Michael Butterworth
DER WELTENFRESSER Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHENBUCH-M...
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Michael Butterworth
DER WELTENFRESSER Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHENBUCH-MONDSTATION 1999 Band 25004 Originaltitel: THE PSYCHOMORPH Ins Deutsche übertragen von Leni Sobez Copyright 1977 by ITC Incorporated Television Company Ltd and Warner Books. Inc. All rights reserved
Deutsche Lizenzausgabe 1977 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe. Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelbild: ATV Umschlaggestaltung: Roland Winkler Satz: Neo-Satz, Hürth Druck- und Verarbeitung: Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh ISBN 3-404-00800-6
Seit undenkbaren Zeiten durchraste die Raumamöbe das Universum. Sie hatte Sterne geschluckt, Welten ausradiert, ganze Zivilisationen in sich eingesogen. Doch auch die Amöbe war dem Tod geweiht. Die Energiequellen, die in ihrer Reichweite lagen, waren erschöpft. Sie war dazu verurteilt, langsam zu erkalten und schließlich zu sterben. Doch noch einmal bäumte sich ihr Lebenswille auf. Ein Mond näherte sich ihr. Mit ihren unzähligen Augen und Sensoren konnte sie eine winzige Siedlung auf der Oberfläche des Himmelskörpers ausmachen. Eine Inschrift auf einem der Gebäude verriet ihr den Namen der Station: Mondbasis Alpha 1
I
Die große Millionenmeilen-Raumamöbe erzitterte und schüttelte sich in grenzenloser Wut. Das mächtige, kosmische Protoplasma floß und pulsierte wutentbrannt innerhalb seiner alterslosen Hülle. Nie hatte es bisher dem undenkbaren Gedanken des Todes nachgehangen – daß es eines unmöglichen Tages für immer zu existieren aufhören und damit seine unermeßliche Macht zurückkehren werde zu den Raumstraßen, von denen es sich herabgestohlen hatte. Der Gedanke an den Tod hatte einen irren Haß und eine unbeschreibliche Bitterkeit zur Folge. Seit undenkbaren Zeiten hatte die Raumamöbe das Universum durchrast, Sterne geschluckt, ganze Zivilisationen in sich hineingesogen und ihre Energien direkt von den glühenden Hochöfen unzählbarer Sonnen bezogen. Befriedigt war sie im Raum herumgezogen, und alles, was sich ihr in den Weg stellte, wurde von ihr in einer millionenmeilenweiten Umarmung erdrückt. Aber die letzte Milliarde Lichtjahre zwang die Raumamöbe zur Erkenntnis, daß es auch für ihre Existenz Grenzen gab, daß es auch für ihre seelenlose, bösartige Existenz ein unwiderrufliches Ende geben mußte. Zuerst hatte sie versucht dieses Problem mit nachdenklicher Schläue zu lösen, um seine alternde Masse zu erneuern und zum Zustand habgieriger Jugendlichkeit zurückzuführen. Aber keine Kreatur, gleichgültig ob riesig oder winzig, ob intelligent oder überintelligent, kann auf die Dauer die Uhr zurückdrehen. Ihre Kraft begann zu schwinden. Der unglaubliche, hauchdünne Körper schrumpfte langsam. Sie
wurde schwächer und konnte nicht mehr so viele energiespendende Sonnen verschlingen. Und jetzt vermochte sie gar nichts aufzunehmen. Sie hatte nur noch die Fähigkeit, zu sterben. In ihren Todeszuckungen wurde sie immer bitterer. In blinder Verzweiflung klammerte sie sich ans Leben. Noch in ihrem Alterswahnsinn leugnete sie die Tatsache des Todes und suchte gierig nach neuer Energie, die sie brauchte, um sich zur früheren Herrlichkeit zu erneuern…
Etwas Kaltes, Feuchtes schwebte durch die chemischen Lager des Mondstützpunktes. Sally Martin fröstelte plötzlich. Sie ließ eine Spachtel mit einer Säurechemikalie fallen, die sie gerade abwiegen sollte. Sally war eine Technikerin der medizinischen Abteilung. Das Chromwerkzeug klapperte lärmend auf den Boden. Ein Regen weißer Kristalle ging über die Waagschale nieder, und sie runzelte ärgerlich die Brauen. In den letzten zehn Minuten war dies das zweite Mal, daß sie etwas Dummes tat, und zum zweitenmal hatte sie auch dieses unerklärliche Frösteln gefühlt. Verlegen und verwirrt erhob sie sich von ihrem Sitz vor der Elektrowaage und musterte besorgt die Regale. Sie waren vollgepackt mit Behältern mit allen erdenklichen Chemikalien und mit umfangreichen Paketen, die Laborgeräte enthielten. Alles sah absolut normal und alltäglich aus. Natürlich hätte einmal Staub gewischt werden müssen, doch in letzter Zeit konnte sie sich ausgerechnet dazu nicht mehr aufraffen. Abgesehen von den Behältern und dem Staub war in diesem kleinen Raum nichts außer ihr selbst. Es herrschte eine intensive Stille – und eine plötzliche klamme Kälte. »Merkwürdig, und ich hätte doch schwören können, daß…« begann sie, schwieg jedoch, da sie ihre eigene Stimme als
ungewöhnlich laut empfand. Sie fröstelte und schob ihren spukhaften Gedanken möglichst weit in den Hintergrund ihres Bewußtseins, ohne ihn vorher ausgesprochen zu haben. Sie hatte sagen wollen, daß dieses fremde Wesen, das sie gefühlt hatte, nur Carolyn Powell sein konnte, die neue Freundin ihres früheren Freundes. Aber die Idee war viel zu unsinnig, als daß es sich lohnte, ihr nachzuhängen. Carolyn wäre ihr offen gegenübergetreten und hätte sich nicht heimlich in den Lagerraum hinter die vollen Regale gestohlen. Sie schüttelte sich und kehrte zu ihrer Arbeit zurück. So ruhig wie es ihr möglich war, nahm sie einen Waagenpinsel und bürstete die winzigen weißen Kristalle aus der Waagschale. Während ihrer Arbeit dachte sie an Mark Sanders und die ungewisse Zukunft, der sie sich gegenübersah seit sie für Dr. Helena Russell in der Lazarettabteilung arbeitete. Sally war jung und hatte ihre Ausbildung als medizinische Technikerin gerade hinter sich. Als sie zur Mondbase gekommen war, zählte sie erst fünfzehn Jahre; sie war eines der jüngsten Mitglieder des Alpha-Teams. Sie hatte ihren Onkel Albert in den Schulferien besucht, und der arbeitete in der Wartungsabteilung. Explodierende nukleare Abfälle hatten den Mond aus seiner Umlaufbahn gerissen. Es war ja auch zu gedankenlos gewesen, diese Abfälle einfach auf der anderen Mondseite zu begraben. Jetzt war sie auf einem durchgegangenen Planetoiden gefangen und raste mit ein paar tausend Meilen Stundengeschwindigkeit durch den Raum. Sie hatte sich diesem neuen Leben nur sehr langsam angepaßt, aber als sie sich daran gewöhnt hatte, gefiel es ihr sogar. Sie hatte sich von einer Lagerhelferin emporgearbeitet zur Laborassistentin, dann zu ihrem augenblicklichen Job als Technikerin. Es ging ihr also gar nicht schlecht. Vor einiger Zeit hatte sie dann Mark kennengelernt.
Es war eine kurze, unheilvolle Affäre gewesen, wie sie immer wieder vorkommt, wenn zwei temperamentvolle Menschen einander begegnen. Ihre Arbeit hatte darunter gelitten. Nachdem Mark sie im Stich ließ, konnte sie sich kaum mehr zu irgendeiner Arbeit aufraffen. Alles, was sie zu tun hatte, war zu anstrengend. Ihr Verhältnis zu Dr. Russell und den anderen Mitarbeitern der medizinischen Station hatte sich verschlechtert. Man hatte sie schließlich gewarnt, sie solle sich zusammenreißen, sonst… Die Waagschale war wieder sauber. Mißmutig, weil sie sich noch immer nicht eingestehen wollte, was geschehen war, legte sie das Wiegematerial zurück in die Schale und machte sich wieder an die Arbeit, um die letzten Chemikalien abzuwiegen. Das war eine mühsame Arbeit. Sie sollte damit feststellen, wieviel von jeder Chemikalie in jedem einzelnen Gefäß war. Viele der gelagerten Materialien waren gefährlich, und der Verbrauch mußte genau überwacht werden. Sally mußte, um den genauen Bestand zu ermitteln, den Inhalt eines jeden Gefäßes genau abwiegen. »Drei-punkt-zwei-fünf Gramm, und Dr. Russell ist eine kaltherzige Hexe«, sagte sie zu ihren Notizen, als sie die Leuchtziffern der Skala ablas. Sofort drückte sie auf den Tonbandknopf, um die letzte Bemerkung zu löschen. Zornig überlegte sie, daß sie hier nicht ihre Gefühle zum Ausdruck bringen durfte. Sie mußte also das Band sofort wieder dorthin zurückspulen, wo sie das spukhafte, fröstelnde Gefühl überfallen hatte. Und da war es wieder; langsam sog sie den Atem ein, weil sie sich nicht zu bewegen wagte, so beängstigend scharf war dieses Gefühl. Sie konnte nur stocksteif stehenbleiben und starr vor Furcht auf das leiseste Geräusch lauschen. Nein, es war nicht nur ein deutlicher Temperaturrückgang, denn den
hätte man leicht wegerklären können mit einer Panne im Ventilationssystem. Es war ein ganz unnatürliches Frösteln vereint mit der geistigen Gewißheit, daß irgendeine böse Macht das Lager betreten hatte, um ihr Schaden zuzufügen. »Geh weg…« flehte sie schließlich. »Bitte…« Wie zur Antwort kippte etwas auf einem hohen Regalbrett. Der laute Krach ließ ihr fast das Herz stillstehen. Sie wußte mit absoluter Sicherheit, daß dieses Gefäß nicht aus Zufall umgekippt war. Sie war so erstarrt, daß sie sich nicht bewegen konnte. Der Behälter rollte das Metallregal entlang zum Rand. Im letzten Moment riß sie sich aus ihrer Lähmung und schaute nach oben. Das Gefäß war mindestens drei Kilogramm schwer. Es erschien plötzlich über ihrem Kopf und stürzte ihr lautlos entgegen. Sie schrie, sprang auf und rannte weg. Dort, wo sie noch einen Sekundenbruchteil vorher gesessen hatte, schlug das Gefäß auf, prallte vom Sitz ab und landete mit einem lauten Krach auf dem Boden, wo es in tausend Scherben zersprang. »Geh weg, geh weg!« wimmerte sie. »Laß mich doch in Ruhe!« Sie erhob sich vom Boden und taumelte zur Tür. Schluchzend vor Angst holte sie ihr Comlock aus der Tasche und zielte damit auf die Tür. Sie drückte auf den Knopf TÜRÖFFNER, aber es geschah nichts. Die Luft war inzwischen eisig geworden. Ihre Finger waren taub vor Kälte, und sie konnte kaum mehr atmen. Hilflos wandte sie sich um. Sie war überzeugt, daß hinter ihr eine Kreatur lauerte und zum Angriff auf sie ansetzte. Aber der Raum war leer, kalt und still. Nur die gesichtslosen, klinisch sachlichen Gefäße starrten sie aus ihren sauberen, ordentlichen Reihen an. Ihre Laserwaffe lag auf dem Wiegetisch, wo sie sie ungeschickterweise zurückgelassen hatte. Sie taumelte
vorwärts, um sie zu holen. Ihre ganze Kraft schien aus ihr herausgeflossen zu sein. Sie griff nach der Waffe und spürte plötzlich einen schrecklichen Schmerz, als das zweite Gefäß herabfiel. Es landete auf ihren Fingern und zerquetschte sie fast. Voll unglaublicher Angst sah sie zu, wie das gelbgetönte Glas zerbarst. Die weiße Masse winziger Kristalle ergoß sich über ihre Hand. Sie versuchte zu schreien, als sich die Kristalle in ihre verletzte Haut bohrten, denn es tat unbeschreiblich weh, so weh, wie sie bisher noch nichts geschmerzt hatte.
Commander John Koenig warf sich in seinen Privaträumen in einem unruhigen Schlaf herum. Vor drei Stunden hatte er das Kommando an den Sicherheitschef Tony Verdeschi abgegeben, um ein wenig Ruhe zu finden, die er dringend brauchte. Sein Geist war jetzt weit entfernt von den ernsten Problemen, denen sich die Mondbasis gegenübersah, doch sie ließen sich nicht wegschieben; von Stunde zu Stunde wurde es schwieriger, sie auch nur für einen Moment zu vergessen. Der Mondstützpunkt litt unter einem bedrohlichen Energiemangel. Bei der Begegnung mit der Raumwolke und der höllischen Kreatur, die sie ausgespien hatte, um den lebenspenden Kraftkern der Basis zu stehlen, waren die Energievorräte der Station fast aufgebraucht worden. Seit dieser Begegnung suchten die Alphaner verzweifelt nach Tiranium, dem seltenen Element, das die Gebäude warm genug und bewohnbar hielt, das die Luft atembar machte, das ihre Waffen verteidigungsbereit hielt. Als der Dieb aus der Raumwolke schließlich überwältigt worden war, hatte die Mondbasis nur noch Stunden der Funktionsfähigkeit vor sich. In erster Linie würde sie erfrieren oder ersticken müssen. Die Minenarbeiter der Mondbasis Alpha schufteten rund um die
Uhr, um in den untersten Stollen wenigstens eine dünne Ader zu finden. Tonnen wertlosen Gesteins hatte man pulverisiert und analysiert, ehe die Instrumente ein paar Milligramm des kostbaren Materials entdeckten. Das Element war in den vergangenen Jahren immer seltener geworden, und nur Spuren hatte man finden können. So ungeheuer wirksam war Tiranium jedoch, daß schon diese winzige Menge genügte, den Alphanern Zeit zu kaufen. Die Wissenschaftler hatten Tag und Nacht gearbeitet, um den zentralen Kraftkern wieder aufzufüllen. Nun hatte die Mondbasis wieder ein paar Tage Spielraum statt nur ein paar Stunden. Als Koenig sich auf sein Bett fallen ließ, schufteten die erschöpften Minenarbeiter noch weiter, aber die Energiesituation war zum Glück weniger kritisch als vorher. Um dieses Problem aber endgültig zu lösen, mußte man auf eine sehr ergiebige Ader stoßen oder einem Sonnensystem begegnen, dessen Planeten Tiranium enthielten. Doch die Energiesorgen waren nicht alles. Verschiedene Unfälle, Unpäßlichkeiten, Schmerzen, unangenehme und unerklärliche Reizzustände und dergleichen schienen die Alphaner zu plagen. Daß die Leute in dieser Situation gereizter wurden, war zwar verständlich, aber die genannten Vorfälle häuften sich. Koenig wand sich wie in Schmerzen auf seinem Bett. Angstvoll warf er den Kopf hin und her, sein Gesicht war schweißfeucht, blaß und schmerzverzerrt. Ihm war, als träume er, doch er wußte, daß er eher wach war. Verzweifelt wünschte er in einem Traum zu sein, so daß er diesem hilflosen, gelähmten Zustand durch das Wachwerden entkommen könnte. Er wünschte, er könne die geisterhaften, vorwurfsvollen Gesichter und Stimmen aus der Vergangenheit verjagen, die ihn peinigten.
»Du hast mich umgebracht, John Koenig. Du hast mich verlassen, und darum mußte ich sterben.« Über ihm schaute aus der Dunkelheit das Gesicht eines süßen dunkelhaarigen Mädchens auf ihn herab. Sie war fast noch ein Kind. Ihr Lächeln war unschuldig und strahlend, doch hinter der Maske ihrer Jugend lauerte eine düstere, rachsüchtige Bosheit. Sie beschuldigte und verfluchte ihn. »Nein, nein…« stöhnte Koenig entsetzt. »Nein… Ich… du hast das falsch verstanden… Ich…« In seinem Körper begann ein Zittern, das sich rasch verstärkte. In Todesangst fürchtete er, daß die Geister ihn zu sich holen wollten. Er begann zu schreien, wurde sich jedoch im gleichen Moment darüber klar, daß er aufwachte. Die hellen Umrisse seines Schlafzimmers verdeutlichten sich und verjagten die Gesichter. Helena Russell beugte sich über ihn. Sie hatte die Lichter angedreht und rüttelte ihn. »John… John… aufwachen. Ich bin’s, Helena.« Die vielen Jahre des Trainings hatten ihm scharfe Reflexe anerzogen. Er warf die letzten Fesseln des Alptraumes ab, schwang die Beine aus dem Bett und war sofort hellwach. Noch immer war sein Gesicht sehr blaß, und er fühlte sich elend. Er bemerkte, wie ungeheuer besorgt Helena dreinsah. »Was ist denn?« fragte er sie. »Ich habe versucht, dich auf den Monitor zu bekommen, aber du hast nicht geantwortet«, erklärte sie ihm fast unter Tränen, und jetzt wußte er, daß etwas Ernsthaftes passiert sein mußte. »Es ist… aber schau es dir selbst an… im Chemielager.« Grimmig nahm er seine Jacke vom Armstuhl neben dem Bett und zog sie über die Kleider, in denen er geschlafen hatte. Ohne ein Wort zu sagen rannte er mit ihr hinaus aus dem Raum, den Korridor entlang.
Die Regale, Sitzbänke und Arbeitstische im Chemielager schienen von einer Riesenhand durcheinandergeworfen. Flaschen und Pakete waren zerschmettert über den ganzen Boden verteilt. Der Inhalt dieser Gefäße war inzwischen aktiv geworden, blubberte schäumend und schickte zuckende Blitze und stechende, übelriechende Schwaden aus. Inmitten dieser erschütternden Szene lag die Leiche der Technikerin. Sally Martins Haut war kalkweiß. Ihre Kleider waren von den scharfen flüchtigen Säuren zu Fetzen zerfressen worden, Gesicht und Arme mit häßlichen Brandblasen bedeckt. Ihr Tod mußte entsetzlich gewesen sein. »Mein Gott!« rief Koenig. »Wer oder was hat ihr das angetan?« Helena stand hinter ihm. Sie war sprachlos vor Schock und Kummer. Sie hatte die Leiche vorher schon gesehen und wollte den Anblick nicht noch einmal ertragen müssen, obwohl es ihr ja doch nicht erspart bleiben würde. Sie mußte auch mit den Toten umgehen, und das war eine der ihr unangenehmsten Seiten ihres Amtes als Chefärztin. Noch schlimmer wurde dieser Fall durch die Tatsache, daß sie Sally persönlich gekannt und sich viel von ihr erhofft hatte. Sally war für sie so etwas wie eine Tochter gewesen. Sie wußte genau, daß Koenig und der Sicherheitschef Tony Verdeschi erschüttert waren, aber die Angst und Bedrohung, die beide so sehr fühlten, waren noch nicht zu ihr durchgedrungen, da sie bis jetzt mit ihrem großen Kummer fertig zu werden versuchte. »Was immer es war«, bemerkte der entsetzte Verdeschi, als er sich bückte, um den zerklüfteten Riß in der Metallwand des Lagerraumes zu untersuchen, »es war das, das auch dies hier getan hat.« Er strich mit dem Finger über die scharfen Kanten des Risses. Er war ungefähr von der Größe eines Menschen. Das Metall war aufgerissen und beiseite geschoben wie ein
Vorhang. Das, was Sally getötet hatte, war vom Korridor vor dem Lager in den Raum eingedrungen. Koenig schüttelte grimmig den Kopf, stieg über die Leiche des Mädchens und untersuchte den Wandriß. »Laserstrahl?« fragte er den Italiener. Verdeschi schüttelte den Kopf. »Nein. Ein Laser schneidet glatt, nicht so zerklüftet. Das hier ist aufgerissen.« »Hast du die Außenverteidigung überprüft?« wollte der Commander wissen. Nervös besah er sich das Durcheinander im Raum. »Ja, habe ich. Niemand brach in den Stützpunkt ein – oder verließ ihn.« Koenig sah finster drein. »Aber es muß jemand oder etwas hereingekommen sein, und es könnte noch da sein.« Er richtete sich auf und dachte eine ganze Weile über die Konsequenzen nach. Verdeschi und Helena beobachteten ihn gespannt. Der doppelte Schock – erst das überstürzte Erwachen aus dem Alptraumschlaf, und jetzt der brutale Mord an Sally – wirkte sich allmählich aus, und er vermochte nicht mehr klar zu denken. Gereizt wandte er sich an Helena. »Was hat sie also umgebracht? Du bist doch die Ärztin, du mußt doch eine Idee haben.« Helena zuckte zusammen. Sonst wäre sie von der Schärfe seines Tones überrascht und vielleicht gekränkt gewesen, aber jetzt versuchte sie selbst noch ihre Gedanken zu sammeln und sich zu konzentrieren. »Es tut mir leid, John«, antwortete sie. »Jetzt noch nicht. Ich muß erst eine volle Autopsie durchführen.« »Na, dann mach sie doch«, fuhr Koenig sie an. Irgendetwas riet ihm, sein Personal hart anzufassen. Dieser grausame Zwischenfall hatte sie alle zu sehr verstört. Er wandte sich an Verdeschi. »Ich will die vollständigen Akten über dieses
Mädchen haben. Sag mir’s, sobald sie bereit sind. Muß ich denn alles auch noch buchstabieren?« Verdeschi sah gekränkt drein. »Ich dachte nur, ich sollte dich besser wissen lassen…« »Was wissen lassen?« fiel ihm Koenig ins Wort. »Du weißt nichts. Wir sprechen darüber, sobald Tatsachen vorliegen.« »Schön – Commander.« Den Titel betonte Verdeschi zornig. Verbittert sah er Helena an, als Koenig rasch den Raum verließ; sein Kinn war aggressiv vorgeschoben, als wolle er sich stählen gegen das Entsetzen auf dem Boden. Koenigs Grobheit hatte gewirkt. »Ich möchte nur wissen, weshalb seine Nerven so ausgefranst sind«, bemerkte er säuerlich. Helena schüttelte den Kopf. Sie schien gar nicht mehr so hilflos zu sein; eher wirkte sie auf harte, praktische Art besorgt. Über Comlock bat sie um zwei Pfleger, die ihr helfen sollten, die Leiche wegzubringen. »Ich weiß nicht«, meinte sie nachdenklich, denn ihr fiel ein, wie schwierig es gewesen war, den Commander aufzuwecken.
Koenig schlenderte gelöst in die Kommandozentrale. Er hatte wirklich nicht die Absicht, hart mit den Leuten umzugehen, aber manchmal mußten sie doch ein wenig aufgerüttelt werden. Mit einem prüfenden Blick erfaßte er die Leute an den Konsolen und am Computer, die pflichtgemäß an ihren Geräten saßen. Überall herrschte eine gewisse Spannung, weil alle wußten, in welch schwieriger Lage die ganze Mondbasis war. Koenig begab sich zum Kommandantensessel vor dem großen Schirm. Da bemerkte er Mayas verwirrtes Gesicht und
änderte die Richtung. »Funktionen noch immer gestört?« fragte er. Die Psychonierin musterte die Instrumente, als habe sie die Frage überhaupt nicht gehört. Sie runzelte die Brauen, wie jemand, der wußte, daß er zwar auf jede Frage Antwort geben konnte, daß er aber nicht die nötige Zeit dazu hatte. »Kleinigkeiten, John«, antwortete sie schließlich. »Falsche Signale… ›Geister‹.« Koenig schlug gereizt mit der Faust auf ihre Konsole. »Verdammte Geister! Ich hab mehr als genug davon!« Doch dann überlegte er, daß die Computer nun schon seit Stunden verrückt spielten, und niemand sie reparieren konnte. Es war, als litten sie unter starken Energieschwankungen, obwohl die ihnen zugeführte Spannung durchaus konstant und so hoch war, wie sie gebraucht wurde. Er verstand es einfach nicht. »Erst die Leute, dann die Maschinen«, knurrte er. »Hör mal, schau, daß du ihm schnellstens diese Mucken austreibst, okay?« Sie vertiefte sich in ihre Kontrollen, und Koenig tat einen erleichterten Seufzer. »Wenigstens hat doch jemand etwas gefunden«, sagte er und spähte über ihre Schulter, um die flackernden Lichter und zitternden Nadeln zu beobachten. Sahn drückte auf einen Knopf, und der große Schirm wurde hell. Auf ihm erschien ein Meer strahlender Sterne, die viel zu dicht standen, um sie noch zu zählen. Alle Augen richteten sich für einen Moment auf das Bild des leeren Raumes. Sandra sah bestürzt drein. »Das ist doch komisch… Soviel ich sagen kann, scheinen wir in einer Art Gaszone zu sein.« Es konnte sein, daß dies stimmte, deshalb bezähmte Koenig seine Ungeduld. Daß ›etwas‹ da draußen war, hieß noch lange nicht, daß es sich auch dem menschlichen Auge zeigen müßte.
Sandra meldete Maya ihre Ablesungen, und gleich darauf konnte die Psychonierin bestätigen. Jetzt sah sie sogar optimistischer drein. »Das könnte die Erklärung dafür sein, daß ich sie vorher nicht bekam«, sagte sie laut, als ihr unvermittelt eine Erkenntnis kam. Sie schaute wieder auf den großen Schirm, dann sah sie Koenig an, der sie mit wachem Interesse beobachtete. »Wir scheinen von elektrisch geladenen Partikeln irgendeiner Art umgeben zu sein«, sagte sie, musterte ihre Konsole und stellte verschiedene Instrumente nach. Blitzschnell machte sie einige Kopfrechnungen. »Es ist die Elektrizität, die sich auf die Sensoren auswirkt. Was wir sehen, beeinträchtigt die Instrumente, mit denen wir sehen.« »Aber was sehen wir?« fragte Koenig, als er die unzähligen Sterne auf dem großen Schirm musterte. Dabei wußte er genau, daß die Antwort auf seine Frage noch unbekannt war. Er wandte sich wieder an Maya. »Gefahrenschätzung?« Die Psychonierin zuckte die Achseln. »Ich nehme an, die Störungen halten an, bis wir durch dieses… was immer das ist, durch sind. Sobald wir auf der anderen Seite wieder herauskommen, wird sich bei uns alles wieder normalisieren… Aber es läßt sich nicht einmal abschätzen, wie groß dieses Partikelfeld ist.« »Das nimmst du wohl an?« bellte Koenig, obwohl er wußte, daß er keinen Grund hatte, auf Maya zornig zu sein, aber er konnte seine hilflose Bedrückung einfach nicht abwerfen. Maya überhörte diese Grobheit. Sie deutete auf das Oszilloskop auf ihrer Konsole, so daß Koenig auf sie aufpassen mußte. Die grüne phosphoreszierende Röhre zeigte eine ganze Reihe weißer pulsierender Punkte, die einem sehr verwickelten auf und ab laufenden Muster folgten. »Die elektrische Ladung ist ziemlich gering«, erklärte ihm Maya. »Sie kann keinem Menschen schaden.«
»Weitere Vermutungen?« fragte Koenig kalt. Maya war nicht nur für ihre einzigartigen mathematischen Fähigkeiten bekannt, sondern auch für ihre Kühle und Geistesgegenwart. Es dauerte sehr lange, bis etwas sie verstörte. Aber sie war nicht daran gewöhnt, von Koenig so brüsk angesprochen zu werden. »Ich kann doch nur nach den Instrumenten gehen, John«, erwiderte sie heftig und musterte ihn dabei aufmerksam. »Ich nehme an, sie sind auf jeden Fall genauer als die Menschen.« »Ja«, schnappte Koenig, »sie sind wesentlich genauer und versagen nicht so leicht. Aber in diesem Augenblick hat das menschliche Moment kein Recht darauf, sich selbst zu beweisen.« Wie aus weiter Ferne hörte er sich selbst zu, als er ihnen dann die Nachricht von Sally Martins Tod beibrachte. Er beobachtete die erschütterten Gesichter hinter den Konsolen.
II
Intelligenzmäßig war Harry Garth ein ganz durchschnittlicher Mann, aber körperlich war er ein Riese. Er hatte ein großflächiges rötliches Gesicht und einen braunen, struppigen Bart, der nach allen Seiten von seinem Gesicht wegstand. Er hielt sich überaus reinlich, trotzdem gelang es ihm, ständig ungekämmt auszusehen, vielleicht weil er es so wollte. Ging etwas nicht ganz nach Wunsch, fuhr er auf; deshalb wichen ihm viele Alphaner auch so gut wie möglich aus. Fatalistische Leute zog er jedoch seiner verschwörerischen Art wegen an. Für diese wenigen Leute hatte Harry Garth niemals unrecht. Sie waren völlig unter dem Bann dieser starken, grobgeschnitzten Persönlichkeit und ihrem befreienden, schlauen und rauhen Charme. Aber das war noch nicht alles. Er verstand es, sie zu beherrschen, und deshalb war er immer von einer Anzahl seiner Anhänger und Gefolgsleute umgeben. Trotz seiner großen psychischen Kraft hatte Harry Garth aber auch eine Reihe von Schwächen, die seit undenklichen Zeiten schon stärkere Charaktere ins Verderben geführt hatten. Er liebte die Frauen. Er trank gern. Und er liebte das Würfelspiel. In seiner Freizeit befand er sich mit einer Anzahl anderer Alphaner in der großen Erholungshalle. Sie waren eben von ihren Minenschichten gekommen und hatten eine weitere Schicht vor sich, ehe sich ihre überarbeiteten Körper zu ein paar mageren Schlafstunden ausstrecken konnten. Harry Garth und Carl Renton, ein magerer bebrillter Junge, der vor Nervosität kaum den Mund aufmachte, spielten Harrys Lieblingsspiel. Auf dem Tisch vor ihnen lag ein Haufen sortierter Briefmarken und Zündholzschachteln – Teile einer
Sammlung, die beide Männer noch in ihren Erdentagen zusammengetragen hatten. Um den niederen Tisch hatte sich eine Gruppe von Frauen und Männern angesammelt, die das Spiel beobachteten. Harry Garth sah sehr schlechtgelaunt drein. Carl Renton schien auch unglücklicher zu sein als sonst. Er hatte vor sich einen großen Haufen von Garths seltenen Zündholzschachteln und seine eigene Briefmarkenkollektion liegen. Er zitterte buchstäblich vor Unbehagen, als Garth die Würfel schüttelte, denn er hatte Angst, zu gewinnen. Sein überfeinertes Nervensystem warnte ihn vor Garths bevorstehender Explosion. »Dich schlag ich noch«, knurrte Garth und warf wütend die Würfel über den Tisch. Alle Hälse streckten sich, um zu sehen, was er geworfen hatte. Eine Sechs und eine Fünf. Renton schluckte. Er wußte, daß er mehr würfeln würde. Aus irgendeinem sonderbaren Grund schien er niemals weniger als zwei Sechsen werfen zu können, obwohl er noch nie vorher ein Spiel gewonnen hatte und sonst immer sehr zum Mitspielen gedrängt werden mußte. Ganz tief innen fühlte er eine große Zufriedenheit über seinen Erfolg, doch an der Oberfläche erhöhte dieses Gefühl sein Elend noch. Er bemühte sich auch verzweifelt, es nicht zu zeigen. Ahnte Garth dieses Gefühl auch nur andeutungsweise, konnte er sich auf etwas gefaßt machen. Renton pickte mit zitternden Fingern die Würfel auf und ließ sie in den Becher fallen. Garth funkelte ihn herausfordernd an, und die Zuschauer setzten ahnungsvolle Mienen auf. Sein Zittern schüttelte die Würfel ganz automatisch, und zögernd warf Renton. Er warf die Würfel von sich weg, als seien sie ein unappetitlicher Auswurf und wandte auch gleich die Augen ab.
Garths Lippen entwich ein Grollen, und die Zuschauer holten laut Atem. Renton wußte, daß das Schlimmste sich zugetragen hatte. »Das hast du jetzt schon wieder gemacht«, knurrte Garth wütend. Er stemmte seinen riesigen Körper aus dem Sitz und kippte den Tisch mit allem, was darauf lag, um. Renton sprang auf. Er war nur noch ein stotterndes, zitterndes Wrack, das sich ängstlich zurückzog, als Garth auf ihn eindrang. »Ich… h-hatte nur G-Glück, Harry. H-hören wir 1lieber auf.« Garth hob seine waffenscheinpflichtige Pranke und zerquetschte damit fast Rentons Schulter. »Niedersetzen!« röhrte er. Renton setzte sich. Unmittelbar vor ihm war das rote Gesicht des Riesen, denn Garth hatte sich gebückt und starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. »Das waren siebzehn Spiele, Carl«, sagte er drohend. »Das war doch nur eine… eine Glückssträhne«, keuchte Renton. »Ich k-kann das doch selbst nicht verstehen.« Die Unterwürfigkeit des Unglücklichen besänftigte Garth ein wenig, und er schien etwas vernünftiger zu werden. Er ließ Rentons Schulter los, schaute ihn jedoch noch immer fest an. »Das ist doch ein Glücksspiel, nicht wahr?« knurrte er. Renton nickte beflissen und hoffte, der Riese möge ihn in Ruhe lassen, wenn er recht bekäme. »So, daß ich mal gewinne und mal du?« fragte Garth lauernd. »Aber meistens gewinne nämlich ich, weil ich Glück im Spiel hab. Wie kommt es, Carl, daß ich überhaupt nicht mehr gewinne?« Renton zuckte verzweifelt die Achseln. »Ich… Ich möchte jetzt lieber gleich aufhören«, flehte er kleinlaut. »Du kannst alle Gewinne haben. Ich… ich muß jetzt dann sowieso gleich wieder zur Schicht antreten.«
Der ungekämmte Riese schüttelte den Kopf. »Oh, nein!« röhrte er. »Ich will das jetzt genau wissen, wie das mit der Glückssträhne ist. Ich will sehen, wie lange sie noch anhält.« »Harry, bitte…« bettelte Renton, und eine Träne rollte ihm über die Wange. Aber entweder bemerkte Garth sie in seinem Zorn nicht, oder er wollte sie nicht bemerken. »Würfel noch mal!« befahl er drohend und griff mit langen Armen, um Würfel und Becher vom Boden aufzuheben. Er drückte sie in Rentons Hände. Dann stellte er den Tisch auf, packte den Burschen am Kragen und setzte ihn auf seinen Stuhl. Renton schien ganz krank zu sein. Garth blieb hinter ihm stehen und sah ihm über die Schulter. Mißtrauisch beobachtete er Rentons Hände, jede Bewegung, jeden Wurf. Renton schluckte heftig. Er warf die Würfel. Da blubberte jener Teil Rentons, der sich sein Leben lang danach gesehnt hatte, über andere zu triumphieren, der aber immer, solange er denken konnte, in ihm eingesperrt geblieben war, völlig über, und dieses Gefühl warf für ihn die Würfel. Er konnte nicht verhindern, daß dieses Gefühl auch von seinem Gesicht abzulesen war, daß sich seine Züge zu einem glücklichen Grinsen verzogen. Diesen Moment des Grinsens spürte Garth, und sofort sah er auch, wie die Würfel gefallen waren. Zweimal die Sechs. Jetzt explodierte er. »Das reicht mir nun, du Gartenzwerg!« schrie er. Er griff nach unten und zog Renton in die Höhe, schüttelte ihn heftig und so lange, bis die anderen heftig murrten. »Das reicht jetzt!« brüllte er noch einmal. Renton zitterte. Er schleppte den armen Burschen zur Wand und warf ihn immer wieder dagegen.
Da kam ein sehr grimmiger Verdeschi in die Halle gelaufen. Der Lärm, der entstand, als der Riese den anderen immer wieder an die Wand schmetterte, hatte ihn alarmiert. Sofort erfaßte er die Lage – der verwüstete Spieltisch und die schimpfenden, wenn auch ängstlichen Minenarbeiter – und marschierte zornig heran. Energisch griff er nach Garths Schulter. »Aufhören!« schrie er ihn an. »Verschwinde, Verdeschi!« brüllte Garth, als er wieder erbarmungslos nach dem armen Renton griff. Verdeschi ging auch manchmal das Temperament durch, und so verstärkte er seinen Druck auf die Schulter des Riesen, bis dieser den Griff wie eine Zange spürte.
Garth wirbelte tobend vor Wut herum und warf sich auf den Italiener. Er holte zu einem Faustschlag aus, der Verdeschi, für einige Stunden schlafen gelegt hätte. Aber Verdeschi war flink, wich seitlich aus und brachte zwei kurze, lähmende Schläge gegen Garths angespannte Oberarmmuskeln an. Der schrie nun wie ein Kind und umfaßte seine beiden Arme. Der Schmerz brachte ihn wieder zur Vernunft, und respektvoll trat er ein paar Schritte zurück. »Was soll dieser Lärm überhaupt?« fuhr ihn Verdeschi an. »Achtzehn Spiele in einer Reihe hab ich verloren!« heulte Garth und rieb sich die mißhandelten Muskeln. »Das ist es!« Langsam kam Renton wieder auf die Beine. Er war leichenblaß, und sah hundeelend aus. Verdeschis Anwesenheit beruhigte ihn aber wieder. »War doch nicht meine Schuld«, keuchte er. »Ich hab nicht betrogen, wenn er’s auch meint.« Er schüttelte den Kopf und begann zu weinen. »Ich… Ich hab einfach nicht mehr verlieren können. Irgendwas ist da ganz und gar schiefgelaufen…« Er legte die Hände um seinen
schmerzenden Kopf, als sei dort drinnen ein Dämon, den es zu vertreiben galt. Verdeschi schüttelte fassungslos über soviel Dummheit den Kopf. Er hatte aber Mitleid mit Renton und führte den unglücklichen Burschen zur Couch. »Du läßt jetzt besser die Finger vom Glücksspiel«, riet er ihm. »Du scheinst zuviel Glück zu haben, und das bekommt dir schlecht.« Dann wandte er sich an Garth, den er viel strenger anfaßte. »Und du verschwindest jetzt, Garth, verstanden? Wenn du nicht auch mal mit Anstand verlieren kannst, brauchst du nicht zu spielen.« Garth brummte, warf den beiden noch einen zornsprühenden Blick zu und stampfte hinaus. Verdeschi schaute ihm nach und kratzte sich den Kopf. Die ganze Mondbasis schien allmählich verrückt zu spielen. Erst das mit Sally Martin, jetzt dieser Streit, und das waren nur zwei gravierende Vorfälle unter einer Unzahl kleinerer Dinge. Er wandte sich den Alphanern zu, die sich in ihrer Freizeit ja ein wenig entspannen und nicht aufregen sollten. Carolyn Powell, eine dunkle, leidenschaftliche Frau, war auch unter ihnen. Sie war nicht von der konventionellen Schönheit wie die tote Sally Martin, aber auf ihre Art war sie überaus anziehend. Neben ihr stand Mark Sanders, ein großer, gut aussehender Mann, eitel und im Grund von weichem Charakter, wenn er auch sehr männlich aussah. Er und Carolyn saßen als einzige im Raum; Sanders hatte den Arm so um das Mädchen gelegt, daß sie Zärtlichkeiten ausgetauscht haben mußten, aber durch den Streit darin gestört wurden. Beide sahen jetzt Verdeschi an. Der Sicherheitschef ging zu ihnen hinüber und lächelte grimmig. »Tut mir leid, daß ich unterbrechen muß!« sagte er. »Hi, Tony«, begrüßte ihn Sanders fröhlich. »Gut, daß du grade gekommen bist. Was können wir für dich tun?«
Verdeschi sah jetzt ziemlich ärgerlich drein. »Es tut mir leid, daß ich es euch so beibringen muß… Sally Martin ist tot.« Sanders war offensichtlich wie erschlagen. Er ließ Carolyn los und stand langsam auf. »Sally… tot?« fragte er bestürzt. Die anderen Alphaner hatten die Nachricht auch gehört. Es herrschte beklommenes Schweigen. Carolyn schlug theatralisch die Hände vor das Gesicht. »Oh, nein!« jammerte sie, doch das klang nicht sehr überzeugend; als sie den Blick von Verdeschi hob, begegnete sie dessen vorwurfsvollen Augen. »Wir hörten, daß es einen Unfall gegeben habe«, sagte sie. »Aber niemand konnte uns eigentlich sagen, was geschehen ist.« »Die ganze Geschichte kennt ja auch noch niemand.« Verdeschi wandte sich wieder an Sanders, der richtig bekümmert dreinsah. »Der Commander möchte euch beiden ein paar Fragen stellen. Vielleicht könnt ihr uns mit ein paar Antworten weiterhelfen.« Sanders nickte. »Klar… Alles…« »Wie starb sie, Mr. Verdeschi?« fragte Carolyn. »Na, dann kommen Sie mit. Sie werden es selbst sehen.« Er bedeutete den beiden, sie sollten ihm folgen. Er führte sie in den Korridor hinaus, die anderen blieben bestürzt zurück. Er brachte sie ins Lazarett, wo Helena gerade die Autopsie an der toten Technikerin vornahm. Koenig war bei ihr und wartete ungeduldig auf Verdeschis Ankunft. »Keine Schnitte, keine Quetschungen, keine Blasterverbrennungen, überhaupt kein Zeichen dafür, daß eine Waffe benutzt worden wäre«, berichtete ihm Helena gerade, als Verdeschi ankam. Sanders und die Frau hatte er auf dem Korridor gelassen. Er sah zu, wie die Ärztin die Handschuhe auszog. »Aber ihr Körper war völlig zerbrochen…«
»Ursache?« wollte Koenig wissen. Er sprach noch immer so brüsk wie vorher. »Irgendeine Kraft, soweit ich es feststellen kann.« Verdeschi konnte Maya nicht sehen, doch er hörte sie sagen: »Eine menschliche Kraft, Helena?« Helena zögerte. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Italiener. »Ich habe Mark Sanders und Carolyn Powell draußen«, erwähnte er. Koenig nickte. »Einzeln hereinbringen, Sanders zuerst«, befahl er. Verdeschi verschwand und kam einen Moment später mit Sanders herein. Helena entschuldigte sich. »John, wenn du mich jetzt nicht brauchst, möchte ich diese Ergebnisse im Labor nachprüfen«, sagte sie. Koenig nickte, und sie ging. Er schaute Sanders prüfend an. »Setzen Sie sich, Mark«, befahl er. Sanders war sehr nervös und hielt die Hände im Rücken verschränkt. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir, würde ich lieber stehen. Ich bin über diese Nachricht sehr erschüttert.« »Das sind wir alle«, erklärte ihm Koenig kurz und musterte Sanders. »Wenn es möglich ist, daß ich helfe…« begann Sanders. »Sie und Sally sind doch ziemlich eng befreundet gewesen«, unterbrach ihn Koenig kurz. Sanders nickte. »Es war die Rede davon, daß Sie heiraten wollten.« Wieder nickte Sanders. »Und dann… kürzlich gab es Gerüchte, ihr hättet euch getrennt.« »Wir wollen wissen, weshalb«, warf Verdeschi ein. Sanders schaute den Italiener an. »Das ist eine persönliche Angelegenheit. Meinst du nicht auch?« fuhr er auf.
