Der Start des Hohlplaneten Der Dunkle Oheim verlässt sein Reich von Hans Kneifel
Atlan - König von Atlantis - Nr. 487 ...
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Der Start des Hohlplaneten Der Dunkle Oheim verlässt sein Reich von Hans Kneifel
Atlan - König von Atlantis - Nr. 487
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In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen. Schwerwiegende Dinge haben sich bereits vollzogen – weitere Ereignisse von großer Bedeutung bahnen sich an. Es begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, mit zwei gefange nen Magiern an Bord des Organschiffs HERGIEN durch die Schwarze Ga laxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wur de und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Inzwischen hat die große Plejade den Lebensring um Ritiquian aufgelöst. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, sterben aus. Ob damit das Schicksal der dunklen Mächte in der Schwarzen Galaxis endgültig besiegelt ist, bleibt abzuwarten. Der Dunkle Oheim trifft jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusam menführt. Atlan und seine Gefährten versuchen, dieses Werk des Oheims zu un terbinden, denn sonst droht DER START DES HOHLPLANETEN …
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide sucht den Start des Dunklen Oheims
aufzuhalten.
Razamon, Kennon und Koy, der Trommler - Atlans Begleiter bei
einem gefahrvollen Unternehmen.
Sichtwahrer - Ein Techno von Thar.
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1.
Aus welchem Grund Razamon glaubte, daß die kleine Expedition endlich den richtigen Platz erreicht hatte, war Atlan schleierhaft. Vielleicht hatte der Berserker auch tatsächlich recht; vermutlich aber würden sie auch hier wieder einen schweren Schlag im Kampf gegen die Macht des Dunklen Oheims einstecken müssen. Nachdenklich musterte Atlan den Halbkreis der müde aussehenden Technos in ihren auffallend grünen Lederrüstun gen. Das Grün sah aus wie die Farbe verwitterten Kupfers. »Sichtwahrer kennt die Legende der Brüder der Finsternis«, wiederhol te ein Techno träge. »Er wird gleich eintreffen, denn wir haben nach ihm geschickt.« Vor den vier Eindringlingen ragte die stählerne Burg in den dunstigen Himmel des Weltenfragments. Ein Techno deutete darauf und sagte mit ei ner gewissen Achtung: »Das ist STAHLANKER. Ihr seid im Land Thar. Woher kommt ihr wirklich?« Ebenso wie der Turm aus vulkanischem Gestein und die Quader der un bekannten Bauwerke auf der schachbrettartigen Oberfläche des Tafelbergs schien mit Sicherheit der STAHLANKER die Befehlszentrale von Thar zu sein. Oder gewesen zu sein, flüsterte der Extrasinn. Die Zwingburg war weitaus phantastischer als die Pyramiden der FE STUNG oder alle anderen Befehlszentralen, die jemals einer von ihnen auf anderen Dimensionsfahrstühlen gesehen hatte. Mächtige Tafeln und kanti ge Teile schienen durch dicke Nieten und kopfgroße Schrauben zusam mengehalten zu werden. Jeder Teil der sichtbaren Außenfläche war von dicken Rostschichten bedeckt. An einer Kante des nächstliegenden Tur mes hatten die Technos vor langer Zeit einen halbherzigen Versuch in Re staurierungsarbeiten unternommen. Das Metall war geschliffen worden, dann hatten sie das hell schimmernde Eisen mit mehreren Schichten durchsichtiger Farbe überpinselt. Aber schon jetzt sahen die Eindringlinge, daß die blatternarbigen Spuren neuen Rostes nicht beseitigt waren. Zum drittenmal, seit sie hier standen und warteten, löste sich eine riesi ge Fläche aus dickem Rost, rutschte zunächst einige Meter weit entlang der Metallfläche und überschlug sich dann. Sie zerbrach in mehrere Teile, die sich in eine Wolke aus Roststaub und Bröseln auflösten. Kennon sprang zur Seite, um dem Hagel zu entgehen und stieß hervor: »Atlan hat recht, Razamon – auch ich verstehe nicht, warum du so sicher bist.« Razamon hob die Hand und warf ihm einen funkelnden Blick aus seinen
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schwarzen Augen zu. »Warte es ab. Alle Indizien deuten daraufhin.« Der einzige Gegenstand, der nicht in diese trostlose Umgebung paßte, war das Goldene Raumschiff mit seiner ungewöhnlichen Form, die vage an ein kauerndes Insekt erinnerte. Aus keinem anderen Grund hatten die Technos von Anfang an in den vier verzweifelten Männern die Abgesand ten des Dunklen Oheims gesehen. Von den ärmlichen Hütten her kam ein jünger aussehender Techno. Gleichgültig traten die anderen Technos zur Seite. Jemand deutete auf den Neuankömmling und sagte: »Das ist Sichtwahrer. Einst hatte er ein hohes Amt von großer Wichtig keit inne. Aber seit langer Zeit ist er arbeitslos und ohne Befehle.« Der Techno blieb vor Atlan, Razamon, Kennon und Koy stehen. Die beiden Parteien musterten sich mit unterschiedlichem Interesse. Dann sag te der Arkonide: »Ist es wahr, daß im STAHLANKER die Brüder der Finsternis woh nen?« Der Techno besaß eine lebhafte, aber ebenfalls rostige, heisere Stimme. Er entgegnete: »Keiner von uns hat die Brüder seit undenklich langer Zeit zu Gesicht bekommen. Wir sind sicher, daß sie längst tot sind. Sonst hätten sie uns zumindest befohlen, den Rost abzukratzen.« Normalerweise waren die Technos willige und gehorsame Diener ihrer jeweiligen Herren. Um eine derartig lustlose Einstellung zu Gehorsam und Pflichterfüllung entwickeln zu können, brauchte es sehr lange Zeit und zweifellos auch viele Erlebnisse oder Frustrationen. »Wie verlief das Leben auf Thar?« wollte der Berserker wissen. Sichtwahrer gab seine Antworten sehr bereitwillig. Wahrscheinlich ver sprach sich nicht nur er vom Erscheinen der vier Boten Abwechslung und neue Aufgaben, vielleicht auch ein besseres Leben als das, wozu die Tech nos bisher gezwungen worden waren. »Seit langer Zeit hat sich Thar wieder einmal bewegt. Es gab schwere Erschütterungen, die beim Start den STAHLANKER schwanken ließen. Eine riesige Wolke aus Rost erhob sich über den Tafelberg und wehte in den See. Viele Fische starben daran.« »Und dann?« murmelte Koy der Trommler und beäugte mißtrauisch das Metallgebilde. »Dann folgte eine lange Fahrt. Und schließlich gab es wieder Beben. Wir sitzen fest, nicht wahr?« Rasch erklärte ihnen der Arkonide, was geschehen war, und daß der Dunkle Oheim mit den vielen Dimensionsfahrstühlen etwas Besonderes plante. Viele Einzelheiten allerdings verschwieg Atlan; er wußte nicht, wie
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groß die Anzahl der Verbote und Tabus war, denen die Technos von Thar gehorchen mußten, selbst nach so langer Zeit. Quadratische Türme, an denen eckige Kanzeln und Söller festgenietet waren. Eine Art Zugbrücke ohne Ketten, mehr eine Plattform, die sich aus dem Unterteil eines Torgebäudes hervorgeschoben hatte. Ihr Ende war von Sand und Rost bis zur Unkenntlichkeit bedeckt. Kantige Fenster und Tü ren, Öffnungen aller Art, Plattformen und Zinnen – die stählerne Burg bot einen Anblick, der die Besucher merkwürdig berührte. Wer hatte die vie len Platten und Winkel zusammengenietet? Von wem waren die Teile her gestellt worden? Und wer verschraubte das innere Gerüst von STAHLAN KER? »Die Brüder der Finsternis haben sich weder vor dem Start, während des Starts und des Fluges und auch nicht vor kurzer Zeit sehen lassen, als wir mehrmals anstießen, und der Dimensionsfahrstuhl sich drehte und schüttelte«, sagte Sichtwahrer. »Ich habe lange in der Burg gearbeitet.« »Und jetzt nicht mehr?« fragte Razamon zurück. Etwa dreihundert Technos waren aus den ärmlichen Hütten gekommen und hatten sich um das Goldene Raumschiff versammelt. Sie hörten schweigend zu. Razamon wandte sich an Atlan. »Thar scheint für sehr lange Zeit irgendwo in der Schwarzen Galaxis festgesessen zu haben, wie so viele andere Weltenfragmente.« Dann, lau ter, fragte er den Techno: »Kannst du uns in den STAHLANKER bringen?« »Ohne Schwierigkeiten.« »Es ist dir nicht verboten worden?« »Von wem? Wer könnte es mir verbieten? Ich gehe viel lieber mit den Fischern angeln und allein auf die Jagd.« »Ein abenteuerlustiger Techno also. Drohen uns im Innern des STAHLANKERs Gefahren?« »Vielleicht ersticken wir am Rost, oder ein paar Träger zerschmettern unsere Köpfe«, gab der Techno zurück. »Wollt ihr gleich aufbrechen? Ihr sucht die Seele von Thar, habe ich gehört. Richtig?« »Richtig. Du kennst alle Räume dort drinnen?« fragte Razamon. »Jeden Raum, den Technos betreten dürfen, und auch alle anderen Be zirke, deren Betreten uns früher verboten war. Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf Thar. Es kann sein, daß wir andere, fremde Bewohner im STAHLANKER antreffen. Oder solche, die aus grauer Vorzeit übrig ge blieben sind.« »Schöne Aussichten, Razamon«, brummte Atlan. »Ich lasse mich trotz dem nicht von meiner Meinung abbringen.« »Versuchen wir's«, stimmte Atlan zu. »Vielleicht lebt wenigstens noch die Seele, der Steuermann oder irgend jemand oder etwas, von dem dieser
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Dimensionsfahrstuhl gelenkt werden kann. Ich brenne darauf, die Macht des Dunklen Oheims zu brechen!« Er hatte so leise gesprochen, daß nur seine drei Kameraden verstanden hatten. Sichtwahrer winkte, und sie folgten ihm, nur mit wenigen Dingen aus gerüstet, die sich als Waffen benutzen lassen konnten: Messer, Seile, eine Axt und ein wenig Proviant. Auf dem Weg zur Brückenplatte, unter der einst ein wassergefüllter Graben sich erstreckt haben mochte, fragte Kennon den Techno: »Hat dein Name eine bestimmte Bedeutung für STAHLANKER?« Die anderen Technos blickten der kleinen Gruppe teilnahmslos nach. Sie ließen nicht erkennen, ob sie an einen Erfolg glaubten oder den Ge sandten des Oheims den Tod wünschten. »Ich wahre die Sicht!« erklärte der Techno mit einer letzten Spur Stolz. »Ich habe stets dafür gesorgt, daß die Brüder der Finsternis einen klaren Ausblick hatten.« »Eine Art Fensterputzer also«, knurrte Koy, dem derlei hochtrabende Übertreibungen zuwider waren. »Du hast die Gucklöcher und Bullaugen dieses Burgmonstrums gesäubert?« »Genauso war es!« stimmte ihm Sichtwahrer begeistert zu. »Aber jetzt sehe ich meine wahre Berufung darin, zu Wasser und zu Lande zu jagen.« Wieder ein Techno, sagte sich Atlan, der so sprach, als habe er die ptho rische Grammatik und deren Schönheiten bewußt studiert. Den Gipfel der unnatürlichen Rede hatten wohl die Technos rund um den vulkanischen Turm erreicht; ihre Redeweise war noch viel gezierter gewesen. Sichtwahrer setzte seinen Fuß auf die Brückenplatte und drehte sich um. Mit beschwörender Stimme sagte er: »Bleibt hinter mir. Der STAHLANKER ist voller Fallen und tückischer Rostlöcher.« »Keine Sorge. Wir sind derlei gewohnt«, schränkte Razamon grimmig ein. »Du sollst uns so schnell wie möglich zur Seele bringen.« »Schon unterwegs, ihr Herren.« Je näher sie herankamen, desto deutlicher wurde die Überzeugung, daß die stählerne Burg tatsächlich uralt war. Der Rost hatte teilweise bereits die Ecken in dünne, filigranhafte Gespinste verwandelt. Überall lag Rost in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, als mehlartiger Staub, der bei jedem Schritt hochwirbelte, als grießartiger Sand, der unter den Sohlen knirschte, als krustenhaft dünne Schicht, die sich auflöste. Der mächtige Torbogen mit seinen klobigen Achtkantschrauben wölbte sich über den Eindringlingen. Sie gingen durch einen tunnelartigen Korridor, der rechts und links eiserne Treppen erkennen ließ – ebenso verwahrlost und kaum noch als Stufenreihe zu erkennen.
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»Dieser Eingangsbereich war jedem zugänglich … einst«, erklärte Sichtwahrer. »Beachtet die Scheiben des Ausgucks!« Er sprach mit der Stimme eines unzulänglich geschulten Museumswär ters, der nur über ein eingetrichtertes Wissen verfügte, das von keinerlei tiefer Kenntnis verdorben war. Die Freunde drehten die Köpfe und erkann ten zwischen den löchrigen Trägern und Verspannungen eine große Glasp latte oder jedenfalls eine Platte aus transparentem Material. Sie war vor langer Zeit, wenn auch gründlich, gereinigt worden und bildete einen un wirklichen Gegensatz zu den anderen Teilen des Torgebäudes. »Die Scheiben des Ausgucks sind hinreichend gepflegt«, sagte Kennon steif und wußte nicht, ob er ein gräßliches Gelächter anstimmen sollte. »Vermutlich stellen sie deine letzte Arbeit im STAHLANKER dar?« »Die Schraube auf den Kopf getroffen«, antwortete Sichtwahrer. »Aber heute sehe …« »… siehst du deine Berufung darin, zu jagen und reiche Beute zu ma chen. Halte dich nicht mit überflüssigen Vorlesungen auf, Freund. Bringe uns so schnell wie möglich dorthin, wohin wir müssen!« rief Razamon und legte die Hand an den Griff des Messers. »Es macht mir Vergnügen, die Gesetze zu umgehen, die uns lange unter Zwang gehalten haben!« Die überraschend gemeinte Erklärung Sichtwahrers überraschte die Pthorer kaum. Sie hatten sich ähnliches bereits gedacht. Irgendwie hatte Sichtwahrer etwas von einem Rebellen an sich. Der Ausflug, falls er nicht in ein unterirdisches Martyrium ausartete, versprach interessant zu wer den. »Begriffen und akzeptiert«, sagte Atlan. »Trotz allem: uns brennt die Zeit auf den Nägeln, Sichty!« »So hat mich schon lange niemand mehr genannt!« lächelte der Techno verzückt. »Sichty. Bleiben wir dabei, und ich werde euch ein selbstloser Führer sein.« Koy knurrte: »Geht in Ordnung, Sichty!« Er grinste breit und bewegte zögernd die Broins. Der Korridor im Torgebäude endete vor einem Innenhof. Tatsächlich hatte auch diese Anlage eine gewisse Ähnlichkeit mit uralten Bauwerken der Erde, erinnerte sich der Arkonide. Brunnen und Treppen, Stallungen und Maschinen, verschieden hoch angesetzte Ebenen – das alles war vor handen, aber die Formen sahen anders aus, und nur die konstruktive Phan tasie schuf diesen ErinnerungsEindruck. Dort, wo sich Rost mit angeweh tem Sand und Erdreich gemischt hatte, waren Unkrautsamen und Schöß linge aufgegangen. Bäume erhoben sich, stachelige Pflanzen, rankende und wuchernde Ge
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wächse kletterten aufwärts und veränderten die Form und das Aussehen des Hofes. Zwischen den Pflanzen gab es schmale Pfade. Sie sahen aus, als wären sie von kleinen Tieren getreten worden. »Hierher riefen uns die Brüder der Finsternis«, verkündete Sichtwahrer, als sie sich etwa im Zentrum zwischen den hochragenden Mauern und Türmen befanden, »wenn wir Befehle entgegenzunehmen hatten. Das ist schon lange nicht mehr der Fall gewesen – wie leicht zu sehen ist.« »Sind die Brüder der Finsternis tot?« fragte Atlan. »Nach meiner Meinung sind sie vor langer Zeit gestorben oder haben sich aufgelöst«, sagte Sichtwahrer. »Ich weiß es nicht. Aber es kann nicht anders sein.« »Du weißt es also nicht sicher?« fragte Atlan und konnte sich des Ein drucks nicht erwehren, daß dieser Techno eine höchst zwiespältige Figur war, trotz seiner offen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit den Herren des STAHLANKERs gegenüber. »Nein. Ich habe keine Bestätigung. Aber vielleicht finden wir die Wahr heit heute heraus.« »Vielleicht«, sagte Kennon. »Obwohl wir das Unmögliche versuchen, nämlich in viel zu wenig Zeit viel zu viel Erkenntnisse zu sammeln. Wo befindet sich das Zentrum dieser Anlage?« »Tief unterhalb des Innenhofs«, sagte Sichtwahrer und winkte. »Ich bringe euch dorthin.« Ungefähr fünfzig Schritte später, dicht vor einem der zahllosen Eingän ge, die sich entlang der stählernen Wände des Innenhofs erstreckten, blie ben die Mitglieder der kleinen Gruppe stehen. Atlan und Razamon hoben ihre Köpfe und ließen ihre Augen über die Fronten und Flächen der Kon struktion aus Eisen gleiten. Jedes Stück war vom Rost heimgesucht worden. Dicke Schichten lösten sich an allen Teilen von den glatten Flächen und hingen bedrohlich über den Köpfen der Eindringlinge. Atlan stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte halblaut: »Der STAHLANKER ist von Rost zerfressen. Lange Zeit muß vergan gen sein, seit dieses System der Herrschaft noch richtig funktionierte. Ich glaube, daß der Dimensionsfahrstuhl namens Thar niemals ein besonders großes Schmuckstück in der Sammlung des Dunklen Oheims gewesen ist.« »Das kann ich nicht beurteilen«, gab der Techno zurück. »Aber tatsäch lich war es so, daß wir fast immer nur undeutliche, verschieden auszule gende Befehle erhielten, besonders in der letzten Zeit. Wenn ich jetzt mit euch den nächsten Korridor betrete, dann müßt ihr wissen, daß uns Tech nos der Zutritt dorthin nicht ohne weiteres gestattet gewesen ist. Ihr solltet mir trotzdem folgen.«
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Der Trommler sagte schroff: »Nichts anderes tun wir, Freund Sichty!« Die stählerne Ruine atmete Verlassenheit aus. Ein schwacher Wind be wegte die Blätter der verkrüppelten Bäume und ließ die Ranken hin und her pendeln. Der erste Eindruck der vier Fremden, daß aus den verschiede nen und unterschiedlich verfallenen Eingängen Ritter auf gepanzerten Reittieren hervorsprengen würden, verging im leisen Rauschen des Win des. »Es wird zunehmend schwieriger«, betonte der Techno. »Der Weg, der einst klar, einfach und leicht begehbar war, ist im Lauf der Zeiten ver schüttet worden.« »Das setzten wir voraus«, gab Atlan zurück. »Trotzdem eilt es uns. Wo finden wir die Seele von Thar?« »Unterhalb dieses Platzes«, gab der Techno zur Antwort. »Wie weit oder wie tief darunter?« begehrte Kennon zu wissen. »Dauert es Stunden, Tage oder Wochen?« »Das kann ich nicht genau sagen. Jedenfalls führt der Weg hier ent lang.« Er kletterte auf die untersten Stufen einer breiten, eisernen Treppe. Sie führte zwischen massiven Geländern schräg aufwärts und auf ein dreifa ches Tor zu, das weit offen stand. Die Torflügel waren einst mit schweren, kunstvoll verzierten Scharnieren und Griffen ausgestattet gewesen. Ihre Fläche bestand noch jetzt aus halbplastischen Ornamenten, die ineinander überflossen und zwischen Ranken und Tierleibern kleine Öffnungen freiließen – aber jetzt machten Rost und Schmutz fast alles unkenntlich. Weiße Tiere, etwa handgroß, die eine gewisse Ähnlichkeit mit zwanzigfü ßigen Ameisen hatten, krochen auf den Eisenplatten herum und ver schwanden in einem langen Zug irgendwo im Dunkel der dahinterliegen den Halle. Die Pthorer folgten dem Techno die Treppe hinauf und blieben nach einigen Schritten in der Halle verblüfft stehen. Ein Thronsaal, stellte Atlans Extrasinn fest. Die Halle war ziemlich leer. Auf dem Boden lag auch weitaus weniger Schutt und Rost als auf dem Innenhof von STAHLANKER. Als breite Spur zog sich der Weg der Insekten im Zickzack durch den Staub. Halb kreisförmig angeordnet standen vor der Rückwand der Halle drei würfel förmige Podien. Seltsam weich und gerundet aussehende Stufen führten hinauf und verschmolzen mit einer Art Sitz, die aber keineswegs für einen Humanoiden gedacht gewesen waren. Lehnen und Sitzflächen bestanden aus Rundungen und Vertiefungen, und die Wesen schienen viele Arme ge habt zu haben. Sichtwahrer ging weiter und erläuterte: »Das sind die Sitze der Herrscher, der Brüder der Finsternis. Nur die äl
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testen Technos können sich erinnern, daß jemals ein Bruder hier saß und Befehle aussprach.« Die Überzeugung, daß die Brüder der Finsternis nicht mehr existierten, wurde von Minute zu Minute größer. STAHLANKER schien nur noch die leere Hülle einer Zwingburg zu sein; tot, von Rost zerfressen und bedeu tungslos. Aber die Eindringlinge eilten weiter und hofften, ausgerechnet hier einen Angriff auf den Dunklen Oheim durchführen zu können.
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2.
