R. P. Mielke
Band 21
Der Unbesiegbare Rex Cordas tollkühner Versuch, laktonische Wissenschaftler von TECKAN zu befrei...
46 downloads
591 Views
526KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
R. P. Mielke
Band 21
Der Unbesiegbare Rex Cordas tollkühner Versuch, laktonische Wissenschaftler von TECKAN zu befreien, ist gelungen. Nicht gelungen ist ihm jedoch die Flucht zurück zur Erde. Ungeheure Energieausbrüche schleuderten die COROCON III in die Nähe des Planeten SWAMP, der zu den sichersten Bastionen des laktonischen Einflußbereiches gehört. Doch auf Swamp gibt es keine Sicherheit mehr. Dieser Sumpfplanet wurde zum Schauplatz äußerst gewagter Experimente der Laktonen. Rex Corda trifft auf Terraner! Mit ihnen haben die Laktonen experimentiert. Die Terraner sind seltsam verändert. Die Experimente haben Giganten aus ihnen gemacht, sie haben ihnen die verblüffendsten Fähigkeifen vermittelt. Noch ahnt niemand, was der Grund dafür ist. Die Terraner haben die laktonische Fessel abgeworfen und die Macht über den Planeten an sich gerissen. Doch sie können nichts
damit anfangen. Sie zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt. Nur ganz knapp konnte Rex Corda dem Zugriff der VERÄNDERTEN entkommen. Unbeabsichtigt kommen ihm die Laktonen zu Hilfe, als sie nach Swamp zurückkehren. Doch damit hat sich die Lage für Rex Corda und die Männer der COROCON III nicht gebessert. Sie ist im Gegenteil wesentlich schlechter geworden. Wenn die Laktonen die fast zerstörte COROCON III entdecken, dann gibt es für Rex Corda kein Entkommen mehr. COROCON III wagt die Flucht trotz aller Schwierigkeiten, als die Laktonen ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick zu sehr auf die zerstörten Laboratorien von Swamp richten. Doch jetzt wird ein Machtfaktor frei, mit dem niemand gerechnet hat. Eine Macht entsteht, die die Galaxis erschüttern kann. Rex Corda versucht, sich ihr in den Weg zu stellen.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laktons Wissenschaftler hoffen auf ihn Latak Decimo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ein laktonischer Synoptiker Ierra Kretan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . eine unberechenbare Mathematikerin Tykanta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das grauenhafte Rätsel auf Swamp Ron Carlotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ein Zwerg, aber mit Riesenkräften
Das Zentrum der intelligenten Pflanze Tykanta explodierte mit unvorstellbarer Wucht. Ein zuckendes Beben zerriß den Sumpfboden des Planeten Swamp. Der gewaltige Explosionsdruck schleuderte das kleine laktonische Landungsboot hoch in den dunstigen Morgenhimmel. Die Soldaten von Lakton waren auf diesen Schock nicht vorbereitet. Sie krachten mit ihren Körpern hart gegen die Verstrebungen im Innern des Landungsbootes. Die meisten von ihnen waren gerade damit beschäftigt gewesen, durch die Schleusen die Oberfläche von Swamp zu betreten. Während das schrille Gellen der Alarmanlagen nutzlos verhallte, erreichte das kleine Landungsboot den Kulminationspunkt und verharrte für Sekundenbruchteile bewegungslos in den höheren Schichten der rötlichen Atmosphäre von Swamp. Es kippte zur Seite. Der Antrieb war ausgeschaltet. Die Automatik arbeitete nicht. Fast zweihundert Kilometer weiter knallte das Landungsboot gegen hoch aufragende Felsen am oberen Rand einer langgestreckten Schlucht. Krachend und berstend löste sich das Landungsboot in seine Einzelteile auf. Blaue Flammenzungen zuckten aus den Energiespeichern. Ein dichter schwarzer Rauchpilz ballte sich über der Absturzstelle des Landungsbootes zusammen. Ein böses blaurotes Glühen breitete sich auf einer vorspringenden massiven Felsnase aus. Der Rest des Landungsbootes stürzte in die Schlucht und wurde dabei in immer mehr Einzelteile zerlegt. Keiner der laktonischen Soldaten und Offiziere überlebte den Absturz. Innerhalb weniger Sekunden war es vorbei. Eine rauchende Glutspur an der kahlen Seitenwand der tiefen Schlucht war alles, was von dem laktonischen
Landungsboot übrigblieb. * Samar Tarkannt stand mit glühenden Augen vor einem mächtigen, halb zerstörten Computer. Er füllte fast die halbe Stirnseite der gigantischen unterirdischen Forschungsanlagen auf Swamp aus. Die Laktonen hatten hier mit gewaltigen Mitteln Labors errichtet, die fast so umfangreich waren wie jene auf dem Wissenschaftsplaneten Teckan. Samar Tarkannt ging auf einen nicht mehr arbeitsfähigen Kampf-Roboter zu. Er hob den Koloß mit spielerischer Leichtigkeit an und schleuderte ihn gegen die Vorderfront des Computers. Das metallene Ungetüm krachte in die Elektronik, aber Samar Tarkannt kümmerte sich nicht mehr darum. Der schwarzhaarige, breitschultrige Mann mit den hochstehenden Backenknochen und den tiefliegenden Augen strich sich mit Daumen und Zeigefinger über seine leicht gebogene scharfe Nase. Die Kerbe an seinem Kinn bewegte sich, als Samar Tarkannt seinen kleinen energischen Mund zu einem schrillen Aufschrei öffnete. Seine brennenden Augen erfaßten das Chaos um ihn herum. Die zerstörten Labors von Swamp waren das teuerste Trümmerfeld des laktonischen Reiches. Samar Tarkannt schwang herum. Er sprang unter gewaltigen, verbogenen Kühlschlangen für die großen Computer hindurch. Dann stand er plötzlich vor einer metallisch schimmernden Wand. Sie war glatt und fugenlos. Samar Tarkannt sah sein eigenes Spiegelbild in der Metallfläche. Er stieß ein kaltes Lachen aus. Dann hob er die Arme mit einer allumfassenden Geste. Er blickte sein Spiegelbild an. Dann rief er mit lauter, schneidender Stimme: „Wir — Samar Tarkannt — werden das laktonische Reich erobern. Wir sind
der mächtigste Mandurane, den es jemals zwischen den Sternen gegeben hat. Als direkter Nachkomme des Schenna werden Wir den alten Herrscher stürzen, denn Wir sind unbesiegbar. Wir werden die Herrschaft über die gesamte Galaxis antreten, und niemand kann Uns daran hindern..." Der Mandurane schlug mit der Faust gegen die schimmernde Metallfläche. Eine zentimetertiefe Beule entstand in der Sperrwand aus molekularverdichtetem Chromstahl. Dann hörte Samar Tarkannt das Brummen eines Generators, den er bisher bei seinem Zerstörungswerk übersehen hatte. Mit gierigen Augen stampfte er auf die Kraftanlage zu. Er war durstig. Er lechzte nach immer neuen Mengen reiner Energie. * Tellek Perco starrte mit verzerrtem Gesicht auf den Kommandanten des Trakon-Kreuzers. Das zweitausendeinhundertsechzig Meter lange raketenförmige Kampfschiff hing direkt über dem Felsmassiv, das die geheimen Forschungsanlagen von Swamp beherbergte. „Landungsboot Nummer elf ausgefallen", meldete Tellek Perco Munnt Tryvvan preßte die Lippen hastig. zusammen. Die Meldung von Perco war überflüssig. Er hatte selbst gesehen, wie das Landungsboot Nummer elf hoch in die rötliche Atmosphäre von Swamp geschleudert worden war. Das geschah nach genau drei Minuten, nachdem er selbst den Befehl zum Ausschleusen der Soldaten gegeben hatte ... Elf weitere Landungsboote hatten sich rund um das Gebirgsmassiv verteilt, in dem Munnt Tryvvan die geheimen Labors vermutete. Allmählich wurde die Gewißheit in ihm immer
stärker: Hier wurden Experimente angestellt, deren Gefährlichkeit so groß war, daß sie nicht auf Teckan, dem Planeten der laktonischen Wissenschaftler, durchgeführt werden durften. Der Kommandant des Trakon-Kreuzers schürzte die Lippen. Wieder einmal glaubte er, ein weiteres Mosaiksteinchen gefunden zu haben. Allmählich wurde ihm klar, daß die Wissenschaftler nicht unabsichtlich in das SwampSystem ausgewichen sein konnten. Er wußte nicht, daß er sich gerade in diesem Punkt irrte. Munnt Tryvvan starrte auf die Holografen. Die rote Riesensonne des Swamp-Systems kletterte langsam von der Horizontlinie aus nach oben. Sie war nur 238,8 Millionen Kilometer von Swamp entfernt. Nur hier hatte sich primitives pflanzliches Leben entwickelt. Die beiden anderen Planeten des Systems waren unbelebt. Munnt Tryvvan ahnte nicht, daß es auf Swamp eine intelligente Pflanze namens Tykanta gegeben hatte. Er wußte nicht, daß diese Pflanze vernichtet worden war, als sie den Versuch machte, das Raumschiff zu überfallen ... „Wir gehen tiefer, um den Landungsbooten Feuerschutz zu geben", ordnete der Kommandant des Trakon-Kreuzers an. Tellek Perco gab den Befehl sofort weiter. Gemeinsam beobachteten Perco und Tryvvan das Näherkommen der Oberfläche auf den großen Holografen in der Kornmandozentrale. Das dreidimensionale Bild von der sumpfigen Oberfläche war absolut wirklichkeitsgetreu. Tellek Perco strich sich seine Uniformbluse glatt, während er sich darum kümmerte, die ständig einlaufenden Meldungen aus den einzelnen Sektionen des gewaltigen Kampfraumers zu überprüfen. Auch er hatte inzwischen ka-
piert, um was es hier ging. Wenn es ihnen nicht gelang, die Wissenschaftler ausfindig zu machen, dann konnten sie ihren Trakon-Kreuzer gleich in die Luft jagen. Eine Rückkehr nach Lakton war in diesem Fall gleichbedeutend mit Degradierung, Gehirnwäsche und Ausstoß aus den Reihen der kämpfenden Laktonen. Sie wußten genau, daß Wissenschaftler auf Swamp waren, aber der Planet war groß. Er hatte einen Äquatordurchmesser von 9838 Kilometern. Ein einzelner Trakon-Kreuzer war kaum in der Lage, die gesamte Oberfläche des sumpfigen Planeten abzusuchen. Munnt Tryvvan wußte ebensowenig wie Tellek Perco, welche Möglichkeiten, sich zu verstecken, es auf Swamp gab. Er nahm an, daß die Labors nicht ohne Absicht gerade auf diesem Planeten errichtet worden waren. Die primitiven rötlichen Pflanzen bildeten ein bizarres Muster auf der Oberfläche des Planeten. Sie standen teilweise so dicht, daß sie bereits als Wälder bezeichnet werden mußten. „Werden wir sie jemals finden?" fragte Tellek Perco. Munnt Tryvvan warf Perco einen grimmigen Blick zu. Er liebte es nicht, wenn seine engsten Mitarbeiter Zweifel am Ausgang einer derartigen Aktion äußerten. Diese Zweifel konnten sich ungünstig auf die Disziplin innerhalb des Trakon-Kreuzers auswirken. Munnt Tryvvan beugte sich nach vorn. Er starrte auf den Holografen, während der Trakon-Kreuzer immer tiefer sank. Jetzt schwebte er bereits dicht über dem felsigen Bergmassiv. Die Landungsboote flogen nach elektronisch ausgearbeiteten Suchplänen die nähere Umgebung des Massivs ab. Munnt Tryvvan war entschlossen, die Wissenschaftler zu finden. In seinen Augen hatten sie Lakton verraten.
Er ahnte noch nicht, was auf Swamp tatsächlich geschehen war, aber er war entschlossen, mit allen Mitteln Licht in das Dunkel zu bringen. Er durfte nicht zulassen, daß laktonische Wissenschaftler sich noch länger an den gescheiterten Versuchen auf Swamp beteiligten. Er fröstelte, als er sich vorstellte, was dann passieren konnte. „Sollen wir ein Landungsboot zur Absturzstelle von Nummer elf schikken?" fragte Tellek Perco. Munnt Tryvvan schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Wir brauchen jedes Boot, um diese Gegend hier hermetisch abzuriegeln. Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird." „Glauben Sie denn, daß die Wissenschaftler sich innerhalb dieses Berges befinden?" „Wo sollten sie sonst sein? Die Höhlen dort unten sind das beste Versteck für sie." Der Chef-Funker Tryvvans war intelligent genug, um jetzt den Mund zu halten. In diesem Augenblick meldete sich ein Landungsboot. „Boot Nummer vier — Boot Nummer vier — Meldung an Kommandanten - wir haben einen zerstörten GravoGleiter entdeckt, dessen Wärmeausstrahlung nach unseren Messungen ergibt daß er erst vor fünfzehn Minuten in den Sumpfboden stürzte." „Sofort untersuchen!" ordnete Munnt Tryvvan an. „Befehl verstanden." „Jetzt sind wir ihnen auf der Spur!" grinste Munnt Tryvvan. „Weit können sie nicht sein. Was meinen Sie, Perco? Wie weit kommt man in fünfzehn Minuten auf dem Sumpfboden von Swamp?" Tellek Perco lachte. Er blickte auf die automatisch eingelaufenen Koordinaten der Absturzstelle. Dabei fiel ihm auf, daß sie mit den Angaben über die plötzliche Explosion, deren Opfer das
Landungsboot Nummer elf geworden war, übereinstimmten . . . Plötzlich war Tellek Perco ziemlich aufgeregt. Er wandte sich an seinen Kommandanten. „Wir sollten so schnell wie möglich die Explosionsstelle untersuchen", sagte er hastig. Der Kopf von Munnt Tryvvan ruckte herum. Er blickte seinen Chef-Funker an. Sekundenlang sagte keiner der beiden Männer ein Wort. Dann lachte der Kommandant plötzlich und schlug seisem Chef-Funker auf die Schultern. „Ich glaube, jetzt haben wir sie", meinte er zufrieden. * Rex Corda drückte seine Zigarette aus. „Wenn Ihre Wissenschaftler nicht bald mit der Reparatur fertig sind, wird man uns orten", sagte er zu Fan Kar Kont. Der Kolonial-Laktone war Chef-Wissenschaftler auf Teckan gewesen. Die braunen und weißen Streifen auf seiner Haut machten es fast unmöglich, Gefühlsregungen im Gesicht des Fan-Geborenen zu entdecken. Mit seinen dunklen scharfen Augen blickte er Rex Corda an. Dann lächelte er kaum merklich. „Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie nervös werden." Hex Corda seufzte. Er schloß für einen Augenblick die Augen. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Ich wollte nur darauf hinweisen, daß Ihre Wissenschaftler innerhalb der Corocon III nicht so viel Zeit für ihre Arbeiten haben wie auf Teckan." „Sie können sich darauf verlassen, daß wir alles tun, was in unserer Macht liegt. Schließlich müssen meine Leute jetzt nicht mehr Vernichtungswaffen für den großen galaktischen Krieg er-
finden." Ein Bedienungs-Robot der Ba-3Klasse tauchte in der Türöffnung auf. „Ich bin beauftragt worden, die Scherben zu beseitigen." Fan Kar Kont nickte. Er deutete mit dem Daumen in die Ecke. Die Überreste der bei der Vernichtung der Tykanta zersplitterten Gegenstände innerhalb der Corocon III lagen zusammengerafft in der Ecke. Der Bedienungs-Robot nahm sie auf. Auch die Corocon III war stark erschüttert worden, als das Zentrum der intelligenten Pflanze zerbarst. Die laktonischen Wissenschaftler bemühten sich, die stark angeschlagene Corocon III mit Bordmitteln zu reparieren. Die Flucht von Teckan und der Raumkampf zwischen orathonischen und laktonischen Kriegsschiffen hatten auch die Corocon III stark mitgenommen. Hinzu kam noch die etwas verunglückte Landung auf Swamp. Da tauchte plötzlich der Synoptiker Latak Decimo auf. Er war stark verschmutzt, während an seinen Händen Überreste von E-LeiterPaste klebten. Rex Corda blickte auf. Der junge, sympathische Synoptiker war zu einem echten Freund von Rex Corda geworden. Zusammen mit John Haick und dem von Minderwertigkeitskomplexen geplagten Organisationstechniker Bir Osgo waren sie mit der Corocon III von der Erde gestartet. Manchmal glaubte Rex Corda, daß inzwischen Jahre vergangen sein müßten. Zusammen hatte die kleine Verschwörergruppe auf dem Planeten Szahan gefälschte Einreisepapiere für Teckan besorgt. Daraufhin war der Synoptiker Latak Decimo auf Umwegen zum Wissenschaftlerplaneten Teckan gereist. Die Fälschungen hatten sich als brauchbar erwiesen. Dadurch gelang es Latak Decimo und seinen
Freunden von Terra, fünfunddreißig Wissenschaftler mit Hilfe eines tragbaren, auf Teckan eingeschmuggelten Transmitters zu befreien. Über den Transmitter hatten die Wissenschaftler die im Raum vor dem scharf bewachten Wissenschaftlerplaneten wartende Corocon III erreicht. Nur um Haaresbreite war es den Angehörigen der Geheimorganisation von Teckan gelungen, mit der Corocon III den Verfolgern zu entkommen. Auch wenn sie jetzt auf Swamp gefangen waren, kannten sie nur ein Ziel: die Erde. Als Präsident von Terra hatte Rex Corda einen Brief unterschrieben, der den geflohenen Wissenschaftlern von Teckan Asyl auf der Erde gewährte. Die Planung und Durchführung dieser gefährlichen Aktion lag in den Händen von Latak Decimo. Er war es gewesen, der Rex Corda um Asyl für die Wissenschaftler gebeten hatte. Rex Corda blickte den sportlich wirkenden Synoptiker mit dem markanten Kinn und den intelligenten Augen nachdenklich an. Es hatte lange gedauert, bis der Laktone die Menschen von Terra als ebenbürtig anerkannt hatte. Zunächst war auch Rex Corda in seinen Augen ein Primitiver gewesen — genauso wie er es auch jetzt noch für die aparte Mathematikerin Ierra Kretan war. Auch Ierra gehörte zu den Wissenschaftlern, die von Teckan entkommen waren. Rex Corda lächelte, als er daran dachte, wie oft die Mathematikerin ihm gezeigt hatte, wie wenig sie von den Terranern hielt. Latak Decimo ließ sich in einen Pneumosessel fallen und streckte die Beine aus. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann stieß er aufatmend die Luft aus seinen Lungen.
„Ich glaube, wir können starten", sagte er endlich. Rex Corda richtete sich auf. „Und das sagt dieser Mensch so ganz nebenbei!" grinste er. Latak Decimo hob die Schultern. „Hatten Sie denn etwas anderes erwartet? Wir haben fünfunddreißig der besten Wissenschaftler Laktons an Bord." „Der zweitbesten!" grinste Rex Corda. „Die besten waren wahrscheinlich mit geheimen Versuchen in den Labors auf Swamp beschäftigt." „Ansichtssache", warf Fan Kar Kont ein. Er hatte inzwischen erfahren, was Latak Decimo und Rex Corda in den Labors gesehen hatten. Gemeinsam hatten sie das Auftauchen der Veränderten diskutiert. Die Supermänner von Swamp waren das Ergebnis von verbotenen Versuchen. Die Laktonen auf Swamp hatten für diese Versuche von der Erde entführte Terraner benutzt. Das war ein Punkt, den Rex Corda so schnell nicht vergessen konnte. Tief in seinem Innern gab es bereits einige grauenhafte Ahnungen. Er wagte nicht, diese Ahnungen in sein Bewußtsein dringen zu lassen. Alles in ihm wehrte sich dagegen, die Wahrheit zu erkennen und auszusprechen. Trotzdem konnte er seine alptraumhaften Befürchtungen nicht loswerden. Er erinnerte sich daran, daß die Laktonen während der ersten Invasion auf Terra eine Menge Terraner entführt hatten. Auch seine Geschwister Kim und Velda waren unter den Entführten gewesen. Es hatte sehr lange gedauert, bis es Rex Corda gelang, Kim, Velda und eine Gruppe anderer Terraner im System Gamma Virginis wiederzufinden. „Worauf warten wir noch?" fragte Rex Corda. Er stand auf und ging an Latak Decimo und Fan Kar Kont
vorbei. Die Corocon III war nur spartanisch eingerichtet. Sie war ein ehemaliges Wachboot der Laktonen, das zu den Beutegütern Terras gehörte. Angehörige der wissenschaftlichen Geheimorganisation hatten das plumpe, nur hundertfünfzig Meter lange Wachboot auf der Erde wieder flugklar gemacht. Bis zur Flucht von Teckan war alles relativ glatt gegangen, aber jetzt befanden sie sich auf einem entlegenen Planeten, der zu einem System gehörte, das zwischen der Erde und dem Zentrum der Galaxis lag. Rex Corda war schon erleichtert, daß es den laktonischen Wissenschaftlern überhaupt gelungen war, die Koordinaten des Systems Swamp festzustellen. In laktonischen Handbüchern hatte das System die Bezeichnung UVZZ 3 b. Rex Corda konnte damit nichts anfangen. Aber Latak Decimo hatte ihm inzwischen erklärt, wo sie sich befanden. Rex Corda ging zusammen mit Latak Decimo und Fan Kar Kont zur Zentrale der Corocon III. Die ersten Aggregate liefen bereits an. Auch die Andruckneutralisatoren und die Antigravitationsautomaten wurden vorgewärmt. Die Laserscheinwerfer der Holografen tasteten die Umgebung der Corocon III ab. Innerhalb des dreidimensionalen wirklichkeitsgetreuen Raumbildes konnte Rex Corda deutlich die verkohlten Überreste der zerstörten Tykanta erkennen. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl. Die Corocon III stand wie auf einem Präsentierteller mitten auf einer kreisrunden verkohlten Fläche. Mehrmals zogen dicht über dem Horizont winzige Punkte vorüber. „Das sind die Landungsboote aus dem Trakon-Kreuzer", preßte Latak Decimo zwischen den Zähnen hervor. „Eine einzige Abweichung von ihrem
Kurs und wir sind entdeckt." „Entdeckt und vernichtet", ergänzte Rex Corda. „Sobald wir startklar sind, müssen wir verschwinden." „Von mir aus sofort", antwortete Latak Decimo. Rex Corda nickte. „Gut. Ich schlage vor, wir starten jetzt." Er blickte zu Fan Kar Kont hinüber. Der Chef-Wissenschaftler zeigte sich einverstanden. Er nahm über die Bordsprechanlage Kontakt mit allen Abteilungen der Corocon III auf. Es gab nur einen einzigen Mann, der nicht mit einem sofortigen Start einverstanden war: John Haick. Laut protestierend erinnerte er daran, daß sie der Mathematikerin Ierra Kretan versprochen hatten, eine Badewanne aufzutreiben. Rex Corda und Latak Decimo hatten sich nach den aufreibenden Ausflügen in die Labors von Swamp bereits gesäubert. Nur John Haick — der überhaupt nicht schmutzig geworden war — hockte noch immer in einer Wanne, die an ein Planschbecken erinnerte. „Dann starten wir eben, während du deinen Körper noch etwas wässern kannst", lächelte Rex Corda. Er nickte Fan Kar Kont zu. Die Aggregate der Corocon III brüllten auf. Andruckneutralisatoren machten den Start des Wachbootes zu einer relativ ungefährlichen Angelegenheit. Die Corocon III war in der Lage, dicht über der Oberfläche eines Planeten zu fliegen. Sie war ein Raumschiff, das genausogut die Funktion eines Flugzeuges übernehmen konnte. „Halten Sie sich dicht über dem Boden", meinte Rex Corda. Fan Kar Kont nickte. Er hatte die Corocon III bereits in eine Querlage gebracht. Das Wachboot jagte mit ständig zunehmender Geschwindigkeit über die sumpfige Oberfläche von Swamp nach
Süden. Erst wenn sie durch den Planeten einen ausreichenden Ortungsschutz besaßen, konnten sie in die Dunkelheit des Raumes vorstoßen. Aber dazu mußten sie fast dreißigtausend Kilometer rund um den rötlichen Planeten herumfliegen. Plötzlich hörte Rex Corda einen gellenden Aufschrei. Sein Kopf fuhr herum. Er starrte auf den Holografen, der die einzelnen Sektionen der Corocon III miteinander verband. Dann sah er einen splitternackten John Haick, der innerhalb seines Bades einen wilden Tanz aufführte. „Jemand hat das Wasser unter Strom gesetzt!" brüllte John Haick, während er immer wieder in die Luft sprang. „Dann komm doch aus der Wanne!" bellte Rex Corda. John Haick blieb verblüfft innerhalb seines Bades stehen. Allzu stark konnte der Strom nicht sein. Dann kletterte er aus der Wanne und verschwand. Rex Corda drehte sich zu Latak Decimo um. Verlegen grinsend zupfte der Synoptiker die letzten Spuren von ELeiter-Paste von seinen Fingern. „Das war die Strafe dafür, daß er sich bei der Reparatur der Corocon III verdrückt hat", meinte er vergnügt. Die beiden verstanden sich offensichtlich recht gut. * Die ersten Laktonen aus dem TrakonKreuzer drangen tief in die unterirdischen Forschungsanlagen ein. Überall begegnete ihnen das Chaos. Die gigantischen Anlagen waren total vernichtet — unbrauchbar gemacht durch rohe Gewalt. Unter die Bewunderung für diese Anlagen mischte sich Entsetzen. Bewaffnet mit Reeling Guns, UVAKs, Magnet-Smash und von KampfRobotern der AA-2-Klasse begleitet,
stießen sie immer tiefer in das unterirdische Labyrinth vor. Zu allem Überfluß hatten sie auch Energietaster und tragbare Draco-Werfer mitgenommen. Unter der Führung von Tellek Perco drangen die zylindrisch wirkenden Kampf-Roboter immer weiter vor. An den Oberkanten der zylindrischen Körper saßen Linsenreihen und Schlitze für Schocker und Thermostrahler. Die kleine, schwer bewaffnete Streitmacht kämmte die Hallen sorgfältig ab. Aber sie fanden kein Leben. Alles, was sie sahen, war tot, vernichtet und wertlos. Dann entdeckte einer der AA-2-Roboter eine flüchtige Bewegung hinter einem ausgeschalteten Fusions-Reaktor. Sofort setzte der AA-2-Roboter die inkorporierten Reeling Guns in Betrieb. Die gegenseitig ineinander versetzten Kegelstümpfe aus den höckerbedeckten Läufen der Reeling Guns jagten auf Flammenstrahlen aus dem Robotkörper. Tellek Perco ließ sich in Sekundenbruchteilen auf den Boden fallen. Im gleichen Augenblick erreichten die Taumelgeschosse die linke Seitenwand des Reaktors. Sie rissen das Panzerplastmaterial auf und pulverisierten es. Dann war innerhalb der Halle der Teufel los. Verbindungswände stürzten mit hohlen Geräuschen ein, während krachend Gasbehälter explodierten. Dicke rote Vakuum-Pumpen fielen mit donnernden Implosionen ineinander. An mehreren Stellen wurde die Notbeleuchtung außer Betrieb gesetzt. Zuckende Lichtfinger huschten über den glatten Boden der Forschungsanlagen. Immer mehr Trümmerstücke sammelten sich vor den Männern aus dem Trakon-Kreuzer. Alles, was die unbekannten Zerstörer der unterirdischen Labors hinterlassen hatten, wurde von den Waffen der Laktonen atomisiert.
Sie kannten nur noch den Befehl von Munnt Tryvvan. Sie lösten die geheimen Labors in ihre Bestandteile auf. Sie hätten es einfacher haben können. Eine einzige Neutrinobombe im Innern der Labors hätte den Berg auseinandergeblasen. Trotzdem hoffte der Kornmandant des Trakon-Kreuzers noch immer, auf die verschwundenen Wissenschaftler und ihr Raumschiff zu stoßen. Er ließ Wände einbrechen und große Aggregate vernichten. Auf diese Weise wollte er den Männern Gelegenheit geben, sich bis zum Versteck der geflohenen Wissenschaftler vorzuarbeiten. Noch immer war er fest davon überzeugt, daß er sie fangen würde. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Wissenschaftler innerhalb des Berges waren. Dann gab es für die Laktonen in ihren Schutzanzügen einen Punkt, an dem sie nicht weiterkamen. Glühende Atomfeuer entstanden. Die radioaktive Strahlung war derartig hart, daß die laktonischen Soldaten und Offiziere zurückweichen mußten. In diesem Augenblick entschloß sich Munnt Tryvvan, drei Kampf-Roboter der AA-2-Klasse zu opfern. Sie waren widerstandsfähiger als humanoide Lebewesen. Sie drangen weiter vor. Sie vernichteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Laktonen wichen zurück. Sie sammelten sich am Eingang zu den Labors und warteten. Dann kam im zentralen Gefechtsstand des Trakon-Kreuzers plötzlich eine neue Meldung an. Die hochempfindlichen Energietaster des Kriegsschiffes hatten aus der entgegengesetzten Richtung Impulse empfangen... Sofort befahl Munnt Tryvvan drei Landungsbooten, die Herkunft dieser Impulse zu überprüfen. Die Landungsboote starteten und rasten nach Süden.
