Der Zombie-Pharao
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 120 von Jason Dark, erschienen am 12.03.1991, Titelbild: Steve Cr...
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Der Zombie-Pharao
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 120 von Jason Dark, erschienen am 12.03.1991, Titelbild: Steve Crisp
Er war älter als Ägypten und Atlantis. Sternenvölker hatten ihn auf die Erde gebracht und ihm ihr Wissen um Technik und Magie eingegeben. Er wurde verehrt und angebetet. Von den Atlantern wie auch von den uralten Ägyptern, die vor den großen Katastrophen gelebt hatten. Sie deckten den Mantel des Vergessens über Hosian, den goldenen Pharao. Doch er hatte vorgesorgt, er wollte nicht in Vergessenheit geraten. Und so kam die Zeit, wo er erwachte, sich an seine Kräfte erinnerte, um die gleiche grausame Herrschaft anzutreten wie vor Tausenden von Jahren. Er fand Helfer, die ihn nicht vergessen hatten. Aber er hatte auch Feinde. Einer davon war ich, John Sinclair. Und ich stellte mich dem Monstrum aus der Urzeit...
Es wäre schon einem Zufall gleichgekommen, hätte ein Nichteingeweihter das versteckt liegende Tal entdeckt. So aber wußten nur wenige Bescheid, und diejenigen, die eingeweiht waren, bekamen später die Zungen abgeschnitten, damit sie nicht reden konnten. Das wußte Hescon nicht, als er den Auftrag in stockfinsterer Nacht von einem Fremden aus dem Süden angenommen hatte, der wie ein Dieb in seine Hütte geschlichen war und ihm ein neues Boot versprochen hatte, wenn er eine bestimmte Fracht an ein bestimmtes Ziel brachte. Hescon hatte nur zugehört. Er war völlig konsterniert gewesen. Das hatte ihm noch niemand zuvor gesagt. Über seinen Rücken rann ein Schauer, erdachte an sein altes Boot, an das mehrmals geflickte Segel. Ein neues Boot wäre ein Traum gewesen. »Was soll ich dafür tun?« »Nur die Fracht an einen bestimmten Ort bringen.« »Welche Fracht?« »Keine Fragen. Stimmst du zu?« Hescon hatte nicht lange überlegt und trotzdem mit einer gewissen Schlitzohrigkeit zurückgefragt. »Was soll ich tun, wenn es mein altes Boot nicht schafft?« »Du willst deinen Lohn schon im voraus?« »Ich dachte mir, daß .. .« »Nein!« sprach der Fremde, der stets im Dunklen blieb und sein Gesicht durch ein Tuch verborgen hielt. »Auf diesen Handel lasse ich mich nicht ein. Du bekommst das Boot, wenn du die Fracht abgeliefert hast.« Hescon startete keinen weiteren Versuch. Er stimmte zu und fragte nach den Einzelheiten. Der Fremde antwortete vage. »Sei jeden Abend in deiner Hütte. Noch vor Sonnenuntergang — klar?« »Ja, das werde ich.« Der Fremde war gegangen und hatte Hescon mit seinen Überlegungen alleingelassen. Die folgenden läge vergingen voller Spannung. Fr war auf den Fluß hinausgefahren, zum Fischen, und hatte auch einigermaßen Frfolg gehabt. Und doch gehörte er stets zu den ersten, die zurück in den winzigen Hafen segelten, um den Einbruch der Dunkelheit nur nicht zu verpassen. Wie weit die Reise in südliche Richtung verlief, wußte er nicht. Irgendwo da mußte der Fluß seine Quellen haben. Reisende hatten davon berichtet, sie sprachen von einer heißen, unheimlichen Gegend mit dichten Wäldern und gefährlichen Tieren, die es dort gab. Menschenfresser sollten ebenfalls in den Wäldern hausen. Es gab Krokodile, die auf ihre Opfer lauerten. Das alles wußte Hescon. Ob es der Wahrheit entsprach, wer sollte das glauben?
Wenn seine Freunde und andere Fischer ihn besuchen wollten, um ein Schwätzchen zu halten, täuschte er Müdigkeit vor. Er wollte einfach nicht mit ihnen sprechen. Dafür nähte er an seinem Segel. Es besaß einfach zu viele Risse und dünne Stellen, die ein kräftiger Windstoß aufreißen konnte. In die Gefahr wollte er nicht geraten. Es war eine heiße Zeit. Der Fluß stank. Er führte nicht sehr viel Wasser. Tagsüber stand die Sonne über ihm und schickte ihre Glut auf das träge fließende Wasser. Sie alle lebten vom Fluß. Hier waren die Orte gebaut worden. Die Hütten waren kümmerlich, weil das Hochwasser sie immer wieder wegschwemmte, aber auch die Felder überflutete. Die Bauern bauten Hirse und Korn an. Ihr Land gab dank der Bewässerungskanäle reichlich her, so daß sie viel davon verkaufen konnten, und so ging es den Menschen relativ gut. Es war am vierten Tag nach dem Besuch des Fremden, als Hescon noch vor Untergang der Sonne sein Segel wendete und zum Ufer zurückfuhr, das wie eine flache Linie vor ihm lag. Der Tag war heiß und schwül gewesen. Die Insekten tanzten in grauen Wolken, sie waren überall, und auf den Körpern der Menschen klebte der Schweiß. Jedes Atmen wurde zur Qual, die Luft drückte. Der Wind wehte schwach, er blähte das alte Segel kaum, so daß Hescon schon mit dem Gedanken spielte, zum Ruder zu greifen, um schneller ans Ufer zu gelangen. Er schaffte es ohne. Es war ein schlimmer Tag gewesen, und in der Nacht würde es kaum abkühlen, das wußte Hescon auch. Aber er machte sich nichts daraus, er kannte dieses Land am großen Fluß, er war hier geboren, hier war seine Heimat, hier würde er auch sterben. Hescon zerrte sein Boot weit an Land, damit es auch vordem Hochwassersicher war. Die Fischer hatten sich dafür Gestelle gebaut, die auf runden Baumstämmen standen. Die Fische, die Hescon an diesem Tag ins Netz gegangen waren, hatte er wieder in den Fluß geworfen. Sie hätten nicht einmal für eine Mahlzeit gereicht, doch es würden bessere 'läge kommen, davon war er überzeugt. Seine Hütte stand etwas abseits. Aus Lehm/.iegeln war sie errichtet worden. Beim letzten Hochwasser hatte er Glück gehabt, da war sie nicht zerstört worden. Bevor er sie betrat, schaute er nach Norden. Reisende hatten berichtet, daß der große, breite Fluß dort in ein Meer münden würde. Zuvor aber verzweigte er zu vielen kleinen Wasserarmen, und dort oben lag auch die geheimnisvolle Stadt Alexandria. Von ihr hatte er immer nur gehört, sie aber noch nie gesehen. Es sollte eine besonders große und stolze Stadt sein. Hescon
träumte manchmal von ihr. In seinen Träumen malte er sich dann aus, wie sie sein könnte. Prächtige Häuser >sah< er und Paläste und nicht solch mickrige Hütten wie am Fluß. Irgendwann würde auch er einmal die Stadt besuchen, das stand für ihn fest. Vielleicht auch mit seinem neuen Boot, denn flußabwärts ging die Reise schneller. Leider würde seine nächste in die andere Richtung führen. Da kam er langsamer voran. Hescon hob die Schultern und betrat seine Hütte. Auf dem Boden lag die Sisalmatte, die ihm als Schlafplatz diente. Es war stickig zwischen den Wänden. Das Ungeziefer zertrat er mit den Sohlen seiner Sandalen. Sein Essen hatte er hochgestellt. Fs war ein Brei aus Hirse und Fett, hart und gleichzeitig talgig. Er setzte sich auf seine Matte, starrte gegen die Wände und aß in Ruhe. Sein Blick war dabei auf die rechte der beiden Luken gerichtet. Wenn er dort hinausschaute, konnte er erkennen, wie die Sonne wanderte und die Schatten länger wurden. Er kaute, schluckte und schaute. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Als Fischer gehörte er zu den Menschen, die Geduld haben mußten, und er ließ seine Gedanken fließen. Dabei schaute er zu, wie Käfer und anderes Ungeziefer in seine Hütte kroch. Sie spürten genau, wenn sich der Tag dem Ende neigte, sie kamen von überall her, von draußen, auch von innen, denn sie hockten in den Wänden. Die Tiere zerklatschte er, wenn sie zu nahe an ihn herankamen. Sie rochen den Menschen und seine Nahrung. Und die Sonne wanderte weiter. Noch schien sie gegen die Luke, doch sie hatte bereits ihre Farbe verändert. Das helle Gelb war einem tiefen Rot gewichen, die Schatten nahmen an Länge zu, demnach war der Ball tiefer gesunken. Hescon hörte die Stimmen. Die anderen Fischer kehrten zurück. Jetzt zeigten sich auch die Frauen, die auf den Feldern gearbeitet hatten. Sie kehrten zurück in ihre Hütten, wo sie sich um Männer und Kinder kümmerten. Es war der ewige Gleichklang. Nichts unterbrach die Ruhe und Schläfrigkeit des kleinen Fischerdorfes. Der Tag kam, der Tag ging, so war es immer, so würde es auch bleiben. Nach dem Essen holte er den abgedeckten Tonkrug aus der Ecke. In ihm hielt sich das Trinkwasser ziemlich lange frisch. Bei der Trockenheit mußte jeder mit dem wertvollen Gut Wasser sparen. Zum Glück waren die Brunnen tief genug gebohrt worden. Er hob den Deckel ab und schaute in den Krug hinein. Oft genug kam es vor, daß Ungezieferauf derOber-fläche schwamm, das es trotz des Deckels geschafft hatte, seinen Weg zu finden.
Da brauchte er diesmal keine Sorge zu haben. Mit beiden Händen umfaßte er den bauchigen Teil des Krugs, hob ihn an und setzte den Rand gegen seine Lippen. Er trank in langen durstigen Zügen. Das Wasser war bereits trübe, schmeckte schal und abgestanden, war zu warm, doch es erfrischte ihn trotzdem. Er kochte es einfach. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, stellte er den Krug wieder weg und legte den Deckel auf die Öffnung. Als er sich umdrehte, hörte er Schritte. Ein Freund schob sich durch den Eingang. Er war Fischer wie Hes-con und gleichzeitig sein Schwager. Der Freund lächelte. »Du bist schon zurück?« »Ja, ich wollte nicht mehr.« »Nichts gefangen?« Hescon nickte. »So ist es. Die Fische hätten nicht einmal für eine Mahlzeit gereicht.« Sein Schwager hob die Schultern. Er sah Hescon ziemlich ähnlich. Beide hatten Oberlippenbärtchen und eine dunkle Hautfarbe, für die die Sonne Ägyptens sorgte. Der mantelähnliche Umhang des Schwagers reichte bis über die Waden hinweg, das graue Haar hatte er durch eine Kappe geschützt, so wie Hescon es auch tat, wenn er sich in der Gluthitze auf dem Fluß bewegte. »Deine Schwester hat nach dir gefragt.« »Sag ihr, daß es mir gutgeht.« »Sie wollte, daß du kommst.« Der Mann ließ nicht locker. Hescon hob die Schultern. »Später mal, denn heute habe ich wirklich keine Zeit.« »Die hast du nie.« »Es wird mal anders sein.« Der Schwager schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht so leicht abwimmeln lassen. »Was ist mit dir los, Freund? Rede, ich will es wissen. Bitte, sag es mir.« »Nichts ist los.« »Das glaube ich dir nicht. Du hast dich in der letzten Zeit verändert. In den lagen zuvor . . .« »Ich denke nach.« Der Grauhaarige mußte lachen. »Worüber, über den schlechten Fang vielleicht?« »Nein, über mich. Bitte, ich bin müde.« Sein Schwager verstand. »Gut, dann werde ich deiner Schwester sagen, daß du später kommst.« »Ja, irgendwann . ..« Kopfschüttelnd verschwand der Besucher, und Hescon atmete auf. Er hätte seinem Schwager gern von seinem Auftrag erzählt, aber der Fremde war dagegen gewesen. Fin falsches Wort nur hätte Hescon das Leben gekostet, dafür sah er den anderen an. Die Sonne war fast verschwunden. Die Schatten der frühen Dunkelheit breitete sich düster und geheimnisvoll zwischen den Häusern aus. Noch herrschte Betrieb und Leben, doch bald würden die Stimmen ersterben,
denn die Müdigkeit war zu groß. Wer den ganzen Tag über auf dem Fluß fischte, war am Abend müde. Die Geräusche schliefen ein. Der Mond tauchte aus dem Dunkel einer anderen Welt auf, begleitet von einem Heer von Sternen, wie Hescon erkennen konnte, denn er hatte sein Haus verlassen und schaute gegen den prächtigen Himmel. Sollte der Fremde an diesem Abend erscheinen, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen. Er hatte sich kaum mit dem Gedanken angefreundet, als sich neben ihm aus dem tiefen Schatten eine Gestalt löste. Es war der Fremde, der Hescon mit zischelnder Stimme ansprach. »Bist du bereit?« Der Fischer fuhr herum. Sein Herz klopfte schnell. Er sah nicht viel, die Gestalt verschwand innerhalb der Schatten. Selbst das Gesicht war nur als heller Umriß zu sehen. »Bist du bereit, fragte ich dich?« »Ja.« »Auch dein Boot?« »Ich kann es sofort zu Wasser lassen.« »Dann komm mit.« Wie im Traum folgte Hescon dem Fremden. Er hatte sich lange genug darauf vorbereiten können, doch jetzt, wo es endlich soweit war, versagten ihm fast die Beine. Er spürte in seinen Augen das Brennen, als wäre besonders scharfer Staub hineingeraten. Der Fremde war nicht allein gekommen. An seinem Boot standen noch zwei Männer, die bereits damit angefangen hatten, etwas einzuladen. Als Hescon hinlaufen wollte, um nachzuschauen, hielt ihn der Fremde am Ärmel. »Nein, noch nicht.« Hescon nickte. Fr hatte fragen wollen, was dort eingeladen wurde. Auf einmal traute er sich nicht. Fr wollte nicht gerade von einer Angst sprechen, doch ein drückendes Gefühl blieb schon zurück. Das Herz schlug noch immer sehr heftig. Der Fremde hatte sich so hingestellt, daß Hescon Mühe hatte, zu seinem Boot hinzuschauen. Außerdem war der andere Mann größer als er, so mußte er schon den Kopf verdrehen. Es waren längere Gegenstände, die in Tücher eingewickelt worden waren, soviel konnte er sehen. »Darf ich denn jetzt wissen, wohin die Reise gehen wird?« Der Fremde zögerte mit der Antwort. Sehr genau schaute er dem Fischer ins Gesicht. »Du wirst an den großen Gräbern vorbeisegeln und . . .« »So weit?« »Ja.« »Das ist mehr als eine Nacht.« Der Fremde grinste bissig. »Das weiß ich. Aber du solltest auch an deinen Lohn denken, der auf dich wartet. Wer bekommt schon ein neues Boot mit einem neuen Segel?«
»Ja, das stimmt.« »Dann wirst du keine Frage mehr stellen. Du wirst natürlich merken, wenn du das Ziel erreicht hast. Wenn du am Ufer die drei Feuer brennen siehst, die dicht nebeneinander stehen, wirst du das Land ansegeln und dort erwartet werden.« »Wer sind die Menschen?« Der Fremde behielt das Lächeln bei, schaute über Hescons Schulter hinweg Lind sagte: »Das brauchst du nicht zu wissen. Du wirst deine Arbeit tun, das ist alles. Bist du bereit, sofort zu segeln?« »Ja.« »Dann komm.« Die Helfer hatten die Ladung am I leck des schmalen Fischerbootes verstaut. Es waren vier längere und in Säcken oder Tücher eingewickelte Gegenstände, die dicht nebeneinander lagen, als hätte man sie noch in das Boot hineingedrückt. Hescon half mit, als das Boot ins Wasser geschoben wurde. Nur der Fremde stand daneben und schaute zu. Sein Gesicht glich im Dunkeln einer grimmigen Maske. Fr sprach kein Wort, winkte seinen beiden Helfern zu, die vom Boot ließen, so daß nur der Fischer damit beschäftigt war, es ins Wasser zu schieben. Im Dorf war ein großes Feuer angezündet worden. Sein Schein strahlte über die Dächer der Hütten hinweg, fand allerdings nicht seinen Weg zwischen den Lücken. Was der Fischer in den folgenden Sekunden tat, geschah rein automatisch. Es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Mit der Ruderstange drückte er das Boot vor, bis der Wind das Segel blähte. Er schaute sich nicht um, und als er es tat, war von den drei Männern nichts mehr zu sehen. Nur der Flammenschein wehte über die Dächer der Hütten hinweg wie ein letzter feuriger Gruß heimatlicher Gefilde, die Hescon so schnell nicht mehr wiedersehen würde. Er wußte nicht, wie lange seine Reise dauern würde. Die Nacht über würde er segeln müssen, den nächsten Tag auch, danach folgte wieder eine Nacht und dann . . .? Es war nicht damit zu rechnen, daß sich der Wind drehte. Wenn er in dieser Stärke blieb, kam das Boot gut voran. Hescon war noch nie so weit gesegelt. Er kannte das Land nur aus Erzählungen der Reisenden, die hin und wieder in seinem Dorf vorbeikamen. Von den großen Gräbern wußte er auch. Davor fürchtete er sich, denn dort sollten nicht nur die Toten liegen, sie waren auch der Zugang zu den Reichen des Todes. Einmal hatte ein Reisender von einer ganz anderen Zeit berichtet. Einer Zeit, die noch vor der Zeit der großen Gräber gewesen war, wo ein anderes Volk in das Land am großen Fluß hineingewandert war. Es
waren die Atlanter gewesen, hieß es, ein Volk mit einem immensen Wissen, das sie wiederum von einem fremden Volk bekommen hatten, welches von den Sternen gekommen war. Dann war es zu den großen Katastrophen gekommen. Riesige Wassermassen hatten alles hinweggeschwemmt, das Volk war angeblich verschwunden, doch es sollte auch Spuren hinterlassen haben, die in jedem Ägypter verborgen waren. Legenden, Geschichten, Märchen . . .? Hescon wußte es nicht. Er wußte überhaupt zu wenig, doch die Gedanken kamen ihm seltsamerweise stets in den langen, dunklen Nächten, wenn er mit sich und seinen Überlegungen allein war. Auch jetzt dachte er daran, sogar intensiver als sonst, denn es war auch davon die Rede gewesen, daß dieses andere Volk seine Spuren im Süden hinterlassen hatte. Der Wind, das Wasser, die urtypischen Geräusche auf dem Fluß kamen ihm in der Stille der Nacht viel lauter vor als sonst. Neben ihm trieb das schaumige Flußwasser an den Bordwänden entlang; das Segel war gebläht wie ein halber Ballon. Die Luft hatte sich nur wenig abgekühlt. Er roch das Wasser, den Sand der weiter entfernt liegenden Wüste, den Staub des nahen Ufers - und er roch noch mehr, denn ein Geruch wollte nicht zu den anderen passen. Zuerst dachte Hescon an eine Täuschung. Dann aber konzentrierte er sich stärker darauf, und stellte fest, daß der Wind nicht vom Ufer her stammte. Er mußte eine andere Quelle haben. Aber welche? Hescon war plötzlich sehr unsicher geworden. Über seinen Rücken rann eine Gänsehaut, denn er hatte bei näherem Überlegen herausgefunden, daß ihm dieser Geruch nicht so unbekannt war. Zwar nicht oft, doch mehrmals schon hatte er ihn wahrgenommen, immer dann, wenn jemand gestorben war und einfach zulange in der Sonne gelegen hatte. Dann begann der Tote zu riechen . . . Auf einmal war ihm die Kehle eng geworden. Er dachte sofort an die Ladung, die hinter ihm im Heck des Bootes dicht zusammengepfercht lag. Ob sie den Geruch abgab? Er zitterte plötzlich. Der Fremde hatte ihm gewisse Verhaltensregeln gegeben, nach denen er sich unbedingt richten mußte. Die aber bezogen sich auf sein Verhalten beim Erreichen des Ziels. Bisher hatte Hescon auf der Ruderbank gesessen, jetzt klemmte er den Mast fest und stand auf. Wohl war ihm nicht. Was die Tücher oder Säcke verbargen, konnte er nicht erkennen, den Unrissen nach war es durchaus möglich, daß der Fremde und seine Helfer Tote in das Boot geladen hatten. Er bückte sich.
Den widerlich süßlichen Leichengeruch spürte er in dieser direkten Nähe viel intensiver. Plötzlich traute er sich nicht mehr, Atem zu holen, aber er wollte es jetzt genau wissen. Umschnürt waren die vier Säcke nicht, allerdings wollte er sie auch nicht lösen, deshalb fuhr er mit den Händen über die Tüchter hinweg, ertastete die Umrisse, einen Körper, den Kopf, ein Gesicht. Kein Zweifel. Die Ladung, die er abzuliefern hatte, bestand aus vier schon riechenden Leichen... *** Hescon wußte nicht, was er tun und wie er sich verhalten sollte. Am besten wäre es gewesen, wenn er die Toten einfach in den Fluß geworfen hätte. Davor aber fürchtete sich der Fischer. Nicht so sehr wegen der Toten, vielmehr vor der Rache des Fremden, der ihm den Auftrag gegeben hatte. Hescon hörte das Rauschen des Flusses nicht mehr. Was er jetzt vernahm, war das Rauschen des Blutes in seinem eigenen Kopf. Fr war nur ein kleiner Fischer, das Leben hatte ihm keine Chance geboten, mehr zu werden, aber er konnte denken und nachdenken. In diesem Fall dachte er darüber nach, welchen Grund der Fremde gehabt haben mochte, ihm die vier Leichen zu übergeben. Er sollte sie wegschaffen, tief in den Süden des Landes, wo nicht so viele Menschen lebten. Da wurden die Toten gebraucht. Ja, gebraucht. Etwas anderes konnte er sich nicht vorstellen. Die Toten mußte er an ein Ziel schaffen, wo man etwas mit ihnen anstellte. Fs war nicht seine Aufgabe, er dachte trotzdem darüber nach. Was konnte man denn mit Toten machen? Menschen, die nicht mehr lebten, waren wertlos geworden. Entweder begrub man sie in den einfachen Höhlen, wenn die Gegend felsig war, oder man verbarg sie tief in der Erde, in den größeren Massengräbern. Sie aber mit dem Schiff über den großen Fluß zu schaffen, das wollte ihm nicht in den Sinn. Gleichzeitig dachte er wieder an den Fremden. Er hatte ihn nur kurz gesehen, seine Furcht aber war nicht weniger geworden, auch nicht in der Erinnerung. Er konnte sich vorstellen, daß dieser Fremde Macht und Einfluß besaß. Beides reichte sicherlich so weit in den Süden, daß man ihm nicht entgehen konnte. Deshalb wollte er weiterfahren. Möglicherweise lauerten die Helfer des Fremden versteckt an den Ufern, um seinen Weg zu verfolgen. Er rechnete mit allem.
Die Nacht war warm, auch auf dem Fluß. Selbst der leichte Wind brachte keine Kühle. Trotzdem spürte der Fischer auf seinem Rücken den kalten Schauer. Zum Glück vertrieb der Wind den Leichengestank. Hescon kam es vor, als würde er ein Tuch davongeweht werden, aber die Toten blieben, sie schaffte keiner weg. Für ihn wäre es Zeit gewesen, einzuschlafen. Auch wenn er in der Nacht segelte, schaffte eres, sich in einen Zustand der Entspannung hineinzuversetzen. Da ließ er seine Seele frei baumeln, da saß er, schloß die Augen und ließ sich forttragen. Diesmal war es anders. Hescon stand unter einem zu großen Druck. Zwar nahm er seinen Schlafplatz am Bug des Bootes ein, band das Tau fest, das sein Segel hielt, schloß auch die Augen, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Immer wieder schreckte er hoch, schaute zum Heck, wo die Toten lagen und der leichte Wind über die Tücher strich, dafür sorgte, daß sie dabei ein Muster aus Falten zeigten, so daß es aussah, als würden sich die Toten unter den Tüchern bewegen. Dieser Gedanke ließ den Fischer frösteln. Plötzlich klemmte seine Kehle wieder zu. Fr verzog die Mundwinkel, schluckte, spürte Durst und trank einen Schluck Wasser aus dem gefüllten Ziegeniederschlauch, den er mit auf die Reise genommen hatte. Das Wasser erinnerte ihn an eine glänzende Fläche, die sich in kleinen Wellen bewegte und auf der das Mondlicht einen geheimnisvollen Zauber hinterlassen hatte. Am Himmel stand das Heer der Sterne. Wie gelbe Augen schauten sie in die Tiefe. Als er merkte, daß seine Gelenke steif wurden, streckte er sich, stand aber nicht auf. Sein Blick galt den Leichen, bevor er hinwegglitt über das Boot und sich verlor. Auf der Oberfläche spiegelten sich die Gestirne als eine helle, tanzende Welt. Der Fluß war ewig, er floß immer, er würde nicht sterben. Seinem Rhythmus hatten sich die Menschen auch angepaßt. Die Natur forderte ihr Recht. Trotz der schlimmen Fracht und der ungewissen Zukunft fielen Hescon irgendwann die Augen ganz zu. Als er erwachte, fühlte er sich steif. Die Kälte hatte zugenommen, es war nicht so kalt geworden wie in den Wüsten, von denen Reisende immer berichtet hatten, aber er klapperte schon mit den Zähnen und dachte daran, daß er keine warme Kleidung mitgenommen hatte. Sein Blick erreichte die Ladung. Noch immer lagen die Toten dicht zusammen. Wer hätte diese schlimme Fracht auch stehlen sollen? Er war damit allein, es würde es bis zum Ziel bleiben.
Die Sonne kroch bereits als glühender Ball hervor. Sie stand noch in der Dunkelheit wie eine Kugel, und sie würde bald weiterwandern, um den höchsten Punkt zu erreichen. Hescon erhob sich. Das Boot fuhr ruhig dahin, auch wenn er es gegen die Strömung steuerte. Erste Fischerboote lösten sich vom Ufer. Es waren seine Berufskollegen, die den Tag begannen. Der Fluß war an dieser Stelle nicht mehr so breit, wie er feststellen konnte. Dafür floß die Strömung schneller dahin, und Hescon war gezwungen, seine Künste als Segler einzusetzen, um den Kurs zu halten und sich nicht den gefährlichen Stellen zu nähern, wo das Wasser Wirbel und Strudel bildete, die schon für manchen Fischer zur'Todesfalle geworden waren. So weit südlich war Hescon noch nie gekommen. Im morgendlichen Dunst sah er die mächtigen Bauten der großen Gräber. Als gewaltige Hüte aus Stein stachen sie dem allmählich heller werdenden Himmel entgegen. In diesen Gräbern lagen die Könige und Mächtigen des Landes begraben. An ein derartiges Grab durfte der arme Fischer nicht einmal denken. Dafür lagen auf seinem Boot ebenfalls Tote. Die vier Leichen hatte er abzuliefern. Was später mit ihnen geschah, darüber machte er sich keine Gedanken. Ein Bote sollte nicht denken, ein Bote mußte das tun, was man ihm auftrug. Der Tag kam, die Hitze ebenfalls, und die Sonne brannte erbarmungslos. Auf dem Fluß staute sich die Hitze, da waberte der Dunst, da flirrte die Luft, da stach die Sonne mit einer erbarmungslosen gewaltigen Kraft vom wolkenlosen Himmel nieder. Hescon kauerte sich unter dem Segel zusammen. Der Wind blähte es nicht mehr so wie in der Nacht. Es war erschlafft, dementsprechend langsam kam er voran. Hin und wieder mußte er zur Ruderstange greifen, um den Kurs beibehalten zu können. Einfach war es nicht, denn Hescon kannte diese Gewässer nicht. Sie waren ihm sehr fremd. Doch er gehörte zu den kämpferischen Tpyen, die einfach nicht aufgaben. So machte er weiter, dachte an seinen Auftrag und natürlich an den Fremden, vordem er noch immer Furcht hatte. Dieser Mann war ihm nicht geheuer, der konnte sehr grausam sein, das hatte er gespürt. Der Tag verging. Die Leichen stanken immer widerlicher, und dieser schreckliche Geruch ließ den Magen des Fischers rebellieren. Der Fischer wartete darauf, daß sich die Sonne neigte, Das allein zählte für ihn. Wenn die Kühle der Nacht über ihn hinwegwehte, erst dann konnte er aufatmen.
Auch größere Schiffe begegneten ihm. Einige wurden von dunkelhäutigen Sklaven gerudert. Ersah diese Menschen zum erstenmal, bisher hatte er nur von ihnen gehört. Sie kamen Hescon so unwahrscheinlich fremd vor mit ihrer dunklen Haut. Manche von ihnen flößten ihm sogar Angst ein, die sein Herz schneller schlagen ließ. Er hatte Glück. Niemand kümmerte sich um ihn, der Fluß ließ sich auch befahren, und so kam er normal weiter. Er trank Wasser, aß nichts. Hunger spürte er auch nicht, dafür war er viel zu aufgeregt. Und wieder neigte sich der Tag dem Ende entgegen. Die von ihm lang erwartete Dunkelheit trat endlich ein. Die blauschwarzen Schatten senkten sich über das Gewässr, wieder erschien das Heer der Sterne, und diesmal verspürte Hescon keine Müdigkeit. Er wußte ja, daß in der folgenden Nacht die Zeichen gesetzt werden mußten, und er hielt sich immer dicht am rechten Ufer. Die Finsternis umhüllte alles. Wieder veränderten sich die Geräusche, nahm Hescon sie intensiver wahr. Innerlich war er aufgeregt. Seine Hände bewegten sich unruhig. Fr zwinkerte mit den Augen, holte durch die Nase Luft, schmeckte die Kühle und auch den Geruch, der ihm von Ufer her entgegengeweht wurde. Diesmal verging der Leichengestank nicht. Auch während des Tages hatte sich der Fischer nicht getraut, die Toten anzufassen. Ekel und Scheu hielten ihn davon ab. Seine Lippen waren rauh und rissig geworden, die Kehle trocken. Noch einmal trank er einen Schluck Wasser. Es war der letzte Rest aus dem Ziegeniederschlauch. Das nächste Wasser sollten ihm die Menschen geben, die auf ihn warteten. Immer wieder ließ er seine Blicke über das Ufer gleiten und suchte die drei Feuer. Schon bei Anbruch der Dunkelheit war ihm aufgefallen, daß beide Ufer so völlig ohne Leben waren. Es gab auch keine grüne Flächen, nur die braunweiße Landschaft, die sich schier endlos bis zum Horizont hinzog. Für Hescon war es nicht gerade schlimm, eher ungewöhnlich, und er dachte darüber nach. Wer in dieser menschenfeindlichen Umgebung lebte, hatte etwas zu verbergen. Hinzu kamen die Toten, die er aus dem Norden brachte, und seine Furcht wuchs, während ihn das Gefühl der Spannung verlassen hatte. Abermals verging Zeit. Die Nacht hielt ihn umfangen. Avis dem Himmel schauten die Gestirne zu ihm herab. Ein halber Mond stand dort wie gezeichnet. Dann sah er die Feuer! Zuerst war es nur ein Flackern, ein leichter Schimmer in der Finsternis, der sich schnell vergrößerte und zu einem flammenden Dreieck heranwuchs.
Das war es! Obwohl sich Hescon das genau gewünscht hatte, merkte er doch, die Steigerung seiner Angst. Noch loderten die Feuer vor ihm. Sie reckten ihre rotgelben Arme in den Himmel, als wollten sie damit in die Dunkelheit hineinfassen und sie verscheuchen. Über den Feuern lag ein zuckender Widerschein in der dunklen Nachtluft, in der zahlreiche Insekten, durch die Helligkeit angelockt, verglühten. Der Fischer konnte darauf nicht mehr achten, denn er mußte dem Ufer entgegensteuern. Hescon kämpfte mit dem Segel und den Tücken der Natur. Der Wind stand ungünstig. Fr hätte das einfache Boot lieber zur Flußmitte hingetrieben, dort wollte Hescon nicht hin. Das Wasser schäumte über. Es war warm, und der Mann bekam nasse Füße. Nur gab er nicht auf. Ersetzte sein gesamtes Können ein, das er sich in den langen Jahren angeeignet hatte. Er hörte auf das Stöhnen des Mastes und der Segelstange, als sich das Holz auch gegen den Wind stemmte. Hescon schaffte es. In Schweiß gebadet war er, als sein Boot dem rechten Ufer entgegentrieb. Das Wasser besaß längst nicht mehr die Tiefe. Er segelte in das sehr flache Gebiet, wo der Sand manchmal gefährliche Fallen bildete. Schon kratzte der Kiel über den körnigen Untergrund, und wenig später steckte das Boot fest. Auch die heranrollenden Wellen schafften es nicht mehr, es zu lösen. Hescon war mit sich zufrieden, er atmete tief durch. Das Anlegen hatte geklappt. Die Feuer brannten vor ihm. Wenn ihn nicht alles täuschte, war er genau in eine Lücke zwischen ihnen hineingestoßen. Wenn er geradeaus schaute, konnte er in die Flammen des mittleren Feuers sehen, vor dem sich etwas bewegte. Zuerst dachte er an eine Täuschung aus tanzenden Schatten. Bei genauerem Hinsehen stellte er fest, daß es Menschen waren, die auf das Flußufer zugingen. Der Fischer verließ sein Boot. Er sackte bis über die Schienbeine in den Sand und Schlick des Ufers ein, tiefer aber nicht. Demnach war die Stelle hier nicht so gefährlich. Dann wartete er. Der Wind trug den Klang von Stimmen an seine Ohren. Die herankommenden Männer riefen sich gegenseitig etwas zu, was er nicht verstehen konnte. Zwei von ihnen trugen Fackeln. Ihre Flammen bewegten sich über den Köpfen der Männer, die lange helle Gewänder trugen. Hinter ihnen kamen andere.
