Gruselspannung pur!
Der Todeskuß der Spinnenfrau
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Ein schwerer Mercedes fuhr...
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Gruselspannung pur!
Der Todeskuß der Spinnenfrau
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Ein schwerer Mercedes fuhr beim Hotel >Elephant< in Weimar vor, das durch Thomas Manns verfilmten Roman >Lotte in Weimar< berühmt geworden war. Der livrierte Chauffeur wieselte um die Limousine herum und riß dienstbeflissen den Wagenschlag auf. Zunächst stieg eine äußerst attraktive schwarzhaarige Frau im Modellkleid aus. Dann folgte schnaufend ein schwer gebauter Mann im Geschäftsanzug. Er hatte zu dem Zeitpunkt nur noch wenige Stunden zu leben. Und er würde eines unnatürlichen Todes sterben. Aber das ahnte er nicht mal… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! Noch lebte er, und er führte sich genauso auf, wie man sich in den Neuen Bundesländern den unsympathischen Wessi-Geschäftemacher
vorstellte. Der Hotelpage verdrehte schon bei seinem Anblick die Augen. Natürlich nur in Gedanken, denn er war gut geschult. »Der Vogt ist wieder da!« zischte er hinter vorgehaltener Hand der Hotelangestellten zu, die gerade das Hotel betrat. »Informier die anderen!« Karl-Michael Vogt, lange Zeit ein bevorzugter Geschäftspartner der Treuhand, ließ eine Menge Geld in den Hotels, in denen er logierte. Trotzdem war er als unangenehmer Mensch ein unbeliebter Gast. Er protzte nämlich mit seinem Geld und hielt sich in seiner Position als Generaldirektor eines Banken- und Finanzkonsortiums für den Nabel der Welt. Für ihn spielte das Bankkonto die ausschlaggebende Rolle. Armut setzte er mit Faulheit und Dummheit gleich. Menschliche Werte und Rücksichtnahme schienen für ihn nicht zu existieren. Für ihn fing der Mensch erst beim Millionär an. Alle anderen waren Untermenschen, Handlanger und Fußvolk. Vogt mäkelte mit Firmen und Grundstücken. Er hatte ein Vermögen damit verdient, marode VEB-Betriebe billig aufzukaufen. Dann wurden Massenentlassungen durchgeführt, Förderungsgelder beantragt, ein wenig saniert und der Betrieb teuer weiterverkauft. Vogt gebrauchte das Geld, das ihm zur Verfügung stand, wie eine Waffe. Bei seinen Verhandlungen überfuhr er die Geschäftspartner aus den Neuen Bundesländern regelmäßig. Seine Anwälte waren bekannt und berüchtigt dafür, die von ihm ausgehandelten Verträge im Kleingedruckten mit Stolperdrähten zu versehen. Schon vielen Geschäftspartnern hatten sie das finanzielle Genick gebrochen. In den Verhandlungen mit Behörden zeigte sich Vogt unterwürfig. Weil er nämlich Genehmigungen brauchte und auf die Dienststellen angewiesen war. Daß er auch schon mit Bestechung gearbeitet hatte, war ein offenes Geheimnis, allerdings nicht zu beweisen. Arm in Arm mit der berauschend schönen Frau marschierte der stiernackige Typ ins Hotel. »Na«, sagte er zu dem Portier, als er die Rezeption erreichte, »habt Ihr Euren Kasten endlich auf Vordermann gebracht? Das letzte Mal, als ich hier war, funktionierte eine Lampe im Bad nicht. Außerdem hatte ich einen Brandfleck im Teppich zu bemängeln. Ich bin Perfektion gewöhnt. Für mein gutes Geld verlange ich die optimale Leistung.« »Jawohl, Herr Generaldirektor, sehr wohl, Herr Generaldirektor«, dienerte der Portier. »Das Wohl unserer Gäste geht uns über alles. Diesmal
werden Sie nichts zu beanstanden haben.« »Das will ich schwer hoffen«, erwiderte Vogt. »Die Präsidentensuite wie immer! Und mein Gepäck aufs Zimmer, aber zack, zack! Trödelei dulde ich nicht. Eure sozialistischen Schubkarrenzeiten sind vorbei. Jetzt regiert die freie Marktwirtschaft. Da wird Leistung verlangt, klar?« »Ja, Herr Generaldirektor.« Vogt führte seine bildschöne Begleiterin zum Lift. Der Portier hörte noch, wie er sagte: »Den Leuten hier muß man regelmäßig die Meinung sagen. Viele haben noch immer nicht kapiert, daß jetzt ein anderer Wind weht.« Die Schöne lächelte ihren Begleiter an und schmiegte sich an den Fettsack. Der Maßanzug kaschierte die zweihundertfünfzig Pfund Lebendgewicht und verlieh dem Kerl noch eine passable Figur. Der Portier ballte die Faust in der Tasche. Was für ein Kotzbrocken! dachte er. Zu gern hätte er Vogt einmal die Meinung gesagt. Aber dann wäre die Hölle losgewesen. Eine Entlassung des Portiers unvermeidlich. Er überlegte, welche Geschäfte Vogt diesmal hierherführten. Es war bekannt, daß Vogt seine Geschäftspartner ausbootete und schon himmelschreiende Ungerechtigkeiten begangen hatte. Er hatte jedoch Erfolg im Geschäftsleben und verdiente eine Menge Geld. Viele bewunderten und beneideten ihn deshalb. Generaldirektor Karl-Michael Vogt stieg mit seiner rassigen Geliebten im vierten Stock aus. Er führte sie in die mit erlesenen Antiquitäten eingerichtete Präsidentensuite. »Na, Schätzchen«, sagte er und tätschelte der Schwarzhaarigen den wohlgeformten Hintern. »Gefällt es dir hier? - Jetzt wollen wir erst mal eine Flasche Schampus köpfen und etwas essen. Dann, mein Schatz, hüpfen wir zu einem Nümmerchen in das Himmelbett. - Was hältst du davon?« Die Pupillen der schwarzhaarigen Superfrau verengten sich, was einem Menschenkenner nicht gerade Begeisterung verriet. Zum Glück war Vogt keiner. Die Schwarzhaarige spielte ihm was vor, lächelte und gurrte: »Wunderbar, Karl. Ich bin hingerissen von dieser Suite.« »Das kannst du laut sagen. Sie ist gut genug für einen Präsidenten, und ich bin ein Präsident des Geldes. Was ich dir biete, kann dir so schnell kein zweiter bieten. - Vom Fenster aus hast du eine wunderschöne Aussicht auf den Marktplatz mit dem Cranachhaus, das Stadthaus und das neugotische Rathaus. Der Marktplatz mit den umstehenden Häusern wurde im Krieg
durch Bomben zerstört. Jetzt ist er so wiederaufgebaut, wie er um die Mitte des 16. Jahrhunderts aussah, abgesehen von einer Telefonzelle, der Bedürfnisanstalt und der elektrischen Straßenbeleuchtung. Goethe hat den Marktplatz von Weimar so wie wir heute gesehen, als er sich 1782 sein Haus am Frauenplan kaufte. Schiller hat sich 1802 an der einstigen Esplanade ein Haus gekauft. Auch Herder und Liszt haben hier gelebt. Du siehst, Schätzchen, das tausendjährige Weimar heißt nicht umsonst Kulturstadt Europas. - Wie schrieb Goethe noch? Edel sei der Mensch, hilf, reich und gut. - Wenn ich nur wüßte, was hilf heißt, hahaha. Oder ist das von Schiller? Egal. Hauptsache, ich kenne mich bei meinen Geschäften aus.« Es klopfte. Die Gepäckstücke wurden in die Suite gebracht. Vogt gab jedem der beiden Gepäckträger einen Fünfzig-Mark-Schein. »Da habt ihr ein bißchen Kleingeld, Jungs«, sagte er gönnerhaft. »Aber versauft nicht alles auf einmal, ja?« Die Pagen bedankten sich, obwohl sie wußten, daß Vogt sie nicht ernst nahm. Aber Geld stinkt nicht. »Das ist auch so ein Typ, der dich als Deppen betrachtet, nur weil du keine Million im Monat verdienst«, sagte der eine Page. »Aber hast du die Puppe gesehen, die er bei sich hat? Von so einem Weib träume ich auch.« Die beiden Pagen waren die letzten, abgesehen von seiner Begleiterin, die Carl-Michael Vogt lebend sahen. Am nächsten Morgen klopfte das Zimmermädchen. Der Etagenservice hatte schon längst mit dem Putzen und Aufräumen angefangen. Die Suite war bis zuletzt ausgespart worden. Seit seiner Ankunft hatte Vogt sie nicht mehr verlassen. Das Abendessen war dort serviert worden, Delikatessen und mehrere Flaschen Wein und Champagner. »Drinnen regt sich nichts«, sagte das erste Zimmermädchen zum zweiten. »Irgendwann müssen wir ja mal aufräumen.« Die erste klopfte wieder, ohne Ergebnis. Daraufhin sperrte sie mit dem Hauptschlüssel auf. Von innen steckte kein Schlüssel. In der Suite war es dunkel. Die schweren Samtportieren waren geschlossen. Die dunkle Suite wirkte unheimlich. »Hallo«, rief das Zimmermädchen Erika. »Ist jemand da?« Niemand meldete sich. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch und Parfüm. Die Zimmermädchen Erika und Hanna wollten das Licht einschalten. Es funktionierte jedoch nicht. Den Staubsauger hinter sich herziehend, gingen die beiden durch den Flur und den Wohnraum ins Schlafzimmer der Suite.
Es roch seltsam, ähnlich wie Äther. Die beiden Zimmermädchen schnupperten. In dem Licht, das vom Korridor hereinfiel, sahen sie überall in dem Raum Spinnweben. Am Boden, der Decke und an den Wänden. »Was ist das denn?« fragte das Zimmermädchen Erika, eine Blondine von Anfang Zwanzig. »Wo kommt das denn her?« »Ich glaube, aus dem Schlafzimmer«, antwortete Hanna. Das Zimmermädchen Erika öffnete die einen Spalt offenstehende Schlafzimmertür ganz. Im Schlafzimmer mit dem Himmelbett war der Geruch am intensivsten. Die Zimmermädchen konnten in dem Bett nur ein undeutliches Schemen erkennen. Erika trat ans Fenster und öffnete die schweren Portieren des einen Fensters. Als sie sich dann umdrehte, weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Das Zimmermädchen Hanna schlug die Hände vor den Mund. Das Himmelbett war über und über mit Spinnweben überzogen, als ob es eine Riesenspinne eingesponnen hätte. Und in dem Bett lag, mit mehr als daumendicken Spinnweben gefesselt, die Leiche des Karl-Michael Vogt. Der stark behaarte Körper des Generaldirektors war ausgezehrt. Die Haut des zuvor dicken Mannes spannte sich über den Knochen. Hohlwangig war sein Gesicht, die tief in den Höhlen liegenden Augen weit aufgerissen. Der Mund stand wie zu einem Schrei offen. Am Hals hatte Vogt zwei Bißmale, die tief in die Schlagader hineingingen. Außerdem weitere Bißmale an der Brust und am Leib. Er war regelrecht ausgesaugt und all seiner Körpersäfte beraubt worden. Es sah aus, als ob eine Riesenspinne über ihn hergefallen sei. Die beiden Zimmermädchen schrien mit aller Lautstärke los. Etwas so Schreckliches hatten sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erblickt. Hanna fiel in Ohnmacht. Erika rannte daraufhin aus der Suite, dann die Gänge entlang und stolperte ins Büro des Hoteldirektors, wo sie zunächst kein Wort herausbrachte. Der Hoteldirektor, ein älterer, immer sehr ruhiger Mann, wollte zuerst nicht glauben, was ihm Erika erzählte. Mit dem Zimmermädchen und dem Portier, den er alarmierte, suchte er aber dann doch die Suite auf. Hanna lag immer noch ohnmächtig auf dem Boden. Dem Hoteldirektor wurde übel, als er Vogts Leiche sah. Er preßte das Taschentuch vor den Mund und würgte. »So etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen«, stieß er hervor.
»Ausgerechnet in unserem Haus.« Eilig kehrte er in sein Büro zurück und rief die Weimarer Kripo an. Kriminalhauptkommissar Langenbach meldete sich. Schreckensbleich berichtete ihm der Hoteldirektor, was im »Elephant« geschehen war.
* Mein Handy fiepte, als ich gerade wegen eines Verkehrsunfalls in Niedergrunstedt war. Bei regennasser Straße war ein Motorradfahrer auf einen Traktor aufgefahren, der plötzlich die Fahrspur wechselte. Der arme Teufel von Motorradfahrer hatte trotz Sturzhelm einen Schädelbruch erlitten. Die Ambulanz brachte ihn in die Hufeland-Kliniken in Weimar. Den Traktorfahrer nahm die Polizei für eine Blutprobe und zur Protokollaufnahme mit. Wie sich bald herausstellen sollte, hatte der Mann nichts getrunken. Es war ein Routineauftrag. Ich arbeitete gelegentlich noch als Reporter, um mir meine Brötchen zu verdienen. Außerdem wollte ich nicht aus der Übung geraten. Ich meldete mich an der Unfallstelle, an der die Polizei noch die Bremsspur des Motorrads ausmaß. Ein paar Neugierige standen herum. Es war kurz vor zwölf. Pit Langenbach war am Apparat. »Hallo, Mark, kannst du mal herkommen? Ich bin im Hotel >Elephant<. Wir haben hier einen höchst merkwürdigen Mordfall, der in dein Ressort fallen dürfte.« »Etwas Übernatürliches?« fragte ich. »Das kann man wohl sagen.« Der Stimme meines Freundes entnahm ich, daß es sich um eine brandheiße Sache handelte. Ich sagte, ich würde gleich dort sein, steckte das Handy weg und notierte mir an der Unfallstelle in Niedergrunstedt noch ein paar Details. Kurz darauf fuhr ich in meinem stahlblauen BMW die kurze Strecke nach Weimar. Das Glockenspiel im Turm des Weimarer Rathauses erklang, als ich den BMW in einer Seitengasse parkte und zum Hotel »Elephant« ging. In der Hotelhalle stand ein Polizist bei der Rezeption. Sonst fiel mir nichts Besonderes auf. Ich
wandte
mich
gleich
an
den
Uniformierten,
zeigte
meinen
Presseausweis und teilte ihm mit, daß mich Kommissar Langenbach herbestellt hatte. Der Polizist wußte Bescheid. Er schickte mich in den vierten Stock. Oben wurde ich von zwei Polizisten und einem Kripobeamten abgefangen. Dann endlich konnte ich zu der Präsidentensuite, in der die Mordkommission bei der Arbeit war. Die Polizeiautos und der Kastenwagen der Mordkommission standen im Hof des Hotels. Die Beamten hatten das Hotel durch den Hintereingang betreten und bemühten sich, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Ein Teil des Korridors und die Suite waren abgesperrt. Ich wurde zunächst in das Doppelzimmer nebenan geführt, dessen Gäste ausquartiert worden waren, und mußte dort warten. In diesem Zimmer traf ich den Hoteldirektor an. Er war völlig erschlagen. Er saß im Sessel und wischte sich immer wieder mit dem Taschentuch über die Stirn. »Eine Katastrophe ist das«, stammelte er. »Eine glatte Katastrophe. Und dann auch noch so ein prominenter Mann wie Vogt. - Entsetzlich.« Als mich der Hoteldirektor sah, zuckte er erschrocken zusammen. »Sie haben mir doch zugesichert, die Presse wegzulassen!« sagte er vorwurfsvoll zu Peter »Pit« Langenbach, der gerade eintrat. Der Hoteldirektor wußte, daß ich Reporter war. Kriminalhauptkommissar Langenbach beruhigte ihn. »Mark Hellmann wird als Spezialist gebraucht. Er gibt nur an die Medien weiter, was ich ihm gestatte. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.« Der Hoteldirektor brummte, das wolle er auch stark hoffen. Pit Langenbach war leger gekleidet. Er war sechs Jahre älter als ich, also vierunddreißig, einsneunzig groß und hatte kurzes, dunkelbraunes Haar und einen imposanten Schnauzbart. Er begrüßte mich kurz und führte mich nach nebenan. »Ich bin auf deine Meinung gespannt«, sagte er. »Und darauf, was dein Ring anzeigt.« Pit und meine Dauerfreundin Tessa Hayden wußten Bescheid über meinen Siegelring und meine Rolle als Kämpfer gegen das Böse und Träger des Rings. Mit Pit Langenbach zusammen hatte ich ein haarsträubendes Abenteuer erlebt, als die Tage des Schreckens in Weimar stattfanden und wir den Blutdruiden Dracomar bekämpften (Siehe Mark Hellmann Band 1). Auch bei meinem ersten Vergangenheitsabenteuer hatten er und Tessa einiges mitgekriegt (Siehe Mark Hellmann Band 2).
Pit ermahnte mich noch, keine Spuren zu verwischen. Dann betraten wir die Suite. Schutzhüllen um die Schuhe und mit Handschuhen ausgestattet. Ein halbes Dutzend Spezialisten von der Mordkommission waren an der Arbeit. Der Polizeiarzt hatte bereits erste Feststellungen getroffen und sprach die Ergebnisse auf Band. In der Pathologie würde später eine Obduktion stattfinden. Um seine Thesen zu untermauern oder neue Beweise oder Informationen zutage zu fördern. Der Fotograf der Mordkommission schoß im Schlafzimmer Blitzlichtaufnahmen und nahm den Tatort zudem mit einer Videokamera auf. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich auch meine Freundin Tessa Hayden am Tatort. Mit Lederjacke und Jeansrock stand sie da und schaute ins Schlafzimmer der Suite. Mir nickte sie nur kurz zu. Sie war im Dienst. Und bei einer Leiche im Nebenzimmer konnten und wollten wir uns nicht mit Küßchen begrüßen. »Weshalb hast du Tessa hinzugezogen?« fragte ich Pit. Normalerweise war sie für ein anderes Ressort eingesetzt. »Weil sie in dieser Materie mehr Ahnung hat als andere«, antwortete Pit. »Und weil sie deine Freundin ist. Du bist unsere Kontaktadresse, wenn es sich um übernatürliche Dinge handelt. Der Spezialist im Kampf gegen das Böse.« »Wenn ihr es bloß bezahlen würdet«, antwortete ich. »Vom Ehrenamtlichen und einem feuchtwarmen Händedruck des Polizeichefs werde ich nämlich nicht satt.« »Kannst ja eine Rechnung schreiben«, erwiderte Pit. »Aber Geld ist nicht alles. Da drinnen liegt einer, der das glaubte. Und was hat er jetzt?« Ich wollte mir zunächst selbst einen Eindruck verschaffen. Bereits im Wohnzimmer fielen mir die vielen Spinnweben auf, die überall hafteten. Die Experten von der Mordkommission hatten welche in Klarsichthüllen gesteckt. Die anderen sollten aufgesaugt werden. Die gesamte Suite wurde genauestens überprüft, praktisch jeder Fussel und jedes Staubkorn in Augenschein genommen. Manchmal war es absurd, welchen Arbeitsaufwand die Kripo trieb. Da ging einer hin und erschoß jemanden. Eine Sache von Sekunden. Dann war ein Expertenteam Wochen und manchmal sogar Monate mit der Aufklärung des Falles beschäftigt. Ich betrat das Schlafzimmer der mit bestechend schönen und teuren Antiquitäten eingerichteten Suite. Auch hier sah ich überall die Spinnenfäden.
Mein Ring hatte sich bereits erwärmt und fluoreszierte. Es prickelte in meinem Ringfinger, alles sichere Anzeichen für eine dämonische Aktivität. Das Himmelbett war dick eingesponnen. Die Mordkommission hatte mit einer Trennscheibe auf der rechten Seite einen Zugang zur Leiche geschaffen, also die teils daumendicken Spinnenfäden zerschnitten. Das sah ich alles mit einem Blick. Ich nahm auch den schwachen ätherähnlichen Geruch wahr. Vor allem jedoch betrachtete ich die Leiche. Ein Bild des Grauens bot sich mir. Ein nackter, völlig ausgesaugter und ausgedörrter Mann mit gräßlich verzerrtem Gesicht lag im Bett. Er schien nicht nur seines Blutes, sondern seiner sämtlichen organischen Körperflüssigkeiten beraubt worden zu sein. Wie eine Fliege, die von der Spinne ausgesaugt worden war. Aber was für eine riesige Spinne mußte das hier gewesen sein, und wo war sie jetzt? Pit Langenbach bestätigte meinen Verdacht wegen des Aussaugens der Körperflüssigkeiten. Mich gruselte es, als ich mir diesen Tod vorstellte. Wie es aussah, war das Opfer bei vollem Bewußtsein gewesen, als es sein gräßliches Los ereilte. Ich kriegte eine Gänsehaut. Vor Spinnen hatte ich, seit ich mich erinnern konnte, also seit zehn Jahren, einen Horror gehabt. Ich stellte mir vor, wie es sein mußte, von einer Riesenspinne bei lebendigem Leibe ausgesaugt zu werden, wehrlos von ihren Fäden gefesselt. Und ich schüttelte mich unbewußt. »Was hältst du davon?« fragte Pit. Tessa, mittelgroß, dreißig, mit brauner Kurzhaarfrisur und einer sehr schlanken, reizvollen Figur, stand neben uns und spitzte die Ohren. Leise, damit nur Pit und Tessa, die Fahnderin, es hören konnten, sagte ich, daß der Tote ohne Zweifel von einem Dämon umgebracht worden war. »Von einem Spinnendämon«, erklärte ich. »Mit wem zusammen hat Vogt die Suite gemietet? Für sich allein wird er sie nicht gebucht haben.« »Er hatte sich zusammen mit einer schwarzhaarigen Schönheit einquartiert. Sie trug sich als Uta Noack ins Gästebuch ein und ist seither verschwunden. Nach ihr wird gefahndet.« »Die beiden scheinen sich gut amüsiert zu haben, bevor das hier passierte«, sagte ich und zeigte auf die leeren Champagnerflaschen, die rund um das Bett verstreut lagen. »Und die haben bestimmt nicht nur gesoffen. Das muß eine wahre Orgie gewesen sein! - Wer ist der Tote?« »Karl-Michael Vogt, Generaldirektor und Finanzier.« Der Name sagte mir etwas. Vogt war in den Neuen Bundesländern
weithin bekannt, um nicht zu sagen verrufen. Er hatte sich dank der Treuhand eine goldene Nase verdient. Wie viele Arbeitsplätze er auf dem Gewissen hatte, wie viele Menschenschicksale in den Neuen Bundesländern er ungünstig beeinflußt hatte, konnte man nur schätzen. Jetzt hatte ihn selbst das Schicksal ereilt. Oder jemand hatte nachgeholfen. Ein solches Ende wünschte man keinem Menschen auf der Welt. Ich erwog, ob es sich bei seinem grausamen Tod vielleicht um einen Racheakt Geschädigter handelte. Es war möglich, daß ein geschäftlicher oder sonstiger Feind Vogts einen Spinnendämon beschworen hatte, um sich so an ihm zu rächen. Oder der protzige Großkapitalist und WessiGeneraldirektor war zufällig als Opfer eines solchen Dämons auserkoren worden. »Sind dir noch mehr solcher Fälle bekannt?« fragte ich Pit Langenbach. »Wir haben beim BKA (Bundeskriminalamt) und Interpol nachgefragt«, antwortete er. »Bisher kein Ergebnis.« »Also ein Erstfall«, sagte ich zu Pit und Tessa. »Ermittelt auf eure, ich auf meine Weise. Wir bleiben in Verbindung. Über Spinnendämonen oder Riesenspinnen, die sich verwandeln können, habe ich auch keine besonderen Kenntnisse. - Gibt es noch etwas, was ich wissen müßte?« »Im Moment nicht«, antwortete Pit. »Was denkst du? Daß eine Riesenspinne oder Riesenspinnen durch Weimar krabbeln? Oder daß es sich um eine Werspinne oder einen Spinnendämon handelt? Welche Rolle spielt diese Uta Noack? Kann sie den Spinnendämon beschwören? Ist sie selbst dieser Dämon? Oder hat sie vielleicht Vogt betäubt und dann das Fenster geöffnet, um die Spinne oder auch mehrere Spinnen einzulassen?« Tessa hatte eine andere Idee beizusteuern. »Vielleicht kann sie Spinnen großzaubern und nach vollbrachter Tat wieder verkleinern«, sagte sie. »Habt ihr daran auch schon einmal gedacht?« »Möglich ist alles«, antwortete ich. »Welche Rolle Uta Noack spielt, mußt du sie schon selbst fragen, Pit. Wenn du sie hast. Werspinnen kenne ich nicht. Von Werwölfen habe ich schon gehört. In den Karpaten und in Rußland soll es Werbären gegeben haben. Aus Indien ist mir von Wertigern bekannt. Darüber hinaus wüßte ich keine Werwesen. Und ob in Weimar Riesenspinnen herumkrabbeln, werden wir, denke ich, merken. Auf jeden Fall gilt es, diese Uta Noack zu finden. Sie kann uns darüber Auskunft geben, was hier in der Suite geschah.« »Es ist merkwürdig«, sagte Pit. »Es ist, als ob sie sich in Luft aufgelöst
hätte. Natürlich kann sie sich aus dem Hotel geschlichen haben. Aber wohin ist sie gegangen?« »Vielleicht irrt sie unter Schock irgendwo umher«, vermutete Tessa. Dem widersprach ich. »Dann müßte sie längst auffällig geworden und aufgegriffen worden sein. Ich kann mir zudem schwer vorstellen, daß eine Riesenspinne oder Riesenspinnen sie verschont haben. Nein, sie scheint mit dem grauenvollen Mord an Vogt etwas zu tun haben. Anscheinend hat sie gute Gründe, unterzutauchen. Für alle Fälle, Pit, nur der Ordnung halber, habt ihr Keller und Dachboden des Hotels durchsucht?« »Haben wir, Mark, aber nichts gefunden. - Die näheren Umstände dieses Mordfalls werden geheimgehalten. Ich habe in Absprache mit dem Polizeichef bereits eine Nachrichtensperre an die Medien verhängt. Die Hotelangestellten, die Kenntnis von diesem Fall haben, wurden zum Stillschweigen ermahnt. Das Hotelpersonal wird verhört. Eine Mittäterschaft von jemandem im Hotel ist nicht auszuschließen.« Dazu zuckte ich nur mit den Schultern. Ich bat Pit, seine Beamten sowie den Fotografen der Mordkommission hinauszuschicken. Da sie noch einiges zu erledigen hatten und das nicht sofort möglich war, sprach ich zunächst mit dem Polizeiarzt. Dieser war ein kleiner, gemütlich aussehender, weißhaariger Mann. Er galt als namhafter Experte in der Pathologie und hatte sich schon zu DDR-Zeiten einen Namen gemacht. Gespickt mit zahlreichen wissenschaftlichen Ausdrücken schilderte er mir, was mit dem Toten geschehen war. »Sie sehen die Bißwunden…« dozierte er. »Dem Opfer wurde ein Spinnengift in die Adern geflößt, das ein Gerinnen des Bluts und der anderen Körperflüssigkeiten verhindert. Daher rührt auch der eigenartige Geruch, den Sie sicherlich wahrnehmen, Herr Hellmann. Obwohl ich gern eine wissenschaftliche Erklärung finden würde, ist mir das nicht möglich. Die Spinnenfäden sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit organischen, also nicht künstlichen Ursprungs. Wir klären das in der Pathologie noch genau ab. An den Bißwunden habe ich Spinnensekrete festgestellt. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist eine künstliche Absaugung der Körperflüssigkeiten des Opfers auszuschließen.« Durch meinen Ring wußte ich längst, daß hier ein Dämon in Spiel war. Dem Polizeiarzt mochte ich das jedoch nicht erklären, sondern hörte ihm geduldig zu. Ob jene angebliche Uta Noack freilich der Dämon war, oder ob sie von ihm gebannt war und in seinem Dienst stand, war mir nicht klar. Nachdem ich mit dem Polizeiarzt gesprochen hatte, betrat ich allein die Suite, in der mich Pit Langenbach und Tessa Hayden erwarteten.