Sie ahnten noch nicht, daß sie dem Raumschiff der von Teckan verschwundenen Wissenschaftler folgten. * Sie wachte auf und merkte, daß sie weinte. Der grauenhafte Alptraum hatte begonnen, als sie bewußtlos war. Er war die Fortsetzung dessen, was sie vorher erlebt hatte. All das kam nur tropfenweise in ihr Bewußtsein zurück. Aber mit jedem Tropfen verstärkte sich die Angst in ihr. Ihr zierlicher, schlanker Körper zitterte, während sie immer deutlicher erkannte, was geschehen war. Sie lauschte. Das tödliche Schweigen um sie herum ließ das Blut in ihren Schläfen stärker pochen. Sie hörte das Summen in ihren Ohren und wußte, daß es doch nur ihr eigenes Blut war. Sie war allein — allein in einem lautlosen, absolut dunklen Gefängnis. Sie brauchte sehr lange, bis sie feststellte, wo oben und unten war. Sie hatte jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren. Sie wußte nicht mehr, wo sie war. Vorsichtig begann sie, mit den Fingerspitzen ihre Umgebung abzutasten harte Kanten, scharfe, kalte Schnittflächen, dann wieder Polster, merkwürdige Geräte, deren Sinn sie nicht verstand, und Wände. Sie waren zusammengeschrumpft und faltig. Die Wände fühlten sich warm an. Für kurze Zeit hatte sie geglaubt, innerhalb eines Raumschiffes zu sein, aber dann hätten die Wände kälter sein müssen als die Gegenstände direkt vor ihr. Sie zweifelte. Sie wußte nicht, ob sie überhaupt lebte. Das alles war ein grauenhafter Alptraum. Sie schrie. Ihre Trommelfelle vibrierten. Dann
stolperte sie über einen weichen Gegenstand. Sie schlug mit der Schulter auf dem Boden auf und blieb schweratmend liegen. Für eine lange Zeit bewegte sie sich nicht. Sie wollte sterben. Warmes, salziges Blut quoll aus ihren aufgeplatzten Lippen. Sie schmeckte es. Dann richtete sie sich plötzlich mit einem entschlossenen Ruck auf. Sie mußte verrückt gewesen sein, so einfach aufzugeben. Aber das war jetzt vorbei! Sie holte tief Luft. Dann versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunächst einmal versuchte sie, alle Daten über sich selbst herauszufinden. Sie hieß Tane und stammte von einem Planeten namens Vlotho. Es war eine kleine, idyllische Welt mit grünen Bergliängen und schimmernden Flußläufen. Tane lächelte, als sie an ihre Heimatwelt dachte. Sie gehörte zum Einflußbereich Laktons. Tane war noch jung. Sie dachte daran, daß sie auf Teckan gewesen war und von dort aus nach ... Plötzlich atmete sie schneller. Jetzt waren auch die letzten Bruchstücke in ihre Erinnerung zurückgekehrt. Sie wußte, was geschehen war. Sie erinnerte sich an alle Einzelheiten. Sie waren geflohen. Geflohen vor der Zerstörungswut der Veränderten. Das kleine Rettungsboot hatte Kurs auf den einzigen Mond von Swamp genommen. Er war fast halb so groß wie Swamp, besaß aber eine wesentlich geringere Dichte. Alles auf diesem Mond war leicht und schwammig — in viel größerem Maße als auf Swamp selbst. Tane versuchte, sich an die Kontrollen des Rettungsbootes zu erinnern. Sie waren mit mehreren Booten gleichzeitig gestartet. Aber nur ein Boot hatte Kurs auf den Mond von Swamp genommen. In ihm befanden sich zehn Personen: sechs Wissenschaftler von Lakton und vier wissenschaftliche Assistentinnen.
Plötzlich durchzuckte Tane ein eisiger Schreck. Sie dachte an ihre Zwillingsschwester. Auch Tau-Lau war innerhalb des Rettungsbootes gewesen. Sie begann zu rufen. Erst leise, dann immer lauter. Aber niemand meldete sich. Verzweifelt versuchte das Mädchen von Vlotho, irgendein Notaggregat im Innern des Rettungsbootes in Betrieb zu setzen. Sie verstand nicht sehr viel von den technischen. Anlagen des kleinen Raumschiffes. Trotzdem reichten ihre Kenntnisse aus, um nach zehn Minuten eine flache Leuchtscheibe an der Decke des Bootes aufglimmen zu lassen. Im ersten Moment tanzten nur bunte Ringe vor ihren Augen. Sie war zu lange in der Dunkelheit gewesen. Aber dann gewöhnte sie sich schnell an das schwache Leuchten. Entsetzt riß sie die Augen auf. Sie erkannte, daß es kaum noch eine Hoffnung für sie gab. Die übrigen neun Flüchtlinge lagen wild durcheinandergeworfen im Innern der Kabine. Es war eine Doppelkabine, die nur durch eine Plastikwand abgetrennt war. Sie selbst befand sich im Vorderteil des Schiffes und stand direkt auf der Einfassung eines zerstörten Kolografen. Sie spürte den leicht bitteren Geschmack auf der Zunge, den das Gas aus dem Holografen hervorrief. Dann erkannte sie drei Personen, die ineinander verschlungen quer über den Kontrollen lagen. Das Rettungsboot war schräg in die schwammige Oberfläche des Swamp-Mondes gestürzt. Sie wußte nicht einmal, wie tief unterhalb der Oberfläche sie war. Dabei konnte man bei diesem Mond nicht von einer richtigen Oberfläche sprechen. Das lockere Sumpfgewebe verdichtete sich, je tiefer man kam. Tane untersuchte die leblosen Personen an Bord der Rettungseinheit. Sie waren so überstürzt gestartet, daß sie
nicht einmal Raumanzüge hatten anlegen können. Sie wußte, daß ein Teil der Wissenschaftler in den Labors getötet worden war. Ein anderer Teil hatte versucht, einen der beiden NachbarPlaneten zu erreichen. Tane untersuchte nacheinander alle Insassen der Barkasse. Sie waren tot — mit einer Ausnahme. Ihre Zwillingsschwester Tau-Lau gab schwache Lebenszeichen von sich. Aber sie war bewußtlos. Etwas hatte ihren Kopf gestreift und eine blutige Kruste dicht unter dem weichen goldblonden Haar ihres Hinterkopfes hervorgerufen. Verzweifelt versuchte Tane, ihre Schwester durch Injektionsspritzen eines Medokastens aufzuwecken. Sie wollte nicht mehr allein sein. Sie fürchtete sich vor der Stille innerhalb der winzigen Barkasse. * Die Corocon III raste in zwanzig Meter Höhe nach Süden. Fan Kar Kont hatte die Kontrollen übernommen. Er manövrierte das hundertfünfzig Meter lange Wachboot mit erstaunlicher Geschicklichkeit dicht über den schwammigen Boden hinweg. Da meldete sich plötzlich der Organisationstechniker Bir Osgo. Er war ausgesprochen klein, besaß volle Lippen und eine viel zu lange Nase. Osgo war überempfindlich und sensibel. In den Gehörgängen seiner Ohren lagen Mikrozellen, die eine Luftverdichtung vor seinen Pupillen erzeugten. Das war ein weiterer Grund für seine Unsicherheit. „Ich fürchte» wir werden verfolgt", sagte Bir Osgo mit betonter Langsamkeit. Fan Kar Kont blickte kurz zur Seite. Rex Corda hob den Kopf. Dann sahen sie es: Drei winzige Punkte am Horizont verringerten ständig den Abstand zur Corocon III.
„Laktonische Landungsboote", meinte Latak Decimo lakonisch. Fan Kar Kont beschleunigte die Geschwindigkeit der Corocon III nicht. „Sie werden uns einholen", sagte Rex Corda. Fan Kar Kont hob nur die Schultern. „Die Landungsboote können uns nichts anhaben. Sie sind zu klein und unbewaffnet." „Aber die Laktonen innerhalb der Landungsboote werden sicherlich Waffen tragen", gab Rex Corda zurück. Fan Kar Kont drückte die Corocon III nach unten. Eine tiefe, langgestreckte Schlucht tat sich vor ihnen auf. Das Raumschiff blieb unterhalb der Gipfelhöhe der Felswände auf beiden Seiten. Es ging immer tiefer. Rex Corda preßte die Lippen zusammen. Das war ein äußerst gefährliches Spiel. Eine kaum wahrnehmbare Wendung innerhalb der Schlucht konnte bei dieser Geschwindigkeit das Ende bedeuten. Er wußte nicht, wie schnell Fan Kar Kont in einem derartigen Fall reagierte. „Ist das nicht etwas waghalsig, wie Sie jetzt fliegen?" meinte er so ruhig wie möglich. Das braun und weiß gestreifte Gesicht des Chef-Wissenschaftlers von Teckan bewegte sich nicht. Dafür ging Fan Kar Kont noch einige Meter tiefer. Sie sahen die Landungsboote nicht mehr. Sie waren zurückgeblieben, da die Corocon III sich jetzt so tief in der Schlucht befand, daß sie nichts mehr orten konnten. Aber auch die Landungsboote konnten das flüchtende Raumschiff nicht mehr wahrnehmen. „Landungsboote sind nicht gefährlich für uns", erläuterte Latak Decimo. „Aber wenn sie ihre Ortungen an den Trakon-Kreuzer weitergeben, haben wir keine Chance mehr." „Dann würde ich vorschlagen, daß wir so schnell wie möglich Swamp verlassen und in den Raum fliehen."
„Gut gesagt", meinte Latak Decimo. „Zunächst einmal müssen wir genügend Abstand zwischen uns und den TrakonKreuzer bringen, damit wir nicht mehr geortet werden, sobald wir aufsteigen." „Und was passiert mit den Landungsbooten inzwischen? Die werden sich nicht so schnell abschütteln lassen." In diesem Augenblick verzögerte Fan Kar Kont die Corocon III. Das hundertfünfzig Meter lange Wachboot sank noch einige Meter tiefer. Dann sprachen die Metallorter in der Zentrale des Schiffes an. Blitzartig huschten winzige Bruchstücke eines zerstörten Landungsbootes unter der Corocon III vorüber. „Das war ein abgestürztes Boot", meinte Latak Decimo. Fan Kar Kont hatte inzwischen einen Überhang erspäht, der sich fast einen Kilometer lang parallel zum Boden der Schlucht an der westlichen Seitenwand entlangzog. „Festhalten!" brüllte er. Aber seine Warnung war nicht nötig. Die Andruckneutralisatoren glichen das scharfe Bremsmanöver aus. Die Corocon III hüpfte um Haaresbreite über eine Felsnadel, die steil und scharf vom Boden der Schlucht aufragte. Nur wenige Meter dahinter ließ Fan Kar Kont die Corocon III nach rechts ausweichen. * Es war die vollkommenste Landung, die Rex Corda jemals gesehen hatte. Mit dem hervorragenden Fingerspitzengefühl eines Künstlers brachte der Chef-Wissenschaftler von Teckan das plumpe Wachboot direkt unter den Überhang. Gleichzeitig warf er Latak Decimo einen kurzen Blick zu. „Projektion", sagte er. Latak Decimo verstand. Er hastete zu den Geräten. Während Fan Kar Kont sämtliche Aggregate des Schiffes abschaltete, ließ
die plötzliche Ruhe Rex Cordas Ohren klingen. Latak Decimo klemmte vier armstarke Kabel mit Notbatterien zusammen. Dann maß er den Öffnungswinkel der Schlucht. Es war gerade so viel Platz vorhanden, um den Projektionsstrahl hindurchzulassen. In diesem Augenblick jagten drei Landungsboote mit unverminderter Geschwindigkeit direkt über die Corocon III hinweg. Sie hatten sich von Latak Decimo täuschen lassen. Sie folgten einer Projektion. In einer steilen Kurve stiegen die drei Landungsboote in die rötliche Atmosphäre von Swamp hinauf. Sie jagten einem Trugbild nach, das von Latak Decimo hergestellt wurde. Zufrieden lachend drehte sich Bir Osgo um. „Na, bitte", sagte er, „wer einmal den Hyperraum gesehen hat, dem können ein paar Landungsboote keinen Schrekken mehr einjagen." „Hoffentlich steigt der Trakon-Kreuzer nicht auf", sagte in diesem Augenblick Fan Kar Kont. „Diese Kreuzer haben genügend Mittel an Bord, um uns sofort zu orten. Eine derartige Metallmasse, wie die Corocon III sie darstellt, gibt ein schönes dickes Ziel für die Bordwaffen eines Trakon-Kreuzers." In diesem Augenblick kehrte das erste Landungsboot um. Es jagte wieder auf die Schlucht zu. Diesmal kam es von Süden. Die Männer innerhalb der Zentrale hielten den Atem an. Rex Corda warf einen hastigen Blick auf Latak Decimo. Der Synoptiker hob die Schultern. Seine Augen blickten ernst. Mit seinen Geräten war offensichtlich alles in Ordnung, und doch mußte es irgendwo einen Fehler gegeben haben. Das Landungsboot der Laktonen war nur noch zwei Kilometer entfernt. Es schoß direkt auf das Versteck der Corocon III zu.
* Der Mandurane Samar Tarkannt war in der Lage, mühelos jede Art von Energie in sich aufzunehmen. Er wußte nicht, daß er ein Produkt laktonischer Versuche war. Er hatte keine Ahnung davon, daß er eine schalenförmige Platte unter seiner Schädeldecke trug, die ihre Kraft mit jeder Neuaufnahme von Energie verstärkte. Samar Tarkannt wischte mit einer einzigen Handbewegung ein tonnenschweres Computerstück zur Seite. Krachend landete der Block in einer Ecke. Samar Tarkannt starrte auf das rötliche Glühen an der gegenüberliegenden Seite der langgestreckten Halle. Er sprang hoch. Dann jagte er auf das Glühen zu. Sein Körper saugte die harte Gamma-Strahlung in sich auf. Langsam begann die künstliche Höhle in sich zusammenzubrechen. Große Felsbrocken lösten sich von der Decke, während das Glühen an der Stirnwand der Halle sich verfärbte. Es nahm eine weißliche Farbe an. Die Hitzestrahlung wurde immer stärker. Aber nicht nur das — auch die Radioaktivität nahm zu ... Samar Tarkannt hob die Arme. Breitbeinig stand er vor der jetzt weißglühenden Wand und richtete seine geöffneten Handflächen gegen die Glut. Sein Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Jede Faser seines Körpers war wie ein leerer Schwamm. Er hungerte nach neuer Energie. Er sehnte sich nach immer größerer Kraft. Er liebte das ständig stärker werdende Gefühl seiner Macht. Er war der Herr der Galaxis, und mit jedem Ion, das in seinen Körper eindrang, wurde ihm diese Macht bewußter. Er wollte nicht mehr warten. Er war entschlossen zu handeln. Er war ein
Nachkomme des göttlichen Schenna — ein echter, unbesiegbarer Mandurane. Samar Tarkannt wandte sich um. Er stampfte durch die Halle und ließ das weißglühende Atomfeuer hinter sich. Er wollte noch stärkere Energien. Er wußte, wo die Kraftanlagen der geheimen Forschungslabors von Swamp zu finden waren. Diese Kraftanlagen waren sein Ziel. Dort würde er sich die Energiereserven holen, die er für seinen Siegeszug benötigte. Mit tiefer Befriedigung dachte er an den Triumph, der jetzt greifbar nahe vor ihm lag. Diese Labors, der Berg, der Planet und seine Sonne und alle anderen Sonnen der Galaxis gehörten ihm. Sie gehörten Samar Tarkannt! Dem allmächtigen, unbezwingbaren Manduranen. Das dumpfe Grollen hinter ihm nahm zu. Große Teile der Trennwand brachen ein. Gleißende Stichflammen schossen über die noch vorhandenen Mauerreste. Sie flammten bis zur Decke der Höhle empor. Samar Tarkannt riß eine verschlossene Stahltür auf. Er warf den großen Riegel in die Ecke, den er mühelos abgerissen hatte. Dann sah er den Zugang zur Kraftstation. Hier waren noch fast alle Aggregate unversehrt. Das Stampfen und Hämmern, Brummen und Schwirren erfüllte Samar Tarkannt mit tiefer Freude. Seine Augen glitzerten, als er mit einem einzigen Blick über die Kraftanlage der geheimen Forschungslabors hinweg sah. Rauchschwaden erfüllten die Halle. Die Luft war stickig und trocken. In der Halle herrschte bereits eine Temperatur von annähernd sechzig Grad. Es gab nur sehr wenige Lebewesen, die derartige Temperaturen aushalten konnten. Samar Tarkannt öffnete die Verbindungstür zur Kraftstation noch weiter.
Er hatte eine phantastische Idee. Er begnügte sich nicht damit, die Energie innerhalb der Kraftstation abzuzapfen. Er wollte mehr. Er wollte, daß alles zerbarst — daß sich die Materie und die schlummernden Reserven innerhalb der Station in pure Energie verwandelten. Dann war er stark genug, um seinen triumphalen Weg als Herr über alle Welten anzutreten. * Rex Corda duckte sich unwillkürlich, als das Landungsboot der Laktonen über die Corocon III hinwegschoß. „Jetzt!" murmelte er leise. Das Landungsboot hüpfte über die Felsnadel. Dann landete es im Tal. Rex Corda konnte das Boot nicht mehr sehen. Die Holografen und Ortungsgeräte sprachen nicht mehr an. Das Boot befand sich im Ortungsschatten. Aber gleichzeitig befand sich für die Laktonen auch die Corocon III in einer sicheren Deckung. Erleichtert stieß Latak Decimo die Luft zwischen den Zähnen hindurch. „Das ging ja noch mal gut", meinte Bir Osgo mit krächzender Stimme. „Aber wer einmal den Hyperraum gesehen hat..." Fan Kar Kont warf dem Organisationstechniker einen kurzen Blick zu. Osgo verstummte sofort. „Sie sehen sich das Landungsboot an, das beim Tod der Tykanta in die Atmosphäre geschleudert wurde und dann hier abstürzte", vermutete Rex Corda. Latak Decimo nickte. Das gleiche hatte er auch schon gedacht. „Pech für uns, daß das Landungsboot ausgerechnet hier abstürzen mußte. Jetzt werden sie es untersuchen. Hoffentlich entdecken sie uns dabei nicht." „Wenn mich nicht alles täuscht, wird der Trakon-Kreuzer hierherkommen, in der Schlucht landen und die Überreste
des abgestürzten Bootes aufnehmen." „Warum auf einmal so pietätvoll?" fragte Bex Corda mit leichter Ironie in der Stimme. „Bei den großen Schlachten im Terra-Sonnensystem trieben Tausende von Wracks zwischen den Planeten herum. Niemand kümmerte sich um sie. Teilweise waren diese Wracks noch so gut erhalten, daß wir daraus die Raumflotte der Erde aufbauen konnten." „Das ist etwas anderes", meinte Latak Decimo. „Der Trakon-Kreuzer befindet sich hier auf einer Sonderaktion. Das bedeutet, daß nicht die geringsten Spuren hinterlassen werden dürfen." „Wegen der Grünhäutigen?" fragte Rex Corda. Latak Decimo schüttelte den Kopf. „Die werden in diesem Gebiet nicht auftauchen, sonst hätte Lakton hier keine geheime Forschungsanstalt errichtet. Aber derartige Sonderflüge von Kriegsschiffen werden stets so durchgeführt, daß keine verräterischen Spuren zurückbleiben." „Das bedeutet also, daß unter Umständen der Trakon-Kreuzer schon auf dem Weg hierher sein kann." Fan Kar Kont, der geflüchtete ChefWissenschaftler von Teckan, blickte auf die beiden diskutierenden Männer. „Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Mister Corda", sagte er, während der elektronische Übersetzer seine Worte ins Englische übertrug. In diesem Augenblick stieg das Landungsboot wieder auf. Es erschien auf den Holografen und Bildschirmen der Ortungsgeräte. Gleich darauf erreichte es die Oberkante der Schlucht und verschwand. „Los! — weiter!" sagte Corda hastig. Fan Kar Kont hatte bereits die Aggregate eingeschaltet. Sie durften nicht riskieren, daß der Trakon-Kreuzer über der Schlucht erschien, während sie in der Falle saßen. Es wurde ein Rennen
gegen die Zeit. * Munnt Tryvvan war ungeduldig. Er wartete auf die Berichte der drei ausgeschickten Landungsboote. Zwei der Boote verfolgten die Projektion des merkwürdigen Raumschiffs. Tryvvan schüttelte nachdenklich den Kopf. Er starrte auf die Kontroll- und Meßergebnisse, die pausenlos von den ausgeschickten Landungsbooten eingingen. Er fühlte plötzlich, daß er mitten in ein Wespennest gestochen hatte. Er registrierte, daß die Projektoren sich noch auf Swamp befinden mußten. Eine Projektion konnte nur in direkter Sichtverbindung hergestellt werden. In diesem Augenblick kehrte Tellek Perco aus den Labors zurück. Er kam ziemlich atemlos in der Kommandozentrale des Trakon-Kreuzers an. „Dort unten ist die Hölle los", berichtete er. „Ich habe es bereits gehört", sagte der Kommandant. „Nach den Funkberichten zu urteilen, muß sich dort unten tatsächlich ein geheimes Labor befunden haben. Ich frage mich nur, warum die Sache derartig geheim angelegt wurde, daß niemand etwas davon wußte. Selbst auf Teckan hatte man offensichtlich keine Ahnung von den Anlagen auf Swämp." „Wir haben die Leichen von riesenhaften Menschen gesehen", berichtete Tellek Perco. „Sie waren fünfmal so groß wie wir." Munnt Tryvvan runzelte die Brauen. Er entblößte seine rötlichen Zähne. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Derartige Versuche an menschlichen Lebewesen sind verboten. Das dürfte doch allgemein bekannt sein." „Wir befinden uns im Kriegszustand", erinnerte Tellek Perco. „Seit fünftausendzwanzig Jahren laktonischer
Zeitrechnung tobt dieser erbitterte Kampf mit den grünhäutigen Featherheads. Ich möchte nicht wissen, was die Orathonen in dieser Zeit alles versucht haben. Warum soll uns nicht das gleiche Recht zustehen?" Munnt Tryvvan drückte auf einen Knopf. Die Verbindung zu einem der Landungsboote wurde hergestellt. „Boot sechs — Boot sechs — Meldung an Kommandant — Wir haben die Überreste des abgestürzten Bootes Nummer elf gefunden. Es liegt in einer Schlucht südlich der Labors. Erbitten weitere Anweisungen." Munnt Tryvvan schürzte die Lippen. „Ist zu erwarten, daß die geflüchteten Wissenschaftler sich dort unten verbergen?" Tellek Perco schüttelte energisch den Kopf. „Auf keinen Fall! Dort unten bricht in allernächster Zeit die Hölle los. Wir haben alles vernichtet, was uns in den Weg kam. Dabei haben wir nicht die geringsten Spuren irgendwelcher laktonischen Wissenschaftler entdeckt." „Aber sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!" schnaufte Munnt Tryvvan. Er gab den Befehl, das Schiff startklar zu machen. „Wir werden alle verfügbaren Ortungsgeräte einschalten und den Planeten planmäßig absuchen." Der Chef-Funker übermittelte die Anordnung des Kommandanten an alle Sektionen des riesigen Schlachtschiffes. Nur wenige Minuten später hob sich der Trakon-Kreuzer auf seinen Landetellern nach oben. Dann raste das mehr als zweitausend Meter lange Schiff in die rötliche Atmosphäre von Swamp. Es stand fast senkrecht über dem Felsmassiv mit den geheimen Labors. Gleichzeitig begannen die Ortungsgeräte mit ihrer Arbeit.
* Sie spürten einen fremden Geruch. Er war neu, aber außerordentlich verlockend. Gemeinsam stießen sie durch den schwammigen Boden ihrer Welt auf den Geruch zu. Sie beeilten sich, denn jeder von ihnen wollte der erste sein. Mit ihren Saugnäpfen ließen sie die dünnen membranartigen Wände zwischen den einzelnen Hohlräumen des schwammigen Bodens zerplatzen. Sie schlängelten ihre weichen, farblosen Körper durch die gasgefüllten Hohlräume tief unter der Oberfläche. Allmählich drangen sie immer weiter nach oben. Sie näherten sich dem Geruch, der von Hohlraum zu Hohlraum stärker wurde. Erregte Impulse wurden zwischen ihnen ausgetauscht. Sie hatten kein eigenes Bewußtsein, aber sie wußten, daß sie nur eine Zwischenstufe innerhalb einer langen Entwicklungskette waren. Einmal ausgewachsen, würden sie mit knallenden Geräuschen von der Oberfläche ihrer Welt weggeschleudert werden und eine Weile innerhalb des dunklen, kalten und luftleeren Raumes schweben. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß nur ein geringer Teil die Gefahren dieses Raumes überstehen würde, um auf den fast doppelt so großen Körper niederzugehen und dort eine weitere Entwicklungsstufe durchzumachen. Eins hatten sie mit ihrer späteren Existenzform bereits jetzt gemein: Sie liebten den Geruch von Metall mehr als alles andere. Aber Metall war selten auf ihrer Welt. Es gab Gesteine, Silikate und organische Zellverbindungen, aber nur wenig Metall. Deshalb waren sie gezwungen, bis in die Tiefen ihrer Welt vorzudringen, um dort ihr Metall zu finden. Jetzt war dieser neue Geruch aufgetaucht ...
