Ed Kinson
Der tödliche Strahl Ein utopischer Roman
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN) Mitglied des Remagener Kreise...
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Ed Kinson
Der tödliche Strahl Ein utopischer Roman
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN) Mitglied des Remagener Kreises e.V.
LIEBE UTOPIA-LESER! Unser Aufruf an alle Leser, ihre schriftstellerischen Qualitäten zu erproben, hat großen Widerhall gefunden. Selbstverständlich war ein Teil der Einsendungen mehr als Fleißarbeit oder Zeugnis eines guten Willens zu bewerten. Reif zur Überarbeitung und Veröffentlichung waren erwartungsgemäß nur wenige Arbeiten. Mit dem vorliegenden Band „Der tödliche Strahl“ dürfen wir Ihnen den ersten angenommenen Roman und dessen Autor vorstellen:
ED KINSON Unter diesem Pseudonym wird er in UTOPIA-Zukunftsroman zum ersten Mal an die Öffentlichkeit treten. Mit einigen interessanten Daten aus seinem Leben wollen wir Sie hier vertraut machen. Ed Kinson erblickte 1920 in Köln am schönen Rhein das Licht dieser fortschrittbesessenen Welt und hat sich damals sicher nicht träumen lassen, daß er ihr einige Jahrzehnte später – wenigstens in Gedanken – wieder zu entfliehen sucht. Der Sohn einer englischen Mutter und eines deutschen Vaters kam schon früh mit der amerikanischen Science-Fiction-Literatur in Berührung, deren Bände er als Junge ebenso begeistert „verschlang“, wie die Romane von Hans Dominik. Bereits in der Schule zeigte sich bei Ed Kinson eine besondere Begabung für die Naturwissenschaft. Seine Wißbegierde auf diesem Gebiet, befriedigt er durch eine mehrjährige Studienzeit. Daß er jetzt Chemiker und Laborant ist, scheint bei diesen Voraussetzungen fast selbstverständlich. Die berufliche Ausbildung genoß Ed Kinson in den Labors mehr oder weniger bekannter Industriewerke des rheinischen Industriezentrums. Dazwischen lagen die
Kriegsjahre, die er anfänglich in einer LuftwaffenForschungsabteilung erlebte um 1943 vom „Soldatenklau“ noch für die kämpfende Truppe entdeckt zu werden. So sehr sein „utopisches Erstlingswerk“ auch von Kampf und Mordabsichten strotzt, so sehr ist Ed Kinson überzeugt, daß es der Menschheit besser bekommt, wenn sich diese kriegerische Weltraumzukunft nur in Romanen abspielt, daß die bemannte Weltraumfahrt jedoch schneller kommt, als die meisten Menschen glauben, davon ist er überzeugt. Ed Kinson hat mit dem Roman „Der tödliche Strahl“ eine spannende, einfallsreiche, mit knappen Dialogen gewürzte Erzählung geschrieben, die sicherlich allen UTOPIA-Lesern gefallen wird. Wir glauben sicher, daß wir gelegentlich wieder einen ebenso abwechslungsreichen und technisch fundierten Band von ihm veröffentlichen können. Wir wünschen Ihnen gute Unterhaltung mit dem prämierten Wettbewerbsroman „Der tödliche Strahl“ von Ed Kinson.
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Mitglied des Remagener Kreises e. V. Einzelpreis 0,60 DM. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 7. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Verbik & Pabel KG., Salzburg, Gaswerkgasse 7, Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Scan by Brrazo 12/2011
Einführung: Die ersten Pioniere haben den Mond erreicht. Sie errichteten dort Untersuchungsstationen. Der Mond soll das Sprungbrett zum Weltall werden. Aber einen verhängnisvollen Fehler haben die Planer dieser Mondexpedition begangen. Sie setzten als Leiter der Hauptstation Professor Langner ein, einen Mann, der mehr Wissenschaftler ist als Kämpfer. Natürlich rechnete bei Beginn der Mondaktion auch niemand mit einem Angriff aus dem Weltall. Doch zum Glück gibt es noch einen zweiten Stationsleiter, John Eskin. Seinen todesmutigen Kampf mit der fremden Macht schildert der vorliegende Roman.
Personen: John Eskin, Peter Bowly, Thompson, Berger, Kommissar Legrand, Professor Langner,
Stationsleiter auf Luna 2 Funker von Luna 2 Besatzungsmitglieder von Luna 2 SD-Chef auf Luna 1 Stationsleiter auf Luna 1
John Eskin kontrollierte noch einmal den Peilstrahl und die Radarschirme, dann ließ er sich mit einem Fluch in den Sessel fallen. Er hatte es satt! Seit mehr als drei Monaten saß er nun hier auf Station „Luna 2“ und versah seinen Dienst – von Tag zu Tag mit einem größeren Widerwillen, wie er sich selbst eingestehen mußte. Vor etwa einem halben Jahr war „Luna 2“ eingerichtet worden, als Leitstation für die Raketenschiffe der Erde, die jetzt regelmäßig auf dem Mond landeten, um Material zu bringen, das zum Ausbau der Hauptstation diente. Zuerst war der Dienst für John Eskin und seine Kameraden interessant gewesen. Das Neue, Unbekannte hatte sie gereizt. Aber jetzt machte ihnen die Gleichförmigkeit zu schaffen. John hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt, als Peter Bowly in den Kontrollraum kam und ihm die Meldung der zu erwartenden Schiffe brachte. „Na, Alter“, lachte er, „wieder mal griesgrämig? Ich habe gehört, auf der Station drüben soll eine Tanzbar eingerichtet werden. Dann wird es auch für uns ein bißchen interessanter.“ John winkte ab. „Willst du vielleicht jedesmal 800 Meilen über den Mond rutschen, nur, um da drüben mit irgendeiner Dame mal ein paar Runden zu drehen? Ohne mich! Da möchte ich schon lieber ganz hier weg. Kriege ohnehin bald einen Mondkoller.“ Er quälte sich mühsam aus seinem Sessel, bot seinem Freund eine Zigarette an, forderte ihn auf, sich zu setzen und ging zum Schreibtisch, um die Meldung zu studieren. „In den nächsten acht Stunden ist also kein Schiff zu erwarten“, stellte er fest, „dann könnten wir ja eigentlich …“ „Und was ist das?“ unterbrach ihn sein Freund und zeigte auf den linken Radarschirm. 7
John drehte sich um. Was war das? Irrte sich das Gerät? Irrte er selbst? Oder stimmte die Meldung nicht? Deutlich war im Radarschirm ein Flugkörper zu erkennen, der sich dem Mond näherte. „Hast du eine Ahnung, was das bedeuten soll?“ fragte er Peter. Der war schon in der Tür. „Schätze, daß wir unerwarteten Besuch bekommen. Aber ich frage unten noch mal an, ob vielleicht ein Kahn außerplanmäßig kommt.“ Damit war er verschwunden und ließ John allein. John setzte sich an das Gerät, machte Feineinstellung und beobachtete den unbekannten Flugkörper. Seltsam, dachte er, aus dieser Richtung ist doch noch nie ein Raumschiff gekommen! Die Geschwindigkeit war nicht sonderlich groß. Die Meßgeräte zeigten nur etwa zehntausend Meilen pro Stunde an, während die Entfernung vom Mond noch etwa achtzehntausend Meilen betrug. In diesem Augenblick stürzte Peter Bowly wieder in den Kontrollraum. „Ich habe unten angefragt, es ist keine einzige Maschine gemeldet, außer denen, die wir bereits wissen. Also …“ „… ein unbekanntes Flugobjekt!“ schrie John dazwischen. „Oder ein großer Meteor!“ überlegte Peter. John lachte. „Hast du schon einmal einen Meteor gesehen, der mitten im Weltraum in seinem Flug ständig langsamer wird? Sieh mal, eben war die Geschwindigkeit noch zehntausend Meilen pro Stunde, jetzt beträgt sie nur noch fünfhundert.“ „Donnerwetter, der bremst aber ganz schön!“ „Ja“, meinte John, „und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er bald ganz stehen bliebe.“ „Habe gar nicht gewußt, daß es auf dem Mond noch interessant sein kann“, konstatierte Peter Bowly, während er wie ge8
bannt auf den Radarschirm starrte. Aber so ganz wohl war ihm in diesem Augenblick nicht zumute. Was mochte sie wohl in den nächsten Stunden erwarten? Dieser Punkt, der sich da auf dem Bildschirm abzeichnete, barg auf jeden Fall ein Geheimnis in sich. War es ein irdischer oder außerirdischer Flugkörper? „Einhundertundfünfzig“, meldete sich John. „Und die Entfernung?“ fragte Peter. „Jetzt noch zwölftausend Meilen, also für uns weit genug, um in Ruhe alles überlegen zu können“, erwiderte sein Freund. „Zunächst einmal: Alarm für Luna 2! Und dann: Funkspruch an die Erde: Unbekanntes Flugobjekt gesichtet – genaue Position ausrechnen und durchgeben. Die gleiche Meldung an Hauptstation Mond.“ Eine Minute später schrillten auf Station Luna 2 die Alarmglocken. In der Funkerkabine hämmerte Peter Bowly seinen Funkspruch in die Tasten: „Hier WS Luna 2 – Hier WS Luna 2. An WS Erde 1 – An WS Erde 1!“ Immer und immer wieder rief Peter Bowly die Stationen Erde und Mond an, immer wieder hämmerte seine Taste den Funkspruch in den Weltenraum. Aber es kam keine Antwort, nichts als ein eintöniges Rauschen drang aus seinem Gerät. * Das unbekannte Flugobjekt, das vor einer knappen halben Stunde von Station „Luna 2“ gesichtet worden war, hing jetzt regungslos im Raum. Keine einzige Bewegung war mehr auf dem Schirm zu erkennen, während zehn Augenpaare, zehn wachsame Männer, darauf brannten, etwas zu sehen, eine Bewegung festzustellen, näheres zu wissen, mehr über diesen ungebetenen Gast zu erfahren. 9
Tiefes Schweigen herrschte überall, nur das monotone Summen der Generatoren und Geräte unterbrach die Stille. Weitere zehn Minuten vergingen, während die Atmosphäre in den Kontrollräumen vor Spannung förmlich knisterte. Aber nichts rührte sich. Da meldete sich Thompson zu Wort, der kleine, dicke Engländer, der schon manches Jahr im Funkortungsdienst auf dem Buckel hatte: „Mensch, Boys, ich will euch mal was sagen, wir sehen alle Gespenster – das ist kein Raumschiff! John, was sagst du dazu?“ John Eskin wandte keinen Blick von seinem Radarschirm: „Was nützt das? Wenn es ein Gespenst ist, das durch den Weltraum fliegt, so reicht mir das auch schon. Aber glaubt ihr, ich will euch einen Bären aufbinden?“ Er wandte sich jetzt seinen Kameraden zu. „Das Ding hat sich einwandfrei bewegt, und zwar kam es direkt auf den Mond zu. Und jetzt hängt es da irgendwo regungslos im Raum. Was heißt überhaupt: irgendwo? Seine Position laßt sich ja genau ausrechnen. Und die Entfernung? Bitte! Genau 10 261 Meilen von hier – Peter Bowly hat es genauso gesehen wie ich. Wir träumen doch nicht!“ In diesem Augenblick stürzte Peter Bowly wieder in den Kontrollraum. Er machte einen verstörten Eindruck, wie man es sonst eigentlich gar nicht an ihm kannte. Er wandte sich an seinen Freund, den Stationsleiter. „Du, John, es ist mir nicht mehr möglich, eine Funkverbindung mit denen da unten oder mit der Hauptstation herzustellen.“ Wenn er von „denen da unten“ sprach, meinte er immer die Besatzungen der verschiedenen Erdstationen. „Meine Rufe gehen wohl raus, aber sie scheinen nicht anzukommen.“ Thompson schaltete sich ein, noch bevor John eine Frage stellen konnte. „Hast du es mal mit Sprechfunk versucht?“ 10
Peter sah seinen Kameraden fast mitleidig an. „Natürlich habe ich das versucht – aber es ist genau dasselbe. Auch über Sprechfunk bekomme ich keine Verbindung. Und damit du es gleich ganz genau weißt: Meine Geräte sind alle in Ordnung, die Batterien haben genügend Spannung, die Antennen sind frei, meine Geräte funktionieren überhaupt immer.“ Damit wollte Peter einer Frage vorbeugen, die jetzt ganz bestimmt gekommen wäre. Er ließ sich in einen Sessel fallen und angelte sich erst einmal eine Zigarette aus seiner Packung; wer weiß, dachte er, wie lange man hier noch rauchen kann. Jetzt wandte sich John, der bisher schweigend zugehört hatte, an seinen Freund: „Hast du eine Erklärung für das Versagen der Funkverbindung?“ Peter überlegte: „Ich könnte mir nur vorstellen, daß die Strecke durch eine Wellenüberlagerung unterbrochen wurde, ob durch Zufall oder mit Absicht, kann ich natürlich im Augenblick nicht sagen.“ „Gut, Peter“, erwiderte John, „dann versuch mal sofort, ob es dir gelingt, mit unserem unbekannten Besucher eine Verbindung aufzunehmen. Sag mir dann sofort Bescheid.“ „Okay“, nickte Peter, drehte sich auf dem Absatz um und war im Augenblick in seiner Funkerkabine verschwunden. John wandte sich wieder seinem Radarschirm zu. Auch die anderen Geräte waren alle auf den unbekannten Flugkörper gerichtet, und wohl jeder der Männer starrte gebannt auf sein Gerät. Der Punkt im Schirm war da – aber nicht eine einzige Bewegung ging von ihm aus. John Eskin konnte sich des unangenehmen Gefühls nicht erwehren, daß seine Kameraden ihn in diesem Augenblick für nicht „ganz voll“ nahmen, aber sie würden schon noch selber sehen! Er bedauerte, daß das Schiff für eine Bildbeobachtung noch zu weit entfernt war, aber vielleicht … Da – endlich! Kaum merklich zeigten die Instrumente eine 11
Bewegung an. Langsam, unendlich langsam bewegte sich das Schiff, etwa mit der Geschwindigkeit eines Radfahrers, die es vor einigen Jahrzehnten noch gegeben hatte. Drei, sieben, acht Meilen in der Stunde – so kam es jetzt auf den Mond zu. Wie ein Raubtier, das sich seinem Opfer nähert, dachte John. Peter Bowly bemühte sich, die von John gewünschte Funkverbindung mit dem Raumschiff herzustellen. Er überprüfte noch einmal, wohl zum zehnten Male, seine sämtlichen Geräte, aber er konnte beim besten Willen keine Fehler feststellen. Nun gut, dachte er, versuchen wir es also einmal mit denen da oben. Er ließ sich aus dem Kontrollraum noch einmal die genaue Position des Schiffes geben, richtete seinen Antennenring, dann jagte er den ersten Anruf hinaus. „Hier WS Luna 2 – hier WS Luna 2 – bitte melden Sie sich – bitte melden Sie sich!“ Er schaltete um auf Empfang! Nichts! Keine Antwort! Er versuchte noch einmal dasselbe. Wieder nichts! Er fluchte. Sollte ihm denn heute gar nichts mehr gelingen? Verdammt noch einmal, schließlich war er als einer der sichersten und besten Funker auf allen Stationen bekannt. Noch einmal dasselbe, dachte er. Wieder zuckte sein Anruf aus der Antenne – da geschah es! Wie von unsichtbarer Hand abgeschaltet, setzte plötzlich in der ganzen Station die Stromversorgung aus. Die Generatoren schwiegen, das Licht erlosch, auch die Radarschirme wurden dunkel. Peter stürzte aus seiner Kabine. „Was ist los?“ schrie er in den ersten Tumult hinein. „Was ist los?“ brüllte John zurück, „der Teufel ist los. Welcher Idiot hat uns hier einen Kurzschluß verpaßt? – Ruhe, zum Donnerwetter! Jeder bleibt auf seinem Platz!“ Er tastete sich zum Generatorraum. Hier waren lediglich die 12
beiden Maschinisten vergeblich bemüht, die Geräte wieder in Gang zu bringen. „War außer euch sonst jemand hier im Raum?“ wollte Eskin wissen. „Nein“, stotterte einer der beiden Männer verlegen, „nur wir zwei, und gerade, als wir den Generator Nummer 4 ein bißchen nachölen wollten, blieben sie alle auf einmal stehen, wie von Geisterhand ausgeschaltet.“ „Aber auch die Ersatzgeneratoren lassen sich nicht anwerfen“, fügte der andere hinzu. „Bleiben Sie auf Ihren Plätzen“, ordnete John an, dann ging er zum Kontrollraum zurück. Er fragte jeden einzelnen – niemand hatte vorher etwas Verdächtiges bemerkt. Das Funkgerät hatte keinen Empfang und sendete wahrscheinlich auch nicht einmal. Die Generatoren versagten, die Instrumente waren nicht zu benutzen – das konnte ja heiter werden! „Wir müssen die Generatoren für Sonnenergie klarmachen“, sagte John zu Bowly. „Da wirst du nicht viel Glück haben“, warf dieser ein. „In einer Stunde sind wir auf der Nachtseite. Wir können uns also die Arbeit sparen.“ Verdammt! Daran hatte John nicht gedacht. Der Zeitpunkt war also sehr geschickt ausgewählt! Ausgerechnet jetzt, wo es in die lange Nacht ging, mußte diese Schweinerei passieren. „Eine feine Bescherung“, feixte der dicke Thompson. „Herrschaften, eine lange Nacht ohne Licht, ohne Heizung. Zieht euch warm an, es gibt eine lausige Friererei. Wohl dem, der sich keinen Schnupfen holt!“ „Keine Angst“, gab John zu bedenken, „wir haben ja schließlich einen ansehnlichen Batterievorrat. Damit können wir uns wenigstens eine Zeitlang helfen.“ 13
Dabei fiel ihm etwas ein. Man könnte doch einen der Radarschirme mit Batteriestrom versorgen. Das ginge dann zwar nicht sehr lange, aber in kurzen Intervallen konnte man das Raumschiff beobachten. Überdies glaubte er genau zu wissen, was sich draußen im Weltenraum tat. Er setzte den Kameraden seinen Plan auseinander. Einige hatten zwar Bedenken wegen des übergroßen Stromverbrauches, der sich später unheilvoll auswirken konnte, aber dann stimmten sie doch zu. Fieberhaft gingen sie an die Arbeit, eines der Radargeräte auf den Batteriebetrieb umzustellen. Nach einer knappen Stunde war es soweit. Inzwischen hatte sich die Nacht über Station „Luna 2“ gesenkt, und in den Räumen, die große Lichtluken hatten, war es stockdunkel geworden. „Taschenlampen!“ schrie Thompson, aber den Männern war die Dunkelheit im Augenblick unwichtig. Hauptsache war jetzt das Radargerät und das, was der Schirm ihnen gleich zeigen würde. „Einschalten!“ kommandierte John. „Ist eingeschaltet!“ kam es zurück. Das Gerät summte, und langsam erhellte sich der Schirm. John nahm die Feineinstellung vor, aber was war das? Wo war das unbekannte Schiff geblieben? Auf der alten Position war weit und breit nichts mehr zu entdecken. „Langsam schwenken und den Raum absuchen“, kommandierte er. Langsam, Stück für Stück, so, als wollte er sich nichts entgehen lassen, schwenkte der Sucher des Gerätes und tastete das All ab. Nichts! „Weiterschwenken – neunzig Grad!“ befahl John wieder. Da! Was war das unmittelbar über den Zacken der Gebirge? Was die Männer da sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern stocken. Dort über dem Horizont, gut getarnt zwischen den 14
Berggipfeln, hing das Schiff regungslos wie eine Spinne im Netz. Der Entfernungsmesser zeigte genau 8,47 Meilen. * Was die Männer bisher nur vermutet hatten, schien sich nun zu bestätigen. Das Raumschiff kam keinesfalls von der Erde und wohl auch kaum in friedlicher Absicht. „Na, wie wär’s?“ fragte John Eskin den dicken Thompson. „Du könntest dich doch jetzt eigentlich als Gespensterschreck betätigen, hast du Lust?“ Etwas verlegen räusperte sich der Engländer: „Ich nehme meine Behauptungen zurück. Aber wenn es unbedingt sein muß – also, was liegt an?“ „Wir müssen vor allen Dingen handeln“, erwiderte John, „ich habe den Eindruck, daß hier in ein paar Stunden die Hölle los ist und wir dann ganz friedlich ausgehoben werden, ohne daß auch nur ein Hahn nach uns kräht. Zweifellos waren es auch unsere ungebetenen Gäste, die dafür sorgten, daß unsere Anlagen alle außer Betrieb sind. Wir müssen deshalb in irgendeiner Form die Hauptstation benachrichtigen: erstens, damit sie uns Hilfe schicken kann, und zweitens, damit wir sie warnen und vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Mit anderen Worten: Wir brauchen zwei Kuriere zur Hauptstation – wer meldet sich freiwillig?“ Die Aussicht, die Station „Luna 2“ verlassen zu können und damit dem Schicksal dieses verlorenen Häufleins zu entrinnen, schien den meisten doch sehr verlockend. Fast die gesamte Besatzung meldete sich freiwillig. „Leider kann ich nur zwei Mann gebrauchen, das wißt ihr alle“, lachte John, obgleich ihm in diesem Augenblick eigent15
lich nicht danach zumute war. „Ich habe volles Verständnis dafür, daß jetzt jeder gern von hier weg möchte – aber bedenkt, daß auch der Kurierauftrag vielleicht nicht ganz ungefährlich ist. Also fragen wir mal anders: Wer bleibt freiwillig hier?“ Zögernd nur hoben sich die Arme, und fast die Hälfte aller Männer wollte trotz allem immer noch lieber den Kurierdienst übernehmen. „Gut“, stellte John fest, „dann muß ich eben bestimmen, denn wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren.“ Sein Blick fiel auf Thompson, der wohl einer der erfahrensten von ihnen war. „Hast du Lust und Mut?“ fragte er. „Na, klar“, renommierte Thompson, „ich muß ja wieder ’was gutmachen, von wegen der Gespenster. Und außerdem: bei mir geht jeder Auftrag klar.“ „In Ordnung“, erwiderte John und wandte sich an Berger, einen der Maschinisten. „Berger, Sie fahren mit Thompson zusammen. Sie wollten doch gern, nicht wahr?“ „Jawoll“, sagte der soldatisch. „Schnappt euch also den Hüpfer und seht zu, daß Ihr so schnell wie möglich durchkommt und Hilfe herbringt. Wie die Situation aussieht, wißt ihr selbst zur Genüge. Was getan werden muß, sollen die in der Hauptstation entscheiden. Also los!“ Mit dem „Hüpfer“ meinte John Eskin ein Gefährt, das eigens für Fahrten auf dem Mond konstruiert worden war. Teils mit Raketenantrieb, teils mit Atommotor ausgerüstet, meisterte es alle Wegschwierigkeiten auf dem Mond und konnte überall verwendet werden. Dabei entwickelte es ein erstaunliches Tempo. Immerhin aber dauerte eine Fahrt von „Luna 2“ zur Hauptstation noch etwa drei Stunden. Was aber konnte in diesen drei Stunden alles passieren? John hätte gern alle Mannen mit dem Hüpfer befördert, aber der war nur für zwei Personen gebaut worden. 16
Thompson und Berger beeilten sich, mit ihren Vorbereitungen fertig zu werden. Sie überprüften noch einmal ihre Raumanzüge auf Sicherheit, kontrollierten die eingebauten Funkgeräte, die ihnen die Verständigung von Mann zu Mann ermöglichten und packten dann ihr Gepäck ein. Eigenartig, dachte Thompson, die in den Raumanzügen eingebauten Funkgeräte funktionieren. Er fragte sich, ob das Versagen wohl doch nur mit der Wellenlänge zusammenhängen mochte. „Also los!“ ermunterte er seine Kameraden, „es wird schon schiefgehen!“ Sie verließen die Station durch die Luftschleuse, die dem Raumschiff abgekehrt war, so daß sie eigentlich vom Raumschiff, wenn es überhaupt in der Dunkelheit beobachten konnte, nicht zu überblicken waren. Dann schwangen sie sich auf den Hüpfer, und die waghalsige Fahrt begann. Die Scheinwerfer fraßen sich in das Dunkel der Mondnacht, das Gefährt raste durch das Tal und hüpfte dabei wie ein Frosch über die Risse und Spalten. Sie waren etwa zwanzig Minuten gefahren, als Thompson sich an Berger wandte: „Ich glaube, wir sind jetzt weit genug entfernt; wir können fliegen!“ Sein Kamerad nickte. „In Ordnung! Ich zünde die Raketen.“ Er drückte die Automatik. Einmal, zweimal und noch einmal. Was war das? Entsetzt blickte Berger zu Thompson hinüber. Die Raketen zündeten nicht. – Aber auch der Atommotor lief plötzlich unruhig, er spuckte wie ein uralter Benzinmotor, und setzte dann schließlich ganz aus. Das Grauen packte die beiden Männer. Sie wußten genau, was es bedeutete, wenn sie hier, inmitten der Mondwildnis, eine 17
Panne bekamen, die sich nicht beheben ließ. Sie waren verloren und niemand würde sie finden in dieser unendlichen Dunkelheit der Nacht. Verzweifelt versuchten sie, den Hüpfer wieder in Gang zu bringen – ohne Erfolg. Sie blickten sich an, und jeder schien im Gesicht des anderen die entsetzliche Todesangst zu. lesen, die sie jetzt ergriff. „Bemühen Sie sich nicht, es hat keinen Zweck!“ wurden sie plötzlich von einer Stimme angesprochen, die ihnen fremd und unheimlich vorkam. Beide Männer zuckten zusammen – ja, sie duckten sich förmlich angesichts der Gefahr, die sie spürten, die sie aber doch nicht sehen konnten. Thompson war es, der sich als erster besann. Er griff nach seiner Stablampe und leuchtete die nächste Umgebung ab. Zitternd huschte der Strahl durch das Gelände, Meter um Meter tastete er in das Dunkel. Und da war es plötzlich – das Unbekannte, das Grauenhafte, da schwebte es direkt über dem Boden, keine drei Meter hoch, keine zehn Meter entfernt. Berger stieß einen markerschütternden Schrei aus. Thompson hörte ihn, und ihm war nicht viel anders zumute. „Haben Sie Angst?“ fragte die Stimme. „Kommen Sie hier herein!“ Zugleich fiel aus dem schwebenden Etwas eine schlanke Leiter herab. Die beiden Männer rührten sich nicht. „Kommen Sie!“ kommandierte die Stimme. Berger faßte Thompson am Arm. Auf der Leiter war ein Lebewesen erschienen – genau wie sie in eine Kombination gehüllt. Aber es schien größer zu sein. Es hatte keine menschliche Gestalt – es schien aber auch kein Tier zu sein. Eigenartig – es sah so aus, als ob es seine Gestalt ständig verändere. 18