Ich schloß die Tür hinter mir. Vom Marktplatz her hörte man durch das offene Fenster die Erklärungen eines Fremdenführers, der seine Gruppe die Weimarer Kulturmeile entlangführte. Ich aktivierte meinen silbernen Ring. Darauf befanden sich die Buchstaben M und N sowie ein stilisierter Drachen und altgermanische Runenzeichen. Mit dem Ring hatte es eine besondere Bewandtnis. Ich klopfte mit dem leuchtenden Ring gegen den Bettpfosten und schrieb ein paar Runenzeichen. Der Ring leuchtete stärker und sandte einen scharfen Lichtstrahl aus. Wie ein Mini-Laser. Das bedeutete, daß wir uns am Ort der höchsten Konzentration des dämonischen Wirkens befanden, das ein paar Stunden zurücklag. Zweimal schon war ich mit meinem Ring in die Vergangenheit gereist. Einmal ins Erzgebirge, in das Jahr 1198, und einmal ins schottische Loch Morlich, ins Jahr 1583. Was mein Ring alles bewirken konnte, hatte ich noch nicht herausgefunden. Jetzt wollte ich ihn für einen kürzeren Zeitsprung von ein paar Stunden erproben. Das teilte ich Pit und Tessa mit. »Ja, es ist ein Risiko«, gab ich zu, als sie Bedenken anmeldeten. »Vielleicht aber läßt sich der Fall auf diese Weise schnellstens lösen.« »Kannst du mir mal erklären, wie du mit der Riesenspinne oder sogar mehreren Exemplaren dieser Gattung fertig werden willst?« fragte Pit. Tessa jammerte: »Mark, das darfst du nicht tun. Der Dämon bringt dich um.« »Es wäre nicht der erste Dämon, mit dem ich zu tun habe«, antwortete ich. »Und ich lebe immer noch.« Vielleicht handelte es sich um ein Zwitterwesen zwischen Spinne Mensch, oder ein grausiges Unwesen mit einem Spinnenkopf irgendwelchen Gliedmaßen. Erschwerend kam noch hinzu, daß ich in ersten Minuten nach einem Zeitsprung immer Schmerzen hatte benommen sowie kampfunfähig war.
und und den und
Für einen Spinnendämon oder eine Riesenspinne würde ich ein leichtes Opfer sein, wenn ich splitternackt, nur mit meinem Ring versehen, bei ihm landete. Möglicherweise waren bei einem Zeitsprung von wenigen Stunden die Beschwerden nicht so stark. Wenn ich ein paar Stunden in die Vergangenheit reiste und der Dämon brachte mich um, hatte ich bis heute gelebt und starb in der vergangenen Nacht. Was dann mit meiner Leiche geschah, stand auf einem anderen Blatt. Im Prinzip war alles einfach und logisch. Gewißheit konnte ich nur erhalten, wenn ich das Experiment wagte, vorausgesetzt, daß es klappte.
»Ich probiere es«, sagte ich. Pit und Tessa beobachteten mich, als ich mit dem Lichtstrahl des magischen Ringes das keltische Wort für »Reise« in den Runenbuchstaben des Futhark-Alphabets vor die Leiche schrieb. Ich rechnete damit, sofort in den Dimensionsschacht zu fallen. Doch nichts dergleichen geschah. Kein explodierendes Licht, keine Sphärenklänge, nichts dergleichen wies auf meine Abreise hin. Es geschah schlichtweg nichts, außer, daß die Runenzeichen allmählich verblaßten. »Es klappt nicht«, sagte ich. »Ich kann mich im Augenblick nicht in der Zeit zurückbewegen.« »Bestimmt deshalb, weil der dämonische Zauber nicht aus der Vergangenheit stammt wie in den zwei anderen Fällen«, sagte Tessa und bewies damit, daß sie allerhand gelernt hatte und kombinieren konnte. »Diesmal entfällt die Zeitreise. Wir müssen den Dämon in der Gegenwart stellen. - Ob wieder Mephisto dahintersteckt?« »Auch der Megadämon, mein Erz- und Erbfeind, ist nicht allgegenwärtig«, erwiderte ich. Teils atmete ich auf, weil ich mich nicht splitternackt und benommen einer Riesenspinne stellen mußte. Teils war ich enttäuscht, weil wir im Moment nicht weitergekommen waren. »Laßt mich trotzdem weitermachen.« Mit dem Lichtstrahl des Rings, der mit unverminderter Stärke strahlte und weder warm noch kalt war, zeichnete ich weitere keltische und altgermanische Worte in Runen. Ich hatte selten Gelegenheit, die Kraft und die Möglichkeiten meines Rings, über den ich noch viel zuwenig wußte, zu erproben. Dazu mußte ich an einem Platz sein, an dem eine starke dämonische Aktivität stattgefunden hatte. Das fand ich nicht alle Tage. Meine Versuche scheiterten allesamt. Später erfuhr ich, daß ich die Experimente mit dem Ring voreilig abgebrochen hatte. Nach zwanzig Minuten, als der Ring immer noch strahlte, schrieb ich das altgermanische Wort für »Schluß« in die Luft. Der Lichtstrahl des Rings erlosch sogleich. Soviel war mir jetzt klar, daß mit dem Ring geschriebene Runenzeichen an einer Stätte dämonischer Aktivität jeweils bestimmte Ergebnisse erbrachten. »Rien ne va plus (Nichts geht mehr)«, sagte ich zu Tessa und Pit. »Ich fahre zuerst mal zu meinen Eltern. Mein Vater Ulrich weiß eine Menge, vielleicht kennt er auch einen Spinnendämon. - Tschau.« »Wann sehen wir uns, Mark?« fragte Tessa. »Bald. Sei zuerst mal fleißig und sieh zu, daß du Uta Noack findest.«
Mit einem letzten Blick auf die Leiche des Generaldirektors Vogt verließ ich die Suite. Vogt war ein sehr unangenehmer Mensch gewesen. Doch so einen Tod verdiente niemand.
* Bevor ich zur Siedlung Landfried fuhr, wo meine Adoptiveltern ein Reihenhaus bewohnten, ging ich zur Redaktion der »Weimarer Rundschau«. Max Unruh, der Chefredakteur, der seinem Nachnamen alle Ehre machte, erwartete mich schon. Nicht wegen des Unfalls in Niedergrunstedt, über den ich rasch einen Artikel niederschreiben und gleich abgeben wollte. Unruh, ein beleibter Endfünfziger mit hoher Jupiterstirn und schlohweißem Haarkränzchen thronte hinter seinem unglaublich unordentlichen Schreibtisch. Er hatte mich zu sich bestellt und schaute mich väterlich an, was nichts Gutes bedeuten mußte. Er bot mir seine Vorzugszigarren an. »Behalten Sie diese Nikotinlatten, Herr Unruh«, sagte ich. »Sie wissen doch, daß ich Nichtraucher bin. Rücken Sie lieber mit Infos raus! Wo drückt der Schuh?« »Mark, mein lieber Junge, wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile. Seit du deinen Job als Wissenschaftlicher Assistent am Völkerkundemuseum in Berlin hingeschmissen hast und nach Weimar zurückkehrtest, um dich als Reporter durchzuschlagen, habe ich dich unter meine Fittiche genommen. Ich kenne deinen Vater schon viele Jahrzehnte.« »Klar, Chef. Und Ihre Ururgroßmutter hatte von meinen Ururgroßvater ein lediges Kind, wofür der nie die Alimente bezahlte. Auch deshalb stehe ich als sein Nachkomme in Ihrer Schuld. Also sagen Sie schon, was soll ich für Sie tun?« »Du bist ein guter Reporter, obwohl du dich in der letzten Zeit rar machst. - Also, Mark, du warst doch gerade eben im Hotel >Elephant<. Sag mal, was ist dort passiert? Der Hausbursche hat mich angerufen. Er wußte aber nicht viel. Uns ist nur bekannt, daß der berüchtigte Geschäftemacher…« »Vorsicht, Sie sprechen von einem Sanierer der Neuen Bundesländer!«
Unruh winkte ab. »Wir wissen beide, was wir von dem zu halten haben. Er ist unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Und die Kripo hat eine Nachrichtensperre verhängt. Wozu diese Geheimnistuerei? Ich weiß, daß er mit einer Frau in dem Hotel abgestiegen ist. Er hatte ja immer Miezen dabei. - Hat sie ihn erstochen oder erschossen? Hat er es diesmal mit der Falschen getrieben, etwa mit der Frau eines hochrangigen Politikers? Oder woher rührt die Geheimnistuerei?« »Tut mir leid, aber ich habe mich verpflichtet, den Ermittlungsstand der Mordkommission nicht zu verraten. Sie müssen sich schon an den Polizeibericht halten, Chef, oder an das, was Sie anderweitig herausfinden. Ich halte mein Wort.« »Es braucht ja keiner zu wissen, woher die Rundschau ihre Informationen hat. Gib dir einen Ruck, Mark. Rück mit der Sprache heraus. Es soll nicht dein Schaden sein.« Unruh redete mit Engelszungen auf mich ein. Er versuchte alle Methoden und Mittel, um mir doch noch eine Information zu entlocken. Er scheute sich nicht, darauf hinzuweisen, daß ich bei der »Rundschau« ein freier Mitarbeiter war und man meine Tätigkeit einschränken konnte. Er habe die Qualität meiner Artikel zu beurteilen, und wo man Mängel suchen würde, könnte man auch welche finden. Damit gab er mir zu verstehen, daß er mich in der Hand hätte und ich auf sein Wohlwollen angewiesen sei. Da geriet er bei mir aber an den Falschen. »Ich bin nicht auf die Rundschau angewiesen«, erwiderte ich. »Wenn Sie mich nicht mehr als freien Mitarbeiter beschäftigen wollen, werde ich das überleben. Dann sagen Sie es nur gleich. Dann erhält die Konkurrenz meine Berichte, sobald ich die Freigabe von der Kripo habe. - Hat mich gefreut, Herr Unruh.« Damit machte ich mich auf den Weg zur Tür. Er hielt mich gleich zurück. »Halt, Mark, so habe ich es nicht gemeint. Wir werden uns schon einigen. Ich will ja nicht, daß Sie Ihr Wort brechen. - Können Sie es denn nicht ein wenig biegen?« »Nein.« Unruh seufzte. »Ein Diplomat werden Sie nie, Hellmann. Na ja, bleiben Sie an der Sache dran und geben Sie mir Bescheid, sobald Sie loslegen dürfen mit Ihrem Wissen über den Vogt-Mord. Das wird der Knüller auf Seite eins: West-Finanzhai stirbt in der Goethestadt. Wie finden Sie diese Schlagzeile?« Immerhin siezte er mich jetzt. »Grausig«, erwiderte ich. »Was wollen Sie denn schreiben, wenn Sie im
Prinzip außer der Tatsache, daß Vogt ermordet wurde, nichts wissen?« »Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Wir berichten ausführlich über Vogts Vorleben und seine üblen Geschäftsmethoden. Für ein paar Skandalenthüllungen ist er sicher gut. Wenn wir damit die Leser fesseln, fällt ihnen nicht auf, daß wir über die näheren Umstände der Tat kaum Informationen haben.« »Da wünsche ich viel Erfolg.« Unruh erzählte mir noch einiges. Er ermahnte mich, fleißiger und regelmäßiger für die »Rundschau« zu arbeiten. Er meinte, ich könnte als Reporter Karriere machen. Ich war jedoch schon anderweitig engagiert, nämlich als Kämpfer gegen das Böse. Wenn man sich mit dem Teufel herumschlug und gegen die Mächte der Finsternis stand, fast allein, nur mit einer Handvoll Freunden, sah man manches mit anderen Augen. Kleinigkeiten im Alltag interessierten mich nicht mehr so sehr und regten mich vor allem nicht oder kaum noch auf. Ob die »Weimarer Rundschau« gut oder schlecht dastand, war für mich zweitrangig. Ich schrieb meinen Bericht über den Motorradunfall in Niedergrunstedt und gab ihn beim Ressortchef ab. Der schaute nur flüchtig darüber und nickte. Damit war das erledigt. Auch wenn ich den Spinnendämon zur Strecke brachte, die Wahrheit darüber würde die »Rundschau« wohl nicht veröffentlichen. Vom Pressehaus fuhr ich zur Siedlung Landfried, an die sich zahlreiche Kleingärten anschlossen. Ulrich Hellmann erwartete mich bereits. Lydia, meine Mutter, war einkaufen. Ich verdankte meinen Adoptiveltern viel. Im Alter von etwa zehn Jahren war ich nackt und ohne Gedächtnis, blutverschmiert und nur mit einem Lederband, an dem der silberne Ring mit den Initialen M und N hing, in der Weimarer Altstadt aufgegriffen worden. Das war am 1. Mai 1980 gewesen. Wer meine leiblichen Eltern waren, wußte ich bis heute nicht. Die Hellmanns hatten mich großgezogen. Ihnen hatte ich es zu verdanken, daß aus mir ein halbwegs tüchtiger Mensch wurde. Wenn ich zu DDR-Zeiten noch in die staatlichen Erziehungsheime gekommen wäre, wären die Folgen für mich nicht auszudenken gewesen. Ulrich Hellmann hörte sich interessiert an, was ich ihm mitteilte. Vogts schrecklicher Tod erschütterte ihn. »Nein«, sagte er. »Von einem speziellen Spinnendämon weiß ich nichts. Aber eins fällt mir auf. Vogt war nackt, als er starb, sagtest du?«
»Auf jeden Fall.« »Wenn er eine Frau im Zimmer hatte, kann man annehmen, daß sie im Bett gewesen sind. Du weißt, daß bei manchen Spinnenarten die Weibchen die Männchen unmittelbar nach der Paarung auffressen. Das könnte Vogt passiert sein.« Es schockte mich, als ich mir vorstellte, wie ich von Tessa, also danach, gefressen wurde… Chhhhhh! »Du meinst, Vogt hat den Todeskuß einer Spinnenfrau erhalten?« fragte ich meinen Vater. Ich nannte Ulrich Hellmann immer so, genau wie ich Lydia als meine Mutter bezeichnete. »So ist es«, antwortete er und nuckelte an seiner kalten Pfeife. »Sei ja auf der Hut, Mark, damit du nicht mal an die falsche Freundin gerätst! Du stehst ganz oben auf der schwarzen Liste der Hölle. Als ihr Feind Nummer eins sozusagen. Wenn ein Spinnendämon in Weimar sein Unwesen treibt, liegt es nahe, daß er dich als Opfer auswählt, um Mephisto einen Gefallen zu erweisen. Falls nicht sogar der Megadämon hinter der ganzen Sache steckt. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich.« »Das braucht sie nicht, Vater. Damit ändert sie überhaupt nichts.« Ulrich Hellmann schaute aus dem Fenster seines Arbeitszimmers im ersten Stock des Reihenhauses. Es war heller Tag, bewölkt, aber der Wetterbericht hatte eine baldige Auflockerung der Wolkendecke gemeldet. »Vielleicht sind es auch Monsterspinnen«, murmelte Ulrich, ein rüstiger Mittsechziger mit schlohweißem Haar, Schnauzbart und schwerer Hornbrille. »Es ist ein schrecklicher Gedanke, daß in Weimar bei Nacht Monsterspinnen herumlaufen und Menschen aussaugen. Sie könnten diese Uta Noack davongetragen haben.« »Um sie später auszusaugen, als Vorrat sozusagen?« fragte ich. »Das halte ich für weit hergeholt. Eher glaube ich an einen Spinnendämon oder an eine Spinnenfrau. - Eine menschliche Gottesanbeterin.« Auch bei dieser Raubheuschrecke, im südlichen Europa und in Nordamerika zehn Zentimeter und mehr groß, fraßen die Weibchen die Männchen! Ich bat meinen Vater, sich darüber in den Okkultistenkreisen zu erkundigen, mit denen er in enger Verbindung stand. Aus gutem Grund. Ulrich Hellmann war alles andere als ein Spinner. Er hatte selbst einmal einen Zusammenstoß mit einem starken Dämon oder gar dem Teufel selbst gehabt. Acht Jahre lag das zurück. Seitdem war der frühere Kripobeamte ein Invalide. Eine Ledermanschette bedeckte sein
steifes linkes Handgelenk. Den rechten Fuß zog er nach, hinkte leicht und ging am Stock. Auch das Fußgelenk war versteift. Mit Schrecken erinnerte ich mich, wie wir meinen Vater damals gesucht und sogar die Polizei für die Suchaktion eingeschaltet hatten. Ulrich Hellmann war an meiner Stelle zu dem Kampf gegen das Böse angetreten und hatte bitter mit gleich zwei dauernden Behinderungen dafür bezahlt. Andererseits, wem auch immer er damals begegnet war, er hatte mir noch ein paar Jahre Aufschub verschafft. Jetzt erst war ich dazu in der Lage und stark genug, mich erfolgreich gegen die Mächte der Hölle zu stellen. Ich verabschiedete mich von Ulrich Hellmann, stieg wieder in den BMW und fuhr zu meiner Penthousewohnung in der Florian-Geyer-Straße. Dort wollte ich meditieren, vielleicht brachte mir das eine Erleuchtung oder einen Hinweis. Seit ich in Weimar aufgefunden worden war, litt ich an Alpträumen, an die ich mich hinterher nicht mehr erinnern konnte. Durch die Meditation hoffte ich seit einigen Tagen eine Verbindung zu meinem Unterbewußtsein herstellen und diese Alpträume produktiv verarbeiten zu können. Ich legte mich also in der Wohnung auf eine Bastmatte und versuchte mich zu entspannen. Leider wollte sich der gewünschte Meditationseffekt, nämlich innere Ruhe und Ausgeglichenheit, bei mir nicht einstellen. Ich war enttäuscht. Mein Ring hatte längst zu strahlen aufgehört und war wieder erkaltet. Nachdenklich betrachtete ich ihn. Er fühlte sich an wie ein ganz normales Schmuckstück. Am Abend hielt es mich nicht in meinen vier Wänden. Auch mochte ich nicht bei meinen Eltern sitzen. Tessa hatte Nachtdienst, sonst hätten wir uns die Zeit schon zu vertreiben gewußt. Aus dem Polizeipräsidium hörte ich wegen der Fahndung nach der angeblichen Uta Noack nichts Neues. Sie schien durch die Maschen des Fahndungsnetzes geschlüpft zu sein. Uta Noack war mir beschrieben worden. Ich rief nochmals im Präsidium an. Nach den Angaben des Hotelpersonals, das die rassige Frau gesehen hatte, fertigte der Polizeizeichner ein Phantombild von ihr an. Außerdem wurde in den Radio- und Fernsehnachrichten auf diese Frau hingewiesen und nach ihrem Aufenthalt gefragt. Bisher hatte ihn niemand nennen können. Die Frau schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Jetzt mußte ich abwarten. Zunächst fuhr ich beim Polizeipräsidium vorbei und holte mir ein Fahndungsbild der attraktiven Uta Noack ab. Im Fernsehen wurde die Phantomzeichnung gezeigt und im Zusammenhang mit dem Mordfall Vogt nach dieser Frau gesucht. Es hieß, sie könne Angaben zu Vogts Tod machen. Ich traf Pit Langenbach in seinem Büro an,
Abteilung für Schwerkriminalität. Pit war hemdsärmelig und lief mit seiner Dienstpistole in der Schulterhalfter herum. Er war gerade von einem Außeneinsatz zurückgekehrt. »So ein Mist!« schimpfte er. »Da hat uns einer nach Jena gehetzt, weil dort angeblich Terroristen sein sollten, die Vogt auf dem Gewissen hätten. Die Frau auf dem Fahndungsfoto sei auch dabei. Wir sind gleich hingesaust und haben zusammen mit der Jenaer Kripo festgestellt, daß es sich bei den angeblichen Terroristen um eine harmlose Wohngemeinschaft handelt. Eine schwarzhaarige Frau gehörte zwar dazu, doch sie kommt als Täterin überhaupt nicht in Frage. - Der Anruf stammte wohl von einem Nachbarn, der die WG ärgern wollte.« Pit teilte mir mit, daß jede Menge Hinweise auf Frauen aller Haarfarben eingegangen seien, die der Beschreibung der Gesuchten entsprechen sollten. »In zwei Fällen, in denen schwarzhaarige Frauen geheimnisvoll auftraten, haben wir die Identität geklärt und festgestellt, daß sie eheliche Seitensprünge begingen. Dazu gaben sie falsche Namen an und wurden ab und zu einmal gesehen, wenn sie sich mit ihren Liebhabern trafen. Pikant ist, daß eine dieser Frauen mit einem guten Bekannten von mir verheiratet ist, einem Apotheker. Er ahnt nichts von den Aktivitäten seiner Frau. Neulich erst hat er mir wieder beim Kegeln erzählt, was für ein Muster von Häuslichkeit und Treue seine Frau wäre.« »Was wirst du tun?« »Nichts. Das fällt unter das Dienstgeheimnis. Wir suchen eine dämonische Mörderin, keine untreuen Ehefrauen. Wenn wir die Spinnenfrau erst einmal festgenommen haben, können wir sie leicht überführen. Auf den Champagnerflaschen in der Hotelsuite befinden sich ihre Fingerabdrücke.« Ich schaute mir das farbige Phantombild der Schwarzhaarigen an. Sie hatte dunkle Augen, einen herzförmigen, üppigen Mund und hohe Backenknochen. Der Haaransatz wuchs ihr spitz in die Stirn. Sie hatte üppiges, schwarzes Lockenhaar. Ein apartes Gesicht. Ihre Figur war als hinreißend geschildert, ihre Kleidung als sehr modisch und teuer. Selbst auf dem Fahndungsbild sah sie verlockend aus. Wie die personifizierte Sünde. Vom Outfit her hätte ich sie für ein Nobel-Callgirl gehalten, wenn nicht mein besseres Wissen wegen der dämonischen Aktivitäten gewesen wäre. Die Spinnenfrau konnte natürlich eine Perücke getragen und ihr Äußeres verändert haben, als sie mit dem zwielichtigen Geschäftemacher Vogt das Hotel »Elephant« betrat. Das war beim Fahndungsersuchen an die
Bevölkerung natürlich erwähnt worden. Pit Langenbach leitete die für den Mordfall Vogt eingerichtete Sonderabteilung. Er und seine Mitarbeiter hatten alle Hände voll zu tun, die Hinweise und Spuren zu überprüfen. Jedem Hinweis mußte nachgegangen, jede Spur bis ans Ende verfolgt werden. Der Obduktionsbericht von Vogts Leiche war noch nicht fertig. Den wollte ich mir am nächsten Tag anschauen.
