Dr. No 05 - Der spanische Tod von W. A. Hary ISBN: 3-8328-1267-9
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Captain Stone hatte nicht zuviel versprochen: Außerhalb der Tarn-Klinik knallten die ersten Schüsse. Und auch mit Granaten wurde nicht gespart: Eine wummerte herbei und traf im Parkplatz ein. Von den Autos, einschließlich dem Buick des Captains, würde nicht mehr viel übrigbleiben. »Ganze Sachen!« murmelte Stone. Er hatte sich gleich uns rechtzeitig auf den Boden geworfen. »Das ist genau das, was ich liebe!« Ich hatte Captain Stone eigentlich als total unsympathisch empfunden. Jetzt nicht mehr. Er war ein pflichtversessener Polizist, zugegeben. Er nahm keine Rücksicht auf andere, wenn er glaubte, dienstliche Belange gingen vor. Auch zugegeben. Aber zuweilen konnte das äußerst nützlich sein... So wie jetzt beispielsweise! Denn ohne ihn und seine Vorgehensweise wäre unser Leben keinen roten Heller mehr wert gewesen. Dabei wäre uns noch der Tod unter dem Skalpell von Armstrong vielleicht als Erlösung vorgekommen. »Letzte Aufforderung!« meldete man sich von draußen aus dem Gang. »Ach, leckt mich doch...«, antwortete Stone unfein. Ich grinste ihn an. Sheila schüttelte tadelnd den Kopf. Die erste Gasbombe rollte herein. Gut gezielt. Die Bombe platzte. Schon preßten wir Tücher vor die Gesichter. Sheila hatte kein passendes. Deshalb benutzte sie ihr Kleid. Dabei kamen herrliche Beine zum Vorschein. Schade, dachte ich. Solche Beine passen einfach nicht zur Situation. Draußen wurde weiter geschossen. Eine zweite Granate wummerte herbei. Wo würde sie eintreffen? Und sie war keineswegs nur mit Gas geladen. Ein Stockwerk höher! Ein ohrenbetäubendes Krachen. Die Fenster platzten. Brocken brachen aus der Decke und fielen herab. Einer traf mich am Bein. Gottlob war er nicht so dick, daß er größeren Schaden hätte anrichten können. »Diese Idioten!« schimpfte Stone halblaut. »Ich hatte extra gesagt, diesen Teil sollten sie verschonen. Und was machen die?« »Der nächste Treffer sitzt besser!« orakelte ich. »Er trifft haargenau den Schreibtisch, unter den wir uns ducken. Wetten daß?« Niemand lachte über den lahmen Witz. Aber der Treffer oben hatte wenigstens einen Vorteil: Die Gasschwaden zogen durch die aufgebrochene Decke und die jetzt leeren Fensterhöhlen ab.
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Obwohl - der Gegner hatte noch mehr Gasbomben auf Lager. Die nächste rollte bis vor die Tür und blieb dort liegen. Stone schoß. Die Bombe drehte sich rasend schnell um sich selbst und wirbelte dadurch tiefer in den Gang zurück. »Wohl bekommt's!« sagte Stone hämisch, als die Bombe krepierte. Diesmal würden die Gasschwaden nicht hier hereinkommen, sondern draußen bleiben. Prompt hörten wir die Gegner husten. Stone robbte über den mit Schutt verdorbenen Teppichboden zur Tür. »He!« rief ich hinterher, weil ich es als bodenlos leichtsinnig empfand. Er ließ sich nicht aufhalten. Die dritte Granate der hiesigen Polizei wummerte. Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Meine Prophezeiung, die Granate würde genau den Schreibtisch treffen, kam mir in den Sinn. Aber ich irrte mich gottlob: Sonstwo richtete sie enormen Schaden an. Als wäre es das verabredete Zeichen, rollte die nächste Bombe herein. Stone fing sie ab und warf sie blitzschnell zurück. Auch er hustete jetzt. Die Gaskonzentration an der Tür war offenbar wesentlich stärker als er erwartet hatte. Er wandte sich wieder ab. Draußen platzte die Gasbombe. Wir hörten schnelle Schritte: Der Gegner setzte sich ab. »Besser konnten wir es gar nicht treffen!« murmelte ich und sprang auf. Ich rannte zur Tür und in den Gang hinaus. Die MP hielt ich schußbereit in beiden Händen. Nicht alle Gegner waren weg, denn es wurde sofort auf mich geschossen. Sehr ungezielt, denn die Schützen litten arg unter den Einwirkungen des eigenen Gases. Ich sprintete den vergifteten Gang entlang, mit angehaltenem Atem, und schoß in die nächstbeste Tür hinein. Weiter, die zweite Tür. Alle standen offen. Als ich an der zerborstenen Korridortür anlangte, hatte ich keine Munition mehr. Ich warf die MP weg und durchquerte in fliegender Hast den Lichthof. Da war der Haupteingang. Geschlossen, aber nicht abgesperrt. Ich riß das Portal auf und schaute in den Hof. Meine Lungen drohten zu bersten. Endlich wagte ich wieder einen Atemzug: Hier gab es kein Gas mehr. »Stone!« brüllte ich über die Schulter zurück. »Bring was zum Schießen!« Er gehorchte tatsächlich, und Sheila war bei ihm. Die ersten X-Agenten rannten über den Parkplatz, vorbei an den Autowracks. Sie umgingen den Granattrichter und liefen genau auf uns zu. Stone hätte sie allesamt abknallen können, aber er war in erster Linie Polizist und kein Killer. Er schoß nur über ihre Köpfe hinweg. Erschrocken stoppten die Agenten. Sie rissen ihre Waffen hoch. Wir zogen uns schleunigst in Deckung zurück. Die Kugeln pfiffen herein, aber jetzt wagten es die X-Agenten wenigstens nicht mehr, ins Haus zu laufen. Wir hatten sie aufgehalten und somit den angreifenden Polizisten die Möglichkeit gegeben, aufzuholen.
