DER ZÄRTLICHE VORSTOSS in sechsundsechzig Gedichten
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OTTO MAINZER
Nachdruck der Originalausgabe von 1939 mit eine...
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DER ZÄRTLICHE VORSTOSS in sechsundsechzig Gedichten
von
OTTO MAINZER
Nachdruck der Originalausgabe von 1939 mit einem Nachwort
P. Kirchheim
© P. Kirchheim Verlag, München 1986 Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 3-87410-017-0 Printed in Germany Scan by maoi
n 2003
2003/I-1.0
DER ZÄRTLICHE VORSTOSS in sechsundsechzig Gedichten
von
PETER GRUND
Zweite Auflage LES PRESSES MODERNES 96, Galerie Beaujolais, au Palais-Royal PARIS l er
IN DER NOTZEIT DEUTSCHER DICHTUNG GEDRUCKT MIT HILFE EINER VON ANDRÉ GIDE, HEINRICH MANN, ARNOLD ZWEIG ERÖFFNETEN SUBSKRIPTION
AUFLAGE : SIEBENHUNDERT EXEMPLARE
Paris 1940 Copyright by Peter Grund Alle Rechte vorbehalten Printed in France
I DER FISCHER SPRICHT
1 Ihr grossen Frauen, die zu wohlerzogen, um ein behostes Wesen anzusehn, ihr grossen Kinder, die, um sich betrogen, in Hermelinen durch die Wüste gehn : Ich bin ein Fischer aus dem Morgenlande und habe ein Geheimnis zu vergeben, ich lehre, was ein Weib ist, lehre leben ! Mir einen Blick zu gönnen bringt nicht Schande. Ich lehre arme Leute reich zu sein, die Reichen lehre ich, nicht zu verarmen, ich lehre harte Herzen weich zu sein und kalte Leiber zu erwarmen. Selbst Königinnen kann geholfen werden, ich habe einen Blick sie zu verschönen in kleine Mädchen, die vor Wollust stöhnen : vorbei sind die durchlauchtigen Beschwerden. Ihr schönen Frauen, krank von Langerweile, versuchet mein Rezept, das Glück zu binden ! Es ist kein zärtlich Herz, das ich nicht heile, und, was ein Weib ist, lehre ich — empfinden.
2
Ich suche Menschen mit der Starklichtbirne, ich suche auf dem Markte schöne Seelen, ich möchte mir ein wenig Liebe stehlen und — auf dem Strich bald kenn ich jede Dirne. Ich sehe Viele auf zwei Beinen gehen, sie haben Augen und sie haben Ohren, sie sehn mir ähnlich wie der Mohr dem Mohren, nur — dass ich meine Augen hab zum Sehen. Ich scheine nicht in diese Welt zu passen, mein Herz ist Feuer, ihre Seele Schleim, auf meine Sehnsucht wuchs kein blasser Reim, ich suche Menschen unter Menschenmassen.
3 Es war in Berlin : auf der grossen Strasse stand mein. Gesicht, und durch die Netzhaut kamen sie alle marschierten, ruderten, tanzten dahin, es gab kein Erkennen, kein Grüssen : zu kurz war der Blick und wo ich immer mich aufgestellt, sie trugen alle nur Eins im Sinn Geld ! und einzig ein Habenichts sah ihre süssen verkauften Seelen — das war in Berlin. Und dann in Paris. Auf der grossen Strasse stand mein Gesicht, und durch die Netzhaut gingen sie alle sie trippelten, nähten, schwärmten dahin, es gab keinen Gruss, kein Erkennen : zu kurz war der Blick und wie ich immer mich aufgestellt, sie wollten mir nicht in die Arme rennen, sie rannten nach Geld — ein einziger kleiner Feuerwehr-Mann sah ihre verkauften Seelen verbrennen Das war in Paris. Auf die Strasse der Welt werf ich mein Herz, und drüber mögen sie fahren, alle ! Immer mit Vollgas, egal wohin es gibt kein Achten, kein Halten denn Zeit ist Geld, und das, das haben sie alle im Sinn... War's ein Brillant, sie sähen ihn gut ! Das Herz ist schnell zerrieben ; nur eines Mannes Urteil wird dort stehn geschrieben auf der Strasse der Welt, geschrieben mit Blut.
4
Hundert Ziegen, hundert gentlemanlike Böcke schieben sakralen Ernstes, leicht zerknüllt, schieben, von möglichst tief gefühltem Dank für die gesellige Vorsehung des Tanzes erfüllt, vorschriftsgemäss mit dem Gesäss ruckend und zuckend — mit süssem Gestank um mich herum. Ich aber denke an dich, Susanne, im Wirbel der Biguine an dich, im Wirbel des Walzers, du sanftes Gesicht, du starke Flamme ! Die du noch nie im Tanze glittest, in Arme gleitend Woge wurdest, die du nichts weisst von deines Leibes verwegener Melodie Die du an sieben Himmel glaubst und schenktest dein Herz den Armen und gehst, von fremder Sünde still gebeugt Den nächsten Tango tanzen wir zusammen, und eine milde, eine wilde Glut wird unsere Stirnen ineinanderschmelzen und dunkle Rosen küssen auf deine Wangen, Susanne, du starke Flamme ! Ich aber blicke in deine Augen, durch schnickende Steisse in deine Augen, die tiefen, durch sieben Himmel dringt mein Blick hinan :
Sieh mich, Susanne ! Ich will den lieben Gott berauben um dein Herz, ich will berauben die Armen um dein Herz, nicht arm bin ich und nicht demutsvoll, ich will mir was ganz Freches mit dir erlauben. Mit dir, du aufrecht Schreitende, die ihres Leibes Geheimnis wüsste, mit dir, Susanne, die ich küsste : aus Engeln gemacht, ein Weib zu werden und höllisch zu lieben auf Erden.
5
Die Strasse ist gratis, ich führe sie mir zu Gemüte an allen sechs Tagen der Woche, aber am siebenten erlaube ich mir, am Abend durch die Cafés zu gehn ; mein täglich trockenes Brot geniesse ich — unberufen ! — an allen sechs Tagen der Woche, aber am siebenten erlaube ich mir, Kaviar essen zu sehn. Es ist ein Genuss : die Karpfen, die Krebse, die Enten, die traumhaft wohlriechendsten Stilleben werden gegessen — zu schön fürwahr, um es durch Neid zu schänden — schubsten mich nur die Kellner nicht so besessen ! Zu sehn, wie durch unwahrscheinliche Mäulchen von Frauen die imposantesten Teller bezwungen werden : ich sehe sie küssen und höre sie kauen, schon fühle ich leichte Magenbeschwerden... Tat twam asi : nicht alle Tage ist Sonntag ! Es rutscht schon besser — der köstliche Tropfen dort aus der Flasche ermögliche die Verdauung — Schwer ist das Leben, doch schön ! ein Prost dem Gebenedeiten, der an sechs Tagen die Wunder der Karpfen und Frauen erfand, am siebenten aber pflegte er der Erbauung.
6
So zarte Pflänzchen Weib sind nichts für mich und Nerven, die noch dünner als die meinen, auch bin ich über deine Reinheit nicht im Reinen hol mich der Zeisig : bin verliebt in dich ! Dein Gang war mir zu stockig, zu bewusst dein Blick, dein Hund, dein sanftes Armerudern, auch sah ich dich mit einem Andern ludern und hätte dich nicht ankucken gemusst bis deine fehldressierten Augen doch entdeckt, was mich vom ersten frechen Blick erschreckt : dass wir zusammen tausend Finger haben und tausend Wunder, zärtlich auszugraben...
7
Was gibt es Schöneres als zweier Augen Gruss, wenn sie mit e i n e m Blicke sich erkennen, wenn alle Regeln fallen, die uns trennen, vom vorgesetzten Wege irrt der Fuss ? Und noch will nicht der Mund die Worte heben, dieweil das Auge schon vertraut, als ob es uns zeitlebens angeschaut — die Worte liegen hoffnungslos daneben. Doch aus der Tiefe gross und klar hat Antwort längst der Blick gegeben : Du gehst mich an, du bist von meinem Leben Mein Freund — bist du es wirklich, ist es wahr ?