* Ich verabschiedete mich von Pit, joggte am Nachmittag und trainierte anderthalb Stunden im Polizeisportverein. Bis zum Abend hatte sich noch nichts Neues in der Mordsache Vogt ergeben. Tessa Hayden, die mit zur Sonderabteilung Vogt gehörte, hatte zu arbeiten. Wir hatten also keine Zeit, uns zu sehen. Tessa regte immer mal wieder an, wir sollten zusammenziehen. Doch dafür war ich noch nicht reif. Ich hatte Angst, meine Freiheit aufzugeben und irgendwas zu verpassen, ehe ich mich fürs Leben band. An diesem Abend suchte ich meine Lieblingsdiskothek auf, um mich zu zerstreuen. Ich warf mich in den Armani-Anzug, den ich mal in einem Anfall von Größenwahn in Berlin gekauft hatte, und schob ab auf die Piste. Die Disco befand sich in einer ehemaligen Fabrikhalle außerhalb von Weimar. Der volkseigene Textilbetrieb, der sich hier einmal befunden hatte, war nach der Wende wegen seines völlig veralteten Maschinenparks und Unrentabilität aufgegeben worden. Plötzlich kaufte alles Westklamotten, und die eigene Produktion blieb in den Läden liegen. Ein cleverer Unternehmer hatte für das Werksgelände einen günstigen Langzeitmietvertrag abgeschlossen und die Diskothek eingerichtet, außerhalb von Weimar, wo die laute Musik und die an- und abfahrenden Autos nicht so störten. Die Disco war eine Goldgrube. Mehrere Hundert Leute paßten in diese Techno-Disco, in der manche ganze Nächte abtanzten. Auch von Ecstasy und anderen Drogen war hier die Rede, das blieb uns in den Neuen Bundesländern nicht erspart. Im Sozialismus hatte es auch das nicht gegeben. Dafür hatten wir andere Probleme gehabt: ständige Unfreiheit und Bevormundung durch Vater Staat, Bespitzelung und Mangelversorgung. Der Türsteher begrüßte mich, er kannte mich gut.
»Hallo, Mark, willst du mal wieder 'ne Braut abschleppen?« »Warum nur eine?« fragte ich. »Denkst du, ich werde alt?« Ich holte mir einen Drink an der Bar und schaute mich erst mal in dem großen Saal mit den sternartigen Leuchten an der Decke an. Sie waren an Stahlstreben befestigt. Es gab eine große Tanzfläche mit Lichtorgel, Spotlights, Nebel- und speziellen Lichteffekten. Die Sitzreihen stiegen rundum an. Jede Menge Disco-Queens aus Weimar und Umgebung sowie aufgestylte Jungs waren da. Auch ein paar Blindgänger, die gern zu überhöhten Preisen tranken und die bei den Mädels nie den rechten Anschluß fanden. Die meisten Besucher waren in Cliquen da. Eine Rothaarige, an die ich mich sehr gern erinnerte, warf mir heiße Blicke zu. Ich lächelte anerkennend zurück. Die Rothaarige hatte mich damals auf meine Größe angesprochen, immerhin einsneunzig, und gefragt, ob denn alles so groß an mir sei. Und ich hatte nur genickt und sie nicht entäuscht. Mein besonderes Kennzeichen, das sternförmige Mal auf der Brust, hatte sie dagegen weniger interessiert. Es hat die Größe eines Fünf-Mark-Stücks und ist völlig schmerzunempfindlich. Ich nehme an, daß es ein Hexenmal ist, wie es in der Literatur des Mittelalters häufig erwähnt wird. Wie ich dazu komme und welche Bedeutung es für mich hat, weiß ich nicht. Es hängt mit meiner Herkunft zusammen, mit meinen richtigen Eltern, die ich nicht kenne, und meinen ersten zehn Lebensjahren, an die ich mich absolut nicht erinnern kann. Von Natur aus bin ich ein lebenslustiger Typ, Nichtraucher, trinke ganz gern mal einen, bin blond und sehr sportlich. Und ich habe drei große Schwächen: Frauen, Frauen und noch mal Frauen. An diesem Abend hatte ich einfach nicht allein sein können, suchte Zerstreuung - und da sah ich sie auf der Tanzfläche. Das Scheinwerferlicht strahlte sie in wechselnden Farben an. Sie war ziemlich groß, auch ohne die hochhackigen Schuhe. Eine pechschwarze Lockenmähne umrahmte ihr apartes Gesicht. Sie trug einen weißen Discodreß mit einem durchgehenden Reißverschluß, der einlud, daran zu zupfen. Er war ein Stück weit geöffnet und verriet, daß sie keinen BH trug und wohl auch keinen nötig hatte. Am Hals hatte sie ein Amulett von über fünf Zentimeter Durchmesser. Was darauf abgebildet war, konnte ich auf die Entfernung nicht erkennen. Künstliche Nebel wallten jetzt über die Tanzfläche, in verschiedenen
Farben und Lichteffekten. Ein fetziger, monotoner Sound erklang. Die Körper auf der Tanzfläche bewegten sich im abgehackten Rhythmus und waren bis zur Hälfte in den farbigen Nebel gehüllt. Die Bewegungen der Schwarzhaarigen waren sinnlich. Eine einzige Augenweide. Sie bewegte die Hüften, als ob sie Kugellager darin hätte. Sie übte auf jeden Mann eine starke Anziehungskraft aus. Ich vergaß die Rothaarige und hatte nur noch Augen für die Schwarzhaarige. Unsere Blicke trafen sich. Mir ging es durch und durch. Bis in die letzten Haarspitzen hinein war ich von einer Sekunde zur andren elektrisiert. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Und das heißt schon was. Ihre Augen waren dunkel und hatten einen hypnotischen Schimmer. Sie strotzte vor Sex-Appeal, Selbstbewußtsein und Charme. Eine einzige Verlockung. Eine bezaubernde Frau, die es mit Sicherheit bestens verstand, sich immer und überall durchzusetzen. Ich lächelte ihr zu. Ihr Blick war eine einzige Herausforderung an mich.
Nimm mich, wenn du Manns genug bist, sagte er. Ich zögerte, denn vom Äußeren und der sinnlichen Ausstrahlung erinnerte sie mich stark an die dringend im Mordfall Vogt gesuchte Spinnenfrau.
Ich zog das Phantombild aus der Tasche und schaute es mir an. Ja, das war sie! Es gab keinen Zweifel. Ich war wie high. Mein Siegelring prickelte schwach, was jedoch sofort wieder endete. Die leicht exotische Schönheit und die Ausstrahlung der schwarzhaarigen Traumfrau hatte mich derart gefangengenommen, daß ich für kurze Zeit nicht an die Spinnenfrau gedacht hatte. Die Frau auf der Tanzfläche brachte mich schlichtweg um den Verstand, auch wenn das laut Tessa nicht gerade viel war. Doch war diese Superfrau wirklich die gesuchte Mörderin? Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Verbunden mit dem Wunsch nach mehr. Ich trank mein Glas aus, stellte es weg und begab mich auf die Tanzfläche. Der Schwarzhaarigen gegenüber tanzte ich und schaute sie dabei gebannt an. Und ihr schien es genauso zu gehen wie mir. Ich gefiel ihr auf Anhieb. Wir brauchten nicht viele Worte. Unsere Bewegungen waren im Einklang. Die Chemie zwischen uns stimmte. Der schmächtige Jüngling, mit dem die Schwarzhaarige bisher getanzt hatte, war plötzlich Luft für sie. Das paßte ihm nicht. Er warf sich in die schmächtige Brust und tippte mir auf die Schulter.
»Sie da, das ist meine Tanzpartnerin. Verschwinden Sie! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Karate kann.« »Wie schön für dich. Trotzdem, prob hier keinen Zwergenaufstand. Die Lady kann selbst entscheiden, mit wem sie tanzen will. Wir sind hier in einem freien Land. In einem Land, in dem die Frauen nicht unterdrückt und ausgenutzt werden. Wenn sie mit mir Zusammensein will, dann ist das für dich Gesetz. Klar?« Der Schmächtige entschied sich, seine Karatekünste lieber nicht bei mir zu versuchen. Allerdings war ich froh, daß es keine handgreifliche Auseinandersetzung gab. Ein Schlägertyp, dem das Spaß machte, bin ich nie gewesen. Als Kämpfer gegen das Böse hatte ich schon stahlharte Auseinandersetzungen mit Menschen wie mit Dämonen auszutragen. Privat ging ich Schlägereien lieber aus dem Weg und steckte eher eine Beleidigung als, als gleich dreinzuhauen. Der Schmächtige starrte die rassige Schwarzhaarige an. Sie hatte nur noch Blicke für mich, deshalb zog er dann doch ab. Die Schwarzhaarige schob sich näher an mich heran. Wir berührten uns kurz. Es war wie ein Stromschlag! Unvorstellbar schön. Abermals prickelte mein Ring kurz. »Kennen Sie einen Herrn Vogt?« fragte ich sie durch den Lärm der Techno-Musik. »Vielmehr, kannten Sie ihn?« »Nein.« Unsere Körper berührten sich erneut. Eine Spannung entstand zwischen uns, die mich regelrecht nach dieser Frau hecheln ließ. Sie war etwas jünger als ich, und jede Pore von ihr strömte Sinnlichkeit aus. »Das hat mich die Polizei heute auch schon gefragt. Aber ich bin nicht im »Elephant« gewesen. Dafür habe ich ein Alibi. Zudem stimmen meine Fingerabdrücke nicht mit denen überein, die dort sichergestellt wurden. Sind Sie etwa auch von der Kripo?« »Nein ich heiße Mark Hellmann und bin Reporter.« Bei der Berufsbezeichnung wollte ich erst einmal bleiben. »Ich bin Uma Netzer und arbeite als Restauratorin im Schloß Belvedere. Meine Spezialität ist die Restaurierung von Fresken und Steinmetzarbeiten.« »Für eine Expertin auf dem Gebiet sind Sie noch ziemlich jung.« »Das ist eine Frage der Begabung und nicht des Alters.« Die Verständigung war bei der lauten Musik nicht besonders, deshalb
gingen wir in die Nische, in der Uma ihren Platz hatte. Ich wunderte mich ein wenig, daß es dort freie Plätze gab, obwohl die Disco ziemlich voll war. Als ich genauer hinschaute, stand ein Schild »Reserviert« auf dem Tisch. Uma sagte, daß sie ein paar Bekannte erwartete, die gegen 23 Uhr eintreffen wollten. Ich schaute auf ihr Amulett. Es zeigte eine Teufelsfratze, was bei einer hübschen jungen Frau ein seltener Schmuck war. Als ich Uma danach fragte, antwortete sie: »Den Satanskopf finde ich echt geil.« »Haben Sie eine besondere Beziehung zum Teufel?« »Die hat doch jeder. Wir sind hier in Weimar, wo Goethe Mephisto verherrlicht hat.« »Wieso hat?« »Im Grund genommen ist Mephisto der eigentliche Held und Hauptakteur des Dramas. Ohne ihn wäre der Faust überhaupt nicht möglich. Goethe hat diesen Teufel realistisch geschildert. Nur am Schluß, bei der Erlösungsszene von Faust, liegt er arg daneben. Wen Mephisto erst einmal in den Klauen hat, den gibt er nie wieder frei.« Ich schaute mir Uma genauer an. Sie hatte lilafarbene Fingernägel. Ihre Augenbrauen waren dünn ausgezupft und gaben dem Blick ihrer dunklen Augen etwas Faszinierendes, etwas Dämonisches. Doch mein Ring zeigte keine Reaktion, was sie betraf. »Wollen wir mal ein Spiel spielen?« fragte ich Uma. »Gern. Legen Sie los. Hat es mit Sex zu tun?« »Nein«, erwiderte ich und grinste. Ich versuchte den Ring zu aktivieren, indem ich ihn auf den Tisch klopfte und mit ihm ein paar Runen des Futhark-Alphabets auf die schwarze Glasplatte schrieb. Es tat sich jedoch überhaupt nichts. Es war mir nicht möglich, die Ringprobe durchzuführen, indem ich mit dem Lichtstrahl, den der Ring aussandte, das keltische Runenwort für »Prüfe« auf meine Tischnachbarin schrieb. Daß ich den Ring nicht aktivieren konnte, legte ich so aus, daß keine dämonische Aktivität vorhanden war. Uma mußte jedoch nicht selbst ein dämonisches Wesen sein, sondern konnte auch als Mensch mit solchen zusammenarbeiten. Oder sich in einem Bann befinden. »Mit wem hatten Sie bei der Weimarer Kripo zu tun?« fragte ich. »Mit Hauptkommissar Langenbach, ein sehr netter Mann übrigens, und
einer Fahnderin namens Hayden.« Später würde ich Pit und Tessa zurückrufen und mich vergewissern, daß Uma die Wahrheit sagte. Wir plauderten, tanzten und unterhielten uns. Die Zeit verging wie im Flug. »Gehen wir?« hörte ich mich schließlich fragen. Ich war wie ferngesteuert. Uma lächelte betörend. »Hältst du mich für ein Mädchen für eine Nacht?« »Nein. Wie kommst du darauf?« »Danke. Du gefällst mir auch, Mark. Du kannst mich später nach Hause fahren. Vorher möchte ich jedoch noch etwas anderes sehen. - Was kannst du mir in Weimar für den Abend empfehlen?« »Entweder mich oder eine Schlaftablette.« Uma lächelte. Sie meinte, ihre Bekannten hätten sie wohl vergessen. Sie erzählte mir dann von ihrem Job als Restauratorin und von der Pension in Ehringsdorf, in der sie wohnte. Nicht weit entfernt vom Schloß Belvedere, ihrer Arbeitsstätte. Uma faszinierte mich. Als sie mal zur Damentoilette ging, rief ich trotzdem übers Handy bei der Kripo an und ließ ihre Angaben überprüfen. Der Beamte, den ich zuerst am Apparat hatte, gab mich ausgerechnet an Tessa Hayden weiter. »Was höre ich da für Musik?« fragte sie. »Du bist in der Disco? Mit dieser Uma Netzer?« »Du brauchst mir nicht gleich ins Gesicht zu springen. Stimmt ihr Alibi, oder stimmt es nicht?« »Es stimmt, sie kann nicht die Spinnenfrau sein«, fauchte mich Tessa an. »Willst du Uma aufs Kreuz legen?« Tessa hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. »Nein«, antwortete ich. »Mit ihr Skat spielen. Wir sind gerade beim Reizen.« Kommentarlos unterbrach Tessa die Verbindung. Hätte sie sich sachlicher mit mir unterhalten, wäre vielleicht manches anders gelaufen. So hinterfragte ich die Angaben, die sie mir machte, nicht weiter. Uma kehrte zurück, betörend, sinnlich, eine Augenweide mit schwingendem Gang. Ich ließ meine Augen weiden und reagierte erregt. Selten hatte mich eine Frau derart angemacht. Den kurzen Streit mit Tessa vergaß ich. Wir tanzten, und Uma bewegte sich auf eine Weise, die
mir sämtliche Knöpfe und Reißverschlüsse zu eng werden ließ. Sie war wirklich die personifizierte Verlockung. Ich fühlte mich jung, stark und unbesiegbar. Uma rieb ihren sinnlichen Körper an mir. Ich spürte ihre weiblichen Formen. »Laß uns gehen«, sagte ich. »Bald.« Sie lächelte. Sie wollte mit mir spielen, was eine weibliche Spezialität ist. »Verdächtigst du mich noch immer wegen der Mordsache im >Elephant« »Nein.« »Was ist dort eigentlich vorgefallen?« »Das ist streng geheim.« »Mir kannst du es sagen. Sagst du es mir, wenn ich ganz lieb zu dir bin?« »Das«, antwortete ich, »will ich mir überlegen. Aber jetzt laß uns die Disco verlassen. Es ist schon fast zwei.« »Wenn schon. Ich bin ein Nachtmensch. In der Dunkelheit werfe ich meine Netze aus.« »Netze?« »Des Traums und der Verführung. Ich bin Romantikerin. Mir liegt auch das Morbide. Friedhöfe, alte Gemäuer. Spinnweben in Grabkapellen, in denen Leichen aufgebahrt sind.« Sie lachte heiser. »Hast du was genommen?« fragte ich. »Dope, LSD, Ecstasy?« »Das brauche ich nicht. Für mich gibt es andere Rauschmittel. Das ist unsere Nacht, Mark. Heute sollst du etwas erleben, was du noch niemals kennengelernt hast. Ich bin eine ganz besondere Frau, sollst du wissen.« Ich hatte schon einige ungewöhnliche Frauen kennengelernt. Doch Uma war ein Kapitel für sich. Sie lenkte ein, vielleicht weil sie merkte, daß sie mich kopfscheu machte. Traumfrau hin oder her, mit einer Süchtigen wollte ich mich nicht einlassen. Das Handy in meiner Hose vibrierte, den Ton hatte ich abgestellt. Ein Zeichen, daß jemand anrief. Tessa, vermutete ich, um dazwischenzufunken oder ein paar gallige Bemerkungen anzubringen. Darauf hatte ich keinen Bock. Ich nahm also das Handy und schaltete es aus. Jetzt konnte sie in die Mailbox sprechen, solange sie das wollte.
»Wir unternehmen«, sagte Uma, »einen kleinen Spaziergang. Du sollst nämlich wissen, daß ich ein besonderes Faible habe. Für Gräber im Mondschein.« »Wo willst du Spazierengehen?« erkundigte ich mich. »Auf dem Hauptfriedhof. - Hast du Angst, Mark? Vor den Toten oder vor mir? Traust du mir nicht? Ich dachte, du bist so ein toller und starker Mann.« Ich fragte mich, was sie vorhatte. »Okay«, sagte ich, »gehen wir. Vollmond ist ja.« Als wir die Disco verließen, in der man mit etwas Pech einen Gehörschaden davontragen konnte, dachte ich an Vogts ausgesaugten, von Spinnenbißmalen übersäten Körper. Vielleicht krochen doch Riesenspinnen in Weimar umher und versteckten sich in den Schatten der Nacht. Vielleicht waren sie auf dem Friedhof? Wollte Uma mich zu ihnen bringen? Ich hielt sie nicht für eine Dämonin. Doch die Spinnenfrau, welche Vogt auf dem Gewissen hatte, konnte auch ein Zimmerfenster im »Elephant« geöffnet und ein Spinnenmonster oder mehrere hereingelassen haben. War Uma vielleicht doch die Spinnenfrau? Konnte ihr Alibi gefälscht sein? Ich beschloß, auf jeden Fall eine Waffe mitzunehmen, wenn ich mit ihr auf den Friedhof ging. Im Kofferraum meines Flitzers lagen ein Hammer, ein Brandsatz und ein Rangermesser. Meine Pistole, die SIG Sauer, hatte ich zu Hause gelassen. Ich schmiedete einen Plan. Wenn Monsterspinnen am Friedhof waren, dämonische Wesen, würde mein Ring sie mir anzeigen. Das hoffte ich jedenfalls. Dann würde ich mit dem Handy zum Polizeipräsidium telefonieren und mich mit meinen Waffen meiner Haut wehren. Ich war kein Karl-Michael Vogt, der sich arglos mit Spinnenfäden fesseln und aussaugen ließ. Ich war der Träger des Rings, und ich wollte es wissen, zu was für einer Art von Spaziergang mich Uma einlud. Ob sie es nur mit der düsteren morbiden Romantik hatte, oder ob mehr dahintersteckte.
* Ich parkte den BMW in der Knechtstraße vor dem Historischen Friedhof, der oberhalb vom Hauptfriedhof liegt. Oberhalb dessen befinden sich
zudem die Fürstengruft und dir Russisch-Orthodoxe Kirche. Unterhalb ist der Neue Friedhof. Um die Uhrzeit war natürlich abgeschlossen. Uma kletterte katzengewandt über die Friedhofsmauer. So hatte ich noch nie jemanden klettern sehen. Ich schwang mich ebenfalls hinüber. Wirkte dagegen sicherlich plump. Der Vollmond goß sein bleiches Licht über dem Historischen Friedhof mit seinen alten Gräbern aus, den hochragenden Grabkreuzen, bemoosten Steinen, efeuberankten Familiengräbern und Marmorputten. Bäume und Büsche standen hier. Es gab Wege, die fast zugewachsen waren und über denen sich Zweige spannten. Es war, besonders im Mondlicht, eine eigenartige, verwunschene Totenwelt. Alles war geheimnisvoll, und man glaubte, jeden Moment wiederauferstandene Geister aus der Zeit von Goethe und Schiller zu sehen, die in der Vollmondnacht ihre Gräber verließen. Eine Fledermaus segelte lautlos über uns weg. Schwarz, weiß und silbrig waren die Farben im Mondlicht, andere gab es nicht. Mich überlief ein Schauer, obwohl ich schon viel erlebt hatte und keine ängstliche Natur bin. Bei Vollmond verwandelten sich Menschen in Werwölfe. Der Vollmond war der Freund der Geschöpfe der Nacht und verlieh ihnen besondere Kräfte. Uma tanzte umher. Von irgendwoher, aus ihrer Umhängetasche, der Jacke oder sonstwo, hatte sie einen schwarzen Schleier gezückt, den sie schwenkte. »Mephisto, erscheine!« rief sie und lachte laut. Das Streulicht von auf der Berkaer Straße vorbeifahrenden Autos geisterte über den Friedhof und ließ Schatten wandern. Ich erschrak bei Umas Ruf und war sofort alarmiert. Für alle Fälle hatte ich einen Holzpflock und das Rangermesser unter dem leichten Mantel versteckt, den ich lässig über dem Arm trug. Ein Kreuz hatte ich nicht dabei. Kreuze gab es auf dem Friedhof genug. Der Mantel und mein teurer Anzug waren nicht besonders dafür geeignet, um damit über Mauern zu klettern. Doch ich konnte mich schlecht umziehen. »Mephisto, mein Meister!« rief Uma abermals. Sie reckte die Arme zum Vollmond empor. »Wo bist du?« Meine Hand umklammerte den Messergriff, daß die Knöchel weiß wurden. Es raschelte in dem wilden Wein, der üppig die Friedhofsmauer umrankte, und gleich darauf in der Buchsbaumhecke am Weg. Glühende Augen starrten mich an. Dann ertönte ein Miauen, und ein Schatten
huschte weg. Ich atmete auf und schalt mich selbst einen Narren. Was bist du nur für ein Held, Mark Hellmann! dachte ich. Läßt dich von einer Katze ins Bockshorn jagen. Uma lachte mich aus.
»Du siehst aus, als ob du dir gleich in die Hosen machen würdest«, sagte sie. »Was bist du nur für ein Held? Glaubtest du wirklich, daß gleich der Teufel erscheint?« Ernst antwortete ich mit den Worten: »Drum rufe nie den Teufel an, weil dich der Teufel hören kann.« »Der Teufel ist nur eine Ausgeburt der menschlichen Phantasie«, sagte Uma. »Das Prinzip des Bösen. Es gibt ihn genausowenig wie Gott. Das haben sich alles die Menschen ausgedacht, weil sie es nicht ertragen können, daß sie allein sind im Universum und ihr Leben sinnlos zu sein scheint.« Ich konnte ihrer These nicht zustimmen, zumal ich Mephisto persönlich begegnet war und mit ihm Sträuße ausgefochten hatte. Ich sah jedoch keinen Grund, mit der rassigen Schwarzhaarigen zu diskutieren. Uma lief über den Friedhof. Manchmal las sie Grabinschriften und gab kurze Kommentare dazu ab, die jedoch nicht zynisch waren. Vor der Fürstengruft blieb sie stehen. Hoch ragte die Gruft auf, in der die Mitglieder der herzoglichen Familie von Weimar ruhten und auch Goethe und Schiller ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Uma lächelte mich an. »Wollen wir den Zugang zur Fürstengruft öffnen und uns drinnen lieben?« fragte sie. »Oder sollen wir es auf einem Grab tun?« Nein, das lehnte ich ab. Es hätte mir auch keinen Spaß gemacht, die Totenruhe auf diese Weise zu stören. Uma wiegte sich vor mir in den Hüften und vollführte eindeutige Bewegungen. Ihr Atem ging rascher. »Nimm mich«, stöhnte sie. »Die Möglichkeit erhältst du nicht wieder.« »Nein«, antwortete ich. »Nicht hier und nicht jetzt. Von mir aus im Auto oder bei dir in der Wohnung oder in einem Hotel.« »Dann bekommst du mich überhaupt nicht.« »Dann muß ich eben darauf verzichten.« Vielleicht war Uma wirklich nur ausgeflippt, vielleicht aber war die Anrufung von Mephisto, meinem Erbfeind, ein Scherz und nicht ernst gemeint gewesen. Doch es konnte auch anders sein. Uma schlenderte über den Friedhof, vorbei an der Russisch-Orthodoxen
Kirche mit dem Zwiebelturm. Vor dem Krematorium blieb sie stehen. Sie strich mir mit den Fingerspitzen übers Haar. »Schöne blonde Haare hast du, Mark Hellmann. Darum würde dich so manche Frau beneiden. - Bist du schon mal gestorben? Oder scheintot gewesen? Was glaubst du, was für ein Gefühl es ist, wenn du als Scheintoter in den Verbrennungsofen geschoben wirst? Wenn du die Hitze spürst, die Flammen siehst und keinen Laut von dir geben kannst. Wenn dich das Feuer erfaßt… Dann hast du den Vorgeschmack von der Hölle und weißt, was dich später erwartet.« »Kennst du keine anderen Gesprächsthemen? möglicherweise einem Satanskult an?«
Gehörst
du
»Gerade habe ich dir gesagt, daß ich Atheistin bin. Bring mich nach Hause.« Unvermittelt änderte sich ihre Stimmung. Nun war ich weibliche Launen gewöhnt, ich kannte sie zur Genüge. Doch aus Uma Netzer wurde ich nicht schlau. Mein Siegelring zeigte keine Reaktion. Nichts Dämonisches war in Sicht. Trotzdem war mir nicht wohl. Mein Instinkt fing Warnsignale auf. Der ausgesaugte Leichnam und das gräßlich verzerrte Gesicht des WessiFinanzhais Karl-Michael Vogt fielen mir ein. Wir schlenderten wieder zum Historischen Friedhof zurück. Kurz fluoreszierte mein Ring. Als ich mich umdrehte, glaubte ich einen Moment eine Bewegung zu sehen, als ob ein riesiger Hund zwischen zwei Grabsteinen durchhuschte. Doch ich war mir nicht sicher. Im Mondlicht konnten mich meine Augen getrogen haben. Als wir über die Mauer gestiegen waren, war ich erleichtert und froh. Mit dem Pflock und dem Messer, wenn meine beringte Rechte sie umspannte, hätte ich mich auch gegen einen starken Dämon wehren können. Das hatte ich erfahren, als ich im Jahr 1198 im Erzgebirge gegen den Seuchendämon Gevatter Tod gekämpft hatte. Ich mußte noch mehr über die Kräfte und Möglichkeiten meines magischen Rings herausfinden. Brennend hätte mich interessiert, wie ich, vermutlich mit seiner Hilfe, eine auf Entfernung wirkende Waffe gegen einen Dämon herstellen konnte. Meinen Vater Ulrich Hellmann hatte ich bereits gebeten, für mich geweihte Silberkugeln bei einem Weimarer Silberschmied herstellen zu lassen. Es mußte noch andere Mittel und Möglichkeiten geben. Vor allem der Ring sollte mir helfen. Bisher hatte ich seine Kräfte kaum entschlüsselt. Um ihn zu aktivieren, brauchte es eines dämonischen Einflusses. Das war schade, denn es nahm mir das Gesetz des Handelns aus der Hand.