Sie gingen sehr schnell, duckten sich ab und zu, und der Fischer hörte das Klatschen der Peitschenriemen auf die nackten Rücken der Sklaven. Sie waren ausersehen, die Leichen vom Kahn zu holen. Sehr dicht kamen sie an ihn heran, so daß er sie trotz der Finsternis gut erkennen konnte. Es waren kräftige Männer, allerdings schon durch Peitschenschläge gezeichnet, die auf ihren nackten Rücken lange Streifen und Wunden hinterlassen hatten. Nur die wenigsten von ihnen waren verheilt. In den anderen hatten sich Blut und Eiter festgesetzt, und dicht über ihnen summten zahlreiche Insekten. Der Fischer schüttelte sich, als er das sah, sagte aber nichts, er schaute zu, wie ein bärtiger Sklaventreiber noch einmal zuschlug und die vier Männer in das Wasser trieb. Einer rutschte aus, verschwand in den Wellen und wurde wieder hochgeprügelt. Wie auch die anderen mußte er eine 1 ,eiche vom Boot holen, sie über seine Schulter wuchten Lind wegtragen. Hescon schaute nur zu. Er begriff nicht viel, wollte es auch nicht, denn er war froh, daß sein Auftrag beendet war. Er dachte nur an sein neues Boot, das er als Lohn bekommen sollte. Ob sie es ihm hier schon gaben? Sein Gefühl sprach dagegen. Die innere Stimme warnte ihn. In der Fremde fühlte er sich überhaupt nicht wohl. Feinde umkreisten ihn, owohl er nicht angegriffen wurde. Er schaute sich um. Da stand er bärtige Sklaventreiber vor ihm. Die schwere Peitsche hatte er sinken lassen. Seine düsteren Augen starrten den Fischer an. »Das hast du gut gemacht. Komm mit.« »Wohin?« Der Bärtige deutete in Richtung der Feuer. »Willst du nicht deinen Lohn bekommen?« »Ja, ja, er ist mir versprochen worden.« Der Mann mit dem dunklen Bart schaute zurück, gab ein Zeichen, hörte einen Ruf, dann wurde der Fischer gepackt. Die harte Hand umklammerte seinen rechten Arm, man schob ihn vor, und plötzlich dachte er an Flucht. Auf einmal war er sicher, in eine Falle gelaufen zu sein, nur war es zu spät, daran etwas zu ändern. Der Bärtige war nicht allein. Wie Gespenster, die ihre Welt verlassen hatten, erschienen die anderen Männer im Umkreis der Feuer, deren Flammen über ihre Gestalten huschten und dafür sorgten, daß die Wächter ein geisterhaftes Leben bekamen. Von den vier Schwarzen sah er nichts mehr. Er hörte auch ihr Stöhnen nicht mehr.
Sie traten in das Dreieck der Feuer, wo es heller geworden war. Dort sah der Wüstenboden aus, als würde jedes kleine Kristall in Flammen stehen. Sie gingen weiter. An den Füßen des Fischers klebte der Sand. Er war noch warm vom letzten Tag. Als sie den Bereich der Flammen verlassen hatten, spürte er die Kühle der Wüstennacht, die an ihm klebte. Er ging automatisch weiter und merkte kaum, daß der Weg bergauf führte, damit er den Rand einer Schüssel erreichte. Dort saßen mehrere Männer verteilt, und dort sah er auch die vier Leichen wieder. Man hatte sie aus den Tüchern gewickelt und zu Boden gelegt. Sie lagen in einer Reihe, hinter ihnen standen die dunkelhäutigen Sklaven leicht geduckt, aber unbeweglich. Als er stehenblieb, trat aus dem Hintergrund eine Gestalt hervor, die sich ihm langsam näherte. Die Augen des Fischers weiteten sich. Noch hatte er ihn nicht genau erkennen können, aber er war es tatsächlich, der dort erschien. Der Fremde aus seinem Heimatort! Er schluckte, seine Lippen wollten sich zu einem Begrüßungslächeln verziehen, das schaffte er nicht, denn er wußte plötzlich, daß es unpassend gewesen wäre. Der Fremde sah nicht aus wie ein Freund. Dicht vor Hescon blieb er stehen und nickte. »Ja, ich habe es geschafft«, sagte der Fischer. »Das wußte ich. Deshalb suche ich immer nur die besten und guten Fischer aus.« Die besten und guten Fischer! Hescon dachte über diesen Satz nach. Es war nichts Außergewöhnliches daran, und doch fing er an zu überlegen, denn etwas hatte sich in seinem Hirn festgesetzt, oder war darin schon seit längerem verborgen gewesen. Nun kam es zum Ausbruch! Es gab einige Fischer, die in den letzten Monaten verschwunden und nie wieder erschienen waren. Einen davon hatte er gekannt. Die Männer waren losgesegelt, dann hatte man nichts mehr von ihnen gehört. Sie galten als vermißt oder tot. »Was ist?« fragte der Fremde, der wohl gemerkt hatte, wie stark Hescon nachdachte. »Nein, nichts. Ich . . . ich möchte nur wieder zurücksegeln.« Er sprach auch nicht mehr von seinem Boot, für ihn war es wichtig, die ungastliche Stätte zu verlassen, denn hier besaß er keine Freunde. »Ich will dir noch etwas zeigen, Hescon. Du sollst sehen, welche Arbeit du geleistet hast.« »Die Toten sind . . .«
»Sie sind tot, sie sind fast schon verwest, aber das ist nicht schlimm.« Der Fremde legte eine Hand auf Hes-cons Schulter und drehte ihn herum. »Schau in die Mulde.« Hescon gehorchte. Zuerst aberblickte erübersie hinweg. An den Rändern erschienen die Männer, alles Helfer des Fremden. Sie bauten sich dort auf und schauten in die Senke hinein. Dort lagen die Leichen im Sand. Er zeigte nicht die Glätte, die der Fischer von ihm gewohnt war. Hier kam etwas anderes hinzu. Er warf Falten, als würde ein stetiger Wind in ihn hineinwehen. Es verging noch mehr Zeit, bis plötzlich etwas passierte, was dem guten Fischer den Atem raubte und ihn vor Entsetzen erstarren ließ. Der Sand bewegte sich von unten her. Die Sklaven sprangen zurück. Sie kletterten auf Händen und Füßen den flachen Abhang hoch, um so rasch wie möglich die Flucht ergreifen zu können. Denn aus der liefe stieg etwas hervor. Es war ein großes gewaltiges Gebilde, das dort gelauert hatte und nun freikam. Golden glänzte der gewaltige Gegenstand. Er war rund und wirkte trotzdem eckig. Ein Mensch? Der Fischer^ergaß zu atmen, denn was dort im Sand verborgen gelegen hatte, war ein überdimensionaler Kopf, ein gewaltiger goldener oder vergoldeter Schädel mit weit aufgerissenen Augen und einem ebenfalls geöffneten Maul. Selbst in der Dunkelheit glänzte dieser riesige Kopf so hell, daß der Fischer Einzelheiten erkennen konnte. Er mußte etwas Besonderes sein, der konnte keinem Menschen gehören, das war eine Abart aus irgendwelchen fremden Reichen, vielleicht ein Gruß aus den finsteren Schattenwelten, in der er herrschte. »Wer ... wer ist das?« Der Fischer hörte sich flüstern, und seine Stimme kam ihm selbst fremd vor. »Er ist ein König, ein Mächtiger, einer, der herrscht und der immer herrschen wird.« Hescon nickte nur. Der Schädel hatte sich so weit aus dem Sand gedrückt, daß sein Kinn mit der Unterlage abschloß. Es lag dort als goldener Klumpen, überhaupt war alles golden an ihm, bis auf die Augen und die Brauen, die aus dunklen Kreisen und ebensolchen Strichen bestanden. Der Fischer kam mit einem derartigen Anblick nicht zurecht. Er war ein normaler Mensch, nur jemand, der sich durch den Fischfang ernährte und nicht eingeweiht werden konnte in die zahlreichen Weihen und in das Wissen der Könige, Magier und Hohepriester. Erst jetzt fiel ihm auf, daß die vier Leichen dicht vor dem Maul des Kopfes lagen.
Hatte das etwas zu bedeuten? Hinter ihm brandete ein Schrei auf. Ein klagender Ruf, erst heulend, sich dann jedoch steigernd, so daß der Ruf wie ein unheimlich klingendes Signal in die klare Wüstennacht hineingellte. Danach wurde ein Wort gesprochen. Der Fischer verstand es nicht, und auch die anderen Worte nicht, die sich an das zuerst Gesprochene reihten. Aber sie hatten einen Sinn, und sie waren wichtig, wie er sehr bald merkte. Als die Peitschenriemen auf die nackten Rücken der Sklaven klatschten, war es gleichzeitig ein Signal, nicht nur für die Sklaven. Es schien so, als hätte auch der aus dem Sand hervorgekrochene Schädel dieses Signal empfangen, denn sein weit aufgerissenes Goldmaul bewegte sich. Die Sklaven fielen in die Senke hinein. Sie rutschten durch den Sand, der in den frischen Wunden klebenblieb. Sie kamen wieder taumelnd auf die Füße, und sie kämpften sich auf allen vieren näher an diesen Schädel heran. So jedenfalls sah es der Fischer. Er täuschte sich, die Sklaven hatten andere Aufgaben zu erfüllen. Es waren vier, und vier Leichen lagen rücklings im Sand. Jeder Sklave packte einen der Toten. Und dann geschah das für den Fischer Unfaßbare. Der Reihe nach verschwanden die Toten im Maul des Schädels. Darin bewegte sich sogar etwas, als würde eine Zunge sich wellen oder hinund herschlagen. Kaute der Kopf? Genau war es nicht zu sehen, doch als die letzte Leiche verschwunden war, hatte Hescon das Gefühl, sich in den Boden verkriechen zu müssen. So etwas Furchtbares hatte er noch nie gesehen, das war einfach grauenhaft und für ihn nicht erklärbar. Er konnte nicht mehr starr stehenbleiben, zitterte am gesamten Leib. Die Skalven wankten durch die Mulde. Sie mußten achtgeben, nicht zu nahe an den Schädel heranzukommen, denn das Maul schnappte noch immer zu, als wäre es unersättlich. Sehr mühsam drehte Hecson den Kopf. Hinter ihm stand noch immer der Fremde aus dem Dorf. Er grinste ihn grausam an. »Was sagst du dazu?« »Ich .. . ich kann nicht.. .« »Es ist unser Gott. Er stammt aus einer Zeit, die längst vergangen ist. Aber wir haben ihn nicht vergessen. Schon unsere Urahnen kannten ihn und haben ihn verehrt. Hier stand sein Tempel, denn er kam aus dem Norden, wo einst eine große Insel lag mit Menschen, die viel wußten, weil sie ihr Wissen von den Völkern der Sterne bekommen hatten. Man nannte die Insel Atlantis, und ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die sie nicht vergessen haben.« »Wer ist der goldene Kopf?«
»Ein König, ein Magier, ein Pharao. Damals wurde er noch nicht Pharao genannt, diesen Ausdruck haben wir erfunden. Aber wir verehren ihn, und er wird die Zeiten überdauern. Es wird immer Menschen geben, die ihn anbeten, nur muß der Kreis dieser Eingeweihten gering bleiben, das haben wir uns geschworen.« Der Fischer stand noch immer unter dem Eindruck des erlebten Schreckens, so daß er die Worte kaum begriffen hatte. Er merkte nicht, wie sich die Lage zu seinen Ungunsten verändert hatte, und er sah auch nicht das Zeichen des Fremden, das einem besonders starken Mann galt. Er trug nur einen Lendenschurz und gehörte zu den Sklaven. Nur zeigte sein Körper keine Peitschennarben. Dicht hinter dem Fischer blieb er stehen. »Wer ist der Gott? Wie heißt er?« »Es ist Hosion, der goldene Pharao.« »Und er ißt die Toten?« »Das ist seine Nahrung. Wir sind gezwungen, ihm die Toten zu bringen. Er ist ein Leichenfresser, ein Ghoul, wie wir sagen, da wir den Begriff erfunden haben. Der Legende nach ist er von den Sternen gekommen, wo er zu dem wurde, was er ist. . .« Der Fischer nickte nur. Und der Fremde nickte auch. Das Zeichen galt dem kräftigen Schwarzen. Er schnellte vor. Im nächsten Augenblick schrie Hescon schrecklich auf, denn eine harte Hand hatte sich in sein Haar gewühlt und den Kopf nach hinten gezerrt. Den Mund hielt er weit offen, aus ihm drangen keuchende Geräusche. Die Tränen schwammen in seinen Augen, sie trübten den Blick, doch er konnte noch so viel sehen, wie nötig war. Vor ihm stand der Fremde und hatte sich über sein Gesicht gebeugt. »Ich habe dir gesagt, daß nicht viele Bescheid wissen dürfen, auch du gehörst dazu.« »Wollt ihr mich töten?« ächzte der Fischer. »Nein, nicht töten.« Der Fremde faßte mit beiden Händen in Hescons Gesicht. Auch diesmal waren seine Hände wie eine Zange. Er hatte sie so angesetzt, daß er ohne große Schwierigkeiten den Mund des Fischers aufreißen konnte. Hescon war nicht mehr in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Das Atmen gestattete man ihm, mehr auch nicht. Die Todesangst ließ ihn zittern. Er glaubte nicht daran, daß diese Menschen ihn am Leben lassen wollten. Der Bärtige sprach wieder. »Deine Zunge, Fischer. Strecke deine Zunge heraus.« Hescon durchfuhr es heiß. Er stammte aus diesem Land, er kannte sich aus, und er wußte auch, wie die Menschen hier bestraft wurden. Es gab viele Arten der Bestrafung, zumeist waren sie schlimm. Zu den
schlimmsten jedoch zählte das Herausschneiden der Zunge, und nichts anderes hatte der Bärtige vor. Jemand reichte ihm einen sehr scharf geschliffenen Stein. Er war flach und handlich. Ein Opfermesser! »Raus mit der Zunge!« Hescon würgte und spie, er wollte es nicht, doch mit der freien Hand griff der Fremde zu. / Seine Finger füllten den Mund des Mannes aus, dessen Kopf durch den harten Haargriff des nubischen Sklaven so stark nach hinten gezerrt wurde, daß glühende Schmerzwellen durch seinen Nacken rasten. Der Bärtige lachte dabei, als er nach der Zunge griff. Er hatte sandige Finger, die es tatsächlich schafften, die Zunge festzuhalten. Er zerrte sie so weit vor wie möglich. Dann waren nur noch die Schmerzen da, die den Fischer durchtosten, bis sie von der gnädigen Bewußtlosigkeit abgelöst wurden... *** Monate später! Der Fischer hatte überlebt. Wie ein Tier war er durch die Wüste gekrochen, ein stummer Mensch, der sich nur lallend verständlich machen konnte. Wen er einem Menschen begegnete, so liefen die Fremden vor ihm fort, und die Kinder bewarfen ihn mit Steinen. So hatte er sich manchmal nur knapp in Sicherheit bringen können. Frernährte sich durch Diebstähle, er leckte das Wasser von den Steinen ab, wenn die Nacht sich ihrem Ende entgegenneigte. Dennoch hätte er nicht überleben können, wäre das Glück nicht auf seiner Seite gewesen. Es waren die Fremde, die ihn fanden. Die Söhne der Wüste, dunkle Gestalten, eingehüllt in langen Gewändern, die sie vor den grellen Strahlen der Sonne schützten. Sie saßen auf sehr großen Tieren mit zwei Höckern, und sie nahmen sich des Fremden an. Der Fischer Hescon blieb bei ihnen und wurde von den Wüstensöhnen behandelt wie einer der ihren. Sie gaben ihm Wasser und Nahrung, sie schafften es, aus ihm einen Menschen zu machen, und sie störten sich nicht daran, daß er nicht sprechen konnte. Im Gegenteil, denn es gab einen unter ihnen, der zu den Gelehrten gehörte. Er hieß Ghem und erklärte dem Fischer, daß er des wissenschaftlichen Denkens kundig war und fragte ihn gleichzeitig, ob er sein Schüler werden wollte.
Hescon stimmte zu. Schon am nächsten Tag begann die Lehre. Chem zeigte viel Geduld mit ihm, was sich auszahlte, denn Hescon wurde zu einem sehr gelehrigen Schüler. Er lernte viel über die Natur, er konnte schließlich den Himmel lesen, sich anhand der Sterne orientieren, und er lernte auch die alte Schrift der Ägypter, die nur wenige Eingeweihten bekannt war. Nach mehr als zwei Jahren starb sein Lehrmeister, und seine Nachfolge übernahm Hescon. Die Söhne der Wüste akzeptierten ihn, so unterrichtete er die jüngeren Männer. Sein eigenes Schicksal aber hatte er nicht vergessen. All seine Erlebnisse schrieb er auf einen Papyrus und verbarg ihn in der Nähe des Ortes, wo ihm damals die Zunge herausgeschnitten worden war. Den genauen Grund, weshalb er das tat, konnte er nicht sagen. Er handelte aus einem Gefühl heraus, das ihm sagte, der Nachwelt etwas schuldig zu sein. Sehr oft hatte er sich mit dem Erscheinen des goldenen Pharaos beschäftigt und war davon ausgegangen, daß so etwas wie er unsterblich war. Ja, man mußte die Menschen warnen. Die Jahre vergingen. Hescon wurde alt. Es kam der Tag, an dem er das Herannahen des Todes spürte. In einem einsamen Wüstenlager und unter freiem Himmel, damit erzürn leztenmal das Licht der Gestirne sehen konnte, legte er sich zur letzten Ruhe nieder, umgeben von seinen Freunden. Bevor er starb, schrieb er ihnen etwas auf. Es gibt ein Geheimnis, daß ich mit in die Schattenwelt nehmen werde. Ich kann euch nicht sagen, um welches Geheimnis es sich dreht, doch eines ist sicher. Eine Warnung möchte ich euch sagen. Hütet euch vor dem goldenen Pharao, vor dem Ghoul, der sich von den Toten ernährt! Sie hatten seine Schrift gesehen, aber sie begriffen ihn nicht. Einer der Alten träufelte noch Wasser in seinen Mund, um die Lebensgeister zu erwecken. Es hatte keinen Sinn mehr. Der ehemalige Fischer Hescon war bereits den langen Weg in die Welt der Schatten gegangen. Dort, wo er gestorben war, bekam er auch sein Grab. Er war ein stummer Mensch gewesen und trotzdem einer der großen Mahner und Warner, was sich erst Jahrtausende später herausstellen sollte... *** Es war an einem Samstag, kurz vor halb vier, und ich befand mich in einer Welt, über die ich nur den Kopf schütteln konnte. Ein Stück Belle
Epoche mitten in London, eine Zeit, die längst vergangen, aber nicht vergessen war. Wenigstens hier nicht, wo der Herr noch Kavalier und Gentleman war und selbst das einfachste Mädchen zur Lady hochstilisiert wurde. Wo sich das abspielte? In einem sehr noblen Londoner Hotel, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, aber es gibt dieses Samstagsvergnügen, und es wird es wohl immer geben. Ich hatte bisher davon nichts gewußt, doch jemand hatte mjch eingeladen, daran teilzunehmen, und ich hatte einen Tisch im voraus bestellen müssen. Noch war die große Glastür zur Palm Court Lounge verschlossen, und ich stand inmitten der Schlange der Wartenden, wobei ich mich amüsierte, denn ich hatte die zahlreichen Frauen normal und mit Tüten an den Händen hereinkommen sehen, wobei sie so schnell wie möglich in den Waschräumen verschwunden waren und sie als Verwandelte nach wenigen Minuten wieder verließen. Da hatten sie sich fein gemacht und aufgeputzt. Jetzt trugen sie ihre anderen Kleider aus Chintz und Seide. Oft sehr unmodern, wie auch die Schuhe mit den hohen bleistiftdünnen Absätzen, aber mit einer Würde in den Gesichtern, über die ich mich nur wundern konnte. Für diese Damen waren diese 'Tanztees etwas ganz Besonderes. Sie fieberten vor Spannung, auch wenn sie äußerlich die Ruhe bewahrten. Ihr Flüstern miteinander zeigte mir an, wie aufgeregt sie waren. Mich trat manch verstohlener Blick. Es mußte an meinem Alter liegen, denn ich hatte nur zwei Männer gesehen, die jünger waren als ich. Einer trug einen grauen Anzug und eine korrekt gebundene Fliege am Kragen, der andere fiel wegen seines giftgrünen Jacketts auf, das besser zu einer Hollywood-Party gepaßt hätte als nach London. Ansonsten waren die Herren älter, wie auch die Musiker der Kapelle, die auf dem schmalen Podium standen, als sich die Glastür endlich geöffnet hatte und wir eintreten konnten. In den Raum hinein drang das Zischeln und Flüstern z a h I re i c h e r S t i m m e n. Die Herrschaften besaßen zum großen Teil ihre Stammtische, die sie zielsicher ansteuerten. Das Personal wieselte herbei. Sehr distinguiert wirkend und mit einem scharfen Blick für die Menschen. Hier herrschte Krawattenzwang, und auch ich hatte mir einen Kulturstrick umgebunden. Auf der großen hellen Tanzfläche stand ich ein wenig verloren herum. Die'Tische und Stühle gruppierten sich kreisförmig um die runde Fläche, auf einer nicht sehr hohen Galerie, zu der eine rosefarbene Steintreppe aus sieben Stufen hochführte.
An den Wänden hingen die alten Lampen. Das Licht wurde von den Pergamentschirmen gedämpft. Hinzu kamen die langen palmenartigen Gewächse, die wie grüne Arme aus den zahlreichen Kübeln stachen und auf deren glänzende Blätter das Licht Reflexe warf. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte und hier auch richtig war. Jedenfalls kam ich mir ziemlich deplaziert vor, was auch einem der Ober aufgefallen war, der an mich herantrat. »Sir?« säuselte er mit seiner unnachahmlichen Stimme, ließ das Wort ausklingen und hob erst dann die linke Augenbraue. Ich lächelte. »Eigentlich hätte ich gern einen Platz.« »Sind Sie angemeldet, Sir?« »Wie meinen Sie das denn? Ich bin nicht beim Arzt.« »Haben Sie reservieren lassen?« »Ach so, ja. Einen Tisch für zwei Personen. Mein Name ist John Sinclair.« Er überlegte, bewegte wieder die Brauen und gab ein »Ahhh — natürlich« von sich. Danach bat er mich, ihm zu folgen und geleitete mich zu einem runden Zweiertisch, vorbei an einem der Treppenaufgänge zur Galerie. Mein Tisch stand auf der Tanzfläche, sehr an die Seite gedrückt, zur Galerie hin gedeckt durch die breiten Blätter der Palmen. Der Knabe rückte mir den Stuhl zurecht. Ich durfte meinen Platz einnehmen und wurde schon nach meinem Wunsch gefragt. »Tee.« »Sir, welchen bitte? Wir haben folgende Sorten.« Der Knabe begann sie aufzuzählen, schielte dabei gegen die Stuckdecke. Nach der dritten Sorte schaltete ich meine Ohren auf Durchzug, nach der fünften fing ich an zu bellen, was den Ober sichtlich irritierte, denn seine Rede kippte augenblicklich um. »Das Mitbringen von Hunden ist hier untersagt.« »Weiß ich, Meister. Sehen Sie einen Hund?« Er schaute sich um. »Nein.« »Ich auch nicht.« »Und doch habe ich das Bellen vernommen, Sir.« »Das war ich.« Er schaute auf mich herab, bekam Zuckungen auf Hals und Wangen, räusperte sich und fragte: »Mit Verlaub, Sir, was darf ich Ihnen zu trinken bringen?« »Den ersten Tee.« »Sie meinen also den brisk, with a full-bodied astringent flavour SpecialBlend tea.« »Genau den.« »Danke, Sir.« Er zog von dannen. Ich atmete auf, streckte die Beine aus und verdrehte die Augen. Ich hatte schon an zahlreichen Plätzen in London gehockt, war auch in manchen Clubs gewesen, das hier aber war das Schärfste. So etwas mußte man fotografieren, das glaubte sonst keiner. Es war wirklich sagenhaft.
