sündige Seelen. Denn es war eine Stadt ohne Mut, ohne Redlichkeit. Er hatte jeden darin bis ins Mark verdorben. Was konnte ich tun, um ihm das Genick zu brechen? Dass er mich zu seinem Handlanger machte, erschwerte die ganze Sache noch. Denn ich war jetzt stets in Gesellschaft von Les Fargo und Kid Hardin. Ich fragte mich, ob diese Linda Short wohl mit der Postkutsche entkommen war. Und ich wollte endlich Sue Martin kennenlernen, wollte wissen, wie sie aussah, und erkennen können, zu welcher Sorte sie gehörte. Es war dann schon fast Abend, als wir in die ElDorado-Tanzhalle kamen und Les Fargo mit den beiden gefüllten Geld-und Goldbeuteln zu Woodwade ins Büro ging, um dort die Beute abzuliefern und Bericht zu erstatten. Ich stand mit Kid Hardin an der Bar, als die Mädchen herunterkamen, um im Hinterzimmer Abendbrot zu essen, bevor der Betrieb losging. Die Musikkapelle war auch noch nicht da. Am Bühnenrand wurden die zwei Dutzend Karbidlampen angesteckt, welche besonders die Beine der Tänzerinnen beleuchteten, wenn sie auf der Bühne tanzten und ihre Röcke hoben. Ich wandte mich an Kid Hardin: »Wie heißen denn die Mädchen eigentlich?« »Aaah, was spielen schon Namen für eine Rolle.« Er grinste. »Was die zu bieten haben, kann absolut namenlos bleiben. Hauptsache, es ist vorhanden.« Er lachte leise. Ein blonder, hübscher Bursche, der wie ein richtiger Sonnyboy aussah und dennoch so gefährlich wie eine Klapperschlange war.
Ich ließ ihn einfach stehen und ging zu den Mädchen ins Nebenzimmer, wo sie inzwischen am Tisch Platz genommen hatten und von einem Chinesen und einer Mulattin bedient wurden. »Hallo, ihr Süßen«, sagte ich. »Ihr kennt mich noch nicht. Ich bin Lot Shannon. Wenn euch also mal einer dumm kommt und ich in der Nähe bin, dann könnt ihr euch auf meine Hilfe verlassen. Kapiert?« Sie starrten mich an, kritisch, misstrauisch. Und eine sagte: »Und dafür müssen wir wohl alle der Reihe nach zu dir ins Bett kommen, Bruderherz – oder?« Sie lachten bitter. Aber eine sagte: »Aaah, er gefällt mir eigentlich. So übel ist er vielleicht gar nicht. Und überdies hatte ich ja schon mal einen Shannon bei mir im Bett. He, bist du vielleicht mit Bac Shannon verwandt, der mit mir von hier abhauen wollte und es nicht schaffte?« Nun war ich also am Ziel. Das da also war jene Sue Martin, von der Juan Coronado mir erzählte. Und sie gab sich mir zu erkennen und stellte mir eine Frage. Alle sahen mich nun an. Ich aber grinste und schüttelte den Kopf. »Es gibt viele Shannons auf Irlands grüner Insel«, sagte ich. »Und eine ganze Menge kamen von dort herüber in die Neue Welt, nicht wahr? Nein, ich kenne keinen Bac Shannon. Aber wenn ich dir gefalle, dann sollten wir uns wohl doch mal näher kennen lernen.« Sie lachten durcheinander, spöttisch, sarkastisch, bitter. »Ihr habt ja alle die Wahl unter uns«, sagte eine. Ich sah Sue Martin an und fragte: »Wie heißt du, Goldie?«
Sie hatte hellblondes Haar und himmelblaue Augen. Ja, ich konnte verstehen, dass Bac sich in sie vernarrt hatte. Denn zuvor hatte er sicherlich zu lange in den einsamen Hügeln bei den Rindern gelebt. Ja, sie sah verlockend aus. »Ich bin Sue«, sagte sie. Ich nickte ihr zu und ging. Gegen Ende der Nacht würde ich sie mitnehmen in mein Hotel und zu mir auf mein Zimmer. Vielleicht war es gefährlich. Doch ich wollte nicht länger herumtändeln und warten. Es wurde Zeit, dass ich zu handeln begann. *** Die Stunden vergingen, und es gab da und dort Verdruss. Wir drei Revolvermänner waren jetzt ständig bei Woodwade, wenn dieser durch den El Dorado Palace ging und überall nach dem Rechten sah, also im Saloon, in der Tanzhalle und in der Spielhalle. Auch in dieser Nacht wurde ein Mann erschossen, der sich beim Spiel betrogen glaubte und dann nicht schnell genug mit dem Colt war. Ich sah einige Male Elsa Bannack aus einiger Entfernung in der Ecke am Spieltisch. Sie spielte nun schon eine Nacht, einen Tag und jetzt die zweite Nacht mit den hartgesottenen Männern. Es war an diesem Tisch ein großes Spiel in Gang gekommen, von dem man überall in San Angelo sprach. Und viele Neugierige kamen herein, um aus einiger Entfernung zuzusehen. Denn dort kämpfte eine schöne Frau gegen fünf Männer.
Konnte sie das durchstehen? Es war dann gegen drei Uhr morgens, als einer von Woodwades Angestellten aus der Spielhalle kam und zu Woodwade sagte: »Boss, sie ist pleite. Und sie lässt durch mich anfragen, ob sie Kredit hat. Sie möchte fünftausend Dollar geliehen haben.« »Gib sie ihr, Charly«, sagte Woodwade. Dann sah er mich an. Seine kohlschwarzen Äugen funkelten. »Haben Sie das kapiert, Shannon? Sie ist pleite. Und Sie müssen sie nicht mehr beschützen. Sie sind raus aus der Pflicht bei ihr. Ich werde sie mit Haut und Haaren fressen.« Ich nickte stumm, und ich wusste dabei, dass Elsa nicht zuletzt deshalb zur Verliererin wurde in der hartgesottenen Pokerrunde, weil ich sie im Stich ließ. Sie musste erkannt haben, dass sie allein war. Denn ich ließ mich nicht mehr blicken, sah nicht mehr nach ihr. Wir konnten keine Blicke mehr tauschen. Das alles hatte sie gewiss irritiert. Für sie war ich ein Versager, ein Deserteur, ein Feigling. Dies alles musste ihre Konzentration und ihr Einfühlungsvermögen empfindlich gestört haben. Sie hatte Fehler gemacht. Elsa tat mir Leid. Ja, ich war sicher, dass Woodwade sie mit Haut und Haaren bekommen würde. Er hatte sie mit Hilfe hartgesottener Pokerspieler, die seine Partner waren, erledigt. Ich nickte also nur stumm zu seinen Worten. Wir machten dann eine letzte Runde durch die ElDorado-Hallen.
Nun war es schon in der vierten Morgenstunde. Der Trubel erlahmte jetzt ringsum. Die Hallen leerten sich. Es lagen überall Betrunkene herum. Wir gingen durch den Durchgang zur Spielhalle hinüber. Auch hier war nicht mehr viel Betrieb. Einige Tische waren bereits leer. Nur noch ein Rouletterad drehte sich. Von einem Black-Jack-Tisch erhoben sich drei Männer. Auch dieser Tisch wurde geschlossen. Aber in der Ecke saß immer noch Elsa mit ihren fünf Mitspielern. Ich fragte mich, wie lange der Kredit von fünftausend Dollar, den Woodwade ihr einräumte, reichen würde. Die ganze Pokerrunde sah ausgebrannt und übernächtigt aus. Sie spielten ja auch schon eine Nacht, einen Tag und nun wieder eine Nacht, nur unterbrochen durch kleine Pausen zum Essen oder Frischmachen. Ich sah selbst auf die Entfernung von mehr als zwanzig Schritten, dass Elsa in Not war. Sie, die Gambler Queen des Südwestens, war hier die große Verliererin. Sie blickte zu mir herüber, und ich spürte, dass sie mich um Hilfe bat, um Beistand. Vielleicht, wenn ich zu ihr trat, neben ihr verharren würde – und wenn ich ihr mein eigenes Geld zur Verfügung stellte –, dann konnte es sein, dass sich das Glück bei ihr wieder einfand. Doch ich hatte sie aufgeben müssen. Und indes sie mich ansah, schüttelte ich unmerklich den Kopf. Sie spürte meine Absage jedoch mehr mit ihrem Gefühl, als sie es an meinem kaum erkennbaren Kopfschütteln sehen konnte. Und so gab sie plötzlich auf.
Sie erhob sich und nickte den Spielern zu, welche sich ebenfalls erhoben und sich höflich vor ihr verneigten wie wohlerzogene Gentlemen. Sie kam schnurgerade zwischen den Tischen hindurch auf unsere still verharrende Gruppe zu. Barton Woodwade stand vor uns. Wir standen hinter ihm, ganz und gar seine Leibwächter oder getreuen Handlanger und Paladine. Sie sah nicht mehr auf mich, hielt ihren Blick nur auf Woodwade gerichtet. Als sie vor ihm anhielt, sagte sie spröde: »Mr. Woodwade, ich habe von Ihrem Kredit dreitausend Dollar in Anspruch genommen.« »Es ist mir eine Ehre.« Er grinste. »Und es wäre für mich eine noch größere Ehre, wenn Sie ein lieber Gast meines Hauses sein würden – ich meine, wenn Sie auch hier wohnen würden. Ein wirklich nobles Zimmer steht für Sie bereit. Und die Badewanne wird schon mit heißem Wasser gefüllt. Bitte, Lady.« Er verstummte mit einem schmeichelnden Klang in der Stimme. Sie starrte ihn an, und ich wusste, dass sich jetzt in ihr die Gedanken und Gefühle jagten, tausend Meilen in der Minute dahinrasten. Ihre Situation war schlimm. Sie hatte nicht nur ihr ganzes Geld verloren, sondern auch noch dreitausend Dollar Schulden. Sie war pleite. Und Woodwade wollte sie haben. Das hatte sie von Anfang an gespürt. Wenn sie sich ihm ergab, war sie gerettet. Sonst erging es ihr wie jener Linda Short, der ich hundert Dollar geschenkt hatte und von der ich hoffte, dass sie mit der Postkutsche entkommen war.
Ihr Blick irrte einen Moment von Woodwade weg, richtete sich auf mich, und ich erkannte ihre Verachtung. Dann sah sie Woodwade wieder an. Wir hörten sie ruhig sagen: »Ich nehme Ihr Angebot an, Barton Woodwade.« »Dann bringe ich Sie persönlich hinauf in Ihr privates Reich«, sagte er. »Und ich wette, Sie werden bald schon wieder in einer Glückssträhne sein, Elsa. Sie haben gegen fünf große Spieler gespielt und sich lange gehalten. Jeden hätten Sie schlagen können – jeden. Nur fünf waren zu viel.« »Ich weiß«, sagte sie. »Aber ich spielte vor allen Dingen gegen Sie, nicht wahr? Und ich habe verloren. Nun gut, gehen wir.« Sie sagte es abschließend. Dann nahm sie Barton Woodwades Arm. Er führte sie die Treppe hinauf nach oben. Wir starrten dem Paar nach. Dann sah Les Fargo mich an. »So macht er das«, sagte er. »Er hat sie dir weggenommen. Macht dir das nichts aus?« Ich schüttelte den Kopf. »Ach«, sagte ich, »ich werde diese Sue Martin mit aufs Zimmer nehmen. Die hat offenbar schon mal einen Shannon beglückt.« »Ja, aber der ist tot«, sagte Les Fargo grinsend. »Die hat einem Shannon schon mal kein Glück gebracht. Warum willst du ausgerechnet die?« Ich hob die Schultern, ließ sie wieder sinken. »Aaah, ich habe mit ihr geredet, und sie gefiel mir«, erwiderte ich. »Oder habt ihr was dagegen, dass ich sie mit mir ins Hotel nehme?« Da grinsten Les Fargo und Kid Hardin.
»Nein«, sagte Fargo. »Auch wir nehmen uns ja dann und wann eines der Mädchen mit aufs Zimmer. Das braucht wohl ein Mann, nicht wahr? Und wir haben ja alles frei in dieser Stadt. Das hast du ja inzwischen begriffen. Viel Spaß! Hol sie dir. Die Nacht ist vorbei. Bis Mittag hast du frei. Hol sie dir!« Sie gingen davon. Es war sicher, dass Woodwade nicht mehr herunterkommen würde. Ich hasste ihn. Ja, er hatte mir Elsa genommen und mich gedemütigt. Er hatte mir klar gemacht, dass er der Boss war. Ich ging hinüber in den Tanzsaal. Ich sah Sue Martin am Fuße der Treppe warten. Als sich unsere Blicke begegneten, wusste ich, dass sie auf mich gewartet hatte. Nur deshalb zögerte sie am Fuße der Treppe mit dem Hinaufgehen. Ich trat zu ihr, nahm sie bei der Hand. »Komm«, sagte ich. Einige andere Mädchen lachten. Eine sagte: »He, Shannon, die ist verdammt müde nach dieser Nacht. Mit der ist gewiss nicht mehr viel anzufangen.« Wieder lachten sie. Ich ging mit Sue Martin hinaus in den grauen Tag. Aber es war wohl mehr noch eine sterbende Nacht. Die frische Luft tat uns gut. Sue Martin atmete mehrmals tief ein. Dann sagte sie: »Und was ist, wenn sie herausbekommen, dass du Bacs Bruder bist? Ist es nicht verdammt leichtsinnig, dass du ausgerechnet mich ausgewählt hast aus unserem Hühnerhaufen?« Ich sah sie ein wenig überrascht an. Sie hatte also sofort gewusst, dass ich Bacs Bruder war, obwohl wir
uns nicht besonders ähnlich sahen. Ich vermutete, dass Bac ihr von mir erzählt hatte. »Vielleicht«, sagte ich. »Aber sie wussten alle schon, dass ich Lot Shannon heiße. Ich konnte hier nicht unter einem falschen Namen auftreten, denn…« »Ich weiß, du bist bekannt als Spieler und Revolvermann«, unterbrach sie mich. »Du musstest damit rechnen, dass dich jemand kennt. Und dann wärest du unter falschem Namen verdächtig gewesen. So dagegen glaubt man dir vielleicht, dass die Namensgleichheit nur zufällig ist. Dennoch hast du mich mitgenommen. Das wird sie misstrauisch machen. Ganz gewiss.« »Aaah, sie werden sich sagen, dass ich dich gewiss nicht mitgenommen hätte, wenn ich Bac Shannons Bruder wäre. Gerade weil ich dich mitnehme, wird mich das unverdächtig machen.« Sie schwieg nun. Wir erreichten mein Hotel und gingen auf mein Zimmer. Sie schleuderte sofort die Schuhe von ihren Füßen und streifte sich das Kleid über den Kopf. Dann ließ sie sich rücklings auf das Bett fallen und streckte alle Glieder von sich. »Aaah«, seufzte sie erleichtert, »das tut gut. Ich habe mit einigen Dutzend Affen, Bären oder Büffeln getanzt. Und die meisten von ihnen stanken wie Indianer nach einem langen Winter im Tipi.« Ich zog Jacke und Stiefel aus und legte mich neben sie. Auch ich war müde. Doch ich fragte: »Wie war das mit meinem Bruder, Sue?« »Ach«, sagte sie, »der hatte lange keine Frau gehabt. Deshalb war er verrückt nach mir. Doch ich mochte ihn. Wirklich! Ich glaube, ich wäre ihm eine gute Frau
geworden. Denn ich kenne die Schlechtigkeit der Welt. Ja, er hätte es nicht zu bedauern gehabt, wenn er mich hier herausgeholt hätte. Doch es klappte nicht. Hier kommt niemand aus der Falle, solange Woodwade durch ihn noch ein paar Dollars Gewinn machen kann. Wir sind Hühner, die für ihn goldene Eier legen. Und wer gibt schon solchen Hühnern die Freiheit? Eigentlich hatte ich immer gehofft, dass mal ein Bursche käme, der mich mitnimmt – irgendwohin, wo es einen festen Platz gibt, Ruhe und Frieden, Sicherheit und Wärme – menschliche Wärme, nicht nur…« Sie verstummte. Ich aber fragte: »Willst du immer noch fort, Sue?« Sie lachte müde und resignierend. »Und wohin?« So fragte sie. »Kennst du einen Burschen, der so ist wie Bac und mich haben will? Kennst du einen, der mich auf eine kleine Ranch in den Antelopehügeln mitnehmen will, wo es Ruhe und Frieden und keine Betrunkenen voller Gier nach Ausschweifungen gibt? Kennst du einen? Du bist es gewiss nicht, Lot Shannon. Und Bac ist tot. Warum sollte ich also fort? Ich würde irgendwo wieder in einem Tingeltangel landen. Also kann ich ebenso gut auch hier bleiben. Unser Verdienst hier ist ja nicht mal schlecht. Wir haben alles frei und bekommen hundert Dollar im Monat. Das ist das Doppelte von dem, was ein Minenarbeiter verdient. Nein, ich will nicht weg. Nur mit einem guten Burschen, der meine Vergangenheit vergisst und mich mag, würde ich weggehen. Und er bekäme alles, was er mir Gutes tut, mit Zinsen zurück. Darf ich jetzt schlafen? Denn ich nehme an, dass du nur mit mir reden wolltest – oder?« »Ja, schlaf nur«, sagte ich.