In dem Moment hatte ich eine Idee. Wenn ich einen Gegenstand besaß, mit dem ein Dämon Kontakt gehabt hatte, hätte der Ring auch damit aktiviert werden können. Dann konnte ich mit ihm Experimente vornehmen und Neues darüber erfahren. Das würde mich ein Stück weiterbringen. Uma brachte mich auf andere Gedanken. Kaum daß wir im BMW saßen, fiel sie unvermittelt über mich her. Sie küßte mich heftig und saugte sich an meinem Hals fest. Dann flüsterte sie: »Fahr mich zu dir.« So schnell war ich selten in der Florian-Geyer-Straße gewesen. In meiner Bude streifte ich Umas Kleider ab. Das ließ mich den Spuk und alles andere vergessen. Uma schielte nach dem Tisch. Ich legte sie vorsichtig darauf, und dann waren wir uns so nah, wie es nur ging. Uma tobte. Ihre langen Fingernägel krallten sich in meinen Rücken und fügten mir einige Kratzer zu. Uma mochte handfesten Sex und kräftig angepackt werden. Nach dem ersten Liebesakt wechselten wir auf mein Futonbett und liebten uns fast bis zum Morgen. Mal war sie oben, mal ich, doch meistens sie. »Fahr mich nach Hause«, bat sie dann müde. »Es ist eine Angewohnheit von mir, daß ich immer in meinem eigenen Bett erwachen will. - Du warst fabelhaft. So etwas hat mir noch keiner geboten. Wir sehen uns wieder.« Ich machte Uma ein paar Komplimente und schlüpfte in meine Jeans. Eins hatte ich gemerkt: Mit romantischer Liebe schien sie doch nichts im Sinn zu haben. Sie war von einer verzehrenden, geradezu dämonischen Leidenschaft. Da blieb für das andere nicht viel Platz. Sie zog sich an. Als wir die Treppe hinunterstiegen und das Haus verließen, sah ich ein Auge hinter dem Türspion der Erdgeschoßwohnung. Dort wohnten meine Vermieter, er ein Sachse, sie eine Thüringerin, die das Haus geerbt hatte. Ich lebte mit ihnen in herzlicher Feindschaft. Sie bespitzelten mich wie zu Stasi-Zeiten und hatten immer was bei mir auszusetzen. Selbst wenn ich ihnen einen »Guten Morgen« wünschte, paßte ihnen das nicht, weil sie argwöhnten, ich würde ihnen das Gegenteil wünschen. Ich reckte den Mittelfinger in Richtung Türspion, als ich die Haustür aufschloß. Nach diesem >Gruß< verfrachtete ich Uma in mein Auto. Mit glitzernden Augen schaute sie mich an und bat mich um eine Zigarette. Ich war selbst Nichtraucher, aber für Tessa, die sich ab und zu einen Lungentorpedo durchzog, hatte ich immer ein Päckchen im Handschuhfach. Uma zündete sich die Zigarette an und inhalierte tief.
Die Sonne ging auf, als ich Ehringsdorf erreichte, wo sie wohnte. Uma sagte, als ich in die Bäckergasse abbiegen wollte: »Ich habe es mir anders überlegt. Fahr mich zum Schloß Belvedere. Ich will im Park Spazierengehen. Ich liebe es, wenn der Tag erwacht.« Das war wieder ein ganz neuer Zug an ihr. Bisher hatte ich sie für eine Venusfalle und Königin der Nacht gehalten. Daß sie den Sonnenaufgang liebte, hatte ich mir schlecht vorstellen können. Aber wer versteht schon die Frauen? Ich fuhr also weiter und ließ Uma auf dem Parkplatz vom Schloß Belvedere aussteigen. Dunstschwaden hingen im Wald, dessen Blätter sich bereits verfärbten. Uma küßte mich voller Leidenschaft. Ihre Hände mit den krallenartigen Fingernägeln glitten über meinen Körper. Schon meinte ich, daß sie abermals Sex wollte, als sie mich von sich schob. »Wir sehen uns wieder, Mark«, sagte sie. »Ich komme zu dir. So wie La Paloma.« »Wie meinst du das?« »Laß einfach das Fenster offen.« Lachend stieg sie aus und ging davon. Ich schaute ihr nach, wie sie mit wiegenden Hüften davonstitzelte. Natürlich kannte ich das von Hans Albers gesungene Lied mit der weißen Taube. Falle ich einst zum Raube empörter
Meere, fliegt eine weiße Taube zu dir hierher. Lasse sie ohne Zögern zum Fenster ein, mit ihr wird meine Seele dann bei dir sein. La Paloma ohe…
Die Frage war, als was Uma zu mir kommen würde, die gewiß nicht empörten Meeren zum Raub oder Opfer fiel. Als weiße Taube bestimmt nicht. Als blutsaugende Fledermaus? Oder als Vampirspinne, die mich aussaugen wollte? Mir war seltsam zumute. Mein Ring hatte keinerlei dämonische Aktivität angezeigt. Trotzdem war es mir nicht geheuer, was Uma Netzer betraf. Mit wem war ich da im Bett gewesen? Abgründe konnten sich auftun, auch in weiblichen Seelen. Hatte ich hier gar einen dämonischen Abgrund vor mir? Obwohl ich weder abergläubisch noch ängstlich war, vergewisserte ich mich, daß mein Fenster entgegen meiner sonstigen Gewohnheit geschlossen war, ehe ich mich noch für ein paar Stunden aufs Ohr legte.
*
Uma Netzer schlenderte durch den Park und sah das Rokokoschlößchen Belvedere in der Dämmerung vor sich. Inmitten eines schönen Parks als Sommerresidenz der Herzöge von Weimar erbaut, dient es heute als Rokokomuseum. Uma kannte die Sammlung von Möbeln, Porzellan, Gläsern und Fayencen aus dem I5. Jahrhundert. Sie war auch schon in der nahegelegenen Orangerie gewesen, wo eine Sammlung historischer Kutschen untergebracht war. Nördlich des Schlosses, noch im Park, befand sich der Ehrenfriedhof der Ende des Zweiten Weltkriegs gefallenen Sowjetsoldaten. Der Einmarsch der Roten Armee war indessen nicht die Befreiungs- und Heldentat gewesen, als den die DDR-Propaganda ihn jahrelang hinstellte. Die rassige Schwarzhaarige kannte sich bestens aus. Hier war schließlich ihr Arbeitsplatz. Sie schlenderte durch den im Frühdunst liegenden Wald zu einer mächtigen Eiche. Dreimal hatte der Blitz schon hineingeschlagen, aber der Baum stand immer noch und trug seine grünen Blätter. Uma stellte sich vor den von den Blitzen verkrüppelten Baum. Stellenweise war er verkohlt, als hätte eine riesige Axt mit Hunderttausenden von Volt hineingehauen. Mehrere dicke Äste fehlten. Die junge Frau breitete die Arme aus. »Mephisto«, flüsterte sie. »Deine Geliebte ruft dich.« Es raschelte in den Blättern. Im nächsten Moment erschien, wie hingezaubert, ein grüngekleideter Jäger mit einer langen Feder am Hut. Er hatte ein schmales Gesicht mit spitzem Kinn, das ein Kinnbart noch mehr in die Länge zog, und rotglühende Augen. Kleine Flämmchen tanzten über seine Jägerkleidung. Mit einer Verbeugung drückte er Uma einen flüchtigen Kuß auf den Mund. »Warum hast du Mark Hellmann nicht eingesponnen und ausgesaugt wie den anderen?« fragte er sie. »Er stört meine Kreise. Wie lange soll er noch leben?« »Was kann er schon gegen dich ausrichten, mächtiger Gebieter?« erkundigte sich Uma. »Bei unserem nächsten Beisammensein wird ihn sein Schicksal ereilen.« »Du bist mit ihm intim gewesen«, sagte Mephisto, »und hast ihn nicht aufgefressen, wie es einer Spinne geziemt. - Warum?« »Vielleicht, weil er mich fasziniert hat«, gestand Uma. »Er ist ein toller Liebhaber. - Bist du eifersüchtig, Mephisto?«
»Werde nicht unverschämt, Spinne. Mit dir habe ich eine Höllenbrut gezeugt, die weitere Spinnenfrauen und -männer hervorbringen soll. Mephistos Höllenbrut wird die Menschen erzittern lassen. Es ist eine Ehre für dich, daß ich dich dafür auserwählt habe. Ich bin einer der letzten Valusianer, die vor Millionen von Jahren über den kochenden Urschlamm schritten. Nur Böses hatte ich im Sinn, ehe die Menschheit entstand. Ich bin einer der Fürsten der Finsternis. Meine Vettern hausen in den Abgründen jenseits der Sterne. Die Erde jedoch gehört mir allein, und ich bin es, der hier das Rad treibt. Lucifuge Rofocale, der Höllenkaiser, bleibt in seinem siebenten Kreis der Hölle und schert sich nicht um die Welt. - Ein Mörder der Menschheit war ich von Anbeginn. Oh, wie ich sie hasse, diese scheußlichen kleinen Menschenwesen, die dennoch immer die Kraft für einen Neuanfang finden, in deren Brust das Gute und das Böse hausen. Ich finde erst Ruhe, wenn ich die Saat des Bösen in ihnen habe mächtig aufkeimen lassen, damit sie alles Gute überwuchert und erstickt. Wenn ihre Seelen mir gehören, so wie deine, Uma.« »Ich bin eine Tochter der Finsternis, ein Dämon wie du. Auch in meinen Adern fließt schwarzes Blut.« »Schweig davon, Spinne. Gegen mich bist du eine Eintagsfliege. In der Hölle geboren, zur Erde entsandt, um eine Mission zu erfüllen. Wie geht es unseren Kindern?« »Sie gedeihen in ihrem Nest unter der Erdoberfläche. Wenige Monate noch, und sie sind voll ausgewachsen. Ich muß ihnen bald wieder Nahrung bringen.« »Tu das. Du hast heißes Blut, Uma. Du brauchst Liebe, jedenfalls deine Art davon. Ich stehe weit über diesen Dingen, die für mich Narretei und Schwäche sind. Mit dir war ich nur zusammen, um einen Zweck zu erfüllen.« Uma kicherte. »Manchmal hatte ich nicht den Eindruck. Könnte es sein, daß du durch den ständigen Umgang mit Menschen vermenschlicht bist, Mephisto?« Der Jäger schwieg. Seine Augen glühten stärker. Die über seine Kleidung huschenden Flämmchen leuchteten stärker. Der von ihm ausgehende Schwefelgestank nahm an Intensität zu. Uma reizte ihn weiter. »Mark Hellmann ist besser als du, Mephisto. Du weißt schon, was ich meine.« »Du hast ihn getäuscht«, zischte Mephisto. »Wenn er wüßte, wer du wirklich bist - was du bist - hätte er dich nicht mit der Feuerzange
angefaßt. - Da, für deine Frechheit. Der Megadämon läßt sich nicht verspotten!« Blitzschnell zuckte seine Hand vor und traf klatschend Umas Wange. Sie taumelte. Ihr Kopf und die Schultern veränderten sich und wurden rabenschwarz. Man sah das Kopfbruststück einer Spinne mit vier Augenpaaren und den Mundwerkzeugen. Der Zwitter zwischen Spinne und Frau sah schrecklich aus. Mephisto grauste sich indessen nicht, sondern gab Uma galant einen Handkuß. Er kraulte ihren Spinnenkopf unter den Kieferzangen mit den Giftdrüsen der Saugvorrichtung. »Meine Schöne«, sagte er. »So gefällst du mir viel besser als in deiner menschlichen Gestalt. Laß mich dein wahres Ich sehen.« Uma nahm wieder vollständig ihre menschliche Gestalt an. Kokett spielte sie die Verschämte und fragte: »Du willst mich hüllenlos sehen? - Nicht hier und nicht jetzt. Alles zu seiner Zeit. Wenn wir wieder in der Hölle sind, dann werden wir uns paaren.« Mephisto verbeugte sich spöttisch. »Ich freue mich schon darauf. Wer ist schon dieser Hellmann? - Schau mich an.« Der Jäger verwandelte sich in eine Spinne mit faßgroßem Leib und meterlangen Beinen. Seine Mundwerkzeuge klapperten wie Kastagnetten. Er war schwarz und scheußlich behaart. Von seinen Mundwerkzeugen troff eine klare, ätzende Giftflüssigkeit. Die vier Augenpaare am Kopfbruststück, aus dem acht Beine ragten, funkelten böse. »Gefalle ich dir?« zirpte die Spinne. Uma klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Ich könnte dich küssen. Bald werden wir uns wieder gemeinsam ein Netz suchen. Meine Mutter Ariadna hatte recht, als sie mit dir zusammen den Plan ausheckte und mich auf die Welt schickte. Husch zu mir ins Netz, Geliebter.« Die riesige Spinne rannte die verkrüppelte Eiche hinauf. Wie an einem unsichtbaren Netz stieg sie höher. Von oben erklang Mephistos Stimme: »Denk daran, du mußt wieder ein Opfer haben. Wenn du mit Mark Hellmann noch eine Weile spielen willst, nimm ein anderes. - In der Hölle sehen wir uns wieder.« »Ja«, flüsterte Uma, »in der Hölle.« Sie sah die Spinne an dem unsichtbaren Netz höher klettern und ganz oben verschwinden. Mephisto hatte solch Showeffekte gern. Er genoß höchstes Ansehen in der Hölle. Uma war stolz, seine Geliebte zu sein. Sie
dachte an den Mann, der sie vor nicht allzu langer Zeit in den Armen gehalten hatte, in ihrer menschlichen Gestalt, die etwas vollständig anderes war als die dämonische. Uma kicherte. Sie war übel und abgefeimt, eine echte Dämonin. »Bald bist du dran, Mark Hellmann«, flüsterte sie. »Träger des Rings. Ich bin gespannt, wie du reagierst, wenn du siehst, wen du in deinen Armen hieltest. Ich, Uma Araneae, werde die Urmutter einer neuen Rasse sein, nämlich der Spinnenmenschen. - Bald gebe ich dir den Todeskuß, Mark Hellmann. Den Todeskuß der Spinnenfrau.« Kichernd drehte sie sich um, um zu ihrem möblierten Zimmer in der Bäckergasse zu gehen. Sie war bester Laune. Ihre Pläne konnten nicht schiefgehen. Sie würde alles rächen, was Mark Hellmann den Mächten der Finsternis zugefügt hatte. Ihr Name würde in allen Höllen gelobt und gepriesen werden. Sie versprach sich einen gewaltigen Aufstieg davon. Im Moment war sie eine Jungdämonin mit großen Ambitionen. Doch mit einem Mentor wie Mephisto konnte bei ihr nichts schiefgehen. Araneae war ihr richtiger Nachname. Den Decknamen Uta Noack hatte sie benutzt, als sie Karl-Michael Vogt zu ihrem Opfer machte. Sie hatte ihn an einer Hotelbar in Leipzig kennengelernt. Er war ihr sofort verfallen. Die Spinnenfrau war tatsächlich als Restauratorin im Schloß Belvedere tätig. Dabei nannte sie sich Uma Netzer. Mit Hypnose und einem dämonischen Bann, wobei Mephisto sie unterstützte, hatte sie den Arbeitsplatz erhalten und abgesichert. Für Mephisto und auch für sie war es absolut kein Problem, einen Ausweis, Zeugnisse und dergleichen zu hexen, um die Menschen zu täuschen. Auf die gleiche Weise war sie zu ihrem Alibi für den vorvorigen Abend und die darauffolgende Nacht gekommen. Ihre Fingerabdrücke konnte sie durch Zauberei verändern. Deshalb hatte die Weimarer Kripo sie nicht entlarven und überführen können. Normalerweise zeigte sich Uma lieber mit dem spitzen Haaransatz. Bei Mark Hellmann war es ihr angebracht erschienen, das nicht zu tun. Seinen Ring hatte Uma mit einem einfachen Trick deaktiviert, den sie von Mephisto gelernt hatte. Es handelte sich um eine Beschwörung, die dem magischen Ring vorgaukelte, es sei alles in Ordnung. Es war schwierig und erforderte viel Konzentration, die magische Abschirmung um den Ring herum aufrechtzuerhalten. Nur Dämonen der höheren Kategorien brachten das fertig. Mark Hellmann, so man ihn am Leben ließ, würde lernen, mit seinem Ring besser umzugehen. Doch soviel Zeit wollte ihm Uma nicht mehr lassen. Sie
stellte sich vor, wie er mit dicken Spinnenfäden gefesselt vor ihr lag und sie ihn leersaugte. Er würde ihr viel Kraft geben, mehr als jeder andere vor ihm. Zunächst galt es, ein anderes Opfer zu finden. Mark Hellmann wollte sich Uma aufsparen. Das Beste, sagte sie zu sich selbst, hebt man auf bis zuletzt. Das andere Opfer sollte noch an diesem Wochenende dran glauben. Dann galt es, Nahrung für die Brut zu finden und ihr zu bringen. Uma hatte einen Mutterinstinkt, der sie irgendwann mal verlassen würde. Bis dahin hatte sie ihren Kindern noch einiges beizubringen. Sie war sehr stolz auf ihre Kinder, die ein paar Kilometer weit weg in einem Versteck untergebracht waren. Uma Araneae ging die Belvederer Allee entlang Richtung Ehringsdorf. Davon war sie noch eine Strecke entfernt, als ein Auto neben ihr hielt. Ein jovialer Mann, Typ Handelsvertreter, ließ die Scheibe herunterschnurren. »Guten Tag, schöne Frau. Kann ich Sie eine Strecke mitnehmen?« »Warum nicht«, sagte Uma und stieg bei dem Mann ein. Er war noch relativ jung, höchstens dreißig, dunkelhaarig und kräftig. Er trug einen Anzug und hatte einen Musterkoffer auf dem Rücksitz liegen. Das war jedoch Tarnung, wie Uma gleich feststellen sollte. Statt rechts nach Ehringsdorf hineinzufahren, bog er nach links ab und fuhr ins Feld. Am Weinberg hielt er an und parkte auf einem Weg, der nicht so leicht eingesehen werden konnte. Keine Menschenseele war in der Nähe. Uma versuchte, die Tür zu öffnen. Doch das ging nicht. Der Fahrer hatte eine Spezialverriegelung in seinem Auto installiert. Gierig musterte er die attraktive Schwarzhaarige. Plötzlich hielt er ein Messer in der Hand. »Du hast sicher in der Zeitung von dem Sittlichkeitsverbrecher gelesen, der Thüringen unsicher macht«, sagte er hämisch. »Das bin ich. Also mach keine Zicken.« Er fuchtelte mit dem Messer herum. Uma hatte vorgehabt, sich ihr nächstes Opfer erst am Abend zu holen. Aber der Kerl wollte es ja nicht anders. Er leckte sich schon über die Lippen. »Du bist schön«, sagte er. »Aber warum hast du keine Angst? Los, Schätzchen, zeig mir, was du zu bieten hast.« Als er Uma anfaßte, schlug sie ihm mit der Handkante hart auf den Unterarm. Der Sittenstrolch verzog das Gesicht und setzte der Spinnenfrau das Messer an die Kehle. »Das wirst du mir büßen!« brüllte er. Blitzschnell packte sie seine Messerhand und hielt sie mit eiserner Kraft.