»Ich meine nicht, ich frage«, antwortete Verdeschi. Er war jetzt zum Vernehmungsbeamten geworden und entschlossen, Sanders zu überrumpeln – falls er etwas zu verstecken hatte. Koenig winkte Verdeschi beruhigend zu und wandte sich wieder an Sanders. »Wo waren Sie, als sich Sally im Chemielager befand?« fragte er so kalt er konnte: »Ich war bei Carolyn in ihrer Wohnung.« Und für Verdeschi fügte er so kalt er konnte hinzu: »Ich war bei Carolyn, weil… Sally und ich… Meinungsverschiedenheiten hatten.« Verdeschis Gesicht verhärtete sich. »Und du und Carolyn, ihr beide habt dort weitergemacht, wo du mit Sally aufgehört hast.« »Das ist meine persönliche Angelegenheit!« entgegnete Sanders, errötete aber. »Und die Sicherheit auf Alpha ist meine persönliche Angelegenheit«, fuhr ihn der Italiener an. »Es heißt, daß Sally eine Menge wenig damenhafter Dinge über dich gesagt hat, als du sie aufgabst.« »Willst du mir vielleicht unterstellen, ich hätte Sally umgebracht, um sie zum Schweigen zu bringen?« Sanders war jetzt sehr aufgebracht. Verdeschi nickte. »Das hast du gesagt, nicht ich.« Sanders war sprachlos. Ehe er reagieren konnte, griff Koenig ein. »Schön. Sie können jetzt gehen. Warten Sie draußen.« Und zu Tony gewandt: »Bring jetzt Carolyn herein.« Sanders schüttelte Verdeschis Hand ab und stampfte hinaus. Einen Augenblick später kam Carolyn Powell herein. Sie tat sehr reserviert und hochmütig und sprach, ehe Koenig noch eine Frage an sie zu richten vermochte. »Commander, das will ich Ihnen gleich sagen, ehe Sie mich beschuldigen, ich hätte Sally umgebracht«, begann sie. »Zugegeben, ich war immer eifersüchtig auf Sally, aber ich
habe nichts getan, um Mark von ihr wegzuziehen. Als sie und Mark dann brachen und er mich auch mal anschaute, wurde Sally wütend und zog aus unserer gemeinsamen Wohnung aus.« »Sie dachte, es war Ihr Fehler«, warf Verdeschi ein. »Dieser Bruch…« »Ich wollte es ihr ja erklären, daß ich die Finger von ihm gelassen hatte«, erwiderte Carolyn. »Sie wollte mich aber nicht anhören. Wir hatten darüber einen furchtbaren Streit.« »Ja, wir haben gehört, Sie hätten Sally gehaßt«, erklärte ihr Koenig bestimmt. Ihm gefiel die harte Gleichgültigkeit dieser Frau gegenüber Sallys Schicksal nicht, zumal doch ihr Freund sehr bedrückt war. Die Frau überlegte. »Nein, ich habe sie nicht gehaßt, aber es gab natürlich Zeiten, da ich ihr die Pest an den Hals wünschte. Dann wäre Mark frei gewesen.« Ein sehr starkes Gefühl schien sie zu beherrschen, und für einen Moment sah sie sogar ziemlich bedrückt drein, aber nicht wegen Sallys Tod. Es war nicht zu erraten, was der Grund sein könnte. Sie schüttelte jedoch das Gefühl ab und wandte sich an Koenig. »Ich habe sie nicht umgebracht, Commander, und ich weiß auch nicht, wer es war.« Verdeschi versuchte aus einer anderen Richtung her anzugreifen. »Arbeiten Sie nicht an irgendeiner Sache im Labor?« fragte er. »Ja, das stimmt.« Verdeschi mußte es Koenig erklären. »Wir alle wissen, daß Carolyn eine brillante Forschungsingenieurin ist.« »Was hat das mit Sally Martins Tod zu tun?« wollte Koenig wissen. »Das Gerät, an dem Carolyn arbeitet, erzeugt hohen Druck«, erwiderte Verdeschi. »Ich habe das bei der wissenschaftlichen
Leitung nachgeprüft… Sie haben aber darüber noch keinen Bericht eingereicht, Carolyn, oder?« Carolyn sah ihn fest an. »Ich habe einen offenen Forschungsauftrag. Sie wissen, daß ich nicht vor den Wissenschaftlern zu erscheinen brauche, ehe ich etwas fertig habe.« Koenig wußte, daß sie damit recht hatte, doch er war sehr interessiert. »Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich, Carolyn?« fragte er. Die Frau zuckte die Achseln. »Offen gestanden, ich weiß es selbst noch nicht. Ich führe im Moment erst Experimente durch.« Sie wußte, daß sie mit ihrer Antwort neue Zweifel geschaffen hatte. Es war ungewöhnlich und in ihrem Beruf nicht üblich, daß Experimente um ihrer selbst willen durchgeführt wurden. Nur Amateure ohne Spezialwissen taten so etwas. Aber sie versuchte diese Zweifel zu zerstreuen. »Nun, Commander, da nun doch sehr viel Porzellan zerschlagen ist, kann ich ja wohl gehen?« Koenig nickte nachdenklich. Sie wirbelte herum, warf Verdeschi einen bitterbösen Blick zu und rauschte ab. Koenig wandte sich an die Psychonierin. »Was meinst du dazu?« wollte er wissen. Nach der viel zu kurzen Ruhe spürte er seine Müdigkeit wieder viel stärker als vorher. »Ich glaube nicht, daß sie mit Mark Sanders viel Glück erlebt«, erwiderte Maya. »Hast du irgendwelche bestimmte Gründe dafür?« »Ein Gefühl. Frauen haben da manchmal recht merkwürdige Gefühle, gerade in dieser Beziehung.« Verdeschi unterbrach sie sardonisch lachend. »Du willst sagen, Frauen von Psychon haben solch seltsame Gefühle.« Maya wandte sich ihm stolz zu wie eine siegreiche Katze. »Und was fühlt der große, mitfühlende Mann von der Erde?« schnurrte sie.
Verdeschi schnitt ihr eine Grimmasse. »Die Jungen von der Technik meinen, Carolyn arbeite an einer Art Kraftmaschine, die irgendetwas erzeugt, das zwischen sonischen Wellen und Apfelkuchen liegt.« »Tony, du läßt deine Vernunft von einer Verdachtswolke überschatten«, mahnte ihn Koenig. »Vielleicht, John, hängt das damit zusammen, daß ich Sicherheitschef bin«, erwiderte Verdeschi auf Koenigs Stichelei. Koenig wandte sich achselzuckend zum Gehen, griff aber noch in seine Tasche und zog einen zusammengefalteten Bericht heraus, den er Verdeschi reichte. »Wenn du schon dabei bist, kannst du ja das hier überprüfen«, schlug er ernst vor. »Ein Bericht von Alan Carter. Mehr als drei Viertel der Eagles sind nicht einsatzfähig.« Verdeschi öffnete den Bericht und las ihn eilig durch. Er hob fragend die Brauen und sah den Commander an. »Sabotage?« fragte er. Koenig hob ebenfalls die Brauen. »Um Tony Verdeschi zu zitieren: ›Verdacht geht Hand in Hand damit, daß man Sicherheitschef ist…‹«
Eine sich ständig steigernde Spannung lag über der ganzen Raumstation. Nicht einer der Bewohner zeigte wirkliche Panik; oder, um genau zu sein: es waren sehr wenige. Verdeschi erinnerte sich an den Minenriesen. Aber er mußte zugeben, daß sie sich wirklich ständig am Rand der Katastrophe bewegten und nur unter Aufbietung aller Kräfte überleben konnten. Man hatte wieder Spuren von Tiranium entdeckt, aber es war nur so viel, daß das Leben um Stunden verlängert wurde. Man mußte jedoch froh sein, wenn man immer so viel entdeckte, daß man von einem Tag zum anderen existieren konnte, denn dann
bestand die Aussicht, doch diese schwere Zeit durchzustehen. Bei diesen Aussichten konnten sie genausogut um die Überlebenschancen spielen, sagte sich der Italiener zornig, als er sich auf den Weg zu Pete Garforth in die Werkstatthalle machte. Garforth war der Chefingenieur, ein Mann mit Brille und vielen Sommersprossen, der ganz in seiner Arbeit aufging. Er hatte einen wilden Schopf roter Haare. Vielleicht konnte er erklären, weshalb diese Eagle-Schiffe nicht einsatzfähig waren. Die Werkstätte war ein riesiges Gewölbe, das mit den ausgebauten Maschinen der Raumschiffe Alphas und mit anderen Maschinen angefüllt war. All diese Schiffe mußten ständig überholt und gepflegt werden. Garforth testete gerade einen kleinen Motor am Prüfstand. Er war mit einem schweren Kabel an die Kraftkonsole angeschlossen, und der Ingenieur startete gerade den Motor, als er Verdeschi kommen sah. Er wußte, weshalb der Sicherheitschef kam. Verdeschi ging ihm mit grimmiger Miene entgegen. »Pete, ich gebe dir keine Schuld«, sagte er, »aber in diesem Geschäft suchen wir nach einem gemeinsamen Nenner – und der bist du.« Garforth sah ziemlich wütend drein. »Ich arbeite mein Leben lang mit den Eagles. Eher würde ich meiner Großmutter den Hals abschneiden.« Verdeschi klopfte mit dem Bericht auf die andere Handfläche. »Das ist ein Bericht. Immer, wenn eine Maschine durch deine Hände geht, stimmt etwas nicht.« Der rothaarige Ingenieur zuckte hilflos die Achseln. »Ich würde doch selbst Kopf und Kragen riskieren. Ich bin Ingenieur und Testpilot. Wer, meinst du, nimmt die Babys nach oben, wenn sie repariert sind?« »Bist du nicht nach einem Absturz zum Bodendienst gekommen?« fragte Verdeschi streng und haßte sich selbst
dafür, daß er eine alte Wunde wieder aufreißen mußte, die gerade heilen wollte. Der andere zuckte zusammen. »Ah, das war doch nichts. Dr. Russell hat festgestellt, daß ich wieder voll flugtauglich bin.« Die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit des Mannes beeindruckten Verdeschi. Trotzdem mußte er seine Pflicht tun. »Wer oder was ist es dann, wenn du’s nicht bist?« bohrte er nach. »Ich schwöre dir, daß ich das nicht weiß«, erwiderte der Mann. »Schau dir das an.« Er deutete auf die Maschine am Prüf stand. »Starbord-Zusatzmotor in hundertprozentig perfektem Zustand.« Seine Stimme klang ziemlich aufgeregt. »Auf diesem Prüf stand läuft er wie ein Traum. In der Eagle ist er tot. Ich nehme ihn aus der Eagle heraus und lasse ihn am Prüfstand laufen – nichts fehlt, gar nichts.« Er hob hilflos die Hände und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Kannst du mir sagen was da los ist?« Der Mann muß die Wahrheit sagen, überlegte Verdeschi enttäuscht. Es stimmte ja wohl auch: er hatte nichts zu gewinnen und einiges zu verlieren, wenn er die Schiffe sabotierte. Aus dem Monitor an der Konsole piepte es. Garforth drückte auf einen Knopf, und auf dem Schirm erschien das besorgte Gesicht des Wartungsingenieurs. »Chefingenieur Garforth bitte sofort zur Wartungsabteilung. Sehr dringend!« sagte der Mann. »Tony, die spielen auch meine Musik«, sagte Garforth. »Ich muß gehen.« »Okay«, meinte Verdeschi. »In ein paar Minuten muß ich sowieso beim Commander sein. Macht es dir was aus, wenn ich mich schnell mal ein bißchen hier umschaue?« »Natürlich nicht«, erwiderte der Chefingenieur ein wenig zögernd. »Aber du rührst mir doch nichts an?« Er deutete auf
den Motor. »Ich habe da nämlich den Sicherheitsregulator ausgebaut.« Verdeschi lächelte trocken. »Keine Angst. Ich weiß genug davon, daß ich nicht mit einer potentiellen Tiraniumbombe herumspiele.« Der Ingenieur eilte weg. Ja, da stand eine potentielle Bombe, und Verdeschi wußte es recht gut. Respektvoll musterte er den Motor und machte sich zu seinem Inspektionsrundgang auf. Die Maschinen, die da um ihn herum auf dem Boden standen oder von Kranen und Laufkatzen hingen, waren ihm Bücher mit sieben Siegeln. Er wußte auch nicht, wonach er Ausschau hielt, und nach einer Weile schüttelte er den Kopf. Ohne Garforth kam er nicht weiter. Pech gehabt, sagte er zu sich selbst und runzelte die Brauen. Er wollte gerade wieder gehen, als er hörte, wie die zum Korridor führenden Türen sich schlossen. Normal waren sie sowieso aus Sicherheitsgründen fast immer zu, wie alle übrigen Türen auf Alpha. Er dachte sich auch gar nichts dabei, bis er mit seinem Comlock die Tür zu öffnen versuchte. Sie rührte sich nicht. Ungeduldig prüfte er sein Comlock nach. Und dann begann auf einmal hinter ihm der Motor auf dem Prüf stand zu laufen. Vor Scheck ließ er fast sein Comlock fallen. Er steckte es ein und lief zum Schaltkasten, fand den richtigen Hebel und versuchte ihn zu bewegen. Zu seiner Verblüffung ging das nicht. Er schien sich irgendwie verklemmt zu haben. Er rannte zur Tür zurück, doch sie ließ sich noch immer nicht öffnen. Der Motor lief immer schneller und immer lauter, bis er so dröhnte, daß es ihm die Ohren zu sprengen drohte. Er ließ sein Comlock fallen, preßte die Hände auf die Ohren und hielt verzweifelt nach einem Werkzeug Ausschau, mit dem er die Tür aufsprengen konnte.
Neben der Energiekonsole lag ein großes Stemmeisen; er lief hin und hob es auf. Dabei bemerkte er, daß die Warnnadeln an der Konsole immer wieder in die rote Gefahrenzone ausschlugen. Der Motor mußte schon längst überhitzt sein, und dann würde der winzige radioaktive Tiraniumkern drinnen schmelzen. Von da an dauerte es nur noch Augenblicke, bis die halbe Mondbasis explodierte. Er warf das Stemmeisen weg und lief zu dem schweren Kabel, das die Konsole mit dem Motor verband. Dieses Kabel versuchte er mit bloßen Händen herauszureißen. Aber der Stecker schien sich ebenfalls verklemmt zu haben. Es war so, als halte eine unsichtbare Kraft das Kabel fest, genau wie die Kontrollschalter an der Konsole und die Türen der Werkstatt.
Die unzähligen Sterne und die tiefschwarze Unendlichkeit des Raumes, in der sie wie winzige Leuchtfeuer standen, war noch immer auf dem großen Schirm zu sehen. Das Bild war ein Rätsel. Eigentlich hätten sie jetzt irgendein Energiefeld sehen müssen, denn die Instrumente zeigten an, daß sie von einem solchen Feld umgeben waren. Koenig und Maya studierten die Sterne äußerst genau, ob sich irgendwo eine Blockierung anzeigte, ob das Licht der näheren Sterne verlangsamt oder ob irgendwie gebrochen wurde – sie suchten vergeblich. »Jedenfalls wird das, was es ist, stärker oder dichter, wenn es das richtige Wort ist, je tiefer wir hineinkommen«, stellte Maya an ihrer Konsole fest. »Der elektrische Puls ist jetzt viel stärker.« »Computerablesungen?« fragte Koenig. Es mußte doch irgendwo ein Ende oder eine Lösung der Probleme geben, denen sie sich gegenübersahen.
»Ich habe die Gedächtnisbanken überprüft«, berichtete Maya. »Etwas dergleichen ist noch nie aufgezeichnet worden.« Ein Gedanke schoß Koenig durch den Kopf. »Glaubst du, es könnte vielleicht lebendig sein?« fragte er. »Wer weiß? Es wirkt sich jedenfalls so auf die Sensoren aus, daß eindeutige Ablesungen gar nicht möglich sind.« »Wenn es unsere Instrumente so beeinträchtigt, kann es sich auch auf die Eagles auswirken.« Er drückte einen Knopf an der Kommandokonsole. Der Monitor vor ihm, der nun hätte hell werden müssen, blieb tot. »Das ist aber wirklich komisch… Ich kann die Ingenieursabteilung nicht bekommen.« Er drückte auf einen anderen Knopf. Die Wartung erschien auf dem Schirm. Es war sogar das Gesicht von Peter Garforth, des Mannes, den er vorher hatte erreichen wollen. »Ingenieurabteilung«, meldete sich Garforth. »Ist Verdeschi dort?« erkundigte sich Koenig verwirrt. »Ich ließ ihn in meiner Werkstatt… Er wollte gleich zu Ihnen kommen.« Auch Garforth runzelte die Brauen. »Ist er denn noch nicht da?« »Nein.« Nun wurde Koenig ernstlich besorgt. »Danke, Pete.« Er wandte sich an Maya. »Wenn dieses Zeug, das da draußen ist, unsere Sensoren so beeinträchtigt und sich auch auf die Kontrolle der Eagles auswirkt, dann könnte es auch etwas zu tun haben mit dem, was Sally passierte… Verdeschi.« Ihm kam eine Blitzerkenntnis. Eilig verließ er die Zentrale und rief Maya zu, sie solle mitkommen. Gemeinsam rannten sie zur Ingenieurabteilung, die ein paar Minuten entfernt war. Als sie die Werkstatt erreichten, fiel die Temperatur unvermittelt merklich ab. »Was ist… Das ist ja eisig kalt!« Koenig zitterte vor Kälte, so daß ihm die Zähne klapperten. Er riß sein Comlock heraus und richtete es auf die Tür, aber nichts geschah.
Die Ahnung, daß Verdeschi dort drinnen in der Falle saß, wurde zur Gewißheit, und er drückte sein Gesicht an das dicke Fenster und spähte hinein. Er sag, wie der Italiener verzweifelt versuchte, den Kabelstecker aus der Energiekonsole zu ziehen. Koenig brauchte nur ein paar Sekunden, um zu sehen, was dort drinnen los war, und nun war er mehr denn je entschlossen, in diese Halle zu gelangen. Aber die Türen waren eine besonders kräftige Ausführung, die auch einer gelegentlichen Explosion standhalten mußte. Die Ironie daran war dies: Wenn ein Motor drinnen in der Werkhalle explodierte, dann war es völlig egal, ob die Tür zehn Meter oder zehn Zentimeter dick war.
III
»Nein, John!« Maya warnte Koenig, als er mit seinem Laser auf die Tür zielte. Sie zog ihn am Arm weg. »Die Hitze des Lasers könnte die Innentemperatur so in die Höhe treiben, daß die ganze Halle explodiert.« Im Korridor war die Luft ungewöhnlich kalt geworden, doch daraus ließen sich keine Schlüsse ziehen über die Temperaturen in der Werkshalle. Der schmelzende Motor gab auf jeden Fall sehr viel Hitze ab. Durch das Fenster konnten sie beobachten, wie die ausbrennende Kraftkonsole den ganzen Raum mit Rauch füllte. Verdeschi taumelte hustend und keuchend innen herum. Er bemerkte die Gesichter und torkelte darauf zu, aber er mußte die Hände auf die Ohren drücken, um sich vor dem entsetzlichen Lärm zu schützen. Sogar Koenig und Maya hörten nun das schrille Kreischen durch die schweren, isolierten Türen. Die phantastische Psychonierin achtete nicht auf ihre eigene Sicherheit, sondern bereitete sich wieder einmal auf eine molekulare Transformation vor. Sie war sich darüber klar, daß dies die letzte Hoffnung auf Verdeschis Rettung war und letzten Endes auch für die der ganzen Mondbasis. An Koenigs Seite begann sie ihren Körper in die elementaren Bestandteile aufzulösen. Eine glühende Lichtspindel, die ein paar Augenblicke lang schnell pulsierte, schoß aus dem sich selbst umwandelnden Körper heraus. Dann nahmen die dunklen Umrisse einer immensen Kreatur immer klarer Gestalt an, je mehr sie aus dem Lichtschimmer heraustrat. Als das Licht allmählich erlosch, sah Koenig zu seiner großen Befriedigung,
daß sie sich in einen riesigen, ungeheuer stark aussehenden Berggorilla verwandelt hatte. Der Gorilla besah sich nur kurz die widerspenstige Tür und warf sich zornig knurrend dagegen. Sie gab sofort nach, der Gorilla walzte sie mit seinem Gewicht platt, und Koenig folgte ihm erleichtert. Während der Gorilla das Kabel und damit ein ganzes Stück der schmorenden Konsole herausriß, trug Koenig den hustenden und nach Atem ringenden Verdeschi in den Korridor hinaus, wo er sich wieder erholen konnte. Der entsetzlich kreischende Lärm des Motors nahm an Tonhöhe und Lautstärke ab und hörte allmählich auf. So unerklärlich wie die eisige Kälte aufgetreten war, verging sie auch wieder, und die Luft wurde nun unerträglich heiß. Koenig und Verdeschi taumelten, gefolgt vom Gorilla, den Korridor entlang. Sie erreichten eine kühlere Region, und Verdeschi konnte ein wenig rasten. Dankbar sah er zu seinem riesigen Beschützer auf. »Besten Dank, meine Dame«, sagte er, »du spielst ja ziemlich rauh.« Die Umrisse des Tieres begannen zu schimmern und sich aufzulösen, und einen Augenblick später stand Maya wieder vor ihnen. Sie umarmte ihn rasch. Er war sehr blaß. »Schon wieder eine Panne?« fragte er. Verdeschi schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht. Der Motor war gar nicht eingeschaltet, er fing ganz von selbst zu laufen an. Ich versuchte ihn abzustellen, doch er reagierte nicht.« Koenig und Maya schauten einander sehr besorgt an. Koenig nahm sein Comlock heraus und alarmierte den Brandschutz. Dann liefen alle drei zurück zur Kommandozentrale.
»Es soll aufhören, ich will aufhören!« rief Carolyn Powell weinend. Sie saß in ihrem Zimmer vor dem Ankleidetisch. Ihr Haar war wirr, sie sah verängstigt drein.
»Bitte«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, »ich will doch diese Dinge nicht tun… Ich will ganz einfach nicht!« Der Teil von ihr, der das Gute verkörperte, der ihren Mitmenschen wohlwollte, kämpfte sehr tapfer gegen die dunklen Seiten ihres Geistes, gegen Haß, Eifersucht und Rachgier, die sie jetzt zu beherrschen schienen. Aber der Kampf war nutzlos. Sie wußte, daß das Böse sie im Griff hatte, und es hielt sie sehr fest. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. »Nein, nein«, klagte sie, als sie sich ihrer gräßlichen Träume und Visionen erinnerte und sie mit dem normalen, menschlichen Zustand vorher verglich. Immer war sie auf Sally eifersüchtig gewesen; dem Commander hatte sie die Wahrheit gesagt, denn sie hatte nie gewollt und gewünscht, daß sie sterben solle. Es war ein törichter, kindlicher Wunsch gewesen, das schon; aber der tödliche Haß war erst dazugekommen, als das Böse von ihr Besitz ergriffen hatte. Von ganzem Herzen wünschte sie, das Geschehene rückgängig machen zu können. Und von ganzem Herzen wünschte sie auch, diese tyrannische, höhnische Kreatur aus einer anderen Welt, die von ihr Besitz ergriffen hatte, möge von ihr weichen und ihre sadistischen Spiele mit anderen treiben.
Aufgeregt lief Koenig vor dem großen Schirm herum und warf zornige Blicke auf die Sternbilder. Dann funkelte er Helena, Maya, Verdeschi und alle an, die in sein Blickfeld gerieten. »Eine unbekannte Kraft hat Sally umgebracht… Instrumente spielen verrückt… die Eagles sind nicht operationsfähig… ein Tiraniummotor schaltet sich selbst ein und läßt sich nicht wieder abstellen, und all dies ereignet sich seit… seit… dieses… Was, zum Teufel, ist das überhaupt?« Er wirbelte zu
Maya herum. »Kannst du denn über dieses… Ding gar nichts herausbekommen?« Maya lehnte über ihrer Konsole und versuchte die erhaltenen Daten im Kopf zu analysieren. Allmählich wurde sie immer aufgeregter. Die ungewöhnliche Gereiztheit des Commanders übersah sie dabei einfach, denn die dauerte jetzt doch schon zu lange. Sie nahm an, er müsse mit dem falschen Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen sein. »Ich bekomme doch allmählich etwas, John«, erklärte sie ihm bestimmt. Das neben ihr montierte Oszilloskop gab eine Reihe schneller, scharfer Pieptöne ab. »Lambda-Wellen«, bemerkte sie ungläubig. »Ich glaube, es sind Lambda-Wellen.« Helena sprang sofort darauf an. »Lambda-Wellen!« Das mußte sie schon selbst nachprüfen, weil alle verständnislos dreinsahen. Aber Maya hatte recht. Diese seltenen Gehirnwellen zeichneten sich nun genau ab. »Normalerweise«, erklärte sie, »schwingen die menschlichen Gehirnwellen zwischen Alpha- und Beta-Wellen. Sehr selten werden dagegen Lambda-Wellen abgestrahlt. Man entdeckte sie, als wir die paranormalen Geisteskräfte näher erforschten… Wenn dieses Strahlungsfeld, in dem wir uns befinden, aus LambdaWellen besteht…« »… dann könnte es sich auf mindestens einen Teil unserer Leute auswirken«, folgerte Koenig aufgeregt. Helena nickte. »Ja, das wäre möglich.« »Und wie können wir das genau herausfinden?« »Ich könnte einige Experimente durchführen«, erwiderte die Ärztin. Koenig nickte grimmig. »Na, schön. Also, dann fang an damit. Führe deine Experimente durch.« Er sah Helena nach, als sie zur Tür ging und wandte sich dann an Verdeschi. In seinen Augen strahlte frische Entschlossenheit. »Ich will dieses
Lambda-Feld, wenn es das wirklich ist, aufgelöst haben. Greif es mit allem an, was wir haben.« »Jawohl, Sir.« Verdeschi salutierte und war froh, daß Koenig sich endlich zu einer positiven Handlung entschlossen hatte. Er ging zur Laserkonsole und begann an den Instrumenten zu arbeiten. Die Mondbasis war teils unter der Mondoberfläche, teils darüber errichtet worden. Als man vor mehr als fünf Jahren mit dem Bau begann, war sie für die kalte Luftleere des totalen Vakuums geplant gewesen. Meteoreinschläge waren verhältnismäßig selten, so daß man die Hauptgebäude auf der Oberfläche erstellte. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wäre es anders auch nicht sinnvoll gewesen. Als jedoch der alte Mond aus dem Orbit in den tiefen Raum geschleudert wurde, mußte man mit sehr viel mehr gefährlichen Zufällen rechnen als bisher, mit tausendmal so vielen. Deshalb beschloß man sehr schnell, die Wohnungen und die Arbeitsräume unter die Mondoberfläche zu verlegen; nur die Lagerhäuser, die Munitionsdepots und dergleichen blieben oben. Man hatte fieberhaft gearbeitet, und nun war man fertig. Die Alphaner waren vor den ihnen drohenden Gefahren geschützt, und der freie Blick war durch die Technologie ersetzt worden. Mehr denn je waren sie von ihren Instrumenten abhängig. Auf der gefrorenen Mondoberfläche über ihren Köpfen drehten sich die mächtigen Verteidigungslaser, um den fremden Himmel zu bestreichen. Das waren ihre Kriegsinstrumente und ein weiterer Grund für die Menschen, in den sicheren Untergrund zu kriechen. Verdeschi bediente sie mit der riesigen Energiemenge, die von der Mondbasis abgegeben wurde und richtete sie aus auf einen einzigen Punkt im Raum etliche Meilen über dem Mond. Waren sie aktiviert, so daß die tödlichen Photonenstrahlen hinausschossen, durchschnitten sie alles – sichtbar oder unsichtbar –, was aus
Materie bestand und sich ihnen in den Weg stellte. Wo ihre weißglühenden Lichtpunkte auftrafen, schufen sie ungeheuer heiße künstliche Sonnen, der Wirkung nach ständig explodierende äußerst wirksame Bomben, die aus allem, was sich da oben herumtrieb, einen ordentlichen Happen herausrissen. Verdeschi drückte auf den Hauptaktivierungsknopf und beobachtete auf den Instrumententafeln die Anzeigen, die ihm sagten, daß die künstliche Sonne über ihnen geschaffen war. Mit einem selbstbewußten Lächeln wandte er sich an Koenig und die anderen Alphaner, die um den großen Schirm standen. Mit ferngesteuerten Instrumenten filmten sie die Explosion; dazu waren überall im Stützpunkt und außerhalb Kameras postiert. Ein riesiger weißglühender Feuerball löschte sogar die Sterne aus und badete die gesamte Mondoberfläche in spukhaftes bläuliches Licht. Verdeschi wandte sich an Maya, die eifrig ihre Instrumentenablesungen zusammenstellte, um auf dem laufenden zu bleiben. Er rechnete damit, sie deutlich erleichtert zu sehen, wenn sie feststellte, daß das merkwürdige Raumfeld, in dem sie gefangen waren, erfolgreich aufgelöst worden war. Aber die erhoffte Freude kam nicht. Verwirrt drückte er auf seiner Konsole etliche Knöpfe, um die Energiezufuhr zu vergrößern. Die Sonne pulste erschreckend, und Koenig bedeutete ihm mit einer Bewegung, er solle sofort die Kanonen abstellen. Sie verbrauchten zuviel der kostbaren Energie. Verdeschi stellte die Energiezufuhr ab, und die strahlende künstliche Sonne verblaßte. Dann ging er zu Maya und schaute ihr über die Schulter. Sie blickte verblüfft und entsetzt auf. »Es hat anscheinend gar keinen Sinn…« begann sie und warf Koenig einen flehenden Blick zu. »Keine Veränderung, John. Überhaupt keine, aber…«
»Aber was?« fragte Verdeschi ungeduldig, als er versuchte, in den Anzeigen der Instrumente einen Sinn zu entdecken. Maya schüttelte ungläubig den Kopf. »Die Lichtenergie… sie hat nicht zerstört, sondern es regelrecht gefüttert.« »Was?« Koenig starrte sie an, als sei sie übergeschnappt. »Du meinst, es hat alles absorbiert?« »Nach den Instrumentenangaben hat sich die Frequenz der Lambda-Wellen erhöht… als direktes Ergebnis der zugeführten Laserenergie«, erklärte Maya. Verdeschi pfiff erstaunt. Koenig sah erschöpft und verzweifelt drein. Sein Selbstbehauptungswille war erschüttert. »Dann hat vielleicht Helena mehr Glück«, meinte er unsicher, stand auf und verließ schleppenden Ganges die Zentrale.
Helena war mit ihrer Arbeit noch nicht fertig, und so beschloß Koenig, um sie nicht abzulenken, zuerst in seinem eigenen Quartier die Situation zu überdenken. Wenn die Lambda-Wellen die Ursache der gefährlichen PsiPhänomene waren, die sich neuerdings in der Mondbasis zeigten, und wenn sie unabsichtlich durch den Beschuß noch verstärkt wurden, mußten auch die Zwischenfälle unter den Alphanern zunehmen. Aufgeregt lief er vor seinem Schreibtisch auf und ab. Nur seine nervöse Energie hielt ihn noch aufrecht. Bald konnte er der Müdigkeit nicht mehr Herr werden. Er warf sich auf sein Bett, um zu dösen. Dabei würde sich sein Geist von selbst klären. Er fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Während er schlief, fiel die Temperatur in seinem Zimmer ständig ab, und er warf sich rastlos herum, um sich warm zu halten. »Du hast uns getötet, John Koenig. Du hast uns aufgegeben, und wir mußten sterben…« Die Stimme des süßen
dunkelhaarigen Mädchens war wieder in seinem Kopf. In seinen Schlaf drängte sich das geisterhafte Gesicht. Es sah jung, frisch und fast beängstigend schön aus. Und er hatte sie getötet; sie hatte recht. Sein unbedeckter, frierender Körper wand sich vor Schuldgefühl und angstvoller Verzweiflung. »Ja… ich habe euch getötet… es war ein Fehler… laßt mich in Ruhe, ich mußte euch ja töten…« Die halbtransparente Gestalt eines jungen Mannes erschien neben dem Mädchen. Er wußte, das Mädchen hieß Tessa, und der junge Mann hatte sich Sam genannt. Der junge Mann war sehr blaß. Aus dem Hintergrund seiner Augen kam das tiefe Strahlen ewiger Jugend. Vorwurfsvoll blickte er Koenig an. »Du hast uns an der Venuspest verrotten lassen…« »Nein… nein… ich…« stöhnte er und begann würgend zu husten. Die zwei schönen unschuldigen Gesichter lösten sich auf, und gräßliche Flecken erschienen auf ihnen. Die glatte spektrale Haut blähte sich auf und fiel zu Falten des Entsetzens zusammen. Er zuckte vor diesem widerlichen Anblick zurück, doch entkommen konnte er nicht, da sich hinter ihm eine unbewegliche Wand befand. Ihre verwesenden, von der Krankheit gezeichneten Gesichter rückten immer näher, und er begann zu schreien. Schweißüberströmt wachte er auf. Er sprang vom Bett und sah sich selbst im Spiegel, ein weißes, hageres Gesicht. Er wurde ja verrückt! Schlafmangel und die schwere Last seines hohen Amtes trieben ihn in den Wahnsinn.
Helena und Maya arbeiteten rasch und geschickt in der Zentralhalle des Freizeitzentrums, wo der große Garth vor ein paar Stunden noch seine Differenzen ausgetragen hatte. Jetzt geschah etwas Ähnliches, doch es war diesmal nicht ein gewaltsamer Akt eines aufgebrachten Menschen, sondern ein kontrolliertes Laborexperiment, um zu beweisen, daß PsiPhänomene, also die parapsychischen Kräfte des Geistes, in der Mondbasis am Werk waren. Helena hatte die große Halle gewählt, weil sie vermutete, daß die Leute, die sie als ›Meerschweinchen‹ benutzen wollte, in einer vertrauten Umgebung natürlicher reagieren würden. Mit Mayas Hilfe hatte sie eine Reihe von Tischen aufgestellt, und an jedem sollten verschiedene Experimente durchgeführt werden, angefangen vom einfachen Kartenraten bis zum Gabelverbiegen. Hinter den Tischen saßen die Versuchspersonen, die ein bißchen verlegen dreinsahen, obwohl ihnen Helena die Ungefährlichkeit und Einfachheit der Experimente erklärt hatte. Es waren Carl Renton, Mark Sanders, Pete Garforth und Harry Garth. Alle waren Alphaner, die Gegenstand vermuteter phychischer Attacken gewesen waren. Helena begann mit Mark Sanders. Sie setzte sich vor seinen Tisch und deutete auf die Karten. »Das sind ganz einfache Muster, Kreuze, Vierecke, Kreise, Dreiecke, Halbmonde…« begann sie und mischte die Karten. »Ich mische sie also, drehe sie um, und Sie sagen mir, welche Karte ich umgedreht habe.« Sanders schluckte nervös und sah sehr verlegen drein. »Wie denn? Ich kann doch die Karten nicht sehen.« »Das ist ja der Kern des Experiments.« Jetzt sah er völlig bestürzt drein. »Begreif ich nicht… Aber wenn Sie meinen…« Zögernd tippte er auf die Karten und sagte, was er glaubte, daß sie zeigten. »Kreuz… wieder Kreuz… Kreis… Dreieck… Kreuz…«
Helena schrieb die Karten und die Vermutungen auf und drehte sie so um, daß Sanders sie selbst durchsehen konnte. Als er damit fertig war, nickte sie zufrieden. Sie stieß die Karten zusammen, mischte sie und begann von vorne. Am nächsten Tisch war Maya mit Carl Renton beschäftigt. Sie zeigte ihm eine Plastikbox mit einem Stahlkugellager in der Mitte. Die stellte sie auf den Tisch. Carl lächelte, weil er begriffen hatte. »Nichts sagen. Ich soll also die Kugel bewegen, ohne die Box zu berühren, nicht wahr?« Maya nickte. »Ja, genau.« »Wie?« fragte er selbstverständlich. »Das ist sehr einfach. Sie brauchen sich nur zu konzentrieren«, schnurrte Maya. »Und jetzt… konzentrieren Sie sich.« Renton seufzte und starrte die Box an. Seine Stirn furchte sich tief, so sehr konzentrierte er sich. Erst geschah gar nichts. Dann begann, erst unmerklich, dann sichtbar, die Stahlkugel zu rollen. Sein Erstaunen hielt die Kugel an. »Sehr gut, Mr. Renton«, ermutigte ihn Maya. Für sie war Psychokinese nichts Neues. »Und nun konzentrieren Sie sich noch mehr und schauen Sie nicht wieder so erstaunt drein. Es ist eine absolut wissenschaftliche Angelegenheit.« Helena war mit Sanders fertig und ging weiter zu Pete Garforths Tisch. Sie lächelte ihn beruhigend an. Der Ingenieur sah sie zornig an, denn er war überzeugt, daß die Experimente, wie er sagte, ›ein Haufen Quatsch‹ seien. Als sie sich vor ihn setzte, erklärte er ihr: »Ich kann Ihnen gleich sagen, daß da nichts geht. Ich bin Ingenieur und kenne Metalle.« Er nahm einen von einigen dicken Metallstreifen, die auf dem Tisch lagen und begann mit dem Finger darüberzustreichen.
»Um einen solchen Streifen zu verbiegen, braucht man einen Schraubstock und einen Schraubenschlüssel. Es ist ausgeschlossen, daß ich…« Verblüfft schwieg er, und Helena lachte schallend, als sich der Stahlstreifen wie von selbst unter seiner leichten Berührung zu einem Hufeisen verformte. Sie brauchte von ihm keine weitere Bestätigung mehr und stand auf. Er kratzte sich verlegen am Kopf. Am vierten Tisch saß Harry Garth. Wenn Garforth gemäßigt zornig gewesen war, so sah der große Minenarbeiter ganz entsetzlich wütend drein. Offensichtlich hatte er noch nicht genug Zeit gehabt, sich von seinem demütigenden Erlebnis mit Verdeschi zu erholen, so daß er der ganzen Welt gründlich grollte. Sie dachte gerade darüber nach, wie sie mit ihm reden sollte, als Carolyn Powell den Saal betrat. Sie schien sehr aufgeregt zu sein und marschierte direkt auf Mark Sanders los, der gerade ganz versunken seine Karten studierte. »Mark!« zischte sie so laut, daß jeder sie hören konnte. »Ich habe auf dich gewartet.« Sanders sah auf und lächelte. »Tut mir leid. Ich wurde hierher befohlen. Und außerdem wußte ich ja, daß ich dich hier sehen würde.« »Ich muß mit dir reden«, drängte sie. »Klar, aber später. Wir müssen erst diese Tests ausführen.« Er sah wieder auf seine Karten hinab. Carolyn wurde noch ungeduldiger. »Mark, ich muß unbedingt mit dir sprechen – allein.« »Später, später«, wehrte Sanders ein wenig gereizt ab. Helena stand von Garths Tisch auf und sah Carolyn an, ehe sie weiter in Mark Sanders dringen konnte. Es war ein glücklicher Zufall, daß die Forschungsingenieurin gerade in diesem Moment gekommen war. Helena hatte schon einmal ihr Glück bei ihr versucht, war aber nicht durchgekommen.
»Carolyn, wollen Sie jetzt drankommen?« fragte sie. Sofort änderte Carolyn ihr Benehmen. Sie lächelte höflich, so wie eine Kollegin die andere anlächelt. »Es ist mir ein Vergnügen, Doktor Russell.« Sie setzte sich neben Sanders, der unbehaglich ein wenig wegrutschte. Helena nahm auch Platz und machte mit ihr den gleichen Test wie vorher mit Sanders, ihrem Freund.