Sie kamen von allen Seiten. Viele von ihnen hatten den verlockenden Geruch wahrgenommen. Sie steigerten ihre Geschwindigkeit und schlängelten sich immer heftiger durch die Höhlungen ihrer schwammigen Welt. Dann erreichte der erste von ihnen den Körper. Er war groß — mehr als hundertmal größer als sie selbst. Mit schmatzenden Sauggeräuschen begann das erste Lebewesen, das Metall anzunagen. Es war ein herrlicher Geruch ... Immer mehr der weichen, farblosen Lebewesen stießen von allen Seiten auf den metallischen Körper zu. Das Saugen, Schmatzen, Schaben und Fressen ließen den Körper erzittern. Jetzt waren es bereits Hunderte, die ihren Teil von diesem herrlichen Körper beanspruchten. Es war ein Glückstreffer, ein Geschenk der großen Vorsehung, daß dieser Körper auf ihrer Welt niedergegangen war. Bereits jetzt waren alle vorstehenden Kanten und Erhebungen verschwunden. Aber noch gab es genügend Vorräte für alle anderen, die nachkamen. Die weichen, farblosen Wesen fraßen so viel Metall wie nur irgend möglich in sich hinein. Dann fielen die ersten Lebewesen in die Höhlungen zurück. Sie ringelten sich zusammen. Dann begannen sie mit ihrer Metamorphose. Durch die große Metallansammlung gelang es einem großen Teil von ihnen, die Veränderung ihres Körpers vorzeitig vorzunehmen. Das Verdauungssystem der gesättigten Wesen produzierte eine harte, kugelförmige Hülle. Gase entwickelten sich im Innern der Kugel. Dann brachen die ersten Kugeln durch den schwammigen Boden. Sie erreichten die Oberfläche und verharrten einen Augenblick. Die Zellkerne innerhalb der Kugel orientierten sich an
der rotglühenden Sonne. Dann hatten die ersten Kugeln so viel Gas im Innern produziert, daß sie mit einem lauten Knallgeräusch vom Boden abhoben. Sie verließen die dünne Atmosphäre ihrer Welt und tauchten in die schwarze Dunkelheit ein. Jetzt kam es nur noch darauf an, den größeren Körper zu erreichen. Immer dichter wurde der Schwarm der aufsteigenden Kugeln. Aber auch die noch nicht gesättigten Lebewesen unterhalb der Oberfläche konnten hoffen, die große Reise anzutreten. Es war noch sehr viel von dem gutriechenden Metall vorhanden. Dann zeigte sich, daß der Körper nicht kompakt war. Die ersten Stellen waren bereits durchgenagt. Dahinter befand sich ein Hohlraum, aus dem zischend dichte, merkwürdig riechende Luft nach außen schoß. Die weichen, farblosen Wesen strömten ins Innere des Körpers. Sie entdeckten Dinge, mit denen sie nichts anfangen konnten. Dann hörten sie einen gellenden Aufschrei. Er kam von einem vergitterten Metallgerät an der Brust eines zweibeinigen Lebewesens, das mindestens zehnmal so groß war wie sie selbst. Dann entdeckten die ersten Lebewesen des Mondes von Swamp, daß es sehr viele noch besser riechende Teile an diesem zweibeinigen Lebewesen gab. Sie stürzten sich mit lauten Schmatzgeräuschen auf die glitzernden Schnallen am Raumanzug von Tane. * Fan Kar Kont jagte die Corocon III mit der höchstmöglichen Beschleunigung in der tiefen Schlucht nach Süden. Er hielt sie knapp zwanzig Meter unter der Oberkante der Felswände. Dann tauchte plötzlich ein Hindernis direkt vor dem dahinrasenden laktonischen Wachboot auf. Fan Kar Kont
reagierte in Bruchteilen von Sekunden. Er riß die Corocon III nach oben, obwohl er nach seiner Meinung die Sicherheitsentfernung vom TrakonKreuzer noch nicht erreicht hatte. Aber darauf durfte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Das Leben der fünfunddreißig von Teckan entführten Wissenschaftler war wichtiger. Er mußte das Risiko eingehen. Er jagte die Corocon III mit einer steilen Kurve nach oben. Sie durchstieß die rötliche Atmosphäre von Swamp und raste auf die rotglühende Sonne vom A5-Typ zu. „Wir sind 'raus!" sagte Latak Decimo erleichtert. Er richtete sich in seinem Pneumosessel auf und zwinkerte Rex Corda zu. Der Präsident von Terra steckte sich umständlich eine Zigarette an. Die Andruckneutralisatoren arbeiteten ausgezeichnet. Hinter der Corocon III blieb die hellrot schimmernde Kugel von Swamp zurück. Rex Corda wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und dachte an das, was sie auf diesem Planeten gesehen hatten. Es war nicht sehr angenehm gewesen. Er konnte die Veränderten und die intelligente Pflanze Tykanta einfach nicht vergessen. Zu grauenhaft war in seiner Erinnerung das Bild der total zerstörten Versuchsanstalt im Innern des sumpfigen Planeten. In seinem Unterbewußtsein bohrte und drängte ein Gedanke, den Rex Corda einfach nicht mehr loswerden konnte. Aber es war verrückt — vollkommen absurd. Dieser Gedanke, der immer wieder schlagartig in sein Bewußtsein eindrang, war zu wahnsinnig. Rex Corda wollte nicht mehr daran denken. Er wußte jetzt, daß laktonische Wissenschaftler auf Swamp Experimente mit Terranern angestellt hatten — mit Terranern, die bei der ersten
Invasion von der Erde entführt worden waren. Rex Corda wußte, daß er den Anblick der Veränderten niemals vergessen würde. Das, was er auf Swamp gesehen hatte, brannte sich tief in sein Gedächtnis ein. Obwohl die Corocon III bereits auf Swamp repariert und startklar gemacht worden war, gab es noch genügend Arbeiten, die erledigt werden mußten. Die fünfunddreißig von Teckan entflohenen Wissenschaftler waren pausenlos damit beschäftigt, die jetzt noch notwendigen Reparaturen durchzuführen. Falls es zu einer Verfolgungsjagd zwischen dem Trakon-Kreuzer aus Lakton und der Corocon III kam, mußte die Corocon III verlieren, wenn sie nicht schnell genug einen entsprechenden Sicherheitsabstand erreichte. Jetzt kam alles nur darauf an, möglichst unbemerkt so weit wie möglich von Swamp fortzukommen. Niemals durfte sich das kleine, plumpe Wachboot mit einem mehr als zehnmal größeren Kriegsschiff der Laktonen einlassen. Ein Kampf mit dem Trakon-Kreuzer bedeutete den sicheren Untergang. Und dafür hatten die Wissenschaftler von Teckan die Strapazen der Flucht nicht auf sich genommen ... * Die Corocon III näherte sich mit zunehmender Geschwindigkeit dem einzigen Mond von Swamp. In diesem Augenblick riß Fan Kar Kont sämtliche Hebel des Antriebs auf Null zurück. Gleichzeitig gellte ein schrilles Alarmsignal durch alle Sektionen des Schiffes. Die gerade erst reparierten und nur notdürftig festgezurrten Geräte an Bord der Corocon III wurden aus ihren Verankerungen gerissen. In allen Sektionen polterten und
krachten Geräte durcheinander, während menschliche Körper mit verkrampften Gliedern gegen die Seitenplatten der Kabinen knallten. Niemand war auf eine derartige Notbremsung vorbereitet gewesen. Nur Fan Kar Kont, Latak Decimo, Bir Osgo und Rex Corda gelang es, sich rechtzeitig und mit blitzartigen Handbewegungen zu sichern. Sie befanden sich in der Zentrale. Sie hatten bemerkt, daß Fan Kar Kont blitzschnell einem urplötzlich aufgetauchten Meteoritenschwarm ausweichen wollte. Aber es war zu spät. Der Schwarm aus mindestens achthundert glitzernden Körpern raste direkt auf die Corocon III zu. Die Bugdüsen spieen grellweiße Bremsstrahlen in die Dunkelheit des Raumes. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, polterte durcheinander. Empörte Aufschreie und entsetzte Hilferufe hallten durch die Sektionen des Wachbootes. Das braun und weiß gestreifte Gesicht des Chef-Wissenschaftlers von Teckan zeigte nicht die geringste Regung. Wie versteinert hockte Fan Kar Kont vor den Kontrollen. Sein analytisch geschulter Verstand sagte ihm, daß die Corocon III mit tödlicher Sicherheit in das Meteoritenfeld rasen mußte. Selbst ein Ausbrechen zur Seite hatte keinen Sinn mehr. Noch während das Wachboot auf den breitgefächerten Schwarm stürzte, versuchte Fan Kar Kont, die Gründe für das Versagen der Ortungsgeräte an Bord herauszufinden. Obwohl sein Verstand fieberhaft arbeitete, gelang es ihm nicht, eine einigermaßen vernünftige Lösung zu finden. Fan Kar Kont registrierte die seltsame Flugformation der Meteoriten, die einen riesigen Trichter bildeten. Die Corocon III befand sich genau in der
Mitte dieses Trichters. Sie konnte nicht mehr ausweichen. Sie hatte bereits die ersten Fremdkörper passiert. Sie befand sich in einer ausweglosen Situation. Sie steuerte auf den immer dichter werdenden Pulk zu. Der Kopf von Fan Kar Kont ruckte zur Seite, Wütend starrte er auf die Geräte, die die Gefahr viel zu spät gemeldet hatten. Mit einem einzigen Blick sah der Chef-Wissenschaftler von Teckari, daß die Geräte in Ordnung waren. Er bemühte sich krampfhaft, ein Schutzfeld um die Corocon III zu legen. Es gelang nicht. Dann krachten die ersten dieser merkwürdigen Meteoriten gegen die Außenhülle der Corocon III. Rex Corda zuckte zusammen. Alles in ihm verkrampfte sich. Das mußte das Ende sein. * Tane schrie noch immer, als die ersten der widerlichen weißen Raupen bereits an ihrem Raumanzug hingen. Sie versuchte mit Händen und Füßen, die weißgrün fluoreszierenden Lebewesen des Swamp-Mondes abzuschütteln. Mit ihren Saugnäpfen krallten sich die armlangen Raupen an allen Metallteilen ihres Schutzanzuges fest. Sie warf sich über ihre noch immer ohnmächtige Schwester. Sie durfte jetzt nicht an sich denken... Als die ersten Freßgeräusche der Raupen hallend in dem Raumschiff laut geworden waren, hatte sie Tau-Lau einen Raumanzug angezogen. Sie wußte nicht, was die Geräusche zu bedeuten hatten, aber ihre Angst ließ sie fast instinktiv handeln. Tau-Lau war noch immer besinnungslos. Aber sie lebte! Das war mehr, als Tane hatte erwarten dürfen. Mit drei Medokästen hatte sie den Körper ihrer Zwillingsschwester bearbeitet. Sie
klammerte sich an den Gedanken, TauLau am Leben zu erhalten, um so der grauenhaften Einsamkeit zu entgehen. Jetzt war sie nicht mehr einsam. Aber die Gesellschaft der weißgrünen Raupen ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Die Angst in ihr verstärkte sich so sehr, daß sie am ganzen Körper zitterte. Immer wieder versuchte sie, die ekelhaften Lebewesen des SwampMondes vom Körper ihrer Schwester zu ziehen. Die glitschigen, weichen Raupen glitten durch die Finger ihrer Handschuhe und zerplatzten mit schmatzenden Geräuschen. Aber es waren zu viele. Allein konnte Tane nichts ausrichten. In diesem Augenblick entdeckte sie neben einem getöteten Wissenschaftler die Waffe. Sie stolperte über Raupenkörper auf den Wissenschaftler zu. Eine der Raupen hatte bereits den Lauf der Waffe angenagt. Tane kämpfte gegen ein immer stärker werdendes Schwindelgefühl an. Sie riß sich mit letzter Kraft zusammen. Sie handelte vollkommen automatisch. Die Waffe in ihrer Hand war fremd und unheimlich. Blaue Farbfelder und grüne Streifen verzierten den Kolben. Längliche Höcker am Lauf gaben der schweren Waffe etwas Unheimliches. Tane schloß die Augen. Dann drückte sie ab. Das berstende Krachen warf sie zurück. Mit den Schultern knallte sie gegen die Pneumoliege, in der bewegungslos ihre Zwillingsschwester hing. Mit geschlossenen Augen drückte das Mädchen von Vlotho den Abzug durch. Immer und immer wieder. * Der zwei Meter große, füllige Bio-
Chemiker umklammerte die schlanke schwarzhaarige Mathematikerin. Mit der linken Hand stützte er sich von der Außenwandung ab. Seine Knie hatte er hinter einem Pneumosessel verhakt. Hent Marat erkannte sofort, was geschehen war. Fan Kar Kont mußte eine Notbremsung durchgeführt haben. Das Blut lief dem nüchtern denkenden Laktonen über die rotbraune Haut. Sein weißes, bis auf die Schultern herabhängendes Haar war zerzaust und schmutzig, seine Kleidung zerrissen. Hent Marat erkannte, daß Ierra Kretan ziemlich schwer verletzt sein mußte. Er griff mit tastenden Fingern nach einem Medokästen. Dann knallte er ihn gegen den Oberarm der Mathematikerin. Sie trug eine dunkelgrüne Kombination der laktonischen Wissenschaftler mit einem schmalen hellen Gürtel und anthrazitfarbenen Stiefeln aus Kunststoff. Hent Marat legte sie auf eine Andruckliege. Trotz seines Übergewichtes bewegte er sich mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit. Er wußte, daß es jetzt darauf ankam, Ierra Kretan rechtzeitig zu behandeln. Er wußte genau, was er wollte. Ein Gefühl wie Angst war ihm unbekannt. Hent Marat war der einzige Laktone in der unteren Sektion der Corocon III, der in dieser Situation den Kopf oben behielt. Nur eine einzige sarkastische Bemerkung kam über seine Lippen. Niemand hörte sie, da die anderen Besatzungsmitglieder der Corocon III viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Hent Marat riß der jungen dunkelhaarigen Mathematikerin die Kombination auf. Er kümmerte sich nicht um das, was er sah. Er hatte andere Sorgen. Schnell streifte er Ierra Kretan die Stiefel ab. Dann zog er ihr die Kombination aus. Blitzschnell raste er in einen
Nachbarraum und besorgte einen Herzschrittmacher. Er klemmte das Gerät neben der Liege von Ierra Kretan fest und schloß es an. Der Puls der Mathematikerin ging flach und hastig. Dann begann er zu flattern. Hent Marat wa» ein ausgezeichneter Bio-Chemiker. Er kannte die Vorgänge in menschlichen Körpern so gut wie kaum ein anderer. Er wußte, wann das Höchstmaß an äußerer Belastung erreicht war. Hent Marat war kein Arzt. Trotzdem stimmte auch diesmal seine Diagnose. Er konnte sich nicht länger um Ierra Kretan kümmern. Aus den anderen Sektionen der Corocon III drangen die dumpfen, unterdrückten Schmerzensschreie der Verletzten bis zu ihm. Hent Marat war als einziger der unteren Sektion fast völlig unverletzt geblieben. Er holte tief Luft. Dann rannte er los. Wie ein massiger Elefant stampfte er durch die Gänge. Er passierte nicht funktionierende Antigravschächte und hangelte sich an den Leitersprossen nach unten. Immer tiefer drang er ins Innere des Schiffes ein. Pausenlos prasselten irgendwelche Gegenstände gegen die Außenhülle der Corocon III. Hent Marat konnte sich jetzt nicht darum kümmern. „Immer schön eins nach dem anderen", murmelte er mehr zu sich selbst. Er erreichte einen Raum, in dem sich zwölf laktonische Wissenschaftler von Teckan befanden. Mit einem einzigen Blick erkannte Hent Marat, daß es hier eine Menge Arbeit für ihn gab. Er krempelte die Ärmel seiner weichen Bluse auf. Dann überlegte er es sich anders und riß mit einem entschlossenen Ruck die Bluse über seinen Kopf. Jetzt fühlte er sich wohler. Er haßte nichts mehr als zu enge Kleidung. Hent Marat arbeitete mit einer Ge-
schwindigkeit, die man ihm auf den ersten Blick niemals zugetraut hätte. Ein Verletzter nach dem anderen kam an die Reihe. Doch dann gingen Hent Marat die Medokästen aus. Er sah kurz auf und entdeckte, daß noch mindestens vier Laktonen unversorgt geblieben waren. Die anderen waren bereits soweit wiederhergestellt, daß sie für sich selbst sorgen konnten. Hent Marat hatte zwei Beine geschient und einen komplizierten Oberarmbruch verarztet. Er hatte Spritzen gegeben und schmerzstillende Drogen verabreicht. Die Medokästen arbeiteten ausgezeichnet. Aber das war für Hent Marat nicht genug. Er stampfte wieder auf den Gang und suchte nach einer Kabine, in der sich weitere Medokästen befinden sollten. Dann entdeckte er, daß der Weg für ihn versperrt war. Ein breites Loch klaffte in der Verbindungswand. Hent Marat stolperte zurück. Sein langes weißes Haar verfing sich in einem Spalt zwischen zwei verschobenen Platten aus Panzerplast und blieb darin hängen. Ärgerlich riß Hent Marat sich los. Er spürte, wie seine Knie weich wurden. Stolpernd und tapsend arbeitete er sich nach vorn. Er atmete immer schneller. Er merkte, wie die Luft knapp wurde. Irgendwo mußte die kostbare Atemluft durch ein Leck entweichen ... Hent Marat schlug mit der Faust die Sicherheitsverriegelung eines Notschrankes auf. Hastig griff er nach einem Raumanzug und bemühte sich dann, seinen massigen Körper hineinzuzwängen. Es war die schlimmste Arbeit, die Hent Marat jemals in seinem Leben geleistet hatte. Der Anzug war nicht für Männer seiner Größe gedacht. Es war ein Modell für laktonische Frauen ... Hent Marat schwitzte und fluchte,
während er den stechenden Schmerz in seinen Lungen immer stärker spürte. Die Luft wurde äußerst knapp. In diesem Augenblick gelang es Hent Marat, den viel zu kleinen Raumhelm aufzusetzen. Er preßte ihn über seinen massigen Schädel und versuchte, ihn zu verriegeln. Hastig drehte er die Zufuhr von komprimierter Luft aus den Tanks auf. Dann stellte er fest, daß die Tanks leer waren ... Aber noch immer verlor Hent Marat nicht die Ruhe. Er wußte, daß er nur noch wenige Sekunden zu leben hatte, wenn es ihm nicht gelang, so schnell wie möglich in abgedichtete Zonen zurückzukommen. Er raffte sich auf. Er rannte auf die Verbindungstür zu, durch die er gekommen war. Er warf seinen schweren Körper gegen das Schott. Es gab nicht einen einzigen Millimeter nach. Der Innendruck jenseits des Schotts war größer als der jener Sektion, in der sich Hent Marat jetzt befand. „Alter Seelenverkäufer!" knurrte der Biologe. Obwohl er bereits bunte Ringe vor seinen Augen sah, gab er nicht auf. Solange noch ein winziges Fünkchen Leben in seinem Körper steckte, war er bereit, dieses Leben zu verteidigen. Er hielt sich nicht lange mit Wehgeschrei auf. An einer anderen Stelle versuchte er es erneut. Jetzt wurden die Ringe und Farbflecken vor seinen Augen immer dichter. Kreise bildeten sich, dann verschwamm die Umgebung im Gesichtsfeld des Bio-Chemikers. Im gleichen Augenblick platzte eine schillernde, fast fünfzig Zentimeter große Kugel durch die Außenhülle der Corocon III. Der Krach riß Hent Marat wieder hoch. Er starrte mit ungläubigem Entsetzen in den Augen auf die metallisch
glänzende Kugel. Sie leuchtete von innen heraus. Doch als Hent Marat auf sie zustolperte, platzte sie mit einem dumpfen Knall. Gleichzeitig löste sich aus der auseinandergefallenen Kugelschale eine fast vier Meter hohe schwarzblaue Pflanze. An ihrem unteren Ende befand sich ein glitzernder Hornschnabel. Die giftigblau glänzenden Blätter entfalteten sich. Dann bildeten sich urplötzlich diamantenartige Verdickungen, die sich zu unheimlichen Gebilden verformten. In diesem Augenblick hatte der BioChemiker Hent Marat begriffen, was mit der Corocon III passiert war: Noch ehe er die Besinnung verlor, erkannte er, daß das Wachboot in einen Schwarm sporenartiger Pflanzensamen geraten war, aus denen sich die Radas entwickelten. Hent Marat hatte keine Zeit mehr, sich über die Einzelheiten dieser Pflanzen klarzuwerden. Seine Knie versagten ihm den Dienst. Dann schlug er lang direkt vor der schwarzblauen Pflanze auf den Boden des Verbindungsganges. Tastend streckte die Pflanze ihre Fühler nach ihm aus. * John Haick krümmte sich vor Schmerzen zusammen. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, seine Bordkombination anzulegen, als der unerwartete Stoß ihn wieder in die mit elektrisiertem Wasser gefüllte Wanne zurückschleuderte. Keuchend und fluchend kam er hoch. Er dachte an eine erneute Teufelei von Latak Decimo und schickte mit erhobener Faust einen Drohruf gegen die Dekke über sich. Dann merkte er, daß das Wasser, in dem er lag, keine elektrischen Stromstöße mehr aussandte. Verwundert richtete John Haick sich
hoch. Er beugte sich über den Rand der Wanne und lauschte. Es dauerte mehrere Sekunden, bis er herausgefunden hatte, was anders war: Die Antriebsaggregate der Corocon III arbeiteten nicht mehr... Der dunkelhaarige John Haick war einer der besten Freunde des Präsidenten der Erde. Er hatte von Anfang an stets an der Seite von Rex Corda gegen Orathonen und Laktonen gekämpft. Er war auch dabei gewesen, als Rex Corda seine Geschwister mit der ersten irdischen Expedition gesucht hatte. Eigentlich gab es nicht sehr viele Dinge, bei denen John Haick Rex Corda nicht begleitet hatte. Er richtete sich vollends auf. Dann schüttelte er das Wasser von seinem Körper. Er lauschte dem Gellen der Alarmanlage nach. Dann runzelte er die Brauen. Irgend etwas war hier faul — verdammt faul sogar. John Haick hatte plötzlich kein Interesse mehr daran, seine völlig durchnäßten Sachen auszuziehen. Er öffnete die Tür seiner Kabine. Dann raste er über den Verbindungsgang und sprang in einen Antigravschacht. Noch während er in der Luft war, stellte er fest, daß der Antigravschacht nicht mehr arbeitete. John Haick breitete die Arme aus. Seine Handgelenke krachten gegen die Leitersprossen an beiden Seiten des Antigravschachtes. Es gelang ihm nicht, sich an den Sprossen festzuhalten. Immer schneller fiel er nach unten. Er hatte der Technik der Laktonen vertraut und nicht einen einzigen Augenblick daran gedacht, daß der Antigravschacht außer Betrieb sein könnte. Diese Unvorsichtigkeit wurde ihm jetzt zum Verhängnis. *
Samar Tarkannt hatte sein Ziel erreicht. Er stand vor dem Glutofen der Kraftanlage innerhalb des Berges. Das Atomfeuer war nicht mehr zu löschen. Der radioaktive Brand fraß sich immer weiter auf die Aggregate zu. Samar Tarkannt zitterte vor Erregung und Vorfreude, als er an die Energie dachte, die entstehen würde, sobald die Aggregate explodierten. Er fieberte diesem Ereignis entgegen. Seine Nerven waren durch die Erregung bis zum Zerreißen gespannt. Jede Art von Energie war ein Genuß für den Veränderten. Der Mandurane schloß befriedigt die Augen. Es verlief alles nach Plan. Er wollte die Galaxis erobern, und er war auf dem besten Wege dazu. Nur er selbst kannte seine eigene Macht. Samar Tarkannt blickte in das weiße Glühen, das sich von den Schotts her auf die Anlagen zu fraß, und wich nicht einen einzigen Schritt zurück. Längst hatte er es aufgegeben, nach irgendwelchen Überlebenden zu suchen. Sie waren gleichgültig und uninteressant für ihn geworden. Alles, was ihn jetzt noch interessierte, war die gespeicherte Energie innerhalb der Kraftstation. Mit ihrer Hilfe würde er den zweiten Schritt tun. Er wußte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Aggregate in die Luft gingen. Er selbst wollte nichts dazu tun. Er konzentrierte sich auf sein Vorhaben und wartete. Noch war er ruhig — eine letzte Ruhepause vor dem triumphalen Siegeszug, den er allein und ohne fremde Hilfe antreten würde. Dann erreichte das Atomfeuer die Energiespeicher. * Die kleine Rettungsbarkasse war total vernichtet. Die Taumelgeschosse aus
der Reeling Gun in der Hand des Mädchens Tane hatten ganze Arbeit geleistet. Jetzt gab es nichts mehr, worin sie sich schützen konnte. Sogar die Körper der getöteten Wissenschaftler von Swamp waren vernichtet worden. Nur Tau-Lau lag immer noch hastig atmend direkt vor ihren Füßen. Sie hatte die in höchster Angst abgegebenen Schüsse ihrer Schwester nicht einmal gehört. Erschöpft, aber glücklich ließ Tane die Reeling Gun sinken. Nicht eine einzige dieser ekelhaften Raupen des Swamp-Mondes hatte überlebt. Tane hatte einen Kampf gewonnen, aber gleichzeitig den letzten Schutz vor einem neuen Angriff verloren. Es gab kein Raumschiff mehr, sondern nur noch eine große, dunkle Höhle, in der es weder Licht noch irgendeine andere Möglichkeit zur Orientierung gab. Tane wußte inzwischen, wo sie sich befand. Sie kannte die Berichte von den Forschungsexpeditionen, die zum Swamp-Mond aufgebrochen waren. Nach der Errichtung der unterirdischen Forschungsanlagen auf Swamp waren immer wieder Ausflüge zum Mond unternommen worden. Das Mädchen von Vlotho ahnte, daß sie viele Meter unterhalb der Oberfläche in einem Gefängnis saß. Sie und ihre Schwester hatten nicht die geringste Möglichkeit, sich zur Oberfläche vorzuarbeiten. Jedenfalls fiel Tane im Augenblick nicht ein einziger vernünftiger Ausweg aus ihrer Situation ein. Da hörte sie plötzlich die leise fragende Stimme ihrer Schwester. Tane zuckte zusammen. Sie beugte sich nach unten. Dann tastete sie mit den behandschuhten Fingern über den Boden. Sie erreichte Tau-Lau und beugte sich über sie. Über die Kommunikationsanlage ihres Raumanzuges nahm sie mit ihrer
Schwester Kontakt auf. „Tau-Lau?" „Bist du es, Tane?" „Ja, Tau-Lau." „Es ist so dunkel hier — wo sind wir — warum machst du kein Licht?" Tane überlegte, ob sie ihrer Schwester alles sagen sollte. Dann entschloß sie sich, es zu tun. „Erinnerst du dich noch, daß wir von Swamp geflohen sind?" „Ja." „Wir nahmen ein Rettungsboot und stießen bis zum Mond vor. Aber dann passierte dem Piloten ein Mißgeschick, und wir stürzten ab. Jetzt befinden wir uns wahrscheinlich tief im Innern des Mondes." „Wo sind die anderen?" Sekundenlang antwortete Tane nicht. Es fiel ihr schwer, ihrer Schwester die ganze Wahrheit zu sagen. „Sie sind tot", antwortete sie schließlich. „Dann sind wir beide jetzt allein? Aber wo ist das Schiff?" „Es gibt kein Schiff mehr. Es hat sich aufgelöst." „Es hat sich aufgelöst?" „Ich habe es mit dem Taumelgewehr vei'nichtet." „Aber du kannst doch gar nicht schießen." Tane schluchzte kurz auf. Sie wollte sich nicht mehr an das Grauen erinnern. Sie wußte auch, daß sie das, was tatsächlich vorgefallen war, ihrer Schwester jetzt nicht berichten konnte. Sie durfte es einfach nicht! Tau-Lau mußte noch derartig geschwächt sein, daß sie einen Bericht über die Vernichtung des Grauens nicht ertragen konnte. Tane war allein mit ihrem Wissen und ihrer Erinnerung. „Wie lange werden wir hier bleiben?" fragte Tau-Lau matt. „Ich weiß nicht", antwortete das Mädchen von Vlotho. Sie schwiegen sehr lange.
Dann begannen die Spritzen aus den Medokästen bei Tau-Lau zu wirken. Allmählich kehrte ihre Energie zurück. Die Laktonen besaßen Vernichtungswaffen, gigantische Raumschiffe und eine hervorragende Technik. Aber sie besaßen auch Mittel und Geräte, mit denen sie menschliches Leben erhalten konnten — nicht das des Erzfeindes Orathon, sondern eigenes Leben. Während Tane besorgt auf die Atemzüge ihrer Schwester lauschte, stellte sie fest, daß sie immer ruhiger wurden. Tau-Lau erholte sich in einer Zeit, die ausgesprochen kurz war. »Wie lange reicht unser Luftvorrat?" fragte Tau-Lau plötzlich. Das war der Beweis für Tane, daß ihre Schwester jetzt wieder klar denken konnte. „Ich habe noch nicht überlegt", antwortete sie. „Aber ich glaube, daß wir für ungefähr acht Stunden genügend Luft haben." „Gibt es denn keine Ersatzbehälter mehr?" Tane schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr ein, daß Tau-Lau diese Bewegung in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Vergeblich versuchte sie, den Helmscheinwerfer einzuschalten. Er funktionierte nicht. Noch während sie mit den Fingern über ihren Raumhelm tastete, stellte sie fest, daß er eine breite, tiefe Schramme hatte. Nur noch Bruchteile von Millimetern schützten sie vor der dünnen, tödlichen Luft des Swamp-Mondes. Sie wußte plötzlich, daß ein einziger kurzer Schlag auf ihren Raumhelm tödliche Folgen haben würde. Sie seufzte stoßweise. Dann liefen Tränen über ihre Wange. Sie glaubte, daß Tau-Lau diese Tränen nicht sehen konnte. Schließlich war Tane die Ältere und hatte sich immer für Tau-Lau verantwortlich gefühlt. Aber jetzt konnte sie nichts tun.