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Ein Megaphon knackte. Dann: »Hier spricht die Polizei. Ergeben Sie sich! Sie haben keinerlei Chance zu entkommen. Das gesamte Gelände ist umstellt. Wir schießen ohne Rücksicht, falls Sie nicht mit erhobenen Händen herankommen.« Unterstrichen wurde diese Aufforderung mit einer weiteren Granate, die hoch oben das Dach des Hauptgebäudes traf und es in tausend Fetzen riß. Wir hörten wüste Schreie. Die Agenten folgten natürlich nicht der Aufforderung, sondern wollten bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. »Ich schlage vor, wir ziehen uns zurück, ehe wir rein zufällig selber getroffen werden.« Ich hatte gegen diesen Vorschlag von Stone nichts einzuwenden. Sheila auch nicht. Wir gingen mit ihm zum Fahrstuhlschacht und schauten hinein. Ziemlich tief, aber es würde zu schaffen sein. Stone warf seine MP ebenfalls weg, denn er hatte keine Munition mehr. Gut, daß die X-Agenten das nicht ahnten. Er machte sich als erster an den Abstieg. Ich ließ Sheila den Vortritt. Sie erwies sich als sehr gewandt, wie sie die Seile hinabkletterte. Außer Leichen erwartete uns dort unten niemand. »Schade, daß die Pritsche in unserer Zelle nichts mehr taugt. Ich hätte mich jetzt gern noch ein wenig aufs Ohr gehauen, bis der ganze Trubel oben beendet ist!« maulte ich.
* Irgendwann wurde das Feuer endlich eingestellt. Und dann dauerte es nicht mehr lange, bis das Licht aufflammte und die ersten Polizisten in den Keller eindrangen. Ich fragte mich die ganze Zeit über schon, ob sie Armstrong eigentlich geschnappt hatten? Stone gab sich zu erkennen, sonst hätten die diensteifrigen Polizisten uns drei auch noch erschossen. Sofort ließ man uns zum Einsatzleiter bringen. Der begrüßte Stone recht respektvoll. »Habt ihr den Professor?« fragte Stone sofort als erstes. Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf. »Fehlanzeige! Leider! Meine Leute haben verschiedene Geheimgänge entdeckt. Das Gebäude ist nur noch eine Ruine. Sieht ganz danach aus, als hätte ein kleiner Teil der X-Agenten die Festung bis auf den letzten Mann verteidigt, damit der Rest einen genügend großen Vorsprung zum Entkommen hatte.« »Dachte ich mir doch, daß der Keller eigentlich viel zu klein erschien, in dem wir waren...«, brummte Stone. »Dann gibt es also doch Ausgänge aus dieser Mausefalle? Na ja, bemühen Sie sich weiter!« Es klang wenig hoffnungsvoll. Stone winkte uns zu und brachte uns zu einem Wagen. Wir fuhren gleich los, in Richtung Headquarter, wie ich schätzte. »Wie soll es nun weitergehen?« erkundigte er sich bei mir. Ich zuckte die Achseln. »Armstrong suchen? Er ist mein ärgster Feind. Ihm verdanke ich meinen gegenwärtigen Zustand. Und aus meiner Identität hat er ein schreckliches Geheimnis gemacht. Aber auch er wird nicht eher ruhen, bis daß er mich vernichtet hat.«
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»Es wäre besser, wir hätten die Organisation wenigstens hier in Chicago ganz zerschlagen können. Bevor der letzte Rest vernichtet ist, wird alles nachwuchern - in kürzester Zeit!« sagte Stone zerknirscht. »Nun, wir haben einen wichtigen Anhaltspunkt: Madrid!« Stone wandte sich mir zwar zu, aber er ging nicht auf meine letzten Worte ein: »Was glauben Sie, Dr. No: Gibt es einen obersten Mister X - oder ist dieser Professor Armstrong oder wie immer er auch heißen mag - der eigentliche Boß über allem?« »Es gilt, auch das herauszufinden - möglicherweise in Madrid?« Es war diesmal eine offene Frage, und Captain Stone mußte eigentlich darauf eingehen, ob er nun wollte oder nicht. Er grinste auf einmal zuversichtlich: »Dann wollen Sie also in dieser Richtung forschen?« Ich schürzte die Lippen und erwiderte sein Grinsen. »Sieht ganz so aus, Captain.« »Aber Sie wissen nicht, wie Sie das schaffen könnten - überhaupt erst einmal nach Madrid zu kommen - so ganz mittellos?« »Der Mann aus dem Nichts - ohne Namen, nur ausgerüstet mit dem nackten Leben, mit sonst nichts...« »Sie sind nicht allein!« sagte Stone. Und Sheila schloß sich dem an: »Du hast Freunde!« »Soll das heißen, du willst mit dabei sein?« Ich erschrak darüber. »Was habe ich denn zu verlieren, Dr. No? Man hält mich in Zuhälterkreisen für tot. Die X-Agenten jedoch wissen es inzwischen besser - viel besser. Und sie werden nicht eher ruhen, bis auch ich nicht mehr lebe. Allein, weil ich mit zu ihrer Niederlage beitrug. Das erregt ihren Zorn, Dr. No.« »Du meinst, ehe du hier die Hände in den Schoß legst und wartest, bis die X-Agenten zu dir kommen - kommst du ihnen lieber entgegen - und hast dabei vielleicht eine kleine Chance?« Sie nickte nur. »Aber du bist genauso mittellos wie ich, hast nichts als dein Leben und das, was du am Leib trägst...« Ich richtete meinen Blick auf Stone. Er grinste stärker. »Es ist alles vorbereitet!« versprach er geheimnisvoll.
* »Armstrong hat es angedeutet: Ich habe gute, sogar sehr wichtige Verbindungen, und die Bekämpfung der X-Organisation wird meine Hauptaufgabe sein - jetzt und für immer! Dabei werden wir zwangsläufig zusammenarbeiten müssen, Dr. No und Sheila! - Na, daß Sie im wahrsten Sinne des Wortes 'Ihren Mann' stehen können, Sheila, das haben Sie uns ausreichend bewiesen. Sie werden Dr. No keine Last, sondern eine Hilfe sein, schätze ich. Aber wenn ich euch beide unterstütze, dann nicht ohne Bedingungen...« »Was heißt das?« fuhr ich auf. »Ganz einfach, Dr. No: Ich bin euer Boß! Alle Aktionen müssen mit mir abgesprochen werden! Ich koordiniere die Bekämpfung der X-Organisation an allen Fronten, und Sie beide sind nur eine der Kampfeinheiten - wenn vielleicht auch die allerwichtigste!« »Noch etwas?« erkundigte ich mich anzüglich. »Ja, ihr werdet nicht allein nach Madrid reisen. Da ist ein guter Mann. Ein Sergeant. Copyright 2001 by readersplanet
Er hätte aufgrund seiner Fähigkeiten längst Karriere gemacht, aber den meisten Vorgesetzten ist er zu eigenwillig und damit zu unbequem. Deshalb bekommt er karrieremäßig den Hintern gewissermaßen niemals hoch. So eine Spezialaufgabe - das wäre das richtige für ihn...« »So als Aufpasser?« »Keineswegs, denn dafür wäre dieser Mann völlig ungeeignet. Das werden Sie selber noch heraus finden, denn ich schlage mit seiner Abordnung in Ihre Gruppe gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie haben eine wesentliche Hilfe in ihm - und ich bin diesen äußerst unbequemen Gesellen für 'ne Weile los!« Er lachte leise vor sich hin. Ich hatte ehrlich gesagt Herzklopfen, aber Stone war einfach nicht dazu zu überreden, mehr über diesen Mann zu sagen. Ich durfte also gespannt sein, und dabei fragte ich mich, ob die Zusammenarbeit mit Stone wirklich so vorteilhaft war? Aber blieb mir denn überhaupt eine andere Wahl - vorläufig - in einer so feindseligen und für mich so unbekannten Welt?