Noch war die Person nicht erschienen, die mich herbestellt hatte. Zudem kannte ich sie nicht. Ich wußte nur ihren Namen. Sie hieß Nicole Asira, das war alles, was ich aus dem Gespräch erfahren hatte. Allerdings hatte sie mich sehr dringend darum gebeten, sie nicht draufzusetzen, ich hatte mich daran gehalten, sie noch nicht. Es war eine wahnsinnige Kulisse. Eigentlich hatte ich mich ja nicht gesetzt, sondern war hineingetaucht in den Sessel aus grünem Samt. Vor mir auf dem Tisch mit der leicht geröteten Decke lag ein Silberbesteck. Es stand ein kleiner Teller bereit, und schon jetzt servierten die Ober die Sweets, die man zum Tee trank. Nicht weit entfernt saßen zwei junge Leute, die das nicht aßen, dafür stopften sie Hamburger in sich hinein. Echt stark . . . Auf manchen Tischen lagen weiße Nelken. Sie paßten auch zu diesem Ambiente aus Säulen, vergoldeten Leuchtern und Palmen. Dies alles erinnerte mich an die Visconti-Filme mit ihren üppigen Dekorationen, wie man sie auch in seinem Streifen >Töd in Venedig< sehen konnte. Es war kaum zu glauben, daß diese Oase mitten in London lag. Hollywood-Produzenten hatten sie schon längst entdeckt, denn hier war, wie ich aus Gesprächen erfahren hatte, die Filmbühne für den Streifen Untergang der Titanic< gewesen. Ich versuchte, die Gäste zu zählen. Auf über hundert kam ich schon, die meisten waren Paare, die sich an fast jedem Wochenende hier trafen, um zu tanzen. Nicht weit von mir entfernt hockte ebenfalls ein starkes Pärchen zusammen. Beide weit über die Sechzig, er fast schon ein Greis mit zerknittertem Faltengesicht, sie auch nicht viel jünger, dafür aber mit feuerroten Haaren, die bis auf ihre Rücken wuchsen. Dazu trug sie ein Kleid aus glänzendem Stoff. Er war mit blauen und violetten Blumenmustern bedruckt. Ihr Partner gegenüber aß seine kleinen Törtchen, auf die er Konfitüre geschaufelt hatte. Dazu schlürfte er lautstark den Tee. Dann spielte die Kapelle. Es waren weiche Hollywood-Melodien dabei, auch forsche im Quickstep-Tempo. Die Paare stürzten nicht zur Tanzfläche. Sie gingen sehr gemächlich, da gab es auch keinen Unterschied zwischen Jung und Alt. Man wußte eben, wie man sich hier zu bewegen hatte. Auf der Fläche aber waren sie wie verwandelt. Ich traute meinen Augen nicht, als die alten Herzen wieder jung wurden und ein Tänzchen auf den Marmorboden legten. Das war schon toll, und an den Gesichtern erkannte ich, daß es ihnen allen eine sehr große Freude bereitete. Das junge Paar mampfte weiter. Dann hörte ich es klingeln hinter mir. Bevor ich mich umdrehen konnte, sprach mich eine weich klingende Frauenstimme an. »Mr. Sinclair?«
Ich stand auf. Die Stimme hatte ich erkannt. Dann drehte ich mich um und sah mich einem rötlichblond gelockten Wesen mit langen Haaren gegenüber, das einen schwarzen Rock trug, dazu einen gestreiften Pullover und einen hellen Blazer darüber. Grüngraue Augen schauten mich an, das Lächeln wirkte herzlich und erfrischend, nur die Lippen zuckten an den Rändern ein wenig nervös. »Der bin ich.« »Und ich bin Nicole Asira.« »Das hatte ich mirgedacht«, sagte ich und streckte ihr meine Hand.entgegen. »Herzlich willkommen.« Inzwischen brachte der Ober den Tee und fragte gleichzeitig Miß Asira nach ihren Wünschen. Sie strich das Haar an der linken Seite zurück. Endlich konnte ich erkennen, was so geklimpert oder geläutet hatte. Es war ihr Schmuck gewesen, der wie ein langes Geschmeide von ihrem Ohrläppchen herabging und in einem dunklen Gold schimmerte, wobei das Schmuckstück aussah wie eine Leiter, an deren Rändern noch kleine Glockenklöppel hingen. »Ich bekomme das gleiche wie der Herr.« »Sehr wohl, Miß«. Der Ober glitt auf seinen spiegelblanken Schuhen davon. »Dann wollen wir uns mal setzen«, sagte ich. »Danke, Mr. Sinclair.« »Ach, sagen Sie John.« »Okay, ich bin Nicole.« Sie nahm mir gegenüber Platz. Beide konnten wir auf die Tan/fläche schauen, da die Stühle ziemlich günstig standen. »Sie müssen meine Verspätung entschuldigen, aber ich habe keinen Parkplatz gefunden. Dabei dachte ich, daß es am Wochenende nicht so schlimm wäre, aber ich habe mich getäuscht.« »Macht ja nichts.« Ich deutete nach vorn. »Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich sogar amüsiert.« »Kann ich mir denken.« »Lieben Sie denn diese Atmosphäre?« Sie lachte herzerfrischend. »Sehe ich so aus?« »Das nicht, aber . . .« »Es hat schon einen Grund, Mr. Sinclair, daß ich Sie herbestellt habe.« »Daran glaube ich auch.« Auch sie bekam ihren Tee, trank ihn mit Milch und rührte die helle Flüssigkeit um. »Darf ich Sie etwas fragen, Nicole?« »Sicher.« Sie zog den Löffel aus der Tasse und legte ihn vorsichtig auf den Rand der Untertasse. »Ich möchte nicht indiskret sein, aber ihr Name klingt etwas fremd, wenn nicht sogar geheimnisvoll.«
In den folgenden Sekunden erlebte ich, daß auch eine normale junge Frau noch rot werden konnte. »Das haben Sie wirklich sehr nett gesagt, John, Sie haben recht.« »Sind Sie Engländerin?« »Das schon. Meine Mutter stammt aus Cornwall, mein Vater ist Ägypter. Er gehörte einer sehr gebildeten und hochstehenden Schicht an. Leider lebt er nicht mehr.« »Das tut mir leid.« Nicole hob die Schultern. Sie trank einen Schluck Tee und erklärte wie nebenbei: »Deshalb habe ich mich ja mit Ihnen in Verbindung gesetzt. Es geht um den Tod meines Vaters.« Ich räusperte mich, trank auch und dachte kurz nach. »Dann ist er keines natürlichen Todes gestorben, wie-ich annehme?« »Das weiß ich nicht.« »Und ich soll es herausfinden?« »Wenn es geht.« Die Musiker spielten einen Tango. Dieser Tanz ist ja im Kommen. Die jungen Leute lernen ihn und empfinden diesen Tanz oft genug als Erotik pur. Die Älteren beherrschen ihn meist noch. Was diese Paare hier zeigten, war schon super. Da stimmten die Schritte mit der Haltung überein, und sogar die Ausdrücke der Gesichter paßten dazu. »Möchten Sie auch tanzen, John?« »Hilfe, wie kommen Sie darauf?« »Weil Sie die Paare so interessiert betrachten.« »Sorry, daß ich Sie damit von den eigentlichen Problemen abgelenkt habe, aber ich wundere mich. Natürlich haben Sie Vorrang. Sie wollten über den Tod Ihres Vaters sprechen.« »Ich habe seine Leiche nie gesehen.« »Tatsächlich?« Ich hob die Schultern. »Kann man davon ausgehen, daß er nicht tot ist?« Nicole Asira lächelte, als sie mit dem Zeigefinger Figuren in die Luft malte. »Das möchte ich auch nicht unterschreiben. Man hat uns gesagt, daß es ihn nicht mehr gibt.« »Wer tat das?« »Per Telefon. Der Anruf erreichte uns aus Ägypten.« »Haben Sie Einzelheiten gehört?« »In der Tat.« Ihr Blick verglaste etwas, als sie gegen die Tasse schaute. »In der Tat«, wiederholte sie. »Das sagen Sie so seltsam. Wollen Sie nicht darüber reden? Ist es Ihnen unangenehm?« »ja, beides.« Ich lächelte sie über den lisch hinweg an. »Wissen Sie, Nicole, Sie brauchen mir nicht alles zu sagen, aber Sie haben mich herbestellt und
sollten schon mit der Wahrheit herausrücken. Nurdann kann ich reagieren.« »Zunächst möchte ich mal sagen, daß ich mich gefährdet fühle. Ebenso wie meine Mutter. Auf unserer Familie scheint ein Fluch zu liegen, davon jedoch später.« »Akzeptiert, Nicole. Bleiben wir bei Ihrem Vater. Was ist mit ihm geschehen?« Sie hob einen Finger. Der Nagel war blaßgrün lak-kiert. »Der Anführer hat nicht gesagt, daß mein Vater gestorben ist. Er sprach davon, daß er gefressen wurde.« Zu essen hatte ich mir nichts bestellt. Es wäre mir möglicherweise wieder hochgekommen. Ich schloß die Augen und atmete scharf durch die Lippen. Daß Nicole trinken konnte, bewunderte ich an ihr, ich aber fuhr verlegen über mein Haar und hakte mit meiner Frage noch einmal nach. »Habe ich Sie richtig verstanden?« »Ich denke schon.« »Aber wieso? Das ist doch unmöglich. Gefressen — das . . . das kann ich nicht begreifen.« »Ich auch nicht. Meine Mutter und ich waren wie vor den Kopf geschlagen, als wir das hörten. Ich hatte Angst und . . .« »Pardon, abe-Y sind noch weitre Anrufe dieser Art bei Ihnen eingetroffen?« Sie bewegte unruhig ihre Hände. »Nur Warnungen, daß wirkeine Nachforschungen anstellen sollten.« »Ja«, murmelte ich. »Wenn das so ist, müßte es einen Grund geben. Was hat Ihr Vater getan? Womit hat er sich beschäftigt?« »Er war oder ist Wissenschaltler.« »Etwa Historiker oder Archäologe?« fragte ich. »Beides.« »Und er interessierte sich natürlich für die Vergangenheit seines Heimatlandes.« »Ja, er war ein Spezialist.« »Auf welchem Gebiet?« Nicole schaute auf die Fingernägel. »Das ist schwer zu erklären. Er interessierte sich für das alte Ägypten, das den meisten seiner Kollegen unbekannt ist. Es existiert höchstens in der Erinnerung. Sie kennen ja den Garten Eden, dieses Land, das von Engeln mit flammenden Schwertern bewacht ist. Ein geheimnisvolles Land, das es nicht mehr gibt, aber ein Land des Ursprungs, denn von ihm aus sind die ersten Siedler nach Ägypten hingegangen, wenn Sie verstehen.« »Atlantis!« sagte ich. »Ja.« Nicole war baff. »Sie . . . Sie kennen sich da aus? Sie wissen davon?« »Sehr viel sogar.« »Aber nicht über die Zusammenhänge zwischen Atlantis und dem uralten Ägypten, wie es vor dem Bau der Pyramiden war . . .«
»Doch, ich weiß davon, denn ich habe einen Fall erlebt und erste Spuren gefunden.«* Nicole staunte noch immer. »Dann habe ich mich instinktiv an den richtigen Mann gewendet.« »Das haben Sie in der Tat, Nicole. Und Ihr Vater interessierte sich für die Geschichte, die vor den beiden großen Katastrophen passierte, als das gewaltige Wasser kam.« »Ob vor oder dazwischen, ich weiß es nicht.« »Das wollen wir auch nicht vertiefen. Dazu haben wir später sicherlich Gelegenheit. Ihr Vater muß sich meiner Ansicht nach mit einem bestimmten Fall beschäftigt haben. Ich glaube nicht daran, daß er sich nur allgemein geäußert hat.« »Das hat er auch.« »Woran?« fragte ich direkt. Nicole Asira holte tief Luft. »So genau bin ich nicht darüber informiert. Fr sprach jedenfalls von einem mächtigen Wesen und einer mythischen Gestalt, die auch heute noch ihre Verehrer hat.« »Kennen Sie den Namen?« »Es soll ein König oder Magier gewesen sein. Das Metall Gold hat auch eine große Rolle gespielt. Der Legende nach soll er von späteren Generationen als der goldene Pharao, der König, bezeichnet worden sein, obwohl es zu seiner Zeit den Begriff Pharaonen noch nicht gab, wie mein Vater einmal sagte. Die Gräber sind alle später errichtet worden. Erst nach der zweiten Katastrophe übernahm ja die dritte >Göttliche Dynastie< die Macht. Da wurden erst die Tempel von Karnak, die Pyramiden von Gizeh und all die anderen Bauten errichtet, die heute noch zu besichtigen sind. Es stammt nicht ein Bau aus der Zeit vor der Katastrophe, deshalb war es für meinen Vater so schwierig zu forschen.« »Daß er einen Erfolg errungen hat, zeigte sein Verschwinden«, sagte ich leise. »Sicher. Er muß eine sehr wichtige Spur entdeckt haben. Eine Verbindung, die damals begann und sich hinzieht bis in unsere heutige Zeit. Wahnsinn, wie?« »Das sehe ich anders, Nicole.« »Aber ich nicht.«
* Siehe John Sinclair Nr. 617: »Das Blut der Mumie«
»Es gibt immer wieder Gruppen und Sekten oder Vereinigungen, die ihre Grundlagen und den Sinn ihrer Religion aus der Mystik anderer Völker ableiten.« Ich legte eine Pause ein und zündete mir eine Zigarette an. Bei den ersten Zügen dachte ich nach, bevor ich die nächste Frage stellte. »Wo ist diese Verbindung entstanden?« Nicole schüttelte den Kopf, dabei klingelte ihr Schmuck. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, John. Es hat sie gegeben, so weit, so gut. Aber genaue Anhaltspunkte wußte nur mein Vater.« »Das heißt, um diesen Fall aufzuklären, müßte ich nach Ägypten fahren.« »Stimmt.« »Aber das Land ist groß«, sagte ich lächelnd. »Ich könnte Ihnen da schon mit dem einen oder anderen Tip dienen. Ich habe erfahren, wo mein Vater forschte. Meine Mutter müßte darüber besser Bescheid wissen.« »Weshalb sind Sie ohne sie gekommen?« »Sie wollte nicht.« »Dann könnten wir zu ihr gehen.« »Darum wollte ich Sie bitten.« Ich stäubte Asche ab und sagte: »Zwei Fragen habe ich noch. Wer könnte Ihren Vater denn verschluckt haben?« Nicole erwiderte spontan: »Da gibt es nur eine Möglichkeit, John! Es war der Pharao.« »Der goldene?« »Ja, das stimmt.« »Dann müßte er noch leben.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Deshalb war mein Vater doch in seiner Heimat. Er wollte ihn oder sein Grab finden. Wenn ihm das gelungen wäre, hätte das an den Grundfesten der frühgeschichtlichen Historie gerüttelt, wenn Sie verstehen. Zum erstenmal wäre es einem Wissenschaftler gelungen, eine direkte Verbindung zwischen Atlantis und dem Land Ägypten so intensiv nachzuweisen.« Ich gab ihr recht. »Das wäre bestimmt eine Sensation gewesen.« Auf der Fläche tanzten die Paare noch immer. Sie behielten Haltung, da lag keiner halb auf dem anderen. Hier wurde noch stilecht das Tanzbein geschwungen. »Sie hatten noch eine Frage, John?« »Ja, das stimmt. Ich wollte mich danach erkundigen, weshalb wir uns gerade hier in diesem Tanzpalast getroffen haben.« Sie lachte leise. »Daß Sie mich dies fragen würden, habe ich mir gedacht.« »Ist es so schlimm?« »Nein, ganz und gar nicht. Denken Sie nur nicht, daß ich mich am Wochenende hierher zurückziehe und hier meine Zeit verbringe, aber es hat schon seine Gründe. Die hängen mit meinem Vater zusammen. Er war des öfteren hier, hat allerdings nie getanzt. Er traf sich an diesem Ort mit irgendwelchen Leuten.«
»Die mit dem Fall zu tun hatten?« »Das glaube ich schon.« »Wer ist oder war das?« Nicole Asira schaute sich um, aber so, daß es nicht auffiel. »Wenn ich das wüßte«, murmelte sie. »Bisher habe ich noch keinen gesehen, auf den mein Verdacht zutreffen könnte.« »Ihr Vater hat ihn auch nicht beschrieben?« »Nein, er wollte mich nicht mit hineinziehen. Es war ihm zu gefährlich.« Sie bewegte hektisch den Kopf, so daß ihre Geschmeide an den Ohren klimperten. »Sit' haben einen wunderschönen Schmuck, Nicole.« »Ja er ist alt.« »Ägyptisch?« Sie >kämmte< ihre Haare zurück, so daß ich den Schmuck besser sehen konnte. »Mein Vater brachte ihn mit. Woher er genau stammt, hat er mir nie gesagt. Ich denke allerdings, daß er mal einer ägyptischen Prinzessin gehört hat und mein Vater ihn aus einem Grab mitnahm, was nicht die feine Art ist. Aber was wollen Sie machen? Mir gefällt er.« »Und er reißt Ihnen nicht die Ohrläppchen ein?« »Nein, auf keinen Fall. Der Schmuck klemmt nur fest. Ich habe ihn nicht in das Fleisch hineingebohrt.« »Das ist etwas anderes.« Sie ließ die Haare wieder fallen und wunderte sich über meinen Blick, der ihr wohl nicht gefiel. »Was schauen Sie mich so an, Mr. Sinclair? Paßt Ihnen etwas nicht?« »Ich denke nur an den Schmuck.« Nicole lachte hell auf. »Noch immer? Dabei habe ich Ihnen doch gesagt, daß er nur .. .« »So meine ich das nicht, Nicole. Dieser Schmuck ist, sollte er tatsächlich alt sein, möglicherweise eine gewisse Verbindung zu den Dingen, mit denen sich Ihr Vater beschäftigt hat. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, doch es wäre nicht das erstemal, hätte ich von einer magischen Wirkung bei irgendeinem Schmuckstück gehört.« Sie winkte ab. »Hören Sie auf, John, das ist. . .« »Darf ich mal stören?« Eine Männerstimme fragte es, und ich sah den Alten, der am Nebentisch der rothaarigen Person gegenüber gesessen hatte. Fr versuchte, eine gerade Haltung zu bewahren, was ihm jedoch nicht möglich war. Wegen seines Alters ging er gebeugt. »Ja, bitte!« Er zupfte sein hellblaues Jackett zurecht. Dazu trug er ein dunkelblaues 1 lemd und eine ebenfalls dunkelblaue Fliege. »Hier wird getanzt, Sir. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern mit der jungen Dame einen Tanz wagen. Vorausgesetzt, sie ist einverstanden?« Ich lächelte über die gestelzte Sprechweise. Sie war wohl hier üblich. »Sorry, da müssen Sie die junge Dame selbst fragen.«
Nicole war konsterniert. Was sie dachte, konnte ich mir denken. Mit einem Mann zu tanzen, der ihr Großvater hätte sein können, war schon mehr als komisch. Aber sie lehnte nicht ab, schaute in das Gesicht des Mannes und stand ruckartig auf. Vielleicht war ich überempfindlich geworden. Die Bewegung der jungen Frau mißfiel mir jedenfalls sehr. Aber es war nichts Verdächtiges festzustellen. Galant reichte ihr der wesentlich ältere Mann den Arm. Hs wirkte schon etwas obskur, zudem war er kleiner als Nicole und reichte ihr nur knapp über die Schulter. Als sehr ungleiches Pärchen schritten sie der glänzenden Tanzfläche entgegen, wobei ich der einzige war, der dies als etwas unnormal empfand. Die anderen Gäste kümmerten sich nicht darum. Selbst das Paar nicht, das die Hamburger gemampft hatte, schaute nicht hin. Die beiden saßen da, hatten die Beine ausgestreckt und tranken einen dunkelroten Likör aus kleinen Gläsern. Die Kapelle spielte einen Walzer. Sehr schwungvolle Melodien des Walzerkönigs Johann Strauß, und ich wunderte mich darüber, wie glatt und sicher Nicole Asira diesen Tanz beherrschte. Zum erstenmal drehte sie sich bestimmt nicht nach diesen Klängen. Zudem verstand es der ältere Herr auch, sie zu führen. Mein Tee war kalt geworden. Ich trank dennoch einen Schluck und wollte die Tasse absetzen, als ich von der Seite her angesprochen wurde. »Bitte, auf ein Wort, Mister.« Ich stellte die dünne 'Tasse auf den Unterteller. Die rothaarige Trau hatte sich gedreht und schaute mich direkt an. Vorhin hatte ich nur ihr Profil gesehen, das etwas wenig Frauliches an sich hatte. Die Nase war krumm wie der Schnabel eines Geiers gewachsen. »Ja bitte?« »Hat es Ihnen etwas ausgemacht, daß mein 'Tanzpartner Ihre nette Dame auf die Tanzfläche entführte?« »Nein, Madam, wie kommen Sie darauf? Fs hat mir überhaupt nichts ausgemacht.« »Das sollte es Ihnen aber.« »Tatsächlich?« Ich schüttelte den Kopf. »Darf ich fragen, wie Sie darauf kommen?« »Natürlich, und ich gebe Ihnen auch die Antwort.« Ihr breiter, rot geschminkter Mund lächelte und dehnte sich dabei wie ein Gummiband. »Mein Tanzpartner wird Ihre kleine Frau nämlich töten, Mister...« ***
Ich hörte die Worte, saß unbeweglich und bekam eine Gänsehaut, die sich auf meinem Rücken festsetzte. Die Rothaarige aber hob gelassen ihre 'Teetasse an, trank einen winzigen Schluck, stellte sie wieder auf den schmalen Teller und nickte dabei, als wollte sie ihre eigenen Worte noch einmal bestätigen. Ich gab zunächst keine Antwort, rückte nur auf dem Stuhl etwas zur Seite und legte meine Hand gegen das Ohr. »Können Sie das noch einmal wiederholen, Madam?« »Gern. Mein Tanzpartner wird Ihre kleine Frau töten! Daran können Sie nichts ändern.« Ich schaute auf die Fläche. Zahlreiche Paare bevölkerten sie und drehten sich nach den Klängen der Musik. Nichts war verdächtig, doch die Worte der Person hatten mir nicht nach einem Bluff geklungen. Außerdem spaßte man mit derartigen Dingen wirklich nicht. »Wenn das so ist, werde ich hingehen und Ihren Partner abklatschen, Madam.« »Das werden Sie nicht tun, Mister!« »Was sollte mich daran . . .?« Das letzte Wort sprach ich nicht aus, denn ich sah genau in die Mündung einer kleinen Damenpistole. Fin versilbertes Schießeisen, das sie bisher hinter der hochkant gestellten Handtasche auf ihren Oberschenkeln verborgen gehabt hatte. Jetzt war die Tasche zur Seite geschoben, die kleine Waffe lag frei, und ich schaute in die Mündung. Nicht einmal die Finger der Hand zitterten. Diese Tante besaß verdammt gute Nerven. Wenn ich in ihre funkelnden Augen schaute, die mich an, grüne Kiesel erinnerten, so mußte ich eingestehen, vor mir ein knallhartes Weib sitzen zu haben. Ich traute ihrdurchaus zu, daß sie auch abdrücken würde. Ruhig bleiben, sagte ich mir selbst. Nur keine Panik. Immer der Reihe nach. Schließlich schaute ich nicht zum erstenmal in eine Pistolenmündung. Dennoch klang meine Stimme leicht kratzig, als ich eine bestimmte Frage stellte. »Können Sie mir denn sagen, wann Ihr Partner die junge Frau töten will?« »Ja, wenn dieser Tanz vorbei ist. Praktisch mit den letzten Klängen der Musik.« Ein Walzer, wird er durchgespielt, dauert relativ lange. Ich hatte also noch Zeit. »Keine Tat ohne Motiv, Madam. Können Sie mir den Grund nennen?« »Sie hat auf unsere Warnungen nicht gehört.« Das also steckte dahinter. Die Frau oder der Mann mußten der Anrufer sein, von denen Nicole Asira gesprochen hatte. Sie war von ihnen gewarnt worden.
Ich blieb ruhig, auch wenn die Zeit drängte. »Dann haben Sie sich mit Nicoles Vater getroffen?« Die alte Frau mit den roten dichten Haaren lächelte. Ihr Gesicht kam mir fast vor wie das einer Mumie, so ungewöhnlich sah es aus. Die Haut war bleich, sehr dünn und paßte irgendwie zu den schmalen Lippen. »Es kann sein, Mister.« »Warum?« »Fragen Sie nicht. Seien Sie froh, daß wir hier sind und Sie beschützen können.« »Beschützen?« Fast hätte ich gelacht. »Vor wem denn? Vor wem sollen oder wollen Sie mich beschützen?« »Vordem Bösen!« Die Kapelle spielte auch weiterhin. Dieser Tanz war zum Glück sehr lang. Wenn mich nicht alles täuschte, war es der Kaiserwalzer. »Ich denke, Sie liegen da falsch, Madam. Vor dem Bösen, brauchen Sie mich nicht zu schützen. Sie sind das Böse, habe ich das Gefühl.« »Ich? Wie kommen Sie darauf?« Ich nickte gegen die Mündung. »Halten Sie nicht die Waffe in der Hand? Sie bedrohen mich!« »Na und?« »Nicole Asira hat mich nicht bedroht.« »Das weiß ich! Sie hat sie eingewickelt. Glauben Sie nur nicht, daß sie nicht weiß, was mit ihrem Vater genau geschehen ist. Sie ist die treibende Kraft in diesem grausamen Spiel. Sie ist vom Bösen fasziniert. Ihr Vater hat nur versucht, sie davor zu bewahren und hat grausam dafür bezahlen müssen. Oft genug hat er über seine Tochter gesprochen, die in den Fängen der alten Magie geraten ist. Sie hat auch heute noch Verbindung zu ihrem Vater. Das Böse hat sie fasziniert.« »Und Ihr Partner will sie töten?« »So ist es!« »Das wäre Mord!« Die alte Frau mit den roten Haaren hob die Schultern. »Ich weiß, daß es so aussehen wird. Nur sehen wir keine andere Möglichkeit. Nicole ist der Schlüssel.« »Aha!« Die Musik hatte sich gesteigert, das Finale war eingeleitet worden. Wenn Nicole tatsächlich getötet werden sollte, war dies der beste Zeitpunkt, denn jedes Paar konzentrierte sich allein auf seinen Tanz. Ich aber saß vor der Mündung. Der Ober schlängelte sich auf der Tanzfläche geschickt zwischen den sich drehenden Paaren hindurch. Er kam auf unseren Tisch zu, was auch die Alte sah. »Schicken Sic ihn weg!«
Ich hatte es tun wollen, es war nur zu spät. Plötzlich befand er sich zwischen den beiden Tischen, und nicht nur das. Er war genau in die Schußlinie gelaufen. Vielleicht nur eine Sekunde, nicht länger. Aber die Zeit reichte mir aus. Ich schnellte hoch, hörte die Alte wütend rufen, sah den überraschten Ober, der sich auf der Stelle drehte und nicht wußte, was überhaupt geschehen. Ich stürmte vor. Mit langen Schritten lief ich hinein in den furiosen Schlußwirbel der Musik. Vor mir bewegten sich die Tänzer. Sie bildeten eine sich drehende und schwankende Masse, tanzten ihren Weg und ließen mir kaum Platz. Wo drehte sich Nicole? In dem Wirbel vor mir waren sie und der Alte kaum zu erkennen. Ich blieb stehen, reckte mich, dann sah ich die beiden, die ausgerechnet an der gegenüberliegenden Seite dicht an der Galerie hertanzten und ziemlich weit von mir entfernt waren. Das würde nicht mehr reichen, wie ich mit einem raschen Blick auf den Dirigenten feststellte, dessen Bewegungen schon wild und ausholend geworden waren. Dabei hüpfte er wie ein Papagei auf der Stange. Mochte es auch lächerlich aussehen, für mich wares das nicht und ich nahm keine Rücksicht mehr. Mitten im schönsten Walzerfinale ruderte ich über die Tanzfläche, denn der Weg war noch immer kürzer als der über die Galerie. Ich räumte die Paare aus dem Weg, hörte die Schreie und sah die Körper zur Seite fallen. Ihr Rhythmus war plötzlich unterbrochen worden. Wie in einer Momentaufnahme erkannte ich vor mir das ungleiche Tanzpaar. Der Alte wirbelte Nicole in die Walzerkreise hinein. Sein Gesicht huschte als Schatten durch mein Blickfeld. Trotz der Schnelligkeit sah ich, wie verzerrt die Züge waren. Bestimmt kein Triumph .. . Dann geschah es. Er brüllte gellend auf. Nicole schleuderte ihn von sich und einen Augenblick später glühte die Gestalt des Mannes wie ein Stück Brikett im Kohleofen . . . Es war ein furchtbares Bild, das nicht einmal alle Tänzer wahrnahmen. Ich um so mehr, denn ich hatte mich direkt auf ihn konzentriert. Der Mann torkelte über die Fläche und sah dabei aus, als würde er über seine eigenen Beine stolpern. Zweimal konnte er sich fangen, beim drittenmal landete er auf dem spiegelglatten Marmorboden. Mir gelang es noch, einen Blick auf Nicole zu werfen, bevor Panik ausbrach. Die junge Frau stand unbeweglich, die Arme angewinkelt und gleichzeitig halb erhoben. Ihre Hände hatte sie gegen die Ohren gepreßt, danach wischten die Flüchtenden zwischen ihr und mir hin und her.
Der alte Mann lag auf dem Boden. Durch die Kleidung schimmerte es in einem Dunkelrot. Die gleiche Farbe hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet, hielt die Hände erfaßt, den Hals, auch die Füße. Als ich mich hinkniete und neben ihn drückte, spürte ich keinen Widerstand mehr. Der Mann war tatsächlich verglüht. Wo einst ein Körper gewesen war, befand sich nur mehr Staub. Ich hörte noch das leise Rieseln, wie die zahlreichen Körner ineinanderfielen. Kein Knacken der Knochen, nichts, und gerade dieses Geräusch war es, daß mir eine Gänsehaut über den Rücken trieb und mich blaß werden ließ. Als ich seine Wange berührte, fiel auch sie zusammen. Schon die leichteste Berührung sorgte dafür, daß er zu Staub wurde. Dieser Mann war nicht im Feuer verglüht, das mußte eine unwahrscheinliche Hitze gewesen sein, die ihn erfaßt hatte, möglicherweise auch durch eine mir unbekannte Strahlung. Die Tänzer hatten die Fläche geräumt, und ihre Schreie waren verstummt. Stille breitete sich trotzdem nicht aus. Jemand rief nach der Polizei. Hastige Schritte knallten über den Marmor. Ich hörte die Echos und drehte den Kopf. Der Geschäftsführer wieselte auf mich zu, blieb neben mir stehen und machte ein entsetztes Gesicht, als er die Reste seines Gastes sah. Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern blickte dorthin, wo die rothaarige Frau saß. Deren Tisch war leer! Ich ballte die Hände, stand auf und zeigte dem Geschäftsführer meine Marke, bevor er anfangen konnte, wilde Fragen zu stellen. »Sie .. . Sie sind Polizist?« »Wie Sie sehen.« Fr wischte über sein Gesicht. Auf dem Kopf lag das straff nach hinten gekämmte Haar wie angeklatscht. Typ Gigolo. »War es Zufall, daß Sie sich hier aufhielten, oder wußten Sie, daß . . .« »Zufall. Mehr oder weniger.« Ich tippte ihn an. »Sie können trotzdem die Mordkommission anrufen.« »Nicht die Metropolitan Police?« »Nein, die nicht.« »Ja, Mister . . . ahm, Sir. Ich eile.« »Tun Sie das.« Ich blieb neben der Leiche stehen und merkte, daß mich eine gewisse Ahnung beschlich, die auch nicht mehr unterdrückt werden konnte. Was hier passiert war, gehörte zum Anfang. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß mit dem Tod des alten Mannes einiges gerichtet worden war. Aber ich wußte auch nicht, wer sich für einen Tod verantwortlich zeigte. Tatsächlich Nicole Asira, wie die alte Frau am Nebentisch so überzeugend behauptet hatte?
Sie stand nicht weit von mir entfernt und schaute mich an. Als ich den Kopf drehte, kam sie auf mich zu. Sie war sehr blaß. Die langen, lockigen Haare tanzten bei jedem Schritt. Mit einer verlegen wirkenden Geste hob sie die Schultern. »Was ist geschehen?« fragte ich. »Es tut mir leid, John, das weiß ich nicht.« Ich runzelte die Stirn. »Nicht? Tatsächlich nicht? Das kann ich Ihnen nicht glauben.« »Fs ist aber so.« »Reden Sie!« Nicole hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was Sie gesehen haben, John, aber wir tanzten.« »Das stimmt.« »Die Kapelle spielte den Kaiserwalzer, der ja ziemlich langsam beginnt, sich dann steigert und zum Finale hin sehr fu rios wird. Das sagte mir schon der ältere Herr.« »Dessen Namen Sie nicht wissen?« »Nein.« »Dann weiter.« Sie hob die Schultern und kreuzte die Hände vor der Brust. »Da gibt es nicht viel zu sagen. Er schrie plötzlich auf, ließ mich los, taumelte weg. Er geriet. . .« plötzlich versagte ihre Stimme. Sie schluchzte auf und preßte die Hände vor das Gesicht. »Es war einfach zu schrecklich. Alles ist. . .« »Ja, schon gut, Nicole. Belassen wires dabei. Wir wissen jetzt Bescheid. Der Mann ist tot.« »Warum?« »Keine Ahnung.« »Er tanzte mit mir, John!« »Ich weiß.« Mehr sagte ich nicht, bückte mich und durchsuchte die Taschen des Toten. Eine Brieftasche fiel mir in die Hände. Ich klappte sie auf, das Bargeld interessierte mich nicht, dafür der Name des Mannes, derauf dem Führerschein stand. Er hieß Edward Rosen und war fünfundsiebzig. Er wohnte in der Nähe des Regent Parks, nicht weit vom Zoo entfernt. Ich fragte bei Nicole nach, ob sie etwas mit dem Namen anfangen konnte. »Nein, überhaupt nicht.« »Sie kannten ihn auch nicht?« Sie schaute zur Seite und schüttelte den Kopf. Ich beließ es dabei und blickte mich um. Dabei kam ich mir vor wie in einem Panoptikum. Die Tänzer hatten wieder ihre Plätze eingenommen, und sie hockten dort so steif wie Puppen. Bewegungslos, wachsbleich die Gesichter, manchmal ein verzerrtes Fächeln auf den Lippen, das mehr ein Grinsen sein sollte. Ein Mann trank Whisky aus einer kleinen Flasche, die er unter seinem Jackett versteckt gehalten hatte. »Was nun?« sprach mich Nicole an. Sie bekam allmählich wieder Farbe.
»Dieser Edward Rosen ist nicht allein gekommen«, murmelte ich. »Was hat er von seiner Begleiterin gesagt?« »Nichts. Wir haben über die Trau nicht einmal gesprochen!« Sie lachte unecht. »Selbst darüber nicht, ob die Haare nun echt oder eine Perücke waren.« »Sicher, ich glaube Ihnen.« »Wieso denn? Haben Sie das zuvor nicht getan?« »Natürlich.« Ich lächelte Nicole beruhigend an. »Es ist nun einmal anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt habe. Aber ich bin davon überzeugt, daß diese Vorgänge etwas mit Ihrem Vater und dessen Verschwinden zu tun haben.« »Das meine ich auch.« Die Unterhaltung mußten wir abbrechen, denn die Mannschaft der Mordkommission eilte ein den Saal. An der Spitze ein Mann, der allein wegen seines alten Huts stadtbekannt war. Chiefinspektor Tanner, der ewig meckerte, vor allen Dingen dann, wenn er mich sah. Ansonsten war er einklasse Kumpel. Er kam näher, schob den Hut zurück und genoß seinen Auftritt wie der Held auf der Huhne. Seine Leute blieben zurück, die meisten grinsten, sie wußten, was folgte. »Sehe ich recht, Sinclair, bist du es?« »In Lebensgröße.« »Wie schön. Dann kann ich ja verschwinden. Weekend, verstehst du? Ich sollte eigentlich zu einem Geburtstag und habe meinem Ehegespenst versprochen, daß ich an diesem Samstag pünktlich bin. Aber wenn ich dich sehe und den Mann aus China . . .« »Suko ist nicht da.« »Wenigstens ein Vorteil.« Er reichte mir die Hand. »Was ist passiert, John?« »Das.« Ich deutete auf den Toten, von dem nur mehr die Kleidung zu sehen war, durch deren Öffnungen und Löcher der Staub seinen Weg nach draußen gefunden und sich dort verteilt hatte. Tanner gehörte zu den Schnelldenkern. »Verbrannt?« fragte er. »Nein, nicht direkt. Ich würde von einem Verglühen sprechen. Möglicherweise unter einer grellen Lichteinwirkung.« Der Chiefinspektor schob sich einen Zigarillo zwischen die Lippen. Das braune Stück war am Ende ziemlich zerfranst. »Woher ist denn dieses tolle Licht gekommen?« »Wüßte ich es, wäre ich klüger.« »Also nichts.« »Richtig, obwohl ich dabei war.« In Stichworten berichtete ich Tanner von meinen Erlebnissen. »Licht«, widerholte er einige Male. »Welches Licht ist so grell und hart, daß es Menschen tötet?« »Laserlicht.«
Tanner gab seiner Stirn ein Waschbrettmuster. »Das ist allerhand«, murmelte er. »Wieso?« »Dann müßte hier jemand sein, der eine Laserkanone mit sich trägt. Oder wie siehst du es?« »Normalerweise schon, aber ich habe keine gesehen.« Tanner drehte den Kopf und schaute Nicole Asira an. »Was ist denn mit der jungen Frau?« Sie hatte unser Gespräch verfolgt. »Nein, Sir, nein. Ich habe auch nichts gesehen.« »Dann berichten Sie mal.« Sie tat es. Ich schaute mich weiter um, befragte auch die Tänzer und erntete nur Achselzucken. Sie alle waren viele zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um auf andere Menschen zu achten. Da konnte ich nichts erreichen. Als ich zu Tannerzurückkehrte, hob dieserdie Schultern. »Einpacken und mitnehmen. Ich mache Schluß, fahre zu dem Geburtstag, denn es ist dein Fall, John.« Sein Knautschgesicht verzog sich zu einem Grinsen. Gleichzeitig bekam es noch mehr Falten. »Stimmt.« »Wonach wirst du denn suchen, John? Nach einem Killer mit Laserkanone?« »Das glaube ich kaum, dann hätte er hier sein müssen. Es wäre mir auch aufgefallen, wenn jemand den Saal hier fluchtartig verlassen hätte. Es muß eine andere Möglichkeit gegeben haben, alles andere ist irgendwo falsch.« »Ich beneide dich nicht, John! Was ist der Ausgangspunkt gewesen? Gibt es Hinweise?« »Ja — eventuell führen die Spuren nach Ägypten, in das Land der Pharaonen.« Tanner verzog die Lippen, ohne daß sein kalter Zigarillo zu Boden fiel. »Das kann doch nicht sein. Vor kurzem war es Indien, jetzt Ägypten. Hast du keine Lust mehr, in London zu sein?« »Hier bist du doch.« »Ha, ha.« »Im Ernst, Tanner, wahrscheinlich muß ich runter. Ist zwar nicht mein Fall, aber der Tod dieser Person hat ein Motiv, das möglicherweise tief in der Vergangenheit begraben liegt. Und zwar sehr tief.« Mit zwei Fingerkuppen wischte Tanner über seine Hutkrempe. »Wie man es nimmt, mein Fall ist es nicht.« »Nein, laß du die Reste wegschaffen.« Ich übergab ihm die Brieftasche. »Hier findest du alles.« »Ah, die hatte ich schon vermißt.« Ich lachte leise und ging zu Nicole, die sich auf einen Stuhl gesetzt hatte. Sie starrte ins I.eere. Als ich neben ihr stehenblieb, hob sie den Kopf.