Der kräftige Mann holte zum Schlag aus. Da verwandelte sich Uma. Ihr Kopf und die Schultern wurden wieder zum Kopfbruststück einer Spinne. Vier Augenpaare an einem behaarten Kopfbruststück, was alles eins war, starrten den Sittlichkeitsverbrecher gnadenlos an. Die Mundwerkzeuge klapperten. Eine klare, zähe Flüssigkeit tropfte von ihnen herab. Uma hatte keine Spinnenbeine, sondern ihre menschlichen Arme behalten. Der Sittlichkeitsverbrecher erlitt den Schock seines Lebens. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Statt einer angstzitternden jungen Frau, über die er brutal herfallen wollte, hatte er ein Monster im Auto. Da war er, wie man so schön sagte, an die falsche Adresse geraten. »Bitte«, winselte er. »Wir können doch darüber reden. Ich habe nur Spaß gemacht. Ich fahre dich auch sofort zurück. Wohin du willst. Du kannst mein Geld haben, das Auto, alles, was du nur willst. Aber laß mich leben!« »Wen hast du jemals verschont?« fragte die Spinnenfrau mit ihrer menschlichen Stimme. »Heute ist ein großer Tag für dich. Dein unnützes Leben erfüllt heute nämlich einen besonderen Zweck. - Du wirst meiner Spinnenbrut und mir als Nahrung dienen. Meine sechsunddreißig Kinderchen brauchen viel Energie.«
Ich träume, dachte der Sittenstrolch. Das ist eine Halluzination. Das kann einfach nicht wahr sein! Normalerweise zitterten die Frauen vor ihm. Jetzt zitterte er. Vergeblich versuchte er, die Fahrertür zu öffnen und sich aus dem Auto fallen zu lassen. Die Spinnenfrau war schneller. Sie packte ihn und riß ihn zurück. In ihren Händen steckte eine ungeheure, dämonische Kraft. Der Sittlichkeitsverbrecher stach mit dem Mut der Verzweiflung nach der Spinnenfrau. Er verletzte sie am Oberarm. Sie gab keinen Laut von sich, zuckte nicht mal mit der Wimper. Statt dessen verdrehte sie dem Mann den Arm, als ob er ein kleines Kind wäre. Das Messer fiel auf den Boden. Dann hing der vor Entsetzen brüllende Sittlichkeitsverbrecher im Griff der Spinnenfrau. Er strampelte, er sträubte sich, brüllte um Hilfe und bäumte sich auf. Alles umsonst. Die Spinnenfrau war stärker. Sie hielt ihr Opfer fest. Ihre Mundwerkzeuge näherten sich dem Hals des Mannes. Die Kieferfühler waren durchbohrt und enthielten die Giftdrüsen. Je nach Konzentration und Menge konnte das Gift der Spinnenfrau entweder lähmend oder tödlich
sein. Der Sittlichkeitsverbrecher starb fast vor Angst. Die Mundwerkzeuge der Spinnenfrau bissen zu. Norbert Kannenmacher, so hieß der Sittlichkeitsverbrecher, spürte einen brennenden Schmerz, als die Kieferfühler genannten Beißwerkzeuge der Spinnenfrau in seinen Hals drangen. Kannenmacher merkte, wie etwas Fremdes in seinen Blutkreislauf gelangte. Die Spinnenfrau pumpte ihm genug Spinnengift in den Körper, um einen Büffel zu lähmen. Danach bewegte sie ihre Hände und wedelte mit den Fingern in der Luft. Kannenmacher stöhnte nur noch. »Mein Herz, ach, mein Herz! Ich halte diese Aufregungen nicht mehr länger aus. - Verschonen Sie mich! Bitte, lassen Sie mich! Ich bekomme sonst einen Herzschlag.« Die Spinnenfrau beachtete Kannenmachers Gewimmer nicht. Aus ihren Fingern quollen fingerdicke Spinnfäden. Die Spinnenfrau fesselte den Gelähmten, bei dem jetzt sogar die Zunge den Dienst versagte. Die Spinnenfrau stieg aus dem Auto. Mit unglaublicher Kraft zerrte sie Kannenmacher heraus, lud ihn sich auf den Rücken und trug ihn zum Kofferraum. Dann öffnete sie den Kofferraum und verstaute den kräftigen Mann darin. Kannenmacher konnte nicht mal mehr lallen. Er war aber bei Bewußtsein und bekam alles mit, was mit ihm geschah. Man sah es an seinen Augen, in denen das blanke Entsetzen stand. Der Kofferraumdeckel klappte zu. Die Spinnenfrau verwandelte sich wieder zurück. Das Kopfbruststück mit den vier Augenpaaren und den Kieferzangen verschwand. Statt dessen war wieder das rassige, aparte Frauengesicht zu sehen, das alle Männer entzückte. Die Spinnenfrau setzte sich ans Steuer des Opel Corsa und ließ den Motor an. Sie fuhr sicher und gekonnt Richtung Bad Berka. Hinter dem Städtchen bog sie ins Ilmtal ab, wo sich in der Nähe vom Dreiteichsgrund ein Bauerngehöft befand. Es war kurz nach sieben Uhr. Uma Araneae alias Uma Netzer alias Uta Noack hatte nicht lange gebraucht, um ihr Opfer einzuspinnen. Sie fuhr vor das ziemlich vergammelte Bauernhaus. Ein Traktor und ein Anhänger standen auf dem Hof. Hühner liefen umher. Der Hahn stand stolz auf dem Misthaufen und krähte. Im Stall muhte dumpf eine Kuh. Der Kettenhund kläffte das Auto an. Uma hupte, und ein großer, breitschultriger Mann in groben Cordhosen, Gummistiefeln und Joppe kam aus dem Haus. Das war der Bauer Andreas
Wühlke. Er war schon seit fünf Uhr früh auf den Beinen. Sonst eher ein grober, unwirscher Zeitgenosse, duckte er sich kriecherisch, als Uma ausstieg. »Was kann ich für Euch tun, Herrin?« »Ist hier alles in Ordnung? Gibt es besondere Vorkommnisse?« »Nein, Herrin.« »Gut.« Uma erteilte dem kahlköpfigen Bauern, der ein Dämonenknecht war, ein paar Verhaltensmaßregeln. Wühlke nickte. Er sah zu, wie Uma den Kofferraum öffnete und den mit Spinnenfäden gefesselten Mann heraushob. Als er ihr helfen wollte, winkte sie ab. Die Spinnenfrau trug den gefesselten Sittlichkeitsverbrecher zum Hofbrunnen, der eine runde Umrandung hatte, ein von Balken getragenes Dach aufwies und an dem noch eine altertümliche Zugvorrichtung mit einem Eimer angebracht war. Der Wühlke-Hof war zwar längst ans öffentliche Wasserversorgungsnetz angeschlossen, der Hofbrunnen war aber noch intakt. Uma warf Kannenmacher in den Brunnenschacht. So schnell ging das, daß er nicht mal aufschreien konnte. Sein Körper klatschte ins Wasser, und er meinte, er würde ertrinken. Doch dann war plötzlich kein Wasser mehr da. Kannenmacher hatte eine Wassersäule von zwei Metern Dicke durchstoßen, die sich auf magische Weise im Brunnenschacht staute. Der kräftige Mann im Anzug landete auf einem Haufen Streu. Vom Fall schmerzten ihm die Glieder, und er war kurze Zeit benommen. Er hatte sich jedoch nichts gebrochen. Ihm stand etwas ganz anderes und weit Schlimmeres bevor.
* Ich hatte mich kaum ins Bett gelegt, das noch nach Umas Parfüm und nach heißer Liebe roch, als das Telefon klingelte. Verschlafen tastete ich nach dem Störenfried und wollte ihn zuerst abstellen. Dann sagte ich mir, daß es etwas Wichtiges sein konnte, und meldete mich. »Hrm hm. lo.« »Bist du das, der so verschlafen klingt, Mark?« fragte mich Tessa. »Mit wem hast du dir wieder die Nacht um die Ohren geschlagen?« »Was willst du?« fragte ich sachlich. »Zu mir kommen?« Sie hatte
Nachtdienst gehabt. »Ich hatte letzte Nacht sehr anstrengende Recherchen und muß dringend schlafen.« Sonst freute ich mich über Tessas Besuche. Doch heute nicht. Uma hatte mich regelrecht ausgelaugt. Sie war anders als alle Frauen, die ich bisher kennengelernt hatte. Unersättlich, dämonisch. Sie war mir bei all ihren überwältigenden Reizen nicht geheuer. Ich fragte mich, ob ich nicht einen gewaltigen Fehler begangen hatte, als ich mich mit ihr einließ. »Wie waren denn die Recherchen?« fragte Tessa. »Schwarzhaarig, rassig und langbeinig? Äußerst sexy?« Bevor sie in ihrer Eifersucht, von der sie immer behauptete, daß sie nicht existierte, weiter nachhaken konnte, nahm ihr jemand den Hörer aus der Hand. »Kripo Weimar, Langenbach«, sagte eine vertraute Stimme. »Mark, kannst du mal sofort ins Leichenschauhaus kommen? - In den HufelandKliniken, ja. Mit Karl-Michael Vogts Leiche ist etwas nicht in Ordnung, Tessa und ich sind schon da.« Ich war sofort hellwach. Die Spannung ließ jede Müdigkeit von mir abfallen. »Was ist los mit der Leiche?« fragte ich. »Das wirst du gleich selbst sehen. Sie hat eine Körpertemperatur von achtzig Grad angenommen, Temperatur steigend. Und etwas bewegt sich in ihr.« Da war ich noch wacher. Ich sagte Pit Langenbach, daß ich schon unterwegs sei, fuhr in meine Kleider, dann mit den Fingern durchs Haar und steckte meine SIG Sauer, das Rangermesser, einen Holzpflock sowie ein handtellergroßes Kreuz in meine Jeansjacke. Die Klettverschlüsse der Turnschuhe schnappten zu. Den magischen Ring hatte ich sowieso am Finger. Ich rannte aus dem Haus, sprang in meinen BMW und fuhr durch das morgendliche Weimar. Es war Sonnabend, kurz nach acht Uhr. Das Handy lag neben mir auf dem Beifahrersitz. Doch es gingen keine weiteren Meldungen ein. Ich stellte den BMW auf den Parkplatz der HufelandKliniken gegenüber vom Landesverwaltungsamt ab und spurtete um das Gebäude herum. Wo sich die Pathologie befand, zu der auch das Leichenschauhaus und eine Pathologie gehörten, wußte ich. Ich lief gleich in den Keller. Die Pathologie bestand aus zwei Räumen, rechts neben dem Leichenschauhaus im Keller. Zwei uniformierte Polizisten, der eine mit einem Walkie-talkie in
der Hand, standen im Korridor vor der Leichenschauhaus. Sie kannten mich. »Der Chef erwartet Sie schon«, sagte der eine Polizist. »Gehen Sie durch den Raum rechts.« Ich dankte ihm kurz und riß die mit einer Gummimanschette versehene schwere Tür auf. Im Leichenschauhaus war der Boden gefliest. Rechts und links an der Wand befanden sich die Kühlfächer für die Leichen. In der Mitte des Raums waren eine flache Wanne mit Schläuchen für Formaldehyd und andere Konservierungsflüssigkeiten sowie zum Waschen der Leichen. Besonders Verkehrsopfer wurden hier manchmal in einem schrecklichen Zustand hereingebracht. Das erforderte bei allen Beschäftigten starke Nerven. Das menschliche Leben konnte grausam enden, und der menschliche Körper war weder unzerreißbar noch unzerstörbar. Ich lief nach links zur Pathologie. Gerade hatte ich den Türgriff in der Hand, als ich einen gräßlichen Schrei hörte. Er ging mir durch Mark und Bein.
* Uma Araneae ahnte nicht, daß es einen Zeugen gegeben hatte, als sie im Auto mit Kannenmacher kämpfte. Dabei handelte es sich um Klaus Hoffmann von der guten alten Gilde der Landstreicher. Schon in sozialistischen Zeiten war der von einem Wandertrieb erfaßte, jetzt fünfzigjährige Hoffmann ein Ärgernis gewesen. Umerziehungen, Zwangseinsätze bei der Ernte, fast geschlossenen Unterbringungen in LPGs, sogar ein kurzfristiger Aufenthalt im berüchtigten Zuchthaus Bautzen, nichts hatte bei ihm gefruchtet. Er war immer wieder auf die Wanderschaft gegangen, hatte die ganze DDR durchstreift und war mitunter sogar in die sozialistischen Bruderländer Polen und Tschechoslowakei abgeschweift. Hoffmann schlief gern unter freiem Himmel. Wenn er Geld brauchte, half er bei Bauern aus oder bettelte. Er schleppte sein ganzes Hab und Gut in einem Camper-Rucksack mit sich und hatte zudem eine zusammengerollte Unterlage sowie einen Schlafsack. Mehr brauchte er nicht. Weimar gehörte zu seinen bevorzugten Stätten. Nicht wegen Goethe und Schiller, sondern weil er gern im Park an der Ilm oder unter der Kegelbrücke schlief und in
Weimar und Umgebung mehrere mitleidige Pastoren kannte. Am vergangenen Abend hatte er in Bad Berka den letzten Bus verpaßt, weil die Unterhaltung an einem Kiosk mit Ausschank gar zu interessant gewesen war. Er war also gelaufen. Per Anhalter fahren zu wollen, hatte er aufgegeben. Das Vorurteil der Autofahrer, daß Nichtseßhafte stanken und man bei ihnen Ungeziefer vermuten müßte, war unausrottbar. Unterwegs hatte ihn die Müdigkeit überwältigt, und so hatte er sich im Feld ein ihm zusagendes Plätzchen gesucht. Am Morgen weckte ihn ein auf den Feldweg fahrendes Auto. Hoffmann setzte sich im Schlafsack auf und lugte „hinterm Busch hervor. Er sah einen Mann und eine Frau in einem blauen Opel Corsa mit einem Geraer Autokennzeichen. Zu dieser frühen Stunde rechnete Hoffmann, der sich gelegentlich als Spanner betätigte, nicht mit einem Liebespaar. Doch er wollte sich überraschen lassen. Die Frau war bildschön. Der Mann schien etwas von ihr zu wollen. Plötzlich hielt er ein Messer in der Hand, bedrohte die Frau und griff ihr an die Brust. Hoffmann zögerte. Er überlegte noch, ob er eingreifen sollte. Er war zwar asozial in dem Sinn, daß er sich in keine Gesellschaftsordnung einfügen konnte, doch ein Krimineller war er nicht. Er hätte der Frau gern geholfen, hatte jedoch schlichtweg Angst, einen Messerstich abzubekommen, wenn er sich mit dem rasenden Täter anlegte. Während er noch überlegte, wie er sich verhalten sollte, verwandelte sich die Frau in ein Monster! Plötzlich hatte sie das Kopfbruststück einer Riesenspinne. Hoffmann glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Er fragte sich, ob er Wahnvorstellungen hatte. Hatte er vielleicht zuviel billigen Rotwein getrunken, den Latscha-Diesel, wie ihn die Penner und Landstreicher nostalgisch nannten? Hoffmann trank gern, er schluckte drei Flaschen am Tag weg und konnte seine Kilometerstrecken in Rotweinliterverbrauch umrechnen. Vielleicht wirkt sich ja der jahrelange Alkoholmißbrauch in meinem Gehirn aus, dachte er. Er kniff sich in den Arm und schüttelte heftig den Kopf. Das Schreckensbild blieb. Er beobachtete zu seiner Freude, daß sich die Spinnenfrau sehr gut selber helfen konnte. Man hätte den Autofahrer vor ihr schützen müssen, nicht umgekehrt. Schaudernd sah er, wie die Spinnenfrau ihren Gegner überwältigte, biß und dann einspann. Hoffmann stellten sich die verfilzten Haare zu Berge. Die Spinnenfrau verstaute ihr Opfer im Kofferraum und fuhr weg. Sie hatte
den Landstreicher nicht bemerkt. Er war tief erschüttert. Es grauste ihn bis ins Innerste seiner Seele, und er bekreuzigte sich ein ums andere Mal und murmelte alle Gebete, die ihm einfielen. Dann setzte er sich zuerst einmal die Rotweinflasche an den Hals und überlegte, was er nun tun sollte. Am einfachsten wäre es gewesen, über diesen Vorfall zu schweigen. Oder allenfalls in seinen Kreisen von seinem Erlebnis zu erzählen. Doch das widerstrebte Hoffmann. Er fühlte sich aufgerufen, zur Polizei zu gehen und den Vorfall anzuzeigen. Schließlich war ein Mensch von einem Ungeheuer entführt worden. Daß es sich bei dem Autofahrer um einen Sittlichkeitsverbrecher handelte, wußte Hoffmann nicht. Er grübelte noch eine Weile, stärkte sich dann mit einem tiefen Schluck und packte sein Bündel. Er marschierte zur Landstraße. Dort hob er den Daumen, als sich ein Bus näherte, und er hatte tatsächlich Glück. Der Busfahrer hielt. Hoffmann zeigte den Freifahrtschein von der Landessozialbehörde, Abteilung Nichtseßhafte, und nahm Platz. Kurz darauf betrat er ein Weimarer Polizeirevier und meldete diensthabenden Beamten, er sei Zeuge einer Straftat geworden. Der Polizist musterte den bärtigen Landstreicher skeptisch. Er fragte ihn kurz, worum es sich handelte, und entschied, die Anzeige entgegenzunehmen. Hoffmann mußte sich auf die Bank an der Wand setzen. Nach einer Weile erschien ein Polizeihauptmeister im mittleren Alter und sagte jovial: »Dann wollen wir mal.« Er führte Hoffmann in ein Zimmer, in dem eine alte Schreibmaschine auf dem Tisch stand. Der Landstreicher wollte gleich heraussprudeln, was er gesehen hatte. Der Beamte forderte von ihm jedoch zunächst einmal die Personalien, »Also«, sagte er dann, »was haben Sie gesehen? Wann und wo? Und wer war beteiligt?« »Die Spinnenfrau!« rief Hoffmann erregt. »Und der Mann im Auto. Ich bin von Bad Berka aus durch den Wald herübergewandert. Dann habe ich mir ein Stück hinter der Funkstation eine Platte gesucht. Dann ist es geschehen.« Hoffmann schilderte, was er beobachtet hatte. Der Beamte beobachtete ihn scharf. Er ließ Hoffmann ausreden. Dann ging er hinaus, um zu telefonieren. Nach kurzer Zeit kehrte er wieder zurück. Er forderte Hoffmann auf, aufzustehen und ihm zu folgen. »Wohin soll es denn gehen?« fragte der Landstreicher, Böses ahnend.
»Sie müssen meiner Anzeige nachgehen. Sie müssen den Mann retten. Die schwarzhaarige Frau kann sich zur Hälfte in eine Spinne und wieder zurückverwandeln. Sie wird diesen Mann umbringen.« »Jaja, schon gut. Bleiben Sie ruhig. Wir bringen Sie zu einem Spezialisten für solche Fälle. Wie sie sich wohl selbst denken können, ist die Schutzpolizei für solche Sachen nicht eingerichtet. Da müssen wir jemanden hinzuziehen. - Regen Sie sich nicht auf, es geht alles seinen Gang.« Der Polizeihauptmeister und ein weiterer Polizist führten Hoffmann in den Hof des Reviers, wo mehrere Streifenwagen parkten. Sie verfrachteten ihn in den einen. Hoffmann saß auf dem Rücksitz, sein Gepäck neben sich. Die beiden Beamten stiegen vorne ein. Sie unterhielten sich munter über eine Dienstjubiläumsfeier, die neulich stattgefunden hatte. Dabei schien es recht amüsant zugegangen zu sein. Die Beamten fuhren Hoffmann im Streifenwagen weg. Er überlegte sich schon, ob sie ihn vielleicht über die Landesgrenze schaffen wollten. Um sich nicht mit ihm herumärgern zu müssen. Es war ihm schon mehrmals passiert, daß er abgeschoben wurde. Die Beamten blieben jedoch in Weimar. Sie stoppten vor einem Gebäude mit großer gläserner Eingangstür. »Psychiatrisches Krankenhaus« stand über dem Eingang. Die Polizisten hielten am Parkplatz für die Ambulanz und nötigten den Landstreicher auszusteigen. Widerwillig nahm er seinen Rucksack. Erst draußen sah er, wo er hingebracht worden war. »He, was soll ich denn hier?« fragte er. »Das ist ja die Klapsmühle. Ich bin nicht verrückt. Es stimmt alles, was ich euch gesagt habe. Ihr müßt die Spinnenfrau finden, bevor ein Unglück geschieht!« »In unserer Ausnüchterungszelle hatten wir schon welche, die weiße Mäuse und Spinnen sahen«, erklärte der eine Polizist dem anderen. »Bei einem sind Kindergesichter aus der Steckdose gekommen. Aber eine Frau, die sich halb in eine Spinne verwandelte, hat noch keiner gesehen.« Die Beamten meldeten Hoffmann bei der Rezeption an. Die Ärztin vom Dienst erschien. Sie hörte sich die Schilderung der Beamten an. Im Aufnahmezimmer, während die Beamten noch warteten, sprach sie mit dem inzwischen völlig aufgelösten Hoffmann. Nach fünf Minuten kam sie wieder heraus. »Dementia senilis«, sagte sie zu den Beamten. »Alterswahnsinn, ausgelöst durch den Langzeitsuff. Der Mann ist hochgradig verwirrt und gefährdet sich und andere. Wir behalten ihn hier. Er kommt in die geschlossene Abteilung. Ich schreibe die Einweisung, die Sie
gegenzeichnen müssen, damit alles seine Ordnung hat. Der Amtsarzt wird den Patienten später untersuchen. Sie können gehen. Hier ist Hoffmann gut untergebracht.« Kurz darauf verließen die Beamten das Psychiatrische Krankenhaus. Hoffmann wurde bereits auf Station gebracht. Zwei kräftige Pfleger begleiteten ihn. An den Mord im Hotel »Elephant« und die Spinnennetze, die am Tatort gefunden worden, dachte keiner der zwei Beamten. Vielleicht waren sie auch nicht informiert. Der Polizeihauptmeister schrieb später bei Dienstschluß ins Berichtsbuch: Hoffmann, Klaus, 50, ohne Wohnsitz. Erschien 9.45 Uhr, um Anzeige wegen sich in Spinne verwandelnder Frau zu erstatten. 10.25 Uhr ins PKH eingeliefert. PKH war der Kürzel für Psychiatrisches Krankenhaus. Hoffmann dämmerte um diese Zeit bereits, von Tranquilizern ruhiggestellt, vor sich hin. Niemand ahnte zu der Zeit, daß er dem Mordfall Vogt eine dramatische Wende hätte geben können.
* Ich riß die Tür der Pathologie auf und wollte meinen Augen nicht trauen. Die ausgezehrte Leiche des Geschäftemachers Vogt hatte mit einer Hand einen weißhaarigen Pathologieprofessor bei der Kehle gepackt! Mein Ring leuchtete und schickte ein heftiges Prickeln in meinen Finger. Pit Langenbach, Tessa Hayden und zwei weitere Männer sowie eine Frau standen im Pathologiezimmer. Die Leiche lag auf dem wannenartig geformten Seziertisch. Ihr Unterkörper war mit einem Plastiklaken zugedeckt. Der Pathologieprofessor, der mir dem Namen nach bekannt war, hatte geschrien. Sein Schrei erstarb jetzt in einem Gurgeln. Ich sprang hinzu und versuchte, gemeinsam mit Pit Langenbach die mörderische Würgehand von seiner Kehle zu reißen. Sie saß jedoch stählern fest und hatte sich wie eine Klaue in die Gurgel gegraben. Die Leiche würde den Professor Dr. Dr. Göttschke umbringen, wenn wir nicht schleunigst einschritten. Ich versuchte es mit dem Kreuz, das ich gegen die Krallenhand und die Leiche preßte. »Apanage, Dämon!« schrie ich dazu.
Als das nichts nutzte, preßte ich den leuchtenden Ring gegen die Hand. Es zischte. Dampf stieg auf. Das war jedoch das einzige Ergebnis. Bei der Gelegenheit merkte ich, daß die Haut der Leiche so heiß war, daß ich mich daran verbrannte. Der Tote oder vielmehr Untote zuckte. Unter seiner Haut bewegte sich etwas. Es kribbelte in seinen Adern, als ob kleine Tiere darin gewesen wären. Der Professor hatte dem Ermordeten bereits den Leib aufgeschnitten und Organe entnommen. Die Wunde sah gräßlich aus. Klammern hielten die Ränder zurück. Sogar der Brustkorb war aufgestanzt oder -gesägt worden. In der Operationswunde sah ich nichts Ungewöhnliches. Trotzdem waren die Bewegungen unter der Haut des Leichnams da. Ich blies mir auf die Hand, die Brandblasen aufwies. Der Professor röchelte. Höchstens eine halbe Minute hielt er noch durch. Eine makabre Schlagzeile schoß mir durch den Kopf: Pathologieprofessor von Leiche erwürgt. Das galt es unbedingt zu verhindern. Als letzten Ausweg, die anderen schrien ratlos durcheinander, riß ich mein Rangermesser unter der Jeansjacke hervor. Entschlossen schnitt und hackte ich die klauenartige, heiße Leichenhand ab. Als sie den Kontakt mit dem Körper verlor, sank Professor Göttschke zu Boden und wälzte sich röchelnd. Pit Langenbach und ich bogen die Finger der Hand, die noch immer in seine Kehle verkrallt war, nacheinander auf. Dabei verbrannten wir uns die Finger. Aber es gelang uns, das Leben des Pathologieprofessors zu retten. Schlaff lag die Hand dann am Boden. Plötzlich schrie Tessa: »Da, seht!« Zischend quoll roter Dampf aus dem Armstumpf der Leiche. Außerdem krabbelten kleine rote Spinnen hervor, die sehr heiß zu sein schienen. Sie verbrannten und versengten das Plastiklaken und alles Brennbare, das sie berührten. Immer mehr wurden es. Hunderte, ja, Tausende von den fliegengroßen Spinnen waren in Vogts Leiche entstanden. Sie schwärmten aus, blutrot und heiß wie glühende Kohle. Das stellte ich fest, als mir eine Spinne über den Turnschuh ins Hosenbein krabbelte. Sie brannte ganz höllisch. Fluchend schlug ich auf die schmerzende Stelle. Das Biest ließ sich nicht zerquetschen. Ich krempelte das Hosenbein hoch, streifte sie mit dem Messer von der Brandwunde, die sie hinterlassen hatte, und trampelte auf ihr und anderen Dämonenspinnen herum.