Der Weg zur Seele Thars schien ebenso mühevoll zu sein wie er auf Pthor gewesen war. Aber unterhalb des riesigen Thronsaales stellte sich Atlan und seinen Freunden niemand entgegen. Die Treppe aus dem Saal bis hin unter in einen röhrenartigen Korridor war rostbedeckt und leer – bis auf die lange Kette der Insekten. Was sie bezweckten, begriff niemand. »Auch diese Teile durften wir stets betreten«, sagte Sichtwahrer. »Schließlich hatten wir sehr viel zu tun, um zwei Brüder der Finsternis ge bührend zu bestatten.« Kennon keuchte vor Verblüffung auf. »Bestattet? Willst du damit sagen, daß du weißt … sie sind also tot!« »So verhält es sich«, gab der Techno zu. »Es fiel mir eben wieder ein.« Atlan sagte sich, daß zumindest für Sichtwahrer die Erinnerung an be stimmte Auslösemuster gekoppelt zu sein schien. Bisher hatte er geglaubt, daß die Brüder nicht mehr am Leben waren. Jetzt wußte er es. Und ver mutlich würde er, je tiefer sie in die Untergeschosse STAHLANKERs vor drangen, sich an immer mehr und genauere Einzelheiten erinnern. »Zwei von ihnen sind also tot. Und der dritte?« fragte Koy und regi strierte, daß die Decke des Tunnels in einem breiten Streifen zu leuchten begann. Viele kugelförmige Zellen klebten nebeneinander am rostigen Metall und pulsierten in unruhigem Rhythmus. Das Leuchten ähnelte dem Glimmen in einer Röhre, war aber erstaunlich hell und kräftig. »Keine Ahnung«, sagte der Techno und deutete nach vorn. »Es fällt mir aber sicher später ein.« »Verrückt!« knurrte der Berserker wütend. Als er sich umdrehte, sah er den aufgewirbelten Roststaub. Langsam senkten sich die winzigen Parti kel. Das Licht am jenseitigen Ende des Korridors ließ in seiner Intensität nach. »Immerhin funktioniert im STAHLANKER die Beleuchtung noch«, stellte der Arkonide fest. »Sie reagiert auf die Annäherung von Lebewe sen.« »So war es immer«, gab der Techno zurück. Die Röhre endete in einer würfelförmigen Kammer, von der aus drei weitere Korridore mit geringerem Durchmesser abzweigten. Als die fünf Eindringlinge sich dem Knotenpunkt näherten, erhellten sich Wände und Decke auf dieselbe Art, während die Beleuchtung in dem eben verlassenen Korridor erlosch. »Wohin jetzt?« »Ich zeige euch die Gruftkammern der beiden Brüder der Finsternis«, beschloß der Techno und rannte in den nach rechts abzweigenden Korridor
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hinein. Nach etwa hundert Metern standen sie vor einem Gitter, das den Korridor abtrennte. Es war aus armdickem Metall und schien aus der Decke oder dem Boden geglitten zu sein. Auch hier herrschte der Rost. Zusätzlich zu diesen Verfallserscheinungen waren in das Gitter Löcher ge sägt oder gefeilt worden. Die gewaltsam geschaffene Öffnung war so groß, daß Razamon und Atlan nebeneinander mühelos hindurchgehen konnten. Sie kamen in einen großen eisernen Saal mit niedriger Decke. Zwei stern förmige Behälter standen nebeneinander an der Rückwand, jeweils etwa fünfzehn Meter im Durchmesser. Die Beleuchtung wurde heller und pul sierte schneller, und im Licht von der Decke sahen die Eindringlinge ne ben den zwei Särgen einen unförmigen Haufen liegen, aus dem weiße Röhren herausragten. »Das ist die Leiche des dritten Bruders«, sagte der Techno und ging dar auf zu. »Niemand hat sich um ihn gekümmert. Es gab keine Befehle ein deutiger Art mehr.« Undeutlich zeichnete sich die Form eines Knäuels auf dem staubigen Boden ab. Der Bruder der Finsternis schien von schlangenartiger Gestalt gewesen zu sein, was auch den Sitzen im Thronsaal entsprach. Die weißen Röhren waren Knochen und Gelenke, die sich durch die schwarze Haut gebohrt hatten. Erst jetzt erkannte Koy die wahre Form. Er sagte: »Eine krakenähnliche Gestalt. Seht ihr hier die Ringe um einzelne Arme und Tentakel?« Im Todeskampf schien sich das einst große, stattliche Wesen zusam mengerollt und seine Tentakel ineinander verkrampft zu haben. Die Lei che sah wie ein riesiger Knoten eines schwarzen Seiles aus. Atlan wandte sich ab und ging schnell zu einem der beiden Särge hinüber. Die strahlenförmig ausgestreckten Teile des Sterns waren mit einer Schicht aus durchsichtigem Material abgedeckt gewesen. Jetzt klafften große Löcher darin. Das glasartige Material war durch wuchtige Hiebe zerstört worden. Scherben und Splitter lagen auf dem weichen Stoff, den fast zu Staub zerfallenen Blättern und Blüten und auf der eingeschrumpf ten Haut der Tentakel. Deutlich war zu erkennen, daß der Katafalk geplün dert worden war. »Ihr habt zwei Brüder der Finsternis hier beigesetzt?« fragte Atlan und sah im Zentrum des Sarges den eigentlichen Körper des fremdartigen We sens. Um einen kugelförmigen Kopf waren drei Reihen winziger Knopfau gen angeordnet. Sie waren durch Steine oder Edelmetall ersetzt worden – und viele davon fehlten. Man hatte sie herausgerissen. »Mit allen Ehren, mit Blumen und dazugehöriger Musik. Damals funk tionierten noch die akustischen Einrichtungen des STAHLANKERS.« Razamon sagte vom anderen Sarg her:
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»Aber die Särge sind geplündert worden.« »Es war kein Techno, der dies gewagt hat«, antwortete Sichtwahrer. »Ihr lebt im Schatten der eisernen Burg. Ihr müßt gesehen haben, wer die Toten bestohlen hat«, rief Kennon. »Wahrscheinlich waren es fremde Jäger und Fischer. Sie können mit dem Edelmetall und den Waffen, die wir den Brüdern ins Grab gelegt ha ben, etwas anfangen. Wir nicht«, sagte der Techno mit Bestimmtheit. Atlan warf einen letzten Blick auf die Reste des toten Wesens. Es schien einen quallenartigen, annähernd kugelförmigen Körper und elf lange, mit Saugnäpfen und Fingern ausgerüstete Tentakel gehabt zu ha ben. Der Sarg hatte elf strahlenförmige Ausläufer, in denen jeweils ein Saugarm lag. »Ich glaube nicht, daß sich fremde Beutesucher an euch vorbei hierher hinunter wagten«, erklärte Koy, als sie sich wieder durch das Gitter ent fernten. »Technos selbst haben die Gräber geplündert.« »Außerdem sind nur Technos in der Lage«, versuchte Kennon zu bluf fen, »ein derart massives Eisengitter aufzusägen.« »Das mag schon sein«, gab Sichty zu. »Aber ich habe niemanden hier her geführt und das alles liegt in der fernen Vergangenheit. Wir haben zu wenige Aufgaben gestellt bekommen. Dieser Dimensionsfahrstuhl wurde niemals in Kämpfe oder heftige Auseinandersetzungen verwickelt.« »Thar scheint überhaupt nicht gerade eine wahre Freude des Oheims ge wesen zu sein«, sagte Atlan, als sie von der Kammer aus in die nächste Röhre abbogen. »Wir konnten stets unsere Freiheit genießen«, erklärte der Techno, des sen Erinnerung immer besser funktionierte. »Aber was sollten wir mit der Freiheit anfangen? Wir sind nicht dafür ausgestattet.« Sicher ist auch die Lebensquelle Thars nicht zuverlässig genug, wisper te der Extrasinn. Zufällig blickte Atlan an die Decke. Er sah, als die Leuchtkügelchen zit ternd zu glimmen anfingen, zwischen ihnen einige, die schwarz blieben. Plötzlich lösten sie sich aus dem breiten Band und krabbelten – er sah ihre dünnen Insektenfüße auf den helleren Zellen – über ihre Artgenossen hin weg und die Wand hinunter. Atlan stieß Razamon an und machte ihn darauf aufmerksam. »Es sind die Insekten, die wir im Thronsaal sahen«, meinte er. »Sie er zeugen das Licht. Vermutlich müssen sie, um weiterhin leuchten zu kön nen, an die Oberfläche von STAHLANKER.« Jetzt, als sie begriffen hatten, nach welchem Prinzip die tieferen Teile der Burg beleuchtet wurden, sahen sie auch, daß es die Köpfe der ameisen artigen Tierchen waren, die von innen heraus sanft leuchteten. Einige an dere Insekten schlossen sich den ersten Tieren an und krabbelten eilig da
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von, genau in die Richtung, aus der die Gruppe der Eindringlinge gekom men war. »Ich deutete bereits an, daß sich fremde Wesen des Innern von STAHL ANKER bemächtigt haben können«, warf der Techno ein. »Das sind die ersten. Andere habe ich noch nicht kennengelernt. Aber vielleicht finden wir sie jenseits des Ortes, an dem die verbotenen Zonen beginnen.« »Verbotene Zonen?« fragte Atlan. »Ich kenne nur den Anfang. Es soll dort schauerlich zugehen«, meinte Sichtwahrer. »Dort, hinter dem Abgrund.« Die röhrenförmigen Korridore entsprachen der Gesamtanlage der Burg. Einzelne Segmente waren ineinandergeschoben und mit mehreren Reihen von Nieten aneinander befestigt worden. Jetzt begann ein Abschnitt, in dem die Nieten durch immer größer werdende Schrauben und Muttern ab gelöst wurden. Gleichzeitig senkte sich die Röhre und kippte schließlich im rechten Winkel nach unten. Jetzt bildete sie einen Schacht. Der Boden wies zuerst Querrippen auf, dann waren niedrige Eisenbügel angeschraubt, diese wurden immer größer und bildeten im senkrechten Teil ein System von Griffen für Füße und Hände. An der Decke rannten ununterbrochen Leuchtinsekten in die Richtung des Innenhofs oder kamen von dort zurück. Hatten sie am waagrechten und nach vorn gekrümmten Teil der Röhre noch einen breiten Lichtstreifen an der Decke erzeugt, so verteilten sie sich jetzt in schwungvollen Mustern an den abfallenden Wänden des Schachtes und begannen, als Sichtwahrer den Abstieg be gann, kräftig zu leuchten. »Hier unten, tief unten, werden wir irgendwann die Seele von Thar fin den«, versicherte er. Nacheinander kletterten die Eindringlinge hinter ihm her. Der Abstand der Griffe war offensichtlich für die Körper der Technos berechnet wor den. Es bedeutete keine große Anstrengung, ziemlich schnell tiefer und tiefer zu klettern. »Eine genauere Auskunft kannst du uns nicht geben?« fragte Kennon zurück. Ihre Stimmen klangen gepreßt, hallende Echos zitterten in der Röhre. Die Ameisen versammelten sich zu immer neuen, wirren und be eindruckenden Mustern. Es waren gestaltlose, verschnörkelte, fast psyche delische Anordnungen von leuchtenden und flackernden Punkten. »Leider nicht. Ich weiß nur, daß sich die wirklichen Geheimnisse in größerer Tiefe befinden. Alles Offensichtliche bevorzugt die Oberfläche.« »Klug gesprochen, Sichty«, brummte Razamon. Der Abstieg durch diesen Schacht dauerte lange. Sie überwanden schät zungsweise dreihundert Meter senkrecht nach unten. Die Leuchtmuster an den Wänden erhielten eine zusätzliche Wirkung dadurch, daß sich die
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Männer an ihnen vorbei bewegten. Zusammen mit dem unausgesetzten Flackern und den gerundeten, in sich selbst zurückgeführten Mustern üb ten sie eine negative Signalwirkung auf den Verstand aus. Die Eindringlinge erlitten leichte Schwindelanfälle. Sie glaubten, der Schacht würde hin und her pendeln wie ein dünner Turm. Dann wieder waren sie sicher, daß er sich in sich bewegte wie eine Schraubenfeder, die man zusammenpreßte und wieder entlastete. Schließlich, als der Techno einen erstickten Schrei ausstieß, waren sie sicher, daß unter seinem Ge wicht ein rostiger Haltegriff abgebrochen und er in die Tiefe gefallen war. »Es ist zu Ende!« schrie Sichtwahrer. »Ich stehe auf festem Boden. Aber der Boden – er schwankt, bäumt sich auf …« Fast gleichzeitig federten Atlan und Razamon von dem letzten Griff. Unter ihren Sohlen war tatsächlich fester Metallboden. Der Eindruck, daß er schwankte, wurde schwächer. Er kam von den Eindrücken während des Abstiegs und verschwand schließlich ganz. »Keine Aufregung«, versicherte Koy. »Wir befinden uns auf solidem Eisen und darüber hinaus wohl innerhalb unbeweglicher Felsmassen. Wo hin geht es jetzt? Zeige uns den Weg, mein Freund.« »Ich weiß nur, wohin es mich zieht. Diesen Weg werde ich wohl erken nen«, meinte Sichtwahrer schwach. »Es zieht dich? Wie dürfen wir das verstehen?« fragte Atlan. »Da ist etwas, das ich nicht verstehe. Wie eine Stimme in meinem Kopf. Sie ruft mich. Merkt ihr nichts?« Sie sahen, daß sie abermals in einer geschlossenen Kammer standen, rundum aus weniger stark verrostetem Metall. Von oben führte der Schacht hinein, und sechs Ausgänge in normaler Größe ohne zusätzliche Gitter, Sperren oder andere Hinweise auf besondere Wichtigkeit ließen ebenso viele Möglichkeiten offen, sich zu verirren. Zweifellos waren auch diese Zugänge zu einem Labyrinth von den Insekten beleuchtet, denn im mer wieder huschten einzelne Tiere lautlos über die Wände und strebten in die Höhe. Atlan schüttelte sich und sagte: »Ich habe nicht damit gerechnet, daß wir in einem schnellen Lift zur Seele würden fahren können. Aber ich bin halb verrückt geworden. Diese leuchtenden Schnörkel und Windungen!« »Sie haben den Zweck, einen Eindringling zu verwirren. Oder auf eine noch größere Überraschung vorzubereiten. Warum fügen sich die Tiere zu solchen planvollen Mustern zusammen?« »Es gibt sicher niemanden, der diese Frage beantworten kann. Vielleicht erkennen wir später einen Sinn«, antwortete Kennon und spähte nachein ander ohne jedes Ergebnis in die Eingänge hinein. »Folgen wir doch der inneren Stimme unseres Fremdenführers.«
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»Unbedingt«, flüsterte der Techno heiser. »Es muß etwas Wichtiges sein, das mich zu sich rufen will.« Razamon schlug vor: »Dann folgen also auch wir diesem lautlosen Ruf. Was passiert jetzt au ßerhalb der Wölbmäntel?« Niemand antwortete. Sie wußten daß mittlerweile die letzten Welten fragmente ankamen und in die Lücken des Pseudo-Hohlplaneten eingefügt wurden. Wie lange dauerte es noch, bis das ganze Gebilde sich in Bewe gung setzte? Sichtwahrer rannte plötzlich in einen der mittleren Durchgänge hinein. Er lief blindlings ins Dunkel. Die Leuchtinsekten reagierten langsam, und erst als die Eindringlinge hinter ihm waren, begann sich dieser Korridor zu erhellen. Zum erstenmal zeigte der Techno die Reaktion auf ein echtes Ge fühl, und das Gefühl schien für ihn so drängend zu sein, daß er immer schneller wurde. Er rennt in sein Unglück! behauptete alarmiert der Extrasinn. Atlan hol te Luft und spurtete an Razamon vorbei, hinter dem rasenden Techno her. Sie befanden sich schon wieder in einer genieteten Röhre, die sich in nichts von den anderen Korridoren unterschied. Doch, es gab einen ge ringfügigen Unterschied: hier lag nicht so hoch Roststaub am Boden. Der Tunnel machte eine scharfe Biegung nach rechts, und Sichtwahrer stützte sich bei seinem rasenden Lauf an der linken Wand ab. Atlan hatte ihn fast eingeholt, als die Röhre endete. Sie ragte in einen Raum hinein, dessen Boden wie eine flache Schüssel geformt war. »Stehenbleiben, Sichty!« donnerte Atlans Stimme auf. Der Techno dachte nicht daran. Er ruderte hilflos mit den Armen durch die Luft und lief auf ein Loch im Boden zu, das durch keinerlei Geländer oder Zäune geschützt war. Atlan setzte seine letzten Reserven ein, sprang den Techno von hinten an und klammerte sich an seine Knie. Sichtwahrer stürzte schreiend zu Boden. Seine Schultern waren weniger als einen Me ter vom Rand des Loches entfernt. Razamon kam neben Atlan und dem Techno, der sich verzweifelt zu befreien versuchte, in einer dünnen Rost staubwolke zum Stehen. Er bückte sich, packte beide Unterarme des Tech nos und riß ihn in die Höhe. Sein Griff war nicht aufzubrechen. Sichtwahrer zappelte hilflos in der Luft, als ihn der Berserker an der Rüstung packte und vom Boden hoch stemmte. »Bist du verrückt geworden?« herrschte ihn Razamon an. Der Techno stammelte einen längeren Satz. Nur das Wort Quelle war verständlich. Kennon und Koy blieben stehen und wagten, in das Loch zu blicken. Sie sahen, daß es den Beginn eines unbeleuchteten, sehr tiefen Schachtes bildete. Ganz tief unten glaubten sie eine ölig schimmernde Flä
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che zu erkennen, die sich schwach bewegte. »Kann es sein, daß du dich in die Quelle stürzen wolltest, du Narr?« fragte Razamon grob und schüttelte den Techno hin und her. »Die Quelle … sie zog mich an … Tod … Auflösung waren in mir.« Atlan sagte leise: »Nach dem, was wir von dir erfahren haben, Kennon, könnte folgende Erklärung zutreffen: Diese Quelle erkennt, daß sie Wesen geschaffen hat, die nicht den Richtlinien des Dunklen Oheims entsprechen. Also versucht die Quelle, jeden dieser Technos, der sich zu nahe an sie heranwagt, wie der zu verschlucken und neu aufzubauen. Ich bin sicher, daß der Oheim mit Figuren wie unserem abenteuersüchtigen Jäger hier nichts Rechtes an fangen kann. Bringen wir ihn weg, in sichere Entfernung zu dem Sch lund.« »Ich passe auf ihn auf«, versicherte Razamon. »Hoffentlich erleidet er keinen Rückfall.« »Vielleicht ist sein Verstand so durcheinander, daß er uns den Weg überhaupt nicht mehr zeigen kann?« rätselte Koy der Trommler, als sie in schnellem Tempo wieder durch die genietete Röhre zurückmarschierten. Tatsächlich wurde aus dem unverständlichen Gestammel des Technos eine verständliche Redeweise, als sie wieder die Kammer am Ende des Schach tes erreichten. »Du wolltest dich eben selbst umbringen«, sagte Razamon und lockerte seinen Griff. »Versuchen wir es mit einer anderen Röhre. Zu welcher rätst du uns?« Der Techno schüttelte sich, seine Augen verloren langsam den verwirr ten Ausdruck. »Ich habe nicht mehr gewußt, was mit mir vorging«, sagte Sichtwahrer. »Die Quelle wollte mich haben.« »Sie wollte dich umbringen«, bekräftigte Kennon. »Damit ist nieman dem gedient. Wohin führt dieser Stollen? Zur Seele?« »Ich versuche mich zu erinnern … ja, gehen wir dorthin!« »Meinetwegen«, knurrte Atlan. »Noch immer sicher, Razamon?« »Ziemlich sicher. Selbst, wenn wir noch Tage in dem Labyrinth ver bringen müssen. Ich glaube, wir schaffen es.« »Du scheinst eine wahrhaft optimistische Vorstellung von unseren Möglichkeiten zu haben«, sagte Koy in gutmütigem Spott, aber auch er folgte dem Techno, der bereits in einen anderen Stollen eindrang. Nach etwa hundert Schritten drangen Geräusche an die Ohren der fünf Eindringlinge. Sie blieben kurz stehen und lauschten. Sie glaubten, deut lich ein Tropfen und Plätschern zu hören. Ein feuchter, fauliger Geruch, der ihnen eine kurze Zeit später entgegenschlug, bestätigte diese ersten Überlegungen. Das Band der leuchtenden Insekten war in dieser Eisenröh
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re schmaler als an allen anderen Stellen bisher. Nach weiteren hundert Metern, in denen das Eisenrohr absolut gerade verlief, endete es abrupt. Sie standen am Rand einer Wasserfläche, die sich in die Dunkelheit hinein scheinbar endlos fortsetzte. Unterhalb der Röhre sprang eine flache Felsnase ins Wasser vor und hing teilweise stark über. Der Schein der leuchtenden Insekten spiegelte sich auf den winzigen Wellen des Sees unter Thar. Als die Eindringlinge am vorderen Rand der Felsplatte standen, erlo schen sanft die leuchtenden Köpfe der Ameisen. Rundherum herrschte un durchdringliches Dunkel. Das dünne Plätschern und hallende Tropfge räusche kamen aus der Finsternis und bildeten unter der Felskuppel zahllo se, rundumgehende Echos. Der Techno suchte neben seinen Füßen, fand einen Stein und schleuderte ihn weit von sich. Ein schwaches Klatschen ertönte. Razamon begann leise zu fluchen.
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3.
Einige Sekunden lang standen sie schweigend und regungslos da und wuß ten nicht, was sie tun sollten. Jeder von ihnen war sicher, daß sie am Rand eines größeren Sees standen, der sich tief unter der eisernen Burg STAHL ANKER ausbreitete und logischerweise von Felsen umgeben war. Schließlich, als weit vor ihnen ein winziges Glühen auftauchte und näher zukommen schien, sagte der Techno: »Ich erinnere mich wieder. Um an die Seele heranzukommen, muß man ein Wasser überqueren. Das ist in unseren Erinnerungen gespeichert.« »Ist darin auch vermerkt, wie dieser See zu bezwingen ist?« fragte der Trommler scharf. Das Glühen breitete sich aus. Es bildete stärker leuchtende Ringe und schwächer leuchtende Zwischenzonen. »Dort, wo der Stein eingeschlagen ist«, sagte Kennon, »erscheint eine gewisse Helligkeit.« »Nein«, antwortete der Techno dem Trommler. »Ich weiß nicht, wie wir über den See kommen können.« »Schwimmen? Ausgerechnet jetzt, wo die Zeit drängt und wir keinerlei Unterstützung haben?« fragte sich Razamon. Das Glühen wurde stärker, der kreisrunde Fleck vergrößerte sich stark. Undeutlich sahen sie weit vor sich eine dunkle Masse, vielleicht eine Konstruktion, die wie ein Trichter aus dem Wasser aufzuragen schien. »Wozu dieser See?« fragte sich Atlan laut. »Ich weiß es nicht«, bekannte Sichtwahrer. Wenn sich das Weltenfragment mehrmals bewegt hatte, beim Losreißen und beim Anstoßen in die Lücken des Hohlplaneten, dann mußte sich die Oberfläche des Sees stark in Aufruhr befunden haben. Der Umstand, daß im letzten Teil des Rohrkorridors der Boden bis halb die Wände hinauf feucht gewesen war, daß sich dort im Roststaub breite Bahnen abzeichne te, unterstrich diese Wahrscheinlichkeit. Also war er auch an anderen Stel len »über die Ufer getreten«. »War der Stein auch ein Signal?« erkundigte sich Atlan bei Sichtwah rer. »Nein. Ich warf ihn gedankenlos hinein, weil ich mich ärgere. Warum leuchtet das Wasser?« »Was weiß ich? Mikroorganismen?« überlegte Kennon. »Oder die schwimmfähigen Vettern der Leuchtameisen?« Der leuchtende Kreis erreichte die Felsnase, spaltete sich und dehnte sich weiter aus. Mehr und mehr Einzelheiten waren zu erkennen. Ein an nähernd kuppelförmiger Felsendom hing mit zahllosen Spalten, Klüften
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und vorspringenden Steinformationen über dem Wasser. Rechts und links erkannten die Eindringlinge senkrechte Felsen, einige andere Röhren und kleinere Eisenplattformen und in einer großen Nische einen braunen Strand. Atlan starrte ins Wasser, aber er vermochte keine Einzelheiten zu unter scheiden. Es war offensichtlich das Wasser – oder handelte es sich um ei ne ganz andere Flüssigkeit –, das aus sich heraus leuchtete. Und immer stärker wurde die Helligkeit. Rund dreihundert Meter weit entfernt, gleichweit von den Wänden und der Felsnase, ragte aus dem Wasser eine schwarze, dicke Stahlsäule her vor. Einige Meter über der Oberfläche breitete sich, durch schräge Säulen oder Rohre gestützt, eine runde Plattform aus. Auf ihr erhoben sich riesige Maschinen, Geräte oder andere Konstruk tionen mit vielen Armen, Ausläufern, Kugeln und Verbindungen. Der Trichter sah wie eine abstrakte Form aus, wie ein Eisenkunstwerk, das im See stand und bedrohlich irgendwelche Stacheln nach allen Seiten richtete. »Ist das die Seele?« fragte Atlan. »Ich habe die undeutliche Erinnerung, daß dies der einzige Zugang zur Seele ist«, gab der Techno zur Antwort. »Ich hab's!« rief Razamon plötzlich und zeigte hinüber zur Nische. Dann schob er Kennon und den Techno auseinander und schwang sich über den Rand der Felsnase. Er turnte schnell und geschickt, jeden Vor sprung ausnutzend, an der Felswand hinunter und sprang vier Meter tief, als er den Überhang erreichte, in den Sand des winzigen Strandes. Dort lag ein Boot oder ein Floß oder etwas, das starke Ähnlichkeit mit diesen Gegenständen hatte. Razamon lief hinüber. Sie konnten nicht genau sehen, was wirklich dort schräg gegen die Felswand gelehnt stand. Viel leicht hatte die Flutwelle das Gefährt dorthin geworfen. Vielleicht war es auch etwas ganz anderes, das sich nicht zum Befahren des Sees eignete, sagte sich Koy und wartete. Atlan rief hinüber: »Was hast du gefunden, Razamon?« Der Berserker mit seinen gewaltigen Kräften zerrte und zog an seinem Fund. Dann ließ er ihn in den Sand kippen und zog ihn in den Bereich des leuchtenden Wassers hinein. »Es ist so wie ein Ponton, ein rechteckiges Boot. Sehen wir nach, ob es schwimmfähig ist!« gab er zurück. Die Quellen des Tropfens und Plätscherns waren nicht zu sehen. Aber als Razamon das Boot nahe genug an den Felsen herangezogen hatte, stell te sich heraus, daß es ein offener Kasten war, aus dünnem Metall herge stellt. Sekunden später schaukelte es leicht im Wasser. An einigen Stellen sickerte Wasser ins Innere und begann auch dort zu leuchten. Razamon lachte und sah zu, wie das Seil klargemacht wurde.