Die betäubende Erschöpfung, die ihn vorher überfallen hatte, zwang ihn auf sein Bett zurück. Der Anblick seines blassen, hageren Gesichtes im Spiegel hatte ihn erschüttert, und er wurde, wenn dies möglich war, noch blasser. Vergebens versuchte er wach zu bleiben, um die Geister zu vertreiben. Aber die Gestalten kehrten wieder. Sie verkörperlichten sich zu wirbelnden, verschwommenen Gestalten mit entstellten kranken Gesichtern. Er war jetzt hellwach, doch ihre nebelhaften Gestalten ließen sich nicht vertreiben. Er war ungeheuer müde, aber durchaus nicht denkunfähig, und er überlegte, daß die Psi-Phänomene auch auf ihn einwirken mußten. Sie waren die Ursache seiner Abgespanntheit und holten ihn geistig in die Zeit der unheilvollen Expedition zur Venus zurück. Auf eine gewisse Art brachte er sich durch sein Schuldgefühl fast selbst um, denn er konnte nicht glauben, daß diese Manifestationen etwas anderes sein könnten als längst versunkene Erinnerungen. Immer wieder versuchte er sich aufzuraffen, um Helena zu erreichen, doch jedesmal fiel er wieder zurück; die kalte Luft machte ihn so benommen, daß er einfach nicht auf die Füße kam. Stunden schienen vergangen zu sein, bis endlich der makabre Bann gebrochen wurde, als Helena sich auf seinem Monitor
ankündigte. Er bat sie hereinzukommen. Sie trug ein Päckchen Notizen in der Hand und schaute recht zufrieden drein. Aber diese Zufriedenheit hielt trotz der sich wieder erwärmenden Luft nicht lange an, denn sie bemerkte sofort, in welch schlechter Verfassung der Commander war. Sie beugte sich besorgt über sein Bett. »Ich bin ganz okay«, behauptete er, setzte sich auf und strich sich mit der Hand über die Stirn. »Ich sehe nur ein bißchen blaß aus.« Aber er bekam sogar schon wieder etwas Farbe. »Was hast du herausgefunden?« Erst begann sie ein wenig unsicher zu erzählen, redete sich dann jedoch selbst in eine gewisse Begeisterung hinein, als ihr die ganze Bedeutung der Experimente zu Bewußtsein kam. Sie hielt die Papiere in die Höhe. »John, diese ersten Testergebnisse sind einfach phantastisch!« Koenig rieb sich die Augen, versuchte seinen Geist zu ordnen und das zu verstehen, was sie ihm erzählte. »Über neunzig Prozent der Versuchspersonen zeigten eine erhebliche Zunahme paranormaler Fähigkeiten«, fuhr sie fort. »Tatsächlich?« fragte Koenig, der allmählich wieder denkfähig wurde. »Die Resultate lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die eine zeigte keine Zunahme. Die Mittelgruppe, die größte, ließ eine Zunahme auf breiter Ebene erkennen… John?« »Ist schon in Ordnung, sprich nur weiter«, meinte Koenig gereizt. »Aufregend ist aber die dritte Gruppe. Ich möchte sie als die Sensitiven bezeichnen. Bisher habe ich drei gefunden, Carolyn Powell, Carl Renton und Pete Garforth. Ihre Fähigkeiten sind einfach unwahrscheinlich.« Sie schwieg, weil sie spürte, daß sie gar nicht zu ihm durchdrang und holte ein Pillenpäckchen aus ihrer Tasche. »John, ich mache mir ehrlich Sorgen um dich. Ich habe dir ein paar Schlaftabletten mitgebracht.«
»Nein!« explodierte König. Mit seinem hageren Gesicht sah er fast wie ein Irrer aus. »John!« rief sie gekränkt, weil er so barsch war. Koenig sah sich einem ungeheuren Streß unterworfen, doch er riß sich zusammen. »Helena«, sagte er sanfter, »ich kann doch nicht schlafen…« »Deshalb will ich doch, daß du diese…« »Ich habe Angst, zu schlafen!« unterbrach er sie verzweifelt, und sie legte besorgt einen Arm um seine Schultern. »John, so sag es mir doch…« Koenig begann seine lange, mühevolle Erklärung, denn er wollte gar nicht zugeben, wie sehr ihm das alles zugesetzt hatte. »Ich habe dir doch schon einen Teil davon erzählt. Vor langer Zeit, als ich ein Astronautenkadett war, mußten wir einige Wissenschaftler auf der Venus-Raumstation zurücklassen.« Helena erinnerte sich daran und half ihm weiter. »Du sagtest aber, sie hätten eine venusianische Krankheit aufgefangen, für die es nirgends ein Heilmittel gab. Du konntest doch gar nicht riskieren, sie zur Erde zurückzubringen.« Koenig nickte. »Als diese Krankheit entdeckt wurde, befanden sich schon zwei aus unserer Crew in der Raumstation. Sie waren eine Vorausgruppe, Sam und Tessa.« Er zitterte in ihrer Umarmung. »Wir ließen sie zurück, und sie mußten mit den anderen sterben. Und jedesmal, wenn ich jetzt die Augen zumache, sehe ich sie vor mir, und sie beschuldigen mich.« »Das ist doch ein Traum, John«, redete ihm Helena zu, »nur ein immer wiederkehrender Traum.« Koenig schien sie aber gar nicht gehört zu haben und setzte seine bedrückende Beichte fort. »Sam war mein bester Freund. Wir machten zusammen die Astronautenschule. Er und Tessa wollten heiraten…«
»John, hör endlich auf, dich immer selbst zu bestrafen«, befahl sie ihm streng. »Du hast das getan, was du tun mußtest, und wenigstens waren sie zusammen.« Das klang gar nicht mehr so überzeugend. »Das sage ich mir ja auch immer«, erwiderte Koenig. »Immer. Es nützt aber gar nichts.« »Du kannst aber nicht so ohne Schlaf weitermachen, sonst leidest du noch unter Halluzinationen. Und dann brichst du völlig zusammen.« »Und wenn ich schlafe, werde ich verrückt.« Er entzog sich ihrer Umarmung und lachte sardonisch. »Ein interessantes Problem, nicht wahr, Doktor Russell? Wie kommandiere ich Alpha, wenn ich den Verstand verliere?« Fast sofort bedauerte er seinen Sarkasmus, aber sie hatte gar nicht richtig hingehört. Mitfühlend nahm sie ihn fest in die Arme und küßte ihn zärtlich auf die Stirn.
Das geheimnisvolle, ewige Muster der Sterne schien auf dem großen Schirm festgefroren zu sein. Keine Bewegung war zu erkennen. Man hätte meinen können, das sei ein ganz gewöhnliches und nichtssagendes Bild des Weltraumes, das keine Spur von Leben irgendeiner Art anzeigte; und doch war nach den Instrumenten von Alpha dort draußen ›Leben‹ in der Form einer Substanz, die sich jeder Erkenntnis zu entziehen schien. Die Zahl und Geschwindigkeit der weißen Lichtpunkte auf dem Oszilloskop hatten sich vermehrt; sie tanzten jetzt munter. Das rasche, schrille Piepen erfüllte die ganze Kommandozentrale mit einer dringenden Warnung vor einer Steigerung der Lambda-Wellenstrahlungen.
Im Lazarett arbeitete Maya eifrigst nach Helenas Anweisung und errichtete einen Schirm, von dem sie hofften, ermöge als Barriere gegen diese allgegenwärtigen Wellen dienen. Auf Psychon, ihrem Heimatplaneten, waren parapsychische Fähigkeiten keine Seltenheit gewesen. Sie waren sogar ganz alltägliche Ereignisse, und ihre Mitmenschen bedienten sich ihrer in aller Offenheit und ohne Hemmungen. Maya selbst war kein Medium, doch wenn sie wollte, konnte sie leicht eines werden. Dazu brauchte sie nur ihre Molekularchemie neu zu arrangieren. Psychon und ihre Jugend waren längst vergangen, zerstört von ihrem despotischen Vater, der rücksichtslos danach gestrebt hatte, ihr Volk in seiner früheren Macht wieder aufleben zu lassen. Aber das Wissen, die Erfahrungen und die Erinnerungen waren nicht verloren. Sie waren ein unbezahlbarer, kostbarer Schatz, den sie nun dazu einsetzte, den Alphanern in ihrer Bedrängnis zu helfen. Der sogenannte Schirm war kein Schirm im herkömmlichen Sinn, sondern eher ein Würfel. Man konnte in ihn hineinsteigen und so die Psi-Wirkung aufheben. Neben dem Schirm waren Monitore und ein Oszilloskop montiert, die mit den Instrumenten in der Kommandozentrale verbunden waren. Verdeschi betrat das Lazarett und sah ihr zu. »Was machst du da?« fragte er. »Welche Show wird denn hier vorbereitet?« Maya erzählte es ihm, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen. »Und was ist mit den Tests, die du mit Helena durchgeführt hast?« »Nichts Endgültiges«, berichtete Maya und richtete sich auf. Nachdenklich ging sie zu den Instrumenten und drückte auf einen Knopf. Ein Monitor, der in den Abschirmwürfel gesetzt war, begann zu piepen und zeigte die typischen Formationen der Lambda-Wellen. Sie legte einen Schalter um. »Das müßte das Kraftfeld um den Schirm herum betätigen.«
So, wie sie gesagt hatte, baute sich das Kraftfeld auf und blockierte sehr wirksam die Psi-Wellen. Der Monitor in der Zelle schwieg. Verdeschi lachte. »Das wird aber diesem Raumwesen gar nicht gefallen«, meinte er. »Dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit«, erklärte ihm Maya, die sich über ihren Erfolg sehr freute. »Und jetzt gehen wir besser wieder auf unsere Posten zurück.« Sie schaltete das Gerät ab und verließ mit Verdeschi das Lazarett. Carolyn Powell lief in nervöser Erregung in der nun verlassenen Freizeithalle herum. Die anderen waren wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt, und sie war nun mit ihrem inneren Kampf ganz allein. Diese Kraft, die in sie eingedrungen war und sie beherrschte, war von ungeheurer, überlegener Stärke, öfter als einmal hatte ihr ein erbitterter Kampf alles abverlangt, und jetzt war sie auf der Verliererseite. Sie war in so schlechter Verfassung, daß nicht mehr viel nötig war, um die Waagschale des Bösen endgültig nach unten zu drücken, und dann war sie für ewige Zeiten die Sklavin dieses Teufels. Die Tür der Freizeithalle wurde aufgeschoben, und Mark Sanders kam herein. Er sah sehr unglücklich drein, wenn sie es auch nicht sofort bemerkte. Er war in einem sehr schwierigen Moment zu ihr gekommen wie ein Licht, das die sie einhüllende teuflische Dunkelheit durchdrang. Er konnte sie vor ihrem Schicksal retten. »Mark!« Sie lief ihm entgegen, warf ihm die Arme um den Hals, verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und weinte vor Erleichterung. »Oh, Mark, ich brauche dich so sehr! Warum hast du vorher nicht auf mich gehört?« Sander blieb steif stehen. Seine Arme hingen schlaff an seinen Seiten herab, statt sie zärtlich zu umfangen. Sie spürte seine Abwehr und zog sich verstört von ihm zurück. Sie
bemerkte nun, wie grimmig er dreinsah, und da bekam sie Angst. »Was ist denn, Mark? Was ist los?« Er wandte sich von ihr ab. Und nun ahnte sie die Wahrheit. Zitternd wartete sie auf das, was er zu sagen hatte. »Carolyn, ich muß dir etwas beichten… Ich habe über uns… nachgedacht… seit Sally starb…« Carolyns Gesicht wurde zur Maske. Er wollte sie also abschieben, so wie er vorher Sally abgeschoben hatte. »Was ist… seit Sally starb?« fragte sie. Die dunklen Mächte in ihr triumphierten. Sie wuchsen, sie breiteten sich über ihr ganzes Wesen aus wie eine Krebsgeschwulst, die in jeden Winkel des Körpers ihre Metastasen schickt. Unwillkürlich versteifte sich Sanders. »Ich habe das Gefühl, und ich kann es einfach nicht abschütteln, daß du etwas damit zu tun hattest.« »Wie kannst du das sagen?« fuhr sie ihn an, aber nicht ganz so böse, wie sie in Wirklichkeit war. »Nur ruhig«, erwiderte Sanders, der ihr noch immer den Rücken zukehrte. »Du hast gelogen, als du sagtest, du hättest nichts getan, um mich von Sally wegzureißen.« »Ich habe gelogen, weil ich dich liebe. Alles, was ich tue, das tue ich nur deshalb, weil ich dich liebe.« Sie sah sehr bekümmert drein, weil seine Worte die gute Seite ihres Wesens berührt hatte und machte einen letzten Versuch, den teuflischen Aggressor abzuwerfen. »Es wird aber nicht gehen«, sagte Sanders erregt. »Wir beide… es wird nicht gehen mit uns beiden.« »Ich dachte doch, du liebst mich. Du hast es ja gesagt.« Sanders seufzte schwer. »Ich bin wegen einer ganzen Menge Dinge verwirrt, aber über mein Gefühl für dich bin ich mir klar.« Er spürte, daß sie ihn wieder zu berühren versuchte und trat einen Schritt von ihr weg.
»Ich sagte dir doch, ich brauche dich. Und ich brauche dich jetzt!« flehte sie. Sanders wirbelte herum und schaute ihr in die Augen. Seine Miene war merkwürdig, irgendwie verdreht. »Carolyn, du hast dich sehr verändert. Du bist ganz anders. Ich weiß nicht, was es ist…« Er forschte in ihren Augen. Da sah er es, das Böse, Gehässige, das Kalte – und schauderte. »Mark?« Sie schien elektrisiert zu sein, so zuckte sie zusammen. Er übersah ihre ausgestreckten Arme und wandte sich ab. »Es tut mir leid, Carolyn.« Er wußte nicht, daß dies ihr letzter Versuch war, sich an das Menschliche in ihr zu klammern. »Ich laß dich nicht gehen«, flüsterte sie. Er verließ sie. Auch er war vor Kummer wie gelähmt. Er wußte nicht, wie sie das gemeint hatte; ob sie ihn daran hindern wollte, den Raum zu verlassen, oder ob sie den Versuch nicht aufgab, ihn zurückzugewinnen. Carolyn war wieder allein. Der dunkle, höllische Krebs hielt sie wie mit Eisenklammern fest. Die Freizeithalle wurde immer kälter, ihre Augen wurden größer, und sie wurde von einer Art wahnsinniger Trance umfangen. Sanders fühlte sich überaus elend, als er zu seinem Posten zurückkehrte. Er verachtete sich selbst für das, was er Carolyn angetan hatte, obwohl er innerlich erleichtert war, daß er das hinter sich hatte. Sie würde schon damit fertig werden, dachte er, sobald sich ihre Gefühle für ihn gewandelt hatten. Er hatte schon fast die hydroponische Abteilung vor sich, als hinter ihm ein kalter, harter Wind zu blasen begann. Erst glaubte er, die Klimaanlage sei fehlerhaft und er schaute zu den Ventilationsrosten oben an den Wänden. Er merkte sofort, daß hier nicht der Ausgangspunkt für den beißenden Wind war.
Furchtsam schaute er sich um. Die hellen Korridore waren leer. Nirgends ließ sich eine Ursache für den Luftstrom erkennen. Er wurde immer stärker, immer kälter. Er fröstelte und schlug die Arme um sich, damit seinem Körper nicht zuviel Wärme verlorenging. Und dann erkannte er die einzig mögliche Antwort. Er war entsetzt. Die Mondbasis mußte durch eine Explosion oder einen ungewöhnlich großen Meteor beschädigt und durchschlagen worden sein, so daß die kostbare Luft in die Raumleere hinausströmte. Er raste zu den Haupttüren der Hydroponikanlage, um dort Sicherheit zu finden und Koenig zu verständigen. Aber er kam nicht weit. Er sank, von der beißenden Kälte gelähmt, an der Wand zusammen. Er lag auf dem Rücken und starrte entsetzt in die Höhe. Der Wind pfiff und heulte. Nebel kam auf, und im Nebel erschien eine sehr düstere Carolyn Powell. »Ich lasse dich nicht gehen!« kreischte sie, und ihr gräßliches Gesicht war nur noch eine Ansammlung scheußlicher Flecken und verzerrter Linien. »Ich hole dich mir zurück!« Er schrie, doch er konnte sich nicht wehren, als das einst geliebte und jetzt so haßerfüllte Gesicht über ihm war… um ihn zu zerreißen.
IV
Keine Spur des heulenden Windes, noch sonst eine Ursache für Sanders entsetzlichen Tod, blieb im Korridor zurück. Nur die Leiche war da, und seine Todesart war zu erkennen. Helena schauderte zurück vor dem grausamen Anblick des verstümmelten Fleisches, das kaum mehr als Sanders zu erkennen war. Das blutige Skelett war im Korridor verstreut. Koenig, der wieder einmal aus seinen Wohnräumen gerufen worden war, stand schwach vor Grauen und Erschütterung da. »Wie Sally«, murmelte er, »nur noch viel schlimmer.« »Dieses Raumfeld… könnte es das getan haben?« fragte Verdeschi. »Mayas Instrumente verzeichneten einen ungeheuren Energiesog, bevor dies geschah«, bemerkte Koenig. Verdeschi mochte es nicht so recht glauben. »Ich tippe eher auf das menschliche Element«, meinte er nachdenklich. »Genauer gesagt, auf einen von Helenas Übersensitiven.« »Carolyn?« Helena sprudelte den Namen heraus; sie konnte es nicht verhindern. »Erst Sally, jetzt Mark – sag mir doch einen besseren Verdächtigen«, erwiderte Verdeschi grimmig. »Ich möchte sie mir ganz gerne zu einer gründlichen Vernehmung holen.« Helena hatte alle Mühe, ihre Gedanken zu sammeln. »Tony, warte damit noch etwas, bitte, bis die nächste Testreihe fertig ist. Wir haben drei Verdächtige. Ich möchte noch etwas versuchen, dann können wir uns vielleicht auf einen konzentrieren.«
Tony nickte und schaute bekümmert den Sanitätern zu, denen die gräßliche Aufgabe zugefallen war, die verstümmelte Leiche wegzutransportieren. »Noch ein Versuch…« Koenig wandte ihm das blasse, besorgte Gesicht zu. »Du mußt wohl ständig eine Streife in der Nähe halten«, befahl er. Verdeschi brummte und sah Koenig nach, als dieser unsicheren Schrittes davonging. Helena und er tauschten besorgte Blicke, und dann mußten sie sich der grauenhaften Aufgabe unterziehen, nach irgendwelchen Hinweisen zu forschen.
Sobald es ihr möglich war, ging Helena weg, um ihre Vereinbarung mit Maya im Lazarett einzuhalten. Die beiden Frauen fanden den Lambda-Wellen-Schild so vor, wie sie ihn verlassen hatten. Sie stellten die Instrumente ein und aktivierten ihn. Die Zelle begann ein orangefarbenes Licht abzustrahlen und zeigte so das umgebende Kraftfeld an. Helena drückte auf einige Knöpfe. »Wenn der Schild die Lambda-Wellen blockiert, dann wissen wir, ob eine aus dem Raumfeld stammende Kraft auf das Verhaltensmuster des Geistes einwirkt.« Carl Renton meldete sich von der Tür her. »Unsere erste Versuchsperson – kommen Sie herein!« rief Helena. Renton wurde sofort in die Zelle geführt. »Sie haben das mit dem Kugellager sehr gut gemacht«, erklärte ihm Maya und stellte einen kleinen Tisch vor ihn. Auf diesem Tisch stand die gleiche Box mit dem gleichen Kugellager. »Und jetzt möchten wir, daß Sie’s noch einmal versuchen, aber wir umgeben Sie diesmal mit einem Kraftfeld.«
Sie verließ die Zelle, als wieder das orangefarbene Glühen begann, ließ aber Renton nicht aus den Augen. »Und jetzt denken Sie und bewegen Sie die Kugel.« Dort, wo sie stand, konnte sie in den Würfel hineinschauen. Renton konzentrierte sich, bis seine Stirn in Falten lag, doch es war vergeblich. Diesmal wirkten sich seine telekinetischen Kräfte nicht aus. Helena schaltete das Feld aus. »Das war gut, Carl. Sie können jetzt herauskommen. Danke für Ihre Mithilfe.« Renton kam heraus und lächelte schüchtern. »Ich hoffe nur, es nützt etwas«, sagte er und ging, als Pete Garforth hereinkam. »Soll ich vielleicht wieder ein paar solcher Spielchen machen, Doktor?« fragte Garforth. »Richtig, Pete«, antwortete Maya, »genau wie vorher, nur diesmal in der Zelle hier.« Er bekam die gleiche Aufgabe mit den Metallstreifen gestellt. Das Kraftfeld wurde eingeschaltet, der Test verlief negativ. Es gab keinen Geller-Effekt. War das Kraftfeld jedoch abgeschaltet, gelang der Test. Sie versuchten noch einiges; die Ergebnisse bewiesen ganz zweifelsfrei, daß das unsichtbare Kraftfeld, das sich um den Mond gelegt hatte, verantwortlich war für das plötzliche gehäufte Auftreten parapsychologischer Phänomene. Nur eine Testperson war jetzt noch übrig – Carolyn Powell. Man hatte sie gerufen, doch sie war nirgends zu finden. Helena und Maya wollten schon wieder einpacken, als endlich doch die Forschungsingenieurin kam. Sie sah verwildert und ungepflegt aus, und ihre Augen funkelten vor Haß und Sorge. Helena griff bei ihrem Anblick etwas fester um ihre Notizen. »Sie wollten mich sehen, Doktor Russell?« fragte Carolyn kalt.
Helena zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, das ist richtig. Ich möchte, daß Sie bei einigen weiteren Tests mithelfen.« Carolyn tat einen Schritt auf sie zu. Sie hatte eine Aura von Bosheit um sich, die Helena und Maya veranlaßte, sich vorsichtig ein paar Schritte zurückzuziehen. »Ja, natürlich. Was wollen Sie, daß ich tue?« Helena führte sie zu einem Tisch außerhalb der Zelle und begann mit ihr den Kartentest. Jede Karte wurde richtig geraten, es war fast unheimlich. »Das ist ja wunderbar, Carolyn«, sagte Helena ziemlich nervös, als sie damit fertig waren. »Perfekt, wie das letzte Mal.« Aber jetzt kam der wichtigste Teil des Experiments. Im Grund war es nämlich gar keines. Verdeschi und seine Sicherheitsposten hatten sich auf Koenigs Befehl im Lazarett versteckt. Sie beobachteten die verdächtige Nummer eins. Helena blieb ruhig. »Und jetzt, Carolyn, würden wir gerne die gleichen Tests in der Zelle durchführen.« Die Frau sah mißtrauisch drein, doch dann lächelte sie und war damit einverstanden. Helena hatte den Eindruck, als habe sie die Absicht verstanden und spiele aus ihren ganz persönlichen Gründen heraus mit. Maya warf Carolyn einen scharfen Blick zu, als sie sich in die Zelle setzte. »Das gefällt mir absolut nicht«, flüsterte sie Helena zu. »Sie ist zu gerissen. Ich hätte mich verwandeln sollen.« »Warte«, wisperte Helena. »Wir wollen erst sehen, was geschieht.« Sie folgte Carolyn in die Zelle und begann mit den Karten. Ein amüsiertes Lächeln spielte um Carolyns Mund, als sie eine Karte nach der anderen falsch ›erriet‹. Alle von Helena ausgegebenen Karten brachten dasselbe Ergebnis. Außerhalb der Zelle paßte Maya genau auf die Instrumente auf. Ein Elektroenzephalogramm zeichnete keine LambdaWellen auf, nur die normalen Alpha- und Beta-Wellen.
Carolyn zuckte die Achseln. »Tut mir leid, Doktor Russell, es scheint also gar nichts zu geschehen.« Helena seufzte erleichtert, stand auf und gab Verdeschi ein Signal. Er und seine Männer verließen ihre Deckung. Noch immer lächelte Carolyn so amüsiert, und sie blieb auch sitzen. »Wir wollen doch noch nicht aufgeben«, bemerkte sie höhnisch. »Ich will es noch einmal versuchen.« Während sie noch sprach, erschienen die Lambda-Wellen auf dem Oszilloskop. Maya hielt den Atem an. Helena und Verdeschi stellten voll Angst und Besorgnis fest, daß es plötzlich immer kälter wurde, und Carolyn begann voll düsterer Bestimmtheit die Karten zu mischen. Sie stand in der Zelle auf. Die Elektrodendrähte hingen von ihrem Kopf und führten zu den Instrumenten nach draußen. Sie rief eine Karte nach der anderen aus, ehe sie diese umdrehte, und warf sie denen draußen vor die Füße. Die Zelle glühte und pulste in orangefarbenem Licht. Maya drehte das Kraftfeld auf höchste Stufe, aber immer noch wurden die Karten herausgeworfen. Und jede Karte war richtig erraten. »Doktor, Sie machen ja Kinderspiele!« rief Carolyn heraus, als die letzte Karte geflogen kam. Ihre Stimme hatte sich jetzt verändert. Sie klang arrogant und grausam. »Glauben Sie, ich sei eines Ihrer Kinder?« »Na, schön, Carolyn«, sagte Verdeschi und führte seine Männer vorwärts. »Kommen Sie mit uns.« Die besessene Frau lachte in einer grauenvollen Verzerrung von süßer Liebenswürdigkeit. »Natürlich gehe ich mit Ihnen, Tony.« Und nun verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse gemeinen Hasses. Der eiskalte, pfeifende Wind, der Sanders den Tod gebracht hatte, umheulte sie nun. Er tobte so kreischend und wild um
sie, daß ihnen buchstäblich der Boden unter den Füßen entzogen wurde. »Und nun Sie, Doktor Russell…« Ein Windstoß packte Helena und warf sie quer durch den Raum. Die Papiere, die sie in der Hand gehalten hatte, wurden ihr entrissen und in die Luft geschleudert. Sie sah Carolyn am Ende des Nebelwirbels. Ihr Gesicht war starr wie das einer Wahnsinnigen, sie brüllte Flüche und Obszönitäten. Gleichzeitig riß der Wirbel Laborgegenstände von ihren Plätzen, sie flogen alle dorthin, wo Helena lag. In ihrer Wut schien Carolyn Maya, die ein wenig abseits vom größten Wirbel stand, vergessen zu haben. Mayas Körper begann zu schimmern und zu zittern. Erst schien es, als sei auch sie von dem psychischen Sturm erfaßt, aber sie fiel nicht hilflos zu Boden, sondern sie veränderte sich. Die Kunst und Biologie ihrer psychonischen Ahnen verwandelte ihren Körper in eine Spindel heller, drehender Flammen. Das Licht erreichte einen strahlenden Höhepunkt und begann langsam zu verblassen. Nun stand ein voll ausgewachsener, fauchender und knurrender Tiger da. Die Katze duckte sich zum Sprung, tat einen Satz und riß Carolyn zu Boden. Sofort hörte der heulende Wind auf. Der Raum erwärmte sich, und die zu Boden gestürzten Posten kamen wieder auf die Füße. Der Tiger ließ, besorgt um Helenas Sicherheit, sein Opfer wieder frei. Schreiend und mit Schaum vor dem Mund stolperte Carolyn Powell zum Lazarett hinaus und rannte den Korridor entlang, der zur Kommandozentrale führte. Maya verwandelte sich wieder in sich selbst zurück. Verdeschi und die Posten drängten sich um Helena, die noch immer zwischen den Trümmern der Wurfgeschosse lag. Da
bewegte sich ihr zerschundenes Gesicht, ihre Lider flatterten, sie öffnete die Augen. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Maya besorgt. Helena schluckte heftig, und ein mattes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »So ungefähr. Ich glaube, ich hatte Glück, sonst wäre ich nicht mehr am Leben.« Die Männer halfen ihr aufstehen. Die Knie waren ihr noch ziemlich weich. »Aber jetzt kennen wir die Kraft, die Sally und Mark getötet hat«, sagte sie. »Jetzt muß ich John warnen.« Noch ein wenig unsicher ging sie zum Wandmonitor. Verdeschi murmelte grimmig: »Wissen und Zerstören – das sind zwei ganz verschiedene Dinge.« Helena drückte auf einen Knopf, und Sahns besorgtes Gesicht erschien auf dem Schirm. »Sahn, ist der Commander…« Sahn schüttelte den Kopf. »Er ist sehr erregt und ging wieder in sein Quartier«, antwortete sie. »Aber er beantwortet keine Anrufe.« Helena schaltete den Schirm ab und wandte sich in ihrer Verzweiflung an die anderen. »Wir müssen zu John. Er muß es erfahren.« Von Maya und Verdeschi begleitet und gestützt ging sie hinaus.
»John, laß mich ein!« Helena hämmerte an Koenigs Tür. Der Monitor vor seiner Tür war aktiviert, offensichtlich um sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, aber was sie hörten, waren nur Stöhnen und verzweifelte Schreie. Die Tür selbst war entweder versperrt, oder sie klemmte. Verdeschi zog Helena aus dem Weg und richtete seinen Laser auf den Schließmechanismus. Er explodierte in einem Flammenschauer, gefolgt von schwarzem Rauch. Er riß die Tür auf, und Helena lief schnell hinein.
»Nein!« schrie Koenig. Es war sehr kalt im Raum, und der Commander hatte sich auf seinem Bett zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib. Er zitterte heftig. Helena beugte sich über ihn und nahm eine rasche Untersuchung vor. Besorgt wandte sie sich an den Sicherheitschef. »Er ist… in sehr schlechter Verfassung.« In ihr Comlock sagte sie: »Komplette Sanitätstruppe zur Wohnung des Commanders. Sehr dringend!« Die Sanitätstruppe kam mit voller Ausrüstung an, und während die Männer Koenig vom Bett auf ihre Trage hoben, nahm Helena rasch ein paar Messungen vor. Wenig später wurde Koenig ins Lazarett gefahren und zu Bett gebracht. Noch immer befand er sich in tiefer Bewußtlosigkeit. Verdeschi und Maya warteten ängstlich auf Helenas Bericht. »Im Moment ist er in einem Zustand völliger katatonischer Unansprechbarkeit«, erklärte ihnen Helena, die am Bett des Patienten stand. Verdeschi sah sehr besorgt drein. »Helena, da mußt du ihn unbedingt herausholen. Ich informiere besser meine Männer.« Er ging zum Wandmonitor. »Mit Narko-Synthese können wir ihn schon herausholen«, sagte Helena zu Maya. »Das ist zwar eine altmodische, aber die beste und sicherste Methode, in seinen Geist einzugreifen, damit er die verschiedenen Barrieren, die er in sich selbst errichtet hat, überwinden kann.« Verdeschi blieb noch eine Weile vor dem Monitor stehen. »Dann sind wir also wieder genau dort, wo wir waren und kämpfen zwei Kriege an einer Front. Du hast John, ich habe Carolyn Powell.« Er lachte Helena entschlossen an. »Ich hoffe nur, daß wir beide gewinnen.« Er drückte auf den Kommunikationsknopf. »Verdeschi an das gesamte Sicherheitspersonal. Carolyn Powell muß sofort gesucht und unschädlich gemacht werden. Diese Frau ist überaus
gefährlich. Bei Sicht sofort lähmen. Ich wiederhole: bei Sicht sofort lähmen.« »Tony, ist das nicht ein bißchen drastisch?« wandte Maya ein. Verdeschi schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, Maya. Ich glaube, dieses Luder könnte die ganze Mondbasis Alpha vernichten, wenn sie wollte.« Damit verließ er das Lazarett.
Das plasmaähnliche Fluidum aus dem die Raumamöbe bestand, begann sich innerhalb seiner ständig wechselnden Grenzen heftig zu bewegen. Ihre alternde Substanz begann um die verlorene Kraft zu wimmern. Hungrig dachte sie über das kommende Vergehen nach und darüber, wie sie sich an den konkurrierenden Lebensformen sattfressen konnte, die ihr den ihr rechtmäßig zustehenden Überfluß verweigerten. Sie hatte das Kommando über die kleine Kreatur übernommen, die ihr in die Falle gegangen war. Jetzt blieb nur noch eines: sie mußte dafür sorgen, daß die Höchstmenge lebenswichtiger Strahlung freigesetzt wurde, wenn die Welt dieser Kreaturen explodierte, und damit ihr eigenes Weiterleben sichern. Sie pulsierte schneller und verbrauchte damit ihre eigenen Kräfte, schuf aber gleichzeitig immer größere Mengen der parapsychischen Wellenstrahlung.
Tief unten in den zerklüfteten Mondfelsen unterhalb des Stützpunktes Alpha, wo so fieberhaft nach dem lebenswichtigen Element gesucht wurde, wuchs Carl Renton zum großen Mann heran.
Unter dem Einfluß der Wellen und angetrieben von dem dringenden Wunsch, die Mondbasis zu retten, trieb er seinen Stollenwagen tief in einen lange aufgegebenen, weil unsicheren Schacht und entdeckte Tiranium. Er fand so viel von dem bläulichen radioaktiven Erz, daß die Mondbasis auf Monate hinaus mit Energie versorgt war. Man feierte ihn als den Helden, der zu sein er sich immer gewünscht hatte. Er ahnte ja nicht, daß sich sein Erfolg für ihn unheilvoll auswirken konnte. Das Erz wurde in aller Eile verarbeitet, das seltene Element herausgezogen und in den Lebenserhaltungskern, dem ungeheuer mächtigen Energiezentrum der Mondbasis, geleitet.
Der Teufel war gut zu ihr. Er war göttlich in seinen Methoden, mit denen er sie von allen Ängsten und Problemen reinigte, den kleinen nagenden Sorgen und den Stolpersteinen, die ihr ganzes Leben erschwert hatten und sie davon abhielten, der klare, saubere und einfache Mensch zu sein, der zu sein sie sich immer gewünscht hatte. Jetzt nahm sie keine Rücksicht mehr auf andere. Jetzt konnte sie ihren bösen Trieben folgen. Geschwunden war ihr Überlebensinstinkt für ihren eigenen Körper, der sie immer im Stich gelassen hatte, der ihr endlosen Ärger brachte mit seiner ständigen Sucht nach Zuneigung und Aufwertung. Hier war endlich ihre Gelegenheit, zu herrschen, zu kontrollieren, Schmerz und Leid über die kleinen Würmer zu bringen, die so unablässig an ihrer Existenz geknabbert hatten. »Auf den Boden und kriechen!« schrie sie Verdeschi an, der völlig arglos in ihre Falle getappt war, als er die Kommandozentrale übernahm.
Sie saß in Koenigs Sessel, und vor euphorischer Wut war sie ganz außer sich. »Krieche wie ein Wurm!« schrie sie lachend. Die zerstörenden Wellen, die durch ihren Geist geleitet wurden, richteten sich auf ihn aus und ergriffen von ihm Besitz. Sie lähmten sein Denkvermögen und zwangen ihn auf die Knie – ein plappernder, brabbelnder Kretin, der auf dem Boden kroch, wie seine neue Herrin es befahl. »Kriechen!« kreischte sie in ekstatischem Vergnügen. Mit blitzenden Augen beobachtete sie, wie Verdeschi kroch und sich vor ihr auf den Bauch legte. Sein Gesicht war hochrot, so angestrengt kämpfte er gegen die ihn überwältigenden Gedankenwellen. Seine Adern waren prall mit Blut gefüllt und drohten zu platzen. Er streckte die Zunge heraus, um den ihm hingestreckten Stiefel demütig zu küssen. Sie stieß mit dem Fuß seinen Kopf weg und sprang auf. »Und jetzt führe ich das Kommando über Alpha! Ich will Commander genannt werden!« »Commander…« keuchte Verdeschi. Sein Mund blutete von dem erhaltenen Tritt. »Commander…« krächzte er. Carolyn Powell lachte, und ihre irren Augen blitzten.
V
Helena und Maya hatten keine Ahnung von dieser neuen Entwicklung und kämpften verzweifelt darum, Koenigs geistig-seelischen Abbau aufzuhalten. Sehr langsam sprach er endlich auf die Behandlung an. »Fünf… vier… drei… zwei… eins… null…« murmelte Koenig. Er hatte die Augen geschlossen, aber die neue Behandlung hatte die Verkrampfung gelöst, und er lag entspannter da. Seine Stirn war schweißfeucht. Helena beugte sich über ihn. Offensichtlich tobte der Kampf in seinem Inneren noch immer. »John, hörst du mich?« fragte sie drängend. »Ja, ich höre dich.« Das schien wie aus weiter Ferne zu kommen. »Sam und Tessa, John. Erzähl mir von ihnen.« »Sie waren meine Freunde… Ich verließ sie, und sie mußten sterben. Jetzt wollen sie mich töten.« Er warf sich heftig herum, doch die beiden Frauen hielten ihn fest. »Wenn sie doch tot sind, wie können sie dann dich töten wollen?« fragte Helena. Ihre Worte schnitten in sein unterbewußtes Gedächtnis mit der Absicht, ihm eine Angst ins Bewußtsein zu bringen, die er immer in den hintersten Winkel seiner Seele geschoben hatte. Koenigs blasses Gesicht verzerrte sich in dem Bemühen, logisch und vernünftig über diese Sache nachzudenken. Aber eine Welle geistloser Angst schwemmte diesen Versuch weg. »Sie kommen immer wieder zurück… Ich sehe sie…« schrie er. »Was sagen sie?« fragte Helena energisch.
»Du hast uns getötet, John Koenig. Du hast uns verlassen, und wir mußten sterben.« Die beiden Frauen wichen bestürzt zurück, als die Stimmen der toten Wissenschaftler aus Koenigs Mund kamen. Helena faßte sich wieder. »Und welche Gefühle hast du dazu?« fragte sie. »Ich habe das Gefühl, ich habe sie ermordet!« rief er angstvoll. »Hättest du das irgendwie verhindern können?« »Nein, nein, nein! Ich hatte ja gar keine Wahl!« »Und das wußten sie?« »Ja. Sie wußten es.« »Sie waren deine Freunde?« »Ja. Meine Freunde…« Koenigs Körper schien sich weiter zu entspannen, und Helena warf Maya einen erleichterten Blick zu. »Sie waren also deine Freunde«, fuhr sie fort, »und sie wußten, daß du nicht anders konntest. Also wußten sie auch, daß du sie nicht getötet hast.« »Aber sie kommen immer zurück…« »Nein, John. Dein Schuldgefühl holt sie zurück. Du strafst dich ständig für eine Entscheidung, die gar nicht anders ausfallen durfte.« »Sie hassen mich!« »Deine Geister hassen dich.« Sie rüttelte ihn kräftig, denn sie wußte, daß sie nun gewinnen konnte. Er mußte unbedingt verstehen, was in ihm vorging. »Die Geister, die du in deinen eigenen Geist gesetzt hast…« Er setzte sich unvermittelt auf und schaute benommen um sich. In seinen Augen hockte Wahnsinn. »Ich sehe sie!« zischte er. »Sie kommen wieder!« Er schloß die Augen, und von seinen Lippen kamen die Stimmen der Geister. Diesmal waren es zwei.
»Du hast uns getötet, John Koenig«, sagte eine junge männliche Stimme. »Du hast uns verlassen, und wir mußten sterben«, sprach eine junge weibliche Stimme. »Ich sehe sie!« schrie Koenig mit seiner richtigen Stimme. »Du hast uns an der Venuspest verkommen lassen«, hielt ihm der junge Mann vor. Koenig schrie wieder, riß die Augen auf und deutete mit einer zitternden Hand zur Tür. »Sie wollen mich…« Er kletterte aus dem Bett und wankte ihnen entgegen. Helena nahm Maya zur Seite und folgte ihm dann. »Du kannst sie wegschicken… für immer aus deinem Leben verbannen. Aber nur dann, wenn du aufhörst, dich selbst zu bestrafen. Sag es ihnen. Jetzt, sofort!« Koenig blieb vor der Tür stehen. Er griff aus, um die schrecklichen Gestalten zu berühren, die nur er sehen konnte. Das Kinn fiel ihm herab, und nun fand er zu einer neuen Bestimmtheit. »Ihr seid ja gar nicht Sam und Tessa!« Tapfer musterte er die sich auflösenden Geister, doch ihre entsetzlichen Gestalten näherten sich ihm, und ihre fauligen Arme griffen nach seiner Kehle. Er behauptete sich. »Sam und Tessa waren meine Freunde. Sie liebten mich, und ich liebte sie. Wo immer sie jetzt auch sein mögen, sie haben mir längst verziehen. Sie verstehen. Sie wußten, daß ich sie zurücklassen mußte. Ich will nicht, daß diese Liebe vernichtet wird. Und ich lasse mich von euch nicht zerstören!« Helena beobachtete ihn gespannt. »Jetzt kommt er heraus«, flüsterte sie der Psychonierin zu. Maya lächelte dankbar, wenn ihr auch ein unbehaglicher Gedanke kam. »Ich denke, dann will er mit dir allein sein«, sagte sie. »Ich gehe und helfe Tony.« Damit schlüpfte sie hinaus.
Die fleckigen, verzerrten Geistergesichter verschwanden, und an ihrer Stelle sah Koenig die jungen, gesunden Gesichter von Tessa und Sam, wie er sie gekannt hatte. Die zwei Gesichter lächelten ihn an. »Leb wohl, John«, sagte Sam. »Leb wohl«, sagte auch Tessa. Damit verschwanden sie ganz. »Lebt wohl«, flüsterte Koenig. Nun sah er endlich wieder die Umrisse des Lazarettraumes, in dem er sich befand. Die Knoten in seinem Kopf lösten sich von selbst, und plötzlich war er ein ganz neuer Mensch. Frische Energie floß in sein Wesen zurück. Aber noch immer fühlte er sich verwirrt. Dann sah er Helena. »Was ist eigentlich geschehen?« fragte er sie. »Mir ist, als hätte ich… in einer Leere festgehangen.« Helena umarmte ihn glücklich. »John, jetzt ist alles wieder in Ordnung. Es ist vorüber.« »Es war wie ein Traum. Ich sah Sam und Tessa. Sie lächelten…« »Dann hast du also Frieden mit dir selbst geschlossen, John. Du wirst nie mehr von den Geistern verfolgt werden.« Koenig hielt sie ein wenig von sich und sah ihr tief in die Augen. Er war jetzt wie ein Kind, das sie dringend brauchte. »Dann ist also alles in Ordnung?« fragte er. Helena nickte. »Alles… bis auf Carolyn Powell.« Koenig runzelte die Brauen. »Was ist mit ihr?« wollte er wissen. »Sie verfügt über schreckliche, zerstörerische Kräfte. Sie scheint Zorn und Haß in heftige, körperliche Kräfte umzuwandeln. Je mehr sie angegriffen wird, desto stärker wird sie.« Sie löste sich aus seinen Armen. »Fühlst du dich jetzt wohl genug?«
Er nickte ungeduldig, denn jetzt war er fast wieder so wie früher. »Dann will ich dir die Testergebnisse zeigen.«
Die menschliche Hülle von dem, was einst Carolyn Powell gewesen war, begann, von ihrem überlegenen Meister geführt, die letzten Stadien ihrer Arbeit. Verdeschi lag noch immer gelähmt zu ihren Füßen. Die anderen Alphaner klebten hilflos an ihren Sitzen. Sie sahen bestürzt zu, als die ihre Hohepriesterin Verdeschi befahl, Weisungen für das Lebenserhaltungszentrum zu geben. Sie waren verrückt und konnten nur zur Folge haben, das die Basis zerstört wurde, daß eine Tiranium-Kettenreaktion von ungeheuren Ausmaßen den ganzen Mond vernichtete. Damit war sie voll beschäftigt, als Maya die Kommandozentrale betrat. Entgeistert blieb die Psychonierin stehen, als sie die entwürdigende Szene in sich aufnahm. Am demütigendsten war das, wozu Verdeschi gezwungen worden war und das obszöne Feixen, mit dem Maya begrüßt wurde. Sie konnte nichts Nützliches mehr tun, denn Maya war zu spät gekommen. Auch sie kam mit einer Handbewegung Carolyns unter deren psychische Kontrolle. Sie hielt einen Augenblick mit ihrer höllischen Arbeit ein, denn ihr grausamer Geist wurde von neuen Eingebungen beflügelt. »Amüsiere mich, meine kleine Freundin von einem fernen Stern«, befahl sie Maya. »Führ uns doch einen deiner gescheiten Tricks vor. Wie wär’s mit ein paar Gestaltveränderungen?« Sie lachte höhnisch. »Nein… Nein, ich will nicht.« Maya kämpfte verbissen, aber die geistigen Fesseln waren stärker als sie. Carolyns Züge verzerrten sich vor Wut. »Du wirst dich verwandeln! Sofort wirst du ein Affe!« schrie sie.