*** Am nächsten Tag aßen wir unten im Speiseraum noch zusammen ein frühes Mittagessen. Wir sprachen nicht viel. Als wir fertig waren, sah sie mich an und sagte: »Du bist anders als dein kleiner Bruder Bac. Aber auch mit dir würde ich überallhin gehen, obwohl du hier ja wohl ein Verlierer bist, nicht wahr? Woodwade nahm dir die Frau weg, mit der du hergekommen bist und die in dir einen Beschützer zu haben glaubte. Nun stehst du auf seiner Lohnliste. Und er hat die Frau.« »Ich bin hergekommen, um ihn zu töten«, sagte ich. »Und dann wird alles anders sein hier in San Angelo.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »nichts wird anders sein. Er hat die Leute dieser Stadt zu sehr verdorben. Sie sind schlecht, betrügerisch, gemein, feige, hinterlistig. Er hat die Guten längst davongejagt und die Schlechten geduldet, weil sie sich ihm unterwarfen. Diese Stadt hat keine Moral. Sie ist böse, gemein, einfach durch und durch schlecht.« Sie erhob sich plötzlich. »Pass auf dich auf«, sagte sie und wandte sich zum Gehen. »Sag ihnen nicht, dass ich Bacs Bruder bin«, bat ich. Sie nickte. »Kein Wort«, versprach sie. Dann ging sie hinaus. Sollte sie mir Leid tun? Ich wusste keine Antwort. Nur eines wusste ich: Woodwade war der Teufel selbst. Er war hier die Verkörperung des Bösen, der Ursprung allen Übels. Er hatte diese Stadt zu einer bösen und hinterhältigen Hure gemacht.
Ja, ich würde ihn zum Duell fordern, sobald ich Les Fargo und Kid Hardin ausgeschaltet hatte. Sue Martin wollte nicht weg in die Freiheit. Aber Elsa würde es wollen, da war ich sicher. Ich rauchte noch eine Zigarette, dachte nach. Dann legte ich Geld auf den Tisch, erhob mich und ging. Es war noch früher Mittag. Ich hatte deshalb auch noch ein wenig Zeit, bis ich mich bei Les Fargo einfinden musste. Deshalb schlenderte ich zum Mietstall, um dort nach dem Pferd zu sehen. Wahrscheinlich würde ich sehr bald auf diesem Tier die Stadt verlassen müssen, wenn das, was ich vorhatte, nicht klappen sollte. Ja, dann würde ich flüchten und mir den Weg freischießen müssen. Als ich mich einmal umsah, entdeckte ich Juan Coronado. Er lungerte herum wie andere Gestalten, die hier von unbestimmbaren Einkünften lebten, wahrscheinlich jedoch zu Woodwades wilder Horde gehörten, die draußen im Goldland auf den Fundgebieten und Schürfstellen »arbeiteten«. Es wurden immer wieder Goldgräber und Claimgemeinschaften überfallen, auch die Postkutschen. Überall war die Hölle los. Als ich in den Mietstall trat, war ich arglos. Meine Augen mussten sich erst an das Halbdunkel im Stall gewöhnen. Denn draußen war das grelle Sonnenlicht, flimmerte die Hitze über dem staubigen Hof. Noch bevor ich etwas wahrnehmen konnte, stieß mir jemand von der Seite her einen Zaunpfahl auf die Leberpartie. Es war ein gemeiner Stoß wie ein Huftritt. Das Bein unter mir knickte weg. Ich fiel stöhnend auf ein Knie. Dennoch schnappte ich den Colt heraus. Aber es war noch ein zweiter Mann da, der mit einer
Eisenstange zuschlug. Er traf mein Handgelenk, und ich hörte, wie es brach. Der Colt entfiel mir. Oh, ich war in Not. Meine Leber schien zu explodieren und schickte lähmende Schmerzwellen durch meinen Körper. Meine linke Hand – es war meine Revolverhand – war über dem Handgelenk gebrochen. Ich war erledigt, und sie hatten nur Sekundenbruchteile dazu benötigt, genau jene kurzen Momente, da sich meine Augen vom grellen Sonnenlicht noch nicht an das Halbdunkel des Stalles gewöhnt hatten. Ich warf mich zur Seite, rollte dem rechten Schläger gegen die Beine und erkannte erst jetzt, dass es Les Fargo war. Der andere Mann, der mir das Handgelenk gebrochen hatte, war Kid Hardin. Und sie schlugen wieder mit den Zaunpfählen zu, bis ich mich nicht mehr rührte und mir für eine Weile die Sinne schwanden. Als ich wieder zu mir kam – sie gossen einen Eimer Wasser über mir aus –, standen sie zu beiden Seiten über mir und blickten auf mich nieder. »Du Pfeife«, sagte Les Fargo. »Es war leicht, von Sue Martin zu erfahren, was du wirklich von ihr wolltest. Du versuchtest uns zu bluffen, glaubtest, dass wir dich nicht für so frech halten würden, dich ausgerechnet an Sue Martin heranzumachen, wenn du der große Bruder dieses Dummkopfes bist. Aber als wir ihr das noch recht hübsche Gesicht zu zerschneiden drohten, da verriet sie uns sehr rasch, dass du der Bruder dieses Wild Bill bist, der uns Rinder brachte und eine dumme Kuh mitnehmen wollte. Los, hoch mit dir! Woodwade will dich sehen!« Er trat mir in die Seite.
Ich kam irgendwie auf die Füße, schwankte. Meine rechte Seite war immer noch vom Stoß gegen die Leber wie gelähmt und schmerzte höllisch. Mein linkes Handgelenk schmerzte ebenfalls, und es würde nun anschwellen und unbrauchbar sein. Sie hatten meine Revolverhand unbrauchbar gemacht. Nun stießen sie mich vorwärts, und es machte ihnen nichts aus, dass wir über die belebte Fahrbahn mussten und alle Leute sehen konnten, dass sie mich halb totgeschlagen hatten und ich ihr Gefangener war. Sie waren zu sehr die Herren dieser Stadt und wussten genau, wie weit sie gehen durften. Ich versuchte es noch mal. Denn vielleicht würde ich Hilfe bekommen. Juan Coronado musste in der Nähe sein. Vielleicht stand er mir bei. Und so trat ich Les Fargo von der Seite her gegen das Bein mit aller Kraft. Aber er wich im letzten Moment etwas aus. Mein Tritt rutschte unterhalb seines Knies ab, trat ins Leere. Ich stolperte an ihm vorbei. Und dann gaben sie es mir erneut, diesmal mit schlimmen Tritten. Ich lag im Staub, wälzte mich vor Schmerzen wie ein Wurm, kam nicht mehr auf die Beine. Denn sie traten mich ohne Gnade. Mein letzter Gedanke war noch voller Verzweiflung: Sie töten dich! *** Als ich zur Besinnung kam, lag ich immer noch im Staub der Fahrbahn. Doch die Sonne stand nicht mehr über mir, sondern über den Hausdächern der westlichen Straßenseite. Ich musste also fast drei Stunden bewusstlos hier gelegen haben. Und niemand war gekommen, der sich
um mich kümmerte – niemand. Dabei herrschte immer noch reges Leben und Treiben in der Stadt. Auch Fuhrwerke und Reiter bewegten sich an mir vorbei. Aber niemand kümmerte sich um meine Armseligkeit. Ich lag hier wie ein Aussätziger. Langsam begann ich das in meinem schmerzenden Kopf zu begreifen. Auch kam die Erinnerung endlich zurück. Ich wurde mir darüber klar, wie feige und schlecht diese Stadt war. Sie. hatten mich hier die ganze Zeit liegen lassen. Selbst Juan Coronado war nicht gekommen. Und so begann ich zu kriechen. Es fiel mir schwer, denn einige meiner Rippen waren gebrochen oder zumindest angeknickt. Ich war zertreten, zerschlagen, so als wäre ich unter eine Stampede geraten. Und auch jetzt kümmerte sich niemand um mich, als ich mühsam in eine schmale Seitengasse kroch, wo ich liegen blieb, um neue Kraft zu schöpfen. Ich lag dicht an der Hauswand. Und dann kam endlich jemand. Es war Juan Coronado. Er hatte zwei Tiere bei sich. Als er bei mir niederkniete, sagte er: »Wenn ich dir beigestanden hätte, würde ich dich jetzt nicht fortbringen können. Dann hätten sie auch mich klein gemacht wie dich. Also los, versuchen wir es.« Mit seiner Hilfe kam ich auf die Beine. Und nun sah ich wie durch Nebel, dass er keine Pferde, sondern zwei Maulesel mitgebracht hatte. Aber das war mir recht. Ein Maulesel war sehr viel niedriger als ein Pferd. Auf ihn kam ich leichter hinauf. Juan Coronado sagte: »Ich habe mein Pferd gegen die beiden Maulesel eingetauscht. In deinen Taschen ist kein Cent mehr. Sie raubten dich auf offener Straße
aus, und niemand hinderte sie daran. Na los, jetzt hauen wir hier ab. Sie dulden, dass ich dich fortbringe. Ich bat Les Fargo um Erlaubnis. Er sagte, du könntest mit keiner Maus mehr kämpfen und wärest ein Narr.« Ich sagte nichts, biss nur stöhnend die Zähne zusammen. Und dann ritten wir langsam aus der Stadt. *** Es war Nacht, als ich erwachte, weil jemand meine Wunden, Beulen und Brauschen kühlte. Ein Feuer brannte. Und der Creek, der San Angelo Creek, rauschte dicht an uns vorbei. Im Feuerschein sah ich zwei Gesichter. Und das eine Gesicht kam mir bekannt vor. Es war das Gesicht eines Mädchens. Ich erinnerte mich plötzlich. Es war jene Linda Short, die ich damals im Nebenzimmer weinen hörte und der ich am anderen Tage beim Frühstück hundert Dollar schenkte, damit sie von hier wegkommen konnte. Offenbar war sie nicht weggekommen. Sonst würde sie nicht hier bei Juan Coronado und mir an diesem Feuer sein. Oder träumte ich? Mein Verstand begann wieder zu arbeiten. Die Erinnerung kam, und es fielen mir wieder alle Einzelheiten ein, auch dieser schreckliche Ritt hierher, der wie ein Ritt durch die Hölle mit all ihren Qualen war. Ich hörte Juan Coronado sagen: »Sein gebrochenes Handgelenk ist noch zu sehr geschwollen. Ich glaube, wir müssen erst noch weiter die Schwellung bekämpfen, bevor wir es schienen.«
Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch ich brachte nur ein heiseres Krächzen hervor. Erst beim dritten Versuch hörte ich mich fragen: »Wie kommt sie hierher?« Nun erkannten sie erst, dass ich wieder bei Bewusstsein war. Juan Coronado sagte schnell: »Aaah, die kroch aus einem Busch, kaum dass wir aus der Stadt waren. Sie sagte, dass du versucht hättest, ihr zu helfen, von hier fortzukommen. Doch sie hätten sie nicht in die Postkutsche klettern lassen, weil sie zu viele Schulden hinterlassen würde. Da schlich sie sich in der Nacht aus der Stadt, verbarg sich in einem Busch und hoffte, auf einen Wagen klettern zu können. Doch das gelang ihr nicht. Es wurde Tag. Sie war in der Nacht auch in die verkehrte Richtung aus der Stadt geschlichen. Als sie uns kommen sah, erkannte sie dich trotz deiner Not und schloss sich uns an. Sie wusste sofort, dass wir ein Versteck suchen würden. Und sie will mir helfen, dich gesund zu bekommen.« Nun wusste ich es also. Nein, ich wunderte mich nicht. Ich wusste längst, dass es im Leben die verrücktesten Dinge gab. »Oha, Linda«, ächzte ich, »da hast du dir aber die absoluten Verlierer ausgesucht, nicht wahr?« »Verlierer müssen zusammenhalten«, erwiderte sie ernst. »Dann können sie irgendwann auch mal gewinnen.« Ich sah, dass sie nur ein dünnes Flitterkleid trug, so wie es die Tanzmädchen in der Tanzhalle trugen. Offenbar hatte sie also einen solchen Job annehmen müssen, nachdem sie mit der Postkutsche nicht fortgekommen war. Und dann war sie wohl nach einem Gang zur Toilette vom Hof aus geflüchtet.
Sie hatte nicht aufgegeben. Eigentlich gefiel mir das. Doch ich spürte noch zu sehr meine körperliche Not, um mich näher mit ihr zu beschäftigen. Ich sah Juan an und fragte: »Wo sind wir hier?« Er erwiderte: »Ich konnte dich nicht hinaus in die Wüste bringen. Dort ist kein Wasser. Auch ist der Creek unterhalb der Stadt zu sehr eine Jauche. Ich bin mit dir den Canyon hinauf und in die Berge, bis wir die Fundstellen mit all ihren Claims und Minenlöchern hinter uns hatten. Hierher kommen nur noch Jäger und Holzsammler. Du brauchst das frische Wasser des Creeks.« Als ich es hörte, war ich zufrieden. Ich versank wieder in scheinbar bodenlose Tiefen. *** Es war am späten Nachmittag des nächsten Tages, als ich erwachte. Linda Short hockte neben mir. Über uns war ein Schutzdach aus Nadelbaumzweigen. Ich sah Linda an. Sie trug jetzt über dem Flitterkleid ein altes Männerhemd, wahrscheinlich eines von Juan Coronado. Ich fragte: »Wo ist Juan?« Sie gab mir erst aus einer Wasserflasche zu trinken. Dann erwiderte sie: »Juan Coronado ist unterwegs, um all die Dinge zu besorgen, die wir nötig brauchen. Decken und Lagergerät, Proviant und für mich Kleidung. Er wird sicherlich alles stehlen müssen. Aber vielleicht findet er in den verlassenen Goldgräberhütten etwas.« Sie sprach schlicht und gelassen.
Es war eine Veränderung mit ihr oder in ihr vorgegangen. Das war nicht mehr das Mädchen, welches ich im Nachbarzimmer hatte weinen hören. Ich verglich sie nun mit jener Sue Martin, in die sich mein Bruder so verliebt hatte. Sue Martin hatte sich aufgegeben. Sie wollte nicht mehr fort aus dem Tingeltangel. Sie wollte ein Flittchen bleiben, ein Animier- und Amüsiergirl, welches Kerlen wie Barton Woodwade Geld einbrachte. Oha, Linda war ein prächtiges Mädchen, eine von der Sorte, die jeder Mann achten musste. »Ich kann Ihnen die hundert Dollar leider nicht wiedergeben«, sagte Linda. »Denn die wurden mir abgenommen, sozusagen als erste Schuldenrate.« Ich versuchte zu grinsen, doch es gelang mir nicht so recht, weil auch meine Lippen von einem Stiefeltritt angeschwollen und aufgeplatzt waren. Aber ich sagte: »Linda, wenn man so richtig verloren hat, dann kommt es auf hundert Dollar auch nicht mehr an. Du möchtest also eines Tages wieder nach Socorro zurück.« Sie nickte. »Ich würde meinen Schneiderladen sicherlich wieder zurückbekommen. Denn ich schenkte ihn der Frau, die mir manchmal half. Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander, fast wie Mutter und Tochter. Sie wird sich freuen, dass ich wieder zurück bin. Und alles wird wieder so sein wie früher. Ja, ich wünsche mir so sehr, dass ich wieder zurück nach Socorro kann. Aber wie könnte ich es allein durch die Wüste schaffen? Mit euch werde ich das können. Nicht wahr, irgendwann werden wir uns in einer schwarzen Nacht um San Angelo herum in die Freiheit schleichen?« »Sicher«, sagte ich. »Irgendwann werde ich vielleicht wieder gesund.«
Sie hatte inzwischen am Feuer hantiert. Nun reichte sie mir eine Tortilla. »Ich habe das Ding auf einem heißen Stein wieder etwas frisch gemacht«, sagte sie. »Es war schon sehr hart und vertrocknet. Oder hast du keinen Hunger, weil sie dich zu gemein in den Magen traten?« Ich lauschte in mich hinein. Und da spürte ich, dass ich tatsächlich Hunger hatte. Das war ein gutes Zeichen. Doch sonst ging es mir schlecht. Ich biss ein Stück von dem Tortilla-Fladen ab und behielt ihn lange im Mund, bevor ich zu kauen begann und schließlich den ersten Bissen herunterbekam. Juan Coronado kam erst nach Mitternacht. Er hatte beide Maulesel mitgenommen. Nun brachte er sie schwer beladen wieder zurück. Er wirkte erschöpft und müde, blinzelte im Feuerschein wie ein alter Uhu. Er sagte grinsend: »Ja, ich habe alles gestohlen. Es war ganz einfach. Eine große Claim-Gemeinschaft von sieben, Goldgräbern feierte auf ihren Claims einen großen Fund. Eine Goldader zog sich durch alle Claims. Und so feierten sie und betranken sich fürchterlich. Ich konnte alles zusammensuchen und aufladen, was ich in ihren Hütten fand und für uns verwendbar ist. Sie aber werden mir bei ihrem Glück sicherlich verzeihen, unbekannterweise. Sie lagen als Schnapsleichen herum. Ich hätte ihnen auch Gold stehlen können. Und immerzu frage ich mich, warum ich es nicht tat. Warum gibt es noch solche Narren wie mich in dieser unheilen Welt?« Ich konnte ihm darauf keine Antwort geben. Aber dann sah ich zu, wie er mit Linda all unsere Schätze auspackte. Da waren Decken, Zeltplanen, Lager- und Kochgerät, eine Axt und andere Werkzeuge.