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»Wenn wir rasend schnell mit den Händen rudern, erreichen wir gerade dann die Plattform, wenn das Boot zu sinken anfängt.« »Ein paar Stoffetzen werden uns einen Zeitvorsprung bringen«, rief At lan und turnt am Seil herunter. Die anderen folgten, zuletzt ließ sich der Techno herunter. Das Boot machte trotz der vier Lecke einen recht ver trauenswürdigen Eindruck. Diese Fahrt und vielleicht auch die Rückfahrt würde es aushalten – wenn sie die Löcher verstopfen konnten. Koy riß einen Stoffstreifen aus seiner Kleidung, Razamon tat dasselbe. Sie rollten den Stoff zusammen und verschlossen notdürftig die Rostlö cher. Dabei entdeckte Kennon, halb im Sand unter dem Felsen, zwei rosti ge Metallplatten, je etwa einen Meter lang und einen Viertelmeter breit. »Hier ist der Antrieb!« sagte er zufrieden. Die Finger und die Unterar me, alles, was mit dem Wasser in Verbindung gekommen war, begannen ebenfalls zu leuchten. Die Haut schmerzte zwar nicht, es ließen sich auch keine nachteiligen Effekte erkennen, aber der Vorgang war gespenstisch. Razamon schob das Boot ins Wasser und rief: »Schnell hinein. Und dann aus Leibeskräften rudern. Wir brauchen das Ding noch für die Rückkehr.« Kennon schleppte die Metallplatten ins Boot, die anderen halfen sich gegenseitig, und der Techno setzte sich in den Bug. Während Kennon und Atlan miteinander eine der Metallplatten als Ruder benutzten, zog der Ber serker das andere allein durch das Wasser. Augenblicklich fing sich das Boot, das schwer im Wasser lag, zu bewegen an und steuerte auf das trich terförmige Gestell zu. Jeder Spritzer Wasser, der auf den improvisierten Rudern landete oder auf der Kleidung der Männer, leuchtete dort auf wie ein kleiner Sonnenlichtreflex. Atlan und Kennon mußten sich bemühen, mit der gewaltigen Kraft des Berserkers mitzuhalten. Er zog die Platte mit äußerster Kraft durch das Wasser. Hinter dem flachen Kahn breitete sich eine keilförmige Spur aus. Hin und wieder warf der Arkonide einen Blick ins Wasser. Erwartungsgemäß lagen unzählige Bruchstücke des Felsendoms am Bo den des Sees. Das Wasser war an dieser Stelle etwa zehn Meter tief und von bestechender Klarheit. Zwischen den Steinen sah Atlan etwas Sand, und immer wieder erhoben sich in den Fugen Metallbrocken. Sie waren nicht verrostet! Ihre Bruchstellen waren silbern, golden oder von der Farbe dunklen Kupfers. Es schienen zackige Teile zu sein. Sie wirkten, als wären sie durch eine Explosion oder einen unvorstellbaren Druck auseinandergeris sen worden. Zwischen den Felsen und den Metallspeeren reckten sich an wenigen Stellen pilzförmige Tiere oder Wasserpflanzen hoch, unbeweg lich und in leuchtenden Farben. »He, Atlan! Rudern, nicht träumen!« sagte Razamon und bewegte sein
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eisernes Paddel rückwärts. Das Boot hatte sich zu drehen begonnen, weil Atlan einen Moment lang unachtsam gewesen war. »Sagt dir deine stufenweise zurückkommende Erinnerung nichts über diesen erstaunlichen See, Sichtwahrer?« fragte der Arkonide und fuhr, als er den dicken Trägerschaft des Trichters in beachtlichem Tempo näher kommen sah, mit aller Kraft zu rudern fort. »Es tut mir leid. Ich zermartere meinen Verstand. Aber nichts mehr fällt mir ein. Vielleicht später …« Offensichtlich befanden sie sich tatsächlich innerhalb des Gebiets, in das noch niemals ein Techno hatte eindringen dürfen. Wieder schaute At lan in das leuchtende Wasser und widerstand der Versuchung, auszupro bieren, ob es sich wirklich um nichts anderes als Wasser handelte. Der Techno hatte sich, was seinen Drang zum selbstmörderischen Sturz in die Quelle betraf, anscheinend völlig beruhigt. Er stand plötzlich auf. Seine hastige Bewegung ließ das Boot schaukeln. Dann rief er: »Hier! Eine Leiter! Genau wie in dem Röhrenschacht.« Das Boot stieß mit schwachem Poltern an. Sichtwahrer faßte nach einer Strebe und hielt sich und das Boot daran fest. Razamon legte das Eisenru der zur Seite, nahm ein kurzes Seilstück von seinem Gürtel und befestigte das Boot, so gut es ging, an dem trapezförmigen Griff. Atlan und Kennon kletterten bereits aufwärts. Auch das Unterteil des trichterförmigen Insel elements wurde vom Wasser scharf ausgeleuchtet. Auch hier gab es dicke Rostschichten. Dort, wo der Rost ins Wasser gefallen war, entstanden nicht etwa dunkle Flecken und Ablagerungen, sondern auf den Pilzen, den Felsen und Metallzacken lagen winzige, schimmernde Kristalle. Atlan hob die Schultern und kletterte weiter. Wenn sie sich damit aufhielten, nach dem Sinn einer jeden Erscheinung zu forschen und für alles eine Erklärung zu finden, würden sie Monate al lein hier verbringen müssen. Dafür hatten sie weder Zeit noch genügend Proviant. Über ihm stieß der Techno einen langgezogenen Laut der Über raschung aus. »Was gibt es?« fragte Atlan. »Eine neue Überraschung?« Nacheinander kamen die Eindringlinge durch einen Ausschnitt der Plattform und schwangen sich zur Seite. Sie blickten hinüber zu dem End stück des Röhrentunnels, aus dem sie eben hervorgekommen waren. Über ihnen wölbte sich die Kuppel des ausgehöhlten Felsens. »Ja. Ein neues Gefühl. Irgend eine freundliche Wesenheit.« »Still!« sagte Atlan, lehnte sich an ein Metallteil und schloß die Augen. Was der Techno gesagt hatte, stimmte tatsächlich! Es könnte die Seele sein! sagte nach einer Weile der Logiksektor. Die positiven Schwingungen erfüllten die Plattform. Es war ein Gefühl, als würde ein Geheimnisvoller Ruhe und Geborgenheit garantieren, eine
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Ahnung davon, daß es in den Dimensionsfahrstühlen einander widerspre chende Komponenten gab. Diese war jedenfalls nicht feindlich. Sie schien die Männer zu rufen. Mit einem langen, fragenden Blick vergewisserte sich Atlan, daß auch seine Kameraden diesen lautlosen Ruf spürten. »Möglicherweise sind wir tatsächlich auf dem richtigen Weg«, sagte Razamon. »Du bist noch immer mißtrauisch, Atlan?« »Ich frage mich, aus welchem Grund jeder, der zur Seele vordringen möchte, diese Seefahrt zu machen hat. Offensichtlich ist sie der einzige Weg, denn alle diese Griffe hier, das Boot, dieser Haufen von schweigen dem und unbeweglichem Metallkram – Fragen über Fragen. Suchen wir also weiter.« Auch hier hatte der Rost Jahrhunderte Zeit gehabt, sich tief einzufressen und Schicht um Schicht vom Metall abzutragen. Die Schritte der Männer, die nach einem Eingang oder einer Möglichkeit suchten, ihren Weg fortzu setzen, riefen leichte Erschütterungen hervor. Wieder lösten sich Rostschichten von den Armen, Trägern und Winkeln der optisch verwirrenden Konstruktion. Kleine Löcher schienen zu zeigen, daß sich an ihrer Stelle einst Instrumente oder Schalter befunden hatten. Die Männer gingen hin und her, rissen an Dingen, die wie Hebel aussahen, sahen die mächtigen Schrauben und Bolzen, von denen die eiserne Kon struktion zusammengehalten wurde, krochen in Löcher hinein und mußten merken, daß sie nirgendwo hinführten. Atlan sah, wie eine große Fläche Rost ins Wasser kippte, beim Aufschlag in mehrere Teile zerbrach und langsam hin und her schaukelnd unterging. Augenblicklich kam Leben in die »Pilze« des Sees. Sie änderten blitzschnell ihre Farbe. Dann vergrößerten sie binnen we niger Sekundenbruchteile ihre Oberteile. Sie wurden dünner und schossen wie selbständige Lebewesen durch das Wasser. Die Bruchstücke des Ro stes verteilten sich darin und landeten teilweise auf den Pilzen. Sofort schlossen sich die Flächen und bildeten faltenreiche Packungen. Die Far ben veränderten sich wieder, und die Bewegung hörte sofort auf. Nur we nige Bruchteile der riesigen Rosttafel waren auf den Sand und die Felsen gefallen. Dort begannen sie, sich zu entfärben und in helle, funkelnde Me tallkrümel zu verwandeln. »Es ist doch besser«, sagte Atlan zu Razamon, der schweigend neben ihn getreten war und dem letzten Teil des Schauspiels zugesehen hatte, »daß wir nicht geschwommen sind.« Über ihnen turnten der Techno und Kennon durch das Gewirr der Stan gen und Ausleger. Ununterbrochen rieselten lange Schleier Rost auf die Plattform herunter. »Hoffentlich wird unser Nachen nicht vom strahlenden Wasser aufge
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fressen«, meinte Razamon besorgt. »Hoffentlich nicht. Aber die warme, freundschaftsversprechende Aus strahlung besteht noch immer.« »Der Weg dorthin ist bestimmt schwer zu finden.« Sie suchten in fieberhafter Eile weiter. Razamon versuchte ebenso wie die anderen, einen Zugang zu finden. Aber erst, als er mit einer gewaltigen Kraftanstrengung eine ineinander verhakte und verkeilte Masse von dün nen Stangen und Platten von einer kleineren Kanzel hochstemmte und ins Wasser schleuderte, zeigte sich die erste Möglichkeit. »Hier ist eine Öffnung«, rief er und räumte weitere Teile weg. Irgend wann war von weiter oben eine Menge Metall heruntergefallen und hatte den Eingang verschüttet und unsichtbar gemacht. Razamon wagte sich weiter vor und winkte schließlich nach hinten. »Es ist verdammt dunkel«, sagte er. »Und ich weiß nicht, ob wir uns nicht zu Tode stürzen.« Kennon suchte unter dem Abfall und fand schließlich ein dickes Stück Rohr. Ohne die anderen darauf aufmerksam zu machen, knotete er ein Sei lende daran, ließ das Rohr ins Wasser hinunter und zog es gefüllt wieder herauf. Er schleppte es zu Razamon und sagte: »Vielleicht hilft es, wenn du das Zeug in die Öffnung kippst. Es gibt noch mehr als genug von diesem Leuchtstoff.« »Hervorragende Idee!« bestätigte Koy. Razamon ergriff den Behälter und schüttete vor sich einen Teil der selt samen Flüssigkeit aus. Schlagartig erhellte sich die Stelle, an der er arbei tete. Dann kippte er den Rest abwärts, und es zeigte sich, daß der Schaft der trichterartigen Plattform gleichzeitig eine weitere Röhre war. »Noch mehr davon, Kennon!« rief er. »Es wirkt.« »Vermutlich wird es verdunsten und nicht lange leuchten«, gab Atlan zu bedenken und half Kennon. Sie zogen achtmal das gefüllte Rohr herauf und schütteten es in den eisernen Schacht. »Wir sollten einen Vorrat mitnehmen!« schlug der Techno vor. »Bedauerlicherweise läßt mich meine Erinnerung noch immer im Stich.« »Einverstanden. Hast du das Gefühl, noch immer auf der richtigen Spur zu sein, Razamon?« fragte Atlan und zerrte den schweren, gefüllten Eisen behälter über das Geländer der Plattform hoch. »Mehr denn je. Man kann die freundliche Ausstrahlung an dieser Stelle förmlich riechen«, gab der Berserker zurück und machte sich an den Ab stieg. Auch hier fand er wieder jene trapezförmigen Haltebügel. Schnell und entschlossen folgten ihm die anderen. Atlan bildete den Schluß und versuchte, mit dem schweren Rohr niemanden den Schädel zu zerschmet tern. Minutenlang hörten sie nur ihre eigenen Geräusche: das Keuchen, die
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rutschenden Sohlen, das dröhnende Klirren, mit dem der Lichtwasservor rat gegen das Metall dröhnte und das Knirschen, mit dem die Finger die dicken Rostschichten von den Bügeln rissen. Die Flüssigkeit hatte seltsame Spuren hinterlassen. Teile der Haltegrif fe, lange Spritzer an den Wänden, einzelne Tropfen, die sich lösten und in winzige Partikel zersprangen, langsam herunterlaufende schmale Bahnen an den Wänden – das Leuchten dauerte noch immer unverändert an, und die Flüssigkeit schien sehr langsam zu verdunsten. Und das alles war durch einen Steinwurf des Technos ausgelöst worden. Jeder der Eindringlinge merkte, daß die erste Empfindung Sichtwahrers auf der Plattform definitiv richtig gewesen war. Die freundliche Gegen wart einer fremden Wesenheit wurde deutlicher, je mehr Haltegriffe durch die Hände der Eindringlinge glitten. Aber war es die Seele von Thar? Oder eine neue Falle, die irgendwann vom Dunklen Oheim errichtet worden war? Razamon packte über seinem Kopf den Fuß von Kennon und rief nach oben: »Halt! Wer hat das Leuchtwasser?« »Ich. Atlan.« »Hier unten wird es langsam finster. Lasse den Vorrat vorsichtig zu mir herunter«, erscholl die Stimme des Berserkers. Atlan versuchte, den Be hälter an die anderen Kletterern vorbei nach unten zu bugsieren. Die Fin ger und Unterarme der Eindringlinge, die voller Spritzer waren und daher leuchteten, beschrieben im zunehmenden Dunkel seltsame Bewegungen. Vorsichtig kippte Razamon, nachdem das Rohrstück bei ihm angekom men war, einen Teil des Inhalts nach unten. Ein leuchtender senkrechter Faden bildete sich. Tropfen umschwirrten ihn. Dort, wo die Spitze des senkrechten Strahls auftraf, zerspritzte sie in hundert kleinen Fontänen. Die Kletterer beugten sich nach unten und er kannten, daß sie nur noch rund dreißig Griffe zu überwinden brauchten. Zugleich mit der größeren Helligkeit, die schlagartig erleichternd und beruhigend wirkte, verspürten sie noch fordernder und stärker die Aus strahlung des unbekannten Wesens tief unter ihnen. Atlan kletterte weiter und sagte sich schweigend: Die Dimensionsfahrstühle müssen, ehe der Dunkle Oheim sie sich ange eignet und sie für seine Zwecke benutzt hatte, tatsächlich einem guten Zweck gedient haben. Was immer sie vor der Beeinflussung geleistet hat ten – es war etwas ganz anderes gewesen: Der Gegensatz zu dem, was die Weltenfragmente und ihre Bewohner gezwungenermaßen heute bedeute ten. Er rief nach unten: »Ihr merkt es auch? Die Ausstrahlung ist stärker geworden.«
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»Wir werden es gleich sehen können«, rief Razamon zurück. »Ich befin de mich bereits wieder auf festem Grund.« Wenige Zeit später versammelten sie sich, einen kleinen Rest der leuch tenden Flüssigkeit bei sich, auf dem Boden des Rohres. Sie hatten einen Höhenunterschied von nicht weniger als hundert Metern überwunden. Ihre Sohlen standen auf einem großen feuchten Fleck, von dem aus genügend Helligkeit wegstrahlte, um sie erkennen zu lassen, wo sie sich befanden. Es war ein niedriger Raum, etwa drei bis vier Meter hoch, der sich sehr weit ausdehnte. Die Wände verschmolzen mit der Dunkelheit rundum. Of fensichtlich unterteilten einzelne Barrieren, etwa eineinhalb Meter hoch, den Raum in verschiedenen Zonen. Hier, unterhalb des Einstiegs, gab es eine Art Arena mit einem Durchmesser von zwanzig Metern. Vier breite Durchgänge klafften in der runden Mauer, und die metallenen Flächen sa hen aus, als ob sie eine Unmenge von Pulten, Borden und Vorsprüngen trügen. Hier war die Ausstrahlung des fremden Wesens mehr als deutlich. Die Seele schien sich – unsichtbar – in diesem Raum zu befinden. Razamon schwenkte die Flüssigkeit im Rohrstück so stark, daß sie teilweise außen herunterrann. Jetzt verfügten die Eindringlinge über einen leuchtenden, dicken Stab. Zwar war seine Strahlung nicht sonderlich groß, aber sie er hellte den Raum auf kurze Distanz. »Wir spüren die Seele von Thar!« stellte der Techno nach einigen tiefen Atemzügen fest. »Aber wir können uns nicht mit ihr verständigen«, meinte der Arkonide. »Sollen wir zwischen allen diesen Schränken nach einem Gerät suchen, das noch funktioniert und der Übersetzung dienen kann?« »Wir werden dabei wenig Glück haben«, prophezeite Kennon. »Suchen können wir trotzdem.« Sie trugen das leuchtende Rohrstück an den Vorsprüngen der Wand ent lang und sahen erwartungsgemäß zuerst einmal nichts anderes als Rost. Die Nieten und Schrauben, von denen die annähernd kastenförmigen und würfelartigen Gerätschaften an der senkrechten Trennwand festgehalten wurden, die Wand selbst und der Boden ebenso wie die Decke: Alles war von unterschiedlich starken Schichten Rost bedeckt. Als Atlans Hand an der Stelle, wo er Schalter oder Uhren vermutete, über ein abgeschrägtes Pult fuhr, raschelten die Schichten des blättrigen Rostes herunter, aber sei ne Fingerspitzen fanden nichts anderes als rauhes Metall. Die Intensität der Ausstrahlung veränderte sich nicht, als der Arkonide den kreisförmigen Abschnitt der Halle verließ und in einen anderen Teil eines labyrinthisch angelegten Raumes vordrang. Vom Einstieg schienen die Gänge oder Durchbrüche sternförmig oder zumindest teilweise in die ser Art nach allen Seiten zu strahlen, denn Atlan sah stets, wenn er zurück
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schaute, das leuchtende Rohrstück. Die Stimmen der anderen wurden schwächer, aber die Decke warf die Echos zurück, so daß ein einschläfern des Murmeln zu hören war. Konzentriere dich! riet der Logiksektor. Alles deutet darauf hin, daß ihr nicht näher an die Seele herankommen werdet. Atlan blieb stehen, schloß die Augen und griff nach einer rostigen Kan te. Er zwang sich dazu, alle die fremden Impulse auf sich einströmen zu lassen. Plötzlich richteten sich – vielleicht unter dem Einfluß der gedanklichen Strömung der Seele – seine Überlegungen auf Pthor und auf die Bruch stücke des Parraxynts. Sie mußten gefunden, zusammengetragen und zu sammengesetzt werden! Ein Magier hatte in einem Raum der Pyramide bereits wertvolle Anfangsarbeit geleistet; wie weit seine Arbeit gediehen war, oder ob sie in den Wirren der Kämpfe und Überfälle auf Pthor gänz lich zunichte geworden war, das wußte Atlan nicht. Er glaubte plötzlich daran, daß nicht alle Rätsel Pthors gelöst werden konnten, aber der Schluß, daß sich ein Parraxynt-Bruchstück und ein Dimensionsfahrstuhl zum Gan zen, nämlich dem Parraxynt-Mosaik und dem Hohlplaneten, entsprechend verhielten, lag nahe. Möglicherweise ergab sich durch das Zusammenfü gen der Bruchstücke auch ein Machtmittel, um die Weltenfragmente aus dem Einfluß des Dunklen Oheims zu befreien. Atlan spürte, daß die fremde Wesenheit ihm etwas sagen wollte. Aber er verfügte weder über die technische Möglichkeit, dies zu erfah ren, noch über telepathische Fähigkeiten. Wieder konzentrierte er sich auf die fremden Schwingungen. Verge bens. Er taumelte und merkte plötzlich, daß der Boden unter seinen Füßen sich bewegte. Ein Beben! schrillte der Extrasinn. Durch die Halle tobten knirschende und rumpelnde Geräusche. Wolken aufstaubenden Rostes erhoben sich. Die Verbindungen der einzelnen Teile knarrten und kreischten. Atlans Körper wurde hin und her geworfen; er verlor seinen Halt und prallte mit den Schultern schwer gegen eine Eisen wand. Vorübergehend versiegten auch die Schwingungen des unbekannten Wesens. Atlan ließ sich zu Boden fallen, fing seinen Sturz ab und sagte sich fluchend, daß wieder ein Dimensionsfahrstuhl am Rand des Hohlpla neten angekommen war und in der unmittelbaren Nähe Thars in eine der letzten Lücken hineinbugsiert worden war. Razamon schrie: »Bist du in Ordnung, Atlan?« Auch aus seiner Stimme klangen Aufregung und Enttäuschung. »Ich bin nur erschrocken«, schrie Atlan zurück. Noch einmal ging ein
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schwerer Stoß durch Thar und die Konstruktion seiner eisernen RöhrenUnterwelt. Das leichte Zittern, in das die Beben ausliefen, störte nieman den mehr. Die Eindringlinge kamen inmitten von Rostwolken wieder auf die Beine und husteten. Atlan lief zu den anderen zurück und sagte, immer wieder von Husten und Würgen unterbrochen: »Der Augenblick, in dem der Oheim zuschlägt, ist abermals näherge rückt.« »Und wir haben noch immer kein Ergebnis!« knurrte Koy und wischte sich Staub aus den tränenden Augen. Rund um die Stelle, an der das Rohr stand, glühte und leuchtete der Boden. »Ich bin ratlos«, gestand der Techno. »Vollkommen hilflos.« Atlan empfand nicht anders. Er war absolut sicher, daß sie hier noch stundenlang suchen und den noch nichts finden würden – kein Gerät, keine Methode, um mit der We senheit kommunizieren zu können. In seiner steigenden Verzweiflung hob er die Hände an den Mund, holte tief Luft und schrie: »Seele von Thar! Wir sind Fremde und brauchen dringender als alles andere deine Hilfe!« Nach einigen Herzschlägen rief er, etwas leiser, aber nicht weniger ein dringlich, sich auf jedes Wort scharf konzentrierend: »Wir sind in Gefahr, ebenso wie Thar in Gefahr ist, zusammen mit allen anderen Dimensionsfahrstühlen. Der Dunkle Oheim hat alle noch existie renden Weltenfragmente zu einem Hohlplaneten zusammengefaßt. Die ständigen Beben sind der Beweis, daß die letzten Welteninseln angekom men sind. Ich richte im Namen aller freiheitsliebenden Bewohner aller Di mensionsfahrstühle an dich eine Bitte: Ignoriere die Befehle des Dunklen Oheims! Bringe Thar aus dem Verband der Dimensionsfahrstühle hinaus und flüchte aus dem Hohlplaneten. Brich die Herrschaft des Dunklen Oheims. Bald wird es zu spät sein, bald verläßt der Dunkle Oheim die Schwarze Galaxis und beginnt, eine andere Sterneninsel zu unterjochen. Wir flehen dich an! Flüchte mit uns allen aus dem Hohlplaneten und steuere Thar weg von der Sonne mit dem schwarzen Ring. Wir wissen, daß du ein freundliches und positives Wesen bist. Schnell! Es eilt! Es ist schon fast zu spät.« Atlan ließ die Hände sinken und wartete. Einige Sekunden lang hörte schlagartig die Ausstrahlung der Seele auf. Sie schien sich zurückgezogen zu haben. Aber dann schwankte der Techno plötzlich, verdrehte die Augen und wurde von Razamon aufgefangen. Mit völlig veränderter Stimme sagte er fast röchelnd: »Aus mir spricht die Stimme der Seele Thars. Wir müssen flüchten. So