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Berger wollte sich die Augen wischen – ach ja, er hatte ja seine Raumkombination an, also träumte er auch nicht. Jetzt kam das Wesen auf sie zu. „Ich habe Sie aufgefordert, in das Schiff zu kommen!“ befahl es nochmals. „Also!“ Damit machte es eine Bewegung, die wie eine einladende Geste aussah. „Komm“, sagte Berger zu Thompson, „es hat ja doch keinen Zweck!“ Aber Thompson wollte sich nicht so ohne weiteres geschlagen geben und in die Gefangenschaft wandern, von der er nicht wußte, wie sie für ihn und seinen Kameraden enden würde. Mit einem wütenden Aufschrei stürzte er sich auf den Unbekannten und – sprang ins Leere. Dort, wo eben noch der Unbekannte gestanden hatte, war nichts mehr, nichts als leerer Raum! Aus dem Schiff aber zuckte ein harter, kalter Strahl. Thompson stürzte dumpf zu Boden. Als das Schiff sich wenig später wieder in die Unendlichkeit erhob, stand ein verlassener „Hüpfer“ in der endlosen Einsamkeit – und etwas abseits lag ein Mann, der sich eben noch verzweifelt gegen ein unabwendbares Schicksal gewehrt hatte. * Der Funker der Hauptstation hatte Langeweile. Die Meldungen der heute noch zu erwartenden Schiffe waren durchgegeben, und während der nächsten sechs Stunden würde sich wohl kaum etwas ereignen. Er räkelte sich in seinem Sessel und überlegte. Sollte er sich aus der Bücherei einen Schmöker holen? Oder sollte er endlich wieder einmal einen Brief an Marianne schreiben? Wie lange hatte er ihr nicht mehr geschrieben! Sie telefo20
nierten hin und wieder miteinander – diese privaten Telefongespräche Erde – Mond waren ihm auf die Dauer jedoch einfach zu kostspielig. Aber schreiben? Wer erst einmal aus der Übung gekommen ist, dachte er, hat keine Lust mehr zum Schreiben, und was man nicht gern tut, gelingt auch nicht. Also ließ er es sein. Er streckte die Beine von sich, rauchte genießerisch eine Zigarette und gönnte sich von seinem privaten Bestand einen Whisky, der ihm auch hier auf dem Mond trefflich schmeckte. In drei Stunden würde er abgelöst. Dann wollte er ins Fernsehkino gehen. Er hatte für heute abend von einem guten Programm gehört. Ganz unbeabsichtigt, ohne es eigentlich zu wollen, spielte er jetzt an seinem Funkgerät und begann, den UKW-Bereich abzusuchen. Hier ein Funkspruch – da ein Funkspruch – sonst nichts. Kein Wunder – jetzt, da keine Raumschiffe unterwegs waren, war auch kein besonderer Funkverkehr zu erwarten. Langsam drehte er weiter. Einen Augenblick lang kam ihm die Idee, Peter Bowly in seiner Kabine auf „Luna 2“ anzurufen. Aber er ließ es doch bleiben. Peter würde froh sein, wenn er seine Ruhe hatte. Er kurbelte weiter. Und da war ihm doch … Er wurde aufmerksam. Ganz leise, wie aus unendlicher Ferne, hörte er Stimmen. Er regulierte die Lautstärke – die Stimmen kamen etwas näher. Interessiert verfolgte er die Unterhaltung, die da irgendwo geführt wurde. Es schienen Männer in Raumkombinationen zu sein, die sich über ihre Funksprechgeräte verständigten. „Ich glaube, wir sind jetzt weit genug entfernt; wir können fliegen“, sagte die eine Stimme. 21
„In Ordnung! – Ich zünde die Raketen!“ die andere. Pause – lange Pause. Plötzlich war da eine dritte Stimme: „Bemühen Sie sich nicht, es hat keinen Zweck.“ Der Funker lauschte gespannt. Die Worte waren nur sehr schwer zu verstehen, aber irgend etwas Außergewöhnliches schien hier doch vorzugehen. Offenbar war es eine unangenehme Situation, in der sich die Männer befanden. Sollte jemand irgendwo eine Panne haben? Einer gab Befehle und orderte die anderen auf, in ein Schiff zu kommen, und dann hörte man plötzlich einen furchtbaren Schrei; dann ein Rauschen und Krächzen, als sei ein Blitz eingeschlagen. Jetzt herrschte Stille. Der Funker bemühte sich vergeblich, noch etwas zu erfahren – da war nichts mehr, die Verbindung schien unterbrochen zu sein. Er schaltete sein Gerät aus und versuchte sich über das klarzuwerden, was er eben gehört hatte. Sollte er Meldung machen? Vielleicht würde man ihn auslachen. Und überhaupt, was gingen ihn schließlich die Pannen der anderen Stationen an? Er schwang seine Beine über die Stuhllehne und schenkte sich noch einen Whisky ein. Aber das Erlebnis ließ ihn nicht los. Immer wieder überlegte er, was da wohl vorgefallen sein könnte. Doch so sehr er sich auch bemühte, er fand keine Antwort. Nachdem er sich einen dritten Whisky genehmigt hatte, beschloß er, das Gehörte doch zu melden. *
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Die Todesangst, das würgende Gefühl im Hals hatte langsam nachgelassen. Gleichzeitig wurde Berger auch ruhiger und wagte, sich an Bord des Raumschiffes, in dem er jetzt stand, umzusehen. Es schien nur klein zu sein, bot nicht viel Platz und vor allen Dingen nicht sehr viel Komfort. Alles war nüchtern und zweckmäßig. Er selbst befand sich in einer Art Kabine, die vielleicht vier Quadratmeter umfaßte. Der Nebenraum schien jedoch größer zu sein. Die Verbindungstür stand offen. Berger versuchte, einen Blick in diesen anderen Raum zu werfen, aber wie von Geisterhand bewegt, fiel die Tür plötzlich ins Schloß. Er war allein. Durch das bullaugenförmige Fenster warf er einen Blick nach draußen, aber nichts als schwarze, dunkle Nacht umgab das Schiff. Weit konnten sie also noch nicht geflogen sein, denn offenbar kreuzten sie noch immer auf der Nachtseite des Mondes. Jetzt aber fühlte er, wie die Fahrt der Maschine langsamer wurde, er spürte das leichte Vibrieren der Bremsen, bis das Schiff schließlich ganz stehen oder schweben blieb – er wußte es nicht genau. Was nun wohl geschehen würde? Da war wieder dieses würgende Angstgefühl im Halse, das er tapfer zu schlucken versuchte. Die Tür öffnete sich, und die gleiche Stimme, die ihn vorher aufgefordert hatte, in das Schiff zu steigen, befahl ihm jetzt, herauszukommen. Berger, eingedenk des Schicksals, das seinen Kameraden Thompson ereilt hatte, gehorchte. Mutig ging er durch die Tür, und trat in einen schmalen Gang. Dann durch eine zweite Tür, und schließlich durch eine Schleuse. 23
Der Raum, in den er jetzt kam, war mittelmäßig erleuchtet, und machte beinahe den Eindruck eines Rauchsalons; es war nur alles klobiger, wuchtiger, und entbehrte jeder Gemütlichkeit, wie er es von seiner eigenen Welt her kannte. Das ist also die nüchterne Einrichtung einer technisch hochgezüchteten Zivilisation, dachte er, und schaute sich um. Und da war es wieder, dieses unheimliche Wesen, das er vorhin schon im Schein von Thompsons Taschenlampe gesehen hatte. Er fühlte, wie sich jedes einzelne Haar seines Kopfes sträubte. Tatsächlich – es war ein menschenähnliches Wesen, das da vor ihm stand, das jedoch ständig seine Form veränderte und deshalb wie ein schillerndes Gespenst auf Berger wirkte. Er wankte – er mußte sich irgendwo festhalten; er fühlte, wie eine Ohnmacht nach ihm griff … Da sprang das Wesen auf ihn zu, faßte ihn und … Als Berger nach einigen Minuten wieder zu sich kam, lag er auf einer Pritsche. Man hatte ihm seine Weltraumkombination abgenommen – und er konnte hier in irdischer Luft frei atmen. Als er sich langsam erhob, hatte er das Gefühl, wieder ganz bei Kräften zu sein. Und da stand auch wieder das Wesen – aber es hatte feste, greifbare Formen angenommen – es hatte wirklich eine starke Ähnlichkeit mit einem Menschen. Berger schöpfte Mut. Augenscheinlich konnte man mit diesem Fremden vernünftig sprechen. Und da begann es auch schon: „Die Angst ist es, die den Menschen beherrscht. Nur aus Angst werden viele Dinge getan oder unterlassen. Es tut mir leid um Ihren Freund, aber hätte er gehorcht, wäre er jetzt auch hier.“ Der Unbekannte machte eine Pause. Dann sagte er: 24
„Damit Sie genau Bescheid wissen: Sie sind hier an Bord eines marsianischen Raumschiffes. Sie wurden vorher mit Hilfe des Beibootes gefangengenommen – dies hier ist das Hauptschiff.“ „Was wollen Sie von mir?“ fragte Berger und schaute den Fremden an. „Haben Sie nicht wenigstens eine Zigarette oder einen Kognak für mich?“ „Leider nicht“, antwortete der andere. „Erstens lieben wir diese Gifte nicht, und zweitens gedeihen sie bei uns auf dem Mars schlecht. Es ist einfach zu kalt, und die Klimaanlagen brauchen wir in erster Linie zur Züchtung der notwendigen Lebensmittel – man kann eben nicht alles in Tablettenform herstellen. Also – was wir von Ihnen wollen? Ich will es Ihnen genau sagen. Seit Jahren beobachten wir die Entwicklung der Erde, angefangen von der ersten Atomexplosion bis heute, da die Erdbewohner sich anschicken, den Weltraum zu erobern. Wir waren sogar schon bei Ihnen auf der Erde. Sie wissen es nur nicht. Wir kennen jedenfalls die Menschen sehr genau. Deshalb beherrschen wir auch Ihre Sprache. Wie wünschen Sie sich mit mir zu unterhalten? Englisch – deutsch – französisch – russisch?“ Der Marsianer machte eine Pause, als wollte er die Wirkung seiner Worte auf den Erdmenschen prüfen. Berger war tatsächlich beeindruckt, denn das hatte er nicht erwartet. Der Marsianer fuhr fort: „Die Mondstation, die Sie jetzt weiter ausbauen wollen, soll als Startbasis für Weltraumschiffe dienen, die den Mars erforschen und erobern sollen. Das werden wir verhindern!“ Berger begriff. So hing das also zusammen. Aber das Wie stand als großes Fragezeichen hinter den Worten des Marsianers. Als hätte er die Gedanken seines Gefangenen erraten, fuhr dieser fort: „Sie und Ihre Kameraden haben die Wahl: entweder nehmen Sie den Funkverkehr wieder auf wie bisher, wobei Sie 25
jedoch mit keinem Wort die Entdeckung, die Sie vor wenigen Stunden gemacht haben, verraten …“ Er verlieh seinen Worten einen besonderen Nachdruck: „… mit keinem Wort, hören Sie! Dafür erhalten Sie von mir die Garantie, daß Ihre Generatoren und alle sonstigen elektrischen Einrichtungen wieder funktionieren werden – und das bedeutet für Sie Licht, Wärme und Leben! Oder, falls Sie sich nicht an die Abmachungen halten, werden Sie allesamt in der langen Nacht erfrieren, denn ich werde es nicht zulassen, daß auch nur ein einziger von Ihnen zur Hauptstation durchkommen wird, bis mein Auftrag erfüllt ist.“ Berger war mißtrauisch. Irgendeine Gemeinheit steckte in diesem Plan, das konnte er sich denken – aber wichtiger war im Augenblick, daß er sich mit seinen Kameraden über alles unterhalten und beraten konnte. Deshalb fragte er: „Soll das heißen, daß ich zu meiner Station zurückkehren darf?“ „Sie werden zurückkehren und Ihrem Kommandanten …“ „Wir haben keinen Kommandanten“, unterbrach ihn Berger, „wir haben bestenfalls einen Stationsleiter – wenn Sie den meinen?“ „Gut, Sie werden also Ihrem Stationsleiter von meiner Bedingung berichten. Am besten – Sie gehen sofort. In wenigen Stunden werden die Raumschiffe von der Erde kommen, dann müssen Sie ihnen mit Ihrem Leitstrahl den Weg weisen. Also!“ Damit schien die Unterhaltung beendet zu sein. Mit vollendeter Höflichkeit eines routinierten Gastgebers half der Marsianer seinem Gefangenen, den Raumanzug anzulegen. Er geleitete ihn in die Schleusenkammer und half ihm schließlich auch noch beim Verlassen des Schiffes. Als Berger die Leiter hinabgeklettert war und festen Boden unter den Füßen spürte, blickte er sich noch einmal um. 26
Kein Lichtstrahl verriet ihm jetzt etwas von der Existenz des Raumschiffes, das über ihm am Himmel hing, als sei es festgebunden; nur schemenhaft erkannte er die Umrisse gegen den Sternenhimmel, die Form eines flachen Tellers. Das Schiff maß vielleicht neunzig Fuß im Durchmesser – er mußte unwillkürlich an die fliegenden Untertassen denken, die vor einigen Jahrzehnten im beginnenden Atomzeitalter zum ersten Mal gesehen worden waren. Er orientierte sich nach den Sternen, dann marschierte er wacker drauflos. Etwa acht Stunden würde er bis zur Station zu laufen haben; das bedeutete auf dem Mond keine besondere Anstrengung, er würde es also bald geschafft haben. * Auf Station „Luna 2“ hatten inzwischen fieberhafte Vorbereitungen begonnen, um die wärme- und lichtspendende Energie der Batterievorräte auszunutzen. Eskin und seine Kameraden hatten ausgerechnet, daß die Vorräte zum Betrieb aller Geräte etwa sechs Stunden ausreichen würden. Nun, und dann würde man ja sehen … Hauptsache war jetzt, daß man den Schiffen mit Hilfe, des Funkfeuers den richtigen Weg weisen und ihnen die Landung in der Hauptstation einwandfrei ermöglichte. John Eskin wollte noch einmal den unbekannten Flugkörper unter die Lupe nehmen. Er schaltete das Radargerät ein und stellte fest, daß das Raumschiff noch immer an der gleichen Stelle schwebte, also 8,47 Meilen von der Station entfernt. „Schade, daß wir es nicht optisch beobachten können“, meinte John, an seinen Freund Peter Bowly gewandt. „Mir ist es unerklärlich, wieso dieser Körper da schwebt, stundenlang am 27
Himmel hängt, ohne daß auch nur eine ersichtliche Antriebsenergie zu bemerken ist. Kein Raketenstrahl, nichts! Nicht einmal beleuchtete Fenster haben die.“ „Unser Gast hat den Zeitpunkt seiner Ankunft auf dem Mond sehr geschickt gewählt. Wir können ihn nicht sehen, außer in dem großen Ausschlag dort auf dem Radargerät – aber er kann uns augenscheinlich sehr gut beobachten.“ „Über kurz oder lang werden wir wohl nähere Bekanntschaft mit ihm machen müssen“, stellte John fest. „Ich überlege, ob wir unsere Leute nicht alle bewaffnen sollten, man weiß nie …“ Peter winkte ab. „Ich halte das nicht für ratsam. Erstens glaube ich, daß wir mit unseren Waffen ohnehin nichts gegen den Unbekannten ausrichten würden, und zweitens könnte einer von uns unvorsichtig sein und dadurch die schlimmste Vergeltung hervorrufen.“ „Du hast recht“, erwiderte John. „Wir müssen eben abwarten und bis dahin genehmigen wir uns noch einen Schluck.“ Er schenkte sich und seinem Freund ein. „Wie wär’s mit einem kleinen Spielchen?“ „Ohne Licht?“ lachte Peter. „Wir werden gleich welches haben“, behauptete John, und als ob man in der Energiezentrale seine Worte gehört hätte, flammte plötzlich das Licht wieder auf. Es war zwar nur schwach, aber zunächst wenigstens ausreichend. „Na, endlich“, jubelte Peter, „jetzt kann man wenigstens wieder sehen, was man sagt. Und außerdem wurde es schon bedenklich kalt, fandest du nicht auch?“ John wollte eine Antwort geben, als er plötzlich lauschend den Kopf hob. Ihm war, als habe jemand draußen angeklopft. „Hast du das auch gehört?“ fragte er. Peter, der gerade die Karten aus dem Schrank fischen wollte, war bewegungslos stehengeblieben. „Mir war auch so, als hätte 28
jemand von außen gegen die Wand geschlagen. – Wir können ja mal nachsehen.“ Damit war er auch schon im Vorraum und legte sich seinen Raumanzug an. John half ihm. „Hier“, sagte er und drückte seinem Freund seine Strahlpistole in die Hand, „für alle Fälle! Falls ein Weltraumungeheuer vor der Tür steht.“ Dabei lachte er etwas unnatürlich. Peter betrat die Luftschleuse und ging dann in die Nacht hinaus. John brauchte keine fünf Minuten zu warten, da kam Peter auch schon wieder herein. Er brachte jemanden mit. Berger! – Als die beiden den Gemeinschaftsraum betraten, malte sich auf den Gesichtern der anderen Neugier, Erstaunen, Entsetzen, Angst; die ganze Skala menschlicher Erwartung war vertreten und kaum daß Bowly und Berger ihre Raumanzüge abgelegt hatten, begann auch schon die allgemeine Fragerei. Berger blickte sich um, und ließ sich schwer in einen Sessel fallen. „Erst eine kleine Stärkung“, murmelte er, „und dann eine Zigarette, Herrschaften, wenn’s recht ist.“ Beides wurde ihm gereicht. Aber erst als er einen zweiten Whisky erhalten hatte, begann er zu erzählen, was ihm und Thompson zugestoßen war. Gespannt hörten die anderen zu, als Berger einen genauen Bericht gab, was ihm vom Verlassen der Station bis zu seiner Rückkehr erwähnenswert erschien. Auf den Gesichtern der Kameraden spiegelten sich alle Gefühle, die die kleine Schar in diesem Augenblick beherrschen mochten. Eine heftige Unruhe wurde spürbar, als Berger geendet hatte. Es waren Worte zu hören wie „das ist das Ende!“ oder „denen werden wir es schon zeigen!“ 29
„Ruhe! – Ruhe! Verdammt noch einmal!“ brüllte John dazwischen. „Laßt uns doch erst einmal in Ruhe überlegen.“ Die Männer schwiegen sofort, und man hätte jetzt eine Stecknadel fallen hören können, als John fortfuhr: „Bei allem ist mir nur eines nicht klar. Warum stellt er keine Bedingungen? Warum schreibt der Marsianer uns nicht vor, was wir zu funken haben? Wann wir funken dürfen?“ Berger betont noch einmal: „Er hat keine anderen Bedingungen gestellt, als nur die, daß wir unsere Entdeckung mit keiner Silbe erwähnen dürfen.“ „Auf jeden Fall scheint er einen üblen Plan ausgeheckt zu haben“, überlegte John. Dann aber meinte er: „Also gut, sehen wir zu, daß unsere Aggregate anlaufen, damit wir den Betrieb wieder aufnehmen können. Das scheint mir im Augenblick das Wichtigste zu sein.“ Er teilte die Wachen neu ein und sagte dann: „Ich selbst werde mich mit Berger mal um unseren Freund Thompson kümmern. Vielleicht finden wir ihn noch.“ Er wandte sich an Peter. „Du weißt, was du zu tun hast?“ „Natürlich.“ „Dann los!“ Peter zog sich in seine Funkerbude zurück und versuchte, mit dem schwachen Strom, den ihm die Batterien lieferten, das Raumschiff der Marsianer anzurufen. Seine Hand zitterte ein wenig vor Spannung, als er die einzelnen Worte jetzt in die Taste gab. Ob seine Aktion wohl Erfolg haben würde? „Hier WS Luna 2 – hier WS Luna 2!“ Strich für Strich, Punkt für Punkt schoß der Anruf aus der Antenne. Einmal – zweimal – und ein drittes Mal. Peter schaltete um auf Empfang, aber eine Antwort kam nicht. Statt dessen spürte er ein leichtes Vibrieren, spürte, wie die 30
Generatoren anfingen zu summen, spürte, wie das Licht langsam immer heller und kräftiger wurde. Ein Jubelschrei sprang von einem Raum zum anderen. Wieder war das wohlige Summen um sie, das die Männer nun schon seit Monaten ständig begleitete, im Wachen wie im Schlafen – das Summen der Generatoren, das ihnen Licht und vor allem Wärme spendete. Peter rief die Hauptstation an, die sich sofort meldete. „Da sind Sie endlich! Versuchen seit einer Stunde vergeblich, Verbindung mit Ihnen aufzunehmen. Hatten Sie besondere Vorkommnisse? Warum war die Funkstation nicht besetzt?“ Peter war ärgerlich! Wenn die wüßten! Am liebsten hätte er jetzt seine Alarmmeldung in die Taste gehämmert, aber er bezwang sich, und dachte an die Bedingungen, die der Marsmensch gestellt hatte. Deshalb erwiderte er: „Keine besonderen Vorkommnisse. Die Besatzung hat sich lediglich erlaubt, ein bißchen Geburtstag zu feiern. Was liegt also an?“ Peter schrieb die Antwort mit: „Um 22.00 Uhr irdischer Greenwich-Zeit …“ – er sah auf seine Uhr, das war also in etwa 30 Minuten – „… werden in Abständen von genau drei Minuten außerplanmäßig vier Schiffe kommen und auf Leitweg über Luna 2 die Hauptstation anfliegen. Um 22.15 Uhr werden die bereits gemeldeten Schiffe fahrplanmäßig über Leitweg Luna 2 kommen. Äußerste Aufmerksamkeit! Sonderschiffe sind neuesten Typs und mit wichtigen Aufgaben betraut! Streng geheim!“ Der Lautsprecher schwieg. Peter nahm seine Meldung und zuckelte in den Kontrollraum. Wenn das bloß gutgeht, dachte er. *
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John Eskin überflog die Meldung, die Peter ihm gab. „Aha“, murmelte er, „wir haben sie bereits im Kontrollschirm, vier an der Zahl!“ Dann wendete er sich an die Techniker: „Bringt sie gut an Land, Jungs!“ Er ging noch einmal an den Radarschirm, der das Raumschiff des Marsianers kontrollierte, und beobachtete es. Nach wie vor stand es unbeweglich am Himmel. Er wüßte zu gerne, was die da drüben im Schilde führten. Er rief Berger zu sich heran. „Sehen Sie mal! Da steht unser ganz spezieller Freund. Ich befürchte, er wird uns noch viel Kummer machen.“ Berger betrachtete sich den Radarschirm eingehend, dann fragte er Eskin: „Sagen Sie mal, wo haben Sie das Raumschiff geortet?“ „In 32,5 Grad und genau 8,47 Meilen von hier.“ „Und das ist auf der Karte wo?“ fragte Berger. Sie gingen zur Landkarte. Eskin zeigte dem Maschinisten den genauen Standpunkt des Schiffes, der bereits deutlich eingezeichnet war. „Und es hat sich nicht mehr bewegt, seit es dort zwischen den Bergen Position bezogen hat?“ fragte Berger eindringlich. John schüttelte den Kopf. „Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, daß das Schiff nicht dort, sondern zwei Meilen weiter westlich steht“, sagte Berger. John überlegte noch, was Berger wohl veranlassen könnte, steif und fest zu behaupten, das Schiff stehe nicht dort, wo die Radargeräte es geortet hatten. Aber zu einem Resultat kam er jetzt nicht. Er mußte jetzt erst Thompson helfen. Anschließend konnte er versuchen, sich um dieses neuerliche Problem zu kümmern. Der „Hüpfer“ raste mit ihnen durch das Tal, genau, wie es der andere wenige Stunden zuvor auch gemacht hatte. John holte 32
das letzte aus ihm heraus, um soviel Zeit wie möglich zu sparen. Auf 250 Meilen pro Stunde zeigte das Tachometer. Berger klammerte sich krampfhaft fest, um nicht in hohem Bogen aus dem Sitz geschleudert zu werden. Wenn er diese Fahrt lebend überstand, wollte er gern in Zukunft auf Whisky und Zigaretten verzichten! Wieder so eine verdammte Spalte, die der Hüpfer übersprang. Wo waren sie eigentlich? Sie mußten doch bald angekommen sein! „Langsamer!“ signalisierte er zu Eskin. „Wir müssen bald an der Stelle sein.“ „Gut“, gab John zurück und drosselte die Geschwindigkeit, um in den Scheinwerfern des Hüpfers wie auch im Radarschirm eine bessere Sicht zu bekommen. Der Hüpfer hatte die Angewohnheit, Hindernisse schon auf Hunderte von Yards anzupeilen und dann links oder rechts auszuweichen – er machte das automatisch, ohne daß der Fahrer irgend etwas zu tun brauchte. Also würde er auch das „Hindernis“ Thompson mit seinem Hüpfer umfahren; aber gerade diesmal sollte er es nicht. Langsam, wie mit einem Auto aus alten Zeiten, schuffelten sie jetzt dahin. Gerade wollte der Hüpfer zu einem Bogen ansetzen, als Berger seinen Begleiter am Arm packte. Er zeigte auf einen Punkt, der sich im Scheinwerferkegel abzeichnete und das Licht reflektierte. Das mußte sein, was sie suchten. Berger gab Zeichen, darauf zuzufahren. Eskin hatte verstanden, er schaltete die automatische Steuerung aus und hielt genau auf das Hindernis zu. Wenige Augenblicke später waren sie angelangt. Sie sprangen ab und näherten sich erst einmal vorsichtig dem Fahrzeug, man konnte nie wissen … 33