8
Es ist eine schwere, süsse Nacht, eine Nacht zum Lieben, und ich bin allein und frage mich : was hast du heute gemacht ? Ich bin durch die Stadt gegangen heute und habe viele Menschen gesehn in der Glut des Tages — wie blühende Bäume, von Lust beladen und schrecklich schön Und Einige waren für mich zum lieben, aber in ihren Zügen stand « N e i n ! » geschrieben. Drum bin ich allein in der heissen Nacht, der Nacht meiner Liebe, und ich frage mich : wie hast du heute den Tag verbracht ? Ich bin durch die ganze Stadt gegangen und habe die jungen Frauen gesehn in der Hitze des Kaufens — wie Kriegsfregatten, komplexbeladen, sah ich sie gehn Und viele, deren Mienen sprachen : 'was soll uns ein Mann ? wir wissen es besser !' und deren Lippen von Wollust brachen, die Mundwinkel klappten wie kleine Messer. Drum bin ich allein in dieser Nacht, und ich bin schon müde, und ich frage mich : was hast du aus deinem Tag gemacht ?
Ich bin durch die Welt gegangen und habe g e s e h n ...in der Blüte des Tages und konnte die Augen nicht schliessen ich sah deine Brüste vor mir stehn und sah dich gemessen, so klar und rein ohne Angst und Lügen, und es konnte ein Fest zwischen uns sein aber in deinen Zügen — da stand von einer stumpfen wirren Hand : Nein !
II PHALLION 9 Es war ein junger Riese, der hatte nie genug, dass er auf seinem Spiesse der Frauen Schönste trug. Er sah auch mit den Händen : er konnte nicht satt sich sehn, an ihren gewölbten Lenden auf - und niederzugehn. Er konnte nicht satt sich fühlen mit seiner braunen Brust nimmer genug sich wühlen in die weisse weibliche Lust. Und wenn sie zusammen ritten den allerletzten Gang, seine Finger verzweifelt glitten an ihrer Schönheit lang Und wenn sie zusammensanken und tauschten den letzten Kuss, seine Hände noch einmal tranken der göttlichen Formen Guss Und seiner Augen Sterne blickten mit sterbendem Strahl in die unerreichbare Ferne, verdurstend allzumal.
10
Die Gräser sangen hoch am Hügelrand, zu unseren Füssen lag die weite See, die Sonne webte mit dem Wind ein Band um mich und meine knusperbraune Phe. Von Küssen lagst du zärtlich hingestreckt und schlangst zum ersten Mal um mich den Arm, auf deiner Hand hab ich noch Salz geschmeckt : kühl grüsst das Meer — doch unser Gruss ist warm ! Fühlst du sie nicht, die Botschaft unsrer Haut, lacht mit dem Wind nicht dein verjüngter Leib, wirst du nicht wieder Mädchen, wirst nicht Weib ? Die Sonne wuchs, die Gräser wurden stumm, dein Wagen kam, du wurdest wieder klug und sagtest « nein », als ich zu spät dich frug — oh Phelalein, mein Gerades wird nicht krumm ! Das Meer bleibt stehen unterm Hügelrand, und was die Sonne mit dem Wind gewebt, die Stunde, die du halb mit mir gelebt, sie liess mir deine Seligkeit zu Pfand.
11
Ich wollte nur ein wenig zärtlich sein und unsere Sinne schlafen lassen « es ist ein schöner Abend », sagtest du, ich ahnte nicht : die Nacht gehört dazu. « Heut sind Sie müde, werden nicht mehr schreiben ? » — ich wünschte dir von Herzen sanften Schlaf, bestieg allein mein keusches Doppelbett und legte mich aufs Ohr, Soldat und brav. Die erste Stunde gab ich gern verloren : 'Ich bin verliebt, daran ist nichts zu machen', ich spielte fort mit deinen schönen Sachen 'Schlaf du nur gut — in mir darfst du rumoren !' Die Uhr schlug drei, und ich begann zu zählen Tausendundeins... Phela, ich liebe dich der Fall liegt ernst... tausendundzwei... Schamlos hör ich mein Herz sich dir entschälen Ich liebe dich : ins Dunkel darf ich's bluten, und als das Licht sich durch die Dämmrung frisst, denk ich : du träumst nicht von den Gluten, du träumst nicht, dass du über Nacht ein Schicksal bist.
12
Lass mich nicht leiden, lass dir einmal zeigen, dass Mann nicht Mann ist, dass es Götter gibt ! Lass mich nicht reden, lass mich zärtlich schweigen, bis du gestehst, wie süss sich's mit mir liebt... Doch nicht mit Van de Veldes Ehekünsten will ich dich locken, noch mit falschen Schwüren, kein Kavalier bin ich und nicht verführen will ich dich weg von dir mit schalen Brünsten — Mit brüderlicher Seele dich umfassen, mit dir zu deinen letzten Sternen schwingen, mit Klarheit dich, Zufriedenheit durchdringen und jede Pore zärtlich dir verpassen das nenn' ich Liebe ! Lass dir einmal zeigen, dass Mann nicht Mann ist, dass es Götter gibt Lass mich nicht reden, lass mich zärtlich schweigen, bis du gestehst, wie süss sich's mit mir liebt !
13
Ich möchte eine Nacht mit dir verbringen, ich möchte ungezählte Stunden mit dir um deine Mädchenseele ringen, bis ich die letzte Zärtlichkeit gefunden. Ich möchte eine Nacht mit dir verspielen, von aller Schwere, aller Scheu entbunden und deines Körpers knospenhaften Runden zuflüstern wie sie mir gefielen. Ich möchte eine Nacht mit dir zusammen sein, an deiner Brust, an deinen Schenkeln ruhn, schlaflos durchglüht von deinen Flammen sein und dir das Zärtlichste vom Zarten tun,
14
Jetzt solltest du in meinen Armen liegen und deinen schönen Rücken biegen in meinen vollen Händen, jetzt sollten die befreiten Brüste wogen von deines Leibes hohem Bogen und tanzen deine Lenden Und unersättlich wie das wilde Meer sollt' deines Leibes Welle schwer an meinem Leib sich brechen, und zwischen deinen Flanken frech und voll in deinen Schoss ohnmächtig toll wollt' ich zu Tod mich schwächen So solltest du — niemals wirst du es lernen, wieviel in deiner Burg dich von dir trennt : Von deinem Element. Von deinen Sternen. Von deinem Bild, das mich verbrennt !
15
Du lächelst blind, du weisst nicht was zerbrach, du zögerst und du gibst die Hand : « auf bald ! » Weisst du, was zwischen Zweien das Schönste ist Wenn Zwei einander das erste Mal sehn, sich ohne Worte entgegengehn und jedes den Tag und die Stunde vergisst. Und wenn der Augen zärtlichem Erfassen die Hände folgen, zitternd ohne Angst, wenn starke Herzen durch den ersten Sturm in Stunden eine Freundschaft wachsen lassen. Und weisst du was das Süsseste für Zwei ? Das ist aus erster Glut ein Kuss der Haut, das Rühren einer Wange, einer Stirne traut, der dritten Stunde matter Liebesschrei — Doch was wir heute nicht vollendet, ist zerschellt ! Ein Freund lud dich zum Fest, du bliebest Puppe, des Herzens Zeiger stand auf Tagessuppe : drei Stunden spielend hast den Frühling du geprellt.
16
Du sollst dich nie auf etwas freuen, was nicht allein an deinem Willen hängt, und wenn der Zufall einmal glücklich lenkt, sollst du den Neid verruchter Götter scheuen Du sollst auf keine Stunde Wünsche bauen und keiner Glückverheissung glauben, du sollst dein Glück erjagen und errauben und keiner Wollust eine Stundung trauen Du sollst den Zufall wie den Teufel hassen und in der Schlacht wie im Gemach der Frauen sollst du dein Schicksal mit zwei Händen fassen und aus der feigen Zeit die Zukunft hauen !
17
Schwarz ist die Nacht und kalt der Sturm, wir fürchten uns nicht, wir schmiegen uns an die Scholle dicht, ein trunkener Wurm. Beisst der Eiswind in die Rippen, wir fühlen es kaum, wir legen zusammen die Lippen, der Wangen Flaum Und über uns peitscht der Wintersturm, die Finger erstarren Hand in Hand, es stöhnt in den kahlen Bäumen, zwei Menschen am Bergesrand flüstern und träumen Der Tod stürmt über das weite Land : sie werden sich nicht erkälten, denn zwischen den stürzenden Welten steht ihrer Seelen Brand.
