Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 676
Der Todestest Im Rekrutenlager von Garzwon
von Peter Terrid
Nur unter groß...
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 676
Der Todestest Im Rekrutenlager von Garzwon
von Peter Terrid
Nur unter großen Mühen schaffte es Atlan im Jahre 3808, die verlorengegangenen Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst wieder in seinen Besitz zu bringen und danach das Generationenschiff SOL seiner Bestimmung als Spoodiesammler bei den Kranen zuzuführen. Anschließend trat Atlan im Jahre 3811 gemäß den Wünschen der Kosmokraten seine Aufgabe als Orakel von Krandhor an, um an der Entwicklung der Pufferzone zwischen den im Konflikt liegenden Superintelligenzen ES und Seth-Apophis mitzuwirken. Im Jahr 3818 benötigen die Kosmokraten die Dienste des Arkoniden auf andere Art und Weise. Atlan wird jäh aus seinem Orakeldasein gerissen und aufgefordert, eine gefahrvolle Mission in unbekannter kosmischer Umgebung zu übernehmen. Atlan akzeptiert den Auftrag, obwohl er nur unzureichende Vorinformationen erhält. Doch schließlich hängt vom Erfolg oder Mißerfolg der Mission das weitere Schicksal der Kosmokraten ab – und das ist ausschlaggebend für den Arkoniden. Und so läßt er sich quasi in Nullzeit über weite Sternenräume in die Galaxis Alkordoom versetzen, wo er bereits in den allerersten Stunden seines Aufenthalts den ganzen Erfahrungsschatz seines 12.000 Jahre währenden Lebens einsetzen muß, um sich Leben und Freiheit zu bewahren. Dennoch wird Atlan eingefangen und als Söldner rekrutiert. Auf ihn wartet DER TODESTEST…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide beim Todestest. Kennennick – Ein brutaler Ausbilder. Schanarz – Atlans persönlicher Gegenspieler. Warze, Einbein, Blackbox, Pazzon, Lockart und Colamm – Mitglieder eines neugebildeten Einsatzkommandos.
1. »Ihr kennt mich noch nicht – aber ihr werdet mich noch kennenlernen. Mein Name ist Kennennick, und ihr werdet diesen Namen hauptsächlich beim Fluchen benutzen. Damit ihr gleich wißt, wie es hier läuft – von euch werden nur sieben übrigbleiben, günstigstenfalls. Was mit den anderen wird, werdet ihr erleben.« Markige Ansprachen dieser Art hatte ich schon des öfteren zu hören bekommen. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, genau nachzurechnen, wie viele Jahre meines Lebens ich in irgendeiner Uniform gesteckt hatte – aber es würden mit Sicherheit ein paar Jahrhunderte zusammenkommen. In zwölf Jahrtausenden ließ sich das einfach nicht vermeiden. Es waren einige üble Leuteschinder dabei gewesen – aber Kennennick, der vierschrötige Thater, schien sie alle übertreffen zu wollen. Er stand vor uns, die Uniform klaffte an der Brust auf und zeigte die Härte des Thaters, während wir Mühe hatten, nicht zu zittern. Garzwon war ein scheußlicher Ort, kalt, eintönig und rauh. Die Luft war dünn und bewegte sich rasch, über den Platz fegte ein geradezu eisiger Wind, der wie mit Messern ins Fleisch schnitt. Beim Landeanflug hatte ich mir den Planeten anschauen können – er war ungefähr so groß wie der Mars und ebenso rötlich und kahl. Riesige Sandwüsten, über denen rote Staubschleier tanzten, unterbrochen von Felswüsten, ab und zu ein paar Berge und Schluchten, deren Wände nahezu lotrecht waren. »Eure Quartiere könnt ihr sehen. Ich erwarte absolute Sauberkeit und Disziplin. Wer dagegen verstößt, bekommt es mit mir zu tun. Will es einer versuchen?« Natürlich meldete sich niemand. Wer hätte auch schon gegen den Thater eine ernsthafte Chance gehabt – einen, mehr als zwei Meter großen kompakten Hünen mit einer dunklen Haut, einem Kugelkopf und einem Mund, – der mich an ein Mahlwerk erinnerte. Entfernt sah er einem Haluter ähnlich, allerdings besaßen die Thater zwei Arme, zwei Augen und auch nur ein Hirn. Im Fall von Kennennick war ich mir nicht ganz sicher, ob diese Zahl nicht etwas zu hoch gegriffen war. Während Kennennick seine Ansprache fortsetzte, musterte ich meine Leidensgefährten. Es waren insgesamt einhundert – wenn davon tatsächlich nur sieben übrigbleiben sollten, mußten die nächsten Tage und Wochen buchstäblich mörderisch werden. Langsam begann ich zu ahnen, daß Kennennicks Ansprache nicht etwa das Gerede eines militärischen Leuteschinders war, der uns zu beeindrucken versuchte, sondern eine einfache Beschreibung der Tatsachen, die uns erwarteten. Er meint jedes Wort ernst, kommentierte der Logiksektor. »Wer diese Tests übersteht, der wird zusammen mit mir zum Kristallkommando gehören, und dann dürft ihr euch glücklich schätzen. Ruhm und Ehre erwarten euch, und ich verrate nicht zuviel, wenn ich bekanntgebe, daß Gentile Kaz das Kristallkommando bei Erfolg unvorstellbar belohnen wird.« Nach Belohnung war mir jetzt nicht zumute. Mir stand der Sinn nach einem warmen Bett, vielleicht einem Glas Punsch zum innerlichen Aufwärmen und einer anregenden Lektüre. »Wegtreten!« »Puh«, machte mein Nebenmann. »Der legt sich aber mächtig ins Zeug.« »Sind alle Leute eures Volkes von dieser Art?« fragte ich. »Manche«, antwortete er. Er kaute auf einem Lederfetzen herum und spie ab und zu Teile davon herum. »Wir Thater sind kernige Naturen. Ich heiße übrigens Colamm.« »Atlan«, stellte ich mich vor. Der Thater schlug mir freundschaftlich auf die Schultern, und ich spürte meine Knochen knirschen. Rauh war noch die mildeste Umschreibung für die Umgangsformen der Thater.
»Wir müssen aufpassen«, flüsterte mir Pazzon zu. Der Vielarmige machte ein verdrießliches Gesicht, er fror jämmerlich. Mit seinem dünnen Umhang und der restlichen heruntergekommenen Kleidung war er für einen Aufenthalt auf diesem kalten Wüstenplaneten denkbar schlecht ausgerüstet. »So sieht es aus«, gab ich zurück. Unsere Unterkünfte waren so unwirtlich wie der ganze Planet – roh zusammengezimmerte Holzbuden, durch deren Ritzen der Wind pfiff. Auf dem Boden lagen zerschlissene Matratzen, Fenster gab es keine – man hätte draußen auch wenig zu sehen bekommen. Ich zählte rasch nach. Für zwanzig Personen war diese Hütte gedacht, es würde sehr eng werden. Genau das richtige Klima, um Rivalitäten und Feindschaften aufzubauen. Ich suchte mir einen Platz in einer Ecke, die besonders zugig war. Pazzon griff sich theatralisch an die Stirn, als er das sah – er vermutete wohl eine Art Märtyrer-Mentalität bei mir, aber da hatte er sich verschätzt. Neben jeder Matratze stand ein Blechkasten, in dem wir während unseres Aufenthaltes unsere Habseligkeiten unterbringen durften – einstweilen also gar nichts. Die Kästen wurden durch Handlinienschlösser gesichert, ich hatte aber sofort den Verdacht, daß diese Maßnahme nichts nützen würde. Wer etwas Kostbares, vielleicht Lebenswichtiges, in einem dieser Kästen zu verstecken versuchte, war selbst schuld, wenn es ihm gestohlen oder von Kennennick beschlagnahmt wurde. Die Stimmung in unserer Baracke war nicht übermäßig schlecht, sie gründete sich vornehmlich darauf, daß die meisten Kennennicks Ansprache als rauhen Scherz aufgefaßt hatten und sich weigerten zu glauben, daß es hier tatsächlich um Kopf und Kragen ging. Ich verließ die Baracke. Es gab sechs weitere Unterkünfte dieser Art, eine brüchiger als die andere. Dazu ein Gebäude aus Stein und Hartplastmasse, dort wurden wahrscheinlich Waffen und Lebensmittel verwahrt. Kennennick hatte ein Quartier, das einen Steinwurf von unserer Baracke entfernt war – ein Erdloch, das mit Hartplast ausgegossen war und unter diesen Umständen fast schon komfortabel zu nennen war. »Was willst du?« fragte Kennennick, als er mich kommen sah. Er war damit beschäftigt, an einer Flasche herumzunuckeln. Der Geruch war eindeutig – Kennennick betrank sich. »Eine Waffe«, antwortete ich. »Und eine erste Auskunft – was für Lebewesen gibt es hier, die uns gefährlich werden könnten?« Kennennick sah mich einen Augenblick lang aufmerksam an. Er versuchte, sich ein Bild von mir zu machen. Dann begann er breit zu grinsen und zeigte seine gefährlich aussehenden Zähne. »Gefährliche Lebewesen?« fragte er und lachte. »Zunächst einmal mich, hahaha.« »Ich meine solche, auf die man schießen darf«, gab ich zurück. Kennennicks Lachen verstärkte sich. »Ein Spaßvogel, wie? Dir wird das Lachen noch vergehen. Es gibt hier ein heimtückisches Viehzeug, wir nennen es Garrs. Klein, pelzig, angriffslustig und giftig. Alles an dem Vieh ist giftig – die Zähne, das Fleisch, sogar der Pelz. Wenn du eines siehst, sofort schießen. Wenn es dich auch nur berührt, hat es dich bereits erwischt.« »Dann werde ich wohl eine Waffe brauchen.« »Kannst du haben«, erklärte Kennennick. Er steckte die Flasche weg. »Mein Lustwässerchen«, fügte er erklärend hinzu. »Brauche ich, um gute Laune zu haben.« Er begleitete mich zu dem Steinbau, der von vier Robots bewacht wurde. Die Maschinen waren mit Thermo-Strahlern ausgerüstet und einsatzklar – ich war sicher, daß sie sofort schießen würden, wenn jemand sich dem Bau zu nähern wagte.
»Was willst du haben?« fragte Kennennick. »Einen Thermostrahler«, sagte ich. Das Waffenlager konnte sich sehen lassen – Faustwaffen, langläufige Strahler, Wurfgranaten aller Art, Messer und andere Nahkampfwaffen, Seile und eine Unzahl von Haken. Ich folgerte daraus, daß es früher oder später auch ins Gebirge gehen mußte. Im hinteren Teil des Lagers stapelten sich Überlebensrationen. Kennennick drückte mir die Waffe in die Hand, außerdem gab er mir ein frisches Magazin. Er nickte anerkennend, als ich die Waffe lud – meine Schnelligkeit schien ihn zu erfreuen. »Und?« sagte er und baute sich vor mir auf. »Soweit sind wir noch nicht«, antwortete ich. »Kann ich gehen?« »Du kannst den anderen sagen, in zwei Stunden geht es los.« Ich entfernte mich. Unterwegs stellte ich den Thermostrahler auf handbreite Fächerung und möglichst geringe Leistung ein. Dann suchte ich von außen jene Winkel der Baracke auf, in dem ich mich einquartiert hatte. Es war ein ziemlich schwieriges Unterfangen, aber es gelang – ich feuerte auf die Ritzen in der Wand und ließ gleichzeitig eine größere Menge des rötlichen Sandes in den Strahl rieseln. Die Hitze schmolz den Sand zusammen, die kinetische Energie des Strahles preßte diese halbflüssige Masse gegen das Holz der Baracke. Es qualmte und stank entsetzlich, und aus dem Innern erklangen wüste Flüche. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken. »Was soll der Unsinn?!« schrie mich jemand von hinten an. Ich drehte mich halb herum. Hinter mir hatte sich ein blauhäutiges Geschöpf mit einem Kastenkopf und sechs Armen aufgebaut, zwei davon in die Hüfte gestemmt. Die rötlichen Augen – drei an der Zahl – funkelten mich böse an. »Stör mich nicht«, sagte ich und setzte meine Arbeit fort. »Wenn ich zu dir rede, hast du zuzuhören!« schrie der Blaukopf. Ich war ohnehin fertig, steckte die Waffe gesichert in den Gürtel und stand auf. Der Blaukopf war einen halben Meter größer als ich und wirkte ziemlich stämmig. »Ich bin Schanarz, merke dir den Namen!« fauchte er mich an. Ich ließ ihn einfach stehen, was seine Wut nur noch steigerte. Mein Trick hatte funktioniert – die Glasmasse dichtete die Ritzen vollständig ab. Jetzt war ich der einzige, der einen zugfreien Schlafplatz hatte, und die Mienen verrieten eine entsprechende Portion Neid. »Wo hast du die Waffe her?« wollte Colamm wissen. »Von Kennennick«, antwortete ich und streckte mich auf meiner Matratze aus. »In anderthalb Stunden will er uns sehen.« Dann drehte ich mich herum. Ich ahnte, daß jede Minute Schlaf auf diesem Planeten kostbar war. * »Seht ihr den Hügelkamm dort drüben? Das ist euer Ziel. Ihr bekommt Gepäck und Ausrüstung – und auch ein bißchen Zeit. Der Auftrag – hinmarschieren, Zielkode finden, zurückkehren. Mehr nicht. Ihr seht, wir meinen es gut mit euch.«
»Wann geht es los?« wollte einer meiner Nebenmänner wissen. Nebenmann war eine etwas seltsame Umschreibung für diesen Rekruten. Äußerlich wirkte er wie eine Halbkugel von einem Meter Radius. Die Farbe spielte je nach Licht zwischen Dunkelbraun und Schwarz, die Oberfläche dieser Halbkugel zeigte eine Unzahl feiner heller Stoppeln. Wie dieses Wesen zum Kämpfer für das Kristallkommando ausgebildet werden sollte, war mir ein Rätsel. Seine Stimme klang hoch und zischend, sie war sehr schwer verständlich. »Die Robots werden euch das Gepäck geben – und dann könnt ihr sofort losmarschieren.« Kennennick hatte seine Ladung bereits geschultert. An seinen Bewegungen war zu erkennen, daß er tatsächlich ein erhebliches Gewicht zu schleppen hatte. »Bleiben wir zusammen?« fragte Pazzon. »Vielleicht…« »Flucht dürfte nicht möglich sein«, beantwortete ich seine angedeutete Hoffnung. »Gut, tun wir uns zusammen.« Der Seitenblick von Pazzon hatte etwas Lauerndes; ich bemerkte es, ging aber nicht darauf ein. Kennennick war bereits losmarschiert. Er schlug ein flottes Tempo ein. Bei der Ausgabe des Gepäcks mußten wir uns anstellen – für jeden war eine ganz spezielle Last zusammengestellt worden. Es sah danach aus, als sollten die Chancen für jeden gleich sein. Ich hatte aber den Verdacht, daß Kennennick insgeheim bereits eine Vorauswahl getroffen hatte und dafür sorgen wollte, daß er so schnell wie möglich alle überflüssigen Personen aus diesem mörderischen Testverfahren ausscheiden lassen konnte. Worauf dieses gräßliche Spiel hinauslief, war mir völlig klar. Nur kurz hatte ich den Gedanken erwogen, gegen dieses System Widerstand aufzubauen, aber der Einfall hatte sich als sinnlos erwiesen. So gräßlich es auch war – auf Garzwon mußte jeder für sich sehen, wo er blieb. An Solidarität war vorerst nicht zu denken. Noch rechnete jeder der Verschleppten sich faire Chancen aus, diesen Test zu überstehen – erst wenn auch dem letzten klargeworden war, daß es um seinen Kopf ging, hätte sich ein Widerstand organisieren lassen. Dann aber war es mit Sicherheit bereits zu spät. Es war erstaunlich zu sehen, wie unterschiedlich die hundert Gefangenen die Aufgabe anpackten. Ein paar schienen Kennennicks Worte nicht ernst zu nehmen, faßten das Ganze als groben Scherz auf und trabten gemütlich los. Anderen saß bereits die Angst im Nacken, und sie legten ein Tempo vor, das sie unmöglich bis zum Ende durchhalten konnten. Ich schätzte die gesamte Entfernung, die wir zurückzulegen hatten, auf etwas über vierzig Kilometer – es würde ein anstrengender Marsch werden. Ich hatte gegenüber den anderen den großen Vorteil, daß meine Kräfte durch den Zellaktivator aufgefüllt wurden. Allerdings war auch diese Hilfe nicht unerschöpflich – es gab Strapazen, die auch ein Aktivatorträger nicht ohne Erholungspause überstehen konnte. »Du glaubst nicht, daß wir von hier verschwinden können?« fragte Pazzon, sobald wir alleine waren. Ein paar unserer Leidensgenossen konnten wir weit voraus durch die Wüste stapfen sehen, andere trotteten ein paar Wegminuten hinter uns her. »Womit?« fragte ich zurück. »Und wohin? Das Schiff, das uns hier abgesetzt hat, ist wieder gestartet und hängt irgendwo in einem stabilen Orbit. Ein anderes Schiff wird es vermutlich nicht geben. In der Wüste haben wir nur eine geringe Überlebensaussicht – auf diesem Planeten gibt es keine ernsthafte Fluchtmöglichkeit und von dem Planeten schon gar nicht. Es bleibt uns nicht anderes übrig, als das Spiel mitzumachen, ob wir wollen oder nicht.« »Nun ja, wenn wir zusammenhalten…« Pazzon sah mich von der Seite her an. »Wir werden doch zusammenhalten, oder?… dann müßten wir es schaffen können.«
»Wir haben Hoffnungen«, entgegnete ich. »Wie schätzt du die anderen ein? Sind sie gut?« Ich zuckte mit den Schultern. Es hatte wenig Sinn, dieses Thema zu erörtern. Noch kannten wir unsere Gefährten nicht gut genug – und ich ahnte, daß wir sie sehr bald kennenlernen würden, allerdings von der schlechtesten Seite. Ich hatte ein mittleres Tempo eingeschlagen. Pazzon hielt sich an meiner Seite recht gut. Er begriff, daß mir nicht nach Geplauder zumute war, und so stapfte er schweigend neben mir durch das Gelände. Ich nutzte die Zeit, um so viele Informationen zu sammeln wie nur möglich. Ich hielt nach Pflanzen und Tieren Ausschau, die uns gefährlich oder nützlich werden konnten. Es gab eine bläulich schimmernde Flechte, die Teile des Bodens bedeckte. Ich zupfte ein Stück davon ab und probierte vorsichtig von der Pflanze. Der Geschmack war scheußlich bitter, ich hatte den Verdacht, daß die Flechte giftig war. Ein paar Reptilien tauchten während unseres Marsches auf und beäugten uns. Die meisten waren kaum eine Handspanne groß. Säugetiere fanden wir nicht. Nach drei Stunden Marsch legte ich eine Pause ein. Pazzon, der in allem meinem Beispiel folgte, öffnete wie ich den körperangepaßten Plastikkasten, den wir an Gurten auf dem Rücken trugen. Der Inhalt entsprach meinen Erwartungen – Nahrungsmittel, Wasserkonzentrate, Werkzeug, Zeltmaterial. Es fand sich sogar eine Karte. »Na, wenn das nichts ist«, freute sich Pazzon. Ich sah mir meinen Behälter etwas genauer an. Er hatte schon einige dieser Expeditionen hinter sich und sah aus, als habe er ab und zu Halutern als Spielgerät gedient. Die dem Körper zugewandte Seite des Behälters bestand aus einem leichtverformbaren Material, das sich mit Hilfe der Körperwärme eng an den Körper des Trägers anschmiegte und so das Tragen erleichterte. Als ich die Oberfläche sorgfältiger absuchte, entdeckte ich ein paar kaum identifizierbare Schriftzeichen. Kenn…, konnte ich lesen. Vermutlich hatte dieser Behälter eine Zeitlang Kennennick gehört. Vermutlich war er es auch gewesen, der die Karte angelegt hatte. Sie zeigte die nähere Umgebung unseres Lagers und machte einen recht genauen Eindruck. »Was hat das hier zu bedeuten?« fragte Pazzon und deutete auf einige seltsame Zeichen, die jemand auf die Karte gekritzelt hatte. ’ »Wasserstellen oder Vorratslager – etwas in dieser Art«, vermutete ich. Ein Kennzeichen erregte meine besondere Aufmerksamkeit. Es gab in der Nähe einen Krater – Einschlagstelle eines Meteors, wie die Form vermuten ließ. Kennennick, oder wer immer die Karte angefertigt hatte, hatte diesen Krater besonders gekennzeichnet – und danach diese Kennzeichnung wieder zu entfernen versucht. Die Spuren waren gerade noch zu erkennen, wenn man sehr genau hinsah und die Karte gegen das Licht der Sonne hielt. Ich begann zu lächeln. Diese Information konnte von unschätzbarem Wert sein. Später. Und ich sah, wie Pazzons Blick überaus begehrlich wurde.