„Du weinst?" fragte Tau-Lau plötzlich. Tane biß sich auf die Lippen. Also hatte Tau-Lau es doch gemerkt... Sie spürte plötzlich eine Bewegung. Dann merkte sie, daß Tau-Lau sich dicht an sie schmiegte. Sie legte ihren Arm um die Schulter ihrer jüngeren Schwester und lehnte sich zurück. Fest umschlungen warteten die beiden Mädchen in ihrem Gefängnis. Sie hatten jetzt alle Zeit der Galaxis — Zeit, um auf den Tod zu warten. * John Haick riß sich die Hände wund. Er wußte, daß ein Sturz in fast achtzig Meter Tiefe absolut tödlich war. Die Schwerkraftverhältnisse auf der Corocon III waren jetzt so unübersichtlich, daß John Haick nur hoffen konnte, durch eine mögliche Bewegung des Wachbootes gegen die Sprossen getrieben zu werden. Er fand sich damit ab, durch diese Bewegung und ein schnelles Zupacken von ihm unter Umständen seine Hände zu verlieren. Der Ruck mußte stark genug sein, um ihm die Arme oder die Hände auszureißen. Plötzlich konnte John Haick kalt und nüchtern überlegen. Während er durch den Antigravschacht fiel, überkam ihn plötzlich eine tiefe Ruhe. Er überlegte, daß er eigentlich nicht fallen durfte. Die gegeneinander wirkenden Anziehungskräfte von Swamp, der großen Sonne und dem Mond mußten sich innerhalb der Corocon III neutralisieren. Es gab kein Oben, kein Unten, kein Rechts und kein Links mehr. Trotzdem fiel John Haick immer schneller durch den Antigravschacht. Er wagte jetzt bereits nicht mehr, nach den Sprossen zu fassen. Wie schnelle dunkle Streifen huschten sie vor seinen Augen vorbei. Wenn er jetzt
zufaßte, würde es seinen Körper zerreißen ... John Haick sah das schimmernde Ende des Antigravschachtes mit immer größerer Geschwindigkeit auf sich zukommen. Er riß seinen Kopf zurück und versuchte, nach oben zu blicken. Es gelang ihm nicht. Er biß die Zähne zusammen. Die Haut über seinen Jochbeinen spannte sich. Er versuchte, seinen Körper einzurollen, aber es gelang ihm nicht. Der Fallwind rauschte an seinen Ohren vorbei und ließ das Blut hinter seinen Schläfen pochen. Dann hatte er plötzlich das Gefühl, daß sein Körper zerrissen wurde. Alles in ihm krampfte sich zusammen. In diesem Augenblick krachte er gegen eine unsichtbare Mauer. Er verlor die Besinnung, noch ehe er kapierte was es war. * „Stellen Sie sich vor, jemand steigt unabsichtlich in den Antigravschacht", sagte Rex Corda. „Wir müssen jedenfalls alle Leute warnen." „Verstehen Sie denn nicht, daß wir die gesamte Energie brauchen, um einen Schutzschirm zu errichten?" protestierte Fan Kar Kont. Aber Rex Corda hatte sich bereits vorgebeugt. Er schaltete die Antigravschächte wieder ein. Fan Kar Kont blickte ihn mit seinem gestreiften Gesicht an. Nur seine dunklen Augen glühten hinter den regungslosen, versteinert wirkenden Streifen. „Natürlich bin ich einverstanden, daß wir nachher den Schacht wieder ausschalten. Ich weiß selbst genau, daß wir sämtliche Energien brauchen. Aber warnen Sie bitte vorher alle Insassen der Corocon III." Fan Kar Kont hob die Schultern. Er hatte kein Interesse daran, sich mit Rex
Corda zu streiten. Er wußte nicht, daß Rex Corda mit seiner Unnachgiebigkeit John Haick das Leben gerettet hatte . . . „Wieviel Kugeln haben wir an Bord?" fragte Rex Corda. „Bisher sechs", antwortete Latak Decimo. „Es ist die Zwischenform einer Pflanzenart. Genau kann ich Ihnen noch nicht erklären, wie es funktioniert. Ich nehme aber an, daß die Pflanzen von Swamp aus Sporen in den Raum entsenden. Ein Teil dieser Sporen geht wahrscheinlich auf dem Mond von Swamp nieder und macht dort eine Umwandlung durch. Wahrscheinlich hat es etwas mit den harten ultravioletten Strahlen zu tun, die auf Swamp nicht so stark durch die schützende Atmosphäre dringen." „Aber was sollen dann diese Kugeln?" fragte Rex Corda. „Ich weiß es nicht", antwortete Latak Decimo und richtete sich auf. Er blickte auf das merkwürdige Gebilde, das stumm und leblos direkt vor ihm lag. Die Kugel schillerte und hatte einen Durchmesser von genau dreiundfünfzig Zentimetern. Es war der Mathematikerin Ierra Kretan gelungen, Hent Marat im allerletzten Augenblick zu retten. Sie hatte sich ihm anschließen wollen, nachdem die Spritzen aus den Medokästen bei ihr wirkten. Dann hatte sie festgestellt, daß Hent Marat kurz davor war, durch Luftmangel zu sterben. Nur ihr schnelles, beherztes Eingreifen hatte die Erste-HilfeLeistung von Hent Marat wieder wettgemacht. Jetzt hatten sie sich beide nichts mehr zu danken. Sie waren quitt. Aber gleichzeitig war Ierra Kretan auch auf die vier Meter hohe blauschwarze Pflanze getroffen, die sich bereits mit ihrem hornartigen Schnabel auf das Metall von Hent Marats Raumanzug gestürzt hatte.
„Diese Pflanzen müssen sehr merkwürdige Eigenschaften haben", nickte Latak Decimo. „Ich glaube, daß sie sich nach einer Reifezeit auf dem Mond von Swamp einkapseln und dann versuchen, nach Swamp zurückzukommen." „Ziemlich umständliche Prozedur", lächelte Rex Corda. „Aber ich habe bereits gelernt, daß es sehr merkwürdige Lebensformen außerhalb unserer guten alten Erde gibt." „Sagen Sie das nicht", antwortete Latak Decimo. „Auch auf der Erde habe ich ähnliche Vorgänge feststellen können. Denken Sie nur an das, was Sie mit einem Ei, einer Larve und einem Verpuppungsstadium bezeichnen." Rex Corda hob die Schultern. Latak Decimo hatte recht. Irgendwie gab es immer gewisse Ähnlichkeiten zu Vorgängen auf der Erde. Rex Corda hatte während seiner Flüge durch die Galaxis fast immer Parallelen, Ähnlichkeiten und die Allgemeingültigkeit der Naturgesetze feststellen können. * Er wußte nicht, wie es kam, aber diese Erkenntnis wirkte außerordentlich beruhigend auf ihn. Schon die Tatsache, daß die grünhäutigen Orathonen und die Laktonen mit den roten Zähnen sehr oft genauso reagierten wie Menschen der Erde, überraschte Rex Corda nicht mehr. Kurz nach der Invasion der beiden feindlichen Rassen war es anders gewesen. Damals war er nicht dazu gekommen, sich über das Ungeheuerliche klarzuwerden. Der Gedanke an fremde Rassen aus den Tiefen des Alls — jetzt war er fast selbstverständlich für Rex Corda! Mit einem leichten Lächeln um die Mundwinkel drehte er sich zu Fan Kar Kont um. Der Chef-Wissenschaftler von
Teckan bemühte sich, die Corocon III antriebslos an dem unbewohnten Mond von Swamp vorbeifliegen zu lassen. Er wollte jetzt noch keinen neuen Startversuch machen, da er nicht wußte, wie weit die Corocon III beschädigt worden war. Zunächst mußte alles überprüft werden. Erleichtert atmete Rex Corda auf, als aus allen Teilen des Schiffes die Meldungen einliefen, daß bisher niemand tödlich verletzt worden war. Doch dann zuckte Rex Corda plötzlich zusammen, als er feststellte, daß ein Name fehlte: John Haick. Der junge Atomwissenschaftler hatte sich nach seinem Bad nicht wieder gemeldet. Rex Corda blickte zu Latak Decimo. „Sie haben doch nicht etwa ein Schlafpulver in das Bad gekippt?" Latak Decimo verstand sofort, was Rex Corda wollte. Er schüttelte den Kopf. Rex Corda sprang auf und lief durch die Zentrale der Corocon III. Er raste durch die Verbindungsgänge und nahm einen der nächsten Antigravschächte, um nach unten zu kommen. Sein Magen verkrampfte sich, als er daran dachte, daß John Haick etwas geschehen sein könne. Bisher hatten sie so viel zusammen durchgemacht, daß Rex Corda plötzlich zu der Überzeugung kam, daß es einmal soweit sein mußte . . . Dann sprang er plötzlich aus dem Antigravschacht und blieb kurz überlegend stehen. Für einige Minuten hatten seine Nerven versagt. Die Anspannung der letzten Tage und Stunden war zu groß gewesen. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Verbindungswand und holte tief Luft. Er mußte sich zusammenreißen. Er durfte sich nicht eine einzige Minute gehenlassen.
Er beugte sich zur Sprechanlage und versuchte nochmals, mit allen Abteilungen der Corocon III Kontakt aufzunehmen. Aber niemand hatte John Haick gesehen. Rex Corda beauftragte die Wissenschaftler von Teckan, ihn sofort zu benachrichtigen, falls der junge Atomwissenschaftler der Erde irgendwo auftauchte. Er selbst beteiligte sich an der Suche. Während oben in der Zentrale Fan Kar Kont die Ortungsgeräte und Detektoren auf Swamp richtete, um den noch immer dort befindlichen Trakon-Kreuzer zu überwachen, wurden automatisch sämtliche Bausegmente der Corocon III überprüft. Arbeitsroboter begannen sofort unter der Anleitung der Wissenschaftler von Teckan mit der Reparatur zerstörter Baugruppen. Rex Corda rannte wie ein Besessener durch die Vielzahl der Verbindungsgänge innerhalb der Corocon III. Das plumpe, hundertfünfzig Meter lange Wachboot der Laktonen konnte zu einem Labyrinth werden, wenn man einen einzelnen Menschen suchte. Überall gab es Antigravschächte, Querverbindungen, ehemalige Waffenkammern und Mannschaftsräume. Ein Teil der Corocon III war auf der Erde umgebaut worden. Rex Corda kannte das plumpe Raumschiff wie seine eigenen Taschen. Trotzdem dauerte es sehr lange, bis er plötzlich das zusammengesunkene Bündel im unteren Teil des Wachbootes entdeckte. In der Nähe der Kraftanlagen hockte John Haick mit unnatürlich verdrehten Gliedern auf dem Boden. Rex Corda stürzte auf ihn zu. Er beugte sich zu seinem Freund hinunter und hob vorsichtig den Kopf des jungen Atomwissenschaftlers. Das lange dunkle Haar von John Haick war zerwühlt. Seine Haut wirkte rot und ungesund.
Vorsichtig legte Rex Corda John Haick auf den Boden. Er tastete den Körper von John Haick ab, konnte aber keine Brüche feststellen. Er beugte sich vor und legte sein Ohr auf das Herz von John Haick. Es schlug noch. Hastig sprang Rex Corda wieder auf. Er lief durch einen Verbindungsgang zur medizinischen Sektion der Corocon III. Die Station war nur notdürftig eingerichtet. Sie enthielt nur das Allerwichtigste an Operationsgeräten. Rex Corda riß ein halbes Dutzend Medokästen aus einem Regal und lief zurück. Schnell beugte er sich über John Haick und entblößte seinen Oberarm. Dann entdeckte er, daß die Hände des jungen Atomwissenschaftlers blutig und aufgesprungen waren. Bei seiner ersten schnellen Untersuchung hatte er es nicht gemerkt. Die Muskeln von John Haick fühlten sich hart und verkrampft an. Rex Corda preßte zwei Medokästen gegen den Oberarm seines Freundes und wartete darauf, daß die Spasmolytika die Muskelkrämpfe im Körper von John Haick lösten. Alles dauerte ihm jetzt zu lange. Er wollte wissen, was mit John Haick geschehen war. Nervös steckte er sich eine Zigarette an. Der Rauch schmeckte schal und fade. Dann lief ein Zucken durch den Körper von John Haick. Im gleichen Augenblick rief Fan Kar Kont von der Zentrale aus nach Rex Corda. Der Präsident von Terra richtete sich auf. Er blickte auf John Haick, der langsam wieder zu sich kam. Dann meldete er sich. Die Stimme des Chef-Wissenschaftlers von Teckan klang besorgt. „Der Trakon-Kreuzer fliegt um
Swamp herum. Wahrscheinlich untersuchen sie jetzt mit ihren Ortungsgeräten jeden Zentimeter der Oberfläche." „Ausgezeichnet'', antwortete Rex Corda schnell. „Dann besteht also für uns im Augenblick keine Gefahr." „Im Gegenteil!" erwiderte Fan Kar Kont. „Sie brauchen ihre Ortungsgeräte nur zufällig auf den Mond zu richten, um uns zu entdecken. Da wir im Augenblick nicht starten können, hätten sie uns in kürzester Zeit eingeholt — oder von Swamp aus vernichtet..." Rex Corda preßte die Lippen zusammen. Er starrte auf John Haick. Dann sagte er: „Könnten wir nicht auf dem Mond von Swamp landen und uns dort verstecken?" „Genau das wollte ich eben vorschlagen", antwortete Fan Kar Kont. „Wir haben auf dem Mond von Swamp bessere Möglichkeiten, den Suchstrahlen des Trakon-Kreuzers zu entgehen, als hier im Raum." „Einverstanden", antwortete Rex Corda schnell. „Können Sie das übernehmen?" „Ich hoffe, daß sich eine Landung auf dem Mond von Swamp durchführen läßt", antwortete Fan Kar Kont. Rex Corda schaltete die Verbindung ab. Er wußte, daß jetzt alles getan wurde, um die Corocon III wieder voll einsatzfähig zu machen. Jetzt hatte er Zeit, sich eingehend mit John Haick zu beschäftigen. Vorsichtig hob er den noch immer besinnungslosen Atomwissenschaftler auf und trug ihn auf seinen Armen in die medizinische Abteilung. Er ließ ihn in eine Pneumoliege gleiten und kümmerte sich dann weiter um ihn. Gleichzeitig spürte er, wie die Antriebsaggregate der Corocon III anliefen. Beruhigt stieß er die Luft aus seinen Lungen. Fan Kar Kont war ein Mann, auf den er sich verlassen konnte.
Außerdem befand sich noch Latak Decimo in der Zentrale. Zusammen mit diesen beiden Männern mußte es Rex Corda gelingen, die übrigen Wissenschaftler von Teckan heil zur Erde zu bringen. Das war das Ziel der ganzen Aktion: Asyl für die Wissenschaftler von Teckan und wissenschaftliche Hilfe für die von den Orathonen ausgebeutete Erde. Während in den Labors der Corocon III die merkwürdigen Metallkugeln vom Swamp-Mond eingehend untersucht wurden, wartete Rex Corda darauf, daß John Haick erwachte. Schließlich schlug der junge Atomwissenschaftler die Augen auf. Verwundert blinzelte er in das helle Licht der Deckenstrahler. Rex Corda lächelte ihm zu. Sie brauchten sich nicht viel zu sagen. Sie verstanden sich auch so. „Hast du mal eine Zigarette für mich?" fragte John Haick matt. Die Drogen und Spritzen in seinem Körper benebelten ihn etwas. Rex Corda zündete eine Zigarette an und steckte sie seinem Freund zwischen die Lippen. Zufrieden schloß John Haick die Augen. „Wie gefällst du dir als Krankenschwester?" grinste er dann. Rex Corda lachte. Im gleichen Augenblick gellte wieder das grausame und schrille Geräusch der Alarmanlage in allen Sektionen der Corocon III auf. Rex Corda zuckte zusammen. Die Wissenschaftler in der Zentrale der Corocon III starrten auf die Holografen. Dreidimensional und plastisch erschien das vergrößerte Bild eines glutig wabernden Atompilzes auf Swamp. Er stand direkt über den unterirdischen Labors. Durch die überstarke Vergrößerung erkannten die Wissenschaftler um Fan
Kar Kont und Latak Decimo, wie Wirbelstürme um den ganzen Planeten jagten. Die rötliche Atmosphäre von Swamp war in Aufruhr geraten. Sie suchten den Trakon-Kreuzer und konnten ihn nicht entdecken. „Wahrscheinlich befindet sich das Schiff auf der anderen Seite des Planeten", vermutete Latak Decimo. Fan Kar Kont nickte. Er hatte in seinem Leben schon viele Explosionen gesehen. Trotzdem ergriff ihn diese gewaltige Detonation mehr als alles andere vorher — kostbare Anlagen und Millionenwerte wurden mit einem Schlag endgültig vernichtet. Jetzt gab es dort unten nichts mehr, was gerettet werden konnte. Fan Kar Kont mußte unwillkürlich an die Wissenschaftler denken, die in den geheimen Forschungslabors Experimente mit menschlichen Lebewesen durchgeführt hatten. „Niemand darf ungestraft mit Menschen experimentieren", sagte Latak Decimo leise, als hätte er die Gedanken von Fan Kar Kont verstanden. Der Fan-Geborene blickte den Synoptiker an. Die braunen und weißen Streifen in seinem Gesicht zuckten leicht. Es war äußerst selten, daß Fan Kar Kont eine Gefühlsregung zeigte. Aber diese Explosion auf Swamp ließ eine verborgene Saite in seinem Innern schmerzhaft klingen. „Ich will es nicht mehr sehen", sagte Fan Kar Kont und wandte sich wieder den Instrumenten zur Steuerung der Corocon III zu. Sie näherten sich dem Mond von Swamp. Vorsichtshalber ließ Fan Kar Kont die Energiedetektoren eingeschaltet. Er richtete sie auf den Mond. Sobald der Trakon-Kreuzer feststellte, daß es auf Swamp eine Atomexplosion gegeben hatte, würde er
automatisch Messungen vornehmen. Das bedeutete, daß die Ortungsgeräte Höhe und Richtung des Atompilzes bestimmen würden. Diesem Risiko durfte Fan Kar Kont die Corocon III nicht aussetzen. Er mußte das plumpe Wachboot verstecken, ehe der Trakon-Kreuzer am Horizont auftauchte. Jetzt waren es nur noch achttausend Kilometer bis zur Oberfläche des Mondes. Mit einem Minimum an Energie strebte das Wachboot auf die Oberfläche zu. Die Meßgeräte registrierten das Ausmaß der radioaktiven Strahlung auf Swamp. Das meiste entwich in den Raum zwischen dem Mond und dem schwammigen Sumpfplaneten. Dann schlugen plötzlich die Masseorter an. Gebannt blickte Lalak Decimo auf die Anzeigegeräte. Von Swamp her trieb ein winziger, undefinierbarer Körper auf den Mond zu. „Dort kommt etwas!" sagte er wenig geistreich. Fan Kar Kont nickte. „Wahrscheinlich wurde bei der Explosion nicht alles atomisiert. Es ist durchaus möglich, daß Bruchstücke aus dem Felsmassiv bis in den Raum hinausgeschleudert wurden." Er beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zur Landung auf dem Mond. Hohe Bergketten mit weichen Konturen bedeckten die Oberfläche. Die Oberfläche des Mondes war wesentlich profilierter als Swamp selbst. Das lag einerseits an der sehr geringen Dichte und andererseits an der kaum vorhandenen Atmosphäre auf dem Mond. Er war nicht schwer genug, um eine eigene Atmosphäre für längere Zeit zu halten. Fan Kar Kont ließ eine Spektralanalyse der dünnen Mondatmosphäre herstellen. Das reflektierte Sonnenlicht bestand wie jedes andere Licht auch aus
verschiedenen Wellenbereichen elektromagnetischer Schwingungen, Die Spektrallinien waren nach violett hin verschoben, da sich die Corocon III in Richtung auf die Sonne zu bewegte. Die Doppelverschiebung hatte aber keinerlei Einfluß auf das Ergebnis der Analyse, da die Geschwindigkeit der Corocon III äußerst gering war. Die Wissenschaftler von Teckan fanden in der Atmosphäre des SwampMondes breite Kohlendioxydbande, während die Sauerstoffbande kaum feststellbar war. Dafür tauchten dicke schwarze Linien im Bereich der Edelgase auf. Argon, Krypton und Neon waren überreichlich in der Atmosphäre des Swamp-Mondes vorhanden. „Die Luft ist atembar, aber nur für wenige Minuten", meinte der Bio-Chemiker Hent Marat abschließend. „Wasserstoff ist außerdem überhaupt nicht vorhanden. Die Schwere des Mondes reicht nicht aus, um dieses leichte Gas zu halten." „Können Lebewesen ohne Schutzanzug auf dem Mond existieren?" fragte Fan Kar Kont. Hent Marat schüttelte den Kopf: „Völlig unmöglich." Fan Kar Kont nickte. In diesem Augenblick tauchte Rex Corda in der Zentrale auf. „Was gibt es?" fragte er. Latak Decimo wies auf die Holografen. Der Atompilz über den unterirdischen Labors von Swamp hatte sich so weit in die rötliche Atmosphäre hinaufgeschoben, daß er jetzt einen großen Teil von Swamp überdeckte. Rex Corda preßte die Lippen zusammen und starrte dann auf das grandiose Bild in den Holografen. „Damit dürfte sicher sein, daß keiner der Wissenschaftler von Swamp überlebte", meinte Rex Corda. „Sagen Sie das nicht", antwortete in diesem Augenblick Latak Decimo. Er
deutete auf die starken Energietaster, die an Bord des Wachbootes normalerweise zum Orten des Energieumsatzes von grünhäutigen Orathonen verwendet wurden. Mit diesen Geräten war es den Laktonen möglich, ihre Feinde auch dann aufzuspüren, wenn sie sich versteckt hatten. „Orathonen?" fragte Rex Corda und wurde blaß. Latak Decimo hob die Schultern. „Ich glaube nicht, daß sich in diesem System Orathonen aufhalten, dafür liegt es zu weit entfernt von den normalen Kampfräumen." „Aber die Energietaster sprechen doch nur auf orathonische Impulse an." „Ich weiß es nicht", sagte Latak Decimo. „Manchmal haben wir festgestellt, daß die Energietaster dadurch gestört wurden, daß Orathonen mit anderen Lebewesen zusammen waren. Vielleicht handelt es sich hierbei um ein neues Phänomen, das wir noch nicht kennen." Die Energietaster wiesen eindeutig nach, daß auf dem Mond von Swamp Leben existierte. „Wollen wir trotzdem auf dem Swamp-Mond landen?" fragte Rex Corda besorgt. Fan Kar Kont hob die Schultern. Dann nickte er langsam. „Ich persönlich ziehe es vor, einer kleinen Gruppe von Orathonen in die Hände zu fallen. Mit denen können wir eher fertig werden als mit den Superwaffen an Bord des Trakon-Kreuzers." „Optimist!" murmelte Rex Corda. Sein Blick glitt wie zufällig über den noch immer deutlich sichtbaren Körper, der sich ungewöhnlich schnell der Corocon III näherte. Plötzlich ruckte Rex Corda nach vorn. Er starrte auf die Holografen und hob die Brauen. Der Körper, den die Wissenschaftler von Teckan für einen
losgesprengten Gesteinsbrocken gehalten hatten, war — ein Mensch. Rex Corda stieß einen überraschten Pfiff aus. „Sehen Sie sich das an!" rief er hastig. Die Wissenschaftler in der Zentrale beugten sich zu den Holografen hinüber. Fan Kar Kont hantierte an der Feineinstellung. Dann gab es keinen Zweifel mehr. Mit hoher Geschwindigkeit jagte der Körper eines Menschen auf die Corocon III zu. „Einer der Wissenschaftler!" kommentierte Latak Decimo. Rex Corda schüttelte zweifelnd den Kopf. „Das glaube ich nicht. Er trägt keine der normalen Kombinationen." „Wie wollen Sie das auf diese Entfernung feststellen?" Rex Corda lachte: „Sehen Sie doch selbst." Jetzt war der treibende menschliche Körper bereits so nahe gekommen, daß deutlich zu erkennen war, was er anhatte. Das plastische Bild in den Holografen ließ keinen Zweifel daran, daß es sich tatsächlich um den Körper eines menschlichen Lebewesens handelte. „Ich wäre sehr daran interessiert, diesen Körper zu untersuchen", meinte Fan Kar Kont. „Vielleicht finden wir ein paar Anhaltspunkte, die uns weiterhelfen. Wir haben auf Swamp nur die Veränderten entdeckt; wenn es sich hier um einen Wissenschaftler handelt, kommen wir vielleicht weiter. Eventuell gelingt es uns sogar, das Rätsel von Swamp zu lösen." „Haben wir noch Zeit vor der Landung, den Körper zu bergen?" fragte Rex Corda. In diesem Augenblick kam ächzend John Haick in den Raum. Er war über die letzten Ereignisse nicht informiert. Trotzdem verhielt er sich ruhig. Er stellte sich neben Rex Corda und betrachtete den im All treibenden Körper.
Er war jetzt so deutlich zu sehen, daß John Haick ein kurzes Knurren ausstieß. „Sieht fast so aus wie der Bursche, der mir damals auf der Erde die ersten Schritte in das Gebiet der Atom-Physik beibrachte." „Wollen Sie behaupten, daß dieser Mann von der Erde stammt?" fragte Fan Kar Kont. „Ich behaupte überhaupt nichts. Ich habe nur einen Vergleich angestellt." „Anscheinend geht es dir wieder recht gut", lästerte Rex Corda. John Haick hob die Schultern. „Was ich am meisten an den Laktonen bewundere, sind ihre fortgeschrittenen Methoden zur Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen." Auch Ierra Kretan war inzwischen in der Zentrale erschienen. Die junge Mathematikerin warf John Haick einen bissigen Blick zu. „Immerhin ist unsere Zivilisation etwas weiter fortgeschritten als Ihre", sagte sie. „Zugegeben", mischte sich Rex Corda ein, „wir haben keine Reeling Guns, und wir sind noch nicht in der Lage, mit einem einzigen Energiestoß einen Planeten in Staub und Asche zu verwandeln. In dieser Beziehung sind Sie uns tatsächlich ziemlich weit voraus." Die schwarzhaarige Mathematikerin blickte Rex Corda mit einem merkwürdigen Blick an. Sie spielte mit dem kirschroten Ring an ihrer linken Hand, der aus einem fremden, Rex Corda nicht bekannten Material bestand. Sie trug eine lange schwarze Hose und eine bronzefarben schimmernde Bluse aus einem metallischen Gewebe. Rex Corda mußte zugeben, daß Ierra Kretan ausgesprochen attraktiv wirkte. Leider war es während ihrer Bekanntschaft immer nur zu bissigen Randbemerkungen gekommen. Ierra Kretan reagierte genauso wie
alle anderen Laktonen auf die Existenz der Terraner. Für sie waren Rex Corda und John Haick halbzivilisierte Primitive von einem winzigen, unbekannten Planeten irgendwo am Rande der Galaxis. Die Corocon III war jetzt nur noch achtzig Kilometer über der Atmosphäre des Swamp-Mondes. Da ergriff Fan Kar Kont die Initiative. Er gab den Befehl, einen Bedienungs-Robot der BA-3Klasse mit einem kleinen Raketentriebwerk zu versehen und auszuschleusen. Über Funk nahm Fan Kar Kont Kontakt mit dem BA-3-Robot auf. Über die Holografen konnten die Besatzungsmitglieder in der Zentrale der Corocon III den Einsatz des Roboters verfolgen. Er strebte auf einem weißblauen Strahl direkt auf den Körper des unbekannten Toten zu. Kurz darauf hatte er ihn erreicht. Er nahm ihn in seine Arme und kehrte um. Der Tote trug nicht einmal einen Raumanzug. Wenige Minuten später war der unbekannte Tote an Bord der Corocon III. Fan Kar Kont übergab Latak Decimo die Kontrollen des Wachbootes. Während sich die Corocon III auf die Oberfläche des Mondes von Swamp senkte, verließ Fan Kar Kont zusammen mit Rex Corda und Ierra Kretan die Zentrale. Hent Marat schloß sich an, da er als Bio-Chemiker ebenfalls ein Interesse an der Untersuchung des Toten hatte. Sie fanden ihn in den unteren Räumen der Corocon III. Als Latak Decimo das Wachboot in die weiche, nachgiebige Oberfläche des Swamp-Mondes einsinken ließ, erreichten die Männer den Toten aus dem All. Der füllige Bio-Chemiker beugte sich über den Unbekannten. „Er sieht so aus wie ein verhungerter Terraner", meinte er.