18
Ich bade im Himmel — « was ist da zu sehn ? », fragen die Leute und bleiben stehn ; ich bin ein Patient des unendlichen Lichts, drum bad ich ins Blaue — weiter nichts.
19
Wenn alle Wolken abgezogen sind, der ganze Himmel ist ein einzig Tor, hebt sich ein Sehnen, mahnend, mit dem Wind und halt ich in der Hand die satten Brüste, die Ferne ruft : was ich noch eben küsste, wird mir zuviel, der Wollust Spiel scheint mir Versäumnis der Unendlichkeit, mein Herz wird wie der helle Himmel weit bis dann am späten Abend schwer mein Schatten durch die letzte Strasse schleicht, kommt da noch wer ? mein Herz ist leer — ich liebe dich — wer weiss ? vielleicht...
20 Auf dieser Bank sass ich mit Aramäus'chen und schwatzte in den ersten warmen Tag, nur notgedrungen gab es mal ein Päus'chen, wenn mein Gesprich an ihrer Wange lag... die Zärtlichkeit kroch aus den Fliederbüschen, und die Kastanien trugen weisse Kerzen, die Vögel eiferten mit Kanzelsprüchen, und meine Hand übt' sich in Frühlingsscherzen... Ach, Aramäus'chen weiss so gut zu lauschen, und wenn ich meine Stirn in ihre Locken schiebe, so hör ich es in unsrem Blute rauschen : das ist der Frühling und — vielleicht — die Liebe.
21 Ich möchte über alle Bänke springen und jeden grünen Baum umarmen und vor den staunenden Gendarmen mich lächelnd in die Lüfte schwingen. Ich möchte eine Bogenlampe schlank zum Spass mit einer Hand ausreissen, ich könnte einen Kassenschrank mit Grazie zu den Sternen schmeissen. Lichten sich auf meinem Haupt die Haare ? Was schiert mich der Chor der Spötter : heute bin ich zwanzig Jahre und ich kenne nur noch Götter !
22 Weil deine ersten Blicke zärtlich waren, und weil du mit der Klugheit Regel brachst und kämest in mein Zimmer voll Gefahren, und weil du einfach wie ein Mädchen sprachst und weil du dich vor meiner Hand nicht sperrtest, als ich die Stirn am weissen Arm gekühlt, und weil du nicht an meinen Fingern zerrtest, die sich in deinen sanften Schoss verwühlt drum stehst du über Königinnen Huld, drum will ich dir mit meinem Mass entgelten, und in der geizigsten der Welten bleib ich voll Zärtlichkeit in deiner Schuld.
23 In meinen Armen brach dein Blick, da lalltest du : ich liebe dich ; wenn du mich einmal kränken musst, geh ich dir diesen Hauch zurück Dein stolzes Köpfchen sank dahin und keuchte nur noch : komm, du, komm ! wenn du mich einmal von dir stösst, so hab ich es dir schon verziehn Du kämest ohne Vorbehalt und konntest dich nicht wehren, darum will ich dich ehren und lieben mit Gewalt.
24
Hunderttausend Jahre möcht ich meine guten kurzen Beine pendeln lassen unter jungen Menschen, alten Bäumen Sonne schlürfen, kühl aus grünen Tassen Hunderttausend Hände möcht ich haben nur zum Streicheln — keine Hand zum Schreiben : vorn und hinten eure holden Gaben zärtlich ins Bewusstsein euch zu reiben Sonsten nichts, nicht Macht noch Ruhmeshöhn, meinetwegen nicht einmal ein Grab, wenn ich täglich nur zu lieben hab hunderttausend Seelen sanft und schön !
III FRÜHLING
RÜSTET AUF
25
Und während wir hier leise sprechen und schauen uns zärtlich an, höre ich von den Enden der Welt Ketten klirren und Knochen brechen — Du sagst : ich glaube an Gott, und ich fühle, ich liebe dich, und ich fühle, tausend Meilen von hier wird Einer erwürgt, und das gilt mir ! Ist's wahr, dass friedlich durch den Schnee wir wandern, durch den weissen Kot (in guten Schuhen), und lächeln und haben's mit alten Worten (du nimmst sie ernst) und ich lasse dich ruhen ? Zu unseren Häupten schwingt der Tod die Uhr Ist es der letzte Strich ? Du — ich taste nach deinen Händen, Du — es ist Krieg, Du — ich liebe dich : Lass uns keine Zeit verschwenden !
26
Du hast des Abschieds Stunde mir versüsst : Wie ich ins Land der klugen Herzen fahre, seh ich dein Bild, aus dem mich Deutschland grüsst. Ein Mädchen, sanfte Arme, sitzt im Wald, die grossen Augen seitlich abgewandt, den Schalk dahinter und der Sinne Brand Du möchtest spielen, einen Freund umschlingen, du möchtest dieser kahlen Welt zum Trotz die strammen Schenkel zur Vollendung bringen Aus deinen Brüsten blickt die Lust mich an, die sich in langen Sommern heissgeglüht : das Feuer kam von Osten, deutsch ist dein Gemüt, und beides will ich dir verzinsen als ein Mann...
27 Ein Frühling sitzt vor mir im Herbst — ich fing ihn, als ich eine Mütze kaufte, er kam am Abend, und wir sagten « Du »... Was mag das sein, mit heissen braunen Augen und kühlem Sinn ? mit knabenstarken Händen (dafür gefiel es der Natur, an andern Stellen das Weiblichste vom Weibe zu verschwenden) Was mag das sein, das sanft geflogen kam auf einen Blick und mich zu kennen glaubte, das schweigend meine Zärtlichkeiten nahm und mir den Kopf unter der Mütze raubte ?
28
Die Heimat wurde gestern Feindesland : was ich erbaute, alles ist zerstört, und alles was ich liebe, ist verwehrt. Ich sollte träumen, was mein Schicksal zwingt : mein Los heisst Arbeit, meine letzte Macht ist diese kleine Schreibmaschine — Ich träume, was uns beiden Wollust bringt : mein Los heisst Liebe — wenn ich nichts « verdiene », ich werde lieben bis zur letzten Nacht.
29 Eingeschriebener Brief an Dornröschen Du hast in deiner sanften Fassade ein rotes Plakat — nach deinen Beinen sollte mir scheinen, du kenntest ein wenig den eigenen Text, doch in der obersten Etage bist du verhext vom allgemeinen jungfräulichen Gedankensalat : Was 'des Weibes Pflicht' sei und ob's ein Verbrechen, wenn Einen man liebt, an den Andern zu denken, und ob es rein geistige Kameradschaft gibt — so keucht die Feder, weit vom Schuss ; ich aber, in meiner bescheidenen Weise, schreibe nur leise : Stuss ! Wo's an mich denkt, ist deine polygame Ecke, dank' deinem Schöpfer auf den letzten Strümpfen ! wenn ich zurück bin von der Reise, wirst du ja sehn, wie ich dir schmecke. Dein Hemd und deine duftende Pomade kannst du verschenken, — nicht deine Haut, du kannst dir die Rechenmaschine verrenken, dein Schicksal, das ist weiter unten eingebaut... Du hast an deinen beiden Fronten ein paar ästhetische Belange vom ersten Grade — Was schön sein will, das muss viel lieben können — Suchst du von ferne bei dem Dichter Rat, er schreibt dir : schade ! Wozu hast du in deiner sanften Fassade ein rotes Plakat?
30 Ich bin, wenn ich mich recht entsinne, an einem Frühlingstag geboren mit fünfzehn Jahren : blond war meine Minne. Das Herz war mir so weit, es dehnte sich wie des Himmels uferloser See, da spannt' ich meinen Bogen über die Jahrzehnte Das Ziel hiess Ewigkeit ! Ich war, den Bildern nach zu schliessen, ein sanftgelockter gutgelaunter Junge, dem Geist kein Wurf zu weit, das Herz bereit für eine neue Welt : ich wusste nichts von meiner schwachen Lunge und nichts von Geld Das Ziel hiess Ewigkeit ! Den Bogen meines Lebens stieg ich an, erst lernen, dachte ich, dann schiessen, und während Jüngere die Reklame küsste, trotzt' ich den Musen, ackerte mein Recht, bis mich die Locken Hessen... Als ob ich tausend Jahre vor mir hätte, fügt' ich ein Glied zum andern in der Kette Das Ziel hiess Ewigkeit ! Schon dreissig und so weit noch vom Zenith ! Von fern erst schaute ich die strenge Jungfrauenstirne der Gerechtigkeit, im Traumgebirge rang ich mit den Riesen und wusste nichts von Geld noch von Devisen, bis ich erwachte als Semit : Da war ich nur noch einer aus der Menge, ein Jud, um seiner Arbeit Lohn geprellt Das Ziel hiess — Ewigkeit ?