Maya konnte nicht anders, sie mußte die gleiche demütigende Erfahrung machen wie Verdeschi. Als winziges Äffchen sprang sie auf dem Boden herum. Carolyn lachte und klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Ausgezeichnet! Und jetzt… eine Raupe«, befahl sie. Und Maya mußte sich in eine Raupe verwandeln. Carolyn hob den Fuß und hielt ihn über der Raupe. Sie wandte sich an Verdeschi. »Soll ich sie zerquetschen?« Es kostete Verdeschi eine übermenschliche Anstrengung, ein paar Worte zu sprechen. »Bitte… nein…« flehte er. Einen Millimeter über der sich windenden Raupe blieb ihr Fuß stehen. »Ich habe eine viel bessere Idee.« Sie griff nach einem transparenten Behälter und hob die Raupe hoch, sperrte sie darin ein und zeigte sie herum. »Eine so schöne Kreatur, und so zerbrechlich«, spöttelte sie. »Sie müßte aber ein sehr schöner Schmetterling werden.« »Nicht… genug Luft… wird… ersticken…« quetschte Verdeschi qualvoll heraus. »Ach nein? Nicht genug Luft? Ersticken?« höhnte Carolyn. Sie spähte in den Behälter hinein. »Hm. Wieviel Luft braucht eine Raupe?« Sie stellte den Behälter auf die Konsole. »Angenommen, wir finden das heraus, dann können wir einige Zeit damit verbringen, daß wir zuschauen, wie Maya stirbt.« Dazu lachte sie teuflisch. Koenig sah aufgeregt zu, als Helena die Papiere durchging. Ihm fiel ein, wie brutal der kleine Ingenieur im Korridor zur Hydroponikabteilung ermordet worden war, und er wollte wissen, was inzwischen weiter vorgefallen war, ehe er handelte. Diese mörderische Frau mußte gefunden und unschädlich gemacht werden, damit unschuldige Leben geschont wurden. Helena erklärte ihm, was sie hatte herausfinden können. »Die Sensitivitätstests zeigen, daß dieses Raumfeld als psychischer
Verstärkerwirkte, daß es die parapsychologischen Kräfte im menschlichen Gehirn erhöhte. Carolyns Potential war ungeheuer groß.« Sie reichte Koenig die Berichte, und er studierte sie. »Das Feld bedient sich also nicht Carolyns, sondern sie benutzt das Feld«, rief Koenig schließlich. »So ungefähr, obwohl das Feld, falls es lebendig ist, auch sie benutzen kann. Und alles deutete darauf hin, daß es lebendig ist. Carolyn haßte Sally, dann aber auch Mark. Sie wünschte beiden den Tod. Das Feld blähte ihren Haß noch auf, und so starben sie.« »Geh noch einen Schritt weiter«, fuhr Koenig fort. »Pete Garforth hatte einen schlimmen Absturz überlebt. Im Unterbewußtsein hatte er Angst, wieder eine Eagle zu fliegen, so daß also jede Maschine versagte. Carl Renton wünschte sich verzweifelt, ein Gewinner zu sein – und plötzlich konnte er nicht mehr verlieren.« »Und Carl Renton entdeckte auch eine große TiraniumAder«, fügte Helena nachdenklich hinzu. Koenig schien sie gar nicht gehört zu haben. »So war es mit mir und meinen Geistern… die vereinigten Kräfte der eigenen Ängste kämpften in einem selbst…« »So ist es seit Anbeginn der Schöpfung – die guten Mächte kämpfen gegen die bösen.« Der Wandmonitor meldete sich, und Sahns Gesicht erschien auf dem Schirm. Die Indianerin sah fast wie eine Leiche aus und sprach auch kaum verständlich. »Carolyn Powell… für Com-man-der Koenig…« Besorgt rannte Koenig zum Monitor und drückte auf den Knopf. »Commander Koenig wird gleich dort sein, sag das Carolyn Powell«, befahl er der Frau und schaltete den Schirm ab.
Er und Helena sahen einander an, ehe er eiligst das Lazarett verließ. »Sie ist sehr gefährlich, John«, rief Helena keuchend, als sie durch die langen Korridore rannten und in Rekordzeit die Kommandozentrale erreichten. Koenig öffnete mit seinem Comlock die Tür und schob sie auf. Er zwang sich zur Ruhe, als er hineinging, denn er hatte einen Plan. »Wenn der Haß die Kraft aufbläht«, flüsterte er Helena aus dem Mundwinkel heraus zu, »dann werden wir sie mit unserer Liebe überwältigen.« Helena begriff sofort und lächelte. Koenig schien sich von der entsetzlichen Szene nicht beeindrucken zu lassen, als er zum Kommandosessel ging, den die besessene Frau eingenommen hatte. »Meinen Sie nicht auch, daß Sie am falschen Platz sind?« fragte er. Carolyn Powell war sichtlich verlegen. »Sie kommandieren die Mondbase Alpha nicht mehr«, antwortete sie. »Ihre Autorität ist auf mich übergegangen.« »Wirklich?« meinte Koenig lächelnd. Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz herum, denn sie fühlte, daß etwas mit ihr geschah. Ihre Kraft ließ nach. Doch sie riß sich zusammen. »Von jetzt an befehle ich. Sie gehorchen.« Koenig schüttelte den Kopf. Er ging mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Carolyn, ich weiß doch, was Sie wollen«, sagte er sanft. »Nein, wirklich?« fragte sie nervös. »Sie wollen, daß wir Sie hassen. Daß wir Sie angreifen, so daß Sie Ihre Energie an unseren Geistern auffüllen und Ihre Kraft vergrößern können.« Sie schaute ihn wütend an, doch er sprach unbeirrt weiter: »Aber das geht natürlich nicht. Wir fürchten Sie nämlich nicht. Wir lehnen Sie auch nicht ab.«
Helena trat neben ihn, und nun begann auch sie auf Carolyn einzuwirken, denn auch sie war ihre Patientin und konnte vielleicht gerettet werden. »In Ihren Kräften, Carolyn, ist gar nichts Ungewöhnliches«, redete sie ihr tröstend zu. »Etwas davon haben wir alle. Ich glaube nicht, daß Sie diese Kraft zum Bösen verwenden wollten, wenigstens anfangs nicht. Deshalb bitten wir Sie, kommen Sie zu uns zurück und verwenden Sie Ihre Kräfte zum Besten von Alpha.« Die Raumamöbe blähte sich auf und schüttelte sich in wahnsinniger Wut. Die Kräfte, mit denen sie gespielt hatte, sollten ihr weggenommen werden. Nein… zischte sie in Carolyns Geist. Neinnnnn, laß dich nicht täuschen… Carolyn zitterte am ganzen Körper. »Ihr wollt mich nur in eine Falle locken!« schrie sie. »Ihr wollt mir meine Macht stehlen! Ich regiere nun auf Alpha, und Sie werde ich vernichten!« Haßerfüllt funkelte sie Helena und Koenig an und konzentrierte ihre zerstörerischen Gedanken. Koenig hatte den Schutz seiner liebevollen Gedanken und ging furchtlos weiter auf sie zu. »Carolyn, Sie können uns nichts antun. Sie können sich nicht einhaken in Furcht oder Angst bei uns. Sie können nur sich selbst schaden.« Carolyns Gesicht verzerrte sich vor sinnloser Wut. »Dann haßt mich doch!« kreischte sie. »Das können wir nicht. Wir haben keinen Haß in uns.« Nun waren er und Helena in Carolyns Reichweite. »Haßt mich! So haßt mich doch!« Die Finger der Amöbe klammerten sich krampfhaft in ihr Inneres und rissen die Zellen auf, so daß die kostbare Energie heraussickerte. »Wir haben doch nur Liebe für Sie, Carolyn, nicht wahr, Helena? Tony und Sahn?« Koenig sah sich in der Zentrale um und forderte Zustimmung. »Ich hasse Sie nicht, Carolyn«, sagte Helena leise.
Verdeschi schüttelte die Lähmung von sich ab und kam auf die Füße. »Carolyn, ich hasse Sie nicht«, sagte er, denn er sorgte sich sehr um sie. »Ich hasse dich auch nicht, Carolyn«, sagte die weinende Sahn an ihrer Konsole. Ihr Herz floß vor Liebe und Mitleid für diese arme Frau über. »Haßt mich doch… Ihr müßt mich doch hassen…« flehte Carolyn, als sie langsam im Sessel zusammensank. Der Raum wurde erst kalt, dann heiß, und Windstöße fegten über die Köpfe der Leute. Sie hörten so schnell auf, wie sie entstanden waren, denn Carolyns despotischer Wahnsinn sickerte aus ihr heraus. Bewußtlos rutschte sie auf den Boden. Sie hoben sie auf und hielten sie fest in den Armen. Verdeschi griff nach dem Behälter und setzte Maya frei. Die winzige Raupe wurde erst zu hellem Licht, dann stand die schöne und sehr erleichterte Psychonierin wieder vor ihnen. Erst holte sie keuchend Atem, dann aber fiel sie Verdeschi um den Hals. Sahn tat einen Freudenschrei. »Das Feld… es stirbt!« Koenig überließ Carolyn Helena und setzte sich auf seinen Kommandostuhl, um die Instrumente abzulesen. Das Oszilloskop piepte schwächer, und die Lichtpunkte verschwanden fast. Sehr ernst sprach er zu den anderen. »Es ist noch immer da, egal was es auch ist. Wir haben es im Moment zwar sehr geschwächt, aber es könnte überleben… Die einzige Möglichkeit ist die, daß wir in es eindringen, und um es zu schlagen, direkte Beobachtungen anstellen.« Er verband sich selbst mit Alan Carter von der Eagle-Einsatzgruppe. Die anderen hörten ihm staunend und erschüttert zu, denn er sagte: »Alan, bereite die Eagle Zehn zum sofortigen Abheben vor.«
VI
Die Raumamöbe schien tot zu sein, jedenfalls lagen ihre kosmoplasmischen Seen unbeweglich da. Es konnte auch die Ruhe vor dem Sturm sein. Aber es war keine Energie mehr vorhanden, die einen Sturm hätte auslösen können. Nur dann und wann schimmerte eine winzige Spur Energie auf und verteilte sich in unvorstellbar kleiner Granulation über den riesigen Leib. Sie war besiegt. Und dabei hatte sie nur am Leben bleiben wollen. Sie besaß keine Moral und hatte nur das getan, was sie ihrer Natur nach tun mußte. Sogar der Zorn war verschwunden. Sie war zu schwach, um irgendein Gefühl zu haben. Da sie nicht aktiv lebte, war sie eigentlich schon tot. Aber das Bewußtsein war noch da. Es war das Wissen des Sterbenden, daß er stirbt und daß er kämpfen muß, um am Leben zu bleiben. Es war ein elementarer, grober Impuls, der aus weit entfernten Ecken jede Energiespur zusammenholen mußte, um sie im Zentrum zu vereinen. Und die Amöbe schrumpfte, die Kanten begannen zu welken und abzubröckeln. Von einer Million geschätzter Meilen in der Länge verkürzte sie sich zu kaum mehr fünfzigtausend Meilen verstümmelter Lebenskraft. Dann kehrte allmählich die Denkfähigkeit zurück und jene Inspiration, die manchmal aus der Verzweiflung geboren wird; aus dem Wissen, daß dies die allerletzte Chance war, die Energie der verlorenen Jugend zurückzugewinnen. Und sie begann zu strahlen.
Die endlose Reise des ausgerissenen Mondes, über den sie keine Richtungskontrolle hatten… Sie waren in einer kosmischen Tretmühle gefangen, aus der sie nicht entweichen konnten, weil sie nicht sterben wollten. Sie wollten ja ihre kleinen, armseligen Leben retten. Die Tretmühle war der unbarmherzigste Beharrlichkeits- und Geschicklichkeitstest, dem Menschen jemals ausgesetzt waren. Sie waren nicht freiwillig auf diese große Reise gegangen, und nun mußten sie kämpfend durchhalten. Es war, als fordere ein Gott ihre Energien, ihren Glauben und ihren Gleichmut, egal ob sie nun weiterlebten oder vergingen. So philosophierte Koenig, als er die Eagle Zehn vom Startkissen abhob und Milliarden Sternen entgegenraste. Er war in einer pervers ironischen Stimmung. Die frühere Gereiztheit war verschwunden. Er fühlte sich, wie schon oft, über die mißliche Lage Alphas auf merkwürdige Art amüsiert. Die Ironie war sein Schutz vor dem Wahnsinn. Das geschwächte Raumfeld umgab ihn. Er schaltete seinen Monitor ein und sah durch ihn hinaus zu den unzählbaren Sternen. Seine Instrumente meldeten ihm, daß das Feld eine Lambda-Wellen-Formation ausstrahle, die aber so schwach sei, daß sie nicht einmal eine Raumwanze hätte angreifen können, falls es Raumwanzen überhaupt gab. Das war ein alter Raumfahrerwitz. Aber das Feld konnte jederzeit wieder unvermittelt zum Leben erwachen, und dann flammte der verbissene Kampf ums Überleben in den Tiefen des Raumes erneut auf. Auf der Intensivstation des Lazaretts spielte sich in einer Plastikblase ein anderes, vergleichsweise winziges Drama ab. Die Blase hielt Luftunreinheiten und Keime ab, die sich nachteilig auf das Lebewesen in ihrem Inneren auswirken konnten.
Helena Russell schaute mitleidig auf die schlafende Carolyn Powell hinab. Ihr Gesicht war wie das eines mongoloiden Kindes, unschuldig und nicht vom Leben geprägt. »Für dich ist alles vorbei«, sagte sie leise, »deine Kräfte, deine Erinnerungen, sogar deine Sprache. Du bist wie ein neugeborenes Kind. Du mußt erst wieder aufwachsen.« Sie prüfte die summenden und tickenden Instrumente nach, die ihre Patientin am Leben hielten und ballte die Hände zu Fäusten. Ihr wäre lieber gewesen, in der Blase läge John Koenig, und in der Eagle säße dafür Carolyn Powell. Ihr Gefühl sagte ihr, daß der Commander in Gefahr war. Vielleicht war noch eine geringe Lambda-Wellen-Strahlung vorhanden, so daß sie die Gabe des Vorwissens hatte, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte. Koenig tat seinen Job, wie sie den ihren tat, und das traf auf alle in der Mondbasis zu. In ihrer gefährlichen Welt gab es wenig Raum, Zeit oder Anrecht auf Sentimentalität. Trotzdem wünschte sie verzweifelt, daß Koenig jemanden mitgenommen hätte. Richtig, er war Commander, und als solcher hatte er es abgelehnt, mehr Leben als nötig zu gefährden. Sie wußte selbst, daß sie auf schlechte Nachrichten wartete – und sie kamen. Der Monitor an der Wand piepte heftig, und Sahns Gesicht erschien auf dem Schirm. Helena war sehr blaß, als sie sich meldete. »Der Commander ist in irgendwelchen Schwierigkeiten«, erfuhr sie. Den Rest wollte sie gar nicht mehr hören. Sofort verließ sie das Lazarett. Tony Verdeschi war der Meinung, das Bild, das über den großen Schirm flackerte, sei reiner Irrsinn. Ungläubig hörte er sich die Töne an. »Waaaaheeee! Wooooo! Woooooheeee!« Verblüfft und besorgt schüttelte er den Kopf. Das, was er sah und hörte, war schlechterdings unmöglich, denn die irren
Freudenschreie kamen aus der Pilotenkabine der Eagle Zehn. Commander John Koenig, der dort drinnen war, mußte völlig übergeschnappt sein. »WAAAAA! WOWOWOWOEEEEEE!« Dieses Geschrei klang wie von einem übermütigen Jugendlichen. Das, was der Commander tat, war gefährlich. Koenig benahm sich nicht nur verrückt, er ließ auch das EagleSchiff irre Kapriolen schlagen. Eine Rolle und ein Turn waren wahnsinniger als der andere, und jedes ausgefallene Manöver brachte das Schiff näher herunter zur Mondoberfläche, zu den Gebäuden, näher ans Verderben. »John, hör mit dem Quatsch auf!« schrie er wütend in den Kommunikator der Kommandokonsole, doch er bekam keine Antwort. Der Wahnsinnspilot schien ihn gar nicht zu hören. »John! Hörst du mich denn nicht?« rief er besorgt. »Was geht da oben vor?« Er wandte sich an Sahn, die diese ganze Operation überwacht hatte, während er selbst bei Pete Garforth in der Ingenieurshalle gewesen war. »Was ist da eigentlich passiert?« fragte er. Das sehr attraktive Mädchen mit der dunklen Haut zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Er war doch ganz in Ordnung. Er machte eine Reihe von Standardberichten, und mit dem letzten meldete er eine Zunahme der Neutronen im Raumfeld.« »Und was dann?« fragte Helena ernst. »Ja, dann… wurde er total verrückt.« Sahn deutete auf den großen Schirm. Die Eagle kurvte wie wahnsinnig herum, und Koenigs veränderte Stimme kam wieder über den Lautsprecher. »Woooweee! Das müßt ihr einmal versuchen! Ha, ihr müßt dieses Baby fliegen!« »O Gott«, flüsterte Helena entsetzt.
»Hallelujah! Überall sind hier die Engel!« Plötzlich kam die Eagle im Sturzflug und mit brennenden Bremsraketen herab und zog nach ein paar Meilen wieder steil nach oben. Verdeschi zog unwillkürlich den Kopf ein, denn er rechnete mit einem Absturz. Hier mußte etwas geschehen. »Eagle Zwei, Bereitschaft!« rief er in sein Sprechgerät. »Alan! Ehrlich! Notausrüstung!« Er wandte sich zu Helena um, doch die brauchte er nicht zu alarmieren. Sie rannte schon zum Lazarett, um das Unfallteam bereitzumachen. Eagle Zehn ging erneut in den Sturzflug über. Die Reptilienschnauze richtete sich auf drei riesige Kuppelbauten aus, die am Felshorizont des Mondes ziemlich weit weg von den anderen Oberflächengebäuden standen. »Er zielt auf die Atommüllbauten!« schrie Sahn. »Er ist zu tief und wird jeden Moment in eine Kuppel knallen!« rief auch Verdeschi und schrie Koenig über den offenen Kanal zu: »John, verschwinde! Das ist doch tödlich!« Sahn arbeitete fieberhaft an ihren Kontrollen und bekam endlich Koenigs Gesicht auf den großen Schirm. Der Commander lachte und schrie, weil Verdeschi auf seinem Monitor ganz aufgelöst erschien, und dann brüllte er ein Heilsarmeelied: »Kommt zu uns, kommt zu uns!« Der Schirm teilte sich, und nun sahen sie auf der einen Hälfte Koenig, auf der anderen beobachteten sie die wahnsinnig gewordene Eagle. Im allerletzten Moment zog sie wieder in die Höhe, nachdem sie in nur wenigen Yards Höhe über die Kuppeln weggerast war. Verdeschi pfiff vor Erleichterung. Während er darauf wartete, daß der Eagle-Pilot Alan Carter und der Nuklearwissenschaftler Joe Ehrlich in der Eagle Zwei abhoben, rief er Jack Bartlett an, den Physiker und Atomwissenschaftler. Bartlett, ein großer und sehr
respektgebietender Mann, der Leiter der gesamten Atomenergieabteilung, war fünf Minuten später da, warf einen Blick auf den Schirm und schüttelte entsetzt den Kopf. Die Eagle Zehn setzte wieder auf die drei Abfallkuppeln an. »Jack, du hast doch diese drei nuklearen Abfallkuppeln konstruiert, nicht wahr?« fragte Verdeschi. »Wenn er eine trifft, geht der ganze Mond hoch, oder?« Bartlett holte tief Atem. »Zum Glück, nein.« Verdeschi sah verblüfft drein. »Ein direkter Absturz auf eine Kuppel hat keine nukleare Explosion zur Folge?« »Nein. Dazu wäre eine ganz bestimmte Stimulation mit Atomtreibstoff nötig. Eine Eagle, die in eine Kuppel rast, könnte uns ein atomares Leck bescheren, und das wäre schon schlimm genug.« Verdeschi verdaute diese Information. Außer diesem Leck mußte er ja auch noch Koenigs Sicherheit bedenken. Hilf- und ratlos beobachtete er den Schirm. Schon wieder war die Eagle in einem haarsträubenden Sturzflug. »Damit kommt er nicht durch! Er wird aufschlagen!« schrie er. »Eagle Zwei, sofort abheben!« Noch während er sprach, erschien in der unteren Schirmhälfte ein neues Bild. Die Eagle Zwei hob sich majestätisch vom Startkissen. »Zu den Nuklearkuppeln, aber kommt ihm nicht in den Weg!« rief Verdeschi den Piloten zu. »Falls er in eine Kuppel rast, braucht ihr die Strahlenschutzanzüge.« »Dafür ist schon gesorgt«, beruhigte ihn Alan Carter. »Und Feuerschutz«, fügte Ehrlich hinzu. Koenigs Gesicht beherrschte noch immer die obere Schirmhälfte. Seine Augen brannten merkwürdig und in kindlicher Unschuld. Die Knöchel seiner Hände an den Instrumenten waren weiß. Auf der unteren Hälfte sah man die Eagle, die schon wieder zum Sturzflug ansetzte.
»John, kannst du mich hören?« flehte ein sehr blasser Verdeschi. Koenigs Mund war eine dünne, entschlossene Linie. »Zieht die Köpfe ein, der große Daddy kommt herein!« schrie er, und die Eagle raste der am weitesten entfernten Kuppel entgegen. Diesmal streifte ein Eagle-Bein den Bau, es brach ab, und das Schiff drehte sich im Kreis. Nun begann Koenig, der unvermittelt in die Wirklichkeit zurückgeworfen war, mit den Instrumenten zu kämpfen. Die dünne Wahnsinnsschicht war geborsten. Aber es war zu spät. Ehe er die mächtigen Rückstoßraketen abstellen konnte, war die Eagle schon auf einem neuen Kurs – der diesmal direkt auf die Mondoberfläche zielte. Entsetzt beobachteten die Alphaner, wie das Schiff einmal einen Hüpfer tat, dann in einer Wolke aus Staub und Schutt verschwand. Die untere Schirmhälfte war tot, weil keine Verbindung mehr zum Schiff bestand, und in der Kommandozentrale herrschte beklommenes Schweigen. »Alan! Ehrlich«, flüsterte Verdeschi heiser. »Wir sehen ihn!« meldete sich Ehrlichs verzweifelte Stimme. »Wir gehen hinunter«, kündigte Carter an. Sahn weinte. Sie stellte den Sichtkontakt mit dem EagleWrack her, als sie die auf dem Dach des Observatoriums montierten mächtigen Zoomkameras aktivierte; das Observatorium war das höchste Gebäude der Mondoberfläche. Der Staub hatte sich inzwischen ein wenig gelegt, so daß der Umriß der gelandeten Eagle zu erkennen war. Das Schiff schien nicht einmal beschädigt zu sein. Es mußte absichtlich in einer dicken Staubablagerung heruntergegangen sein. Nur eine dünne schwarze Rauchsäule, die aus einem Loch im Schiffsrumpf stieg, ließ das Inferno ahnen, das im Schiff selbst wütete.
VII
Das blasse, magere Gesicht des Commanders war von den weißen Laken eines Lazarettbettes eingerahmt. Er lag absolut still und schien kaum zu atmen. Ein Irrgarten aus Drähten und Schläuchen ging von ihm aus; an einigen waren schwache Anzeichen seiner Körperfunktion zu entdecken, andere führten ihm kostbares Blut und chemische Bestandteile zu. Helena war ebenfalls sehr blaß und vor allem überaus besorgt. Dr. Ben Vincent half ihr bei der Versorgung des Kranken. Maya und Tony Verdeschi standen in der Nähe. Dazu hatte sich Tony von seinen neuen Kommandopflichten beurlaubt, obwohl ihm kaum die Zeit dafür blieb. Da Koenig handlungsunfähig war, mußte er dessen Pflichten übernehmen. »Er hat Glück gehabt«, stellte Vincent nach der Beobachtung der Instrumente fest. »Er war angeschnallt. Sein Helm hat viel von der Wucht des Aufpralls abgefangen.« »Dann ist er also in Ordnung?« fragte Verdeschi zögernd. Helena schüttelte düster den Kopf. »Nein, absolut nicht. Er hat eine schwere Gehirnerschütterung. Die Monitoren zeigen, daß sie sehr tief geht.« »Deshalb versuchen wir ja dies hier.« Vincent deutete auf die Instrumente. »Und was ist das alles?« wollte Maya wissen. »Eine zerebrale Rückkopplung, könnte man sagen«, erklärte der Arzt. Er bemühte sich sehr ruhig zu erscheinen, doch den Schirm, über den unablässig Wellen und Zickzacklinien huschten, ließ er nicht aus den Augen. »Das Gerät nimmt die Gehirnimpulse auf, wandelt sie um und gibt sie wieder an das
Gehirn ab. Das ist so etwas wie eine elektronische Gehirnmassage.« »Ich wußte gar nicht, daß es so etwas gibt«, sagte Maya. »Es ist noch ein Experiment«, bemerkte Helena. »Dann weißt du ja noch gar nicht, welche Nebenwirkungen es haben könnte. Das menschliche Gehirn…« begann Maya. Helena unterbrach sie, denn sie war leicht gereizt. »Maya, über das menschliche Gehirn weiß ich doch ebensoviel wie du!« »Dann mußt du aber auch das Risiko der Benützung einer solchen Maschine kennen«, erwiderte Maya, die nun die Instrumente des Gerätes musterte. Als wissenschaftlicher Offizier verstand sie von Maschinen sehr viel. »Ich kenne alle Risiken, aber wir könnten John verlieren«, antwortete Helena so ruhig wie möglich. Maya wußte, daß jetzt nicht die richtige Zeit für eine Auseinandersetzung war. Hatte Helena recht, daß diese Maschine die einzige Chance für Koenig war, dann mußte sie eingesetzt werden. Vincent wechselte das Thema. »Gibt es ein Strahlungsleck in der Kuppel, die er gestreift hat?« »Ich schicke Alan mit Bartlett und Ehrlich hin, um die Kuppel rund um die Uhr genau zu beobachten. Sie sind ja Fachleute«, antwortete Verdeschi. »Wissen wir überhaupt, was John da oben passiert ist?« Vincent schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Der LambdaEffekt ist jetzt minimal, aber es besteht natürlich die Möglichkeit, daß John sich nie recht von der letzten Einwirkung erholt hat. Vielleicht hat sich keiner von uns richtig erholt.« Verdeschi kehrte recht nachdenklich zur Kommandozentrale zurück. Ein wenig geistesabwesend sah er zu, wie sich die Eagle Zwei vom Startkissen löste. Er folgte ihr mit den
Außenkameras und beobachtete Carter, wie er sie unmittelbar neben den drei Kuppeln zu Boden brachte, wo auch das Wrack der Eagle Zehn stand. Der Staub hatte sich inzwischen gesetzt, und das Wrack wirkte eigentlich sehr intakt. Es war aber von einem Ende zum anderen ausgebrannt, und John Koenig war gerade noch rechtzeitig herausgeholt worden. Er beobachtete Carter und die beiden Atomwissenschaftler, wie sie aus der Eagle Zwei kletterten und schwerfällig in ihren Raumanzügen zu den Kuppeln stapften. Mit ihren Geigerzählern untersuchten sie die felsigen Bodenauswüchse auf Strahlung. Die Kuppeln waren alles, was man von oben aus von den nuklearen Abfallhaufen sah, die die Menschheit vor Jahren auf der Mondoberfläche abgeladen hatte. Die meisten Abfälle waren auf der Nachtseite des Mondes deponiert worden; damals hatte er ja noch eine Sonne gehabt, die seine Tagseite erhellte. Diese drei Lager waren die ältesten. Man hatte sie auf der Tagseite angelegt, ehe es die neue atomare Abfallpolitik gab. Man hatte damals erkannt, daß diese Abfälle so tödlich gefährlich waren, daß man sie nicht in Stützpunktnähe lassen konnte. Uneinsichtige Erdregierungen hatten nämlich aus dem Energiemangel den leichtesten Ausweg gesucht, und in den Siebziger- und Achtzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts waren ungeheure Mengen an atomaren Abfällen entstanden, die über Zehntausende von Jahren sicher gelagert werden mußten, ehe sie als harmlos angesehen werden konnten. Die Menschheit hatte dafür einen sehr hohen Preis bezahlt, und das taten die Alphaner heute noch. Noch immer mußten sie Angst vor diesen Abfällen haben. Tiranium, das die Mondbasis als Treibstoff verwendete, war eine andere Sache. Auch Tiranium war radioaktiv, aber bei ihm blieb kein Abfall zurück, außer ein paar harmlosen Gasen. Daß man es gefunden hatte, war ein sehr glücklicher Zufall
gewesen. Natürlich gab es eine gewisse Explosionsgefahr, und es war bereits geschehen, daß es von anderen Lebensformen, die es ebenfalls als Treibstoff brauchten, gestohlen wurde. Verdeschi überlegte genau, ob vielleicht der mehrfache Anflug auf die Kuppeln eine bestimmte Bedeutung gehabt haben könnte. War es möglich, daß das inzwischen sehr geschwächte Raumfeld auf den Commander so eingewirkt haben könnte, daß dieser unter irgendeinem Einfluß versuchte, eine nukleare Explosion auszulösen? Und wenn ja, warum? Carter und die beiden Wissenschaftler hatten inzwischen die Kuppeln mit den Geigerzählern überprüft und stapften nun zum Wrack der Eagle. Verdeschi nahm sein Comlock heraus und drückte Carters Frequenz. »Alan, gibt es Probleme an den Kuppeln?« fragte er den Piloten. »Keine Probleme«, bekam er zur Antwort. »Der Schaden war oberflächlich. Die Nuklearabfälle sind stabil.« »Für wie lange?« fragte der Sicherheitschef etwas erleichtert. »Jahrhunderte, wenn nicht ein Idiot einen heißen Plutoniumstab in eine der Kuppeln bohrt«, meinte Carter amüsiert. Verdeschi knurrte und unterbrach die Verbindung, weil sich der Konsolenmonitor meldete. Helenas Gesicht erschien auf dem Schirm. Sie wirkte jetzt viel glücklicher; sie lächelte sogar. »Wie geht es ihm?« fragte Verdeschi. »Oh, es geht ihm gut. Er wird bald wieder wie ein Knallfrosch herumsausen«, erklärte sie. »Großartig! Und wann können wir damit rechnen, daß er anfängt?« »Nicht allzu schnell. Er ist ganz in Ordnung, solange er an diesem neuen Gerät hängt, das seine Funktionen übernommen hat. Es kann aber noch einige Zeit dauern, bis er allein weiterleben kann.«
Verdeschi nickte. »Ah, ich verstehe. Nun, wir müssen eben Geduld haben. Jedenfalls vielen Dank, Helena.« Ihr Gesicht verschwand von dem kleinen Schirm. Die Strahlungsüberwachungsgruppe hatte inzwischen auch das Wrack untersucht, und nun waren die drei plumpen Gestalten auf dem Rückweg zur Sicherheit der Eagle Zwei.
Koenig hatte recht gehabt, überlegte er. Sie konnten sich nicht einfach behaglich zurücklehnen und davon ausgehen, das Raumfeld sei inaktiv. Die Lambda-Wellen waren zwar im Moment sehr schwach, aber solange das Feld überhaupt bestand, mußte man auf der Hut sein. Es war eine Frage der Nerven, denn man mußte warten, ob sich etwas ereignete. Aber was? Und aus welcher Richtung? Wäre nur Koenig nicht auf diese verdammte Maschine angewiesen! Er sah sich in der Kommandozentrale um. Alles erschien ganz normal. Alle saßen an ihren Konsolen und lenkten die voll computerisierte Mondbasis. Es sah so einfach aus: hier einen Schalter umlegen, dort auf einen Knopf drücken und im übrigen brauchten sie nur ellenlange Computerausdrucke zu lesen und den Klartext zu verarbeiten. Vielleicht machte er sich zu viele Sorgen. Vielleicht war da gar nichts. Er sah, wie Sahn die Brauen runzelte, als sie einen Computerausdruck las, und dann erschrak sie. Ihr fröstelte plötzlich. Irgend etwas geschah… Und es geschah mit seinem Denkvermögen. Er wußte nicht, was es war. Es war eine Art geistlosen Glücklichseins, fast angenehm und behaglich. Er schüttelte den Kopf, und das Gefühl schien sich zu klären. Trotzdem wußte Verdeschi, daß die Wirkung auf ihn von Dauer sein würde. Er war nicht mehr der gleiche Mensch wie vorher.
»Wir haben etwas auf Radar!« meldete Sahn. »Es nähert sich rasch.« Verdeschi handelte sofort. Vom großen Schirm verschwand das Bild der Eagle Zwei, und Sahn brachte dafür das Bild dessen, was sie entdeckt hatte. Es war ein Bild mit zahllosen Sternen. »Wie weit draußen?« fragte Verdeschi, denn er sah nichts Ungewöhnliches. Aber er fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich. Wahrscheinlich bereitete sich das Raumfeld auf einen neuen Trick vor. »Fünf Millionen Meilen und aufschließend bei fünfzigtausend Meilen pro Sekunde.« Ah, das war die Erklärung. »Sobald du das aufpickst, will ich es auf dem großen Schirm haben«, befahl er Sahn. Mit seinem Comlock setzte er sich wieder mit Carter in Verbindung. »Da kommt etwas herein. Alan, komm möglichst schnell runter.« »Jetzt im Blickfeld«, hörte er Sahn nach etwa einer Minute melden. Er runzelte die Brauen, spähte zu den Milliarden Lichtpunkten der Sterne und versuchte etwas zu entdecken, das sich zwischen ihnen bewegte. Nein, er würde es sowieso nicht gleich finden. Raste es direkt ihnen entgegen und reflektierte es Licht, dann war es ein Lichtpunkt, der langsam größer wurde, je näher er kam. Ganz plötzlich sah er es. Es war wirklich nur ein nicht besonders heller Lichtpunkt. Er griff nach dem Knopf des Sprechgerätes, über das er sich mit dem Lazarett in Verbindung setzen konnte, doch er drückte ihn nicht. So nötig er John auch brauchte, er konnte ihn jetzt nicht erreichen. Das Objekt wurde größer, war aber immer noch kaum in der Raumschwärze zwischen den Sternen zu erkennen. Keine Sonne war nahe genug, die dieses Ding hätte beleuchten können. »Das ist ein Schiff«, sagte jemand im Raum.
Sprachlos und mit offenen Mündern beobachteten die Alphaner den Schirm. Ein riesiges Sternenschiff, dessen Geschwindigkeit drastisch herabgesetzt war, ließ sich nun erkennen. Es hatte die Form eines Zeppelins mit massiven Finnen und Schwingen und war offensichtlich dazu bestimmt, eine oder zwei Generationen von Lebensformen zu befördern. Vielleicht war es schon seit tausend Jahren auf der Suche nach einem kolonisierbaren Planeten unterwegs. Das Schiff sah auch wirklich so aus, und das verblüffte Verdeschi, denn es schien ihm selbstverständlich, daß dies ein Sternenschiff von Terra sein mußte. »Das ist ja eine… Superswift!« rief er. »Das ist doch ausgeschlossen«, widersprach ihm Sahn unsicher. »Es ist aber von der Erde, ich weiß es.« Er war sehr aufgeregt. »Das Schiff kam doch nie vom Zeichenbrett«, warf ein anderer ein. Verdeschi überlegte. Der Mann hatte natürlich recht, und trotzdem war er optimistisch. Der Anblick eines Erdenschiffes war auch Grund genug für eine freudige Erregung. »Ja, wahrscheinlich kam es nicht vom Zeichenbrett, solange wir dort waren, aber auf der Erde muß sich ja inzwischen auch einiges getan haben.« »Die Physik hat sich aber nicht verändert«, betonte der andere. »Wie sollen wir wissen, was auf der Erde alles geschehen ist?« warf Sahn ein. Und jetzt redeten alle durcheinander. »Es könnte aber von der Erde sein!« rief einer. »Und es ist so wie die Konstruktionszeichnungen der Superswift«, erklärte ein anderer.
»Und es sieht auch ganz nach menschlicher Technologie aus«, stellte ein Dritter fest. Verdeschi hörte sich das alles an. Die allgemeine Euphorie steckte ihn an. Aber Optimismus oder nicht – er hatte für das Wohlergehen der Leute von Alpha zu sorgen und mußte daher verantwortungsbewußt handeln. Er hob eine Hand, um das Stimmengewirr zu bremsen. »Das Schiff kann nicht von der Erde sein. Wir haben keinen Kontakt mit der Erde. Wir haben mindestens zwei Raumwellen hinter uns, und wir sind auch schon länger als fünf Jahre unterwegs. Die Erde kann nie damit rechnen, daß sie uns findet.« Alle sahen enttäuscht drein. »Wir wollen wegen dieses Schiffes da draußen nicht sentimental werden«, sagte er und wollte seine Rede auch noch weiterführen, doch Sahn unterbrach ihn. »Tony, es setzt zur Landung an!« »Äh…? Gib mir mal einen Anrufkanal.« Das tat Sahn, und er rief das fremde Schiff an. »Mondbasis Alpha an… an Raumschiff. Identifiziert euch…« Die riesige, wie aufgebläht wirkende Nase der Superswift war jetzt schon sehr nahe, doch keine Antwort kam. Verdeschi drückte auf einen Knopf auf der Konsole. »Waffenabteilung – alle Laser bemannen.« »Alle Laser bemannt«, kam ein paar Augenblicke später die Antwort. Die Alphaner in der Kommandozentrale beobachteten nervös die Landung des riesigen Schiffes. Es senkte sich auf ein Startkissen. Im Vordergrund wurde der schüsselförmige Kragen einer Laserkanone geschwenkt und auf das schweigende Schiff ausgerichtet. »Mondbasis an Raumschiff«, wiederholte Verdeschi seine Bemühungen um Kontakt. »Identifiziert euch… identifiziert euch…«
Schweigen. Dann rief Sahn: »Sie versuchen durchzukommen!« Rasch drückte sie eine ganze Reihe von Knöpfen. Das Bild der Superswift verschwand vom großen Schirm. Statt dessen erschien das lachende Gesicht eines jungen Mannes. Verdeschi hatte plötzlich ungeheure Sehnsucht, die alle Vorsicht in den Wind blies. »Guido!« rief er mit vor Bewegung unsicherer Stimme. Der junge Mann auf dem Schirm sah sehr gut aus und war, wie Verdeschi, offensichtlich Italiener. Er lachte fröhlich und zeigte dabei ein perfektes weißes Gebiß. Für Menschen, die seit Jahren kein fremdes menschliches Lachen mehr gehört hatten, war es über alle Maßen ansteckend. Verdeschi wandte sich stolz, aufgeregt und fast irr vor Glück an die Alphaner. »Das ist Guido, mein Bruder Guido!«
VIII
Die Szene in der Kommandozentrale wirkte auf Verdeschi wie ein Empfang der Überlebenden eines Atomkrieges. Sonst war die Kommandozentrale nüchtern und funktionell, doch jetzt herrschte reges Leben, da in der Superswift viele Freunde und Verwandte der Alphaner angekommen waren. Sie umarmten einander, klatschten einander auf Schultern und Rücken und wechselten Händedrücke. Die Stimmen der Erdenmenschen klangen wie Musik, und der Anblick der Erdenkleider war ein reines Vergnügen, nachdem man jahrelang nichts anderes zu sehen bekommen hatte als die strenge, zweckmäßige Uniformkleidung der Mondbasis. Auf dem Schirm hatte dieser Schlingel von Bruder schon sehr gut ausgesehen, in Wirklichkeit war Guido jedoch bestechend. Er und Guido redeten in einem superschnellen Italienisch und klatschten einander begeistert auf den Rücken. Ah, Verdeschi fühlte sich auf euphorische Art ungeheuer glücklich. »Guido!« weinte Tony, und Tränen liefen ihm über die Wangen. »Tony!« antwortete Guido, und auch er war zutiefst gerührt. Clive Kander von der Aufzeichnungszentrale der Mondbasis beobachtete all diese Szenen. Das kalte, gleichgültige Auge seiner kleinen Video-Filmkamera schwenkte hier- und dorthin und zeichnete dieses einmalige Ereignis für die Nachwelt und zur Analyse auf. Er fing Alan Carter ein, der in der Menge auf Zehenspitzen stand und Ausschau nach einem bekannten Gesicht hielt. Alle Alphaner schienen Besuch bekommen zu haben. Sein Gesicht brach plötzlich in ein Lachen des Erkennens aus, und er
drängte sich zu einem hellblonden, rauhen Mann in einem wildledernen Cowboyanzug mit hohen Lederstiefeln durch. »Ken! Ken Burdett!« rief er. Der Mann namens Ken hatte mit Maya geschwatzt und drehte sich nun um, als jemand seinen Namen rief. Er sah Carter, der beide Fäuste in die Höhe streckte und einen lauten Willkommensschrei losließ. Als der australische Pilot auf Armnähe an den anderen herangekommen war, ließ er seine mächtige, haarige Faust auf dessen Schulter sausen. »Noch immer auf Posten, Carter!« rief Ken Burdett lachend. »Ich bin noch immer Champion der Basis Houston, Kumpel«, erklärte der überglückliche Pilot lachend. »Aber nur deshalb, weil keiner hier raufkommen kann, um dich zu schlagen«, hänselte ihn der andere lachend. Die winzige Kamera schwenkte weiter und zeichnete eine andere Wiedersehensszene auf. Helena Russell hatte gerade zwei alte Kollegen erblickt und winkte ihnen aufgeregt zu. Der eine war ein vornehmer, leicht gebückter, sandhaariger Mann von Anfang vierzig, der andere eine etwas hochmütige, sinnlich wirkende Frau, die gerade aus einer wichtigen Vorstandssitzung zu kommen schien. »Diana! Dr. Shaw!« rief die Ärztin. »Hierher!« Die hochmütige Dame winkte andeutungsweise zurück, reagierte aber sonst nicht, sondern schien weiter nach einem ganz bestimmten Gesicht zu suchen, das sie bis jetzt noch nicht entdeckt hatte. Aber der vornehme Dr. Shaw strahlte über sein ganzes Gesicht, als er Helena sah und kam sofort auf sie zu. Sie umarmten einander herzlich, und dann redeten sie über alte Zeiten. In einer anderen Ecke der Kommandozentrale fiel Sahn einem Neuankömmling um den Hals, und die beiden küßten einander. »Peter, Peter!« rief die Indianerin immer wieder leidenschaftlich und küßte weinend ihren Peter. Ihr inniges
Liebesverhältnis war grausam unterbrochen worden, als es gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte. Joe Ehrlich strich sich über das Kinn und sah sich amüsiert um. Plötzlich entdeckte er jemanden und hob eine Hand. »Henry, du alter Hund!« schrie er vergnügt, als ein älterer, sportlich in Tweed gekleideter Herr auf ihn zukam. Henry und er schüttelten einander begeistert die Hände. »Na, wie ist’s mit deinem Handikap?« fragte er und deutete einen Golfschwinger an. »Ich treffe mit dem Golfball in einen Krater von sechzehnhundert Yards Durchmesser«, erklärte der andere lachend, und sie klatschten einander fröhlich auf den Rücken. Die hochmütige Dame setzte ihre Suche fort, spähte in die Menge und schien nichts zu begreifen. Die Kamera fing dann Ben Vincent ein. Er stand bei einem lebhaften schwarzen Mädchen. Sie hielten einander auf Armlänge von sich und schauten verzückt drein. »Louisa!« rief er lächelnd und schüttelte den Kopf, als könne er sein Glück noch nicht fassen. »Baby, es war eine lange Wartezeit!« Louisa mußte ihm beipflichten, drückte seine Hände und musterte ihn voll Bewunderung. »Wir mußten einen langen Umweg machen«, sagte sie. »Hast du dein Hauptfach Physiotherapie gemacht?« »Aber natürlich!« rief sie. Ihr strahlendes Lachen wurde von einem Ausdruck gespielter Sorge abgelöst. Sie ließ ihn los und griff an seinen Hals. »Soll ich dir vielleicht irgendwelche Knoten auflösen?« Er nickte und spielte mit. »Hier«, antwortete er und legte ihre Hand an seinen Nacken. »Da hat es mich ständig verteufelt gejuckt.« Sie lachten gemeinsam und umarmten einander wieder.