Da war Proviant. Und auch einige Waffen und Munition brachte Juan mit. Wir waren jetzt für ein längeres Kampieren in den Bergen gut ausgerüstet. Ich sagte: »Morgen müssen wir unseren Lagerplatz verlegen. Denn es könnte sein, dass die Schnapsleichen – wenn sie erst wieder nüchtern sind – deinen Fährten folgen. Morgen verlegen wir das Camp.« *** Nun, wir verlegten am nächsten Morgen unseren Lagerplatz, zogen weiter am Creek entlang in die Berge hinauf und erreichten schließlich die Schlucht, aus welcher der Creek in den Canyon stürzte. Der Wasserfall rauschte laut. Das Wasser fiel etwa zwanzig Yards tief. Die Schlucht über uns war wie eine große Röhre, die der Creek in all den Jahrtausenden schuf. Wir zogen noch ein Stück den Canyon hinauf, damit wir nicht nur die Geräusche des Wasserfalls hörten. Dass wir uns nun Wasser holen mussten, war nicht so nachteilig wie ein Verweilen dicht am Fall, der uns für alle anderen Geräusche sozusagen taub gemacht hätte. Ich war wieder am Ende meiner Kräfte und voller Schmerzen. Und so verbrachte ich zwei Tage und zwei Nächte ziemlich elend. Erst am dritten Tag begann ich mich zu erholen. Nach einer Woche etwa lief ich bereits krumm und schief herum. Mein gebrochenes Handgelenk schien gut zu heilen. Ich hatte eine Menge an Gewicht verloren. Juan Coronado ging einige Male weiter in die Berge hinauf auf die Jagd, und er brachte schließlich ein Bergschaf mit, welches uns reichlich mit Frischfleisch versorgte.
Wir führten ein träges Gammelleben. Eigentlich warteten wir nur darauf, dass ich wieder gesund wurde, damit wir uns aus dem Land stehlen konnten. Ich hatte eine Menge Zeit zum Nachdenken. Und immer wieder waren die gleichen Fragen in mir: Sollte ich feige und gedemütigt davonschleichen? Oder sollte ich nicht doch noch die Rechnung begleichen? Ich hasste Barton Woodwade und dessen zwei schlimmste Handlanger Les Fargo und Kid Hardin. Ich hasste und verachtete auch die feige Stadt, die mich hilflos im Staub liegen ließ. Ich hätte ebenso gut auch krepieren können – und niemand hätte sich darum gekümmert. Immer wenn ich darüber nachdachte, kam ich zu der Überzeugung, dass San Angelo kein Recht zum Leben hatte. Diese Stadt war Dreck. Sie hatte keine Moral, keinen redlichen Charakter. Ich hasste die Stadt bald mehr als Barton Woodwade und dessen Handlanger. Und so begann ich mit zunehmender Genesung darüber nachzudenken, wie ich sie alle strafen konnte. Bisher hatte ich Böses oder Gutes stets mit Zinsen zurückgezahlt. Doch wie? *** In der zweiten Woche ging ich mit Juan zum Wasserfall, um mich dort mal richtig einzuseifen und zu duschen. Meine Hand konnte ich vorsichtig gebrauchen. Der Bruch schien gut zusammenzuwachsen. Ich trug noch einen manschettenartigen Verband. Manchmal fragte ich mich, ob meine Revolverhand wieder so schnell werden würde wie zuvor.
Als ich hinauf zur Schlucht blickte, von der aus der Wasserfall in den Canyon fiel – es war eine Querschlucht, welche die Westseite des Canyons durchbrach –, da hatte ich plötzlich eine vage Idee. Es war wie die Ahnung einer Möglichkeit. Und so vergaß ich mein Vorhaben, dort eine Dusche zu nehmen, sondern wandte mich an Juan. »Warst du schon mal dort oben in der Querschlucht über dem Fall?« Er schüttelte den Kopf. »Wozu auch?« So fragte er zurück. Ich überlegte und fragte mich, ob ich schon wieder rüstig genug war, um hinauf zu können. Und dann sah ich neben dem Wasserfall eine leichte Möglichkeit. Ja, dort würde sogar ich mit einem Arm hinaufklettern können. Und so sagte ich zu Juan: »Also, dann sehen wir mal nach!« Er war nicht sehr begeistert. Doch er kam mit mir. Ich merkte schnell, dass ich noch längst nicht wieder gesund war und mir keine größeren Anstrengungen zumuten durfte. Ich musste mich oben in der Schlucht eine Weile ausruhen. Es war kaum Platz für uns in der engen Röhre. Das Wasser füllte die Schlucht fast völlig aus. Sie war eigentlich nur eine riesige Wasserrinne, welche über dem Canyon endete wie die Regenrinne eines Hauses mit ihrem Ende über einem Graben. Wir gingen nach einer Weile weiter. Manchmal mussten wir im Wasser waten. Wir legten eine halbe Meile zurück. Das kletternde Wandern fiel mir immer schwerer. Ich musste immer häufiger verschnaufen. Im Halbdunkel der Schlucht betrachtete mich Juan stets vorwurfsvoll.
Aber ich hatte irgendwie eine bestimmte Witterung, eine Ahnung – oder war es nur eine vage Hoffnung? –, die mich antrieb. Und dann endlich erreichten wir den Platz, der all meine vagen Hoffnungen erfüllte. Ich setzte mich auf einen Felsbrocken und sah mich um. Juan tat es ebenfalls. Und plötzlich begriff er die Sache. »Oha«, sagte er, »das wäre ein Ding, o Mann!« Ich grinste. »Wenn wir genügend Sprengstoff beschaffen könnten – und wenn wir das alles richtig verteilen und hochgehen lassen, dann kommt dort dieser Hang herunter und verstopft die Rinne, schüttet sie zu. Dann muss das Wasser nach der anderen Seite abfließen. Dann ist der Creek tot und wird nie wieder nach San Angelo fließen. Dann ist San Angelo ohne Wasser. Auch das ganze Goldfundgebiet wird ohne Wasser sein. Es mag da und dort einige Quellen geben, aber die reichen längst nicht für alle Menschen und Tiere. Wir werden Barton Woodwade und seine Stadt verdammt durstig machen. Hast du keine Lust dazu?« Er sah mich an, schluckte und nickte. Dann sagte er. »Aber wir werden eine Menge Sprengstoff besorgen müssen – viele Kisten und lange Zündschnüre.« »Sicher«, sagte ich. »Aber das ist der Spaß wohl wert – oder?« Nachdenklich betrachtete er mich. »Ich kann dich verstehen«, murmelte er. »Dir hat Woodwade eine Menge angetan. Und diese mistige Stadt hätte dich krepieren lassen. Es gab keine Hilfe. Sie ist es nicht wert, vom Gold zu leben. Nur – es werden auch Unschuldige darunter leiden. Denn unter all den Bösen gibt es sicherlich auch ein paar Gute!«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber wir retten sie, wenn wir die Bösen erledigen. Woodwade und die erbärmliche Stadt sollen bezahlen.« *** Es verging noch eine weitere Woche. Mein gebrochenes Handgelenk wuchs gut zusammen. Ich konnte mit Arm und Hand nach dieser Woche schon wieder leichte Übungen machen und auch Arbeiten verrichten, zum Beispiel mir mit beiden Händen die Stiefel anziehen und dergleichen. Mehrmals kletterte ich oben in der röhrenartigen Schlucht umher und suchte die besten Stellen aus, wo wir die Sprengladungen anbringen würden, um einen ganzen Hang mit Tausenden von Gesteinstonnen in Bewegung zu bringen, sodass er die Schlucht füllte wie eine Wagenladung Kies einen Graben. Von hier oben auf dem Plateau über der Creekschlucht hatte ich einen weiten Blick den ganzen Canyon hinunter, auf die Stadt und weit hinaus in die Wüste, wo der Creek schließlich stinkend versickerte, nachdem er den ganzen Schmutz, den Abfall und auch die Fäkalien der Goldfundgebiete und der Stadt aufgenommen hatte. Der Creek würde sich in einer anderen Richtung ein neues Bett suchen. Und er würde rein bleiben in einer reinen und gesunden Natur. Es war stets ein grimmiges Frohlocken in mir, wenn ich mir vorstellte, wie ich diese verdammte Eiterbeule von einer Stadt zum Austrocknen bringen würde. Was würde Barton Woodwade tun, wenn er bald nur noch der große Boss einer Geisterstadt war? Ich freute mich darauf, dies zu erleben.
Indes also die Tage vergingen, ich langsam wieder gesund wurde, beobachteten mich Juan und Linda unaufhörlich. Linda war ein prächtiges Mädchen. Sie gewann bei längerem Kennen ständig. Sie kochte für uns, wusch auch unsere Wäsche und wirkte in der Männerkleidung, die Juan Coronado ihr besorgt hatte und die ihr viel zu groß war, wie ein halbwüchsiger Junge. Nur wenn sie sich bewegte, sah man, dass sie ein prächtig gewachsenes Mädchen war, bei dem alles stimmte. Wir unterhielten uns manchmal stundenlang über Gott und die Welt, über die Menschen und deren Wünsche und Träume – über alles. Und in ihren honigfarbenen Augen glaubte ich etwas erkennen zu können, was mehr als nur Freundschaft sein konnte. Ich verglich sie in meinen Gedanken oft mit Elsa Bannack, die eine Glücksjägerin und Spielerin war, aber auch mit Sue Martin, in die mein Bruder sich so verliebte. Linda war anders, völlig anders. Und ich mochte sie jeden Tag mehr. *** Es war dann gegen Ende der vierten Woche, als ich zu Juan Coronado sagte: »Jetzt gehe ich nach San Angelo und hole mir, was ich brauche. Du kannst mitkommen oder hier bleiben – aber ich werde tun, was ich tun muss.« »Natürlich komme ich mit«, sagte Juan. »Barton Woodwade ist uns zu viel schuldig. Ich möchte nicht als abgerissener Tramp von hier weggehen. Er soll zahlen für alles, was er uns antat. Er ließ Bac und mir den Erlös für unsere Fleischherde stehlen. Und auch dich
plünderten sie aus, nachdem sie dich fast totgetreten hatten. Auf offener Straße plünderten sie deine Taschen und nahmen dir deinen Geldgürtel. Und diese verdammte Stadt sah zu. Sie alle sind uns was schuldig. Ja, wir werden es uns holen. Ich komme mit. Und Linda wird hier warten. Nicht wahr, Linda?« Sie sah uns an, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Sie hatte einen sehr ausdrucksvollen Mund. Manchmal hatte ich mich in letzter Zeit gefragt, wie dieser Mund wohl küssen würde. Und es war mir danach, es auszuprobieren. Wahrscheinlich spürte und witterte sie das. Denn manchmal sah sie mich erwartungsvoll an. Ja, sie wartete, das spürte ich. Nun sagte sie: »Eigentlich möchte ich gerne mit. Und wenn ich nur auf unsere beiden Maulesel aufpasse…« »Nein«, sprach ich schnell, »du bleibst hier. Und wenn wir nicht zurückkommen sollten, dann wirst…« »Ihr kommt zurück«, unterbrach sie mich. »Ich will nicht daran denken, was sein wird, wenn ihr nicht zurückkommt. Doch ich bin sicher, dass ich mir irgendwie helfen werde.« *** Als wir auf unseren beiden Mauleseln losritten, war es schon Nacht. Und es war eine verdammt schwarze Nacht, weil der Himmel weder Mond noch Sterne leuchten ließ. In der Ferne grollte manchmal der Donner eines umherziehenden Gewitters. Bald sahen wir überall im Canyon und vor allen Dingen zu beiden Seiten des Creeks die Feuer und Lichter der vielen Claims und Minen.
An einem Feuer spielte eine Harmonika. Raue Stimmen sangen dazu. Eine Fiedel fiel ein. »Die feiern wohl immer wieder den Fund der Goldader«, sagte Juan Coronado. »Dort war ich nämlich, als ich holte, was wir brauchten. Ja, das dort ist die Claimgemeinschaft. Ob die jemals mit ihrem Gold aus dem Canyon gelangen können, ohne von Barton Woodwades Banditen ausgeplündert zu werden? Ich denke, dass man sie vorerst in Ruhe lässt, damit sie die Goldader aus der Erde holen. Dann aber werden sie es bekommen. Sie aber fühlen sich stark und unangreifbar, weil sie mehr als ein Dutzend sind. Die werden sich wundern.« Ich sagte nichts zu Juans Worten. Doch ich dachte: Wenn wir Barton Woodwade erledigen, haben die da mit ihrer Goldader vielleicht eine Chance. Und dann haben wir uns für das, was wir ihnen stahlen, zehnfach revanchiert. Wir ritten weiter auf unseren Mauleseln. Bald schon befanden wir uns in einem Strom von Fahrzeugen, Reitern und Fußgängern, welche allesamt nach San Angelo unterwegs waren. Denn all diese Leute hatten ihr Tagewerk beendet, zu Abend gegessen und sich stadtfein gemacht. Sie wussten aus Erfahrung, dass der richtige Betrieb erst eine Stunde vor Mitternacht in Gang kam. Kurz vor der Stadt bogen wir vom Wagenweg ab und schlugen um San Angelo einen Viertelkreis. Juan Coronado kannte sich in San Angelo noch besser aus als ich. Als wir mit unseren beiden Mauleseln anhielten, befanden wir uns hinter dem Lagerschuppen des großen Generalstore.
Und dieser Store – das wusste ich genau – gehörte Barton Woodwade. Diesen Store hatte er an sich gebracht, indem er den ersten Besitzer zum Teufel jagte. Ich wusste das von Les Fargo. Der erzählte es mir gleich am ersten Tag, als wir überall in der Stadt die Gelder einsammelten. Der jetzige Storehalter war nur Barton Woodwades Angestellter. Als wir hinter dem Lagerschuppen – er war aus Stein gebaut und hatte ein Dach aus Holzschindeln – anhielten und von den Mauleseln stiegen, da dachte ich einen Moment an Elsa Bannack, der ich nicht hatte helfen können und die ich gewissermaßen an Woodwade hatte abtreten müssen. Wie mochte es ihr gehen? Ich hätte es gerne gewusst. Doch dann wurde ich aus diesen Gedanken wieder in die Wirklichkeit zurückgerissen, denn wir hatten inzwischen die hintere Ecke des Lagerschuppens erreicht und hörten einen Mann kommen, der leise vor sich hin pfiff. Er war als Wächter eine Niete, das war klar. Doch wahrscheinlich fühlte er sich als Bewacher von Barton Woodwades Eigentum zu sicher. Wer sollte Woodwade schon bestehlen? Als er um die Ecke kam, um hinter dem Lagerhaus zur anderen hinteren Ecke zu gehen, da stand ich plötzlich vor ihm. »He«, machte er. Aber dann stieß ich ihm den Lauf des Gewehres in den Magen. Er verbeugte sich, und weil ich ihm mit dem Lauf nun was auf den Hut gab, legte er sich nieder. Ich half Juan hinauf aufs Dach. Er deckte so viel Schindeln ab, dass für ihn genug Platz war, um sich ungehindert in den Lagerraum hinunterlassen zu können.