2. Als wir den Zielort erreichten, war es bereits Nacht. Über unseren Köpfen waren für kurze Zeit zwei Monde aufgetaucht, klein, unregelmäßig geformt und sehr lichtschwach. Kennennick wartete bereits auf uns. Er hatte ein Feuer angemacht und bediente sich an seinem Lustwässerchen. Er sah kurz auf, als er unsere Schritte hörte. »Wenn ihr glaubt, daß ihr die ersten seid, habt ihr euch geirrt«, knurrte er. »Wir wissen, daß andere vor uns sind«, antwortete ich. Kennennick deutete kurz auf ein klobiges Metallgebilde, das im Lichtkreis des Feuers zu sehen war. »Aufmachen«, sagte er nur, dann wandte er sich wieder seiner Flasche zu. Das Metallgebilde entpuppte sich als Tresor. Eine Reihe von Fußspuren führte darauf zu – und ein paar Schleifspuren davon weg. Diese Spuren verschwanden irgendwo im Dunkel. Ich hielt Pazzon fest, der sich sofort ans Werk machen wollte. Wahrscheinlich war der Tresor gesichert, vermutlich mit einem starken Energiefeld. Aus den Schleifspuren folgerte sich, daß einige, die diesen Ort vor uns erreicht hatten, an dieser Aufgabe gescheitert waren. Ich nahm einen Stein auf und warf ihn nach dem Tresor. Der Stein prallte mit hellem Klang gegen das Metall und fiel dann auf den Boden. Bei toter Materie wirkte das Feld also nicht. In der Nähe des Feuers gab es ein Gestrüpp, einen Busch mit langen biegsamen Ranken. Ich schnitt eine davon ab und machte den gleichen Versuch noch einmal. Noch im Flug wurde die Rute von einem knisternden Energiefeld eingehüllt. Der Zweig landete auf dem Tresor, eingehüllt in eine zuckende Aureole. Es war zu erkennen, daß sich das Material der Rute nicht veränderte – das Schutzfeld griff die organische Materie nicht substantiell an. Ich vermutete, daß ein Mensch beim Kontakt schwerste Schockschäden davontragen mußte, vielleicht unwiderrufliche Schädigungen des Nervensystems. Ich sah, daß Pazzon schluckte. Als ich den Kopf wandte, konnte ich Kennennick grinsen sehen. Er war ohnehin unser Feind. Es konnte also nur wenig schaden, wenn ich ihn zusätzlich ärgerte. Langsam zog ich meine Waffe, entsicherte sie und richtete die Mündung auf seinen Kopf. Kennennick sah mich grimmig an. »Was soll der Unfug?« fragte er. »Du wirst uns diesen Tresor öffnen«, sagte ich langsam. »Glaube nicht, daß ich spaße. Weißt du, im Lager erwartet uns unser Ausbilder, ein Bursche, der nicht mit der Wimper zucken wird, wenn er uns den Schädel einschlägt. Er hat uns den Auftrag gegeben, hierher zu marschieren und den Zielkode zu finden – und wir werden diesen Auftrag erfüllen. So oder so.« Kennennick kreuzte die Arme vor der Brust. »Ach wirklich?« fragte er. Ich betätigte den Abzug. Kennennick machte einen Satz, um sich in Sicherheit zu bringen. Mit einem Ausdruck höchster Wut starrte er auf den Schmelzfleck auf dem Boden. Er qualmte eine Handbreit neben dem Platz, an dem er gesessen hatte – und rein zufällig hatte dort die Flasche mit seinem Spezialelixier gestanden. »Das wirst du noch bereuen«, stieß Kennennick hervor. Dieses Schmierentheater paßte mir überhaupt nicht, aber ich hatte mich für eine ganz bestimmte Rolle entschieden – und nun mußte ich sie durchhalten, ob es mir paßte oder nicht. »Ich pflege meine Aufträge zu erfüllen«, erklärte ich Kennennick und zielte wieder auf ihn. »Was nachher passiert, ist mir dabei gleichgültig. Also wie sieht es aus? Öffne den Tresor!«
Kennennick knirschte hörbar mit den Zähnen. Dann griff er in die Tasche und förderte eine Fernsteuerung zutage. Ein Knopfdruck ließ das Feld verschwinden. »Pazzon, öffne!« bestimmte ich und grinste Kennennick an. »Und du wirst solange die Steuerung aus der Hand legen.« Die beiden gehorchten. Sobald das Feld verschwunden war, stellte die Aufgabe sich als harmlos heraus – der Tresor war im Handumdrehen geöffnet. Er enthielt eine Plastikkarte mit einem aufgedruckten Kode, den ich mir merkte. Außerdem standen zwei Flaschen von Kennennicks Lustwässerchen darin. Der Gesichtsausdruck des Thaters spottete jeder Beschreibung, als ich meine Waffe so bewegte, daß die Flaschen zum Ziel wurden. »Wirf die Karte hoch«, bestimmte ich. Pazzon tat es, und ich zerstörte die Karte mit einem Schuß meiner Waffe. Über Kennennicks Gesicht flog ein Grinsen. Als Schurke von Geblüt und Charakter wußte er die Lumpereien anderer zu schätzen – es lag auf der Hand, daß nun außer uns keiner mehr an diesen Zielkode herankommen konnte. »Wir sehen uns im Lager wieder«, verkündete ich und winkte Pazzon zu. »Komm, wir gehen.« »Er wird uns in Stücke reißen lassen«, murmelte Pazzon, als wir davonmarschierten, auf das Lager zu. »Du hast ihn furchtbar gereizt.« Ich zuckte mit den Schultern, als ginge mich das Ganze nichts an. Mein Logiksektor meldete sich kurz. Richtig gehandelt, lautete sein Kommentar. Meine Vermutung war, daß dieser Teil der Aufgabe gar nicht zu lösen war – die ganze Absicht bestand darin, jeden Kandidaten mit einer wahren Todesangst auf den Rückweg zu schicken und ihn fühlen zu lassen, daß sein Leben in Kennennicks Hand lag. Dieser Trick konnte jetzt nicht mehr funktionieren – und Kennennick wußte das. Es mußte sich zeigen, wie er darauf reagierte, daß ich sein Spiel zerstört hatte. * Er wartete bereits auf uns, als wir das Lager erreichten. Pazzon hatte in Erfahrung gebracht, daß der Lagerplatz allgemein »Ort der Verdammten« genannt wurde – eine durchaus passende Bezeichnung, wie mir schien. Wir waren nicht die ersten, die ins Lager zurückkehrten – aber wir gehörten zu den ersten zehn. Die anderen tauchten hinter uns auf – schwankende Gestalten, die sich nur mühsam vorwärtsschleppten. Kennennick hatte sich am Rand des Lagers aufgebaut, die Hände in die Hüften gestemmt. Neben ihm standen zwei der Robots, die Waffen schußbereit. Er warf mir einen bösen Blick zu, als ich an ihm vorbeimarschierte. Pazzon hatte Mühe, mein Tempo mitzuhalten, aber er schaffte es. Sobald wir den freien Platz zwischen den Hütten erreichten, ließen wir unsere Last auf den Boden gleiten und streckten uns aus – mir schmerzten alle Glieder, und ich hatte Mühe, genug Luft zu bekommen. Die Halbkugel war bereits angekommen – als erster, wie ich erfuhr. Außerdem war da noch ein Rekrut zu finden, der in gar kein Schema zu passen schien. Es handelte sich vermutlich um einen Robot, anders ließen sich Gestalt und Aussehen schwer erklären. Ein zigarrenkistengroßes eckiges Gebilde, das auf einer Art Luftkissen beweglich war. Um
sich mit der Umwelt zu verständigen, hatte der Namenlose nur die Möglichkeit, eine seiner Körperseiten in eine Art Bildschirm zu verwandeln und darauf eine Laufschrift abrollen zu lassen. Ich lag genau neben diesem Gebilde im kalten Sand und berührte es zufällig. Die metallisch schimmernde Haut war warm und weich. Also doch ein Lebewesen? Hastig wich der Namenlose vor mir zurück. »Nicht anfassen!« lautete der Schriftzug auf der mir zugewandten Körperseite. »Entschuldigung«, sagte ich. »Akzeptiert!« Damit war die Kommunikation beendet. Nach und nach tauchten die anderen auf. Etliche, die Kennennick aus der Ferne erkannten, erschraken heftig und strengten sich an, so schnell wie möglich ins Lager zurückzukehren. Niemand wußte, wie das Auslesekriterium wirklich aussah – klar war nur, daß die letzten Ankömmlinge den Test nicht bestanden hatten. Sieben fehlten, als Kennennick, von seinen Robotern flankiert, zu uns herübergestapft kam. »Aufstellen!« Militärischer Drill war mir um so verhaßter geworden, je länger ich ihn hatte aushalten müssen. Unter diesen Umständen wirkte er besonders widerwärtig. Dennoch baute ich mich mit den anderen zusammen auf. Langsam wanderte Kennennick an uns vorbei, sah uns in die Augen. Einer ertrug diesen Blick nicht, drehte sich schnell herum und lief einfach davon. Mit beachtlicher Geschwindigkeit riß Kennennick den Arm hoch. Ein Schockstrahl riß den Flüchtling von den Beinen, er brach zusammen. »Wegschaffen!« bestimmte Kennennick. Einer der Robots trug den Bewußtlosen davon. Kennennick grinste boshaft. »Keine Sorge, Freunde«, sagte er giftig. »Ihr werdet ihm schon wieder begegnen. Nun, wie hat euch der kleine Ausflug gefallen?« Er brauchte nur die Gesichter anzusehen, um eine Antwort zu finden. Die Züge wirkten ausgemergelt, einige hatten sich bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit verausgabt. Kennennick baute sich vor uns auf. »Vielleicht sind ein paar unter euch so schlau gewesen, unterwegs ihr Gepäck zu erleichtern. Ihr werdet schon merken, was ihr davon habt – es ist eure Ration für die nächsten Tage gewesen.« Ich sah, wie zwei der Testkandidaten erbleichten, Kennennicks Grinsen wurde noch breiter. »Ihr habt drei Stunden Zeit, euch auszuruhen, dann geht es weiter. Abtreten!« * »Es steht für mich fest«, stieß Pazzon grimmig hervor. »Der Kerl will uns umbringen.« »Daran hat er keinerlei Zweifel gelassen«, antwortete ich. Ich hatte es mir auf der Matratze bequem gemacht. Meinen Proviant hatte ich in dem Kasten untergebracht. Ich war sicher, daß man ihn mir bald stehlen würde. Sein erstes Ziel hatte Kennennick bereits erreicht – es war ein Klima von Eifersucht, Angst und
Bosheit entstanden, das wahrscheinlich nicht mehr zu ändern war. Sehr grob ließ sich die Truppe in zwei unterschiedliche Typen aufteilen. Da gab es eine nicht kleine Zahl von Abenteurernaturen, die versuchen wollten, aus dieser Lage das Beste herauszuholen. Schon im normalen Leben hätten sie wenig Hemmungen gehabt, ihre Mitmenschen übers Ohr zu hauen. Unter den Bedingungen dieses Planeten wurde diese Geisteshaltung natürlich noch angestachelt. Die anderen hatten die Angst im Nacken. In ihrem Verhalten würden sie sich von der ersten Gruppe nur unwesentlich unterscheiden – nur wurzelten ihre Taten in der fürchterlichen Angst davor, bei diesem barbarischen Training ums Leben zu kommen. Ich hatte nicht vor, mich einer dieser Gruppen anzuschließen. Mir standen – hoffentlich – andere Mittel zur Verfügung, mein Leben trotz der Umstände zu erhalten. »Und was hat das für einen Sinn?« ereiferte sich Pazzon. »Ganz einfach«, erklärte Colamm, der sich herangeschoben hatte. »Kennennick braucht für das Kristallkommando die Besten – und wer das ist, will er herausfinden. Wenn dabei einige auf der Strecke bleiben, wird ihn das nicht kümmern. Mich übrigens auch nicht.« Pazzon warf ihm einen giftigen Blick zu. Ich rollte mich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Es gelang mir nicht. Meine Gedanken bewegten sich immer wieder im gleichen Kreis. Die Situation hier war unmenschlich, barbarisch. Dieses sogenannte Testverfahren war eine Verhöhnung des Begriffs. Im Grunde lief es darauf hinaus, einen erbarmungslosen Kampf aller gegen alle zu provozieren. In diesem Klima der Zwietracht war es unglaublich schwer, wenn nicht gar unmöglich, Freunde zu finden, mit denen ich mich hätte verbünden können. Die völlige Aussichtslosigkeit der Lage ließ bei den meisten jeden Gedanken an Auflehnung von vorneherein zusammenbrechen. Eine Möglichkeit hatte ich – aber die wäre darauf hinausgelaufen, meinen Auftrag abzubrechen, noch bevor ich auch nur die ersten Erfahrungen gemacht hätte. Nach langem Hin und Her blieb ich bei dem einmal gefaßten Entschluß – hierbleiben und mitmachen, soweit es unumgänglich war. Unter keinen Umständen irgend etwas tun, das sich mit meinen Auffassungen von Menschlichkeit nicht vereinbaren ließ. An der Wand der Hütte hing eine Uhr. Mir blieben nur noch zwei Stunden. Da an Schlaf nicht zu denken war – in unserem Quartier wurde gelärmt und geflucht –, nahm ich meine Zuflucht zu den Entspannungstechniken, die ich erlernt hatte. Im Zustand völliger körperlicher und geistiger Ruhe regenerierte der Körper weitaus rascher als normal. Als die zwei Stunden verstrichen waren, fühlte ich mich frisch und ausgeruht. Bei meinen Gefährten waren die Strapazen des Marsches und die allgemeine Angst noch deutlich zu sehen. Kennennick ließ uns auf dem großen Platz antreten. »Ich suche Freiwillige für eine Spezialschulung«, erklärte Kennennick. »Das Kristallkommando braucht einen fähigen Piloten. Ihr könnt euch jetzt melden – und denkt daran, das Training für die Piloten ist mindestens genauso hart wie das der anderen. Und es wird nur ein Pilot gebraucht, denkt daran.« Colamm war der erste, der vortrat, als nächster folgte Schanarz. Auch ich meldete mich. Pilotenausbildung – das lief in jedem Fall auf Unterweisung in Technik und Sternenkunde hinaus. Ich war dringend daran interessiert, endlich genau feststellen zu können, in welchem Winkel des Kosmos ich mich herumtrieb. Die Spezialschulung bot mir eine vortreffliche Gelegenheit, meine Kenntnisse zu erweitern.
Außer uns dreien meldeten sich noch zehn andere. Kennennick sah es mit Vergnügen. »Dann haben wir ja eine große Auswahl«, verkündete er. »Euer Training beginnt in den nächsten Tagen. Einstweilen schert euch zu den anderen.« Ich sah, daß am Rand des Lagers zwei große Transportgleiter angekommen waren. Auch Kennennick blickte ab und zu in diese Richtung. »Eine halbe Stunde habt ihr, euer Zeug zusammenzupacken. Dann treffen wir uns bei den Gleitern. Wer zu spät kommt, bleibt zurück und wird von den Robots entweder erschossen oder in die Wüste gejagt. Dort kann er bleiben, bis wir zurückkommen.« Mit einer herrischen Handbewegung scheuchte uns Kennennick davon. Als ich zu meinem Lager zurückkehrte, machte ich als erstes die Feststellung, daß es irgend jemand geschafft hatte, meinen Behälter zu öffnen und zu plündern. »So eine Schlechtigkeit«, maulte Pazzon, als er die Bescherung sah. »Und du regst dich darüber nicht einmal auf.« Ich zuckte nur mit den Schultern. Entweder war der Dieb einer von den Rekruten – oder Kennennick selbst hatte sich auf diese Weise eingeschaltet. Ich mußte auf Kennennick besonders achtgeben. Von seinen Entscheidungen hing alles ab. Ich vermutete, daß er von seinen Befehlshabern das Recht zugestanden bekommen hatte, auf Garzwon nach eigenem Ermessen zu handeln. Das bedeutete, daß sich niemand darum kümmern würde, wenn er einige von uns einfach umbrachte. Für mich bedeutete das, daß ich Kennennicks Aufmerksamkeit auf mich ziehen mußte – so sehr, daß er sich für mich interessierte und nicht in irgendeiner Situation gleichsam beiläufig meinen Tod beschloß. Auf der anderen Seite durfte ich aber auch nicht so auftrumpfen, daß er meine geistige Überlegenheit deutlich zu spüren bekam. Das würde er mir niemals verzeihen. Mit meinen Mitgefangenen sah es nicht viel besser aus. Keinesfalls durfte ich mich als Kennennicks Liebling herausstreichen lassen – das hätte mir tödlichen Haß zugezogen, wenn nicht jetzt, dann in jedem Fall später. Auch in bezug auf diese Gruppe mußte ich meisterlich zwischen Anpassung und Abgrenzung lavieren. Es fehlte niemand, als wir den Gleiter bestiegen. Kennennicks Drohung hatte gewirkt. Von dem Flüchtling, den er niedergestreckt hatte, fehlte jede Spur. Roboter steuerten die Gleiter, die mit hoher Fahrt über den Wüstenboden rasten. Kennennick saß im vorderen Fahrzeug und ließ es sich angelegen sein, dem nachfolgenden Gleiter eine gehörige Menge aufgewirbelten Staub in den Weg zu legen. Den Lenkungsrobot konnte er damit nicht ärgern, wohl aber die Männer auf der Transportfläche. Der eisig kalte Fahrtwind schnitt ins Fleisch, und die Sandkörner schienen uns die Haut herunterschmirgeln zu wollen. Es gab nur ein Mittel, sich dagegen zu schützen – wir mußten uns so eng wie möglich zusammenkauern. Was für Gefahren damit verbunden waren, merkte ich sehr bald. Ich konnte gerade noch rechtzeitig den rechten Arm nach vorn schnellen lassen und das Handgelenk umklammern, das mit einem Messer in der Faust nach vorn stieß. Irgend jemand – wer, das ließ sich in dem Leibergewühl nicht feststellen – hatte den Entschluß gefaßt, die Ausleseprozedur dadurch zu beschleunigen, daß er Kennennick die Arbeit abnahm. Ich drückte kräftig zu. Irgendwo in dem Gewühl erklang ein Stöhnen, dann fiel dem Meuchler das Messer aus der Hand. Ich nahm es auf und steckte es in meinen Gürtel. Ich war gespannt darauf, wem beim Ausstieg seine Waffe fehlen würde.
3. Nein, in diesem Haufen würde ich keine Freunde finden. Es war der Abschaum dieser Galaxis, der sich da zusammengefunden hatte. Den Angreifer mit dem Messer hatte ich nicht ausmachen können – er hatte eine Lösung gefunden, seine Entdeckung zu verhindern. Als wir abstiegen, lag eine Leiche auf der Transportfläche, und im Gürtel des Toten fehlte das Messer. Kennennick sagte nichts, als er den Toten entdeckte. Er ließ nur die Augen wandern, und natürlich fand er das überzählige Messer in meinem Gürtel. »Du weißt dir zu helfen«, sagte er knapp. Von allen Seiten trafen mich Blicke – die meisten voller Abscheu, was ich gut verstehen konnte. Ein paar Blicke verrieten Anerkennung – ich merkte mir die Gesichter sehr sorgfältig. Und ein paar sahen mich furchtsam an, darunter Pazzon. »Machen wir es kurz«, erklärte Kennennick. »Ihr seht die Betonklötze dort drüben? Gut. Ihr werdet diese kleine Festung stürmen und erobern, oder ihr werdet hier zugrunde gehen. Nachschub gibt es nur dort drüben, hier werdet ihr nichts bekommen. Die nächste Wasserstelle ist vier Tagesmärsche entfernt, und dazwischen liegt ein Salzsumpf. Wer es versuchen will, mag es versuchen. Wie ihr die Aufgabe löst, ist eure Sache.« »Wie ist die Festung gesichert?« wollte einer wissen. »Das müßt ihr selbst herausfinden. Denkt daran – es geht um euer Leben.« Kennennick grinste uns höhnisch an und verschwand, eskortiert von seiner Robotleibwache. Ob wir wollten oder nicht – wir mußten zusammenarbeiten, um das Problem zu lösen. Die Festung war ein Betongeviert, genau quadratisch. Die Blöcke waren etwas über zwanzig Meter hoch und außen völlig glatt. Es gab Zinnen auf den Kanten, und hinter diesen Zinnen konnten wir Bewegungen sehen. Aus einem Lichtreflex folgerte ich, daß die Festung von Robotern bewacht wurde. »Schlechte Aussichten für dich, wie?« sagte Schanarz boshaft. Ich hatte ihn im Verdacht, der Meuchelmörder zu sein, hatte aber vorläufig keine Beweise. »Ich werde schon durchkommen«, antwortete ich. Der Namenlose schob sich neben mich. Eine Schrift bewegte sich über seinen Körper. »Heißluftflugkörper«, las ich. »Eine gute Idee«, lobte ich das seltsame Geschöpf. »Völlig unsinnig, wie sollen wir so etwas herstellen können«, stieß Colamm grimmig heraus. »Laßt uns sehen, was wir zu bieten haben. Jeder packt sein Gepäck aus.« »Ich denke nicht daran«, erklärte Schanarz. »Nachher sind meine Vorräte verschwunden.« Colamm hob die Hand. »Hört zu, Leute. Wenn wir nicht zusammenarbeiten, haben wir überhaupt keine Chance. Wir werden zusammenlegen, was wir haben, und es gerecht teilen – natürlich nur an die, die auch etwas zum gemeinsamen Topf beisteuern können. Es kann nicht unsere Sache sein, leichtsinnige Trottel durchzufüttern.« »Einverstanden«, sagte ich sofort. Colamm sah mich irritiert an. »Abstimmung. Wer ist dafür?« Colamms Miene und die rechte Hand, die wie zufällig auf dem Kolben seiner Waffe lag, sorgten
gemeinsam dafür, daß die Abstimmung nach seinem Wunsch ausfiel. Und selbstverständlich war er es, der zusammen mit Schanarz die gerechte Verteilung zu überwachen und zu organisieren hatte. Diese beiden würden in den nächsten Tagen weder Hunger noch Durst leiden, das stand für mich bereits fest. »Was willst du machen? Sie werden dich glatt verhungern und verdursten lassen«, fragte Pazzon besorgt. »Mir wird etwas einfallen«, antwortete ich. Pazzon warf wieder einen Blick auf meinen Gürtel und verstummte. Kennennick hatte es sich auf dem Führerhaus des Gleiters bequem gemacht und frönte seinem Laster. Ab und zu lachte er laut. Ich ging zu ihm hinüber. »Wieder Sonderwünsche?« fragte er boshaft. Ich nickte. »Kann einer deiner Roboter die Lebensmittel überwachen?« fragte ich. »Sie sollen nur unter allgemeiner Aufsicht verteilt werden.« Kennennick zögerte einen Augenblick lang. »Könnt ihr haben«, sagte er schließlich. »Wer hat das Recht zur Zuteilung?« »Die Person, deren Namen du dem Roboter geben wirst«, antwortete ich. Kennennick kniff die Augen zusammen. »Du bist gerissen«, sagte er dann lauernd. »Paß auf, daß dir das nicht zum Verhängnis wird.« Er winkte einen der Robots heran und erteilte ihm den Befehl, die Lebensmittel- und Wasservorräte zu bewachen. Das Recht zur Verteilung räumte Kennennick mir ein. Er war ein Lump – er wußte ganz genau, daß er damit den Haß der anderen auf mich konzentrierte. Es kam, wie ich es erwartet hatte. Als der Robot seine Wachrunde um den Vorratsstapel begann, wurde Geschrei laut, das sich zum Wutausbruch steigerte, als der Robot Colamm und Schanarz mit Waffendrohung zurückwies und verkündete, daß ich allein das Recht zur Verteilung hatte. »Verräter!« zischte Colamm, als ich zur Gruppe zurückkehrte. Schanarz spie vor mir auf den Boden. »Machen wir uns an die Arbeit«, schlug ich vor. Unser namenloser Freund hatte sich unterdessen mit dem Problem befaßt. Auf seiner Bildfläche erschien eine genaue Konstruktionszeichnung. In einer Art Trickfilm zeigte er uns sogar die einzelnen Handgriffe. Der Namenlose – ich überlegte, ob ich ihn nicht Blackbox taufen wollte – hatte die Sache gründlich durchdacht. Sie funktionierte. Die Hülle des Ballons wurde aus den Zeltbahnen zusammengestellt, die wir zusammenschweißen konnten, wenn man ein Messer mit einem Thermostrahler bis zur Rotglut erhitzte und dann über die Plastikmasse fuhr. Es stank entsetzlich, aber diese Schweißnähte erwiesen sich als außerordentlich stabil. Aus dünneren und dickeren Seilen bastelten wir nach Anweisung des Namenlosen ein Netz zusammen, das wir über den Ballon legten. Am unteren Ende gab es einen geflochtenen Sitzplatz für einen Beobachter. Auch das Füllen des Ballons ließ sich bewerkstelligen. Mit unseren Thermowaffen beschossen wir den Sandboden, der prompt zu schmelzen begann. Die aufsteigende Hitze fingen wir mit der Öffnung des Ballons auf. Langsam begann sich das skurrile Gebilde zu füllen und prall zu werden. »Wer steigt auf?« fragte Schanarz. »Die Sache kann sehr gefährlich werden.« »Führungspersonen sollten sich bewähren«, entfuhr es Colamm. Er wollte mich in eine
Zwickmühle manövrieren, aber der Trick ging daneben. Ich war einverstanden. Dank meines fotografischen Gedächtnisses war ich ohnehin der Geeignetste für diese Aufgabe. »Wenn sie dich von der Festung aus beschießen, ist es mit dir vorbei!« warnte mich Pazzon, als ich mich dem Seilgeflecht anvertraute. »Also paß auf!« Die Gefahr, beschossen zu werden, war nicht sehr hoch – bisher hatte von der Festung niemand herübergeschossen, sie war für Handwaffen auch viel zu weit entfernt. Allerdings wehte der Wind von der Festung auf uns zu – das bedeutete, daß sich der Ballon von der Festung entfernen würde. Unsere Seile reichten nicht aus, ihn vom Boden aus festzuhalten. Wer als Beobachter aufstieg, wurde vermutlich eine beachtliche Strecke weit abgetrieben und mußte sehen, wie er den Anschluß an die Gruppe wiederfand. »Ihr könnt loslassen!« rief ich. Grinsend gab Colamm den Strick frei, der den Ballon noch am Boden hielt. Rasch stieg das heftig schaukelnde Fluggerät auf. Mit meinem Thermostrahler, auf kürzeste Reichweite, breiteste Streuung und geringste Intensität gestellt, konnte ich den Aufstieg noch etwas beschleunigen. Bald konnte ich über die Oberkante der Festung spähen. Die Betonmauern waren ebenso dick wie hoch, und die Gestalten auf der Kante waren tatsächlich Roboter. Systematisch ließ ich meinen Blick über die Festung wandern, sehr konzentriert und regelmäßig. Wie ein optischer Scanner tastete ich jede Einzelheit ab. Der Ballon driftete sehr rasch ab. Der Wind war sehr kräftig, und um jede Einzelheit erkennen zu können, mußte ich ihn hoch hinaufsteigen lassen. Ungefähr zwanzig Minuten lang konnte ich die Festung studieren, dann war ich so weit abgetrieben worden, daß ich keine Einzelheiten mehr wahrnehmen konnte. Jetzt mußte ich zusehen, daß ich so schnell wie möglich wieder festen Boden unter die Füße bekam. Das Schaukeln tat meinem Magen gar nicht gut, zudem hatte ich nichts gegessen. Der kalte Wind kühlte die warme Luft im Innern des Ballons zügig ab – entschieden zu rasch, wie ich bemerkte. Mit dem Thermostrahler mußte ich dagegen arbeiten. Das aber führte dazu, daß ich mich immer weiter vom Lager entfernte, und zu meinem Entsetzen sah ich, daß ich mich zügig dem Rand des Salzsumpfes näherte, von dem Kennennick geredet hatte. Es sah danach aus, als sollte der Ballon mitten in dem mörderischen Brei landen. Ich verstellte den Querschnitt meines Thermostrahlers. Jetzt mußte ich hoch spielen, ob ich wollte oder nicht. Die Waffe schnitt einen Riß in die Hülle, und sofort begann der Ballon sehr rasch zu sinken. Es waren nur noch ein paar Meter bis zum Grund… Der Salzsee kam immer näher. Ich sah keinen anderen Weg mehr. Ich mußte abspringen. Selbst zwölf Jahrtausende Erfahrung in solchen Dingen, selbst Extrasinn und Logiksektor können einen Mann nicht daran hindern, Dummheiten zu machen. Ich verhedderte mich in den Seilen meines Sitzgeflechts, kippte hinunter und hing nun kopfunter an dem Ballon. Einen Augenblick lang sah ich noch, wie der Boden rasend schneller näher kam, dann verlor ich mit einem Schlag das Bewußtsein. * Ich erwachte, weil ich jämmerlich fror. Das erste, was ich hörte, war das Schnattern meiner Zahne, dann das Keuchen meines Atems.