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schnell wie möglich … verlaßt den Saal, klettert an die Oberfläche hinauf. Schreckliche Dinge werden sich ereignen …« »Los!« ordnete Atlan an. »Ich trage ihn«, erklärte Razamon und band schnell die Unterarme des Technos zusammen. Sie hoben den lallenden und mit monotoner Stimme unendlich langsam weitersprechenden Sichtwahrer auf seine Schultern, und die Arme lagen vor Razamons Brust. Auf einen Wink Atlans waren Kennon und Koy bereits an den untersten Sprossen und hangelten sich aufwärts. Das nächste Beben, das den nächsten eintreffenden Dimensionsfahr stuhl kennzeichnen würde, konnte jede Sekunde über sie hereinbrechen und die Stahlröhre zu einer tödlichen Falle werden lassen. »Ich versuche«, ertönte aus dem Mund des Technos die Stimme der Seele, »meine ganze Kunst und meinen ganzen Einfluß aufzubieten.« Atlan sicherte Razamon, der vor ihm die Röhre hinaufkletterte. Die Leuchtkraft der Tropfen und Schlieren hatte noch nicht nachgelassen. Noch gab es keine Erschütterungen, keine Vibrationen, die vielleicht anzeigten, daß die Seele versuchte, planmäßig zu handeln, wie es Atlan er beten hatte. Keuchend und in größter Eile kletterten die Eindringlinge im Innern des Schachtes aufwärts. Wieder stöhnte der Techno, und die fremde Wesenheit erklärte: »Ich habe keinen anderen Weg gefunden, um zu euch Fremden zu spre chen als durch den Mund des Technos. Ich versuche es. Ich sage euch, was jetzt geschieht. Ich aktiviere alle meine Steuerungsmöglichkeiten und erle be einen ersten Erfolg. Achtung! Neue Beben werden Thar erschüttern.« Etwa die Mitte der Röhre lag hinter ihnen. Die Eindringlinge verdoppelten ihre Anstrengungen. Der Berserker kletterte, als habe er nicht einen schweren Körper, sondern eine leichte Ta sche auf dem Rücken, zwischen ihnen. Atlan spürte die ersten Schmerzen der vorübergehenden Erschöpfung in seinen Muskeln. »Neue Beben!« stöhnte Kennon. »Das fehlte uns gerade noch!« »Nicht reden, klettern!« rief Razamon unterdrückt. Wieder bewegten sich die Lippen des bewußtlosen Technos. Mit mono toner Stimme erläuterte er: »Langsam lösen sich die Felswände des Randes von den benachbarten Dimensionsfahrstühlen.« Ein unendlich tiefes, grollendes Geräusch, mit nur ganz geringen Vibra tionen verbunden, kam durch den Fels und erzeugte in dem senkrechten Rohr dumpfe Echos. Die Kletterer hoben immer wieder die Köpfe und sa hen mit steigender Erleichterung, daß der helle Kreis über ihnen näher kam und größer wurde. Jeder von ihnen, selbst Razamon, keuchte und schwitzte, und immer häufiger glitten die Hände von den rostigen Spros
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sen ab. Als der erste von ihnen sich erleichtert auf die Plattform hinaus schwang, herumwirbelte und den Arm ausstreckte, um dem nächsten Ein dringling zu helfen, taumelte Thar zum erstenmal richtiggehend, und ein kurzer Andruck zwang sie für einen Sekundenbruchteil in die Knie. »Ich gleite senkrecht aus dem Loch heraus!« meldete die fremde Stim me halblaut. »Ich schaffe es!« Die Plattform bewegte sich wie ein riesiges Blütenblatt auf einem lan gen, federnden Stengel. »Festhalten!« dröhnte Kennons Stimme auf. Das Weltenfragment rüttelte und schüttelte sich. Ein Geräuschorkan tobte durch den Felsendom. Es rumpelte, krachte und knirschte; von der Decke lösten sich kleinere und größere Felsbrocken. Wenn sie wie Ge schosse auf die Eisenkonstruktion der Plattform herunterkrachten, dröhnte es auf wie Glockenschläge. Ununterbrochen platschten Steintrümmer ins Wasser. Koy rief drängend: »Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich ins Boot und auf die Felszunge zu kommen!« Ohne Betonung und geistesabwesend ließ sich der Techno vernehmen: »Ich habe mich erfolgreich aus dem Verbund der anderen Dimensions fahrstühle entfernt. Mein Wölbmantel ist bereits weitaus höher als diejeni gen der nächsten Nachbarn. Ich versuche, nach außen wegzudriften!« Während die Plattform sich bewegte, sprangen, rutschten und taumelten die Eindringlinge auf die Öffnung in deren Boden zu. Der Weg bis hinauf zur Oberfläche und an Bord der GOL'DHOR war noch weit und gefahr voll. Kennon und Koy erreichten das Boot und lösten die Seilknoten. Das leuchtende Wasser stand in dem flachen Körper des Bootes nicht sehr viel höher als zu dem Zeitpunkt, an dem sie hier festgemacht hatten. Sie halfen dem Berserker, den Körper des Technos herunterzulassen und ihn in der Mitte des Bootes hinzulegen. Der Techno war wie paralysiert; der Körper Sichtwahrers schien das doppelte Gewicht zu haben. Als letzter ließ sich Atlan auf das breite Bord des Bootes gleiten und griff nach dem Metall streifen. »Das wird ein Wettlauf an die Oberfläche!« stellte der Arkonide fest und fing an zu rudern. Auf der anderen Seite der flachen Konstruktion versuchte Razamon, den richtigen Kurs zu halten. »Hoffentlich artet es nicht in ein Wettschwimmen aus«, gab Koy finster zurück. »Aber tatsächlich hat Razamon mit seinem verrückten Optimis mus recht behalten. Wir haben ohne übertrieben große Schwierigkeiten die Seele gefunden und überzeugen können.«
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Atlans Plan war gewesen, mit diesem Versuch ein Zeichen zu setzen. Den freien Willen und die technischen Möglichkeiten eines »Steuermannes«, einer »Seele« gegen die Machtmittel und die teuflischen Absichten des Dunklen Oheims einzusetzen, das versprach vielleicht eine Lösung der Probleme. Bis zu dieser Stelle hatte seine Überlegung auch in der Realität nicht versagt. Aber … wie ging es weiter? Atlan, Kennon und Razamon ruderten wie besessen. Der Techno lag da und rührte sich nicht. Nur seine Brust hob und senkte sich. In unregelmä ßigen Abständen gab er ein Stöhnen von sich, und dann plötzlich sprach wieder aus ihm die verborgene Wesenheit Thars. »Etwas setzt meinem Versuch gewaltigen Widerstand entgegen. Aber noch ist meine Kraft größer. Wir verlassen die Kruste des Hohlplaneten!« »Ausgezeichnet!« murmelte Razamon. Einen Augenblick lang blickte er zurück. Der Hagel lockerer Fel sentrümmer hatte mit den letzten Vibrationen zusammen aufgehört. Die Oberfläche des strahlenden Sees beruhigte sich wieder. Gierig öffneten und schlossen sich die breiten Oberflächen der pilzähnlichen Unterwasser tiere. Das Boot glitt schnell über sie hinweg. »Dein verzweifelter Appell, Atlan, hat tatsächlich gewirkt«, meinte der Berserker einige Ruderschläge später. »Ich habe meine Hoffnungen schon fast aufgegeben gehabt.« »Ich rechnete auch nicht mit einem Erfolg«, erwiderte Atlan und stemmte sich gegen den Druck des schweren Metallblatts. »Aber es scheint, daß sich Thar tatsächlich aus seiner bisherigen Position entfernt …« Im selben Augenblick erzitterte das Weltenfragment erneut. Es schien die stärkste Erschütterung zu sein, die von den Eindringlingen bisher durchgemacht worden war. Die Plattform schwankte wild hin und her. Knirschend lösten sich zahllose Trümmer aus der Decke des Felsen doms und schlugen ins Wasser. Sofort war die Luft mit Säulen, Fontänen und Tropfen der strahlenden Flüssigkeit erfüllt. Am hinteren Ende der rie sigen Höhle baute sich eine meterhohe Welle auf. Das gesamte Welten fragment schwankte förmlich hin und her, als schwimme es seinerseits auf den Wellen einer hochgehenden See. »Etwas zwingt mich, aufzugeben. Eine gewaltige Kraft wirkt auf mich ein. Ich kann den Kurs Thars nicht mehr halten!« schrie der Techno, trotz der Lautstärke mit leiernder Stimme. »Schneller rudern!« rief Razamon. Die Felsnase, das vorspringende Endstück des genieteten Röhrengangs und die winzige Bucht in der Nische näherten sich tatsächlich. Bisher wa
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ren die Trümmer rund um das Boot heruntergezischt, aber nicht einmal der Rand war getroffen worden. Inzwischen war die Kleidung der Männer vollkommen durchnäßt, ebenso wie das Haar, und die Gestalten leuchteten gespenstisch. Je mehr diese Flüssigkeit bewegt wurde, desto strahlender leuchtete sie. Das Schwanken des Welteneilands ließ nicht nach. Die Plattform kippte ächzend hin und her. Verrostete Stücke lösten sich und fielen laut aufklatschend in den See. Die strahlende Welle hob und senkte sich und kam ebenfalls näher, scheinbar direkt auf das Boot zu. Die drei Männer ruderten wie rasend, und tatsächlich hielt das Boot direkt auf die Stelle zu, an der das Tau von dem Felsvorsprung baumelte und hin und her pendelte. Wilde Gedanken rasten durch Atlans Verstand. Verzweiflung packte ihn. Er wußte, daß der Dunkle Oheim die beab sichtigte Flucht eines Weltenfragments bemerkt hatte und seine machtvol len Gegenmaßnahmen traf. Das Boot wurde hochgehoben. Die Welle war heran, ihr Kamm brach sich bereits an den Rändern des Kessels. Das Heck der flachen Schale wurde in die Höhe gerissen. Koy fluchte vor Angst und Enttäuschung und klammerte sich fest. Der Techno schrie: »Ich kämpfe erbittert, so gut ich kann. Aber die Kraft, die sich mir ent gegenstemmt, ist gigantisch. Sie zwingt mich, zurückzuschweben!« »Habe ich befürchtet«, sagte der Arkonide hart, aber seine Worte gingen in der schnellen Folge von Geräuschen unter, die über die Besatzung des kleinen Bootes hereinbrachen. Die Welle krachte vom Heck aus ins Boot herein und überflutete es. Gleichzeitig wirbelte sie den eisernen Körper herum, schleuderte ihn aus der Richtung und kippte ihn hochkant. Die Männer wurden halb herausge schleudert, halb sprangen sie freiwillig in die feinverteilte leuchtende Flüs sigkeit. Razamon und Koy griffen jeweils nach einem Arm des bewußtlo sen Technos. Das Boot wirbelte über sie hinweg, dröhnte gegen die Felswand und wurde dort halb zerschmettert, ehe es wieder zurückschleuderte. Die Kör per wurden von der Wucht des Wassers in die Nische geschwemmt und befanden sich einen Sekundenbruchteil später in einer dunklen Wolke aus Rost, dunklem Sand und anderen Partikeln, die hochgeschwemmt worden waren. Aber die aufgestaute Wassermenge verhinderte, daß die Eindring linge gegen die Felsen geschleudert wurden. Das Wasser schlug über ihnen zusammen, drückte sie tief hinunter und zwang ihre Körper zu wilden Verrenkungen. Sie schnappten nach Luft. Der Techno gurgelte etwas und wäre beinahe ertrunken. Wieder rettete ihn
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der Berserker, der versuchte, zusammen mit Sichtwahrer die Oberfläche zu erreichen. Das Wasser wich ebenso wild und schlagartig zurück, wie es gekom men war. Die Oberfläche des Sees verwandelte sich wieder in ein System von hohen, fast gleichmäßigen Wellen. Die Trichterplattform schwankte weitaus geringer. Koy und Atlan lagen auf dem winzigen Strand, und der Berserker zerrte, die letzten Schwimmstöße ausführend, zusammen mit Kennon den Techno aus dem Wasser. Atlan rief warnend: »Es geht weiter. Der Oheim zwingt Thar zurück in die Lücke! Wir müs sen versuchen, den Stollen zu erreichen.« Sie waren triefend naß und leuchteten, als bestünden sie aus milchigem Glas, und in ihren Körpern wären mächtige Scheinwerfer installiert. Koy stapfte auf das Seil zu, griff nach oben und turnte so schnell wie möglich aufwärts. Kennon folgte ihm, und als er auf halber Höhe war, rief er her unter: »Los! Gebt mir den Techno. Wir dürfen ihn nicht verlieren!« »Auf keinen Fall. Er ist das lebende Sprachrohr von Thars mächtigstem Organismus«, erwiderte der Berserker grimmig und stemmte den schlaffen Körper des Bewußtlosen hoch. Kennon und Koy zogen ihn über die nas sen, gleichfalls leuchtenden Felsen hinauf. »Thar ist verloren. Ich kann den Dimensionsfahrstuhl nicht mehr hal ten«, rief die Seele. »Wir stürzen zurück. Ich muß mein Vorhaben aufge ben. Ich schaffe es nicht mehr.« »Ich wünschte, ich könnte ihr helfen«, stöhnte Atlan und spürte in sei nen Handflächen die rauhen, nassen Fasern des Seiles. Er stemmte seine glitschigen Sohlen gegen den Felsen und warf sich, von Kennon an den Schultern nach vorn gerissen, auf die Oberfläche des steinernen Vor sprungs. Auch dieser Teil der riesigen Halle war naß und strahlte. Ebenso leuch tete der Anfang des Röhrentunnels, und auch die Wasserflut, die sich jetzt aus seinem Schlund wie aus einer gigantischen Regenrinne ergoß, strahlte und funkelte. Die Felswände bis zu einer Höhe von fünfzehn Metern wa ren ebenfalls in Licht getaucht. Ein letztes Bruchstück fiel, sich mehrmals überschlagend, ins Wasser. Razamon leckte, als er als letzter auf dem Felsen stand, seine Lippen. »Habt ihr es schon gemerkt? Diese Brühe schmeckt weder süß noch sal zig, aber etwas bitter. Sie brennt nicht einmal in den Augen.« Er grinste Atlan an und schüttelte sich. Aus ihrer Kleidung lief das rät selhafte Wasser. Sie verständigten sich mit einigen kurzen Blicken und wandten sich zur Öffnung des Tunnels. Das meiste Wasser war bereits abgelaufen. Hinter ihnen beruhigte sich
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der See wieder. Sichtwahrer stieß einen ächzenden Schrei aus und sagte dann bruchstückweise: »Ich unterliege. Der Dimensionsfahrstuhl Thar stürzt zurück. Wieder werden Beben und Erschütterungen mein Land verwüsten. Wir werden ge waltsam in die Lücke zurückgestoßen.« Die Eindringlinge hasteten die ersten Meter des Tunnels entlang. Noch immer schleppte Razamon den Techno auf dem Rücken. »Die Kraft des Dunklen Oheims ist größer als meine. Es gibt keine Fluchtchance mehr!« meldete sich die Seele. Ohne daß die Männer es gemerkt hatten, war auch die freundliche, friedliche Ausstrahlung der Wesenheit verschwunden. Nicht nur der Ab stand zu dem niedrigen Raum aus Eisen hatte sich für die Flüchtenden ver größert, es schien auch andere Gründe zu haben, daß die Seele sie nicht mehr beruhigen konnte. Sie selbst war in Aufruhr und kämpfte gegen die brutale Kraft des Oheims an. Dabei war es Atlan völlig schleierhaft, wel che physikalischen Kräfte dieser schwarze Ring anwenden konnte. Wie di rigierte der Oheim seine Weltenfragmente? »Ich werde mich nicht mehr melden können«, sagte der Techno plötz lich mit veränderter Stimme. »Ich entlasse mein Sprachrohr aus meinem Einfluß. Der Dunkle Oheim hat alle meine Kräfte aufgezehrt.« Der Techno bewegte sich. Razamon hielt an, ließ sich die schwere Last vom Rücken nehmen, und Kennon band die Unterarme des Sichtwahrers los. »He, Sichty!« rief er aufmunternd. »Wir sind auf dem Rückweg. Du solltest besser um dein Leben rennen – so wie wir!« Verwirrt blickte Sichtwahrer um sich. Dann schien er zu begreifen und setzte sich in Bewegung. Während die fünf Männer versuchten, das Ende des stählernen Korridors zu erreichen, wurde die Welteninsel Thar wieder in jene Position zurückgerammt, in der sie sich vor weniger als einer Stun de befunden hatte. Eine Kette von Erschütterungen und gräßliche Geräusche gingen durch die Felsmasse. Sowohl die Oberfläche des Dimensionsfahrstuhls als auch die eisernen Konstruktionen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Todes angst packte die Männer, die von Pthor hierher gekommen waren. Atlans Logiksektor rief: Alle Wahrscheinlichkeit sprach gegen den Erfolg dieses Versuchs! Aber du mußtest unbedingt deinen Willen durchsetzen, König von Atlantis! Atlan mußte sich eingestehen, daß dieser Kommentar seines Extrasinns völlig zutreffend war. Wieder einmal bewegte er sich auf dem schmalen Grat zwischen Tod und Überleben. Und mit ihm vier andere Männer.
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Die Schichtungen der Felsen bewegten sich, stellenweise nur um Millime ter, gegeneinander. An anderen Stellen des Weltenfragments füllten sich untertharische Hohlräume mit Schutt oder Wasser. Dröhnend brachen Ge steinsschichten zusammen. Die Bebenwellen gingen von mehreren Stellen des Randes aus, jenen Stellen, an denen der Dimensionsfahrstuhl an die benachbarten Teile des Hohlplaneten stieß. Langwellige und kurzwellige Vibrationen erschütterten jeden Kubikmeter des Welteneilands. Alle Ein richtungen, die nicht von kilometerdicken, in sich ruhenden Felsmassen umgeben waren, gerieten in unkontrollierbare Schwingungen. Der subtharische See kantete sich, das Wasser verhielt sich, als würde es durch kreuz und quer laufende Tsunamis hochgetürmt. Als Thar zum zweitenmal kippte, flossen Hunderte Kubikmeter der leuchtenden Flüssigkeit dorthin, wo sich die verschiedenen Ausgänge ir gendwelcher Röhrentunnels über die Wasseroberfläche erstreckt hatten. Gurgelnd, fauchend und zischend kam eine Flut hinter den hastenden Männern her, riß die leuchtenden Insekten von der Decke und schwemmte die Rostspuren davon. Ein heulendes Tosen erfüllte die eiserne Röhre. Drei Viertel der Strecke hatten die Flüchtenden bereits hinter sich ge bracht, als Koy der Trommler vom ersten Ausläufer des Wassers im Rücken erfaßt, von den Beinen gerissen und gegen Kennon geschleudert wurde. »Schneller!« schrie er auf. Niemand hörte ihn. Das Rohr wurde in Schwingungen versetzt und schien vorübergehend die geringe Festigkeit eines elastischen Schlauches anzunehmen. Der nachfolgende Schwall strahlend hellen Wassers schob eine Luftsäule vor sich her, die aus weit voraus liegenden Öffnungen heul te und die eisernen Röhren in die Pfeifen einer Orgel verwandelte. Über das Geräusch des Wassers hinweg erhoben sich heulende und stöhnende Töne. Aber der Luftdruck, der diese Töne erzeugte, wirbelte die Männer gleichzeitig nach vorn – zusammen mit einer Million leuchtender Insek ten, die ebenfalls von panischer Angst erfaßt worden waren, zusammen mit einer Wolke Roststaub, der durch vernebeltes Wasser gebunden wurde und einen schlammigen Film erzeugte. Wie Korken wurde diese Mischung in die Kammer gewirbelt, von der die verschiedenen Korridore abzweig ten. Im gleichen Augenblick, als das Wasser auch hier zu steigen begann, obwohl es nach verschiedenen Richtungen ablief, gab es eine neue Beben welle. Wieder marterten knirschende Geräusche die Ohren der Flüchten
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den. Dann war es, als schlage ein mächtiger Hammer zu. Nieten lösten sich serienweise aus den Verbindungen, als das Tunnel rohr zusammengepreßt wurde. Es kippte aufwärts, und an der Knickstelle verformte es sich unter dem Einfluß der gigantischen tektonischen Kräfte derartig, daß der Knick das Nachdringen des Seewassers verhinderte und ausschloß. Abermals kippte und schwankte das Weltenfragment. Atlan fragte sich, wie lange es so weitergehen konnte. Sein inneres Bild von den Vorgängen war, daß sich Thar wie ein Mosaikstein, wenn auch nicht richtig gelegt, zwischen die anderen Steine hineinpreßte. Warum kippte und schwankte es dennoch? Warum schleuderten diese Bewegun gen die fünf Männer hilflos hin und her? Immerhin, registrierte er mit ei nem Anflug von Galgenhumor, starben sie im Hellen. Überall schwappte jene Leuchtflüssigkeit, und sie selbst leuchteten noch immer. Die letzten Insekten flüchteten aus der Kammer, und sie suchten den Weg, den sie kannten: hinaus an die Oberfläche. »Wir müssen ihnen nachklettern«, wollte Atlan sagen, aber als er an setzte, um zu sprechen, hagelte es aus dem senkrechten Schacht Eisen splitter, Felsbrocken, Staub und zerquetschte Leuchtinsekten. Eine Wolke ätzenden Gesteinsstaub, vermischt mit Rost, verbogene Haltegriffe und ein Schwall Wasser, das im Gegensatz zu der Brühe, die um die Stiefel der Männer stieg und sank, nicht leuchtete, schossen mit Urgewalt herunter. Die Flüchtenden sprangen nach drei Richtungen auseinander. Sichtwah rer kam durch den Schock völlig zu sich. Die Seele hatte ihn völlig aus ih rem Einfluß entlassen. Er kreischte: »Der Fluchtweg ist zerstört! Wir sterben hier unten!« Gurgelnd lief die leuchtende Flüssigkeit ab. Der senkrechte Schacht war ihnen versperrt, denn noch immer donnerten klirrend und prasselnd an ge rostete Haltegriffe zu Boden. Auch der Eisenkorridor, der zum Fallschacht der Lebensquelle führte, bot keine Chance zum Entkommen. Es blieben vier weitere Zugänge zur Wahl. Wohin sie führten, war unbekannt. Razamon raffte sich auf, schüttelte sich und faßte den Techno mit einem fast kameradschaftlichen Griff an beiden Schultern. »Jetzt hängt alles von dir ab, Freund Sichty«, sagte er beschwörend und unterbrach sich, als abermals von oben eine Lawine aus Eisen, Felsen, Wasser und Rost herunterhagelte. »Vier verschiedene Ausgänge. Wohin führen sie? Erinnere dich! Krame im letzten Winkel deiner Erinnerungen.« Der Techno deutete stumm auf den am weitesten links liegenden Aus gang. Er war, wie alle anderen, der Anfang eines runden Rohres aus Eisen, voller Nieten und Schrauben und durcheinanderwimmelnden Leuchtinsek ten.