Bald darauf öffnete er die Hintertür, die von innen durch zwei starke Riegel gesichert war. Wir zerrten zuerst den Bewusstlosen und dann die beiden Maulesel herein und schlossen die Tür wieder. Juan zündete eine Laterne an, welche an einem Balken hing. Und dann machten wir uns auf die Suche. Wir brauchten eine Menge, nicht nur Sprengstoffstangen, wie man sie in den Minen benötigte – nein, wir brauchten Proviant, bessere Waffen, Munition, Ausrüstung. Unsere beiden Maulesel würden schwere Lasten zu schleppen haben. Wir würden beide laufen und wahrscheinlich auch selbst noch Säcke tragen müssen. Wir brauchten länger als eine Stunde, und bevor unser bewusstloser Gefangener wieder zu sich kommen konnte, fesselten und knebelten wir ihn. Als wir dann den Hintereingang des Lagerhauses öffneten und die schwer beladenen Maulesel hinausführten, fiel mir Elsa wieder ein. Und da entschloss ich mich. Ich sagte zu Juan: »Mach dich schon mal auf den Weg, Juan. Ich hole dich bald ein. Und zwar zu Pferde. Ich besorge noch Pferde. Also geh schon mit den Packtieren los.« Er zögerte einen Moment. Dann murmelte er: »Lass dich nur nicht erwischen.« Er nahm die beiden Packesel an die Leinen und trabte davon. Gewiss war er froh, wegzukommen. Ich aber machte mich auf den Weg zum Mietstall. Eigentlich hätte ich auch die Hauptstraße entlang zum Mietstall gehen können, denn ich war sicherlich kaum zu erkennen. Ich trug die abgenutzte Kleidung
eines Goldgräbers, war bärtig und hielt mich noch etwas schief. Wer mich in Erinnerung hatte, der würde mich jetzt nicht erkennen. Aber ich machte dennoch einen Umweg und erreichte die Hinterseite des Mietstalles, ohne einem Menschen zu begegnen. Nur ein Hund bellte mich an, kam, um mich zu beschnüffeln, und entfernte sich wieder. Hunde waren schon immer meine Freunde gewesen. Die kleine Pforte im hinteren Stalltor war nicht verschlossen. Ich trat ein und ging den Gang entlang nach vorn. Hier vorn brannten zwei Stalllaternen, und der Stallmann hockte halb liegend auf der großen Futterkiste und schnarchte. Ich roch Schnapsgeruch. Ich ging den Gang zurück zu den Boxen, wo das Pferd stand, welches ich mir hatte aussuchen dürfen. In der Nebenbox stand Les Fargos grauer Wallach. Ich begann beide Pferde zu satteln. Doch ich hielt immer wieder inne, lauschte auf die Schnarchtöne des Stallmannes. Aber er schlief weiterhin fest. Es kam auch niemand. Als ich das erste Pferd hinaus in den Hof führte, schnarchte der Stallmann immer noch. Erst als ich Les Fargos Tier in den Vorraum brachte, erwachte er und schreckte hoch. »He, wer ist das?« Ich ließ das Tier stehen und wandte mich zu ihm. »Kennst du mich? Erkennst du mich wieder?« So fragte ich ihn. Dabei schob ich den alten Goldgräberhut zurück. Er starrte mich dumm an. Da er ziemlich angetrunken war, mühte er sein Hirn. Plötzlich dämmerte es ihm. Denn er sagte: »Oh, Sie sind doch der Mann, mit dem Les Fargo und Kid Hardin damals kamen, damit er sich ein Pferd…«
Er verstummte, denn jetzt fiel ihm sicherlich ein, was man anschließend mit mir gemacht hatte. Und wahrscheinlich hatte Juan Coronado damals auch sein Pferd hier bei ihm gegen die beiden Maulesel eingetauscht, um mich fortbringen zu können. Er schnappte nach Luft und stieß dann hervor: »He, das ist doch Les Fargos Wallach!« »Sicher«, sagte ich. »Les Fargo hat mir mit seinem Partner Kid Hardin mehr als dreitausend Dollar gestohlen, und diese Stadt schaute dabei zu, denn es geschah auf offener Straße. Les Fargo ist mir mehr schuldig als nur ein Pferd. Sag ihm das! Sag ihm, dass ich mir auch noch seinen Skalp holen werde.« Ich stieß den Mann mit der flachen Hand vor die Brust, sodass er rückwärts über die Futterkiste fiel und die Beine hochwarf. Ich saß auf, ritt aus dem Stall und nahm draußen die Zügelenden des anderen Pferdes in die Hand. Und dann ritt ich zum Schein in westlicher Richtung aus der Stadt, dorthin, wo einige Meilen weiter der stinkende Creek in der Wüste versickerte. Doch bald schon schlug ich einen Bogen. Ich wollte ja in den Canyon zurück und in diesem zu den Bergen hinauf. Ich wollte Juan einholen, der sich freuen würde, bald reiten zu können. Als ich außen um die Stadt ritt, sah ich rechts von mir einige Gassenmündungen. Und eine dieser Gassen – das wusste ich genau – führte zur El-Dorado-Spielhalle. Ich dachte an Elsa. Würde sie dort in der Spielhalle noch an einem Spieltisch sitzen? Wenn ja, dann hatte sie sich mit Barton Woodwade arrangiert. Aber wenn ich sie nicht im Spielsaal sehen würde… Ja, was war dann?
Ich wollte es wissen. Und so lenkte ich die beiden Pferde in die Gassenmündung hinein, hielt an, saß ab und band die Tiere an. Der Weg zur Seitentür der Spielhalle war nicht weit. Immer wieder wurde sie geöffnet. Männer traten im herausfallenden Lichtschein in die Gasse und ließen Wasser ab. Der Weg zu den Latrinen im Hof war ihnen zu weit. Sie verschwanden dann wieder. Ich konnte durch die sich immer wieder öffnende Tür in die Spielhalle sehen. Als wieder einmal ein Mann herauskam und nur drei Schritte zur Seite ging, um dann sein Wasser abzulassen, da sah er mich stehen. »Das stinkt aber hier schon mächtig nach Pisse«, sagte er durch das Rauschen seines Strahles. »Es wird Zeit, dass es wieder mal regnet. Aaah, es donnert ja schon eine Weile überall in der Runde.« Ich fragte: »He, ich war noch gar nicht drinnen, weil ich keinen einzigen Dollar mehr habe. Ich verlor alles an diese grünäugige Spielerin. Sitzt sie wieder drinnen?« »Sicher«, sagte er. »Die soll vor Wochen mal alles verloren haben. Doch dann gab ihr Woodwade Kredit. Und seitdem gewinnt sie jeden Abend.« Er ging wieder hinein. Vielleicht befürchtete er, dass ich ihn um ein paar Dollars anbetteln würde. Oder er glaubte, dass ich hier in der dunklen Gasse auf einen Betrunkenen wartete, den ich ausrauben konnte. Er verschwand wie ein Blitz und warf die Tür hinter sich zu, so als wäre ich ihm bereits auf den Fersen gewesen. Ich ging zu den Pferden, saß auf und ritt weiter um die Stadt herum und dann den hier noch sehr breiten Canyon hinauf.
Elsa spielte also und gewann wieder. Also hatte sie sich mit Woodwade arrangiert. Sie schenkte sich ihm, so wie sie sich mir geschenkt hatte, um Vorteile zu haben. Und irgendwie hoffte sie, aus der Sache eines Tages einigermaßen heil wieder herauskommen zu können. Ich musste weiter als zwei Meilen reiten, bis ich endlich Juan Coronado und die beiden schwer beladenen Packtiere einholte. Juan stand mit den Tieren am Rand des Weges und wartete. Als ich bei ihm hielt, sagte er: »Ayayay, das ist doch einfach nicht zu glauben. Und ich wette, du hast auch nach diesem schönen Grünauge gesehen, wie? Das war gewiss für dich die Hauptsache, nicht die Beschaffung von Pferden. Du hast nach der Schönen gesehen, mit der du im Bett liegen durftest, bis Barton Woodwade sie dir wegnahm.« Juan Coronados Stimme klang wütend, so als wollte er mich beleidigen, weil ich so verrückt war, in Woodwades Stadt Pferde zu stehlen und dann auch noch herumzuschleichen. Ich warf ihm die Zügelenden des anderen Tieres zu und nahm die Leine eines der beiden Packtiere aus seiner Hand. »Warum hast du denn nicht auch für Linda ein Pferd gestohlen?« So fragte er borstig. »Ich weiß ja noch nicht mal, ob sie überhaupt reiten kann«, erwiderte ich. »Sie hatte in Socorro einen Schneiderladen. Kann sie denn überhaupt reiten?« »Warum hast du sie nicht längst danach gefragt?«, brummte Juan. »He, warum nicht? Über was habt ihr euch eigentlich die ganze Zeit unterhalten?« Ich erwiderte nichts, sondern ritt an.
Er folgte mir. Und ich begann zu begreifen, dass er Angst gehabt hatte um mich, sich Sorgen machte und nun wütend darüber war. Deshalb benahm er sich so borstig. Am Himmel zuckten Blitze. *** Linda hatte ein glückliches Lachen in der Kehle, als wir unser Camp erreichten. Und wir hatten dann gerade noch Zeit, über unsere Zweighütte eine Zeltplane zu spannen, als der erste Wolkenbruch niederging. Wir hockten beisammen in der nun etwas dichter gewordenen Hütte. Die Tiere drängten sich unter einen überhängenden Felsen, bekamen so etwas Schutz. Wir zündeten die Laterne an, die wir ebenfalls aus dem Lagerhaus des Store mitgebracht hatten, und packten unsere »Schätze« aus. Juan fragte einmal: »Linda, kannst du reiten?« »Sicher«, sagte sie. »Ich ritt als Kind schon mit meinen Brüdern um die Wette.« »Dieser Schlaukopf hat für dich nicht mal ein Pferd gestohlen«, brummte Juan. »Also werde ich es tun müssen. Morgen oder übermorgen besorge ich dir eins von Woodwades Tieren. Der soll eines seiner besten Tiere verlieren, he.« Wir lachten, denn wir befanden uns irgendwie in sieghafter Stimmung. Schließlich waren wir bestens ausgerüstet mit allen Dingen. Vor allem hatten wir eine Menge Sprengstoffstangen. Morgen, wenn das Unwetter abgezogen war, würden wir den Hang von oben in die Creek-Schlucht niederstürzen lassen.
Und dann veränderten sich alle Dinge in diesem Land – alle. Es war ein schlimmes Unwetter. Es tobte noch stundenlang. Und Linda schmiegte sich an mich, zitterte bei jedem Donnerkrachen und Blitzezucken. Ich nahm sie in meinen Arm. Und dann wurde ich mir überrascht darüber klar, dass ich mir dies schon lange gewünscht hatte. Juan schnarchte neben mir. Linda rollte sich halb über mich. Und dann küssten wir uns. Das Unwetter hatte uns gewissermaßen zusammengeführt. *** Als der Morgen graute, wurde der Himmel klar. Das Unwetter war abgezogen. Ich verließ gebückt unsere primitive Zweighütte und ging das Stück bis zu der Stelle zurück, wo aus der Querschlucht der Wasserfall des Creeks in den Canyon fiel. Das Donnern war gewaltig. Im Morgengrauen betrachtete ich das völlig veränderte Schauspiel. Ja, es war ein elementares Schauspiel, wie der Fall aus der Röhrenschlucht donnerte. Einen Moment hatte ich Sorge, dass es vielleicht eine ganze Woche dauern könnte, bis wir in die Schlucht hinein und in ihr aufsteigen konnten. Doch dann erinnerte ich mich daran, wie schnell in diesem Land alle Wassermassen nach Unwettern abflossen. Ich wusste, dass schon in wenigen Stunden alles wieder ziemlich normal sein würde. Und dann mussten wir handeln.
Sicherlich würden wir einige Tage brauchen, bis wir die Sprengladungen richtig verteilt hatten. Auch die Zündschnüre mussten wir genau berechnen, da alles möglichst zur selben Zeit hochgehen musste. Es war eine Ungeduld in mir, die ich nur mühsam unter Kontrolle zu halten vermochte. Einmal dachte ich: Wenn ich Barton Woodwade töten kann, wird auch Elsa wieder frei. Dann habe ich doch noch was für sie getan. Aber selbst wenn ich das alles überlebe, werde ich nicht wieder mit ihr gehen, so schön sie auch ist. Oha, sie ist ein tolles Weib, doch sie ist nicht Linda. Ich begriff in diesen Stunden, wie sehr es mich erwischt hatte. Schon am nächsten Tag konnten Juan und ich an die Arbeit gehen, also wieder in die Schlucht hinaufklettern und im Wasser des Creeks weiter hinaufsteigen bis zu jenem Geröllhang, den es loszusprengen galt. Wir arbeiteten dreieinhalb Tage, und wir wurden die ganze Zeit durch niemanden gestört. Dass Les Fargo nicht nach seinem Pferd in dieser Richtung suchte, war nur verständlich. Denn der nahm sicherlich an, dass ich mit Juan durch die Wüste geflüchtet war und wir deshalb gute Pferde benötigt hatten. Und den Diebstahl im Store konnten auch andere Leute verübt haben, zum Beispiel Claimgemeinschaften von Goldgräbern, denen es an allen Dingen fehlte, um weiterhin auf Claims oder in alten, verlassenen Minen mit Sprengungen zu Erfolgen zu kommen. Hier oben vermutete uns niemand. Es war dann in der vierten Nacht nach dem Unwetter, als ich noch einmal vom Plateau hoch über der Schlucht über den Canyon in die Ebene spähte.
Mond und Sterne strahlten, tauchten alles in Silberlicht. Die Sicht reichte meilenweit in dieser hellen Nacht. Im Canyon und dort, wo die Stadt war, leuchteten tausend gelbe oder rötliche Lichter. Das waren die Feuer bei den Claims und Hütten und die vielen Laternen und Lampen der Goldgräber. In der Stadt fielen die Lichtbahnen wie goldene Barrieren über die Fahrbahn. Ich konnte mir vorstellen, wie die Stadt summte und vibrierte, wie sie in Gang gekommen war mit allen Begierden, Leidenschaften und Sünden. Ich wandte mich Juan zu, der neben mir verharrte, mich beobachtete und vielleicht sogar hoffte, dass ich letztlich vor meinem Plan zurückschrecken würde. »Also los«, sagte ich. »Packen wir’s!« Wir kletterten wieder hinunter und zündeten unten die langen Zündschnüre an. Wir liefen dann durch die Schlucht zum Wasserfall, und erst, als wir neben dem Wasserfall hinunter in den Canyon kletterten, krachten die Explosionen. Dann aber war ein arthaltendes Donnern zu hören, welches das Rauschen des Wasserfalls übertönte. Wir wussten, nun war der ganze Geröllhang ins Gleiten gekommen. Wir hatten die Basis durch die Sprengungen gelockert. Dann erzitterte der Boden. Gewiss würde man es meilenweit im Umkreis merken. Nun waren die Tausende von Tonnen Geröll und Gestein in die enge Schlucht gedonnert, hatten sie zugeschüttet wie einen Graben. Der Creek hatte sein Bett verloren. Ich wusste, wenn er sich dort vor der zugeschütteten Schlucht wenig mehr als zwei Yards anstaute, würde er
durch eine breite Kerbe in der Schluchtwand nach Süden abfließen und in einen Abgrund stürzen. Wir hatten die Welt hier verändert. Als wir unten im Canyon standen, beobachteten wir den Wasserfall. Denn an ihm würden wir feststellen können, ob alles geklappt hatte. Und es hatte geklappt. Wir erlebten in der nächsten Stunde, wie der Wasserfall immer dünner wurde, dann eine Weile lang nur noch ein Rinnsal war und schließlich völlig versiegte. Juan und ich, wir sahen uns an. Linda war von unserem Camp gekommen. Sie hatte allerlei Gefäße, Flaschen und einen großen Wassersack mitgebracht. Unterhalb des Wasserfalls war eine große, natürliche Felswanne. Sie war noch so mit Wasser gefüllt, dass man darin schwimmen konnte, zumindest badend plantschen. »Ihr habt es also geschafft«, sagte Linda, und es lag eine leichte Bitterkeit in ihrer Stimme. »Nun wird bald das große Dursten beginnen, nicht wahr?« Ich nickte. »Und sie werden allesamt verschwinden müssen aus diesem Land, solange sie noch etwas Wasser für den Weg durch die Wüste haben«, sagte ich hart. »Sie haben die Guten und Redlichen weggejagt, bestohlen und betrogen. Und nun müssen sie ebenfalls weg. Das finde ich gerecht.« Sie sahen mich aufmerksam an, so als wollten sie herausfinden, ob ich mich für eine Art Übermenschen oder gar Halbgott hielt, der sich anmaßte, Richter zu sein über die Bösen. Aber das war ich nicht.