* »Mafia!« hauchte die Stimme aus dem Telefonhörer. Ich war sofort hellwach. »Wer sind Sie? Woher rufen Sie an?« Ein gequältes Stöhnen: »Mord! Sie - Sie sind - Dr. NO? Tot!« »Hallo!« brüllte ich in den Hörer. Aber ich bekam keine Antwort mehr. Ein letzter Seufzer. Dann war es auf der anderen Seite der Leitung still. Ich jumpte aus dem Bett. »He?« machte Freund Sammy im Nachbarbett schlaftrunken und tauchte unter der Decke auf. Er war ein mächtiger Neger mit ungeheuren Kräften - und konnte es offensichtlich nicht ausstehen, nächstens geweckt zu werden - und nicht einmal den Grund zu kennen. Die Antwort blieb ich ihm trotzdem schuldig. Ich sprintete in Unterhosen und Unterhemd aus dem Hotelzimmer und stürzte nach nebenan. Verdammt, Sheila hatte abgeschlossen! Ich schlug mit der Faust gegen die Tür. Es dauerte zehn Sekunden, bis sie wütend aufriß. Sie sah mich in Unterwäsche und ziemlich atemlos und ahnte etwas. Sie machte Platz. Ich rannte zu ihrem Telefon und wählte die Amtsleitung. Die Nummer der Polizei stand auf dem Apparat. Ich wählte auch diese. Bald meldete sich eine schlaftrunkene Stimme. Polizei, die im Dienst schlief? Hier in Madrid war anscheinend auch das möglich! Ich kratzte meine Spanischkenntnisse zusammen und beherrschte mich. In wenigen Sätzen versuchte ich, dem Polizisten zu erklären, daß sofort eine Fangschaltung gemacht werden müßte, um herauszufinden, von wo ich den Anruf bekommen hatte. »Es geht um Leben und Tod!« unterstrich ich meine Forderung. Dem Polizisten erschien alles reichlich abstrus. War ihm nicht einmal zu verdenken. Er verlangte nähere Angaben. Also erzählte ich ihm, wo ich war, wann der Anruf erfolgte und welchen Inhalt er hatte... Copyright 2001 by readersplanet
»Äh, Senor, wir werden kommen. Experten! Das wird teuer, falls das eine Falschmeldung war. Welches Hotel sagten Sie noch?« »Eduardo-Palace-Hotel!« »Wieso eigentlich Fangschaltung, wenn Sie doch mit mir telefonieren? Wie soll das denn funktionieren?« »Herrjeh, der ist natürlich noch an der Leitung - und ich rufe von einem anderen Apparat aus an!« seufzte ich. »Welche Nummer?« »Dreiundvierzig!« »Legen Sie bitte auf, Senor. Wir rufen sofort zurück. Zu viele Spaßvögel gibt es heutzutage, die gern einmal die Polizei auf Trab bringen wollen - zu nachtschlafender Zeit. Sie verstehen?« Zähneknirschend gehorchte ich. Sekunden später klingelte das Telefon. Der Polizist war wieder dran. Er hatte direkt durchgewählt. »J e t z t kommen wir!« versprach er und legte auf. Sheila stand neben mir. Sie hatte mitgehört und brauchte keine Erklärungen mehr. Ich ging nach draußen, um neben unserem Telefon auf die Polizei zu warten. Mit der Fangschaltung war es inzwischen natürlich essig. Ich ärgerte mich darüber: In einem solchen Fall wäre ich ja besser am Apparat geblieben und hätte vielleicht noch mehr von dem Anrufer erfahren können...? Der lange Hotelgang war leer. Die Tür zu unserem Zimmer stand noch offen. Ich trat ein. »Also, das ist vielleicht eine Polizei, sage ich dir, Sammy...«, begann ich, um meinem Ärger einmal Luft zu machen. »Vorsicht!« rief er mir zu. Blitzschnell sank ich zu Boden. Eine Reflexhandlung, mehr nicht. Erst jetzt schaute ich mich im Zimmer um. Jemand hatte den Hörer inzwischen wieder aufgelegt, verdammt! Wie hatte der Polizist noch gesagt: »Falschmeldungen sind teuer!« Aber es war nicht einmal das Schlimmste: Der Jemand, der aufgelegt hatte, war noch da, und er hatte außerdem eine Pistole mit vorgeschraubtem Schalldämpfer in der Faust. Damit hielt der Sammy und mich in Schach.