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»Versuchen wir's!« sagte Atlan laut und rannte voraus. Er bewegte sich geradlinig durch den Stollen und erkannte nach rund zweihundert Schritten, daß übergangslos eine Schicht Fels das Metall zer fetzt und zur Seite geschoben hatte. Sie war wie ein Fallbeil herunterge fahren und versperrte die Röhre so vollständig, daß an der Grenzlinie zwi schen Metall und Stein nicht einmal Wasser hindurchsickerte. Atlan warf sich herum und rannte zurück. »Es gibt nur noch drei Möglichkeiten«, erklärte er seinen Kameraden, die noch immer unschlüssig waren, welchem Weg sie folgen sollten. »Dieser Weg ist zu vergessen. Hat Sichtwahrer schon etwas …?« »Noch nicht. Er denkt!« brummte Kennon. Die drei halb erleuchteten runden Öffnungen, rund drei Meter im Durchmesser, lagen ganz rechts in der kleinen Kammer. Hin und wieder kamen noch ferne, knirschende Ge räusche aus den Korridoren, aber sowohl das charakteristische Geräusch des eindringenden Wassers als auch die Vibrationen und Beben hatten auf gehört. Razamon sagte mit eine gewissen grimmigen Zufriedenheit: »Und so hat jeder von uns, was er wollte. Atlan hat festgestellt, daß der Dunkle Oheim mächtiger ist als eine intakte Dimensionsfahrstuhl-Seele. Meine Ahnungen haben sich bewahrheitet. Die Seele hat ihren letzten Kampf hinter sich gebracht, und wir alle versuchen wieder einmal, aus ei ner ausweglosen Lage zu entkommen.« »Immerhin das erstemal, daß wir dies selbstleuchtend versuchen«, kom mentierte Kennon mit der gleichen Portion Galgenhumor. »Dorthin!« rief Sichtwahrer plötzlich und zeigte auf den am weitesten rechts befindlichen Röhrenstollen. »Bist du sicher?« fragte Koy zurück. Der Techno blinzelte ihn halb ver wirrt, halb vorwurfsvoll an. Er zog die Schultern hoch und wiederholte seine deutende Geste. »Ich weiß es nicht. Ich ahne es. Eine Eingebung, der wir folgen soll ten.« Razamon stieß ein hallendes Gelächter aus und rief: »Eine Chance zu dreiunddreißigeindrittel Prozent. Es gab schon schlim mere Verhältnisse in meinem Leben.« Atlan stieß die Luft seufzend aus und murmelte: »Einverstanden. Vielleicht haben wir wieder einmal Glück. Bisher ist es uns, was unsere Existenz betrifft, erstaunlich treu geblieben.« »Gehen wir.« Sie drangen in den Tunnel ein. Razamon setzte sich an die Spitze. Die eiserne Röhre unterschied sich die nächsten zehn Minuten oder rund zwei hundert Meter absolut nicht von den anderen Korridoren. An der Decke ein breiter Streifen leuchtender Insekten. Allerdings waren sie unruhig und
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wanderten immer wieder nach rechts und links abwärts. Aber dann kehrten die einzelnen Exemplare wieder zurück und starrten mit leuchtenden Au gen in glimmenden Köpfen auf die Männer, die unter ihnen vorbeihaste ten. Am Boden, etwa einen Fuß hoch, hatte das Wasser seine leuchtenden Spuren hinterlassen. Die strahlenden Gestalten, deren Kleidung nur lang sam trocknete, und deren Haut den hellen Glanz bisher behalten hatte, tra ten immer wieder in geringfügige Reste der Überschwemmung. Sie spra chen nicht, sondern konzentrierten sich auf die wenigen Geräusche, die hin und wieder jenseits der Röhre ertönten – ausnahmslos ein fernes Knir schen, ein dumpfes, entferntes Poltern, irgendwelche gurgelnden und pfei fenden Laute aus dem rätselhaften, felsigen Inneren des Weltenfragments. Razamon sagte, als sie vor sich die typische Form einer sich verjüngen den, absolut geraden Röhre erkannten: »Wir können nur hoffen, daß wir auf Umwegen zurück zur GOL'DHOR kommen.« »Auf dem geraden und bekannten Weg geht es sicher nicht«, erklärte der Techno überflüssigerweise. »Wir sind Spezialisten des gekrümmten, kurvenreichen, steinigen, dor nigen und schwierigen Weges«, bekannte Sinclair Marout Kennon mit der Miene eines leidenden Abenteurers. »Wo kämen wir hin, wenn alles im mer nach unserem Wunsch ginge?« »Jedenfalls nicht dorthin«, sagte der Arkonide und mußte wider Willen kurz grinsen, »wo es hingeht, wenn es nach dem Willen des Dunklen Oheims geht.« »Auf alle Fälle geht es sehr schnell«, keuchte der Trommler, der wieder einmal den Zug der Flüchtenden abschloß. Die letzten Beben hatten den bekannten Rückzugsweg ins Innere des STAHLANKERs vernichtet. Sie mußten versuchen, mit der schwachen Hilfe des Technos einen anderen Weg zu finden. Ob sie es schafften, war fraglich. Aber Atlan vertraute darauf, daß ein Gebilde wie der STAHLAN KER nicht nur einen einzigen Zugang zu seiner subtharischen Basis hatte. Der Tunnel machte einige scharfe Biegungen. Die verkrusteten Reste von Schleusen zeigten sich an den Wänden. Sie standen ausnahmslos of fen, und die Flüchtenden liefen schweigend hindurch. Überall klebten und krabbelten die leuchtenden Ameisen. Der Gang endete plötzlich, und At lan hielt an. Schnell gewöhnten sich seine Augen an das Zwielicht. »Wir sind wieder in einem Felsendom!« stellte er fest. »Diesmal ohne Wasser, denke ich.« Die Männer drängten sich hinter seinen Schultern auseinander und ver suchten, etwas Genaueres zu erkennen. Sie standen auf einer schweren,
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von Nietenreihen unterbrochenen Eisenplatte, über der die Röhre zu schweben schien. Einige Spuren des Seewassers gab es auch hier; die Flüssigkeit war geradeaus gelaufen und beleuchtete einige Metallstufen. »Die Halle ist nicht leer. Aber ich kann nicht erkennen, was das alles soll«, murmelte Kennon. Im schwachen Licht erkannten sie immerhin wenige Einzelheiten. In den Wänden befanden sich Löcher, unendlich viele in allen Größen. Aus diesen Öffnungen tropfte langsam oder in breiteren Strahlen eine zähe Brühe von dunkler Farbe. Sie vereinigte sich in zahllosen kleinen Bächen und Rinnsalen und floß träge irgendwo in der Mitte des Hallenbodens zu sammen. »Eine Treppe führt hinunter«, meinte Koy. »Haben wir eine andere Möglichkeit?« »Ich sehe keine«, knurrte der Berserker. Eine Anzahl schmutzbedeckter Stufen ging geradeaus etwa dreißig Me ter abwärts. Die Oberfläche der seltsamen Flüssigkeit schien zu kochen oder zu brodeln. Ein ätzender Geruch nach Salpeter und Schwefel breitete sich in der Halle aus. Es gab hier keine Leuchtinsekten. Aber verschiedene Teile der Wände und der Decke sandten ein schwaches Glimmen aus. »Was hat das zu bedeuten?« fragte der Techno verwirrt, als sie sich nacheinander die Stufen hinuntertasteten. »Wenn du das nicht besser weißt als wir?« meinte Razamon. »Auf mich macht diese Flüssigkeit einen höchst unglaublichen Eindruck. Sie scheint sich in rechteckigen Formen zu sammeln.« »So sieht es aus!« stimmte Atlan zu. Der Techno verhielt sich, als ob von den Erlebnissen der letzten Stunde in seinem Verstand nichts übriggeblieben wäre. Der Umstand, daß ihn die Seele als willenloses Sprachrohr benutzt hatte, schien ebenso vergessen wie vieles andere. Sichtwahrer war weder deprimiert, noch zeigte er ande re Regungen. Er verhielt sich auch keineswegs so, als würde er vor Todes angst halb verrückt werden. »Tatsächlich! Es sind rechteckige Becken oder dergleichen«, meinte Razamon. »Darin sammelt sich das Zeug.« Sie erreichten den Boden der Halle. Die vier Männer von Pthor waren, was abenteuerliche und lebensgefähr liche Vorhaben betraf, alles andere als ungeübt. In dieser Beziehung waren selbst Koy und Kennon, von Razamon und dem Arkoniden ganz zu schweigen, mit einem erstaunlich hohen Überlebenspotential ausgestattet. Sie hatten zwar nicht die geringste Ahnung, wie sie an die Oberfläche des Weltenfragments und somit zur GOL'DHOR zurückkommen würden, aber sie glaubten fest daran, daß sie es schaffen konnten. Der Techno setzte sich plötzlich auf die unterste Stufe, lehnte in seiner
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nassen und leuchtenden Lederrüstung gegen die Kante der nächsthöheren Stufe und sagte mit einer veränderten Stimme: »Ich erinnere mich.« »Wie schön«, schnappte Razamon, dem auch nicht entgangen war, daß die Stimme des Sichtwahrers plötzlich richtiggehend bewegt und von per sönlicher Anteilnahme erfüllt war. »Woran?« »An ein Märchen, eine Sage«, erklärte der Techno. »Immer wieder wur de erzählt, daß STAHLANKER von winzigen, unsichtbaren Wesen ge schaffen worden ist, nach dem geheimnisvollen Bauplan eines längst zu Asche zerfallenen Magiers.« »Nichts ist unmöglich«, kommentierte Kennon schwach und betrachtete die tafelförmigen Segmente des Hallenbodens etwas genauer. Eine verrückte Idee, halb Erinnerung, halb Phantasie, zuckte durch sei ne Überlegungen. Man hatte früher einst versucht, Metallspuren durch die Tätigkeit ganz speziell gezüchteter oder besser konstruierter Baktierien aus dem Gestein zu waschen und die daraus entstandene Lösung weiterhin chemisch und physikalisch behandelt. Es war also gar nicht so ungewöhnlich und phan tastisch, wenn auch aus dem Gestein Thars das Metall mit Hilfe von un ablässig arbeitenden, katalysatorisch wirkenden Kleinstlebewesen heraus gewaschen wurde. Aber … der bakteriell verarbeitete Schlamm sammelte sich in rechteckigen Formen. Was hatte dies zu bedeuten? Kennon fragte weiter: »Woran erinnerst du dich noch?« »Wie gesagt: nur eine Legende. Ein Wesen, das in der Tiefe wohnte, hat für die Brüder der Finsternis und nach dem Auftrag des Dunklen Oheims STAHLANKER gebaut. Der Magier mit jeder seiner Körperzelle war be reits der eigentliche Bauplan.« Kennon und Razamon gingen die schmalen Stege entlang, die sich zwi schen den unterschiedlich großen Flächen befanden. Hin und wieder bück ten sie sich und berührten die Oberfläche der brodelnden Masse. Schließ lich drehte sich der Berserker um und rief: »An den Rändern erstarrt dieses Zeug bereits. Es ist tatsächlich so hart wie Eisen. Und ich sehe gerade einen anderen Parasiten, der die Löcher macht.« »Schwachsinn!« sagte Atlan grob. »Wir haben keine Zeit für solche Scherze!« »Bei der großen Plejade«, rief der Berserker, »das ist kein Scherz, At lan. Es ist so.« Eine Vision tauchte in Atlan auf. Hier, in der Tiefe dieses Dimensionsfahrstuhls, produzierten Bakterien und andere Wesen riesige Metalltafeln nach einem unbekannten, aber noch
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immer wirksamen Plan. Dazu gehörte sogar jene wasserähnliche Flüssig keit, in der sie geschwommen waren; sie verhinderte wohl in jenen Jahren das Rosten der Eisenmetalle. Das bedeutete in der logischen Fortführung dieser Legende, daß STAHLANKER hier unten hergestellt worden war. In Einzelteilen, in verschiedenen Platten, Trägern, anderen Elementen, und daß jemand diese Bruchstücke an der Oberfläche zusammengesetzt hatte. »Ich glaube es dir«, brummte er und lief hinüber zu Razamon. Mindestens dreißig verschieden große und höchst unterschiedlich ge formte Teile entstanden hier. Durch viele kleine Kanäle sickerte der Brei aus den Löchern der Wände in die verschiedenen Rinnen und füllte die flachen Tafeln aus, jene merk würdigen Formen. Es mußte ewig lange dauern, bis die Bakterien eine massive Eisentafel dieser Größe und in einer entsprechenden Dicke und Festigkeit »hergestellt« hatten. Und tatsächlich sah auch Atlan an einer der innersten Konstruktionsteile irgendwelche Lebewesen, die Löcher fraßen. Sie sahen aus wie leuchtend gelbe Seeigel. In mathematisch exakten Abständen hatten sie sich nicht nur an den Rändern der Tafeln und Kreissegmente eingenistet, sondern zogen sich auch in gerundeten oder in rechtwinkligen Linien über das entstehende Metall hin. Nietenlöcher oder vielleicht sogar fertige Gewinde für Schrauben! sagte mit unüberhörbarer Skepsis der Logiksektor. Einige Minuten lang betrachteten die Flüchtenden diesen erstaunlichen Fund. Vermutungen wurden geäußert, Fragen gestellt und sogar teilweise beantwortet, Mutmaßungen ausgetauscht. Schließlich rief der Techno: »Glaubt auch ihr an diese Legende? Vielleicht gab es vor Jahrhunderten oder in noch weiter zurückliegender Zeit auch Aufzüge oder andere Schächte, durch die jene Teile nach oben transportiert wurden. Denkt doch nur an die unendlich vielen Röhrenabschnitte, die allein wir schon kennen, weil wir in ihnen entlanggeturnt sind!« Atlan erwiderte, während er sich umsah und nach einem Schacht oder einer anderen Möglichkeit suchte, hier zu entkommen: »Es geht nicht darum, ob wir dir glauben oder ob wir uns die Legende vorstellen können – es geht darum, daß wir so schnell wie möglich die Oberfläche Thars erreichen.« »Bei diesem Vorhaben können uns vielleicht sogar die alten Legenden helfen«, beharrte Sichtwahrer. »Etwas gefunden, Atlan?« Atlan hob die Schultern, und trotz der desperaten Lage, in der sie sich befanden, spielte er mit dem Gedanken, einen zweiten Vorstoß derselben Art zu versuchen. Aber seine Skepsis sagte ihm, daß er den Vorrat an glücklichen Zufällen bereits mit der Seele von Thar zusammen restlos er
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schöpft hatte. »Nein. Noch nichts. Es ist zu dunkel hier«, gab der Arkonide zurück, und sein Blick glitt langsam und suchend über jede Handbreit der felsigen Wände und des Bodens, soweit er nicht von den zukünftigen Eisenplatten bedeckt war. Zwischen den Löchern im Fels gab es immer wieder Flächen, die phos phorn glühten. Auch jene Tiere, die in den erstarrenden Metallplatten die Löcher produzierten, leuchteten ähnlich wie die Männer. Der Arkonide und Razamon bewegten sich an den Stellen, wo Wände und Boden zusam mentrafen, entlang. Sie suchten nach einem Hinweis, wie sie aus der Ei senhöhle entkommen konnten. Einmal rief Razamon den Freund an und deutete nach oben. »Ein Schacht!« sagte er laut. Ein unregelmäßiges Loch, viel breiter als die längste Platte hier unten, war zu sehen. Zwei rostzerfressene Eisenträger ragten senkrecht nach un ten aus der Decke. Dies schien einst eine Art Lift gewesen zu sein, ein Materialaufzug. Aber Kennon schüttelte den Kopf und rief: »Keine Chance, daß wir dort hinauf kommen. Wir suchen weiter.« Wieder erscholl die Stimme des Technos. Kehrten abermals Teile ir gendwelcher Erinnerungen zurück? »Man hat erzählt – ich hörte diesen Teil der Legende auf der Jagd –, daß der Berg STAHLANKER mit allen Einrichtungen von unsichtbaren We sen geschmiedet wurde. Unsichtbar, das bedeutet wohl, daß es winzig klei ne Helfer waren, die nach dem Plan des Magiers arbeiteten. Aber wie ha ben sie die Teile aus dem Bergerz nach oben geschafft, um STAHLAN KER zu errichten?« »Halt!« rief Atlan plötzlich statt einer Antwort. »Hier gibt es Treppen stufen.« Sein leuchtender Körper ließ ihn ein Gefüge von Stufen erkennen, die in wildem Zickzack an der Felswand hinauf und weiter oben durch den Fels hindurch führten. »Kommt hierher! Bringt Sichtwahrer mit!« Er schwang sich auf die unterste Stufe. Die Teile der Treppe waren un gewöhnlich geformt. Sie besaßen keine harten, rechteckigen Kanten. Sie sahen aus, als wären sie aus geschmolzenem Eisen gegossen worden. Rost bedeckte auch hier jeden Quadratzentimeter Fläche. Der stechende Geruch ließ nach, je höher die Männer hinaufgeklettert waren. Die Stufen der Treppe winkelten immer wieder nach allen Richtun gen ab, es war keine Wendeltreppe, die sich hier hochschraubte, sondern eine willkürliche geometrische Form. Als die Decke mit ihren gähnenden Löchern drohend näherkam, verschwand die Treppe im Fels. Diesmal be fanden sich die Flüchtenden nicht in einer eisernen Konstruktion, sondern in einem Felstunnel mit sorgsam geglätteten Wänden. Es gab keine
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Leuchtinsekten hier. »Wir kommen«, keuchte Kennon weiter hinten, »immerhin schnell vor wärts. Aber der Fluchtweg zur GOL'DHOR ist erwiesenermaßen noch lang.« »Viel zu lang! Es dauert und dauert!« brummte Atlan. »Wir haben er staunliche Dinge gesehen.« »Und nicht die geringste Zeit gehabt«, fügte Razamon hinzu, »uns ge nauer darum zu kümmern. Eisenbakterien! Tiere, die Löcher und Gewinde herstellen!« »Und riesige Maulwürfe, die solche Gänge bohren«, murmelte Koy. Sie hasteten durch den Gang. Unmerklich hob sich vor ihnen der Bo den; der Korridor führte also schräg aufwärts. Da das Plateau, auf dem STAHLANKER stand, nicht sonderlich groß war, würden sie auch auf dieser Teilstrecke keine kilometerlange Wanderung vor sich haben. Dieser Gedanke tröstete sie nur wenig, denn sicherlich warteten andere Hinder nisse auf sie. Nicht ganz eine Stunde, nachdem sie die Treppe entdeckt hatten, endete der Korridor. Er hatte mehrere flach verlaufende Biegungen gehabt, und sie ahnten nicht einmal, an welcher Stelle und in welcher Himmelsrichtung Thars sie standen. Sie standen auf dem glatten, nur mit einfachem Staub bedeckten Boden eines Hohlraums. Der Raum war weder ein Würfel noch ein Zylinder schnitt, sondern bestand aus blasenartig hervorquellenden Strukturen, aus Vertiefungen bizarren Zuschnitts, aus Ecken, Kanten und gerundeten For men. An einer Wand war eine Treppe zu sehen, die in einem schmalen Schacht verschwand. Einige Insekten kletterten an den Wänden entlang, man sah etwas Licht. Razamon wies mit einer Kopfbewegung auf die Stelle und murmelte: »Weiter. Wir haben keine Wahlmöglichkeiten. Wohin führt, wenn du dich erinnerst, diese Felstreppe?« Der Techno wiegte den Kopf und entgegnete zögernd: »In ein Gebiet, das über kein Tageslicht verfügt, daher die Insekten. Ganz dunkel war einmal die Rede, daß riesige Würmer hier hausen, die sich vom Fels ernähren. Aber ob sie noch leben? Ob wir nur ihre Gänge finden werden – wer weiß es?« »Ich jedenfalls nicht«, versetzte Koy und folgte den anderen. Eine mühsame Kletterei fing erneut an. Stufen über Stufen in einem schmalen Schacht, dessen Decke von Leuchtinsekten in normaler Anzahl besetzt war. Die Treppe veränderte weder ihre Neigung, noch gab es gera deaus verlaufende Zwischenstücke. Aber sie wand sich, vielleicht natürli chen Felsschichtungen folgend, hin und her und wieder zurück.