Ich schlug nur zurück gegen Barton Woodwade und eine Stadt voller Handlanger und Opportunisten. Ich nickte Juan und Linda zu. »Verlegt das Camp noch weiter den Canyon hinauf«, sagte ich. »Ich nehme mir einen Maulesel und reite hinunter zu den Fundstellen. Ich will sehen, wie sie reagieren, wenn der Creek kein Wasser mehr bringt. Ich will es erleben.« *** Es war noch grauer Morgen, als ich die ersten Claims erreichte. Es gab hier schon einige Schwemmkästen. Ein Stück weiter war die Schöpfanlage einer Mine. Zwei Maulesel bewegten hier ständig ein Schöpfrad, welches Wasser aus dem Creek bis in eine Höhe von zehn Fuß brachte und dort in eine Wasserleitung aus Brettern goss, die von dort oben etwas Gefälle in Richtung zur Mine hatte. Doch es war kein Wasser mehr im Creek. Goldsucher und Minenarbeiter waren am Creek versammelt, als ich auf dem Maulesel herangeritten kam. Sie sahen mir im grauen Morgen entgegen. Einer fragte: »Freund, Sie kommen von oben herunter. Was ist los mit dem Creek? Das hörte sich wie nach Sprengungen an – oder?« Ich hockte auf dem Maulesel. Meine Stiefelspitzen berührten fast den Boden, denn ich ritt ja ohne Sattel und ohne Steigbügel. Und ich sah gewiss wie ein Goldgräber aus, der schon wochenlang unter freiem Himmel lebte. »Keine Sprengung«, sagte ich. »Das waren Geröllhänge über der Creekschlucht. Das Unwetter vor
Tagen und Nächten muss eine Menge von der Basis dieser Geröllhänge fortgespült haben. Nun ist alles ins Rutschen gekommen durch die Temperaturunterschiede. Diese Nacht war ja in der zweiten Hälfte sehr kalt, nicht wahr? Nun ist die ganze Schlucht zugeschüttet. Der Creek ist tot. Dieses Land ist tot! Und auch diese Stadt wird bald tot sein. Der große Barton Woodwade und dessen Banditen und Betrüger werden bald über eine Geisterstadt herrschen. Wenn ich euch einen guten Rat geben darf, dann sammelt das letzte Wasser aus den Löchern des Creeks. In einigen Tagen ist alles verdunstet oder versickert. Dann beginnt das Dürsten.« Sie starrten mich ungläubig an. Und ihre Gedanken jagten sich. Ich grinste schief. »Vielleicht wollte der gerechte Gott im Himmel diese Miststadt bestrafen wie damals Sodom und Gomorrha.« Immer noch starrten sie mich an. Dann sagte einer: »Ja, das könnte sein. Es wurde immer schlimmer hier im Land. Erst vorgestern wurde Ike Clayton in seiner Hütte ermordet und sein Gold gestohlen. Diese Mörder und Goldgräber werden immer schlimmer. Und alle Sheriffs oder Marshals, welche gewählt wurden, hielten es nicht lange aus. Sie verschwanden entweder spurlos – oder man erschoss sie oder schlug sie halb tot. Ja, diese Stadt musste vielleicht wirklich von einer höheren Macht bestraft werden.« Einige andere Männer lachten grimmig und ungläubig. Einer rief: »Das müssen wir uns ansehen. Ich reite hinauf! Das will ich sehen. Wer kommt mit?« Es meldeten sich einige, die mit ihm den Canyon hinauf in die Berge reiten wollten, um dort nachzusehen.
Ich ritt weiter, hielt mich dicht am Creek und traf immer wieder auf ratlose Gruppen von Goldgräbern und Minenleuten. Immer wieder hielt ich an und erklärte ihnen alles, gab stets den Rat, Wasser zu sammeln. Denn noch war im Creek eine Menge Wasser. Es stand in allen Vertiefungen, aus denen es nicht abfließen konnte. Doch es würde in den nächsten Tagen verdunsten oder einsickern. Der Creek war nun nicht mehr die Müll- und Dreckabfuhr des Canyons und die Fäkalienbeseitigung der Stadt dazu. Es würde bald überall mächtig zu stinken beginnen. Einige Male dachte ich darüber nach, ob es mir Leid um die Goldgräber und Minenleute tun sollte. Denn wenn sie hier aufgeben mussten, verlor der eine oder andere gewiss an Goldausbeute, zumindest aber an Chancen, Gold zu finden. Aber sie taten mir letztlich nicht Leid. Denn sie waren nicht imstande gewesen, eine menschliche Gemeinschaft zu werden, eine verwaltende Ordnung zu schaffen, die den Guten vor dem Bösen schützte und dem Schwachen die gleichen Rechte verschaffte wie dem Starken, der rücksichtslos über Leichen ging. Sie alle waren hier, um so schnell wie nur möglich Gold zu finden oder auf andere Weise reich zu werden. Und es gab hier nur Konkurrenzkampf, keine christliche Schonung und Duldung. Nein, es tat mir nicht Leid, dass ich hier durch die Trockenlegung des Creeks alles verändert hatte. Ich ritt weiter auf die Stadt zu. Gewiss, es wurde gefährlich für mich. Und je näher ich nach San Angelo kam, umso gefährlicher wurde es.
Denn es war immer noch die Stadt des Teufels. Noch herrschte er dort mit all seinen harten Burschen. Ich ritt dennoch weiter. Denn ich glaubte, dass man mich so leicht nicht als jenen Lot Shannon von damals erkennen konnte, der mit der schönen Spielerin nach San Angelo kam, sie dann aber nicht mehr beschützen konnte, sondern an Woodwade abtreten musste. Ich trug andere Kleidung. Mein Vollbart war nun prächtig. Und ich saß auf einem Maulesel, nicht stolz im Sattel eines Pferdes. Ich bot ein völlig anderes Bild. Auch meinen Colt trug ich nicht im Holster unter der Hüfte, sondern unter der offenen Jacke, die mir etwas zu weit war, im Hosenbund. Überall im Canyon herrschte Aufregung, hatten sich die Leute in Gruppen am Creek versammelt. Überall staunten sie ungläubig, wollten nicht wahrhaben, dass hier alles in wenigen Tagen zu Ende sein sollte. Dieses Land würde nur noch einige Dutzend Menschen oder Tiere mit Wasser versorgen können. Aber hier im Canyon waren mehrere tausend. Und in der Stadt gab es gewiss an die zweihundert Leute, die von Barton Woodwades Gnaden lebten oder für ihn arbeiteten. Ich ritt bis auf einen Steinwurf an die ersten Häuser und Hütten der Stadt heran. Nun war der graue Morgen in einen hellen Tag übergegangen. Im Osten kam die Sonne hoch. Die Stadt schlief noch. Sie war nach einer wilden und sündhaften Nacht zur Ruhe gegangen wie ein erschlafftes Untier. Nur die Goldgräber, Minenleute und Fuhrleute waren wach, um ihr Tagewerk zu beginnen. Ich wartete eine Weile vor der Stadt, beobachtete den Ein-und Ausgang. Doch es regte sich dort nichts.
Barton Woodwade und dessen ganze Blase – jene Gilde der Schmutzigen – schliefen noch. Es juckte mich danach, hineinzureiten. Aber ich ließ es, zog meinen Maulesel herum, der mir als Tarnung gedient hatte, und ritt zurück. Überall bei den Löchern und Vertiefungen im Creek schöpften sie nun Wasser. Sie füllten gewiss jeden Behälter, jeden Trog und Eimer, jeden Topf und jedes Gefäß. Noch einige Tage würden sie das tun können. Dann mussten sie von den Vorräten leben. Und die Schlauen und Besonnenen würden abziehen. In der Stadt musste es eine Katastrophe geben. Denn sie schliefen zu lange. Sie würden zu spät für Wasservorräte sorgen. Ich ritt also zurück. Nein, ich verspürte keine Gewissensbisse. Ich wollte Devil’s Town zerstören, und ich wusste, ich rettete dadurch gewiss einige Menschenleben. Als ich die Stelle erreichte, wo sonst der Wasserfall gerauscht und den Creek im Canyon gefüllt hatte, da waren schon einige Dutzend Tiere angebunden. Und die Reiter kletterten hinauf in die Schlucht. Ich ritt weiter den Canyon hoch zu unserem Camp. Juan und Linda hatten es verlegt. Die Zweighütte war zerstört. Ich musste fast eine Meile weit hinaufreiten, bis ich zwischen einigen großen Felsen und Bäumen das neue Camp fand. Juan und Linda waren dabei, die beiden Zeltplanen aufzuspannen. »Warum gerade hier?«, fragte ich Juan.
Der deutete auf den Canyonhang, dessen Basis eine Felsgruppe bildete. Dort wuchs ein wenig frischeres Grün. »Da sickert aus einer Spalte ein wenig Wasser«, sagte Juan. »Vielleicht ist es so viel, dass wir damit jeden Tag einen Eimer voll bekommen. Da wir das Zelt direkt davor aufstellen und unsere Tiere bald schon das Grün abgegrast haben werden, bleibt die karge Quelle vielleicht verborgen. Denn die Goldgräber werden hier überall nach Wasser suchen kommen, darauf können wir wetten.« Ja, er sah es wohl richtig voraus, der gute Juan Coronado. Am nächsten Tag kletterte auch ich mit Juan hinauf, um zu sehen, was wir da oben zustande gebracht hatten. Ja, die Schlucht war zugeschüttet. Der Creek floss in eine andere Richtung ab. Einige Dutzend Männer hielten sich hier oben auf. Und sie schöpften dort, wo der Creek abfloss, Wasser in ihre mitgebrachten Flaschen oder Ziegenhäute und andere Behälter. Einige überlegten, ob sich die Investition einer Wasserleitung mit Gewinn rentieren würde. Als sie zu rechnen begannen, wie viel Wagenzüge sie mit Brettern und Stützbalken herbringen müssten und was die Arbeiten kosten würden, da gaben sie die Idee schnell wieder auf. Überdies hing oben noch eine Menge Geröll, welches so aussah, als würde es beim nächsten Unwetter losgespült und als zweite Steinlawine herunterkommen. Es vergingen dann drei Tage. Ich ritt auf dem Maulesel als verkleideter Goldgräber viel umher und sah mir an, wie die ersten Menschen abzogen. Im Creek gab es kaum noch Wasser. Auch die
Löcher waren leer. Und dort, wo der Sand noch etwas nass war, da stritten und prügelten sie sich. Ich fragte mich, wann wohl Barton Woodwades Männer mal endlich nach dem Rechten schauen würden. Am vierten Tag dann sah ich einen kommen. Es war jener Kid Hardin. Ihn also hatte Woodwade geschickt, damit er sich nach der Ursache für das Austrocknen des Creeks erkundigte. In mir war ein grimmiger Triumph, ein böses Frohlocken. Ja, so etwas hatte ich insgeheim gehofft. Kid Hardin kam sogar allein. Er sollte ja auch nur nachsehen, was mit dem Creek geschehen war, obwohl man es Barton Woodwade gewiss schon ein Dutzend Mal geschildert hatte. Einer von Woodwades Revolvermännern kam also. Ich erinnerte mich wieder daran, wie dieser Kid Hardin mir mit einer Eisenstange im halb dunklen Mietstall das Handgelenk zerschlug. Nun war es wieder heil, und ich hatte jeden Tag mit dem Colt geübt. Ich hockte etwas abseits des Creeks im Schatten einiger Felsen und Mesquitebüschen, hielt den Kopf gesenkt und beobachtete den Reiter unter der Hutkrempe hervor. Kid Hardin ritt bis zum nun trockenen Wasserfall und starrte in die natürliche Felswanne, in welcher sonst das niederwuchtende Wasser schäumte. Aber jetzt war dieses natürliche Becken leer. Ich näherte mich ihm langsam. Kid Hardin saß indes ab und wollte hinauf zur Schlucht klettern, so wie das während der letzten Tage schon viele Neugierige getan hatten. Er hörte mich nun hinter sich kommen und verharrte, blickte über die Schulter. Ich hielt den Kopf immer noch gesenkt.
Er fragte: »He, du, ist das hier die beste Aufstiegsmöglichkeit?« Ich stand nun sechs Schritte hinter ihm, und er sah mich immer noch über die Schulter hinweg an, ohne mich erkannt zu haben. Nun hob ich das Gesicht und schob dabei den Hut zurück. Und dabei sagte ich: »Ich glaube nicht, dass es dir noch möglich sein wird, da hinaufzuklettern, Kid – mein bester Amigo.« Er erkannte mich wahrscheinlich zuerst an der Stimme, dann an meinen Augen. Und er starrte auf meinen Colt, den ich unter der offenen Jacke im Hosenbund trug. Dann begann er zu grinsen. Und grinsend wandte er sich mir vollends zu. »Aaah, du bist das.« Er grinste. »Les Fargo war sehr wütend, dass du ihm sein Pferd gestohlen hast. Aber jetzt wird er sich bald freuen. Denn…« Er zog gedankenschnell. Ja, er war sehr schnell. Vielleicht hätte ich ihn schlagen können, wenn ich ein Holster getragen hätte wie er. Aus solch einem Holster konnte man einen Colt schneller herauszaubern als aus einem Hosenbund. Er hatte also den ersten Schuss. Doch vielleicht wollte er zu schnell sein. Seine Kugel riss mir am linken Oberarm den Jackenärmel auf. Dann traf ich ihn. Und ich traf ihn voll. Er schoss nur noch einmal zwischen uns in den Boden. Dann fiel er, rollte auf den Rücken, streckte seine Glieder von sich und sah zum Himmel hoch. Ich trat zu ihm und sah auf ihn nieder. »Die anderen nehme ich mir auch noch vor«, sagte ich. »Du wirst deine Kumpane alle in der Hölle wiedersehen.«
»Dich auch!« Er grinste verzerrt. Dann starb er. Als ich ihn so vor meinen Füßen liegen sah, da spürte ich, dass Rache mir keine Freude verursachen konnte – nur Bitterkeit oder bittere Genugtuung. Und so begriff ich in dieser Minute, dass ich kein Triumphator sein würde, wenn es mir gelingen sollte, auch Les Fargo und Barton Woodwade zu erledigen. Nein, es war mehr ein bitterer Weg, den ich zu Ende gehen musste. Ich sah mich um. Niemand war in der Nähe. Die Schüsse waren im weiten Canyon verhallt. Niemand hatte Kid Hardin, vor dem sie sich alle so sehr gefürchtet hatten, sterben sehen. Sein schneller Colt und die Fähigkeit zu töten hatten ihm nichts genützt. Denn er wollte zu schnell sein. Dass ich ihm gegenübertrat, den Colt hinter dem Hosenbund, hatte ihn gewiss irritiert. Im Unterbewusstsein hatte er Furcht verspürt, vielleicht doch nicht schnell genug gegen mich zu sein. Und so schoss er zu hastig. Jetzt war er tot. Ich hob ihn auf und trug ihn zu seinem Pferd, welches nur wenig zurückgewichen war beim Krachen der Colts, weil es an Revolverfeuer gewöhnt war. Es fiel mir auf, wie leicht er war. Und dennoch war er gefährlich gewesen, ein kaltblütiger Revolverschwinger, welcher gnadenlos töten konnte. Als er quer über seinem Sattel lag, nahm ich das Lasso und band ihn fest. Dann drehte ich das Pferd mit der Nase in Richtung San Angelo und gab dem Tier einen heftigen Schlag auf das Hinterteil. Dabei stieß ich einen scharfen Schrei aus.
Ich wusste, das Pferd würde nach San Angelo laufen, denn es wusste aus Erfahrung – und Pferde sind ja Gewohnheitstiere –, dass es dort im Mietstall die Last abgenommen bekam, also Sattel und Reiter. Ja, es würde den toten Kid Hardin zu seinem Boss Barton Woodwade bringen. Ich hörte Hufschlag hinter mir und wandte mich um. Linda kam auf einem der Maulesel vom oberen Canyon heruntergeritten. Sie hielt einen Topf im Arm, der in ein Stück Decke eingewickelt war. Und sie hatte sicherlich die Schüsse gehört und jetzt gesehen, wie ich das Pferd mit dem Toten fortjagte. Als sie bei mir verhielt, war ihr Gesicht ernst. Ihr Blick forschte kritisch in meinem Gesicht. Dann sagte sie: »Nein, ich erkenne keinen Triumph in dir, nur Bitterkeit. Und das lässt mich trotz allem Hoffnung haben. War das Kid Hardin? Der und jener Fargo ließen mich damals nicht fort. Sie nahmen mir auch das Geld ab, welches du mir geschenkt hattest, damit ich nach Socorro zurückfahren konnte.« Ich nickte. »Er war es.« »Und nun?« So fragte sie und erinnerte sich endlich an den Topf, in dem sie mir offenbar warmes Essen bringen wollte. »Jetzt magst du wohl nicht?« So fragte sie. »Nein«, erwiderte ich. Sie nickte, saß ab und stellte den in den dicken Deckenstoff eingewickelten Topf in die Sonne. »Aber vielleicht später«, murmelte sie. »Soll ich bei dir bleiben? Könnte es dir ein wenig über die Bitterkeit hinweghelfen?« Ich sah sie an. Und dann sagte ich: »Ja, bleib hier. Du bist wie ein Licht in dunkler Nacht. Es tut gut, durch dich zu wissen, dass diese Welt auch verdammt
lebenswert sein kann. Irgendwann werden wir von hier fortgehen.« »Und dann?« Sie fragte es ernst und sah mich dabei fest an. »Auf keinen Fall wirst du zurück in deinen Schneiderladen gehen«, sagte ich. »Was dann?« Ihre Stimme klang nüchtern. Und nun erst begriff ich so richtig, wie sehr viel anders sie war als Elsa Bannack. Denn sie, Linda, würde nicht mit mir herumziehen wollen. Sie würde mit einem Spieler und Glücksjäger nicht glücklich werden können. Ihr würde ich einen festen Platz bieten müssen. Und so erinnerte ich mich wieder daran, dass ich vergangenes Jahr im Spiel bei San Antonio in den Antelope Hills eine kleine Ranch gewonnen hatte von einem Mann, der diese Ranch von einem Ehepaar mexikanischer Abstammung bewirtschaften ließ. Ich hatte mich dort als der neue Besitzer vorgestellt und alles so belassen, wie es war. Diese kleine Ranch war vergrößerungsfähig. Deshalb sagte ich zu Linda: »Ich habe eine kleine Ranch drüben in Texas. Man könnte sie vergrößern. Wäre das was für dich?« Sie sah mich immer noch sehr ernst und fest an. »Ja, das wäre was«, erwiderte sie. »Dorthin würde ich gerne mit dir gehen. Doch warum nicht gleich? Warum willst du erst noch mit Woodwade abrechnen? Du könntest dabei getötet werden. Warum willst du alles riskieren?« Ich hob die Schultern und ließ sie sinken. »Es muss sein«, erwiderte ich. »Ich kann nicht anders. Ich muss das erst hinter mich bringen. Es muss sein.« »Nun gut«, murmelte sie.