* »Diese Stellung gefällt mir ganz außerordentlich!« sagte der Kerl zynisch und deutete mit dem Lauf der Waffe auf mich. »Schön liegenbleiben, Dr. No! Ich fühle mich prompt sicherer. Reicht mir schon, wenn dieser angebrannte Muskelprotz da im Nachbarbett mich belauert. Der würde mich glatt in Stücke reißen. Trau ich ihm zu!« »Verdammt, Sammy, wie ist der Kerl hereingekommen?« fragte ich zähneknirschend. »Na, wie halt eben ein Etagenkellner das tut: Durch die Tür! Nur hatte er keine Flasche Whiskey dabei, wie gestern abend, sondern die bildhübsche Pistole. Ne alte Browning, wenn ich nicht irre?« »Ja!« bestätigte ich: »FN Browning! Wird eigentlich gar nicht mehr hergestellt!« »He, was soll das?« herrschte der Kellner mich an. Er hatte blütenweiße Handschuhe übergestreift, wie es in einem so guten Hotel üblich war. Trotzdem erledigte er hier ein recht schmutziges Handwerk. Copyright 2001 by readersplanet
»Weg mit der Waffe!« sagte ich ruhig, »oder schieße endlich. Eines von beiden. Aber triff genau. Wenn du mich als erstes erschießt, bricht dir Sammy sämtliche Knochen im Leib und reißt dir anschließend Arme und Beine einzeln an. Wenn er allerdings als erster dran glauben muß, geht's schneller für dich: Ich drehe dir nämlich nur kurzerhand den Hals um!« »Das ist nicht fair!« beschwerte sich Sammy prompt. »Der ist imstande und nimmt dein Angebot an, indem er mich als ersten erschießt...« »Ruhig Blut!« Der Zimmerkellner zitterte bei diesen Worten am ganzen Leib. »Nur nicht durchdrehen!« Sicherlich meinte er sich selber und nicht uns, denn von uns beiden zitterte keiner. »Was ist jetzt?« erkundigte ich mich stirnrunzelnd. »Soll ich den Rest der Nacht hier am Boden verbringen oder was?« »Und ich im Bett?« hakte Sammy nach. »Du sei still!« zischte ich. »Du bist eindeutig besser dran als ich.« »Sollen wir tauschen?« »Warum eigentlich nicht?« Langsam stand ich auf. »Liegenbleiben!« Die Stimme des Kellners überschlug sich fast. Jetzt übertrug sich das Zittern auch auf seine Pistolenhand. Der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. »Nervös, Kamerad?« »Ja, reichlich, Dr. No!« Er spuckte aus. »Da kann schon mal ein Schuß losgehen. Manchmal sogar ungewollt.« »Für wen spielst du denn hier eigentlich den Clown? Mafia - örtliches Syndikat?« »Von was redest du?« »Der Anrufer sprach davon. Du scheinst zu dem genannten Verein zu gehören. Warum sonst hast du den Hörer aufgelegt? Doch nur, um die Fangschaltung zu unterbinden?« »Schlaues Kerlchen!« Der Etagenkellner wurde ruhiger. Das gefiel mir überhaupt nicht. Ich lauschte nach draußen. Wann, zum Teufel, traf die Polizei endlich hier ein? Und wie würde der Kellner darauf reagieren? »Haltet ihr dort drin Selbstgespräche?« fragte Sheila lauthals aus dem Gang. »Merkt euch: Die ganze Etage befindet sich schon in Aufruhr. Um diese Zeit würden die meisten Leutchen lieber schlafen.« »Komm doch einfach mal herein und schau es dir an!« schlug ich vor. »Vergiß es! Da steht doch bestimmt einer mit Waffe. Seht selber zu, wir ihr mit dem klar kommt!« Sammy lachte grollend. Das klang so mächtig und bedrohlich, daß der Etagenkellner zusammenzuckte und sich zu ihm hindrehte. Darauf hatte ich nur gewartet: Ich rollte vom Teppich herunter, erwischte wie berechnet den richtigen Zipfel und zog einmal kräftig an. Der Kellner verlor erwartungsgemäß den Boden unter den Füßen und fiel der Länge nach hin. Grotesk warf er dabei die Beine in die Luft. Die Waffe segelte im hohen Bogen davon. Sie wurde von Sammy Powers übernommen: Er jumpte aus dem Bett - mit einer Behendigkeit, die man ihm bei seiner Körpermasse niemals zugetraut hätte -, kam in einer gekonnten Rolle vorwärts auf, nahm »ganz nebenbei« die Pistole mit und landete federnd auf beiden Beinen. Der Etagenkellner hatte noch gar nicht recht begriffen, was ihm überhaupt widerfahren war, da schaute er auch schon in die Mündung seiner eigenen Waffe, die inzwischen den Besitzer gewechselt hatte. Was mich jedoch stutzig machte: Der Kerl zitterte überhaupt nicht mehr, sondern erschien im Gegenteil irgendwie - beruhigt...?
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Er richtete sich auf. »Wird doch tatsächlich behauptet, solche Muskelprotze wie dieser angebrannte Neger hier könnten vor Kraft kaum laufen. Schrecklich, immer diese Vorurteile!« Sammy knurrte wie ein gereizter Tiger. »Was meinst du, Dr. No: Soll ich mit den Armen anfangen oder mit den Beinen? Ich glaube, doch besser mit den Beinen: Linkes Bein zuerst, schätze ich.« »Mach bloß keinen Unsinn!« rief der Kellner erschrocken. Und zu mir gewandt: »Meint der das denn wirklich im Ernst?« »Er kann es nun mal nicht leiden, wenn man so abfällig von ihm spricht!« belehrte ich ihn. Und zu Sammy: »Fang lieber mit seiner Kinnlade an. Der quatscht mir nämlich zuviel.« Sheila streckte den Kopf herein. »Wußt' ich's doch! Wurde auch Zeit!« »Hereinspaziert, wenn es dich nicht stört, daß ich in Unterwäsche bin...« Sie lächelte nur. Mit dem Kinn deutete sie auf den Kellner. »Was tut der denn am Boden?« »Wollte zu mir ins Bett kriechen«, behauptete Sammy todernst, »aber ich schlafe lieber allein - und stehe nicht auf Männer. Deshalb hat er sich dort niedergelassen.« Draußen entstand Tumult. Was war nun schon wieder los? »Bitte, bewahren Sie die Ruhe!« rief eine befehlsgewohnte Stimme. »Hier ist die Polizei. Wir haben alles im Griff.« Das war eine glatte Lüge. War das nicht die Stimme des Polizisten am Telefon gewesen? Er stürmte herein, mit gezogener Dienstwaffe. »Hallo, Capitan, lange gewartet. Umso größer ist die Freude.« »Das Lachen wird Ihnen noch vergehen, Dr. No!« drohte er. Der Etagenkellner erhob sich vom Boden und klopfte sich die Uniform. Er lächelte siegessicher. »Endlich, Capitan, endlich! Die wollten mich mit der Waffe in der Faust zwingen, Ihnen eine abartige Geschichte zu erzählen - von wegen einem Mafiaanruf und so...« Ich hätte den Kerl erwürgen können - und dann richtete sich meine Wut gegen mich selbst, weil ich auf diesen Trick hereingefallen war!