Mein Körper fühlte sich an, als hätte ich mit einem ertrusischen Kampfrobot gepaart. Jeder Muskel, jeder Knochen schmerzte. Aber ich lebte, das war das Entscheidende. Im schwachen Licht der beiden Monde und der Sterne konnte ich gerade meine Umgebung erkennen. Ich lag am Rand des Salzsumpfes, meine Beine lagen in dem Schlick, der Oberkörper auf festem Grund. Schnell zog ich mich gänzlich an das feste Land, dann untersuchte ich meine Gliedmaßen. Abgesehen von einer Unzahl blauer Flecken und einem dröhnenden Schädel war ich in Ordnung. Der [{(Zellaktivator)}] Zellaktivator würde dafür sorgen, daß die Nachwirkungen dieser Bruchlandung mich nicht allzu lange peinigten. Ich stand auf und begann mich zu bewegen. Zu Beginn tat fast jede Bewegung weh, aber dann legte sich der Schmerz, und die Glieder gewannen an Geschmeidigkeit. Ich schlug einen langsamen Trab ein, in Richtung unseres Lagers. Meine Lage war in mehr als einer Hinsicht vertrackt. Mein erster Feind war die Kälte. Ein [{(Zellaktivator)}] Zellaktivator brachte allerhand zuwege, aber er konnte den Körper nicht aufheizen. Wenn meine Temperatur unter einen bestimmten Wert absackte, geriet ich in tödliche Gefahr. Dagegen konnte ich ankämpfen, wenn ich mich bewegte. Nur – Kennennick war kein Trottel. Er konnte rechnen. Kein normaler Mensch konnte die Strecke von meinem Landungsort bis zum Lager in diesem Tempo zurücklegen, ohne am Ziel an Entkräftung zu sterben. Ich durfte also weder zu schnell noch zu langsam laufen – eine Arbeit für den Logiksektor, den optimalen Wert herauszuarbeiten. Erreichen mußte ich das Sturmlager aus eigener Kraft. Kennennick würde keinen Finger rühren, um mir zu helfen – im Gegenteil, es würde ihn höchstens amüsieren, wie die anderen nun mit dem Problem fertig wurden, daß der Robot nur mir den Zutritt zu den Vorräten gestattete. Ich mußte wider Willen grinsen. Ob die anderen wollten oder nicht – sie würden einen Rettungstrupp nach mir ausschicken müssen, wenn sie an die Vorräte heranwollten. Es sei denn, Kennennick ändert den Befehl für den Robot, warnte der Extrasinn. Ich trabte mit gleichmäßigen Schritten weiter. Um die Richtung brauchte ich mich nicht zu kümmern, das übernahm der Logiksektor. Durst begann mich zu quälen. Wahrscheinlich hatte ich doch etwas von dem Salz abbekommen und geschluckt, und das machte sich nun in immer stärkerem Maße bemerkbar. Ich legte eine Pause ein. In meiner Nähe gab es wieder ein kleines Feld jener bitter schmeckenden Flechten, von denen ich schon gekostet hatte. Das Zeug schmeckte widerlich und war vermutlich auch vergiftet, aber das brauchte mich nicht zu kümmern. Spätestens seit meinem nervenzerreißenden Abenteuer um den plophosischen Obmann Iratio Hondro wußte ich, daß der [{(Zellaktivator)}] Zellaktivator auch vor den raffiniertesten Giften schützte. Hondro hatte seinerzeit Perry Rhodan, mir und den anderen das gleiche Gift verabreicht, mit dem er seine Untergebenen bei der Stange hielt – wer nicht gehorchte, bekam nicht das Gegengift, das in regelmäßigen Abständen verabreicht werden mußte, um die Wirkung des Hondro-Giftes zu kompensieren. Dieses Abenteuer lag lange zurück. Damals hatte Perry Rhodan seine zweite Frau kennengelernt, Mory Abro, und noch nicht gewußt, daß Mory ihn mit einem der charmantesten und gerissensten Satansbraten beschenken würde, der jemals die Milchstraße heimgesucht hatte – Roi Danton, dem König der Freifahrer.
Wo mochten die beiden jetzt sein? Vermutlich an einem weit bequemeren Ort als ich jetzt. Wahrscheinlich waren sie damit beschäftigt, irgend etwas im Auftrag der Kosmokraten zu tun – was immer das auch sein mochte, sie taten es vermutlich in angenehmerer Gesellschaft, von Freunden umgeben und nicht verloren in den Weiten des Kosmos wie ich. Erschütternd, kommentierte der Logiksektor sarkastisch. Ich begann zu kichern. Lag es an dem seltsamen Saft der Wüstenflechte, daß ich mich in jammervoller Erinnerungsschwelgerei erging? Ich konzentrierte mich darauf, meine Sinne wieder zu ordnen. Der Trab ging weiter. Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer. Zwei Stunden lang lief ich so, dann legte ich einen kurzen Sprint ein, um mich wieder aufzuwärmen, danach ging es in der gleichen Dauergeschwindigkeit weiter. Trotzdem wurde mir immer kälter. Die Temperaturen dieses Planeten lagen zur Mittagszeit nahe Null – in der Nacht sackten sie weit unter den Gefrierpunkt ab. Ich spürte, daß meine Beine immer schwerer zu werden schienen. Wieder mußte ich eine Pause einlegen. Ich entschied mich dafür, in der Nähe eines Strauchs zu rasten, dessen knotige Äste ich mit dem Messer abschnitt, aufhäufte und mit dem Thermostrahler in Brand schoß. Vielleicht konnte man vom Lager aus das Feuer sehen oder anpeilen. Ich spürte, daß mich eine grimmige Wut überkam. Ausgerechnet auf die Hilfe dieser Halsabschneider und Schurken angewiesen zu sein, schmerzte mich und verletzte meinen Stolz. Wer immer für unsere Entführung verantwortlich zeichnete – unter dem Namen Gentile Kaz konnte ich mir nichts vorstellen – wie kam dieser Jemand dazu, einen Arkon-Prinzen mit einer Hundertschaft von Galgenstricken zusammenzupferchen. Vergiß deinen Arkon-Stolz, gab der Extrasinn durch. Ich spielte mit dem Messer herum. Als eines der Wüstenreptilien sich neugierig dem Feuer näherte, büßte es diesen Vorwitz mit dem Leben. Auch in dieser Lage konnte ich das Messer noch zielgenau werfen. Das Fleisch schmeckte nicht einmal schlecht, wenn man die ersten Vorurteile hinuntergeschluckt hatte. Bei der zweiten Beute, die ich ein paar Minuten später machte, fand ich sogar Gefallen an dem Braten, den ich über dem Feuer röstete. Es begann zu dämmern, als ich mich wieder auf den Weg machte. Die Temperaturen stiegen langsam an, viel zu langsam, schien mir. Trotz der Flüssigkeit, die ich zu mir genommen hatte, trotz der Nahrung – ich spürte, daß sich meine Kraftreserven dem Ende näherten. Meine Schritte wurden immer langsamer, ich begann zu taumeln. Das Morgenlicht zauberte Bilder auf die Wüste. Der quarzhaltige Sand begann zu flimmern, und was die reinen Spiegelungen nicht zuwege brachten, fügte meine Phantasie hinzu. Verlockende Bilder tauchten am Horizont auf – ein weißer Sandstrand, rauschende Meereswogen, Palmen, die sich im Wind wiegten, der zugleich die verlockendsten Düfte zu mir herübertrug. Ich blieb stehen. Langsam schloß ich die Augen und konzentrierte mich. Mit reiner Willensanstrengung fegte ich die gauklerischen Bilder weg. Ich wußte, daß diese Phase der Klarheit nicht lange vorhalten würde,
aber immerhin verschaffte mir das mentale Training eine neue Gnadenfrist, in der mein Verstand klar funktionierte. Ich unterdrückte alle Gefühle, überließ mich ganz dem Kalkül und der Vernunft. Mit reiner Willenskraft verwandelte ich mich in eine Art lebende Maschine, die stumpf und gleichmäßig funktionierte. Mein Trab wurde wieder schneller und gleichmäßiger. Und dann hörte ich ein Geräusch, das mir in dieser Lage wie Musik erschien – das Pfeifen eines Gleiters, der mit hoher Fahrt über den Boden der Wüste fegte. Ich zerrte den Thermostrahler aus dem Gürtel und schickte eine Schußfolge in den Himmel. Wenn die da drüben Augen hatten, mußten sie mich sehen, zum wenigsten die grellen Strahlbahnen meiner Waffe. Ich hörte das Rufen und Schreien. Es war das letzte, was ich wahrnehmen konnte, bevor ich ein zweites Mal das Bewußtsein verlor.
4. Gebessert hatten sie sich keineswegs. Nur die Gier nach Nahrung hatte sie überhaupt dazu bewegen können, nach mir Ausschau zu halten, und wäre nicht Kennennick darauf erpicht gewesen, sich meinen Leichnam anzusehen, hätte er vermutlich nicht den Gleiter zur Verfügung gestellt, mit dem man mich gesucht, gefunden, aufgelesen und zum Sturmlager geschafft hatte. Immerhin – völlig verroht war die Meute nicht. Zwar hatten sie mich fast wachprügeln müssen, damit ich von meinem Vorrecht Gebrauch machen und Nahrungsmittel freibekommen konnte, aber dann hatten sie sich doch dazu durchringen können, mir Nahrung und Wasser einzuflößen. Ich hütete mich, ihnen zu sagen, daß ich mich wieder leidlich fit fühlte – nach dem, was ich durchgemacht hatte, hätten sie eine so rasche Erholung sicherlich sehr seltsam gefunden. Ich blieb also liegen und ließ mich von Pazzon füttern. Was er sich davon versprach, so freundlich zu mir zu sein, würde sich wohl erst später herausstellen. »Holt Blackbox«, sagte ich schwach. »Ich werde ihm sagen, was ich gesehen habe. Vielleicht kann er einen Sturmplan austüfteln.« Das Kastenwesen erschien und hörte sich an, was ich zu sagen hatte. Das Fotogedächtnis gab die Informationen preis, die von Blackbox verarbeitet wurden. Ich mußte ein bißchen aufpassen, damit ich nicht zuviel von meinen Fähigkeiten, vor allem Blackbox gegenüber, verriet, den ich für eine Art organischen Roboter hielt. Die anderen hätten es vielleicht übersehen, aber einem Roboter wäre es nicht lange verborgen geblieben, daß mein Verstand – in diesem Fall der Extrasinn – nach den Regem der formalen und Quantenlogik arbeitete und mein Gedächtnis wie eine relative Datei aufgebaut war und nicht sequentiell. So mengte ich also die Einzelinformationen durcheinander und überließ es Blackbox, damit etwas anzufangen. Und er arbeitete so, wie ich es erwartet hatte. Unser gleitfähiger Biocomputer lieferte als erstes einen sehr exakten Plan der Festung. Hinter den dicken Betonmauern gab es im Kern noch einen kastenförmigen Bunker, der knapp zehn zu zehn Meter maß und völlig unzugänglich schien. Alle Wege und Verbindungslinien waren auf dem Plan genau verzeichnet, des weiteren die Tore und Zufahrtswege, obwohl sie gar nicht zu sehen gewesen waren. Blackbox hatte, wie er uns per Laufschrift verriet, alle Informationen über Bewegungen der Robots gesammelt, logisch ausgewertet und daraus berechnet, wo nach den Regem der Logik die Tore zu sein hatten. Er hatte obendrein aus meinen Angaben den Wachplan der Roboter errechnet und damit auch den exakten Zeitpunkt für unseren Angriff ermittelt – präzise um Mitternacht planetarischer Zeit mußten wir zuschlagen. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus dem Quaderkern die Ersatzrobots auf den Weg geschickt, um die Einsatzmaschinen auf den Zinnen abzulösen. Blackbox hatte sogar die Sekunde errechnet, in der die Kommandogewalt von einer Robotgruppe auf die andere überging. Gelang es uns, in genau diesem Augenblick zuzuschlagen, würde der Kompetenzwirrwarr der Maschinen uns die Zeitspanne geben, die wir brauchten, um gegen die überaus schnellen Kampfmaschinen erfolgreich sein zu können. Die letzte Angabe von Blackbox verschlug allerdings den Betrachtern die Sprache. »Überlebensquote 22 von 100«, lief über seinen Körper. Ich sah, daß Colamm schluckte. Und auch mir wurde bei dieser Angabe übel. Nur jeder fünfte von uns würde diesen Angriff überleben, wenn wir auf den Plan eingingen, den Blackbox erarbeitet hatte.
»Gibt es keine bessere Möglichkeit?« fragte ich. Blackbox antwortete, indem er seinen Bildschirm verdunkelte und davonschwebte. »Puh«, stieß Pazzon hervor. Kennennick hatte sich unsere Beratung angehört. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, seine Augen wanderten dabei von einem zum anderen. Er studierte seine Kandidaten. Ich wandte mich an Kennennick. »Gibt es einen Gleiter in der Festung?« fragte ich. Er sah mich überrascht an. »Warum willst du das wissen?« fragte er. »Ich habe einen Plan«, antwortete ich. »Gibt es einen Gleiter dort – oder werden wir von anderen Fahrzeugen abgeholt, wenn wir erfolgreich sind?« Kennennick überlegte kurz. »Wenn die beiden Transporter zerstört werden bei der Aktion, ist das nebensächlich«, sagte er schließlich. Das erhöhte unsere Chancen. »Wir werden die Gleiter dazu benutzen, die Festung mit heißem Sand zu überschütten«, erklärte ich. »Wir lassen Sand durch die Triebwerke laufen und pusten ihn über die Festung.« »Das halten die Triebwerke nur ein paar Minuten lang durch«, gab Pazzon zu bedenken. Schanarz sah mich scheel an. Ich sah, daß es hinter seiner Stirn arbeitete. »Die Robots arbeiten beim Schießen meist mit Infrarotoptiken«, sagte er langsam. »Damit finden sie uns auch bei Dunkelheit. Wenn der Sand, der auf die Festung rieselt, genau die gleiche Temperatur hat wie unsere Körper, können sie kein Ziel erkennen. Nicht schlecht.« »Und den Normaloptiken wird auch die Sicht genommen«, bemerkte Colamm. »Und damit auch uns.« Pazzon grinste. »Dann werden wir uns eben sehr langsam bewegen – dann brauchen wir nur auf alles zu schießen, was sich schnell bewegt. Allerdings darf dann keiner von uns in Panik geraten.« Colamm nickte langsam. »So könnte es gehen«, murmelte er. Ich sah, daß er mich nachdenklich betrachtete. Es paßte ihm überhaupt nicht ins Konzept, daß er am Aufbau dieses Planes nicht beteiligt war. Es war offenkundig – er wollte im Verlauf dieses Todestests zur rechten Hand von Kennennick aufsteigen. Dort fühlte er sich wohl am sichersten. Das Halbkugelwesen schob sich heran. Vor unseren Augen begann es zusammenzuschrumpfen, bis es schließlich die Größe einer Männerfaust erreicht hatte. »Nun, was sagt ihr dazu?« fragte die Warze. »Colamm, versuch einmal, ihn aufzuheben!« schlug ich vor. Der Thater packte zu. Er mußte sich anstrengen, um die Warze heben zu können – sie hatte zwar an Größe verloren, aber nicht an Gewicht. »Kannst du eine Waffe verstecken oder einen Sprengsatz?« fragte ich die Warze. »Kann ich«, lautete die Antwort. Die Warze blähte sich wieder zu normaler Größe auf. »Und ich müßte es auch schaffen können, mich ungesehen an eines der Tore heranmachen zu können.« Ich nickte anerkennend.
In der Tat, vor allem in der verkleinerten Form war Warze von einem Felsbrocken kaum zu unterscheiden. Und eine starke Sprengladung in der Nähe eines Tors konnte unsere Erfolgsaussichten erheblich steigern. »Es wird sehr gefährlich werden«, sagte Pazzon. »Omm-Omm wird mich eines Tages erhören«, verkündete Warze. »Es ist mir gleichgültig, was für ein Tag das ist.« »Um so besser«, meinte Pazzon sarkastisch. Vermutlich war der Vielarmige um jeden froh, der statt seiner in der vordersten Linie seinen Kopf riskierte. »Einbein müßte eigentlich auch etwas erreichen können«, ließ sich Schanarz vernehmen. »Einbein?« »Eigentlich heißt er Sassa«, klärte uns Schanarz auf. »Gehört zum Volk der Kajter, ich habe noch nie etwas von ihnen gehört. Scheint ein Planet mit viel Wasser zu sein, jedenfalls ist Einbein bestens für ein Leben im Wasser ausgerüstet. Einbein nennen wir ihn, weil er nur ein Sprungbein besitzt, um sich fortzubewegen.« »Und?« Schanarz grinste. »Ich habe ihn üben sehen«, sagte er. »Einbein macht Sätze bis zu vierzig Metern, und wenn ihm der Tod im Nacken sitzt, wahrscheinlich noch weiter und höher. Er müßte die Festungsmauer mit einem Sprung überwinden können.« Ich erwog die Chancen des Einbeins – sie sahen nicht schlecht aus. »Hauptproblem«, warf Pazzon ein. »Wie kommen wir ins Innere der Festung, wenn es nicht gelingt, eines der Tore zu öffnen? An dem Beton hochzuklettern, halte ich für unmöglich. Es wäre vielleicht zu schaffen, aber ganz bestimmt nicht, wenn von oben jemand herunterschießen kann.« »Haben wir noch genügend Stoff?« fragte ich. »Noch ein Ballonflug?« erkundigte sich Colamm boshaft. »Etwas viel besseres«, antwortete ich. »Laßt uns an die Arbeit gehen.« * Kennennick tat nichts weiter, als dazusitzen und uns zuzusehen. Mit keinem Zeichen gab er zu verstehen, ob er unsere Pläne billigte oder nicht. Es schien ihn auch nicht zu kümmern, was wir vorhatten. Er döste herum, ließ sich vollaufen und gab ab und zu bissige Kommentare ab, vor allem, was unsere Überlebenschancen anging. Allerdings legte er uns auch keine Hindernisse in den Weg, als wir damit begannen, alles an Material zusammenzutragen, was sich in unserem Lager finden ließ. Er rührte sich nicht einmal, als er sah, daß wir praktisch unsere Existenzgrundlage zerstörten, indem wir das Material zerschnitten und anderweitig verarbeiteten. Ausnahmsweise war die Gruppe friedlich – die gemeinsame Arbeit hielt die Rekruten des Todeslagers von internen Zwistigkeiten ab. Jeder wußte, daß es für uns nur eine Überlebensmöglichkeit gab – wir mußten die Festung knacken, und zwar im ersten Ansturm. Dementsprechend intensiv wurde gearbeitet. Eine Art Führungsstruktur kristallisierte sich heraus. Einer der Gruppenführer war Colamm. Er trainierte mit einem Haufen Freiwilliger den Angriff. Es kam vor allem auf eine möglichst genaue
zeitliche Koordination an – die einzelnen Räder unseres improvisierten Angriffsablaufs mußten sehr genau ineinandergreifen, wenn wir Erfolg haben wollten. Als unersetzliche Hilfe dabei erwies sich Blackbox, der nichts tat, außer ab und zu jede Gruppe zu besuchen, sich alle Daten geben zu lassen und sie wie eine Positronik zu verarbeiten. Ich bastelte zusammen mit Pazzon aus unseren Waffenvorräten eine Ladung zusammen, die Einbein in die Festung schleppen sollte. Einbein selbst machte derweil Sprungübungen – es kam darauf an, gerade knapp über die Oberkante der Festungsmauer zu huschen, damit er nur für eine möglichst kurze Zeit von den Robots wahrgenommen werden konnte. Warze kollerte sehr langsam auf die Festung zu. Immer dann, wenn in seiner Nähe der Wind eine kleine Staubwolke aufwirbelte, bewegte er sich um ein paar Handbreit auf sein Ziel zu. Wir konnten nur hoffen, daß die Robots darauf hereinfielen. Stunden vergingen, in denen wir wie besessen arbeiteten. Ich gab großzügig Wasser und Vorräte aus – Kennennick sah grinsend dabei zu. »Richtig«, sagte er einmal. »Was übrigbleibt, reicht für die Überlebenden ohnehin lange genug.« Er tat etwas zu viel – sein ständiges Giften ließ seine Kampfsklaven enger zusammenrücken. Trotzdem traute ich dem Frieden nicht – sobald der äußere Druck verschwand, würde der Kampf im Innern der Gruppe fortgesetzt werden. Schließlich wußte jeder ganz genau, es würden nur sieben Mann übrigbleiben. Einer der Männer fiel mir besonders auf – ein Lebewesen, das so verblüffend menschenähnlich war, daß fast darauf gewettet werden konnte, es sei ein Terraabkömmling. Dazu befragt, zeigte Lulukta eine Reihe weißer Zähne und grinste mich an. »Für eine Wette bin ich jederzeit zu haben«, sagte er. »Das liegt mir im Blut. Manchmal habe ich allerdings auch Pech – so wie jetzt.« »Woher kommst du?« fragte ich. »Ich bin ein Voorndaner«, antwortete er und musterte mich von oben bis unten. »Seltsam, du siehst aus, als wärest du ein Celester – oder wenigstens mit ihnen verwandt.« Von den menschengleichen Celestern hatte ich auf Puurk erfahren. Zu einer Fortführung des Gesprächs kam es nicht, ich wurde an anderer Stelle gebraucht. Aber ich nahm mir vor, ein waches Auge auf den Voorndaner zu haben. Vor allem wollte ich herausfinden, was es mit den Celestern auf sich hatte. Das Wort war unverkennbar irdischen Ursprungs – sinngemäß übertragen hätte es ungefähr »Die Himmlischen« bedeutet. Was konnte damit gemeint sein? Ein Engel war Lulukta sicherlich nicht. Die wenigen Informationen, die ich über ihn hatte, ergaben das Bild eines rothäutigen Mannes mit sehr zartem Körperbau, wieselflink in seinen Bewegungen, vor allem dann, wenn es darum ging, anderen etwas aus den Taschen zu mausen. Ein Bursche, der ein großes Repertoire an Kniffen und Tricks kannte – darunter einige von der niederträchtigen Sorte. Kennennick schob sich aus dem Hintergrund heran. Er zeigte seine Zähne. »Wie sieht es aus?« fragte er mich lauernd. »Wir machen gute Fortschritte«, antwortete ich. Kennennick zögerte einen Augenblick. »Ich werde bei dem Angriff dabei sein«, erklärte er. »Als Beobachter oder als Teilnehmer?« wollte ich wissen.