Unberührt stand es da, niemand hatte sich an ihm zu schaffen gemacht, also war der Marsianer nach der Gefangennahme Bergers nicht mehr nach hier zurückgekehrt. John gab Berger zu verstehen, daß es Zeit wurde, sich um Thompson zu kümmern. Ihre kräftigen Handlampen flammten auf und durchleuchteten das Dunkel der Nacht – langsam tasteten sich die Strahlen weiter, Stück für Stück. Da! Das mußte er sein! Das Gesicht nach oben, die Arme von sich gestreckt, lag er im Staub. Vorsichtig gingen die beiden näher heran. John übergab seinem Gefährten die Lampe: „Leuchten Sie mal. Ich möchte ihn untersuchen.“ Er kniete nieder, und zuckte erschrocken zurück. Das, was da vor ihm lag, war kein toter Mann, wie er vielleicht vermutet hatte – das konnte doch nicht Thompson sein! Oder irrte er sich? Durch das Fenster des Weltraumanzuges blickte ihm das Gesicht eines Greises entgegen, wie er es noch nie gesehen hatte. Zerfurcht, eingefallen! Kaum, daß an diesem Gesicht noch menschliche Züge festzustellen waren. Das Haar war schlohweiß. „Mein Gott, Thompson, was ist los?“ stöhnte Eskin. Aber Thompson antwortete nicht. Nur seine Augen sprachen, sie schienen zu flehen, zu bitten. Eskin und Berger überprüften das Funkgerät, das Thompson hatte – es war eingeschaltet, also mußte er ihre Fragen auch verstehen. Die beiden blickten sich entsetzt an. Ihr Kamerad war nicht tot – aber er schien auch nicht zu leben. Unbeweglich lag er da, seine Raumkombination war ihm zum Sarg geworden. Aber diese Augen! Sie sahen! Sie bewegten sich – sie sprachen! 34
Thompson mußte bei voller Besinnung sein! John richtete sich auf. Eine ohnmächtige Wut hatte ihn gepackt. Das also würde sie erwarten, wenn sie Widerstand leisteten, wenn sie sich nicht dem Willen der Marsmenschen beugten. „Berger, das, was hier vorgefallen ist, das ist so grausam, so unvorstellbar, daß wir die Pflicht haben, uns und alle anderen vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren!“ Berger vermochte kaum, ein richtiges Wort zu sprechen. Er dachte nur im Augenblick daran, in welcher Gefahr er selbst geschwebt hatte, daß er nicht etwa einem humanen Wesen gegenüber gesessen hatte, sondern einem Unmenschen, der zu allem fähig schien. Armer Thompson! Vor einigen Stunden hast du dein eigenes Schicksal mit dem Weltraumgespenst verspottet! Du hättest es sicher nicht getan, wenn du gewußt hättest, was dich erwartete. Als ob Eskin die Gedanken seines Freundes erraten hätte, sagte er plötzlich: „Berger, wenn es darum geht, die eigene Welt, das eigene Volk und die Familie gegen einen mächtigen Feind zu verteidigen, dann ist jedes Mittel recht. Und genauso, wie es hier der Marsianer gemacht hatte, genauso würden wir Menschen dann auch handeln. Töten oder getötet werden – das ist ein uraltes Gesetz.“ „Ja, aber wir haben doch bisher weder ihn noch sein Volk angegriffen!“ erwiderte Berger. „Schon richtig. Aber anscheinend sind wir für ihn bereits eine so große Gefahr, daß er sie schon im Keime ersticken will.“ Berger nickte. „Wir werden wohl alle noch einen harten Kampf auf uns nehmen müssen. – Was sollen wir tun?“ „Sie werden Thompson aufladen und mit ihm zur Station fahren. Versuchen Sie, ob er noch zu retten ist. Vielleicht hat er auch nur einen Schock bekommen. Versuchen Sie auf der Station ihm zu helfen. Also, fahren Sie jetzt vorsichtig mit ihm zurück.“ 35
„Und Sie?“ fragte Berger. „Ich werde mich um den anderen Hüpfer kümmern. Vielleicht kriege ich ihn wieder flott. Ich komme dann zur Station nach. Sollte ich in einer Stunde noch nicht da sein, so kommen Sie mich holen. – Ach ja, lassen Sie mir doch bitte Ihre Lampe da, ich werde sie vielleicht nötig haben.“ Sie luden den armen, verunglückten Engländer auf den Hüpfer. Dann setzte Berger sich ans Steuer, schaltete die Automatik und den genauen Kurs ein, und die Fahrt ging los. Eskin blickte den beiden nach. Schnell und immer schneller verschwanden die Scheinwerfer des Gefährtes in der Ferne. Wenige Augenblicke später war weit und breit nichts mehr von seinen Kameraden zu sehen. John war allein in der nachtdunklen Mondwüste. * In der Funkerkabine der Hauptstation saß ein Mann, zum Sonderdienst eingeteilt. Er hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und war intensiv damit beschäftigt, einen Roman zu lesen, in dem von der unglücklichen Liebe eines reichen Industriellen zu einer armen Stenotypistin die Rede war. Die vielen Zigarettenstummel im Aschenbecher und einige leere Bierflaschen zeugten davon, daß sein Dienst ihn nicht besonders in Anspruch nahm. Dennoch mußte er hier sitzen. Er schaltete das Empfangsgerät ein – es schwieg. So oft er inzwischen Kontrolle gemacht hatte, das Gerät schwieg mit beharrlicher Bosheit. Der Funker vom Dienst hatte vor einigen Stunden an seiner Empfangsskala gespielt und dabei, ohne es eigentlich zu wollen, diesen eigenartigen, rätselhaften Dialog eingefangen. 36
Und deshalb hatte man jetzt diesen Mann hier beauftragt, die Wellenlänge der Sprechfunkanlage zu überwachen, und jedes Wort, das gesprochen wurde, auf Tonband festzuhalten. Er räkelte sich in seinem Sessel, langte nach einer neuen Zigarette und schenkte sich noch ein Glas Bier ein. Was sollte schon sein! Er glaubte nicht an den Erfolg dieser Aktion – aber bitte, wenn es sein mußte. Er übernahm diesen Dienst ganz gerne. Es gab kaum einen, der gemütlicher gewesen wäre. Der Roman war gerade an der spannendsten Stelle angelangt. „Der Millionär hatte seine kleine Stenotypistin, als unbemittelter Buchhalter getarnt, zu einem Abendessen mit anschließendem Bummel eingeladen. In einem einfachen Lokal bestellten sie das Essen. Verliebt blickte er seine dunkelhaarige Begleiterin an, sie schien es nicht zu bemerken. Verstohlen griff seine Hand nach der ihren. Sie ließ ihn gewähren. Schöne, schlanke Hände hat sie, dachte er. Ein wildes Gefühl der Liebe erfaßte ihn, er zog ihre Hand an seine Lippen, als plötzlich …“ … als plötzlich eine Stimme im Lautsprecher erklang. Der Funker schoß förmlich aus seinem Sessel, um das Tonbandgerät einzuschalten und den Lautsprecher auf volle Lautstärke zu bringen. Ein unregelmäßiger Dialog wurde dort irgendwo in der Ferne geführt. Wenige Worte, dann folgte eine lange Pause, und wieder einige Worte. Lange Pause. Soweit er aber aus den Worten entnehmen konnte, mußte dort etwas ganz Besonderes, etwas Unheimliches vorgefallen sein. Er setzte die Peilanlage in Betrieb und versuchte, die beiden kleinen Sender anzupeilen. Langsam drehte er die Peilantenne. Die Energie wurde 37
schwächer, dann war sie ganz weg. Er drehte weiter. Jetzt kamen die beiden Sender zurück. Die Richtung ließ sich also ziemlich genau bestimmen, aber die ausgestrahlten Energien waren zu schwach, um auf diese Entfernung von fast 700 Meilen den genauen Standpunkt zu orten. Er vermochte nur Annäherungswerte zu geben. Ob das aber etwas nützen würde? Das Gespräch der beiden Männer schien zu Ende zu sein, denn nichts rührte sich mehr. Also konnte er jetzt wohl die Zentrale verständigen. Er rief zur Zentrale und berichtete von seiner Tonaufnahme. Nur zwei Minuten später standen einige Männer, vom Leiter der Hauptstation „Luna“ bis zum Cheffunker, in der kleinen Kabine. „Lassen Sie einmal das Gespräch ablaufen“, bat der Chef, Prof. Langner. Das Tonband rollte langsam ab. Als das Gespräch zu Ende war, wandte sich Professor Langner an seine Mitarbeiter. „Meine Herren, haben Sie eine Erklärung für dieses eigenartige Gespräch?“ Ein allgemeines Kopfschütteln war die Antwort. Man konnte das Gehörte nicht mit den Bedingungen, die auf dem Mond herrschten, in Einklang bringen. Noch nie war jemand auf dem Mond vom Blitz erschlagen worden, auch eine Lähmung war ausgeschlossen. Auf dem Mond gab es keine Lufthülle und infolgedessen auch keine Gewitter. „Trotzdem, meine Herren“, gab der Professor zu bedenken, „ich glaube, wir sollten handeln! Wenn wir auch im Augenblick das Gespräch nicht deuten können – ich habe ein ungutes Gefühl. Wie hieß doch dieser Mann, der da dauernd angesprochen wurde? Berger? Auf welcher Station arbeitet er?“ „Er arbeitet auf ‚Luna 2’“, gab der Cheffunker zur Antwort. „Wann hat das letzte Gespräch mit ‚Luna 2’ stattgefunden?“ „Vor etwa einer guten halben Stunde!“ 38
„Und ist irgend etwas gemeldet worden? Ich meine, hat es auf der Station besondere Vorkommnisse gegeben?“ „Uns ist nichts bekannt. Lediglich: Die Station hatte etwa drei Stunden lang geschwiegen und auf Anruf nicht geantwortet. Wie sich später herausstellte, haben die drüben Geburtstag gefeiert.“ „Das läßt sich alles so schwer zusammenreimen“, überlegte der Professor. „Einerseits scheint alles in Ordnung zu sein, andererseits erzählt man sich mitten in irgendeiner Mondwüste Schauermärchen.“ „Vielleicht haben die einen zuviel getrunken und leisten sich nun zweifelhafte Scherze“, gab einer der Anwesenden zu bedenken. „Mann, wenn das ein Scherz ist, dann lasse ich die ganze Bande verhaften!“ empörte sich der Chef. „Also: entsenden Sie bitte sofort ein Patrouillenboot zur ‚Luna 2’, um diesen Fall aufzuklären.“ Dieser Auftrag war für den Chef des Sicherheitsdienstes bestimmt. „Wird sofort erledigt“, bestätigte dieser. Der Chef der Station wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte er sich noch einmal um. „Übrigens: Ich halte es für ratsam, das Schiff mit unseren modernsten Waffen abzukommandieren. Sie wissen, was ich meine?“ Der Sicherheitschef hatte verstanden. „Ich werde Ihnen nach der Aktion sofort Bericht erstatten!“ * John Eskin hatte sich zunächst einmal in der allernächsten Umgebung der Unglücksstätte umgesehen, aber nichts Besonderes feststellen können, lediglich Fußspuren im Staub und Geröll gefunden, darunter auch die des Marsianers. Sie gaben ihm jedoch keinen besonderen Aufschluß. Der 39
Fremde schien einen Raumanzug zu tragen, der den ihren sehr ähnlich sein mußte; jedenfalls ließen die Fußabdrücke darauf schließen, daß er sich wie Menschen fortbewegte, und auch ein ähnliches Körpergewicht hatte. Vielleicht war er sogar noch etwas leichter. Der Marsianer mußte etwas abseits gestanden haben, als Thompson den Blitzschlag erhielt. Eskin fertigte sich eine Skizze an, um die Spuren genau im Gedächtnis zu behalten. Er würde sie vielleicht noch einmal nötig haben! Jetzt wandte er sich dem verlassenen und außer Betrieb gesetzten Hüpfer zu. Systematisch tastete er den Apparat ab, um erst einmal festzustellen, was mit ihm überhaupt geschehen war. Denn noch nie, so lange er auf dem Mond Dienst tat, war ihm zu Ohren gekommen, daß ein Hüpfer versagt hatte. Er war absolut betriebssicher konstruiert und erprobt worden. Man hatte nicht riskieren wollen, daß irgendwo in der Weite der Mondwüsten ein Menschenleben durch das Versagen einer Maschine gefährdet oder gar ausgelöscht wurde. Er untersuchte den Antrieb, das Aggregat, die Batterien, den kleinen Atommotor – nichts war festzustellen. Er hatte nur eine einzige Erklärung: Der Hüpfer war auf die gleiche Weise außer Betrieb gesetzt worden, wie vor einigen Stunden die gesamte Station „Luna 2“. Aber hier genauso wie im Falle der Station war der Mechanismus nicht berührt, geschweige denn, auf irgendeine sichtbare Art beschädigt worden. Welch unheimliche Energien mußten hier am Werk gewesen sein! Ihn fröstelte. Die Kälte der Nacht machte sich bemerkbar, die Heizung seines Raumanzugs schaffte es nicht so ganz, die nötige Wärme zu erzeugen – oder empfand er etwa Furcht? Er versuchte, sich darüber klarzuwerden. 40
„Junge, alter Junge“, redete er sich zu, „nicht die Nerven verlieren, so eklig die Situation auch ist!“ Es gab schließlich Schlimmeres! Dagegen war seine Aufgabe noch ein Kinderspiel. Er dachte an den Fall Spencer, an den Mechaniker, der im Weltenraum eine Außenreparatur am Schiff auszuführen hatte, der bei seiner Arbeit abglitt und langsam in den unendlichen Weltenraum entschwebte. Als man sein Fehlen bemerkte, als man das Schiff stoppte, um die Suche aufzunehmen, war es bereits zu spät. Irgendwo in der Ferne des Raumes war er verschwunden. All seine Hilferufe waren ungehört verhallt. Er mußte eines grausamen Todes gestorben sein und würde sicher heute noch als winziger Meteor durch das ewige All kreisen, bis er irgendwann einmal von einem Planeten oder einer Sonne eingefangen und auf sie herabstürzen würde. Ihn fröstelte noch mehr. Das unangenehme Gefühl, die Furcht, ließ ihn nicht los. Auch auf dem Mond konnte man leicht den Raumtod sterben. Er wandte sich noch einmal dem Hüpfer zu und versuchte, ihn in Betrieb zu setzen. Die ersten Versuche schlugen fehl. Er wußte nicht, wie oft er den Starter schon betätigt hatte, als der Motor plötzlich ansprang. Endlich! dachte er. Jetzt aber sofort zurück zur Station. Er hielt inne und blickte nach oben. Es war mehr eine instinktive Bewegung. In einiger Höhe erblickte er die Lichter des ersten Raumschiffes. Aha – da waren sie also – jedenfalls das erste. Dann würden die anderen sicher auch bald kommen. In schneller Fahrt glitt das Schiff dahin. Jedes der Fenster war voll beleuchtet, die Triebwerke ließen hinten einen feinen Strahl geballter Materie sichtbar werden – die ausgespuckte Energie der Atommotoren. 41
John stand da und staunte. Er vergaß in diesem Augenblick sich und die ganze Umwelt. Es war nicht das erste Mal, daß er ein Raumschiff unter freiem Himmel dahinschweben sah, und doch war ihm dieser Anblick jedesmal ein Erlebnis. Ein stolzes Gefühl erfüllte ihn. So weit hatten es also die Menschen gebracht! Der Fortschritt würde sie noch weiter führen, zur Venus, zum Mars … Da zuckte ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Folgte denn das Schiff überhaupt dem richtigen Kurs? Es schien ihm sehr niedrig zu fliegen. Er fühlte, wie ihm ein eisiger Schreck den Rücken hinunterrann. Das konnte nicht möglich sein – es durfte einfach nicht sein, er mußte, ja, er mußte sich einfach irren! Denn wenn er sich nicht irrte – der Gedanke war nicht auszudenken! Da drüben, jenseits des langgestreckten Tales, war die Mauer! Das Gebirge – das Hindernis, dem die Station „Luna 2“ (überhaupt ihre Existenz verdankte. Fast zwanzigtausend Fuß hoch reckte sich der Fels! Aufgabe der Station war es, die Schiffe sicher um dieses Gebirge zu schleusen. Der kalte Schweiß brach ihm aus, als er sah, wie das Schiff unaufhaltsam, ungerührt, sich auf den Leitstrahl der „Luna 2“ verließ und dem Gebirge zusteuerte. Nein! schrie es in ihm – nein! nein! Aber da geschah es auch schon. Ein Blitz erhellte grell die Nacht, noch einer – ein dritter! Ein infernalisches Aufblitzen elektrischer Energien beleuchtete eine gespenstische Szene. In voller Fahrt, mit unvorstellbarer Wucht war das Schiff gegen das Bergmassiv geprallt – sein Leib bäumte sich auf, brach auseinander, krachte wieder gegen einen Felsen, sank in sich zusammen; Steine, Staub und Geröll mit sich reißend, 42
stürzten die Trümmer zu Tal. Der Staub wälzte sich höher und höher. John hielt entsetzt die Hand vor die Augen – er schwankte, oder war es der Boden, der unter dem Anprall des Kolosses vibrierte? Ich habe mich nicht geirrt! Ich habe mich nicht geirrt! hämmerte es in seinem Kopf. Wie von Sinnen raste er, alles andere vergessend, auf die Unfallstelle zu. Helfen, nur helfen, war sein Gedanke. Er hatte kaum einige Meter zurückgelegt, als ein neuer Blitz vor ihm aufzuckte. Wieder sah er vor sich dieses grausame Spiel einer entfesselten Hölle, sah das bläulich-weiße Licht der Explosionen, sah, wie mehrere Blitze gleichzeitig in verschiedene Richtungen schossen, so, als suchten sie nach weiteren Opfern. Das zweite Raumschiff war gegen den Felsen geprallt – wieder starb ein Riese mit all den Lebewesen, die er trug, die er sicher hierher geleiten wollte, den gnadenlosen Tod. John stand starr, regungslos, erschüttert; mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er das entsetzliche Geschehen, das sich da, nur zwei oder drei Meilen von ihm entfernt, abspielte. Ein lähmendes Gefühl der Ohnmacht packte ihn. Wut und Enttäuschung malten sich auf seinem Gesicht. Was mußten seine Kameraden doch für Stümper sein! Wie konnten sie diese Schiffe so todbringend fehlleiten! Dann wieder konnte er sich ihr Versagen nicht vorstellen, denn sie alle waren tüchtige Leute, die sich schon hundertfach bewährt hatten, die auch schwierigste Situationen immer wieder meisterten. Da mußte jemand anders seine Hand im Spiel haben! Der Marsianer! Nur er konnte es sein! 43
Und wieder krachte es gegen den Felsen! Wieder bäumte sich ein Schiff auf, prallten Millionenwerte gegen eine steinerne Wand – wurde eine große Hoffnung zerstört – durch das teuflische Spiel eines grausamen Gegners. Als müßte es so sein – wartete John auch noch auf die letzte der Katastrophen. Das vierte Schiff, wo blieb es? Er blickte nach oben. Da schwebte es heran, genau wie die anderen, dem sicheren Verderben entgegen. Da erwachte John aus seiner Lähmung. Es durfte nicht sein, daß auch dieses letzte Schiff verloren ging. Du mußt helfen! hämmerte es wieder in seinem Kopf, du mußt helfen! Er griff nach einer Lampe, richtete sie auf das Schiff und gab Lichtsignal. Strich – Punkt! morste er in das Dunkel der Nacht: „Fehlleitung durch ‚Luna 2’! Sofort auf Höhe gehen – abdrehen!“ Immer wieder schoß der dünne Strahl aus seiner Handlampe, dem Schiff entgegen. Dann hielt er inne. Gespannt wartete er auf die Wirkung, die sein Funkspruch erzielen würde. Er konnte die Rettung für das Schiff bedeuten! Würde jemand an Bord das Lichtzeichen beachten? Da schossen gewaltige Energiemengen aus der Backbordseite des Riesen, der Heckmotor spuckte einen heißen Strahl nach hinten aus. Das Schiff begann zu steigen – in einer steilen Kurve zog es nach oben. John blickte ihm nach, als es immer mehr an Höhe gewann und über dem Gebirge verschwand. Ein wildes Gefühl der Freude packle ihn. Also war doch nicht alles umsonst gewesen – was so eine altmodische Handlampe doch im entscheidenden Augenblick ausrichten Konnte! 44
Aber nicht lange, dann war seine Freude wieder verflogen. Dort drüben am Felsen stand noch immer die Staubwolke und zeugte von der Katastrophe, die sich vor wenigen Minuten hier abgespielt hatte. Nur der eine Gedanke hämmerte jetzt wieder in seinem Gehirn: Du mußt helfen. Er wollte laufen, aber es gelang ihm nicht so recht, er spürte eine entsetzliche Müdigkeit in den Gliedern. Er war nur wenige Schritte gegangen, als er über sich einen Schatten zu sehen glaubte – unwillkürlich duckte er sich, und blickte sich um. Da stand das Ungeheuer über ihm – jetzt war er also an der Reihe! Er fühlte, wie seinen Kameraden zumute gewesen war. Der stählerne Leib des Schiffes senkte sich langsam zu ihm herab – die Leiter fiel aus seinem Bauch, und da stand der Marsianer. So also hatten Thompson und Berger ihre erste Bekanntschaft mit einer anderen Rasse gemacht – genauso. Ein unwirkliches Wesen stand vor ihm, das ständig seine Form veränderte und in allen Farben schillerte – John schwankte, ihm wurde übel. „John Eskin“, sagte das Wesen, „steigen Sie ein!“ Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, sich auf den Fremden zu stürzen oder seine Strahlenpistole auf ihn zu richten. Aber dann dachte er an das Schicksal, daß Thompson ereilt hatte. Der Marsianer war nahe zu ihm herangetreten und deutete auf die Leiter. „Gehen Sie!“ befahl er. John gehorchte. *
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In weitem Bogen schwebte das Patrouillenboot heran und setzte unmittelbar neben der Station „Luna 2“ zur Landung an. Es war eines vom neuesten Typ, ein wendiges Raumschiff mit moderner, schwerster Bewaffnung – eine geniale Konstruktion, denn trotz seiner Vielseitigkeit, trotz der zahlreichen Aufgaben, die es bewältigen konnte, erforderte es nur zwei Mann Besatzung – zwei Mann genügten also, um alle Arten von Aufträgen zu erfüllen. Dabei lief die gesamte Technik automatisch. Der Pilot brauchte nur die notwendigen Einstellungen vorzunehmen und schon lief alles, von einem elektronischen Gehirn gesteuert, wie am Schnürchen. Wie die vor Zeiten berühmten „weißen Mäuse“ im Straßenverkehr, so flitzten die Boote des Sicherheitsdienstes im Raum umher, um den immer stärker werdenden interkontinentalen Verkehr der Stratosphärenschiffe zu überwachen. Mancher Privatmann leistete sich heute bereits ein kleines Schiff, um seine Geschäftsreisen von Kontinent zu Kontinent schneller und besser abwickeln zu können. Dabei kam es immer wieder zu Verstößen gegen die Luftfahrtsregeln. Die Polizisten der Patrouillenboote würden in den nächsten Jahren noch genug zu tun haben! Dabei führten sie manchmal die tollsten Kapriolen aus, die man sich überhaupt vorstellen konnte – steil zogen sie nach oben in den unendlichen Raum, senkrecht fielen sie vom Himmel, sprangen mit einem Satz zur Seite und kreisten in engem Bogen um ihre „Opfer“, denen sie einen Verstoß gegen die Vorschriften ankreiden konnten. Trotz aller Vorzüge aber hatten sie die Vollkommenheit des marsianischen Raumschiffes noch nicht erreicht. Würden die beiden Polizisten auch diesmal ihre Aufgabe erfüllen können? Aber was wußten die beiden Männer des Sicher46
heitsdienstes in diesem Augenblick von der Existenz eines Raumschiffes von einem anderen Stern? Kaum hatte das Boot neben den massiven Bauten der Station aufgesetzt, als auch schon die zwei Mann der Besatzung herauskletterten und zur Luftschleuse hinübergingen. „Warum haben sie wohl eben auf unseren Anruf nicht geantwortet?“ überlegte der eine. „Wir haben sie doch verschiedene Male über Funk angerufen, aber nicht ein einziges Mal kam eine Antwort.“ „Keine Ahnung“, erwiderte der andere, „aber ich könnte mir durchaus vorstellen, daß sie die Fortsetzung ihres Geburtstages feiern. Soll ja auch auf dem Mond hin und wieder schon mal vorgekommen sein!“ Der Ältere blieb plötzlich stehen. „Moment mal“, überlegte er, „ich habe ja den Schlüssel für die Luftschleuse vergessen. Ich hole ihn noch.“ Er drehte sich um und war im Augenblick im Schiff verschwunden. Gerade, als er den Schlüssel aus dem Fach nahm, tickte das Funkgerät. Er setzte sich hin, meldete sich sprechbereit, und wartete. Dann kam der Befehl: „Drei Raumschiffe auf dem Weg zur Hauptstation über Leitweg Luna 2 durch Fehlleitung der Radarleitstrahlen gegen Felsen geprallt und abgestürzt. Es besteht dringender Verdacht der Sabotage. Sämtliche Angehörigen der Station ‚Luna 2’ sind vorläufig festzunehmen und an der weiteren Ausübung ihres Dienstes zu hindern. Ein Boot zum Abtransport der Verhafteten folgt später. Ein Notdienst wird zunächst durch die beiden Besatzungsmitglieder des Patrouillenbootes aufgenommen. Bleiben Sie also an Ort und Stelle und erwarten Sie weitere Befehle. – Ende.“ Der Polizist meldete, daß er verstanden habe, dann wandte er sich kopfschüttelnd zum Gehen. Mit der Station schien also doch etwas nicht zu stimmen. 47
Er überbrachte seinem Kameraden die Meldung. Der begriff es auch nicht ganz, aber sie waren es gewohnt, die verrücktesten Aufträge auszuführen, warum also nicht auch diesen? „Also gehen wir!“ sagte er. Sie kamen an die Luftschleuse und schalteten die Signalanlage ein. Sie zeigte jetzt innen an, daß die Luftschleuse von außen geöffnet wurde. Niemand durfte gleichzeitig von innen öffnen, da sonst die Atemluft der Station mit rapider Geschwindigkeit ausströmen würde. Die Folgen für die Besatzungsmitglieder wären unabsehbar. Der SD-Beamte schloß auf. Sie traten in die Schleusenkammer und schlossen die äußere Tür. „Hast du die Waffe bereit?“ fragte der Ältere. Sie wußten ja nicht, was sie da drinnen erwartete! „Werden wir sie überhaupt brauchen?“ fragte der andere. „Aber vielleicht hast du recht, besser ist besser!“ Sie ließen Luft einströmen und bald war ausreichender Luftdruck in der Schleusenkammer hergestellt. Noch bevor sie die innere Tür der Kammer öffneten, schraubten sie ihre Raumhelme ab – und damit machten sie den entscheidenden Fehler! Kaum hatten sie die Tür geöffnet, kaum waren sie in das Innere der Station getreten, als der jüngere der beiden, der vorangegangen war, einen Schrei des Entsetzens ausstieß. Er konnte das Bild, das sich ihm da bot, nicht fassen. Verdammt, er hatte schon manche gefährliche Situation durchgestanden, er hatte viele Gefahren gemeistert, aber das hier … Was zum Teufel war denn hier geschehen? Ihm blieb jedoch nicht viel Zeit zum Überlegen. Ein würgendes Gefühl griff nach ihm, schnürte ihm die Kehle zu. Das Atmen fiel ihm schwer, Schweiß brach ihm aus allen Poren – was war denn bloß los? 48