31
Und wenn ich nur habe, was Gott mir gibt, ich bin mit der Sonne gegangen und habe die frechsten Strahlen gefangen Und wenn ich nicht weiss, wem ich sie beschere und habe nicht Volk, nicht Postscheck und Ehre — ich habe geliebt. Wenn wenig ich speiste, ich durfte spielen, und die guten Mädchen, die mir gefielen, sie brachen in Lächeln über mich aus Und während in den Bauten der Macht die Satten elend gefangen sassen, im Stübchen, beim kleinen Peter zuhaus, da wurde gelümmelt, da wurde gelacht !
32
F r ü h l i n g ... Sonne... neuer Lebensruf, und der Himmel rauscht von grünen Fahnen abgeworfen, was ich gestern schuf : Frühling... neue Flügel... neue Bahnen ! Was ich liebte, werf ich aus : zum Düngen, meiner Seele Feld ist frisch gestürzt, kühner will ich schauen, will ich schwingen heuer wird die Liebe nicht verkürzt ! Auf die höchsten Sterne will ich zielen schnell und gut und sie nicht gleiten lassen, Götter gaben mir die Welt zum Spielen, und noch mit dem Schicksal will ich spassen !
IV VOM ENDE DES ARMEN PETER
33 Ich bin kein Prophet und keines Propheten Sohn, ich glaube nicht mal an eine Mission, ich bin ein Pflastertreter, im Stillen hege ich Grillen, ein Mädchen nannte mich Peter. Die Lehrer lobten meinen Fleiss, und Einige meinen, ich hätte auch Energie, Gott segne sie ! (aber ich glaube an keinen). Wenn mir was einfällt, schreib ich's manchmal auf, das Meiste denk ich bloss so hin, ist der Himmel blau oder geht eine schöne schlanke Frau — vorbei, verlässt mich der Gedanke. Doch fühl ich keinen Gewissensbiss, hab ich der Menschheit Heil verseh'n, (bis morgens um zehn pfleg ich zu schlafen) Gott segne die braven fleissigen Bürger : ich bin kein Prophet, ich bin kein Würger, ich möchte im Frieden spazieren gehn.
34
Wie die grossen Gottesengel an den Kirchenpforten stehn, streng und lieblich anzusehn unter schweren Faltenroben atmen süsse Mädchenbrüste, doch der Blick geht fern nach oben sichtbar atmen ihre Wangen, und der Lippen Kissen prangen unter streng geformten Nasen milde Trauer liegt darauf, während zarte Hände halten eines schweren Schwertes Knauf Lass mich deine Hände nehmen und das Schwert beiseite legen, gib mir deiner Lippen Segen, ohne dich vor Gott zu schämen wirf sie fort, die schwere Hülle, gib mir deinen heissen Leib, offenbare Gottes Fülle : Engel Gottes, werde Weib !
35
Ich habe schlecht geschlafen, frag nicht warum ! ich muss mein Herz bestrafen, weil es so dumm so dumm verliebt wie am ersten Tag und in Gedanken bei dir lag, und weil es von dem Wunsche wund, einmal zu fühlen deinen Mund, den zart von Gott gepinselten, und weil in meines Leibes Grund drei junge Hunde winselten...
36
Es denkt in mir an dich, während ich sitze, während ich gehe durch der Strasse geliebtes Gewühl, es denkt an dich, und während ich plane und während ich schreibe und spreche mit Andern, und was ich treibe, es denkt an dich, und wenn ich schlafe und wenn ich träume und fliege über unendliche Räume, etwas immer in meinem Blut tief unten ruht und denkt an dich und denkt an dich.
37
Ich liebe dich — ich sollt es dir nicht sagen : wer sich zuerst ergibt, wird lau geliebt, man liebt nur die, die nie von Liebe klagen. Ich liebe dich so chemisch rein wie nur die Elemente lieben können, ich lache der Gespenster, die uns trennen : Chemie muss immer wechselseitig sein ! Ich liebe dich — denk was du willst ! ich weiss allein und trage stolz mein Wissen, ich habe alle Strategie zerrissen, die Zeit kommt, da du mir's vergiltst !
38
Wie ich dich liebe, wirst du nicht beim ersten Mal und nicht beim zweiten Male sehn, erst ganz allmählich wirst du mich verstehn Wie im Gebirge du durch viele Täler steigst, um zu des Berges Seele vorzudringen, so musst du viele Nächte mit mir ringen Dann wird ein Gipfelblick die Mühe lohnen, dann werd' an eines Mittags stillem Strahl ich dir kredenzen meines Herzens Gral, und fortan wirst du mit den Göttern wohnen.
39
Und geh ich um Mitternacht über den Platz, es rauschen die Gaslaternen, ich äuge nach den Sternen : wo bist du, Annette, mein Schatz ? Wenn plötzlich der Kirchturm fiele von hinten über mich her, wir sähen uns nimmermehr, — verdammt ! dieweil ich nach rückwärts schiele, trat ich daneben, nun hab ich's am Schuh... Das ist das Leben : ein Sternengruss und an den Pfoten braunes Mus — mein einziger Trost bist du !
40
Wirst du morgen wohl zu mir kommen ? Ich wage dir keinen Vers zu machen : schon die Frage macht mich beklommen es ist zum Lachen es ist zum Weinen, es ist zum Sterben, ich baute für dich den Tag auf die Nacht, ich hatte mir alles so schön gedacht, und wieder mal gab es Scherben.
41
Heute ist ein Tag des Glücks. Drum zerschlage die Liebe, eh der Abend naht, und gönn ihr keine Klage ! Traf unversehens dich einer Freude Pfeil, sei gewiss : vernichtet ist deine eigene Saat, und worum du gekämpft und gelitten, dazu hilft kein Beten und Bitten, man flicht dich lächelnd aufs Rad. Du glaubtest zweier Augen Leuchte-Spiel ? denk an den Tod ! wozu sie leuchten, sie wissen es nicht, zerbrich dein Glück, eh's der Zufall bricht : Mittag der Lust, Abend der Not — nicht klagen, ausbrennen und zerschlagen !
42 Zur Beherzigung (frei nach den Klassikern) Bleibt niemals unter Fenstern stehen : es könnte Einer ziemlich rücksichtslos sich aus Migräne aus dem Fenster stürzen und euch das kurze Leben mitverkürzen. Vertraut euch nicht der tollen Eisenbahn : auch Weichensteller haben Liebeskummer, und mancher Zug entsprang aus seinen Gleisen — den Grund kann man dann selten mehr beweisen. Ich rate überhaupt zu Haus zu bleiben : so mancher, dem der Nervenstrang gerissen, geht friedlich neben uns im gleichen Schritt und trachtet, öffentlich sich zu entleiben. Wer weiss ? vielleicht hat er noch nie geschossen, vielleicht hält ihn sein letzter Lebensfaden, er zielt daneben, und das könnt' euch schaden, wenn unfreiwillig euer Blut vergossen. Zu Hause freilich kann für einen Groschen jemand den Gashahn öffnen (kocht elektrisch !) das schwache Herz schleicht schlafend in die Gruft, am andern Morgen fliegt ihr in die Luft... Seht euch denn vor vor euren nächsten Lieben : die letzte Stunde ist meist asozial — und wenn es euch im Mutterleib schon nicht mehr halt, so rat ich gut : kommt tot zur Welt !