»Das werdet ihr noch früh genug merken«, antwortete der Thater. Ich nickte langsam. Damit hatte ich gerechnet. »Und auf welcher Seite?« fragte ich weiter. »Auch das werdet ihr beim Angriff erfahren«, meinte Kennennick. Er lachte dröhnend und entfernte sich wieder. Vorsichtshalber ging ich bei der weiteren Planung davon aus, daß Kennennick unser Gegner sein würde – das bedeutete, daß wir mindestens zwei Leute für ihn würden abstellen müssen. Da Kennennick obendrein den größten Teil unserer Vorbereitungen mitbekommen hatte, war es leicht möglich, daß er den ganzen Plan an die Robotbesatzung der Festung verriet. In diesem Fall konnten wir unser Vorhaben vergessen – war der Gegner auf unsere Aktionen vorbereitet, wurde die Operation für uns zu einer unentrinnbaren Falle. Wir würden den Robots genau vor die Mündungen laufen. Unwahrscheinlich, gab der Logiksektor durch. Eine solche Schurkerei war Kennennick durchaus zuzutrauen. Aber seine Aufgabe bestand schließlich nicht darin, uns schnellstmöglich zu dezimieren. Er hatte den Auftrag, aus den hundert Kämpfern die besten sieben auszusuchen. Mochte er ansonsten auf Garzwon auch frei schalten und walten können – diese Grenzen waren seinen Aktionen gesetzt, an sie mußte er sich halten. Das schloß einen Verrat weitgehend aus. Nicht in jedem Fall, warnte der Logiksektor. Natürlich, wenn Kennennick irgendeine private Rache erledigen wollte, dann konnte ihn niemand daran hindern – ich hatte sofort den Verdacht, daß er sich mich aufs Korn nehmen würde. Bei der kommenden Aktion mußte ich also doppelt und dreifach vorsichtig sein. Zu meiner privaten Vorbereitung gehörte, daß ich mich nach wie vor ein wenig erschöpft stellte – mochte Kennennick glauben, daß er ein leichtes Spiel mit mir hatte. In diesem gnadenlosen Kampf war jedes Mittel der Täuschung erlaubt. »Wir sind fertig«, erklärte Colamm, als er bei mir auftauchte. »Die Leute wissen, was sie zu tun haben.« »Fein«, antwortete ich. »Auch die anderen Vorbereitungen laufen zügig. In ein paar Stunden kann es losgehen.« »Du bleibst am besten im Lager«, meinte Colamm mit scheinheiliger Freundlichkeit. »Du bist noch viel zu schwach für einen Sturmangriff.« Ich unterdrückte ein Grinsen. Nachdem er mich nicht offen hatte zur Seite drängen können, versuchte er es jetzt auf eine andere Weise – ihm ging es darum, sich in Kennennicks Augen zu profilieren, und das konnte er nur, wenn im Kampf kein Konkurrent auftauchte. Mich im Lager zurückzulassen, war für ihn die naheliegende Lösung – es sah freundlich und kameradschaftlich aus und drängte mich in die Rolle des Planers und Tüftlers zurück, während Colamm die Kommandolorbeeren zu ernten gedachte. »Ich werde es schon schaffen«, antwortete ich und richtete mich auf. Colamm sah mir neugierig zu. Ich sah, wie ein Grinsen über sein Gesicht flog. »Du mußt es wissen«, sagte er. »Ich habe dich gewarnt.« Er war in die Falle getappt – meine Bewegungen verrieten absichtlich soviel Schwäche und Mangel an Geschmeidigkeit, daß er getrost davon ausgehen durfte, daß ich die Aktion nicht lebend überstand. Natürlich war ihm auch diese Lösung des Konkurrenzproblems recht. Ich wandte mich ab und machte einen kurzen Spaziergang durch das Lager, dabei immer wieder an
irgendwelche schmerzenden Muskeln greifend. Hoffentlich gab es nach der Aktion eine kleine Pause für uns. Die körperlichen Belastungen dieses Kampftrainings konnte ich recht gut ertragen, aber psychisch litt ich unter dem ungeheuren Druck, der dadurch aufgebaut wurde. Es war ein Kampf, der zu keiner Minute ein Ende hatte – wenn nicht ein äußerer Feind zu überwinden war, dann mußte man auf den Nachbarn aufpassen. Jeder kämpfte gegen jeden, und auch ich war gegen den Psychodruck nicht gefeit – ab und zu ertappte ich mich bei dem Gedanken, mit welchem meiner Leidensgefährten ich wohl am ehesten zusammenarbeiten konnte. Das aber lief unter den Bedingungen dieses Todestrainings darauf hinaus, die anderen abzuschreiben. Sehr weit war ich von Kennennicks Meuchlermentalität dann nicht mehr entfernt – ich mußte aufpassen, daß ich dem Druck nicht erlag und am Ende moralisch keinen Deut besser war als Kennennick, der unser Leben nur nach Nützlichkeitsgesichtspunkten beurteilte. Wieder stiegen Zweifel in mir auf, wurde der Wunsch fast übermächtig, den Auftrag zurückzugeben und nach Krandhor zurückzukehren. Ich hatte mir nicht vorstellen können, wie zermürbend es war, diese Rückzugsmöglichkeit zu haben – ganz besonders unter den Umständen, unter denen ich jetzt zu leben hatte.
5. Der Countdown lief. Die einzelnen Einsatzgruppen hatten ihre Wartepositionen bezogen, die Ausrüstung war noch einmal überprüft worden. Noch ein paar Minuten, dann gab es kein Zurück mehr. Der Gleiter stand startbereit, das Triebwerk war bereits angelassen worden und summte leise. »Fertig?« Ich sah in die Runde. Die Gesichter meiner Begleiter waren geschwärzt, in der Dunkelheit kaum auszumachen. Sie öffneten die Münder; die hellen Zähne zeigten an, daß sie startklar waren. »Dann los!« Der Gleiter bewegte sich langsam nach vorn. Wir begannen zu traben, dann zu laufen. Nach wenigen Metern verloren wir den Boden unter den Füßen. Um den Robotern in der Festung keinerlei Hinweise zu geben, hatten wir die Flugeigenschaften unserer Drachen nicht testen können. Sie mußten gleich beim ersten Versuch funktionieren. Sie taten es. Wir waren zu fünft. Fünf Mann hingen in den Gurten und wurden gegen den Fahrtwind in die Höhe getragen – der Gleiter zog nach Art einer Winde die Drachen in die Luft hinauf. Es war ein Vabanquespiel – wenn wir den Zeitpunkt für das Lösen der Schleppleine verpaßten, wurden wir hinabgezerrt in die Tiefe – und diese primitiven Gleitdrachen brachte dann keiner von uns mehr in normale Flugposition. Jetzt! Der Impuls kam vom Extrahirn, das mitunter auch als eine Art innerer Stoppuhr verwendet werden konnte. »Loslassen!« schrie ich und entließ die Leine aus meinen Händen. Sie rauschte hinab in die Tiefe. Fünfzig Meter unter uns konnte ich den Gleiter beschleunigen hören. Er hatte nicht viel Zeit, seine zweite Ausgangsposition zu erreichen. Neben dem zweiten Transporter sollte er aufgestellt werden und die Festung mit heißem Sand überschütten. Fast geräuschlos trieben wir durch die Dunkelheit. Trotz der primitiven Bauweise lag der Drachen hervorragend in der Luft – ich hatte aus meinem fotografischen Gedächtnis die Konstruktionsdaten des besten Gleitdrachens abgerufen, den ich jemals auf der Erde geflogen hatte. Mit Hilfe des Logiksektors und der kalkulatorischen Begabung von Blackbox hatten wir diese Daten umgerechnet auf das Material und die Verhältnisse, mit denen wir auskommen mußten. Offenbar war die Berechnung geglückt. Wir flogen eine weite Kurve. Unser Auftrag sah vor, die Festung vom Rücken her anzugreifen, sobald der Sturmangriff gegen die Front der Festung begann. Das Ziel war, die Roboter zwischen zwei Feuer zu bringen. Es kam auf den genauen Zeitpunkt an – wir mußten den Wachwechsel der beiden Robottrupps ziemlich genau erwischen, anderenfalls standen wir vor dem Problem, es nicht mit einer Wachtruppe zu tun zu haben, sondern mit zwei, die zur gleichen Zeit agieren konnten. Die Eingreifreserven der Robots brauchten dann nicht einmal aktiviert und aus den Kavernen heraufgeschickt werden. Ich sah auf die Uhr. Die Berechnungen stimmten. Wir waren noch im Zeitplan. Der Drachen sank ein wenig tiefer – ein wenig zu schnell, wie mir schien. Ich überließ die Berechnung dem Logiksektor.
Damit hatten wir nicht gerechnet – auf der Rückseite der Festung war es erheblich kühler als auf der uns zugewandten. Woher dies kam, blieb rätselhaft – jedenfalls sanken unsere Drachen ein paar Zentimeter pro Minute schneller ab, als uns lieb sein konnte. Wenn das anhielt, würden wir gegen die Wand der Festung prallen. »Noch zwei Minuten«, gab ich im Flüsterton durch. Während wir heranschwebten, hatte Warze vor einem der Tore Stellung bezogen, desgleichen die beiden Gleiter. Zehn Männer standen mit Leinenwerfern bereit – wir wollten zugleich die Zinnen erstürmen als auch durch das hoffentlich aufgesprengte Tor eindringen. Als weiteren Trumpf hatten wir Einbein vorbereitet. »Eine Minute. Fertigmachen!« Von jetzt an mußte geschwiegen werden. Ich spürte förmlich die Sekunden wegticken, es ging rasend schnell. Die Gleitermotoren heulten auf. Die Triebwerke, die normalerweise Luft ansaugten und so für Vortrieb sorgten, bliesen nun zentnerweise Wüstenstaub von sich, der sich als riesige lauwarme Wolke über die Festung legte. Bis zu uns konnten wir diese warme Luft spüren – und sie hob unsere Drachen um genau die Handbreit an, die wir brauchten. Ich spürte einen harten Schlag, als ich gegen die Kante der Festungsmauer prallte. Der Aufschlag nahm mir für einen Augenblick den Atem. Es gab ein paar heftige Atemzüge neben mir, das Geräusch splitternden Materials, eine gemurmelte Verwünschung. Im nächsten Augenblick ging die Ladung hoch, die Warze am Tor gezündet hatte. Eine riesige Feuersäule stieg in den Nachthimmel auf und erhellte den ganzen Innenraum der Festung. Ich hatte mich von meinem Drachen befreit und zur Waffe gegriffen – ein langläufiger Thermostrahler mit hoher Schußfolge. Ich schickte die erste Salve hinunter auf den Hof, wo eine Gruppe von Kampfrobots wie erstarrt stand. Wieder einen Herzschlag später ging die zweite Ladung hoch. Von der Seite her war Einbein über die Mauer hinweg in die Festung gesprungen. Programmgemäß zündete er sein Bündel. Es war eine höllische Mischung, die wir zusammengehext hatten – im Grunde war der Knaller harmlos, er hätte keine der Maschinen auch nur umreißen können. Die Ladung produzierte als erstes einen ungeheuren Lärm, als würde die Festung von einem Dutzend großkalibriger Bomben zugleich getroffen. Außerdem überschüttete sie die Festung mit hochintensivem Infrarotlicht – mit ein bißchen Glück schmorten die entsprechenden Optiken der Robots dabei zusammen. Wenn nicht, waren die Maschinen wenigstens für geraume Zeit blind. »Weiter!« schrie ich. Wir hatten vor allem die Aufgabe, unseren tollkühnen Kameraden Feuerschutz zu geben – aber dabei mußten wir uns langsam bewegen, um den Robots die Ortung zu erschweren. Einbein setzte mit einem gewaltigen Satz vom Boden des Festungshofs auf das Dach des Betonbunkers. Ich sah, wie er seine Waffe in die Hand nahm und zu feuern begann. Systematisch säuberten wir vor allem die uns gegenüberliegenden Zinnen der Festung. Von dort stiegen die kleinen Raketen mit den Seilen und Haken hoch, fielen jenseits der Mauer herab und krallten sich fest. Ich sah schemenhaft ein paar Gestalten durch die Trümmer des Festungstors ins Innere stürmen. Granaten flogen, hauptsächlich Schmelzladungen, die aus einem hochwertigen Kampfrobot einen Fladen zerschmolzenen Stahls machen konnten. Es waren einige Megakalorien, die sich dort auf engstem Raum austobten.
»Sehr gut!« konnte ich eine wohlbekannte Stimme rufen hören. Kennennick war als erster auf der gegenüberliegenden Zinne aufgetaucht. Er griff also doch auf unserer Seite in den Kampf ein. Unser Zeitplan stimmte. Die beiden Wachtruppen der Robots waren genau zur richtigen Sekunde erwischt worden. Die Mehrzahl der Maschinen war gleich beim ersten Feuerschlag zerstört worden – einige vollständig, andere waren nur beschädigt und kampfunfähig gemacht worden. Aus dem Innern der Festung erklang Alarm – wahrscheinlich wurden dort jetzt weitere Robottruppen in Marsch gesetzt. Die Zahl der Kämpfer auf den Zinnen erhöhte sich. Einer nach dem anderen turnte auf den Seilen hoch und griff in den Kampf ein – aber ich war sicher, daß nicht jeder diesen Angriff überstanden hatte. Zwei der reglosen Körper auf dem Festungshof gehörten nicht zu den Robotern. Ich preßte die Lippen aufeinander, um meine Wut bei diesem Anblick zu unterdrücken. Wir stürmten die Treppe hinunter, die von der Festungsmauer herab auf den Innenhof führte. Ich stieß einen Fluch aus. Das hatte ich bei meinem Ballonflug nicht sehen können – es gab Schießscharten in der Festungswandung und wohl auch Laufgänge in der Mauer selbst. Die ersten Schießblenden dieser Art flogen auf, die Läufe der Thermogewehre schoben sich heraus. Einbein gab einen Feuerstoß ab, der mich um Armeslänge verfehlte. Die Hitze, die mir entgegenschlug, reichte trotzdem aus, mir die Luft zu nehmen. »Aufpassen!« rief das seltsame Wesen. Kennennick lachte laut. Mir war nicht vorstellbar, wie ein Lebewesen dieses mörderische Getümmel spaßig oder erheiternd finden konnte. Wir hatten uns verrechnet… Du hast dich verrechnet, korrigierte der Logiksektor mit der ihm eigenen Pedanterie. Also, ich hatte mich verrechnet, und jetzt steckten wir bis zum Hals im Elend. Aus unserem plötzlichen Angriff war unversehens eine Abwehrschlacht geworden. Unsere Verluste häuften sich. Es war gräßlich anzusehen. Dort, wo vor ein paar Minuten das Tor der Festung in die Luft geflogen war, flimmerte jetzt eine Energiebarriere, die uns den Rückweg abschnitt. Die Festung war eine einzige Todesfalle – und dieses Scheusal Kennennick hatte es gewußt. Unfaßbar – ich sah, wie Kennennick einen gigantischen Satz machte, wirklich nur einen Sekundenbruchteil bevor der Boden dort aufglühte, wo er gestanden hatte. Der Thermoschuß hatte den Thater knapp verfehlt. Kennennick rollte über den Boden, schwang seine Waffe und schoß im Rollen – und er traf sogar. Das Naheliegende war, sich so schnell wie möglich zurückzuziehen. Aber das hätte nur wenigen geholfen – die Mehrzahl unserer Leute hätte zurückbleiben müssen. Es wäre ihrem Todesurteil gleichgekommen. Also gab es nur ein Mittel – weiter angreifen, die Festung knacken, bevor unsere Reihen weiter gelichtet werden konnten. Noch einer hatte das begriffen – Lockart und sein Symbiosepartner Lutt. Lockart ließ sich am ehesten mit einem schultergroßen, ziemlich putzig aussehenden Bären vergleichen, der Lutt als eine Art angewachsenen Kaktus auf dem Rücken herumtrug. Ich sah, wie die beiden sich auf den Zentralbau in der Mitte des Festungshofs zubewegten. Lutt, der Kaktusteil, versprühte eine seltsame Flüssigkeit, die türkisfarben schillerte, über den Kopf von Lockart hinweg auf die Tür des Betonbunkers zu. Lockart sah dem zu – und spuckte schließlich einfach aus. Im nächsten Augenblick stand die Tür des Bunkers in fahlgrünen Flammen. Ich blieb wie erstarrt
stehen, als ich sah, daß dieses Feuer den Beton zersetzte – unwillkürlich fühlte ich mich an abbrennenden Zucker erinnert, so schmolz der Beton zusammen. Die Pause rettete mir das Leben. Jemand, der in der Bewegung auf mich angelegt und entsprechend vorgehalten hatte, verfehlte mich um knapp zwanzig Zentimeter. Auf meiner Kleidung erschienen Brandspuren. Colamm stand ein paar Stufen unter mir, hob seine schwere Beidhandwaffe und hämmerte mit einer Salve den Feuerstand des Robots nieder. Wie lange dauerte dieser Wahnsinn schon? Stunden? Es schien so. Ich stürmte weiter. Was in meiner Nähe geschah, nahm ich kaum mehr wahr. Ich schoß, duckte mich, warf mich herum und schoß wieder. In meinen Handlungen war kein Plan mehr – außer dem einen Vorhaben, dieser Hölle um jeden Preis zu entgehen. Längst war unser Plan zusammengebrochen – alles rannte wild durcheinander. Wenn Kameraden in diesem Chaos aufeinander feuerten, würde es kein Wunder sein. Ich stolperte über einen Körper, schlug hart auf dem Boden auf und blieb eine Sekunde lang wie benommen liegen. Über mir hörte ich das dröhnende Lachen des Thaters – Kennennick war in seinem Element. Ein Lebewesen, das an solchen Szenen Gefallen finden konnte, mußte geistig gestört sein – wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt. »Gefällt es dir?« schrie Kennennick und rannte einen defekten Robot einfach um, als der sich ihm in den Weg stellen wollte. Ich kam wieder auf die Beine. Thermogranaten flogen durch die Luft und detonierten. Lärm- und Blendgeschosse explodierten, überall flackerten Brände. Die eine Seite des mittleren Betonklotzes war völlig zusammengebrochen. Dahinter war ein Gang zu erkennen. Zwei der Todeskandidaten – anders konnte man sie kaum nennen – waren bereits eingedrungen und feuerten auf alles, was sich in dem Gang bewegte. Andere nahmen derweil die Schießscharten unter Feuer. Das Symbiosewesen arbeitete wie besessen daran, den ganzen zentralen Bunker zusammenbrechen zu lassen, während Einbein mit gewaltigen Sätzen von einem Winkel des Festungshofs zum anderen sprang und seine Ladungen verteilte. Hauptsächlich ihm war es zu verdanken, daß aus der prekären Lage noch kein vollständiges Desaster geworden war. Mit zwei Sprengladungen legte Einbein die Energieversorgung am Festungstor still. Wenig später kamen die beiden Gleiter herangejagt. Die Fahrer sprangen ab und ließen die Transporter genau auf den Betonklotz in der Mitte prallen – die Eindringlinge konnten sich in letzter Sekunde in Sicherheit bringen, bevor eine furchtbare Detonation den Klotz zerriß und uns alle von den Beinen warf. Die Roboter waren natürlich ein wenig schneller als wir, aber sie mußten, um ihre Zielvorrichtungen justieren zu können, erst einmal aufstehen. Wir blieben liegen und feuerten wie besessen, landeten einen Treffer nach dem anderen. Da wir uns auf die stehenden Roboter beschränken konnten, erwies sich dieser Teil des Kampfes als Rettung – wir schafften es mit Mühe und Not, den Innenraum der Festung freizukämpfen. Es war fast schon beängstigend, als das Schießen aufhörte. Langsam standen wir auf. Die reglosen Körper auf dem Boden bewiesen, daß dieser Angriff erheblich mehr Opfer gekostet hatte, als wir befürchtet hatten – allerdings auch erheblich weniger, als man uns vorhergesagt hatte. Kennennick stand breitbeinig auf dem Hof, die Waffe in die Hüfte gestemmt. Ich hatte diese Pose noch nie leiden können, jetzt war sie mir geradezu widerwärtig.