Die Kräfte schwanden ihm, er sah lauter flammende Ringe vor den Augen. Hilfesuchend griff er um sich, dann sackte er mit einer langsamen Drehung zu Boden. Er sah noch, wie es seinem Kameraden genauso erging wie ihm, er sah, wie auch er schwankte, sich halten wollte und dann zu Boden stürzte. Er lag auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt; vergeblich versuchte er, sich zu bewegen. Arme und Beine,. sämtliche Muskeln versagten den Dienst. Er versuchte zu sprechen, aber seine Lippen brachten nicht ein Wort hervor, alles war wie gelähmt. Was war mit seinem Kollegen? Vergeblich bemühte er sich mit aller Anstrengung, den Kopf zu drehen, es ging nicht … Nur das Gehirn arbeitete noch, die Augen sahen, er war also bei vollem Bewußtsein! In ihm schrie alles, bäumte sich auf gegen das Schicksal, das ihn bedrohte, bei vollem Bewußtsein zu verhungern oder zu ersticken, am ganzen Körper gelähmt – ohne jegliche Hilfe! Sollte dies das Ende sein? * „Gehen Sie durch die Tür, dann den Gang entlang, dann rechts und warten Sie!“ befahl eine Stimme. John Eskin hielt es für besser, stumm zu gehorchen. Langsam, schwerfällig, bewegte er sich vorwärts. Er tat das mit voller Absicht, denn er wollte möglichst alles sehen, sich alles merken und keine Beobachtung auslassen. Auf keinen Fall aber wollte er Dinge mit sich geschehen lassen, die er nicht kontrollieren konnte. Er erinnerte sich nur zu gut an die Erlebnisse Bergers, der im entscheidenden Moment die Besinnung verloren hatte und nachher nicht mehr wußte, 49
wie lange er ohne Bewußtsein gewesen war und was der Marsianer mit ihm in der Zwischenzeit gemacht hatte. Nein, er wollte wach sein. Vielleicht konnte er sich und seinen Kameraden doch noch in irgendeiner Weise helfen. Er folgte der Anweisung des Fremden. Die Türen öffneten sich automatisch und schlossen sich ebenso geräuschlos wieder, wenn er hindurchgegangen war. Er befühlte das Metall, das einen eigenartigen Schimmer verbreitete und aus einer Legierung zu bestehen schien, die auf der Erde bisher unbekannt war; er sah die verschiedenen Meßinstrumente in den Wänden und versuchte, sich, soweit es der flüchtige Blick gestattete, über ihre Bedeutung klarzuwerden. Ein kleiner Fernsehschirm, der eingeschaltet war, ermöglichte ihm einen Blick nach draußen – ein weites Panorama lag vor ihm. Also auch in der Dunkelheit vermochte das Raumschiff mit taghellen Augen zu sehen. Schließlich gelangte er in einen Raum, der einem Rauchsalon ähnelte. Nach der Beschreibung, die Berger ihm gegeben hatte, mußte dies das Zimmer sein, in dem die beiden miteinander gesprochen hatten. Jetzt also stand er selber hier und wartete. Man würde es ihm nicht leicht machen, das wußte er mit Bestimmtheit. Er blickte sich um, langsam nur drehte er den Kopf, denn er war auf jede Überraschung gefaßt. Unwillkürlich tastete seine Hand nach der Strahlpistole – er war bereit, sie zu benutzen, wenn es sein mußte. Und jetzt sah er den Marsianer vor sich. Wahrhaftig – Berger hatte nicht gelogen. Unwirklich, ungreifbar stand dieses rätselhafte Etwas da, kein Lebewesen nach menschlichen Begriffen. Ständig verschwammen seine Formen ineinander, schillerte es in allen Farben des Regenbogens. Eskin mußte schlucken, sein Atem ging kurz – in diesem 50
Augenblick konnte er es Berger nachfühlen, daß er die Besinnung verloren hatte. Er zitterte, aber er riß sich zusammen; er wollte nicht versagen. Immerhin hatte er es mit einem Vertreter einer hochgezüchteten Zivilisation zu tun, oder nicht? Da das Wesen immer noch schwieg, wagte er, von sich aus zu sprechen. „Können wir den umständlichen Helm nicht wenigstens absetzen, und uns von Mensch zu Mensch unterhalten?“ fragte er. Er tippte darauf, daß auch der Unbekannte, genau wie er, einen Raumanzug trug, wenn er ihn auch nicht deutlich erkennen konnte. Jedenfalls war ihm der Marsianer draußen in einer Raumkombination erschienen. „Wenn Sie es wünschen“, erwiderte 8er Fremde, „tun Sie sich bitte keinen Zwang an.“ John setzte seinen Helm ab und bemerkte, daß der Marsianer das gleiche tat. Aber die Wirkung, die er sich erhofft hatte, trat nicht ein – das Wesen schillerte weiter, und genau wie zuvor änderte es mit ineinanderfließenden Farben und Formen seine Erscheinung, es nahm keine feste Gestalt an. John beobachtete seinen Gegner genau. „Warum haben Sie das alles getan?“ fragte dieser. „Es war doch Ihr Werk, daß eines der Schiffe davonkam – deswegen werde ich mit Ihnen abrechnen. Sie wissen genau, daß Sie gegen meine Anordnungen verstoßen haben, daß Sie mir meinen Plan vereitelt haben – und dafür werde ich Sie büßen lassen!“ John hörte in diesem Augenblick kaum auf die massive Drohung, die das Scheusal aussprach. Er achtete auch nicht auf die Bewegungen des anderen. Ihn beschäftigte im Augenblick etwas ganz anderes, denn er hatte eine interessante Entdeckung gemacht. Gespannt lauschte er auf jedes Wort, das von seinem Gegenüber gesprochen wurde. 51
Die Stimme kam gar nicht daher, wo das schillernde Gebilde stand; er spürte genau, daß er gar nicht von vorn, sondern vielmehr von der Seite angesprochen wurde. Jawohl, von links kam die Stimme, ganz von links. Also stand der Marsianer nicht da, wo er ihn sah! Was hatte das zu bedeuten? Er wollte die Unterhaltung fortsetzen, aber sein Gegenüber hatte anscheinend Johns Mißtrauen bemerkt; es gestattete ihm keine weiteren Fragen mehr und befahl ihm statt dessen, auch den Rest seiner Raumkombination abzulegen und auf einem der Sessel Platz zu nehmen. John tat, wie ihm befohlen wurde. Während John an seiner Kombination herumnestelte, verschwand der Marsianer lautlos durch eine seitliche Tür. Er brauchte jedoch nicht lange zu warten – nach wenigen Augenblicken kam der Fremde zurück – als menschliches Wesen, als Marsianer – oder gab es vielleicht zwei Lebewesen hier an Bord? John wandte sich voll seinem Gegner zu. „So sehen Sie also aus!“ sagte er. „So sieht jemand aus, der kaltblütig und ohne einen Augenblick zu zögern Menschen und wertvolles Material opfert, um seinen eigenen Interessen zu dienen. Ich hätte nicht gedacht, daß ein solches Ungeheuer eine so menschliche Gestalt haben könnte.“ John zitterte vor Wut. „Hat Ihnen die Massenvernichtung Spaß gemacht?“ Auf der Stirn des Marsianers zeigten sich harte Falten. „Wer erlaubt Ihnen, so mit mir zu sprechen?“ fragte er unwillig. Auch er setzte sich und machte es sich gemütlich, wenngleich seine Stimme etwas ganz anderes als Gemütlichkeit verriet. „Ich weiß, daß Sie in meiner Situation genauso gehandelt hätten. Mir macht der Krieg keinen Spaß, das können Sie mir 52
glauben, aber er ist für uns eine Notwendigkeit geworden. Außerdem handle ich im Auftrag – im Auftrag meiner Regierung, die im Fortschritt der Menschheit und in ihren Plänen, den Mars zu erobern, eine ernste Gefahr für unser Volk sieht.“ Eskin nickte. „So ist das also! Und eine friedliche Einwanderung der Menschen auf dem Mars scheint Ihnen wohl nicht im Bereich des Möglichen zu liegen? Sie sprechen dauernd von einer Gefahr. Wir Menschen haben durchaus friedliche Absichten.“ Der Marsianer zuckte die Achseln, während sein Gesicht einen spöttischen Ausdruck annahm. „Eine friedliche Einwanderung?“ fragte er. „Dafür sind die Menschen noch nicht reif, und sie werden es nach ihrer ganzen Veranlagung auch niemals werden. Der technische Fortschritt bringt noch lange keine Reife mit sich. Und außerdem, wir würden uns auch einer friedlichen Einwanderung widersetzen – und schon wäre der Krieg da! Übrigens – ein kurzer Krieg nur, der mit der Vernichtung aller Raumschiffe, die auf dem Mars landen, enden würde. Und um Ihnen die Mühe zu ersparen, vernichten wir die Raumschiffe lieber gleich hier auf dem irdischen Mond. Sie sparen sich einen langen Weg und erfahren niemals etwas von der Existenz der Marsmenschen.“ John Eskin lauschte wie ein Fuchs, nicht nur, daß ihn das, was der Marsianer sagte, ganz besonders interessierte, nein, etwas anderes beschäftigte ihn in diesem Augenblick wieder. Die Stimme, die jetzt zu ihm sprach, kam nicht mehr wie vorhin aus einer anderen Richtung, nein, jetzt kam sie wirklich von der Stelle, an der der Marsianer saß. Wie hing das alles zusammen? Das Rätsel mußte er lösen. „Ich habe meinen Auftrag jetzt erfüllt“, sagte der Marsianer weiter und blickte dabei den Menschen lauernd an. Dann hob er seine Stimme: „Bis auf eine Kleinigkeit!“ 53
„Und die wäre?“ fragte Eskin gespannt. Der Marsianer sah auf seine Hände. „Ich habe die Mitwisser meiner Tat zu vernichten – und Sie sind der letzte, John Eskin!“ John war gar nicht sonderlich erschrocken, daß ihm Gefahr drohte, hatte er längst vermutet. Nach all dem, was bisher vorgefallen war, mußte er es sogar erwarten. Nur eines beunruhigte ihn. „Wieso bin ich der letzte?“ fragte er. „Weil die anderen inzwischen das gleiche Schicksal erlitten haben wie Ihr Freund Thompson.“ John mußte sich in diesem Augenblick gewaltig beherrschen, um den anderen nicht anzuspringen. Er bezwang sich. „Und was für ein Schicksal ist das“, fragte er so ruhig, wie es ihm jetzt noch möglich war, aber er spürte, daß sein Atem stoßweise ging. „Sie sind gelähmt“, sagte der Marsianer. Dabei schien er die Wirkung seiner Worte förmlich auszukosten. „Der ‚Blitzschlag’, wie Sie es nannten, den Ihr Freund Thompson erhielt, ist kein gewöhnlicher elektrischer Schlag. Er birgt außerdem noch den Keim einer Krankheit in sich, die den gesamten Organismus lähmt. Aber nicht nur das. Diese Lähmung ist ansteckend. Jeder, der mit Thompson in irgendeiner Form in Berührung kommt, erleidet das gleiche Schicksal wie er. Aber das Gehirn arbeitet weiter, auch die Augen sehen so lange, bis der Infizierte stirbt.“ John klammerte sich an die Armlehnen des Sessels. So etwas konnte nur ein Teufel wie dieser Marsianer ausdenken – er malte sich aus, was inzwischen auf der Station passiert war. Man hatte Thompson aus seiner Raumkombination gewickelt, und dann … nicht auszudenken! „Dann sind meine Kameraden jetzt alle gelähmt, aber bei vollem Bewußtsein?“ fragte John. 54
„So ist es!“ „Und wie lange dauert es, bis der Tod eintritt?“ „Das ist verschieden, je nach der Widerstandsfähigkeit des einzelnen. Jedenfalls zwischen 12 und 48 Stunden.“ „Und ein Gegenmittel gibt es nicht?“ „Es gibt eins – aber nicht für Sie!“ John biß sich auf die Lippen. „Warum vernichten Sie denn nicht gleich alle Menschen auf dem Mond – warum nicht?“ Der Marsianer blieb gelassen. „Der Mond ist Ihr Territorium – Territorium der Erde. Aber der Mars gehört uns!“ John hätte begriffen. Hier war weder Gnade noch Verständnis zu erhoffen. Jetzt galt es zu handeln. Er wußte, welches Schicksal ihm zugedacht war. Er konnte nur noch etwas gewinnen, aber nichts mehr verlieren. Er zwang sich zur Ruhe und überlegte. Er mußte das Geheimnis des Schiffes lösen, denn nur so konnte er sich und seinen Kameraden das Leben retten. Er wandte einen Trick an. Er tat so, als ob er sich für das Innere des Schiffes interessierte und zeigte auf ein Instrument, das hinter dem Marsianer in die Wand eingebaut war. „Was ist das eigentlich für ein interessanter Apparat?“ fragte er. Der Marsianer drehte sich um, einen Augenblick nur, aber diese Zeitspanne genügte für John. Mit einem einzigen Sprung war er hinter seinem Gegner. Er packte ihn, schleuderte ihn mit voller Wucht zu Boden und versetzte ihm einen kräftigen Fausthieb gegen die Schläfe. Röchelnd verdrehte der andere die Augen – noch ein Hieb traf ihn und noch einer. Dann lag er stumm und regungslos am Boden. John atmete auf. Einen Augenblick überlegte er, ob er den 55
bewußtlosen Marsianer töten sollte. Es wäre das sicherste Mittel, um ihn für immer unschädlich zu machen – aber er würde ihn vielleicht noch brauchen. Er suchte nach einem Strick, aber so etwas schienen die Marsianer nicht zu kennen. Kurzerhand schnitt er aus seinem Kunststoffanzug, den er unter der Kombination trug, einige Streifen heraus und schnürte damit seinen Gegner zu einem Paket zusammen. Er richtete sich auf. Der konnte sich nicht mehr rühren und würde vorläufig keinen Schaden mehr anrichten. Er ließ sich auf einen Sessel fallen. Erst mal einen kleinen Augenblick verschnaufen und nachdenken! Er ließ noch einmal die Erlebnisse der letzten Stunden in Gedanken an sich vorüberziehen – ihm sollte noch einmal jemand sagen, auf dem Mond sei es langweilig! Das leise Summen der Maschinen erinnerte ihn daran, daß er keine Zeit zu verlieren hatte. Er steckte sich seine Strahlpistole ein, denn ein unangenehmes Gefühl sagte ihm, daß er nicht allein an Bord war, daß unsichtbare Augen ihn belauerten. Er hielt es deshalb für besser, sich seinen Raumanzug wieder anzuziehen, um jederzeit, wenn es sein mußte, das Schiff verlassen zu können. Plötzlich kam ihm eine Idee. Sollte er nicht lieber den Raumanzug des Marsianers anziehen? Vielleicht konnte der ihm mehr von Nutzen sein als sein eigener. Die Größe würde sicher stimmen. Vorsichtig schlich er sich in den Nebenraum und sah sich um. Dort hing der Anzug an der Wand – aber da hing auch noch ein zweiter! Sollte es hier doch noch einen anderen Marsianer geben? Er beschloß, ganz besonders vorsichtig zu Werke zu gehen. 56
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Sorgfältig legte er den Raumanzug an, setzte den Helm auf und probierte. Die Sauerstoffzufuhr entsprach nicht ganz der gewohnten Zusammensetzung, war aber ausreichend, ebenso der Druck. Und das Funkgerät? Er tastete den Anzug ab – aha, das schien es zu sein. Er schaltete ein. Ein leises Summen im Kopfhörer sagte ihm, daß die kleine Sende- und Empfangsanlage in Ordnung war. Er suchte weiter und entdeckte noch ein Gerät, das unter der Achselhöhle eingebaut war. Er schaltete ein, konnte aber keine besondere Wirkung feststellen. Vorsichtig ging er jetzt an die Untersuchung des Schiffes. Die Pilotenkanzel interessierte ihn am meisten. Er entsicherte seine Pistole und tastete sich vorwärts. Da – eine Tür. Sie stand offen, das mußte die Kabine sein. Gerade wollte er weitergehen, als die Tür langsam zufiel. Fast unhörbar schnappte sie ins Schloß! Also doch! schoß es ihm durch den Kopf. Er drehte sich um, niemand war zu sehen, aber die Tür da hinter ihm – auch sie bewegte sich, und fiel zu. Er war eingesperrt – eingesperrt im Gang zwischen den Räumen. In seinem Funkgerät lachte plötzlich eine dröhnende Stimme. „Gefangen, John Eskin! Glaubst du denn, uns Marsmenschen so leicht überlisten zu können? Nun sieh zu, wie du wieder herauskommst, ha, ha, ha!“ Die Stimme verstummte. Weiß Gott, er hatte einen Fehler gemacht! Aber so leicht sollten sie ihn nicht bekommen! Er richtete seine Waffe auf die Tür und drückte ab. Ein heißer Strahl konzentrierter Materie schoß gegen das Metall der Tür. Er behielt den Finger auf dem Abzug und sah, wie sich langsam die Tür erhitzte, immer heller glühte. Dann knallte das Schloß auseinander – die Tür sprang auf. 58
John hielt den Atem an – vorsichtig schlich er auf den Raum zu, als plötzlich jegliches Licht im Schiff erlosch. Es war unheimlich, als sich die Stimme wieder meldete. „Du findest mich nie, aber jetzt ist an dir die Reihe. Da – stirb!“ Aus der Dunkelheit schoß ein kalter, harter Strahl. John stand wie gelähmt – das war der tödliche Strahl, der diesen entsetzlichen Tod auslöste … Aber der Strahl schoß an ihm vorbei, traf ihn nicht. Wieder zuckte der bläuliche Blitz, wieder vorbei. Er hatte jetzt gesehen, aus welcher Ecke dieser undurchdringlichen Dunkelheit der Blitz kam. Als der tödliche Strahl ein drittes Mal an ihm vorbeihuschte, drückte er selber ab. Er zielte genau auf den Ausgangspunkt des Strahles. Ein entsetzlicher, tierischer Schrei dröhnte in seinem Kopfhörer. Dann folgte ein Wimmern, das schnell erstarb. Ruhe! Auch die Blitze zuckten nicht mehr. John ließ seine Pistole sinken. Er mußte sich erst einmal den Schweiß von der Stirn wischen, setzte deshalb den Helm ab und gönnte sich eine kurze Pause. Dann tastete er sich vorwärts durch die Dunkelheit. Erst einmal Licht! Das war ihm das wichtigste. Er tastete sich in die Pilotenkanzel, oder was immer dieser Raum darstellen mochte. Hunderte von kleinen Kontrollampen leuchteten ihm aus der Dunkelheit entgegen. Die Regelmäßigkeit der Anordnung war an einer Stelle unterbrochen. Hier mußte die Kontrolle für die Beleuchtung sein. Er tastete zum Schalter. Legte ihn um. Er hatte sich nicht getäuscht. Im ganzen Schiff flammte die Beleuchtung auf. „Glück gehabt“, flüsterte er. 59
Als er sich umdrehte, stieß sein Fuß gegen etwas Weiches. Da lag ein Marsianer vor ihm, verkrümmt, vom Strahl seiner Pistole getroffen. Noch im Tode umklammerte er einen Schalthebel. War dies der Auslöser für den tödlichen Strahl? John begann, diesen Apparat zu untersuchen – vielleicht war hier der Schlüssel zum Geheimnis. Er versuchte die verschiedenen Schalter und Hebel der Schalttafel. Ein Bildschirm leuchtete auf und ließ die ganze Umgebung des Schiffes deutlich erkennen. Der Bildschirm ähnelte dem anderen, den er vorhin schon bemerkt hatte. John versuchte, ihn einzustellen. Deutlich erkannte er die Station „Luna 2“, näher und näher holte er sie sich heran, bis jede Einzelheit genau zu erkennen war. Aber alles blieb tot dort drüben, und nichts schien sich zu bewegen. Er schwenkte herum und richtete den Schirm auf einen Felsen unter dem Schiff, dann drückte er den Hebel. Ein Blitz schoß aus dem Schiff, traf den Felsen. Er wußte Bescheid. Hier war also das Geheimnis – aber wo fand er das Gegenmittel, das seine Kameraden aus ihrer tödlichen Lähmung retten konnte? So sehr er auch suchte, er fand es nicht. Nun gut, der Marsianer würde es ihm verraten müssen. Er prüfte noch einige andere Schalttafeln, dann ging er wieder hinüber, dorthin, wo der Bewußtlose lag. Der war inzwischen wieder erwacht und starrte John aus weit aufgerissenen Augen an. Angst und Schrecken spiegelten sich in seinem Gesicht, aber auch abgrundtiefer Haß und unversöhnliche Feindschaft. „Tia, mein Freund, da hast du dich wohl etwas zu überlegen und zu sicher gefühlt!“ lachte Eskin ihn an. „Zum Glück sind wir Menschen auch nicht ganz dumm.“ 60
Er packte ihn am Arm und riß ihn hoch. „He, raus mit der Sprache, wo ist das Heilmittel für meine Kameraden?“ Der Marsianer schwieg. „Ach – der Herr will nicht? Gut, wir werden ihn schon kriegen.“ Er setzte sich auf den am Boden Liegenden und drehte ihm langsam den Kopf zur Seite – immer weiter. Der Marsianer knirschte mit den Zähnen, er stöhnte – schließlich schrie er. Es war ein gräßlicher, wunder Schrei – aber er schwieg. John ließ ihn los. „Du willst also immer noch nicht?“ Er richtete sich auf. „Merke dir, das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich erwartet, wenn du nicht redest!“ Er packte ihn noch einmal, versetzte ihm einen wuchtigen Schlag an die Schläfe und ließ ihn wie einen Sack fallen. „Schlaf gut, Freundchen“, lachte er, „ich komme bald wieder – aber nicht allein!“ * John machte sich auf den Weg zur Station „Luna 2“. 8,47 Meilen hatte er vor sich. Es war nicht sehr weit für einen Mann seiner Größe unter den Schwereverhältnissen des Mondes. Er würde den Weg in einer halben Stunde geschafft haben. So gut es ihm der felsige Boden gestattete, griff er aus. Federnd sprang er über Spalten und Risse, die er auf der Erde nicht hätte überwinden können. Schließlich stand er vor der Station. Mit einem tiefen Atemzug, so, als befürchte er das Schlimmste, öffnete er die Luftschleuse und trat ein. Der Anblick, der sich ihm im Innern der Station bot, ließ ihn 61
schwanken. Hatte der Teufel hier seine Hand Im Spiel gehabt – war der Marsianer ein Abgesandter der Hölle? Wo sie gerade gesessen oder gestanden hatten, lagen seine Freunde am Boden, die meisten von ihnen um den armen Thompson geschart. Sie hatten ihm helfen wollen, und er hatte ihnen die gleiche Krankheit gebracht, die er selbst in sich trug. Schweigend ging Eskin von einem zum anderen. Er beugte sich über sie, sah sie an – aber keiner von ihnen bewegte sich, keiner sprach ein Wort – alle lagen starr und stumm da. Aber die Augen – dachte er – diese Augen. Sie sahen, sie redeten eine stumme Sprache, sie flehten um Hilfe! Und wie alt sie alle aussahen! Unter normalen Umständen würde man sie auf das höchste Greisenalter schätzen. In der Funkerkabine fand er Peter Bowly. Ihn hatte das gleiche Schicksal ereilt wie die anderen. „Ich werde euch helfen“, sagte er zu seinem Freund, „du darfst den Mut nicht sinken lassen. Es dauert nicht mehr lange!“ Damit hatte er auf jeden Fall recht. Es würde nicht mehr lange dauern, auch wenn er ihnen nicht helfen konnte. Er glaubte in den Augen seines Freundes einen Hoffnungsschimmer aufleuchten zu sehen, und das gab ihm die Gewißheit, daß er verstanden wurde, daß alle, wie sie hier lagen, bei vollem Bewußtsein warteten – auf ihre Erlösung oder auf den Tod. Eskin ging von Mann zu Mann. Bei jedem wiederholte er seine Trostworte. Und dankbar leuchteten die Augen der Männer auf, als sie ihn verstanden. Dann mußte er sich setzen. Ihm war übel – wer konnte nur so etwas ausdenken? Waren das wirklich Menschen, diese Marsbewohner? Oh, er würde sie alle rächen, wenn er ihnen nicht helfen konnte. 62
Nachdem er so eine Weile dagesessen hatte, kam ihm die Idee, noch einmal die Radargeräte einzuschalten und das Raumschiff des Marsianers anzupeilen. Er war gespannt, ob sich irgend etwas verändert hatte. Der Schirm leuchtete auf, und das leise Summen des Gerätes klang ihm plötzlich so vertraut wie nie zuvor. Er tastete die Umgebung ab, stellte den Seitenwinkel und die Entfernung ein – schwenkte das Gerät hin und her. Das Gerät jedoch zeigt ihm keinen Ausschlag – das Schiff des Marsianers war verschwunden. John sackte auf seinem Stuhl zusammen. Einen Augenblick lang kam ihm der Gedanke, sich seiner Weltraumkombination zu entledigen, um auf den Schreck hin erst mal eine gute Zigarette zu rauchen, aber dann erinnerte er sich: Das würde auch für ihn eine Infektion und die tödliche Lähmung bedeuten – nein, das war die Zigarette beim besten Willen nicht wert. Was sollte er nur tun – was sollte er tun? Er überlegte hin und her! Die beste Lösung war, sich erst einmal mit der Hauptstation in Verbindung zu setzen. Nur von dort konnte er noch Hilfe erwarten. Er ging in die Funkerkabine, um von hier aus die Hauptstation anzurufen. Er schaltete das Gerät ein, drückte die Taste und … und im gleichen Augenblick blieben die Generatoren wieder stehen, setzte die Beleuchtung aus, versagte das Funkgerät. „Verdammte Schweinerei“, schrie er sich selber an. „Jetzt sind wir weiß Gott wieder da angelangt, wo wir am Anfang gestanden haben!“ Jetzt konnte ihm nur noch das Patrouillenschiff helfen, das draußen vor der Station lag. Mit einem Sprung war er an der Luftschleuse, er riß sie auf, ließ die Luft nach draußen strömen. 63