„Kein Wunder bei dem, was uns Orathonen und Laktonen auf Terra zurückgelassen haben", konterte Rex Corda. Der Fremde trug ein prunkvolles violettes Gewand, das an den Schultern mit Edelsteinen besetzt war. Eine eisige Kälte ging von ihm aus. Er war schwarzhaarig und besaß hochstehende Jochbeine und eine leicht gebogene Nase. Für das ausgemergelte Gesicht hatte er einen ungewöhnlich kräftigen, breitschultrigen Körper. Arme und Beine des Toten waren verdreht. Sein Oberkörper war etwas nach vorn gebeugt. Er war vollkommen steif und kalt. Rex Corda berührte die Handflächen des Toten. Sie fühlten sich hart wie Stein an. „Ich verstehe nicht, warum dieser Mann keinen Raumanzug trägt", meinte Ierra Kretan. „Wahrscheinlich paßte ihm keiner", antwortete Hent Marat respektlos und deutete auf die ungewöhnlich breiten Schultern. Es war ein bizarres, groteskes Bild. Sie konnten den Körper des Toten nicht gerade hinlegen. Er war in der Stellung erstarrt, in der er in den kalten, luftleeren Raum gelangt war. „Mich wundert, daß er keinerlei äußerliche Verletzungen auf weist", meinte Rex Corda. „Wir wissen nicht, welche Katastrophe zum Tod dieses Mannes geführt hat. Wahrscheinlich gehört er zu den Wissenschaftlern von Swamp, die vor den Ergebnissen ihrer Experimente fliehen mußten." „Ist es nicht anzunehmen, daß die Fliehenden Raumanzüge trugen?" fragte Rex Corda. Hent Marat schüttelte den Kopf. „Sind Sie schon einmal vor einem Monster davongelaufen?" „Das letzte Mal während der Erkun-
dung auf Swamp", gab Rex Corda zurück. Hent Marat nickte. „Sehen Sie. Ich glaube nicht, daß Sie viel Zeit gehabt hätten, sich noch zusätzlich einen Raumanzug anzuziehen." Rex Corda mußte zugeben, daß der Bio-Chemiker recht hatte. Bei einer Flucht konnte man nur das mitnehmen, was am nächsten war. „Was machen wir jetzt mit ihm?," fragte Rex Corda. „Wir haben während des Fluges zur Erde noch Zeit genug, uns näher mit dem Toten zu befassen. Ich schlage vor, daß wir ihn jetzt in eine Kühlkammer bringen." „In den Kühlkammern befinden sich Lebensmittel und Konserven." „Aber nicht so viel, daß wir sie nicht ausräumen könnten", entgegnete Hent Marat. Es gab an Bord der Corocon III mehrere Räume, die der Lagerung von Frischnahrung dienten. Die Corocon III war ein ehemaliges laktonisches Wachboot, daher existierten auch noch mehrere Kühlkammern, in denen es genügend Platz für die Aufnahme des Toten gab. Rex Corda fröstelte bei dem Gedanken, daß er in Zukunft Nahrungsmittel zu sich nehmen mußte, die in der Nähe eines Toten gelagert wurden. Dann versuchte er, nüchtern zu denken. Er hatte sich daran gewöhnt, daß die Laktonen ihre Toten anders behandelten als die Terraner. Natürlich trauerten auch die Laktonen um ihre Toten. Trotzdem hatten sie ein anderes Verhältnis zum Tod. Durch den mehr als fünftausend Jahre währenden Krieg war ihr Verhältnis zum Tod einfacher und unkomplizierter geworden. Sie wußten, daß es sie jederzeit treffen konnte, und sie hatten sich an diesen Gedanken gewöhnt. Gemeinsam brachten die Männer den
unbekannten Toten in eine Kühlkammer. Während Ierra Kretan und Fan Kar Kont die Kühlkammer ausräumten, betrachtete Rex Corda das Gesicht des Fremden. Irgend etwas an diesem Gesicht faszinierte ihn. Er konnte nicht sagen, was es war. Aber dann hatte er plötzlich eine Idee. Er versuchte, zwischen den kaum geöffneten Lippen die Zähne des Fremden zu erkennen. Es war nur ein winziger Streifen, der sichtbar wurde, aber er sagte Rex Corda genug. Der Tote hatte keine roten Zähne ... Schnell untersuchte Rex Corda die Taschen an der Innenseite des farbigen Umhangs. Dann zog er triumphierend eine Identitätskarte hervor. Gleichzeitig biß er die Zähne zusammen. Er schlug den an mehreren Stellen verkohlten Paß auf und blätterte vorsichtig die ersten Seiten um. Dann las er, daß der Name des Toten Scott Cloud war. Hunderte von Lichtjahren entfernt hatten sie die Leiche eines Mannes geborgen, der aus dem Norden Amerikas stammte. Wortlos steckte Rex Corda den Paß von Scott Cloud ein. Er nahm sich vor. sich um die Angehörigen dieses Mannes zu kümmern. Er gehörte zu den Unglücklichen, die während der Invasion von den Laktonen in die Tiefen des Raumes entführt worden waren. Plötzlich haßte Rex Corda die Laktonen und die Orathonen. Eine Welle der Verbitterung überschwemmte ihn. Er wußte, daß es ungerecht war, aber er konnte nichts dagegen tun, daß er wie ein Mensch der Erde empfand. Er gehörte zu Terra und wehrte sich nicht gegen das Gefühl der Solidarität mit diesem unschuldigen Opfer des großen galaktischen Krieges. Schweigend blickte er auf die geschlossenen Augen des Toten. Dieser Mann hatte wahrscheinlich niemals dar-
an gedacht, daß sein Leben auf einem unbekannten Planeten enden würde. Vielleicht hatte Scott Cloud sogar eine Familie gehabt — eine Frau, die ihm morgens lauwarmen Kaffee vorsetzte und erzählte, daß die Kinder neue Schuhe brauchten, während er seine Zeitung las. Plötzlich sehnte sich Rex Corda danach, die Erde wiederzusehen. Er dachte an die grünen Hügel und die großen schillernden Regenbogenforellen, die es in den Gebirgsflüssen gab. Seit der Invasion hatte Rex Corda so gut wie überhaupt kein Privatleben mehr gehabt. Er dachte an sein zerstörtes Haus in Atlantic City und an seine Geschwister Kim und Velda. Wie lange war es her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Seine Lippen zuckten kaum merklich, als er an Will Rimson und seinen Schäferhund Nukleon dachte. Es waren nur Bruchstücke und kurze Gedanken. In diesem Augenblick wurde dem Präsidenten der Erde bewußt, warum er jetzt mit den Angehörigen einer fremden Rasse weit entfernt von der Erde in einem Raumschiff saß: Er liebte diesen Planeten am Rande der Galaxis mehr als alles andere. Er liebte das Leben in den Städten und die grünen Hügel. Und er liebte seine Menschen. Rex Corda holte tief Luft. Er fühlte sich verantwortlich für die Erde und ihre Bewohner. Gerade weil er jetzt feststellte, daß er selbst die Fähigkeit, menschlich zu fühlen und zu empfinden, nicht verloren hatte, war ihm die Erfüllung seiner Aufgabe noch wichtiger geworden. Die schweren, ungewöhnlich dicken Schotts der Kühlkammer schlossen sich mit einem dumpfen, schmatzenden Geräusch. Fan Kar Kont verriegelte das elektronische Schloß. Dann wandte er sich
an Rex Corda. „Hoffentlich hat Latak Decimo die Corocon III an einem Platz gelandet, an dem wir ungestört die nötigen Reparaturen vornehmen können." Rex Corda nickte abwesend. Dann riß er sich von den Gedanken an den toten Terraner los und folgte Fan Kar Kont in die Zentrale. Es gab noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Rex Corda wußte genau, daß er und die von Teckan geflüchteten Wissenschaftler unter Zeitdruck standen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Männer an Bord des laktonischen Trakon-Kreuzers sich auch für den einzigen Mond des Planeten interessierten. Bis dahin mußten die notwendigen Reparaturen ausgeführt sein. Niemand konnte in diesem Augenblick sagen, ob sie es rechtzeitig schaffen würden oder nicht. * Munnt Tryvvan war wütend. Nicht die geringste Spur der laktonischen Wissenschaftler auf Swamp war gefunden worden. Es gab einfach niemand mehr, den Tryvvan an Bord des Trakon-Kreuzers nehmen konnte. Die plötzliche Explosion der unterirdischen Forschungslabors machten ihn nur noch wütender. Er fauchte seinen Chef-Funker immer ärgerlicher an, während der TrakonKreuzer in der rötlichen Atmosphäre von Swamp um den dicken Pilz der Atomexplosion kreiste. Das mehr als zweitausend Meter lange Raumschiff besaß einen Sonderauftrag. Munnt Tryvvan wußte, was ihn erwartete, wenn er diesen Auftrag nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erledigte. Mit akribischer Genauigkeit wurden alle Einzelheiten des Planeten Swamp registriert und gespeichert. Jeder Fuß-
breit Boden war von den Ortungsgeräten des laktonischen Schlachtschiffes untersucht worden. Aber nicht ein einziger Wissenschaftler von Swamp war entdeckt worden. Ärgerlich wandte sich Munnt Tryvvan an Tellek Perco. „Sagten Sie nicht, daß Sie die Labors untersucht haben?" „Richtig," antwortete Tellek Perco respektlos. „Na, und — was ist das dort? Wie konnte es zu einer derartigen Explosion kommen? Ich will es Ihnen sagen, Perco. Sie haben die Labors nicht gründlich untersucht!" „Aber es gab keine Räume mehr, die wir noch hätten untersuchen können." „Unsinn! Von selbst entsteht keine derartige Kettenreaktion. Das sollten Sie selbst wissen, Perco." Der Chef-Funker des Trakon-Kreuzers schürzte die Lippen. Dann zeigte er seine rötlichen Zähne und entgegnete: „Wenn wir hier auf Swamp nicht die geringste Spur der vermißten Wissenschaftler gefunden haben, gibt es eigentlich nur noch eine Möglichkeit." Er deutete nach oben. Munnt Tryvvan runzelte die Brauen. „Sie meinen den Mond?" Perco nickte. „Warum sollten sie dorthin geflohen sein? Auf diesem verflixten Planeten gibt es genügend Orte, an denen sich die Wissenschaftler verstecken konnten." „Vielleicht war ihnen das nicht sicher genug. Vielleicht wußten sie, daß diese Explosion kommen mußte." Munnt Tryvvan starrte nachdenklich auf die Kontrollgeräte. Er drehte sich zu einem seiner Adjutanten um. „Wann sind Sie hier fertig?" „In spätestens zwei Stunden." „Gut. Nehmen Sie alles auf, was noch registriert werden muß. Dann
sehen wir uns den Mond an. Was ist übrigens mit den Projektionen dieses Raumschiffes geworden?" Tellek Perco hob die Schultern. „Ich verstehe es nicht ganz", sagte er. „Wir haben in der Schlucht Abdrücke eines Raumschiffes gefunden." „Na und? Wo ist das Raumschiff?" „Ich habe keins gesehen. Es existiert nicht", antwortete der Chef-Funker überzeugt. „Wir werden sehen", entgegnete Munnt Tryvvan. Er war plötzlich mißtrauisch geworden. Die Ereignisse auf Swamp gefielen ihm nicht. * Die Reparaturarbeiten waren nahezu abgeschlossen. Nur noch geringfügige Veränderungen an der Energieverteilung innerhalb der Corocon III mußten vorgenommen werden. Der Organisationstechniker Bir Osgo hatte die Leitung der Reparaturarbeiten übernommen. Überall tauchte der kleine Laktone mit der elektronischen Brille auf und half zäh und verbissen mit. Die Wissenschaftler achteten kaum auf Bir Osgo. Bis auf die Besatzungsmitglieder, die während der Notbremsung von Fan Kar Kont Knochenbrüche davongetragen hatten, gab es keine Verletzten mehr. Im großen Aufenthaltsraum sammelten sich allmählich die Wissenschaftler, die ihre Reparaturen erledigt hatten. Nach und nach kamen alle zusammen. Rex Corda saß in einem Pneumosessei und löffelte eine Art Corned beef mit kleinen dreieckigen Eiern und Gewürzfrüchten, die wie Pampelmusen schmeckten. Latak Decimo nannte das ganze Tamago-Shinkan. Rex Corda mußte zugeben, daß die Laktonen ausgezeichnete Speisen zube-
reiten konnten — wenn sie wollten. Vieles von dem, was Rex Corda in der vergangenen Zeit gegessen hatte, war allerdings für seinen Geschmack nicht besonders appetitlich gewesen. In der Zwischenzeit hatten sich Rex Corda und John Haick daran gewöhnt, möglichst nicht danach zu fragen, woraus diese Speisen bestanden . . . „Glauben Sie nicht, daß der TrakonKreuzer uns orten kann, falls er von Swamp aus zum Mond aufbricht?" fragte Rex Corda kauend. Latak Decimo hob die Schultern, „Natürlich ist das möglich. Die Masse der Corocon III ist zu groß, um nicht geortet zu werden. Allerdings hoffe ich, daß der Trakon-Kreuzer noch eine Weile auf Swamp bleibt." „Haben Sie festgestellt, woher die Impulse für die Energietaster herkamen?" „Wir haben eine fliegende Sonde ausgeschickt." Rex Corda nickte. Er kannte diese Art von Sonden. Sie waren klein und enthielten neben einem Energietaster eine Übertragungskamera für die Holografen. Sobald die Sonde feststellte, woher die Impulse kamen, würde man es oben in der Zentrale registrieren. In ihrer gegenwärtigen Position konnte die Corocon III nichts von der Oberfläche des Swamp-Mondes aufnehmen. Sie hing in dem zum Mittelpunkt hin immer dichter werdenden schwammigen Gewebe, das mindestens ein Drittel der gesamten Mondmasse ausmachte. Obwohl der Mond auf den ersten Blick gesehen halb so groß wie Swamp war, mußte das eine Täuschung sein. Die Wissenschaftler hatten festgestellt, daß der feste Kern des Mondes höchstens ein Sechstel des dazugehörigen Planeten betrug. Der Rest bestand aus einem lockeren, blasigen Gewebe. Die Röhre, die die Corocon III bei
ihrer Landung innerhalb dieses Gewebes hinterlassen hatte, war in weniger als fünf Minuten wieder geschlossen. Das Gewebe des Mondes reagierte organisch. Da meldete sich Fan Kar Kont aus der Zentrale. Der Chef-Wissenschaftler gab die Nachricht an Rex Corda und Latak Decimo durch, daß die Sonde die Impulse lokalisiert hätte. „Wissen Sie schon, was es ist?" fragte Latak Decimo, nachdem er aufgestanden war. Das Gesicht von Fan Kar Kont bewegte sich auf dem Übertragungsschirm nicht. „Wir wissen, daß es sich um mindestens ein menschliches Lebewesen handelt.'' „Orathonen?" fragte Latak Decimo hastig. Fan Kar Kont hob die Schultern. „Es ist möglich." „Wie soll ein einzelner Orathone auf den Mond von Swamp kommen? Was besagen die Meßergebnisse?" „Es ist keinerlei Metall geortet worden." „Kein Metall?" fragte Rex Corda verblüfft und fuhr hoch. Fan Kar Kont bestätigte es. Plötzlich hatte Rex Corda keine Lust mehr weiterzuessen. Er nickte John Haick zu. Dann lief er zusammen mit Latak Decimo zum nächsten Antigravschacht. Gemeinsam betraten sie die Zentrale der Corocon III. Jetzt konnten sie sich selbst davon überzeugen, welche Ergebnisse der Flug der Meßsonde gebracht hatte. „Das bedeutet, daß mindestens ein lebendes Wesen in der schwammigen Oberfläche des Mondes steckt", stellte Rex Corda fest. Fan Kar Kont nickte. „Wenn wir es uns leisten konnten, einen Toten aus dem AU zu bergen, dann ist es unsere Pflicht, uns auch um dieses Lebewesen zu kümmern", sagte Rex
Corda. * „Die Reparaturen sind soweit abgeschlossen, daß wir in fünf Minuten starten können", entgegnete Fan Kar Kont. Rex Corda kaute auf seiner Unterlippe. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Wir werden nicht eher starten, bis wir genau wissen, ob unsere Hilfe nicht noch gebraucht wird." Fan Kar Kont blickte Rex Corda merkwürdig an. Dann verzog ein kleines, kaum spürbares Lächeln die Streifen auf seinem Gesicht. Jetzt wußte Rex Corda, daß der ChefWissenschaftler von Teckan mit seinem Vorschlag einverstanden war. „Schicken wir einen Ba-3-Robot?" fragte er. Fan Kar Kont schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Wir müssen mit der Corocon aufsteigen und dann direkt neben der Quelle der Impulse landen. Ba-3-Robots kommen in dem Schwammgewebe nicht weiter." „Also gut", sagte Rex Corda, „starten wir." Fan Kar Kont und Latak Decimo waren einverstanden. Über die Sprechanlage wurde bekanntgegeben, daß die Corocon III startete. Die Wissenschaftler unterbrachen ihr Mahl und gingen zu den ihnen zugewiesenen Positionen. Die Aggregate liefen an. Dann erbebte der plumpe Rumpf des Wachbootes und hob sich unendlich langsam aus dem schwammigen Gewebe des Mondes. Fan Kar Kont ließ die Corocon III nur fünfhundert Meter über die Oberfläche steigen. Dann legte er sie zur Seite und steuerte auf die Quelle der Impulse zu. Er wußte genau, daß etwas
mit den gemessenen Werten nicht stimmte. Der Energieumsatz entsprach zwar fast genau dem eines Orathonen, aber trotzdem gab es noch ein paar Kleinigkeiten, die nicht in das allgemeine Bild paßten. Langsam senkte sich die Corocon III direkt neben der Impulsquelle in die Oberfläche zurück. Zur Vorsicht schaltete Fan Kar Kont den Antrieb sofort aus und ließ das Wachboot durch seine eigene Schwere immer tiefer sinken. Rex Corda und Latak Decimo blickten gespannt auf die Kontrollskalen. In den nächsten Minuten mußte sich herausstellen, woher die Impulse kamen. Dann blickten sich Decimo und Corda gleichzeitig an. Sie hatten den gleichen Gedanken gehabt. Latak Decimo lächelte. „Diesmal lasse ich Ihnen nicht den Vortritt." „Also gut — gehen wir zusammen hinaus." Latak Decimo war einverstanden. Sie verließen die Zentrale und schlüpften in ihre Raumanzüge. Dann stampften sie mit den schweren Schuhen zur Schleuse und nahmen zur Vorsicht Magnet-Smashs und Reeling Guns mit. Sie überprüften alle Einzelheiten ihrer Ausrüstung. Dann öffneten sie mit vereinter Kraft die Außenschleuse der Corocon III. Es war völlig dunkel um sie herum. Latak Decimo schaltete einen Handscheinwerfer ein. Der breit gefächerte Lichtstrahl beleuchtete einen grüngelb schimmernden Hohlraum. Er war fast sechs Meter hoch und kugelrund. Decimo blickte auf seinen kleinen Energietaster, den er am linken Handgelenk trug. „Dort drüben muß es sein", meinte er. Sie sprangen aus der Luftschleuse und landeten federnd auf dem weichen
Boden der Blase. Der Gedanke an ein Käse-Luftloch wurde immer stärker in Rex Corda. Der Vergleich drängte sich einfach auf. Allerdings hätte Rex Corda kein Interesse gehabt, von diesem Käse etwas zu probieren. Das schwammige Gewebe hatte eine grünlichgraue Farbe. Blauweiße Flächen bedeckten die Wände wie Schimmel. Es war nicht einfach, sich innerhalb der Blase fortzubewegen. Rex Corda keuchte. Immer wieder rutschten er und Latak Decimo von der glatten runden Fläche ab. Mit ihren Füßen sanken sie in das weiche, schwammige Gewebe ein. Sie nahmen an, daß sie am besten in halber Höhe die Verbindungswände durchstoßen konnten, um in die nächste Blase zu kommen. Latak Decimo orientierte sich nur nach seinem Energietaster. Vorsichtig schnitt er ein breites Stück in Kopfhöhe aus dem Gewebe. Es war fast sechzig Zentimeter dick. Dann richtete er den Strahl seines Handscheinwerfers in den nächsten Hohlraum. Er war etwas kleiner als der, in dem sich Corda und er befanden. Mühevoll kletterte Latak Decimo an der schwammigen gewölbten Wand nach oben. Immer wieder sank er ein. Corda unterstützte ihn und schob ihn schließlich bis zur Öffnung hinauf. Latak Decimo kroch durch das entstandene Loch und ließ sich fallen. Rex Corda hörte über die Außenmi-, krofone seines Raumanzuges ein schabendes Rutschen. Dann war Latak Decimo verschwunden. ..Alles okay?" fragte Rex Corda. Ein paar unverständliche Laute kamen aus der zweiten Höhle. Der Synoptiker murmelte ein paar laktonische Flüche vor sich hin. Rex Corda lächelte. Er versuchte, ebenfalls das Loch zu erreichen. Dann
sah er die ausgestreckten Hände von Latak Decimo. Er zog sich keuchend an der schwammigen Wand nach oben. Dann rutschte er durch das Loch. Jetzt wußte er, warum Latak Decimo geflucht hatte. Er überschlug sich und landete mit einem kurzen Schwung auf dem Boden des zweiten Hohlraums. Er federte und wirkte wie ein Trampolin. "Verrücktes Spiel!" knurrte Rex Corda. Latak Decimo lachte. „Das ist tatsächlich nichts anderes als ein riesiger Schwamm", meinte er. Gemeinsam arbeiteten sie sich weiter vor. Die Ausschläge an Latak Decimos Energietaster wurden immer stärker. Keuchend und fluchend schnitten sie immer neue Stücke aus der schwammigen Wand und gelangten so in neue, kleinere Hohlräume. Dann verharrte Latak Decimo plötzlich und deutete auf seinen Energietaster. Der Anschlag war ungewöhnlich stark. Latak Decimo nickte Rex Corda zu. Höchstens eine einzige Schwammwand konnte sie noch von ihrem Ziel trennen. Latak Decimo deutete auf die Reeling Gun in Rex Cordas Hand. Er nickte ihm zu. Rex Corda verstand. Er entsicherte die Waffe und zog sich etwas zurück. Vorsichtig begann Latak Decimo, ein kreisrundes Stück aus der Schwammwand zu schneiden. Es schwebte langsam auf den Boden der Blase, in der sie sich befanden. Dann sprang Latak Decimo zur Seite. Sekundenlang wartete er angespannt auf eine Reaktion der vermuteten Orathonen. Aber die Reaktion erfolgte nicht... Die beiden Männer sahen sich in die Augen. Im Licht von Lataks Scheinwerfer hockten sie in der schwammigen Blase und warteten. Dann kroch Latak Decimo unendlich behutsam auf die entstandene Öffnung
zu. Er ließ seinen Scheinwerferstrahl über die gegenüberliegende Wand der neuen, wesentlich größeren Höhlung gleiten. Zuerst glaubte er, nicht richtig zu sehen. Dann verschwand er mit katzenhafter Behendigkeit durch das Loch, das er in die Wandung geschnitten hatte. Rex Corda blieb stirnrunzelnd zurück. Er hörte ein paar undefinierbare Geräusche. Dann rief Latak Decimo über die Sprechverbindung ihrer Raumanzüge: „Keine Orathonen — aber zwei Mädchen von Vlotho." Rex Corda verstand ihn nicht. Er hatte noch nie von einem Planeten namens Vlotho gehört. Rex Corda kroch zu Latak Decimo. Dann sah er die beiden. Latak Decimo beleuchtete die Gesichter von zwei blonden Mädchen, die engumschlungen auf dem Boden der großen Blase hockten. Die Gesichter waren zart und blaß. Die beiden Mädchen bewegten sich nicht. Latak Decimo untersuchte sie so schnell wie möglich. Dann gab er Rex Corda ein Zeichen. „Sie leben noch! Aber nicht mehr lange, wenn wir uns nicht beeilen." Jetzt begriff auch Rex Corda. Er kletterte zu Latak Decimo. Dann rutschte er plötzlich auf einem weichen, glitschigen Gegenstand aus, den er in den anderen Höhlungen nicht gesehen hatte. Er richtete seinen eigenen Scheinwerfer auf den Boden der Blase. Dann fuhr er entsetzt zurück. Die dicke, ekelhafte Raupe bewegte sich nicht. Rex Corda hatte mit den Stiefeln seines Raumanzuges ihr Hinterteil zerquetscht. Für Sekundenbruchteile mußte Rex Corda die Zähne zusammenbeißen. Der Synoptiker richtete die beiden Mädchen auf und versuchte, sie auf die
Schulter zu nehmen. Sie waren ungewöhnlich leicht. Doch Latak Decimo konnte beide Mädchen nicht gleichzeitig tragen. Er reichte Rex Corda einen der leblos wirkenden Körper und nahm sich des anderen an. Gemeinsam schoben sie die Körper durch die von Latak Decimo geschnittene Öffnung in der Blasenwand. Zurück blieb nur eine total verschossene Reeling Gun und eine kleine Ansammlung unbrauchbarer Gegenstände, die ohne Zweifel laktonischer Herkunft waren ... Es dauerte fast zehn Minuten, bis Rex Corda und Latak Decimo die beiden Mädchen in Sicherheit gebracht hatten. Von der Corocon III aus kam ihnen Hilfe entgegen. Über Funk hatte Rex Corda sie angefordert. Es war John Haick, der ihnen an der Schleuse der Corocon III die beiden Mädchen abnahm und sofort in die medizinische Abteilung brachte. Hier hatte Hent Marat alles Nötige vorbereitet. Während sich Rex Corda und Latak Decimo ihrer Raumanzüge entledigten, kümmerte sich der Bio-Chemiker um die beiden geretteten Mädchen. Rex Corda hängte seinen Raumanzug in die vorgesehene Halterung. Dann wandte er sich an Latak Decimo. „Also keine Orathonen", meinte er. Latak Decimo schüttelte den Kopf. „Nach meiner Meinung stammen sie von einem Planeten namens Vlotho. Er liegt ziemlich weit vom Zentrum des laktonischen Reiches entfernt. Die Mädchen von Vlotho werden sehr oft als wissenschaftliche Assistentinnen eingesetzt. Sie besitzen ein nahezu einmaliges Organisationstalent." „Stammt Bir Osgo auch von Vlotho?" fragte Rex Corda mit leichter Ironie. Latak Decimo schüttelte den
Kopf. „Die Bewohner von Vlotho sind ausnahmslos blond. Das ist nicht sehr häufig innerhalb des laktonischen Reiches." „Okay", nickte Rex Corda. „Sie müssen mir bei Gelegenheit mehr davon erzählen. Jetzt bin ich dafür, daß wir so schnell wie möglich starten." Er nahm mit Fan Kar Kont Verbindung auf. Der Chef-Wissenschaftler von Teckan hatte alles bereits vorbereitet. Die Corocon III war startklar. Während Latak Decimo und Rex Corda über die Antigravschächte zur Zentrale hinaufschwebten, ließ Fan Kar Kont die Aggregate anlaufen. Das plumpe, hundertfünfzig Meter lange Wachboot erzitterte. Dann erreichten Decimo und Corda die Zentrale. Sie warfen sich in zwei Prieumosessel und nickten Fan Kar Kont zu. Der Fan-Geborene drückte auf die Startknöpfe. Gewaltige Computer hatten bereits den Kurs für die nächsten Flugabschnitte errechnet. Dröhnend begannen die riesigen Schubdüsen zu arbeiten. Die Corocon III fraß sich auf einem breiten Flammenstrahl durch die schwammige Oberfläche des Mondes. Sie erreichte die Oberfläche. Dann stieß sie mit der höchsten Beschleunigungsrate in die Dunkelheit des Alls vor. Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich der Mond in einen kleinen, kaum sichtbaren Punkt. Auch Swamp und die dort noch immer suchenden Laktonen blieben zurück. Die Corocon III schoß auf einer hyperbelförmigen Bahn an der roten Riesensonne des Swamp-Systems vorbei. * Der weißhaarige Bio-Chemiker blickte mit einem verträumten Lächeln auf die beiden geretteten Mädchen. Mit ih-
ren schlanken, grazilen Körpern wirkten sie wie Halbwüchsige. Hent Marat dachte daran, daß er selbst gegen die Bewohner von Vlotho wie ein tolpatschiger Riese wirkte. Lächelnd überprüfte er die Kontrollgeräte, an die er die beiden Mädchen angeschlossen hatte. Sie lagen unter einem durchsichtigen Sauerstoffzelt. Hent Marat hatte darauf verzichtet, die Herzschrittmacher einzuschalten. Die Mädchen waren zäh. Sie sahen zerbrechlicher aus, als sie in Wirklichkeit waren. Hent Marat kontrollierte Puls und Atmung der beiden Geretteten und wunderte sich immer wieder über die Ähnlichkeit im Gesichtsausdruck der beiden besinnungslosen Mädchen. Er wußte, daß sie noch einige Zeit brauchten, um wieder aufzuwachen. Hent Marat war der Meinung, daß er gute Arbeit geleistet hatte. Er wollte sich selbst belohnen und einen Schluck scharfen laktonischen Wein trinken. Er beauftragte einen Bedienungs-Robot der Ba-3-Klasse, die Überwachung der medizinischen Geräte zu übernehmen. Dann verließ er die medizinische Abteilung der Corocon III und marschierte mit stampfenden Schritten über einen Verbindungsgang. Im Vorgefühl auf den Geschmack des scharfen Weines leckte er sich über seine Lippen. Er lächelte still vor sich hin. Als er die Kühlkammern mit den eingelagerten Vorräten erreichte, verharrte er vor dem Schott, hinter dem der aus dem Raum geborgene Tote lag. Der Fall interessierte ihn. Als sie den Toten in die Corocon III holten, hatte Hent Marat sofort daran gedacht, ein paar Versuche mit dem Körper des Mannes anzustellen. Es war nicht ausgeschlossen, daß er wieder zum Leben erweckt werden konnte. Die laktonische Wissenschaft war
sehr weit fortgeschritten. Für Hent Marat war ein menschli-. ches Lebewesen erst dann tot, wenn das Gehirn anfing, sich zu zersetzen. Dieser Mann hatte im Raum getrieben und wies keinerlei äußerliche Verletzungen auf. Es gelang äußerst selten, einen durch Kälteschock erstarrten Menschen wiederzubeleben. Trotzdem war Hent Marat der Meinung, daß er es versuchen sollte. Entschlossen öffnete er das Verbindungsschott zur Kühlkammer, in der der Tote lag. Er schaltete das Licht ein. Dann beugte er sich über den bewegungslos in der Kühlkammer liegenden Mann. Er war ohne Zweifel tot. Trotzdem glaubte Hent Marat, daß er unter sehr günstigen Umständen den Toten wiedererwecken konnte. Nach seiner Meinung war der Körper des Mannes schockartig eingefroren. Bei den im Raum herrschenden Temperaturen war ein Zerfall des Gehirns nicht möglich. Kurz entschlossen bückte sich Hent Marat und schaltete die Geräte für die stufenweise Enteisung von Konserven ein. Zufrieden lächelnd verließ er die Kühlkammer. * Fan Kar Kont ruckte nach vorn. Er stieß ein kurzes Knurren aus. Rex Corda, Latak Decimo und John Haick blickten auf. Dann hörten sie es... Hastig versuchte Fan Kar Kont, die Störung zu beseitigen. Er schaffte es nicht. Die Antriebsaggregate der Corocon III stotterten. Sie arbeiteten unregelmäßig. Dann setzten sie völlig aus. Die plötzlich eintretende Stille wirkte wie ein Schock. Rex Corda sprang auf. Er lief zu Fan
Kar Kont hinüber und blickte schweigend auf die Meßgeräte. Im gleichen Augenblick flackerten die großen Beleuchtungselemente in der Zentrale der Corocon III. Das Licht wurde schwächer. „Was ist passiert?" „Ich weiß es nicht." Latak Decimo preßte die Lippen zusammen und beugte sich ebenfalls über die Kontrollen. Die bunten Lichter auf dem breiten Kontrollpaneel flackerten und verlöschten. Reihenweise leuchteten Alarmlampen auf. Das Licht innerhalb der Zentrale wurde immer schwächer. Schließlich war es nur noch ein mattes rotes Glühen. Die Schatten auf den Gesichtern der Männer in der Zentrale der Corocon III verstärkten sich, ihre Bewegungen wirkten schemenhaft und verzerrt. „Der gesamte Energiehaushalt ist zusammengebrochen", kommentierte Fan Kar Kont trocken. „Wissen Sie, woran es liegt?" fragte Rex Corda. Der Chef-Wissenschaftler von Teckan schüttelte den Kopf. Hastig begann er, nach einem feststehenden Plan die einzelnen Energieaggregate zu überprüfen. Latak Decimo unterstützte ihn. Immer wieder schüttelte der Synoptiker den Kopf. Er wirkte unruhig und nervös. John Haick trat neben Rex Corda und fragte ihn flüsternd: „Keine Energie mehr?" Fan Kar Kont hatte es gehört. „Richtig, Mister Haick. Die Corocon III besitzt nur noch ganz geringe Funken von Energie. Damit ist unsere Flucht beendet." Selbst die Holografen arbeiteten nicht mehr. Trotzdem war allen Männern in der Zentrale klar, was ihnen bevorstand, wenn es ihnen nicht gelang, in kürzester Zeit neue Energien zu beschaffen: Die
Corocon III stürzte antriebslos auf die rote Riesensonne des Swamp-Systems zu. In diesem Augenblick kamen aus den anderen Abteilungen des Wachbootes die ersten Wissenschaftler in die Zentrale. Verstört fragten sie nach der Ursache der Flugunterbrechung. Fan Kar Kont sagte es ihnen. Für Sekunden hing die tödliche Drohung bleischwer im Raum. „Müssen wir denn hier herumstehen?" fragte Rex Corda plötzlich. Das war der entscheidende Anstoß. Plötzlich redeten alle durcheinander. Jeder der Wissenschaftler brachte neue Vorschläge. Hastig wurden alle Möglichkeiten diskutiert. Latak Decimo übernahm es, die unterschiedlichen Ideen auszuwerten. Als Synoptiker besaß er die Fähigkeit, die Ansichten der Vertreter verschiedener Wissenschaftszweige zu koordinieren. Nur wenige Minuten später hob er die Hand. Schlagartig verstummten die Diskussionen. Latak Decimo blickte Rex Corda an. Dann sagte er mit klarer, fester Stimme:„Sie haben selbst gehört — keiner von uns weiß, warum der Antrieb versagte." „Und was geschieht jetzt?" warf John Haick ein. „Wir werden alles versuchen, um den Fehler zu finden." „Dann bin ich ja beruhigt", meinte John Haick ironisch. Er grinste den Synoptiker an. Im roten Dämmerlicht der Zentrale wirkte sein Gesicht unnatürlich verzerrt. * Hent Marat spuckte hustend den scharfen laktonischen Wein auf den Boden. Er ließ den Plastikbehälter fallen. Dann sprang er auf.