Maya, die eilig auf Verdeschi zuging, wurde zwar von vielen bewundernden Blicken verfolgt, aber sie kannte keinen aus der Besuchermenge. Verdeschi lächelte und machte sie mit seinem Bruder bekannt. »Maya, das ist mein Bruder Guido«, sagte er. Guido war ganz Aufmerksamkeit. Er nahm ihre Hand und machte eine tiefe Verbeugung. »Der jüngere, schönere und gescheitere Bruder«, verkündete er, »und er steht zu Ihrer Verfügung.« Verdeschi lachte. »Er ist aber in jeder Beziehung ein armseliger Zweiter.« Guido tat gekränkt und richtete sich auf. Er öffnete die Hand und hielt sie Verdeschi hin. »Da, leg sie rein, altes Ekel«, sagte er. Verdeschi hob resigniert die Brauen, zuckte die Achseln und schlug ein. »Klar, alter Knabe.« Sie zerquetschten einander im Indianerstil fast die Hände, und beide strengten sich an, bis ihre Gesichter rot angelaufen waren. Keiner hatte über den anderen gesiegt. Maya tat erstaunt, doch innerlich war sie geschmeichelt, weil man ihr so viel Aufmerksamkeit zollte. »Macht ihr das immer so?« fragte sie. Guido grinste breit. »Nein, meistens unterliegt er mir glatt.« »Doch gut, daß er seine kleinen Phantasien pflegen kann«, meinte Verdeschi lächelnd. »Es hat nämlich damit zu tun, daß ich ihm immer seine Mädchen wegnahm.« »Weil er nie selbst eines finden konnte«, pflaumte ihn der Jüngere an. »Er ist Taxichauffeur«, erklärte Verdeschi. »Ich bin Kapitän der Superswift, die uns herbrachte!« schrie Guido, um Maya zu beeindrucken. »Ein Wunder, daß auch nur einer von euch ganz angekommen ist«, antwortete Verdeschi lachend.
Maya nahm das nun etwas ernster als das vorhergehende Geplänkel. »Ja, und wie habt ihr das nun überhaupt geschafft?« fragte sie Guido. »Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand der Erde ist das doch unmöglich. Das Projekt Superswift mußte gestrichen werden, weil es viel zu ehrgeizig war.« »Tz, tz«, machte Guido. »Ihr seid alle schon viel zu lange von der Erde weg. Unser alter kleiner Planet hat riesige Fortschritte gemacht, und die Physik kam mit neuen Kniffen. Wir können jetzt Schlingen ins Kontinuum knüpfen.« Der Sicherheitschef schniefte, lachte aber noch immer vergnügt. »Maya«, sagte er, »laß dich von ihm nicht drankriegen. Er hat nicht die geringste Ahnung, wovon er redet.« Helena und der große pfeiferauchende Dr. Shaw nahmen in ihrer Zweisamkeit eine strahlende Sahn und ihren etwas verlegenen Freund auf. »Dr. Russell, das ist Peter Rockwell«, verkündete Sahn stolz. »Er ist Pilot. Wir werden heiraten, sobald mein Vertrag auf Alpha abgelaufen ist.« Peter Rockwell drückte sie zärtlich an sich. Er sah die beiden Ärzte an. »Ich fürchtete schon, sie sei mir für immer verloren.« Helena legte den Kopf schief und lächelte ihn an. »Sie dürfen niemals den menschlichen Erfindergeist unterschätzen«, riet sie ihm. Dr. Shaw sog an seiner Pfeife. »Den Standpunkt hast du schon immer eingenommen, Helena«, sagte er. Rockwell schaute von Helena zu Dr. Shaw. »Sie kannten einander schon vorher?« »Dr. Shaw war mein Tutor während meines Studiums«, erklärte ihm Helena. »Er lehrte mich alles, was ich weiß.« Dr. Shaw lachte bescheiden und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Oh, das würde ich ganz und gar nicht sagen!«
»Nicht die Einzelheiten«, gab Helena zu, »ich meine die Grundlagen. Was es heißt, Arzt und nicht nur ein Gesundheitstechniker zu sein. Was Arztsein bedeutet.« »Du warst schon immer eine junge Dame, die sich völlig an ihre Aufgabe hingab.« Diese Bemerkung machte Helena traurig. »Hingebung reicht nicht immer aus«, erklärte sie. Rockwell, der diese Stimmungsveränderung spürte, drückte Sahns Hand. Er verabschiedete sich von Dr. Shaw. »War reizend, Sie kennenzulernen, Doktor, und auch Sie, Dr. Russell.« Dann ließ er sich mit Sahn wieder in die Menge treiben und streifte dabei einen kleinen, gesprächigen Mann mit einem verwachsenen Rücken. Der kleine Mann sah ihnen ein wenig ärgerlich und verlegen nach, wandte sich aber wieder Jack Bartlett zu, dem Atomphysiker, der die Atomabfallkuppeln konstruiert hatte. »Verdammte Kinder… wo war ich? Ach ja, Rhinehart gelang dann in Cambridge der Durchbruch.« »Cambridge, England?« fragte Bartlett eifrig; ihm quollen vor Staunen fast die Augen aus dem Kopf. Der Bucklige winkte ungeduldig ab. »Nein, Massachusetts. Das heißt, daß wir jetzt im Universum überall hingehen können. Die Rückreise zur Erde ist praktisch nur eine Busfahrt in Erdenzeit.« Bartlett, der vorübergehend mißgestimmt war, wurde nun wieder guter Laune und ließ sich von der allgemeinen Begeisterung anstecken, die des Schiffes Ankunft ausgelöst hatte. Mutter Erde hatte sie also nicht vergessen oder gar abgeschrieben. Aber er wollte auch wieder nicht allzu begeistert erscheinen. »Natürlich, das mußte ja einmal kommen… Cambridge, Massachusetts, sagten Sie?«
»Ja«, erwiderte Hunter und sprudelte eine Menge Daten und Entdeckungen heraus, ehe ihn der andere noch bremsen konnte. Die Kamera schwang nun wieder zu Helena zurück. Sie und Dr. Shaw schienen die einzigen zu sein, die nicht überschwenglich glücklich waren. Er sah sogar besorgt und etwas enttäuscht drein. Seine Pfeife gab dicke Rauchwolken ab, und er kaute auf ihrem Stiel herum. »Ich hatte gehofft, du hättest all diesen Unsinn hinter dir gelassen«, sagte er. Sie ließ den Kopf hängen. »Ich hatte viel Zeit, darüber nachzudenken. Wäre ich die geborene und nicht nur die graduierte Ärztin, hätte ich die richtige Antwort schon gefunden.« Dr. Shaw riß die Pfeife so heftig aus dem Mund, daß sie fast im Ohr seines Nachbarn landete. »Helena, du bist doch die geborene Ärztin!« rief er. »Als dein Vater damals den Herzinfarkt hatte, hattest du noch nicht einmal ganz dein erstes Jahr hinter dir!« »Ich war zufällig zu Hause, als es passierte«, erklärte sie. »Er kam aber ohne jede Vorankündigung. Wie konntest du hoffen, die Antworten auf die diesbezüglichen Fragen zu haben?« Er trat noch näher an sie heran, so daß sein kluges, asketisches Gesicht unmittelbar vor dem ihren stand. Aber Helena ließ sich so schnell nicht überzeugen. »Ich habe ja nicht viele Patienten verloren«, gab sie zu, »aber der erste mußte doch mein Vater sein.« »Er war nicht dein Patient, und damals warst du auch noch nicht qualifiziert.« Er spitzte die Lippen und legte eine Hand auf ihren Arm. »Jetzt bist du eine richtige Ärztin.« Sie seufzte schwer und sah zu ihm auf. Dankbar lächelte sie ihn an. Ein Stückchen weiter weg erhob sich Guidos fröhliche Stimme über das allgemeine Geplapper. »Wir sind ja nur die
Vorausgruppe«, erklärte er Verdeschi und Maya. »Die großen Transporter kommen bald nach, und dann heißt es für alle: leb wohl, Mond!« »Ich kann es kaum mehr erwarten«, antwortete ihm Verdeschi. »Und wie geht es Mama?« »Du kennst sie ja. Sie wird einen Berg Spaghetti kochen, so groß wie der Vesuv. Und eine Soße!« Er schmatzte genießerisch. Sein Bruder lachte. »Ich weiß. Da ist alles drinnen – bis aufs Weihwasser… Wie hat sie es aufgenommen, als sie die Nachricht bekam, daß wir aus unserer Umlaufbahn gesprengt worden waren?« Guido zuckte die Achseln und breitete die Hände aus. »Drei Tage Weinen, dann zwei Wochen lang Anrufe beim Weißen Haus mit der Forderung, doch etwas zu unternehmen.« Verdeschi lachte. Er konnte sich seine Mutter gut vorstellen, wie sie den Präsidenten belagerte. »Und dann beschloß sie, es einfach nicht zu glauben«, fuhr Guido fort. »Die Wissenschaftler redeten alles mögliche beruhigende Zeug und sagten, es sei nur eine Zeitfrage.« »Und Papa?« »Er wurde immer stiller und immer dünner.« »Das kann ich mir denken.« Clive Kander richtete nun die Kamera auf sie, und Tony Verdeschi bemerkte es. »Immer mit der Kamera beschäftigt, was, Clive? Kriegst du eigentlich je einmal etwas nicht auf deinen Film?« »Mein Spielzeug macht Geschichte«, erklärte Clive stolz. »Schade, Clive, sehr schade«, sagte Guido zu ihm und grinste breit. »Schade, Sie sind niemals im Bild.« Kander lächelte dazu nur und ging zu einer anderen Gruppe über. Da entdeckte er die hochmütige Frau, die ihre Suche aufgegeben zu haben schien und einfach dastand. Er nahm sie
kurz auf, ehe er wieder zu Helena und Dr. Shaw schwenkte. Jetzt schienen sie nicht mehr so bedrückt zu sein. Sie fachsimpelten wieder. »In unserer kleinen begrenzten Welt haben wir sehr viel über uns selbst gelernt«, sagte Helena leise. Dr. Shaws Pfeife spie nicht mehr soviel Rauch aus. »Inwiefern?« fragte er. »Oh, hier gibt es eine Art Erdensehnsucht. Sie gleicht ungefähr dem Heimweh. Es ist ein fast körperliches Leiden.« »Das erwähnten auch schon einige der frühen Astronauten.« Shaw nickte nachdrücklich. »Es ist wie bei Antaeus, dem Riesen der Griechen, der nur dann stark war, wenn er mit der Erde Kontakt hatte.« »Und Herkules besiegte ihn, als er ihn in die Luft hob.« »Einige Leute hier sind so. Ohne die Erde erkrankten und starben sie. Wir übrigen mußten uns anpassen…« Sie entdeckte wieder die hochmütige Dame, die nun zu ihnen kam. Deshalb unterbrach Helena die Unterhaltung. Das nichtssagende Winken der anderen brachte keine sehr guten Erinnerungen zurück. »Oh, oh«, warnte sie. Dr. Shaw hatte sie auch gesehen und runzelte die Brauen. »Ärger?« fragte er. Helena nickte grimmig. »Seit sie kam, hält sie nur nach John Ausschau. Sie kannte John, ehe ich ihn kennenlernte.« »Gibt ihr das irgendwelche Rechte?« fragte Shaw erstaunt. »Diana ist wie die Kavallerie. Wo immer ihr Fähnlein flattert, ist sie zu Hause.« »Ja… Nun ja… Ich denke, ich überlasse sie dir.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und steckte sie in die Tasche. Dann ging er, um zu sehen, ob er noch jemanden kannte. »Feigling!« schrie ihm Helena nach, drehte sich um und sah sich Diana gegenüber.
»Oh, Helena, Liebling!« rief die dunkelhaarige Frau und umarmte sie hastig. »Wir haben noch kein Wort zusammen gesprochen.« Helena erholte sich. »Oh, dafür ist noch eine Menge Zeit«, wich sie aus. »Du armes Liebes!« rief Diana und musterte Helena, bis ihr kein Fältchen und kein unordentliches Löckchen mehr unbekannt war. »Hier muß es ja gräßlich gewesen sein. Ich meine, man wird offensichtlich furchtbar mitgenommen.« Helena begriff natürlich, was sie meinte. »Ich denke, der Raum wirkt sich auf Frauen ganz besonders aus. Seit wann bist du nun Navigationsoffizier?« Diana begriff den Seitenhieb. »Und dann ist noch etwas zu einer so abgeschlossenen Gesellschaft zu sagen. Die Auswahl der Männer ist begrenzt.« »Genau wie die Gelegenheiten der Frauen. Würde dir das gefallen?« »Ich habe immer meine eigenen Gelegenheiten geschaffen«, erklärte Diana hochmütig. »Das habe ich bemerkt. Andere warten auf die Gelegenheiten, die sich ihnen bieten.« »Du warst ja schon immer so etwas wie eine Maus.« »Du hattest immer mehr Ähnlichkeit mit einer Falle.« Die Fassade schien nun endgültig zusammenzufallen. Diana ging zur offenen Beleidigung über. »Ich halte es für richtig klug, daß du immer bei deiner alten Haarfarbe geblieben bist. Sag mir nur, wo findest du hier das nötige Wasserstoffsuperoxyd?« »Oh«, meinte Helena anzüglich, »das Wasserstoffsuperoxid kommt natürlich vom Raketentreibstoff… Ich habe gerade deine neue Nase bemerkt.« Diana lächelte überheblich und warf ihren Kopf zurück. Sie ließ sich gerne bewundern. »Und?«
»Ich hoffe nur, du hast die alte nicht weggeworfen.« Jetzt zeigte Diana ihre Zähne in einem Lächeln, das keines war. Sie schien allmählich das Interesse an dieser Unterhaltung zu verlieren, und ihre Augen suchten wieder die Menge ab. »Wie kommst du mit John Koenig zurecht?« »Nun ja, weißt du… in einer so kleinen Gemeinschaft muß man schließlich mit allen zurechtkommen.« »Wie süß.« »So süß ist es gar nicht.« »Hast du ihn… Magst du ihn noch immer?« fragte Diana anzüglich. »Er ist alles, was du gesagt hast, daß er ist«, erwiderte Helena voll süßer Liebenswürdigkeit. »Ich bin ja froh, daß du dich meiner Meinung anschließen kannst.« »Er ist in Wirklichkeit sogar noch viel mehr«, fuhr Helena fort, denn allmählich kamen sie zum Kern der Unterhaltung. »Er hat Tiefen, die du offensichtlich übersehen hast.« »Ich muß ihn sofort aufsuchen«, erklärte Diana beflissen. »Ich habe ihn an einer Gehirnmaschine«, bemerkte Helena. »Wie klug von dir, Liebling.« Sie ging weg, als habe Helenas Unbehagen sie vertrieben. Koenig lag noch immer in einer tiefen Bewußtlosigkeit, und seine Lebensimpulse waren auf einer verzweifelten Reise. Sie waren noch nicht an das Ziel der biologischen Existenz gelangt und ins Licht zurückgekehrt, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis es soweit war. Er wußte nicht einmal, daß er lebte, daß es eine Rettung für ihn gab, daß sein gefühlloser Körper durch eine Masse elektronischer Lebenslinien mit einer Maschine verbunden war. Er wußte auch nicht, daß sein wehrloser Körper in diesem Moment von den nervenlosen Fingern eines Saboteurs
ausgeplündert wurde. Sandstrom, ein ziemlich unbekannter medizinischer Techniker, wurde von den wieder stärker werdenden psychischen Wellen erfaßt, die unbemerkt wie eine kleine Flutwelle in die Mondbasis eindrangen und dort vorrückten. Die blinden, unsehenden Augen erkannten die Drähte und Instrumente, und die fummelnden Finger schalteten ein Instrument nach dem anderen ab. Koenig lag im Koma.
IX
Louisas eifriges Gesicht war bewundernd zu Ben Vincent aufgehoben. »Es ist sehr gut und vernünftig«, stellte sie fest. »Oh, wir haben es auch ununterbrochen verbessert«, bestätigte der Arzt. »Commander Koenig ist leicht zufriedenzustellen. Er wünscht nur Perfektion.« Louisa schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich kann mich nicht erinnern, daß du dich je mit weniger zufriedengegeben hättest.« »Ja… Nun…« Vincent wurde ein wenig rot. Er erinnerte sich nur allzu gut der engen Beziehungen, die er mit Louisa unterhalten hatte. Sie hatte ihn absichtlich daran erinnert, und ihn drängte es, sie so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Aber er wechselte das Thema und zeigte ihr jene Instrumente in der Kommandozentrale, die sie interessieren konnten. »Das hier ist der Hauptcomputer, der unsere Videoverbindungen im ganzen Stützpunkt besorgt.« Anschließend an den großen Schirm war eine Menge Geräte an der Wand aufgereiht, doch er deutete auf eine große Instrumententafel in der Wand hinter ihm. In deren Mitte war ein Monitor, und darunter stand MEDIZINISCHE ZENTRALE – RELAIS. »Das ist die Lazarettkonsole«, fuhr er fort. »Von hier aus ist eine Fernkontrolle über jeden einzelnen Patienten möglich… Du lieber Himmel!« Er schob Louisa weg, als er entdeckte, was der Pfleger bei Koenig tat. Verzweifelt drängte er sich durch die dichte Menge; die enttäuschte Louisa schaute ihm verblüfft nach. Und dann raste er auch schon den Korridor entlang.
Dieser Korridor war ebenso still wie die übrige Mondbasis, denn fast alle hatten sich in der Kommandozentrale versammelt. Nur Verdeschis Sicherheitsposten und andere Leute mit lebenswichtigen Aufgaben waren zu sehen. Ben Vincent öffnete mit seinem Comlock die Tür zum Lazarett, und er rannte hinein. Sandstrom war noch immer dabei, Koenig ›abzuschalten‹ und schien den Arzt nicht zu bemerken. Er war entweder taub, oder er hatte sich so in seine Arbeit vertieft, daß er nichts sah und hörte. Vincent verpaßte ihm einen heftigen Handkantenschlag an den Nacken und schleppte den zusammengesunkenen Körper aus dem Weg. Koenig schien in sehr schlechter Verfassung zu sein. Helena kam atemlos angerannt. »Louisa sagte mir«, keuchte sie, und da bemerkte sie Sandstroms Körper auf dem Boden und blieb unvermittelt stehen. Vincent schaute grimmig vom Oszilloskop auf, das Koenigs Herzschlag registrierte. »Sandstrom hat versucht, den Commander zu töten«, erklärte er ihr. »Ist John…« Sie schaute Vincent über die Schulter, um die Instrumente abzulesen. Der Puls war sehr schwach. »Es geht einigermaßen, weil er gerade im Aufwachen war, wenn es früher passiert wäre…« Vincent lief schnell zu einer anderen Konsole und stellte einige Instrumente nach. »Aber warum?« fragte Helena bestürzt. Wie zur Antwort auf diese Frage zuckte der am Boden liegende Körper. Sandstrom hob benommen den Kopf an. »Wwas ist p-passiert?« stotterte er. »Was passiert ist?« explodierte Vincent. »Du hast eben versucht, John Koenig zu ermorden!« Der Pfleger schaute so perplex drein, als habe er davon keine Ahnung. »Koenig ermorden?« Er setzte sich auf und rieb sich den Nacken. Dann kehrte seine Erinnerung allmählich zurück.
Jetzt wurde er zum rasenden Irren. Er sprang auf und lief zur Gehirnimpulsmaschine. Aber diesmal war Vincent für ihn bereit. Er nahm den schäumenden Mann in die Zange. »Koenig umbringen!« schrie Sandstrom und wehrte sich heftig. »Ich muß Koenig töten! Er könnte uns alle vernichten!« Helena lief schnell zu einem Tisch und zog eine Spritze auf, einen sehr schnell wirkenden Tranquilizer, die sie dem Mann sofort verpaßte. »Uns alle vernichten…« gurgelte er und sackte zusammen Vincent und Helena starrten einander entgeistert an.
Der kleine Professor Hunter fischte aus seiner Brusttasche eine kleine Flasche Glen Grant Whisky. Davon goß er einen großzügig bemessenen Schluck in Jack Bartletts Glas. »Scotch!« erklärte er dem erstaunten Wissenschaftler stolz. Überall in der Kommandozentrale klickten und klirrten nun die Gläser aneinander. Im allgemeinen waren die Alphaner ja glücklich über die mitgebrachten Getränke, aber einige Besucher hielten sich an Tony Verdeschis hausgebrautes Bier, und darüber lachten die anderen. Guido entschuldigte sich bei Maya und seinem Bruder, denn er wollte noch etliche Flaschen des Lagerbestandes holen, den er in der Superswift mitgebracht hatte, doch da stieß er mit Diana zusammen. »Ah, Guido.« Sie streichelte ihm Hals und Schultern. »Mach mich doch mit dieser Tagesattraktion bekannt.« Guido lachte und kehrte zu Tony und der Psychonierin zurück. Er deutete auf seinen Bruder. »Aber natürlich. Das ist mein Bruder Tony. Der kommt gleich nach einem extrafeinen Schinken.« Kichernd ging er wieder weg.
Dianas Augen musterten kurz den Chef des Sicherheitsdienstes und stellten fest, daß er ein sehr begehrenswerter Mann war. »Davon nehme ich eine doppelte Portion«, erklärte sie. »Glauben Sie, daß Sie das tun sollten?« fragte Maya und ließ nun ihre Augen über die Figur der Frau gleiten, um damit zu sagen, daß sie schon etwas mehr auf ihr Gewicht achten solle. »Oh, Entschuldigung«, warf Verdeschi ein. »Das ist Maya. Sie ist eine Psychonierin.« Diana legte diese Vorstellung absichtlich falsch aus. »Ah, haben sie ja jetzt schon Pillen dafür?« »Psychon ist eine Welt«, erwiderte Maya kalt. »Aber wie so vieles andere dürfte auch das jenseits Ihres Begriffsvermögens liegen.« »Maya ist die Letzte ihrer Rasse«, erklärte Verdeschi. »Das überrascht mich nicht.« Diana wandte Maya den Rücken zu und lächelte den Italiener verführerisch an. »Sagen Sie mir, wie schaffen Sie es hier, so fit zu bleiben?« wollte sie wissen. Er wollte schon antworten, aber da wurde die Psychonierin zu einer strahlenden Lichtspindel. Sie verwandelte sich in eine mittelgroße grüne Dinosaurierkreatur mit etlichen Reihen spitzer, glänzender Zähne. Wild peilte sie Dianas Rücken an, und von ihren Kiefern troff blauer Schaum. »Maya!« schalt er sie. Diana musterte verwirrt ihren Partner und drehte sich langsam um, denn sie wollte sehen, was den attraktiven Mann von ihrer noch viel attraktiveren Persönlichkeit abzulenken vermochte. Maya hatte sich aber schon wieder zurückverwandelt und schaute die anderen unschuldig an. Die beiden Frauen lächelten eisig, während sich Verdeschi verlegen umschaute. Er war überaus froh, daß niemand dieses kleine Zwischenspiel bemerkt zu haben schien.
Ehe Diana den Mund zu einer Frage öffnen konnte, kehrte Guido zurück. Er schien wegen der Drinks seine Absicht geändert zu haben und lieber anzunehmen als zu geben. Er winkte seinem Bruder zu, zog Mayas Arm in den seinen und erklärte Tony, zwei Frauen seien für einen Mann zuviel. Er zog mit Maya ab, und Verdeschi blieb verdutzt und hilflos zurück. Sicher war er kein Neuling in solchen gesellschaftlichen Dingen, doch er hatte das Gefühl, seine lange Abwesenheit von der Erde habe seine diplomatischen Geschicklichkeiten einrosten lassen. Er fühlte sich übertölpelt, und leider mußte er nun seine Aufmerksamkeit wieder Diana zuwenden. »Und erzählen Sie mir doch, was Sie hier so zu Ihrer Entspannung tun?« fragte sie voll interessierter Wärme. Wieder wurde er der Notwendigkeit einer Antwort enthoben, diesmal durch eine nicht eingeplante Unterbrechung. Der Monitor an seiner Konsole piepte ununterbrochen, und auf dem Schirm erschien Helenas angestrengtes Gesicht. »Tony Verdeschi bitte dringend zum Lazarett«, verkündete sie. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er zu Diana und verließ sie eiligst. »Natürlich«, rief sie säuerlich seinem Rücken nach. Sie zuckte die Achseln und suchte ein neues Opfer, doch leider passierte es ihr wie anderen Vamps – sie war ganz allein auf sich selbst angewiesen.
»Wir sind im Grund ja hauptsächlich nur Nukleinsäuren«, erklärte Maya die Biochemie ihres schönen Psychoniererinnenkörpers dem eifrig lauschenden Guido. »Aber nicht DNA oder RNA, auch nicht die helikalischen Schrauben. Aber Sie wollen doch sicher nicht soviel über unsere Biologie erfahren, nicht wahr?«
Guido war völlig hingerissen. »Ah, ich könnte ihnen immer zuhören, selbst wenn Sie über Schweinemast in Nebraska sprächen«, versicherte er ihr sehr unromantisch, doch bei ihm klang es wie eine Liebeserklärung. Maya musterte ihn amüsiert. »Das nennt man doch ›flirten‹, nicht wahr?« Guido sah verlegen drein. »Gab es das auf Psychon etwa nicht?« »Nein«, antwortete Maya. »Und was taten Sie?« Maya lachte. »Sie würden das schon selbst herausfinden, wenn ich Sie genug liebte.« Einer der Männer, der ihr immer gefolgt war, seit die Erdenleute aus dem Reisetunnel in den Stützpunkt kamen, erschien nun auf der Szene. Guido übersah er kurzerhand und machte sich mit ihr bekannt. »Hi, ich bin Steve und habe gehört, daß Sie von Psychon kommen. Der Planet hat mich von jeher immer besonders interessiert.« Guido musterte den aufdringlichen Steve böse. »Du hast von dem Planeten dein Leben lang noch nichts gehört«, knurrte er, aber da kamen noch mehr Männer heran, so daß er in seinem Ärger gestört wurde. »Ich bin Harry Miles«, führte sich einer breit lachend bei Maya ein. »Ich hörte eben, Sie seien von Psychon.« »Mac Steward«, sagte ein anderer und streckte ihr die Hand entgegen. »Man hat mir erzählt, Sie seien von Psychon.« Guido warf verzweifelt die Arme in die Höhe. »Mama mia!« rief er. Er gab auf und ging weg, seinen Bruder zu suchen.
Der Sicherheitschef beobachtete Helena und Vincent, die geschickt an der Gehirnimpulsmaschine arbeiteten und langsam den Commander in die Welt der Lebenden zurückbrachten. An die Party dachte er nicht mehr. »Was da mit John in der Eagle passierte – glaubst du, das könnte etwas damit zu tun haben, daß Sandstrom wahnsinnig wurde?« fragte er nachdenklich. »Es sieht ganz so aus, als seien wir einer neuen Attacke ausgesetzt«, gab Helena zu. »Aber es ist doch kein Anzeichen einer… Krankheit?« Vincent schaute kurz auf. »In Johns Blut fanden sich keine Viren und keine Bakterien… nichts Ansteckendes, wenn du das meinst.« Er studierte die Instrumente vor ihm und verstellte eines um Haaresbreite. Er seufzte zufrieden. »Und jetzt… Wenn wir noch eine Minute dranbleiben…« Er machte Helena ein Zeichen, worauf sie auch eines ihrer Instrumente nachstellte. »Ich glaube, dann bekommen wir Resultate.« Noch während er sprach, verstärkten sich die Wellenimpulse im Oszilloskop vor ihm ganz erheblich. »Wir haben einen ganz normalen Herzschlag!« rief Helena und klatschte in die Hände. Doch dann beugte sie sich wieder besorgt über ihren Patienten, um nach weiteren Lebenszeichen zu forschen. Koenigs Brust hob und senkte sich. Sie hörte dann auch sein regelmäßiges Ausatmen. Nun erwachte er sehr schnell. Zu ihrer aller Überraschung lachte er. »Wie fühlst du dich jetzt?« erkundigte sich Helena und sah ein wenig unsicher die anderen an. »Das sollst du mir sagen«, antwortete Koenig. »Dir geht es gut«, erklärte sie und legte ihm ihre Hand auf die Stirn. Er versuchte aufzustehen. »Du bleibst liegen«, befahl sie.
Zusammen mit Vincent nahm sie die Elektroden von Kopf und Körper und dann wurden ihm auch die Infusionen abgenommen. Auf die Einstiche an seinen Adern klebten sie Pflaster. »So, jetzt kannst du dich aufsetzen«, erlaubte ihm Helena. Er setzte sich mit Schwung auf, als habe die Tatsache, daß er dem Tod gerade noch entkommen war, überhaupt keine Wirkung auf ihn. Er rieb sich die Arme. »Nun, was ist eigentlich mit dem Schiff passiert?« wollte er wissen. Verdeschi stand im Hintergrund und war sehr verdutzt. »Totalschaden«, begann Helena. »Was ist eigentlich pass…« »Wie lange war ich weg?« fragte Koenig. »Nur ein bißchen mehr als vierundzwanzig Stunden.« »Was? Vierundzwanzig Stunden?« Er wollte es nicht glauben. »Es war eine schwere Gehirnerschütterung. Es ist erstaunlich, daß du so schnell wieder zu Bewußtsein kamst«, erklärte ihm Vincent. Helena deutete auf die Gehirnmaschine. »Ohne dieses Gerät hier hättest du Wochen dazu gebraucht… John, sag doch, was ist da draußen geschehen?« flehte sie. »Was meinst du damit? Was geschehen ist? Das muß doch jeder gesehen haben. Raketenpanne«, erwiderte Koenig. »Das war’s doch, oder?« Aber er sah, daß die anderen einander verblüfft anschauten. Helena nickte. »Gut, darüber sprechen wir dann später.« Koenig nahm an, daß damit die Diskussion abgeschlossen war, schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf die Bettkante. Jetzt sah er auch Verdeschi. »Was gibt’s Neues?« fragte er ihn. Helena biß sich auf die Lippen. Auf den ersten Blick erschien Koenig wohl und gesund, aber die schnelle Erholung gab ihr doch Rätsel auf. Trotzdem beschloß sie, den Augenschein als
Tatsache zu nehmen. Sie warf Verdeschi und Vincent einen verschwörerischen Blick zu und meinte so ganz lässig: »Oh, eigentlich nichts… Nur hat uns eine Rettungsexpedition von der Erde gefunden.« »Na, klar«, meinte Koenig lachend. »Nur so…« »Sie kamen in einer Superswift.« »In einer Superswift?« fragte er spöttisch erstaunt. Helena lachte, denn sie hielt sein Staunen für ein nettes Spiel. »Tonys Bruder ist der Kapitän, und Dr. Shaw kam auch mit.« »Dr. Shaw…« Koenig nickte. »Du erinnerst dich doch, ich habe dir von Dr. Shaw erzählt«, sagte Helena. »Ja, natürlich.« »Und Sahns Verlobter kam auch mit. Und Professor Hunter. Und Diana Morris.« Sie wartete gespannt auf seine Reaktion. »Ah, Diana Morris. Dieser Barrakuda! Das ist doch kein Witz!« Helena sah ihn fest an, und daraus mußte er eigentlich schließen, daß sie nicht scherzte. »Aber… du machst doch…keine Witze, oder?« fragte er plötzlich ganz ernst. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren voll Zärtlichkeit. »Du meinst es also ernst!« Koenig sprang auf. »Du meinst… daß sie… und daß etwas gelang… Du meinst, sie haben es also geschafft?« »Ja!« rief Helena und warf ihm die Arme um den Hals. »Du willst also sagen, daß sie wirklich hier sind?« »Ja!« »Und wir können zur Erde zurück?« »Ja!« Sie küßte ihn begeistert. »Ja, ja, ja!« Er tat einen lauten Freudenschrei und hob sie vom Boden weg, um sie übermütig herumzuschwingen. Erschöpft stellte er
sie aber bald wieder ab und wandte sich an Verdeschi. »Ist das auch wirklich wahr?« Der Sicherheitschef nickte und grinste vergnügt. Koenig klatschte ihm vor Begeisterung auf den Rücken. Mit Vincent machte er es ebenso. »He, dann wollen wir mal schnell zu ihnen gehen!« rief er. Arm in Arm verließen sie das Lazarett.
Natürlich waren sie glänzender Laune, als sie den Korridor entlangliefen. »Du hast mir ja noch nie gesagt, daß du eine solche Affäre mit Diana Morris hattest«, neckte Helena den Commander. Sie drückte ihm zärtlich die Hand. »Ich wollte dich mit meiner romantischen Vergangenheit nur nicht langweilen«, meinte Koenig schnoddrig. »Ich hätte aber gar nicht gedacht, daß sie dein Typ ist.« Er lachte. »Oh, wir waren Kinderfreunde.« »Diana Morris war nie in ihrem Leben ein Kind«, bemerkte Helena lachend. »Wir lernten einander in der Jazzballettgruppe kennen.« Sie boxte ihn in die Schulter. »Du bist ein Lügner!« Sie hatten inzwischen den Korridor vor der Kommandozentrale erreicht, und Helena war dabei, ihn mit den Gästen bekannt zu machen, die sich zu Gruppen zusammengefunden hatten und angeregt schwatzten. Da spürte sie, wie Koenig sich plötzlich veränderte. Sie, Vincent und Verdeschi ließen ihn besorgt los. Sein ganzer Körper hatte sich versteift und zitterte. Er starrte die Leute an, die ihn nun bemerkt hatten und unvermittelt schwiegen. Und er schien zutiefst angewidert zu sein. »Nein!« schrie er. »Nein, nein!«
Er legte die Hände vor das Gesicht, um sie nicht sehen zu müssen, aber er spähte durch die Finger. Verdeschi und Vincent traten besorgt wieder näher heran, doch er schrak vor ihnen zurück. Er tastete nach seinem Laser, entdeckte aber, daß er keinen hatte. »Zurück!« warnte er. »Und keiner kommt in meine Nähe!« Voll Angst und glühender Wut schob er sich an den schweigenden Gestalten vorbei zur Tür der Kommandozentrale. Und dort blieb er wie versteinert stehen. Er mußte innen etwas Unerklärliches sehen. Verdeschi und die beiden Ärzte liefen ihm bestürzt und verängstigt nach. Als sie ihn fast erreicht hatten, erschien Diana und drängte sich durch die Menge. Sie lächelte ihn süß an, aber ihr Gesicht war eine Maske des Betrugs. »John! Liebling!« rief sie, breitete die Arme aus und wollte ihn umfangen. Koenig ballte die Hände zu Fäusten. »Geh mir aus dem Weg!« herrschte er sie an. Er war leichenblaß geworden, und auf der Stirn standen ihm dicke Schweißperlen. Er sah gefährlich aus. Verdeschi nahm ihn fest am Arm. »Was ist denn los, John, was ist passiert?« Helena weinte, weil sich Koenigs Zustand so schlagartig verschlechtert hatte. Sie wußte nun, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Er hätte das Bett nicht verlassen dürfen. »Es ging ihm doch so gut!« schluchzte sie. Diana stand nun ziemlich unsicher vor ihm, aber ihre Nähe schien irgend etwas in ihm auszulösen, und er explodierte. Mit der Kraft eines Irren riß er sich von Verdeschi los und warf alles, was sich ihm in den Weg stellte, links und rechts zur Seite. Jemand flog in ein Gerät, so daß Funken und Rauch aufstoben.
»Raus hier!« schrie er. »Alles heraus! Alle verlassen die Kommandozentrale!« »John, bitte…« Helena griff nach ihm, Vincent versuchte sie wegzuziehen, weil er um ihre Sicherheit besorgt war, doch Koenig schien sie beschützen zu wollen. »Helena! Schnell, hinter mich! Und bleib dort!« schrie er. Sein Gesicht drückte jetzt keine Angst mehr aus, sondern die Entschlossenheit, eine unangenehme Arbeit zu tun. Er marschierte zu seiner Konsole und drückte auf einen Knopf. »Waffenabteilung!« Maya erschien vor Helena und Verdeschi. »Was ist denn?« fragte er. »Ich weiß nicht. Vielleicht ließ ich ihn zu früh aufstehen«, antwortete Helena bedrückt. Und Koenigs nächste Worte machten die Lage noch viel schlimmer. »Alle Laser bemannen!« befahl er grimmig. Sein Gesicht war so dunkel wie ein Gewitterhimmel. Er deutete auf den großen Schirm. »Dieses Schiff zerstören!« fuhr er Verdeschi an. »Tony, hierher, zu mir!« Alan Carter und Joe Ehrlich waren nun auch herbeigeeilt und hielten ihn schützend an den Armen. »John, ist schon gut«, redete ihm Carter zu. »Alan… laß mich in Ruhe!« knurrte Koenig. Er schaute sich verzweifelt um. »Ja, seht ihr das denn nicht?« Da sie nichts sahen und auch nicht antworteten, wurde er wieder sehr zornig und schüttelte sie ab. Sie taumelten rückwärts in Geräte und verursachten damit etliche Kurzschlüsse. Er lief zu Carter, der am Boden zusammengesunken war und nahm dessen Laser. Dann richtete er sich auf und deutete wie ein Betrunkener damit auf Guido. »Du zuerst!« Der Italiener sah außerordentlich verblüfft drein.
»Nein, John!« rief Verdeschi. »Ich werde nicht zulassen, daß du das tust!« Da schoß der Sicherheitschef. Doch seine Waffe war, anders als die Carters, auf Lähmung geschaltet. Koenigs Gesicht drückte die Verzweiflung eines Mannes aus, der mißverstanden worden war. Einen Augenblick lang glühte er unter der Laserenergie, dann sackte er bewußtlos auf den Boden.
X
Als sie Koenig wieder ins Lazarett zurückgebracht hatten, schlug er so um sich, daß es Helena vor Angst das Herz verkrampfte. Dabei sah er aber so vernünftig und flehend drein, daß keiner an einen Wahnsinn irgendwelcher Art glauben mochte. Vincent und Verdeschi hielten ihn fest, während Helena ein Sedativ mischte. »Ich muß hier raus«, keuchte Koenig. »Ich muß etwas tun… Antworten finden…« »John, nur Ruhe«, redete ihm Verdeschi zu. »Wir wollen doch nicht, daß du wieder ohnmächtig wirst.« Vincent gelang es endlich, wieder einige Elektroden an seinem Kopf und einem Arm zu befestigen, um die Körperfunktionen überprüfen zu können. »Gefahr… Alle sind in Gefahr«, stöhnte Koenig. »Die ganze Mondbase… Alle Menschen…« Er war wieder sehr schwach. »Kannst du denn nichts tun?« flehte Verdeschi Helena an. »Wir versuchen es doch, Tony«, antwortete sie. »Blutdruck steigt«, stellte Vincent fest. »Adrenalinspiegel ist sehr hoch.« Helena schien nichts zu hören. »Es könnte ja sein, daß er den Schock seiner Rettung noch nicht verarbeiten konnte«, meinte sie. Plötzlich wurde Koenig ganz ruhig, doch er verspannte sich. Seine Augen waren klar, und die Stirn legte er in Falten. »Helena!« rief er.
Fast ließ sie das Präparat fallen, das sie für ihn vorbereitete. »Ja, John, es ist schon gut«, meinte sie tröstend und beruhigend. »Du mußt nur ruhig bleiben.« »Diese Dinger da draußen, was sind sie?« fragte er merkwürdig ruhig. Er schien wieder ganz vernünftig zu sein wie sonst auch. Aber Helena wußte, daß ihn etwas im Griff hatte, und daß dieses Etwas mit bösen Tricks arbeitete. »John, ist schon gut. Diese Leute sind von der Erde«, erklärte ihm Verdeschi. »Du kennst einige von ihnen. Sie kamen, um uns heimzuholen.« »Welche Leute?« schnappte Koenig. »Habt ihr denn nicht gesehen, was das ist? Seid ihr denn blind?« Helena kam mit dem Glas zu ihm. »Bitte, John, du mußt uns vertrauen«, flehte sie ihn an. Die kurze Zeit der Klarheit war vorüber, und Koenig sah wieder so irr drein wie vorher. Helena seufzte in tiefer Sorge. »Ich muß hier raus!« rief er. »Euretwegen!« Verzweifelt versuchte er aufzustehen. Verdeschi drückte ihn wieder zurück, und dann brach er erschöpft auf seinem Bett zusammen. Traurig wandte sich der Italiener an Helena. »Und ich habe immer gesagt, er sei der allerletzte Mensch, der durchdrehen würde.« »Hört ihr mich?« schrie Koenig wieder. »Ich muß unbedingt hier raus! Um euch herum ist doch nichts als Tod und Verderben!« Helena hatte ein sehr schlechtes Gewissen, als sie Koenigs Kopf anhob, ihm das Glas an die Lippen setzte und ihm zuredete. »John, bitte. Es ist alles gut. Du brauchst nur ruhig zu werden. Hier, das hilft dir. Trink bitte. Das klärt die Wahrnehmungsfähigkeit.« »Es hilft nicht«, wehrte Koenig ab und stieß das Glas zurück. Aber dann gab er schließlich doch nach und trank. Sofort fiel er in einen tiefen Schlaf, der fast einer Betäubung glich.