Sie waren kristallhart. Wenn man mit aller Wucht darauf trat, brachen die Beine ab. Aber das unnatürliche Leben verließ die winzigen Spinnen nicht. Schließlich holte ich mir ein Glas Wasser und goß es auf mehrere Spinnen von der krabbelnden Schar, die sich überall verteilte. Es zischte. Wenn die Spinnen abgekühlt wurden, starben sie. »Holt Wasser, Eis, Trockeneis!« rief ich. »Vernichtet die Biester!« Ächzend saß der Pathologieprofessor Göttschke in der Ecke. Am Hals hatte er Brandblasen, und er röchelte nach Luft. Sein Gesicht war rot angelaufen. Die Obduktion würde er nie vergessen. Alle Anwesenden führten sich auf wie beim Veitstanz! Jedem von ihnen, auch mir, krochen welche von den glühenden Spinnen am Körper herum. Unsere Kleider fingen zu brennen an. Die kleinen Biester waren geradezu unerträglich. Wenn sie einem in die Nase, den Mund oder die Ohren hineinkrochen, konnten sie einen sogar umbringen. Wir streiften die brennenden, glimmenden Kleider ab, soweit das noch schicklich war. Wir duschten uns gegenseitig mit Wasser und setzten zwei Feuerlöscher ein, um der Spinnenplage Herr zu werden. Nur noch vereinzelte Tierchen krabbelten aus der Leiche. Der Rest aber war überall. Weshalb die glühenden roten Spinnen die Leiche nicht verbrannt hatten, war nur durch Magie zu erklären. Die Spinnen krabbelten in den Abfluß, in die Lüftungsschächte der Klimaanlage, in den Abfallbehälter, der in Flammen aufging, in Schränke hinein und unter der Tür hindurch. Zweifellos würden sie Brände und Schäden verursachen. Wir erledigten so viele, wie wir konnten, mit Wasser und Feuerlöschschaum. Zwei Pathologieangestellte, die hinausgerannt waren, schafften Trockeneis herbei, das wir auf die Biester warfen. Es zischte, wenn die kleinen Monster damit in Berührung kamen. Im selben Augenblick waren sie hinüber. Ein Polizist, der vor dem Leichenschauhaus gestanden hatte, erschien und zog einen Hochdruckschlauch hinter sich her, der an die Löschwasserleitung angeschlossen war. Pit Langenbach sprang hinzu und drehte den Verschluß auf. »Wasser marsch!« rief er triumphierend mit rauchenden Kleidern, soweit er sie noch am Leib trug. Jetzt hatten die glühend heißen Spinnchen nichts mehr zu bestellen. Wir spritzen sie tot, löschten sie ab, richteten den Hochdruckschlauch sogar in die Lüftungsschächte. Das Wasser schwemmte umher und stand uns bald
bis zu den Knöcheln. Mit mehreren Atü Druck spritzte Pit alles ab. Die glühenden Spinnlein starben rauchend und zischend. Doch etliche von ihnen waren schon zu weit entfernt, um noch von dem Wasser erwischt zu werden. Das ging uns auf, als in der Klinik Feueralarm ausgelöst wurde. An mehreren Stellen entstanden Brände. Versorgungssysteme fielen aus, weil die Glutspinnen Kabel durchgeschmort oder Kabelbrände verursacht hatten. Es dauerte Stunden, bis die Feuerwehr alles unter Kontrolle hatte. Der Sachschaden ging in die Millionen. In der »Inneren« fiel die Ultraschallwanne zur Auflösung von Nieren-, Gallen- und Blasensteinen aus, anderswo Röntgengeräte und sogar ein Computertomograph. Glutspinnen waren durch die Klimaanlage in die jeweiligen Abteilungen gelangt und hatten Versorgungsleitungen zerstört. Im OP-Raum der Unfallchirurgie krabbelten während einer Operation drei Glutspinnen aus dem Gitter der Klimaanlage und versetzten das Operationsteam in einen Todesschrecken, als eine Glutspinne von der Decke fiel, fast in die offene Operationswunde hinein. Ein beherzter Chirurg packte das kleine Unwesen, ungeachtet dessen, daß er sich Brandwunden an den Fingern holte. Er hielt es unter die Wasserleitung, wo es aufzischend verging. Die beiden anderen Spinnen ereilte ihr Schicksal durch Chemikaliengüsse. Die Operation, bei der einem Verunglückten ein künstliches Kniegelenk eingesetzt wurde, konnte fortgesetzt werden. In der Pathologie stand ich währenddessen vor der Leiche des WessiFinanzhais Vogt und erlebte ein weiteres Phänomen. Sie schrumpfte nämlich zusammen. Ich hatte gehört, daß im Krieg bei den Bombardierungen Opfer von Phosphorbomben geborgen wurden, die durch die ungeheure Hitze nur noch die halbe Größe hatten. Hier war es jedoch noch schlimmer. Vogts Leiche schrumpfte, ohne daß es jemand verhindern konnte, bis auf Säuglingsgröße zusammen. Sie hätte ohne weiteres in einen Handkoffer gepaßt. Kaum hatten wir das erlebt, als Langenbachs Handy klingelte. Er meldete sich. Das Forschungslabor der Hufeland-Kliniken war am Apparat. »Professor Dürremeyer«, hörte er eine Stimme. »Wir haben auf Ihr Geheiß hin welche von den toten Glutspinnen genauestens untersucht. Ich kann Ihnen versichern, daß diese Spinnentiere nicht irdischen Ursprungs sind. Sie bestehen aus Substanzen, die auf der Erde nicht vorkommen.« »Können Sie analysieren oder haben Sie eine Vermutung, was für
Substanzen das sind oder woher diese Spinnen stammen?« »Wir können uns mit der NASA und anderen Forschungsstellen in Verbindung setzen. Vielleicht kommen welche von den Substanzen, die wir bei den Glutspinnen vorfinden, in Meteoriten oder in Mondgestein vor. Auch die Proben, die Forschungsraketen zum Mars und der Venus zurückbrachten, könnten in Erwägung gezogen werden. Doch was nutzt Ihnen das? Vermuten Sie eine außerirdische Invasion?« »Nein«, antwortete Langenbach, der sich umgezogen hatte, erschöpft. »Aber irgendwo müssen wir schließlich mal anfangen mit den Ermittlungen und mit einer Abklärung.« Ich sagte: »Das kann ich dir verraten, woher diese Biester sind, Pit. Nämlich aus der Hölle. Das sind Höllenspinnen dämonischen Ursprungs. Die Spinnenfrau hat in Vogts Leiche ihre Brut hinterlassen.« Alle sechs Anwesenden starrten mich an. Schon wieder ging irgendwo auf dem Klinikgelände ein Feueralarm los. Wären nicht die Sprinkleranlagen gewesen, hätte es wegen der Feuerspinnen leicht zu einer Katastrophe kommen können. So hatten wir uns mit Kabelbränden und anderem herumzuschlagen. Feuerwehrleute, teils mit Asbestanzügen und Atemschutzgeräten, Löschtrupps und Spezialisten des Technischen Hilfswerks waren im Einsatz. Natürlich erregten die Brände Aufsehen. Reporter erschienen vor Ort. Zwei Fernsehteams reisten zur Berichterstattung an. In der Folgezeit wurde über die Brandursachen eine Menge gemutmaßt und an die Öffentlichkeit gebracht. Der Kreis der Eingeweihten schwieg jedoch streng. Die Öffentlichkeit sollte nichts von dem Höllenspuk erfahren. Die Wahrheit war viel phantastischer als jede Vermutung. Die Spinnenfrau, soviel war mir am späten Nachmittag klar, als ich mal kurz zu meinen Eltern fuhr, hatte uns einen höllischen Streich gespielt. Ich wollte an dem Tag noch einmal zu den Hufeland-Kliniken.
* Norbert Kannenmacher war auf dem Streuhaufen gelandet. Der mit Spinnenfäden gefesselte Sittlichkeitsverbrecher spürte alle Knochen von dem Fall in den tiefen Brunnen. Sein Kopf schmerzte und brummte. Aber die Angst und das Grauen zwangen ihn, die Benommenheit abzuschütteln und sich umzusehen. Er befand sich in einer großen, düsteren Höhle, deren
Ausmaße er nicht erkennen konnte. Seine Augen brauchten eine Weile, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Dann sah er, daß sich Spinnennetze an mehreren Stellen der Höhle, die zahlreiche Ausläufer hatte, spannten. In den Netzen hingen und am Boden lagen Totenschädel und Knochen. Kannenmacher erschrak furchtbar, denn er meinte, sie würden von Opfern der Spinnenfrau und anderer Spinnenmonster herrühren. Er wußte nicht, daß die Gebeine vom Weimarer Friedhof und anderen Friedhöfen der Umgebung stammten. Uma und Mephisto hatten sie als Spielzeuge für ihre Brut mitgebracht. Ein paar Grabsteine waren in der Höhle aufgestellt. Es handelte sich hier um die Kinderstube der Abkömmlinge Mephistos mit der Spinnenfrau. Die Spinnennetze waren ihre Turn- und Übungsgeräte. Hauptsächlich Uma versorgte die Brut. Mephisto kümmerte sich kaum. Nach einer Weile bemerkte Kannenmacher Bewegungen in der großen Höhle. Langbeinige Wesen huschten näher. Der gefesselte Mann konnte seine Zunge wieder bewegen, seine Stimmbänder waren nicht mehr gelähmt. Er schrie vor Entsetzen, als er sah, was da von allen Seiten herankrabbelte. Spinnen mit fußballgroßen Körpern und meterlangen Beinen waren es. Ihre vier Augenpaare glühten im Dämmerlicht rot und gelb. Ihre Mundwerkzeuge klapperten. Ein paar von den Biestern hatten sogar Körper so groß wie Schäferhunde. Der Gefesselte wurde fast wahnsinnig vor Entsetzen, als er begriff, welches Schicksal die Spinnenfrau ihm zugedacht hatte. Er sollte ihrem Nachwuchs als Nahrung dienen. Anders konnte es nicht sein. Dutzende Monsterspinnen umringten den Gefesselten. Sie gaben zirpende Laute von sich, wie um sich zu verständigen, wer bei der grauenvollen Mahlzeit den Vortritt hatte. Rasend schnell stürzten dann Spinnen vor. Kannenmacher brüllte, als ihre Kiefer mit der Saugvorrichtung in seinen Körper drangen. Immer mehr bissen ihn. Norbert Kannenmacher erlitt mehr Qualen, Ängste und Entsetzen als die unglücklichen Frauen und Mädchen, an denen er sich bisher vergangen hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihn ein gnädiger Tod erlöste.
* Am Abend dieses ereignisreichen Tages saß ich mit Pit Langenbach,
Tessa Hayden und anderen Mitgliedern der Sonderkommission Vogt im Polizeipräsidium. Wir hielten eine Einsatzbesprechung in Sachen Spinnenfrau, Mordsache Vogt und der Vorfälle in den Hufeland-Kliniken. Wenigstens brachen dort jetzt keine Brände mehr aus. Es wurde aber weiter Feuerwache gehalten. Wir mußten damit rechnen, daß welche von den Feuerspinnen überlebt hatten und noch irgendwo herumkrabbelten. Ich hatte eine unterm Trockeneis erstarrte kleine Spinne in einem Plastikbeutel mitgenommen. Weil von der Sonderkommission niemandem etwas einfiel, was man zur Aufklärung des Falls und zur Festnahme der Spinnenfrau Spezielles unternehmen könnte, ging ich aus dem Konferenzraum in Pits Büro. Dort führte ich einen Test durch. Ich berührte mit meinem magischen Ring die kleine erstarrte Spinne. Tatsächlich fluoreszierte der Ring. Er war aktiviert. Jetzt konnte ich, wie ich gleich feststellte, einen Lichtstrahl aussenden, mit dem es mir möglich war, Runen auf den Tisch zu schreiben. Damit waren die Möglichkeiten, die ich mit dem Ring hatte, wesentlich erweitert. Ich brauchte nicht auf eine dämonische Aktivität oder einen Dämon zu warten, um meinen Ring zielgerecht einsetzen zu können. Ich beschloß, die Spinne zu behalten. Damit sie nicht beschädigt wurde und dadurch vielleicht ihre Kraft verlor, wollte ich sie in Acrylharz eingießen lassen. Das war auch günstiger, um sie aufzubewahren. Zunächst steckte ich das kleine rote Spinnentierchen wieder in den Klarsichtbeutel und gab diesen in meine Jackentasche. Die Brandwunden an meinen Körper schmerzten. Es handelte sich jedoch nur um kleinere Verbrennungen, für die Brandsalbe ausreichte. Nachdem mein Experiment beendet war, kehrte ich ins Konferenzzimmer zurück. Dort war man noch immer zu keinem Ergebnis gelangt. Resigniert beendete Pit Langenbach die Sitzung und schickte seine Beamten weg. Ich sagte ihm, was ich herausgefunden hatte. Er ließ sich die Spinne zeigen. »Gute Idee«, sagte er. »Die Spinnenfrau ist nicht zu fassen? - Weißt du einen Rat? - Was sollen wir jetzt machen?« »Ein dummes Gesicht und einen guten Eindruck, sagte mein Vater immer.« »Du immer mit deinen dummen Sprüchen. - Also im Ernst, was fangen wir an? Der Bürgermeister, der Landrat und andere sitzen mir im Genick. Sie wollen Ergebnisse sehen. Weimars Ruf als Kulturstadt steht auf dem Spiel. Wenn hier weiter solche Sachen passieren, wird uns bald keiner mehr aufsuchen wollen.« »Ihr ermittelt«, sagte ich, »und ich recherchiere und arbeite auf meine
Weise. Mehr können wir nicht tun.« Pit Langenbach zündete sich einen schwarzen Zigarillo an. »Er steckt hinter dem Ganzen?« fragte er. »Mephisto? Was hat es mit der Spinnenfrau auf sich? Wird sie noch weitere Opfer finden?« »Das ist leider nicht auszuschließen«, antwortete ich. »Ob Mephisto an der Sache beteiligt ist, ob das auf sein Konto geht, weiß ich nicht. Es gibt noch andere Dämonen als ihn. Er kann nicht in allem seine Finger drin haben. - Du willst die Presse weiter fernhalten, Pit?« »Auf jeden Fall. Diese dämonischen Umtriebe gehören nicht an die Öffentlichkeit. Das stiftet nur Verwirrung und gibt Durcheinander.« Ich verabschiedete mich. Tessa begleitete mich. Pit Langenbach wollte noch Akten aufarbeiten und Memoranden auf Band sprechen. Er war ein Arbeitstier, und wenn er sich erst einmal in einen Fall verbissen hatte, kannte er keinen Feierabend mehr. Manchmal fragte ich mich, wie seine Ehefrau Susanne das verkraftete. Nach allem, was mir bekannt war, führten die Langenbachs eine gute Ehe. Susanne engte ihren Mann nicht ein, hielt ihre Ansprüche in Grenzen und entlastete ihn im häuslichen Bereich sehr. Mit ihr hatte Pit, wie man landläufig sagte, einen guten Griff getan. Manchmal sagte ich zu ihm, er hätte mehr Glück als Verstand, daß Susanne ihn geheiratet hätte. Tessa und ich verließen das Polizeipräsidium. Es war später Abend. Die Sterne glänzten am Himmel. Der Vollmond goß sein silbriges Licht über Weimar aus. Die Dächer der Klassikerstadt schimmerten im Mondlicht. Tessa schaute mich verliebt an. Auf Uma Netzer war sie nicht mehr zu sprechen gekommen. Wir fuhren mit meinem BMW in die Florian-Geyer-Straße. Mein Vermieter, der kleine Sachse, begegnete uns im Hausflur. »Tsk, tsk, tsk«, machte er, als er sah, daß ich mit Tessa nach oben ging. »Tsk, tsk, tsk.« »Haben Sie was im Hals?« fragte ihn Tessa scheinheilig. Der Hausbesitzer antwortete nicht und knallte die Tür seiner Erdgeschoßwohnung hinter sich zu. Aus der Wohnung hörte ich die keifende Stimme seiner Frau. Wahrscheinlich tadelte sie ihn, weil er die Tür zugeschlagen hatte. Das durfte er nämlich nicht, wie er sie überhaupt erst in allen Dingen um Erlaubnis zu fragen hatte. Er stand schwer unter dem Pantoffel und versuchte vielleicht deshalb, sich bei seinen Mietern aufzuspielen.
In der Dachgeschoßwohnung schaltete ich den CD-Player mit der Fernbedienung ein. Hard Rock erklang, Klänge, die Tessa und ich liebten. Ich regulierte das Licht zu einer gedämpften Beleuchtung. Dann schenkte ich zwei Glas Wein ein. Wir stießen an. Tessa schaute mir sinnlich und tief in die Augen. Unsere Lippen fanden sich zu einem langen und zärtlichen Kuß. Alles weitere ergab sich von selbst. Schließlich kannten wir uns schon eine Weile. Bald lag Tessa in meinen Armen. Wir sanken aufs Bett. Leidenschaft und Zärtlichkeit gleichermaßen trugen uns wie auf einer Woge weg. Ein Liebeslied erklang aus den Lautsprechern. Einschmeichelnde Klänge. Die geräumige, modern eingerichtete Dachgeschoßwohnung war wie eine Insel. in einer fremden und feindlichen Welt. In dieser Stunde waren Tessa und ich uns sehr nahe. Mit Uma war es für mich Raserei und ein Taumel der Sinne gewesen. Mit Tessa war es weniger aufregend, aber immer wieder schön, wenn wir beide nicht zu viele Sorgen hatten. Später planschten wir im Bad, bespritzten uns mit Wasser und plünderten den Kühlschrank. Nachdem wir zwei kalte Hähnchen verzehrt hatten, die im Kühlschrank gelegen hatten, beklagte sich Tessa. »Du mästest mich, Mark. Ich werde so dick, daß ich in kein Kleid mehr hineinpasse, wenn das so weitergeht.« Ich rechnete aus, daß ich einen Marathonlauf machen müßte, um die Kalorien zu verbrauchen, die ich zu mir genommen hatte. Tessa meinte, es würde noch andere Sportarten geben, auch solche, die auf der Matratze zu betreiben seien und die seit Anfang der Menschheit bekannt und beliebt wären. Sie zeigte mir auch gleich, was sie meinte. Als wir uns nach einer Weile voneinander lösten, schaute ich zum schrägen Dachfenster. Dort war nichts zu sehen. Ich ging ins Bad. Als ich wieder zurückkehrte, sah ich etwas Dunkles, Unförmiges über dem schräg ins Dach eingebauten kippbaren Fenster. Ein rascher Blick auf meinen Ring zeigte mir, daß er weder phosphoreszierte noch Lichtstrahlen aussandte. Erwärmt hatte er sich auch nicht. Jemand unterband seine Reaktion auf die Nähe von einem dämonischen Wesen. Ich tat so, als ob ich nichts bemerkt hätte, und setzte mich zu Tessa, die sich nackt auf dem Bett räkelte und in einem Fitnessmagazin blätterte. Mit den Fingerspitzen fuhr ich Tessa an der Wirbelsäule entlang. Dann beugte ich mich über sie, als ob ich ihren Haaransatz und den Nacken küssen wollte.
Ich flüsterte ihr ins Ohr: »Achtung, da ist was vor dem Fenster. Eine Riesenspinne vielleicht. Keine Panik, wenn ich plötzlich loslege.« Tessa erschrak, ließ sich jedoch nichts anmerken. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich den Schatten vor dem Fenster. Unauffällig zog ich die Sporttasche zu mir, in der ich meine Pistole, das Rangermesser, Kreuz, Weihwasser, Holzpflock und einiges andere verstaut hatte. Da ich nicht der Ordentlichste war, lag in der Sporttasche alles durcheinander. Ich öffnete die Tasche und entnahm ihr das Messer und die Pistole. Weihwasser und Kreuz folgten. Ich war nicht abergläubisch. Von meiner sozialistischen Erziehung und dem Lenin-Wort »Religion ist Opium für das Volk« war bei mir aber etwas hängengeblieben. Doch bei der Dämonenbekämpfung mußte ich mich an die bewährten Methoden halten und glaubensorientierte Mittel und Texte verwenden. Vor Zitaten aus der Mao-Bibel, dem Kommunistischen Manifest oder den Klängen der Nationalhyrnmne würde kein Dämon die Flucht ergreifen. Ich erschauerte. Ich sah mich schon, was die Dämonenbekämpfung betraf, in den Vollmondnächten an Kreuzwegen sitzen, magische Rituale und Beschwörungen vornehmen und den Gott der Christen anrufen. Ich konzentrierte mich dann aber doch auf die Beschwörungsformeln, die ich im Kopf hatte. Unauffällig holte ich den Klarsichtbeutel mit der im Kälteschock erstarrten Feuerspinne aus der Sporttasche. Die Waffen schirmte ich mit meinem breiten Rücken gegen die Blicke vom Fenster her ab. Ich hielt den massiv silbernen Siegelring gegen den Kadaver der winzigen Feuerspinne. Dabei wandte ich mich Tessa zu und lächelte, so daß ein durchs Fenster schauender Beobachter glauben mußte, ich sei nur auf sie konzentriert. Tessa spielte mit, räkelte und dehnte sich verführerisch in ihrer Nacktheit. Sie lächelte, in ihren Augen jedoch stand das kalte Grauen. »Es ist tatsächlich eine Riesenspinne, Mark«, flüsterte sie. »Ich sehe ihren Kopf und die Beine.« Der Ring fing an zu fluoreszieren und sandte Strahlen aus. Maximal reichten sie zwanzig Zentimeter weit. Ich berührte meine Pistole, das Rangermesser, Axt, Kreuz und Weihwasser nacheinander mit dem Ring und murmelte auf Lateinisch: »Im Namen des Rings. Das Licht durchdringe die Finsternis. Werdet zu Waffen des Lichts!« Überhaupt keine Reaktion erfolgte bei all meinen Waffen. Dafür geschah
etwas anderes. Die Feuerspinne erwachte wieder zum Leben, wurde innerhalb einer Sekunde glühend heiß und lief Tessa über das nackte Bein. Tessa schrie auf und streifte die Feuerspinne mit der Hand weg. Die Spinne verschwand daraufhin unter die Bettdecke und setzte diese in Brand. Alles geschah rasend schnell. Das Dachfenster zerbrach, von der Riesenspinne mit den Netzklammerhaken am Ende ihrer zwei Meter langen, behaarten Beine eingeschlagen. Ein gräßlicher Kopf mit vier Augenpaaren und klappernden Mundwerkzeugen glotzte herein. Das Kopfbruststück war so groß wie ein Schäferhund, der fette Leib mit den Spinndrüsen am Ende dick wie ein großes Faß. Zwei der acht Spinnenbeine wurden hereingestreckt und griffen nach mir und der aufschreienden Tessa. Ich feuerte die Pistole ab, ohne irgendeine Wirkung zu erzielen, warf das Rangermesser in ein Spinnenauge und hielt das Kreuz hoch. Das Strahlen meines Rings war erloschen. Er half mir in dem Fall nicht. Selbst seine Meldefunktion dämonischer Kräfte wurde von einer ungeheuer starken Magie unterdrückt. »Apanage, Dämon!« schrie ich. Tessa kreischte. Vom Bett stieg Qualm auf und würden bald kleine Flämmchen züngeln. Die Monsterspinne hatte Schwierigkeiten, sich durch das enge Fenster zu quetschen. Sonst wäre sie schon über uns hergefallen. In fliegender Eile kippte ich ihr das Weihwasser aus der Flasche entgegen. Auch das war eine Fehlanzeige. »Flieh, Tessa!« rief ich. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich lasse dich nicht im Stich, Mark.« »Raus!« Ich gab ihr einen Klaps auf die Kehrseite. »Du bist in Gefahr und mir im Weg. Feuer, wir brauchen Feuer! Aber erst mal müssen wir raus aus der Wohnung. Öffne die Tür!« Plopp, machte es, als ob ein Korken aus dem Flaschenhals schlüpfen würde. Der Leib der Spinne gab nach. Sie hatte sich durch das Fenster gequetscht. Riesengroß ragte sie über mir auf, ungeheuer wütend, aggressiv und bösartig. Ein Monster, wie man es sich in seinen schlimmsten Alpträumen kaum vorstellen konnte. Eine Bestie der Hölle. Ein Zischen wurde laut. Wie es die Monsterspinne hervorbrachte, wußte ich nicht. In meinem Gehirn hörte ich eine Gedankenbotschaft. »Weißt du noch, was ich zu dir gesagt habe? Ich komme zu dir, durchs Fenster, wie La Paloma.« Ich schwöre, es war das Entsetzlichste, was mir jemals in meinem Leben aufdämmerte. Uma stand vor mir, in ihrer wahren Gestalt!