»Es ist alles so schrecklich«, sagte sie leise. »So unnatürlich, ohne Sinn.« »Der Fluch des goldenen Pharaos? Kann es damit zusammenhängen? Wirkt diese Gestalt aus der uralten Zeit Ägyptens bis in unsere Tage nach? Hat sie ihre Rache vollenden können?« »Wie denn?« Ich hob die Schultern. »Tut mir leid, wenn ich an Ihren Vater denke. Könnte es möglicherweise sein, daß er das gleiche Schicksal erlitten hat? Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, doch es kommt mir vor, als wäre jemand dabei, alle Spuren zu löschen.« Sie lächelte schief. »Der Pharao — wie?« »Zum Beispiel.« »Das kann ich mir nicht vorstellen, John. So etwas ist einfach nicht möglich.« »Im Normalfall nicht, das gebe ich gern zu. Aber was ist hier schon normal, Nicole? Seien Sie ehrlich, haben Sie jemals damit gerechnet, daß Ihr Tanz so enden könnte?« »Nein.« »Ich werde Sie nach Hause bringen. Wohnen Sie allein?« »Nein, zusammen mit meiner Mutter.« »Gut, kommen Sie, ich . . .« Ein Ober eilte auf mich zu. Er sprach hektisch. »Sind Sie Mr. John Sinclair?« »Ja, was gibt es?« »Telefon für Sie, Sir.« »Gut, ich komme.« Nicole Asira ließ ich sitzen. Sie schaute mir mit leerem Blick hinterher. Ich dachte darüber nach, ob sie tatsächlich so harmlos war, wie sie sich gab, denn die Worte der mir namentlich unbekannten Frau wollten nicht aus meinem Gedächtnis weichen. Die Telefonkabinen befanden sich in der weiträumigen Lobby des Hotels. Eine Tür stand offen, auf sie deutete der Ober, und ich schob mich in die Kabine. Der Hörer lag bereits neben dem Apparat. Ich nahm ihn an mich und meldete mich mit Namen. »Gut, daß ich Sie noch erreiche, Mr. Sinclair.« »Darf ich zuvor fragen, wer Sie sind, Madam?« »Sie kennen mich. Ich hatte das Vergnügen, Sie mit der Waffe bedrohen zu können. Leider hat es Mr. Rosen nicht geschafft, diese kleine Teufelin zu töten. Sie hat es bemerkt und ist schneller gewesen als er. Das kann vorkommen.« »So weit, so gut. Sagen Sie mir jetzt, was Sie wollen. Vor allen Dingen hätte ich gern Ihren Namen erfahren. Meinen haben Sie ja seltsamerweise gewußt.« »In gewissen Kreisen sind Sie bekannt, Mr. Sinclair.« »Ich weiß, es läßt sich nicht ändern.« »Ich heiße Margret Clapton.«
»Gut, Mrs. Clapton, kommen wir zum Grund Ihres Anrufs. Und bitte beeilen Sie sich.« »Natürlich, Mr. Sinclair. Sie wissen, wie der Tote heißt, das ist natürlich wichtig. Aber noch wichtiger ist eine bestimmte Information, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Wissen Sie eigentlich, zu welcher Gruppe Mr. Rosen gehörte?« »Nein, wie sollte ich?« »Edward Rosen war — und jetzt hören Sie genau zu, Mr. Sinclair — Psychonaut...« *** Das war eine Überraschung. Ich hatte Mühe, den Hörer festzuhalten, er wäre mir beinahe aus der Hand gerutscht. Natürlich kannte ich die Psychonauten, die das Wissen der alten Zeit suchten und die davon ausgingen, daß gewisse Menschen ein drittes Auge besitzen, das allerdings im Lauf der langen Zeit verkümmert ist. Ich hatte sie in der CheopsPyramide erlebt, wo das Wissen der Welt gespeichert sein soll. Sie wollten es an sich reißen, um die Welt später nach ihrem Gusto regieren zu können. Ich stand dem eigentlich neutral gegenüber, abgesehen von einigen Ausfällen, die sich ein gewisser Ari Leonidas geleistet hatte, der gern ihr Anführer geworden wäre. »Hören Sie mir noch zu, Mr. Sinclair?« »Das tue ich.« »Meine Erklärung hat Sie überrascht, wie?« »In der Tat. Nur kann ich mit diesem allgemeinen Sammelbegriff nicht viel anfangen. Sie müßten mir schon genauer erklären, was die Psychonauten mit Nicole Asira und einigen anderen Dingen zu tun haben.« »Nicht am Telefon.« »Soll ich Sie besuchen?« »Das wäre am besten.« »Und Ihre Adresse?« Sie gab sie mir durch. Papier und ein Bleistift lagen bereit. So konnte ich mitschreiben. Als sie nach einer Uhrzeit fragte, mußte ich passen. »Sony, bleiben Sie bitte in der Wohnung. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.« »Gut, aber kommen Sie schnell.« »Wissen Sie denn mehr?« »Möglicherweise. Die Zeit drängt, Mr. Sinclair. Andere Kräfte sind auf dem Vormarsch. Mein Freund Edward hat es nicht geschafft, sie zu stoppen. Jetzt sind Sie gefordert.« Ich hatte noch etwas hinzufügen wollen, aber die Verbindung war unterbrochen.
Nachdenklich verließ ich die Kabine und dachte über die Nachricht nach und natürlich über die beiden Personen Nicole Asira und Edward Rosen. War diese junge Frau tatsächlich so gefährlich, wie gesagt wurde? Wenn ja, mußte sie Rosen getötet haben, aber ich hatte keine Waffe an ihr entdecken können, oder beherrschte sie gewisse Telekräfte? Hatte sie es dank einer starken Magie geschafft, ihren Tanzpartner zu Asche zerstrahlen zu lassen? Ein beinahe schon irrwitziger Gedanke durchzuckte mein Gehirn. Ich dachte weit, sehr weit zurück, an die Zeiten vor den großen Katastrophen, als sich die Atlanter und die Ägypter gemischt und friedlich zusammengelebt hatten. Über diese langen Jahre existierten so gut wie keine Aufzeichnungen. Wer etwas fand, der mußte schon mehr als Glück gehabt haben. Die Psychonauten kümmerten sich darum. Wieviel ihnen bekannt war, wußte ich auch nicht, aber ich hatte davon gehört, daß die Atlanter und die Ägypter von fremden Sternenvölkern Besuch erhalten und davon profitiert hatten, was ihr Wissen um Wissenschaft und Magie anging. Dieses Wissen war dann durch die beiden großen Katastrophen ausgelöscht worden, es gab nurSpuren, Fragmente, und sie zu linden, war mehr als schwer. Hin und wieder hatte ich das Glück gehabt, diese Spuren berühren zu können, ich hatte auch in die Cheops-Pyramide hineingeschaut, wo noch altes Wissen konserviert worden war, doch die Tür war von mir freiwillig wieder geschlossen worden. Ich ging davon aus, daß die Welt und ich einfach nicht reif genug waren, um das Wissen für die Menschheit positiv einzusetzen. »Sie sind ja so in Gedanken versunken«, sprach mich Nicole Asira an, als ich die Zelle verließ. »Ach so, ja.« Vor mir sah ich ihr lächelndes Gesicht. Der Ausdruck zeigte auch eine leichte Spannung. »Wales ein interessantes Gespräch?« »Dienstlich«, log ich. »Mein Kollege rief an.« »Ach so.« Sie schaute auf die Uhr. »Eigentlich wollte ich fahren. Oder erinnern Sie sich nicht mehr an Ihr Versprechen, mich zu begleiten?« »Wie könnte ich das vergessen? Kommen Sie? Wo steht Ihr Wagen?« »Leider nicht in der Hotelgarage.« »Aber meiner. Ich fahre Sie bis zu Ihrem. Danach bleibe ich hinter Ihnen.« »Das ist eine gute Lösung.« »Sicher.« Es klappte alles. Nicole sagte kein Wort, als wir die Tiefgarage verließen. Ich fragte sie allerdings nach einer Waffe. »Wie meinen Sie das denn?« »Ob Sie eine Waffe bei sich tragen?« »Nein«, erwiderte sie erstaunt und schlug die Schöße ihrer Jacke zurück. »Sehen Sie eine?« »Das nicht.«
Nicole lachte. »Ich habe Furcht vor Schußwaffen. Die haßte ich schon als kleines Kind.« »Woran Sie guttaten.« Ihr Wagen stand in einer kleinen Nebenstraße. Zuerst sah ich den roten Jaguar, aber den fuhr sie nicht. Sie verließ sich auf einen schwarzen Golf. »Jetzt bleiben Sie dran, bitte.« Wir verließen die City of London. In Brompton rollten wir auf den belebten Sloane Square zu, wo auch zahlreiche Geschäfte liegen, die viel von Touristen besucht wurden. An der Grenze zu Chelsea bog sie in eine schmale Straße mit alten Häusern ein. Sie stoppte auf einer freien Fläche, die vor einem Haus als Parkplatz genutzt wurde. Auch mein Wagen fand noch Platz. Der Wind wehte die Blätter der nicht weit entfernt stehenden Bäume durch die Gegend. Sie trudelten auch uns, entgegen oder blieben auf den Dächer der Autos liegen. Das Haus war alt, aber renoviert worden. Besonders fielen mir die hellgestrichenen Fensterrahmen auf, die dem Gebäude einen fröhlichen Ausdruck verliehen. Selbst die Tür war um das Glas herum hell gestrichen worden. Nicole schloß auf, wir betraten einen peinlich sauberen Hausflur, in dem es sogar einen Lift gab. »Wie hoch wohnen Sie denn?« »Ganz oben.« »Dann nehmen wir den Lift.« Ich zog die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Noch immer kam ich mit ihr nicht so recht klar. War sie nur harmlos und ein Opfer, oder steckte mehr dahinter? Als durchtriebenes Luder konnte ich sie mir eigentlich nicht vorstellen. Wir standen uns gegenüber. Sie lächelte mich kokett an, strich ihr Haar aus der Stirn und wollte wissen, ob ich die schlimmen Szenen vergessen hatte. »So leicht vergißt man so etwas nicht. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man nicht weiß, mit welcher Waffe der Mann getötet wurde.« »Haben Sie mich deshalb nach einer Waffe gefragt?« »Ja.« »Dann trauen Sie mir nicht?« Obwohl der Lift gehalten hatte, blieben wir noch stehen. »So direkt will ich das nicht sagen, Sie dürfen nur nie vergessen, daß ich Polizist bin. Ich muß allen Spuren nachgehen.« »Das verstehe ich.« Vor dem Lift befand sich ein Flur. Der helle Teppichboden machte ihn optisch größer. Auch die Tür zur Wohnung war hell gestrichen und lackiert worden.
Nicole griff nach dem Schlüssel und schob ihn ins Schloß. Als sie die Tür aufdrückte, lächelte sie mir zu. »Die Wohnung ist nicht groß, aber sie reicht für mich und meine Mutter aus.« Figentlich hatte ich erwartet, in ein Museum zu kommen. Um so überraschter zeigte ich mich über die Freundlichkeit und Helle der Einrichtung. Die weißen Wände, die Bilder, die Türen, alles strahlte Helligkeit aus. Wie auch der geräumige Wohnraum mit dem großen Dreiecksfenster, durch das viel Licht drang. Es bestreute nicht nur die Möbel, sondern auch die nackte Gestalt, die auf der Couch lag und sich nicht rührte. Der Anblick traf mich verdammt hart und er erinnerte mich gleichzeitig an eine Szene, die ich Vorjahren einmal in einem Bond-Film gesehen hatte. Da hatte auch eine nackte Frau auf einer Liege bäuchlings gelegen. Ihr gesamter Körper war mit einer goldenen Schicht bedeckt gewesen. Wie auch hier. Mrs. Asira war nackt und golden angestrichen worden! *** Eigentlich hätte Nicole jetzt schreien müssen. Sie tat es nicht. Ich hörte sie nur flüstern: »Mein Gott, wie schrecklich. Sie sind dagewesen, sie waren vor uns hier.« Sie wollte an mir vorbeieilen, um zu ihrer Mutter zu kommen, deren langes Haar ebenfalls in die goldene Farbe getaucht worden war, so daß sie aussah wie eine Statue, aber ich hielt die junge Frau fest. »Bleiben Sie hier!« Über die laute Stimme erschrak sie. Ich ging mit sehr vorsichtigen Schritten auf die Person zu, weil ich mich davon überzeugen wollte, ob sie tatsächlich tot war. Es stimmte. Sie atmete nicht mehr. Jede Hautpore und jede andere Körperöffnung war durch das Gold verschlossen worden. Ich drehte mich wiederum. Nicole saß steif auf einem Stuhl, das Gesicht unwahrscheinlich bleich, die Hände zusammengekrampft. Sie schluckte, bevor sie sprach. »Ich bin nicht einmal in der Lage zu weinen, John. Das kann ich nicht.« »Wer?« fragte ich sie. »Wer könnte es gewesen sein. Sagen Sie es. Erklären Sie mir Ihren Verdacht.« »Ich habe keine Ahnung.« »Nicole, das glaube ich Ihnen nicht!« Ihr Kopf ruckte hoch, sie starrte mich an. »Wieso sagen Sie das?« schrie sie. »Weshalb glauben Sie mir nicht.« »Vielleicht vom Gefühl her.« Barsch winkte sie ab. »Gefühle — was soll das? Halten Sie sich lieber an die Tatsachen.« »Die sehe ich.«
»Wie kommen Sie dann auf mich? Hätte ich Sie in die Wohnung geführt, wenn ich gewußt hätte, daß . . . ?« »So meine ich das nicht, Nicole. Ich muß nur jeder Spur nachgehen. Können Sie wirklich nichts sagen?« »Nein.« »Ihr Vater?« Sie überlegte, schaute hoch, runzelte die Stirn und flüsterte: »Halten Sie ihn jetzt für den Mörder?« »Das habe ich nicht gesagt, Nicole. Ich rechne aber auch nicht hundertprozentig damit, daß er tot ist.« Verbissen sprach sie die nächsten Worte und stand dabei auf. »Sie wollen Leichen sehen, wie? Nur das gibt Ihnen die .. .« »So schlimm es sich anhört, aber es ist die einzige Möglichkeit, um die Wahrheit herauszufinden.« Heftig trat sie mit dem Fuß auf. Meine Worte hatten sie hart getroffen. »Okay, wenn Sie die Wahrheit erfahren wollen, fliegen Sie nach Ägypten. Fahren Sie in eine bestimmte Stadt, wo mein Vater zum letztenmal gesehen wurde.« »Wie heißt sie?« »Das ist. . . das ist. . .« Sie überlegte und ging dabei zum Fenster, wo sie stehenblieb. »Die Stadt heißt Quas-ral. Sie liegt südlich von Luxor. Sie ist sehr alt.« »Danke sehr.« »Aber glauben Sie nur nicht, daß Sie dort. . .« »Was ist damit?« »Ach, nichts. Ich rechne einfach nicht mehr damit, daß mein Vater noch am Leben ist. Zuerst er, dann meine Mutter, und jetzt frage ich Sie, wann ich an der Reihe bin. Alles deutet doch darauf hin, daß es mich als nächste erwischt.« »Das will ich nicht unbedingt unterschreiben.« »Soll ich mich denn verstecken?« »Vielleicht wäre es günstig, wenn wir beide zusammen eine Reise nach Ägypten antreten.« Nicole überlegte einen Moment, bevor sie die Schultern anhob. »Möglicherweise haben Sie recht«, sagte sie und ging an mir vorbei. »Entschuldigen Sie mich einen Moment. »Ich . . . ich muß einfach mal raus ins Bad.« »Bitte.« Sie verließ das Zimmer. Kurze Zeit später hörte ich das Schlagen einer Tür. Mit der vergoldeten Toten blieb ich allein zurück. Es kam mir vor, als hätte der oder die Mörder den Film >Goldfinger< gesehen und alles sehr gut behalten. Aber danach hatten sie sich bestimmt nicht gerichtet. Nicht umsonst war der Begriff goldener Pharao gefallen. Diese Spur erschien mir wesentlich heißer zu sein.
Ich trat an die Gestalt heran. Sie lag auf dem Rücken, so daß ich in ihre Augen schauen konnte. Selbst in den Pupillen lag der goldene Schimmer. Die Farbe, oder was immer es gewesen sein mochte, war auch in den Mund gedrungen, der weit offenstand, wie zu einem letzten verzweifelten Schrei. Ich berührte die Haut. Sie war kalt. Es lag allein an dem Metall, das sich so stark abgekühlt hatte. Die Kleidung der Toten lag hinter der Frau. Man hatte sie dort einfach zusammengelegt. Rock, Bluse, die Unterwäsche, sogar die Schuhe standen da. Wer war der Killer? Wer tat so etwas? Welches Motiv hatte er gehabt? Warum mußte die Frau sterben? Je mehr ich darüber nachdachte, um so stärker setzte sich der Verdacht in mir fest, daß Nicole doch nicht so unschuldig war, wie sie sich gab. Sie mußte einfach mehr wissen, nur schwieg sie wie ein altes ägyptisches Grab. Äußerlich machte sie einen völlig normalen Findruck. Da deutete nichts auf eine Person hin, die anders war als die Frauen in ihrem Alter. Im nachhinein jedoch dachte ich an ihre Reaktion, als sie die Mutter als Tote entdeckt hatte, und die stimmte meiner Ansicht nach nicht mit der überein, die eine normale Tochter zeigte, wenn sie plötzlich vor ihrer toten Mutter steht. Nicole würde mir noch einiges sagen müssen, bis ich von ihrer absoluten Unschuld überzeugt war. Bisher hatte es in ihrem Beisein nur Tote gegeben. Da ich so sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war, fiel mir auf, daß sie sich ziemlich lange schon im Bad aufhielt. Ich suchte diel ürzum Bad, fand sie sofort, weil daran eine kleine Wanne aus Porzellan hing. Als höflicher Mensch klopfte ich an. Beim zweitenmal erhielt ich ebenfalls keine Reaktion, drückte die Tür auf, betrat das Bad - und blieb dicht hinter der Schwelle stehen. Keine Spur von Nicole Asira! Das Bad war menschenleer, die Wanne halbvoll. Darin schwamm eine goldene Flüssigkeit, deren Oberfläche so ruhig wirkte wie ein Spiegel. Wie mit kalten Fingern kroch das Grauen an meinem Rücken hob und erreichte den Hals, wo es sich festsetzte. Noch für einen Moment schaute ich auf das Gold in der Wanne, bevor ich kehrtmachte und in den übrigen Räumen nachsuchte. Das hätte ich mir sparen können, denn Nicole Asira war und blieb verschwunden.
Die Flüche, die ich unterdrückte, hätte ich gern hinausgeschrien, aber man weiß ja, was sich gehört. Ich ließ mich im Wohnraum nieder und dachte krampfhaft über die Autonummer nach, die der Golf besaß. Nein, ich kam nicht darauf. Fs hatte keinen Sinn, eine Fahndung einzuleiten. War sie überhaupt auf der Flucht? Wenn ja, welches Ziel steuerte sie dann an? Wenn sie tatsächlich eine Feindin von mir war, weshalb hatte sie mich dann in den Tanzpalast bestellt? Wieder ein Rätsel, das ich lösen mußte. Als ich den Telefonhörer festhielt und die Nummer unserer Fahndungsabteilung tippte, kam ich mir wie ein Mensch vor, der ein Alibi sucht. Ich glaubte nicht daran, daß es viel Sinn hatte, nach ihr zu fahnden. Trotzdem sollten gewisse Beamte auf dem Airport und auch auf den Bahnhöfen die Augen nach einer bestimmten Frau offenhalten. Zwei Tote, und die Spur war fast erkaltet. Kinen Hinweis gab es noch: Margret Clapton. Sie hatte mich zu sich bestellt, und wahrscheinlich wußte sie mehr. Bevor ich zu ihr fuhr, rief ich bei Tanner an. Der Chief-Inspektor hatte sich bereits verdrückt. Sein Vertreter lachte mir ins Ohr. »Soll ich ihn von der Feier holen?« »Nein, nur nicht. Lassem Sie ihn, wo er ist. Am besten ist es, wenn Sie vorbeikommen.« Er hatte die Adresse bekommen, ich wartete solange, suchte auch die Nummer der Mrs. Clapton aus dem Telefonbuch und mußte leider feststellen, daß niemand abhob. Das machte mich nicht eben fröhlicher. Eine Ahnung kroch in mir hoch. Sollte sie die nächste auf der Liste sein? Ich rief bei einem Revier in der Nähe an und schickte zwei uniformierte Kollegen los. Sie würden mir auf jeden Fall Bescheid geben, wie immer die Suche auch ausgehen würde. Ich rauchte eine Zigarette und wartete ungeduldig auf das Eintreffen der Mordkommission. Die Kameraden kamen auch und staunten nicht schlecht, als sie die goldene lote sahen. »Bin ich in einem Bond-Film, dem Remake von Goldfinger?« fragte jemand aus der Mannschaft. »Leider nicht, das hier ist echt.« »Und wie echt.« Ich redete mit Tanners Stellvertreter und erklärte ihm auch, daß ich es eilig hatte. Er winkte lachend ab. »Wie immer, Mr. Sinclair, das kennt man bei Ihnen ja.« »Und es macht mich nicht einmal traurig.« Ich verschwand so rasch wie möglich.
Natürlich stand der dunkle Golf nicht mehr vor dem Haus. Dafür klebte ein Zettel auf dem Parkplatz. Ich nahm ihn an mich und las den kurzen Text halblaut. »Es hat keinen Sinn, mich zu suchen. Ich muß meinen Weg gehen. Schade, daß es nicht geklappt hat. . .« Unterschrieben war die Nachricht nicht. Daß nur Nicole Asira sie geschrieben haben konnte, war mir klar. Ich steckte den Zettel ein und fuhr ab. Von unterwegs rief ich im Revier an. Die Kollegen waren wieder zurückgekehrt und erklärten, daß niemand auf ihr Klingeln geöffnet hätte. Die Person war wohl nicht zu Hause. »Hoffentlich«, sagte ich nur und bedankte mich für die Mühe. Ich erreichte die Adresse. Mrs. Clapton wohnte in einer ziemlich lebhaften Straße, wo Wohn- und Geschäftshäuser sich abwechselten. Kneipen und exotische Imbisse waren ebenso vorhanden wieSecondHand-Läden. Leider war es um die Parkplätze schlechter bestellt. Ich fuhr den Rover auf den Gehsteig, es ging nicht anders. Hastig stieg ich aus, lief die paar Schritte zum Haus, als ich hinter mir eine laute Stimme von der anderen Straßenseite herhörte. »Mr. Sinclair, Moment.« Mrs. Clapton hatte einen Staubmantel über ihr geblümtes Kleid gezogen. Fr und die roten I laare wehten, als sie über die Straße lief. Sie hatte auf mich in einem kleinen Espresso-Cafe gewartet und wirkte sehr erleichtert. Ich allerdings auch, denn nun wußte ich, weshalb bei ihr keiner abgehoben hatte. Wir lächelten beide, als wir uns gegenüberstanden. »Das hat ja noch geklappt, Mrs. Clapton.« »Zum Glück.« Sie musterte mich prüfend. »Mr. Sinclair, Sie sehen anders aus als sonst. Ist mit Ihnen etwas passiert?« »Mit mir nicht, aber mir ist etwas passiert.« »Nicole!« »Nur indirekt. Es ging um ihre Mutter, wenn Sie verstehen. Sie ist tot.« Das überraschte die Frau nicht. Jedenfalls machte sie keinen derartigen Eindruck. Sie nickte nur und gab ihren Kommentar relativ locker ab. »Ich habe es mir gedacht. Erst Edward, dann sie. Diese Person löscht alle Spuren.« »Sie vergessen den Vater.« »Der spielt möglicherweise eine besondere Rolle.« »Dann ist er nicht tot?« Sie hob die Schultern und glättete dabei ihre Haare. »Ich weiß es nicht, aber darüber sollten wir in meiner Wohnung sprechen. Kommen Sie, jetzt fühle ich mich sicher.« »Sind Sie denn bedroht worden?«
»Ja, sie will alle auslöschen, die etwas über ihr Geheimnis erfahren haben.« »So habe ich Nicole nicht angesehen.« Schon im Hausflur lachte sie laut auf. Die Echos hallten von den Wänden. »Haben Sie eine Ahnung, Mr. Sinclair. Sie muß Zeugen beseitigen, verstehen Sie?« Wir gingen die Treppen hoch. »Und dann wendet sie sich ausgerechnet an einen Polizisten? Das ist doch paradox.« »Im ersten Augenblick scheint es so zu sein. Wahrscheinlich ist sie davon ausgegangen, daß sie sich in Ihrer Nähe sicher fühlt und ihr keiner etwas tut.« »Vielleicht.« Inzwischen hatten wir die zweite Etage erreicht und standen vor Mrs. Claptons Tür. Hier war alles viel dunkler als im Haus der Asiras. »Sie ist übrigens verschwunden«, sagte ich. »Das habe ich mir gedacht.« »Warum?« »Ganz einfach, Mr. Sinclair. Der Plan hat nicht so geklappt, wie sie es sich vorstellte. Es sind einlach zu viele Unwägbarkeiten eingetreten. Sie kann die Dinge nicht mehr überblicken und wird so schnell wie möglich nach Ägypten zurückkehren.« »Ich lasse die Flughäfen und Bahnhöfe überwachen.« Die Frau lachte mich beinahe aus. »Tun Sie alles, Mr. Sinclair, doch es wird vergeblich sein. Eine Person wie Nicole Asira findet immer Mittel und Wege, um zu verschwinden. Da werden Sie oder wir immer das Nachsehen haben.« In der Wohnung roch es muffig. Sie erinnerte mich eher an ein Museum wegen der alten Möbel, aber auch der Figuren, die überall verteilt standen. Da war der Himmelsgott Horas als Falkenmensch ebenso zu sehen wie Bastet, die Katzengöttin, und über der Tür zum Wohnraum stand eine blanke Sonnenscheibe, wie man sie auch von den Eingängen zu den Tempeln her kennt. Natürlich waren der Frau meine verwunderten Blicke aufgefallen. Sie gab eine Erklärung, als ich mich auf die alte Couch gesetzt hatte und die Sprungfedern unter meinem Allerwertesten spürte. »Dieses alte Land Ägypten ist eben ein Hobby von mir. Ich habe mich damit beschäftigt.« »Wie die Psychonauten.« »Sehr richtig.« »Dann darf ich Sie direkt fragen, Mrs. Clapton. Sind Sie denn eine Psychonautin?« Sie blickte mich an, bevor sie lächelte. »Schön wäre es, aber ich glaube nicht.«
»Sie möchten eine sein.« »Ja.« »Ich kenne auch keine Frau, die zu dieser Gruppe gehört, muß ich ihnen ehrlich sagen. Und ich habe bisher nicht gewußt, daß sich die Psychonauten auch in London versammelt haben. Diese Gruppe vermutete ich bisher immer im Mittelmeerraum, wo ich sie auch zum erstenmal kennengelernt habe.« »Es gibt Kontakte«, antwortete sie vage. »Aber sie sind jetzt nicht wichtig. Das Problem heißt Nicole Asira.« »Unter anderem, Mrs. Clapton. Ich würde es eher als ein ägyptisches angesehen.« Sie hatte sich in einen Sessel gesetzt, die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit dem rechten Fuß. »Sie trauen meine Worten noch immer nicht, aber gut, ich gebe Ihnen die Chance, sich zu erklären, Mr. Sinclair.« »Das alte Ägypten!« »Weiter. . .« »Vörden beiden Katastrophen .. .« Sie räusperte sich und meinte mit leiser Stimme. »Sie wissen viel, sogar sehr viel. Kompliment.« »Das bleibt bei meinem Beruf nicht aus.« »Ja, ich weiß, wer Sie sind und was Sie machen.« »Dann können Sie ja ehrlich mir gegenüber sein und keine Finten versuchen.« »Trauen Sie mir noch immer nicht?« »Ich traue Ihnen ebenso, wie ich Nicole traue. Allmählich habe ich den Findruck, zwischen zwei Fronten geraten zu sein. Aufgerieben werden möchte ich dabei nicht.« »Das kann ich verstehen. Sie dürfen nicht vergessen, daß auch die Psychonauten ihre Aufgaben haben.« »Das weiß ich genau. Ich hatte mehr als einmal mit ihnen zu tun und hätte einen gewissen Leonidas gern zur Hölle geschickt.« »Vergessen Sie diesen Mann.« »Weshalb?« »Fr hat es versucht, aber nicht geschafft. Ein Unredlicher schaffte es nicht, Anführer der Psychonauten zu werden. Daran sollte Sie denken, Mr. Sinclair.« »Gut, Mrs. Clapton. Bleiben wir beim Thema. Das alte Ägypten, die Zeit vor dem Bau der Pyramiden. Was wissen Sie darüber?« »Nicht viel, zu wenig.« »Dennoch haben Sie einen derartig guten Kontakt?« »Es gibt Suren«, erklärte sie geheimnisvoll. »Aber Sie können sie nicht hier finden, da müssen Sie schon selbst in das Land fahren.« »Nach Quas-ral?«
»Sehr gut, Mr. Sinclair. Sie haben bereits viel erreicht.« »Man gibt sich Mühe. Nur weiß ich nicht, weshalb ich gerade diese Stadt besuchen soll.« »Sie ist sehr alt.« »Das sind viele.« »Und sie hat vor nicht langer Zeit einen Gast beherbergt. Er heißt Asira, Gamal Asira.« »Nicoles Vater also«, murmelte ich. »Er war in Ägypten, das stimmt. Aber weiter, Mrs. Clapton. Was hat er dort entdeckt, oder was kann er in dieser Stadt entdeckt haben?« »Spuren.« Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Sorry, aber das ist mir zu allgemein.« »Spuren in die Vergangenheit, in das sehr alte Reich, Mr. Sinclair. Zu einem goldenen Pharao, der auch einen anderen Namen bekommen hat, einen modernen.« »Wie heißt er?« »Der Zombie-Pharao!« Eine harte Antwort, fürwahr, über die ich auch nachdenken mußte. Wenn wir diese Gestalt als Zombie-Pharao ansahen, besagte das nichts anderes, als daß dieser alte Herrscher nicht tot war, sondern als lebender Toter die Zeiten überdauert hatte. Die Frau tippte mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn und versetzte ihn in kleine Drehungen. »Nun, Mr. Sinclair, schließt sich in Ihrem Gedächtnis eine Lücke?« »Das könnte eine Erklärung sein, vorausgesetzt, sie entspricht den Tatsachen.« »Fliegen und fahren Sie hin, dann werden Sie es am eigenen Leibe erleben. Versuchen Sie einfach, Gamal Asira zu finden. Das ist der beste Weg zum Ziel.« »Das hätten Sie ebenfalls erledigen können.« Sie verzog das Gesicht. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst. Schauen Sie mich an. Ich bin eine alte Frau. Nein, diese Reise ist etwas für jüngere Leute.« »Gut, gesetzt den Fall, ich finde ihn, was dann?« »Werden Sie die Spur aufnehmen können, die Sie zu dem ZombiePharao hinführt.« »Durch Asira?« »Ja, denn ich hörte, daß er einen Weg gefunden hat. Er fand einen uralten Papyrus, den jemand geschrieben haben muß, der damals schon von einem goldenen Pharao wußte und der ihm tatsächlich Leichen geopfert hat. Der Mann, der alles überlieferte, hieß Hescon, war stumm, weil man ihm die Zunge aus dem Mund schnitt, aber er konnte schreiben und lesen. Sein Testament ist ungemein wichtig, und Gamals Asira hat es gefunden.«
»Was ihm eventuell auch den Tod eingebracht hat, wie seine Tochter behauptete.« »Hören Sie doch auf! Diese Person lügt, glauben Sie mir. Sie sagt nie die Wahrheit.« »Sie denn?« »Ja.« Ihre Augen funkelten. »Es ist sehr wichtig, daß die Nachwelt Bescheid weiß. Die uralte Geschichte muß aufgearbeitet werden. Denken Sie an die zahlreichen Legenden, die sich um den Kontinent Atlantis ranken. Er und das alte Ägypten sind beinahe wie Brüder gewesen. Die Atlanter haben die Ägypter an ihrem Wissen teilhaben lassen, das sie wiederum von den fremden Sternen Völkern bekamen. Hosian, der goldene König oder Pharao, ist gefährlich. Man spricht davon, daß er ebenfalls zu den Sternenvölkern gehört hat und von einem ganz bestimmten Planeten stammt, dessen Name ich nicht kenne.« Das war mir alles noch zu weit hergeholt. Ich wollte von ihr wissen, ob sie ihn schon gesehen hatte. »Nein, das habe ich nicht. AberGamal Asira muß ihn gesehen haben.« »Okay, einverstanden. Aber eine andere Frage: Wie verhält es sich mit seiner Tochter?« »Was meinen Sie?« »Hat die ihn auch gesehen?« »Das weiß ich nicht.« Ich bewegte die Schultern. »Jedenfalls gehört sie zu den Menschen, die man als außergewöhnlich bezeichnen muß. Beweise, daß sie sehr negativ ist, haben Sie mir auch nicht geliefert. Bisher sind wir allein auf Spekulationen angewiesen.« »Es ist die Wahrheit!« flüsterte sie. »Wie wollen Sie das beweisen?« Die alte Trau mit den roten Haaren und dem breiten Männergesicht schaute mich scharf an. Mir gefiel ihr nahezu sezierender Blick nicht. Ich ging nicht darauf ein und wartete, zu welcher Entscheidung sie gelangen würde. »Haben Sie etwas Zeit, Mr. Sinclair?« »Wie lange?« »Einige Minuten.« »Sicher.« »Ich werde nur ins Bad gehen.« »Nein, Moment!« Ich sprang auf. »Bitte tun Sie das nicht! Das wäre ja furchtbar.« Ich lachte, als ich ihren verwunderten Ausdruck im Gesicht sah. »Das gleiche hat Nicole mit mir gemacht, und plötzlich war sie verschwunden.« Mrs. CTapton schüttelte den Kopf. »Erstens hat mein Bad kein Fenster, und zweitens denke ich nicht im Traum an eine Flucht. Wie käme ich überhaupt dazu?« »Darf ich trotzdem in Sichtweite der Tür warten?« »Wie Sie wollen.«
»Danke.« Leise sprechend verließ sie vor mir das Zimmer. Es kam mir selbst komisch vor, aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen. Im Flur wartete ich in Sichtweite der Badezimmertür. Mit einem letzten Blick auf mich verschwand sie in den Raum. Sehr leise drückte sie die Tür zu und schloß von innen nicht ab. Ich fragte mich, ob ich leicht verrückt war, daß ich mich auf ein derartiges Spiel überhaupt einließ, aber in diesem Fall liefen die Fäden leider noch immer auseinander und nicht zusammen, wie es sich eigentlich gehört hätte. Natürlich wurde mir die Warterei lang. Ich lauschte auch auf Geräusche, aber im Bad blieb es still. Nur aus dem Flur hörte ich Schrittgeräusche auf der Treppe. Ich hatte auf die Uhr geschaut. Mehr als zwei Minuten waren vergangen. Langsam kam ich mir leicht verarscht vor, rief den Namen der Frau und hörte eine gepreßt klingende Antwort. »Warten Sie noch einen Moment!« F)ie Stimme hatte mich mißtrauisch werden lassen. Ich wollte nicht länger warten. Mit einem großen Schritt hatte ich die Tür erreicht. Sie besaß noch eine alle Metallklinke, die ich vorsichtig nach unten drückte und aus dem Bad nichts hörte. Die Angeln waren gut geölt. Es gelang mir, die Tür lautlos aufzuschieben. Ein ziemlich düsterer Raum, klein und schwach erhellt, öffnete sich vor mir. Links sah ich die Wanne. Ihr gegenüber hing an der Wand ein breiter Spiegel. Mein Blick galt allein der Wanne und der Frau, die gebückt dicht davor stand. Sie hatte den Kopf weit nach unten gebeugt. Dabei fielen die Haare nach vorn wie ein Vorhang. Es sah so aus, als wollte sie die rostrote Pracht waschen, doch die Handdusche hing noch in der Halterung. »Mrs. Clapton«, sprach ich sie an. Sie gab keine Antwort. Aber sie richtete sich sehr langsam auf. Die Hände hatte sie dabei auf den Wannenrand gestützt. Erst als sie fast normal stand, zuckten auch die Arme hoch. Auf der Stelle drehte sie sich. Ich stand innen vor der Tür, starrte sie an, und glaubte, einen Traum zu erleben. Mensch oder Fabelwesen? Sie war beides, denn auf ihrer Stirn glühte das dritte Auge der Psychonauten... ***
Sie war es. Sie war tatsächlich eine Psychonautin, und sie zeigte es mir mit aller Offenheit. Wie sollte ich das Auge beschreiben? Als widerlich, als eine rote, klumpige, lebendige Masse, die sich zusammenzog und wieder auseinanderdriftete. Ihr Gesicht war normal geblieben, nur auf der Stirn zeigte sich diese Veränderung, und wer sie anschaute, konnte das verdammte dritte Augen sehen. Mir rann es kalt den Rücken hinab, denn Mrs. Clapton bewegte sich auch anders als normal. Sie ging breitbeinig, hielt die Arme vom Körper abgespreizt und hatte ihre beiden normalen Augen geschlossen, so daß mich nur das rote anstarrte. Wir sprachen beide nicht, aber ich war mir sicher, daß sie mich anreden würde. »Jetzt siehst du es, John Sinclair.« »Ich habe es geahnt, Mrs. Clapton. Sie gehören dazu. Und auch Ihr Begleiter war ein I'sychonaut.« »Richtig, und wir wollten Nicole Asira umbringen. Sie sollte nicht in die Geheimnisse und das Wissen der Vergangenheit eingeweiht werden, denn sie weiß den Weg, den wir erst noch finden müssen.« »Habt ihr sie gefragt?« »Ja, aber sie verriet ihn uns nicht. Was wir nicht kennen, sollen auch keine anderen wissen.« »Es kann sein, daß ich nach meiner Rückkehr aus Ägypten mehr weiß.« Zuckte es im Auge? Ich konnte es nicht sagen, sie jedenfalls lachte nur. »Man wird dir das Wissen nicht geben, Sinclair. Denk daran, daß ihr Feinde seid, wenn ihr euch gegenübersteht. Nicole Asira ist deine Feindin.« »Und was sind Sie dann?« »Wir sind die besseren Menschen. Wir haben den Uberblick, denn wir wollen nicht, daß Wissen in die Hände falscher Personen gerät, denn unser Blut stammt aus den uralten Geschlechtern. Unsere Vorfahren haben sich miteinander vermischt. Sternenvölker, Atlanter auch Ägypter — sie alle waren dabei, denn nur uns gebührt das Wissen, und nur wir können es auswerten.« »Ich kenne das anders«, sagte ich. »Wie denn?« »Es geht um das dritte Auge. Bei meinen Zusammentreffen mit den Psychonauten habe ich gehört, daß sie auf der Suche nach diesem Auge sind, das die Zeit zugedeckt hat. Erst wer das dritte Auge besitzt, kann sich auch erinnern. Es ist eine Wiedergeburt, eine Rein-karnation des Alten. Da du das dritte Auge besitzt, müßlest du das Wissen ebenfalls in dir haben. Es muß einfach aus deinem Innern hervorgeholt worden sein. Nur wenn das zutrifft, glaube ich dir.«
Sie öffnete den Mund und begann leise zu lachen. Es war mehr ein singendes Geräusch, das mir entgegenwehte. »Man hat dich sehr gut informiert, John Sinclair. Es stimmt, was du sagst. Wer das dritte Auge hat, kann sehen, der erkennt die Weisheiten der uralten Zeit, und der weiß genau, wie er sich verhalten muß.« »Dann weißt du Bescheid?« »Das hoffst du, wie?« »Ja, ich hoffe es stark, denn du wärst mir im Kampf gegen den goldenen Pharao eine Stütze.« »Ich habe dir alles gesagt, John Sinclair.« Ich lachte. »Dann bist du nicht würdig, das dritte Auge zu tragen. Tut mir leid, Margret Clapton. Ich hätte dich wirklich für stärker gehalten.« »Es geht nicht!« schrie sie plötzlich, wobei sich Speichel aus ihrem Mund löste. »Ich habe alles versucht, doch es ist nicht gelungen. Ich könnte dir viel sagen, möchte es auch, nur existiert da eine Kraft, die mich daran hindert.« »Welche?« »Die eines uralten Königs, wenn du verstehst.« Meine Augen weiteten sich. »Er?« »Ja, Hosian. Er hat Riegel gesetzt. Er ist nicht tot, das weiß ich. Vielleicht bin ich sogar die einzige Person mit dem dritten Auge. Ich habe alles gesehen, ich weiß viel, leider nicht genug. Und ich will dir auch sagen, daß es ein großes Risiko ist, was ich hier tue. Wenn das dritte Auge freiliegt, bin ich schutzlos.« »Keine Sorge, ich werde dir nichts tun.« Sie schüttelte den Kopf. Das Auge bewegte sich dabei wie ein blutiger Pudding. »Du bist nicht gemeint, John Sinclair. Ich rechne mit anderen Kräften.« »Kannst du . . .« »Ja, ja ich kann!« schrie sie. »Sie . . . diese verfluchte Nicole. Der Pharao!« brüllte sie weiter. »Der verfluchte Pharao! Er ist frei, er hat mich entdceeecckkkttt. . .« Auf einmal durchbrach ein irrer Schrei ihre Worte. So hoch und schrill, daß ich Angst um die Spiegelfläche bekam. Die Frau warf ihre Arme in die Luft, als wollte sie sich an der Decke festkrallen. Sie berührte die Fläche nicht einmal mit den Fingerspitzen, dann rutschte sie nach links weg, kippte aber nach rechts, als wäre sie unglücklich ausgerutscht. Damit sie nicht mit dem Kopf gegen den Wannenrand schlug, war ich blitzartig bei ihr, fing sie ab, so daß sie rücklings auf meinen Armen lag, und schleifte sie in Richtung Tür aus dem zu engen Bad fort. Ihr Stöhnen begleitete unseren Weg. Erst im Wohnraum ließ ich sie auf die Couch niedersinken und konzentrierte mich auf ihr Gesicht.