* Deshalb hatte der Kellner seine Handschuhe anbehalten: Nicht aus Korrektheit etwa, sondern um keine Fingerabdrücke am Griff der Waffe zu hinterlassen - die jetzt Sammy in der Faust hielt. Ihm wurde das gerade bewußt, und ich fürchtete, er würde vor Wut auf den Kellner schießen. »Nicht!« warnte ich ihn. Kopfschüttelnd übergab er mir die Waffe - ehe er doch noch die Beherrschung verlor. Ich reichte die Waffe gleich weiter an den Capitan - artig mit dem Griff nach vorn. »Ah, Sie sind vernünftig, Dr. No! Wenigstens ein einziger positiver Aspekt. Aber ich hatte Sie gewarnt: Späße vertragen wir hier nicht. Vor allem, wenn es um Mord und Totschlag geht und wenn man Zeugen mit vorgehaltener Waffe zu falschen Aussagen erpressen will!« Copyright 2001 by readersplanet
Der Kellner flüchtete sich an seine Seite. Der Capitan tätschelte seine Schulter wie einem guten Kumpel. »Prächtig, prächtig! Das nennt man spanischen Stolz! Nur nicht von ein paar Gringos einschüchtern lassen!« »Der sieht bestimmt zu viele Western mit mexikanischen Banditen, wollen wir wetten?« murrte Sammy halblaut. Der Capitan bekam es gottlob nicht mit. Die Situation war auch so schon verfahren genug. »Sammy hier ist Sergeant bei der Chicagoer Kriminalpolizei!« sagte ich. Es war mein letzter Versuch - und meine Aussage stimmte sogar, denn Captain Stone hatte ihn mir mitgegeben hierher nach Madrid. Weil hier die Zentrale der weltumspannenden X-Organisation sein sollte... »Abführen!« befahl der Capitan seinen Männern. Das war seine Reaktion auf meine Worte. Enttäuscht ließ ich mich hinausführen - in Unterwäsche, genauso wie Sammy. Ich wagte schon gar nicht die Bitte um mehr Kleidung. Sheila war ein wenig glücklicher dran: Sie war mit Morgenmantel bekleidet. Ein duftiges Ding, unter dem sie sicherlich nicht viel anhatte. Während wir im Fahrstuhl abwärts sanken, flüsterte sie mir zu: »Wer steckt hinter der Aktion? Was bedeutet das Wort Mafia - hier in Spanien? Die X-Organisation? Zufall oder Absicht?« Ich schürzte die Lippen: »Jemand hat es darauf angelegt, uns auf billigste Weise auf Eis zu legen. Sieht so aus, als würde man uns wegen der Sache noch abschieben - außer Landes...« »Dabei sind wir gestern abend erst angekommen!« sagte sie bedauernd. Ich betrachtete sie von der Seite. War das nun scherzhaft gewesen oder bedauerte sie es tatsächlich? Der Mannschaftstransportwagen, in den man uns bugsierte, war offensichtlich für kleine Spanier konzipiert, denn für uns war er ein paar Nummern zu eng geschneidert. Damit fuhren wir in Richtung Polizeihauptquartier. Etwa eine Stunde später ging die Sonne auf, und wir saßen rechtzeitig vor dem Morgenrot in Unterwäsche beziehungsweise Morgenmantel vor dem Schreibtisch des Capitans. Er bestätigte ernst, was ich längst befürchtete: »Sie werden des Landes verwiesen, Herrschaften!« Diese Runde geht eindeutig an dich, Mr. X! dachte ich zerknirscht.
* Der Capitan grinste anzüglich. Ich hätte ihn dafür ohrfeigen mögen. Leider konnte man sich so etwas nicht ungestraft erlauben... Der Capitan stand auf und schickte seine Männer hinaus. Jetzt waren wir mit ihm allein. Was hatte er vor? Er baute sich vor Sheila auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein paarmal auf den Zehenspitzen auf- und abwippend. »Sie erscheinen mir noch am vernünftigsten, Senorita Sheila!« Wie auf Kommando lächelte sie verführerisch. Sichtlich bildete sich der Capitan etwas darauf ein. Verdammt, Sheila, du verstehst es, mit Männern umzugehen! dachte ich bewundernd. »Nun, Senorita Sheila, was hat Sie eigentlich in unser schönes Land verschlagen? Ich meine, Sie sind gestern erst angekommen und veranstalten heute nacht dieses Theater? Copyright 2001 by readersplanet
Was steckt dahinter? Was wollten sie damit erreichen?« »Ein kleiner Urlaubsspaß!« vermutete Sheila mit ihrem charmanten Lächeln. »Sie werden abgeschoben!« erinnerte der Capitan. Sie zuckte die Achseln. Ihr Lächeln blieb. Der Capitan wandte sich ab und lief ein paarmal hin und her. Auf einmal lachte er lauthals und für uns völlig unmotiviert los. »Also gut, ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen: Wir haben natürlich keineswegs vor, Sie des Landes zu verweisen. Es soll nur danach aussehen. Zur Zeit sind ein paar ausgewählte Männer fieberhaft auf der Suche nach geeigneten Doppelgängern. Herrjeh, das ist gar nicht mal so leicht. Eure Muskeln sind zu dick, Dr. No und Sergeant Sammy Powers! Außerdem sind Sie ziemlich schwarz, Sergeant - wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben...?« »Vielleicht sollten Sie es mal mit Schuhwichse versuchen?« riet ihm Sammy ungerührt. Der Capitan winkte mit beiden Händen ab. »Werden wir letztlich wohl tun müssen!« Er lachte wieder. »Aber auch mit Ihnen wird es nicht leicht sein, Senorita Sheila: Eine so schöne Frau wie Sie... und so schlank und durchtrainiert...« Er schluckte schwer - und gab sich offensichtlich Mühe, Sheila nicht wieder mit den Augen zu verschlingen. Sheila fragte für uns: »Und welchem Umstand verdanken wir es, daß Sie sich solche Mühe unsertwegen machen?« Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und betrachtete mich. »Wir werden wohl die Anzüge von Ihnen benutzen und sie entsprechend ausstopfen, daß der Doppelgänger mit der Figur ungefähr hinkommt.« Dann erst beantwortete er die Frage von Sheila: »Mafia!« Er räusperte sich. »Das ist der offizielle Begriff. Obwohl ich inzwischen weiß, daß es schlimmer ist: Die X-Organisation!« »Wer hat Ihnen diesen Tip gegeben?« Er deutete mit dem Daumen zur Decke: »Kam von oben! Genauer: Nicht von Gottvater, sondern von unserem Polizeipräsidenten. Und der hat den Tip von einem gewissen Captain Stone in Chicago. Kam über einen abgeschirmten Draht über den großen Teich herüber. Es ist die grandiose Idee des Polizeipräsidenten, Sie drei hier einzusetzen.« »Aha, um gewisse Kastanien aus dem Feuer zu holen?« vermutete ich. »Die eigenen Leute sind zu unfähig oder zu schade, daß man sie verheizt. Da kommen wir gerade recht.« Er grinste mich an. »So ist es, Dr. No! Sie haben den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Und inzwischen ist Ihr Doppelgänger mit einem falschen Sammy Powers und einer falschen Senorita Sheila unterwegs in Richtung Amerika. Ihr Doppelgänger wird den falschen Paß dabei haben, mit dem Sie hier eingereist sind. - Von wem haben sie ihn eigentlich? Von Captain Stone?« »Genau von dem«, bestätigte ich, »oder hätte man mich unter dem Namen Dr. No einreisen lassen?« »Sicher nicht, obwohl er besser zu Ihnen paßt!« Ich verkniff mir eine Bemerkung über diese Anzüglichkeit. Er sah uns der Reihe nach an und nickte dabei. »Ich war von Anfang an dagegen, aber ich habe mich gefügt. Außerdem dachte ich mir, daß es nichts schaden kann, wenn Sie drei ein wenig in dieser Scheiße rühren - statt meiner!« »Dann hat sich die X-Organisation bereits so bemerkbar gemacht, daß sogar Sie davon wissen - auch ohne Captain Stone?« fragte ich. »Ging das nicht schon aus meinen Worten hervor, Dr. No?« Er musterte mich wie einen Feind. Copyright 2001 by readersplanet