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Nach einer halben Stunde setzte sich Atlan auf eine Stufe und massierte seine Oberschenkel. »Eine kurze Pause«, stieß er hervor. Sein Schweiß mischte sich mit dem Leuchten der Haut. »Gibt es etwas zu essen? Einen Schluck Wasser?« Razamon kam einige Stufen zurück und setzte sich ebenfalls. »Kennon hat, denke ich, noch ein paar Brocken und eine gefüllte Fla sche.« »Richtig.« Sie aßen den Rest des Vorrats und tranken die Flasche leer. Langsam ließen die Muskelverkrampfungen nach. Koy bewegte schwach seine Bro ins und erklärte: »Euch ist sicher nicht entgangen, daß in diesem Treppenschacht ein be merkenswerter Luftzug herrscht. Und zwar aufwärts führend. Ich merkte es, weil mein Schweiß schneller trocknete.« Kennon steckte einen Finger zwischen die Lippen und hielt ihn ange feuchtet in die Höhe. »Du hast recht«, sagte er. »Das kann nichts anderes als ein gutes Zei chen sein.« »Ein Zeichen dafür«, bestätigte Razamon, »daß die Treppen letzten En des tatsächlich ins Freie führen. Habt ihr euch erholt, können wir weiter?« »Aber in weniger schnellem Tempo«, bat Kennon. »Sichty und ich sind ziemlich müde geworden.« »Einverstanden. Schonen wir uns etwas.« Der nächste Abschnitt wurde in zügigem, aber gemächlicherem Tempo genommen. Es tauchten keine überraschenden Fallen oder Gefahren auf, und so hatte Atlan Zeit, nachzudenken. Mitten in seine Gedanken hinein, die sich mit Pthor, dem Parraxynt-Mosaik und sogar den Quorks, den Knochen der Yuugh-Katze beschäftigten, meldete sich der Logiksektor und flüsterte: Die GOL'DHOR wartet. Der selbständige Mechanismus des magischen Schiffes wird von Stunde zu Stunde unruhiger. Vielleicht startet das Golde ne Raumschiff ohne euch? Durchaus möglich, sagte sich der Arkonide und hoffte, daß es sich nicht so verhielt. Unbewußt beschleunigte er seine Bewegungen. Vor sich sah Atlan den Rücken und die Beine des Berserkers, der unermüdlich seinen Aufstieg fortsetzte. Hinter Atlan keuchten und trampelten die anderen Männer. »Wir müssen nach Pthor zurück«, sagte Razamon unerwartet scharf. »Unsere Welt geht ebenso aus den Fugen wie alles andere.« »Vielleicht ist es schon zu spät«, keuchte Atlan und dachte an die un durchschaubaren Zustände auf dem Weltenfragment. »Die GOL'DHOR muß einfach auf uns warten!«
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Der Treppenschacht weitete sich nach links aus. Eine Höhle mit grotesk geformtem Eingang wurde sichtbar. Als Razamon und Atlan die Stelle passierten und im Dunkel der Höhle riesige, tellerförmige Augen rot und düster aufschimmern sahen, erschütterte das nächste Beben den Dimensi onsfahrstuhl. Der Boden unter den Sohlen zitterte hin und her. Die Männer wurden von den Füßen gerissen und gegen die Wand geschleudert. Sie rollten ihre Körper instinktiv zusammen und schützten Köpfe und Nacken mit den Unterarmen. Ein ultratiefes Grollen kam aus allen Richtungen gleichzeitig.
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Stöße von links und rechts, Bewegungen von unten nach oben und Vibra tionen, die wie die stöhnenden, grollenden und berstenden Geräusche aus allen Richtungen kamen, verwandelten den kleinen Platz vor der Höhle in ein Inferno. Risse sprangen auf und schlossen sich wieder in den glattge scheuerten Wänden. Aus Fugen sickerte feiner Gesteinsstaub. Gase fauchten durch winzige Löcher, und irgendwo erfolgte ein Wassereinbruch. Die fünfzehn oder zwanzig Sekunden lang andauernden Erschütterun gen kamen den Flüchtenden wie eine Ewigkeit vor. Dann schwangen nur noch einige Nachbeben-Stöße durch das Gefüge des kleinen Dimensionsfahrstuhls. Razamon sprang auf die Füße, schüttel te den Staub von sich und rief: »Alles in Ordnung? Keine Verletzten? Wir müssen weiter, Freunde.« Atlan half Kennon auf die Füße und sah sich um. »Alle sind erschrocken«, stellte er fest. »Und niemand ist verletzt.« Der Wind, der stoßweise durch den Korridor fuhr, riß den Gestank und den Staub aus den Spalten mit sich. Inzwischen konnten sie das dumpfe Sausen der bewegten Luft deutlich hören. Razamon packte Atlan an der Schulter und deutete stumm auf den Eingang der Höhle. Zusammen mit einer Wolke Staub kroch ein langer, schwarzer Arm schlangengleich aus dem gerundeten Loch. Die glühenden Augen schlos sen und öffneten sich. Augenblicklich sprangen die Männer auf die unter sten Stufen des nächsten Treppenabschnitts und warteten. Die Leuchtinsekten, die heruntergeschleudert worden waren, krochen zielstrebig wieder an ihre alten Plätze, ohne sich um die Männer zu küm mern. »Was ist das?« rief Koy. Der Techno erwiderte verblüffend schnell: »Ein Wesen aus der Vergangenheit Thars! Einer der Erbauer der Anla gen unter dem STAHLANKER.« Atlan konnte sich vorstellen, daß die kurzen, wie Messing schimmern den Haken in die Löcher der Eisenplatten paßten. Jene Fortsätze befanden sich an dem Arm, der die Oberfläche eines aus Metall gefertigten Schlau ches hatte. Schon jetzt war der Arm des unbekannten Wesens rund fünf Meter lang, und immer mehr von dieser Schlange kam aus der Höhle. Dann erscholl ein tiefes, seufzendes Stöhnen. Der Lufthauch trieb eine neue Staubwolke hoch. Das Wesen stieß ein einziges Wort aus. Es war gut verständlich, und die Männer zuckten zusammen. »Wir!« sagte der Unbekannte. Der Arm bewegte sich und bildete eine
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unregelmäßige Spirale. Das Ende deutete zuckend und in einer unmißver ständlichen Geste die Treppe aufwärts. Ein Hinweis! Folgt ihm, sagte der Logiksektor. Noch einmal brummte der heisere Baß des schwarzen, massigen Tieres auf. »Wir …« Atlan und Razamon nickten einander zu und kletterten schweigend wei ter. Sie hatten verstanden, was das Wesen meinte, wenn sie sich auch nicht erklären konnten, was das einzelne Wort bedeutete. Dreißig oder vierzig Stufen später passierten sie eine zweite Höhle. Wieder hatte sich ein Arm hervorgeringelt, deutete nach schräg oben, und eine ähnlich tiefe und resignierende Stimme rief ihnen nach: »befinden …« Sie stolperten einfach weiter, nachdem sie einen kurzen Blick in die Richtung der Höhle geworfen hatten. Hinter dem dünnen Tentakel mit den harten Fortsätzen war ein Schädel erschienen, der gewisse Ähnlichkeit mit dem Kopf eines Insekts hatte, von den glasartigen Zähnen abgesehen. Sie saßen in den Kiefersegmenten eines kreisrunden Maules. Die großen, ro ten Augen wirkten traurig und stumpf. »Vielleicht sind es die Wesen, von denen die Höhlen und Korridore her gestellt wurden?« meinte Kennon. »Es kann gar nicht anders sein«, unterstützte ihn der Techno. »Alle Le genden beruhen auf Tatsachen. Es ist also doch wahr, was an den Lager feuern der Jäger von Thar erzählt wird.« »Eine Gemeinschaftsintelligenz, von einzeln handelnden Wesen gebil det, die über eine zentrale Steuerung dirigiert werden?« gab Razamon zu bedenken. »Und hier sehen wir den dritten dieser Reihe.« Wieder hatten sie etwa ein halbes Hundert Stufen hinter sich gebracht und hasteten über den freien Platz. Zwei Fangarme hatten sich zusammen geringelt und wiesen mit ihren Spitzen aufwärts. Die Stimme sagte dröhnend: »… uns …« Die Männer eilten weiter, erreichten die nächste Höhle und hörten dort das nächste Wort eines offensichtlich längeren Satzes. Es lautete: »… vor …« Atlan lehnte sich, während er sich mit dem feuchten Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht wischte, an die kühle Felswand. Inzwischen be fanden sie sich in einem ungewöhnlich starken Zugwind, der die Gerüche der Unterwelt mit sich trug. Schwer atmend sagte der Arkonide: »Wir befinden uns vor … soviel haben wir einwandfrei verstanden. Wo vor befinden sich diese riesengroßen, schwarzen Wesen, die einen Ein druck von Stärke und Hilflosigkeit gleichermaßen machen?« Razamon lachte kurz auf und sagte:
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»Wenn wir noch weiter Treppen klettern, werden wir auch den Rest des Satzes erfahren. Weiter!« Eine neue Serie von Stufen und einige Windungen der Treppen führten die Flüchtenden zur nächsten Höhle. Hier hörten sie nur ein Wort, aber kein Tentakel zeigte sich. »… dem …« »… Ausbruch …« »… gewaltiger …« »… Veränderungen …« Damit endete nach vier weiteren Absätzen ein Teil der Botschaft. Die Wesen hatten diese Worte deutlich ausgesprochen. Da die Dialekte der verschiedenen Dimensionsfahrstühle einander so stark ähnelten, daß eine gemeinsame Ursprungssprache nicht auszuschließen war, hatte jeder von ihnen verstanden. Die Botschaft besagte für die Männer nichts Neues mehr; sie wußten definitiv, daß es so war. Aber wie hatten es die schwar zen Wesen tief im Stein erfahren, abgeschnitten von der Oberfläche und jeder Nachrichtenverbindung? Die nächste Höhle wurde erreicht. Hier rief eine Stimme aus dem Loch des Einstiegs hervor: »… sie …« »… bringen …« »… uns …« Die Treppe mit den abzweigenden Höhlen schien kein Ende zu nehmen. Immer wieder zeigten sich die schwarzen Riesen. Auf die Flüchtenden wirkten ihre Körper und ihr Verhalten, als wären sie von Furcht und Sorge fast gelähmt, und nur der Wunsch, mit jemandem sprechen oder ihn um Hilfe bitten zu können, veranlaßte sie noch zu diesen Bewegungen ihrer Tentakeln. »… um …« »… Bitte …« »… helft …« »… uns …« Die Botschaft wurde deutlicher und war also zugleich eine Bitte. Aber diese Bitte konnte keiner der Männer erfüllen. Wie sollte diesen Wesen geholfen werden können? Es war unmöglich, schon allein aus technischen Gründen. Die Treppen wurden innerhalb weniger Meter niedriger, die An zahl der Stufen verringerte sich, und nach einer scharfen Kurve mündete die letzte Treppe in einen waagrecht verlaufenden Korridor. Drei weitere Höhlen zeigten sich, während die Männer das Ende des Ganges zu errei chen versuchten. Drei Worte fügten sich zu einem sinnvollen Satz zusam men. »Nehmt uns mit!«
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Atlan entschloß sich schnell und kauerte sich vor der letzten Öffnung nieder. Er hob die Schultern und sagte langsam und eindringlich: »Wir haben eure Botschaft gehört und verstanden! Weil es diese Veränderungen gibt, sind wir hier. Aber es gibt für uns keine Chance, euch zu helfen. Wir sind in derselben Notlage wie ihr. Hier im Fels seid ihr am besten geschützt. Habt Verständnis, daß wir für euch nichts tun können. Wir müssen jetzt gehen.« Aus der Öffnung blinkten traurig die großen Augen, und ein langgezo gener Seufzer begleitete die Männer, als sie den Korridor verließen und sich unmittelbar danach einem senkrecht nach oben führenden Schacht ge genübersahen. Wieder bildeten Lichtinsekten verwirrende, gerundete Mu ster und rankenartige Ornamente an der Innenseite des Rohres. Am Ende einer perspektivisch verkürzten Reihe von Haltegriffen glaubten die Flüchtenden ein Stück kreisrunde Helligkeit zu sehen. »Mir scheint«, sagte Atlan und blickte nacheinander in die schmutzigen, von den Anstrengungen gezeichneten Gesichter seiner Kameraden, »daß die letzte Wegstrecke vor uns liegt. Wer klettert als erster? Wieder Raza mon?« »Meinetwegen.« Razamon griff bereits nach den eisernen Klammern und kletterte auf wärts. Der Luftzug heulte und kreiselte durch den runden Kamin aufwärts, und es schien sicher zu sein, daß Atlans Bemerkung stimmte. Dort oben befand sich STAHLANKER. Neben der eisernen Burg wartete – hoffentlich – die GOL'DHOR. Wenn das Schiff selbständig gehandelt hatte, waren sie auf Thar ausgesetzt, und der Kampf gegen den Dunklen Oheim war entschieden, noch bevor der letzte Dimensionsfahrstuhl ins Gefüge des Hohlplaneten eingegliedert worden war. Sie hatten die Griffe ebenso wenig gezählt wie die immer wiederkehren den Bewegungen ihrer Hände, Arme und Beine. Schweigend kletterten sie automatisch weiter und hofften, immer wieder die Köpfe seitlich drehend und nach oben spähend, daß dies der letzte Abschnitt ihres Wettrennens gegen die Zeit und den Oheim sein würde. Der runde Fleck über ihnen wurde größer und heller. Tageslicht mischte sich mit dem Leuchten ihrer Körper und dem Licht der Insekten. Noch etwa hundert verrostete Griffe! Atlan, der ebenso unter der Monotonie der Anstrengungen litt wie jeder seiner Kameraden, hatte begriffen, daß auch die Geheimnisse Thars eine logische Grundlage hatten. Das Erz wurde aufbereitet und geformt, und Wesen wie die schwarzen Tunnelbauer zogen die Teile aufwärts durch Schächte, die sie selbst irgendwann ausgehöhlt hatten. Eine andere Spezi es, ebenfalls einem inneren Plan gehorchend, fügte die Teile zu der Kon
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struktion von STAHLANKER und seinen eisernen Innereien zusammen. Insekten besorgten die Beleuchtung, Schächte wie dieser hielten ein Sau erstoffzirkulations-System im Gang, und sicherlich hatte es vor langer Zeit auch Wesen gegeben, die mit Hilfe der leuchtenden Flüssigkeit das Rosten der gewaltigen Anlage verhindert hatten. Das alles war vor so weit zurückliegender Zeit geschehen, daß es unter den Technos von Thar und den anderen Bewohnern nur noch in Form von Legenden bekannt war. Und überdies würden in der Geschichte dieses Bauwerks und seiner toten Herren große Lücken klaffen, und selbst die hartnäckigsten Legenden würden Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt haben. Atlan hob den Kopf, blickte an Razamon vorbei und sah, daß sie es bei nahe geschafft hatten. Wieder konzentrierte er sich auf das eintönige Wechseln der Griffe. Den Schmerz in seinen Muskeln hatte er längst ignoriert. Abwechselnd erfüll ten ihn stumpfe Gleichgültigkeit, Hoffnung und Resignation, Wut und die Frage nach dem Sinn all dieser Unternehmungen. Mit viel zu geringer Erleichterung registrierte er, daß sich Razamon vom letzten Haltegriff aus auf eine Plattform schwang und nach unten rief: »Wir sind draußen, Freunde. Aber nicht dort, wo wir eigentlich landen wollten!« Er stieß ein Lachen der Erleichterung aus. Müde ließ sich Atlan nach vorn fallen. Razamon zog ihn an den Schultern hoch, grinste ihm erleichtert ins Ge sicht und meinte leichthin: »Noch hundert Meter trennen uns von der GOL'DHOR.« Er zog Atlan auf eine Reihe eckiger Scharten zu. Der Arkonide wußte, daß sie sich innerhalb von STAHLANKER befanden. Aber als hinter dem waagrechten Bord Teile der Landschaft auftauchten, begriff er, daß sie nicht im Innenhof der eisernen Burg standen, sondern auf der obersten Plattform des höchsten Turmes. »Auch das noch«, stöhnte er und sah, daß die drei anderen Männer sich aus dem Loch quälten und ebenso überrascht waren wie er selbst. Er beug te sich vor und warf einen Blick nach unten. Er sah den See, einige zusam mengebrochene Fischerhütten und Boote, die teilweise zertrümmert weit über das Ufer hinausgeschleudert worden waren. Auch die Hütten der Technos, die fast unmittelbar unter dem Turm stan den, wiesen starke Spuren der Zerstörungen auf. Einige Männer arbeiteten lustlos an der Ausbesserung der Schäden. »Das Schiff!« sagte Atlan. Die Erleichterung ließ ihn sekundenlang tau meln. Die GOL'DHOR stand oder schwebte noch immer an der Stelle, an der die Eindringlinge das Land betreten hatten. Atlan schloß die Augen, konzentrierte sich und wandte eine einfache
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Übung an, mit der er einen Teil seiner Kräfte wieder zurückgewann. Schließlich murmelte er: »Wir haben es tatsächlich hinter uns. Wenn jetzt Sichtwahrer einen be quemen Weg nach unten kennt, dann sind die Schwierigkeiten vorbei. Wie steht es, Sichty?« Mit strahlendem Lächeln seines verschmutzten Gesichts antwortete der Techno: »Kein Problem. Kommt mit. In diesem Teil von STAHLANKER gibt es keine Schraube, die ich nicht kenne.« Er führte sie in eine Ecke des Turmes. In der dicken, von Vogelkot durchsetzten Rostschicht gab es einen einzigen Fleck, der einen gesäuber ten Eindruck machte. Der Techno klappte einen schweren Deckel hoch, der klirrend gegen die Innenseite des eisernen Turmes schlug. Dann sprang Sichtwahrer nach unten und winkte. Überall zeigten sich die Spu ren von stinkendem, gelbem Fett. Die fünf Männer standen in einem eisernen Korb, der von Trägern ge halten wurde. Überall klebten dicke Schichten von Fett. Auch die Seile und die Räder, die in geraden Schienen liefen, waren versorgt worden. Der Techno klappte eine Verstrebung zur Seite, griff in einen Korb und hob nacheinander etwa ein Dutzend schwere Schraubenmuttern aus dem Korb und in den Aufzugskorb hinein. Dann zog er an einem Sicherungsbügel. Kreischend und knirschend bewegte sich der Aufzug abwärts. Rost blät terte ab, die Konstruktion schwankte und schleuderte in ausgeschlagenen Lagern und Schienen, aber die erschöpften Männer registrierten nur noch, daß es unaufhaltsam nach unten ging. Mit einem schweren Schlag, der abermals Rostschwaden abblättern und auf die Männer herunterprasseln ließ, setzte der eiserne Korb auf. Müde schleppten sich die Flüchtenden hinaus. Der Techno führte sie durch eine Reihe offener Durchgänge; ein schmaler Pfad schlängelte sich durch die Massen von Rost, Abfällen, Schutt und wuchernden Pflanzen. Dann gingen sie durch das große Tor und über die Platte der Brücke auf das Schiff zu. Razamon sagte halblaut: »Das Leuchten unserer Körper läßt nach. Wir werden unsere Freunde auf Pthor nicht allzusehr erschrecken.« Der See war über seine Ufer getreten. Der STAHLANKER hatte sich geschüttelt und das Geröll rund um seine Basis mit Rost überschüttet. Mehrere Techno-Hütten waren zusammengebrochen. Und sicher gab es noch einige Beben. Nur ein paar Männer in ihren ledernen Rüstungen ka men neugierig näher und musterten die kleine Schar der abgerissenen und erschöpften Männer. Sichtwahrer fragte: »Wohin führt euch jetzt euer Weg?«
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Das Raumschiff öffnete die Schleuse vor Razamon und Kennon. »Durch den Wölbmantel in den Weltraum hinaus«, sagte Atlan. »Wir müssen sehen, wie weit der Dunkle Oheim mit seinen Vorbereitungen ist.« »Nehmt mich mit«, sagte Sichtwahrer mit Nachdruck. Erstaunt hob Atlan die Brauen. Die Bitte überraschte ihn. Dann zuckte er die Schultern und wandte sich an Razamon. »Wir können ihn auf einen kurzen Rundflug mitnehmen und hier wieder absetzen, wenn noch Zeit ist. Mein Plan, einen anderen Dimensionsfahr stuhl mit größerer Widerstandskraft zu finden, ist wohl durch die Ereignis se überholt worden.« Koy, Kennon und Razamon standen bereits in der Schleuse. Der Berser ker nickte Atlan zu. »Nimm ihn mit.« »Ich habe nicht einmal eine Vorstellung davon, wie es außerhalb des Wölbmantels aussieht«, bettelte der Techno. »Für einen begeisterten Jäger wie mich wird es das größte Erlebnis sein.« »Einverstanden!« sagte Atlan und zog ihn in die Schleuse. Razamon sprach bereits mit dem Goldenen Raumschiff und ordnete ei ne Reihe von bestimmten Flugbewegungen an. Die Schleuse wurde ge schlossen, und die GOL'DHOR hob vom Boden Thars ab. Die Männer benutzten die Einrichtungen des Schiffes, um sich so schnell und gründlich wie möglich zu erfrischen. Das magische Schiff schwebte fast senkrecht nach oben und durchbrach den Wölbmantel. Auf den Bildschirmen zeichneten sich die ersten Ansich ten der Umgebung ab, und je mehr Einzelheiten sich zu einem Bild zusam menfügten, desto größer wurde Atlans Sicherheit. Er ließ seine Augen über die fast durchgehend lückenlose Schicht der Wölbmäntel gleiten. Derjenige Teil des Hohlplaneten, den sie von hier aus überschauen konnten, war eine geschlossene Fläche – bis auf eine Öffnung direkt neben Thar. Die GOL'DHOR entfernte sich in geradem, keineswegs zu schnellem Flug von der blasenartigen Schicht der Energieschirme und näherte sich der gelben Sonne. Die konvex gekrümmte Fläche wurde größer. »Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte Atlan im Selbstgespräch, »und dieser seltsame Hohlplanet ist fertig. Die Lücken, die wir beim letz ten Flug noch sehen konnten, haben sich geschlossen.« »Die Beben haben es uns gezeigt«, stimmte Razamon zu. Schweigend und in fassungslosem Staunen starrte der Techno teilweise durch die trans parenten Flächen der Schiffswandungen, teils entdeckte er immer neue, einzigartige Bilder auf den Augenschirmen der GOL'DHOR. »Wir sollten tatsächlich keinen zweiten Versuch mehr unternehmen, Atlan.« »Selbst wenn ich es vorhätte«, sagte der Arkonide und schüttelte den
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Kopf, »wäre es zu spät. Wie die schwarzen Tentakelwesen richtig sagten, stehen wir direkt vor dem Ausbruch gewaltiger Veränderungen.« Das Schiff wurde schneller und zog einen riesigen Kreis über dem künstlichen Mosaikplaneten. Es gab nur noch hier und dort eine winzige Lücke. Alle Dimensionsfahrstühle, die noch existierten, waren hier zusam mengerufen worden. Der Aufbruch stand unmittelbar bevor. Kennon erklärte dem Techno, was dessen Augen sahen. Sichtwahrer verstand nicht alles, denn die Bilder waren zu groß und zu gewaltig im Gegensatz zu seiner kleinen Welt auf Thar und deren vergleichswese win zigen Distanzen. Auf einem Schirm zeigte sich die Sonne. Der schwarze Ring umspannte sie noch immer. Atlan glaubte, eine Be wegung erkannt zu haben und blickte schärfer hin. Dann stöhnte er auf und sagte: »Razamon! Der Ring! Sieh genau hin.« Der Ring, der bisher unbeweglich wie eine Fessel um das gelbe Gestirn gelegen hatte, bewegte sich tatsächlich. Er begann sich auszudehnen. Raz amon reagierte sofort und rief: »GOL'DHOR! Schnell zurück nach Thar. Wir müssen Sichtwahrer ab setzen und dann in rasender Geschwindigkeit nach Pthor zurückkehren. Sofort!« »Ich ändere den Kurs augenblicklich«, antwortete das magische Schiff und schlug förmlich einen Haken. Der schwarze Ring hob sich, von der derzeitigen Position der GOL'DHOR stellte sich die Bewegung jedenfalls so dar, nach oben und gab den Äquator der gelben Sonne frei. Die Bewegung war nicht schnell oder ruckartig, sondern verlief mit der Trägheit einer gewaltigen Masse. Jetzt lag der Ring etwa zwischen dem oberen Pol und der gedachten Äqua toriallinie und hob sich noch immer. Wie ein blitzender Funke jagte die GOL'DHOR in direktem Flug und auf kürzestem Weg auf die Stelle zu, an der sich neben dem kleinen Loch das Fragment Thar befand. »Warum fliegt das Schiff plötzlich so schnell?« fragte der Techno auf geregt. »Ich würde diese Bilder gern noch deutlicher und länger …« »Wir sind in höchster Gefahr«, unterbrach ihn Atlan. »Wir setzen dich beim STAHLANKER ab und kehren dorthin zurück, woher wir gekom men sind.« »Muß das sein? Kann ich nicht mit euch kommen?« bat der Techno. »Nein«, beschied ihm Razamon. »Du bist Jäger und kennst nun alle Ge heimnisse unterhalb der eisernen Burg. Und jetzt weißt du auch, was im Weltraum vorgefallen ist. Du wirst der klügste und beste Techno von Thar sein. Du sollst den anderen alle Fragen beantworten. Es ist wichtig, daß du in deiner Heimat bleibst und die anderen anführst.«
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»Ich kann nichts dagegen tun!« murmelte Sichtwahrer. Das goldene Schiff stieß durch den Wölbmantel und jagte auf STAHL ANKER zu. Der Flug innerhalb des Energieschirms dauerte nur wenige Minuten, dann bremste die GOL'DHOR ab und öffnete die Schleuse. Kennon schlug dem Techno kameradschaftlich auf die Schulter und sagte anerkennend: »Du warst ein hervorragender, furchtloser Führer durch das Unbekann te. Wir danken dir, Sichty!« Koy schob ihn in die Schleuse und schüttelte die Hand des Wesens. Auf dem Gesicht des Technos zeichnete sich tiefe Niedergeschlagenheit ab. Trotzdem sprang er hinunter auf den rostigen Boden und rief zurück: »Wer weiß? Vielleicht sehen wir uns noch einmal!« Desinteressiert blickten andere Technos herüber. Einige Arme hoben sich zu einem undeutlichen Gruß. »Dann werden wir zusammen jagen«, rief der Trommler und sprang ins Schiff zurück, das gleichzeitig die Schleuse schloß und startete. »In den Raum hinaus und dann über Pthor stehenbleiben!« ordnete At lan an. Das Raumschiff bestätigte und führte den Befehl sofort aus. Die karge Landschaft des kleinen Weltenfragments zog immer schneller unter dem Schiff vorbei, und dann lag wieder der Weltraum vor den Männern. »Es ist tatsächlich zu spät.« »So ist es, Atlan«, bekräftigte Razamon. »Wir können jetzt nur noch passiv bleiben. Zusehen, unsere Schlüsse ziehen, uns vielleicht um Pthor kümmern – aber den Start des Hohlplaneten werden wir nicht mehr aufhal ten können.« Ungeachtet des Umstands, daß immer noch einige Lücken im Hohlpla neten aufzufüllen waren, hatte der Ring sich jetzt von der Sonne gelöst. Er schwebte durch den Weltraum auf den künstlichen Planeten zu. Seine Grö ße oder seinen Durchmesser schien der Dunkle Oheim nicht verändert zu haben. Kennon meinte nach einigen Minuten: »Der Oheim wird sich als Ring um den Planeten legen. Oder denkt je mand, daß er anders reagiert?« »Schwerlich«, gab Atlan zurück. Das Schiff raste knapp über den Kalot ten der Wölbmäntel dahin. Pthor war nicht mehr weit entfernt. »Bei dieser Geschwindigkeit wird es noch Stunden dauern, bis der Ring hier angelangt ist«, meinte Koy nach einer Weile. Noch war das beginnende Manöver des Dunklen Oheims nichts anderes als ein optisch aufregender Vorgang. Aber mit jeder Lichtsekunde, in der sich der Ring näherte, würde die Ausstrahlung des Bösen zunehmen. Das Schiff wurde langsamer und blieb schließlich über einem Wölb mantel stehen. Mit einem Blick überzeugten sich die Insassen, daß es sich
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um Pthor handeln mußte; die charakteristische Form war deutlich selbst inmitten der anderen, angrenzenden Energieschirme zu erkennen. »Der Ring ist so groß, daß er eine normale Sonne umspannt«, sagte At lan. »Was folgerst du daraus?« erkundigte sich der Trommler. »Wenn sich der Oheim um den Planeten spannt, dann ist der Abstand zu der Schwärze, von unserer Position aus gemessen, immer noch gigan tisch.« Razamon lachte sarkastisch auf. »Ihr meint doch nicht etwa, daß die Ausstrahlung sich auf den Welt raum beschränken wird? Welch ein Irrtum! Die Aura des Bösen wird uner träglich sein! Noch ist es nicht soweit, denn der Oheim braucht noch eini ge Stunden.« Er hat zweifellos recht, sagte der Logiksektor. Der Ring, der sich jetzt zwischen der Sonne und der Position des Schif fes befand, verdeckte einen Teil des leuchtenden Gestirns. Langsam kam er in derselben Lage näher. Vermutlich waren die vier Männer im Raum schiff die einzigen Wesen aller Dimensionsfahrstühle, die von dem nahen den Verhängnis nicht nur etwas ahnten, sondern es mit eigenen Augen se hen konnten. Ein Schauer heilloser Furcht griff nach ihnen. Schließlich sagte der Arkonide: »Bringe uns hinunter zu unserem Bunker bei der FESTUNG. Wir müs sen unsere wenigen Freunde warnen.« Das Raumschiff gehorchte, wie immer.