»Nun, wollt ihr schon aufgeben?« schrie Kennennick. »Euer Material ist verbraucht, worauf wartet ihr noch?« Langsam schritt ich zum Eingang in die Tiefen der Festung. Wir würden eine Zeitlang arbeiten müssen, bis wir die Trümmer beiseite geräumt hatten. Und danach stand uns noch bevor, uns den Weg in die Tiefe freizukämpfen – es fragte sich nur wie. »Hier ist Munition!« schrie Colamm. Er hatte mit einer Sprengladung eine Pforte in der Festungsmauer geöffnet – dahinter war ein beachtliches Waffenlager zu sehen. Blackbox kam auf mich zugeschwebt. Ich hatte während des Kampfes beobachten können, daß er von zahlreichen Schüssen getroffen worden war – augenscheinlich hatten sie ihm nichts anhaben können. Eine Laufschrift erschien auf dem Körper. »Angriffsmöglichkeit erarbeitet«, las ich. Auch mein Extrahirn hatte sich mit dem Problem beschäftigt und eine sehr eigentümliche Lösung gefunden. Die Kämpfer sammelten sich in der Mitte des Hofes. Von einhundert waren siebzig übriggeblieben – eine erschreckende Zahl. Mochten die Opfer auch nicht gerade zu moralischen Elite ihrer jeweiligen Völker zählen – das hatte keiner von ihnen verdient gehabt. Ich spürte, wie der Haß auf Kennennick und seine Auftraggeber in mir wühlte. Gleichgültig, wie der Auftrag der Kosmokraten im einzelnen lauten mochte – mit den Verantwortlichen für dieses Gefecht hatte ich eine Rechnung besonderer Art zu begleichen. Auch mit Kennennick, der mich höhnisch angrinste. »Schafft Thermoladungen heran«, bestimmte ich. Unter den Trümmern des Betonbunkers rührte sich etwas. Einer der Trümmersteine geriet in Bewegung und blähte sich auf – Warze, der das Tor gesprengt hatte. »Ich habe den Innenraum untersucht«, verkündete er. »Es sind noch mindestens vierhundert Robots da unten, außerdem ein paar Lebewesen, seltsamerweise. Sie arbeiten mit den Robots zusammen.« Warze machte eine Pause. »Außerdem gibt es dort unten große Lagerräume, darin ist alles zu finden, was wir brauchen.« In diesem Punkt hatte uns Kennen’ nick also nicht belogen. Aber wie kamen wir an diese Schätze heran? Vierhundert Roboter – gegen die wir in den unterirdischen Betongängen ankämpfen mußten. Schon eine Maschine konnte uns den Weg so verlegen, daß kaum ein Durchkommen möglich war, es sei denn unter fürchterlichen Opfern an Leben. Und gar vierhundert? »Gib alle Daten an Blackbox weiter«, bestimmte ich. Ein giftiger Blick von Colamm traf mich. Nicht zufrieden damit, daß er das Gefecht überlebt hatte, plagte den Thater jetzt wohl auch der Neid darauf, daß ich mich unmerklich in eine Art Führungsposition vorgearbeitet hatte. Blackbox brauchte dank der Angaben von Warze nur wenige Minuten, um einen groben Plan dieser Innenräume zu erstellen. In der Zwischenzeit ließ ich von den anderen das Waffenarsenal leerräumen. Vor allem auf Thermoladungen hatte ich es abgesehen. Dann rief ich Warze und Blackbox zu mir. »Frage eins, an Warze. Kannst du Blackbox in dir verstecken und wieder eindringen?« Von Warze kam ein bestätigendes Quietschen. »Frage an Blackbox. Kannst du die Temperatur im Innern feststellen – auf ein Grad genau?« »Möglich«, flimmerte über den Körper des Kastenwesens. »Außerdem brauchen wir noch ein möglichst kleines Funksprechgerät, mit dem ihr Nachrichten an
uns weitergeben könnt. Läßt sich das machen?« Die Antworten waren positiv. »Was hast du vor?« fragte Kennennick neugierig. Ich sah ihn verächtlich an. »Wir werden den Robots einheizen«, verkündete ich. »Und zwar buchstäblich.«
6. Über uns loderte die Hölle. Eine Thermogranate nach der anderen wurde geworfen und zündete. Die Irrsinnsglut dieser Ladungen schmolz den Boden des Festungshofs zu einer glasartigen Masse, die weiß schäumte, brodelte und Blasen warf. Die Gefährten hatten sich auf die Mauern der Festung flüchten müssen, weil man es auf dem Hof vor Hitze nicht mehr aushalten konnte. Tief in den Boden hinein strahlte die Glut, die auf dem Hof tobte – und die Hitze heizte auch die Luft und die Wände im Festungsboden auf. »Zieltemperatur erreicht«, hörte ich. Warze und Blackbox waren als erste in die Höhle eingedrungen und arbeiteten sich behutsam vor. Es war ihre Aufgabe, die Temperatur zu messen – und wo immer möglich alle normalen Leuchtkörper zu zerstören. Danach waren auch die besten Roboter auf Infrarotmessung angewiesen – aber in einer Luft, die eine Temperatur von ungefähr siebenunddreißig Grad hatte, waren Luft und lebenswarme Körper nicht mehr zu unterscheiden, jedenfalls nicht mit der Klarheit und Eindeutigkeit, die ein Kampfrobot benötigte, um sein Ziel eindeutig erfassen zu können. Es gab natürlich Kampfmaschinen, die auf alles schossen, was ihnen vor die Visiereinrichtungen geriet, ich hatte mit solchen Exemplaren schon zu tun gehabt, vor allem bei reinen Robotzivilisationen. Unter den Verteidigern der Festung befanden sich aber auch Lebewesen wie wir – wenn die Konstrukteure dieser Anlage auch nur einen Funken Moral besaßen, mußten sie Anweisung gegeben haben, Freund von Feind zu unterscheiden und nur auf erkennbare Feinde zu schießen. Im Dunkeln aber waren wir von den Kampfgenossen der Robots nicht mehr zu unterscheiden. Das klang sehr einfach – Luft aufheizen bis auf die Körpertemperatur, dann eindringen und stürmen. Für die Robots waren wir bei diesem Verfahren so gut wie unsichtbar. Die Wirklichkeit sah erheblich anders aus. Die Luft war entsetzlich stickig und ekelhaft warm. Wir waren in Schweiß gebadet. Er lief uns über Gesichter und Körper, klebte die Kleidung am Körper fest, brannte in den Augen, ließ einem die Kolben der Waffen durch die Finger gleiten. In meinen Schuhen stand das Wasser einen halben Zentimeter hoch, ich machte Quietschgeräusche bei jedem Schritt. Sehen konnten wir nichts. Warze und Blackbox hatten auftragsgemäß alle Leuchtkörper zerstört, übrigens auf sehr eigenartige Weise – indem Warze den sehr widerstandsfähigen Körper von Blackbox einfach gegen die entsprechenden Leuchtkörper geworfen hatte. Ich konnte die Scherben unter meinen Stiefeln knirschen hören. Ein anderes Geräusch mengte sich darein – der schwere Tritt von Roboterfüßen. Ich preßte mich gegen die Wand. Die Schrittgeräusche kamen näher. Wahrscheinlich unternahm ein Trupp Kampfmaschinen einen Vorstoß, um die Lage zu erkunden. Die Roboter besaßen schließlich eine gewisse einprogrammierte Intelligenz – sie mußten einfach merken, daß sich etwas über ihren Köpfen abspielte. Der Boden vibrierte leicht, als sie an mir vorbeistapften. Ich wagte nicht zu atmen. Mit etwas Glück… Sie marschierten vorbei, ohne uns bemerkt zu haben. So schien es jedenfalls. Für uns wurde die Aufgabe dadurch erheblich leichter – ihre Kollegen im Innern des unterirdischen Bunkers wußten, wo die Marschgruppe war. Sie hatten keine Meldung von irgendwelchen Kämpfen bekommen – folglich mußte jedes Wesen zwischen diesen beiden Gruppen unter die Rubrik der
Befreundeten fallen. Optimistische Kalkulation, nicht übermäßig logisch, kommentierte der Logiksektor trocken. Ich marschierte weiter. Meter um Meter drangen wir vor. Immer tiefer hinein in die betonierte Unterwelt von Garzwon. Der Gang führte sanft hinab in die Tiefe, wir waren schätzungsweise drei bis vier Meter in der Senkrechten von der Oberfläche entfernt. Probehalber streckte ich die Hand nach der Decke aus – sie war heiß. Je tiefer wir kamen, um so geringer mußte die Wirkung der Thermoladungen an der Oberfläche werden, es sei denn, die Zurückgebliebenen verstärkten ihr Bombardement. Das aber hatte zwangsläufig zur Folge, daß sich die Oberfläche in eine Art Lavasee verwandelte – und uns damit unwiderruflich den Rückweg abschnitt. Bis dieses Gestein wieder so ausgekühlt war, daß man darauf gehen konnte, mußten Tage vergehen. Unsere Wasservorräte aber reichten bestenfalls für vierundzwanzig Stunden – die schwüle Hitze unter dem Erdboden ließ den Wasserverbrauch aberwitzig in die Höhe schnellen. »Weiter!« stieß ich hervor. Hinter mir wußte ich Colamm und andere, die sich vor Kennennick profilieren wollten. Auch wenn wir in dieser Beziehung Rivalen waren und blieben – jetzt mußten wir zusammenhalten, ob wir wollten oder nicht. Wir erreichten eine Halle. Der Gang mündete auf die Empore dieser Halle, und auf dem Boden sahen wir den Maschinenpark, der zum Betrieb der Festung benötigt wurde. Ein Dutzend Roboter marschierten darin herum und bediente die Maschinen – die Hälfte war bewaffnet. Kühle Luft schlug mir entgegen. In diesem Bereich arbeitete die Klimaanlage der Festung noch hinreichend. Unsere Infrarottarnkappe funktionierte hier nicht mehr. Wir konnten sehen und gesehen werden – mit allen sich daraus ergebenen Vor- und Nachteilen. »Fertigmachen«, flüsterte ich. Mit einem überraschenden Schlag konnten wir die Kampfkraft der Festung entscheidend schwächen – vor allem dann, wenn es uns gelang, das Kommandogehirn der Anlage auszuschalten, von dem aus die einzelnen Robots ihre Anweisungen bekamen. Natürlich konnten die Kampfmaschinen danach auch selbständig operieren, aber das war, wie wir bereits festgestellt hatten, nicht ihre Stärke. Ich sah mich rasch um, dann gab ich das Zeichen. Wir waren zu siebt – und binnen weniger Augenblicke flogen fast zwanzig Ladungen hinunter in die Halle, zum Teil Thermosätze, zum Teil Sprengkörper, zum Teil hochwirksame AntirobotBomben, die auf kurze Distanz einen Strahlenschauer erzeugten, der selbst den härtesten Robotpanzer durchschlug und in den Speichern der Positroniken verheerende Schäden hervorrief. Unvorhersehbare Schäden allerdings – wie ein Kampfrobot nach einer solchen Bestrahlung reagierte, mußte man im Einzelfall feststellen. Sie reagierten unglaublich schnell. Noch bevor die ersten Ladungen den Boden erreichten, traten die Waffen der Kampfmaschinen in Aktion. Es war unser Glück, daß ihre Programmierung vorsah, in solchen Fällen zunächst den eigenen Kampfwert zu erhalten – die Robots versuchten vornehmlich, die heranschwirrenden Ladungen noch im Flug zu zerstören. Und das gelang ihnen auch des öfteren – und was an Fehlschüssen und breitgefächerten Salven anfiel, schlug uns mit verheerender Wucht entgegen. Verflüssigtes Metall spritzte herum und sengte kleine Löcher in Kleidung und Haare.
Wir hatten uns zusammengekauert, die Hände vors Gesicht geschlagen, um den Funkenflug abzuwehren. Dann detonierten Geschosse. Ohrenbetäubender Lärm tobte durch die Halle. Splitter schwirrten herum, eine furchtbare Hitze breitete sich schlagartig aus. In das Getöse schrillten die Alarmsirenen. Jetzt wußte die ganze Festung, daß ein Angriff stattfand. Das Versteckspiel war endgültig vorbei. Vorsichtig hob ich den Kopf. »Weiter!« rief ich. Unser Überraschungsangriff hatte Erfolg gehabt. Die Kampfmaschinen waren durch die Strahlenbomben außer Gefecht gesetzt worden. Zwei waren regelrecht zusammengeschmolzen, eine war von einer Sprengladung zerstört worden, die anderen drei torkelten wie Betrunkene durch den Raum und prallten immer wieder gegen Wände, Maschinen und Artgenossen. Die Wartungsrobots waren nicht besser weggekommen. »Wir haben nur höchstens zwei Minuten«, stieß Colamm hervor. Er schwang sich über das Geländer der Empore und setzte mit einem Sprung hinab in die Halle. Es kam jetzt darauf an, die wichtigsten Maschinen zu finden und zu zerstören – wir durften unsere Mittel nicht verplempern. Ich spürte keine Versuchung, es Colamm nachzumachen. Immerhin gab es eine metallene Treppe, die hinabführte. Wir stürmten weiter. Lulukta, der Voorndaner, schlängelte sich förmlich die Treppe herunter und ließ seine Augen wandern. »Dort drüben!« rief er. Die Anzeigen, auf die er deutete, schienen tatsächlich zu einer Positronik zu gehören – aber es war mit Sicherheit nicht die Steuerung für die Festungsroboter. Es sah eher nach der Überwachung der ganzen Maschinenanlage aus. Ich folgte Lulukta. »Was hast du vor?« fragte ich im Laufen. »Selbstzerstörung«, rief der Voorndaner. »Ich kenne diesen Typ Rechner.« Hoffentlich wußte er wirklich, was er tat. Mit diesen Apparaturen war nicht zu spaßen, wenn man mit ihnen nicht richtig umging. Zum einen waren sie dutzendfach gegen jeden Mißbrauch gesichert, zum anderen – und das war es, worauf Lulukta wohl spekulierte – gab es für den Experten immer ein Hintertürchen, an die Maschinenintelligenz heranzukommen, auch wenn sie es nicht wollte. Lulukta setzte sich auf den Stuhl vor der Eingabe. Ich sah, daß er das Mikrophon abschaltete, mit dem die Positronik normalerweise angesprochen wurde. Ich konnte nur hoffen, daß er das positronische Hintertürchen schnell fand – und daß er bei der Suche keinen Fehler machte. Bei Eingriffen in die eigentliche Maschinenintelligenz reagierten Positroniken mitunter sehr wunderlich, wie auch ihre weit weniger komplizierten und aufwendigen Vorgänger. Man konnte mitunter haarsträubende Überraschungen erleben. Bei einem der ersten Mikrocomputer irdischer Fertigung führte der Befehl POKE 776,1 dazu, daß ein mehrere Seiten umfassendes Programm in ein vollkommen unverständliches Symbolkauderwelsch verwandelt wurde und damit verloren war. Der Befehl POKE 777,1 hingegen führte dazu, daß der Rechner danach bei jeder neuen Eingabe lediglich seine Bereitschaft signalisierte, im übrigen aber gar nichts mehr tat. In beiden Fällen gab
es nur die eine Möglichkeit, den Rechner abzuschalten und dann neu zu aktivieren. Lulukta tippte auf der Tastatur herum. Derweil befestigte Colamm eine Sprengladung am Hauptreaktor der Festung. Ich eilte zu ihm hinüber. »Wieviel Zeit gibst du uns?« fragte ich den Thater. »Eine Stunde«, antwortete er knapp, während er den Zünder programmierte. Ob diese Zeit reichte? Es gab nur ein Verfahren, das festzustellen – abzuwarten. Es gab drei Eingänge in die Maschinenhalle. In einem dieser Portale erschien eine Gruppe Reparaturrobots, die von meinen Begleitern sofort unschädlich gemacht wurden. »Fertig!« rief Lulukta. »Wir können weiter.« »Was hast du getan?« »Selbstzerstörung der Positronik in knapp einer Viertelstunde«, antwortete er. »Was dann aus der Anlage wird, die der Rechner steuert, weiß ich allerdings auch nicht.« »Dann wollen wir uns beeilen!« Aufs Geratewohl suchten wir uns einen der Gänge heraus – und genau in diesem Augenblick tauchte das erste Lebewesen auf. Ich blieb wie angewurzelt stehen – es war jener Rekrut, den Kennennick zur Demonstration seiner Macht mit einer Schockwaffe betäubt hatte, und der dann weggeschafft worden war. Er zögerte ebenfalls – einen Sekundenbruchteil zu lange. In seinen Augen brannte ein fanatisches Feuer. Rücksichtslos streckte Colamm ihn nieder. Einem ersten Impuls folgend, riß ich meine Waffe hoch und richtete sie auf Colamm, aber dann ließ ich den Lauf wieder sinken. Was Colamm getan hatte, war blanker Mord – es hätte andere Mittel gegeben, mit diesem Gegner fertig zu werden, der offenbar von Kennennick dazu verurteilt worden war, bei diesem Einsatz den Feind unserer Gruppe zu verkörpern. Jetzt wußte ich, wie Kennennick es fertigbringen wollte, uns bis zum Äußersten anzutreiben – wer seine Erwartungen nicht erfüllte, wurde als Gegner bei der nächsten Übung eingesetzt und hatte vermutlich nur dann eine Chance, wenn er sich in diesem Kampf hervorragend bewährte – nach den Vorstellungen Kennennicks. Teile und herrsche, das uralte Spiel – dieses Mal in seiner grausamsten Variante. Ich haßte Kennennick dafür, auch Colamm. Die anderen gingen über den Vorfall achtlos hinweg. Ich konnte für den Toten nichts tun, also folgte ich Colamm, der den Gang hinunterstürmte. Weiter, immer weiter. Hinter uns tickten zwei Zeitbomben unterschiedlicher Art, auf die wir keinerlei Einfluß mehr hatten. Und vor uns lag die Aufgabe, in diesem unterirdischen Labyrinth die Mittel zu finden, mit denen wir in unser Ausgangslager zurückkehren konnten. Wir brauchten Wasser, Nahrung und Fahrzeuge. Angeblich waren sie hier unten zu finden… Von unserer Frist waren zehn Minuten verstrichen, als wir den Hangar fanden. Vier nagelneue, hochwertige Transporter standen darin – bewacht von zwanzig Kampfmaschinen, die sich aufgebaut hatten, um uns zu erwarten. Zum Glück bemerkten wir sie noch rechtzeitig. Colamm stieß einen unterdrückten Fluch aus. Mit den üblichen Mitteln durften wir gegen diese Robots nicht vorgehen – unsere Sprengsätze hätten auch die wertvollen Gleiter zerstört. Selbst der Einsatz der Anti-Robot-Strahlenbomben half in diesem Fall nichts – auch die Gleiter wurden positronisch gesteuert. Der Einsatz dieser Waffen hätte sie für uns wertlos gemacht.
In diesem Augenblick meldete sich jemand, den ich fast schon vergessen hatte. Blackbox und Warze tauchten bei uns auf. Warze machte einen erschöpften Eindruck, seine Haut wirkte faltig und war fleckübersät. Blackbox hingegen wirkte wie immer. Der seltsame Kasten bewegte sich an uns vorbei auf die Robots zu. Die Waffenarme schnellten in die Höhe, rasteten ein. Zwanzig Waffen zielten auf Blackbox – ich hätte zu gerne gewußt, was jetzt in diesem Lebewesen vorging. Empfand die lebende Positronik überhaupt etwas? Blackbox bewegte sich weiter vorwärts. Ich stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus. Die Robots schossen nicht. Sahen sie Blackbox als einen Artgenossen an? Was unser Gefährte tat, war für uns nicht sichtbar. Er glitt jedenfalls zum ersten der Robots hinüber und zeigte ihm seine Bildseite. Die anderen Maschinen kamen näher. »Er stellt einen Datenverbund her«, wisperte Warze. »Über eine Funkdatenleitung sind die Robots jetzt mit Blackbox verbunden.« »Woher weißt du das?« »Ich habe es schon einmal gesehen«, antwortete Warze. Was Blackbox da tat, war mir nicht ganz klar – aber die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Ein unglaublich hoher, schriller Ton erklang, und wenig später begann aus den Schädeln der Robots Rauch zu kräuseln. Blackbox verfärbte sich grünlich, und einen Augenblick glaubte ich sogar, seinen Körper transparent sehen zu können – eine Ansammlung von winzigen Körpern, durch haarfeine Drähte miteinander verbunden, eingebettet in eine von Schlieren durchzogene Gallerte. Einer nach dem anderen kippten die Robots um. Der Wegwar frei – wir rannten zu den Gleitern hinüber. Colamm suchte nach dem Weg aus dem Hangar heraus und fand ihn – ein Tor klappte auf und gab den Blick frei auf einen langen breiten Gang, groß genug, um zwei der Gleiter nebeneinander Platz zu bieten. Ich griff zum Funkgerät. »Zieht euch zurück – die Festung wird in einer knappen Viertelstunde in die Luft fliegen.« Meine Nachricht war an der Oberfläche angekommen und wurde bestätigt. Derweil hatten meine Gefährten die Gleiter bemannt. Colamm hatte den Platz eines der Fahrer eingenommen und wollte gerade losfahren. »Halt!« rief ich. »Worauf willst du warten?« schrie Colamm. »Beeile dich.« »Wir nehmen Blackbox mit«, sagte ich laut. Das Kastenwesen lag reglos auf dem Boden. Bei seiner seltsamen Beschaffenheit ließ es sich nicht feststellen, ob es tot war oder nicht, verletzt oder nur kurzfristig betäubt. »Keine Zeit«, meinte Colamm. Im nächsten Augenblick sah er in die Mündung meiner Waffe. Seine Augen zogen sich zusammen. »Das wirst du nicht wagen«, stieß er hervor. »Versuche es«, drohte ich kalt. Warze mischte sich ein. »Nehmt Blackbox an Bord«, sagte er halblaut. »Er wird schießen, glaubt mir.« Fluchend sprang Colamm auf den Boden zurück und nahm Blackbox auf. Sehr behutsam setzte er ihn nicht auf der Ladefläche des Gleiters ab, aber immerhin war Blackbox aufgeladen. »Jetzt kannst du losfahren«, sagte ich und lächelte Colamm an. Er antwortete mit einer wüsten
Beschimpfung. »Wir brauchen noch Vorräte«, rief Lulukta. »Kennennick wird sich bestimmt nicht erweichen lassen.« »Wir haben keine Zeit mehr«, rief Colamm im Davonfahren. »Jeden Augenblick kann der Reaktor hochgehen.« Er hatte recht – wir durften keinen Augenblick mehr verlieren. Ich bestieg den zweiten Gleiter, der von Lulukta gesteuert wurde. Auch dieses Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Ich sah auf die Uhr – uns blieben noch vier Minuten. »Höchste Fahrt!« rief ich Lulukta zu. Der grinste breit. »Verstanden«, rief er. »Vollzeug!« Er beschleunigte den Gleiter. Vollzeug? Ich brauchte einige Zeit, bis ich für das alkordische Wort das Synonym gefunden hatte. Der Logiksektor half mir dabei – er lieferte die Übersetzung. Was meinte der Voorndaner damit? Der Ausdruck stammte ursprünglich aus der Sprache der Seefahrer – wie um alles in der Welt hatte er sich hierher verirrt? Eine Lösung für dieses Miniaturrätsel fand ich nicht – es gab Wichtigeres zu tun. Hintereinander jagten die beiden Gleiter den Gang hinunter. Uns saß der Tod im Nacken, entsprechend war der Fahrstil der beiden Gleiterpiloten. Nach kurzer Zeit hatte Lulukta Colamm eingeholt, und von diesem Augenblick an rasten die beiden Fahrzeuge Bordwand an Bordwand durch den Stollen. Rechts und links waren noch je zwei Handbreit’ Platz übrig. Ich sah, wie die beiden Piloten sich zwischendurch anstarrten, – und ich spürte mein Herz dabei sehr schnell schlagen. Haß war in den Zügen zu lesen, bei beiden. Wären die Wände nicht gewesen, die jeden entsprechenden Versuch zu einem Selbstmord gemacht hätten – die beiden hätten wechselweise versucht, sich aus der Bahn zu drängen. Auf diese Weise legten wir einige Kilometer zurück, dann tauchte ein Hindernis auf – eine Tür aus massivem Stahl, ohne eine erkennbaren Öffnungsmechanismus. Ich sah auf die Uhr. Noch eine Minute. Ich sprang vom Gleiter herunter. An der rechten Seite entdeckte ich eine Öffnung, groß genug für einen Mann. Dahinter schraubte sich eine Wendeltreppe in die Höhe. »Hierher!« rief ich. »Wir brauchen die Gleiter!« rief Colamm. »Noch dringender brauchen wir jetzt ein paar Sekunden Vorsprung!« rief ich zurück. So schnell es ging, hastete ich die Stufen hinauf. »Denkt an Blackbox!« rief ich zwischendurch. »Ich habe ihn«, antwortete Warze von unten. »Erlebt.« Die letzten Stufen, dann eine Tür. Ein Impulsschloß. Ich verlor keine Zeit. Die Waffe zur Hand, ein Feuerstoß auf das Schloß. Die Tür flog auf, dahinter war ein kleiner Raum zu sehen. Hastig sah ich mich um – der Ausgang war oben, ein Lukendeckel. Colamm drängte sich neben mich. »Hilf mir!« Ich stieg auf seine Schultern, stemmte mich gegen den Deckel. Ein Ächzen und Knirschen, der Deckel schob sich zur Seite. Roter Sand rieselte herunter. »Höher!« rief ich Colamm zu.