43
Ich war ein Mensch vom besten guten Willen, drum haute mich das Schicksal übern Kopf, und jeder Tropf darf zu mir sagen : « Tropf ! » Ich wollte lieben und ich wollte bessern, drum traf mich Hass, und Liebe lohnt' mir nicht, und jeder Wicht darf zu mir sagen : « Wicht ! » Genuss und Spiel warf ich der Zukunft hin, ich hielt mich hart, damit ich Grosses schaffe, und jeder Affe darf mir sagen : « Affe ! » Nun will ich's einmal umgekehrt versuchen und will vom besten bösen Willen sein, und wo ich opferte, dort will ich fluchen : vielleicht — pass ich dann besser hier hinein !
44
Ich hatte einst ein zärtliches Gemüt, mein Herz und meine Hände waren offen, in meine Liebe legt' ich all mein Hoffen Ich war so schamhaft wie zehn Jüngferlein, wenn meinem Mädchen sich der Rock verschob, bedeckt' ich, ohne hinzusehn, das Bein Ich liebte mit der Liebe höchstem Recht, von Liebe ahnt' ich nichts, — ach, meine Hand war nicht gemein genug, zu suchen dein Geschlecht ! Ich suchte in den Wolken : gross zu sein und Unvergleichliches mit dir zu zeugen, war all mein Trachten — nie dem Trieb sich beugen... Ich hielt in meiner Hand die schönste Frucht und ass davon — die sieben bittern Schalen (die Liebe, dacht ich, bringt notwendig Qualen) Den süssen Kern hab ich nicht mehr versucht, ich liess ihn achtlos auf der Strasse liegen — Erzieher, Lehrer, Eltern, seid verflucht ! Ich hatt einmal ein Mädchen schrecklich lieb, doch meine Liebe war so überflüssig, sie störte nur den Fortpflanzungsbetrieb. Brauchst du 'nen Balg, wird ihn ein Andrer machen, an flotten Burschen ist gottlob nicht Not : Du liebtest mich einmal — es ist zum Lachen !
45
Die Uhr schlug zwölf, ein Jahr starb wieder hin, und junges Leben spriesst aus tausend Betten, die Welt hat keinen Sinn, es gibt nur Ketten die Ketten reissen nicht, das Werk ist stets geschmiert, die Heizung nur ist schlecht im Weltenraum, aus ist der Traum, die kleine Seele friert. Prost Neujahr altes Ich ! Wir haben keinen Freund, kein Weib, kein Haus und keinen warmen Punsch, die Welt hat keinen Sinn, wir hatten nur den Wunsch wir haben nur den Durst, den Hunger und die Qual, die Uhr schlug zwölf, die Wünsche starben nicht, das Herz verbrennt, erfriert, die Rippen sind von Stahl.
46
Knospende Jungfrau, zubenannt das Leben, du lächelst hold, doch deine Brüste kleben im Büstenhalter, undefinierbar ist dein Alter. Als Säugeling, als pausbäckige Putte hat dich schon Raffael gemalen, du liessest dein keep smiling gut bezahlen und warst in Windeln schon ne alte Nutte das Wort gefällt dir nicht ? so setze 'Dame', setz 'Ehefrau', setz 'kleine Weekendbraut' und lisple deinen löcksten Liebeslaut : gezahlt wird doch, — was tut da schon der Name ? (der Eine zahlt mit Geist, der Andere mit Gut, um eine Linsensuppe fiel die Erstgeburt, und wenn ein kleiner Dichter mit dir hurt, so tust du es umsonst und säufst sein Blut) Erröte nicht, mein Mona-Lisa-Bild ! Es will dir keiner hier die Röcke heben : wir wissen schon, nur Frühlingsknospen schweben im züchtigen Mieder, und unten duftest du nach Flieder.
47
Ich bin meinen lieben Eltern passiert in unvorsichtiger Stunde, ich hab es ein Leben lang gespürt. Nicht arm genug, mich durchzubetteln, reich nur zum Schenken und Verzetteln, bracht ich keinen Bissen zu Munde. Wohin ich kam, ich zählt nicht dazu, ich suchte immer wen zu lieben, ich hab mir die Klauen wundgeschrieben und fand doch nimmer ein wirkliches Du. Ausgebeutet an Leib und Seele, so werd ich einst vor den Schöpfer treten, und in der Hand einen morschen Stein : das war mein Herz.
48
Und wer mich einst im Wald begräbt, soll auf den Grabstein schreiben : Hier liegt ein Mensch, den Keiner sah, als er geschah — Die Bäume haben ihn n i c h t betrogen, die Wolken liessen sich von ihm lieben, n u n ist es zu spät : er ist nicht mehr da.
V EROS
MIT
DEM
FLAMMENWERFER
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Der Frühling tobt, die Flieder exhibieren, auf den Kastanien sitzen Blütenmänner im Kelch mit Jungfern, ohne Anstandsdamen und ohne Hut : es riecht nach ihrem Samen — Die Blumen auf dem zart begrünten Plane, worauf die Tauben ehelich verkehren, entfalten ihre aufgefärbte Fahne, als ginge es um kriegerische Ehren : halloh ! hereinspaziert ! Geschlechtsorgane ! Die Mücken haben sich die Rüssel vollgeküsst, um die Libido alle abzuladen — den Mauerblümchen hilft kein Spezialist... Es ist die Zeit, in der die Katzen schreien, die Dichter unermüdlich Verse speien : Ring um die Augen — Ringe um die Finger, heil dir, oh Frühling, milder Rentenbringer !
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Die Sonne sank, ein sanfter Abendwind umfächelt die verlassenen Gestade, hoch auf dem Deiche wandeln Mann, Weib, Hund und Kind, es ist ein grosses Sehnen auf der Promenade. Die Männer Hessen heute Drachen steigen, dieweil die Weiber ihre Wäsche sonnten, die Kinder spielten Krieg auf allen Fronten, (die Hunde — davon muss der Sänger schweigen) sie spielten standgerichtlichen Erschuss, dieweil die Mütter ihre Strümpfe strickten und mit den Köpfen wohlgefällig nickten. Hingegen hob sich allgemeines Murren, die Herren riefen nach der Polizei, ging Einer mal mit blosser Brust vorbei... Der Nabel ist in diesem Land verboten, des Pfeifenrauchers Frieden wird geschützt, am Stacheldraht schnitt sich ein Knäblein in die Pfoten, der in den Dünen noch vom letzten Kriege sitzt. So familierten sie im Sonnenbade, so gehen sie am Abend im Vereine, Mann, Hund und Kind, — die Weiber an der Leine : Es ist ein grosses Sehnen auf der Promenade.
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Das war meine Jugend : Entwertet mein Erbe, ein Liebeslied, ein Paragraphensport, auf dass ich einst den Unterhalt erwerbe, Examina mit 1 und dann so fort. Ein Mädchen, das ich nicht zum Weibe machte warum ? Es wollte mich in Eifersucht verstricken, während es an Heirat dachte. So trieben wir mehr Un- als Zucht. Mit fünfundzwanzig noch kein eigenes Zimmer und wozu hat das Studium dann genutzt ? Was mich gekostet meiner Jugend Schimmer, Amt und Beruf, war plötzlich weggeputzt. Als Jud verbannt aus Sprach und Land, ein Arbeitsloser ohne Arbeitskarte, so faste ich, so denke ich und warte worauf ? Das weiss ich nicht. Doch Eines weiss ich : ich denke f r e i ! Auf all die hohen Normen, nach denen i h r die Welt befuhrwerkt, scheiss ich ! Denn dieses habt ihr nicht aus mir gezogen : Ich bin kein E.H.E. -Mann, Marke Staat, mein guter Griffel ist noch nicht verbogen ! Für welche Front du mich zu fangen denkst — ich bin kein Wallach, kein Parteikastrat, ich bin ein freier Denker und ein Hengst.
52 Ich sitze gegenüber auf der Bank, wo sonst sich nur die Obdachlosen lausen, ich sehe Autos stolz vorübersausen und konsumiere den Benzingestank. Ein Mitbesitzer raucht mir in die Nase, frisch aus dem Auspuff trägt's der Wind mir zu, und gegenüber — sitzt ein kleines Du, im Café-Laden auf der grossen Strasse. So eine blaue, blonde Frühlingsflamme und treibt mit einer Zigarette -Zucht und ist in einer Zeitung auf der Flucht und masturbiert, mit nicht mehr goldenem Kamme.