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6.
Mittägliches Tageslicht empfing sie unterhalb des Wölbmantels. Der Um stand, daß die vier Männer sich auf Pthor befanden und die Geländemerk male auf den ersten Blick klar erkannten, trug keineswegs zu ihrer Beruhi gung bei. Das Raumschiff landete an der gewohnten Stelle, und sie stiegen aus, als sich die ersten Männer näherten, die hier auf dem Gelände der ehemaligen FESTUNG gewartet hatten. Schon während des kurzen Weg stücks zwischen Raumschiff und Hauseingang berichteten Atlan und seine Freunde, was sie erreicht hatten. Beziehungsweise gestanden sie die neuer liche Niederlage ein. Dann schilderten sie, was außerhalb des Wölbmantels vorgefallen war und sich noch immer abspielte. Als Atlan in die Dunkelheit eines Raumes kam, stellte er ohne Überra schung fest, daß der Effekt des merkwürdigen Leuchtwassers restlos ver gangen war. Jedenfalls konnte er weder an seiner Kleidung noch an seiner Haut Leuchten oder Glimmen feststellen. Er entspannte sich, indem er ein ausgiebiges Bad nahm und seine Klei dung erneuerte. Ein Essen, das Bördo bereitgestellt hatte, zusammen mit der kräftigen den Wirkung des Zellaktivators, brachte innerhalb der nächsten Stunde seine körperlichen Kräfte zurück. »Wie ist es dir und Kolphyr ergangen?« fragte Atlan. Er erfuhr, daß sich auf Pthor seit ihrem Abflug nichts verändert hatte. Noch immer demontier ten unzählige Technos die Glaspaläste und errichteten andere, fremdartig anmutende Bauwerke. Natürlich hatte es auch auf Pthor einige Beben gegeben, aber die be fürchteten Zerstörungen waren ausgeblieben. Langsam füllte sich der klei ne Saal. Schließlich kam Razamon, ebenfalls erholt und in teilweise neuer Kleidung, herein. Er trocknete sein Haar und warf das Tuch achtlos in eine Ecke. Er hob einen Becher, trank ihn aus und sagte zu Atlan: »Ich glaube, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Sehen wir nach, wie weit der Oheim gekommen ist?« Jeder, der ihre Erzählung gehört hatte, wußte mehr oder weniger, was den Dimensionsfahrstühlen bevorstand. Aber bis diese Informationen je den Bewohner von Pthor erreicht hatten, würde so viel Zeit verstrichen sein, daß selbst primitive Schutzmaßnahmen zu spät kamen. »Sofort!« stimmte Atlan zu. »Aber nur wir beide. Wir können der Aura des Bösen zumindest zeitweise widerstehen. Alle anderen würden sich in große Gefahr bringen.«
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In den vergangenen Tagen hatten sich, weil nach wie vor die Pyramide der FESTUNG eine Art Wahrzeichen darstellte, viele Bewohner Pthors hier versammelt. Rund um das neue, provisorische Zentrum herrschten Ordnung und freiwillige Disziplin. Aber dieser winzige Kern vermochte nicht, nach allen Richtungen auszustrahlen. Gegen den Dunklen Oheim waren sie ohnehin machtlos. Atlan stand auf und sagte zu den Versammelten: »Wir wissen nicht, was wir erleben werden. Aber seid auf das Schlimm ste gefaßt. Es wird über uns kommen.« Zusammen mit Razamon verließ er den überwachsenen Bunker und stieg in die offene Schleuse der GOL'DHOR. Unzählige Augenpaare sa hen den Männern nach und verfolgten den lautlosen Start des Goldenen Raumschiffs mit. Als das Schiff nur noch ein winziger leuchtender Punkt war, trat über ganz Pthor die Dunkelheit ihren ersten Schritt auf dem Weg zur Herrschaft an. Das Tageslicht, das eine starke Sonnenstrahlung vortäuschte, schwand binnen weniger Minuten. Es war, als würden gleichzeitig überall Nebel schwaden und Regenwolken aufziehen. Es gab keine Schatten mehr. Der Vorgang war ein Zeichen, das jeder Bewohner Pthors mühelos er kannte. Aber nur wenige wußten, was es bedeutete, und welche Entwick lung eingeleitet wurde. Selbst Razamon und Atlan im Goldenen Raumschiff merkten, wie die Intensität des Lichtes abnahm. Als die GOL'DHOR langsam den Wölbmantel durchstieß sahen die zwei Männer, daß sich entscheidende Dinge verändert hatten. Regungslos und bis zu einem gewissen Punkt von der Großartigkeit des Geschehens in Bann geschlagen, betrachteten Atlan und der Berserker jede Einzelheit des Weltraums, der sich um den Hohlplaneten ausbreitete. »Das ist also der Dunkle Oheim«, murmelte Razamon nach einer Weile. »Er ist unzweifelhaft angekommen. Er ist stärker als wir alle.« Der Ring, ein gigantisches Gebilde reiner Schwärze, spannte sich in großem Abstand um den künstlichen Mosaikplaneten. Die zusammenge fügte Masse der Dimensionsfahrstühle war – so schätzte Atlan – ungefähr erdgroß, entsprach also dem Durchmesser eines mittleren Planeten. »Ich spüre bereits die ersten Nadelstiche der Aura!« meinte Atlan. »Sie werden ständig stärker werden und durch die Wölbmäntel hämmern wie Gammastrahlen oder noch schauerlichere Dinge.« »Ein riesenhafter Organismus!« knurrte Razamon. »Mit ebensolchen Möglichkeiten«, fügte Atlan hinzu. Der Ring hatte ei ne Sonne umspannt. Eine normale Sonne hatte einen derart großen Durch messer, daß die Durchmesser von Hunderten Planeten hineinpaßten. Der Ring, von dessen Schwärze die fernen Sterne mit ihren dunklen Kernen
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verdeckt wurden, befand sich mit seiner schwach sichtbaren Innenseite so weit von der »Planeten«-Oberfläche entfernt, daß er allein schon durch diese ungeheure Distanz ungefährlich wirkte. Aber er war alles andere als ungefährlich. Atlan krümmte sich zusam men, als die ersten Ausläufer der negativen Ausstrahlung seinen Verstand trafen. »Hinunter, GOL'DHOR!« rief er gequält aus. »Unter den Wölbmantel. Und dann immer nur kurz daraus auftauchen.« »Dein Befehl wird ausgeführt«, bestätigte das Schiff und ließ sich fal len. Als es gerade durch die trennende Schicht sank, sahen Razamon und Atlan so etwas wie einen schwarzen Schatten, der über dem Pseudoplane ten auftauchte. »Du hast recht. Einen längeren Aufenthalt außerhalb des Mantels über leben wir nicht«, stöhnte Razamon und massierte seine Schläfen. »Die Au ra bringt uns um, wenn wir lange genug draußen bleiben.« »Das ist erst der Anfang!« gab Atlan zu bedenken. Einige Minuten unterhalb des Schutzes des Wölbmantels genügten ih nen. Sie erholten sich schnell von dem ersten Schauer der Impulse. Aber diese andere Form aus Schwärze … was war das gewesen? Razamon deutete mit dem Daumen aufwärts und sah Atlan fragend an. Atlan nickte. Das Schiff glitt wieder durch den Schirm und aktivierte an dere Bildschirme, die selten in Tätigkeit traten. Atlan blickte durch eine transparente Wandfläche und sah, sehr weit entfernt und undeutlich, eine Schicht tiefschwarzen Nebels über den Wölbmänteln liegen. Noch wurden die blasenartigen Schirme von der gel ben Sonne hell angestrahlt, aber dieser Effekt warf einen schwarzen Schat ten auf einen Teil der Schutzschirme. Wieder folterten die Ausstrahlungen des Dunklen Oheims die Männer. Aber noch hielten sie die Aura aus, wenn auch unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Mithilfe des Schiffes, das mit unsichtbaren Feldern die Wirkung abzuschwächen versuchte. Das Schiff erklärte plötzlich: »Auf einigen Schirmen sind die Bewegungen deutlich gemacht worden. Es handelt sich um Vorgänge von psionischer Energie.« Das Schiff hob sich aufwärts und sank immer wieder hinunter. In den wenigen Minuten, in denen die fremdartigen Augen des Schiffes ungehindert den Weltraum absuchen konnten, fingen sie weitere Bilder von erschreckender Dramatik ein. Plötzlich erschienen schwarze Kugeln oder schwarze Fladen in unmit telbarer Nähe der Planetenoberfläche. Ihre Bewegungen waren langsam. Zwar betrug der Durchmesser eines solchen Fladens mehr als einige tausend Kilometer, aber während der An
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näherung schienen sich die schwarzen Wesenheiten zusammenzuziehen. Sie verschmolzen miteinander. Vor einiger Zeit war es nur ein dünner, schwarzer Nebel gewesen. Jetzt lagen rund ein halbes Dutzend ineinander geflossener Kugeln oder Fladen wie eine große, gewölbte Wolke über ei nem Teil des Weltenfragmente-Mosaiks. Sie berührten weder die Wölb mäntel, noch verschmolzen sie mit dem schwarzen Ring. Wieder tauchte das Schiff hinunter. Die Männer kühlten ihre schmer zenden Köpfe und versuchten sich zu erholen. Sie waren dem Effekt gna denlos ausgesetzt, aber er war unterhalb der Wölbmäntel abgeschwächt ebenfalls vorhanden und breitete sich dort aus. Keineswegs so stark, daß ein Verstand zerstört wurde, aber in seiner schleichenden Wirkung ebenso schlimm. Als das Schiff wieder auftauchte, als die Männer das Geschehen wieder mit eigenen Augen sehen konnten, waren sie der Aufklärung noch immer nicht näher gekommen. Aus allen Richtungen rasten offenbar die schwar zen Wolkengebilde heran. Nach einem blitzschnellen psionischen Flug (oder wie immer man diese Fortbewegung nennen konnte) bremsten die Ankömmlinge sich selbst ab, schrumpften zusammen, wurden flach und breiteten sich auf diese Weise wieder aus, und dann schmolzen sie an den Rändern zusammen. Sie vergrößerten die schwarze, dünne Wolke, die sich mehr und mehr parallel zur Rundung der Planetenoberfläche ausbreitete. Etwa ein Dutzendmal tauchte die GOL'DHOR unter den Schirm und rettete dadurch die zwei Männer vor dem Wahnsinn. Ebenso oft schwang sie sich wieder hoch und fing neue Bilder ein. Eini ge Stunden vergingen auf diese Art. Jedenfalls bewahrten das Schiff und der fragwürdige Schutz des Wölbmantels Razamon und Atlan vor dem Wahnsinn oder davor, zu gehorsamen Knechten des Dunklen Oheims zu werden. »Geht es dir ebenso?« fragte Razamon einmal. »Wie?« »Je mehr ich sehe, desto weniger glaube ich daran, daß wir etwas gegen diese schwarze Wesenheit ausrichten können. Die Schicht um den Plane ten hat sicher etwas zu bedeuten. Sie gehört zu seinem Plan.« »Er will die Schwarze Galaxis verlassen«, sinnierte Atlan. »Also nimmt er alles mit, was ihm gehört und dienlich sein kann.« »Zutreffend. Aber worum handelt es sich bei diesen Kugeln, Fladen und Wolken?« »Keine Ahnung.« Die schwarze Grenzschicht verhielt sich in gewisser Weise ebenso wie das Mosaik der Dimensionsfahrstühle. Die Wolke bildete jetzt ein Netz.
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Aber im Gegensatz zu einem Netz waren die Öffnungen unregelmäßig verteilt und selten. Die ausgefüllten Flächen überwogen. Einmal sahen sie, wie einer der schwarzen Ankömmlinge zielbewußt auf ein solches Loch zuschwebte und diese Lücke schloß. »Woher kommen sie?« »Ich weiß es nicht. Aber wir werden es erfahren.« »Wenn wir den Vorgang überleben!« murmelte Razamon und registrier te dankbar, daß das Raumschiff wieder unter die schützende Schicht glitt. Diesmal blieben sie etwa eine Stunde lang innerhalb der Energieglocke. Als sich die GOL'DHOR wieder in den Weltraum hinauswagte, änderte sich abermals die gesamte Situation. Zuerst sah es aus, als ob die Sterne anfingen, sich zu bewegen. Der Ein druck war überaus deutlich. Aber es dauerte nur Sekunden, bis Razamon und Atlan begriffen, daß es sich umgekehrt verhielt. »Der Hohlplanet ist soeben gestartet!« schrie Atlan entsetzt auf. Er hatte genug Zeit gehabt, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Er wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab. Aber jetzt, als er erkannte, daß sich der schwarze Ring, die größer gewordene schwarze Schicht und alle Di mensionsfahrstühle mit ihren Wölbmänteln tatsächlich in Bewegung ge setzt hatten, erschrak er trotzdem bis tief in sein Innerstes. »Er wird mit einer verblüffend großen Geschwindigkeit bewegt«, stellte Razamon erschüttert fest. »Und so wie ein einzelner Dimensionsfahrstuhl sich ungehindert und scheinbar gegen den Ablauf der Zeit durch die Korri dore der Dimensionen bewegen kann, wird es auch diese gesamte Masse können.« Der Planet befand sich auf der Wanderschaft. Binnen weniger Stunden wurde er schneller und schneller und verwan delte sich in ein rasend dahinschießendes Gebilde, das auf das Gewimmel der Sonnen nahe des Zentrums zuschoß, scheinbar so schnell wie ein Ge danke. Aus dem nächstgelegenen Stern, einer kleinen weißen Sonne mit einem schwarzen Kern, verschwand der Kern. Von einem Augenblick zum ande ren wurde aus dieser Sonne ein »normales« Gestirn. Die Bildschirm-Au gen der GOL'DHOR zeigten diesen Vorgang in erschreckender, überzeu gender Deutlichkeit. Der schwarze Kern aus psionischer Energie verschwand aus dem Ge stirn, erschien vor dem Hohlplaneten, glich Geschwindigkeit und Größe an und verschmolz mit dem zweiten Energieschirm über den Oberflächen der zahllosen Weltenfragmente. Der Vorgang wiederholte sich. Eine neue, strahlende Sonne erschien, dann eine dritte, eine vierte … mehr und mehr.
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Rund um die GOL'DHOR schloß sich die schwarze Wolkenschicht. Durch viele riesige Lücken sahen Razamon und Atlan aber noch ungehin dert auf die Sterne der Schwarzen Galaxis, die sich veränderten. »Bald wird die Schwarze Galaxis ihren Namen nicht mehr verdienen. Es wird eine normale Ansammlung aus Sonnen ohne Kerne aus psioni scher Energie«, mutmaßte Atlan. »Es ist nicht zuletzt unser Kampf gewesen«, meinte Razamon, »der den Oheim zwingt, diese Galaxis zu verlassen.« Der Flug der Dimensionsfahrstühle ging weiter. Die Bildschirme des Goldenen Raumschiffs zeigten, daß mehr und mehr Sterne klar und hell zu strahlen begannen, daß sich mehr und mehr ihrer schwarzen Kerne zu ei nem Mantel um den Hohlplaneten zu vereinigten, und daß die Bewegung dieses seltsamen Konglomerats anhielt. Bald würde der Hohlplanet den zweiten Teil der Reise antreten – den Flug durch die Dimensionen und entgegen den Gesetzen der Zeit. Die GOL'DHOR tauchte wieder herab in den Schutz des Wölbmantels.
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7.