Der Deckel flog zur Seite, ich glitt an Colamm wieder herab. Er sah mich an, als habe er ein Gespenst vor sich. »Vorwärts!« rief ich ihm zu. Ich bildete eine Kuhle aus beiden Händen, die Waffe ließ ich fallen. Mit einem Schwung beförderte ich den Thater in die Höhe. Er zog sich ins Freie. Wenig später erschien sein Gesicht in der Öffnung. »Los, der nächste.« Lulukta, dann Lockart. Einen nach dem anderen beförderte ich in die Höhe. Colamm griff zu und zerrte die Gefährten ans Tageslicht. Die Sekunden tickten weg. Dann war ich allein in der Kammer. Colamm grinste auf mich herab. »Wie gefällt dir das?« fragte er tückisch. Im nächsten Augenblick stieß er einen Wutschrei aus und taumelte zur Seite. Jetzt war Kennennick zusehen. Er warf mir sein Seil herunter…
7. Erschöpft, ausgepumpt, am Ende unserer Kräfte. Wir standen schweigend da und starrten das Werk der Vernichtung an. Vor ein paar Augenblicken war die Festung explodiert – der Hauptreaktor war in die Luft geflogen. Was von der vernichtenden Energie den Weg durch den Stollen gefunden hatte, war ausreichend gewesen, eine hundert Meter hohe Feuersäule aus dem Boden schießen zu lassen, und einen Herzschlag später waren die beiden Gleiter in die Luft geflogen. Gerade noch rechtzeitig hatten wir uns in Sicherheit bringen können. Ich sah mich um. Unsere Truppe war auf sechzig Leute zusammengeschrumpft, und von diesen fünf Dutzend war kein einziger, der noch voll bei Kräften gewesen wäre – sieben Mann waren sogar verletzt, drei davon so schwer, daß sie getragen werden mußten. Kennennick machte ein Gesicht, als habe ihn der Schlag getroffen. Mit dieser Möglichkeit hatte er wohl nicht gerechnet. Wie seine Kalkulation ausgesehen hatte, konnte ich nicht wissen – in jedem Fall war die Aktion auch in seinen Augen eine entsetzlicher Fehlschlag gewesen. »Wie geht es jetzt weiter?« fragte Lulukta. »Ich werde im Hauptquartier anrufen«, antwortete Kennennick leise. »Man wird Gleiter schicken, die uns abholen.« Ich sah, daß er schluckte. Wahrscheinlich bedeutete dieser Anruf, daß auch er seine Hoffnungen auf das Kristallkommando begraben konnte. Ich stellte ihm eine diesbezügliche Frage. Kennennick sah mich zuerst ratlos, dann grimmig an. »Was interessiert dich das?« fragte er barsch. Ich kratzte mich am Nacken. »Was wird aus dir – und aus uns, wenn wir uns zurückholen lassen?« fragte ich. Kennennick deutete wortlos auf den Krater, der von der Festung übriggeblieben war. »Einsatzgegner«, sagte er tonlos. »Günstigstenfalls.« Ich holte tief Luft. »So oder so – es bedeutet für uns das Ende, nicht wahr? Für dich auch?« Kennennick nickte. »Wir haben also nur eine Wahl – auf anderem Weg ins Hauptlager zurückzukehren«, erklärte ich. Die Köpfe flogen herum. »Bist du übergeschnappt?« fragte Colamm. »Quer durch diese Wildnis? Dann lieber an Ort und Stelle sterben, das geht schneller und ist nicht so qualvoll.« Ich zog meine Waffe. »Diese Möglichkeit bleibt immer noch«, sagte ich. »Ich für mein Teil werde es versuchen.« »Völlig aussichtslos«, sagte Kennennick dumpf. »Ich weiß es – wir haben schon viele Leute draußen verloren.« »Bevor ich mich freiwillig aufgebe, versuche ich das Äußerste, was mir möglich ist«, antwortete ich. »Ich werde gehen – wer sich mir anschließen will, soll es tun. Der Rest kann machen, was er will.« Kennennick schielte zu den Nahrungsmittelvorräten hinüber, die wir noch besaßen. Sie reichten für
fünf Tage – wenn man schonend damit verfuhr. Das Wasser allerdings mußte schon in zwei Tagen ausgehen. Der Thater richtete seine rötlichen Augen auf mich. Ich wußte, daß dieser Augenblick über mein weiteres Schicksal entschied. Kennennick überdachte die Lage – natürlich aus seinem besonderen Blickwinkel. Er wußte: Es gab nur einen, der sich zutraute, die Gruppe durch die Wüste zu führen. Das war ich. Wenn er diesen Weg auch zur eigenen Rettung wählte, mußte er mich als Anführer der Truppe dulden – wenn auch nur vorübergehend. Aber selbst wenn alles gutging und er im Hauptlager die Führung wieder übernahm – sie würde nie wieder uneingeschränkt sein, solange ich lebte und von seinem Versagen berichten konnte. Für jeden von uns bedeutete dieser Entschluß, daß wir in Kennennick einen tödlichen Feind aufbauten. Er würde sich nicht damit zufriedengeben, uns das Leben schwerzumachen und uns auf sieben Leute zusammenschrumpfen zu lassen – mit Sicherheit würde er später alles daran setzen, alle Mitwisser dieser Szene mundtot zu machen. »Einverstanden«, sagte Kennennick. »Colamm, töte die Verletzten. Sie wären nur eine Last.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir nehmen sie mit«, sagte ich hart. »Oder ihr könnt sehen, wo ihr bleibt.« Es war ein heißes Pokern, das ich hier spielte – ich machte mir die ganze Gruppe zu Feinden. Und auf die Dankbarkeit der Verwundeten konnte ich auch nicht rechnen – sobald wir im Hauptlager angekommen waren und sie wieder mitmischen konnten, würden sie wieder meine Feinde sein. Die Spielregeln auf diesem Planeten ließen keine andere Möglichkeit zu. »Du willst uns erpressen? Hältst du dich für so unentbehrlich?« giftete Schanarz. »Im Augenblick – ja.« Kennennick mahlte hörbar mit den Zähnen. »Deine Entscheidung«, sagte er schließlich. »Mach, was du willst.« »Wir verteilen das Gepäck gleichmäßig auf alle«, entschied ich. »Nur die Verwundeten brauchen nichts zu tragen. Und das gleiche gilt für die, die einen von den Verletzten tragen müssen.« »Die auch?« fragte Kennennick. Er war völlig erschüttert. »Du mußt irre sein.« »Möglich«, antwortete ich kalt. »Aber die Intelligenzbestien haben uns in die Lage gebracht – vielleicht mogelt uns ein Irrer wieder heraus.« Wir brauchten eine Stunde, um uns marschfertig zu machen. Ich sorgte dafür, daß jeder eine seinen Kräften angemessene Traglast bekam. Die größten Packen hatten die Roboter zu schleppen, die uns noch zur Verfügung standen. Ich unterließ auch jeden Einspruch, als Kennennick einem der Robots zusätzlich seinen Privatvorrat an Lustwässerchen aufbürdete – ohne die Hoffnung, daß mir Kennennick für diese Rücksichtnahme Dank wissen würde. Blackbox war wieder einigermaßen bei Kräften und lieferte uns einen Plan der näheren Umgebung. Der kleine schwarze Bursche wuchs mir nachgerade ans Herz – da er praktisch nur in logische Kalkülen dachte, waren ihm Neid und Zwietracht fremd, aber wahrscheinlich leider auch Gefühle wie Freundschaft und Zuneigung. Wir marschierten los. Es war ein trauriger Zug, der sich da in Marsch setzte. Eine Truppe von Entkräfteten und Geschlagenen, die wenig Hoffnung auf Rettung hatten. Das Funkgerät, mit dem man das Hauptquartier erreichen konnte, baumelte an Kennennicks Hals. »Paß auf ihn auf«, murmelte Schanarz, der sich neben mich schob. »Er wird versuchen, uns einen
nach dem anderen umzubringen. Als letzter Überlebender kann er dann mit wesentlich besseren Aussichten das Hauptquartier anfunken.« »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, antwortete ich. »Nach diesen Vorfällen komme ich als Kennennicks rechte Hand ohnehin nicht mehr in Betracht. Deine Aussichten sind besser denn je.« Schanarz lächelte dünn. Ich beschloß, ein Auge auf ihn zu haben. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem blauhäutigen Sechsarm. Daß er ein Erzschurke war, bezweifelte ich keinen Augenblick lang – aber er war eine Spur zu gerissen für diese Rolle. Ich wurde den Verdacht nicht los, daß er eine Art Doppelspiel trieb – allerdings fragte ich mich, zu welchem Zweck. Ich wußte entschieden zu wenig über die Galaxis, in die mich der Auftrag der Kosmokraten verschlagen hatte. Ich ahnte nicht einmal, wo im Universum ich mich überhaupt befand und welchen Stellenwert meine Informationen überhaupt hatten. Es gab eine Art Regierung in diesem Bezirk des Kosmos – Regierung bedeutete in diesem Fall, daß es jemanden gab, der die Macht hatte, Befehle zu geben und ihre Durchführung erzwingen zu können. Unser Raumbezirk wurde von Facette Gentile Kaz kontrolliert. Der Ausdruck Facette ließ vermuten, daß es sich nur um einen von mehreren handelte. Die Facetten wiederum schienen dienstbare Geister oder was auch immer der eigentlichen Macht in dieser Galaxis Alkordoom zu sein – und diese Macht verbarg sich hinter dem Nebelbegriff »Der Erleuchtete«. Mir kam der Name nicht unbekannt vor – »Der Erleuchtete« war ein Beiname jenes Mannes, der um 560 vor Beginn der abendländischen Zeitrechnung in der Nähe von Kapilavastu als Sohn des Fürsten Shuddhodana und seiner Frau Maya geboren worden war, knapp vierhundert Kilometer entfernt von der höchsten Erhebung der Erde. Seinen Zeitgenossen wurde der Mann als Gautama bekannt, die Nachwelt kannte ihn vornehmlich unter eben diesem Beinamen – Buddha, der Erleuchtete. Gab es da irgendwelche Querverbindungen? Normalerweise hätte ich diesen Gedanken als lächerlich und absurd beiseite gelegt. Was hatte Buddha mit dieser Galaxis zu tun? Buddha war im Jahr 483 vor Christus gestorben, jetzt schrieb man das Jahr 3818 der gleichen Zeitrechnung, und ich war mit Sicherheit Millionen von Lichtjahren von der Erde entfernt. Und dennoch… Die Erfahrung hatte mich im Lauf der letzten zwölf Jahrtausende gelehrt, daß es Zusammenhänge gab, die Ereignisse miteinander verknüpften, die himmelweit auseinanderzuliegen schienen. Wer hätte es jemals für möglich gehalten, daß hinter der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter – zum Teil wenigstens – eine Frau aus dem Volk der Wynger gestanden hatte? Wer wäre jemals auf die Idee gekommen, daß für eine der symbolträchtigsten Figuren der christlichen Mythologie ausgerechnet ein Bewohner des Planeten Psopta Pate gestanden hatte – ein Cheborparner? Auch als ich Michel de Notre Dame, der sich Nostradamus nannte, als Hofastrologen und Leibarzt des französischen Königs Karl IX. kennenlernte, hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich ihn Jahrhunderte später wieder treffen würde – diesmal als Imago II. Gar so völlig abwegig war meine Buddha-Spekulation also nicht. Allerdings stimmte sie in wesentlichen Punkten mit Sicherheit nicht – Buddha war von dem Erleuchteten, der Alkordoom beherrschte, völlig verschieden. Das Wesen, das mit den Facetten zusammenarbeitete, konnte mit völliger Sicherheit als Lehrer von Weisheit, Sitte und Demut nicht in Frage kommen. War die Namensgleichheit reiner Zufall? Ich wußte es nicht, konnte es auch jetzt nicht in Erfahrung bringen. Außerdem lagen nun ganz
andere Aufgaben vor mir. Wichtig war nicht, welche Zusammenhänge es in Alkordoom gab, wichtig war, daß wir die nächsten Tage lebend überstanden. Es würde schwer genug werden. * Sie gingen langsam – aber sie gingen. Kilometer um Kilometer legten wir zurück. Seit vier Tagen waren wir unterwegs und hatten eine beträchtliche Strecke zurückgelegt. Unsere Vorräte waren längst aufgezehrt, außerdem war einer der Verletzten gestorben. Die Stimmung der Truppe war dementsprechend umdüstert. Pazzon hielt sich stets an meiner Seite. Ab und zu sah er mich prüfend an, als warte er auf irgend etwas. Es war Abend, der Tag ging zur Neige. Es wurde Zeit, eine Pause einzulegen. Ich hob den Arm. »Wie du siehst, gehorchen wir dir«, sagte Kennennick, als er bei mir anlangte. »Aber jetzt ist es langsam an der Zeit, daß du deine Versprechen einlöst – schaff Wasser und Nahrung heran.« »Ich bin gespannt, wie du das anfangen willst«, mischte sich Schanarz ein. Ich deutete auf das Land ringsum. »Hier gibt es Nahrung in Hülle und Fülle«, sagte ich. »Man muß sie nur zu finden wissen.« »Ich kann nichts sehen«, meinte Kennennick. »Nur ein paar dürre Büsche.« Ich ging zu einem dieser Büsche hinüber und nahm mein Vibratormesser zur Hand. Behutsam lockerte ich den Boden und grub die Pflanze frei. Ihre Wurzeln hatten das Format eines stattlichen Rettichs und sahen auch dementsprechend aus. »Punkt eins«, sagte ich. »Wasser. Ich brauche ein Gefäß.« Ich brauchte nur ein paar kleine Löcher in die Wurzeln zu stechen, dann floß der Pflanzensaft heraus, eine weißliche Brühe, die alles andere als gut roch. Mit beiden Fäusten preßte ich auch den letzten Tropfen aus der Wurzel heraus – insgesamt kam auf diese Weise fast ein halber Liter Flüssigkeit zum Vorschein. »Das sollen wir trinken?« fragte Schanarz entgeistert. »Wenn du lieber verdursten willst, dann bleibe wählerisch. Natürlich schmeckt es nicht besonders gut, das gebe ich zu. Aber es ist trinkbar – und das allein ist entscheidend.« Sie sahen zu, wie ich die ersten Schlucke nahm. Ich tat, als wäre es das Natürlichste überhaupt. In Wirklichkeit drehte sich auch mir fast der Magen um. Ich kannte dieses Phänomen seit langer Zeit. Schließlich war ich nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage. Im Lauf eines normalen bürgerlichen Lebens schliffen sich gewisse Nahrungsverhaltensweisen einfach ein und wurden zu Vorurteilen. Wer im Notfall nicht imstande war, diese Vorurteile zu überwinden, war übel dran. Das galt nicht nur für so seltsame Nahrungsmittel wie diesen weißlichen Saft, es galt auch für eine Menge anderer Dinge. Im Normalfall konnte man mit diesen Vorurteilen gut leben. Schließlich wurde man auf der Erde beispielsweise als Kontinentaleuropäer nicht gezwungen, sich den Magen mit Haggis oder Porridge zu ruinieren, so wenig wie ein Brite gezwungen war, rohe Austern oder Froschschenkel zu
vertilgen. Asiaten ließen den europäischen Käse stehen, der ihnen als eine Art Milchabfall erschien; Nichtasiaten drehte sich dafür der Magen um, wenn sie jene seltsam gallertartigen, scheußlich schillernden tausendjährigen Eier vorgesetzt bekamen, die bei den Chinesen als Delikatesse galten. Eskimos verspeisten rohe Fischleber, australische Aborigines machten Jagd auf Engerlinge, Japaner konnten aus rohem Fleisch gastronomische Wunder zaubern. Eßbar war dies alles – wenn auch nicht jedermanns Geschmack. Im Laufe von zehn Jahrtausenden auf der Erde hatte ich so ziemlich alles hinuntergewürgt, was es überhaupt gab, mal genußvoll, mal widerwillig. Es war ein gutes Überlebenstraining gewesen. Ich kümmerte mich nicht um die anderen, grub eine zweite Wurzel aus und verfuhr mit ihr in der gleichen Weise. Diesmal schmeckte der Saft schon etwas besser. Langsam begriffen meine Gefährten, was ich tat. Sie machten sich an die Arbeit, nun ihrerseits die Wurzeln auszugraben. Das Gestrüpp, das uns so mit Wasser belieferte, war sehr verbreitet auf Garzwon – ich konnte mich daran erinnern, auf der Fahrt zur Festung immer wieder Hunderte dieser Pflanzen gesehen zu haben. An Durst würden wir jedenfalls nicht zu leiden brauchen. Mit fester Nahrung sah es ähnlich aus – wir stöberten seltsame Reptilien auf, ganze Insektenvölker, buntscheckige Eier, deren Erzeuger uns unbekannt waren. Es gab Früchte und im Boden allerlei scheußlich aussehendes Getier, darunter handspannenlange albinotische Würmer. Aus diesen Zutaten braute ich einen Eintopf zusammen, dessen Geruch sich über unser Lager legte und den meisten fürs erste den Appetit verschlug. Der Hunger half ihnen, ihren Abscheu zu vergessen – ein paar warteten vorsichtshalber ab, ob die ersten Esser nicht vergiftet umfielen, langten dann aber kräftig zu, als in ihnen die Angst wuchs, bei der Verteilung zu kurz zu kommen. Kennennick sah mich während des Essens lauernd an. »Woher weißt du dies alles? Kennst du den Planeten?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin ziemlich weit herumgekommen«, antwortete ich und löffelte weiter. Ich sah Kennennick an. Mir kam ein Gedanke. »Du gestattest?« sagte ich und nahm ihm die halbleere Flasche ab. »He!« schrie Kennennick und wollte aufspringen. Ich goß eine Portion von dem Zeug in den Kessel, der über dem Feuer hing. Die Wirkung kam einem Wunder gleich – Kennennicks Lustwässerchen verband sich mit den anderen Ingredienzien zu einem Aroma, das seinesgleichen suchte. Kennennick hielt mitten in der Bewegung an und schnupperte. »Bei allen Sternenhexern«, stieß er hervor. Ich grinste zufrieden und gab ihm die Flasche zurück. Kennennicks Blick war haßerfüllt. Daß ich es geschafft hatte, das Wasser- und Nahrungsproblem zu lösen, vergleichsweise einfach sogar, verdroß ihn sichtlich. Daß ich es – purer Zufall – auch noch geschafft hatte, diese abenteuerliche Kost in eine Delikatesse zu verwandeln, reizte seine Wut bis zum äußersten. Es spürte, daß ihm die Kontrolle über die Gruppe mehr und mehr entglitt. Hätte er seine Roboter nicht gehabt, die grundsätzlich nur auf seine Befehle achteten, wäre er von der Gruppe wahrscheinlich längst vereinnahmt worden. Er wußte, daß er verloren hatte. Diese Geschichte durfte sich niemals herumsprechen. Dann sah ich, wie plötzlich ein Grinsen über sein Gesicht huschte, ein überaus boshaftes Lächeln. Die Warnung genügte mir – Kennennick hatte sich etwas einfallen lassen, mich aus dem Weg zu
räumen. Ich mußte mich höllisch vorsehen. Die Nacht verlief ruhig. Am nächsten Morgen marschierten wir weiter. Die Stimmung der Truppe hatte sich erheblich gebessert – zum ersten Mal seit unserer Landung auf Garzwon kam so etwas wie Optimismus auf, bei einigen sogar eine gewisse Fröhlichkeit. Mich konnten diese Witzeleien nicht aufheitern. Ich dachte an die Opfer, die Kennennicks Todestraining schon gekostet hatte – und noch kosten würde. Noch immer hing die Drohung über uns – nur sieben Mann zusammen mit Kennennick sollten das Kristallkommando bilden. Alle anderen waren überflüssig. Was das im einzelnen zu bedeuten hatte, wußten wir bereits.
8. »Dann können wir ja langsam mit dem Spezialtraining beginnen«, verkündete Kennennick. Er konnte zufrieden mit sich sein, und er war es auch. Der Schurke hatte ganze Arbeit geleistet. Nur noch fünfzehn Rekruten unterstanden seinem Kommando. Alle anderen waren aus unterschiedlichen Gründen ausgeschieden, die meisten waren abgeschoben worden in andere Trainingslager. Ich konnte nur hoffen, daß sie dort eine Überlebenschance hatten. Während der letzten Tage hatte sich langsam herausgeschält, für welche Aufgabe wir eingesetzt werden sollten. Das Training – falls man diesen blutigen Ausleseprozeß so harmlos nennen wollte – war sachbezogener geworden. Aus den Daten, die ich hatte sammeln können, ergab sich das Bild, daß wir irgend etwas zu stehlen hatten, das hervorragend bewacht wurde und dutzendfach gegen solche Versuche gesichert worden war. Allerdings war dieses Programm auch veränderbar – wenn man als das Endziel der Aktion nicht einen Diebstahl, sondern ein Attentat auf eine bestens geschützte Person einsetzte, war das Training praktisch das gleiche. »Wir werden jetzt den Piloten des Kristallkommandos ermitteln«, verkündete Kennennick. »Wer will als erster einen Flug unternehmen?« Schanarz trat sofort vor. Kennennick grinste wieder. Immer wenn er dieses Gesicht zeigte, witterte ich eine Schurkerei. »Gut, auch die anderen sollen mitkommen. Theoretische Unterweisung.« Zum ersten Mal wurden wir in den abgeriegelten Teil des Steingebäudes geführt, das das Zentrum des Ortes der Verdammten bildete. Was Kennennick uns bis jetzt nicht gezeigt hatte, war ein normaler Schulungsraum mit einem Projektor und einer großen Bildfläche. »Setzen!« bestimmte Kennennick, dann ließ er das erste Informationsband ablaufen. Der Raum verdunkelte sich, die ersten Bilder liefen über die Projektionsfläche. Ich konzentrierte mich auf das, was dort zu sehen war. Selbstverständlich wurden uns keine umfassenden Informationen gegeben, nur Bruchstücke, gerade so viel, wie wir zur Durchführung unseres Auftrages brauchen konnten. Allerdings hatte der Hersteller dieser Informationseinheiten nicht daran gedacht, daß jemand vielleicht in der Lage war, die einzelnen Bruchstücke und Nebeninformationen zu einem einheitlichen Bild zusammenzusetzen. Das Verfahren war oft erprobt worden – ich überließ es dem Extrasinn, die Daten zusammenzufassen. Und langsam begann sich ein brauchbares Bild herauszuschälen. Alkordoom, die Galaxis, in die mich der Auftrag der Kosmokraten geführt hatte, war eine annähernd kugelförmige Galaxis. Der Durchmesser lag bei etwa 120.000 Lichtjahren und hatte damit eine ähnliche Größenordnung wie die der Galaxis M87. Ersichtlich wurde auch, daß Alkordoom in einzelne Bezirke aufgegliedert worden war – in zwei Hemisphären zu jeweils vier Sektoren. Das ergab insgesamt acht Kugelausschnitte. Das Segment, in dem wir uns befanden, war der nördliche Sektor der unteren Hemisphäre, vermutlich das Herrschaftsgebiet der Facette Gentile Kaz. Seltsam war, daß diese Sektoren nicht die Gestalt hatten, die nahegelegen hätte. Von dem Kugelachtel fehlte ein beträchtliches Stück, und zwar dort, wo die einzelnen Segmente
zusammenstießen. Rein mathematisch hätte jeder Sektor einen Radius von sechzigtausend Lichtjahren haben müssen – vom Kern der Galaxis bis an ihren Rand. Tatsächlich war aber das Segment »Unten Nord« etwa siebenunddreißigtausend Lichtjahre dick, folglich fehlten in der Mitte dreiundzwanzigtausend Lichtjahre. Einen Teil dieser Fehlstrecke bekam ich – in spärlichen, verstreuten Andeutungen – zu sehen. Aus diesen Bruchstücken ergab sich das Bild einer weiteren Kugelschale, die eine Dicke von neun- bis zehntausend Lichtjahren hatte. Die Informationen kennzeichneten sie als wenig erfreuliches Territorium. Die Sonnensteppe vermutlich, analysierte der Logiksektor. Über den eigentlichen Kern der Kugelgalaxis gab es überhaupt keine Information – dieser Nukleus wurde einfach totgeschwiegen. Er durchmaß rund achtundzwanzigtausend Lichtjahre. Die für mich wertvollste Information aber kam zwischendurch eingestreut. Diese Galaxis hatte einen Auswuchs, einen Kopfschweif, wie man es nennen wollte, ein Gebilde von fast sechsundfünfzigtausend Lichtjahren, das aus der Galaxis herauswuchs wie… … und damit hatte ich den Namen. Wie der Stiel eines Apfels, ein anderes Bild wollte mir nicht einfallen. NGC 1265, gab das fotografische Gedächtnis durch, Perseushaufen. Damit war Alkordoom für mich eindeutig lokalisiert. Man konnte diese Galaxis von der Erde aus sehen, sie wurde in den astronomischen Verzeichnissen geführt. Das Fotogedächtnis lieferte mir auch schnell die Distanz zur heimatlichen Milchstraße – 235 Millionen Lichtjahre, eine gewaltige Strecke, aber für modernste Hochleistungsschiffe nicht unüberwindlich. Mit der SOL beispielsweise… Kennennicks weitere Erklärungen hinderten mich glücklicherweise daran, in Erinnerungen an die SOL zu versinken. Er stellte uns den Raumjäger vor, den wir fliegen sollten – eine schlanke, fast nadelförmige Konstruktion mit zwei Sitzen, tauglich für Flüge innerhalb einer Planetenatmosphäre und im freien Raum, bewaffnet mit zwei Hochleistungsimpulskanonen an den Tragflächenenden und einem Raketenwerfer in der Bugspitze. »Die Maschine ist im Grunde einfach zu bedienen«, sagte Kennennick und sah uns spöttisch an. »Aber wir brauchen für das Kristallkommando nicht irgendeinen Piloten, der das Ding fliegen kann. Was wir brauchen, ist ein Spitzenkönner, der aus diesem Gerät alles herausholen kann, was darin steckt.« »Daran soll es nicht fehlen«, ließ sich Schanarz vernehmen. Kennennick sah ihn an. »Dann wirst du den ersten Test machen«, entschied er. Ich sah, wie ein Ausdruck der Freude über das Gesicht von Schanarz flog. Dachte er das gleiche wie ich? Daß man diesen wendigen Jägern auch dazu benutzen konnte, von Garzwon zu verschwinden? »Freut euch nicht zu früh«, meinte Kennennick, der zu ahnen schien, was in unseren Köpfen vorging. »Zunächst wird an einem Simulator geübt. Erst der Einsatzpilot des Kristallkommandos bekommt eine richtige Maschine in die Hand. Außerdem könnt ihr mit dem Ding ohnehin nur ein paar Lichtjahre weit hüpfen – aber wer ausrücken will, kann es ja versuchen. Wir veranstalten gern eine kleine Jagd.« Schanarz schluckte. Kennennick ließ eine Wand hochfahren. Dahinter wurde der Simulator sichtbar, bestehend aus einer
Projektionsfläche und davor eine nachgebaute Kabine des Jägers, die voll beweglich war und von einer Positronik gesteuert wurde. »Zunächst ein reiner Übungsflug«, sagte Kennennick. »Später werden wir die Sache dann spannender gestalten.« Schanarz kletterte in die Kanzel, schnallte sich auf dem Sitz des Piloten an und griff in die Instrumente. Kennennick verschloß die Glassitkuppel über dem Piloten, dann gab er ein Zeichen. Auf der Projektionsfläche tauchte ein Stück Wüstenlandschaft auf, das sich in Bewegung setzte, sobald Schanarz im Innern den Jäger beschleunigte. Die Darstellung war überaus perfekt – wer in der Kanzel saß, mußte mangels echter Vergleichsmöglichkeiten glauben, tatsächlich zu fliegen. Wahrscheinlich war der positronisch gesteuerte Andruckabsorber so eingestellt, daß eine minimale Beschleunigung im Innern noch gespürt werden konnte – der Pilot sollte wenigstens einen Rest von Gefühl für die Bewegungen des wendigen Schiffes behalten. Von Perry Rhodan, der in den Tagen vor seiner Karriere Risikopilot gewesen war, wußte ich, daß gute Piloten ohnehin in vielen F allen mehr mit dem Sitzfleisch als mit dem Auge flogen. Schanarz erprobte die Maschine. Er jagte im Tiefflug über die Wüste, schoß dann senkrecht in die Höhe, drehte sich, kippte über eine Tragfläche ab und beschrieb akrobatische Kunststücke. Sein Leichtsinn ging wohl mit ihm durch – er verzog eine Kurve, schmierte über den rechten Flügel ab, und dann näherte er sich mit rasender Geschwindigkeit dem Boden. Aus dem Innern des Simulators kam ein leiser Schmerzensruf, während auf der Projektionsfläche das Bild erstarrte. »Was soll das?« erklang Schanarz’ Stimme. Er kletterte ein wenig fahl aus dem Simulator heraus. Kennennick grinste schmierig. »Ein Lernverstärker«, sagte er mit hörbarer Genugtuung. »Bei Flugfehlern wird der Sitz des Piloten unter Strom gesetzt. Zu Anfang ist es ganz milde, kaum zu spüren, später wird es dann ernst.« Ich sah, wie Colamm schluckte. Kennennick oder seine nicht minder verbrecherischen Auftraggeber ließen wirklich keine lebensverachtende Quälerei aus, um das Ziel ihrer Bestrebungen zu erreichen. Ich ahnte, was uns jetzt bevorstand. Von Mal zu Mal würde der simulierte Flug schwieriger ausfallen, und von Mal zu Mal würde Kennennick die Stärke der Stromschläge erhöhen lassen – bis zum Schluß jeder Fehler für den Piloten tödlich wurde. Ein hochwirksames, barbarisches Verfahren, den besten Piloten unter uns zu ermitteln. »Jetzt du«, bestimmte Kennennick. Folgsam kletterte ich in den Simulator. Die Anordnung der Instrumente war nach logischen Gesichtspunkten vorgenommen worden und daher schnell zu begreifen. Der Steuerknüppel war leichtgängig, konnte aber verstellt werden. Ich veränderte den Wert so, daß ich bei jeder Steuerbewegung einen genügend großen Widerstand spüren konnte. Kennennick startete das Schulungsprogramm. Für den Anfang ließ er es ausnahmsweise gnädig angehen – er überließ es mir, mit der Maschine herumzuspielen und ihre Möglichkeiten kennenzulernen. Mit einem terranischen Lightning-Jet konnte es der Jäger nicht aufnehmen, trotzdem handelte es sich um ein technisches Spitzenprodukt. »Nicht schlecht«, meinte Kennennick, nachdem ich ausgestiegen war. »Jetzt der nächste.« Colamm vermied natürlich den Fehler, den Schanarz begangen hatte. Auch der Thater erwies sich als fähiger Pilot, er hatte die Maschine gut in der Hand.