Du meine Güte, dauerte das alles lange! Mit dem Druckausgleich stürzte er ins Freie. Mit riesigen Sätzen eilte er auf das Patrouillenboot zu. Ein Sprung – und er war im Inneren. Er drehte die schwere Tür zu, schwang sich in den Pilotensitz und startete. Wie von der Sehne geschnellt, schoß das Boot nach oben und nahm Kurs auf die Hauptstation. Er mochte vielleicht zehn Minuten geflogen sein, als plötzlich ein Zittern durch das Boot lief. Es kam ihm vor wie ein Stoß, ein leichter Stoß, aber doch spürbar. Da – da war es wieder, nur wesentlich stärker. John kontrollierte die Instrumententafel – es schien alles in Ordnung zu sein – als plötzlich ein dritter Stoß das Boot erschütterte. Dieses Mal war er so stark, daß das kleine Schiff fast zu bersten drohte. Die Instrumente tanzten, und das Schiff schien einen starken Kurs nach unten zu nehmen. John starrte auf das Radargerät und erblickte … Das konnte nur das Schiff des Marsianers sein, das ihm geballte Energieladungen nachschickte, das ihm immer naher kam – immer näher. Jetzt ist alles verloren, dachte er. Da entdeckte er einen Hebel, dessen Bedeutung ihm bisher unbekannt war. „Reserve“, stand darauf. Was mochte er bewirken? Ein neuer, heftiger Schlag ließ das Boot erdröhnen. John schaltete den Hebel ein … besser mit dem Schiff explodieren, als von dem Marsianer mit dem tödlichen Strahl beschossen werden, fuhr es ihm durch den Kopf. Kaum hatte er den unbekannten Hebel umgelegt, als er sich 64
gegen seinen Sitz gepreßt fühlte, die Sinne drohten ihm zu schwinden, nur mühsam gelang es ihm überhaupt noch zu denken. Er starrte auf den Geschwindigkeitsmesser und sah, wie der ständig in die Hohe kletterte, weiter, immer weiter. Das war doch nicht möglich! Solche Geschwindigkeiten, wie er sie jetzt flog, hatte die Menschheit selbst in ihren kühnsten Träumen nicht zu erhoffen gewagt. 10 000 – 20 000 – 30 000 Meilen in der Sekunde! Und der Zeiger der Skala kletterte immer noch. Anscheinend war er bereits aus dem Anziehungsbereich der Erde und des Mondes heraus, denn er fühlte sich nicht mehr an den Sitz gepreßt. Die Schwerelosigkeit, wie er sie auch von den bisherigen Flügen zwischen Erde und Mond gekannt hatte, machte sich bemerkbar. Er schaltete das Fernsichtgerät ein, ein Radargerät, das bis in ferne Tiefen des Weltalls vorzudringen vermochte. Er ließ die Antenne kreisen und suchte das Schiff des Marsianers – aber er fand nichts. Er war allein im endlosen All. John Eskin blickte durch eines der Fenster zurück und sah, wie die Erde und ihr Trabant immer kleiner wurden, bis sie schließlich zu der Größe eines Sternes zusammengeschrumpft waren. * In der Funkkabine der Hauptstation schepperte der Lautsprecher. Der Chef des Sicherheitsdienstes erkundigte sich beim Funker vom Dienst, ob das zur „Luna 2“ abkommandierte Patrouil65
lenschiff sich vielleicht auf der allgemeinen Verkehrsfunkwelle gemeldet habe. Der Funker verneinte. „Seit etwa einer Stunde habe ich nichts mehr gehört. Die letzte Meldung war die Empfangsbestätigung des Verhaftungsbefehls für die Besatzung von ‚Luna 2’, die auf der Polizeifunkwelle durchgegeben wurde.“ Der Sicherheitschef trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. „Da muß doch irgend etwas nicht in Ordnung sein. Wir haben verschiedentlich die Station angerufen, aber sie meldet sich wieder nicht.“ „Soll ich es noch einmal versuchen?“ fragte der Funker zurück. „Ja – und sagen Sie mir dann sofort Bescheid!“ Kurze Zeit später funkte der Anruf aus der Antenne der Hauptstation. „Hauptstation ruft Luna 2! – Hauptstation ruft Luna 2!“ Die Antwort blieb aus. Nachdem der Funker in kurzen Abständen immer wieder sein Glück versucht, aber keinerlei Antwort erhalten hatte, meldete er dem Chef des Sicherheitsdienstes: „Station Luna 2 schweigt und gibt auch auf mehrere Anrufe hin keine Antwort.“ „Danke“, kam die Antwort des Polizeichefs, „bleiben Sie auf der Welle und überwachen Sie weiterhin besonders auch den geheimen Wellenbereich. Ich werde inzwischen Nachforschungen anstellen.“ „Jawohl, Herr Kommissar!“ Dann schwieg der Lautsprecher. Kommissar Legrand schnaubte vor Wut. Was bildeten sich diese Kerle eigentlich ein? Erst feierten sie Geburtstag und die ganze Bande schien betrunken zu sein, dann ließen sie sich die schwersten Verfehlun66
gen zuschulden kommen, spielten irgendwo in der Wüste gruselige Szenen, und schließlich hielten sie seine Patrouillenbesatzung zum Narren. Jetzt feierten sie anscheinend ihren Geburtstag weiter. Diese Bande! Aber er würde ihnen schon die Suppe versalzen! Mitten in seine wütenden Gedanken hinein schepperte sein Schreibtischlautsprecher. Der Stationsleiter meldete sich. „Haben Sie eigentlich schon eine Meldung vom Patrouillenboot, Legrand?“ Legrand mußte verneinen. Es war ihm peinlich, daß er noch keine Erfolgsmeldung geben konnte. Ihm passierten solche Pannen selten. „Nein, Herr Professor“, beantwortete er dessen Frage, „aber ich werde mich jetzt ganz persönlich um diese Angelegenheit kümmern.“ „Das möchte ich auch sehr wünschen“, gab der Stationsleiter etwas ärgerlich zurück. Dann erkundigte er sich, ob schon ein Bericht von der Unfallstelle vorläge. „Leider auch noch nicht. Die Sonderkommission ist erst vor einer halben Stunde abgeflogen, und der erste ausführliche Bericht ist frühestens in etwa einer Stunde zu erwarten.“ „Kümmern Sie sich auch darum persönlich?“ wollte der Professor wissen. Legrand war beleidigt. „Aber natürlich, Herr Professor!“ „Hören Sie! Die Aufklärung des Versagens von ‚Luna 2’ scheint mir das Wichtigste zu sein, schon im Interesse der anderen Schiffe, die zu erwarten sind. Sie sollten sich so schnell wie möglich dieser Aufgabe annehmen.“ „Ich werde sofort alles veranlassen.“ „Und ich warte auf Ihren Bericht, Legrand! Damit wir uns richtig verstehen.“ 67
Der Lautsprecher klickte, dann war er verstummt. Kaum hatte er das Gespräch beendet, als Legrand in die Kommandozentrale eilte und Alarm für die Patrouillenboote 4, 7 und 9 anordnete. „Alle Boote sofort schnellstens zur Hauptstation. Weitere Anweisungen erfolgen von hier aus!“ befahl er. Dann preßte er seinen etwas fülligen Körper in die Raumkombination und eilte im Laufschritt zum Startplatz. Die Wartezeit erschien ihm unendlich lang. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere. Die Kameraden konnten sich auf etwas gefaßt machen, dachte er. Solange er im Weltraumsicherheitsdienst tätig war, solange er auf der Station saß, war noch kein so schwerwiegender Fall von Sabotage vorgekommen. Es war überhaupt eine Frechheit, ihn aus seinem gewohnten Dienst in dieser Weise aufzustören. Nun, er würde sich schon die richtigen Disziplinarmaßnahmen ausdenken! In diesem Augenblick setzte die erste Maschine zur Landung an. In weitem, kühnem Schwung kreiste sie auf den Landeplatz hinunter und setzte sanft auf. Wenige Augenblicke später folgte die zweite Maschine und schließlich war auch die dritte zur Stelle. Die Mannschaften versammelten sich um ihren Chef, um zu erfahren, was es Besonderes gab. „Also, genau zuhören!“ Legrand hob seine Stimme, um seinen Ausführungen besonderen Nachdruck zu geben. „Auf der Station Luna 2 ist allem Anschein nach eine tolle Schweinerei passiert. Wir wissen noch nicht genau, ob die Kerle da drüben alle betrunken sind, oder ob es sich um einen Fall von schwerster Sabotage handelt. Die Sonderschiffe, die vor wenigen Stunden erwartet wurden, und die, wie Sie wissen, wertvollstes Material und hochempfindliche Instrumente für einen Geheimauf68
trag an Bord hatten, sind durch Luna 2 fehlgeleitet worden und gegen das Bergmassiv westlich der Leitstation geprallt.“ Die Polizisten hatten verstanden, sie alle konnten sich in diesem Augenblick denken, welche Aufgabe sie zu übernehmen hatten. Legrand bemerkte ihre verstehenden Blicke. „Ich glaube, Sie machen sich die ganze Sache etwas zu einfach, meine Herren. Sicher sollen und müssen wir die Besatzung auf Luna 2 verhaften, aber man scheint dort drüben Widerstand zu leisten. Die Besatzung von Patrouillenboot 3, die vor Ihnen diesen Auftrag bekam, ist bis jetzt nicht zurückgekehrt und hat auch auf Anrufe nicht mehr geantwortet. Merkwürdigerweise antwortet die Station selber auch nicht. Und das ist ja ein Beweis dafür, daß dort drüben etwas stinkt! Also, meine Herren, Sie kennen den Auftrag: Verhaftung aller Besatzungsmitglieder von Luna 2, wenn nötig unter Anwendung von Waffengewalt. Ich selber übernehme das Kommando. Und jetzt bitte beeilen!“ Die Besatzungen kletterten in ihre Boote. Schwerfällig schlossen sich die dicken Türen; dann erhoben sich die Raumschiffe leicht, beinahe graziös vom Boden, formierten sich zu einem Dreieck und schossen in Richtung Station Luna 2 davon. Unterwegs gab Legrand seinen Polizisten noch einen genauen Bericht dessen, was in den letzten Stunden geschehen war. Er ließ dabei keine Kleinigkeit aus und doch wußte er das Wichtigste nicht zu melden: daß eine fremde Macht, die niemand von ihnen bisher kannte, ihre Hand im Spiel hatte. Sicher wäre er dann nicht so selbstbewußt an diese Aufgabe herangegangen, sicher hätte er dann auch nicht angeordnet, nur die Handwaffen für den Einsatz bereit zu halten. „Station Luna 2 backbord voraus!“ meldete der Pilot des ersten Schiffes. „Alles klar zur Landung!“ 69
Die Boote bremsten ihre Fahrt. Gerade wollte er den Befehl zur Landung geben, als Legrand plötzlich eine heftige Erschütterung im Boot verspürte. Ratlos sah er den neben ihm sitzenden Piloten an. Was hatte das zu bedeuten? Aber auch der schien keine Erklärung für das eigenartige Verhalten seiner Maschine zu haben. Ein zweiter, schwerer Stoß schüttelte das Schiff. In diesem Augenblick meldete der Pilot des Bootes 7: „Steuerbord achteraus unbekanntes Flugobjekt gesichtet. Entfernung 57,8 Meilen.“ Legrand wurde bleich. Was, zum Teufel, hatte das nun wieder zu bedeuten. * John Eskin hatte einen kühnen Plan gefaßt. Er wollte alles auf eine Karte setzen, alles versuchen, um seinen Kameraden zu helfen und die Besatzungen des Mondes vor künftigen, ähnlichen Überraschungen zu bewahren. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit raste das Patrouillenschiff 3 durch den unendlichen Weltenraum, während sein Pilot, John Eskin, über Karten gebeugt war, und mit Zirkel, Rechenmaschine und Lineal den Kurs ausrechnete, den er zu fliegen hatte. Er blickte noch einmal auf den Geschwindigkeitsmesser. Er zeigte 20 000 Meilen in der Sekunde an. John hatte die Geschwindigkeit etwas gedrosselt, da er nicht wußte, wie lange die Maschine dieses gewaltige Tempo aushalten könnte, wann das Material Zerfallserscheinungen zeigen würde. Aber die augenblickliche Geschwindigkeit würde genügen, um das Ziel rechtzeitig zu erreichen. 70
Er beugte sich noch einmal über die Karte und prüfte, kontrollierte. Jawohl, seine Berechnungen mußten stimmen. Noch etwa 30 Minuten, dann würde er am Ziel sein. Und dieses Ziel war – der Mars. John streckte sich im Pilotensessel aus und reckte die Glieder. Er spürte eine lähmende Müdigkeit und hatte ein unbezwingbares Bedürfnis zu schlafen. Er überdachte noch einmal die Ereignisse der letzten Stunden. Plötzlich erschien ihm alles so sinnlos. War es denn überhaupt nötig, daß die Menschen sich damit befaßten, den Mars und auch die anderen Planeten zu erobern? Er hatte es am eigenen Leib deutlich gespürt, daß dieser Plan wieder einen Krieg bedeuten würde, diesmal Krieg zwischen zwei Rassen des Sonnensystems, der nichts an Grausamkeit und Härte vermissen ließ. Aber die Menschheit hatte die Wahl – entweder andere Planeten zu besiedeln, oder aber in wenigen Jahren auf der alten, übervölkerten Erde den Hungertod zu sterben. Zwölf Milliarden, vielleicht auch vierzehn Milliarden Menschen konnte die Erde ernähren, aber das war auch ihr Äußerstes. Was geschah mit den anderen Milliarden. die in den nächsten Jahren dazukommen würden? Also hatte der Plan, den die Menschen letzt in die Tat umsetzen wollten, doch einen Sinn? Er hatte nie so recht darüber nachgedacht – erst jetzt schien ihm die ganze Größe dieses Problems bewußt zu werden. Und der Plan, für den er arbeitete, erschien ihm geradezu gigantisch! Tausende und aber Tausende von Menschen mußten in den nächsten Jahren umgesiedelt werden auf andere Planeten, um die eigene Erde zu retten. Und er gehörte zu den ersten Männern, die an den Vorbereitungen zu diesem Projekt mitarbeiteten! Konnte er darauf stolz sein? Ja, und er würde alles daran setzen, um jetzt seinem eigenen, kühnen Plan zu einem Erfolg zu verhelfen! 71
Nicht müde werden! Er ertappte sich dabei, daß er gerade beim Einschlafen war. Er rieb sich die Augen, reckte die Glieder und zog es vor, sich ein wenig zu bewegen. Die absolute Schwerelosigkeit im All, die fast in jeder Lage ein Gefühl hervorrief, als läge man hingestreckt auf weichen Daunen, förderte seine Müdigkeit. Er fluchte. Verdammt, er durfte nicht schlafen – er durfte nicht! Er tastete sich hinüber zum Wandschrank in der Hoffnung, hier vielleicht etwas Trinkbares zu finden. Er hatte Glück. Er fand eine Flasche Kognak und größere Mengen Koffeintabletten. Sicher ging es den Polizisten im Weltenraum auch so wie ihm jetzt, daß sie leicht ermüdeten. Er genehmigte sich einen Schluck aus der Flasche und nahm einige Tabletten zu sich. Die anderen hob er für später auf. Als er aus dem Fenster sah, erblickte er vor sich die rötliche Kugel des Mars, die auf ihn zugeschossen kam. Es war so weit! Das Abenteuer konnte beginnen! John drosselte das Tempo und zwang sein Boot langsam in eine Kreisbahn. Er überprüfte noch einmal die Waffen, das Radargerät, das Fernsichtgerät, das Morse- und Sprechfunkgerät – die Maschine selbst. Er beschleunigte noch einmal und bremste dann. Die Düsen arbeiteten zuverlässig, sicher und mit nie gekannter Energie. Das Boot war auf der Kreisbahn angelangt. Wie ein Trabant des Mars begann er jetzt, den Planeten zu umkreisen. John beobachtete die Höhe. Nur 25 Meilen über der Oberfläche des Mars raste er jetzt dahin. Dann zitterte der Funkspruch aus der Antenne. „Raumschiff Luna 2 ruft Mars. – Raumschiff Luna 2 ruft Mars.“ 72
Ununterbrochen sandte er diesen Ruf in den Äther des unbekannten Planeten. Man mußte ihn hören – irgendwo mußte man ihn hören, und man würde ihn hören, wenn er nicht ohnehin schon beobachtet wurde. „Raumschiff Luna 2 ruft Mars. – Raumschiff Luna 2 ruft Mars.“ Das Patrouillenschiff änderte seinen Kurs und flog jetzt in einer anderen Ebene. John sah auf die Uhr. Einmal hatte er den Mars bereits umkreist. Seit einer Stunde funkte er ununterbrochen den Mars an. Bisher hatte sein Lautsprecher geschwiegen. Sollte sein Plan nicht gelingen? Doch was war das? Er lauschte. Im Lautsprecher hatte es geknackt. Noch einmal, dann hörte er plötzlich eine Stimme. „Hier meldet sich Mars! Hier meldet sich Mars. Wir empfangen Anrufe vom Raumschiff Luna 2. Wir empfangen Anrufe vom Raumschiff Luna 2. Was wird gewünscht?“ John Eskins Hände zitterten vor Erregung. Es hatte also doch geklappt! Man hörte ihn. „Raumschiff Luna 2 erbittet Gespräch mit Regierung des Mars oder ihrer Vertretung. Eile ist geboten!“ Der Mars antwortete. „Halten Sie sich auf dieser Wellenlänge bereit, wir kommen wieder!“ John ließ sein Empfangsgerät eingeschaltet. Er bremste die Fahrt und begann zu kreuzen. Hier, über dieser Stelle des Mars würde sich vieles entscheiden! Er wartete und war gespannt, was man jetzt unten unternehmen würde. 73
Er hatte nicht lange gewartet, als sich der Mars wieder meldete. „Die Regierung des Mars hat einem Gespräch mit Raumschiff Luna 2 zugestimmt. Wir erwarten Ihren Bericht.“ John triumphierte. Man konnte also doch mit ihnen reden, vielleicht ließen sie sogar mit sich verhandeln. Er schaltete um auf Sprechfunk. Dann sprach er langsam und deutlich ins Mikrophon: „Der Mars hat ein Raumschiff zum Mond der Erde gesandt mit der Aufgabe, den irdischen Raumschiffverkehr zu unterbinden und die geplante Marsexpedition der Menschen zu vereiteln. Der Sabotageakt Ihrer Agenten wurde jedoch von uns rechtzeitig erkannt und verhindert.“ John log, aber er wollte bluffen, denn nur so glaubte er, zum Ziel kommen zu können. Er funkte weiter. „Ein Agent des Mars ist tot. Der andere befindet sich in unserer Gewalt und hat das Geheimnis verraten!“ „Und was wollen Sie von uns?“ kam die Frage vom Mars. „Beim Kampf mit Ihrem Raumschiff wurden einige Menschen der irdischen Mondbesatzung durch einen Energiestrahl des marsianischen Raumschiffes getroffen und gelähmt. Der gefangene Agent verriet uns, daß es ein Heilmittel gegen diese Lähmung gibt. Wir erbitten von Ihnen das Medikament zur schnellen Heilung von elf Menschen.“ John wartete gespannt auf die Antwort. Sie besagte: „Wir haben das Mittel. Wir werden es Ihnen jedoch nicht aushändigen.“ John preßte die Lippen zusammen. „Das Leben des Marsianers gegen das Leben von elf Menschen!“ funkte er zurück. Die Antwort war ebenso nüchtern wie klar: „Wenn unser Agent es zugelassen hat, daß unser Geheimnis durch sein Verschulden den Erdbewohnern bekannt wurde, wenn er seinen 74
Auftrag nicht erfüllt hat, dann hat er nach unseren Gesetzen den Tod verdient. Er ist uns also nicht das Leben von achtzehn Menschen wert.“ „Elf Menschen“, korrigierte John, „wieso achtzehn?“ „Elf Menschen sind bereits so gut wie tot. Sechs weitere kämpfen zur Zeit um ihr Leben, und der achtzehnte sind Sie selbst, John Eskin! Haben Sie uns verstanden?“ John wurde blaß. Er hatte sehr gut verstanden, aber er wollte sich dumm stellen. Vielleicht konnte er noch mehr erfahren. „Nein, ich verstehe nicht“, antwortete er. „Nun, damit Sie genau Bescheid wissen: Wir sind zu jeder Zeit über die Vorgänge auf Erde und Mond genau informiert. Wir wissen auch, was sich in den letzten Stunden auf dem Mond abgespielt hat. Unser Agent ist durchaus nicht in Ihrer Gewalt. Das haben Sie sich nur erhofft. Und in diesem Augenblick, da wir miteinander sprechen, kämpfen drei irdische Patrouillenboote mit unserem Raumschiff einen erbitterten Kampf, das heißt, sechs Menschen kämpfen um ihr Leben. Aber da sie von der Existenz des marsianischen Raumschiffes erfahren haben, müssen auch sie sterben. Niemand wird das Geheimnis der gestrandeten irdischen Raumschiffe lösen – auch Sie nicht, John Eskin. Es tut uns leid um Sie, Sie sind ein tapferer Mann, der seine Neugier und seinen Mut bitter bezahlen muß. – Ende“ Es klickte im Lautsprecher. Die Verbindung zum Mars war unterbrochen. John Eskin bebte vor Zorn und fluchte vor sich hin. Damit war sein Plan also doch gescheitert! Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Er schwang sich in den Pilotensitz und steuerte die Maschine auf Kurs zur Erde. Gerade wollte er sein Schiff auf Geschwindigkeit bringen, als ein leises Beben es erzittern ließ. 75
John zuckte zusammen. Dieses Zittern kannte er! Er wußte, was es bedeutete. Dieses Aufbäumen des Schiffes! – Da war es wieder. Ein zweiter Schlag hatte den metallenen Leib des Patrouillenbootes getroffen. Und noch einmal ging ein Zittern durch die Maschine, heftiger als zuvor. John stürzte an den Radarschirm, ließ den Bügel kreisen. Eiskalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Der Bildschirm zeigte ihm drei, vier, fünf, sechs Boote der Marsianer, die ihn wie Haie umlauerten und auf ihre Beute warteten. Wieder traf der Schuß eines der Schiffe den Bug. Es galt zu handeln, sonst war er verloren. Wenn er schon nicht entrinnen konnte, so wollte er sich doch so teuer wie möglich verkaufen. Er war mit einem Satz am Strahlengeschütz, schaltete es ein. Das leise Summen im Inneren des Gerätes zeigte ihm, daß die Energie sich zusammenballte und jetzt auf seinen Hebeldruck, auf die Erlösung aus der Umklammerung des engen Bleimantels wartete. Er starrte auf die Meßinstrumente, sah mit brennenden Augen, wie sie immer höheren Energiedruck anzeigten. Mit dem gekoppelten Radarschirm zielte er. Der Schuß löste sich. Eine unvorstellbare Menge geballter Energie löste sich und traf – ins Leere. Diese Haie schienen ihn zu verhöhnen! Er löste einen neuen Schuß aus – keine Wirkung. Aber da war die Antwort! Das Schiff ächzte und stöhnte unter dem Druck dem Bombardements. 76
Das ist deine letzte Stunde, dachte John. Er war schweißgebadet. Noch einmal versuchte er, sich zu verteidigen. Er zielte, schoß. Vorbei! Hielten ihn denn seine Radargeräte zum Narren? Eine sinnlose Wut packte ihn. Blind feuerte er seine Energiemengen in das All. Da plötzlich – was war das? Eine gewaltige Detonation vor ihm. Berstend flog eines der feindlichen Raumschiffe auseinander. Wie eine Supernova stand es im Bildschirm vor ihm. Da ein anderes! Das gleiche Schicksal ereilte auch dieses Schiff. John stürzte an das Bullauge seiner Kabine. Das mußte er mit eigenen Augen sehen! Tatsächlich! Das Unglaubliche war geschehen. Er sah die Trümmer der beiden Raumschiffe vor sich, wie sie mit unvorstellbarer Wucht davonflogen, von einer unheimlichen Kraft auseinandergerissen. Jetzt galt es, auch die anderen zu treffen. Ihm war eine Idee gekommen. Er wollte sie ausprobieren, vielleicht würde sich jetzt sein Verdacht bestätigen, den er vor ein paar Stunden gefaßt hatte. Berger hatte ihn darauf gebracht, als er behauptete, das marsianische Raumschiff stünde nicht da, wo der Radarschirm es zeigte! Ganz genau prüfte John das Bild im Schirm, dann stellte er das Strahlengeschütz ein, zielte sorgfältig und schoß. Einem Blitz gleich fuhr die Energie durch den Raum, prallte auf das feindliche Raumschiff und ließ es auseinanderbersten. John sah es im Radarschirm. Er atmete auf. Jetzt kannte er das Geheimnis der Marsianer und ihrer Raumschiffe! 77
Hatte er gewonnen? Er wollte es nicht glauben, aber in seinem Innern jubelte es! Er hatte die Marsianer besiegt. Er würde auch die letzten besiegen! Wieder wollte er sein Strahlengeschütz auf eines der feindlichen Raumschiffe einstellen, aber er suchte vergeblich. Sie waren nicht mehr da. Sie hatten in der Weite des Alls ihr Heil gesucht. 78
Halt – da kreuzte noch eines. Gerade hatte es der Radarschirm noch erwischt. Mit hoher Geschwindigkeit entfernte es sich von Johns Schiff. Sollte er es entkommen lassen? Nein! Er wollte zumindest versuchen, es noch zu erreichen. Er zielte noch einmal und schoß. Sekunden später barst das weit entfernte Schiff auseinander, als hätten tausend Tonnen Dynamit es zerrissen. John schluckte. Diese Präzision der Strahlkanone war selbst ihm unheimlich, er hatte sie bis heute nicht gekannt. Er suchte noch einmal die Umgebung ab, und das war sein Glück. Da sah er sie kommen! Hunderte von winzigen Punkten bewegten sich mit rasender Geschwindigkeit auf sein Schiff zu, kleine Raketen, die ihn vernichten sollten. Eine davon würde ihn treffen – jetzt galt es! Wer war schneller? Er drückte den Hebel und schaltete auf „Reserve“. Im Bildschirm verfolgte er die Bewegungen der Raketen, sah, wie sie immer näher kamen, die erste war noch einige Meilen entfernt – aber jetzt blieben sie stehen. Sein Schiff hatte die gleiche Geschwindigkeit erreicht – und schließlich blieben die feindlichen Geschosse ganz zurück. – Er hatte das Rennen gewonnen! Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Nur wenige Stunden verblieben ihm noch, seine Kameraden zu retten. Würde es ihm jetzt noch gelingen? Der Geschwindigkeitsmesser zeigte ihm an, daß er den Erdtrabanten in etwa einer halben Stunde erreichen könnte.