53 Ich trotte heute so allein durch meinen Affenwald, und die zärtliche Sonne scheint so gemein Und grüne Kulissen, blaudurchblickt auf wollustgenudelten Kissen, und Artgenossinnen, artig gespickt Es ist mir alles so dämlich gleich : ein Sex-Appealchen, das gestern gebrüllt, es macht mir das Gemüt nicht weich, ich seh's wie ein altes Ladenschild Bei Gott ! Eine neue Weltanschauung ergibt sich, wenn man im Popo achtunddreissig komma fünf hat oder so aus verwestem Frass und gestörter Verdauung.
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Ansprache an eine Wohltätigkeitsdame Mein Fräulein, Sie verwechseln mich, es ist nicht meine Art, mich auf der Strasse von unbekannten Damen ansprechen zu lassen : für Frontkämpfer von gestern, Säuglinge von morgen — ich habe nicht mal eine Weste um hineinzufassen, und übrigens habe ich andere Sorgen. Wie ? « Nach Belieben... ? » zückt schon auf Kredit Ihre Hand um solchen Preis die Blume der Unschuld ? Behüte ! Sie gehen zu weit in Ihrer wohltätigen Güte Ist da kein Schutzmann, muss ich mit Ihnen raufen ? Genug, meine Dame... je vous en prie ! schon einmal sagte ich Ihnen : ich kenne Sie nicht ich wiederhole, Sie werden mir nichts verkaufen ! Und sage es Ihnen und Ihresgleichen für immer : so wahr ich ein Herz für gefallene Mädchen habe — war' hier die Seine, und S i e fielen hinein, und ich wäre Europens Meisterschwimmer, doch ohne Vergunst, Ihnen vorgestellt zu sein, Sie würden garantiert unberührt, in Dauerwellen, ersaufen.
55 Ansprache an eine Dame schlechthin
Meine Dame, Sie haben es wohl nicht ganz so eilig Verzeihen Sie, wenn ich in diesem Falle annehme, dass Sie nicht wissen, wohin Sie gehn Haben Sie schon einmal einen halbwegs geniessbaren Mann gesehn ? Sie werden mich ohne Erziehung finden, aber nicht langweilig. Riskieren Sie einen Blick in meine nicht ungefährlichen Augen ! So ist es recht : Sie sparen mir damit viele Fragen. Von Beruf bin ich Seh-Mann und liebe die Realität, wenn man sich einigermassen wortlos versteht, ich wohn um die Ecke, gas- und bombensicher. Machen Sie dem Jahrhundert keine Schande, Schämen Sie sich für Ihren wüsten Verdacht : Jungfrauen nehme ich nur zum ersten Frühstück. Ich werde Ihnen nicht die üblichen Platten vorspielen und wette : mein Bett liegt von gestern noch in den Sielen. Sie aber werden gewaltig aufgeräumt sein, ich wage die Behauptung, dass Sie ein Weib sein werden, f a l l s Sie morgen hinter meinem Rücken erwachen — Gestatten Sie die Vermutung, dass Sie nicht wissen, was Liebe ist ! Sind Sie schön, so zeige ich meine frechsten Sachen... Wenn ich mich ein wenig auf Ihre Physiognomie verstehe, werden Sie meinen Freimut nicht bestrafen mit einem 'Nein', das Ihnen selber nicht angenehm wäre. Ich bin ein Lüstling und schwöre Ihnen bei meiner Ehre : Ich habe durchaus nicht die Absicht, mit Ihnen zu s c h l a f e n .
56 Ein gewisser Van Gogh spricht
Sehn Sie, Mijnheer, wir sind schon wieder flott und rauchen gar gemütlich unsere Pfeife — das Ohr ist verbunden vorschriftsgemäss, hier ist mein Pass, ich glaube an Gott — Sehn Sie die sauber-kunstgerechte Schleife ? Mag sein, dass mein Auge noch etwas wild blickt ! Haben S i e sich schon mal ein Ohr abgeschnitten ? Ich habe die Pfeife fest im Mund und sonst noch alles und bin so gesund und weiss wie Sie, was sich bei einer Dame schickt. , Ich wollte das Kostbarste, was ich besass, der edlen Marie-Claire in Zahlung geben, ich ahnte nicht, dass sie nur Francs akzeptiert — Zugegeben, Mijnheer, ich vergass : das Ohr war noch etwas blutbeschmiert sonst aber bin ich durchaus en régle, holländischer Bürger, ein gewisser Van Gogh, Sie sehen, ich rauche schon wieder die Pfeife, ich habe sie fest in den Zähnen wie Sie, noch besser, und all meine Rechnungen sind bezahlt... Das nächste Mal tu ich's nicht mit dem Messer ! Mein bester Beweis : die beinah realistische Schleife, die ich mir über das peinliche Loch so kunstgerecht gemalt !
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Und wieder kam ein Frühling auf mich zu, die Nächte wurden hell und die Kastanien blühten, und Viele, die ich gestern einsam fand, seh ich beschwingten Schrittes Hand in Hand Ich gehe langsam und ich liebe diese, die langsam gehn mit ruhig sanften Schritten und deren grosses Auge dunkel schimmert von Sehnsucht, die sie hilflos lang gelitten Ich liebe dich, mein grosses gutes Kind, das noch nicht lernte mit dem Frühling lügen — wie deine Hände sich in meine fügen, fühl ich, dass wir schon lange Freunde sind.
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Mein dickes Mädchen, mit den sanften Schritten, ich möchte heute nicht energisch sein, ich möchte nur einmal ganz leise bitten Sieh : müde bin ich von dem Weg, dem weiten, der mich an deiner Augen Tore führt, und möchte schweigend dich — zu mir begleiten. Mein Kind, tu' mir, was du bisher nur träumtest, sei süsses Weib, ganz ohne Weibchen-List, dass unser Stern nicht stürze, weil du säumtest : ich möcht so gern, dass du ein gutes Mädchen bist ! Heut will ich bitten : wer zuerst mir gibt, hat Chancen auf ein Herz, das nicht vergisst ; bist du die Seele, die nicht nur sich selber liebt, vielleicht bin ich die Lust, die Gott dir schuldig ist.
50 Weisst du, mein Kind, warum meine Augen so traurig sind ? Weil sie einmal — kannst du verstehn ? die grossen Götter spielen gesehn, und weil seit jenen Stunden sie keinen Schein von einem Gott und keine Spur von einem Spiel und keinen Freund gefunden. Weisst du, mein Kind, warum meine Augen manchmal so müde sind ? Weil sie einmal, in trunkener Nacht, einen unendlichen Weg gemacht, mit Singen und mit Scherzen, und weil sie dann — kannst du verstehn ? mich in der Gosse liegen sehn, mit Schwären und mit Schmerzen. Weisst du mein Kind, es kann noch gar nicht lange sein, da waren die mutigsten Augen mein zum Lachen und zum Lieben — Drei Viertelstunden scheint es kaum, dass mir die Pleite, dass die Pest mir jede Liebe und jeden Traum und jeden Freund und jeden Rest von Hoffnung abgetrieben... So steht es, Kind, nun weisst du warum meine Augen nicht mehr meine Augen sind.
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Ihr guten Mädchen, die ich nicht genannt, weil ihr mich niemals warten liesset — euch ward das Opfer abgebrannt ! Geschwister meiner grossen Heimlichkeit : kein Wort, kein Wörtchen wird verraten in diesem Buch von unsern süssen Taten. Doch wenn mich Einer fragt, wie ich noch lebe und bin gesund geblieben bei der Seelenpest : In Verse setzt' ich immer nur den Rest ! Und wenn mich Einer fragt : Was war für dich das Beste, das Schönste und das Liebste auf der Welt ? Das wäret ihr, die niemals mich geprellt, das waren unsere Spiele, unsere Feste.
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Willst du mir sagen, werter Nebelspalter, wovon am Ersten du die Miete zahlst ? Ganz schön das grosse Werk, mit dem du prahlst — falls nein, was sagst du dann dem Hausverwalter ? Und wo wirst du im nächsten Kriege sein ? Es wäre Zeit das Visum zu besorgen. Wie komisch : so ein Philosoph allein ! Wird dir Anita hundert Kronen borgen ? Und wenn's am Ende nicht mal Einer druckt, was wirst du tun, das dir zu beissen gibt ? willst du mir sagen — der die Menschheit liebt — wer dir am nächsten Term die Miete spuckt ?