Es stach mir wie ein Messer in den Magen, dessen Klinge zudem noch glühend heiß war. Margret Claptons Haut war fahl wie alte Asche geworden, das allerdings schockte mich nicht so sehr. Viel schlimmer waren ihre Augen, wobei ich mir das dritte genauer anschaute. Es hatte die Farbe gewechselt. Auch das zuckende pulsierende Leben war nicht mehr zu sehen. Wie ein dunkler Teich lag es innerhalb der Stirn und wurde allmählich dunkler, so daß die Schwärze das Rot ablöste. Aber die Frau lebte noch, und sie bäumte sich gegen ihr Schicksal auf, was daran zu sehen war, wie sie versuchte, sich hochzustemmen und wie ihre Finger über den Stoff der Couch kratzten. »Können Sie mich hören?« fragte ich leise. Sie schaute mich an. Ihre richtigen Augen zuckten, dann öffnete sie den Mund, um erste Worte hervorzustoßen. »Es ist schlimm, John Sinclair, so verdammt schlimm. Die andere Seite ist stärker. Sie.. .sie hat mich gepackt.« »Wo ist sie?« »Der Pharao — sein Geist . . . Nicole Asira, Vorsicht.. .« Noch einmal wollte' sie mir eine Botschaft zukommen lassen, das war nicht mehr möglich. Mit einem letzten Aufschrei, der über ihre Lippe wehte, sank sie zusammen und blieb bewegungslos liegen. Ihr Blick war gebrochen, und ich wußte, daß vor mir eine tote Frau lag. Das dritte Auge war geblieben. Abermals zeigte es eine Veränderung zum Scheußlichen hin. Aus dem Loch in der Stirn krochen widerliche Würmer und Käfer. Da war nichts mehr von dem geheimnisvollen roten Leben zu sehen. Nun zeigte man mir, daß der Tod doch mächtiger gewesen war. Ich schluckte meinen Ärger runter. Dabei hätte Margret Clapton die Verbindung zu den Kräften sein können, die es zwischen Atlantis und Ägypten gab. Schon wieder eine tote Person in einem Fall, bei dem ich kaum einen Schritt vorangekommen war. Nicole Asira war verschwunden. Was steckte hinter dieser Person? Wer war oder ist sie gewesen? Gehörte sie tatsächlich zur anderen Seite, wie Mrs. Clapton angedeutet hatte? Dann wäre sie indirekt die Mörderin dieser Psychonautin gewesen. Ich konnte es kaum fassen. Zum erstenmal hatte ich eine Frau gesehen, die das dritte verschüttete Auge besaß. Eine andere Kraft hatte es zusammen mit ihrem Leben ausgelöscht. In den letzten Sekunden vor dem Tod hatte sie noch von dieser Kraft gesprochen. Der Begriff Pharao war gefallen und — in einem direkten Zusammenhang dazu — auch der Name der jungen Frau Nicole Asira.
Zufall? Oder gab es möglicherweise Zusammenhänge? Das war natürlich die große Frage, die ich hier in London nicht lösen konnte. Ich mußte nach Ägypten. Von der Wohnung aus telefonierte ich mit meinem Freund und Kollegen Suko. Als er abhob und sich meldete, wußte ich sofort, daß etwas nicht stimmte. »Ist was, Suko?« »Kaum, John, kaum. Aber ich fühle mich irgendwo verdammt mies. Eine Infektion, die hat mich am Darm und am Magen erwischt. Du kannst dir ja vorstellen, was ich durchgemacht habe und noch durchmache. Das haut den stärksten Krieger um.« »Dabei wollte ich dich einladen.« »Zum Essen?« »Nein, zu einer Reise nach Ägypten.« Suko lachte bissig. »Vergiß es, John. Vergiß es ganz schnell oder am besten noch schneller. Ich liege auf der Bleiche. Wenn du mich in zwei Tagen noch mal ansprichst, könnte ich mir das überlegen, aber für heute ist Sense.« »Ich dachte wohl an eine schnelle Reise.« »Sorry, ist nicht zu machen.« »Okay, dann muß ich allein fliegen.« »Frag doch Bill.« Der Vorschlag war nicht schlecht. »Du hast recht, das werde ich tun.« Suko mußte lachen. »Aber zuvor wirst du das Hindernis Sheila überwinden müssen.« »Das packe ich schon.« »Meinen Segen hast du.« Ich erklärte ihm, daß ich bald bei ihm erscheinen würde und telefonierte danach mit den Conollys, wobei ich Glück hatte, meinen alten Kumpel Bill sofort an die Strippe zu bekommen. »Ach, lebst du auch noch?« »Sicher, du Zeilenschinder. Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit mir nach Ägypten zu reisen?« »Sofort?« »Nein, morgen.« Bill Conolly lachte. »Das ist super, das ist stark. Da wird sich Sheila freuen. Sie ist zum Glück unterwegs. Aber sicher bin ich dabei. Wie ich dich kenne, wird das kein Ferientrip, Alter.« »Stimmt, Bill. Du solltest schon deine goldene Pistole einstecken, finde ich.« »Auch das noch. Wird es so hart?« »Ich rechne damit!« »All right, ich bin dabei«, sagte er. »Besorgst du die Tickets?« »Ja.« Wir verabredeten uns für den Abend zu einem weiteren Telefongespräch, dann bestellte ich zum drittenmal die Mordkommission und hatte dabei ein schlechtes Gewissen bekommen. Ich warf einen letzten Blick auf das Auge der Frau. Es reichte in die Stirn hinein wie eine kleine Höhle, die ungefähr die Hälfte einer Fingerlänge besaß.
Von den Käfern und Würmern sah ich nichts mehr. Sie alle hatten das Auge verlassen. Jetzt sah es aus, als wäre es von innen mit körnigem Rost bestrichen worden. Mit Bill Conolly hatte ich gesprochen, ein weiteres Hindernis stand noch bevor. Das hieß Sir James Powell und war mein Chef. Der würde wieder die Augen verdrehen, wenn er von der Reise erfuhr, letztendlich aber doch zustimmen, wie ich ihn kannte. Auf Ägypten war ich tatsächlich gespannt, hatte sogar das Glück, unter den Büchern in der Wohnung einen Atlas zu finden und schaute mir die Gegend auf der Karte an, in der ich die Lösung des Rätsels zu finden hoffte. Sehr hell sah die Gegend auf der Karte aus, im Westen von dunkleren Schatten durchzogen. Das Helle war die Wüste, die Schatten konnten Berge sein. Kein Platz, um länger zu bleiben und auch keiner, um dort den Tod zu finden... *** Zwischen Imgland und Ägypten gab es Querverbindungen. Sir James hatte dafür gesorgt, daß Bill Conolly und ich als VIPs behandelt wurden, als wir auf dem Kairoer Airport landeten." Zwei Uniformierte erwarteten uns bereits. Sie waren sehr freundlich und führten uns in einem Raum, der klimatisiert war, denn das Wetter draußen konnte man vergessen. Ks war heiß, es stank, die Luft hing voll Staub, hinter dem der Sonnenball stand und seine schon menschenfeindliche Hitze verbreitete. Ks gibt Menschen, die Kairo als die schlimmste Stadt der Welt bezeichnen. In den >Genuß<, das zu überprüfen, würden wir nicht kommen, denn es stand eine Maschine bereit, die uns weiter in den Süden des Landes bringen sollte und in der Nähe von Luxor landete. Den Rest der Strecke mußten wir mit einem Wagen zurücklegen, in Begleitung eines Mannes, der sich auskannte und auch zu einem Ausgrabungsteam gehörte, das international besetzt war. Die zwei Stunden Wartezeit vertrieben wir uns mit einem kleinen Imbiß. Wir aßen Gemüseblätter und scharfe Bohnen, dazu tranken wir Lee und Mineralwasser. Mit dem Kollegen sprachen wir über den Schmuggel von Grabgegenständen, denn offiziell reisten wir in dieser Mission. Wir jagten nach einem Hehler, der Mumien verkaufte. Die Maschine startete pünktlich. Ks war eine zweimotorige Cessna. Bill erkundigte sich, ob ein Sandsturm angesagt worden war.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Der Kollege aus Ägypten war ehrlich. »Sie können Glück, aber auch Pech haben, denn Sandstürme treten sehr plötzlich auf.« Bill winkte ab. »Wie beruhigend.« Der Pilot wartete schon auf uns. Wir waren nicht die einzigen Passagiere. In der Maschine reisten keineTou-risten. Ks waren Kaufleute und Menschen, die mit den Ausgrabungen zu tun hatten. Da fühlte sich jeder als Mini-Schliemann. Knatternd stieg die Maschine in die Luft. Ich schaute aus dem Fenster und war beruhigt, daß sich die Propellerregelmäßig drehten und es kein Stottern gab. Der Reporter hockte neben mir. Fr hatte seine ausgestreckten Beine in den Mittelgang geschoben, hielt die Augen halb geschlossen und ärgerte sich über den durchgesessenen Sitz. »Du reist eben nicht erster Klasse.« »Und bin in Ägypten.« »Auch das.« Er schaute gegen die Decke der Maschine. Sie hatte inzwischen ihre Höhe erreicht und befand sich auf südlichem Kurs. »Reisen«, murmelte Bill. »Du warst ja oft in letzter Zeit unterwegs.« »Stimmt.« Bill kam auf den Punkt. »Und Nadine?« Ich hob die Schultern. »Es hängt in der Schwebe. Ich weiß es nicht. Wir habe eine Chance und müssen für sie das flüssige Leben suchen, bevor das erste Vampirjahr vorbei ist.« Der Reporter und seine Familie hingen ebenso an Nadine Berger wie ich. »John, ich habe nachgeforscht, das kannst du mir glauben. Ich habe gelesen, ich habe meine Beziehungen spielen lassen, ich war immer am Ball, aber ich habe nichts gefunden, was nur im entferntesten auf den Begriff Flüssiges Leben hingedeutet hätte.« »Blut«, sagte ich. Bill zog die Stirn kraus. »Ist das wirklich so einfach, John?« »Das hoffe ich.« Er schüttelte den Kopf. Da die Sonne in die Maschine schien, setzten wir die dunklen Brillen auf. Staub tanzte in dem grellen Licht. »In Ägypten werden wir bestimmt keine Spur finden.« Er räusperte sich. »Was ich dich schon die ganze Zeit über fragen wollte. Weshalb sollte ich die goldene Pistole mitnehmen? Hast du dafür einen Grund gehabt?« »Keinen bestimmten, nur Gefühl.« »Das ist wenig.« »Weiß ich. Kennst du denn die Gegner? Weißt du, woher sie kommen? Bestimmt nicht. Ich rechne jedenfalls mit dem Schlimmsten. Da prallen zwei Welten zusammen. Die atlantische und die ägyptische. Ich möchte nicht zwischen ihnen zerrieben werden.«
»Stimmt.« Bill schaute auf die Uhr. »Wenn die Maschine pünktlich ist, können wir noch im Hellen landen.« »Das will ich auch hoffen.« Ich schaute aus dem Fenster in die Tiefe und sah den Nil. Ansonsten wirkte das Land wie ein beigefarbener Teppich. Nur an den Ufern des Nils zeigte es ein grünes Gesicht, das war schon vor Jahrtausenden so gewesen. Heute gibt es allerdings nicht mehr die regelmäßigen Überschwemmungen, der Nil ist aufgestaut und unter Kontrolle. Beide schlossen wir die Augen. Wer viel fliegt — ich zählte mich dazu —, muß die Zeit nutzen. Für mich war der Schlaf das beste Mittel gegen die Zeitverschiebungen. Auch Bill schaffte es, trotz der Probleme einzuschlafen. Geweckt wurden wir durch den Steward, einen Mann mit unwahrscheinlich breitem Mund. Erbat uns, die Gurte anzulegen. Ich rieb mir die Augen. »Sind wir schon da?« »Wir fliegen Luxoran.« Und wir hatten an Höhe verloren, wie mir ein Blick aus dem Fenster zeigte. Unter uns befanden sich bereits die gewaltigen Tempel. In einen Sandsturm waren wir nicht hineingeraten. Innerhalb eines Staubschleiers glitt die Maschine der Landebahn entgegen, setzte gut auf und wurde eingewiesen. »Geschafft«, sagte Bill, als wir ausrollten. »Nur die Hälfte.« »Die andere wird härter.« »Und wie.« Heiß würde es sein, wahrscheinlich noch heißer als in Kairo. Doch hier fehlte der Dreck und die Abgase. Wir verließen steifbeinig die Maschine und bekamen den Schock, als uns die Hitze erwischte. Sie wehte gegen unsere Gesichter und war kaum zu atmen. Bill verdrehte die Augen ebenso wie ich. »Meine Güte, ist das ein Schlag ins Gesicht.« Ich winkte nur auf. Wir gingen die Gangway hinab. Einen Zubringerbus gab es nicht. Die Passagiere mußten auf den eigenen Füßen in Richtung Abfertigungsgebäude gehen. Daß uns der Schweiß ausbrach, davon brauche ich wohl nicht zu berichten. So heiß die Luft auch über dem Rollfeld zitterte, sie war trotzdem anders als die in Indien. Nicht so feucht, sehr trocken, was uns natürlich entlastete. »Daran gewöhnst du dich«, sagte Bill. »Denk an die Touristen. Die klettern bei diesem Wetter sogar freiwillig zu den Tempeln hoch.« »Wem's Spaß macht.« Mein Freund widersprach nicht. Wenig später betraten wir die größte Halle. Da nur Inlandflüge abgefertigt wurden, gab es keinen Zoll. Es
wurde schon kontrolliert, die Suche aber galt irgendwelchen Altertümern, die immer wieder aus dem Land geschmuggelt wurden. Ein freundlicher Herr in grauer Uniform und roten Litzen trat auf uns zu. »Sie sind Mr. Conolly und Mr. Sinclair?« »Richtig.« »Ich bin Captain Siram.« »Ein ungewöhnlicher Name«, meinte Bill. »Sie haben die Oberaufsicht?« »Das ist richtig, Mr. Conolly.« Er deutete auf ein kleines Büro, wo sogar ein Computer stand, zwar einer der älteren Sorte, aber immerhin ein modernes Gerät. »Nehmen Sie Platz.« Zwei Stühle standen zur Verfügung. »Nehmen Sie Platz. Es dauert noch etwas, bis Monsieur Meiser eintrifft. Er rief an, daß er leider aufgehalten wurde.« »Meiser?« fragte ich. »Ein Deutscher?« »Nein, Franzose. Claude Meiser stammt aus dem Elsaß, wie er mir sagte. Ich kenne mich dort nicht aus, aber es muß stimmen.« Siram lächelte, und sein dichter Oberlippenbart bewegte sich dabei mit. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« »Tee, bitte.« »Keinen Kaffee?« »Nein, nein.« Wir bekamen den Tee ziemlich schnell. Er schmeckte sehr süß, ich sagte nichts und trank ihn ebenso wie Bill. Siram saß zurückgelehnt, rauchte eine der flachen Orient-Zigaretten mit dem ungewöhnlichen Duft und strich mit der anderen Hand über das dichte Haar. »Ich kenne nicht den genauen Grund Ihres Erscheinens, aber um Altertümmer geht es Ihnen wohl nicht. Schließlich sind wir Kollegen, die interessieren sich meist für andere Dinge.« »Das ist richtig«, sagte ich. »Wir sind zwar auch an der Vergangenheit Ihres Landes interessiert, jedoch aus anderen Motiven, wie Sie sich vorstellen können.« »Ja oder auch nein.« Er lächelte wissend. »Ich habe mich ja über Sie erkundigt und herausbekommen, daß Sie sich mit Dingen beschäftigen, die ich nur bedingt nachvollziehen kann, auch wenn eine Nation wie Ägypten eine sehr mythische und mystische Vergangenheit besitzt, die noch nicht völlig aufgeklärt wurde.« »Da haben Sie recht.« »Aber ich will Ihnen etwas sagen, das nicht von mir stammt. Ein römischer Philosoph hat es vor mehr als eintausendachthundert Jahren gesagt. O Ägypten, Ägypten! Von deinem Wissen werden nur Fabeln übrigbleiben, die späteren Geschlechtern unglaublich vorkommen. Ist das nicht genau richtig?« »Stimmt.«
»Dann werden Sie beide den Fabeln nachlaufen und nie eine Lösung finden, Mr. Sinclair.« »Vergessen Sie nicht, daß manche Fabeln einen wahren Kern besitzen. Man muß nur die Hülle entfernen, um an ihn heranzukommen. Frsl dann sollte man Schlüsse ziehen.« »Vielleicht.« Er produzierte zwei Rauchwolken. »Wonach suchen Sie denn? Nach Mumien, die plötzlich zum Leben erwachen?« »Das wäre zu einfach.« Siram lachte. »Außerdem ist das schon zu oft in gewissen Filmen gezeigt worden.« »Richtig.« »Also wonach dann?« Bill lächelte ihn an. »Wir bohren, Captain. Wir bohren tief hinein in die Vergangenheit und suchen dabei einen Mann, der uns dabei behilflich sein kann.« »Wie heißt er?« »Gamal Asira.« Sirama hob die Schultern. »Tut mir leid. Ich kenne ihn nicht.« »Er soll sich auch in Quas-ral aufgehalten haben.« »Eine schlimme Stadt, kann ich Ihnen sagen. Nur Wüste, Sand und Wind. Man sagt, daß viel von ihr nicht zu sehen ist. Die Zeiten haben sie mehrere Male begraben.» »Wer wohnt dort?« »Kaum jemand. Die meisten mögen sie nicht. Man hat dort auch keine Gräber errichtet. Und wenn Sie ein Hotel suchen, dann liegen Sie ebenfalls falsch.« »Wir wollen auch keinen Urlaub machen«, sagte Bill. »Was treibt Sie dann dorthin?« »Die Suche nach der Wahrheit. Wir wollen ein Stück Vergangenheit aus dem Wüstenboden zaubern.« Bill Conolly konnte bei dieser Antwort nur zustimmend nicken. »Falls es die dort gibt.« »Das denke ich schon.« »Haben Sie Hinweise gefunden?« »Ja.« Bill nickte. »Einen alten Papyrus. Auf ihm sind gewisse Dinge verewigt worden, die uns interessieren. Wahrscheinlich Lösungen, Captain.« Er drückte seine flache Zigarette aus und lächelte wieder. »Sie machen es wirklich spannend, Kompliment. So spannend, daß ich beinahe selbst mitgefahren wäre, aber das ist wohl nicht möglich. Zudem muß ich hier am Ort bleiben.« »Wir haben einen guten Führer.« »Sicher, Mr. Conolly.« Siram schaute auf die Uhr. »Eigentlich müßte er bald kommen.«
Und er kam Minuten später. Ein blonder Mann, braungebrannt, dessen Haare lang in den Nacken hineinwehten, der einen Drei-Tage-Bart trug und einen etwas abenteuerlichen Eindruck auf uns machte, wozu die simple Brille allerdings nicht paßte, weil sie aussah wie das billigste Kassengestell. »Ich bin Claude Meiser«, sagte er. »Aus dem Elsaß«, fügte Bill in Deutsch hinzu. »Richtig. Aus Fessenheim.« Wir reichten uns die Hände. Meiser entschuldigte sich für die Verspätung, aber der Job war plötzlich stressig geworden. »Außerdem muß ich meine Leute allein lassen, denn ich fahre ja mit Ihnen.« »Wie lange werden wir unterwegs sein?« Meiser hob die Schultern. »Das kann man nie so genau sagen, aber Stürme sind nicht gemeldet worden.« »Wie schön«, murmelte ich. Wenig später hatten wir uns von Captain Siram verabschiedet, der uns viel Glück wünschte. Meiser fuhr einen gut ausgerüsteten Jeep. Beim Einsteigen sagte Bill: »Dann wollen wir uns mal in die Welt der Fabeln und Märchen begeben.« »Wie bitte?« Der Reporter lachte und winkte ab. »Lassen wir das, Claude, es war nur so dahingesagt...« *** Während der Fahrt über die Piste schluckte ich Staub und Sand, trank zwischendurch Wasser aus einem Behälter, der kühl gehalten worden war, und wartete eigentlich auf die erste Fata Morgana, die allerdings nicht eintrat. Von einem Sandsturm sollten wir verschont bleiben, dennoch wehte der leichte Wind den Sand und den Staub über die Fahrbahn. Mich erinnerte das an die Schneeverwehungen bei uns in den nördlichen Gefilden. Wir redeten nicht viel. Zweimal hatte Claude Meiser Fragen gestellt und von uns etwas ausweichende Antworten erhalten. Bei der dritten Frage kam er zur Sache. »Sie interessieren sich also für die Vorgeschichte dieses Landes, die in einem direkten Zusammenhang mit Vorgängen steht, die Sie aufklären wollen. Habe ich recht?« Das bekam er bestätigt. »Wissen Sie denn, daß diese Vorgeschichte im Dunkeln der Zeiten verschwunden ist?« »Sicher, aber es gibt Spuren.« »Und die haben Sie gefunden, Mr. Sinclair?« »So ist es.« »Welche?«
Iis hatte keinen Sinn, wenn wir ihn nicht einweihten. Ich berichtete von dem Fall und fand in Claude Meiser einen sehr aufmerksamen Zuhörer. Er nickte einige Male und meinte schließlich, als ich mal Luft holen mußte: »Da haben Sie sich in mir genau den Richtigen ausgesucht.« »Dann wissen Sie ebenfalls von der Verbindung zwischen Atlantis und Ägypten?« »Natürlich.« »Und weshalb ist das allgemein so unbekannt?« »Ist es gar nicht. Man gibt es nur nicht gerne zu, das ist der Dreh- und Angelpunkt dabei. Wenn ich einheimische Kollegen auf dieses Thema anspreche, winken diese sehr gern ab. Man weiß nichts Konkretes, man will auch nichts Konkretes wissen, man hat genug mit den Ausgrabungen zu tun, die sich noch über Jahre hinziehen werden.« »Was ist, wenn man tiefergräbt?« Meiser hob die Schultern. »Fragen Sie mich etwas Leichteres, Mr. Conolly. Soweit sind wir noch nicht.« »Ich hörte von sehr modernen Methoden.« »Ja, die gibt es. Man läßt Computeranalysen durchführen und hat auch Erfolge errungen. Bei einigen Tempeln gibt es tatsächlich noch Räume oder Kammern darunter, die noch nicht erforscht worden sind.« »Und wann wird gegraben?« »Wenn Geld da ist. Da wird im Moment gestoppt. Die reichen Länder haben andere Sorgen, zudem dürfen Sie nicht die Krise am Golf vergessen, die auch uns viel kostet.« »Leider.« Claude Meiser sagte: »Ich möchte noch einmal auf Ihre persönliche Arbeit zurückkommen. Um etwas unternehmen zu können, müßten Sie eine Spur haben. Man hat mich zwar gebeten, mich um Sie zu kümmern, über Details aber weiß ich nicht Bescheid.« »Es geht um einen Mann, den wir finden müssen. Denn nur er könnte uns weiterhelfen.« »Der soll in Quas-ral leben?« Ich nickte dem Fahrer zu. »Möglicherweise. Nur heißt es leider, daß er tot oder verschollen ist.« »Eine schlechte Basis, meine Herren. Sagen Sie mir den Namen.« »Ciamal Asira!« Ich flog nach vorn, weil Meiser auf die Bremse getreten hatte, obwohl auf der Piste kein festes Hindernis lag und durch den Sand kamen wir immer. »Das darf nicht wahr sein!« »Kennen Sie ihn?« »Ja, natürlich.« »Lebt er denn?« »Ich glaube schon. Er hält sich in Quas-ral versteckt. Und der Grund ist einfach. Gamal Asira soll dem Wahnsinn verfallen sein. Vielleicht ist er
das auch, so genau bin ich darüber nicht informiert. War es das, was Sic hören wollten?« »Genau das!« meldete sich Bill vom Rücksitz her. »Denn Gamal Asira ist es gewesen, der diesen uralten Papyrus mit gewissen Aufzeichnungen über den goldenen Pharao Hosion gefunden hat. Ein Mann namens Hescon soll den Papyrus beschrieben haben. Er hat erklärt, was ihm, dem ehemaligen Fischer, widerfahren ist. Er ist damals schon in die Gewalt einer Sekte geraten, die dem goldenen Pharao, der noch vor den großen Katastrophen lebte, Menschenopfer brachten.« »Der hätte längst tot sein müssen!« »Richtig, aber er lebte, wenn man dem Papyrus Glauben schenken darf«, sagte ich. »Da wird oft gelogen.« »Nicht in diesem Fall, Claude, denn die Spuren führen bis hinein in das London der Gegenwart. Wir müssen ihnen nachgehen.« Der Franzose überlegte. »Sagen Sie mal ehrlich. Haben Sie vor, nach einem längst verschollenen Kontinent zu suchen? Sind Sie scharf auf Altantis?« »Damit werden wir wohl zwangsläufig konfrontiert werden.« »Das kann ich mir nicht denken.« »Warum nicht?« »Weil alles verschüttet ist.« »Nicht bei Hosian!« widersprach ich. »Es gibt tatsächlich Hinweise, und diese wiederum hat der Schreiber aufgezeichnet. Auch Gamal Asira muß davon gewußt haben.« »Dann könnte das der Grund für seinen Zustand gewesen sein?« »Kann sein.« Meiser lachte. »Sie haben mich, einen alten Fuchs, tatsächlich neugierig gemacht. Nun ja, ich bin gespannt, wie es weiterläuft. Wir brauchen nicht mehr lange auf dieser Piste zu rollen.« Das hofften wir beide, denn die Sonne hatte bereits eine rötliche Färbung bekommen. Die Schatten der Dunkelheit lagen noch weit entfernt, wir würden die Stadt im Hellen erreichen. Von einem Betrieb konnte zwar nicht gesprochen werden, aber es kamen uns hin und wieder alte Fahrzeuge entgegen, zumeist hochbeladene Lastwagen, die zu irgendwelchen Märkten fuhren. Auch Fuhrwerke, die von Eseln gezogen wurden, sahen wir und erste Händler, die an den Außenbezirken der Stadt ihre Stände aufgebaut hatten. Der Ort selbst lag in einer breiten Senke, an deren Rändern manch bizarre Felsen standen. Die Häuser duckten sich eng zusammen. Sie sahen aus wie verschieden hohe Schachteln und schimmerten in einer weißlichgelben Farbe. Auch
eine Moschee fehlte nicht. Der spitze Turm des Minaretts stach wie ein Finger in den Nachthimmel. Ein Ort wie Quas-ral hielt natürlich keinem Vergleich zu Kairo aus. Hier war das Leben stehengeblieben, es gab keinen dröhnenden Autoverkehr, keine Hektik, und die Frauen sahen wir nicht ohne Schleier. Natürlich fielen wir auf. Die Männer beobachteten uns, aber sie fragten nicht. »Wo finden wir denn unseren Freund?« »Ja. Mr. Sinclair, da muß ich erst einmal nachfragen.« »Tun Sie das.« Wir stoppten vor einem Gebäude nahe der Moschee. Es war größer und höher als die anderen Bauten und besaß einen Vorbau, der von Säulen gestützt wurde, so daß sich zwischen ihnen und der Hauswand ein Gang bilden konnte. Auch hier saßen die Menschen. Männer aller Altersstufen verteilten sich auf den Bänken und Stühlen. Claude Meiser hatte die Wagentür bereits aufgedrückt, als er uns eine Erklärung gab. »Ich werde zunächst mit dem Dorfältesten reden. Das ist hier so etwas wie der Bürgermeister bei uns. Es gebietet einfach die Höflichkeit, ihm einen Besuch abzustatten.« »Kennt der Mann Sie?« fragte Bill. »Natürlich, und er weiß immer darüber Bescheid, was in seinem Ort so vor sich geht.« »Dann mal los.« Wir blieben ebenfalls nicht im Wagen sitzen. Sehr steifbeinig kletterten wir hinaus. Da die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel stand, waren auch die Schatten länger geworden. Wie geheimnisvolle dunkle Schleier hatten sie sich in den schmalen Gassen zwischen den einzelnen Häusern verteilt. Aus manchen Fenstern drangen scharfe Gerüche. Da wurde das Essen gekocht. Die Straße bestand aus festgestampftem Lehm, über den sich eine Staubschicht gelegt hatte. Obwohl sich zahlreiche Menschen in der Nähe aufhielten, herrschte eine für meinen Geschmack unnatürliche Ruhe. Die Fahrzeuge, die sich in der Stadt bewegten, konnten wir an zwei Händen abzählen. Zwei Männer vor uns standen plötzlich auf und kamen uns entgegen. Sie schauten uns an. Einer war sehr alt. Er sagte etwas, das weder ich noch Bill verstand. Mein Freund hob die Schultern. »Tut mir leid, Kamerad, ich bin nicht so gut.« Der Mann zischte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte, dann ging er mit dem anderen zusammen weg, der ihn stützte.