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* Legrand ließ alle Bildschirme auf den unbekannten Flugkörper richten. „Sind irgendwelche außerplanmäßigen Boote gemeldet?“ fragte er. „Sie haben doch vorhin selbst gesagt, daß nicht eher wieder Boote und Schiffe den Mond anfliegen dürfen, bis der Fall Luna 2 restlos geklärt ist“, antwortete ihm der Pilot des einen Patrouillenbootes. Legrand war ärgerlich, daß er nicht selbst daran gedacht hatte. „Man wird sich ja wohl mal erkundigen dürfen“, maulte er. „Bleiben also nur zwei Möglichkeiten“, antwortete der Pilot. „Entweder?“ „Entweder haben wir das vermißte Patrouillenboot 3 vor uns …“ „Oder?“ „Oder einen unbekannten Besucher. Wir werden es bald wissen.“ Als wollte das fremde Raumschiff seine Visitenkarte abgeben, erzitterte Legrands Boot von neuem. Er glaubte deutlich, den Schlag gespürt zu haben, der sein Boot getroffen hatte. „Sagt mal, Jungs, zittert euer Boot auch so?“ fragte er bei den anderen an. „Bis jetzt noch nicht“, lachten die anderen beiden. „Ist es wirklich Ihr Boot oder sind Sie es selbst, der so zittert, Chef?“ Legrand war wütend. Die hielten ihn wohl für einen Feigling? Im übrigen war dies wohl kaum die Art, mit einem Vorgesetzten zu sprechen. Da schaltete sich sein Begleiter ein. „Haltet gefälligst euer dämliches Mundwerk, wenn ihr nichts Besseres zu fragen wißt. Oder glaubt ihr, wir sehen Gespenster?“ 80
Statt einer Antwort kam vom zweiten Boot die Meldung, daß man auch da eine Erschütterung verspürt habe. Das dritte Boot meldete kurz darauf das gleiche. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte Legrand. „Wir werden anscheinend angegriffen“, kam die Antwort. „Machen Sie sich auf alles gefaßt!“ Legrand schwitzte. Er hätte doch besser nicht selber mitkommen sollen; aber jetzt war es zu spät, darüber nachzudenken. Wieder traf ein Schlag das Boot, diesmal wesentlich heftiger als zuvor. „Jeder verteidigt sich nach eigenem Ermessen“, befahl Legrand, dann war die Funkverbindung unterbrochen. Ein neuer Stoß. Ein Ächzen und Stöhnen ging durch das Schiff – was zum Teufel mochte das sein? Das feindliche Schiff war näher gekommen. „Schießen Sie!“ befahl Legrand seinem Kameraden. Die Energieladung zischte aus dem Schiff. Vorbei! Noch ein Schuß. Wieder vorbei. „Können Sie nicht zielen, Mann?“ brüllte Legrand. „Machen Sie es doch besser!“ patzte der andere. „Ich ziele ganz genau. Weiß der Teufel, warum ich nicht treffe!“ Statt dessen dröhnte eine neue Erschütterung durch das Schiff. Legrand mußte sich an seinen Sitz klammern, um nicht gegen die Wand geschleudert zu werden. Wie eine Spinne im Netz hing das unbekannte Weltraumschiff im All, umkreist von drei irdischen Schiffen, die vergeblich versuchten, ihm tödliche Wunden beizubringen. „Es ist zum Verzweifeln!“ schrie Legrand. „Machen wir lieber, daß wir wegkommen, ehe wir hier vor die Hunde gehen.“ 81
Dann schrie er in das Mikrophon: „Abdrehen!“ Aber es war zu spät. Er fühlte, wie wieder ein heftiger Schlag durch das Boot ging, wie der Motor plötzlich anfing zu stottern. Vergeblich versuchte er, sich auf Höhe zu halten. Langsam, dann immer schneller senkte sich das Schiff zu Boden. Der Raumer hatte alle Kraft verloren. „Versuchen Sie festzustellen, was mit den beiden anderen Schiffen los ist!“ schrie er seinen Kollegen an. „Sehe gerade, wie die ebenfalls herunterkommen!“ „Jetzt kann ich mir’s beinahe denken, was hier los ist“, polterte Legrand. „So?“ fragte der andere. „Mensch, ganz einfach! Der Teufel ist los! – Festhalten!“ Das Boot setzte unsanft auf, rutschte mehrere hundert Yards über das staubige Gestein, bäumte sich auf, drehte sich einige Male um seine eigene Achse, prallte gegen einen hohen Felsen und blieb schließlich mit aufgerissenem Leib liegen. Legrand war benommen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu sich kam. Er tastete sich zu seinem Kollegen, versuchte ihn hochzureißen – vergeblich. Der Pilot war tot. Der Anprall hatte ihn verletzt und den Raumanzug aufgerissen. „Das sind nun unsere Wunderschiffe!“ Legrand donnerte mit der Faust gegen die Wände. „Ein Dreck ist das – ein Dreck!“ Er versuchte, sich zu orientieren, blickte aus dem Bullauge, aber da draußen war nichts als rabenschwarze Nacht. Verdammt, was sollte er tun? Es gab nur eines: Er mußte versuchen, zu Fuß zur Station zu kommen. 82
Er überprüfte seinen Raumanzug, öffnete die schwere Tür des Bootes und sprang nach draußen. Er sah nichts. Nicht einmal die Hand vor den Augen. Der Strahl seiner Handlampe fraß sich in das Dunkel, traf auf einen silbrig glänzenden Leib … Der Leib spie einen kalten, harten Strahl aus. Mit einem dumpfen Stöhnen brach Legrand auf der Stelle zusammen. Vergeblich suchten seine Hände nach einem Halt. * Professor Langner ging unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Er versuchte, sich über verschiedene Dinge klarzuwerden, die sich in den letzten Stunden ereignet hatten und die ihm Rätsel über Rätsel aufgaben. Da war das geheimnisvolle Gespräch, das der Funker vom Dienst mit angehört hatte, als er seinen kleinen Wellenbummel machte. Dann die immer wieder unterbrochene Funkverbindung mit der Station Luna 2, die Besatzung des Patrouillenbootes 3, die sich einfach nicht mehr meldete, das zweite eigenartige Gespräch, das der Sonderdienst eingefangen hatte und jetzt, zu guter Letzt, war auch noch Legrand mit drei weiteren Booten des Sicherheitsdienstes verschwunden. Was hatte das alles zu bedeuten? Nervös zerkaute der Professor eine Zigarre zwischen den Lippen und ließ sich schwer in einen Sessel fallen. Er konnte und wollte die Verantwortung nicht übernehmen, neue Schiffe den Mond anfliegen zu lassen, bis das Unglück von Luna 2 restlos geklärt war, denn niemand wußte, was hierbei wieder passieren würde. Dabei dankte er dem Zufall und den nüchternen Überlegungen eines Funkers, der von dem Un83
glück erfahren und die nachfolgenden, planmäßigen Schiffe noch gerade rechtzeitig genug zur Umkehr aufgefordert hatte. Wenn die auch noch gegen den Felsen geprallt wären! Nicht auszudenken! Der Verlust von drei der neuesten Schiffe war für das geheime Projekt Mars gerade schwerwiegend genug. Und wen würde man letzten Endes für das Unglück verantwortlich machen? Doch niemand anders als ihn selbst: Professor Langner, den Leiter der Hauptstation Mond der Vereinigten Staaten von Europa und Amerika. Mitten in seine Überlegungen hinein bellte der Lautsprecher: „Herr Professor, auf dem Startplatz setzt gerade ein Patrouillenboot zur Landung an. Es ist die Nummer drei.“ Der Stationschef fuhr wie elektrisiert aus seinen Gedanken. „Nummer drei, sagen Sie?“ „Jawohl, Nummer drei!“ „Das ist doch das Boot, das wir seit einigen Stunden vermissen! Geben Sie sofort Alarm für den Sicherheitsdienst. Alle verfügbaren Leute an den Startplatz. – Ende!“ Noch während der Professor sich in seinen Raumanzug zwängte, schrillten durch die Räume der Station die Lautsprecher: „Alarm für alle Mann SD – Alarm für alle Mann SD. Sofort zur Außenstation!“ Eine lebhafte Unruhe machte sich bemerkbar, als jetzt aus den Verbindungsgängen die Polizisten kamen und sich noch im Laufen ihre Raumanzüge anlegten. Der Stationschef war bereits bei der Außenstation angelangt. Er forderte die ersten sechs Polizisten auf, ihm zu folgen. Dann stürmte er auch schon zur Luftschleuse, und wenige Augenblicke später stand eine Gruppe schwerbewaffneter Männer am Startplatz und harrte der Dinge, die sich jetzt ergeben würden. Mit nur wenigen, stoßweisen Sätzen konnte der Chef seine Mitarbeiter auf ihre Aufgabe vorbereiten und ihnen seinen Ver84
dacht mitteilen, daß die Besatzung des Patrouillenbootes 3 möglicherweise mit den Saboteuren zusammenarbeitete. „Wer immer auch aus dem Boot steigt, er ist zunächst einmal festzunehmen!“ befahl er. Da schwebte auch schon das kleine, wendige Boot heran und setzte zur Landung an, schwebte tiefer und tiefer und traf schließlich mit einem sanften Aufprall den Boden. Die Polizisten hatten ihre Pistolen bereit gemacht und beobachteten gespannt die Maschine, die im vollen Licht des Startplatzes silbrig glänzte. Die schwere Tür öffnete sich und heraus stieg … Ja, was war denn das? Erschrocken blickten sich die Männer an, fragend sahen sie zum Chef hinüber. Aber der war genauso überrascht wie sie selbst, starrte ungläubig auf das Wesen, das da aus der Maschine kletterte. „Das ist doch nicht möglich“, stammelte er. Das war kein Mensch, der da die Leiter herunterkam, das war aber auch kein Tier – es war ein Wesen, das ständig seine Form veränderte, das gar nicht richtig greifbar schien, das in allen Farben schillerte – und jetzt kam es auf die Männer zu. Eine panische Angst packte den Professor. Ein außerirdisches Wesen! „Feuer!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Schießen Sie, und halten Sie das Ungeheuer zurück!“ Darauf hatten die Männer nur gewartet. Aus sechs Strahlpistolen preschten die Energien – sechs Männer zielten und schossen auf ein Wesen, dessen Aussehen ihnen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte. „Was ist denn nur los, zum Teufel?“ brüllte der Professor, denn er mußte sehen, daß auch nicht ein einziger Schuß dieses Wesen traf oder gar vernichten konnte – es kam immer weiter auf sie zugeschritten, unaufhaltbar, unbeirrt. 85
„Feuerbefehl habe ich gegeben!“ keuchte der Chef, dann riß er einem der Polizisten die Pistole aus der Hand. Er zielte selbst, schoß – vorbei! Noch einmal – vorbei! „Hören Sie auf, es hat keinen Zweck!“ befahl er dann. „Ich nenne das nicht gerade einen freundlichen Empfang“, sagte das Wesen mit ruhiger, menschlicher Stimme. „Ich hätte weiß Gott verdient, daß Sie mir mit mehr Verständnis entgegentreten. Herr Professor.“ Professor Langner, mehr an den Umgang mit mathematischen Formeln gewöhnt, als an den Verkehr mit Ungeheuern, verstand überhaupt nichts mehr. „Wer, zum Teufel, sind Sie denn eigentlich?“ fragte er. „Ich kann mir vorstellen, daß Sie mich in dieser Kombination nicht erkennen. Deshalb will ich es Ihnen sagen: Ich bin John Eskin, Stationsleiter auf Luna 2.“ „Was denn – Sie wollen ein Mensch sein? In dieser komischen Form, in diesen schillernden Farben? – Sie wollen uns wohl zum Narren halten!“ „Keineswegs! Mir ist nämlich durchaus nicht zum Scherzen zumute.“ „Dann nehmen Sie erst mal eine normale, menschliche Form an“, forderte einer der Polizisten. John begriff! Deshalb hatten sie auf ihn geschossen – deshalb hatten sie ständig daneben getroffen. Jetzt wußte er endlich, was der Knopf in seinem marsianischen Raumanzug zu bedeuten hatte, den er sofort, als er den Anzug anlegte, eingeschaltet hatte. Er war wieder um eine Erfahrung reicher geworden – und diese Erfahrung fügte sich genau in das Bild ein, zu dem sich die Geheimnisse der Marsianer und ihrer Technik formten. Ja, deshalb hatte ihn der zweite Marsianer mit dem tödlichen Strahl nicht treffen können. 86
Deshalb! Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und mußte sogar ein wenig lachen. Er hatte tatsächlich wie ein Gespenst ausgesehen. Kein Wunder also, daß die Polizisten auf ihn schossen. Er drückte auf den Knopf seiner Kombination und schaltete damit den Apparat aus. So, jetzt mußte er wieder menschliche oder zumindest ansehnliche Formen annehmen. Die Kollegen der Hauptstation schienen das auch zu finden, denn ein Aufatmen der Erleichterung ging durch ihre Reihe. Sie nahmen eine wesentlich freundlichere Haltung ein. „Na, jetzt sind Sie wenigstens zu erkennen“, sagte der Professor. „Sie haben uns einen schönen Schreck eingejagt.“ Dann wurde er ernst. „Aber für derartige Scherze haben wir im Augenblick wirklich keine Zeit. John Eskin, Sie stehen unter dem Verdacht der Sabotage!“ „Was – ich?“ Ungläubig sah John von einem zum anderen. „Ausgerechnet ich?“ „Der Absturz der vier Raumschiffe kommt doch sicher auf Ihr Konto, nicht wahr? Und wir möchten wissen, wer Sie dazu angestiftet hat.“ „Das ist ja alles Unsinn. Ich habe keine Sabotage begangen – im Gegenteil. Ich will sie ja verhindern!“ John kochte; das hatte ihm bei allen Strapazen noch gefehlt. Aber man glaubte ihm nicht. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „John Eskin, ich verhafte Sie wegen des dringenden Verdachtes der Sabotage. Kommen Sie!“ „So ein hirnverbrannter Unsinn!“ brüllte John. „Ich habe nichts getan …“ „Kommen Sie – oder sollen wir Gewalt anwenden?“ Die Polizisten griffen John am Arm. Er wurde abgeführt. Kaum zwei Minuten später nahm ihm 87
der Zellenwärter seine Raumkombination ab und ließ ihn auf vier Metern im Quadrat hinter Gittern allein. „Wenn Sie einen Wunsch haben, dann klingeln Sie.“ Dabei zeigte er auf einen Klingelknopf an der Wand. „Aber klingeln Sie nach Möglichkeit nicht zu oft. Ich will nämlich meine Ruhe haben, verstehen Sie?“ * Professor Langner nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Er bot den Polizisten, die ihm eben geholfen hatten, John festzunehmen, aus seiner Zigarrenkiste würzige Importen an. „Tja, meine Herren“, sagte er, „den ersten hätten wir. Ich glaube, daß es uns dann gelingen wird, auch die anderen bald dingfest zu machen. Ich nehme an, Eskin wird sehr bald bereit sein, uns zu verraten, wer seine Auftraggeber sind, und wo wir seine Kollegen finden können.“ Er machte eine Pause und überlegte. „Nur eines ist mir immer noch nicht klar. Wo ist Legrand mit seinen drei Booten geblieben?“ Einer der Polizisten meldete sich zu Wort. „Ich nehme an, er hat versucht, die ganze Gesellschaft zu verhaften und wurde dabei selber unschädlich gemacht.“ „Ja – aber warum kommt Eskin dann hierher? Er konnte sich doch denken, daß wir ihn verhaften würden. Oder halten Sie ihn für so dumm?“ fragte der Chef. „Meine Herren, bedenken Sie, daß Legrand mit seinen Leuten vorzüglich bewaffnet war und sich bestimmt nicht so leicht in eine Falle hätte locken lassen.“ „Vielleicht verfügt der Gegner über besondere neue Waffen, deren Wirkung wir noch nicht kennen“, gab einer der Anwesenden zu bedenken. „Denken Sie beispielsweise nur an unser 88
Patrouillenboot 3, die bisher einzige Maschine dieser Art. Das Boot mit der höchsten Geschwindigkeit, die je erzielt wurde, das Boot mit der größten Feuerkraft, das jedem Gegner turmhoch überlegen ist. Niemand, außer uns, weiß etwas von der ungeheuren Wirkungsweise dieses Bootes, zumal es genauso aussieht wie alle anderen Patrouillenboote.“ „Und ausgerechnet dieses neueste und gefährlichste Boot mußte John Eskin stehlen und damit hierherkommen? Ist das nicht ein bißchen komisch?“ fragte der Professor. „Nein, meine Herren, ich kann mir das alles nicht zusammenreimen.“ „Dann fragen wir doch John Eskin selber“, schlug der Polizist vor. „Wahrscheinlich wird er uns genau sagen können, wie er unsere modernste und beste Maschine in die Hand bekam.“ Der Chef nickte. Wenn hier überhaupt einer weiterhelfen konnte, dann war es John Eskin. Man würde schon dafür sorgen, daß er redete! – Also mußte er her! „Lassen Sie ihn holen“, ordnete er an. * John fühlte sich wie ein Tiger im Käfig. Verzweifelt ging er auf und ab, hin und her. Er blickte auf die Uhr. Höchstens noch eine Stunde blieb ihm jetzt zur Verfügung. Wenn er bis dahin nicht gehandelt hatte, wenn er bis dahin das Gegenmittel nicht bekam … Er wollte nicht weiterdenken. In einer Stunde mußte der erste seiner Kameraden sterben. In einer Stunde würde der lebenslustige, dicke, kleine, quirlige Thompson durch das „Gespenst“, wie er das marsianische Schiff genannt hatte, sterben. Und das durfte nicht sein! 89
John drückte den Klingelknopf, hämmerte gegen die Zellenwand und brüllte, daß man es durch das ganze Gebäude hören konnte. Endlich kam der Wärter herbeigeschlurft. John pfiff ihn gleich an. „Mensch, Ihre Zeit möchte ich auch haben!“ „Man immer sachte, alter Freund. Nur nicht frech werden! Hier haben Sie gar nichts mehr zu sagen, verstanden? Und außerdem: Wer hier erst drin sitzt, der hat meistens sehr viel Zeit, viel mehr noch als ich. Ist Ihnen hoffentlich klar, was?“ „Mann“, tobte John, „quatschen Sie nicht. Ich muß sofort den Stationschef sprechen – sofort!“ „So – müssen Sie?“ fragte der andere, wischte sich am Ärmel einen Apfel ab und biß kräftig hinein. „Da haben Sie aber Schwein gehabt, daß ich Sie sowieso gerade holen sollte. Oder glauben Sie, ich wäre wegen Ihrem blöden Geklingel gekommen? Das bilden Sie sich man nicht ein.“ Damit drehte er sich um. Ein Schlüsselbund klirrte, er schloß auf. „Nu kommen Sie schon. Hatten’s noch eben so eilig, nicht?“ Der Wächter brauchte das nicht ein zweites Mal zu sagen. Mit einem Sprung war John aus der Zelle. Nur wenige Augenblicke später stand er vor Professor Langner und den Polizisten. Er hatte den Eindruck, als wollte man mit ihm hier ein großes Verhör anstellen, aber gerade dazu blieb ihm jetzt gar keine Zeit mehr. Hier durfte nicht mehr geredet, hier mußte gehandelt werden! „Herr Professor, ich habe etwas sehr Wichtiges mitzuteilen“, begann er. Einer der Polizisten drängte sich nach vorn. „Wollen Sie nicht lieber uns überlassen, wann Sie zu reden haben? Wir sind es nämlich gewohnt, unsere Gäste zu fragen, die dann sehr hübsche Antworten geben.“ 90
„Meine Herren!“ John hob seine Stimme. „Ich verstehe zwar Ihren Standpunkt, aber lassen Sie uns das alles bis später zurückstellen. Wir haben in diesem Augenblick keine Zeit zu verlieren – denn wir alle schweben in höchster Gefahr. Höchstens eine Stunde verbleibt uns noch, dann ist alles verloren oder alles gewonnen! Hören Sie mir erst zu, dann können Sie fragen, wenn Sie glauben, Sie hätten noch Zeit dazu.“ Die Anwesenden sahen sich an. Der Verhaftete schien wirklich etwas sehr Wichtiges sagen zu wollen. „Also gut“, erwiderte der Stationschef und forderte John mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. Die anderen nahmen im Halbkreis rings um John Platz. „Erzählen Sie!“ John gab seinen Bericht. Er ließ keine Kleinigkeit der Ereignisse aus, die sich in den letzten Stunden abgespielt hatten, und gab den Männern ein Bild vom verzweifelten Kampf, den er und seine Kameraden geführt hatten, und den er immer noch durchhielt – jetzt sogar gegen die eigenen Mitarbeiter, wie er besonders betonte. Er sah an den Gesichtern der anderen, daß sein Bericht nicht die Wirkung verfehlte. Er beobachtete, wie sich hier und da einer der Anwesenden schüttelte, ein anderer blaß wurde. Jetzt erst begriff man auf der Hauptstation, was eigentlich los war – welche Gefahr jedem einzelnen drohte. Tiefes Schweigen herrschte, als er geendet hatte. Dann räusperte sich der Professor. „Es wird sich zeigen, ob wir Ihnen Unrecht getan haben, Eskin.“ Damit ging er zum Mikrophon und rief zur Wartungsabteilung hinüber. Der Techniker, der sich meldete, erhielt den Auftrag, im Patrouillenboot 3 den Energievorrat zu prüfen und sofort wieder Bescheid zu geben. Ungeduldiges Warten folgte, währenddessen noch das Für und Wider von Johns Bericht erörtert wurde. 91
„Sagen Sie, Eskin“, wandte sich der Chef wieder an ihn, „warum sind Sie eigentlich zur Hauptstation gekommen?“ „Um die Energievorräte zu ergänzen. Die waren doch so gut wie verbraucht“, erwiderte John. Der Professor nickte. „Das wird sich ja gleich bestätigen“, erwiderte er. Er hatte den Satz noch kaum beendet, als der Techniker vom Wartungsdienst anrief: „Die Energievorräte im Schiff 3 sind fast aufgebraucht.“ „Wieviel Meilen hat das Schiff schätzungsweise zurückgelegt?“ „Einhundertundzwölf Millionen und etwas“, erwiderte der Techniker. Der Professor nickte. „Ergänzen Sie sofort den Energievorrat und machen Sie das Schiff klar. Es muß in einer Viertelstunde starten. Es ist allergrößte Eile geboten! Haben Sie verstanden?“ „Jawohl!“ Kam es zurück. John sah auf die Uhr. Noch vierzig Minuten verblieben ihm – vierzig Minuten, in denen über das Leben von siebzehn Menschen entschieden wurde. Mit wenigen hastigen Worten entwickelte er den Anwesenden noch seinen Plan, dann bat er, gehen zu dürfen. Der Chef drückte ihm die Hand. „Hoffentlich geht alles gut. Wir drücken Ihnen beide Daumen.“ John dankte und war mit einem Satz aus der Tür. Der Zellenwärter hatte wohl noch nie in seinem Leben ein so dummes Gesicht gemacht, wie jetzt in diesem Augenblick, da er den Befehl erhielt, dem Gefangenen seine Raumkombination wiederzugeben und ihm beim Anziehen behilflich zu sein. „So was habe ich auch noch nicht gesehen“, beschwerte er sich bei John. „Erst festsetzen und dann laufen lassen. Wozu das alles?“ 92
„Das frage ich mich auch“, sagte John; dann war er verschwunden. Mit Riesenschritten eilte er über den Startplatz, kletterte in die bereitstehende Maschine, zog die Leiter ein, schloß die schwere Panzertür und zündete das Aggregat. Das Schiff löste sich vom Boden. Dann schoß es mit zunehmender Geschwindigkeit in den nachtdunklen Himmel. Auf der Hauptstation heulten die Sirenen Alarm. Vier, fünf, sechs, sieben Schiffe lösten sich vom Startplatz und nahmen Kurs auf Luna 2. * Die Radargeräte in Johns Maschine tasteten sich durch die Dunkelheit und suchten den Feind. Seit zehn Minuten kreiste er über der Stelle, an der er die Maschine des Marsianers vermutete. Aber der Bildschirm blieb dunkel. Nicht die geringste Spur war zu erkennen. John biß die Zähne zusammen. Er war zu allem entschlossen. Was aber halfen ihm sein Mut, seine Energie, wenn er den Feind, den Löwen in seiner Höhle, nicht fand? In einiger Entfernung beobachtete er das Rudel der eigenen Polizeiboote, die auf der Lauer lagen und im Notfall eingreifen wollten, sobald er ihnen das Zeichen dazu gab. Weitere kostbare Minuten vergingen, ohne daß sich auch nur die geringste Spur eines fremden Schiffes gezeigt hatte. Dabei gab es doch für John nur die eine Möglichkeit, den Marsianer hier auf dem Mond zu stellen, ihn zur Herausgabe der nötigen Medikamente zu zwingen. Er fluchte – und hoffte auf die letzte Chance. Der Bildschirm blieb dunkel – der Lautsprecher stumm. John schaltete das Fernsichtgerät ein und suchte die Tiefe des Alls ab. 93
Da sah er ihn …! Entdeckte ihn bereits mehrere tausend Meilen entfernt in der unendlichen Weite des Weltraumes. Und im gleichen Augenblick stellte er noch etwas fest: Die Entfernung zwischen ihm und dem Marsianer wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Der Marsianer flüchtet! schoß es ihm durch den Kopf – jetzt im entscheidenden Augenblick entwich der Gegner. Er mußte hinterher, mußte ihn stellen! Er wußte, daß er dann nicht mehr auf die Hilfe der irdischen Polizeiboote rechnen konnte, daß er dann seinem Feind ganz allein gegenüberstehen würde. Er würde es trotzdem riskieren. Er rief die Patrouillenboote an: „Feind soeben in achttausendvierhundertundvierzig Meilen Entfernung gesichtet. Befindet sich auf der Flucht. Werde ihn verfolgen und zum Kampf stellen. Ende!“ Gerade, als er das Funkgerät abschalten wollte, kam die Antwort. Sie war für ihn ebenso enttäuschend wie gefährlich: „Unternehmen Sie keinen Fluchtversuch! Haben Ihren Plan durchschaut. Kehren Sie sofort zur Hauptstation zurück. Ende!“ John fluchte. Man hatte ihm also nicht nur nicht geglaubt, sondern mißtraute ihm auch jetzt noch. Die Polizeiboote waren also wohl mehr zu seiner Bewachung, als zu seiner Hilfe aufgestiegen. Ihn packte die Wut. Vorn ein Gegner, hinten mehrere Gegner – so sah seine Situation aus. Er morste zurück: „Kann Befehl nicht befolgen …“ Dann drückte er den Schalter „Reserve“. Das Schiff wurde mit unwiderstehlicher Gewalt vorwärts gedrückt. Schneller, immer schneller wurde seine Fahrt. Wieder kletterte der Geschwindigkeitsmesser. Als John sich umsah, erblickte er im Radargerät das Rudel der Polizeiboote, die ihn verfolgten. 94
Er lachte. Sie würden es nicht lange mit ihm aufnehmen können. Schließlich hatte er von allen modernen Booten das beste und schnellste. Geschosse verfolgten ihn, zischten an seinem Boot vorbei. Dann wurden die Patrouillenschiffe immer kleiner und blieben schließlich ganz zurück. Jetzt wandte John seine Aufmerksamkeit dem Marsianer zu. Er erfaßte ihn im Fernsichtgerät und stellte den Kurs ein. Langsam kam das Schiff näher. John atmete auf. Er hatte die größere Geschwindigkeit und würde den Marsianer bald einholen. Als er einen Blick aus dem Fenster warf, stellte er fest, daß Erde und Mond schon wieder weit hinter ihm lagen. Wieder war er allein im weiten Weltenraum, aber diesmal mit einem harten, grausamen Gegner. Die Entfernung zwischen ihm und dem Marsianer wurde zusehends kleiner. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit raste seine Maschine wieder durch den Raum, dabei immer noch schneller werdend. 28 000 Meilen pro Sekunde, las er ab. Vor wenigen Stunden war er im gleichen Tempo durch das All gebraust. Er mußte langsam bremsen, um den Gegner nicht zu überholen! Die Entfernung betrug jetzt noch eintausendeinhundertzwanzig Meilen. Er schaltete den Reservehebel aus. Die Geschwindigkeit, die er erreicht hatte, würde genügen, um den Gegner ohne weiteren Antrieb einzuholen. Noch fünfhundert Meilen! John überprüfte noch einmal alle Instrumente. Das Strahlengeschütz stand schußbereit. Fieberhaft wartete er. Noch ein Blick auf den Radarschirm. 95
Das Schiff des Marsianers wurde immer größer, es wuchs förmlich aus dem Nichts. Noch fünfzig Meilen. Er bremste. Noch dreißig. Da – ein Schlag traf sein Schiff. Er verspürte die gleiche Erschütterung, die er vor wenigen Stunden auf dem Mars verspürt hatte. Er wußte, was sie bedeutete. Er mußte versuchen, über das Schiff des anderen zu kommen – es von oben anzugreifen. Noch zwölf Meilen. Ein zweiter Schlag erschütterte den stählernen Leib seiner Maschine. Jetzt galt es, durchzuhalten! Mit bloßem Auge konnte er den Marsianer direkt vor sich sehen. Mit tausend Meilen pro Sekunde rasten sie dahin. Zwischen ihnen lag noch eine Entfernung von einigen, wenigen Meilen. John richtete die Strahlenkanone, stellte die Energiemenge ein. Er zielte – daneben, wie es den Anschein hatte. Dann drückte er ab. Nur eine geringe Menge Energie verließ das Geschütz. John hatte sie absichtlich so reduziert, denn er durfte auf keinen Fall das Schiff des Gegners in tausend Fetzen auseinanderjagen – er wollte es nur beschädigen. Der Schuß traf. Er sah, wie sich das Schiff aufbäumte. Da zuckte es aus dem Schiffsleib des Marsianers. Johns Maschine dröhnte auf. Mit Entsetzen sah John ein tiefes Loch in der Wandung seines Schiffes klaffen. 96