*** Es kam an diesem Tag niemand mehr zum versiegten Wasserfall. Barton Woodwade und Les Fargo mussten den toten Kid Hardin längst gefunden haben. Und weil sie ja wussten, wohin Kid Hardin geritten war, würden sie sich denken können, dass Hardin in eine Falle ritt und dass hier im oberen Canyon Unheil lauerte. Wenn sie dies mit dem Bergrutsch in Verbindung brachten, der den Creek versiegen ließ, fanden sie gewiss auch eine Erklärung für den Einbruch im Lagerhaus des Generalstore. Und dann wussten sie auch, weshalb ihnen dabei eine ganze Menge Sprengstoffstangen gestohlen wurden. Ein Mann wie Barton Woodwade musste sich nun ganz zwangsläufig zwei und zwei zusammenzählen können, Les Fargo desgleichen. Und dennoch kamen sie nicht. Warum nicht? Auf diese Frage gab es eigentlich nur eine einzige Antwort: Sie warteten in San Angelo. Sie warteten in ihrer Town. Vielleicht wussten sie doch noch nicht genau, wo die Glocken hingen. Schließlich hatten sie sich viele Feinde gemacht. Für Kid Hardins Tod kamen viele Männer in Betracht. Aber ich war sicher, sie würden noch drauf kommen. Einmal war es so weit, dann konnten sie spüren, wittern, ahnen, was es war. Dann würden sie sich an mich erinnern und zu der Erkenntnis gelangen, dass ich mit den gestohlenen Pferden und mit Juan nicht durch die Wüste geflüchtet
war, um aus ihrem Machtbereich zu entkommen nach all meinen Niederlagen und Demütigungen. Nein, jetzt würden sie ahnen, dass ich mit Juan im oberen Canyon steckte. Vielleicht hatten sie für sich selbst genügend Wasser für Wochen. Also konnten sie warten. Was sollte ich tun? Linda war wieder in unser Camp zurückgekehrt. Dafür kam dann nach Anbruch der Dunkelheit Juan. »Was nun?« So fragte er. »Du hast Kid Hardin erledigt und nach San Angelo geschickt. Jetzt ahnen die dort etwas. Was nun?« Ich hatte lange genug überlegt. Und so erwiderte ich: »Wenn es dunkel genug ist, reite ich nach San Angelo. Die Stadt ist nun schon einige Tage ohne Wasser. Wahrscheinlich sind sie alle dort schon fort – alle außer Woodwade und wenigen seiner Townwölfe. Denn sie werden sich mit Gewalt einige Wasservorräte gesichert haben. Ich reite hin.« Juan nickte in der Abenddämmerung. »Und ich werde nicht mal eingeladen?« So fragte er beleidigt. Ich grinste ihn an. »Bac war nicht dein Bruder«, sagte ich. »Und du wurdest auch nicht von Woodwade so gedemütigt wie ich. Du musstest ihm nicht die Frau abtreten, mit der du gekommen warst. Du wurdest nicht wie ein räudiger Hund fast in Stücke getreten.« »Ja, weil ich für die nur ein Bursche mexikanischer Abstammung bin, eine Art getreuer Knappe von Rittern, den sie nicht für ebenbürtig halten. Für sie bin ich nur in Peon. Sonst hätte mich Les Fargo dich nicht wegschaffen lassen auf einem Maulesel. Aber ich komme mit.«
»Bleib bei Linda, und bring sie hier raus und durch die Wüste in Sicherheit, wenn ich es nicht schaffe«, erwiderte ich. »Du würdest mir einen wirklichen Freundesdienst erweisen, Amigo. Ich bitte dich, bleib bei Linda.« Er zögerte. Aber dann sagte er: »Ja, sie hat ein Anrecht darauf, dass jemand sie wieder zu zivilisierten Menschen bringt. Denn gewiss fahren keine Postkutschen mehr. Alles wird schon tot sein. Wenn sie dich töten, hat sie nur noch mich.« Damit war alles gesagt. Juan war ein sehr vernünftiger Bursche. Wahrscheinlich hatte er sich in Linda verliebt. Und so war ihm ihre Sicherheit und ihr Davonkommen wichtiger geworden als meine Rache. *** Es war eine Stunde nach Mitternacht – ich war inzwischen zu unserem Camp zurückgegangen –, als ich aufsaß. Juan Coronado und Linda standen am Feuer und sahen zu mir empor. Sie sagten nichts. Auch ich sagte nichts mehr. Es war alles gesagt worden. Linda und Juan waren nicht meiner Meinung. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, dann wären wir aus dem Land geschlichen ohne jede weitere Rache oder Vergeltung. Barton Woodwade war genug bestraft. Er hatte eine ganze Stadt verloren, die wie eine Falle war, in der alle mehr als nur Federn lassen mussten. Er hatte gewissermaßen eine Goldmine verloren, welche mehr einbrachte als alle wirklichen Goldminen und Claims im ganzen Canyon.
Ich zog mein Pferd herum und ritt davon. Bewaffnet war ich gut. Zwei Colts, einen SpencerKarabiner und eine doppelläufige Schrotflinte nahm ich mit. Waffen hatten wir aus dem Store reichlich mitgenommen. Es war ein einsames Reiten. Der Canyon war tot. Es gab kein Wasser. Ohne Wasser war hier für all die vielen Menschen ein Bleiben nicht mehr möglich. Und so waren sie abgezogen, so wie sie einst hergekommen waren. Die meisten Menschen hier im Canyon waren ohnehin vergebens hier. Das Glück, Gold zu finden, war nur wenigen beschieden. Die meisten mussten für die paar Dollars, die sie jeden Tag aus dem Sand des Creeks oder aus der Erde holten, härter arbeiten als sonst wo in ihren Berufen. Viele waren gewiss froh, dass alle vagen Hoffnungen ein Ende hatten. Ich ritt langsam und hielt immer wieder an, um zu lauschen. Aber der mächtige Canyon war tot. Sie hatten ihn umgewühlt und verwüstet. Es gab hier kein Gras mehr, keinen Busch, keinen Baum. Sie hatten den unteren Canyon in eine trostlose Landschaft verwandelt und den einst so lieblichen Creek verschandelt. Die Nacht war ziemlich dunkel. Nur manchmal leuchteten einige Sterne in den Wolkenlöchern oder kam der schmale Sichelmond für Momente zum Vorschein. Als ich der Stadt nahe genug war, hielt ich an. Ja, da lag die einst um diese Nachtzeit so lärmende, tobende und alle Sünden begehende Stadt vor mir. Jetzt war sie fast tot. Ich sah drei Lichter.
Ein paar Leute waren also noch in San Angelo. Ich wusste, es waren Woodwade und einige seiner Banditen. Les Fargo würde auch noch bei ihm sein. Indes ich so in der stillen Nacht verhielt und zur Stadt hinüberwitterte, die drei Lichter sah und mir vorzustellen versuchte, in welchen Gebäuden oder Häusern sie leuchteten, da kam mir Elsa wieder in den Sinn. War auch sie noch in San Angelo? Ich war mir da sehr sicher. Barton Woodwade hatte sie gewiss nicht fortgelassen. Langsam saß ich ab. Hinter mir hatte ich eine Puppe aus ausgestopften Kleidern am Sattelzwiesel festgebunden. Nun band ich sie los, richtete sie wieder besser her und setzte sie an meiner Stelle in den Sattel, band sie fest. Die Revolver trug ich im Holster und hinter dem Hosenbund. Den Spencer hängte ich mir um. Und die Schrotflinte behielt ich in der Hand. Dann gab ich dem Pferd – es war Les Fargos Tier – einen leichten Klaps auf das Hinterteil und sagte: »Nun lauf zum Stall!« Das Pferd setzte sich in Bewegung und begann langsam zu traben. Ich trabte hinterher, und der Staub, den das Tier hinter sich aufwirbelte, hüllte mich ein, machte mich in der dunklen Nacht gewiss unsichtbar. Es war nicht mehr weit zu des Teufels Stadt. Sie hatten in der Stadt gewiss das Pferd schon gehört, auch, dass es eine Weile anhielt und nun wieder trabte. In diesem nun so totenstillen Canyon war jeder Laut sehr weit zu hören. Was würde sein?
Vor dem Pferd und mir war dann schon bald die erste Lichtbarriere. Sie fiel aus dem Office und Labor des Erzprüfers. Der Lichtschein kam ungehindert aus der offenen Tür, und er sollte nichts anderes als eine Lichtschranke sein, welche jeder Ankömmling durchreiten musste, wollte er auf der einzigen Straße und Fahrbahn in die Stadt hinein. Das Pferd mit der wippenden Puppe darauf erreichte die Lichtbarriere. Und da krachte auch schon ein Gewehr. Es feuerte aus der Gasse rechts von mir, also schräg gegenüber dem Labor des Erzprüfers. Es war ganz einfach für mich, denn ich feuerte beide Läufe der Schrotflinte in die Gasse hinein und hörte den wilden Schrei des getroffenen Mannes. Undeutlich sah ich ihn zu Boden gehen. Ich hielt inne, kippte den Doppellauf und lud die Schrotflinte mit neuen Patronen. Das Pferd war indes weiter in Richtung Mietstall gelaufen. Nun war ich allein. Ich befand mich in der Situation eines Tigers, der durch den Dschungel gleitet, in dem die Jäger auf ihn lauern. Ich glitt in die Gasse hinein, stieg über den stöhnenden Mann hinweg und bog am Ende der Gasse nach links. Als ich wieder auf die Hauptstraße kam, hatte ich die Lichtbarriere umgangen. Doch was nun? Ich glitt weiter durch die Nacht und fragte mich, wie viele Männer Barton Woodwade hier noch bei sich haben mochte – drei – sechs – zehn? Aber gleichgültig, wie viele es waren, er brauchte für sich und diese Leute Wasser. Nicht nur hier in der Stadt, sondern auch später, wenn sie die Stadt verlassen wollten.
Es mussten einige Fässer voll sein. Oder andere große Behälter, die man transportieren konnte. Woodwade musste ja überhaupt eine Menge transportieren. Denn er hatte hier viel Beute gemacht an Gold in verschiedenster Form, also Goldstaub, Nuggets, Barren. Er hatte auch Geld mitgenommen, zumeist Hartgeld, aber auch Scheine der verschiedensten Werte. All das – also Wasser, Gold und Geld – konnte er nicht auf Packtieren transportieren. Das wäre mit dem Aufund Abladen zu umständlich gewesen. Er musste alles auf einem Wagen haben. Bereits fertig aufgeladen. Und wo stand dieser Wagen? Das fragte ich mich. Da gab es eigentlich nur einen Platz! Ich machte mich auf den Weg. *** Länger als eine Stunde benötigte ich, um in den Hof des El Dorado Palace zu gelangen, der durch einige Schuppen und die Aborte begrenzt wurde. Nach der Vorderseite – also hinaus zur Plaza – fiel aus der Tanzhalle Lichtschein. Doch die Spielhalle und der Saloon waren unbeleuchtet. Hier hinten im Hof herrschte tiefe Finsternis. Mein Gewehr hatte ich in einer Gasse zurückgelassen, wo ich es dicht an einer Hauswand niederlegte. Ich kroch in den Hof des El Dorado Palace hinein. Immer dann, wenn ich verharrte und lauschte, hörte ich Geräusche. Es waren Männer im Hof, wahrscheinlich zwei.
Was hatten sie hier für eine Aufgabe? Bewachten sie den von mir vermuteten Wagen oder lauerten sie nur, um die Hintereingänge zu bewachen. Ob Elsa oben in einem der Räume war, dort, wo sie mit Barton Woodwade lebte, dem sie sich ergab, weil ich sie nicht hatte beschützen können? Ich hörte auch in einem halb offenen Schuppen die Geräusche von Pferden. Zumindest sechs Tiere mussten dort stehen. Als ich nach oben zu den Fenstern blickte, da sah ich den Lichtschimmer hinter den Vorhängen. Es war nur ein winziger Schimmer, kaum erkennbar. Doch ich wusste Bescheid. Elsa war noch dort oben. Vielleicht war sogar Barton Woodwade bei ihr. Und beide warteten mit wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Gefühlen auf die Nachricht, ob Les Fargo und dessen Revolverschwinger mich erwischt hatten. Die Schüsse mussten sie gehört haben. Und danach hatte sich schon lange nichts mehr gerührt. Das alles musste an ihren Nerven zerren. Ich glitt weiter und erreichte das linke Vorderrad eines abgestellten Wagens. In diesem Moment brach der Mond durch die Wolken. Ich warf mich unter den Wagen. War es gut gegangen? Jemand rief: »Bruce, unter dem Wagen bewegt sich was!« Und dann begann ein Colt zu feuern. Schon die erste Kugel traf mich schmerzvoll wie ein Peitschenhieb. Doch sie erwischte mich nicht voll. Ich rollte ein Stück zur Seite, brachte die Schrotflinte in Anschlag und feuerte auf das Mündungsfeuer des Colts.
Ja, auch diesmal traf ich voll. Das war mit einer Schrotflinte auch kein großes Kunststück. Ein Mann brüllte von der anderen Seite des Hofes, dort wo die Pferde im Schuppen standen, immer wieder: »Er hat Bruce erwischt! Er hat Bruce! Kommt und helft mir! Er hat Bruce erledigt!« Dann begann er zu schießen. Seine Mündungsfeuer verrieten mir seine Position, und als er zum dritten Mal schoss, feuerte ich mit dem Colt zurück. Er stieß einen heiseren Schrei aus, der dann stöhnend abbrach. Ich musste auch ihn gut genug getroffen haben. Als ich unter dem Wagen hervorkroch und mich aufrichtete, schmerzte meine Seite. Doch ich achtete nicht darauf, auch nicht darauf, dass mir das Blut aus einer Wunde lief. Ich lud die Schrotflinte neu. Da ich dicht beim Wagen stand und der Mond immer noch schien, konnte ich die beiden Fässer auf dem Wagen sehen, dazu all die anderen Packen und Ballen. Ja, das musste der Wagen sein, mit dem Barton Woodwade seine Beute durch die Wüste in Sicherheit zu bringen hoffte, sobald er hier fertig war. Vielleicht wollten sie aufbrechen, sobald Kid Hardin zurück war und noch einmal bestätigte, dass der Creek nie wieder Wasser führen würde. Doch dann war Kid Hardin tot quer über seinem Pferd zurückgekommen. Und da wussten Woodwade und Fargo endlich Bescheid. Ich trat ein wenig zurück und feuerte beide Läufe in die Wasserfässer. Das grobe Indianerschrot riss mächtige Löcher. Das Wasser begann zu plätschern, als würden einige Pferde ihren Harn ablassen. Ich sprang fort vom Wagen weg und zum Schuppen hinüber, in dem die Pferde standen. Ja, es waren sechs
Pferde. Vier waren gesattelt. Zwei sollten als Zugpferde des Wagens dienen. Nun wusste ich Bescheid. Vier Sattelpferde und zwei Wagenpferde. Der Wagen brauchte einen Fahrer. Auch Elsa würde im Wagen mitfahren. Also waren insgesamt fünf Männer hier in der Stadt. Drei hatte ich niedergekämpft. Also blieben noch zwei. Ich wusste, dass es Barton Woodwade und Les Fargo sein würden. Wieder hatte ich die Schrotflinte geladen. Nun lehnte ich außen an der Schuppenwand und wartete, ob jemand kommen würde. Doch es kam niemand. Ich fühlte nach meiner Wunde. Die Kugel hatte mir eine Furche über eine Rippe gerissen. Ich nahm mein Halstuch ab und schob es unter das Hemd auf die Wunde. Wahrscheinlich würde es bald festkleben. Wieder wartete ich, und meine Ungeduld machte mir zu schaffen. Wo steckten die beiden Feinde? Sollte ich bis Tagesanbruch warten? Warum kamen sie nicht zum Wagen? Schließlich befand sich auf dem Wagen das für sie so wichtige Wasser, und jetzt lief es aus den Fässern und versickerte im Boden. Hier war die große Beute. Und hier waren auch die Pferde. Warum kamen sie nicht? Ich lud meinen Colt. Dann machte ich mich wieder einmal auf den Weg. Nein, ich wollte nicht länger warten und lauern. Ich wollte die Sache endlich zu einem Ende bringen.