»Willkommen scheinen wir nicht gerade zu sein«, meinte Bill und erntete von mir ein Schulterzucken. Ich hoffte nur, daß Meiser bald zurückkehrte und erfolgreich gewesen war. Das dauerte noch. Mittlerweile standen wir da und hingen unseren Gedanken nach, die nicht eben fröhlich waren. Ob unsere Mission ein Erfolg beschienen war, stand in den Sternen. Wir sahen Frauen, die Tonkrüge mit frischem Wasser in das große Haus hineintrugen. Kein Mann erhob sich, um ihnen zu helfen. Das war hier der tiefste Orient. Dabei lag der große Assuan-Staudamm nicht einmal allzu weit entfernt. Endlich kehrte Meiser zurück. Als er aus dem Schatten hervortrat, blickte ich in sein Gesicht, um dort etwas ablesen zu können. Es blieb ziemlich unbewegt, nur das schiefe Grinsen deutete darauf hin, daß er überhaupt etwas erfahren hatte. »Und?« fragte ich. Er hob die Schulter. »Ich schätze, wir sind hier nicht sehr willkommen.« »Haben Sie denn ausgepackt?« flüsterte Bill erschreckt. »Nein, das nicht. Was ich sagen mußte, habe ich in dichten Grenzen gehalten.« »Man will also mit der Vergangenheit nichts zu tun haben!« bohrte Bill Conolly weiter. Meiser lachte leise. »Eher mit der Gegenwart. Mir ging es vor allen Dingen um Gamal Asira. Mein Gesprächspartner reagierte da ziemlich verschlossen. Geholfen hat erst ein Bakschisch, ein Trinkgeld.« »Bekommen Sie ersetzt.« »Weiß ich, aber es geht um Asira. Sie halten ihn versteckt. Er ist wahnsinnig geworden und redet angeblich von der Rückkehr eines goldenen Pharaos, die dicht bevorstehen soll.« »Wie dicht?« hakte ich nach. Meiser hob die Schultern. »Vielleicht in der folgenden Nacht schon. Jedenfalls hat er den Menschen hier Furcht eingeflößt, deshalb sperrten sie ihn ein.« »Wir können mit ihm reden?« »Ja.« »Wo?« Meiser stieg wieder in den Wagen. »Kommen Sie, der Weg ist mir Lieschrieben worden.« Langsam starteten wir und hörten, wie die Reifen durch den Staub und den feinkörnigen Sand mahlten. Die große Hitze war vorbei. Zahlreiche Bewohner trieb es ins Freie. Sie blieben entweder auf den Straßen oder auf manch kleinen Baikonen. Und noch etwas geschah.
Hoch vom Turm des Minaretts rief der Muezzin zum Gebet. In die Männer kam Bewegung. Es gab keinen, Kranke ausgenommen, die nicht der Moschee zustrebten. Die Frauen blieben zurück. Ab und zu zeigten sie sich an den Fensteröffnungen. Nie sahen wir etwas von ihren Gesichtern, denn die Schleier verdeckten alles. Manche Gassen waren dermaßen eng, daß wir sie nicht durchfahren konnten. Da mußten wir Umwege fahren, aber unser Begleiter kam gut zurecht. Bill fragte: »Glaubst du an die Rückkehr des Zombie-Pharao?« Ich hob die Schultern. »Nicht sehr gern, obwohl ich es mir vorstellen kann.« »Was würde dann geschehen?« »Er wird«, ich räusperte mich, »Nahrung brauchen. Du weißt, was ich meine.« »Ja, leider.« »Reden Sie keinen Quatsch. Oder glauben Sie, was auf dem alten Papyrus steht?« »Was spricht dagegen?« »Schon bei den alten Ägyptern gab es Märchenerzähler, die mit ihren Geschichten die Menschen unterhalten haben. Das hat sich bis heute hier im Orient erhalten.« Meiser schüttelte den Kopf. »Lassen Sie uns erst einmal mit Gamal Asira reden.« »Sie kannten ihn doch«, sagte Bill. »Ja.« »Wie war er?« »Prächtig. Ein Mann mit Verstand, aber auch jemand, der von seiner Idee besessen war.« »Der Forschung, nehme ich an.« »So ist es.« »In London hält man ihn für tot«, sagte ich. »Es muß einen Grund gehabt haben, daß er aus dem Verkehr gezogen wurde, was nicht nur mit seiner Krankheit zusammenhängt, wie ich denke.« »Das sagt man so dahin.« Wir waren an der Moschee vorbeigefahren, in die noch immer Menschern strömten. Mit dermaßen vielen Einwohnern hatte ich nicht gerechnet. Die Frauen allerdings blieben zurück. Sekunden später fanden die Reifen keinen Halt mehr, da rutschten wir in eine Ebene hinab. Dort, wo die Strecke aufhörte, befand sich ein barak-kenähnliches Haus, sehr niedrig, mit einem Eingang, der wie das Tor zu einem Tunnel wirkte. Es war das letzte Haus des Ortes an dieser Stelle, denn unsere Blicke glitten weit hinein in die trockene, karge Landschaft. »Wir sind da!« meldete Meiser. »Endlich!« Bill stöhnte und verließ den Jeep als erster. Er ging auf den Eingang zu, trat aber nicht ein, sondern veränderte seine Haltung, beugte den Kopf vor und schüttelte ihn. »Was hast du?«
Mein Freund'drehte sich um, bedeckte die Augen wegen der tiefstehenden Sonne mit der Hand und schaute in die flache Wüste hinein, die einen von der Sonne her stammenden rötlichen Schimmer bekommen hatte, als wäre ei n leichter Bluthauch über sie hinweggepinselt worden. »John, da stört mich der Geruch.« »Tatsächlich?« »Es riecht nach Leichen!« Ich blieb stehen, schwieg und konnte zuschauen, daß auch Claude Meiser nichts sagte. Nur ein dünnes Räuspern drang aus seinem geschlossenen Mund. »Bist du sicher?« Bill war fast beleidigt. »Und ob ich sicher bin, John. Den Geruch kenne ich leider zu deutlich.« »Ja, das meine ich auch.« Meiser meldete sich. »Verdammt noch mal, das ist kein Friedhof. Sie haben den Mann nur eingesperrt.« »Wo?« Er deutete mit dem Zeigefinger in die Tiefe. »In ein Kellerloch, sagte man mir.« »Vielleicht ist er schon tot und verwest!« sagte Bill. »Nein, nein«, widersprach der Franzose. »Das hätte man mir gesagt. Fr lebt noch, bekommt jeden Tag sein Wasser und eine Ration Teigen. Mehr wollten sie für ihn nicht tun. Sie behandeln ihn wie einen Aussätzigen.« »Weil sie Furcht vor der Wahrheit haben!« erklärte Bill und erntete von unserem Begleiter nur ein müdes Lächeln. Ich war mittlerweile auf den viereckigen Eingang zugeschritten, blieb dicht vor ihm stehen und mußte meinem Freund leider recht geben. Ich drehte mich um. »Du hast recht, Bill.« Jetzt überzeugte sich auch Meiser. Geschockt war er nicht, dafür hatte er sich zu lange in alten Gräbern und Grüften herumgetrieben, wo es ähnlich gerochen haben mußte. »Ja, das stimmt.« Ich hielt mich nicht mehr lange mit irgendwelchen Reden auf, sondern betrat das Haus. Der Unterschied zum Freien war sehr schnell spürbar, denn eine wesentlich kühlere Luft umfächerte mein Gesicht. Es war die reine Wohltat. Zu beiden Seiten wuchsen kahle Wände hoch, ohne irgendwelche Schriftzeichen oder Verzierungen. So ähnlich wie hier sah es auch auf dem Weg zu mancher Grabkammer eines Pharaos aus. Der Gang endete vor einer Gittertür, die nicht verschlossen war. Ich drückte sie auf und betrat einen gefliesten Flur von rechteckigen Ausmaßen.
Durch zwei schmale Fenster sickerte Licht, das sich auf dem Stein allerdings verlor. Die meisten Teile des Flurs blieben in einem geheimnisvollen Dunkel verborgen. In dieser Umgebung wagte man kaum laut zu sprechen. Deshalb wandte ich mich auch mit einer Flüsterstimme an den Franzosen. »Wo linden wir Gamal Asira?« »Hier muß es einen Stein geben, den man hochheben kann.« »Schön, aber . . .« Bill hatte sich bereits gebückt und klopfte einige ab. Er zuckte zusammen, als er einen hohl klingenden Laut vernahm. Mit dem Griff der Pistole hatte er diesen Test durchgeführt, winkte uns zu und deutete auf einen bestimmten Stein. An den Leichengeruch hatten wir uns mittlerweile gewöhnt. »Da ist er!« sagte Bill. Er fuhr mit dem ausgestreckten Zeigefinger über die Platte hinweg. »Und dort hinten befindet sich ein größerer Spalt zwischen zwei Steinen.« »Den wir hiermit noch mehr erweitern können!« erklärte Claude Meiser. Er kehrte mit einer Eisenstange in der Hand zurück. Das Brecheisen besaß an der Spitze eine flache Stelle, die durchaus in die Spalte hineinpaßte, was Bill auch tat, als er Meiser die Stange aus der Hand genommen hatte. Fr klemmte sie in den Spalt, drückte so tief wie möglich und begann mit seiner Arbeit. Viel kam zunächst nicht dabei heraus. Wir hörten das leise Knirschen, dann knackte es. Bill stemmte die Stange tiefer ein und hatte den Punkt endlich gefunden, wo sie packte. Danach ging alles mehr als einfach. Die Platte hob sich, bildete einen schrägen Winkel, kantete dann, so daß wir zufassen und sie wegzerren konnten. Wir ließen sie langsam sinken und starrten dann in das viereckige Loch, ohne jedoch etwas erkennen zu können, weil es einlach zu dunkel war. Dafür strömte uns ein intensiver Geruch entgegen. Schweiß, Fäkalien — vielleicht sogar der Geruch von Angst. Ich schluckte, was auch mein Freund Bill tat, der bereits zur Lampe gegriffen hatte. Zugleich stachen die Strahlen in das Dunkel und enthüllten eine menschenunwürdige Szenerie... *** Wir hatten Gamal Asira gefunden. Es gab keine andere Lösung, das mußte er einfach sein. Er hockte in einer Ecke wie ein Tier. Zusammengekauert, geduckt, als hatte er Furcht davor, im nächsten Augenblick Schläge zu bekommen. Was er an Kleidung trug, konnte nur
mit dem Wort Lumpen umschrieben werden. An seiner rechten Seite hatte sich eine feuchte Lache ausgebereitet. »Verdammte Hundesöhne!« keuchte Bill. »So dahinzuvegetieren . . .« Claude Meiser sah es anders. »Die hätten ihn auch töten können«, flüsterte er. »Dazu bestand kein Grund!« Meiser nickte. »Doch, Mr. Conolly. Wenn Sie hier länger leben würden, dächten Sie auch anders. Der Grund liegt allein in seinen Forschungen. Man läßt gewisse Dinge ruhen, man rüttelt nicht an ihnen. Wer es dennoch tut, darf sich nicht wundern, daß ihm so etwas passiert.« Fr hob die Schultern. »Ich kenne mich leider aus.« Obwohl der Mann von zwei verschiedenen Seiten angestrahlt wurde, zeigte er kaum eine Reaktion. Fr war nur einmal zusammengezuckt, ohne allerdings den Kopf zu heben. Seine Arme hatte er angehoben und gleichzeitig so gewinkelt, daß er mit den Händen sein Gesicht bedecken konnte. War er tatsächlich wahnsinnig geworden, oder hatte er sich nur von den Menschen abgewendet? »Sprechen Sie ihn bitte an!« flüsterte ich dem Franzosen zu. »Wenn er Sie erkennt, ist das schon die halbe Miete.« »Und daran glauben Sie?« »Man kann es doch versuchen.« »Wie Sie wollen!« Er kniete sich nieder und beugte den Kopf über den Rand des Lochs. Bill und ich leuchteten, doch der Gefangene zeigte keinerlei Reaktionen. Apathisch hockte er in der Ecke. Meiser versuchte, mit ihm zu reden. Er sprach sehr leise, weil er den Mann nicht erschrecken wollte. Die Worte konnten wir nicht verstehen, aber derjenige, auf den es uns ankam, hörte sie, denn Gamal Asira bewegte sich, ließ einen Arm sinken und stützte sich mit der einen Hand in der Pfütze ab. Wieder sprach Meiser, und diesmal erzielte er einen weiteren Erfolg, denn auch der andere Arm sank nach unten. Dafür hob der Mann den Kopf. Wir ließen die Strahlen der Lampen in verschiedene Richtungen weggleiten, jetzt sollte er nicht mehr geblendet werden, aber das helle Licht füllte sein Gefängnis gut aus. »Was haben Sie ihm gesagt?« flüsterte Bill. Claude Meiser schüttelte nur unwillig den Kopf. Zu einer Antwort ließ er sich nicht hinreißen. Statt dessen redete er weiter auf das menschliche Opfer ein. Gamal Asira legte den Kopf schief. Mit seinem Gesicht geriet er etwas mehr in den Lichtschein, so daß wir es besser erkennen konnten. Auch in ihm zeichneten sich die Spuren des Leidens ab. Es sah schlimm aus,
überzogen von einer Kruste aus Dreck, die sich auch in die Falten und Furchen hineingedrückt hatte und dort eine regelrechte Landschaft nachzeichnete. Das Haar bestand nur mehr aus einem klebrigen Schmier. Es war nicht einmal zu erkennen, welche Grundfarbe es besessen hatte. Die Augen leuchteten wie matte Perlen, wenn sie in den Schein gerieten. Gamal Asira antwortete, und dabei bewegte er seine Hände, als wollte er jedes Wort unterstreichen. Wir hörten nur zu. Ich aber hielt Meiser unter Blickkontrolle und konnte sehen, daß er einige Male schluckte und dabei immer mehr erbleichte. Was er erfahren hatte, mußte schlimm sein. Als Gamal aufhörte zu sprechen, ließ er auch die Arme sinken und beugte den Kopf vor. »Was hat er gesagt?« Der Franzose strich über sein Haar und fragte uns: »Können Sie die Wahrheit vertragen?« »Sicher.« Bill nickte dazu. »Ich . . . ich kann es kaum glauben oder fassen, aber Sie scheinen recht gehabt zu haben.« Da wir nicht nachfragten, sprach er weiter. »Gamal hat mir von den furchtbaren Vorgängen berichtet, die hier ablaufen werden. Der alte Pharao Hosian wird zurückkehren. Diese Nacht wird sehr schlimm werden, und er hat es tatsächlich geschafft, seine Getreuen vorauszusehik-ken.« »Was heißt das?« Meisers Augen weiteten sich. »Haben wir drei nicht den Leichengeruch wahrgenommen?« »Ja, richtig.« »Das ist der Geruch, der von seinen Leibwächtern, den Getreuen, stammt. Sie sind ihm vorausgeeilt.« »Die müßten tot sein«, sagte Bill. »Sind sie auch«, flüsterte Meiser. »Aber sie leben trotzdem. Es sind uralte, lebende Leichen...« *** Wenn er gedacht hätte, daß wir in Ohnmacht gefallen wären, so hatte er sich getäuscht. Auch ohne es ausgesprochen zu haben, hatten Bill und ich schon damit gerechnet, denn dieser verfluchte Gestank war uns leider zu bekannt. Der Geruch der Zombies, der lebenden Leichen. Da mochten Abertausende von Jahren vergangen sein, ein derartiger Geruch blieb einfach immer gleich. Ich schluckte, atmete durch die Nase und sah, wie sich der Franzose langsam erhob und sich umschaute, als könnte aus der Dunkelheit jeden Augenblick eine lebende Leiche erscheinen. Die Spannung mischte sich mit einer gewissen Furcht, die über uns lastete, aber Bill und ich dachten mehr an den Menschen als an die lebenden Leichen.
Wir mußten Gamal Asira aus dem Loch holen. Fr verstand auch unsere Sprache und hob den Kopf, als wir ihn anredeten und ihm unsere Arme entgegenstreckten. »Fassen Sie zu, Asira!« Fr überlegte. »Wer . . . wer sind Sie?« »Kein Wort von der Tochter!« flüsterte ich Bill zu. »Wir sind Freunde von Ihnen, keine Sorge.« »Wie soll ich euch trauen?« »Versuchen Sie es einfach!« sagte Bill. Seine letzten Worte zeigten den nötigen Frfolg, denn Gamal Asira richtete sich auf. Fr schaffte es nicht beim ersten Versuch, dazu war er einfach zu schwach und ausgemergelt. Heim zweitenmal kam er auf die Beine, wobei er schwankend stehenblieb und die Arme ausstreckte, um sich abstützen zu können. Fr konnte uns nicht helfen, wenn wir ihn hochzogen, und wir mußten beide all unsere Kräfte einsetzen, um den Mann überhaupt anheben zu können. Danach schleiften wir ihn an der Innenwand seine Gefängnisses hoch, griffen besser und noch härter zu, so daß er schließlich über den Rand klettern konnte. Bäuchlings blieb er liegen. Sein Atmen glich einem Rasseln, das aus dünnen Lungen pfiff. Ich schaute zu Meiser hin. »Asira hat noch etwas gesagt. Wir sollen uns vor den Toten hüten.« »Dann müssen sie in der Nähe sein«, sagte Bill. »Klar.« »Wissen Sie, wie groß das Haus hier ist?« »Nein. Mr. Sinclair. Ich habe es noch nicht durchsucht. Kann mir aber vorstellen, daß es Räume gibt, die sich auch als Verstecke für lebende Leichen eignen.« »Das müßte Gamal wissen«, sagte Bill. Der aber war noch nicht ansprechbar. Lr hatte den Kopf zur Seite gedreht, hielt den Mund weit offen und schnappte nach Luft. Wir mußten ihm noch einige Zeit geben. Ich stand aus meiner gebückten Haltung ruckartig auf. »Okay, ich schaue mich um. Bleib du hier, Bill. Wenn ein Zombie auftaucht, erschieße ihn. Ich werde euch schon hören.« »Alles klar.« Meiser hielt mich fest. »Sie wollen wirklich allein gehen? Sind Sie denn lebensmüde?« »Nein — weshalb?« »Weil lebende Leichen .. .« »Zu unserer Spezialität gehören und nicht nur im Kino Wirklichkeit sind, Monsieur Meiser.« »Ach ja?« Ich gab keine Antwort mehr, sondern zog mich zurück. Der Geruch war da, der Geruch blieb. Ich fand ihn nicht konzentrierter vor, auch dort nicht, wo ich eine weitere Gittertür aufstoßen konnte, hinter der eine
schmale Treppe begann, die nach oben führte und aus kostbar wirkenden Steinen gebaut worden war. Die Treppe machte auf halber Höhe einen Knick. Bis dorthin ging ich, schaute um die Ecke, sah das Ende der Stufen und den Anfang eines schwach erhellten Gangs. Von dort hörte ich das Geräusch! Ich verzichtete darauf, die Beretta zu ziehen, und holte statt dessen den Silberdolch hervor. Eine ausgezeichnete, ausgewogene Waffe, mit der ich schon manch schrecklichem Wesen zu einer Reise ohne Wiederkehr verholten hatte. Das Geräusch verklang. Noch zweimal das ungewöhnliche Tappen, dann war es still. Wollte man mich narren? Ich stieg die Stufen hoch. Nur auf leichten Sohlen, so leise wie möglich, was nicht machbar war, denn überall an und in meiner Kleidung klebte der verfluchte Sand. Auch unter den Sohlen der Schuhe, so daß ich ein Knirschen nicht verhindern konnte. Ich war mittlerweile in den hinteren Teil des Hauses gelangt. Auch hier war die Wand von mehreren Fensteröffnungen unterbrochen. Schlichte Vierecke, ohne irgendwelche Bögen oder Verzierungen. Vor dem ersten Fenster blieb ich sehen und warfeinen schnellen Blick nach draußen, in einen kleinen Hof. Etwa körperhohe Grünpflanzen wuchsen in schmalen Beeten und bildeten gleichzeitig einen guten Sichtschutz.. Wo war die Person, deren Geräusch ich gehört hatte? Allmählich wurde ich kribbelig. Hatte sie sich im Garten verkrochen? Oder hinter mir? Nicht weit entfernt zeichnete sich eine höhere Lücke ab. Der Wind hatte den feinen Sand auch in das Haus geweht. Unter meinen Füßen zerknirschten die Körner. Ich blieb vor der Öffnung stehen. Draußen war es noch nicht ganz dunkel. Die Landschaft hatte einen schwarzroten Schein bekommen, dessen hellere Farbe sich wie ein Schleier ausbreitete, teilweise auch durch die Fenster floß, wie in diesen Raum hinein, auf dessen Schwelle ich stand und spürte, wie eine kalte Haut meinen Rücken hinabglitt. Ich war nicht allein. Vor mir stand eine Gestalt. Mit einem Zombie, einer alten Mumienleiche, die lebte, hatte ich gerechnet. Eine Mumie sah ich zwar, aber sie war kein Mensch. Ich erinnerte mich, daß die alten Ägypter auch Tiere mumifiziert hatten. Ein solches Tier stand direkt vor mir, und ich konnte in die roten Glutaugen einer Hyäne blicken! ***
Der Speichel in meiner Kehle wurde zu Sand, so trocken war er auf einmal. Weshalb hatte Gamal Asira davon nicht gesprochen, denn bisher waren wir nur von der Tatsache ausgegangen, es mit lebenden Mumien zu tun zu haben. Aber ein Tier? Dazu noch eine Hyäne, eines der Tiere, die von den Ägyptern nicht gemocht wurden. Sie lebte, und sie griff an. Etwas zackig wuchtete sie ihren schmalen Körper vor. Ebenso zackig öffnete sie ihr Maul. Das helle Schimmern des Gebisses zeigte mir an, daß die Zähne der untoten Hyäne nicht gelitten hatten und sie mir diese in den Hals stoßen wollte. Ich ging voll in dieses widerliche Wesen hinein. Einen Arm riß ich hoch, den Ellbogen hämmerte ich dabei unter die Schnauze, dann glitt mein geweihter Silberdolch in den Körper hinein, und es hörte- sich an, als würde trockenes Papier zerknistern. Die Hyäne zuckte. Ihr Kopf bewegte sich hektisch. Sie fiel zu Boden, als ich zurückgesprungen war und bei dieser Bewegung den Dolch aus dem mit alten Binden unwickelten Körper gezogen hatte. Ihre Beine zuckten, dann floß eine dunkle, bitumenartige Masse aus der Wunde und verteilte sich als große Pfütze auf den Steinboden. Dieses Tier würde keinem Menschen mehr gefährlieh werden. Ich nahm mir die Zeit, es zu untersuchen und drückte gegen die staubtrockenen und gleichzeitig irgendwo klebrigen Binden, die keinen Halt mehr hatten, brachen und in die teerartige Masse hineinglitten, die den Körper ausfüllte. Auch die Augen leuchteten nicht mehr. Jetzt sahen sie aus wie schmutzige Kugeln. Von Verstehen oder Begreifen konnte keine Rede sein. Nur ging ich davon aus, daß hier, wo ich ein Zom-bie-Tier gesehen hatte, ohne weiteres noch andere verborgen sein konnten. Zum erstenmal riskierte ich es, die I,ampe strahlen zu lassen. Der Schein huschte so schnell wie meine Handbewegung durch den leeren Raum. Kein Zombie-Mensch, kein Zombie-Tier versteckte sich in irgendeiner Ecke. Ich blieb das einzige Wesen innerhalb des Raumes, dessen helle Wände das Licht zurückwarfen. Mit noch immer sehr leisen Schritten näherte ich mich dem Fenster. Mein Blick wanderte nach draußen, und ich konnte in die freie Landschaft hineinschauen. Wie eine Platte breitete sie sich aus. 'Tiefschwarz stand die Nacht am Himmel. Ein letztes Rot noch schickten die Strahlen der Sonne in die Schwärze, ohne sie jedoch aufhellen zu können. Dennoch gab es Licht. Die Gestirne leuchteten in diesem Land wunderbar und einmalig. Sie sorgten dafür, daß ihr Schein durch die windstille, klare Luft dringen
konnte, als wollten sie geheimnisvolle Geschichten aus der Unendlichkeit flüstern. Es war ein Bild zum Träumen, wie gemalt, weil sich auch nichts bewegte und alles erstarrt war. Oder nicht? Ich hatte die Bewegungen erst ziemlich spät gesehen, weil mich zunächst die Weite faszinierte. Jetzt aber hätte ich mir ein Nachtsichtgerät gewünscht, denn die beide Personen, die sich von dem Ort entfernten, kannte ich verdammt gut. Mein Hals trocknete noch mehr aus, ich beugte mich weiter aus der Öffnung, um besser sehen zu können und sah meinen Verdacht bestätigt. Ein Mann und eine Frau entfernten sich von der Stadt. Gamal Asira und seine Tochter Nicole! *** »Ob das richtig war?« fragte der Franzose und schaute dem Geisterjäger hinterher, bis er ihn nicht mehr sah. Bill Conolly winkte ab. »Keine Sorge, mein Lieber. John Sinclair weiß, was er tut.« »Hoffentlich. Er und Sie sollten daran denken, daß wir hier in Ägypten sind und nicht in London.« Bill grinste scharf. »So ganz ohne Ausländserfahrungen sind wir auch nicht.« »Ich bin trotzdem besorgt.« Gamal Asira erholte sich zusehends. Er wollte nicht mehrauf dem Boden hocken, bewegte sich und drückte seine Hände gegen den Boden, um aufzustehen. Bill Conolly und Claude Meiser sahen es, eilten hin und halfen dem Mann hoch. Zwischen ihnen blieb er sehen. Er roch erbärmlich, doch er lebte, nur das zählte. »Wie fühlen Sie sich?« fragte Bill. »Es ... es geht.« »Können Sie dann ein paar Fragen beantworten?« Gamal Asira starrte in das Dunkel. »Was wollen Sie von mir wissen? Sie sind Engländer, das höre ich. Sind Sie denn meinetwegen nach Ägypten gekommen?« »Sicher.« »Warum?« »Denke Sie an Ihre Entdeckung. Sie haben den Papyrus gefunden mit seinen wirklich brisanten Aufzeichnungen.« Der Mann zuckte zusammen. Seine Zungenspitze fuhr über die rissigen Lippen. »Woher . . . wissen Sie das?«
»Es hat sich herumgesprochen.« »Nein, das ist völlig unmöglich. Es kann nur meine Tochter .. .« seine Worte brachen ab. »Ja, es war Nicole«, bestätigte Bill. Der Mann schluckte. »Was wollte sie denn?« hauchte er. »Weshalb ist sie zu Ihnen . ..« »Sie wollte Ihnen helfen. Sie sprach davon, daß Sie eventuell tot sein könnten. Ihre Tochter hat Sie gesucht und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um eine Spur von Ihnen zu finden. Schließlich wandte sie sich an |ohn Sinclair.« »Ah ja . . .« »Sie können sich auch denken, um was es geht?« Obwohl nicht auf der Höhe, konnte sich Gamal Asira ein Lachen nicht verkneifen. »Natürlich, meine Entdek-kung ist es. Der goldene Pharao, der die Leichen schluckte.« Er schüttelte den Kopf. »Können Sie sich das vorstellen? Er wurde mit Toten gefüttert, Mister.« »Ich heiße übrigens Bill Conolly.« »Gut, ich . . .« Plötzlich drehte er sich um. Bills Hand rutschte von seinem Arm. »Was haben Sie?« Gamal ging einen unsicher wirkenden Schritt vor. »Ich glaube, da kommt jemand.« »Und wer?« »Ich weiß es nicht.« Bill schüttelte den Kopf. »Sorry, aber ich habe nichts gehört. Sie etwa, Monsieur Meiser?« »Nein, auch nicht.« Der Ägypter hob den Arm und streckte einen Finger aus, als wollte er die Windrichtung prüfen. »Doch, es ist jemand unterwegs. Das höre ich genau. Ein leises Klingeln und .. .« »Unsinn.. .« Bills Dementi klang schwach. Er konnte es in der nächsten Sekunde wieder korrigieren, denn aus dem Schatten löste sich tatsächlich eine schmale Gestalt, begleitet von dem seltsamen Klingeln, was hauptsächlich um ihren Kopf wehte. Niemand sprach. Die drei Männer ließen die Gestalt so nahe herankommen, daß sie besser zu erkennen war. Es war eine Frau! Und Gamals Asira erkannte sie zuerst. Als er ihren Namen aussprach, klang es wie ein Ächzen. »Nicole . . . Tochter . ..« Sie war es in der Tat. Vom klingenden Geräusch ihrer Ohrringe begleitet, schob sie sich weiter vor, auf leisen Sohlen, und ihr Gesicht sah dabei aus wie ein gemalter Fleck. Meiser bekam einen stieren Blick und hob die Schultern. »Wo kommt sie denn her?« »Keine Ahnung«, wisperte Bill zurück, der allerdings einen bestimmten Verdacht hatte, ihn jedoch nicht aussprach.