Er hatte sich etwas Wein aus den Vorräten der Corocon III geholt, als plötzlich das Licht zu flackern anfing und der Antrieb aussetzte. Hent Marat war kein Techniker. Er verstand eine Menge von bio-chemischen Vorgängen, aber er konnte nicht sagen, wie man einen ausgefallenen Antrieb reparierte. Trotzdem glaubte er im ersten Moment nicht, daß eine ernsthafte Behinderung ihres Fluges eingetreten war. Er stellte dich vor die Kommunikationsanlage der Corocon III und versuchte, mit der Zentrale Kontakt aufzunehmen. Die Verbindung kam nicht zustande. In diesem Augenblick reagierte Hent Marat trotz seiner Fülle ungewöhnlich lebendig. Er schleuderte seinen massigen Körper herum und raste aus seiner Kabine. Wenn schon die Kommunikationsanlage nicht mehr funktionierte, dann waren seine beiden Mädchen in höchster Gefahr. Er dachte an die vielen Geräte, die er angeschlossen hatte, um das Leben der beiden Geretteten zu erhalten. Er hatte die medizinische Abteilung der Corocon III noch nicht ganz erreicht, als er den gellenden Aufschrei hörte. Hent Marat knallte gegen eine Verbindungstür, stemmte sie auf und stürzte in den Raum mit den beiden Mädchen. Er starrte auf eines der Mädchen, das sich aufgerichtet hatte und mit verzerrtem Gesicht im Dämmerlicht der Kabine saß. Hent Marat ließ ein befreiendes Lachen hören. Er legte seinen schweren Arm um die schlanke, zierliche Schulter des Mädchens und drückte sie sanft an sich. Hent Marat konnte unendlich behutsam vorgehen, wenn es sein mußte. Die Kraft seiner eigenen Persönlichkeit übertrug sich auf das Mädchen. Sie
beruhigte sich langsam, während Hent Marat pausenlos erklärte, was geschehen war. Immer wieder schüttelte das Mädchen den Kopf. „Schon gut", sagte Hent Marat und versuchte seiner Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. „Es ist doch überhaupt nichts passiert. Ihr seid in Sicherheit." „Wer sind Sie?" fragte das Mädchen. „Ich habe Sie noch nie gesehen." „Ich heiße Hent Marat und war BioChemiker auf Teckan." „Auf Teckan?" fragte das Mädchen verblüfft. „Richtig!" nickte Hent Marat. „Und wie heißen Sie?" „Ich heiße Tau-Lau. Und das ist meine Schwester Taue." „Zwillingsschwestern?" Das Mädchen nickte. Hent Marat lächelte zufrieden. „Sind Sie auch von Teckan nach Swamp befohlen worden?" „Befohlen ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck", erklärte Hent Marat. „Ich bin gegangen, ohne einen direkten Befehl dafür zu haben." „Aber wir sind doch hier auf Swamp, nicht wahr?" „Nicht ganz. Ich nehme an, daß wir uns bereits ein paar Millionen Kilometer von der Sumpfwelt entfernt haben." „Dann ist dies hier also ein Raumschiff?" „Richtig! "stellte Hent Marat fest. „Ein kleines, häßliches und plumpes Raumschiff. Aber für mich und eine Reihe anderer Wissenschaftler aus Teckan ist es das schönste der ganzen Galaxis." „Das verstehe ich nicht", sagte TauLau. „Kein Wunder", stellte Hent Marat grinsend fest. „Unser Ausbruch von Teckan ist zwar nicht ganz unbemerkt erfolgt, aber ich nehme nicht an, daß
man uns auf Swamp erwartet hatte." „Aber niemand kann von Teckan entfliehen." „Bis auf uns", nickte Hent Marat zustimmend. „Natürlich ist Teckan eins der besten Gefängnisse im All. Wir hatten das Leben in diesem goldenen Käfig satt, verstehen Sie? Und jetzt werden wir nach Terra fliegen, um dort..." „Nach Terra?" fragte das Mädchen und zuckte zusammen. Sie zitterte plötzlich. „Na, na — was ist denn los?" „Fliegen Sie nicht nach Terra! Sie dürfen nicht dorthin!" „Nun mal ganz ruhig. Was ist los mit Terra?" „Die Terraner — sie sind grauenhaft!" keuchte das Mädchen. „Kann ich nicht gerade behaupten", lächelte Hent Marat. „Wir haben zwei von ihnen an Bord. Sie sind ganz friedlich." „Nein!" Das Mädchen von Vlotho zitterte am ganzen Körper. Sie hatte Angst. Mit unnatürlich geweiteten Augen starrte sie den Bio-Chemiker an. „Sie müssen sie töten! Ich flehe Sie an — töten Sie jeden Terraner, den Sie sehen. Sie sind schlimmer als die Orathonen..." „Nun mal ganz langsam. Anscheinend liegt hier ein Mißverständnis vor. Ohne die Terraner an Bord dieses Raumschiffes hätten wir Teckan niemals verlassen können. Es handelt sich immerhin um den Präsidenten von Terra, der mit uns fliegt. Er hat mir und den anderen Wissenschaftlern von Teckan Asyl gewährt. Wir werden nach Terra fliegen, um dort in völliger Freiheit forschen zu können." Tau-Lau überlegte. Sie zitterte noch immer. Doch dann fragte sie: „Dieser Präsident — ist er ..." „Ein Veränderter?" lächelte Hent Marat. „Keine Angst! Er ist genauso
normal wie Sie und ich." Sie seufzte erleichtert. In diesem Augenblick kam die Mathematikerin Ierra Kretan in die medizinische Abteilung. „Marat!" sagte sie mit schriller, kreischender Stimme. „Marat! Warum wird nichts getan? Wir stürzen in die Sonne." „Noch ein Problem!" stöhnte der BioChemiker. „Also hören Sie gut zu: Wir stürzen nicht in die Sonne, sondern fliegen in einer Hyperbelbahn um sie herum, um den Ortungsstrahlen des laktonischen Trakon-Kreuzers auf Swamp zu entgehen. Jedenfalls war es so ausgemacht." „Hören Sie denn nicht, daß wir antriebslos fliegen?" Hent Marat nahm seinen Arm von der Schulter des Mädchens. Dann kratzte er sich an der Nase. Die Mathematikerin hatte recht. Hent Marat schürzte die Lippen und blickte sie im Licht der schwach glühenden Beleuchtungskörper an. Ierra Kretan trug wieder die grüne Kombination der Wissenschaftler. „Wenn ich nicht genau wüßte, daß oben in der Zentrale Fan Kar Kont sitzt, würde ich sagen, daß etwas schiefgegangen ist", murmelte er. „Natürlich ist etwas schiefgegangen!" fauchte Ierra Kretan ungeduldig. „Die Flucht von Teckan war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Oder glauben Sie, daß Lakton eine Gruppe der fähigsten Wissenschaftler entkommen läßt?" „Sieh mal einer an!" meinte Hent Marat plötzlich. Er ging langsam auf die Mathematikerin zu und baute sich direkt vor ihr auf. Dann hob er mit den Fingern der linken Hand ihr Kinn. Sie mußte zu ihm aufblicken. „Interessant!" sagte Hent Marat. „Ich habe mich während des ganzen Fluges gewundert, warum Sie eigentlich mitgekommen sind. Ich will jetzt nicht dar-
an erinnern, daß Sie auf Teckan versucht haben, durch Sabotage das Unternehmen zu vereiteln. Das kann Zufall gewesen sein. Trotzdem paßt mir Ihre Einstellung nicht ganz. Ich hoffe, Sie verstehen mich." „Was soll das heißen?" „Also gut. Dann muß ich es erklären. Wenn Sie es unbedingt hören wollen — ich habe Ihnen von Anfang an mißtraut. Nehmen wir einmal an, daß der laktonische Geheimdienst einen Spitzel unter die Wissenschaftler geschmuggelt hat. Dieser Spitzel müßte natürlich eine wissenschaftliche Ausbildung haben, das sehen Sie doch ein?" „Soll das heißen ..." „Einen Moment bitte. Ich bin noch nicht fertig. Sie wissen, daß wir auf Teckan eine Geheimorganisation der Wissenschaftler gegründet haben. Wenn der laktonische Geheimdienst irgendwelche Vermutungen hatte, ist es so gut wie sicher, daß er versuchte, ein Mitglied unserer Geheimorganisation umzudrehen. Ich denke jetzt an Doppelagenten und ähnliche Dinge." „Sie werfen mir also vor ..." „Ich werfe Ihnen überhaupt nichts vor. Ich will Sie nur warnen, Ierra Kretan. Das hier bleibt unter uns. Weder Rex Corda noch Fan Kar Kont werden etwas von diesem Gespräch erfahren." Schweigend blickte die Mathematikerin den Bio-Chemiker an. Sie schienen vergessen zu haben, daß Tau-Lau alles mit angehört hatte. * Geblendet schloß Rex Corda die Augen. Ohne Vorwarnung war plötzlich die fehlende Energie wieder da. Es war verrückt. Rex Corda konnte sich dieses Phänomen nicht erklären. Aber auch die wissenschaftlich besser geschulten Besatzungsmitglieder wie
Fan Kar Kont und Latak Decimo waren verblüfft. „Einen Terra-Franken für den, der mir erklärt, was hier los war", meinte John Haick. Er konnte seinen Franken behalten. Niemand war in der Lage, eine einigermaßen plausible Erklärung abzugeben. Von einer Sekunde auf die andere arbeitete der Antrieb wieder mit der vorprogrammierten Leistung. Die Corocon III setzte ihren Flug um die rote Riesensonne fort. Automatisch wurden die inzwischen veränderten Werte korrigiert. Der Chef-Wissenschaftler von Teckan ging zusammen mit Latak Decimo alle Einzelheiten des Zwischenfalls durch. Aber auch sie — die besten Fachleute an Bord der Corocon III — fanden nicht einmal den Ansatz einer Lösung. Plötzlich stieß John Haick einen lauten Schrei aus. Rex Corda blickte ihn verblüfft an. „Bist du verrückt geworden, John?" „Prost Neujahr!" brüllte der junge Atomwissenschaftler. Rex Corda hob die Hand und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Sag gefälligst Bescheid, wenn du das öfter hast", meinte er. John Haick grinste. Er hielt seine Armbanduhr vor das Gesicht von Rex Corda. „Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, zum Jahreswechsel wieder auf Terra zu sein." Eine kleine Spur Wehmut war in seiner Stimme. Jetzt erkannte auch Rex Corda, daß John Haick vollkommen normal war. Die Zeiger auf John Haicks Armbanduhr standen beide auf zwölf. Unter dem Kalenderfenster rutschte die Eins an die Stelle der Einunddreißig. „Erster Januar 1993", sagte Rex Corda leise. „Ist tatsächlich erst ein halbes Jahr seit der Invasion der Erde ver-
gangen?" „Knapp sieben Monate", nickte John Haick. „Deine Geschwister Kim und Velda haben mich beauftragt, dir zum neuen Jahr alles Gute zu wünschen — falls wir bis heute noch nicht zur Erde zurückgekehrt sind." „Danke, John", würgte Rex Corda hervor. Er legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. Sie blickten sich in die Augen. Dann lächelte Rex Corda. In diesem Augenblick brach die Energieversorgung der Corocon III zum zweitenmal zusammen. Diesmal vollständig. * Jetzt war es wieder soweit. Ierra Kretan zweifelte an sich selbst. Sie stand dicht vor der Zentrale und spielte mit dem Ring an ihrer linken Hand. Eigentlich hätte sie längst Kontakt mit ihren Vorgesetzten aufnehmen müssen. Wenn sie es nicht bald tat, würde sie nie wieder Gelegenheit dazu haben. Hent Marat hatte also gemerkt, daß sie tatsächlich eine Agentin des laktonischen Geheimdienstes war. Wer wußte es noch? Die schwarzhaarige Mathematikerin hatte keine Angst. Aber sie zweifelte an sich selbst. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand des Verbindungsganges. Alles um sie herum war völlig dunkel. Seit die Energieversorgung zum zweitenmal zusammengebrochen war, hatte sie mit keinem weiteren Besatzungsmitglied gesprochen. Sie wußte nicht, wie es geschehen war, und sie kannte die Gründe nicht. Trotzdem glaubte sie, daß der Flug der Corocon III niemals gutgehen konnte. Der laktonische Geheimdienst war ausgezeichnet organisiert. Es war einfach ein Skandal, daß fünfunddreißig
laktonische Wissenschaftler unentdeckt von Teckan fliehen konnten. Das durfte der laktonische Geheimdienst niemals zulassen. Ierra Kretan wußte nicht mehr, was sie machen sollte. Das Pflichtgefühl in ihr kämpfte mit dem Wunsch, sich den laktonischen Wissenschaftlern einfach anzuschließen. Sie war eine Agentin Laktons. Auf Befehl war sie Mitglied der geheimen Wissenschaftlerverschwörung geworden. Jetzt stand sie zwischen den beiden Gruppen und konnte sich nicht entscheiden. Sie öffnete bereits den Mund, um mit ihrem Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen, als plötzlich der tastende Lichtkegel eines Handscheinwerfers um eine Korridorbiegung kam. Ierra Kretan drückte sich in einen Seitengang und wartete. Der nur fünfzig Zentimeter große Lichtfleck eines Punktstrahlers wanderte über die Seitenwände des Korridors und verharrte am Eingang zur Zentrale der Corocon III. Die breiten Schleusen waren geschlossen. Der Lichtfleck glitt über die Verriegelung. Dann kamen stampfende Schritte auf Ierra Kretan zu. Sie drückte sich noch weiter in die Nische und ließ den Mann an sich vorbei. Es war Hent Marat. Der Bio-Chemiker erreichte die Zentrale und öffnete das Schott. Er ließ den Lichtfinger seines Scheinwerfers über die in der Zentrale versammelten Männer gleiten. Köpfe ruckten herum und starrten in die Lichtquelle. Der helle Fleck wanderte von einem Gesicht zum anderen. Fast alle wirkten weißlich blaß und versteinert. Nur das Gesicht von Fan Kar Kont verriet durch die braunen und weißen Streifen keine Regung. Der Chef-Wissenschaftler hockte be-
wegungslos und mit zusammengekniffenen Lippen vor den total ausgefallenen Kontrollen. Hent Marat hatte genug gesehen. Jetzt wußte er, daß auch die leitenden Männer der von Teckan geflohenen Wissenschaftler keine Erklärung für das zweimalige Ausfallen der Energieversorgung geben konnten. Hent Marat hatte das Gefühl, einer aufkommenden Panikstimmung entgegenwirken zu müssen. „Wer ist dran?" fragte er vergnügt. „Ich möchte auch mit Versteck spielen." Latak Decimo reagierte zuerst. Er ließ ein ärgerliches Knurren hören. „Oder wird hier ein anderes Spiel durchgeführt?" fragte Hent Marat mit einem unschuldigen Grinsen. Die anderen Männer konnten es nicht sehen, da der Bio-Chemiker hinter seinem Handscheinwerfer stand. „Nehmen Sie endlich das verdammte Ding weg!" keuchte Latak Decimo. Hent Marat merkte sofort, daß die Stimmung in der Zentrale ausgesprochen schlecht war. Dann kamen von allen Seiten tapsende Schritte. Immer mehr Wissenschaftler erreichten die Zentrale. Sie alle wollten wissen, was vorgefallen war. Sie brauchten nicht zu fragen. Als sie Fan Kar Kont vor den total ausgefallenen Kontrollen sahen, wußten sie genug. „Aber wer wird denn gleich die Nerven verlieren?" fragte der Bio-Chemiker und stimmte ein meckerndes Gelächter an. Die anderen schienen seine Absicht nicht zu verstehen. Fan Kar Kont wies den Bio-Chemiker mit einem kurzen Zwischenruf zurecht. „Lassen Sie den Unsinn, Marat! Wir haben keine Zeit für Ihre Spaße!" „Dann eben nicht!" antwortete Hent Marat und knipste seinen Handscheinwerfer aus. Die Zentrale wurde wieder
in Dunkelheit getaucht. „Lassen Sie doch die Lampe an, verdammt noch mal!" schimpfte Latak Decimo unwillig. „Sie sehen doch, daß alle anderen Geräte ausgefallen sind." „Ach so", antwortete Hent Marat aus der Dunkelheit. „Ich dachte, wir wollten die Corocon tarnen, weil der TrakonKreuzer uns folgt." „Sagen Sie das noch mal!" „Das war nur eine Vermutung von mir", erwiderte Hent Marat. Damit hatte der Bio-Chemiker genau das Gegenteil dessen erreicht, was er eigentlich wollte. Die Unruhe innerhalb der stockdunklen Zentrale nahm zu. Hent Marat schaltete seinen Scheinwerfer wieder an. Er richtete den Strahl gegen die Metalldecke der Zentrale. Dadurch wurde es etwas heller. Sofort begannen die Wissenschaftler unter der Leitung von Latak Decimo, die Ursache des erneuten Zwischenfalls herauszufinden. Aber es war genau wie beim erstenmal: Alle Geräte arbeiteten einwandfrei — es fehlte nur die notwendige Energie ... „Schöne Reparatur!" murmelte John Haick ironisch. „Ich habe gedacht, wir hätten die besten Wissenschaftler von Teckan in der Corocon III." Er wandte sich an Rex Corda. „Wenn wir so weitermachen, erreichen wir die Erde nicht einmal in zehn Jahren." Dann erschien Ierra Kretan in der Zentrale. „Darf man fragen, was los ist?" fragte sie. „Sie können den großen Computer programmieren — verdammt, der arbeitet ja auch nicht." Sie waren nicht einmal in der Lage, mit den großen Elektronengehirnen zu arbeiten. Erst jetzt merkten sie, wie abhängig sie innerhalb der Corocon III von der Energie waren, die sie jetzt nicht mehr besaßen. Der Antrieb arbeitete ebensowenig
wie die Gravoschächte und die Elektronenrechner. Die Kurskorrektoren schwiegen, und auch die Holografen waren verblaßt. Nichts — nicht der kleinste Ventilator der Lufterneuerungsanlage funktionierte mehr. Die Corocon III glich einem riesigen schwarzen Sarg, der sich immer mehr der rotglühenden Sonne des SwampSystems näherte. Rex Corda kniff die Lippen zusammen. Da hatte er nun die fähigsten Wissenschaftler von Teckan innerhalb des Wachbootes versammelt, und niemand konnte ihm sagen, was geschehen war. Die Wissenschaftler waren genauso hilflos wie er selbst. Dann kam in einer Ecke der Zentrale ein Streit in einer Gruppe von Wissenschaftlern auf. Rex Corda blickte zur Seite. Das durften sie jetzt nicht riskieren. Die Wissenschaftler waren durch ihre plötzliche Flucht von Teckan ohnehin verwirrt genug. In diesem Augenblick war Rex Corda der einzige, der einen klaren Kopf behielt. Als ehemaliger Vorsitzender des Verteidigungsrates der Vereinigten Staaten von Amerika besaß er genügend Erfahrungen in der Überwindung von Paniksituationen. Er wußte, daß die Wissenschaftler von Teckan derartigen Situationen nicht gewachsen waren. Sie glichen in diesem Moment hochintelligenten, aber undisziplinierten Kindern. Sie hatten die Freiheit gesucht und waren jetzt in der antriebslosen, auf die Sonne zustürzenden Corocon III gefangen. * Das laktonische Sonderkommando auf Swamp hatte noch immer nichts gefunden. Alle Untersuchungen verliefen ergebnislos.