Ich ging um das lang gestreckte Gebäude des El Dorado Palace herum und erreichte die Gasse, durch welche ich zur Vorderseite gelangen konnte. Da nach vorne Licht über die Fahrbahn fiel, war es dort etwas heller. Ich konnte die Gassenmündung deutlich vor mir sehen. Doch hinter mir war Dunkelheit. Ich wusste also, dass ich mich gegen die hellere Gassenmündung deutlich abheben würde. Wenn jemand hinter mir am Ende der Gasse lauerte, dann würde er mich sehen, bevor ich aus der Gasse um die Ecke des Gebäudes biegen konnte. Verdammt, sollte und durfte ich das wagen? War es nicht zu leichtsinnig, zu verwegen? Vertraute ich nicht zu tollkühn auf das Glück? Ritt mich der Teufel? Ich verharrte in der Dunkelheit, lehnte an der Seitenwand des El Dorado Palace. Die Ungeduld zerrte an meinen Nerven. Allmählich bekam ich mich wieder unter Kontrolle. Mein feiner Instinkt begann wieder wirksam zu werden, und so versuchte ich, die lauernde Gefahr zu spüren. Aber ich empfing keine Warnsignale. Es fehlte jede Spur einer bösen Vorahnung. Und so beschloss ich, es zu wagen. Ich setzte mich in Bewegung, blieb dicht an der Hauswand und bewegte mich überdies auch noch geduckt auf die Gassenmündung zu. Und je näher ich ihr kam, umso deutlicher hob sich meine huschende Gestalt gegen den etwas helleren Fleck der Gassenmündung ab. Das wusste ich genau. Und ich hielt meine Schrotflinte bereit, hatte also beide Hähne gespannt und musste nur noch die Abzüge durchreißen.
Plötzlich war da das warnende Gefühl im Nacken. Ja, es war jäh vorhanden. Und so duckte ich mich tiefer, wirbelte herum. Ich sah in das Mündungsfeuer, welches am anderen Ende der Gasse aufzuckte. Die erste Kugel traf mich nicht. Dann hatte ich mich zu Boden geworfen, sodass auch die zweite Kugel mich nicht traf. Als ich zum dritten Mal in das Mündungsfeuer am Ende der Gasse sah, drückte ich beide Läufe ab. Die dritte Kugel des Schützen am Ende der Gasse traf mich wie ein Peitschenhieb, fetzte durch meine Kleidung und riss mir über dem Schulterblatt die Haut auf. Aber dann schoss der Bursche nicht mehr. Meine beiden Schrotladungen mussten ihn erwischt haben. Auch als ich mich erhob und nun gewiss deutlich in der Gassenmündung als Gestalt zu erkennen war, fiel kein Schuss mehr. Ich fragte mich, ob es Les Fargo oder Barton Woodwade war, den ich getroffen hatte. Doch ich ging nicht hin, um nachzusehen. Als ich um die Ecke bog, sah ich die herausfallende Lichtbahn etwa zwanzig Schritte weit vor mir. Dort war der Eingang zur Tanzhalle. Der Eingang zum Saloon war mir näher, nämlich keine acht Schritte weit. Die Tür stand offen. Drinnen war es dunkel. Ich wagte es und glitt hinein. Doch dabei stieß ich gegen einen Stuhl, welcher offenbar zu diesem Zweck hier in den Weg gestellt wurde. Aus dem Durchgang, welcher hinüber zur Tanzhalle führte, fiel schwächer Lichtschein. Und dann klang Les Fargos Stimme herüber: »Bist du das, Shannon? Hast du
Woodwade mit der Schrotflinte erledigt? Dann komm herüber, damit wir es nach der guten alten Art austragen. Komm schon! Ich warte! Und ich will einen fairen Kampf mit dir. Oder fürchtest du dich?« Ja, diese Worte waren von Les Fargo zu erwarten gewesen. Denn der Stolz dieses Revolvermannes verlangte von ihm immer wieder eine Bestätigung, dass er doch der Größte war. Gewiss war es ihm schwer genug gefallen, immer wieder von Woodwade Befehle anzunehmen. Und wahrscheinlich hätte er selbst lieber die schöne Frau vernascht, welche Woodwade mir wegnahm wie ein Despot einem Untertan. Nun stärkte es wahrscheinlich auch gewaltig sein Selbstgefühl, dass ich Woodwade erledigt hatte, ihn aber noch nicht. Und so wollte er der große Sieger sein. Draußen wartete ein Wagen, beladen mit Gold und Geld. Dennoch zählte dies alles nicht so viel für ihn wie ein siegreiches Duell mit mir. Ich zögerte. Denn wenn ich durch den engen Gang hinüber in die Tanzhalle ging, konnte er diesen Gang gewissermaßen mit Blei füllen – und dann waren meine Chancen sehr viel geringer als in der Gasse. Dennoch bewegte ich mich. Denn ich glaubte, dass er wahrhaftig einen fairen Zweikampf wollte. Ich war davon instinktiv überzeugt. Denn ich wusste um seinen eitlen Stolz. Und so ging ich hinüber. Auch in der Tanzhalle gab es eine lange Bar gegenüber der Bühne. Er lehnte an einem Kopfende der Bar. Ich hatte die Schrotflinte wieder geladen. Doch als ich Les Fargo dort am Thekenende lehnen sah, mit
einem halb vollen Glas in der Hand, da wusste ich, dass ich die Schrotflinte diesmal nicht abfeuern würde. Nein, diesmal würden wir es mit dem Colt Mann gegen Mann austragen. Er prostete mir zu. Dann sagte er: »Du bist ein besonderer Bursche, Shannon. Das erkannte ich zu spät, viel zu spät. Denn du hast verstanden, dich zu tarnen. Schenk dir einen Drink ein, denn bald wird einer von uns tot sein. Deshalb sollten wir einander noch mal zutrinken wie Männer, die zwar Gegner sind, sich jedoch gegenseitig respektieren. Ob es auch in der Hölle Drinks gibt?« Ich legte die Schrotflinte auf die Theke. Dann trat ich hinter sie und nahm eine Flasche aus dem Regal, fand auch ein Glas. Ja, mir war nach einem Drink. Ich brauchte einen Schluck Feuerwasser. Aus zwei Wunden lief mir das Blut am Körper nieder, tränkte meine Kleidung. Und gleich musste ich mit dem Colt gegen Les Fargo kämpfen – ums Leben kämpfen. Ja, ich wollte einen Schluck Feuerwasser, damit meine Lebensgeister noch einmal so richtig wach wurden. Gleich kam es auf Reflexe an, auf instinktives Zielen und Feuern aus der Hüfte heraus. »Du hast doch durch Sprengungen den Creek umgeleitet, nicht wahr?« So fragte Fargo, indes ich das Glas füllte. Ich nickte, stellte die Flasche weg und hob das Glas. Im Schein der Karbidlampe funkelte der Whisky. Ob es mein letzter Drink war? »Ich hätte niemals geglaubt, dass ein einziger Mann diese Stadt erledigen und die Welt so sehr verändern könnte«, sagte Les Fargo und hob ebenfalls das Glas. »Das war wirklich ein toller Coup.«
Ich erwiderte nichts mehr. Aber wir tranken unsere Gläser leer und stellten diese dann sachte auf die Theke. Nun handelten wir wortlos wie auf stillschweigendes Einverständnis. Denn alles vollzog sich jetzt nach dem alten Schema. Wir traten hinter den Thekenenden hervor und standen uns nun ungedeckt gegenüber. Ich hatte die Theke rechts von mir, er links. Wir stellten die Füße ein wenig auseinander, suchten festen Stand und beugten unsere Oberkörper aus den Hüften heraus etwas vor, waren bereit, Kugeln aufzufangen und möglichst nicht zu schwanken. Denn dann würden wir nicht mehr richtig zielen können. Wir rückten nochmals unsere Revolver und deren Holster zurecht. Dann waren wir bereit. Etwa drei Sekunden lang sahen wir uns regungslos im weißlichen Schein der Karbidlampe an. Dann zischte Les Fargo: »Jetzt!« Und dann reagierten wir nur noch reflexartig, gar nicht mehr bewusst, denn unsere Reflexe waren schneller als jeder Gedanke. Nur ein einziger Wille beherrschte uns, nämlich der des Überlebens. Jeder wollte überleben. Das aber bedeutete, den anderen zu töten. Wir feuerten gleichzeitig. Nein, er schlug mich nicht beim Ziehen, und hätte ich mir nicht vor einiger Zeit das Handgelenk gebrochen, so hätte ich ihn vielleicht sogar um jenen entscheidenden Sekundenbruchteil geschlagen. Aber so feuerten wir gleichzeitig. Und gleichzeitig schlugen unsere Kugeln auch ein.
Er schwankte rückwärts, hielt sich dann mit einer Hand am Schanktisch fest und versuchte den Colt noch einmal auf mich zu richten. Doch die Waffe schien jetzt hundert Kilo in seiner Hand zu wiegen. Er brachte sie nicht mehr hoch. Und so schoss er die zweite Kugel in die Dielenbretter. Dann fiel er auf die Knie und flüsterte heiser: »O Vater im Himmel…« In seiner Stimme war ungläubiges Staunen, so als hätte er niemals ans eigene Sterben gedacht, obwohl er selbst schon so viele Gegner sterben ließ. Er lag dann auf seinem Gesicht und streckte sich. Ich selbst schwankte. Es wurde mir schwarz vor Augen. Und dann endlich spürte ich den Schmerz in der Schulter. Ja, er hatte mich in die rechte Schulter getroffen. Das Ausschussloch musste groß sein, denn ich spürte, wie das Blut aus mir herausrann. Und so begriff ich, dass ich Hilfe brauchte. Wo war Elsa? Ich erinnerte mich an den winzigen Lichtschein, den ich vom Hof aus hinter einem der zugehängten Fenster zu sehen geglaubt hatte. Und so rief ich heiser: »Elsa! Hoi, Elsa! Elsa, wo bist du?« Ich brauchte auf ihre Antwort nicht lange zu warten. Denn Elsa stand oben auf der Treppe, auf welcher die Tanzmädchen manchmal mit ihren Freiern nach oben gingen. Ja, dort oben waren die Wohn- und Schlafräume. »Schaffst du es, Lot?« So fragte Elsa zu mir nieder. »Bist du schlimm angeschossen?«
»Aaah, ich schaffe es«, erwiderte ich, nahm die Schrotflinte von der Bar und bewegte mich schwankend zur Treppe. Elsa kam mir entgegen. Mit ihrer Hilfe schaffte ich es in ein Zimmer und auf ein Bett. Dann schwanden mir die Sinne. *** Ich blieb nicht lange bewusstlos. Elsa hantierte an mir herum und goss scharfen Schnaps in die Wunde, füllte damit das Ausschussloch und tränkte später auch die Kompresse und den Verband. Ja, es war ein glatter Durchschuss, dicht unter dem Schlüsselbein, also ziemlich hoch. Es hätte sehr viel schlimmer sein können. Als Elsa merkte, dass ich wieder bei Besinnung war, fragte sie drängend, indes sie immer noch geschickt hantierte: »Was ist mit Woodwade? Hast du auch Woodwade erledigt? Was ist mit Woodwade?« In ihrer Stimme waren Furcht und fast sogar schon Panik. »Ich habe ihn mit der Schrotflinte voll Blei gefüllt«, knirschte ich, denn der scharfe Schnaps brannte und verstärkte noch den Schmerz der Wunden. »Du brauchst dir seinetwegen keine Sorgen mehr zu machen, Elsa.« Sie schwieg, doch sie hantierte immer noch an mir herum. Sie hatte mich entkleidet, auch die anderen Wunden behandelt und mir das Blut abgewischt mit einem nassen Lappen. »Haben wir genug Wasser?« So fragte ich. »Es geht«, erwiderte sie. »Eine ganze Badewanne voll habe ich. Woodwade und dessen Männer haben zuletzt mit den Colts für Wasser gesorgt. Deine Kleidung musste
ich aufschneiden, weil du ja bewusstlos warst und mir nicht beim Ausziehen helfen konntest. Aber ich werde dir Wäsche und Kleidung aus Woodwades Schrank bringen.« Sie wandte sich zu einem Schrank an der gegenüberliegenden Wand. Ich aber sah mich im Zimmer um, und da begriff ich, dass sie mit Woodwade in diesem Zimmer gelebt hatte. Sie hatte ihm gehört, so wie sie zuvor mir gehörte. Als sie mit Unterwäsche und anderem Zeug vom Schrank zurückkam, begegneten sich unsere Blicke im Lampenschein. Offenbar konnte sie meine Gedanken lesen oder meine Empfindungen spüren. Denn sie sagte: »Was sollte ich tun? Er wollte mich, und ich wollte nicht verlieren, sondern mit Gewinn davonkommen. Was also sollte ich tun? Ich habe schon vielen Männern gehört, und kaum einen liebte ich mit dem Herzen.« »Auch mich nicht«, sagte ich. »Nicht wahr, auch mich nicht?« Sie stand vor dem Bett und sah auf mich nieder. Dann hob sie die Schultern und ließ sie wieder sinken, drückte Unsicherheit aus. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Wahrscheinlich kann ich gar nicht richtig lieben. Offenbar fehlt mir da etwas. Aber ich hätte meine Schulden bei dir redlich bezahlt. Und es machte mir Freude, in deinen Armen zu liegen.« »Danke.« Ich grinste spöttisch. Dann aber wurde mir wieder etwas flau. Ich versuchte mich zu entspannen, Kraft zu schöpfen. Sie aber setzte sich auf den Bettrand und begann mir die Unterhosen anzuziehen. »Du hast sie also alle erledigt«, murmelte sie dabei. »Nun sind wir wieder frei. Und unten im Hof steht ein
Wagen voller Beute. Wir können hier nicht bleiben, sondern müssen fort. Ich werde dir in den Wagen helfen. Dann werde ich fahren. Es gibt noch viel zu tun für mich.« »Ein Menge«, grinste ich schief. »Ich habe die beiden Wasserfässer, die auf dem Wagen standen, in Fetzen geschossen. Hast du noch so viel Wasser in deiner Badewanne, dass es für Pferde und Menschen reicht? Es ist ein verdammt langer Weg durch die Wüste.« Sie sah mich entsetzt an. »Du hast die Wasservorräte auf dem Wagen…«, begann sie fast tonlos. »Ja, das hat er«, sagte da Woodwades Stimme von der offenen Tür her. Wir sahen hin. Elsa stieß einen erschreckten Laut aus. Ja, da stand Woodwade und zielte mit dem Colt auf mich. Er blutete aus einigen Wunden, denn ich hatte ihn tatsächlich mit dem Indianerschrot getroffen. Er hatte eine Menge abbekommen, doch nicht genug. Auch an der Schläfe blutete er. Vielleicht war er sogar eine Weile bewusstlos gewesen. Er konnte auch beim Fallen mit dem Kopf irgendwo hart angeschlagen sein. Aber wie es auch war, er stand dort, zielte mit dem Colt auf mich und grinste hart und gnadenlos. »Du bist schon ein tüchtiger Bursche«, sprach er heiser und kam etwas näher an das Fußende des Bettes heran. »Wahrhaftig, du bist ein Großer. Und wenn man alles genau abwägt, dann konntest du mir mächtig viel Schaden zufügen. Doch letztlich ist nur der Überlebende der Gewinner.« Ich sah ihn an, und aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass Elsa aus meiner Nähe wich, sich also von der Bettkante erhob und aus meinem Blickfeld verschwand. Nur noch Barton Woodwade war für mich zu sehen.