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Wenn ich wohlhabend wäre wie Rockefeller, ich würde keine Kirchen restaurieren, noch Professoren rennen lassen und Pferde anstellen, noch Mottenkugeln auf freier Flur von einem Loch zum andern prellen, ich hätte nichts übrig für Institutionen, sondern verläpperte meine Millionen grundsätzlich nur an Einzelpersonen : an Dichter, die umsonst geschrieben an Wissenschaftler, die Keiner zitiert, an Ketzer, irgendwo vertrieben und arme Mädchen, die man angeschmiert. Doch vor allen guten Streichen würde ich als geliebter Mann meine aufgelaufenen Schulden begleichen : Für die Fabrikware keinen Heller ! doch alle Milliarden, ich wollte sie geben für die ewig ungezeugten Rangen (die illegalen, die wir abgefangen) sie sollten l e b e n ! — wenn ich wohlhabend wäre wie Rockefeller.
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Sei gnädig, du mein Gott, und richte nicht, wenn meine Augen vor der Zeit ermatten : ich bin doch nur ein schlecht genährter Schatten von dem, was du mir setztest als Gesicht. Wenn meine Lider nicht die Feuer rahmen, die, Freude schenkend, noch den Neid bezwingen, wenn meine Hände nimmermehr vollbringen, was einst ich träumte unter meinem Namen — oh richte nicht, wenn ich auf dieser Gasse zerrieben meine Blicke sinken lasse : der grosse Haufe ist mit grober Naht gesäumt, und gegen alle diese Panzerplatten bin ich doch nur ein schlecht genährter Schatten von dem, was ich zu werden einst geträumt.
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Ich bin eine Leuchtrakete, ich habe in mir das Zeug -gebt acht ! ich werde steigen, ich werde sterben, und sterbend werde ich brechen die Nacht. Bis dahin halt ich im Futteral den Leib mir warm, es eilt mir nicht emporzukommen, nur manchesmal beneid ich ein einfaches Kerzenlicht. Wer weiss, ob er nicht ein Versager ist ? Nein, Alter macht nicht helle, und wenn man so lange auf Lager ist, dann steigt man nicht gern mehr so schnelle. Geduld ! mir ist die Sekunde bestimmt, die eine Sonne aus mir macht, meine höchste Sekunde wird mich verderben ich werde strahlen, ich werde sterben und sterbend werde ich brechen die Nacht.
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Falls es gelingt, mich auszurotten und meine Werke zu verschrotten, falls Bomben, Hunger oder Gift vorzeitig löschen meine Schrift, gewähre ich zur guten Ruh ein letztes Interview : Ich habe nie nach Geld getrachtet und nie nach Ruhm gezielt, ich habe stets die Spezies verachtet, die Karten spielt. Ich ass gern schwarzes Brot mit frischer Butter, auch Aepfel und Lakritz, ich lachte dreimal über einen Witz und ehrte niemals Vater oder Mutter. Die Welt ist massig, doch so massig nicht, wie jene Ordnung, die sie ewig nennen die Weltgeschichte ist das Weltgericht, wo Krokodile rechtskräftig erkennen. Ich litt manchmal an eigenen Reflexen, ein Diamant roch mir nach Blut und Schweiss, ein Dom zu Gottes Lob und Preis stinkt beispielsweise nach verbrannten Hexen und noch die engelsfrömmsten Kirchenchöre erinnern drollig mich an Judenhatz — wenn ich die Worte Pflicht und Ehre höre, entsichere ich meinen Hosenlatz.
Ich liebe Blonde, Braune, Schwarze auch, wenn sie stabil und schlank gewachsen sind und es ganz ehrlich meinen mit dem Bauch — ich mache niemals einer Frau ein Kind, obwohl zehntausend Sterne erster Glut — Volk ohne Raum — in meinen Zellen tanzen, Herr Meier hat die Eier und den Mut, an meiner statt sich fortzuwanzen. Seh ich ein schwangres Weib, die Bombe kracht ! ein neues Buch — ich seh den Scheiterhaufen. Zwei küssen sich, ich seh sie raufen : die Gegen-Wanze ist bereits gemacht ! Seht sie euch an, die väterlichen Fressen, die für euch reden, über euch bestimmen, euch Ethik zwischen feisten Backen pressen — die sturen Blicke, die so trüb verschwimmen ! die Zinken, die sich frech nach vorne drängen, die schweren Laden überm Kragenknopf, die platten Stirnen vor dem engen Kopf : hängt ihr sie nicht, so werden sie euch hängen ! Denn weil sie ihresgleichen von sich gaben, vermeinen sie sich männlich und potent : frigide Frauen — böse alte Knaben, sie machen die Geschichte die man kennt. Und drüber schreiben sie mit Menschenblut : Realität, Ananke, Weltenregel Das Wirkliche ist stets vernünftig (Hegel) Wer Dollar hat, ist weise, wenn nicht gut.
Ich glaube nicht an das was ist, ich baue auf jene Zeiten, da kein Mutterleib mehr stillhält, um die Herren zu empfangen. So braucht es keinen Strick sie aufzuhängen. Ich glaube nicht, dass Krieg und Mord notwendig sind wie Occlusivpessare, ich glaube nicht an gute Ehepaare, an Vater Freud nicht, noch an Sport. Und dieses ist mein Testament, wie man die Art verbessert ohne hinzurichten : Durch Liebe ! Wenn kein Mensch mehr brennt in schnöder Gier und ehelichen Pflichten. Dann stirbt der Väter Staat, der Vater aller Dinge, dann wird die Zeugung endlich ein Akkord, die alten Knaben fliegen aus dem Ringe, frigide Frauen pflanzen nicht mehr fort. Die schönsten Männer nur, die schönsten Weiber, nicht schön, wie sie vor euch im Laden stehn, die feinsten Geister und die reinsten Leiber erkennen sich, dass sie einander sehn. Dann wird die Welt von Liebenden geführt, die Lust verbreiten wie die Väter Schrecken, in freiem Spiele neues Leben wecken : da Jeder wird geliebt wie ihm gebührt !
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Prosaisches Nachwort Ihr Freunde, die ein Buch von mir erstanden, lasst euch nicht träumen, wieviel Hindernisse es einmal gab, bis wir zusammenfanden, und was gespielt wird hinter der Kulisse. Es gibt Verleger : solche die verlegen die neuen Wege und die Lust zum Lesen — die eingeführte Namen sorgsam hegen und manchen schon entdecken im Verwesen, Es gibt Lektoren, die in Nektar baden, sie lesen rasch, mit sicherem Instinkt für das, was originell ist ohne Schaden, und hören stets, wo Gold nach Messing klingt. Vergesst es nicht, wenn auf dem Weihnachtspult ihr wiederfindet die beliebten Namen, die falschen Titel und die Pressebinden : gebt nicht allein dem treuen Leser schuld ! Auch sollt ihr wissen, meine lieben Leute : was ihr in Händen haltet, ist das Kleinste, es rutschte durch, ein Körnchen mit der Spreu ; was gestern nottat, freilich, kommt erst heute, für mich ist's überholt, für euch wohl neu, und ungedruckt ist sicher noch das Feinste.