Jetzt galt es, schneller zu sein! Sonst war er verloren! Er zielte und schoß. Er sah wieder das Aufbäumen der feindlichen Maschine. Ein leuchtender Gasstrahl schoß aus dem Schiffsleib. Er jubelte. Das Boot des Gegners war leckgeschlagen, die Luft strömte aus. Noch ein Schuß verließ das Rohr. Noch einmal bäumte sich die Maschine des Gegner auf – aber der Marsianer wehrte sich nicht mehr. Er schien tödlich getroffen zu sein. Ruhig schwebte jetzt das fremde, feindliche Schiff dahin. „Der ist erledigt“, sagte John sich. Einen Augenblick lang fühlte er so etwas wie Mitleid. Aber dann gab er sich einen Ruck. War menschliches Gefühl hier überhaupt noch angebracht? Die schwierigste Aufgabe stand ihm noch bevor. Die beiden Schiffe trieben jetzt mit gleicher Geschwindigkeit, nur wenige hundert Yards voneinander entfernt, dahin. Für John galt es, an Bord des anderen Bootes zu gelangen. Er kontrollierte die Korrekturraketen, prüfte ihre Ladung. Dann berechnete er die Menge, die er für jeden einzelnen Stoß brauchen würde. Ein kurzer Raketenstoß, noch einer – und ein dritter. Langsam schwebte sein Schiff auf das des Marsianers zu. Wieder drei Raketenstöße. Jetzt betrug die Entfernung zwischen den beiden Maschinen nur noch wenige Yards. John blickte hinaus. Er konnte es riskieren. Die Schiffe lagen jetzt direkt übereinander. John öffnete die Stahltür. Zischend entwich die restliche, wenige Luft aus der Schleusenkammer. Er ließ die Leiter herab und hangelte sich an ihr zum Schiff des Marsianers hinunter. Dann griffen seine Magnetsohlen das fremde Metall. 97
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Er schlüpfte durch das Loch, das seine Strahlenkanone gerissen hatte, in das Innere. Ein grauenhaftes Bild bot sich ihm hier. Der Marsianer hatte den Fehler gemacht, vor dem jeder Raumfahrer immer wieder gewarnt wurde. Er hatte an Bord seines Schiffes den Raumanzug ausgezogen und saß also ungeschützt in seiner Kabine. Als Johns erster Schuß das Schiff des Marsianers traf, als der schützende Leib der Pilotenkabine zerfetzt wurde, strömte die Luft aus. Der Luftdruck sank rapide. Der Körper des Marsianers quoll auseinander, sämtliche Adern platzten. Er mußte im Augenblick tot gewesen sein. John schluckte. Da lag nun sein Todfeind vor ihm. Er würde ihm keine Auskunft über das Medikament geben können. So also hätte jetzt auch John ausgesehen, wenn er seinen Raumanzug nicht angehabt hätte. Schließlich wies auch sein eigenes Schiff die gleiche Beschädigung auf wie das des Marsianers. Er dankte seinem Schicksal, das ihn vor diesem furchtbaren Tod bewahrt hatte. Plötzlich schreckte er aus seinen Gedanken. Das Medikament! Es mußte sich ja hier an Bord befinden! Er begann zu suchen, streifte durch das Schiff, das er schon einmal betreten hatte, suchte die verschiedenen Kabinen ab. Er fand nichts. Aber er wußte, irgendwo mußte das Mittel verborgen sein. War es überhaupt ein Mittel? Konnte es nicht ebensogut eine atomare oder elektrische Apparatur sein? Zu gern hätte er den Marsianer gefragt – aber dazu war es zu spät. Kurzerhand riß er die gesamte Apotheke von der Wand. Er war überzeugt, daß unter all den Medikamenten, die sich hier befanden, auch das passende für seine Freunde sein würde. Er durchwühlte den kleinen Kasten. 99
Er fand nicht das richtige, stellte die Apotheke beiseite. Dabei fiel sein Blick noch einmal auf die Wand, und jetzt bemerkte er eine kleine Tür. Ein Geheimfach! schoß es ihm durch den Kopf. Hinter dieser Tür würde das Mittel, das er suchte, verborgen sein. Er versuchte, das Fach zu öffnen. Vergebens! Die kleine Tür gab nicht nach, wollte nicht so ohne weiteres ihr Geheimnis preisgeben. Kurzerhand griff er nach seiner Pistole. Durfte er es wagen? Riskierte er nicht alles, wenn er auf dieses kleine Fach schoß? Er war rücksichtslos gegen sich selbst. Er richtete seine Pistole auf das Schloß. Ein kurzer Feuerstoß – das Schloß war zerborsten. Mit zitternden Fingern öffnete er die Tür. Was war das, was seine Hände da ergriffen? Winzige Röllchen weißen Pulvers – das mußte es sein! Das Mittel, nach dem er suchte! Wegen dieser winzigen Röllchen hatte er seinen Feind mehrere tausend Meilen durch den Weltraum verfolgt. Der Marsianer hatte sein Geheimnis preisgeben müssen. Für John aber bedeutete dieser Fund die schönste Belohnung. Einen kurzen Augenblick noch schwankte er. Irrte er sich nicht? Nein, es konnte nicht sein! Warum lagen diese Röllchen sonst im Geheimfach? Er steckte sie alle ein. Dann trat er den Rückzug an. Er hangelte sich durch die Räume und Gänge, schlüpfte durch das Loch und kletterte in sein Boot. Gerade, als er die Tür schließen wollte, kam ihm ein Gedanke! Sollte er das Boot des Marsianers nicht in Schlepp nehmen und zum Mond befördern? Untersuchungen dieses Flugkörpers würden den irdischen Technikern sicher viele neue Erkenntnisse vermitteln. 100
Er blickte auf seine Uhr und wurde blaß. Er hatte bei diesem Kampf auf Leben und Tod völlig die Zeit vergessen. Jetzt mußte er feststellen, daß ihm nur noch fünf Minuten verblieben, um die Frist für seinen Kameraden Thompson einzuhalten. Er wußte aber auch, daß es unmöglich war, in nur fünf Minuten zum Mond zurückzukehren. Was sollte er tun? Die Kameraden? Das Schiff des Marsianers? Er überlegte hin und her – als plötzlich ein Zittern durch seine Maschine ging. John schreckte zusammen. Was, zum Teufel, war denn das schon wieder? Er stürzte zum Radarschirm und suchte das All ab. Was er da erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gerinnen. Da kamen sie herangeschossen – eine Unzahl von Schiffen. Es waren die Weltraumschiffe eines anderen Sternes – die marsianische Weltraumflotte! Oder nur ein Teil von ihr! Wieder erzitterte sein eigenes Schiff. Verdammt – jetzt gab es für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit: die Flucht. Das Aggregat heulte auf, sein Schiff machte einen Satz, dann raste es davon. John schaltete auf „Reserve“ – und holte das Letzte aus den heulenden Maschinen seines Schiffes heraus. Als er den Mond in der Ferne auftauchen sah – der ihm bisher nur totes Gestein gewesen war – fühlte er sich wie erleichtert. „Gerettet!“ flüsterte er. Wenige Augenblicke später setzte er zur Landung an. Zum Glück kam ihm jetzt die Beschaffenheit des Mondes zu Hilfe. Auf der Erde hätte er mit seinem beschädigten Schiff nicht landen können. Als er sich noch einmal umsah und das Radargerät in die Weite des Alls richtete, war von den Schiffen des Mars nichts mehr zu sehen. 101
* John landete unmittelbar neben seiner Station Luna 2. Etwas unsanft setzte seine Maschine auf, aber was spielte das in diesem Augenblick noch für eine Rolle, jetzt, da es sich in wenigen Augenblicken zeigen mußte, ob sein tollkühnes Handeln einen Sinn gehabt hatte. Er kletterte aus seiner Maschine und lief zur Luftschleuse hinüber. Im Inneren der Station hatte sich nichts verändert. Seine Kameraden lagen da wie tot. Seine Füße wollten ihren Dienst versagen, als er sie anblickte. Würde er jetzt sein Versprechen erfüllen können? Würde die Hoffnung, die seine Freunde noch beseelte, sich erfüllen? „Freunde“, wandte er sich an alle, die ihn in diesem Augenblick zu hören vermochten, „verliert den Mut nicht. Ich habe das Gegenmittel. Ihr werdet alle gesund!“ Er versuchte, überzeugend zu erscheinen, obgleich er seiner Sache nicht ganz sicher war. Vorsichtig vermischte er die Röllchen mit Wasser und löste sie auf. Jetzt galt es. Zuerst war Thompson an der Reihe. Er flößte ihm die trübe Flüssigkeit ein. Dann wartete er. Thompson rührte sich nicht. Er gab ihm eine stärkere Dosis. Der Engländer blieb unbeweglich liegen. John wurde blaß. Sollte dieses Mittel doch nicht helfen? Oder würde sich seine Wirkung erst nach Stunden zeigen? Schließlich war er ja kein Arzt! Er ging zu Peter Bowly hinüber. „Komm, alter Freund“, redete er ihm zu, „jetzt bist du an der Reihe.“ 102
Dann gab er ihm einige Tropfen des Medikamentes. Gespannt wartete er auf die Wirkung. Dann plötzlich – er jubelte beinahe vor Freude. Peters Augen bekamen einen lebhaften Glanz. John bemerkte, wie eine sichtbare Veränderung in ihm vorging. „Geht es dir besser?“ fragte er. Er sah, wie Peter sich bemühte, zu antworten, wie es ihm aber nicht gelang. „Nur Geduld“, beruhigte er den Kranken, „bald wird wieder alles in Ordnung sein.“ Dann wandte er sich den anderen zu. Nacheinander kamen sie alle an die Reihe. Jeder erhielt das Medikament. Ais John bei den letzten, den beiden Polizisten angelangt war und sie gerade behandelte, bemerkte er, wie Peter sich leicht bewegte. Alles in ihm war in Aufruhr – er hatte gesiegt. Er ging zu Peter hinüber. „Wie sieht es aus?“ fragte er, und zum erstenmal bekam er eine Antwort, schwach nur, aber doch immerhin ein Beweis, daß sein Freund wieder unter den Lebenden weilte: „Ich danke dir, John – ich danke dir. Es war furchtbar.“ John hatte sich wohl nie im Leben so gefreut wie in diesem Augenblick. Er sah, wie langsam einer nach dem anderen aus der tödlichen Lähmung erwachte, sich bewegte, um sich blickte, zu sprechen begann. Da fiel sein Blick auf Thompson. Unbeweglich – starr lag er da. John schüttelte ihn, rieb seine Glieder, ohne Erfolg. Weiß Gott, er war vieles gewöhnt, hatte hart gekämpft und bei den Pionierarbeiten auf dem Mond manchen Kameraden verloren; aber in diesem Augenblick konnte John die Tränen nur schwer unterdrücken. Für den lustigen, kleinen, dicken Engländer war jede Hilfe 103
zu spät gekommen – eine halbe Stunde nur, vielleicht, er wußte es nicht genau. Aber eines wußte er in diesem Augenblick bestimmt: daß der Marsianer mit seiner Drohung die bittere Wahrheit gesagt hatte. Armer Thompson, für dich ist das Gespenst der Tod gewesen, dachte er. Dann brachte er den Kameraden nach draußen in sein Patrouillenboot. Vorsichtshalber nahm er selbst noch eine Prise des marsianischen Medikamentes, dann legte er seine Raumkombination ab und kümmerte sich weiterhin um seine Freunde. Peter Bowly war schon so weit zu sich gekommen, daß er sich wieder unterhalten konnte. „Willst du nicht die Hauptstation anrufen, und denen da drüben melden, daß auf Luna 2 alles wieder in Ordnung ist?“ schlug er vor. „Wie wär’s“, meinte John, „wenn du das versuchen würdest!“ Peter lächelte. „Vielleicht geht es.“ Er erhob sich mühsam und stellte fest, daß es besser ging, als er erwartet hatte. Das Medikament, das John mitgebracht hatte, hatte eine radikale Wirkung. Die anfängliche Müdigkeit ließ sehr bald nach. Etwa zehn Minuten später empfing der Funker auf der Hauptstation den Anruf von Luna 2. „Luna 2 wieder einsatzfähig. Erwarten weitere Aufträge.“ Der Funker schüttelte den Kopf. Die Leute auf Luna 2 mußten übergeschnappt sein! * John wollte seinen Kameraden gerade einen Whisky einschenken, als in der Funkerbude der Lautsprecher schepperte. 104
„Es geht ja schon gleich wieder los“, lachte Peter Bowly. „Was die wohl wollen?“ Er trottete zum Apparat und meldete sich über Sprechfunk. An anderen Ende sprach der Chef der Station, Professor Langner. Er wollte einen genauen Bericht dessen haben, was sich jetzt neuerlich ereignet hatte. Peter berichtete ihm in kurzen Worten, was los war. Dann verlangte der Chef John Eskin zu sprechen. John meldete sich und erstattete kurz Bericht. „Ich dachte, Sie hätten sich aus dem Staube gemacht“, lachte der Chef seinen Mitarbeiter an. „Wohin denn?“ fragte John. „Vielleicht zum Mars? Dort hätte man mir sicherlich einen heißen Empfang bereitet.“ „Ich glaube auch“, bestätigte der Professor. Dann wurde er ernst. „Hören Sie zu, Eskin. Drei Patrouillenboote mit Legrand und seinen Polizisten sind noch vermißt. Wollen Sie die Suche aufnehmen? Wir hatten bisher keinen Erfolg, und außerdem glaube ich, daß die Besatzungen das gleiche Schicksal erlitten haben wie die Männer von Station Luna 2.“ John verstand. Noch einmal galt es zu handeln, und zwar sofort! Er versprach dem Professor, sein möglichstes zu tun. Er griff sich seinen Freund Peter Bowly, und kurze Zeit später startete das Patrouillenschiff 3 zu seiner Suchaktion. Gespannt durchsuchten die beiden das Dunkel der langen Mondnacht, Meter um Meter tasteten sie die Landschaft ab. Plötzlich stieß Peter seinen Freund an. Er deutete nach unten. Im Suchgerät zeigten sich die Umrisse eines Patrouillenbootes. Es lag so, als wollte es sich zwischen Geröll und Felsbrocken verstecken. Mit einem Blick sahen die Freunde: Hier in diesem rauhen Gelände konnte das Boot bestimmt nicht zu einer ein105
wandfreien und vor allem freiwilligen Landung angesetzt haben. Langsam schwebte ihr Boot, hinunter. „Siehst du irgendwo eine freie Stelle, die uns die Ladung ermöglicht?“ fragte John. Peter bedeutete ihm, noch etwa eine halbe Meile weiter zu fliegen, dort wäre eine kleine Ebene, die ihnen ihr Vorhaben ermöglichen würde. Sekunden später setzte das Boot auf. Die beiden Männer machten sich auf den Weg zum Patrouillenboot. Es war nicht weit, aber breite Spalten kreuzten immer wieder ihren Weg. Als sie am Boot anlangten, sahen sie sofort, was der Besatzung passiert war: Die beiden Polizisten hatten das Boot verlassen – stumm lagen sie jetzt da, den Blick starr nach oben gerichtet. „So lag Thompson auch am Boden“, sagte John, „genauso. Ich werde es nie vergessen! Komm, wir wollen die beiden in unser Boot tragen.“ Zweimal schleppten sie sich ab und transportierten mühsam erst den einen, dann den anderen in ihr Boot. Als die beiden Männer zu sich gekommen waren, als sie die ersten Worte sprachen, erkundigte sich John sogleich nach dem Verbleib der beiden anderen Maschinen. „Sie sind nicht weit von hier“, erhielt er zur Auskunft. „Wir hatten sie noch in unserem Radarschirm gesehen, als sie ebenfalls abzustürzen schienen. Sie sind höchstens ein oder zwei Meilen von hier runtergekommen.“ Sofort nahmen sie die Suche wieder auf und bereits eine halbe Stunde später waren auch die beiden anderen Polizeiboote gefunden und ihre Besatzungsmitglieder geborgen. Sie erhielten ebenfalls ihr Medikament und kehrten langsam in ihre eigene Welt zurück, der sie in den letzten Stunden so nahe 106
und doch so fern gewesen waren. Nur der Pilot, der Legrands Maschine geführt hatte, war nicht zu retten. Er hatte den Absturz nicht überlebt. Legrand war der letzte, der sich rührte. Kaum, daß er wieder richtig sprechen konnte, wollte er auch schon wissen, was für ein übles Spiel man mit ihm getrieben hätte. „Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt“, tobte er. „Das wirkt ja strafverschärfend!“ John lachte. „Sie haben vollkommen recht, Legrand. Ich an Ihrer Stelle würde mir das auch nicht gefallen lassen.“ „So“, schnaubte der Polizeichef, „Sie also auch nicht? Aber Sie werden sich jetzt etwas anderes gefallen lassen!“ Er ging auf Eskin zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „John Eskin, Sie stehen unter dem Verdacht der Sabotage und Spionage. Sie sind verhaftet!“ John lächelte. „Das ist nun schon das zweite Mal!“ „Aber diesmal entkommen Sie mir nicht“, erwiderte Legrand. Dann wandte er sich an Peter Bowly, der etwas abseits in der Ecke stand und ebenfalls ein Lachen nicht unterdrücken konnte. „Das Lachen wird Ihnen schon noch vergehen, Bowly!“ schnauzte ihn der Kommissar an. „Auch Sie sind nämlich wegen des gleichen Verdachtes verhaftet!“ * Im Arbeitszimmer des Chefs hatten sich fast alle leitenden Mitarbeiter der Station versammelt. Legrand verstand überhaupt nichts mehr. Gerade eben hatte er stolz seine Gefangenen abgeliefert und seinem Stationsleiter die erste Erfolgsmeldung geben können, und jetzt wurden die beiden wie Helden gefeiert und von allen Seiten stürmisch beglückwünscht. 107
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich bin für diesen Posten doch schon zu alt, dachte er. In diesem Augenblick bat der Professor um Gehör. Eine feierliche Stille trat ein. „Meine Herren! Ich glaube, uns allen wird erst jetzt und in diesem Augenblick bewußt, was sich in den letzten Stunden auf dem Mond ereignet hat, und vor allem: in welch riesengroßer Gefahr wir hier schwebten. Daß diese Gefahr abgewendet werden konnte, verdanken wir in erster Linie diesen beiden Männern …“ Er zeigte auf John und Peter, die sich endlich wieder an einer Zigarette und einem doppelten Whisky erfreuten. „… die durch Umsicht, Vernunft, Mut, aber auch mit einer gehörigen Portion Glück einer Katastrophe entgegentraten.“ Seine Stimme wurde ernst. „Allerdings ist dieser Angriff eines marsianischen Raumschiffes nicht ohne schwere Opfer vorübergegangen. Ich habe soeben den Bericht von der Unfallstelle erhalten. Darin teilt mir die Untersuchungskommission mit, daß weder Überlebende noch irgendwelche verwertbaren Instrumente gefunden werden konnten. Danach sind vierundachtzig Besatzungsmitglieder der drei Raumschiffe ums Leben gekommen, und wie ich erfahren habe, sind unter der Besatzung von Luna 2 und bei den Patrouillenbooten ebenfalls Opfer zu beklagen.“ Er machte eine Pause. Dann sagte er schlicht: „Wir wollen sie nie vergessen. – Aber nun zu Ihnen, Eskin. Ich glaube, Sie sind uns noch eine Erklärung schuldig. Was also ist nun das Geheimnis der marsianischen Raumschiffe?“ John erhob sich und gab seine Erklärung, während alle anderen ihm gespannt zuhörten: „Das Geheimnis der marsianischen Raumschiffe basiert auf einer umwälzenden Erfindung der Marsianer. Es ist ihnen näm108
lich gelungen, die Lichtstrahlen, wie auch die elektrischen Wellen zu krümmen. Das heißt nicht etwa, sie zu brechen, wie wir es ja mit Hilfe von Glas, Spiegeln und ähnlichen Hilfsmitteln schon seit ewigen Zeiten können. Die Marsianer sind vielmehr in der Lage, Licht und Funkwellen im freien Raum zu biegen, sie in einer weiten oder engen Kurve, ganz wie sie wollen, auszustrahlen. Und deshalb stürzten auch unsere drei Sonderschiffe ab! Während nämlich die Station Luna 2 den vollkommen richtigen Leitstrahl ausschickte, wurde er vom marsianischen Raumschiff eingefangen, und auf einem falschen, gekrümmten Wege weitergegeben. Die Schiffe verließen sich auf diesen Leitstrahl und prallten gegen den Fels westlich der Station.“ Der Chefingenieur meldete sich zu Wort. „Alles gut und schön, Eskin. Aber warum hat dann der Marsianer nicht gleich von sich aus den Leitstrahl ausgeschickt? Wir wären nie hinter sein Geheimnis gekommen!“ „Richtig“, pflichtete John ihm bei. „Sein Plan war sicherlich, unbeobachtet den Mond anzufliegen und dann unseren Leitstrahl zu krümmen. Nach dem Unglück wäre er dann ebenso heimlich wieder verschwunden, wie er gekommen war. Leider aber – für uns zum Glück – ging seine Rechnung nicht ganz auf. Als er noch achtzehntausend Meilen vom Mond entfernt war, stellte er fest, daß wir ihn mit unseren Radargeräten entdeckt hatten. Natürlich wollten wir Alarm geben und da schaltete er unsere Aggregate aus.“ „Wie war das möglich?“ fragte der Chefingenieur. „Das ist wohl eine weitere, überlegene Erfindung der Marsianer, mit der sie auf Hunderte, ja Tausende von Meilen Motoren und Maschinen einfach blockieren können. – Als dann Thompson der Hauptstation die Nachricht überbringen sollte, wurde er gestellt und mit dem Energiestrahl gelähmt. Die Lähmung war ansteckend, wie wir ja inzwischen wissen. Der Mar109
sianer hatte dabei seinen genauen Plan. Berger mußte uns auffordern, den Funkverkehr wieder aufzunehmen. Wir alle konnten uns zwar denken, daß eine teuflische Gemeinheit dahintersteckte, aber wir wußten bis dahin noch nicht, welche.“ „Hätte der Marsianer denn nicht selber den Funkverkehr übernehmen und den Leitstrahl aussenden können?“ „Wohl kaum, denn er wußte, daß wir uns auch über Sprechfunk unterhielten, daß also unsere Stimmen bekannt waren. Also mußten wir selber weiterfunken, was wir denn ja auch ahnungslos taten.“ „Warum tötete er Thompson nicht?“ „Weil er sich denken konnte, daß wir ihn irgendwann holen, in die Station tragen und ihm dort seine Raumkombination ausziehen würden. Nur das bezweckte er: Wir sollten uns an Thompson infizieren. Der Mond wäre für immer verseucht gewesen. Deshalb hat er uns auch nicht aufgehalten, als wir die Station verließen, um Thompson zu suchen.“ „Sind uns nun die Marsianer wirklich so sehr überlegen, wie es jetzt den Anschein hat?“ „Ja und nein! Nicht nur, daß die Krümmung der Strahlen ihre beste Tarnkappe ist, sie haben auch einen Antrieb, der es ihnen erlaubt, unbegrenzte Zeit zu fliegen, der es ihnen sogar ermöglicht, tagelang an ein und derselben Stelle schweben zu bleiben. Allerdings sind wird ihnen an Geschwindigkeit überlegen, und auch, was die Feuerkraft unserer Schiffe betrifft, sind wir ihnen zumindest ebenbürtig.“ „Ja, aber“, der Professor schaltete sich hier ein, „wie war es Ihnen denn möglich, die Marsianer so nachhaltig zu bekämpfen und zu besiegen?“ „Bei all meinen Plänen und Unternehmungen hat mir auch das Glück geholfen. Ohne das geht es nun einmal nicht. So beispielsweise konnte mich der eine der beiden Marsianer an Bord 110
seines eigenen Schiffes nicht treffen, weil ich zuvor seine Raumkombination angezogen und diese moderne ‚Tarnkappe’ eingeschaltet hatte. Auch sie krümmte die Lichtstrahlen, und ich stand nicht da, wo mich der Marsianer sah. Er schoß daneben. Deshalb schossen auch die Polizisten daneben, deshalb sprang Thompson ins Leere, als er dieses Gespenst fassen wollte. – Jedenfalls, meine Herren“, gab John noch zu bedenken, „wenn ich nicht allein gewesen wäre, wenn sich der Marsianer, als ich ihn verließ, nicht aus seinen Fesseln befreit hätte, wären wir mit allem viel eher und schneller fertig geworden.“ „Eine Frage noch“, meldete sich der Professor. „Wie war es Ihnen möglich, die Raumschiffe der Marsianer abzuschießen? Sie sahen sie doch gar nicht da, wo sie standen?“ „Richtig. Deshalb nahm ich zwei Radargeräte zu ihrer Anpeilung, die hintereinanderstanden. Aus der Differenz, mit der die beiden den Strahl aufnahmen, konnte ich die Stärke der Krümmung berechnen. Da sich ja die Entfernung genau messen ließ, wußte ich, wo die einzelnen Schiffe in Wirklichkeit standen. Im übrigen muß ich sagen: Es war für uns alle ein Glück, daß die Polizeiboote einen so starken Panzer haben; sonst hätte ich den Kampf mit den Marsianern wohl kaum durchgehalten!“ „Ja“, lachte der Stationschef. „Und Sie Glückspilz hatten zudem noch das modernste und schnellste Boot in die Hand bekommen. Ohne die ‚P – 3’ wären Sie ohnehin verloren gewesen …“ „… und wir anderen auch“, ergänzte Legrand. Er mußte sich erst einmal kräftig schnäuzen und verlangte dann nach einem Whisky. Aber ein dreistöckiger sollte es sein. *
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Professor Langner legte seinem Mitarbeiter freundlich die Hand auf die Schulter. „Wie wär’s mit einem kleinen Urlaub?“ fragte er. „Ich glaube, Eskin, Sie können einen gebrauchen.“ „Furchtbar gern“, erwiderte John. „Wenn es für einige Tage möglich wäre.“ Der Professor nickte: „Aber natürlich. Erholen Sie sich gut von dem Vergangenen und bereiten Sie sich auf das Kommende vor. Ich glaube nämlich, daß die Marsianer noch einiges aushecken werden, nachdem ihre ersten Pläne so gescheitert sind. Wir müssen ihnen zuvorkommen.“ „Ich mache gern mit“, sagte John. „Denn da sind noch viele Probleme zu lösen, nur …“ „Ich weiß“, unterbrach ihn der Chef. „Ihren Urlaub haben Sie redlich verdient, und schließlich wartet ja auch ihre Braut darauf, Sie so bald wie möglich wiederzusehen.“ „Woher wissen Sie das?“ fragte John. „Sie war an Bord des Passagierschiffes, das wir nach dem Unglück der Sonderschiffe zurückgeschickt hatten. Sie wollte ihren Verlobten hier auf dem Mond besuchen.“ John mußte noch einmal kräftig schlucken. Jetzt hatte er den Urlaub erst richtig nötig. Aber John Eskin sollte nicht zu seiner verdienten Ruhepause kommen. Noch saßen sie alle bei Professor Langner zusammen und berieten, was man zur Erde funken sollte, als sich der Lautsprecher einschaltete. „Achtung, Achtung! Funkspruch von Luna 2. Marsianische Flotte im Anflug. Erwarten Befehle.“ Der Professor wurde bleich. „Das kann doch nicht wahr sein! – Wir sind einem Angriff jetzt nicht gewachsen! Nur die P – 3 …“ John Eskin unterbrach ihn hastig. „Keine Zeit zu verlieren, Professor, geben Sie Befehl zur Verteidigung der Stationen. Teilen Sie meinen Kameraden auf Luna 2 mit, wie man die 112
marsianischen Schiffe anpeilen muß; ich habe das ungute Gefühl, daß wir bald ohne Verbindung mit denen da drüben sein werden.“ Langner nickte und ließ sich eine Sprechverbindung zur Luna 2 geben. Als sich der Hilfsfunker von drüben meldete, sagte Langner hastig: „Ich übergebe an Ihren Stationsleiter!“ Dann drehte er den Apparat um, so daß Eskin sprechen konnte. „Schnell, erledigen Sie das. Die sollen nicht auf weitere Befehle warten. Feuern, sowie sich ein marsianisches Schiff nähert.“ Eskin erklärte seinem Hilfsfunker auf Luna 2, wie er die marsianischen Schiffe mit Hilfe von zwei Radargeräten anpeilen konnte. Dann fragte er: „Können Sie erkennen, welche Station die Marsianer ansteuern?“ Eine Pause folgte. Dann wieder die Stimme des Hilfsfunkers: „Der Verband hat sich geteilt. Ich glaube, beide Stationen sollen angegriffen werden.“ „Na, dann Mahlzeit! Sie wissen in allem Bescheid?“ „Alles klar, Chef. Habe Befehl gegeben, daß die Geschütze eingerichtet werden.“ „In Ordnung. – Ende!“ Noch während Eskin mit seinem Kameraden auf Luna 2 gesprochen hatte, begann Langner bereits, seine Befehle auszuteilen. „Achtung, Achtung! Höchste Alarmbereitschaft. Geschütze ausfahren! Beobachter an Funk- und Radargeräten verdoppeln. Raumanzüge anlegen, auch wer innerhalb der Station bleibt. Wir geben Meßwerte für Beschuß über Helmsender. Erwarte Bereitschaftsmeldung in zwei Minuten!“ Langners Befehle waren auf Tonband aufgenommen worden und wiederholten sich nun ständig, bis er wieder selbst sprach. Er sprang auf und winkte den anderen, mitzukommen. Knapp zwei Minuten später erreichte die kleine Gruppe die Beobachtungskuppel der Hauptstation. Die Funker und Radarspezialisten saßen bereits mit 113
Raumanzügen bekleidet an ihren Geräten, ein Beweis dafür, daß Langners Anweisungen ausgeführt worden waren. Fieberhaft suchte der Radarbeobachter den Weltraum ab. Aber noch kreuzte die marsianische Flotte auf der Seite des Erdtrabanten, die Station 1 nicht überblicken konnte. Deshalb auch hatte Luna 2 den Verband zuerst entdeckt. John Eskin faßte den Professor am Ärmel seiner Kombination. Auch der Leiter der Hauptstation und die Besprechungsteilnehmer hatten inzwischen Raumanzüge angelegt, und Langner wollte gerade den Helm überstülpen, als ihn Eskin beiseite zog. „Einen Augenblick noch, Professor. Wenn Sie erst über Helmmikrophon sprechen, kann uns jeder Mann auf der Station hören. Was ich Ihnen jedoch zu sagen habe, bleibt besser auf einen kleinen Kreis beschränkt. Die Marsianer wollen unseren Tod. Wir wissen zuviel. Noch ist es Zeit, einen Funkspruch zur Erde zu geben, der alles aufklärt. Aber ich bin davon überzeugt, daß der Feind sämtliche Meldungen abhört. Also lenken wir den Angriff dann zwar von uns ab, aber auf Kosten der Sicherheit unserer Angehörigen.“ Langner blickte John Eskin gerade und fest in die Augen. „Sie wollen doch nicht etwa unterstellen, daß wir ohne Verstärkung in einen von vornherein aussichtslosen Kampf gehen?“ „Denken Sie an die vielen Frauen und Kinder, Professor. Denken Sie an die großen Städte, die kaum auf Verteidigung eingerichtet sind. Denken Sie an die ansteckende Lähmung. Der kleine Rest des Gegenmittels, der uns geblieben ist, würde nicht einmal für die Bevölkerung eines Vorortes von New York ausreichen.“ Der Professor schwieg. Er sah plötzlich sehr alt aus. Endlich sagte er tonlos: „Was schlagen Sie vor?“ „Wir brauchen Verstärkung. – Möglich, daß sie zu spät kommt, möglich aber auch, daß wir uns solange verteidigen 114