»Das mit dem Anruf und dem Etagenkellner... eine Finte von Ihnen, um das Abschieben glaubwürdiger zu machen?« »keineswegs, Dr. No. Das war alles echt. Ich weiß immer noch nicht, wie es zusammenhängt, Aber ich habe so meine Theorie: Irgend etwas ist schiefgelaufen. Der Anruf war vielleicht ein Hilferuf? Der Etagenkellner arbeitet für die Organisation und sollte Sie drei unglaubwürdig machen. War doch überzeugend, nicht wahr? Und so brauchen wir wenigstens nicht auf eigene Pläne zurückzugreifen, um einen Grund für das Abschieben zu erfinden.« »Jetzt ist mir auch klar, wieso du prompt einen ausgewachsenen Capitan an die Strippe bekommen hast...«, murmelte Sheila. »Der hat offenbar schon darauf gelauert?« Der Capitan lächelte unverbindlich. Er ging wieder zu Sheila hinüber und streckte spontan die Rechte aus: »Mein Name ist Enrico Gonzales! Ist ja nur recht und billig, wenn ich mich vorstelle. Schließlich sind wir zur Zusammenarbeit gezwungen.« Zögernd ergriff sie seine Rechte. Er hielt sie ein wenig zu lange, wie ich fand. Außerdem tätschelte er ein paarmal ihren Arm. Es war mir irgendwie peinlich, und so war ich erleichtert, als das Telefon auf dem Schreibtisch des Capitans klingelte und die Prozedur endlich unterbrach. Enrico Gonzales hob ab. Er meldete sich. Im nächsten Moment zuckte er zusammen. Langsam ließ er den Hörer sinken. Was hatte er erfahren? »Es war Professor Armstrong - alias Mr. X, der Sie angerufen hat!« murmelte er fassungslos. »Man hat ihn im Hotel gefunden - im Eduardo- Palace-Hotel! Deshalb kam auch der Etagenkellner so schnell zum Zuge: Er ist offensichtlich in die Sache verwickelt und Armstrong ist - tot!«
* Sheila erholte sich als erste von dieser ungeheuerlichen Botschaft: »Mr. X persönlich?« vergewisserte sie sich. Und ich dachte: Tatsächlich - es war seine Stimme gewesen, ganz eindeutig! Und wieso ist mir das nicht gleich aufgefallen? Diese Frage beantwortete ich mir selber: Weil es mir einfach zu unmöglich erschien! Schließlich war uns Professor Armstrong als absoluter Bösewicht in Erinnerung - von Chicago her. Als er glaubte, wir würden sowieso nicht mehr lebend beziehungsweise mit wachem Verstand aus seinen Fängen entkommen, erzählte er uns beiläufig von seinem Hauptquartier in oder bei Madrid. Deshalb waren wir schließlich hier. Professor Armstrong, alias Mr. X, der Chef der mächtigsten Verbrecherorganisation der Welt, der Mann, dem ich verdankte, daß ich keine Vergangenheit hatte - wie und was auch immer er mit mir vorher angestellt hatte... Dieser Mann war uns in Chicago entwischt, als es uns gelang, die dortige Bastion der X-Organisation zu zerschlagen. Und hier ruft er mich an, als es ihm an den Kragen geht? Und seine Feinde reagieren blitzschnell, indem einer von ihnen - der Etagenkellner eben unsere Glaubwürdigkeit gegenüber der Polizei zu erschüttern versucht? Das paßte überhaupt nicht zusammen. in keiner Weise. Es war nicht einfach nur verrückt, sondern schlichtweg undenkbar... Undenkbar?
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»Was ist mit ihm geschehen?« hakte Sheila noch nach, ehe der Capitan ihre erste Frage beantwortet hatte. »Gefoltert! Sie haben ihn bestialisch gefoltert! Aber das waren anscheinend keine Experten oder sie standen zu sehr unter Zeitdruck, denn sie haben gewissermaßen übertrieben, und als sie merkten, daß Armstrong das nicht überleben konnte, sind sie einfach abgehauen. Deshalb konnte er sie auch noch anrufen, Dr. No! Zu dieser Zeit mußte der Etagenkellner in der Telefonzentrale gesessen haben, um jede Störung von außen während der Aktion abzublocken. Deshalb bekam er auch mit, wen Armstrong anrief - und konnte so schnell und so effektiv eingreifen. Es ist offensichtlich, daß man ihm den Befehl gab, Ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern, damit wir die Konsequenzen ziehen und Sie von hier entfernen - als potentielle Störenfriede. Man hätte Sie genauso gut auch umbringen können, aber entweder man wollte damit nicht noch mehr Staub aufwirbeln oder...« »...oder man wollte sich uns als potentielle Gegner von Mr. X gewissermaßen warmhalten für die Zukunft!« vollendete Sammy. »Zu Tode gefoltert?« Sheila schüttelte den Kopf. »Das wäre Armstrongs Leuten sicherlich nie passiert. Die haben mehr Übung darin. Sie hätten von ihrem Opfer genau das erfahren, was sie hätten erfahren wollen. Und dann erst...« »Wir wissen nicht, was sie überhaupt erfahren haben«, sagte der Capitan. »Wir wissen nicht einmal, was oder wer hinter alledem steckt.« Er knallte den Hörer auf die Gabel. Mir kam ein Gedanke: »Woher wissen Sie eigentlich so genau, daß es sich um Professor Armstrong handelt?« »Nun, euer Captain Stone hat uns ein Funkbild von ihm übermittelt, und der Mann auf dem Bild ist mit dem Toten identisch. Daran hegen meine Leute keinen Zweifel. Und glauben Sie mir, Dr. No, ich kann mich auf meine Spezialisten verlassen!« Es war für mich die letzte Bestätigung gewesen. Ich dachte wieder: Die Stimme hat jedenfalls gepaßt. Trotzdem: Ich wollte irgendwie nicht glauben, daß ausgerechnet Mr. X von solchen Dilletanten ums Leben gebracht worden war! Der Boß einer solch mächtigen Organisation? Wie hatten sie ihn überhaupt schnappen können? Und wo waren die X-Agenten, um sich für seinen Tod zu rächen? »Was ist mit dem Etagenkellner?« »Auf freiem Fuß. Er wird allerdings beobachtet. Wir können nichts gegen ihn tun. Sonst würde die Geschichte mit Ihrer Abschiebung...« »Schon gut!« Ich winkte ab. »War ja nur eine Frage.« In Gedanken fügte ich hinzu: Auch das paßt nicht: Wo bleiben die X- Agenten? Wo ihr oberster Boß ist, dort können sie doch auch nicht weit sein. Oder? Ich schüttelte gedankenverloren den Kopf. Der Capitan sah es zwar, aber er ging nicht darauf ein. Er zog die Stirn kraus.