Clive Kanders war ein großer, gut gebauter junger Mann, immer fröhlich und ohne Nerven, wie man von ihm sagte. Ein dicker Schopf schwarzer Locken fiel ihm in die Stirn. Er hatte eine mittelstarke Brille mit dicken, schwarzen Rändern, denn er war ziemlich kurzsichtig. Schön war er nicht, doch auf seine Art war er ein an seine Arbeit hingegebener Künstler. Er hatte die kleinste Abteilung der Mondbasis Alpha, aber sie war sehr wichtig. In seinem Labor war eine ganze Bibliothek audio-visueller Dokumentation über Geschichte und jede wichtige Arbeit des Stützpunktes. In schmalen Schubladen in einem vom Fußboden bis zur Decke reichenden Regal waren unzählige Filme aufgehoben. Er hatte eine kleine schrankähnliche Dunkelkammer und entwickelte alle Filme selbst. Auch sein Labor war, verglichen mit anderen Räumen, winzig. In letzter Zeit war jedoch das Geschäft recht hektisch gewesen. Ein Unglück nach dem anderen traf den Stützpunkt. Der Rückkehr zu einer Periode der Stabilität nach der Begegnung mit dem Raumfeld folgte die Ankunft des Erdenschiffes, die eine willkommene Abwechslung war. Natürlich mußte er die letzten Tage der Mondbasis Alpha filmen, um dieses ungewöhnliche Ereignis der Nachwelt zu erhalten. Sehr zufrieden nahm er die Video-Cassette aus der Kamera und legte sie in eine kleine Playback-Maschine ein. Die hatte er auf den Knien und wollte sein eigenes Werk genießen. Was er sah, ließ ihn aufspringen und einen entsetzten Schrei tun. Nein, er sah richtig, wie oft er auch das Schirmchen musterte und neu einstellte. Und er hörte auch richtig. Er stellte das noch immer eingeschaltete Gerät auf seinen Arbeitstisch und
ging quer durch den Raum zum Kommunikator. Auf halbem Weg blieb er stehen. Er schien es sich anders zu überlegen. Eine Kraft, die außerhalb seiner Kontrolle wirkte, ergriff von ihm Besitz. Er plapperte etwas Verängstigtes und ging dann zur Tür. Er richtete darauf sein Comlock, und die inneren Riegel rasteten sicher ein. Er kicherte und ging unsicheren Schrittes zu einem Schrank mit der Aufschrift SAUERSTOFF NOTVERSORGUNGSGERÄT. Er riß die Schranktür auf und hob einen großen Zylinder mit diesem lebenrettenden Gas heraus. Unglücklicherweise ist dieses Gas in größeren Portionen und bei längerer Anwendung ein Killer. Trotzdem öffnete er das Ventil und schob sein Gesicht in den zischenden Strom. Euphorische Freude spiegelte sich in seinem Gesicht, als das Gas wirkte. Erst lachte er leise in sich hinein, aber schließlich röhrte er vor Lachen wie ein Irrer. Verdeschi runzelte die Brauen, da er schon wieder vergessen hatte, den Ausstoß an Lambda-Wellen von den Geräten abzulesen. Immer wieder entschlüpfte dies seiner Erinnerung; er wußte auch nicht, warum. Und jedesmal, wenn er zu diesem Zweck in die Kommandozentrale ging, wurde die Versuchung der Verbrüderung mit den Rettern größer. Solche gesellschaftliche Angelegenheiten gehörten wirklich nicht zu seinem Pflichtenkreis. Daß sie dabei waren, die Mondbasis endgültig zu verlassen, durfte das gar keine Rolle spielen. Solange sie da waren und Koenig nicht kommandofähig war, hatte er Kommandantenpflichten zu erfüllen. Er war über sich zornig und gleichzeitig verlegen, denn eine solche Nachlässigkeit lag sonst nicht in seinem Wesen.
Fast böse starrte er auf das Bett mit dem schlafenden Koenig. »Johns Geist…« sagte er zu Helena, »er war doch immer so unglaublich zäh.« Helena und Vincent waren beide sehr niedergeschlagen. Sie konnten im Moment gar nichts mehr tun. Aber Vincent legte tröstend einen Arm um ihre Schulter. »Wir haben ihn doch beide an diese Maschine angeschlossen«, sagte er. »Und wir haben nichts getan was ihn schädigen konnte.« »Er hat schon vor dem Absturz so merkwürdige Reaktionen gezeigt«, bemerkte Verdeschi. »Deshalb stürzte er ja auch ab, oder?« Da schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Oder war es dieser verrückte Sandström? Wie geht es dem eigentlich?« »Er ist unter Sedativen und bleibt auch so«, erwiderte der Arzt. Der Wandmonitor meldete sich, und Mayas Gesicht erschien auf dem Schirm. »Tony, ich bin im Dokumentenlabor, und du kommst besser sofort her«, drängte sie. Verdeschi fluchte heftig und verließ das Lazarett.
Eine kleine Gruppe Sicherheitsposten und medizinischen Personals hatte sich vor dem Dokumentenlabor versammelt. Maya, Dr. Shaw und Guido spähten durch die dicken Beobachtungsfenster in den verriegelten Raum. Die Gruppe teilte sich, um Verdeschi durchzulassen. Er schaute durch das Fenster und sah Kander. Ein Blick genügte, und er wußte, was geschehen war. »Er hat die Notration Sauerstoff voll aufgedreht!« Er stellte die richtige Frequenz auf seinem Comlock ein, um die Tür zu öffnen, doch nichts geschah. Maya nickte grimmig. »Ist erst einmal eine gewisse Sättigung erreicht, dann genügt ein winziger Funken, um einen erheblichen Teil der Mondbasis herauszusprengen. Er hat auf
seiner Seite die Riegel vorgeschoben, und das Glas ist unzerbrechlich.« »Es ist wirklich zu riskant, einen Laser einzusetzen«, murmelte Verdeschi. »Dieser verdammte Narr!« Der verrückte Kander taumelte voll kindlicher Freude in seinem Labor herum, riß wie ein Betrunkener Schubladen heraus und wickelte dicke Rollen kostbarster Dokumentarfilme ab. An der offenen Tür des Sauerstoffschrankes stand ein großer Zylinder, und der Gummischlauch des Anschlusses zuckte und hüpfte, als das Gas ausströmte. »Da gibt es nur eine Möglichkeit«, wandte sich Verdeschi an Maya. »Dir brauche ich das ja nicht zu erklären.« Die Psychonierin nickte. »Da hast du recht.« Sie besah sich genau einen winzigen Spalt unter der Tür, der kaum breiter war als ein Messerrücken. »Es muß etwas sehr Kleines und Flaches sein…« murmelte sie. Sie konzentrierte sich. Langsam veränderte sich ihr Körperumriß. Er wurde zu einem pulsierenden Glühen warmen Lichtes, das erst sehr intensiv wurde und sich dann zu einem winzigen, mächtigen Energiebällchen am Boden verdichtete. Das verschwand, und nun lag ein rotes Marienkäferchen mit schwarzen Punkten da. Das Käferchen winkte Verdeschi mit einem Fühler und lief zum Spalt unter der Tür. Die anderen warteten gespannt, bis es auf der anderen Seite erschien und wieder zu Maya wurde. Aber es war keine Maya, sondern eine riesige, sonderbare Raumkreatur, die sich aus der wirbelnden Energie formte. Das Wesen war sehr stark und untersetzt, hatte starres grünes Haar und ein metallblaues Gesicht. Die Augen waren wie braune Untertassen, und statt der Hände oder Pfoten hatte es lange, gefährlich aussehende Klauen, die nur im Moment eingezogen waren.
Flink wie ein intelligenter Koalabär bewegte sich das Wesen. Mit einer einzigen weitausholenden Bewegung fischte es sich den plappernden und kichernden Kander und klemmte ihn unter den Arm. Mit der anderen Klaue schaltete es geschickt den Sauerstoff ab. Damit war die Aufgabe erledigt. Nun warf es sich gegen die Tür. Die war einem so wuchtigen Anprall nicht gewachsen und gab nach. Zusammen mit der Tür stürzten Retter und Geretteter in den sicheren Korridor hinaus. Verdeschi und die Gruppe der Alphaner und Erdenmenschen konnten gerade noch zurückspringen. Guido und Dr. Shaw erhoben sich vom Boden. Sie sahen bestürzt und ziemlich verlegen drein, und brummend gesellten sie sich zu den Alphanern, die ein wenig halbherzig »Bravo!« schrien. Die metallgesichtige Kreatur reichte Kander an den Sicherheitsposten weiter und verwandelte sich wieder in eine müde Maya. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und deutete auf den schlaffen Fotografen. »Ist ihm doch nichts passiert?« erkundigte sie sich. Die Einmann-Sauerstofforgie erwies sich schließlich als zuviel für Kander; er war bewußtlos und wurde von den Sanitätern auf eine Trage gehoben. Einer untersuchte ihn flüchtig. »Er lebt – gerade noch. Wir müssen ihn sofort ins Lazarett bringen.« Er aktivierte die Trageninstrumente, und sie eilten den Korridor entlang. Maya sah Verdeschi verständnislos an. »Warum?« fragte sie. Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf, denn auch er war verwirrt und zudem zornig. »Hast du eine Ahnung?« »Nein, noch nicht. Wie geht es John?« »Nicht besonders gut. Komm mit.« Sie gingen, und Dr. Shaw und Guido folgten ihnen. Guido boxte Verdeschi kräftig in den Rücken.
»Dr. Shaw und ich«, erklärte er lachend, »haben schon einen Plan besprochen, euch alle nach Hause zu bringen. Wir haben ein Pilotschiff dabei, das zuerst zur Erde zurückkehrt. Dort ist Platz für drei Leute. Wenn du ein paar vorschlagen willst…« Der ältere Bruder schaute ihn mißmutig an. Irgendwie fühlte er Skepsis, denn Guido und die Erdenleute redeten schon seit Stunden von der Abreise, doch das Versprechen schien sehr lange zu brauchen, bis es sich verwirklichen ließ. Wenn man so weitermachte, wurden nur die Leute alle verrückt, und zum Schluß war keiner mehr da, der gerettet werden konnte. »Wir sollten uns so schnell wie möglich an die Arbeit machen, Tony«, schlug Guido vor und stieß ihm wieder eine brüderliche Faust in den Rücken. Verdeschi nickte. Allmählich paßten ihm diese ständigen Faustschläge nicht mehr. Allerdings konnte er auf Guido niemals lange ärgerlich sein. »Okay«, meinte er lachend und schlug dem jüngeren Bruder so auf die Schulter, daß dieser kurz in die Knie ging. »Hör jetzt auf mit dem ständigen Boxen. Wir müssen ja Nägel mit Köpfen machen.« Etwas heiterer erreichten sie die Kommandozentrale, nur Maya blieb hinter der Gruppe zurück. Sie als Psychonierin hatte keinen Besuch von Verwandten und Freunden und ließ sich daher nicht so leicht von Sentimentalitäten bestimmen. Die Party war noch lauter und stürmischer geworden. Koenigs Zusammenbruch hatte man schon vergessen, und der Alkohol floß in immer größeren Mengen durch vertrocknete Kehlen. »Anrollen für die zauberhafte Geisterfahrt!« rief Verdeschi. »Entscheidet, wer die ersten drei Glücklichen sein sollen!« Er lief zu seiner Konsole, und schnell sammelten sich alle um ihn. Die Gesichter strahlten. Er fischte aus seiner Schublade ein Blatt Papier und einen Schreibstift. Das Papier zerriß er in Streifen. »He, das dauert aber viel zu lange«, überlegte er. »Ich
fürchte, das dürfen nur ältere Mitglieder unseres Vereins sein.« Die einen stöhnten enttäuscht, die anderen buhten. Er schrieb inzwischen die Namen der dreißig ältesten Alphaner auf, schloß aber sich selbst, Helena, Maya und Koenig aus. Dann faltete er die Streifen zusammen und warf sie in eine Mütze, die ihm jemand zur Verfügung stellte. Er schüttelte die Lose durch und hielt sie Guido entgegen. Der schloß die Augen und fischte drei Lose heraus. Langsam faltete er die Zettel auf. Alle waren mäuschenstill. »Ehrlich!« rief er dann und hielt Umschau nach dem Physiker. Ein strahlender Ehrlich trat vor und griff nach dem Papier. »Yippiiiii!« schrie er. »Bartlett!« Das war der zweite Name. Wieder kam ein überglücklicher Mann heran und schlug Ehrlich auf die Schultern. »Alan Carter!« Der Italiener schien ein wenig erstaunt zu sein, daß dies der dritte Name war. Carter trat vorwärts zu den beiden Physikern. Die anderen murmelten. Für die drei war das Schicksal also festgelegt; sie waren dazu bestimmt, alle Reisen gemeinsam zu machen. »Ein Drink auf sie!« rief Verdeschi den anderen zu. »Jawohl!« schrien etliche, und bald war die Kommandozentrale wieder mit lärmenden Stimmen erfüllt. Gläser klirrten, Flaschen gurgelten, und alle schienen auf einmal zu reden und zu lachen. Nach fünf Jahren an Bord eines Gefängnisses und unendlich weit vom Mutterplaneten entfernt, hatten sie den Traum, wieder einmal nach Hause zu kommen, eigentlich schon längst aufgegeben. Und jetzt… Verdeschi und Guido klatschten einander wieder einmal auf den Rücken, und dann verabschiedete sich der Sicherheitschef, als ihm einfiel, daß Koenig noch immer ernstlich krank war.
Nun kam er in besserer Laune zurück, als er vorher das Lazarett verlassen hatte. Koenig war inzwischen wieder bei Bewußtsein, wenn auch noch unter der Wirkung von Sedativen, aber er schien lebendig und sehr vernünftig zu sein. Aber Verdeschi fand ebenso wie vorher Helena, daß ausgerechnet dieser Zustand irgendwie verblüffend und besorgniserregend war. Helena und Ben lasen wieder einmal die Instrumente ab, und Koenig half ihnen sogar dabei. »Okay«, sagte er, »sind meine Augen klar? Ist mein Puls normal?« »Ja«, bestätigte Helena und sah zwei Skalen nach. »Und der Blutdruck? Ist er heruntergegangen?« fragte er Vincent. Der Arzt nickte. »Sehr schön sogar!« »Erscheine ich euch also jetzt vernünftig?« fragte er in einem fast verzweifelt klaren Ton. »Ja.« Verdeschi trat auf ihn zu. »Fein.« Koenig setzte sich im Bett auf. »Werdet ihr mir jetzt glauben, daß ich etwas anderes sehe als ihr, wenn ich unsere ›Freunde‹ von der Erde anschaue?« Die drei, die am Bett standen, tauschten enttäuschte Blicke. Sie hatten gehofft, er sei auf dem Weg der Besserung. »Nun, und was siehst du?« fragte Helena gespannt. Koenig tat einen tiefen Seufzer, als er erkannte, daß sie ihm noch immer nicht glaubten. »Etwas… Monströses und Obszönes, etwas Feindseliges und Tödliches.« Er schüttelte die Fäuste. »Ihr müßt auf mich hören, ihr müßt! Hört ihr?« Er wurde ärgerlich, weil sie ihn so mitleidig-besorgt musterten. »Ihr müßt mich hier herauslassen!« rief er. Dann fluchte er laut und versuchte vom Bett aufzustehen. Helena näherte sich ihm mit einer Injektionsnadel, und da überlegte er es sich noch einmal. Er bezähmte seinen Zorn. »Nein«, wehrte er fest und ruhig ab. »Nein, tu das ja nicht!«
Dann ließ er den Kopf hängen und versuchte seine inneren Spannungen abzubauen. Sehr langsam, sehr vernünftig und bestimmt hob er den Kopf und versuchte es noch einmal, »Schaut doch mal. Ist es nicht sehr merkwürdig, daß euch allen der größte Teil der Mannschaft des Rettungsschiffes bekannt ist? Alles sind Verwandte und Freunde? Ist das nicht außerordentlich merkwürdig?« »Nein, John, eigentlich nicht.« Vincent mußte anerkennen, daß Koenig vernünftig sein wollte, und er freute sich darüber. »Es sind ja lauter Freiwillige. Sie haben sich gemeldet, weil sie mitkommen wollten.« »Okay, okay«, antwortete der Commander, doch das kostete ihn große Anstrengung, trotz der Veränderung, die scheinbar in ihm vorgegangen war. Er sprach aber jetzt wie ein verzweifelnder Lehrer zu seinen geistig unbedarften Kindern. »Okay. Und was ist mit diesem Pilotschiff? Habt ihr Lose gezogen, wer zuerst gehen darf?« »Ja, das habe ich organisiert«, erwiderte Verdeschi. »Du hast gesagt, die Gewinner sind Ehrlich, Bartlett und Alan?« »Ja, das stimmt.« Verdeschi legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Aber was hat all dies damit zu tun, daß…« »Kommt dir das nicht sehr sonderbar vor?« fragte Koenig. »Die Gewinner sind die drei Mitglieder des radioaktiven Überwachungsteams.« Verdeschi sah drein, als dämmere ihm die Wahrheit, doch dann schüttelte er den Kopf und lachte. »Was ist mit dir los, John? Wir werden doch sehr bald alle zu Hause sein, und dann brauchen wir auch keine Überwachung mehr.« Koenig biß die Zähne zusammen, doch dann sprach er ungewöhnlich bestimmt und drängend weiter. »Verstehst du denn nicht, daß ihr alle manipuliert werdet? Was ist mit euren
Instinkten los?« Er schlug sich mit den Fäusten an die Stirn. »Hier ist etwas Böses, und ihr spürt es nicht?« Der Türmonitor piepte, und es erschien Dr. Shaws Gesicht. Helena ließ ihn ein und lief eifrig zu Koenig zurück. »John, du erinnerst dich doch, wie oft ich dir von Dr. Shaw erzählt habe! Er ist der beste Arzt, den ich kenne, und da ist er. Ich habe ihn gebeten, dich einmal anzuschauen.« Koenigs Körper versteifte sich. Ohne in die von Helena angezeigte Richtung zu schauen, rief er heftig: »Bringt das Ding weg! Hinaus damit! Tötet es! Zerquetscht es!« Er drückte seine Fäuste wieder auf die Augen, denn er wußte, wenn er die Kreatur anschaute, die sich Dr. Shaw nannte, würde man ihn wieder mit Sedativen vollpumpen. Besorgt bat Helena Dr. Shaw, er möge den Raum verlassen. »Es tut mir so leid«, sagte sie mühsam beherrscht. »Es hätte aber keinen Sinn, etwas zu erzwingen.« Dr. Shaw sah sehr besorgt und bekümmert drein. Er legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern und schmauchte dazu seine unvermeidliche Pfeife. »Keine Angst«, redete er ihr zu, »wir werden das Problem schon noch lösen.« »Warum versteht ihr das nicht?« fragte Koenig verstört. »Warum seid ihr alle so blind?« Sie trat hinter ihn und holte die Injektionsnadel, die sie am Nachttisch abgelegt hatte. Mit zitternden Händen zog sie die Spritze auf. Sie war damit schon auf dem Weg zu ihm, als sich der Wandmonitor meldete. Diesmal war es Sahn, die Verdeschi von der Kommandozentrale aus anrief. Bunte Luftschlangen hingen in ihrem Haar, und sie sah sehr betrunken aus, aber auch sehr glücklich. »Tony, das Pilotschiff m-mit Alan und d-den zwei Phys-physi-kern fliegt jetzt d-dann ab«, meldete sie kichernd, weil sie so sehr stotterte. Jemand zog sie weg, und eine Weile beobachtete er die Party, die voll
im Gang war. Dann schob sich eine dunkle Hand über den Schirm. Er wurde abgeschaltet. »Nein!« Koenig sprang von seinem Bett auf und wandte sich flehend an Verdeschi und Vincent. »Nein, sie dürfen nicht gehen! Wenn euch ihr Leben etwas wert ist, dann dürft ihr sie nicht gehen lassen!« Ein scharfer Schmerz im Arm ließ ihn zusammenzucken. Er konnte Helena gerade noch einen vorwurfsvollen Blick zuwenden, dann war er auch schon wieder ohne Bewußtsein. Die beiden Männer fingen ihn auf und legten ihn wieder auf das Bett.
Aber nach der Injektion schwamm sein Geist weiter durch die Dunkelheit. Eine furchterregende Schwärze erstreckte sich nach allen Richtungen; sie war dick und undurchdringlich. Felder der Schwärze, auf denen nie etwas wachsen konnte. Oder doch? Sein Geist schien auf ungewöhnliche Art hellwach zu sein. Er war von unendlicher Macht, von der Macht eines Gottes. Er wußte, daß er nur etwas ganz Bestimmtes denken mußte, um ETWAS zu einer Tatsache werden zu lassen. Dieses Wissen bestürzte ihn. Es war ein Wissen, das wilder war als seine wildesten Träume. Als er durch die Schwärze schwebte, dachte er an einen Stern, damit er Licht bekäme. Im gleichen Moment erschien in der Ferne eine Masse flammenden Feuers; es war zwar kein Stern, aber Licht, Wärme und Leben. Entschlossen schob er sich diesem Feuer entgegen. Es wuchs, bis es wie ein riesiges Ungeheuer vor ihm tanzte. Und die zuckenden Flammenzungen schienen ihn zu necken und dann zu verhöhnen.
»Ich bin nicht das, was du glaubtest«, rief eine harte, irre Stimme. »Ich bin nicht Wärme – ich bin kalt wie der Tod!« Der Mittelpunkt des flammenden Feuers schüttelte sich und schien zu lachen. Ein eisiger Wind ging davon aus, und Koenig fröstelte, denn er wußte, daß er nackt war. »Wer bist du?« fragte er das Feuer. »Das wirst du nie herausbekommen.« »Warum hast du mich dann hierhergebracht?« schrie er. »Ich habe nichts zu tun, weil meine Schergen deine Mondbasis übernehmen, und deshalb will ich Gesellschaft haben«, erwiderte das Feuer sarkastisch. »Du kannst dir nur das wünschen, was ich will!« erklärte Koenig zornig. Er begann sich zu konzentrieren und wünschte sich, das Feuer möge erlöschen. Die kalten, haßerfüllten Flammen verschwanden, doch während sie verblaßten, spotteten sie: »Du willst, daß wir aus deinem Geist verschwinden, aber du kannst uns nicht aus dem Leben verbannen! So schau doch, schau!« Stimme und Flammen wurden von der Dunkelheit aufgesogen, und Koenig bemerkte, daß er hilflos dorthin zurückglitt, woher er gekommen war. Als er zurückkehrte, glühten die dunklen Wände um ihn herum in unirdischem Licht. Nun hatte er eine spukhafte Mondlandschaft vor sich, mit Kratern durchsetzt und zerklüftet. Spitze Berge erhoben sich am Horizont. Direkt unter ihm und sehr nahe kamen nun die Oberflächengebäude des Mondes in sein Blickfeld. Sie sahen so geisterhaft aus wie die verlassenen Städte einer toten Rasse. Nirgends brannte ein Licht, und die grauen nackten Mauern sahen ganz und gar unlebendig aus. Er fiel diesen Gebäuden entgegen, sosehr sich auch sein von diesem Anblick hypnotisierter Geist dagegen wehrte; und bei
diesem abgebremsten Sturz nahm er die Einzelheiten dieser tödlichen Landschaft auf. Während er noch fiel, hob ein Raketenschiff ab. Ein Kissen blassen Feuers fiel von seinem Schwanz auf das Startpolster. Es war, wie er sofort wußte, das Beischiff der Superswift und hatte die drei irregeführten Alphaner an Bord. Kalte Furcht schüttelte ihn, als er sich darüber klarwurde, daß dies nicht nur ein Alptraum war. Irgendwie schwebte er in einer verbogenen Wirklichkeit, in einer Alptraumversion des richtigen Universums. »Alan…« versuchte er zu stöhnen, doch seine Kehle gab keinen Ton von sich. Verzweifelt kämpfte er darum, das Beiboot durch die Kraft seiner Gedanken zu zerstören, doch die Szenerie konnte nicht ausgelöscht werden. Sie blieb unerschütterlich und häßlich am Ende seiner Wahrnehmungsfähigkeit. Sein Entsetzen wurde vollständig, als er drei dieser monströsen, fremdartigen Gestalten bemerkte, die er in der Kommandozentrale gesehen hatte. Wie grimmige Wächter starrten sie über die Mondoberfläche, jene Gestalten, die Helena, Verdeschi und der Rest seiner Crew für ihre Freunde hielten! Sie waren keineswegs Freunde, sondern abstoßende, schleimige Wesen, die kaum genügend Energie hatten, sich aufrecht zu halten, als sie gierig und völlig frei durch die Mondbasis wanderten. Und sie plünderten den ganzen Stützpunkt aus, als gehöre er ihnen. Koenig kochte innerlich vor Wut und Ablehnung, als er hilflos in engen Spiralen in die Schwärze des Vergessens sank. Es war eine absolute Schwärze, die nicht tiefer sein konnte. Die riesigen, telepathischen Seen der Raumamöbe brausten und wogten vor Vergnügen, als sie den zerbrechlichen, menschlichen Führer zurückspien in sein Bett, in seinen Tod.
In Alan Carters Geist formte sich ein anderes Land. In der großen Pilotenkanzel der Superswift – oder dessen, was er, Bartlett und Ehrlich gemeinsam für eine Superswift hielten – saß er starr vor Aufregung und verwunderter Vorfreude, weil er seinen Mutterplaneten, die Erde, wiedersah. Er beobachtete den dunstverhangenen blau-grünen riesigen Ball mit den weißen Wolkenfahnen, der echten Schwerkraft und der herrlichen frischen Luft und weinte fast vor Freude. Seine terra firma! Die langen Tage im Raum, auf dem nackten, riesigen Felsklumpen ohne jedes Leben, den sie zu einem Heim zu machen versucht hatten, neigten sich ihrem Ende entgegen. Insgeheim hatte er immer die Hoffnung in sich genährt, daß sie eines Tages heimkehren würden. Andere hatten diesen Glauben verloren, doch in ihm hatte immer ein winziges Hoffnungsflämmchen gebrannt. Bald würde er für seine Ausdauer belohnt werden. Er roch schon die heimischen Eukalyptuswälder und sah die weitgeschwungenen riesigen Sturzwellen mit den weißen Kronen, die die große Mutter Pazifik zu seinem Heimatkontinent Australien schickte. »Habt ihr je schon etwas so Wundervolles gesehen?« fragte er die anderen beiden voll Stolz. Bartlett schüttelte ehrfurchtsvoll den Kopf. »Das ist ja unglaublich…« Er sah auf seine Uhr. Auch Ehrlich tat es. Er war richtig verblüfft. »Das sind doch nur Stunden, oder?« fragte er. »Ja, das ist ja dieser Durchbruch, von dem sie gesprochen hatten«, sagte Carter und lachte Freudentränen. »Zeit…« Er küßte seine Fingerspitzen und warf die Küsse dieser
wundervollen Kugel entgegen, die er auf dem Schirm sah. »Blaue Augen, verschwindet nicht!« rief er. »Das muß ich jetzt aber doch den Burschen auf Alpha berichten.« Joe Ehrlich nahm sein Comlock heraus, drückte Verdeschis Wellenlänge, weil ihm ja einfiel, daß es nutzlos war, Koenig zu rufen. Verdeschi kehrte mit Maya zu Koenig zurück. Die phantastischen Nachrichten, die er überbringen konnte, beflügelten seine Schritte. »Das wird John ja nun endlich überzeugen«, meinte er. »Jetzt hat einer doch wirklich die Erde wiedergesehen.« Er hielt triumphierend ein Tonband in die Höhe und grinste breit. Er schaltete es ein. Ehrlichs vor Begeisterung trunkene Stimme hallte durch die Korridore der Mondbasis. »Ich sage euch, das ist einfach unbeschreiblich schön, Kumpels, ihr könnt es euch gar nicht vorstellen!« Die Stimme hatte etwas Unwirkliches an sich, und Maya schüttelte sich unwillkürlich.
XI
Die warmen Wellen des Raumfeldes rollten träge und trotzdem hungrig durch die ganze Mondbasis. Sie waren wie eine riesige, fühlende See, die mit jeder Stunde mehr und stärkere psychische Energien über die Alphaner spülte und die Menschen ihrer Wirkung unterwarfen. Die gallertartigen Eindringlinge bezogen eine ungeheure Bewegungsfähigkeit aus den Strahlungen dieses Raumfeldes. So konnten sie ihre Halluzinationen zu einem immer stärker werdenden Regime von Liebe und Terror ausbauen. Helena Russell seufzte und legte sich auf ihr Bett zurück. Sie hatte sich ein paar Stunden freigenommen, um ihre Berichte, zu denen sie verpflichtet war, auf den neuesten Stand zu bringen. Erst dann konnte sie sich’s erlauben, sich für kurze Zeit auf ihr Bett zu legen und für sich zu sein. Sie war in Frieden mit sich selbst und begriff daher nicht, weshalb sie immer wieder in solche Nervosität geriet. Verdeschi hatte recht. Alles würde sich selbst glätten. Bald würden sie zu Hause sein, und ihre Nachtmahre konnte sie dann vergessen. »Mondbasis Alpha, Statusbericht«, sagte sie auf dem Bett liegend. Sie hatte das Band so aufgestellt, daß ihre Stimme deutlich aufgenommen wurde. »Neunzehnhundertfünfzehn Tage seit dem Verlassen der Umlaufbahn der Erde. Dr. Helena Russell berichtet. Commander Koenig ist in einem Zustand der Verwirrung. Seit seinem Absturz in der Eagle hat er auf die Behandlung nicht mehr angesprochen. Es ist möglich, daß die Anwendung der Gehirnimpulsmaschine seinen Zustand verschlechtert hat. Er reagierte sehr negativ auf die Ankunft
der Rettungsmission von der Erde. Obwohl die ersten Alphaner bereits auf dem Rückweg zur Erde sind, bleibt er davon überzeugt, daß die Mission unserer Freunde irgendwie unheilvoll ist und daß böse Kräfte am Werk sind.« Sie legte eine Pause ein und schaute unglücklich zum Plafond hinauf. In mancher Beziehung fühlte sie sich selbst unbehaglich, besonders dann, wenn sie an Koenigs Enttäuschung und Verzweiflung dachte, als sie ihn lähmten, an die lange Liste pathologischer Ereignisse, an das anhaltende Vorhandensein des Raumfeldes, das noch von keinem richtig untersucht wurde. Aber diese harten, kalten Tatsachen wurden allmählich weggeschwemmt von warmen Wellen der Zufriedenheit. »Einiges weist darauf hin«, fuhr sie fort, »daß der Zustand des Commanders vielleicht ansteckend sein könnte. Das Crewmitglied Sandstrom unternahm einen unmotivierten Versuch, den Commander zu ermorden, und Techniker Kander schnappte über und versuchte sich selbst zu töten. Der Commander bleibt im Lazarett, wo mein alter Freund und Lehrer von der Erde, Dr. Shaw, versprochen hat, ein Auge auf ihn zu haben.« Sie war zufrieden mit sich selbst, stand vom Bett auf und schaltete das Gerät ab.
Ein schwarzer Umriß bewegte sich in der kalten Wirklichkeit des Lazaretts. Er glitt dorthin, wo Koenig bewegungslos in seinem Traumschlaf lag. Der Umriß war kaum von menschlicher Mittelgröße, faulig und durchscheinend und sah aus wie die verwesende, schmutzige Wiedergabe eines urweltlichen Wesens. Eine Wirrnis wurmartiger Fühler schlängelte sich über seine widerwärtigen Gallertmassen. Dieses Ding hätte eigentlich gar
nicht aufrecht stehen können und wurde nur von der telekinetischen Kraft seines Schöpfers vor dem Zusammenbrechen bewahrt. So glitschte es über den Boden und hinterließ eine Spur nasser, stinkender Flecken. Es erreichte das Bett mit den tickenden, summenden Instrumenten und blieb dort schwankend stehen. Bald war der Raum ganz mit dem Gestank verrottenden Protoplasmas erfüllt. Dann fiel es in einem formlosen, widerlichen Haufen über die stille Gestalt des Commanders. Das schillernde Gebilde begann zu schäumen und gurgeln; Fäulnisgase warfen Blasen und entwichen. Fast war es ihm schon gelungen, das Leben aus Koenig herauszusaugen, als sich die Lazarettür leise aufschob. Helena und Maya kamen herein und gingen sofort zum Bett. Die gallertartige Masse riß sich mit großer Mühe los und richtete sich auf. »Nun, was meinen Sie, Dr. Shaw?« fragte Maya. Die Kreatur schüttelte sich. Die Züge von Dr. Shaw, die tief in Helenas Gedächtnis eingegraben waren, verblaßten bis zur Undeutlichkeit und konnten nur mühsam Zorn und Erschöpfung verbergen. Dr. Shaw schluckte und kratzte sich elegant am Kinn, als müsse er scharf nachdenken. »Körperlich ist er ungeheuer stabil«, erklärte er voll Überzeugungskraft. Er wandte sich zum Gehen. »Wenn ich noch etwas tun kann…« Helena lächelte ihn dankbar an. »Dann werde ich dich darum bitten.« Maya schaute ihm mißbilligend nach, als seine hohe schlanke Gestalt verschwand. Sie tadelte sich selbst dafür, daß sie den Bann nicht abwerfen konnte, der, wie sie wußte, über ihnen allen hing. Sie wußte, daß etwas nicht in Ordnung war, doch sie unterlag der Wirkung dieser Lambda-Wellen ebenso wie die anderen.
Helena wandte sich an sie. »Komm, wir wollen versuchen, John aufzuwecken. Vielleicht benimmt er sich jetzt vernünftiger.« Helena schüttelte Koenig sanft an der Schulter. »John… Maya ist hier.« Koenig öffnete die Augen. Diesmal sah er nicht so klar und lebhaft drein. Er schaute sich wie betäubt um und lauschte Helenas Stimme. »Sie hat etwas, das du hören sollst… Maya, sprich.« Maya hob das kleine Tonbandgerät hoch. Sie hatte die Spule mit Ehrlichs aufgeregter Stimme aufgelegt, aber sie wirkte jetzt nicht mehr ganz so überzeugend, als sie es vor Koenig abspielte. »Wir können die Erde sehen, und sie ist wunderschön«, berichtete die jubelnde Stimme des Physikers. »Blau… blau und sehr schön. Mit jeder Minute kommen wir ihr näher…« Das klang so, als stehe er unter Drogeneinfluß. Sie schaltete das Band ab. »Das war Ehrlich aus dem Pilotschiff«, erklärte sie. »Ist das nicht wunderbar?« Sie versuchte sehr begeistert zu erscheinen. Zum Glück für sie war der Commander nicht ganz so enthusiastisch. Er setzte sich entschlossen auf. »Maya, was siehst du da draußen überall?« fragte er. Helena seufzte vor Verzweiflung. Maya zögerte, denn sie wußte nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie wollte sich nicht eindeutig auf Koenigs Seite stellen, da sie alles vermeiden wollte, was seinen Zustand verschlechtern könnte, falls er wirklich ernstlich krank war. Andererseits hatte sie auch gar keine Beweise, die ihre eigenen unguten Gefühle untermauert hätten. Sie zuckte also die Achseln. »Leute von der Erde«, sagte sie.
Koenig runzelte enttäuscht die Brauen. »Ich hoffte, deine andersgeartete Gehirnstruktur hätte der telepathischen Kontrolle Widerstand leisten können.« »Wessen telepathischer Kontrolle?« fragte sie interessiert. »Maya, wenn du schaust, siehst du Erdenmenschen. Wenn ich schaue, sehe ich Monster aus einer anderen Dimension.« Er drückte seine Hände an die Schläfen. »Bitte, glaube mir doch.« »John, warum versuchst du nicht für eine Weile, nicht mehr daran zu denken?« bat Helena. Koenig nahm die Hände von der Stirn und versuchte es auf eine andere Art. »Maya, einer von uns beiden hat nicht recht. Willst du akzeptieren, daß du dies sein könntest?« »Das muß ich wohl als eine Hypothese akzeptieren.« »Richtig. Nun gehen wir davon aus.« »Natürlich würde das bedeuten, daß alle anderen unrecht haben, daß du der einzige bist, der recht hat.« Koenig nickte, denn ihre Antwort hatte ihn glücklich gemacht. »Mit anderen Worten: ich bin einmalig, auf mehrfache Art.« Er deutete auf die Gehirnimpulsmaschine. »Ich bin der einzige der ganzen Mondbasis, der an diese Maschine geschaltet war. Deshalb muß ich annehmen, daß zwischen diesen beiden Tatsachen ein Zusammenhang besteht.« Maya dachte nach. »Entweder hat die Maschine dein Bewußtsein verzerrt…« »Oder beschützt«, beendete Koenig den Satz. Er brauchte ihr jedoch nicht zu helfen, denn sie war ihm einen Schritt voraus. »Telepathische Kontrolle«, sagte sie, und jetzt kamen sie allmählich zu dem Gefühl, das sie von Anfang an vage gehabt hatte. »Du meinst also, daß wir telepathisch von Fremden beherrscht werden.« »Ja, über das Kraftfeld. Genau das meine ich«, erwiderte er. Endlich fühlte er ein wenig Erleichterung, weil er nicht mehr
allein am Rand einer die Realität erschütternden Erkenntnis stand. »Es ist möglich«, pflichtete ihm Maya vorsichtig bei. »Ich finde es auch sehr merkwürdig, daß lauter Freunde von der Erde gekommen sind. Das widerspricht jeder Wahrscheinlichkeit.« Koenig beherrschte mühsam seine Erregung. »Maya, ich meine, daß jeder deshalb ein Freund ist, weil jeder aus irgendeinem Gedächtnis stammt.« Er hoffte inständig, sie möge seiner Logik folgen. Eine Welle entspannender Energie schmolz ihre Gedanken weg, und sie kämpfte gegen dieses Gefühl an. »Ja… sie könnten alle unsere Gehirne angezapft haben, um das auf sie zu projizieren, was genau zu dem paßte, das sie hier fanden.« »Und Fremde konnten sie nicht projizieren, weil das, was wir nie gesehen haben, auch nicht in unserer Erinnerung sein kann«, antwortete Koenig eifrig. Helena war nun sehr verwirrt, denn sie wurde von einander widersprechenden Kräften hin und her gerissen. Anders als Maya war sie von der Realität der Retter überzeugt. Für sie war es sehr viel schwieriger, den Gedanken zu akzeptieren, daß diese willkommenen Retter nur Gebilde ihrer eigenen Wünsche und Vorstellungskraft waren. Von Maya konnte sie nicht annehmen, daß sie krank sei, aber Koenig schien sie zu seiner kaltblütigen Vernunft überredet zu haben. Vage erinnerte sie sich, daß das Raumfeld schon einmal die Mondbasis um ein Haar übernommen hatte – indem es die innersten Wünsche der Leute zu erfüllen schien. Wann hatte sie ihren letzten Bericht auf Band gesprochen? Das war noch nicht lange her. Sie hatte festgestellt, daß dieses Raumfeld zwar geschwächt, aber noch immer vorhanden war. Ihr fiel ein, wie Koenig zum erstenmal in einem Lazarettbett gelandet war… Die Gedanken schwammen in ihrem Kopf
herum. So schnell sie sich formten, so schnell verschwanden sie auch im warmen Nebel der Unvernunft, der sich über sie senkte und ihren Geist vergewaltigte, ohne daß sie es wußte. Auch Maya kämpfte. Die Wellen psychischer Euphorie schienen immer kräftiger zu werden, doch sie kämpfte dagegen an. Sie zwang sich zur Konzentration auf Koenigs Worte. »Aber eines machen sie falsch!« rief Koenig, der immer sicherer wurde. »Denk doch nach! Wären sie wirklich unsere Freunde von der Erde, müßten sie etliche hundert Jahre alt sein!« Die Logik war für sie beide plötzlich kristallklar. »Natürlich!« rief Maya verlegen. »Das hätte mir aber selbst einfallen müssen!« Helena sah sehr besorgt drein. »Wir sind seit Jahren im Raum. Nach der Erdenzeit müßten es… Generationen sein.« »Richtig. Das fiel euch nur deshalb nicht ein, weil ihr nicht wolltet.« Die hypnotischen Wellen waren zum Teil zurückgerollt, und ihre Macht war von der Stärke ihrer eigenen Geister gebrochen. Aber nun waren dort Angst und Terror, wo sie vorher nicht gewesen waren. »John, was können wir tun?« fragte Helena bestürzt. »Nehmt mir diese Dinger da ab«, forderte Koenig und fingerte an den Elektroden herum, die an Kopf und Armen befestigt waren. Die beiden Frauen gehorchten, und er setzte sich auf. »Ich glaube jetzt, der Grund dafür, daß sie meinen Geist nicht kontrollieren können ist der, daß die Maschine sie irgendwie blockiert hat.« »Es könnte hier ein Zusammenhang bestehen«, gab Maya zu. »Theoretisch.« »Und was tust du mit einer Theorie? Du überprüfst sie. Maya, willst du mir helfen?«
Die Psychonierin sah ein wenig unsicher drein. Die Welle flutete wieder heran. Wütend kämpfte sie dagegen an. »Ja, wenn ich kann«, antwortete sie bestimmt. »Willst du erlauben, daß Helena dir eine konzentrierte Dosis meiner Behandlung zukommen läßt?« »John…« wandte Helena ein und drückte seinen Arm. »Das könnte sehr gefährlich sein.« Das überhörte Koenig, »Willst du, Maya?« »Ja, ich erkenne deinen Standpunkt an«, gab Maya ein wenig unglücklich zu. »Du willst herausfinden, ob die Behandlung auf mich die gleiche Wirkung hat.« »Aber konzentriert, John?« Helena schüttelte den Kopf und schaute Maya entgeistert an. »Ich bin bereit«, erwiderte Maya. »Wenn John recht hat, ist es ungeheuer wichtig. Jemand muß es doch tun, Helena.« »Dann müßte aber ich diejenige sein!« rief Helena. »Nein«, widersprach ihr Koenig entschieden. »Habe ich recht, dann kann Maya Dinge tun, die du nicht tun kannst. Und dich brauche ich als Kontrolle, um zu wissen, was die anderen sehen.« Sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Zögernd begann Helena die Elektroden an Mayas Kopf zu befestigen.