Sichtwahrer, der Techno, sah zu, wie alle seine Träume zerronnen. Das Raumschiff mit den vier Fremden wurde schneller und verschwand schließlich irgendwo in der Ferne, vor der undurchdringlichen Wand des Wölbmantels. Sichtwahrer stand regungslos da und blickte dem Schiff nach, und er starrte noch immer in dieselbe Richtung, als es längst ver schwunden war. Dann drehte er sich um und ging mit schleppenden Schritten zurück in den STAHLANKER. Er kletterte in den Korb des uralten Aufzugs und warf eines der Ausgleichsgewichte nach dem anderen hinaus. Sichtwahrer handelte wie unter Zwang. Er war noch immer betäubt von den Ereignis sen der letzten Zeit. Bisher waren die meisten Jahre seines Lebens ereignislos und ohne Sinn verlaufen. Dann tauchten plötzlich jene Männer auf, die sich als Abge sandte des Dunklen Oheims ausgaben und an die Seele von Thar derart merkwürdige Ansinnen richteten. Sie veränderten schlagartig sein Leben und verwandelten es in eine Reihe explosiver Abenteuer und in rasender Eile aufeinanderfolgende Abwechslungen. Und jetzt, nachdem sie ihm auch noch die Wunder des Weltraums ge zeigt hatten, ließen sie ihn allein zurück! Als er die Sicherung zurückklappte, fing der Aufzugskorb an, sich lang sam in die Höhe zu bewegen. Markerschütternde Geräusche begleiteten den Weg und jede Umdrehung der uralten Räder. Als der Korb wieder un terhalb der obersten Turmplattform angelangt war, blieb er von selbst ste hen, und der Winkel der Sicherung klappte zurück. »Und ich? Was bleibt mir?« murmelte der Techno, stieg aus und ging bis zu dem Ausschnitt der Turmverkleidung, an dem die Männer noch vor kurzem gewartet hatten. »Nichts, denke ich«, antwortete er sich selbst. Er lehnte sich gegen das rostige Metall und führte lautlose Selbstgesprä che. Er sah den anderen Technos zu, die langsam ihre Hütten reparierten. Er sah die Fischer, die versuchten, ihre Boote wieder ans Wasser zu brin gen. Zunächst hoffte Sichtwahrer noch, daß das Goldene Raumschiff zurück kommen würde, um ihn abzuholen. Aber je mehr Zeit verstrich, desto geringer wurde seine Hoffnung. Er stand da und wartete. Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Aber plötzlich veränderte sich das Licht. Die Helligkeit schwand dahin, und die Unterseite des Wölbmantels sah aus, als würden sich dort dicke
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Nebelbänke ausbreiten. Im Westen, in der Nähe des Randes, fing der Wölbmantel schwach zu glühen an. »Das sind die Vorgänge, von denen Atlan und Razamon gesprochen ha ben«, sagte sich der Techno. Eine kaum merkliche Bewegung ging durch den Boden und setzte sich in der riesigen Metallkonstruktion fort. Der Turm schwankte ein wenig; nicht genug, um Sichtwahrer zu beunruhigen. Das Licht über dem Boden des Weltenfragments nahm noch mehr an Kraft und Helligkeit ab. Ein kurzes Knirschen ertönte, wieder mit Vibrationen verbunden. »Thar beginnt zu fliegen! Ein neuer Flug durch Dimensionskorridore«, murmelte der Techno. Die anderen Wesen waren stehengeblieben, hörten mit ihrer Arbeit auf und blickten in die Richtung des STAHLANKERs. Sie erwarteten noch immer Befehle von den längst gestorbenen Brüdern der Finsternis. Das charakteristische Geräusch eines Dimensionsfahrstuhls, der sich in Fahrt befand, ertönte. Einmal flackerte der Wölbmantel kurz auf, die jähe Helligkeit erlosch sofort wieder. Der Techno vermochte sich gerade noch vorzustellen, wie nicht nur Thar, sondern eine riesige Kugel aus unzähligen anderen Weltenfragmen ten durch das Universum zu rasen begann. Weiter reichte seine Phantasie nicht. Er ahnte nur, daß in kurzer Zeit für alle Dimensionsfahrstühle schlimme Zeiten anbrechen würden. Und er fand nicht den Mut, sich vom Turm zu stürzen. Sichtwahrer blieb stehen und fragte sich, was er tun sollte. Wieder zeigten die Bildschirme der GOL'DHOR, von den magischen In strumenten gespeist, Bilder ganz besonderer Art. Die beiden Passagiere des Goldenen Raumschiffs sahen, daß ihre wilde sten und phantastischsten Gedanken Wirklichkeit wurden. Sie taumelten halb besinnungslos vor Schmerzen und von dem Versuch, der nackten Bösartigkeit der Aura zu widerstehen, aber sie zwangen sich, einige Zeit durchzuhalten. »Die schwarze Schicht aus den Sonnenkernen … sie ist mächtiger und viel größer geworden«, stellte Razamon stöhnend fest. Der Hohlplanet ra ste noch immer durch die Kernzone der Schwarzen Galaxis. Sein Fluß mußte weit überlichtschnell sein, denn die »Augen« der GOL'DHOR sa hen Bilder, die physikalisch unmöglich waren. Wenigstens in der Vorstel lungskraft des Berserkers. »Die Schicht wird noch lange Zeit Lücken haben«, sagte Atlan und be obachtete, wie von drei verschiedenen Seiten die schwarzen Kerne plötz lich aufstrahlender Sonnen heranglitten, nachdem sie einen Flug durch das Unsichtbare und ohne jeden Zeitverlust zurückgelegt hatten. »Jede Lücke ein Sonnenkern?« stöhnte Razamon, seinen gemarterten
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Schädel mit beiden Händen haltend. »Das meine ich«, antwortete der Arkonide. Ihm ging es zur Zeit offen sichtlich eine Spur besser als seinem Freund. Aber auch er befand sich im unmittelbaren Bann der gefürchteten Aura. »Der Dunkle Oheim durchrast sein Reich …«, meinte Razamon später. »Sein ehemaliges Reich! Er hat es bereits aufgegeben. Sieh dorthin – die hellen Sterne.« Das magische Raumschiff befand sich fast noch innerhalb des Wölb mantels von Pthor. Rundherum sahen die beiden Insassen nur die Kuppeln der nächstliegenden Wölbmäntel. Über ihnen und zwischen dem schwar zen Ring wurde die schwarze Schicht größer und dichter. Aber durch rie senhafte Löcher, mehrere zehntausend Kilometer im Durchmesser, funkel ten helle Sterne, Sonnen in allen Farbschattierungen, wie sie im Weltall vorkamen. Nur die wenigsten von ihnen hatten noch jene schwarzen, dräu enden Kerne. Die Schwarze Galaxis verdiente nicht mehr länger diese Be zeichnung. »Der Oheim löscht seine Spuren aus. Das bedeutet tatsächlich so etwas wie die Freiheit für diese Sterneninsel«, stöhnte Razamon. Atlan war sich bewußt, daß sie Bilder sahen, die man mit dem bloßen Auge oder in Fernrohren erst in Jahrhunderten oder Jahrtausenden würde sehen können. Als wieder der Griff der strahlenden Aura nach ihrem Ver stand züngelte, tauchte die GOL'DHOR wieder tief unter den schützenden Wölbmantel. Noch landete das Goldene Raumschiff nicht. Und auch der Hohlplanet mitsamt dem schwarzen Ring und dem gigan tischen schwarzen Schirm, der sich stündlich erweiterte, setzte seinen ra senden Flug in spiralenförmigen Schleifen durch die Galaxis fort. Aber dann, ohne daß Razamon und Atlan diesen Vorgang sehen konn ten, geschah etwas Merkwürdiges. Ein letztes Weltenfragment erschien im freien Weltraum. Es war auf den Treffpunkt zugerast und dort angekommen, als sich be reits der Planet in Bewegung gesetzt hatte. Jetzt steuerte der keilförmige, viereckig verkantete Dimensionsfahrstuhl hinter dem Hohlplaneten her, ohne ihn einholen zu können. Der rasende Flug des Weltenfragmente-Mosa iks wurde keine Sekunde lang unterbrochen. Plötzlich schwirrte der einzelne Dimensionsfahrstuhl davon und steuerte eine große, rote Sonne mit schwarzem Kernschatten an. Dort setzte der Nachzügler die Geschwindigkeit herunter und ging in ei ne Kreisbahn, die durch die dünne Korona der riesenhaften Sonne führte. Es war, als warte das Weltenfragment auf ein Zeichen oder auf einen wei teren Befehl des Dunklen Oheims. Der Hohlplanet jagte weiter, mitten in einen Cluster von einigen Dutzend eng beieinanderstehenden Sonnen hin
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ein. Wieder lösten sich Dutzende schwarze Kerne aus den Sternen, ver schwanden und tauchten an verschiedenen Stellen innerhalb des schwar zen Ringes auf. Sie verdichteten sich und gliederten sich schnell und laut los in den Schirm ein. Wieder schlossen sich einige der gigantischen Lücken im Netz der Schwärze. In einer gewaltigen Kurve, einige Hundert Lichtjahre weit, schwang der Hohlplanet herum. Er nahm Kurs auf die rote Sonne und den einzelnen Dimensionsfahr stuhl. Die folgenden Aktionen gingen so rasch vor sich, daß Razamon und Atlan, selbst durch die Instrumente der GOL'DHOR unterstützt, ihnen nicht mit bloßen Augen hätten folgen können. Der Dimensionsfahrstuhl war eben noch langsam dahingedriftet. Jetzt wurde er schneller und schneller. Aber der rasende Hohlplanet hol te ihn mühelos ein. Das Weltenfragment schoß rückwärts am Schwarzen Ring vorbei, glitt durch eine der Öffnungen im Schutzschirm und jagte auf eine der wenigen Spalten zu, die noch im Gewoge der Wölbmäntel klaff ten. Unmittelbar vor dem Zusammenstoß, der das Weltenbruchstück mit äußerster Gewalt durch die Lücke geschleudert hätte, erhöhte sich wieder die Geschwindigkeit des Dimensionsfahrstuhls um ein mehr als Hundert faches. Scheinbar langsam und mühelos wurde das Weltenfragment von der Kruste des Hohlplaneten eingefangen, drehte sich in die annähernd richti ge Längen-Breiten-Position und setzte sich unter den üblichen Begleiter scheinungen fest. Der Wölbmantel des letzten Ankömmlings verschmolz an mehreren Stellen mit den Schirmen der benachbarten Fragmente. An diesen Berüh rungsstellen begannen die Schirme leicht zu glimmen, als fänden in ihnen unhörbare Gewitter statt. Nur die Nachbarn des Nachzüglers merkten, daß etwas vorgefallen sein mußte, das nicht zum bisherigen Ablauf paßte. Schwere Erschütterungen ließen fünf Dimensionsfahrstühle schwanken und beben. Der Flug des Dunklen Oheims ging weiter. Die Spiralen der Flugbahn öffneten sich mehr und mehr. Der helle Kern der Galaxis ließ fast aus nahmslos nur noch Sonnen ohne ihre schwarzen Schatten erkennen. Nur noch die Randgebiete der Galaxis enthielten Sterne, deren Kern schwarz und drohend war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Kerne sich in den schwar zen Schirm eingegliedert haben würden. Die Flammensäulen und das kirschrote Lodern dünner Lava, die über einen breiten Hang in den See hineinströmte, bildeten einen auffallenden Gegensatz zu der bleiernen Zwielicht, das sich über Thrank ausgebreitete
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hatte. Mächtige Dampfwolken stiegen auf und rollten als grauweiße Bar riere auf die Ungeheuer zu, die im warmen Wasser des flachen Meeres schwammen. Ein mächtiger, alter Taarvn stellte seine Pranken auf einen Felsen und erhob sich halb aus dem Wasser. Die stark riechende Flüssigkeit lief von seinen narbenbedeckten Flanken ab. Zuerst hatten Beben die Natur von Thrank in Aufruhr gebracht. Vom vulkanischen Turm der Techno-Insel hatten sich einige Quadern gelöst und waren in die Tiefe geschleudert worden. Sie hatten vier Tech nos zermalmt und beinahe einen Taarvn getroffen, der der Insel zu nahe gekommen war, weil er große Lavabrocken hatte fangen wollen. Die unterthrankischen Gasströme waren in diesen Stunden um ein Mehrfaches verstärkt worden, und ununterbrochen erscholl das heulende und jaulende Geräusch aus den Schächten und Röhren der Insel. Der Feue ratem hatte das Land ringsum in ein lautes Inferno verwandelt. Die Schall wellen durchdrangen sogar das Wasser, so daß es nichts nützte, tief ab wärts zu tauchen. Dann änderte sich das Licht. Es war wieder einmal soweit. Die Männer im Raumschiff, die Kämpfer gegen den Dunklen Oheim, hatten nichts aus richten können. Es war ihnen nicht gelungen, das Zusammengehen der vielen Dimensionsfahrstühle zu sabotieren. »Es geht also wieder los! Wir sehen gräßlichen Zeiten entgegen!« schrie der Koloß mit seiner hallenden Baßstimme über das schäumende Wasser. Da er diese Worte auch dachte, erfuhren alle seine Artgenossen, womit sich sein Verstand und seine Erinnerungen beschäftigten. Nach dem Zeitpunkt, an dem das Licht trüber wurde und mehr und mehr Wolken aufzogen, gab es andere Arten von Vibrationen. Also hatte der Flug des Dunklen Oheims angefangen, so wie es die Fremden voraus gesagt hatten. Und seit kurzer Zeit fühlte er, der alte Taarvn, den Beginn der eigentümlichen Strahlung. Sie würde aus den harmlos spielenden und schwimmenden Riesen to deswütige Monstren machen, die nur den Befehlen des Oheims oder sei nen Unterführern gehorchen konnten, ohne die Möglichkeit, den Gehor sam zu verweigern. »Der SCHREI wird bald zu hören sein, Freunde!« dröhnte die Stimme erneut auf. Jeder erwachsene Taarvn kannte den SCHREI und seine Be deutung. Damit verwandelte der Oheim seine Truppen in willenlose Werk zeuge, von denen die wenigsten zurückkamen, um ihre Wunden im vulka nischen Schlamm und dem warmen Wasser an den Flanken der Feuerber ge zu heilen. »Wir spüren, wie du, die beginnende Strahlung! Es wird nicht mehr lan ge dauern«, antwortete ein Chor lautloser Gedanken dem einzelnen
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Taarvn. Sie wußten definitiv, daß sich ihr Dimensionsfahrstuhl bald im Innern eines Dimensionskorridors bewegen würde. Wenn dies für Thrank zutraf, dann auch für alle anderen Weltenfrag mente, von denen die Fremden berichtet hatten. »Der Oheim ist mit einer unvorstellbaren Macht unterwegs!« rief eine Gruppe von fischenden Taarvns aus dem übernächsten See. Ihren sekundär wichtigen Gedanken entnahm der Alte, daß über dem See eben ein neuer Schauer von Bimssteinbrocken niederging, ein vorzügliches Mittel zur Pflege der Schuppenhaut. »Ahnt jemand«, richtete der Alte seine Gedanken unselektiert nach al len Seiten und in jede Entfernung, »wie lange wir unterwegs sein werden? Gibt es hierfür Zeichen?« »Keine Zeichen.« »Wir können nichts sagen. Wir wissen nichts.« »Aber … die Fremden. Die zweibeinigen Kämpfer … sie haben …« Gedankensplitter schwirrten wie Blitze hin und her. Jeder verstand alles, und wer nichts zur lautlosen Unterhaltung beizutragen hatte, schwieg und lauschte mit der Disziplin ihrer Rasse. »Was haben sie …?« »Sie sagten, was draußen geschieht. Der Dunkle Oheim sammelt alles, was er besitzt, um sich. Das kann nur bedeuten, daß die Reise lang sein wird. Wir haben noch eine Schonfrist, bis der SCHREI ertönt.« »Wie wollen wir sie nutzen?« »Indem wir leben. Es gibt keine Möglichkeit, dem SCHREI nicht zu ge horchen.« Auch dies wußten sie aus langer, furchtbarer Erfahrung: Die Strahlung würde sie sehr langsam und völlig unmerklich verändern. Sie würden ge geneinander kämpfen, um ihre Muskeln und ihre Taktik zu schärfen. Und eines Tages, wenn es dem Oheim gefiel, landete der Dimensionsfahrstuhl, und sie verließen das warme Wasser, gliederten sich in breite Angriffsrei hen und trampelten nieder, zerfetzten, zerrissen und zerstörten, was sich immer auf ihrem Weg befand. »Kennt jemand das Ziel dieses langen Fluges, Freunde?« fragte der Alte wieder und spürte die Erschütterungen der Luft, die von seiner wirklichen Stimme kamen. Niemand kannte das Ziel. Die Gedanken der vielen Taarvns sagten darüber nichts aus. Selbst wenn es sich bei dem Ziel um einen oder mehrere Planeten handelte, auf denen sie bereits gewütet hatten, würden sie nichts davon wissen. Denn jedesmal, wenn sie in den See und den Schlamm der Feuerberge zurückkamen, waren alle ihre Erinnerungen gelöscht.
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Trotz allem liebten sie Thrank, ihre Heimat. Die Tage bis zu dem Au genblick, an dem sie dezimiert und mit freiem, leerem Verstand wieder über den Rand hierher zurück klettern würden, ihre schwer verletzten Freunde mit sich schleppend, würden immer trüber werden, immer mehr voller Aggressionen, bis endlich der SCHREI erscholl; in diesem Sinn auch eine Erlösung, jedenfalls das Zeichen für eine Änderung des Zu stands. Nach einiger Zeit wagte sich die GOL'DHOR wieder aus dem Schutz des Wölbmantels hervor. Die Körper und der Verstand der zwei Insassen wurden, als schlüge ein Blitz in sie ein, augenblicklich von der harten, gnadenlosen Strahlung ge troffen. Atlan und Razamon krümmten sich, aber sie zwangen sich, einen letzten Blick auf das Geschehen zu werfen. Glücklicherweise befand sich eines der letzten Löcher in dem schwar zen Schirm in einer Position nahe Pthor. Soweit die Instrumente der GOL'DHOR reichten, war zu sehen, daß sich der Schirm geschlossen hatte. Das bedeutete … »Tatsächlich!« sagte Razamon fast erschüttert, »der Dunkle Oheim hat ganze Arbeit geleistet. Ich kann keinen einzigen Stern mehr sehen, der noch über einen schwarzen Kern verfügt.« Die letzten Lücken hatten sich geschlossen, und die wenigen schwarzen Sonnen, die noch auf dem Weg durch die Randgebiete der ehemals Schwarzen Galaxis existierten, verloren in dieser Zeit ihre Kerne. »Es sind noch wenige Sterne übrig«, bemerkte Atlan und schloß unter einem neuen Ansturm der Strahlung schmerzgepeinigt die Augen. »Und inzwischen dauert es wegen der längeren Wegstrecken auch längere Zeit, die Kerne einzusammeln. Aber wenn wir endgültig wieder auf Pthor ge landet sein werden, ist der schwarze Schirm, diese dunkle Trennschicht, lückenlos und vollkommen.« »Das heißt, daß der Start von dieser Galaxis zu dem weit entfernten Ziel einer anderen Sterneninsel praktisch jede Sekunde erfolgen kann?« wollte der Berserker wissen. »Es gibt gar keine andere Möglichkeit«, sagte Atlan, und in demselben Augenblick erschien ein riesiger, runder Ball aus Schwärze, kondensierte und verformte sich und kam wie ein gigantisches Leichentuch näher heran. Der Blick auf die wenigen Sonnenkonstellationen wurde abgeschnitten. Die Lücke schloß sich. Atlan senkte den Kopf und befahl der GOL'DHOR, endgültig wieder auf dem alten Platz nahe der FESTUNG zu landen. Dankbar registrierte er, daß die Schmerzen und die eindeutigen Einflüs se der Aura des Bösen immer schwächer wurden und schließlich, als die
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GOL'DHOR aufsetzte, völlig verschwunden zu sein schienen. Eine schweigende, erwartungsvolle Menge hatte sich um die Schleuse versammelt. Atlan holte tief Luft und merkte erstaunt, daß auf Pthor dieser erste Atemzug ihm Erleichterung brachte. Immerhin bist du der König von AtlantisPthor, sagte sarkastisch der Lo giksektor. »Wir haben alles gesehen«, eröffnete der Berserker mit dumpfer Stim me den Bericht. Er stand noch immer unter dem Einfluß der zahlreichen, bestimmenden Eindrücke des Bösen. »Was können wir tun?« fragte Bördo laut und reckte die Schultern. »Weiterkämpfen«, lautete Atlans lakonische Antwort. »Aber frage mich nicht, an welcher Front und mit welchen Waffen.« Balduur hob den Arm und erkundigte sich: »Der Dunkle Oheim mit allen Dimensionsfahrstühlen ist also auf dem Flug zu seinem nächsten Ziel?« »So ist es. Dieser Teil des Fluges hat soeben angefangen«, sagte Atlan. »Die größte Gefahr, die jemals eine andere Galaxis bedroht hat, ist auf dem Weg.« Sator Synk wollte wissen, ob es einen Sinn gäbe, alle kriegerischen We sen auf Pthor zu einem Heer zusammenzufassen und sich wegen des Besit zes neuer Waffen beispielsweise auf den Nachbarn zu stürzen, jenen Di mensionsfahrstuhl, dessen ameisenhafte Bewohner über Bomben und Ge schütze verfügten Atlan schüttelte den Kopf und hörte die Antwort, die der Berserker gab. »Den Dunklen Oheim kann man nicht mit Bomben, Gewehren und Ge schützen angreifen. Das heißt, angreifen kann man, aber der Erfolg wird gleich Null sein.« Langsam ging die Gruppe, zu der mehr und mehr einzelne Wesen stie ßen, auf den geduckten Bau inmitten der Bäume nieder. Ein Windstoß brachte den Geruch frischen Regens mit sich. »Gibt es Aussicht, daß unser Kampf erfolgreich sein kann?« fragte Koy begierig. »Es gibt kaum ein Zeichen dafür«, sagte Atlan und berichtete, was sie gesehen hatten. Razamon unterbrach ihn und schilderte, daß die Ausstrah lung des schwarzen Ringes bereits die Wölbmäntel berührte und binnen kurzer Zeit auch die Oberfläche sämtlicher Weltenfragmente erreicht ha ben würde. »Und doch«, sagte Heimdall wütend, »ist es möglich gewesen, dem Oheim eine große Niederlage beizubringen!« »Die mehr einem Zufall entspringt als planmäßigem Kampf. Wer wüßte es besser als ich«, schränkte Atlan ein. »Du hast bis zu einem bestimmten Punkt natürlich recht. Als Pthor damals auf der Erde landete, bahnte sich
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diese einzige Niederlage an. Es ist die erste Schlappe, die der Dunkle Oheim im Lauf seines unvorstellbar langen Lebens je zugefügt bekam.« »Du scheinst sicher zu sein«, fragte Razamon und stürzte gierig einen Krug Bier herunter, den ihm jemand reichte, »daß der Dunkle Oheim gräß liche Rache nehmen will für alles, was ihm seit diesem Zeitpunkt zugefügt wurde? Der aufgelöste Lebensring um Ritiquian, das Aussterben der Nef fen, schließlich der erzwungene Rückzug aus der Schwarzen Galaxis, um nur einige der Teilniederlagen zu nennen?« »Davon bin ich restlos überzeugt«, sagte Atlan und hob den anderen Krug kurz an. Die kühle, prickelnde Flüssigkeit tat ihm wohl. »Aber ich bin ebenso davon überzeugt, daß das Ziel des unheimlichen Ringwesens die Galaxis ist, von der aus Pthor hierher aufgebrochen ist.« Kennon fragte aufgeregt, obwohl seiner Miene zu entnehmen war, daß er bereits dieselben Überlegungen gewälzt hatte: »Die Galaxis, meinst du, in der sich Terra befindet?« Atlan nickte schweigend. »Mit allen Weltenfragmenten?« »Ja. Und mit einem Schutzmantel aus reiner, tiefer Schwärze, der aus dem Inneren der Sonnen stammt, und von dem niemand ahnt, was er dar stellen soll, und welche bestialischen Möglichkeiten in ihm schlummern!« setzte Razamon hinzu und fügte einen langen pthorischen Fluch an. Inzwischen hatte sich um den Berserker und den Arkoniden ein Kreis von einigen hundert Pthorern versammelt. Es waren Angehörige der Stäm me und Wesen aus allen Teilen der Oberfläche. Irgendwie ähnelten sie in der aufgeregten, konzentrierten Spannung einander sehr, trotz der augen fälligen Unterschiede. Atlan ließ seinen Blick langsam über die entsetzten Gesichter gleiten und sagte abschließend: »Wir werden weiterkämpfen. Wenn wir resignieren und uns in unser Schicksal ergeben, haben wir jeden Kampf bereits verloren, noch ehe er angefangen hat. Ob nun die Galaxis, aus der ich komme, oder gar der Pla net, von dem aus ich mit Razamon zusammen dieses Weltenfragment be treten habe – ob dies die Ziele des Oheims sind oder nicht: Wir werden uns bis zum letzten widersetzen. Es gibt immer eine Möglichkeit, auch wenn wir sie hier und jetzt noch nicht sehen können.« Denkst du an die Quorks und die Parraxynt-Bruchstücke? fragte der Logiksektor in Atlans trübsinnige Gedanken hinein. »Ich denke«, sagte der Arkonide laut und in einem Tonfall, der seine Zuhörer mit einem Funken neuer Hoffnung beseelte, »daß wir noch lange nicht verloren haben. Ich weiß, daß der Dunkle Oheim verlieren wird … die letzte Schlacht eines sehr, sehr langen Kampfes!« Noch immer schweigend, aber mit zaghaft neu erwachter Hoffnung starrten ihn die Pthorer an. Atlan leerte den Krug und ging in das Haus,
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um eine Stunde entspannt dazuliegen und vielleicht schlafen zu können. Er hatte es mehr als nötig.
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Weiter geht es in Atlan Band 488 von König von Atlantis mit: Im Namen der Vollkommenheit von Hubert Haensel
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