Als letzter stieg Kennennick in den Simulator. Was er uns mit dem Flugsimulator vorführte, war ein fliegerisches Kunststück – er beherrschte die Maschine vollendet, anders konnte man es nicht nennen. Er war sichtlich mit sich zufrieden, als er aus dem Simulator stieg. »So wird das gemacht«, sagte er. »Und morgen geht es weiter.« * Ruhig und gleichmäßig flog der Jäger über das karge Land. Der erste Teil des Übungsprogramms lag hinter mir. In meinem Nacken, auf dem Sitz des Kopiloten, saß Kennennick und blies mir seinen alkoholgeschwängerten Atem ins Gesicht. Er war ziemlich angetrunken, und es war mit Sicherheit keine Lust, die ihm seine Wässerchen vermittelte, sondern vielmehr eine bemerkenswert üble Laune. »Das Ganze noch einmal«, forderte er mich auf. Ich zuckte ergeben mit den Schultern. Eigentlich wäre jetzt Colamm an der Reihe gewesen, aber wenn der alte Leuteschinder meinte… Ich beschleunigte, der Jäger stieg in die Höhe. Inzwischen beherrschte ich die Maschine vollkommen, ich hütete mich aber, das Kennennick zu zeigen – es genügte mir, wenn ich bei kritischer Betrachtung immer ein wenig besser als die anderen war. Schanarz und Colamm waren nahezu gleichwertig – es würde also noch eine Weile dauern, bis der Pilot für das Kristallkommando feststand. Das Übungsprogramm rollte ab. Jetzt galt es nicht mehr, Rollen zu drehen oder enge Kurven zu fliegen. Das Übungsprogramm, von der Positronik eingespeist, war überaus realistisch angelegt. Nach einem kurzen ruhigen Flugstück wartete die erste Aufgabe auf den Piloten – das Niederkämpfen einer Raketenbatterie. Das, was sich bei diesen Simulationskämpfen auf der Projektionsfläche abspielte, entsprach dem, was in Wirklichkeit geschehen wurde, wenn ein solcher Angriff geflogen wurde – Impulsbahnen jagten aus den Kanonen und zerstörten die gegnerischen Raketen. Feindliche Jäger wurden mit der Raketenkanone am Bug außer Gefecht gesetzt, Bodenziele mit Bomben bekämpft. Die Darstellung der explodierenden Raketen und Feindjäger wurde überaus realistisch projiziert, und ich mußte mich immer wieder daran erinnern, daß es sich nur um eine Projektion handelte – andernfalls hätte ich diese Vernichtungsorgie für echt gehalten und wäre wahrscheinlich umgekehrt. In Kennennicks Augen war ich dann als Pilot ein für allemal untauglich. Einen Sekundenbruchteil lang war ich unaufmerksam. Ein Streifschuß aus einem Bodenfort traf den Schutzschirm meines Jägers, und im gleichen Augenblick jagte ein furchtbarer Schmerz durch meinen Körper. Hinter mir brüllte Kennennick auf. »Was soll das?« schrie er. »Ich weiß es nicht«, gab ich zurück. Ich mußte mich konzentrieren, noch einen solchen elektrischen Schock wollte ich mir nicht einhandeln. »Wer hat den Schockgenerator auf volle Stärke gestellt?« krakeelte Kennennick. Ich schluckte.
Mit einem Schlag wurde mir die Falle bewußt, in der ich steckte. Wenn Kennennick auf dem sonst so harmlosen Sitz des Kopiloten ebenfalls einen Schlag erhalten hatte, dann konnte das nur eines bedeuten – jemand hatte den Flugsimulator zu einer Todesfalle umgebaut, und dieser Jemand war nicht Kennennick. »Heiliges Sternenlicht«, stöhnte der Thater auf. Ich sah in einem kleinen Spiegel, daß ihm fast die Augen aus dem Kopf quollen. Seine Lippen zuckten. »Was ist los?« fragte ich zurück. »Das ist die Programmendstufe«, ächzte Kennennick. »Die habe noch nicht einmal ich geschafft.« Jetzt wußte ich, woran ich war. Der Attentäter hatte sich ein sauberes Verfahren ausgedacht, uns beide zu töten – das Programm in der letzten Phase, dazu der Schockgenerator auf Werte eingestellt, die uns bei einem simulierten Volltreffer auf der Stelle umbringen würden. Bluffte Kennennick? War das ein Trick von ihm, aus mir das letzte herauszuholen? Er spielt nicht, kommentierte der Logiksektor. Dann wurde es jetzt bitterer Ernst. Ich durfte in keinem Augenblick die Konzentration verlieren – jeder noch so geringe Fehler wurde furchtbar bestraft, und diese Strafe war so einschneidend, daß sie weitere Fehler fast automatisch nach sich zog. Der Jäger raste über einen feindlichen Festungsgürtel. Überall standen Raketen und Feindjäger bereit, die in die Höhe stiegen und auf Abfangkurs gingen. Ich brauchte keine Hemmungen zu haben – es waren Simulationsmodelle, die ich abschoß, keine bemannten Maschinen. Dennoch war es ein scheußliches Gefühl, wie ein Besessener zu feuern, Ausweichmanöver zu fliegen, wieder zu feuern, wegzutauchen und abermals aufzusteigen. Ich verzögerte abrupt, beschleunigte ebenso schnell wieder, flog Zickzackmanöver – ich tat alles, um dem mörderischen Feuer der Bodenstationen zu entgehen. An eine Umkehr war nicht zu denken – das ließ das vertrackte Programm in diesem Fall nicht zu. An der grundsätzlichen Bewegungsrichtung nach vorn ließ sich nichts ändern. Kennennick stieß einen Ächzer aus, als ich den ersten Festungsring hinter mich gebracht hatte. »Ich werde dir helfen«, stieß er hervor. »Finger von den Hebeln!« schrie ich. Das fehlte mir noch, daß ein entnervter und zudem angetrunkener Kennennick mir ins Handwerk pfuschte. In seinem Zustand war es fast unvermeidlich, daß wir abgeschossen wurden – und das hätte für uns beide den Tod bedeutet. Die nächste Sektion des Testprogramms wurde erreicht. Jetzt galt es nicht nur, den Raketen und Geschützen auszuweichen – zusätzlich wurden jetzt die Bewegungsmöglichkeiten des Jägers durch Hindernisse eingeengt. Es gab nur eine Möglichkeit, aus dieser Todesfalle herauszukommen – wenn das Programm nicht schon von vorneherein so angelegt war, daß es einfach nicht bis zum Ende durchzukämpfen war. Wie so oft in meinem Leben mußte ich mich jenem Zusatzorgan anvertrauen, das bei der Verleihung der ARK SUMMIA aktiviert worden war – dem Extrasinn mit seinen immer wieder überraschenden Möglichkeiten. Es war eine reine Frage der Konzentration und Entspannung. Ich mußte dem Extrasinn praktisch die Steuerung meines Körpers überlassen – in höchster Konzentration mußte ich seine Anweisungen erfassen und an einen unverkrampften Körper weitergeben.
Jedes Nachlassen der Konzentration hätte diesen Befehlsfluß gestört – mit tödlichen Folgen. Jede Verspannung des Körpers hätte den gleichen Effekt gehabt. Hinter mir ächzte und wimmerte Kennennick. Er war nur noch erfüllt von Todesfurcht. Er begriff nicht, wie ich es fertigbrachte, den Jäger durch dieses Strahlenchaos zu steuern, ohne getroffen zu werden. Es dauerte fünf entsetzlich lange Minuten, dann wurde uns die nächste kleine Ruhepause gegönnt. Drei Minuten – danach begann der letzte Abschnitt dieses Programms. »Weiter ist noch keiner gekommen«, wimmerte Kennennick. Der Sinn der Anweisung, die der Extrasinn mir in diesem Augenblick gab, begriff ich nicht ganz. Ich befolgte sie aber. Ich packte mit beiden Händen nach hinten und bekam Kennennick zu fassen. Er zappelte und wehrte sich, aber ich hatte trotz der Verrenkungen den Dagor-Griff richtig ansetzen können. Binnen einer Sekunde war Kennennick betäubt und sackte auf seinem Sitz zusammen. Ich wandte mich wieder nach vorn. Die Flugsimulation trat in ihre entscheidende Phase. Wieder überließ ich das Steuern dem Extrahirn. Allein hätte ich diese Aufgabe niemals zu lösen vermocht – Geschosse von allen Seiten, dazu ein Meteorhagel, der mir entgegenfegte, und im Hintergrund eine Raumfestung, die aus allen Rohren auf meinen Jäger feuerte. In Sekundenbruchteilen mußte ich reagieren, wenn ich nicht getroffen werden wollte. Ununterbrochen analysierte der Extrasinn die Lage und traf seine Entscheidungen. Ich kam dem Ziel näher und näher. Auf meinem Instrumentenbrett leuchtete eine rote Lampe auf – die Abschußvorrichtung für einen Raumtorpedo mit einem überstarken Sprengkopf. Feuer, bestimmte der Extrasinn. Ich hatte den Feuerknopf gerade noch heruntergedrückt, dann jagte ein Schmerz durch meinen Körper, der mich mit einem Schlag die Besinnung verlieren ließ.
9. Ich wußte, wer der Schurke war, der mir das eingebrockt hatte. Kein anderer als Schanarz kam in Frage. Es hatte nicht viel gefehlt, und er hätte es geschafft. Bei jedem anderen wäre der Bubenstreich geglückt. Nur dem Extrasinn mit seinem überragenden Kalkulationsvermögen hatte ich es zu verdanken, daß ich die Sache überlebt hatte. Das Trainingsprogramm entsprach den Zielvorstellungen eines Menschenverächters – es setzte in der letzten Phase die bedingungslose Bereitschaft zur Selbstaufopferung voraus. Wer den Raumtorpedo sicher ins Ziel lenken wollte, mußte dabei einen Beinahetreffer in Kauf nehmen – und damit jenen Stromschlag, der mich betäubt hatte. Wer dazu nicht bereit war, brachte zum einen den Torpedo nicht ins Ziel und wurde zudem in den nächsten Sekunden von der Raumfestung abgeschossen – mit tödlicher Folge für den Piloten, wenn der Schockgenerator entsprechend eingestellt war. Der Extrasinn hatte diese Struktur des Testprogramms erkannt und danach gehandelt – nur so hatte ich überlebt. Nach dem Volltreffer des Torpedos war das Programm automatisch abgebrochen worden. Colamm und Schanarz, die den Vorgang von außen miterlebt hatten, waren dann gekommen und hatten Kennennick und mich aus dem Simulator gezerrt. Früher hatten sie nicht eingreifen können, die Kanzel des Simulators hatte sich nicht öffnen lassen. Die Reaktion der beiden fiel sehr unterschiedlich aus. Colamm hatte natürlich mitbekommen, welche Anforderungen an den ersten Piloten des Kristallkommandos gestellt wurden – er war sichtlich froh, daß er für diese Rolle nicht mehr trainiert wurde. Dank seiner Körperkräfte und seiner Zähigkeit konnte er sich ohnehin ausrechnen, daß er zum Kristallkommando gehören würde. Schanarz hingegen gebürdete sich so, als brenne er förmlich darauf, diesen mörderischen Test auch bestehen zu wollen. Es gehörte nicht viel dazu, hinter diesem Gebaren Schauspielerei zu vermuten – allerdings begriff ich den Sinn dieser Spiegelfechterei nicht ganz. Nun, die nächsten Tage mußten zeigen, wie es mit Schanarz und den anderen weiterging. Kennennick, der sich von den Folgen des Trainings sehr schnell erholt hatte, gewährte mir einen Tag Ruhe. Ich konnte faulenzend im Bett verbringen – und das tat ich auch. Ich schlief, so lange ich konnte. Geweckt wurde ich davon, daß der große Lautsprecher sich regte, der uns in aller Frühe aus den Hütten zu scheuchen pflegte. Es war mehr als ungewöhnlich, ais er sich um diese Tageszeit hören ließ – es war Mittag. Obendrein erklang die Botschaft ebenso aus allen anderen Lautsprechern des Lagers. Pazzon, der die Mittagspause dazu nutzte, mich zu besuchen, erstarrte förmlich, als er das Signal hörte. »Nicht zu fassen«, murmelte er. Ich zog die Brauen in die Höhe. »Was ist daran so ungewöhnlich?« fragte ich. »Ich kenne es nur aus alten Erzählungen«, sagte Pazzon stockend. »Es muß unglaublich lange zurückliegen, daß er sich das letzte Mal gemeldet hat.« »Wer?« »Der Erleuchtete.« Ich setzte mich auf.
»Er spricht zu allen Völkern und allen Facetten. Überall wird diese Botschaft gehört, damit niemand später sagen kann, er wisse nichts davon.« Ich lauschte auf die Klänge aus dem Lautsprecher. Aha, der alte Trick. Niederfrequenter Schall in höchster Lautstärke. Frequenzen unterhalb von sechzig Schwingungen pro Sekunde waren zum ersten akustisch nicht mehr ortbar, sie schienen von überall zu kommen oder wurden vom Gehirn einfach dem nächstbesten Lautsprecher zugeordnet, der höhere Frequenzen ausstrahlte. Eine Art akustische Sinnestäuschung, die seit Jahrtausenden bekannt war. Richtiggehend zu hören war solcher Schall auch nicht – er wurde mehr gespürt, und zwar vor allem im Magen. Der Körper wurde von solchen Schwingungen gleichsam geschüttelt, ohne daß die Ursache festzustellen war. Bei Menschen erzeugte dieser kleine akustische Trick in der Regel ein Gefühl weihevollen Schauderns – aus diesem Grund wurde eine entsprechende Taste an einer Orgel auch recht treffend »Demutstaste« genannt. Solo bei feierlichen Augenblicken angeschlagen und daher nicht identifizierbar, löste sich bei den Zuhörern Ergriffenheit aus, die dann natürlich auf die Zeremonie übertragen wurde. Mit solchen Mätzchen war ich nicht mehr zu beeindrucken – wohl aber Pazzon, wie ich sehen konnte. Die Stimme, die dann erklang, paßte zur ausgefeilten Psychologie der Prozedur – ein so satt timbrierter Bariton, daß eine Wettervorhersage in dieser Stimmlage Frauen jeglicher Altersklassen die Nackenhaare aufstellte. Der Inhalt der Botschaft war ebenso geheimnisvoll wie nichtssagend. Er verkündete, daß an diesem Tag das Jahr 5000 des Erleuchteten beginne und damit ein Festtag für alle Völker von Alkordoom sei. Wichtiger war der zweite Teil der Botschaft – dieses Jahr 5000 sei zugleich das letzte Jahr, das zur Erreichung des »großen Ziels« eingeplant worden sei. Was dieses große Ziel war, wurde nicht gesagt – aber mir schwante, daß es etwas mit EVOLO zu tun hatte. Interessant für mich war auch eine kleine mathematische Überlegung – ich hatte inzwischen herausgefunden, daß die lokale Zeitrechnung der Galaxis Alkordoom anders aussah als die Zeitrechnung der Milchstraße. Ein Jahr des Erleuchteten dauerte fast 1000 Erdtage, das war also fast dreimal so lang wie ein TerraJahr. Wenn der Erleuchtete tatsächlich seit fünftausend Jahren die Zeitrechnung Alkordooms bestimmte, dann mußte er annähernd 15.000 Jahre alt sein – rechnete man hinzu, daß er nicht gleich am Tag seiner Geburt die Zeitrechnung für eine Galaxis festlegen konnte, so ergab sich daraus noch ein weit höheres Alter. Vorausgesetzt, es handelte sich vom Jahr 1 an immer um denselben Erleuchteten, war diese geheimnisumwitterte Macht im Herzen Alkordooms vermutlich fast doppelt so alt wie ich. Zellaktivatorträger? Wohl kaum – die Zellaktivatoren waren ein Geschenk der Kosmokraten, und die pflegten damit keine Tyrannen zu beglücken. Hatte der Erleuchtete einen anderen Weg gefunden, seine Lebensspanne so weit auszudehnen – und wenn ja, welchen? Pazzon war von der Botschaft des Erleuchteten sichtlich ergriffen. Ich für meinen Teil registrierte, daß der Tag eins des Jahres 5000 d.E. identisch war mit dem 10.7.3818. Von jetzt an konnte ich alle zeitlichen Daten, die ich bekam, umrechnen – vielleicht schälten sich dabei Zusammenhänge zwischen Alkordoom und anderen, mir bereits bekannten Galaxien heraus. Kennennick hatte die Botschaft ebenfalls gehört – er beendete das Übungsprogramm für diesen Tag und gab uns frei. Er ließ sogar die Vorratskammern öffnen, spendierte großzügig Nahrungsmittel und erlaubte sogar
den Genuß von Alkohol. Die Folge war vorherzusehen – es gab ein fürchterliches Besäufnis, bei dem sich vor allem die beiden Thater hervortaten. Sie vertrugen unglaubliche Mengen, wenigstens konstitutionell. Ich hielt mich zurück und trank nur soviel, wie nötig war, um nicht unliebsam aufzufallen. Meine Vermutung war, daß schon früh am Abend die ganze Bande sturzbetrunken in den Betten liegen würde. Und das gab mir die Möglichkeit, einmal jenen Ort auszukundschaften, den Kennennick in seiner Karte vermerkt hatte. Meine Kalkulation ging auf. Es dämmerte noch nicht, da lagen die meisten schon auf dem Boden und murmelten sinnloses, Zeug. Vor Ablauf von acht bis zehn Stunden waren sie nicht mehr wachzubekommen. Ich setzte mich ab. Vom Rand des Lagers aus beobachtete ich die Szenerie. Ich mußte warten, bis auch der letzte Zecher umgefallen war, dann erst konnte ich mir einen Gleiter nehmen und einen Ausflug zu dem Meteorkrater machen, den Kennennick gekennzeichnet hatte. Ich brauchte nicht lange zu warten. Nach einiger Zeit war es still im Lager. Über den Hütten lag ein Alkoholdunst, daß man ihn hätte abfackeln können. Ich schlich mich zu den Gleitern hinüber. Abwarten, riet der Logiksektor. Ich huschte zurück in die Deckung. Jemand näherte sich. Schanarz. Der Blauhäutige hatte offenbar einen ähnlichen Plan wie ich. Auch er versuchte an einen Gleiter heranzukommen. Ich folgte ihm sehr vorsichtig. Als er in eine der Fahrerkabinen stieg, nutzte ich die Gelegenheit und schwang mich auf die Ladefläche. Schanarz fuhr los, zunächst sehr langsam, dann mit höchster Geschwindigkeit. Ich hatte mich nicht geirrt – er steuerte den Meteorkrater an. Was hatte er dort zu suchen? War es einfache Neugierde, die ihn dazu antrieb? Und woher wußte er überhaupt von diesem Krater und seiner Bedeutung? Ich mußte aufpassen, daß ich nicht von der Ladefläche geworfen wurde – Schanarz jagte mit höchster Fahrt über das Land und mühte sich, dabei so niedrig wie nur möglich zu fliegen. Allem, was höher war als drei Meter, mußte er dabei ausweichen, infolgedessen wurde ich immer wieder hin und her geworfen. Schließlich kam das. Fahrzeug zum Stillstand. Schnell schlüpfte ich hinunter und verbarg mich zwischen den Felsen. Schanarz stieg aus. Hoch über uns standen die beiden Monde. Ihr Licht reichte gerade aus, die Szenerie erkennen zu lassen. Zum ersten Mal sah ich Schanarz sich so bewegen, wie es zu ihm paßte – alles nur Gespielte war verschwunden. Die Person, die sich da vor mir bewegte, wußte ganz genau, was sie wollte – ich hatte sofort den Verdacht, daß Schanarz in unsere Gruppe eingeschleust worden war, vielleicht im Auftrag einer fremden Macht. Dieser Schanarz war kein Angeber und Maulheld, auch kein Raufbold – so wie er sich bewegte, verriet er eine hochkarätige Spezialschulung. Ich folgte ihm. Schon nach wenigen Metern war klar, welchem Zweck das Meteortal diente – es war als Raumhafen ausgebaut worden, gerade groß genug, um Landefläche für ein Schiff zu liefern, das nicht größer war als sechzig Meter.