Nicole beachtete die fremden Männer nicht. Sie schritt auf ihren Vater zu. Obwohl in der Nähe kein Licht brannte, war sie trotz allem zu erkennen, denn ihre Kleidung hob sich von der allgemeinen Finsternis doch ab. Jedes Bewegen des langen Kleides war von einem hellen Schimmern begleitet, als der Stoff Falten warf und die darauf genähten Perlen und andere Schmuckstücke zusammenflössen und dem Stoff ein gewisses Schimmern gaben. Selbst das Haar hatte einen anderen Glanz bekommen. Ob blond oder golden war kaum zu erkennen. Jedenfalls besaß die Lockenpracht etwas Engelhaftes. Im Nacken raffte sich das Haar zu Lockenrollen zusammen. »Sagen Sie jetzt nichts«, hauchte der Elsässer Bill zu. »Und bitte nicht eingreifen.« »Werde mich hüten.« Einen letzten Schritt ging Nicole vor, dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Noch einmal gaben die Ohrringe das helle Klingeln ab, dann blieb sie stehen, streckte die Arme vor und legte ihrem Vater beide Hände auf die Schultern. Vater und Tochter wandten den Männern ihre Profile zu. Sie standen so regungslos, daß sie eingefroren wirkten. Der Vater war sehr bewegt. Er hatte Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Einige Male mußte er schlucken, bis er sich nicht mehr beherrschen konnte und seine Tochter dermaßen fest umarmte, als hätten sich beide seit Jahren nicht mehr gesehen. Es war das normale Bild eines Wiedersehens, trotzdem überkam die beiden Zuschauer der Eindruck, daß sie hier etwas erlebten, das bis an die Grenzen ging. Hier stimmte etwas nicht. Sie hatten keinen Beweis, doch sie spürten, daß sich zwischen Vater und Tochter etwas aufgebaut hatte, das sie wie ein Strom verband. Beide fühlten sich fehl am Platz, unangenehm berührt, doch sie hielten weiter aus, denn irgendwie war ihnen klar, daß sie die nächsten Minuten auf keinen Fall versäumen durften. Bisher hatten sich beide stumm begrüßt. Nach den ersten Umarmungen änderte sich dies. Es war Nicole, die anfing zu reden. Ihre Stimme klang scharf und zischend, als sie ihrem Vater die Meinung ihs Ohr flüsterte. Der Mann regte sich nicht. Schließlich drückte er seine Tochter von sich, schaute in ihr Gesicht und nickte. Nicole drehte sich Lim. Ihre Hände glitten vom Körper des Mannes ab. Sie schaute gegen die beiden Fremden, und die wiederum sahen jetzt direkt in ihrCesicht. An gewissen Stellen hatte es einen goldenen Glanz bekommen, der wahrscheinlich von einem Goldpuder herrührte, der sich auf der Wangenhaut der jungen Frau verteilte. Auf den Lippen glänzte es
ebenfalls golden, nur die Augen wirkten dunkel und geheimnisvoll wie tiefe Seen, in die der Betrachter eintauchen konnte. Bill Conolly gefiel der Ausdruck nicht. Er konnte den direkten Grund nicht nennen, hatte aber den Findruck, als läge darin ein Lauern und ein gleichzeitiges Versprechen, alles so durchzuziehen, wie sie es wollte. Gamal Asira legte seine flache Hand gegen ihren Rük-ken und drückte sie vor. Bis zu den beiden Männern brauchte sie nur wenige Schritte zu gehen. »Achtung«, zischelte Bill. Claude Meiser gab keinen Kommentar. Fr war von der jungen Frau fasziniert, im Gegensatz zu Bill, der sich etwas zurückgehalten hatte und auch den Vater nicht aus den Augen ließ. Beide taten nichts. Nicole war es, die das lastende Schweigen brach und sich an Bill wandte. »Weshalb seid ihr hergekommen?« Der Reporter hob die Schultern. Ein Zeichen dafür, wie unwohl er sich fühlte. Die Atmosphäre gefiel ihm nicht. Sie hatte sich verdichtet. Die Spannung war gestiegen, es lag etwas in der Luft. Zudem gab ihm Nicole keine Chance zu einer Antwort. Plötzlich schnellte ihre rechte Hand vor. Daß sie darin etwas verborgen gehalten hatte, fiel dem Reporter auf, als es für ihn zu spät war. Der Gegenstand erwischte ihn an der Brust. Ein heftiger Schlag ließ ihn erzittern. Bill wollte schreien, den Mund hatte er weit aufgerissen, nur schaffte er es nicht mehr. Durch seinen Körper rasten die Stromstöße wie harte Schläge. Von den Zehenspitzen bis zum Gehirn erwischten sie ihn, ließen ihn erzittern und sorgten dafür, daß sein Bewußtsein auf der Stelle ausgelöscht wurde. Bill fiel nach vorn. Halten konnte ersieh nicht mehr, zwar wollte er sich mit beiden Händen abstützen, das war nicht mehr möglich. Kaum hatten die Handflächen den Boden berührt, knickte er in Höhe der Ellbogen ein und fiel auf das Gesicht. Blitzschnell sprang Nicole Asira über ihn hinweg und kümmerte sich um Meiser. Vielleicht hätte er noch fliehen können, nur war er zu langsam. Ihn erwischte es zusammen mit dem häßlich klingenden Lachen der Frau. Einen Moment später durchjagten auch seinen Körper die heftigen Stromstöße. Es war ihm unmöglich, sich auf den Beinen zu halten. Irgend etwas riß ihn um, dann war es vorbei. Nicht weit von Bill entfernt sackte er zusammen und streckte sich auf dem Steinboden aus. Nicole Asira schaute sich beide Männer an. Sie lächelte kalt, bevor sie nickte. Mit zwei Schritten stieg sie über die regungslosen Körper hinweg und wandte sich an ihren Vater. »War ich gut?« »Ja, Tochter!« J
Während der Antwort schwang Stolz in ihrer Stimme mit. »Nicht nur ich bin es gewesen, Hosian hat mich unterstützt. Ihm muß ich meine Dankbarkeit beweisen.« »Hast du ihn gespürt, Tochter?« »Ja, Vater, er ist ein Teil von mir. Ich liebe ihn, er steckt in mir, er hat mich ausgefüllt. Ich komme von ihm nicht los, und ich bin sicher, daß ich seinen Auftrag ausführen kann. Ich sorge dafür, daß ihm seine Feinde nichts mehr anhaben können. Ich habe mich ihm voll und ganz ergeben, er ist mein Leiter.« Mit beiden Fingern berührte sie ihre langen kettenhaften Ohrringe. »Durch sein Frbe bin ich in den Genuß der jahrtausendalten Kraft gelangt, die mir hilft, den Tod zu überwinden. Du selbst hast nach ihm gesucht, du weißt, daß er sich nicht weit von hier aufhält. Und du weißt auch, daß er mich braucht.« »Es stimmt.« »Dennoch wolltest du mich nicht hier in diesem Land haben. Warum hast du mich ihm vorenthalten?« »Weil ich Angst um dich hatte, Nicole. Ja, ich hatte Angst um dich. Nicht jeder Mensch ist ihm genehm, das solltest du wissen. Bitte, Nicole, du kannst. . .« »Vater!« unterbrach sie ihn. »Das ist die Nacht, in der ich ihm gegenübertreten werde. Ich habe von dir sein Erbe bekommen. Der Schmuck hängt an meinen Ohren, ich trage ihn immer bei mir, und ich werde den goldenen Zombie-Pharao in dieser wunderbaren, sternenklaren Nacht sehen. Es wird die Begegnung in meinem Leben werden. Ich werde an seiner Seite bleiben und in die uralten Geheimnisse eingeweiht werden. Nicht die I'sychonauten, die versuchten, mich aus dem Weg zu räumen. Das haben sie nicht geschafft, denn mich beschützte jemand, der zu den beiden hier gehört. Ich habe mich an John Sinclair gewandt und ihn einfangen können. Er hat seine Pflicht getan. Es ist wie bei einigen Tieren, Vater. Auch dort gibt es Weibchen, die ihre Männchen nach getaner Arbeit töten. So und nicht anders wird es auch bei John Sinclair sein.« Gamal Asira gab keine Antwort. Er kaute auf seiner Unterlippe. Mit beiden Händen strich er über die Lumpen an seinem ausgemergelten Körper und seufzte auf. Nicole verstand ihn. »Du brauchst keine Furcht zu haben, Vater, es wird auch wiederandere Zeiten geben. Dein Leiden hat ein Ende gefunden. Jetzt werden die fetten Jahre kommen, das verspreche ich dir, denn hinter uns steht die Macht des Zombie-Pharaos.« Auch die Augen des Mannes funkelten in der Dunkelheit, als er flüsterte: »Du machst mir angst.« Fast hätte Nicole ihn ausgelacht. Sie überlegte es sich und schüttelte nur den Kopf. »Nein, mein Lieber. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Das ist alles vorbei. Du wirst bald in der Lage sein, sich an denen zu
rächen, die dir so viel angetan haben. Du kannst es ihnen zurückgeben, Vater, glaub mir.« Gamal Asira nickte, obwohl er tief in seinem Innern anderer Meinung war. Er glaubte, daß ihm seine Tochter regelrecht entglitten war. Er konnte ihre Gedankengänge nicht mehr nachvollziehen. Sie hatte das Kommando übernommen, so jedenfalls sah es aus. Er war allerdings auch ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß ein anderer hinter den Handlungen der Tochter steckte. Hosian, der goldene Pharao. Er mußte es gewesen sein, der Nicole leitete und er würde seine schützende Hand über sie legen. Aber daran mußte er sich erst gewöhnen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und bewegte die langen, schlanken Finger. »Kommst du?« »Zu ihm?« »Und hinaus in die Nacht, Vater. Wir wollen spüren, wie sie uns empfängt. Sie ist nicht wie sonst. Sie lebt, sie steckt voll mit Geräuschen, Gedanken. Die alten Zeiten kehren zurück. Der Zombie-Pharao wird uns beweisen, daß die Vergangenheit nicht tot ist und nur verschüttet war. Alles andere hat keinen Sinn.« Noch zögerte Gamal Asira. »Und wenn ich bleibe?« fragte er leise. Erstaunt schaute ihn seine Tochter an. »Willst du denn sterben wie all die anderen? Der Pharao wird diese Stadt dem Erdboden gleichmachen. Er wird seine Boten schicken und die Menschen verschlingen. Du hast den Papyrus gefunden. Du hast gelesen, was Hes-con aufschrieb, und er hat nicht gelogen.« Gamal Asira bewegte seinen Mund, ohne etwas zu sagen. Er schaute noch einmal gegen das Fenster, dachte über die Worte seiner Tochter nach, streckte ihr dann den Arm entgegen und griff nach ihrer Hand. Nicole umfaßte die Finger ihres Vaters mit festem Griff. Dann verließen die beiden das Haus. Zurück blieben zwei Männer, die wie tot auf dem Steinboden lagen... *** Ich dachte nicht mehr an die Zombie-Hyäne, die ich erledigt hatte, sondern schaute hinaus in die Weite des wüstenartigen Fandstrichs, der unter dem prächtigen Sternenhimmel lag, als wäre dieser eine Filmkulisse. Auf dieser glatten Fläche bewegten sich zwei Gestalten von dem eigentlichen Ort weg. Nicole Asira und ihr Vater. Deren Anblick hatte mich überrascht. Ich kam mir vor wie jemand, der einen Schlag in den Magen erhalten hatte. Plötzlich taten sich neue Verbindungen auf. Ich konnte keinem mehr trauen, weder Nicole noch ihrem Vater, der eine lange und menschenunwürdige Zeit durchlitten hatte. Dieses Spiel lief nach anderen Regeln, die ich nicht kannte, aber erraten konnte.
Hier ging es um Magie! Alte, gefährliche Magie. Von Zeiten abstammend, über die kein Geschichtsbuch schrieb, von denen man - wenn überhaupt - nur wußte, weil gewisse Fragmente und Informationen auf diesen alte Rollen niedergeschrieben worden waren, die bei Ausgrabungen gefunden worden waren. Deshalb brauchten sie nicht zu lügen, das stand fest. Viel Wahrheit steckte in den Schriften, denn die Menschen damals hatten die Querverbindungen zwischen der realen und der magischen Welt besser durchblickt als die Menschen der heutigen Zeit. Mir war klar, daß Vater und Tochter nicht nur zu einem Spaziergang aufgebrochen waren. Da steckte mehr dahinter. Beide mußten ein Ziel haben, etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Ob sie schnell oder langsam gingen, warvon meinem Standort aus nicht erkennbar. Jedenfalls waren sie ohne Bill Conolly und Claude Meiser gegangen. Freiwillig hatte meine Freund und der Franzose sie bestimmt nicht ziehen lassen, und plötzlich bekam ich Angst um die beiden. Ich traute dieser Nicole Asira alles zu. So harmlos, wie ich sie kennengelernt hatte, war sie nicht. Die Warnung im Tanzsaal bestand schon zu Recht, und mir rieselte es kalt den Rücken hinab. Ich warf einen letzten Blick auf die Rücken der beiden. Noch einige Schritte weiter, dann würden sie nicht mehr zu sehen sein und mit der Dunkelheit verschmelzen. Auch die Hyäne interessierte mich nicht mehr. So rasch wie möglich verließ ich die obere Etage. Auf leisen Sohlen ging ich trotzdem, hielt an der Treppe noch einmal an und lauschte nach unten. Nichts war zu hören, keine Stimmen, kein Flüstern, nicht einmal ein Atemzug. Das gefiel mir immer weniger. . . Ich traute mich auch nicht, nach Bill Conolly und Claude Meiser zu rufen. Nur nichts verraten, immer im Hintergrund bleiben und dann plötzlich hervortauchen. Ich sah die beiden schon, als ich mich noch auf der Treppe befand. Sie lagen nicht mehr still, sondern waren dabei sich zu bewegen, wobei man von einem Erheben nicht sprechen konnte, denn sie krochen über den Boden. Claude Meiser atmete scharf, während Bill leise stöhnte und auch hin und wieder einen Fluch über die Lippen brachte. Er mußte mich gehört haben, denn er drehte sich um, schaute in Richtung Treppe, aus deren Dunkel ich mich löste. »Keine Panik, Alter, ich bin es nur.«
Bill drehte sich um. In einer sitzenden Haltung blieb er und schaute mir entgegen. Auch Claude Meiser hatte sich gesetzt. Er schwankte; die Hände hielt er gegen den Kopf gepreßt. »Was ist passiert, Bill!« Mein Freund schaute mich an. Er traf keinerlei Anstalten, sich zu erheben. »Das kann ich dir sagen, John, das kann ich dir verdammt noch mal sagen. Sie hat uns reingelegt.« »Nicole also?« »Wer sonst? Nicht ihr Vater. Die trägt eine Waffe versteckt bei sich, mit der keiner rechnen konnte. So einen Elektrostab. Wenn du von ihm berührt wirst, haut es dich um. Du fällst von den Beinen, du kannst dich nicht mehr halten, du . ..« »Okay, Bill, das reicht. Wie fühlst du dich? Bist du in der Lage, aufzustehen und mit mir zu kommen?« Sein Gesicht verzerrte sich, als er lachte. »Die Perle hat bei mir etwas im Salz liegen, darauf kannst du dich verlassen. Und wenn ich auf allen vieren kriechen muß, ich komme mit. Ich werde an deiner Seite bleiben und ihr die Rechnung präsentieren. Ihr und dem Alten, de nn den darfst du auf keinen Fall vergessen.« »Wie stark ist er?« Bill hob die Schultern. »Schwach. Trotzdem kann ich ihn nicht einschätzen. Ich denke schon, daß er unter dem. Einfluß seiner Tochter aufblüht. Sie haben sich begrüßt wie Menschen, die sich lange nicht mehr gesehen haben und die aneinander hängen. Sollte er je gegen seine Tochter gewesen sein, hat sich das vor einigen Minuten geändert. Jetzt ist er für sie. Er wird sie nicht aus dem Blick lassen, nicht von ihrer Seite weichen, damit mußt du rechnen.« ' »Haben sie über ihre weiteren Pläne gesprochen?« »Möglich. Nur habe ich nichts hören können.« »Ich sah sie.« Bill staunte. »Was?« »Ja, sie gingen in die Wüste hinein.« Ich hob die Schultern. »Welches Ziel sie hatten, kann ich dir nicht sagen, aber sie werden nicht allein bleiben, das verspreche ich dir.« »Und ob.« »Willst du mit?« Bill sah aus, als wollte er mich anspringen. »Das fragst du noch?« keuchte er. »Bei denen steht noch eine dicke Rechnung offen. Die präsentiere ich ihnen.« Er stand auf. Das heißt, er versuchte es. Erst mit meiner Hilfe gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. Zischend stieß er die Luft aus, preßte seine Hände gegen die Wangen und strich auch über die Stirn. Auf den Flächen blieb der Schweiß kleben, vermischt mit den kleinen
Sandkörnern, die überall hindrangen und auch durch eine feste Kleidung nicht aufgehalten werden konnten. Ich brachte Bill bis zur Wand. »Warte hier.« Er nickte nur. Schweiß rann ihm wie Wasser über das Gesicht. Der Reporter litt sehr unter den Folgeschäden des verdammten Elektroschocks. Nur hatte er ihn besser verkraftet als Claude Meiser, dessen Gesicht aussah wie kaltes Fett. »Ich . . . ich bleibe, Sinclair. Verdammt, ich gehe nicht mit. Das können Sie nicht verlangen.« »Dafür habe ich Verständnis.« Die Antwort gefiel ihm nicht, denn er flüsterte: »Wo soll ich dann hin, verflucht?« »Bleiben Sie hier.« »Was? In diesem Haus?« »Ja, das ist - so komisch es sich anhört - fürSie noch am sichersten.« Fr strich über sein Haar, schaute sich um und wollte dann wissen, wo Nicole und ihr Vater geblieben waren. »Sie sind gegangen. Allerdings in eine andere Richtung. Nicht dahin, aus der wir . . .« »In die Wüste?« »Richtig.« »Was wollen sie dort?« »Ich konnte sie nicht fragen, Monsieur Meiser, gehe aber davon aus, daß sie das Grab des Pharaos besuchen wollen.« »Nein, das geht nicht, Sinclair. Das Grab gibt es nicht. Es existiert nicht. Ich hätte davon gewußt, glauben Sie mir. Das Grab ist nicht vorhanden!« Er hob seine Schultern. »Ich bin Experte, ich hätte davon gewußt.« »Muß es denn unbedingt ein Grab sein?« Bill Conolly hatte die Frage gestellt. Es ging ihm wieder besser. Zwar schwankte er beim Gehen, ansonsten hielt er sich einigermaßen auf den Füßen. »Was meinst du damit?« Er blieb stehen, atmete tief durch und hob die Schultern. »So genau weiß ich es auch nient. Ich kann mir nur vorstellen, daß es gewisse Dinge gibt, die man damals einfach in die Erde versenkt hat. Vergeßt nicht, daß die Pyramiden erst später entstanden sind.« »Da hat er recht«, sagte ich. Auch Claude Meiser überlegte. »Ja, das kann hinkommen. Beschwören würde ich es nicht.« »Wir werden es schon herausfinden.« Meiser warnte noch. »Sie denken an die Gefahren, nicht?« »Darauf können Sie sich verlassen.« Mein Freund Bill wurde wieder vom Tatendrang erfaßt. »Los, John, laß uns verschwinden!« Was wir auch taten. Claude Meiser blieb zurück. Wir hörten ihn noch sprechen. Was er allerdings sagte, verstanden wir nicht, dafür waren wir zu weit entfernt... ***
Nacht in der Wüste! Das zu beschreiben fällt mir schwer. Es war einfach wunderbar, herrlich, eine Welt für sich. Eingehüllt und umwoben von einer tiefblauen Finsternis, überstrahlt von einem unwahrscheinlichen Sternenhimmel, der mich an eine Decke erinnerte, die an verschiedenen Stellen zahlreiche Löcher aufwies, durch die klares Licht dringen konnte. Tagsüber kocht die Wüste. Während der Nacht fällt die Temperatur häufig sogar in Gefrierpunktnähe. Das hatte ich nicht zum erstenmal erlebt und erlebte es hier wieder. Eine dicke Kleidung hatten wir natürlich nicht mitgenommen. Dementsprechend schnatterten wir sehr bald um die Wette und kamen uns vor wie in einem Kühlschrank, denn der Boden unter unseren Füßen kühlte ebenfalls stark ab. Ich hatte einige Male zurückgeschaut. Die Stadt verschwand allmählich nur, als wäre sie ausradiert worden. Das Bild würde ich auch nie vergessen, denn es sah so aus, als würden die langen, dunklen Schatten des Bodens alles andere allmählich aufsaugen und die Umrisse regelrecht verschlucken. Allein in der Nacht. Allein unter dem prächtigen Himmel. Irgendwie kamen wir uns beide ziemlich verloren vor. Ich sah es an Bills Gesicht. Mein Freund ging neben mir her, und er hatte Mühe, Schritt zu halten, denn ich fühlte mich fitter als er. »Happy, John?« fragte er. »Du etwa?« »Nein. Zu Hause ginge es mir besser.« »Du wolltest mit.« »Halt die Klappe, geh weiter.« Es war ja nicht nur Sand und Staub, der unter unseren Füßen den Belag bildete. Hin und wieder trat graues Gestein hervor, das im Sternenlicht einen silbrigen Glanz bekommen hatte, als wäre es mit einer dünnen Ölfarbe bestrichen worden. Es war nicht einfach für uns. Beim Laufen sanken wir häufig ein, mal schleiften unsere Sohlen über den blanken Fels, wobei es doch nicht so windstill war, wie ich angenommen hatte, denn ein feiner Film aus Sand lag immer in der Luft. Er wehte gegen unsere Gesichter. Er drang durch die Kleidung, er legte sich als feiner Film auf die Lippen und suchte auch seinen Weg in die Nasenlöcher, so daß es schwer für uns war, normal zu atmen. Zu sehen, zu erkennen oder entdecken war nichts. Trotz der klaren Sicht, gab es keinen Punkt, an den wir uns hätten orientieren können. Die Welt lag manchmal reißbrettflach vor uns, dann wiederum sahen wir Wellen innerhalb des Geländes, das mich dann an ein erstarrtes Meer
erinnerte, über dem der Himmel schwebte. »Wo könnte er denn sein?« fragte Bill. Ich deutete schräg nach unten. Auf dem Boden zeichneten sich tatsächlich die Spuren der beiden Personen ab. Zwar sehr schwach'nur, immerhin waren sie vom Sand nicht zugeweht worden. Vater und Tochter waren in einer direkten Linie gegangen. Sie hatten so gut wie keinen Bogen geschlagen, die Richtung stand für sie fest. Sie würde sie auch zum Ziel führen. Die Wüste war tot, und sie lebte trotzdem. Nicht nur unsere Schrittgeräusche waren zu hören, in der Umgebung vernahmen wir rätselhafte Geräusche. Mal ein Schaben, dann wieder ein Scharren oder leises Knurren, abgegeben von irgendwelchen Tieren, die für uns unsichtbar durch die Dunkelheit huschten. Bill hatte mit seiner Kondition zu kämpfen. Ergab es zwar nicht zu, ich sah es ihm aber an, denn hin und wieder schleppte er sich durch den weichen Sand und zog lange Spuren hinter sich her. Die Spuren blieben sichtbar. Aber nicht nur sie behielt ich im Blick, ich interessierte mich auch für die Gegend vor mir und konnte erkennen, daß sich das Gelände senkte und eine Art Schüssel bildete, mehr ein flacher Trichter. Ich blieb stehen. »Pause?« fragte Bill, wobei er verzerrt grinste. »Das wohl kaum.« »Sondern?« »Warte es ab.« Ich holte die kleine Leuchte hervor. Sie war sehr lichtstark und strahlte, wenn kein Hindernis sie bremste, einige Hundert Yards weit. Diesmal richtete ich sie gegen den Wüstenboden, denn mir war aufgefallen, daß die Spuren aufhörten. »Sie sind weg, nicht?« »Du sagst es, Bill.« Mein Freund lachte. Sogar ziemlich laut. Er hatte sich einfach freie Bahn verschaffen müssen, und sein Gelächter war in der Wüste ziemlich weit zu hören, worüber er sich selbst erschrak. »Sorry, John.« Ich winkte ab, ließ den hellen Strahl kreisen, suchte nach weiteren Hinweisen, ohne jedoch welche zu finden. »Nichts, Bill.« Mein Freund schlug mit der Faust in seine flache Hand. »John, das kann nicht wahr sein. Wenn ich darüber nachdenke, dann müssen die beiden vom Sand verschluckt worden oder von einem Flugobjekt mitgenommen worden sein.« »In diesem Fall rechne ich mit allem.« »Auch mit einem UFO?«
»Wirf es nicht so weit weg. Denk daran, daß die sehr alten Ägypter und Atlanter ihr Wissen von den Völkern bekommen haben, die von den Sternen zu ihnen kamen.« »Das kann stimmen.« Natürlich glaubte ich nicht daran, daß ein UFO im Wüstensand gelandet und die beiden an Bord genommen hatte, doch als theoretische Möglichkeit war es durchaus denkbar. »Weitergehen oder warten?« fragte Bill. »Warten.« »Aber nicht auf den morgigen Tag.« »Bestimmt nicht«, erwiderte ich, löschte die Lampe und deutete schräg nach vorn. »Sieh mal dort.« Bill Conolly senkte seinen Blick. Jetzt sah er auch in die vor uns liegende Schüssel hinein, und seine Gesichtszüge bekamen eine gewisse Starrheit, die sein Erstaunen wiedergaben. »Was ist das?« »Bewegungen, Bill.« »Du hast recht, ich habe wohl schlechte Augen.« Er wischte über sein Gesicht und verfluchte den feinen Sand, der sich auf der Haut wie eine Panade mit dem Schweiß vermischt hatte. In der Mulde war es tatsächlich zu Bewegungen gekommen. Es wirkte so, als sollte der feine Sand aufgerollt werden, denn es hatte sich ein Muster aus feinen Quellen gebildet, die nicht stillstanden, sondern immer wieder aufeinander zurollten, sich zu neuen Formationen vereinigten, wieder Gebilde erschufen, übereinander herglitten, so daß kleine Hügel und Mulden entstanden, die schnell wieder aufgefüllt wurden, sich zu neuen Formationen entschlossen und schließlich wie erstarrt blieben. »Jetzt passiert etwas!« flüsterte Bill. Ich gab ihm keine Antwort, denn er hatte recht. Unter dem Sand tat sich tatsächlich etwas, und es blieb auch nicht dort verborgen, denn es drückte sich in die Höhe, so daß in der Muldenmitte wieder eine neue Formation entstand. Eine zweite Schüssel, diese allerdings wesentlich kleiner und trotzdem noch immer sehr groß. Der Sand rieselte und floß. Er warf Wellen, er zuckte, er bewegte sich, er schaufelte sich weiter. Gebilde entstanden, die ineinander zurückflössen, und dann war es soweit. Dicht unterhalb der Oberfläche entstand die erste sichtbare Spur. Ein feiner goldener Glanz breitete sich aus, der auf uns nicht kostbar wirkte, sondern gefährlich. Wir hatten keinen Blick mehr für das kalte Feuer der Sterne, der goldene Glanz war wichtiger. Er deutete auf das Unheimliche hin, das sich sehr bald aus dem Schoß der Erde lösen würde.
»Wenn ich nicht in der Wüste stünde, würde ich sagen, daß unter dem Sand goldenes Wasser schwimmt.« Ich mußte grinsen. »Keine Sorge, Bill, zu trinken wirst du schon nichts bekommen. Erst recht kein Goldwasser.« »Daran kann man sich auch den Magen verderben, nehme ich an.« Der Spaß hatte ein Ende, denn der goldene Schein nahm an Intensität zu, ein Beweis dafür, daß der Gegenstand, der im Sand gelauert hatte, weiter in die Höhe gekrochen war. Die Schicht, die ihn bisher verborgen hatte, war kaum noch zu sehen. Als er sich das letzte Stück in die Höhe drückte, floß der Sand ab wie dünner Puderzucker. Wir staunten beide. Eigentlich hätten wir ja damit rechnen müssen, doch als wir es direkt sahen, blieb uns fast das Herz stehen. Aus der Tiefe der Wüstenschüssel erschien derjenige, der über Jahrtausende dort gelegen hatte. Hosian — der Zombie-Pharao! *** Er war ein Ereignis, er war eigentlich weder zu fassen noch zu verstehen. Er war furchtbar und faszinierend zugleich, und er strahlte zwei Dinge ab, die eigentlich in einem Verhältnis wie Feuer und Wasser zueinander standen. Tod und Leben! Das Leben auf der von uns aus gesehen rechten Seite. Den Tod präsentierte er links. Das Leben zeigte eine Goldschicht, die sich in einem prächtigen Glanz von der Stirn bis zum Kinn hinzog. Der Pharao bestand eigentlich nur aus einem Kopf. Sollte er einen Körper besitzen, so war dieser im Sand der Mulde verborgen. Nur das Auge zeigte keinen Goldschimmer. Es bestand aus einem großen, schwarzen Kreis, über den eine ebenfalls schwarze Braue einen geschwungenen Bogen schlug. Dann war da noch die Teilung. Genau in der Mitte des Kopfes war sie durchgeführt worden, als hätte man mit einem Lineal eine Trennlinie gezogen. Was dann folgte, sah aus wie das blanke Chaos. Ein Wirrwar aus bleichen Knochen. Zusammengeschoben, übereinandergehäuft. Eine zerstörte Lippe, die in dieser Hälfte aussah, als wäre sie zerfetzt worden. Hinzu kam das Auge. Längst nicht mehr schwarz, nur die Rundung war geblieben, die aber erinnerte mich an dünnes Glas, das kurz vor dem Zerbrechen stand. Noch unwahrscheinlicher als die beiden verschiedenen Hälften kam uns die Größe des Kopfes vor. Wenn der Körper in einem konkreten Verhältnis zum Kopf stand, dann mußte der Pharao ein Riese gewesen
sein. Möglicherweise ein Riese, der in grauer Vorzeit tatsächlich von den Sternen gekommen war. Mir rann ein Schauer über den Rücken, als ich daran dachte, und ich verglich natürlich die Größe des Schädels mit einem anderen Gegenstand. Da kam mir nur der Vergleich mit einem Haus in den Sinn. Ich mußte schon hochschauen, um das gesamte Gesicht des Pharaos mit einem Blick erfassen zu können. Warum war er gekommen? Hatten ihn Vater und Tochter gelockt? War er es gewesen, zu dem sie gegangen waren? Noch hatte er sich nicht völlig aus der Erde geschoben. Der letzte Sand rieselte in Bahnen an seinem Schädel entlang. Neben mir schüttelte Bill den Kopf. »Es ist schwer, John, das zu begreifen.« »Da sagst du was.« »Und wo stecken die Asiras?« Ich lachte leise auf. »Das möchte ich auch gern wissen. Vielleicht haben sie sich in Luft aufgelöst. Hier ist alles möglich, denke ich.« Der Schädel des Pharaos blieb zunächst noch ruhig. Ich konzentrierte mich dabei auf seine Augen und hatte instinktiv das Richtige getan, denn das normale Auge bewegte sich. Der schwarze Kreis drehte sich innerhalb der Höhle, als würde er von unsichtbaren Kräften irgendwo im Hinterkopf bewegt. Das zerfallene, wie gläsern wirkende Auge blieb dabei unbewegt. Es glotzte nur, mehr tat es nicht. Plötzlich zitterten die Lippen. Die Normale und die zerfetzte Hälfte gerieten in Bewegung. Es mußte etwas kommen, möglicherweise standen wir dicht vor der Lösung dieses uralten Rätsels. Und es kam etwas! Staunend und dabei das Atmen vergessend schauten wir zu, wie sich aus dem halb zerstörten Mund etwas entwickelte, das wir nur als ein Maul bezeichnen konnten. Tür-, nein, torgroß öffnete sich die untere Hälfte des Gesichts vor unseren Augen. Ein gewaltiges Loch entstand, ausgefüllt von einer tiefschwarzen Finsternis, die endlos zu sein schien, den wir sahen kein Ende, als wir in die Tiefe des Mauls schauten. Kein Licht, keine Bewegung, kein Zittern oder Beben, da war nur die Schwärze, die einen Tunnel oder Schacht bildete, der in die Unendlichkeit zu führen schien. So blieb er auch. Still, absolut regungslos, mit weit geöffnetem Maul. Bill und ich standen gebannt auf der Stelle, atmeten durch die Nase, aber keiner von uns
rührte auch nur den kleinen Finger. Selbst das Zittern der Augenwimpern hatte ich unterdrückt. Ich atmete scharf aus, was Bill Conolly als Zeichen ansah und mich flüsternd ansprach. »Ich schätze, John, das ist eine Einladung.« »Kann sein.« »Fragt sich nur, wer zuerst hineingehen soll. Du oder ich!« »Abwarten.« Aber Bill wollte reden. Er stand unter einer dermaßen großen Spannung, daß er einfach nicht schweigen konnte. »Wir haben immer damit gerechnet oder davon gesprochen, daß die beiden Asiras im Erdboden verschwunden sind. Ich weiß, wer sie sich geholt hat. Der verdammte Pharao, der hat sie«, Bill räusperte sie, »verschluckt.« »Möglich.« »Nein, John, nicht möglich. Stand nicht auf dem Papyrus, daß der Menschen gefressen hat?« »So ungefähr.« »Ich sage dir, daß er es getan hat, John! Du mußt mir glauben, wirklich, John!« Bill war davon überzeugt. Ich aber wollte nicht mehr länger untätig sein und schritt auf den Riesenschädel des goldenen Pharaos zu. »Nicht, John!« Bill wollte mich zurückhalten. Ich drehte mich zu ihm um. Das Gesicht hatte einen bläulichen Schein bekommen. Unruhig zwinkerte er mit den Augen. »Da war etwas.« »Wo?« »Im Maul, ja, in seinem Maul.« Der Reporter sprach jetzt lauter. »Du kannst lachen, aber ich habe die Bewegung gesehen.« Ich lachte nicht und fragte nur: »Wo entstand sie?« Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob vorn oder mehr hinten. Auf jeden Fall...« für einen Moment weiteten sich seine Augen. »John, da ist es wieder.« Ich drehte mich. Bill hatte nicht gelogen. Ich stand drei Schritte von ihm entfernt. Möglicherweise sah ich es sogar besser. Und was mir da geboten wurde, reizte mich nicht zu Jubelstürmen. Eine kalte, unsichtbare Hand strich über mein Qesicht und den Körper hinweg. Das fließende Grauen hielt mich umklammert. Mein Magen zog sich zusammen, denn ich hatte noch immer nicht genau erkannt, um wen und welche Personen es sich handelte. Menschen? Monster? Tiere? Es war nicht zu fassen, nicht zu erkennen, nur als Schatten innerhalb der Finsternis. Die aber blieben nicht stehen. Sie waren in Bewegung geraten, sie drückten sich vor, und all dies geschah in einer absoluten Lautlosigkeit innerhalb des scheunentorgroßen Mauls.