* Madrid liegt auf dem öden und trockenen Hochland Neukastiliens. Rauhes Klima herrscht hier, was viele gar nicht vermuten, denn Spanien - damit verknüpft sich für die meisten Touristen ewige Sonne und dergleichen... Enrico Gonzales, der spanische Polizist mit dem italienisch klingenden Vornamen, wollte uns nach außerhalb der Stadt bringen, zum Landsitz eines angeblichen Freundes, während die Abschiebung unserer Doppelgänger laufen sollte. Das erschien ihm sicherer.
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Er brachte uns persönlich hinaus, führte uns auf Schleichwegen in die Tiefgarage. Alles war gut vorbereitet: Mit einem unauffälligen Lieferwagen, getarnt durch verschmutzte Fensterscheiben, durch die man beim besten Willen von außen nicht erkennen konnte, wer im Fond saß, brachte man uns vom Präsidium weg. Gonzales wäre normalerweise sicherlich mitgefahren, aber er mußte sich schließlich um die Doppelgängeraktion kümmern. Das leuchtete uns ein.
* Nach stundenlanger Fahrt erreichten wir unser Ziel. »Wir sind da!« rief der Fahrer über die Schulter zurück. Vor der Abfahrt hatte uns Capitan Gonzales Kleider aus unseren Hotelzimmern bringen lassen. Dort hatte man sowieso alles ausgeräumt, um die Abschiebehaft glaubwürdiger zu machen. Wir waren inzwischen also normal angezogen. Nur Waffen hatten wir keine. Der Lieferwagen durchfuhr ein offenes Gatter. Rechts und links des staubigen Weges hatte man versucht, einen Park einzurichten. Mit nur mäßigem Erfolg, denn in dem rauhen Klima gediehen auch Kulturpflanzen nicht gut. Vor uns öffnete sich ein weiter Hof. Die Hazienda dahinter war im spanisch-mexikanischen Stil erbaut und gehörte offensichtlich einem steinreichen Menschen, der es dank seines Geldes in der Einöde gut aushielt. Hier lebte er zurückgezogen und kaum gestört vom dem Trubel der Vier-Millionen-Stadt Madrid. »Was ist das eigentlich für ein Freund?« erkundigte ich mich beim Fahrer. Das Wort Freund dehnte ich dabei besonders. »Ein angesehener Geschäftsmann!« erläuterte der Mann achselzuckend. Da er uns transportierte, gehörte er offensichtlich zu den Eingeweihten. »Er arbeitet schon immer mit uns zusammen, gibt uns oftmals sehr wertvolle Tips.« »Aha!« machte ich. Mit Sammy tauschte ich einen Blick. Diese Art von »Zusammenarbeit« kannten wir: Ein Geschäftsmann, der wahrscheinlich selber mit Mafiamethoden arbeitete und seine wertvollen Verbindungen zur Polizei nutzte, um unliebsame Konkurrenz aus dem Feld zu räumen. Aber zumindest der Capitan schien sehr viel von ihm zu halten, sonst hätte er uns nicht herbringen lassen. Oder war der Mann eher ein Freund des Polizeipräsidenten? Denn laut Gonzales war es ja sowieso mehr auf diesen zurückzuführen, daß sich die Dinge für uns so entwickelten... »Niemand daheim!« rügte Sheila ein wenig mürrisch. Sie hatte recht: Nirgendwo rührte sich was. Der Wind trieb dünne Staubschleier über den Hof. Links die Garagen standen teilweise offen. Die Wagen darin fehlten. Der ganze Landsitz erschien verwaist. Der Fahrer runzelte die Stirn. »Das verstehe wer will!« »Brauchst du auch nicht!« behauptete Sammy: »Tu dein Werk: Laß uns aussteigen und hau ab!« »Sie wollen allein aussteigen und...?« »Wieso eigentlich nicht? So war es doch abgemacht, oder?« Der Fahrer schüttelte den Kopf. Dann schielte er auf Sammys überdimensionierten Oberarm, der beinahe den Stoff sprengte. Das schien ihn zu überzeugen, daß wir sehr gut auf uns selber aufpassen konnten. Copyright 2001 by readersplanet
»In Ordnung!« Ich zögerte noch mit dem Aussteigen. Es war ein unbestimmbares Gefühl, das mich warnte. Sammy stieß kurzerhand die Tür auf und jumpte hinaus. Sheila folgte. Ich bildete endlich die Nachhut. »Gute Fahrt!« sagte ich zu dem Polizisten, der in Zivil gekleidet war. Der schluckte sichtlich und gab Gas. Der Lieferwagen machte eine kleine Ehrenrunde im Hof und brauste davon. Wir blieben allein im Hof stehen. Vielleicht war es ein Fehler? Vielleicht hätten wir doch besser mit dem Lieferwagen zurück in die Stadt fahren sollen? Und dann? Schließlich müssen wir irgendwann einmal anfangen, die Rätsel zu entschlüsseln! redete ich mir ein. Sammy steuerte auf den Haupteingang der Hazienda zu. Mit gemischten Gefühlen folgten wir ihm. Noch bevor wir das Gebäude erreichten, wurde geöffnet. Ein Mann trat heraus, mit süffisantem Lächeln - und einer Maschinenpistole im Anschlag... Er richtete die Mündung auf uns.