Angesichts des Ausnahmezustandes, der über diejenigen verhängt ist, welche in deutscher Sprache unabhängig schaffen, lädt Peter Grund seine Leser ein, die Herausgabe auch seiner folgenden Werke durch Subskriptionen und Sonderbeiträge zu fördern : I. — Die Eroberung des Geschlechts Eine Treibjagd durch den Urwald der Zivilisation. Erster Teil : Der betrogene Eros. 1. Abschnitt : Geschlecht und Kapital. (Aus dem Inhalt : Geschlechtliche Korrumpierung der Wirtschaft. Wirtschaftliche Korrumpierung des Geschlechts. Das Versorgungssystem. Waren-Reserve und Frigidität. Erziehung zur Impotenz. Circe oder wie man Männer in Kavaliere verwandelt. Auslese nach der Kaufkraft und Vitalitätsverlust.) 2. Abschnitt : Geschlecht und Geltung (Der Einzelne und sein Pseudo-Ich. Die gefesselte Psychoanalyse. Ueber Einbahn-Erotik. Eine Umwertung aller Werte, die am Geschlecht haltmacht. Revolution ohne Eros. Staatliche Zwangszüchtung und Rassenwahn als Folgen des patriarchalischen Geschlechtsbetriebes.) Zweiter Teil : Der Freund der Liebenden. 1. Die erotische Reinheit (Persönlichkeit und Geschlecht. Gesetze der individuellen Ergänzung). 2. Die eugenische Ordnung (Versuch über eine gesellschaftliche Organisation auf der Grundlage der reinen Erotik. Anpassung der geschlechtlichen Moral an den Lebensraum, den die Technik erschlossen hat). Mit alphabetischem Sachregister (etwa 500 Druckseiten). II. — Prometheus Von der Schöpfung des Menschen durch den Menschen. Roman eines Seelenarztes : Berlin 1932 - Paris 1938. (500 bis 600 Seiten) — Zaertliche Entdeckungen. Roman. Simson. Tragödie. Leser, die, in welcher Weise auch immer, zum Erscheinen einer dieser Arbeiten beizutragen wünschen, werden gebeten, dies dem Autor (Adresse des Verlages) mitzuteilen. Zahlungen werden erbeten auf das Postscheckkonto Peter Grund, Paris, cheque postal n° 232.280. (Voraussichtlicher Preis für den Band : neun Schweizer Franken oder zwei Dollar). III.
Dieser Band kostet In Frankreich : 18 Francs ; in allen anderen Ländern : 3 Schw. Fr. oder 0,75 Dollar oder Gegenwert in Währung des Bestellers. Für alle vom Verlag bestellten Exemplare wird Zahlung erbeten auf das oben angeführte Postscheckkonto.
Nachwort «Das ist ein neuer Mann». So beginnt eine Besprechung des «Zärtlichen Vorstoß» - 1939 in der Neuen Weltbühne. Inzwischen ist ein halbes Jahrhundert vergangen, der Autor des Büchleins bald 83, und er ist immer noch ein ‹neuer Mann›. Wie konnte das geschehen, daß ein so gelungenes Werk der Liebes-, Exil- und Großstadt-Lyrik, ein zwischen frech-aufbegehrenden Schnodderton und schwermütige Vagantenmelodie, zwischen Pathos, expressionistischen Witz und Zärtlichkeit gespannter Zyklus nie sein deutsches Publikum erreichte? «Und wer mich einst im Wald begräbt,/ soll auf den Grabstein schreiben:/ Hier liegt ein Mensch, den keiner sah,/ als er geschah -» heißt es im 48. Gedicht. Otto Mainzer wurde 1903 in Frankfurt am Main geboren. Für seine ersten Gedichte fand er in der eigenen Jugendgruppe gleichgestimmte Freunde, stellte aber ‹realistisch› seine Berufung auf die soliden Füße eines Berufs. Er wurde Jurist, bekam einen Lehrauftrag für Staats- und Völkerrecht und promovierte über «Gleichheit vor dem Gesetz, Gerechtigkeit und Recht» (Julius Springer, Berlin 1929). Als Anwalt beim Kammergericht Frankfurt begann er seine Habilitationsarbeit «Die Gerechtigkeit als Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis». Und er dichtete. 1933 wurde ihm die Anwaltszulassung entzogen, er floh nach Paris. «Da war ich nur noch einer aus der Menge,/ ein Jud, um seiner Arbeit Lohn geprellt ...» Es ist bezeichnend, daß es ihm, dem namenlosen Dichter im Exil, gelang, mit Kraft und Zähigkeit,
unterstützt von Andre Gidé, Heinrich Mann, Arnold Zweig, Erwin Piscator u. a. den «Zärtlichen Vorstoß» 1939 unter dem Pseudonym Peter Grund zu veröffentlichen. Das Verbot ‹sämtlicher Schriften› des Herrn Grund durch die Reichsschriftturnskammer folgte sofort. Der ersten Auflage von 330 Exemplaren wurde dennoch die zweite von 700 Exemplaren nachgeschickt, für deren Verkauf Mainzer schon nicht mehr selbst sorgen konnte: es begann die Irrfahrt durch französische Internierungslager, die erst 1941 mit der Ankunft in New York endete. Noch in Paris hatte er sich mit Elan auf verschiedene Projekte geworfen: 1935-37 «Die Eroberung des Geschlechts», eine erste Generalabrechnung mit gesellschaftlich denaturierter Liebe, und (bis 1939) der erste Roman «Prometheus. Das Werk ohne Ende», der beim internationalen Preiswettbewerb der American Guild for German Cultural Freedom 1939 von der Jury (Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Alfred Neumann und Rudolf Olden) zur gleichzeitigen Veröffentlichung in acht Sprachen den Verlagen empfohlen wurde. Der Kriegsausbruch verhinderte auch dies. War die Situation im Emigrantenzentrum Paris schon unübersichtlich und kaum hoffnungsvoll gewesen, in New York war es gänzlich unmöglich, das Leben als immer noch unbekannter Dichter mit Schreiben zu fristen. Mainzer ging als Graphologe zu einem Versandhaus nach Chicago, schrieb in seiner Freizeit den ersten Teil seiner Erinnerungen «Die geraubten Jahre» und «Die olympische Krankheit», eine Komitragödie. Er bearbeitete die «Eroberung des Geschlechts» und begann eine neue Samm-
lung von Gedichten unter der Überschrift «Das Böse Spiel». 1945 kam er zurück nach New York und schrieb eine Zeitlang kulturkritische Beiträge für deutschsprachige Zeitungen. Erst 1947 kamen aus Paris die längst verloren geglaubten Entwürfe zu seinem großen Roman nach, die, in einem Banksafe verwahrt, den Nationalsozialisten entgangen waren. 1949 beendete er die daraus entstandene Romantrilogie «Prometheus». Mit Hilfe hart erstrittener Wiedergutmachungsleistungen ist ihm erstmals 1952 eine Reise in die Bundesrepublik möglich, um einen Verleger für den «Prometheus» und seine anderen Werke zu suchen. Er schreibt neue Dramen, «Astarte» und «Hochzeit». Nahezu jährlich kommt er nun nach Europa, aber alles, was er erreicht, ist der Abdruck einiger Gedichte und Kulturglossen, wenige Rundfunklesungen. Beim Gespräch in einer Buchhandlung ‹entdeckt› ihn der junge Buchhändler H. C. Meiser. Seine Empfehlung bewirkt das Erscheinen eines seiner Bücher, der «Eroberung des Geschlechts», unter dem Titel «Die sexuelle Zwangswirtschaft. Ein erotisches Manifest» (Parabel und Berteismann Club, 1981, jetzt: Goldmann Taschenbuch) - die erste Veröffentlichung in Deutschland und zum erstenmal unter seinem Namen Otto Mainzer. Es folgen Besprechungen in großen Zeitungen, der Name wird genannt. Doch das Hauptwerk wird nach wie vor über die Lektoratstische geschoben und abgelehnt - bis heute. «Im Zärtlichen Vorstoß in 66 Gedichten», Mainzers erstem Werk, finden sich schon alle seine Lebens-
themen: die Leitsterne Liebe und Gerechtigkeit und, näher besehen, der Aufbruch eines Ich, Hoffnung und Ahnung des Unheils, sozialer Ausschluß und Exil und das Durchhalten, bis das oberste Ziel erreicht ist. «Auf die höchsten Sterne will ich zielen. Mein unvollendetes Leben» ist der Titel der Autobiographie, an der Otto Mainzer derzeit schreibt.
Die Seiten 3-66 enthalten die originalgetreue Reproduktion des ZV nach der zweiten Auflage, Paris 1940, vom Titelblatt bis zur Subskriptionsanzeige für den «Prometheus» und andere Werke auf der letzten Seite. Auch der Unischlag hält sich in Material, Farbe und aufgeklebtem Schildchen an die Originalausgabe.
Die sexuelle Zwangswirtschaft
Otto Mainzer hat sein Werk (entstanden 1935 -1937 in Paris) behutsam erweitert, indem er auf die neuere Literatur der sexuellen Aufklärung eingeht. Der explosive Kern seiner frühen Erkenntnisse wird dadurch nicht angetastet - er wird eher noch deutlicher! Dies ist ein Buch der Selbstbefreiung - darüber hinaus zeichnet es erste Umrisse einer glücklicheren Gesellschaftsordnung. 11409 / DM 12,80
GOLDMANN