Sekunden tropften dahin. Wer sich im Schädel des Pharaos aufhielt, er hatte Zeit, er konnte sich die Zeit nehmen, denn wir waren es, die warteten. Glutpunkte entstanden. Nicht sehr klein, sondern größere Kreise von einem intensiven Rot. Sie leuchteten in einer schon barbarischen Kälte, die Bill und mich frösteln ließ. Etwas Schlimmes, Mörderisches drang aus den liefen des Mauls nach vorn. Als ich die ersten roten Kreise gesehen hatte, war ich unwillkürlich an die Glutaugen der Zombie-Hyäne erinnert worden. Ich wollte Bill meinen Verdacht mitteilen, es war bereits zu spät, denn sie hatten sich weiter vorgedrückt, das Ende des Schachts und den Anfangs des Maules erreicht, um ins Freie zu gelangen. »Tiere, John . . .« Es waren tatsächlich vierbeinige Wesen, die den Weg zum Ausgang gefunden hatten. Wer immer als Tier vor langer Zeit gelebt haben mochte, viel hatte sich bis zum heutigen Tag nicht verändert, denn außer einigen Hyänen, schoben sich auch die Körper zweier Löwen aus dem gewaltigen Maul des Zombie-Pharaos. Tiere, die lebendig aussahen, was sie aber nicht waren, was wir an ihren Bewegungen erkannten und natürlich auch am Aussehen der Körper, denn da wirkte das Fell wie eingerissen und anschließend mit grauem Staub bepudert. Lebende Tierleichen, untote Wesen, die nur von einer unheimlichen Kraft geleitet wurden. Für mich stand fest, daß diese Kraft ihre Geburtsstunde in der Tiefe der Vergangenheit gehabt haben mußte. Und über die Jahrtausende hinweg hatten sie sich halten können, bis hinein in unsere Zeit, wo ich lebte und ihr einen Riegel vorschieben wollte, was bestimmt nicht einfach sein würde. Fs verließen nicht allein die Hyänen und Löwen das Maul, selbst zwei große Vögel hüpften aus dem Riesen-maul. Sie waren pechschwarz, besaßen lange Hälse und auch sehr spitze Schnäbel. Sie ähnelten Geiern. Auf uns achteten sie nicht. Sie hüpften vor, breiteten die Schwingen aus, bewegten sie und starteten mit trägen Bewegungen zum Flug in den Nachthimmel, wo sie verschluckt wurden. Bill war an meine Seite getreten. »Löwen und Hyänen, John. Ich bin gespannt, was uns noch alles erwartet.« »Warte es ab.« »Nur nicht zu lange. Ich habe allmählich den Findruck, auf dem Präsentierteller des Todes zu stehen. Die roten Augen gefallen mir überhaupt nicht. Die sehen mir zu blutrünstig und mordlüstern aus.« »Es reichen Silberkugeln«, murmelte ich. »Woher weißt du das?«
Mit zwei Sätzen berichtete ich ihm von der Hyäne, die ich gekillt hatte. »Das hättest du mir auch vorher sagen können«, beschwerte sich der Reporter. »Es war nicht die Zeit.« Die untoten Tiere hatten sich so aufgestellt, daß sie wie stumme, drohende Wachtposten wirkten, die keinen Fremden in das weit geöffnete Maul hineinlassen wollten. Dennoch wollte ich in den Schädel des Pharaos hineingehen, der mich an ein Abenteuer erinnerte, in dem Nadine Berger und Bill Conolly eine wichtige Rolle gespielt hatten. Der Schädel eines Riesen war auch gleichzeitig der Zugang zu dem geheimnisvollen Land Avalon gewesen, dessen Kraft dafür gesorgt hatte, daß auch Nadine wieder ein normaler Mensch geworden war. Was würde mich diesmal erwarten? »Ich gehe, Bill!« »Doch nicht in das Maul!« »Wohin sonst?« »Willst du dich verschlingen lassen?« »Nein, das habe ich nicht vor. Es gibt nur eine Lösung. Erst in diesem verdammten Schädel kann ich das Rätsel . . .« »John, ich will ja nicht meckern. Das kann ein Zeitloch sein.« »Davon gehe ich sogar aus.« »Und wenn es dich verschlingt?« »Wird es mich auch wieder ausspucken.« Bill Conolly blieb zurück. Ich aber ging tiefer in die Mulde hinein und schritt über einen weichen Sandboden, in dem ich bis zu den Knöcheln einsank. Natürlich behielt ich die Tiere im Auge. Sie aber taten nichts und saßen absolut still. Allerdings bewegten sich ihre Augen. Auch nicht durch ein äußerliches Rollen oder Zucken erkennbar, das wahre gefährliche Feuer befand sich tief im Innern dieser roten Kreise, die in die Gestalten wie hineingedrückt wirkten. Wohl fühlte ich mich nicht. Ich war unwahrscheinlich gespannt. Meine Haut fühlte sich an, als wäre sie an bestimmten Stellen des Körpers in die Länge und Breite gezogen worden, um nur darauf zu warten, endlich reißen zu können. Kälte kroch durch meine Beine, wanderte höher, erreichte mein Herz und umklammerte es. Es war nicht die Kälte der Nacht, denn diese hier kam von innen her. Meine Psyche schien allmählich einzufrieren, zudem konnte ich mich nicht locker bewegen. Jeder Schritt wirkte steif, er kostete mich große Überwindung.
Die Wächter drehten nicht die Köpfe, dafür die Augen. Bei jeder dieser Bewegungen stieg auch meine Spannung an. Ich wartete nur auf den Zeitpunkt, bis es soweit war und mich die verdammten Wesen von verschiedenen Seiten ansprangen. Das passierte nicht. Der erste Löwe ließ mich passieren. Nicht einmal sein graues Fell bewegte sich, als ich an ihm vorbeischritt, nur die Augen rollten mit. Etwa zwei Schritte vor dem Maul hielt ich an und drehte mich noch einmal um. Mein Freund Bill Conolly wartete. Diesmal hatte er seine Waffe gezogen. Die Beretta hielt er in der rechten Hand. Er bewegte aber auch seinen linken Arm und holte etwas hervor, über das ich nur staunen konnte. Es war seine Waffe, die er nur im Notfall einsetzte, weil sie so gnadenlos zerstörerisch war. Die goldene Pistole! Gefüllt mit einem Schleim, der die gleiche Wirkung besaß wie der Todesnebel und alles zerstörte, was er umfing. Es gab nur ganz wenige Ausnahmen, zu denen ich gehörte, denn durch den Besitz meines Kreuzes konnte ich ihm widerstehen. Bill nickte mir zu. Es sollte beruhigen, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Es kam von Herzen, denn ich war froh, Bill als eine derartige Rückendeckung zu wissen. Die letzten Schritte hinein in das gefährliche Reich des Unbekannten würden mir schwerfallen. Nicht grundlos hatte der Schreiber vor dem Pharao gewarnt. Als ein Leichenfresser, ein Ghoul war er bezeichnet worden. Möglicherweise sogar als einer der ersten auf dieser Welt oder der erste Ghoul überhaupt. Die Öffnung gähnte mir entgegen. Aus der unmittelbaren Nähe betrachtet, wirkte sie noch schauriger und furchteinflößender. Auch jetzt sah ich einfach kein Ziel. Mein Blick verlor sich in der dichten Schwärze. Kein Licht, kein Zittern, keine Bewegung, das war wie ein Tunnel, der mich in eine andere Zeit oder Dimension hineinführt. Und doch war jemand da! Ich sah die Person nicht, ich hörte sie. Ein sehr leises Klingeln erreichte meine Ohren. Im ersten Moment war ich von diesem Geräusch irritiert. Ich wußte es nicht genau einzuordnen, obwohl ich es nicht zum erstenmal hörte. Ich dachte über den Zusammenhang nach und kam zu dem Ergebnis, daß es mit dem Fall zu tun hatte. Das Klingeln spielte eine starke Rolle. Es deutete mir etwas an, es wollte mich aufmerksam machen. Ich ging weiter.
Der nächste Schritt brachte mich direkt in das unheimliche Maul des Schädels. Die normale Welt lag nur eine oder zwei Yards hinter mir. Dennoch hatte ich den Eindruck, unzählige Meilen zurückgelegt zu haben, um hineinzukommen in eine Welt, die nicht nur völlig anders war, sondern auch lichtlos und gefüllt mit fremden, umheimlichen Geräuschen, wobei ich das Klingeln auch weiterhin hörte. Ansonsten umgab mich ein geheimnisvoll klingendes Wispern zahlreicher Stimmen, die aus dergleichen Ferne klangen wie die leise Sphärenmusik, obwohl ich mirbei ihr nicht sicher war, ob ich sie hörte odersiemir einbildete. Ich legte den Kopf zurück und schaute gegen den oberen Rand des Schlunds. Bildete ich es mir ein, oder tat sich dort tatsächlich eine andere Welt vor meinen Augen auf? Es war der Blick in die Dimensionen hinein, mög-lcherweise in die anderen Zeiten. Hier waren die Gesetze der Physik auf den Kopf gestellt worden, es regierte die reine Magie. Ich hatte mein Kreuz hervorgeholt, die rechte Hand in die Tasche gesteckt, wo meine Finger den Talisman umklammerten, als könnte er mir die Kraft geben, um durchzuhalten. Vergeblich hatte ich bisher auf die Erwärmung gewartet. Das Kreuz behielt seine normale Temperatur bei. Was hatte dieses Hirn gespeichert? Waren es die Informationen aus einer Zeit, die lausende von Jahren zurücklag, als die beiden Kontinente Atlantis und Ägypten zusammenkamen, wobei das eine Volk das andere befruchtete, damit es von einem Wissen profitierte, das später leider fast völlig verschwunden oder nur mehr in Fragmenten vorhanden war, wobei ich eines ausschließen wollte, die Cheops-Pyramide. Dort gab es einen geheimnisvollen Raum, in dem das Wissen der Völker gespeichert war. Ich sah nach oben, ich sah in die Dunkelheit, die trotzdem lebte, aus der das leise Kingeln auf mich niederfuhr und sich eine Gestalt hervorschälte. Nicole Asira kam! Plötzlich schwebte sie halb aufgerichtet und halb liegend über mir. Sie schaute auf mich nieder, streckte beide Arme vor und hielt etwas zwischen ihren Händen, das ich zunächst nicht erkennen konnte. Erst als sie die Hände ausbreitete, fiel der Gegenstand nach unten. Er besaß dabei nicht die normale Geschwindigkeit, schwebte auf mich zu. Ich trat zur Seite und schaute hin, als er neben mir landete. Es waren Kleidungsstücke, Lumpen, Fetzen, die ich trotzdem kannte, denn Gamal Asira hatte sie getragen. Jetzt lagen sie neben mir, waren leer, das heißt, sie waren es nicht, denn plötzlich verschoben sie sich und etwas Bleiches schaute aus den Lücken hervor.
Gebeine. .. Mir stockte der Atem, ich ahnte Schlimmes, dachte wieder an das ghoulhafte Verhalten des Pharaos und vernahm über mir die weich und dennoch kalt klingende Stimme der jungen Nicole Asira. Gleichzeitig schwebte sie nach unten, blieb vor mir stehen und sprach das letzte Wort erst jetzt aus. »Wer zu Hosian steht, der muß Opfer bringen. Und wenn es der eigene Vater ist...« *** Okay, ich hatte die Worte gehört, allein mir fehlte das Verständnis dafür. Ich wollte es nicht glauben, mein Gehirn weigerte sich, dies alles aufzunehmen und zu verkraften. Vor mir stand Nicole und lächelte so kalt wie eine Todesgöttin aus der ägyptischen Urkultur. Sie war nicht mehr diejenige, die ich kannte. Zwar besaß sie noch das gleiche Gesicht, und auch ihre Kleidung hatte sich nicht verändert, dennoch wirkte sie in der Dunkelheit anders auf mich. Von dem Gesicht strahlte ein mattes Leuchten ab, das sich allerdings auf die Wangen beschränkte und keine anderen Teile erfaßt hielt. Auch die Kleidung zeigte diesen matten Puder aus Gold. Als sie den Kopf bewegte und ebenfalls den Körper, geriet der Stoff in gewisse Schwingungen, so daß er auf mich den Eindruck machte, als würde er allmählich wegfließen. Das leise Klingeln des ungewöhnlichen Schmucks löste mich aus meiner Erstarrung. »Du hast ihn geopfert, Nicole. Du hast deinen eigenen Vater geopfert. Du . . .« »Das mußte ich!« sprach sie dazwischen. »Ich mußte es tun, denn er soll leben.« »Was ist mit dir, Nicole?« Meine Vorwürfe trafen sie knallhart. »Kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren? Dein Vater wußte sehr gut, wie gefährlich dieser verfluchte Pharao ist. Es war vielleicht ein Fehler, dich einzuweihen . . .« »Nein, es war gut, Sinclair. So lernte ich etwas über ihn und die alten Zeiten. Ich weiß, daß er von den Sternenvölkern abstammte. Sie haben ihn zurückgelassen. Er mußte mit lebenden Menschen gespeist werden, aber er nahm auch Tiere. Ich habe ihm bewiesen, wie sehr ich ihn verehre, denn meine Verbindung zu ihm datierte bereits seit Jahren, denn mein Vater ist es gewesen, der mir den Schmuck mitbrachte. Du siehst ihn an meinen Ohren. Als mein Vater den Pharao fand, da entdeckte er den Schmuck, der voll erhalten war. Durch ihn bin ich an Hosian herangekommen. Er ist für mich alles, denn er schafft die Verbindung.« »Zu ihm?«
»Natürlich.« Sie wunderte sich über meine Antwort, die ziemlich dumm geklungen hatte, aber ich wollte mehr wissen und fragte deshalb weiter. »Auch zu anderen Welten?« »Ja, denn sein Geist befindet sich darin.« »Welche Welten?« »Dimensionen erschließt er mir. Für mich sind zehn-oder zwanzigtausend Jahre keine Zeit. Ich weiß, daß es Völker gab, die von weit herkamen und hier ihre Spuren hinterließen. Ich konnte mit ihnen Kontakt aufnehmen, ich bin informiert. Ich habe das Wissen der alten Zeit in mich aufgenommen, und ich weiß, wie Grenzen überwunden werden können, die selbst für Wissenschaftlerein großes Problem sind.« »Du kennst sie?« Aus großen Augen schaute sie mich an. Ich hatte den Eindruck, als würden selbst in ihren Pupillen Goldtupfer tanzen. Und golden schimmerte auch der Ohrschmuck. Diesmal noch intensiver als bei unserer ersten Begegnung. Er war mit einer immensen Kraft gefüllt und hatte wahrscheinlich auch dafür gesorgt, daß es dem Pharao gelungen war, aus der Tiefe zu erscheinen. »Ich werde dir nicht sagen, was ich alles kenne«, erklärte sie. »Es würde zuviel für dich werden, weil alles das Begriffsvermögen eines normalen Menschen übersteigt. Wer mehr wissen will, sollte nach Spuren suchen. Es gibt sie, man muß sie nur finden. Dazu wirst du keine Gelegenheit mehr haben.« »Dein Pharao ist nicht unsterblich.« Nicole sprach heftig dagegen. »Wenn er das nicht wäre, hättest du nicht in sein Maul hineingehen können. Fr wird überleben; er wird bleiben, wenn er immer wieder die Nahrung bekommt, die ihm zusteht. Er hat zu lange in seinem tiefen Schlaf gelegen, doch der konnte ihm nichts anhaben. Er ist aus der Vergangenheit erwacht, ohne sein Wissen verloren zu haben. Noch ist alles vorhanden.« »Dann sage mir mehr.« »Nein, Sinclair, das werde ich nicht.« »Aber du hast mich auf seine Spur gebracht. Du bist es gewesen, die zu mir kam.« »Mit Recht, Sinclair!« »Ach ja? Mit welchem?« »Das will ich dir sagen. Du bist eine der wenige Personen gewesen, die meine Kreises hätte stören können. Ich wollte dich von Beginn an ausschalten, deshalb traf ich mich mit dir. Ich will dir eines sagen: Am eigenen Leibe wirst du erleben, wie dich der Schleim zerfrißt, der aus dem Maul tropfen wird. Zurück bleiben deine Knochen, die das Maul ausspeien wird, damit dein Gebein in der Wüste zerfallen kann.« »Schleim?« Ich hatte plötzlich eine Idee, tat aber unwissend. »Ja, es ist der tödliche Schleim, den der goldene Pharao aus der Ferne mitbrachte. Er stammt nicht von dieser Welt. Sein Zuhause ist eine
andere Dimension, und es gibt nichts, das ihn stoppen könnte. Schau dich um, Sinclair!« Ich tat es sehr gelassen. Bekam jedoch einen Schreck, weil mir der Rückweg versperrt war. Wie eine Zunge war ein rötlicher und gleichzeitig grau schimmernder Schleim in die Höhe gestiegen, um mir den Weg nach draußen zu versperren. Das Rot innerhalb der Masse sah aus wie Blut, das sich immer mehr verteilte. Ich hatte mich etwas zu lange auf den Schleim vor mir konzentriert und nicht nach oben geschaut. Erst das Lachen der Nicole Asira riß mich aus meiner Betrachtung. Da war es zu spät. Von oben her klatschte ein dicker Schleim brocken auf mich nieder und hüllte mich innerhalb weniger Augenblicke wie ein Mantel ein. »Stirb, Sinclair!« hörte ich Nicole rufen. Sie stand vor mir, die Arme ausgebreitet und genoß ihren Triumph. Ich schaute trotzdem zurück. Außerhalb des Maules setzten sich Schatten in Bewegung. Es war, als hätten die Zombie-Tiere einen Befehl erhalten, sich des zweiten Mannes anzunehmen und ihn zu zerreißen. Ich konnte Bill nicht helfen, er mußte jetzt allein mit den Problemen fertig werden. Dafür tat ich etwas anderes. Ich holte das Kreuz aus der Tasche! *** Bill Conolly kniete im Sand und kam sich vor wie ein Soldat bei einer Schießübung. Die Entfernung war optimal. Er hatte in das weit geöffnete Maul hineinschauen und sowohl Nicole Asira als auch seinen Freund John Sinclair sehen können. Natürlich paßte es ihm nicht, allein zurückgeblieben zu sein, er hätte liebend gern mitgemischt, aber da standen noch die untoten Wächter davor. Zwei Löwen und auch die Hyänen, die auf keinen Fall unterschätzt werden durften. Ihre Augen glühten in einem gefährlichen Rot. Es war düster und versprach den Tod. Dann trübte sich der Blick des Reporters. Innerhalb des Mauls war der Schleim entstanden, von Bill nicht genau zu erkennen. Er merkte nur, daß er die Gestalten nicht mehr so klar sah. Sich darüber Gedanken machen, konnte er nicht, denn die wilde Kopfbewegung eines Löwen war Warnung genug. Das Tier sprang. Und Bill schoß.
Er hatte die Waffe nur ein wenig zur Seite schwenken müssen, um das Tier zu erwischen. Dabei sah er, wie sich das geweihte Silbergeschoß während des Sprungs in den Körper des Löwen bohrte, der sein Ziel nicht mehr erreichte, denn er brach zusammen. Wie ein Klotz schlug der schwere Körper in den Sand, scharrte mit den Füßen — und verging. Das Rot seiner Augen verlosch so schnell, als wäre Wasser über rote Kohle gekippt worden. Die Haut zerbrach, das Fell besaß keinen Halt mehr, und der leichte Nachtwind schaffte es leicht, es wegzuwehen. Doch Bill machte weiter. Er feuerte auf den zweiten Löwen, traf ihn ebenfalls, dann waren die Hyänen an der Reihe, die sich schneller und geschickter anstellten, denn sie griffen Bill zugleich an. Urpötzlich schwebte er in Lebensgefahr. Die untoten Tiere hatten einen Kreis um ihn gebildet. Bill mußte sich auf den Rücken fallen lassen, um nicht von einem Körper gerammt zu werden. In dieser Lage blieb er und feuerte. Schräg jagte er die Kugeln in die Höhe. Zwei Hyänen erwischte er. Ihre roten Augen verschwanden, das Fell rutschte ab, die Knochen fielen knackend zusammen. Der Reporter schoß mehrmals, hatte Pech, verfehlte das Tier, richtete sich auf, sah den Schatten von der Seite her gegen ihn springen und brachte die Hand im letzten Augenblick herum. Die geweihte Silberkugel traf zufällig den Schädel der untoten Hyäne. Sie zerschmetterte ihr das Maul, aber noch waren welche da. Und Bills Waffe funktionierte nicht mehr. Er hatte einen Fehler gemacht und sie durch den Sand gezogen. Für Bruchteile von Sekunden zuckten die Nachrichtenbilder von den Soldaten am Golf vor seinen Augen auf. Auch sie waren mit den >besten< Waffen ausgerüstet worden, nur brachten die nichts, wenn der feine Sand sie lahmlegte. Bill warf die Beretta weg. Mit einem Schrei auf den Lippen schnellte er hoch. Eine Hyäne sprang auf ihn zu. Sie hätte Bill erwischt, der Rachen war zum Biß durch die Kehle geöffnet, aber der Reporter hatte beide Hände zusammengelegt und rammte die Fäuste vor. Es war ein wahnsinnig starker Treffer. Die Kiefer klackten zusammen, das nach Moder und Verwesung riechende Tier rammte den Reporter zwar an der Schulter, es schaffte den Biß allerdings nicht mehr. Sein Maul bohrte sich in den Sand. Bill bekam die Gelegenheit, auf die Füße zu springen. Er rutschte dabei, bekam einen festeren Stand und hatte es geschafft, denn die nächste Hyäne griff ihn an. Ihr Artgenosse hatte sich in seinen Rücken geschlichen, was Bill nicht bemerken konnte.
Den Rammstoß des Aufpralls allerdings bekam er mit. Er flog der anderen Hyäne entgegen, die gebissen hätte, aber Bill drosch ihr die Handkante in den Nak-ken. So konnte er sie nicht töten. Seine Beretta funktionierte nicht mehr, ihm blieb an sich nur eine Chance, an die er auch dachte, als er sich über den Körper der toten Hyäne hinwegrollte. Er mußte die goldene Pistole einsetzen. Bill zerrte sie hervor. Beide Hyänen waren angriffsbereit, und er sah sie vor sich. Das wiederum war ein Vorteil. Bill drückte ab. Den Laut hörte er kaum. Aus der Mündung schoß ein dicker Schleimfaden hervor, ungefähr so lang wie zwei Finger. Die Ladung erwischte beide Hyänen zugleich, da sie ziemlich dicht beisammen standen. Sie schien über ihnen zu explodieren, dann breitete sie sich aus, war wie ein dünner Mantel und umfing die untoten Tiere. Auf Händen und Füßen kroch Bill keuchend durch den Sand, der aufgewirbelt worden war und als Fahne durch die Luft wehte. Fr klebte überall, auch im Gesicht und an den Händen. Torkelnd kam Bill hoch. Über sein Gesicht huschte ein hartes Grinsen, denn er hatte sich auf seine Waffe verlassen können. Dem Schleim war es gelungen, das große, tödliche Ei zu bilden, das beide Körper umgab und von innen her den Schleim absonderte, der sich an den Wänden als dicke Tropfen sammelte, bevor sie nach unten fielen und dabei ihr anvisiertes Ziel trafen. Das waren die beiden Hyänen, die jetzt vergehen mußten. So konnte Bill sich um seinen Freund John kümmern. Er hatte die Waffe sinken lassen. Sein Herz raste, er wollte sich beruhigen, doch seine Augen weiteten sich in einem wahren Erstaunen, und der Schrecken wehte über sein Gesicht. Was er da zu sehen bekam, durfte nicht sein. Das wiedersprach den Gesetzen des Schleims. Es war eine Täuschung, alles stimmte. Der Schleim schaffte es nicht, die Hyänen aufzulösen. Im Gegenteil, sie bewegten sich wie die Hamster in einem Laufrädchen und schafften es, die ovale Blase auf Bill Conolly zurollen zu lassen ... Natürlich hatte ich an den Planeten der Magier gedacht, denn nur dort konnte der Zombie-Pharao seine ursprüngliche Heimat gehabt haben. Da existierte die Quelle des Schleims, dort hatte er seinen Ursprung gehabt, von dort war er gekommen, um zu zerstören. Ich hatte es selbst bei einem Besuch auf dem Planeten erlebt, und ich besaß das Gegenmittel. Durch die dünne Haut konnte ich schauen, während mich schon der widerliche Gestank von Moder und verfaultem Fleisch umgab, den der Schleim absonderte.
Da das Zeug innen an der dünnen Haut entlangrann, verzerrte sich auch mein Blickfeld. Ich sah Nicole Asira nicht mehr so, wie ich sie gern hätte sehen wollen. Längst nicht klar, die war zu einem sich bewegenden und tanzenden Etwas geworden. Ob sie damit ihren Triumph über mich ausdrücken wollte, wußte ich nicht. Noch hatte sie nicht gewonnen. Bevor die ersten Tropfen auf mich niederfielen, ging ich einen Schritt vor und drosch zu. Das Kreuz prallte gegen die Wand, die Geschossen aller Kaliber standhielt, nicht aber meinem Talisman. Es brach durch, die Wand zerplatzte zu zahlreichen Tropfen und Schleimfäden, die in alle Richtungen als schleimiger Regen wegspritzten und auch Nicole Asira erwischten. Ich bekam genau mit, wie einige Tropfen in ihr durch die Verzerrung entstelltes Gesicht klatschten, denn sie wollte einfach nicht glauben, was sie sah. Doch ich war da, kein Traum, kein Spukbild. Das Kreuz und ich, in dem Maul, und ich packte blitzschnell mit der freien Hand zu, bevor Nicole sich noch bewegen konnte. Mein Griff war eisenhart, als ich sie herumzerrte. Auch ihr Fauchen oder wütendes Schreien störte mich nicht. Ich wollte sie haben, und ich bekam sie. Mit einem wuchtigen Stoß schleuderte ich die Frau auf die Maulöffnung zu. Mit ihren rudernden Armen versuchte sie noch sich irgendwo festzuhalten, das aber gelang ihr nicht, denn es war kein Hindernis mehr vorhanden, das sie hätte stoppen können. So also flog sie hinaus, und ich folgte ihr auf dem Fuß. Nicole Asira hatte sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Sie lag im Sand, bewegte sich. Ich sah über sie hinweg und entdeckte die beiden Hyänen in der Blase. Für einen Moment war ich völlig von der Rolle. Silberkugeln hatten sie nicht widerstehen können, dem Schleim schon. Klar, sie standen ja in einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesem widerlichen Pharao, der vom Planeten der Magier abstammte. Bill hatte mich gesehen und schrie mir zu. »John, du mußt dein Kreuz nehmen. Das ist verrückt, sie widerstehen dem Schleim.« Ich wollte ihm eine Antwort geben, aber Nicole drehte durch. Sie kam aus dem Stand hoch wie eine Katze, sprang mich an, und ihr Gesicht glänzte in einem fahlgoldenen Schein. Es sah so aus, als bestünde es einig und allein aus dem Edelmetall. Auch das Klingeln bekam ich mit. Es kam mir hektisch und aggressiv vor, und Nicole Asira sprang genau in mein Kreuz hinein. Sie klammerte sich an mir fest, ich spürte sie deutlich, aber ich wußte nicht, wie ich sie mir vom Leib schaffen sollte.
Bis mir die Ohrringe einfielen. Mit einem Ellbogencheck verschaffte ich mir Luft. Sie torkelte zur Seite. Ich hielt sie mit einer Hand fest und drückte mit der anderen die obere Seite meines Kreuzes in ihren alten goldenen Ohrring. Es war der an der linken Seite, wo ich mein Kreuz dermaßen hart hineingerammt hatte, daß es sich in dem Metall verhakte. Ich sprach die Formel, einer Blitzidee folgend. »Terra pestem teneto — Salus hic maneto!« Mein Kreuz ließ mich nicht im Stich. Ein Zeichen nur leuchtete auf. Es war das Allsehende Auge! *** Das Auge der Vorsehung, die Darstellung des Gottes Osiris, umgeben von einem Dreieck, das mit der Spitze nach oben wies und auf die Allgegenwart und Wachsamkeit des Herrn hindeutete, wie die großen Logen es später interpretiert hatten, als es Einzug genommen hatte in die Welt der christlichen Mythologie. Sein Strahlen war eine Mischung zwischen den Farben Blau und Grün. Ich merkte selbst anhand gewisser Ströme, welch eine Macht darin steckte, und ich sah, da ich haargenau das Richtige getan hatte. Nicole Asira ließ mich los, als wäre ich kochend heiß. Dabei war sie nicht aus der Gefahrenzone, ihr linker Ohrschmuck glühte, als hätte er in einer heißen Zone gelegen. Sie drehte sich auf der Stelle, dann zischte ein Funken wie ein Schweif über und erfaßte auch den zweiten Ring. Für eine halbe Sekunde glühte auch er auf. Nicole rannte schreiend davon. Sie torkelte hinein in das Maul des Pharaos. Viel hatte ich von ihr nicht erkennen können, aber der Kopf zeigte bereits eine Deformation. Es sah so aus, als würde er zusammengedrückt, um dann vollständig zu vergehen. Als sie über die Schwelle in die andere Welt schritt, drehte sie sich noch einmal um. War das noch ihr Gesicht? ' Dieses lange, flaschenförmige Etwas mit dem goldenen Schimmer auf der Haut, die allerdings in Höhe des Kinns als dicke, lange Tropfenspur bereits abfiel und wie flüssiges Metall in den Sand klatschte, wo das Zeug verdampfte. Plötzlich sackte der Riesenschädel ein. Zuerst hatte ich gedacht, er würde im Sand verschwinden. Eine kurze optische Tauschung, zudem hörte ich Bill lachen. Das hatte seinen Grund.
Die Blase zerplatzte, und gleichzeitig verschwanden auch die beiden Körper der Hyänen. Sie lösten sich auf, und der Wind sorgte dafür, daß ihre Reste weggeweht wurden. »Alles klar, John!« Bei ihm schon, doch bei mir? Ich lief unwillkürlich zurück, denn vor mir begann sich der Schädel des goldenen Pharaos, der von einem Sternenvolk stammte und auch den Planeten der Magier besucht hatte, langsam aufzulösen. Er sackte an seinem Halsstumpf zusammen und verwandelte sich dort in einen See, dessen goldene Flüssigkeit sich mit dem Wüstensand vermischte, bevor sie es schaffte, darin einzusickern. Meine Gedanken drehten sich trotz allem um Nicole Asira, die alles auf eine Karte gesetzt und verloren hatte. Sie hatte selbst ihren Vater umbringen lassen, um den Geist des Pharaos weiter transportieren zu können. Dafür mußte sie nun bezahlen. Das Gold hatte einen kleinen Teich gebildet mit einer zitternden, leicht spiegelnden Oberfläche. In diesem Ausschnitt schwammen nicht nur die verschiedenen Augen des Pharaos, sondern auch ein junges Frauengesicht, das ich einmal als so nett und hübsch empfunden hatte. Jetzt nicht mehr. Nur noch eine goldene Fratze zeichnete sich dort ab, die auseinandergezogen wurde, als ein Teil des flüssigen Goldes in den Wüstenboden sickerte. So wurde dieses Spiegelbild vor meinen Augen zerrissen, was mir einen Schauer über den Rücken fließen ließ. »Das ist also ihr Ende«, sagte Bill Conolly leise. Ich hatte nicht gemerkt, daß er plötzlich neben mir stand. »Ja, und das Ende eines goldenen Pharaos und damit auch das eines immensen Wissens.« »Gut so?« »Noch viel besser, Bill, noch viel besser.« Nach dieser Antwort gingen wir davon. Wenig später sahen wir noch zwei in Auflösung befindliche Kadaver auf dem Wüstenboden liegen. Es waren die beiden Vögel. Sie mußten wie Secine aus dem Nachthimmel gefallen sein, bevor sie es schafften, Bill Conolly anzugreifen... *** Eigentlich hatten wir damit gerechnet, in Quas-ral eine typische nächtliche Stille zu erleben. Ruhig war es schon, doch kein Mann lag in seinem Bett. Sie alle standen auf den Straßen oder nahe bei ihren Häusern.
Wir gingen durch die schweigende Menge und suchten Claude Meiser. Nahe der Moschee fanden wir ihn. Er hockte auf einem Blechfaß, schaute gegen das Mondlicht und stand auf, als er uns herankommen sah. Sein Gesicht konnte man als einziges Fragezeichen ansehen. An seiner Kleidung gab es keinen trockenen Fleck mehr, so durchgeschwitzt war sie. »Beim Henker, habe ich gelitten.« »Wieso?« fragte Bill. »Na, das ist...« Der Reporter schlug ihm auf die Schultern. »Würden wir ägyptisch sprechen, hätten wir es den Leuten schon selbst erzählt. So aber überlassen wir das Ihnen.« Meiser räusperte sich. »Ja… ja…«, er geriet ins Stottern. »Was soll ich denen überhaupt sagen?« Bill hob die Schultern. Er gab sich sehr lässig. »Sagen Sie ihnen, daß es vorbei ist. Es gibt keinen Hosian mehr, es wird auch keine Menschenopfer mehr geben.« »Äh… stimmt das?« Die Frage war an mich gerichtet gewesen. »Sicher, Meiser, das stimmt. Mein Freund hat noch nie gelogen.« »Nun ja«, berichtigte mich Bill. »Von gewissen Ausnahmen einmal abgesehen.« Als wir beide lachten, fiel auch Meisers Starre ab, und er lachte mit. Besser hätte ein Fall wie dieser nicht enden können...
ENDE