Der große Monitor drohte vor Leben und Übermut zu platzen. Das hatte es seit fünf Jahren nicht mehr gegeben. Die Partyteilnehmer, Alphaner und Fremde, beobachteten den türkisfarbenen in geheimnisvolle Wolken gehüllten Planeten. »Oh, unsere kleine Schönheit!« rief Ehrlich voll Begeisterung über den Raumabgrund. »Was wirst du als erstes tun, Joe?« fragte ein etwas weniger begeisterter, vernünftigerer Alan.
»Ich suche mir einen Golfkurs, wo ich auf eine Meile kein Loch verfehlen kann«, meinte er lachend. »Und du?« »Sie heißt Jeanie«, antwortete er nach einer verlegenen Pause. »Jack, und was ist mit dir?« Bartletts Stimme klang gefühl- und respektvoll. »Die meine heißt Caroline.« »Oh-ho!« lachte Ehrlich. »Sie ist fünf Jahre alt und hat die Augen ihrer Mutter«, fuhr Bartlett fort und wandte sich nun an Sahn in der Kommandozentrale. »He, Sahn, was wollt ihr, du und Peter, als Hochzeitsgeschenk von der Erde haben?« Sie kicherte. »Ich will nur dort sein.« Peter griff nach ihrer Hand. Beide strahlten vor Freude und lauschten den körperlosen Stimmen der glücklichen Reisenden. Sie hätten ihnen, wie alle Alphaner, ewig lauschen mögen. »Schaut euch doch einmal das Wetter an!« rief Carter. »Ich schwöre, über Kalifornien schneit es!« Alle lachten. Ben übernahm Sahns Mikrophon. »Du mußt lachen, wenn du das sagst, Mensch!« Er wandte sich an Louisa. »Na, Kätzchen, hast du schon mal gehört, daß es in Kalifornien je geschneit hätte?« »Nur in den Bergen, und das ist sehr hübsch«, antwortete sie. Überall in der Kommandozentrale war man glücklich über die Ankunft der Rettungsexpedition. Frazer, der Eagle-Pilot, war erst von einer Mission zurückgekommen. Bis jetzt hatte man ihm von den wundervollen Nachrichten gar nichts gesagt; er wurde von Guido nun mit den Neuankömmlingen bekannt gemacht. »Du meinst, das alles ist passiert, während ich auf der anderen Mondseite war? Und ihr seid alle von der Erde?« fragte er ungläubig.
»Das ist Louisa… Und das ist Dr. Shaw, das Diana… Wir sind alle ein Volk von Brüdern und Schwestern…« »Hallo, Diana!« rief er. Sie fühlte sich geschmeichelt und stellte sich in Positur. »Hm… Sag mal, gibt es auf der anderen Mondseite noch mehr wie dich?« Frazer grinste breit. Er konnte das Glück noch immer nicht fassen. »Und du, Guido, kannst uns wirklich nach Hause bringen?« »Aber natürlich!« versicherte ihm Guido begeistert. Vom großen Schirm kam wieder Carters Stimme. »Wir sind jetzt am Karussell!« rief er. Alle hatten auf diesen Augenblick gewartet. Das Bild der Erde wurde ersetzt durch eines der Kabine des Pilotschiffes. Die drei Männer an Bord schnallten sich an ihre Sitze und lachten. Carter drückte auf einen Knopf. »Alan Carter an Mondbasis. Wir schwenken jetzt in die Umlaufbahn ein und setzen in wenigen Minuten zum Landeanflug an.« Er drückte auf einen anderen Knopf. »He, Erde da unten! Wir kommen jetzt durch. Hört ihr mich? Sollen wir diese Sardinenbüchse hinunterbringen?« Die Stimme von der Kontrolle kam durch, und die Stille in der Kommandozentrale der Mondbasis war absolut. Es war unmöglich zu glauben, daß dieser historische Augenblick nun wirklich gekommen sein sollte, daß die gefühlsbeladene Stimme der Erdkontrolle nun sprechen würde. »Hier ist Kontrolle Phoenix, wir empfangen euch laut und klar«, erwiderte die Erdenstimme. Die Alphaner waren zutiefst bewegt. »Wir haben euch in den Computer eingegeben, ihr braucht also gar nichts zu tun. Lehnt euch zurück, freut euch über den Flug und macht euch keine Sorgen. Habt ihr verstanden?«
»Ich habe euch gut gehört«, antwortete Carter lachend. »Ah, Erdenmensch! Mensch!« Dann eine Pause. »He! Ja?« »Ihr habt doch jetzt keine drei Köpfe oder so was, daß ihr uns arme Würstchen hier oben erschrecken könnt?« »Nein, nein, nur die üblichen zwei«, versprach ihm Carter lachend.
Die Lichtpunkte schossen wie irr durch die Oszilloskopröhre. Maya lag im Tiefschlaf und wußte nicht, was in der Kommandozentrale vorging. Ihr einziger Kontakt mit der Wirklichkeit war die kalte, klinische Maschine, die sie nun beherrschte. Helena hob eine Hand und zeigte damit an, daß Mayas Zeit abgelaufen war. Koenig schaltete die einzelnen Teile der komplizierten Anlage ab, während sie um die still daliegende Psychonierin herumging und ihr die Elektroden abnahm. Sanft schüttelte sie die Schulter der Bewußtlosen. »Maya…« Keine Antwort. Gespannt sah sie Koenig an. »Maya?« rief sie drängender. Diesmal öffnete die Schläferin die Augen, und sie setzte sich auf. Sie wirkte auf wunderbare Art erfrischt, wie vorher schon Koenig nach dieser Behandlung. Helena seufzte vor Erleichterung. »Wie fühlst du dich?« fragte sie. »Normal. Als sei gar nichts geschehen. Nun?« Sie schaute erwartungsvoll von einem zum anderen. »Alles in Ordnung?« Sie schwang die Beine vom Bett und stand auf. »Wie immer tickst du wie eine tadellos funktionierende Uhr«, erklärte ihr Helena lachend, denn sie bewunderte uneingeschränkt Mayas psychonische Biochemie.
»Gut.« Auch Koenig war erleichtert. Er ging zur Lazarettür und öffnete sie mit seinem Comlock. Dort wartete er. »Helena, würdest du bitte herkommen?« Helena kam. »Jetzt schau mal den Korridor entlang und sage mir, was du siehst.« Helena lugte vorsichtig durch den Türspalt. Die psychischen Wellen überschwemmten sie und spülten in einer verzweifelten Anstrengung jeden Widerstand weg. Sie sah Guido, Sahn und Peter Rockwell herankommen. Die drei Gestalten blieben an einem Quergang stehen, als seien sie sehr in ihre Unterhaltung vertieft. Für sie war das eine absolut normale Szene. Sie zog den Kopf zurück und musterte verblüfft Koenig und Maya; sie sah müde, blaß und erschöpft von dem Kampf aus, der sich in ihrem Kopf wieder abspielte. Sie erzählte Koenig, was sie gesehen hatte. Nun wandte sich Koenig an Maya. Alles hing jetzt von ihr ab. Die Psychonierin ging zur offenen Tür und spähte hinaus. Sofort trat sie zurück und schloß eiligst die Tür. Sie war bleich und zitterte. Aber ihre Miene drückte eine seltsame Mischung von wissenschaftlicher Neugier und Ekel aus. »Nun?« fragte Koenig ungeduldig. »Interessant… und entsetzlich«, erwiderte sie. »Warum?« fragte Helena bestürzt. Maya sprach tonlos. »Sie erinnern an Plasma, das sich bildet, wenn eine gewisse organische Materie sich aufzulösen beginnt…«
Im Pilotschiff schaute Carter zum vorderen Sichtfenster hinaus. Sie hatten den äußeren Schutzschild des Schiffes herabgelassen und sahen nun die Wolkenkratzer New Yorks viele Meilen unter sich. Es war ein großartiger und sehr willkommener Anblick, aber Carter und die beiden anderen
waren ungewöhnlich still. Alle hatten sich in ihren Träumen verloren, und jetzt wollten sie nur noch alles in sich aufnehmen, ihre Sehnsucht und ihre Phantasie spielen lassen. »Da wird sicher ein Empfangskomitee angetreten sein«, meinte Carter. »Sieht das nicht herrlich aus?« fragte Ehrlich stolz. Carter lachte. »Hast du deine historischen Worte schon zurechtgelegt?« Ehrlich dachte nach. »Wie wär’s mit… ›Es ist ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein großer…‹« Bartlett lachte. »Das ist doch schon ein alter Hut!« »Wer behauptet, daß wir originell sein müssen?« Bartlett wandte sich an Carter. »Und was wirst du sagen, Alan?« »Ich? Wo ist das nächste WC?« »Das kommt bestimmt in die Geschichtsbücher!« rief Ehrlich und klatschte auf die Armstütze seines Sessels. Dann setzte das Pilotschiff zur Landung an. Anmutig senkte sich der große Körper auf seine feurigen Strahlenbündeln. Dort, wo die majestätischen Wolkenkratzer aus den Träumen der Alphaner aufgeragt hatten, gab es jetzt nur die zerklüfteten spitzen Mondberge, die vor einem kalten, harten Sternhintergrund standen. Im Vordergrund hockten die drei dunklen Kuppeln der Atomabfallstation.
XII
Carter, Ehrlich und Bartlett zogen gehorsam ihre Raumanzüge an. Steif wie Zombies stapften sie zu den inneren Türen der Luftschleuse und warteten. In ihren behandschuhten Fäusten und an ihren Anzügen hatten sie eine ganze Sammlung von Schneidewerkzeugen. Die Türen glitten auf, und sie stiegen hinab auf die lebensfeindliche Mondoberfläche. Wie Schlafwandler tappten sie langsam und unbeholfen über das felsige Gelände. Die Schwerkraft betrug hier nur ein Sechstel der auf der Erde. Neben einem kleinen, rechteckigen Gebäude in der Nähe der Kuppeln blieben sie stehen. Auf der Tür stand: NUKLEARE ÜBERWACHUNGSSTATION. ZUTRITT NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL. Carter nahm sein Comlock heraus und drückte den richtigen Frequenzkode. Die Tür schob sich auf. Innen herrschte tiefste Dunkelheit. Niemand war dort eingetreten seit der Zeit, da die Kuppeln gebaut worden waren, und das war viele Jahre vor Errichtung des Mondstützpunktes gewesen. Die Luftschleuse des Pilotschiffes hatte sich geöffnet. Eine Menge Reporter war da, TV- und Filmkameras surrten, Blitzlichter zuckten. Im Hintergrund erkannten sie die futuristischen Umrisse des Kissinger Raumhafens New York, wo sie gelandet zu sein schienen. Raumhafenfahrzeuge rasten heran, die Luft war von zahllosen lauten und aufgeregten Stimmen erfüllt. Vor ihnen lag die gute, solide Oberfläche der Erde.
»Schauen Sie hierher, Mr. Carter…« riefen ein paar Fotoreporter. »Wie ist es, wieder zu Hause zu sein? Gab es Heiraten auf dem Mond? Was haben Sie da droben am meisten vermißt?« Carter hob eine Hand, um Lärm und grelle Lichter abzuwehren. »Moment mal! Immer nur einer auf einmal…« Er wandte sich an Ehrlich. »He, sag mal, was haben wir da droben am meisten vermißt?« Langsam und mit sehr viel Würde stiegen sie die Stufen hinab. Eifrige Arme halfen ihnen, und ein Bombenhagel von Fragen ging auf sie nieder.
Maya, Koenig und Helena debattierten ernsthaft und gespannt hinter den verschlossenen Türen des Lazaretts. Maya war noch immer sehr blaß. »Keine sehr schönen Spezies, nicht wahr?« fragte Koenig grimmig. »Du meinst, es waren nicht Guido und Peter, die du gesehen hast?« wollte Helena wissen. Maya schüttelte den Kopf. »Nein. Das waren fremdartige Lebewesen, John. Du hast recht. Mein Geist ist jetzt frei von ihnen. Ich kann sie so sehen, wie sie sind… Helena, das sind keine Freunde von der Erde. Das sind ganz andere Wesen.« »Die uns telepathisch kontrollieren?« »Sie machen, daß wir sehen, was wir sehen wollen. Aus irgendeinem Grund leistet ihnen diese Maschine Widerstand.« Koenig pflichtete ihr bei. »Deshalb wirkten sie ja auch nicht so auf mich, weil du nach meinem Absturz die Maschine bei mir angewandt hast.« »Und mich hat die Maschine nun auch immun gemacht«, sagte Maya nachdenklich. Sie hatte es schon eine ganze Weile geahnt, aber nicht entsprechend handeln können. Sie war
entsetzt von dem, was sie gesehen hatte, denn die Wirklichkeit war jeder Illusion entkleidet. Sie war jetzt heilfroh, daß sie wenigstens mißtrauisch gewesen war. Helena mußte ihr glauben. »Was wollen sie?« fragte sie Maya. »Da gibt es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Koenig und schaute Maya dabei an. Maya hob resigniert die Brauen. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst.« Sie schüttelte sich. Koenig sah sie mitleidig an. »Maya, ich bitte dich wirklich nicht gern darum…« »Sie sind mir widerwärtig.« »Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe…« »Es gibt aber keine. Ich muß eben… stark sein. Pfui!« sie schnitt eine Grimasse des Ekels. Sie begann zu schimmern, und die Macht der toten Rasse der Psychonier verwandelte sie in die charakteristische Spindelform. Die Aura pulste wild und verblaßte dann. Lange ehe die Gestalt dieser scheußlichen wabbelnden Kreatur sich verdichtete, stieß Helena einen Schrei des Widerwillens aus. Dann traf sie die ganze Härte der Erkenntnis, daß Dr. Shaw in Wirklichkeit ein solches Wesen war und sie mit diesem Wesen gesprochen hatte, ganz abgesehen von all dem übrigen Volk, das sich in der Kommandozentrale herumtrieb. »Siehst du’s jetzt?« quetschte Koenig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ja«, antwortete sie leise und sehr kleinlaut. Instinktiv wollte Koenig nach seiner Laserwaffe greifen, um dieses gräßliche Wesen zu töten, doch steifbeinig lief er daran vorbei zur Tür und spähte hinaus. Dann kehrte er zur armen, verwandelten Maya zurück. »Sie reden noch immer. Aber sei jetzt vorsichtig. Sie wissen, daß du dich verwandeln kannst.«
Maya hob ein Tentakel und schüttelte ihre Gallertmasse. »Ich will nicht, daß Tony mich so sieht«, beklagte sie sich. »Wir erzählen es ihm nicht«, versprach ihr Koenig. »Jetzt beeil dich.« Sie glitt hinaus und zog eine Spur übelriechenden Schleimes hinter sich her. Eine Gruppe dieser Wabbelwesen stand an der Korridorecke, wo sie vorher Guido gesehen hatte. Einer der Gruppe war größer als die anderen, volle acht Fuß hoch. Es war ein abstoßend formloses Wesen, das drohend schwankte und jeden Moment umzufallen schien. Es sprach wispernd mit den anderen. »Wir haben nicht viel Zeit…«, tuschelte es heiser. »Unser Schöpfer wird bald sterben…« »Drei unserer Kreaturen sind jetzt auf dem Weg zu den Atomabfällen«, flüsterte der zweite. »Dann kann unser Schöpfer sich sättigen…« Der Große schüttelte sich, daß die Tentakel sich aufstellten wie die Barthaare eines Hundes, der nach etwas schnuppert. Er fühlte eine sich nähernde Gefahr, wußte jedoch nicht, was es war. Mühsam drehte er Maya sein augenloses ekliges Gesicht zu und musterte ihre scheußliche Gestalt. »Alle Alphaner werden sterben«, meinte das dritte Mitglied der Gruppe. »Das spielt gar keine Rolle«, zischte der Anführer. »Aber sie werden glücklich sein, bevor sie sterben.« »Ist das nötig…« sagte der erste bedauernd und wandte sich wieder Maya zu. Sie spürte, daß sie entdeckt worden war und glitt weg. Aber sie hörte den Führer fragen: »Welche Nummer ist das? Findet es heraus…« Die ganze verwesende Gruppe wandte sich ihr zu. Sie folgten ihr. Sie lief schneller, und das konnten die gräßlichen Fremden nicht aus Gründen, die Maya unbekannt waren. Sie war
heilfroh, als sie die Sicherheit eines zum Lazarett gehörenden Raumes erreichte. Wenig graziös quetschte sie sich hinein. Als sie die anderen nicht mehr sehen konnte, verwandelte sie sich erleichtert wieder in sich selbst zurück und lief dann schnell in den Korridor hinaus. Die Fremden sahen keinen Grund, sie aufzuhalten und ließen sie passieren. »Sag mir ja nie, das soll ich noch einmal tun!« rief sie, als sie wieder sicher im Lazarett war. »Sie haben den Verstand eines Genies und die Instinkte eines Aasgeiers. Und dieser molekulare Kode! Ich glaubte schon, ich könnte dieses ekelhafte Ding nie mehr von mir abstreifen!« »Aber hast du etwas herausgefunden?« drängte Koenig. Sie nickte. »Sie sind eine Spezies, die von Strahlung lebt, oder vielmehr ihr ›Schöpfer‹ lebt von Strahlung. Ich nehme an, daß es sich bei ihm in Wirklichkeit um Raumfeld handelt.« »Strahlung?« fragte Helena ungläubig. »Nun ja, das würde einiges erklären.« »Andere Energieformen können sie nicht verarbeiten«, erklärte Maya. »Jede Spezies lebt von Energie, das haben wir alle gemeinsam.« »Aber wir beziehen diese Energie aus der Nahrung, sie bekommen ihre aus nuklearer Strahlung. Und die hält sie am Leben.« Koenig überlegte. »Warum sind sie dann nicht – auf ihrem Planeten geblieben?« »Ihr Schöpfer? Das Raumfeld braucht keinen Planeten. Dieser Schöpfer muß aber in Kürze eine unglaubliche Menge von Strahlung aufnehmen, sonst stirbt er. Er will unsere Nuklearabfälle.« »Die kann er haben«, meinte Koenig. Maya schüttelte besorgt den Kopf. »Ich fürchte, so einfach ist das nicht. Erinnerst du dich, als du mit der Eagle abstürztest?
Das Raumfeld braucht eine ungeheuer intensive Strahlung, die es aus einer Atomexplosion beziehen könnte.« »Aber… das würde uns ja alle vernichten!« rief Helena. »Deshalb haben sie doch die Kontrolle über unsere Gehirne übernommen. Wir sollen ja nicht wissen, was wir tun, wenn wir die Abfälle zur Explosion bringen.« »Das heißt, falls wir es tun«, erklärte Koenig. »Sie haben eine nur sehr begrenzte kinetische Energie und können sich körperlich keiner Anstrengung unterziehen; vielleicht deshalb, weil ihr Raumfeld so geschwächt ist. Deshalb planen sie, uns so zu manipulieren, daß wir die Atomabfälle für sie zur Explosion bringen.« »Ja, da hast du recht«, pflichtete ihr Koenig bei. »Ich muß also das erste Versuchsobjekt des Raumfeldes gewesen sein. Eben fiel mir etwas ein. Weißt du, was ich dachte, als ich in der Eagle die Kapriolen schlug? Ich sei zwanzig Jahre alt und gondle im Flugzeug meines Vaters herum. Das war eine kleine Gypsy Moth.« Maya nickte. »Sie hofften, du würdest auf eine Kuppel knallen, damit sie feststellen könnten, ob sie dann irgendeine Strahlung abgibt…« »Oder sie probierten, welche Art Kontrolle sie über uns ausüben können«, warf Koenig ein. »Zuerst machten sie es viel plumper, als sie die arme Carolyn Powell übernahmen. Leider bewirkten die Lambda-Wellen, die sie in unserem Geist erzeugten, daß wir uns alle recht seltsam benahmen, und so mußten wir ja rechtzeitig etwas entdecken. Aber deine Maschine, Helena, haben sie übersehen. Davon konnten sie allerdings auch nichts ahnen, da wir selbst nicht wußten, wie sie wirkte.« Helena wurde blaß. »Das ist ja furchterregend! Sie können alles aus uns machen. Was stellte sich etwa Sandstrom vor, als er dich zu töten versuchte?«
»Oder was denken Alan und Ehrlich? Was tun sie in dieser falschen Superswift?« Allmählich paßten die Stücke dieses makabren Puzzles in Koenigs Kopf zusammen. »Ich… habe es dir doch gesagt.« Helena war plötzlich sehr verwirrt. »Sie… Man erklärte ihnen, sie kehrten zur Erde zurück.« Koenig rannte zum Wandmonitor und drosch auf den Kommunikatorknopf. »Ja, das meinen sie, weil ihnen die Fremden das eingeredet haben!« schrie er. Der Schirm wurde hell. Ein Bild der kargen Mondlandschaft erschien. Ungeduldig drückte er einen anderen Knopf und erhielt das Bild der Nuklearkuppeln. Selbst aus dieser Entfernung war das Eagle-Schiff vor der Überwachungsstation deutlich zu erkennen. Koenig brachte die Szene allmählich näher heran, bis sie die offene Tür der Station sahen und die gähnende Dunkelheit dahinter erkannten. »Da sind sie also in Wirklichkeit«, bemerkte Koenig grimmig. »Immer noch auf dem Mond. Superswift – Quatsch!« »Aber da ist doch wirklich eine Superswift«, begann Helena, meinte damit aber die Eagle. Da erkannte sie, daß sie das Schiff in einem ganz anderen Licht sah als Koenig und Maya. Für sie war es noch immer eine Superswift »Na gut, ich glaube euch«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Und was tun sie dort?« fragte Koenig finster. »Oder ist das etwa eine dumme Frage?« Maya runzelte die Brauen. »Dort können sie keinen Schaden anrichten, solange sie keinen atomaren Treibstoff haben.« Koenig drückte auf einen weiteren Knopf, und auf dem Schirm erschien ein anderes Mondoberflächengebäude. An der Tür hieß es: ATOMTREIBSTOFFLAGER. Befriedigt brummte er. Die Türen waren noch geschlossen. Doch neben dem Gebäude bemerkte er einen leeren
Mondwagen. Er war recht nachlässig abgestellt und mußte erst kürzlich benutzt worden sein. »Da ist dein Atomtreibstoff!« rief Koenig besorgt. »Diese Wesen werden Carter und Ehrlich veranlassen, die Atomabfälle zu sprengen!« »Das werden sie nicht tun«, sagte Helena. »Sie können Carter nicht zwingen, etwas zu tun, das gegen seine…« Sie konnten ihn natürlich zwingen, das sah sie ein, und deshalb schwieg sie. Die Technik der telepathischen Tiefenhypnose erlaubte den Testpersonen sehr wohl, etwas zu tun, was gegen ihren Willen verstieß. »Ja, da hast du recht«, gab sie schließlich entsetzt zu. »Sie wissen ja gar nicht, daß sie’s tun. Sie sind der Meinung, sie tun ganz andere Dinge auf der Erde.« »Wir müssen sie unbedingt aufhalten, ehe sie zu diesem…« Da bemerkte er, daß sich die Türen zum Treibstofflager aufschoben, ganz langsam, aber unwiderruflich. Zwei Gestalten in Raumanzügen kamen aus der Dunkelheit. Die eine war Carter, die andere sah wie Ehrlich aus. Sie trugen einen langen, zylinderförmigen Behälter mit Atomtreibstoff. »Ich hätte dieses alte Lager schon längst schließen und den Treibstoff vergraben lassen sollen«, erklärte Koenig hitzig. »Es wurde ja nicht mehr benutzt… Aber wo ist Bartlett?« »Er wird an der Überwachungsstation sein und vorbereiten…« Weiter brauchte Maya nichts mehr zu sagen. Kurze Zeit fanden sie wie versteinert da und beobachteten die beiden Männer, die den großen Zylinder zum Mondwagen schleppten. Dort legten sie ihre Last ab und stapften zurück zum Lager. Koenig sah nun eine Möglichkeit. Auf seinem Comlock drückte er eine Ziffernfolge, die ihn an den Hauptcomputer anschloß. Der war so programmiert, daß er auf gesprochene Instruktionen reagierte, wenn seine Frequenz benutzt wurde.
»Eingang zum Atomtreibstofflager schließen und versperren«, befahl er. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, ob sein Befehl ausgeführt wurde. Der alte Lagerraum war kaum einmal benützt worden, seit Tiranium gefunden und eingesetzt wurde, und der Mechanismus funktionierte vielleicht gar nicht mehr richtig. Aber die Türen schoben sich gehorsam zu, als die beiden Gestalten über die Schwelle traten – und sie innen eingesperrt wurden. »Wir müssen sie rausholen!« rief Koenig und lief zur Tür. Helenas Stimme hielt ihn auf. »John, wie willst du eine Eagle bekommen? Niemand wird verstehen…« Koenig überlegte kurz. »Beim letztenmal benahm ich mich wie ein Irrer. Jetzt weiß ich aber, was hier vorgeht. Sie werden sehen, daß ich vernünftig bin.« Er öffnete die Tür und lief in den Korridor hinaus. Wieder prallten die Lambda-Wellen auf Helenas Geist, und sie bat Maya mit einer Handbewegung um Hilfe. Sie klammerten sich aneinander, die eine in Verzweiflung, die andere in tiefem Mitgefühl, während sie warteten, was sie von Koenig hören würden.
Von allen Seiten trafen Koenig die Wellen, als er den Korridor entlangraste und die Gallertwesen, die sich ihm in den Weg stellen wollten, einfach wegschob. Ein eisiger Wind folgte ihm, als die kämpfende Raumamöbe ihre letzten Kräfte zusammenraffte, um ihn zu überwältigen. Tausend fremde Gedanken versuchten sich in den Geist des Kommandanten zu drängen, doch er wehrte sie unbarmherzig ab. Seine Haut wurde taub vor Kälte, und er mußte gegen den übermächtigen Wunsch ankämpfen, sich einfach auf den
Boden fallen zu lassen, in eine Ecke zu kriechen und alles so laufen zu lassen, wie es laufen wollte. Als er die Kommandozentrale erreichte, hörte der kreischende Wind mit einem Mal auf, und auch die ekelhaften Gallertexistenzen versperrten ihm nicht länger den Weg. Die Raumamöbe wurde ganz ruhig. Jetzt versuchte sie eine andere Taktik. Koenig drängte sich durch die feiernde Menge von Alphanern und Fremden. Der Lärm der Party verebbte. Koenig besah sich die Horrorschau und erspähte Verdeschi. »Tony?« sagte er bemüht autoritär, »ich brauche sofort eine Eagle, ich will gleich abheben.« Von den Alphanern waren Angstschreie zu hören. Sie schauten Koenig an und schraken entsetzt zurück vor dem, was sie sahen. Verdeschi ließ sich nicht beirren. Für einen Sekundenbruchteil hatte der Commander so ausgesehen wie der alte Koenig, den er kannte und verzweifelt nötig hatte. Seine Hoffnungen hatten ihn ebenso beflügelt wie die anderen Alphaner, aber er hatte immer gehofft, daß doch vielleicht ein Mensch da wäre, mit dem er über seine Zweifel sprechen könnte. Bis zu einem gewissen Grad waren diese Zweifel auch geblieben. Aber die Vernunft und Kühle, die er einen Moment lang im Gesicht des Kommandanten gelesen hatte, waren im nächsten Augenblick zerstört. Der Commander knurrte, sein Gesicht verzerrte sich zu einer wilden, furchterregenden Grimasse, und seine Augen suchten in irrer Wut den großen Raum ab. Sein ganzer Körper zitterte, und Schaum stand vor seinem Mund, als er sprach. Verdeschi wurde zornig; nicht auf den Commander, sondern auf Maya und Helena, die ihn in diesem Zustand hatten entkommen lassen. Vorsichtig legte er die Hand auf seine Laserwaffe.
Koenig war von der Reaktion der Alphaner unbeschreiblich überrascht. Sie benahmen sich ja, als sei er ein solches fremdes Ungeheuer – doch da dämmerte ihm eine Erkenntnis. Vielleicht sahen sie in ihm etwas Unangenehmes, Feindseliges. Er überlegte fieberhaft. Im Moment konnte er aber die Lage nicht ändern. Er hatte keine Zeit dazu. Ihm war egal, als was er den anderen erschien; er mußte Verdeschi überreden, denn das war lebenswichtig. So kühl und gemessen er konnte, ging er auf seinen Sicherheitschef zu. Innerlich war er ziemlich nervös, als er dessen Finger am Laser bemerkte.
Verdeschi zögerte, als der schäumende Irre, der kaum mehr eine Ähnlichkeit mit Koenig aufwies, ein paar Schritte näher kam und ihn dann ansprang. Das tat er mit der Wildheit eines gefangenen Tigers, der sich seine Freiheit erkämpft. Mit Zähnen und Klauen, ging er auf ihn los. Verdeschi nahm verzweifelt seine ganze Kraft zusammen und warf ihn ab. Ehe Koenig ihn daran hindern konnte, kam er auf die Füße und zog seine Waffe. »Aufhören! Oder ich schieße!« schrie er keuchend. Der Irre ließ von seinem zweiten Angriff ab. »Tony, so hör mir doch zu«, knurrte er. »Du mußt das tun, was ich dir sage!« »Du bist wahnsinnig, John«, hielt ihm der zitternde Verdeschi entgegen. »Komm ja nicht näher, sonst schieße ich.« Er wollte nicht wirklich schießen, nur den Irren zurückhalten. Deshalb zögerte er auch. Aber dann traf ihn Koenigs Faust voll in den Magen und schleuderte ihn an die Wand. »Tony!« schrie er. »Ich bin der einzige vernünftige Mensch im ganzen Stützpunkt!«
Der stumpfe Lauf der Laserwaffe preßte sich in den Magen des rasenden Commanders. Verdeschi antwortete ihm nicht, er drückte ab. Beide wurden von lähmendem Licht eingehüllt.
XIII
Helena und Maya beobachteten, wie der bewußtlose Koenig wieder in das Lazarett gebracht wurde. Sie waren erschüttert. Die Sanitäter stapften, von einem blassen, aufgeregten Verdeschi angeführt und überwacht, herein. »Was fällt euch ein, ihn herumlaufen zu lassen?« schrie er die beiden Frauen an. »Er könnte sich selbst verletzen und uns auch!« Er rieb sich die Arme, die noch immer von der Dosis Lichtenergie schmerzten, die er abbekommen hatte. Die Sanitäter halfen Helena, den Bewußtlosen auf das Bett zu legen. »Es ist keine Frage des Herumlaufenlassens«, fauchte ihn Maya an. Sie konnte nur daran denken, was Carter und die beiden besessenen Physiker da unten im Lager nun vermutlich taten. Sie hatte eine fast hysterische Angst. Aber Verdeschi ließ sie gar nicht weiter zu Wort kommen. »Maya, er könnte dich auch verletzen«, mahnte er sie. »Er ist aber nicht gefährlich!« schrie sie ihn an. »Nicht gefährlich«, sprudelte der wütende Verdeschi heraus. »Er hat…« Koenig war gelähmt und würde sich wieder erholen, stellte Helena fest, falls ihm überhaupt noch die Gelegenheit dazu blieb. Sie wandte sich an Verdeschi. »Es gibt da Dinge, von denen du nichts weißt«, sagte sie. Verdeschi schniefte. »Ich kenne Wahnsinn, wenn ich ihn sehe.« »Du weißt ja nicht einmal, was du selbst siehst«, fuhr sie ihn an. Jetzt wurde Verdeschis Zorn zu Verwirrung. »Was soll das nun wieder heißen? Ich tue was nicht?«
Maya warnte Helena mit einem Kopfschütteln, und die Ärztin begriff. »Oh, nichts«, meinte sie ungeduldig. »Du solltest versuchen, nicht gar so schießwütig zu sein, hörst du?« Wieder schniefte der Italiener und marschierte, kochend vor Wut, hinaus. Maya und Helena eilten zurück zu Koenig und entließen die Sanitäter. »Er hätte ja gar nicht begreifen können, wenn du ihm etwas erklärt hättest«, sagte Maya, als sie wieder allein waren. »Die Fremden kontrollieren ihn ebenso wie alle anderen. Er hätte dich auch noch für wahnsinnig gehalten.« Sie musterte bitter und besorgt den Kommandanten. »Sag mal, gibt es da keine Möglichkeit, ihn schnell wieder zu sich zu bringen?« Helena nickte und zog eine Spritze auf. Sie spritzte Koenig ein kräftiges Anregungsmittel in den Arm, zog die Nadel zurück und klebte ein Pflaster auf die winzige Wunde. Dann rüttelte sie ihn kräftig und rief seinen Namen. Gespannt warteten sie. Langsam kam er wieder zu sich und öffnete die Augen. Verwundert und noch halb betäubt schaute er sich um und versuchte sich zu orientieren. Dann setzte er sich auf. Seine Wangen waren sehr rot, und er atmete hastig. »Gib mir noch mehr von dem Zeug«, sagte er sofort. »Es ist das stärkste Stimulans, das ich habe, und ich gab dir soviel wie ich riskieren konnte«, hielt sie ihm vor. Es kostete ihn große Mühe, die Beine vom Bett zu schwingen und zum Wandschirm zu schauen. Er war nicht ausgeschaltet worden, und noch immer war dort das Bild des Lagergebäudes zu sehen. Inzwischen hatte sich die Lage dort auf bedrohliche Art weiterentwickelt. Verzweifelt sahen die drei zu, wie ein Metallkreis in einer der Türen nach außen gedrückt wurde. Carter und Ehrlich kletterten durch und hatten Flammenlanzen bei sich, sehr
wirkungsvolle Schneidwerkzeuge, die ihnen die Flucht ermöglicht hatten. Koenig schwirrte der Kopf, und seine Sinne arbeiteten noch unvollständig, da sich sein Körper noch nicht von dem Laserstrahl erholt hatte. Er mußte nun sehr schnell handeln, nur machte sein Gehirn noch nicht richtig mit. Er wandte sich zu Helena um. »Alan ist dabei, den Mond zu sprengen«, hielt er ihr vor. »Ich brauche noch mehr von dem Zeug!« Eilig brach sie die Spitze einer neuen Ampulle ab und zog die Spritze auf. Diesmal kam der andere Arm an die Reihe. Er hielt erst den Atem an, dann stieß er ihn laut aus und schüttelte heftig den Kopf, als die Droge in seinen Kreislauf gepumpt wurde. Ihm war furchtbar übel; er glaubte zu sterben, aber gleichzeitig fühlte er sich angeregt und kraftvoll. Er ahnte, was er seinem Körper damit antat, aber er mußte diese Wirkung erzielen. Taumelnd kam er auf die Füße. Er marschierte im Lazarett auf und ab und wirkte nun wirklich wie der Tiger, für den ihn Verdeschi gehalten hatte. Auf dem Schirm war zu sehen, wie die beiden Saboteure ihre Flammenlanzen in den Mondwagen luden und sich auf ihre Todesfahrt machten.
Carter und Ehrlich stellten vergnügt einen großen Picknickkorb in den Kofferraum eines kleinen Sportwagens. Nach dem hektischen Empfang, den ihnen die Presse bereitet hatte – sogar der Präsident hatte mit ihnen gesprochen, sie willkommen geheißen und den Wert ihrer Arbeit gewürdigt –, hatten die beiden Wissenschaftler auf dem Land einen kleinen Bungalow gemietet, um einen ehrlich verdienten Urlaub zu verbringen. Erst mußten sie sich an die neugewonnene Freiheit
gewöhnen und das glückliche Gefühl, wieder auf der guten alten Erde zu sein, auf ein normales Maß zurückschrauben. Das Haus lag zwischen hügeligen Feldern und Wiesen an einer schmalen Landstraße und war überall von Wäldern umgeben. Es gehörte zu einer kleineren Ansammlung von Gebäuden, einem echten, ruhigen Dorf. Die Luft war frisch und klar, und Vögel sangen und zwitscherten. Es war ein idyllischer Ort, an den sie sich noch aus ihrer Kinderzeit erinnerten, und den sie für immer verloren geglaubt hatten. Sie gingen beide durch die niedere Holztür in das sonnige Haus hinein und kamen wenige Augenblicke später mit Liegestühlen und Decken zurück. Carter schloß hinter sich die Tür, dann verstauten sie alle Gegenstände im offenen Convertible und kletterten hinein. Bald waren sie unterwegs zu den Bergen, die sich am Horizont abzeichneten, zu den Wäldern und versteckten Seen.
Koenig ließ seine Faust auf jeden Gegenstand in seiner Reichweite knallen, während er auf und ab lief. »Wie lange würde es dauern, bis du alle an deine Maschine gehängt hast?« fragte er Helena. »Damit alle auf Alpha immun für die Fremden sind wie Maya und ich?« »Tage, wenn nicht Wochen«, erwiderte Helena unglücklich. »Selbst dann, wenn alle damit einverstanden wären.« »Wir müssen sie unbedingt aus ihrer Traumwelt zurückholen und die fremde Macht in ihren Gehirnen ausschalten…« Er wußte genau, daß es Selbstmord wäre, auch nur einen Schritt aus dem Lazarett zu tun, ohne einen gut durchdachten Aktionsplan zu haben, egal wie nahe der Mond daran war, in den Raum geblasen zu werden. »Nun, es gäbe vielleicht doch eine Möglichkeit…« meinte Helena zögernd.
»Nun schieß schon los!« »Ich verwende manchmal ein sonisches Anästhetikum statt Drogen…« »Ah, weißer Lärm!« rief Maya aufgeregt. »Der blockiert gewisse Nervenbahnen und Querverbindungen im Gehirn.« Helena nickte, schien jedoch selbst nicht recht überzeugt zu sein. »In der Theorie ist es möglich, daß es vielleicht auch den telepathischen Zustrom aus den Geistern der Fremden blockiert oder völlig lahmlegt.« Koenig blieb stehen, und ein schwacher Hoffnungsschimmer erhellte sein düsteres Gesicht. »Natürlich müßte er verstärkt und so verteilt werden, daß alle auf Alpha davon erfaßt werden können.« »Ja, das wäre möglich.« Helena verschwand in einen Vorraum und kam wenig später mit einer Kassette zurück. »Das ist das Testband, mit dem Ben seine Versuche gemacht hat. Wir bekamen recht gute Resultate…« Sie zeigte es Koenig, fügte jedoch eine Warnung hinzu: »Wir mußten dann damit aufhören, weil die Nebenwirkungen zu riskant erschienen. Einen Massenversuch haben wir daher auch nie gemacht.« »Das spielt jetzt gar keine Rolle.« Koenig nahm ihr die Kassette ab. »Entweder tragen wir alle Schäden davon und werden gerettet – oder wir gehen sowieso drauf.«
Jack Bartlett räkelte sich auf dicken Seidenkissen in dem Luxusapartment, das er als Urlaubsdomizil gewählt hatte. Hifi-Klänge umgaben ihn. Es war sehr ruhig, aber teuer möbliert, obwohl nur wenige Möbel vorhanden waren. Alle Räume waren mit Teppichböden ausgestattet. Im Schlafzimmer gab es ein beheiztes, beleuchtetes Wasserbett. Kissen und niedere Diwantische
bestimmten das ganze Bild. An den pastellfarbenen Wänden hingen teure Bilder und andere Kunstwerke. Es gab sogar Punktlichter, um die verschiedensten Beleuchtungseffekte zu erzielen; ein raffiniertes Musik-Mehrzweckgerät war vorhanden, und jedes Elektrogerät war mit Fernbedienungsvorrichtungen ausgestattet. Er lehnte sich entspannt und sehr zufrieden zurück, drückte auf einen Knopf am Tischchen daneben und schaltete damit den Plattenspieler ein. Die tiefen, vibrierenden Töne von Jimi Hendrix’ Voodoo Chile erfüllten den Raum.
Bartletts Finger drehten den Kontrollknopf mit der Aufschrift ABFALLKUPPEL DREI auf dem Tischchen. Jetzt befand er sich in der Nuklear-Überwachungsstation. Es war ein kleiner technischer Raum mit einer einzigen Konsole. Außer der Luftschleuse gab es noch drei weitere Türen, jede mit einer anderen Bezeichnung: ABFALLKUPPEL EINS… ZWEI… DREI… Sogar nach mehreren Jahren des Unbenutztseins funktionierten Konsole und Türen, als seien sie neu. Die Türen der Luftschleuse waren offen. Um ihn herum war also das Raumvakuum, und die klaren, hellen Sterne schimmerten. Er ging ganz methodisch vor, tat einen Schritt nach dem anderen und bereitete die dritte Kuppel vor für die tödliche Verbindung mit dem atomaren Treibstoffkern, den Carter und Ehrlich heranbrachten. Er arbeitete genau wie sie völlig unbewußt; von den unwiderruflichen Schäden und der damit verbundenen Katastrophe, die er damit verursachte, schien er nichts zu ahnen. Der Mond war von der ersten Explosion, die ihn aus seiner Umlaufbahn geschleudert hatte, schon so geschwächt, daß ihn die Explosion einer einzigen Kuppel wahrscheinlich in Stücke reißen würde.