können. Geben Sie eine Falschmeldung zur Erde. – Beeilen Sie sich, solange wir noch senden können.“ „Das tue ich nicht, Eskin! Ich sehe ein, daß eine solche Falschmeldung …“ „Geben Sie mir Vollmacht!“ Langner nickte nur und schraubte dann seinen Helm auf. Sekunden später saß Eskin am Gerät; der erstaunte Funker, den er weggedrängt hatte, stand hinter Eskin und las mit, was der Stationsleiter von Luna 2 da in die Tasten hämmerte. „Luna 1 an Erde – Luna 1 an Erde – hier John Eskin im Aufträge des Professors – Meuterei auf dem Mond – brauchen dringend Verstärkung – drei Raumschiffe vom Typ P – 3 – drei Raumschiffe vom Typ P – 3 – die Meuterer dringen in die Zentrale ein – nur Langner und ich sind noch frei – ich wiederhole – Luna 1 an Erde –“ Eskin ließ die Hand schlaff herunterfallen. Noch ehe er die Meldung wiederholt hatte, war ein Teil der marsianischen Flotte im Radarschirm aufgetaucht. Im selben Augenblick versagte das Funkgerät, dann erlosch auch der Radarschirm. Jetzt hörten die Männer der Hauptstation die Stimme ihres Professor. „Probe an alle – können Sie mich hören – bitte einzeln melden!“ Tatsächlich, die Helmsendeanlage funktionierte noch, während alle anderen Geräte aussetzten. John Eskin wandte sich an den Professor. „Ist die P – 3 startklar? Dann möchte ich dem feindlichen Verband entgegenfliegen. Vielleicht können Sie mit den Atomgeschützen seine Aufmerksamkeit ablenken.“ Der Professor nickte schwerfällig. „Nehmen Sie Ihren Freund Bowly mit. Wir werden versuchen, Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern.“ Eskin und Bowly verschwanden aus der Beobachtungskuppel. Wenige Minuten später konnten die Männer sehen, daß zwei 115
Gestalten in Raumkombinationen über das Landefeld hasteten, der P – 3 entgegen. Erst als die schwere Schleusentür der P – 3 sich hinter ihnen geschlossen hatte und die beiden Männer vor ihren Geräten saßen, sprach Eskin wieder. Er hatte seinen Helm abgeschraubt und bat Bowly, daß gleiche zu tun. „Warum bist du so schweigsam?“ fragte Peter den Freund. „Ich weiß nicht, ob sie auch unsere Helmanlagen abhören können. Wahrscheinlich, wir machen uns ja gar keinen Begriff von den Möglichkeiten, die denen zur Verfügung stehen. Ich habe da einen Plan, aber es ist nicht nötig, daß sie ihn mitkriegen, sonst verpatzen sie uns alles.“ Bowly hörte gespannt zu. Er nickte mehrmals, dann strahlte er übers ganze Gesicht. „Großartig John, so muß es klappen. Wenigstens bis die Verstärkung kommt.“ 116
Die Geräte der P – 3 wurden offenbar von den marsianischen Strahlen nicht beeinflußt. Mit glattem Start kam das Patrouillenboot ab. Unter ihnen sandten die Atomgeschütze tödliche Ladungen gegen den feindlichen Verband, wie John und Peter Bowly befriedigt feststellten. Noch waren die Marsianer zu weit, um von den Geschossen gefährdet zu werden. Bei einer solchen Entfernung konnten sie nur allzu leicht die Flugbahn bestimmen und rechtzeitig der Vernichtung ausweichen. Bowly blieb an den Kontrolltafeln. Inzwischen stieg Eskin in die marsianische Raumkombination, die er mitgebracht hatte. Die P – 3 zog in Richtung Erde davon, also genau in der entgegengesetzten Richtung, aus der die Station den marsianischen Verband gemeldet hatte. Damit wollte Eskin zweierlei erreichen. Wenn die Marsianer glaubten, die P – 3 flüchte zur Erde, um Hilfe herbeizuholen, dann würden einige Raumer wahrscheinlich vom Hauptverband abdrehen und der P – 3 folgen, um sie zu vernichten. Damit wurde der Angriff auf die Hauptstation geschwächt, und auch Eskin und Bowly hätten nicht den ungleich stärkeren Gegner auf dem Hals. Oder aber die Marsianer hatten die Meldung an die irdische Station abgehört und glaubten, was da gefunkt worden war. Dann mußten sie die P – 3 für das Raumschiff der Meuterer halten. In diesem Fall war es fraglich, ob sie dem Patrouillenboot folgen würden. „Die zweite Möglichkeit wäre natürlich noch günstiger für uns“, knirschte Eskin, während er den Bildschirm gespannt beobachtete. „Wir umrunden den Mond, kommen den Marsianern in den Rücken, und dann tritt mein Plan in Aktion.“ Aber die Marsianer wollten allem Anschein nach kein Risiko eingehen. „Zwei drehen ab“, rief Bowly aufgeregt. „Ich möchte bloß wissen, wie stark der Verband ursprünglich war. Einen Teil haben sie doch offenbar auf Station 2 geschickt.“ 117
„Werden’s noch früh genug erfahren“, meinte Eskin lakonisch. Vergebens versuchte er, damit seine Aufregung zu verbergen. Bowly merkte dem Freund an, wie nervös er war. Es hing viel davon ab, ob sie beide es schafften. Ein einziges Boot gegen die Übermacht eines technisch überlegenen Feindes! – Das schien völlig aussichtslos. „Da, sie kommen!“ Bowly wies mit ausgestrecktem Finger auf den Radarschirm. Er hatte recht. Zwei kleine Punkte, die sich vom Hauptverband getrennt hatten, wurden rasch größer. „So, mach dich bereit“, kommandierte Eskin. „In drei Sekunden legst du den Reserveschalter um. Wir wollen sie möglichst weit fortlocken, damit die anderen den Braten nicht riechen.“ Bowly nickte und hielt den Reservehebel umklammert. Dann gab Eskin das Kommando. Schlagartig steigerte sich das Tempo, wurde der Andruck stärker. Einige Sekunden hingen die Männer reglos in ihren Sitzen. Dann ließ der beklemmende Druck nach, wurde erträglicher, kehrte zum Normalzustand zurück. Die beiden Punkte auf dem Radarschirm waren wieder zu Stecknadelköpfen geworden. Doch jetzt schienen die Marsianer gemerkt zu haben, daß die P – 3 zu entkommen drohte. Auch die Verfolger gingen auf äußerste Kraft, und jetzt näherten sie sich dem flüchtenden Patrouillenboot schnell und schneller. Schon füllte der erste Marsianer die ganze Bildscheibe des Radarschirmes aus, als Eskin die Funkanlage einschaltete. „P – 3 an marsianische Schiffe – P – 3 an marsianische Schiffe – wir ergeben uns – wir ergeben uns – haben Sie verstanden?“ Kaum hatten seine Finger die Meldung hinausgejagt, als der Lautsprecher aufbellte. „Haben verstanden – trauen Ihnen nicht – wozu flüchten Sie dann? – Ende!“ John kniff ein Auge zu. Peter Bowly zuckte nur leicht die Achseln. Sie durften sich jetzt nicht anders verständigen. Wieder hämmerte John auf die Taste des Funkgerätes. „Habe ver118
sucht, Station Luna zu übergeben – bin auf Widerstand gestoßen – setzte mich deshalb zur Erde ab – Mannschaft hat gemeutert, folgte meinen Befehlen nicht mehr.“ Wieder antwortete die eintönige Stimme des Marsianers: „Das wissen wir bereits. Sind Sie der Stationsleiter? Sind Sie allein im Boot?“ „Richtig! – Bin als einziger geflohen. Habe damit der Station die wirksamste Waffe genommen, dieses Boot hier. Ich halte nichts von Krieg. Bin der Ansicht, Marsianer und Menschen sollten sich auf friedlicher Basis einigen.“ Eine lange Pause folgte. Dann meldete sich wieder die leidenschaftslose Stimme. „Dazu ist es zu spät. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Wir haben Rücksprache mit marsianischem Kommandanten genommen. Interessiert sich für Waffen und Antrieb Ihres Raumbootes. Machen Sie sich zum Aussteigen bereit. Wir legen Magnetgreifer an. Ende!“ Gewonnen! dachte Eskin, und auch sein Freund gab einen erleichterten Seufzer von sich. Deutlich hörten die beiden, wie sich die Magnetgreifer an die Wandung ihres Räumers legten. Eskin prüfte noch einmal den Verschluß seines Raumhelmes, dann schaltete er den Apparat ein, der seinen wahren Standort verbergen würde. Schwer legte er die Hand auf Peter Bowlys Schulter. Sollte es ein Abschied für immer sein? – Doch sofort schob er diesen Gedanken beiseite und trat in die Schleusenkammer. Sekunden später stand er in dem marsianischen Raumschiff, dessen Schleusen er einladend geöffnet gefunden hatte. „Kommen Sie durch diesen Gang, die letzte Tür auf der linken Seite“, dröhnte es in seiner Helmanlage. Also wußten sie auch in dieses Sendenetz einzudringen, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie gut, daß er mit Bowly nicht über Helmmikrophon von seinem Plan gesprochen hatte. 119
Eskin faßte die Strahlenwaffe fester, warf einen letzten Blick auf seine Uhr. Noch zwei Sekunden – anderthalb – eine – jetzt. Mit einem Sprung war er an der Tür, die man ihm bezeichnet hatte, riß sie auf, zielte, drückte ab. Der Pilot der Maschine sank in sich zusammen. Mit gehetzten Blicken suchte Eskin den Raum ab. Wo war der zweite Marsianer? Soviel er bisher erfahren hatte, bestand eine marsianische Mannschaft aus zwei Besatzungsmitgliedern. Plötzlich ließ ihn ein Geräusch herumfahren. Er sah gerade noch, wie eine geduckte Gestalt zu der Schalttafel sprang und den Hebel herunterriß, dessen Bedeutung er nur zu gut kannte. Mechanisch zielte er, drückte ab, und während der tödliche Strahl an ihm vorbeischoß, wand sich der Marsianer getroffen am Boden. Eskin taumelte zu dem Schaltpult und ließ sich in den Pilotensitz fallen. Und da kam er gerade noch zurecht, um zu sehen, wie Bowly das zweite Marsianerschiff ausschaltete. Das kleine, wendige Raumboot, das wie ein Anhängsel neben dem flachen Marsschiff schwebte, hatte sein Atomgeschütz auf die zweite Untertasse gerichtet und – nachdem Bowly den wahren Standort mit doppeltem Radar bestimmt hatte – die tödliche Ladung in den Leib des Feindes gejagt. Eskins Plan war abgelaufen wie ein Uhrwerk. Bowly hatte sein Geschütz genau in dem Augenblick gerichtet, da der Pilot hier getroffen vom Sitz sank. Nun würde der Rest einfach sein. Vielleicht brauchten sic die Verstärkung von der Erde überhaupt nicht. Die beiden Freunde durften sich über Funk verständigen. Es sollte ein Überraschungsangriff werden, darin lag ihre Stärke. Es war ausgemacht, daß Bowly den Einsatz der Station Luna 2 übernahm, während Eskin die Hauptstation ansteuerte. 120
* Die Männer in der Hauptstation hatten Minute um Minute auf Rettung gewartet. Ihre Geschütze richteten gegen die beweglichen Raumer nicht viel aus, denn die Marsianer zogen sich in sichere Entfernung zurück, nachdem sie an einem Schiff die Wirksamkeit der Geschosse gespürt hatten. Im ganzen waren es vier Raumer, die Station 1 bedrohten. Mehrfach konnten die Sendeanlagen in der Station wieder betriebsfertig gemeldet werden, aber offenbar erlaubten die Marsianer dieses Funktionieren nur solange, wie sie brauchten, um ihre Aufforderung zur Übergabe zu senden. Wenn sich der Professor dann zu Wort meldete und fest und bestimmt eine Kapitulation verweigerte, streikten die Anlagen wieder. Jetzt ließ der Feind – wie angedroht – seine ersten Bomben auf die Mondoberfläche niedergehen. „Bombenserie 1 fällt in dreihundert Metern Abstand“, hatte die schnarrende Stimme aus dem Lautsprecher mitgeteilt, und die Messungen ergaben, daß diese Entfernung genau stimmte. Langner trat der Schweiß auf die Stirn. Die nächste Serie sollte in hundert Metern Abstand niedergehen. Niemand wußte, ob die Wandungen der Station das noch aushalten würden. Und dann – nun, die dritte Serie könnten sie sowieso nicht mehr beobachten. Der Professor überlegte angestrengt. Sollte er nicht doch … Es ging jetzt um Sekunden. Vielleicht konnte man die Marsianer hinhalten. Die Sendeanlage blieb jetzt betriebsfertig. Offensichtlich erwarteten die Marsianer die Kapitulation. Langner erhob sich schwerfällig und schaltete den Sprechfunk ein. „Station Luna 1 an marsianische Schiffe – wir ergeben uns – wir erwarten Ihre Bedingungen.“ Mit den Sendeanlagen waren auch die Bildschirme und die 121
Radargeräte zu neuem Leben erwacht. – und da, ganz groß im Bildschirm, erschien ein fünfter marsianischer Raumer. Kam er, um den anderen beizustehen, oder beherbergte er die Kommandantur, den Stab, der sich bisher ferngehalten hatte? Den Männern der Hauptstation bot sich ein seltsames Bild. Einige von ihnen beobachteten das Geschehen auf dem Bildschirm, die anderen mit bloßem Auge durch die Glasdächer der Beobachtungskuppel. Dieser fünfte Raumer schien nicht in friedlicher Absicht zu kommen. Die anderen vier jedenfalls zogen sich wieder zu einem geschlossenen Verband zusammen. Und dann schossen blaue Strahlenbündel aus dem Einzelgänger. Sie durchdrangen das Metall der marsianischen Raumer, mähten in unablässiger Folge von einem Schiff zum anderen. Und die angegriffenen Marsianer machten keine Anstalten, sich zu verteidigen. Reglos hingen die Marsschiffe über der Station. Langner und seine Leute wußten nicht, was das zu bedeuten hatte. Doch dann plötzlich setzte die fünfte Untertasse zur Landung an. Mit weitaufgerissenen Augen starrten die Männer dem Wesen entgegen, das da auf. sie zu kam. Es fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum. Langner schluckte einen Kloß herunter, der ihm die Kehle zuschnüren wollte. „Wer sind Sie?“ brachte er endlich hervor, und dann atmeten sie alle erleichtert auf, als sie hörten: „John Eskin! Schnell, kommen Sie, bringen Sie Kommissar Legrand und sechs weitere Männer mit. Wir wollen uns um Station 2 kümmern. Ich habe Bowly allein mit dem Patrouillenboot dort hingeschickt. Er wird in Gefahr sein.“ Sechs Freiwillige waren schnell gefunden. Mit kleinen Zubringerbooten stiegen die Polizisten zu den reglosen Marsschiffen auf und betraten – mit sorgfältig geschlossenen Raumkombinationen – das Innere der Raumer. Wie sie vermutet hatten, hingen sämtliche Besatzungsmitglieder gelähmt über ihren Geräten. 122
Eine halbe Stunde später lagen die Marsianer nebeneinander in dem Raumer, den Eskin benutzt hatte, um den Feind zu erledigen. „Man weiß nicht, ob die Ladung für den tödlichen Strahl sich erschöpft, und ich bin vorhin ziemlich verschwenderisch damit umgegangen. Habe auf Höchstleistung geschaltet und die Schiffe gründlich damit bestrahlt.“ „Und was machen wir jetzt mit den Gelähmten? Wir können sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, Eskin?“ „Das wäre vielleicht eine ganz gerechte Strafe, Professor. Aber ich hatte es auch nicht vor. Passen Sie mal gut auf, was ich jetzt mache.“ Eskin hob das Apothekerschränkchen von der Wand; die marsianischen Raumer glichen einander bis auf die letzte Kleinigkeit. In dem Geheimfach fand Eskin das Gegenmittel. Er flößte dem einen Marsianer eine geringe Menge des Pulvers ein, wartete einige Minuten. Dann sprach er zu ihm, knapp, aber eindringlich, noch ehe der Mann sich rühren konnte. Eskin wußte ja, daß auch ein vom Strahl Gelähmter verstand, was man ihm sagte. „Sie haben zwei Möglichkeiten. Wir starten Ihren Raumer ins All, dann ist es sehr unwahrscheinlich, ob man Sie jemals findet und rettet. Oder Sie zeigen mir jetzt schnellstens, wie man Ihr Schiff auf automatischen Kurs Richtung Mars bringt. Wir haben nämlich kein Interesse daran, Sie für den Rest Ihres Lebens in irdischen Gefängnissen zu beköstigen.“ Der Marsianer fuhr sich mit der Hand über die Augen, ein Zeichen dafür, daß er sich wieder bewegen konnte. Er überlegte kurz, dann stand er taumelnd auf und begab sich an die Kontrollen. Eskin ließ ihn nicht aus den Augen und behielt die Finger am Abzug seiner Strahlwaffe. Der Marsianer drückte mehrere Knöpfe, dann drehte er sich um. „Kurs ist eingestellt, aber wer soll den Raumer starten?“ fragte er. „Sie werden das übernehmen. Wir haben das Gegenmittel 123
und sämtliche Raumanzüge entfernt. Sie sind also spätestens in einer Stunde wieder angesteckt und dann genauso hilflos wie Ihre Kameraden. Versuchen Sie also nicht, etwas anderes zu unternehmen. Wir verlassen Sie jetzt.“ Eskin sah zum Glück noch, wie es in den Augen des Marsianers triumphierend aufblitzte. Er überlegte, dann fiel es ihm ein. Natürlich, das wäre dumm gewesen. „Richtig, Sie bringen mich da auf eine Idee!“ sagte er lächelnd und zielte auf den Hebel, den er nun heute selbst schon bedient hatte. Ein Zischen, Aufflammen, glühendes Metall, Tropfen, die herunterfielen und sich in den Boden einfraßen. „So, das wäre, erledigt. In der kurzen Zeit, die Ihnen bleibt, können Sie nur noch starten, nicht aber diesen Apparat reparieren. Machen Sie keine Dummheiten, wir kümmern uns nun nicht mehr um Sie.“ Damit verschwand er aus dem Raum, gefolgt von einem fassungslosen Professor Langner. Das Zubringerboot setzte ab, und schweigend warteten die Männer auf dem Landefeld, bis der Marsianer gestartet und den Augen entschwunden war. „So“, wandte sich Eskin an die Polizisten, den Stationsleiter und den Kommissar, „wenn sie diese Kampfandrohung nicht verstehen, dann weiß ich nicht, wie man sie besser herauslocken soll.“ „Sie haben das getan, um die marsianische Flotte herauszufordern? Aber Mister Eskin! Ich hatte angenommen …“ „Die Reste der Flotte, Professor, das haben Sie vergessen. Auch die Marsianer stampfen solche teuren Fahrzeuge nicht einfach aus dem Boden. Je eher es zu einer Auseinandersetzung kommt, um so besser für uns. – und jetzt wollen wir doch sehen, was wir auf Station 2 noch für Beute machen können!“ *
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Peter Bowly durfte nicht auf eine Erfolgsmeldung seines Freundes hoffen. Er war sich selbst überlassen, jegliche Funkverbindung hätte dem Plan geschadet. Als die zweite Untertasse unschädlich gemacht worden war, nahm Bowly Kurs auf Station 2. Schon von weitem erkannte er, was sich hier ereignet haben mußte. Rings um die Station gähnten tiefe Bombenkrater. Auf dem unversehrten Landeplatz stand eine marsianische Untertasse. Eine andere lag etwas weiter entfernt aufgerissen am Boden. Und zwei Marsschiffe hingen todbringend und gefährlich etwa einhundert Meter über dem Stationsgebäude. Bowly überlegte, ob er seinen Kameraden zuerst helfen sollte. Aber er gab diesen Plan sehr schnell auf, denn er durfte sich nicht aus der P – 3 wagen, wenn er noch etwas gegen die beiden anderen Untertassen ausrichten wollte. Präzise errechnete er sich den Kurs, dann ging er auf Höchstgeschwindigkeit und preschte an den beiden regungslosen Räumern vorbei in Richtung Erde. Als er sich an den Andruck gewöhnt hatte, starrte Bowly auf den Radarschirm. Fast hätte er vor Freude aufgejubelt. Der Fisch hatte angebissen, der Köder saß. Ebenfalls mit Höchstgeschwindigkeit folgten ihm die marsianischen Schiffe. Diesmal ging Bowly nicht von seiner Geschwindigkeit herunter, und deshalb verringerte sich der Abstand auch nicht, im Gegenteil, die Marsianer blieben zurück. Mit zitternden Fingern hämmerte Bowly auf die Taste des Funkgerätes. „P – 3 an Erde – wo bleibt Verstärkung – P – 3 an Erde – kommen!“ Bange Minuten verstrichen. Die Marsianer waren weit zurückgeblieben. Aber das durfte nicht sein, denn er wollte sie ja nicht abschütteln. Bowly drosselte die Geschwindigkeit und ließ die Verfolger aufholen. Da – endlich eine Antwort. „Erde an P – 3 – Erde an P – 3 – zwei Schiffe vom gleichen Typ be125
reits gestaltet – geben Sie Position – geben Sie Position – drittes Schiff liegt startbereit – kommen!“ Bowly las die Worte von den Skalen ab, dann schaltete er auf Sprechfunk. Unten in der Zentrale meldete sich ein General Slyman. Er forderte nähere Auskunft von Bowly über die Meuterei auf den Mondstationen. Bowly versuchte, so schnell wie möglich das Vorgefallene zu berichten, aber er merkte deutlich, daß er auf Mißtrauen stieß. „Werde im Augenblick von zwei marsianischen Schiffen verfolgt. Hoffe, daß unsere beiden Raumer mich bald erreichen. Eher möchte ich das Gefecht nicht eröffnen. Bitte geben Sie Befehl, daß auch Ersatzschiffe auf Reserve gehen!“ Auf der Erde schien man sich nun doch entschlossen zu haben, seinen phantastischen Bericht ernst zu nehmen. „Raumer Boston auf Reserve gehen – Kurs XP 4 – 387 – 2. Funkverbindung aufnehmen mit P – 3-Luna! – Kommen!“ konnte Bowly mithören. Und dann meldete sich das erste Einsatzschiff gleichzeitig bei Bowly und in der irdischen Überwachung. „Raumer Boston verstanden – Kurs XP – 4 – 387 – 2. Funkverbindung aufgenommen mit P – 3-Luna. Können Sie mich hören, Luna, kommen!“ In Bowly jubelte eine Stimme des Triumphes. Jetzt war es geschafft. Noch wenige Minuten, und die drei Raumer würden gemeinsam den Feind schlagen. Doch seine Freude verwandelte sich in Entsetzen, als sein Blick den Radarschirm streifte. Wie hatte er den Feind aus den Augen lassen können. Jetzt war es zu spät. Jetzt mußte er handeln. „P – 3-Luna an Erde und Raumer Boston – eröffne das Gefecht auf Kurs XP 4 – 387 – 2 – Ende!“ Dann zuckte seine Hand zu dem Atomgeschütz, das mit dem doppelten Radarsucher gekoppelt war. Eine Energiegarbe schoß aus dem Leib der P – 3, fuhr in das marsianische Raumschiff. Aber Bowly konnte die Wirkung nicht mehr beobachten, denn fast gleichzeitig hatte 126
der zweite Marsianer den blauen Strahl auf ihn abgeschossen, und Peter Bowly sackte gelähmt auf sein Kontrollpult. Die P – 3 strebte – zwar mit gedrosseltem Tempo, aber doch noch gefährlich schnell – der Erde zu. Wie lange bis zum Aufprall? Die Mathematiker der irdischen Station hätten es errechnen können, wenn sie gewußt hätten, was dem einzigen Piloten zugestoßen war. Doch sie hatten keine Ahnung. Sie glaubten vielmehr, daß der Kampf Bowly davon abhalte, auf die wiederholten Sprechfunkanrufe zu antworten. Als der Raumer Boston den bezeichneten Ort erreichte, fand er nur noch die Trümmer eines Flugschiffes, dessen Form noch soweit bestimmbar war, daß der Pilot zur Erde melden konnte: „… handelt es sich zweifellos um ein außerirdisches Flugobjekt.“ Dann folgte Boston dem Kurs von Bowly, was bedeutete, daß der Raumer nun wieder der Erde zustrebte, von der er gerade kam. Der Raumer Chikago, später gestartet und erst auf halbem Wege, flog Bowly entgegen. Die Techniker der irdischen Station errechneten gerade, wann Chikago und P – 3Luna sich treffen würden, als eine neue Meldung aus dem Weltraum die Männer der Erdstation aufhorchen ließen. „Raumer Boston an Erdstation. Aus Richtung Mond verfolgt mich ein fremdartiges Flugobjekt, Form Untertasse. Erwarte Verhaltungsmaßregeln.“ Unten in der Erdstation drängte sich der General zum Sprechfunkgerät. „Erde an Raumer Boston. Sofort das Feuer eröffnen. Nicht auf Beschuß des Gegners warten. Ende!“ Aber der Pilot des angesprochenen Räumers kam gar nicht dazu, das Geschütz zu bedienen. Der General hatte kaum sein „Ende“ aussprechen können, da meldete sich bereits eine zweite Stimme im Lautsprecher. „Hier Stationsleiter Eskin von Luna 2. Wir haben fremdes 127
Raumschiff übernommen. Nicht schießen, an Bord sind Professor Langner, Kommissar Legrand und ich. Melden Sie verstanden, kommen!“ Dem Piloten verschlug es die Sprache. Was war das nun wieder? Konnte man der Stimme glauben? Oder benutzten die Marsianer einen Gefangenen zu dieser Irreführung? – Dem Piloten blieb keine Zeit mehr, die Erdstation anzurufen. Das kurze Zögern hatte Eskin genügt. Er ließ die Magnetgreifer ausrollen und zog den Raumer Boston zu sich heran. Minuten später standen die Männer von Luna dem fassungslosen Piloten des Räumers gegenüber. Von ihm erfuhren sie, was sich bisher zwischen Mond und Erde abgespielt hatte, soweit er darüber informiert war. Überstürzt gab Eskin seine Anweisungen, dann ließ er Legrand im Raumer Boston zurück, der dem gekaperten Marsschiff bald darauf in einigem Abstand folgte. „Bowly ist gelähmt und unfähig, sein Schiff zu kontrollieren“, hatte Eskin kurz erklärt. „Außerdem muß ein zweites Marsschiff seinem Kurs folgen.“ Kommissar Legrand nahm Verbindung zum Raumer Chikago auf, der im Augenblick noch zwischen Erde und der P – 3 kreuzte. „Gehen Sie auf gleichen Kurs mit der P – 3. Pilot an Bord gelähmt, strebt der Erde zu, ist unfähig, seine Instrumente zu bedienen. Lähmung ansteckend, Raumanzug nicht entfernen, wenn Sie Bowly geborgen haben. Geben sie Erfolgsmeldung an Raumer Boston und Erdstation.“ Inzwischen hatte Eskin den zweiten Marsianer – gesichtet, der gerade seinen Rückweg antrat. Der Feind mußte ziemlich sicher sein, daß an Bord des flüchtenden Schiffes niemand mehr einer Bewegung fähig war. „Ein teuflischer Plan“, knirschte Eskin zwischen den Zähnen. „Sie hätten Bowly ruhig auf seinem Kurs gelassen. Früher oder später wäre der arme Kerl auf die Erde abgestürzt und von 128
Bergungsmannschaften gefunden worden. Damit hätten die Marsianer dann doch gesiegt, denn die Ansteckung wirkt schnell, Professor.“ Langner nickte. Dann folgte er Eskin mit den Augen, als er zu dem Hebel trat, der den tödlichen Strahl auslöste. Blaue Blitze zuckten auf, trafen den Marsianer, der wohl angenommen hatte, eine Verstärkung folge ihm. John Eskin und Langner konnten das Innere des Marsschiffes nicht beobachten, denn es bestand keine Bildverbindung. Sonst hätten sie gesehen, daß im selben Augenblick, da die blauen Strahlen die Wandung des marsianischen Schiffes durchdrangen, eine Hand zurückfiel. Die Hand des Piloten, der immer wieder seinen vermeintlichen Kameraden über Funk gebeten hatte, sich zu melden, aber ohne Erfolg. Und dann ließ er das Schwesterschiff herankommen, griff nach dem Hebel, der seine Kameraden lähmen würde, wenn der Verdacht unbegründet war. Aber er würde ihnen schnell das Gegenmittel geben; jedenfalls besser so, als sich von diesen irdischen Bestien übertölpeln lassen. – Doch das marsianische Gehirn hatte die Wahrheit Sekunden zu spät erkannt. * Ein frischgebackener Ehemann steckte den Schlüssel in eine Appartementtür mit dem Schildchen „John Eskin“. Seine junge Frau empfing ihn strahlend. „Eine gute Nachricht für uns, John, komm gleich ins Wohnzimmer.“ Sie erlaubte ihm nicht, erst noch den Mantel auszuziehen. Lächelnd schaltete sie das Bandgerät ein, und dann erfuhr John es auch. „Eine Meldung von Luna 1 für Mr. Eskin“, sagte eine Männerstimme. „Ich verlese den Originaltext: Eskin sofort nach Luna 1 zurückkommen – Urlaub unterbrechen – haben von 129
marsianischem Botschafter Friedensvertrag erhalten – Zusammenkunft der irdischen und marsianischen Abgeordneten für Freitag angesetzt – möchten Sie dabei haben – Ende!“ Ein breites Grinsen legte sich über Eskins Gesicht. „Siehst du, Dear, ich habe ja dem Professor gleich gesagt, daß man mitten im Krieg nicht auf Urlaub gehen soll.“ „Aber zu diesem Zweck lasse ich dich gerne gehen, John. – Denk nur, der Krieg ist aus!“ John legte seinen Arm um ihre Schulter. „Ja, Liebes, und Gott sei Dank ehe er richtig angefangen hat.“
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In Vorbereitung: Das Wrack auf dem Mond Die zweite bemannte Rakete zum Mond ist spurlos verschwunden, nachdem die erste zur Erde abgestürzt war. Vierzig Jahre sind verstrichen, ehe die irdischen Wissenschaftler eine neue Expedition starten, können. Und was finden diese mutigen Männer auf dem Erdtrabanten? Gibt es für sie selbst noch eine Rettung? Oder erliegt die Mannschaft Dr. Wickings ebenfalls den Gefahren des Raumes? – All diese Fragen beantwortet der UTOPIA-Zukunftsroman 168
DAS WRACK AUF DEM MOND der das Wettrennen um den „8. Kontinent“ schildert.