Die Spinnenfrau, in ein Monster verwandelt. Schlagartig erfaßte ich, was den Wessi-Geschäftemacher Karl-Michael Vogt umgebracht und was er in den letzten Momenten seines Lebens gesehen hatte. Und ich hatte mit Uma in ihrer menschlichen Gestalt als der einer wunderschönen und reizvollen Frau Sex gehabt! Hier, in dieser Wohnung, in meinem Bett, das jetzt anfing zu brennen. Ein höhnisches, hämisches Lachen war in meinen Gedanken zu hören. Tessa kriegte zum Glück nichts mit, das sah ich an ihrer Miene. »Ich bin Uma Araneae«, empfing ich die Gedankenbotschaft der Monsterspinne. Araneae war der Gattungsname für die Spinnentiere. »Tochter der Ariadna, die Geliebte Mephistos, mit dem zusammen ich eine sechsundreißigköpfige Brut habe. Spinnenfrauen und -männer werden aus unserer Vereinigung entstehen.« Wenn ich die Zeit dazu gehabt hätte, würde ich mich übergeben haben. Ich zitterte. Meine Knie wankten. Übelkeit erfaßte mich. Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Jetzt töte ich dich, Mark Hellmann«, hörte ich die Gedankenbotschaft. »Und deine Geliebte. Ich sauge euch aus! Deinen Ring aber schenke ich meinem Geliebten Mephisto.« Normalerweise hätten die Schüsse das ganze Haus aufwecken müssen. Aber nichts regte sich. Mephisto oder Uma hatten die übrigen Hausbewohner mit einem Bann belegt, der sie fest schlafen und nichts hören ließ. Tessa rüttelte an der Türklinke. Sie ließ sich nicht öffnen. »Die Tür ist abgeschlossen!« rief sie in höchster Panik. Ihr Gesicht war vor Entsetzen verzerrt. »Mark, Mark, was sollen wir tun?«
Verdammt, dachte ich, das habe ich doch gerade gesagt. »Mach eine Fackel! Unter der Spüle steht Spiritus! Nimm Hemden und Pullover von mir, übergieß sie mit Spiritus und steck sie auf den Schirm in der Diele. Dann zünde sie an. Hast du das Feuerzeug?« »In meiner Handtasche, ja.« »Dann nimm es. Beeil dich! Ich wehre die Spinne ab.« Das war leichter gesagt, als getan. Die Spinne raste auf mich los. Sie war ungeheuer schnell. Ich warf ihr den Tisch entgegen, was sie nur einen Moment aufhielt. In meiner Verzweiflung ergriff ich einen Stuhl und streckte der Monsterspinne
die Stuhlbeine entgegen, um sie auf Abstand zu halten. Im Zirkus hatte ich mal gesehen, wie ein Raubtierbändiger einen Löwen auf diese Weise mit einem Stuhl abwehrte. Die Monsterspinne war mindestens genauso gefährlich. Tessa holte die Spiritusflasche unter der Spüle hervor. Sie war sonst intelligent und clever. Doch jetzt war sie derart geschockt, daß ich ihr alles hatte erklären müssen. Das Kreuz hatte ich fallen lassen. Die Spinne lief darüber weg. Sie streckte ihre langen, mehrgliedrigen Beine aus, an deren Enden Greifhaken angebracht waren. Sie dienten bei Netzspinnen dazu, sich an den Netzfäden zu halten, die in kurzen Abständen mit einer klebrigen Flüssigkeit imprägniert waren. Die Spinne trat nie in ihre Klebetropfen, in denen sich ihre Beute fing. Und sie dienten dazu, die Beute zu halten. In meinem Fall wollte mich die Monsterspinne Uma mit den Haken packen und an sich reißen. Ein beinharter Kampf entbrannte, der meine gesamte Kraft forderte. Die Monsterspinne versuchte, mir den Stuhl zu entreißen. Mit ihren haarigen Beinen packte sie ihn. Andere Beine faßten nach mir. Ein Haß, den ich körperlich fühlen konnte, war an dem Spinnenkopf zu erkennen. Die Kieferzangen bewegten sich gierig, um sich in mich hineinzubohren, mich mit Giftsekreten zu lahmen und auszusaugen. Das Rangermesser hatte sich die Spinne aus dem Kopfbruststück gerissen. Ich kriegte den Stuhl frei und stieß ihn gegen die Riesenspinne, wenn sie mich angriff. Ein schrilles Zirpen, Fauchen und Zischen waren zu hören. Immer wieder riß ich den Stuhl aus der Umklammerung der Spinnenbeine und stieß ihn gegen das Monster. Die Greifhaken rissen mir die Haut vom Körper und fügten mir tiefe Schrammen zu. Ich war nur mit einer Unterhose bekleidet. Das Blut floß mir über den Körper und entfesselte Umas Mordgier und Raserei noch mehr. Tessa hatte den Kleiderschrank aufgerissen und Kleider von mir herausgerissen. Jetzt war sie im Bad. Es roch nach Spiritus. Wo blieb Tessa nur? Ich hatte alle Hände voll zu tun, mich des Spinnenmonsters zu erwehren, das grausam und kaltblütig angriff. Mindestens fünf Minuten kämpfte ich gegen die Riesenspinne. Sie kamen mir vor wie Stunden. Ich schwitzte, ich keuchte. Schweiß und Blut rannen an mir herunter. Meine Muskeln schwollen wie Taue an, wenn ich mit Uma kämpfte. Sie war so stark wie fünf oder sechs kräftige Männer, dabei ungeheuer schnell und anscheinend schmerzunempfindlich. Ich mußte
meine ganze Kraft und Gewandtheit aufbieten, um der Riesenspinne Paroli bieten zu können. »Ich sauge dich aus«, hörte ich es in meinem Gedanken. »Geliebter!« »Scher dich zu Mephisto in die Hölle, Spinne!« keuchte ich. Die Spinne drängte mich gegen die Wand. Ihre Kieferzangen näherten sich mir. Schon troff mir die Giftflüssigkeit auf die Schulter. Da entwand ich mich dem Griff von vier Spinnenbeinen, die sich wie warme behaarte Knochen anfühlten, und sprang hinter den Strebbalken, der mitten in der Loftwohnung senkrecht die Decke stützte. Uma raste herbei. Ich suchte hinter dem Balken Deckung, bewegte mich und brachte ihn jeweils zwischen die Spinne und mich. Dann, als ich die Gelegenheit sah, sprang ich über zwei Spinnenbeine weg. Den Stuhl hatte ich verloren, als ich mich Umas Griff entwand. Jetzt tat ich, als ob ich einen anderen Stuhl packen wollte. Uma raste hin und stellte sich zwischen mich und den Stuhl. Es war eine Finte gewesen. Ich wollte den Stuhl nicht, sondern rannte zum Bett, zu dem jetzt der Weg frei war. Dort packte ich die brennende Bettdecke und warf sie über die Riesenspinne. Schrilles Zirpen erscholl. Umas Leib zuckte, die Gliedmaßen peitschten. Es stank nach versengten Haaren. Aber die Riesenspinne fing leider kein Feuer, noch wurde sie ernsthaft verletzt. Mit ihren Spinnenbeinen streifte Uma die brennende Bettdecke weg. Über die am Boden liegende Decke raste sie wieder auf mich los. Mordlust in den sieben Augen, die sie nach meinem Messerwurf noch hatte. Mit einem gellenden Kampfschrei nahm ich drei Schritte Anlauf und sprang ihr mit den Füßen voran gegen das Kopfbruststück. Meine Fersen krachten gegen die Mundwerkzeuge. Meine fünfundneunzig Kilo prallten mit voller Wucht gegen die Monsterspinne und katapultierten sie gegen die Wand. Ich landete auf dem Rücken, rollte mich ab und sprang auf die Füße. Die Monsterspinne zappelte auf dem Rücken. Eine halbe Kieferzange war ihr abgebrochen. Ich packte die schwere Acrylglasplatte des umgestürzten Tischs und warf eine Ecke wie eine Schwertspitze mit aller Wucht nach dem Spinnenleib. Doch die Monsterspinne fegte die Glasplatte mit den Beinen weg und stand schon wieder. »Ich zerreiße dich, Lump!« hörte ich in meinem Gehirn. »Stirb unter Qualen!«
Jetzt griff Tessa ein. Splitternackt, den aufgespannten, brennenden Schirm in den Händen, hetzte sie aus dem Bad. An dem Schirm hingen spiritusgetränkte, brennende Kleidungsstücke von uns. Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht gewesen, aus der Spiritusflasche einen Molotowcocktail zu machen. Doch das hätte zu lange gedauert. Tessa kreischte wie eine Furie, während sie die Monsterspinne mit Feuer attackierte und zurücktrieb. Die Spinne war überrascht, zunächst wich sie. Ich hatte eine Verschnaufpause, die ich dringend brauchte. Da fiel mir was ein, und ich fragte mich, weshalb ich nicht schon viel früher darauf gekommen war. Ich preßte meinen Ring, während Rauch von dem brennenden Bett die Wohnung vernebelte, gegen das siebenzackige Mal an meiner Brust. Ein Prickeln drang mir bis ans Herz. Es ging von dem Ring aus! »Gib mir die Kraft«, stöhnte ich, und ich dachte an meine Traumvision, als ich ein strahlendes Licht über einem tiefen und finsteren Abgrund gesehen und eine erzene, wohlklingende Stimme gehört hatte. Träger des Rings, hatte sie mich genannt und mich auf meine Aufgabe hingewiesen. Folge dem Ring, hatte ich gehört. Sei tapfer, aber auch demütig. Schütze die Schwachen und beuge dich nicht vor der Willkür der Mächtigen, noch vor der Satansmacht und den Kräften der Finsternis, Unwesen und Dämonen. Hart wird dein Leben sein, karg und voller Gefahren. Doch immer, wenn du nicht mehr weiterweißt und kannst, kommt ein Licht. »Hilf mir«, stöhnte ich. »Wer immer du bist.« Es stach mir tief in der Brust. Der Ring strahlte auf. Ich wußte, von nun an würde ich ihn immer an meinem Mal aktivieren können, ohne größere Schmerzen. Der Ring leuchtete. Er sandte einen kurzen Lichtstrahl aus. Wie ein Laser. Die Riesenspinne zuckte davor zurück, stand einen Augenblick reglos da. Dann jedoch verdoppelte sie ihre Anstrengungen, mit denen sie Tessa attackierte. Ich ergriff den am Boden liegenden Holzpflock, der noch nicht benutzt worden war, sowie das mit Spinnenblut benetzte Rangermesser. Auf beides zeichnete ich mit dem Lichtstrahl des Rings die Runen für »Waffe«. Kleine Flämmchen zuckten, wie elektrische Entladungen lief es über den Pflock und das Messer weg. Kaltes Licht strahlte davon aus.
Die Monsterspinne hatte Tessa den brennenden Schirm entrissen und war über sie hergefallen. Brennendes Zeug lag in der Wohnung herum. Rauchschwaden zogen umher. Tessa schrie gellend um Hilfe, als sich die Mundwerkzeuge der Monsterspinne ihrem Hals näherten. »Maaarrrk! Rette mich!« Ich nahm einen kurzen Anlauf. Den leuchtenden Holzpflock zwischen den Zähnen und das ebensolches Licht ausstrahlende Rangermesser in der Rechten, sprang ich auf den Rücken der Riesenspinne.
* Das Monster zuckte, fauchte, zischte und zirpte. Spinnenbeine mit Greifklauen zuckten durch die Luft, konnten mich aber nicht erreichen. Ich stach zu, bohrte und säbelte mit dem Messer. Es gelang mir, der Monsterspinne ein Bein abzuhacken. Dann rollte sie sich auf den Rücken, über mich und streifte mich am Strebbalken ab. Ich lag am Boden, das blau leuchtende Rangermesser in der einen, den Holzpflock in der anderen Hand, und erwartete den nächsten Angriff der Monsterspinne. Aber sie hatte genug. Sie floh, eine schleimige, schwarze Blutspur hinter sich herziehend. Rasch quetschte sie sich durchs Fenster. Diesmal ging es schneller als beim Eindringen. Dann war Uma fort. Ich stand auf und schaute aus dem Kippfenster im Dach. Ich sah Uma die Wand hinablaufen, über den Hof, die Garagen und auf der anderen Seite der Mauer verschwinden. Sie war so schnell wie der Wind. Eine Verfolgung war jetzt bei Nacht sinnlos. Wir löschten das brennende Zeug und erledigten die kleine Feuerspinne mit einem Guß aus dem Wassereimer. Das von mir abgehackte Spinnenbein zappelte noch. Angeekelt verstaute ich es im Nebenzimmer in einer Kiste. Bei nächster Gelegenheit wollte ich es verbrennen. Dann öffnete ich noch die Wohnungstür und das Oberlicht draußen im Flur, so daß es Durchzug gab und der Qualm abzog. Im Haus regte sich nichts. Mephistos oder Umas Bann wirkten nach wie vor, worüber ich froh war. Wir warteten im Korridor, bis die Wohnung einigermaßen rauchfrei war. Das dauerte.
Ausgepumpt setzte ich mich dann auf die Couch. Tessa umarmte mich und schluchzte hemmungslos. »Was war das?« fragte sie. »Uma Araneae.« »Uma? Auch dieses Mädchen, das wir im Zusammenhang mit der Mordsache Vogt überprüft haben, heißt Uma. Noack allerdings.« Ich schwieg. »Bist du diesem Ungeheuer schon einmal begegnet?« fragte Tessa. »Dieser Riesenspinne nicht«, antwortete ich, was ja auch stimmte. Nachträglich erschauerte ich bei dem Gedanken, wen oder was ich da in der vergangenen Nacht in den Armen gehabt hatte. Ich wankte ins Bad und übergab mich. Das würde ich Mephisto und Uma nie vergessen. Daß ein Höllenmonster versuchte, mich umzubringen, war eine Sache. Doch sich in der Gestalt einer schönen Frau an mich heranzumachen und in mein Bett einzuschleichen, eine andere. Andererseits hätte ich es besser wissen müssen. In den alten Überlieferungen war von Nachtdämoninnen die Rede. Von Lilith, der großen Buhlerin, und einigen anderen Höllenschätzchen mehr. Zum Glück wußte ich jetzt, wie ich meinen Ring jederzeit gebrauchen und aktivieren konnte. Ich putzte mir die Zähne. »Geh nie mit einer Frau ins Bett, mit der du dich nicht am nächsten Tag auch auf der Straße zeigen würdest«, hatte mein Vater Ulrich mir einmal empfohlen. Ich überlegte, was wohl die Weimaraner sagen würden, wenn ich mit Uma in ihrer Monsterspinnengestalt die Kulturmeile unsicher machte. Etwas tröstete mich. Ich hatte meinen Galgenhumor wiedergefunden. Der Schock war vorbei. Frauen sind immer für Überraschungen gut, dachte ich. Sei's drum. Als ich zurückkehrte, leuchteten der Holzpflock und das Rangermesser noch immer im blauem Licht. Ich dachte mir, daß das in ein, zwei Stunden vergehen würde. Jetzt brauchte ich erst mal einen doppelten Kognak. Auch Tessa benötigte einen. Wir tranken uns zu. Tessa half mir, meine Wunden und Schrammen zu desinfizieren und zu verbinden. Mull und Heftpflaster reichten nicht. Tessa hatte nur ein paar Kratzer davongetragen, war jedoch seelisch völlig fertig. Wir schauten uns das Schlachtfeld um uns herum an. »Diese Höllenbestie, die Riesenspinne«, flüsterte Tessa. »Wer war das?« Was sollte ich antworten? Eine frühere Freundin von mir? »Die Spinnenfrau ist es gewesen«, sagte ich. »Dieselbe, die Karl-Michael Vogt umgebracht hat. In ihrer menschlichen Gestalt heißt sie Uma Netzer und arbeitet als Restauratorin für den Landesverband zum Erhalt
Thüringischer Schlösser im Schloß Belvedere. Ich glaube aber nicht, daß sie sich dort noch einmal blicken lassen wird. Mit richtigem Namen heißt sie Uma Araneae und ist eine Dämonin.« Tessa wich vor mir zurück. »Uma Netzer? Aber - sie hat doch ein Alibi für die Zeit, in der jene schwarzhaarige Frau mit Generaldirektor Vogt zusammengewesen ist. Ein Dutzend Personen bestätigen es.« Ich hielt Tessas Blick stand. »Mephisto oder auch ihre Magie verblenden die Zeugen. Sie haben sie hypnotisiert oder mit einem Bann belegt. Wir müssen die Spinnenfrau fassen, bevor sie noch größeres Unheil anrichtet.« Nun fiel mir ein, was mir Uma von ihrer Spinnenbrut übermittelt hatte, deren Vater Mephisto war. Von sechsunddreißig Spinnenwesen war die Rede gewesen. Ich wußte nicht, ob sie schon aus dem Ei ausgeschlüpft oder ob sie noch klein waren. Jedenfalls, wenn sie erwachsen wurde, dann war die Hölle los! Diese Spinnenmänner und -frauen würden ausschwärmen und konnten sich ihrerseits mit Mephisto und anderen Dämonen fortpflanzen. Dann konnte ich als Träger des Rings einpacken. Einer solchen Plage wurde ich niemals Herr. Tessa schaute mich an. »Mark«, sagte sie, »du bist mit Uma Netzer zusammen in der Disco gewesen. Hast du sie näher kennengelernt?« Hier die Wahrheit zuzugeben, wäre idiotisch gewesen. »Nein«, log ich. Zu meiner Überraschung glaubte mir Tessa. Sie umarmte und küßte mich. »Ich glaube dir, Mark. Sonst wärst du ja nicht mehr am Leben. Sonst hättest auch du den Todeskuß der Spinnenfrau empfangen. Bei manchen Spinnenarten fressen die Weibchen die Männchen gleich nach der Paarung auf. Uma ist sicher eine solche Spinne.« Sie umarmte mich wieder. »Ich bin ja so froh, daß du dich diesmal zurückgehalten hast. Sonst hätten wir dich als ausgesaugte Leiche gefunden, in der irgendwann Feuerspinnen entstanden wären. - Ach, Mark…« Ich hatte ein schlechtes Gewissen und brummelte etwas Unverständliches. Im Moment war ich Seitensprüngen durchaus abgeneigt. Aids war schon schlimm genug, jetzt auch noch das Risiko, vor dem kein Kondom schützte.
»Am besten, wir gehen zu dir«, sagte ich. »Hier können wir nicht bleiben.« Es stank nach kaltem Rauch. Schwarzes Spinnenblut klebte am Boden und haftete an dem großen Dachfenster. Es würde lange dauern, um hier aufzuräumen und die Wohnung wieder herzurichten. In dieser Nacht war das nicht mehr möglich. »Du bist ein Held«, sagte Tessa. »Phantastisch, wie du mit diesem Spinnenmonster fertig geworden bist. Kein anderer hätte das gekonnt.« Bewundernd schaute sie mich an. Mein Ring strahlte noch ein wenig. Das Rangermesser und der Holzpflock leuchteten immer noch in dem kalten, blauen Licht. Jetzt wußte ich, wie ich Waffen gegen die Mächte der Finsternis erzeugen konnte. Ich berührte das Mal an meiner Brust, das eins seiner Geheimnisse preisgegeben hatte. Tessa fragte mich nicht, woher ich die blau strahlenden Waffen hatte. Sie hatte die Riesenspinne mit dem brennenden Schirm von sich abgehalten und alle Hände voll zu tun gehabt, als ich die magischen Waffen herstellte. Wie, hatte sie nicht mitbekommen. Bevor wir meine Wohnung verließen, rief ich Pit Langenbach unter seiner Geheimnummer zu Hause an. Er gähnte, ich hatte ihn aufgeweckt. »Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?« fragte er. Er war jedoch sofort hellwach, als ich ihm schilderte, was passiert war. Dann geriet er ins Grübeln. »Eine Fahndungsmeldung nach Uma Netzer in ihrer menschlichen Gestalt kann ich ohne weiteres rausgeben. Aber nach einer verwundeten Riesenspinne? Wie soll ich das rechtfertigen? Sie sperren mich in die Klapsmühle, wenn ich ein solches Spinnenmonster auf die Fahndungsliste setze.« »Sag einfach, es sei deine Schwiegermutter, die sich durch einen Nervenschock derart verwandelt habe.« »Idiot! Meine Schwiegermutter ist sehr nett. Tja, unter Geheimhaltungsstufe und mit dem Vermerk, es würde sich um ein entkommenes Exemplar von einem gentechnischen Experiment handeln, kann ich den Polizeirevieren einen Hinweis geben. Ohne Namensnennung von dir. Ja, so machen wir es. Intern drehe ich Vogts Tod im >Elephant< so hin, daß ihn vermutlich ein Spinnenmonster, das aus einem gentechnischen Experiment stammen würde, gekillt hätte.« Eine kurze Pause folgte. »Du meinst, die Riesenspinne läuft frei in Weimar herum?«
Ich beruhigte meinen Freund. »Sie hatte es auf mich abgesehen. Jetzt wird sie sich irgendwo verkriechen und ihre Wunden heilen. Ich glaube nicht, daß sie irgend jemanden anfällt. Vielleicht ist sie zu Mephisto in die Hölle gegangen.« Ich ahnte nicht, wie recht ich mit der letzten Vermutung hatte. Wir beendeten das Gespräch. Tessa und ich zogen uns an, verließen die Wohnung und fuhren zu Tessa, wobei ich wohlweislich Waffen mitnahm. Im Haus herrschte völlige Ruhe. Ich war nur froh, daß der Hauseigentümer, der kleine Sachse, nichts davon mitbekommen hatte, was im Dachgeschoß geschehen war. Er hätte bestimmt einen hysterischen Anfall erlitten. Er beklagte sich sowieso immer, ich hätte zu viele Frauenbesuche und öfter mal Parties. Wenn er jetzt auch noch gewußt hätte, daß Monsterspinnen an seinem Haus herumkrochen und bei mir eindrangen, das hätte er nicht verkraftet. In Tessas Zwei-Zimmer-Wohnung legten wir uns ins Bett und schliefen in enger Umarmung ein. Am Morgen klingelte das Telefon. Tessa meldete sich und gab mir den Hörer. »Langenbach«, sagte sie knapp. Ich meldete mich. »Runter von Tessa und raus aus den Federn«, sagte Pit burschikos. »Wir müssen sofort zum Psychiatrischen Krankenhaus fahren. Dort sitzt ein gewisser Klaus Hoffmann ein. Er hat etwas zu Protokoll gegeben, was den Polizeihauptmeister, der seine Anzeige aufnahm, dazu bewog, ihn in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Der Revierleiter, der heute morgen seinen Dienst antrat, beurteilte den Fall jedoch anders. Er dachte an den Fall mit der Spinnenfrau - Mordfall Vogt - und rief mich gleich an.« Ich war sofort hellwach und vergaß meine Wunden und Schrammen. Das Rangermesser und der Holzpflock, die auf dem Tisch lagen, waren keine magischen Waffen mehr. Das blaue Licht war erloschen. Rasch zog ich mich an, steckte mir ein, was ich brauchte, und drückte Tessa einen Kuß auf den Mund. »Schlaf noch ein Stündchen, Darling. Ich muß los.« Es wäre besser gewesen, ich hätte sie mitgenommen. Sie sollte nämlich bald unangemeldeten Besuch erhalten. *
»Es war das Schrecklichste, was ich jemals gesehen habe«, schilderte uns Hoffmann in seinem Drei-Bett-Zimmer im Psychiatrischen Krankenhaus sein Erlebnis vom vergangenen Morgen. »Die Frau hatte plötzlich einen Spinnenkopf.« Wir waren allein im Zimmer. Hoffmann sah frisch gebadet und mit gestutztem Haar und Bart recht manierlich aus. Er fuchtelte mit den Händen und rollte mit den Augen, während er uns seine Geschichte erzählte. Pit und ich schauten uns an. Wir zweifelten nicht an der Wahrheit von Hoffmanns Erzählungen. Er nannte uns sogar die Autonummer des Fahrzeugs, in dem sich das alles abgespielt und in dem die Spinnenfrau ihr eingesponnenes Opfer weggefahren hatte. Pit machte sich ein paar Notizen. Nachdem wir alles gehört hatten, sagte er zu Hoffmann: »Es ist gut. Sie können die Psychiatrie verlassen. Sie sind nicht verrückt. Wir müssen Sie jedoch zu strengstem Stillschweigen auffordern, damit unter der Bevölkerung keine Panik entsteht.« »Einen Moment«, sagte der Landstreicher. »Ein paar Tage können Sie mich bitte noch hier lassen, Herr Kommissar. Das Essen ist gut, ich habe Unterhaltung, sogar einen Fernseher gibt es. Es ist warm und gemütlich hier. Die Tabletten, die man mir gibt, schlucke ich nicht, sondern spucke sie später ins Klo. Und da wollen Sie mich in die kalte und feindliche Welt hinausjagen?« »Laß ihn ein paar Tage in der Psychiatrie unterkriechen, Pit«, sagte ich zu Langenbach. »Wen stört es?« »Also gut«, lenkte der Kripohauptkommissar ein. »Ich gebe erst am Donnerstag an den Stationsarzt durch, daß Ihre Anzeige rechtens ist.« Der Wohnsitzlose strahlte. So einfach konnte man manchen glücklich machen, und so unterschiedlich waren die Menschen. Der eine freute sich über seinen neuen Mercedes, der andere, wenn er ein paar Tage in der Psychiatrie unterkriechen und sich dort pflegen und sattessen konnte. Wir fuhren zum Polizeipräsidium, wo sich Pit nach neuen Erkenntnissen in dem Spinnenfrau-Fall, wie er jetzt hieß, erkundigen wollte. Es lag nichts Neues vor. Das von mir verwundete Spinnenmonster hatte in der Nacht niemand gesehen. Gegen Mittag rief ich bei Tessa an. Sie sagte, sie sei noch nicht lange aufgestanden. Später würde sie eine Runde joggen. »Wann sehen wir uns?« fragte sie.
»Gegen Abend, schätze ich.« Sie schickte mir einen Kuß durch den Hörer.