Ich sah ihn unverwandt an und wusste, dass ich keine Chance mehr hatte. Er zielte auf mich. Wenn er schoss, dann war ich tot. Und er hatte es richtig gesagt: Wer am Leben blieb, der war letztlich der Gewinner. Ich sagte: »Dieser Les Fargo war gegen dich ein stolzer Hidalgo, ein wirklicher Ritter. Denn er trug ein faires Duell mit mir aus. So edel bist du wohl nicht, ein Bester – oder?« Er grinste und schüttelte sofort den Kopf. »Nein«, sagte er, »so edel bin ich nicht, Lot Shannon. Ich war noch nie edel und gut. Gleich wirst du zur Hölle fahren.« Ich sah ihm an, dass er die Sekunden auskostete. Denn eigentlich hatte ich ihn geschlagen. Er musste hier fort, sich retten, solange es noch Wasser gab. Ich erkannte in seinen Augen, dass er im nächsten Moment abdrücken würde. Und so handelte ich noch einmal reflexartig, gar nicht bewusst. Es war ganz einfach der Selbsterhaltungstrieb, der mich zu einer heftigen Bewegung veranlasste. Ich rollte aus dem Bett und fiel zu Boden. Er aber schoss auf mich – einmal, zweimal. Doch seine Kugeln streiften mich nur, eine am Oberschenkel und eine an der Hüfte. Dann musste der dritte Schuss kommen, der mich endgültig erledigte. Aber da krachte die Schrotflinte. Der Raum war voller Pulverdampf. In die Stille hörte ich Elsa flüsternd sagen: »Das war es also. Ich habe ihn umlegen müssen. Denn du warst besser als er. Dich sollte er nicht überleben dürfen, nicht dich.«
Ich sagte vom Boden aus neben dem Bett hervor: »Ich lebe noch, Elsa. Ich bin noch längst nicht tot.« Sie kam um das Bett herum und sah auf mich nieder. »Das freut mich«, murmelte sie und hielt die leer geschossene Schrotflinte immer noch in den Armen. »Ja, das freut mich wirklich. Ich habe dir das Leben retten können.« »Aber ich blute aus zwei neuen Wunden«, murmelte ich. »Und bald werde ich kein Blut mehr haben.« Sie warf die Flinte weg und kam zu mir, um mir aufs Bett zu helfen. Dann verlor ich die Besinnung. *** Mehrmals erwachte ich in den nächsten Stunden, schien aufzusteigen aus bodenlosen Tiefen zu Licht und Leben. Doch immer wieder fiel ich zurück in diese dunklen Tiefen, aus denen ich mich mühsam hochgekämpft hatte. Irgendwann aber wurde ich endlich richtig wach und kam zu Bewusstsein. Meine Gedanken quälten sich zuerst mühevoll. Dann endlich kamen die Erinnerungen. Und schließlich war die Frage da: Wo ist Elsa? Ich öffnete die Augen. Es war Tag, längst schon Nachmittag. Denn die Sonne stand – wie ich durch das Fenster sehen konnte – im Westen. Und ich hatte Fieber. Ein gewaltiger Durst quälte mich. Als ich den Kopf wandte, da sah ich die Kanne neben mir auf dem Nachttisch. Daneben stand ein gefülltes Glas mit Wasser.
Ich rollte mich mühsam zur Seite. Als ich mit zitternder Hand nach dem Glas griff, da entfiel es mir fast. Ich verschüttete eine Menge. Und ich dachte: Das Wasser ist so kostbar. Ich darf nichts verschütten. Dann trank ich. Es wurde mir etwas besser. Wieder fragte ich mich: Wo ist Elsa? Ich hob den Kopf und sah durch die Messingstäbe des Bettendes. Und da sah ich Barton Woodwades Leiche liegen. Dort war er hingeschlagen, nachdem Elsa ihm beide Ladungen Schrot in die Seite geschossen hatte. Da lag er immer noch. Warum hatte ihn Elsa nicht an den Füßen aus dem Zimmer geschleift? Warum lag er noch hier? Ich begriff, dass ich auf die Beine kommen musste. Und so versuchte ich es. Als ich auf dem Bettrand saß, nur bekleidet mit der Unterhose, welche Elsa mir noch übergestreift hatte, bevor Woodwade kam, da sah ich endlich das Stück Papier neben dem Wasserkrug auf dem Nachttisch. Ich griff danach. Als ich zu lesen versuchte, verschwamm das Geschriebene vor meinen Augen. Doch dann wurde es besser. Ich konnte lesen: »Lot Shannon, ich will nicht länger warten. Und ich würde dich ohne deine Hilfe auch nicht in den Wagen bekommen. Das Wasser wird ohnehin kaum reichen. Also leb wohl. Ich will mit der Beute entkommen und nicht noch mal verlieren. Vielleicht schaffst auch du es doch noch. Aber ich will nicht warten. Immerhin habe ich noch für dich getan, was ich konnte. Leb wohl! Und viel Glück! Elsa« Ich las es immer wieder.
Doch dann sagte ich mir, dass ich von ihr nichts anderes hatte erwarten können. Sie war eine Glücksjägerin, eine Abenteurerin, eine Spielerin, die schon oftmals in ihrem Leben verloren hatte. Und schließlich hatte ich sie ja auch im Stich gelassen in jener ersten Pokernacht. Sie hatte damals verloren. Nun wollte sie gewinnen. Und sie hatte kein Herz. Sie konnte nicht mit dem Herzen lieben. Ich schloss meine Augen und sah sie vor meinem geistigen Auge. Ich sah, wie sie auf der breiten Fährte all jener Menschen, die schon vor ihr San Angelo verließen, durch die Wüste fuhr. Eigentlich wünschte ich ihr sogar Glück. Ich zwang mich nun aufzustehen, erreichte mühsam das Fenster zum Hof und blickte hinunter. Elsa hatte die Vorhänge weggezogen und das Fenster geöffnet. Der Wagen war fort. Nur die Leichen meiner Gegner lagen im Staub. Ja, Elsa hatte sich mit der Beute davongemacht. Ich ging wieder zum Bett zurück, setzte mich, trank noch etwas Wasser und legte mich wieder lang. Ich fiel wieder in bodenlose Tiefen. *** Als ich erwachte, war es Nacht. Doch ich war nicht mehr allein. Trotz des Wundfiebers erkannte ich im Schein der Lampe Lindas Gesicht über mir. Es lächelte auf mich nieder. Ihre Lippen bewegten sich. Sie sagte etwas, doch ich konnte es nicht verstehen.
Am nächsten Morgen erwachte ich, weil sie mir einen bitteren Tee einflößte. Juan Coronado war ebenfalls da. Er betrachtete mich ernst. »Hallo«, ächzte ich, »da seid ihr ja.« »Sicher«, sagte Juan. »Und du hattest Glück, dass wir die Stadt nicht umritten, sondern nachsehen kamen, weil Linda das so wollte. Du hast hier offenbar einen großen Kampf geliefert. Bist du nun glücklich? Und Elsas Brief haben wir auch gelesen. Vielleicht kommst du dir wie ein Narr vor – oder?« »Vielleicht«, murmelte ich. »Aber ihr solltet euch nicht lange hier bei mir aufhalten, weil auch euch sonst die Wasservorräte knapp werden und ihr nicht mehr durch die Wüste kommt.« »Zerbrich dir um uns nicht den Kopf«, erwiderte Juan Coronado trocken. »Du weißt ja, wir haben immer noch die kleine Sickerquelle im oberen Canyon, vor die wir das Zelt stellten. Ich kann dort alle vierundzwanzig Stunden einen Eimer voll holen. Das ist zwar nicht genug für die Pferde und uns, aber es streckt ein wenig unsere Vorräte. Hier ist nicht ein einziger Tropfen Wasser mehr in der Stadt – nur noch einige Flaschen Schnaps. Wir…« Ich hörte seine Stimme immer leiser und entfernter. Denn ich schlief wieder ein. Diesmal fiel ich in wilde Fieberträume. Es hatte mich schlimm erwischt. All die Wunden waren zwar nicht lebensgefährlich, aber selbst für einen zähen Burschen wie mich irgendwie zu viel. Ich hatte eine Menge Blut verloren. Auch entzündeten sich die Wunden. Manchmal, wenn ich aus meinem Wundfieber erwachte, sah ich Linda an meinem Bett. Sie pflegte und kümmerte sich fortwährend um mich, gab mir immer wieder Tee zu trinken und säuberte meine
Wunden, tränkte sie immer wieder mit dem hochprozentigen Schnaps, von dem genug vorhanden war. Juan Coronado sah ich selten. Er war wohl zumeist unterwegs, um von der kleinen Sickerquelle bei unserem letzten Camp immer wieder das Wasser zu holen. Nach dem dritten Tag und der vierten Nacht war ich in meinem Kopf endlich wieder völlig klar und fieberfrei. Ich sah Linda an, die mich mit Tortillastücken fütterte und zwischendurch Tee trinken ließ. Irgendwo in dieser verlassenen Stadt musste sie Teevorräte gefunden haben, vielleicht im Store. Ich sagte: »Linda, warum seid ihr noch hier? Das Wasser muss bald alle sein. Ihr bringt euch um jede Chance, hier aus dieser Teufelsstadt zu kommen, wenn ihr auch nur noch einen einzigen Tag wartet.« Sie lächelte ernst. Dann schüttelte sie den Kopf. »Wir reiten mit dir«, sprach sie schließlich sanft. »Also musst du dich mit dem Gesundwerden beeilen. Sobald du auf einem Pferd sitzen kannst, werden wir reiten. Es liegt an dir.« Ich erkannte in ihren honigfarbenen Augen eine unerschütterliche Gelassenheit. In diesen Sekunden begriff ich erst richtig, was diese Linda für ein Mädchen war. Sie konnte treu sein bis in die Hölle und zurück. Und sie würde niemals nach dem eigenen Vorteil fragen bei ihren Entscheidungen. Ich leckte mir über die trockenen Lippen. Dann fragte ich: »Oha, ich habe in meinem Fieber gewiss eine Menge fantasiert und dummes Zeug gequatscht, nicht wahr?«
»Sicher, eine Menge dummes Zeug«, lächelte sie. »Und dennoch weiß ich jetzt eine Menge über dich, sehr viel mehr, als du glaubst.« »Das ist aber gar nicht gut«, murmelte ich. »Das benachteiligt mich dir gegenüber. Denn nun könntest du dann und wann an mir zweifeln.« »Nie«, erwiderte sie schlicht. »Niemals würde ich an dir zweifeln, Lot Shannon. Diese Elsa, die dich mit reicher Beute verließ und dir nur diesen jämmerlichen Zettel mit ein paar Zeilen hinterließ, ist eine Närrin. Sie kann mir Leid tun. Ich sah sie damals in der Spielhalle. Sie war wunderschön. Aber vielleicht hatte sie deshalb kein Herz mehr. Sie tut mir Leid, obwohl sie mit reicher Beute von hier wegkommen konnte.« Nach diesen Worten beugte sich Linda vor und küsste mich. Ich sah sie mit müder werdenden Augen an. Ja, sie war längst nicht so schön wie Elsa, nur auf eine eigenwillige Art hübsch. Doch sie war ein Mädchen, mit dem ich glücklich werden würde auf der kleinen Ranch bei San Antonio, die ich bald vergrößern und ausbauen würde. *** Am nächsten Tag stand ich auf. Linda stützte mich, hielt mich fest, als sich alles mit mir zu drehen schien. Doch das ging vorbei. Ich schaffte es bis zum Fenster und hielt mich am Rahmen fest, blickte hinaus. Unten war der Hof, in dem die Toten gelegen und der Wagen mit der großen Beute von Barton Woodwade gestanden hatten. Der Hof war leer.
Ich konnte über die Dächer der Schuppen und Magazine sehen, dorthin, wo die Furche des Creeks aus dem Canyon kam. Ich sah einen Reiter aus dem Canyon kommen und erkannte Juan Coronado. Er ritt wie der Teufel. Warum tat er das? Wurde er verfolgt, dass er so schnell ritt? Doch ich sah keinen Verfolger. Er verschwand dann zwischen den Häusern aus meinem Blickfeld. Ich wandte mich an Linda. »Was ist mit dem nur los?« Sie zuckte nur mit den Schultern. Dann sagte sie: »Er hat den Wassersack nicht gefüllt am Sattelhorn hängen. Er wollte Wasser von der Sickerquelle holen. Doch diesmal…« Wir hörten nun den Hufschlag des Pferdes. Juan Coronado galoppierte über die Hauptstraße und bog in den Hof ein. Er kam nun in den Hof gejagt und hielt sein Pferd so scharf an, dass es auf der Hinterhand tanzte. Als er absaß, sah er uns oben am Fenster. Und da stieß er ein triumphierendes Geheul aus. Er schüttelte auch seine Fäuste, so als hätte er einen Sieg errungen. Dann aber verstanden wir endlich sein Geheul, weil er nun verständlicher wurde. Und so hörten wir ihn rufen: »Der Creek! Der Creek kommt wieder! Der Creek wird gleich wieder voll sein! Ich bin mit der ersten Welle um die Wette geritten. Das Wasser kommt zurück!« Wir staunten. Juan kam nun durch die Hintertür ins Gebäude und stürmte sporenklingelnd die Treppe herauf zu uns ins Zimmer.
In der offenen Tür hielt er inne und stemmte seine Hände in die Seiten. Er keuchte nach Luft, grinste irgendwie schadenfroh und sagte dann feierlich: »Also, so groß und wunderbar sind wir nicht, dass wir auf die Dauer diese Welt hier verändern konnten mit fünfzig Kilo Sprengstoff. Der Creek, dem wir das Bett zuschütteten, suchte sich dort in den Bergen einen neuen Weg. Gewiss musste er einen Umweg machen, vielleicht eine Schlucht zu einem See werden lassen, bis der Wasserstand für einen Abfluss hoch genug war. Doch dann kam er in den Bergen in sein altes Bett zurück. Er ist wieder da!« Ich wandte mich dem Fenster zu, sah über die Dächer hinweg aus der Stadt am Canyon hinauf. Ja, da konnte ich es sehen. Im Creekbett bewegte sich was. Diese schmutzige Furche, welche von all den Goldgräbern und Schürfern durchwühlt und verschandelt worden war, in welche man allen Abfall kippte und alle Abwässer fließen ließ, war wieder lebendig geworden. Der Creek lebte wieder. Und vielleicht hatte er die Chance, wieder so zu werden, wie er einst gewesen war, bevor man hier das Gold fand. Doch wahrscheinlich bekam er diese Chance nicht. Denn wenn es sich erst herumgesprochen hatte, dass der Creek wieder Wasser führte, dann würden sie alle wieder zurückkommen – all jene, die fortgelaufen waren, um sich zu retten. Vielleicht würde San Angelo dann ohne Barton Woodwade eine bessere Stadt sein. Doch ich vermochte es nicht zu glauben. Denn die Menschen werden niemals klüger. Sie machen stets die gleichen Fehler – seit ewigen Zeiten.
Und so wusste ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, dass wir die Natur nicht hatten besiegen können und alles wieder so werden würde wie früher. *** Drei Tage später ritten wir los, und wir würden die Ersten sein, welche von der Wiedergeburt des Creeks berichten konnten. Wir ritten langsam, denn ich war noch sehr schwach. Wasser hatten wir genug. Unterwegs sagte ich Juan Coronado, dass ich mit Linda zu meiner Ranch bei San Antonio wollte und er die kleine Ranchfür sich behalten könne, die mein Bruder und er gegründet und deren erste Fleischherde sie nach San Angelo gebracht hatten. Wir kamen wenig später über den Kamm eines mit Kakteen bewachsenen Hügelrückens und blickten in die Senke hinunter, durch welche sich die breite Fährte des Wagenwegs zog. Diesen Weg waren sie alle durch die Wüste gezogen, nachdem es kein Wasser mehr gab. Unten in der Senke stand der Wagen. Der Boden in der Runde war zerstampft von vielen Pferdehufen. Es war der Wagen, mit dem die schöne Elsa fortgefahren war. Wir ritten hinunter. Elsa lag halb von Sand und Staub zugeweht zwischen zwei Kakteen, um deren bunte Blüten Insekten schwirrten. Juan sprang ab und drehte die Tote auf den Rücken. Nun sahen wir das Kugelloch an ihrer Schläfe. In ihrer verkrampften Hand hielt sie noch den kleinen Revolver, den sie stets bei sich getragen hatte – entweder im Strumpfband oder in einer Rocktasche.
Juan begann die Spuren zu betrachten. Er schnüffelte fast wie ein Jagdhund in der Runde umher. Als er zu uns kam, sagte er ernst: »Das waren wahrscheinlich Bandoleros aus Mexiko, welche auf einem Raubzug über die Grenze kamen. Die kennen hier in der Wüste einige Wasserstellen. Elsa muss sich selbst getötet haben, als sie begriff, in welche Hände sie gefallen war.« Ich nickte. Und ich dachte: Einer ganzen Bande wollte Elsa nicht gehören. Nein, das konnte sie nicht. Mit einem Mann hätte sie sich arrangiert, so wie schon oft auf ihren Wegen. Aber… Wir beerdigten sie. Von der Beute war nichts mehr da. Die hatten die Bandoleros – mexikanische Straßenräuber und Banditen – mitgenommen. Wir ritten weiter. ENDE