* Der Mann mit der Maschinenpistole, Marke Beretta, blieb nicht allein: Ein Bewaffneter nach dem anderen verließ das Haus. Sie richteten die Mündungen ihrer Waffen auf uns. »Aha, das Empfangskomitee?« murmelte ich voller Galgenhumor. »Wir wollten es ja nicht anders!« zischelte Sheila, ließ die Arme hängen und ging den Männern entgegen. Sammy und ich schlossen uns an. »Schau den verbrannten Muskelprotz an!« sagte einer grinsend in Richtung Sammy. »Mr. Universum persönlich? Dem würde ich gern einmal die Luft aus den aufgeblasenen Muskelpaketen lassen - und seinem weißen Freund ebenfalls. Der steht ihm ja kaum nach!« »Mich würde die Kleine weit mehr interessieren!« sagte ein anderer und schnalzte anzüglich mit der Zunge. »Schnauze!« knurrte ein dritter. »Schließlich sind das unsere lieben Gäste, nicht wahr? Der Capitan hat sie persönlich herbringen lassen, damit sie in Sicherheit sind.« »In Sicherheit!« echote der vierte und lachte glucksend. Sheila blieb genau vor dem Wortführer stehen. »Netter Empfang, wirklich. Hätten wir gar nicht mit gerechnet. Uns wurde nur gesagt, wir würden hier Freunde treffen.« Der Kerl bohrte den Lauf seiner Beretta in ihren Bauchnabel. »Freunde? Ganz gewiß, das sind wir, Mylady! Herzlich willkommen auf unserer Hazienda. Hat vor Minuten erst ihren Besitzer gewechselt. Der hat uns vorher aber alles genau erklärt - freundlicherweise. Er ließ nichts aus, bevor er leider verschied.« Zu Tode gefoltert! dachte ich, und mir wurde heiß.
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Sammy stieß mir in die Seite: »Haben uns die netten Leute eigentlich schon in die gute Stube gebeten?« »Nicht daß ich wüßte!« antwortete ich genauso gespielt sorglos. »Benehmen haben die keins. Sieht man ihnen auch gleich an. Sogenannte Lullys!« Wir grinsten um die Wette. Der als erster das Haus verlassen hatte, verlor fast die Kontrolle. Anscheinend spielte er für sein Leben gern den starken Mann und erwartete bei einer solchen Übermacht eher Angst und Unterwerfung. Sheila lachte leise: »Noch reichlich grün, diese Jungs. Da sind die uns wohlbekannten X-Agenten doch aus ganz anderem Holz geschnitten. Wenigstens sind sie Profis. Das macht viel mehr Spaß.« Der als erster das Haus verlassen hatte, war offensichtlich der Boß der Truppe. Er verlor endgültig die Nerven: In einem Anflug von Vernichtungswut riß er den Abzug durch. Die Beretta knatterte los. Wir standen alle drei in der Schußlinie - Sheila sogar am nächsten. Und doch hatte ich nur Sorge um sie, nicht um Sammy, denn der sprang genauso schnell wie ich beiseite, sobald sich der Zeigefinger des wildgewordenen Mordschützen rührte. Aber meine Sorge um Sheila erwies sich als völlig unbegründet: Rechtzeitig drehte sie sich halb ab und ließ den Kugelhagel somit an sich vorbeigehen. Das war allerdings so knapp, daß er ihr beinahe die Hüfte aufriß. Eine Kugel zerfetzte den Stoff ihres Kleides. Und dann schlug sie zu - mit der Handkante: Sie trieb dem Schützen den Kehlkopf ein wenig tiefer in den Hals. Der Kerl lief sofort blau an und vergaß weiterzuschießen. Für ihn war jetzt viel wichtiger, wie er wieder zu Atem kommen konnte. Er ließ seine Beretta sogar fallen. Sheila fing sie auf und drehte sie um einhundertachtzig Grad. Die anderen Banditen wagten nicht mehr zu schießen, um nicht ihren Boß zu gefährden. Sammy und ich sprangen vor - die Situation nutzend, in der alle abgelenkt waren. Gnadenlos ließen wir unsere Fäuste sprechen. Das ging alles verdammt schnell - viel zu schnell für schießwütige Amateure. Wenn das wirklich alles war, was die Organisation an Mitgliedern zu bieten hatte, durften anständige Bürger nach wie vor darauf hoffen, mit heiler Haut davonzukommen... Bevor sich die Burschen von der ersten Überraschung erholt hatten, schauten sie in die Mündungen ihrer eigenen Waffen. Nur einer, den wir leider nicht hatten erreichen können, wurde leichtsinnig und wollte jetzt auf uns schießen. Sammy war viel schneller. Er schoß dem Kerl die Waffe aus den Händen. Endlich begriff auch dieser, mit wem er es zu tun hatte: Jedenfalls nicht mit blutigen Anfängern! Sheila zwang den Boß mit dessen eigenen Beretta gegen die Wand und hielt die Mündung der Maschinenpistole an seinen Hals. Er würgte verzweifelt. »Ihr habt keine Chance!« keuchte er schließlich. »Überhaupt keine! Viel zu weit bis nach Madrid hinein. In dieser Wildnis kommt ihr um. Im Haus gibt es keinen Proviant mehr, weil wir bald hier abgeholt werden. Ihr solltet von uns empfangen werden. Mehr nicht. Wir haben von nichts 'ne Ahnung.« »Reichlich lange Rede für einen, der kaum Luft bekommt«, kommentierte Sheila und setzte ihm das Knie in den Unterleib. »Macht einen ganz schön mißtrauisch. - Was meinst du dazu, Dr. No?« Copyright 2001 by readersplanet
»Ich finde, wir sollten sie alle umlegen und anschließend selber auf die Abholer warten. Die wissen bestimmt mehr.« Der Kerl war nur noch ein wimmernder Feigling - ohne seine Beretta. »Nicht umlegen!« flehte er. »Was nutzt - nutzt euch denn das? Ihr habt wirklich keine Chance, und ich kann nicht mehr sagen als ich weiß.« »Um welche Organisation handelt es sich denn? Wirklich Mafia?« In seinen Augen blitzte es. Er antwortete nicht.
Es geht weiter in... Band 6: »Himmelfahrtskommando« - ein Roman von W. A. Hary
Den bekommt man übrigens auch in gedruckter Fassung (wie jeden Roman aus der Serie DR. NO!), diesmal mit Titelbild von dem bekannten Künstler Thorsten Grewe. Einfach mal fragen bei: HARY-PRODUCTION, Waldwiesenstraße 22, 66538 Neunkirchen, Internet: www.hary.li, eMail:
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