»Die Fremden werden nicht einfach tatenlos zuschauen«, warnte Koenig, als er mit Maya und Helena, mit Lasern und dem Tonband bewaffnet, auf dem der tödliche weiße Lärm aufgezeichnet war, den Korridor entlanglief. »Sie müssen in unseren Gedanken lesen.« »Sie werden uns aufzuhalten versuchen, um die Leute zu täuschen«, pflichtete ihm Maya bei. »Wenn sie das tun – überzeugt euch, daß ihr eure Waffen auf Lähmung eingestellt habt«, riet er und rannte zur Kommandozentrale. Aus allen Richtungen drangen schon die dunklen Schatten der Gallertwesen auf sie ein, selbst aus den Wänden quollen sie. Überall hatten sie sich zu drohenden Gruppen versammelt. Die Kreaturen waren nicht in der Lage, sich so schnell zu bewegen wie die Alphaner, aber es waren plötzlich so viele, daß es unmöglich erschien, ihnen zu entkommen. Sie bahnten sich ihren Weg durch die übelriechenden Gruppen und vernichteten einige der Wesen mit ihren Lasern. Bald war die Luft mit dem säuerlichen Geruch schwelender Überreste erfüllt. Dann hörten sie in ihrem Rücken laute Schreie. »Es sind Verdeschis Leute«, keuchte Koenig und fluchte heftig. »Sie sind hinter uns her!« Vor ihnen lag noch ein langes Stück Korridor, das ihnen keinen Ausweg bot. Also drehten sie sich um und stellten sich den Sicherheitsposten. Es war eine Ironie, daß ausgerechnet die Abteilung, die am wachsamsten hätte sein müssen, ihr Feind war, ja daß sie jetzt gefährlicher für sie waren als die Fremden. »Halt!« brüllte einer der Posten und rannte ihnen entgegen. »Werft eure Waffen auf den Boden, wo wir sie sehen können!«
Er gehörte einer Vierergruppe an, die ausgerechnet aus erfahrenen Leuten bestand, die alle schon zu den ältesten Stützpunktangehörigen zählten. Er ging weiter auf sie zu, während ihn die anderen mit ihren Waffen deckten. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Na, schön«, sagte er und verzog den Mund zu einem gefährlichen Lächeln. »Geben Sie mir das, Doktor.« Er streckte die Hand nach dem Tonbandgerät aus. Helena hatte ihre Waffe auf ihn gerichtet und schoß jetzt. Zu spät löste er seine Waffe aus und brach in einer Aura von Licht zusammen. Seine Laserpistole schickte ihren Strahl harmlos nach oben und erlosch dann, ohne Schaden anzurichten. Die anderen drei Posten aktivierten ihre Laserpistolen. Koenig und Maya warfen sich zu Boden, um unter ihre Feuerlinie zu gelangen. Der Posten, der auf Helena zielte, schoß zu weit. Ehe einer von ihnen eine wieder abdrücken konnte, sackten sie zusammen, von Koenig und Maya getroffen. »Die Psi-Wellen wirken sich auf ihren Geist aus«, brummte Koenig, als sie sich erhoben, um nicht von einem vorbeigleitenden Schleimwesen gestreift zu werden. »Entweder das, oder sie haben nicht mehr trainiert. So dumm wie sie sich anstellen, schießen sie sich noch die eigenen Finger ab.« Er kniete nieder, um einem der Posten die Laserpistole abzunehmen. Er musterte sie und warf sie beiseite. Grimmig stellte er fest: »Die haben sie auf Töten eingestellt!« Sie rannten wieder weiter. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto mehr Fremde trieben sich im Korridor herum. Offensichtlich verließen nun alle die Kommandozentrale, um ihnen allein durch ihre Überzahl den Weg zu versperren, doch ihr Plan schlug fehl. Die drei Alphaner schossen und brannten sich einen Pfad frei durch das Gewühl der widerlichen Leiber und stellten sich vor
Verdeschi auf, der neben seiner Konsole stand. Die Party hatte sich inzwischen aufgelöst, und in der Kommandozentrale befanden sich im wesentlichen ziemlich betrunkene Alphaner, die sich darüber wunderten, wo ihre Gäste geblieben waren. Koenig schoß in eine Konsole, die sich mit einer kleinen Explosion in Rauch und verschmortes Plastik auflöste. Sofort erstarrten die Alphaner. »Der nächste, der sich bewegt…« warnte Koenig. Er winkte den beiden Frauen zu. »Helena, Maya, das Band.« Er richtete seine Waffe auf Sahn. »Du hilfst ihnen.« Helena ging zu Sahns Konsole, und gemeinsam legten sie das Band in den Spezialrecorder ein. Ein Gallertwesen neben Verdeschi schmatzte unbehaglich. Es war Guido. Verdeschi trat einen Schritt auf Koenig zu; er ignorierte ganz einfach dessen Warnung. Auf seinem Gesicht lag ein gönnerhaftes Lächeln, mit dem er gerne unzurechnungsfähige Leute bedachte. Sofort versteifte sich Koenig. Sein Finger bewegte sich zum Feuerknopf. »Halt die Klappe, Tony«, riet er ihm kurz angebunden, ehe der Sicherheitschef noch eine Möglichkeit zum Reden fand. »Und geh wieder zurück.« Verdeschis Hand bewegte sich zu seinem Laser. »Laß das sein«, warnte ihn Koenig. Verdeschis Lächeln wurde recht unsicher, und seine Hand blieb in der Luft hängen. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, klappte ihn jedoch wieder zu. Er überlegte fieberhaft, wie er Koenig überlisten könne, aber dann hörte er die ersten Töne eines merkwürdigen, sehr intensiven knatternden Geräusches, das gleich darauf den ganzen Raum erfüllte. »Da ist dein weißer Lärm«, sagte Helena zu Koenig. »Mit der größten Verstärkung, die mir möglich ist.«
Koenigs Stirn legte sich in Falten. »Erreicht dieser Lärm auch alle im ganzen Stützpunkt?« fragte er. Sie nickte. »Alle.« »Und die auf der Mondoberfläche?« »Die bekommen ihn durch ihre Helmgeräte, wenn auch lange nicht so stark. Wenn die Fremden versuchen, ihn zu blockieren…« Verdeschi versuchte sich schon wieder einzumischen. »John…« begann er flehend. Da verwandelte sich ohne jede Vorwarnung Guidos Ebenbild in ein scheußliches Amöbenwesen und verschwand. Tony holte keuchend vor Entsetzen Atem, als sich allmählich sein Geist dem weiße Lärm aus dem Recorder klärte, da sich auf ihn auswirkte. Wo eben noch die Alphaner mit ihren vertrauten und geliebten Freunden gestanden hatten, waren Entsetzensschreie zu hören, als die Retter von der Erde sich in verwesende Gallertwesen veränderten. Dr. Shaw, Diana, Louisa, Burdett, Rockwell – amöbenartige, ekelhafte Monster. Verdeschi erholte sich als erster von diesem schweren Schock. Ohne auf Koenig zu achten, schrie er den Alphanern zu: »Verschmort sie alle!« Aber Koenig griff nach seinem Arm. »Tony, das würde gar nichts nützen«, warnte er. Während er noch sprach, verschwanden die fremden Wesen plötzlich, auch ihr abscheulicher Geruch verschwand, jede Spur des verfaulenden Protoplasmas war wie weggewischt. Ungläubig und verständnislos starrten alle einander an. »Dann haben wir also… gewonnen?« fragte Helena unsicher vor dem Hintergrund des weißen Lärmes und den Verzweiflungsschreien der Alphaner, deren ganze Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Erde auf so grausame Art zerstört wurde.
»Ich glaube es noch nicht«, antwortete Koenig, der selbst ziemlich verblüfft war. »Sahn«, rief er, »gib mir das Atomtreibstofflager!« Sahn drückte auf einen Knopf, und das Bild des Lagerraumes erschien auf dem Schirm. Der Mondwagen war wieder außen geparkt, und Carter und Ehrlich schleppten weitere lange Zylinder heraus. Diese Zylinder legten sie in den Wagen und kletterten hinein. Langsam hoppelten sie über die unebene Mondoberfläche davon. »Wir haben sie noch nicht aufgehalten«, stellte Koenig fest. Die Gestalten draußen handelten mit einer Entschlossenheit, die an Manie grenzte. »Sie fahren zu den Kuppeln! Mit dem Treibstoff«, fügte er für Verdeschi hinzu, der allmählich begriff, was vorging. Seine Miene wurde immer entsetzter. Plötzlich rannte er zur Tür der Kommandozentrale und winkte Maya und Koenig zu, sie sollten ihm folgen. Helena blieb zurück, denn als Ärztin mußte sie sich jetzt in erster Linie mit denen befassen, die es nicht ertragen konnten, um ihre Hoffnungen betrogen worden zu sein.
Die Korridore wirkten klinisch und kalt in ihrer normalen Beleuchtung. Sie waren nahezu leer. Die meisten Alphaner hatten sich in die Abgeschlossenheit ihrer Unterkünfte zurückgezogen, denn alle waren verzweifelt und fanden sich nicht mehr zurecht. Koenig lief voran, Verdeschi und Maya folgten ihm. Atemlos blieben sie am Eingang zu einer der Reisetunnels stehen. Er drückte den Knopf, der die Tür öffnete, und sie liefen hinein. Rasch wurden sie in der Tunnelkapsel zum Startkissen der Eagle Fünf befördert. »Das Raumfeld weiß von diesem weißen Lärm«, bemerkte Maya, als sie in die Luftschleuse der Eagle traten. »Es muß uns
nur verlassen haben, um alle verbliebene Kraft auf Alan und die beiden anderen zu konzentrieren.« Hastig schlossen sie die Schleusentür und liefen auf ihre Plätze in der Pilotenkanzel. »Wenn das stimmt, dann kann das Raumfeld sie immer noch kontrollieren«, sagte Koenig und startete die mächtigen Antriebsraketen des Schiffes. »Vielleicht bezieht es aus der normalen Strahlung der Mondbasis so viel Energie, daß es gerade noch weitermachen kann.« Seine Hand drückte auf einen Knopf. »Helena!« rief er, als ihr Gesicht auf dem Monitor erschien. »Alle Energie abschalten, bis auf die Sprech- und Sichtverbindungen.« »Das heißt, daß das ganze Lebenserhaltungssystem ausfällt«, warnte sie ihn. »Ohne Wärme können wir nicht lange durchhalten. Wir werden erfrieren.« »Wenn wir nicht Alan und die anderen aufhalten, gibt es kein Leben auf diesen Felsen mehr, das zu erhalten wäre«, bellte Koenig sie an. Ihr Gesicht verschwand. Er drückte einen anderen Knopf. Nun erschien der Mondwagen mit den Zylindern. Über die Helmradios nahm er Verbindung mit den beiden Männern auf. »Alan, Ehrlich, hier ist Commander Koenig. Könnt ihr mich hören? Alan…« Entweder stimmte etwas mit der Übertragung nicht, oder sie wollten nicht auf ihn hören. Koenig hatte das Gefühl, letzteres war eher zutreffend.
Als Carter und Ehrlich durch den hohen Tannenwald fuhren, um einen Platz für das Picknick zu suchen, wehte ihnen plötzlich ein eiskalter Wind ins Gesicht. Endlich lachte Carter glücklich an. »Wie bin ich froh, noch am Leben zu sein«, rief er und drehte sich zum Rücksitz um. »Wer wäre das nicht mit euch zwei Hübschen?«
Wo vorher der Picknickkorb und die Liegestühle verstaut gewesen waren, saßen jetzt zwei bildhübsche Mädchen. Eine war blond, die andere brünett. Beide sahen aus, als hätten sie noch nicht sehr lange die Schule verlassen. Sie kicherten nervös, als Ehrlich sie so begehrlich anschaute.
»Alan, Ehrlich!« Koenig versuchte es immer wieder. »Hier ist Commander Koenig. Könnt ihr mich hören?« Er bekam noch immer keine Antwort. Verdeschi hielt das Schiff auf Kurs, während er am Funkgerät blieb. Maya befand sich im Passagierraum und beobachtete das Gelände. »Tony, geh unmittelbar vor den beiden zu Boden«, befahl Koenig. »Nein, John!« rief Maya. »Der Grund unten ist viel zu brüchig. Mit dem Gewicht der Eagle würden wir glatt durch die Oberfläche brechen.« Koenig nickte. »Okay. Dann setzt mich vor ihnen ab.« Er lief schnell zu Maya in den Passagierraum, zog aus einem Schrank einen Raumanzug und kletterte hinein. In der Luftschleuse wartete er, bis sich die Innentüren hinter ihm geschlossen hatten. Er meldete sich bei Verdeschi, der ihm bestätigte, daß er nun in Position sei. In der Luftschleuse senkte sich der Druck, und die Außentüren schoben sich auf. Koenig schaute hinaus auf zerklüftete Berge und einen sternenübersäten Himmel. Schnell hängte er zwei Clips an seinem Gürtel ein, glitt hinaus und ließ sich an zwei Kabeln hinab. Mit den Clips wurde er an seinem Schwerkraftmittelpunkt in Position gehalten. Dicht vor sich sah er, wie der Mondwagen ihm auf riesigen, elastischen Rädern entgegenhüpfte. Er löste geschickt die Clips, als er Grundberührung hatte. »Nimm sie weg von hier«, befahl er Verdeschi über sein
Helmradio, ließ aber den Wagen keinen Moment aus den Augen. Das riesige Schiff hob sich, und das Bündel der Startraketen legte in sicherer Entfernung von ihm einen Flammenteppich auf den Mondboden. Dann blieb die Eagle im Raum hängen, um weitere Weisungen abzuwarten. Der Mondwagen hatte ihn nun fast erreicht, und die zwei Männer in den Raumanzügen konnte er genau erkennen. Er stieß sich kräftig vom Mondboden ab, so daß er in einem mächtigen Weitsprung direkt vor dem Fahrzeug landete. Er winkte heftig, sie sollten anhalten.
»Was, zum Teufel…« Carter bremste den ViersitzerSportwagen. Vor ihnen war hinter einem Baum ein maskierter Revolverschütze hervorgetreten. Er winkte mit seiner Waffe, sie sollten anhalten. »Runter!« rief Carter den beiden Mädchen zu. Die schrien und duckten sich, während Carter grimmig dem Wegelagerer entgegenfuhr. Der Räuber schoß, aber die Kugeln pfiffen harmlos am Wagen vorbei. Dann mußte er selbst einen seitlichen Satz tun, um nicht getroffen zu werden. Koenig umklammerte seinen Laser, den er auf Lähmung eingestellt hatte und kam schwerfällig auf die Füße, nachdem er sich ungefähr zwanzig Yards weit abgerollt hatte. Er rutschte aus, die Waffe entglitt seiner Hand, beschrieb einen Bogen und verschwand in einer Felsspalte. Wieder stand er auf und bemerkte, daß der Mondwagen auf dem Weg zu den drei Kuppeln einen weiten Bogen um ihn geschlagen hatte. Er rannte ihm nach, und das war ohne Luft und Schwerkraft ziemlich gefährlich. Aber diesmal sprang Koenig an Bord des Wagens.
Der Wegelagerer tat einen seitlichen Satz, hielt sich aber am Wagen fest. Carter fluchte, weil er zurückgekommen war. Er hätte besser davonfahren sollen, um den Mann sich selbst zu überlassen. Die Mädchen kreischten und schlugen auf den Wegelagerer ein, um ihn zu vertreiben. Carter biß die Zähne zusammen. Er beschrieb einen engen Bogen; durch die Fliehkraft wurde der Räuber weggeschleudert und rollte in den grasigen Graben am Wegrand.
Koenig rollte immer weiter und landete zwischen Steinbrocken und zerklüfteten Felsnadeln. Der Mondwagen beschrieb eine Kurve und kam auf ihn zu. Vorsichtig stand Koenig auf und zog sich in die Sicherheit eines großen Felsblockes zurück. Jedesmal, wenn der Mondwagen ihn zu rammen versuchte, ging er hinter einem großen Stein in Deckung. Wieder setzte der Mondwagen auf ihn an, diesmal mit sehr gefährlicher Geschwindigkeit. Die beiden Männer in den Raumanzügen duckten sich zusammen. Im letzten Moment stieß er sich ab und segelte hoch über dem Mondwagen weg. Er wußte, daß der Wagen mit ungeheurer Wucht an den Felsen prallen mußte, und war um die unglücklichen Insassen besorgt.
XIV
»Setz mich hier ab«, rief Maya über ihr Helmradio Verdeschi zu. Koenig braucht Hilfe, und sie hatte schon den Raumanzug an. Verdeschi brachte also das Schiff wieder nach unten. Jedes Manöver kostete Unmengen an Treibstoff, doch das war jetzt unwichtig, solange es um das Überleben der Mondbasis ging. Die Raketen brannten und donnerten, und Maya wurde auf die Oberfläche hinabgelassen. Sie löste die Clips und lief dorthin, wo die drei Gestalten neben dem stillstehenden Mondwagen miteinander kämpften. Der Commander bezog fürchterliche Schläge. Carter drückte ihn zu Boden, während Ehrlich in seiner wütenden Unzurechnungsfähigkeit versuchte, den lebenswichtigen Atemschlauch von Koenigs Sauerstoffbehälter abzureißen. Maya handelte blitzschnell. Es hatte keinen Sinn, sich selbst in ihrer normalen Gestalt in diese Rauferei einzumischen, denn gegen diese beiden besessenen Männer kam sie nicht an. Ihr fiel eine Kreatur ein, die es früher einmal auf ihrem Heimatplaneten gegeben hatte, ehe er explodiert war. Ursprünglich hatte sich dieses Geschöpf als Sauerstoffatmer entwickelt, aber im Laufe vieler Jahre hatte es sich an die immer dünner werdende Oberflächenatmosphäre Psychons angepaßt. Als dann Psychons Lufthülle ganz verschwunden war, konnte es sogar Raumkälte und Vakuum ertragen. Und es lebte während längerer Zeiträume ohne Wärme und Luft, ehe es wieder zurückgezwungen wurde in seine Untergrundnester, wo es sich mit dort auftretenden atembaren Gasen versorgte.
Maya verwandelte ihre molekulare Struktur in das Muster dieser Kreatur und stampfte heran, um Koenig zu retten. Das Wesen hatte eine dicke, zähe Haut, die auch dem Vakuum standhielt, einen dicken, langen und dunklen Pelz, der die Raumkälte abhielt. Es war ungefähr acht Fuß hoch. Auf dem runden, haarigen Kopf standen zwei aufrechte dicke und lange Hörner. Ein einziges Auge, das von einer sehr kräftigen, durchscheinenden Membrane geschützt wurde, funkelte düster in der Stirnmitte. Plötzlich stand es hinter Carter und Ehrlich und riß die beiden von ihrem Opfer los. Ehrich fiel zu Boden und blieb mit seinem Anzug an einer scharfen Felszacke hängen. Er lag hilflos da, um zu sterben. Bald würde er die Raumkälte zu spüren bekommen. Carter rannte zum Mondwagen, der wunderbarerweise noch immer funktionierte, fuhr ihn rückwärts vom Felsen weg und holperte davon. Die Vakuumkreatur schimmerte und verwandelte sich wieder zurück in ihre ursprüngliche Gestalt im Raumanzug. Sie bückte sich über Koenig und befestigte seinen Atemschlauch wieder. Er kam mühsam auf die Beine. Ehrlich lag ein paar Yards entfernt bewegungslos da, und sie stapften hin, um nach ihm zu sehen. Maya kniete neben ihm nieder und entdeckte den Riß. Joe Ehrlichs Gesicht sah im Helm totenblaß aus. »Repariere seinen Anzug, Maya«, bat Koenig über das Helmradio. »Tony«, rief er das Schiff an, »Ehrlich hat den größten Teil seiner Luft verloren. Du mußt ihn sofort nach Alpha zurückbringen. Er muß erst in die Unterdruckkammer, das ist seine einzige Chance.« »Ich bin gleich da, John.« Auf einem Feuerkissen kam die Eagle heran.
Koenig wandte sich den Kuppeln zu, in jene Richtung, in die der Mondwagen verschwunden war, und überschlug die Entfernung, die er zurückgelegt hatte. Er hoffte, die Zeit würde gerade noch reichen, um das Fahrzeug einzuholen, und stieß sich vom Grund ab. Als er landete, stieß er sich erneut ab und rannte so in einer ganzen Reihe langer, anmutiger Sprünge über die Mondoberfläche. Die Entfernung zwischen ihm und dem Mondwagen wurde immer kleiner, doch voll Verzweiflung erkannte er, daß er es trotzdem nicht schaffen würde. Carter hatte so viel Vorsprung, daß er rechtzeitig an der Überwachungsstation ankommen, ein paar der Zylinder abladen und ins Gebäude verschwinden konnte, wo er sich mit Bartlett einsperren würde, ehe er dort ankam. Während er dem Fahrzeug in langen Sprüngen nachsetzte, geschah, was er befürchtet hatte.
Carter aktivierte die Türen der Überwachungsstation und schloß sich mit Bartlett ein. Gedrängt und geleitet von Kräften jenseits seiner Kontrolle löste Carter die Thermallanze von seiner Schulter. In dem Augenblick, als Koenig die äußeren Türen der Station erreichte und auf den Knopf drückte, verschweißte Carter von innen die Tür, so daß es ausgeschlossen war, sie zu öffnen. Als in der Schleuse genügend Druck herrschte, schleppten die beiden drei schwere Zylinder mit Atomtreibstoff in die innere Kammer, in der sie Atemluft hatten. Die Türen hinter ihnen schlossen sich, und sie nahmen ihre Helme ab. Das Wesen, das Carter kontrollierte, beschloß, er müsse auch die letzten Türen verschweißen. Die beiden Männer wurden nun angewiesen, die Zylinder durch die Tür zu tragen, auf der ABFALLKUPPEL DREI stand.
Vor ihnen lag ein kurzer Korridor aus poliertem Stahl. Links und rechts standen etwa sechs bewegungslose Gallertwesen, die sie beaufsichtigten. Am Ende des Korridors befand sich eine Tür, auf der etwas Unentzifferbares stand, und dorthin stapften sie.
Bartletts Apartment hatte sich verändert. Die Musik hatte aufgehört. Er stand jetzt irgendwo in der Vergangenheit auf einem Dachgarten und trug ein kleines Kind. Das Kind lachte fröhlich, als er mit dem Kind auf den Schultern um kleine Brunnen und über Terrassen lief. Unter der schön gearbeiteten Tür zur Treppe stand seine hübsche Frau und sah ihnen zu. Sie trug jenes blumenbedruckte Baumwollkleid, an das er sich so gerne erinnerte. Diese Szene war die letzte glückliche Szene vor seiner Abstellung zum Mond.
Der Wegelagerer war verschwunden. Ehrlich war aus dem Sportwagen gesprungen und jagte ihn durch den Wald. Carter hatte gewartet, doch sein Mädchen auf dem Rücksitz hatte einen kleinen Teich und ein Bootshaus zwischen den Bäumen erspäht und drängte, er solle mit ihr dorthin gehen. Bald ruderte er kräftig hinaus auf den Teich. Die Sonne schien heiß. Ehrlich war vergessen, und das Mädchen sonnte sich im Boot und warf ihm einladende Küßchen zu. Er ruderte noch schneller, um das baumbestandene Inselchen in dem ruhigen, tiefen Wasser zu erreichen. Sie schleppten die Treibstoffzylinder den Stahlkorridor entlang zur runden Tür. VORSICHT! LEBENSGEFAHR – ATOMABFÄLLE Carter und Bartlett starrten den massiven Mechanismus an, der die Tür geschlossen hielt. Wortlos schwang Carter die
Thermallanze von seiner Schulter und legte sie so an, daß die heiße Flamme auf den dicken Stahl zielte und begann hineinzuschneiden.
»Maya?« rief Koenig dringend außerhalb der Überwachungsstation. »Ja, John?« erwiderte sie aus der Eagle. Er berichtete ihr, wo er war. »Die Türen der Luftschleuse wurden von innen her zugeschweißt. Ich werde sie jetzt mit dem Mondwagen rammen, um die Schweißnaht aufzubrechen.« »Wir passen auf«, versprach sie ihm, als er in den Mondwagen kletterte. »Aber sei vorsichtig. Wir haben Ehrlich. Ich glaube nicht, daß er’s schaffen wird. Tony zieht ihm gerade den Raumanzug aus. Warte einen Augenblick.« Verdeschis Stimme kam nun über den Kanal, und die beiden sprachen ein paar Worte miteinander. Dann war Maya wieder da. »Wir haben den elektronischen Schlüssel zur zentralen Abfallkammer in der Kuppel Drei gefunden. Ehrlich hatte ihn bei sich. Es sieht ganz so aus, als hätten wir damit ein wenig Zeit gewonnen.« Koenig biß die Zähne zusammen. »Sie sind schon drinnen«, meldete er und setzte den Wagen auf die äußeren Türen an. Dann drückte er den Beschleunigungsknopf im Lenkrad ganz durch, der Wagen schoß vorwärts, und er machte sich auf einen harten Aufprall gefaßt. Das zu schnell zusammengeschweißte Metall krachte, und die Türen schoben sich auf, als er sein Comlock benutzte. Die inneren Türen waren ein Problem anderer Art. Auch sie waren verschweißt, aber wenn er sie mit dem Mondwagen aufbrechen wollte, ginge der atmosphärische Druck der Station verloren, und Carter und Bartlett mußten ersticken.
Aber wenn er Bartlett und Carter jetzt nicht aufhalten konnte, mußte jeder auf Alpha sterben. Entschlossen, stieß er mit dem Mondwagen ein Stückchen zurück und fuhr auf die Türen los. Auch hier riß die Schweißnaht auf, doch die Tür öffnete sich nicht selbst. Die zwei Burschen haben Glück, dachte er, als er rückwärts mit dem Mondwagen herausfuhr und abstieg. Er ging durch die Außentür und schloß sie hinter sich. Er setzte die Luftschleuse unter Druck, öffnete die inneren Türen und rannte hinein. Er nahm seinen Helm ab und sah sich in der verlassenen Station um. Ein Blick genügte, und er wußte, daß Bartlett und Carter bereits tief in einer der Kuppeln waren und sich den Weg in einen Lagerraum freischnitten. Er ging zur Konsole und drückte auf einen Knopf. Mayas Gesicht erschien auf dem Schirm. »Wie kann das Feld noch immer Alan und Bartlett kontrollieren?« fragte er bestürzt. »Alles ist doch geschlossen. Woher bezieht es seine Energie?« Maya zuckte die Achseln. »Das menschliche Gehirn schickt elektrische Wellen aus, das könnte es sein. Vielleicht genügen die, um ein paar von uns auf Alpha unter Kontrolle zu halten, unter Hypnose eigentlich.« Koenig überlegte, was er nun tun sollte. »Wenn die Menschen bewußtlos sind, ist doch die Gehirntätigkeit stark eingeschränkt, nicht wahr?« »Sehr sogar.« Sie sah ihn nachdenklich an, denn sie erriet, was er vorhatte. Ehe sie aber weitersprechen konnte, hatte er schon abgeschaltet. Ein neuer Knopfdruck brachte Helena auf den Schirm. »Helena, ich möchte, daß alle von der Basis ohne Bewußtsein sind, bis auf dich und den Chefingenieur.« Helena starrte ihn ungläubig an. »Was? Du meinst wirklich bewußtlos?«
»Ja, das meine ich wirklich«, schnappte er. Besorgt schaute er über die Schulter zu den drei Türen, die in die Kuppeln führten. Über einer blinkte ein rotes Notlicht. »Aber…« begann Helena. »Bitte, jetzt keine Einwände. Kannst du es tun oder nicht?« »Ja, natürlich kann ich es tun. Ich verwende Kontaktgas. Es wirkt sofort und hält ungefähr eine Stunde an. Aber John, ich muß wissen…« »Tu’s nur, sonst gar nichts, Helena.« Er unterbrach den Kontakt und ging schnell zur Tür.
Das Mädchen hatte genug, also brachte es Bartlett in die Wohnung zurück. Er lächelte seine Frau an und schob seinen Arm in den ihren. »Hast du Lust auf eine kleine Fahrt?« fragte er, als er den lange vergangenen Sonntagnachmittag wieder erlebte. Sie nickte. »Der Wagen braucht eine Generalreinigung.« Er runzelte gutmütig die Brauen. Das mochte er gar nicht: Wagenwaschen, Unkraut jäten oder kleine Reparaturen ausführen. Sie dagegen war ein Muster der Ordnungsliebe und bestand darauf, daß alles immer perfekt sauber sein müsse. Aber sie hatte sehr viele gute Seiten, die ihn für ihren Perfektionsfimmel entschädigten. Vergnügt erinnerte er sich daran, daß er eigentlich der einzige wirklich glücklich verheiratete Ehemann war, den er kannte. Deshalb stieg er fröhlich in den Lift, der ihn in die Parketage im Keller brachte, wo er den Wagen zu säubern begann.
Unter der intensiven Hitze der Thermallanze schmolz der Verschlußmechanismus der dicken Stahltür weg.
Er trat ein Stück zurück und stellte sein Gerät ab. Er und Carter schoben gemeinsam die Tür auf. »Allan! Bartlett!« Plötzlich erscholl hinter ihnen Koenigs Stimme. Sie drehten sich um und beobachteten die sich nähernde Gestalt. Sein Ruf kam so unerwartet, daß sie von ihrer Arbeit abgelenkt wurden. Daß er ihr Commander war, bedeutete ihnen nichts. Aber plötzlich stahl sich in ihr gelähmtes Denkzentrum eine kräftige neue Motivation. Die sich nähernde Gestalt konnte natürlich Koenig sein, aber in ihrer unwirklichen Traumwelt war er ein Irrer, ein amoklaufender Wahnsinniger mit einem Maschinengewehr, der wahllos alles beschoß, was er sah.
Koenig blieb stehen, denn er spürte die Veränderung ihrer Gefühle. Er war noch ein paar Yards von ihnen entfernt und wurde von den schweigenden Amöbenwesen beobachtet, die untätig an ihren Platz gebannt waren, weil ihre Kraft geschwunden war. Bartlett und Carter liefen schnell in einen Lagerraum und schoben die schwere Tür hinter sich zu. Koenig rannte weiter, erreichte die Tür und riß sie heftig auf. Der Lagerraum hatte eigentlich nur einen Zugang. Aber in ihm befand sich eine runde Rutsche, die tiefer nach unten führte. Durch sie waren die Behälter mit dem Atomabfall in ihre Kammern gekippt worden, wo sie nun tief unter der Mondoberfläche ruhten. Diese Kammer war stark radioaktiv. Koenigs Lungen krampften sich zusammen, als er die kalte Luft einatmete. Seine Haut kribbelte, als sei er in ein Mentholbad getaucht worden. Ehe er in die Kuppel eindrang, hatte er gewußt, daß er sich vielleicht selbst opfern mußte, um die Mondbasis zu retten. Vom Commander konnte und mußte man das notfalls erwarten. Aber er hätte nie geglaubt, daß sein
Leben auf diese Art enden sollte, daß der Tod so schnell und so endgültig käme. Er schob seine Gefühle in den hintersten Winkel seines Bewußtseins und bewegte sich den beiden Gestalten entgegen, die neben der Rutsche standen. Sie hoben gerade einen schweren Zylinder so in Stellung, daß er mit einer Handbewegung in die Tiefe kippen mußte. Bartlett hielt den Zylinder fest, und Carter ging den Verschluß mit einem Spezialschlüssel an, um den innen gelagerten Treibstoffstab bloßzulegen. Koenig warf sich auf Carter, um ihn zur Seite zu stoßen, doch Bartlett hatte ihn gesehen, trat ihm in den Weg und fing den Aufprall ab. Mit einer geschickten Schulterbewegung warf er den Commander an die Wand. Koenig bekam aber seinen Raumanzug zu fassen, und nun rollten beide auf dem Boden. Mit übermenschlicher, aus der Verzweiflung geborenen Kraft drehte sich Koenig um und stieß den Physiker weg, so daß er sich plötzlich unter dem Dach des Raumes drehte. Bartlett stieß ans Dach und prallte davon wie ein Gummiball ab. Hilflos schwebte sein Körper dem Boden entgegen und prallte erneut ab. Das schien ihn nun wieder zur Vernunft zu bringen, denn er setzte sich auf und rieb sich die Augen, als sei er eben aufgewacht. Die Parketage, der Wagen, den er gerade gewaschen hatte, der verrückte Kerl, der ihn und Carter mit der Waffe bedrohte – alles verschwand. Es war ein Traum gewesen. Aber… Noch halb betäubt schaute er sich um. Langsam begriff er die wahre Natur seiner Umgebung. Er reagierte plötzlich voll panischer Angst und kämpfte sich auf die Füße. »Atomtreibstoff!« schrie er. Koenig hatte sich inzwischen mit Carter beschäftigt. Er bediente den Eagle-Piloten gerade mit einer Serie von
Karateschlägen. »Ja…« sagte er zu Bartlett, als er kämpfte, »du warst gerade dabei, ihn in die Rutsche zu kippen…« »Dann hätten wir ja den ganzen Mond in den Raum gesprengt…« Carter ging nun auch zu Boden. Sein Körper prallte dort ab, doch Koenig fing ihn ein und zog den Bewußtlosen zu Boden. »Du und Alan, ihr beide habt in einer Illusion gelebt«, erklärte er dem Physiker. »Aber ihre Kontrolle…« Er deutete auf die Fremden, die noch immer bewegungslos im Korridor standen. »Ihre Macht ist gebrochen.« Er schaute sich gerade noch rechtzeitig um. Die schleimigen Wesen bewegten sich auf ihren protoplasmischen Fortbewegungswerkzeugen und glitten ihm schmatzend entgegen. Es waren viele. Ihre phosphoreszierenden Körper erhellten den nur dürftig beleuchteten Raum. Plötzlich wurde ihm völlig klar, daß sie von der Strahlung angetrieben wurden. Sie nahmen diese Strahlung in sich auf, absorbierten sie, und das hieß, daß er, Bartlett und Carter vielleicht keine tödliche Dosis aufgenommen hatten. Aber die Gallertwesen waren trotz ihrer Strahlennahrung noch in recht schwacher Verfassung. Sehr stark, überlegte er, waren sie sowieso noch nie gewesen. Jetzt quetschten sie ihre widerlichen Körper in den engen Raum, und möglicherweise erdrückten sie einander bald gegenseitig. Sie mußten so schnell wie möglich verschwinden, ehe sie von diesen fauligen, ekelhaften Dingern überrannt wurden. »Nimm Carter, dann machen wir uns den Weg frei…« begann er, doch da bemerkte er, daß Carter wieder auf den Beinen war. Seine Hypnose hatte sich merklich erneuert, und er packte wieder den Treibstoffzylinder. Das Raumfeld schien entschlossen zu sein, seine ganze Kraft auf den Eagle-Piloten zu konzentrieren.
Koenig warf sich auf Carter und zog ihn weg – aber zu spät. Der Deckel, der den Zylinder verschlossen hatte, rollte weg, und der Zylinder selbst hing mit dem gefährlichen Treibstoffkern am Rand der Rutsche. Eine winzige Bewegung, und er würde hinabgleiten in den Abfallraum tief unten und eine Atomexplosion auslösen, wie sie das Raumfeld brauchte, um zu überleben. Mit dem Arm um seinen Hals hielt er Carter in der Zange und rief Bartlett zu, der ihn verwirrt anstarrte: »Hilf mir doch, ihn festzuhalten!« Verzweifelt schrie er den Eagle-Piloten an: »Alan, ich bin doch Koenig! Es ist alles…« Aber da wurde er wieder unterbrochen. Der ganze Raum schüttelte sich heftig, und eine kalte, rote Wesenheit betrat ihn. Die Luft barst in kalte Flammenzungen. »Ist es nicht doch zu spät, Koenig?« tönte eine kalte Stimme. Die Flammen brannten zwischen den Gallertwesen. Koenig erinnerte sich des kalten Feuers, das er im Traum gesehen hatte, dieser seltsamen, visionären Manifestation des Raumfeldes. Und er erinnerte sich auch der verrückten, bösartigen Stimme, die ihn verspottet hatte. Bartlett griff nach seinem Laser, doch Koenig wehrte ab. »Das nützt auch nichts«, erklärte er. Die kalte Stimme lachte hohl. »John Koenig, du lernst sehr schnell. Wir können also hoffen.« »Wer kann hoffen?« fuhr ihn Koenig an und schaute sich in den züngelnden Flammen um. Carter hielt er noch immer in der Zange. »Es ist wahr, Jack«, wandte sich die Stimme der Raumamöbe an den Physiker. »Du hast in einer Illusion gelebt… Aber warst du nicht glücklich dabei?« Die Stimme sang nun fast, und die kalten Haßflammen loderten lauter und wütender. »Warst du nicht glücklicher als je zuvor auf Alpha? Hast du
nicht dein eigenes Leben gelebt? Warst du nicht bei deinen Lieben auf der Erde?« Bartletts Gesicht war plötzlich naß von Tränen des Kummers, als er an seine Frau und die kleine Tochter dachte. Nein, er konnte und wollte es nicht leugnen, daß er sehr glücklich gewesen war. Das nichtmenschliche Raumfeld versuchte Bartlett mit seinen menschlichen Sehnsüchten zu erpressen. Koenig war die Ironie klar. Im letzten Moment schien sich die Waagschale zugunsten der Amöbe zu neigen. Carter wehrte sich heftig gegen Koenigs Griff, doch er hielt ihn fest. Er wandte sich an Bartlett, um die Überredungskunst des Raumfeldes abzuwehren. »Es ist wahr, was die Stimme sagt, aber es ist nicht wirklich. Du hast in einem Traum gelebt, nicht in der Wirklichkeit«, drängte er. Die Raumamöbe antwortete mit tiefer, überredender Stimme, ehe Bartlett noch die Chance hatte, sich zu äußern. »Ist es nicht besser, in einem Glückstraum zu leben, statt sich einer Wirklichkeit zu stellen, die du doch hassen mußt? Kannst du es wirklich ertragen, dein Leben zu Ende zu leben, alt zu werden und dann schließlich auf diesem wüsten Steinhaufen zu sterben?« Die Stimme schien schwächer zu werden. Die Flammen, die noch vor einem Augenblick gezüngelt und geröhrt hatten, sanken in sich zusammen, und die Gallertwesen, glitten nicht mehr schmatzend herum, sondern standen bewegungslos da. Koenig fühlte, daß sie am Rand des Sieges standen – falls sie durchhalten konnten. Trotz der Strahlung schwand die Kraft des Raumfeldes immer mehr. Flehend wandte er sich daher an den Physiker. »Bartlett, so hilf mir doch!« Aber der verwirrte Bartlett war jetzt zu keiner Entscheidung fähig, stand da, ließ den Kopf hängen und schluchzte. Allmählich wurde Koenig mit ihm
ungeduldig. »Und wie lange, glaubst du, hätte dieser Traum gedauert?« schrie er ihn an. »›Wie lange‹ ist ein Ausdruck, der nichts zu bedeuten hat«, warf die Raumamöbe ein. »Die Zeit ist relativ. Ein Schmetterling lebt ein glorreiches Leben in einem Tag; ein einzelliger Mikroorganismus hat nur eine Mikrosekunde Zeit. Solange diese Mikrosekunde ausgefüllt ist, hat die Zeit keine Bedeutung.« Allmählich konnte Koenig seinen Zangengriff an Carter nicht mehr länger durchhalten. Sein Arm schmerzte, so verkrampft war er, und er war vor Müdigkeit ganz benommen. Aber er gab nicht auf. Er befahl seinem Geist, der Raumamöbe Widerstand zu leisten. Doch das Raumfeld fuhr fort, wenn auch die Stimme immer schwächer wurde. Allmählich schwang ein verzweifelter Ton mit: »Ich kann den Leuten von Alpha ein erfülltes Leben bieten, so wie sie es zu Hause auf der Erde bei ihren Lieben hätten, sogar noch sehr viel besser. Es wäre ein perfektes Leben, ein Leben, wie jeder von euch es sich gewünscht hätte, frei von allen Sorgen und Makeln.« Koenig schüttelte sich selbst, um die sterbende Versucherstimme abzuwehren. Auch auf ihn wirkten die intensiven Wellen der Freude, die sich im Raum bewegten. »Das Leben, das du bietest, wäre nur eine flüchtige Illusion!« beschuldigte er das Raumfeld. Da riß sich Carter los. Knurrend warf sich der Pilot auf den Zylinder, der am Rand der Rutsche hing. Koenig versuchte ihn zurückzuhalten, doch der andere prallte an den Zylinder. Koenig war entsetzt, doch der Schock bevorstehenden Unheils riß Bartlett aus seiner Traumtrauer und brachte ihn zur Vernunft. Die beiden Männer reagierten blitzschnell. Sie liefen durch die kalten, züngelnden Flammen zu dem
zusammengesunkenen Carter und zogen ihn weg. Sie rechneten damit, daß der Zylinder verschwunden, die Rutsche leer war, doch dann erkannten sie, daß sich der Zylinder in der Rutschenöffnung verkantet hatte. Erleichtert atmeten sie auf und versuchten die gefährliche Treibstoffladung herauszuziehen. Es ging nicht. Sie hatte sich fest und sicher verkeilt. Plötzlich hüllten die strahlenden, parapsychischen Flammen sie völlig ein. Die Kuppel begann heftig zu zittern, und dann hallte ein lauter, verzweifelter Wutschrei durch das Gebäude. Es war der Schrei eines Wesens, das sich endgültig seinem langbekämpften Ende gegenübersieht. Die Flammen loderten, und mit der letzten Spur von Energie fraßen sie einander selbst auf. Aber aus dem Chaos der sich auflösenden Kräfte, welche die vergehende Raumamöbe noch einmal aufgerafft hatte, kam jetzt nicht die verängstigte Stimme, die sie zu hören erwartet hatten. In den letzten Sekunden ihrer Existenz hatte die Amöbe noch volle Kontrolle über ihre verzweifelten Gefühle, und sie sprach zu ihnen voll stolzer Sorge, die nur wenig von der Bitterkeit durchklingen ließ, die sie empfinden mußte. »Commander«, sagte sie, »du bist wirklich ein primitiver Organismus. Du hast nicht die geringste Vorstellung von dem, was du zerstört hast. Du weißt nicht, wie lange ich gelebt habe, und ahnst nichts von meiner Herrlichkeit, von der Macht, die ich ausübte, von den Dingen, die ich tat. Du bist klein, dumm und hast unerhörtes Glück, daß ich alt und verbraucht bin, daß mir keine Macht mehr blieb. Ich hätte dir eine Ewigkeit an Glück verschaffen können – in einem einzigen Augenblick. Du hättest dann wenigstens gewußt, wie es ist, wenn man sich durch Milliarden Sonnen bewegt, den Traum der Unendlichkeit träumt. Nun wird dein Leben so sein, wie das
Leben deiner Spezies schon immer war – brutal, häßlich und vergeblich.« Während sie lauschten und zusahen, schwanden Stimme, Flammen und Gallertwesen, um sich für ewig in der Leere der Unendlichkeit zu verlieren.