Schanarz kletterte den Abhang hinunter. Ab und zu sah er sich um, und dann mußte ich sehr schnell in Deckung gehen, um nicht von ihm gesehen zu werden. Am Rande der Landefläche blieb Schanarz stehen. Er schritt den Platz ab. Wahrscheinlich versuchte er herauszufinden, wie groß das Schiff war, das hier landen sollte. In den Kraterrand hineingearbeitet waren Versorgungseinrichtungen. Ich konnte die Anschlüsse für Energieversorgung und Ähnliches sehen. Vermutlich gab es auch Unterkünfte und andere Räumlichkeiten in dieser Anlage. Schanarz huschte zu der gegenüberliegenden Wand des Kraters. Ich murmelte eine Verwünschung. Er stand im Schatten, ich konnte ihn nicht mehr erkennen. War er bereits in die Räume eingedrungen oder stand er vor der Tür und wartete? In diesem Fall mußte er mich sehen können, wenn ich das Landefeld überquerte. Ich entschloß mich dazu, einen weiten Bogen zu schlagen. Dabei verlor ich einige Male den Überblick über das Gelände, und das gab Schanarz die Möglichkeit, seinen Standort zu wechseln und mir aufzulauern. Vorsichtshalber nahm ich meine Waffe in die Hand und entsicherte sie. Ich konnte mir ausrechnen, daß Schanarz keine Sekunde zögern würde, mich über den Haufen zu schießen, falls er mich zu sehen bekam. Dort, wo er meinen Blicken entschwunden war, konnte ich ihn nicht mehr finden. Er mußte sich aber sehr sicher fühlen, denn er beging einen groben Fehler. Er schaltete in einem der Räume das Licht ein – so wußte ich, daß er bereits eingedrungen war. Die Tür stand offen. Sie war mit einem positronisch gesteuerten Sicherheitsschloß verriegelt gewesen, und Schanarz hatte sie ohne Gewaltanwendung geöffnet. Entweder kannte er die Kombination, oder er hatte in seinem Gepäck einen speziellen Kodeknacker. In der Milchstraße waren solche Geräte so aberwitzig teuer – und obendrein verboten –, daß nur USO-Spezialisten und die Agenten der Solab damit ausgerüstet wurden. Ich hatte keinen Zweifel mehr – Schanarz war ein Spion. Vielleicht bekam ich heraus, für wen er arbeitete. Ich schlich weiter. Es waren langweilige Büros, die ich durchschritt, Unterkünfte, ein Speisesaal – alles erheblich komfortabler ausgestattet als das Lager, in dem wir hausten. Wo steckte Schanarz? Ich fand ihn im Funkraum. Der Blauhäutige stand vor einem Hyperfunkgerät und stellte gerade eine Sendefrequenz ein. Irgend etwas mußte er gehört haben, vielleicht hatte er auch nur eine jener seltsamen Ahnungen gehabt, angestarrt zu werden. Ich sah, wie er herumfuhr. Die Hand mit der Waffe zuckte nach oben. Mit einem Satz versuchte ich mich in Sicherheit zu bringen, dabei stieß ich gegen die nur halb geöffnete Tür. Unwillkürlich krampfte ich mich zusammen, aus meiner Waffe löste sich ein Schuß. Brennend heiß fegte Schanarz’ Schuß über mich hinweg und verkohlte die Tür, Funken regneten auf mich herab. Langsam kam ich wieder auf die Beine. Schanarz lag am Boden, er war tot. Mein Schuß hatte ihn getroffen. Ich holte tief Luft. Mit diesem Ausgang hatte ich nicht gerechnet. Ich ging hinüber zu dem Funkgerät. Noch im Fallen hatte Schanarz einen zweiten Schuß
abgegeben, und der hatte die Vorderseite des Hyperkoms zerstört – es ließ sich nicht mehr feststellen, welche Frequenz er versucht hatte anzuwählen. Ich steckte meine Waffe zurück. Schrittgeräusche klangen durch die Räume. Wenig später stand er in der Tür. Er mußte sich festhalten, um nicht umzufallen, so berauscht war er. Kennennick, die Augen vor Wut funkelnd. »Jetzt habe ich dich«, stieß er hervor. »Gib’s zu, du spionierst für eine andere Facette.« »Sieh selbst, wer hier herumgeschnüffelt hat«, antwortete ich und deutete auf Schanarz. Kennennicks Blick suchte den Raum ab. Er brauchte einige Zeit, bis er sich einen Reim gemacht hatte. »Wenn er der Spion war – was hast du dann hier zu suchen?« fragte er schließlich lauernd. »Ich bin ihm gefolgt, als ich merkte, daß er sich davonmachen wollte. Was genau er hier suchte, weiß ich nicht.« »Du weißt es nicht«, stieß Kennennick hervor. »Hier wird das Kristallschiff landen, noch in dieser Nacht. Und du weißt nicht, was das für ein Ort ist, wie?« »Ich erfahre es in diesem Augenblick von dir«, antwortete ich. »Wirf die Waffe weg«, stieß Kennennick hervor. Ich zögerte. »Keine Angst, ich schieße dich nicht nieder – ich werde dir das Genick brechen.« Unter normalen Umständen hätte mich diese Drohung beeindruckt, aber jetzt war Kennennick entschieden zu betrunken, um seine Fähigkeiten voll einsetzen zu können. Ich warf die Waffe fort, nachdem ich sie gesichert hatte. Das gleiche tat Kennennick. Er streckte die Arme nach mir aus. »Komm«, sagte er höhnisch. »Dann geht es schneller.« Natürlich erwartete er nicht, daß ich dieser Aufforderung folgen würde – daher war er sehr überrascht, als ich mit einem Sprung bei ihm war. Der erste Treffer, den ich landete, trieb ihm die Luft aus dem Leib. Er taumelte zurück. So betrunken war er nicht, daß er zu nichts mehr fähig gewesen wäre – ich rannte genau in seinen Schlag hinein, der mich von den Beinen riß und rücklings auf den Boden warf. Während ich nach Luft schnappte, wälzte ich mich auf die Seite und entging so einem Fußtritt, der mir ein paar Knochen zersplittert hätte, wäre er angekommen. Ich packte das Bein, drehte es herum. Kennennick beschrieb eine Rolle in der Luft. Ungeübt in solchen Kampftechniken war er nicht, und je länger der Kampf dauerte, um so mehr verflog sein Rausch. Ich mußte mich beeilen. Ich hätte dem Kampf ein sehr rasches Ende bereiten können, aber die Griffe und Hiebe, die dazu nötig waren, konnte man nur schwer in der Wirkung beurteilen – mitunter waren sie tödlich. Ich mußte mich auf reine Betäubungstechniken verlegen, und das erforderte mehr Konzentration und genaueres Zielen. Kennennick tobte, packte einen schweren Stuhl und wollte ihn mir auf den Kopf schleudern. Ich unterlief ihn, ließ mich fallen und brachte ihn mit einem Beinschlag auf den Boden. Der Stuhl kollerte in eine Ecke und barst, während ich bei Kennennick endlich einen der hochwirksamen Dagor-Griffe anbringen konnte. Der Thater bäumte sich noch einmal auf, traf mich und preßte mir noch einmal die Luft aus den Lungen, dann sackte er zusammen. Auch ich blieb keuchend liegen. So rasch es ging, kam ich wieder auf die Beine. Mein Griff führte nur zu einer kurzfristigen Betäubung, um Kennennick für ein paar Stunden schlafen zu lassen, mußte ich eine andere Technik
anwenden. Ich sorgte dafür, daß er mir in den nächsten Stunden nicht mehr gefährlich werden konnte. Schnaufend verließ ich die Räume. Die beiden Monde waren vorübergezogen; draußen war fast nichts mehr zu erkennen. Einzige Lichtquelle war der Gleiter, der Kennennick hergebracht hatte. Er stand unmittelbar vor dem Eingang. Ich kehrte in die Unterkünfte zurück und schleppte den Bewußtlosen hinaus. Mühsam wuchtete ich ihn auf die Ladefläche, dann startete ich den Gleiter und fuhr los. Ich hatte den Rand des kleinen Raumhafens noch nicht ganz erreicht, als ich hoch über mir den leuchtenden Punkt sah, der sich langsam auf uns herabsenkte. Das Schiff landete.
10. Jetzt begriff ich, warum unsere Truppe Kristallkommando genannt werden sollte – es hatte seinen Namen von dem Schiff, das langsam herabschwebte. Das Schiff strahlte und funkelte in allen Farben, Lichtkaskaden sprühten von den Ecken und Kanten, so daß man von dem eigentlichen Schiff nur recht wenig zu sehen bekam. Dennoch war zu erkennen, daß das Schiff im Groben geformt war wie eine Art Doppelbügel, mit dem große Gegenstände eingeklammert werden konnten. Die Zentrale schien sich an der Spitze dieses Doppelbügels zu befinden. In dem Augenblick, in dem das Schiff den Boden berührte, verschwand das Glitzern. Die Triebwerksgeräusche verstummten. Ich wartete, aber nichts regte sich. Zu gern hätte ich mir das Schiff aus der Nähe angesehen, aber ein Blick auf den Himmel zeigte, daß das nicht möglich war – in der Frühdämmerung mußte ich mit Kennennick wieder im Lager sein, sonst gab es Ärger und Aufregung. Ich wollte gerade den Gleiter starten, als ich sehr schwach eine Bewegung wahrnahm. Gerade noch erkennbar schlich eine Gestalt um das gelandete Kristallschiff herum – ein Wesen, das so vermummt war, daß sich über seine Körperform fast nichts aussagen ließ. Es machte sich an dem Kristallschiff zu schaffen, und zwar dort, wo der Bügel irgendeinen Gegenstand einklemmen konnte. Ich zögerte, dann ließ ich den Gleiter starten – ich hatte keine andere Wahl. Kennennick kam gerade zu sich, als der Gleiter das Lager erreichte. Ächzend rieb er sich den Schädel, dann fiel sein Blick auf mich. »Keine Aufregung«, warnte ich ihn. »Ich nehme an, daß auch du nicht daran interessiert bist, daß sich die Geschichte mit Schanarz herumspricht. Laß die Leiche von den Robots fortschaffen und schweige über die Sache – man könnte es dir ankreiden, daß du den Spion in deiner Truppe nicht hast entdecken können.« Kennennick ächzte nur. Der Rausch hatte ihm einen gewaltigen Brummschädel hinterlassen, bei der Qualität des Schnapses, den er in sich hineingeschüttet hatte, war das nicht weiter verwunderlich. »Einverstanden«, sagte er schließlich. »Hast du das Schiff gesehen?« Ich nickte. »Mehr als das«, antwortete ich, während ich den Gleiter abstellte. »Jemand ist um das Schiff herumgeschlichen.« »Einer von uns?« »Ich glaube nicht. Wir können ja umkehren und nachsehen – mir gefällt das nicht.« Kennennick zögerte. »Nein«, sagte er schließlich. »Wir bleiben hier.« »Und der Fremde?« »Der geht dich nichts an. Ich befehle dir, die Sache zu vergessen. Und halte dich daran, wenn dir dein Leben lieb ist!« Ich runzelte die Stirn. »Wie du meinst«, sagte ich und half dem schwer angeschlagenen Kennennick von der Ladefläche herunter.
Kennennick sah über das Lager hinweg. Es war noch sehr ruhig – die Gefährten schliefen noch. »In zwei Stunden wird das Kommando zusammengestellt«, erklärte Kennennick. »Du kannst den anderen Bescheid sagen.« Er schwankte hinüber zu seinem Quartier. Ohne Hilfe von Medikamenten würde er in dieser Spanne Zeit kaum wieder fit zu bekommen sein. Ich ging zu meiner Unterkunft. Ich hatte richtig vermutet, die anderen schliefen noch. Der Geruch in der Hütte war kaum zu ertragen. Ich trat wieder ins Freie. Seltsam, daß Kennennick, der ewig Mißtrauische, sich um den Fremden am Schiff überhaupt nicht kümmern wollte. Nun, das war seine Entscheidung. Und er würde noch einige Entscheidungen zu treffen haben… * »Pilot ist Atlan, sein Stellvertreter wird Colamm sein«, verkündete Kennennick. Daß Schanarz fehlte, schien niemanden zu interessieren. »Zum Kristallkommando gehören außerdem…« Eine ungeheure Spannung lag über uns. Jeder wußte – Kennennicks Entscheidung konnte in der einen oder anderen Form ein Todesurteil sein. »Warze.« Das Halbkugelwesen gesellte sich zu Colamm und mir. »Seht ihr, Omm-Omm hat mich erhört«, verkündete er. »Sassa, der Kajter.« Damit war Einbein gemeint, der mit einem einzigen Satz bei uns ankam. Wie so oft in letzter Zeit hatte er sich den Körper mit feinem roten Staub eingepudert, ein etwas eigentümliches Verhalten für ein Wesen, das seinem Körperbau nach auf einem sehr feuchten Planeten zu Hause sein mußte. »Blackbox.« Damit hatte ich gerechnet. Der lebende Roboter war eine wertvolle Hilfe, gleichgültig, worum es ging. »Lockart.« Auch das Symbiosewesen mit seinen seltsamen Gaben konnte uns eine Hilfe sein. Ich sah, daß die Gesichter der restlichen Kandidaten von immer mehr Furcht gekennzeichnet waren. Kennennick, dieses Scheusal, ließ eine lange Pause. Er genoß es, die Kandidaten zu quälen. Jeder wußte – nur einer konnte noch zum Kristallteam stoßen. Die anderen konnten sich glücklich preisen, wenn sie an anderer Stelle als Rekruten oder Söldner Verwendung fanden. »Pazzon.« Damit war die Entscheidung gefallen. Das Kristallteam hatte seine endgültige Zusammensetzung. Kennennick winkte uns heran. »Auf die Gleiter«, bestimmte er. »Wir brechen sofort auf.« Ich deutete auf die anderen Rekruten.
»Was wird aus ihnen?« fragte ich. Mit hängenden Köpfen schlichen sie in die Unterkünfte zurück. »Man wird Verwendung für sie finden. Sie haben sich nicht schlecht gehalten.« Kennennick sah mich durchdringend an. »Bilde dir nichts darauf ein, daß du der Pilot bist. Ich warne dich – ich werde immer in deiner Nähe sein.« »Ich werde es nicht vergessen«, sagte ich und ging. Pazzon erwartete mich an einem der Gleiter. »Wir haben es geschafft«, sagte er strahlend. »Toll, nicht wahr?« Ich sah ihn an. »Ahnst du nicht, wofür man uns zusammengestellt hat – für ein Himmelfahrtskommando«, erinnerte ich ihn. »Wenn du glaubst, jetzt ein sorgenfreies Leben führen zu können, wirst du dich wundern. Kennennick ist noch lange nicht mit uns fertig.« Der Sechsarmige murmelte ein paar Verwünschungen. Kennennick stieß zu uns, ein paar Minuten später jagten die Gleiter los. Ich hockte neben dem Thater auf der Ladefläche. Ausrüstung hatten wir keine – alles, was wir brauchten, sollte angeblich auf dem Kristallschiff sein. Auf dem Raumhafen wartete eine Überraschung auf mich. Das Aussehen des Schiffes hatte sich verändert – am Bugteil war in die Bügelkonstruktion ein seltsam schimmerndes Kristallgebilde eingekeilt worden, das gestern mit Sicherheit noch nicht dort zu finden gewesen war. Hatte der Vermummte den Kristall dort angebracht? Pazzon deutete auf das Gebilde. »Heißt es deswegen Kristallschiff?« Kennennick nickte. »Und aus dem gleichen Grund sind wir das Kristallkommando.« Der Thater führte uns um das Schiff herum und erklärte uns die Technik, der größte Teil davon war dem Aussehen nach exotisch, der Funktion nach jedoch wohlvertraut. Ich war sicher, daß ich das Schiff ohne Probleme würde fliegen können. »Die Bügelteile sind beweglich, sie können sich der Größe der eingesetzten Kristalle anpassen«, erklärte Kennennick. »Und diese Kristalle sind wichtig – überaus wichtig sogar.« »Wozu dienen sie?« fragte Colamm. Der Ersatzpilot beäugte das Schiff ein wenig mißtrauisch. »Ohne Kristalle ist das Schiff zwar überlichtschnell, aber nicht sehr. Höchstfahrt einhundert Lichtjahre pro Stunde.« Das war wahrhaftig nicht viel, wenn man kosmische Distanzen berücksichtigte. Für einen Flug quer durch Alkordoom hätte das Schiff bei ununterbrochener Fahrt 500 Tage gebraucht – eine entsetzlich lange Zeit. »Die Kristalle steigern diese Geschwindigkeit – bis zum Tausendfachen«, fuhr Kennennick in seinen Erklärungen fort. »Ein Aktivatorstrahl regt die Kristalle zu Schwingungen an, die ein hyperenergetisches Feld um das Schiff legen. Dieses Feld wird vom normalen Raum-ZeitKontinuum abgestoßen und beschleunigt so das Schiff. Wenn zwei Kristalle eingesetzt sind, kann sogar in den Hyperraum selbst vorgestoßen werden, aber diese Einzelheiten brauchen euch jetzt nicht zu interessieren.« »Wieso nur ein Kristall?« erkundigte ich mich.
Kennennick sah mich scheel an. »Das werdet ihr noch merken«, sagte er. »Geht an Bord.« Wie ich vermutet hatte, saß die Zentrale an der Bugspitze des Schiffes. Dahinter waren die Unterkünfte zu finden. Eine oberflächliche Musterung ergab, daß es Platz für insgesamt acht Personen gab – die Größe des Schiffes hatte danach also die Größe des Kristallteams vorgegeben. Die Zentrale sah so aus, wie ich es erwartet hatte – Räume dieser Art glichen sich in aller Regel, wohin man auch kam. Technische Notwendigkeiten und Probleme führten nach den Regeln der Physik und Mathematik überall im Kosmos zur gleichen Lösung. Die Aufgabe, einen größtmöglichen Inhalt in einem möglichst geringen Verpackungsmaterial unterzubringen, ergab überall im Universum eine Kugel – es gab zahllose andere Problemstellungen, bei denen das gleiche zutraf. »Starte!« bestimmte Kennennick. Er hatte sich einen Platz in der Zentrale ausgesucht, von dem aus er uns jederzeit unter Kontrolle hatte. Ein Team in dem Sinn, wie ich es von der Milchstraße her kannte, waren wir mit Sicherheit nicht, von Teamgeist konnte keine Rede sein. Wir waren nichts weiter als ein Haufen Gefangener, die sich untereinander befeindeten und nur zusammenhielten, um den noch größeren Druck von außen ertragen zu können. Das Kristallschiff hob ab. Die Steuerung arbeitete leichtgängig und präzise. Sie war auf ähnliche Werte eingestellt worden, wie ich sie im Simulator benutzt hatte. Das Schiff gehorchte jedem Steuerimpuls. Ich versuchte herauszufinden, welche Beschleunigung möglich war, als das Kristallschiff in den Raum vorstieß – die Werte waren nicht schlecht, ich hatte allerdings auch schon bessere Daten gesehen. »Flieg einen Angriff«, bestimmte Kennennick. »Nimm dir einen der Monde.« Ich befolgte die Anweisung. Kennennick schien zufrieden zu sein. Als ich allerdings eine auffällige Zacke auf einem der Monde beschießen wollte, erlebte ich eine Überraschung. Die Bewaffnung dieses Schiffes war geradezu kümmerlich – nicht besser als der Raumjäger, den ich in der Simulation geflogen hatte. »Ist das alles?« fragte ich entgeistert, nachdem ich das Ziel angeflogen und auftragsgemäß zerstört hatte. »Keine weitere Bewaffnung?« Kennennick lächelte überlegen. »Das haben wir nicht nötig«, erklärte er selbstbewußt. Der Thater war wieder zuversichtlicher geworden, seit wir an Bord waren; er versuchte sich wieder als Führungspersönlichkeit zu profilieren. Einmal abgesehen davon, daß er das für sein Selbstbewußtsein brauchte – ich hatte auch den Eindruck, als spiele er diese Rolle auch ein wenig, als versuche er jemand damit zu beeindrucken. Aber wen? Außer uns war niemand an Bord, und uns brauchte der Thater nun wahrhaftig nicht mehr zu beeindrucken – wir wußten längst, was für ein Scheusal er war. Furcht mochte er uns mitunter abringen, aber niemals Respekt. Ich sah auch, daß Kennennick immer wieder seine Blicke durch die Zentrale schweifen ließ. Anfangs hatte ich geglaubt, er kontrolliere und mißtraue uns – aber langsam bekam dieses ständige Umherblicken den Anstrich des Besorgten. Wurden wir überwacht? Es war technisch nicht weiter schwierig, in solche Räume Kameras und Mikrophone einzubauen, so winzig und so gut versteckt,
daß man sie ohne Spezialgerät nicht finden konnte. War es das, was Kennennick zu seinem Gebaren veranlaßte? »Du kannst auf Kurs gehen«, bestimmte Kennennick. »Wie heißt das Ziel?« »Sektor Ordardor«, sagte Kennennick. »Planet Lummensand.« Ich hörte, wie Pazzon einen Pfiff ausstieß. »Lummensand steht knapp zehn Lichtjahre vom galaktischen Äquator entfernt«, murmelte er. »Sehr nahe am Gebiet von Facette Zulgea von Mesanthor.« »Darum braucht ihr euch nicht zu kümmern«, entschied Kennennick. »Ihr braucht nur meine Befehle auszuführen, das Nachdenken überlaßt ihr gefälligst mir.« »Damit werden wir nicht weit kommen«, murmelte Pazzon, vorsichtshalber so leise, daß nur ich ihn hören konnte. Kennennick hätte ihn sonst wahrscheinlich verprügelt. Das Kristallschiff ließ den Planeten Garzwon unter sich und jagte in den freien Raum. Der Antrieb arbeitete hervorragend, es war ein wirklich gutes Schiff, das man uns gegeben hatte – einmal abgesehen von der Tatsache, daß es mit der Bewaffnung nicht weit her war. Auf regelrechte Raumgefechte durften wir uns damit keinesfalls einlassen – es sei denn, das Kristallschiff barg noch ein paar technische Geheimnisse. Unser erster Sprung führte uns knapp einhundert Lichtjahre weit. Anhand der Meßdaten konnte ich erkennen, daß der eigentliche Antrieb ähnlich funktionierte wie ein terranisches Lineartriebwerk. In unserem Fall sorgte allerdings nicht ein Kalupscher Kompensationskonverter für eine Abschirmung, sondern die eigentümlichen Schwingungen des Kristalls. Immerhin, die Sache funktionierte, und wenn es irgendwo einen Planeten gab, auf dem viele dieser Kristalle zu finden waren, dann hatten die Bewohner von Alkordoom damit ein ausgesprochen preiswertes Antriebssystem entwickelt. Ein solcher Kristall war sicherlich leichter zu fördern und zu bearbeiten als ein Kalup oder sein Nachfolger, der Waring-Konverter. Kennennick erlaubte einem Teil des Kommandos, sich hinzulegen und auszuruhen. Auch mir bot er eine Rast an, aber ich lehnte ab. Ich wollte das Schiff möglichst genau kennenlernen – davon konnte im Notfall unser Leben abhängen. Colamm machte ein mürrisches Gesicht – bei so pannenfreien und langweiligen Flügen wäre er gern selbst Pilot gewesen. Kennennick rührte sich nicht von der Stelle. Wahrscheinlich hielt er sich mit Medikamenten aufrecht – mir war auch aufgefallen, daß er seit dem Start keinen einzigen Tropfen seines Spezialgetränks mehr genossen hatte. Ein Hinweis mehr darauf, daß wir ohne Pause beobachtet wurden. Ich sah Kennennick an. Bei dem Konsum an Lustwässerchen, den wir hatten erleben können, hätte der Thater eigentlich völlig abhängig sein müssen – und nach so vielen Stunden ohne sein Elixier hätte er eigentlich die ersten Entzugserscheinungen zeigen müssen. Nichts dergleichen war der Fall – Kennennick schien den Entzug ohne Probleme zu verkraften. Entweder er hatte uns getäuscht oder etwas anderes steckte dahinter – dieser nebensächliche Umstand jedenfalls gab mir zu denken. Es war eigentümlich, wie viele Personen um mich herum eine Doppelrolle spielten oder zu spielen schienen – Schanarz, der Agent einer fremden Facette, Kennennick, der uns den Säufer vortäuschte, Pazzon, der mir besonders undurchsichtig erschien. Blackbox, aus dem wir bisher nicht eine einzige private Information hatten herausholen können. Ich leitete die letzte Etappe nach Lummensand ein. Wieder nahm das Kristallschiff Fahrt auf und
raste mit Überlichtgeschwindigkeit durch Alkordoom. Kennennick stand auf. »Bis zur Ankunft werde ich schlafen«, verkündete er. »Euch rate ich, das gleiche zu tun – auf Lummensand wartet eine Aufgabe auf uns.« »Welche?« fragte ich spontan. Kennennick grinste. »Wir werden etwas stehlen«, verkündete er. »Und was?« Kennennick deutete nach hinten, wo der Kristall zwischen den Bügeln des Schiffs steckte. »Einen zweiten Kristall«, erklärte er. »Und zwar einen ganz besonderen. Ihr werdet es erleben.« Er grinste boshaft. »Erleben werdet ihr es – allerdings weiß ich nicht, ob ihr es auch überleben werdet.« Lachend verschwand er aus der Zentrale. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Einen Kristall stehlen? Nun, warum nicht. Ich ahnte nicht, daß eine ganze Reihe von Überraschungen auf uns wartete, die diesen Kristall betrafen – und mich. ENDE
Nach bestandenem Todestest ist Atlan zum Piloten eines Einsatzkommandos gemacht worden, das im Auftrag der Facette Gentile Kaz auf der Welt der Nachtgeister eine Mission durchführen soll, die jedem nüchternen Denker einfach undurchführbar erscheinen muß. Mehr darüber berichtet Peter Terrid im nächsten Atlan-Band. Der Roman trägt den Titel: DAS KRISTALLKOMMANDO