Nicht die geringste Spur von den Swamp-Wissenschaftlern war gefunden worden. Obwohl der Trakon-Kreuzer mit seinen Ortungsanlagen den gesamten Planeten absuchte, gab es nicht einen einzigen Impuls. „Es muß ein Versteck innerhalb des Labors gegeben haben, in das sich die Wissenschaftler retteten", sagte Munnt Tryvvan zu seinem Chef-Funker. Tellek Perco antwortete nicht. „Ich kann einfach nicht begreifen, wieso es zu dieser Explosion gekommen ist", fuhr der Kommandant fort. „Haben Sie wirklich alles untersucht, Perco?" „Natürlich! Ich habe es bereits mehrmals gesagt. Ich kann nur wiederholen, was ich weiß. Wir haben die Labors untersucht und keine Lebewesen gefunden." „Aber Sie haben die Kraftstation nicht gesehen — die Kraftstation, in der nach meiner Meinung die Explosion stattgefunden hat." „Wahrscheinlich war die Kraftstation wie alle anderen ihrer Art so tief unter der Erde angelegt, daß es so gut wie keinen Zugang gab." „Jede Kraftstation besteht aus Maschinen, die irgendwann einmal gewartet werden müssen. Ich merke, Sie reden Unsinn, Perco." „Tut mir leid, aber ich habe wirklich nicht an die Kraftstation gedacht." „Ich glaube, Sie sind die längste Zeit mein Chef-Funker gewesen", antwortete der Kommandant bissig. Perco schob seinen Kopf trotzig nach vorn. Das hatte er nun von seinem Einsatz! Ein kleiner, geringer Fehler — und schon war man in den Augen des Kommandanten nicht mehr wert als irgendein anderer kleiner Techniker. „Wir werden Bedienungs-Roboter mit Schutzanzügen ausrüsten und dann zur Explosionsstelle schicken." „Das ist doch Wahnsinn! Die verglü-
hen, noch ehe sie den Rand des Atombrandes erreicht haben." „Wenn Sie etwas genauer aufgepaßt hätten, Perco, würden Sie merken, daß der Brand bereits in sich zusammenfällt. Es wird keine globale längere Kettenreaktion geben. Alles, was vorhin explodierte, stammte aus den Beständen des Labors." Tellek Perco hob die Schultern und schwieg. Dazu konnte er nichts sagen. Immer wieder kreisten die kleinen Landungsboote um den Atompilz, der sich bereits nicht mehr ausdehnte, sondern langsam zusammenfiel. Gewaltige Wirbelstürme rasten mit verheerenden Wirkungen über die Oberfläche von Swamp. Riesige Pflanzenfelder wurden ausgerissen und in die rötliche Atmosphäre geschleudert. Dann brachen die ersten Unwetter los. Giftige Regen prasselten auf die Außenhüllen der Landungsboote, die so schnell wie möglich in den Schutz des TrakonKreuzers zurückkehrten. Chemische Veränderungen in der Atmosphäre und auf dem Boden von Swamp hatten zur Folge, daß innerhalb kürzester Zeit gewaltige Pilzkulturen entstanden, die die Atmosphäre verseuchten. Die Oberfläche von Swamp verwandelte sich in einen stinkenden und dampfenden Morast. Nur die Berggipfel und die höher gelegenen Stellen ragten jetzt noch aus dem dumpf blubbernden Sumpf. Fasziniert starrte in der Zentrale des Trakon-Kreuzers der Kommandant auf das grandiose Schauspiel. Die Haut über seinen Jochbeinen war weiß. Munnt Tryvvan wußte genau, daß er diese Runde verloren hatte. Sein Auftrag galt von diesem Augenblick an als nicht erfüllt... * Keuchend beugte sich Rex Corda
über John Haick. Dem schwarzhaarigen Atomwissenschaftler gelang es nicht mehr, mit eigener Kraft in seinen Raumanzug zu kommen. Die Luft war drückend heiß und stikkig. Viel zu spät war Rex Corda auf die Idee gekommen, daß sie Raumanzüge anlegen mußten, um den drohenden Untergang um einige Stunden hinauszuzögern. Je weiter sie sich den glühenden Gaswolken der roten Riesensonne näherten, um so heißer wurde es innerhalb der Corocon III. Die elektronischen Thermometer arbeiteten nicht mehr. Trotzdem ahnte Rex Corda, daß sie einen derartigen Höllenflug nicht mehr lange durchhalten konnten. Rex Corda drehte die Sauerstoffventile am Raumanzug von John Haick auf und wartete, bis Haick mit tiefen Zügen zu atmen begann. Rex Corda hatte einen Sonderausschuß gebildet, dem er selbst, Fan Kar Kont und Latak Decimo angehörten, Nur mit Hilfe dieser beiden Männer gelang es Rex Corda, die übrigen Wissenschaftler zu beruhigen. Rex Corda hatte vorgeschlagen, trotz der Aussichtslosigkeit der Situation alles zu versuchen, um herauszufinden, wie es zu der Katastrophe gekommen war. Die Wissenschaftler von Teckan hatten gemurrt. Sie waren nicht damit einverstanden, jetzt wieder Befehle zu erhalten. Sie hatten geglaubt, endgültig frei zu sein. Rex Corda brauchte lange, um ihnen klarzumachen, daß jede Art von Freiheit erst verdient werden mußte. Schließlich waren die einsichtigsten der Wissenschaftler bereit gewesen, die Corocon noch einmal von oben bis unten zu durchsuchen. Irgendwo mußte ein Energieabfluß stattgefunden haben, der alles übertraf,
was die laktonischen Wissenschaftler bisher gesehen hatten. Sie verstanden einfach nicht, wie innerhalb von Sekundenbruchteilen die gesamte Energieanlage eines Raumschiffes wie der Corocon III ins Nichts verpuffen konnte. Der größte Teil der Wissenschaftler befand sich jetzt in den gewaltigen Maschinenräumen. Im Licht von Handscheinwerfern versuchten sie Schritt für Schritt den Weg der abgeflossenen Energie zu verfolgen. Sie kamen zu keinem positiven Ergebnis. Nur Rex Corda, Latak Decimo und Fan Kar Kont befanden sich noch in der Zentrale. Gemeinsam versuchten sie, so schnell wie möglich einen Ausweg zu finden. Obwohl Latak Decimo mehrere Vorschläge machte, mußte Corda jedesmal zugeben, daß sie nichts wert waren. Sie hatten keine Zeit mehr. Sie konnten sich nicht auf lange und zeitraubende chemische Versuche einlassen, um neue Energie zu gewinnen. Latak Decimo hatte den Kopf in die Hände gestützt. Dann sagte er: „Wir haben im Grunde nur noch eine einzige Möglichkeit: Wir müssen aus sämtlichen Robotern die Energiezellen entfernen und sie zusammen mit den Speichern unserer Handfeuerwaffen zu einer einzigen Anlage verbinden. Vielleicht gelingt es uns dann, mit Hilfe eines Notbootes zum Swamp-Mond zurückzukommen." „Abgelehnt", sagte Rex Corda kurz. Er wußte genau, daß sie in diesem Fall nicht alle Besatzungsmitglieder retten konnten. Dafür war der zur Verfügung stehende Raum viel zu gering. Er dachte nicht daran, die Corocon III kampflos aufzugeben. Bisher hatte es sich noch immer gezeigt, daß es irgendeinen Ausweg gab. „Es hilft alles nichts, wir müssen tatsächlich versuchen, die Corocon III in
einer engen Sturzbahn um die Sonne herumzuführen und dann nach Swamp zurückzukehren." „Und wie wollen Sie das machen?" fragte Latak Decimo sarkastisch. Rex Corda hob die Schultern. „Ich bin kein Techniker. Aber ich weiß, daß Sie selbst genügend Kenntnisse und Fähigkeiten haben, um ein derartiges Manöver einleiten zu können." „Überhaupt nichts können wir!" gab Fan Kar Kont zurück. Der ChofWissenschaftler von Teckan hatte sich nur zögernd an der Diskussion zwischen Corda und Decimo beteiligt. Aber er hatte zugehört. „Vielleicht haben wir noch eine Chance", sagte er. Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als plötzlich das Licht wieder anging. Rex Corda war derartig verblüfft, daß er sekundenlang vergaß, seinen Mund zu schließen. Er starrte Latak Decimo an. Dann lief ein breites Grinsen über sein Gesicht. „Ich muß mich entschuldigen, Fan Kar Kont", sagte er mit einem tiefen Aufatmen. „Ihre Wissenschaftler sind doch besser, als ich annahm." „Ich bin noch gar nicht mal sicher, daß das dort an unseren Wissenschaftlern gelegen hat", sagte er. Im gleichen Augenblick sprangen auch die Antriebsaggregate wieder an. Die Corocon III machte eine steile Schlingerbewegung. Dann erhellten sich die Holografen, und die drei Männer in der Zentrale sahen, wie dicht sie tatsächlich an die rote Riesensonne herangekommen waren. Auch die anderen Aggregate und Anlagen arbeiteten wieder ordnungsgemäß. Die Luft erneuerte sich, während Kurskorrekturen die Corocon III in die richtige Flugbahn brachten. Das Geräusch an der Tür ließ Rex Corda auffahren. Er starrte zur Tür. Seine Nackenhaare sträubten sich. Dann
kam er wie in Zeitlupe von seinem Pneumosessel hoch. Unendlich langsam machte er einen tapsenden Schritt nach vorn. Mit hängenden Armen stand er neben seinem Pneumosessel. Ein gequälter Aufschrei entrang sich seiner Brust. „Nein — das darf nicht wahr sein ..." In diesem Augenblick drehte sich auch Latak Decimo um. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er auf. Er stolperte über die Beine von Fan Kar Kont und schlug lang auf den Boden. Sofort rappelte er sich wieder auf und griff nach seiner Waffe. Der Energiestrahl zischte dicht über den Kopf des Neuankömmlings hinweg. Rex Corda sprang zur Seite. Er schlug Latak Decimo die Waffe aus der Hand. „Sind Sie wahnsinnig geworden?" Sofort kam er wieder hoch. Jetzt hatte auch Fan Kar Kont gemerkt, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein mußte. Der Fremde stand breitbeinig in der Tür. Seine tiefliegenden Augen schienen zu glühen. Da öffnete sich eine zweite Tür in der Zentrale und der weißhaarige BioChemiker Hent Marat trat in den Raum. Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Er stutzte kurz. Dann lief er mit funkelnden Augen auf den Fremden zu. Er streckte, ihm beide Hände entgegen. Mit verzerrtem Gesicht starrten Decimo und Corda auf die absurde Szene. Sie verstanden überhaupt nichts mehr. „Sieh mal einer an!" rief Hent Marat vergnügt. „Die Toten werden wieder lebendig." „Scott Cloud", murmelte Rex Corda, während sein Gesicht eine aschgraue Farbe annahm. Sein Blut rann wie dickflüssiges Blei durch seine Adern. Kalte Schauder rasten über seinen Rükken. Die Leiche aus dem Weltraum lebte! Rex Corda schüttelte sich. Für einige
Sekunden war er nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Seine blutleeren Lippen zitterten, während er abwechselnd auf Hent Marat und auf Scott Cloud blickte. Er hätte schwören können, daß der steinharte Körper des entführten Terraners absolut leblos gewesen war, als sie ihn aus dem Raum bargen. Erst jetzt bewegte sich Scott Cloud auf die Gruppe von Latak Decimo, Rex Corda und Fan Kar Kont zu. Er übersah die ausgestreckten Hände des BioChemikers und stellte sich breitbeinig vor Fan Kar Kont auf. Seine leicht gebräunte Gesichtshaut bewegte sich nicht. Rex Corda trat einen Schritt zurück. Es war eine vollkommen automatische Reaktion. Mit brennenden Augen starrte er den schwarzhaarigen, athletisch gebauten Terraner an. Scott Cloud wirkte jetzt wesentlich breitschultriger, als Rex Corda es in Erinnerung hatte. Cordas Magen verkrampfte sich, als er versuchte, dieses ungeheure Ereignis geistig zu verarbeiten. Seine Gedanken kreisten immer um einen Punkt: Wie war es Scott Cloud gelungen, aus seiner eisigen Starre zu erwachen und in die Zentrale zu kommen? Hent Marat kam heran. Er stellte sich neben Scott Cloud auf. Dann sagte er zufrieden grinsend: „Sehen Sie, Mister Corda, ich habe mir gleich gedacht, daß dieser Terraner medizinisch nicht tot sein kann. Er wies keinerlei Verletzungen auf. Deshalb habe ich gedacht, daß er durch die Kälte innerhalb des Raumes etwas konserviert wurde. Kein schöner Ausdruck, ich weiß, aber schließlich steht er jetzt vollkommen normal vor Ihnen. Und alles nur, weil ich ein paar Schalter umgelegt habe." „Sie haben ..." fragte Rex Corda ent-
setzt. Der Bio-Chemiker nickte vergnügt. „Tiefgekühlte Konserven werden mit speziellen Anlagen wieder aufgetaut. Da lag doch der Gedanke sehr nahe, daß man es in diesem Fall ebenfalls versuchen sollte." „Sie hätten das nicht tun sollen", sagte Rex Corda. „Sie hatten kein Recht, Experimente mit ihm anzustellen. Zumindest hätten Sie uns verständigen müssen." „Keine Experimente, Mister Corda. Nur eine stufenweise Erwärmung seines Körpers." „Hören Sie auf!" rief Rex Corda mit scharfer, schneidender Stimme. Es kam sehr selten vor, daß er derartig hart reagierte. Wütend starrte er den laktonischen Bio-Chemiker an. Irgendwo gab es eine Grenze, die einfach nicht überschritten werden durfte. In diesem Augenblick breitete der Terraner, Scott Cloud, seine Arme aus und sagte mit einer merkwürdig kalt klingenden Stimme: „Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe. Wir, Samar Tarkannt." Verständnislos starrte Rex Corda den Terraner an. Das war also das Ergebnis der Wiederbelebung. Der Geist von Scott Cloud war verwirrt. Dieser Mann war krank. Rex Corda verfluchte die laktonischen Experimente auf Swamp und ihre Wirkungen. Er stieß ein bitteres Lachen aus. Anklagend deutete er mit seiner Hand auf Scott Cloud, während er sich zu Latak Decimo umdrehte. „Das also sind die Ergebnisse laktonischer Forschung!" Sein ausgestreckter Zeigefinger zeigte auf Fan Kar Kont und dann auf Hent Marat. „Sie haben auf Teckan in Ihrem goldenen Käfig gesessen, und Sie hätten
beide mitgemacht, wenn Sie zufällig nach Swamp kommandiert worden wären. Sie sind keinen Deut besser als die Wissenschaftler, die mit diesem Terraner herumexperimentierten." Rex Corda schwang zu Scott Cloud herum. „Kommen Sie, Cloud. Setzen Sie sich. Sie haben ziemlich viel durchgemacht. Es tut mir leid, daß Sie dann auch noch das hier anhören mußten." Er warf einen erzürnten Blick auf den Bio-Chemiker. Aber Hent Marat achtete nicht mehr auf Rex Corda. Seine Augen glänzten, während sein großer, stämmiger Körper eine demutsvolle Haltung angenommen hatte. „Samar Tarkannt", flüsterte Hent Marat und schluckte. „Ein Nachkomme des göttlichen Schenna ..." Jetzt verstand Rex Corda überhaupt nichts mehr. Er biß die Zähne zusammen und blickte zu Latak Decimo und Fan Kar Kont. Beide hatten ihre Schultern etwas nach vorn gebeugt. Unendlich langsam verneigten sie sich vor Scott Cloud. Jetzt begriff Rex Corda. „Sind denn hier alle verrückt geworden?" brüllte er durch die Zentrale. Die drei laktonischen Wissenschaftler achteten nicht auf ihn. „Decimo — wachen Sie auf! Fan Kar Kont, sehen Sie denn nicht, daß dieser Mann ein Terraner ist? Hier! Das ist sein Paß. Sie können ihn überprüfen." Rex Corda warf Fan Kar Kont den angekohlten Paß von Scott Cloud zu. Der Chef-Wissenschaftler von Teckan rührte keinen Finger, um ihn aufzufangen. Der Paß fiel auf ein Kontrollbord. „Es ist nicht zu fassen!" stöhnte Rex Corda. Er wirbelte herum und baute sich vor Scott Cloud auf. Die beiden Männer hatten die gleiche Größe, aber Scott Cloud war wesentlich kräftiger. „Hören Sie zu, Cloud. Hier liegt an-
scheinend ein Mißverständnis vor. Meinetwegen können Sie Samar Tarkannt oder der Schenna selbst sein. In Ihrem Paß steht aber, daß Sie Scott Cloud heißen. Erinnern Sie sich daran?" Rex Corda neigte den Kopf etwas, um die Antwort zu hören. Scott Cloud sah über ihn hinweg. „Okay", sagte Rex Corda hart. „Dann eben nicht." Er marschierte zur Kommunikationsanlage der Corocon III und nahm Verbindung mit John Haick auf. „Hör mal zu, John", sagte er hastig. „Du mußt sofort herkommen. Scott Cloud ist in der Zentrale und behauptet, ein Nachkomme des Schenna zu sein." John Haick stieß ein wieherndes Lachen aus. Aber dann zerbröckelte das Gelächter unter dem harten Blick von Rex Corda. John Haick kannte den Präsidenten der Erde lange genug, um zu wissen, was dieser Blick bedeutete. « „Ich komme", sagte er mit einer rauh klingenden, belegten Stimme. Rex Corda verschränkte die Arme auf seinem Rücken und starrte die nackte Wand an der Seite der Zentrale an. Der Druck auf seiner Brust verstärkte sich. Das alles konnte einfach nicht wahr sein. Rex Corda schloß für eine Sekunde die Augen, während eine steile Falte auf seiner Stirn entstand. Er mußte noch einmal ganz von vorn anfangen. Er mußte Klarheit gewinnen, wenn er nicht ebenfalls verrückt werden wollte. Er war fest davon überzeugt, daß die ganze Sache auf einem teuflischen Irrtum beruhte. Er wußte, daß Scott Cloud kein Nachkomme des Schenna war. Dieser Mann war ein Terraner. Er war von den Laktonen während der Invasion entführt worden. Dann erinnerte sich Rex Corda plötzlich daran, daß Scott Cloud ausgezeich-
net laktonisch gesprochen hatte — laktonisch und englisch ... In diesem Augenblick fiel eine Klappe in Rex Cordas Hirn nach unten. Jetzt hatte er die Lösung! Er drehte sich auf dem Absatz um und stampfte auf Scott Cloud zu. „Jetzt hören Sie mir bitte alle gut zu", sagte er und versuchte, sich zu beherrschen. „Dieser Mann ist ebenso ein Terraner, wie ich einer bin. Wahrscheinlich wurde er während der Invasion entführt und dann nach Swamp gebracht. Sie haben alle die Veränderten gesehen. Sie wissen, daß die laktonischen Wissenschaftler mit Terranern experimentierten. Dieser Mann ist ein Terraner — daran gibt es nicht den geringsten Zweifel." Scott Cloud wischte Rex Corda mit einer kurzen Handbewegung zur Seite. Der Präsident der Erde stolperte gegen einen Pneumosessel. Dann ließ sich Scott Cloud vor den Kontrollen nieder und verschränkte die Arme. „Wir übernehmen hiermit das Kommando über dieses Schiff. Wir wünschen, unverzüglich nach Lakton gebracht zu werden." Fan Kar Kont, Latak Decimo und Hent Marat zuckten zusammen. „Nach Lakton?" fragte Hent Marat stotternd. „Wir sind auf dem Weg zum Planeten Terra." „Wir wiederholen uns nicht gern. Unser Ziel heißt ab sofort Lakton." „Jawohl", sagte Latak Decimo mit zitternder Stimme. Dann drehte er sich zu Rex Corda um und hob mit einer um Verzeihung bittenden Geste seine Hände. „Gegen den Befehl eines Manduranen gibt es keinen Widerspruch", sagte er leise. *
John Haick überprüfte seine Waffe. Vorsichtshalber hatte er sich eine Reeling Gun besorgt, ehe er weiter hinaufstieg, um in die Zentrale zu kommen. Manchmal brauchten er und Rex Corda keine langen Worte zur gegenseitigen Verständigung. In diesem Fall genügte es, wenn sie sich kurz anblickten. John Haick hatte es ungewöhnlich eilig. Er raste auf einen Antigravschacht zu und stoppte erst kurz davor. Seit seinem letzten Abenteuer innerhalb eines Gravoschachtes war er vorsichtig geworden. Er hielt die Reeling Gun in den Antigravitationsschacht und überzeugte sich, daß er funktionierte. Vorsichtig und mißtrauisch sprang er in den Schacht. Mit einer Hand hielt er sich an den Leitersprossen der Seite fest. Er wollte ganz sichergehen. Aber der Schacht funktionierte. Schnell schwebte John Haick nach oben. Er verließ den Schacht auf dem Deck, in dem sich die Zentrale befand. Die Corocon III war als Wachboot gebaut worden. Auf der Erde waren einige Veränderungen vorgenommen worden. Im wesentlichen bestand die Corocon III jedoch aus einem stumpfen, an der Spitze etwas enger werdenden Zylinder von hundertfünfzig Meter Länge. Acht gewaltige Heckflossen begannen in der Höhe der Maschinenanlage und setzten sich bis hinter die Düsen fort. Mehrere Antigravitationsschächte liefen wie zentrale Röhren durch die Corocon III. In den einzelnen Decks waren früher laktonische Soldaten untergebracht. Jetzt lebten die Wissenschaftler in der Corocon III und hatten genügend Platz zur Verfügung. Mehr als zwei Drittel des Wachbootes blieben ungenutzt. John Haick kannte die Anlage des
Schiffes nur theoretisch. Auch er war noch nicht in sämtliche Decks des Schiffes gekommen, obwohl er während des Fluges von der Erde nach Szahan und von dort aus nach Teckan genügend Zeit dazu gehabt hätte. Obwohl die Corocon III nur hundertfünfzig Meter lang war, konnte sie zu einem Labyrinth werden. John Haick erreichte die Zentrale, in der sich bereits mehrere Wissenschaftler eingefunden hatten. John Haick hatte genügend Zeit gehabt, sich auf den Anblick von Scott Cloud vorzubereiten. Trotzdem mußte er mehrmals schlucken, als er den Veränderten sah. Er lief auf Rex Corda zu und ließ sich kurz informieren. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. „Aber die Leute wissen doch, daß dieser Mann ein Terraner ist. Es bestand doch nicht der geringste Zweifel daran." „Wahrscheinlich kennen wir die Macht des Manduranen nicht. Die Laktonen verehren ihren Schenna wie ein göttliches Wesen. Seinen Nachkommen muß unbedingter Gehorsam geleistet werden." „Aber nicht mit mir!" protestierte John Haick. „Als Terraner bin ich nicht verpflichtet, von irgendeinem merkwürdigen Kronprinzen, der eigentlich sogar ein waschechter Amerikaner ist, einen Befehl anzunehmen." „Du bist gut!" lächelte Rex Corda. Es war das erstemal, seit Scott Cloud aufgetaucht war, daß Rex Corda wieder lachen konnte. „Sieh sie dir doch an, wie sie ihre Bücklinge vor ihm machen! Sie scharwenzeln um ihn herum, als sei er der Schenna persönlich. Es hat auch keinen Zweck, mit ihnen zu reden. Sie hören einfach nicht. Ich habe es immer wieder versucht. Für sie ist unser guter alter Scott Cloud ein waschechter Mandurane. Ich hätte nie geglaubt, daß diese
fortgeschrittene Rasse der Laktonen diesem Burschen einen derartigen Unsinn abnimmt." „Wie ist er denn eigentlich aus der Kühlkammer herausgekommen? Man kann doch schließlich diese Dinger nur von außen öffnen." Rex Corda zuckte zusammen. Daran hatte er noch nicht gedacht. Plötzlich wurde ein grauenhafter Verdacht in ihm wach. „John!" flüsterte er. „Erinnerst du dich, daß zweimal die Energieversorgung der Corocon III zusammengebrochen ist?" „Komische Frage", antwortete John Haick. „Und ob ich mich erinnere. Schließlich bin ich beim erstenmal mit einer affenartigen Geschwindigkeit durch einen Antigravschacht gesaust." Hex Corda lachte kurz auf, obwohl ihm nicht danach zumute war. Er wurde sofort wieder ernst. „Ich glaube, wir sollten uns die Kühlkammer einmal ansehen. Hent Marat ist ja ebenfalls verrückt geworden. Es ist eine Schande, wie sich diese ausgewachsenen Männer benehmen!" Rex Corda und John Haick waren in diesem Augenblick die einzigen vernünftig denkenden Lebewesen an Bord der Corocon III. Jetzt war Rex Corda felsenfest davon überzeugt, daß das Auftauchen des Veränderten und der Energieabfall miteinander in Verbindung gebracht werden mußten. Er erinnerte sich an das, was er auf Swamp gesehen hatte. Die Kraft eines Veränderten war dort auf den schmächtigen Ron Carlotte übergegangen. „Ich fürchte, daß Scott Cloud sich selbst mit Hilfe der Antriebskräfte des Wachbootes aus seinem Tiefschlaf geweckt hat." „Unmöglich!" sagte John Haick kopfschüttelnd. „Er war tot, als er hier ankam."
„Ich sagte dir doch, daß Hent Marat etwas nachgeholfen hat." John Haick schürzte die Lippen. Das warf natürlich ein völlig neues Licht auf die merkwürdigen Vorgänge an Bord der Corocon III. Jetzt war auch John Haick davon überzeugt, daß Rex Corda recht hatte. Sie erreichten Fan Kar Kont. Dann sagte Rex Corda: „Kann man wieder mit Ihnen sprechen, Fan Kar Kont?" Der Fan-Geborene blickte zur Seite. „Es tut mir leid", sagte er, „aber gegen die Macht des Manduranen bin selbst ich hilflos. Wir haben ihm zu gehorchen, ganz gleich, was geschieht." „Aber verstehen Sie doch! Er bringt die Corocon III nach Lakton zurück. Und was geschieht dann?" „Das weiß ich ja alles", stöhnte Fan Kar Kont verzweifelt. „Wenn wir nach Lakton zurückkehren, ist es aus." "Na also", sagte Rex Corda erleichtert. „Allmählich scheinen Sie zu kapieren, in was Sie sich eingelassen haben. Überlegen Sie doch — dieser Terraner oder meinetwegen auch Mandurane ist nur ein einzelner. Wir sind fast fünfzigmal stärker als er. Warum sollte er uns befehlen, nach Lakton zurückzukehren. Das bedeutet den sicheren Tod. Nicht nur für uns, sondern auch für Sie." Latak Decimo war zu ihnen getreten. Er hatte die letzten Worte gehört. „Im Grunde hat er recht", nickte Latak Decimo. „Wir sind verpflichtet, uns den Befehlen eines Manduranen unterzuordnen, aber wir können es nicht, da wir in diesem Fall der laktonischen Abwehr in die Arme laufen." Immer mehr Wissenschaftler erschienen in der Zentrale. Jetzt waren alle vollzählig versammelt. Der Mandurane hockte in dem Pneumosessel vor den Kontrollen und kümmerte sich nicht um den Menschenauflauf.
Er wirkte selbstsicher und überlegen. Nicht ein einziges Mal drehte er sich um. Er erwartete offensichtlich, daß man seinen Befehlen widerspruchslos Folge leistete. In diesem Augenblick erkannte Rex Corda, daß er die Initiative ergreifen mußte. „Wir fliegen nicht nach Lakton", sagte er laut und deutlich. Die Wissenschaftler reagierten unterschiedlich. Einige zuckten zusammen, während andere zustimmend nickten. Zusammen mit John Haick, Latak Decimo und Fan Kar Kont bildete Rex Corda eine Mauer vor der Gruppe der Wissenschaftler. Langsam richtete sich der Veränderte auf. „Wir haben mit großem Unwillen zur Kenntnis genommen, daß Unsere Befehle nicht sofort befolgt werden. Wir betonen noch einmal, daß Wir nicht der Terraner Scott Cloud, sondern Sarnar Tarkannt sind. Alle anderen Vermutungen entbehren jeder Grundlage." „Natürlich!" lächelte Rex Corda zuvorkommend. „Sie sind Samar Tarkannt, und ich bin der Kaiser von China. Aber das tut nichts zur Sache. Warum sollten Sie eigentlich nicht Samar Tarkannt sein. Von mir aus gern, aber nach Lakton fliegen wir trotzdem nicht." „Sie sind also ein Terraner", nickte Samar Tarkannt und richtete sich auf. Er stellte sich vor Rex Corda hin und betrachtete ihn abschätzend von oben bis unten. „Gehört dieses Terra zum laktonischen Reich?" Rex Corda lachte kurz. „Manche Leute würden es gern sehen. Aber ich bin im Augenblick der Präsident dieses Planeten und kann Ihnen versichern, daß wir selbständig geblieben sind, obwohl sich eine unbedeutende laktonische Schutztruppe auf
unserem Planeten befindet." „Das erklärt vieles", entgegnete Samar Tarkannt. „Sie lehnen es also ab, Uns nach Lakton zu bringen." „Richtig." Rex Corda versuchte, etwas von der Gefühlssphäre des Manduranen zu erfassen. Es gelang ihm nicht. Es war ihm einfach nicht möglich, seine emphatischen Fähigkeiten einzusetzen. Der Veränderte war abgeschirmt. Rex Corda wußte nicht, ob das Zufall oder Absicht war. „Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Wir können Sie auf Swamp absetzen. Dort befindet sich ein laktonischer Trakon-Kreuzer. Er kann Sie aufnehmen und nach Lakton bringen." „Und warum sollten Wir nicht mit diesem Schiff nach Lakton fliegen?" „Ganz einfach!" lächelte Rex Corda. „Dieses primitive Wachboot ist für einen Manduranen unwürdig. Sie haben ein Anrecht darauf, mit einem TrakonKreuzer nach Lakton zu fliegen. Außerdem ist ein derartiges Kriegsschiff wesentlich schneller als unsere kleine, primitive Corocon III." „Wir haben uns entschlossen, mit diesem Schiff nach Lakton zu fliegen, und dabei bleibt es", erwiderte Samar Tarkannt kalt. Da griff Fan Kar Kont ein. „Wir können die Befehle nicht befolgen", erklärte er. „An Bord dieses Raumschiffes befinden sich fünfunddreißig von Teckan geflüchtete Wissenschaftler. Wir haben die Freiheit gewählt. Wir lehnen es ab, weiterhin in einem goldenen Käfig zu arbeiten, in dem wir alles besitzen, nur die Freiheit nicht. Wenn wir in den Einflußbereich Laktons zurückkehren, ist das gleichbedeutend mit Selbstmord. Deshalb bitte ich im Namen der hier versammelten Wissenschaftler, nicht nach Lakton zu fliegen." „Abgelehnt!" sagte Samar Tarkannt
sofort. „Wir verlangen unbedingten Gehorsam. Wir dulden keinerlei Widerrede mehr. Wir sind der Ansicht, daß bereits viel zuviel diskutiert wurde. Wir werden nach Unserer Ankunft auf Lakton sofort die entsprechenden Schritte einleiten." Rex Corda merkte, daß die Wissenschaftler murrten. Das war der entscheidende Moment. „Ich schlage vor, wir vertagen die Verhandlung und sprechen später noch einmal darüber. Ich bin überzeugt, daß wir zu einer Einigung kommen werden." Der Mandurane kreuzte die Arme vor der Brust und blickte Rex Corda überheblich an. „So sei es", sagte er selbstsicher. Rex Corda fiel ein Stein vom Herzen. Er haßte dieses blödsinnige Geschwätz, aber er konnte nichts anderes tun, als auf die Phrasen des Veränderten einzugehen. Das war im Augenblick das klügste. Fan Kar Kont wandte sich an Latak Decimo. „Weisen Sie ihm eine Kabine zu, in der er sich ausruhen kann. Die beste natürlich." Latak Decimo nickte schweigend. Dann zog Rex Corda Fan Kar Kont zur Seite. Schnell informierte er den Chef-Wissenschaftler von Teckan über das, was er mit John Haick besprochen hatte. Fan Kar Kont war entsetzt. „Sie glauben also, daß der Mandurane die Energie der Corocon III dazu benutzt hat, um sich selbst aus seiner Totenstarre zu erwecken?" „Wie er es gemacht hat, weiß ich nicht. Ich bin kein Wissenschaftler. Außerdem interessiert es mich nicht sehr, da wir uns jetzt mit den Tatsachen abzufinden haben. Ich schlage vor, wir sehen uns die Kühlkammer einmal an." Fan Kar Kont war einverstanden. Zu-
sammen mit Rex Corda und John Haick verließ er die Zentrale, um zu den Kühlkammern im Bug des Schiffes zu gehen. Sie erreichten die Kammern ziemlich schnell. Rex Corda bog als erster um eine Biegung des Ganges. Er stieß einen überraschten Ruf aus. Dann stürzte er nach vorn und starrte auf das fast zwei Meter große Loch im Schott der dritten Kühlkammer. Mit seinen Fingern tastete er über die große Öffnung. Feiner grauer Staub bedeckte die Ränder des Loches. „Er ist direkt durch das massive Material gegangen!" staunte John Haick. Jetzt erkannte auch Fan Kar Kont die ungeheure Gefahr, die von dem Veränderten ausging. Alle Ehrerbietung vor dem Manduranen war mit einem Schlag wie weggewischt. Über das braun und weiß gestreifte Gesicht des Fan-Geborenen liefen zukkende Schatten. Das war ein Zeichen höchster Erregung bei Fan Kar Kont. „Wir müssen ihn töten", sagte der Chef-Wissenschaftler. „Wenn wir es nicht tun, bringt er uns alle um..." * Latak Decimo ging zusammen mit Hent Marat an den Kabinen der beiden Mädchen von Vlotho vorbei, nachdem er Samar Tarkannt die unbenutzte Kabine des ehemaligen Kommandanten des Wachbootes zugewiesen hatte. Er blickte in den Raum mit den beiden Mädchen, die noch immer verängstigt in ihren Pneumosessein saßen. Latak Decimo hatte nicht mehr viel Zeit. Er informierte die beiden Mädchen über das zuletzt vorgefallene. Allerdings verschwieg er einige entscheidende Einzelheiten. Er wollte Tane und Tau-Lau nicht unnötig ängstigen. Mit kurzen Worten erklärte er ihnen,
daß sie sich auf dem Flug von Teckan zur Erde befanden. Er sagte ihnen, wo sich die Erde befand und was sie dort erwartete. Tane und Tau-Lau zögerten einen Augenblick. Dann erklärten sie sich einverstanden, mit zur Erde zu kommen. Latak Decimo hatte nichts anderes erwartet. Er lächelte Tane zu und stellte fest, daß er eine gewisse Vorliebe für blonde Mädchen besaß. Die meisten Frauen auf Lakton waren dunkelhaarig ... Hent Marat interessierte sich offensichtlich für die Zwillingsschwester von Tane, Eigentlich war es vollkommen egal, welches der beiden Mädchen er sich auswählte. Sie sahen sich so ähnlich, daß es ziemlich schwer war. sie voneinander zu unterscheiden. Trotzdem war deutlich zu merken, daß Tane die ältere war. „Wenn Sie wollen, können Sie mit hoch in die Zentrale kommen. Alle anderen Beatzungsmitglieder der Corocon III sind bereits dort versammelt. Ich sehe es eigentlich nicht ein, warum Sie nicht dabeisein sollten." Tane und Tau-Lau stimmten zu. Sie reichten Hent Marat nur bis an die Schultern. Aber der massige Laktone bemühte sich mit rührender Sorgfalt um die Mädchen von Vlotho. Zusammen stiegen sie in einen Antigravschacht und ließen sich in die Zentrale bringen. Dort wurden sie von den Anwesenden begrüßt, nachdem Latak Decimo sie vorgestellt hatte. In diesem Augenblick erschien auch Fan Kar Kont in der Zentrale. Er hob den Arm und bat um Ruhe. „Wir müssen jetzt gemeinsam eine Entscheidung fällen", sagte er ernst. „Wir haben uns geirrt. Rex Corda glaubt, daß der Mandurane ein veränderter Terraner ist. Ich will dazu keine Stellung nehmen, aber ich habe mit
eigenen Augen gesehen, daß das schwere Metall einer Kühlkammertür in Staub verwandelt worden ist. Samar Tarkannt ist direkt durch die Tür gegangen." Ein Raunen ging durch die Reihen der Wissenschaftler. Mit schreckgeweiteten Augen hörten die beiden Mädchen von Vlotho zu. Sie allein wußten, welche Bedeutung die Worte von Fan Kar Kont hatten. Sie waren bei den Versuchen dabeigewesen. Sie hatten gesehen, zu welchen Leistungen die Veränderten in der Lage waren. „Ich glaube, ich kann etwas dazu sagen", meinte Tane und räusperte sich. Alle Wissenschaftler innerhalb der Zentrale verstummten. Fan Kar Kont nickte Tane zu. „Die Experimente auf Swamp befaßten sich ausschließlich mit Terranern, die während einer Invasion auf diesen Planeten entführt worden sind. Wir haben versucht, die Gehirne dieser Menschen zu verändern und ihnen zusätzliche Kraftzellen einzubauen. Worum es eigentlich ging, wurde stets so geheimgehalten, daß selbst wir als wissenschaftliche Assistentinnen es nie erfuhren ..." „Gibt es irgendeine Möglichkeit, einen Veränderten zu töten?" fragte Fan Kar Kont. Atemloses Schweigen breitete sich in der Zentrale aus. Tane blickte auf ihre Schwester. Dann senkte sie langsam den Kopf. Zuerst war ihr Kopfschütteln nur schwach. Aber dann wurde die Bewegung so deutlich, daß alle von Teckan geflüchteten Wissenschaftler es sehen konnten. Nur das Klicken und Summen der Kontrollgeräte innerhalb der Zentrale war zu hören. Dann räusperte sich Fan Kar Kont. „Wir werden es trotzdem versuchen", sagte er entschlossen.