* Die Monsterspinne rannte durch Weimar, über die Felder hinüber nach Ehringsdorf und in den Park von Schloß Belvedere. Dort schlüpfte sie in eine hohle Eiche und fuhr direkt in die Hölle hinunter. Sie raste durch den schwarzen Dimensionstunnel, in eisiger Kälte und von Geschrei und infernalischen Lauten begleitet. Plötzlich sah Uma Licht, ein düsteres Glosen. Sie landete mit den sieben Beinen, die sie noch hatte, in einem riesigen Spinnennetz. Uma befand sich in einer riesigen Vulkanhöhle. Unter ihr war brodelnde Lava, in der Verdammte schwammen, Männer und Frauen. Geflügelte Dämonen mit Teufelsköpfen quälten sie zusätzlich grausam mit dreizackigen Gabeln, die sie in die Unglücklichen hineinbohrten und mit denen sie sie in die Lava und kochenden Schlamm tauchten. Zudem schwammen Molche im Schlamm und der Lava. Sie fraßen an den Verdammten, deren Wunden sich jedoch wieder schlossen. Die Gliedmaßen wuchsen nach. Das riesige Spinnennetz spannte sich horizontal durch die düstere, unregelmäßig geformte Höhle. Sie hatte ein kuppelartiges Dach, vom dem eine aus leuchtenden Erzadern geformte Teufelsfratze leuchtete. Auf einem Sockel an der Höhlenwand stand eine riesige, düsterrote und schwarze Orgel, ein Geschenk Mephistos an seine Geliebte. Mephisto selbst tauchte auf, kaum daß Uma erschienen war. Er materialisierte im Spinnennetz, sinnigerweise in der Gestalt einer elefantengroßen Fliege. Mephisto hatte einen makabren Sinn für Humor. Er schrumpfte vor Umas sieben noch vorhandenen Augen und wurde wieder zu dem grüngekleideten Jäger mit den rotglühenden Augen und der Feder am Hut. »Was ist dir passiert, Liebchen?« fragte er. »Du hast Mark Hellmann nicht aussaugen können?« »Nein.« Uma jammerte und klagte Mephisto ihr Leid. »Tröste mich«, bat sie ihn zum Schluß. »Geliebter, nimm mich in deine starken Arme.« Mephisto erfüllte ihr ihren Wunsch. Er verwandelte sich in eine
männliche Spinne, etwas kleiner als Uma und von derselben Art. Als er mit seinen langen Spinnenbeinen über ihren Körper strich, heilten Umas Wunden. Das abgehackte Bein wuchs nach. Das ausgestochene Auge und die fehlende Kieferzange entstanden wieder. Mephisto liebkoste Uma mit seinen langen Spinnenbeinen. Sie zirpte wohlig. Die männliche Spinne führte vor der weiblichen einen regelrechten Liebestanz auf. Sie bewegte sich vor und zurück, vollführte genau abgezirkelte Schritte. Mephistos Höllenorgel fing gellend an zu spielen. In dieser Orgel steckten verdammte Seelen, die klagten und schrien. Manchmal erschien eine solche Seele als weißer Irrwisch in einer Orgelpfeifenöffnung und jammerte laut. Mephisto näherte sich Uma. Wie bei jeder Spinne war auch bei dieser männlichen Riesenspinne ein Kiefertaster zum Begattungsorgan ausgebildet. Die männliche und die weibliche Spinne vereinigten sich. Über dem kochenden Höllenpfuhl, in dem die Verdammten schwammen und über dem die geflügelten Dämonen mit ihren dreizinkigen Gabeln flogen, liebten sie sich. Schrill tönte die Höllenorgel. Das Geschrei und die Klagen der Verdammten waren Musik in den Ohren der beiden Ungeheuer. Das Netz bebte. Nach längerer Zeit ließ die männliche Spinne von der weiblichen ab. »Du sollst wieder zurück auf die Erde«, übertrug Mephisto seine Gedanken zu Uma. »Entführe Tessa Hayden! Füttere unsere Brut! Töte Mark Hellmann, oder du landest da unten im Höllenpfuhl!« Gebieterisch hob die männliche Monsterspinne ein Spinnenbein und bewegte die Klaue am Ende. Uma stimmte telepathisch zu und sandte dem Megadämon einen unterwürfigen Liebesgruß. Dann lief die Riesenspinne zu einem Schlupfloch in der Höhlenwand, in dem es silbrig flimmerte und schimmerte. Die Spinne schlüpfte hinein. Durch den Dimensionstunnel ging es zurück. Uma fand sich in der hohlen Eiche wieder, die sie eilends verließ. Sie nahm ihre menschliche Gestalt an. Anderthalb Stunden später klingelte sie bei Tessa Hayden. Sie hatte die Gestalt einer Freundin von Tessa angenommen. Die Kripobeamtin schaute durch den Spion und öffnete dann die Tür. »Tag, Heike, das ist aber eine Überraschung! Schön, daß du da bist.« Die Augen der vermeintlichen Freundin glühten rot auf. Ehe Tessa sich versah, war sie hypnotisiert. Kurz darauf verließ sie mit der Spinnenfrau, die wieder die Gestalt Uma Netzers angenommen hatte, ihre Wohnung. Auf Tessas Motorrad fuhren die beiden nach Bad Berka, zum Wühlke-Hof. Dort verwandelte sich Uma in einem Schuppen in die Riesenspinne, packte
Tessa mit mehreren Spinnenbeinen und Greifklauen an deren Ende und spann sie ein. Die in einen Kokon Eingesponnene, von der nur das Gesicht freiblieb, ließ sie an einem Spinnenfaden in den Ziehbrunnen hinunter. Ehe die Spinnenbrut dort über sie herfiel, erschien Uma, die Riesenspinne. Sie jagte ihre Brut zurück und hängte die eingesponnene Tessa an die Wand. Dann nahm sie wieder ihre menschliche Gestalt an. Schaudernd sah Tessa, wo sie gelandet war. »Bald bist du an der Reihe«, sagte die Spinnenfrau im tiefausgeschnittenen Kleid mit Tigerfellmuster. »Es kann dir eine Genugtuung sein, daß du Mephistos und meinen Kindern als Nahrung dienst. Noch sind sie satt, man soll sie nicht überfüttern.« Schaudernd sah Tessa die bis zu schäferhundgroßen Spinnen. Uma streichelte sie zärtlich und sprach mit zirpenden Lauten zu ihnen. Die Spinnenbrut schmiegte sich an sie und rieb sich an ihr. Ein paar kleinere Spinnen krabbelten über sie weg. »Mark Hellmann wird dich töten, du Ungeheuer«, flüsterte Tessa. Uma lachte höhnisch. »Nein, er wird sterben. Bald. Und dann quellen meine und Mephistos Kinderchen aus dem Brunnen und überschwemmen als Spinnenmännchen und -weibchen das Land. Nichts wird uns widerstehen. Groß wird mein Ruhm sein.« Sie ging zu dem Brunnenschacht, ergriff einen dicken Spinnenfaden, der dort herunterhing, und kletterte blitzschnell hinauf. Tessa blieb in der Spinnenhöhle allein und voller Grauen zurück. Sie schloß mit dem Leben ab.
* Tessa war verschwunden. Ich ich befürchtete das Schlimmste. der Nacht, die ich in Tessas schrecklichen Traum. Ich hörte Paloma erinnerte.
hatte keine Ahnung, wo sie steckte, und Mephisto und Uma zeigten sich nicht. In Wohnung verbrachte, hatte ich einen eine Melodie, die mich entfernt an La
Dann krächzte eine scheußliche Stimme: »Falle ich einst zum Raube empörter Höllen, kriecht eine schwarze Spinne zu dir hierher. Lasse sie ohne Zögern zu dir hinein, ewig wird deine Seele vor Qualen schreien. La
Aranea negra.« Und im Traum sah ich Uma, wie sie sich riesengroß auf mich stürzte, einspann und ihre Kieferzangen in meinen Körper grub. Feuriges Gift rann mir durch die Adern. Ich erwachte mit einem gellenden Schrei. Schweißgebadet saß ich im Bett. Langsam nur wurde ich ruhiger. Ehe ich einschlief, dachte ich: War das ein Traum, oder haben mir Mephisto und Uma eine Botschaft geschickt? Die Sorge um Tessa setzte mir schwer zu. Ich war überzeugt, daß Mephisto und/oder Uma die Hände im Spiel hatten. Gleichzeitig glaubte ich aber, daß Tessa noch lebte. Andernfalls hätten mir der Teufel und die Spinnenfrau bestimmt schon etwas über ihren Tod mitgeteilt. Am Montagmorgen suchte ich das Schloß Belvedere auf und fragte Umas Vorgesetzten, ob er wisse, wo sie zu erreichen sei. Ihre Wohnung in der Bäckergasse in Ehringsdorf war bereits von der Polizei durchsucht worden, ohne Erfolg. Pit Langenbach und seine Leute hatten nicht den geringsten Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gefunden. Ihr Vorgesetzter, der Leiter des Restauratorenteams, unterbrach im Schloß Belvedere seine Arbeit für mich. Im Seitenflügel teilte mir der weißbekittelte Mann mit dem graustoppeligen Drei-Tage-Bart bereitwillig mit, was ich wissen wollte. »Nein«, sagte er, »Freunde oder Bekannte von Uma kenne ich nicht. Sie ist immer allein losgezogen. Auch im Kollegenkreis knüpfte sie keine engeren Kontakte, obwohl die Männer natürlich immer sehr hinter ihr her waren. Sie ist ohne Entschuldigung der Arbeit ferngeblieben. Als Arbeitskraft war sie in Ordnung. Alles ging ihr so rasch von der Hand, daß man an Hexerei glauben konnte.« Genau das war es auch gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Spinnenfrau stundenlang im Schweiß ihres Angesichts arbeitete. »Hat sie irgendwelche Anrufe erhalten?« fragte ich. »Hat jemand sie während der Arbeitszeit mal besucht?« »Der Bauer Wühlke aus Bad Berka hat ab und zu angerufen. Dann wurde sie immer an den Apparat geholt.« Der Name Wühlke sagte mir nichts. Mehr als den einen Namen konnte ich aus dein Kurator nicht herausbekommen. Ich bedankte und verabschiedete mich und fuhr nach Weimar hinein, wo ich Pit Langenbach im Präsidium aufsuchte. »Dann sehen wir uns diesen Wühlke mal an«, sagte Pit forsch, nachdem er nichts Außergewöhnliches über den Bauern hatte erfahren können. »Mal
sehen, ob er Riesenspinnen in seinem Kuhstall verborgen hält.« Darüber konnte ich wirklich nicht lachen. »Denk mal darüber nach, daß Tessa verschwunden ist, meine Freundin und deine Mitarbeiterin.« »Ja.« Pit schaute besorgt drein und wurde schlagartig ernst. »Tessas Verschwinden beunruhigt mich sehr. Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Wir müssen gerüstet sein, wenn wir den Bauernhof am Dreiteichsgrund aufsuchen. Was schlägst du dafür vor?« »Flammenwerfer, Feuerwehräxte, kugelsichere Westen und Hartfaserschilde, Schutzhelme mit Sprechfunkempfänger und Kehlkopfmikrophone zur gegenseitigen Verständigung«, sagte ich sofort. »Leuchtpistolen, ein paar Kreuze, Weihwasser und Messer. Sprechfunkgeräte, das Handy, unsere Pistolen und für alle Fälle noch Atemschutzgeräte.« »Donnerwetter. Du hast einiges vor.« Die Silberkugeln, die mein Vater in Auftrag gegeben hatte, waren noch nicht fertig. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Pit Langenbach schaffte innerhalb kürzester Zeit alles von mir Gewünschte heran. Dann fuhren wir in meinem neutralen BMW, um nicht gleich alle vorzuwarnen, nach Bad Berka hinüber, zum Dreiteichsgrund. Um ein Uhr mittags waren wir bei dem Bauernhof am Brandholz. Die Gebäude wirkten ungepflegt. Rübenäcker erstreckten sich in der Nähe. Das Korn war längst abgeerntet. Der magere Hofhund kläffte uns an. Wir hatten die Ausrüstung im Kofferraum und im Fond des BMWs. Schließlich konnten wir nicht mit den kugelsicheren Westen, Feuerwehräxten und allem anderen durch die Gegend laufen. Ich hatte meinen Ring aktiviert, noch ehe wir den Bauernhof erreichten, und die Waffen mit dem Laserstrahl des Rings zu magischen Kampfmitteln umfunktioniert. Ein kaltes, blaues Licht strahlte zum Beispiel von den Kugeln in den Pistolenmagazinen. Die Schußwaffen trugen wir bei uns. Die starke dämonische Atmosphäre, die über dem Hof lastete, fiel mir auf. Mein Ring schickte ein heftiges Prickeln bis hoch in meinen Arm. Weil der Ring aktiviert war, leuchtete er ohnehin. Wir gingen zum Bauernhaus. Auf dem Weg fiel mir auf, daß die kurzen Lichtstrahlen, die der Ring ausschickte, zu dem Ziehbrunnen zeigten. Laut Pits Recherchen bewohnten der Bauer Andreas Wühlke, seine Frau Hedwig, der 18jährige Sohn, die 16jährige Tochter und ein Knecht von Mitte Fünfzig den Hof. Noch bevor wir die Haustür erreichten, kam der
Bauer aus dem Kuhstall. Die Mistgabel über der Schulter, im blauen Arbeitsanzug und derbe Gummistiefel an den Füßen, schritt er auf uns zu. »Was wollt ihr?« fragte er mürrisch. »Seid ihr vom Finanzamt?« »Nein, von der Mordkommission«, antwortete Pit und zeigte ihm seinen Dienstausweis. »Wir wollen uns hier mal ein wenig umsehen.« »Nichts dagegen«, antwortete der Bauer Wühlke. »Dann schaut mal.« »Besonders der Brunnen dort interessiert uns«, sagte ich ihm ins Gesicht, die Hand mit dem leuchtenden Ring in der Tasche. »Was ist in dem Brunnen?« »Na, Wasser natürlich«, antwortete der stämmige, kahlköpfige Mann schroff. »Was dachten Sie denn?« »Vielleicht Spinnen«, orakelte ich und beobachtete ihn scharf. Wühlkes Pupillen zuckten einmal kurz. Dann lachte er heiser auf. »So einen Blödsinn habe ich noch nie gehört. Springen Sie doch rein, wenn Sie meinen, daß mit meinem Brunnen etwas nicht in Ordnung ist.« »Das werde ich auch«, antwortete ich. »Aber vorher sollen alle herkommen, die hier auf dem Hof sind. Aber fix!« »Langsam, Meister. Die Zeiten der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei, wo ständig herumkommandiert worden ist, sind vorbei. Haben Sie einen Haussuchungsbefehl, Herr Kommissar?« Hauptkommissar sagte kaum jemand. Pit antwortete: »Bisher nicht, aber ich kann sofort über Funk einen anfordern. Um die Durchsuchung kommen Sie nicht herum.« »Dann funken Sie mal«, sagte Wühlke. Er schimpfte: »Typisch Polizei, typisch Beamte. Selber arbeiten sie nichts und stehlen der arbeitenden Bevölkerung zudem noch die Zeit. Dafür bezahlt man nun Steuergelder. Eine Frechheit ist das!« »Jetzt halten Sie mal die Luft an«, wies Pit den groben Klotz vor uns zurecht. Er nahm sein Funksprechgerät und wollte eine Meldung absetzen. Doch er hörte nur athmosphärisches Rauschen. »Mark«, sagte er, »die Verbindung ist gestört. Ich verstehe das nicht. Die Geräte sind einwandfrei. Versuch du es mit deinem.« Der Bauer grinste uns höhnisch an. Noch ehe ich einen Versuch mit meinem Walkie-talkie unternehmen konnte, riß er die Mistgabel von der Schulter. Mit dem gellenden Schrei »Mephisto!« wollte er mich an die Wand nageln. Ich wich mit einer Hüftdrehung aus und verpaßte ihm einen Fausthieb, daß er zu Boden ging. Sein Schrei war jedoch gehört worden.
Der Knecht, die Bauersfrau sowie der Sohn und die Tochter rannten aus dem Haus und aus Nebengebäuden. Der Sohn sprang auf den Traktor und fuhr damit auf uns los. Jetzt brach die Hölle los. Mit Mistgabeln, Messern, Beilen und sogar einem altertümlichen Dreschflegel, den man nur noch aus Nostalgiegründen hatte, gingen die Bauersleut und der Knecht auf uns los. Pit feuerte mit einer magischen Kugel, andere hatte er nicht im Magazin, einen Warnschuß ab. Es fruchtete nichts. Die Dämonendiener ließen sich nicht stoppen. Ein Handgemenge begann. Wir wollten nicht auf die Verblendeten schießen, die Uma oder Mephisto vermutlich hypnotisiert oder sonstwie in ihren Bann geschlagen hatten. Besonders nicht auf die Frauen. Also wehrten wir uns unserer Haut und steckten auch einiges ein. Der Bauernsohn fuhr mit dem Traktor ein Loch in die Hauswand, als wir vor ihm zur Seite sprangen. Er stieß zurück und riß den Traktor so scharf herum, wie er konnte. Die hüpfenden Pflugscharen rasten auf Pit und mich zu. Wir sprangen in die Luft, über die Dinger hinweg. Jetzt reichte es Pit. Mit einer Kugel in die Schulter schaltete er den Bauernsohn von weiteren Aktionen aus. Der Knecht, die Bäuerin und ihre Tochter griffen uns weiter an. Der Bauer erhob sich wieder, betastete sein Kinn und ergriff abermals die Mistgabel. Ich schlug ihm den Pistolengriff über den Kopf, daß er zusammenbrach. Mit dem einfachen hölzernen Kreuz, das ich zusätzlich mit dem Lichtstrahl des Rings mit Runenzeichen beschrieben hatte, gelang es mir, die Bäuerin, die Tochter, den Knecht und den verwundeten Sohn von dem Bann zu befreien. Apathisch ergaben sie sich und wußten offensichtlich nicht recht, was hier eigentlich abging. Pit hielt sie in Schach. Ich ging zu dem BMW, zog mir die kugelsichere Weste an, setzte den Schutzhelm auf und hängte mir den Flammenwerfer um. Dazu nahm ich die Feuerwehraxt und hakte das Rangermesser sowie die Atemschutzmaske an meinen Gürtel. Die Pistole hatte ich in der Schulterhalfter. Zusätzlich noch mit Kreuz und Weihwasser ausgerüstet, also bis an die Zähne bewaffnet, ging ich zum Brunnen. Es war Wasser darin. Aber mein Ring strahlte heftig und ließ meine Hand prickeln. Ich spürte die starke dämonische Ausstrahlung. Jetzt machte ich Pit das V-Zeichen, sagte »Hals- und Beinbruch, alter
Junge« und sprang mit den Füßen voran in den Brunnen hinein. Wasser spritzte auf. Doch gleich darauf war ich durch und landete in einer großen, düsteren Höhle. Dort bot sich mir ein entsetzliches Bild. Tessa hing, völlig in einen Kokon eingesponnen, an der Wand. Dutzende von Spinnen mit fußball- bis schäferhundgroßen Leibern erwarteten mich schon. Aus dem Hintergrund aber trat eine über zwei Meter große Teufelsfigur, die sich sofort in eine riesige Spinne verwandelte, größer noch als Uma am vergangenen Abend. »Hier bin ich!« fauchte Mephisto und raste sogleich auf mich los.
* Pit Langenbach sah nicht, daß sich Uma in menschlicher Gestalt von hinten an ihn heranschlich. Sie hielt ein Holzscheit in der Hand. Mit einem kräftigen Schlag auf den Kopf streckte sie den hochgewachsenen Hauptkommissar nieder. »Fesselt ihn!« befahl die Spinnenfrau der Bauersfamilie und dem Knecht, die sofort wieder in ihren Bann gerieten. »Wenn wir mit dem anderen fertig sind, wird er ausgesaugt. Seinen Freund verfüttern wir an unsere Brut.« »Ja, Herrin«, murmelten die Leute vom Hof, die sofort wieder in Umas Bann geraten waren. Während sie Stricke holten, um den Hauptkommissar zu binden, verwandelte sich Uma in die riesige Spinne. Sie schlüpfte in den Brunnen hinein und zirpte dabei aggressiv und laut. Ich kämpfte inzwischen in der Spinnenhöhle unten ums nackte Überleben! Mephisto raste als Riesenspinne heran. Ich warf ihm ein in blauem Licht strahlendes Kreuz an den Kopf, ging in den Combatstellung und feuerte mit der Neun-Millimeter-Pistole. Es krachte in der von düsterem Zwielicht erfüllten Höhle wie Donnerschläge. Die Kugeln schlugen große, rauchende Löcher in den Spinnenkörper. Das Kreuz brannte sich in das Kopfbruststück. Mephisto schrie auf. Ehe ich ihm noch weiter zusetzen konnte, griffen mich die kleineren Spinnen von allen Seiten an. Ich schoß, schlug und trat um mich. Mit der blau leuchtenden Feuerwehraxt hackte ich mir den Weg frei.
Drei Spinnenmonster sprangen mich an, groß wie Schäferhunde. Nur mit Mühe konnte ich sie abschütteln. Sie bohrten die Kieferzangen in die kugelsichere Weste. Ich schleuderte sie von mir und konnte den Flammenwerfer entzünden, dessen unter Hochdruck stehenden Behälter ich auf dem Rücken hatte. Etwa sechs Meter lang zuckte die Flamme heraus, leckte gegen Mephisto, die Riesenspinne und tötete kleinere Spinnenmonster. Es stank entsetzlich nach den verbrannten Spinnen. Ich setzte die Atemschutzmaske auf. Dann stand ich mit dem Rücken zu Tessa, die im Kokon eingesponnen war und mit vor Entsetzen weitaufgerissenen Augen den Kampf beobachtete. Die Spinnenbrut griff mich an, ohne Rücksicht auf Verluste, die ich ihr in hohem Maß zufügte. Der Feuerstrahl des Flammenwerfers fraß die Spinnenbiester. Mephisto, die Riesenspinne, raste. Er verwandelte sich in eine metallene Spinne. Die Kugellöcher hatten sich bei ihm bereits wieder geschlossen. Und Uma, als Riesenspinne, schlüpfte durch den Brunnenschacht herein und näherte sich mir rasend vor Haß. »Du hast meine Kinder getötet!« teilte sie mir telepathisch mit. »Dafür sauge ich dich aus!« Sie war zu weit weg, als daß sie der Feuerstrahl erreicht hätte. Die Metallspinne kam immer näher. Ich badete sie im Feuerstrahl, doch ohne Ergebnis. Sollte Mephisto siegen? Ich stellte den Flammenwerfer ab, riß den Weihwasserflakon vom Gürtel und warf ihn ihm an das Kopfbruststück. Auch das Weihwasser war mit dem Ring bestrahlt. Mephisto zirpte und heulte schaurig, als ihm das Weihwasser über Augen und Mundwerkzeuge rann. Es ätzte wie Salzsäure. Ich sprang vor, und mit dem kurzen Laserstrahl, den mein Ring ausschickte, zeichnete ich ihm ein Kreuz übers Kopfbruststück. Das war zuviel für den Megadämon. Aufheulend verwandelte er sich in einen Kugelblitz und zerplatzte zu einer stinkenden Wolke. Er war in die Hölle gefahren. Da wurde ich von der Seite angerempelt, von langen, stahlharten Spinnenbeinen gepackt, die Klauen an den Enden hatten, und mit einer gigantischen Kraft auf den Boden geworfen. Uma hatte einen Vorstoß unternommen und mich überrumpelt. Mein Ring strahlte nicht mehr. Seine Kraft war verbraucht. Er mußte sich erst wieder aufladen, was Stunden dauern konnte. Rasch spann Uma mich ein. Ihre Brut, von der noch sieben oder acht
Spinnen am Leben waren, rückte näher. Umas Mundwerkzeuge näherten sich mir. Das Spinnengift troff mir ins Gesicht. Die Atemschutzmaske hatte mir die Monsterspinne weggerissen. »Nimm«, hörte ich in meinen Gedanken, »den Todeskuß von der Spinnenfrau.« Gleich würden sich ihre Kiefertaster mit den Giftdrüsen in meinen Hals bohren. Mein Alptraum von der vergangenen Nacht würde Wahrheit werden. Tessa schrie vor Entsetzen. Aus, dachte ich. Mephisto hatte gesiegt. Uma war stärker gewesen. Ich hörte tatsächlich die verzerrte Melodie, die so etwas wie ihre Erkennungsmelodie war. Falle ich einst zum Raube empörter Höllen… Die Riesenspinne biß zu. Noch einmal gelang es mir, den Hals wegzuziehen. Umas Kieferzangen schlugen harmlos zusammen. Sie packte mich fester, daß ich kein Glied mehr zu rühren vermochte. Gierig warteten ihre Spinnenkinder. »Jetzt!« hörte ich Umas Stimme in meinem Geist. Da sprang Pit Langenbach, die Füße voran, in den Brunnen. Er landete, rollte sich ab wie ein Fallschirmspringer und setzte Flammenwerfer und Pistole ein. Dabei brüllte er unter der Atemschutzmaske hervor. Uma zirpte und fauchte. Sie war schwer verwundet. Pit durchtrennte die dicken Spinnenfäden, die mich fesselten, mit dem Rangermesser. Ich konnte mich befreien, packte die blau leuchtende Axt und zerhackte Uma das Kopfbruststück. Sie starb. Vor unseren Augen wurde sie erst zu der wunderschönen Spinnenfrau, dann zu einem uralten, häßlichen Weib, zu einer Mumie und zerfiel dann zu Staub. Ich goß Pits Weihwasser auf die Stelle, während er die restlichen Spinnenkinder mit dem Flammenwerfer erledigte. Dann befreiten wir Tessa, die weinend in meine Arme sank. Sie war unverletzt. »Was ist oben geschehen?« fragte ich Pit. »Ich wurde hinterrücks niedergeschlagen. Von Uma, nehme ich an. Dann kam ich wieder zu mir, als mich Andreas Wühlke und die anderen fesseln wollten. Es gelang mir, meine Pistole und das Kreuz zu packen. Wühlke und den Knecht mußte ich anschießen. Daraufhin ergaben sich alle. Ich setzte einen Funkspruch an die Weimarer Kripo ab, was wieder möglich war. Verstärkung rückt an. Die magische Störung des Funknetzes ist vorbei. Dann rüstete ich mich aus und sprang in den Brunnen. Den Rest weißt du.«
Dankbar umarmte ich Pit. Ich teilte mir die Atemschutzmaske mit Tessa. Keine Viertelstunde später ließ man eine Leiter herunter und holte man uns aus dem Brunnen heraus. Wir waren alle heilfroh, das Tageslicht wiederzusehen. An sich hätte alles in Ordnung sein können. Aber in der Nacht, als ich neben Tessa schlief, träumte ich wieder. Ich hörte die Erkennungsmelodie der Spinnenfrau. La Aranea negra - die schwarze Spinne. Uma ist tot, sagte ich zu mir selbst, als ich aufwachte. Es war nur ein Traum. Und wenn ich hundert Jahre alt wurde, die Spinnenfrau würde ich nie vergessen. ENDE