In diesem Augenblick tauchte Samar Tarkannt in einer Türöffnung auf. Er hatte die letzten Worte von Fan Kar Kont gehört. Mit schweren Schritten ging er auf den Chef-Wissenschaftler zu. Fan Kar Kont sprang einen Schritt zur Seite und griff nach einer Reeling Gun neben den Kontrollgeräten. Mit einer blitzartigen Bewegung riß er die Waffe hoch. Dann drückte er ab. Die Taumelgeschosse, die sonst alles vernichteten, riefen nur ein leichtes Zischen im Körper des Veränderten hervor. Sofort erkannte Fan Kar Kont, daß er mit einer Reeling Gun keine Chance hatte. Er griff nach dem Strahler. Der Hitzestrahl flammte weißglühend aus dem Lauf des Strahlers. Er verschwand dicht vor der Brust des Veränderten im Nichts. Samar Tarkannts Augen blitzten auf. Sie alle erkannten, wie Tarkannt die ungeheure Energie aus dem Strahler durstig in sich aufsaugte. * Rex Corda platzte völlig unvorbereitet in die Zentrale. Er blickte in die versteinert wirkenden Gesichter der laktonischen Wissenschaftler. Sie alle starrten auf Fan Kar Kont und Samar Tarkannt. Der Mandurane verzog sein Gesicht zu einem breiten, überheblich wirkenden Grinsen. Dann sah Rex Corda die Waffen bei Fan Kar Kont. Er brauchte nicht lange nachzudenken, um zu wissen, was geschehen war. „Wir betonen nochmals, daß Wir das Kommando über dieses Schiff übernommen haben. Wir werden die Konsequenzen ziehen, falls man sich in irgendeiner Form nochmals Unseren
Befehlen widersetzt." Der Mardurane schritt hochaufgerichtet zu den Kontrollen und ließ sich in einen Pneumosessel fallen. „Die Koordinaten!" sagte er kurz. Keiner der Wissenschaftler rührte sich. „Wir verlangen sofort Hilfe. Wenn Wir die Koordinaten nicht bekommen, werden Wir einen Notruf aussenden." Das durfte nicht passieren. Rex Corda sprang nach vorn. Wenn der Veränderte tatsächlich einen Notruf nach Lakton schickte, war die Corocon III verloren. Corda durfte es nicht riskieren, daß noch mehr Laktonen im SwampSystem erschienen. Ein Trakon-Kreuzer war schon viel zuviel. Rex Corda stand jetzt direkt hinter dem Manduranen. Er stützte sich mit den Händen auf der Lehne des Pneumosessels ab. Dann konzentrierte er sich auf das Hirn des Veränderten. Er wagte einen neuen Versuch. Er wußte, welches Risiko er einging. Aber er mußte es tun. Sie hatten keine andere Chance. Der Mandurane war offensichtlich unverletzlich. Die einzige Waffe, die ihnen jetzt noch blieb, war Cordas emphatische Begabung... Feine Schweißperlen traten auf die Stirn des Präsidenten von Terra. Rex Cordas Finger zitterten, als sie die Lehne des Pneumosesseis umklammerten. Der Mandurane bewegte sich nicht. Immer stärker konzentrierte sich Rex Corda auf Samar Tarkannt. Alles in ihm vibrierte. Er versuchte, Angstgefühle in Tarkannt zu erzeugen. Mit dieser Methode hatte er bereits mehrmals Erfolg gehabt. Aber würde der Versuch bei einem Veränderten gelingen? Rex Corda setzte alles ein, was in ihm war. Er hatte nur noch einen einzigen Gedanken: Angst. Er projizierte dieses Gefühl auf den Veränderten und
wurde selbst in überreichlichem Maße davon ergriffen. Er konnte nur dann Gefühle in andere projizieren, wenn er sie selbst hatte. Rex Corda dachte an die grauenhaften Riesenmaden auf dem SwampMond. Er erinnerte sich daran, wie sehr er selbst sich im ersten Augenblick geekelt hatte. Aber das war nicht genug. Er mußte dieses Gefühl übersteigern. Er mußte es multiplizieren und sich vorstellen, daß er mehr als Ekel empfand. „Angst!" keuchte es in Corda. „Grauenhafte, jämmerliche Angst. Du hast Angst, Samar Tarkannt. Du bist nicht unverletzbar. Du wimmerst und schreist vor Angst! Nicht vor uns — vor dir selbst. Du fürchtest dich! Du bist dir selbst unheimlich, Samar Tarkannt. Dein Unterbewußtsein ist stärker, als du denkst. Es wird dich vernichten. Und davor hast du Angst — Angst — Angst.'' Der Mandurane kam mit einem schrillen Aufschrei hoch. Rex Corda brach zusammen. Tarkannt schwang herum und setzte mit einem einzigen Sprung über den Pneumosessel. Rex Corda raffte sich zusammen, während der Schweiß in Strömen über seinen Rücken lief. Mit einer verzweifelten Bewegung warf er sich zur Seite. Der Mandurane keuchte an ihm vorbei. Rex Corda wußte genau, daß er nicht die geringste Chance in einem Zweikampf hatte. Er mußte fliehen... Er raste so schnell wie möglich durch eine sofort gebildete Gasse zwischen den Wissenschaftlern hindurch. Er erreichte die Tür und hörte hinter sich das Stampfen und Keuchen von Samar Tarkannt. Rex Corda riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu. Er sah sich kurz um. Dann wandte er sich nach links. Als er in den Gravoschacht sprang, hörte er hinter sich ein berstendes
Krachen. Ein vielstimmiger Aufschrei folgte. Der Mandurane war direkt durch die Tür gerannt. Staub rieselte auf den Boden. Rex Corda verließ den Gravoschacht bereits in der nächsten Etage wieder. Zitternd und keuchend raste er weiter. Er bebte am ganzen Körper. Dann hörte er hinter sich den Manduranen. In einer verzweifelten Bewegung riß Rex Corda einen Schrank auf. Es war ein Magazin für Raumanzüge. Corda überlegte fieberhaft. Dann hatte er eine Idee. Er mußte versuchen, die Corocon III zu verlassen. Dann konnte Samar Tarkannt nicht folgen. Mit einem Raumanzug war es ihm möglich, mehrere Stunden außerhalb der Corocon III zu überleben. In der Zwischenzeit mußten sich Fan Kar Kont, Latak Decimo und John Haick etwas einfallen lassen ... Rex Corda legte in fliegender Hast den Raumanzug an. Dann überprüfte er das Funksprechgerät. Er wußte, daß Samar Tarkannt ganz in seiner Nähe war. Deshalb konnp te er es wagen, mit der Zentrale Kontakt aufzunehmen. „Hier spricht Rex Corda. Können Sie mich verstehen?" Sekunden später kam die Stimme von John Haick durch die Kopfhörer. „Wo bist du, Rex?" „Er ist hinter mir her. Versucht sofort, Swamp zu erreichen. Ich werde mich bemühen, ihn in Schach zu halten." „Okay. Wir verteilen die Besatzung auf sämtliche Etagen der Corocon III. Hast du einen Raumanzug an?" „Ja." „Ausgezeichnet. Über Funk werden wir dir ständig Bericht erstatten, wo sich der Mandurane aufhält." „Gut. Aber beeilt euch." „Keine Sorge, Rex. Das klappt
schon." Rex Corda spürte, wie die Antriebsaggregate der Corocon III aufheulten. John Haick hatte sofort begriffen, daß es keine Chance für Rex Corda gab, wenn es ihnen nicht gelang, rechtzeitig Swamp zu erreichen. Mit höchstmöglicher Beschleunigung führte die Corocon III eine weite Kurve durch und jagte dann auf das System der roten Riesensonne zurück. Im gleichen Augenblick hörte Corda direkt neben sich ein krachendes Bersten. Er war bereits darauf vorbereitet. Er hatte seine Außenmikrofone auf volle Intensität geschaltet. Er verließ das Magazin für Raumanzüge und rannte über einen Gang. Aus den Augenwinkeln erblickte er Samar Tarkannt. Rex Corda sprang in einen anderen Gravoschacht. Dann sah er, daß der Mandurane ein Stockwerk über ihm aus dem Nichts auftauchte. Rex Corda riß sich zusammen. Das war keine normale Flucht. Ständig mußte er damit rechnen, daß der Mandurane irgendwo aus dem Nichts auftauchte. Dann hörte er die ersten Berichte der laktonischen Wissenschaftler. „Samar Tarkannt in Deck zwölf." Rex Corda wandte sich nach links. Er jagte durch einen Gravoschacht nach unten. „Tarkannt läuft in Richtung Gravoschacht vier." Rex Corda stoppte. Er sprang aus dem Schacht und hastete durch einen Gang. „Er hat den Schacht erreicht, verläßt ihn aber auf halber Höhe und dringt durch eine Kabine in Deck elf." Rex Corda stoppte. „Er nähert sich der Zentralachse." Lange würde Rex Corda das nicht durchhalten. Er wußte es. Der schwere Raumanzug behinderte ihn. Samar
Tarkannt war in einer besseren Position. Für ihn gab es keine Sperren, keine Türen, keine Wände . .. „Jetzt befindet er sich in der medizinischen Abteilung. Er hat einen Vitashelm entdeckt!" Rex Corda stockte. Auch das noch. Die Vitashelme besaßen eine doppelte Augenoptik, die mit einem MiniaturComputer an der Rückseite des Helmes verbunden waren. Normalerweise wurden sie als optische Feuerleitgeräte verwendet. Die Doppeloptik vor den Augen des Schützen registrierte sogar die geringste Verengung der Pupillen kurz vor dem Entschluß zu feuern. Sie formte diese durch das Unterbewußtsein gesteuerte Bewegung der Pupillen in einen Schießbefehl für die gekoppelten automatischen Waffen um. Mit Hilfe der Vitashelme war es möglich, ohne die geringste Verzögerung einen Angreifer zu erkennen und gleichzeitig zu schießen. Kein menschliches Hirn konnte schneller arbeiten als ein Vitashelm. „Er hat den Helm aufgesetzt und kommt jetzt in Richtung auf Deck vier." Rex Corda befand sich bereits an der Außenhülle der Corocon III. Mit Höchstgeschwindigkeit jagte das Wachboot auf das Swamp-System zu. Dann passierte es die rote A-5-Sonne. Rex Corda und Latak Decimo manövrierten ungewöhnlich gewagt. Rex Corda stand keuchend vor einem Antigravschacht. Er wußte, daß er diese wahnsinnige Hetzjagd nicht mehr lange aushielt. Raumanzüge waren nicht für derartige Spurts geeignet. Wieder sprang er in einen Antigravschacht. „Samar Tarkannt in Deck sechs Richtung Antigravschacht drei." Wieder hatte Rex Corda die falsche Richtung eingeschlagen. Er fluchte leise vor sich hin. Es hatte keinen Sinn. Auf
die Dauer konnte er dem Manduranen nicht entkommen. Die Kraft von Samar Tarkannt war auf die Dauer stärker und wirkungsvoller als die vereinten Bemühungen der laktonischen Wissenschaftler. Rex Corda wurde immer mehr in die Enge getrieben. Er befand sich bereits im unteren Drittel der Corocon III. Er kam sich vor wie der Turm bei einem Schachspiel, der nur waagerechte Bewegungen ausführen konnte, während zwei gegnerische Damen, die alle Möglichkeiten besaßen, ihn in eine Ecke zu treiben versuchten. Samar Tarkannt war nur ein einzelner. Aber seine Fähigkeiten überstiegen die von fünfunddreißig laktonischen Wissenschaftlern. Rex Corda erreichte Deck zwei. Es lag direkt unterhalb der Maschinenstation. „Tarkannt in Deck drei." Rex Corda biß sich auf die Lippen. Er spürte das salzige Blut in seinem Mund und schluckte es herunter. Er mußte husten. Dann krachte der Mandurane durch eine Verbindungswand. Die Corocon III mußte inzwischen vollkommen durchlöchert sein. Verzweifelt bemühte sich Rex Corda, in die Nähe einer Luftschleuse zu kommen. Das war alles, was er jetzt noch tun konnte. Er durfte es nicht zulassen, daß der Mandurane im Lauf der Zeit die gesamte Corocon III in ein Sieb verwandelte. „Tarkannt in Deck zwei", meldete einer der Wissenschaftler. Rex Corda wußte es bereits. Es gab keinen Ausweg mehr. „Wie lange kannst du dich noch halten?" fragte John Haick. „Nicht mehr lange", gab Rex Corda zurück. „Ich kann nicht mehr, verdammt noch mal!" „Noch fünf Minuten, Rex. Wir haben. bereits die Mondbahn von Swamp
passiert." „Ich schaffe es nicht. Da — ei kommt!" „Tarkannt in Deck eins", wurde Rex Corda informiert. Es war überflüssig. Er sah den Manduranen direkt vor sich. Mit einem gewaltigen Sprung hechtete er an einem Panzerplastpfeiler vorbei direkt in einen Antigravschacht. Hinter ihm brach der Pfeiler zusammen. Der Mandurane hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu umgehen. Die Corocon III vibrierte. Von der Zentrale aus waren die Bremsdüsen eingeschaltet worden. Die Antigravitationsautomaten wurden bis zur Belastungsprobe beansprucht. Rex Corda rannte in den Maschinenraum. Aber sofort wich er wieder zurück. Er durfte nicht riskieren, daß der Mandurane innerhalb des Maschinenraums durch feste Materie hindurchging. Das würde gleichbedeutend mit dem Absturz der Corocon III sein. „Tarkannt in der Düsenkelchetage." Rex Corda zuckte zusammen. Auch diese Etage war durch die Anwesenheit des Manduranen aufs höchste gefährdet. Rex Corda mußte es wagen, an Samar Tarkannt vorbei zu kommen. Er lehnte sich mit der Schulter gegen eine Verbindungswand. Sein Atem ging flach und hastig. Krampfhaft versuchte Rex Corda, nur ein einziges Mal tief durchzuatmen. Es gelang ihm nicht. Mit jedem Atemzug schmerzten und stachen seine Lungen. Er hatte Stiche in der Seite und spürte, daß sich seine Beine langsam in Bleiklumpen verwandelten. Das Blut hämmerte in seinen Schlafen, während er rote Kreise vor seinen Augen sah. Er hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Am liebsten hätte er den Helm des Raumanzuges abgerissen und einfach tief durchgeatmet. Er hatte plötzlich Platzangst. Da erschien der Mandurane knapp
zehn Meter von ihm entfernt vor einem großen Loch in der Wand. Es war so plötzlich entstanden, daß Rex Corda fast eine halbe Minute brauchte, bis er reagierte. Dann sah er, daß der Mandurane den Vitashelm aufgesetzt hatte. Er wollte sich nach links wenden, stellte aber fest, daß Samar Tarkannt offensichtlich seine Gedanken erraten hatte und ebenfalls nach links sprang. Die beiden Männer standen knapp acht Meter voneinander entfernt. Rex Corda dachte daran, zur Luftschleuse auszuweichen. Sofort wandte sich Samar Tarkannt in die Richtung, in der die Luftschleuse lag. Ein eisiger Schreck durchzuckte Rex Corda. Samar Tarkannt war in der Lage, seine Gedanken zu lesen ... Das war Rex Cordas große Chance. Noch einmal versuchte er, sich auf Samar Tarkannt zu konzentrieren. Er projizierte panische Angstgefühle in ihm. Der Mandurane wich zurück. Rex Corda gab nicht auf. Mit bebenden Lippen starrte er den Manduranen an. Samar Tarkannt taumelte. Er schlug mit dem Rücken gegen eine Verbindungswand. Aber dann brach Rex Corda zusammen. Er hatte nicht mehr genügend Kraft, um seine emphatische Begabung voll einzusetzen. Corda dreht sich um und verschwand in einem Gravoschacht. Er wußte, daß es keinen Zweck hatte. Als er in der nächst höheren Etage ankam, stand der Mandurane bereits wieder vor ihm. Das war die Bestätigung dafür, daß Samar Tarkannt Cordas Gedanken lesen konnte. Noch einmal raffte Rex Corda alle Energie zusammen und projizierte Angstgefühle in Samar Tarkannt. Der Mandurane verdrehte die Glieder und stolperte auf Rex Corda zu. Auch er zitterte am ganzen Körper. Das war die
einzige Waffe, die ihm etwas anhaben konnte — die Waffe des Geistes. Da krachte die Corocon III auf die sumpfige Oberfläche von Swamp. Rex Corda wurde nach vorn geschleudert. Er rutschte auf den Manduranen zu. Diesmal waren seine Bemühungen umsonst. Aber er gab nicht auf. Wenn er sterben mußte, dann wollte er Samar Tarkannt mitnehmen. Rex Corda war am Ende. Er konnte nicht mehr. Die gleichzeitige psychische und physische Belastung war zu groß gewesen. Er hatte seine letzten Reserven verbraucht. Er benutzte den winzigen Funken Energie, der noch in ihm steckte, um noch einmal die Macht des Manduranen zu brechen. Fast gleichzeitig kanllten beide Todfeinde auf den harten Panzerplastboden direkt vor der Ausstiegsschleuse. Dann wurde es Nacht um Rex Corda. * Die Ohnmacht dauerte nur zehn Sekunden. Etwas in Rex Cordas Unterbewußtsein riß ihn wieder hoch. Taumelnd richtete er sich wieder auf. Alles um ihn herum kreiste. Ein wilder Farbenreigen tanzte vor seinen Augen. Er war so erschöpft, daß er nicht einmal in der Lage war, den kleinen Finger zu bewegen. Durch den Tränenschleier vor seinen Augen sah er den Manduranen. Er bewegte sich. Ein keuchendes Schluchzen kam aus Rex Cordas Brust. Er konnte nicht mehr und wollte auch nicht mehr. Er war so erschöpft wie ein Mann, der gezwungen wurde, vier Wochen ohne Schlaf in einer engen Zelle zu stehen. Ganz tief in seinem Innern war noch ein allerletzter Rest von Widerstandskraft. Es dauerte fast eine Minute, bis er
sich unendlich langsam aufgerichtet hatte. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Vollkommen erledigt lehnte er sich an eine Wand. Seine Knie versagten ihm den Dienst. Er rutschte an der Wand entlang auf die Luftschleuse zu. Er dachte an nichts anderes. Er handelte nur noch. Dann hörte er das Geräusch. Es bohrte sich wie eine glühende Nadel in sein Hirn; Der Mandurane war wieder erwacht. Rex Corda besaß kaum noch die Kraft, die Luftschleuse zu öffnen. Er stolperte hinein und zog mit unmenschlicher Anstrengung das Schott wieder hinter sich zu. Taumelnd erreichte er die Außenschleuse. Alles um ihn herum drehte sich. Während sich das Außenschott öffnete, hörte Rex Corda, wie das Innenschott durch die Kraft des Veränderten in Staub verwandelt wurde. Rex Corda stürzte aus der Schleuse in den sumpfigen Boden von Swamp. Er kroch aus dem Sumpf und klammerte sich mit den Händen an einem felsigen Grat fest. Die Corocon III war direkt am Rande einer weiten Sumpffläche gelandet. Mit weiten Taumelbewegungen schleppte sich Rex Corda davon. Hinter sich hörte er die stampfenden Schritte des Manduranen. Meter um Meter entfernte sich Rex Corda von der Corocon III. Er blickte nicht zurück. Er ging seinen Weg allein und war in diesem Augenblick so einsam wie nie zuvor. Er wußte genau, daß der Mandurane ihm folgte. Das Schicksal hatte sie beide aneinandergeschmiedet, und niemand konnte sie trennen. Aber auch der Mandurane war erschöpft. Rex Cordas emphatische Begabung hatte ihm den größten Teil seiner psychischen Widerstandskraft geraubt.
Äußerlich war er noch immer stark und unbesiegbar, aber innerlich war er genauso angeschlagen wie Rex Corda. Dann ging es plötzlich nicht mehr weiter. Eine felsige Schlucht öffnete sich vor Rex Corda. Erschöpft brach Rex Corda zusammen. Er lag nur einen Meter vor dem steilen Abhang. Hinter sich hörte er die Schritte des Manduranen. Knapp fünf Meter von ihm entfernt brach der Mandurane zusammen, als Rex Corda einen winzigen Angstimpuls ausschickte. Zu mehr war er nicht fähig. „Samar Tarkannt!" rief Rex Corda über die Außenlautsprecher seines Raumanzuges. „Du kannst von hier aus zu den Labors, in denen du entstanden bist, zurückkehren. Der Trakon-Kreuzer ist nicht weit." Es war nicht nötig, daß Rex Corda mehr erklärte. Der Vitashelm übersetzte die Gedanken von Corda für den Manduranen. Noch einmal versuchte der Veränderte, zu Rex Corda vorzudringen. Rex Corda wehrte ihn mit schwachen Angstimpulsen ab. Samar Tarkannt blieb nur drei Meter vor Rex Corda auf dem Boden liegen. Da stieß ein Gleiter mit John Haick am Steuer nach unten und hielt über Rex Corda. Starke Arme zogen ihn ins Innere des Gleiters. Dann raste John Haick zur Corocon III zurück. Er hielt sich dicht über dem Boden, da er damit rechnen mußte, daß der Mandurane noch einmal seine Macht unter Beweis stellen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Der Kampf zwischen Rex Corda und Samar Tarkannt endete unentschieden. Rex Corda wandte unter großer Anstrengung seinen Kopf zu John Haick. „Samar Tarkannt wird seinen Weg gehen", sagte er voll dumpfer Ahnung. „Niemand wird ihn aufhalten können. Seine Macht ist zu groß. Er wird schaf-
fen, was die Orathonen nicht konnten!" „Was meinst du?" fragte John Haick betroffen. „Wenn nicht ein Wunder geschieht, John, dann wird Scott Cloud alias Samar Tarkannt das laktonische Reich in den Abgrund führen!" „Du meinst wirklich, es könnte ihm gelingen, die Stellung des echten Samar Tarkannt einzunehmen?" „Hast du nicht gesehen, wie die Lak-
tonen reagierten? Er scheint dem Manduranen ähnlich zu sehen. Irgend jemand muß ihn darauf gebracht haben. Hoffentlich gelingt es den Laktonen, ihn aufzuhalten!" Rex Corda beschloß, dem Manduranen xu folgen, um zu sehen, ob er das laktonische Raumschiff erreichte. Er hätte die Laktonen gern gewarnt. Aber die Situation, in der er sich befand, verbot es ihm.
E NDE
Belifex kleine, verhutzelte Männchen, die mehr Ähnlichkeit mit Gnomen als mit Menschen haben. Die Angehörigen dieser Rasse haben keine eigenen Namen. Durch die Falten unter den Augen und den Tränensäcken wirken sie wie weinende Zwerge. Cryptoc Sudy 3x1,5 m großer, schwammiger, flüssigkeitsdurchlässiger Körper mit vier Flossen. Schwimmt in einem Hämocyaninbad (kupferhaltiges, blaugrünes Blut), da die Oberfläche des Heimatplaneten mit dieser Flüssigkeit bedeckt ist. Hochintelligent und geldgierig. Kann auf Szahan nur mit Hilfe eines Belifex leben. Das Hämocyaninbad gehört zum Kreislaufsystem. Edaphos 2 m lange, 80 cm breite Hohlräume, die mit schwarzglänzendem Pelz bedeckt ist. Bewegt sich auf Luftkissen und durch komprimierte, angesaugte Luft. Ringauge. Stammt vom Nachbarplaneten der Belifex. Die Edaphos sind ständig im Streit mit der Gnomrasse. Meistens betätigen sie sich als freie Händler. Auf dem Rücken haben sie ein Dolmetschergerät. Goom 12340 Android, der aus einer Versuchskolonie im System Gesas Laxi stammt, in der laktonische Wissenschaftler von Teckan die künstlichen Menschen weiterentwickeln wollten. Die Kolonie geriet fast in Vergessenheit. Die Androiden haben aber selbst an ihrer eigenen Weiterverbesserung mitgearbeitet und befinden sich jetzt in einigen Schlüsselpositionen des laktonischen Reiches. Dennoch ist ihr Einfluß recht gering. Goom 12340 ist ein nahezu vollkommener Android. Er zeichnet sich durch sein sympathisches Wesen und seine Eleganz aus. Humunkulus (Humunkuli) sind menschengleiche Roboter im ursprünglichen Sinn der Wortbedeutung. Man versteht darunter aber auch Androiden, die ein Skelett aus „Panzerplast" haben, auf dem normales Fleisch gewachsen ist. Humunkuli haben dann das Aussehen von Orathonen. Methanarium künstlich erhaltener Lebensbereich für Methanatmer, der mit einem Aquarium bzw. Terrarium verglichen werden kann. Methanarien findet man häufig in den Luxusräumen der Laktonen. Cryptoc (Cryptocs) hervorragende Kaufleute, meist Kommissionsagenten, die für große Handelsmächte agieren. Sie haben Flossen und schwimmen in einem blaugrünen Hämocyanin-Bad. Geringe Mengen dieses kupferhaltigen Bades dringen durch die schwammige Haut ein. Sie sind also Hautatmer. Ihre Heimatwelt
hat keine Kontinente, sondern nur diese blaugrüne Blutflüssigkeit. Die Cryptocs haben einen dünnen gepanzerten Hals und einen kleinen abgeflachten Schädel. Zwischen Hals- und Kopfansatz ist ihr einziges Auge, über dem eine Öffnung sitzt, die zur Nahrungsaufnahme dient. Sie ernähren sich von planktonähnlichen Kleinstiebewesen, die von ihrer Heimatwelt herbeigeschafft werden müssen. Ihre Sprache gleicht einem gak-kfcrndem Krächzen. Ihr Gehirn ist über den ganzen Körper unter der Haut verteilt.